Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Zerfetzte Flaggen Leutnant Richard Bolitho In Der Karibik " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #4
1777 - Aus der Rebellion der amerikanischen Kolonien ist ein erbitterter Krieg gegen England geworden, der die Royal Navy vor eine harte Bewahrungsprobe stellt. Als blutjunger Offizier nimmt Richard Bolitho an den gefahrlichen Einsatzen des mit 80 Kanonen bestuckten Linienschiffs Trojan und den dramatischen Seegefechten in den Gewassern der Bahamas teil. Nach der Eroberung einer Brigg erhalt er das Kommando uber diese Prise und damit die Gelegenheit, sich durch einen weiteren gewagten Handstreich ruhmreich auszuzeichnen.

        Alexander Kent
        Zerfetzte Flaggen
        Leutnant Richard Bolitho in der Karibik

        FUR WINIFRED

        Unser Feind war keine Memme,
        das sage ich Euch…
        Sein Mut war von rauher englischer Art,
        wie es ihn zaher und echter nie gab
        und nie geben wird.

    Walt Whitman



        I Demonstration der Starke

        Der steife, ablandige Wind, der wahrend des Tages ein wenig ruckgedreht hatte auf Nordwest, fegte uber die Reede von New York. Er brachte kein Nachlassen der grimmigen Kalte, sondern alle Anzeichen weiteren Schneefalls.
        Heftig an seiner Ankerkette zerrend, lag dort Seiner Britannischen Majestat Schiff Trojan, bestuckt mit achtzig Kanonen. Dem ungeschulten Auge einer Landratte mochte es wohl so vorkommen, als sei sie vollig unempfindlich gegen Wind und Seegang. Den Mannern jedoch, die standig ihre Arbeit an Deck oder hoch oben in der Takelage und auf den schlupfrigen Rahen verrichteten, schien dies keineswegs so, und sie empfanden die schlingernden Bewegungen sehr deutlich.
        Es war Marz 1777, doch der Offizier der Nachmittagswache, Leutnant Richard Bolitho, hatte das Gefuhl, als sei es noch mitten im Winter. Es wird fruh dunkel werden, dachte er, die Beiboote mussen noch uberpruft, ihre Vertauung verstarkt werden, bevor die Nacht kommt. Er frostelte, weniger infolge der Kalte als bei dem Gedanken, da? es auch nachher in den Raumen unter Deck kaum warmer sein wurde. Denn trotz ihrer stattlichen Gro?e und ihrer starken Bewaffnung hatte die Trojan - ein Zweidecker-Linienschiff - ihrer Besatzung von sechshundertfunfzig Offizieren, Seeleuten und Seesoldaten, die alle in ihrem umfangreichen Rumpf lebten, nicht mehr als das Herdfeuer in der Kombuse zu bieten, allenfalls noch die eigene Korperwarme der Leute - gleichgultig, wie die Elemente tobten.
        Auf dem Achterdeck richtete Bolitho sein Fernglas auf die bereits verschwimmende Kustenlinie. Wahrend sein Blick die anderen vor Anker liegenden Linienschiffe, Fregatten und das ubliche Gewirr kleinerer Versorgungsfahrzeuge streifte, hatte er Zeit, sich uber die Veranderung klarzuwerden, die seit dem letzten Sommer stattgefunden hatte. Damals war die Trojan zusammen mit einem gro?en Flottenverband von hundertdrei?ig Schiffen hier bei Staten Island vor Anker gegangen. Nach dem anfanglichen Schock, den der Aufstand der amerikanischen Kolonien ausgelost hatte, war die Besetzung New Yorks und Philadelphias, verbunden mit einer derartigen Demonstration der Starke, den Beteiligten wie der Beginn einer
        Ruckentwicklung, eines Kompromisses, vorgekommen. Es war alles so einfach gewesen. General Howe hatte seine eingeschifften Truppen vor der gesamten Kuste von Staten Island Posten beziehen lassen, war dann mit einer kleinen Infanterieeinheit gelandet und hatte alles in Besitz genommen. Die Verteidigungsvorbereitungen der ortlichen und der Festlandsmilizen waren buchstablich ins Wasser gefallen, und selbst die vierhundert Mann starke Besatzung der Befestigungswerke von Staten Island, die unter General Washingtons Befehl stand und das Fort unter allen Umstanden und ohne Rucksicht auf Verluste halten sollte, hatte brav das Kommando» Gewehr ab «befolgt und den Treueid auf die Krone geleistet.
        Bolitho senkte das Fernglas, da eine Schneebo ihm die Sicht nahm. Es fiel ihm schwer, sich die damals grune Insel und die bunte Zuschauermenge ins Gedachtnis zuruckzurufen, die jubelnden Loyalisten, den schweigend und grimmig dreinblickenden Rest. Alle Farben waren jetzt einem tristen Grau gewichen. Das Land, das bewegte Wasser, selbst die Schiffe schienen ihren Glanz verloren zu haben in diesem zahen und hartnackigen Winter.
        Er ging ein paar Schritte auf und ab; an seinen nassen Kleidern zerrte der Wind. Er war jetzt zwei Jahre an Bord der Trojan, aber es kam ihm vor wie ein ganzes Leben. Wie viele andere in der Marine, so hatte auch er zuerst gemischte Empfindungen gehabt, als die Neuigkeit von der Revolution bekannt wurde: Uberraschung, Schock, Sympathie und dann Zorn, vor allem aber das Gefuhl der Hilflosigkeit.
        Die Revolution, die angefangen hatte als ein Konglomerat individualistischer Ideale, hatte sich bald in eine durchaus reale Herausforderung entwickelt. Dieser Krieg war anders als alles, was sie vorher gekannt hatten. Gro?e Linienschiffe wie die Trojan bewegten sich schwerfallig von einem Brennpunkt zum anderen und waren durchaus imstande, mit allem fertig zu werden, was leichtsinnig in den Bereich ihrer massiven Breitseite geriet. Aber der wirkliche Krieg war eine Sache der Nachrichtenverbindungen und Versorgungswege, eine Angelegenheit der kleinen schnellen Fahrzeuge wie Korvetten, Briggs und Schoner. Wahrend der langen Wintermonate, als die uberbeanspruchten Schiffe des Kustengeschwaders mehr als funfzehnhundert Meilen Kuste zu uberwachen hatten, war die Starke der Kontinentalarmee, unterstutzt von Britanniens altem
        Feind Frankreich, standig gewachsen. Bisher hatte Frankreich zwar nicht offen eingegriffen, aber vermutlich wurde es nicht mehr lange dauern, bis die vielen franzosischen Kaperschiffe, deren Jagdgebiet sich von der kanadischen Kuste bis ins Karibische Meer erstreckte, ihre wahre Flagge zeigten. Danach war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch Spanien, obwohl vielleicht ungern, dem feindlichen Bundnis beitrat. Die Handelswege zum spanischen Mutterland waren die langsten von allen, und angesichts der Spannungen zwischen Spanien und England wurde es wohl dem Druck der anderen beiden Machte nachgeben und den Weg des geringsten Widerstandes gehen.
        All dies und noch mehr hatte Bolitho gehort und diskutiert, immer wieder, bis zum Uberdru?. Ob gute oder schlechte Neuigkeiten eintrafen, die Rolle der Trojan wurde immer unbedeutender. Wie ein Felsblock lag sie nun schon seit Wochen hier im Hafen, mit gereizter Besatzung und Offizieren, die nur auf eine Gelegenheit hofften, von Bord gehen und ihr Gluck auf kleineren, schnelleren und unabhangigeren Schiffen versuchen zu konnen.
        Bolitho dachte an sein letztes Kommando, die mit achtundzwanzig Geschutzen bestuckte Fregatte Destiny. Selbst als ihr jungster Leutnant und gerade erst vom Fahnrichslogis in die Offiziersmesse hinubergewechselt, hatte er unglaublich Aufregendes und Befriedigendes erlebt.
        Er stampfte mit dem Fu? auf, so da? der Wachtposten auf der anderen Seite des nassen Decks herumfuhr. Jetzt war er Vierter Offizier dieses verankerten Riesen, und es sah so aus, als wurde er das fur die nachste Zeit auch bleiben.
        Die Trojan ware viel besser aufgehoben bei der Kanalflotte, dachte er: Manover, Flaggezeigen bei den wachsamen Franzosen, und, wenn irgend moglich, an Land gehen in Plymouth oder in Portsmouth, alte Freunde aufsuchen…
        Bolitho wandte sich um, als er wohlvertraute Schritte von achtern uber das Deck kommen horte. Es war Cairns, der Erste Offizier, wie die meisten von ihnen an Bord, seit die Trojan im Jahre 1775 nach einer langeren Aufliegezeit in ihrer Bauwerft in Bristol wieder in Dienst gestellt worden war. Cairns war gro?, schlank und sehr verschlossen. Falls er sich ebenfalls nach der nachsten Sprosse seiner Karriere sehnte, nach einem eigenen Kommando vielleicht, so zeigte er das nicht. Er lachelte selten, war aber trotzdem ein Mann von gro?em Charme. Bolitho mochte ihn gern und respektierte ihn. Oft fragte er sich, was Cairns wohl vom Kommandanten* hielt.
        Cairns blieb stehen und bi? sich auf die Unterlippe, wahrend er zur Takelage, zu dem sich aufturmenden Gewirr von Wanten und laufendem Gut, hinaufschaute. Dunn mit klebrigem Schnee bedeckt, sahen die Rahen aus wie die Zweige ungeheurer Fichten.
        Dann sagte er:»Der Kommandant wird bald zuruckkommen. Ich bin auf Abruf bereit, also halte die Augen auf.»
        Bolitho nickte. Cairns war achtundzwanzig, wahrend er selbst knapp einundzwanzig Jahre zahlte, aber der Abstand zwischen dem Ersten und dem Vierten Offizier war gro?er, als das Alter es ausdruckte. Er wartete ein wenig und fragte dann beilaufig:»Irgend etwas bekannt uber des Captains Mission an Land, Sir?»
        Cairns schien in Gedanken.»Ruf die Toppsgasten herunter, Dick, sie sind sonst so steifgefroren, da? sie nicht zupacken konnen, wenn das Wetter schlechter wird. Der Koch soll eine hei?e Suppe ausgeben. «Er zog eine Grimasse.»Das wird dem geizigen Schmierlappen Freude machen. «Er blickte Bolitho an.»Welche Mission?»

«Nun, ich dachte, vielleicht bekommen wir neue Befehle. «Er hob die Schultern. Oder so etwas Ahnliches.»

«Sicher, der Captain war beim Befehlshaber, aber ich bezweifle, da? wir etwas anderes zu horen bekommen als das ubliche: erhohte Wachsamkeit, Augen auf bei der Arbeit…»

«Verstehe. «Bolitho blickte zur Seite. Er wu?te nie genau, wann Cairns vollig ernst war und wann nicht.
        Dieser zog seinen Rock hoher und hielt ihn uber der Kehle zusammen.»Machen Sie weiter, Mr. Bolitho.»
        Sie gru?ten beide durch Handanlegen an den Hut, die Zwanglo-sigkeit fur den Augenblick beiseite lassend, dann rief Bolitho:»Fahnrich der Wache!«Er sah, wie sich eine der im Schutz des Hangemattnetzes lehnenden Gestalten loste und auf ihn zulief.

«Sir!»
        Es war Midshipman** Couzens, dreizehn Jahre alt, eines der

* Kapitan eines Kriegsschiffes

** Seekadett bzw. Fahnrich zur See
        neuen Besatzungsmitglieder, die kurzlich mit einem Transport aus England gekommen waren. Rundgesichtig, standig frostelnd, glich er seine Unkenntnis mit einem Eifer aus, den weder seine Vorgesetzten noch das Schiff brechen konnten.
        Bolitho informierte ihn uber die zu erwartende Ruckkehr des Kommandanten sowie wegen des Kochs und lie? dann zur Wachablosung pfeifen. Diese Anweisungen gab er mechanisch, ohne sich dessen wirklich bewu?t zu sein. Dafur betrachtete er Couzens, sah aber nicht diesen, sondern sich selbst im entsprechenden Alter.
        Auch er war damals an Bord eines Linienschiffes gewesen und wurde von jedermann gehetzt und schikaniert, so kam es ihm wenigstens jetzt in der Erinnerung vor. Einen aber hatte er wie einen Helden verehrt, einen Leutnant, der moglicherweise von seinem Vorhandensein kaum etwas wu?te. Bolitho jedoch hatte sich auch spater immer an ihn erinnert. Der war niemals grundlos wutend geworden, nahm auch nie seine Zuflucht zu Schikanen und Demutigungen, wenn er selbst vom Kommandanten getadelt worden war. Bolitho hatte gehofft, einmal so zu werden wie dieser Offizier. Er hoffte es noch immer.
        Couzens antwortete eifrig und stramm:»Aye, aye, Sir.»
        Auf der Trojan gab es neun Midshipmen, und Bolitho fragte sich mitunter, wie deren Leben spater wohl verlaufen werde. Einige wurden bis zum Flaggoffizier aufsteigen, andere dagegen vorher straucheln oder umkommen. Gewi? war unter ihnen auch die ubliche Mischung von Tyrannen und echten Fuhrernaturen, von Helden und Feiglingen.
        Spater, als die neue Wache schon unterhalb des Aufbaudecks gemustert wurde, rief einer der Ausgucksposten:»Boot in Sicht, Sir!«Dann nach einer kleinen Pause:»Der Kommandant!»
        Bolitho warf rasch einen Blick nach unten auf das quirlende Durcheinander beim Antreten der neuen Wache. Der Kommandant hatte sich keinen ungunstigeren Augenblick aussuchen konnen.
        Er rief hinunter:»Wahrschaut den Ersten Offizier! Fallreepsposten raus, dem Bootsmann Bescheid sagen!»
        Gestalten flitzten in der Dunkelheit hin und her, und wahrend die Marineinfanteristen schwerfallig zur Pforte stampften, ihre wei?en, gekreuzten Brustriemen im schwachen Licht leuchtend, versuchten die Unteroffiziere, einigerma?en Ordnung in den Haufen der neuen Wache zu bringen.
        Ein Boot tauchte auf aus dem Dunst und naherte sich rasch dem Fallreep; im Bug stand bereits kerzengerade der Bootsgast, Bootshaken bei Fu?.

«Boot ahoi?»
        Sofort kam die laut gerufene Antwort des Bootssteurers: «Trojan!«Ihr Herr und Meister war also zuruck. Der Mann, der - nachst Gott - jede Stunde und Minute ihres Lebens bestimmte, der belohnen, auspeitschen, befordern oder hangen konnte, entsprechend der jeweiligen Situation. Er weilte jetzt wieder unter ihnen, in ihrer uberfullten kleinen Welt.
        Als Bolitho sich umsah, war Ordnung, wo vor kurzem noch Chaos zu herrschen schien. Die Seesoldaten waren angetreten, das Gewehr geschultert, kommandiert von dem sympathischen Hauptmann der Marineinfanterie d'Esterre, der mit seinem Leutnant vor der Front stand, anscheinend unempfindlich gegen Wind und Kalte.
        Die Bootsmannsmaaten der Wache waren zur Stelle und feuchteten bereits die Lippen an, hatten die silbernen Pfeifen klar zum Seitepfeifen; Cairns, die Augen uberall, wartete darauf, den Kommandanten zu empfangen.
        Der Bootshaken griff in die Fallreepskette, die Gewehre wurden mit lautem Griff prasentiert, die Bootsmannsmaaten pfiffen ihren schrillen Salut. Des Kommandanten Kopf und Schultern tauchten auf, und wahrend er seinen Zweispitz in Richtung Achterdeck hin luftete, lie? er zugleich einen prufenden Blick uber das ganze Schiff schweifen, uber seinen Kommandobereich.
        Zum Ersten Offizier sagte er kurz:»Kommen Sie nach achtern, Mr. Cairns«, dann nickte er den Marineinfanteristen zu.»Gut gemacht, D'Esterre. «Er wandte sich abrupt um und fuhr Bolitho an:»Wieso sind Sie hier, Mr. Bolitho?»
        Wahrend er noch sprach, ertonten acht Glasen[in diesem Fall acht Uhr abends 12] von der Back her.

«Sie sollten doch schon abgelost sein?»
        Bolitho sah ihm ins Gesicht.»Ich nehme an, Mr. Probyn ist aufgehalten worden, Sir.
»So, das nehmen Sie an?»
        Der Kommandant hatte eine scharfe Stimme, die wie ein Entermesser in das Heulen des Windes und das Knarren der Stengen schnitt.

«Die Verantwortung des Wachegehens beginnt mit der Ablosung. «Er blickte in Cairns unbeteiligtes Gesicht.»Das sollte doch nicht so schwer zu begreifen sein, denke ich.»
        Sie gingen nach achtern, und Bolitho atmete tief und langsam aus.
        Leutnant George Probyn, sein unmittelbarer Vorgesetzer, kam ofter zu spat zur Wachablosung, ubrigens auch zum sonstigen Dienst.
        Er war ein Sonderling in der Messe, murrisch, streitsuchtig, verbittert, aber aus welchem Grund, das hatte Bolitho noch nicht herausgefunden. Er sah ihn die Steuerbord-Schanztreppe heraufkommen, vierschrotig, unordentlich, sich argwohnisch umschauend.
        Bolitho trat ihm entgegen.»Die Wache ist achtern angetreten, Mr. Probyn.»
        Probyn wischte sich das Gesicht und schneuzte dann in ein rotes Taschentuch.

«Ich nehme an, der Captain hat nach mir gefragt?«Selbst diese paar Worte klangen bei ihm feindselig.

«Er hat gemerkt, da? Sie nicht da waren. «Bolitho roch Branntwein und fugte hinzu: Aber er hat sich damit zufriedengegeben.»
        Probyn winkte den wachhabenden Steuermannsmaaten herbei und sah fluchtig das Logbuch durch, das dieser ihm unter eine Laterne hielt.
        Bolitho sagte mude:»Keine besonderen Vorkommnisse. Ein Seemann ist verletzt und ins Lazarett gebracht worden. Er fiel vom Bootsdavit.»
        Probyn schnaubte verachtlich.»Schande. «Er klappte das Buch zu.»Sie sind abgelost.
«Finster brutend blickte er Bolitho nach und fugte drohend hinzu:»Wenn ich glauben mu?te, da? mir jemand hinter meinem Rucken Schwierigkeiten macht.»
        Bolitho drehte sich um und verbarg seinen Arger. Meckere nicht, du Trunkenbold, die machst du dir schon selbst, dachte er.
        Probyns grobe, polternde Stimme folgte ihm auf der Schanztreppe, als dieser seiner Wache die ublichen Anweisungen gab.
        Wahrend er leichtfu?ig den Niedergang hinablief und dann weiterging zur Messe, uberlegte Bolitho, was der Kapitan wohl mit Cairns zu besprechen habe.
        Einmal unter Deck, umfing ihn die Trojan und hullte ihn ein mit ihrer ganzen Vertrautheit. Die Geruche nach Teer, Hanf, Bilge und Menschenleibern gehorten genauso zu ihr wie ihre Bordwande.
        Mackenzie, der dienstalteste Messesteward, begegnete ihm mit aufmunterndem Lacheln. Er hatte seinen Dienst als Toppsgast aufgeben mussen, als er aus der Takelage fiel und infolge eines dreifachen Beinbruches furs Leben zum Kruppel wurde. Mackenzie geno? es, von jedermann bemitleidet zu werden, und seine Verletzung hatte ihm immerhin zu einer so bequemen Stellung verhelfen, wie manch einer auf des Konigs Schiffen sie sich gewunscht hatte.

«Ich habe noch etwas Kaffee, Sir, kochend hei?!«Er hatte denselben weichen, schottischen Akzent wie Cairns. Bolitho schalte sich aus seinem Uberrock und reichte diesen samt seinem Hut dem Schiffsjungen Logan, der den Messestewards half.

«Nehme ich gern, danke.»
        Die Offiziersmesse, die sich am Heck uber die ganze Schiffsbreite erstreckte, war voll ziehender Rauchschwaden und roch nach dem ihr eigentumlichen Gemisch von Wein und Kase. Die gro?en Heckfenster ganz achtern waren schon in Dunkelheit getaucht, nur beim Uberholen sah man gelegentlich ein Licht auftauchen wie einen verirrten Stern.
        Kleine Kabinen saumten die Seiten, Verschlagen ahnlich, kaum mehr als Schutzwande, die man abri?, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde: winzige Schutzhafen der Privatsphare, die des Eigners Koje, Seekiste und ein bi?chen Platz zum Aufhangen der Garderobe enthielten. Au?er den Arrestzellen waren dies die einzigen Raume des Schiffes, in denen man einmal fur sich allem sein konntet
        Direkt daruber, in einer Kabine, die in ihrer Gro?e etwa dem Gesamtraum der ubrigen Offizierskabinen entsprach, lag das Reich des Kommandanten. Im selben Deck waren auch der Erste Offizier und der Navigationsoffizier untergebracht, damit sie in der Nahe des Achterdecks und des Ruders logierten.
        Aber hier in der Messe verbrachten sie alle gemeinsam ihre wachfreie Zeit, diskutierten ihre Probleme, ihre Hoffnungen, ihre Befurchtungen, nahmen ihre Mahlzeiten ein und tranken ihren
        Wein: die sechs Wachoffiziere, zwei Marineinfanterieoffiziere, der Navigationsoffizier, der Zahlmeister und der Arzt. Die Messe war sicherlich sehr eng fur so viele Menschen, aber verglichen mit den Quartieren unter der Wasserlinie, in denen die Kadetten, Fahnriche, Deckoffiziere und Spezialisten wohnten - ganz zu schweigen von der Unterbringung der gemeinen Seeleute und Seesoldaten - war sie geradezu luxurios.
        Dalyell, der Funfte Offizier, sa? mit gekreuzten Beinen, die Fu?e auf einem kleinen Fa?, unter den Heckfenstern. In einer Hand hielt er eine lange Tonpfeife.

«George Probyn war wohl wieder blau, Dick?»
        Bolitho grinste.»Es wird allmahlich zur Gewohnheit.»
        Sparke, der Zweite Offizier, ein Mann mit strengem Gesicht und einer munzgro?en Narbe auf der Wange, sagte:»Ich wurde ihn vor den Captain bringen, wenn ich hier der Senior ware. «Er wandte sich wieder seinem zerlesenen Zeitungsblatt zu und fuhr dann heftig fort:»Diese verdammten Rebellen scheinen zu machen, was sie wollen! Zwei weitere Transporte uberfallen, genau vor den Nasen unserer Fregatten, eine Brigg aus dem Hafen verschleppt, durch eins ihrer verdammten Kaperschiffe! Wir gehen viel zu sanft mit ihnen um!»
        Bolitho setzte sich und streckte die Beine aus, dankbar, nicht mehr dem kalten Wind ausgesetzt zu sein, obgleich er wu?te, da? die Illusion von Warme bald wieder schwinden wurde.
        Sein Kopf sackte vornuber, und als Mackenzie den Kaffee brachte, mu?te er ihn an der Schulter wachrutteln.
        In geselligem Schweigen entspannten sich hier die Offiziere der Trojan und taten, wozu sie Lust hatten. Einige lasen, andere schrieben nach Hause - Briefe, die moglicherweise den Empfanger nie erreichten.
        Bolitho trank den Kaffee und bemuhte sich, den Schmerz in seiner Stirn zu ignorieren. Gedankenversunken strich er sich die widerspenstige Stirnlocke vom rechten Auge. Das schwarze Haar verdeckte eine blauliche Narbe, die Ursache seines Kopfschmerzes. Er hatte sie sich wahrend seiner Zeit auf der Destiny geholt. Oft kam es wieder uber ihn, in Augenblicken wie diesem: die Illusion von Sicherheit, dann das plotzliche Getrappel von Fu?en, das
        Schlagen und Hacken von Waffen. Der heftige Schmerz, das Blut, die jahe Nacht.
        Es klopfte an die au?ere Tur, und kurz darauf sagte Mackenzie zu Sparke, dem dienstaltesten anwesenden Offizier:»Verzeihung, Sir, der Fahnrich der Wache ist hier.»
        Dieser stapfte so vorsichtig in die Messe, als schritte er uber kostbare Seidenteppiche.
        Sparke fragte kurz angebunden:»Was gibt es, Mr. Forbes?»

«Der Erste Offizier bittet alle Offiziere um zwei Glasen* in die Kommandantenkabine.»

«Ist gut. «Sparke wartete, bis die Tur geschlossen war.»Jetzt werden wir's erfahren, meine Herren. Vielleicht gibt es Wichtiges fur uns zu tun.»
        Anders als Cairns konnte der Zweite Offizier das plotzliche Aufleuchten seiner Augen nicht verbergen: dies bedeutete Beforderung, Prisengeld oder auch nur die Aussicht auf eigenen Einsatz, anstatt immer nur von anderen daruber zu horen.
        Er sah Bolitho an.»Ich rate Ihnen, ein reines Hemd anzuziehen. Der Captain scheint Sie besonders im Auge zu haben.»
        Bolitho streifte beim Aufstehen mit dem Kopf den Decksbalken. Zwei Jahre war er jetzt an Bord, aber au?er bei einem Essen in der Kajute zur Feier der Wiederindienststellung des Schiffes in Bristol hatte er die soziale Barriere zum Kommandanten nie uberschritten: einem strengen, verschlossenen Mann, der trotzdem eine geradezu unheimliche Kenntnis von allem zu besitzen schien, was sich in den verschiedenen Decks seines Schiffes abspielte.
        Dalyell klopfte sorgfaltig seine Pfeife aus und bemerkte:

«Vielleicht mag er dich wirklich, Dick.»
        Raye, der Leutnant der Marineinfanterie, gahnte.

«Ich glaube nicht, da? er uberhaupt menschlicher Regungen fahig ist.»
        Sparke eilte in seine Kabine, es widerstrebte ihm, in die Kritik an der Obrigkeit hineingezogen zu werden.»Er ist der Kommandant, er bedarf keiner menschlichen Regungen«, stellte er abschlie?end
        fest.
        Kapitan zur See Gilbert Brice Pears las die letzte Eintragung im

* in diesem Fall neun Uhr abends
        Logbuch und setzte dann seine Unterschrift darunter, die von Teakle, seinem Sekretar, hastig getrocknet wurde.
        Drau?en, au?erhalb der Heckfenster, schienen Hafen und Stadt weit entfernt und ohne die geringste Verbindung zu dieser geraumigen, hell erleuchteten Kajute. Sie war geschmackvoll mobliert, und im angrenzenden Speiseraum war schon zum Abendessen gedeckt. Foley, der Kommandantensteward, stand, adrett in blauem Jackett und wei?er Hose bereit, seinen Herrn zu bedienen.
        Kapitan Pears lehnte sich im Sessel zuruck und betrachtete die Kabine, jedoch ohne sie wirklich zu sehen. Nach zwei Jahren kannte er sie genau.
        Er war zweiundvierzig Jahre alt, wirkte aber alter. Untersetzt, ja sogar vierschrotig, war er genauso machtig und beeindruckend wie die Trojan selbst.
        Er hatte Gerede unter seinen Offizieren gehort, das schon fast auf Unzufriedenheit hinauslief. Der Krieg - als solcher mu?te er jetzt wohl angesehen werden - schien sie zu ubergehen. Pears war jedoch Realist und wu?te, da? die Zeit noch kommen wurde, da er und sein Schiff so eingesetzt werden wurden, wie es beabsichtigt gewesen war, als Trojans stattlicher Kiel vor genau neun Jahren zum ersten Mal Salzwasser gekostet hatte. Kaperschiffe und Sto?truppunternehmen waren eine Sache, wenn aber die Franzosen offen in den Konflikt eingriffen und ihre Linienschiffe in diesen Gewassern operierten, war dies etwas ganz anderes; die Trojan und ihre schweren Schwesterschiffe konnten dann ihren wahren Wert zeigen.
        Er blickte auf, als der vor der Kajutstur Posten stehende Seesoldat die Hacken zusammenknallte; einen Augenblick spater trat der Erste Offizier ein.

«Ich habe in der Messe Bescheid sagen lassen, Sir. Alle Offiziere werden punktlich hier sein.»

«Gut.»
        Pears brauchte seinen Steward kaum anzusehen, und schon war dieser bei ihm und schenkte zwei gro?e Glaser Bordeaux ein.

«Tatsache ist, Mr. Cairns - «, Pears hob prufend sein Glas gegen die nachste Lampe - ,»da? man einen Krieg auf die Dauer nicht defensiv fuhren kann. New York ist ein Bruckenkopf in einem Land, das taglich rebellischer wird. In Philadelphia liegen die Dinge kaum anders. Sto?truppunternehmen, Geplankel, wir verbrennen hier ein Fort, dort einen Au?enposten, sie fangen einen unserer Transporte ab oder locken eine Patrouille in den Hinterhalt. Was ist New York? Eine belagerte Stadt. Eine Oase auf Zeit. Wie lange noch?»
        Cairns schwieg und nippte an seinem Bordeaux, in Gedanken mehr bei den Gerauschen au?erhalb der Kajute, dem Heulen des Windes in der Takelage, dem Achzen der Stengen und Rahen.
        Pears sah seinen abwesenden Gesichtsausdruck und lachelte in sich hinein. Cairns war ein guter Erster Offizier, vielleicht der beste, den er je hatte. Er hatte ein eigenes Kommando verdient - eine Chance, die sich nur im Kampf bot.
        Aber Pears war sein Schiff wichtiger als alle Hoffnungen oder Traume. Der Gedanke, da? Sparke dann als Erster Offizier nachrucken wurde, schien ihm wie eine Drohung. Sparke war ein tuchtiger Offizier und widmete sich ganz seinen Geschutzen und sonstigen Aufgaben, aber er war phantasielos. Pears dachte an Probyn und verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Dann war da noch Bolitho, der Vierte Offizier, seinem Vater sehr ahnlich, obwohl er bisweilen seine Pflichten ein wenig zu leicht nahm. Aber seine Leute schienen ihn zu mogen, und das bedeutete in diesen harten Zeiten eine ganze Menge.
        Pears seufzte. Bolitho fehlten immer noch ein paar Monate am einundzwanzigsten Lebensjahr. Man brauchte erfahrene Offiziere, um ein Linienschiff wie dieses zu handhaben. Er rieb sich das Kinn und verbarg dadurch seinen Gesichtsausdruck. Vielleicht war es bei Bolithos Jugend nur sein eigenes, fortgeschrittenes Alter, das ihm diese Bedenken eingab.
        Er fragte abrupt:»Sind wir in jeder Beziehung seeklar?»
        Cairns nickte.»Aye, aye, Sir. Ich konnte wohl noch ein weiteres Dutzend Leute gebrauchen, wegen der Krankheitsausfalle und Verletzungen, aber das ist heutzutage ja eine geringe Differenz.»

«Das ist es in der Tat. Ich habe erlebt, da? Erste Offiziere graue Haare bekamen, weil sie einfach nicht genugend Leute anwerben, pressen oder kaufen konnten, um uberhaupt die Anker zu lichten.»
        Zur festgesetzten Zeit wurden die Turen geoffnet, und die Offiziere der Trojan - mit Ausnahme der Kadetten und der jungeren Deckoffiziere - traten nacheinander ein.
        Es war kein alltagliches Ereignis, daher dauerte es einige Zeit, bis alle einen Sitzplatz auf den Stuhlen gefunden hatten, die Foley und Hogg, des Kommandanten Bootssteurer, eifrig herbeischafften. Diese Verzogerung gab Pears Gelegenheit, die Offiziere und ihre verschiedenen Reaktionen zu beobachten.
        Probyn, durch einen Steuermannsmaat abgelost, hatte ein gerotetes Gesicht und auffallig glanzende Augen. Sein Auftreten wirkte zu betont sicher, um echt zu sein.
        Sparke, etwas gedrechselt und steif in seiner strengen Korrektheit, und der junge Dalyell sa?en neben dem sechsten und jungsten Leutnant, Quinn, der vor funf Monaten noch Fahnrich gewesen war.
        Dann kam Erasmus Bunce, der Navigationsoffizier, Sailingma-ster oder auch kurz» Master«, eine beeindruckende Erscheinung. Hinter seinem Rucken nannte man ihn» den Weisen«. Uber ein Meter achtzig gro?, breitschultrig, mit widerspenstigem, grauem Haar, hatte er tiefliegende, klare Augen, die so schwarz waren wie seine buschigen Brauen. Seine Spezialkenntnisse der Seemannschaft - schon manche hervorragende Personlichkeit war durch diese gepragt worden - hatten auch ihm ihren Stempel aufgedruckt. Pears beobachtete, wie der Master sich unter den Decksbalken rechtzeitig buckte, und war beruhigt. Bunce geno? zwar seinen Rum, aber die Trojan liebte er wie eine Frau. Unter seiner navigatorischen Fuhrung hatte sie wenig zu furchten.
        Dann kam Molesworth, der Zahlmeister, ein blasser, nervos blinzelnder Mann, was Pears auf eine unaufgedeckte Unterschlagung zuruckfuhrte, und Thorndike, der Schiffsarzt, der stets zu lacheln schien. Er wirkte mehr wie ein Schauspieler als wie ein Knochen-flicker. Die beiden leuchtend scharlachroten Flecken auf der Backbordseite waren die Offiziere der Marineinfanterie, d'Esterre und Leutnant Raye: Nicht gebeten waren all die Deckoffiziere und Spezialisten, der Bootsmann, der Stuckmeister, die Steuermannsmaaten und die Zimmerleute. Pears kannte sie alle vom Sehen und Horen und kannte vor allem ihre Fahigkeiten.
        Probyn fragte laut flusternd:»Mr. Bolitho scheint noch nicht hier zu sein?»
        Pears runzelte die Stirn uber Probyns Scheinheiligkeit, die er verachtete.
        Cairns schlug vor:»Ich werde jemanden nach ihm schicken, Sir.»
        Die Tur offnete sich und schlo? sich ebenso rasch wieder, und Pears sah Bolitho auf einen freien Stuhl neben d'Esterre schlupfen.

«Aufstehen, der Offizier dort!«Pears sonst so schroffe Stimme klang beinahe freundlich.»Ah, Sie sind es, Sir. Endlich.»
        Bolitho stand still, nur sein Oberkorper glich die langsamen Bewegungen des Schiffes aus.

«Ich… Ich bitte um Entschuldigung, Sir. «Er sah das Grinsen auf Dalyells Gesicht, als Wasser unter seinem Rock hervor auf den mit schwarzwei? kariertem Segeltuch bespannten Boden tropfte.
        Pears sagte milde:»Ihr Hemd scheint noch ziemlich feucht zu sein, Sir!«Dann wandte er sich um und befahl dem Steward:»Fo-ley, etwas Segeltuch unter diesen Stuhl. Solche Dinge lassen sich nur schwer hier drau?en ersetzen.»
        Bolitho setzte sich mit einem Plumps und wu?te nicht, ob er zornig sein oder sich gedemutigt fuhlen sollte.
        Er verga? jedoch Pears atzenden Ton und sein Hemd, das er soeben klitschna? von der Leine genommen hatte, als Pears mit wieder normalem Tonfall sagte:»Wir segeln beim ersten Tageslicht, meine Herren. Der Gouverneur von New York hat eine Information erhalten, da? der von Halifax erwartete Konvoi wahrscheinlich angegriffen wird. Es ist ein gro?er Geleitzug, von zwei Fregatten und einem Kanonenboot gesichert. Bei diesem Wetter konnten die Schiffe jedoch leicht die Fuhlung verlieren, wobei dann das eine oder andere Fahrzeug zur Standortbestimmung dichter unter Land geht. «Seine Finger schlossen sich zur Faust.»Das ist dann der Augenblick, in dem der Feind zuschlagt.»
        Bolitho lehnte sich vor und ignorierte das unangenehme Gefuhl der Nasse um seine Korpermitte.
        Pears fuhr fort:»Ich sagte schon zu Mr. Cairns, man kann keinen defensiv gefuhrten Krieg gewinnen. Wir haben die Schiffe, aber der Feind hat die Ortskenntnis und kann dadurch kleinere, schnellere Fahrzeuge einsetzen. Um einigerma?en Aussicht auf Erfolg zu haben, mussen wir samtliche Nachschubwege offenhalten, jedes verdachtige Schiff durchsuchen oder aufbringen, unsere Anwesenheit standig fuhlen lassen. Kriege werden schlie?lich nicht mit Idealen, sondern mit Pulver und Blei gewonnen, und das hat der Feind nicht in ausreichendem Ma?e. Noch nicht.»
        Finster blickte er in die Runde.

«Der Konvoi aus Halifax bringt in erster Linie Pulver und Munition, auch Geschutze fur die Garnisonen von Philadelphia und New York. Wenn auch nur ein einziges von diesen Schiffen mit seiner wertvollen Ladung in die Hande des Feindes fallt, wurden wir die Auswirkungen in den kommenden Monaten zu spuren bekommen. «Er sah sich noch einmal mit scharfem Blick um.»Irgendwelche Fragen?»
        Sparke stand als erster auf.

«Wieso wir, Sir? Naturlich bin ich au?erst dankbar, auslaufen zu konnen und im Dienste meines Vaterlandes eingesetzt zu werden, um einiges von dem.»
        Pears sagte kurz:»Bitte kommen Sie zur Sache.»
        Sparke schluckte, seine Narbe auf der Wange wurde plotzlich blutrot.»Warum werden keine Fregatten geschickt, Sir?»

«Weil nicht genug da sind, nie genug da sein werden. Auch ist der Admiral der Ansicht, da? eine Demonstration der Starke not tut:»
        Bolitho sah auf, als hatte er etwas uberhort. Es war der Tonfall des Kommandanten. Lag darin nicht eine leise Andeutung von Zweifel? Er blickte seine Kameraden an, entdeckte aber nichts in ihren Mienen. Vielleicht bildete er es sich nur ein oder suchte einen Ausgleich fur sein vorheriges Unbehagen uber Pears Ton.
        Dieser fuhr fort:»Was diesmal auch passieren mag, wir durfen in unserer Wachsamkeit nie nachlassen. Dieses Schiff ist unsere Hauptverantwortung, das mussen wir uns immer wieder vor Augen halten. Der Krieg andert sich von Tag zu Tag. Wer gestern noch ein Verrater war, ist morgen ein Patriot. Ein Mann, der dem Ruf seines Vaterlandes gefolgt ist - «, ein schiefes Lacheln in Sparkes Richtung - ,» wird jetzt Loyalist genannt, als ob er und nicht die anderen Ausgesto?ene seien.»
        Der Navigationsoffizier, Master Erasmus Bunce, stand langsam auf; seine Augen starrten unter einem Decksbalken hervor wie zwe i gluhende Kohlen.»Ein Mann mu? handeln, wie ihm sein Gewissen befiehlt, Sir. Gott allein wird entscheiden, auf wessen Seite in diesem Konflikt das Recht ist.»
        Pears lachelte ernst. Der alte Bunce war bekannt fur seinen Glauben. In Portsmouth hatte er einmal einen Seemann ins Wasser geworfen, nur weil dieser in der Trunkenheit ein Spottlied gesungen hatte, in dem der Name des Herrn verunglimpft wurde.
        Bunce stammte aus Devonshire und war im Alter von neun oder zehn Jahren zur See gegangen. Angeblich war er jetzt uber sechzig, aber Pears konnte sich nicht vorstellen, da? er jemals jung gewesen war.
        Er sagte:»Genauso ist es, Mr. Bunce. Das war gut gesagt.»
        Cairns rausperte sich und blickte den Master nachsichtig an.»War das alles, Mr. Bunce?»
        Dieser setzte sich mit verschrankten Arme.»Es sei genug.»
        Der Kapitan gab Foley ein Zeichen. Dafur brauchte es keine Worte, dachte Bolitho.
        Glaser und Weinkruge wurden herumgereicht, dann sagte Pears:»Einen Toast, meine Herren. Auf das Schiff, und Verderben allen Feinden des Konigs!»
        Bolitho beobachtete Probyn, der nach einem der Kruge Ausschau hielt, da sein Glas bereits wieder leer war.
        Er dachte an des Kommandanten Stimme, als dieser von dem Schiff gesprochen hatte. Gott gnade George Probyn, wenn der die Trojan eines Tages auf Dreck setzen sollte, weil er ein Glas zuviel getrunken hatte.
        Bald darauf war die Versammlung beendet, und Bolitho stellte fest, da? er dem Kommandanten noch immer nicht nahergekommen war - au?er durch eine Ruge.
        Er seufzte. Als Fahnrich glaubte man, das Leben eines Offiziers spiele sich in einer Art Himmel ab. Aber vielleicht hatten selbst Kommandanten immer noch jemanden, den sie furchten mu?ten, obgleich es im Augenblick schwierig war, dies zu glauben.
        Die Morgendammerung kam, das Wetter wurde ein wenig sichtiger, aber nicht viel. Der Wind blies weiter steif aus Nordwest, und das Schneegestober wurde bald von Nieselregen abgelost, der sich mit dem verwehten Gischt mischte und Decks wie Takelage matt glanzen lie?.
        Bolitho hatte mehr Auslaufmanover erlebt, als er sich erinnern konnte, aber noch immer bewegte und erregte ihn die Art und We i-se, wie sich jeder in die Kommandokette einfugte und dadurch das Schiff zu einem lebenden Wesen machte, zu einem vollkommenen Instrument.
        Jeder Mast hatte seine eigene Abteilung von Seeleuten, vom flinken Toppsgast bis zu den alteren, weniger beweglichen Mannern, die an Deck die Brassen und Fallen bedienten. Wenn die Kommandos und Pfeifsignale ertonten und die Seeleute dann durch die Luken und durch die Niedergange an Deck stromten, schien es unglaublich, da? der Rumpf der Trojan, der von der Galionsfigur bis zur Heckreling siebzig Meter ma?, so viele Menschen enthielt. Jedoch in Sekundenschnelle formierten sich diese dahinhuschenden Gestalten von Mannern, Jungen und Seesoldaten zu Gruppen, deren jede von Unteroffizieren mit Stentorstimmen aufgerufen und kontrolliert wurde.
        Das gro?e Ankerspill drehte sich bereits, genau wie sein Zwilling ein Deck tiefer, und unter seinen Fu?en meinte Bolitho des Schiffes Erregung zu verspuren, seinen Eifer, Kurs auf die offene See zu nehmen.
        Genau wie die Seeleute und Seesoldaten waren auch die Offiziere auf ihren Stationen. Probyn war, unterstutzt von Dalyell, auf der Back fur den Fockmast verantwortlich. Sparke hatte das Kommando auf dem oberen Batteriedeck und war fur den Gro?mast verantwortlich, der die eigentliche Starke des Schiffes ausmachte - mit all seinen Spieren, Stagen, der Leinwand und den Meilen von Tauwerk, die zusammen dem Schiffsrumpf darunter erst Leben gaben. Der Besanmast endlich wurde in erster Linie von den Achtergasten bedient, wo der junge Quinn mit dem Marineleutnant und dessen Leuten Cairns Anordnungen ausfuhrte.
        Bolitho blickte hinuber zu Sparke: kein einfacher Vorgesetzter, aber es war ein Vergnugen, ihn bei der Arbeit zu beobachten. Er beherrschte seine Seeleute, seine Brassen und Fallen mit der Erfahrung und Leichtigkeit eines begabten Dirigenten.
        Eine plotzliche Stille schien sich uber das Schiff zu legen; Bo-litho sah den Kommandanten achtern zur Schanzreling gehen, dem alten Bunce zunicken und dann leise mit dem Ersten Offizier sprechen.
        Hoch uber dem Deck stand der rote Wimpel vom Flaggenkopf des Gro?topps so steif, als ware er aus Metall; eine gute Segelbrise. Aber Bolitho war froh, da? nicht er, sondern der Kommandant und der alte Bunce die Trojan durch das Gewimmel der vor Anker liegenden Schiffe manovrieren mu?ten.
        Er blickte zu den anderen Fahrzeugen hinuber und uberlegte, wer ihr Auslaufen wohl beobachtete: Freunde, vielleicht auch Spione, die bereits in diesem Augenblick Washingtons Agenten benachrichtigten? Ein weiteres Kriegsschiff geht Anker auf, wohin? Zu welchem Zweck?
        Seine Gedanken und seine Aufmerksamkeit wandten sich den Vorgangen an Bord zu, schweiften dann aber wieder ab. Wenn die Halfte von dem, was er gehort hatte, stimmte, dann wu?te der Feind moglicherweise besser Bescheid als sie selbst. Es sollte viele lose Zungen in New Yorks Zivil- und Militarkreisen geben.
        Cairns hob sein Sprachrohr.»Mehr Tempo, Mr. Tolcher!»
        Tolcher, der vierschrotige Bootsmann, zuckte seinen Rohrstock und brullte:»Mehr Leute ans Spill! Hiev rund, Jungs!«Er starrte zum Shantymann mit seiner Fiedel hinuber.»Spiel, du Hurensohn, oder ich steck dich in den Kettenkasten!»
        Von der Back kam der Ruf:»Anker ist kurzstag, Sir!»

«Enter auf! Toppsegel los!«Cairns Stimme, vervielfaltigt durch den Trichter, verfolgte und trieb sie.»Vorsegel los!»
        Dem Wind ausgesetzt, ri? sich das Segeltuch los und fing an, wild zu schlagen, wahrend die Seeleute auf den schwankenden Rahen kampften, um es bis zum richtigen Augenblick unter Kontrolle zu bringen.
        Sparke schrie:»An die Brassen! Mr. Bolitho, stellen Sie den Namen dieses Mannes fest!»

«Aye, Sir!»
        Bolitho lachelte in den Nieselregen hinein. Es war immer dasselbe mit Sparke: Stellen Sie den Namen dieses Mannes fest!«In Wirklichkeit war da niemand, dessen Name festzustellen gewesen ware, aber es erweckte bei den Seeleuten den Eindruck, als habe Sparke seine Augen uberall.
        Wieder die rauhe Stimme vom Bug:»Kette ist auf und nieder,
        Sir!»
        Befreit vom Grund - der erste Anker war bereits auf und gekattet - , drehte die Trojan heftig zur Seite, ihre Segel fullten sich mit einem Donner wie von Kanonenschussen, wahrend die Manner an den Brassen zogen, die Korper nach hinten gebogen, bis sie fast das Deck beruhrten.
        Rund und rund schwangen die Rahen, die Segel fullten sich eins nach dem anderen, wurden hart und steif wie Brustpanzerplatten, bis das Schiff seine Flanken in den Gischt tauchte, die Leegeschutzpforten bereits zeitweilig unter Wasser.
        Bolitho rannte von einer Gruppe zur anderen, sein Hut sa? schief, seine Ohren drohnten vom Quietschen der Blocke und vom Donnern der Segel, und uber allem hing der achzende Chor der vibrierenden Stagen und Wanten.
        Als er pausierte, um Atem zu holen, sah er die Umrisse von Sandy Hook querab vorbeigleiten. Ein paar Menschen warteten in einer kleinen Yawl und winkten, als das gro?e Schiff fast uber ihnen stand.
        Er horte wieder Cairns Stimme:»Bramsegel setzen!»
        Bolitho blickte zum Gro?topp hinauf, mit seinen unter dem Druck der Segel gebogenen Rahen. Seeleute und Fahnriche wetteiferten miteinander beim Setzen weiterer Segel. Als er sich wieder nach achtern wandte, sah er Bunce, die Hande auf dem Rucken, das Gesicht wie aus Stein gemei?elt, wahrend er sein Schiff und die Segelstellung musterte. Dann nickte er langsam. Dies kam so nahe an Zufriedenheit heran, wie Bolitho es noch nie bei ihm gesehen
        hatte.
        Er stellte sich vor, welchen Eindruck die Trojan wohl vom Land aus machte: die Galionsfigur - der grimmig blickende trojanische Krieger - Bugsprit und Kluverbaum, ja die ganze Back vom Gischt uberspruht; der massige, schwarz und lederfarben glanzende Rumpf, der die vorbeizischenden wei?en Schaumkronen widerspiegelte, als wolle er sich vom Lande reinwaschen.
        Probyns grobe Stimme ertonte von vorn, wo er seinen Leuten beim Kalten des zweiten Ankers Anweisungen zuschrie. Er wurde nach diesem Geschrei viel trinken mussen, dachte Bolitho.
        Er blickte nach achtern, hinweg uber seine eigenen Seeleute, die teils an den Stagen herunterrutschten, teils aus den Wanten herabsprangen und unten vor dem Mast wieder antraten. Dann sah er, da? der Kommandant ihn beobachtete. Uber das halbe Schiff hinweg, durch all das Gewuhl und Gehaste, schienen ihre Blicke sich zu begegnen.
        Verlegen griff Bolitho nach oben und ruckte seinen Hut zurecht; er meinte, ein kleines, aber nachdruckliches Nicken des Kommandanten bemerkt zu haben.
        Aber die traumerische Stimmung war bald wieder verflogen, die Trojan lie? keinem Zeit fur Phantastereien.»An die Brassen! Klar zum Wenden!«Sparke rief:»Mr. Bolitho!»
        Bolitho legte die Hand an den Hut.»Aye, Sir, ich wei?. Notieren Sie den Mann da!»
        Als das Wendemanover zu des Kommandanten und auch zu Bunces Zufriedenheit ausgefuhrt, das Schiff uber Stag gegangen und auf den neuen Kurs eingesteuert war, hatten Regen und Dunst das achteraus liegende Land bereits verschluckt.



        II Ein verwegener Plan

        Leutnant Richard Bolitho ging zur Luvseite des Achterdecks und griff in das Mattennetz, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Uber und vor ihm turmten sich die gewaltigen Pyramiden der Segel, beeindruckend selbst fur jemanden, der diesen Anblick gewohnt war. Besonders nach all der Enttauschung und Muhe der letzten viereinhalb Tage, dachte er.
        Der Wind, der ihnen von Sandy Hook aus so vielversprechend gefolgt war, hatte innerhalb weniger Stunden gedreht, als habe der Teufel selbst die Hand im Spiel. Ohne Warnung sprang er um, schralte, frischte auf oder flaute ab, so da? keine Wache ohne wenigstens ein Alle-Mann-Manover auskam, um Segel zu reffen, zu bergen oder wieder zu setzen. Ein ganzer Tag war notig gewesen, um die gefurchteten Nantucketbanke zu umrunden. Die See kochte unter dem Kluverbaum, als wurde sie von der Holle angeheizt.
        Als sie dann allmahlich wieder vier, ja funf Knoten Fahrt machten, hatte der Wind erneut gedreht und aufgefrischt. In den heulenden, orgelnden Boen kampften die atemlosen Seeleute mit dem von der Nasse steifen Segeltuch, packten mit schwieligen Fausten hinein, um zu reffen, wahrend die stampfende Welt um sie herum, hoch uber dem Deck, verruckt spielte.
        Aber jetzt war es anders. Die Trojan steuerte beinahe rechtweisend Nord, die Rahen hart angebra?t, um so viel wie moglich vom Wind auszunutzen, und auf ihrer Leeseite schaumte das Wasser als Beweis ihrer beachtlichen Fahrt.
        Bolitho lie? den Blick uber das obere Batteriedeck schweifen.
        Unter der Schanzreling lungerten die Leute herum und schwatzten wie immer, wenn sie gespannt darauf warteten, was der Koch ihnen wohl zu Mittag vorsetzen wurde. Aus dem fettigen Qualm, der aus dem Kombusenschornstein quoll und nach Lee davonzog, schlo? Bolitho, da? es wieder einmal das Gebrau aus gehacktem Salzfleisch war, herausgekratzt aus den verkrusteten Fassern, gemischt mit feucht gewordenem, glitschigem und muffigem Schiffszwieback, Hafermehl und den Resten vom Vortag. George Triphook, den Chefkoch, ha?te jeder mit Ausnahme einiger Speichellecker, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen schien er diesen Ha? und die gegen ihn laut werdenden Fluche von Herzen zu genie?en.
        Bolitho spurte plotzlich Hei?hunger; aber ihm war klar, da? das Essen, das ihn nach seiner Ablosung in der Messe erwartete, kaum besser sein wurde als dieser Fra? hier.
        Dann dachte er an seine Mutter und an das gro?e graue Haus in Falmouth. Er ging ein paar Schritte zur Seite und lie? Couzens stehen, seinen aufmerksamen Midshipman, der ihm sonst auf Schritt und Tritt folgte.
        Wie furchtbar der Schlag gewesen war! In der Marine riskierte man sein Leben wohl ein dutzendmal am Tage auf die verschiedenste Weise: durch Krankheit, Schiffbruch, Kanonendonner. Die Wande der Kirche in Falmouth hingen voller Gedenktafeln mit den Namen und Taten von Seeoffizieren - Sohnen der Stadt Falmouth - , die mit ihren Schiffen ausgelaufen waren, um nie mehr zuruckzukommen.
        Aber seine Mutter! Bei ihr dachte man nicht an so etwas. Sie war immer jugendlich und voller Leben gewesen, immer bereit, einzuspringen und die Verantwortung fur die Familie auf ihre Schultern zu laden, die Verantwortung fur Haus und Land, wenn der Vater, Kapitan James Bolitho, nicht daheim war. Und das war oft der Fall.
        Bolitho und sein Bruder Hugh, seine beiden Schwestern Felicity und Nancy, sie alle hatten die Mutter geliebt, jeder auf seine Weise. Als er von der Destiny nach Hause gekommen war, noch an den Folgen seiner Verwundung leidend, hatte er sie notiger gebraucht denn je. Aber sie war tot. Er konnte sich auch jetzt noch nicht vorstellen, da? sie nicht daheim war in Falmouth, die See unter Pendennis Castle mit einem Lachen beobachtete, das ansteckend wirkte und alle Niedergeschlagenheit beiseite fegte.
        Eine Erkaltung, hatten sie gesagt, dann ein plotzliches Fieber. In wenigen Wochen war es zu Ende gewesen.
        Er konnte sich seinen Vater vorstellen, jetzt, in diesem Augenblick: Captain James, unter diesem Namen kannte und schatzte man ihn daheim. Er war ein angesehener Friedensrichter, seit er seinen Arm verloren hatte und aus dem aktiven Dienst ausscheiden mu?te. Das Haus im Winter, die schlammigen, heckengesaumten Wege, auf denen die Neuigkeiten immer etwas verspatet eintrafen, die Landbevolkerung war viel zu beschaftigt mit ihren eigenen Sorgen, mit der Kalte, der Nasse, verlorenen Tieren, raubernden Fuchsen und anderem, um sich fur den weit entfernten Krieg zu interessieren. Aber sein Vater tat es. Wie ein Kriegsschiff, das bei Carrick Roads vor Anker lag, so brutete er vor sich hin und sehnte sich nach dem Leben, das ihn ausgesto?en, ihn zuruckgewiesen hatte. Nun war er vollstandig allein.
        Fur ihn mu? es tausendmal schwerer sein, dachte Bolitho traurig.
        Cairns erschien an Deck und kam nach einem prufenden Blick auf Kompa? und Schiefertafel, wo der Steuermannsmaat der Wache seine halbstundlichen Eintragungen machte, heruber zu Bo-litho.
        Dieser beruhrte gru?end seinen Hut.»Sie liegt stetig, Sir. Nord bei Ost, voll und bei.»
        Cairns nickte. Er hatte sehr helle Augen, die durch einen hindurchsehen konnten.

«Wir mussen wohl reffen, wenn es noch mehr auffrischt. Trotzdem lassen wir soviel wie moglich stehen.»
        Er hielt die Hand uber die Augen, als er jetzt nach Backbord blickte, denn obwohl die Sonne nicht schien, war die Strahlung intensiv und blendete. Es war schwierig, die Grenze zwischen Himmel und Wasser zu erkennen, die See wirkte wie eine Wuste ruhelosen, grau glanzenden Stahls. Aber der Abstand zwischen den einzelnen Brechern war jetzt gro?er, sie rollten unter Trojans fettem Heck hinweg, lufteten es und verursachten noch mehr Schlagseite. Gelegentlich brach sich einer von ihnen an der Luvpforte, bevor er zum jenseitigen Horizont weiterrollte.
        Sie hatten den gesamten Seeraum fur sich allein, denn seit sie
        Nantucket gerundet und Kurs auf die Einfahrt der Massachusetts Bay genommen hatten, waren sie nicht nur frei von Land, sondern auch von der ortlichen Kustenschiffahrt. Irgendwo in Luv, rund sechzig Meilen entfernt, lag Boston. An Bord der Trojan konnten sich nicht wenige noch an die Stadt erinnern, wie sie einmal gewesen war, bevor aus Spannung und Verbitterung offener Ha? und Blutvergie?en wurde.
        Die Bucht selbst mieden alle au?er den verwegensten britischen Seefahrern. Hier waren einige der fahigsten Kaperkapitane beheimatet, und Bolitho uberlegte nicht zum ersten Male, ob man wohl den machtigen Zweidecker bereits belauerte.
        Cairns, der einen Wollschal um den Hals geschlungen hatte, fragte:»Was haltst du vom Wetter, Dick?»
        Bolitho sah zu, wie die Leute auf ihrem Weg zur Kombuse aus den Niedergangen und dann wieder zuruck in ihre uberfullten Mannschaftsraume stromten.
        Er ging die Wache selbst, da Bunce streng darauf achtete, da? die Mittagsbreite genommen wurde, was bei dieser schwachen Sicht mehr ein routinema?iges Ritual war. Die Fahnriche standen bereits mit ihren Sextanten in der Hand in einer Linie da, und die Steuermannsmaaten uberwachten ihre Fortschritte beziehungsweise den Mangel daran.
        Bolitho sagte ruhig:»Wir bekommen Nebel.»
        Cairns starrte ihn verblufft an.»Ist das eine deiner keltischen Halluzinationen, Dick?»
        Bolitho lachelte.»Der Master sagt Nebel.»
        Der Erste Offizier seufzte.»Dann gibt es auch Nebel. Obgleich ich bei diesem halben Sturm keine Chance dafur sehe.»

«An Deck!»
        Sie blickten hoch, ein wenig achtlos geworden nach ihrer tagelangen Einsamkeit. Bolitho sah die verkleinerte Gestalt des Ausgucks im Gro?topp, eine winzige Figur vor den tiefhangenden Wolken. Schon das Hinaufschauen machte ihn schwindlig.

«Segel in Luv querab, Sir!»
        Die beiden Offiziere ergriffen ihre Fernrohre und kletterten in die Wanten. Aber es gab nichts zu sehen als Wellenkamme - steiler, drohender in der Vergro?erung - dazu das intensive, grellwei?e Licht.

«Soll ich den Kommandanten informieren, Sir?»
        Bolitho beobachtete Cairns Gesicht, als er wieder an Deck sprang. Er konnte beinahe seinen Verstand arbeiten sehen. Ein Segel! Was bedeutete es? Kaum anzunehmen, da? es befreundet war. Selbst ein verirrter und verwirrter Handelsschiffskapitan mu?te die Gefahren hier drau?en kennen.

«Noch nicht. «Cairns blickte vielsagend nach achtern.»Er wird die Meldung ohnehin gehort haben und erst darauf reagieren, wenn wir dazu bereit sind.»
        Bolitho dachte daruber nach. Ein weiterer Aspekt von Kapitan Pears, den er noch nicht in Betracht gezogen hatte. Aber es stimmte: Er rannte niemals gleich an Deck wie manche Kapitane, voller Angst um ihr Schiff, ungeduldig auf Antworten wartend, die noch nicht zu geben waren.
        Er betrachtete nochmals Cairns ruhiges Gesicht. Es stimmte naturlich auch, da? Cairns solches Vertrauen rechtfertigte.
        Bolitho fragte:»Soll ich nach oben und selbst nachsehen?»
        Cairns schuttelte den Kopf.»Nein, ich gehe. Der Kommandant will zweifellos einen vollstandigen Bericht.»
        Bolitho sah zu, wie der Erste Offizier aufenterte, das Teleskop wie ein Gewehr uber die Schulter geschlungen; hinauf und immer hoher kletterte er hinauf, uber die Marsputtings, vorbei an dem bezogenen Schwenkgeschutz auf dem Mars zur Bramstenge und weiter zur Bramsaling, wo der Ausguck so ruhig sa? wie auf einer bequemen Dorfbank.
        Er wandte den Blick von Cairns ab. Das war etwas, woran er sich nie gewohnen, was er nie uberwinden konnte: sein Schauder vor der Hohe. Jedesmal, wenn er nach oben mu?te, was glucklicherweise selten der Fall war, uberkam ihn dieselbe Ubelkeit, furchtete er abzusturzen.
        Er sah eine vertraute Figur auf dem Batteriedeck unter der Schanzreling und fuhlte etwas wie Zuneigung zu dem gro?en plumpen Mann in kariertem Hemd und flatternder wei?er Hose. Ein weiteres Verbindungsglied zu der kleinen Destiny:
        Stockdale, der muskulose Preisboxer, den er von einem marktschreierischen Schausteller befreit hatte, als er und sein entmutigter Rekrutierungstrupp versucht hatte, Freiwillige fur das Schiff anzuwerben.
        Stockdale war der geborene Seemann. So stark wie funf Manner, hatte er niemals diese Kraft mi?braucht und war gutmutiger als alle anderen an Bord. Der wutende Schausteller hatte ihn mit einer Kette geprugelt, weil er den Kampf gegen einen Mann Bolithos verloren hatte. Der Betreffende mu?te wohl irgendwie gemogelt haben, denn Bolitho hatte danach niemals mehr eine Niederlage Stockdales erlebt.
        Er sprach sehr wenig, und wenn, dann nur mit Anstrengung, da seine Stimmbander in zahllosen Faustkampfen auf fast allen Jahrmarkten des Landes grausam zugerichtet worden waren.
        Als er ihn damals gesehen hatte, entblo?t bis zum Gurtel, mit tiefen Platzwunden auf dem Rucken, war es zuviel gewesen fur Bo-litho. Er fragte Stockdale, ob er sich anwerben lie?e, und dieser hatte nur genickt, seine Sachen genommen und war ihm auf das
        Schiff gefolgt.
        Wenn Bolitho jemals Hilfe brauchte oder in Not geriet, dann war Stockdale immer zur Stelle. Wie beispielsweise, als Bolitho den schreienden Wilden mit einem Entermesser auf sich lossturzen sah, das er einem sterbenden Seemann entrissen hatte. Spater hatte man ihm erzahlt, wie Stockdale die sich zuruckziehenden Seeleute gesammelt, ihn selbst aufgehoben und wie ein Kind in Sicherheit gebracht hatte.
        Nach Bolithos Versetzung auf die Trojan nahm er zunachst an, da? dies das Ende ihrer seltsamen Beziehung war; aber irgendwie hatte Stockdale es geschafft, auch an Bord zu kommen.
        Er krachzte:»Eines Tages, Sir, werden Sie Captain, und ich schatze, da? Sie dann einen Bootssteurer brauchen.»
        Bolitho lachelte jetzt zu ihm hinunter. Stockdale konnte beinahe alles, splei?en, reffen und auch steuern, aber hauptamtlich war er Geschutzfuhrer an einem von den drei?ig Achtzehnpfundern in der oberen Batterie. Und naturlich in Bolithos Abteilung.

«Was halten Sie davon, Stockdale?»
        Des Mannes zerschlagenes Gesicht zeigte ein breites Grinsen.»Die beobachten uns, Mr. Bolitho.»
        Er sah die muhsamen, krampfhaften Bewegungen des Kehlkopfes. Die scharfe Seeluft machte es fur Stockdale besonders schwer.

«Meinen Sie?»

«Aye. «Es klang sehr bestimmt.»Die wissen, was wir vorhaben und wo wir hin wollen. Ich mochte sogar wetten, da? da noch ein zweites Fahrzeug ist, au?er Sichtweite fur uns.»
        Cairns Fu?e prallten aufs Deck, als er mit der Leichtigkeit eines Fahnrichs eine Pardune heruntergerutscht kam.
        Er sagte:»Ein Schoner, nach Art der Takelung zu schlie?en. Ich kann ihn kaum ausmachen, es ist so verdammt diesig. «Dann, als er das Lacheln sah, mit dem Bolitho auf Stockdales Au?erung reagiert hatte, fragte er:»Kann auch ich den Witz horen?»

«Stockdale meinte, da? wir von dem anderen Schiff beobachtet werden, Sir. Es halt sich wohlweislich in Luv.»
        Cairns offnete den Mund, um zu widersprechen, sagte dann aber:»Ich furchte, er hat recht. Statt einer Demonstration der Starke" fuhrt die Trojan das Rudel moglicherweise erst hin zu der Beute, die wir beschutzen sollen. «Er rieb sich das Kinn.»Verdammt, das ist ein bitterer Gedanke. Ich habe einen Angriff auf die ublichen Nachzugler des Konvois erwartet, von achtern, bevor die Geleitfahrzeuge eingreifen konnen.»

«Trotzdem«, er rieb sich das Kinn noch starker als vorher,»werden sie einen Angriff fast in Reichweite unserer Breitseiten nicht riskieren.»
        Bolitho erinnerte sich an Pears Stimme bei der Besprechung, an die Andeutung eines Zweifels. Sein Verdacht hatte jetzt konkretere Formen angenommen.
        Cairns blickte nach achtern, hinweg uber die beiden Ruderganger, die breitbeinig an dem gro?en Doppelrad standen, ihre Augen bald auf dem Kompa?, bald auf den Segeln.

«Es ist nicht viel, was wir dem Kommandanten erzahlen konnen, Dick. Er hat seine Befehle. Die Trojan ist keine Fregatte. Wenn wir mit sinnlosen Manovern Zeit verlieren, werden wir wahrscheinlich den Konvoi nicht mehr rechtzeitig erreichen. Sie haben ja die perverse Art des Windes hier selbst erlebt.»
        Bolitho sagte ruhig:»Denken Sie daran, was der Weise gesagt hat: Nebel. «Er beobachtete, wie das Wort bei Cairns einschlug.»Wenn wir beidrehen mussen, nutzen wir niemandem etwas.»
        Cairns betrachtete ihn nachdenklich.»Das hatte ich voraussehen mussen. Diese Kaperkapitane wissen mehr uber die ortlichen Verhaltnisse als irgendeiner von uns.
«Er lachelte etwas schief:»Au?er dem Weisen, naturlich.»
        Leutnant Quinn kam an Deck und tippte gru?end an seinen Hut.»Ich soll Sie ablosen, Sir.»
        Er blickte von Bolitho zu der prallen Masse der Segel auf. Bo-litho beabsichtigte, nur rasch zum Essen hinunterzugehen, besonders da er auf Pears Reaktion gespannt war. Fur den Sechsten Offizier jedoch - achtzehn Jahre alt - bedeutete dies eine endlose Zeit furchteinflo?ender Verantwortung, denn er hatte das Geschick der Trojan in Handen, so lange er als Wachhabender auf dem Achterdeck auf und ab ging.
        Bolitho wollte ihn beruhigen, nahm dann aber davon Abstand. Quinn mu?te lernen, auf eigenen Fu?en zu stehen. Jeder Offizier, der sich in brenzligen Situationen auf die Hilfe anderer verlie?, war spater auch in wirklichen Krisen hilflos.
        Er folgte Cairns zum Niedergang, wahrend Quinn sich mit dem Uberprufen des Logbuchs und beim Kontrollieren des Kompasses wichtig tat.
        Cairns sagte leise:»Er wird spater ganz in Ordnung sein, braucht halt noch Zeit.»
        Bolitho sa? an der Messetafel, wahrend Mackenzie und Logan sich bemuhten, das Mahl einigerma?en ansehnlich erscheinen zu lassen: Salzfleisch, zusammengekocht mit Haferbrei, dazu Schiffszwieback mit schwarzem Sirup und so viel Kase, wie jeder vertragen konnte. Au?erdem gab es eine gro?zugige Zuteilung von Rotwein, der mit dem letzten Konvoi in New York angekommen war. Nach Probyns gerotetem Gesicht zu urteilen, hatte er ihm flei?ig zugesprochen.
        Jetzt starrte er hinuber zu Bolitho und fragte heiser:»Was war das fur ein Gequatsche uber Segel? Da ist wohl jemand nervos geworden und hat Gespenster gesehen, was?«Er lehnte sich vor und sah sich beifallheischend um.»Mein Gott, wie hat sich die Flotte verandert!»
        Bunce sa? am Kopf der Tafel und sprach mit tiefer Stimme, ohne aufzublicken:»Es ist nicht Sein Werk, Mr. Probyn. Er hat keine Zeit fur die Gottlosen.»
        Sparke sagte unbeteiligt:»Dieser verdammte Fra? ist Schweinefutter. Ich werde einen neuen Koch auftreiben, bei erster Gelegenheit. Dieser Schurke mu?te am Strick baumeln, anstatt uns zu vergiften.»
        Das Schiff holte stark uber, und alle hielten Teller und Glaser fest, bis es sich wieder aufrichtete.
        Bunce zog seine Uhr aus der Tasche und sah nach, wie spat es war. Bolitho fragte ruhig:»Der Nebel, Mr. Bunce - wird er kommen?»
        Thorndike, der Schiffsarzt, horte es und lachte schallend.

«Wirklich, Erasmus! Nebel, bei diesem Wind!»
        Bunce ignorierte ihn.»Morgen. Wir mussen beidrehen, hier ist's zu tief zum Ankern.
«Er schuttelte sein machtiges Haupt.»Zeit verloren, nicht wieder einzuholen.»
        Er hatte genug gesprochen und erhob sich. Als er an Probyns Stuhl vorbeikam, sagte er mit seiner tiefen Stimme:»Dann werden wir Zeit haben und sehen, wer nervos wird.»
        Probyn schnippte mit den Fingern nach mehr Wein und rief argerlich:»Er wird auf seine alten Tage wunderlich!«Er lachte laut, aber niemand stimmte ein.
        Hauptmann d'Esterre musterte Probyn kalt.»Wenigstens scheint er den Herrn auf seiner Seite zu haben. Was haben Sie vorzuweisen?»
        In seinem Salon daruber sa? Kapitan Pears an der gro?en Tafel, eine Serviette in sein Halstuch gesteckt. Er horte den Ausbruch des Gelachters aus der Messe und sagte zu Cairns:»Sie sind frohlicher auf See, nicht?»
        Cairns nickte.»Scheint so, Sir. «Er beobachtete Pears gebeugten Kopf und wartete auf dessen Schlu?folgerungen oder Gedanken.
        Dieser sagte:»Allein oder im Verband, der Schoner ist eine Bedrohung fur uns. Wenn wir doch wenigstens als Sicherung eine Brigg oder ein Kanonenboot hatten, um uns diese Wolfe vom Hals zu halten. So wie es jetzt ist.«. Er hob die Schultern.

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?»
        Pears schnitt sich ein kleines Stuck Kase ab und betrachtete es zweifelnd.

«Deswegen sind Sie ja wohl zu mir gekommen. «Er lachelte.»Schie?en Sie los.»
        Cairns legte die Hande auf den Rucken, seine Augen glanzten sehr hell.

«Sie haben des Masters Meinung uber die Aussicht auf Nebel gehort, Sir?»
        Pears nickte.»Ich kenne diese Gewasser auch. Nebel ist hier haufig genug, obwohl ich es nicht wagen wurde, im Augenblick eine so bestimmte Voraussage zu machen.
«Er schob den Kase beiseite.»Aber wenn der Master so etwas sagt, trifft es gewohnlich zu.»

«Wir werden also beigedreht liegen mussen, bis es wieder aufklart.»

«Ich habe das schon in Betracht gezogen. Verdammter Mist!»

«Aber genau das wird auch unser Bewacher tun, einmal zu seiner eigenen Sicherheit, dann auch aus Angst, uns zu verlieren. Der Nebel konnte unter Umstanden ein Bundesgenosse fur uns sein. «Er zogerte, um des Kommandanten Reaktion zu ergrunden.»Wenn wir ihn aufspuren und entern…«Er schwieg.

«Was, um Gottes willen, Mr. Cairns, schlagen Sie da vor? Da? ich Boote aussetzen, sie mit ausgebildeten Leuten bemannen und dann in diesen gottverdammten Nebel hinausschicken soll? Nein, Sir, sie wurden in den sicheren Tod fahren!»

«Wahrscheinlich liegt da au?er dem Schoner noch ein weiteres Fahrzeug. «Cairns sprach mit plotzlicher Dickkopfigkeit.»Sie werden also Lichter zeigen. Mit der notigen Vorsicht und mit einem guten Bootskompa? mu?te ein Angriff Aussicht auf Erfolg haben. «Er machte eine Pause, da er Zweifel in Pears Augen sah.»Er brachte uns ein zusatzliches Schiff ein, wahrscheinlich auch Informationen uber die Tatigkeit oder die Absichten der Kaperer.»
        Pears lehnte sich zuruck und starrte ihn grimmig an.»Sie sind ein Mann mit Ideen, das mu? ich sagen.»
        Cairns entgegnete:»Der Vierte Offizier hat mir diese Idee in den Kopf gesetzt, Sir.»

«Das hatte ich mir denken konnen. «Pears stand auf und trat an eins der Fenster; seine stammige Figur bildete dabei einen Winkel zum Deck, der der Krangung des Schiffes entsprach.»Verdammtes Pack aus Cornwall! Alles Piraten und Strandrauber! Wu?ten Sie das nicht?»
        Cairns Gesicht blieb unbewegt.»Meines Wissens war Falmouth, Mr. Bolithos Heimatort, die letzte Stadt, die fur Konig Charles gegen Cromwell und das Parlament kampfte, Sir.»
        Pears lachelte grimmig.»Guter Einwand! Aber dieser Plan ist mehr als gefahrlich. Wahrscheinlich finden wir die Boote nie wieder, oder sie konnen den Feind nicht erreichen, geschweige denn ihn kapern.»
        Cairns beharrte auf seiner Version.»Der Nebel mu? das andere Schiff lange vor uns erreichen. Ich wurde vorschlagen, da? wir dann so nahe wie moglich auf schlie?en, und zwar mit jedem Fe t-zen Tuch, bevor es ganzlich abflaut.»

«Aber wenn der Wind gegen uns dreht?«Pears hob die Hand.»Stopp, Mr. Cairns. Ich sehe die Enttauschung in Ihrem Gesicht, aber es ist meine Verantwortung. Ich mu? alle Moglichkeiten in Betracht ziehen.»
        Auf Deck und vor den Kajutsturen ging das Leben seinen gewohnten Gang. Das Rasseln einer Pumpe, das Scharren von Fu?en uber ihren Kopfen, wenn die Leute der Wache beim Brassen hin und her liefen.
        Dann meinte Pears langsam:»Immerhin hat der Plan das Uberraschungsmoment fur sich.
«Er uberlegte.»Bitte sagen Sie dem Master, er mochte zu uns in den Kartenraum kommen. «Er lachte leise in sich hinein.»Obwohl er schon dort ist, wie ich ihn kenne.»
        Auf dem vom Wind gepeitschten Achterdeck beobachtete Bo-litho mit vom Salzwasser schmerzenden Augen die Leute bei der Arbeit in der Takelage. Bald Zeit zum Reffen, dachte er. Mu? dem Captain Bescheid sagen. Vorhin hatte er Pears und Cairns in den Kartenraum gehen sehen, der neben Bunces Kabine lag.
        Einen Augenblick spater trat Cairns wieder in den Spruhregen heraus, zu Bolithos Erstaunen ohne Hut, etwas ganz Ungewohnliches, da er sonst immer peinlich korrekt gekleidet war.

«Weitere Meldungen vom Ausguck?»

«Aye, Sir.»
        Bolitho duckte sich, als eine Bo den Gischthagel eines Brechers uber das Schiff peitschte, der sie beide durchna?te. Cairns nahm kaum Notiz davon.
        Bolitho berichtete rasch, bevor der nachste Brecher sie erreichte:»Wie vorher. Der Fremde halt sich in Luv von uns, Peilung unverandert.»

«Ich werde dem Kommandanten berichten«, sagte Cairns und fugte dann hinzu:»Nicht notig, da ist er ja.»
        Bolitho wollte zur Leeseite hinuber, wie ublich, wenn der Kommandant an Deck erschien, aber Pears Stimme rief ihn zuruck.

«Bleiben Sie, Mr. Bolitho. «Pears kampfte sich zur Luvreling, den Hut tief in die Augen gezogen.»Sie haben da mit dem Ersten Offizier einen verwegenen Plan ausgebrutet!»

«Sir, ich.»

«Verruckt. «Pears beobachtete das steife Gro?segel.»Aber mit einem Kornchen, einem winzigen Kornchen Wert.»
        Bolitho starrte ihn an.»Besten Dank, Sir!»
        Pears ignorierte ihn und sagte zu Cairns:»Die beiden Kutter mussen genugen. Ich mochte, da? Sie jeden Mann selbst auswahlen. Sie wissen, welche Leute wir fur diese Aufgabe brauchen.»
        Dann blickte er Cairns ins Gesicht und sagte beinahe sanft:»Aber Sie gehen nicht mit!»
        Als Cairns protestieren wollte, fugte Pears hinzu:»Ich kann Sie nicht entbehren. Ich konnte morgen umkommen, und wenn auch Sie ausfallen, was sollte dann aus der Trojan werden?»
        Bolitho beobachtete beide und kam sich wie ein Eindringling vor, als er die Enttauschung in Cairns Gesicht sah.
        Dann erwiderte dieser:»Aye, Sir, ich werde mich danach richten. «Als er wegging, sagte Pears barsch:»Aber Sie konnen den hier mitschicken, den wird man nicht vermissen!»
        Pears ging nach achtern, wo Bunce auf ihn wartete, das storrische Haar im Winde flatternd. Im Weggehen rief er:»Der Zweite Offizier soll zu mir kommen.»
        Bolitho uberlegte. Er wurde also mitgehen. Und Sparke. Stellen Sie den Namen dieses Mannes fest.
        Er dachte an Cairns, dem diese einmalige Chance, seinen Mut und seine Tuchtigkeit zu beweisen, genommen wurde. Es war auch wieder typisch fur ihn, dachte er. Mancher Erste Offizier hatte den Plan, das feindliche Schiff zu entern, fur seinen eigenen ausgegeben und alles Lob dafur eingeheimst.
        Es wurde fruh dunkel, die tiefhangende Wolkendecke und der Spruhregen trugen das Ihrige dazu bei.
        Cairns erwartete Bolitho, als dieser von der Wache kam, und sagte:»Ich habe ein paar gute Leute fur dich ausgewahlt, Dick. Der Zweite Offizier ubernimmt das Kommando, unterstutzt von Frowd, dem fahigsten unserer Steuermannsmaaten, dazu Midshipman Lib-by. Zu deiner Unterstutzung gehen Mr. Quinn und Midshipman Couzens mit.»
        Bolitho begegnete seinem ruhigen Blick. Au?er Sparke, Frowd und bis zu einem gewissen Grade ihm selbst, waren alle anderen halbe Kinder und nicht geeignet fur ein solches Unternehmen. Er bezweifelte, da? der nervose Quinn oder der willige Couzens jemals das Abfeuern eines Schusses erlebt hatten, au?er vielleicht bei der Entenjagd.
        Er sagte jedoch:»Danke, Sir«, womit er dieselbe Haltung zeigte wie Cairns sie gegenuber dem Kommandanten an den Tag gelegt hatte.
        Cairns fa?te ihn am Arm.»Sieh zu, da? du etwas Trockenes zum Anziehen findest.
«Dann, wahrend er sich seiner Kabine zuwandte, fugte er hinzu:»Du hast naturlich auch den Unhold Stockdale in deinem Kutter. Ich hatte nie den Mut aufgebracht, ihn davon abzuhalten!»
        Bolitho durchquerte die Messe und betrat seine eigene, kleine Kabine. Dort zog er sich nackt aus und frottierte sich die feuchten, kalten Gliedma?en, bis er so etwas wie Warme verspurte.
        Dann sa? er auf dem Rand seiner schwankenden Koje und lauschte auf die Gerausche des gro?en Schiffes, das Achzen beim Uberholen, das Beben beim Aufprall eines Brechers, das anschlie?ende Prasseln der uber Deck peitschenden Gischt.
        Morgen um diese Zeit war er vielleicht auf dem Weg in sein Unheil, wenn nicht sogar schon tot. Er frostelte und frottierte sich heftig die Bauchmuskeln, um die plotzlich aufkommende Verzagtheit zu uberwinden.
        Aber wenigstens wurde er etwas unternehmen, und das war besser als diese ewige Untatigkeit. Er zog sich ein sauberes Hemd uber den Kopf und langte nach seiner Hose.
        Er war kaum damit fertig, als er schon das naherkommende Geschrei horte:
        Alle Mann an Deck, Marssegel reffen!
        Er stand abrupt auf und stie? mit dem Kopf gegen einen Ringbolzen.
        Verdammt!
        Aber dann war er auf und eilte wieder in jene andere Welt des Windes und des Larms, gehorsam den Forderungen der Trojan, die immer erfullt werden mu?ten.
        Als er an Probyns unordentlicher Erscheinung vorbeilief, grinste der ihn an. Nebel, wie?»
        Bolitho grinste zuruck.»Geh zur Holle!»
        Es dauerte zwei volle Stunden, bis das Reffen zu des Kommandanten Zufriedenheit ausgefuhrt und die Trojan fur die Nacht klargemacht worden war. Die Nachricht uber den beabsichtigten Angriff hatte sich im Schiff wie ein Lauffeuer verbreitet, und Bolitho horte, wie uberall Wetten abgeschlossen wurden: des Seemanns enger Spielraum zwischen Leben und Tod.
        Moglicherweise wurde es uberhaupt zu nichts kommen, wie schon so oft wahrend dieses Einsatzes. Gro?e Vorbereitungen, und dann die Enttauschung.
        Bolitho wu?te, da? es ein beinahe unmogliches Unterfangen war, das andere Schiff zu finden und zu kapern. Gleichzeitig wu?te er aber auch, da? er sich betrogen vorkommen wurde, falls es abgeblasen werden sollte.
        Er kehrte in die Messe zuruck und stellte fest, da? die meisten Offiziere schon in die Koje gegangen waren - verstandlich nach diesem sturmischen und arbeitsreichen Tag. Lediglich der Arzt und der Hauptmann d'Esterre spielten im Licht einer einzelnen Lampe Karten, wahrend unter den uberfluteten Heckfenstern Leutnant Quinn sa? und auf den vibrierenden Ruderkopf starrte.
        Im schwankenden Lampenschein sah er noch junger aus als sonst.
        Bolitho setzte sich neben ihn und schuttelte den Kopf, als Logan, der Messejunge, mit einem Weinkrug auftauchte.

«Fuhlst du dich nicht wohl, James?»
        Quinn blickte ihn uberrascht an.»Doch, danke, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Richard oder Dick, wenn dir das lieber ist. «Er beobachtete des anderen Verzweiflung.»Dies ist nicht das Fahnrichslogis, wie du wei?t.»
        Quinn warf einen raschen Blick auf die Kartenspieler, auf den wachsenden Stapel von Munzen neben dem scharlachroten Armel d'Esterres und den dahinschwindenden seines Gegenubers.
        Dann sagte er ruhig:»Sie haben so etwas schon fruher gemacht, Sir - ich meine, Dick!»
        Bolitho nickte.»Ein paarmal.»
        Er wollte nicht Quinns Vertrauen durch eine Unterbrechung riskieren, nun, da dieser zu sprechen begann.

«Ich… Ich dachte, es wurde an Bord sein, wenn es dazu kame. «Er machte eine hilflose Armbewegung, die die Messe und die angrenzenden Kabinen umfa?te.»All seine Freunde wei? man in der Nahe. Ich glaube, hier konnte ich es zum erstenmal, das Kampfen.»
        Bolitho sagte:»Ich wei?. Das Schiff ist unsere Heimat. Es hilft.»
        Quinn rang die Hande.»Meine Familie ist im Lederhandel in der City von London. Mein Vater wollte nicht, da? ich zur Marine ging. «Sein Kinn hob sich ein wenig. Aber ich war entschlossen. Ich hatte oft genug ein Kriegsschiff den Flu? herunterfahren und in See stechen sehen. Ich wu?te, was ich wollte.»
        Bolitho konnte den Schock nachempfinden, den Quinn erlitten haben mu?te, als er zum ersten Mal der rauhen Wirklichkeit an Bord eines Kriegsschiffes begegnete, mit all der harten Disziplin und dem Gefuhl, da? man als neuer Fahnrich an Bord der einzige ist, der vollig nutzlos zu sein scheint und von nichts eine Ahnung hat.
        Bolitho war damit aufgewachsen. Die dunklen Portrats an den Treppenhauswanden seines Elternhauses in Cornwall waren eine standige Erinnerung an alle, die vor ihm diesen Weg gegangen waren. Jetzt setzten er und sein Bruder Hugh die Tradition fort. Hugh fuhr auf einer Fregatte, wahrscheinlich im Mittelmeer, wahrend er hier im Begriff war, sich einzuschiffen fur ein Unternehmen, wie es oft in den Kneipen von Falmouth geschildert wurde, wenn die Seeleute ihr Garn sponnen.
        Er sagte:»Es wird alles klargehen, James. Mr. Sparke fuhrt uns.»
        Zum ersten Mal sah er Quinn lacheln, als dieser sagte:»Ich mu? zugeben, vor dem habe ich mehr Angst als vorm Feind!»
        Bolitho lachte und fragte sich, wieso Quinns Angst ihm selbst irgendwie Mut einflo?te.

«Geh jetzt in die Koje und versuch zu schlafen. Sag Mackenzie, du mochtest ein Glas Brandy, George Probyns Allheilmittel.»
        Quinn stand auf und ware beinahe gefallen, als das Schiff mit einem Ruck uberholte.

«Nein, ich mu? noch einen Brief schreiben.»
        Als er wegging, verlie? d'Esterre den Tisch, steckte seinen Gewinn ein und gesellte sich zu Bolitho an den Heckfenstern.
        Der Arzt wollte ihm folgen, aber d'Esterre sagte:»Schlu?, Robert. Dein stumperhaftes Spiel wurde auf die Dauer mein eigenes Konnen beeinflussen und abstumpfen. «Er lachelte.»Hebe dich hinweg zu deinen Flaschen und Pillen!»
        Der Arzt antwortete nicht mit seinem sonstigen Lacheln, sondern ging still von dannen, mit den Handen nach einem Halt suchend.
        D'Esterre deutete auf Quinns Kabine.»Ist er aufgeregt?»

«Ein bi?chen.»
        Der Marineinfanterist zerrte an seinem engen Halstuch.»Ich wunschte bei Gott, ich konnte mitkommen. Wenn ich meine Jungs nicht bald in einen Kampf fuhre, werden sie rostig wie alte Nagel!»
        Bolitho gahnte herzhaft.»Ich bin fur Schlafengehen. «Er schuttelte den Kopf, als d'Esterre uber die Karten strich.»Ich wurde ohnehin nicht mit dir spielen. Du hast den Trick raus, wie man gewinnt.»
        Als er mit hinter dem Kopf verschrankten Handen in der Koje lag, lauschte Bolitho auf die Gerausche des Schiffes und identifizierte jedes einzelne, wie es sich in das gro?e Ganze einfugte.
        Die Leute der Freiwache lagen unten in ihren Hangematten wie Erbsen in den Schoten; bei den gegen die See dichtgeschlossenen Stuckpforten und dem aus den Bilgen aufsteigenden Gestank war die Luft entsetzlich. Alles triefte vor Nasse, von den Decksbalken tropfte es, dazu kam das eintonige Rasseln der Pumpen, wenn die Trojan besonders stark uberholte.
        Im Orlopdeck, dem Deck unter der Wasserlinie, wurde der Schiffsarzt in seinem Lazarett vermutlich bald eingeschlafen sein. Er hatte zur Zeit nur eine Handvoll Kranker und Verletzter zu betreuen; es war nur zu hoffen, da? es so blieb.
        Weiter vorn im Fahnrichslogis war alles ruhig, wenn auch vielleicht ein gelegentlicher Lichtschimmer verriet, da? einer der jungen Leute verzweifelt an einem schwierigen navigatorischen Problem arbeitete, dessen Losung er am Morgen Bunce vorlegen sollte.
        Ihre eigene Welt: Seeleute und Seesoldaten, Anstreicher und Kalfaterer, Seiler und Segelmacher, Klempner und Toppsgasten, Geschutzfuhrer und Zimmerleute - eine Mischung, wie man sie sonst in einer ganzen Stadt antraf.
        Und achtern, zweifellos noch an seinem gro?en Schreibtisch sitzend, der eine, der uber sie alle herrschte: der Kommandant.
        Bolitho blickte in der Dunkelheit nach oben, wo ein Deck hoher, ziemlich genau uber ihm, Pears jetzt wohl sa?, den aufmerksamen Foley in seiner Nahe, ein Glas Wein neben sich. So wurde er jetzt noch einmal die Ereignisse des Tages sowie das fur morgen geplante Unternehmen uberdenken.
        Das war der Unterschied, dachte Bolitho. Wir gehorchen und fuhren die Befehle aus, so gut wir konnen. Aber er mu? sie geben, und Lob oder Tadel ruhen immer auf seinen Schultern.
        Dann rollte er sich auf die Seite und vergrub das Gesicht in dem muffigen Kissen. Es hatte doch manches fur sich, noch ein Leutnant zu sein.



        III Die Faithful

        Der folgende Tag unterschied sich kaum von den vorangegangen. Im Laufe der Nacht hatte der Wind ein wenig ruckgedreht und viel an Starke verloren, so da? die gro?en, vor Nasse triefenden Segel sich abwechselnd blahten oder durchsackten, wobei sie mit ihrem Knallen noch zu der allgemein spurbaren Spannung beitrugen.
        Gegen Mittag - der Spruhregen war genauso heftig wie an den Vortagen, die See ein grenzenloses, schmutziges Grau - erschollen die ublichen Pfeifsignale:

«Alle Mann nach achtern zur Bestrafung!«Das Auspeitschen eines Mannes war bei der straffen Disziplin an Bord nicht gerade selten und rief in normalen Zeiten wenig Erregung hervor. Die privaten Prugel, die beispielsweise im Falle von Kameradendiebstahl verabfolgt wurden, konnten erheblich schlimmer ausfallen.
        Aber heute war es anders. Nach all den Wochen und Monaten vergeblichen Wartens, nachdem man im Hafen unter karglichen Bedingungen wie auf einem Gefangenenschiff gelebt oder in fruchtloser Mission vor den Kusten patrouilliert hatte, versprach man sich hiervon ein wenig Abwechslung.
        Das Wetter trug nicht gerade zur Aufmunterung bei. Wahrend Bolitho sich zu den anderen Offizieren gesellte und die Marineinfanteristen in zwei leuchtend roten Reihen aufmarschierten, eilte die Besatzung nach achtern. Sie mu?ten die Augen zusammenkneifen gegen den boigen Wind, der ihnen Gischt und Regen ins Gesicht peitschte. Ein truber, ungluckseliger Auftakt, dachte Bolitho.
        Der Delinquent kam uber die Backbordtreppe, flankiert von Pa-get, dem dunkelhautigen Wachtmeister, und Tolcher, dem Bootsmann. Paget war ein schmallippiger, grimmiger Mann. Neben ihm und dem vierschrotigen Bootsmann nahm sich der Gefangene direkt harmlos aus.
        Bolitho betrachtete ihn, einen jungen Schweden namens Carls-son. Er hatte ein gutgeschnittenes, schmales Gesicht und langes, flachsblondes Haar. Wie verwundert blickte er um sich, als habe er das Schiff noch nie gesehen. Nach Bolithos Meinung war er typisch fur die gemischte Besatzung der Trojan, wo man nie wu?te, welche Rassen man treffen, welche Zungen man horen wurde, so viele verschiedene Besatzungsmitglieder lebten seit nunmehr zwei Jahren in ihrem Rumpf, zusammengewurfelt und doch bereits nach kurzer Zeit mit dem Schiff verwachsen.
        Bolitho ha?te die Auspeitschungen, obwohl sie zum Seemannsdasein gehorten. Es gab schlie?lich keine Alternative fur einen Kommandanten, um die Disziplin aufrechtzuerhalten, wenn er weitab von hoheren Vorgesetzten oder anderen Schiffen operierte.
        Die Grating, ein Lattenrost, wurde neben dem Fallreep aufgestellt, und ein muskuloser Bootsmannsmaat namens Balleine stand wartend daneben, einen Flanellbeutel an seiner Seite.
        Cairns uberquerte die Schanze, als der Kommandant an Deck erschien.

«Mannschaft versammelt, Sir. «Sein Gesicht war ausdruckslos.»Danke.»
        Pears blickte auf den Kompa? und ging dann schwerfallig nach vorn zur Schanzreling. Schweigen senkte sich uber die Menge, die sich auf Deck, ja sogar in den Wanten drangte.
        Bolitho betrachtete die Gruppe der Midshipmen neben den alteren Deckoffizieren. Ihm selbst war einmal schlecht geworden, als er in seiner Fahnrichszeit einer Auspeitschung hatte beiwohnen mussen.
        Er dachte an Carlsson. Man hatte ihn auf Wache schlafend gefunden, nach einem langen Tag des Kampfes gegen Wind und storrisches Segeltuch.
        Bei anderen Offizieren ware es vielleicht glimpflicher abgelaufen, aber Sparke kannte kein Mitgefuhl. Bolitho uberlegte, ob er wohl jetzt daruber nachdachte. Weil es doch etwas wie einen Pesthauch ausgerechnet uber diesen Tag senkte, an dem er den Bootsangriff fuhren sollte. Bolitho musterte Sparkes Gesicht, aber es zeigte nichts anderes als den ublichen Ausdruck verkniffener Strenge.
        Pears nickte.»Ausziehen!«Dann nahm er den Hut ab und klemmte ihn unter den Arm, wahrend die anderen Offiziere seinem Beispiel folgten.
        Bolitho blickte nach Backbord zum Horizont, als erwarte er, dort die Segel ihres getreuen Schattens auftauchen zu sehen. Im Laufe der Nacht hatte der Schoner dichter aufgeschlossen und war jetzt schon vom Unterwant aus sichtbar, jedoch noch nicht von Deck. In der einfachen Denkweise eines Seemannes mu?te das die Bestrafung noch harter erscheinen lassen - ein Yankeeschiff kreuzte hier herum, wie es ihm gefiel, und einer der eigenen Leute wurde ausgepeitscht!
        Der Kommandant schlug die Kriegsartikel auf und verlas die entsprechenden Paragraphen mit einer Stimme, die sich in nichts von seinem normalen Tonfall unterschied. Er schlo? mit den Worten:». soll bestraft werden gema? den Vorschriften des Gesetzes fur einen solchen Fall auf See. «Dann setzte er den Hut wieder auf und fugte hinzu:»Zwei Dutzend Hiebe.»
        Der Rest der Prozedur wickelte sich rasch ab. Carlssons Oberkorper wurde entblo?t, er selbst an der Grating festgebunden, die Arme wie bei einer Kreuzigung ausgebreitet.
        Balleine hatte seine neunschwanzige Katze aus dem roten Flanellbeutel geholt und lie? sie durch die Finger gleiten, die Stirn in grimmige Falten gelegt. Er war Bolithos Bootsbesatzung zugeteilt. Was mochte er jetzt wohl denken?
        Pears befahl mit harter Stimme:»Tun Sie Ihre Pflicht!»
        Baileines kraftiger Arm holte aus und schlug zu, die Peitsche klatschte dumpf auf des Mannes nackten Rucken. Bolitho horte ihn keuchen, als die Luft aus seinen Lungen entwich.

«Eins«, zahlte der Wachtmeister.
        In der Nahe warteten der Arzt und seine Gehilfen, um sich des Mannes anzunehmen, falls er zusammenbrechen sollte. Bolitho zwang sich, das Ritual der Bestrafung zu verfolgen, obwohl sein Herz so schwer war wie Blei. Alles schien so unwirklich: das graue Licht, das heftig schlagende Gro?segel mit den deutlich erkennbaren Flicken, vom Segelmacher kurzlich erst aufgenaht. Die Peitsche hob sich und zischte nieder, die Striemen auf dem Rucken des Schweden schwollen an und wurden bald zu einer blutigen Masse zerfetzten Fleisches, als das Auspeitschen andauerte. Etwas Blut war in das blonde Haar des Mannes gespritzt, der Rest flo? herab und mischte sich, blasser werdend, mit dem Spruhregen auf den Decksplanken.» Einundzwanzig!»
        Bolitho horte das leise Schluchzen eines Fahnrichs und sah For-bes, den Jungsten an Bord, sich am Arm seines Nebenmannes festklammern.
        Carlsson hatte kein einziges Mal geschrien, aber als der letzte Hieb auf seinen zerfetzten Rucken krachte, brach er zusammen und begann zu stohnen.

«Abschneiden!»
        Bolitho blickte von Pears Profil in die Gesichter der Besatzung.
        Zwei Dutzend Hiebe waren nichts im Vergleich zu dem, was manche anderen Kommandanten verhangten. Aber in diesem Falle konnte es ausreichen, um den Mann zu zerbrechen. Er bezweifelte, da? Carlsson mehr als hochstens ein paar Worte der Kriegsartikel verstanden hatte.
        Die Gehilfen des Arztes traten jetzt heran und trugen den schluchzenden Mann nach unten, zwei Seeleute wischten das Blut auf, einige andere schlugen auf Tolchers Gehei? die Grating ab und verstauten sie.
        Die Seesoldaten marschierten in zwei Kolonnen die Treppen hinunter, und Hauptmann d'Esterre steckte seinen glanzenden Sabel in die Scheide, wahrend die Mannschaft abruckte, um ihre jeweiligen Arbeiten wieder aufzunehmen.
        Sparke sagte zu Bolitho:»Wir sollten den Angriff nochmals durchsprechen, damit jeder wei?, was er zu tun hat.»
        Bolitho hob die Schultern.»Aye, Sir.»
        Vielleicht war Sparkes Haltung die richtige. Bolitho mochte Carlsson, er war gehorsam, freundlich und ein guter Arbeiter. Aber angenommen, man hatte einen der wirklichen Unruhestifter beim
        Schlafen auf Wache erwischt. Hatte er dann wohl das gleiche Unbehagen verspurt?
        Sparke stutzte sich auf die Schanzreling und blickte auf die beiden Kutter, die schon aus der Reihe der anderen Boote ausgesondert und klar zum Ausschwingen gemacht worden waren.
        Dann sagte er:»Ich habe nicht allzuviel Hoffnung«, und indem er auf die vibrierenden Wanten und Pardunen zeigte, fuhr er fort:»Mr. Bunce hat im allgemeinen recht, aber diesmal.»
        Aus dem Gro?topp ertonte ein Ruf:»An Deck! Das andere Schiff fallt ab, Sir!»
        Dalyell, der Wache hatte, ergriff ein Glas und stieg in die Luvwanten.
        Nach kurzer Zeit schrie er:»Bei Gott. Es stimmt. Der Schoner fallt ab, nicht viel, aber er wird bald fur alle an Deck sichtbar sein!»
        Er lachte Bolitho ins Gesicht.»Dieser Schuft besitzt allerhand Dreistigkeit!»
        Bolitho beschattete die Augen gegen das diffuse Licht und sah ein kurzes Aufleuchten uber dem bewegten Wasser. Vielleicht glaubte der Kapitan des Schoners wie Bunce an Nebel und schlo? naher heran, um das gro?e Wild nicht aus den Augen zu verlieren. Oder er versuchte lediglich, den Kommandanten zu einer torichten Affekthandlung zu provozieren. Als sich Bolitho jedoch an dessen Gesicht beim Verlesen der Kriegsartikel erinnerte, verwarf er diesen Gedanken. Dazu bestand keinerlei Aussicht.
        Sparke fuhrte weiter aus:»Es mu? blitzschnell gehen. Vielleicht haben sie Enternetze ausgebracht, aber ich glaube es nicht. Sie wurden ihre Leute mehr behindern als uns.»
        Er denkt laut, sieht bereits seinen Namen und den Bericht in der Gazette, folgerte Bolitho. Man konnte es am Funkeln seiner Augen erkennen, sie glanzten wie im Fieber.

«Ich gehe noch mal zum Master. «Sparke eilte von dannen, das Kinn vorgeschoben wie den Bug einer Galeere.
        Stockdale tauchte von irgendwoher auf und rieb sich die Stirn.

«Ich habe die Waffen uberpruft, Sir, habe alle Entermesser und Enterbeile noch mal uber den Schleifstein gezogen«, keuchte er.»Wir fahren doch, Sir?»
        Bolitho schritt zur anderen Seite und lie? sich vom Fahnrich der Wache dessen Glas geben.

«Hoffentlich.»
        Dann sah er, da? der Fahnrich Forbes war, der sich wahrend des Auspeitschens an seinem Freund festgehalten hatte.

«Alles in Ordnung, Mr. Forbes?»
        Der Junge nickte unglucklich und schluckte.»Aye, Sir.»

«Gut. «Bolitho schob das Glas durch die Maschen des Netzes.»Es ist hart, einen Mann so bestraft zu sehen. Also mussen wir standig aufpassen, da? keiner Grund zur Bestrafung gibt.»
        Er hielt den Atem an, als die Toppsegel des anderen Schiffes uber dem Horizont auftauchten, als sei der Rumpf unter Wasser. Ein rotes Viereck war auf das Gro?segel genaht - ein Behelfsflik-ken oder ein Erkennungssignal? Er frostelte, als der Regen ihm in den Kragen sickerte und ihm das Haar an die Stirn klebte. Es war unheimlich, diese rumpflosen Masten zu sehen, nichts von dem Schiff und seiner Besatzung zu wissen.
        Als er sich nach Stockdale umwandte, war dieser verschwunden, so lautlos, wie er aufgetaucht war.
        Dalyell kampfte sich das schragliegende Deck hinauf und sagte heiser:»Sieht so aus, als ob du uns erhalten bleibst, Dick. «Er grinste ohne Mitgefuhl.»Bin nicht traurig daruber. Ich habe keine Lust, George Probyns Arbeit zu tun, wenn er einen Rausch hat!»
        Bolitho grinste.»So sieht es jeder aus einem anderen Blickwinkel. Ich gehe nach unten. «Er warf noch einen Blick auf den lustlos pendelnden Wimpel im Gro?topp. Sieht wirklich so aus, als mu?te ich noch die Nachmittagswache gehen.»
        Der Kommandant war jedoch anscheinend anderer Meinung und immer noch voll Vertrauen zu seinem Master. Bolitho wurde vom Wachegehen dispensiert und verbrachte die meiste Zeit damit, einen Brief an seinen Vater abzufassen. Er schrieb standig weiter an demselben langen Brief, sobald er Zeit dazu hatte, und brach ihn abrupt ab, wenn sich eine Gelegenheit zum Absenden in die Heimat bot. Dadurch hielt er Verbindung mit seinem Vater, wenngleich es fur diesen bestimmt schwer war, uber die taglichen Ereignisse auf See, das Sichten von Schiffen oder Inseln, zu lesen - alles Dinge, die es im Leben von Kapitan James nicht mehr gab.
        So sa? Bolitho also auf seiner Seekiste und uberlegte, was er Neues berichten konnte.
        Kalte schien ihm plotzlich uber den Rucken zu kriechen, als hatte ein Geist die kleine Kabine betreten. Er blickte uberrascht auf und sah die Deckenlampe flackern. Aber stimmte das auch? Er starrte seine Sachen an, die ruhig von der Stange herabhingen, obwohl sie einen Augenblick vorher noch geschwankt und gequietscht hatten.
        Er stand auf, dachte rechtzeitig daran, den Kopf einzuziehen, und lief in die Messe. Die Heckfenster waren stumpf und grau, gestreift von getrocknetem Salz.
        Er pre?te das Gesicht dagegen und rief aus:»Mein Gott, der Weise hatte recht!»
        Schnell eilte er an Deck, wo er sofort der stillen Gestalten gewahr wurde, die in den undurchdringlichen Nebel starrten, wahrend die Segel lustlos herabhingen und sich kaum noch blahten.
        Cairns, der Wache hatte, blickte ihn ernst an.»Da ist er, Dick, der Nebel.»
        Bolitho beobachtete, wie sich die Dunung zu glatten schien, kaum waren noch Wellenkamme zu sehen.

«An Deck! Der Schoner ist au?er Sicht, Sir!»
        Pears Stimme beendete alle Spekulationen:»Zwei Strich hoher, Mr. Cairns!»
        Schrille Rufe ertonten:»An die Brassen!»
        Pears sagte zu allen, die ihn umstanden:»Wir gewinnen so noch etwa eine Kabellange.*
        Das Rad achzte, die Rahen gehorchten den Brassen und schwangen herum. Mit ihrer gro?en Segelflache rang die Trojan dem sterbenden Wind noch ein wenig Fahrt ab und drehte den Bug gehorsam nach Luv. Uber das Schlagen der Segel und Blocke, uber die schrillen Rufe der Unteroffiziere hinweg horte man Pears Stimme, als er zu seinem Segelmeister sagte:»Gut gemacht, Mr. Bunce!»
        Dieser wandte den Blick vom Mann am Ruder und der schwankenden Kompa?rose; im truben Licht sah man nur seine Augen und Brauen.»Es war Sein Wille, Sir«, sagte er ehrfurchtig.
        Pears blickte weg, wie um ein Lacheln zu verbergen. Dann rief er:»Mr. Sparke nach achtern! Mr. Bolitho, lassen Sie die Kutter ausschwenken!»
        Stahl klirrte, Leute stromten zu den Booten, die Arme voller Entermesser, Beile, Spie?e und Gewehre. Bolitho beobachtete auf dem Batteriedeck, wie der schwarzge-

* Zehntel einer Seemeile = 185 Meter 46
        strichene Rumpf des zweiten Kutters sich hob. Als er einmal nach achtern blickte, stellte er fest, da? die Schanzreling nur noch verschwommen zu sehen war.
        Er schrie:»Lebhaft, Jungs, sonst finden wir unseren Weg nicht mehr uber die Reling!«Dies rief einiges Gelachter hervor.
        Pears horte es und sagte nuchtern zu Sparke:»Horen Sie gut zu, was der Master Ihnen uber die Stromverhaltnisse hier sagt. Es kann Ihnen eine Meile unnotigen Fullens ersparen, womit Sie nicht so erschopft ankamen, da? Ihre Leute keine Klinge mehr heben konnen. «Er beobachtete Sparkes Augen.»Und seien Sie vorsichtig. Wenn Sie nicht entern konnen, dann warten Sie ab, bis der Nebel sich lichtet. Wir werden nicht sehr weit auseinanderdriften.»
        Dann befahl er:»Kurzen Sie Segel, Mr. Cairns, und drehen Sie bei!»
        Weitere Kommandorufe, und wenige Augenblicke spater, als die Unter- und Marssegel aufgegeit unter ihren Rahen hingen, losten sich die beiden Boote aus ihren Klampen, schwangen hoch und uber die Reling.
        Bolitho kam nach achtern, beruhrte gru?end seinen Hut und meldete:»Die Leute sind gemustert und bewaffnet, Sir.»
        Sparke ubergab ihm einen Notizzettel.»Geschatzter Kurs. Mr. Bunce hat Strom und Abdrift des Schoners berucksichtigt. «Dann blickte er den Kommandanten an.»Melde mich von Bord, Sir!»
        Pears sagte:»Danke, Mr. Sparke. «Er wollte hinzufugen:»Viel Gluck«, aber angesichts Sparkes strenger Miene schien dies uberflussig.
        Zu Bolitho jedoch sagte er:»Verirren Sie sich nicht, Sir. Ich habe keine Lust, ein ganzes Jahr lang die Massachusetts Bay nach Ihnen abzusuchen!»
        Bolitho lachelte.»Ich werde mein Bestes tun, Sir. «Als er nach unten lief, sagte Pears zu Cairns:»Junger Halunke!»
        Aber Cairns beobachtete die langsseits stampfenden Boote voller Menschen und wartete darauf, da? Sparke und Bolitho ablegten. Sein Herz war bei ihnen. Es trostete ihn nicht, da? des Kommandanten Entscheidung wahrscheinlich die richtige war.
        Pears beobachtete die schwarzen Bootskorper, das etwas unordentliche Einsetzen der Riemen bis zum Aufnehmen des gleichma?igen Schlages, der sie rasch in den alles verhullenden Nebel entfuhrte.

«Verdoppeln Sie die Wachen an Deck, Mr. Cairns. Lassen Sie die Schwenkgeschutze laden und bereiten Sie alles vor, um einen eventuellen Enterangriff abzuschlagen.»

«Was werden Sie jetzt tun, Sir?»
        Pears blickte uber sein Schiff. Jedes Segel war entweder aufge-geit oder bewegungslos, die Trojan rollte heftig in der gleichma?igen Dunung.

«Tun?«Er gahnte.»Ich gehe essen.»
        Bolitho stand im Heck des Bootes und hielt sich an Stockdales Schultern fest. Durch das karierte Hemd hindurch fuhlten sich dessen Muskeln an wie warmes Holz.
        Der Nebel wirbelte in ihr Boot, hing an ihren Armen, im Gesicht und lie? das Haar glitzern, wie bereift.
        Bolitho lauschte dem gleichma?igen, ruhigen Pullen der Riemen. Hast ist sinnlos, spart eure Krafte fur spater.
        Zu Stockdale sagte er:»Steuern Sie genau Nordwest, das ist der Kurs, den wir einhalten mussen.»
        Er dachte an Bunces wilde Augen. Konnte man einen anderen Kurs steuern als den von ihm empfohlenen?
        Dann lie? er Stockdale an der Pinne sitzen, uber den Bootskompa? gebeugt, und bahnte sich seinen Weg langsam nach vorn. Er stieg uber Duchten und grunzende Seeleute, kletterte uber Waffen und uber die Fu?e der zusatzlichen Passagiere.
        Der neun Meter lange Kutter hatte in normalen Zeiten eine Besatzung von acht Mann und dem Bootssteurer. Jetzt enthielt er au?er der Crew noch achtzehn Leute.
        Er fand Balleine, den Bootsmannsmaaten, am Bug vorgebeugt wie eine Galionsfigur und in den Nebel starrend, eine Hand hinter dem Ohr, um das leiseste Gerausch aufzufangen, das von einem Schiff oder einem anderen Boot verursacht werden konnte.
        Bolitho sagte leise:»Ich kann den Kutter des Zweiten Offiziers nicht sehen, also mussen wir uns auf uns selbst verlassen.»

«Aye, Sir. «Die Antwort war barsch.
        Bolitho dachte, Balleine gruble noch uber das Auspeitschen nach oder fuhle sich ubergangen, weil er nur den Ausgucksposten erhalten hatte, Stockdale dagegen an der Pinne sa?. Deshalb sagte er:

«Ich verlasse mich heute auf Ihre Erfahrung. «Als er sah, wie der Mann nickte, fuhlte er, da? er den richtigen Ton getroffen hatte.»Ich furchte, wir sind sonst ein wenig knapp daran.»
        Der Bootsmannsmaat grinste.»Mr. Quinn und Mr. Couzens, Sir? Ich werde auf die beiden aufpassen.»

«Das wu?te ich.»
        Er beruhrte des Mannes Arm und tastete sich dann wieder nach achtern. Dabei nahm er vereinzelte Gesichter und Figuren wahr, so Dunwoody, einen Mullerssohn aus Kent, dann einen dunkelhautigen Araber namens Kutbi, der in Bristol angeworben worden war und von dem auch heute noch niemand Naheres wu?te. Dann Rabbett, ein zaher, kleiner Mann aus dem Hafenviertel von Liverpool, ferner Varlo, der in der Liebe Schiffbruch erlitten hatte und von dem Pre?kommando aufgelesen worden war, als er in einer Kneipe seinen Kummer ersaufen wollte. Diese und viele andere kannte Bolitho allmahlich, andere dagegen hielten sich abseits und verschanzten sich hinter der Barriere zwischen Back und Achterdeck.
        Er erreichte den duchtfreien Raum im Heck des Bootes und setzte sich zwischen Quinn und Couzens. Ihre drei Lebensalter zusammen ergaben gerade zweiundfunfzig Jahre. Dieser Gedanke lie? ihn kichern, und er merkte, wie die anderen sich ihm zuwandten.
        Sie denken, da? ich schon die Nerven verliere. Ich habe Sparke aus den Augen verloren und steure vielleicht in eine vollig falsche Richtung.
        Er erklarte ihnen:»Tut mir leid, es war nur ein Gedanke. «Danach atmete er tief die nasse, salzige Luft ein.»Aber vom Schiff einmal weg zu kommen, ist schon Freude genug. «Er breitete die Arme aus und sah Stockdales schiefes Grinsen. Freiheit zu tun, was wir wollen, ob richtig oder falsch.»
        Quinn nickte.»Ich verstehe.»
        Bolitho entgegnete:»Dein Vater wird danach stolz auf dich sein. Wenn wir so lange leben.»
        Cairns hatte ihm erklart, was Quinn damit meinte, da? seine Familie im Lederhandel tatig sei. Bolitho hatte sich vorgestellt, es seien kleine Gerber, wie es sie in Falmouth gab, die Zugel und Sattel, Schuhe und Riemen herstellten. Cairns hatte beinahe gelacht.»Mann, sein Vater gehort einer allmachtigen Gesellschaft in London an. Er hat Heereskontrakte und uberall Einflu?! Wenn ich mir den jungen Quinn ansehe, wundere ich mich mitunter uber seine Kuhnheit, all diese Macht und das Geld auszuschlagen. Er mu? entweder tapfer oder verruckt sein, das alles gegen dies hier einzutauschen!»
        Ein gro?er Fisch sprang dicht am Boot aus dem Wasser und schlug klatschend auf, woruber Couzens und ein paar von den anderen erschraken.

«Auf Riemen!«Bolitho hob den Arm, um Schweigen zu gebieten.
        Wieder war er sich der Weite der See und ihrer Einsamkeit bewu?t, als die Riemen bewegungslos und tropfend auf dem Dollbord lagen. Er horte das Gurgeln des Wassers um das Ruder herum, als das Boot in der Dunung noch langsame Fahrt machte. Dann das Klatschen eines weiteren Fisches, das schwere Atmen der Ruderer.
        Schlie?lich flusterte Quinn:»Ich hore den anderen Kutter, Sir!»
        Bolitho nickte und wandte das Gesicht nach Steuerbord. Nun horte auch er das gedampfte Quietschen von Riemen in ihren Dollen. Sparke hatte etwa die gleiche Schlagzahl und war auf einer Hohe mit ihnen. Also kommandierte er leise:»Ruder an!

        Couzens neben ihm hustete nervos und fragte:»Wie - wie viele Mann wird der Feind haben, Sir?»

«Das kommt darauf an. Wenn sie schon eine oder gar mehrere Prisen gekapert haben, werden es nicht allzu viele sein. Wenn nicht, haben wir etwa die doppelte Anzahl gegen uns - oder auch mehr.»

«Verstehe, Sir.»
        Bolitho wandte sich ab, Couzens verstand es bestimmt nicht, aber er war imstande, wie ein Veteran daruber zu reden.
        Er fuhlte den Nebel in seinem Gesicht wie einen kalten Hauch. Bewegte er sich rascher als vorher? Vor ihm erstand eine Vision aufkommenden Windes, der den Nebel wegtreiben und sie hilflos den Kanonen des Schoners ausliefern wurde. Schon eines der kleinen Schwenkgeschutze konnte die Besatzung zerfetzen, noch bevor es zum Handgemenge kam.
        Er blickte langsam uber die Reihen der sich abmuhenden Ruderer und uber die anderen im Boot, die auf ihren Einsatz warteten. Wie viele von ihnen wurden die Seite wechseln und uberlaufen, wenn das geschahe? Es war schon oft genug vorgekommen, wenn britische Seeleute auf Kaperschiffen gefangengehalten wurden. Die Trojan hatte einige Leute in ihrer Besatzung, die wahrend der letzten zwei Jahre gefangengenommen worden waren, sei es an Land oder auf See. Sie hatten es vorgezogen, auf sehen des Feindes zu kampfen, als das Risiko von Krankheit oder moglichem Tod auf einem Gefangenenschiff einzugehen. Wo Leben war, gab es immer Hoffnung.
        Er rieb seine Narbe, die so stark schmerzte, als wolle sie wieder aufplatzen.
        Stockdale offnete die Klappe seiner Laterne ein wenig und blickte auf den Kompa?.

«Kurs liegt an, Sir«, sagte er. Es schien ihn zu amusieren.
        Weiter und weiter ging es, die Leute an den Riemen wurden ausgewechselt, alles lauschte auf die Gerausche von Sparkes Kutter oder auf irgendein Zeichen von Gefahr.
        Bolitho uberlegte, da? der Schonerkapitan mit seiner Kenntnis der ortlichen Verhaltnisse rechtzeitig mehr Segel gesetzt und somit den Nebel ausgesegelt haben konnte, da? er jetzt, schon Meilen entfernt, sich ins Faustchen lachte, wahrend sie langsam und qualvoll pullten, bis sie an irgendeiner Stelle von Neuenglands Kuste landeten.
        Er malte sich aus, was danach sehr rasch Wirklichkeit werden konnte: Sie kamen vielleicht unbemerkt an Land und wurden versuchen, ein kleines Schiff zu stehlen und sich unter Segel davonzumachen. Aber was dann?
        Baileines heiserer Ruf ertonte:»So etwas wie ein Lichtschimmer voraus, Sir!»
        Bolitho stolperte nach vorn, alles andere war vergessen.»Dort, Sir.»
        Bolitho strengte seine Augen an und starrte in die Dunkelheit. Ein Schimmer, das war die richtige Beschreibung, wie ein Kneipenfenster im Hafennebel. Keine Form, kein Mittelpunkt.

«Eine Laterne. «Balleine feuchtete seine Lippen an.»Hangt sehr hoch. Es ist also noch so ein Strolch in der Nahe.»
        Bunces Berechnung war sehr genau gewesen, sonst hatten sie leicht das Schiff oder das Licht passieren konnen, ohne im Nebel etwas davon zu sehen. Der Abstand betrug eine knappe Meile.

«Auf Riemen!«Als er ins Bootsheck zuruckkehrte, sagte er:

«Dort vorn liegt er, Jungs! Entweder Bug oder Heck uns zugewandt. Wir nehmen, was kommt.»
        Quinn rief heiser:»Mr. Sparke holt uns ein, Sir.»
        Sie horten Sparke rufen:»Sind Sie bereit, Mr. Bolitho?«Es klang ungeduldig, seine vorherigen Zweifel schienen vergessen.

«Aye, Sir.»

«Wir greifen an beiden Enden an. «Sparkes Boot wurde durch den Nebel undeutlich sichtbar, sein wei?es Hemd und die Breeches trugen noch zu der geisterhaften Erscheinung bei.»Auf diese Weise konnen wir die Besatzung spalten.»
        Bolitho sagte nichts, aber sein Herz wurde schwer. Von beiden Enden - also lief das Boot, das am weitesten pullen mu?te, Gefahr, gesehen zu werden, bevor seine Besatzung aufentern konnte.
        Sparke lie? wieder anrudern und rief:»Ich ubernehme das Heck.»
        Bolitho wartete ab, bis das andere Boot frei von ihnen war, und lie? dann ebenfalls anrudern.»Wei? jeder, was er zu tun hat?»
        Couzens nickte, das Gesicht konzentriert.»Ich bleibe im Boot,
        Sir.»
        Quinn stie? hervor:»Ich unterstutze Sie, Sir… ah… Dick, und ubernehme das Vordeck.

        Bolitho nickte.»Und Balleine halt seine Leute zuruck, bis sie die Musketen benutzen konnen.»
        Cairns hatte richtigerweise hierauf bestanden. Irgendein Narr konnte seine Muskete zu fruh abfeuern, wenn die Gewehre von Anfang an geladen und gespannt gewesen waren.
        Bolitho zog seinen Degen aus der Lederscheide und lie? diese auf die Bodenbretter fallen. Dort konnte sie warten, bis er sie wieder brauchte. Wenn er sie beim Angriff trug, konnte er sich daran verfangen und womoglich unter ein Entermesser fallen.
        Er fuhr mit dem Daumen uber die Klinge, hielt aber die Augen fest auf das flackernde Licht vor ihnen gerichtet. Je naher sie kamen, desto kleiner wurde es, da sein Hof im Nebel schrumpfte.
        Im Augenwinkel meinte Bolitho eine Reihe von Spritzern zu sehen; offensichtlich beschleunigte Sparke den Schlag und setzte zum Angriff an.
        Mit uberraschender Plotzlichkeit tauchten die Masten und Gaffeln des Schoners wie schwarze Stangen aus dem Nebel, und der Schein der Laterne verscharfte sich zu einem einzigen klaren Licht.
        Stockdale beruhrte Couzens Arm, und der Junge fuhr auf, als sei er gestochen worden.

«Hier, die Pinne, Sir. «Er fuhrte Couzens Hand, als sei dieser erblindet. Ubernehmen Sie, wenn ich's sage. «Mit der anderen Hand ergriff er sein altmodisches Entermesser, das doppelt so schwer war wie die modernen.
        Bolitho hob den Arm, die Riemen hoben sich aus dem Wasser und verharrten wie federlose Schwingen. Er hielt den Atem an und beobachtete die Richtung des Stromes und die Ruderwirkung. Sie trieben genau auf des Schoners uberhangenden Vordersteven zu, unter dem Bugsprit hindurch.

«Riemen ein!«Er sprach in grimmigem Flusterton, obwohl seine Herzschlage sicherlich bis Boston zu horen waren. Seine Lippen waren wie in einem unkontrollierten, wilden Grinsen erstarrt. Verrucktheit, Verzweiflung, Angst, alles lag darin.

«Klar bei Enterhaken!»
        Er beobachtete, wie der schlanke Bug uber sie hinwegfegte, als wolle der Schoner sie mit voller Fahrt rammen. Dann sah er Balleine mit dem Enterhaken in der Hand aufstehen, den richtigen Augenblick abwartend, wahrend er sich unter dem Wasserstag duckte, das ihm den Kopf abzurei?en drohte.
        Plotzlich ertonte ein Knall, gefolgt von einem langgezogenen Schrei. Bolitho sah und horte alles im selben Augenblick: das Aufblitzen, das von der See selbst herzukommen schien, die Antwortschreie vom Schiff uber ihnen, die plotzliche Bewegung, mehr Explosionen, die die Wasseroberflache aufpflugten.
        Wutend sprang er auf.»Los, Jungs!»
        Sparke strich er aus seinem Gedachtnis. Der Narr hatte jemandem gestattet, das Gewehr zu laden, es war vorzeitig losgegangen und hatte einen der eigenen Manner getroffen. Es war zu spat. Fur sie alle.
        Er ri? den Arm hoch und packte die sich straffende Bootsleine, als der Enterhaken mit einem dumpfen Gerausch im Bugsprit gefa?t hatte und den Kutter langsseit schleuderte.

«Auf sie, Jungs!»
        Mit Handen und Fu?en kampfte er sich aufwarts, den Degen am
        Handgelenk baumelnd, und sprang auf das von Explosionen blitzartig erleuchtete Deck. Am anderen Ende des Schoners knatterte heftiges Gewehrfeuer, und wahrend Bolithos Leute uber die Back stolperten, geblendet gegen unbekanntes Gerat stie?en und sturzten, hammerten Aufschlage rings um sie her ins Deck oder heulten uber den schwankenden Kutter wie irre Geister.
        Er horte Quinn neben sich keuchen und stolpern; Stockdales breite Gestalt war schon etwas weiter vorn, er hielt das Entermesser vor sich, als solle es den Feind wittern wie ein Hund.
        Etwas flog aus dem Dunkel heran, und ein Mann sturzte schreiend zu Boden, eine Lanze in der Brust.
        Weiteres Krachen, und noch zwei von Bolithos Leuten sturzten.
        Aber sie waren jetzt naher dran. Bolitho ergriff seinen Degen und schrie:»Im Namen des Konigs, ergebt euch!»
        Wie erwartet antwortete ein Chor von Fluchen und hohnischen Rufen. Aber es gab ihnen die paar Sekunden, die sie benotigten, um mit den Rufern ins Handgemenge zu kommen. Er schlug jemandem den Sabel aus der Hand. Als der Mann hinlief, um ihn aufzuheben, drang ihm Stockdales Entermesser krachend in den Kopf.
        Dann kampften sie alle Brust an Brust, Klinge an Klinge. Hinter sich horte er Balleine fluchen, und dann das sporadische Knallen von Musketen, als er es schaffte, ein paar Schusse in die Wanten abzufeuern, von wo aus Scharfschutzen ihr Ziel suchten.
        Ein bartiges Gesicht tauchte vor ihm auf, und Bolitho spurte, wie seine Klinge mit metallischem Klang gegen des Mannes Schwert schlug, als sie jeweils parierten und sich freischoben von der Menge, um Platz zum Kampfen zu gewinnen. Um sie herum taumelten und torkelten Gestalten wie Trunkenbolde, ihre Entermesser spruhten Funken, die Stimmen klangen wild und verzerrt von Ha? oder Angst. Bolitho duckte sich, traf den Mann am Brustkorb, und als dieser zurucktaumelte, schlug er ihm den Degen mit solcher Wucht ins Genick, da? sein Handgelenk wie betaubt war.
        Aber sie wurden trotzdem gegen die Back zuruckgedrangt. Irgendwo, scheinbar hundert Meilen entfernt, horte er einen Kanonenschu?, und in seinem benommenen Gehirn zuckte der Gedanke auf, dies sei ein weiteres Schiff, das dem Schoner zu Hilfe eile.
        Er rutschte in einer Blutlache aus, und ein sterbender Seemann, getreten und zerstampft von den Kampfenden uber ihm, versuchte, seinen Knochel zu packen.
        Ein anderer Mann schrie und fiel aus den Wanten, von einer Kugel getotet, bevor er an Deck aufschlug.
        Bolitho sah jetzt ein Paar wei?er Hosenbeine vor der dunklen Verschanzung und wu?te, da? es Quinn war. Dieser wurde von zwei Mannern zugleich angegriffen, und obgleich Bolitho einen von ihnen auf die Schulter schlug und den schreienden Mann beiseite ri?, keuchte Quinn und brach in die Knie, beide Hande auf die Brust gepre?t.
        Sein Angreifer war so blind vor Kampfeseifer, da? er Bolitho nicht bemerkte. Er stand uber Quinn und holte zum Todesstreich aus. Bolitho konnte ihn am Armel packen und herumrei?en, und durch die Wucht seines eigenen Schwertstreiches sturzte der Mann zu Boden. Bolitho schlug ihm den Handschutz seines Degens mit voller Wucht ins Gesicht, des Schmerzes im Handgelenk nicht achtend.
        Sein Gegner taumelte wieder hoch, spuckte Zahne aus und griff von neuem an.
        Plotzlich stand er stocksteif, seine Augen leuchteten im Dammerlicht so wei? wie Kieselsteine, dann drehte er sich um seine eigene Achse und sackte zusammen. Balleine zog so ruhig sein Enterbeil aus des Mannes Rucken, als zoge er es aus einem Holzklotz.
        Da ging Bewegung durch die Reihen der Angreifer, und einen Augenblick spater horten sie Sparkes durchdringende Stimme:»Hierher, Trojaner, zu mir!»
        Von beiden Seiten angegriffen, mit weiteren Booten in der Nahe rechnend, beendete die Besatzung des Schoners den Kampf so jahlings, wie er begonnen hatte.
        Nicht einmal Fluche wurden gegen die britischen Seeleute laut. Die Manner der Trojan waren so wild und erbittert durch den Nachkampf, bei dem sie Tote und Verwundete zu beklagen hatten, da? sie nicht auch noch Beleidigungen hingenommen hatten. Die Schonerbesatzung schien das zu spuren und lie? sich widerstandslos entwaffnen, durchsuchen und dann in zwei uberschaubare Gruppen zusammentreiben.
        Sparke, in jeder Hand eine Pistole, stand inmitten der Toten und wimmernden Verwundeten, und als er Bolitho sah, knurrte er kurz:

«Hatte schlimmer sein konnen. «Er konnte seinen Stolz nicht verbergen.»Hubsches kleines Fahrzeug! Sehr hubsch!«Er sah Quinn und beugte sich uber ihn.»Steht es schlimm?»
        Balleine, der des Leutnants Hemd aufgerissen hatte und das Blut zu stillen versuchte, sagte:»Seine Brust ist ganz aufgeschlitzt, Sir, aber wenn wir ihn zu.»
        Doch Sparke war schon gegangen und rief in bellendem Ton nach Frowd, dem Steuermannsmaaten, der das Schiff gleich bei der geringsten Brise unter Segel bringen sollte.
        Bolitho lag auf den Knien und hielt Quinns Hande von der Wunde fern, wahrend Balleine sein Moglichstes tat, um einen Behelfsverband anzulegen.

«Ruhig, James. «Er sah Quinns Kopf nach hinten fallen, seine Anstrengung, dem Schmerz nicht nachzugeben. Quinns Hande waren wie Eis, Blut glanzte uberall.»Du wirst wieder gesund, ich verspreche es dir!»
        Sparke kehrte zuruck.»Kommen Sie, Mr. Bolitho, es gibt eine Menge zu tun. Ich wette, da? wir fruher als uns lieb ist Gesellschaft bekommen.»
        Plotzlich dampfte er seine Stimme, und Bolitho sah sich einem Sparke gegenuber, wie er ihn noch nicht erlebt hatte.

«Ich wei?, wie Ihnen Quinns wegen zumute ist. Aber Sie durfen es nicht zeigen. Vor allem nicht vor den Leuten. Jetzt, da der Kampf voruber ist, fuhlen sie den Schock. Sie blicken auf uns. Deshalb mussen wir unser Mitgefuhl fur spater aufbewahren.»
        Er wandte sich wieder ab.»Los, Jungs, die Kutter nach achtern und die Fangleinen festmachen. Uberpruft die Geschutze und seht zu, da? sie geladen sind, um einen Angriff abzuschlagen: mit Kartatschen, Kugeln, allem, was ihr finden konnt. «Er suchte in der nebligen Dunkelheit nach jemandem.»Sie, Archer! Richten Sie ein Schwenkgeschutz auf die Gefangenen. Beim geringsten Anzeichen, da? sie das Schiff zuruckerobern wollen, wissen Sie, was Sie zu tun haben!»
        Stockdale wischte sein Messer am Hemdfetzen eines Unglucklichen sauber.

«Ich werde auf Mr. Quinn achten, Sir. «Er rieb das Messer noch einmal ab und steckte es dann in den Gurtel.»Ein kraftiger Schluck wurde ihm jetzt guttun, denke ich.»
        Bolitho nickte.»Ja, sehen Sie zu, was Sie machen konnen. «Damit ging er. Das Schluchzen und Stohnen im Dunkel gab ein anschaulicheres Bild der Szene, als die klare Sonne es vermocht hatte.
        Bolitho sah Dunwoody, den Mullerssohn, eine bewegungslose Gestalt abtasten. Der Seemann sagte mit gebrochener Stimme:»Das ist mein Freund, Sir, Bill Tyler.»
        Bolitho antwortete:»Ich wei?, ich sah ihn fallen. «Dann rief er sich Sparkes Rat ins Gedachtnis und fugte hinzu:»Hol' die Laterne runter, sofort! Wir wollen keine Motten anlocken, oder?»
        Dunwoody stand auf und wischte sich das Gesicht.»Nein, Sir, sicher nicht. «Er eilte von dannen, blickte sich aber noch einmal unglaubig nach seinem toten Freund um.
        Sparke war uberall, und als er beim Ruder wieder auf Bolitho stie?, sagte er lebhaft:»Es ist die Faithful, Eigner sind die Bruder Tracy aus Boston, bekannte Kaperkapitane, und sehr erfolgreiche dazu.»
        Bolitho wartete, seine Hande zitterten vor Anstrengung.
        Sparke fuhr fort:»Ich habe die Kajute durchsucht, da fand sich ein ganzer Stapel von Informationen!«Er sprudelte uber vor Begeisterung.»Kapitan Tracy ist tot. «Er deutete auf die blicklosen wei?en Augen des Mannes, der von Baileines Enterbeil gefallt worden war.»Das ist er. Der andere Tracy, sein Bruder, befehligt eine Brigg, die Revenge, die sie letztes Jahr von uns gekapert haben. Sie hie? damals Mischchief.»

«Aye, Sir, ich erinnere mich. Sie wurde vor Cape May gekapert. «Es war erstaunlich, da? er so ruhig sprechen konnte, als waren sie beide auf einem Spaziergang und nicht inmitten eines Blutbades.
        Sparke betrachtete ihn neugierig.»Sind Sie jetzt ruhiger?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Gut. Das ist der einzige Weg.»
        Bolitho fragte ihn:»Ist Ladung an Bord, Sir?»

«Nein. Die wollten sie sich offenbar von unserem Konvoi holen. «Er blickte zu den kahlen Masten hinauf.»Lassen Sie ein paar Mann das Deck aufklaren. Es sieht hier ja aus wie in einem Schlachthaus. Die Leichen mussen uber Bord und die Verwundeten nach unten. Dort herrscht zwar auch nicht viel Komfort, aber es ist etwas warmer als an Deck.»
        Als Bolitho davoneilen wollte, fugte Sparke noch hinzu:»Au?erdem mochte ich, da? alles so ruhig wie moglich ablauft. Eventuell sind fremde Boote in der Nahe, und ich beabsichtige, dieses Schiff als Prise zu behalten.»
        Bolitho suchte nach seinem Hut, der ihm wahrend des Kampfes vom Kopf gefallen war. Das sah Sparke ahnlicher, dachte er grimmig. Einen Augenblick hatte er geglaubt, Sparkes Anweisung, die Verwundeten nach unten zu schaffen, beruhe auf reiner Menschlichkeit. Er hatte es besser wissen mussen.
        Die Aufgaben wurden sofort in Angriff genommen. Die Gesunden verrichteten die schwereren Arbeiten, die Leichtverletzten bewachten die Gefangenen. Die Schwerverwundeten - darunter der Mann, der torichterweise seine Muskete vorzeitig abgefeuert und dabei eine Gesichtshalfte verloren hatte - halfen, soweit sie dazu in der Lage waren.
        Sparke hatte diesen Zwischenfall nicht erwahnt, ohne den die Verluste erheblich reduziert worden, wahrscheinlich sogar minimal geblieben waren. Die Schonerbesatzung war gewi? tapfer gewesen, aber ohne diesen Warnschu? hatte es wohl nur ein paar blutige Nasen gegeben, zumal ihnen die eiserne Disziplin der Trojaner fehlte. Auch Sparke mu?te sich das uberlegt haben, doch hoffte er wohl, da? Pears nur die Prise sehen und daruber alles andere vergessen wurde.
        Einige Male stieg Bolitho in die Kapitanskajute hinunter, wo der gefallene Kapitan Tracy gelebt und seine Plane gemacht hatte. Quinn lag dort bla? auf einer rohen Koje, den Verband blutgetrankt, die Lippen vor Schmerz zerbissen.
        Bolitho fragte Stockdale nach seiner Meinung; der antwortete ohne Zogern:»Er hat den Willen zum Leben, aber viel Hoffnung besteht nicht.»
        Die ersten Anzeichen der Morgendammerung kamen, der Nebel lichtete sich.
        Aus des Schoners Lazarett hatten alle eine gro?zugige Rumzuteilung erhalten, auch die beiden jungen Fahnriche.
        Aus der gesamten Gruppe von sechsunddrei?ig Seeleuten waren zwolf gefallen oder lagen im Sterben, und von den Uberlebenden hatten einige so schwere Wunden, da? sie im Augenblick kaum von Nutzen waren.
        Bolitho beobachtete den sich lichtenden Nebel, in dem der Schoner langsam Gestalt annahm. Er sah Couzens und Midshipman
        Libby von Sparkes Boot auf die gro?en Blutflecken an Deck starren. Moglicherweise wurde ihnen erst jetzt klar, was sie hinter sich hatten.
        Mr. Frowd, der Steuermannsmaat, wartete am Ruder und beobachtete die schlaffen Segel, die Bolithos Leute losgemacht hatten, klar fur die erste aufkommende Brise. Die einzigen Gerausche waren das Schlagen der Blocke und das Quietschen der Gaffeln und Baume beim heftigen Rollen des Schiffes in der Dunung.
        Mit dem Morgengrauen kam das Gefuhl der Gefahr, wie es wohl ein Fuchs beim Uberqueren offenen Gelandes bei Buchsenlicht empfindet.
        Die Faithful, das sah Bolitho jetzt, hatte acht Sechspfunder und vier Drehbassen, Schwenkgeschutze, die alle in Frankreich hergestellt waren. Dieser Umstand, dazu die Entdeckung frisch verpackten, erstklassigen Cognacs deutete auf enge Verbindung mit den franzosischen Kaperschiffen hin.
        Es war ein handliches kleines Fahrzeug von ungefahr zwanzig Meter Lange, das hoher an den Wind gehen konnte als die meisten anderen Schiffe, und das bestimmt jeden Rahsegler ausstechen wurde.
        Wer Kapitan Tracy auch gewesen sein mochte, er hatte in seine Plane sicher nicht die Moglichkeit einbezogen, da? er am fruhen Morgen nicht mehr am Leben sein wurde.
        Der Baum des Gro?segels quietschte laut, und im Deck verspurte man ein Vibrieren.
        Sparke rief:»Lebhaft, Leute, hier kommt der Wind!»
        Bolitho sah sein Gesicht und schrie:»Klar bei Vorsegelfallen!«Dann winkte er Balleine:»Hei? Kluver und Stagsegel!«Des Schoners zuruckkehrendes Leben schien auch ihn zu beeinflussen.»Einen guten Mann ans Ruder, Mr. Frowd!»
        Frowd zeigte grinsend seine Zahne. Er hatte langst einen Ruderganger ausgesucht, verstand aber Bolithos Stimmung. Er diente in der Marine schon so lange, wie der Vierte Offizier an Jahren zahlte.
        Jeder von ihnen verrichtete die Arbeit von mindestens zwei Mannern, beobachtet von den schweigenden Gefangenen, schufteten sie auf dem engen Deck, als hatten sie seit Monaten nichts anderes getan.

«Sir! Mastspitzen an Steuerbord!»
        Sparke fuhr herum, als Bolitho auf die davonziehende Nebelbank wies. Zwei Masten stie?en durch diese hindurch, einer mit schlaff hangendem Wimpel; es war klar zu erkennen, da? es sich um ein gro?eres Schiff als die Faithful handelte.
        Die Blocke klapperten und quietschten, als die Seeleute keuchend die Fock und dann das umfangreiche Gro?segel mit dem seltsamen roten Flicken darauf hi?ten. Das Schiff holte uber, und der Ruderganger meldete mit rauher Stimme:»Schiff steuert wieder, Sir!»
        Sparke blickte auf den Kompa?.»Windrichtung wie bisher, Mr. Frowd. Lassen Sie etwas abfallen, denn nach Moglichkeit wollen wir vor dieser Augenweide dort den Windvorteil nutzen, aber wenn notig, hauen wir ab.»
        Die beiden gro?en Segel blahten sich, als die Baume nach au?en schwangen, und schuttelten den Regen des Vortages ab, wie Hunde, die aus dem Wasser steigen.
        Bolitho rief:»Mr. Couzens, nehmen Sie sich drei Leute, und helfen Sie Balleine bei den Stagsegeln!»
        Als er sich wieder umwandte, sah auch er, was Sparke gesehen hatte. Aus dem nach Lee abziehenden Nebel trat wie eine Ersche i-nung das andere Schiff hervor, eine Brigg. Von der Gaffel wehte, noch ein wenig schlaff in der erst aufkommenden Brise, die Unionsflagge mit ihren Sternen und Streifen.
        Etwas wie ein Seufzer der Erleichterung entrang sich den zuschauenden Gefangenen; einer von ihnen rief:»Jetzt bekommt ihr gleich Blei zu spuren, bevor sie euch uber Bord werfen!»
        Sparke fuhr auf:»Stopft dem Kerl das Maul oder jagt ihm eine Kugel in den Kopf! Dann, zu Frowd gewandt:»Fallen Sie noch zwei Strich ab!»

«Nordost liegt an!»

«Soll ich die Sechspfunder ausrennen lassen?»
        Sparke hatte ein Fernrohr gefunden und richtete es auf die Brigg.»Es ist die alte Mischief. Ah, ich sehe ihren Kapitan. Das mu? der andere Tracy sein. «Er blickte Bolitho an.»Nein. Denn wenn wir so dicht herangehen, da? wir diese kleinen Kanonen abfeuern konnen, verwandeln sie uns in Kleinholz. Wendigkeit und Schnelligkeit ist alles, was wir einsetzen konnen.»
        Dann zog er die Uhr und blickte nicht einmal auf, als ein Geschutz bellte und im nachsten Augenblick eine Kugel die Fock durchschlug wie eine unsichtbare Faust.
        Gischt peitschte jetzt uber den Bug und prasselte auf die dort arbeitenden Seeleute. Der Wind frischte auf, wahrend der Nebel vor dem Schoner zuruckwich, als furchte er, vom Kluverbaum aufgespie?t zu werden.
        Die Brigg hatte jetzt Marssegel und Fock gesetzt und war ihnen hart auf den Fersen. Sie versuchte offensichtlich, den Schoner in einem langen Schlag auszuluven. Ihre beiden Buggeschutze feuerten Schu? auf Schu?, die Luft war erfullt von schauerlichem Geheul, was auf die Verwendung von Kartatschen oder Kettenkugeln hindeutete. Traf auch nur eine einzige von ihnen einen Mast, so war dies der Anfang vom Ende.
        Ein weiteres Geschutz mu?te jetzt auf die fluchtende Faithful gerichtet sein, denn eine Kugel fegte uber das Achterdeck, zerfetzte Tauwerk und traf beinahe einen Gefangenen, der sich aufgerichtet hatte, um besser sehen zu konnen.

«Siehst du, Freund, das Yankeeblei ist fur euch genauso gefahrlich«, hohnte ein Seemann.
        Ein weiterer Einschlag dicht neben der Bordwand uberschuttete sie mit Spritzwasser.
        Balleine kam nach achtern gerannt und fragte:»Soll ich die Bootsleinen kappen, Sir? Das macht uns sicher eine halbe Meile schneller.»
        Plotzlich schrie ein Seemann unglaubig:»Der Yankee geht uber Stag, Sir!»
        Sparke gestattete sich ein kurzes Lacheln der Genugtuung. Durch den sich immer mehr lichtenden Nebel tauchte wie ein Geist die Trojan auf, unter vollen Segeln und mit bereits ausgefahrener Breitseite, zwei Linien schwarzer Mundungen.
        Sparke rief:»Mr. Bolitho! Sie wird uns aufs Korn nehmen, wenn wir nicht vorsichtiger sind!»
        Midshipman Libby flitzte bereits wie ein Kaninchen nach achtern, und Sekunden spater wehte die britische Flagge frei von der Gaffel, so leuchtend rot wie die uber dem vergoldeten Heck der Trojan.
        Unten in der winzigen Kabine wischte Stockdale Quinns Stirn mit einem feuchten Tuch ab und blickte hinauf zum Oberlicht.
        Langsam bewegte Quinn die trockenen Lippen.»Was war das fur ein Gerausch?»
        Stockdale betrachtete ihn traurig.»Hurrarufe, Sir. Sie scheinen die gute alte Trojan gesichtet zu haben!»
        Dann verlor Quinn wieder das Bewu?tsein, hinweggeschwemmt von einer Woge Schmerz. Wenn er am Leben blieb, dachte Stock-dale, war er wohl nie wieder derselbe wie vorher. Dann dachte er wieder an das Klatschen, mit dem die Leichen, Freund wie Feind, uber Bord gegangen waren, und er sagte sich, da? Quinn immer noch besser dran war.



        IV Rendezvous

        Bolitho schritt nach achtern und hielt vor der Treppe zur Schanze inne. Er fuhlte die vielen Augen auf sich gerichtet, die ihm schon auf dem Weg uber das Deck gefolgt waren, nachdem er an Bord gekommen war. Er war sich auch seines schmutzigen und abgerissenen Aufzuges bewu?t, des Loches im Armel, der getrockneten Blutflecken auf seinen Breeches.
        Noch einmal blickte er sich um und betrachtete die Prise, die aus dieser Entfernung noch hubscher wirkte, wie sie da schmuck an Trojans Leeseite lag. Nur schwer konnte er sich vorstellen, was sich letzte Nacht auf ihr abgespielt, noch schwerer, da? er es uberlebt hatte.
        Sparke war sofort auf die Trojan ubergestiegen, nachdem zwischen beiden Schiffen Signalkontakt bestand, und hatte Bolitho den Transport der Verwundeten und die Bestattung des Unglucksschutzen mit der weggerissenen Gesichtshalfte uberlassen, der inzwischen seinen Verletzungen erlegen war.
        Bevor er sich beim Kommandanten meldete, war Bolitho ins Lazarett hinabgestiegen, voller Angst, was er dort vorfinden wurde. Wieder empfand er seine Verantwortung fur das Geschehene, als er die wie gekreuzigt auf dem Operationstisch liegende Gestalt erblickte, die im Licht der schwankenden Decklampen wie ein Leichnam schimmerte. Quinn war nackt, und als Thorndike den verfilzten Verband entfernt hatte, sah Bolitho zum erstenmal die klaffende Wunde. Von Quinns linker Schulter lief sie diagonal uber die Brust, offnete sich wie ein obszoner Mund.
        Quinn war bewu?tlos; Thorndike hatte kurz gesagt:»Nicht schlecht, aber wir mussen abwarten.»
        Auf Bolithos Frage:»Konnen Sie ihn retten?«hatte sich Thorn-dike in seiner blutigen Schurze ihm zugewandt und geknurrt:»Ich tue, was ich kann. Einem Mann habe ich bereits ein Bein abgenommen, ein anderer hat einen Splitter im Auge.»
        Bolitho hatte verlegen geantwortet:»Tut mir leid, ich werde Sie nicht langer aufhalten.»
        Jetzt, auf dem Weg zur Kajute, wo ein scharlachrot gekleideter Seesoldat stand, fuhlte Bolitho dumpfen Schmerz von Selbstvorwurfen und Verzweiflung. Sie hatten eine Prise genommen, aber der Preis dafur war zu hoch.
        Der Seesoldat knallte seine Stiefel zusammen, und Foley, adrett wie immer, offnete die au?ere Tur. Seine Augen weiteten sich in offensichtlicher Mi?billigung, als er Bolithos abgerissene Ersche i-nung wahrnahm.
        In der Kajute sa? Kapitan Pears an seinem papierubersaten Schreibtisch, ein gro?es Glas Wein in der Hand.
        Bolitho starrte Sparke an. Der war so sauber gekleidet, gewaschen und rasiert, als hatte er das Schiff niemals verlassen.
        Pears befahl:»Wein fur den Vierten Offizier!»
        Er beobachtete Bolitho, als dieser dem Steward das Weinglas abnahm, sah die Uberanstrengung, die bleierne Mudigkeit in seinem Gesicht.

«Mr. Sparke hat mir von Ihren eindrucksvollen Taten erzahlt, Mr. Bolitho. «Pears Miene blieb ausdruckslos.»Der Schoner ist ein guter Fang.»
        Bolitho lie? sich vom Wein den Magen warmen, den Schmerz in seiner Seele lindern. Sparke war schon fruher an Bord gekommen, hatte sich gewaschen und frisch gemacht, bevor er sich beim Kommandanten meldete. Wieviel hatte er ihm wohl uber den ersten Teil des Unternehmens erzahlt? Uber den ungluckseligen Gewehrschu?, der so viel zur Erhohung ihrer Verluste beigetragen hatte?
        Pears fragte:»Wie geht es ubrigens Mr. Quinn?»

«Der Arzt hat Hoffnung, Sir.»
        Pears betrachtete ihn seltsam.»Gut. Ich horte, da? sich auch beide Fahnriche wacker gehalten haben. «Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu und sagte:»Diese Dokumente fand Mr. Sparke in der Kajute der Faithful. Sie sind von noch gro?erem Wert als die Prise selbst. «Mit grimmigem Gesicht fuhr er fort:»Sie enthalten Einzelheiten uber die Aufgaben des Schoners, die er nach der Erbeutung von Waffen und Munition aus unserem Konvoi hatte erfullen sollen. Die Geleitfahrzeuge hatten es bei diesem Wetter schwer gehabt, den gesamten Konvoi zu schutzen, und oben bei Halifax scheint es noch schlimmer gewesen zu sein. Jetzt mu? die Brigg Revenge allein zurechtkommen, obwohl anzunehmen ist, da? noch andere Wolfe diese fette Beute umschleichen. «Bolitho fragte:»Wann erwarten Sie, den Geleitzug zu sichten,
        Sir?»

«Mr. Bunce und ich erwarten das fur morgen. «Er sprach, als ob es jetzt nicht mehr wichtig sei.»Aber etwas mussen wir sofort in Angriff nehmen. Die Faithful sollte zu einem Rendezvous mit anderen Feindschiffen am Ausgang der Delaware Bay segeln. Die britischen Streitkrafte in Philadelphia haben es schwer, ihren Nachschub flu?aufwarts bis zur Garnison zu sichern. Auf dem ganzen Weg werden unsere Boote und Schuten von feindlichen Spahtrupps beschossen. Stellen Sie sich vor, wie das erst wurde, wenn der Feind eine gro?ere Lieferung von Waffen und Munition erhielte.»
        Bolitho nickte und nahm noch ein Glas Wein von Foley entgegen. Die Delaware Bay lag rund vierhundert Seemeilen sudlich. Ein rasches Fahrzeug konnte den Treffpunkt bei gunstigem Wetter in drei Tagen erreichen.
        Sie waren so selbstsicher gewesen, dachte er. Der rote Flicken auf dem Gro?segel war das Signal fur die Wachen an Land. Auch der Ort war gut ausgesucht: sehr flach und tuckisch bei Ebbe; keine Fregatte wurde sich aus Angst vor Grundberuhrung dort hinwagen.
        Er fragte:»Sie wollen die Faithful zum Rendezvous schicken,
        Sir?»

«Ja. Es ist naturlich ein gewisses Risiko dabei. Die Fahrt konnte langer dauern als vorgesehen, und da der Feind nun wei?, da? die Faithful gekapert worden ist, wird er alles daran setzen, um diese Nachricht so schnell wie moglich in den Suden weiterzuleiten: Signale, schnelle Reiter, nichts wird er unversucht lassen.»
        Sparke setzte sich kerzengerade auf und blickte Bolitho an.»Ich habe den ehrenvollen Auftrag, dieses Unternehmen zu fuhren.»
        Pears fugte mit ruhiger Stimme hinzu:»Wenn Sie mochten, Mr. Bolitho, konnen Sie den Zweiten Offizier abermals begleiten. Die Entscheidung liegt jedoch bei Ihnen.»
        Zu seiner eigenen Verwunderung nickte Bolitho, ohne zu zogern.»Aye, Sir, das wurde ich gern tun.»

«Dann ist das also geregelt. «Pears zog seine goldene Uhr.»Ich lasse Ihre Order gleich schreiben. Mr. Sparke kennt die wesentlichen Punkte bereits.»
        Cairns trat ein, den Hut unter dem Arm.

«Ich habe ein paar Leute zum Schoner hinubergeschickt, Sir. Der Stuckmeister kummert sich um die Geschutze und sonstige Bewaffnung. «Er machte eine Pause, sein Blick ruhte auf Bolitho.»Mr. Quinn ist noch bewu?tlos, aber der Arzt sagt, Herz und Atmung sind in Ordnung.»
        Pears nickte.»Sagen Sie meinem Schreiber, er soll sofort zu mir kommen.»
        Cairns zogerte an der Tur.»Ich habe die Gefangenen an Bord gebracht, Sir. Soll ich sie vereidigen?»
        Pears schuttelte den Kopf.»Nein. Freiwillige wurde ich akzeptieren, aber dieser Krieg ist schon zu erbittert geworden, als da? ein Seitenwechsel glaubhaft ware. Sie waren wie faule Apfel in einer Kiste, und ich mochte keine Unzufriedenheit auf meinem Schiff riskieren. Wir werden sie in New York den Behorden ubergeben.»
        Cairns ging, und Pears sagte:»Die schriftliche Order wird Sie nicht vor den Kanonen unserer Beobachter schutzen. Geben Sie rechtzeitig Fersengeld, wenn Sie welche treffen. Falls Spione Sie ausgemacht haben, kann das Ihrer Tarnung nur nutzen.»
        Teakle, des Kommandanten Sekretar, kam in die Kajute gehastet, und Pears entlie? sie.»Bereiten Sie sich vor, meine Herren. Ich mochte, da? Sie das Rendezvous einhalten und alles vernichten, was Sie dort finden. Es ware von gro?em Wert und wurde unseren Truppen in Philadelphia neuen Mut machen.»
        Die beiden Offiziere verlie?en die Kajute, und Sparke sagte:»Diesmal nehmen wir auch ein paar Seesoldaten mit. «Es klang, als sei es ihm unangenehm, diese neue Aufgabe mit jemandem teilen zu mussen.»Aber Schnelligkeit ist die Hauptsache. Also treiben Sie unsere Leute an, sie sollen so rasch wie moglich den Rest der Vorrate und Waffen auf den Schoner schaffen.»
        Bolitho legte die Hand an den Hut.»Aye, Sir.»

«Und ersetzen Sie Midshipman Couzens durch Mr. Weston. Dies ist kein Auftrag fur Kinder.»
        Bolitho trat hinaus an die frostige Luft und sah die Boote zwischen den beiden Schiffen hin und her hasten wie Wasserkafer.
        Weston war der Signalfahnrich, und genau wie Libby, der in Sparkes Boot gewesen war, stand er zur Offiziersprufung an. Wenn Quinn starb, wurde sofort einer der beiden befordert werden.
        Bolitho sah Couzens am Leefallreep stehen, wahrend die Trojan rollte und dagegen protestierte, da? sie beigedreht liegen mu?te, um den Transport von Leuten und Ausrustung zu ermoglichen. Cou-zens hatte offensichtlich schon von dem Austausch erfahren und sagte atemlos:»Ich mochte aber mitkommen, Sir.»
        Bolitho blickte ihn ernst an. Couzens war mit seinen dreizehn Jahren zwei Leute vom Schlage Westens wert. Dieser war ein ubergewichtiger, rothaariger Bursche von siebzehn Jahren, der die jungeren Kameraden schikanierte, wo er nur konnte.
        Er antwortete:»Nachstes Mal vielleicht. Wir werden sehen«, und wandte den Blick ab.
        Seltsamerweise dachte er selbst kaum jemals daran, da? auch er ersetzt, zu einem Namen mit einem Kreuz dahinter werden konnte.
        Er sah Stockdale mit gekreuzten Armen auf dem kleinem Achterdeck des Schoners stehen und warten, wahrend dieser so stark rollte, als wolle er seine Masten abschutteln. Eine innere Stimme schien Stockdale zu sagen, da? Bolitho jeden Augenblick zu ihm sto?en wurde.
        Die Marineinfanteristen kletterten jetzt in die Boote, verfolgt von den ublichen Witzeleien und Schmahrufen der an der Reling stehenden Seeleute.
        Hauptmann d'Esterre, der von seinem Feldwebel begleitet wurde, traf Bolitho am Fallreep.

«Dir verdanken meine Jungs endlich wieder einen Einsatz, Dick, so hoffe ich jedenfalls!«Er winkte seinem mit dem Rest der Soldaten an Bord bleibenden Leutnant zu.»Pa?t gut auf! Ich bleibe sonst langer am Leben als Ihr!»
        Der Leutnant gru?te grinsend und rief:»Wenigstens habe ich jetzt die Chance, einmal beim Kartenspiel zu gewinnen, wahrend Sie weg sind, Sir!»
        Dann folgten d'Esterre und der Feldwebel den anderen ins Boot.
        Bolitho sah Sparke mit Cairns und dem Master sprechen und rief Couzens impulsiv zu:»Besuchen Sie Mr. Quinn, so oft Sie konnen. Wollen Sie das fur mich tun?»
        Couzens nickte mit plotzlichem Ernst.»Aye, Sir. «Er trat zuruck, da Sparke eilends vom Achterdeck herankam, und fugte rasch hinzu:»Ich werde fur Sie beten, Sir.»
        Bolitho starrte ihn uberrascht an, war aber auch geruhrt.

«Danke. Das war nett von Ihnen. «Dann beruhrte er gru?end seinen Hut in Richtung Achterdeck, nickte den Gesichtern an der Reling und auf dem Fallreep zu und stieg rasch ins Boot.
        Sparke lie? sich neben ihm nieder, seine Rocktasche war von den schriftlichen Einsatzbefehlen gebauscht. Als das Boot ablegte, sah Bolitho die Seeleute bereits uber Deck eilen, um die Trojan seeklar zu machen, sobald die Boote wieder an Bord sein wurden.
        Sparke sagte mit einem Seufzer der Erleichterung:»Endlich geschieht etwas, das sie alle aufhorchen lassen wird!»
        D'Esterre blickte zu dem schwankenden Schoner hinuber und rief mit plotzlicher Besorgnis:»Wie, zum Teufel, sollen wir dort alle Platz finden?»
        Sparke grinste.»Es wird nicht lange dauern. Seeleute sind solche Unbequemlichkeiten gewohnt.»
        Bolitho lie? die Gedanken schweifen und schrieb im Geiste den langen Brief an seinen Vater weiter: Heute hatte ich die Chance, an Bord zu bleiben, aber ich entschied mich fur die Ruckkehr zur Prise. Er beobachtete, wie Masten und Takelage der Faithful uber den Ruderern aufstiegen. Vielleicht war es verkehrt, aber ich glaube, Sparke ist so voller Hoffnung fur seine Zukunft, da? er nichts anderes mehr sieht.
        Das Boot legte an, und die letzten Seesoldaten kletterten an Deck, schwankend wie Bleisoldaten in einer schaukelnden Schachtel. Shears, der Feldwebel, ubernahm das Kommando, und bald war kein einziger Rotrock mehr zu sehen, als sie alle hintereinander in den Laderaum des Schiffes hinunterkletterten.
        Einer von Trojans Neunpfundern war ubergesetzt worden und wurde nun an Deck mit Taljen und unter Ausnutzung der vorhandenen Ringbolzen und Klampen festgezurrt. Wie William Chimmo, der Stuckmeister der Trojan, es fertiggebracht hatte, das Geschutz an Deck zu hieven und auf seiner jetzigen Lafette montieren zu lassen, das legte Zeugnis ab vom Konnen eines erfahrenen Deckoffiziers. Er hatte einen seiner Unteroffiziere mitgeschickt, einen schweigsamen Mann namens Rowhurst,um den Neunpfunder zu warten; der rieb die Kanone gerade mit einem Lappen ab und fragte sich wahrscheinlich, was mit des Schoners leichten Decksplanken geschehen wurde, wenn er erst richten und feuern mu?te.
        Bis sie die neuen Leute eingeteilt und an ihre jeweilige Arbeit geschickt hatten - die ursprungliche Prisenbesatzung blieb an Bord - , stand die Trojan schon weit in Lee, und mehr und mehr Segel fullten sich an ihren Rahen. Ein Boot hing noch in seinen Davits, wurde aber gerade eingeschwenkt. Pears hatte es offenbar eilig, die verlorene Zeit aufzuholen.
        Bolitho betrachtete sie ein paar Minuten lang aus dieser Entfernung, so wie Quinn einst die gro?en Schiffe gemustert hatte, wenn sie themseabwarts segelten: prachtige Gebilde in ihrer Macht und Schonheit, die in ihrem Innern ebenso viel Hoffnung und Schmerz beherbergten wie eine Stadt an Land. Jetzt lag Quinn unten im Lazarett, vielleicht war er auch schon tot.
        Frowd tippte an seinen Hut.»Wir sind klar zum Segeln, Sir. «Vielsagend blickte er zu Sparke hinuber, der vollig versunken in seinen Papieren las.
        Bolitho rief:»Wir sind fertig, Sir!»
        Sparke blickte finster ob der Unterbrechung hoch und knurrte gereizt:»Dann seien Sie bitte so gut, die Leute anzuleiten.»
        Frowd musterte handereibend die gro?en Schonersegel und die wartenden Seeleute.

«Diese beiden werden wir setzen. «Er wurde wieder formlich.»Ich schlage vor, da? wir den augenblicklichen Wind ausnutzen und Sudost steuern, Sir. Das bringt uns aus der Bucht heraus und frei von unserem alten Nantucket.»
        Bolitho nickte.»Gut. Lassen Sie uber Stag auf Backbordbug gehen.»
        Sparke erwachte aus seiner Versunkenheit und kam zu ihnen, wahrend die Seeleute die Fallen einholten, um Gro?segel und Fock zu hissen.

«Ein guter Plan. «Er stie? sein spitzes Kinn vor.»Der unbetrauert verstorbene Kapitan Tracy hat so ziemlich alles uber das beabsichtigte Rendezvous zu Papier gebracht, au?er der Augenfarbe seiner Landsleute.»
        Er packte eine Pardune, als Ruder gelegt wurde und die beiden gro?en Baume uber das langsseits vorbeigurgelnde Wasser hinausschwangen, wahrend die Segel sich fullten, bis sie hart wie Stahl schienen.
        Bolitho bemerkte, da? sogar das Loch, das die Kanonenkugel in die Fock gerissen hatte, wahrend der letzten Stunden sauberlich geflickt worden war. Die Geschicklichkeit des britischen Seemannes, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist unvergleichlich, dachte er.
        Die Faithful reagierte trotz des Wechsels in ihrer Fuhrung prachtig. Gischt spruhte uber ihren Bug und flo? in die Lee-Speigatten. Sie wendete wie ein Vollblutpferd, wahrend die Segel sich donnernd wieder fullten.
        Allmahlich legte sie sich steif uber und nutzte den Wind auf dem neuen Bug zu Frowds Zufriedenheit voll aus. Beim langen Dienst unter Bunce hatte er neben anderem auch gelernt, nichts fur selbstverstandlich hinzunehmen.
        Sparke musterte das Schiff kritisch von der Heckreling aus und sagte:»Schicken Sie die Freiwache unter Deck, Mr. Bolitho!«Dann wandte er sich um und suchte nach der Trojan, die aber in einer Regenbo fast verschwunden war, kaum mehr als ein Schatten oder ein Pinselstrich auf einem unfertigen Gemalde.
        Schlie?lich ging er schlingernd zum Kajutsniedergang.»Ich bin unten, wenn Sie mich brauchen.»
        Bolitho atmete langsam aus. Sparke war kein Wachoffizier mehr. Er war Kommandant geworden.

«Mr. Bolitho!»
        Bolitho rollte in der ungewohnten, fremden Koje zur Seite und blinzelte in das Licht einer abgeschirmten Lampe. Es war Mids-hipman Weston, der sich uber ihn beugte; sein Schatten stand riesengro? wie ein Geist an der Wand.

«Was ist los?»
        Bolitho ri? sich muhsam aus dem kostbaren Schlaf. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen, seine Kehle schmerzte von der schlechten Luft in der geschlossenen Kammer.
        Weston beobachtete ihn.»Der Zweite Offizier bittet Sie an Deck, Sir. «Bolitho schwenkte die Beine uber den Kojenrand und prufte des Schoners Bewegungen. Es mu? bald Morgendammerung sein, dachte er, und Sparke ist schon auf. Das war seltsam, da er gewohnlich das Wachegehen sowie routinema?ige Kursanderungen Bolitho und Frowd uberlie?. Weston sagte nichts, und Bolitho wollte ihn nicht ausfragen, denn das hatte dem Fahnrich Zweifel und Unsicherheit verraten. Also kletterte er durch das Niedergangs-luk und fuhr zuruck bei der Begru?ung durch nadelscharfen Gischt und eisigen Wind. Der Himmel war genauso wie er ihn zuletzt gesehen hatte: niedrig dahinjagende Wolken, keine Sterne zu erkennen. Er lauschte auf das Brausen in der Leinwand und das Knarren der Spieren, als der Schoner wie betrunken durch ein tiefes Wellental stampfte, so heftig, da? es ihn fast an Deck geschleudert hatte.
        So ging es seit drei Tagen. Der Wind war ihr Feind geworden und hatte sie gezwungen, immer wieder uber Stag zu gehen, viele Meilen zu segeln, um einen geringen oder oft gar keinen Fortschritt zu machen. Sparke war fast verzweifelt, als sie Tag fur Tag muhsam nach Suden und dann in sudwestlicher Richtung auf das Land und die Mundung des Delaware zu kreuzen mu?ten.
        Selbst der disziplinierteste Seemann an Bord war inzwischen verdrossen, murrisch und aufgebracht uber Sparkes Benehmen. Er benahm sich unduldsam gegen jedermann und schien vollig besessen von der Aufgabe, mit der man ihn betraut hatte. Und nun die Aussicht auf Mi?erfolg…
        Bolitho uberquerte die glitschigen Decksplanken und schrie gegen den Wind:»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»
        Sparke fuhr herum und hielt sich dabei am Luvwant fest, das ublicherweise makellos sitzende Haar vom Wind zerzaust, als er argerlich antwortete:»Naturlich, verdammt noch mal! Sie haben lange genug geschlafen!»
        Bolitho beherrschte sich nur muhsam, da ihm klar war, da? dieser laute Ruffel von den meisten an Deck gehort werden mu?te. Angesichts der schlechten Laune des Zweiten Offiziers und seiner Besessenheit, das Schiff so schnell wie moglich und mit jedem Fetzen, den es tragen konnte, vorwarts zu treiben, konnte man nur abwarten.
        Sparke sagte abrupt:»Der Steuermannsmaat schlagt vor, da? wir bis Mittag auf diesem Bug weitersegeln.»
        Bolitho zwang sein Gehirn, sich ihren Zickzackkurs auf der Karte vorzustellen, und antwortete nach kurzem Zogern:»Mr. Frowd ist wohl der Ansicht, da? wir dann weniger ortlichen Schiffen begegnen, oder, noch schlimmer, unseren eigenen Patrouillen.»

«Mr. Frowd ist ein Idiot!«Sparke schrie wieder.»Und wenn Sie ihm beistimmen, sind auch Sie einer, verdammt noch mal!»
        Bolitho schluckte und zahlte die Sekunden wie nach dem Abfeuern eines Geschutzes.

«Ich mu? ihm beistimmen, Sir. Er ist ein Mann von gro?er Erfahrung.»

«Und ich nicht?«Sparke hob die freie Hand.»Machen Sie sich nicht die Muhe, mich uberzeugen zu wollen. Ich bin fest entschlossen: Wir werden in einer Stunde wenden und den Treffpunkt direkt ansteuern. Das verkurzt die Zeit betrachtlich. Auf diesem Bug wurden wir einen vollen Tag langer brauchen.»
        Bolitho versuchte es noch einmal.»Der Feind wei? unsere genaue Ankunftszeit nicht, Sir, oder ob wir uberhaupt kommen. Im Krieg besteht keine Moglichkeit zu so exakter Planung.»
        Sparke hatte gar nicht zugehort.»Bei Gott, diesmal lasse ich sie nicht entkommen. Ich habe lange genug zugesehen, wie andere goldverbramte Kommandos bekamen, nur weil sie jemanden in der Admiralitat oder bei Hofe kannten. Ich nicht, Mr. Bolitho, ich habe mich hochgearbeitet, mir jede Sprosse der Leiter muhsam verdient!»
        Er schien erst jetzt zu merken, was er sagte: da? er sein Innerstes preisgegeben hatte vor einem Untergebenen; deshalb fugte er sachlicher hinzu:»Lassen Sie alle Mann an Deck rufen! Sagen Sie Mr. Frowd, er soll seine Karten vorbereiten. «Er starrte Bolitho fest an, sein Gesicht wirkte im Dammerlicht sehr bla?.»Ich habe keine Lust zu argumentieren, sagen Sie ihm auch das!»

«Haben Sie es mit Hauptmann d'Esterre besprochen, Sir?»
        Sparke lachte.»Bestimmt nicht. Er ist ein Marineinfanterist, kein Seemann!»
        In dem kleinen Raum neben der Kapitanskajute, dem Kartenraum der Faithful, traf Bolitho auf Frowd und sah sich dessen Berechnungen und Koppelkurse auf der Karte an, ihre taglich zuruckgelegten Strecken seit der Trennung von der Trojan.
        Frowd bemerkte ruhig:»So kommen wir naturlich schneller hin, Sir, aber.»
        Bolitho buckte sich wegen der niedrigen Decke und der heftigen Bewegungen des Schiffes tief.

«Aye, Mr. Frowd, es gibt immer ein Aber. Wir konnen nur auf unser Gluck vertrauen.

        Frowd lachelte bitter.»Ich habe keine Lust, von meinen eigenen Landsleuten umgebracht zu werden, auch wenn es nur irrtumlich ware, Sir.»
        Eine Stunde spater, mit allen Mann an Deck, schwang die Faithful durch den Wind und die schwere See nach Steuerbord und hielt nun Kurs auf das unsichtbare Land. Je ein Reff in Gro?segel und Fock war alles, was Sparke trotz des schweren Wetters zulie?. Das Schiff krangte stark nach Lee, Brecher wuschen uber Bug und Luvreling und brachen sich an dem Neunpfunder wie Brandung an einem Felsblock.
        Es war noch immer au?erst kalt, und das durftige Essen, das der Koch unter diesen Verhaltnissen zusammenbrauen konnte, war langst abgekuhlt und nach dem gefahrlichen Weg uber das Oberdeck mit Salzwasser vermischt.
        Als es heller wurde, schickte Sparke einen Ausguck nach oben mit der Weisung, alles zu melden, auch wenn es ein treibender Balken sei.
        Bolitho beobachtete den ganzen Vormittag uber Sparkes steigende Nervositat, wahrend der Schoner zugig in Richtung Westen stampfte. Nur einmal sichtete der Ausguck ein anderes Segel, aber es war im Gischt verschwunden, bevor er Einzelheiten ausmachen oder den Kurs des fremden Schiffes bestimmen konnte.
        Stockdale blieb fast standig in Bolithos Nahe; seine Korperkraft kam bei den seemannischen Arbeiten wie Splei?en von zerschlissenem Tauwerk oder beschadigten Trossen allen zugute.
        Dann traf sie ein Schrei aus dem Vortopp so heftig wie ein unerwarteter Schu?: Land in Sicht - rechts voraus!»
        Die Leute verga?en sofort alles Ungemach, als sie durch den Vorhang von Regen und Gischt nach dem gemeldeten Land Ausschau hielten.
        Sparke hing mit seinem Fernglas in den Wanten, alle Wurde vergessend, wahrend er wartete, bis der Schoner einen steilen Wellenkamm erstieg, um sein erhofftes Land zu erblicken.
        Schlie?lich sprang er an Deck zuruck und starrte Frowd triumphierend an.»Lassen Sie einen Strich abfallen. Das ist Cape Hen-lopen dort im Nordwesten!«Er konnte sich nicht zuruckhalten.»Nun, Mr. Frowd, wie steht es jetzt mit Ihrer Vorsicht?»
        Der Mann am Ruder rief:»West zu Nord liegt an, Sir!»
        Frowd erwiderte grimmig:»Der Wind hat gedreht, Sir, noch nicht viel, aber wir halten genau auf die Untiefen sudlich der Delawaremundung zu.»
        Sparke zog eine Grimasse.»Noch mehr Vorsicht!»

«Es ist meine Pflicht, Sie zu warnen, Sir. «Frowd vertrat seinen Standpunkt.
        Bolitho mischte sich ein:»Mr. Frowd ist letztlich verantwortlich fur den Landfall, Sir.»

«Dem werde ich zur gegebenen Zeit zustimmen, vorausgesetzt…«Er starrte zum Mast hinauf, wo der Ausguck rief:»An Deck! Segel backbord voraus!»

«Verdammt!«Sparke starrte hinauf, bis seine Augen tranten.»Fragen Sie den Narren, was es ist!»
        Fahnrich Libby enterte bereits in den Luvwanten auf, seine Fu?e bewegten sich flott wie Paddel. Dann rief er:»Zu klein fur eine Fregatte, Sir! Aber ich glaube, sie haben uns gesichtet.»
        Bolitho beobachtete das graue, bewegte Wasser. Sie alle wurden den Ankommling bald zu sehen bekommen. Zu klein fur eine Fregatte, hatte Libby gesagt; aber wohl wie eine solche aussehend. Also drei Masten, rahgetakelt: eine britische Korvette! Faithfuls schlanker Rumpf war kein Gegner fur die sechzehn oder achtzehn Geschutze einer Korvette.

«Wir sollten besser uber Stag gehen, Sir, und das Erkennungssignal setzen.
«Bolitho sah die Unsicherheit in Sparkes Zugen, die Narbe auf seiner Wange leuchtete wie ein rotes Pennystuck. Der andere Ausguck rief aufgeregt:»Zwei kleine Fahrzeuge in Luv, Sir! Steuern landeinwarts.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Das waren womoglich ortliche Kustenfahrzeuge, die den Delaware ansteuerten, immer zu zweit zum gegenseitigen Schutz.
        Ihre Gegenwart schlo? die Chance aus, mit der britischen Korvette Kontakt aufzunehmen. Wenn diese in der Nahe waren, konnten auch andere, weniger freundliche Augen sie beobachten.
        Frowd schlug hilfsbereit vor:»Wenn wir jetzt wenden, Sir, konnen wir sie in Luv aussegeln. Ich bin schon fruher auf Schonern gefahren und wei?, was sie hergeben.»
        Sparkes Stimme war schrill, als er beinahe schrie:»Wie konnen Sie es wagen, mein Urteil anzuzweifeln! Ich werde Sie degradieren, wenn Sie nochmals so zu mir sprechen. Wenden, abwarten, weglaufen. Verdammt, Sie benehmen sich wie ein altes Weib, nicht wie ein Steuermannsmaat!»
        Frowd blickte weg, zornig und verletzt.
        Bolitho platzte dazwischen:»Ich verstehe, was er sagen wollte, Sir. «Er sah, wie Sparkes Augen sich wutend auf ihn richteten, schlug aber den Blick nicht nieder. Wir konnten abdrehen und auf eine bessere Gelegenheit warten. Wenn wir so weiterfahren, braucht die Korvette selbst bei einbrechender Dunkelheit nur abzuwarten und uns in den flachen Gewassern festzuhalten, bis wir auf Grund laufen oder uns ergeben. Die Leute, die wir treffen sollen, werden nicht darauf warten, unser Schicksal zu teilen.»
        Als Sparke jetzt wieder sprach, hatte er sich in der Gewalt und war beinahe ruhig. Ich will Ihr Eintreten fur Mr. Frowd ubersehen, denn ich kenne Ihre Art, sich in unbedeutende Dinge einzumischen. «Er nickte Frowd zu.»Machen Sie weiter. Bleiben Sie auf diesem Schlag so lange, wie der Wind es zula?t. In einer halben Stunde schicken Sie einen guten Mann nach vorn zum Loten. «Er lachelte schief.»Sind Sie damit zufrieden?»
        Frowd rieb sich die Stirn mit den Knocheln der linken Hand.»Aye, aye, Sir.»
        Als eine halbe Stunde vergangen war, konnte man des anderen Schiffes Bramsegel bereits von Deck aus sehen.
        D'Esterre, sehr bla? von der schlechten Luft unter Deck, kam zu Bolitho und sagte heiser:»Mir ist so ubel, da? ich am liebsten sterben wurde. «Er musterte die vollen Segel der Korvette und fugte hinzu:»Wird sie uns einholen?»

«Ich glaube nicht. Sie mu? bald abdrehen. «Bolitho deutete in das schaumende Wasser.»Wir haben kaum noch acht Faden* unterm Kiel, und bald sind es nur noch die Halfte.»
        D'Esterre starrte erstaunt ins Wasser.»Du hast nichts zu meiner Beruhigung beigetragen, Dick.»
        Bolitho konnte sich die emsige Tatigkeit an Bord der verfolgenden Korvette vorstellen. Sie war fast so gro? wie die Destiny, dachte er wehmutig: schnell, beweglich, frei von der schwerfalligen Autoritat des Flottenkommandos. Jedes Fernrohr war jetzt sicherlich auf die fluchtende Faithful gerichtet und auf ihr seltsames rotes Zeichen. Die Buggeschutze waren wohl schon ausgefahren, in der Hoffnung auf eine Gelegenheit zum Schu?, der den Schoner in ein Wrack verwandeln sollte. Ihr Kommandant wartete wohl ab, was dieser tun werde, um dann entsprechend zu handeln. Nach Monaten langweiligen Patrouillendienstes sah er in dem Schoner eine Art Belohnung. Wenn die Wahrheit herauskam und Sparke erklaren mu?te, was er hier tat, dann war der Teufel los.
        Er konnte Sparkes Eifer verstehen, endlich mit dem Feind in Beruhrung zu kommen und zu vollenden, was Pears von ihm erwartete. Aber Frowds Ratschlag war gut, und er hatte ihn annehmen sollen. Jetzt mu?ten sie sich mit der Korvette herumschlagen, wahrend sie doch die Kolonisten jagen wollten und die Fahrzeuge, die auf erbeutetes Pulver und Blei warteten.
        Ein unterdruckter Knall ertonte, vom Wind genauso schnell wieder verweht.
        Eine Kanonenkugel zischte durch den nachsten Wellenkamm, und Stockdale sagte bewundernd:»Kein schlechter Schu?.»
        Eine zweite Kugel fegte uber des Schoners Achterdeck, dann rief Sparke, der starr wie eine Statue gestanden hatte, mit rauher Stimme:»Da! Was habe ich euch gesagt? Sie halsen! Genau wie ich vorausgesagt habe!»
        Bolitho sah die Rahen sich optisch verkurzen, sah das vorubergehende Killen der Segel, bis sie sich auf dem neuen Bug wieder
        fullten.
        Fahnrich Weston rief aus:»Das war gro?artig von Ihnen, Sir. Ich hatte nie geglaubt.»
        Bolitho fuhlte, wie sich seine Lippen trotz seiner Anspannung zu einem verachtlichen Lacheln krauselten. Sparke - gleichgultig, in

* l Faden = ca. 1,80 m
        welcher Stimmung er sich gerade befand - hatte wenig ubrig fur Speichellecker.

«Halten Sie den Mund! Wenn ich Beifall von Ihnen wunsche, dann sage ich das! Scheren Sie sich an Ihre Arbeit, oder ich lasse Balleine seinen Rohrstock an Ihrem fetten Rucken wetzen!»
        Weston fluchtete mit hochrotem Gesicht durch eine Reihe grinsender Seeleute davon.
        Dann sagte Sparke:»Wir wollen Segel kurzen, Mr. Bolitho. Sagen Sie Balleine, er soll klarmachen zum Ankern, falls wir ihn plotzlich fallen lassen mussen. Sehen Sie zu, da? unsere Leute alle bewaffnet sind, und da? der Feuerwerker wei?, was er im Notfall zu tun hat. «Sein Blick fiel auf Stockdale.»Gehen Sie hinunter und ziehen Sie sich etwas von Captain Tracy an; er hatte ungefahr Ihre Figur, scheint mir. Wir werden nicht so dicht herankommen, da? sie den Unterschied merken.»
        Bolitho gab die entsprechenden Anweisungen, erleichtert uber Sparkes plotzliche Ruckkehr zu seinem normalen Ich. Richtig oder falsch, erfolgreich oder nicht, es war besser, man wu?te, mit wem man es zu tun hatte.
        Er fuhr aus seinen Gedanken, als Sparke schnauzte:»Herrgott, mu? ich denn alles selbst machen?»
        Als der Abendschein ihnen zum Land hin folgte, wurde die Fahrt der Faithful langsamer und vorsichtiger. Die Seeleute standen bereit zum Segelbergen oder um den Schoner in den Wind zu drehen, wenn er eine auf der Karte nicht verzeichnete Sandbank beruhren sollte; alle paar Minuten erklang des Lotgasten eintoniges Rufen von der Back und brachte ihnen ihre gefahrliche Situation zum Bewu?tsein.
        Spater, kurz vor Mitternacht, polterte der Anker auf Grund, und
        die Faithful kam wieder einmal zur Ruhe.



        V Viele Arten von Tapferkeit


«Es wird heller, Sir. «Bolitho stand neben dem reglosen Ruder und beobachtete das Wasser rund um den vor Anker liegenden Schoner, bis seine Augen schmerzten.
        Sparke grunzte, sagte aber nichts; er kaute eifrig an einem Stuck Kase.
        Bolitho fuhlte die Spannung, noch verstarkt durch das Gurgeln des Wassers und das Knarren der Spieren. Sie lagen in einer seltsamen, sehr starken Stromung, so da? die Faithful mehrmals vorausscho?, bis die Ankerkette auf und nieder stand. Wenn der Gezeitenhub starker war als im Handbuch angegeben, dann bestand Gefahr, da? sie sich bei Ebbe auf ihren eigenen Ankerflunken aufspie?te.
        Ein weiterer Unterschied zu fruher war das Fehlen von Ordnung und Disziplin an Deck. Uniformen und die vertrauten blauen Jakken der Unteroffiziere waren verschwunden; die Leute lungerten in volliger Gleichgultigkeit gegenuber ihren Offizieren an der Verschanzung herum.
        Lediglich die Marineinfanteristen, zusammengepfercht wie Sardinen in einer Dose, hockten noch im verschlossenen Laderaum und erwarteten das Signal, das vielleicht niemals erfolgen wurde.
        Sparke bemerkte beilaufig:»Selbst dieser Schoner wurde schon ein feines, selbstandiges Kommando abgeben, einen guten Anfang fur jeden ehrgeizigen Offizier.
«Er schnitt sich noch ein Stuck Kase ab und fuhr dann fort:»Sie kommt zunachst zum Prisenhof, aber nachher.»
        Bolitho blickte zur Seite, aber es war nur ein springender Fisch, der seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er mochte nicht an das Nachher denken. Fur Sparke bedeutete es sicherlich Beforderung, vielleicht ein eigenes Kommando, womoglich auf diesem Schoner. Es schien sein ganzes Denken zu beherrschen.
        Und warum schlie?lich nicht? Bolitho verdrangte seinen Neid, so gut es ging.
        Wenn er selbst dem Tod oder einer schweren Verwundung entging, kehrte er bald wieder zuruck in den uberfullten Rumpf der Trojan. Er dachte an Quinn, wie er ihn zum letzten Mal gesehen hatte, und frostelte. Vielleicht war auch seine Kopfverletzung daran schuld. Er griff nach oben und beruhrte vorsichtig die Narbe, als erwartete er, den damaligen Schmerz zu spuren. Seither dachte er mehr an Verwundungen als vor dem Sabelhieb, und er sah auch Quinns klaffende, zerhackte Brust wieder vor sich. Die Moglichkeit einer eigenen Verwundung schien ihm jetzt nahergeruckt, und mit jedem neuen Einsatz wurde dieses Gefuhl starker.
        So lange man so jung war wie Couzens oder Forbes, empfand man den Anblick als genauso schrecklich, doch Schmerz und Tod schienen nur fur andere da zu sein, nicht fur einen selbst. Bolitho wu?te es jetzt besser.
        Stockdale stampfte schweren Schrittes uber das Deck, die Hande auf dem Rucken, den Kopf in Gedanken gesenkt. Im langen blauen Rock wirkte er ganz wie ein Kapitan, besonders wie der eines Freibeuters.
        Metall klirrte im Dunkel, und Sparke fuhr auf.»Stellen Sie den Namen dieses Mannes fest! Ich will absolute Ruhe an Bord!»
        Bolitho blickte zum Gro?mast hinauf und suchte nach dem Wimpel. Der Wind hatte im Lauf der Nacht weiter auf beinahe rechtwe i-send Sud gedreht. Wenn die Korvette an ihrer Position vorbeigesegelt war, um mit dem ersten Morgenlicht zuruckzukehren, wurde sie bei diesem Wind erheblich langer benotigen.
        Eine andere Gestalt stand jetzt am Ruder, ein Seemann namens Moffitt. In Devon geboren, war er als kleiner Junge mit seinem Vater nach Amerika gekommen, um sich in New Hampshire anzusiedeln. Als die Revolution sich dann allmahlich als Krieg entpuppte, hatte sich Moffitts Vater auf der falschen Seite befunden. Als britischer Royalist abgestempelt, war er mit seiner Familie nach Halifax geflohen, und die hart erarbeitete Farm hatten seine neuen Feinde ubernommen. Moffitt selbst, zu dieser Zeit nicht zu Hause, wurde spater ergriffen und in den Dienst der Revolutionare gepre?t, auf eines der ersten amerikanischen Schiffe, das von Newburyport auslief.
        Ihre Kaperfahrten hatten nicht lange gedauert, dann wurden sie von einer britischen Fregatte gejagt und aufgebracht. Fur die Besatzung bedeutete das Gefangenschaft, fur Moffitt jedoch war es eine Gelegenheit, wiederum die Seite zu wechseln, auf seine Art Rache zu nehmen an denen, die seinen Vater ruiniert hatten.
        Jetzt stand er am Ruder und wartete darauf, seine Rolle zu spielen.
        Bolitho horte in der Dunkelheit das herankommende Rauschen von Regen, und dann schuttete es plotzlich, Deck und Segel im Nu uberschwemmend. Er versuchte, die Hande vor dem Taubwerden zu bewahren, zitterte aber am ganzen Korper, teils vor Kalte, teils infolge des angespannten Wartens. Dieser Regen wurde das Hellwerden noch weiter hinauszogern, und ohne Hilfe von au?en hatten sie keinerlei Moglichkeit, die Leute zu finden, die sie gefangennehmen wollten. Die Kuste bestand aus kleinen und gro?eren Buchten, Flu?mundungen, Einfahrten zu winzigen oder auch gro?eren Hafen; hier konnte man ein Fahrzeug bis zur Gro?e eines Linienschiffes muhelos verbergen, wenn man in Kauf nahm, da? es bei Niedrigwasser trockenfiel.
        Aber das Land war schon zu sehen, es lag wie eine gro?e schwarze Platte hinter der bewegten See. Allmahlich wurde es sich in kleine Buchten, Baume, Hugel und dichtes Unterholz gliedern, das bisher nur Indianer oder wilde Tiere durchzogen hatten. Um dieses Dickicht herum, manchmal auch hindurch, manovrierten die beiden Armeen, schickten ihre Seouls aus und ma?en sich gelegentlich in wilden Schlachten, die mit Muskete und Bajonett, Jagdmesser und Degen ausgefochten wurden.
        Was Seeleute auch erdulden mu?ten, ihr Leben war bei weitem besser, entschied Bolitho. Sie trugen ihr Heim jeweils mit sich, es lag an ihnen, was sie daraus machten.

«Ein Boot halt auf uns zu, Sir!»
        Es war Balleine, eine Hand ans Ohr gelegt, was Bolitho an die letzten Augenblicke vor dem Entern des Schoners erinnerte.
        Zunachst sagte Sparke weder etwas, noch bewegte er sich, und Bolitho dachte schon, er habe nichts gehort. Dann zischte er:»Geben Sie die Parole aus: Vorsicht vor Verrat!»
        Als Balleine uber Deck lief, um alle zu mobilisieren, sagte Spar-ke:»Ich hore es auch.»
        Es war ein gleichma?iges Klatschen von Riemen, der laute und anstrengende Schlag gegen eine starke Stromung.
        Bolitho flusterte:»Ein kleines Boot, Sir.»

«Ja.»
        Das Boot kam mit uberraschender Plotzlichkeit in Sicht, gegen des Schoners Bug wie ein Stuck Treibholz. Es war ein kleines, starkes Ruderboot mit flachem Kiel, ein Dory, wie es von den Fischern hier in Tidengewassern benutzt wurde. Soweit zu erkennen, waren funf Mann an Bord.
        Dann war es ebenso plotzlich verschwunden wie es aufgetaucht war, von der Stromung davongetragen, als sei es nur Einbildung gewesen.
        Frowd bemerkte:»Die wollen bestimmt nicht fischen, nicht zu dieser Tageszeit.»
        Uberraschenderweise meinte Sparke beinahe jovial:»Sie wollten uns nur auf die Probe stellen, sehen, wer wir sind. Ein Schiff des Konigs hatte sie mit Kartatschen verjagt, ebenso ein Schmuggler. Ich bin uberzeugt, da? sie hier Tag und Nacht gewartet haben, und das seit Wochen, um ganz sicherzugehen. «Er zeigte grinsend die Zahne im schattigen Gesicht.»Die Burschen sollen etwas erleben, an das sie sich ihr ganzes Leben erinnern!»
        Die Parole wurde langs des Decks weitergegeben, und die Seeleute entspannten sich ein wenig; sie waren von Regen und Kalte ganz steif.
        Wolken fegten uber den Himmel, mitunter gab ein Spalt die Farbe des nahenden Morgens frei, sonst sah man nur graues Wasser, das saftige Grun des Landes, wei?e Schaumkamme und die Schlangenlinien einer starken auflandigen Stromung. Bolitho wu?te aus den vergangenen zwei Jahren, da? hinter dem nachsten Kap, geschutzt gegen die See, Stadte, Siedlungen und einzelne Farmen lagen, die genug mit ihren eigenen Sorgen zu tun hatten und am Krieg keineswegs interessiert waren.
        Bolithos Begeisterung, wieder zur See zu fahren, der Tradition seiner Ahnen gema?, war bald getrubt worden durch bittere Erfahrungen. Viele derer, gegen die er jetzt kampfen mu?te, stammten wie er aus dem Sudwesten Englands, aus Kent, aus Newcastle oder den anderen Kustenstadten, aus Schottland oder aus Wales. Sie hatten dieses neue Land gewahlt, viel riskiert und sich muhsam ein neues Leben aufgebaut. Andere in hoheren Stellungen, tiefverwurzelte Loyalitat oder noch tieferes Mi?trauen hatten dann den Bruch herbeigefuhrt, so plotzlich wie ein Axthieb.
        Die neue Revolutionsregierung hatte den Konig provoziert, das sollte ihm eigentlich genugen. Aber bei ruhiger Uberlegung stieg oft der Wunsch in ihm hoch, da? die Menschen, gegen die er kampfte, die er sterben sah, nicht in seiner Muttersprache, ja haufig in seinem eigenen Dialekt rufen oder schreien mochten.
        Ein paar Mowen umkreisten aufmerksam die unruhigen Masten und lie?en sich dann willig vom Wind landeinwarts zu ergiebigeren Futterplatzen tragen.
        Sparke befahl:»Wechseln Sie die Ausguckposten aus und lassen
        Sie einen Mann auch seewarts Ausschau halten. «In dem heller werdenden Licht wirkte er noch dunner, das nasse Hemd und die Kniehose klebten an seinem mageren Korper und glanzten wie Schlangenhaut.
        Ein winziger Strahl wasserigen Sonnenlichts blinzelte vorsichtig durch die Wolken, das erste, das Bolitho seit Tagen gesehen hatte. Bald wurden von Land aus die Fernglaser auf sie gerichtet sein. Er fragte:»Soll ich das Gro?segel hissen lassen?»

«Ja. «Sparke nestelte an seinem Degengriff.
        Die Seeleute holten keuchend Piek- und Klaufall durch. Vom Regenwasser gequollen, liefen die Trossen nur muhsam durch ihre Blocke, bis sich das nasse Gro?segel endlich lose flappend von seinem Baum erhob, und der rote Flicken im schwachen Sonnenlicht leuchtete.
        Der Schoner ri? und zerrte an der Ankerkette wie ein Pferd, das Zugel und Gebi? erprobt.»Boot an Steuerbord, Sir!»
        Bolitho sah es, anscheinend dasselbe Dory wie vorher. Mit kraftigen Riemenschlagen wurde es durch die Stromung getrieben. Unwahrscheinlich, da? jemand an Bord die Besatzung der Faithful kannte, sonst ware der rote Erkennungsflicken uberflussig gewesen. Der Anblick des Schoners mu?te den Leuten genugen. Bolitho wu?te aus seiner Kindheit, wie die Schmuggler der Cornwallkuste mit der Gezeitenstromung unter Land kamen und oft nur wenige Meter vom wartenden Zollboot entfernt sich mit den Booten verstandigten, haufig nur durch einen kurzen Pfiff.
        Aber irgend jemand wu?te genau Bescheid. Irgendwo zwischen Washingtons Armee und der wachsenden amerikanischen Flotte sa?en die Verbindungsleute, zogen die unsichtbaren Drahte, arrangierten hier ein Rendezvous, knupften dort einen Verrater auf.
        Bolitho beobachtete Stockdale und war von seiner Ruhe beeindruckt, als er jetzt an die Reling ging und zum Vorschiff winkte. Im selben Augenblick schwangen zwei Seeleute ein Drehgeschutz herum.

«Zuruckbleiben dort unten!«befahl der falsche Kapitan mit rauher Stimme.
        Moffitt trat neben ihn und rief durch die trichterformig gehaltenen Hande:»Was wollt ihr von uns?»
        Das Boot dumpelte in der kabbeligen See, die Ruderer beugten sich uber ihre Riemen, der Regen prasselte auf ihre Schultern.
        Der Mann an der Pinne rief zuruck:»Cap'n Tracy?»
        Stockdale hob die Schultern.»Moglich!»
        Sparke sagte leise:»Sie sind nicht mal sicher, seht euch diese bloden Hunde an!»
        Bolitho wandte dem Land den Rucken zu, er meinte fast korpe r-lich die vielen auf sie gerichteten Fernglaser zu spuren, die einen nach dem anderen aufs Korn nahmen.
        Das Boot steuerte jetzt langsam naher heran.»Wo kommt ihr her?»
        Moffitt blickte Sparke an, der kurz nickte. Da schrie Moffitt:»Drau?en kreuzt ein britisches Kriegsschiff! Wir warten nicht mehr lange! Habt ihr denn gar keinen Mumm?»
        Frowd bemerkte:»Das genugt. Jetzt kommen sie.»
        Die Erwahnung der britischen Korvette sowie Moffitts amerikanischer Tonfall hatten offensichtlich mehr bewirkt als der rote Flik-ken.
        Das Dory schor langsseit, und ein Seemann machte die Fangleine fest. Stockdale blickte in das Boot hinunter und sagte dann in einem vollig ungezwungenen Tonfall, den Bolitho noch nie bei ihm gehort hatte:»Sagen Sie Ihrem Anfuhrer, er soll an Bord kommen. Ich bin noch nicht uberzeugt. «Er blickte zu den Offizieren hin, und Bo-litho nickte kurz.
        Sparke zischte:»Haltet ihn auf alle Falle von dem Neunpfunder fern!«Und dann, an Balleine gewandt:»Fangt an mit dem Offnen der Ladeluken.»
        Bolitho sah zu, wie der Mann vom Boot heraufkletterte, und stellte sich das Deck mit dessen Augen gesehen vor. Wenn jetzt etwas schiefging, dann war alles, was sie als Ausbeute vorzuweisen hatten, ein Dory und funf Tote.
        Der Fremde auf dem schwankenden Deck war stammig, aber sehr beweglich fur sein Alter. Er hatte dichtes, graues Haar und Bart, seine Kleidung war so grob zusammengenaht wie die eines Waldlaufers.
        Er musterte Stockdale ruhig und sagte:»Ich bin Elias Haskett. «Dann, nachdem er noch einen Schritt naher getreten war:»Sie sind nicht der Tracy, den ich kenne.
«Es klang nicht herausfordernd, sondern mehr wie eine Feststellung.
        Moffitt erklarte:»Dies ist Kapt'n Stockdale. Wir haben die Faithful auf Kapt'n Tracys Anweisung hin ubernommen. «Er lachelte vielsagend und fuhr dann fort:»Tracy fuhrt jetzt eine ebenso schone Brigg wie sein Bruder.»
        Elias Haskett schien uberzeugt.»Wir haben euch erwartet, aber es war nicht einfach. Die Rotrocke haben ihre Wachen uber das ganze Land verteilt, und das Schiff, von dem ihr gesprochen habt, kreuzt schon seit Wochen vor der Kuste. «Er blickte hinuber zu den anderen, seine Augen blieben einen Moment an Sparke hangen.
        Moffitt warf ein:»Fast alles neue Leute, britische Deserteure. Ihr wi?t ja, wie das geht.»

«Klar. «Haskett wurde geschaftlich.»Bringt ihr gute Ladung?»
        Balleine und ein paar andere hatten die Lukenpersennings abgenommen, und Haskett trat an den Sull, um hinunterzuspahen.
        Bolitho sah die Szene und die Darsteller wechseln, genau wie sie es geubt hatten. Der erste Akt war zu Ende. Jetzt sah er Rowhurst, den Geschutzfuhrer, heranschlendern und sich neben Haskett stellen, die Hand auf seinem Dolch. Ein Zeichen von Mi?trauen, und Haskett war fur immer stumm.
        Bolitho blickte einem Seemann uber die Schulter und versuchte, nicht an die Seesoldaten zu denken, die in einem hastig gezimmerten Verschlag unter dem doppelten Boden zusammengepfercht warteten. Von Deck aus schien es, als sei der Laderaum voller Pulverfasser, aber in Wirklichkeit war es nur eine einzige Schicht, und nur zwei der Fasser waren gefullt. Jetzt brauchte lediglich einer der Soldaten zu niesen, und alles war aus.
        Moffitt kletterte hinunter und bemerkte gelassen:»Ein guter Fang. Wir haben zwei vom Konvoi abgedrangt. Da unten liegen Musketen und Bajonette und auch rund tausend Schu? Neunpfun-dermunition.»
        Bolitho wollte schlucken oder sich rauspern, seine Kehle war wie ausgedorrt. Moffitts Rolle klappte perfekt. Er spielte nicht, er war der pfiffige Maat eines Freibeuters, der genau wu?te, was er wollte.
        Haskett sagte zu Stockdale:»Ich werde das Signal hei?en. Die Boote liegen dort druben versteckt. «Er zeigte vage zum Ufer, wo ein paar Baume mit fast bis aufs Wasser hangenden Zweigen standen. Es konnte der Eingang zu einer kleinen Bucht sein.

«Und was ist mit der britischen Korvette?«Moffitt blickte kurz zu Sparke hinuber.

«Die braucht einen halben Tag bis hierher, und ich habe dort oben ein paar gute Ausgucksposten aufgestellt, von da konnen sie alles ubersehen.»
        Bolitho staunte, als Haskett jetzt geschickt einen kleinen, roten Wimpel ansteckte und am Fockmast hi?te. Er war offensichtlich kein Neuling auf See, wie er auch gekleidet sein mochte.
        Plotzlich horte er den erstaunten Ausruf eines Seemanns und sah, wie sich ein Teil des einen Baumes vom Land loste. Dann stellte er zu seiner Verwunderung fest, da? es ein plumper Kutter mit Loffelbug war, der Mast und Rah mit Zweigen und Stechginster getarnt hatte. Sein schwerer Rumpf wurde jetzt langsam, aber sicher von langen Riemen vorwartsgetrieben. In seinem Kielwasser folgte ein Kutter gleicher Bauart. Sie schienen hollandischen Ursprungs, stammten moglicherweise von deren Inseln in der Karibik.
        Bolitho wu?te, da? Sparke mit nur einem Fahrzeug gerechnet hatte, allenfalls mit einigen kleineren Leichtern oder Ruderbooten. Jeder dieser beiden Kutter jedoch war fast so gro? wie die Faithful selbst, dazu schwer wie ein Sturmbock.
        Moffitt sah Sparkes kurzes Nicken und meinte beilaufig:»Einer ist genug. Die sehen ja aus, als konnten sie ein ganzes Arsenal an Bord nehmen.»
        Haskett nickte.»Stimmt, aber wir haben noch mehr vor, weiter sudlich in Richtung der Chesapeake Bay. Unsere Leute haben dort vor einer Woche eine bewaffnete Brigantine geschnappt, sie sitzt auf Grund, ist aber voller Gewehre und Munition. Einer der Kutter soll ihre Ladung ubernehmen, es ist genug, um eine ganze Armee damit zu bewaffnen!»
        Bolitho wandte sich ab, denn es fiel ihm schwer, weiterhin Spar-kes Gesicht zu sehen. Er konnte dessen Gedanken lesen, sich dessen Angriffsplan ausmalen. Da die Korvette zu weit weg war, um helfend einzugreifen, wurde er den Ruhm fur sich allein beanspruchen.
        Die nachsten Augenblicke waren die schlimmsten, an die Bolitho sich erinnern konnte: das langsame Heranmanovrieren der beiden schweren Kutter mit ihrer seltsamen Tarnung und ihren langen Galeerenriemen. Es mu?ten wohl drei?ig bis vierzig Leute an Bord sein, schatzte er, einige sicherlich Seeleute, der Rest vielleicht ortliche Miliz oder einer von Washingtons Spahtrupps.
        Der Wimpel an der Mastspitze der Faithful hing na? und lustlos herab, und Bolitho sah den ersten der beiden Kutter jetzt mit der Stromung ins offene Wasser triften - nur noch Minuten, und es war zu spat fur ihn, Segel zu setzen und freizukommen.
        Moffitt befahl:»Aufpassen da vorn, nehmt die Leinen wahr!«Wenn er nervos war, so zeigte er es zumindest nicht.
        Ein Seemann rief zuruck: «Aye, aye, Sir!»
        Bolitho erstarrte, obwohl es schlie?lich zu erwarten gewesen war, da? irgendeiner fruher oder spater aus der Rolle fiel. Die schneidige Antwort auf Moffitts Anweisung war nicht der Ton eines Deserteurs oder eines nur notdurftig ausgebildeten Handelsschiffsmatrosen gewesen.
        Haskett fuhr fluchend herum:»Ihr dreckigen Halunken!»
        Der Knall einer Pistole lie? sie alle zusammenfahren; Rufe aus dem langsseits liegenden Dory mischten sich mit dem schrillen Geschrei der aufgeschreckten Seevogel, aber Bolitho starrte nur wie gebannt auf den grauhaarigen Haskett, der zur Reling taumelte, blutigen Schaum vorm Mund, wahrend er seine Hande wie rote Krallen auf den Magen pre?te.
        Sparke senkte die Pistole und befahl:»Drehbassen, Feuer!»
        Wahrend die vier Schwenkgeschutze bellten und das Deck des vorderen Kutters mit heulendem Kartatschenfeuer uberschutteten, rissen Rowhursts Leute die Persenning vom Neunpfunder und wuchteten ihn mit Taljen und Handspaken zur Bordwand.
        Ein paar Schu? kamen vom Kutter zuruck, aber der unerwartete Angriff hatte die von Sparke beabsichtigte Wirkung gebracht. Der Kartatschenhagel war zwischen die Ruderer gefahren und hatte sie niedergemaht, der bis dahin gleichma?ige Schlag der Riemen endete in einem furchterlichen Chaos. Der Kutter, durchlochert wie ein Sieb, trieb quer, wahrend Rowhursts andere Manner bereits mit brennenden Lunten bei den Sechspfundern warteten, die, vorher sorgfaltig mit Kartatschen geladen, ebenfalls klar zum Feuern waren.

«Feuer frei!«Bolitho zog seinen Degen und trat mitten zwischen seine Leute, als diese aus ihrer Erstarrung erwachten. Er zwang sich zur Ruhe. Eine Kugel pfiff ihm am Kopf vorbei, ein Seemann sturzte schreiend und zuckend neben dem toten Elias Haskett zu Boden.
        Sparke lie? sich seine nachgeladene Pistole reichen und bemerkte wie abwesend:»Ich hoffe, Rowhursts Schie?kunste sind so gut wie seine Zoten.»
        Selbst der sonst so sture Rowhurst schien aus seiner Lethargie erwacht zu sein. Er sprang um den Neunpfunder herum und beobachtete zugleich, wie der zweite Kutter Gro?segel und Kluver setzte. Die langen Riemen waren fallen gelassen worden und trieben mit dem Tarnmaterial in der Stromung, als der Wind jetzt die Segel blahte.
        Rowhurst fluchte, weil einer seiner Leute mit einer Stirnwunde zur Seite rollte. Er schrie:»Fertig, Sir!«Dann wartete er, bis die Faithful an ihrer Kette zuruckschwoite, und hielt die Lunte an des Neunpfunders Verschlu?stuck.
        Doppelt geladen, den Rest des Rohres bis zur Mundung mit Blei-und Eisenschrott gefullt, fuhr das Geschutz auf seiner Behelfslafette zuruck wie ein wutendes Tier, dann krachte die Detonation uber die See, der aufsteigende Rauch verstarkte noch die Schreckensszene. Der Mast des Kutters sturzte, ein Gewirr von Takelage und zerfetzten Segeln mit sich rei?end.

«Nachladen! Feuer!»
        Der Schock nach Sparkes Pistolenschu? war bei allen wilder Erregung gewichen. Dies war etwas, das sie verstanden, wofur sie ausgebildet worden waren, Tag fur Tag, in ermudendem, sich immer wiederholendem Drill.
        Wahrend die Drehbassen und die Sechspfunder ihr morderisches Bombardement des ersten Kutters fortsetzten, feuerte Rowhursts Crew Schu? auf Schu? in den anderen, der - inzwischen entmastet - auf eine Sandbank getrieben war. Plotzlich scho? eine gewaltige Feuersaule aus seinem Heck und breitete sich rasch im Wind aus. Das regennasse Holz qualmte, bis es schlie?lich Feuer fing und der Kutter vom Bug bis zum Heck in Flammen stand.
        Durch den Kampfeslarm horte Bolitho D'Esterre rufen:»Los, Feldwebel Shears, lebhaft, sonst gibt es fur uns nichts mehr zu tun!«D'Esterre blinzelte in den dicken Qualm, den der brennende
        Kutter und Rowhursts Neunpfunder verursachten, und sagte:»Verdammt, der kommt ja gleich langsseits!»
        Bolitho sah nun ebenfalls, da? der erste Kutter wie betrunken auf den Bug der Faithful zuschwankte. Auf seinem Deck waren jetzt mehr Leute zu sehen, aber auch viele, die sich nie mehr bewegen wurden. Blut lief in Bachen aus den Speigatten und zeugte von der Verheerung, die Kartatschen und Kettenkugeln angerichtet hatten.

«Seesoldaten, vorwarts!»
        Wie Marionetten marschierten sie zur Reling, die langen Musketen im Anschlag.

«Legt an!«Shears wartete und ignorierte die Kugeln, die an ihnen vorbeipfiffen oder klatschend ins Holz schlugen. »Feuer!»
        Bolitho sah, wie die schon im Bug des Kutters klar zum Entern versammelten Leute schwankten und dann durcheinanderfielen, als die wohlgezielte Salve zwischen ihnen einschlug.
        Shears zeigte keinerlei Bewegung, wahrend er seinen Stab hochhielt und die Ladestocke der Soldaten sich im Takt hoben und senkten.

«Richten! Feuer!»
        Die Salve fiel zusammen mit der Kollision der beiden Schiffe, ri? aber wiederum eine gro?e Lucke in die Gruppe der wutend schreienden Manner, die jetzt Entermesser schwingend, an Bord kletterten oder auf die Mannschaft des Neunpfunders feuerten.
        Sparke schrie:»Sto?t zu, verdammt!»
        Feldwebel Shears kommandierte:»Bajonett, pflanzt auf!«Dann beobachtete er d'Esterres hocherhobenen Sabel.»Soldaten, vorwarts!»
        Die Marineinfanteristen ruckten gleichma?ig vor, Schulter an Schulter, eine lebende rote Mauer; sie schnitten die Enterer von den Geschutzmannschaften ab, von ihrem eigenen Schiff und von jeglicher Hoffnung.
        Plotzlich sah Bolitho jemanden sich geschickt unter den Bajonetten ducken und blitzschnell nach achtern laufen, ein Messer vor sich haltend wie einen Schild.
        Bolitho hob seinen Degen. Als er jedoch erkannte, da? es sich um einen Knaben handelte, rief er:»Ergib dich!»
        Aber der Junge lief weiter auf ihn zu, heulte dann auf vor Schmerz und Enttauschung, als Bolitho ihm mit einem flachen
        Hieb das Messer aus der Hand schlug, das in hohem Bogen an Deck fiel. Selbst dann noch versuchte er, Bolitho mit blo?en Handen anzugreifen, schluchzend und geblendet von Wut und Tranen.
        Stockdale schlug ihn schlie?lich mit dem flachen Entermesser auf den Kopf, worauf er bewu?tlos zusammenbrach.
        Sparke kommandierte:»Feuer einstellen!«Dann ging er an d'Esterre vorbei und musterte die ubriggebliebenen Angreifer mit kalten Blicken. Es waren nicht mehr viele. Der Rest, getotet oder verwundet von der geschlossenen Reihe der Bajonette, lag herum wie erschopfte Statisten.
        Bolitho steckte den Degen in die Scheide. Ihm war ubel, und seine Narbe schmerzte.
        Die Toten sind immer ohne Wurde, dachte er, was auch Anla? des Kampfes und wie gro? auch der Sieg sein mag.
        Sparke befahl:»Macht den Kutter fest! Mr. Libby, Sie ubernehmen ihn! Balleine, lassen Sie diese Rebellen bewachen!»
        Frowd kam nach achtern und meldete:»Wir haben drei Mann verloren, Sir, und zwei Verwundete, die aber mit etwas Gluck durchkommen werden.»
        Sparke ubergab einem Seeman seine Pistole.»Da sehen Sie, Mr. Bolitho, was wir erreicht haben!»
        Bolitho blickte sich um. Zuerst sah er das geschwarzte Gerippe des zweiten Kutters, vollig ausgebrannt und wild qualmend, umgeben von verstreuten Wrackteilen. Der gro?te Teil der Besatzung war entweder unter Rowhursts Beschu? gefallen oder von der starken Stromung fortgerissen worden. Wenige Seeleute konnen schwimmen, dachte er grimmig.
        Langsseits und daher besser zu ubersehen, bot der andere Kutter einen womoglich noch schrecklicheren Anblick: Leichen und gro?e Blutflecken uberall; Bolitho sah Fahnrich Libby mit seiner Handvoll Leute sich muhsam einen Weg uber Deck bahnen, das Gesicht verzerrt im Grauen vor dem, was er noch alles erblicken wurde.
        Sparke bemerkte:»Rumpf und Takelage sind intakt, sehen Sie das? Zwei Prisen in einer Woche! Das wird neidische Blicke geben, wenn wir in Sandy Hook einlaufen!«Er gestikulierte wutend zu dem unglucklich dreinschauenden Libby hinuber.»Um Gottes willen, Sir, bewegen Sie sich, und werfen Sie diesen Schmutz uber
        Bord! Ich will in einer Stunde Anker lichten und Segel setzen, verdammt noch mal!»
        Hauptmann d'Esterre sagte:»Ich schicke ein paar meiner Soldaten hinuber, um ihm zu helfen.»
        Sparke starrte ihn an.»Das werden Sie nicht tun, Sir! Dieser junge Gentleman mochte Leutnant werden, und wenn die Personalknappheit in der Flotte so anhalt, wird er es auch bald schaffen. Also mu? er lernen, da? dazu mehr gehort als eine Uniform!«Er winkte dem Steuermannsmaaten.»Kommen Sie mit nach unten, Mr. Frowd. Ich brauche den Kurs zur Chesapeake Bay. Die genaue Position der Brigantine werde ich schon noch herausbekommen.»
        Sie verschwanden beide unter Deck, und d'Esterre sagte:»Was fur ein ekelerregendes, selbstgefalliges Gehabe!»
        Bolitho sah die erste Leiche uber Bord fliegen und trage mit der Stromung vorbeitreiben, als sei sie glucklich daruber, von all dem befreit zu sein.
        Er sagte bitter:»Ich dachte, du hast dich nach Arbeit gesehnt?»
        D'Esterre packte ihn an der Schulter.»Aye, Dick, ich tue meine Pflicht wie jeder andere. Aber wenn du mich einmal so hamisch und schadenfroh erlebst wie unseren energischen Zweiten Offizier, kannst du mich ruhig uber den Haufen schie?en.»
        Der Junge, der von Stockdale bewu?tlos geschlagen worden war, kam langsam wieder auf die Beine. Von einigen Seeleuten gestutzt, rieb er sich den Kopf und schluchzte in sich hinein. Als er Stockda-le sah, versuchte er, nach ihm zu treten, aber Moffitt fing ihn muhelos ab und druckte ihn gegen die Bordwand.

«Er hatte dich auch umbringen konnen«, sagte Bolitho.
        Schluchzend stie? der Junge hervor:»Wenn er's nur getan hatte! Die Briten haben meinen Vater umgebracht, als sie Norfolk brandschatzten! Ich habe geschworen, ihn zu rachen!»
        Moffitt antwortete grob:»Und deine Leute haben meinen kleinen Bruder geteert und gefedert. Er wurde blind dadurch!«Er stie? den Burschen zu den wartenden Marineinfanteristen.»Damit sind wir quitt.»
        Bolitho nickte Moffitt zu.»Tut mir leid. Das mit Ihrem Bruder wu?te ich nicht.»
        Moffitt zitterte heftig, jetzt da alles voruber war.»Oh, es gibt noch mehr, Sir, eine ganze Menge mehr!»
        Frowd erschien wieder an Deck und ging an dem schluchzenden Gefangenen vorbei.»Ich hatte gehofft, unser Tagwerk sei erst einmal geschafft, wenigstens fur heute, Sir.

        Er warf einen Blick auf den langsseits liegenden Kutter, wo die Leute mit Putz und Besen die Blutflecken von dem verschrammten und durchlocherten Deck spulten.

«Ihr Name ist Thrush, wie ich sehe. «Sein geschultes Auge bestatigte Bolithos Vermutung:»In Holland gebaut. Und ein handliches Fahrzeug. Kann noch hoher an den Wind gehen als unser Schoner.»
        Midshipman Weston lungerte in der Nahe herum, sein Gesicht war so rot wie sein Haar. Wahrend des kurzen Gefechtes hatte er wacker mitgeschrien, sich aber zuruckgezogen, als die Rebellen ihren verzweifelten Angriff starteten.
        Frowd fuhr besorgt fort:»Ich wollte, die Korvette wurde zu uns sto?en. Mr. Sparke hat den Namen der Bucht erfahren, wo die Brigantine auf Grund sitzt. Ich kenne die Gegend, wenn auch nicht sehr gut.»

«Wie hat er das herausgekriegt?»
        Frowd trat an die Reling und spuckte uber Bord.»Mit Geld, Sir. In jeder Crew gibt es einen Verrater, wenn der Lohn hoch genug ist.»
        Doch Bolitho fuhlte sich erleichtert. Er hatte befurchtet, da? Sparke in seinem ubertriebenen Eifer rauhere Methoden angewendet hatte. Sein Gesicht, als er Elias Haskett erscho?, war nahezu unmenschlich gewesen.
        Wieviele wurden sich noch als Sparkes entpuppen? uberlegte er.
        Bei stetigem Wind begannen sowohl der Schoner als auch der Kutter, Segel zu setzen und sich ihren Weg aus den Sandbanken zu suchen, wahrend die Rauchwolke des ausgebrannten Wracks ihnen wie ein boses Zeichen folgte.
        Verkohlte Trummer und starre Leichen wurden von den beiden Schiffen beiseite geschoben, als diese nun mit vollen Segeln aus der Bucht steuerten.
        Sparke kam an Deck und beobachtete durchs Glas, wie Fahnrich Libby, tatkraftig unterstutzt von Balleine und ein paar Seeleuten, auf der Thrush zurechtkam.»Setzen Sie unsere eigene Flagge, Mr. Bolitho, und sehen Sie zu, da? Mr. Libby unserem Beispiel folgt.»
        Spater, als beide Fahrzeuge dichtauf durch die kabbelige See stampften, spurte Bolitho das tiefere Wasser unter dem Kiel und war - nicht zum ersten Male - froh, endlich das Land hinter sich zu lassen und wieder auf offener See zu sein.
        Von dem Treffpunkt, wo sie ihren blutigen Sieg errungen hatten, bis zu der kleinen Bucht nordlich von Cape Charles, das bei der Einfahrt in die Chesapeake Bay als Ansteuerungspunkt diente, waren es etwa hundert Seemeilen.
        Sparke hatte auf gunstigeren Wind gehofft, wurde jedoch enttauscht, denn er frischte mehr und mehr auf und wehte genau daher, wo sie hinwollten.
        Beide Schiffe kreuzten in Sichtweite voneinander, aber jede ersegelte Distanz brachte ihnen bestenfalls ein Viertel der Strecke in der gewunschten Richtung ein.
        Sooft Sparke auch an Deck kam, er verriet keinerlei Arger oder Ungeduld. Stets jedoch betrachtete er die Thrush durch sein Glas und warf dann einen Blick nach oben auf die am Mast wehende Flagge. Bolitho hatte bereits die Leute flustern gehort, Sparke habe sich selbst zum Admiral seines eigenen Geschwaders ernannt.
        Das Wetter und die standigen Anstrengungen des Kreuzens hatten Spannung und Bitterkeit aus Bolithos Gedanken weitgehend verscheucht. Schlie?lich war das Ganze ein gro?er Erfolg gewesen, das lie? sich nicht leugnen: ein Schiff gekapert, ein anderes zerstort, der gro?te Teil der feindlichen Krafte vernichtet. Waren die Plane fehlgeschlagen und sie selbst in eine Falle gegangen, so hatte ihnen der Feind sicherlich ebensowenig Erbarmen gezeigt. Sobald erst einmal beide Kutterbesatzungen an Bord des Schoners gewesen waren, hatten sie Sparkes Widerstand mit ihrer Ubermacht gebrochen, bevor der Neunpfunder den Kampf zu ihren Gunsten hatte wenden konnen.
        Es dauerte drei Tage, bis sie das vermutliche Versteck der Brigantine erreichten. Die zerkluftete Kuste, die sich sudwarts bis zum Eingang der Chesapeake Bay erstreckte, war womoglich noch tuk-kischer als das Gebiet, das sie gerade verlassen hatten. Manches Kustenschiff und mancher Tiefwassersegler waren dort gestrandet bei dem Versuch, trotz unsichtigen Wetters die enge Einfahrt zu finden. Einmal in der Bucht, war Raum genug fur eine ganze Flotte, aber die Einfahrt war schwierig, wie Bunce oft genug verkundet hatte.
        Wieder einmal war der dustere Moffitt derjenige, der sich erbot, an Land zu gehen und die Gegend zu erkunden.
        Das Beiboot der Faithful hatte ihn in die Bucht gebracht, wahrend beide Schiffe so dicht wie moglich unter Land vor Anker lagen. Die Wachen waren verstarkt worden und auf jeden nachtlichen Uberraschungsangriff gefa?t.
        Bolitho hatte fast erwartet, da? Moffitt nicht mehr zuruckkehren, sondern sich mit seiner Familie treffen und an Land bleiben wurde, da er bereits genug fur die Englander getan hatte.
        Aber funf Stunden nachdem das Boot ihn in einer kleinen Bucht abgesetzt hatte und vor dem Strand auf seine Ruckkehr wartete, erschien er am Ufer und watete durch die Brandung, voll Eifer, seine Meldung zu erstatten.
        Es war kein Gerucht: Die Brigantine lag tatsachlich in der nachsten Bucht auf Strand, genau wie Sparkes Informant berichtet hatte. Moffitt wu?te sogar ihren Namen, sie hie? Minstrel, und er hielt sie fur so schwer beschadigt, da? nicht einmal erfahrene Bergungsmannschaften sie wieder flottmachen konnten.
        Er hatte in der Nahe einige Lichter gesehen und ware fast uber einen schlafenden Wachtposten gestolpert.
        Sparke au?erte anerkennend:»Ich werde dafur sorgen, da? Ihre Leistung belohnt wird, Moffitt. «Mit bewegter Stimme fugte er hinzu:»Das ist die Tapferkeit, die unser Land gro? erhalten wird.»
        Er lie? Moffitt ein gro?es Glas Rum reichen und rief dann seine Offiziere sowie die alteren Unteroffiziere zusammen. In der winzigen Kajute des Schoners war kaum genug Platz zum Atmen, aber sie verga?en alle Unbequemlichkeit, als Sparke barschen Tones sagte:»Angriff im Morgengrauen! Wir nehmen unser eigenes Boot und das der Thrush. Alles klar?«Er blickte fragend in die Runde.»D'Esterre, Sie werden mit Ihrer Truppe noch im Schutz der Dunkelheit landen und oberhalb der Bucht Stellung beziehen. Dort bleiben Sie als Flanken- und notfalls als Ruckendeckung, wenn etwas schiefgehen sollte.»
        Sparke blickte auf die grobe Skizze nieder, die Moffitt fur ihn angefertigt hatte.

«Ich fuhre naturlich das erste Boot, Mr. Libby folgt mit dem zweiten. «Er musterte Bolitho.»Sie ubernehmen das Kommando auf der Thrush, segeln Sie in die Bucht und nehmen die Ladung der
        Brigantine an Bord, sobald ich jeden Widerstand gebrochen habe, den wir dort moglicherweise antreffen. Die Seesoldaten rucken hangabwarts und unterstutzen uns von der Landseite her. «Er klatschte in die Hande.»Alles klar?»
        D'Esterre sagte:»Ich wurde mich jetzt gern entschuldigen und meine Leute vorbereiten, Sir.»

«Ja, ich brauche die Boote bald. «Er blickte Bolitho an.»Sie wollten etwas sagen?»

«Hundert Meilen in drei Tagen, Sir, und ein weiterer halber Tag bis zum Morgen. Ich bezweifle, da? wir sie uberraschen konnen.»

«Sie wollen es doch hoffentlich nicht Mr. Frowd nachtun? Eine echte Kassandra!»
        Bolitho schwieg. Es war sinnlos, mit Sparke zu argumentieren; mit den Infanteristen als Ruckendeckung konnten sie sich andererseits jederzeit zuruckziehen, wenn sich das Ganze als Falle erweisen sollte.
        Sparke sagte abschlie?end:»Also ist alles klar. Gut. Mr. Frowd wird wahrend unserer Abwesenheit hier das Kommando ubernehmen, und der Neunpfunder ist mehr als ausreichend, um etwaige wirrkopfige Angreifer abzuschlagen!»
        Fahnrich Weston leckte sich die trocken gewordenen Lippen; auf seiner Stirn glitzerten Schwei?perlen.»Und was soll ich tun, Sir?»
        Sparke lachelte dunn.»Sie gehen mit dem Vierten Offizier. Tun Sie, was er sagt, werden Sie etwas lernen. Tun Sie nicht, was er sagt, so konnten Sie tot sein, bevor Sie Gelegenheit haben, sich weiter den Wanst vollzuschlagen!»
        Sie stiegen an Deck, uber dem ein paar blasse Sterne zu ihrer Begru?ung erschienen waren.
        Moffitt meldete sich bei Hauptmann d'Esterre.»Ich bin bereit, Sir, Ihnen den Weg zu zeigen.»
        Der Hauptmann nickte.»Sie gieren ja geradezu nach Strapazen. Aber fuhren Sie uns, in Gottes Namen.»
        Die Boote fullten sich bereits mit Marineinfanteristen. Beide wurden fur die nachste Zeit in standigem Einsatz sein, somit stand der Faithful nur das gekaperte Dory zur Verfugung.
        Stockdale wartete an der Reling, seine wei?en Hosenbeine flatterten im Wind wie kleine Segel. Er krachzte:»Ich bin froh, da? Sie diesmal nicht mitgehen, Sir.»
        Bolitho fuhr zusammen.»Warum sagen Sie das?»

«Eine Ahnung, Sir, nur so eine Ahnung. Mir wird erst wohler, wenn wir hier weg sind, wieder auf See bei der richtigen Marine.»
        Nachdenklich sah Bolitho zu, wie die Boote ablegten, in denen die Kreuzgurte der Soldaten wei? uber dem dunklen Wasser aufleuchteten.
        Das Dumme war, da? Stockdales» Ahnungen«, wie er sie nannte, sich hinterher meist als wahr erwiesen.
        Bolitho schritt ruhelos um die Ruderpinne der Thrush herum und war sich der Stille bewu?t, der Spannung, die uber beiden Schiffen lag.
        Der Wind kam zwar noch aus derselben Richtung, wurde aber von Minute zu Minute schwacher, warmere Luft loste die Kalte der Nacht ab, hin und wieder drang sogar ein Sonnenstrahl durch die Wolken.
        Er richtete sein Glas auf den nachstgelegenen Hang und sah zwei winzige, scharlachrote Figuren zwischen dem verfilzten Stechginster. D'Esterres Seesoldaten befanden sich also in Position, Wachen waren aufgestellt. Sie mu?ten von dort gute Sicht auf den kleinen Strand haben, von dem vom Deck der Thrush aus nichts zu sehen war als umgesturzte, vermodernde Baumstamme und die Wirbel einer starken Stromung zwischen Felsen.
        Bolitho horte, wie Midshipman Weston mit einigen Seeleuten die brauchbaren Riemen aus der Menge der zerschossenen heraussuchte. Dann horte er ihn wurgen, vermutlich war er auf irgendwelche grauenvollen Uberreste gesto?en, die Libbys Leute ubersehen hatten.
        Stockdale gesellte sich zu ihm, das Gesicht schwarz von Schmutz und Bartstoppeln.

«Sollten jetzt eigentlich angekommen sein, Sir. Aber es ist kein Schu? noch sonstwas zu horen.»
        Bolitho nickte. Es bedruckte ihn, da? der Wind immer mehr abflaute und rasche Manover unmoglich machte. Wenn sie schnell weg mu?ten, konnten sie sich nur auf die Riemen verlassen, und je mehr Zeit dabei verstrich, desto gro?er war die Erfolgschance der Angreifer.
        Er verfluchte Sparkes Eifer, seine starrsinnige Entschlossenheit, alles allein zu machen. Jeden Augenblick konnte eine Fregatte vorbeikommen, die ihnen beim Entladen hatte helfen konnen, nur hatte er dann den Ruhm des Sieges teilen mussen.
        Schlie?lich befahl Bolitho:»Macht das Dory klar, ich fahre hinuber. «Er deutete auf die beiden roten Tupfen am Hang.»Es ist kein Risiko dabei.»
        Fahnrich Weston stapfte uber das Deck, seine plumpen Fu?e verfingen sich in den hochstehenden Splittern der zerschossenen Planken.
        Bolitho befahl ihm:»Sie ubernehmen hier das Kommando. «Beinahe konnte er Westons Angst riechen.»Ich bleibe die ganze Zeit in Sichtweite.»
        Stockdale und zwei Seeleute waren bereits in das Dory geklettert, froh daruber, etwas tun zu konnen oder der Statte des kurzlichen Gemetzels zu entfliehen.
        Als Bolitho den winzigen Sandstrand betrat, der kaum gro?er war als das Boot, tat es ihm gut, die Pflanzen zu riechen, die Vogel und sonstiges kleines Getier zu horen. Es war Balsam nach so langer
        Zeit.
        Plotzlich rief ein Seemann:»Dort, Sir! Mr. Libbys Boot!«Bolitho sah des Fahnrichs Kopf und Schulter, bevor er noch das Klatschen der Riemen horte.»Hierher!»
        Libby winkte mit seinem Hut, ein Grinsen der Erleichterung trat auf sein gebrauntes Gesicht.
        Er rief:»Mr. Sparke la?t Ihnen sagen, Sie sollen den Kutter herbringen, Sir! Es sind keinerlei Feinde am Ufer, er meint, sie seien alle geflohen, als sie die Schiffe sahen!»
        Bolitho fragte:»Was macht er jetzt?»

«Er geht gerade an Bord der Brigantine, Sir. Ein hubsches kleines Schiff, aber durchlochert wie ein Sieb.»
        Sparke wollte wahrscheinlich uberprufen, ob es nicht doch eine Moglichkeit gab, sie samt Ladung seinem Geschwader einzuverleiben.
        Fu?e rutschten den Abhang hinab. Bolitho fuhr herum und sah Moffitt, gefolgt von einem Marineinfanteristen, stolpernd und strauchelnd auf ihn zusturzen.

«Was ist los, Moffitt?«Die Angst starrte dem Mann aus dem Gesicht.»Sir!«Er bekam die Worte kaum heraus.»Wir haben versucht, Mr. Sparke ein Zeichen zu geben, aber er hat uns nicht gesehen. «Er gestikulierte wild.»Diese Teufel haben eine Zundschnur angesteckt, ich kann den Rauch sehen! Sie wollen die Brigantine in die Luft sprengen, mussen uns erwartet haben!»
        Libby blickte voll Entsetzen hinuber.»Klar bei Riemen! Wir fahren zuruck!»
        Bolitho rannte ins Wasser, um ihn zuruckzuhalten, aber wahrend er noch sprach, schienen Himmel und Erde in einer einzigen, ungeheuren Detonation auseinanderzubersten.
        Die Leute im Boot duckten sich und hielten den Atem an, wahrend rings um sie Bruchstucke von Planken und Takelage herunterprasselten und sich die Wasserflache mit gro?en und kleinen Geysiren schmuckte. Dann kam der gewaltige Rauchpilz, der die ganze Bucht fullte, bis das Sonnenlicht vollig verdunkelt war.
        Bolitho tastete sich zum Dory; seine Ohren, sein ganzer Kopf drohnten von dem betaubenden Larm der Detonation.
        Marineinfanteristen stolperten den Hang hinab und warteten, bis Libbys Leute sich so weit gefangen hatten, da? sie imstande waren, das Boot zu der kleinen Bucht zu rudern.
        Aber alles, was Bolitho sehen konnte, war Sparkes Gesicht, als er seinen letzten Plan erklart hatte. Auch er hatte eine Art von Tapferkeit besessen. Aber ihn hatte sie nicht erhalten.
        Bolitho nahm sich zusammen, als d'Esterre und sein Feldwebel mit zwei Schutzen auf ihn zukamen. Er meinte Sparkes scharfe Stimme an Bord des Schoners zu horen, als der Schock nach dem Kampf sie zu lahmen begonnen hatte: «Sie blicken auf uns, also wollen wir unser Mitleid fur spater aufheben.»
        Es hatte seine Grabinschrift sein konnen.
        Bolitho sagte heiser:»Die Soldaten sollen so rasch wie moglich ubersetzen. «Dann wandte er sich von dem beizenden Gestank nach brennendem Holz und Teer ab.»Wir lichten sofort Anker.»
        D'Esterre betrachtete ihn seltsam.»Ein paar Minuten spater, und es hatte Libbys Boot sein konnen. Oder deines!»
        Bolitho begegnete seinem Blick:»Wir werden wahrscheinlich nicht viel Zeit haben; also wollen wir uns beeilen, ja?»
        D'Esterre beobachtete, wie die letzte Gruppe seiner Soldaten antrat, um auf die Ruckkehr des Bootes zu warten. Er sah Bolitho und Stockdale aus dem Dory an Bord der Faithful klettern, sah, wie
        Frowd uber das Deck zu ihnen hinlief.
        D'Esterre war schon in zu vielen Gefechten der verschiedensten Art gewesen, um langere Zeit von dem Geschehen beeindruckt zu sein. Aber diesmal war es anders. Er dachte an Bolithos Gesicht unter dem dunklen Haar, als er seine ganze Kraft zusammennahm, um seine Gefuhle zu verbergen.
        An Dienstjahren mochte Bolitho junger sein, aber d'Esterre hatte in diesem Augenblick gefuhlt, da? er seinem neuen Vorgesetzten gegenuberstand.



        VI Eines Leutnants Pflichten

        Neil Cairns blickte von seinem kleinen Klapptisch auf, als jemand an die Tur seiner Kammer klopfte.»Herein!»
        Bolitho trat ein, den Hut unterm Arm, das Gesicht von Mudigkeit gezeichnet.
        Cairns wies auf den einzigen anderen Stuhl im Raum.»Nehmen Sie die Bucher herunter und setzen Sie sich, Mann!«Er tastete zwischen Papierstapeln, Listen und gekritzelten Notizen herum und fugte hinzu:»Hier sollten eigentlich ein paar Glaser stehen. Sie sehen aus, als mu?ten Sie sofort etwas trinken. Ich brauche auf jeden Fall einen Schluck. Sollte Ihnen jemand mal den Posten eines Ersten Offiziers anbieten, so jagen Sie ihn zum Teufel!»
        Bolitho setzte sich und lockerte sein Halstuch. Nach dem stundenlangen Marsch kreuz und quer durch New York und der endlosen Bootsfahrt durch den Hafen fuhlte er sich verschwitzt und erschopft und geno? die Andeutung einer kuhlen Brise in der Kammer. Er war an Land geschickt worden, um neue Leute aufzutreiben, als Ersatz fur die auf der Faithful Gefallenen und Verwundeten, sowie fur Sparkes Leute, die mit der Brigantine in die Luft geflogen waren. Das alles schien ihm jetzt wie ein verschwommener, boser Traum. Es war erst drei Monate her, doch schon konnte er sich kaum noch an die richtige Reihenfolge der Ereignisse erinnern. Auch das Wetter machte das Ganze so verworren. Damals war es kalt und sturmisch gewesen, die See rauh bis zum Aufkommen des Nebels, der wie durch ein Wunder rechtzeitig erschienen war. Jetzt herrschte druckende Hitze, die Sonne brannte erbarmungslos, und von Wind keine Spur. Der Rumpf der Trojan knarrte vor Trockenheit, das Pech in den Decksnahten glanzte feucht, klebte an den Schuhsohlen und an den nackten Fu?en der Seeleute.
        Cairns betrachtete Bolitho nachdenklich und stellte fest, da? er sich erheblich verandert hatte. Er war mit den beiden Prisen als ein anderer Mann nach New York zuruckgekehrt. Irgendwie schien er reifer, und ihm fehlte der jugendliche Optimismus, der ihn fruher ausgezeichnet hatte.
        Die Ereignisse, die ihn so verandert hatten, vor allem Sparkes schrecklicher Tod, waren selbst am Kommandanten nicht spurlos vorubergegangen.
        Cairns fand die Glaser und sagte:»Rotwein, Dick, und warm, aber besser als nichts. Ich habe ihn bei einem Handler an Land gekauft.»
        Bolitho neigte den Kopf, die Locke klebte an seiner Stirn und verbarg die schreckliche Narbe. Trotz des Dienstes in diesen Gewassern war er bla?, und das Grau seiner Augen wirkte wie der Winter, den sie gerade hinter sich gebracht hatten.
        Bolitho merkte, da? er beobachtet wurde, aber das war er schon gewohnt. Wenn er sich verandert hatte, so auch seine Umgebung mit ihm. Durch Sparkes Tod waren die Offiziere eine Sprosse der Beforderungsleiter hohergestiegen. Bolitho war jetzt Dritter Offizier, und der am unteren Ende freigewordene Posten war von Libby besetzt worden. Dieser war also jetzt Sechster Offizier der Trojan, unter dem Vorbehalt, da? er spater sein Examen bestand. Der Altersunterschied zwischen dem Kommandanten und seinen Offizieren war jetzt erheblich. Bolitho wurde im Oktober erst einundzwanzig, die anderen waren noch junger, Libby sogar erst siebzehn.
        Dies war ein allgemein geubtes System an Bord der gro?eren Schiffe, aber Bolitho fand wenig Trost in seiner Beforderung; allerdings hielten die neuen Aufgaben ihn standig in Atem und drangten somit die bosen Erinnerungen in den Hintergrund.
        Cairns sagte unvermittelt:»Der Captain mochte, da? Sie ihn heute abend auf das Flaggschiff begleiten. Der Admiral halt Hof. Es wird erwartet, da? die Kommandanten ein oder zwei Adjutanten mitbringen. «Er schenkte nach, sein Gesicht blieb unbeteiligt.»Ich habe zu arbeiten, mu? die verdammten Proviantlisten fertigmachen.
        Au?erdem liegt mir nicht viel an leerem Geschwatz, besonders jetzt, da die ganze Welt auseinanderbricht.»
        Er au?erte das so bitter, da? Bolitho unwillkurlich fragte:»Bedruckt Sie etwas Besonderes?»
        Cairns zeigte sein seltenes Lacheln.»Alles! Ich bin krank vor Untatigkeit. Listen schreiben, neues Tauwerk oder neue Spieren anfordern, wahrend alles, was diese Halsabschneider an Land von einem wollen, nichts anderes ist als Geld und nochmals Geld.»
        Bolitho dachte an die beiden Prisen, die er nach New York gesegelt hatte. Sie waren zum Prisenhof geschafft, verkauft und wieder in Dienst gestellt worden, beinahe schneller, als des Konigs Flagge an Bord gehi?t werden konnte.
        Nicht ein einziger von den Leuten der Trojan wurde auf die Prisen versetzt; der Offizier, der das Kommando uber die Faithful erhielt, war erst vor ein paar Wochen aus England gekommen. Es war unfair, gelinde ausgedruckt, und offensichtlich eine Enttauschung fur Cairns. In achtzehn Monaten wurde er drei?ig. Der Krieg konnte bis dahin voruber sein, dann wurde er mit Halbsold an Land geschickt: keine erfreuliche Aussicht fur einen Mann, der mittellos und nur auf seinen Sold angewiesen war.

«Jedenfalls«, Cairns lehnte sich zuruck und blickte Bolitho an,»hat der Captain klar zum Ausdruck gebracht, da? er lieber Sie als Begleiter beim Admiral haben will als unseren Zechbruder, den Zweiten Offizier!»
        Bolitho lachelte. Es war erstaunlich, da? Probyn sich noch immer halten konnte. Gewi?, er hatte Gluck, da? die Trojan nach ihrer Ruckkehr kaum wieder auf See gewesen war. Zwei kurze Patrouillen zur Unterstutzung der Armee und, mit dem Flaggschiff zusammen, eine Schie?ubung in Sichtweite von New York, das war alles. Denn noch ein paar heftige Sturme auf See, und Probyns Schwache ware offenbar geworden.
        Bolitho stand auf.»Dann ist es wohl besser, wenn ich mich jetzt umziehe.»
        Cairns nickte.»Sie sollen sich am Ende der ersten Hundewache* beim Kommandanten melden. Er ist zur Zeit nicht in Stimmung, auch nur die kleinste Nachlassigkeit durchzulassen, das kann ich Ihnen versichern.»

*Sechs Uhr nachmittags
        Punktlich um vier Glasen trat Kapitan zur See Pears aus der Kajutstur, in gro?er Uniform, den Degen an der Seite. Das glitzernde Gold auf dunkelblauem Grund und die wei?e Kniehose lie?en ihn junger und gro?er erscheinen.
        Bolitho, ebenfalls in seiner besten Uniform, den Degen statt des im Alltag ublichen Dolches am Gurtel, erwartete ihn am Fallreep.
        Er hatte Boot und Besatzung bereits inspiziert und alles in Ordnung befunden. Es war ein prachtiges Boot, dunkelrot mit wei?em Dollbord, der Name Trojan leuchtete in Goldbuchstaben am Bug, die Hecksitze waren mit roten Kissen ausgelegt. Die Crew in rotwei? karierten Hemden und schwarzen Huten hielt die Riemen hoch, genau ausgerichtet in zwei schnurgeraden Reihen. Gut genug fur einen Kaiser, dachte Bolitho.
        Cairns eilte herbei und sagte etwas zum Kommandanten, was Bo-litho nicht verstand. Da jedoch Molesworth, der nervose Zahlmeister, ebenfalls in der Nahe des Fallreeps wartete, nahm er an, da? Cairns an Land fahren wollte, um den Handel mit dem Proviantlager abzuschlie?en.
        Hauptmann d'Esterre musterte kurz seine Wache und kommandierte:»Prasentiert das Gewehr!»
        Die aufgepflanzten Bajonette der hochschnellenden Musketen beruhrten mit ihren Spitzen fast das Sonnensegel, und Bolitho sah im Geiste wieder die Marineinfanteristen vor sich, wie sie mit derselben Prazision die Enterer auf der Faithful niedergemaht hatten.
        Pears schien Bolitho zum ersten Mal zu sehen.»Ah, Sie sind es. «Er lie? den Blick uber Bolithos Erscheinung wandern, uber den neuen Hut, den frischgebugelten Rock mit leuchtend wei?en Aufschlagen, und sagte anerkennend:»Ich dachte, ich hatte einen neuen Offizier an Bord.»
        Bolitho lachelte.»Danke, Sir.»
        Pears nickte ihm zu.»Weitermachen!»
        Bolitho lief die Fallreepstreppe hinunter zum Boot, wo Hogg, der stammige Bootssteurer, bereitstand, den Hut unterm Arm.
        Die Bootsmannsmaatenpfeifen trillerten, dann bekam das Boot unter Pears Gewicht Schlagseite, als er an Bord stieg und zum Hecksitz balancierte.»Absetzen! Riemen bei!«Hogg war sich der beobachtenden Fernrohre auf den umliegenden Kriegsschiffen bewu?t.»Ruder an!»
        Bolitho sa? steif da, den Degen zwischen den Knien. Es war ihm unmoglich, sich in Gegenwart des Kommandanten zu entspannen, deshalb beobachtete er intensiv die Trojan, ihre sich nach unten verjungenden Linien, die lustlos uber die Heckreling baumelnde Flagge, das Glitzern der Goldbronze und polierten Messingbeschlage.
        Alle Stuckpforten standen offen, um die schwache, ablandige Nachmittagsbrise einzulassen. Aus jeder Offnung blickte die schwarze Mundung einer Kanone, so sauber und blank wie d'Esterres Silberknopfe.
        Bolitho betrachtete verstohlen Pears grimmiges Profil. Die Neuigkeiten vom Kriegsschauplatz waren schlecht: bestenfalls Pattsituation, Verluste auf beiden Seiten. Doch was Pears auch von der augenblicklichen und kunftigen Lage halten mochte, eins war sicher: Nie wurde er auf seinem Schiff die geringste Schlamperei dulden.
        Unter ihren Vierkant gebra?ten Rahen mit den sorgfaltig festgemachten Segeln, glanzend in Schwarz und Lederfarbe, war die Trojan wirklich ein Anblick, der auch das verzagteste Herz hoher schlagen lie?.
        Pears fragte plotzlich:»Haben Sie von Ihrem Vater gehort?«Bolitho erwiderte:»In letzter Zeit nicht. Er ist kein eifriger Schreiber.»
        Pears blickte ihn voll an.»Es tat mir leid, vom Tode Ihrer Mutter zu horen. Ich habe sie einmal in Weymouth gesehen, Sie selbst waren damals auf See. Eine so reizende und hubsche Dame.
        Ich komme mir alt vor, wenn ich mich an sie erinnere.»
        Bolitho blickte starr achteraus. Kein Wunder, da? Pears sich alt vorkam. Angenommen, die Trojan hatte wirklich zu kampfen, und zwar mit einem Schiff ihrer eigenen Gro?e und Feuerkraft, welche Offiziere wurde Pears dann in die Schlacht fuhren? Probyn wurde von Tag zu Tag schwieriger und murrischer. Dalyell war frohlich und freundlich, aber kaum imstande, seine neuen Aufgaben als Vierter Offizier voll zu erfullen. Der arme Quinn, schmal geworden und noch standig unter Schmerzen leidend, war nur bedingt einsatzfahig und vorlaufig hochstens zu leichter Tatigkeit unter Aufsicht des Arztes freigestellt. Dann hatten sie jetzt noch Libby, diesen Jungen in Offiziersverkleidung. Pears machte sich mit gutem
        Grund Sorgen, dachte Bolitho. Es mu?te ihm manchmal vorkommen, als habe er ein Korps von Schuljungen an Bord.

«Wieviele Leute haben Sie heute aufgetrieben?»
        Bolitho erstarrte. Pears wu?te alles, selbst uber seine heutige Mission an Land war er im Bilde.

«Vier, Sir. «Das klang noch durftiger, wenn man es laut aussprach.

«Hm. Vielleicht haben wir mehr Gluck, wenn der nachste Konvoi eintrifft. «Pears ruckte ein wenig auf seinem roten Kissen.»Verdammte Memmen, diese Handelsschiffmatrosen, die sich hinter der Ostindischen Kompanie oder einem verfluchten Regierungserla? verstecken! Holle und Teufel, man konnte meinen, es sei ein Verbrechen, fur sein Land zu kampfen! Aber ich werde ein paar von ihnen schnappen, Erla? oder nicht. «Er lachte in sich hinein.»Bis Ihre Lordschaften davon erfahren, haben wir sie langst zu Seeleuten des Konigs gemacht!»
        Bolitho wandte den Kopf, als das Flaggschiff jetzt hinter einem anderen Ankerlieger sichtbar wurde.
        Es war die Resolute, ein Zweidecker mit bereits funfundzwanzig Jahren Dienstzeit, bestuckt mit neunzig Geschutzen. Schon lagen mehrere Boote an ihrer Backspier, woraus Bolitho schlo?, da? es eine ziemlich gro?e Versammlung werden wurde. Er blickte zu der schlaff vom Kreuztopp hangenden Flagge empor und versuchte sich vorzustellen, was fur ein Mensch wohl ihr Gastgeber war. Konteradmiral Graham Coutts, Befehlshaber des Kustengeschwaders, hatte das Geschick der Trojan seit ihrer Ankunft in New York gelenkt. Bolitho hatte ihn noch nie gesehen und war neugierig: vielleicht ein zweiter Pears, standfest wie ein Fels und unerschutterlich?
        Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder der Routine ihrer Ankunft zu: die Seesoldaten an der Pforte, der Glanz von Stahl, das geschaftige Hin und Her von Blau und Wei?, gedampfte Kommandoworte… Pears sa? wie vorher, aber Bolitho bemerkte, da? seine sehnigen Fauste sich um seine Degenscheide aus Haifischleder krampften, das erste Zeichen von Erregung, das er je bei ihm gesehen hatte. Es war ein prachtiger Degen und mu?te ein Vermogen gekostet haben, eine Ehrengabe, Pears wohl fur personliche Tapferkeit oder fur einen Sieg uber Feinde Englands verliehen.

«Auf Riemen!«Hogg beugte sich etwas vor, seine Finger schienen die Pinne zu liebkosen, als er jetzt zum Anlegen ansetzte.»Die Riemen - hoch!»
        Wie eine Wand standen im selben Augenblick die Riemen mit den tropfenden Blattern in zwei genau ausgerichteten Reihen nach oben; Wasser rieselte ungehindert auf die Knie der Ruderer.
        Pears nickte der Bootscrew zu und stieg dann gelassen das Fallreep hinauf, wo er unter dem schrillen Seitepfeifen und dem ublichen Zeremoniell beim Anbordkommen eines Kommandanten seinen Hut abnahm.
        Bolitho zahlte bis zehn und stieg dann ebenfalls hinauf, wo ihn ein spitznasiger Offizier mit einem Teleskop unterm Arm begru?te, der ihn musterte, als sei er soeben einem Stuck alten Kases entstiegen.

«Sie mussen nach achtern gehen, Sir. «Dabei zeigte er zur Schanze, wo Pears soeben in Gesellschaft des Flaggschiffkommandanten dem Schatten zustrebte.
        Bolitho sah sich auf dem Achterdeck um, das dem der Trojan fast glich: Reihen festgezurrter Geschutze, die Taljen sauberlich belegt, das Tauwerk aufgeschossen auf den schneewei?en Decksplanken. Seeleute verrichteten ihre Arbeit, ein Fahnrich, das Glas auf eine einlaufende Brigg gerichtet, bewegte beim Entziffern ihrer Kennung lautlos die Lippen. Unten auf dem Batteriedeck stand ein Seemann neben einem Korporal der Marineinfanterie, wahrend ein anderer Fahnrich einem Offizier Meldung machte. Wurde der Mann gleich zur Bestrafung abgefuhrt? Zur Beforderung oder zur Degradierung? Es war eine alltagliche Szene, die vielerlei bedeuten konnte. Bolitho seufzte. Wie auf der Trojan, und doch auch wieder vollig anders.
        Er ging langsam weiter nach achtern und war uberrascht, Musik und gedampftes Lachen von Mannern und Frauen zu horen. Samtliche Trennwande waren entfernt, die Admiralsraume dadurch in einen gro?en Saal verwandelt worden. An den offenen Heckfenstern spielten ein paar Geiger mit gro?er Konzentration, und zwischen der dichtgedrangten Menge von Seeoffizieren, Zivilisten und Damen eilten Stewards in roten Jacken mit Tabletts voller Glaser hin und her, wahrend andere an einem langen Buffet diese so rasch wie moglich nachfullten.
        Pears war in der Menge verschwunden; Bolitho nickte einigen Leutnants zu, die wie er nur stillschweigend geduldet waren.
        Eine hohe Gestalt erschien aus dem Gedrange, und Bolitho erkannte Lamb, den Kommandanten der Resolute. Er war ein Mann mit ruhigem Blick und strengen Gesichtszugen, die sich aber vollig veranderten, wenn er lachelte.

«Sie sind Mr. Bolitho, nicht wahr?«Lamb streckte ihm die Hand entgegen.»Willkommen an Bord. Ich habe von Ihren Taten im Marz gehort und wollte Sie gern kennenlernen. Wir brauchen mutige Manner, die bereits erfahren haben, was Krieg bedeutet. Es ist eine harte Zeit, aber sie bietet jungen Leuten wie Ihnen gro?e Chancen. Wenn der Augenblick kommt, packen Sie zu. Glauben Sie mir, Bolitho, eine Chance kommt selten zweimal.»
        Bolitho dachte an den schnittigen Schoner, an die plumpe Thrush. Seine Chance war schon gekommen und hatte ihn gleich wieder ubergangen.

«Ich werde Sie dem Admiral vorstellen. «Lamb bemerkte Bo-lithos Ausdruck und lachte.»Er wird Sie nicht auffressen!»
        Gedrange, gerotete Gesichter, laute Stimmen. Es war schwer, sich vorzustellen, da? der Krieg nur ein paar Meilen entfernt tobte. Bolitho sah machtige blaue Schultern und einen goldberanderten Kragen: schwerfallig, plump. Eine Enttauschung.
        Aber der Kommandant schob den schwergewichtigen Mann beiseite und enthullte eine schlanke Gestalt, die dem Dicken allerdings nur knapp bis zur Schulter reichte.
        Konteradmiral Graham Coutts sah eher wie ein Leutnant als wie ein Flaggoffizier aus. Sein dunkelbraunes Haar trug er im Nacken lose zusammengebunden. Er hatte ein junges Gesicht, faltenlos und ohne die Maske der Autoritat, die man sonst so oft zu sehen bekam.
        Der Admiral streckte die Hand aus.»Bolitho, nicht wahr?«Er nickte und lachelte gewinnend.»Ich bin stolz, Sie kennenzulernen. «Dann winkte er einem Steward nach Wein und fuhr leichthin fort:»Ich wei? alles uber Sie und vermute, wenn Sie diesen Bootsangriff gefuhrt hatten, ware die Brigantine moglicherweise in unsere Hand gefallen!«Er lachelte.»Auf alle Falle zeigt es, was man leisten kann, wenn der Wille da ist.»
        Eine elegante Erscheinung in blauem Samtanzug loste sich aus einer lauten Gruppe bei der Heckgalerie, und der Admiral erklarte:

«Sehen Sie diesen Herrn dort, Bolitho? Das ist Sir George Helpman aus London.
«Seine Lippen schurzten sich ein wenig.»Ein „Experte" fur unsere Malaise hier, eine wichtige Personlichkeit, auf die alle horen sollten.»
        Plotzlich war er wieder Admiral.»Amusieren Sie sich gut, Bo-litho, lassen Sie sich reichen, was Ihnen zusagt. Das Essen ist heute ausgezeichnet!»
        Er wandte sich ab, und Bolitho sah, wie er den Mann aus London begru?te, den er nicht sonderlich zu mogen schien. Sein Hinweis hatte fast wie eine Warnung geklungen, obwohl Bolitho nicht ganz einsah, was ein Leutnant wie er damit zu tun haben sollte.
        Er dachte uber Coutts nach, der keineswegs dem Bild entsprach, das er sich von ihm gemacht hatte. Schon jetzt empfand er fur den Admiral Bewunderung und Loyalitat, wenn er sich das auch nach diesen wenigen Minuten des Kennenlernens selbst noch nicht eingestehen wollte.
        Es wurde schon dunkel, als die Gaste aufbrachen. Einige waren so betrunken, da? man sie in ihre Boote tragen mu?te, andere torkelten mit glasernem Blick allein zum Fallreep, vorsichtig jeden Schritt erzwingend, um sich keine Blo?e zu geben.
        Bolitho wartete und beobachtete vom Achterdeck, wie die Gaste hinuntergeleitet, einige auch mit Taljen uber die Reling gehievt und in die langsseits liegenden Boote gefiert wurden.
        Er kam an einer Kabine vorbei, deren nicht ganz geschlossene Tur einen kurzen Blick ins Innere ermoglichte. Eine kichernde Frau hatte die nackten Arme um den Hals eines Offiziers geschlungen, der ihr das Kleid abstreifte. Ihr Mann oder Begleiter lag womoglich betrunken in einem der Boote, dachte Bolitho und lachelte. War er schockiert, war er neidisch? Er wu?te es selber nicht.
        Ein Bootsmaat rief eifrig:»Ihr Kommandant kommt, Sir!»

«Aye. Rufen Sie das Boot. «Bolitho uberprufte den Sitz seines Degengurtes und ruckte den Hut zurecht.
        Pears erschien mit Kapitan Lamb. Sie schuttelten sich die Hande, dann folgte Pears Bolitho in ihr Boot.
        Als es abgelegt hatte und in die starke Stromung hinaussteuerte, bemerkte Pears: Widerlich, das Ganze!»
        Drauf verfiel er in Schweigen und bewegte sich nicht, bis sie die erleuchteten Stuckpforten der Trojan dicht vor sich hatten. Da erst sagte er abfallig:»Wenn das Diplomatie war, dann danke ich Gott, da? ich ein einfacher Seemann bin!»
        Bolitho stand in dem schwankenden Boot neben Hogg, als Pears, der nach der Fallreepskette griff, ausrutschte. Bolitho glaubte ihn fluchen zu horen, war sich aber nicht ganz sicher. Dennoch fuhlte er sich irgendwie ausgezeichnet durch Pears, der sich schon wieder vollkommen in der Gewalt hatte, wenn auch nur unter gro?er Anstrengung. Der Zwischenfall machte ihn menschlicher, als Bolitho ihn je erlebt hatte.
        Pears scharfe Stimme kam von oben:»Stehen Sie nicht herum wie eine Salzsaule, Mr. Bolitho! Wenn Sie nichts zu tun haben, so mussen andere doch arbeiten!»
        Bolitho blickte Hogg an und grinste. Das klang schon wieder mehr nach Pears.
        Unter anderem gehorten die undankbaren Pflichten eines Wachoffiziers im Hafen zum Aufgabenbereich der Leutnants, wenn ihr Schiff in New York lag. Sie wurden dann fur volle vierundzwanzig Stunden abgestellt und mu?ten unter anderem die zahlreichen Boote uberwachen, die zwischen den Schiffen und den Anlegestellen verkehrten, damit keine feindlichen Agenten Gelegenheit zu Sabotage oder Spionage fanden. Ebenso mu?ten sie aufpassen, da? keine Deserteure in einer der vielen Hafenkneipen Unterschlupf suchten.
        Seeleute, die an Land zu tun hatten, gerieten leicht in Versuchung, in einer Spelunke einzukehren; Betrunkene aber wurden festgenommen und auf ihre Schiffe zurucktransportiert, wo eine gute Tracht Schlage auf sie wartete.
        Zwei Tage nach dem Besuch auf dem Flaggschiff hatte der Dritte Offizier der Trojan, Richard Bolitho, sich zur Verfugung des Hafenkommandanten zu halten. New York machte ihn nervos, diese Stadt, die nur darauf zu warten schien, da? etwas geschah, und zwar etwas Entscheidendes und Endgultiges. Hier herrschte standig Bewegung. Fluchtlinge kamen aus dem Landesinneren, Menschen drangten sich vor den Regierungsgebauden und suchten nach Angehorigen, andere wiederum brachen bereits auf, um das Land zu verlassen und nach England oder Kanada zu fliehen. Manche warteten auch darauf, vom Sieger reichen Lohn zu kassieren, gleichgultig, wer es auch sein wurde. Nachts war New York ein gefahrliches Pflaster, besonders in der ubervolkerten Hafengegend mit ihren Kneipen, Bordells, Spielhollen und billigen Absteigen. Alles war dort zu haben, wenn nur genugend Geld dafur geboten wurde.
        Gefolgt von einem Trupp bewaffneter Seeleute, ging Bolitho langsam an einigen von der Sonne gebleichten Holzgebauden entlang, wobei sie sich vorsichtigerweise dicht an den Wanden hielten, um nicht von oben - absichtlich oder unabsichtlich - mit Unrat beworfen zu werden.
        Er horte Stockdales keuchenden Atem und das gelegentliche Klirren von Waffen, als sie jetzt zur Hauptanlegebrucke kamen. Menschen waren kaum zu sehen, obwohl hinter den geschlossenen Fensterladen Musik und grolende oder fluchende Stimmen zu horen waren.
        Ein Haus hob sich dunkel gegen das stromende Wasser ab, vor der Tur standen Marinesoldaten Posten, und ein Unteroffizier ging auf und ab.

«Halt, wer da?»

«Offizier der Wache!»

«Ihren Ausweis!»
        Es war immer dasselbe, obwohl die Marineinfanteristen die me i-sten Flottenoffiziere vom Sehen kannten.
        Der Unteroffizier stand stramm.»Zwei Leute von der Vanquis-her, Sir. Betrunken und streitsuchtig.»
        Bolitho ging durch ein paar Turen in eine gro?ere Wachstube. Das Gebaude war einmal der Stadtsitz eines Teehandlers gewesen. Nun residierte die Marine darin.

«Sie scheinen sich jetzt ruhig zu verhalten, Sergeant.»
        Der Unteroffizier grinste.»Aye, Sir, jetzt. «Er zeigte auf zwei schlaffe Korper in Eisen.»Wir mu?ten sie erst beruhigen.»
        Bolitho setzte sich an einen zerkratzten Tisch und lauschte auf die Gerausche drau?en - das Rattern von Radern auf dem KopfSteinpflaster, das gelegentliche Kreischen einer Hure. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Noch vier Stunden! In solchen Situationen sehnte er sich nach der Trojan, wenn er auch kurz vorher noch gewunscht hatte, frei von ihrer Routine zu sein.
        Als die Flotte seinerzeit vor Staten Island angekommen war, hatte jemand diese Ansammlung von Schiffen als» schwimmendes London «beschrieben. Jetzt war dies schon zu selbstverstandlich geworden, um noch erwahnt zu werden. Bolitho hatte zwei ihm fluchtig bekannte Offiziere von einer der Fregatten gesehen und ein paar Worte ihrer Unterhaltung aufgeschnappt, als sie in einem Spielsalon verschwanden.
        . Auslaufen mit der Ebbe, nach Antigua mit Kurierpost. Was es doch bedeutete, frei zu sein, von diesem schwimmenden Durcheinander hier wegzukommen!
        Der Unteroffizier erschien wieder und betrachtete ihn zweifelnd.»Ich habe einen Spitzel drau?en, Sir. «Er deutete mit dem Daumen zur Tur.»Kenne ihn schon langer, ein Gauner, aber zuverlassig. Er behauptet, ein paar Leute seien von der Brigg Diamond desertiert, kurz bevor sie vorgestern auslief.»
        Bolitho stand auf und griff nach seinem Dolch.»Was hat die Diamond hier gemacht?»
        Der Unteroffizier grinste breit.»Keine Sorge, Sir. Sie hatte keinen Freibrief, brachte nur Stuckgut von London.»
        Bolitho nickte. Eine englische Brigg, das verhie? erfahrene Seeleute, Deserteure oder nicht.

«Bringen Sie den - ah - Spitzel herein.»
        Der Mann war typisch fur sein Gewerbe: klein, schmierig, hinterhaltig. Sie waren in allen Hafen der Welt gleich, diese Besitzer von Absteigequartieren, die an die Pre?kommandos Informationen uber Seeleute verkauften, die angeblich greifbar waren.

«Nun?»
        Der Mann jammerte:»Es ist doch nur meine Pflicht, Sir, des Konigs Marine zu helfen.»
        Bolitho musterte ihn kalt. Der Schurke sprach noch immer den Dialekt der Londoner Slums.»Wie viele?»

«Sechs, Sir!«Seine Augen glitzerten.»Feine, kraftige Kerle allesamt.»
        Der Unteroffizier bemerkte beilaufig:»Sie stecken in Lucys Haus. «Er zog eine Grimasse.»Vermutlich inzwischen mit Syphilisblattern bis uber die Augen besat.»

«Lassen Sie meine Leute antreten, Sergeant. «Bolitho versuchte, nicht an die dadurch entstehende Verzogerung zu denken. Wahrscheinlich wurde es nichts mehr mit Schlaf.
        Der Gauner lie? sich vernehmen:»Kommen wir ins Geschaft,
        Sir?»

«Nein. Du wartest hier. Kriegen wir die Leute, bekommst du dein Geld. Wenn nicht -
«, er blinzelte den grinsenden Marineinfanteristen zu - ,»gibt es eine Tracht Prugel.»
        Er trat hinaus in die Nacht und verfluchte insgeheim sowohl den Seelenverkaufer wie uberhaupt diese erbarmliche Methode, Seeleute zu pressen. Trotz der Harte des Bordlebens meldeten sich viele Freiwillige, jedoch niemals genug, um die Verluste durch Tod oder Verwundung auszugleichen.
        Stockdale fragte:»Wohin, Sir?»

«Zu Lucys Haus, dem Bordell.»
        Einer der Seeleute kicherte.»Ich kenne es, Sir, bin schon dort gewesen.«»Dann fuhren Sie uns, vorwarts!»
        Als sie in der engen, abschussigen und ubelriechenden Gasse angekommen waren, teilte Bolitho seinen Trupp in zwei Gruppen. Die meisten Leute der Stammbesatzung hatten schon an ahnlichen Aktionen teilgenommen, und selbst die gepre?ten Leute machten mit, sobald sie sich einmal an ihr neues Leben gewohnt hatten. Wenn ich dienen mu?, warum nicht auch du? Dies schien ihre Maxime zu sein.
        Stockdale war auf der Ruckseite des Hauses verschwunden; das Messer hatte er im Gurtel stecken lassen und statt dessen einen Knuppel in der Hand.
        Bolitho starrte auf die verschlossene Tur, hinter der er Stimmengewirr und trunkenen Gesang horte. Er wartete noch ein wenig, dann zog er seinen Dolch und schlug mehrmals mit dem Knauf gegen die Tur, wobei er mit lauter Stimme rief:»Im Namen des Konigs - offnet!»
        Drinnen horte man Getrappel und unterdruckte Schreie, das Splittern von Glas und einen schweren Fall, als sei jemand, der zu fliehen versuchte, von Stockdales Knuppel getroffen worden.
        Plotzlich sprang die Tur auf, aber an Stelle der erwarteten Menschenmenge sah sich Bolitho einer Riesin gegenuber, vermutlich der beruchtigten Lucy. Sie war so gro? und breit wie ein Seebar und benutzte auch dieselben unflatigen Ausdrucke, als sie jetzt drohend die Faust erhob.
        Lichter flammten ringsum auf, und aus den Fenstern beugten sich
        Gestalten, die gierig auf die Szene herabstarrten und sehen wollten, wie Lucy die Marine in die Flucht schlug.

«Du pickeliger, gruner Lausejunge, wie kannst du behaupten, ich hatte hier Deserteure versteckt?«Sie stemmte die Arme in die Huften und funkelte Bolitho wutend an.
        Andere Frauen, einige halbnackt, hasteten die wackelige Treppe im Hintergrund herunter, um zu sehen, was sich abspielte. Ihre bemalten Gesichter gluhten vor Aufregung.

«Ich tue meine Pflicht. «Bolitho widerte das hohnische und verachtliche Benehmen der Frau an.
        Stockdale tauchte mit grimmiger Miene hinter ihr auf und keuchte:»Wir haben sie, Sir: Sechs, wie er gesagt hat.»
        Bolitho nickte. Stockdale hatte also den hinteren Ausgang gefunden.

«Gut gemacht!«Mit plotzlichem Arger fugte er hinzu:»Wenn wir schon hier sind, wollen wir uns doch gleich mal nach weiteren,unschuldigen' Burgern umsehen.»
        Lucy packte ihn unvermutet an den Rockaufschlagen und schurzte die Lippen, um ihm ins Gesicht zu spucken. Aber im nachsten Augenblick sah Bolitho nur nackte, strampelnde Beine und gewaltige Oberschenkel, als Stockdale die schreiende und fluchende Person die Stufen zur Stra?e hinunter trug. Ohne Umschweife steckte er ihren Kopf in einen Pferdetrog und hielt ihn mehrere Sekunden unter Wasser.
        Als er sie loslie? und sie taumelnd nach Atem rang, sagte er:»Wenn du noch einmal so zu dem Leutnant sprichst, meine Schone, bekommst du meinen Dolch zwischen die Rippen, verstanden?«Dann nickte er Bolitho zu:»Alles in Ordnung, Sir!»
        Dieser schluckte. Noch nie hatte er Stockdale so wutend erlebt.»Danke!«Er sah, wie sich seine Leute grinsend anstie?en, und kampfte um sein altes Selbstvertrauen. Fangt an mit dem Durchsuchen!«Hinter ihm wurden die sechs Deserteure vorbeigefuhrt, einer von ihnen hielt sich den Kopf.
        Aus einem Nachbarhaus schrie jemand:»La?t sie doch laufen, ihr Stinktiere!»
        Bolitho trat ein und besah sich die umgesturzten Stuhle, leeren Flaschen und verstreuten Kleidungsstucke. Es sah eher aus wie in einem Gefangnis als wie in einem Freudenhaus.
        Jetzt wurden zwei weitere Manner die Treppe heruntergeschafft, einer entpuppte sich als Hummerfischer, der andere protestierte laut und behauptete, er sei uberhaupt kein Seemann. Bolitho musterte die Tatowierungen auf seinen Armen und sagte ruhig:»Ich rate dir, den Mund zu halten. Wenn du von einem Schiri des Konigs bist, wie ich vermute, ware Schweigen fur dich gesunder. «Der Mann wurde so bla? unter seiner Braune, als hatte er bereits die fur ihn bestimmte Schlinge des Henkers gesehen.
        Ein Seemann polterte die Treppen herunter.»Das ist alles, Sir, au?er diesem Knaben hier.»
        Bolitho sah, wie der Junge durch die Reihe der starrenden Madchen hindurchgeschoben wurde, und entschied sich gegen ihn. Vielleicht war er jemandes Sohn, der in dieser truben Spelunke ein erstes aufregendes Erlebnis gesucht hatte.

«Gut. Rufen Sie die anderen!«Er betrachtete den schmalschult-rigen Jungen, der mit niedergeschlagenen Augen im Schatten stand.»Das ist kein Ort fur dich, Kerlchen. Verschwinde, bevor etwas Schlimmeres passiert. Wo wohnst du?»
        Als keine Antwort kam, streckte Bolitho die Hand aus und hob des anderen Kinn an, so da? das Lampenlicht voll auf das verangstigte Gesicht fiel.
        Bolitho stand einen Augenblick wie versteinert. Dann ging alles sehr schnell. Der Bursche duckte sich und rannte aus der Tur, bevor sich jemand bewegen konnte.
        Ein Seemann schrie: «Haltet den Mann!»
        Vor dem Haus horte Bolitho die Soldaten rufen. Er lief hinaus.»Wartet!«Aber es war schon zu spat. Der Knall einer Muskete hallte wie Kanonendonner in der engen Gasse.
        Er ging an seinen Leuten vorbei und beugte sich uber die ausgestreckte Gestalt, wahrend ein Korporal der Infanterie herbeieilte und den Korper auf den Rucken rollte.

«Er wollte Ihnen weglaufen, Sir!»
        Bolitho kniete nieder, knopfte die grobe Jacke und das Hemd auf und legte die Hand auf die schmale Brust. Das Herz schlug nicht mehr, uberall war Blut. Die Haut, so zart wie vorher das Kinn, war noch warm, und die toten Augen starrten ihn anklagend aus der Dunkelheit an.
        Er erhob sich, ihm war ubel.»Es ist ein Madchen.»
        Dann wandte er sich um und rief:»Diese Frau, bringt sie her!»
        Die» Lucy «genannte Person trat naher und rang die Hande, als sie die leblose Gestalt erblickte. Mit ihrer Arroganz war es vorbei. Bolitho konnte ihre Angst beinahe riechen.

«Wer war sie?«fragte er, erstaunt uber den harten Ton seiner Stimme, die ihm selbst fremd klang.»Ich frage kein zweites Mal, Frau!»
        Mehr Larm erfullte die Stra?e, und zwei Berittene galoppierten durch die Heerespatrouille.»Was, zum Teufel, geht hier vor?«bellte eine Stimme.
        Bolitho beruhrte gru?end seinen Hut.»Offizier der Hafenwache,
        Sir!»
        Der Fragende war ein Major, der dieselben Abzeichen trug wie der Unteroffizier, der das Madchen erschossen hatte.

«Oh, verstehe. Also dann. «Er stieg ab und beugte sich uber die Leiche.»Die Lampe, Korporal!«Die Hand unter dem Kopf des Madchens, drehte er dessen Gesicht dem Licht zu.
        Bolitho war au?erstande, den Blick vom Gesicht der Toten abzuwenden.
        Endlich stand der Major auf.»Schone Bescherung, Leutnant!«Er rieb sich das Kinn. Es ist wohl besser, wenn ich den Gouverneur wecke. Er wird nicht sehr erfreut sein.»

«Wer war sie, Sir?»
        Der Major schuttelte den Kopf.»Was Sie nicht wissen, kann Ihnen nicht schaden.
«Dann, in verandertem Ton zu dem zweiten Reiter:»Korporal Fisher! Reiten Sie zur Kommandantur und wek-ken Sie den Adjutanten. Er soll mit einem Zug Soldaten sofort herkommen. «Er beobachtete, wie der Korporal losjagte, und fugte hinzu:»Dieses verdammte Haus wird jetzt geschlossen und bewacht, und Sie«, sein wei?behandschuhter Zeigefinger scho? vor und deutete auf die zitternde Lucy,»sind festgenommen!»
        Jammernd sank sie fast zu Boden.»Wieso ich, Sir? Was hab' ich denn verbrochen?»
        Der Major trat zur Seite, als zwei Soldaten herbeiliefen und Lucys Arme packten. Verrat, Madam, das haben Sie verbrochen!»
        Etwas ruhiger wandte er sich Bolitho zu.»Ich schlage vor, da? Sie weitermachen, Sir. Ohne Zweifel werden Sie noch mehr uber diesen Vorfall horen. Uberraschenderweise lachelte er kurz.

«Wenn es ein Trost fur Sie ist: Sie sind da auf etwas wirklich Wichtiges gesto?en. Zu viele gute Leute sind schon Verrat zum Opfer gefallen. Aber hier liegt jemand, der nie mehr Verrat uben wird.»
        Bolitho ging schweigend zum Hafen zuruck. Der Major hatte das tote Madchen erkannt, und nach der Feinheit ihrer Glieder, der Glatte ihrer Haut zu urteilten, stammte sie aus guter Familie.
        Er versuchte sich vorzustellen, was in dem Haus vor sich gegangen war, bevor er und seine Leute dort eingedrungen waren; aber alles, woran er sich erinnern konnte, waren ihre Augen, mit denen sie ihn angeblickt hatte, als sie beide die Wahrheit begriffen.



        VII Hoffnungen und Angste

        Bolitho ging ein paar Schritte auf und ab, wobei er versuchte, im Schatten des gro?en Besansegels zu bleiben. Es herrschte druckende Hitze, und die leichte Brise, die uber das Achterdeck der Trojan wehte, brachte keinerlei Kuhlung.
        Von der Back ertonten sechs Glasen, wahrend ein Schiffsjunge das Halbstundenglas umdrehte. Noch eine Stunde bis Mittag…
        Bolitho zuckte zusammen, als die Sonne ihn voll traf und seine Schultern versengte. Aus der Halterung nahm er das Teleskop und richtete es nach vorn, wo das Flaggschiff Resolute gerade in der langen Dunung auftauchte. Wie rasch hatten sich doch die Dinge geandert, dachte er. Am Tag nach dem Tod des mysteriosen Madchens hatten sie Befehl bekommen, mit dem ersten gunstigen Wind auszulaufen. Uber ihr Ziel war nicht das geringste erwahnt worden, und bis zuletzt hatten die Zyniker in der Messe behauptet, es handle sich wieder nur um eine Ubung oder darum, zur moralischen Unterstutzung des Heeres Flagge zu zeigen.
        Das war vor vier Tagen gewesen, vor vier muhevollen Tagen des langsamen Dahinkriechens in sudlicher Richtung. Kaum zeigten ein paar Krausel rund um das Ruder an, da? sie uberhaupt Fahrt machten; in der ganzen Zeit hatten sie nicht mehr als vierhundert Meilen zuruckgelegt.
        Bolitho schwenkte das Teleskop weiter herum und sah die Sonne auf den Bramsegeln der Fregatte Vanquisher leuchten, die sich luvwarts von ihnen zum sofortigen Eingreifen bereit hielt, wenn ihre schwerfalligen Begleiterinnen sie benotigen sollten. Er richtete sein Glas wieder nach vorn auf das Flaggschiff. Gelegentlich, wenn es gerade auf einem Dunungskamm ritt, sah er noch ein kleineres Segel weit voraus, das» Auge «des Admirals.
        Beim Passieren von Sandy Hook hatten sie bemerkt, da? auch die Korvette Spite Segel setzte und ohne jedes Aufsehen ihren Ankerplatz verlie?. Sie segelte jetzt weit vor ihnen und wurde durch Flaggensignale alles melden, was fur den Admiral von Interesse sein konnte.
        Es war ein prachtiges kleines Schiff, bestuckt mit achtzehn Kanonen. Bolitho hatte es wiedererkannt: Es war dasselbe, das kurz vor Sparkes vergeblichem Versuch, die Brigantine zu bergen, auf die Faithful gefeuert hatte. Ihr Kommandant war erst vierundzwanzig Jahre alt, aber ebenso wie die anderen drei genau im Bilde daruber, was gespielt wurde.
        Geheimhaltung hatte sich in ihre Welt eingeschlichen wie die ersten Zeichen einer Krankheit.
        Das Deck zitterte, als sich steuerbords jetzt die Stuckpforten des unteren Batteriedecks offneten und kurz darauf drei?ig Zweiund-drei?igpfunder ausgefahren wurden, als ginge es ins Gefecht. Wenn sich Bolitho uber die Reling beugte, konnte er sie sehen; aber schon bei dem Gedanken, das hei?e, zundertrockene Holz zu beruhren, war ihm, als habe er sich verbrannt. Was Dalyell - jetzt Kommandierender des unteren Batteriedecks - auszuhalten hatte, wagte er sich kaum vorzustellen.
        Die Segel flappten mude, aber vom Wimpel an der Mastspitze las er ab, da? der Wind sich keineswegs drehte. Es wehte weiterhin gleichma?ig aus Nordwest, aber zu schwach, um die brutende, feuchte Hitze aus den Decks zu vertreiben.
        Die Geschutze wurden mit lautem Gepolter wieder eingefahren, und er sah im Geiste Dalyell auf die Uhr blicken und feststellen, da? es zu lange gedauert hatte. Kapitan Pears hatte seine Forderung eindeutig formuliert: Gefechtsklar in zehn Minuten oder weniger, beim Feuern drei Salven in zwei Minuten. Die letzte Ubung hatte fast doppelt so lange gedauert.
        Er konnte sich die Geschutzbedienungen vorstellen, wie sie sich schwitzend und mit entblo?ten Oberkorpern abmuhten, die schweren Geschutze auszufahren. Jedes wog uber drei Tonnen, und wenn das Schiff auf Backbordbug segelte, mu?ten sie dieses Gewicht das schragliegende Deck aufwarts wuchten. Es war nicht das richtige Wetter fur eine derartige Arbeit, aber - wie Cairns oft betonte - das war es nie.
        Bolitho blickte durch die Netze zur unsichtbaren Kuste hinuber, deren Verlauf er sich vor Antritt jeder Wache auf der Karte einpragte. Cape Hatteras mit seinen Untiefen lauerte etwa zwanzig Meilen querab, und dahinter lagen der Pamlico Sound und die Flusse North Carolinas.
        Die See ringsum war leer. Nur ihre vier Schiffe, weit auseinander, um Wind und Sicht am gunstigsten zu nutzen, bewegten sich langsam sudwarts, einem unbekannten Ziel entgegen. Die vier Besatzungen zusammen, schatzte Bolitho, mu?ten rund tausendachthundert Mann zahlen.
        Kurz vorher hatte er Molesworth, den Zahlmeister und Proviantverwalter, mit seinem Gehilfen den Niedergang hinuntergehen sehen, Molesworth mit seinem gro?en Hauptbuch unter dem Arm, sein Gehilfe mit dem Werkzeugkasten, den sie zum Offnen von Fassern und Kisten benotigten.
        Es war Montag, und Bolitho konnte sich die gekritzelten Notizen in Molesworths Buch vorstellen: Pro Mann ein Pfund Schiffszwieback, ein halbes Pfund Hafermehl, zwei Unzen Butter, vier Unzen Kase und einen Liter Leichtbier. Danach war es dann Sache von Triphook, dem Koch und seinen Kochsmaaten, was sie aus dieser Tageszuteilung machten.
        Kein Wunder, da? Zahlmeister immer sorgenvoll oder unehrlich waren. Wenn man die Tagesration eines Mannes mit der Zahl der Besatzung und dann mit der Zahl der Tage auf See multiplizierte, bekam man eine Vorstellung von ihren Problemen.
        Fahnrich Couzens, der diskret mit seinem Glas an der Leereling stand, zischte:»Der Kommandant, Sir!»
        Bolitho drehte sich rasch um; schon diese Bewegung lie? Schwei? zwischen seinen Schulterblattern herabrinnen, der sich uber dem Gurtel sammelte wie hei?er Regen.
        Er legte die Hand an den Hut:»Sudsudwest, Sir, voll und bei!»
        Pears musterte ihn unbewegt.»Der Wind scheint wahrend der letzten Stunde gedreht zu haben, aber nicht genug, um etwas zu verandern.»
        Weiter sagte er nichts, und Bolitho ging hinuber zur Leeseite, um seinem Kommandanten das Luvdeck zu uberlassen.
        Pears schlenderte langsam auf und ab, anscheinend in tiefe Gedanken versunken. Woran mochte er denken, uberlegte Bolitho? An seine Segelorder, an Frau und Kinder in England?
        Pears blieb stehen und wandte sich ihm zu.»Lassen Sie ein paar Leute nach vorn pfeifen, Mr. Bolitho. Die Luvfockbrasse ist so schlapp wie diese ganze Wache! Das mu? erheblich besser werden!»
        Bolitho nickte.»Aye, Sir, sofort!»
        Er gab Couzens ein Zeichen, und einen Augenblick spater holten einige Seeleute kraftig die Lose der Brasse durch; jeder von ihnen wu?te, da? der Kommandant sie beobachtete.
        Bolitho grubelte uber Pears Benehmen nach. Die Brasse war nicht loser gewesen als bei diesem schwachen und unregelma?igen Wind zu erwarten. Wollte Pears sie nur in Bewegung halten? Er dachte plotzlich an Sparke und an sein: Notieren Sie den Namen dieses Mannes!
        Die Erinnerung stimmte ihn traurig.
        Er sah Quinn vom Batteriedeck heraufkommen und nickte gru?end, fugte jedoch ein rasches Kopf schutteln hinzu, um ihn vor Pears Anwesenheit zu warnen.
        Quinn hatte sich rascher erholt, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte. Er sah schon wieder frischer aus und konnte aufrecht gehen, ohne das Gesicht vor Schmerzen zu verzerren.
        Bolitho hatte die gro?e Narbe auf Quinns Brust gesehen. Wenn sein Angreifer nicht noch im selben Augenblick gestort worden ware, hatte die Klinge Muskel und Knochen durchbohrt und ware ins Herz vorgedrungen.

«Mr. Quinn!»
        Die Stimme schnellte nach dem jungen Funften Offizier wie ein Lasso.

«Sir!«Er eilte uber das Deck, in seinem Gesicht arbeitete es, als er uberlegte, was er falsch gemacht habe.
        Pears betrachtete ihn grimmig.»Freut mich, da? Sie wieder auf den Beinen sind.»
        Quinn lachelte erfreut.»Danke, Sir.»
        Pears nahm seinen taglichen Spaziergang wieder auf.»Sie werden mit Ihren Leuten heute nachmittag das Abschlagen eines Enterangriffs uben. Dann, wenn wir diesen Kurs beibehalten, gehen Sie mit den neuen Leuten in die Takelage zum Exerzieren.
«Er nickte kurz.»Das wird Ihnen besser helfen als alle Pillen.»
        Couzens rief aufgeregt:»Signal vom Flaggschiff, Sir!«Er blickte angestrengt durch das gro?e Glas und runzelte die Stirn wie ein alter Mann, wahrend er die bunten Flaggen an der Signalrah der Resolute entzifferte. »Setzt mehr Segel, Sir!»
        Pears knurrte:»Alle Mann an Deck, Royals und Leesegel setzen!«Er ging nach achtern, wo jetzt der Master auftauchte, den Bolitho schroffen Tones sagen horte: Mehr Segel, das ist alles, was ihm einfallt, verdammt!»
        Cairns eilte herbei, als die Pfeifen die Freiwache auf ihre Stationen riefen.

«Klar zum Royals setzen! Enter auf!»
        Cairns sah Bolitho und hob die Schultern.»Der Captain ist schlechter Laune, Dick. Wir setzen jeden Morgen den Kurs ab, aber ich wei? so wenig wie Sie, wo es hingeht. «Er vergewisserte sich, da? Pears nicht in Horweite war.»Es war doch sonst immer seine Art, uns die Aufgaben zu erklaren, seine Ansicht mit uns zu erortern. Doch wie es scheint, hat unser Admiral eine andere Auffassung.»
        Bolitho dachte an des Admirals jugendlichen Enthusiasmus. Vielleicht war Pears schon zu alt und stand den Dingen etwas fern?
        Allerdings lag nichts Altes in seiner Stimme und in seinen Augen, als er jetzt schrie:»Mr. Cairns! Treiben Sie die Leute nach oben, lassen Sie sie auspeitschen, wenn es nicht anders geht. Ich will mich nicht noch einmal vom Flaggschiff ermahnen lassen!»
        Es wurde Mittag, bis die Royals und die gro?en, Fledermausflugeln ahnlichen Leesegel gesetzt waren. Das Flaggschiff hatte ebenfalls alles Tuch gesetzt und wurde fast begraben unter der ungeheuren Segelpyramide.
        Probyn loste Bolitho ohne seinen sonstigen Sarkasmus ab. Er bemerkte nur:»Ich sehe keinen Sinn in der ganzen Geschichte. Tag fur Tag dasselbe, ohne e in Wort der Erklarung. Das wird allmahlich unheimlich!»
        Zwei weitere Tage sollten jedoch verstreichen, ehe jemand etwas uber ihr Ziel erfuhr.
        Konteradmiral Coutts kleines Geschwader behielt zunachst den sudlichen Kurs bei und drehte dann nach Sudosten, um bei dem jetzt gunstigeren Wind Cape Fear in genugendem Abstand zu umrunden, dieses Kap mit dem so treffenden Namen: Angst.
        Bolitho war gerade abgelost worden, als er vollig unerwartet zum Kommandanten befohlen wurde.
        Es fand jedoch keine Konferenz statt, der Kommandant sa? allein an seinem Schreibtisch. Sein Rock hing uber der Stuhllehne, Halstuch und Hemd hatte er geoffnet.
        Bolitho wartete. Kapitan Pears wirkte ruhig, es schien sich also nicht um die Erteilung einer Ruge zu handeln fur etwas, das er getan oder nicht getan hatte.
        Schlie?lich blickte Pears hoch.»Der Master und jetzt auch der Erste Offizier kennen unseren Auftrag. Sie werden es seltsam finden, da? ich Ihnen jetzt Einzelheiten anvertraue, noch bevor die anderen Offiziere unterrichtet sind, aber unter den gegebenen Umstanden halte ich es fur angebracht. «Er nickte in Richtung eines Stuhles.»Nehmen Sie Platz.»
        Bolitho setzte sich, plotzlich erregt durch Pears Vorrede.

«In New York gab es vor unserem Auslaufen Aufregung und Unruhe. Sie spielten dabei keine geringe Rolle - «, Pears lachelte knapp - ,»was mich naturlich nicht wundert.»
        Bolitho spitzte die Ohren. Er hatte doch geahnt, da? die Affare mit dem toten Madchen noch einmal zur Sprache kommen wurde, ja sogar, da? ihr Auslaufen irgendwie damit zusammenhing.

«Ich will nicht in Einzelheiten gehen, aber das Madchen, das Sie in diesem Bordell aufgescheucht haben, war die Tochter eines hohen New Yorker Regierungsbeamten. Das Ganze hatte sich zu keinem ungunstigeren Zeitpunkt ereignen konnen. Sir George Helpman kam mit Auftragen von Parlament und Admiralitat aus London, um zu untersuchen, womit der Krieg vorangetrieben, aus der augenblicklichen Pattsituation herausgezwungen werden kann. Wenn erst die Franzosen in voller Starke in den Kampf eingreifen, haben wir hier nicht mehr viel zu bestellen.»

«Ich dachte, wir tun alles, was in unserer Macht liegt, Sir?»
        Pears sah ihn mitleidig an.»Wenn Sie etwas mehr Erfahrung hatten, Bolitho…«Er blickte argerlich zur Seite.»Helpman wird es schon selbst merken. Die korrupten Beamten, diese Laffen beim
        Militargouverneur, die tanzen und trinken, wahrend unsere Soldaten drau?en die Kopfe hinhalten. Und jetzt dieser Skandal: Die Tochter eines wichtigen Regierungsbeamten arbeitet Hand in Hand mit den Rebellen. Stets fuhr sie in einer Kutsche von zu Hause weg, zog sich Mannerkleider an und traf sich mit einem Agenten Washingtons. Alle geheimen Plane, derer sie habhaft werden konnte, hat sie verraten.»
        Bolitho stellte sich die Besturzung vor, die hierdurch ausgelost worden war. Mit der rotgesichtigen Hure, die ihm ins Gesicht hatte spucken wollen, verspurte er jetzt beinahe Mitleid. Wenn derartig viel auf dem Spiel stand und es um so wichtige Personen ging, mu?te man bei ihrer Vernehmung skrupellos jedes Mittel angewendet haben.
        Pears fuhr fort:»Durch ihren Verrat waren die Bruder Tracy standig in der Lage, unsere Bewegungen zu verfolgen. Ohne die Eroberung der Faithful, beziehungsweise Mr. Bunces gute Verbindungen zum Wettergott hatten wir niemals etwas davon erfahren. Es sind alles Glieder einer Kette. Noch etwas: Diese verdammte Hure hatte wohl standig ein Ohr am Schlusselloch. Jedenfalls haben die Kolonisten eine neue Festung errichtet, mit dem ausdrucklichen Auftrag, Waffen und Munition darin zu lagern und von dort aus ihre Truppen und Schiffe zu versorgen.»
        Bolitho befeuchtete seine Lippen.»Und dorthin segeln wir jetzt,
        Sir?»

«Das ist die Absicht, ja. Nach Fort Exeter in South Carolina, etwa drei?ig Meilen nordlich von Charlestown.»
        Bolitho erinnerte sich an das, was sich vor etwa einem Jahr bei einem anderen Rebellenfort sudlich von Charlestown abgespielt hatte. Ein gro?es Geschwader mit eingeschifften Truppen war damals hingesegelt, um das Fort zu erobern, da dieses den Wasserweg nach Charlestown, dem wichtigsten Hafen sudlich von Philadelphia, blockierte. Doch statt eines Sieges hatte es eine schmahliche Niederlage gegeben. Einige Schiffe waren infolge der ungenauen Seekarten bei dem Versuch, die Truppen zu landen, auf Grund gelaufen. An anderen Stellen war das Wasser fur die Soldaten zu tief, um wie beabsichtigt an Land zu waten. Und die ganze Zeit uber waren die Schiffe dem morderischen Bombardement der Kolonisten ausgesetzt, die geschutzt hinter ihren dicken Festungsmauern hervor feuerten. Schlie?lich hatte Kommodore Parker, dessen Flaggschiff am starksten beschadigt worden war, den Ruckzug befohlen. Die Trojan - auf dem Wege dorthin, um Verstarkung zu bringen - traf auf das bereits geschlagen zuruckkehrende Geschwader.
        Der Marine, die bis dahin weder Fehlschlage noch Niederlagen gekannt hatte, mu?te dies wie eine Katastrophe erscheinen.
        Pears, der Bolithos Gesicht beobachtet hatte, sagte plotzlich:»Ich sehe, Sie haben es nicht vergessen. Ich hoffe nur, da? wir spater ebenfalls Gelegenheit haben werden, uns an dieses neue Abenteuer zu erinnern.»
        Bolitho merkte, da? die Unterhaltung beendet war, und erhob sich. Pears fugte noch hinzu:»Ich habe Ihnen das alles wegen der Rolle erzahlt, die Sie dabei spielten. Ohne Ihr Eingreifen hatten wir dieses Madchen wahrscheinlich niemals entlarvt. Sir George Help-man hatte nicht Himmel und Holle in Bewegung setzen konnen. «Er lehnte sich lachelnd zuruck.»Und ohne Sir George wurde unser Admiral nicht zu beweisen versuchen, da? er schafft, was andere nicht schafften. Alles Glieder in einer Kette, Bolitho, wie ich vorhin schon sagte. Denken Sie daran!»
        Bolitho trat ins Freie und prallte beinahe gegen Hauptmann d'Esterre.»Dick, du siehst aus, als hattest du einen Geist gesehen«, scherzte er.
        Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Ja, das habe ich auch: meinen eigenen.»
        Als Cairns spater die Aufgabe erhielt, den anderen Offizieren den Einsatzbefehl in vollem Umfang zu erlautern, wunderte sich wohl selbst der phantasieloseste unter ihnen uber des Admirals Kuhnheit.
        Noch bevor sie von Land aus gesehen werden konnten, sollte die Korvette Spite samtliche Marineinfanteristen der beiden gro?en Schiffe ubernehmen und bei Dunkelheit, mit mehreren Booten im Schlepptau, in die Bucht segeln. Die beiden Zweidecker Resolute und Trojan, begleitet von der Vanquisher, wurden ihre Fahrt entlang der Kuste fortsetzen und das Fort ansteuern, das vor einem Jahr Kommodore Parkers Angriff abgeschlagen hatte.
        Beobachtern an Land sowie den Offizieren des Forts und der Garnison von Charlestown wurde dieser zweite Angriffsversuch plausibel erscheinen. Verletzter Stolz der Englander und die Tatsache, da? dieses Fort weiterhin die Einfahrt nach Charlestown beherrschte und immer noch als Umschlagplatz fur Waffen und Munition diente, waren hinreichende Grunde.
        Fort Exeter dagegen war leichter zu verteidigen, besonders gegen Angriffe von See her, und seine Garnison wurde sich vollig sicher fuhlen, wenn das kleine Geschwader in Sichtweite ihrer Ausgucksposten erst vorbeigesegelt war.
        Wahrend Bolitho Cairns gleichma?iger, leidenschaftsloser Stimme lauschte, glaubte er, Konteradmiral Coutts aus dessen Mund sprechen zu horen.
        Die Spite wurde die Soldaten, dazu bewaffnete Seeleute und das zum Ersturmen des Forts notwendige Gerat wie Leitern und dergleichen an Land setzen und noch vor Tagesanbruch wieder auslaufen. Der Angriff uber Land wurde dem altesten Offizier der Marineinfanterie uberlassen, und das war Major Samuel Paget vom Flaggschiff.
        D'Esterre hatte vertraulich uber ihn geau?ert:»Ein harter Mann. Was er sich in den Kopf gesetzt hat, fuhrt er aus, nichts kann ihn davon abbringen. Andere Meinungen la?t er nicht gelten.»
        Bolitho glaubte das gern. Er hatte Paget einige Male gesehen, er wirkte sehr aufrecht und gerade, tadellos in dem roten Rock mit wei?en Aufschlagen und ebensolcher Scharpe. Andererseits hatte er Schwierigkeiten, seine zunehmende Korpulenz zu verbergen. Das Gesicht, einst sehr gut geschnitten, zeigte jetzt, da er die Mitte der Drei?ig erreicht hatte, die ersten Spuren starken Trinkens und ungehemmter Tafelfreuden.
        Jetzt, da ihre Aufgabe allgemein bekannt war, ging die Besatzung mit dem ublichen Gemisch von Gefuhlen ans Werk. Grimmige Resignation auf Seiten derer, die daran teilnahmen, frohlicher Optimismus bei denjenigen, die an Bord bleiben wurden. Zum vorgesehenen Zeitpunkt begann das Ubersetzen der Marineinfanteristen und der Matrosen auf die Korvette. Nach der sengenden Hitze des Julitages brachte der Abend wenig Erfrischung. Die beschwerliche und ermudende Arbeit erregte die Gemuter, und es kam unter den Leuten oft zu Handgreiflichkeiten.
        Bolitho musterte die letzte Gruppe der Seeleute und uberzeugte sich, da? alle gut bewaffnet waren und in ihren Feldflaschen Wasser hatten, nicht etwa aufgesparten Rum, als Cairns zu ihm trat und fauchte:»Wieder eine Anderung!«»Wieso?»
        Bolitho wartete in der Annahme, da? der Angriff verschoben worden sei.
        Cairns aber sagte bitter:»Ich soll an Bord bleiben!«Er wandte sich ab, um seinen Arger zu verbergen.»Schon wieder.»
        Bolitho wu?te nicht, was er sagen sollte. Cairns hatte offenbar damit gerechnet, als altester Offizier den Angriff fuhren zu durfen. Da er schon um seine Chance gebracht worden war, als Prisenkapitan eingesetzt zu werden oder wenigstens an der Eroberung der Faithful teilzunehmen, mu?te er dieses Landungsunternehmen als seine rechtma?ige Belohnung ansehen, trotz der damit verbundenen Gefahr.

«Wird uns jemand vom Flaggschiff befehligen, Sir?»
        Cairns blickte ihn an.»Nein, Probyn soll die Fuhrung ubernehmen. Gott helfe Ihnen!

        Bolitho verbarg seine Gefuhle.»Und auch der junge James Quinn geht mit!»
        Quinn hatte nichts gesagt, als man es ihm mitteilte, aber er hatte ausgesehen, als hatte ihn jemand geschlagen.
        Cairns schien Bolithos Gedanken zu erraten.»Ja, Dick, so wird es vielleicht Ihnen zufallen, unsere Leute zuruckzubringen.»

«Aber warum keiner vom Flaggschiff? Sicher haben sie einen, ja sogar mehrere Offiziere, die sie einsetzen konnten?»
        Cairns betrachtete ihn seltsam.»Sie verstehen Admirale nicht, Dick. Niemals lassen sie ihre eigenen Leute gehen. Sie mussen immer eine wohlgeordnete Schar von Offizieren und Mannschaften um sich haben. Coutts ist da keine Ausnahme. Er will Perfektion, nicht einen zusammengewurfelten Haufen von alten Mannern und Knaben, wie wir es bald sein werden.»
        Er hatte noch mehr sagen konnen, beispielsweise da? Quinn mitgeschickt wurde, damit sich erwies, ob die Verwundung etwa seinen Mut und seine Entschlossenheit beeintrachtigt hatte; Probyn ging, weil man ihn nicht vermissen wurde. Dann dachte Bolitho an seine eigene Position und mu?te beinahe lacheln. Pears tat nur, was auch der Admiral getan hatte: die Besten behielt er fur sich. Jeder nach Rang und Konnen Geringere wurde zuerst geopfert.
        Cairns au?erte:»Gut, da? Sie dem allen noch Humor abgewinnen konnen. Ich selbst finde es unertraglich.»
        Fahnrich Couzens, beladen mit Fernrohr, Dolch, Pistolen und einem gro?en Sack Lebensmittel, rief atemlos:»Die Spite signalisiert, Sir! Letzte Gruppe einschiffen!»
        Bolitho nickte.»Gut, gehen Sie an Bord.»
        Er sah einen weiteren Fahnrich in den Kutter hinabklettern, einen ernsten Sechzehnjahrigen namens Huyghue, und sich neben den Bootssteurer setzen, der wohl doppelt so alt war wie er.

«Ich sehe, Sie sind fertig, Mr. Bolitho.»
        Probyns unangenehme Stimme ri? ihn herum. Der Zweite Offizier konnte erst soeben von der Anderung erfahren haben, aber er wirkte bemerkenswert ruhig. Naturlich war er rot im Gesicht, aber das war bei ihm normal, und als er sich nun uber die Reling beugte und in die langsseits liegenden Boote blickte, machte er einen fast gleichgultigen Eindruck.
        Cairns richtete sich auf, als er des Kommandanten schweren Schritt hinter sich horte.»Viel Gluck, ihr beiden!«Dann blickte er zu der wie betrunken schwankenden Korvette hinuber.»Ich ware gern mitgefahren.»
        Probyn sagte nichts, legte nur die Hand an den Hut und folgte den anderen in das uberfullte Boot.
        Bolitho sah Stockdale in einem der Kutter und nickte ihm zu. Wenn.er aus irgendeinem Grunde nicht teilgenommen hatte, ware ihm das wie ein boses Omen erschienen. Ihn dort im Boot zu sehen - gro?, breit und mit ruhigem Gesicht - , machte vieles wieder wett.
        Probyn knurrte:»Legen Sie ab, ich habe keine Lust, hier in dieser verdammten Hitze noch langer zu schmoren!»
        Als sie bei der Korvette eintrafen, schrie der Kommandant durch sein Sprachrohr: Bewegt euch, verdammt noch mal! Dies ist ein Schiff des Konigs und kein Hummerboot!»
        Erst jetzt zeigte Probyn so etwas wie Erregung.»Horen Sie das? Unverschamter junger Flegel! Mein Gott, wie ein eigenes Kommando die Menschen doch verandert!»
        Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu. Mit diesen wenigen Worten hatte Probyn einen Teil seines Inneren enthullt. Bolitho wu?te, da? er vor Ausbruch des Krieges mit Halbsold an Land gesessen hatte. Ob es infolge seines starken Trinkens oder ob er durch sein Mi?geschick erst zum Trinker geworden war, lie? sich nicht feststellen. Auf jeden Fall hatte man Probyn bei der Beforderung ubergangen, und somit mu?te er sich nun von dem jugendlichen Kommandanten der Spite anschreien lassen.
        Als sie auf dem Deck der Korvette standen, fragte sich Bolitho, wo die vielen Marineinfanteristen geblieben waren. Wie schon auf der Faithful, waren sie bereits Minuten nach ihrer Einschiffung unter Deck verschwunden. An der Heckreling sah er Major Paget mit d'Esterre und den zwei Leutnants der Marineinfanterie sprechen.
        Der Kommandant der Korvette trat zu ihnen, nickte kurz und rief dann:»Mr. Walker, bringen Sie sie auf Kurs!«Zu Bolitho gewandt, fugte er hinzu:»Ich schlage vor, da? Sie unter Deck gehen. Meine Leute haben alle Hande voll zu tun, und es stort, wenn uberall fremde Offiziere herumstehen.»
        Bolitho tippte an seinen Hut. Im Gegensatz zu Probyn konnte er des jungen Mannes Scharfe verstehen. Er nahm sein Kommando und die ihm unvermutet ubertragene Aufgabe sehr ernst. Dicht bei lagen zwei gro?e Linienschiffe, und sein Admiral sowie mehrere altere Seeoffiziere beobachteten kritisch alle seine Manover.
        Noch ein letztes Mal sprach er Bolitho an.»Sind Sie nicht der Offizier, der vor zwei Wochen in diesen Zwischenfall mit meinem Schiff verwickelt war?»
        Seine Stimme hatte einen scharfen, spottischen Ton, und Bolitho vermutete, da? mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Vierundzwanzig Jahre alt… Was hatte Probyn vorhin gesagt? Wie ein eigenes Kommando doch die Menschen verandert.

«Nun?»

«Aye, Sir. Ich war zweiter Mann bei dem Unternehmen. Unser Anfuhrer fiel.»

«Aha. «Er nickte.»Mein Geschutzfuhrer hatte das kurz davor ebenfalls fast bewirkt.
«Damit lie? er Bolitho stehen.
        Dieser bahnte sich nach achtern einen Weg durch die Seeleute, die an Brassen und Fallen arbeiteten und niemanden au?er ihren eigenen Offizieren sahen.
        Die Boote wurden zum Heck gepullt und dort an den bereitgelegten Leinen festgemacht. Noch bevor Bolitho das Niedergangsluk erreicht hatte, holte die Spite unter dem Segeldruck uber und nahm schaumend Fahrt auf.
        Die Messe war uberfullt von Offizieren, und der Zahlmeister brachte mit dem Steward Flaschen und Glaser fur die zusatzlichen Gaste herbei.
        Als sie Probyn Wein anboten, schuttelte er den Kopf und sagte abrupt:»Fur mich nicht, danke! Spater vielleicht.»
        Bolitho wandte sich ab, um den inneren Kampf des Mannes nicht mit ansehen zu mussen. Noch nie hatte er erlebt, da? Probyn einen Drink ablehnte, es mu?te ihn jetzt gewaltige Anstrengung kosten. Aber es war sehr wichtig fur ihn, Erfolg zu haben, und dafur gab er einiges auf, offensichtlich sogar das Trinken.
        Wahrend der Nacht und des folgenden Tages kreuzte die Spite au?er Sichtweite der Kuste und' naherte sich nur langsam ihrem
        Ziel.
        Fort Exeter lag auf einer sandigen, vier Meilen langen Insel, die etwa die Form einer Axt hatte. Bei Niedrigwasser war sie durch einen nicht sehr zuverlassigen Damm aus Sand und Kies mit dem Festland verbunden. Daneben lag die Einfahrt zu einer Art Lagune, ein vom Fort aus muhelos zu verteidigender Ankerplatz, den sorgsam postierte Geschutze bestreichen konnten.
        Sobald die Landungstruppen abgesetzt waren, sollte die Spite sich zuruckziehen und vor der Morgendammerung wieder au?er Sicht sein. Wenn es zu stark abflaute, wurde der Angriff verschoben werden, bis wieder genugend Wind aufkam. Auf keinen Fall sollte er aufgegeben werden, au?er wenn der Feind mi?trauisch wurde und sich verteidigungsbereit machte.
        Bolitho dachte an Major Samuel Paget, den Mann, der den Angriff fuhren sollte' es schien ihm nicht einmal sicher, da? er in diesem Fall das Unternehmen abbrach.



        VIII Fort Exeter

        Die Landung um ein Uhr nachts verlief ohne Zwischenfalle. Ein gunstiger Wind ermoglichte es der Korvette, bis dicht unter Land zu segeln, wo sie ankerte. Dann wurde mit der Ausschiffung der Truppen begonnen, als sei es ein Ubungsmanover in Friedenszeiten.
        Major Paget fuhr mit dem ersten Boot an Land, und als Bolitho schlie?lich auf den nassen Strand watete, bewunderte er seine geschickte Planung. Er hatte zwei Kanadier mitgebracht, wild aussehende, bartige Manner in grober Trapperkleidung und nach Fellen riechend, von denen er behauptete, sie seien besser als jeder Spurhund.
        Einer der beiden, ein traurig dreinblickender Schotte namens Macdonald, hatte fruher einige Jahre in South Carolina gelebt, bis er nach der Niederlage der Loyalisten von seinem Grund und Boden vertrieben worden war. Er erinnerte Bolitho an den einfallsreichen Moffitt.
        Paget gru?te Bolitho mit der ihm eigenen Abruptheit.»Alles ruhig. Ich will unsere Leute in Stellung bringen, bevor es hell wird. Wir geben hier Verpflegung und Wasser aus. «Dann musterte er den sternenklaren Himmel und knurrte:»Zu verdammt hei? fur meinen Geschmack.»
        Stockdale krachzte:»Mr. Couzens kommt mit der letzten Gruppe, Sir.»

«Gut. «Bolitho beobachtete Probyn, der aus einem dunklen Gebusch stolperte und nach allen Richtungen wie ein Fuchs witterte.»Alles an Land, Sir!»
        Hinter ihnen stapften die Seesoldaten vorbei, die Waffen sorgsam verhullt, wie die stummen Gespenster einer langst vergessenen Schlacht.
        Probyn lie? sich vernehmen:»Wenn man bedenkt - hier stehen wir jetzt, Meilen von unserem Schiff entfernt, und marschieren wer wei? in was hinein… Wofur?»
        Bolitho lachelte. Er hatte dasselbe gedacht. Die Seesoldaten schienen an Land genauso zu Hause zu sein wie an Bord, aber er spurte die Vorsicht der Seeleute und ihre Neigung, dicht zusammenzubleiben, als wurden sie bereits bedroht.
        D'Esterre erschien von irgendwoher und zeigte grinsend die Zahne.»Geh zur Marine, und du siehst die Welt, Dick!«Damit lief er weiter, um seinen Leutnant zu suchen, den Sabel wie einen Spazierstock schwingend.
        Bolitho blickte hinunter zum Strand, der in der Dunkelheit schwach heraufschimmerte. Die Boote waren schon weg, und er meinte, die Gerausche des Segelsetzens horen zu konnen. Dann wurde ihm bewu?t: an dieser unbekannten Kuste waren sie nur auf die Geschicklichkeit zweier kanadischer Spaher angewiesen, die Paget sich von der Armee» entliehen «hatte.
        Wenn sie nun schon belauert wurden? Wenn ihr Vormarsch in einen vorbereiteten Hinterhalt hineinfuhrte? Doch die Nacht blieb bis auf das Sauseln des Windes in den Baumen und den gelegentlichen Schrei eines aufgeschreckten Vogels still. Selbst der Wind klang hier anders, was nicht verwunderlich war, dachte Bolitho, als er die seltsamen Palmen betrachtete, die bis fast zum Wasser hinunter wuchsen und dem Land ein fremdartiges, tropisches Aussehen verliehen.
        Leutnant Raye von den Marineinfanteristen der Trojan marschierte aus der Dunkelheit heran und meinte frohlich:»Ah, hier sind Sie. Der Major la?t Ihnen sagen, Sie sollen mit der Nachhut folgen, Mr. Bolitho. Stellen Sie sicher, da? die Leute mit Ihren Leitern und sonstigem Gerat nicht aufeinanderprallen. «Er gru?te Probyn und sagte:»Sie mochten mit zur Hauptgruppe kommen,
        Sir.»
        Probyn nickte und knurrte:»Verdammte Stoppelhopser, das sind wir jetzt, nichts anderes!»
        Bolitho trat beiseite und lie? die Seeleute vorbeiziehen. Einige trugen Sturmgerat, andere Gewehre und Munition. Der Rest war beladen mit Proviant und Wasser.
        Leutnant Quinn ging ganz hinten, flankiert in einigem Abstand von undeutlichen Gestalten, den Scharfschutzen der Marineinfanterie, die ihren Marsch sicherten.
        Bolitho fiel etwas zuruck, bis er mit Quinn gleichauf war, und fragte:»Was macht die Wunde, James?»

«Ich spure sie nicht sehr. «Quinns Stimme klang zittrig.»Aber ich wollte, wir waren an Bord und nicht hier.»
        Bolitho fiel ein, da? er vor dem letzten Einsatz fast dasselbe gesagt hatte. D'Esterre und Thorndike, der Arzt, hatten damals unter einer Lampe Karten gespielt, alle anderen schliefen schon.
        Quinn fuhr fort:»Ich habe Angst vor meinen Reaktionen, wenn es wieder zum Kampf Mann gegen Mann kommt. «Und dann fugte er beinahe flehend hinzu:»Ich furchte, das kann ich nicht aushaken!»

«Nur die Ruhe, James, sieh keine Gespenster, bevor es wirklich soweit ist.»
        Er wu?te genau, wie Quinn zumute war. Dasselbe hatte auch er empfunden, damals nach seiner Verwundung. Fur Quinn war es schlimmer, denn er war davor noch nie im Einsatz gewesen.
        Quinn schien nicht zu horen.

«Ich denke viel an Sparke, wie er tobte und raste. Ich mochte ihn nie richtig, aber ich bewunderte seinen Mut, seinen. «Er suchte nach Worten.»Seinen Stil.»
        Bolitho griff zu, als ein Seemann mit seiner Ladung Gewehre uber eine Wurzel stolperte und beinahe gesturzt ware.»Stil«, ja das beschrieb Sparkes Art am besten.
        Quinn seufzte.»Ich konnte niemals tun, was er getan hat. Nicht in tausend Jahren.»
        Plotzlich ertonte ein dumpfes Gerausch' einer der Soldaten stie? gerade zum zweiten Mal mit dem Gewehrkolben in ein Gestrupp.

«Schlange!«Er wischte sich das Gesicht ab.»Verdammtes Biest, das hat uns gerade noch gefehlt!»
        Bolitho sah plotzlich Cornwall im Juli vor sich: Heckenrosen, saftige Wiesen und Felder, uber die Hange Schafe und Kuhe verstreut. Er konnte das Land beinahe riechen, konnte das Summen der Bienen horen, das Hacken der Farmarbeiter auf den Feldern.
        Fahnrich Couzens sagte keuchend:»Der Himmel wird heller,
        Sir!»
        Bolitho erwiderte:»Dann mussen wir bald am Ziel sein.»
        Aber was, wenn sie statt eines gunstigen Verstecks, wie es Macdonald, der Kanadier, versprochen hatte, ein Lager des Feindes vorfanden?
        Die Nachhut stie? bereits auf den Haupttrupp, wo Pagets Unteroffiziere die Leute in kleinere Gruppen aufteilten. Man sah die wei?en Kreuzgurtel und die karierten Hemden gehorsam in die jeweils zugewiesene Richtung verschwinden.
        Im Mittelpunkt der flachen, bewaldeten Senke fanden sich die Offiziere zusammen und erwarteten ihre Weisungen.
        Bolitho fuhlte sich ungewohnlich mude und konnte nur mit Muhe ein Gahnen unterdrucken. Sein Kopf war jedoch vollig klar, und er vermutete, da? das Gahnen ein Zeichen von Anspannung war. Er hatte das fruher schon erlebt, zu oft schon.
        Major Paget, noch immer sehr aufrecht und ohne das geringste Anzeichen von Ermudung, sagte:»Bleiben Sie bei Ihren Leuten, lassen Sie die Rationen ausgeben, aber passen Sie auf, da? nichts vergeudet wird und da? kein Abfall zuruckbleibt. Er blickte d'Esterre bedeutsam an.»Sie wissen, was Sie zu tun haben. Uberprufen Sie alles, verdoppeln Sie die Wachen und scharfen Sie ihnen ein, da? sie in Deckung bleiben. «Zu Probyn sagte er:»Sie ubernehmen naturlich hier das Kommando. Aber ich brauche einen Offizier, der mich begleitet.»
        Probyn seufzte.»Gehen Sie mit, Bolitho. Wenn ich Quinn schik-ke, wird der Major ihn zum Fruhstuck verspeisen!»
        Bolitho meldete sich bei Paget, nachdem die anderen in der Dammerung verschwunden waren. Er nahm statt Stockdale Cou-zens mit. In einem Kampf oder Sturm auf See war Stockdale unschlagbar, aber behutsames Schleichen durch unbekanntes Gelande war nicht seine Starke.
        Couzens sprudelte vor Aufregung. Bolitho hatte dergleichen noch nie erlebt. Den Jungen schien all das Schreckliche, das er sah und horte, nicht im geringsten zu beeindrucken, er schuttelte es mit der Elastizitat der Jugend ab.
        Major Paget trank aus einer silbernen Feldflasche und reichte sie dann herum. Bolitho stockte der Atem, als der starke Brandy uber seine Zunge flo?. Couzens dagegen leckte sich die Lippen.»Danke, Sir, das schmeckte himmlisch!»
        Paget blickte Bolitho an und rief aus:»„Himmlisch!" In Dreiteufelsnamen, was fur eine Marine ist das?»
        Sie drangen in sudwestlicher Richtung vor, die Ordonnanz folgte ihnen in respektvoller Entfernung. Das Meer lag zu ihrer Linken, zwar au?er Sichtweite, aber doch in trostlicher Nahe.
        Dicht vor ihnen spurte Bolitho einige von d'Esterres Kundschaftern, die gerauschlos wie Waldtiere durch das Gestrupp zogen und ihren Kommandeur vor einem Uberraschungsangriff schutzten.
        Schweigend gingen sie weiter, uber sich den langsam heller werdenden Himmel und die verblassenden Sterne, wahrend die Umgebung allmahlich Formen annahm.
        Plotzlich erhob sich lautlos eine dunkle Gestalt aus dem Schatten, und Paget sagte:»Aha, der kanadische Gentleman!»
        Der Spaher winkte lassig mit der Hand.»Dies ist nahe genug,
        Major, den Rest des Weges mussen Sie auf dem Bauch zurucklegen.»
        Paget schnippte mit den Fingern, und die Ordonnanz zog etwas hervor, das aussah wie ein kurzes grunes Cape. Paget nahm Hut und Sabel ab und stulpte sich das Gebilde uber den Kopf: bis zum Gurtel war seine Uniform nun vollkommen verborgen. Bolitho sah, da? der Spaher und auch Couzens offenen Mundes hinstarrten, die Ordonnanz jedoch verzog keine Miene.

«Hab' das Ding letztes Jahr machen lassen«, erklarte Paget.»Keine Lust, mir von irgendeinem Hinterwaldler ein Loch in den Kopf schie?en zu lassen.»
        Bolitho grinste.»Gute Idee, Sir. Dergleichen habe ich auch schon bei Wilderern gesehen.»
        Der Major lie? sich vorsichtig auf Hande und Knie nieder, und sie robbten eine gute halbe Stunde, bis sie einen geeigneten Aussichtspunkt entdeckt hatten. Jetzt war es schon bedeutend heller, und als Bolitho sich ein wenig aufrichtete, sah er die See' der Horizont wirkte wie ein dunner Goldfaden. Er robbte weiter, die scharfen Grasspitzen zerstachen ihm Gesicht und Hande, der Boden wimmelte von Insekten. Die Sonne stand noch unter dem Horizont, daher lag die Lagune in tiefer Dunkelheit, aber das Fort hob sich gegen die hellere See mit ihren leuchtenden Schaumkronen jetzt deutlich ab: ein schwarzer, formloser Schemen am Ende der flachen Insel. Bolitho sah zwei Laternen und etwas wie ein abgeschirmtes Feuer au?erhalb der Mauern, sonst nichts.
        Schwer atmend richtete Paget sein Fernrohr durch Gras und Gestrupp auf das Fort. Er schien laut zu denken.»Mu? vorsichtig sein bei diesem Winkel. Wenn die Sonne aufgeht, wird sie von dem verdammten Glas reflektiert.»
        Couzens zischte Bolitho zu:»Konnen Sie die Kanonen sehen,
        Sir?»
        Dieser schuttelte den Kopf und stellte sich vor, wie die Marine Infanteristen uber den angeblich vorhandenen Damm in einen Kartatschenhagel hineinsturmten.»Noch nicht. «Er blickte angestrengt hinuber.»Das Fort ist nicht quadratisch oder rechteckig, es hat sechs oder gar sieben Seiten. Also vielleicht ein Geschutz pro Seite.»
        Der Spaher kroch naher.»Sie sollen ein Pontonflo? haben, Major. «Er hob den Arm, worauf sich ein saurer Geruch verbreitete.»Wenn sie Lieferungen von der Landseite her bekommen, packen sie Pferde und Wagen auf den Ponton und ziehen das Ding hinuber.»
        Paget nickte.»Wie ich's mir dachte. So werden auch wir morgen fruh um diese Zeit ubersetzen, wenn die Burschen noch schlafen.»
        Der Spaher sog an seinen Zahnen.»Nachts ware es besser.»
        Paget erwiderte verachtlich:»Die Dunkelheit ist fur alle gleich hinderlich, Mann! Nein, heute beobachten wir sie, morgen fruh greifen wir an.»

«Wie Sie wollen, Major.»
        Paget walzte sich schwerfallig zur Seite und blickte Bolitho an.»Sie ubernehmen die erste Wache. Schicken Sie den Jungen zu mir, wenn Sie was Besonderes sehen.
«Damit verschwand er erstaunlich lautlos im Gestrupp.
        Couzens lachelte etwas gezwungen.»Sind wir allein, Sir?«Zum ersten Mal klang seine Stimme nervos.
        Bolitho lachelte ebenso gezwungen.»Scheint so. Aber Sie haben gesehen, wo der letzte Posten steht. Wenn Sie mit einer Meldung zuruck mussen, lassen Sie sich von ihm weiterleiten, damit Sie sich nicht verirren.»
        Er nahm die Pistole aus dem Gurtel und untersuchte sie sorgfaltig, dann zog er den Dolch aus der Scheide und steckte ihn in den Boden, damit die Klinge nicht reflektierte.
        Langsam wurde es unertraglich hei?; Bolitho versuchte, nicht an kuhles Trinkwasser zu denken.
        Nach einer Weile sagte Couzens:»Endlich wei? ich, da? ich etwas tue, etwas Nutzliches.»
        Bolitho seufzte.»Hoffentlich haben Sie recht.»
        Als sich nach einiger Zeit die Sonne uber den Horizont schob und ihre ersten Strahlen das Fort und den geschutzten Ankerplatz in helles Licht tauchten, hatte Bolitho eine ganze Menge uber seinen Gefahrten erfahren. Couzens war der funfte Sohn eines Geistlichen aus Norfolk, hatte eine Schwester namens Beth, die den Sohn des Gutsherren heiraten wollte, wenn sich auch nur die geringste Chance dazu bot, und seine Mutter konnte den besten Apfelkuchen der ganzen Grafschaft backen.
        Sie verfielen beide in Schweigen, als sie das nun klar zu erkennende Fort und dessen Umgebung betrachteten. Bolitho hatte hinsichtlich der Form recht gehabt. Es war sechseckig, und der Raum zwischen den dicken Doppelwanden aus Palmenholz war mit Steinen und festgestampfter Erde gefullt. Sowohl die innere wie auch die au?ere Palisade trugen eine Brustwehr. Bolitho schatzte, da? auch die schwerste Kanonenkugel kaum diese Wande durchschlagen konnte.
        Auf der Seeseite stand ein gedrungener, viereckiger Turm mit einem Flaggenmast, und ziehender Qualm deutete darauf hin, da? im Innenhof irgendwo eine Kuche sein mu?te.
        Die Wande wiesen die ublichen Schie?scharten auf, und als das Licht starker wurde, sah Bolitho auch zwei Geschutzpforten zum Festland hin und den Schatten einer Toreinfahrt dazwischen. Zwei kleine Boote wurden zum Strand gerudert, wo das Gerippe eines anderen Bootes lag, vermutlich das Uberbleibsel eines alten Gefechtes.
        Couzens flusterte aufgeregt:»Dort, Sir, der Ponton!»
        Bolitho senkte das Teleskop und betrachtete das Fort und den festgemachten Ponton. Es war eine grobe Konstruktion mit Schlepptauen und gerippter Verladerampe fur Pferde und Wagen. Der Sand war auf beiden Seiten des Sund aufgewuhlt vom haufigen An- und Ablegen.
        Er schwenkte das Glas vorsichtig weiter bis zur Lagune, die zwar klein war, aber genugend Ankerplatz fur zwei Schiffe von der Gro?e einer Brigg oder eines Schoners bot.
        Ein Trompetensignal ertonte von druben, und einen Augenblick spater stieg eine Flagge am Mast hoch und wehte lustlos in ihrer Richtung. Ein paar Kopfe bewegten sich uber dem Brustwall, dann sah Bolitho eine einzelne Gestalt sich auf dem Pontonflo? erheben und lassig ein Gewehr schultern. Er hielt den Atem an. Das war neu. Er hatte keine Ahnung gehabt, da? auf dem Flo? ein Posten stationiert war. Offensichtlich war die Nachtwache des Mannes jetzt voruber. Fur Pagets Plan mu?te dieser Posten vorher erledigt werden.
        Wahrend der ersten Stunde beobachtete Bolitho das Fort systematisch, schon allein um sich von der gluhenden Hitze und dem grellen Licht abzulenken. Es schienen nicht viele Leute in der Garnison zu sein, und die Hufspuren bei dem Ponton deuteten darauf hin, da? vor kurzem eine gro?ere Anzahl Soldaten das Fort verlassen hatte. Vielleicht war dies schon eine Reaktion auf das vorbeisegelnde britische Geschwader.
        Bolitho dachte an Konteradmiral Coutts listigen Plan, der im Grunde so einfach war. Sicher ware Coutts jetzt gern hier gewesen, um zu sehen, wie gut alles bisher gelaufen war.
        Der Kanadier Macdonald lag plotzlich neben ihm, ohne auch nur das geringste Gerausch verursacht zu haben, und zeigte grinsend seine schmutziggelben Zahne.

«Zwecklos, nach dem Dolch zu greifen, Mister. «Sein Grinsen wurde breiter.»Hatte Ihnen muhelos die Kehle durchschneiden konnen.»
        Bolitho schluckte.»Wahrscheinlich. «Er sah Quinn und Fahnrich Huyghue durch das Gestrupp auf sie zurobben und sagte:»Wir sind abgelost, scheint mir.»
        Spater, in Pagets provisorischem Kommandostand, berichtete Bolitho, was er gesehen hatte.
        Paget knurrte:»Wir mussen dieses Flo? haben. «Dann blickte er Probyn bedeutungsvoll an:»Ein Job fur Seeleute, eh?»
        Probyn zuckte die Schultern.»Klar, Sir.»
        Bolitho lehnte an einer Palme und trank Wasser aus einer Feldflasche. Stockdale hockte sich neben ihn und fragte:»Wird es schwierig?»

«Das wei? man noch nicht.»
        Er sah das Flo? vor sich, sah, wie der Posten sich reckte, als er aus seinem Versteck kam. Hochstwahrscheinlich hatte er geschlafen. Ein so leicht zu verteidigendes Fort verfuhrte naturlich zur Nachlassigkeit.
        Stockdale betrachtete ihn besorgt.»Ich habe ein Lager fur Sie hergerichtet, Sir.
«Dabei deutete er auf einen vor der Sonne gp-schutzten Platz, der mit Zweigen und Farnwedeln ausgelegt war.»Niemand kann ohne Schlaf kampfen.»
        Bolitho kroch in das Lager; die Erfrischung nach dem Trinken war schon wieder verflogen. Das wird mein langster Tag, dachte er grimmig.
        Er drehte sich um, als er neben sich jemanden schnarchen horte. Es war Couzens, der auf dem Rucken lag, das sommersprossige Gesicht ziemlich verbrannt von der Sonne.
        Der Anblick solch offensichtlichen Vertrauens und solcher Zuversicht beruhigte auch Bolitho. Couzens traumte wahrscheinlich vom Apfelkuchen seiner Mutter oder von dem verschlafenen Dorf in Norfolk, wo jemand die Idee in seinen Kopf gesetzt hatte, Seeoffizier zu werden.
        Stockdale lehnte sich an einen Baum und sah zu, wie Bolitho einschlief. Er wachte immer noch, als einer von d'Esterres Seesoldaten durch das Gestrupp gekrochen kam und zischte:»Wo ist der Leutnant?»
        Bolitho erwachte zogernd und fand nur schwer in die Wirklichkeit zuruck.
        Der vollig erschopfte Soldat meldete:»Der Major bittet Sie zu sich, dorthin, wo Sie heute morgen mit ihm waren, Sir.»
        Bolitho erhob sich, jeder Muskel schmerzte.»Warum?»

«Mr. Quinn hat ein fremdes Segel gesichtet, Sir.»
        Bolitho blickte Stockdale an und zog eine Grimasse.»Konnte sich auch keinen gunstigeren Zeitpunkt aussuchen!»
        Es dauerte diesmal langer, bis er den Ausgucksplatz erreicht hatte. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Luft war so feucht, da? das Atmen Muhe machte.
        Paget lag in seinem grunen Cape hinter einem Teleskop, das sorgfaltig mit Laub und Zweigen getarnt war. Neben ihm rakelte sich Probyn, und weiter hangabwarts, im durftigen Schatten eines Gebuschs, lagen Quinn und sein Fahnrich wie die einzigen Uberlebenden eines Wustentrecks.
        Paget ruckte ein wenig zur Seite.»Sehen Sie selbst!»
        Bolitho richtete das Glas auf das naher kommende Fahrzeug. Es war mittschiffs sehr breit und lag so tief im Wasser, da? es voll beladen sein mu?te. Im Schneckentempo bewegte es sich vorwarts, die lohfarbenen Segel flappten trage in der schwachen Brise. Drei Masten und ein kleiner, gedrungener Rumpf - offensichtlich ein Kustenlogger, deren es zahlreiche an der gesamte Ostkuste gab, gute Hochseeschiffe, aber auch brauchbar in flachen Kustengewassern. Bolitho wischte sich den Schwei? aus den Augen und richtete das Glas auf den Turm des Forts. Dort beobachteten jetzt eine Menge Kopfe das Herannahen des Loggers. Das Tor stand weit offen, und ein paar Leute schlenderten zum Strand auf der anderen Seite der Insel hinunter.
        Keine der Kanonen des Forts war ausgefahren oder auch nur besetzt.
        Bolitho sagte:»Sie scheinen das Schiff erwartet zu haben. «Paget grunzte zustimmend.
        Probyn norgelte:»Das macht unsere Aufgabe nahezu unmoglich. Der Feind steht dann auf zwei Seiten von uns. «Er fluchte greulich.»Typisch fur unser Pech!»

«Ich beabsichtige, wie geplant anzugreifen!«Paget betrachtete den Logger.»Ich kann nicht noch einen vollen Tag vergeuden. Jeden Augenblick konnte eine Patrouille auf unsere Leute sto?en, oder die Spitze kommt vorzeitig zuruck, um nach uns zu sehen.
«Er schob seinen machtigen Unterkiefer vor:»Nein, wir greifen an!«Damit krabbelte er ungeschickt uber einige scharfe Steine und stie? hervor:»Ich gehe zuruck. Passen Sie gut auf, und sagen Sie mir spater Ihre Schlu?folgerungen.»
        Probyn starrte ihm nach.»Der Kerl macht mich noch ganz krank!»
        Bolitho lag auf dem Rucken und bedeckte das Gesicht mit den Armen. Er wurde von ganzen Muckenschwarmen zerstochen, beachtete es aber kaum, sondern dachte an den Logger und wie dessen unerwartete Ankunft in den Plan mit einbezogen werden konnte.
        Probyn grollte weiter:»Er mag naturlich recht haben mit den Nachteilen einer weiteren Verzogerung; auch kann ich mir nicht vorstellen, da? er den Angriff ganz und gar abblast.»
        Bolitho merkte, da? Probyn ihn anschaute, und lachelte.»Und was meinen Sie?»

«Ich?«Probyn griff nach dem Teleskop.»Wer kummert sich schon um meine Meinung?»
        Es war Nachmittag, als der Logger sich endlich um die Spitze der Insel herumgequalt und den Ankerplatz erreicht hatte. Nachdem er geankert und seine Segel notdurftig festgemacht hatte, sah man ein Boot zu ihm hinuberrudern.
        Probyn fragte mude und gereizt:»Also, was tut sich?»
        Bolitho richtete das Glas auf einen Mann, der in das jetzt langsseits liegende Boot ging. War es Eitelkeit oder eine zur Schau gestellte Selbstsicherheit? Aber die Uniform - leuchtend bunt gegen den truben Hintergrund der Bordwand - sprach eine deutlichere
        Sprache als jede Botschaft. Ruhig sagte er:»Ein franzosischer Offizier geht von Bord. «Und seitwarts zu Probyn:»Nun wissen wir Bescheid.»



        IX Probyns Entscheidung

        Fahnrich Couzens kroch auf Handen und Knien zu Bolitho auf dem Steilhang hin.

«Alles erledigt, Sir!«Er blickte hinunter zum Meer und den abweisenden Umrissen des Forts.
        Bolitho nickte. Trotzdem gingen ihm noch ein Dutzend Fragen im Kopf herum. Waren die Waffen der Seeleute uberpruft worden, um sicherzustellen, da? nicht irgendeine angstliche Seele keine Munition im Lauf hatte? Hatte Couzens ihnen die lebenswichtige Bedeutung absoluter Lautlosigkeit eingehammert? Aber jetzt war es zu spat. Er mu?te den Mannern vertrauen, die er geduckt hinter sich wu?te, in der ihnen unbekannten Umgebung nervos die Waffen umklammernd.
        Wenigstens schien der Mond nicht' dafur hatte sich jedoch der Wind vollig gelegt, lediglich das regelma?ige Klatschen der Brandung war zu horen. Es wurde schwierig sein, die Leute unbemerkt hinunter an den Strand und hinuber zur Insel zu fuhren, da kaum ein Gerausch ihre Annaherung uberdeckte.
        Er dachte an d'Esterres kuhle Einschatzung der Verteidigungsanlagen. Er hatte das Fort von drei verschiedenen Punkten aus eingehend durch das Glas studiert und herausgefunden, da? es zumindest acht schwere und mehrere kleinere Geschutze besa?. Die Garnison, obgleich offensichtlich nicht vollzahlig, schien sich auf rund vierzig Mann zu belaufen. Allerdings war er der Ansicht, da? bereits ein Dutzend Leute zur Verteidigung ausreichten und mit Leichtigkeit einen Frontalangriff abschlagen konnten. Es war ein Wunder, da? nicht schon irgendein Jager oder Waldlaufer auf die verborgenen Soldaten gesto?en war, doch au?er den paar Gestalten auf der Insel und den Mannern, die das Boot ruderten, hatten sie keine Menschenseele gesehen. Der franzosische Offizier schien noch im Fort zu sein, obwohl ihnen der Zweck seines Besuchs weiterhin ratselhaft blieb.
        Stockdale flusterte:»Mr. Quinns Gruppe ist eingetroffen, Sir.»

«Gut. «Der arme Quinn sah jetzt schon aus wie der Tod, dabei hatte es noch gar nicht angefangen.»Er soll sich bereithalten.»
        Bolitho richtete sein Glas auf den Logger, sah aber nichts als dessen dunkle Silhouette. Kein Ankerlicht verriet seine Anwesenheit, auch der vorher noch zu horende Gesang Betrunkener war verstummt.
        Eine Hand beruhrte seine Schulter, und er horte den Kanadier flustern: «Los!»
        Bolitho stand auf und folgte dem Mann den Steilhang hinab zum Wasser. Dabei trat er Sand und Steine los und fuhlte, wie ihm der Schwei? uber den Korper lief. Es war, als marschierten sie nackt gegen gespannte Gewehre, die sie jeden Augenblick niedermahen konnten.
        Zu spat, zu spat.
        Stetig folgte er dem Schatten des Kanadiers und wu?te die gesamte Gruppe dicht hinter sich. Er konnte sich sogar ihre Gesichter vorstellen: Rowhurst, der Artilleriemaat, Kutbi, der gro?augige Araber, Rabbett, der kleine Dieb aus Liverpool, der nur durch seine freiwillige Meldung zur Marine dem Strick entgangen war.
        Die Gerausche der See kamen naher, hie?en sie wie alte Freunde willkommen und gaben ihnen Zuversicht.
        Sie duckten sich hinter einige trockene Busche, die von oben viel gro?er gewirkt hatten, und starrten von dieser letzten Deckung aus hinuber zum Fort.
        Der Kanadier beugte sich vor.»Dies sind die Fuhrungstaue fur das Flo?«, flusterte er.
        Bolitho sah die gro?en Balken, an denen die Taue befestigt waren, und hoffte nur, da? der von ihnen errechnete Wasserstand stimmte, denn wenn die Ebbe schon starker fortgeschritten war und das Flo? auf Grund sa?, hatte man eine ganze Armee gebraucht, um es anzuschieben. Er dachte auch an die beiden schweren Geschutze, die auf das Festland und den jetzt unsichtbaren Damm gerichtet waren. Er bezweifelte, da? die Garnison ihnen in dem Fall Zeit lassen wurde, ihren Irrtum zu bedauern.
        Ob Paget wohl von einem gunstigen Beobachtungspunkt aus, kochend vor Ungeduld, ihren Vormarsch verfolgte?
        Dann brachte er seine abschweifenden Gedanken unter Kontrolle. Dies war nicht der rechte Ort, um nervos zu werden.
        Der Spaher streifte sein Lederwams ab und sagte leise:»Dann gehe ich jetzt los.
«Es hatte ebensogut eine Bemerkung uber das Wetter sein konnen.»Wenn ihr nichts hort, konnt ihr nachkommen.»
        Bolitho beruhrte die dick eingefettete Schulter des Mannes und zwang sich zu sagen:»Viel Gluck.»
        Der Spaher verlie? den Schutz der Busche und ging ohne Eile zum Strand hinab. Bolitho zahlte seine Schritte, vier, funf, sechs, dann hatte er das Wasser erreicht und war kurz darauf verschwunden.
        Die Posten auf dem Fort gingen ihre Wache im Dreistundenrhythmus, vielleicht weil so viele Kameraden fehlten. Hoffentlich machte sie das besonders mude.
        Die Minuten schlichen dahin, einige Male glaubte Bolitho, etwas zu horen, und erwartete Alarm.
        Rowhurst murmelte:»Das sollte lange genug sein, Sir. «Er hatte sein Entermesser bereits gezogen.
        Bolitho drehte sich im Dunkeln nach ihm um. War er so ungeduldig, oder dachte er, sein Leutnant habe den Mut verloren, und wollte ihn aufrutteln?

«Noch eine Minute«, sagte er, und dann, an Couzens gewandt:»Mr. Quinn soll sich bereithalten.»
        Wieder mu?te er seine abschweifenden Gedanken im Zaum halten. Hatte Quinn uberpruft, ob die Leitern umwickelt waren? Er mu?te einfach daran gedacht haben.
        Er nickte Rowhurst zu.»Sie nehmen das linke Tau. «Dann zu Stockdale:»Und wir das rechte.»
        Die Seeleute waren in zwei Gruppen aufgeteilt' er sah sie uber den offenen Strand zu den schweren Balken schleichen, dann hangelten sie sich an den durchhangenden Tauen entlang, bis ihre Be ine und kurz danach der ganze Korper von der starken Stromung erfa?t wurden.
        Nach der Hitze des Tages fuhlte sich das Wasser wie kuhle Seide an. Bolitho zog sich an dem Seil weiter, es war so fettig wie des Spahers Schulter.
        Jeder Mann war extra ausgesucht worden, trotzdem horte er einige von ihnen grunzen und keuchen und fuhlte auch seine Arme vor Anstrengung schmerzen.
        Dann waren sie plotzlich angelangt und zogen sich schwe igend, mit weit aufgerissenen Augen nach einem Angriff aus dem Dunkel ausspahend, auf den Ponton hinauf. Statt dessen trat der Spaher aus dem Schatten und knurrte:»Alles erledigt. Er ist nicht einmal aufgewacht.»
        Bolitho schluckte. Er brauchte keine weiteren Einzelheiten zu horen. Der ungluckliche Posten mu?te eingeschlafen sein, um erst aufzuwachen, als des Spahers doppelschneidiges Jagdmesser bereits seine Kehle durchschnitt. So sagte er nur zu Rowhurst:»Sie wissen, was zu tun ist. Sammeln Sie druben die anderen auf, und lassen Sie das Ding von der Stromung zurucktreiben.»
        Dann stieg Bolitho vorsichtig von der Verladerampe an Land und stie? dabei gegen den Arm des Toten. Er versuchte, sich genau an alles zu erinnern, was er gesehen hatte: Das Fort lag etwa eine halbe Meile entfernt, nein, weniger. Die Posten wurden zur Seeseite hin aufpassen, wenn uberhaupt. Sie hatten allen Grund, sich sicher zu fuhlen. Der Logger hatte eine Ewigkeit gebraucht, um die Spitze der Insel zu umrunden. Selbst wenn sie nur blindlings feuerten, konnten sie ein gro?es Kriegsschiff im Nu zum Wrack schie?en. Niemand wurde mit einem Angriff von Land aus rechnen, da nicht einmal Boote zum Ubersetzen vorhanden waren.
        Stockdale flusterte heiser:»Das Flo? ist freigekommen, Sir.»
        Der Ponton glitt gerauschlos zum Festland, sein Umri? verschwamm mit dem Schatten der hohen Steilkuste.
        Bolitho schlich weiter in Richtung Fort, die Leute schwarmten nach beiden Seiten aus. Jetzt fuhlte er sich wirklich allein und abgeschnitten von jeder Hilfe, wenn etwas schiefgehen sollte.
        Nachdem sie sich eine Weile vorwarts getastet hatten, entdeckten sie einen flachen Abzugsgraben und krochen dankbar darin weiter.
        Bei einem Halt stutzte Bolitho sein Glas auf den sandigen Grabenrand und versuchte ein Lebenszeichen zu entdecken' aber das Fort wirkte so ausgestorben wie die ganze Insel. Das ursprungliche Gebaude war von den ersten Siedlern zum Schutz gegen die Indianer errichtet worden und seit langem durch Feuer und Kampfe zerstort. Diese verwegenen Abenteurer mu?ten lachen, wenn sie uns jetzt sehen konnten, dachte Bolitho.
        Nach schier endloser Zeit flusterte ein Seemann:»Mr. Couzens kommt, Sir.»
        Gefuhrt von dem kanadischen Spaher, fiel Couzens au?er Atem in den Graben, glucklich, seine Kameraden gefunden zu haben. Er flusterte:»Mr. Quinn ist auch schon hier, Sir, dazu Hauptmann d'Esterre mit seiner ersten Abteilung.»
        Bolitho atmete langsam aus. Was jetzt auch passieren mochte, er war nicht mehr allein und ohne Unterstutzung. Das Flo? war wieder auf dem Ruckwe g, und mit etwas Gluck wurden bald weitere Seesoldaten landen.
        Zu Couzens sagte er leise:»Nehmen Sie zwei Mann und arbeiten Sie sich am Strand zu den beiden Booten vor. Bewacht sie fur den Fall, da? wir uns plotzlich zuruckziehen mussen. «Er fuhlte des Jungen Konzentration.»Ab mit euch!»
        Kurz darauf sah er, wie Couzens mit zwei bewaffneten Seeleuten uber den Grabenrand kroch. Ein Grund zur Sorge weniger. Es war sinnlos, Couzens bei einem so riskanten Coup in Lebensgefahr zu bringen.
        Er konnte sich leicht vorstellen, wie die Seesoldaten jetzt in zwei Gruppen zu den Toren schlichen, wahrend eine dritte Abteilung auf der Festlandsseite der Insel zuruckblieb, um den Angriff oder auch einen Ruckzug zu decken.
        Bolitho vermutete Probyn bei Major Paget, wenn auch nur, um sicherzustellen, da? seine Rolle nicht vergessen wurde, wenn alles voruber war.
        Eine weitere Gestalt rutschte in den Graben. Es war Quinns atemloser Fahnrich, der vor Anstrengung zitterte.

«Nun, Mr. Huyghue?«Bolitho dachte plotzlich an Sparke, der in der Hitze des Gefechts so kuhl und distanziert geblieben war. Dies war leichter gesagt als getan.»Ist Ihre Gruppe bereit?»
        Huyghue nickte eifrig.»Aye, Sir, mit Leitern und Haken. «Er leckte sich die Lippen.»Mr. Quinn sagt, es wird bald hell.»
        Bolitho blickte zum Himmel. Quinn mu?te recht nervos sein, wenn er dem Fahnrich gegenuber etwas so Offensichtliches erwahnte.»Dann sollten wir besser anfangen.
«Damit stand er auf und lockerte sein Hemd. Wie oft noch wurden sich solche Situationen wiederholen? Und wann war es wohl an ihm, zu fallen und nicht wieder aufzustehen?
        Heiser sagte er:»Mir nach!«Der unnaturliche Klang seiner Stimme argerte ihn.»Mr. Huyghue, Sie bleiben hier und passen auf. Wenn wir zuruckgeschlagen werden, verstandigen Sie Mr. Couzens bei den Booten.»
        Huyghue trat von einem Fu? auf den anderen, als stunde er auf hei?en Kohlen.»Und dann, Sir?»
        Bolitho sah ihn an.»Das werden Sie allein entscheiden mussen, denn ich furchte, dann wird Ihnen niemand mehr Befehle erteilen konnen!»
        Er horte Rabbett kichern und wunderte sich, da? jemand uber einen so schwachen, makabren Witz lachen konnte.
        Wahrend er auf die Ecke des Forts zuschritt, spurte er die leichte Brise wie eine Liebkosung im Gesicht. Noch zweihundert Meter, und dabei standig das Gefuhl, als sei er weithin sichtbar, wahrend er sich jetzt Quinns Versteck naherte.
        Jemand richtete sich halb auf, Gewehr im Anschlag, ging aber sofort wieder in Deckung, als er Bolithos Gruppe erkannte.
        Quinn wartete mit seinen Leuten bei den Leitern gereizt darauf, da? Bolitho die Lage durchs Glas studierte.

«Nichts«, sagte Bolitho.»Alles vollig ruhig. Sie verlassen sich wohl ganz auf einen Angriff von See her und auf den Posten, den wir unten erledigt haben. «Er sah Quinn zusammenzucken und fugte leise hinzu:»Nimm dich zusammen, James. Unsere Leute beurteilen ihre Chancen nur nach dem Eindruck, den wir machen. «Er zwang sich zu einem Grinsen, aber seine Lippen fuhlte sich wie eingefroren an.»Dann wollen wir jetzt mal unseren Sold verdienen, wie?»
        Rowhurst trat aus dem Schatten.»Fertig, Sir. «Er warf einen raschen Blick auf Quinn.»Keinerlei Bewegung auf der gesamten Brustwehr.»
        Bolitho wandte sich um und hob den Arm. Er sah die geduckten Gestalten aus ihren Verstecken kommen und wu?te, es gab kein Zuruck mehr.
        Die Leitern wurden rasch zu den dafur ausersehenen Stellen der Mauer geschleppt; daneben rannten die Seeleute, die mit ihren Entermessern und Beilen wie die Figuren eines alten normannischen Gobelins aussahen, den Bolitho einmal in Bodmin gesehen hatte.
        Er ergriff Quinns Handgelenk und druckte es, bis dieser vor Schmerz zusammenzuckte.

«Wir wissen nicht, was wir vorfinden werden, James, aber die Tore mussen geoffnet werden. Horst du?«Er sprach langsam und eindringlich, trotz seiner sich ubersturzenden Gedanken. Es war wichtig, da? Quinn jetzt durchhielt.
        Quinn nickte.»Ja, ich - ich werde es schon schaffen, Sir.»
        Bolitho lie? ihn los und berichtigte:»Dick.»
        Quinn starrte ihn verwirrt an.»Dick.»
        Die erste Leiter wurde bereits aufgerichtet und hob sich klar gegen die verblassenden Sterne ab. Die zweite folgte, gestutzt von den herbeieilenden Seeleuten.
        Bolitho vergewisserte sich, da? sein Dolch mit der Schlaufe am Handgelenk festsa?, und lief leichtfu?ig zur nachsten Leiter. Er wu?te, da? Stockdale ihm folgte.
        Rowhurst beobachtete Quinn und tippte ihm dann auf den Arm.»Kommen Sie, Sir!»
        Keuchend rannte Quinn zur anderen Leiter und zog sich zu der schwarzen Mauerkrone hinauf.
        Bolitho kletterte uber die rohbehauenen Stamme und lie? sich hinter die Brustwehr fallen. Es war fast wie auf einem Schiff, dachte er geistesabwesend, bis auf die furchterliche Stille.
        Er tastete sich an einem Schwenkgeschutz vorbei und weiter dorthin, wo er die Tore vermutete. Seine Lungen schmerzten vor Anstrengung, als er den Buckel im Wall sah, der genau uber dem Eingang sein mu?te. Er roch Holzfeuer, Pferde und Menschen, den Gestank einer zusammengepferchten Garnison, der in aller Welt gleich war.
        Er fuhr herum, als Rabbett vorwartsglitt und mit seinem Beil auf etwas einschlug, das Bolitho fur einen Stapel Sacke gehalten hatte. Aber es war ein weiterer Posten oder vielleicht jemand, der auf dem Wall frische Luft schopfen wollte. Es war ein so schneller und furchterlicher Hieb, da? der Mann auf der Stelle tot gewesen sein mu?te.
        Der Schock half Bolitho, sich ganz auf ihr Vorhaben zu konzentrieren. Er fand das obere Ende einer Leiter und wu?te, da? die Tore jetzt dicht vor ihnen sein mu?ten.
        Stockdale hockte plotzlich neben ihm.»Ich mache das, Sir.»
        Bolitho versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen, aber es lag im tiefen Schatten.

«Wir machen es zusammen.»
        Wahrend die Manner sich hinter der Brustwehr duckten, stiegen Bolitho und Stockdale vorsichtig die ungleichen Holzsprossen hinunter.
        Am gegenuberliegenden Ende der Palisade arbeiteten sich Quinn und seine Abteilung zum Wachturm vor, um Bolitho von druben Schutz zu geben, wenn die Wache auftauchen sollte.
        All das hatte in Konteradmiral Coutts Kopf begonnen, viele Me i-len von diesem unheimlichen Ort entfernt. Und jetzt waren sie hier, obwohl Bolitho damit gerechnet hatte, da? sie entdeckt und zuruckgeschlagen wurden, bevor sie das Fort erreichen konnten. Aber es war so lacherlich einfach gewesen, da? ihm unbehaglich wurde.
        Bolitho fuhlte den Boden des Festungshofes unter seinen Fu?en. Die niedrigen Gebaude, die den inneren Wall saumten, konnte er nur erahnen, jedoch erkannte er gegen den heller werdenden Himmel deutlich den Turm und sogar den Flaggenmast.
        Stockdale beruhrte seinen Arm und deutete auf eine kleine, alleinstehende Hutte in der Nahe des Tores, aus der ein schwacher Lichtschimmer drang: anscheinend die Wachstube.

«Komm!«flusterte Bolitho.
        Es waren nur sieben Schritte bis zur Mitte des Tores, aber er zahlte jeden so genau, als hinge sein Leben davon ab. Ein langer dicker Balken in eisernen Halterungen sicherte die Torflugel, das war alles. Stockdale legte sein Messer hin und schob eine Schulter darunter, wahrend Bolitho die Hutte im Auge behielt.
        Gerade luftete Stockdale mit seiner ganzen Kraft den Balken an, als ein Schreckensruf ertonte, der zu einem langgezogenen, entsetzten Schrei wurde und dann plotzlich verstummte, als ob eine massive Tur zugeschlagen wurde.
        Einen Augenblick lang horte man keinen Laut, dann hallten erregte Stimmen und Getrappel im Hof wider. Bolitho schrie:»Mach auf, schnell!»
        Schusse, aufs Geratewohl abgefeuert, krachten in die Pfahle oder pfiffen harmlos uber das Wasser. Er konnte sich die Verwirrung und das Durcheinander bei der Besatzung vorstellen; viele schienen anzunehmen, der Angriff kame von See her, von au?erhalb der Mauern.
        Licht fiel aus der plotzlich aufgesto?enen Tur der Wachstube, und Bolitho sah nackte Gestalten auf sich zulaufen, von denen eine ein Gewehr abfeuerte und dann von den nachfolgenden uber den Haufen gerannt wurde. Die blasse Haut dieser Manner hob sich von dem dunklen Hintergrund deutlich ab. Nun horte er jemanden schreien: Laden und feuern, so schnell ihr konnt, Jungs!»
        Stahl krachte auf Stahl, Rufe wandelten sich zu schrillen Schmerzenschreien, und noch hatte niemand von Bolithos Gruppe einen Schu? abgegeben.
        Ein Mann stie? mit aufgepflanztem Seitengewehr nach ihm, aber Bolitho wich aus, so da? der Angreifer durch seinen eigenen Schwung vornuber fiel, vor Entsetzen keuchend, bis Stockdales Dolch ihm den Garaus machte.
        Bolitho schrie: «Trojaner, hierher!»
        Mehr Schreie, dann Jubelrufe, als der erste Torflugel sich bewe gte und Stockdale den gewaltigen Balken wie die Lanze eines Riesen mitten zwischen die verwirrten Gestalten bei der Tur schleuderte.
        Weitere Manner erschienen von der anderen Hofseite. Eine Andeutung von Ordnung kam in ihre Reihen, Kommandos erschallten, und eine Gewehrsalve holte zwei Seeleute von der Brustung herunter.
        Stockdale packte sein Entermesser und hieb es mit aller Wucht einem Angreifer quer uber die Brust, warf sich dann blitzschnell herum und schlitzte einem anderen den Bauch auf, der versucht hatte, Bolitho zu unterlaufen.
        Kutbi, der Araber, raste herum wie ein Amoklaufer und wirbelte schreiend sein Enterbeil uber den Kopf, vollig dem Drang zu toten verfallen.
        Einer der Seeleute fiel, Blut hustend, zu Bolithos Fu?en nieder, und er horte Quinns Leute mit der Wachmannschaft des Turmes die Klingen kreuzen, naher und lauter, je mehr sie zu den Toren zuruckwichen. Er glaubte, sein Arm wurde brechen, als er auf einen Uniformierten einhackte oder dessen Hiebe parieren mu?te. Der Mann hatte sich direkt neben ihm von Boden erhoben. Bolitho spurte des Gegners Starke und Entschlossenheit, als dieser ihn jetzt Schritt fur Schritt zuruckdrangte.
        Vollig klar und ohne Furcht oder Emotion fuhlte er: dies war das Ende, der Augenblick war gekommen.
        Sein Arm wurde schwerer und schwerer, der Mann besa? mehr
        Kraft als er, das bekam er erneut zu spuren, als sich jetzt sein Degengriff an dem des Gegners festhakte. Er horte Stockdale brullen, der verzweifelt versuchte, sich zu ihm durchzuschlagen.
        Bolithos Instinkt sagte ihm, da? es diesmal keine Hilfe gab. Der Mann ri? ihn herum, die verhakten Griffe als Hebel benutzend, als Bolitho eine Pistole aus seinem Gurtel ragen sah. Mit einer letzten, ubermenschlichen Anstrengung warf er sich vor, lie? den Degen los und ri? die Pistole heraus, sie gleichzeitig abdruckend.
        Die Detonation schleuderte ihm die Waffe aus der Hand, aber er sah den Gegner lautlos zusammensinken. Der Schmerz, mit dem die schwere Kugel wie geschmolzenes Blei durch seine Eingeweide fuhr, war wohl selbst zum Schreien zu gro?.
        Bolitho hob seinen Dolch, um dem Todeskampf des Gegners ein Ende zu bereiten, aber er senkte die Waffe wieder. Es ware sicher menschlicher gewesen, ihn von seinen Schmerzen zu befreien, aber er brachte es bei einem Wehrlosen nicht fertig.
        Im nachsten Augenblick wurde der zweite Torflugel aufgerissen, und durch die Pulverdampfschwaden sah Bolitho die wei?en Gurtel und schwach glitzernden Bajonette der eindringenden Marineinfanteristen.
        Bis auf ein paar Widerstandsnester war alles vorbei. Eine kleine Gruppe kampfte noch auf den Palisaden, eine andere versuchte, sich in einem Keller zu verschanzen; sie wurden alle niedergemaht, auch als sie sich ergeben wollten. Die wenigen, die aus den Toren entkommen waren und zum Strand liefen, fielen Pagets zweiter Schutzenreihe zum Opfer.
        Probyn hinkte durch das Chaos von Toten, Sterbenden und Gefangenen, die flehend die Hande hoben, erkannte Bolitho und grunzte:»Das war knapp.»
        Dieser nickte, an einen Pfosten gelehnt und Luft in seine schmerzenden Lungen pumpend. Er bemerkte Probyns Hinken und keuchte:»Sind Sie verwundet?»
        Probyn erwiderte wutend:»Diese verdammten Idioten mit ihrer Leiter haben mir fast das Bein gebrochen!»
        Es klang inmitten von Schmerz und Tod so absurd, da? Bolitho an sich halten mu?te, um nicht laut zu lachen; denn er wu?te, da? er das Gelachter sonst nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte.
        D'Esterre trat unter dem Stalldach hervor.»Das Fort ist genommen. Alles voruber.
«Er lie? sich von einem Soldaten seinen Hut reichen, wischte ihn sorgfaltig ab und fugte hinzu:»Die Teufel hatten ein Geschutz schon geladen und auf die Mauerkrone gerichtet. Wenn sie uns fruher bemerkt hatten, waren wir niedergemaht worden, ob beim Angriff oder auf der Flucht!»
        Rowhurst wartete, bis Bolitho ihn anblickte, und sagte dann schwer atmend:»Wir haben drei Mann verloren, Sir. «Er wies mit dem Daumen hinter sich auf den Wachturm.»Und zwei sind schwer verwundet.»
        Bolitho fragte:»Wo ist Mr. Quinn?»
        Rowhurst erwiderte schroff:»Ihm geht's gut, Sir.»
        Was bedeutete das? Bolitho sah Paget und weitere Marineinfanteristen durch die offenen Tore kommen und beschlo?, nicht nachzuhaken. Noch nicht.
        Paget blickte auf die herumhastenden Soldaten und Seeleute und schnauzte:»Wo ist der Kommandant des Forts?»
        D'Esterre antwortete:»Er war nicht hier, aber wir haben seinen Stellvertreter.»

«Das genugt«, knurrte Paget.»Fuhren Sie mich zu seinem Quartier. «Er sah Probyn an.»Ihre Leute sollen ein paar Geschutze auf den Logger richten. Wenn er auslauten will, raten Sie ihm davon ab, klar?»
        Probyn tippte an seinen Hut und knurrte sauerlich:»Das wurde ihm schlecht bekommen!»
        Rowhurst blickte bereits mit fachmannischem Blick zu den Geschutzen auf.»Ich werde das ubernehmen, Sir. «Er lief davon und rief einige Namen, froh uber eine Arbeit, von der er etwas verstand.
        Der Mann, dessen Pistole Bolitho vor wenigen Minuten gegen ihn selbst gerichtet hatte, stie? einen heiseren Schrei aus und starb. Bolitho blickte ihn an und versuchte, sich uber seine Gefuhle gegenuber einem Menschen, der ihn hatte umbringen wollen, klarzuwerden.
        Plotzlich erschien ein Marineinfanterist, lief uber den Hof auf sie zu und konnte sich kaum das Grinsen verkneifen, als er meldete:»Verzeihung, Sir, aber einer Ihrer jungen Herren hat einen Gefangenen gemacht!»
        Im nachsten Augenblick kam Couzens mit zwei Seeleuten durch das Tor, anscheinend gefuhrt von dem franzosischen Offizier, der seinen Rock uber dem Arm und seinen Dreispitz ke? nach hinten geschoben trug, als sei er auf einem Spaziergang.
        Couzens erklarte:»Er rannte zu den Booten, Sir, uns genau in die Arme!«Dabei gluhte er vor Stolz uber seinen Fang.
        Der Franzose blickte von Bolitho zu Probyn und sagte gelassen:»Ich bin nicht gerannt, meine Herren, das versichere ich Ihnen. Ich habe nur die Umstande genutzt. «Er verbeugte sich leicht.»Leutnant Yves Contenay, stehe zu Ihren Diensten.»
        Probyn starrte ihn wutend an.»Sie stehen unter Arrest, verdammt!»
        Der Franzose lachelte liebenswurdig:»Wohl kaum. Ich befehlige dieses Schiff dort und lief hier ein, um zu…«Er hob die Schultern.»Der Grund ist unwichtig.»
        Er blickte auf, als einige Seeleute mit Handspaken daran arbeiteten, eins der Geschutze auf den Ankerplatz zu richten. Zum ersten Mal zeigte er Unruhe, ja Furcht.
        Probyn sagte:»Soso, unwichtig. Sagen Sie Ihren Leuten, da? sie nicht etwa den Versuch machen, auszulaufen oder das Schiff zu beschadigen. Denn sonst lasse ich ohne Pardon auf sie feuern.»

«Das glaube ich gern. «Contenay wandte sich an Bolitho und hob die Hande.»Aber auch ich habe meine Befehle, das wissen Sie.»
        Bolitho beobachtete ihn, die Nerven zum Zerrei?en gespannt.»Ihr Logger hat Schie?pulver geladen, nicht wahr?»
        Der Franzose runzelte die Stirn.»Logger?«Dann nickte er.»Ah, ja, Lougre, verstehe.
«Wieder hob er die Schultern.»Ja. Wenn Sie auch nur einen Schu? hineinfeuern, pouf!»
        Probyn befahl:»Bleibt hier bei ihm, ich melde es dem Major.»
        Bolitho sah Couzens an.»Gut gemacht!
        Auch der Franzose musterte ihn lachelnd.»Ja, in der Tat.»
        Bolitho sah jetzt, da? die Leichen von den Toren und der Wachstube fortgeraumt wurden. Zwei Gefangene in blau-wei?en Uniformen hatten bereits Eimer voll Wasser geholt und schrubbten mit Besen das Blut weg.
        Zu dem Franzosen sagte Bolitho leise:»Man wird Sie wegen Ihrer Ladung befragen, M'sieur. Aber das wissen Sie selbst.»

«Ja. Ich bin in offiziellem Auftrag hier. Es gibt kein Gesetz, das mich aufhalten konnte. Mein Land respektiert die Revolution, nicht die von Ihnen ausgeubte Unterdruckung.»
        Bolitho entgegnete trocken:»Und Frankreich handelt dabei naturlich vollig selbstlos?»
        Sie grinsten sich beide an wie Verschworer, wahrend Couzens verwirrt zusah, ein wenig seines Ruhmes beraubt.
        Zwei Leutnants, dachte Bolitho, von Krieg und Rebellion wie von einer Flutwelle fortgerissen. Es wurde ihm schwerfallen, diesen franzosischen Offizier nicht zu mogen. Er sagte:

«Ich rate Ihnen, nichts zu tun, was Major Paget reizen konnte.»

«Gewi?. «Contenay tippte sich mit dem Finger an die Nase.»Auch Sie haben also solche Offiziere.»
        Als Probyn mit einer Eskorte zuruckkam, fragte Bolitho:»Wo haben Sie Ihr gutes Englisch gelernt, M'sieur?»

«Ich habe lange Zeit in England gelebt. «Sein Lacheln wurde breiter.»So etwas kann sich eines Tages als nutzlich erweisen, oder?»
        Probyn schnauzte:»Bringt ihn zu Major Paget. «Er sah zu, wie der Franzose abgefuhrt wurde, und fugte argerlich hinzu:»Sie hatten ihn erschie?en sollen, Mr. Couzens, verdammt! Jetzt wird er zweifellos gegen einen unserer Offiziere ausgetauscht. Verdammte Freibeuter, ich wurde die ganze Bande aufhangen, ihre und unsre!»
        Stockdale rief plotzlich:»Die Flagge, Sir!»
        Bolitho blickte zur Rebellenflagge auf, die Paget vernunftige r-weise hatte hissen lassen. Es ware unklug gewesen, vorzeitig Verdacht zu erregen, sei es nun an Land oder auf See.
        Trotzdem begriff Bolitho, was Stockdale meinte. Anstatt schlapp in Richtung Land zu hangen, zeigte die Flagge jetzt seewarts zum heller werdenden Horizont. Der Wind hatte uber Nacht um hundertachtzig Grad gedreht, und in der Erregung hatte dies bisher niemand bemerkt.
        Leise sagte er:»Die Spite wird nicht einlaufen konnen.»
        Probyn fuhr sich nervos mit der Hand uber die Bartstoppeln und meinte:»Er wird auch wieder zuruckdrehen, ganz bestimmt!»
        Bolitho wandte sich dem Hang zu, auf dem er und Couzens gestern in der Morgensonne geschmort hatten; sorgfaltig suchte er ihn mit den Augen ab: er wirkte jetzt dunkel und drohend.

«Aber bis dahin sind wir hier die Verteidiger!»
        Major Paget stutzte sich auf den schweren Tisch und musterte grimmig seine muden Offiziere.
        Sonnenlicht flutete durch die Fenster des Kommandeurszimmers, und durch eine Schie?scharte sah Bolitho Baume und einen kleinen Streifen Strand.
        Es war schon Vormittag und noch immer weder Freund noch Feind in Sicht.
        Mit dem franzosischen Offizier als Geisel und einer Eskorte Marinesoldaten hatte Probyn sich zum Logger hinuberrudern lassen. Das Schiff war bis unters Deck voll von westindischem Schie?pulver, franzosischen Gewehren, Pistolen und anderem militarischen Gerat.

«Ein wertvoller Fang«, sagte Paget.»Der Feind und Mr. Washington wird ihn schmerzlich vermissen, das kann ich Ihnen versichern, meine Herren. Wenn wir hier angegriffen werden, bevor Hilfe kommt, ist es wahrscheinlich, da? der Feind den Logger samt Ladung in die Luft zu jagen versucht, falls er ihn nicht zuruckerobern kann. Auf alle Falle werde ich verhindern, da? er wieder in Feindeshand fallt.»
        Bolitho horte den Marschtritt der Marineinfanteristen und die schroffen Kommandos ihrer Unteroffiziere. Pagets Feststellung war sinnvoll. Fort Exeter mu?te mit allen Waffen und Ausrustungsstuk-ken vernichtet werden, die wahrend der letzten Monate hier gehortet worden waren.
        Aber es wurde einige Zeit dauern, alles vorzubereiten; und der Gegenangriff des Feindes konnte nicht lange auf sich warten lassen.

«Ich befehlige dieses Unternehmen. «Paget lie? seinen grimmigen Blick uber die Gesichter schweifen, als erwarte er Widerspruch.»Mir steht es also zu, eine Prisenbesatzung fur den Logger einzuteilen, die ihn unverzuglich nach New York segelt oder sich unterwegs bei einem Schiff seiner Majestat meldet.»
        Bolitho versuchte, seine Erregung zu zugeln. Der Logger hatte eine Besatzung von Eingeborenen aus Martinique. Kein Wunder, da? man einen fahigen Mann wie Leutnant Contenay fur solch ein schwieriges Unternehmen ausgesucht hatte; er schien den meisten Offizieren, die Bolitho bisher getroffen hatte, weit uberlegen. Es war eine nicht zu unterschatzende Aufgabe gewesen, den Logger von Martinique durch die Karibische See hierher in diese schlecht vermessenen Gewasser zu segeln.
        Selbst mit ihrer gefahrlichen Ladung war die Prise eine angenehme Abwechslung, jedenfalls besser als dies hier. War er einmal in New York, konnte so manches geschehen, bis er wieder in die strenge Autoritat der Trojan zuruckkehren mu?te. Eine Fregatte vielleicht? Zu den jungeren Leuten auf einer Fregatte zu sto?en, ware schon Belohnung genug.
        Bolitho glaubte, nicht richtig verstanden zu haben, als Paget fortfuhr:»Mr. Probyn erhalt das Kommando und wird einige Leichtverwundete mitnehmen, die ihm helfen, die Eingeborenencrew in Schach zu halten.»
        Bolitho wandte sich in der Erwartung um, Probyn in lauten Protest ausbrechen zu horen, aber dann wurde ihm klar: Warum sollte dieser nicht genauso denken wie er? Er durfte mit der Prise nach New York segeln, sich beim Oberbefehlshaber melden und hoffen, ein besseres Kommando und einen hoheren Rang zu bekommen.
        Probyn war so besessen von dieser Idee, da? er bisher keinen Tropfen Wein oder Brandy angeruhrt hatte, nicht einmal, als das Fort schon genommen war. Er war nicht intelligent genug, um uber die neue Prise und sein Einlaufen in Sandy Hook hinauszudenken, war nicht der Mann, der in Erwagung zog, da? andere es sicher seltsam fanden, wenn ein so dienstalter Offizier das Kommando uber ein so kleines Schiff erhielt.
        Probyn stand auf; sein Gesicht druckte seine Genugtuung besser aus, als Worte es vermocht hatten.
        Paget fuhr fort:»Ich werde die notigen Befehle ausschreiben, au?er wenn - «, dabei blickte er Bolitho an,»Sie vielleicht anderer Meinung sind?»
        Probyn reckte sein Kinn vor.»Nein, Sir, so kommt es mir zu.»
        Der Major starrte ihn an und knurrte:»Nur, wenn ich es befehle. «Er zuckte mit den Schultern.»Gut, es bleibt also dabei.»
        D'Esterre murmelte:»Tut mir leid um die verpa?te Gelegenheit, Dick, aber es freut mich, da? du bei uns bleibst.»
        Bolitho versuchte zu lacheln.»Danke, aber ich glaube, der arme George Probyn wird bald wieder auf der Trojan sein. Moglicherweise trifft er ein gro?eres Schiff, dessen Kommandant mit der Ladung anderes vorhat.»
        Pagets Augenbrauen zogen sich drohend zusammen.»Wenn Sie fertig sind mit Ihrer Unterhaltung, meine Herren…»
        D'Esterre fragte hoflich:»Was geschieht mit dem franzosischen Leutnant, Sir?»

«Er bleibt bei uns. Konteradmiral Coutts will ihn sicher sprechen, bevor dies die Behorden in New York tun. «Er rang sich ein etwas gezwungenes Lacheln ab:»Sie verstehen, was ich meine?«Damit stand der Major auf und klopfte sich ein paar Sandkorner vom Armel.»Bitte weitermachen, meine Herren, und achten Sie darauf, da? die Wachen ihre Pflicht tun.»
        Probyn wartete an der Tur auf Bolitho und sagte kurz:»Sie sind jetzt hier der Ranghochste-«, seine Augen glitzerten trotz seiner Mudigkeit - ,»und ich wunsche Ihnen viel Gluck mit diesem Sauhaufen!»
        Bolitho betrachtete ihn gelassen. Probyn war nicht viel alter als er selbst, sah aber beinahe so alt aus wie Pears. Er fragte:»Warum diese Bitterkeit?»
        Probyn schnaubte.»Ich habe niemals wirklich Gluck gehabt und auch nicht die guten Beziehungen Ihrer Familie. «Zu Bolithos Arger hob er drohend die Faust.»Ich kam aus dem Nichts und mu?te mich mit Zahnen und Klauen hinaufarbeiten! Denken Sie, ich hatte zu Ihren Gunsten verzichtet? Was ist schon ein elender, kleiner, franzosischer Blockadebrecher fur einen alteren Offizier wie mich - das haben Sie doch gedacht, nicht?»
        Bolitho seufzte. Probyn war noch vulgarer, als er sich vorgestellt hatte.»Ja, es ging mir durch den Kopf.»

«Als Sparke fiel, kam meine Chance, und ich habe die Absicht, sie in jeder Weise zu nutzen.»
        Bolitho blickte weg; es war ihm unmoglich, Probyn in seiner Raserei langer anzusehen.

«Sie konnen hier warten, bis Sie blau sind. Und dann sagen Sie Ihrem bloden Cairns und den anderen Idioten, soweit sie uberhaupt dafur Interesse haben, da? ich nicht mehr auf die Trojan zuruckkehre, oder hochstens besuchsweise. Aber dann als Kommandant meines eigenen Schiffes!»
        Er drehte sich abrupt herum und ging. Was Bolitho auch an Mitleid oder wenigstens Verstandnis fur ihn empfunden haben mochte, war verflogen, als er feststellte, da? Probyn nicht einmal die Absicht hatte, noch einmal mit seinen Leuten zu sprechen, bevor er ging, oder die Schwerverwundeten und Sterbenden zu besuchen.
        D'Esterre trat zu ihm auf die Brustwehr, und sie beobachteten Probyn, der entschlossen uber den Strand zu einem der beiden Boote ging.

«Hoffentlich bleibt er weiterhin nuchtern, Dick. Mit einem Schiff voller Schie?pulver und einer verangstigten Eingeborenencrew konnte es sonst eine denkwurdige Reise werden!«Er sah, da? sein Sergeant auf ihn wartete, und ging eilig zu ihm.
        Bolitho stieg die Leiter hinunter und fand Quinn an einer Wand lehnen. Er sollte die erbeuteten Waffen und Pulverfasser inspizieren, uberlie? dies jedoch seinen Leuten.
        Bolitho sprach ihn an:»Hast du gehort, was der Major uns zu sagen hatte, und auch, was Probyn mir eben an den Kopf geworfen hat? Ich habe dazu ein paar eigene Ideen, aber erst mochte ich wissen, was heute morgen wahrend des Angriffs vorgefallen ist. «Er dachte an den furchterlichen Schrei, der so plotzlich verstummt war.
        Quinn erwiderte heiser:»Ein Mann kam aus dem Wachturm. Wir waren alle so damit beschaftigt, die Tore zu suchen oder nach Wachtposten Ausschau zu halten, da? ihn niemand bemerkte. Er schien aus dem Nichts zu kommen. «Unglucklich fuhr er fort: Ich war ihm am nachsten und hatte ihn leicht niederstechen konnen. «Er schauderte. Es war ein halbnackter Junge mit einem Eimer, wahrscheinlich sollte er Wasser holen fur die Kombuse. Er war unbewaffnet.»

«Was dann?»

«Wir starrten uns an, ich bin mir nicht sicher, wer von uns beiden mehr uberrascht war. Ich hatte die Klinge schon an seinem Hals, ein Streich hatte genugt, aber ich konnte nicht. «Quinn blickte Bolitho verzweifelt an.»Er begriff es. So standen wir, bis…»

«Rowhurst kam?»

«Ja, mit seinem Dolch. Aber fur mich war es zu spat.»
        Bolitho nickte. Er erinnerte sich an seine eigenen Gefuhle, als er sich uber den Mann beugte, den er erschossen hatte, um sich selbst zu retten.
        Quinn fuhr fort:»Ich sah den Ausdruck in Rowhursts Augen, er verachtet mich. Es wird durch das Schiff gehen wie ein Lauffeuer, und ich werde ihren Respekt fur immer verlieren.»
        Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Du mu?t versuchen, ihn dir von neuem zu erwerben, James. «Er fuhlte Sand zwischen seinen Fingern und sehnte sich nach einem Bad. Aber jetzt haben wir genug anderes zu tun. «Er sah Stockdale und ein paar Seeleute ihn beobachten.»Geh mit diesen Leuten zum Flo?, schleppt es in tiefes Wasser und zerstort es. «Er ergriff Quinns Arm und fugte hinzu:»Denk daran, James: Sag ihnen, was sie tun sollen.»
        Quinn wandte sich ab und ging niedergeschlagen zu den wartenden Seeleuten. So lange Stockdale dabei war, wurde alles in Ordnung gehen, dachte Bolitho.
        Ein Unteroffizier tippte sich gru?end an die Stirn und meldete:»Wir haben das Hauptmagazin geleert, Sir.»
        Bolitho nahm seine Gedanken zusammen, da Verstand und Korper ihm noch nicht ganz gehorchen wollten. Aber er mu?te. Er war jetzt tatsachlich der Dienstalteste, genau wie Probyn gesagt hatte.

«Gut, ich sehe mir an, was ihr gefunden habt«, sagte er.
        Die Geschutze mu?ten unbrauchbar gemacht, die Vorrate in Brand gesteckt werden, bevor das Fort selbst mit seinem eigenen Pulvermagazin in die Luft gesprengt wurde. Er blickte in die leeren Stalle und war froh, da? keine Pferde zuruckgelassen worden waren. Der Gedanke, sie schlachten zu mussen, um sie nicht in Feindeshand fallen zu lassen, war schlimm genug; noch schlimmer war es, sich vorzustellen, welche Wirkung ein solches Gemetzel auf die kampfesmuden Seeleute gehabt hatte. Tod, Verwundung oder auch Auspeitschen nahm der Durchschnittsseemann als sein naturliches Los hin, aber Bolitho hatte einmal gesehen, wie ein Bootsmannsmaat in Plymouth einem Mann den Schadel einschlug, nur weil dieser nach einem streunenden Hund getreten hatte.
        Marineinfanteristen bastelten uberall herum und fuhlten sich ganz in ihrem Element, als sie lange Zundschnure verlegten und diese mit den Pulverfassern verbanden, wahrend andere die kleineren Feldgeschutze zu den Toren schafften.
        Das Flo? war mittlerweile in tiefes Wasser geschleppt worden; von der Mauer aus sah Bolitho, da? die Seeleute es mit ihren Axten zerschlugen und die Taue losmachten. Quinn stand dabei und beobachtete sie. Das nachste Mal, wenn sie kampfen mu?ten, wurde er nicht so glimpflich davonkommen, dachte Bolitho traurig.
        Auf dem Wachturm stand Couzens, ein Teleskop auf den Ankerplatz gerichtet. Als Bolitho sich umwandte, sah er, da? auf dem
        Logger Segel gesetzt wurden, wahrend die Anker tropfend vor den Klusen hingen.
        Derselbe Wind, der das Einlaufen der Spite verzogerte, lie? Pro-byn und seine kleine Schar noch vor Dunkelheit die offene See gewinnen. Mitleid ist niemals eine gute Basis fur eine Freundschaft, dachte Bolitho, aber ihr Abschied war derart unerfreulich gewesen, da? er fur immer zwischen ihnen stehen wurde, falls sie sich je wieder begegneten.

«Ach, da sind Sie, Bolitho!«Paget blickte aus einem Fenster.»Kommen Sie herauf, dann kann ich Ihnen gleich Ihre Instruktionen geben.»
        Im Kommandeurszimmer spurte Bolitho wieder seine Mudigkeit, die Nachwirkung von Kampf, Vernichtung und Angst.
        Paget informierte ihn:»Als weiteres Mosaiksteinchen fur unseren Nachrichtendienst wissen wir jetzt, woher der Feind sein Pulver und einen Teil seiner Bewaffnung bekommt. Alles andere ist Sache des Admirals.»
        Es klopfte an die Tur, und Bolitho horte drau?en jemanden eindringlich flustern.

«Warten Sie!«sagte Paget ruhig.»Ich hatte keine andere Wahl mit dem Logger. Von Rechts wegen hatte er Ihnen zugestanden wegen der Art und Weise, wie Sie das Fort fur uns sturmreif gemacht haben. «Er hob die Schultern.»Aber der Marine Wege sind nicht die me inen, und somit…»

«Ich verstehe, Sir.»

«Gut. «Paget schritt mit bemerkenswerter Geschwindigkeit
        durch den Raum und offnete die Tur.»Ja?»
        Es war Leutnant Fitzherbert von den Marineinfanteristen des Flaggschiffs. Er stammelte:»Wir haben den Feind gesichtet, Sir! Er kommt die Kuste herauf!»
        Zusammen traten sie in das blendende Sonnenlicht, und Paget lie? sich in aller Ruhe von einem Ausguckposten ein Fernrohr geben. Nach einer vollen Minute reichte er es Bolitho.

«Das ist ein Anblick! Ich glaube, Ihr Mr. Probyn wird bedauern, da? er ihm entging.»
        Bolitho verga? sofort seine Enttauschung und des Majors Sar-kasmus, als er das Glas auf die Kuste richtete. Es schien ein endloser Zug zu sein, der da dem Strand folgte und fast bis zuruck nach
        Charlstown reichte: ein Band aus Blau und Wei?, hin und wieder unterbrochen vom Braun der Pferde und glanzenden schwarzen Flecken, die nur Artillerie sein konnten.
        Paget verschrankte die Arme und schaukelte auf den Hacken vor und zuruck.»Hier kommen sie also. Damit ist jedes Tauschungsmanover uberflussig, denke ich. «Er blickte zur Spitze des Flaggenmastes auf, seine Augen waren rotgerandert vor Anstrengung.»Hei? die Flagge, Sergeant! Wir wollen sie ein bi?chen argern.»
        Bolitho senkte das Glas. Quinn war noch unten bei dem erst zum Teil zerstorten Flo? und sah die drohende Marschkolonne auf der Kustenstra?e nicht. Probyn drau?en schien zu sehr damit beschaftigt, von der Sandspitze freizukommen, um etwas zu bemerken. Vermutlich hatte es ihn auch nicht mehr interessiert.
        Er suchte den Horizont ab, seine Augen schmerzten in der glei?enden Helligkeit. Nichts unterbrach die scharfe, blaue Linie, was auf die Anwesenheit eines Segels hingedeutet hatte. Bolitho dachte an den gefangenen franzosischen Offizier. Wenn er Gluck hatte, wurde seine Gefangenschaft eine der kurzesten sein, die es je gegeben hatte.
        Paget knurrte:»Bewegen Sie sich, Sir! Hauptbatterie auf den Damm richten! Sie haben doch einen guten Laufer unter Ihren Leuten, nehme ich an? Ich mochte jedes der Geschutze voll geladen wissen. An die Arbeit, verdammt!»
        Bolitho wandte sich zum Gehen, horte Paget aber noch wie im Selbstgesprach hinzufugen:»Es interessiert mich nicht, was sie uns anbieten oder versprechen. Wir kamen, um dieses Fort zu zerstoren, und das werden wir tun, so wahr mir Gott helfe!»
        Als Bolitho den Hof erreicht hatte, blickte er noch einmal zum Turm hinauf. Paget stand barhauptig in der Sonne und starrte den soeben gehi?ten Union Jack an, den die Marineinfanteristen mitgebracht hatten.
        Dann horte er einen Seemann zu seinem Kameraden sagen:»Mr. Bolitho sieht nicht sonderlich beunruhigt aus, Bill. Dann kann es nicht so schlimm sein.»
        Bolitho sah die beiden an, als er vorbeiging, und sein Herz war zugleich schwer und froh. Sie fragten nicht, warum sie hier waren. Gehorsam, Vertrauen und Hoffnung gehorten genauso zu diesen Leuten wie ihr Fluchen und Raufen.
        Er traf Rowhurst am Tor.»Sie haben es zweifellos gehort?»
        Rowhurst grinste.»Gesehen auch, Sir. Eine ganze verdammte Armee auf dem Marsch! Und das nur fur uns!»
        Bolitho lachelte knapp.»Wir haben genugend Zeit, alles zu ihrem Empfang vorzubereiten.»

«Aye, Sir. «Rowhurst blickte beredt auf den Stapel von Pulverfassern und Zunder. Eins ist sicher - beerdigen mussen sie uns nicht. Sie brauchen nur die paar ubriggebliebenen Fetzen aufzusammeln!»



        X Nachtgefecht

        Bolitho betrat den Raum oben im Turm, wo der fruhere Fortkommandant spartanisch einfach gelebt hatte, und fand Paget mit d'Esterre uber eine Karte gebeugt, lebhaft diskutierend.
        Bolitho fragte:»Sie haben nach mir geschickt, Sir?»
        Kaum erkannte er seine eigene Stimme wieder. Die Mudigkeit war fast totaler Erschopfung gewichen. Den ganzen Tag uber war er von einer Aufgabe zur anderen gehetzt, sich standig der blauwei?en Schlange bewu?t, die an der Kuste entlang auf sie zukam, bald in und bald au?er Sicht. Zur Zeit war sie ganz verschwunden, und es schien, als biege die Stra?e scharf ins Landesinnere ab, bevor ein Seitenweg zur Insel hin abzweigte.
        Paget blickte auf. Er hatte sich rasiert und sah in seiner gut gebugelten Uniform frisch und adrett aus.

«Ja. Es wird nicht mehr lange dauern. «Er deutete auf einen Stuhl.»Alles erledigt?

        Bolitho setzte sich steif.»Erledigt. «Was fur ein endloses Durcheinander von Aufgaben und Arbeiten sie bewaltigt hatten! Tote mu?ten begraben, Gefangene an einen Platz geschafft werden, wo man sie mit der geringsten Anzahl von Leuten bewachen konnte. Vorrate und Wasser mu?ten uberpruft, Schie?pulver in das tiefst-gelegene Magazin geschafft werden, damit es eine einzige, vernichtende Explosion gab, sobald der Brand der Zundschnure sein Ziel erreicht hatte. Die schweren Geschutze mu?ten gedreht und gegen das Land gerichtet werden, damit sie den Damm und den gegenuberliegenden Kustenstreifen unter Beschu? nehmen konnten.

«Ich habe alle Seeleute ins Fort kommen lassen, wie von Ihnen angeordnet«, erganzte Bolitho.

«Gut. «Paget schenkte ein Glas Wein ein und schob es uber den Tisch.»Trinken Sie, er ist nicht schlecht. «Dann fuhr der Major fort:»Sie mussen wissen, das meiste beruht auf Bluff. Wir wissen eine ganze Menge uber diese Burschen, aber sie wissen kaum etwas uber uns. Sie werden zwar meine Marinesoldaten bemerken, aber ein Rotrock sieht aus wie der andere. Warum sollten sie uns fur Marine halten? Wir konnten ebensogut ein starkes Aufgebot von regularen Truppen sein, das sich durch ihre Linien gekampft hat. Das wird sie beunruhigen.»
        Bolitho blickte d'Esterre an, aber dessen normalerweise so lebhaftes Gesicht war ausdruckslos; daher vermutete Bolitho, da? die Idee, die Anwesenheit der Seeleute geheimzuhalten, von ihm und nicht von Paget stammte.
        Es war sinnvoll. Schlie?lich lagen keine Boote da, und niemand wu?te besser als der zuruckkehrende Fortkommandant, wie unmoglich es war, ein Kriegsschiff unbehelligt von den schweren Geschutzen auf den Ankerplatz zu segeln.
        Der ungunstige Wind hatte noch an Starke zugenommen und den ganzen Nachmittag uber Staubwolken von der Marschsaule herangetrieben wie Rauch von Geschutzfeuer.
        Paget bemerkte:»Etwa eine Stunde bis Sonnenuntergang. Aber sie werden sich noch vor Einbruch der Dunkelheit bemerkbar machen, darauf gehe ich jede Wette ein.»
        Bolitho blickte durch ein schmales Fenster auf der anderen Seite. Er konnte einen Teil des Hanges sehen, auf dem er mit dem jungen Couzens gelegen hatte, scheinbar vor tausend Jahren. Die sonnenverbrannten Busche bewegten sich im Wind wie rauhes Pelzwerk, und die Abendsonne tauchte alles in feurige Farbtone.
        Die Seesoldaten hatten sich unten bei den jetzt umgesturzten Flo?balken Locher gegraben, in denen sie vom Festland aus nicht zu sehen waren. D'Esterre hatte gute Arbeit geleistet. Jetzt hockten sie alle darin und warteten auf den Feind.
        Bolitho bemerkte mit muder Stimme:»Wasser ist unser Hauptproblem, Sir. Die Garnison hat es immer aus einem Bach weiter landeinwarts geholt. Jetzt ist nicht mehr viel Wasser da. Wenn sie wu?ten, da? wir auf ein Schiff warten, konnten sie sich genau ausrechnen, wieviel Zeit uns bleibt.»
        Paget holte Luft.»Ich habe naturlich daran gedacht. Sie werden versuchen, uns zu bombardieren, aber da sind wir im Vorteil. Dieser Strand ist zu weich fur ihre schweren Geschutze, und es wird mindestens einen weiteren Tag dauern, sie auf den Hugel zu schaffen, um uns von dort aus unter Beschu? zu nehmen. Was den Damm betrifft, so kann ich mir nicht vorstellen, da? sie daruber einen Frontalangriff riskieren wurden, nicht einmal bei Niedrigwasser!»
        Bolitho sah d'Esterre leise lacheln. Moglicherweise dachte er daran, da? Paget genau das von ihm und seinen Leuten erwartet hatte - fur den Fall, da? es Bolitho nicht gelang, die Tore rechtze i-tig zu offnen.
        Die Tur wurde aufgesto?en, und der Leutnant vom Flaggschiff meldete aufgeregt: Feind in Sicht, Sir!»
        Paget starrte ihn an.»Wirklich, Mr. Fitzherbert, dies ist eine Garnison und nicht die Buhne im Drury-Lane-Theater!«Trotzdem stand er auf und trat in den hei?en Sonnenschein hinaus. Auf der Brustwehr lie? er sich ein Teleskop reichen und schaute hindurch.
        Bolitho stutzte sich auf das hei?e Holz der Brustung und blickte zum Land hinuber. Zwei Reiter, funf oder sechs Infanteristen und ein gro?er schwarzer Hund drangten sich auf dem engen Strand - offenbar eine Vorhut.
        Paget sagte:»Sie suchen das Flo?. Ich kann beinahe horen, wie ihre Hirne arbeiten.

        Bolitho blickte ihn an. Paget geno? doch tatsachlich die Situation!
        Einer der Reiter stieg ab, der Hund lief zu ihm hin und wartete eifrig wedelnd. Sein Herr, anscheinend der Dienstalteste der Gruppe, tatschelte seinen Kopf mit routinierter Gebarde.
        Fitzherbert fragte vorsichtig:»Was werden sie tun, Sir?»
        Paget antwortete nicht sofort, sondern sagte zu d'Esterre:»Sehen Sie, wie die Hufe der Pferde sich in den Sand graben? Das einzige Stuck befestigter Stra?e fuhrt zum Anlegeplatz fur das Flo?. «Er senkte sein Glas und lachte in sich hinein.»Das haben die sich nicht traumen lassen, da? sie einmal hier die Angreifer spielen mussen!»
        Sergeant Shears rief:»Ein paar von ihnen sind schon oben auf dem Hugel, Sir!»

«Von dort konnen sie uns Gott sei Dank nicht mit Gewehrfeuer erreichen«, sagte Paget und rieb sich vergnugt die Hande.»Sagen Sie Ihrem Artilleristen, er soll einen Schu? auf den Damm setzen. «Er blickte Bolitho scharf an.»Sofort!»
        Rowhurst horte Pagets Befehl mit offensichtlicher Begeisterung.»So gut wie besorgt, Sir!»
        Mit Hilfe seiner Leute richtete er das schwere Geschutz auf den nassen Sand am Ende des Dammes.»Klar zum Feuern, Jungs!»
        Bolitho schrie:»Haltet euch au?er Sicht! Stockdale, sehen Sie zu, da? unsere Leute in Deckung bleiben!»

«Feuer!«Der Krach des Schusses hallte uber das Wasser wie Donner. Scharen von Vogeln flatterten schreiend aus den Baumen, und Bolitho sah gerade noch, wie eine gewaltige Wand feuchten Sandes hochgeschleudert wurde, als die Kugel wie eine Riesenfaust einschlug. Die Pferde scheuten, der Hund rannte wild bellend im Kreise herum.
        Bolitho griff grinsend nach Rowhursts Arm.»Wieder laden!«Er schritt zuruck zum Turm und sah, da? Quinn ihn von der anderen Brustwehr aus beobachtete.
        Paget sagte anerkennend:»Guter Schu?! Gerade nahe genug, damit sie merken, da? wir bereit und gerustet sind.»
        Ein paar Augenblicke spater rief Sergeant Shears:»Wei?e Flagge, Sir!»
        Ein Reiter galoppierte zum Damm, wo eine Rauchfahne noch die Einschlagstelle anzeigte.
        Paget befahl:»Klar zum nachsten Schu?, Mr. Bolitho!»

«Es ist die Parlamentarsflagge, Sir!«Bolitho verga? seine Mudigkeit und begegnete trotzig Pagets Blick.»Ich kann Rowhurst nicht befehlen, darauf zu feuern.»
        Erstaunt hob Paget die Brauen.»Was soll das? Eine Anwandlung von Ehre?«Er wandte sich an d'Esterre:»Erklaren Sie's ihm!»
        D'Esterre sagte ruhig:»Sie wollen uns auf den Zahn fuhlen, unsere Starke herausfinden. Diese Leute sind keine Narren. Wenn sie auch nur einen Seemann entdecken, wissen sie, wie wir hergekommen sind.»
        Fitzherbert rief:»Der Reiter ist ein Offizier, Sir!»
        Was es nicht gerade einfacher machte.
        Bolitho hielt die Hand uber die Augen, um den fernen Reiter und sein Pferd zu betrachten. Wie konnte er nur in solch einem Augenblick uber Ehre und Skrupel diskutieren? Heute oder morgen wurde man von ihm erwarten, da? er denselben Mann im Kampf niederstach, ohne einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Und doch.
        Er sagte schroff:»Ich lasse eine Kugel mitten auf den Damm setzen.»
        Paget wandte sich vom Studium der kleinen Gruppe ab.»Schon, aber fangen Sie endlich an!»
        Der zweite Schu? war genauso gut gezielt wie der erste und schleuderte Gischt und Sand hoch in die Luft, wahrend der Reiter versuchte, sein scheuendes Pferd wieder unter Kontrolle zu bringen.
        Dann wendete er und trabte zuruck.

«Jetzt wissen sie Bescheid. «Paget schien befriedigt.»Ich gehe ein Glas Wein trinken. «Dann verschwand er wieder in seiner Stube.
        D'Esterre lachelte grimmig.»Ich glaube, Kaiser Nero hatte gewisse Ahnlichkeit mit Paget, Dick.»
        Bolitho nickte und ging auf die Seeseite des Turmes. Von Pro-byns Schiff war nichts mehr zu sehen, und er malte sich aus, wie die Distanz bei diesem fur ihn gunstigen Wind rasch zunahm. Wenn der Feind das Schiff beim Auslaufen wirklich gesehen hatte, so nahm er wohl an, da? es beim Anblick der Rotrocke im Fort umgekehrt sei, denn wenn es ihnen gehorte, warum liefen dann die neuen Besetzer nicht mit ihm aus?
        Bluff, Patt, Vermutungen, alles gipfelte in einer Frage: Was sollten sie tun, wenn die Korvette aus irgendeinem Grund nicht kam, um sie abzuholen? Wenn der Wasservorrat zu Ende ging? Wurde Paget sich ergeben? Es war nicht sehr wahrscheinlich, da? der feindliche Kommandeur zur Milde neigen wurde, nachdem sie sein Fort und alle Waffen in die Luft gejagt hatten.
        Bolitho beugte sich uber die Brustwehr und betrachtete die Seeleute, die im Schatten darauf warteten, da? es fur sie Arbeit gab. Wenn das Wasser ausging, wurden diese Leute dann noch genauso gehorsam sein? Konnte man erwarten, da? sie dann ihre Hande von dem gro?en Rumvorrat lie?en, den sie bei den Stallen ans Tageslicht gebracht hatten?
        Bolitho rief sich Pagets Worte ins Gedachtnis. Er wu?te jetzt, woher der Feind einen gro?en Teil seiner Munition und seines Pulvers bekam. Doch diese Information wurde Konteradmiral Coutts wenig nutzen, wenn ihr tapferes Unternehmen hier zu Ende
        ging.
        Wenn er nur erst wieder auf der Trojan ware, dachte er plotzlich. Er wollte sich auch nie wieder beklagen, selbst wenn er den Rest seiner Dienstzeit als Leutnant an Bord dieses Schiffes verbringen mu?te.
        Der Gedanke lie? ihn trotz seiner Unsicherheit lacheln. Er wu?te insgeheim, da? er wieder genauso eifrig nach einem eigenen Kommando streben wurde, wenn er diesmal uberlebte.
        Da horte er Leutnant Raye von den Marineinfanteristen der Trojan die Leiter heraufkommen und d'Esterre Meldung machen.
        Fur Bolitho war dies eine ganz andere Welt. Eine Taktik, die mit der Geschwindigkeit von Fu?volk oder Kavallerie rechnete, nicht mit majestatischen Segeln, wie verletzlich diese auch sein mochten, wenn die Kanonen donnerten… Nur mit Mannern in Uniform, die auf festen Boden fielen, wenn ihre Zeit gekommen war. Aus, vergessen.
        Er fuhlte eine Kalte im Nacken, als d'Esterre zu den beiden Leutnants sagte:»Ich bin sicher, da? sie heute nacht angreifen werden. Erst einmal, um uns auf den Zahn zu fuhlen, dann mit voller Starke, wenn wir nicht mehr damit rechnen. Ich brauche zwei Zuge in Sofortbereitschaft. Die Geschutze werden uber ihre Kopfe hinweg feuern, also halten Sie die Soldaten in ihren Lochern, bis ich Angriff befehle.
«Er wandte sich um und blickte Bolitho an.»Ich brauche zwei Kanonen unten am Damm, sobald es dunkel ist. Moglicherweise mussen wir sie beim Zuruckweichen aufgeben, aber wir haben keinerlei Chance, wenn sie sich nicht gleich zu Anfang ein paar blutige Nasen holen.»
        Bolitho nickte.»Ich lasse sie hinschaffen. «Wie ruhig seine Stimme klang, wie die eines Fremden.
        Er erinnerte sich an die Gefuhle, die ihn beherrscht hatten, als das Flo? sich in der Dunkelheit auf das drohende Fort zu in Bewegung gesetzt hatte. Wenn der Feind die Wachen am Damm uberrannte, dann war es ein langer Weg bis zu den schutzenden Toren fur diejenigen, die sich zuruckzogen.
        D'Esterre beobachtete ihn ernst.»Es klingt schlimmer, als es ist. Wir mussen nur vorbereitet sein, unsere Leute zusammenhalten und den Wachen einscharfen, da? wir nach Einbruch der Dunkelheit mit Besuchern rechnen mussen wie diesen. «Er wies auf die beiden kanadischen Spaher.
        Als die Schatten langer wurden, begaben sich die Leute auf ihre Stationen und warteten. Der Strand war wieder leer, nur der aufgewuhlte Sand verriet, wo Reiter und Soldaten gestanden hatten.
        Paget bemerkte beilaufig:»Eine klare, mondlose Nacht. «Er wischte sich die Augen und fluchte:»Nur dieser verdammte Wind erinnert uns standig an unseren wunden Punkt!»
        Gefolgt von Stockdale, verlie? Bolitho das Fort und sah zu, wie die beiden Geschutze zum Damm geschafft wurden. Es war harte Knochenarbeit, man horte dabei keine Witze, wie sonst ublich.
        Nach der Hitze des Tages kam es ihnen jetzt kalt vor, und Bolitho fragte sich, wie er und die anderen eine weitere Nacht ohne Schlaf durchhalten sollten. Er kam an den Lochern vorbei, deren Insassen nur an ihren wei?en Brustriemen zu erkennen waren, wahrend sie - das Gewehr im Anschlag - ubers Wasser spahten.
        Er fand Quinn mit Rowhurst beim Montieren des zweiten Geschutzes. Sie legten Munition und Pulver so zurecht, da? im Dunkeln alles griffbereit war.
        Stockdale keuchte:»Wer wird blo? freiwillig Soldat, Sir?»
        Bolitho dachte an die Soldaten, wie er sie in England erlebt hatte, die Garnison in Falmouth, die Dragoner in Bodmin. Sie exerzierten am Sonntagmorgen zur Freude der Kirchganger und der kleinen Jungen.
        Dies hier war etwas vollig anderes: rohe Gewalt und die Entschlossenheit, mit allem fertig zu werden, was sich ihnen in den Weg stellte. Ob in der Wuste oder auf schlammigem Feld, das Los der Infanteristen war immer das schwerste.
        Quinn kam herubergelaufen und redete schnell und unzusammenhangend auf ihn ein.

«Sie sagen, es geht heute nacht los. Warum konnen wir uns nicht ins Fort zuruckziehen? Als wir angriffen, hie? es, die Geschutze beherrschen Damm und Flo?. Warum gilt dasselbe nicht jetzt auch fur den Feind?»

«Leise, James! Wir mussen sie von der Insel fernhalten. Sie kennen sich hier genau aus, wir selbst meinen nur, das Fort zu kennen. Wenn auch nur ein paar von ihnen bis hierher durchbrechen, wer wei?, was dann geschieht.»
        Quinn lie? den Kopf hangen.»Ich habe die Leute gehort, sie wollen nicht sterben fur eine elende kleine Insel, von der noch nie jemand gehort hat.»

«Du wei?t genau, warum wir hier sind. «Er wunderte sich wieder uber den Ton seiner eigenen Stimme, sie klang harter, kalter. Quinn mu?te das verstehen. Wenn er jetzt nicht durchhielt, war es fur ihn kein Ruckschlag mehr, sondern eine vernichtende Niederlage.
        Quinn erwiderte:»Das Magazin, das Fort, was sind sie wert, wenn wir tot sind? Es ist ein Nadelstich, eine Bagatelle.»
        Bolitho sagte ruhig:»Du wolltest unbedingt Seeoffizier werden, auch wenn dein Vater dich lieber in seinem Geschaft in London gesehen hatte. «Er betrachtete Quinns Gesicht, es schimmerte bla? in der Dunkelheit.»Ich denke, er hatte recht damit, mehr als du selbst wei?t. Er wu?te, da? du niemals das Zeug hattest, ein Offizier des Konigs zu werden. «Damit wandte er sich brusk ab und schuttelte Quinns Hand von seiner Schulter.»Nimm die erste Wache, ich lose dich dann ab.»
        Er wu?te, da? Quinn ihm unglucklich und verletzt nachstarrte, und ha?te sich selbst dafur, da? er so zu ihm hatte sprechen mussen.
        Stockdale sagte:»Bei allem, was Sie fur den Jungen empfinden - da sind andere, die sich auf ihn verlassen mussen.»
        Bolitho blickte ihn an. Stockdale verstand ihn, war immer da, wenn er ihn brauchte.

«Danke, Stockdale.»
        Zwei Stunden schlichen dahin. Die Nachtluft wurde kalter, zumindest schien es so, und die Spannung wich der Mudigkeit.
        Bolitho stand halbwegs zwischen Fort und Damm, als er plotzlich anhielt und sich dem Festland zuwandte.
        Auch Stockdale starrte hinuber und nickte dann heftig. Rauch!
        Der Qualm wurde mit jeder Sekunde heftiger, bei?ender, und reizte Augen und Kehle, als er jetzt in dicken Schwaden vom Wind herubergeweht wurde. Man sah auch schon Flammen, die wie bose rotliche Federn herumwirbelten, bis sie zu einer geschlossenen Feuerfront zusammenwuchsen.
        Fahnrich Couzens, der dosend hinter ihnen herging, keuchte:»Was ist das?»
        Bolitho fing an zu rennen.»Sie haben den Hang angezundet, um im Schutz des Rauchvorhangs anzugreifen.»
        Er bahnte sich den Weg durch Gruppen hustender, wurgender Seesoldaten, bis er das erste Geschutz erreichte.

«Klar zum Feuern!«Er sah Fitzherbert mit einem seiner Unteroffiziere, die sich Taschentucher um Mund und Nase gewickelt hatten.»Wollen Sie es dem Major melden?»
        Fitzherbert schuttelte den Kopf, seine Augen tranten.»Keine Zeit mehr. Er wird es ohnehin merken. «Dann zog er den Degen und schrie: «Haltet die Front. Gebt es weiter zur anderen Abteilung!»
        Hustend tastete er sich weiter, dabei nach seinen Leuten Ausschau haltend, wahrend mehr Seesoldaten durch den Rauch gerannt kamen, angeleitet von d'Esterres Stimme, der Ruhe forderte und die Ordnung einigerma?en wiederherstellte.
        Couzens verga? sich so weit, Bolithos Arm zu ergreifen, wahrend er murmelte:»Horen Sie! Sie schwimmen!»
        Bolitho zog den Dolch und machte die Pistole schu?bereit. Ein Flu?chen in der Nahe seines Elternhauses in Cornwall, dessen Furt im Winter bei Hochwasser oft unpassierbar war, wurde von Reitern bisweilen durchschwommen; so kannte er die Gerausche schwimmender Pferde gut genug, um zu begreifen, was sich jetzt vor ihnen abspielte.

«Sie schwimmen mit ihren Pferden heruber!»
        Er fuhr herum, als er ein langgezogenes Hurra horte, das die Gerausche des Feuers und des Wassers noch ubertonte.
        D'Esterre rief:»Sie kommen auch uber den Damm!«Dann drangte er sich durch die Menge und fugte hinzu:»Halten Sie die Leute zuruck, Sergeant! Die Kanonen sollen das erste Wort sprechen!»
        Einige bewaffnete Seeleute stolperten aus dem Dunkel und rutschten plotzlich in den Stand, als Bolitho rief:»Hierbleiben! Folgt mir zum Strand!«Sein Verstand kampfte mit dem raschen Wechsel der Ereignisse, dem herannahenden Unheil.
        Eine Kanone donnerte, und das Hurra auf der anderen Seite geriet ins Stocken, wurde abgelost von Schreien und Stohnen.
        Das zweite Geschutz spaltete die Dunkelheit mit langer, leuchtend orangefarbener Zunge; sein Gescho? traf Menschen und Sand. Bolitho malte sich Quinns entsetztes Gesicht aus, als die trotzigen Hurrarufe erneut aufbrandeten, ebenso stark wie vorher.
        Stockdale knurrte:»Hier ist einer!»
        Bolitho balancierte auf den Fu?ballen, beobachtete die aus dem Dunkel vorsturzenden Schatten.
        Jemand feuerte eine Pistole ab, und er sah die schreckgeweiteten Augen eines Pferdes, als es auf die Seeleute lospreschte; dann schweifte sein Blick ab, als ein weiterer Reiter aus dem Wasser auftauchte und wie ein Racheengel uber sie kam.
        Er meinte Stockdale zu horen, wie er Couzens gut zuredete:»Ruhig, Sohn! Bleib bei mir! Nicht zuruckweichen!»
        Dasselbe konnte er zu mir sagen, dachte Bolitho.
        Dann verga? er alles, spurte nur noch, wie sein Dolch gegen Stahl stie?, und warf sich mit voller Wucht in den Angriff.
        Leutnant James Quinn duckte sich, als Gewehrsalven uber den Damm knatterten und einige Querschlager von den Kanonen abprallten. Er war beinahe blind vom Rauch des brennenden Hanges und des Geschutzfeuers.
        Hier drau?en schien ihm alles weit schlimmer als im Batteriedeck des Schiffes. Uber ihren Kopfen pfiffen und heulten die Kugeln, und durch den Rauch stolperten fluchend die Geschutzbedienungen, wahrend sie Munition zum Nachladen herbeischleppten.

«Feuer!»
        Quinn fuhr zuruck, als das ihm nachststehende Geschutz Flammen und Rauch ausspie. Bei dem kurzen Aufblitzen sah er rennende Menschen und das Glanzen von Waffen, bis die Dunkelheit alles wieder verschluckte und nur die Schreie der Getroffenen die Luft erfullten.
        Jemand rief ihm ins Ohr:»Die Teufel sind schon auf der Insel, Sir! Kavallerie!»
        Leutnant Fitzherbert brullte wutend durch den Rauch:»Maul halten, du verursachst ja eine Panik!«Damit feuerte er auf den uber den Damm vordringenden Feind.
        Quinn keuchte:»Er hat Kavallerie gesagt!»
        Fitzherbert starrte ihn an, seine Augen funkelten wei? uber dem Taschentuch.

«Wir waren alle langst tot, wenn das der Fall ware, Menschens-kind! Ein paar Reiter sind es, nicht mehr!»
        Rowhurst rief heiser:»Unser Pulver geht zu Ende!«Dann fugte er, an Quinn gewandt, wutend hinzu:»Verdammt, tun Sie was,
        Sir!»
        Quinn nickte, von nackter Angst gepackt. Neben sich sah er Fahnrich Huyghue, der seine Pistole gerade uber einem hastig aufgeworfenen Erdwall in Anschlag brachte.

«Sagen Sie Mr. Bolitho, was hier vorgeht!»
        Der Junge stand auf, ungewi?, in welche Richtung er laufen sollte. Quinn packte ihn am Arm.»Hier am Strand entlang, so schnell Sie konnen!»
        Eine schrille Stimme rief:»Hier kommen sie!»
        Fitzherbert ri? sein Taschentuch weg und hob den Degen.»Sergeant Triggs!»
        Ein Korporal sagte ruhig:»Ist tot, Sir!»
        Der Leutnant wandte sich ab.»Allmachtiger!«Dann, als die Hurrarufe lauter und lauter uber das Wasser drohnten, schrie er: «Vorwarts, Seesoldaten!»
        Stolpernd und hustend stiegen die Marineinfanteristen aus ihren Lochern, hoben gehorsam die Bajonette und suchten Halt fur ihre Fu?e, wahrend sie mit schmerzenden Augen nach dem Feind Ausschau hielten.
        Eine Gewehrsalve peitschte vom Damm heruber, und ein Drittel der Seesoldaten sturzte tot oder verwundet zu Boden.
        Quinn starrte unglaubig hin, als die Uberlebenden ihre Musketen abfeuerten, nachluden und dabei wieder von einer wohlgezielten Salve getroffen und dezimiert wurden.
        Fitzherbert schrie:»Schlage vor, Sie vernageln die Kanonen und lassen Ihre Seeleute unsere Musketen nachladen!»
        Dann stie? er einen erstickten Schrei aus und sturzte durch die sich lichtenden Reihen davon: sein Unterkiefer war vollig weggeschossen.
        Quinn rief:»Rowhurst, zuruck!»
        Rowhurst drangte sich mit wilden Blicken an ihm vorbei.»Die meisten sind schon abgehauen!«Selbst angesichts der unmittelbaren Gefahr konnte er seine Verachtung nicht verbergen.»Sie konnen ebenfalls verschwinden!»
        Vom Fort horte Quinn plotzlich Trompetensignale. Die Marineinfanteristen schienen wie von einer Geisterhand gepackt zu werden.
        Der Korporal, der eben noch am Rande der Panik war, rief:»Ruckzug! Ruhig, Jungens, noch mal laden und zielen!«Er wartete, bis ein paar Verwundete durch die Linien gehumpelt oder gekrochen waren, dann kommandierte er:»Feuer!»
        Quinn konnte nicht fassen, was geschah. Er horte Kommandos, das Schnappen von Gewehrverschlussen, und ahnte dumpf, da? d'Esterre mit seiner Reserve vorruckte, um ihren Ruckzug zu dek-ken. Der Feind war nur noch wenige Meter entfernt, Quinn konnte das Patschen und Rutschen der Fu?e auf dem nassen Sand horen, spurte fast korperlich die Wut und Entschlossenheit, mit der die Gegner vorwarts drangten, um den Landeplatz zuruckzuerobern. Aber alles, woran er denken konnte, war Rowhursts Verachtung und der Zwang, in diesen letzten Minuten seinen Respekt zuruckzugewinnen.
        Er keuchte:»Welches Geschutz ist geladen?»
        Damit stolperte er den Hang hinunter, die Pistole noch ungeladen, den Dolch noch in der Scheide, den sein Vater extra fur ihn beim besten Messerschmied der Londoner City hatte anfertigen lassen.
        Rowhurst, verwirrt und besturzt uber den Wechsel der Ereignisse, hielt an und starrte auf den sich blind vorwarts tastenden Leutnant.
        Es war Wahnsinn, nochmals mit ihm zu den Kanonen zu gehen. Ihre einzige Chance lag in einer schnellen Flucht zu den Toren des Forts, jedes weitere Verweilen verringerte die Aussicht auf Uberleben.
        Rowhurst war Freiwilliger und stolz darauf, einer der besten Artilleriemaaten der ganzen Flotte zu sein. Wenn das Schicksal ihn weiterhin begunstigte, konnte er in etwa einem Monat mit Beforderung zum Deckoffizier und der Versetzung auf ein anderes Schiff rechnen.
        Er beobachtete Quinns jammerliche Bemuhungen, ein Geschutz zu finden, das noch geladen und wegen der Flucht der Bedienungsmannschaft nicht abgefeuert war. So oder so bedeutete es fur ihn das Ende. Wenn er blieb, wurde er mit Quinn zusammen sterben. Wenn er fluchtete, wurde Quinn ihn des Ungehorsams und der Ungebuhrlichkeit gegenuber einem Offizier beschuldigen.
        Er seufzte tief auf und entschlo? sich zu bleiben.

«Hier, dieses ist es!«Und mit einem gezwungenen Grinsen fugte er hinzu:»Sir!»
        Ein an den Radern lehnender Leichnam zuckte, als mehrere Schusse ihn trafen. Es war, als erwachten die Toten wieder zum Leben, um Zeugen dieses au?ersten Wahnsinns zu sein.
        Das Donnern des Geschutzes, als die doppelte Ladung Schrot und Kugeln in die dichten Reihen der Angreifer schlug, schien Quinn wieder zur Besinnung zu bringen. Benommen tastete er nach seinem wundervoll ziselierten Dolch, seine Augen tranend, seine Ohren betaubt von dem Krach der Detonation.
        Alles, was er sagen konnte, war:»Danke, Rowhurst, danke!»
        Aber Rowhurst hatte mit seinen truben Ahnungen recht behalten. Er lag im nassen Sand und starrte mit weit offenen Augen in den Rauch; in der Mitte seiner Stirn klaffte ein kreisrundes Loch. Kein Artilleriemaat hatte besser zielen konnen.
        Quinn ging wie im Traum davon. Die wei?en Hosen toter Soldaten schimmerten in der Dunkelheit, starrende, gebrochene Augen und verstreute Waffen kennzeichneten den Ort des Grauens.
        Quinn merkte jetzt, da? Larm und Hurrageschrei vom Damm her verstummt waren. Die anderen hatten wohl auch genug.
        Er hielt an, plotzlich wieder gespannt und kampfbereit, als einige Gestalten vor ihm auftauchten. Aber es waren Bolitho, Stockdale und zwei Seesoldaten.
        Quinn blickte zu Boden; er wollte sprechen, erklaren, was Ro w-hurst getan, wozu er ihn getrieben hatte. Doch Bolitho ergriff ihn am Arm und sprach beruhigend auf ihn ein.»Der Korporal hat mir alles erzahlt. Ohne deinen Einsatz ware jetzt niemand au?erhalb des Forts mehr am Leben.»
        Sie warteten, wahrend die Linie der Marineinfanteristen vom Fort her vorruckte und die zerschlagenen und blutenden Reste der Ve r-teidiger in eine vorlaufige Sicherheit passieren lie?.
        Bolithos ganzer Korper schmerzte, sein rechter Arm war schwer wie Blei. Er verspurte noch immer die Angst und Verzweiflung der vergangenen Stunden: das Stampfen und Schnauben der Pferde, die aus dem Dunkel schlagenden und stechenden Sabel und dann den plotzlichen, verbissenen Widerstand seiner eigenen, zusammengewurfelten Truppe.
        Couzens war von einem Pferd uberrannt worden und besinnungslos, drei Seeleute waren tot. Ihn selbst hatte ein Sabelhieb an der Schulter getroffen, die Schneide hatte sich angefuhlt wie ein gluhendes Messer.
        Jetzt waren die Pferde zuruckgeschwommen oder mit der Stromung abgetrieben, einige ihrer Reiter aber waren geblieben, fur immer.
        D'Esterre stie? durch den dunner werdenden Qualm zu ihnen.

«Wir haben sie abgeschlagen. Es hat Verluste gekostet, Dick, aber es kann unsere Rettung gewesen sein. «Er nahm seinen Hut ab und fachelte sich damit das schwei?uberstromte Gesicht.»Seht ihr? Endlich hat der Wind gedreht. Wenn unser Schiff drau?en steht, dann kann es jetzt hereinkommen.»
        Er sah, wie ein Marineinfanterist vorbeigetragen wurde, dessen Bein bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert war. In der Dunkelheit schimmerte sein Blut wie frischer Teer.

«Wir mussen Ersatz zum Damm schicken. Ich habe schon neue Geschutzbedienungen angefordert. «Couzens taumelte auf sie zu und rieb sich stohnend den Kopf.»Gut, da? er soweit in Ordnung ist. «D'Esterre setzt den Hut wieder auf, als er seinen Sergeanten sah, der auf ihn zueilte:»Ich furchte, sie haben den anderen Fahnrich, Huyghue, gefangengenommen.»
        Quinn sagte mit gebrochener Stimme:»Ich habe ihn zu dir geschickt. Es war mein Fehler.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nein. Ein paar von den Feinden sind gezielt in unsere Linien eingedrungen, um Gefangene zu machen. «Er steckte den Degen in die Scheide, wobei er feststellte, da? der Griff vollig blutverschmiert war. Seufzend versuchte er, Ordnung in seine jagenden Gedanken zu bringen; aber er empfand immer noch das Grauen des wilden und erbitterten Kampfes Mann gegen Mann. Er sah Gesichter vor sich, horte Schreie und Stohnen.
        War es diesen ungeheuren Preis wert gewesen?
        Und morgen, nein, heute wurde all das noch einmal von vorn anfangen.
        Er horte Quinn sagen:»Sie brauchen mehr Pulver fur die Kanonen! Kannst du das erledigen?»
        Eine anonyme Gestalt in kariertem Hemd und wei?er Hose eilte von dannen, um seinen Befehl zu ubermitteln.
        Quinn blickte ihn an.»Wenn du Major Paget Bericht erstatten willst, dann bleibe ich hier und beaufsichtige das. «Wartend beobachtete er Bolithos angestrengtes Gesicht und fugte hinzu:»Ich kann es, wirklich!»
        Bolitho nickte.»Ich ware dir dankbar, James. Bin gleich wieder zuruck.»
        Jetzt lie? sich Stockdale vernehmen:»Ohne Rowhurst brauchen Sie einen guten Geschutzfuhrer, Sir. «Er lachelte Quinn ermutigend zu:»Weiterhin so viel Erfolg, Sir!»
        Bolitho bahnte sich durch Gruppen von Verwundeten einen Weg ins Fort. Jede r von ihnen war ein kleines Eiland des Schmerzes im Schein der Laternen. Das Tageslicht wurde ihnen erst den vollen Umfang dessen eroffnen, was sie erlitten hatten.
        Paget stand in seiner Stube, und obgleich Bolitho wu?te, da? er die Verteidigung vom ersten Augenblick an uberwacht und personlich geleitet hatte, sah er aus, als hatte er den Raum kein einziges Mal verlassen.
        Jetzt sagte er zu Bolitho:»Naturlich werden wir den Damm heute nacht auch weiterhin halten. «Er zeigte mit einladender Geste auf eine Weinflasche.»Morgen werden wir jedoch die Evakuierung einleiten. Wenn das Schiff kommt, schicken wir als erstes die Verwundeten an Bord und diejenigen, die wahrend der Nacht Wache gestanden haben. Uns bleibt keine Zeit mehr fur Bluff. Da sie Gefangene von uns haben, wissen sie auch, was wir planen.»
        Bolitho lie? den Wein genu?lich durch seine Kehle rinnen. Gott, das schmeckte gut! Besser als alles, was er je gekostet hatte.

«Was machen wir, wenn das Schiff nicht kommt, Sir?»

«Nun, das wurde die Sache vereinfachen. «Paget musterte ihn kalten Blickes.»Dann jagen wir das Fort in die Luft und kampfen uns durch. «Er lachelte kurz.»Aber es wird nicht dazu kommen.»

«Ah, ich verstehe, Sir. «Tatsachlich verstand er nichts.
        Paget warf ein paar Schriftstucke durcheinander.»Sie sollten jetzt schlafen, eine Stunde wenigstens. «Er hob die Hand.»Das ist ein Befehl! Sie haben gute Arbeit geleistet, und ich danke Gott, da? dieser Narr Probyn sich anders entschieden hat und nicht hiergeblieben ist.»

«Ich mochte noch Mr. Quinn lobend erwahnen, Sir. «Der Major verschwamm bereits vor seinen Augen.»Und die beiden Fahnriche. Sie sind alle sehr jung.»
        Paget pre?te die Fingerspitzen zusammen und betrachtete ihn, ohne zu lacheln. Nicht so alter Krieger wie Sie, was?»
        Bolitho nahm seinen Hut und ging zur Tur. Bei Paget wu?te man sofort, woran man war. Er hatte ihn zum Schlafen abkommandiert, und der Gedanke daran lie? ihn gleich die Augen schlie?en und sich hinlegen.
        Gleichzeitig wu?te er auch den wahren Grund von Pagets Fursorge: Jemand mu?te zuruckbleiben und die Zundschnur anstekken. Das erforderte ein gewisses Ma? an Geschicklichkeit.
        Bolitho ging an d'Esterre vorbei, ohne ihn zu sehen. Dieser ergriff die Weinflasche und sprach:»Haben Sie ihm das wegen morgen gesagt, Sir?»
        Paget hob die Schultern.»Nein. Er ist wie ich in seinem Alter. Mu?te nicht erst alles gesagt bekommen. «Er blickte seinen Untergebenen an.»Im Gegensatz zu gewissen anderen Leuten!»
        D'Esterre trat lachelnd ans Fenster. Irgendwo jenseits des Wassers war sicherlich ein Glas auf das Fort gerichtet, auf dieses erleuchtete Fenster.
        Genau wie Bolitho hatte auch er sich eine Stunde Schlaf gonnen sollen. Aber dort drau?en, noch verborgen im Dunkel, lagen viele seiner Leute in der gleichgultigen Haltung des Todes ausgestreckt. Er konnte es nicht uber sich bringen, sie jetzt zu verlassen.
        Er wandte sich um, als er hinter sich ein leises Schnarchen horte. Paget schlief tief und fest in seinem Sessel, das Gesicht ruhig und entspannt.
        Ich ware lieber wie er, dachte d'Esterre bitter. Dann kippte er seinen Wein mit einem Schluck hinunter und trat hinaus in die Dunkelheit.



        XI Die Nachhut

        Als die Sonne allmahlich uber dem Horizont erschien und sich vorsichtig landeinwarts tastete, enthullte sie nicht nur die Schrek-ken des nachtlichen Kampfes, sondern gab den Uberlebenden auch wieder neuen Mut und neue Hoffnung.
        Mit dem ersten Sonnenlicht zeigten sich zwei Segel am Horizont; es schien, als habe der Feind damit alle ihre Evakuierungshoffnungen zunichte gemacht. Als aber die beiden Schiffe auf standig wechselndem Kurs naher kamen, wurden sie erkannt und mit lautem Jubel begru?t. Es war nicht nur die Korvette Spite, sondern auch die mit zweiunddrei?ig Kanonen bestuckte Fregatte Vanquis-her, vermutlich von Konteradmiral Coutts selbst geschickt.
        Sobald es hell genug war, begruben sie ihre Gefallenen. Jenseits des Dammes, der jetzt gro?tenteils unter Wasser stand, schaukelten ein paar Tote in der Stromung. Die meisten waren schon wahrend der Nacht davongetrieben oder von ihren Kameraden geborgen worden.
        Paget war uberall zugleich. Er machte Vorschlage, schimpfte, lobte und rief hin und wieder auch ein Wort der Ermutigung dazwischen.
        Der Anblick der beiden Schiffe erfullte sie mit neuem Leben. Trotz ihrer Verwundbarkeit durch Geschutze von Land aus mu?ten sie das Evakuieren erheblich verkurzen: durch doppelt so viele Boote, frische, ausgeruhte Seeleute und Offiziere, die sofort die Last der Verantwortung ubernehmen konnten.
        Bolitho verbrachte den gro?ten Teil des Morgens mit Stockdale und einem Korporal der Marineinfanterie unten im Magazin. Es herrschte dort eine Totenstille, die er fast korperlich wie eine kuhle Brise spurte. Pulverfa? nach Pulverfa? turmten sie aufeinander, Kiste um Kiste mit Waffen und Ausrustung, viele davon noch ungeoffnet und gefullt mit franzosischen Gewehren und Seitenwaffen. Fort Exeter war ein beredter Beweis fur den lebhaften Waffenhandel der Rebellen mit Englands altem Erbfeind Frankreich.
        Stockdale summte vor sich hin, wahrend er die Zundschnur unten am ersten Stapel befestigte, vollig vertieft in seine Arbeit und froh, dem geschaftigen Treiben uber ihnen entronnen zu sein.
        Stiefel stampften im Hof, und man horte das Kreischen von Metall, als die Kanonen vernagelt und dann an einen Platz uber dem Explosionsherd transportiert wurden.
        Bolitho sa? auf einem leeren Fa?, seine Wangen brannten von der Rasur, die Stockdale ihm nach seinem tiefen Erschopfungsschlaf hatte angedeihen lassen. Er erinnerte sich an die Worte seines Vaters:»Wenn du dich noch nie mit Salzwasser rasieren mu?test, wei?t du nicht, wie vergleichsweise bequem das Leben an Land ist.»
        Noch hatte er so viel Su?wasser, wie er brauchte, aber man konnte sich seiner Vorrate nie ganz sicher sein, nicht einmal jetzt angesichts der sich nahernden Schiffe.
        Er betrachtete Stockdales gro?e Hande, die so geschickt und vorsichtig mit den Zundschnuren umgingen.
        Es war und blieb ein Vabanquespiel: die Zundschnure anstecken, nach oben rennen und dann in den wenigen Minuten in Sicherheit fliehen.
        Ein Seemann kam die sonnenbeschienene Leiter herunter.

«Verzeihung, Sir, der Major mochte Sie sprechen!«Dann erst entdeckte er Stockdale und die Zundschnure und wurde bla?.
        Bolitho lief die Leiter hinauf und uber den Hof. Die Tore standen offen, er sah den zertrampelten Boden, die eingetrockneten Blutlachen und die klaglichen Erdhaufen, die hastig ausgehobene Graber bezeichneten.
        Paget sagte langsam:»Wieder einmal die Parlamentarsflagge, verdammt!»
        Bolitho schirmte die Augen ab und sah ein paar Gestalten am jenseitigen Ende des Dammes, die eine wei?e Flagge hochhielten.
        D'Esterre kam eilig von den Stallen her, wo Marineinfanteristen Papiere, Karten und anderes aufhauften: den Inhalt der Turmstuben.
        Er nahm ein Glas, blickte hinuber zu der Gruppe und sagte grimmig:»Sie haben den jungen Huyghue bei sich.»
        Paget erwiderte ruhig:»Gehen Sie hin und sprechen Sie mit ihnen. Sie wissen, was ich heute morgen gesagt habe. «Er nickte Bolitho zu.»Sie auch. Es wird Huyghue vielleicht helfen.»
        Die beiden gingen zum Damm, Stockdale unmittelbar hinter ihnen, ein altes Hemd an einem Spie? als Flagge hochhaltend. Wie er gehort hatte, was los war, und rechtzeitig auftauchte, um Bolitho zu begleiten, blieb ein Ratsel.
        Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie den Damm erreichten. Die ganze Zeit uber stand die kleine Gruppe am anderen Ende unbeweglich; lediglich die wei?e Flagge uber dem Kopf eines Soldaten zeigte durch ihr Flattern die unparteiische Gegenwart des Windes an.
        Bolitho fuhlte, wie seine Fu?e in Sand und Schlamm einsanken, je mehr sie sich der wartenden Gruppe naherten. Hier und da zeigten sich Spuren des Kampfes: ein zerbrochener Sabel, ein zerschossener Hut, ein Beutel mit Gewehrkugeln. Im tieferen Wasser sah er ein Paar Beine sanft schaukeln, als ob der dazugehorige Korper jeden Augenblick wieder auftauchen wurde.
        D'Esterre sagte:»Naher konnen wir nicht heran.»
        Die beiden Gruppen standen einander jetzt gegenuber, und obgleich der Mann neben der Flagge keinen Rock anhatte, wu?te Bolitho doch gleich, da? es der Offizier von gestern war. Wie um dies zu beweisen, sa? der schwarze Hund neben ihm im nassen Sand und lie? die rote Zunge heraushangen.
        Ein wenig dahinter stand Fahnrich Huyghue, klein und zerbrechlich gegen die gro?en, sonnengebraunten Soldaten.
        Der Offizier hielt die hohlen Hande vor den Mund und rief mit tiefer, volltonender Stimme, die muhelos die Entfernung uberbruckte:»Ich bin Oberst Brown von der Charlestown-Miliz. Mit wem habe ich die Ehre?»
        D'Esterre rief:»Hauptmann d'Esterre, Marineinfanterie Seiner Britannischen Majestat.»
        Brown nickte langsam.»Ich bin bereit, mit Ihnen zu verhandeln. Ich gestatte Ihren Leuten, das Fort unversehrt zu verlassen, wenn Sie die Waffen niederlegen und keinen Versuch machen, die Vorrate zu zerstoren. «Er machte eine Pause und fuhr dann fort:»Andernfalls wird meine Artillerie das Feuer eroffnen und eine Evakuierung verhindern, selbst auf die Gefahr hin, da? wir dabei das Magazin in die Luft sprengen.»
        D'Esterre rief:»Verstanden!«Bolitho flusterte er zu:»Er will Zeit gewinnen. Wenn es ihm gelingt, Geschutze auf den Steilhang zu schaffen, wird er sicherlich ein paar Weitschusse auf die Schiffe abfeuern konnen, wenn sie geankert haben. Es bedarf nur eines glucklichen Treffers an der richtigen Stelle. «Laut rief er wieder:»Und was hat der Fahnrich damit zu tun?»
        Brown zuckte mit den Schultern.»Ich biete ihn zum Austausch gegen den franzosischen Offizier an.»
        Bolitho sagte leise:»Verstehe. Er wird das Feuer auf jeden Fall eroffnen, mochte aber vorher den Franzosen in Sicherheit wissen, damit er bei der Beschie?ung weder getroffen noch von uns getotet wird.»

«Ja«, flusterte d'Esterre, und laut sagte er:»Ich kann in diesen Austausch nicht einwilligen!»
        Bolitho sah, wie der Fahnrich einen Schritt nach vorn machte, die Hande wie flehend halb erhoben.
        Brown rief:»Das werden Sie noch bedauern!»
        Bolitho hatte sich gern umgedreht, um zu sehen, wie weit die Schiffe jetzt waren; aber jedes Zeichen von Unsicherheit konnte sich fatal auswirken, vielleicht sofort einen neuen Frontalangriff bringen. Wenn der Feind gewu?t hatte, da? die Kanonen bereits vernagelt waren, dann ware er langst auf der Insel gewesen. Bolitho fuhlte sich plotzlich sehr verwundbar. Aber wieviel schwerer mu?te es fur Huyghue sein. Mit sechzehn Jahren in einem fremden Land unter Feinden zuruckgelassen zu werden, wo sein Verschwinden oder sein Tod kaum Staub aufwirbeln wurde.
        D'Esterre rief hinuber:»Ich wurde lieber Ihren stellvertretenden Kommandeur austauschen.»

«Nein. «Oberst Brown streichelte beim Sprechen den Kopf des Hundes, wie um sich zu beruhigen.
        Offensichtlich hat er seine Befehle - wie wir alle, dachte Bolitho.
        Die Erwahnung des stellvertretenden Kommandeurs hatte lediglich beweisen sollen, da? Paget seine Gefangenen noch in Gewahrsam hatte und da? sie am Leben waren. Diese Erkenntnis konnte Huyghue vielleicht das Leben retten.
        Ein Geschutz bellte plotzlich auf, seltsam hohl und wie erstickt. Die Miliz hat also ihre Kanonen bereits in Stellung gebracht, dachte Bolitho. Die Enttauschung gab ihm einen Stich ins Herz, bis er ferne Jubelrufe horte.
        Stockdale keuchte:»Eins der Schiffe hat geankert, Sir!»
        D'Esterre blickte Bolitho an und sagte:»Wir mussen gehen, ich will des Jungen Elend nicht noch verlangern.»
        Bolitho rief hinuber:»Horen Sie, Mr. Huyghue, alles wird gutgehen. Sie werden bestimmt bald ausgetauscht!»
        Huyghue mu?te wohl bis zum letzten Augenblick an Rettung geglaubt haben. Jetzt versuchte er, ins Wasser zu laufen, und als ein Soldat ihn am Arm ergriff, fiel er auf die Knie und rief schluchzend:»Helft mir doch, la?t mich nicht zuruck, bitte, helft mir!»
        Selbst der Oberst schien von des Jungen Verzweiflung geruhrt; trotzdem bedeutete er den Soldaten, ihn wieder den Strand hinauf zu bringen.
        Bolitho und seine Gefahrten wandten sich um und gingen zum Fort zuruck; Huyghues verzweifelte Schreie folgten ihnen wie ein Fluch.
        Die Fregatte hatte ziemlich weitab vom Land geankert, ihre Segel waren aufgegeit, und bereits strebten Boote der Insel zu.
        Die kleinere Spite segelte naher heran, die Lotgasten lagen im Netz unter dem Kluverbaum und hielten Ausschau nach Riffen oder Sandbanken.
        Die Schiffe sahen so sauber, so fern aus, da? Bolitho sich plotzlich vom Land angewidert fuhlte, von dem schweren Geruch des Todes, der sogar noch den des nachtlichen Feuers uberlagerte.
        Quinn stand am Tor und studierte Bolithos Gesicht, als dieser wieder zu den anderen zuruckkehrte.

«Ihr habt ihn zuruckgelassen?»

«Ja. «Bolitho blickte ihn ernst an.»Ich hatte keine andere Wahl. Wenn wir ihn gegen diesen Gefangenen ausgetauscht hatten, ware es sinnlos gewesen, uberhaupt hierher zu kommen. «Er seufzte.

«Aber ich werde sein Gesicht so bald nicht vergessen.»
        Paget blickte auf die Uhr.»Die ersten Verwundeten hinunter zum Strand!«Er blickte Bolitho an.»Meinen Sie, da? die Burschen noch einen Angriff versuchen werden?»
        Bolitho hob die Schultern.»Unsere Schwenkgeschutze konnten sie jetzt bei Tageslicht in Schach halten, Sir, aber es wurde uns die Arbeit nicht gerade erleichtern.»
        Paget blickte auf, als noch mehr Jubelrufe vor dem Fort ertonten.»Einfache Seelen.
«Er wandte sich ab.»Gott segne sie!»
        Ein Marineinfanterist kam die Leiter vom Wall herabgeeilt.»Mr. Raye hat Soldaten und Artillerie auf dem Hugel gesichtet, Sir.»
        Paget nickte.»Richtig. Wir mussen uns beeilen. Signal an Spite: schleunigst ankern und die Boote schicken. «Wahrend Quinn mit dem Soldaten zum Turm eilte, fugte Paget, zu Bolitho gewandt, hinzu:»Das wird hei?e Arbeit fur Sie, furchte ich, aber was auch geschieht, jagen Sie aufjeden Fall das Magazin in die Luft!«»Was wird mit den Gefangenen, Sir?»

«Wenn Platz und Zeit reichen, lasse ich sie auf die Fregatte bringen. «Er verzog den Mund zu einem verkniffenen Grinsen.»Wenn ich als Nachhut zuruckbliebe, wurde ich sie mit dem Magazin zusammen hochgehen lassen, diese verdammten Rebellen. Aber da Sie die Nachhut fuhren, bleibt es Ihnen uberlassen.»
        Die Boote der Vanquisher waren inzwischen am Strand, Seeleute hoben bereits die Verwundeten an Bord und schienen entsetzt uber die geringe Zahl der Uberlebenden.
        Nun kamen auch die Boote der Spite und ubernahmen Verwundete, um sie in Sicherheit und arztliche Obhut zu bringen.
        Bolitho stand auf dem Wall oberhalb des Tores, das Stockdale in dieser ersten, furchtbaren Nacht, als Quinn die Nerven verlor, geoffnet hatte.
        Das Fort wirkte schon leerer, nur unten bei den beiden Geschutzen am Damm sah er noch eine kleine Gruppe von Rotrocken. Sobald er den Befehl zum endgultigen Ruckzug gab, wurden Sergeant Shears und seine Leute an den Geschutzen befestigte Zundschnure in Brand setzen. Zwei kraftige Sprengladungen sollten dann die Kanonen unbrauchbar machen.
        Bolitho uberlegte. ob man in England jemals von all diesen Ereignissen erfahren wurde, von all den kleinen, aber todlichen Aktionen, die das Ganze ausmachten. Wenig wurde uber die wirklichen Helden geschrieben, dachte er. Uber die einsamen Manner der Angriffsspitze oder diejenigen, die zuruckgelassen wurden, um einen Ruckzug zu decken. Sergeant Shears mochte im Augenblick vielleicht dasselbe denken.
        Plotzlich gab es einen lauten Knall, dem ein heulender Orgelton folgte, als eine schwere Kanonenkugel uber ihre Kopfe flog und sich dann mit Wucht in den Sand bohrte.
        Fahnrich Couzens deutete auf den Steilhang jenseits des Wassers:»Sehen Sie, Sir? Dort, der Rauch! Sie haben oben die erste Kanone abgefeuert!»
        Bolitho musterte ihn. Couzens sah bla? und kranklich aus. Es wurde wohl einige Zeit dauern, bis er sich von den Schrecken des nachtlichen Kampfes erholt hatte.

«Melden Sie es dem Major. Er wird es sicher schon wissen, aber sagen Sie es ihm trotzdem. «Als Couzens zur Leiter lief, fugte er noch hinzu:»Danach melden Sie sich beim dienstaltesten Offizier der Boote. Kommen Sie nicht zuruck. «Er sah die verschiedensten Gemutsbewegungen im Gesicht des Jungen widergespiegelt: Erleichterung, Sorge und schlie?lich Trotz, und fuhr fort:»Ich bitte Sie nicht darum, das ist ein Befehl!»

«Aber, Sir, ich mochte bei Ihnen bleiben!»
        Bolitho wandte sich um, als ein neuer Knall vom Hang her ertonte. Diesmal flog die Kugel ubers Wasser, wo sie von Welle zu Welle sprang wie ein Delphin.

«Ich wei?, aber wie soll ich es Ihrem Vater erklaren, wenn Ihnen etwas passiert? Wer wird dann den Apfelkuchen Ihrer Mutter essen?»
        Er horte etwas wie ein unterdrucktes Schluchzen, und als er sich wieder umdrehte, war der Platz neben ihm leer. Noch ein bi?chen Zeit gewonnen fur dich, dachte Bolitho traurig. Couzens war drei Jahre junger als Huyghue, ein Kind!
        Er sah ein Aufblitzen und horte die Kugel uber das Fort heulen. Sie hatten sich jetzt eingeschossen, das Gescho? schlug dicht bei der Fregatte ins Wasser und uberschuttete eins ihrer Boote, das gerade zur Insel zuruckkehrte, mit einer Woge von Gischt.
        D'Esterre kam die Leiter herauf, um nach ihm zu sehen.»Die letzte Abteilung schifft sich jetzt ein, mit den meisten Gefangenen. Major Paget hat den Franzosen im ersten Boot hinubergeschickt, er will kein Risiko eingehen. «Er nahm den Hut ab und starrte zum Damm hinuber.»Abscheulicher Ort.»
        Eine Stimme rief vom Hof herauf:»Die Vanquisher geht Anker auf, Sir!»

«Mochte wohl weg, bevor sie von Oberst Brown ein Stuck Blei aufs Achterdeck gesetzt bekommt. «D'Esterres Ausdruck wurde besorgt.»Das konnte der Zundfunke sein, der den Angriff auslost, wenn sie annehmen, da? wir alle abhauen, Dick.»
        Bolitho nickte.»Ich mache mich fertig. Hoffentlich habt ihr ein schnelles Boot fur uns!»
        Es sollte lustig klingen, aber es trug nur dazu bei, die Spannung zu erhohen, die sogar das Atmen schwer machte.
        D'Esterre antwortete:»Die Jolle von der Spite wartet dort. Nur fur dich, Dick.»
        Bolitho entgegnete:»Geh' jetzt. Ich komme schon klar. «Er sah die letzte Gruppe Marineinfanteristen uber den Hof laufen, einer von ihnen schleuderte eine brennende Fackel in den Papierstapel vor den Stallen.
        D'Esterre beobachtete, wie Bolitho zum Magazin ging, dann wandte er sich um und folgte rasch seinen Leuten durch das Tor.
        Eine Kugel heulte dicht uber den Turm, aber d'Esterre blickte nicht einmal auf. Sie schien fur ihn keine Drohung zu enthalten. Gefahr und Tod waren allein hier unten, eine scheu?liche Erinnerung.
        Er sah die Silhouette der Fregatte kurzer werden, als sie sich jetzt der offenen See zuwandte, ihre Fock fullte sich bereits, wahrend eins ihrer Boote noch mit au?erster Kraft versuchte, langsseits zu pullen. Fur die anderen Boote wurde es ein langer und harter Weg sein, ihr Schiff zu erreichen. Aber der Kommandant kannte die todliche Gefahr gut placierter Artillerie an Land. Eine Fregatte zu verlieren, war schlimm genug, aber noch schlimmer ware es, wenn sie gekapert und von der Rebellenflotte vereinnahmt wurde.
        Bolitho verga? d'Esterre und alles andere, als er Stockdale mit einer brennenden Lunte bei den Zundschnuren sah. Neben ihm standen ein Korporal der Marineinfanterie und ein Seemann, in dem er trotz Schmutz und Bartstoppeln Rabett, den Dieb aus Liverpool, erkannte.

«Legt Feuer!«rief er und zuckte gleich darauf zusammen, als eine schwere Kugel durch die zersplitternde Brustwehr krachte und in den bereits lichterloh brennenden Stallen einschlug.

«Marsch zu den Toren, Korporal, und rufen Sie Ihre Wachtposten zuruck, so schnell Sie konnen.»
        Die Zundschnure erwachten zischend zum Leben, im Dammerlicht der Kasematte wirkten sie wie wutende Schlangen.
        Die Zundfunken schienen mit unheimlicher Geschwindigkeit vorwartszueilen, wenigstens kam es Bolitho so vor; er beruhrte Stockdale an der Schulter.

«Zeit fur uns, komm.»
        Eine Kugel schlug beim Fort ein und schleuderte eins der Schwenkgeschutze wie ein Stuck Holz in die Luft.
        Zwei weitere, scharfe Detonationen kamen vom Damm her: die beiden Geschutze waren gesprengt worden.
        Gewehrfeuer war jetzt zu horen, noch weit entfernt und ohne Wirkung. Aber der Feind wurde bald sturmen.
        Sie rannten hinaus in das grelle Sonnenlicht, vorbei an brennenden Stallen und Vorratsraumen.
        Ein lauter Knall und splitterndes Holz, das einmal die Brustwehr gewesen, bewiesen, da? Browns Leute wie die Teufel gearbeitet haben mu?ten, um ihre Geschutze auf dem Hang in Stellung zu bringen.
        Der Korporal schrie plotzlich:»Sergeant Shears kommt im Galopp, Sir! Und die ganze verdammte Rebellenarmee ist ihm auf den Fersen!»
        Bolitho sah die rennenden Marineinfanteristen, einer sturzte vornuber und blieb liegen. Feindliche Soldaten wateten und kampften sich bereits uber den unter Wasser stehenden Damm, sie feuerten im Laufen.
        Bolitho schatzte die Entfernung: es war zu weit fur den Feind, er konnte sie nicht mehr einholen.
        Herum um die Festungsmauer, hinunter uber den abschussigen Strand, wo die Jolle wartete. Er sah, da? die Crew schon die Riemen im Wasser hatte und wie hypnotisiert auf das Land starrte.
        Sergeant Shears keuchte den Strand hinunter, seine Manner dicht hinter sich.

«Ins Boot!«Bolitho blickte zum Turm auf, die britische Flagge wehte noch.
        Dann merkte er, da? er der letzte auf dem Strand war, da? Stock-dale ihn am Arm uber das Dollbord zog und ein nervoser Leutnant kommandierte:»Ruder an!»
        Wenige Minuten spater, als die Jolle schon uber die ersten tragen Brecher glitt, erschienen ein paar Soldaten unterhalb des Forts.
        Ihre rasch abgefeuerten Schusse gingen fehl, nur einer schlug dicht neben dem Boot ein und spritzte Wasser uber die keuchenden Rotrocke.
        Shears murmelte:»An ihrer Stelle wurde ich dort schnellstens abhauen.»
        Sie waren halbwegs zwischen Strand und Schiff, als die Detonation den hellen Tag zerfetzte. Es war nicht so sehr der ohrenbetaubende Krach als vielmehr der Anblick des in die Luft geschleuderten Forts, das dann Bruchstucke auf die Insel herabregnete, der in Bolithos Gedachtnis haften blieb, noch lange, nachdem das letzte Stuck zu Boden gefallen war. Als der Rauchpilz sich langsam hob, sah er, da? nichts mehr den Standort des Forts bezeichnete, nur ein ungeheurer, schwarzer Trichter.
        Alle Gefangenen waren schlie?lich doch abtransportiert worden, und Bolitho uberlegte, was sie jetzt wohl empfinden mochten, und auch der junge Huyghue. Dachte er an den Teil, den er selbst zum Gelingen des Unternehmens beigetragen hatte? Oder nur an sein eigenes schweres Los?
        Als er den Blick endlich abwandte, sah er uber sich die schwankenden Masten uid Rahen der Spite. Hilfreiche Hande warteten bereits darauf, sie an Bord zu holen.
        Er sah Stockdale an, und ihre Blicke trafen sich in wortloser Erleichterung. Dann horte er die gereizte Stimme des jungen Kommandanten Cunningham von oben herab rufen:»Lebhaft da unten, bewegt euch, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!»
        Bolitho lachelte mude. Sie waren zu Hause.
        Kapitan Gilbert Brice Pears sa? an seinem Schreibtisch, die starken Finger ineinander verschlungen, wahrend sein Sekretar funf wunderschon geschriebene Ausfertigungen des Berichtes uber das Unternehmen Fort Exeter zur Unterschrift vor ihm ausbreitete.
        Der Rumpf der Trojan knarrte und klapperte in der achterlichen See, Pears jedoch nahm es kaum wahr. Er hatte den Originalbericht sehr sorgfaltig durchgelesen, nichts ubergangen, und hatte sich von d'Esterre weitere Einzelheiten sowie den genauen Hergang des Angriffs und Ruckzugs schildern lassen.
        Neben ihm stand Cairns, dessen schlanke Gestalt einen Winkel zum Deck bildete, entsprechend der jeweiligen Schraglage des Schiffes. Er wartete geduldig auf eine Bemerkung des Kommandanten.
        Pears hatte sich sehr aufgeregt uber die Verspatung, mit der sie den Treffpunkt nach ihrem Scheinangriff auf Charlestown erreicht hatten. Das plotzliche Umspringen des Windes, das vollige Fehlen irgendwelcher Nachrichten und das allgemeine Mi?trauen, das er Coutts Plan entgegenbrachte, hatten ihn das Schlimmste befurchten lassen. Coutts selbst mu?te wohl etwas von Pears Unruhe gespurt haben, weil er zusatzlich die Fregatte Vanquisher zur Unterstutzung der kleineren Spite entsandt hatte, um beim Aufnehmen des Landetrupps zu helfen. Pears hatte dann spater ihre Ruckkehr auf die Trojan beobachtet, die abgezehrten, trotzig wirkenden Marineinfanteristen - oder vielmehr den klaglichen Rest dieser stolzen Truppe - , die schmutz- und blutverkrusteten Seeleute, dann d'Esterre, Bolitho und schlie?lich den jungen Couzens, der seinen Fahnrichskameraden halb lachend, halb weinend zuwinkte.
        Fort Exeter bestand nicht mehr, und Pears hoffte nur, da? sich der Einsatz gelohnt hatte. Im Geheimen bezweifelte er es.
        Grimmig nickte er seinem Sekretar zu.»Gut, Teakle, ich unterschreibe das verdammte Zeug. «Dann blickte er Cairns an:»Mu? eine blutige Angelegenheit gewesen sein. Unsere Leute scheinen sich aber wacker geschlagen zu haben.»
        Durch die tropfenden Fenster betrachtete er das verschwommene Bild des Flaggschiffs, das auf gleichem Kurs lag, die Segel windgefullt.

«Und jetzt dies hier, verdammter Mist!»
        Cairns folgte seinem Blick. Er wu?te wohl besser als jeder andere, was sein Kommandant empfand.
        Es hatte ganze sechs Tage gedauert, bis die massigen Linienschiffe sich wieder mit Spite und Vanquisher vereinigt hatten; dann vergingen zwei weitere Tage, in denen Admiral Coutts die Offiziere seines kleinen Geschwaders zu Besprechungen zusammenholte, den entwaffnend zuversichtlichen Franzosen verhorte und schlie?lich die Informationen verarbeitete, die Paget aus dem Fort gebracht hatte.
        Anstatt nun nach New York zuruckzukehren, um sich neue Befehle und Ersatz fur die Toten und Verwundeten zu holen, mu?te die Trojan weiter nach Suden segeln. Pears hatte Order, eine Insel zu finden und schlie?lich zu zerstoren, die - wenn man den Aussagen der Gefangenen Glauben schenken konnte - das wichtigste Glied in der Nachschubkette darstellte, die Washingtons Armeen mit Waffen und Munition versorgte.
        Zu jedem anderen Zeitpunkt hatte Pears diesen Einsatz als willkommene Unterbrechung der langweiligen Liege- und ermudenden Patrouillenzeiten begru?t.
        Das Flaggschiff Resolute wurde sie bald verlassen und Courts beeindruckende Berichte dem Oberbefehlshaber in New York uberbringen, zusammen mit den Schwerverwundeten und den Gefangenen. Aber der jugendliche Konteradmiral selbst hatte den nach Pears Ansicht noch nie dagewesenen Schritt unternommen, seinen Flaggschiffskommandanten zum stellvertretenden Befehlshaber des Geschwaders zu ernennen, wahrend er seine Flagge auf der Trojan hissen lie?, um den Angriff im Suden selbst zu leiten.
        Coutts vermutete wohl zu Recht, da? der Oberbefehlshaber ihn, wenn er mit der Resolute erst einmal in New York eingelaufen war, anderweitig einsetzen wurde, eventuell in Zusammenarbeit oder gar unter direktem Befehl des Gesandten Sir George Helpman. Mit der erfolgreichen Ausfuhrung seiner Eroberungsplane ware es dann vorbeigewesen.
        Es klopfte an Pears Tur.

«Herein!»
        Er blickte auf und in Bolithos Gesicht, der, den Hut unterm Arm, die Kajute betrat.
        Er sah alter aus, fand Pears, abgespannt, aber selbstsicherer. Um die Mundwinkel hatten sich Falten gebildet, aber die grauen Augen blickten fest und - wie die der zerschlagenen Reste der Marineinfanteristen - trotzig.
        Pears bemerkte an der Haltung der Schulter, da? Bolitho noch starke Schmerzen haben mu?te, sowohl vom Hieb der Klinge wie auch von der Wundbehandlung durch den Arzt. Aber in seiner frischen Kleidung wirkte er wie vollig wiederhergestellt.
        Pears begru?te ihn:»Gut, Sie heil und in einem Stuck zu sehen. «Dann wies er auf einen Stuhl und wartete, bis der Sekretar den Raum verlassen hatte.»Sie werden es bald genug erfahren: Wir segeln nach Suden, um dort eine Nachschubbasis aufzuspuren und zu zerstoren. «Er zog eine Grimasse:»Auch noch franzosisch, zu allem Uberflu?.»
        Bolitho setzte sich vorsichtig. Seit er frisch gewaschen war und saubere, seltsam ungewohnte Kleidung trug, fuhlte er die Spannung allmahlich nachlassen.
        Sie waren alle nett zu ihm gewesen - Cairns, der Weise, Dalyell, alle - , und er fuhlte sich wieder frei und zu Hause in diesem achzenden, uberfullten Rumpf.
        Bis jetzt hatte er keine Ahnung gehabt, was vor sich ging. Nach der schnellen Uberfahrt an Bord der Korvette und der Trauer uber den Tod weiterer Verwundeter fand er kaum zu etwas anderem Zeit als dazu, seine Version des Erlebten zu Papier zu bringen. Au?er ein paar kurzen Worten, als man ihm und den anderen an Bord half, hatte er noch nicht wieder mit Pears gesprochen.
        Der Kommandant fuhr nun fort:»Der Krieg fordert einen hohen Zoll. Wir waren knapp an erfahrenen Offizieren, jetzt sind wir noch knapper. «Er starrte auf den leeren Tisch, wo vorher der Bericht gelegen hatte.»Gute Leute sind getotet, andere verstummelt, die Halfte meiner Marineinfanteristen fallt aus, und dann sind auch noch zwei Offiziere gefangengenommen! Ich fuhle mich wie ein Prediger in einer leeren Kirche.»
        Bolitho blickte Cairns an, aber dessen Gesicht verriet nichts. Er hatte morgens eine Brigg mit dem Flaggschiff Signale tauschen und dann in Rufweite gehen sehen, aber uber den Inhalt des Gesprachs wu?te er nichts. Also fragte er:»Zwei Offiziere, Sir?«Er mu?te irgend etwas verpa?t haben.
        Pears seufzte.»Erst der junge Huyghue, und dann habe ich heute vom Flaggschiff die Mitteilung erhalten, da? Probyn von einem Kaperschiff aufgebracht worden ist. Und zwar schon einen Tag nach Verlassen des Forts. «Er beobachtete Bolithos Gesicht. Das war das kurzeste Kommando der Marinegeschichte, scheint mir.»
        Bolitho dachte an das letzte Zusammensein mit Probyn - bose, triumphierend, bitter war es gewesen. Jetzt war alles vorbei, hatten sich seine Hoffnungen zerschlagen.
        Bolitho empfand Mitleid, nicht mehr.

«Also«, Pears Stimme brachte ihn mit einem Ruck zuruck in die Wirklichkeit,»werden Sie hiermit zum Zweiten Offizier dieses Schiffes ernannt, meines Schiffes.»
        Bolitho starrte ihn verwirrt an. Vom Vierten zum Zweiten Offizier? Er hatte gehort, da? so etwas vorkam, hatte es sich aber nie fur sich vorgestellt.

«Ich - ich danke Ihnen, Sir.»
        Pears blickte ihn ernst an.»Freut mich, da? Sie nicht uber Pro-byns Geschick spotten, obwohl ich es verstanden hatte.»
        Cairns zeigte sein seltenes Lacheln.»Herzlichen Gluckwunsch!»
        Pears hob die gro?e Rechte.»Sparen Sie sich das fur spater auf, Mr. Cairns. Und jetzt an die Arbeit, ubertragen Sie einem anderen
        Fahnrich Huyghues Aufgaben; au?erdem schlage ich vor, da? Sie Steuermannsmaat Frowd einstweilen als Offizier einsetzen. Ein vielversprechender Mann.»
        Der Posten offnete zaghaft die Tur.»Verzeihung, Sir, der Fahnrich der Wache ist hier.»
        Es war der kleine Forbes, er kam Bolitho jetzt schon etwas reifer vor, in seine Aufgabe hineingewachsen.

«Sir, Mr. Dalyell meldet Signal vom Flaggschiff:,Drehen Sie bei. »
        Pears blickte Cairns an.»Fuhren Sie es aus. Ich bin gleich oben.»
        Als die beiden Offiziere hinter dem Fahnrich her an Deck eilten, fragte Bolitho: Warum das ganze Manover?»
        Cairns starrte ihn an.»Sie sind wirklich ein wenig hinterm Mond, Dick!«Er wies auf einen Unteroffizier mit einer aufgetuchten Flagge unterm Arm.»Heute hissen wir die Admiralsflagge im Kreuztopp. Konteradmiral Coutts wird unser Helfer in der Not.»

«Die Trojan wird Flaggschiff.»

«Vertretungsweise. «Cairns glattete seinen Hut, wahrend sie nach vorn zur Querreling gingen.»Bis Coutts Ruhm erntet oder sein Kopf auf dem Block liegt.»
        Seeleute liefen bereits auf ihre Stationen; Bolitho hatte jetzt die Aufsicht uber den ungeheuren Gro?mast, an dem er einst so manchen Befehl und Anranzer von Sparke erhalten hatte. Nun war er selbst Zweiter Offizier, obwohl ihm zwei Monate bis einundzwanzig fehlten.
        Er sah Stockdale, der ihn beobachtete und ihm zunickte. Stock-dale und einigen jetzt fehlenden Gesichtern hatte er es zu verdanken, da? er uberhaupt hier war.

«Klar zum Beidrehen!»
        Cairns Stimme erreichte ihn durch das Sprachrohr.»Mr. Bolitho! Treiben Sie Ihre Leute an die Brassen! Die bewegen' sich heute wie die Kruppel!»
        Bolitho tippte an seinen Hut.»Aye, Sir!»
        Zwischen den durcheinanderhastenden Seeleuten sah er Quinn heruberstarren, noch etwas unsicher auf seiner ebenfalls neuen Station. Bolitho lachelte ihm zu und versuchte, die Spannung zu lockern, die fuhlbar zwischen ihnen bestand.

«Lebhaft, Mr. Quinn!«Er zogerte, etwas tauchte in seinem Gedachtnis auf.»Stellen Sie den Namen dieses Mannes fest!»



        XII Rivalen

        Am Tage nach dem Setzen der Admiralsflagge auf der Trojan und Konteradmiral Coutts Anbordgehen schritt Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab, warf gelegentlich ein Auge auf die Vormittagswache und geno? im ubrigen die frische Nordwestbrise. Wahrend der Nacht waren die Resolute und die Fregatte Vanquisher achteraus verschwunden und kreuzten nun nach New York zuruck, was der Wind ihnen nicht gerade leicht machte.
        Fur die Trojan sahen die Dinge anders aus, als habe Coutts unerwartete Ankunft zugleich eine Anderung der Verhaltnisse bewirkt. Sie mu? einen prachtigen Anblick abgeben, dachte Bolitho, wahrend er, geschickt die Bewegungen des Schiffes ausnutzend, fast schwerelos in Luv des Decks auf und ab ging. Sie hatte ihre Schonwettersegel gesetzt und fuhr Vollzeug, von Zeit zu Zeit warf ihr Bug aus dem azurblauen Wasser Gischtschleier bis weit uber den Wellenbrecher hoch.
        Der Kompa? zeigte stetig nach Sudsudost. Dieser Kurs fuhrte den stattlichen Zweidecker mit sicherem Abstand von Land hinunter zu der langen Inselkette, die den Atlantik vom Karibischen Meer trennt.
        Der Wind hielt die Hitze fern und gestattete es den weniger schwer Verwundeten, sich an Deck aufzuhalten, was wesentlich zu ihrer Genesung beitrug. Die Schwerverwundeten waren auf das Flaggschiff transportiert worden, jedoch wurde wohl mancher von ihnen das Land nie wiedersehen.
        Von den Gefangenen war nur einer an Bord geblieben, der Franzose Contenay. Er machte regelma?ige Spaziergange an Deck, ohne jede Bewachung, und schien sich auf einem Schiff des Konigs ganz zu Hause zu fuhlen.
        Bolitho wu?te noch immer wenig uber seinen eigenen Kommandanten. Die Freundlichkeit der Begru?ung an Bord war wieder Pears strenger und unnahbarer Haltung gewichen. Bolitho hatte den Eindruck, da? des Admirals Anwesenheit erheblich dazu beitrug.
        Coutts war morgens an Deck erschienen. Jugendlich, entspannt und anscheinend interessiert an allem, war er vom Achterdeck uber die Luvtreppe hinabgestiegen und hatte den mit blo?em Oberkorper arbeitenden Seeleuten, dem Zimmermann und dem Segelmacher zugesehen und schlie?lich dem Kufer, der wie ublich das Deck eines Kriegsschiffes in eine Art Ladenstra?e verwandelte.
        Er hatte mit den Offizieren und einigen der dienstalteren Leute gesprochen, den Master durch seine Kenntnis der Arktis beeindruckt und Midshipman Forbes durch ein paar wohlgezielte Fragen zu einem errotenden Stotterer gemacht.
        Wenn Coutts beunruhigt war uber die zweifelhafte Aussicht, ein weiteres Nachschubdepot des Feindes zu zerstoren, oder uber die Kommentare des Oberbefehlshabers zu seinem eigenmachtigen Handeln, so zeigte er das nicht im geringsten. Seine Plane behielt er fur sich, denn nur Ackerman, sein weltgewandter Flaggleutnant - es war der Offizier, den Bolitho damals bei dem Fest mit der halbnackten Frau in einer Kammer gesehen hatte - , und sein Privatsekretar besa?en sein Vertrauen.
        Bolitho war klar, da? dies Pears uber alle Ma?en kranken mu?te.
        Er horte Schritte an Deck; Cairns trat zu ihm an die Reling. Mit einem Blick umfa?te sein geschultes Auge die arbeitenden Gruppen an Deck und den Stand jedes einzelnen Segels.
        Zu Bolitho sagte er:»Der Admiral ist bei unserem Captain, es gibt wohl dicke Luft.
«Er wandte sich um und blickte bedeutungsvoll zum Kajutsoberlicht.»Ich war froh, die hohen Herren alleinlassen zu konnen.»

«Noch keine Neuigkeiten?»

«Nicht viele. Wie d'Esterre beim Pokern spielt der Admiral eine harte Hand. Er wird aufsteigen wie ein Komet, oder - «, er zeigte mit dem Daumen nach unten,»- fallen wie eine Sternschnuppe.»
        Seit Coutts an Bord war, tauschte Cairns haufiger seine Gedanken mit dem Zweiten Offizier aus.
        Langsam fugte er jetzt hinzu:»Unser Kommandant wollte wissen, warum die Trojan und nicht das Flaggschiff fur diese Aufgabe ausgewahlt wurde. «Er lachelte grimmig. Der Admiral erklarte ihm eiskalt und seelenruhig, da? die Trojan das schnellere Schiff sei, und da? die Besatzung fur ihre Tapferkeit eine Belohnung verdient hatte.»
        Bolitho nickte.»Das glaube ich. Die Resolute ist schon viel langer hier drau?en und hatte kaum eine vernunftige Uberholung. Sie mu? bewachsen sein wie eine Wiese.

        Cairns musterte ihn bewundernd.»Wir werden doch noch einen Politiker aus Ihnen machen. «Bolithos Verwirrung mit einer Handbewegung beiseite fegend, fuhr er fort: Sie begreifen das doppelsinnige Kompliment? Coutts schmiert Pears Honig um den Bart mit Worten wie „Belohnung" und „besseres Schiff, um ihm im nachsten Augenblick beizubringen, da? sein eigenes Flaggschiff es eher verdient hatte.»
        Bolitho schurzte die Lippen.»Das ist clever.»

«Schelme mu? man erkennen, Dick.»

«Aber was ist dann der wahre Grund?»
        Cairns runzelte die Stirn.»Ich vermute, er mochte das Flaggschiff auf der zustandigen Station haben. Aus demselben Grund hat er wohl auch die Vanquisher zuruckgeschickt, weil er wei?, da? sie dringend im Geleitdienst benotigt wird, jetzt, da die Zahl der Kaperschiffe standig zunimmt. Das alles ware sinnvoll.»
        Cairns senkte die Stimme, als Sambell, Steuermannsmaat der Wache, betont gleichgultig vorbeischlenderte.

«Er wird diesen Plan auch ausfuhren, die Belohnung einstecken oder die Fehler so gut wie moglich vertuschen. Unserem Kommandanten mochte er den Angriff nicht allein uberlassen, traut es ihm wohl auch nicht zu. Au?erdem braucht er einen Sundenbock fur den Fall, da? alles schiefgeht, womoglich in einer Katastrophe endet; und das sollte nicht gerade sein eigener Flaggschiffkommandant sein.
«Cairns beobachtete Bolithos Gesicht.»Ich sehe, Sie haben begriffen.»

«Solche Winkelzuge werde ich niemals verstehen.»
        Cairns zwinkerte.»Eines Tages werden Sie sie sogar anderen beibringen.»
        Weitere Schritte erklangen auf dem von der Sonne ausgedorrten Deck. Bolitho sah Pears und den Master aus dem Kartenraum kommen, letzterer trug die Ledertasche, in der er normalerweise seine Navigationsinstrumente aufbewahrte.
        Bunce sah aus wie immer. Er blickte kurz auf den Kompa?, prufte die Windrichtung und musterte die beiden Ruderganger, wobei seine lebhaften dunklen Augen unter den buschigen Brauen hervorblitzten.
        Pears dagegen schien mude und ubellaunig, als warte er ungeduldig darauf, die ungeliebte Aufgabe, die man ihm zumutete, anpak-ken und beenden zu konnen.

«Bald werden wir wissen, wo diese verdammte Insel liegt, Dick. «Cairns lockerte seufzend sein Halstuch.»Hoffentlich ist sie kein zweites Fort Exeter.»
        Bolitho blickte ihm nach, als Cairns seinen taglichen Rundgang durchs Schiff fortsetzte, und uberlegte, ob dieser wohl noch immer nach einer Gelegenheit suchte, von der Trojan wegzukommen, um ein eigenes Schiff zu ubernehmen.
        Soweit hatten die Offiziere der Trojan kein Gluck gehabt, sobald sie ihren Schutz verlie?en. Sparke war gefallen, Probyn gefangen, nur er selbst war jedesmal zuruckgekehrt wie der verlorene Sohn.
        Dann sah er Quinn, ohne Rock und mit durchgeschwitztem Hemd, das ihm am Rucken klebte, zwischen dem Segelmacher und seinen Maaten einhergehen. Sein Gesicht war noch immer bla? und sah weit alter aus. Die Folgen des furchterlichen Sabelhiebes uber die Brust machten ihm noch zu schaffen, man sah es an seiner Haltung, seinem Gang, seinem verkniffenen Mund. Auch plagte ihn wohl standig die Erinnerung an sein Versagen im Fort und an seinen selbstmorderischen Einsatz am Geschutz, ausgelost durch Rowhursts offen zur Schau getragene Verachtung.
        Fahnrich Weston rief plotzlich:»Die Spite signalisiert, Sir!»
        Bolitho nahm das Glas aus der Halterung und stieg rasch in die Luvwanten. Es dauerte eine Weile, bis er die kleine Korvette gefinden hatte, ihren einzigen Begleiter bei diesem „Abenteuer", wie Cairns es bezeichnete. Jetzt hatte er die hellen Bramsegel der Spite erfa?t und entdeckte auch die leuchtenden Signalflaggen, die von der Rah wehten.
        Weston hatte bereits im Signalbuch geblattert und rief aus:»Von Spite: Segel in Sicht im Suden!»
        Bolitho wandte sich ihm zu und betrachtete ihn. Weston war jetzt der dienstalteste Fahnrich, und an ihm nagte wohl Pears Rat, Mr. Frowd an seiner Stelle zum kommissarischen Leutnant zu befordern. Der» Rat «eines Kommandanten war so gut wie ein Befehl.
        Bolitho hatte beinahe Mitleid mit Weston. Beinahe. Denn er war ungeschlacht, feist, streitsuchtig und wurde einen schlechten Offizier abgeben, wenn er lange genug lebte.

«Gut. Behalten Sie die Spite im Auge. Ich werde dem Kommandanten noch keine Meldung machen.»
        Bolitho setzte seinen Spaziergang auf dem Achterdeck fort. Die Luft wirkte frisch, aber wenn man stehen blieb, spurte man die Kraft der Sonne. Bolithos Hemd war klitschna?, und die Schulterwunde schmerzte wie ein Schlangenbi?.
        Der Kommandant der Korvette wurde jetzt vermutlich Uberlegungen anstellen und ungeduldig auf des Admirals Entscheidung warten, ob er zur naheren Untersuchung des fremden Schiffes beordert wurde.
        Eine halbe Stunde verging. Rauch quoll fettig aus dem Kombusenschornstein, und Molesworth, der Zahlmeister, erschien mit seinem Assistenten auf dem Weg zur Proviantlast, um die tagliche Ration Rum oder Branntwein auszugeben.
        Ein paar Marineinfanteristen, die auf der Back die Abwehr von Enterern geubt hatten, marschierten nach achtern und gaben ihre Lanzen wieder ab. Es war auch ein kleines Kontingent vom Flaggschiff dabei, das die Lucken auffullen sollte, bis regularer Ersatz eintraf. Bolitho dachte an all die kleinen Erdhugel auf der Insel. Wen interessierten sie jetzt noch?
        Weston rief:»Von der Spite, Sir: „Voriges Signal gestrichenen"
        Wahrscheinlich also ein Hollander auf erlaubter Fahrt, jedenfalls war Cunningham beruhigt. Moglicherweise war das fremde Fahrzeug auch mit au?erster Kraft gefluchtet, sowie es die Bramsegel der Spite gesichtet hatte. Mi?trauen machte sich in diesen Tagen bezahlt.
        Stockdale kam uber das Achterdeck auf seinem Weg zur Steuerbordbatterie. Im Vorbeigehen flusterte er Bolitho zu:»Der Admiral,
        Sir.»
        Bolitho straffte sich und wandte sich um, als Coutts aus dem Schatten in das grelle Sonnenlicht trat. Er legte die Hand an den Hut und fragte sich, ob Weston ihn absichtlich nicht gewarnt hatte.
        Coutts lachelte unbekummert.»Guten Morgen, Bolitho. Noch immer auf Wache, wie ich sehe. «Er hatte eine angenehme, ruhige Stimme, ohne jedes Pathos.
        Bolitho erwiderte:»Nur noch wenige Augenblicke, Sir.»
        Coutts nahm ein Glas und studierte mehrere Minuten lang die weit entfernte Spite.
»Guter Mann, Cunningham. Wird mit etwas Gluck bald Kapitan werden.»
        Bolitho sagte nichts, dachte aber an Cunninghams Jugend, an sein» Gluck«. Mit Coutts Segen wurde er Kapitan werden, und wenn der Krieg andauerte, dann war er wahrscheinlich in drei we i-teren Jahren Flaggoffizier, sicher vor Degradierung und unaufhaltsam auf dem Weg nach oben.

«Ich kann Ihre Gedanken beinahe horen, Bolitho. «Coutts reichte Westen das Glas, ohne sich umzudrehen. Wieder war die Bewegung beilaufig, aber genau berechnet. Gramen Sie sich nicht. Wenn Sie an der Reihe sind, werden Sie entdecken, da? eines Kapitans Leben nicht nur aus Bordeaux und Prisengeld besteht. «Einen Augenblick lang wurde sein Blick hart.»Aber eine Chance bietet sich immer, allerdings nur denen, die etwas wagen und Befehlsausfuhrung nicht als Ersatz fur Eigeninitiative gelten lassen.»
        Bolitho sagte:»Ja, Sir.»
        Er wu?te nicht, was Coutts damit andeuten wollte. Da? fur ihn Hoffnung bestand? Oder wollte er damit lediglich seine Gefuhle Pears gegenuber zum Ausdruck bringen?
        Coutts zuckte mit den Schultern und fugte hinzu:»Essen Sie heute abend mit mir zusammen. Ackerman wird noch ein paar andere einladen.»
        Wieder spurte Bolitho die jugendliche Frische und Harte in Coutts Stimme.

«In meinen Raumen naturlich. Ich bin sicher, da? der Kommandant nichts dagegen haben wird.»
        Er schlenderte von dannen und nickte Sambell und Weston im Vorbeigehen zu, als seien sie Bauerntolpel auf dem Dorfanger.
        Die neue Wache sammelte sich bereits auf dem oberen Batteriedeck, und Bolitho wu?te, da? Dalyell ihn gleich ablosen wurde. Im Gegensatz zu George Probyn kam er nie zu spat.
        Bolitho war verwirrt von dem Gehorten. Er fuhlte sich geehrt durch Coutts Interesse, das ihn aber gleichzeitig beunruhigte; es kam ihm vor wie Treulosigkeit Pears gegenuber. Er lachelte uber seine Verwirrung. Pears mochte ihn moglicherweise gar nicht, weshalb also die Skrupel?
        Dalyell erschien, blinzelnd im grellen Sonnenlicht. An seinem Rock hingen noch ein paar Krumel.»Wache ist angetreten, Sir.«»Danke, Mr. Dalyell.»
        Sie blinzelten sich vergnugt zu, ihre Frohlichkeit vor den Leuten hinter einer Maske von Formlichkeit verbergend.
        Quinn hatte die beiden von der Backbordtreppe aus beobachtet, wahrend sie das ubliche Gewuhl bei der Wachablosung beaufsichtigten. Die Sehnsucht, seinen Schmerz endlich zu meistern, uberkam ihn mit Macht. Bolitho hatte es nach seiner Verwundung geschafft oder zumindest die Erinnerung daran aus seinem Gedachtnis gestrichen, wahrend er selbst noch jeden Schritt, jede Bewegung sorgfaltig berechnen mu?te. Er sagte sich standig, da? sein fur einen Augenblick aufwallender Mut kein Zufall ge wesen war, da? er zwar einmal versagt, aber dann gekampft hatte, um den Fehler wiedergutzumachen. Doch er spurte, da? die Besatzung ihn beobachtete, sein Selbstvertrauen abschatzte. Dies war auch der Grund, weshalb er an der Treppe auf Bolitho wartete, bevor er zum Essen ging. Bolitho war sein Halt, seine einzige Chance, wenn es uberhaupt noch eine fur ihn gab.
        Dieser nickte ihm zu.»Noch nicht hungrig, James? Man hat mir erzahlt, wir bekamen heute besonders gutes Rindfleisch, lag erst knapp ein Jahr im Fa?!«Er legte Quinn die Hand auf die Schulter.»Finde dich damit ab, James.»
        Als Quinn ihn ansah und den plotzlichen Ernst in Bolithos Augen bemerkte, wu?te er, da? diese Worte nichts mit dem Essen zu tun hatten.
        Die Rahen waren gebra?t, und die gewaltige Flache der Segel fullte sich knallend. Die Trojan lag auf ihrem neuen Kurs.
        Bolitho blickte Cairns an und tippte an seinen Hut.»Kurs liegt an, Sir.»
        Cairns nickte.»Schicken Sie bitte die Freiwache unter Deck.»
        Als die Seeleute, so schnell sie konnten, verschwanden, warf Bo-litho rasch einen Blick auf Pears, der mit dem Admiral zusammen auf der Luvseite des Achterdecks stand.
        Es war einer jener feurigen Sonnenuntergange dieser Breiten. Die beiden Manner hoben sich als Silhouetten gegen den blutroten Himmel ab, ihre Gesichter lagen im Schatten. Es war kein Irrtum moglich, man spurte Coutts Gereiztheit, Pears verbissenen Eigensinn.
        Das vergnugte Abendessen in der gro?en Kajute schien schon weit zuruckzuliegen. Coutts hatte den gro?ten Teil der Unterhaltung mit Witz und guter Laune bestritten, Pausen gab es nur, wenn die Glaser nachgefullt wurden. Er hatte die Leutnants in seinen Bann geschlagen - mit Geschichten uber Intrigen und Korruption bei der Militarregierung in New York, uber die gro?en, alten Londoner Hauser, deren Herren - und noch ofter Damen - , in ihren Handen die Zugel der Macht hielten.
        Als erst einmal Pears und der Master ihre navigatorischen Berechnungen beendet hatten, war der Zweck der Fahrt und der Zielort wie ein Lauffeuer durch die Decks gegangen.
        Es war also eine kleine Insel in einer ganzen Inselgruppe, die in der Monapassage zwischen Santo Domingo und Puerto Rico lag. Von den meisten wegen der schwierigen Navigation gemieden, war sie ein idealer Umschlagsort fur Waffen und Munition, bestimmt fur Washingtons wachsende Flotte von Versorgungsschiffen.
        Als Coutts seine Hoffnung auf eine rasche Beendigung ihrer Mission begrundet hatte, spurten Bolitho und die anderen seinen Eifer, seine Erregung bei der Aussicht auf einen schnellen Sieg. Diesmal sollte ihm niemand mit einer Warnung zuvorkommen, kein noch so schneller Reiter konnte die Nachricht vom Nahen der Briten ubermitteln. Diesmal nicht. Mit der Breite des Atlantik in ihrem Ruk-ken, der scharfaugigen Spite vor ihnen, hatte Coutts guten Grund zur Zuversicht.
        Aber das war vor funfzehn Tagen gewesen. Inzwischen hatte es Verzogerungen gegeben, die Coutts und seinen Offizieren den Stempel der Ungeduld aufgedruckt hatten. Mehrmals war die Trojan zum Beidrehen gezwungen, wahrend die Spite unter vollen Segeln davonbrauste, um ein fremdes Schiff zu untersuchen, und dann muhselig zur Berichterstattung wieder zuruckkreuzen mu?te. Der Wind hatte auch verschiedentlich geschralt, wie Bunce vorausgesagt hatte. Im gro?en und ganzen war er ihnen jedoch gunstig gewesen.
        Jetzt, da wieder ein Sonnenuntergang Dunkelheit uber das Schiff breitete, spurte Bolitho die wachsende Ungeduld, ja den Arger in Coutts raschen Bewegungen.
        Wieder einmal war die Spite vorausgeschickt worden um festzustellen, ob die kleine Insel in der Tat diejenige war, die in den von Paget gefundenen Dokumenten beschrieben wurde. Falls dies zutraf, sollte Cunningham ein Boot an Land schicken und nach Moglichkeit die Starke des Feindes feststellen. Wenn er niemanden antraf, sollte er sofort zuruckkommen und berichten. In jedem Fall hatte er inzwischen zuruck sein mussen. Bei dem in den Tropen ublichen raschen Hereinbrechen der Dunkelheit war mit einer Kontaktaufnahme vor morgen fruh nicht mehr zu rechnen: wieder ein Tag verstrichen, weitere Ungewi?heit.
        Bolitho stand stramm und beruhrte gru?end seinen Hut, als Pears mit lauten Schritten an ihm vorbeiging. Das Zuschlagen der Karten-raumtur war ein weiterer Beweis seiner schlechten Laune.
        Bolitho wartete nun darauf, da? Coutts ihn ansprach.

«Ein langer Tag, Bolitho.»

«Aye, Sir. «Bolitho blickte ihn an und versuchte, des Admirals Gefuhle zu ergrunden.»Das Barometer steht gleichma?ig hoch, wir sollten diesen Kurs die Nacht uber beibehalten konnen.»
        Coutts hatte gar nicht hingehort. Er stutzte sich auf die Reling und starrte hinunter zur Backbordbatterie von Achtzehnpfundern. Er trug keinen Hut, und der Wind blies ihm das Haar in die Stirn, was ihn noch jugendlicher erscheinen lie?.
        Dann fragte er leise:»Sind Sie wie die anderen, Bolitho? Halten auch Sie mich fur verruckt, weil ich dieses Unternehmen mit aller Gewalt zu Ende fuhren will, obwohl es auf nichts weiter fu?t als auf einem gekritzelten Zettel?»

«Ich bin nur ein Leutnant, Sir. Ich wu?te gar nicht, da? Zweifel daran bestehen.»
        Coutts lachte bitter.»Zweifel? Mein Gott, Mann, ganze Berge davon!»
        Bolitho wartete. Er fuhlte des Admirals Ungeduld, seine Enttauschung.
        Coutts fuhr fort:»Wenn Sie den Rang eines Flaggoffiziers erreichen, glauben Sie, die Welt gehort Ihnen. Aber das stimmt nur zum Teil. Ich war Kommandant einer Fregatte, und kein schlechter.»

«Ich wei?, Sir.»

«Danke. «Coutts schien uberrascht.»Die meisten Leute, die einen Admiral sehen, scheinen zu denken, er sei nie etwas anderes gewesen - kein Seemann, kein Leutnant. «Vage zeigte er auf das Gewirr von Wanten und Spieren uber ihnen.»Aber ich halte diese Information fur wertvoll, sonst wurde ich nicht meine Schiffe und meinen Ruf aufs Spiel setzen. Es kummert mich nicht, was ein weichlicher Regierungsbeamter von mir denkt. Ich mochte, da? dieser Krieg rasch beendet wird, mit mehr Trumpfen auf unserer Seite als auf der des Feindes. «Er sprach schnell, seine Hande unterstrichen mit knappen Bewegungen seine Worte, seine Befurchtungen. Jeder verstrichene Tag bringt uns mehr Feinde, dem Gegner mehr Schiffe, mehr Waffen. Wir haben keine Geschwader mehr ubrig, aber die Aktivitat des Feindes ist so gro?, da? wir jede seiner Bewegungen uberwachen und abdecken mussen. Kein Handelsschiff ist ohne Geleitschutz mehr sicher. Wir sind sogar gezwungen, Kriegsschiffe in die Davis Strait hinaufzuschicken, um unseren Walfang zu schutzen! Dies ist keine Zeit fur Furchtsame oder Zauderer, die darauf warten, da? der Feind
zuerst handelt.»
        Seine knappe, eindringliche Art zu sprechen, seine Gedanken mitzuteilen, war etwas Neues fur Bolitho. Es kam ihm vor, als offne sich seine enge Welt weit uber den Rumpf des Schiffes hinaus und weiter in alle Seegebiete, wo Britanniens Autoritat herausgefordert wurde.

«Ich habe mich gefragt, Sir…«Bolitho zogerte und fuhr dann fort:»Warum Sie das nicht von Antigua aus erledigen lie?en. Wir sind die vierfache Entfernung gesegelt, die ein Patrouillenschiff von dort bis zur Insel zu bewaltigen gehabt hatte.»
        Coutts betrachtete ihn forschend und zunachst schweigend; sein eigenes Gesicht lag im Schatten, als suche er in Bolithos Frage nach Spuren von Kritik.
        Dann sagte er:»Ich hatte die Spite zum Admiral nach Antigua schicken konnen, das ware zweifellos schneller gegangen. «Er wandte sich ab.»Aber hatten sie dort etwas unternommen? Kaum. New York und die Bedrohung durch Washingtons Armeen sche inen von der Karibik aus unendlich weit entfernt zu sein. Nur vom Oberbefehlshaber hatte diese Anforderung kommen konnen, und da Sir George Helpman ihm uber die Schulter sieht, zweifle ich, da? er mehr getan hatte, als einen Bericht an die Admiralitat nach London zu schicken.»
        Bolitho verstand. Eine siegreiche Seeschlacht war etwas anderes als der zahe Kleinkrieg hinter den Kulissen.
        Coutts hatte Beweise in Handen, aber sie genugten nicht. Zu viele Leute waren gefallen, und jetzt, nach Probyns Gefangennahme und dem Verlust der Prise wurde im fernen London moglicherwe i-se sogar die Zerstorung von Fort Exeter als unbedeutend angesehen. Mit der Genehmigung eines weiteren risikoreichen Unternehmens war kaum zu rechnen.
        Andererseits konnte ein rascher, entschlossener Angriff auf eine Nachschubbasis direkt vor der Nase der Franzosen, die ihre Neutralitat wie eine falsche Flagge zur Schau stellten, das Gleichgewicht wiederherstellen; besonders dann, wenn er erfolgreich beendet war, bevor ihn irgend jemand verbieten konnte.
        Coutts schien seine Gedanken zu lesen.»Merken Sie sich eins, Bolitho. Wenn Sie einen hohen Rang erreicht haben, fragen Sie nie oben nach, was Sie tun sollen. Die hoheren Geister bei der Admiralitat neigen stets viel eher dazu, nein zu sagen, als ein Risiko einzugehen, das ihre wohlgeordnete Existenz gefahrden konnte. Selbst wenn Sie Ihre Karriere, ja Ihr Leben aufs Spiel setzen, handeln Sie immer so, wie Sie es fur richtig halten, und wie es fur Ihr Land am besten ist. Wer nur handelt, um seinem Vorgesetzten zu gefallen, dessen Leben ist eine Luge.»
        Pears trat, kaum sichtbar in dem schwindenden Licht, auf sie zu und sagte schroff: In einer Stunde konnen wir Segel kurzen, Mr. Bolitho, aber ich werde nicht beidrehen, dafur ist die Stromung hier zu stark. «Er blickte den Admiral an und fugte hinzu:»Wir mussen auch fur die zuruckkehrende Spite auf Position sein.»
        Coutts nahm Pears Arm und fuhrte ihn weg, aber nicht weit genug, als da? Bolitho den Arger in seiner Stimme hatte uberhoren konnen, als er sagte:»Mein Gott, Sie treiben es zu arg, Kapitan! Ich nehme von Ihnen keine Anma?ung hin, weder von Ihnen noch von jemand anderem, horen Sie?»
        Pears knurrte etwas Unverstandliches.
        Bolitho sah Couzens, dessen Gesicht im Schein der Kompa?beleuchtung aufgluhte, als er seine Eintragungen auf der Schiefertafel des Steuermannsmaaten machte. Er schien etwas zu symbolisieren: Jugend, Unschuld, Unwissenheit, je nachdem, wie man es ansah. Sie trieben alle auf etwas zu, das moglicherweise in einer Katastrophe enden wurde. Coutts Gier nach einem Sieg wurde sie vielleicht schon bald nach Strohhalmen greifen lassen. Pears Mi?trauen seinem Vorgesetzten gegenuber konnte ebenso ihnen allen gelten.
        Bolitho fuhlte sich zwischen den beiden hin und her gerissen. Er bewunderte Coutts mehr, als er sich eingestehen wollte, konnte aber auch Pears Vorsicht verstehen. Pears stand auf dem Gipfel seiner Karriere, wahrend der Admiral sich selbst in einer weitaus gro?eren Rolle sah, und zwar schon in nachster Zukunft.
        Er horte Cairns auf dem oberen Batteriedeck mit Tolcher, dem Bootsmann, sprechen.
        Die Routine des nachsten Tages wurde festgelegt, die niemals ins Stocken geraten durfte, weder im Krieg noch im Frieden, und wer auch in herrischem Schweigen auf dem Achterdeck auf und ab spazieren mochte. Das Schiff kam zuerst, morgen und an jedem weiteren Tag. Anstreichen, einen Mann auspeitschen, einen anderen befordern, Tauwerk und Spieren uberholen, es horte niemals auf, nie gab es ein Ende.
        Bolitho fiel plotzlich ein, was Probyn uber das Ausnutzen einer unvermuteten Chance gesagt hatte. Es war, als horte er ihn sprechen.
        Cairns wurde das Schiff bald verlassen. Selbst Pears konnte ihn das nachste Mal nicht zuruckhalten. Bolitho seufzte und fand keinen Trost in der Aussicht, da? er in einigen Wochen, ja vielleicht sogar Tagen, Cairns Arbeit verrichten wurde, bis Pears einen erfahreneren Ersatz gefunden hatte.
        Cairns wurde einen guten Kommandanten abgeben, fair, energisch, intelligent. Ein paar Offiziere mehr wie er, und es wurde genugend Siege geben, um jeden zufriedenzustellen, dachte er bitter.
        Couzens kam auf seine Seite heruber und fragte:»Wird es wieder Kampfe geben, Sir?»
        Bolitho uberlegte.»Sie wissen so viel wie ich.»
        Couzens trat zuruck, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen. Er hatte gesehen, da? der Admiral mit Bolitho wichtige Dinge erorterte. Naturlich konnte dieser so entscheidende Informationen nicht mit ihm, dem Fahnrich, teilen; aber zu wissen, da? Bolitho diese Informationen besa?, war beinahe so, als hatte er selbst sie erfahren.
        Zu jedermanns Erleichterung wurden die obersten Segel der Spite bereits in der ersten Morgendammerung gesichtet: eine kleine, blasse Pyramide, die mit so qualvoller Langsamkeit naher kam, da? Bolitho die schlechte Laune und Spannung rings um sich her wie eine Drohung spurte.
        Die Decks wurden gerade mit Sand und Steinen gescheuert, und die verschwitzten Seeleute spulten ihr Fruhstuck mit Bier hinunter. Dann traten sie an zur Einteilung der vielen Aufgaben, die die Tagesroutine erforderte. Die Unteroffiziere hatten diesmal alle Muhe, die Leute davon abzuhalten, uber die Reling zu blicken und das Naherkommen der Korvette zu beobachten.
        Als diese so dicht herangekreuzt war, wie ihr Kommandant fur vertretbar hielt, drehte sie in Lee der Trojan bei, ein Boot wurde rasch zu Wasser gelassen, und Cunningham kam heruber, um personlich seinen Bericht zu erstatten.
        Bolitho stand mit der Wache am Fallreep, um den jungen Kommandanten zu empfangen. Er beneidete ihn nicht, nachdem er gesehen hatte, wie Coutts ungeduldig an Deck auf und ab ging, wobei er wutend auf die Spite starrte. Auch aus Pears bissig erteilten Rugen fur Kleinigkeiten, die er normalerweise nicht bemerkt hatte, konnte man dessen schlechte Laune spuren.
        Cunningham jedoch zeigte keinerlei Befangenheit, als er durch die Pforte stieg, zur Flagge hin gru?te und den Blick ohne das geringste Zeichen eines Wiedererkennens gleichgultig uber Bolitho schweifen lie?. Er ging nach achtern, um den Kommandanten zu begru?en.
        Spater wurde Bolitho in die Kajute gerufen, wo Cairns und Ackerman bereits warteten.
        Es uberraschte ihn nicht, da? er hinzugezogen wurde, denn es war ublich, da? der Erste Offizier und sein unmittelbarer Untergebener an solchen wichtigen Besprechungen teilnahmen.
        Sie horten Pears laute und argerliche Stimme aus dem Speiseraum, und Cunninghams knappen, beinahe beilaufigen Ton, mit dem er etwas erklarte.
        Cairns blickte Ackerman an.»Sie scheinen heute alle schlechter Laune zu sein.»
        Ackermans Gesicht blieb ausdruckslos.»Der Admiral wird sich durchsetzen.»
        Die Tur wurde aufgesto?en, und die drei Offiziere traten so abrupt ein wie verspatete Zuschauer im Theater. Bolitho sah, da? aus Coutts Gesicht alle Ungewi?heit verschwunden war.
        Der Admiral meinte leichthin:»Meine Herren, Major Pagets Information hat sich als richtig erwiesen. «Er nickte Cunningham zu.»Sagen Sie es ihnen.»
        Cunningham berichtete, wie er die kleine Insel entdeckt und im Schutz der Dunkelheit ein Landungskommando abgesetzt hatte. Es dauerte langer als erwartet, aber da Rauch von Holzfeuern in der Luft lag, mu?ten sie vorsichtig zu Werke gehen, um nicht entdeckt zu werden.
        Bolitho vermutete, da? Cunningham sich diesen Bericht sorgfaltig uberlegt hatte, um von vornherein allen kritischen Fragen zu begegnen, die eventuell seinen Verdienst hatten schmalern konnen.
        Der junge Kapitan fuhr fort:»Im Inneren der Insel liegt ein guter Ankerplatz, nicht gro?, aber zur offenen See hin vollig abgeschirmt. Mehrere Hutten stehen dort, auch sind Hinweise fur haufiges Laden und Loschen in ausreichender Menge vorhanden; au?erdem gibt es Vorrichtungen fur das Ausfuhren einfacher Reparaturen.

        Pears fragte scharf:»Wen haben Sie an Land geschickt?»
        Bolitho sah Coutts kurzes Lacheln, als Cunningham ebenso scharf antwortete:»Ich ging selbst, Sir! Es gibt keinen Zweifel an meinen Beobachtungen.»
        Coutts fragte:»Was sonst noch?»
        Der junge Kommandant blickte Pears weiterhin fest an.»Ein Schoner mittlerer Gro?e liegt dort vor Anker, offensichtlich ein Freibeuter.»
        Coutts warf ein:»Sicherlich wartet er auf ein Rebellenschiff. Ich mochte wetten, da? dort genug Waffen sind, um zwei bis drei Regimenter damit auszurusten!»
        Pears fragte hartnackig:»Aber angenommen, es ist weiter nichts da als der Schoner? Er blickte sich in der Kajute um.»Das hie?e doch, ein Ei mit der Keule aufklopfen!


«Der erste Teil der Information hat sich als richtig erwiesen, Kapitan Pears.
«Coutts beobachtete ihn intensiv.»Warum bezweifeln Sie den Rest? Die Insel ist offensichtlich wegen ihres gunstigen Zugangs gewahlt worden. Sie ist von den Gro?en wie von den
        Kleinen Antillen, ja sogar vom spanischen Kolonialreich im Suden gleich gut zu erreichen und liegt ideal fur den Warenumschlag oder fur die Bewaffnung eines Handelsschiffes. «Vor Ungeduld fing er an, im Raum auf und ab zu gehen.

«Diesmal werden wir das Ubel an der Wurzel packen, ein fur alle Mal. Denken Sie daran. Wir brauchen ihnen nur auf ihrem Ankerplatz aufzulauern und jedes Schiff zu kapern, das einzulaufen versucht. Die Franzosen werden es sich uberlegen, ihre Leute kunftig dieses schmutzige Geschaft ausfuhren zu lassen. Und ein solcher Ruckschlag wird auch ihren spanischen Freunden zu denken geben, bevor sie s ich wie Schakale uber die Abfalle hermachen.»
        Bolitho versuchte, es als Au?enstehender zu beurteilen, nicht als Meinung seines Vorgesetzten, sondern als die eines Fremden, den er erst seit ein paar Wochen kannte.
        War diese Entdeckung wirklich so wichtig? Spielte Coutts sie nicht hoch, lie? sie nur wichtig erscheinen?
        Ein paar Hutten und ein Schoner, das klang nicht sehr vielversprechend; Bolitho sah an Pears argerlicher Miene, da? dieser genauso dachte.
        Als er wieder aufblickte, hatte sich die Szene gewandelt. Foley, der Steward, stand mit einem Tablett da, und Wein wurde bereits herumgereicht, um Cunninghams Neuigkeiten zu feiern.
        Coutts hob lachelnd sein Glas:»Auf einen Sieg, meine Herren, einen Sieg mit moglichst geringen Verlusten!»
        Er wandte sich um und blickte aus den Heckfenstern; so sah er nicht, da? Pears Glas unbenutzt auf dem Tablett stand.
        Bolitho kostete, aber wie seine Stimmung, so war auch der Wein plotzlich bitter.



        XIII Die Vorwande fallen


«Der Kommandant, Sir!«Das Flustern des Bootsmannsmaaten klang in der Stille des Morgengrauens unnaturlich laut.
        Bolitho wandte sich um und sah Pears machtige Gestalt zum Kompa? gehen. Er sagte etwas Unverstandliches zu Sambell, dem Steuermannsmaaten, und trat dann an die Querreling.
        Bolitho schwieg wohlweislich. Es war fruher Morgen, und wahrend die Trojan unter Bramsegeln und Au?enkluver stetig ihrem
        Sudkurs folgte, war es, als ware sie noch immer mitten in einem tropischen Regengu?. Er war mit ungeheurer Heftigkeit uber sie hereingebrochen, war aus dem Dunkel mit lautem Rauschen und Prasseln gekommen, uber Segel und Decks hinweggebraust wie ein Sturm und dann wieder in der Dunkelheit verschwunden. Jetzt, fast eine volle Stunde spater, lief und platscherte das Wasser noch immer aus der Takelage, flo? uber die Decks in Wassergange und Speigatten. Nach Sonnenaufgang wurde es eine derartige Dampfentwicklung geben, da? sie aussehen mu?ten, als stunden sie in Brand, dachte Bolitho.
        Aber Pears wu?te das alles selbst, es bestand keinerlei Grund, es ihm zu sagen. Er hatte so viele Morgendammerungen auf so vielen Meeren erlebt, da? er nicht von einem Leutnant darauf hingewiesen werden mu?te.
        Es war noch dunkel im Batteriedeck, aber Bolitho wu?te, da? jedes Geschutz besetzt war, klar zum sofortigen Einsatz. Es verursachte ihm ein unheimliches Gefuhl, dieses gro?e, kampfbereite Schiff, das lautlos wie ein Schatten durch die Dunkelheit glitt. Nichts verriet seine Anwesenheit als ein gelegentliches Klatschen der Segel oder ein Knarren des Rades beim Ruderlegen.
        Irgendwo dort vorn lag ihr Ziel, die kleine, entlegene Insel, auf der Coutts so viel zu finden hoffte - oder vielmehr zu finden beabsichtigte. Die Isla San Bernardo war nicht mehr als ein Punkt auf Erasmus Bunces Seekarte. Es hie?, dieses Eiland sei die letzte Zuflucht eines Monchsordens gewesen, der sich vor mehr als hundert Jahren dort niedergelassen habe. Bunce hatte bissig bemerkt, die Monche seien wohl nur durch Zufall gelandet oder in der irrigen Annahme, da? es sich um eine der Hauptinseln handele. Das schien leicht moglich, dachte Bolitho, denn die Passage zwischen Santo Domingo und Puerto Rico war uber neunzig Meilen breit, fast ein Ozean fur ein kleines Fahrzeug mit unerfahrener Besatzung. Die Monche waren langst in Vergessenheit geraten, umgebracht von Piraten oder ausgesetzten Gefangenen.
        Die Spite lag jetzt dort und blockierte den Hafen. Cunningham rieb sich wohl die Hande und sah im Geiste schon den Artikel in der Gazette, in dem er lobend erwahnt wurde.
        Bolitho horte Pears naher kommen und sagte:»Der Wind ist stetig Nord zu West, Sir.
«Er wartete und spurte des Kommandanten Sorgen und Zweifel.
        Pears murmelte:»Danke, Mr. Bolitho. Wir werden gleich genugend Tageslicht haben, um unseren Weg in die Einfahrt zu finden. «Dann blickte er nach oben zu den gro?en, fahlen Rechtecken der Segel und den allmahlich verblassenden Sternen.
        Bolitho folgte seinem Blick und malte sich Pears Gefuhle aus, die druckende Verantwortung, die Unsicherheit. Ein Scheitern des Unternehmens wurde in jedem Falle zu seinen Lasten gehen. So ganz konnte er sich nicht in Pears Lage versetzen, Cairns, der jetzt ebenfalls an Deck auftauchte, konnte das wohl besser, aber der wurde das Schiff bald verlassen. Ob das ihn selbst dem Kommandanten naherbrachte? Er bezweifelte es.
        Cairns trat jetzt zu ihnen, begru?te sie in seiner ublichen ruhigen Art, und sagte:»Ich war gerade im unteren Batteriedeck, dort fehlen noch einige Leute. Aber ich glaube nicht, da? wir heute gegen eine ganze Flotte kampfen mussen.»
        Bolitho erinnerte sich an Coutts Erregung anla?lich eines einzelnen Schoners und mu?te lacheln. Er sagte:»Mit Hilfe der Spite werden wir uns bewahren, hoffe ich.»
        Pears wandte sich in plotzlichem Arger ihm zu.»Entern Sie auf, Mr. Bolitho! Oben im Krahennest konnen Sie Ihre Witze anbringen. Melden Sie alles, was Sie sehen! Und dann, im weggehen:»Wenn Ihnen nicht wieder schlecht wird, wie sonst im Topp.»
        Sein Spott wurde vom Ruderganger und von der Geschutzbedienung auf dem Achterdeck gehort. Bolitho war uberrascht und verwirrt uber diesen Ausbruch, und er sah, wie sich einer der Seeleute umwandte, um sein Grinsen zu verbergen.
        Cairns jedoch sagte ruhig:»Daran konnen Sie ermessen, wie ihm selbst zumute ist, Dick.»
        Diese einfache Bemerkung gab Bolitho sein seelisches Gleichgewicht wieder, wahrend er die Wanten zum Gro?topp aufenterte. Seine Emporung uber Pears Worte trieb ihn ohne den geringsten Schwindelfanfall bis zur Bramstenge, und als er ein wenig atemlos oben beim Ausguck ankam, merkte er, da? er es bedeutend schneller geschafft hatte als sonst.
        Der Seemann im Ausguckskorb bemerkte seelenruhig:»Es wird bald hell werden, Sir. Ein schoner Tag, glaube ich.»
        Bolitho erkannte ihn. Es war ein alterer Toppsgast namens Buller,»alter «nach Marinema?stab, das hei?t, etwa drei?ig. So gp-gerbt wie er war von Wind, See und Sonne, ausgemergelt von den zahllosen Kampfen mit wildgewordenem Segeltuch, die Muskeln beansprucht bis zum au?ersten, wurde man ihn wohl bald zu einer weniger harten Arbeit unten an Deck abstellen.
        Das Wichtigste schien Bolitho, da? der Mann nicht im geringsten beunruhigt war, weder durch die betrachtliche Hohe noch durch das unerwartete Auftauchen seines Zweiten Offiziers.
        Er dachte an das Grinsen des Seemannes unten an Deck, auch das erschien ihm plotzlich wichtig. Es war ohne jede Bosheit oder Schadenfreude gewesen.
        Bolitho erwiderte schlie?lich:»Auf jeden Fall wird es hei? werden. «Er deutete am Fockmast vorbei nach vorn.»Kennen Sie diese Gewasser, Buller?»
        Der Mann uberlegte.»Weder ja noch nein, Sir. Gewesen bin ich hier schon, aber ein Ort sieht fur einen Seemann aus wie der andere. «Er lachte.»Au?er wenn er an Land geht, naturlich.»
        Bolitho dachte an das Bordell in New York, an die Frau, die ihm Obszonitaten ins Gesicht geschrien hatte, an die noch warme Brust des toten Madchens.
        Ein Ort war wie der andere. Das mochte stimmen, auch fur die Matrosen der Handelsschiffe. Jede Reise war immer die letzte, man wollte nur noch so viel Heuer und Prisengeld verdienen, da? es zum Kauf der Hafenkneipe, des Kramerladens oder des Hauschens reichte. Aber es kam nie dazu, au?er wenn der Mann als Kruppel an Land gesetzt wurde. Die See gewann am Ende immer.
        Die Nock der Fockmarsrah wurde allmahlich blasser, und als Bo-litho sich umwandte, sah er die ersten Anzeichen des nahenden Tages. Er blickte hinunter und schluckte. Das Deck schien eine Meile unter seinen baumelnden Beinen zu liegen, umgeben von dem Kranz der dunkel starrenden Geschutze. Er mu?te es einfach beherrschen. Die Angst vor gro?en Hohen hatte ihn geplagt, seit er mit zwolf Jahren sein erstes Schiff bestiegen hatte. Es war nicht anzunehmen, da? sie sich jetzt noch legen wurde.
        Bolitho fuhlte den Mast und die Rahen unter sich vibrieren und schwanken. Er war
1768 als Kadett zur See gegangen, in dem Jahr, als die Trojan vom Stapel lief. Er hatte schon fruher daran gedacht, aber heute morgen, hier oben in der seltsamen Isolation, erschien es ihm wie ein boses Omen, wie eine Warnung. Er frostelte. Allmahlich wurde er noch genauso angstlich wie Quinn.
        Auf dem nassen Achterdeck, nichts ahnend von den Phantasien seines Zweiten Offiziers, ging Pears auf und ab.
        Cairns beobachtete ihn, und achtern auf dem Heckaufbau stand d'Esterre mit verschrankten Armen, dachte wohl an Fort Exeter und seine toten Marineinfanteristen.
        Eine Tur ging auf und wieder zu, Stimmen auf dem Achterdeck verkundeten des Admirals Ankunft. Hinter ihm kam Ackerman, sein Flaggleutnant; selbst in der schwachen Beleuchtung wirkte Coutts munter und hellwach.
        Am Ruder blieb er stehen und sprach mit Bunce, nickte Cairns zu und sagte:»Guten Morgen, Kapitan. Alles klar?»
        Cairns uberlegte. Wenn Pears beteiligt war, dann gab es nichts anderes, alles war klar.
        Pears erwiderte gelassen:»Aye, Sir, gefechtsklar, aber die Geschutze sind noch nicht geladen. «Trocken fugte er hinzu:»Und noch nicht ausgefahren.»
        Coutts blickte ihn bose an.»Das sehe ich. «Dann wandte er sich ab.»Die Spite mu?te jetzt auf Position sein. Ich schlage vor, Sie setzen mehr Segel, Kapitan. Die Zeit des Abwartens ist vorbei.»
        Cairns gab den Befehl weiter, Sekunden spater legten die Toppsgasten auf den oberen Rahen aus, das nasse Segeltuch fiel herab und bauschte sich dann trage im Wind, wahrend die Trojan sich unter dem erhohten Druck starker uberlegte.

«Ich habe noch mal auf die Karte gesehen - «, Coutts beobachtete aus dem Augenwinkel die Arbeiten in der Takelage,»- es scheint kein anderer Ankerplatz vorhanden zu sein. Im Suden haben wir genugend Wassertiefe, nur zur Kuste hin liegen ein oder zwei Sandbanke. Cunningham setzte sein Landungskommando im Suden ab. Sehr clever. Er zumindest uberlegt jeden seiner Schritte.»
        Pears wandte den Blick von den schlanken Gestalten der an Deck zuruckkehrenden Toppsgasten und sagte:»Schlie?lich ist es der einzige Ankerplatz, nicht wahr, Sir?

        Coutts ging mit seinem Flaggleutnant von dannen. Der Hieb hatte gesessen.
        Ein paar Mowen tauchten auf und umkreisten das Schiff, sie schienen die Nahe des Landes anzukundigen; ihr zur Schau getragenes Desinteresse deutete darauf hin, da? sie andere Nahrungsquellen in unmittelbarer Nahe besa?en.
        Von seinem Sitz in schwindelnder Hohe beobachtete Bolitho die Vogel, die unter ihm vorbeizogen. Sie erinnerten ihn an die vielen Landfalls, besonders aber an Falmouth, an die kleinen Fischersiedlungen in den felsigen Buchten der Kuste von Cornwall, an die heimkehrenden Fischerboote, an die gierig schreienden Mowenschwarme, die sie begleiteten.
        Er schreckte aus seinen Gedanken, als Buller sagte:»Die Spite ist von ihrer Position abgewichen, Sir!«Zum ersten Male zeigte er eine gewisse Erregung.»Da wird gleich der Teufel los sein!»
        Bolitho fand Zeit, sich daruber zu wundern, wie genau Bullers Schlu?folgerung war, und da? es ihn uberhaupt interessierte. Coutts wurde wutend sein. Es konnte die Trojan einen vollen Tag kosten, zu ihrer Ausgangsposition zuruckzukreuzen, um Cunningham eine zweite Chance zu geben.

«Ich glaube, ich gehe besser hinunter und melde es dem Kommandanten«, uberlegte er laut.
        Warum hatte er es ausgesprochen, uberhaupt bedacht? War es, um dem Schiff die neue Enttauschung zu ersparen, oder nur, um Coutts Glaubwurdigkeit zu schutzen?
        Buller bemerkte:»Vielleicht hat sie einen Mann verloren?»
        Bolitho antwortete nicht. Er uberlegte, ob Cunningham tatsachlich bereit ware, wertvolle Zeit zu opfern, um nach einem uber Bord gefallenen Matrosen zu suchen. Er bezweifelte es. Er legte das Teleskop auf seinen Arm und stemmte die Schulter gegen den bebenden Mast.

«Ich lasse das Glas hier, Buller. Machen Sie Meldung, sobald Sie erkennen konnen, was los ist.»
        Er versuchte, nicht daran zu denken, wie lange sein Korper wohl benotigen wurde, bis er an Deck aufschlug, wenn das Schiff plotzlich uberholte. Es war, als blicke er durch eine dunkle Flasche. Ein paar angedeutete Schaumkronen, ein glasiger Schimmer an der Oberflache zeigten das Nahen des Morgens an. Jetzt sah er das bla?e Viereck aus Segeltuch, das aus der Dunkelheit aufstieg wie ein Eisberg.
        Die Spite schien unterwegs erheblich Kurs geandert oder auf andere Weise Zeit verloren zu haben, denn sie hatte schon Meilen weiter, langst auf dem verborgenen Ankerplatz sein mussen. Buller hatte recht, bald wurde der Teufel los sein. Das gab bestimmt. Er straffte sich plotzlich, seinen gefahrlichen Aufenthaltsort im Augenblick vergessend.»Was ist, Sir?«Buller merkte alles.
        Bolitho wu?te noch nicht, was er sagen sollte. Es stimmte naturlich nicht, konnte gar nicht stimmen.
        Er konzentrierte sich mit aller Gewalt, hielt mit au?erster Anstrengung das vibrierende Glas genau auf das ferne Segel gerichtet. Er strapazierte seine Augen, bis die alte Stirnnarbe im Takt seines Herzschlages zu schmerzen begann. Dann lie? er das Glas sinken.
        Es lag noch tief im Schatten, war aber da. Er wunschte, es ware ein Traum gewesen, ein Fehler im Teleskop. Aber statt des schnittigen Einzeldecks der Spite hatte er dort etwas Solideres gesehen, so hoch wie eine doppelte Spiegelung.
        Er gab Fuller das Glas, hielt die Hande trichterformig vor den Mund und schrie:

«An Deck! Segel Steuerbord voraus!«Er zogerte einen Augenblick und malte sich das plotzliche Erstaunen aus, das unten gleich um sich greifen mu?te. Dann fugte er hinzu:»Ein Linienschiff!»
        Buller meinte trocken:»Womit die Katze aus dem Sack ware,
        Sir.»
        Doch Bolitho glitt bereits abwarts und angelte nach einer Pardu-ne, um an ihr herunterzurutschen, den Blick noch immer auf die drohende Silhouette gerichtet.
        Coutts wartete bereits auf ihn, das Kinn vorgestreckt.»Sind Sie sicher?»
        Pears ging rasch an ihnen vorbei, seine Augen waren uberall, wahrend er sein Schiff fur die nachsten, uber Leben und Tod entscheidenden Stunden vorbereitete.
        Nur einmal musterte er kurz Bolitho, dann fauchte er Coutts an:»Naturlich ist er sicher, absolut sicher, Sir!»
        Cairns sagte seelenruhig:»Ein tolles Ding, Dick. Es ist bestimmt keins von unseren Schiffen.»
        Der Admiral horte es und sagte kurzangebunden:»Es kummert mich nicht, wo es herkommt, Mr. Cairns. Wenn es sich gegen uns stellt, dann soll es der Teufel holen. Bei mir steht es dann als Feind zu Buch!«Er blickte hinuber zum Kommandanten und hob die Stimme:»Lassen Sie die Geschutze laden, wenn ich bitten darf!«Er schien Pears Gegenargumente uber die Breite des Decks hinweg zu spuren und fugte laut hinzu:»Und lassen Sie mich sehen, was dieses Schiff zu leisten vermag!»
        Auf beiden Seiten des oberen Batteriedecks arbeiteten die Geschutzbedienungen mit Taljen und Handspaken, um die schweren Kanonen zu den Stuckpforten zu transportieren.
        Bolitho stand oben bei den Booten und strengte seine Augen an, um bei der truben Beleuchtung einen Geschutzfuhrer des oberen Batteriedecks nach dem anderen die Hand heben zu sehen als Zeichen, da? sein Geschutz geladen und klar zum Feuern war.
        Fahnrich Huss steckte den Kopf aus der Hauptluke und schrie:»Unteres Batteriedeck fertig, Sir!»
        Bolitho malte sich Dalyell bei seinen drei?ig schweren Zweiund-drei?igpfundern aus. Wie jeder der Offiziere war auch Dalyell zweimal im Rang gestiegen, aber seine Erfahrung hatte mit diesen Beforderungen nicht Schritt gehalten. Bolitho war es klar, da? jeder von ihnen bei einem Kampfeinsatz der Trojan auf die harteste Probe gestellt wurde.
        Quinn kam von der anderen Seite und fragte:»Was ist eigentlich los, Dick?«Er wurde beinahe umgerannt, als einige Schiffsjungen mit Munition fur die Heckgeschutze vorbeiflitzten.
        Bolitho blickte durch das schwankende Gewirr von Takelage und Segeln zum Gro?topp auf und rief sich seine Gefuhle ins Gedachtnis, die ihn noch vor kurzem dort oben erfullt hatten, als er das andere Schiff durch das Fernglas betrachtete. Das war schon vor funf Minuten gewesen, aber das Tageslicht schien nur zogernd den Blick auf den Ankommling freizugeben; nur die Ausgucks in den Mastspitzen konnten ihn klar sehen.
        Er erwiderte:»Vielleicht ist das Schiff nur unterwegs zu einem anderen karibischen Hafen.»
        Aber wahrend er dies sagte, wu?te er bereits, da? er sich selbst etwas vormachte oder Quinns Angste zu beschwichtigen versuchte. Es war kein Englander. Jedes gro?ere ihrer eigenen Schiffe fuhr mit anderen im Verband, schon fur den Fall, da? Frankreich offen in den Kampf eingriff. Es war auch kein Spanier, denn deren Gro?kampfschiffe hatten genug damit zu tun, ihre silber- und goldbeladenen Transportschiffe durch die von Piraten wimmelnden Gewasser nach Santa Cruz zu geleiten. Nein, es mu?te ein Franzose sein.
        Bolitho frostelte vor Erregung. Er hatte schon genugend franzosische Schiffe gesehen. Sie waren hervorragend konstruiert, formschon, und sollten sehr gute Besatzungen haben.
        Er blickte vorbei an den Booten und sah Coutts, der sich mit auf dem Rucken verschrankten Handen mit Pears und Bunce unterhielt. Alle machten einen ruhigen Eindruck, obwohl man das bei Pears nicht so ohne weiteres erkennen konnte. Es war seltsam, derartigen Betrieb zu so fruher Stunde auf dem Achterdeck zu sehen. Geschutzbedienungen arbeiteten auf beiden Seiten, und weiter achtern, vor den Hangemattsnetzen, standen d'Esterres klagliche Reste an Unteroffizieren. Dicht bei einer Neunpfunderbatterie entdeckte er Libby, einstmals Signalfahnrich, jetzt Funfter Offizier. Was mochte er wohl denken? Er war siebzehn Jahre alt, und wenn eine volle Kartatschenladung das Achterdeck leerte, fand er sich womoglich vorubergehend im Besitz der Kommandogewalt, bis jemand anderer ihn erreichen konnte. Frowd war auch dort, vor kurzem noch Steuermannsmaat, jetzt Sechster. Es war verruckt, wenn man es sich uberlegte: er war ein oder zwei Jahre alter als Cairns. Frowd stand in der Nahe von Sambell, dem anderen Steuermannsmaaten. Bevor Sparke fiel und Probyn gefangengenommen wurde, hie? es» Jack «und» Arthur«. Jetzt
hie? es» Sir «und» Mr. Sam-
        bell».
        Erhorte Cairns Ruf:»Einen Strich abfallen!«Dann, spater, rief der Ruderganger: Neuer Kurs liegt an, Sir! Sudost zu Sud!»
        Die Brassen wurden besetzt und die Rahen entsprechend der geringfugigen Kursanderung getrimmt. Au?er dem Pfeifen in den Segeln und den anderen Gerauschen des Schiffes herrschte absolutes Schweigen.
        Bolitho stellte sich die Karte vor: voraus lag die Insel, wie sie den Ausgucksleuten im Topp jetzt erscheinen mu?te. Die Hauptmasse des Landes erstreckte sich nach Steuerbord, hinter der Landzunge lag der Eingang zum Ankerplatz, wo die Spite jetzt vermutlich auf Position lag. Es wurde eine bose Uberraschung fur sie geben, wenn der Franzose uber die flach auslaufende Landzunge fur sie sichtbar wurde. Cunninghams Ausgucksposten wurden ihn moglicherweise fur die Trojan halten.

«An Deck!«Bullers heisere Stimme.»Das andere Schiff kurzt Segel, Sir!»
        Jemand sagte:»Vermutlich hat er die Spite gesichtet.»
        Die Backbordbatterie tauchte ein, als die Trojan sich leicht uberlegte, und Bolitho sah die festgezurrten Geschutze plotzlich im ersten Sonnenlicht aufblitzen.
        Die Farben kehrten zuruck, alle Dinge wurden wieder wie sonst, das fahle Morgenlicht war der Sonne gewichen. Hier und da bewegte sich jemand, scho? ein Tau auf, strich sich das Haar aus den Augen oder legte sich das Enterbeil zurecht.
        In Abstanden standen die Unteroffiziere und Fahnriche, kleine, blau-wei?e Markierungspunkte in der Reihe der Seeleute.
        Hoch uber dem Deck, an der Spitze des Gro?mastes, wehte der lange Wimpel wie eine rote Schlange. Der Wind blieb stetig, trotzdem bestand keine Moglichkeit, dem anderen Schiff den Weg abzuschneiden.
        Quinn flusterte:»Was wird der Admiral tun? Wir sind nicht im Krieg mit Frankreich.

        Fahnrich Forbes flitzte uber das Deck, wie ein Kaninchen sprang er uber Tauwerk und sonstige Hindernisse.
        Er gru?te und meldete:»Der Kommandant la?t Ihnen bestellen, Sir, Sie mochten den franzosischen Leutnant nach achtern bringen.»
        Bolitho nickte.»Gut.»
        Forbes geno? offensichtlich die Situation. Er stand mit den Machtigen des Schiffes auf dem Achterdeck und war noch zu jung und zu aufgeregt, um die heraufziehende Gefahr zu sehen.
        Quinn sagte:»Ich hole ihn.»
        Bolitho schuttelte den Kopf und lachelte zugleich uber die Absurditat. Er mu?te den franzosischen Offizier bringen, weil Cairns im Augenblick zu tun hatte und alle anderen zu jung waren. Die Etikette mu?te gewahrt werden, dachte er, selbst noch am Tor zur
        Holle.
        Er fand den Franzosen unten im Orlopdeck, wo er mit dem Schiffsarzt vor dem Lazarett sa?, wahrend Thorndikes Assistenten den Operationstisch herrichteten und die Instrumente bereitlegten.
        Der Arzt fragte nervos:»Was ist los, zum Teufel?«Er blickte seine Helfer an.»Das kostet nur Zeit und macht meine Instrumente schmutzig. Die haben wohl nichts zu tun dort oben!»
        Bolitho ging nicht darauf ein, sondern sagte zu Contenay:»Der Kommandant mochte Sie sehen.»
        Zusammen stiegen sie durch das untere Batteriedeck hinauf, wo fast vollige Dunkelheit herrschte, da alle Pforten geschlossen waren, und nur die Lunten einen truben Schein auf ihre unmittelbare Umgebung warfen.
        Contenay fragte:»Gibt es Arger, mon amil».

«Ein Schiff. Eins von Ihren.»
        Seltsam, dachte Bolitho, aber es fiel ihm leichter, mit dem Franzosen zu sprechen, als mit dem Arzt.

«Mon Dieu!«Contenay nickte gru?end einem Posten zu und fuhr fort:»Dann mu? ich mir wohl jedes Wort uberlegen.»
        An Deck war es jetzt erheblich heller als vorher. Bolitho schien es fast ein Wunder, da? sich die Sicht wahrend der kurzen Zeit seines Weges zum Lazarett und zuruck so verandert hatte.
        Auf dem Achterdeck meldete Bolitho: «M'sieu Contenay, Sir.»
        Pears blickte auf.»Kommen Sie hier heruber. «Er schritt zu den Netzen, wo Coutts und der Flaggleutnant ihre Glaser auf das andere Schiff gerichtet hielten.
        Bolitho warf einen raschen Blick hinuber. Er hatte sich nicht getauscht, es war ein Linienschiff und ein stolzer Anblick. Es fuhr hart angebra?t mit Steuerbordhalsen, die Bramsegel und das Gro?segel waren bereits aufgegeit, wahrend es jetzt, leicht nach Backbord uberliegend, die Einfahrt ansteuerte.

«Der Gefangene, Sir. «Pears blickte ebenfalls zu dem anderen Schiff hinuber.
        Coutts lie? sein Glas sinken und musterte den Franzosen kuhl.»Ach ja! Das Schiff dort, Monsieur, kennen Sie es?»
        Contenays Mundwinkel zogen sich nach unten, als sei er im Begriff, die Antwort zu verweigern. Dann zuckte er resignierend mit den Schultern und erwiderte:»Es ist dieArgonaute. »
        Ackerman nickte.»Das dachte ich mir, Sir, ich habe sie vor
        Guadeloupe gesehen. Schones Schiff, vierundsiebzig Kanonen.»
        Pears sagte zu Contenay:»Sie fahrt ebenfalls unter Konteradmiralsflagge. «Er sah den Franzosen fragend an.
        Dieser antwortete:»Ja, unter Contre-Amiral Andre Lemercier. «Coutts musterte ihn. Sie waren einer seiner Offiziere, habe ich recht?»

«Ich bin einer seiner Offiziere, Monsieur!«Contenay blickte zu dem anderen Zweidecker hinuber.»Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann.»
        Pears explodierte:»Benehmen Sie sich, Sir! Wir brauchen nicht mehr zu wissen. Sie haben des Konigs Feinden geholfen, eine ungesetzliche Rebellion begunstigt, und jetzt erwarten Sie, wie ein unbeteiligter Zuschauer behandelt zu werden!»
        Coutts schien uberrascht von diesem Ausbruch.»Gut gesprochen, Kapitan, aber ich glaube, der Leutnant wei? genau, in welcher Lage er ist.»
        Bolitho horte gebannt zu und hoffte nur, Pears werde ihn nicht wegschicken. Ein privates Drama rollte da ab, das jeden anderen ausschlo? und das doch ihrer aller Zukunft entscheiden konnte.
        Cairns trat zu Bolitho und sagte leise:»Ein Problem fur den Ad-miral, Dick. Ist es ein wirkliches Patt, oder werden wir dem Franzosen unseren Standpunkt klarmachen?»
        Bolitho betrachtete Coutts jugendliches Profil. Zweifellos bedauerte er jetzt seinen Flaggenwechsel. Die mit neunzig Kanonen bestuckte Resolute ware den vierundsiebzig Geschutzen des Franzosen erheblich uberlegen gewesen, ein Vorteil, der bei der Trojan entfiel. Sie waren etwa gleich stark, denn ihre sechs Kanonen mehr wurden durch die Unterbesetzung und den Mangel an erfahrenen Offizieren wettgemacht.
        Wenn Contenay ein typischer Vertreter des Offizierskorps der Argonaute war, dann gab sie in der Tat einen beachtlichen Gegner ab. Was wurde Cunningham wohl tun? Eine Korvette war viel zu schwach, um am Kampf der Linienschiffe teilzunehmen, trotzdem ware dann Hilfe willkommen, so gering Cunninghams Moglichkeiten auch sein mochten.

«Fuhren Sie den Gefangenen wieder ab. Er soll sich weiterhin bereithalten, vielleicht brauche ich ihn noch. «Coutts wandte sich an d'Esterre.»Erledigen Sie das. «Zu Bolitho sagte er:»Warnen Sie die Ausgucksleute, sie sollen melden, was die Spite macht, sowie sie in Sicht kommt.»
        Bolitho eilte zur Treppe. Der Ausguck war wahrscheinlich mehr Franzosen interessiert als an der Spite, wie jeder hier unten.
        Die Trojan behielt ihren Kurs bei. Jedes Glas war auf das andere Schiff gerichtet, als dieses jetzt quer vor ihrem Bug vorbeizog, naher und naher auf das Land zu.
        Coutts mu?te beunruhigt sein. Er konnte nicht ankern, aber wenn er andererseits an der Einfahrt vorbeisegelte, verlor er seine Luvposition und mu?te muhsam zuruckkreuzen. Das konnte Stunden dauern. Genauso war es, wenn er wieder zur offenen See hin manovrierte. Das einzige war, dem Franzosen zu folgen, der offenbar die Trojan vollig ignorierte.
        Das Land wurde jetzt flacher und gab dadurch den Blick auf die gegenuberliegende Seite der Bucht frei. Es sah aus, als seien zwei grune Arme zu ihrem Empfang weit geoffnet.
        Bolitho fuhlte bereits die starker werdende Sonnenhitze, die Trockenheit in Mund und Kehle, als der Ausguck plotzlich rief:»An Deck! Die Spite sitzt auf Grund, Sir!»
        Etwas wie ein vielfacher Seufzer lief durch die Decks der Trojan.
        Zu allem Ungluck nun auch noch dieses! Cunningham mu?te die Stromung in der Einfahrt unterschatzt haben. Es war demutigend fur Coutts, aber fur Cunningham mu?te es das Ende der Welt bedeuten.
        Stockdale flusterte:»Der Franzmann kann jetzt machen, was er will.»
        Der Ankerplatz war allmahlich voll einzusehen: das ruhige Wasser im Inneren der Bucht, die kabbelige Stromung an der Einfahrt, die drei Masten der Spite, die schrag und unbeweglich standen. Im Hintergrund sah man einen Schoner dicht unter Land vor Anker liegen.
        Der Ausguck rief:»Sie versuchen, sie freizuschleppen, Sir!»
        Ohne Glas konnte Bolitho keine Einzelheiten erkennen und wartete auf weitere Meldungen von oben, genau wie die Seeleute ringsherum. Cunningham hatte offenbar Boote ausgesetzt, um einen Warpanker auszufahren, mit dessen Hilfe sie das Schiff freischleppen wollten.
        Quinn fragte:»Was macht der Franzose?«Seine Stimme klang, als sei er vollig au?er sich vor Besorgnis.

«Er wird zweifellos ankern, James, nun, da er schneller bei der
        Insel ist als wir. Ihn dort anzugreifen, bedeutete den sicheren Kriegsausbruch.»
        Er blickte verwirrt und verbittert zu Boden. Was sie auch taten, wie ihre Begrundung auch sein mochten, das Schicksal schien in jedem Falle gegen sie zu entscheiden.
        Wahrscheinlich brachte die Argonaute eine weitere umfangreiche Ladung Geschutze und Munition, die zum Teil fur den Schoner bestimmt war. Der Rest wurde dann an einem sicheren Ort versteckt werden und auf die nachsten Transporter oder Freibeuter warten. Contenay war von hier aus wohl schon mehr als einmal zur Kuste gesegelt - kein Wunder, da? er die Einfahrt zum Fort Exeter ohne Schwierigkeiten gefunden hatte.
        Wie zur Bestatigung, rief jetzt ein anderer Ausguck aufgeregt:»Segel an Steuerbord voraus, Sir!»
        Gestalten hasteten uber das Achterdeck, Sonnenlicht blitzte auf erhobenen Fernglasern, als der Ausguck fortfuhr:»Eine Brigg, Sir! Sie geht gerade uber Stag!

        Bolitho blickte in Quinns blasses Gesicht.»Das kann ich ihr nicht verdenken, James. Schon unser Anblick wird ihr genugen. Sie ist doch bestimmt gekommen, um Ladung zu ubernehmen.»

«Gibt es denn nichts, was wir tun konnten?»
        Quinn blickte uberrascht auf, als Buller jetzt rief:»An Deck! Die Spite ist freigekommen, setzt bereits Segel!»
        Quinn packte Bolitho aufgeregt am Arm, wahrend die Nachricht bei den Seeleuten wilden Jubel ausloste.
        Sie sahen, da? plotzlich Leben in Fahnrich Westons Signalgasten kam und sie eine Gruppe leuchtender Flaggen an der Rah hi?ten.
        Bolitho nickte.»Gerade noch rechtzeitig!«Coutts hatte an Spite signalisiert: Ankerplatz verlassen und Brigg verfolgen. «Selbst die Verzogerung beim Einholen der Boote wurde fur Cunningham nicht viel bedeuten. Bei gunstigem achterlichem Wind konnte er die Brigg noch vor Mittag eingeholt und gekapert haben, zumal jetzt seine Ehre auf dem Spiel stand.
        Dann war da noch der Schoner. Wenn er ein Freibeuter war, konnten die Franzosen nicht verhindern, da? Coutts ihn aufs Korn nahm, sobald er auslauten sollte.
        Er schirmte die Augen ab, sah mehr Segel sich an den Rahen der
        Korvette entfalten und malte sich die Erleichterung an Bord aus, die alle vorangegangene Enttauschung beiseitefegte.»Die Spite hat bestatigt, Sir!»
        Fahnrich Couzens sauste mit irgendeinem Auftrag vorbei, seine Sommersprossen gluhten vor Begeisterung.

«Jetzt ist der Franzose in der Rolle des Zuschauers, Sir«, rief er im Vorbeilaufen.
        Bolitho fuhr herum, als der Ankerplatz plotzlich vom Drohnen einer Geschutzsalve widerhallte. Er sah dicken Rauch von der ruhigen Wasserflache aufwirbeln und sich wie eine dustere Wolke vor die Sonne schieben.
        Alles schrie durcheinander, betroffen von der unerwarteten Wendung der Ereignisse. Die Spite legte sich uber, noch immer schwankend von der ungeheuren Wucht der aus geringster Entfernung abgefeuerten Breitseite. Wie ein Orkan war der Eisenhagel aus den Rohren der Argonaute durch ihre Takelage gefegt und hatte die Spite innerhalb von Sekunden zum Wrack gemacht. Der Fockmast war weg, und wahrend sie noch hinstarrten, sturzte der Gro?mast uber Bord, eingehullt in ein Gewirr von zerfetztem Tauwerk und aufgepeitschtem Gischt. Die Spite bewegte sich nicht mehr, Bolitho vermutete, da? sie wieder auf Grund sa?, auf einem Auslaufer derselben Sandbank. Ihre plotzliche Starre wirkte so, als sahe man etwas Wunderschones sterben.
        Die Argonaute hatte sichergestellt, da? die Brigg nicht gekapert werden konnte, und ging nun uber Stag. Ihr langer Kluverbaum schwang drohend durch den Qualm ihrer einzigen morderischen Salve.
        Quinn rief mit erstickter Stimme:»Mein Gott, sie kommen heraus!»
        Bolitho blickte nach achtern, von wo Cairns Stimme durch das Sprachrohr drohnte.

«Enter auf zum Segelkurzen! Mr. Tolcher, bringen Sie die Netze an!»
        Die leuchtend rote Admiralsflagge stieg an der Gaffel in die Hohe, und Stockdale spuckte sich in die Hande. Coutts hatte seine Flagge gehi?t. Er wurde kampfen.
        Schon wurden die Netze uber dem Batteriedeck ausgebreitet, die
        Manner arbeiteten verbissen und mechanisch, wie sie es so oft geubt hatten.
        Bolitho beobachtete, wie die Argonaute bei ihrer Drehung auf die Ausfahrt zu kurzer zu werden schien. Auch sie hatte jetzt die Flagge gesetzt, das wei?e Banner Frankreichs: Es gab keinerlei Vorwand mehr, keinerlei Verstellung.
        Spater mochten sich hohere Stellen uber ihre Rechtfertigung oder Entschuldigung streiten. Hier und jetzt hatte jeder der Kommandanten seinen eigenen eindeutigen Grund zum Kampf.

«Die Pforten auf!»
        Taljenblocke quietschten, und auf jeder Seite offnete sich die Doppelreihe der Stuckpforten, gleichzeitig mit denen der leichteren Heckbatterien.

«Ausfahren!»
        Bolitho holte tief Luft und zwang sich zuzusehen, wie seine eigenen Geschutze gerauschvoll zu ihren Pforten polterten und die schwarzen Laufe wie Schnauzen ins grelle Sonnenlicht streckten.
        Zwei Linienschiffe unter sich, nicht einmal ein Zuschauer war da, um ihre geballte Kraft zu begutachten, wahrend sie jetzt auf einander zu manovrierten, ohne Hast, in volligem Schweigen. Er warf einen Blick aufs Achterdeck und sah, da? Coutts sich vom Boots-steurer des Kommandanten den Degen umschnallen lie?.
        Bolitho war es klar, da? der Admiral niemals nachgeben wurde, nicht nachgeben konnte. Fur ihn gab es heute nur Sieg, nichts anderes.

«Steuerbordbatterie, klar zum Feuern!».
        Bolitho zog seinen Dolch und zerrte den Hut tiefer uber die Augen.

«Fertig, Jungs!»
        Er blickte nach rechts und links, die vertrauten Gesichter verwischten sich und verschwanden, als er nur noch den Feind vor sich sah.
        Irgendwo fing ein Mann heftig an zu husten, einen anderen horte man nervos mit dem Fu? trommeln.

«Feuer!»



        XIV Ein zu hoher Preis

        Als die obere Batterie, unmittelbar gefolgt von den Zweiunddrei-?igpfundern des unteren Batteriedecks, ihre volle Breitseite herausdonnerte, bebte die Trojan so heftig, als wolle sie auseinanderbersten.
        Obwohl jedermann es erwartet und sich darauf vorbereitet hatte, war der betaubende Krach der Salve unvorstellbar. Der Donner rollte und rollte weiter, wahrend jedes Geschutz durch den Rucksto? wieder binnenbords geschleudert wurde.
        Bolitho beobachtete, wie der dichte Qualm mit dem Wind davonzog, und starrte dann auf das franzosische Schiff, das umgeben war von aufbrandenden Wassersaulen. Die See hatte sich in eine Masse wei?er Springbrunnen verwandelt. Die Argonaute steuerte auf konvergierendem Kurs, die Rahen hart angebra?t, um von der nachsten Landspitze freizukommen. Ohne Fernglas konnte man unmoglich feststellen, ob sie getroffen worden war, obgleich bei einer so massiven Breitseite ein paar Treffer dabeisein sollten. Aber die Trojan hatte bei erstbester Gelegenheit gefeuert, Bolitho schatzte die Entfernung auf mindestens acht Kabellangen.*
        Auf beiden Seiten schrien die Geschutzfuhrer wie die Teufel, die Bedienungsmannschaften rammten frische Ladungen in die Rohre, wahrend andere mit Handspaken bereitstanden, um die schweren Geschutze wieder auszufahren.
        Es klang alles verschwommen, unwirklich, und Bolitho rieb sich heftig die Ohren, um wieder horen zu konnen. Das Schiff holte leicht uber, da Pears eine Kursanderung zu dem Franzosen hin befohlen hatte. Wie unverwundbar der aussah! Mit killenden Marssegeln und Fock versuchte der Kommandant der Argonaute, hoher an den Wind zu gehen, um der Umklammerung des Landes zu entkommen und freien Seeraum zu gewinnen.
        Was hatte er vor? fragte sich Bolitho. Was mochte Coutts Gegenspieler beabsichtigen? Vielleicht wollte er die Trojan von der Insel weglocken, um dem Schoner Zeit zum Entkommen zu verschaffen, oder wollte er - nachdem er die Spite au?er Gefecht gesetzt hatte - sich vielleicht davonstehlen und jeden weiteren Konflikt vermeiden? Vielleicht hatte er andere Befehle, sollte womoglich im Falle
* 1480m der Behinderung sofort einen anderen Treffpunkt aufsuchen und dort seine Ladung loschen?
        Es war unglaublich, da? Bolitho uberhaupt denken konnte. Er blickte das Deck entlang, sah die Geschutzfuhrer die Hande heben, ihre Gesichter wirkten maskenhaft vor Konzentration.
        Er blickte nach achtern.»Fertig, Sir!»
        Wieder schob der alteste Midshipman des unteren Batteriedecks den Kopf durch die Luke und schrie:»Fertig, Sir!»
        Couzens lief mit einer Meldung an Cairns auf dem Achterdeck vorbei.
        Als er bei Fahnrich Huss vorbeikam, rief er:»Ihr wart diesmal die letzten!«Sie grinsten sich an, als ware das Ganze ein ungeheurer Spa?.
        Bolitho wandte sich wieder dem Feind zu. Jetzt war er naher gekommen, das Deck lag ein wenig schrag durch den Winddruck, die Reihen der Geschutze blitzten in der Sonne wie Zahne.
        Bolitho wu?te im Innersten seines Herzens, da? der franzosische Admiral dem Kommandanten der Argonaute nicht befehlen wurde, abzufallen. Er wurde kampfen. Was die Welt spater einmal dazu sagte, das zahlte hier drau?en wenig. Rechtfertigung konnten beide Seiten suchen und finden, aber der Gewinner hatte das gewichtigere Wort zu reden.
        Die Bordwand des franzosischen Schiffes verschwand unter wirbelndem Rauch, unterbrochen nur durch orangefarbene Zungen, als es jetzt auf die Herausforderung der Trojan antwortete.
        Bolitho bi? die Zahne aufeinander in der Erwartung, den Rumpf beim krachenden Einschlag der Salve erbeben zu spuren. Aber nur ein paar Kugeln schlugen in den oberen Teil der Bordwand, wahrend uber ihnen die Luft zu heulendem, pfeifendem Leben erwachte, als die Kettenkugeln durch die Takelage fegten.
        Er sah, wie die Schutznetze unter dem Aufprall herabsturzender Blocke und abgerissener Takelage federten. Jetzt sturzte ein Marineinfanterist kopfuber aus dem Gro?mars, schlug auf dem Fallreep auf und verschwand uber Bord, ohne einen einzigen Laut von sich zu geben.
        Bolitho schluckte heftig. Das erste Blut! Er schaute nach achtern und sah Pears, den Blick auf den Feind gerichtet, die Hand bis auf Schulterhohe heben, und rief rasch:»Fertig, Jungs!»
        Des Kommandanten Arm fiel herab, und wieder war die Luft erfullt vom Donner der Geschutze.»Auswischen! Laden!»
        Die Seeleute, die Kommandant und Offiziere verflucht hatten, wenn sie immer und immer wieder gedrillt worden waren, fuhrten ihre Bewegungen jetzt vollig mechanisch aus. Sie blickten nicht einmal hin, als einige ihrer Kameraden aufenterten, um in der Takelage die notwendigsten Reparaturen vorzunehmen.
        Bolitho sah den gro?en Ri? im Fockmarssegel sich rasch ausbreiten, als der Wind hineinstie?. Es war ihm klar, da? der Feind eine bestimmte Taktik verfolgte, und zwar die, den Gegner durch Zerfetzen der Takelage moglichst schnell manovrierunfahig zu schie?en. Wenn das feindliche Schiff dann sein ungeschutztes Heck darbot, kam die Gelegenheit fur eine morderische Breitseite. Bei Gefechtsbereitschaft war jedes Linienschiff im Inneren von vorn bis achtern offen und ohne Trennwande, so da? eine wohlgezielte Salve durchs Heck die Batteriedecks in ein Schlachthaus verwandeln mu?te.
        Auch die Argonaute zeigte schon einige Spuren des Kampfes: Durchschusse in den Segeln, ein gro?es, klaffendes Loch beim Backbord-Fallreep, wo zwei Kugeln zugleich getroffen hatten.
        Funf Kabellangen, eine halbe Meile also*, betrug jetzt die Entfernung zwischen ihnen, und beide Schiffe gewannen noch an Fahrt, da sie inzwischen nicht mehr unter Land waren.
        Wieder die wirbelnde Rauchwand, wieder das schrille Heulen und Pfeifen der Ketten uber ihnen. Es war unglaublich, da? noch keine Stenge getroffen worden war, aber das schreckliche Kreischen lie? manchem der Manner das Mark in den Knochen gerinnen.
        Stockdale hielt in seinen Anstrengungen kurz inne und rief:»Wir halten den Wind, Sir, trotz der Locher im Tuch!«Sein zerschlagenes Gesicht war ru?geschwarzt, er wirkte unerschutterlich.

«Klar zum Feuern!»
        Bolitho horte, wie Fahnrich Huss das Kommando an Dalyell unten im Deck weitergab.

«Feuer!»
        Das Deck stie?, als sei das Schiff auf Grund gelaufen, dann horte

** 926m
        man lautes Jubelgeschrei, als des Gegners Gro?bramstenge wild schwankte, bevor sie splitternd abbrach und wie eine Lanze herabscho?.
        Ein glucklicher Treffer. Niemand wurde je wissen, wer ihn abgefeuert hatte.
        Pears drohnende Stimme ubertonte muhelos das Poltern und Knirschen beim Laden der Geschutze.

«Gut gemacht, Trojaner! Gebt es ihnen!»
        Weitere Jubelrufe wurden erstickt durch des Gegners Feuererwiderung, durch das furchterliche Krachen von Eisen, das in die Bordwand schlug und in einige der unteren Pforten.
        Bolitho fuhr zuruck und fragte sich, warum der Franzose seine Taktik geandert hatte. Er horte das furchterliche Donnergepolter einer Kanone, die durch das untere Batteriedeck geschleudert wurde, bis sie mit lautem Knall gegen etwas Hartes prallte. Manner schrien dort unten seltsam erstickt wie gemarterte Seelen.
        Die Argonaute schien sich langsam nach vorn zu schieben, als ob ihr Kluverbaum den Bugsprit der Trojan beruhren wolle. Mit dem Windvorteil auf seiner Seite wurde Pears moglicherweise abfallen, mehr Segel setzen und versuchen, des Gegners Heck zu kreuzen.
        Schon horte er Cairns Stimme durch das Sprachrohr:»Enter auf! Bramsegel los!»
        Bolitho nickte wie in Zustimmung. Das Schiff drehte zunachst nur ein paar Strich, wahrend die Bramsegel von den Rahen fielen und sich dann strafften.
        Er beobachtete die Argonaute, seine Augen brannten vor Rauch. Zwischen ihnen lag das blaue Wasser wie eine ungeheuer gro?e Pfeilspitze, beide Schiffe schienen demselben unsichtbaren Ziel zuzustreben, das sie am Ende zusammenbringen wurde.

«Feuer!»
        Die Seeleute sprangen beiseite, als ihre Kanonen wieder binnenbords schnellten, griffen halb blind vor Qualm nach den Schwammen, um die Mundungen auszuwischen, bevor sie die nachste Ladung hineinrammten.
        Bolitho merkte am Beben des Schiffsrumpfes, da? auch der Feind
        wieder gefeuert hatte. Er sah einen Teil des Fallreeps wie unter den Hieben einer unsichtbaren Axt zersplittern. Ein Seemann rannte schreiend und stolpernd hinter seine Gefahrten, die Hande vors Gesicht geschlagen.
        Ein Marineinfanterist schob ihn an den Rand einer Luke, andere griffen zu und zogen ihn herab.
        Bolitho sah Quinn wurgen. Aus dem Auge des Seemannes hatte ein Holzsplitter von der Gro?e eines Marlspiekers geragt.
        Der hartere Knall der Neunpfunder sagte ihm, da? deren Bedienung endlich auch ihre Heckgeschutze zum Einsatz bringen konnte.
        Der Larm schwoll an, als die beiden Schiffe unerbittlich aufeinander zutrieben. Holzsplitter, Bruchstucke der Takelage und ein weiterer Leichnam vermehrten das Gewirr auf den Netzen, und von unten horte man einen Mann schreien wie ein gemartertes Tier.
        Wieder ein rascher Blick nach achtern. Pears stand noch unbeweglich, mit grimmigem Gesicht, den Blick dem Feind zugewandt.
        Coutts, anscheinend ungeruhrt von dem Kampfgetose, einen Fu? auf einem Poller, zeigte Ackerman etwas auf dem Deck des Franzosen.

«Feuer!»
        Die Kanonen schossen jetzt ungleichma?iger, denn die Bedienungsmannschaften waren erschopft, betaubt vom standigen Donner der Detonationen.
        Bolitho ging uber das Deck, buckte sich und blickte in jede der Stuckpforten, wahrend die Manner ihre Kanonen schu?fertig machten. Sie waren Vierecke verqualmten Lichts, durch die jede Mannschaft nur ein winziges Stuck des Feindes sehen konnte.
        Er fuhlte sich unsicher auf den Beinen, sein Gang war ruckartig, als er wieder hinter die Leute zurucktrat. Sein Gesicht war gezeichnet von der Anstrengung, und er hatte das Gefuhl, da? er halb grinsend, halb schielend dreinsah.
        Stockdale erblickte ihn und nickte ihm zu; ein anderer Mann, es war Moffitt, winkte und rief:»Hei?e Arbeit, Sir!»
        Weitere schwere Einschlage krachten unten in die Bordwand, dann stieg eine schwarze Rauchsaule aus einer der Luken und loste sofort einen Chor von Alarmrufen aus. Der Schwelbrand wurde jedoch schnell unter Kontrolle gebracht, die Leute hatten so etwas oft genug geubt.

«Feuer einstellen!»
        Als die Bedienungsmannschaften von ihren rauchenden Geschutzen zurucktraten, empfand Bolitho die Stille fast so schmerzhaft wie den vorherigen Larm. Der Feind hatte sich weiter vor ihren Bug geschoben, so da? sie ihn nicht mehr treffen konnten. Cairns rief:»Schickt ein paar Leute nach Backbord!«Er winkte auffordernd mit seinem Sprachrohr.»Wir feuern, wenn wir sein Heck passieren!»
        Bolitho sah, wie die Unteroffiziere ein paar der benommenen Leute zur Backbordseite hinuberschoben, um den erschopften Mannschaften dort zu helfen. Pears hatte es zeitlich gut abgepa?t. Mit einer weiteren Kursanderung und mehr Segelflache wurde die Trojan des Feindes Kielwasser kreuzen und dann eine Breitseite im Einzelfeuer in sein Heck jagen konnen. Selbst wenn er noch nicht entmastet war, wurde ihn das so schwachen, da? er das nachste Aufeinandertreffen nicht uberstehen konnte.
        Er rief:»Fertig, James!«Wieder hatte er das Gefuhl, als sei sein Unterkiefer in einem wilden Grinsen erstarrt.»Diesmal hast du die Ehre!»
        Ein Geschutzfuhrer beruhrte Quinns Arm beim Voruberhasten.»Wir werden es denen zeigen, Sir!«»An die Brassen!»
        Bolitho fuhr herum, als er Cairns Stimme vom Achterdeck horte.
        Stockdale keuchte:»Der Franzmann luvt an, bei Gott!»
        Bolithos Korper war zu Eis erstarrt, als er die Argonaute in den Wind schie?en und mit ihren zerfetzten Segeln ein gro?artiges Wendemanover ausfuhren sah, damit sie dem Feind wieder die Stirn bieten konnte.
        Es geschah alles in Minutenschnelle, aber er fand doch Zeit fur die Bewunderung dieser hervorragenden Seemannschaft. Immer weiter drehte sie, und nach dem Manover wurde sie auf dem anderen Bug liegen, wahrend die Trojan dann noch damit zu tun hatte, ihren Fahrtuberschu? zu verringern.

«Enter auf! Bramsegel bergen!»
        Masten und Spieren bebten und quietschten, als das Ruder hart ubergelegt wurde; aber es dauerte alles viel zu lange.
        Wahrend die Leute wie wild wieder zu den Steuerbordgeschutzen zuruckliefen, sah Bolitho bereits den Feind Rauch und Feuer spe i-en, fuhlte das Schiff taumeln, als eine sorgfaltig gezielte und genau zum richtigen Zeitpunkt abgefeuerte Breitseite einschlug. Sie traf die Trojan vom Bug bis zum Heck. Wegen des spitzen Auftreffwinkels richteten viele Geschosse kaum Schaden an, aber andere, die in die Geschutzpforten einschlugen oder nur auf so schwache Hindernisse wie Fallreepstreppen und Hangemattsnetze stie?en, wirkten verheerend. Drei Geschutze wurden umgeworfen, ihre Bedienungen zerschmettert oder wie Abfall beiseite geschleudert. Bolitho horte es krachen und splittern, als weitere Geschosse neben ihm durch die Boote fegten und einen Hagel von Splitterpfeilen auf die andere Seite schleuderten. Leute fielen oder taumelten uberall, und als er einmal zufallig auf seine Beine blickte, bemerkte er, da? sie uber und uber blutbespritzt waren.
        Ein Gewirr von Schreien lie? ihn herumfahren, und er sah die Vorbramstenge erst auf die Back und dann uber Bord sturzen, verfilzte Takelage, Segel, Rahen und zwei schreiende Seeleute mit sich rei?end.
        Einen Augenblick au?er Kontrolle geraten, drehte die Trojan wie betrunken vom Feinde weg, wahrend die Argonaute, vom Jubel ihrer Leute begleitet, einen vollen Kreis beschrieben hatte. Dann, als sie auf Parallelkurs und ein wenig vor der Trojan lag, eroffnete sie das Feuer auch mit ihren achteren Geschutzen.
        Blind vor Rauch und verzweifelt versuchend, sich aus dem Gewirr von Takelage zu befreien, konnten die vorderen Geschutzmannschaften der Trojan hochstens die Halfte der Schusse beantworten.
        Bolitho fand sich auf und ab laufen und zusammenhangloses Zeug schreien, bis er vor Heiserkeit keinen Ton mehr hervorbrachte.
        Um ihn herum kampften und starben die Leute oder lagen bereits in der Starrheit des Todes.
        Andere hasteten voruber, hinter dem Bootsmann und seinen Maaten her, um mit Axten und Beilen die Trummer zu beseitigen, bevor sie das Schiff bewegungsunfahig machen und damit vollig dem feindlichen Feuer ausliefern konnten.
        Achtern stand Pears mit steinerner Miene, beobachtete das alles, gab seine Befehle und wich keine Handbreit zur Seite, als Splitter an ihm vorbeipeitschten und weitere Leute der geduckten Geschutzbedienungen zu Boden rissen.
        Fahnrich Huss erschien an Deck, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Er sah Bolitho und schrie wild:»Mr. Dalyell ist gefallen, Sir! Ich… Ich kann…«Er drehte sich um die eigene Achse, das Gesicht erstaunt glotzend und dann erstarrend, als er nach vorn taumelte und zu Bolithos Fu?en fiel.
        Bolitho rief:»Hinunter, James, ubernimm das Kommando im unteren Batteriedeck!»
        Quinn aber starrte wie gebannt auf den Fahnrich. Blut stromte aus einem gro?en Loch in dessen Rucken, eine Hand bewegte sich noch, als wolle sie das entweichende Leben festhalten.
        Ein Seemann drehte den Jungen herum und sagte:»Erledigt, Sir.»

«Hast du gehort?«Bolitho ergriff Quinn am Arm, Huss und alles andere vergessend. Geh hinunter!»
        Quinn wandte sich halb um, seine Augen weiteten sich, als noch mehr Schreie aus dem unteren Batteriedeck heraufdrangen.
        Er stammelte:»Kann - kann - nicht…»
        Sein Kopf fiel vornuber, und Bolitho sah Tranen uber sein Gesicht rinnen, die helle Streifen durch den Ru? zogen.
        Eine unbekannte Stimme knarrte:»Dann gehe ich hinunter. «Es war Ackerman, der makellose Flaggleutnant.»Ich kenne mich aus. «Er starrte Quinn an, als konne er nicht glauben, was er sah.»Der Admiral hat mich geschickt.»
        Bolitho blickte nach achtern, schockiert durch Quinns Kollaps, benommen durch all den Schrecken und das Blut des Schlachtfeldes um ihn herum. Durch ziehenden Qualm und baumelndes Gewirr abgerissener Takelage trafen sich ihre Blicke. Dann winkte Coutts kurz ab und deutete ein Schulterzucken an.
        Das Deck erzitterte; Bolitho wu?te, der zerbrochene Mast war freigehackt.
        Die Trojan luvte an und bekam den Feind wieder in Sicht, war aber fast au?er Reichweite.

«Feuer!»
        Die Manner sprangen zuruck, griffen zu ihren Rammstocken, zugleich fluchend und jubelnd wie irr.
        Quinn stand unbeweglich noch immer an derselben Stelle, blind gegen den heulenden Eisenhagel uber seinem Kopf, gegen die an Deck liegenden Verwundeten, gegen die Gefahr, die ihm drohte, als des Gegners Besanmast, schlie?lich auch der Gro?mast sich uber ihren Netzen aufturmten.
        Funfzig Yards entfernt, nicht mehr, dachte Bolitho erregt. Beide Schiffe feuerten blind durch den dichten Qualm, der zwischen den Rumpfen hing wie ein Kissen, das den Zusammenprall abschwachen sollte.
        Ein Seemann lief von seinem Geschutz davon, verruckt von Kampflarm und Gemetzel, und versuchte, eine Luke zu erreichen, tiefer und tiefer bis zum Kiel zu fluchten wie ein verangstigtes Tier. Ein Marineinfanterist hob sein Gewehr, um ihn niederzuschlagen, lie? es aber wieder sinken, als sei auch er uberzeugt von der Sinnlosigkeit des Ganzen.
        Couzens zerrte an Bolithos Armel, sein rundes Gesicht war entruckt, als wollte es den furchterlichen Anblick ringsum ausschlie?en.

«Ja?«Bolitho hatte keine Ahnung, wie lange der Junge schon neben ihm gestanden hatte.»Was ist?»
        Der Fahnrich ri? seinen Blick von Huss' Leichnam los.»Der Kommandant sagt, da? der Feind versuchen wird, uns zu entern. «Wahrend des Sprechens starrte er Quinn an. Sie sollen das Kommando im Vorschiff ubernehmen. «Dann kehrte sein alter Trotz zuruck.»Ich werde bei Ihnen bleiben.»
        Bolitho ergriff Couzens an der Schulter; durch den dunnen, blauen Stoff fuhlte sich der Korper des Jungen gluhendhei? an, als habe er Fieber.

«Holen Sie sich ein paar Leute von unten. «Als der Junge losrannte, rief er: Langsam, Mr. Couzens. Zeigen Sie den Leuten, wie ruhig Sie sind. «Er zwang sich zu einem Lacheln.»Gleichgultig, was Sie in Wirklichkeit empfinden.»
        Er wandte sich wieder den Geschutzen zu, erstaunt daruber, da? er so ruhig sprach, da er doch in der nachsten Sekunde tot sein oder, noch schlimmer, festgeschnallt auf dem Operationstisch liegen konnte.
        Er sah sich die Stellung der feindlichen Rahen an, sie standen so, da? die beiden Fahrzeuge zwangslaufig kollidieren mu?ten. Die Geschutze legten keinerlei Feuerpause ein, obwohl sie auf kurzeste Entfernung einander direkt beschossen, zum Teil sogar mit gluhenden Mundungspfropfen, die beinahe ebenso gefahrlich waren wie die Kugeln.
        Plotzlich horte er neue Gerausche: das ferne Knattern von Gewehrfeuer, das dumpfe Knallen von Einschlagen in Deck, Fallreep oder in den dichtgepackten Hangemattsnetzen.
        Aus dem Gro?mars horte er das Bellen eines Schwenkgeschutzes und sah eine Gruppe Scharfschutzen aus dem feindlichen Kreuzmast sturzen, von einem Kartatschenhagel beiseite gefegt wie welkes Laub.
        Jetzt konnte man auf der Argonaute einzelne Gesichter erkennen, und Bolitho sah einen Unteroffizier, der einen Scharfschutzen auf ihn ansetzte. Der aber wurde von einem Marineinfanteristen gefallt, als er gerade seine Muskete auf Bolitho richtete.
        Er horte Leute aus dem unteren Batteriedeck herbeieilen, horte das Klirren von Stahl, als sie die Enterbeile, Entermesser und Piken ergriffen, die Balleine, der Bootsmannsmaat, an sie ausgab.

«Wir kollidieren Bug gegen Bug. «Bolitho hatte laut gesprochen, ohne es zu wissen. Nicht viel Zeit. «Er zog seinen Degen und schwang ihn uber dem Kopf. Backbordbatterie, her zu mir!»
        Eine einzelne Kugel krachte durch eine offene Pforte und kopfte einen Seemann, der gerade herbeieilen wollte. Der kopflose Korper stand noch einen Augenblick lang stocksteif da, als uberlege er, was zu tun sei. Dann fiel er vornuber und war vergessen, als die Seeleute fluchend und Hurra rufend auf die Back sturmten und nichts anderes mehr sahen als die bereits uber ihnen aufragenden fremden Segel und die roten Flammen des Gewehrfeuers.
        Bolitho starrte den ragenden Kluverbaum des Feindes an, der sich jetzt durch den Rauch bohrte und uber ihre Back schob, als konne nichts ihn aufhalten. Schon feuerten die ersten Franzosen von oben auf die Trojan herab oder schwangen ihre Waffen, wahrend unter ihnen ihre wildaugige Galionsfigur grimmig und drohend auf das Getummel herabblickte.
        Mit einer heftigen Erschutterung krachten beide Schiffsrumpfe gegeneinander. Hauend, hackend und stechend schwarmten die Leute der Trojan aus, um die eindringenden Enterer zuruckzuschlagen, wahrend von achtern d'Esterres Soldaten ein wohlgezieltes, vernichtendes Feuer auf des Feindes Achterdeck legten.
        Bolitho sprang uber einen gefallenen Seemann und schrie:»Hier kommen sie!»
        Ein franzosischer Enterer versuchte, uber die Reling zu klettern, aber ein Schlag mit einem eisernen Belegnagel schleuderte ihn zur
        Seite; fast gleichzeitig warf ihn ein Lanzensto? uber Bord zwischen die beiden Schiffe.
        Bolitho sah sich plotzlich einem jungen Leutnant mit gezogenem Sabel gegenuber. Sein rechter Arm scho? hoch, die beiden Klingen kreisten trotz des wogenden Kampfes vorsichtig umeinander.
        Der franzosische Offizier machte einen Ausfall, doch im nachsten Augenblick weiteten sich seine Augen vor Schreck, als Bolitho auswich und den gestreckten Arm des Gegners mit seinem Degen zur Seite schlug. Der Armel wurde aufgeschlitzt, und das Blut scho? heraus wie rote Farbe.
        Einen Augenblick nur zogerte Bolitho, hieb dann aber mit voller Wucht auf den Halsansatz oberhalb des Schlusselbeins und sah den Mann sterben, noch bevor er uber Bord fiel und klatschend aufschlug.
        Mehr Seeleute eilten ihm jetzt zu Hilfe, aber bei einer kurzen Blickwendung sah er Quinn noch an derselben Stelle stehen wie vorher, als sei er gelahmt.
        Rauch wirbelte auf und hullte die kampfenden und keuchenden Manner ein. Bolitho stellte fest, da? der Wind auffrischte und die beiden Schiffe in ihrer furchterlichen Umklammerung jetzt rascher vorwarts trieb.
        Eine weitere Gestalt blockierte ihm den Weg, wieder beherrschte der Klang von Stahl alles andere.
        Scharf beobachtete er das Gesicht seines Gegners, parierte distanziert, gefuhllos jeden Schlag, erprobte seine Starke und erwartete jeden Augenblick den todlichen Stich in seinen Magen, wenn er das Gleichgewicht verlor.
        Andere kampften neben ihm: Leutnant Raye von den Marineinfanteristen, Joby Scales, der Zimmermann, einen riesigen Hammer schwingend, Varlo, der Seemann, der in der Liebe enttauscht worden war, Dunwoody, der Mullerssohn, und naturlich Stockdale, dessen riesiges Entermesser einen furchterlichen Blutzoll forderte.
        Etwas traf Bolitho am Kopf, er fuhlte Blut am Hals herabflie?en, aber der Schmerz half ihm, seine Wachsamkeit zu verdoppeln, die Bewegungen des Gegners wie unbeteiligt zu beobachten.
        Ein sterbender Seemann fiel stohnend gegen seinen Gegner und lenkte ihn den Bruchteil einer Sekunde ab, aber es genugte. Bolitho sprang uber den gefallten Feind, die blutige Klinge hoch erhoben, wahrend er seine Leute um sich sammelte. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, da? seine Klinge durch Fleisch und Knochen gedrungen war, es war alles so schnell gegangen.
        Jemand rutschte in einer Blutlache aus und krachte gegen seinen Rucken. Bolitho sturzte zu Boden, seinen Degen behielt er nur in der Hand, weil er am Gelenk festgebunden war.
        Als er sich wieder aufrichtete, sah er mit Staunen, da? ein Streifen Wasser zwischen den Schiffen klaffte, der standig breiter wurde. Mit zerfetzten Flaggen drifteten sie auseinander.
        Auch die franzosischen Enterer hatten es bemerkt. Wahrend einige rasch auf den noch uber ihnen aufragenden Kluverbaum kletterten, versuchten andere, hinuberzuspringen. Die Entfernung war jedoch schon zu gro?, die meisten fielen ins Wasser, zwischen die treibenden Leichen und Verwundeten.
        Einige hoben die Hande, um sich zu ergeben, als aber noch ein Marineinfanterist durch einen feindlichen Schutzen erschossen wurde, trieb man auch sie uber die Bordwand.
        Bolitho fuhlte, wie die Krafte ihn verlie?en; er mu?te sich auf die Reling stutzen. Einige Geschutze schossen noch aufs Geratewohl durch den Qualm, aber der Kampf war vorbei. Die Segel der Argo-naute wurden rundgebra?t, allmahlich entfernte sie sich, das Heck jetzt dem Achterdeck der Trojan zugewandt.
        Bolitho merkte, da? er auf dem Rucken lag und in den Himmel schaute, der ihm unnaturlich klar und blau und sehr weit weg schien. Seine Gedanken begannen zu driften wie der Rauch und wie die beiden schwer beschadigten Schiffe.
        Ein Schatten fiel uber ihn, und er erkannte verschwommen, da? Stockdale neben ihm kniete, das zerschlagene Gesicht angsterfullt.
        Bolitho versuchte, ihm zu erklaren, da? alles in Ordnung sei, da? er sich nur ein wenig ausruhe. Da drohnte eine Stimme an sein Ohr:»Tragt Mr. Bolitho sofort ins Lazarett!»
        Er versuchte zu protestieren, aber die Anstrengung war zuviel fur ihn; ihm wurde schwarz vor Augen.
        Bolitho offnete die Augen und blinzelte mehrmals, um klare Sicht zu bekommen. Als der Schmerz in seinen Kopf zuruckkehrte, merkte er, da? er unten im Orlopdeck vor dem Lazarett lag. Im Schein der von der Decke baumelnden Lampen wirkte der sonst dunkle Raum wie ein Inferno. Er lehnte halb gegen ein Spant und spurte, wie sich der Schiffsrumpf durch eine hohe Dunung arbeitete. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewohnt hatten, sah er, da? der ganze Raum voller Menschen war. Einige lagen still, waren wohl schon tot, andere krochen von Schmerzen gepeinigt hin und her.
        In der Mitte des Decks, direkt unter den Lampen, arbeiteten Thorndike und seine Assistenten in grimmigem Schweigen an einem bewu?tlosen Seemann auf dem Tisch, wahrend ein Gehilfe mit einem Eimer weglief, aus dem ein amputierter Arm ragte.
        Bolitho betastete seinen Kopf: er war blutverkrustet und hatte eine eigro?e Beule, aber sonst konnte er keine Verletzung feststellen. Er spurte, da? die Erleichterung daruber, von seiner Magengegend ausgehend, ihn wie eine Flutwelle durchstromte. Hinter seinen Augen staute sich der Schmerz und trieb ihm Tranen ubers Gesicht. Als wieder eine Gestalt zum Operationstisch getragen und aus den geschwarzten Kleidern geschalt wurde, fuhlte Bolitho sich beschamt. Er hatte Angst gehabt vor dem, was kommen wurde, aber verglichen mit dem Mann, der jetzt den Arzt anflehte, war er so gut wie unverletzt.

«Bitte, Sir!«Der Mann schluchzte so wild, da? einige der anderen Verwundeten ihren Schmerz verga?en und aufschauten.
        Thorndike kam aus einem Verschlag und wischte sich den Mund ab. Er sah aus wie ein Fremder, seine Hande und Schurze waren rot von Blut.

«Tut mir leid.»
        Thorndike nickte seinem Assistenten zu, und Bolitho sah erst jetzt das zerschmetterte Bein des Verwundeten. Er erkannte, da? es ein Mann aus seiner eigenen Batterie war, dem eine umgesturzte Kanone das Bein zerquetscht hatte.
        Der arme Kerl jammerte und bettelte noch immer:»Nicht mein Bein, Sir!»
        Eine Flasche wurde ihm zwischen die Zahne geschoben, und als er den Kopf nach hinten fallen lie?, noch wurgend an dem unverdunnten Rum, steckte man ihm einen Lederriemen zwischen die Zahne.
        Bolitho sah das Messer aufblitzen und wandte sich ab. Es war grauenhaft, da? ein Mensch so leiden mu?te, schreiend und fast an seinem eigenen Erbrochenen erstickend, wahrend seine schreckerstarrten Kameraden schweigend zusahen.
        Thorndike knurrte:»Zu spat. Schafft ihn an Deck. «Dann griff er wieder zur Flasche.»Der nachste!»
        Neben Bolitho kniete ein Seemann, dem einige gro?e Holzsplitter aus dem Rucken gezogen wurden. Es war der Ausgucksmann Buller.
        Er zuckte vor Schmerz, sagte aber:»Ich habe heute noch mal Gluck gehabt, Sir. «Das war alles, was er von sich gab, aber es sprach Bande.

«Sind Sie in Ordnung, Sir?«Das war Fahnrich Couzens.»Mich schickt der Erste Offizier. «Er wandte sich voller Schrecken um, als jemand tierisch zu schreien begann.»O Gott, Sir!»
        Bolitho reichte ihm die Hand.»Helfen Sie mir auf. Ich mu? hinaus. «Muhselig taumelte er auf die Fu?e und klammerte sich wie betrunken an des Jungen Schulter. Das hier werde ich nie vergessen!»
        Stockdale kam ihnen mit vor Sorge zerfurchtem Gesicht entgegen und duckte sich unter dem Decksbalken hindurch.»Ich ubernehme ihn!»
        Der Weg nach oben war ebenfalls ein Alptraum. Im unteren Batteriedeck hing noch immer Rauch und verbarg barmherzig die schlimmsten Spuren des Kampfes.
        Plotzlich sah er Dalyell mit seinen zwei verbliebenen Fahnrichen Lunn und Burslem. Die drei besprachen mit den Geschutzfuhrern, was zu tun war.
        Als Dalyell ihn entdeckte, kam er herubergelaufen, sein offenes Gesicht leuchtete vor Freude.

«Gott sei Dank, Dick! Ich hatte gehort, du seist tot!»
        Bolitho versuchte zu lacheln, aber der Schmerz in seinem Schadel verhinderte das.

«Dasselbe habe ich von dir gehort.»

«Aye. Eine Kanone explodierte, von dem Schlag wurde ich besinnungslos. Ohne die Leute neben mir ware ich jetzt tot. «Er schuttelte traurig den Kopf.»Der arme Huss! Er war ein braver Junge.»
        Bolitho nickte nachdenklich. Mit neun Fahnrichen waren sie von England abgefahren. Einer war befordert worden, einer in Gefangenschaft geraten, und jetzt war einer gefallen. Das Fahnrichslogis wurde in Zukunft ein trauriger Ort sein.
        Dalyell wandte den Blick ab.»Das ist aus des Admirals Strategie geworden. Ein sehr hoher Preis fur das, was wir erreicht haben.»
        Bolitho setzte mit seinen beiden Helfern den Weg zum oberen Batteriedeck fort, stand dort einen Augenblick still, atmete tief die frische Luft ein und blickte zum klaren Himmel uber dem verstummelten Fockmast auf.
        Weitere Verwundete wurden hinuntergetragen, und Bolitho fragte sich, wie lange Thorndike wohl noch so weitermachen konnte: schneiden, sagen, nahen, stundenlang. Ihn schauderte. Andere wurden unter die Laufplanken geschleppt, wo sie steif und namenlos darauf warteten, da? der Segelmacher und seine Maaten sie fur ihre letzte Reise in Hangematten aus Segeltuch einnahen wurden. Was hatte Bunce gesagt? Das Wasser war hier rund dreitausend Meter tief. Eine lange, dunkle Fahrt, aber vielleicht fanden sie dort unten Frieden.
        Bolitho schuttelte sich und wand sich vor stechendem Schmerz. Wieder verschwamm alles vor seinen Augen. Das mu?te aufhoren.
        Cairns erschien, total erschopft.»Gut, Sie zu sehen, Dick. Ich konnte etwas Hilfe brauchen-«, er zogerte - ,»wenn Sie sich kraftig genug fuhlen.»
        Bolitho nickte, geruhrt davon, da? Cairns, der jetzt so viel um die Ohren hatte, sich die Zeit genommen hatte, im Lazarett nach seinem Befinden fragen zu lassen.

«Es wird mir nur guttun.»
        Er blickte uber das aufgerissene, zersplitterte Deck, wo er noch vor kurzer Zeit gestanden hatte: umgesturzte Geschutze, gro?e Stapel von herabgefallenem Tauwerk und zerrissenen Segeln. Manner, die sich wie Uberlebende auf einem Wrack ihren Weg durch diese Trummer bahnten. Wie konnte uberhaupt jemand uberlebt haben? Angesichts dieses Chaos' mu?te sich das jeder fragen.

«Wie geht es James?«erkundigte sich Bolitho.
        Cairns Augen blickten finster.»Der Vierte Offizier ist am Leben, glaube ich. «Er klopfte Bolitho auf die Schulter.»Ich mu? weiter. Sie bleiben hier und unterstutzen den Bootsmann.»
        Bolitho ging zur ersten Division der Achtzehnpfunder, wo er den gro?ten Teil des Kampfes uber gestanden hatte. Er sah die Argonaute gut drei Meilen leewarts stehen. Selbst wenn sie rasch die dringendsten Reparaturen ausfuhrten, konnten sie den Franzosen jetzt nicht mehr einholen.
        Stockdale sprach fur sie beide:»Immerhin haben wir sie abgeschlagen, so knapp an Leuten wir auch sind. Wir haben ihnen mit gleicher Munze heimgezahlt.»
        Couzens sagte heiser:»Aber die Brigg ist entkommen.»
        Des Masters hohe Gestalt erschien oben an der Querreling. Bun-ce brummte:»Los, Mr. Bolitho, an die Arbeit! Ich soll ein Schiff segeln und einen Kurs absetzen. Dafur brauche ich Segel, Brassen und Fallen, und zwar mehr, als ich hier sehe!«Seine Augen verschwanden fast unter den buschigen Brauen, als er hinzufugte:»Sie haben sich heute bewahrt, soviel ich sehen konnte. «Er nickte, als habe er schon zu viel gesagt.
        Den Rest des Tages arbeitete die Besatzung verbissen daran, die Trojan einigerma?en zu reparieren. Die Toten wurden bestattet, die Verwundeten so gut wie moglich versorgt. Samuel Pinhorn, der Segelmacher, legte sich noch einen betrachtlichen Vorrat an Segeltuch bereit, da er damit rechnete, da? noch mancher Verwundete sterben wurde, bevor die Trojan einen Hafen erreichte.
        Es war erstaunlich, da? die Leute nach alldem, was sie durchgemacht hatten, noch so wacker arbeiten konnten. Vielleicht war es gerade diese Arbeit, die sie rettete, denn kein Schiff kann ohne Segel und standige Wartung segeln.
        Ein Notmast war an Stelle der uber Bord gegangenen Bram-stenge festgelascht worden; als die Seeleute hoch oben daran arbeiteten, hing das Tauwerk zu beiden Seiten herab wie Schlingpflanzen. Hammer und Sage, Teer und Farbe, Nadeln und Garn waren jetzt das wichtigste Gerat.
        Das einzige, was die Leute in ihrer Arbeit innehalten und uber die Reling blicken lie?, war das plotzliche Auftauchen des Schoners vom Ankerplatz der Isla San Fernardo. Die Sprite war als hoffnungsloses Wrack von der Besatzung verlassen und angezundet worden, damit der Feind sie nicht wieder instandsetzen konnte.
        In einem kurzen wilden Bootsangriff hatte Cunningham den Schoner gekapert. Dies stellte den einzigen Gewinn des ganzen Unternehmens dar.
        Bolitho war sich uber eines klar: Die Prise, was sie auch an Informationen einbringen mochte, wurde nicht imstande sein, den Schmerz in Cunninghams Herz zu stillen, den er bei der Aufgabe seines eigenen Schiffes empfunden haben mu?te.
        Bei Sonnenuntergang befahl Cairns Halt. Eine doppelte Ration Rum wurde an alle ausgegeben, dann kurzten sie Segel fur die Nacht; auf der Trojan war man es zufrieden, sich in Ruhe seinen Wunden widmen zu konnen.
        Bolitho wurde in die Kajute gerufen, verspurte jedoch diesmal keine Neugier. Wie die meisten der Besatzung, so fuhlte auch er sich viel zu erschopft, um noch einer solchen Regung fahig zu sein.
        Als er den Kopf unter dem Decksbalken vor der Kajute einzog, horte er Pears Stimme deutlich durch die beiden Turen schallen:»Ich kenne Ihren Vater, sonst hatte ich Sie sofort degradiert!»
        Bolitho zogerte und fuhlte, da? der Posten ihn beobachtete.
        Es ging naturlich um Quinn, den armen, gebrochenen Quinn. Er sah ihn noch auf dem Batteriedeck vor sich, wie gelahmt zwischen Trummern, Toten und Sterbenden.
        Der Posten sah ihn an.»Sir?»
        Bolitho nickte mude, der Posten stampfte mit seinem Gewehrkolben auf und rief:»Der Zweite Offizier, Sir!»
        Die Tur offnete sich; Teakle, der Sekretar, fuhrte ihn hinein. Er hatte ein verbundenes Handgelenk und sah mitgenommen aus. Bolitho wunderte sich, weshalb ihm nie in den Sinn gekommen war, da? ein Schreiber genauso der Gefahr ausgesetzt war wie sie
        alle.
        Quinn kam, wei? wie ein Laken, aus der Kajute. Er erkannte Bo-litho und schien etwas sagen zu wollen. Dann sturzte er jedoch an ihm vorbei und verschwand in der Dammerung.
        Pears trat ihm entgegen.»Na, nicht zu sehr angeschlagen?«Er wirkte ruhelos, erregt.
        Bolitho erwiderte:»Ich hatte Gluck, Sir.»

«Das hatten Sie, in der Tat. «Pears wandte sich um, als Coutts aus dem Nebenraum trat.
        Der Admiral sagte:»Bei Tagesanbruch steige ich auf die Prise uber, Bolitho. Ich werde nach Antigua segeln und von dort mit einer Kurierbrigg oder einer der Fregatten nach New York zuruckkehren.»
        Bolitho sah ihn an und versuchte zu erraten, worauf Coutts hinauswollte. Er spurte die Spannung zwischen den beiden Mannern, sah die Bitterkeit wie physischen Schmerz in Pears Augen.
        Coutts fuhr fort:»Die Trojan folgt mir naturlich. In Antigua kann eine volle Reparatur ausgefuhrt werden, bevor sie wieder zum Geschwader sto?t. Ich werde dafur sorgen, da? man dort alles fur sie tut und da? auch Ersatz beschafft wird fur.»
        Pears unterbrach ihn barsch:»Fur all die armen Teufel, die heute ihr Leben lassen mu?ten!»
        Coutts wurde rot, wandte sich aber weiterhin nur an Bolitho.

«Ich habe Sie beobachtet, Sie sind aus dem richtigen Holz geschnitzt und besitzen die Fahigkeit, Menschen zu fuhren.»
        Bolitho sah in Pears grimmiges Gesicht und war erschuttert; es trug den Ausdruck eines Menschen, der soeben seine Verurteilung erfahren hatte.

«Danke, Sir!»

«Daher - «, das Wort hing in der feuchten Luft - ,»biete ich Ihnen ein eigenes Kommando an, sowie Sie in Antigua eintreffen. Mit mir.»
        Bolitho starrte ihn an. Ihm wurde klar, was das fur Pears bedeutete. Da Coutts in Antigua oder womoglich schon in New York eintreffen wurde, bevor die Trojan den Hafen erreichte, hatte Pears dann niemanden au?er Cairns, der fur ihn aussagen konnte. Er sollte den Prugelknaben, den Sundenbock abgeben und dafur herhalten, Coutts kostspieliges Abenteuer zu decken.
        Bolitho wunderte sich selbst, da? er ohne zu zogern antworten konnte. Das Angebot bedeutete schlie?lich die Erfullung alles dessen, was er sich immer gewunscht hatte: die Versetzung auf ein kleineres, schnelleres Schiff wie «die Vanquisher oder eine Fregatte. Mit Coutts Protektion hatte er die besten Beforderungschancen gehabt.

«Ich danke Ihnen, Sir. «Er blickte Pears an.»Aber mein Platz ist hier unter Kapitan Pears. Ich mochte, da? es so bleibt.»
        Coutts musterte ihn erstaunt.»Was fur ein seltsamer Mensch Sie doch sind, Bolitho! Ihre Sentimentalitat wird Ihnen eines Tages noch den Hals brechen. «Er nickte kurz und endgultig.»Guten Abend.»
        Benommen stieg Bolitho die Treppe hinunter und in die Messe, die erstaunlicherweise keinerlei Spuren des Kampfes aufwies.
        Cairns folgte ihm einen Augenblick spater, ergriff ihn am Arm und rief den Messesteward.

«Mackenzie, Sie alter Gauner! Den besten Brandy fur diesen Offizier hier!»
        D'Esterre erschien mit seinem Leutnant und fragte:»Was ist denn los?»
        Cairns setzte sich Bolitho gegenuber und betrachtete ihn aufmerksam.

«Was los ist, meine Herren? Ich war soeben Zeuge, wie ein schlechtberatener, aber ehrenhafter Mann sich fur das Richtige entschieden hat.»
        Bolitho wurde rot.»Ich - ich wu?te nicht…»
        Cairns nahm die Flasche, die Mackenzie ihm reichte, und lachelte traurig.

«Ich stand drau?en und lauschte wie ein Schuljunge. «Er wurde plotzlich ernst.»Das war anstandig von Ihnen. Obwohl Pears es Ihnen niemals danken wird, zumindest nicht mit vielen Worten. «Cairns hob sein Glas.»Aber ich kenne ihn besser als die meisten. Sie haben ihm etwas gegeben, was ihn ein bi?chen entschadigen wird fur das, was Coutts seinem Schiff angetan hat.»
        Bolitho dachte an den Schoner irgendwo leewarts der Trojan. Morgen fruh wurde er sie verlassen und seine Beforderungschance mit sich nehmen.
        Und er erlebte noch eine Uberraschung: Es kummerte ihn nicht mehr.



        XV Noch eine Chance

        Bolitho stand im Schatten des gewaltigen Gro?mastes und beobachtete das geschaftige Treiben rund um das Schiff. Es war jetzt Oktober, und seit zwei Monaten lag die Trojan in English Harbour, Antigua, dem Hauptquartier des Karibischen Geschwaders. Eine Menge Schiffe waren hier versammelt und warteten auf Reparaturen und Uberholung; bei den meisten sollten jedoch nur Abnutzungsschaden durch Sturm oder Alter ausgebessert werden. Die Ankunft der Trojan, deren Flagge wegen der vielen Toten auf halbmast wehte, hatte betrachtliches Aufsehen erregt. Wenn man jetzt ihre straffgespannte Takelage betrachtete, die neuen Wanten und ordentlichen Segel, die sauberlich ausgebesserten Decks, konnte man sich kaum mehr den Kampf vorstellen, der all diese Schaden angerichtet hatte.
        Er beschirmte die Augen, um zur Kuste hinuberzublicken: verstreute wei?e Gebaude, das vertraute Bild von Monk's Hill. Eine wahre Prozession von Booten, Werftprahmen und Wasserleichtern war unterwegs, dazwischen die unvermeidlichen Handlerboote, die den unerfahrenen oder torichten Seeleuten ihre zweifelhaften Waren anboten.
        An Bord hatte es eine Menge Anderungen gegeben. Neue Leute kamen von anderen Schiffen, aus England und aus den karibischen Hafen, die alle erprobt und in die Besatzung eingereiht werden sollten.
        Ein Leutnant John Pointer war eingetroffen und auf Grund seines Dienstalters als Vierter Offizier eingestuft worden, wie einstmals Bolitho. Es war ein frohlicher junger Mann mit ausgepragtem Yorkshire-Dialekt, anscheinend tuchtig und willig.
        Der junge Fahnrich Libby, dem man seinen zeitweiligen Rang wieder abgesprochen hatte, war eines schonen Morgens zum Flaggschiff gerufen worden, um sein Leutnantsexamen abzulegen. Er bestand mit Auszeichnung und war selbst der einzige, der sich uber dieses Ergebnis wunderte. Anschlie?end wurde er gleich als Leutnant auf ein anderes Linienschiff versetzt. Sein Abschied war eine traurige Angelegenheit, sowohl fur ihn wie fur die anderen Fahnriche. Zwei neue waren inzwischen aus England eingetroffen, nach Bunces Ansicht» noch schlechter als nutzlos».
        Von Coutts hatten sie nur gehort, da? er nach New York zuruckgekehrt war. Beforderungen schienen angesichts der letzten Ereignisse unwichtig.
        Auf dem Festland sollte General Burgoyne, der in den Anfangstagen der Revolution mit einigem Erfolg von Kanada aus operiert hatte, die Kontrolle uber den Hudson River sicherstellen. Mit der ihm eigenen raschen Entschlossenheit war er mit etwa siebentausend Mann in das betreffende Gebiet aufgebrochen und hatte erwartet, von der New Yorker Garnison Verstarkung zu erhalten. Nun hatte dort aber jemand entschieden, da? in New York kaum genug Soldaten zur eigenen Verteidigung bereitstunden.
        General Burgoyne hatte vergeblich gewartet und sich dann mit all seinen Truppen bei Saratoga ergeben.
        Sofort horte man auch wieder von gro?erer Aktivitat der franzosischen Kaperschiffe, welche die militarische Niederlage ermutigte.
        Die Trojan wurde bald wieder in die Kampfe eingreifen konnen, aber Bolitho sah keinerlei Chance, auch nur einen Zipfel der abgefallenen Kolonie zuruckzugewinnen, selbst wenn Britannien die See beherrschte. Und bei starkerer franzosischer Einmischung war nicht einmal das sicher.
        Bolitho ging ruhelos auf und ab und beobachtete ein weiteres Handlerboot, das gerade das glitzernde Spiegelbild der Trojan passierte. Es war hei?, aber nach den vorangegangenen Monaten und den tropischen Regengussen erschien es ihm beinahe angenehm.
        Er blickte nach achtern, wo die Flagge schlaff und reglos herabhing. In der Kajute mu?te es sogar noch hei?er sein als hier an
        Deck.
        Er versuchte, an Quinn wie an einen Fremden zu denken, den er gerade erst kennengelernt hatte. Aber in seiner Erinnerung lebte er fort als der jungste Leutnant, der neu an Bord gekommen war, achtzehn Jahre alt und direkt vom Fahnrichslogis, so wie Libby jetzt. Dann sah er ihn wieder im Todeskampf keuchen, mit der ungeheuren Sabelwunde quer uber seine Brust. Und das nach seiner ruhigen Zuversicht, seiner Entschlossenheit, gegen den Willen seines wohlhabenden Vaters Seeoffizier zu werden.
        Diese letzten Wochen mu?ten fur Quinn die Holle gewesen sein. Er war von seinen Pflichten entbunden worden, und wenn er vorlaufig auch seinen Dienstgrad behielt, so war er jetzt doch sogar dienstjunger als der neuangekommene Leutnant Pointer.
        Wegen der Aktivitat innerhalb des Geschwaders und der allgemeinen Erwartung starkeren franzosischen Engagements hatte der Fall Quinn zunachst nur eine untergeordnete Rolle gespielt.
        Jetzt, im Oktober 1777, wurde Quinn in Pears Kabine von einem Untersuchungsausschu? vernommen. Es war die letzte Stufe vor dem eigentlichen Kriegsgericht.
        Bolitho betrachtete die anderen Schiffe, die so ruhig in diesem geschutzten Hafen lagen, jedes uber seinem eigenen Spiegelbild, mit aufgespannten Sonnensegeln, die Stuckpforten weit offen, um auch den leisesten Hauch einzufangen. Sehr bald wurden diese und auch andere Schiffe das durchmachen, was die Trojan vor den Geschutzen der Argonaute durchgemacht hatte. Sie wurden dann nicht mehr gegen wackere, aber schlecht ausgebildete Rebellen kampfen, sondern gegen die Besten Frankreichs. Die Disziplin mu?te gestrafft, ein Versagen konnte nicht mehr hingenommen werden. All dies lie? Quinns Chancen schrumpfen.
        Bolitho wandte sich um, als Leutnant Arthur Frowd, der wachhabende Offizier, das Deck uberquerte und zu ihm heruberkam. Wie Libby, so hatte auch er die begehrte Beforderung erhalten und erwartete nun seine Versetzung auf ein anderes Schiff. Obwohl der dienstjungste Leutnant, war er doch der alteste an Jahren. In seiner prachtigen neuen Uniform, das Haar ordentlich im Nacken zusammengebunden, sah er so gut aus wie ein Kapitan, dachte Bolitho bewundernd.
        Frowd fragte:»Wie, nehmen Sie an, wird es ausgehen?«Er nannte Quinn nicht einmal mit Namen. Wie viele andere, furchtete er wahrscheinlich, mit Quinn in irgendeinen Zusammenhang gebracht zu werden.»Ich bin mir nicht sicher.»
        Bolitho nestelte nervos an seinem Degengriff und fragte sich, warum es so lange dauerte. Cairns war nach achtern gerufen worden, ebenso d'Esterre und Bunce. Es war eine gra?liche Sache, ahnlich wie der Anblick der Kriegsgerichtsflagge oder wie die rituelle Prozession von Booten bei einem offentlichen Auspeitschen oder beim Erhangen.
        Er sagte:»Ich hatte auch Angst, also mu? es fur ihn noch viel schlimmer gewesen sein. Aber.»
        Frowd sagte heftig: - »Aber, Sir, dieses kleine Wort macht den Unterschied. Jeder einfache Seemann wurde schon langst von der Gro?rah baumeln.»
        Bolitho sagte nichts, sondern wartete darauf, da? Frowd wegging, um mit dem Wachboot zu sprechen, das langsseits lag. Frowd verstand dies nicht. Wie sollte er auch? Es war schwer genug fur einen jungen Mann, den Rang eines Leutnants zu erwerben. Auf dem Weg uber das untere Deck war dies noch viel, viel schwerer. Frowd hatte es mit Schwei?, aber wenig Erziehung geschafft. Er mu?te Quinns Versagen eher als Verrat denn als Schwache ansehen.
        Sergeant Shears marschierte uber das Achterdeck und beruhrte gru?end seinen Hut. Bolitho sah ihn an.»Ich?»

«Ja, Sir. «Shears warf einen raschen Blick auf die Umstehenden.»Es sieht nicht gut aus, Sir. «Er senkte die Stimme zu einem Flustern.»Mein Hauptmann machte seine Aussage, und ein Ausschu?mitglied bemerkte hochnasig: „Was wei? schon ein Marineinfanterist uber Seeoffiziere!"«Wutend fugte Shears hinzu:»Ich habe noch nie solche Arroganz erlebt, Sir!»
        Bolitho ging rasch nach achtern und packte dabei seinen Degengriff mit aller Kraft, um sich innerlich vorzubereiten.
        Pears Salon war ausgeraumt worden, an Stelle der Mobel stand ein gro?er, kahler Tisch da, an dem drei Kapitane sa?en.
        Andere Offiziere sa?en ringsum an den Wanden, gro?tenteils waren sie ihm unbekannt; aber er sah auch die Zeugen: Cairns, d'Esterre und, die Hande im Scho? gefaltet, Kapitan Pears.
        Der alteste Kapitan musterte ihn kuhl.»Mr. Bolitho?»
        Bolitho klemmte den Hut unter den Arm und sagte:»Aye, Sir. Zweiter Offizier.»
        Der Kapitan zur Rechten, ein scharfgesichtiger, schmallippiger Mann, fragte:»Waren Sie an Deck, als sich der Vorfall, der zu diesem Verfahren fuhrte, ereignet hat?»
        Bolitho sah des Schreibers Feder uber dem Papier warten. Dann blickte er sich das erste Mal nach Quinn um.
        Der stand steif an der Tur zum Speiseraum und schien nur mit Muhe Luft zu bekommen.

«Das war ich, Sir. «Wie absurd, dachte er. Sie wu?ten alle genau, wo sich jeder einzelne bis hinunter zum Schiffskoch aufgehalten hatte.»Ich fuhrte das Kommando auf dem oberen Batteriedeck, wir schossen nach Steuerbord.»
        Der Vorsitzende des Ausschusses, ein Kapitan, den Bolitho schon in New York gesehen hatte, sagte trocken:»Vergessen Sie die Formalitaten. Sie stehen hier nicht unter Anklage. «Dann, mit einem Seitenblick auf den schmallippigen Kapitan: Es ware gut, wenn alle daran dachten. «Sein ruhiger, ausgeglichener Blick wandte sich wieder Bolitho zu.»Was haben Sie gesehen?»
        Bolitho fuhlte, wie die hinter ihm Sitzenden ihn beobachteten, auf seine Aussage warteten. Wenn er nur gewu?t hatte, was bisher ausgesagt worden war, besonders von Pears.
        Er rausperte sich.»Wir hatten nicht erwartet, da? es zum Kampf kommen wurde. Aber die Argonaute hatte die Spite ohne jede Herausforderung von deren Seite und ohne Warnung entmastet. Uns blieb keine andere Wahl.»

«Uns?«Die Frage klang milde.
        Bolitho wurde rot und fuhlte sich unter den Blicken der drei Augenpaare unbehaglich.»Ich horte den Admiral die Ansicht au?ern, da? wir, wenn notig, kampfen wurden, Sir.»

«Aha. «Ein winziges Lacheln.»Fahren Sie fort.»

«Es war ein blutiger Kampf, Sir, und wir waren schon vor dem Gefecht au?erst knapp an Leuten. «Er sah die Verachtung im Blick des schmallippigen Kapitans und fugte ruhig hinzu:»Das soll nicht als Entschuldigung gelten, Sir. Hatten Sie gesehen, wie unsere Leute an diesem Tage kampften und starben, dann wu?ten Sie, was ich mit meinen Worten gemeint habe.»
        Er spurte ihr Schweigen, es war unheimlich wie die Ruhe vor dem Sturm. Aber er konnte jetzt nicht mehr aufhoren. Was wu?ten sie schon von alledem? Sie hatten vielleicht noch nie mit so unerfahrenen Offizieren und so schlecht ausgebildeten Leuten kampfen mussen. Bolitho dachte an den Mann auf dem Operationstisch, der um sein Bein flehte, an den Marineinfanteristen, der als erster aus dem Mast gesturzt und in der See davongetrieben war. So viele waren es. Zu viele.
        Er fuhr fort:»Der Franzose kam langsseits. Sie enterten uns oder versuchten es wenigstens. «Er stockte, sah wieder den franzosischen Leutnant zwischen die Schiffsrumpfe fallen.»Denn wir schlugen sie zuruck. «Er wandte sich ab und blickte direkt in Quinns verzweifeltes Gesicht.»Mr. Quinn half mir bis zu diesem Augenblick und stand im feindlichen Feuer, bis der Kampf abgebrochen wurde.»
        Der Vorsitzende erganzte:»Dann wurden Sie nach unten geschafft. Wie alt sind Sie eigentlich?»

«Diesen Monat werde ich einundzwanzig, Sir. «Er glaubte, jemanden hinter sich kichern zu horen.

«Und Sie traten mit zwolf Jahren in die Marine ein, wie die me i-sten von uns, wenn ich recht unterrichtet bin. Au?erdem kommen
        Sie aus einer alten Seefahrerfamilie. «Seine Stimme wurde plotzlich hart.»Nach Ihrer Erfahrung als Offizier des Konigs, Mr. Bo-litho - hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt wahrend dieser ungluckseligen Ereignisse den Eindruck, da? Mr. Quinns Verhalten Mangel an Konnen oder Mut aufwies?»
        Bolitho erwiderte:»Nach meiner Meinung, Sir…«Er kam nicht weiter.
        Der Vorsitzende beharrte:»Nach Ihrer Erfahrung!»
        Bolitho fuhlte sich verzweifelt, wie in einer Falle.»Ich wei? nicht, wie ich antworten soll, Sir.»
        Er erwartete, zurechtgewiesen oder von der Verhandlung ausgeschlossen zu werden, aber der Vorsitzende fragte lediglich:»Er war Ihr Freund, stimmt's?»
        Bolitho blickte zu Quinn hinuber, ha?te plotzlich die drei Kapitane, die atemlosen Zuschauer, alles hier, und sagte mit fester Stimme:»Er ist mein Freund, Sir. «Er horte das uberraschte Gemurmel und fugte hinzu:»Vielleicht hatte er Angst, aber die hatten wir alle. Dies zu leugnen, ware toricht.»
        Bevor er sich wieder dem Tisch zuwandte, sah er, da? Quinn in einer ruhrenden Anwandlung von Trotz das Kinn hob.
        Bolitho fuhr fort:»Sein Ruf war gut, er begleitete mich auf mehreren schwierigen und gefahrlichen Unternehmen. Er wurde schwer verwundet und.»
        Der schmallippige Kapitan lehnte sich vor und blickte seine beiden Kameraden an. Ich glaube, wir haben genug gehort. Der Zeuge hat dem wenig hinzuzufugen. «Dann sah er Bolitho an.»Ich wei?, da? Sie ein eigenes Kommando abgelehnt haben, das Konteradmiral Coutts Ihnen anbot. Sagen Sie mir doch, geschah das aus Mangel an Ehrgeiz?»
        Der Vorsitzende runzelte die Stirn und wandte sich dann um, als er das Scharren von Fu?en horte.
        Ohne hinzublicken, wu?te Bolitho, da? Pears aufgestanden war.
        Der Vorsitzende fragte:»Sie wollen etwas sagen, Kapitan Pears?»
        Die wohlbekannte, heisere Stimme war bemerkenswert ruhig.»Diese letzte Frage - ich mochte darauf antworten. Es war nicht Mangel an Ehrgeiz, Sir. In meiner Familie nennen wir es Treue, verdammt noch mal!»
        Der Vorsitzende hob die Hand, um die plotzliche Erregung zu dampfen.»Genauso ist es. «Bedauernd sah er Bolitho an.»Ich furchte jedoch, da? Treue im Fall des Leutnant Quinn nicht genugt. «Damit stand er auf, und alle in der Kajute erhoben sich ebenfalls, Zeugen wie Zuschauer.»Die Verhandlung wird vertagt.»
        Drau?en auf dem sonnenuberfluteten Achterdeck wartete Bolitho auf das Abrucken der Zuschauer.
        Dalyell und der neue Leutnant Pointer standen bei ihm, als Quinn an Deck erschien. Er ging hinuber zu Bolitho und murmelte:»Ich danke dir fur deine Worte, Dick.»
        Der zuckte mit den Schultern.»Es scheint leider nicht viel genutzt zu haben.»
        Dalyell sagte:»Du hast mehr Mut als ich, Dick. Dieser fischau-gige Kapitan hat mich vollig unsicher gemacht. Ich hatte schon Angst, wenn er mich nur ansah!»
        Quinn sagte:»Trotzdem, der Vorsitzende hat recht. Ich konnte mich uberhaupt nicht mehr bewegen, ich war wie tot, konnte ke i-nem mehr helfen. «Er sah Cairns herankommen und fugte rasch hinzu:»Ich bin in meiner Kammer.»
        Der Erste Offizier beugte sich uber die Reling und warf einen Blick auf die langsseits liegenden Boote.»Hoffentlich sind wir bald wieder auf See.»
        Die anderen entfernten sich, und Bolitho fragte:»Hat der Kommandant Quinns Chancen zunichte gemacht, Neu?»
        Cairns betrachtete ihn nachdenklich.»Nein, ich tat es. Ich wurde Zeuge seines Versagens, war aber nicht so beteiligt wie du. Stell dir vor, du warst von einem franzosischen Scharfschutzen oder von einer Kettenkugel getroffen worden - meinst du, Quinn hatte das Vorschiff halten und die Enterer zuruckschlagen konnen?«Er lachelte traurig und ergriff Bolithos Arm.»Ich verlange nicht von dir, da? du einen Freund verratst, aber du wei?t so gut wie ich, da? wir vor der Argonaute hatten die Flagge streichen mussen, wenn Quinn vorn das Kommando gehabt hatte. «Er blickte zur Back, wahrscheinlich sah er die Szene noch einmal vor sich, wie auch Bolitho sie wieder durchlebte. Er fugte hinzu:»Diese Menschenleben zahlen mehr als die Ehre eines jungen Mannes.»
        Bolitho fuhlte sich elend. Er wu?te, da? Cairns recht hatte, empfand aber nur Mitleid fur Quinn.»Wie werden sie entscheiden?»
        Cairns erwiderte:»Der kommandierende Admiral wird die Umstande in Betracht ziehen. Es hat lange genug gedauert, bis alles ans Licht gekommen ist. Er wird auch Quinns Vater kennen, dessen Macht in London. «Bolitho horte Bitterkeit heraus, als Cairns hinzufugte:»Aufhangen wird man ihn nicht.»
        Nach dem Lunch trat der Ausschu? wieder zusammen, und es erwies sich, da? Cairns recht gehabt hatte.
        Der Untersuchungsausschu? hatte entschieden, da? Leutnant James Quinn wegen seiner im Kampf erhaltenen Verwundung nicht mehr in der Lage war, aktiven Dienst zu leisten. Nach Bestatigung des Urteils durch den Oberbefehlshaber sollte er ausgeschifft werden, um auf dem Festland eine Gelegenheit zur Ruckkehr nach England abzuwarten. Dort wurde man ihn dann entlassen.
        Niemand au?erhalb der Marine brauchte von dieser Schande zu erfahren - au?er dem einen, den es wirklich anging. Bolitho bezweifelte, da? Quinn diese Burde lange mit sich herumtragen konnte.
        Zwei Tage spater, als Quinns Schicksal noch unbestatigt war, lichtete die Trojan Anker und lief aus.
        Er sollte offenbar doch noch eine Gnadenfrist bekommen.
        Zweieinhalb Tage nach dem Auslaufen aus English Port steuerte die Trojan bei steifem, achterlichem Wind rechtweisend West unter Fock und gerefften Marssegeln. Es war eine gute Gelegenheit, die neuen Leute bei den verschiedensten Segelmanovern einzuexerzieren, zumal bei dem groben Seegang, der Spritzwasser uber das Achterdeck schickte, wahrend der Kluverbaum zum dunstigen Horizont wies.
        Bis auf ein paar kleine Inseln weit an Steuerbord war die See leer, eine endlose, blaue Wuste mit langer, schaumgekronter Dunung, welche fur die Starke des Windes zeugte.
        Bolitho wartete am Backbord-Laufsteg; der Duft starken Kaffees warmte ihm den Magen, wahrend er sich auf die Ubernahme der Nachmittagswache vorbereitete. Bei so vielen neuen Gesichtern und Namen, der standigen Muhe, die guten Seeleute zu entdecken und auch die ungeschickten, die an jeder Hand funf Daumen zu haben schienen, war er standig hart eingespannt. Aber er spurte trotzdem die gespannte Atmosphare an Bord: verwirrte Resignation in den unteren Decks, Verbitterung bei den Offizieren.
        Die Trojan war nach Jamaika beordert worden, bis zum Deck vollgepackt mit Marineinfanteristen, die der Admiral schickte, um dort Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten, und zwar auf des Gouverneurs dringende Bitten hin. Schwere See hatte viele von Jamaikas ortlichen Handelsschiffen zu Wracks geschlagen, und um das Ma? voll zu machen, gab es Nachrichten von einem neuen Sklavenaufstand auf zwei gro?eren Plantagen. Rebellion schien uberall in der Luft zu liegen. Wenn Britannien seine karibischen Besitzungen halten wollte, dann mu?te es jetzt handeln und durfte nicht warten, bis Frankreich und moglicherweise auch Spanien einige der zahlreichen Inseln besetzte.
        Bolitho vermutete, da? Pears diese Rolle mit anderen Augen sah. Wahrend sich die Flotte auf die unvermeidliche Ausweitung des Krieges vorbereitete, wahrend jedes Linienschiff dringend gebraucht wurde, schickte man ihn nach Jamaika. Seine Trojan hatte die Aufgabe eines Truppentransporters ubernommen, mehr nicht.
        Selbst des Admirals Erklarung, da? die Trojan keinen Geleitschutz brauche und daher andere Schiffe fur weitere Einsatze freimache, hatte keine Wirkung. Jeden Tag ging Pears auf seinem Achterdeck auf und ab, zwar noch wachsam alles uberblickend, was sein Schiff und dessen Routine betraf, aber im Innersten allein und distanziert von allem.
        Es half ihm nicht gerade, dachte Bolitho, da? dicht unter dem Horizont die Sudostkuste von Puerto Rico lag, so nah der Stelle, wo Coutts sie alle in eine aussichtslose Schlacht verwickelt hatte. In mancher Beziehung ware es besser gewesen, wenn die Argonaute den Kampf nicht abgebrochen hatte. Wenigstens ware dann eine klare Entscheidung gefallen. Vielleicht machten auch die Franzosen jetzt ihren Kommandanten zum Sundenbock?
        Aber, so hatte Cairns gesagt, es war besser, auf See zu sein und voll ausgelastet, als vor Anker zu liegen und daruber nachzudenken, was hatte sein konnen.
        Bolitho blickte hinunter zum Batteriedeck, auf das Gewimmel von roten Uniformen und Waffen, als d'Esterre und der Hauptmann, der das Kontingent befehligte, alles zum hundertsten Male inspizierten.

«An Deck!»
        Bolitho blickte auf, die Sonne brannte auf seinem Gesicht wie hei?er Sand.»Segel Steuerbord voraus!»
        Dalyell hatte Wache, und in Augenblicken wie diesem kam seine Unerfahrenheit zum Vorschein»

«Was, wo?«Er schnappte sich ein Teleskop von Fahnrich Pullen und lief zu den Steuerbordwanten.
        Die Stimme des Ausgucks. verwehte mit dem Wind.»Kleines Segel, Sir! Anscheinend Fischer!»
        Sambell, Steuermannsmaat der Wache, bemerkte sauerlich:»Gut, da? Admiral Coutts nicht hier ist, sonst mu?ten wir jetzt den bloden Fischer jagen!»
        Dalyell blickte ihn an.»Entern Sie auf, Mr. Sambell. Melden Sie mir, was Sie sehen. «Er sah Bolitho an und lachelte verlegen.

«So lange ohne jeden Kontakt, ich war nicht darauf gefa?t.»

«So schien es, Sir. «Pears schritt uber das Achterdeck, seine Schuhe quietschten auf dem Teer der Decksnahte. Er musterte die Stellung der Segel und trat dann zum Kompa?.»Hm.»
        Dalyell blickte zu Sambell hinauf, der eine Ewigkeit brauchte, um den Aufstieg zu schaffen.
        Pears ging zur Reling und musterte die Marineinfanteristen.»Ein Fischer? Mag sein. Aber diese kleinen Inseln bieten gute Versorgungschancen an Wasser und Feuerholz, es ist nicht zu gefahrlich, wenn man die Augen offenhalt.»
        Er runzelte die Stirn, als Sambell schrie:»Er fallt ab, steuert eine der Inseln an, Sir.»
        Dalyell leckte sich die trockenen Lippen und beobachtete den Kommandanten.»Hat uns gesichtet, glauben Sie nicht, Sir?»
        Pears hob die Schultern.»Unwahrscheinlich. Unsere Mastspitze bietet einen viel besseren Uberblick als ein tiefliegender Schiffsrumpf.»
        Er rieb sich das Kinn, und Bolitho meinte, einen seltsamen Schimmer in Pears Augen zu sehen. Plotzlich sagte er heiser:»An die Brassen! Mr. Dalyell, wir andern den Kurs um drei Strich. Steuern Sie Nordwest zu West. «Er schlug die riesigen Hande zusammen.»Los, beeilen Sie sich, Sir! Das mu? aber noch schneller werden!»
        Die Kommandos und das Getrampel brachten Cairns an Deck, der seine Augen bald uberall hatte, wahrend er zugleich nach einem Schiff Ausschau hielt.
        Pears sagte:»Segel Steuerbord voraus, Mr. Cairns. Konnte ein Fischerboot sein, ist aber wenig wahrscheinlich. Sie fahren in diesen unsicheren Zeiten meist zu mehreren.»

«Ein Kaperschiff, Sir?»
        Cairns sprach sehr vorsichtig. Bolitho vermutete, da? er wahrend der vergangenen Wochen allerhand von Pears zu horen bekommen
        hatte.

«Moglich.»
        Pears rief nach d'Esterre, der von den eingeschifften Marineinfanteristen gesto?en und angerempelt wurde, als diese den Seeleuten an den Brassen auszuweichen versuchten.

«Hauptmann d'Esterre!«Pears blickte nach oben, als die Rahen herumflogen und das Schiff sich auf dem neuen Kurs uberlegte.»Wie beabsichtigen Sie, Ihre Leute auf Jamaika zu landen, wenn dort Rebellion herrscht?»
        D'Esterre erwiderte:»In Booten, Sir. Wir landen gruppenweise au?erhalb des Hafens und besetzen sofort die Hohen, bevor wir Kontakt mit dem ortlichen Kommandeur aufnehmen.»
        Pears lachelte beinahe.»Einverstanden!«Er zeigte hinuber zum Bootsdeck.»Wir werden spater das Ausschiffen bei Dammerung uben. «Er ignorierte d'Esterres erstaunten Blick.»Auf einer dieser Inseln dort druben.»
        Bolitho horte ihn zu Cairns sagen:»Wenn dort ein verdammtes Piratennest ist, konnen wir es dabei mit Marineinfanteristen ube r-schwemmen. Noch dazu wird es eine gute Ubung fur die Leute sein. Wenn die Trojan schon als Truppentransporter eingesetzt wird, dann soll sie das auch gut machen. Nein, besser als gut.»
        Cairns lachelte, froh uber Pears alten Enthusiasmus.»Ave, Sir.»
        Der Ruderganger rief:»Nordwest zu West liegt an, Sir!»

«Recht so, Mann. «Cairns wartete ungeduldig darauf, da? Bo-lithos Wache Dalyell abloste, und sagte dann:»Ich wunschte bei Gott, wir konnten wieder einmal ein Schiff kapern. Schon um dem Herrn Konteradmiral Coutts etwas vorzeigen zu konnen!»
        Pears horte ihn und murmelte:»Kommen Sie, Mr. Cairns, nun ist es aber genug!«Das war auch alles, was er sagte.
        Bolitho uberwachte die Ablosung, lie? einen Teil seiner Leute auf ihre verschiedenen Posten gehen, den Rest hinunter zum Essen. Er war noch immer der Meinung, da? Coutts Versuch richtig gewesen war. Aber seiner Grunde dafur war er sich nicht mehr ganz so sicher.
        Warum machte Pears sich die Muhe, die Marineinfanteristen wegen solch einer Nebensache zu landen? Aus verletztem Stolz? Oder erwartete er, sich auf Coutts Betreiben vor einem Kriegsgericht wegen des Gefechtes mit der Argonaute verantworten zu mussen?
        Er horte Pears zu Bunce sagen:»Wir legen sofort wieder ab, sobald die Truppen gelandet sind. Ich kenne diese Gewasser und habe eine Idee - oder sogar zwei.»
        Bunce lie? ein glucksendes Lachen horen.»Und ob Sie diese Gewasser hier kennen, Kapt'n! Ich denke, es ist Gottes Wille, da? wir heute hier sind.»
        Pears zog eine Grimasse.»Hochstwahrscheinlich, Mr. Bunce. Wir mussen abwarten - «, er wandte sich ab,»- und beten.»
        Bolitho blickte Cairns fragend an.»Was meint er?»
        Cairns hob die Schultern.»Er kennt diesen Teil der Welt wirklich, genau wie der Weise. Ich habe die Karte studiert, aber au?er einigen Riffen und Stromungen fand ich keinerlei Grund zur Aufregung.»
        Pears kam uber das Achterdeck auf sie zu.»Ich gehe jetzt essen. Am Nachmittag werden wir die gesamte Besatzung mustern und die Boote ausrusten. Schwenkgeschutze kommen in die Kutter und in die Prahme. Nur ausgesuchte Leute gehen mit. «Er blickte Bo-litho an.»Sie uberwachen die Landevorbereitungen, Mr. Frowd wird Sie dabei unterstutzen. Hauptmann d'Esterre ubernimmt das Kommando uber den Landungstrupp. «Er nickte kurz und schritt nach achtern, die Hande auf dem Rucken.
        Cairns sagte leise:»Es freut mich fur ihn, aber ich wei? nicht, ob sein Plan sehr klug ist.»
        Brunce murmelte:»Meine Mutter hatte ein Sprichwort, Sir, uber zu kluge Kopfe auf zu jungen Schultern. Das tut nicht gut, sagte sie. «Er kicherte in sich hinein und verschwand im Kartenraum.
        Cairns schuttelte den Kopf.»Ich wu?te gar nicht, da? der alte Kerl uberhaupt je eine Mutter hatte!»
        Die Trojan segelte bis auf etwa eine Meile an die nachste Insel heran und lag dann beigedreht, wahrend die Boote zu Wasser gelassen und mit Marineinfanteristen besetzt wurden.
        Die meisten Soldaten waren seit langem in Antigua gewesen und hatten nur durch einlaufende Schiffe von dem Krieg in Amerika gehort. Obgleich nur wenige von ihnen wu?ten, warum sie zu der Insel geschafft wurden, und diese wenigen es als eine Art Spa? auffa?ten, waren sie doch alle willig und guter Stimmung.
        Die aufgelockerte Atmosphare veranla?te Sergeant Shears zu dem argerlichen Ausruf: Mein Gott, Sir, sie scheinen das fur einen lacherlichen Sonntagsausflug zu halten!

        Die See war noch immer kabbelig, deshalb dauerte das Einschiffen und Ablegen langer als vorgesehen. Es wurde bereits dunkel, und der Sonnenuntergang vergoldete die Wellenkamme.
        Bolitho stand im Heck des fuhrenden Kutters, eine Hand auf Stockdales Schulter, der die Ruderpinne hielt und das Boot nach Bolithos Anweisungen steuerte. Es war schwierig, die Bucht zu finden, in der sie landen sollten, obgleich auf der Karte alles so klar und einfach ausgesehen hatte. Die grimmige Wahrheit war, da? niemand die genaue Position der Riffe und Sandbanke wu?te. Sie hatten schon verschiedene schroffe Felszacken gesehen, die in der diffusen Beleuchtung seltsam glanzten und die jetzt schweigsamen Soldaten zu einigen angstlichen Bemerkungen veranla?ten. In ihren schweren Stiefeln, uber und uber mit Waffen und Gepack behangen, mu?ten sie wie Steine untergehen, wenn eins der Boote kentern sollte.
        D'Esterre sagte:»Es steht fest, Dick, da? sie uns schon gesichtet haben. Sie werden sich nicht dem Kampf mit den vielen Soldaten stellen, aber wir werden sie auch nicht mehr vorfinden.»
        Wieder zog ein Felsen in der kochenden Brandung dicht an ihren Steuerbord-Riemen vorbei, und Bolitho signalisierte mit einer wei?en Flagge den Booten hinter ihnen: Kurs genau halten. «Die Trojan war nur noch ein verschwommener Schatten und wollte offenbar den gunstigen Wind nutzen, um in Lee der Insel zu warten.

«Land voraus, Sir!»
        Das war Buller vorn im Bug. Ein guter Mann, wie sich verschiedentlich gezeigt hatte. Seine Verwundung hatte er anscheinend vergessen. Er war glucklich dran, es so leicht verwinden zu konnen, dachte Bolitho.
        Wie Monche in dunklen Kutten, so ragten einige schroffe Felsen auf beiden Seiten des Bootes auf, wahrend genau vor dem Schwenkgeschutz im Bug ein Streifen leuchtenden Sandes sichtbar wurde.

«Auf Riemen! Riemen ein!»
        Seeleute sprangen bereits uber Bord und in die schaumende Brandung, um das Boot an Land zu schieben.
        D'Esterre stand im hufttiefen Wasser und rief seinem Sergeanten zu, als erstes die hoher gelegenen Stellen besetzen zu lassen.
        Es war eine kleine Insel, nicht mehr als eine Meile lang, ihre Nachbarn waren sogar noch kleiner. Aber es gab hier Gesteinsmulden, in denen sich Su?wasser sammelte, und auch genugend Brennstoff fur kleine, genugsame Fahrzeuge.
        Bolitho watete an Land und mu?te plotzlich an Quinn denken. Er hatte gehort, wie dieser Cairns bat, an dem Landungsunternehmen teilnehmen zu durfen.
        Cairns war aber kalt und formlich, beinahe grob gewesen.»Wir brauchen erfahrene, ausgesuchte Leute, Mr. Quinn. «Das letzte war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen: Und zuverlassige.»
        Fahnrich Couzens kam mit dem nachsten Kutter, und diesem folgte die rotgestrichene Barkasse der Trojan. Bolitho lachelte ein wenig. Frowd und der andere Hauptmann waren darin. Sie sollten etwas zuruckbleiben fur den Fall, da? die ersten Boote uberraschend Abwehrfeuer ausgesetzt wurden.

«Stellungen wie befohlen besetzt!»
        Stockdale schritt aus der Brandung, sein gro?es Entermesser wie ein Schwert uber der Schulter tragend.
        Unter geflusterten Befehlen und Drohungen ihrer Unteroffiziere formierten sich die Marineinfanteristen zu ordentlichen Zugen, und auf ein weiteres Kommando hin marschierten sie den Hang hinauf, mit zunachst auf dem Sand knirschenden Stiefeln, dann drohnend auf sonnengeharteter Erde.
        Eine Stunde spater war es dunkel, die Luft feucht und schwer von den Geruchen verrotteter Vegetation und dem Kot der Seevogel.
        Wahrend Spaher auf beiden Seiten vorauseilten, standen Bolitho und d'Esterre auf einem schmalen Hugelrucken, vor und hinter sich die jetzt dunkle See, kenntlich nur an dem gelegentlichen Aufleuchten eines Wellenkamms.
        Alles schien verlassen und tot. Das unbekannte Fahrzeug war wohl zu einer anderen Insel oder in nordwestlicher Richtung zu den Bahamas gesegelt. Wenn Sambell das Schiff nicht selbst gesehen hatte, ware dem Ausguck ein Irrtum zuzutrauen gewesen, vielleicht hatte er eine Lichtspiegelung, ein Dunstgebilde fur ein Segel halten konnen.»

«Die ist nicht Fort Exeter, Dick. «D'Esterre stutzte sich auf seinen Degen, die Ohren gespitzt, und lauschte auf das Rauschen des Windes in den Buschen.

«Ich wunschte, wir hatten die Kanadier bei uns. «Bolitho sah ein paar Seeleute auf dem Rucken liegen und in den Himmel starren. Sie konnten alles den anderen uberlassen, hatten nur zu gehorchen, notfalls auch zu sterben.
        Da horten sie den nervosen Anruf eines Postens, und dann kam Shears den Hugel herauf. Er trug ein Gewirr von Schlingpflanzen uber seiner Uniform, weshalb der Posten so uberrascht gewesen war. Es erinnerte Bolitho an Major Pagets kleines grunes Cape.

«Ja?«D'Esterre beugte sich vor.
        Shears rang nach Luft.»Es liegt dort, Sir! Dicht unter Land geankert. Kleines Fahrzeug, dem Aussehen nach eine Yawl.»
        D'Esterre fragte:»Irgendwelche Lebenszeichen?»

«Es ist eine Wache an Deck, aber kein Licht, Sir. Die haben nichts Gutes im Sinn, wenn Sie mich fragen. «Er sah d'Esterres Lacheln und fugte mit fester Stimme hinzu:»Ein Fischer aus Antigua meint, sie mu?ten jetzt eigentlich Lichter an Deck und Fangnetze au?enbords haben, Sir. Es ist eine bestimmte Fischart, die sie hier auf diese Weise fangen. Kein echter Fischer wurde jetzt daliegen und schlafen!»
        D'Esterre nickte.»Das hat Hand und Fu?, Sergeant Shears. Ich werde sehen, da? der Mann eine Guinea bekommt, wenn wir wieder an Bord sind, und Sie auch. «Er wurde wieder dienstlich und knapp.»Holen Sie Mr. Frowd, wir werden dann entscheiden, was zu tun ist. Lassen Sie die Yawl beobachten, und melden Sie es sofort, wenn jemand dort an Land geht.»
        Als der Sergeant davoneilte, sagte d'Esterre:»Na, Dick, denkst du dasselbe wie ich? Ein Uberraschungsangriff auf die Yawl?»

«Aye. «Er versuchte, sich das vor Anker liegende Schiff vorzustellen.»Der Anblick all deiner Marineinfanteristen sollte genugen, aber zwei bewaffnete Kutter waren sicherer, falls sie von deiner kleinen Armee nicht sonderlich beeindruckt sein sollten.»

«Einverstanden. Du und Mr. Frowd, ihr nehmt die Kutter, ich behalte den Fahnrich hier und schicke ihn zu euch, wenn etwas schiefgehen sollte. Also macht euch auf den Weg um den Felsen herum, aber geht kein Risiko ein. Nicht fur eine verdammte Yawl!»
        Bolitho wartete auf Frowd und dachte dabei an Pears beilaufige Erwahnung dieser kleinen Inseln. Fur ihn war alles klar gewesen. Wenn das Schiff nichts Gutes im Schilde fuhrte, mu?te es beim ersten Warnzeichen sofort fluchten, wahrscheinlich unter Ausnutzung des gunstigen Windes auf die offene See oder in ein anderes Versteck zwischen den Inseln. Sollte die Besatzung jedoch die Yawl verlassen und an Land fliehen, so liefen sie den Marineinfanteristen genau in die Arme. Auf alle Falle wurde die Trojan auf Lauer liegen wie ein Raubtier, wurde den gunstigen Strom und den ablandigen Wind geschickt ausnutzen und das kleine Fahrzeug in Blitzesschnelle uberwaltigen.
        Auf offener See gab es kaum ein Schiff, das die langsame und schwerfallige Trojan nicht aussegeln konnte, aber in engen Gewassern, wo ein einziges falsches Ruderlegen Grundberuhrung oder Schlimmeres bedeuten konnte, mu?te die schwere Artillerie der Trojan jeden Fluchtversuch vereiteln.
        Frowd erschien und bemerkte gramlich:»Also ein Bootsangriff!»
        Bolitho betrachtete ihn neugierig. Frowd konnte wahrscheinlich an nichts anderes denken als an sein nachstes Kommando, konnte nicht schnell genug von dem Schiff wegkommen, wo so viele seinesgleichen dienten, deren Vorgesetzter er jetzt sein sollte.

«Ja. Suchen Sie Ihre Leute aus, und dann ab in die Boote!»
        Er bemerkte selbst die Scharfe in seiner Stimme. Warum reagierte er so? Sah er Frowds Einstellung als eine Herausforderung, wie Quinn einst Rowhurst gesehen hatte?
        Mit umwickelten Riemen pullten die beiden Kutter leise in die Dunkelheit hinaus, weg von den anderen Booten, nach Osten zum entfernteren Ende der Insel. Der widrige Wind und die kurze steile See machten jeden Schlag schwierig und anstrengend.
        Aber Bolitho kannte seine Leute allmahlich. Sie waren bestimmt wieder frisch, wenn es nachher erforderlich wurde. Das hatte sich schon bei fruheren Gelegenheiten erwiesen. Er kampfte sich durch die kabbelige See ohne den geringsten Zweifel an diesen schweigsamen, hart arbeitenden Mannern und hoffte nur, da? sie ihm das gleiche Vertrauen entgegenbrachten.
        Es ware ein Witz, wenn sie nach dieser Schleichfahrt lediglich verangstigte Handler oder Fischer antrafen, die bei den ruden Weckrufen der Marineleute erschreckt auffuhren. Nicht so witzig ware es allerdings, nachher dem Kommandanten davon Bericht zu erstatten.

«Da scheint jemand zu kommen, Sir!»
        Bolitho kletterte nach vorn zum Ausgucksmann. Er sah die beiden Seeleute, die er an Land geschickt hatte, sich klar gegen den helleren Himmel abzeichnen. Einer von ihnen hob ganz langsam den Arm uber den Kopf.
        Wie laut alles schien - das um die verankerten Boote glucksende Wasser, das ferne Donnern der Brandung und das Zischen, mit dem sie aus einer verborgenen Hohle wieder ausstromte.
        Sie hatten diesen winzigen Einschnitt vor ein paar Stunden erreicht und sich hier erst einmal vor Anker gelegt, um noch so viel Schlaf wie moglich nachzuholen. Die meisten Seeleute schienen sich keinerlei Sorgen zu machen. Sie konnten uberall schlafen, unbeeindruckt vom Dumpeln der Boote oder dem Gischt, der gelegentlich uber ihre ohnehin feuchte Kleidung spruhte.
        Frowd im anderen Boot meinte:»Es ist anscheinend schiefgegangen.»
        Bolitho wartete noch ab und stellte dabei fest, da? die Leute an Land jetzt besser zu sehen waren. Der Morgen wurde bald anbrechen.
        Stockdale bemerkte trocken:»Das ist Mr. Couzens, nicht der Feind!»
        Couzens rutschte den sandigen Hang herunter, watete und schwamm dann zu den Kuttern.
        Als er Bolitho sah, keuchte er:»Hauptmann d'Esterre la?t sagen, da? Sie in einer halben Stunde mit dem Angriff beginnen sollen.»
        Es klang so erleichtert, da? Bolitho vermutete, Couzens habe sich auf dem Weg hierher verirrt.

«Gut. «Angriff, das klang endgultig.»Welches Signal?»
        Stockdale hob den Fahnrich wie ein Kind vollig unzeremoniell uber das Dollbord.

«Ein Pistolenschu?, Sir. «Couzens sank erschopft auf eine Ducht, aus seinen Kleidern rieselte das Wasser auf die Bodenbretter.

«Gut. Ruf die beiden Leute zuruck. «Bolitho stieg nach achtern und hielt seine Uhr an die abgeschirmte Lampe. Es blieb nicht mehr viel Zeit.»Weckt die Leute, klarmachen zum Ablegen.»
        Die Manner ruhrten sich, husteten und blickten sich um, um sich zu orientieren.
        Aus der Richtung des Stromes konnte Bolitho erraten, wie die Yawl verankert war. Ihm fiel plotzlich Sparke ein, wie er den Angriff geplant und Gefuhle beiseite geschoben hatte, nachdem der blutige Kampf voruber war.

«Ladet eure Pistolen, aber la?t euch Zeit dabei.»
        Wenn er sie antrieb oder sie seine Besorgnis uber den rasch heller werdenden Himmel spurten, konnte wohl einer durchdrehen und vorzeitig abdrucken. Ein einziger Schu? hatte genugt.
        Stockdale schwankte einmal uber das Boot und kehrte dann nach achtern zuruck. Alles bereit, Sir!»

«Mr. Frowd?»
        Der Leutnant bestatigte:»Fertig, Sir!«Trotz seiner angespannten Nerven mu?te Bolitho fast lacheln. Sir. Frowd wurde ihn nie beim Vornamen nennen, nicht in hundert Jahren.

«Klar bei Riemen!«Er hob den Arm.»Leise, Manner, wie die Feldmause. Riemen bei!»
        Stockdales Stimme klang beruhigend.»Absetzen vorn!«La? laufen an Backbord, Steuerbordseite, Ruder an!»
        Ganz langsam, nur auf einer Seite pullend, drehten sie das Boot wie eine Krabbe und entfernten sich dann von ihrem kleinen Hafen.
        Frowd folgte ihnen, und Bolitho sah den Bugmann das Schwenkgeschutz von einer Seite zur anderen drehen, als sollte es den Feind wittern.
        Couzens flusterte:»Da ist die Ecke, Sir!»
        Bolitho studierte den Felsvorsprung, Couzens» Ecke«. Einmal um diese herum, waren sie in offenem Wasser und fur jeden aufmerksamen Wachtposten sichtbar.
        Es wurde so rasch hell, da? er das Grun an Land erkennen konnte, den aufsteigenden Gischt an einem Felsen am Strand, die Waffen im Bug, den Toppsgast Buller. Donnerwetter, da ist sie, Sir!»
        Bolitho sah den schwankenden Gro?mast und den kleineren Be-sanmast der vor Anker liegenden Yawl klar gegen den Himmel, obwohl der Rumpf noch im Schatten lag.
        Eine Yawl war genau das richtige Fahrzeug fur diese Gewasser zwischen den Inseln.
        Er horte das Gurgeln des Wassers am Bug und von achtern das gleichma?ige, gedampfte Gerausch der umwickelten Riemen von Frowds Boot.
        Stockdale legte die Pinne hart uber und drehte den Bug des Kutters seewarts, so da? die Yawl jetzt zwischen ihnen und d'Esterres Marineinfanteristen lag.
        Gleich war es soweit, gleich wurde es losgehen. Bolitho hielt den Atem an und zog vorsichtig seinen Degen, obgleich er aus Erfahrung wu?te, da? ein muder Posten kaum etwas anderes horen wurde als die Gerausche seines eigenen Schiffes. Ein Fahrzeug vor Anker war stets erfullt mit Gerauschen verschiedenster Art.
        Aber es war noch immer ein gutes Stuck zu rudern, darum rief er gedampft:»Los, Jungs, legt euch in die Riemen!»
        Der Kutter bewegte sich jetzt rasch auf den Backbordbug der Yawl zu. Bolitho sah die Ankerkette unter dem schnittigen Bugsprit, die lassig festgemachten Segel.
        Der Knall eines Pistolenschusses klang wie die Detonation eines Zwolfpfunders in der stillen Morgenluft. Ein erregter Ausruf war an Deck der Yawl zu horen, als eine wellenformige Linie von Kopfen, Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten auf dem Hugelkamm der Insel erschien. Dann wurde die Linie rot, als die Soldaten ihren Marsch hinab zum Wasser fortsetzten.

«Pullt! Mit allem, was ihr habt!«Bolitho beugte sich vor, als konne er durch die Gewichtsverlagerung noch zur Erhohung der Geschwindigkeit beitragen.
        Gestalten waren an Deck der Yawl erschienen, und ein einzelner Schu? erhellte den Gro?mast wie eine Flamme.
        Uber das Wasser hinweg horten sie alle die Aufforderung d'Esterres an die Yawl, sich zu ergeben; die Reaktion war wirres
        Geschrei, gefolgt vom Quietschen der Blocke, durch die Tauwerk mit aller Geschwindigkeit hindurchgeholt wurde.
        Bolitho verga? einen Augenblick seine eigene Rolle in diesem Geschehen, als die Linie der Marineinfanteristen mit Prazision und ohne jede Eile anhielt und dann eine Salve uber das Deck des Schiffes feuerte.
        Danach gab es druben keinerlei Bewegung mehr, und Bolitho befahl laut:»Klar zum Entern! Enterhaken fertig!«Aus dem Augenwinkel sah er Frowds Boot vorbeischie?en, sah den Enterhaken durch die Luft und uber das Schanzkleid der Yawl fliegen und die hierfur ausgesuchten Manner mit gezucktem Entermesser oder Beil uber die Reling springen.
        Schreiend und hurrarufend kletterten die Seeleute auf beiden Seiten an Bord, wahrend die Schiffsbesatzung sich vor dem Gro?mast zusammendrangte, zu erschrocken, um sich zu ruhren, geschweige denn Widerstand zu leisten. Ein paar Gewehre waren an Deck geworfen worden, und Bolitho lief mit Stockdale nach achtern, um sicherzustellen, da? keine weiteren Leute unter Deck verborgen waren und jetzt womoglich versuchten, ihr Schiff zu versenken.
        Nicht einen einzigen Mann hatten sie verloren, und an Land sah er die Soldaten ihre Hute schwenken und jubeln.
        Frowd knurrte:»Ein Freibeuter, ganz klar!«Er zerrte einen Mann aus der Menge heraus. Er hatte zwar seine Waffen weggeworfen, war aber so behangt mit Pulver- und Munitionsbeuteln, da? er wie ein Pirat aussah.
        Bolitho steckte seinen Degen in die Scheide.»Gut gemacht, Jungs! Ich schicke jemanden hinuber zu den Soldaten und…»
        Es war Couzens, der den Alarmruf ausgesto?en hatte. Er deutete nach vorn, seine Stimme schnappte uber:»Ein Schiff, Sir! Kommt dort um die Ecke!»
        Gleichzeitig horte er d'Esterre mit eindringlicher Stimme durch das Sprachrohr rufen:»Sofort von Bord! In die Boote!»
        Frowd starrte noch immer auf die hubschen, rahgetakelten Masten und Segel des Ankommlings, als dieser plotzlich Kurs anderte, wobei das leichte Schiff stark uberholte.
        Er fragte:»Wer, zum Teufel, ist das?»
        Bolitho fuhlte Finger auf seinem Arm und sah Buller, der die Augen nicht von dem schmucken Fahrzeug lie?.

«Das ist sie, Sir! Die Brigg, die ich gesehen habe und die dann abhaute, als die Spite entmastet wurde!»
        Alles drehte sich in Bolithos Kopf wie ein Muhlrad: die Brigg, die Yawl, die darauf wartete, mehr Waffen und Munition zu laden oder zu loschen, d'Esterres letzter Befehl und seine eigene Entscheidung, die tief unter seinen rasenden Gedanken wartete.
        Ein Blitz, gefolgt von einem dumpfen Knall, und eine Kanonenkugel orgelte uber sie hinweg und schlug schwer auf der Insel ein. Die Marineinfanteristen marschierten in ungebrochener Ordnung zuruck, und Bolitho spurte die Veranderung, die mit der Besatzung der Yawl vor sich ging. Furcht wandelte sich in Hoffnung, schlug sogar angesichts der unerwarteten Unterstutzung in Jubel um.

«Was tun wir?«Frowd stand am Spill, den Degen noch in der Hand.»Die Brigg wird die Yawl durchsieben, wenn sie uns mit allen Geschutzen beharkt!»
        Bolitho dachte an Pears, an Coutts Enttauschung, an Quinns Gesicht bei der Verhandlung.
        Er schrie:»Kappt die Kette! Klar bei Gro?fall! Mr. Frowd, ubernehmen Sie hier die Aufsicht! Stockdale, ans Ruder!»
        Eine weitere Kugel scho? aus dem Fruhdunst und krachte in einen der Kutter, der neben dem Bug dumpelte. Bevor er sich uberlegte und versank, explodierte das geladene Schwenkgeschutz, und der Schrotthagel ri? den Seemann nieder, der gerade nach vorn lief, um die Ankerkette zu kappen.
        Mit nur noch einem einzigen Boot bestand keinerlei Aussicht mehr, d'Esterres Befehl auszufuhren. Bolitho starrte die Brigg an, sein Herz war eiskalt vor plotzlicher Wut und unerwartetem Ha?.
        Und er wu?te tief in seinem Innern, da? er gar nicht die Absicht hatte zu gehorchen.
        Das Gro?segel schwang an seinem Baum nach au?en und donnerte wild, als die Ankerkette gekappt war und die Yawl unkontrolliert abfiel.

«Stutzruder!»
        Die Manner rutschten und taumelten zu den Schoten, die verbluffte Besatzung vollig ignorierend, wahrend sie darum kampften, die Yawl unter Kontrolle zu bringen.
        Bolitho ho rte verwehtes Geschutzfeuer und wandte sich gerade rechtzeitig, um den kleinen Besanmast uber die Reling sturzen zu sehen, um Haaresbreite an Stockdale vorbei.»Kappen!»
        Ein weiterer Einschlag erschutterte den Rumpf, und Bolitho horte die Kugel durch das untere Deck donnern. Viele von solchen Treffern konnten sie nicht vertragen.

«Schickt die Gefangenen an die Pumpen!«Er druckte Couzens seine Pistole in die Hand.»Schie?en Sie, wenn sie versuchen sollten, Sie anzugreifen!»

«Schiff ist unter Kontrolle, Sir!«Stockdale stand stammig wie eine Eiche am Ruder und blickte auf das sich blahende Gro?segel und den jetzt auch gesetzten Kluver, wahrend das Land am Bug vorbeiglitt.
        Aber die Brigg holte auf, krangte stark beim Wenden, um auf dem neuen Kurs an ihrem Gegner vorbeizusegeln.
        Die Yawl hatte zwei leichte Schwenkgeschutze, aber sie waren so nutzlos wie eine einzelne Lanze gegen eine Kavallerieattacke. Die Manner waren wertvoller an den Schoten als an den Geschutzen.
        Wieder eine Reihe von Blitzen, und diesmal schlugen die Kugeln unterhalb der Wasserlinie ein.
        Bolitho sah die Flagge an der Gaffel der Brigg, von der er schon gehort hatte: rote und wei?e Streifen und einen Kranz von Sternen auf blauem Grund. Die Brigg war ganz neu und wurde offenbar von einem Konner gefuhrt.

«Wir machen stark Wasser, Sir!»
        Bolitho wischte sich das Gesicht ab und lauschte auf das Kreischen der Pumpen. Aber es war vergeblich, sie konnten der Brigg nicht entkommen.
        Bosartiges Pfeifen hinter dem Ruder sagte ihm, da? sie jetzt in Reichweite der Gewehre waren.
        Jemand schrie, dann sah er Frowd straucheln und gegen das Schanzkleid fallen, beide Hande um sein zerschmettertes Knie gekrallt.
        Couzens erschien an der Luke, mit dem Rucken voran, die Pistole in den Niedergang gerichtet.»Wir sinken, Sir! Das Wasser steht im Laderaum!»
        Eine Kugel schlug durch das Gro?segel und durchschnitt Wanten und Stagen wie ein unsichtbarer Sabel.
        Frowd keuchte:»Setzen Sie sie auf den Strand, das ist unsre einzige Chance!»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Sa?en sie erst einmal auf, so ware die Ladung - und er zweifelte nicht daran, da? sie aus Waffen bestand - noch immer intakt.
        Mit plotzlicher Wut kletterte er in die Wanten und schuttelte drohend die Faust.
        Seine Stimme ging unter im Wind und erneutem Kanonendonner, aber es verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung, als er nun schrie:»Ich werde sie versenken, ihr verdammten Hunde!»
        Stockdale beobachtete ihn, wahrend die Insel jenseits der vom Kugelhagel aufgewuhlten See langsam zuruckblieb.
        Gebe Gott, da? die Trojan rechtzeitig kommt, dachte er verzweifelt. Fur uns ist es dann zu spat, aber von denen wurde wenigstens keiner am Leben bleiben.



        XVI Ein eigenes Kommando

        Als sie weiter aus dem Schutz der Insel ins offene Wasser trieb, wurde die Yawl rasch manovrierunfahig. Mit den schweren Schaden im Schiffskorper und dem Gewicht der Waffen und Munition ging sie mit jeder Welle ihrem sicheren Untergang entgegen.
        Die Brigg hatte wieder gewendet und lag nun annahernd auf Parallelkurs, wahrend ihre Geschutzbedienungen weiter auf das kleinere Fahrzeug einhammerten, um es zur Aufgabe zu zwingen. Da gab es keinen Gedanken an Schonung oder Rettung; selbst viele der entsetzten Gefangenen fielen unter dem morderischen Feuer.
        Bolitho fand immerhin noch so viel Zeit festzustellen, da? die Brigg, offensichtlich von einer hervorragenden Werft erst vor kurzem gebaut, nicht voll bewaffnet war, sonst ware das Gefecht langst voruber gewesen. Nur aus der Halfte ihrer Stuckpforten wurde gefeuert, und er nahm an, da? der Rest der Geschutze wohl noch im Laderaum seiner Yawl lag. Dies war der zweite Versuch: der erste hatte viele Menschenleben und den Verlust der Spite gekostet. Es schien, als sei die Brigg gefeit gegen alle Gefahren und wurde auch jetzt wieder entkommen.
        Es gab einen gewaltigen Ruck an Deck, der Gro?topp sturzte mitsamt der Saling in einem Gewirr von Takelage und flatterndem Segeltuch herab. Sofort bekam das Schiff schwere Schlagseite, die Manner rutschten auf dem schiefliegenden Deck, und noch mehr abgetrennte Takelage kam von oben.
        Aus der offenen Luke horte Bolitho den heftigen Wassereinbruch und die Schreie der Gefangenen, als die See durch die zersplitterten Planken der Bordwand uber sie hereinbrach. Er klammerte sich an die Reling und rief:»Entlassen Sie diese Manner, Mr. Couzens! Helft den Verwundeten!«Er starrte Stockdale an, der das nutzlos gewordene Ruder loslie?.»Helfen Sie ihnen!«Er buckte sich, als weiteres Gewehrfeuer dicht uber ihre Kopfe pfiff.»Wir mussen von Bord!»
        Stockdale warf sich einen bewu?tlosen Seemann uber die Schulter und schritt dann an die Reling, um sich zu vergewissern, da? der ubriggebliebene Kutter noch schwimmfahig war.

«Ins Boot! Reicht die Verwundeten hinunter!»
        Bolitho spurte, wie das Schiff sich noch mehr uberlegte, das schragliegende Deck noch steiler wurde. Sie sackte uber den Achtersteven ab, die Heckreling und der Stumpf des Besanmastes wurden schon uberspult.
        Wenn nur die Brigg mit dem verdammten Beschu? aufgehort hatte! Es bedurfte nur noch einer einzigen Kugel, und die Yawl mu?te den Kutter mit sich in die Tiefe rei?en. Er musterte die bewegte Wasserflache mit ihren lebhaften, wei?en Schaumkammen. Sie hatten ohnehin nur eine geringe Uberlebenschance. Auf der Insel, die Meilen entfernt schien, konnte er ein paar Rotrocke erkennen und vermutete, da? der gro?te Teil der Marineinfanteristen zuruckrannte, um in die Boote zu gehen. Aber die Rotrocke waren keine Seeleute. Bis sie sie erreicht hatten, war vermutlich alles vorbei.
        Couzens stolperte keuchend heran.»Der Bug ist noch aus dem Wasser, Sir!«Er duckte sich, als ein weiterer Schu? das Gro?segel in Fetzen ri?.
        Stockdale versuchte, wieder an Deck zu klettern, aber Bolitho rief:»Bleiben Sie weg, sie sinkt rasch!»
        Mit versteinertem Gesicht, das wie eine Maske wirkte, warf Stockdale die Fangleine los und lie? den Kutter mit der Stromung freitreiben. Bolitho sah Frowd mit seinem zerschmetterten Knie sich im Boot nach achtern kampfen, um die sinkende Yawl im Auge zu behalten, sah ihn mit blutigen Fingern den hocherhobenen Degen uber seinem Kopf schwenken.
        Die Brigg kurzte Segel, die Fock verschwand ganz und gab den Blick auf den Rest ihres schnittigen Rumpfes frei.
        Wollen sie uns retten oder umbringen? Bolitho sagte:»Wir mussen schwimmen, Mr. Couzens.»
        Der Knabe nickte heftig, unfahig zu sprechen, schleuderte die Schuhe von den Fu?en und zerrte krampfhaft an seinem nassen Hemd.
        Ein Schatten bewegte sich in der offenen Luke, und Bolitho glaubte, ein Verwundeter sei noch unten, aber es war ein Leichnam, der in dem jetzt hochstehenden Wasser trieb.
        Couzens starrte ins Wasser und murmelte:»Ich bin kein guter Schwimmer, Sir!«Er klapperte trotz der hei?en Sonne mit den Zahnen.
        Bolitho blickte ihn an.»Warum, in Dreiteufels Namen, sind Sie dann nicht in den Kutter gegangen?«Im selben Augenblick bereute er seine Worte und fugte ruhiger hinzu:»Wir werden zusammenbleiben. Ich sehe dort eine geeignete Spiere…»
        Die Brigg feuerte wieder, die Kugel sprang uber die Wellenkamme, an dem schwankenden Kutter vorbei und schlug wie ein angreifender Schwertfisch zwischen einige zappelnde Schwimmer.
        Das war also der Grund des Segelkurzens! Sie wollten sichergehen, da? die britischen Streitkrafte auch wirklich vollstandig vernichtet wurden, so da? jeder Offizier es sich kunftig uberlegen wurde, wenn er ihnen den dringend benotigten Nachschub wegnehmen wollte.
        Die Yawl legte sich jetzt ganz auf die Seite, wobei sie loses Gerat und Leichen in die Wassergange und Speigatten kippte.
        Bolitho behielt die Brigg im Auge. Ohne Couzens ware er an Bord geblieben und hier gestorben, das war ihm klar. Wenn er ohnehin sterben mu?te, war es besser, dem Gegner sein Gesicht zu zeigen. Aber Couzens verdiente einen solchen Tod nicht. Fur ihn mu?te es noch eine Chance geben.
        Die Brigg legte das Ruder hart uber, ihre Rahen gerieten in Unordnung, als sie von dem treibenden Wrack abdrehte. Er konnte den
        Namen lesen, als sie ihm das Heck zuwandte: White Hills. Aus dem Heckfenster starrte ihn ein entsetztes Gesicht an.

«Er dreht ab! Was denkt sich dieser Verbrecher?«Bolitho sprach laut mit sich selbst, ohne es zu wissen.»Gleich wird er sich festsegeln!»
        Der Wind war zu stark fur die wenigen noch stehenden Segel der Brigg. In kurzester Zeit war sie hilflos, ihre Segel standen alle back, ein einziger chaotischer Protest.
        Dann gab es einen halberstickten Knall, und im ersten Augenblick glaubte Bolitho, ein Mast oder eine der gro?en Rahen sei gebrochen. Dann sah er mit unglaubigen Augen ein riesiges Loch im Vormarssegel der Brigg klaffen, das nun vom Wind in Streifen gerissen und an den Mast geklatscht wurde.
        Er fuhlte, wie Couzens ihn am Arm packte:»Das war die Trojan, Sir! Sie ist gekommen!»
        Bolitho wandte sich um und sah den Zweidecker scheinbar bewegungslos im Dunst stehen, starr wie eine Fortsetzung der Inselkette.
        Pears mu?te es auf die Sekunde genau berechnet, mu?te abgewartet haben, bis der die Brigg behindernde Wind ihn langsam quer vor deren einzigen Fluchtweg trieb.
        Zwei leuchtende Zungen zuckten aus der Back, Bolitho sah im Geiste die Geschutzfuhrer vor sich, als sei er mitten unter ihnen. Wahrscheinlich uberwachte Bill Chimmo, der Stuckmeister der Trojan, selbst jeden sorgfaltig gezielten Schu?.
        Er horte den splitternden Krach, mit dem die beiden Achtzehnpfundkugeln sich ihren Weg ins Innere der Brigg bohrten.
        Dann begann das Deck unter seinen Fu?en wegzusacken, und wahrend Couzens sich wie eine Riesenschnecke an ihn klammerte, sprang er uber das Schanzkleid, aber nicht bevor er ein wildes Jubelrufen vom Kutter gehort und gesehen hatte, wie die leuchtende neue Flagge an der Gaffel der Brigg niedergeholt wurde!
        Selbst auf diese Entfernung hatte die Trojan mit ihrer Steuerbordbreitseite die Brigg in wenigen Minuten zerschmettern konnen, und ihr Kapitan wu?te es. Ein bitterer Augenblick fur ihn, aber viele seiner Leute wurden ihm dafur danken.
        Keuchend und spuckend erreichte Bolitho mit Couzens die treibende Spiere und klammerte sich daran fest.
        Er brachte es fertig zu sagen:»Ich denke, Sie haben mich gerettet!«Denn im Gegensatz zu Couzens hatte er vergessen, sich seiner Sachen zu entledigen oder wenigstens seinen Degen abzuschnallen; jetzt war er dankbar fur den Halt, den die Spiere ihnen gab.
        Als er den Kopf uber die steilen Wellenkamme zu heben versuchte, sah er den Kutter wenden und auf sie zukommen; die Seeleute lehnten sich uber Bord, um einige der Schwimmer aufzunehmen oder ihnen zu gestatten, sich au?en am Boot anzuklammern, da es total uberfullt war. Weiter entfernt naherten sich jetzt auch die anderen Boote: die Marineinfanteristen und die kleine, zuruckgelassene Bootswache, die aus Seeleuten bestand, schafften es besser und schneller, als Bolitho erwartet hatte.
        Er rief:»Was macht die Brigg?»
        Couzens starrte hinuber und antwortete:»Sie hat beigedreht, Sir! Sie la?t die Boote unbehelligt.»
        Bolitho nickte, au?erstande mehr zu sagen. Die White Hills hatte keine andere Wahl, besonders da d'Esterres Bootsgruppe es vermied, zwischen sie und die schreckliche Artillerie der Trojan zu geraten.
        Die Kaperung der Brigg wog nicht all die Toten auf, aber sie bewies der Besatzung der Trojan, was sie zu leisten vermochte, und gab ihr einen Teil ihres Stolzes zuruck.
        Die restlichen Boote der Trojan waren ebenfalls zu Wasser gelassen worden und kamen rasch herbei, um sich an der Rettungsarbeit zu beteiligen. Bolitho sah die beiden Jollen und sogar die Gig uber das Wasser tanzeln. Dennoch dauerte es noch eine volle Stunde, bis er und Couzens von dem uber das ganze Gesicht grinsenden Fahnrich Pullen an Bord der Gig genommen wurden.
        Bolitho konnte wohl ermessen, was die Verzogerung fur Stock-dale bedeutet hatte. Der aber kannte ihn gut genug, um sich mit seinem von Verwundeten und halb Ertrunkenen uberladenen Boot fernzuhalten, anstatt einem gesunden, unverletzten Leutnant den Vorzug zu geben, der noch dazu in vorlaufiger Sicherheit war.
        Ihre schlie?liche Ruckkehr auf die Trojan war von gemischten Gefuhlen begleitet: Trauer daruber, da? einige der alteren und erfahreneren Seeleute gefallen oder verwundet worden waren, gleichzeitig aber eine wilde Freude, weil sie allein gehandelt und gewonnen hatten.
        Als die hubsch angestrichene Brigg unter das Kommando einer Prisenbesatzung gestellt worden war und die Seeleute auf beiden Seiten des Fallreeps der Trojan die zuruckkehrenden Sieger mit Jubel begru?ten, hatten sie das Gefuhl eines ungeheuren Triumphes.
        Aber solche Augenblicke hielten niemals lange vor.
        Als ein Seemann im Boot seinen Freund wachzurutteln versuchte, um ihm zu sagen, da? sie jetzt langsseits ihres eigenen Schiffes seien, stellte er mit unglaubigem Entsetzen fest, da? dieser tot war.
        Die Jubelrufe wichen Gelachter, als Couzens nackt wie am Tage seiner Geburt durch die Pforte stieg mit aller Wurde, derer er fahig war, wahrend zwei grinsende Marineinfanteristen vor ihm das Gewehr prasentierten. Und als Stockdale Bolitho entgegenschritt, um ihn zu begru?en, wobei sein schiefes, gluckliches Willkommenslacheln mehr aussagte, als alle Worte es vermocht hatten.
        Aber trotz allem war es Pears gro?er Tag. Breit und massig wie seine geliebte Trojan selbst, so stand er und beobachtete alles schweigend.
        Als Couzens versuchte, sich moglichst schnell zu verstecken, rief er barsch:»Das ist keine Art, sich zur Schau zu stellen, nicht fur einen Offizier des Konigs, Sir! Wirklich, ich wei? nicht, was Sie sich dabei denken, Mr. Couzens!«Als der Junge mit hochrotem Kopf zum nachsten Niedergang rannte, fugte er hinzu:»Bin trotzdem stolz auf Sie!»
        Bolitho uberquerte das Achterdeck, seine nassen Stiefel quietschten laut.
        Pears blickte ihn grimmig an.»Die Yawl verloren, eh? Beladen war sie wohl auch noch?»

«Aye, Sir, ich glaube, sie sollte die Brigg ausrusten. «Er sah seine Leute vorbeihinken, teerige Hande klopften ihnen auf die Schultern, und fugte leise hinzu:»Unsere Leute haben sich tapfer geschlagen, Sir.»
        Er beobachtete, wie die Brigg wieder Segel setzte, das zerschossene Marssegel bestand nur noch aus Fetzen. Er vermutete, da? Pears einen Steuermannsmaaten hinubergeschickt hatte, wahrend die Marineinfanteristen die gefangene Besatzung durchsuchten. Frowd wurde moglicherweise als Prisenkommandant eingesetzt, das mochte ihn etwas aussohnen mit seinem schlimm zugerichteten
        Knie, denn was Thorndike und spater vielleicht ein Krankenhaus auch fur ihn tun konnten, hinken wurde er wohl bis an sein Lebensende. Er hatte den Rang eines Leutnants erreicht, wu?te aber wohl selbst am besten, da? diese Verwundung jeden weiteren Aufstieg verhindern wurde.
        Es war spater Nachmittag, bis beide Schiffe die Inseln und, zu ihrer Erleichterung, auch die Riffe und Wirbel hinter sich gelassen und freien Seeraum gewonnen hatten.
        Als d'Esterre auf die Trojan zuruckkehrte, hatte er einen weiteren wichtigen Fund zu melden.
        Der Kapitan der White Hilk war kein anderer als Jonas Tracy, der Bruder des Mannes, der beim Kapern des Schoners Faithful getotet worden war. Er hatte die feste Absicht gehabt, sich auch unter dem Beschu? der Trojan einen Weg freizukampfen, ob hoffnungslos oder nicht. Aber das Gluck war ihm nicht hold gewesen. Seine Besatzung war zum gro?ten Teil neu und noch nicht auf einem Kriegsschiff ausgebildet, ein Umstand, der dazu beigetragen hatte, da? man einem alten Fuchs wie Tracy dieses Kommando ubertragen hatte. Sein Ruf und die Liste seiner Erfolge hatten den Ausschlag gegeben. Tracy hatte gerade den Befehl zum Wenden gegeben, um eine unbekannte, schmale Durchfahrt zwischen den Inseln, von der er einmal gehort hatte, zu suchen. Seine Leute, ohnehin schon vollig verangstigt durch das plotzliche Auftauchen der Trojan, waren am Ende, als die zweite, sorgfaltig gezielte Salve in den Rumpf der Brigg schlug. Eine Kugel war auf eine Lafette geprallt und zersplittert, ein Metallstuck hatte Tracys Arm an der Schulter abgerissen. Der Anblick ihres zahen, stets fluchenden Kommandanten, der jetzt vor ihren
Augen niedergerissen und verstummelt worden war, hatte ihnen den Rest gegeben und sie bewogen, rasch die Flagge niederzuholen.
        Bolitho wu?te nicht, ob Tracy noch lebte. Es war eine Ironie des Schicksals, da? er mit seinen Kanonen auf den Mann gefeuert hatte, der mitverantwortlich war fur den Tod seines Bruders.
        Bolitho wusch sich in seiner kleinen Kabine, als er eine Bewegung an Deck horte und den fernen Ruf eines Ausgucks vom Mast, da? ein Segel in Sicht sei.
        Das andere Schiff erwies sich bald als eine Fregatte, die sich rasch naherte, dann beidrehte und ohne viel Umstande ein Boot zu Wasser lie?, das den Kommandanten heruberbrachte.
        Bolitho warf sein Hemd uber und eilte an Deck. Die Fregatte war die Kittiwake, die er schon in Antigua gesehen hatte.
        Mit einem Zeremoniell, als lage sie sicher verankert auf der Reede in Plymouth, empfing die Trojan den Besucher. Wahrend die Wachen das Gewehr prasentierten und die Bootsmannspfeifen schrillten, schritt Pears herbei, um den anderen Kommandanten zu begru?en. Bolitho erkannte ihn, es war einer der Beisitzer des Untersuchungsausschusses bei Quinns Verhandlung gewesen, nicht der dunnlippige, sondern der andere, der, soweit sich Bolitho erinnerte, uberhaupt nichts gesagt hatte.
        Der Sonnenuntergang stand kurz bevor, als der Kapitan der Kittiwake sich verabschiedete, wobei sein Schritt nicht mehr ganz so fest war wie beim Anbordkommen.
        Die Fregatte setzte wieder volle Segel, ihr Tuch glanzte wie goldene Seide in den letzten Strahlen der Sonne. Bald wurde sie au?er Sicht und ihr Kommandant frei sein von Admiralen und sonstigen Obrigkeiten. Bolitho seufzte.
        Cairns gesellte sich zu ihm, beobachtete dabei die Wache, die das Segelsetzen vorbereitete.

«Sie kam mit Depeschen von Antigua«, sagte er.»Ist von ihrem Geschwader entlassen worden, um vor uns her nach Jamaika zu segeln. Wir sind also doch keine Ausgesto?enen mehr. «Seine Stimme klang, als sei er in Gedanken ganz woanders.

«Ist irgend etwas los?»
        Cairns blickte ihn an, sein Gesicht gluhte im letzten Sonnenlicht.»Kapitan Pears denkt, da? der Seekrieg im karibischen Raum beendet wird.»

«Nicht in Amerika?«Bolitho verstand das nicht.

«Wie ich ist auch er der Ansicht, da? der Krieg schon vorbei ist. Siege wird es geben, mu? es geben, wenn wir auf die Franzosen treffen und sie sich stellen. Aber einen Krieg zu gewinnen, dazu gehort mehr als das, Dick. «Er klopfte ihm auf die Schulter und lachelte traurig.»Ich halte dich auf, der Kommandant mochte dich sprechen. «Damit ging er weiter und rief:»Mr. Dalyell, was ist das fur ein wustes Durcheinander? Schicken Sie die Toppsgasten nach oben und pfeifen Sie die Leute an die Brassen. Das ist hier ja der reinste Fischmarkt!»
        Bolitho tastete sich durch den bereits in tiefem Dunkel liegenden Gang zu Pears Kabine.
        Der sa? an seinem Tisch und betrachtete mit grimmiger Konzentration eine vor ihm stehende Weinflasche.

«Setzen Sie sich!«befahl er.
        Bolitho horte das Stampfen nackter Fu?e uber seinem Kopf und fragte sich, wie sie wohl mit dem Manover zurechtkamen, ohne da? der Kommandant an seinem gewohnten Platz an der Querreling stand.
        Er setzte sich.
        Die Kajute wirkte behaglich. Bolitho fuhlte sich plotzlich mude, als sei alle Kraft aus ihm gerieselt wie Sand aus einem Stundenglas.
        Pears verkundete langsam:»Wir bekommen gleich neuen Bordeaux.»
        Bolitho leckte sich die Lippen.»Danke, Sir. «Er wartete ratlos. Erst Cairns, jetzt Pears, was hatten sie blo??

«Kapitan Viney von der Kittiwake brachte Befehle vom Flaggschiff aus Antigua. Mr. Frowd ist mit sofortiger Wirkung auf die Maid of Norfolk versetzt worden. Ein bewaffneter Transporter.»

«Aber sein Bein, Sir?»

«Ich wei?. Der Arzt hat ihn notdurftig wieder zurechtgeflickt. «Sein Blick traf den Bolithos.»Was wunscht er sich am meisten?»

«Ein Schiff, Sir. Vielleicht eines Tages ein eigenes Kommando.»
        Er sah im Geiste Frowds Gesicht an Bord der Yawl vor sich. Wahrscheinlich hatte er sogar dort an nichts anderes gedacht: ein Schiff, selbst ein bewaffneter Transporter, wurde ihm fur den Anfang genugen.

«Ich stimme mit Ihnen uberein. Wenn er hier herumliegt, wird es zu spat. Wenn er dann nach Antigua zuruckkommt - «, er hob die Schultern,»- kann sich sein Gluck vielleicht schon gewendet haben.»
        Bolitho blickte Pears an, fasziniert von seinem Sachverstand und Einfuhlungsvermogen. Er hatte in Schlachten gekampft, fuhr mit seinem Schiff jetzt Gott wei? welchen Unternehmungen in Jamaika entgegen und fand doch die Zeit, sich uber Frowds Verwendung Gedanken zu machen.

«Dann ist da noch Mr. Quinn. «Pears offnete die Flasche, wobei er sich zur Seite neigte, um die Bewegung des Schiffes auszugleichen.»Er ist nicht vergessen worden.

        Bolitho wartete und versuchte, Pears wahre Gefuhle zu erraten.

«Er wird nach Antigua zuruckkehren und dort eine Passage nach England bekommen. Den Rest wissen wir schon. Ich habe einen Brief an seinen Vater geschrieben, auch wenn das nicht viel helfen wird. Er soll aber verstehen, da? sein Sohn nur eine bestimmte Menge Mut besa?, und als ihn dieser verlie?, war er hilflos wie Frowd mit seinem Bein. «Pears schob mit der Flasche einen dicken Briefumschlag in die Mitte des Tisches.»Aber er hat es versucht, und wenn mehr junge Leute wenigstens das taten, statt bequem zu Hause zu sitzen, sahe es besser bei uns aus.»
        Bolitho blickte auf den dicken Brief: Quinns Leben.
        Pears wurde beinahe lebhaft.»Aber genug jetzt davon. Ich habe anderes zu tun, Befehle zu diktieren.»
        Er schenkte zwei gro?e Glaser Bordeaux ein und schob sie uber den Tisch, bis Bolitho eines davon nahm. Das Schiff holte so stark uber, da? sie beinahe vom Tisch gerutscht waren.
        Seltsam, da? sonst niemand anwesend war. Bolitho hatte d'Esterre erwartet oder vielleicht Cairns, sobald dieser mit dem Manover an Deck fertig war.
        Pears hob sein Glas und sagte:»Ich nehme an, dies wird eine lange Nacht fur Sie werden. Aber glauben Sie mir, es gibt noch langere.»
        Das erhobene Glas wirkte in seiner gewaltigen Faust wie ein Fingerhut.

«Ich wunsche Ihnen Gluck, Mr. Bolitho, und, wie unser Master sagen wurde, segeln Sie mit Gott.»
        Bolitho starrte ihn an, sein Wein war noch unberuhrt.

«Ich ubertrage Ihnen hiermit das Kommando uber die White Hills. Wir werden die Prisenbesatzung morgen fruh einteilen, wenn es hell genug ist, und die Verwundeten hinuberbringen.»
        Bolitho versuchte, seines Erstaunens Herr zu werden. Er stotterte:»Der Erste Offizier, Sir, mit allem Respekt.»
        Pears hielt sein Glas hoch. Es war leer, wie Probyns einst zu sein pflegte.

«Ich wollte ihn hinuberschicken. Zwar brauche ich ihn hier an
        Bord, mehr denn je, aber er verdient langst ein eigenes Kommando, und wenn es auch erst nur eine Prise ware. Aber er tat dasselbe wie Sie bei Konteradmiral Coutts und wies meinen Vorschlag zuruck. «Er lachelte ernst» So liegen also die Dinge.»
        Bolitho sah, da? auch sein Glas wieder gefullt wurde, und sagte verwirrt:»Ich danke Ihnen, Sir!»
        Pears zog eine Grimasse.»Also kippen Sie Ihren Bordeaux hinunter und gehen Sie sich verabschieden. Von nun an konnen Sie jemand anderem Ihre Meinung sagen!»
        Bolitho stand drau?en vor der Kajute neben dem bewegungslosen Posten, als ware alles nur ein Traum gewesen.
        Er fand Cairns noch an Deck, gegen das Luvwant gelehnt und zu den Lichtern der Brigg hinuberblickend.
        Bevor Bolitho den Mund offnen konnte, sagte Cairns energisch:»Du gehst morgen als Prisenkommandant hinuber, das ist beschlossene Sache, und wenn ich dich in Eisen hinschaffen lassen mu?.»
        Bolitho stand neben ihm und nahm fast unbewu?t die verschiedenen Gerausche wahr, das Knarren des Ruders, das Schlagen des Tauwerks gegen Mast, Stagen und Segel.
        Ich nehme an, dies wird eine lange Nacht fur Sie werden.

«Was war denn los, Neu?»
        Er fuhlte sich diesem ruhigen Schotten mit seiner weichen Sprache sehr nahe.

«Der Kommandant hat einen Brief bekommen. Ich wei? nicht, von wem, es ist nicht sein Stil, sich zu beklagen. Es war eine „freundliche" Mitteilung, wenn man es so nennen will, aus der Kapitan Pears erfuhr, da? er bei der Beforderung zum Flaggoffizier ubergangen wurde. Kapitan wird er bleiben. «Er blickte zu den Sternen uber der dunklen Takelage auf.»Und wenn die Trojan einmal au?er Dienst gestellt wird, dann ist das das Ende seiner Laufbahn. Coutts ist nach London zur Admiralitat beordert worden, um sich dort zu verantworten. «Cairns konnte seinen Arger, seinen Schmerz nicht verbergen.»Aber er hat Vermogen und eine gesellschaftliche Stellung. Pears dagegen hat nur sein Schiff.»

«Ich danke dir, da? du mir das alles erzahlt hast.»
        Cairns Zahne leuchteten sehr wei? in dem schwachen Licht.»Weg mit dir, Mann! Los, pack deine Kiste!»
        Als Bolitho sich zum Gehen wandte, fugte er leise hinzu:»Aber du verstehst? Ich konnte ihn doch jetzt nicht verlassen.»
        Fruh am nachsten Morgen lagen beide Schiffe beigedreht, und die Boote der Trojan begannen, die Verwundeten auf die Brigg hinuberzuschaffen. Auf der Ruckfahrt brachten sie nach und nach die Besatzung der White Hills heruber in Gefangenschaft. Es mu?te eines der kurzesten Kommandos der Seegeschichte gewesen sein, dachte Bolitho.
        Noch immer erschien ihm alles unwirklich, und er ertappte sich dabei, verschiedene wichtige Dinge vergessen, andere dafur mehrmals getan zu haben.
        Jedes Mal, wenn er an Deck ging, mu?te er zu der Brigg hinuberblicken, die in der steilen See heftig stampfte. Einmal unter Segel, konnte sie jedoch fliegen, wenn es erforderlich wurde. Der Anblick war noch zu frisch in seiner Erinnerung.
        Cairns hatte ihm mitgeteilt, da? Pears ihm gestatte, seine Prisenbesatzung selbst auszuwahlen, und zwar genug Leute, um die Brigg in Sicherheit zu bringen oder einem schweren Sturm oder machtigen Gegner davonzusegeln.
        Stockdale brauchte er nicht erst zu fragen, der wartete bereits mit einem gepackten kleinen Seesack, seiner weltlichen Habe. Pears hatte Bolitho auch aufgetragen, den schwerverwundeten Kapitan Tracy nach Antigua mitzunehmen. Sein Zustand war so ernst, da? man ihn nicht mit den anderen Gefangenen zusammen abtransportieren konnte; andererseits wurde er wenig Muhe verursachen.
        Als die Zeit der Trennung naher ruckte, spurte Bolitho, wie bewegt er war. Kleine Ereignisse aus den letzten zweieinhalb Jahren kamen ihm schlagartig in den Sinn. Es schien unglaubhaft, da? er die Trojan jetzt verlassen und sich zur Verfugung des Kommandierenden Admirals in Antigua halten sollte. Es war wie der Beginn eines neuen Lebens mit anderen Gesichtern, unbekannter Umgebung.
        Er war uberrascht und nicht wenig bewegt uber die Anzahl der Leute, die freiwillig mit ihm gehen wollten.
        Carlsson, der Schwede, der ausgepeitscht worden war; Dunwoody, der Mullerssohn; Moffitt, der Amerikaner; Rabbett, der ehemalige Dieb aus Liverpool, und der alte Buller, der Toppsgast, der die Brigg als erster wiedererkannt hatte. Er war zum Unteroffizier befordert worden, und das war ihm so unglaubhaft erschienen, da? er immer wieder erstaunt den Kopf schuttelte, als es ihm offiziell mitgeteilt wurde.
        Da waren noch andere, ebenso feste Bestandteile der Trojan wie ihr Kommandant oder wie die Galionsfigur.
        Er beobachtete, da? Frowd auf einem Bootsmannstuhl in den Kutter gefiert wurde, sein geschientes, bandagiertes Knie ragte hervor wie ein Elefantenzahn. Er schien wutend zu sein uber die Wurdelosigkeit, mit der er sein Schiff verlassen mu?te.
        Quinn hatte schon hinubergesetzt. Es wurde schwierig sein, zwischen den beiden zu stehen, dachte Bolitho. Er hatte gesehen, da? Frowd Quinn voller Bitterkeit betrachtete. Wahrscheinlich sagte er sich, ob es gerecht war, da? Quinn, der von der Marine Ausgesto?ene, verschont geblieben war, wahrend er selbst zum Kruppel geschossen wurde.
        Die meisten Verabschiedungen hatte Bolitho im Lauf der Nacht und des Morgens schon hinter sich gebracht: rauhes Handeschutteln vom Stuckmeister und vom Bootsmann, verlegenes Grinsen von anderen, die er vom Knaben zum Mann hatte reifen sehen.
        D'Esterre hatte schon einen Teil seines privaten, vorzuglichen Weinvorrats auf die Brigg hinubergeschickt; Sergeant Shears uberreichte ihm eine kleine, aus Silberstucken selbstgefertigte Kanone zum Abschied.
        Cairns uberprufte die Liste der Gegenstande und der Tatigkeiten, die notwendig waren, und sagte dann:»Der Weise sagt, da? es aufbrisen wird, Dick. Du gehst jetzt besser hinuber. «Er streckte ihm die Hand hin.»Ich sage dir hier Lebewohl. «Dann blickte er sich in der Offiziersmesse um, wo sie so viele gemeinsame Stunden verlebt hatten.»Es wird hier einsamer werden, wenn du weg bist.»

«Ich werde dich nicht vergessen, Neu. «Bolitho ergriff fest die dargebotene Hand. Niemals!»
        Sie schritten gemeinsam zur Niedergangstreppe, als Cairns plotzlich sagte:»Noch etwas. Kapitan Pears ist der Meinung, da? du noch einen Offizier mitnehmen solltest, der dich beim Wachegehen unterstutzt. Einen Steuermannsmaaten konnen wir nicht entbehren, und Leutnants sind so rar wie Nachstenliebe, bis der Ersatz eintrifft. Es kommt also nur ein Fahnrich in Frage.»
        Bolitho uberlegte.
        Cairns fuhr fort:»Weston wird jetzt kommissarischer Leutnant, Lunn und Burslem bleiben besser hier, um ihre Ausbildung zu beenden, also kommen nur Forbes und Couzens in Frage, die jung genug sind, wieder neu anzufangen.»
        Bolitho lachelte.»Ich werde es ihnen selbst uberlassen.»
        Wahrend die Offiziere zusahen, rief Erasmus Bunce, der Master, die beiden dreizehnjahrigen Fahnriche herbei.

«Ein Freiwilliger wird gesucht, Gentlemen - «, Bunce betrachtete sie verachtlich, - obgleich mir nicht klar ist, welchen Nutzen Mr. Bolitho von eurer Anwesenheit haben sollte.»
        Beide traten vor, Couzens mit derart flehentlichem Blick in seinem runden Kindergesicht, da? Bunce ihn fragte:»Sind Ihre Sachen gepackt?»
        Couzens nickte eifrig, aber Forbes war den Tranen nahe, wahrend er den Kopf schuttelte.

«Los«, sagte Bunce,»laufen Sie, Mr. Couzens, lebhaft! Dem Herrn sei Dank, da? das Schiff endlich von Ihrem Ubermut und Unfug befreit wird!«Er blinzelte Bolitho an. Zufrieden?»

«Aye.»
        Bolitho schuttelte die letzten Hande und versuchte, seine Bewegung zu verbergen.
        D'Esterre war der allerletzte.»Viel Gluck, Dick. Wir werden uns wieder begegnen. Du wirst mir fehlen.»
        Bolitho blickte zur White Hills hinuber, sah, wie die Schaumkamme ihren Rumpf streichelten.
        Die Segelorder war in seiner Tasche verstaut, in einem mehrfach versiegelten Umschlag. Er ging zur Pforte, sah die langsseits liegende Gig steigen und fallen. Es wird auffrischen, hatte Bunce gesagt. Vielleicht war das ganz gut, es wurde ihn in Trab halten, ihm keine Zeit fur Abschiedsschmerz lassen.
        Cairns schaltete sich ein:»Hier ist der Kommandant.»
        Pears kam gemachlich uber das Achterdeck, seine Rockscho?e blahten sich auf beiden Seiten wie Leesegel, wahrend er seinen goldverbramten Hut mit einer Hand festhielt.

«Wir wollen segeln, Mr. Cairns. Ich mochte diesen gunstigen Wind ausnutzen.
«Bolitho schien er zum ersten Mal zu sehen:»Noch immer hier, Sir?«Seine Augenbrauen hoben sich.»Bei meiner Seele…«Er vollendete den Satz jedoch nicht, sondern hielt Bolitho seine gro?e Hand hin.

«Ab mit Ihnen. Gru?en Sie Ihren Vater, wenn Sie ihn das nachste Mal sehen. «Dann wandte er sich um und ging zum Kompa?.
        Bolitho gru?te die Flagge, hielt seinen Degen an die Hufte gepre?t und stieg eilig in das wartende Boot.
        Die Riemen tauchten ins Wasser, und sofort blieb die Trojan achteraus; die Leute traten von der Reling zuruck, um mit ihrer Arbeit fortzufahren, wahrend andere aufenterten, um die Marssegel loszumachen.
        Couzens starrte zum Schiff zuruck, der Wind trieb ihm Tranen in die Augen. Es sah so aus, als ob er weinte. Was Bolitho nicht wu?te: Es war der glucklichste Tag in des Fahnrichs bisherigem kurzem Leben.
        Bolitho hob noch einmal gru?end die Hand und sah Cairns dasselbe tun. Von Pears war nichts zu sehen. Wie die Trojan, blieb auch er achteraus.
        Bolitho wandte sich um und studierte die White Hills. Sie war sein, fur kurze Zeit nur, aber immerhin.
        Wie Bunce vorausgesagt hatte, wuchs der Wind rasch zum Sturm an, und damit verwandelten sich auch die wei?en Schaumkamme in lange, tiefe Wellentaler mit gelblichem, verwehtem Gischt.
        Die Prisenbesatzung ging mit grimmigem Ernst an die Arbeit. Sie wandten das Schiff nach Suden, wahrend der Wind schralte, und bra?ten es so hart an, da? die Rahen keinen Finger breit zu bewegen waren.
        Bolitho legte Rock und Hut ab und stand neben dem ungeschutzten Ruder; seine Ohren drohnten vom Brausen des Windes und der See, sein Korper triefte von Gischt.
        Es war ein Gluck, da? die White Hills ein Ersatzsegel fur das zerschossene Vormarssegel an Bord hatte. Das zerrissene konnte nur noch zum Flicken verwandt werden.
        Nur unter gerefften Marssegeln und Kluver, hart am Wind, jagte die White Hills nach Suden, weg von den Inseln und Riffen.
        Quinn arbeitete mit steinernem Gesicht und fast wortlos an Deck, und Bolitho fragte sich, was er ohne ihn hatte tun sollen. Couzens hatte die Entschlossenheit und den Eifer von zehn Mannern, aber
        Erfahrung mit der Takelage in einem ausgewachsenen Sturm, die besa? er nicht.
        Stockdale kam nach achtern und verstarkte die beiden Manner am Ruder. Wie Bolitho, so war auch er bis auf die Haut durchna?t, seine Kleidung schmutzig von Teer und Salz. Er lachelte Bolitho durch die peitschenden Gischtschwaden zu.

«Feine kleine Dame, nicht?»
        Den gro?ten Teil des Tages fuhren sie nach Suden, aber gegen Sonnenuntergang flaute der Wind etwas ab, und die zerschunde-nen, atemlosen Seeleute konnten aufentern, um Gro?segel und Fock zu setzen. Das zusatzliche Tuch gab der Brigg zwar noch mehr Schlagseite, aber sie lag jetzt stetiger und lie? sich besser steuern.
        Bolitho rief Quinn zu:»Ubernimm die Wache, ich gehe nach unten!»
        Nach dem Larm und dem Gewuhl an Deck schien es unten beinahe ruhig zu sein, sobald er sich durch den engen Niedergang gezwangt hatte.
        Wie klein sie wirkte nach den gewaltigen Ausma?en der Trojan. Er tastete sich nach achtern zur Kajute, einer Miniaturausgabe von Pears geraumigem Quartier. Sie ware kaum gro? genug gewesen, um Pears machtigen Tisch aufzunehmen, dachte er. Aber es wirkte alles einladend und zu neu, um Spuren des vorherigen Bewohners zu zeigen.
        Er wirbelte herum, als eine kochende See am Achterschiff vorbeidonnerte, dann trat er an die beiden Heckfenster. Nirgends konnte er aufrecht stehen, nur unter dem geschlossenen Oberlicht. Wie es dann in den Messen aussah, konnte er sich gut vorstellen. Als Fahnrich hatte er einst auf einer ahnlichen Brigg Dienst getan. Auch sie war schnell, lebhaft und fast niemals ruhig gewesen.
        Er uberlegte, was wohl aus Tracys anderem Schiff, der gekaperten Brigg geworden war, die er Revenge genannt hatte. Ob sie noch immer britische Geleitzuge angriff, reiche Ladung fur willig angebotenes Prisengeld erbeutete?
        Die Kabinentur flog auf, und Moffitt kam herein, einen Krug mit Rum und ein Glas in der Hand.
        Er sagte:»Mr. Frowd meint, Sie konnten jetzt einen Schluck vertragen.»
        Bolitho verabscheute Rum, aber er brauchte etwas Belebendes. Also trank er das gefullte Glas auf einmal leer, obwohl er beinahe daran erstickte.

«Ist bei Mr. Frowd alles in Ordnung?«Er mu?te ihn bald besuchen gehen, aber vorlaufig wurde er noch an Deck benotigt.
        Moffitt nahm das geleerte Glas und grinste bewundernd.»Aye, Sir. Ich habe ihn in seiner Koje festgelascht, dort ist er sicher.»

«Gut. Schicken Sie Buller zu mir.»
        Bolitho lehnte sich zuruck und fuhlte, wie das Heck unter ihm erst hochstieg, dann wegsackte, wahrend die See das Ruder wie ein Stuck Treibholz schuttelte.
        Buller kam in die Kajute, den Kopf wegen der Decksbalken gesenkt.

«Sir?»

«Sie ubernehmen die Aufsicht uber die Lebensmittel. Suchen Sie sich jemanden, der kochen kann. Wenn es weiter abflaut, machen Sie das Kombusenfeuer wieder an und sehen zu, da? die Leute etwas Hei?es in den Magen bekommen.»
        Buller zeigte seine starken Zahne.»Allright, Sir. «Dann war er auch schon wieder drau?en.
        Bolitho seufzte, das Aroma des Rums umwehte ihn wie eine Droge. Kommandokette. Er mu?te sie aufbauen, niemand sonst war hier, der ihn hatte ermutigen oder tadeln konnen.
        Sein Kopf fiel zur Seite, aber er schnellte mit plotzlichem Widerwillen hoch. Wie George Probyn, das war ein feiner Anfang! Er sprang auf und fluchte, als sein Kopf gegen einen Decksbalken krachte. Aber das machte ihn sofort wieder nuchtern.
        Er ging weiter nach vorn, schwankend und sich bei den heftigen Bewegungen der Brigg festhaltend.
        Winzige Kabinen auf beiden Seiten eines kleinen, quadratischen Raumes: die Messe. Vorrate, Schie?pulver, dann weiter vorn im Gang schwankende Hangematten. Alles roch neu, bis hinunter zu den Messetischen, den gro?en Rollen aufgeschossenen, starken Tauwerks im Vorschiff.
        Er fand den verwundeten Tracy in einer winzigen, noch nicht ganz fertiggestellten Kammer. Ein Seemann mit rotgeranderten Augen sa? in einer Ecke, die Pistole in den Handen.
        Bolitho betrachtete die Gestalt in der Koje: ein machtiger, hartgesichtiger Mann von etwa drei?ig Jahren, der trotz seiner furchterlichen Wunden und des Blutverlustes sehr lebendig aussah. Aber mit dem an der Schulter abgerissenen Arm stellte er keine gro?e Gefahr mehr dar.
        Die anderen Verwundeten waren einigerma?en gut untergekommen und verhielten sich ruhig. Sie waren alle verbunden und mit Kissen, freien Hangematten, Decken und Kleidungsstucken einigerma?en gegen die heftigen Schiffsbewegungen abgestutzt.
        Bolitho hielt unter einer wild hin und her schwingenden Lampe inne und fuhlte den Schmerz der Verwundeten, ihr fehlendes Verstandnis der Situation. Er schamte sich, an seinen eigenen Vorteil zu denken. Die armen Teufel wu?ten nur, da? sie von ihrem Schiff weggeschafft wurden, das - gut oder schlecht - ihr Heim gewesen war. Wohin ging es jetzt? Mit irgendeinem heimkehrenden Schiff nach England, und dann was weiter? An Land geworfen, ein weiterer Haufen verkruppelter Seeleute. Helden fur die einen, Witzfiguren fur die anderen.

«Bald bekommt ihr etwas Hei?es zu essen, Jungs.»
        Ein paar Kopfe wandten sich ihm zu. Einen Mann erkannte er als Gallimore, einen Seemann, der auf der Trojan als Anstreicher eingesetzt gewesen war. Er war durch Kartatschentreffer schwer verwundet, hatte den gro?ten Teil der rechten Hand verloren und war von gro?en Holzsplittern im Gesicht getroffen worden.
        Es gelang ihm zu flustern:»Wo segeln wir hin, Sir?»
        Bolitho kniete neben ihm nieder. Der Mann wurde sterben. Er wu?te nicht, wieso, aber es war ihm klar. Andere hier waren schwerer verwundet, trugen aber ihren Schmerz mit Trotz, mit wutender Resignation. Sie wurden uberleben.
        Er antwortete:»Nach English Harbour. Die Arzte dort konnen Ihnen helfen. Das werden Sie sehen.»
        Der Mann fa?te nach Bolithos Hand.»Ich will nicht sterben, Sir. Ich habe Frau und Kinder in Plymouth. «Er versuchte, den Kopf zu schutteln.»Ich mu? doch nicht sterben, Sir?»
        Bolitho fuhlte einen Klumpen in seiner Kehle. Plymouth. Genausogut hatte es Ru?land sein konnen.

«Ruhen Sie sich aus, Gallimore. «Er entzog ihm vorsichtig die Hand.»Sie sind unter Freunden.»
        Er ging wieder nach achtern zum Niedergang, tief gebeugt wegen der Decksbalken.
        Wind und Gischt waren ihm jetzt beinahe willkommen. Er fand Couzens mit Stockdale am Ruder, wahrend Quinn sich mit zwei Seeleuten nach vorn hangelte.
        Stockdale sagte mit seiner rauhen Stimme:»Alles halt gut, Sir. Mr. Quinn sieht nach den Luvbrassen. «Dann blickte er zum dunklen Himmel auf.»Der Wind hat noch einen Strich weiter geschralt, auch etwas abgeflaut.»
        Der Bug hob sich himmelwarts und sturzte dann mit Donnern und Beben in ein Wellental. Es hatte genugt, einen Mann von den Rahen zu schleudern, ware einer oben gewesen.
        Stockdale murmelte:»Mu? schlimm sein fur die Verwundeten unten, Sir.»
        Bolitho nickte.»Gallimore wird sterben, glaube ich.«»Ich wei?, Sir.»
        Stockdale drehte das Rad ein paar Speichen weiter und sah das vibrierende Gro?marssegel an, das prall wie ein Ballon an seiner Rah zerrte, als wolle es sich selbstandig machen.
        Bolitho musterte ihn. Naturlich wu?te es Stockdale. Er hatte den gro?ten Teil seines Lebens mit Leidenden und Sterbenden verbracht, erkannte den nahenden Tod mit sicherem Blick.
        Quinn kam uber das Deck nach achtern, taumelnd und strauchelnd bei jedem Sturz des Bugs in ein neues Wellental, der das ganze Schiff erzittern lie?.
        Er rief:»Der Backbordanker hatte sich freigearbeitet, wir haben ihn wieder gekattet.»
        Bolitho erwiderte:»Geh hinunter, stell zwei Wachen auf, nachher sprechen wir daruber.»
        Quinn schuttelte den Kopf.»Ich mochte nicht allein sein, ich mu? etwas zu tun haben.»
        Bolitho dachte an den Mann aus Plymouth.»Geh zu den Verwundeten, James, nimm etwas Rum oder sonst etwas mit, was du unten findest, und gib es an die armen Teufel aus.»
        Es ware sinnlos gewesen, ihm von Gallimore zu erzahlen, besser war es, den Sterbenden bis zuletzt am Trost, den die Flasche den Seeleuten spendet, teilhaben zu lassen.
        Ein kleiner dunkler Italiener namens Borga schlupfte mit Buller zusammen den Niedergang hinab. Also schien dieser bereits einen Koch gefunden zu haben. Hoffentlich war es eine gute Wahl. Hei?es Essen nach einem harten Tag, das war etwas Gutes, konnte aber einen Aufruhr hervorrufen, wenn es nichts taugte. Er sah Stockdale an und mu?te lacheln. Wenn sich das letztere einstellte, so wurde es rasch erledigt werden.
        Noch eine Stunde, und die Sterne schauten hervor, die rasenden Wolken waren vertrieben wie eine Bande Landstreicher.
        Bolitho fuhlte, da? die Brigg jetzt ruhig lag, und fragte sich, ob es wohl eintreten wurde, was Bunce vorausgesagt hatte: zwei Tage Sturm, dann wieder Flaute.
        Wie versprochen, wurde eine warme Mahlzeit fertiggestellt und zuerst an die Verwundeten ausgegeben, dann an die Seeleute, die in kleinen Gruppen zum Essenholen hinuntergingen.
        Bolitho a? seinen Anteil mit gro?em Wohlbehagen, obgleich er nicht wu?te, was es war. Es entpuppte sich dann als ein Gemisch aus gekochtem Fleisch, Hafermehl, gemahlenem Schiffszwieback, das Ganze mit etwas Rum abgeschmeckt. Er hatte noch nie etwas Derartiges gegessen, aber im Augenblick hatte das Mahl an der Tafel eines Admirals bestehen konnen.
        Zu Couzens sagte er:»Tut es Ihnen jetzt leid, da? Sie unbedingt auf die White Hills wollten?»
        Couzens schuttelte den Kopf, den Magen bis zum Bersten gefullt mit Borgas erstem Produkt.

«Warten Sie, bis ich nach Hause komme, Sir. Die werden es mir nicht glauben!»
        Bolitho dachte an Quinn, der unten allein bei den Verwundeten arbeitete, und dachte auch an den Brief, den Pears an Quinns Vater geschrieben hatte: Er hatte es versucht.
        Weiter dachte er an die Post, die er fur den Admiral in Antigua bei sich fuhrte. Es war vielleicht besser, nicht zu wissen, was Pears uber ihn geschrieben hatte, obwohl dies zweifellos seine nachste Zukunft beeinflussen wurde. Aber er verstand Pears noch immer nicht so richtig, wenn er sich auch eingestand, da? er unter dessen Kommando mehr gelernt hatte, als er zuerst wahrhaben wollte.
        Bolitho blickte zum Himmel auf.»Ich denke, das Schlimmste haben wir hinter uns. Sie holen jetzt besser Mr. Quinn an Deck.»
        Couzens platzte heraus:»Aber ich kann allein Wache gehen, Sir!»
        Stockdale grinste ein wenig.»Aye, Sir, er kann das jetzt. Ich werde an Deck bleiben. «Vor dem Fahnrich verbarg er sein Grinsen.»Obgleich ich sicherlich nicht benotigt werde.»

«Gut. «Bolitho lachelte.»Rufen Sie mich, wenn Sie Zweifel haben.»
        Er zwangte sich durch den Niedergang, froh daruber, da? er Cou-zens Gelegenheit gegeben hatte, Verantwortung zu ubernehmen, und uberrascht, da? er es ohne Zogern getan hatte.
        Auf dem Weg zu seiner Kabine horte er aus Frowds Kammer lautes Schnarchen und das Hin- und Herrollen eines Glases auf dem Boden. Morgen wurde es viel Arbeit geben. Erst einmal mu?te ihr Standort und die Abdrift bestimmt werden, dann galt es, den neuen Kurs abzusetzen, der sie mit etwas Gluck nach Antigua bringen sollte.
        Auf der Karte erschien es nicht sehr weit, aber bei der jetzigen, widrigen Windrichtung mu?ten sie kreuzen; au?erdem konnte es Tage dauern, bis sie die Strecke wieder wettgemacht hatten, die der Sturm sie nach Suden getrieben hatte.
        Einmal in Antigua, was dann? Ob wohl der franzosische Leutnant noch dort war und einsame Spaziergange in der Sonne unternahm, frei nur auf Grund seines Ehrenwortes?
        Bolitho legte sich auf die Bank unter den beiden Heckfenstern, bereit, beim ersten ungewohnlichen Gerausch an Deck zu eilen. Aber in wenigen Sekunden war er fest eingeschlafen.
        Es war Mittag, zwei Tage nach ihrer Trennung von der Trojan. Was hatten diese Tage fur eine Menge neuer Erfahrungen und Probleme mit sich gebracht!
        Das Wetter stellte keine hohen Anforderungen mehr, die White Hills lag schrag, aber stabil auf Backbordhalsen. Sogar der machtige Besan war gesetzt und stand prall gefullt uber dem Achterdeck. Das Schiff war jetzt trocken und sauber nach dem Sturm, und die Behelfsroutine, die Bolitho zusammen mit Quinn und Frowd ausgearbeitet hatte, funktionierte gut.
        Frowd sa? auf der Ladeluke, sein Bein als standige Mahnung ausgestreckt.
        Couzens stand am Ruder, wahrend Bolitho und Quinn ihre Se x-tanten ablasen und ihr Besteck verglichen.
        Bolitho sah Dunwoody an die Leereling gehen und ein Gefa? mit Unrat auskippen. Er kam gerade aus dem Mannschaftsdeck, wahrscheinlich von Gallimore. Dieser war ins Kabelgatt verlegt worden, den einzigen Ort, wo der starke Teergeruch des Tauwerks den Gestank einer brandig gewordenen Wunde ertraglich machte.
        Quinn sagte mude:»Ich glaube, wir haben beide recht, Sir. Wenn der Wind so bleibt, sollten wir morgen Land sichten.»
        Bolitho gab Couzens seinen Sextanten. Quinn war also wieder beim Sir angelangt, das letzte Bindeglied zerbrochen.
        Er sagte:»Ja. Morgen mu?ten wir die Insel Nevis in Sicht bekommen, dann bis Antigua nichts mehr.»
        Er spurte einen unertraglichen Schmerz bei dem Gedanken, die White Hills wieder abgeben zu mussen. Es war naturlich lacherlich nach den paar Tagen, aber welches Selbstvertrauen hatte sie ihm gegeben, welche neuen Erkenntnisse vermittelt! Er blickte uber das sonnenbeschienene Deck, und auch dieses erschien ihm nicht mehr so klein und eng wie in den ersten Tagen, als er es noch mit den gewaltigen Decks der Trojan verglich.
        Einige der Verwundeten ruhten im Schatten, gemutlich plaudernd und die Tatigkeit der anderen mit fachmannischen Blicken begutachtend.
        Bolitho fragte Quinn:»Was wirst du spater machen, James?»
        Quinn wandte den Blick ab.»Wahrscheinlich das, was mein Vater mochte. Mir scheint, es ist mein Los, immer Befehlen gehorchen zu mussen. «Er blickte Bolitho plotzlich voll an.»Eines Tages, wenn du mochtest, ich - ich meine, wenn du nichts Besseres vorhast, wurdest du mich dann mal in London besuchen?»
        Bolitho nickte und versuchte, seine Verzweiflung abzuschutteln. Es brachte Quinn genauso um wie Gallimore seine Wunden.

«Ich komme gern, James - «, er lachelte,»- obwohl dein Vater nicht begeistert davon sein wird, einen kleinen Leutnant in seinem Haus zu empfangen. Ich rechne damit, da? du bereits ein reicher Mann bist, wenn ich nach London komme.»
        Quinn blickte ihm forschend ins Gesicht. Irgend etwas in Bo-lithos Ton schien ihn zu trosten, und er sagte:»Ich danke dir dafur, und fur vieles andere auch.»

«An Deck! Segel in Luv voraus!»
        Bolitho starrte hinauf zum Ausguck, er sah die White Hills vor sich wie ein Kreuz auf der Karte. Es gab hier so viele Inseln, franzosische, britische, hollandische. Das Segel gehorte moglicherweise zu einem Schiff einer dieser Nationen.
        Seit die Kittiwake Antigua verlassen hatte, konnte sich alles mo gliche ereignet haben: Frieden mit den amerikanischen Rebellen, Krieg mit Frankreich.
        Plotzlich merkte er, da? alle ihn ansahen.

«Entern Sie auf, Mr. Quinn, nehmen Sie ein Glas und melden Sie, was Sie sehen«, sagte er.
        Frowd stohnte, als Quinn an ihm vorbeilief.»Das verdammte Bein! Ich ware schon langst oben, wenn dieser. «Bis er sich eine passende Beleidigung fur Quinn ausgedacht hatte, war dieser allerdings schon in den Wanten.
        Bolitho schritt aufgeregt an Deck auf und ab, wenn er sich auch bemuhte, au?erlich ruhig zu erscheinen. Vielleicht war es ja ein Spanier, sudwestwarts zum Festland unterwegs mit all seinen Schatzen. Unter diesen Umstanden wurde er sicher die White Hills fur einen Freibeuter halten und bald abdrehen. In diesen Gewassern konnte man unter einem Dutzend von Feinden wahlen.

«An Deck! Es ist eine Brigg!»
        Einer der Verwundeten rief mit dunner Stimme:»Hurra, Jungs, dann ist es eine von den unsrigen!»
        Aber Frowd knurrte gequalt:»Sie wissen, was ich denke, nicht wahr?»
        Bolitho blickte ihn an, ihm lief es kalt uber den Rucken. Naturlich, die grausame Moglichkeit bestand. Dabei waren sie schon so weit gekommen, und, wie er glaubte, mit Erfolg. Es gab noch eine Chance.
        Er versuchte, seine Stimme zu beherrschen, als er nun rief:»Behalte sie im Auge! Zu Couzens sagte er etwas ruhiger:»Wir werden sie bald naher zu Gesicht bekommen, denke ich. «Er sah, wie das Begreifen den Glanz von Couzens Augen loschte.

«Alarm! Klar Schiff zum Gefecht! Laden, aber noch nicht ausfahren!»
        Er beobachtete das Deck, die wenigen Geschutze, die ihnen zur Verfugung standen. Genug, um eine unbewaffnete Yawl zu versenken, aber wenn das herankommende Fahrzeug wirklich Tracys fruheres Schiff sein sollte, dann waren sie nutzlos.



        XVII Die Besten von allen

        Bolitho wartete, bis das Schiff einigerma?en still lag, und richtete dann sein Teleskop auf die andere Brigg. Er sah ihre Bram- und Marssegel, die sich klar gegen den blauen Himmel abhoben, aber der untere Teil des Schiffes verschwamm im Dunst.
        Wenn es die Revenge war, die alte Mischief, wurde ihr Kapitan die White Hills sofort erkennen, sobald sie in entsprechender Entfernung war. Moglicherweise hatte er sie schon erkannt. Den Kurs zu andern und vor den Wind zu gehen, wurde ihm rascher verraten, was sich ereignet hatte, als wenn man es darauf ankommen lie?e.
        Bolitho blickte hinauf zum Wimpel. Der Wind hatte um einen weiteren Strich geschralt. Die Versuchung, abzudrehen, war gro?. Aber ein Entkommen war bei den haufigen Kursanderungen trotzdem nicht moglich, denn die andere Brigg konnte sie bald einholen. Mit ihrer kleinen Prisencrew hatten sie keine Aussicht, die Manover so rasch und exakt auszufuhren wie die andere, wahrscheinlich vollzahlige Besatzung.
        Er sagte:»Fallen Sie einen Strich ab, Stockdale.»
        Aus dem Mast horte er Quinns Stimme:»Ich kann sie jetzt genau erkennen! Es ist die alte Mischief. Da bin ich ganz sicher!»
        Frowd fluchte:»Verdammter Mist! Wir wurden ihr besser die Hacken zeigen!»
        Stockdale meldete vom Ruder:»Nordost zu Ost liegt an, Sir!»
        Bolitho rief durch die hohlen Hande:»An die Brassen! Buller, mehr Leute an die Luvbrassen!»
        Er pa?te genau auf, wie die Rahen langsam herausschwangen, so da? sich jedes Segel bis an den Rand seiner Kapazitat fullte. Die Kursanderung war jedoch zu geringfugig, um den Anschein einer Flucht zu erwecken.
        Couzens kam nach achtern gerannt, die Hande schmutzig, das Hemd an mehreren Stellen zerrissen.

«Schiri ist klar zum Gefecht, Sir, alle Geschutze sind geladen!»
        Bolitho lachelte dunn. Alle Geschutze, das bedeutete kummerliche acht Sechspfunder. Die White Huls war fur vierzehn Kanonen und fur ein paar Schwenkgeschutze konstruiert, aber all diese Waffen waren wohl mit der Yawl auf den Grund des Meeres gesunken. Acht Geschutze, also lediglich vier auf jeder Seite. Der Versuch, alle Kanonen auf eine Seite zu bringen, wurde zweifellos von der anderen Brigg bemerkt werden. Ihre Gro?e nahm uberraschend schnell zu, und Bolitho sah das Sonnenlicht von Metall oder vielleicht auch von verschiedenen Fernglasern reflektieren.
        Sie steuerte einen konvergierenden Kurs mit der White Hills und lag jetzt mit dieser auf gleicher Hohe.
        Ihr Kapitan kannte Tracy personlich, sie mu?ten sich also bis zum Einbruch der Dunkelheit weit genug entfernt halten und sich irgendeinen Trick ausdenken, um Tracys Abwesenheit glaubhaft erscheinen zu lassen.

«Land in Lee, Sir!«Der Ausguck hatte die Augen offengehalten, wahrend Quinn ausschlie?lich die Brigg beobachtete.
        Bolitho sah Frowds Verzweiflung. Das Land war hochstwahrscheinlich eine oder mehrere der kleinen Inseln, die nach dem Passieren von Nevis ihren Kurs saumen sollten, funfzig Meilen lang bis Antigua. So nah lag das Land, und doch so fern.

«Die Brigg andert Kurs, Sir!«Dann noch ein Ruf:»Sie hat ihre Flagge gesetzt!»
        Bolitho nickte grimmig.»Hei?en Sie die gleiche Flagge, Mr. Couzens!«Er sah, wie die Flagge mit den roten und wei?en Streifen an der Gaffel hochging und dann auswehte.
        Frowd richtete sich muhsam auf.»Es ist zwecklos, verdammt! Sie schlie?t immer dichter auf und hat au?erdem noch den Windvorteil.»

«Vielleicht wollen sie mit uns sprechen und feststellen, ob wir die Geschutze und Munition an Bord haben. Vielleicht sollten die beiden sich hier irgendwo treffen.
«Bolitho dachte laut und sah Frowd zustimmend nicken.
        Stockdale zog Couzens am Armel.»Halten Sie auch unsere Flagge bereit, Mr. Couzens. Ich kann mir nicht vorstellen, da? unser Kommandant unter falscher Flagge kampfen will.»
        Frowd knurrte verzweifelt:»Wie konnten wir kampfen, Sie Narr! Diese Kaperschiffe sind immer bis ans Schanzkleid bewaffnet! Sie mussen einen Feind so schnell wie moglich besiegen, bevor er
        Hilfe bekommt und sie vertreibt. «Er stohnte:»Kampfen? Sie mussen verruckt sein!»
        Bolitho hatte sich jetzt entschieden.»Wir beginnen mit Segelkurzen, als ob wir mit ihnen sprechen wollten. Wenn wir nahe genug herankommen, ohne ihren Argwohn zu erregen, beharken wir ihr Achterdeck und erledigen so viele von ihren Offizieren wie moglich. Dann machen wir, da? wir wegkommen.»
        Stockdale nickte.»Spater konnen wir zwei Geschutze nach achtern schaffen, Sir. Eine Hecksalve ist besser als gar nichts.»
        Bolitho stand ganz still, um in Ruhe zu uberlegen. Er hatte keine andere Wahl, und auch dies war kein Ausweg. Aber es gab nur entweder einen raschen, tollkuhnen Uberraschungsangriff oder Ubergabe.

«Gei auf Gro?segel!»
        Bolitho sah die paar uberzahligen Leute aufentern, um das Gro?segel zu bergen. Der andere Kapitan wurde die geringe Besatzungszahl sehen und wohl daraus folgern, da? sie in einem Gefecht gewesen waren. Das klaffende Loch in der Bordwand, das vom Achtzehnpfunder der Trojan herruhrte, sprach ebenfalls eine deutliche Sprache.
        Er richtete sein Glas auf das andere Schiff, ohne sich um das Fluchen seiner Leute zu kummern, die auf der Gro?rah mit dem storrischen Segeltuch kampften. Frowd hatte recht, sie war schwer bewaffnet, und es wimmelte an Deck von Leuten.
        Er uberlegte, was wohl mit ihrem ursprunglichen Kommandanten geschehen war, nachdem die Freibeuter sie gekapert hatten. Vierzehn Kanonen und eine entschlossene Besatzung machten sie zu einem beachtlichen Gegner. Bolitho sah ihr Deck, als sie jetzt stark uberholte. Die Geschutze auf der abgewandten Seite waren alle unbesetzt, auf der ihm zugekehrten Seite ragten ein paar Kopfe uber die geschlossenen Geschutzpforten, jedoch waren die Kanonen wohl geladen und schu?bereit.
        Moffitt kam uber das Deck und sagte:»Sie werden mich brauchen, Sir, ich wei? schon, wie ich mit diesen Halunken sprechen mu?!»

«Ja, halten Sie sich bereit.»
        Er studierte ihre Segelstellung, ihre schaumende Bugwelle, als sie jetzt noch naher kam. Ihre Rahen schwangen so rasch und exakt herum wie bei einem Modell, das von einer einzigen Hand bedient wird.
        Eine halbe Meile, nicht mehr.
        Er wandte den Blick von der Brigg ab und binnenbords seinen eigenen Leuten zu, die sich aufgeregt und mit lebhaften Gesten unterhielten; selbst die Verwundeten reckten den Hals, um uber die Reling zu sehen.

«Kommen Sie herunter, Mr. Quinn!«Er rief Stockdale und Buller zu:»Pa?t auf, da? die Leute ihre Waffen nicht sehen lassen. Sobald ich das Kommando gebe, fahrt ihr diese vier Geschutze so schnell aus und feuert, was ihr konnt. Wenn es uns gelingt, ihre Offiziere zu dezimieren, werden wir die Verwirrung ausnutzen und zu verschwinden versuchen.»
        Quinn erschien atemlos neben ihm, den Blick auf den Gegner gerichtet.

«Denkst du, sie werden uns angreifen?»

«Nein. «Bolitho verschrankte die Arme und hoffte, da? er jenseits des glitzernden Wasserstreifens so entspannt wirkte, wie er sich den Anschein gab, in Wirklichkeit aber keineswegs fuhlte.»Sie hatten sonst schon langst gefeuert, sie haben alle Vorteile auf ihrer Seite.»
        Wenn der Wind jetzt drehte. Er schlo? diese Moglichkeit aus, fixierte die Segel und den Wimpel an der Mastspitze. Es blies frisch und gleichma?ig aus Nordwest. Die Rahen standen richtig, an Backbord bei fast halbem Wind angebra?t. Wenn sie nur den Argwohn des anderen Kommandanten weiterhin zerstreuen und ihn bis zur Dunkelheit hinhalten konnten, dann schafften sie es vielleicht, ihn im Lauf der Nacht abzuschutteln und zwischen den Inseln zu verschwinden.
        Selbst wenn der feindliche Kapitan sie dann nach Tagesanbruch wiederfand, konnten sie ihm moglicherweise in dem engen Fahrwasser zwischen Nevis und St. Christophers entkommen oder ihn gar auf Grund locken.
        Ihr einziger Verbundeter in dieser gefahrlichen Lage war der Wind. Beide Schiffe hatten den gro?ten Teil ihrer Segel noch stehen, so konnte jeder von ihnen ohne Schwierigkeit wenden oder halsen, wenn es erforderlich werden sollte.
        Stockdale bemerkte:»Sie mu? beinahe Sudost steuern, Sir, mit achterlichem Wind.»
        Bolitho nickte. Er wu?te, da? Stockdale ihm helfen wollte, und wenn es auch nur durch einen solchen Kommentar war.
        Der Abstand hatte sich jetzt auf eine Viertelmeile verringert, man sah deutlich die beobachtenden Gestalten auf dem anderen Schiff.

«Wenn der Kapitan uns anruft, Moffitt, sagen Sie ihm, da? Tracy nach einem Gefecht mit den Briten schwer verwundet ist. «Er sah, wie Moffitt die Lippen zusammenkniff.»Es ist keine Luge, also machen Sie's so glaubhaft wie moglich, klar?»
        Moffitt entgegnete kalt:»Ich werde denen die Wahrheit geigen, Sir, aber nur die halbe, und wenn sie uns entern sollten, werde ich dafur sorgen, da? Tracy sich nicht wieder erholt!»
        In Luv krochen die Seeleute auf allen vieren wie seltsame Anbeter um die vier Kanonen herum. Sie schafften weitere Munition und Pulver dorthin. Ein stattlicher Zweidecker wie die Trojan hatte ihre Schusse kaum gespurt, aber eine gutsitzende Salve quer uber das Achterdeck der Brigg konnte allerhand Schaden anrichten. Zeit, Zeit, Zeit. Es war wie der Schlag eines Hammers auf den Ambo?.
        Zwei Schatten bewegten sich auf der Bordwand der Revenge, und Bolitho horte erregtes Gemurmel von einem Verwundeten. Die Revenge hatte zwei ihrer Geschutzpforten geoffnet, und beim genauen Hinsehen entdeckte er zwei schwarze Rohre, die rasch ins Sonnenlicht vorstie?en.
        Frowd murmelte unsicher:»Der Halunke wei? Bescheid!»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich glaube nicht. Wenn er mit einem Feind rechnete, wurde er die gesamte Breitseite ausfahren und wahrscheinlich versuchen, unser Heck zu kreuzen. «Wieder war es, als teile er seine Gedanken mit allen rings um ihn her.»Er wird uns die ganze Zeit ebenso beobachtet haben wie wir ihn. Tracys Abwesenheit wird schon bemerkt worden sein. Wenn der Kapitan der Revenge erst vor kurzem ernannt worden ist, wird er zogern, etwas zu unternehmen, andererseits aber vor seinen Leuten keine Unsicherheit zeigen wollen. Der Nachfolger eines Mannes wie Tracy hat es bestimmt nicht leicht.»
        Er sah, wie einige seiner Seeleute sich ansahen, als suchten sie beim anderen Unterstutzung, neue Hoffnung.
        Der Kapitan der Revenge war moglicherweise noch erfahrener als
        Tracy. In diesem Augenblick hielt er vielleicht nur Kurs, um gleich aus den ebenfalls geladenen und schu?fertigen anderen Geschutzen eine furchterliche Breitseite in die White Hills zu feuern.
        Moffitt ergriff das Sprachrohr und kletterte lassig in die Luvwanten. Es war noch viel zu fruh, konnte aber dazu beitragen, einen eventuell keimenden Verdacht beim Gegner zu zerstreuen.
        Wenn nicht, dann wurde auf diesem Deck in spatestens funfzehn Minuten der Kampf toben.
        Bolitho sagte beilaufig:»Tragt Mr. Frowd und die anderen Verwundeten nach unten. Wenn wir von Bord mussen, steht das achtere Boot zu ihrer ausschlie?lichen Verfugung.»
        Frowd fuhr auf seinem Lukendeckel wie ein wutender Terrier herum.

«Verdammt, ich will nicht sterben wie ein krankes Weib!«Er verzog das Gesicht, als der Schmerz der heftigen Bewegung ihn durchfuhr, und sprach dann in gema?igterem Ton weiter:»Ich wollte nicht undiszipliniert sein, Sir, aber versuchen Sie, meinen Standpunkt zu verstehen.»

«Und der ware?»
        Frowd schwankte wie ein Busch im Wind, als die Brigg sich in dem groben Seegang hob und senkte.

«Wenn Ihr Plan funktioniert, Sir, und ich bete zu Gott, da? er es tut, dann wird es eine Jagd, die nur Gluck und uberlegene Seemannschaft entscheiden.»
        Bolitho lachelte.»Moglich.»

«Aber da ich vermute, da? wir kampfen mussen, lassen Sie mich um Gottes willen mitmachen. Ich bin in der Marine, seit ich denken kann. Zu enden, indem ich mich unten verstecke, wahrend oben Metall durch die Luft fliegt, wurde mein Leben so nutzlos machen wie das eines Galgenvogels.»

«Gut. «Bolitho sah Couzens an.»Helfen Sie dem Leutnant nach achtern, und sehen Sie zu, da? er genugend Munition bekommt, um die Pistolen und Musketen nachzuladen, damit wir den Eindruck von Starke und gro?erer Zahl vermitteln.»
        Frowd rief aus:»Genau das ist es, Sir, nichts weiter erbitte ich. Diese Teufel sind mindestens viermal starker als wir. Ein paar von ihnen werden wir bestimmt mit ins Jenseits nehmen, we nn wir rasches Feuer beibehalten konnen.»
        Es war unglaublich, dachte Bolitho. Die Aussicht auf sicheren Tod klang aus Frowds Worten und doch war die vorherige Angst und Besorgnis verschwunden. Das Warten war das schlimmste, die einfache Aufgabe des Kampfens und Sterbens dagegen verstanden sie alle. Ihm war, als horte er Sparke sprechen:»Halte sie in Trab, keine Zeit zum Klagen und Schwachwerden.»
        Er wandte sich wieder der Revenge zu, deren killender Kluver und Stagsegel anzeigten, da? sie ein wenig abfiel, um noch dichter heranzuschlie?en. Nun wirkte sie noch imponierender und starker bewaffnet.
        Ihr Rumpf war vom Wetter mitgenommen, ihre Segel ausgeblichen und verschiedentlich geflickt. Sie war zum Kampfen gebaut, dachte Bolitho grimmig, jetzt sogar gegen ihre fruheren Eigentumer.

«Wir halten noch ein paar Minuten durch, Stockdale, dann gehen Sie auf Ostkurs. Das wird am naturlichsten erscheinen, wenn wir zum Sprechen dicht genug heran sind.»
        Er zuckte zusammen, als eine Handspake an Deck polterte und ein Mann sie unter einem Strom von Fluchen und Drohungen aus Bullers Mund wieder aufhob.
        Er sah die Entermesser und Pistolen, die jeder bereithielt, sah, wie sie ihre Muskeln und Sehnen geschmeidig zu halten versuchten, wahrend sie die qualvoll verstreichenden Minuten durchlebten.

«An die Brassen!«Bolitho trat naher und zischte:»Langsam Leute, la?t euch Zeit!«Er bemerkte die verdutzten Gesichter einiger. Nach Jahren des Dienstes in des Konigs Marine erschien es ihnen fast wie Blasphemie, wenn ihnen gesagt wurde, sie sollten sich Zeit lassen. Aber Bolitho fugte hinzu:»Denkt daran, ihr seid Landratten, keine Seeleute!«Es war unglaublich in dieser Situation, aber die meisten grinsten und kicherten uber diesen billigen Witz.»Ver-ge?t, da? ihr erstklassige Matrosen seid!»
        Buller rief:»Aber nicht fur lange, Sir!«Auch er lachte.

«Jetzt, Stockdale!»
        Ruder und Rahen bewegten sich in schwerfalligem Gleichklang, die kleine Brigg fiel drei Strich ab, die Masten der Revenge schienen achteraus zu wandern, bis beide auf parallelem Kurs lagen. Bugsprit und Kluverbaum der Revenge uberlappten die Heckreling

* ca. 90 m ** ca. 46 m
        der White Hills, der Abstand war jetzt etwa eine halbe Kabellange*.
        Gehorsam, so schien es, folgte das andere Fahrzeug, es schlo? bis auf funfzig Yards** heran, lag aber noch ein wenig zuruck. Jede Kursanderung hatte der White Hills ein paar kostbare Minuten Zeitgewinn verschafft und ein klein wenig Vorsprung vor ihrem unerwunschten Gefahrten.
        Frowd zischte durch zusammengepre?te Zahne:»Gott sei Dank haben sie kein verabredetes Erkennungssignal.»

«Sie reden schon wie der Weise.»
        Aber Frowd hatte recht. Der Feind hatte sie in sicherer Entfernung auf die Probe stellen konnen, wenn er ein einwandfrei funktionierendes Signalsystem gehabt hatte, wie es die alteren Seemachte besa?en. Aber dazu hatte den Amerikanern wohl bisher die Zeit gefehlt.
        Abgesehen vom Rauschen des Wassers und dem gelegentlichen Klatschen eines Segels war es vollkommen still an Deck.
        Moffitt bemerkte leise:»Ich kann einen sehen, der eine Flustertute in der Hand hat, Sir. «Ruhig blickte er Bolitho an:»Ich wei?, was ich zu sagen habe. Ich werde Sie nicht enttauschen.»
        Rabbett fuhr auf:»Das la?t du auch besser bleiben, Kumpel. Ich bin schon in zu vielen Gefangnissen gewesen, als da? ich jetzt in einem von denen verrotten mochte!»
        Moffitt grinste und winkte dann mit seinem Sprachrohr zur anderen Brigg hinuber. Beide Schiffe blieben mit verhaltnisma?ig hoher Fahrt auf gleichem Kurs; zu jeder anderen Zeit ware es ein prachtiger, erfreulicher Anblick gewesen. Jetzt hatten sie beide etwas Drohendes an sich, wie zwei sich argwohnisch belauernde Tiere, die keine Furcht zeigen mochten.
        In diesem Augenblick - es winkte gerade jemand vom Achterdeck der Revenge zuruck - wurde die spannungsgeladene Stille durch einen markerschutternden Schrei zerrissen. Es klang unmenschlich, wie in hochster Todesangst.
        Die Seeleute an den Brassen und an den Geschutzen blickten sich unruhig um, entsetzt und dann wutend, als der Schrei anhielt und sogar noch lauter wurde.
        Quinn keuchte:»Was ist das, um Gottes willen?»
        Stockdale sagte:»Gallimore, Sir. Seine Wunden mussen aufgeplatzt sein.»
        Bolitho nickte, Galle auf der Zunge schmeckend, als er sich das brandige Fleisch vorstellte, dessen Gestank so unertraglich geworden war, da? er den armen Gallimore ins Kabelgatt hatte verlegen mussen.

«Sagt Borga, er soll ihn zum Schweigen bringen.»
        Er versuchte, seine Ohren vor dem Schreien zu verschlie?en, das Bild des gemarterten Mannes aus seinem Kopf zu vertreiben.
        Eine Stimme ertonte von druben uber das Wasser, sie brachte Bo-litho in die gefahrliche Wirklichkeit zuruck.

«White Hills ahoi! Was, zum Teufel, war das?»
        Bolitho schluckte. Des armen Gallimores Todesschrei hatte sowohl den Feind wie seine Kameraden vollig entnervt.
        Moffitt schrie zuruck:»Ein Verwundeter!«Er schwankte ein wenig, als die Brigg in ein steiles Wellental glitt, aber Bolitho wu?te, da? es fingiert war. Moffitt war so gewandt wie eine Katze, es verschaffte ihm nur etwas Zeit.»Hatten einen Zusammensto? mit den Briten! Verloren ein paar gute Leute!»
        Das Schreien erstarb mit so dramatischer Plotzlichkeit, als sei der Mann enthauptet worden.
        Uber das Wasser fragte die andere Stimme:»Und Kapitan Tracy? Ist er gesund? Ich habe Order fur ihn!»

«Er ist auch verwundet. «Moffitt griff mit der freien Hand ins Want und flusterte uber die Schulter:»Die zwei Kanonen, Sir. Ihre Bedienung ist nach unten gegangen.»
        Bolitho wollte sich die Lippen lecken, den Schwei? aus den Augen wischen, irgend etwas tun, um das entsetzliche Warten und Beobachten zu unterbrechen. Moffitt hatte gesehen, was er selbst nicht einmal zu hoffen gewagt hatte. Vielleicht war es Gallimores Schreien gewesen, zusammen mit Moffitts zur Schau gestellter Ruhe und Zuversicht, dazu die Tatsache, da? die White Hills das richtige Schiff beinahe an der richtigen Stelle war, was den Kapitan der Revenge uberzeugte, da? alles mit rechten Dingen zuging.
        Aber da war immer noch die Sache mit Tracys neuer Order: vielleicht Einzelheiten uber das nachste Rendezvous oder uber einen anzugreifenden Geleitzug?
        Im nachsten Augenblick wurde der Kapitan der Revenge, nach Tracys jetzt bekanntem Ausfall in der Position des alteren Kommandanten, entscheiden mussen, was zu tun sei.
        Bolitho sagte leise:»Er wird vorschlagen, da? wir beide beidrehen, damit er heruberkommen und Tracy sprechen kann.»
        Quinn starrte ihn an, das Gesicht wie eine Maske.»Wir werden also abdrehen, Sir?»

«Aye. «Bolitho warf einen raschen Blick auf den Wimpel.»Sobald er Segel kurzt und in den Wind dreht, nutzen wir unsere Chance. «Er rief der nachsten Geschutzbedienung zu:»Fertig, Jungs!«Sofort sah er einen ubereifrigen Seemann aufstehen und nach einer Lunte greifen.»Belege das! Wartet auf mein Kommando!»
        Der Kapitan der Revenge rief jetzt heruber:»Wir drehen bei. Ich komme hinuber, sobald…»
        Weiter kam er nicht. Wie ein Gespenst, das einem Sarg entsteigt, kam Kapitan Jonas Tracy durch den vorderen Niedergang an Deck getaumelt; die Augen quollen ihm vor Wut und Anstrengung fast aus dem Kopf.
        Er trug eine Pistole, die er auf einen herbeieilenden Seemann abfeuerte. Der Schu? traf diesen in die Stirn und warf ihn hinten uber aufs Deck, wo er in einer rasch gro?er werdenden Blutlache liegenblieb.
        Und die ganze Zeit uber brullte Tracy mit lauter Stimme, die alle anderen weit ubertonte:

«Behark diese Hunde! Es ist ein Trick, du verdammter Narr!»
        Von der anderen Brigg ertonten lautes Rufen und verwirrte Kommandos, und dann brachen auf der ganzen Lange der Bordwand die Kanonen aus den Pforten hervor.
        Ein anderer Seemann sturzte auf die schwankende Gestalt am Niedergang zu, aber nur, um mit dem Pistolenknauf besinnungslos geschlagen zu werden. Diese letzte Anstrengung war jedoch zu viel fur den Verwundeten. Das Blut scho? aus dem Polster von Bandagen um seine Achselhohle, und das von Bartstoppeln bedeckte Gesicht wurde kreidewei?, als er jetzt versuchte, sich zum nachsten Geschutz hin zu hangeln. Es sah aus, als strome das letzte Leben aus ihm heraus.
        Bolitho sah das alles wie in einem wilden Traum, die einzelnen Ereignisse zwar im selben Zeitablauf, aber vollig getrennt von einander. Gallimores plotzliche Schreie hatten Tracys Wachposten also bewegen, seinen Platz zu verlassen; wer konnte es ihm ver denken? Tracys furchtbare Wunde hatte jeden anderen Mann langst umgebracht.
        Als dann die ihm bekannte Stimme des Kapitans der Revenge heruberklang, mu?te sie Tracy aus seinem Dahindammern aufgeschreckt und zu einer plotzlichen Anstrengung befahigt haben.
        Was die Ereignisse auch ausgelost hatte, Bolitho wu?te, da? fur die Ausfuhrung seines ziemlich durftigen Plans keine Moglichkeit mehr bestand.
        Er schrie: «Geschutze ausfahren!»
        Die Leute sturzten sich auf die Taljen, die vier Kanonen bewe g-ten sich kreischend zu den offenen Pforten, Verzweiflung und Wut verlieh den Mannern doppelte Krafte.

«Feuer!»
        Wahrend die Kanonen in einer unordentlichen Salve losdonnerten, rief Bolitho: Stockdale! Hart Backbord!»
        Stockdale und der andere Ruderganger legten das Rad uber, Bo-litho zog seinen Degen und war sich klar, da? nichts auf Erden den Ablauf des Geschehens noch einmal andern konnte.
        Er horte uberraschte Rufe seiner eigenen Leute und Gewehrfeuer von der Revenge, als die White Hills auf das Ruder reagierte und mit voller Fahrt und wild schlagenden Segeln in den Wind scho?, auf die jetzt durch die Drehung quer vor ihrem Bug liegende Re-venge zu.
        Ein paar vereinzelte Gewehrschusse waren zu horen, eigene oder feindliche, das wu?te Bolitho nicht, wahrend er, so schnell er konnte, nach vorn rannte, zum Ort des zu erwartenden Rammsto?es, wobei er in Tracys Blutlache fast ausrutschte.
        Wie der Sto?zahn eines riesigen Elefanten, so schmetterte ihr Kluverbaum durch Wanten und Takelage der Revenge in den Schiffsrumpf hinein. Die Wucht des Aufpralls erschutterte beide Fahrzeuge so, als seien sie mit au?erster Geschwindigkeit auf einen Felsen gelaufen.
        Wind und Fahrtmoment der White Hills trieben diese noch tiefer in das andere Schiff hinein, bis Rahen oder Masten der Spannung nachgaben und mit ohrenbetaubendem Krachen barsten. Beide waren jetzt unlosbar ineinander verkeilt.
        In Bolithos Ohren drohnte der Larm herabsturzender Takelage und des Zerrei?ens von Segeln, als die Marsstenge der Revenge mitsamt dem Marssegel und einer Masse weiteren Segeltuchs von oben kam und noch zu der allgemeinen Zerstorung und Verwirrung beitrug.
        Aber er war wutend, sturmte mit geschwungenem Degen durch den ziehenden Geschutzqualm und schrie:»Los, Jungs, auf sie!»
        Er sah, wie die verblufften Gesichter sich jahlings wandelten, wie sie Wut, Erregung und au?erste Entschlossenheit widerspiegelten. In einer nicht sehr gro?en Angriffswelle fluteten sie uber.die Back auf das Deck der Revenge, wahrend vom Achterdeck das Gewehrfeuer von Frowd und seiner Kruppelgarde zu horen war.
        Und hier war der Feind, genau unter ihnen: starrende Augen, verzweifeltes Bemuhen, aus dem Gewirr der Takelage und Holztrummer freizukommen.
        Ein Bajonett schnellte vor und schleuderte einen angreifenden Seemann schreiend in den schwelenden Qualm, aber Bolitho und seine Leute rechts und links hatten jetzt auf dem Deck der Revenge Fu? gefa?t und sturmten weiter vor. Der Mann mit dem Bajonett wirbelte herum und stie? nach Bolitho, aber Stockdale ergriff ihn und schlug ihm mit voller Wucht den Griff seines schweren Entermessers in den Mund. Als der Mann zurucktaumelte, hieb ihm Stockdale ins Genick, so da? er tot zusammenbrach.
        Die erste Uberraschung wurde bald der Wut und dem Verteidigungswillen des Gegners weichen, das war Bolitho klar, aber irgendwie schien es ihn nicht zu beruhren.
        Einmal, als er sich unter einer herabgesturzten Rah durchwand, um einem Mann, der eine Pistole auf einen der Ihren anlegte, den Arm abzuschlagen, konnte er einen Blick auf die White Hills werfen, sein einst so stolzes Schiff. Die Gro?rah war wie der Bogen eines Riesen in zwei Halften zerbrochen, und auf der Back turmte sich so viel herabgesturzte Takelage, Segel und Trummer, da? die Brigg wie ein Wrack aussah.
        Uber diesem Gewirr und Rauch sah er einen scharlachroten Klecks, und es wurde ihm klar, da? er trotz der sich ubersturzenden Ereignisse wohl doch noch den Befehl zum Setzen der britischen Flagge gegeben haben mu?te, aber er konnte sich nicht daran erinnern.

«Hier entlang, Jungs!«Es war Buller, der Enterbeil und Pistole schwang.»Kampft euch nach achtern durch!«Dann fiel er, einen Ausdruck volliger Uberraschung im Gesicht.
        Bolitho knirschte mit den Zahmen. Die wertvolle Zeit, die sie mit so viel Muhe gewonnen hatten, war verstrichen.
        Vom Achterdeck der Revenge kam jetzt das Bellen eines leichten Schwenkgeschutzes, und Bolitho horte uber den Kampflarm hinweg, da? auch die Kanonen der White Hills noch feuerten. Er stellte sich Frowd vor, wie er trotzig den Widerstand organisierte, bereit zu sterben.
        Irgendwie hatten sie sich bis zur Mitte des Decks durchgekampft, wo die aufgehauften Trummer jede Bewegung doppelt schwer machten, aber wo ein Verweilen sicheren Tod bedeutete.
        Er sah Dunwoody, der auf dem blutuberstromten Deck mit einem Seemann der Revenge kampfte. Sie rollten am Boden, Dunwoodys Hand war bereits zerfetzt von dem Versuch, des Mannes Entermesser abzuwehren, wahrend er nach seinem eigenen suchte, das ihm entfallen war. Ein weiterer Mann kam aus dem Qualm, in der Hand eine Pike, mit der er Dunwoodys Hals durchbohrte und den zuk-kenden Korper an Deck festspie?te, bis das Entermesser ihn erloste.
        Bolitho sah das alles, und als er uber ein umgesturztes Boot sprang, fand er sich Auge in Auge mit dem Kapitan der Revenge. Neben ihm sah er das verlassene Ruder, die aufgerissenen Splitter, die aus dem Achterdeck ragten wie Federn, die verstreuten Korper der Toten, die den doppelten Ladungen der vier Sechspfunder zum Opfer gefallen waren.
        Bolitho duckte sich, als des Mannes Klinge uber seinen Kopf zischte, verfing sich in einer Tauschlinge und sturzte schwer zur Seite. Er beobachtete, wie die Klinge wieder hochgerissen wurde und dann auf ihn niederfuhr. Mit seinem Degen parierte er den Schlag, spurte aber die Wucht des Hiebes wie einen schmerzhaften Treffer in seiner Schulter. Der Kapitan sprang zuruck und lief nach achtern, um einen Zusammensto? mit den jetzt heranjagenden Enterern zu vermeiden. Da kamen sie gerannt, Rabbett, sein Entermesser blutig bis zum Griff, Carlsson, der Schwede, in der Hand eine Muskete mit aufgepflanztem Bajonett, die er einem sterbenden Gegner entrissen haben mu?te, und sogar Borga, der romische Koch, bewaffnet mit einem Schwert wie einst seine Vorfahren in der Gladiatorenarena. Sie alle waren noch am Leben und voller Kampfeswut.
        Auf der anderen Seite des Decks sah er Quinn mit der zweiten Gruppe der Enterer, bla? und mit einer Stirnwunde, aus der das Blut stromte. Sie waren in einem Kampf mit mindestens der doppelten Anzahl von Gegnern verwickelt.
        Bolitho entdeckte plotzlich Couzens und schrie heiser:»Zuruck an Bord! Ich hatte Ihnen gesagt, Sie sollten bei Mr. Frowd bleiben!»
        Er duckte sich keuchend, als ein Schatten vor ihm auftauchte. Mit einem scharfen Ruck seines Handgelenks ri? er rechtzeitig den Degen hoch, um den Sto? eines Entermessers aufzufangen.
        Der Angreifer war ein Unteroffizier und bestimmt so englisch wie Bolitho selbst.

«Diesmal haben Sie ein zu gro?es Stuck abgebissen, Sirl»
        Bolitho fuhlte des Gegners Krafte, er wurde zuruckgedrangt, die Klinge war nur noch fingerbreit von seiner Brust entfernt. Der Dialekt des Mannes war Cornish, wahrscheinlich stammte er aus Bolithos engerer Heimat.
        Moffitt hob jetzt den Kopf wie ein Preisboxer, das Blut troff noch von seinem Dolch.

«Aber du auch!»
        Bolitho brach unter dem Gewicht des sterbenden Unteroffiziers zusammen. Moffitts Klinge war mit solcher Wucht in dessen Ruk-ken gedrungen, da? sie nur durch ein Wunder nicht alle beide aufspie?te.
        Couzens duckte sich und sprang immer wieder rasch zur Seite, wenn die Gestalten um ihn herum nach ihm schlugen und stachen. Stahl prallte auf Stahl, und von achtern erscholl jetzt ein Chor entsetzter Schreie, als ein Schwenkgeschutz inmitten seiner eigenen Bedienungsmannschaft explodierte.
        Couzens keuchte atemlos:»Ich will nur helfen, Sir!»
        Bolitho schuttelte ihn am Arm und fuhlte, wie Couzens bei seinem Anblick zusammenzuckte.»Nehmen Sie zwei Mann und gehen Sie nach unten. Sagen Sie ihnen, ich mochte, da? diese Brigg in Brand gesetzt wird!«Er spurte, da? der Junge entsetzt war uber seine Wildheit und Wut.»Los, tun Sie, wie Ihnen befohlen!»
        Schusse schlugen ins Deck ringsum, trafen die Leichen, die zusammenzuckten wie Lebende. Der Kapitan der Revenge hatte Scharfschutzen in die Takelage geschickt, die Frowds kleine Gruppe und alles, was wie ein Offizier oder zumindest ein Anfuhrer aussah, aufs Korn nehmen sollten.
        Stockdale brullte:»Vorsicht, Sir!«Er warf sich nach vorn, als ein Mann mit einem Entermesser Bolitho ansprang, war aber nicht schnell genug. Bolitho sah das wutverzerrte Gesicht des Gegners und fragte sich, ob auch er so aussah und Couzens sich deshalb so vor ihm geangstigt hatte.
        Das schwere Entermesser knirschte gegen Bolithos Degengurt und verbeulte die starke Messingplatte wie der Einschlag einer Gewehrkugel.
        Er sah den Ausdruck des Gesichts sich wandeln von Wut in Furcht, dann zu volliger Leere, als Bolithos Degen es vom Auge bis zum Kinn aufri? und den rochelnden Mann hintenuber warf.
        Bolitho fuhlte sich elend, erschopft und wie gelahmt durch die Wildheit des Kampfes. Couzens hatte es wohl nicht geschafft, die Brigg in Brand zu setzen, denn im Vorschiff fingen die Gegner jetzt an mit Hurrarufen. Der Kampf schien zu Ende zu sein. Wie Quinn hatte er es immerhin versucht.
        Da war es wieder, laut und wild:»Hurra, Hurra!»
        Bolitho starrte Stockdale an.»Das ist nicht der Feind!»
        Er wirbelte herum, lie? zum ersten Mal seinen Degen sinken und sah verblufft, wie aus dem vorderen Niedergang eine Schar schmutziger, unrasierter Gestalten hervorbrach.
        Couzens rannte mit ihnen. Vollig au?er sich vor Aufregung rief er:»Gefangene, Sir!

        Dann wurde er von den Befreiten beiseite gefegt, die vorbeisturmten wie ein Wasserfall, bewaffnet mit allem, was sie packen konnten: heruntergefallenen Entermessern, Beilen, eisernen Belegnageln, irgend etwas, womit sie ihre alten Gegner treffen, umbringen oder jene zu Kruppeln schlagen konnten, die sie so lange gefangengehalten hatten.
        Bolitho glaubte, einem Wahn zu erliegen, aber das Ganze erwies sich als Wirklichkeit. Offensichtlich handelte es sich um englische Seeleute, die man in fruheren Kampfen gefangengenommen hatte, vielleicht war es sogar die ursprungliche Besatzung dieser Brigg. Sie fegten durch die stark gelichteten Reihen wie eine Flutwelle, alles niederschlagend oder uber Bord werfend, was sich ihnen in den Weg stellte. Unaufhaltsam drangen sie zum Achterschiff vor.
        Bolitho schrie:»Kommt, Jungs, eine letzte Anstrengung!»
        Dann rannte er hurrarufend und sinnlose Worte brullend mit den anderen nach achtern. Sein Arm war schwer wie Blei, als er jetzt hackte, schlug und parierte, schnitt und niederstie?, was ihm in den Weg kam.
        Ein paar Schusse schlugen noch im Deck ein, und ohne Warnung rutschte ein Mann ein Stag herab und zog eine Pistole aus dem Gurtel. Sein Gesicht war erstarrt vor Konzentration, als er auf die heransturmenden Gestalten zielte.
        Er mu?te langst wissen, da? nichts mehr zu retten war, aber ein letzter Funke von Wut oder Stolz lie? ihn ausharren.
        Couzens fand sich plotzlich Auge in Auge mit diesem Mann. Bo-litho sah, was sich abspielte, war aber mehrere Schritte entfernt, und Stockdale noch weiter weg.
        Bolitho schrie, so laut er konnte:»Wenn du schie?t, bringe ich dich um!»
        Des Gegners Blick irrte keinen Zoll breit ab, und Bolitho wu?te, da? er feuern wurde; er sah sogar den Abzugshahn sich bewegen, als der Besessene den Finger krummte.
        Plotzlich flog eine Gestalt wie ein Pfeil uber den Haufen von Tauwerk und Segeln und warf sich zwischen die Pistole und den wie gelahmt dastehenden Couzens, genau im Augenblick des Schusses.
        Bolitho rannte weiter und fing Quinn, denn dieser war es, noch im Fallen auf. Er sah nicht mehr, wie Stockdales gewaltiges Entermesser zuschlug, aber er horte das erstickte Grunzen, als der Mann starb.
        Bolitho hielt Quinn in seinen Armen und lie? ihn langsam an Deck gleiten. Er sah, da? nichts mehr zu retten war. Die Kugel hatte Quinns Magen durchschlagen, alles schwamm in Blut.
        Quinn keuchte:»Tut mir - leid… Sie zu - verlassen, Sir!»
        Bolitho hielt ihn fest, er wu?te, da? Stockdale ihm den Rucken deckte und da? Couzens auf der anderen Seite von Quinn hemmungslos schluchzend auf dem Deck kniete.

«Dick«, sagteer,»nicht „Sir"!»
        Er fuhlte sich selbst den Tranen nahe. Was alles noch schlimmer machte, waren die Hurrarufe. Achtern - in einer anderen Welt - holten seine jubelnden Seeleute und die befreiten Gefangenen die Flagge herunter, beobachtet vom Kapitan der Revenge, der im letzten Ansturm noch schwer verwundet worden war.
        Bolitho sagte zu Quinn:»Wir haben gesiegt, James. Es ist gp-schafft!»
        Quinn lachelte, sein Blick richtete sich nach oben auf die zerrissene Takelage und die zerfetzte Flagge.»Du hast gesiegt!»
        Es fiel ihm schwer zu sprechen, seine Haut sah aus wie feuchtes Wachs. Er knopfte Quinns Hemd auf und sah die ungeheure, grauenhafte Narbe von dessen erster Verwundung.
        Mit seiner freien Hand loste er Quinns Gurtel und sagte sanft:»Und du solltest als Passagier mitfahren. Aber ohne dich ware der junge Couzens jetzt tot. Ich werde dafur sorgen, da? sie in England von deiner Tapferkeit horen!»
        Quinns Augen wandten sich Bolitho zu.»Ich habe keine Angst mehr - «, er hustete, etwas Blut flo? uber sein Kinn - ,»Dick.»
        Bolitho wollte noch etwas sagen, aber im selben Augenblick sah er das Licht in Quinns Augen verloschen wie eine Kerze, die ausgeblasen wird.
        Sehr vorsichtig lie? er den leblosen Korper auf das Deck gleiten und stand auf.
        Stockdale beruhrte ihn am Ellbogen.»Sir, die Leute blicken Sie an.»
        Bolitho nickte, seine Augen waren beinahe blind vor Anstrengung und innerer Bewegung.»Danke, Stockdale. Ja.»
        Er trat den abgekampften, aber strahlenden Seeleuten gegenuber. Der Sieg war wirklich sehr knapp gewesen, aber diese Manner hatten ihr Allerletztes gegeben. Sie verdienten jetzt auch seine letzte, au?erste Anstrengung, ohne Rucksicht darauf, was er im Augenblick empfand.
        Ruhig sagte er zu ihnen:»Das habt ihr gut gemacht! Eine so kleine Besatzung, aber die beste von allen!»
        Drei Tage danach liefen die beiden Prisen unter den Blicken des gesamten Geschwaders in English Harbour ein.
        Es waren drei harte Tage gewesen: Sie mu?ten den Schaden gerade so weit ausbessern, da? sie bis Antigua kommen konnten, die befreiten Gefangenen registrieren und zwischen den beiden Schiffen aufteilen.
        Es hatte ein stolzer Augenblick fur Bolitho sein sollen, aber die Trauer uber Quinns Tod uberwog noch alles andere in seinem Inneren, als der Ausgucksmann» Land in Sicht «meldete.
        Er selbst hatte das Kommando auf der Revenge ubernommen, und eine der ersten Tatigkeiten, der er nach dem Riggen eines Behelfsmastes und der Bestattung der Toten befohlen hatte, war die Entfernung des neuen Namens.
        Als das Land allmahlich aus dem Dunst wuchs und die beiden Briggs Kurs auf die Einfahrt nahmen, kam ihnen eine dort patrouillierende Fregatte entgegen.
        Couzens fragte:»Was soll ich melden, Sir?»
        Stockdale blickte Bolitho an und glaubte, verstanden zu haben.
        Er sagte:»Ich mache das, Mr. Couzens.»
        Dann rief er durch das Sprachrohr, so da? alle es horen konnten:

«Seiner Majestat Brigg Mieschief meldet sich zur Flotte zuruck!«Und nun kam ein ganz besonderer Augenblick fur ihn, als er stolz hinzufugte: «Kommandant ist Leutnant Richard Bolitho!»

        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        in diesem Fall acht Uhr abends 12


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê