Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Klar Schiff Zum Gefecht Richard Bolitho Kapitan Des Konigs " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Klar Schiff zum Gefecht: Richard Bolitho - Kapitan des Konigs Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #5
1778: Der amerikanische Unabhangigkeitskampf stellt die Royal Navy vor eine harte Bewahrungsprobe. Nur deshalb erhalt der junge Leutnant Bolitho sein erstes selbstandiges Kommando: auf der Korvette Sparrow als Begleitschutz einiger Versorgungsschiffe vom Flottenstutzpunkt Antigua nach New Jersey. Ein Kaperschiff greift den Konvoi an, der nur knapp der Vernichtung entgeht, dann bringt ein Hurrikan die Sparrow vom Kurs ab - der funfte Band aus der Serie um den Aufstieg des legendaren Seehelden.

        Alexander Kent
        Klar Schiff zum Gefecht
        Richard Bolitho - Kapitan des Konigs

        I Ein Traum geht in Erfullung

        Das elegante, wei?e Gebaude uber der Kustenstra?e lag nur wenige hundert Schritte von den belebten Hafenkais entfernt, dennoch war Richard Bolitho schon, eine Minute nachdem er die Pier verlassen hatte, schwei?durchna?t. Durch das weite Rund von English Harbour hatte der leichte Hauch einer Brise geweht, aber hier, da die Mittagssonne steil uber dem Klosterhugel stand und die Insel Antigua in flimmerndem Dunst gebadet lag, gab es keine Erleichterung.
        Dennoch schritt Bolitho rascher aus. Er spurte seine zunehmende Erregung, und wieder gewahrte er in sich dieses Gefuhl traumhafter Unwirklichkeit, das ihn seit seiner Ankunft vor einer Woche beherrschte. Die Ereignisse hatten sich so sehr ubersturzt, da? er es kaum begreifen konnte. Die Ursprunge seines Seins schienen ihm fremd geworden. Er kam sich vor wie ein Zuschauer, der einen anderen Menschen beobachtete.
        Staub und Sand bedeckten seine neuen Schuhe, als er uber breite Torwege durch gepflegte Garten auf das Gebaude zuging. Ware die Flagge nicht gewesen, die reglos am Mast hing, hatte es der Wohnsitz eines reichen Kaufmanns oder Reeders sein konnen. Aus der Anzahl der farbigen Diener, die zwischen den Blumen und Stauden arbeiteten, schlo? er, da? der ehemalige Besitzer wahrscheinlich mit afrikanischen Sklaven gehandelt hatte.
        In der schattigen Veranda war es nach der heftigen Sonnenglut fast kalt. Ein rotgesichtiger Sergeant der Marineinfanterie stand Bolitho gegenuber und musterte ihn lassig vom Scheitel bis zur Sohle.

«Kommen Sie bitte hier herein, Sir!»
        Sein Ton, wenn auch nicht gerade unfreundlich, war der eines Mannes, der an den Umgang mit Seeoffizieren, an ihr Kommen und Gehen so gewohnt war, da? ihn nichts und niemand mehr aufregen konnte.
        Bolitho betrat einen kleinen Raum und horte die Tur hinter sich zuschlagen. Zum ersten Mal seit langer Zeit war er ganz allein. Und allein stand er nun vor dem wichtigsten Schritt seines Lebens.
        Er zwang sich, sehr langsam zum Fenster zu gehen. Unter seinem Blick breitete sich der Hafen wie ein riesiges Gemalde aus. English Harbour, Hauptquartier und Bollwerk der Seemacht Englands in Westindien und der Karibischen See! Jeder Schiffstyp schien hier vor Anker zu liegen. Machtige Zweidecker im tiefen Hafenbecken hatten die Sonnensegel ausgespannt und jede Geschutzpforte geoffnet, um auch den leisesten Atem einer Brise einzufangen. Schnittige Fregatten, plumpe Frachtschiffe und eine ganze Ansammlung vieler kleiner Schiffe, von Briggs bis zu Schonern; dazwischen zahllose Ruderboote, die wie Wasserspinnen die weite Bucht durchquerten.
        Irgendwo im Haus brullte ein Mann, und Fu?e polterten uber einen Flur. Bolitho ri? seine Augen von den Schiffen los und schritt zu einem Wandspiegel hinuber. Er war sich plotzlich bewu?t, was die nachsten Minuten bringen oder nehmen konnten.
        Noch immer nicht konnte er sich an die Veranderung seiner Erscheinung gewohnen. Niemals zuvor war ihm aufgefallen, da? eine Uniform das Au?ere eines Mannes so sehr wandeln konnte, ohne das Innere zu beruhren. Vor wenigen Wochen war er noch Zweiter Leutnant auf der Trojan gewesen, einem Linienschiff mit achtzig Kanonen. Drei Jahre lang hatte er in ihrem uberfullten Rumpf gelebt, gearbeitet und war beinahe dort gestorben.
        Von seinem ursprunglichen Rang als Vierter Leutnant war er durch Tod und Beforderung seiner nachsten Vorgesetzten aufgestiegen. Er hatte sich an die Trojan gewohnt, wenn er auch stets gegen die Sehnsucht ankampfen mu?te, sich von ihrer Schwerfalligkeit zu befreien, um ein selbstandigeres Betatigungsfeld fur seine Ideen zu finden.
        Wie jeder Mann an Bord hatte er hart arbeiten mussen. Durch den Aufstand in Amerika wurden alle Kriegsschiffe dringender als je zuvor gebraucht. Als die Rebellion um sich griff und einige Andeutungen ihrer wirklichen Ziele in der Flotte durchsickerten, wurde die Trojan von einem Krisenherd zum anderen befohlen.
        Es schien unglaublich, da? ungeordnete Mannerbanden zu Armeen zusammengeschwei?t werden konnten. Armeen, die stark und schlagkraftig genug waren, um einige der besten Truppen Englands au?er Gefecht zu setzen. Aber wie die meisten seiner Kameraden hatte Bolitho fest geglaubt, da? die Streitigkeiten durch einen Kompromi? beigelegt werden konnten. Das war vor sechs Monaten, im Oktober 1777, als die Nachricht von der Ubergabe Burgoynes uber die Briten hereinbrach. Uber Nacht, so schien es, hatte sich die Rebellion zu einem neuen, bosartigen Konflikt ausgeweitet. Die Englander standen in ihren weit verstreuten Stutzpunkten amerikanischen Revolutionsarmeen gegenuber, die durch eine ganze Flotte franzosischer und spanischer Kaperschiffe Ruckendeckung erhielten. Ohne betrachtliches Risiko konnte kein Nachschubschiff mehr allein segeln. Sogar Truppentransporte waren nicht mehr vor den Freibeutern sicher.
        In dieser Zeit wechselnder Angriffs- und Ruckzugsgefechte war die Veranderung in Bolithos Leben eingetreten. Die Trojan hatte vor der Kuste Puerto Ricos eine hubsche Brigg gejagt, deren Laderaume mit Konterbande und Schie?pulver fur die Amerikaner vollgestopft waren. Zwischen zwei langgestreckten Sandbanken gefangen und durch die beeindruckende Artillerie der Trojan bedroht, hatte sich der Kapitan zur Ubergabe entschlossen.
        Der Erste Offizier der Trojan wurde auf seinem eigenen Schiff dringend gebraucht, da die meisten anderen Offiziere erst kurzlich an Bord kommandiert worden waren und nur wenig Erfahrung besa?en. So traf Bolitho das Los, die Prise zu ubernehmen mit dem Befehl, die Beute nach Antigua zu segeln und dort neue Instruktionen abzuwarten. Es war wie der Anfang eines schier unmoglich erscheinenden Traumes. Aufregende Erlebnisse, die Freiheit, nach eigenen Entschlussen zu handeln und zu segeln, ohne da? ihn sein Kapitan beobachten konnte. Die kleine Brigg schien ihm grenzenlose Moglichkeiten anzubieten, wenn er auch wu?te, da? all dies nicht ewig dauern wurde.
        Das Schicksal aber hatte andere Plane. Nach einigen Tagen sichteten sie eine andere, gro?ere Brigg. Sie war gut gefuhrt und starker bewaffnet als auf solchen Schiffen ublich. Es gab keinen Zweifel, dieser Segler war ein Freibeuter, der offensichtlich zu einem Treffen mit der Prise herankreuzte.
        Zu langen Uberlegungen blieb keine Zeit. Der Gegner wurde alle seglerischen und artilleristischen Moglichkeiten von Bolithos kleiner Prisenbesatzung weit ubertreffen. Sinnlos zu kampfen und zu sterben war ebenso undenkbar wie widerstandslos die Flagge zu streichen.
        Doch alles lief so einfach ab, da? es nun im Ruckblick wie ein Teil jenes unglaubhaften Traumes erschien. Scheinbar um Depeschen zu ubergeben, manovrierten sie an den ahnungs-losen Freibeuter heran, gingen langsseits, und als beim Zusammenprall Segel und losgeschlagene Spieren auf die Decks beider Schiffe herabsturzten, enterten sie die feindliche Brigg. Eine knatternde Musketensalve, wildes Gebrull der Enterer, und schon war das Schiff trotz vierfacher Uberlegenheit genommen. Die Leute der Trojan waren mit dieser Kampfesweise vertraut. Nicht so die Besatzung des Kaperschiffes, dessen Kapitan zum ersten Mal als Kommandant fuhr.
        So kam es, da? Bolitho mit zwei Prisen in Antigua einlief. Da sich der Landkrieg so zum Schlimmen gewendet hatte und die Ereignisse auf See sich derma?en verwirrend und entmutigend entwickelten, wirkte seine siegreiche Ankunft unter dem Donnern der Hafenbatterie wie ein belebendes Heilmittel. Handeschutteln mit einem Konteradmiral, lachelnde Begru?ungen dienstalterer Kapitane - Bolitho war durch diesen herzlichen Empfang verblufft.
        Nachdem er die beiden Prisen den Docks ubergeben hatte, wurde ihm eine Kammer in einem abgetakelten Schiff, der Oktavia, zugewiesen. Die Oktavia war ursprunglich ein stattlicher Zweidecker gewesen, doch nachdem sie im Jahr zuvor in einem Hurrikan fast gesunken ware, diente sie nun als Wohnschiff. Junge Offiziere, die auf neue Kommandos warteten, vertrieben sich dort die Zeit mit Kartenspiel, Schlaf oder betranken sich bis zur Bewu?tlosigkeit. Beforderungen und Versetzungen, Seegerichte oder die letzten Vorbereitungen zur Heimreise eines im Kampf verstummelten Seemannes, all das hatte die alte Oktavia gesehen.
        Tag um Tag verging, und Bolitho begann zu glauben, er sei vergessen worden. Bald wurde die Trojan einlaufen, und er mu?te wieder in ihre festgefugte Gemeinschaft zuruckkehren. Er lebte von einem Tag auf den anderen. Er hoffte, obwohl er nicht mehr wagte, allzuviel zu hoffen.
        Die Befehle, die ihm dann endlich durch einen untadeligen Flaggleutnant uberbracht wurden, waren kurz und verbluffend. Mit Einwilligung der Oberkommandierenden wurde Richard Bolitho zum Kommandanten mit dem entsprechenden Rang und allen dazugehorenden Vorteilen ernannt. Die Beforderung wurde ab sofort Gultigkeit erhalten. Au?erdem habe er sich mit allen entsprechenden Ausrustungsstucken und Rangabzeichen zu versehen und innerhalb von zwei Tagen im neueingerichteten Gebaude des Hauptquartiers zu melden.
        Er starrte sein Bild im Spiegel an. Heute!
        In Antigua konnte man fur Geld offenbar alles bekommen, selbst in so kurzer Zeit. Und jetzt, anstelle seiner verblichenen Leutnantsuniform, betrachtete er die breiten, blauen Rockaufschlage und die einzelnen goldenen Streifen an den Armeln, die ihn als Kapitan auswiesen. Auf dem Stuhl hinter ihm schimmerte sein goldbetre?ter Hut im hereinsickernden Sonnenlicht. Alles, was er trug, die wei?e Weste und die Kniehosen, eine enge Halsbinde, die staubigen Schuhe, ja sogar der Degen, den er so sorgfaltig ausgesucht hatte, alles war so neu, da? es wie geliehener Putz aussah. Er wagte nicht an den Kaufpreis und an die Schmiergelder zu denken, die notig gewesen waren, um alles in so kurz bemessener Zeit zu beschaffen. Ein Vorschu? auf sein wohlverdientes Prisengeld hatte, wenigstens fur den Augenblick, ausgereicht. Er strich uber die Locke schwarzen Haares, die widerspenstig uber seinem rechten Auge hing. Die tiefe, grausige Narbe darunter, die bis zu seinem Haaransatz lief, fuhlte sich so hei? an, als ob nicht Jahre, sondern erst einige Wochen vergangen waren, seit er mit einem Entermesser niedergehauen
worden war.
        Trotz seiner inneren Spannung mu?te er uber sich selbst lacheln. Wohl hatte er erst den niedrigsten Rang der Kommandantenlaufbahn erhalten, aber er hatte den ersten gro?en Schritt getan. Einen Schritt, der ihm sowohl Ruhm als auch Schande bringen konnte, den er aber gleich seinen Vatern mit Sorge und Ungeduld erwartet hatte.
        Wieder hallten Schritte im Flur. Er brachte seine Halsbinde in Ordnung und ruckte den neuen Degen an seiner Hufte zurecht. Wieder erschien ihm sein Spiegelbild wie das eines Fremden. Die Uniform, die aufrechte Haltung, in der er seinen Korper wie zur Parade gestrafft hielt, stellten mehr Sicherheit zur Schau, als er sich je zugetraut hatte.
        Die Schritte verhielten vor der Tur, und mit einer einzigen raschen Bewegung griff Bolitho nach seinem Hut und klemmte ihn unter einen Arm. Er versuchte, das Klopfen seines Herzens, das ihm wie ein Hammer gegen die Rippen schlug, nicht zu beachten. Sein Mund war wie ausgedorrt, obwohl er den Schwei? wie warmen Regen zwischen seinen Schulterblattern hinabrinnen fuhlte.
        Richard Bolitho war zweiundzwanzig Jahre alt und hatte seit seinem zwolften Lebensjahr in der Koniglichen Marine gedient. Aber nun, da er wie gebannt die vergoldete Turklinke anstarrte, fuhlte er sich eher wie ein furchtsamer Fahnrich denn wie ein Mann, der im Begriff stand, das begehrteste Geschenk zu empfangen, das ein Marineoffizier erhalten konnte. Ein eigenes Kommando!
        Der Sergeant der Marineinfanterie blickte ihn holzern an.»Sind Sie bereit, Sir? Kapitan Colquhoun mochte Sie jetzt sprechen.«»Ich bin bereit, danke!»
        Der Sergeant musterte ihn mit der leisen Andeutung eines Lachelns.»Er wird sich daruber freuen, davon bin ich uberzeugt, Sir.»
        Bolitho horte kein Wort. Er folgte dem Sergeanten und schritt hinaus in den Flur und in eine andere Welt.
        Kapitan Vere Colquhoun erhob sich kurz hinter seinem gro?en Schreibtisch, machte eine Geste, als ob er Bolitho die Hand reichen wollte, und sank dann in seinen Sessel zuruck.

«Bitte, setzen Sie sich, Bolitho.»
        Er sa? mit dem Rucken zum Fenster, so da? es unmoglich war, seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. Aber als sich Bolitho nun auf einem schmalen, hochlehnigen Stuhl zurechtsetzte, spurte er deutlich den prufenden Blick des anderen Mannes.

«Sie haben eine gute Beurteilung«, sagte Colquhoun. Er offnete einen Leinenumschlag und uberflog mit raschen Blicken die beigefugten Papiere.

«Wie ich sehe, wurden Sie im Jahr 74 zum Leutnant ernannt. «Er schaute rasch auf. Ja?»

«Ja, Sir, auf der Fregatte Destiny.»
        Bolitho hatte lange genug in der Marine gedient, um zu wissen, da? Unterredungen mit Vorgesetzten sich eine gute Weile hinziehen konnten. Jeder verfuhr auf seine eigene Art und Weise, aber fur den Untergebenen schien alles auf ein Baumeln an dem dunnen Faden ungewisser Erwartung hinauszulaufen. Er versuchte, Colquhouns gesenkten Kopf nicht zu beachten, und zwang sich statt dessen, sich im Zimmer umzusehen. Wei?e Wande und ein buntgekachelter Fu?boden. Einige schwere, dunkle Mobelstucke und ein Tisch, der unter vielen schonen Karaffen beinahe verschwand. Colquhoun schien ein Mann zu sein, der sein Leben zu genie?en wu?te. Bolitho wandte den Blick wieder seinem neuen Vorgesetzten zu. Er mochte etwa drei?ig Jahre alt sein, und trotz des blendenden Gegenlichtes bemerkte Bolitho dessen feingeschnittene Zuge und ein schmales, angriffslustiges Kinn. Sein Haar war blond und gema? der augenblicklichen Mode zum Nacken zuruckgekammt. Seine Hand erschien trotz des Dienstes auf dem Marinestutzpunkt auffallend bla?.

«Ihr Kapitan spricht gut von Ihnen. «Colquhoun raschelte mit den Papieren.»Recht gut.»
        Bolitho versuchte, die Trockenheit in seiner Kehle nicht durch Schlucken zu verraten. Kapitan Pears von der Trojan hatte ihm seine Beurteilung an Bord der Prise mitgegeben. Hatte er von seinem spateren Gluck in dem Gefecht mit dem Kaperschiff gewu?t, ware sein Bericht vielleicht noch gunstiger ausgefallen. Alles kam ihm nun sehr sonderbar vor. In den drei Jahren an Bord des Linienschiffes hatte er seinen Kapitan niemals wirklich verstanden. Manchmal hatte er geglaubt, Kapitan Pears konnte ihn nicht leiden und hatte seine Anstrengungen allenfalls geduldet. Aber jetzt auf diesem Schreibtisch und unter den Augen eines neuen Vorgesetzten zeigten Pears' Worte ihn in einem anderen Licht.

«Danke, Sir!»

«Hmph!«Colquhoun erhob sich und machte einige Schritte gegen den Tisch hin, besann sich dann aber eines anderen, ging zum Fenster und starrte, wie in Gedanken verloren, zum Ankerplatz hinunter.

«Ich habe Befehl, Ihnen Ihre Einsatzorder zu ubergeben. Fur Sie wird es nun darauf ankommen, Ihren Wert zu beweisen. Statt um Ihren eigenen Vorteil zu kampfen, werden Sie Befehlen zu gehorchen haben.»
        Bolitho wartete. Es war unmoglich, diesen Mann zu durchschauen.»Seit der militarischen Katastrophe bei Saratoga im vergangenen Jahr haben wir Anzeichen beobachtet, die auf wachsende franzosische Hilfe fur die Amerikaner schlie?en lassen. Ursprunglich schickten sie Nachschub und militarische Berater, dann Freibeuter, Glucksritter und Soldner. «Colquhoun stie? die Worte zwischen schmalen Lippen hervor.

«Nun aber tritt ihre Absicht offen zutage, die Amerikaner fur ihre eigenen Angelegenheiten auszunutzen, um Gebiete wiederzugewinnen, die sie im Siebenjahrigen Krieg verloren haben.»
        Bolitho umfa?te den Griff seines Degens und versuchte, au?erlich ruhig zu bleiben. Irgendwo dort drunten im Hafen wartete ein Schiff auf seinen neuen Kapitan. Mochte es alt oder gerade erst vom Stapel gelaufen sein, gro? oder als Flotteneinheit vollig unbedeutend, es sollte sein eigenes Schiff sein. Und hier mu?te er sich zur Ruhe zwingen und Colquhouns Betrachtungen uber den Krieg zuhoren. Bolitho hatte von Anfang an in diesem Krieg gekampft, und Colquhoun war, wie er von einem Offizierskameraden auf der Oktavia erfahren hatte, erst vor sechs Monaten aus England herubergekommen.
        In gleichmutig trockenem Ton fuhr Colquhoun fort:»Da wir aber die Seewege und Versorgungsrouten beherrschen, konnen weder die Franzosen noch der verdammte Papst uns hindern, auf dem Festland uberall die Kontrolle zuruckzugewinnen.»
        Er wandte sich langsam um. Die Sonne blitzte auf den goldenen Tressen seines Rockes.»Stimmen Sie mir zu?»
        Bolitho wandte sich in seinem Stuhl um:»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir. Aber.»

«Aber ist kein Wort, das mir zusagt«, schnappte Colquhoun.»Entweder Sie stimmen zu, oder Sie lehnen ab.»

«Ich denke, es sollte mehr getan werden, um die Kaperschiffe in ihren Stutzpunkten aufzuspuren und zu vernichten, Sir. «Er unterbrach seine Worte und wartete auf eine bissige Bemerkung. Dann redete er weiter:»Wir haben zu wenig Schiffe fur den Geleitschutz. Jeder von zwei oder mehr Schiffen energisch gefuhrte Angriff auf Nachschubeinheiten kann eine einzelne Eskorte zum Teufel schicken.»

«Wahrhaftig, Sie uberraschen mich!»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Er hatte sich hinrei?en lassen. Vielleicht hatte Colquhoun gehofft, da? einer seiner Freunde oder Schutzlinge das neue Kommando erhalten wurde, und betrachtete Bolitho nun als Eindringling. Wo auch immer die Ursache liegen mochte, an einer gewissen Feindseligkeit schien kein Zweifel zu bestehen.

«Ich habe naturlich von Ihrer Familie gehort, Bolitho. Seefahrerrasse. Keiner von euch hat sich jemals gefurchtet, Kopf und Kragen zu riskieren. Auch jetzt brauchen wir hier drau?en die besten Offiziere, die wir kriegen konnen.»
        Er wandte sich plotzlich dem Fenster zu.»Kommen Sie her!»
        Bolitho ging quer durch den Raum zu seinem Vorgesetzten und schaute auf die vor Anker liegenden Schiffe hinunter.

«Sieht ziemlich eindrucksvoll aus, nicht wahr?«Colquhoun stie? die Luft aus seinen Lungen. Es klang wie ein Seufzer.»Aber drau?en auf See in alle vier Windrichtungen zerstreut sind sie nur eine Handvoll. Die Franzosen in unserem Rucken bedrohen England. Wir sind weit uber unsere Sicherheitsgrenzen hinaus angespannt. «Mit einer weiten Handbewegung deutete er uber den Hafen hin. Dort unten wurde eine Fregatte uberholt. Stark gekrangt lag sie auf einer Seite. An ihrem Kiel wimmelte es von Arbeitern, ihre nackten Rucken glanzten im Sonnenlicht wie Mahagoni.

«Die Bacchante, sechsunddrei?ig Kanonen«, sagte Colquhoun sachlich.»Mein Schiff! Zum ersten Mal, seit ich das Kommando ubernommen habe, kann ich die notwendigen Reparaturen unter der Wasserlinie durchfuhren lassen.»
        Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu. Seit seinen ersten und einzigen Erfahrungen auf der kleinen, mit achtundzwanzig Kanonen bestuckten Destiny hatte er immer davon getraumt, einst eine Fregatte zu befehligen. Auf solch einem wendigen und schnellen Schiff alles au?er den machtigen Linienschiffen mit allem Schneid eines jungen Kapitans anzugreifen! Welch eine verlockende Vorstellung.
        Aber Colquhoun schien nicht in diese Rolle zu passen. Er war zart gebaut und hatte das blasse, empfindliche und gute Aussehen eines echten Aristokraten. Seine Kleidung war von hervorragendem Schnitt, und der Degen an seiner Hufte mochte an die zweihundert Guineen wert sein.
        Colquhoun hob seinen Arm.»Schauen Sie dort hin. Hinter meinem Schiff konnen Sie den Rest unsrer Flottille ausmachen. Mit diesen paar Schiffen soll ich Patrouillen fahren, den Feind auskundschaften, Depeschen uberbringen und jedem weichlichen Kaufmann die Tranen aus den Augen wischen, wenn ein verdachtiges Segel uber dem Horizont auftaucht. Funfmal so stark sollten meine Streitkrafte sein, und selbst dann wurde ich mir noch mehr wunschen.»
        Mit einem prufenden Blick wandte er sich Bolitho zu, der auf das blinkende Wasser hinunterstarrte.

«Drei Korvetten«, sagte Bolitho langsam. Dahinter sah er einen winzigen bewaffneten Schoner. Sollte dies sein Schiff sein? Er schluckte hart.»Und ein Schoner.»

«Richtig. «Colquhoun ging zum Tisch und ergriff eine schwere Karaffe. Wahrend er sie gegen die Sonne hielt, fuhr er fort:»Sie erhalten die Sparrow, Bolitho. Achtzehn Geschutze und erst zwei Jahre alt. «Er musterte ihn fluchtig.»Nach meiner Fregatte das beste Schiff unter meinem Kommando.»
        Bolitho konnte ihn nur anstarren.

«Ich wei? nicht, was ich sagen soll, Sir.»
        Der andere zog eine Grimasse.»Dann sagen Sie eben nichts!«Er go? zwei Glaser Brandy ein.

«Ich zweifle nicht an Ihrer Befahigung zum Seeoffizier, Bolitho. Ihre letzte Beurteilung ist mir Beweis genug. Gehorchen und Be-fehle auszufuhren, ohne zu fragen, ist jedoch nur die eine Seite. Leute zu fuhren, ihr Geschick und ihr Leben in der Hand zu halten, ohne sie jemals aus dem Griff zu lassen, ist aber etwas ganz anderes.»
        Er bot ihm ein Glas an.»Auf Ihr erstes Kommando, Bolitho. Ich wunsche Ihnen noch mehr von jenem Gluck, das Sie auf Ihrem Weg ins Jahr 78 begleitet hat. Denn das kann ich Ihnen versprechen, Sie werden es dringend brauchen!»
        Der Brandy brannte wie Feuer, aber Bolitho wirbelte immer noch so sehr der Kopf, da? er es kaum bemerkte. Eine neue Korvette! Die beste in Colquhouns Flottille! Ein Traum? Wurde er nicht im nachsten Augenblick an Bord der Oktavia erwachen, und der heutige Tag wurde erst beginnen?

«Ihr Vorganger auf der Sparrow ist kurzlich gestorben«, sagte Colquhoun mit ruhiger, gleichmutiger Stimme.

«Oh, das tut mir leid, Sir!»

«Hm. «Colquhoun betrachtete ihn gedankenvoll.»Fieber, sein Erster Leutnant ist zu jung im Dienstrang, selbst fur ein nur vorubergehendes Kommando. «Er zuckte die Achseln.»Durch Ihre Ankunft genau im rechten Augenblick, durch die Gnade unsres hochverehrten Admirals und naturlich, Bolitho, auch durch Ihre augenscheinlichen Qualitaten fur dieses Kommando fiel die Wahl sofort auf Sie, eh?«Kein Lacheln erhellte seine Zuge.
        Bolitho schaute zur Seite. Es schien ihm sicherer zu sein, wenn er sich von vornherein darauf einstellte, da? Colquhoun keinen Sinn fur Humor besa?.

«Ich will mein Bestes tun, Sir.»

«Selbstverstandlich. «Colquhoun zog seine Uhr aus der Tasche und klickte den Deckel auf.»Die Besatzung der Sparrow ist vollzahlig. Ich werde Ihre Prisenbesatzung auf andere Schiffe, wo sie dringend gebraucht wird, verteilen mussen. Es sei denn, Sie hatten irgendeinen besonderen Mann, von dem Sie sich nicht trennen mochten.»

«Ja, Sir, einen. Ich bin Ihnen sehr dankbar.»
        Colquhoun seufzte.»Sie sind eine sonderbare Mischung. Es handelt sich wohl um einen Mann aus Cornwall?»

«Jawohl, Sir!»

«Nun gut. «Er sprach den Satz nicht zu Ende. Statt dessen sagte er:»Ich habe ein Boot angefordert. Es wird Sie in einer halben Stunde abholen. Bis dann werden Ihre Dokumente fertig sein.»
        Bolitho wartete. Er wu?te nicht, ob er sich noch andere Ratschlage anzuhoren hatte.
        Colquhoun schien seine Gedanken zu erraten und meinte ruhig:»Von Zeit zu Zeit werden Sie schriftliche Instruktionen erhalten. Aber man wird Ihnen nur sagen, was Sie zu tun haben. Wie Sie die Befehle ausfuhren und Erfolg erzielen, wird einzig und allein Ihre Burde bleiben. «Er wandte sich wieder dem Fenster zu, seine Augen ruhten auf der gekrangten Fregatte.»Ich hatte bisher vier Kommandos. Das erste war naturlich das aufregendste, aber soweit ich mich erinnere, auch das einsamste. Ich konnte meine Kameraden in der Offiziersmesse nicht mehr um Hilfe bitten. Auch au?erhalb meiner Dienststunden konnte ich keine Freiheit finden. In fruheren Jahren hatte ich geglaubt, ein Kapitan sei so etwas wie ein Gott, der auf die Erde gesandt sei, um Befehle zu erteilen und die Durchfuhrung mit all den Schwierigkeiten und Sorgen seinen Untergebenen aufzuhalsen. Jetzt wei? ich es besser. Auch Sie werden das noch erfahren.»
        Bolitho griff nach seinem Hut.»Ich werde versuchen, mich daran zu erinnern, Sir.»
        Colquhoun blickte an ihm vorbei.»Das werden Sie nicht tun! Sie werden denken, da? Sie alles besser wissen als alle anderen. So ist das eben, und so mu? es auch wohl sein. Aber irgendwann unterwegs, zwischen den Zahnen eines Orkans oder im Feuer feindlicher Breitseiten oder meinetwegen auch in den Kalmen, wenn Ihre Leute auf dem Schiff vor Durst fast wahnsinnig werden, dann, Bolitho, werden Sie die wahre Bedeutung der Kommandogewalt erfahren. Wenn Sie Hilfe und Rat am notigsten brauchen, werden Sie allein sein. Wenn alle anderen zu Ihnen aufs Achterdeck hinaufschauen und Sie die Macht uber Leben oder Tod in Ihren Handen halten, dann, glauben Sie mir, werden Sie die Verantwortung eines Kapitans kennenlernen. «Nach einer kurzen Pause fugte er noch hinzu:»Sie konnen im Zimmer neben dem Eingang warten.»
        Die Unterredung war beendet.
        Bolitho schritt zur Tur, seine Augen waren auf die Silhouette seines Vorgesetzten im hellen Viereck des Fensters gerichtet. Dieser Augenblick erschien ihm so wichtig, da? er sich jede Einzelheit einpragen wollte, sogar die Mobel und die wohlgefullten Karaffen.
        Dann schlo? er die Tur hinter sich und kehrte in das Wartezimmer zuruck. Als er auf seine Uhr schaute, bemerkte er, da? er sich erst seit zwanzig Minuten in diesem Haus aufhielt.
        Gegen den Fensterrahmen gelehnt, starrte er zu den kleinen Schiffen hinunter, die im entfernteren Teil des Hafenbeckens vor Anker lagen. Er versuchte, seine Korvette zwischen den anderen Seglern auszumachen. Wie wurde sich sein Schiff auf See bewahren? Wie wurde seine Besatzung uber ihn denken?
        Endlich offnete sich die Tur, und ein alterer Leutnant blickte herein.»Sparrow, Sir?»
        Bolitho sah den versiegelten Umschlag in den Handen des Mannes und holte tief Atem.
        Er nickte.»Ja.»
        Der Leutnant neigte den Kopf und lachelte.»Ihre Befehle, Sir! Das Boot ist bereits unterwegs und nahert sich der Pier. Wenn die Trojan hier eintrifft, werde ich mich um Ihre Sachen kummern.»
        Er zuckte die Achseln.»Ich bin jedoch nicht sicher, ob sie jemals bei Ihnen ankommen. «Bolitho grinste, unfahig, seine au?ere Ruhe zu bewahren.»Verkaufen Sie alles in meinem Namen, ja? Helfen Sie mit dem Erlos einigen verwundeten Seeleuten, die auf ihre Heimreise nach England warten.»
        Als Bolitho in das Sonnenlicht hinaustrat, zog der Leutnant eine stahlgefa?te Brille aus der Tasche und blickte ihm nach. Dann schuttelte er sehr langsam den Kopf. Ein bemerkenswerter junger Mann, dachte er, hoffentlich wurde er so bleiben.
        Nach der schattigen Kuhle im Hauptquartier empfand Bolitho die Sonnenglut greller als zuvor. Als er die Kustenstra?e entlangging, beschaftigten sich seine Gedanken kaum noch mit seiner Unterredung mit Colquhoun. Schon begann er sich zu fragen, was ihm sein neues Kommando wohl bringen mochte. Endlich wurde er mehr Selbstandigkeit besitzen, Freiheit von dem taglichen Gleichma? von Signalen und Anforderungen, die seinen Aufgabenbereich auf der machtigen Trojan ausgemacht hatten.
        An einer Stra?enbiegung blieb er stehen und beschattete seine Augen, um das Boot zu beobachten, das schon nahe der Pier heranstrich. Er frostelte trotz der Hitze und begann, rascher als zuvor auszuschreiten. Fur jeden anderen war es nur eines der vielen Boote, das im Auftrag seines Schiffes unterwegs war, aber fur ihn bedeutete es viel mehr. Eine erste Beruhrung mit einigen seiner Leute, seiner Leute. Er sah die wohlbekannte Gestalt Stockdales neben einigen seiner neu erstandenen Habseligkeiten auf der Pier stehen und spurte einen plotzlichen Anflug von Warme. Bolitho war uberzeugt, da? es Stockdale gelungen ware, auf eigene Faust zu ihm an Bord zu kommen, auch wenn Colquhoun ihm keinen einzigen Mann seiner Prisenbesatzung zugestanden hatte. In seinen weiten wei?en Hosen, seiner blauen Jacke, muskulos und untersetzt, erinnerte er ihn an eine unzerstorbare Eiche. Auch er beobachtete mit zusammengekniffenen Augen und kritischer Aufmerksamkeit das herangleitende Boot.
        Als Bolitho ein blutjunger Leutnant auf der Fregatte Destiny gewesen war, hatten sich ihre Wege zum ersten Mal gekreuzt. Er war mit dem undankbaren Auftrag, Rekruten fur das Schiff zusammenzutrommeln, an Land geschickt worden. Ohne Hoffnung auf gro?en Erfolg hatte er mit seinen Seeleuten vor einer kleinen Schenke haltgemacht. Mit dem Hintergedanken, vor seinem nachsten Versuch, Freiwillige anzuwerben, etwas Ruhe und Erfrischung zu finden, hatte er hier sein Hauptquartier eingerichtet. Das alte Verfahren, von Dorf zu Dorf und von Schenke zu Schenke zu trotten, hatte sich kaum geandert. Als Ergebnis brachte man gewohnlich nur ein paar Kerle zusammen, die fur den harten Dienst auf einer Fregatte zu jung waren, oder man erwischte einen Haufen alter Seeleute, die an Land weder Erfolg noch Gluck gefunden hatten und die nun in die Umgebung zuruckkehrten, der sie auf immer abgeschworen hatten.
        Stockdale gehorte nicht zu diesen. Er war Preisboxer und stand mit entblo?tem Oberkorper geduldig wie ein Ochse vor dem Wirtshaus, wahrend sein scharfaugiger Ausrufer jedermann aufforderte, einen Kampf zu wagen und eine Guinee zu gewinnen.
        Mude und durstig war Bolitho in die Schenke getreten und lie? seine kleine Abteilung fur einige Augenblicke allein. Was kurz darauf geschah, war nicht ganz klar, aber als er wildes Fluchen horte, in das sich das laute Gelachter der Seeleute mischte, rannte er hinaus und sah, wie einer seiner Manner die Guinee in seine Tasche steckte. Der rasende Ausrufer schlug Stockdale mit dem Ende einer Kette uber Kopf und Schultern. Der siegreiche Seemann war ein machtiger Kanoniersmaat, der gewohnt war, seine Autoritat mit brutaler Gewalt zu behaupten. Es stellte sich nie heraus, ob er Stockdale ein Bein gestellt oder einen glucklichen Faustschlag gelandet hatte. Eines aber war sicher. Niemals wieder erlebte Bolitho, da? Stockdale in einem fairen oder unfairen Kampf geschlagen wurde. Als er seine Leute wieder antreten lie?, bemerkte er, da? Stockdale immer noch dastand und die ungerechte Bestrafung ohne Gegenwehr hinnahm, obwohl er seinen Peiniger mit einem einzigen Faustschlag hatte umbringen konnen.
        Angewidert von diesem Anblick und gleichzeitig argerlich uber sich selbst hatte er Stockdale aufgefordert, in den Dienst des Konigs zu treten. Die stumme Dankbarkeit des Preiskampfers war fast ebenso peinlich gewesen wie das Grinsen auf den Gesichtern der Seeleute. Aber Bolitho hatte bei dem verdutzten, unglaubigen Gesichtsausdruck des Marktschreiers eine gewisse Genugtuung empfunden, als Stockdale wortlos sein Hemd anzog und den abmarschierenden Werbern folgte.
        Wenn Bolitho geglaubt hatte, da? die Geschichte hiermit zu Ende ware, so wurde er bald eines anderen belehrt. Stockdale fugte sich in das Leben auf See, als ob er dazu geboren ware. Stark wie zwei Manner, war er doch freundlich und geduldig, und wann immer Bolitho in Gefahr geriet, war er in seiner Nahe. Damals, als Bolitho, vom Hieb eines Entermessers getroffen, niedersank, war es Stockdale gewesen, der seine Bootsmannschaft, die in Panik davongerannt war, wieder sammelte, die Angreifer niederkampfte und seinen bewu?tlosen Leutnant in Sicherheit brachte. Als Bolitho von der Fregatte auf die Trojan abkommandiert wurde, hatte es Stockdale fertiggebracht, ebenfalls versetzt zu werden. Er war Bolithos Ordonnanz, im Gefecht Geschutzfuhrer, und auf der aufgebrachten Brigg brauchte er die gefangene Besatzung nur anzuschauen, um sich augenblicklich Achtung zu verschaffen. Er sprach sehr wenig und mit heiserer, wispernder Stimme. Seine Stimmbander hatten in all den Jahren, da er landauf, landab in den Schaubuden auf Jahrmarkten kampfte, Schaden genommen.
        Und dann, als Bolitho befordert wurde, hatte Stockdale schlicht gesagt:»Sie werden einen guten Bootssteuerer notig haben, Sir«, er zeigte sein trages, schiefes Grinsen,»was fur ein Schiff man Ihnen auch geben wird.»
        So blieb Stockdale bei ihm. Bolitho hatte keinen Augenblick daran gezweifelt. Er wandte sich um, als Bolitho auf die Pier hinausschritt, und legte die Hand an seinen Hut.

«Alles fertig. «Er lie? seine Augen uber Bolithos neue Uniform gleiten und nickte mit offensichtlicher Genugtuung.»Nicht weniger, als Sie verdient haben, Sir.
«Bolitho lachelte.»Das werden wir erst beweisen mussen. «Mit eingezogenen Rudern glitt der Kutter sanft gegen die Pfahle. Ein Seemann kletterte mit einer Leine auf die Pier.
        Stockdale buckte sich nieder und hielt das schwankende Dollbord mit einer Faust fest. Sein Blick ruhte auf den bewegungslos sitzenden Ruderern.»Ein feiner Tag fur den neuen Anfang, Sir«, meinte er mit heiserer Stimme. Ein schlanker Fahnrich erhob sich im Kutter und zog weit ausholend seinen Hut. Er war ein gutaussehender, etwa achtzehnjahriger junger Mann, braungebrannt wie ein Eingeborener.

«Mein Name ist Heyward, Sir. «Er wand sich unter Bolithos kuhlem Blick.»Ich - ich wurde geschickt, um Sie an Bord zu bringen.»
        Bolitho nickte.»Danke, Mr. Heyward. Unterwegs konnen Sie mir uber das Schiff berichten.»
        Er wartete, bis Stockdale und der Fahnrich seine Seekiste und seine Taschen im Boot verstaut hatten, dann sprang er auf die Achterbank hinunter.

«Vorne absto?en! Riemen bei!»
        Heyward schien sich der Nahe seines neuen Kapitans sehr bewu?t zu sein.»Ruder an!»
        Wie ausgebleichte Knochen hoben und senkten sich die Riemen mit regelma?iger Genauigkeit. Bolitho blickte rasch uber die beiden Reihen der Ruderer hin. Sie waren sauber in Paradehemden und wei?e Hosen gekleidet und sahen kraftig und gesund aus. Manche Leute behaupteten, man konne ein Schiff immer nach seinen Booten beurteilen. Bolitho war anderer Meinung. Es gab Kapitane, die ihre Boote wie Schaustucke pflegten, wahrend an Bord ihrer Schiffe die Leute kaum besser als Tiere lebten.
        Die Gesichter der Ruderer - die gewohnlichen, bekannten Seemannsgesichter - blieben verschlossen und ausdruckslos, um Bolithos prufendem Blick nicht aufzufallen. Sicherlich war jeder neugierig auf den neuen Kapitan. Fur den Seemann war sein Kapitan kaum viel weniger als Gott. Er fuhrte sie und konnte seine Geschicklichkeit im Kampf zu ihren Gunsten anwenden. Genausogut aber konnte er ihr Leben in eine tagliche Holle verwandeln, und es gab niemand, der sich ihre Proteste und Beschwerden anhorte.

«Seit drei Tagen liegen wir hier vor Anker, Sir«, sagte der Fahnrich unsicher.

«Und vorher?»

«Patrouillendienst vor Guadeloupe. Wir sichteten eine franzosische Brigg, aber sie ist uns entkommen, Sir.«»Wie lange dienen Sie schon auf der Sparrow?«»Zwei Jahre, Sir, seitdem sie auf der Themse bei Greenwich in Dienst gestellt wurde.»
        Stockdale straffte seinen Oberkorper.»Da liegt sie, Sir, genau backbord voraus.»
        Bolitho sa? aufrecht im Heck. Er wu?te, da? ihn jedermann anstarren wurde, sobald er seine Augen vom Kutter abwandte. Kaum konnte er seine Erregung verbergen, als er zu der Korvette hinuberspahte, die jetzt hinter einem schweren Transportschiff in Sicht kam. Sie lag fast bewegungslos uber ihrem Spiegelbild in der See. Ihre Flagge tupfte einen roten Farbfleck auf die dunstverhangenen Hugel des Hinterlandes.
        Bolitho hatte wahrend seiner Dienstzeit viele Korvetten gesehen. Gleich den Fregatten waren sie uberall und immer im Einsatz. Als Madchen fur alles, als die Augen der Flotte, waren sie in allen Marinestutzpunkten ublich. Aber Bolitho bemerkte im ersten Augenblick, da? diese Korvette sich von allen anderen unterschied. Von den sanft kreisenden Masttopps bis zur Linie der geoffneten Geschutzpforten war sie eine vollkommene Schonheit, eine hochgezuchtete Miniaturfregatte, ein Schiff, das sich nach der freien See zu sehnen schien.

«Steuern Sie rund ums Schiff«, horte sich Bolitho sagen.
        Als die Pinne herumschwang, war sich Bolitho der Stille bewu?t, die nur durch das Spulen des Heckwassers und das rhythmische Knarren der Riemen gebrochen wurde. Er fuhlte sich ganz allein, als ob er diesen Augenblick mit niemand teilte. Wie ein schrag geneigter schwarzer Finger glitt der lange Kluverbaum der Korvette uber seinen Kopf hin, und ein paar Sekunden lang starrte er zur Gallionsfigur unter dem Bugspriet hinauf. Ein mannsgro?er Sperling mit zornig aufgerissenem Schnabel und kampfbereit ausgebreiteten Schwingen hielt in seinen Klauen ein vergoldetes Buschel von Eichenblattern und Eicheln. Bolitho vermochte seine Augen nicht von der Figur loszurei?en, bis das Boot den Bug umrundet hatte und unter der Steuerbord- Ankerkluse vorbeiglitt. Nie hatte er geglaubt, da? e in Sperling so kriegerisch dargestellt werden konnte.
        Er war uberrascht, als sein Blick auf die Geschutzmundung in der ersten Stuckpforte fiel.

«Wir fuhren einen Zweiunddrei?igpfunder an jeder Seite des Bugs, Sir«, sagte Heyward respektvoll.»Dann haben wir auf dem Geschutzdeck noch sechzehn Zwolfpfunder. «Er zog sich etwas zuruck, als Bolitho sich nach ihm umwandte. Verzeihung, Sir, ich wollte mich nicht aufdrangen.»
        Bolitho lachelte und beruhrte seinen Arm.»Ich bin nur etwas uberrascht. Fur ein so kleines Schiff scheint die Sparrow recht schwere Artillerie an Bord zu haben. «Er schuttelte seinen Kopf.»Diese beiden Buggeschutze mussen schon so manchem Feind einen Schock versetzt haben. Auf Korvetten sind sonst doch eher Neunpfunder ublich.»
        Der Fahnrich nickte, doch blieben seine Augen auf den Schiffsrumpf gerichtet. Mit gespannt zusammengekniffenen Lippen pa?te er den rechten Augenblick zur Wende ab.

«Ruder Steuerbord!»
        Der Kutter schwang in einem engen Bogen herum und glitt auf das Fallreep zu. Viele Kopfe waren uber dem Schanzkleid aufgereiht, und Bolitho sah eine blauwei?e Offiziersuniform neben der Einstiegspforte und eine Gruppe von Seeleuten beim Hauptmast.

«Riemen hoch!»
        Das Boot trieb gegen das Fallreep, wo der Bugmann mit genau abgemessener Bewegung seinen Bootshaken ansetzte.
        Bolitho erhob sich im Heck, er wu?te, da? alle Augen auf ihn gerichtet waren, da? Stockdales erhobene Hand bereit war, ihn zu stutzen, falls er das Gleichgewicht verlieren sollte. Er dachte an den neuen Degen an seiner Hufte, aber er wollte nicht nach unten schauen, um sich zu vergewissern, da? er ihm beim Hinaufklettern uber die lose schlackernde Jakobsleiter nicht zwischen die Beine geriet.
        Mit einem raschen Atemzug griff er zu und zog sich aus dem Kutter hoch. Er war fast auf alles vorbereitet gewesen, doch als er mit Kopf und Schultern in der Schanzkleidpforte auftauchte, brachte ihn das durchdringende Schrillen der Bootsmannspfeifen beinahe aus der Fassung. Mehr als alles andere schien ihm dieser Salut des Schiffes an seinen Kapitan zeigen zu wollen, welch gro?en Schritt er mit seiner Beforderung vom Leutnant zum Kommandanten getan hatte.
        Es fiel ihm sehr schwer, in diesen kurzen, gedrangten Augenblicken alles aufzufassen und zu begreifen. Die gezogenen Sabel, die Bootsmannsmaaten mit den Silberpfeifen an den Lippen, die halbnackten Seeleute auf den Planken und hoch oben in den Wanten. Er spurte, wie sich das Deck unter seinen Fu?en leise hob und senkte. Die Veranderung, die dieses Schiff fur ihn brachte, uberwaltigte ihn aufs neue. Nach der Schwerfalligkeit der Trojan mit ihrem gewaltigen Gewicht an Geschutzen und Spieren schien diese Korvette lebendig zu sein.
        Als Bolitho seinen Hut abnahm, trat ein Offizier auf ihn zu.

«Willkommen an Bord, Sir! Mein Name ist Graves, Zweiter Leutnant.»
        Bolitho blickte ihn forschend an. Der Leutnant war jung und schlank, aber in seinen dusteren Gesichtszugen herrschte die Vorsicht eines viel alteren Mannes.
        Mit einer halben Wendung wies er uber das Deck hin.»Wir alle hoffen, da? Sie sich hier wohl fuhlen.»

«Und der Erste Leutnant?«fragte Bolitho.
        Graves blickte weg.»Auf dem Flaggschiff, Sir. Er hatte eine Verabredung. «Rasch wandte er sich wieder Bolitho zu.»Ich bin uberzeugt, es soll keine Respektlosigkeit sein.»
        Bolitho nickte. Graves' Erklarung war zu schnell, zu glatt. War es die Au?erung eines Mannes, der die Aufmerksamkeit des Kapitans auf das Verhalten eines abwesenden Offiziers lenken wollte, indem er ihn entschuldigte?
        Graves sprach schnell weiter:»Dies ist Mr. Buckle, der Steuermann, Sir, und Mr. Dalkeith, unser Schiffsarzt. «Seine Stimme folgte Bolitho, wahrend er die Reihe der dienstalteren Deckoffiziere abschritt.
        Bolitho pragte sich jedes Gesicht ein, hielt sich aber von naherem Kontakt zuruck. Der wurde ohnehin bald genug notwendig werden, aber nun war der Eindruck, den er selbst auf die Leute machte, viel wichtiger. Er stand an der Achterdecksreling und starrte auf das Geschutzdeck hinunter. Die Sparrow ma? uber dieses Deck hundertundzehn Fu? in der Lange, war aber mit drei?ig Fu? fast so breit wie eine Fregatte. Kein Wunder, da? sie fur ihre Gro?e eine so schwere Bewaffnung tragen konnte.

«Lassen Sie die Leute achtern antreten, Mr. Graves.»
        Als der Befehl gegeben war und die Manner sich auf Deck versammelten, zog Bolitho sein Offizierspatent aus der Tasche und breitete es auf der Reling aus. Das Holz fuhlte sich unter seinen Handen hei? an.
        Wieder warf er einen Blick auf die Gesichter unter ihm. Wie brachten all die Leute es nur fertig, auf so engem Raum zusammen zu leben? An Bord der Sparrow waren hundertundfunfzehn Mann zusammengepfercht, aber nun, da sie sich alle unter dem Achterdeck drangten, schienen es noch einmal so viele zu sein. Graves legte die Hand an seinen Hut.»Alles anwesend, Sir.«»Danke«, antwortete Bolitho mit gleicher Formlichkeit. Dann begann er mit fester Stimme zu lesen.
        Das Schreiben war an Richard Bolitho, hochwohlgeboren, adressiert und befahl ihm, sofort an Bord zu gehen, um Verantwortung und Befehlsgewalt als Kapitan auf Seiner Britannischen Majestat Korvette Sparrow zu ubernehmen; Wahrend seine Stimme uber das Deck hallte, horte er einen der Manner ein- oder zweimal husten und da und dort einen Fu? scharren. Auf einer in der Nahe liegenden Korvette bemerkte er einen Offizier, der sein Fernglas auf ihn gerichtet hielt.
        Bolitho faltete das Patent zusammen und steckte es in die Tasche.»Ich mochte jetzt in meine Kajute gehen, Mr. Graves.»
        Er setzte seinen Hut auf und ging langsam zu einer mit Segeltuch bezogenen Luke vor dem Besanmast. Er bemerkte, da? das Ruderrad ungeschutzt lag. Ein schlechter Platz bei Sturm oder Kugelhagel, dachte er.
        Hinter seinem Rucken erhob sich Stimmengemurmel, als die Leute entlassen wurden, und in der dumpfen Luft hing der fettige Geruch aus der Kombuse. Er war froh, da? er sich vor der Eitelkeit, eine Rede zu halten, gehutet hatte. Trotzdem, dies war ein so kostbarer Tag, da? er ihn in irgendeiner Weise gern mit der ganzen Besatzung geteilt hatte.
        In seiner Erregung hatte er die Zeit ganz vergessen. Nun, da er die Leiter zum Geschutzdeck hinunterstieg und hinter Graves' gebuckter Gestalt nach achtern ging, freute er sich noch mehr, da? er sich auf das formliche Herunterlesen seiner Ernennungsurkunde beschrankt hatte. Naturlich ware es moglich gewesen, die Manner in der Sonne stehen zu lassen, um ihnen eine schwulstige Rede zu halten. Aber er hatte es als Unrecht angesehen, seine Leute damit von ihrer wohlverdienten Mahlzeit abzuhalten.
        Er schnappte nach Luft, als sein Kopf gegen einen Decksbalken krachte.
        Graves wirbelte herum:»Verzeihung, Sir!«Er schien zu furchten, Bolitho wurde ihm die fehlende Stehhohe ubelnehmen.

«In Zukunft werde ich mich vorsehen!«Er trat in die Heckkajute. Einen Augenblick lang stand er bewegungslos. Voll Entzucken betrachtete er die zierlich schrag geneigten Heckfenster, die von einer Seite zur anderen reichten und die Bucht mit der Landzunge wie ein schimmerndes Panorama vor seinen Augen ausbreiteten. Die Kajute war geschmackvoll in blassem Grun gemalt, die Tafelung mit Blattgold hervorgehoben. Den Fu?boden bedeckte schwarzwei? kariertes Segeltuch, und zu beiden Seiten standen solide gearbeitete Mobel. Vorsichtig hob er seinen Kopf und bemerkte, da? er zwischen den Decksbalken gerade noch aufrecht stehen konnte.
        Graves sah ihn bekummert an.»Ich furchte, da? Sie nach einem Linienschiff dies alles hier ein bi?chen beengt finden. «Bolitho lachelte.

«Wenn Sie gegessen haben, lassen Sie mir die Logbucher bringen, Mr. Graves. Au?erdem mochte ich irgendwann heute ohne Formlichkeiten mit den Offizieren sprechen. «Er bemerkte die Wachsamkeit in den Augen des Leutnants und fuhr nach einer kurzen Pause fort:»Den Ersten Leutnant mit eingeschlossen.»
        Graves buckte sich unter der Tur hindurch, und Bolitho kehrte sich wieder seiner Kajute zu.

«Beengt nach einem Linienschiff«, hatte Graves gesagt. Er wirbelte seinen Hut quer durch die Kabine auf die Sitzbank unter den Fenstern, schnallte den Degen ab und lie? sich in einen grunsamtenen Sessel fallen. Er brach in schallendes Gelachter aus.
        Beengt! Er sprang auf und duckte sich beim Gehen unter die Decksbalken. Nach der Offiziersmesse der Trojan war dies hier ein Palast!
        Bolitho setzte sich neben seinen Hut und schaute sich in der hubschen, frohlich wirkenden Kajute um. Und dies alles gehorte nun ihm!



        II Freiheit

        Es war spater Nachmittag, als Bolitho endlich uberzeugt war, alles Greifbare uber das Schiff gelesen zu haben. Heuer- und Bestrafungslisten, Logbucher, Abrechnungen uber Waren und Proviantruckzahlungen - die Liste schien endlos. Aber nicht einen Augenblick hatte er sich gelangweilt. Der neue Rock hing uber einer Stuhllehne, seine Halsbinde hatte er gelockert und das Hemd aufgeknopft. Alle Einzelheiten in den Buchern hatten ihn gefesselt.
        Oberflachlich betrachtet hatte sein Vorganger, Kapitan Ransome, ein tuchtiges und vorbildlich gefuhrtes Schiff befehligt. Im Strafregister waren all die ublichen Anklagen und Bestrafungen fur kleine Vergehen aufgezeichnet. Es gab einige Falle von Trunkenheit und nur wenige von unbotma?igem Verhalten und Gehorsamsverwe igerung. Als schlimmstes Verbrechen war die Handgreiflichkeit eines Seemanns angefuhrt, der wahrend des Geschutzdrills einen Bootsmann niedergeschlagen hatte.
        Ransome hatte zu Beginn seines Kommandos ganz besonderes Gluck gehabt. Da das Schiff auf der Themse in Dienst gestellt wurde, hatte er sich von den angeworbenen Seeleuten die besten aussuchen konnen. Er hatte beim Zusammenstellen seiner Besatzung viel weniger Schwierigkeiten gehabt als die meisten anderen Kapitane. Manner von einlaufenden Kauffahrern, von Schiffen, die zur Uberholung auf Dock gelegt wurden, kamen zu ihm an Bord.
        Im Gegensatz zu der offensichtlich guten Stimmung auf dem Schiff stand eine ganze Reihe ungunstiger Berichte in den Logbuchern. Die Sparrow war in zwei Jahren, seitdem sie England verlassen hatte, nur einmal in ein Gefecht verwickelt worden, und auch dies nur als zweitrangige Verstarkung einer Fregatte, die einen Blockadebrecher angegriffen hatte. Kein Wunder, da? Fahnrich Heyward auf die Bemerkungen Bolithos uber die Buggeschutze hin etwas peinlich beruhrt war.
        Vermutlich hatte er die Worte seines neuen Kapitans fur Kritik an der fehlenden Kampferprobung gehalten.
        Dann gab es da noch eine Liste von Leuten, die zur Beforderung auf andere Schiffe versetzt worden waren. Die freigewordenen Dienststellen waren durch Manner aufgefullt worden, die Ransome in seinem personlichen Logbuch als freiwillige, einheimische Siedler bezeichnete.
        Bolitho hatte sich lange bei den taglichen Berichten des verstorbenen Kapitans aufgehalten. Seine Au?erungen waren sehr knapp, und man konnte aus ihnen unmoglich irgendwelche Schlusse uber diesen Mann ziehen. Immer, wenn Bolitho von Zeit zu Zeit die Logbucher beiseite schob und sich in der Kajute umschaute, beschaftigten sich seine Gedanken mit Ransome. Offensichtlich war er ein fahiger Offizier gewesen, ein Mann von vornehmer Herkunft und dementsprechend guten Beziehungen. Doch schien die Kajute in Widerspruch zu diesem geistigen Portrat zu stehen. Sie war allzu elegant und bequem und pa?te darum nicht in die Vorstellungen, die Bolitho von einem Kriegsschiff hatte.
        Er seufzte und lehnte sich im Sessel zuruck, als Fitch, sein Kajutsdiener hereintappte, um die Reste der Mahlzeit abzutragen. Die schrag hereinflutenden Sonnenstrahlen fielen auf seinen schmachtigen Korper.
        Fitch war ein elender Kerl, der in seiner glucklosen Vergangenheit bereits des Diebstahls uberfuhrt worden war. Aber wahrend er den Urteilsspruch des Schwurgerichts erwartete, hatte die rechtzeitige Ankunft eines Kriegsschiffes ihn vor Deportation oder gar noch Schlimmerem gerettet. Er diente ohne Freude in der Flotte und betrachtete sein Leben auf See lediglich als Strafabbu?e. Doch schien er wenigstens ein brauchbarer Diener zu sein, und vielleicht fuhlte er sich bei dieser Arbeit einigerma?en wohl. Seine Stellung ersparte ihm die Anstrengungen und Gefahren an Deck, und vorausgesetzt, da? sein jeweiliger Herr kein Unmensch war, hatte er wenig zu befurchten. Bolitho beobachtete ihn, wie er das Geschirr auf ein Tablett lud. Das Mahl war ausgezeichnet gewesen. Es hatte kalte Zunge mit frisch vom Land eingekauftem Gemuse gegeben, und der Bordeaux - die letzte Flasche aus Ransomes Vorrat, wie Fitch betrubt erklarte - war ein seltener Genu? gewesen.

«Hat Ihr letzter Kapitan - «, Bolitho sah, wie der Mann erstarrte -,»hat Kapitan Ransome irgendwelche Anweisungen wegen seines personlichen Besitzes an Bord hinterlassen?»
        Fitch senkte die Augen.»Mr. Tyrell hat sich bereits darum gekummert, Sir. Die Sachen wurden auf ein nach England bestimmtes Transportschiff gebracht.»

«Er mu? wohl ein ziemlich bedeutender Offizier gewesen sein?«Bolitho ha?te es, jemand auf diese Art auszufragen, aber er fuhlte, da? er irgendeine Beziehung - und sei sie noch so klein - zu dem Manne brauchte, der das Schiff vom Tag des Stapellaufs an befehligt hatte.
        Fitch bi? seine Lippen.»Er war ein strenger Kapitan, Sir. Er pa?te auf, da? die Leute ihre Arbeit taten. Er war glucklich, wenn sie gehorchten, wenn nicht«- er zuckte seine armlichen Schultern -,»dann pflegte er ziemlich zu fluchen.»
        Bolitho nickte.»Sie konnen gehen.»
        Es war sinnlos, aus Fitch mehr herausholen zu wollen. Sein elendes Leben war nur mit au?eren Dingen beschaftigt: Essen und Trinken, eine warme Koje oder eine blitzschnelle Verwunschung, wenn sein Verhalten nicht den Anforderungen seines Herrn entsprach.
        Uber seinem Kopf stampften Fu?e, und er mu?te sich zuruckhalten, um nicht zu den Heckfenstern zu laufen oder auf einen Stuhl zu steigen und durch das Skylight uber dem Tisch zu spahen. Er dachte an seine alten Kameraden in der Offiziersmesse auf der Trojan. Ob sie ihn wohl vermi?ten? Wahrscheinlich nicht. Durch seine Beforderung entstand eine Lucke, und so konnte ein anderer auf der Leiter der Dienstrange eine Sprosse hoher klimmen. Er mu?te uber sich selbst lacheln. Es wurde wohl einige Zeit brauchen, bis er in seine neue Rolle hineingewachsen ware. Zeit und Wachsamkeit!
        Jemand klopfte an die Tur. Mr. Buckle, der Steuermann, trat ein.»Haben Sie einen Augenblick Zeit, Sir?»
        Bolitho deutete auf einen Stuhl. Auch dies war so anders als auf einem gro?en Kriegsschiff. In der Besatzung gab es keine Marineinfanterie, und Besucher der Kapitanskajute schienen nach Belieben kommen und gehen zu konnen. Vielleicht hatte Ransome zu solchen Formlosigkeiten ermutigt.
        Er beobachtete Buckle, wie er sich auf seinem Stuhl zurechtsetzte. Der Steuermann war ein untersetzter, vierschrotiger Mann mit ruhigen Augen und dunklen Haaren. Mit vierzig Jahren war er das alteste Besatzungsmitglied auf dem Schiff.

«Ich mochte Sie nicht storen, Sir«, begann Buckle. Er ruckte verlegen auf seinem Stuhl.»Aber da der Erste Leutnant nicht an Bord ist, sollte ich vielleicht die Beforderung eines Seemannes mit Ihnen besprechen.»
        Bolitho horte schweigend zu, wahrend Buckle alle Punkte aufzahlte, die fur einen Mann namens Raven sprachen. Es war nur eine interne Angelegenheit, aber Bolitho war sich ihrer Wichtigkeit voll bewu?t. Zum ersten Mal stand er als Kapitan den Fragen seiner eigenen Mannschaft gegenuber.
        Buckle fuhr fort:»Verzeihung, Sir, ich dachte, wir konnten ihn auf Bewahrung zum Steuermannsmaat befordern.»

«Wie lange sind Sie schon Steuermann, Mr. Buckle?»

«Erst seit ich auf diesem Schiff bin, Sir. «Buckles klare Augen blickten kuhl. Vorher war ich Steuermannsmaat auf der alten Warrior mit vierundsiebzig Geschutzen.»

«Sie haben sich auf Ihrem Posten bewahrt, Mr. Buckle. «Er versuchte, aus dem Dialekt auf die engere Heimat des Mannes zu schlie?en. Vielleicht London oder etwas ostlicher, Kent vielleicht.

«Wie segelt die Sparrow?»
        Buckle schien die Antwort abzuwagen.

«Sie ist ziemlich schwer fur ihre Gro?e, Sir, vierhundertunddrei?ig Tonnen. Aber je starker der Wind, desto lebendiger wird das Schiff. Erst in einem wirklichen Sturm mussen Sie die Royalsegel wegnehmen lassen. «Er runzelte die Stirn.»In einer Flaute kann sie eine ganz verflixte Tochter des Teufels sein. «Er machte eine unbestimmte Handbewegung.»Sie haben sicher die kleinen Lucken im Schanzkleid neben jeder Stuckpforte gesehen, Sir?»
        Bolitho hatte sie nicht bemerkt.

«Ich bin nicht ganz sicher«, sagte er langsam.
        Buckle lachelte zum ersten Mal.»In einer Flaute kann man einen Riemen durch jedes dieser Locher stecken, Sir. Sie mussen nur alle Mann an Deck haben und jeden Kerl an die Riemen schicken, dann konnen Sie aus der Sparrow immer noch einen oder zwei Knoten herausholen.»
        Bolitho blickte weg. Beim Lesen der Logbucher und der Schiffslisten hatte er nicht halb so viel erfahren. Leichter Arger uberkam ihn, weil sein Erster Leutnant noch immer nicht da war. Es war ublich, da? der abgehende Kapitan oder doch jedenfalls der Erste Offizier den neuen Kommandanten an Bord einwiesen und ihm Verhalten und Schwachen des Schiffes erlauterten.

«Sie werden die Sparrow bald in den Griff bekommen, Sir, sie ist trotz allem ein wunderbares Schiff.»
        Bolitho schaute ihn gedankenvoll an. Dem Steuermann konnte man nichts vormachen. Dennoch, genau wie Graves schien auch er sich zuruckzuhalten. Vielleicht wartete er darauf, da? der neue Kapitan seine Starke oder Schwache verriet.
        Er bemuhte sich, kuhl zu antworten.»Wir werden sehen, Mr. Buckle. «Als er aufblickte, bemerkte er, da? ihn der Steuermann mit plotzlicher Besorgnis beobachtete, und fugte kurz angebunden hinzu:»Sonst noch etwas?»

«Nein, Sir. «Buckle erhob sich.

«Gut, ich denke, da? die Einsatzbefehle in Kurze eintreffen. Ich erwarte, da? das Schiff seeklar ist.»
        Der Steuermann nickte:»Aye, Sir, seien Sie ohne Sorge.»
        Bolitho wurde etwas freundlicher. Moglicherweise lie? ihn nur seine eigene Unsicherheit so barsch seinem Steuermann gegenuber auftreten. Gewi? wurde er Buckles fuhrende Hand noch sehr brauchen, bis er das rechte Gefuhl fur sein Schiff bekame.»Ich zweifle nicht, da? ich mit Ihrem Verhalten ebenso zufrieden sein werde, wie es Kapitan Ransome war.»
        Buckle schluckte verlegen.»Jawohl, Sir. «Seine Augen schweiften durch die niedrige Kajute.»Danke, Sir.»
        Als sich die Tur hinter dem Steuermann schlo?, strich Bolitho uber seine Haare. Kaum waren ein paar Stunden vergangen, seit er unter dem Geschrill der Pfeifen an Bord gekommen war, und schon fuhlte er zwiespaltige Gedanken in sich erwachen.
        Alles war so anders als in seinem fruheren Leben. Damals konnte man sich mit seinen Kameraden besprechen, die Schwachen seines Kapitans blo?legen und ihn ordentlich verfluchen. Aber von heute an konnte nur ein einziges Wortchen einen Mann verletzen oder ihn selbst um seine eigene Sicherheit bangen lassen. Buckle war achtzehn Jahre alter als Bolitho, doch beim ersten Anschein eines Unwillens hatte er sich beinahe geduckt.
        Er schlo? die Augen und versuchte, sein weiteres Verhalten festzulegen. Der Versuch, sich allzu beliebt zu machen, wurde eine Narrheit bedeuten. Hielt er sich aber in Disziplinarfragen zu sehr an strikte Regeln, so war er ein Tyrann. Er mu?te an Colquhouns Worte denken und lachelte bekummert. Bis man die luftige Hohe von Colquhouns Dienstrang erreicht hatte, war man vor nichts sicher.
        Uber der Kajutsdecke horte er einen Anruf und eine laute Antwort vom Wasser her, dann schrammte ein Bootskorper langsseits, und Fu?e stampften auf den Decksplanken. Es kam Bolitho fast unwirklich vor, da? auf dem Schiff, auf seinem Schiff, alles seinen gewohnten Gang ging, wahrend er hier allein am Tisch sa?. Er seufzte wieder und starrte den Stapel von Papieren und Buchern an. Es wurde langer dauern, alles in Ordnung zu bringen, als er zuerst gedacht hatte. Wieder klopfte es an die Tur, und Graves trat gebuckt ein, zog seinen Hut und klemmte ihn unter den Arm.

«Das Wachboot war soeben langsseits, Sir. «Er uberreichte Bolitho einen schwerversiegelten Leinenumschlag.»Vom Marinestab, Sir.»
        Bolitho legte ihn achtlos auf den Tisch. Zweifellos seine Einsatzbefehle, und er war sich bewu?t, da? er nicht so handeln durfte, wie er es sich wunschte. Wie gerne hatte er den Umschlag ungeduldig aufgerissen, um zu erfahren, was von ihm verlangt wurde.
        Er bemerkte, da? Graves sich in der Kajute umschaute und seine Augen rasch uber den abgelegten Rock, den Hut auf der Fensterbank und endlich uber sein aufgeknopftes Hemd gleiten lie?.

«Wollen Sie, da? ich hier warte, Sir?»

«Nein, ich werde Sie uber den Inhalt der Papiere unterrichten, sobald ich genugend Zeit hatte sie durchzusehen.»
        Graves nickte.»Ich erwarte den letzten Wasserleichter, der zu uns herauskommen soll. Ich habe den Kufer an Land geschickt, damit es schneller geht, aber.»

«Dann kummern Sie sich bitte weiterhin darum«, lachelte Bolitho.
        Er wartete, bis der Zweite Offizier gegangen war. Dann erbrach er die Siegel.
        Bolitho war noch immer mit den sorgfaltig niedergeschriebenen Befehlen beschaftigt, als er Stimmen im Durchgang vor der Tur horte. Er erkannte Graves' Stimme, hoflich und zuruckhaltend, dann sprach jemand anderer, zuerst ruhig, dann argerlich losbrechend.»Nun, wie in drei Teufels Namen sollte ich das wissen? Sie hatten signalisieren konnen, Sie verdammter Narr!»
        Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann klopfte es abermals an. Der Erste Leutnant trat ein. Er sah ganz anders aus, als Bolitho erwartet hatte. Colquhoun hatte gesagt, er sei zu jung, um das Kommando zu ubernehmen. Doch dieser Mann war etwa zwei Jahre alter als Bolitho. Gro?, breitschultrig, mit tief gebrauntem Gesicht stand er vor ihm. Sein dichtes, kastanienbraunes Haar wischte zwischen den Decksbalken uber die Kajutsdecke, so da? er den niedrigen Raum ganz auszufullen schien.
        Bolitho blickte ruhig zu ihm auf.»Mr. Tyrell?»
        Der Leutnant nickte kurz.»Sir!«Er holte tief Luft.»Ich mu? mich fur mein spates An-Bord-Kommen entschuldigen. Ich war auf dem Flaggschiff.»
        Bolitho senkte seine Augen. Tyrell sprach etwas gedehnt, ein sicheres Zeichen, da? der Mann in den amerikanischen Kolonien geboren und aufgewachsen war. Er wirkte wie ein nur halb gezahmtes Tier, und sein rasches Atmen verriet den Arger, der immer noch in ihm brodelte.

«Unser Einsatzbefehl wurde soeben uberbracht«, sagte Bolitho leichthin.
        Tyrell schien nicht zu horen.»Ich war in personlichen Angelegenheiten von Bord, Sir. Ich hatte keine Zeit, es anders einzurichten.»

«Ah, ja!»
        Bolitho wartete und beobachtete den Mann, der unruhig zu den Heckfenstern hinstarrte. Er hatte eine sonderbare Art zu stehen.
        Ein Arm hing an seiner Seite herunter, der andere war auf den Degengriff gestutzt. Er sah ganz entspannt aus, doch aufmerksam wie jemand, der auf einen Angriff gefa?t war.

«Es ware mir lieber gewesen, wenn ich bei meinem Kommandoantritt den Ersten Offizier an Bord angetroffen hatte.»

«Ich habe Kaptn Ransomes sterbliche Uberreste an Land bringen lassen, damit sie mit seinem Besitz nach Hause befordert werden. Da Sie, Sir, den Befehl noch nicht ubernommen hatten, fuhlte ich mich frei zu handeln, wie ich es fur richtig hielt.
«Er schaute Bolitho ruhig an.»Ich war an Bord des Flaggschiffs, um mich, wenn moglich, auf ein anderes Schiff versetzen zu lassen. Es wurde abgelehnt.»

«Sie glaubten, da? Ihre Fahigkeiten unter anderem Kommando passender eingesetzt werden konnten, war das der Grund?»
        Auf Tyrells Gesicht erschien ein zuruckhaltendes Lacheln. Es veranderte ihn im Augenblick von einem argerlichen Mann in einen Menschen mit auffallendem Charme und der angeborenen Unbekummertheit eines Kampfers.

«Es tut mir wirklich leid, Sir. Nein, das war es nicht. Sie wissen zweifellos, da? ich das bin, was der verstorbene Kaptn Ransome als einheimischen Kolonisten zu bezeichnen pflegte. «Bitter fugte er hinzu:»Obwohl es schien, da? wir, als ich vor einem Jahr an Bord kam, alle auf der gleichen Seite gegen die Rebellen standen.»
        Bolitho horchte auf. Es war eigenartig, da? er sich niemals um die Gefuhle von Leuten wie Tyrell gekummert hatte, um die Einstellung guter amerikanischer Familien, die loyal zur britischen Krone sich als erste gegen die plotzliche Erhebung im eigenen Lande gestellt hatten. Als sich aber der Krieg ausweitete und die Briten hart um die Herrschaft, ja schlie?lich um ihre Existenz kampfen mu?ten, waren die loyalen Amerikaner, wie Tyrell, plotzlich die Au?enseiter geworden.

«Wo sind Sie zu Hause?«fragte er ruhig.

«Virginia, in der Grafschaft Gloucester. Mein Vater kam von England heruber, um einen Kustenschiffahrtshandel zu grunden. Als der Krieg begann, war ich Kaptn auf einem seiner Schoner. Seitdem stehe ich im Dienst des Konigs.»

«Und was ist mit Ihrer Familie?»
        Tyrell blickte weg.»Wei? Gott, ich habe nichts mehr von ihnen gehort.»

«Wollten Sie sich auf ein Schiff versetzen lassen, das naher Ihrer Heimat stationiert ist? Um zu jenen Leuten zuruckzukehren, die Sie jetzt als Ihre Landsleute betrachten?«Bolitho gab sich keine Muhe, die Scharfe in seinem Ton zu verbergen.

«Nein, Sir! Das ist's nicht. «Er hob einen Arm und lie? ihn wieder sinken. Seine Stimme wurde bose.»Ich bin Offizier des Konigs, gleichgultig, was Ransome auch glauben mochte - der verfluchte Kerl.»
        Bolitho stand auf.»Ich mochte nicht, da? Sie so von Ihrem letzten Kapitan reden!»
        Eigensinnig antwortete Tyrell:»Kaptn Ransome ist in seinem Sarg im Laderaum eines Transportschiffes gut aufgehoben. Seine Witwe in ihrem gro?en Londoner Haus wird um ihn weinen und den Kriegsdienst anklagen, der ihn um sein Leben gebracht hat.
«Er lachte kurz auf:»Fieber, hie? es offiziell. «Sein Blick irrte durch die Kabine.»Schauen Sie sich all das hier an, Sir! Von Weiberhanden eingerichtet. Wir sind kaum eine Meile gesegelt, ohne da? er irgendein verdammtes Weibsstuck zur Gesellschaft an Bord hatte. «Er schien sich nicht mehr zuruckhalten zu konnen.»Das ist die Art von Fieber, die ihn letzten Endes umgebracht hat. Ich bin verdammt froh, ihn los zu sein, wenn Sie mich fragen sollten.»
        Bolitho setzte sich. Wieder war ihm der Boden unter den Fu?en ins Wanken geraten. Frauen hier in dieser Kajute! Er hatte gelegentlich von solchen Dingen auf gro?eren Schiffen gehort. Aber auf der kleinen Sparrow, die so wenig Sicherheit bot, wenn sie in ein Gefecht verwickelt wurde, war das undenkbar.
        Tyrell beobachtete ihn zornig.»Ich mu?te es Ihnen erzahlen, Sir. Das ist so meine Art. Aber ich will Ihnen noch mehr sagen. Wenn ihn nicht Krankheit erledigt hatte, so hatte ich selbst ihn umgebracht.»
        Bolitho blickte scharf auf.»Dann sind Sie ein Narr. Wenn Sie keine andere Starke haben als die in Ihren blo?en Handen, dann werde ich es sein, der um Ihre Versetzung bittet, und damit keinen Fehler machen.»
        Tyrell starrte auf einen Punkt hinter Bolithos Schulter.

«Wurden Sie sich vielleicht so ruhig verhalten, Sir, wenn eine der Frauen Ihre Schwester gewesen ware?»
        Die Tur offnete sich einen Zoll we it, und Stockdales zernarbtes Gesicht spahte herein. Auf einer Hand balancierte er ein kleines Silbertablett, auf dem zwei Glaser und eine Karaffe standen.
        Muhsam pre?te er die Worte heraus:»Dachte, Sie konnten eine kleine Erfrischung brauchen, Sir. «Er beobachtete die beiden Manner und fugte hinzu:»Zur Feier des Tages.»
        Bolitho wies auf den Tisch und wartete, bis Stockdale gegangen war. Immer noch wortlos fullte er die beiden Glaser. Er spurte, da? Tyrells Augen jeder seiner Bewegungen folgten. Ein schlechter Start! Fur sie alle beide. Wenn es uberhaupt noch moglich war, etwas wiedergutzumachen, dann mu?te es sofort geschehen, in dieser Minute. Wenn Tyrell aus seiner Kapitulation Nutzen zog, dann war nicht abzusehen, wohin das noch fuhren wurde.
        Er reichte ihm ein Glas und sagte mit gro?em Ernst:»Ich habe zwei Schwestern, Mr. Tyrell. Als Antwort auf Ihre Frage wage ich zu sagen, da? auch ich nicht ruhig geblieben ware. «Er lachelte, als er die plotzliche Uberraschung in des Leutnants Augen bemerkte.»Ich nehme an, Sie schlagen einen Trinkspruch auf uns beide vor, eh?»
        Tyrell hob seine Hand und stie? mit Bolitho an.»Dann lassen Sie uns auf einen neuen Anfang trinken, Sir!»
        Bolitho hielt sein Glas ganz ruhig.»Und keine Versetzung?»

«Nein, Sir.»

«Dann also auf einen neuen Anfang. «Er nahm einen Schluck und fugte hinzu:»Das ist gut fur Sie, Mr. Tyrell. Wir werden morgen segeln und zur Kustenflottille sto?en.
«Er machte eine Pause, als er die plotzliche Verzweiflung in den Zugen des anderen sah.

«Nicht sehr weit von der Kuste Marylands.»

«Gott sei Dank«, sagte Tyrell.»Ich wei?, da? ich ein Narr bin. Aber endlich wieder vor dieser Kuste zu segeln, verandert fur mich die Welt.»
        Bolitho stellte sein Glas ab.»Schon, ich mochte gegen Ende der ersten Hundewache unsere Offiziere ganz zwanglos hier sehen. «Er bemuhte sich sorgfaltig, wieder in steifem Ton zu sprechen. Fur den Augenblick hatte jeder von ihnen beiden genug von seinem Innern gezeigt.»Inzwischen konnten Sie mich auf einem Inspektionsgang durch das Schiff begleiten. Und ich mochte alles sehen, gut oder schlecht.»
        Tyrell nickte:»Gewi?, Sir. «Ein leichtes Grinsen huschte uber sein Gesicht.»Ich habe so ein Gefuhl, da? unsre Sparrow fliegen wird wie nie zuvor. «Er trat zur Seite, bis Bolitho seinen Rock ubergeworfen und sein Hemd zugeknopft hatte.»Wollen Sie mir nun bitte folgen, Sir?»
        Als sie auf das Geschutzdeck ins Sonnenlicht hinaufstiegen, blickte Bolitho auf Tyrells breite Schultern und unterdruckte ein Seufzen. Sollte jeder Tag solch einen Willenskampf mit sich bringen, so ware sein Kommando eine standige Prufung. Fangen wir bei der Steuerbordbatterie an, Mr. Tyrell. «Der Erste Leutnant blieb unter dem Niedergang vom Achterdeck einen Augenblick stehen.»Wie Sie sagten, Sir. Alles. «Er grinste wieder.»Gutes und Schlechtes.»
        Stockdale raumte das Rasierbecken weg und schielte nach dem Fruhstuck, das unberuhrt auf dem Kajutstisch stand. Auf Deck und im ganzen Schiff zitterte die Luft vor Larm und Aufregung. Einer Landratte kamen die Arbeiten und Vorbereitungen zum Seeklarmachen verwirrend und halbverruckt vor. Aber fur das geubte Auge hatte jeder Mann seinen Platz und seine genau bestimmte Aufgabe. Das meilenlange Tauwerk, jeder Fetzen Segel erfullten einen entscheidenden Zweck, wenn ein Schiff in See gehen und tadellos manovrieren sollte.
        Bolitho stand in der Kajute und blickte durch die Heckfenster auf den zunachstliegenden Landstreifen hinaus. Der Morgen war hell, uber den Hugeln spannte sich der Himmel sehr bla?, reingewaschen und klar. Er konnte das Gebaude des Marinestabes uber der Kustenbatterie ausmachen. Die Flagge dort hing nicht mehr trage am Mast, sondern hob sich und flatterte im frischen Nordostwind. Er empfand es fast als korperlichen Schmerz, sich hier in der Kajute einzuschlie?en und gierig den genauen Zeitpunkt zu erwarten, an dem er es fur richtig hielt, an Deck zu gehen.
        Stimmen drohnten uber das Oberdeck, und Schatten wischten geschaftig uber das Skylight. Ab und zu konnte er das mi?tonende Quieken einer Fiedel und das verzerrte Gebrull eines Matrosensongs horen, wahrend die Manner um das Ankerspill stampften.
        In den vergangenen Stunden, ja fast die ganze Nacht lang, hatte er sich in seiner Koje herumgeworfen und den Schiffsgerauschen gelauscht, dem Knarren im Rigg und in den Decksbalken. Seine Gedanken hatten versucht, alles Ungewohnte auf einem fremden Schiff zu erfassen. Trotz aller Arbeit wurde ihn jeder Mann heute morgen beobachten, der Kommandant auf dem Achterdeck des Flaggschiffs ebenso wie irgendein unbekannter Leutnant, der Bolitho wahrscheinlich ha?te, weil er die goldene Chance gehabt hatte, allen anderen vorgezogen worden zu sein.

«Ihr Kaffee, Sir!«Stockdale blieb zogernd am Tisch stehen.

«Er ist immer noch hei?.»
        Bolitho fuhr argerlich herum, weil er in seinen ruhelosen Gedanken gestort worden war. Aber beim Anblick von Stockdales besorgtem Gesicht verflog aller Zorn. Immer wieder war es das gleiche.
        Er setzte sich an den Tisch und versuchte sich zu entspannen. Stockdale hatte recht. Sollte er irgend etwas vergessen haben, so war es nun zu spat. Man konnte auch allzuviel in seinen Kopf hineinpressen. Das wurde dann nur die Gedanken verwirren und verwischen.
        Bolitho schlurfte seinen Kaffee und starrte auf das kalte Fleisch. Er konnte es nicht anruhren. Sein Magen rebellierte ohnehin schon in besorgniserregender Weise. Die ubereinandergeschichteten Scheiben Schweinefleisch waren sicher mehr als genug, um ihn vollends aus dem Gleichgewicht zu bringen.
        Stockdale spahte durch die Fenster.»Es wird eine gute Uberfahrt werden, Sir. Lange genug, um diese Burschen richtig einzuschatzen.»
        Bolitho blickte zu ihm auf. Stockdale mu?te seine Gedanken erraten haben. Zusammen mit einer anderen Korvette sollten sie fur zwei fette Transportschiffe, die Nachschub fur die Truppen in Philadelphia geladen hatten, Geleitschutz geben. Zweitausend Meilen, meist auf offener See, wurden ihm reichlich Gelegenheit geben, sich und seine Mannschaft zu prufen.
        Am vergangenen Abend hatte er sich in der winzigen Messe mit seinen Offizieren getroffen. Au?er Tyrell waren alle schon seit der Indienststellung in Greenwich an Bord. Bolitho war ein wenig eifersuchtig auf ihre offenkundige Vertrautheit mit der Sparrow. Die beiden achtzehnjahrigen Fahnriche waren als unerfahrene Novizen an Bord gekommen. Sie waren auf der Sparrow erwachsen geworden und warteten nun voll Hoffnung auf ihre Beforderung. Schade, dachte er, da? sie erst Fahnriche waren. Sie konnten zu sehr um die Gunst ihres Kapitans wetteifern. In einem gro?eren Schiff mit vielen Bewerbern wurde die Rivalitat unter den» jungen Herren
«weniger aufdringlich sein.
        Buckle hatte wahrend ihres formlosen Zusammenseins wenig gesprochen. In seiner Zuruckhaltung hatte er sich auf Fragen der Navigation beschrankt. Zweifellos war er neugierig, wie sich sein neuer Kapitan auf See verhalten wurde.
        Robert Dalkeith, der Wundarzt, war ein sonderbarer Mensch. Er war zwar noch jung, aber bereits plumper und schwerfalliger, als es fur seine Gesundheit gut sein konnte. Uber seinen vollkommen kahlen Schadel hatte er eine hellrote Perucke gestulpt. Aber er schien gebildet und in seinem Beruf viel geschickter zu sein, als es sonst auf Kriegsschiffen ublich war, und Bolitho kam zu der Ansicht, da? in ihm mehr steckte, als er nach au?en hin zeigte.
        Lock, der Zahlmeister, ein linkischer, doch freundlicher, durrer Stecken von einem Mann, vollendete die Versammlung.
        Graves war spater hereingekommen und hatte ziemlich viel Aufhebens von seinem Verdru? mit den Wasserleichtern gemacht. Er redete viel von den Schwierigkeiten, an Land Schauerleute zu finden. In der Tat, die Aufzahlung all seiner Argernisse war schier endlos. Endlich hatte ihn Tyrell frohlich unterbrochen.»So eine Gemeinheit, Hector. Ausgerechnet Sie wurden auserwahlt, als geschundener Martyrer dazustehen.»
        Als alle in Tyrells Lachen einfielen, hatte Graves die Stirn gerunzelt und sich zu einem dunnen Lacheln gezwungen.
        Bolitho lehnte sich zuruck und starrte zum Skylight hinauf. Er war sich uber Graves immer noch nicht im klaren. Zweifellos war er ein harter Arbeiter! Ransomes Speichellecker? Er konnte nicht herausfinden, wann sich die verborgene Antipathie zwischen Tyrell und Graves entwickelt haben mochte. Aber sie war deutlich spurbar.

«Herr Kapitan?»
        Bolitho fuhr aus seinen Gedanken auf und wandte sich zur Tur. Dort stand Fahnrich Bethune. Seinen Hut hatte er unter einen Arm geklemmt, seine freie Hand klammerte sich an das Heft seines Entermessers. Er war ein pausbackiger, handfester junger Kerl, und sein Gesicht war uber und uber mit Sommersprossen bedeckt.

«Was gibt's?»
        Bethune schluckte.»Sir, Mr. Tyrell la?t respektvoll melden, da? die Transportschiffe Anker gelichtet haben. Auf der Fawn wurde das Vorbereitungssignal gehi?t, Sir. «Er schaute sich neugierig in der Kajute um.
        Bolitho nickte ernsthaft.»Ich werde gleich an Deck sein. «Er zwang sich in scheinbarer Gelassenheit, noch einen Schluck Kaffee zu nehmen. Fast wurde ihm ubel davon. Die Fawn war die andere Korvette, die zum Geleitzug bestimmt war. Auf ihr fuhr au?er ihrem Kapitan noch Colquhoun als hochster Offizier.
        Der Fahnrich stand immer noch in der Kajute.»Ich bin auch aus Cornwall, Sir«, brachte er linkisch heraus.
        Trotz seiner Anspannung mu?te Bolitho lacheln. Anscheinend hatte der Wettbewerb zwischen den Fahnrichen bereits begonnen.

«Ich werde versuchen, es nicht gegen Sie zu verwenden, Mr. Bethune. «Er schaute weg, als der Bursche aus seiner Kajute rannte.
        Dann stand er auf, nahm seinen Hut aus Stockdales Hand und schritt mit kurzem Nicken hinaus in die blendende Sonne.
        Die Decks schienen uberfullter denn je. Vom heiseren Gebrull ihrer Unteroffiziere gehetzt liefen die Seeleute hin und her. Als Bolitho das Achterdeck erreichte, sah er zwei plumpe Transportschiffe schwerfallig auf die Landzunge zutreiben. Ihre braungegerbten Segel flappten und wogten in der Brise.
        Tyrell tippte an seinen Hut.»Anker ist kurzstag, Sir.»

«Danke.»
        Bolitho schritt zur Backbordseite und schaute zur Fawn hinuber. Er konnte ein Gewimmel von Mannern an ihrem Ankerspill und die Kette, die sich nun fast senkrecht vom Bugsprit ins Wasser straffte, erkennen.
        Als er das Deck uberquerte, gab er sich gro?e Muhe, die Seeleute nicht zu beachten, die auf ihren Stationen bereitstanden. Hinter der Landzunge zeichnete sich vor dem hartblauen Horizont ein bewegter Streifen kleiner Schaumkronen ab. Drau?en vor dem geschutzten Ankerplatz wurde gutes Segelwetter herrschen. Bolitho blickte auf die tragen Stromungswirbel, die um das nachste Frachtschiff kreiselten, und bi? sich auf die Lippen. Zuerst mu?te er von all den Schiffen freikommen.

«Das Signal auf der Fawn ist ganz deutlich zu erkennen, Sir.»
        Bethune klammerte sich an die Wanten und hatte ein Teleskop an das Auge gepre?t, obwohl Colquhouns Signal auch ohne Fernrohr klar auszumachen war.

«Klar beim Ankerspill!»
        Tyrell rannte zur Reling und hielt seine gro?en Hande trichterformig an den Mund. Stagsegel losmachen!»
        Neben den beiden Rudergangern stand Buckle. Er lie? Bolitho nicht aus den Augen.

«Es brist machtig auf, Sir!»

«Ja.»
        Von der Reling starrte Bolitho auf seine Besatzung herunter. Er erblickte Graves, der die Leute am Ankerspill uberwachte, und Fahnrich Heyward mit seiner Abteilung am Fu? des Gro?mastes.

«Signal, Sir! Anker auf!»

«Toppsgasten aufentern! Marssegel losmachen!»
        Er trat zuruck und beobachtete die Seeleute, die in den Wanten hinaufbrandeten und uber die schwankenden Rahen liefen. Ihre Korper hoben sich schwarz vom Himmel ab. Tyrell sagte sehr wenig, und Bolitho sah, da? die Toppsgasten auch ohne Befehle von Deck aus ihre Arbeiten beherrschten. Wahrend die losen Segel an den Rahen donnerten und ein anhaltendes Beben durch das Schiff lief, bemerkte er, wie auf der Fawn die Masten schon vor dem Heck herumschwenkten und die Vormarssegel sich mit Wind fullten.

«Signal, Sir. Beeilen Sie sich!»
        Bethune setzte sein Fernglas ab und versuchte Bolithos Blick zu meiden.»Klar bei Brassen!»
        Er versuchte, sich um Colquhouns letztes Signal nicht zu kummern. Vielleicht wollte er ihn nur zu irgendeiner Torheit anstacheln, vielleicht war das so seine Art. Aber nichts durfte und sollte ihm diesen Augenblick verderben.
        Vom Vorschiff schrie jemand:»Anker frei, Sir!»
        Die Sparrow schwoite schrag leewarts, und vor dem Kluverbaum glitt die Landzunge vorbei. Immer mehr Tuch schlug donnernd an den Rahen und spannte sich im Wind, wahrend das Schiff Fahrt aufnahm. Blocke klapperten und achzten, und die Seeleute bewegten sich wie Affen hoch uber Deck.
        Bolitho wandte sich Buckle zu.

«Gehen Sie auf Backbordbug. Lassen Sie dann das Gro?segel setzen, damit wir uns von der Landzunge gut freisegeln konnen. «Er begegnete dem Blick des Steuermanns. Setzen Sie auch Fock- und Besansegel. Wir wollen versuchen, den Vorsprung der Fawn zu verringern.»
        Augenblicke spater standen alle Unter- und Marssegel voll in der Morgenbrise. Rasch glitt die Sparrow an einem vor Anker liegenden Zweidecker voruber, der die Vizeadmiralsflagge am Vorschiff fuhrte. Bolitho blickte zu Tyrell hinuber und sah ihn eine rasche Grimasse schneiden. Er wurde vielleicht noch Grund haben, seinen Antrag auf Versetzung bedauern!
        Sie preschten zwischen zwei ankernden Westindienfahrern hindurch und weiter die Fahrrinne entlang, auf die lockende See hinter dem Kap zu. Kleine Boote dumpelten achteraus im schaumenden Kielwasser, und als Bolitho vom Kompa? aufblickte, sah er, da? sie gegenuber der Fawn schon eine halbe Kabellange aufgeholt hatten.
        Buckle schaute den Schiffsarzt an, der sich mit einer Hand an den Besanwanten anklammerte und mit der anderen seine gra?liche Perucke festhielt.
        Er zwinkerte mit den Augen.»Wir haben einen rechten Kaptn an Bord, Mr. Dalkeith.»
        Dalkeith verzog keine Miene, als Bolitho sich nach ihm umdrehte, dann antwortete er:»Unser armer Ransome hatte sich nie getraut, so schneidig auszulaufen, eh?»
        Er grinste anzuglich.»Meinen Sie nicht auch, da? er um diese Morgenstunde ziemlich mude gewesen ware?»
        Beide lachten.
        Bolithos Stimme brachte sie mit einem Ruck zum Schweigen.

«Lachen Sie gefalligst spater, Mr. Buckle, Backbord voraus liegt eine Jolle. Wenn Sie die in Sichtweite des Flaggschiffs uber den Haufen segeln, dann werden Sie in einer ganz anderen Tonart lachen!»
        Er kehrte zur Reling zuruck, als Buckle sich nach seinen Rudergangern herumwarf.
        Die Spitze der Landzunge lag bereits querab, und er fuhlte den Vordersteven jetzt in die erste sanfte Woge hineinpflugen. Unter dem Druck der Segel neigte sich das Deck noch schrager.

«Anker ist festgelascht, Sir«, schrie Tyrell. Gischt hatte ihm das Hemd durchna?t, uber sein Gesicht perlten Wassertropfen, aber ein breites Grinsen stand in seinen Zugen.
        Bolitho nickte.»Gut. Sehen Sie zu, da? jetzt der Au?enkluver besser getrimmt wird, er sieht aus wie ein Fetzen dreckiger Wasche.»
        Aber er konnte nicht so streng bleiben.»Bei Gott, die Sparrow fliegt, oder nicht?»
        Er blickte nach oben zu den viereckigen Segeln und hart angebra?ten Rahen hinauf. Der Stander im Masttopp knallte wie eine Kutscherpeitsche. So oft zuvor hatte er all das schon gesehen, aber nun kam es ihm einmalig vor.

«Von der Fawn, Sir«, rief Bethune.

«Beziehen Sie Station in Luv.»
        Bolitho lachelte ihm zu:»Bestatigen.»
        Und fur alle Manner auf dem Achterdeck fugte er hinzu:»Ein gro?artiger Morgen heute.»
        Vom Niedergang aus beobachtete Stockdale Bolithos Freude und fuhlte sich zutiefst glucklich. Er lie? seine Augen uber die Toppsgasten schweifen, die eilig wieder auf das Deck hinunterglitten. Sonnverbrannt und gesund scherten sie sich um nichts. Mit einem Elfenbeinzahnstocher sauberte er seine unregelma?igen Zahne. Sein Kapitan hatte in den vergangenen Jahren mehr erlebt, als sie alle wu?ten. Er betrachtete die geraden Schultern Bolithos, der ruhelos an der Luvseite auf und ab schritt. Mit der Zeit wurden sie das schon noch herausbekommen.



        III Der Freibeuter

        Bolitho offnete seine Augen und starrte einige Sekunden lang auf die geloschte Lampe, die uber seiner Koje schaukelte. Er konnte keinen Schlaf finden, obwohl er wahrend der Nacht ofters an Deck gewesen war und bleierne Mudigkeit auf seinen Gliedern lastete. Hinter dem Vorhang, der sein Schlafabteil von der Kajute trennte, sah er das bleiche Licht der Morgendammerung. Das trage Pendeln der Laterne und unbehagliches Knarren der Balken verrieten ihm, da? nur eine leichte Brise wehte. Er versuchte sich zu entspannen und fragte sich, wie lange es wohl noch dauern mochte, bis er es sich abgewohnt hatte, jeden Morgen mit der Dammerung aufzuwachen, bis er sein neues Alleinsein genie?en konnte.
        Oben auf dem Achterdeck tappten Fu?e, und er vermutete, da? nun bald die neue Wache an Deck kommen mu?te. Zwei Wochen waren vergangen, seitdem der Geleitzug in Antigua Anker gelichtet hatte, und sie hatten erst die Halfte der vorausberechneten Strecke absegeln konnen. Tausend Seemeilen hatten sie inzwischen auf offener See zuruckgelegt, und wenn sie sich nicht jede Meile gegen widrige Winde erkampfen mu?ten, so dumpelten sie hilflos in nervenzerrei?enden Flauten. Kaum verging eine Stunde, ohne da? die Seeleute an Deck gerufen wurden. Standig mu?ten sie Segel setzen oder wegnehmen oder, in der Hoffnung, den letzten Hauch einer Brise einzufangen, die Rahen trimmen. Dann wieder zwang sie eine hohnlachende heftige Bo zum Reffen.
        Buckles dustere Voraussagen uber die Segeleigenschaften der Sparrow bei schwachem Wind hatten sich als nur allzu wahr erwiesen. Immer wieder war das Schiff mit flappenden Segeln und nervenzerruttendem Achzen und Klappen im Rigg abgetrieben, wahrend sie bei abflauendem Wind im hohen Seegang schlingerten. Mit Fluchen und harter Arbeit war die Sparrow zwar immer wieder auf ihre Position gebracht worden, doch meist begannen noch vor Ende der Wache alle Muhen aufs neue. Seitdem die Korvette im Einsatz war, hatte die Besatzung meist Erkundungs- und Patrouillenfahrten unternommen, und nun mu?te sie sich an das Elend des Geleitschutzsegelns uber lange Strecken gewohnen. Die beiden Transportschiffe machten ihr die Arbeit nicht gerade leicht. Die Frachtkapitane schienen die Notwendigkeit, in geschlossener Formation zu segeln, nicht begreifen zu wollen. Wenn der Konvoi durch eine heftige Bo zerstreut wurde, vergingen meist viele Stunden, bis die tragen, schweren Schiffe mit Drangen und Drohen endlich wieder auf ihre Positionen getrieben waren. Die barschen Signale Colquhouns hatten lediglich erreicht, da?
der Kapitan derGolden Vleece, einer der gro?en Transporter, in torichter Widerspenstigkeit alle Befehle mi?achtete. In vielen Fallen hatte er sich uberhaupt nicht um die Signale gekummert und so die Fawn gezwungen, ihren Posten an der Spitze des Geleitzuges zu verlassen und ihre Anweisungen mit lautem Brullen von Schiff zu Schiff durchzusetzen.
        Bolitho kletterte aus seiner Koje und ging langsam durch die Kajute. Unter seinen blo?en Fu?en spurte er, wie sich die Sparrow leise anhob und dann wieder in ein Wellental hinunterglitt. Der Ruderganger versuchte, die Schiffsbewegungen, die vom ublichen Klappern der Blocke und dem langgezogenen Quaken des Ruders begleitet waren, zu stutzen.
        Bolitho stemmte seine Hande auf das Sims der Heckfenster und starrte auf die leere See hinaus. Die beiden Transporter mu?ten - wenn sie uberhaupt noch beisammen waren - irgendwo steuerbord voraus segeln. Sein Auftrag lautete, sich in Luv der schwerbeladenen Schiffe zu halten, so da? die Sparrow zu jedem verdachtigen fremden Schiff hin abfallen konnte und die gro?tmoglichen Segelvorteile hatte, bis sich herausstellte, ob es Freund oder Feind war.
        Tatsachlich hatten sie bereits dreimal ein unbekanntes Segel gesichtet, Da es weit achteraus uber der Kimm erschien, konnten sie nicht sehen, ob es jedesmal dasselbe Schiff war. Jedenfalls hatte sich Colquhoun geweigert, zur Erkundung zuruckzusegeln. Bolitho konnte seine Abneigung, die wertvollen Transportschiffe zu verlassen, gut verstehen. Denn wenn die Geleitschutzkrafte aufgesplittert waren, konnte der Wind in seiner Launenhaftigkeit den wirklichen Feind mitten unter sie bringen. Andererseits konnte er sich jedesmal, wenn der Ausguck das fremde Schiff meldete, eines unguten Gefuhls nicht erwehren. Das sonderbare Segel war wie ein Irrlicht. Sollte es ein Feind sein, so konnte er methodisch dem kleinen Konvoi folgen und auf die passende Stunde zum Angriff warten.
        Die Tur offnete sich, und Fitch schlich mit zwei Kannen herein. In einer dampfte Kaffee, in der anderen schwappte Bolithos Rasierwasser. Im blassen Morgenlicht sah der Diener magerer und kranklicher aus denn je, und wie gewohnlich waren seine Augen abgewandt, wahrend er die erste, so notige Tasse Kaffee eingo?.

«Wie schaut's oben an Deck aus?»
        Fitch hob kaum seine Augen.»Mr. Tilby meint, da? es wieder ein gluthei?er Tag werden wird, Sir!»
        Tilby war der Bootsmann. Er war ein riesiger, unordentlicher Schrank von einem Kerl, der die lasterlichsten Reden fuhrte, die Bolitho in seiner zehnjahrigen Laufbahn auf See gehort hatte. Aber seine Wetterkenntnisse, seine Voraussagen, was die nachste Dammerung bringen wurde, hatten noch nie versagt.
        Unter sengender Sonne wurden die Seeleute, die an Deck kaum Schatten und Kuhlung finden konnten, nun wieder stundenlanger Pein ausgesetzt sein, bis sich der Abend uber das Meer senkte. Uberhaupt war es ein Wunder, wie sie alle zusammen in diesem kleinen Schiffsrumpf leben konnten. Bei all den Vorraten, Ersatzspieren, Pulver und Blei, bei den zahllosen Notwendigkeiten, die ein Schiff auf hoher See brauchte, konnten manche Leute kaum einen Platz fur ihre Hangematte finden. Dazu noch mu?te die Sparrow, wenn sie unterwegs war, die vielen Kabellangen der Ankertrosse sauber unter der Back stauen. Einige hundert Faden dreizehnzolligen Hanftaus fur die Hauptanker und hundert Faden achtzolliger Trosse fur den Warpanker nahmen mehr Platz weg, als funfzig Mann selbst bei au?erster Beschrankung brauchten.
        Wenn aber ein Schiff, nur auf die eigenen Hilfsmittel angewiesen, uberleben wollte, dann mu?te die Besatzung solche Unbequemlichkeiten ertragen.
        Er trank seinen Kaffee. Wenn der Wind doch wenigstens ein bi?chen auffrischen und durchstehen wollte. Das wurde den Uberdru? vertreiben und die Sklavenarbeit im Rigg erleichtern helfen. Und er fande Gelegenheit, die Geschutzmannschaften zu drillen. Wahrend der ersten Tage auf See hatten sie nur wenige Geschutzubungen abhalten konnen, und doch war ihm die eigenartig gleichgultige Haltung aufgefallen, die er schon vorher bei den Kanonieren bemerkt hatte. Vielleicht hatten sie schon so lange nicht mehr im Gefecht gestanden, da? sie das Exerzieren am Geschutz nun lediglich als etwas ansahen, das man eben zu erdulden und von einem neuen Kapitan zu erwarten hatte. Sie waren leidlich schnell, wenn auch etwas steif gewesen. Sie hatten vom Ausrennen bis zum Richten und Zielen alle Befehle ausgefuhrt, aber wieder und wieder hatte Bolitho gespurt, da? es irgendwo gewaltig haperte. Wenn die Mannschaften durch die offenen Pforten auf die leere See hinausblickten, hatte er ihre Gleichgultigkeit gespurt. Ihre schlaffen Bewegungen schienen ihre Einstellung deutlich zu machen: Es gab keinen Feind zu beschie?en,
was zum Teufel sollte das dann alles!
        Er hatte Tyrell deswegen zur Rede gestellt, aber der Erste Leutnant hatte frohlich gesagt:»Verdammt, Sir, das hei?t doch nicht, da? sie nicht wacker kampfen konnen, wenn die Stunde gekommen ist.»
        Bolithos scharfe Antwort richtete eine neue Schranke zwischen ihnen auf, und fur den Augenblick wollte er es auch dabei belassen.
        Kapitan Ransome mu?te die Korvette als sein personliches Eigentum angesehen haben, als seine Yacht vielleicht. Manchmal, wenn Bolitho in der Nacht von Deck herunterkam, wo er eine enttauschende Stunde lang zugesehen hatte, wie die Leute schon wieder die Segel reffen mu?ten, dann hatte er sich Ransome mit irgendeiner Frau in der Kajute vorgestellt. Oder er mu?te an Tyrell denken, der auf dem Achterdeck auf und ab schritt und sich schier in Stucke ri?, wenn er an seine Schwester nur ein paar Fu? unter ihm dachte. Er hatte diese Sache seit Tyrells erstem Ausbruch nicht mehr zu Sprache gebracht, aber er fragte sich doch, wie die Geschichte wirklich verlaufen sein mochte und was nach Ransomes plotzlichem Tod mit dem Madchen geschehen sei.
        Stockdale kam mit dem Rasierbecken herein. Er blickte Fitch an und zischelte:»Hol das Fruhstuck fur den Kaptn.»

«Wieder ein klarer Morgen, Sir«, wandte er sich dann an Bolitho. Er wartete, bis sich sein Kapitan, setzte, und hielt dann das Rasiermesser prufend gegen das Licht. Er schien mit der Schneide zufrieden zu sein.

«Was wir brauchen, ist eine richtige frische Brise. «Er zeigte seine unregelma?igen Zahne.»Die wurde ein paar von diesen jungen Grunschnabeln machtig herumhetzen.»
        Bolitho entspannte sich, als das Messer prazise uber sein Kinn schabte. Stockdale sprach wenig, aber er schien immer den Nagel auf den Kopf zu treffen.

«Im nachsten Monat werden wir wieder Hurrikan-Jahreszeit haben«, antwortete Bolitho zwischen den Messerstrichen.»Ich hoffe, das wird Sie dann zufriedenstellen, Stockdale.»

«Haben wir alles schon mitgemacht«, grunzte der machtige Bootsfuhrer.»Wir werden's wieder mitmachen - und uberleben, damit wir's weitererzahlen konnen.»
        Bolitho gab auf. Anscheinend konnte nichts das ungeheure Vertrauen brechen, das Stockdale selbst zwischen den Zahnen eines Hurrikans in die Wundertatigkeit seines Kapitans setzte.
        Von oben erklangen Stimmen. Dann horte er Fu?e die Niedergangsleiter herunterspringen.
        Es war Fahnrich Heyward, untadelig wie immer, obwohl er lange Nachtstunden an Deck zugebracht hatte.

«Herr Kapitan!«Er sah, da? Stockdale mit dem Rasiermesser in der Luft verhielt.

«Mit aller Hochachtung von Mr. Graves. Soeben hat die Fawn signalisiert: Segel im Nordosten.»
        Bolitho griff nach dem Handtuch.»Schon, ich komme gleich rauf.»
        Stockdale stellte das Rasierbecken weg.»Dasselbe Schiff, Sir?»

«Ich glaube kaum. «Bolitho schuttelte den Kopf.»Selbst wenn es wie ein Bluthund hinter uns her ware, es hatte uns in der Nacht nicht uberholen konnen. «Er rieb sich kraftig das Gesicht ab.»Aber auf dieser oden See ist jedes gesichtete Schiff eine willkommene Abwechslung.»
        Als er auf das Achterdeck hinaustrat, hatten sich Tyrell und fast alle Offiziere dort schon versammelt. Beim Gro?mast waren Seeleute mit Bimssteinen und Schwabbern zum» Rein-Schiff-Machen «angetreten. Andere warteten an den Pumpen oder starrten verschlafen zu den kaum voll stehenden Segeln hinauf.
        Graves tippte an seinen Hut.»Der Ausguck im Gro?topp hat noch nichts gesehen, Sir.

        Bolitho nickte und schritt zum Kompa?. Er zeigte Nordwest zu Nord, als ob er seit ewigen Zeiten in dieser Richtung festgenietet ware. Es war kaum uberraschend, da? die Fawn das Segel zuerst gesehen hatte. An der Spitze des Geleitzugs und etwas steuerbord vor den Transportern fahrend, lag sie auf gunstigerer Position. Bolitho hatte es gern anders gesehen. Immer schien die Fawn schneller zu signalisieren und Colquhouns Befehle rascher auszufuhren als die Sparrow. Durch das Kreuz und Quer von Stangen und Wanten hindurch und etwas steuerbords von dem letzten Transportschiff konnte er die andere Korvette sehen. Sie kreuzte unbeholfen in der schwachen westlichen Brise. Obwohl sie an den hart angebra?ten Rahen jeden Fetzen Segel gesetzt hatte, machte sie kaum Fahrt.
        Plotzlich erscholl ein Schrei aus dem Topp.

«Wahrschau an Deck! Segel steuerbord querab!»
        Tyrell uberquerte das Deck und wandte sich an Bolitho:»Was meinen Sie, Sir? Eins der unsrigen?»

«Oder so ein verdammter Yankee«, warf Graves bosartig dazwischen.
        Bolitho sah den Blickabtausch und fuhlte die plotzliche Feindschaft zwischen den beiden.

«Meine Herren«, sagte er ruhig,»wir werden es bald wissen.»

«Signal von der Fawn, Sir«, rief Fahnrich Bethune.»Bleiben Sie auf Position.»
        Behaglich meinte Graves:»Die Fawn haut ab. Sie geht uber Stag und klemmt sich einen Soldatenfurz unter den Schwanz.»

«Entern Sie auf, Mr. Graves«, sagte Bolitho.»Ich mochte alles wissen, was Sie an diesem Segel entdecken konnen.»
        Graves starrte ihn an.»Ich habe einen guten Mann im Ausguck oben.»

«Und jetzt mochte ich einen guten Offizier oben haben, Mr. Graves«, sagte Bolitho mit Entschiedenheit.»Ein erfahrenes Auge, nicht nur einen scharfen Blick.»
        Graves stakte steif zu den Luvwanten und begann nach kurzem Zaudern aufzuentern.

«Das mag ihm jetzt guttun«, meinte Tyrell sehr ruhig.
        Bolitho blickte uber die Manner auf dem Achterdeck hin.

«Vielleicht, Mr. Tyrell. Wenn Sie aber glauben, da? ich meine Autoritat benutze, um kleinlichen Ha? unter Ihnen zu nahren, dann mu? ich Sie eines anderen versichern. «Er dampfte seine Stimme.»Wir kampfen gegen einen Feind, nicht untereinander.»
        Dann nahm er ein Fernrohr aus der Halterung und schritt zum Besanmast. Er glich mit den Beinen die unangenehmen Schiffsbewegungen aus, richtete das Teleskop auf die Fawn und fuhrte es dann sehr langsam die Kimm entlang. Minuten vergingen, und dann plotzlich, als das fremde Schiff uber eine gro?e Woge glitt, sah er seine Bramsegel wie rosafarbene Muscheln in den ersten Sonnenstrahlen schimmern. Es lag auf einem konvergierenden Kurs sehr hoch am Wind. Seine Rahen waren so hart angebra?t, da? sie fast parallel zum Rumpf standen.

«Fregatte, Sir«, schrie Graves von oben, und dann nach einer Pause, wahrend der alle zu seiner winzigen schwarzen Silhouette vor dem Himmel hinaufschauten, englische Bauart!»
        Bolitho stand schweigend. Englische Bauart, vielleicht. Aber wer stand jetzt hinter ihren Kanonen? Er beobachtete, wie die Fawn langsam herumschwenkte. Ihr Stander im Topp drehte sich und spielte teilnahmslos im schwachen Wind. Wieder flogen Signalflaggen an ihren Rahen hoch.

«Von der Fawn, Sir«, rief Bethune.»Erkennungssignal. «Er suchte in seinem Signalbuch.»Es ist die Miranda, Sir. Zweiunddrei?ig Kanonen, Kapitan Selby.»

«Sicher kommt sie aus England«, sagte Buckle zu den Mannern auf dem Achterdeck.
        Schon wurde das Licht starker, und hellere Farbtone spielten uber die See. Bolitho spurte die ersten warmen Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht. Aus England! Wahrscheinlich dachte nun jeder Mann auf der Sparrow an diese beiden Worte, alle au?er Tyrell und den amerikanischen Siedlern. Aber alle anderen wurden sich nun die langstvergangenen Tage in der Heimat ausmalen, eine Farm oder ein Dorf, irgendein Wirtshaus an einem See oder in einem Fischereihafen, vielleicht das Gesicht einer Frau oder das Greifen einer Kinderhand, bevor die Werber zupackten.
        Bolitho ertappte sich, wie das gro?e Steinhaus unterhalb von Pendennis Castle daheim in Falmouth vor seinen Augen auftauchte. Dort wurde nun sein Vater auf ihn warten. Und er wurde sich fragen, was wohl aus ihm und seinem Bruder Hugh geworden sei.
        Wie alle Vorfahren der Bolithos war sein Vater Seeoffizier gewesen. Aber nun, da er einen Arm und seine Gesundheit eingebu?t hatte, war er gezwungen, an Land zu leben. Doch immer wurden seine Augen uber die Schiffe und die See schweifen, die ihn nicht mehr brauchen konnte.

«Von der Fawn, Sir. An alle! Beidrehen!»
        Anscheinend war sich Colquhoun uber die Herkunft des Schiffes im klaren. Zum ersten Mal mu?ten die Transportschiffe nicht aufgefordert werden, den Signalen zu gehorchen. Offenbar waren auch sie auf Nachrichten aus der Heimat neugierig.
        Bolitho schob das Teleskop zusammen und ubergab es einem Bootsmannsmaat.

«Mr. Tyrell, lassen Sie wie befohlen beidrehen und Segel kurzen. «Er wartete, bis der Leutnant den Befehl an die Toppsgasten weitergegeben hatte, die nun in den Wanten aufenterten, dann fugte er hinzu:»Diese Fregatte ist hart gesegelt worden, sie mu? wohl mit wichtigem Auftrag unterwegs sein.»
        Er hatte das Schiff beobachtet, als es sich hoch am Wind zu dem unordentlichen Haufen der Konvoischiffe heraufgequalt hatte. Er hatte die gro?en Schrammen an seinem Rumpf bemerkt, wo die See wie mit einem riesigen Messer die Farbe abgeschabt hatte. Seine Segel waren an vielen Stellen ausgebessert und mit Flicken besetzt worden. All das deutete auf eine schnelle Reise hin.

«Die Miranda hat wieder ein Signal gesetzt, Sir«, rief Bethune. Er lehnte sich in die Wanten und versuchte, sein gro?es Fernrohr still zu halten.»An Fawn. Bitten Kapitan an Bord!»
        Wie immer erfolgte sofort die rasche Antwort der Fawn. Ihr gro?es Beiboot war innerhalb weniger Minuten ausgeschwenkt. Bolitho konnte es sich ausmalen, wie Colquhoun zum anderen Schiff eilte und wie dort die Offiziere verblufft sein wurden, wenn sie bemerkten, da? er hoher im Dienstrang stand als ihr eigener Kapitan. Was fur Folgen das Zusammentreffen auch haben mochte, es mu?te sich um eine dringende Angelegenheit handeln und nicht nur um den Austausch von Klatsch, wie es bei solchen Gelegenheiten auf hoher See oft vorkam.
        Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich gehe nach unten, rufen Sie mich, wenn irgend etwas geschieht.»
        In der Kajute wartete Stockdale schon mit Rock und Degen auf ihn. Mit breitem, schiefem Grinsen murmelte er:»Dachte, Sie wurden das jetzt brauchen, Sir.»
        Fitch hielt sich am Tisch fest und versuchte mit gespreizten Beinen die Bewegungen der Korvette auszugleichen, die nun ohne die stutzende Wirkung der Segel schwer in den Wogen rollte. Mit resigniertem Blick in seinem kranklichen Gesicht starrte er das Fruhstuck an, das er gerade hereingebracht hatte.
        Bolitho lachelte.»Keine Angst, spater werde ich schon Zeit finden, das zu essen.»
        Es war sonderbar, da? allein schon das Auftauchen eines fremden Schiffes und der erste Hauch leiser Erregung ihm den Appetit zuruckgegeben hatte. Wahrend Stockdale ihm den Degen umgurtete und den Rock reichte, go? er sich etwas Kaffee hinunter.
        Vielleicht hatte die Miranda einen Feind gesichtet und brauchte nun Hilfe, um ihn angreifen zu konnen. Vielleicht war der Krieg zu Ende oder ein anderer Krieg irgendwo in der Welt ausgebrochen. Er erwog eine schier endlose Reihe von Moglichkeiten.
        Bolitho blickte auf und sah Tyrell durch das offene Skylight herunterspahen.

«Herr Kapitan, der Gig der Fawn legt von der Fregatte ab.»

«Danke. «Bolitho verbarg, so gut er konnte, seine Enttauschung.

«Das ging aber schnell!»
        Als Tyrell verschwunden war, fugte er ruhig hinzu:»Wir werden nun genug Zeit zum Fruhstucken haben.»
        Doch er hatte sich geirrt. Gerade als er seinen Degen ablegte, erschien Tyrells Gesicht wieder im Skylight. Seine Stimme drohnte in der engen Kajute.»Signal von der Fawn, Sir! Kapitane umgehend an Bord kommen!»
        Mit einem Satz verschwand Stockdale aus der Kajute. Heiser krachzend rief er nach der Bootsbesatzung, die Tilby, der Bootsmann, vorsorglich bereits an Deck zusammengestellt hatte.
        In irrsinniger Eile wurde das Boot au?enbords geschwenkt und langsseits gefiert. Ohne an Wurde oder Vorsicht zu denken, sturzte sich Bolitho uber das Schanzkleid ins Heck der Gig hinunter. Sein Degen klapperte gegen das Dollbord und lie? ihn fast auf die Kopfe der Ruderer stolpern.

«Riemen bei, Ruder an!«brullte Stockdale und flusterte dann leise, doch mit drohendem Unterton:»Denkt dran, meine Schonen, wenn einer von euch einen Schlag verpatzt, werde ich-ihm gewaltig einheizen!»
        Das Boot schien uber die See zu fliegen. Als Bolitho endlich seine gelassene Haltung zuruckgewonnen hatte und achteraus blickte, war die Sparrow schon eine Kabellange entfernt. Sie lag beigedreht im blassen Sonnenschein und schlingerte furchterlich in der Dunung. Ihre Segel flappten und schlugen haltlos.
        Trotz seiner Besorgnis und der ruhelos jagenden Gedanken fand Bolitho Zeit, sein Schiff zu bewundern. Fruher hatte er oft die Achterkajute eines vorubersegelnden Kriegsschiffes angestarrt und uber den Kapitan, der sie bewohnte, nachgedacht, welch ein Mensch er wohl war und welche Fahigkeiten er besa?. Und nun konnte er immer noch nicht so recht daran glauben, da? die Heckkajute der Sparrow seine Kajute war und da? sich andere nun uber ihn selbst ihre Gedanken machten.
        Er wandte sich wieder nach vorn und sah, wie die Umrisse der Fawn sich vor die trage dumpelnde Fregatte schoben. Bei der Pforte im Schanzkleid bewegten sich mehrere Manner, um ihn mit allen Formlichkeiten zu empfangen. Er lachelte vor sich hin. Selbst im Rachen der Holle war es undenkbar, da? ein Kapitan, mochte er auch noch so jung sein, ohne die angemessenen Ehrenbezeigungen behandelt wurde.
        An der Pforte erwartete ihn Maulby, der Kommandant der Fawn. Er war sehr hager, und hatte er sich nicht stark vornuber geneigt gehalten, so ware er um einiges langer als sechs Fu? gewesen. Bolitho fand, da? fur solch einen Mann das Leben zwischen den niedrigen Decks einer Korvette sehr unbequem sein mu?te.
        Maulby schien einige Jahre alter als er zu sein und hatte eine lassige, gedehnte Art zu sprechen. Doch schien er einigerma?en umganglich und hie? ihn an Bord seines Schiffes willkommen.
        Als sie sich unter das Achterdeck buckten, meinte Maulby:»Der kleine Admiral scheint ziemlich aufgeregt zu sein.»
        Bolitho blieb stehen und starrte ihn an.»Wer?»
        Maulby zuckte schlaksig die Achseln.»In der Flottille nennen wir Colquhoun immer unseren kleinen Admiral. Er hat so eine Art, sich als solcher aufzufuhren, ohne den entsprechenden Dienstrang zu haben. «Er lachte, seine gebeugten Schultern beruhrten die Decksbalken, und es sah aus, als ob er das Oberdeck mit seinem Korper stutzte.»Sie machen aber ein entsetztes Gesicht, mein Freund!»
        Bolitho grinste. Er fand, da? Maulby ein Mann war, den man vom ersten Augenblick an gern haben mu?te und dem man trauen konnte. Aber niemals zuvor hatte er beim ersten Zusammentreffen zweier Untergebener solche Reden uber ihren Vorgesetzten gehort. Auf manchen Schiffen hatte das zu einer Katastrophe gefuhrt.

«Nein, Sie haben mich erfrischt und aufgeheitert«, antwortete er. Die Heckkajute war so gro? wie seine eigene, doch sonst gab es keine Ahnlichkeit. Sie war einfach, ja spartanisch. Er erinnerte sich an Tyrells Zorn, seinen bitteren Angriff gegen den» weiblichen Geschmack».
        Colquhoun sa? am Tisch, hatte sein Kinn in die Hand gestutzt und starrte auf einige soeben geoffnete Depeschen.
        Ohne aufzusehen, sagte er:»Nehmen Sie beide Platz, ich mu? mich noch mit dieser Angelegenheit befassen.»
        Maulby zwinkerte Bolitho bedeutungsvoll zu.
        Bolitho blickte weg. Maulbys unbekummerte Haltung ihrem Vorgesetzten gegenuber war beangstigend.»Der kleine Admiral!«Es pa?te gut auf Colquhoun.
        Maulby schien die Fahigkeit zu besitzen, sich lassig zu geben, ohne da? man ihm etwas vormachen konnte. Bolitho hatte bemerkt, wie flink sich seine Leute uber das Geschutzdeck bewegten, wie klar Befehle weitergegeben und befolgt wurden. Bolitho hatte die anderen Kapitane der Flottille noch nicht getroffen. Wenn sie alle solch ausgefallene Vogel waren wie Maulby, dann war es kein Wunder, da? Colquhoun Zeichen von Uberlastung zeigte. Vielleicht fielen solch eigenwillige Charaktere auf kleinen Schiffen auch mehr auf. Er dachte an Pears auf der alten Trojan, an seine zerfurchten Zuge, die sich niemals, unter keinen Umstanden, je verandert hatten. Im Sturm vor einer Leekuste, unter feindlichem Feuer, beim Auspeitschen oder Befordern eines Matrosen, immer war er zuruckhaltend geblieben, und stets hatte er jenseits personlichen Kontaktes gestanden. Bolitho fand es unmoglich, sich Maulby - seine Gedanken zogerten - oder sich selbst mit solch himmelhohen, gottahnlichen Kraften ausgestattet vorzustellen.
        Colquhoun unterbrach mit scharfer, schneidender Stimme seine Gedanken.»Der Kapitan der Miranda hat ernste Nachrichten gebracht. «Er hielt seinen Blick noch immer auf die Depeschen gesenkt.»Frankreich hat einen Bundnisvertrag mit den Amerikanern unterzeichnet. Das bedeutet, da? General Washington die volle Unterstutzung regularer franzosischer Truppen und eine machtige Flotte zur Verfugung haben wird.

        Bolitho fuhr in seinem Stuhl herum. Diese Neuigkeiten machten ihn betroffen. Die Franzosen hatten schon vorher viel fur ihre neuen Verbundeten getan. Aber dies bedeutete, da? der Krieg nun ganz offen gefuhrt wurde. Es bewies auch, da? die Franzosen starkeres Vertrauen in die Siegeschancen der Amerikaner setzten.
        Colquhoun stand rasch auf und starrte durch die Heckfenster.

«Die Miranda hat Depeschen und geheime Nachrichten fur das Oberkommando in New York an Bord. Sie lief von Plymouth zusammen mit einer Brigg aus, die Duplikate der Depeschen nach Antigua bringen sollte. Kurz nachdem die Schiffe den Kanal passiert hatten, gerieten sie in einen Sturm, und seitdem ist die Brigg verschollen.»

«Von den Franzosen geschnappt, Sir?«fragte Maulby ruhig. Colquhoun fuhr zu ihm herum. Seine Stimme klang unerwartet zornig.

«Was, zum Teufel, macht das aus? Geschnappt oder gesunken, entmastet oder von Wurmern aufgefressen, fur uns macht das keinen Unterschied, oder?»
        Plotzlich erkannte Bolitho die Ursache seines Angriffs. Ware Colquhoun in Antigua geblieben, bis sein eigenes Schiff fertig uberholt gewesen ware, dann hatte Maulby das Kommando uber den Geleitzug gehabt. Der Kapitan der Miranda, der hoher im Dienstrang stand als Maulby, mu?te seine Neuigkeiten auf schnellstem Wege nach New York bringen. So hatte er Maulby befohlen, Anordnungen zu treffen, damit die Depeschen ohne Verzogerung nach Antigua gebracht wurden. Niemand hatte sich auf das Uberleben der Brigg verlassen und Tatenlosigkeit damit entschuldigen konnen. Durch eine Wendung des Schicksals oder durch Colquhouns Auftrag, den Befehl uber seine Schiffe auf See zu behalten, hatte der Kapitan der Miranda die Entscheidung an ihn weitergeben konnen.
        In ruhigerem Ton fuhr Colquhoun fort:»Wir haben Mitteilung erhalten, da? die Franzosen schon seit Monaten Schiffe ausgerustet haben. Vor einigen Wochen lief von Toulon eine ganze Eskadron aus und schlupfte durch unsere Patrouillen bei Gibraltar. «Er blickte von einem zum anderen.»Sie konnten nun hier in Richtung auf Amerika unterwegs sein - irgendwo -, das ist alles, was wir wissen. Der Teufel soll sie holen.»
        In der langsamen Prozession durchlaufender Dunungswogen hatte sich die Fawn leicht gedreht. Durch die schwankenden Fenster konnte Bolitho nun die beiden Transportschiffe sehen. Riesig und ungeschlacht warteten sie mit backgebra?ten Rahen auf das nachste Signal. Jeder Transporter war bis unter die Decksplanken mit dringend notwendigen Vorraten fur die Armee in Philadelphia vollgestopft. In der Hand des Feindes waren sie eine ungeheure Beute. Diese Erkenntnis mu?te in Colquhouns Gedanken wohl Vorrang haben.
        Colquhoun begann wieder zu sprechen.»Die Miranda hat zugestimmt, bei dem Geleitzug zu bleiben, bis wir auf das Kustengeschwader treffen. Aber bei diesem verdammten Wetter kann das noch einige Wochen dauern.»
        Bolitho stellte sich vor, wie Colquhoun in seinen Gedanken die Distanzen wie von einer Seekarte ablas. Welch anodende Aussichten, die ganze weite Strecke, all die vielen Meilen nach Antigua zurucksegeln zu mussen, um dort wieder den Oberbefehl uber seine kleinen Seestreitkrafte ubernehmen zu konnen.

«Darf ich vorschlagen, da? ich bei den Transportern bleibe, Sir«, sagte Maulby gedehnt.»Zusammen mit der Miranda werden wir ziemlich sicher sein. «Er blickte Bolitho an.

«Sie konnten dann auf der Sparrow nach English Harbour zurucksegeln, die Neuigkeiten dem Admiral ubergeben und unsere eigenen Schiffe fur weitere Auftrage bereithalten.»
        Colquhoun starrte ihn mit ausdruckslosen Augen an.

«Diese verdammte, behagliche Selbstzufriedenheit unserer Regierung! Schon seit Jahren braut sich diese verteufelte Geschichte zusammen, und wahrend die Franzosen Schiff um Schiff vom Stapel gelassen haben, hat man unsere aus Sparsamkeit verrotten lassen. Lie?en wir morgen die Kanalflotte auslaufen, so waren meiner Meinung nach kaum mehr als zwanzig Linienschiffe in der Lage, in See zu gehen!»
        Er bemerkte die Uberraschung seiner Offiziere und nickte heftig.»O ja, meine Herren, wahrend Sie hier drau?en standen und dachten, da? beim Einsatzbefehl alles bereit ware, mu?te ich den Mund halten und die ganze Schweinerei mit ansehen. «Er schlug mit der Faust auf den Tisch.»Fur eine ganze Reihe von Stabsoffizieren sind politische Macht und Wohlleben wichtiger als die Instandhaltung der Flotte.»
        Er setzte sich schwer nieder.»Ich mu? mich entschlie?en!»
        Die Tur offnete sich einen Spalt weit, und ein Fahnrich schaute mit verangstigtem Gesicht herein.»Signal von der Miranda, Sir. Sie bittet um Anweisungen fur. «Er kam nicht weiter.

«Sagen Sie ihr, sie soll sich gefalligst um ihre eigenen Angelegenheiten kummern.
«Colquhoun funkelte ihn zornig an.»Es ist meine Entscheidung!»
        Bolitho schaute zu Maulby hinuber. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er ermessen, was es bedeutete, die Verantwortung eines Kommandos zu haben. Was Colquhoun auch immer entschied, es konnte sowohl richtig als auch falsch sein. Eines jedenfalls hatte Bolitho begriffen: Wenn man eine richtige Entscheidung getroffen hatte, heimsten oft andere den Erfolg ein. Hatte man aber falsch entschieden, dann mu?te man die Schuld allein tragen.
        Plotzlich sagte Colquhoun:»Lassen Sie Ihren Schreiber kommen, Maulby. Ich will neue Befehle fur-«er blickte Bolitho an,»- fur die Sparrow diktieren.»
        Er schien seine Gedanken laut auszusprechen.»Ich zweifle nicht an Ihren Fahigkeiten, Bolitho, aber Sie haben keine Erfahrung. Ich werde auf Kapitan Maulbys Fawn bleiben, bis ich wei?, was sich in der nachsten Zeit ereignen wird.»
        Als der Schreiber hereinschlupfte, winkte ihn Colquhoun sofort zu sich an den Tisch.

«Sie, Bolitho, werden bei den Transportern bleiben. Der Kapitan der Miranda hat den Oberbefehl, und Sie werden ihm nach Kraften gehorchen. Ihre Befehle werden Ihnen gestatten, zur Flottille zuruckzukehren, sobald die Transportschiffe abgeliefert sind. «Er machte eine Pause und wiederholte matt:»Abgeliefert sind.»
        Bolitho stand auf.»Jawohl, Sir.»

«Gehen Sie nun und lassen Sie mich die Order abfassen.»
        Maulby nahm Bolithos Arm und begleitete ihn auf das Geschutzdeck.»Ich glaube, der kleine Admiral hat Sorgen, mein Freund. «Er seufzte.»Ich hatte gehofft, ich konnte ihn auf meinem Schiff loswerden und Ihnen zuschieben. «Dann fuhr er mit kurzem Grinsen fort:»Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt!»
        Bolitho sah seine Gig in der Dunung auf und nieder gleiten. Stockdale beschattete seine Augen und wartete darauf, wieder zur Fawn herangerufen zu werden.

«Die Nachrichten sind schlecht, aber sie kommen nicht unerwartet. Die Heimlichkeiten haben nun wenigstens ein Ende.»
        Maulby nickte nachdenklich.»Nicht sehr angenehm fur das Lamm, das gerade verschlungen wird.»
        Bolitho starrte ihn an.»Es ist doch sicher nicht so ernst?»

«Ich bin da nicht so sicher. Was die Franzmanner heute tun, werden die verdammten Spanier morgen nachahmen. Wir werden bald die ganze Welt am Hals haben. «Er runzelte die Stirn.»In einer Hinsicht hat unser kleiner Admiral schon recht. Es scheint, da? unsre Regierung von Damonen befallen ist, die darauf aus sind, uns alle verruckt zu machen.»
        Der Erste Leutnant eilte auf sie zu und uberreichte einen frisch versiegelten Umschlag.
        Maulby klapste Bolitho auf die Schulter und sagte frohlich:»Denken Sie manchmal an uns. Wahrend Sie sich auf Ihrer gemutlichen Reise vergnugen, bin ich gezwungen, meinen Tisch mit ihm zu teilen.»
        Er rieb seine Hande.»Aber mit einigem Gluck wird er befordert werden und fur immer verschwinden.»
        Der Leutnant unterbrach ihn eindringlich.»Eine Empfehlung von Kapitan Colquhoun, Sir, Sie mochten bitte sofort zu ihm kommen.»
        Maulby nickte und streckte seine Hand aus.»Bis wir uns wiedersehen, Bolitho. «Er schien ihn nicht gerne gehen zu sehen, dann fuhr er etwas linkisch fort:»Seien Sie gewarnt, mein Freund. Sie haben ein schones Kommando, aber Sie haben auch einen gro?en Anteil an Kolonisten in Ihrer Besatzung. «Er versuchte zu lacheln.»Wenn der Krieg sich zum Schlechten wendet, dann werden sicher einige versucht sein, ihre Treue umzukehren. Steckte ich in deren Haut, so wurde ich es vielleicht genauso machen.»
        Bolitho begegnete seinem Blick und nickte:»Danke, ich werde mich daran erinnern.»
        Maulby verbarg seine Erleichterung nicht.»Sehen Sie, ich wu?te ja, da? Sie ein rechter Kerl sind. Nicht so einer, der meinen unbeholfenen Rat fur Herablassung halt.»

«Sie haben einiges riskiert«, meinte Bolitho grinsend.»Ich hatte zu Colquhoun gehen und ihm erzahlen konnen, wie Sie ihn betiteln.»

«Ich hatte es abgeleugnet!»

«Gewi?.»
        Sie lachten beide.
        Als dann die Gig an der Fawn anhakte, wurden sie wieder formlich.
        Schon bevor Bolitho wieder im Boot sa?, sausten Flaggen an den Leinen der Fawn hoch, und augenblicklich erschien druben auf der Fregatte das Erkennungszeichen.
        Bolitho setzte sich im Heck zurecht und starrte zu seinem Schiff hinuber. Colquhoun hatte eine Entscheidung getroffen und Verantwortung ubernommen.
        Bald wurde auch er nun die Last der Verantwortung zu spuren bekommen.
        Leutnant Tyrell wandte sich um, als Bolithos Kopf und Schultern im Luk des Achterdecks erschienen, und wartete, bis der Kapitan seine ubliche Uberprufung der Segelstellung und des Kompasses beendet hatte.

«Sie lauft jetzt gut, Sir«, meinte er dann.
        Bolitho stapfte uber das ziemlich stark gekrangte Deck und legte seine Hande auf die Reling. Er fuhlte das Schiff wie ein lebendiges Wesen unter sich beben. Die Mittagssonne stand hoch uber der Sparrow, aber er brachte es fertig, sich trotz der Hitze nicht darum zu kummern, er beachtete nur die prall stehenden Segel und den Gischt, der am Bugsprit aufspruhte und uber die Back wehte. Funf Tage waren vergangen, seitdem die Fawn wieder Kurs auf Antigua genommen hatte, und es schien, als ob das Verschwinden Colquhouns aus ihrem Verband Gluck und Wetter geandert hatte.
        Storrisch wie zuvor, doch endlich von der richtigen Seite her hatte der Wind auf Sud-Sudwest zuruckgedreht und zu einer frischen Brise aufgefrischt, die wahrend der vergangenen Tage kaum nachgelassen hatte. Unter geblahten Segeln hatten die Schiffe gute Fahrt auf die amerikanische Kuste zu gemacht, die nun nach den letzten Berechnungen etwa 250 Meilen entfernt liegen mu?te. Die schweren Kauffahrteischiffe hatten standig funf Knoten gemacht. Sie mochten zufrieden sein, da? der Kapitan der Miranda sich nicht allzuviel einmischte. Die Signale der Miranda hatten meist nur der Sparrow gegolten. Denn ungefahr vierundzwanzig Stunden nachdem die Fawn davongesegelt war, hatte der Ausguck im Masttopp wieder ein Segel gesichtet. Wie eine winzige, wei?e Blase schwebte es weit achteraus uber dem Horizont.
        Bolitho hatte Graves mit einem Fernrohr ins Topp geschickt, aber selbst er hatte den mysteriosen Verfolger nicht identifizieren konnen. Dann hatte er zur Fregatte signalisiert und um Erlaubnis zur Erkundung gebeten. Es war verweigert worden. Wahrscheinlich bedauerte der Kapitan der Miranda sein Zusammentreffen mit dem Konvoi. Ohne die schleppende Last der Transporter hatte er jetzt wohl sein Ziel schon erreicht. Es hatte ihm sicher keinen Verweis eingebracht, wenn er seine Nachrichten nicht nach Antigua hatte weitergeben konnen. Da er aber nun auf die langsameren Schiffe gesto?en war, mu?te er so handeln, wie er es jetzt tat. Es war ihm keine andere Wahl geblieben. Auch rechnete er wohl damit, da? die Sparrow ohne Uberwachung direkter Vorgesetzter aus irgendwelchen Grunden abdrehte und ihn dann mit der vollen Verantwortung fur die Transportschiffe allein lie?.
        Das unbekannte Segel war inzwischen nicht wieder gesichtet worden, und Bolitho gab zu, da? der Kapitan der Miranda zwar ubervorsichtig, aber richtig gehandelt hatte, als er ihn von einer Erkundungsfahrt zuruckhielt.
        Bolitho wandte sich Tyrells bronzefarbenem Gesicht zu und nickte:»Ich bin ganz zufrieden.»
        Er beobachtete einige Vortoppsgasten, die nach der Arbeit hoch uber Deck nun um die Wette an den Stagen niederglitten. Buckle hatte recht, wenn ein rechter Wind blies, flog die Sparrow wie ein Vogel uber die See. Er blickte zum nachsten Transportschiff, der Bear, hinuber und wunschte, da? er den Geleitzug endlich los ware. Dann erst wurde er die Sparrow wirklich erproben konnen. Wenn die Royalsegel und sogar Leesegel gesetzt wurden, konnte er erst sehen, was sein Schiff unter jedem Fetzen Tuch zu leisten vermochte.
        Die meisten der wachfreien Offiziere amusierten sich an Deck mit ihrem ublichen Geplauder vor dem Mittagessen. Sie achteten sorgfaltig darauf, an der Leeseite zu stehen und ihm, so gut es ging, aus dem Weg zu sein.
        Dalkeith, der Schiffsarzt, unterhielt sich lachend mit Buckle. Sein Kahlkopf leuchtete wei? im harten Sonnenlicht. Die rote Perucke wurde vom Messesteward gerade kraftig ausgeschuttelt, und Bolitho vermutete, da? sie von einer uber Deck waschenden See durchna?t worden war.
        Zahlmeister Lock war mit dem jungen Heyward in ein ernsteres Ge sprach verwickelt. Der Wind knitterte und faltete die Seiten seines gro?en Hauptbuches, wahrend er den Fahnrich vermutlich uber Verpflegungsfragen aufklarte.
        Bethune hatte Wache und stand etwas unordentlich an der Achterdecksreling. Sein Hemd war bis zur Hufte geoffnet, und mit einer Hand rieb er sich den Magen. Bolitho lachelte. Der junge Bursche hatte zweifellos Hunger. Fahnriche wie Bethune waren immer hungrig. Unten auf dem Geschutzdeck faulenzten viele der Seeleute im Schatten der Segel oder vertrieben sich die Zeit ahnlich wie ihre Offiziere. Beim Gro?mast stand der Bootsmann mit seinem einzigen Freund Yule, einem Geschutzfuhrer, zusammen. Bolitho dachte, da? die beiden ein schreckliches Paar von Wegelagerern abgegeben hatten. Tilby, umfangreich und plump, hatte vom allzu vielen Trinken zerstorte Zuge. Dagegen war Yule dunkelhautig, flink wie ein Wiesel, und seine stechenden Augen kamen niemals zur Ruhe.
        Wahrend Bolitho von Gruppe zu Gruppe blickte, wurde er abermals an seine neue, abgesonderte Stellung erinnert, an seine Zuruckgezogenheit, welche leicht zur Einsamkeit fuhren konnte. Seine Vorrechte konnten auch zu einer Burde werden.
        Er verschrankte die Hande hinter seinem Rucken und schritt an der Luvseite langsam auf und ab. Der warme Wind wuhlte in seinen Haaren und blahte sein offenes Hemd. Irgendwo dort drau?en hinter den Wanten lag die Kuste Amerikas. Wie sonderbar ware es, wenn sie dort vor Anker gingen, und der Krieg ware zu Ende. Wenn die Blutsgemeinschaft mit den Amerikanern angesichts der Herausforderung Frankreichs sich als starker erwiesen hatte und wenn England der Unabhangigkeit Amerikas zustimmen konnte, dann wurden sich beide Nationen vielleicht gegen die Franzosen verbunden und ihre Machtanspruche ein fur allemal klaren. Er betrachtete Tyrells Profil und hatte gern gewu?t, ob er wohl genauso dachte.
        Bolitho verscheuchte die personlichen Probleme seines Leutnants aus seinen Gedanken und versuchte, sich auf die lange Reihe der Notwendigkeiten zu konzentrieren, die taglich an ihn herantraten. Der Wasservorrat mu?te so bald als moglich aufgefullt werden. Die Fasser waren in schlechtem Zustand, und bei diesem Klima wurde das Trinkwasser rasch brackig. Auch wurde er frisches Obst kaufen, wann immer sie auf Land stie?en oder ein Versorgungsschiff trafen. Eigenartig, da? die Besatzung so gesund geblieben war, obwohl Ransome solch einfache Regeln offensichtlich nicht beachtet hatte. In den drei Jahren, die er an Bord der Trojan gedient hatte, war nicht ein einziger Fall von Skorbut vorgekommen. Es war dies ein deutliches Zeichen, da? Kapitan Pears sich um seine Leute sorgte, ja, es war eine wertvolle Lektion fur alle seine jungen Offiziere. Bolitho hatte schon mit Lock daruber gesprochen, und nach einigem Zogern hatte der Zahlmeister gemurmelt: Eine kostspielige Angelegenheit, Sir.»

«Es ist kostspieliger, wenn unsre Leute vor Schwache und Krankheit umfallen, Mr. Lock. Ich habe gehort, da? sich ein ganzes Geschwader wegen solcher Knauserei hat kampflos ergeben mussen.»
        Dann stand da noch die Prozedur einer Auspeitschung bevor, die erste, seitdem er Kapitan war. Er hatte die unnotig harte Anwendung von Bestrafungen immer verabscheut, obwohl er wu?te, da? sie gelegentlich notwendig wurde. In der Koniglichen Flotte war die Disziplin rauh und unmittelbar, und wenn ein Schiff viele Meilen von zu Hause und den Behorden an Land entfernt war, bedeuteten harte Strafen die einzige Abschreckung vor Auflehnung und Verwilderung. Es gab Kapitane, die bedenkenlos straften. Brutale, unmenschliche Auspeitschungen waren auf manchen Schiffen eine alltagliche Sache, und als Bolitho noch ein junger Fahnrich war, war er beim Anblick solch einer Tortur fast einmal ohnmachtig geworden. Andere Kapitane wieder uberlie?en, schwach und untuchtig, die Befehlsgewalt ihren Untergebenen und schlossen ihre Augen vor Mi?brauch.
        In den meisten Fallen aber kannte der englische Seemann die Ma?stabe seines Dienstes, und wenn er sie uberschritt, war er auch bereit, die Folgen zu tragen. Und wenn jemand einen seiner Kameraden bestahl oder betrog, konnte er kein Mitleid erwarten. Die Rechtsprechung der unteren Decks war genauso gefurchtet wie die des Kapitans.
        Aber mit diesem Fall auf der Sparrow stand es ganz anders. Ein Seemann hatte Leutnant Graves wahrend einer Nachtwache den Gehorsam verweigert, als die Leute in einer plotzlichen Bo zum Segelreffen heraufgerufen wurden. Er hatte seinen wachhabenden Offizier angeschrien und ihn in Horweite von zwanzig Mannern einen herzlosen Lump genannt.
        Tyrell hatte Bolitho vertraulich gebeten, die Erklarung des Seemannes gelten zu lassen. Er war ein guter Toppgast, und Graves hatte ihn in einem plotzlichen Wutanfall gereizt, als er nicht zugleich mit seinen Kameraden seinen Posten auf der Gro?rah erreichte.

«Sie dreckiger Yankeebastard«, hatte Graves gebrullt,»zu faul, seine Pflicht zu tun, und zweifellos zu beschissen feige, zu kampfen, wenn es an der Zeit ist.»
        Dies und Tyrells hitziger Angriff auf die Art und Weise, in der Graves die Angelegenheit behandelte, bewiesen die verborgene Spannung unter der Besatzung aufs neue.
        Graves war unnachgiebig geblieben. Der Seemann hatte ihn vor den Leuten seiner Wache beleidigt. Er mu?te bestraft werden.
        In einer Hinsicht hatte er recht. Seine Autoritat mu?te aufrechterhalten werden, oder er wurde sich niemals wieder auf seine Befehlsgewalt verlassen konnen.
        Bolitho machte sich selbst Vorwurfe. Hatte er mehr Zeit gehabt, diese ungewohnliche Situation zu uberdenken, oder wenn er sich in seiner neuen Stellung starker fur den Mann eingesetzt hatte, hatte er das Au?erste verhindern konnen. Durch sein eigenes Beispiel hatte er dem Offizier seinen Willen aufzwingen und ihm klarmachen konnen, da? er sein Verhalten nicht dulden wurde. Aber nun war es zu spat. Er hatte die Sache zu lange treiben lassen.
        So hatte er sich zum Kompromi? entschlossen und den Rechtsspruch ausgesetzt. Doch wu?te er, da? er damit das Unvermeidliche nur hinausgezogert hatte.
        Bolitho blickte zur hart angebra?ten Gro?rah hinauf. Das Schiff segelte auf Backbordbug hoch am Wind und legte sich stark uber. Er konnte jetzt den Mann sehen. Nackt bis auf einen Fetzen Segeltuch um die Huften war er mit einigen Kameraden mit Splei?en und Reparaturen beschaftigt. Glaubte Tyrell wirklich, da? der Mann gereizt worden war? Bolitho wu?te es nicht. Oder setzte sich Tyrell fur ihn ein, weil er Graves im Verdacht hatte, er wolle ihn demutigen, indem er einen anderen Amerikaner bestrafen lie??

«Wahrschau an Deck!«Der Ruf des Ausgucks im Topp wurde durch den Wind und das standige Knallen der Segel gedampft.

«DieMiranda gibt Signale!»
        Bolitho fuhr herum.»Vorwarts, Mr. Bethune, Sie schlafen heut noch.»
        Tyrell trat zur Seite, als der Fahnrich mit seinem Fernrohr zu den Leewanten sprang.

«Der denkt schon wieder an die nachste Mahlzeit. «Er lachelte uber die Verwirrung des jungen Burschen.

«Anscheinend war der Ausguck der einzige Mann in dieser Wache, der an seine Pflicht gedacht hat, Mr. Tyrell!»
        Die Scharfe seiner Stimme lie? den Leutnant erroten, und er wandte sich ab, ohne zu antworten.

«Signal von der Miranda, Sir!«rief Bethune,»Segel in Nordwest.»

«Bestatigen.»
        Bolitho argerte sich uber Tyrells lassige Haltung, noch mehr aber uber seinen eigenen ungerechten Ausbruch.
        Etwa zwei Meilen vor der Golden Vleece war die Miranda, die mit ihren geflickten, doch prall stehenden Segeln gute Fahrt machte, bereits dabei, die Bramsegel zu setzen und sich zur Erkundung bereit zu halten. Das unbekannte Schiff lag irgendwo backbord voraus, und obgleich es vorher nicht gesichtet worden war, mu?te es wohl auf konvergierendem, Kurs segeln.

«Wahrschau an Deck! Segel in Sicht, genau in Luv voraus!»
        Bolitho blickte in die gespannten Gesichter um ihn. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, selbst zur schwindelnd hohen Gro?mastsaling aufzuentern, obwohl er seine Furcht vor solchen Hohen niemals ganz uberwunden hatte. Beim Hinaufklettern in den zitternden, schwankenden Wanten konnte er wohl seinen Arger vertreiben und klaren, frischen Sinn zuruckgewinnen.
        Dann aber fiel sein Blick auf Raven, den neu ernannten Steuermannsmaat.»Entern Sie auf, nehmen Sie ein Glas und melden Sie, was sie sehen.»
        Buckle hatte ihm erzahlt, da? Raven ein erfahrener Seemann sei, der schon auf verschiedenen Schiffen der Kriegsflotte gedient hatte und den keiner so leicht zum Narren halten konnte.
        Schon bevor Raven die Gro?rah erreicht hatte, erklang wieder der Ruf des Ausgucks: Zwei Schiffe, dicht beieinander!»
        Alle Augen folgten Raven, wie er sich frei uberhangend auf die Saling hinaufschwang und dann zum Masttopp weiterkletterte.
        Bethune war immer noch bekummert, weil er das Signal der Miranda ubersehen hatte. Plotzlich spannte sich sein Korper vor Erregung.»Geschutzfeuer, Sir!«Er hielt seine Hande wie Trichter an seine Ohren. Mit seinem runden Gesicht sah er nun aus wie ein Kobold.
        Bolitho schaute ihn an. Dann, als er sein Gehor uber das Stampfen des gischtumspruhten Schiffsrumpfes und uber das Knattern der Segel hinaus aufs Meer gerichtet hatte, horte er selbst das tiefe, mi?tonende Poltern einer Kanonade.
        Vor Ungeduld geriet er fast au?er sich, doch wu?te er, da? er Raven nicht antreiben durfte. Er konnte vor Hast so sehr durcheinandergebracht werden, da? er die Lage nicht mehr richtig einschatzte.

«Wahrschau an Deck!«Endlich horte er Raven rufen.»Erstes Schiff ist ein Kauffahrer. Wird von einer Brigg angegriffen!»

«Freibeuter, bei Gott!«rief Buckle mit belegter Stimme.
        Bolitho ergriff ein Fernrohr und richtete es durch die dunkle Masse des Riggs, an einigen Seeleuten auf der Back vorbei, auf den schwankenden Horizont. Eine Tauschung des Lichtes? Er blinzelte mit tranenden Augen und versuchte es noch einmal. Nein, dort war es, ein winzig kleiner, wei?er Tupfen, der ab und zu uber dem blendenden Glitzern endlos dahinwandernder Wogenkamme aufleuchtete. Der einsame Kauffahrer hatte Pech gehabt. Aber wenn sie ein wenig Gluck hatten, konnten sie den Spie? nun umdrehen.
        Die Miranda hatte ihre Position bereits verlassen und war mit wild schlagenden Segeln uber Stag gegangen. Als sich ihre Segel auf dem neuen Kurs wieder fullten, sah Bolitho an ihrem Mast neue Signale hochfliegen.

«Signal an alle«, sagte Bethune rasch.

«Bleiben Sie auf Station.»
        Buckle fluchte.»Der ist drauf aus, das verdammte Prisengeld allein zu gewinnen, der verfressene Gauner.»
        Das Geschutzfeuer war nun deutlicher zu horen, und Bolitho sah durch das Glas, wie leewarts der Schiffe Rauchschwaden uber die See davontrieben. Die kleine Brigg hatte alle Segel gesetzt und bemuhte sich, noch naher an ihr Opfer heranzukommen.
        Bolitho schob das Glas zusammen. Hinter sich horte er seine Leute murren. Sie waren ebenso enttauscht wie er selbst. Sicher hatte der Kapitan der Miranda den Angriff nicht eingeleitet, um die Besatzung der Sparrow zu demutigen, sondern um die Langeweile einer langsamen Reise zu unterbrechen.

«Signalisieren Sie der Bear, sie soll mehr Segel setzen«, sagte er zu Tyrell.»Sie fallt stark zuruck.»
        Dann beobachtete er wieder voll Spannung die Fregatte. Sie segelte sehr schnell, obwohl der Wind fast dwars zu ihren Segeln stand. Die Stuckpforten offneten sich, und die Sonne blitzte auf der Reihe kampfbereit ausgerannter Geschutzmundungen.
        Der Kapitan der Brigg mu?te langst erkannt haben, was geschah, aber mit dem Sieg fast schon in der Hand wollte er wohl seine Beute nicht aufgeben.
        Auf der Back und auf dem Geschutzdeck fuchtelten die Leute mit den Armen und schwatzten aufgeregt durcheinander. Wahrscheinlich fuhrten sie gro?artige Reden, wie sie gehandelt hatten, wenn man ihnen die Chance zum Angriff auf das Kaperschiff gegeben hatte.
        Bolitho rief Raven auf das Deck zuruck.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht«, lobte er.
        Der Mann grinste verlegen.»Danke, Sir. Die Brigg ist ganz sicher ein Yankee. Hab' schon viele solche gesehen, seit ich zur See fahre. Das andere Schiff sieht aus wie ein Westindienfahrer, obwohl seine Artillerie schlechter ist als bei anderen.»

«Die Brigg hat jetzt den Angriff abgebrochen«, schrie Tyrell.

«Sie macht sich davon.»
        Bolitho seufzte. Der Westindienfahrer hatte schon Kurs auf den kleinen Geleitzug genommen, wahrend die Miranda unter vollen Segeln auf das Kaperschiff lospreschte. Hinsichtlich Geschwindigkeit und Manovrierfahigkeit hatte eine gutgefuhrte Brigg gegenuber einer Fregatte durchaus eine Chance. Aber der Freibeuter hatte zu lange gewartet. Auf sich schneidenden Kurslinien wurden die drei Schiffe Seite an Seite aneinander vorbeilaufen. Die Fregatte wurde den Kauffahrer decken und im Vorbeisegeln die Brigg von Bug zum Heck mit ihrer Artillerie bestreichen.
        Vorausgesetzt, da? die Brigg nicht zu stark beschadigt wurde, konnte sie ein brauchbares Schiff fur die englische Flotte abgeben. Jedenfalls wurde der Kapitan der Miranda einen ordentlichen Batzen an Prisengeld einstreichen.
        Als Bolitho neben sich auf dem Achterdeck zornige Stimmen horte, ri? er seine Augen von dem erregenden Anblick los.
        Es war Tilby, der rot angelaufen vom Genu? seines geheimen Rumvorrats auf ihn zustampfte.»Verzeihung, Sir, aber der Kerl da sagt, da? er Sie unbedingt sprechen mu?. «Er glotzte den Seemann bose an.»Hab' ihm gesagt, da? ein Mann unter Bestrafung nicht ohne Erlaubnis mit einem Offizier sprechen darf.»
        Bolitho erkannte hinter Tilby den Seemann, der ausgepeitscht werden sollte. Er war ein gutgewachsener Mann, der in wilder Entschlossenheit am Arm des Bootsmanns zerrte.

«Was ist los, Yelverton?«Bolitho nickte Tilby zu.»Ist es so wichtig?»
        Der Seemann drangte sich auf dem Achterdeck vor und schluckte erregt.»Das Schiff, Sir, ist kein Indienfahrer nich! Ist ein verdammter Franzmann. Hab's gesehen, vor einigen Jahren in Boston.»
        Bolitho fuhr herum.»Gott im Himmel!»
        In diesem Augenblick feuerte der heranbrausende Westindienfahrer im Vorbeisegeln eine volle Breiseite in die unbemannte Flanke der Miranda. Der hallende Geschutzdonner erfullte das Herz eines jeden Mannes im Geleitzug mit Grauen.



        IV Die gro?e Verantwortung

        Sogar auf zwei Meilen Entfernung sah Bolitho, wie die Fregatte von einem heftigen Beben geschuttelt wurde, als die Breitseite uber sie hinfegte. Der Pirat mu?te hoch gezielt haben, denn als der Rauch davonwehte, waren die Verheerungen, die der plotzliche Uberfall hinterlassen hatte, deutlich zu sehen. Die Gro?royalstenge war uber Bord gegangen, und wie nach einem Sturm waren die meisten Segel durchlochert und zu Fetzen zerschlissen.
        Bolitho ri? sich von den Wanten los, die er krampfhaft umklammert hatte. Seine Leute standen zu bewegungslosen Figurengruppen erstarrt. Die Manner waren so betroffen, da? sie weder denken noch sich ruhren konnten.

«Mr. Tyrell«, brullte er,»lassen Sie auf allen Decks klar zum Gefecht trommeln! Dann packte er Bethune am Arm und schrie in sein verwirrtes Gesicht.»Flagge hei?en!»
        Ein Schiffsjunge griff nach seiner Trommel. Die Schlegel wirbelten:»Klar Schiff zum Gefecht.»
        In die Manner auf dem Geschutzdeck und auf der Back, von wo sie dem leichten Sieg der Miranda hatten zusehen wollen, kam wieder Leben. Alle rannten auf ihre Gefechtsstationen. Aber da gab es nicht mehr die automatischen Bewegungen von Seeleuten beim Drill. Und nirgendwo herrschte das grimmige Schweigen kampferprobter Manner, die sich zu einem neuen Gefecht bereit machten. Die Besatzung war zu verwirrt, um sich sinnvoll zu verhalten. Einige prallten aufeinander, andere standen an falschen Geschutzen. Manche tappten mit fremden Ausrustungsstucken herum, bis sie ein Unteroffizier mit Fu?tritten wegjagte.
        Bolitho blickte Buckle an, der sich bemuhte, in all dem Durcheinander seine Stimme ruhig zu halten.

«Die unteren Segel aufgeien, Bramsegel setzen! Es werden ohnehin genug Funken fliegen! Nicht notwendig, da? auch die Segel um unsre Ohren herum abbrennen.»
        Polternd und klappernd wurden unter dem Achterdeck Trennwande niedergerissen. Mit trampelnden Fu?en schleppten die Matrosen Pulver fur die Kanonen aus den Magazinen herbei.
        Bolitho zwang sich, die heransegelnden Schiffe in Ruhe zu beobachten. Er wu?te, da? es viel zu lange dauerte, bis die Sparrow kampfbereit war. Wie nahe der Feind schon war! Wieder drohnte Geschutzfeuer. Rauch wolkte in dicken Schwaden zwischen den Schiffen, und er konnte nicht ausmachen, was sich dort abspielte.
        Als der Qualm davontrieb, sah Bolitho die Rahen der Miranda herumschwingen. Er hielt den Atem an. Die Fregatte hatte eine Wende eingeleitet, um zu dem Kaperschiff parallel zu segeln.
        Im wehenden Pulverdampf brullten wieder die Kanonen. Wie orangefarbene Zungen blitzten ihre Mundungsfeuer uber die aufgewuhlte See. Manche der Geschosse peitschten uber das Wasser davon. Gischtfontanen bezeichneten ihren Weg von Welle zu Welle, bis sie plotzlich hinter einer gro?en Woge verschwanden.
        Das Wendemanover der Miranda war qualend langsam. Ihre blatternarbigen Segel flappten schwach, als sie sich endlich vor den Wind legte. Wahrscheinlich wollte ihr Kapitan das starkere Freibeuterschiff Seite an Seite bekampfen, oder aber er versuchte, hinter seinem Heck vorbeizuscheren und ihn mit einer Breitseite zu bestreichen.
        Bolitho horte jemand aufstohnen, als der Franzose wieder in den Qualm hineinfeuerte. Schu? auf Schu? schmetterte in die hinter Rauchschwaden verborgene Flanke der Miranda. Fast konnte man uber die schaumenden Kronen der Wellen hinweg die Einschlage spuren.
        Der Augenblick, uber die Fregatte herzufallen, wahrend sie uber Stag ging, war hervorragend abgepa?t. Offensichtlich benutzte der Feind Kettenkugeln, denn als die Breitseite in die Miranda hineinkrachte, sah Bolitho, wie ihr Fock- und Gro?mast taumelten und dann unter den Treffern aufzuckend seitwarts in den Rauch hinunterkippten. Von einem schnittigen, herrlichen Schiff war die Fregatte zu einem verkruppelten Wrack zusammengeschossen, bevor sie auf neuen Kurs gehen konnte. Ihr Buggeschutz feuerte blindlings in Richtung des Feindes, und von ihrem Besanmast wehte immer noch das Scharlachrot der Flagge.

«Schiff ist klar zum Gefecht«, brullte Tyrell mit wilder Stimme. Bolitho sah ihn an.»Lassen Sie bitte laden und ausrennen.»
        Der Leutnant blickte ihm ins Gesicht. Seine Augen blitzten hell in der Sonne. Wollen Sie's etwa mit beiden aufnehmen, Sir?«»Wenn notig, ja.»
        Bolitho wandte sich um, als wieder Schusse uber die immer geringer werdende Entfernung hallten. Er sah, wie die Brigg sich von den beiden gro?eren Schiffen loste. Ihre Gro?stenge neigte sich in einem bedrohlichen Winkel. Die ersten Kugeln der Miranda hatten dort ihr Ziel gefunden. Unter seinen Schuhen zitterten die Decksplanken, als die Stuckpforten sich offneten und die achtzehn Kanonen ihre Mauler quietschend und rumpelnd ins Sonnenlicht reckten. Halbnackte Seeleute rutschten auf dem sandbestreuten Deck aus, wahrend sie versuchten, den Takt der Kommandos einzuhalten, die ihre Geschutzfuhrer ihnen zubrullten. Bolitho starrte uber sein Schiff hin. In seinen Gedanken stieg Verzweiflung auf. Ein paar Augenblicke spater wurde alles zu Ende sein. Sein Schiff, seine geliebte Sparrow, wurde das Schicksal der Fregatte teilen.
        Fur den Feind war alles so lacherlich einfach gewesen. Zu oft war es schon geschehen, da? beim Anblick eines hilflosen Kauffahrers, der von einem gutbewaffneten Piraten angefallen wurde, nicht der geringste Verdacht entstanden war. Kein Wunder, da? die Segel der Brigg in diesem sorgfaltig gespielten Manover keinerlei Treffer aufwiesen. Wie mu?ten die beiden feindlichen Kapitane gelacht haben, als die Miranda aus dem Verband ausscherte, um ihren eigenen Morder zu verteidigen.
        Er horte Stockdale machtig schnaufen, dann fuhlte er, wie sich der Degengurtel um seine Huften spannte.

«Bei Gott, Sir, schlechte Chancen«, zischte sein Bootsfuhrer.

«Wahrschau an Deck!«Beim Anblick des Unheils war der Ausguck vergessen worden. Miranda macht klar zum Entern!«Der Ausguck brullte ein bruchiges Hurra.»Sie geht zum Nahkampf uber!»
        Bolitho rannte zur Reling. Die Fregatte war hinter den wuchtigeren Umrissen des Feindes fast versteckt, aber aus der Stellung ihres Besanmastes konnte er sehen, da? sie tatsachlich auf ihren Angreifer zutaumelte. Wieder wirbelte der Rauch einer Geschutzsalve zwischen den Schiffen auf, und der letzte Mast der Miranda verschwand in einem Wirrwarr von Tauwerk und zerfetztem Segeltuch. Aber Bolitho sah auch die plotzliche Bewegung hinter dem Schanzkleid des Kaperschiffes, das Gewimmel von Menschen um ihren Fockmast. Dann konnte er ausmachen, wie sich der Bug der zerfetzten Fregatte an das Vorschiff des Feindes heranschob. Schwaches Musketenfeuer drang uber das Wasser her, und er konnte das sprichwortliche Blitzen von Stahl stehen, als die beiden Schiffe im nachsten Augenblick zusammenrammten und das Handgemenge begann.
        Er packte Tyrells Arm.»Die Miranda hat fur uns Zeit gewonnen!«Er bemerkte kein Verstehen, nur Unglauben in den Augen des Leutnants.»Wenn sie eine Weile aushalt, konnen wir an die Brigg rangehen.»
        Er beschattete seine Augen gegen den Sonnenglanz und beobachtete, wie die Brigg auf die beiden Transportschiffe lossturmte.

«Sie wird vor dem Bug der Golden Vleece vorbeisegeln und sie mit ihren Geschutzen bestreichen.»
        Laut brullte er seine Gedanken hinaus.»Wir werden sofort uber Stag gehen, zwischen den Transportern durchsegeln und die Ehrung erwidern!»
        Tyrell bi? sich auf die Lippen.»Aber wir konnten dabei mit dem Feind kollidieren, Sir!»
        Bolitho packte ihn bei den Schultern, drehte ihn herum und deutete zu den ineinander verbissenen Schiffen hinuber.

«Mann, wollen Sie, da? diese Burschen dort fur nichts sterben?»
        Er stie? ihn zur Reling.»Und jetzt klar zum Wenden, sobald ich den Befehl gebe!»
        Die Brigg lag nun etwa eine Meile entfernt, genau vor dem schnittigen Kluverbaum der Sparrow. An Bord des ersten Transportschiffes wirbelte der Rauch eines Schusses auf, doch war kein Treffer auszumachen.

«Signalisieren Sie den Transportern, auf Station zu bleiben, Mr. Bethune!«Er wiederholte den Befehl, um den Fahnrich aus seiner Erstarrung herauszurei?en. Vorwarts!»
        Wenn einer der beiden Transporterkapitane jetzt den Kopf verlor, wurde alles schiefgehen. Mit Leichtigkeit konnte der Feind sie dann erledigen oder aufbringen. Auch jetzt noch war nicht viel zu hoffen. Von der ersten schrecklichen Uberraschung bis zu diesem Augenblick waren tatsachlich nur wenige Minuten vergangen.
        Bolitho stutzte sich auf die Reling. Seine Augen schweiften uber die geduckten Kanoniere, uber die beiden Ruderganger an ihrem ungeschutzten Ruderrad und zu Buckle hin, der mit grimmigem Gesicht nach oben in die Segel starrte.
        Dann fiel sein Blick auf Raven, den neuen Steuermannsmaat, der ihn schuldbewu?t und unglucklich anstarrte.»Sie konnten das nicht wissen«, sagte Bolitho.»Das Kaperschiff war fruher tatsachlich ein Indienfahrer.»
        Raven schuttelte den Kopf. Er war so sehr mit seinem Mi?geschick, den Feind nicht erkannt zu haben, beschaftigt, da? er das immer wieder aufflammende Geschutzfeuer gar nicht zu bemerken schien.»Ich hatte es sehen sollen, Sir, aber ich sah nur, was ich zu sehen erwartete, und es tut mir machtig leid, weil Sie mir eine Chance gegeben haben vorwartszukommen.»
        Bolitho lachelte. Es kostete ihn solche Anstrengung, da? er meinte, die Lippen mu?ten ihm rei?en.

«Und heute werde ich Ihnen noch mal eine Chance geben, Mr. Raven. «Er trat zuruck. Die Hande hielt er hinter seinem Rucken verschrankt, der Degen schlug leicht gegen seine Hufte.
        Buckle schurzte seine Lippen zu einem lautlosen Pfeifen.»So ein gelassener Bursche, der Tod schleicht sich durch die Ankerkluse an Deck, und er spaziert auf und ab wie zum Vergnugen.»
        Mit starrem Lacheln schritt Bolitho das Achterdeck ab. Uber dem Kanonenfeuer wartete er mit angespanntem Gehor auf die Meldung, da? die Brigg den ersten Transporter erreicht hatte. Wenn der feindliche Kapitan Bolithos Plan durchschaute, war alles sinnlos. Dann mu?te die Sparrow entweder aus dem Gefecht fliehen und die wichtigen Neuigkeiten dem Admiral uberbringen oder bleiben und sich zum Todeskampf mit dem verkappten Indienfahrer rusten. Dann und wann feuerten immer noch einige Kanonen der Miranda. Ihre Geschutzmundungen beruhrten fast das feindliche Schiff. Zwischen den Decks der Fregatte mu?te es wie in einem Schlachthof aussehen. In Bolithos Gedanken breitete sich Verzweiflung aus.

«Die Brigg passiert den Bug des Transporters«, brullte Tyrell in diesem Augenblick.
        Heftige Explosionen hallten uber die See. Bolitho wu?te, da? die Brigg nun ihre Steuerbordbatterie abfeuerte, wahrend sie vor dem Bug des Transportschiffes vorbeirauschte. Bevor sie hinter der plumpen Masse der Golden Vleece verschwand, sah Bolitho die amerikanische Flagge ubermutig von ihrer Gaffel wehen und auf ihrem niedrigen Deck die Musketen der Scharfschutzen aufblitzen.

«Jetzt!«Bolithos Stimme zerschnitt gellend die Luft.»Ree!»
        Das Ruder drehte sich achzend. Auf den dichtbesetzten Decks warfen sich die Seeleute an die Brassen, und der ganze Schiffsrumpf zitterte unter der Erschutterung. Blocke kreischten, und die machtigen Rahen schwangen knarrend mit solcher Geschwindigkeit herum, da? Bolitho fuhlte, wie das ganze Schiffsgefuge sich bebend auflehnte. Aber nichts kam von oben. Das Rigg hielt stand, und als sich die Sparrow in der Wende stark uberlegte, hoben sich die killenden Segel und fullten sich im Schub des Windes.
        Bolitho hob beide Hande an den Mund.»Mr. Graves! Zuerst die Backbordgeschutze! Sie werden den Zweiunddrei?igpfunder selbst richten!»
        Graves nickte. Dann verschwand er unter der Back und rannte an das Buggeschutz.
        Wie schnell die Sparrow segelte, obwohl ihre unteren Segel wegen der Feuergefahr wahrend des Gefechtes aufgegeit waren. Die Gro?stenge schien sich nach vorn zu biegen, der Stander im Topp zuckte waagrecht im Wind und deutete uber den Bug voraus, als ob er den Weg weisen wollte.
        Schon kreuzte der Kluverbaum hinter dem Heck des fuhrenden Transporters durch, und an Steuerbord sah Bolitho das zweite Frachtschiff, die Bear, die ihren Kurs leicht anderte, als ob sie eine Kollision mit der Korvette furchtete, die schaumend ihren Weg kreuzte. Jenseits der Golden Vleece krachten wieder Schusse, und der Rauch, der langs ihrem Rumpf aufquoll, zeigte deutlich, wo die Brigg vorbeizog.
        Vom Bug her gellte ein Schrei:»Das ist sie, backbord voraus!»
        Das unerwartete Auftauchen der Sparrow zwischen den beiden Transportern schien den Kapitan der Brigg vollig uberrascht zu haben. Der Amerikaner segelte auf Steuerbordbug mit einer Kabellange Abstand an der Seite der Golden Vleece entlang.

«Wir werden vorm Bug der Brigg passieren und sie gleichzeitig mit der Backbordbatterie bestreichen«, schrie Bolitho. Er bemerkte, da? ihn einige der Leute mit angespannten und verwirrten Gesichtern von ihren Stationen bei den Geschutzen anstarrten. Er zog seinen Degen und hob ihn hoch uber den Kopf.»Haltet euch gut, Manner! Jede Kugel ein Treffer!»
        Die Brigg war nun kaum eine Kabellange entfernt. Der Bugspriet zeigte im rechten Winkel auf die Gallionsfigur der Sparrow. Der Abstand schrumpfte mit furchterlicher Geschwindigkeit zusammen, und Bolitho wu?te, wenn er sich verschatzt hatte oder wenn der Wind in diesem Augenblick abflaute, dann wurde der Feind wie ein Rammbock in die Flanke der Korvette krachen und ihre Planken weit aufrei?en.
        Der gro?e Zweiunddrei?igpfunder im Bug brach den Bann. Das Bersten der Explosion ubertrug sich mit heftigem Beben der Decksplanken bis zu den Fu?en Bolithos hin. Er sah, wie druben auf der Brigg Wanten brachen und helle Holzsplitter durch die Luft wirbelten, als die Kugel in die festgezurrten Boote schmetterte. Dann folgte Schu? um Schu? der vollen Breitseite. Graves tobte wie ein Teufel im rauchverschleierten Sonnenlicht, schwang seinen Sabel und brullte einer Geschutzbedienung nach der anderen seine Befehle zu.
        In wahnsinniger Hast versuchte der feindliche Kapitan sein Schiff zu wenden, um dem rasenden Angriff der Sparrow zu begegnen. Aber die Brigg konnte ihre Artillerie nicht zum Einsatz bringen. Teile des Riggs und die meisten Vorderwanten hingen wie schwarzer Seetang uber ihr Deck. Sie taumelte wie betrunken im wohlgezielten Gescho?hagel.
        Endlich brachte der Feind mit hartgelegtem Ruder sein Schiff wieder unter Kontrolle, und die zerfetzten Segel fingen wieder etwas Wind ein. Da und dort krachte ein Schu?, aber in ihrer Eile und Aufregung schossen die Amerikaner auf gut Gluck in den wirbelnden Rauch.

«Laden und ausrennen«, brullte Tyrell in das Getose.»Schneller!»
        Bolitho beugte sich zum Geschutzdeck hinunter.»Nicht auf eine Breitseite warten«, schrie er.»Jeder Geschutzfuhrer soll feuern, sobald er geladen hat!«Er wu?te, da? diese Geschutzbedienungen nicht in der Lage waren, eine gemeinsame Salve abzufeuern, wenn sie erst einmal unter dem Beschu? des Gegners lagen.

«Auswischen, Sie Trottel!«Krachzend zerrte Graves einen verwirrten Mann wieder an sein Geschutz.»Sind Sie blodsinnig?»
        Er stie? den unglucklichen Kanonier zu seinem Geschutzfuhrer.»Ich werde Sie in Eisen legen lassen, wenn Sie. «Das Ende der Drohung erstickte im tobenden Larm.
        Die Brigg hatte langsam den Kurs geandert und lag nun schrag zum Achterschiff der Sparrow auf der Backbordseite. Rauchfahnen trieben uber Bolitho hin. Er fuhlte Musketenkugeln in die Planken klatschen und horte ein irrsinniges Winseln, als ein Gescho? nur wenige Fu? neben ihm von einem Geschutz abprallte.
        Verzweifelt wisperte Stockdale:»Bewegen Sie sich, Sir! Die Hunde werden Sie sonst abknallen.»
        Bolitho starrte ihn an. Er wu?te, da? sein Gesicht zu einem wilden Grinsen verzerrt war. Immer wieder verbluffte es ihn, wie leicht man Zuruckhaltung und Vernunft verlor, sobald ein Gefecht begonnen hatte. Spater vielleicht… Er schuttelte sich. Wenn sie mit dem gro?eren Schiff aneinandergerieten, dann wurde es kein Spater geben.

«Sie schie?en nur blindlings drauflos, Stockdale. «Bolitho wies mit seinem Degen uber das Achterdeck. Keiner der Offiziere hatte Zeit gehabt, seinen Uniformrock anzuziehen und den Hut aufzusetzen. Wie er selbst trugen alle nur Kniehose und Hemd, und selbst diese waren vom treibenden Pulverdampf geschwarzt.

«Schauen Sie her, wie sollen die da druben den Kaptn herausfinden?»
        Ein Seemann an den Besanbrassen stie? einen schrecklichen Schrei aus und wurde, getroffen vom harten Schlag einer Musketenkugel, Bolitho vor die Fu?e geschleudert. Blut quoll aus seiner Brust, wimmernd walzte er sich in Todesqualen.

«Kummern Sie sich um diesen Mann, Mr. Bethune. «Der Fahnrich zogerte. Unter den Sommersprossen war sein Gesicht kreidebleich. Bei?end fugte Bolitho hinzu:»Ihre Mutter ist zu Hause, Junge, Sie mussen also allein flennen. Zuerst aber haben Sie jetzt Ihre verdammte Pflicht zu tun!»
        Bethune kniete nieder, seine Hosen waren blutbesudelt, aber in seinen Zugen zeigte sich plotzlich Entschlossenheit, als der sterbende Seemann nach seiner Hand griff.

«Der Yankee versucht hinter unserm Heck durchzukreuzen, Sir!«brullte Buckle.
        Bolitho nickte. Etwas anderes blieb dem Feind nicht mehr zu tun ubrig. Die meisten seiner Segel waren durch Geschutzfeuer zerfetzt. Durch den wahnwitzigen Angriff der Sparrow zwischen den beiden Transportern heraus schon fast geschlagen, mu?te der Kapitan der Brigg entweder achtern vorbeikreuzen oder wenden und dabei riskieren, da? sein Heck unter Beschu? geriet.

«Klar zur Wende, Mr. Buckle«, schrie Bolitho.»Gehen Sie auf Backbordbug und folgen Sie der Wende der Brigg. Bug zum Heck!«Er grinste immer noch, aber er spurte, da? seine Lippen vor Anspannung rissig wurden, als seine Leute abermals an die Brassen sturzten. Ihre ru?geschwarzten Korper glanzten in der glei?enden Sonne. Wie dustere Damonen holten sie, die Augen auf die Rahen gerichtet, die Brassen durch.

«Ree!«Buckle warf sich mit aller Kraft in die Speichen des Ruderrades. Bolitho sah den Bug herumschwingen. Im selben Augenblick brullten die Kanonen auf. Graves hatte seine frischgeladene Batterie auf den Gegner abgefeuert.
        Hinter dichtem Pulverdampf zeichnete sich das erste Transportschiff als dunkle Masse ab. Es lag jetzt etwa zwei Kabellangen entfernt.»Stutz Ruder, Mr. Buckle! Bolitho horte eine Kugel uber seinen Kopf sausen, und als er aufschaute, bemerkte er mitten im Besansegel ein sauberes Loch.

«Richten Sie Ihren Kurs nach der Golden Vleece, Mr. Buckle. Sie ist jetzt besser als jeder Kompa?.»
        Er zuckte zusammen, als sich die Sparrow aufbaumte, einmal, zweimal, dann noch einmal - einige Geschosse waren in ihren Rumpf gefahren. Aber die Brigg war bereits ubel dran. Sie trieb mit dem Heck voraus, ihr ganzer Fockmast hing wie ein gefallener Baum uber ihrer Seite. In all dem Wirrwarr arbeiteten Manner mit blitzenden Axten, andere luden die Kanonen und feuerten weiter.

«Kurs liegt an, Sir! Nordwest zu Nord!»
        Bolitho hob seinen Degen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er in das Sonnengeglitzer und beobachtete die Brigg, die wie betrunken schwankend ihre uber Bord gegangene Takelage hinter sich herschleppte.

«Aufhoren!«Der Degen blitzte in der Sonne.»Aufhoren, Manner!»
        Nicht ein Geschutz feuerte mehr. Nur dort, wo eine Kanone geladen wurde, war noch Bewegung an Deck.
        Wieder krachte ein Gescho? in den unteren Teil des Rumpfes, und irgendwo schrie ein Matrose in Schmerzen auf, als ihn die surrenden Holzsplitter zu Boden schmetterten.
        Trotz der blendenden Sonne sah Bolitho durch treibenden Qualm die zerfetzten Umrisse des Gro?marssegels und das Aufblinken der Kajutenfenster der Brigg, wahrend sie hilflos ihr Heck darbot.

«Feuer!»
        Der Wind trieb den Rauch durch die Stuckpforten herein uber das Deck. Graves rannte von Geschutz zu Geschutz und brullte mit heiserer Stimme seine Befehle.
        Ein Schatten huschte durch den Qualm, und uber all dem Getose horte Bolitho das splitternde Krachen eines Mastes. Er vermutete, da? das erbarmungslose Feuer der Sparrow den Mast zwischen den Decks abgeschlagen hatte.
        Von der Golden Vleece wehte Hurragebrull heruber, als die Sparrow noch einmal angriff. Im davonwehenden Rauch stand ein Mann auf dem zerfetzten Deck der Brigg und winkte zur Ubergabe mit der Flagge. Das Schiff war vollkommen entmastet, und die langsame Breitseite hatte sein Heck ausgehohlt. Es war zum Wrack zusammengeschossen, und die Besatzung mu?te ubel zugerichtet sein.
        Tyrell starrte zu dem rauchgeschwarzten, zerschlagenen Rumpf hinuber. Seine Augen blitzten hell vor Konzentration. Ihm zur Seite sprang Heyward in der Erregung auf und nieder.
        Dann, bevor noch die Besatzung der Sparrow aus ihrer Benommenheit erwachte und das Gefuhl des Sieges auskosten konnte, wurde die Luft durch eine ohrenbetaubende Explosion zerrissen. Spieren, Planken, ganze Deckteile, all das wirbelte um einen bosartig rotgluhenden Kern herum, und uber das Wasser rollte eine Sto?welle wie von einem kleinen Taifun auf die Korvette zu.
        Als der Rauch verweht war und die umherschwirrenden Fragmente ins Wasser prasselten, war von der Brigg nichts ubriggeblieben als angesengtes Treibholz und eine Jolle, die merkwurdigerweise unbeschadigt kieloben abtrieb. Ein fliegender Funke, eine umgekippte Lampe oder irgendein Seemann, der zwischen den zerschmetterten Decks von Wahnsinn verwirrt eine Zundschnur in Brand gesetzt hatte, mochten das vollstandige, furchterliche Ende der Brigg verschuldet haben.

«Lassen Sie das Gro?segel wieder setzen, Mr. Tyrell.»
        Bolitho strich sich mit dem Handrucken uber die ru?- und schwei?verklebte Stirn.

«Wir mussen der Miranda helfen.»
        Er wartete, bis Tyrell mit heiserer Stimme die verwirrten Seeleute wieder zur Vernunft gebracht hatte. Dann zischte er mit zusammengepre?ten Zahnen:»Die Feinde sollen sehen, da? wir unser Leben immer noch sehr teuer verkaufen.»
        Nach kurzer Zeit hatte die Korvette die Golden Vleece uberholt, und Bolitho sah die verbissen kampfenden Schiffe in etwa einer Meile Abstand liegen. Im wilden Grimm des Gemetzels waren sie abgetrieben. Durch den Qualm, der ihre Rumpfe einhullte, konnte er deutlich das Aufblitzen von Musketenfeuer und gelegentliches Aufflammen aus der Mundung einer Drehbasse beobachten.
        Mit starker Schlagseite hing die Fregatte fast schon wie ein totes Wrack an ihrem gro?eren Feind. Auch ohne Fernglas sah Bolitho, da? sich das Handgemenge uber die Back ausgebreitet hatte und immer mehr Angreifer mit Entermessern und Sabeln sich ihren Weg uber das Deck der Miranda voranhackten.

«Wir werden wenden, Mr. Tyrell. Lassen Sie auf Steuerbordbug gehen, sobald wir etwas Seeraum gewonnen haben, und lassen Sie die andere Batterie zum Einsatz vorbereiten.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen, um seine jagenden Gedanken zu beruhigen. Ein rascher Blick nach oben zeigte ihm, da? der Stander so sicher und stetig wehte wie zuvor. Der Wind blies gleichma?ig aus Sud-Sudwest.

«Lassen Sie Mr. Graves aufs Achterdeck kommen.»
        Als der Leutnant sich mit erschopftem, eingefallenem Gesicht meldete, sagte Bolitho:»Ich mochte, da? das Steuerbord-Buggeschutz den Feind standig unter Beschu? halt. Sobald wir uber Stag gegangen sind, erwarte ich von Ihnen, da? Sie das Feuer auf jenes Schiff dort konzentrieren, gleichgultig, was sich sonst ereignen sollte.»

«Alles klar zur Wende, Sir«, rief Buckle.
        Bolitho nickte.»Bitte legen Sie Ruder.»

«Ruder steht in Luv, Sir!»
        Tyrell brullte bereits durch sein Sprachrohr, und auf dem Vorschiff holten die Seeleute wie Teufel an den Schoten des Vorstengestagsegels. Mit killenden Segeln begann die Sparrow in den Wind zu drehen.

«Klar bei Brassen!»
        Bolitho packte die Reling. Seine Augen schmerzten, als die Sonnenstrahlen wie Lanzen durch die Wanten zielten.»Durchholen! Mit aller Kraft!»
        Alle Rahen achzten und knarrten gleichzeitig, wahrend sie durch den Wind geholt wurden. Dann bauschten sich die Segel wieder und krangten das Deck nach der anderen Seite. Bolitho beobachtete, wie die beiden kampfenden Schiffe sehr langsam zwischen den Fockmastwanten vorruckten, als ob sie in einem riesigen Spinnennetz gelungen waren.»Stutzen, Mr. Buckle!»
        Er ging einige Schritte auf und nieder und bemerkte, da? Tyrell die Manner an den Brassen anfeuerte, die Rahen noch dichter zu holen, da? der tote Seemann vom Achterdeck verschwunden war und da? Ben Garby, der Schiffszimmermann, mit seinen Leuten durch das Achterdeck schlupfte, um den Schaden dort zu inspizieren. Bolitho sah das alles und noch mehr, doch nicht mit jenem kuhlen Abstand wie fruher.

«Kurs liegt an, Sir!»
        Bolitho nickte. Seine Gedanken beschaftigten sich mit den beiden Schiffen. Mit dicht geholten Segeln hoch am Wind wurde die Sparrow drei?ig Minuten oder noch langer brauchen, um eingreifen zu konnen. Die Miranda war von den feindlichen Entermannschaften bereits uberrannt. Von Anfang an war ihre Besatzung zahlenma?ig unterlegen gewesen, und in der ersten wilden Breitseite des Gegners mu?ten viele gute Manner gefallen sein.

«Feuer!»
        Als der gedampfte Schrei vorne erklang, sah Bolitho den Rauchpuff uber die Back wehen und fuhlte die schwere Erschutterung, als der Zweiunddrei?igpfunder in seinen Taljen zuruckdonnerte. Er griff nach einem Fernglas und sah das Gescho? nahe dem feindlichen Schiff mit einer hohen Wasserfontane in die See platschen.
        Mit heiserer Stimme murmelte Heyward:»Ziemlich nah.»
        Bolitho schaute weg. Der machtige ehemalige Westindienfahrer war mit etwa vierzig Kanonen bestuckt. Wenn er seine Artillerie je zum Einsatz bringen wurde, dann konnte er die Sparrow selbst mit einer schlecht gezielten Breitseite erledigen.
        Wumm! Wieder loste sich ein Schu? aus dem Buggeschutz, und er beobachtete die Gischtfahnen, die von Woge zu Woge aufspruhten und die Gescho?bahn markierten. Abermals verschwand die Kugel neben dem feindlichen Schiff.
        Sie werden uns horen und merken, da? wir kommen. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen. Was sollte er nur tun? Den Transportern signalisieren zu fliehen? Nein, sie waren hoffnungslos uberladen und viel zu langsam. Es wurde nur ihren Todeskampf verlangern.
        Uber ihm killte der Besan, und Buckle verfluchte das Segel, bevor er die Ruderganger etwas abfallen lie?.
        Ohne hinzuschauen, war sich Bolitho bewu?t, da? er nicht so hoch am Wind segeln durfte, wenn er der Miranda noch rechtzeitig Hilfe bringen wollte.
        Jemand trat hinter ihm heran. Es war Bethune. Seine Arme hingen schlaff an den Seiten herunter, seine Hosen waren mit gro?en Blutflecken bedeckt, und die Hande des sterbenden Seemannes hatten dort, wo sie ihren letzten qualvollen Griff auf dieser Welt getan hatten, breite dunkle Blutwischer hinterlassen. Bolitho starrte ihn an.

«Mr. Bethune!«Er sah den jungen Burschen zusammenfahren.»Kommen Sie her!»
        Er machte ein paar Schritte zur Reling und wieder zuruck. Es war einen Versuch wert. Alles mu?te jetzt versucht werden. Wenn sie die Miranda erst erreichten, nachdem sie dem Feind endgultig in die Hande gefallen war, dann wurden die Decks der Sparrow bald so rot sein wie die Flagge uber seinem Kopf.
        Der Fahnrich wartete.»Sir?»

«Geben Sie sofort folgendes Signal.»
        Er legte seine Hand auf Bethunes kraftige Schulter. Durch das Hemd konnte er seine Haut spuren. Wie Eis, trotz der Sonne!

«Signal, Sir?«Bethune starrte ihn an, als ob er falsch gehort hatte oder sein Kapitan verruckt geworden sei.

«Jawohl, an Miranda: Segel in Sicht in Nordost!»
        Er packte harter zu,»Mann, bewegen Sie sich endlich!»
        Bethune rannte davon. Mit schriller Stimme rief er nach seinem Gehilfen, und kaum eine Minute spater wehten die bunten Signalflaggen im Wind. Voll Unglauben starrte Tyrell von den Flaggen zu seinem Kapitan, dann begann er langsam zu verstehen.

«Auf der Miranda gibt's kaum noch ein paar arme Teufel, die das sehen konnten«, meinte Buckle.
        Tyrell hatte Bolithos Absicht erkannt.»Nein, aber die Freibeuter werden's sehen. Vielleicht glauben sie, da? eine Patrouille vom Geschwader unterwegs ist, um in den Kampf einzugreifen.»
        Bolitho wartete, bis Graves das Buggeschutz wieder abgefeuert hatte.»Das ist alles, was wir im Augenblick tun konnen«, entschied er dann.
        Minuten schleppten sich wie Stunden hin. Doch dann, als ein launischer Windsto? uber die beiden ineinander verkeilten Schiffe hinfuhr, hielt Bolitho plotzlich den Atem an. Zwischen den dunklen Schiffsrumpfen offnete sich ein schmaler heller Spalt, dann blinkte freies Wasser auf, wo vorher nur eine einzige schwere, in Rauch gehullte Masse gelegen hatte. Die Lucke verbreiterte sich. Das Kaperschiff hatte Fock und Kluver gesetzt, um sich vom Gegner zu losen. Endlich war die Miranda frei.
        Die See zwischen den beiden Schiffen war mit Treibgut und zerrissenem Segelzeug bedeckt. Da und dort warf ein Mann verzweifelt die Arme hoch, um sich in den Knaueln treibender Menschen uber Wasser zu halten.
        Auf dem Geschutzdeck der Sparrow erklang ein rauhes Hurra. Seeleute rannten an das Schanzkleid, um den Feind zu beobachten, der immer mehr Segel setzte.
        Tyrells Grinsen gefror, als ihn Bolitho anfuhr:»Sehen Sie zu, da? die Leute das Maul halten!»
        Er bemerkte, da? er seine Faust immer noch schmerzhaft um den Degengriff gekrampft hatte.

«Schauen Sie dorthin, Mr. Tyrell, kein Grund zum Hurrabrullen heut.»
        Der Leutnant wandte sich um und starrte zu den dunklen Umrissen der Miranda hinuber, zu den quirlenden Rauchwolken, zu den Seeleuten, die die Brande zu loschen versuchten oder zwischen den Trummern ihres Schiffes herumsuchten. Als sich die Sparrow naher heranschob, konnten alle die dunnen, scharlachroten Faden sehen, die aus den Speigatten rannen, und die gro?en, ausgezackten Locher in allen Teilen des Rumpfes.

«Geben Sie Befehl an Mr. Tilby, die Boote klarzumachen, rufen Sie den Arzt und schicken Sie ihn mit hinuber.»
        Kaum horte Bolitho seine eigene Stimme. Sie klang wie zerbrochen, dumpf, unmenschlich.»Lassen Sie dann die Segel reffen und die Marssegel wegnehmen. Wir werden zunachst leewarts der Miranda bleiben.»
        Er uberhorte das Getrampel, als Tilbys Leute an die Bootstaljen rannten. Graves kam ausgemergelt nach achtern und wischte sich im Gehen Gesicht und Brust mit einem nassen Lumpen ab. Hoch oben uber all dem Getriebe auf Deck zogen die Segel immer noch gut, obwohl sie viele Locher hatten, die vor Einbruch der Dunkelheit noch geflickt werden mu?ten. Einige Stagen und Fallen waren gebrochen, und er wu?te, da? der Rumpf ofters in der Nahe der Wasserlinie getroffen worden war. Aber die Pumpen schienen ausreichend zu arbeiten. Die Sparrow hatte alles wie ein alter Krieger hingenommen. Dalkeith eilte die Niedergangsleiter herauf. Die schwere Instrumententasche hielt er gegen die Brust gedruckt. Strome von Schwei? rannen uber sein angestrengtes Gesicht.

«Wie viele, Mr. Dalkeith?«Wieder horte Bolitho seiner Stimme zu, als ob ein Fremder sprache.
        Der plumpe Arzt starrte mit stumpfen Augen die Fregatte an.

«Zwei Tote, Sir, funf durch Splitter verletzt.»
        Bolitho versuchte, sich an den Mann zu erinnern, der an seiner Seite gefallen war. Manners, ja, so hatte er gehei?en.

«Manners«, sagte er,»und wer war der andere?»

«Yelverton, Sir. Er wurde vorn beim Fockmast von einer Kugel getroffen. «Dalkeith blickte zu Boden.»Hat ihm den Kopf abgerissen.»
        Graves war schon halbwegs die Leiter heraufgekommen, fuhr aber zuruck, als Bolitho ihn ansprach.»Yelverton, haben Sie das gehort, Mr. Graves? Der einzige Mann, der seine Sinne beisammen hatte, als alle anderen zu blind waren, um die Wahrheit zu erkennen! Der Mann, den Sie unbedingt auspeitschen lassen wollten!»
        Er wandte sich ab.»Nun, in Zukunft wird er Ihnen keine Schwierigkeiten mehr machen, und wir ihm auch nicht.»
        Mit halbblinden Augen sah er Stockdale am Fu? des Besanmastes warten.»Lassen Sie die Gig wegfieren. Ich werde Kapitan Selby aufsuchen und sehen, was getan werden mu?.»

«Aye, Sir!»
        Im Wegeilen schaute Stockdale zu ihm zuruck. Niemals zuvor hatte er seinen Kapitan so geschlagen und bewegt gesehen. Und zum ersten Mal wu?te er nicht, wie er ihm helfen konnte.
        Bolitho betrat seine Kajute, schnallte den Degen ab und warf ihn auf die Sitzbank unter dem Fenster. Fitch und ein junger Seemann bemuhten sich, die Einrichtungsstucke wieder an ihren alten Platz zu stellen. Ein anderer wischte die Ru?flecken von der niedrigen Kajutendecke. Wahrend eines Gefechtes blieben selbst die Wohnraume eines Kapitans nicht verschont. Durch hastiges Wegrei?en von Zwischenwanden war die Kajute zu einer Verlangerung des Geschutzdecks geworden. Zu beiden Seiten standen kurze, gedrungene Zwolfpfunder, die jetzt hinter Chintzvorhangen diskret verborgen wurden. Bolitho starrte die Kanonen an. Seine Augen waren trub vor Mudigkeit.»Ein Hauch von Weiblichkeit!«Dann wandte er sich heftig nach Tyrell und Graves um, die ihm nach seiner Ruckkehr von derMiranda in die Kajute gefolgt waren.
        In seinen Gedanken schwirrten so viele Fragen und Vermutungen, sein Gehirn war vom Anblick und von den Gerauschen an Bord der Fregatte so zerschlagen, da? er einige Augenblicke lang uberhaupt nicht sprechen konnte.
        Uber der Kajutsdecke drohnten Hammer, Sagen raspelten. Die Besatzung arbeitete immer noch, um die Schaden auszubessern. Nachdem er eine Stunde an Bord der Miranda zugebracht hatte, uberraschten ihn nun hier auf der Sparrow die Zielsicherheit und Ordnung, mit der seine eigene Besatzung sich an die Arbeit gemacht hatte. Die Szenerie, die er soeben verlassen hatte, stand in schrecklichem Gegensatz zu der Hingabe, mit der seine Leute alles, was im Gefecht zerstort worden war, wieder instand setzten.
        Der Segelmacher hatte mit seinen Maaten die zerfetzten Segel von den Rahen genommen und neue angeschlagen. Mit Segelhandschuhen und blitzenden Nadeln hockten sie nun an Deck und flickten das zerschlissene Tuch. Garby, der Schiffszimmermann, hatte ihn an der Schanzkleidpforte erwartet und gemeldet, da? die Artillerie der Brigg keinen allzu gro?en Schaden angerichtet hatte. Seine Leute waren schon dabei, die zwei Einschusse unter der Wasserlinie zuzupfropfen. Andere Beschadigungen sollten noch vor Sonnenuntergang repariert werden. Garby hatte rasch und berufsma?ig sachlich gesprochen. Wie alle Manner an Bord wehrte auch er sich dagegen, an das Schicksal der Miranda zu denken, das auch sie so leicht hatte treffen konnen.
        Graves brach als erster das Schweigen in der Kajute.

«Geschutze sind festgezurrt, Sir. Keine Schaden an Taljen und Pforten.»
        Unter dem starren Blick Bolithos senkte er die Augen.»Besser als wir hoffen konnten, Sir.»
        Langsam fragte Tyrell.»Wie sieht es aus, druben, Sir?»
        Bolitho lie? sich in einen Stuhl fallen und streckte seine Beine vor sich hin. Seine Hosen waren vom Pulverqualm geschwarzt. Wie es dort aussah? Wieder tauchten vor seinen Augen die Bilder voll Tod und Grauen auf, die wenigen, unverletzten Leute, die sogar jetzt noch versuchten, das Wrack in Ordnung zu bringen. Ru?flecken und gro?e, allmahlich eintrocknende Blutlachen, zerfetzte Menschen unter herabgesturzten Spieren und zerborstenen Planken verknauelt. Es war ein Wunder, da? die Miranda sich noch uber Wasser halten konnte.

«Sie hoffen dort, morgen ein Notrigg auftakeln zu konnen«, antwortete Bolitho. Vorausgesetzt, da? der Wind nicht zulegt und die Pumpen nicht verstopfen, werden sie etwas Fahrt machen konnen. «Er rieb seine Augen mit den Knocheln. Die Erschopfung zwangte ihn wie ein Schraubstock ein.

«Einige der Verwundeten werden sofort auf die Transportschiffe gebracht werden. Sie finden dort bessere Bedingungen zur Genesung.»
        Wieder versuchte er, die Qual von seinen Gedanken abzuschutteln. Dort lagen Manner, die von Holzsplittern so entsetzlich verstummelt waren, da? sie schon langst hatten tot sein mussen. Auf dem Achterdeck waren die blutigen Verluste so hoch gewesen, da? jetzt Fahnriche, ja sogar einfache Seeleute fur die Arbeiten verantwortlich waren. Als er an Bord geklettert war, hatte er den Ersten Leutnant der Fregatte angetroffen, der die Wiederaufrichtung der Besanstenge uberwachte. Der Mann trug einen Arm in der Schlinge, und seine Stirn sah aus, als ob sie mit einem gluhenden Eisen offengelegt worden ware.
        Graves atmete langsam aus.»Gegen solch schlechte Chancen haben sie sich gut gehalten.»

«Ja.»
        Bolitho wollte seine Offiziere gern aus der Kajute drau?en haben, die Tur verriegeln und sich seine Unsicherheit nicht anmerken lassen.

«Ich habe eine Losung auf dem Schiff ausgegeben, Sir«, sagte Tyrell.»Ich glaube, unsere Leute wissen, wie zufrieden Sie.»
        Bolithos Stimme lie? ihn zuruckfahren.»Zufrieden?«Er taumelte hoch.»Wenn Sie glauben, Grund zur Selbstzufriedenheit zu haben, Mr. Tyrell, dann behalten Sie das gefalligst fur sich.»
        Er schritt zu den Fenstern und wieder zuruck.»Ich habe es selbst gesehen. In unseren Leuten steckt kein Siegesrausch. Sie sind erleichtert, nichts anderes als erleichtert. Sie sind dankbar, da? ihnen ein ahnliches Gemetzel erspart blieb, sie sind allzu eifrig bemuht, ihre eigenen Unzulanglichkeiten zu ubersehen.»

«Aber das ist doch etwas ungerecht, Sir«, wandte Tyrell ein.

«Glauben Sie?«Er sank am Tisch nieder. Sein Zorn erschopfte sich.»Raven hat den Ma?stab gesetzt. Er sah, was er zu sehen erwartete, genau wie Kapitan Selby auf der Miranda. Und genau wie Sie, Mr. Tyrell, glaubten unsre Leute, da? ein Gefecht nichts anderes als eine Fortsetzung des Drills sei, ein paar Sabelhiebe, ein paar Fluche, und alles ware schon in bester Ordnung. Vielleicht waren wir in der Vergangenheit zu siegreich und wurden nun von dieser neuen Art der Kriegfuhrung uberrumpelt.»
        Wieder entstand Schweigen in der Kajute. Das beharrliche Hammern irgendwo tief im Bauch des Schiffes wurde fur Bolitho plotzlich beangstigend.

«Was werden wir jetzt tun, Sir?«fragte Graves mit belegter Stimme.
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Kapitan Selby ist tot, ist in der ersten Breitseite gefallen.»
        Wieder schritt er zu den Kajutfenstern und schaute zu der treibenden Fregatte hinuber. In seinen Gedanken tauchte wieder der verwundete Erste Leutnant vor ihm auf, der Mann, der sein Schiff irgendwie langsseits des Gegners gebracht hatte. Das war das Au?erste, was er trotz der verheerenden Verluste und trotz der schweren Beschadigungen noch hatte tun konnen. Nun versuchte er, ohne andere Offiziere, unterstutzt von einigen Bootsmanns- maaten, das fast Unmogliche, die Fregatte wieder notdurftig flottzumachen. Er mu?te sein Schiff, so schnell es ging, in Sicherheit bringen, bevor es die See oder der Feind endgultig vernichteten.
        Im schrecklichen Chaos der Kajute Kapitan Selbys hatte er den Safe geoffnet und ohne Zogern die Depeschen an Bolitho ubergeben. Jetzt, da er wieder in seiner Kajute auf der Sparrow war, schien ihm diese Entwicklung der Ereignisse unglaubhaft. Er war der jungste Kapitan von allen, und dann, fast im Handumdrehen, mu?te er die volle Verantwortung fur alle auf seinen Schultern tragen. Colquhoun und Maulby waren unerreichbar. Selby war tot. Er hatte seine Leiche gesehen. Auf dem zersplitterten Achterdeck war sie unter einem umgesturzten Neunpfunder eingeklemmt. Eine Hand hatte sich um den Degengriff gekrampft wie um einen nutzlosen Talisman.
        Tyrells Stimme brachte ihn wieder in seine Kajute zuruck.

«Dann haben Sie also jetzt den Oberbefehl, Sir?»
        Die Leutnants blickten ihn aufmerksam an. In ihren Gesichtern standen Zweifel und Besorgnis.
        Bolitho nickte langsam.»Wir werden vor Einbruch der Dunkelheit mit dem Geleitzug weitersegeln. Vorher werden wir die Verwundeten auf die Transporter bringen und der Fregatte helfen, so gut wir konnen. «Er versuchte, nicht an die endlosen Probleme zu denken, die auf ihn einsturmten.

«Wenn wir, wie befohlen, Kontakt mit dem Geschwader aufgenommen haben, werden wir mit den Depeschen zum Hauptquartier weiterfahren.»
        Seine Augen schweiften in der Kajute umher. Alles erschien ihm plotzlich kleiner, seine Korvette verwundbarer.

«Und die Miranda, Sir?«Tyrells Stimme klang gedampft.
        Bolitho antwortete mit gleichgultiger und kuhler Stimme. Er wu?te, da? seine Leute alles Vertrauen in ihn verlieren wurden, wenn er ihnen auch nur fur einen Augenblick seine wahren Gefuhle zeigte.

«Die Manner auf der Miranda werden tun, was sie tun mussen.
        Wir konnen nicht bei ihnen bleiben, und sie wurden das auch gar nicht wunschen.»
        Gischt prasselte gegen die dicken Fensterscheiben. Der Wind frischte bereits leicht auf.
        Tyrell leckte uber seine Lippen. Seine Augen starrten wie abwesend auf die entmastete Fregatte.

«Das ist alles«, fugte Bolitho hinzu.»Achten Sie darauf, da? alle Leute bis zur letzten Minute arbeiten.»
        Wortlos verlie?en die Leutnants in ihren schmutzigen Hosen und Hemden die Kajute.
        Bolitho blickte Fitch an.»Sie konnen auch gehen. Ich mochte nachdenken.»
        Nachdem Fitch und seine Helfer gegangen waren, stutzte er seinen Kopf in die Hande und lie? seinen Korper entspannt in den unbehaglichen Schiffsbewegungen mitschwingen.
        Wahrscheinlich hielt Tyrell ihn fur herzlos, weil er das andere Schiff hilflos und ohne Begleitung zurucklie?.
        Bolitho kampfte gegen seine Mudigkeit und Erschopfung an und stand auf. Er wu?te, da? ihn ihre Ansichten nicht kummern durften. Sie standen im Krieg, den sie schon zu lange wie Zuschauer betrachtet hatten. Wenn sie lernen mu?ten, dann war es besser, das sofort zu tun. Dann erinnerte er sich wieder an den Leutnant auf der Miranda, an die Bitterkeit in seiner Stimme, als er das Gefecht beschrieb. Er konnte zu dem, was Bolitho bereits geahnt und gewu?t hatte, kaum etwas hinzufugen. Nur eines war neu fur ihn, der Name des gro?en Kaperschiffes. Bonaventure. Niemals wurde er diesen Namen vergessen.
        Es klopfte an die Tur. Lock trat ein. Mit dusterem Gesicht begann er eine Liste jener Vorrate herunterzulesen, die in dem kurzen Kampf mit der Brigg verlorengegangen waren.
        Bolitho blickte ihn an und sagte mit ruhiger Stimme:»Nun, machen Sie mir eine komplette Aufstellung, Mr. Lock. Wir werden dann spater daruber reden.»
        Es war sinnlos, an das zu denken, was voruber war. Er stand nun ganz allein, und nur die Zukunft und der ferne Horizont hatten wirklich noch Bedeutung fur ihn.



        V Der Auftrag


«Das Wachboot kommt, Sir!«Bolitho nickte.»Danke.»
        Er hatte es schon gesehen, sich aber auf die hintereinander verschobenen Umrisse der vor Anker liegenden Schiffe konzentriert. Ein machtiger Zweidecker zeigte am Besan die Konteradmiralsflagge.
        Dann streifte er mit einem raschen Blick die eifrige Arbeit auf dem Geschutzdeck. Zum ersten Mal, seitdem sie Antigua verlassen hatten, trafen sie Vorbereitungen, Anker fallen zu lassen.
        Zehn Tage waren vergangen, seit die verwusteten Umrisse der Miranda mehr und mehr zuruckgefallen und endlich ganz hinter dem Horizont verschwunden waren. Es waren Tage qualender Ungeduld gewesen. Wiederholt hatten sie Segel kurzen mussen, um den schwerfalligen Transportschiffen nicht davonzulaufen. Als sie dann endlich auf eine Fregatte des Kustengeschwaders stie?en, hatten sie keine Freiheit erlangt, sondern abermals eine Verlangerung der Reise auf sich nehmen mussen. Die Sparrow hatte die Verantwortung uber die Transporter nicht abgeben konnen, noch durfte sie geraden Weges die Kuste anlaufen, um das Loschen der Ladungen zu uberwachen. Statt dessen mu?te sie mit allen Depeschen nach New York segeln. Der Kapitan der Fregatte hatte in seiner Ungeduld weiterzureisen nur einen Fahnrich mit seinen Befehlen zur Sparrow hinubergeschickt. Aus dem wenigen, das er bemerkt hatte, schlo? Bolitho, da? die Fregatte drei Wochen lang patrouilliert und darauf gewartet hatte, ihre Nachrichten an den Geleitzug weiterzugeben, und nur den einen Wunsch hatte, mit der Sache weiterhin nichts mehr zu tun zu haben. Er
wandte seinen Blick dem Wachboot zu, das sich sanft in der atlantischen Dunung wiegte. Eine gro?e, blaue Flagge flatterte an seinem Bug, um die Stelle zu markieren, wo die Korvette ankern sollte.
        Das Ruderrad knarrte und achzte, als Buckle seine Anweisungen an die Ruderganger weitergab. Vorne auf der Back hob sich die Gestalt Leutnant Graves' dunkel von dem glitzernden Wasser ab. Er wartete auf den Befehl, den Anker fallen zu lassen, Bolitho horte jemand lachen und sah die Transportschiffe schwerfallig auf einen anderen Ankerplatz zuschwanken. Seeleute liefen dort nun auf die Rahen hinaus und tuchten die Segel auf.
        Dalkeith blickte Bolitho an.»Froh, sie von hinten zu sehen, Sir?«Er wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab.

«Sie sind viel zu lange mit uns gefahren, dachte schon, wir hatten die Biester im Schlepp.»
        Der Geschutzfuhrer kletterte halb an der Leiter hoch und fragte:»Feuererlaubnis fur den Salut, Sir?»
        Bolitho nickte.»Bitte, Mr. Yule.»
        Er wandte sich ab. Hatte ihn der Artillerist nicht an die Salutschusse erinnert, hatte er, ganz in Gedanken an die nachste Zukunft, diese Formalitat vergessen.
        Als die Sparrow mit aufgegeiten Segeln nur unter Marssegeln und Kluver sanft auf das Wachtboot zuglitt, schulterte die Luft vom regelma?igen Donnern der Geschutze, die der Konteradmiralsflagge den Respekt erwiesen.
        Bolitho hatte gern mit Bethunes gro?em Fernglas die anderen Schiffe beobachtet, aber er vermutete, da? nun zu viel andere Glaser auf ihn gerichtet seien. Seine naturliche Neugier konnte als Unsicherheit ausgelegt werden oder als die Aufgeregtheit eines jungen, unerfahrenen Kapitans, der einen fremden Ankerplatz anlief. So zwang sich Bolitho, an der Luvseite ruhig auf und ab zu gehen. Mit Befriedigung stellte er fest, da? alles nicht benutzte Tauwerk entweder belegt oder sauberlich an Deck aufgeschossen war. Vom Gefecht mit der Brigg war an der Sparrow nichts mehr zu bemerken. In den zehn Tagen waren alle Moglichkeiten genutzt worden, neue Planken einzuziehen und zu malen.
        Tyrell stand mit dem Sprachrohr unter dem Arm an der Reling. Im blauen Rock und dem Dreispitz auf dem Kopf kam er ihm wieder sehr fremd vor, ein Unbekannter wie an jenem Tag, an dem er nach dem Besuch auf dem Flaggschiff in seine Kajute gestapft war.
        Die Rauchfahne des letzten Salutschusses trieb voraus uber die Manner am Ankergeschirr hin, und Bolitho wandte nun alle Aufmerksamkeit der letzten Kabellange zu, die sie noch vom Ankergrund trennte. Zu beiden Seiten lagen andere Schiffe. Sie sahen recht eindrucksvoll und unzerstorbar aus.
        Langsam hob Bolitho die Hand.

«Lee brassen, Mr. Tyrell. Klar zur Wende.»
        Warum nur war er so beunruhigt? Lag hinter den knappen Befehlen der Fregatte vielleicht Dunkles verborgen? Er versuchte, die Besorgnis aus seinen Gedanken zu vertreiben. Schlie?lich hatte die langsame Reise mit den Transportschiffen ihn vor Ungeduld halb krank gemacht, wieviel schlimmer mu?te das fur die einsame Fregatte gewesen sein.
        Tyrells Stimme loste den Jammerchor der kreisenden Mowen aus, die schon seit Tagen die Sparrow begleitet hatten.

«Marssegel schoten!«Er blinzelte in das Sonnenlicht und beobachtete die flinke Arbeit der Manner hoch uber Deck.

«Marssegel Geitaue! Vorwarts Leute!«Bethunes Stimme ubertonte die gebrullten Befehle und das flappende Schlagen der Segel.»Vom Flaggschiff an Sparrow, Sir. Kapitan an Bord melden. «Bolitho nickte.»Bestatigen. «Der Admiral schien es recht eilig zu haben.»Ruder legen!»
        Sanft und muhelos drehte die Sparrow ihren Kluverbaum gegen den Wind. Die Toppsgasten wetteiferten miteinander, die storrischen Segel aufzutuchen.

«Fallen Anker!»
        Mit kurzem Platschen tauchte der Anker in die See und sank auf den Grund. Noch bevor sich Graves umwandte, um dem Achterdeck das Zeichen zu geben, da? der Anker gefa?t hatte, brullte Tilby, der Bootsmann, bereits nach Leuten, die die Gig ausschwenken sollten.
        Tyrell kam nach achtern und tippte an den Hut.

«Hoffentlich gibt's gute Nachrichten, Sir!»

«Danke.»
        Bolitho fragte sich, wie es wohl in Tyrells Gedanken aussehen mochte. Er war nach seiner heimatlichen Kuste zuruckgekehrt. Sandy Hook. Auf seines Vaters Schoner mu?te er hier oft entlanggesegelt sein. Aber au?er einer zuruckhaltenden Wachsamkeit, die er seit dem Gefecht zeigte, verrieten seine Zuge nichts von dem, was er dachte. Tyrell hatte keine Muhen gescheut, die Schaden am Schiff zu reparieren. Er hatte eine Art, die man im ersten Augenblick als lassig, ja sogar fluchtig bezeichnen wurde. Aber es gab keinen Zweifel an seinen Fahigkeiten oder an der Scharfe seiner Worte, wenn jemand toricht genug war, sein Gebaren fur Schwache zu halten.

«Ich glaube nicht, da? ich lange auf dem Flaggschiff sein werde. «Bolitho sah zu, wie die Besatzung der Gig sich uber die Seite ins Boot hinunterschwang.

«Vielleicht wird Sie der Admiral zum Essen einladen, Sir. «Tyrells Augen zwinkerten mit verhaltenem Lacheln.»Ich glaube, die alte Parthian ist fur ihre gute Kuche beruhmt.»

«Gig ist klar, Sir«, rief Stockdale.
        Bolitho sah Tyrell an.»Treffen Sie die erforderlichen Ma?nahmen zur Frischwasser- und Proviantubernahme. Ich habe Mr. Lock bereits gesagt, er solle sehen, frisches Obst zu beschaffen.»
        Tyrell folgte ihm bis zur Schanzkleidpforte, wo die Seitenwache angetreten war.
        Nach kurzem Zogern fragte er leise:»Wenn Sie irgend etwas erfahren konnten, was mit. «Er zuckte die Achseln.»Aber ich glaube, Sie werden zu viel zu erledigen haben.»
        Bolitho lie? seine Augen uber die Seeleute schweifen. Hatte er sie kennengelernt, seitdem er das Kommando ubernommen hatte? Wu?te er uberhaupt, was sie von ihm dachten?

«Ich werde tun, was ich kann«, antwortete er dann.»Vielleicht hat Ihr Vater irgendeine Nachricht fur Sie geschickt.»
        Tyrell starrte ihm nach, wie er ins Boot kletterte. In seinen Ohren schrillten die Bootsmannspfeifen.
        Als Bolitho durch eine vergoldete Gangwaypforte die Parthian bestieg und mit dem Hut zum Achterdeck hin gru?te, fuhlte er sich augenblicklich an die Trojan erinnert, an das Leben, das er erst vor kurzer Zeit hinter sich gelassen hatte. All die bekannten Geruche, die vertrauten Bilder sturmten auf ihn ein, und er wunderte sich, da? er schon so vieles aus jenen Tagen vergessen hatte.
        Ein Leutnant fuhrte ihn zur Kajute des Flaggkapitans und nahm ihm die Depeschen und einen Postsack ab, den die Miranda aus England mitgebracht hatte.

«Der Admiral wird das zuerst lesen wollen, Sir. «Seine Augen glitten rasch uber Bolithos neuen Uniformrock. Vielleicht suchte er nach einer Antwort auf die standige Frage: Warum er und nicht ich?
        Eine ganze, endlos sich dehnende Stunde lang mu?te Bolitho warten. Um sich selbst davon abzuhalten, immer wieder nach der Uhr zu sehen, zwang er sich, auf die Gerausche an Bord zu achten, auf den altbekannten Larm einer wimmelnden Gemeinschaft, die in einem einzigen machtigen Schiffsrumpf zusammengepfercht war. Er brauchte seine Einbildungskraft kaum zu bemuhen, um Kapitan Pears' schneidende Stimme tadeln zu horen:»Mr. Bolitho, sehen Sie denn nicht, da? die Luv-Fockbrasse so lose ist wie ein Sauschwanz? Bei meiner Seele, Sir, Sie werden sich mehr anstrengen mussen, wenn Sie weiterkommen wollen.»
        Er lachelte wehmutig, als der Leutnant endlich zuruckkehrte und ihn ohne weitere Umstande nach achtern in die gro?e Heckkajute fuhrte. Sir Evelyn Christie, Konteradmiral und Kommandeur des Kustengeschwaders, fachelte sein Gesicht mit einer Serviette, und nach einem prufenden Blick auf Bolitho sagte er kurz:»Ein Glas Bordeaux, Kommandant?»
        Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern winkte seinem Diener, einem prachtig aussehenden Mann in roter Jacke und leuchtendgelben Hosen.

«Ich war ein wenig uberrascht, den Bericht mit Ihrem Namen unterzeichnet zu sehen.

        Die Augen des Admirals waren auf den Bordeaux gerichtet, als ob er den Diener warnen wollte, nur ja keinen Tropfen zu verschutten.

«Sie schreiben, da? Ransome am Fieber gestorben ist.»
        Er nahm sein Glas und prufte es kritisch.

«Eine verdammt faule Sache. Wenn Sie mich fragen, war er ein junger Fatzke, zuviel Geld und verdammt keine Ehrlichkeit.»
        Nachdem er Ransome so mit ein paar Worten abgetan hatte, fuhr er ruhig fort:»Ich nehme an, da? Sie sich uber die Anderung der Plane Gedanken gemacht haben, eh?»
        Bolitho fuhlte, wie ein Stuhl hinter seine Beine geschoben wurde, und bemerkte, da? es der schweigende Diener irgendwie fertiggebracht hatte, gerauschlos und fast ohne sich zu bewegen, ein Glas Bordeaux auf einem kleinen Tischchen abzustellen und einen Stuhl zu holen.
        Der Admiral runzelte die Stirn.»Beachten Sie ihn nicht. Der Kerl ist ein Narr.
«Mit Scharfe fugte er hinzu:»Nun?»
        Bolitho war ein wenig aus der Fassung gebracht.

«Ich erwartete, da?.»
        Konteradmiral Christie unterbrach ihn:»Ja, naturlich, das kann ich mir denken.»
        Er machte eine Pause und hielt seinen Kopf schief wie ein gereizter Vogel.»Der Bordeaux, ist er gut?»

«Sehr gut, Sir Evelyn!»

«Hmm. «Der Admiral lie? sich vorsichtig in einem vergoldeten Sessel nieder.»Hab' ihn im vergangenen Monat einem Blockadebrecher abgenommen. Schmeckt angenehm.»
        Uber ihm krachte irgendein Metallgegenstand auf das Deck.
        Der Admiral fuhr hoch und zischte seinen Diener bose an:»Gehen Sie und melden Sie dem Wachoffizier mit meiner freundlichen Empfehlung, da? ich ihn personlich zur Verantwortung ziehen werde, wenn ich wahrend dieser Unterredung noch einen einzigen unpassenden Laut hore.»
        Der Diener sturzte aus der Kajute, und in den Zugen des Admirals erschien ein leichtes Grinsen.

«Man mu? sie in Trab halten, das ist meine Antwort. Man darf ihnen nicht zuviel Zeit zum Nachdenken geben.»
        Im nachsten Augenblick ging er wieder auf anderen Kurs.

«Tatsache, Bolitho, die Dinge stehen nicht sehr gut fur uns. Gott sei Dank sind wenigstens Sie ein Mann, der seine Befehle zu befolgen wei?. Vielleicht hatte ich an Ihrer Stelle gesagt, zum Teufel, wegen so einem verdammten Patrouillenboot herumzulungern. Am Ende ware ich gar so weit gegangen, die Transportschiffe direkt der Armee zu ubergeben.»
        Bolitho horchte auf. Es klang zwar ziemlich echt, aber vielleicht wollte der Admiral eine gewisse Kritik durchblicken lassen. Vielleicht meinte er, da? er selbst die Initiative hatte ergreifen und seine ursprunglichen Befehle befolgen sollen, anstatt so zu handeln, wie er es getan hatte.
        Aber die nachsten Worte des Admirals nahmen diese Besorgnis wieder von ihm.

«Sie konnten das naturlich nicht wissen, aber die Armee ist im Begriff, Philadelphia zu raumen. Ruckzug!«Er betrachtete sein leeres Glas.»Klingt besser als Flucht, aber es bedeutet letztlich dasselbe.»
        Bolitho war wie betaubt. Gelegentliche Ruckschlage konnte er verstehen. Dieser Krieg war so ausgedehnt, die Gebiete so weit und unbekannt, da? man einen Kriegsplan im alten Stil nicht erwarten konnte. Aber es war undenkbar, Philadelphia, die wichtigste Garnison am Delaware, zu raumen. Trotz seiner Vorsicht fuhr es ihm heraus:»Aber das war doch sicher unnotig, Sir? Ich dachte, wir hatten alle amerikanischen Forts und Vorposten am Delaware im vergangenen Jahr zerstort?»
        Der Admiral beaugte ihn scharfsinnig.»Das war im vergangenen Jahr, bevor sich Burgoyne bei Saratoga ergab. In diesem ganzen Gebiet wimmelt es jetzt von feindlichen Kundschaftern und auslandischen Banden.»
        Er entfaltete eine Karte.»Mit meinem Geschwader mu? ich Patrouillen segeln und die ganze dreihundert Meilen lange Kuste uberwachen - von New York bis zum Kap Henry an der Chesa-peake Bay. Die Gegend ist ein Labyrinth. Meeresarme und Flusse, Buchten und Schlupfwinkel, wo Sie einen Dreidecker auf eine Meile Distanz nicht ausmachen konnen. Und jeden Tag ist die See voll von Schiffen. Vom Norden bis zum Spanischen Meer und zur Karibischen See im Suden. Hollander, Portugiesen, Spanier, und die meisten von ihnen versuchen, mit Waren und Geschutzen fur den Feind durch meine Patrouille zu schlupfen.»
        Er go? wieder zwei Glaser Bordeaux ein.

«Aber jetzt, da Sie diese Depeschen gebracht haben, kennen wir erst das wahre Ausma? der Gefahr. Die Franzosen haben endlich Farbe bekannt. Ich habe bereits den Oberkommandierenden und alle hoheren Offiziere hier benachrichtigt.»
        Er lachelte.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Bolitho. Niemand konnte von einem neu ernannten Kapitan erwarten, da? er so gehandelt hatte, wie Sie es getan haben.


«Danke, Sir.»
        Bolitho scheuchte die Kehrseite des Bildes aus seinen Gedanken. Wenn er mit den wertvollen Transportschiffen in eine feindliche Falle gesegelt ware, hatte der Admiral ganz anders zu ihm gesprochen.

«Schade um die Miranda, wir haben einen schrecklichen Mangel an Fregatten.»

«Was die Bonaventure betrifft, so mochte ich gern wissen…»

«Sie sind ein Mann, der dauernd etwas wissen mochte.»
        Der Admiral lachelte immer noch.»In manchen Fallen kein allzu gro?er Fehler. Ich kannte Ihren Vater. Ich hoffe, es geht ihm gut?»
        Er wartete nicht auf die Antwort und schien auch keine zu erwarten. Eilig sprach er weiter:»Ich bin gerade dabei, neue Einsatzbefehle fur Sie abzufassen. In der Hast des Ruckzugs haben die Militars unglucklicherweise eine zum Hauptquartier gehorende Kompanie verloren.»
        Trocken fugte er hinzu:»Unter uns gesagt, auch ich hatte in diesem Zusammenhang einiges wissen wollen, was unsre militarischen Kollegen an Land betrifft. Mir scheint, da? einige von ihnen nicht genugend Hirn im Schadel haben, ihren Dienstrangen gerecht zu werden.»
        Er seufzte tief.»Aber wenn auch, wer bin ich schon, sie zu verurteilen? Wir sind da besser dran. Wir tragen unsre Wohnungen, unsre Lebensart mit uns herum wie die Seeschildkroten. Wir konnen uns nicht gut mit irgendeinem lumpigen Infanteristen vergleichen, der mit Gepack und Muskete beladen, fu?krank und halbverhungert seines Wegs stolpert. Er mu? verhandeln, um vom Land leben zu konnen, er mu? gegen Schatten kampfen und wird von amerikanischen Waldbewohnern beschossen, oder er kommt gar mit gut gedrillten Truppen ins Handgemenge.»
        Bolitho beobachtete ihn neugierig. Letzten Endes war an dem Admiral nichts Ungewohnliches, nichts anderes, als man von einem Mann erwartete, der durch Autoritat und Befehlsgewalt hervorgehoben war. Aber gewi? wohnte hinter seinen Zugen ein messerscharfer Verstand, der es ihm erlaubte, von einem Gesichtspunkt zum anderen zu schweifen, ohne den Uberblick zu verlieren.

«Ubrigens, was ist die Bonaventure fur ein Schiff?«»Sie ist gro? und schnell, Sir.

        Bolithos Gedanken kehrten wieder zu dieser Besprechung zuruck.»Mindestens vierzig Kanonen und gut gefuhrt. Ich bin sicher, da? sie das Schiff war, das uns folgte. Und sie konnte uns ohne weiteres uberholen, als ihr Kapitan den rechten Augenblick fur gekommen hielt. «Er wartete, doch das Gesicht des Admirals war eine undurchdringliche Maske.

«Sie ist einer Fregatte durchaus gewachsen.»

«Das ist wichtig. Ich werde Nachforschungen uber ihre Herkunft anstellen. «Er offnete seine Uhr.»Ich mochte, da? Sie noch heute in See gehen und diese vermi?te Infanteriekompanie finden, bevor sie in Gefangenschaft gerat.»
        Bolitho starrte ihn an.»Aber Sir, ich habe meine Befehle!»

«O ja!«Er stie? ruckartig sein Kinn vor.»Und jetzt haben Sie meine Befehle, eh?»
        Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zuruck.»Ja, Sir.»

«Ich verga? zu erwahnen, da? die Soldaten Goldbarren transportieren, wieviel, das wei? Gott allein. Manchmal fallt es mir schwer, mein militarisches Gedachtnis in genaue Einzelheiten aufzugliedern. Gewi? aber sind es ziemlich viele. Kriegsgewinne, Armeesold, Beute, was es auch sein mag. Sie konnen sich drauf verlassen, da? es sich um hohe Werte handelt. «Er lachelte.»Bei der Kompanie befindet sich ubrigens auch ein echter General!»
        Bolitho go? den Bordeaux in einem einzigen Schluck hinunter.

«Ein General, Sir?»

«Gewi?, und beachten Sie, da? er gute Beziehungen hat und nur wenig Geduld.»
        Mit ruhiger, sachlicher Stimme fuhr er fort:»Ihr Eintreffen hier ist ein Gottesgeschenk. Ich habe derzeit nur eine kleine Brigg zur Verfugung, die ich sehr ungern geschickt hatte.»
        Bolitho schwieg.»Verloren hatte«, meinte der Admiral wohl in Wirklichkeit.

«Es sind Vorbereitungen getroffen worden, Ihnen einige Armeekundschafter mitzugeben, und au?erdem ist eine kleine Abteilung bereits unterwegs, um mit den Vermi?ten Verbindung aufzunehmen.»
        Er machte eine Pause, bevor er in gleichma?igem Tonfall weiterredete:»Sie werden unter Oberst Foleys Kommando stehen. Er kennt das Gebiet wie seine Hosentasche. Sie mussen sich also seiner Erfahrung unterordnen.»

«Ich verstehe, Sir.»

«Gut, ich werde Ihnen die schriftlichen Befehle ohne Verzogerung zukommen lassen.
«Wieder ein Blick auf die Uhr.»Ich erwarte, da? Ihr Schiff vor Einbruch der Dunkelheit klar ist zum Anker lichten.»

«Darf ich fragen, wohin ich zu segeln habe, Sir?»

«Nein. Es ist alles in Ihren Befehlen festgelegt. Ich mochte nicht, da? ganz New York schon jetzt davon erfahrt. General Washington hat hier viele Freunde. Und manch einer von uns wartet nur darauf uberzulaufen, sobald die Dinge fur die britische Krone schlecht aussehen.»
        Er gab Bolitho die Hand. Die Besprechung war zu Ende.

«Seien Sie vorsichtig, Bolitho. England wird alle seine Sohne noch brauchen, wenn es uberleben will. Dieser verdammte Krieg sollte ohne allzu gro?e Opfer gewonnen werden. Aber wenn Sie bei diesem Abenteuer Erfolg haben, dann beweisen Sie, da? Sie gegen alles, was Ihnen noch bevorsteht, gewappnet sind. Sie wurden dann mit gro?erem Ruhm, als es Ihrem Dienstrang entspricht, zu Ihrer Flottille zuruckkehren.»
        Einigerma?en benommen und verwirrt kehrte Bolitho zur Schanzkleidpforte zuruck. Seine Gedanken walzten die Worte des Admirals um und um.
        Diesmal gru?te ihn der Flaggkapitan personlich.»Hat er Ihnen erzahlt, was er von Ihnen verlangt?»

«Ja.»
        Der Kapitan musterte Bolitho gedankenvoll.»Der Bruder des Generals ist ein Mitglied der Regierung. Ich dachte, ich sollte Ihnen das sagen.»
        Bolitho zog seinen Hut tiefer in die Stirn.»Danke, Sir, ich werde versuchen, mich daran zu erinnern.»
        Der Kapitan lachelte uber seinen ernsthaften Gesichtsausdruck.»Ihr jungen Leute habt immer Gluck!«Sein Lachen erstickte im Schrillen der Pfeifen, als Bolitho wieder in seine Gig kletterte.
        Um das Ende der letzten Hundewache stieg Bolithos Passagier, Oberst Hector Foley, aus dem Wachboot an Deck der Sparrow. Er stand in den fruhen Drei?igern. Eine Hakennase und tiefliegende, braune Augen im dunkelhautigen Gesicht unterstrichen sein gutes Aussehen. Seine au?ere Erscheinung schien dem tadellosen Scharlachrock und den wei?en Hosen eines britischen Infanterieoffiziers zu widersprechen. Er blickte sich in der Kajute um und bedankte sich nur mit leichtem Nicken, als Bolitho ihm sein Schlafabteil und die Koje anbot. Dann lie? er sich in einen der Stuhle fallen. Er war hochgewachsen und hielt sich sehr aufrecht, und wie Bolitho mu?te er aufpassen, wenn er sich zwischen den niedrigen Decksbalken bewegte. Er zog seine Uhr und sagte mit ruhigem Ton:»Ich schlage vor, Sie lesen Ihre Befehle, Kapitan. Wenn wir Gluck haben, beschrankt sich Ihr Anteil an dem Unternehmen nur auf den Transport.»
        Bolitho konnte weder ein Lacheln noch sonst eine Gefuhlsregung an ihm entdecken. Seine hochmutige, verschlossene Art hatte etwas Verletzendes und Aufreizendes. Sie schien Bolitho von den vitaleren Aspekten seiner sonderbaren Mission zu distanzieren.
        Die Befehle waren schnell gelesen. Er sollte in gro?tmoglicher Eile etwa hundertfunfzig Meilen nach Suden an der Kuste New Jerseys entlangfahren. Wenn er es fur moglich und ratsam hielt, sollte er dann im Schutz der Dunkelheit in die Delaware-Bucht einlaufen. Genaue Entfernung und Position wurden ihm von Oberst Foley angegeben. Er las die Order nochmals langsam durch. Dabei horte er standig, wie Foleys blankgewichste Stiefel sanft auf das Deck neben dem Tisch tappten.

«Wenn er es fur moglich und ratsam hielt!«Diese Passage schien mehr als alles andere auszusagen, und er mu?te abermals an Colquhouns prophetische Worte denken. Sie bedeutete schlicht und klar, da? alle Verantwortung bei ihm lag. Foley konnte vorschlagen, was er wollte, und einen Landeplatz oder Treffpunkt in volliger Unkenntnis der seemannischen Probleme aussuchen. Und Bolitho sollte das Schiff nahe an die Kuste heranbringen und durch kaum vermessene Kanale in Gewasser vordringen, wo selbst ein Halbblinder den Grund sehen konnte.
        Er blickte auf.»Konnen Sie mir nicht mehr mitteilen, Sir?»
        Foley zuckte die Achseln.»Ich habe zwanzig Scouts mitgebracht. Sie werden den ersten Kontakt herstellen mussen.»
        Die Pfadfinder waren kurz vor dem Oberst angekommen. Sie waren Kanadier, und in ihren Lederkleidern und Pelzmutzen, in der schludrigen Lassigkeit ihres Gehabens schienen sie nichts Soldatisches an sich zu haben.
        Bolitho hatte sie beobachtet, wie sie auf dem Geschutzdeck herumlummelten, ihre verschiedenen Waffen reinigten oder trage und mit belustigter Geringschatzung die arbeitenden Seeleute bespottelten.
        Foley schien seine Gedanken zu lesen.»Sie sind gute Soldaten, Kapitan. Sehr erfahren in dieser Art der Kriegfuhrung.»

«Ich dachte, da? Sie ahnliche Unterstutzung auch hier im Lande hatten finden konnen, Sir.»
        Foley betrachtete ihn kalt.»Ein Amerikaner ist ein Amerikaner. Ich mochte mich lieber auf keinen von ihnen verlassen mussen, wenn ich andere Leute bekommen kann.


«Dann scheint es wenig sinnvoll zu sein, den Krieg fortzusetzen, Sir!»
        Zum ersten Mal lachelte Foley.»Was ich brauche, ist unbedingtes Vertrauen zu meinen Mannern. Idealisten brauche ich nicht.»
        Stockdale offnete die Tur und fragte mit seiner heiseren Stimme:»Sind Sie bereit fur die Offiziere, Sir? Gerade hat es acht Glasen gelautet.»

«Ja.»
        Bolitho zerrte an seiner Halsbinde. Er argerte sich, da? Foleys Hochmut ihn so leicht aufbrachte.
        Fitch eilte in die Kajute und zundete zwei Lampen an, denn trotz der fruhen Abendstunde wurde es bereits dammrig. Der Himmel war ungewohnlich stark bedeckt, der Wind schralte nach Westen und brachte einen Geruch nach Regen mit. Auch war es hei? und stickig, und als sich die Offiziere in die enge Kajute gedrangt hatten, war es fast unertraglich.
        Bolitho wartete, und als eine kleine Verzogerung eintrat, horte er wieder das leise Tappen von Foleys Stiefel. Aus der Messe wurden Stuhle hereingebracht, und mit unbeholfenem Schieben und Schlurfen fand endlich jeder seinen Platz.
        Dann begann Bolitho:»Wir werden, sobald die Besprechung zu Ende ist, Anker aufgehen. Mr. Tyrell, ist alles vorbereitet?»
        Tyrells Augen waren auf den Oberst geheftet.»Aye, Sir.»

«Mr. Buckle?»

«Alles klar, Sir.»
        Bolitho blickte auf die sorgfaltig abgefa?ten Einsatzbefehle. Er erinnerte sich an die Uberraschung Tyrells, als er vom Admiral zuruckkehrte.

«Aber wir hatten noch keine Zeit, Wasser zu ubernehmen, Sir«, war er herausgeplatzt.
        Der Admiral hatte hinsichtlich der Geheimhaltung zu seinen Worten gestanden. Er erlaubte den Booten der Sparrow nicht, an Land zu fahren, was sie auch immer als Grund angaben.
        Ein Gluck, da? er nichts davon erfahren hatte, da? Lock sich von einem vorbeifahrenden Leichter an Land hatte bringen lassen.
        Genauso heimlich war er wieder mit einigen gro?en Fassern voll Zitronen und einem ungewohnlich bekummerten Gesicht zuruckgekehrt. Er hatte in der Eile keinen besonders gunstigen Preis aushandeln konnen.

«Wir werden auf Sudkurs segeln und in die Delaware-Bucht einlaufen«, sagte Bolitho.»Dort werden wir mit der Armee zusammenarbeiten und an Bord der Sparrow.»
        Foley unterbrach ihn lassig:»Ich denke, das genugt fur den Augenblick, Kapitan.
«Ohne Bolitho anzuschauen, fugte er noch hinzu:»Also, meine Herren, es ist Ihre Pflicht, dafur zu sorgen, da? dieses Schiff zur rechten Zeit den rechten Ort erreicht und kampfbereit ist, falls es zur Durchfuhrung dieser Mission notwendig werden sollte.»
        Die Seeoffiziere drehten sich auf ihren Stuhlen, und Bolitho bemerkte, da? ihn die beiden Fahnriche uberrascht anstarrten. Foleys deutlich sichtbarer Oberbefehl mu?te ihnen sonderbar vorkommen.

«Ein ubles Stuckchen Kuste dort unten, Sir«, murmelte Buckle.»Eine Menge Untiefen und Sandbanke. «Er saugte die Luft gerauschvoll zwischen den Zahnen ein.»Schlimm.»
        Foley blickte Bolitho an. In seinen tiefliegenden Augen zeigte sich Verargerung. Wir sind doch wohl nicht hier zusammengekommen, um die Fahigkeiten Ihrer Offiziere zu erortern, oder?»
        Bolitho erwiderte den Blick des Obersten. Er war plotzlich sehr ruhig.»Gewi? nicht, Sir, ich verburge mich fur meine Leute. «Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort:»Ebenso bin ich sicher, da? Sie sich fur Ihre Leute verburgen, wenn es an der Zeit ist.»
        Wahrend des peinlichen Schweigens horte Bolitho Tilbys rauhe Stimme uber das Deck drohnen. Er hatte einen Pechvogel beim Faulenzen erwischt. Wieder hatte er einen schlechten Anfang gemacht, aber er fuhlte keine Reue.
        Foley nickte langsam.»Wir werden sehen.»

«Darf ich sprechen, Sir?«fragte Graves.
        Bolitho nickte.

«Warum kann nicht ein Schiff des Kustengeschwaders diese Mission ubernehmen, Sir?»
        Foley erhob sich. Er beugte seinen Kopf zwischen die Decksbalken.»Weil Ihr Schiff fur dieses Unternehmen geeignet ist, Leutnant. Aber ganz gewi? nicht, weil wir von Ihnen besondere Fahigkeiten erhoffen.»
        Bolitho betrachtete die Gesichter seiner Offiziere. Verstimmung, Uberraschung, Verletztsein, all das war deutlich in ihnen zu lesen.

«Fangen wir an, meine Herren«, sagte er langsam.»Befehlen Sie in zehn Minuten alle Mann auf ihre Stationen.»
        Nachdem sich die Offiziere zur Tur hinausgedrangt hatten, wandte er sich an Foley. Sie haben gesagt, es sei meine Pflicht, Ihnen als Truppentransporteur zur Verfugung zu stehen. Wie ich das tue, bleibt meiner Verantwortung uberlassen, und ich bin nicht verpflichtet, still zu sein, wenn Sie meine Offiziere beleidigen.»
        Da der Oberst nicht antwortete, fuhr er fort:»Diese Manner waren ma?geblich daran beteiligt, zwei von der Armee dringend erwartete Nachschubschiffe in Sicherheit zu bringen. Sie kampften und versenkten einen Freibeuter und halfen mit, ein anderes, viel starkeres Schiff zu vertreiben.»

«Wofur Sie zweifellos den Ruhm einheimsen, ja?»
        Bolitho beherrschte sich muhsam. Seine Stimme klang dunkel vor Zorn.»Danke, Herr Oberst. Ich zweifle nicht, da? Sie hofften, ich wurde das vor den anderen gesagt haben, nur damit Sie solch einen Vorwurf aussprechen konnten. «Er griff nach seinem Hut.»Wenn ich gewu?t hatte, da? die Armee Philadelphia schon geraumt hat, so hatte ich mir die Zeit genommen, das Kaperschiff zu zerstoren, und ware nicht mit den lastigen Transportern davongesegelt.»
        Foley lachelte.»Gut gesprochen, Kapitan. Mir gefallt ein Mann, der noch Gefuhle zeigt.»
        Bolitho polterte aus der Kajute und schritt blindwutig zum Niedergang. Aus der Art und Weise, wie einige Seeleute seinen Blick mieden, und aus der gespannten Wachsamkeit, mit der der junge Bethune das Flaggschiff beobachtete, konnte er leicht erraten, da? sie alle seinen Zorn bemerkten.
        Hatte er sich so verandert? Fruher hatte er uber Foleys Taktlosigkeiten gelacht oder geflucht, sobald er ihm den Rucken zugekehrt hatte. Jetzt genugte schon eine kritische Bemerkung, der leiseste Angriff auf seine Leute und sein Schiff, Selbstbeherrschung und Vernunft zu verlieren.
        Tyrell kam nach achtern.»Ich kenne diese Gewasser gut genug, Sir. Mr. Buckle ist machtig besorgt, und ich kann ihm da nur recht geben.»

«Ich wei? es, danke.»
        Er hatte Tyrells Gesichtsausdruck bemerkt, als Buckle seine Bedenken vorgebracht hatte. Tyrell war drauf und dran gewesen, dieselbe Meinung zu vertreten. Vielleicht hatte er selbst als Kapitan sich aus diesem Grund eingemischt, um den Steuermann gegen den Sarkasmus des Obersten zu verteidigen. Foley hatte schon deutlich genug gesagt, was er von den Amerikanern hielt. Rebellen, Siedler und Leute, die wider ihren Willen in das Kreuzfeuer verschiedener Parteien und auseinandergerissener Familien geraten waren, alle schienen ihm gleicherma?en unzuverlassig.
        Tyrell wandte sich ab, um zuzuschauen, wie die Gig uber die Steuerbordreling an Deck gehievt wurde.

«Ein ziemlicher Schweinehund, der Kerl, Sir. «Er zuckte die Achseln.»Hab' schon fruher mit so was zu tun gehabt.»
        Bolitho schluckte den Tadel, den er jetzt hatte aussprechen mussen, hinunter. Es ware sinnlos gewesen. Sogar Bethune mu?te die Feindseligkeit zwischen ihm und Foley bemerkt haben.

«Hoffen wir, da? er wei?, was er tut, Mr. Tyrell. Um unser aller willen. «Die Bootsmannsmaaten rannten uber das Geschutzdeck und brullten in die Niedergange hinunter.

«Alle Mann! Alle Mann an Deck!»
        Bolitho sagte leise:»Ich hatte keine Zeit, Nachrichten uber Ihre Familie einzuholen.»

«Nun gut. «Tyrell druckte seinen Hut tiefer in die Stirn, um seine Augen vor den Strahlen der untergehenden Sonne zu schutzen.»Vielleicht spater.»
        Das Schiebeluk uber dem achteren Niedergang wurde zuruckgesto?en, und Foley erschien auf der Leiter.
        Mit sachlicher Stimme wandte sich Bolitho an ihn.»Ich mu? Sie leider bitten, das Achterdeck zu verlassen, Sir. «Er sah, wie der Oberst zornig wurde, und fugte hinzu:»Oder ziehen Sie etwas uber Ihre rote Uniform. Es ist nicht gut fur uns, wenn man sieht, da? wir auch nur einen einzigen Soldaten an Bord haben.»
        Foley verschwand, und Tyrell sagte frohlich:»Einen Punkt fur Sie, Sir.»

«Es war unbeabsichtigt. «Bolitho nahm ein Fernglas und richtete es uber die anderen Schiffe hinaus.»Unsere Abfahrt mu? vollig normal aussehen. Spione werden unsere Ankunft gemeldet haben und werden zweifellos nur an unsre Depeschen denken. Ich mochte nicht, da? die Nachricht weitergegeben wird, da? wir mit besonderem Auftrag absegeln. Die Welt wird ohnehin bald davon erfahren. Aber je spater, desto besser.»
        Er ging zur Achterdecksreling und sah zu, wie die Unteroffiziere ihre Leute auf den Stationen antreten lie?en. Aber er traute seinen eigenen Worten nicht. Konnte ein Mann wie Foley ihn wirklich dazu bringen, so schnell zuruckzuschlagen, wie es Tyrell vermutete?

«Klar bei Ankerspill!«Tilby hatte die Fockmastwanten gepackt. Sein grobes Gesicht glanzte vor Schwei?, als er die heranlaufenden Seeleute anbrullte:

«Zupacken, ihr faulen Lumpen, oder ich komme mit einem Tauende uber euch.»
        Die unerwarteten Reisebefehle hatten ihn aus seiner Freiwache hochgeschreckt, und man konnte ihm seine letzte Sauferei noch deutlich ansehen.
        Bolitho wandte sich an Buckle.»Sobald wir uns vom Land freigesegelt haben, werden wir die Bramsegel setzen. Der Wind scheint einigerma?en durchzustehen, aber wir werden wohl noch vor Dunkelheit Regen bekommen.»
        Buckle tippte an seinen Hut.»Aye, Sir.»
        Er zogerte.»Es tut mir leid, da? ich vorhin gesagt habe, was ich dachte, Sir. Ich hatte es besser wissen sollen.»
        Bolitho lachelte.»Besser Sie reden uber Ihre Bedenken, bevor wir in Schwierigkeiten geraten. Wenn wir auf Grund gelaufen sind, ist es zu spat, eh?«Er beruhrte leicht seinen Arm.»Aber bevor wir so dicht unter Land gehen, wollen wir sehen, wie die Sparrow unter vollen Segeln geht.»
        Er ging davon und hoffte, da? Buckle sich nun weniger Sorgen machte. Es mu?te schwierig fur ihn sein. Die Sparrow war das erste Schiff, auf dem er als Steuermann fuhr, und schon mu?te er in gefahrliche Gewasser vordringen, die er noch nie befahren hatte.

«Anker ist kurzstag, Sir. «Graves' Stimme klang laut durch den boigen Wind.
        Bolitho blickte Tyrell an.»Bitte lassen Sie in See gehen.»
        Er fuhr herum, als auf dem Geschutzdeck ein Chorus hohnischen Gelachters losbrach. Ein Seemann war uber die Muskete eines Armeescouts gestolpert und zappelnd in die Speigatten gerollt. Es schien die Soldaten ungeheuer zu amusieren.
        Kalt fugte Bolitho hinzu:»Bei diesem frischen Wind werden wir viel Kraft am Ankerspill brauchen. «Seine Augen wiesen auf die Kanadier.
        Tyrell grinste.»Jawohl, Sir, wird sofort erledigt.»
        Er hielt die Hande an seinen Mund.»Bootsmann, stellen Sie diese Manner ans Ankerspill!«Den augenblicklich losbrechenden Protest brachte er sofort zum Schweigen.»Und zogern Sie nicht, sie ein bi?chen anzuheizen, wenn sie schlapp werden.»
        Bolitho steckte seine Hande unter die Rockscho?e und trat von der Reling zuruck, so da? er die Toppsgasten besser beobachten konnte. Er hatte schon genug Beleidigungen von Foley einstecken mussen. Es gab keinen Grund, da? es seinen Leuten ebenso ergehen sollte.

«Anker frei, Sir!»
        Er starrte hinauf zu den donnernden Segeln. Das Schiff, frei fur Wind und See, legte sich unter dem Druck der steifen Brise uber.
        Sobald sie den schutzenden Landvorsprung gerundet hatten, wurden die Schiffsbewegungen heftiger, die Wellen kurzer und steiler, und der Himmel nahm im dumpfen Licht eine strohfarbene Tonung an. Gischt flog auf, spruhte uber die Seeleute und prasselte wie schwerer Regen uber das Achterdeck. Bolitho spurte, wie das salzige Wasser uber seine Lippen rieselte und sein Hemd durchna?te. Als Fock-, Gro?- und Besansegel, dann die Bramsegel sich im Wind spannten, fugte sich das Schiff und preschte in schaumender Fahrt durch die See. Der Kluverbaum hob sich gegen die zerfetzten Wolken, stie? vor und pflugte brausend in den nachsten Wellentrog hinunter. Stagen und Wanten glanzten wie nasses Ebenholz. Bolitho dachte an den zornigen Sperling unter dem Bugspriet, der die Eichenzweige in den Klauen gepackt hielt. Ob ihn der Kapitan der Bonaventure wohl gesehen hatte, als er das Gefecht abbrach? Und wurde er sich daran erinnern?
        Tyrell stapfte nach achtern. Sein Korper stand im schragen Winkel zum stark gekrangten Deck. Er rief den Besantoppsgasten etwas zu, bevor er sich die Zeit nahm, die Arbeit an den Luvbrassen zu uberwachen. Fitch eilte mit einem Eimer zur Leeseite. Tyrell rief ihn an.
        Bolithos Stimme ubertonte das Donnern der Segel:»Was ist los?»
        Tyrell lachte.»Dem Oberst ist kotzubel, Sir! Schone Blamage, was?»

«Schrecklich!«Bolitho wandte sich ab, um ein schadenfrohes Grinsen zu verbergen. Besonders, weil es wohl noch harter wehen wird.»
        Buckle hielt sich am Kompa?haus fest.»Kurs liegt an, Sir! Sudost zu Sud!«»Recht so. «Bolitho ri? sich den Hut vom Kopf. Der Wind pre?te ihm die Haare gegen die Stirn.»Wir werden bald uber Stag gehen. «Er klopfte an das Halbstundenglas neben dem Kompa?.»Ich gehe jetzt nach unten, um den Oberst auf dem laufenden zu halten.»
        Als er sich in den Niedergang hinunterschwang, horte er Tyrells Lachen und Buckles frohliches Kichern. Es war nur eine kleine, unwichtige Sache, aber er nahm es als ein gutes Zeichen.



        VI Rot und Gold

        Bolitho betrat seine Kajute. Mit Uberraschung sah er Foley am Tisch sitzen und eine Karte studieren. Er war vollstandig angekleidet, und in seine Zuge war fast wieder alle Farbe zuruckgekehrt. Nachdem sie Sandy Hook verlassen hatten, hatte er die meiste Zeit auf einer Sitzbank gelegen. Mit halb geschlossenen Augen hatte sein Gesicht einer Wachsmaske geglichen, und er schien unfahig gewesen zu sein, sich in die Koje zu legen.
        Er blickte auf und schnitt eine Grimasse.»Es i st ruhiger geworden. «Bolitho nickte.»Wir laufen in die Bay ein. Kap May liegt funf Meilen steuerbord querab.»

«Ah ja!«Foley schaute einige Sekunden lang in die Karte. Seine Finger trommelten einen kleinen Wirbel neben Bolithos Eintragungen und Bestecksrechnungen.

«Wie ist Ihre Meinung, Kapitan?»
        Bolitho betrachtete den gesenkten Kopf des Obersten. Zum ersten Mal hatte er ihn um seine Ansichten bei diesem Unternehmen gefragt. Unter vollen Segeln hatte die Sparrow ihrem Namen alle Ehre gemacht. Bei dieser rauschenden Fahrt sudwarts hatte Bolitho all seine Befurchtungen zur Seite schieben, ja, vergessen konnen. Voll Freude hatte er die Lebendigkeit und die geschmeidigen Bewegungen der Korvette genossen. Als sie dann unter Land segelten, um eine genaue Positionspeilung zu nehmen, war pfeifend und jammernd eine Sturmbo mit solcher Gewalt uber sie hergefallen, da? sie alle Mann an Deck rufen mu?ten, um die Segel zu reffen. Eine Enttauschung, nachdem sie so ohne Schwierigkeiten gesegelt waren, wobei sogar die Royals gesetzt werden konnten. Sie hatten - wie Bolitho vorausberechnet hatte - einen Tag nach dem Ankerlichten die Delaware-Bucht bei Kap May angelaufen, doch nun trieb sie die ablandige Bo weit auf die See hinaus. Einen ganzen weiteren Tag mu?ten sie gegen Sturm und Regen stampfend und sto?end aufkreuzen. Nur der Ausguck im Topp hatte das hinter tief jagenden Wolken verborgene Land ab und
zu sehen konnen.

«Der Wind hat wieder zuruckgedreht, Sir«, antwortete Bolitho.»Sudwest, abflauend.»
        Er lauschte auf das Achzen des Ruders, und er dachte an Tyrell und Buckle, die dort drau?en beim Ruderrad ihre Wache bezogen hatten. Gleichzeitig tauchte in seinen Gedanken wie auf einer Seekarte die riesige Bay auf, die sie nun unter dicht gerefften Marssegeln zum zweiten Mal anliefen.
        Tyrell war ein Turm der Starke. Er schien sich an diese Gewasser zu erinnern, als ob jede Sandbank und jede Stromung in seinem Gehirn eingepragt waren.
        Foley blickte mit grimmigem Gesicht auf.

«Es hat schon zu lange gedauert. Ich mu? wissen, wenn Sie glauben, da? wir vorankommen. «Er legte einen Finger auf die Karte.»Hier genau nordlich der Stelle, an der wir uns - wie Sie sagen - jetzt befinden, da ist eine kleine Bucht. Es durften etwa noch sechs Meilen sein.»
        Er sprach sehr schnell. Bolitho spurte deutlich seine Erregung.

«Westlich des Maurice River?«Bolitho lehnte sich uber den Tisch. Er dachte an die Stellung der Rahen, an den immer schwacher werdenden Wind.»Es wird etwa vier Stunden dauern, wenn der Wind weiter abflaut, noch langer!»
        Er trat zuruck und zerrte an seiner Halsbinde. Bei dicht geschlossenen Luken, um ja keinen Lichtschimmer nach au?en dringen zu lassen, war es in der Kajute so hei? wie in einem Backofen. An Deck, wo er sich die meiste Zeit wahrend der Fahrt aufgehalten hatte, fuhlte er weder Mudigkeit noch Abspannung. Nun aber machten sich die langen, anstrengenden Stunden bemerkbar, ja, er vermochte sogar Foley wegen seiner Seekrankheit zu bedauern.
        Drau?en war es jetzt stockfinster. Als das Schiff hinter die schutzende Landenge geschlupft war, hatte er dieselbe Aufregung gespurt wie ein Mann, der in eine unbeleuchtete Hohle eindringt.

«Wie lange werden Ihre Scouts brauchen?»

«Vielleicht sechs Stunden. «Foley streckte seine Arme aus und gahnte. Er entspannte sich ein wenig.
        Bolitho kam zu einem Entschlu?.»In diesem Fall werden wir ankern und bis morgen nacht warten mussen, bevor wir die Bucht verlassen konnen. Moglicherweise sind feindliche Schiffe in der Nahe, und in diesem eng begrenzten Gewasser kann ich mich nicht auf ein Gefecht einlassen. Besonders, wenn es Ihren Scouts nicht gelingt, unsre vermi?ten Soldaten zu finden, und wir noch einen Tag langer brauchen.»

«Die Fuhrung des Schiffes ist Ihre Angelegenheit, ja?«Foley betrachtete ihn gelassen.

«Die Tide steht gunstig, und wenn wir noch langer warten, konnte der Wind uns ganz im Stich lassen.»
        Er nickte.»Ich bin bereit.»
        Foley stand auf und rieb seinen Magen.

«Gut. Bei Gott, mir scheint, ich habe meinen Appetit wieder.»

«Es tut mir leid, Sir«, Bolitho lachelte,»aber das Kombusenfeuer ist geloscht worden. Es sei denn, Sie mochten ein Stuck Pokelfleisch aus dem Fa??»
        Foley betrachtete ihn ziemlich klaglich.»Sie haben eine Neigung zur Grausamkeit. Ein Blick auf dieses miserable Zeug wurde mich schwach wie eine kranke Ratte machen.»

«Die Ratten in einem Schiff des Konigs sind anderer Natur. «Bolitho verlie? die Kajute.
        Auf Deck mu?te er einige Sekunden warten, bis er weiter als bis zur Reling sehen konnte. Unten auf dem Geschutzdeck konnte er gerade noch die Seeleute der Backbordwache ausmachen, die sich nur schwach von den dunkleren Umrissen der Geschutze abhoben. Er ging ein paar Schritte zuruck und hielt seine Hand uber das abgeblendete Kompa?licht.

«Genau Nord, Sir«, sagte Buckle.»Voll und bei.»

«Gut. «Er winkte Tyrell heran.»Ich mochte unsre beiden besten Lotsen am Bug haben.


«Sind schon dort, Sir. «Tyrell zuckte die Achseln.»Das einzige, was wir tun konnen.»

«Wenn wir uns der Kuste nahern, werden wir die Gig zu Wasser lassen. «Bolitho erkannte die machtige Statur Stockdales vor den Wanten.»Sie werden die Gig mit Lot und Leine ubernehmen. Die Gewasser in dieser Gegend sind so seicht und trugerisch, da? Sie immer vor dem Schiff herrudern mussen. Und immer die Tiefe aussingen! Verstanden?»
        Stockdale war eigensinnig.»Ich sollte vielleicht hierbleiben, Sir. Nur fur den Fall.»

«Ihr Platz ist da, wo ich sage, Stockdale. «Er milderte seinen Ton.»Tun Sie, was ich sage, und nehmen Sie eine abgeblendete Lampe mit. Vielleicht mussen Sie uns signalisieren. «Er blickte Tyrell an.»In diesem Fall lassen wir den Warpanker fallen und beten zu Gott.»
        Hoch uber Deck flappten die schlaffen Segel, und Bolitho wu?te, da? der Wind immer mehr abflaute. Der Luftzug strich feucht uber sein Gesicht. Er schuttelte den Alptraum, die Sparrow konnte auflaufen, von sich ab. Er war an seine Befehle gebunden. Nein, alle seine Leute waren an ihn gebunden!

«Mr. Tyrell, wenn wir unseren Bestimmungsort erreicht haben, dann lassen Sie bitte den Steuerbordkutter zu Wasser. Mr. Heyward wird unsere Passagiere an Land bringen und zuruckkehren, wenn alles in Ordnung ist.»

«Die letzten paar Meter werden sie wohl durchs Wasser waten mussen«, meinte Tyrell.»Es ist sehr seicht dort oben.»

«Sie haben also die Stelle schon erraten?»
        Der Leutnant grinste. Seine Zahne schimmerten wei? in der Dunkelheit.»Es gibt hier keinen anderen Platz, der fur solche Geschichten sonst noch in Frage kame, Sir.
«Von vorn kam ein hohltonender Schrei des Lotsen.»Bei Marke funf!«Es klang wie die Stimme eines verlorenen Geistes.
        Tyrell murmelte:»Bringen Sie das Schiff einen Strich hoher an den Wind, Mr. Buckle. «Sein Handballen schabte uber sein Kinn.»Wir mussen ziemlich abgetrieben sein.»
        Bolitho schwieg. Jeder tat, was er konnte. Gott sei Dank, da? die Sparrow so wenig Tiefgang hatte! Sonst.

«Marke sechs!»

«Ganz ordentlich«, grunzte Tyrell.»Ich hab' mal erlebt, da? die Tidestromung hier einen Schoner herumwarf wie ein Stuck Strandgut.»

«Na, danke schon. «Bolitho sah ein fahles Aufspritzen am Bug, als das Senkblei wieder ausgeworfen wurde.»Das ist schon ein recht schwacher Trost.»

«Marke funf!»

«Trau keinem Soldaten, wenn er eine solche Stelle aussucht. «Tyrell beugte sich uber den Kompa?.»Weiter drau?en im Westen, im Hauptkanal des Delaware ist es ausreichend tief fur uns, selbst bei Ebbe.»

«Ein Viertel weniger als funf!»

«Holle und Teufel«, wisperte Buckle. Stiefel scharrten auf den Planken. Foley tastete sich heran und fragte lebhaft:»Wie schaut's aus, Kapitan?»

«Bei Marke drei!»

«Ist es denn unbedingt notwendig, da? der Kerl dort vorn solch einen Larm macht? Foley starrte die Manner beim Ruderrad an. Ruhig und gedehnt knurrte Tyrell: Entweder das, oder wir rei?en uns den Kiel heraus.»
        Bolitho fugte leise hinzu:»Ein Mann von Ihrer Gro?e, Sir, konnte gerade noch zwischen Kiel und Grund hindurchgehen, wenn er Lust dazu hatte.»
        Foley sprach eine ganze Minute lang kein Wort mehr. Dann uberraschte er Bolitho.

«Es tut mir leid, ich war ein Narr, so zu reden.»

«Marke vier!»
        Buckle atmete langsam aus.»Besser.»
        Bolitho fuhlte, da? Tyrell seinen Arm beruhrte.»Wenn wir den Kurs so halten, Sir, konnen wir ziemlich sorglos ankern. Vorausgesetzt freilich, da? wir genug Platz haben, vor Anker zu schwoien. Der Grund ist hier ziemlich sicher, und wir konnten ohne gro?ere Gefahr eine leichte Grundberuhrung riskieren.»

«Kapitan!«Foleys Stimme war wieder wie fruher, scharf und unduldsam.»Ist Tyrell ein Amerikaner?»

«Ja, ein Ansiedler, Sir. Wie eine ganze Anzahl meiner Leute.»

«Verdammt!»

«Er ist aber auch ein Offizier des Konigs, Sir. Ich hoffe, Sie vergessen das nicht.»
        Foleys wei?e Hosen verschwanden im Niedergang.

«Er denkt wohl, ich lasse das Schiff auf Grund laufen, nur um ihn zu argern.
«Bitterkeit lag in Tyrells Stimme.

«Lassen Sie's gut sein, Tyrell«, Bolitho starrte ins schwarze Wasser hinunter, wo tanzende phosphoreszierende Funken leuchteten und verschwanden. Wie magische, treibende Pflanzen spruhten sie im Kielwasser und in der Bugwelle, erloschen, blitzten anderswo wieder auf.

«Ich beneide ihn nicht um seinen Auftrag.»
        Zu seiner Uberraschung stellte er fest, da? er es ernst meinte.
        Irgendwo dort im Dunkeln lag das gewaltige Land. Hugel und Flusse, Wald und Gestrupp, das einem achtlosen Menschen ein Auge auskratzen konnte. Man erzahlte sich viele Geschichten von Angriffen und Hinterhalten in diesem Gebiet. Selbst wenn man zugab, da? die Berichte etwas ubertrieben wurden, waren sie immer noch schlimm genug, selbst einem erfahrenen Kampfer eine Gansehaut den Rucken hinunter zu jagen. Da waren Indianer, die in der Armee Washingtons als Scouts dienten, die sich lautlos wie Fuchse bewegten und mit der Wildheit eines Tigers zuschlugen. Eine Welt huschender Schatten und fremder Gerausche, von Schreien, die einen schlafrigen Wachtposten mit kaltem Angstschwei? hochfahren lie?en - wenn er Gluck hatte. Wenn nicht, wurden ihn seine Kameraden als toten, geplunderten Mann auffinden.

«Tiefe acht!»
        Tyrell wanderte ruhelos auf und ab.

«Wir konnen den Kanal jetzt verlassen. Ich schlage vor, Kurs Nordost zu steuern.»

«Schon, befehlen Sie klar bei Brassen und gehen Sie uber Stag.»
        Und so ging es weiter, Stunde um Stunde. Die Lotleinen glitten durch die Hande der Seeleute am Bug, die gerefften Marssegel wurden getrimmt und wieder getrimmt, um den leisesten Hauch des ersterbenden Windes wie eine Kostbarkeit aufzufangen. Dann und wann eilte Tyrell nach vorn, um den Talg in einem der Lotbleie abzutasten, etwas davon zwischen seinen Fingern zu zerreiben oder wie ein Jagdhund daran zu riechen.
        Bolitho wu?te, da? er ohne Tyrells unheimliche Kenntnis des Grundes, ohne sein Selbstvertrauen, in diesen seichten Gewassern den rechten Kurs zu spuren, schon langst geankert hatte, um auf die Morgendammerung zu warten.
        Einige Male kam und ging Foley. Aber er sagte nichts mehr uber Tyrell. Er rief die kanadischen Kundschafter zusammen und sprach einige Minuten lang mit ihrem Sergeanten. Eine Weile spater betrat er wieder das Achterdeck.

«Gute Manner, hatte ich ein Regiment von ihnen, konnte ich halb Amerika zuruckerobern.»
        Bolitho lie? ihn reden, ohne zu unterbrechen. Es milderte die Anspannung des Wartens, und hinter dem reservierten Hochmut, den Foley wie einen Schild trug, vermochte er allmahlich den Kern des Mannes zu entdecken.

«Ich habe schon in vielen Gebieten gegen die Amerikaner gekampft, Kapitan. Sie lernen schnell und verstehen ihre Kenntnisse gut anzuwenden. «Mit plotzlicher Bitterkeit fugte er hinzu:»Kein Wunder, sie haben einen harten Kern englischer Deserteure und Glucksritter. Ich dagegen mu?te mich mit soldatischem Abschaum zufriedengeben. In einem der Gefechte sprachen die meisten meiner Leute kaum ein Wort englisch. Stellen Sie sich vor, Kapitan, sie steckten in der Uniform des Konigs, aber ihre Zungen redeten in allen moglichen deutschen Mundarten.»

«Ich wu?te nicht, da? es so viele englische Deserteure gibt, Sir!»

«Nun, einige waren schon vor der Rebellion hier stationiert. Sie hatten ihre Familien bei sich und haben in diesem Land Wurzeln gefa?t. Andere hoffen auf spateren reichen Gewinn, Land vielleicht, irgendeine verlassene Farm. «Wieder diese Bitterkeit in der Stimme.»Aber was auch immer ihre Uberzeugung sein mag, sie kampfen unglaublich hart. Denn wenn sie erwischt und als Deserteure uberfuhrt werden, mussen sie diese Welt mit einer Schlinge um den Hals verlassen, und die Raben werden ihre Eingeweide fressen.»
        Tyrells Gestalt tauchte undeutlich in der Finsternis auf. Seine Stimme klang gedampft.»Die Gig ist klar zum Fieren. Meiner Ansicht nach mu? die Bucht jetzt backbord voraus liegen.»
        Die Spannung lie? einen Augenblick lang nach, als bei leise geflusterten Befehlen die Fauste der Seeleute zupackten und die Gig uber die Reling ausschwenkten und wegfierten.
        Fahnrich Heyward stand neben Bolitho, als das Beiboot davon-gerudert wurde.

«Passen Sie gut auf, Mr. Heyward, wenn Sie mit dem Kutter an Land gehen. Behalten Sie Ihren kuhlen Verstand und denken Sie nicht an Heldentaten.»
        Er nahm ihn am Arm und spurte, da? die Nerven des Fahnrichs gespannt waren wie die Feder am Hahn einer Pistole.»Ich mochte, da? Sie die Sparrow als Leutnant und mit heilen Knochen verlassen.»
        Heyward nickte.»Danke, Sir!»
        Graves stieg flink die Leiter herauf.»Kutter gefiert und klar. «Er blickte zum Fahnrich hin.»Schicken Sie mich, Sir. Er ist solch einer Sache nicht gewachsen.»
        Bolitho versuchte Graves' Gesichtsausdruck zu erkennen, aber es war zu dunkel. Vielleicht machte er sich wirklich Sorgen um den Fahnrich. Oder aber er betrachtete die Aussicht auf dieses Unternehmen als seine erste Chance zu rascher Beforderung. In beiden Fallen hatte Bolitho Verstandnis fur Graves.
        Aber er antwortete:»Als ich so alt war wie er, war ich schon bestallter Leutnant. Es war damals nicht leicht fur mich, und es wird auch fur ihn nicht leicht sein, bis er erkannt hat, da? alles von seiner Autoritat abhangt.»

«Signal von der Gig, Sir«, sagte Bethune rasch.»Drei Blitze!»

«Wahrscheinlich hat sich die Wassertiefe geandert«, stie? Tyrell nervos hervor. Dann wurde er wieder ruhig.»Ich schlage vor, jetzt zu ankern, Sir.»

«Schon. «Bolitho sah die schwarzen Umrisse der Gig backbord voraus auftauchen. Besanmarssegel back brassen. Klar zum Wenden. Wir werden Anker fallen lassen und dann den Warpanker im zweiten Kutter ausbringen. Schneller dort vorn! Wir kommen der Gig zu nahe.»
        Fu?e tappten eilig uber die Planken, und irgendwo hoch oben uber Deck schrie ein Mann vor Schmerz und Schreck auf, als er fast von der Rah gesturzt ware. Das Besanmarssegel schlug und flappte trotz des geringen Winddruckes, und der Larm schien Bolitho laut genug, um Tote aufzuwecken. Auf dem finsteren Deck rannten die Leute an die Brassen und Fallen. Jeder Mann kannte seine Handgriffe so genau, da? die Manover kaum langer dauerten als am hellichten Tag. Das Ankertau rauschte aus der Kluse. Schwankend wie betrunken taumelte die Korvette, bis sich das Tau straffte. Das Wasser unter dem Kiel quirlte im lebendigen Schimmer phosphoreszierender Funken. Beide Kutter wurden bereits weggefiert. Ihre Mannschaften sprangen hinterdrein, griffen eilig stolpernd und sto?end nach den Riemen.
        All dieses geschah in wenigen Minuten. Dann trat wieder Ruhe ein. Die Segel waren aufgetucht, der Schiffsrumpf zerrte sanft an beiden Ankern, und vorsichtig umkreisten die Kutter die Sparrow, wie Raubvogel einen gefesselten Wal.
        Foley stand an den Wanten.»Setzen Sie meine Scouts jetzt an Land, Kapitan. Sie haben Ihren Teil getan.»
        Dann ging er hinuber zum Schanzkleid an der Backbordseite, wo der Kutter Heywards angehakt hatte und die Scouts sich bereits au?enbords angeklammert hatten wie hilflose Bundel.
        Bolitho fragte leise:»Wie sieht die Bucht aus, Mr. Tyrell? Konnen Sie mir die Lage erklaren?»
        Der Leutnant fuhr mit den Fingern durch sein dichtes Haar.»Sie ist gut verborgen, wenn ein fremdes Schiff nicht allzu nahe herankommt. Das Land ist dicht bewaldet, und wenn ich mich recht erinnere, munden dort zwe i Flusse.»
        Er spahte hinuber.

«Der Kutter mu? schon fast dort sein. Wenn wir jetzt schie?en horen, dann wissen wir, da? wir in Schwierigkeilen geraten sind. «Er zwang sich zu einem Grinsen. Immerhin, wir brauchen keinen verdammten Wind, um hier auszulaufen. Wir konnen die Riemen auslegen und die Korvette in Sicherheit pullen.»
        Bolitho nickte. Mit jedem anderen Schiff ware dieses Unternehmen reiner Wahnsinn gewesen. So dicht unter Land und bei so geringen Chancen, in das freie Fahrwasser der Delaware Bay hinauszukreuzen, wurde es wahrscheinlich zum Teufel gehen.
        Nach einer Weile fuhr er fort:»Veranlassen Sie, da? Tilby die Riemen einfetten la?t, wahrend wir hier warten. Falls wir verschwinden mussen, dann ist es besser, moglichst wenig Larm zu machen.»
        Tyrell ging mit langen Schritten und vorgebeugtem Oberkorper davon, um den Bootsmann zu suchen.
        Foley kam zuruck.»Ich denke, ich werde ein bi?chen schlafen«, meinte er.»Wir konnen nun nichts anderes tun als warten.»
        Bolitho sah ihn weggehen. Herr Oberst, dachte er, Sie werden nicht schlafen. Jetzt tragen Sie die Verantwortung.

«Der Kutter kommt zuruck, Sir, alles in Ordnung«, zischelte Bethune aufgeregt.
        Bolitho lachelte.»Geben Sie den Befehl weiter, da? die Leute wahrend der Nacht unter Deck bleiben sollen. Die Freiwache kann schlafen. Gehen Sie dann den Koch suchen. Er soll sich anstrengen, irgendwas E?bares zu richten, ohne das Kombusenfeuer anzuzunden.»
        Der Fahnrich rannte davon, und Graves meinte sauerlich:»Der fri?t alles, auch wenn er in der Dunkelheit die Maden nicht sehen kann.»
        Bolitho setzte sich neben die Niedergangsluke und knopfte sein Hemd auf.
        Er war ein wenig eingenickt, als er einen schweren Korper neben sich an Deck springen horte. Stockdale war zuruckgekehrt und wartete in seiner Nahe. Nur fur den Fall, wie er zu sagen pflegte.
        Im nachsten Augenblick fiel Bolitho in tiefen, traumlosen Schlaf.

«Wo, zum Teufel, sind sie nur?»
        Tyrell hob ein Fernglas uber das Schanzkleid und fuhrte es langsam in einem Halbkreis die Kustenlinie entlang.
        Es war spater Vormittag, und die Sparrow, die vor zwei Ankern still lag, lud sich mit Hitze auf wie ein Brennofen. Wahrend der Nacht waren alle Wolken abgezogen, und der Wind war eingeschlafen. Unter klarem Himmel, im flimmernden Sonnenlicht brach den Mannern bei der geringsten Bewegung der Schwei? aus.
        Bolitho zerrte sich das Hemd von der Hufte. Seitdem er bei Tagesanbruch aufgewacht war, hatte er das Deck nicht verlassen. Wie Tyrell war auch er in Sorge, weil das Unternehmen noch keine Ergebnisse zeigte. Wie anders war alles im hellen Tageslicht! In der ersten Morgendammerung hatte er beobachtet, wie sich das Land aus den Schatten loste, die rundruckigen Hugel und die dichtbelaubten Walder. Der sichelformige Kustenstreifen war von dichten Baumen und Buschen beschattet, die fast bis ans Wasser reichten. Alles ruhte harmlos und still, vielleicht zu still.
        Er ging zur anderen Seite des Achterdecks hinuber und wich sofort von der Reling zuruck, als die Sonne wie Feuer auf seine Schultern brannte. Kein Windhauch krauselte die blitzende Wasserflache. Nur die kreisenden Bewegungen der Stromung zeigten, da? er nicht uber einen riesigen See hin blickte. Die Bucht ma? zwanzig Meilen in der Breite und ebenso viele vom Landvorsprung als Ausgang zum Meer bis zu der Stelle im Norden, wo der Delawareflu? in das weite Becken einmundete. Jenseits einer schmalen Landzunge, welche die kleine Ankerbucht abschirmte und die Sparrow vor jedem vorbeifahrenden Schiff verbarg, wand sich der Flu? in seinem standig wechselnden Strombett an die siebzig Meilen bis zu den Au?enbezirken Philadelphias hinauf.
        Bolitho blickte auf das Geschutzdeck hinunter. Die wachfreien Seeleute hatten in den Speigatten vor der erbarmungslosen Sonne Schutz gesucht, nur da und dort sah man ihre ausgestreckten Beine herausragen. Die Rahen und Wanten waren gleich nach Tagesanbruch mit Asten und Blattern getarnt worden. Sie verwischten die Umrisse des Schiffes und konnten mogliche Beobachter tauschen.
        Zwischen der Sparrow und der Krummung des Ufers pullte ein Kutter qualend langsam auf und ab. Fahnrich Bethune hockte auf der Achterbank und beobachtete die Kuste. Dummerweise hatte er sich bis zum Gurtel ausgezogen. Er wurde es dann spater trotz seiner gebraunten Haut zu bu?en haben.
        Als Bolitho in den Schatten der Hangemattennetze zuruckkehrte, folgte ihm Tyrell.

«Ich wurde gern an Land gehen, Sir.»
        Er wartete, bis Bolitho ihn ansah.»Ich konnte eine Handvoll Leute mitnehmen. Wurde gern nachsehen und herausfinden, was los ist. «Er offnete sein verschwitztes Hemd und holte tief Luft.»Besser, als wie blodes Schlachtvieh auf den Schlachter zu warten.»

«Ich wei? nicht recht. «Bolitho beschattete seine Augen, als ein paar Uferbaume in plotzlicher Bewegung aufschimmerten. Ein gro?er Vogel strich uber die Bucht hinaus. Wieder herrschte Stille.
        Tyrell blieb hartnackig.»Schauen Sie, Sir, ich nehme an, da? die Befehle geheim sind, aber das ganze Schiff wei?, warum wir hier warten. Diese Scouts plauderten frei heraus, sobald sie einen Schluck Rum im Bauch hatten.»
        Ein gezwungenes Lacheln erschien auf Bolithos Zugen.»Das hab' ich mir denken konnen.»

«Ja, es hei?t, da? wir einen Haufen Soldaten, der unterwegs verloren wurde, aufnehmen und retten sollen. «Er zog eine Grimasse.»Kann mir das schon vorstellen. Das hier ist kein Kasernenhof.»
        Bolitho betrachtete Tyrells strenges Profil und erwog seinen Vorschlag. Von den Goldbarren hatte er nichts erwahnt. Sie waren also ein Geheimnis, das Foley nicht einmal seinen eigenen Leuten mitgeteilt hatte. Das war gut so. Einige Manner konnten versucht sein, eher hinter diesem Gold herzujagen, als sich um die Bergung der Vermi?ten zu kummern.

«Nun gut. Suchen Sie sich ein paar Leute zusammen und nehmen Sie die Gig. Sie werden auch Waffen und Proviant brauchen, sonst.»
        Tyrell lachelte.»Sonst ware es zu schlimm fur uns, wenn die Sparrow ohne uns davonsegelte, eh?»

«Es ist ein Risiko. Wollen Sie sich's nicht lieber noch mal uberlegen?»
        Der Leutnant schuttelte den Kopf.»Ich werde sofort losziehen.»

«Ich mu? das im Logbuch berichten«, sagte Bolitho.

«Nicht notwendig, Sir. Wenn ich zu Schaden komme, bleibt die Sache am besten unerwahnt. «Er lachelte traurig.»Ich mochte nicht, da? Sie sich meinetwegen vor dem Seegericht verantworten mussen.»

«Trotzdem werde ich den Bericht machen. «Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Also fahren Sie schon.»
        Die Gig war kaum eine Kabellange entfernt, als Foley mit verzerrtem Gesicht an Deck sturzte.

«Wo fahrt er hin?«Er packte die Wanten und starrte hinter dem kleinen Boot her, dessen Umrisse im wehenden Dunst verschwammen.»Haben Sie ihm die Erlaubnis erteilt?»

«Gewi?.»

«Dann sind Sie ein gro?erer Narr, als ich dachte!«In seiner Sorge verlor Foley die Selbstbeherrschung.»Wie konnten Sie es nur wagen, das auf sich zu nehmen?»

«Oberst Foley, ich zweifle nicht, da? Sie ein ausgezeichneter Feldoffizier sind. Sie sind erfahren genug, um zu wissen, da? die vermi?ten Soldaten entweder tot oder gefangen sein mussen, wenn Ihre Scouts keinen Kontakt mit ihnen aufnehmen konnen. «Er behielt seinen ruhigen Ton bei.»Sie mussen ebenso zur Kenntnis nehmen, da? ich nicht die Absicht habe, Schiff und Besatzung aufs Spiel zu setzen, um einem Plan zu folgen, der bereits gescheitert ist.»
        Foley offnete seinen Mund und schlo? ihn wieder.

«Ich habe meine Befehle«, sagte er matt.»Der General mu? gerettet werden.»

«Und das Gold. «Bolitho konnte seine Bitterkeit nicht verbergen.»Das gewi? doch auch, oder?»
        Foley rieb sich die Augen. In seinem Gesicht zeigte sich plotzlich die Uberanstrengung.»Man mu?te ein Regiment zur Verfugung haben, um dieses Gebiet abzusuchen. Und sogar dann noch. «Seine Stimme verlor sich in undeutlichem Gemurmel.
        Bolitho nahm ein Fernglas und versuchte den flimmernden Sonnenglast zu durchdringen. Von der Gig war nichts mehr zu sehen.

«Mr. Tyrell hat mein volles Vertrauen. Vielleicht wird er etwas entdecken.»
        Foley blickte uber das Deck hin.»Hoffentlich, Kapitan. Sonst werden Sie Ihr Schiff verlieren, und damit wurden all Ihre Sorgen ein Ende haben.»
        Graves erschien auf der Leiter, sah sie beisammen stehen und verschwand wieder. Bolitho runzelte die Stirn. So war er es gewesen, der dem Oberst von Tyrells Unternehmen berichtet hatte.

«Dieser General, wer ist es, Sir?»
        Foley ri? sich von seinen duster brutenden Gedanken los.»Sir James Blundell. Er kam auf einer Inspektionsreise hier heraus. «Er lachte kurz auf.»Damals, als er in New York ankam, gab es weniger zu inspizieren, als er erwartet hatte. In Pennsylvania besa? er ein gro?es Vermogen, genug, um tausend Schiffe wie dieses zu kaufen.»
        Bolitho wandte sich ab. Er hatte noch nie von diesem Mann gehort, aber das war mehr, als er wissen wollte. Bolitho wu?te nun genug. Offensichtlich war Blundell von dem plotzlichen militarischen Ruckzug uberrascht worden, als er seinen personlichen Besitz in Sicherheit bringen wollte. Schlimmer, er hatte seine Tatigkeit als inspizierender General fur seine eigenen Angelegenheiten ausgenutzt und eine Kompanie verzweifelt benotigter Soldaten in Gefahr gebracht.
        Foley blickte ihm einige Sekunden lang in die Augen.»Die Manner bei ihm sind meine Leute - alles, was von einem ganzen Bataillon ubriggeblieben ist. Sie sehen nun, warum ich dies hier unternehmen mu?.»
        Bolitho antwortete leise:»Wenn Sie mir das gleich gesagt hatten, Oberst, ware es fur uns beide besser gewesen.»
        Foley schien nicht zugehort zu haben.»Sie waren die besten Soldaten, die ich hier befehligt habe, und in einem Dutzend Gefechten haben wir zusammengestanden. Bei Gott, in einer Schlachtlinie gibt es niemand, der die englischen Fu?truppen schlagen kann. Sogar ein kleines Karree dieser Leute wird der Elite der franzosischen Kavallerie standhalten.»
        Er deutete zu den waldigen Hugeln hinuber.»Aber hier drau?en sind sie wie verlorene Kinder. Sie konnen nicht gegen Manner antreten, die ihr ganzes Leben in den Prarien und Waldern zugebracht haben, die Tage erlebt haben, da eine einzige Musketenkugel uber Leben oder Verhungern entschied.»
        Bolitho wu?te nicht, wie er die Frage aussprechen sollte. Schlie?lich sagte er langsam:»Aber Sie waren nicht bei Ihren Soldaten, als das alles geschah?»

«Nein. «Foley blickte zwei Mowen nach, die schreiend um die Royal Rahen kreisten. Ich war mit einem Geleitzug nach New York geschickt worden. Er bestand hauptsachlich aus unwichtigen Ausrustungsstucken und Soldatenweibern.»
        Mit harten Augen schaute er Bolitho ins Gesicht.»Und der Nichte des Generals, ich sollte nicht vergessen, sie zu erwahnen. «Schnell sprach er dann weiter:»Selbst auf sicheren Pfaden spurten uns die feindlichen Flankier nach, und es verging kein Tag, ohne da? ein paar arme Teufel von ihren langen Musketen abgeknallt wurden. Bei Gott, ich glaube, manche von ihnen konnen auf funfzig Schritt einer Fliege das Auge herausschie?en!»
        Das Deck bewegte sich leise, und als Bolitho nach oben schaute, sah er den Stander im Masttopp leicht auswehen und dann wieder leblos zusammenfallen. Aber immerhin, es war der erste Hauch einer Brise.

«Ich schlage vor, Herr Oberst, da? Sie sich ein wenig ausruhen, solange Sie noch Zeit dazu haben. Ich werde Ihnen berichten, wenn ich irgend etwas hore.»
        Foley antwortete duster:»Wenn Ihr Mr. Tyrell zuruckkommt. «Aber im selben Atemzug fugte er hinzu:»Das eben war ungerecht von mir. All das hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht, ich bin nicht mehr ich selbst.»
        Bolitho blickte ihm nach, wie er im Niedergang verschwand. Dann setzte er sich auf einen Poller. Wenn nicht bald etwas geschah, mu?te Foley neue Entscheidungen treffen. Wenn Tyrell nicht zuruckkehrte und das ganze Unternehmen scheiterte, konnte er nach seiner Ruckkehr nach Sandy Hook nicht mehr viel von seiner Zukunft erhoffen. Den ganzen Nachmittag uber bis in den Abend hinein lag die Sparrow wie festgenagelt in greller Sonnenglut. Die Decks waren so hei?, da? man mit dem Fu? im aufgeweichten Teer der Nahte hangenblieb, und die Geschutzrohre waren erhitzt wie nach einem vielstundigen Gefecht. Die Wachen wechselten, Posten zogen auf und wurden abgelost. Nichts war zu horen oder zu sehen.
        Der erste rosige Abendschimmer hatte sich uber der Bucht niedergelassen, und die Hugel schimmerten in tiefem Purpur, als Foley wieder an Deck erschien.

«Es bleibt uns nichts mehr zu tun«, sagte er niedergeschlagen.
        Bolitho bi? sich die Lippen. Tyrell war nicht zuruckgekehrt. Vielleicht war er schon in Richtung Suden uber Land unterwegs. Oder er fuhrte gar amerikanische Kundschafter in diese Bucht. Er schuttelte sich wie ein Hund. Seine Mudigkeit, seine Enttauschung zerrten an seinen Widerstandskraften, an seinem Vertrauen.
        Fahnrich Heyward stand am Steuerbordschanzkleid. Wie im Halbschlaf lehnte er an den Planken. Plotzlich fuhr er hoch.

«Die Gig, Sir«, rief er mit heiserer Stimme.»Sie kommt von der Landzunge her!»
        Bolitho rannte zu ihm hin. Es war ihm gleichgultig, ob Tyrell etwas entdeckt hatte oder nicht. Er war zuruckgekommen, das war mehr als genug.
        Als die Gig langsseits kam, sah er die Ruderer wie Marionetten in den Duchten hangen. Ihre Gesichter und Arme sahen wie rohes Fleisch aus. Tyrell kletterte mit verdreckten Fu?en und Beinen auf das Achterdeck. Seine Kleider waren zerrissen.
        Schwerfallig begann er seinen Bericht:»Ihre Scouts konnten die vorausgeschickten Manner nicht finden, Oberst. Aber wir haben sie entdeckt.»
        Er nahm eine Wasserkanne und schluckte in tiefen Zugen.»Sie sind alle tot. Flu?aufwarts in einem ausgebrannten Fort.»
        Foley starrte auf die dusteren Baume hinter der Bucht.»So sind also meine Leute immer noch auf der Suche.»
        Tyrell beachtete ihn nicht.»Wir pullten die Gig den Flu?arm hinauf. Stie?en zufallig auf dieses alte Fort. Aber leider ist das noch nicht alles.»
        Bolitho wartete. Er konnte ihm die Anstrengungen und die Qual uber das Gesehene deutlich ansehen.
        Langsam fuhr Tyrell fort:»Gerade ein Stuckchen den Kanal hinauf liegt gro? und breit eine verdammte Fregatte!«Foley warf sich herum.»Amerikanisch?»

«Nein, Oberst, nicht amerikanisch. «Er blickte Bolitho ernst an.»Ihrem Schnitt nach ein Franzmann. Keine Flagge. Also wohl ein Kaperschiff.»
        Bolitho zwang seine rasenden Gedanken zur Ruhe. Hatten sie sich unter Tyrells ortskundiger Fuhrung nicht so heimlich in die Bucht geschlichen, waren sie der Fregatte vor die Kanonen gelaufen, oder sie waren vor Anker liegend angegriffen worden.
        Tyrell redete weiter:»Es sieht also so aus, als ob Ihr General in Gefangenschaft geraten ist, Oberst. Hat nicht viel Zweck, hier so lange zu warten, bis es uns genauso geht, eh?»

«Konnten Sie ausmachen, was sie taten?»
        Bolitho versuchte sich den gro?en Flu? vorzustellen, der um die Landzunge herumstromte. Die Fregatte ankerte in der Gewi?heit, da? sie jeden Angreifer aus jeder Richtung abwehren konnte.
        Tyrell zuckte die Achseln.»Am Strand waren Spuren zu sehen. Ich nehme an, da? sie mit Booten ans Land gerudert sind, um Frischwasser aufzunehmen. Aber kein Zeichen von Gefangenen.»

«So mussen wir also vermuten, da? die gesuchten Soldaten immer noch vermi?t sind.
«Bolitho blickte den Oberst an.»Ich glaube, da? die Fregatte Anker lichten wird, sobald der Wind einfallt. Sie wird es kaum wagen, bei Nacht auszulaufen. Wir sind also bis zur Morgendammerung sicher, danach. «Er kam nicht mehr dazu, seinen Satz zu Ende zu sprechen.

«Kutter signalisiert, Sir«, rief Heyward.
        Alles wandte sich um und starrte zur dunklen Kuste hinuber. Mit weit ausholenden Riemen hielt der Kutter auf das Land zu. Am Ufer stand eine einzelne Gestalt, die mit ihrer Muskete Bethune zuwinkte. Es war einer von Foleys Scouts.

«Ich mu? sofort an Land«, schnappte Foley. Er rannte auf die Schanzkleidpforte zu. Sie haben den General gefunden!«Bolitho eilte hinter ihm her und kletterte, gefolgt von Stockdale, in die Gig.
        Kurz vor dem Ufer fuhr das Boot im seichten Wasser auf. Bolitho sprang uber das Dollbord und watete durch das klare Wasser an Land. Eine Sekunde lang blitzte in seinem Gehirn der Gedanke auf, da? er seit Monaten zum ersten Mal wieder festen Boden unter den Fu?en hatte. Er wartete unter einem Baum, wahrend Foley den Scout ausfragte. Sicher wurde es den Kanadier verwirren, wenn sie beide vor ihm stunden. Foley schritt auf Bolitho zu. Seine Stiefel knirschten im Sand.

«Sie haben ihn gefunden. «Er wies auf die finstere Mauer des Waldes.»Die erste Abteilung wird in etwa einer Stunde hier sein.»

«Die erste Abteilung?«Bolitho bemerkte die Verzweiflung in Foleys Augen.

«Der General kommt mit meinen Kundschaftern und allen gesunden Mannern. «Er seufzte tief auf.»Aber etwa sechzig Kranke und Verwundete folgen in langsamem Marschtempo nach. Sie sind seit Tagen standig unterwegs. In der vorletzten Nacht gerieten sie in einer Schlucht in einen Hinterhalt. Sie konnten ihre Angreifer zurucktreiben. Der General sagt, es seien Franzosen gewesen. Wahrscheinlich von dieser Fregatte.»
        Bolitho versuchte sich vorzustellen, was das alles fur die kranken und verletzten Soldaten bedeutete. Sie wu?ten nicht, wo sie waren, ob sie mit dem Leben davonkamen.

«Die Katze ist jetzt aus dem Sack. Die Fregatte scheint einen Bergungsversuch zu erwarten.»
        Foley seufzte.»Ja, ich bin auch Ihrer Meinung. Was werden Sie nun tun?»
        Bolitho antwortete nicht sofort. Er winkte Bethune heran, der dem erschopften Kundschafter seine Wasserflasche reichte.

«Fahren Sie sofort zum Schiff zuruck. Sagen Sie Mr. Tyrell, er soll sich bereit halten, die erste Abteilung in einer Stunde an Bord zu nehmen. Ich mochte eine vollzahlige Wache mit allen Booten an Land haben. Alles mu? reibungslos vor sich gehen, und ich will, da? diese Manner gut untergebracht werden. Selbst, wenn wir unsre Vorrate uber Bord werfen mu?ten.»
        Der Fahnrich rannte zum Kutter. Seine Schultern gluhten wie eine uberreife Frucht.

«Es ware ein Wunder, wenn wir sie rechtzeitig aufnehmen konnten«, sagte Foley mit ruhiger Stimme.
        Bolitho lachelte.»Es geschehen Wunder, Oberst, manchmal. «Er ging zur Gig. Seine Mudigkeit war vergessen. Er bemerkte, da? Foley ihm nicht folgte, sondern noch immer bei dem Scout stand.»Ich gehe landeinwarts«, rief der Oberst ihnen nach.»Ich will zu meinen Leuten oder zu dem Rest, der von ihnen ubriggeblieben ist. «Sein scharlachroter Rock verschwand zwischen den Baumen, und er war verschwunden.
        General Sir James Blundell lehnte sich in einen von Bolithos Stuhlen zuruck und hielt seinem Burschen ein Bein hin.

«Um Himmels willen, ziehen Sie mir diese verdammten Stiefel aus. «Er starrte zur Kajutslampe hinauf und fugte hinzu:»Ich konnte was zum Trinken vertragen. Mir ist staubtrocken zumute!«Er verfluchte seinen Burschen und stie? ihm seinen Stiefel zwischen die Schultern.»Langsam, Sie verdammter Trottel!»
        Foley wandte sich ab und blickte Bolitho an, der an der Tur stand. Zorn und Uberraschung waren aus seinen Augen zu lesen.

«Konnten Sie fur den General irgend etwas herrichten lassen?«Bolitho nickte und sah Fitch hinweghuschen, um Wein zu holen. Alles kam ihm wie ein Alptraum vor.
        Als der letzte Schimmer des Tageslichts verschwand, waren die Soldaten, die den General begleiteten, am Ufer erschienen.
        Sogar die Seeleute, die Augenblicke zuvor noch Witze gerissen und plaudernd ihre au?ergewohnliche Freiheit auf festem Boden genossen hatten, waren still und schweigsam geworden.
        Abgerissen und verdreckt hatten sich die Infanteristen wie gehorsame Tiere in Reihen aufgestellt. Ihre roten Rocke waren durch Gewaltmarsche und kurze Ruhepausen im Unterholz arg mitgenommen. Andere Soldaten folgten mit den Packtieren, die so uberladen waren, da? es allen wie ein Wunder vorkam, da? sie nicht langst zusammengebrochen waren.
        Bolitho war mit Dalkeith am Ufer gewesen und hatte die Versorgung und die ersten Vorbereitungen fur diese vielen Leute erlautert. Schweigend hatte er das versteinerte Gesicht Foleys beobachtet, als ein Leutnant auf ihn zutaumelte, um Meldung zu erstatten. Er hatte die Regimentsfahne um die Schultern gebunden, sein Degen baumelte an einem Strick von seinem Handgelenk. Foley brachte kein Wort heraus. Er klopfte dem Leutnant nur leicht auf die Schulter und nickte den stumpfaugigen Soldaten am Waldrand zu. Dann hatte er sich an Bolitho gewandt.

«Um Himmels willen, tun Sie, was moglich ist, fur diese armen Teufel. «Als die Seeleute herbeikamen, um den Soldaten in die Boote zu helfen, war die letzte Widerstandskraft der Infanteristen gebrochen. Entlang der schwankenden Linie roter Rocke waren Manner zusammengebrochen wie leblose Korper. Andere starrten die sonnengebraunten Seemanner sprachlos an. Uber ihre schmutzigen Gesichter rannen Tranen, und als ob sie Boten des Heils sahen, streckten sie ihnen ihre zerschundenen Hande entgegen.
        Bewegt und voll Mitleid hatte Bolitho zugesehen, wie sie durch das seichte Wasser zu den Booten torkelten. Der Leutnant trug die Farben seines Regiments um die Schultern, wie er es wohl schon den ganzen weiten Weg von Philadelphia her getan hatte. Er versuchte, einen Rest von Selbstbeherrschung zu zeigen, aber Verzweiflung und Unglaubigkeit straften seine Haltung Lugen.
        Nun in der Kajute, da Bolitho den General beobachtete, fiel es ihm schwer, die Gegensatze miteinander in Verbindung zu bringen. Blundell war ein rundlicher, doch kraftvoll gebauter Mann. Von etwas Schmutz an seinen Stiefeln abgesehen, sah seine Uniform sauber und wie frisch gebugelt aus. Sein eisengraues Haar war ordentlich gekammt, und sein wuchtiges, rosiges Gesicht mu?te noch am selben Tag rasiert worden sein.
        Bis jetzt hatte er fur Bolitho kaum mehr als einen nachlassigen Blick ubrig gehabt und sich damit begnugt, seine Anspruche durch Foley ausrichten zu lassen.
        Er versuchte den Wein auf der Zunge und schnitt eine Grimasse.»Ich nehme an, da? man auf einem so kleinen Schiff nicht allzuviel erwarten kann, was?»
        Foley blickte Bolitho an. Sein verzweifelter Gesichtsausdruck verriet fast physischen Schmerz.
        An Deck und tief im Rumpf drinnen wimmelte es auf dem Schiff voll Leben. Stiefel trampelten, rauhe Befehle erklangen, und uber den Booten knarrten und quietschten die Taljen.

«Sie hatten die Manner zur Arbeit einteilen sollen, Foley. Es ist widersinnig, sie wie Gutsherren herumlungern zu lassen.»

«Meine Leute konnen mit dem Laden allein fertig werden, Sir«, meinte Bolitho.

«Hm. «Der General schien ihn zum erstenmal zu bemerken.»Schon, vergewissern Sie sich, da? jedes Maultier genau uberpruft wird. Irgendeinem blodsinnigen oder habgierigen Trottel konnte es einfallen, etwas aus den Lasten zu stehlen. In diesen Packtaschen steckt eine Riesensumme. Bedenken Sie das alles, bevor Sie mir melden, da? Sie klar zum Absegeln sind.»
        Graves erschien in der Tur.»Alle Soldaten an Bord, Sir. Einigen geht es ziemlich schlecht.»
        Bolitho ri? seine Augen von dem General los, auf dessen Lippen einige Weintropfen glanzten.

«Der Koch soll die Kombusenfeuer anzunden, Mr. Graves. Die franzosische Fregatte wird es selbst dann, wenn Wind aufkommt, nicht wagen, in der Dunkelheit Anker zu lichten. Ich mochte, da? diese Leute etwas Warmes zu essen bekommen. Wahrend sie warten, sollen sie auch etwas Rum haben. Sagen Sie Mr. Lock, er soll alles bereitstellen.»
        Er dachte an die taumelnden Manner, an die zusammengesunkenen Rotrocke am Ufer. Und dies war die Abteilung der» gesunden «Leute!
        Foley fragte ruhig:»Wann werden Sie Anker lichten, Kapitan?»
        Bolitho fiel die Qual in seinen Augen auf und das Zogern, mit dem er die Frage widerwillig hindehnte.

«Wie mir mitgeteilt wurde, stehen Tide und Stromung eine Stunde nach der Morgendammerung gunstig fur uns.»
        Der General machte mit dem erhobenen Weinglas eine plotzliche Bewegung, so da? der Bursche den Wein aus der Karaffe uber die Planken go?.

«Zum Teufel, von was reden Sie eigentlich?«Er rappelte sich im Stuhl hoch.»Sie konnen sofort segeln. Ich horte, wie Ihre Leute sagten, die Zeit sei jetzt ebensogut zum Auslaufen.»
        Bolitho blickte ihm kalt ins Gesicht.»Das ist nur teilweise richtig, Sir. Aber wenn ich zu warten habe, bis die Verwundeten und Kranken die Bucht erreichen, so mu? ich mich auf die nachste Tide einstellen. «Seine Stimme wurde harter.»Ich habe meinen Ersten Leutnant mit vierzig Mann losgeschickt, um ihnen auf dem Marsch hierher zu helfen. Ich bete zu Gott, da? wir ihnen noch mehr Leiden ersparen konnen.»
        Der General kam wankend auf seine Fu?e, seine Augen blitzten zornig.»Foley, sagen Sie diesem jungen Emporkommling folgendes: Weiter oben im Fahrwasser liegt ein feindliches Schiff, und es darf keine Zeit vertan werden. Ich habe in den letzten paar Tagen genug mitgemacht, und ich befehle Ihnen, da? Sie…»
        Bolitho fiel ihm ins Wort:»Meine Befehle, Sir, lauten, da? ich bei diesem Unternehmen das Kommando uber den Transport habe. Diese Befehle machen keinen Unterschied zwischen Goldbarren und Menschen.»
        Der Zorn rumorte ihm im Magen wie Brandy.»Das bezieht sich auch auf die Leute, die zu schwach und krank sind, um fur sich selbst zu sorgen. Ist es nicht so, Oberst?»
        Foley starrte ihn an. Seine Augen lagen im Schatten. Als er zu sprechen anfing, war seine Stimme verandert, heiser.

«Es ist wahr, Kapitan. Sie haben das Kommando. «Er fuhr herum und wandte sich gegen seinen erstaunten Vorgesetzten.»Wir, Sir James, sind ebenso Fracht.»
        Bolitho drehte sich um und verlie? die Kajute. An Deck schien ihm die Luft reiner zu sein, und er blieb an der Reling uber einen Zwolfpfunder gelehnt einige Minuten regungslos stehen.
        Unten auf dem Geschutzdeck bewegten sich uberall Leute, und von der Kombuse wehte der Geruch geschmorten Fleisches heruber. Sogar Lock mu?te wohl von dem Anblick der abgerissenen, erschopften Soldaten so uberwaltigt sein, da? er den Koch nicht zuruckhalten mochte.
        Bolitho horte Foleys Stiefel neben sich, aber er wandte sich nicht um.

«Vielen Dank, Kapitan, von mir und meinen Mannern. Und von jenen, die ihr Leben Ihrer Menschlichkeit verdanken - und Ihrem Mut. «Als Bolitho sich umdrehte, hielt er ihm seine Hand hin.»Wegen dieser Haltung konnen Sie Ihre ganze Laufbahn aufs Spiel setzen. Sie wissen das sehr gut.»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Lieber das, als mit einer ublen Erinnerung leben.»
        Irgendwo im Finstern erscholl ein Ruf, und ein Kutter wurde auf die Kuste zugerudert.

«Ich konnte diese Manner nicht zurucklassen. «Er schritt zu den Wanten.»Wenn notwendig, werde ich eher das Gold uber Bord werfen lassen.»

«Ja, Kapitan, ich glaube Ihnen.»
        Aber Foley hatte in die leere Finsternis gesprochen. Als er die Reling erreichte, sah er die Gig schon unterwegs zum Ufer. Und Bolitho sa? neben Stockdale an der Pinne. Der Oberst spahte aufs Geschutzdeck hinunter. Wo wurden all die Leute untergebracht werden? Er horte das Quietschen der Riemen, als das erste Boot von der Kuste ablegte. Eines schien ihm sicher. Bolitho wurde irgendwo Platz schaffen und wenn es ihn seinen Rang kosten sollte.



        VII Wagen oder Sterben

        Bolitho offnete seine Augen und starrte auf die Schale dampfenden Kaffees, die Stockdale ihm uber die Kojenkante reichte. Muhsam setzte er sich auf. Seine Gedanken versuchten mit den au?ergewohnlichen Umstanden zurechtzukommen. Drau?en begann es bereits zu dammern. Er befand sich in der kleinen Kajute Tyrells, die durch eine Stellwand vom Me?raum abgetrennt war, und als er die Tasse an seine Lippen hielt, konnte er sich noch immer nicht erinnern, wie er hierher gekommen war.
        Stockdale wisperte heiser:»Sie haben eine gute Stunde lang geschlafen, Sir. Ich wecke Sie nur sehr ungern auf. «Er zuckte schwerfallig die Achseln.»Aber Ihr letzter Befehl war, alle Manner vor Dammerung zu wecken.»
        Bolithos wirre Gedanken klarten sich plotzlich. Er spurte jetzt die ungleichma?ige Bewegung um sich, das Achzen von Stagen und Wanten.

«Der Wind, wie ist er?«Er warf seine Beine uber die Kojenkante und versuchte, ein Gefuhl der Unsauberkeit und Zerschlagenheit zu uberwinden.

«Legt zu, Sir. «Stockdales Stimme klang unglucklich.»Aus West.»

«Verdammt. «Bolitho hielt die Tasse noch in der Hand, als er sich aus der Kajute sturzte. Beinahe ware er uber eine Reihe schlafender Soldaten gestolpert. Obwohl er sich so rasch wie moglich ein Bild von der Lage machen mu?te, blieb er einen Augenblick bewegungslos stehen und starrte sie an. Er erinnerte sich an die langen Nachtstunden, an den Strom kranker und verwundeter Soldaten, den seine Seeleute an Bord geleitet hatten. Einige wurden den nachsten Tag nicht mehr erleben, andere, von Fieber oder der Qual faulender Wunden gepeinigt, waren zu Skeletten abgemagert.
        Immer noch fuhlte er in sich jenen kalten Zorn und die Scham, als es ihm bewu?t geworden war, da? die meisten dieser Manner auf den Maultieren hatten transportiert werden konnen, anstatt in der Nacht Schritt fur Schritt hinter ihren Kameraden hertaumeln zu mussen. Dieser General!
        Er stieg uber die erschopften Menschen zum Achterdeck hinauf. Tyrell kam sofort auf ihn zu.

«Sie wissen schon uber den Wind Bescheid, Sir?»
        Bolitho nickte und ging zu den Wanten. Die Bucht lag im blassen Morgenlicht wie aufgerauhter Stahl. Kleine Wellen schlugen gegen den Schiffsrumpf und schoben sanft, doch stetig, so da? die Ankertrossen straff gespannt waren.
        Buckle erschien an seiner Seite. Sein Gesicht war grau vor Mudigkeit.»Wir konnen nicht einmal den kleinsten Fetzen Segel setzen, Sir. Wir haben die Kuste genau in Lee. «Bolitho starrte uber die Backbordseite zu dem dunklen Landstreifen, der sich in der Dammerung immer deutlicher abzeichnete, dann zu dem Vorsprung, um den der Flu? und das tiefe Fahrwasser herumstromten.

«Wir werden bleiben mussen, wo wir sind, und konnen nur hoffen, da? der Franzmann das gleiche im Sinn hat«, meinte Graves. Aber seine Stimme war voller Zweifel.
        Bolitho schuttelte den Kopf. Leise sprach er seine Gedanken aus.»Der Franzose wird denken, da? wir hier sind, auch wenn er unsre Starke nicht genau kennt. In jedem Fall wird er bald Anker lichten und in offenes Wasser auslaufen. Wenn er uns im Vorbeisegeln sieht, wird er ohne Zogern seine Breitseiten auf uns abfeuern.»
        Er spahte zu den Rahen hinauf, wo einige Toppsgasten die letzten Reste der Laubtarnung uber Bord warfen. Uber ihren Kopfen deutete die Spitze des Standers auf das Ufer zu, und die Bucht enthullte im fahlen Licht wieder ihre Formen. Bolitho sah die vielen Fu?stapfen, die kleinen Erdhugel, wo einige Soldaten, die Rettung bereits vor Augen, gestorben waren und begraben lagen. Rettung! Er rieb sich das Kinn und versuchte, folgerichtig zu denken.
        Waren sie erst drau?en in der Delaware Bay, konnten sie Segel setzen und zur Ausfahrt in die offene See hinauskreuzen. Anderseits lag der Franzose gunstiger zur Windrichtung. Er konnte, wenn er wollte, sogar ankern und die Sparrow, die hilflos in der kleinen Bucht lag, zu einem Wrack zusammenschie?en. Wenn sie sank, wurden ihre Masten uber die Wasseroberflache ragen. Eine grausige Vorstellung!
        Bolitho kam zu einem Entschlu?.»Mr. Tyrell, lassen Sie den Warpanker ausbrechen und alle Boote an Bord hieven.»
        Er blickte auf die Laschings mit den langen Riemen.»Wir werden sehen, was wir heute damit ausrichten konnen.»
        Sobald das Schiff vom Warpanker frei war, schwoite es achteraus auf die Kuste zu. Die Stromung wirbelte um seinen Bug, als ob es schon in Fahrt ware Auf dem Geschutzdeck drangten sich viele Manner, und Bolitho wu?te, da? unter Deck jeder freie Platz von erschopften Soldaten belegt war. Er sah, wie die Gig uber das Schanzkleid gehievt und dann sauber auf ihre Bettung zwischen den Kuttern gesetzt wurde. Die Seeleute arbeiteten ungewohnlich schweigsam und blickten gelegentlich zu ihm herauf, als ob sie seine Plane erraten wollten. Im wachsenden Tageslicht konnte er bereits die Gesichter erkennen, und er stellte fest, da? er nun die meisten Manner mit ihren Namen kannte. Die Zuverlassigen und die Faulen, die Unzufriedenen und jene, deren Pflichtbewu?tsein zwischen verschiedenen Graden hin- und herpendelte. Er erinnerte sich an jenen Tag, da ihm alle fremd waren und Graves die Abwesenheit Tyrells entschuldigte. Es schien ihm schon eine Ewigkeit seitdem vergangen zu sein.

«Die Boote sind festgezurrt, Sir«, meldete Tyrell.
        Bolitho lehnte sich uber die Reling. Das Holz war feucht und klamm, aber in ein paar Stunden wurde es hei? wie ein Schurhaken sein - falls es noch uber Wasser war.

«Leute, ihr alle wi?t von dieser Fregatte«, begann Bolitho.»Sie liegt dort flu?aufwarts und la?t sich eine Menge Zeit, wie es die Franzosen am fruhen Morgen gewohnt sind.»
        Er machte eine kleine Pause und bemerkte, da? sich einige altere Leute zunickten und uber seinen matten Scherz grinsten.

«Ihr konnt auch leicht sehen, da? wir die Segel nicht setzen konnen, ohne auf die Kuste getrieben zu werden. Aber wenn Soldaten den weiten Weg uber Land bis zu uns marschieren konnen, dann meine ich, bringen wir es auch fertig, sie nach Hause zu fahren. Was meint ihr dazu?»
        Einen endlos langen Augenblick sprach und bewegte sich niemand, und er fuhlte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. Warum auch sollten sie sich einsetzen? Nach seiner abweisenden Haltung nach dem Gefecht mit der Brigg mochten sie seine Worte nur wieder als eine neue Abfuhr betrachten.
        Uberraschenderweise war es der Bootsmann, der als erster das Schweigen brach. Er sprang auf das Backbordschanzkleid und brullte mit einem Gesicht, das grotesk wie eine erhitzte Kanonenkugel gluhte:»Auf was wartet ihr noch, meine Lieblinge? Ein Hurra fur den Kaptn und ein Hurra fur die Sparrow!»
        Das Hurragebrull breitete sich uber das Deck und bis zu den Toppsgasten auf den Rahen aus. Es pflanzte sich fort zu den verwirrten Soldaten unter Deck, die auf jedem Fu?breit in den uberfullten Raumen zusammengepfercht lagen.
        Tilby grolte weiter:»Und zum Teufel mit diesen Schei?franzosen!«Er schnitt bereits die Laschen vom nachstbesten Riemen, stie? die Manner an die Arbeit, jagte andere das Schanzkleid entlang, um die Pforten zu offnen. Als sich Bolitho umdrehte, sah er das breite Grinsen Tyrells und Buckle, der uber das ganze Gesicht strahlte, als ob sie bereits auf hoher See unter vollen Segeln dahinrauschten. Sogar Graves lachelte.

«Klar bei Ankerspill«, sagte Bolitho. Er wunschte, da? sie jetzt mit ihrem Hurragebrull aufhorten, da? Tyrell seinen Befehl weitergeben wurde und ihn seinen Gedanken uberlie?.»Lassen Sie bitte die Riemen auslegen.»
        Tyrell rief die Befehle aufs Geschutzdeck hinunter. Die Ruderganger bezogen Posten am Ruderrad, das Ankerspill fing an, sich langsam zu drehen. Dann wandte er sich an Bolitho:»Die Kerls werden Sie nicht im Stich lassen, jetzt da sie gesehen haben, was Sie fur diese armen Rotrocke getan haben. Jetzt nicht, niemals, Kaptn!»
        Bolitho brachte es nicht fertig, ihn anzusehen. Statt dessen starrte er an der Backbordseite uber die schwankende Reihe der Riemen hin, die uber dem wirbelnden Wasser in der Schwebe gehalten wurden wie die Ruder einer alten Galeere. Es wurde einer gewaltigen Kraftanstrengung bedurfen, die Sparrow in die Bay hinauszurudern. Bei diesem Gegenwind und mit der toten Last all ihrer Kanonen und ihrer zusatzlichen Passagiere konnte es vielleicht gar unmoglich sein.

«Riemen bei!»
        Die Riemen schwangen vorsichtig nach vorn. Die Seeleute hielten die Rundholzer fest gepackt und suchten mit ihren nackten Zehen Halt auf dem Deck.

«Anker frei!«Graves rannte zwischen den Seeleuten nach achtern und schrie:»Schiff treibt ab, Sir!»

«Ruder an!«Tilby warf sein ganzes Gewicht auf den letzten Riemen. Seine vorspringenden Muskeln zeigten seine ungeheure Kraftanstrengung.

«Hievt! Vorwarts Kerls! Hievt! Und noch einmal!»
        Im Takt hoben und senkten sich die Riemen, schlugen und peitschten das Wasser, um die Abtrift zur Kuste aufzuhalten. Und dann, qualvoll langsam, kam die Sparrow unter Kontrolle und nahm Fahrt auf.

«Mr. Buckle, ubernehmen Sie das Ruder!«schrie Bolitho. Dann wandte er sich an Tyrell:»Alle Offiziere, alle Mann an die Riemen! Alle!»
        Als der Anker verkattet war, fuhrte auch Graves seine Abteilung an die Riemen. Andere glitten an den Backstagen aus dem Rigg oder kamen von ihren Stationen gerannt, um den Ruderern zu helfen.
        Bolitho versuchte, nicht nach der Landzunge zu sehen, die sich im Morgenlicht jetzt grun und braun farbte.
        Die Peilung stand, und die Korvette kam kaum voran. Doch schon schnappten die Manner nach Luft. Nur Buckle und Bolitho selbst halfen nicht an den Riemen. Der Wind war zu stark, die Stromung zu stetig.
        Tyrells Stimme klang wie eine Trompete.»Hievt! Hievt! Und noch einmal, Leute!«Aber es war umsonst.
        Mit matter Stimme rief Buckle:»Wir werden wieder ankern mussen, Sir. Wir schaffen's nicht.»
        Schon verloren einige Seeleute ihren Halt und fielen fast aus der Reihe der Ruderer. Da ertonte plotzlich uber dem Quietschen und Platschen der Riemen eine starke, durchdringende Stimme:»Hierher, schnell! Verteilt euch unter die Seeleute!

        Bolitho starrte unglaubig. Foley sprang an Deck und hinter ihm folgten in Zweierreihen - einige hinkend, andere mit verbundenen Augen - die Reste seiner Kompanie.
        Foley blickte zu Bolitho hinauf.»Die Einundfunfziger haben es nie versaumt, die Marine auszustechen, Kapitan!»
        Er stutzte einen Mann, der hinter ihm hertastete.»Kurzlich haben Sie von Wundern gesprochen. Aber manchmal brauchen auch diese eine kleine Hilfe.»
        Er wandte sich ab und packte neben einem Bootsmannsmaat das Ende eines Riemens.
        Bolithos Hande umklammerten die Reling. Er versuchte sein Gesicht zu verbergen, aber er konnte seine Augen nicht von den vereinten Anstrengungen der Manner losrei?en.

«Ich kann jetzt steuern, Sir«, rief Buckle heiser.»Das Ruder spricht an.»
        Leise sagte Bolitho:»Der Oberst hat mir gesagt, er konne mit den richtigen Mannern den halben Kontinent erobern. Mit diesen Leuten da konnte er die Welt gewinnen.»
        Als er uber das Schanzkleid schaute, sah er, da? die Landzunge langsam an der Steuerbordseite vorbeizog, und als Buckle sehr vorsichtig Ruder legte, wies der Kluverbaum allmahlich ins freie Fahrwasser hinaus.
        Da und dort fiel ein Mann erschopft und ausgepumpt von den Riemen, doch der Schlag geriet kaum ins Stocken.
        Als sich die Sonnenscheibe schlie?lich uber die fernen Hugel erhob, war die Sparrow drau?en in der Bay.

«Toppsgasten aufentern! Klar zum Segelsetzen!»
        Der Kluver knatterte und flappte zornig, spannte sich dann zu einem straffen Bogen, und als die langen Riemen durch die Pforten eingeholt wurden, neigte sich das Deck in leichtem, doch befriedigendem Winkel.

«Gehen Sie auf Steuerbordbug, Mr. Buckle. So hoch an den Wind, wie Sie konnen. Wir brauchen moglichst viel Leeraum, um an Kap May vorbeizuschlupfen.»
        Tyrell kam aufs Achterdeck und stellte sich neben den Kompa?. Seine Augen beobachteten gespannt die Kustenlinie. Er sah sonderbar zufrieden aus.
        Er bemerkte, wie Bolitho ihn beobachtete.»Es war ein gutes Gefuhl, wieder einmal an Land gewesen zu sein. In England wurden Sie das gleiche empfinden.»
        Bolitho nickte ernst. Vielleicht war Tyrell doch in Versuchung geraten. Aber er war zuruckgekommen, und das allein zahlte.

«Sie haben gute Arbeit geleistet, Mr. Tyrell, alle taten, was sie konnten!»
        Tyrell grinste trage.»Wenn Sie mir die Freiheit verzeihen wollen, Sir, Sie selbst sind auch kein huflahmer Gaul.»

«Wahrschau an Deck! Segel steuerbord querab!»
        Bolitho blickte Buckle an.»Der Franzmann ist schneller hinter uns her, als ich dachte. Lassen Sie bitte die Royals setzen!«Er ging uber das schrag geneigte Deck zur Reling und beschattete seine Augen.»Wir werden ihm schon etwas bieten fur sein Geld.»
        Tyrell grinste immer noch.»Sie meinen wohl fur des Generals Geld?»
        Bolitho schaute an seinen schmutzigen Hosen hinunter.»Ich gehe jetzt und la? mich rasieren. «Auch in ihm steckte immer noch die frohliche Stimmung.»Fur den Fall, da? wir heute morgen noch Besuch bekommen, eh?»
        Buckle sah ihn gehen.»Den kann aber auch nichts aus der Ruhe bringen!»
        Tyrell spahte mit kritischem Blick zu den Toppsgasten hinauf. Er erinnerte sich an Bolithos Gesicht, als die verwundeten Soldaten an Deck getaumelt waren, um den Seeleuten an den Riemen zu helfen. In diesen wenigen Minuten hatte er hinter die zerbrechliche Gelassenheit geblickt und hinter der au?eren Hulle des Kommandanten den wirklichen Menschen entdeckt. Er murmelte vor sich hin:»Sie sollten dessen nicht so sicher sein, Mr. Buckle. Er fuhlt alles genauso wie jeder Mann an Bord.»
        Bolitho schob das Teleskop zusammen und lehnte sich gegen ein Belegnagelbrett.

«Andern Sie Kurs um zwei Strich, Mr. Buckle. Steuern Sie genau Ost.»
        Vom Sichten der Fregatte bis zu dem Augenblick, da sie Kap May gefahrlich nahe umrundet hatten, waren zwei Stunden vergangen. Der au?erste Sporn dieser elenden Landzunge lag kaum zwei Kabellangen entfernt in Lee, als sie in die freie See hinausbrausten. Sie waren so dicht unter der Kuste gesegelt, da? sie den Rauch eines Feuers an Land und das Blitzen eines verborgenen Fensters oder eines Fernglases in der Sonne gesehen hatten.
        Es war Bolitho recht schwergefallen, still in einem Me?raumstuhl zu sitzen, wahrend Stockdale ihn rasierte und ein sauberes Hemd herauslegte.
        Nun endlich stand er wieder an Deck, beobachtete die Seeleute, die an die Brassen eilten, sah, wie sich das Bugspriet vor dem straff gespannten Rigg hob und senkte. Er fragte sich, warum er sich gezwungen hatte, so viel Zeit unter Deck zu vergeuden. War es Stolz oder Selbstgefalligkeit oder das Bedurfnis, sich wenigstens fur ein paar Minuten zu entspannen? Oder fuhlte er die Notwendigkeit, auf seine Manner solch einen ruhigen Eindruck zu machen, da? er an seine Bequemlichkeit denken konnte?
        Als die Korvette nun immer mehr abfallen konnte, bis die Brise genau von achtern einfiel, fuhlte er, wie sich jede Spiere, jede Planke der Bewegung anpa?te. Er sah, wie die Gro?rah sich uber dem Achterdeck wie ein riesiger Bogen spannte. Die Toppsgasten, die mit gespreizten Beinen in den Fu?pferden standen, kummerten sich nicht um das Vibrieren der Takelage. Sie dachten nicht an Vorsicht, obwohl doch jeder falsche Tritt augenblicklichen Tod bedeutete oder auch die furchtbare Qual, zusehen zu mussen, wie das Schiff davonpflugte und den Gesturzten in der weiten Wuste des Meeres allein ertrinken lie?.

«Kurs liegt an, Sir, genau Ost!»
        Bolitho warf einen Blick auf den Kompa? und prufte sorgfaltig den Trimm der Segel. Jeder Zoll des Tuchs war voll gespannt, die Wolbungen so rund und straff, da? sie zu bersten schienen.
        Er winkte mit dem Fernglas.»Noch einen Pull an der Backbordbrasse der Fock, Mr. Tyrell. Lassen Sie dann belegen!»
        Wahrend die Manner herbeiliefen, um den Befehl auszufuhren, blickte er wieder zuruck. Schon als sie noch aus der Bucht herauskreuzten, hatte der Feind aufgeholt. Die Sparrow hatte viel Zeit verloren, um sich von der Landspitze freizusegeln. Bolitho legte sein Fernglas auf der Reling auf. Ihr Verfolger stob und stampfte uber die spruhenden Wellenkamme. Die Fregatte war in fliegenden Gischt gehullt, und die See wusch bis zu ihren Geschutzpforten hinauf, wahrend sie auf Steuerbordbug dahinraste und ihren schlanken Rumpf und die Pyramiden ihrer vollen Segel zeigte. Sobald sie die offene See erreicht hatte, setzte sie die Royals und hielt nun auf tieferes Wasser zu, bevor sie die Jagd wieder aufnahm.
        Tyrell kam nach achtern und schuttelte die Salzwasserspritzer von seinen Armen und aus seinem Gesicht.

«Wir liegen genau vorm Wind, im Augenblick konnen wir nichts weiter tun.»
        Bolitho antwortete nicht. Vom Achterdeck aus blickte er uber die unregelma?igen Reihen verwundeter Soldaten hin. Andere, die weniger schwer verletzt waren, halfen beim Verbinden der Wunden und schleppten Essen herbei. Zwei Assistenten Dalkeiths stiegen an Deck, warfen ein Bundel uber Bord und verschwanden wieder in einem Niedergang, ohne sich umzusehen. Bolitho sah das Bundel im Schaum des Kielwassers davontreiben. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Es hatte wie durchblutete Verbande ausgesehen, doch war es wohl ein amputiertes Glied irgendeines glucklosen Soldaten gewesen. Seit die Korvette Anker gelichtet hatte, war Dalkeith nicht aus seinem behelfsma?igen Schiffslazarett aufgetaucht. In fast volliger Dunkelheit arbeitete er mit Tupfern und Sage, wahrend das Schiff stampfte und rollte.
        Durch das Brausen des Windes gellte Graves' Stimme:»Der Franzose hat geschiftet, Sir!»
        Die Fregatte lag nun ungefahr acht Kabellangen steuerbord querab, mehr war es bestimmt nicht. Sie segelte parallel zur Sparrow. Ihre Royals waren Vierkant gebrasst und zerrten in ihren Lieken wie bleiche Brustpanzer.

«Sie holt auf, Mr. Tyrell«, sagte Bolitho,»zwar nicht sehr schnell, aber doch genug, um uns in Verlegenheit zu bringen.»
        Tyrell stutzte sich auf die Reling. Seine Augen waren nach vorn gerichtet, ohne sich um den Feind zu kummern.

«Soll ich klar Schiff zum Gefecht befehlen, Sir?»
        Bolitho schuttelte seinen Kopf.»Wir konnen nicht. Jeder freie Platz im Schiff ist von Soldaten belegt. Auf dem Geschutzdeck ist kaum Platz fur den Rucksto? eines Zwolfpfunders. «Er dachte an die gro?en Zweiunddrei?igpfunder, die zu beiden Seiten des Bugs aufgestellt waren.
        Da der Feind von achtern auflief, waren sie nutzlos und nur eine zusatzliche Belastung fur das Schiff. Ware der Feind in ihrem Schu?bereich gefahren, so hatten sie ihn wenigstens vorubergehend in Schach halten konnen, so lange, bis ein Schiff des Kustengeschwaders zu Hilfe gekommen ware.
        Tyrell schaute ihn besorgt an.»Sie haben die Wahl, Sir. Entweder Sie fahren jetzt an der Kuste entlang und riskieren, da? der Wind Sie vollkommen im Stich la?t, oder Sie andern in etwa einer Stunde den Kurs seewarts.»
        Er stemmte die Hufte gegen die Reling, als die Sparrow stark rollte. Der Gischt stob uber die Decks und prasselte gegen die untersten Segel wie Bleischrot.

«Es verlauft hier ein langer Rucken von Sandbanken von Nord nach Sud. Sie konnen auf der au?eren oder inneren Seite entlang segeln. Aber in einer Stunde mussen Sie sich entscheiden.»
        Bolitho nickte. Selbst die mangelhafte Kenntnis des Seegebietes, die er aus seinen Karten entnommen hatte, bewies, da? Tyrell nur zu recht hatte. Die Untiefen erstreckten sich wie ungleichma?ige Buckel auf etwa zwanzig Meilen quer uber seine Kursrichtung. Wurde er uber Stag gehen, um die Sandbanke zu meiden, bedeutete dies Zeitverlust, und da der Feind schon so nahe kam, war es zu gefahrlich.
        Tyrell rieb sein Kinn.»Wir konnten abwarten, was der Franzose zu tun gedenkt. Aber fur uns ware es dann zu spat. «Hilflos zuckte er die Achseln.»Es tut mir leid, Sir. Ich bin auch keine gro?e Hilfe fur Sie.»
        Bolitho starrte an ihm vorbei zum Land hinuber. Die Kuste fiel, sich nach Nordost wendend, zuruck. Die Entfernung, etwa zehn oder funfzehn Meilen, war im hellen Sonnenglanz und tieftreibenden Seedunst schwer abzuschatzen.

«Sie haben schon sehr viel geholfen.»
        Er kehrte zum Kompa? zuruck und bemerkte, da? Buckle ihn grimmig anblickte. Das Gelachter, die plotzliche Entspannung, als sie von Land freikamen, waren vorbei. Aus dem Gerucht von einem irgendwo liegenden Schiff war eine wirkliche, todliche Bedrohung durch die Reihe feindlicher Geschutzpforten geworden.

«Wahrschau an Deck! Segel steuerbord voraus!»
        Aufgeregt zischte Graves:»Das Geschwader, bei Gott, jetzt wird es besser!»
        Ein paar Augenblicke spater:»Deck! Es ist ein Lugger, Sir. Lauft ab!»
        Bolitho verschrankte die Hande hinter seinem Rucken. Irgendein furchtsamer Kauffahrer. Kein Zweifel! Bliebe er in Sicht, wurde er innerhalb einer Stunde Zeuge eines ungleichen, einseitigen Kampfes sein.

«Der Franzose hat seinen Kurs etwas geandert!»
        Buckle spahte durch sein Teleskop achteraus.

«Er bra?t seine Rahen an.»
        Bolitho zahlte die Sekunden und wartete. Die Fregatte war aus ihrem ursprunglichen Kurs gelaufen. In jagender Geschwindigkeit drehte sie ganz leicht vom Parallelkurs ab. Bolithos Korper spannte sich, als er den Puff braunen Rauches sah, der sofort im achterlichen Wind davontrieb.
        Das schwere Gescho? klatschte etwa eine Kabellange zu kurz in die See. Eine Wasserfontane stob auf wie von einem blasenden Wal.
        Bolitho wollte das Freudengebrull seiner Leute nicht horen. Was immer sie glauben mochten, es war ein einwandfreier Schu?. Die Fregatte hatte mit einem schweren Geschutz, das etwa seinen eigenen Buggeschutzen gleichen mochte, fast zwei Meilen weit geschossen.
        Foley tauchte an seiner Seite auf.»Ich habe den Abschu? gehort. «Er beschattete seine Augen und spahte uber das Schanzkleid.»Er will Sie entnerven.»
        Bolitho lachelte ernst.»Oh, er will noch viel mehr, Oberst.»
        Er horte schwere Schritte auf dem Achterdeck und entdeckte Dalkeith, der mit truben Augen in die Sonne blinzelte und mit einem gro?en Taschentuch sich den Schwei? aus dem Gesicht wischte. Der Arzt hatte seine schwere Schurze abgelegt, aber Beine und Schuhe waren voll dunkler, noch feuchter Flecken.
        Mit ein paar kurzen Worten gab er Bolitho seinen Bericht.»Das wars fur den Augenblick, Sir. Zehn Mann sind gestorben, aber ich furchte, da? ihnen noch einige folgen werden.»
        Voll Bewunderung sagte Foley:»Danke, Mr. Dalkeith, besser, als ich zu hoffen wagte.»
        Alle drehten sich um, als wieder ein dumpfer Knall uber die wei?en Wogenkamme hallte. Der Einschlag lag naher und auf gleicher Hohe mit der Steuerbordseite.
        Dalkeith zuckte die Achseln.»Auf festem Boden hatte ich vielleicht mehr retten konnen, Oberst.»
        Er wandte sich ab und ging zur Reling. Seine Schultern waren wie unter einer gro?en Last gebeugt, und die Perucke sa? ihm schief auf dem Kopf.

«Ein guter Chirurg«, sagte Bolitho.»Gewohnlich heuern nur Taugenichtse oder Trunkenbolde an. Er ist keines von beiden.»
        Foley betrachtete die Fregatte durch ein Fernglas.»Vielleicht hat ihn eine Frau auf die See getrieben. «Er duckte sich unwillkurlich, als der Feind feuerte und die Kugel hoch uber ihre Kopfe wimmerte, bevor sie auf der anderen Seite eine Fontane aus Gischt aufwarf.

«Er hat sich jetzt auf uns eingeschossen, Mr. Tyrell. Lassen Sie die Flagge setzen.»
        Bolitho sah, wie die scharlachrote Flagge sich an der Gaffel entfaltete.

«Mr. Dalkeith, Ihre Gehilfen sollen die Verwundeten auf die Backbordseite tragen.
«Er schnitt den unausgesprochenen Protest des Arztes ab.»Besser jetzt als spater, wenn wir wirklich in Schwierigkeiten sind.»
        Graves kam nach achtern gerannt.

«Geschutze ausrennen, Sir?»

«Nein. «Er blickte auf, als wieder ein Gescho? uber das Deck heulte.»Lassen Sie die Steuerbordbatterie laden, Kartatschen mit doppelter Ladung.»
        Er beachtete nicht den verwirrten Gesichtsausdruck des Leutnants und wandte sich an Foley.

«Wenn wir feuern mussen, dann wird es nur diese eine Breitseite sein. Sie sind selbst unter Deck gewesen. Mit dem Schiff, das randvoll mit Kranken beladen ist, konnen wir uns nicht in einen Nahkampf einlassen.»
        Foley schaute weg.»Es tut mir leid, Kapitan.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Es soll Ihnen nicht leid tun. In meinen Befehlen steht wenig von Kampfen geschrieben. Mein Auftrag befa?t sich nur mit Beforderung. «Er lachelte muhsam.»Leider hat ihn der Franzmann nicht gelesen. «Er blickte aufs Geschutzdeck hinunter, wo die Verwundeten auf die andere Seite getragen wurden. Inzwischen uberwachten Graves und Yule, der Batteriefuhrer, das sorgfaltige Laden aller Steuerbordgeschutze.
        Schlie?lich erschien Graves an der Leiter zum Achterdeck und meldete, da? alle Kanonen au?er vieren geladen und schu?bereit seien. Er brach mit heiserem Keuchen ab, als ein langgezogenes Kreischen die Luft erfullte. Es klang, als ob plotzlich tausend Teufel aus der See gestiegen seien.
        Die Wanten, das ganze Rigg zuckte wild. Manner duckten sich nieder und hielten die Hande uber die Kopfe. Zerfetztes Tauwerk und abgerissene Blocke prasselten auf sie nieder.
        Bolitho pre?te die Hande hinter seinem Rucken noch fester zusammen, bis der Schmerz ihm half, sich wieder zu beruhigen. Drahtkugeln, wie sie die gro?e Bonaventure verwendet hatte! Sie waren bosartig und gefahrlich und bestanden aus Eisenteilen, die miteinander verbunden waren. Mit Leichtigkeit konnten sie Teile des Riggs und Spieren abtrennen. Aber im Gegensatz zu Kettenkugeln, die sonst meist benutzt wurden, konnten sie Manner, die nicht durch Reling oder Schanzkleid gedeckt waren, oft grauenhaft zurichten. Offensichtlich beabsichtigte der Franzose, die Sparrow zu entmasten und sie dann ohne allzu gro?e Beschadigungen mitsamt ihrer Last als Prise zu nehmen. Mit dem Gold konnten viele kunftige Ausgaben beglichen werden, und die Sparrow wurde eine wertvolle Verstarkung fur die feindliche Flotte abgeben. All das war fruher schon oft geschehen. In der nachsten Stunde wurde er es selbst erleiden.
        Das Buggeschutz spuckte wieder eine Rauchwolke aus, und das Gro?segel der Sparrow platzte in einer sirrenden Explosion auseinander. Durch den Winddruck ri? sich das getroffene Segel von selbst in tausend Fetzen, bevor noch das Gescho? ins Wasser geplatscht war.
        Bolitho spurte den Unterschied sofort. Die Schiffsbewegungen in den Wellen wurden schwerfalliger, und die Ruderganger mu?ten mit verstarktem Drehen des Rades hart kampfen, um das Schiff auf Kurs zu halten.
        Schon wieder das damonische Aufkreischen wirbelnder Eisenteile, das Klatschen und Klappern heruntergerissener Taue und Fallen. Hoch uber Deck arbeiteten die Toppsgasten fieberhaft, um das zerrissene Rigg wieder auszubessern, aber inzwischen war die Fregatte viel naher gekommen, und Bolitho sah deutlich, wie ihre drei vordersten Geschutze Feuer und Rauch ausspien. Er wu?te, da? der Feind immer mehr aufholte und bald seine ganze Artillerie zum Tragen bringen konnte.
        Geschosse winselten und heulten uber das Schiff, und eines fetzte durch das Besanbramsegel. Es klang wie ein auf Holz klatschender Peitschenschlag. Schreiend und fluchend versuchten die Seeleute das beschadigte Segel zu bergen, doch der Wind schlitzte es mit einem Knall von oben bis unten auseinander.
        Bolithos Hande krampften sich um die Reling. Wenn doch nur ein britisches Segel in Sicht kame oder irgend etwas, das der Fregatte den Mut nehmen wurde und sie zwange, wenigstens fur ein paar Augenblicke den Bug zu wechseln.
        Er sah, wie eine Kugel uber die Wellenkamme daherschlitterte. Die hochstaubenden Federn aus Gischt markierten deutlich ihre Flugbahn. Unter Bolithos Fu?en zuckte das Deck, als das Gescho? in die Wasserlinie krachte.
        Aus der Tiefe des Schiffsrumpfes erklang gedampftes Geschrei, und in Bolithos Gedanken tauchten grauenhafte Bilder auf. Er sah die Kranken und Verwundeten, einige, denen soeben erst von Dalkeith ein Glied amputiert worden war und die nun das drohende Kanonengebrull und die von Schu? zu Schu? sich steigernde Genauigkeit des feindlichen Feuers ertragen mu?ten.
        Bethune kam vom Niedergang her gerannt.

«Herr Kapitan, der General wunscht laufend Meldung…«Er buckte sich, als ein Gescho? durch die Reling schmetterte und zwei Seeleute in einem Durcheinander von zerfetzten Gliedern und sprudelndem Blut uber das Deck schleuderte.
        Bolitho wandte sich ab. Vor wenigen Minuten erst hatte er mit einem von ihnen gesprochen. Nun war er nur noch ein zerrissenes, blutiges Bundel.

«Sagen Sie dem General, er soll unter Deck bleiben und…»
        Er brach ab, als mit splitterndem Krachen die Gro?bramstenge uberkippte. Das Segel peitschte wild im Gewebe zerrissenen Tauwerks. Die Rah selbst zerbrach in zwei gleiche Teile, bevor sie aufs Deck polterte. Manner rannten in panischer Verwirrung davon. Dann polterte die Lawine aus Holz und Tauen uber die Backbordreling und schleppte im wirbelnden Gischt langsseits nach. Ein Mann, es mu?te der Ausguck gewesen sein, wurde zur Gro?mastrah geschleudert. Sogar uber all dem Larm horte Bolitho seine schrillen Schreie, bevor er uberkippte und auf das Geschutzdeck aufschlug.
        Wieder blitzten die Mundungsfeuer auf. Tilby sprang zwischen seine strauchelnden Leute. Er schwang seine Arme wie Dreschflegel und schob und trieb sie an, damit sie das Schiff mit den Axten vom zerfetzten Rigg befreiten.

«Wir werden Kurs andern mussen, Sir«, schrie Tyrell. Er brullte laut, um sich Gehor zu verschaffen. Mit maskenhaft verzerrten Gesichtern rannten die Manner an ihm vorbei, sie sahen nicht einmal die blutigen Leichen in den Speigatten.
        Bolitho starrte ihn an.»Wieviel Wasser steht dort uber den Sandbanken?»
        Tyrell glaubte, falsch verstanden zu haben.»Zu dieser Stunde? So gut wie nichts! Er spahte mit wilden Augen zu den Segeln hinauf, als wieder eine Eisenladung heulend durch die Takelage fuhr. Ein Toppsgast hatte den Halt verloren. Zwei seiner Kameraden hielten seine Hande gepackt, wahrend seine Beine hilflos in der Luft strampelten. Schwei?, Angst oder ein sausender Splitter mochten schuld sein, da? ihn die beiden plotzlich fallen lie?en. Mit einem kurzen Schrei sturzte der Mann kopfuber scheinbar ganz langsam, bis er neben dem Schiffsrumpf in die See platschte. Bolitho sah ihn mit ausgebreiteten Armen wie ein Schatten am Achterdeck vorbeihuschen. Seine Augen waren verzerrt, so da? man das Wei?e sehen konnte. Dann schlossen sich die Wogen uber ihm.

«Ich mu? es wagen!«brullte Bolitho laut. Er merkte nicht, da? es in dem wilden Getose nur wie Gemurmel klang.»Welchen Kurs wir ausfahren, immer kann uns die Fregatte mit ihren Geschutzen bestreichen.»
        Tyrell nickte heftig.»Sie haben recht. Ich werde einen Mann mit der Lotleine.»
        Bolitho packte ihn am Arm.»Nein, wenn Sie das tun oder Segel reffen lassen, dann wird der verfluchte Hund merken, was wir vorhaben. «Er schuttelte ihn heftig. Sollte ich fallen, mussen Sie versuchen, mit dem Schiff durchzukommen.»
        Ein Gescho? krachte hinter ihm in die Reling. Splitter und Holzteile flogen durch die Luft, und Bolitho sah, wie Foley mit einer Hand nach seiner Schulter griff, wo die Epaulette sauber herausgetrennt worden war.

«Hei?e Arbeit heute, Kapitan!»
        Bolitho starrte ihn an. Er fuhlte, da? sein Mund sich zu demselben grausigen Grinsen verspannte. Gleich seinen Gesichtszugen verhielt sich auch das Schiff wie ein unbeherrschbares Ding. Die ubriggebliebenen Segel trieben es standig auf die verborgene Gefahr der Sandbanke zu. Er baute seinen Plan ganz auf Tyrells Kenntnis und auf die Hoffnung, da? der Franzose sich der Gefahr nicht bewu?t war oder da? er in blindwutiger Verfolgung nur noch an raschen Sieg zu denken vermochte.
        Bolitho brachte es fertig, trotz des ununterbrochenen Geschutzfeuers, des Krachens und Splitterns, mit dem die Geschosse ihr Ziel trafen, alle kleinen, aber wichtigen Einzelheiten auf beiden Seiten wahrzunehmen.
        Ein schrecklich verwundeter Seemann, dessen Schulter zu blutigem Brei zerschmettert war, lag in den Armen eines Soldaten mit verbundenem Gesicht, der bei einem fruheren Gefecht geblendet worden war. Doch seine Hande kummerten sich nicht um das schreckliche Durcheinander. Beruhigend hielten und beschirmten sie den Seemann und tasteten nach einer Wasserflasche, um seine Schmerzen zu lindern. Und Dalkeith! Er hatte seine Perucke in eine Tasche gestopft und kniete neben einem Verwundeten. Mit seinen blutigen Fingern, die roten Klauen glichen, tastete er die Verletzung ab, wahrend seine Augen bereits auf dem nachsten und ubernachsten Opfer ruhten.
        Und durch all das schritt Graves hinter den geladenen Geschutzen auf und ab. Sein Kinn hatte er gegen die Brust gepre?t. Er unterbrach seine Wanderung nur, um eine Geschutzbedienung zu uberprufen oder um uber einen Toten oder uber niedergebrochene Teile des Riggs hinwegzusteigen.
        Vom Bug her erscholl ein verzweifelter Schrei:»Ich kann den Grund sehen!»
        Bolitho beugte sich uber das Schanzkleid. Im blendenden Licht spruhte der Gischt am Rumpf hoch. Tauwerk und ein zerschmetterter Kutter schleppten langsseits im Wasser. Dann bemerkte er die in der Tiefe vorbeiflitzenden schattenhaften Gebilde, Algen und Felsrippen, von denen sich einige wie aufgescheuchte Ungeheuer gegen den Kiel aufzubaumen schienen.
        Wenn das Schiff nun auf Grund rannte, dann wurden ihm die Masten fortgerissen werden. Knirschend und berstend wurde es in die See sinken.
        Er wandte sich um und suchte den Feind. Wie nahe er schon war! Weniger als drei Kabellangen querab! Seine ganze Batterie hatte er ausgerannt, um den ungleichen Kampf mit einer vollen Breitseite zu beenden.
        Mit heiserer Stimme murmelte Buckle:»Beim allmachtigen Gott, der Franzose hat einen sicheren Kanal gefunden. «Seine Stimme klang wie zerbrochen.»Die Hunde haben uns erledigt.»
        Bolitho schaute Tyrell an.»Lassen Sie die Bramsegel wegnehmen. «Er konnte die Verzweiflung in der Stimme nicht mehr verbergen.

«Sie hatten keine andere Wahl, Sir..»
        Er brach plotzlich ab, als Buckle und Fahnrich Heyward gleichzeitig aufschrien.

«Er ist aufgefahren!»
        Bolitho sprang zwischen sie und starrte wie irr und voll Unglauben auf das feindliche Schiff.
        Es hatte gerade auf den anderen Bug gehen wollen. Entweder hatte sein Kapitan die furchtbare Gefahr bemerkt, oder er wollte die Korvette jetzt mit der ersten vollen Breitseite bestreichen. In diesem Augenblick war die Fregatte mit gro?er Geschwindigkeit auf die Klippen gerannt.
        Uber die See her konnten sie das berstende Krachen und das furchterliche Gerumpel horen, als der Rumpf am Grund aufschlug. Dann warf sich das Schiff zur Seite, und gleichzeitig kam in einem machtigen Vorhang aufschaumenden Gischtes sein Fockmast, verheddert mit den Gro?- und Besanstengen von oben.
        Bolitho mu?te mehrmals rufen, um das Hurra- und Freudengebrull seiner Leute zum Schweigen zu bringen. Ihnen selbst drohte doch dieselbe Gefahr!

«Andern Sie den Kurs funf Strich steuerbord!»
        Er wischte sich den Schwei? aus den Augen und blickte auf den Kompa?. Seine Gedanken waren vom Krachen der Spieren und Achzen der Planken wie benommen.

«Steuern Sie Sud-Sudost!»
        Nur unter der zerrissenen Fock und den Marssegeln schwenkte die Sparrow trage ein, als ob auch sie ohne Vernunft und Verstand ware. Das Tauwerk achzte, Blocke klapperten, und im Bemuhen, den Befehlen zu gehorchen, kletterten die Manner wie verwirrte Tiere uber die Trummer.
        Bolitho hob seine Hande an den Mund.

«Mr. Graves, Geschutze ausrennen!»
        Die Pforten offneten sich knarrend, und die Kanonen wurden auf ihren Rollen ins blitzende Sonnenlicht geschoben. Auf dem neuen Kurs legte sich die Korvette etwas uber. Die Kanonen rumpelten schnell uber die Decksplanken.

«Geschutze ausgerannt!«meldete Graves und blickte zu Bolitho hinauf.
        Mit zusammengekniffenen Augen hob Bolitho die Hand. Er zwang sich, das feindliche Schiff als Ziel zu betrachten und nicht als ein vor kurzem noch lebendiges Geschopf, das sich nun in Todesqualen wand.

«Geschutze richten, Mr. Graves. Volle Erhohung!»
        Er peilte die entmastete Fregatte, die hinter dem Steuerbordbug der Sparrow zuruckfiel. Der aufgewuhlte Sand rings um das Wrack zeigte die Gewalt, mit der es aufgerammt war.
        Seine Hand zuckte nach unten.»Feuer!»
        Der Schiffsrumpf bebte und bockte, als Geschutz nach Geschutz seine doppelte Ladung uber die Wellenkamme spie und in den hilflosen Feind schmetterte. Die Fregatte beantwortete das Feuer aus einigen Drehbassen. Als ihr aber die ersten schweren Geschosse zusammen mit den Kartatschen in die Flanken und uber das Deck fuhren, schwiegen auch diese.
        Bolitho hob wieder die Hand.»Feuer einstellen! Geschutze sichern!«Dann wandte er sich an Buckle:»Wir gehen sofort uber Stag. Kurs Nordost zu Nord!«Er blickte zum rauchenden Wrack zuruck.»Es wird dort liegen bleiben, bis jemand kommt. Freund oder Feind, es macht keinen Unterschied mehr.»
        Tyrell sah ihn ernst an.»Aye, Aye, Sir!«Er schien noch auf irgend etwas zu warten.
        Bolitho ging zur Reling und blickte auf die Leute hinunter. Sie zurrten die Kanonen fest, begannen die Schaden zu flicken und das durcheinandergebrachte Rigg zu klarieren. Uberall wurde gearbeitet, um die Sparrow fur die nachste Herausforderung bereitzumachen. Es gab kein Freudengebrull. Alles ging sehr still vonstatten. Nur ein paar Seeleute grinsten, als sie Freunde noch lebend antrafen. Hier ein Nicken, dort ein Schulterklopfen. All dies erzahlte Bolitho mehr, als Worte es vermocht hatten.

«Die Manner haben eine Menge gelernt, Mr. Tyrell.»
        Er sah Dalkeith aufs Achterdeck heraufsteigen und nahm all seinen Mut zusammen, um die Liste der Toten und Sterbenden in Empfang zu nehmen.

«Von diesem Tag an werden sie zu allem bereit sein. «Er ubergab seinen Degen an Stockdale. Obwohl er sich nicht erinnern konnte, ihn bemerkt zu haben, hatte er sich doch die ganze Zeit uber in seiner Nahe gehalten.»Bereit, wie ich es will.»



        VIII Des Kapitans Entscheidung

        Der Aufenthalt der Sparrow in New York war die enttauschendste und langweiligste Zeit, an die sich Bolitho erinnern konnte. Er hatte gehofft, mit einigen Wochen fur Reparaturarbeiten und Auffullen der Vorrate davonzukommen. Statt dessen aber mu?te er mit wachsender Ungeduld warten und zusehen, wie alle anderen Schiffe vor ihm klar gemacht wurden. Jedenfalls kam es ihm so vor.
        Als sich die Zeit in den zweiten Wartemonat hineinschleppte, war er bereit, eher zu verhandeln als zu fordern, ja, die ihm zustehende Unterstutzung von den Hafenbehorden eher zu erbitten als zu erwarten. Und den Geruchten nach, die er da und dort aufschnappte, waren alle kleineren Schiffe in derselben Lage.
        Die Arbeiten an Bord schritten standig voran, schon glich die Sparrow einem erprobten Veteran. Die Segel wurden sorgfaltig geflickt und keineswegs gro?zugig erneuert. Anscheinend wu?te niemand, wann Nachschub aus England eintreffen wurde, und was bereits in New York lagerte, wurde eifersuchtig bewacht, oder, wie Bolitho befurchtete, fir entsprechende Trinkgelder gehortet. Die zerbrochene Gro?bramstenge war aus dem Wasser gefischt und repariert worden. Von Deck aus schien sie so gut wie neuwertig zu sein. Ob sie aber einem wirklichen Sturm widerstehen oder wie sie sich bei der Jagd auf einen Blockadebrecher bewahren wurde, beschaftigte oft Bolithos Gedanken. Dazu kamen noch der standige Strom falliger Berichte, die Ersatzteil- und Lebensmittellisten, die endlos mit den Leuten der Ausrustungsdepots besprochen werden mu?ten. Schlie?lich fing er an zu glauben, da? weder er noch sein Schiff jemals diesen Hafen wieder verlassen wurden.
        Der Stolz und die Erregung, eine franzosische Fregatte auf Grund gejagt und die geretteten Soldaten sicher an Land abgesetzt zu haben, waren dusterer Niedergeschlagenheit gewichen. Tag um Tag ertrug die Schiffsbesatzung die Arbeit in gluhender Hitze, obwohl sie wu?te, da? sie keine Moglichkeit hatte, an Land zu gehen, es sei denn unter strenger Aufsicht und nur in dienstlichen Angelegenheiten. Bolitho wu?te, da? die Grunde fur diese Vorschrift bis zu einem gewissen Grade gesund und vernunftig waren. Jedes Schiff, das einlief oder ausreiste, war unterbemannt, und es war bekannt, da? skrupellose Kapitane darauf aus waren, Seeleute anderer Schiffe zu stehlen, wann immer sich eine Gelegenheit bot.
        Auch Bolitho fehlten, seitdem er das Kommando ubernommen hatte, funfzehn Mann, die entweder gefallen oder so schwer verletzt waren, da? sie fur weiteren Dienst nicht mehr in Frage kamen.
        Und die Neuigkeiten waren wenig ermutigend. Uberall auf dem Festland befanden sich die britischen Truppen in Schwierigkeiten. Im Juni wurde eine ganze Armee durch die Angriffe General Washingtons in der Schlacht von Monmouth zum Ruckzug gezwungen, und den Berichten nach, die bis zu den ankernden Schiffen durchsickerten, war keine Besserung der Lage zu erhoffen.
        Hinzu kam eine weitere Sorge fur die Flotte. Der erste Hurrikan der Saison war uber die See gefegt. Wie eine Sichel durch das Korn war er von der Karibischen See heraufgezogen und hatte auf seinem Weg etliche Schiffe zerstort, andere so zugerichtet, da? sie nun, da sie so dringend gebraucht wurden, nicht einsatzbereit waren. Bolitho konnte die Sorgen des Admirals gut verstehen, denn die ganze Strategie an der amerikanischen Kuste hing von der Wachsamkeit der Patrouillen und der einsam kreuzenden Fregatten ab. Sie waren seine Augen und die Verlangerung seines Willens.
        Nur fur eines war Bolitho sehr dankbar. Sein Schiff war unter der Wasserlinie nicht so schwer beschadigt worden, wie er zuerst befurchtet hatte. Garby, der Schiffszimmermann, hatte recht, als er sagte, die Korvette sei wie eine kleine Festung.
        Bei seinen regelma?igen Inspektionsgangen unter Deck hatte er den Stolz des Zimmermanns verstehen gelernt, denn die Sparrow war als Kriegsschiff gebaut worden. Sie war nicht, wie viele andere Einheiten, von der Handelsmarine, die geringere Anspruche stellte, sondern durch die Kriegsflotte angekauft worden. Die kraftigen Spanten der Korvette waren in ihren Krummungen gewachsen und nicht mit der Sage ausgeschnitten worden, so da? der Rumpf die ganze zusatzliche Sicherheit naturlicher Starke besa?. Abgesehen von einigen zerfaserten Einschu?lochern unter dem Achterdeck, welche die Werkzeuge und Hilfe der New Yorker Werften erforderten, konnte sein Schiff segeln und kampfen wie zuvor. Dies machte die Verzogerung im Hafen um so unertraglicher.
        Bolitho hatte den Konteradmiral Christie an Bord des Flaggschiffs besuchen durfen, hatte aber dabei nicht viel daruber erfahren, wann sein Schiff wieder auslaufen konne. Ironisch hatte der Admiral bemerkt:»Wenn Sie mit General Blundell weniger Scherereien gehabt hatten, stunden die Dinge vielleicht anders.»
        Als Bolitho versucht hatte, mehr aus ihm herauszubringen, hatte er argerlich geantwortet:»Ich wei?, der General war im Unrecht, als er sich so verhielt, wie er es tat. Ganz New York wei? das inzwischen. Vielleicht wird er sogar zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er nach England zuruckkehrt. Da ich aber seinen Einflu? in gewissen Kreisen kenne, mu? ich das bezweifeln. Es ist Ihre Sache, Bolitho, da? Sie ihn gedemutigt haben. Sie haben recht gehandelt, und ich habe bereits einen Bericht abgefa?t, der mein Vertrauen in Sie bezeugt. Aber man macht sich mit dem rechten Weg nicht immer beliebt.»
        Eine besondere Nachricht aber hing uber Bolitho wie eine dunkle Wolke. Sie schien ihn zu qualen, wahrend er Tag um Tag versuchte, sein Schiff seeklar zu machen. Eine einlaufende Brigg hatte Neuigkeiten von dem KaperschiffBonaventure gebracht. Es hatte einigen Versorgungs- und Kriegsschiffen Gefechte geliefert, zwei Prisen genommen und eine Korvette, ein Geleitschiff, versenkt. Genau, wie er es geahnt hatte. Aber das Schlimmste fur ihn war, da? der Freibeuter an die Stelle des damaligen Seegefechtes zuruckgekehrt war und die zerschossene Fregatte Miranda gefunden hatte.
        Eine Handvoll Uberlebender war in einem kleinen treibenden Boot entdeckt worden. Einige waren verwundet oder vor Durst halb irr, die anderen niedergeschlagen und wie betaubt, da sie doch so viel gearbeitet hatten, um ihr Schiff zu retten.
        Immer und immer wieder zergrubelte sich Bolitho sein Gehirn, prufte sein Verhalten und fragte sich, was er damals sonst noch hatte tun konnen. Er hatte seine Befehle ausgefuhrt. Lieber hatte er der Fregatte geholfen. Aber er hatte der Pflicht den Vorrang eingeraumt. Und so hatte er das beschadigte Schiff wie ein hilfloses Tier dem Tiger ausgeliefert.
        In seinem Herzen wu?te er, da? er keine andere Entscheidung hatte treffen konnen. Er wu?te auch, da? er anders gehandelt hatte, ware er sich nicht daruber im klaren gewesen, wie notwendig die beiden Transportschiffe gebraucht wurden. Als er dies dem Kapitan der Brigg eingestanden hatte, schuttelte der den Kopf.

«Dann lage jetzt auch Ihre Sparrow auf dem Grund des Meeres. Die Bonaventure ist allem au?er einem Linienschiff gewachsen.»
        Bolitho ging nur in dienstlichen Angelegenheiten, zu Besorgungen und Zahlungen an die Werftleute an Land. Er hielt es fur unfair, von seinen Vorrechten Gebrauch zu machen, wenn seine Leute auf ihrem Schiff, dessen Gro?e jeden Tag zu schrumpfen schien, eingesperrt waren. Auch widerten ihn die Dinge, die er in New York zu sehen bekam, an. Es gab allerlei langweilige militarische Vorbereitungen dort. Artillerie wurde gedrillt. Zum Vergnugen von Tagdieben und schreienden Kindern ruckten bespannte Geschutze vor. Fu?soldaten rannten und schwitzten in der brutenden Hitze, ja, verschiedentlich hatte er sogar Kavallerie gesehen.
        Aber seine eigentliche Abneigung sa? viel tiefer. Die Auswirkungen der immer schlechteren Nachrichten reichten nur bis zu einer bestimmten Grenze. In den gro?en Hausern verging kaum eine Nacht ohne Empfange oder Balle. Stabsoffiziere und reiche Kaufleute, Damen in gro?er Robe und blitzenden Juwelen - es war kaum zu glauben, da? in der Nahe so blutige Kampfhandlungen stattfanden. Bolitho wu?te aber auch, da? ein Teil seines Abscheus auf seiner eigenen Ungeschicklichkeit, in solchen Kreisen aufzutreten, beruhte. In seiner Heimatstadt Falmouth war seine Familie stets geachtet worden, aber eher als Seefahrer denn als ansassige Einwohner. Schon mit zwolf Jahren war er in die Marine eingetreten, doch seine Erziehung hatte eher der Navigation gegolten und dem Umgang mit Tauwerk, Schakel und Augbolzen als der Kunst, Konversation zu machen.
        Es schien ihm unmoglich, sich unter die peruckentragenden Dandies zu mischen, wie er sie nun bei seinen Landgangen in New York sah. Auch die Frauen waren ihm fremd, unerreichbar. Im Gegensatz zu den ausgesprochen landlichen Frauen in Cornwall oder zu den Frauen und Tochtern seiner Offizierskameraden schienen sie eine eigenartige Macht auszustrahlen. In ihnen steckte eine gewisse Kuhnheit und belustigte Geringschatzung, die ihn reizte und verwirrte, wann immer er mit ihrer parfumierten, privilegierten Welt zu tun hatte.
        So oft wie moglich hatte er Tyrell erlaubt, an Land zu gehen, aber die Veranderung, die in seinem Leutnant vor sich ging, uberraschte ihn. Er konnte an ihm weder Freude noch Erleichterung entdecken, obwohl er doch mit Landsleuten sprechen und Gegenden aufsuchen konnte, die er so oft mit dem Schoner seines Vaters angelaufen hatte. Er zog sich immer mehr zuruck, ja, er vermied es augenscheinlich, von Bord zu gehen, wenn ihn sein Dienst nicht dazu zwang. Bolitho wu?te, da? er uber den Verbleib seiner Familie nachgeforscht hatte. Auch glaubte er, da? Tyrell ihm in einer guten Stunde erzahlen wurde, ob alles so stand, wie er gehofft hatte.
        Und dann endlich, fast auf den Tag genau drei Monate nachdem sie zugesehen hatten, wie die franzosische Fregatte auf das Riff rannte, war die Sparrow wieder seeklar. Mit argwohnischen Blicken beobachteten die Seeleute den letzten Werftarbeiter, ob er nicht mehr von Bord mitnahm, als er gebracht hatte, dann wurde er an Land gerudert. Nachdem die letzten Wasserleichter und Werftbarken von der Korvette abgelegt hatten, schrieb Bolitho seinen Bericht an den Admiral. Es kummerte ihn wenig, wie seine nachsten Befehle lauten wurden. Ob es sich wieder um einen besonderen Auftrag handelte, ob er Depeschen befordern oder einfach zu Colquhouns Flottille zuruckkehren sollte, war ihm gleichgultig. Er wollte nur endlich wieder auf See sein, unabhangig von geschniegelten Flaggoffizieren und umstandlichen Schreibereien.
        Als Tyrell die Kapitanskajute betrat und meldete, da? alle Werftarbeiter von Bord seien, fragte Bolitho:»Wollen Sie heute abend mit mir essen? Vielleicht werden wir in den nachsten Wochen keine Gelegenheit mehr dazu haben.»
        Tyrell blickte ihn duster an.»Mit Vergnugen, Sir. «Seine Stimme klang matt und erschopft.
        Bolitho starrte durch die geoffneten Heckfenster auf die vor Anker liegenden Schiffe und die fahlen Hauser im Hintergrund.»Sie konnen Ihre Sorgen mit mir teilen, wenn Sie wollen, Mr. Tyrell. «Er hatte mehr gesagt, als er beabsichtigte, aber die Verzweiflung in den Augen des Leutnants hatte ihn alle Vorsicht vergessen lassen.
        Tyrell beobachtete ihn vom Fenster aus. Seine Augen lagen im Schatten.»Ich habe Nachrichten erhalten. Mein Vater hat seine Schoner verloren, aber das war zu erwarten. Die eine oder die andere Seite hat sie beschlagnahmt. Es ist gleichgultig. Au?erdem besa? mein Vater eine kleine Farm. Er sagte immer, sie sahe seinem Hof in England sehr ahnlich.»
        Bolitho wandte sich langsam ab.»Ist auch die Farm verloren?«Tyrell zuckte die Achseln.»Der Krieg hat vor einigen Monaten dieses Gebiet erreicht. «Seine Stimme klang tonlos wie aus weiter Ferne.»Wir hatten einen Nachbarn, Luke Mason. Er und ich, wir wuchsen zusammen auf. Wie Bruder. Als der Aufstand anfing, war Luke im Norden und verkaufte Rinder. Und ich war auf See. Luke war immer ein bi?chen ungezugelt, und ich glaube, da? ihn all das Durcheinander mitgerissen hat. Jedenfalls, er meldete sich, um gegen die Briten zu kampfen. Aber fur seine Kompanie ging die Sache schlecht aus. Sie wurde im Kampf aufgerieben. Luke entschlo? sich, nach Hause zu gehen. Ich glaube, er hatte genug vom Krieg.»
        Bolitho bi? sich die Lippen.»Er ging zu Ihrem Vater?»

«Aye. Das Ungluck war, da? mein Vater offensichtlich die englischen Soldaten mit Remonten und Futter versorgte. Aber er mochte Luke sehr gern. Er gehorte fast zu unsrer Familie. «Der Leutnant seufzte.»Der Oberst des Standorts horte davon durch irgendeinen verdammten Spitzel. Er lie? meinen Vater an einen Baum hangen und das Haus vollstandig niederbrennen.»
        Bolitho konnte sich nicht zuruckhalten.»Mein Gott, das tut mir sehr leid.»
        Tyrell schien nicht zu horen.»Dann griffen die Amerikaner an, und die Rotrocke zogen sich zuruck. «Er schaute zu den Decksbalken hinauf und fugte hitzig hinzu: Aber Luke war in Sicherheit. Er konnte aus dem brennenden Haus entkommen. Und wissen Sie, was? Der amerikanische Oberst hangte Luke als Deserteur auf!«Er sank auf einen Stuhl und stutzte sich gegen den Tisch.»Wo, zur Holle, wo nur ist der gottverdammte Sinn in all dem?»

«Und Ihre Mutter?»
        Er beobachtete Tyrells gesenkten Kopf. Die Qual schien ihn zu zerbrechen.

«Sie ist vor zwei Jahren gestorben, so ist ihr all das erspart geblieben. Jetzt bin nur ich noch ubrig - und meine Schwester Jane. «Er blickte auf. Seine Augen warfen das Sonnenlicht wie Funken zuruck.»Nachdem Kaptn Ransome genug von ihr hatte, ist sie verschwunden - Gott allein wei?, wo sie jetzt ist.»
        In dem plotzlichen Schweigen uberlegte Bolitho, wie ihm wohl zumute ware, wenn er so furchtbare Nachrichten erhalten hatte wie Tyrell. Soweit seine Erinnerung zuruckreichte, war ihm gelehrt worden, mit der standigen Moglichkeit des Todes zu rechnen und ihr nicht aus dem Wege zu gehen. Fast alle seine Vorfahren waren auf irgendeine Weise auf See umgekommen. Das Seemannsdasein war gefahrlich. Wenn man von dem brutalen Ende im Kanonenfeuer und einem Degensto? des Feindes absah, gab es immer noch zahllose Fallen fur den Unachtsamen. Wie oft starben Seefahrer durch einen Sturz aus der Takelage, durch Ertrinken oder am Fieber. Sein Bruder Hugh war Leutnant in der Kanalflotte gewesen, als er ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Vielleicht kommandierte er jetzt ein Schiff gegen die Franzosen, vielleicht lag er aber auch schon mit seinen Mannern viele Faden tief auf dem Grund des Meeres. Aber die Wurzeln wurden weiterleben. Das Haus in Falmouth, sein Vater, seine verheirateten Schwestern. Wie verzweifelt ware er, wenn er wie Tyrell wu?te, da? all das zerbrochen und ausgemerzt ware, wenn seine Familie
ausgeloscht ware in einem Land, wo Bruder gegen Bruder kampfte und die Manner sich beim Kampfen und Sterben in der gleichen Sprache verfluchten. Nun war fur Tyrell und fur viele andere Amerikaner nichts mehr geblieben. Nicht einmal ein Vaterland.
        Es klopfte, und Graves betrat die Kajute. Er hielt ihm einen Leinenumschlag hin. Das ist soeben vom Wachboot ubergeben worden, Sir.»
        Bolitho ging wieder zum Fenster und offnete den Umschlag mit einem Messer. Er hoffte, da? Graves Tyrells elende Verfassung nicht bemerken wurde, da? die kurze Zeit, die er zum Lesen brauchte, dem Leutnant genugte, sich wieder zu fassen.
        Die Order war sehr kurz.
        Bolitho sagte rasch:»Wir haben Befehl, morgen mit der ersten Morgendammerung Anker zu lichten. Wir werden wichtige Depeschen fur den Admiral in Antigua mit uns fuhren.»
        In seinen Gedanken zogen all die vielen Seemeilen vorbei, die lange Reise nach English Harbour und zu Colquhoun zuruck.

«Mir macht es nichts aus, Sir«, sagte Graves.»Diesmal konnen wir auf etwas stolz sein.»
        Bolitho forschte in seinen Zugen. Was fur ein phantasieloser Mensch er doch war.

«Eine Empfehlung an den Steuermann. Sagen Sie ihm, er soll sofort alle Vorbereitungen treffen.»
        Als Graves gegangen war, fugte Bolitho hinzu:»Vielleicht wollen Sie das Abendessen mit mir doch lieber etwas aufschieben?»
        Tyrell stand auf. Seine Finger beruhrten die Tischplatte, als ob er sein eigenes Gleichgewicht prufen wollte.

«Nein, Sir, ich wurde gerne kommen. «Er schaute sich in der Kajute um.»Hier habe ich Jane zum letzten Mal gesehen. Es hilft mir jetzt ein bi?chen.»
        Bolitho sah ihn hinausgehen und horte, wie eine Kabinentur zugeworfen wurde. Dann setzte er sich mit einem Seufzer an den Tisch und begann seine Eintragungen ins Logbuch zu machen.
        Schon seit sieben sorglosen Tagen stampfte der Bugspriet der Sparrow sudwarts. Die Korvette nutzte alle Vorteile eines stetigen Windes, der sich in Richtung und Starke kaum anderte, voll aus. Die Brise schien allen Uberdru? und die brutende Hoffnungslosigkeit, unter der die meisten Manner der Besatzung in New York gelitten hatten, weggeweht zu haben. Die geblahten Segel unter wolkenlosem Himmel strahlten ein Gefuhl neuer Freiheit aus. Sogar die Erinnerung an den letzten Kampf, an die Gesichter jener Kameraden, die gefallen waren oder nun als Kruppel auf die Heimreise warteten, war ein Teil der Vergangenheit geworden, wie alte Narben, die eine gewisse Zeit zum Verheilen brauchen.
        Bolitho studierte seine Karten und uberprufte die taglichen Bestecksrechnungen. Er hatte allen Grund, mit den Eigenschaften seines Schiffes zufrieden zu sein. Die Sparrow hatte bereits uber tausend Meilen zuruckgelegt und schien wie ihr Kapitan von dem Wunsch getrieben zu sein, das Festland so weit als moglich hinter sich zu lassen. Bisher war auf der Reise noch kein einziges Segel gesichtet worden, und die letzten Mowen waren vor zwei Tagen davongeflogen. Die Routine an Bord eines so kleinen Kriegsschiffes war regelma?ig und sehr sorgfaltig geplant, so da? die Umstande so ertraglich wie moglich gehalten werden konnten. Wenn die Leute nicht hoch uber Deck an den Segeln oder im Rigg arbeiteten, verbrachten sie viel Zeit beim Geschutzdrill oder mit harmlosen Ringerwettkampfen und Kampfen mit Stocken unter Stockdales kundigem Auge.
        Auch auf dem Achterdeck gab es gewohnlich einigen Zeitvertreib, um die Monotonie des leeren Horizonts zu unterbrechen, und Bolitho lernte seine Offiziere noch besser kennen. Fahnrich Heyward hatte sich als ausgezeichneter Degenfechter erwiesen und verbrachte manch eine Hundewache, indem er Bethune und die Steuermannsmaaten in der Fechtkunst unterwies. Die gro?te Uberraschung allerdings lieferte Dalkeith. Eines Tages war der plumpe Schiffsarzt mit dem schonsten Paar Pistolen, das Bolitho je gesehen hatte, an Deck erschienen. Sie pa?ten wunderbar zusammen, waren von Dodson in London hergestellt worden und mu?ten ein kleines Vermogen gekostet haben. Wahrend einer der Schiffsjungen Holzstuckchen uber Bord warf, wartete Dalkeith an der Reling, bis sie vorbeigetrieben waren. Dann knallte er sie ab, scheinbar ohne uberhaupt zu zielen. Solche Zielsicherheit war unter Schiffsarzten hochst selten. Dies und der Wert der Pistolen lie? Bolitho mehr uber Dalkeiths Vergangenheit nachdenken.
        Gegen Ende des siebten Tages bemerkte Bolitho die ersten Anzeichen einer Wetterverschlechterung. Der Himmel, der bisher klar und bla?blau gestrahlt hatte, bezog sich mit verwischten Wolkenzungen, und das Schiff stampfte immer heftiger in einer hohen Dunung. Das Barometer schwankte unruhig, doch war es eher ein unbestimmtes Gefuhl, das ihm verriet, da? ihnen ein rechter Sturm bevorstand. Der Wind hatte auf Nordwest zuruckgedreht und wies alle Anzeichen weiterer Verschlechterung auf. Bolitho konnte seine Feuchtigkeit und seine zunehmende Kraft deutlich im Gesicht fuhlen.
        Buckle nickte.»Vielleicht wieder ein Hurrikan.»

«Kann sein. «Bolitho ging zum Kompa?.»Fallen Sie einen Strich ab. «Dann gesellte er sich zu Tyrell an der Achterdecksreling.»Die Auslaufer eines Sturmes, vielleicht. Jedenfalls werden wir vor Einbruch der Dunkelheit Segel reffen mussen. Moglicherweise auch schon fruher.»
        Tyrell nickte. Seine Augen beobachteten die bauchigen Segel.»Das Gro?bramsegel scheint gut zu ziehen. Die Leute haben in der Takelage gute Arbeit geleistet, wahrend wir vor Anker lagen. «Er sah, wie der Stander im Masttopp sich drehte und dann immer deutlicher zum Backbordbug hin auswehte.»Verdammter Wind, sieht aus, als wolle er noch mehr zuruckdrehen.»
        Buckle grinste murrisch.»Kurs Sud-Sudost, Sir.»
        Er fluchte, als das Deck sich stark uberlegte und ein heftiger Gischtschauer uber das Schanzkleid prasselte.
        Bolitho uberlegte, was als nachstes zu tun sei. Bis jetzt hatten sie eine schnelle Reise gehabt. Es gab keinen Grund, sich die Segel von den Rahen rei?en zu lassen, nur um dem Wind zu trotzen. Er seufzte. Vielleicht wurde der Wind bald wieder nachlassen.»Lassen Sie Bramsegel wegnehmen, Mr. Tyrell. Die Bo wird gleich einfallen.»
        Er machte Tyrell Platz, der nach seinem Schalltrichter rannte.
        Vom rollenden Schiff aus konnte er jetzt sehen, wie der sprichwortliche Regenvorhang uber die unregelma?ige Dunung heranzog und den Horizont mit einem engmaschigen, grauen Eisengespinst ausloschte.
        Nach einer Stunde hatte der Wind weiter zuruckgedreht und war zu Sturmstarke angewachsen. See und Himmel vereinigten sich in zerstiebenden Wogenkammen und stromendem Regen. Es war sinnlos, dagegen ankampfen zu wollen. Unter jagenden Wolkenwalzen drehte die Sparrow mit niedergepre?ten Toppen ab und lenzte vor dem Sturm. Die Toppsgasten kampften hart, um ein weiteres Reff in die durchna?ten Segel einzustecken. Von Regen und fliegendem Gischt halb geblendet, tasteten sie mit ihren Fu?en nach sicherem Stand. Fluchend und brullend setzten sie all ihre Kraft ein, um die storrischen Segel in ihre Gewalt zu bekommen.
        Die Nacht brach vorzeitig herein, und unter dicht gerefften Marssegeln jagte die Korvette durch die Finsternis. Die kleine, begrenzte Welt des Schiffes war von riesigen Wogenkammen umbrandet, das Leben der Manner war bei jedem Schritt von der See bedroht, die uber die Reling hereinbrach und brodelnd wie ein hochgehender Flu? uber die Decks rauschte. Selbst wenn die Freiwache zeitweise nach unten geschickt wurde, gab es fur die Manner kaum eine Moglichkeit, sich zu erholen. Alles war tropfna? oder feucht, und der Koch hatte schon lange jeden Gedanken, warmes Essen zu machen, aufgegeben.
        Bolitho blieb an Deck. Der heulende, jammernde Wind pre?te sein Olzeug wie ein Leichentuch gegen seinen Korper. Wanten und Tauwerk schrien wie die Saiten der Instrumente in einem irrsinnigen Orchester, und hoch uber dem Deck, in Dunkelheit verborgen, knatterten und knallten die Segel. Dann und wann schien der Sturm in kleinen Ruhepausen nachzulassen, doch er hielt nur den Atem an, um aufs neue uber das kampfende Schiff herzufallen. In diesen kurzen Augenblicken konnte Bolitho fuhlen, wie die Salzkruste in seinem Gesicht warm wurde. Er horte das Klanken der Pumpen, die gedampften Schreie unter Deck und auf der Back, wo unsichtbare Seeleute Laschings festzurrten, beschadigte Taue erneuerten oder sich auch nur vergewissern wollten, ob die Kameraden noch lebten.
        Die ganze Nacht lang peitschte der Wind uber sie hin und trieb sie mehr und mehr nach Sudosten ab.
        Stunde um Stunde starrte Bolitho auf den Kompa?, oder er taumelte unter Deck, um den Schiffsort auf der Seekarte einzutragen. Es gab fur ihn weder Ruhe noch Erleichterung. Er fuhlte sich so zerschlagen und krank, als ob er im Gefecht gestanden hatte oder halb ertrunken aus der See gefischt worden ware. Trotz seiner Erschopfung dankte er Gott, da? er nicht versucht hatte, nur unter einem Marssegel beizuliegen und den Sturm abzureiten. Bei dieser Wucht von Wind und See hatte sich die Sparrow niemals halten konnen. Vielleicht ware sie backgeworfen und entmastet worden, bevor noch jemand begriffen hatte, wie stark der Sturm tatsachlich war.
        Doch in all dem Toben brachte es Bolitho fertig, die Seetauglichkeit der Korvette zu bewundern. Allerdings war das Schiff fur jedermann hochst ungemutlich. Ob die Leute mit den schlagenden Segeln kampften oder ob sie wie Ratten in der Kloake im wirbelnden Bilgenwasser an den Pumpen arbeiteten, die Schiffsbewegungen machten ihr Leben fast unertraglich. Hoher, immer hoher schraubte sich der Rumpf und krachte dann donnernd hinunter in die nachste Woge. Jede Spiere, jede Planke bebte, als ob sie sich aus dem Schiff losrei?en wollten. Lebensmittel, geliebte Souvenirs der Seeleute, Kleidungsstucke, all das brandete in wilder Ausgelassenheit die Decks entlang. Aber nicht ein Geschutz ri? sich aus seiner Lasching los, kein Bolzen brach, und nicht ein einziges Luk wurde durch uberkommende Seen eingedruckt. Die Sparrow ertrug alles und begegnete jedem Angriff mit der taumelnden Rauflust eines betrunkenen Matrosen. Um die Zeit der ersten grauen Morgendammerung begann der Seegang nachzulassen, und als die Sonne kraftlos uber den Horizont stieg, hatte sich das Meer schon so beruhigt, da? die Stunden der Nacht
nur noch wie ein vergangener Alptraum erschienen.
        Der Wind war wieder auf Nordwest umgesprungen. Aus salzverkrusteten Augen starrten die Seeleute auf die Flecken blauen Himmels, die zwischen den Wolken auftauchten. Sie wu?ten, da? sie wieder einmal das Schlimmste uberstanden hatten.
        Bolitho war sich daruber im klaren, da? seine Leute sich stundenlang nicht mehr ruhren konnten, wenn er ihnen jetzt eine Ruhepause gonnte. Er schaute auf das Geschutzdeck hinunter und sah ihre ubermudeten Gesichter und zerrissenen Kleider. Die Toppsgasten hatten vom wiederholten Aufentern und vom Kampf mit den starr gewordenen Segeln klauenartig verkrampfte Hande.

«Das Kombusenfeuer soll angezundet werden«, sagte Bolitho.

«Die Leute mussen sofort etwas Warmes zum Essen bekommen.»
        Er schaute auf, als ein Sonnenstrahl die oberen Rahen streifte, so da? sie uber der schwindenden Dunkelheit wie ein dreifaches Kruzifix aufleuchteten.»Es wird wohl bald wieder hei? werden, Mr. Tyrell. Lassen Sie uber jedem Luk Windsegel aufriggen und die Geschutzpforten in Luv offnen.»
        Seine salzverbackenen Lippen verzogen sich zu einem muhseligen Lacheln.

«Ich nehme an, da? Sie heute Ihre ublichen Sorgen um das Aussehen des Schiffes vergessen und den Leuten erlauben, ihre Kleider zum Austrocknen aufzuhei?en.»
        Graves kam aufs Achterdeck und tippte an seinen Hut.

«Seemann Marsh ist verschwunden. «Er schwankte und fugte bekummert hinzu: Vortoppsgast, Sir.»
        Bolithos Augen schweiften uber den Horizont. Der Mann mu?te wahrend der Nacht uber Bord geschleudert worden sein, und sie hatten nicht einmal einen Schrei gehort. Aber das war ohnehin gleichgultig, sie hatten ja doch nichts unternehmen konnen, um ihn zu retten.

«Danke, Mr. Graves. Tragen Sie es bitte ins Logbuch ein.»
        Er beobachtete immer noch die See, uber die sich die Nacht vor dem ersten Goldschimmer des Morgens wie ein Morder zuruckzog. Der Seemann war irgendwo dort drau?en, er war tot, und kaum jemand dachte an ihn. Seine Kameraden vielleicht und ein paar Angehorige daheim, die er vor langer Zeit verlassen hatte.
        Er schuttelte sich und wandte sich an den Steuermann.»Mr. Buckle, ich hoffe, da? wir heute unseren Schiffsort bestimmen konnen. Irgendwo sudwestlich der Bermudas wahrscheinlich. «Er lachelte freundlich uber Buckles dusteres Aussehen.»Aber ich wei? nicht, ob funfzig oder funfhundert Meilen.»
        Bolitho wartete noch eine Stunde, dann lie? er das Schiff wenden. Der Kluverbaum zeigte nun auf den sudlichen Horizont zu. Deck und Aufbauten dampften im fruhen Sonnenlicht, als ob sie schwelten. Dann nickte er Tyrell zu.»Ich gehe jetzt fruhstucken.»
        Er schnuffelte nach dem fettigen Aroma aus dem Kombusenrohr.»Schon dieser Geruch allein macht mich hungrig.»
        Er schlo? die Kajutentur hinter sich. Wahrend Stockdale mit frischem Kaffee und einer Zinnplatte voll gerostetem Speck um den Tisch tappte, konnte sich Bolitho endlich entspannen und Wert und Kosten der nachtlichen Arbeit abwagen. Er hatte seit seiner Kommandierung auf die Sparrow den ersten Sturm uberstanden. Ein Mann war ertrunken, aber alle anderen hatten uberlebt. Und sein Schiff schlingerte und stampfte wieder wie fruher, als ob sich nichts Besonderes ereignet hatte.
        Stockdale stellte einen Teller mit altbackenem Brot und einen Topf voll gelber Butter auf den Tisch. Es war das letzte Brot, das sie noch in New York an Bord genommen hatten, die Butter kam sicher ranzig aus dem Fa?. Aber als sich Bolitho in seinem Stuhl zurucklehnte, fuhlte er sich wie ein Konig, und das armliche Fruhstuck kam ihm vor wie eine Festtafel.
        Er schaute sich behaglich in der Kajute um. In so kurzer Zeit hatte er viele Gefahren uberstanden. Er hatte mehr Gluck gehabt, als er verlangen konnte.

«Wo steckt Fitch?»
        Stockdale zeigte seine Zahne.»Er trocknet Ihr Bettzeug, Sir. «Er sprach nur selten, wenn Bolitho a? oder nachdachte. Schon langst hatte er alle besonderen Gewohnheiten seines Kapitans erkannt.»Weiberarbeit«, fugte er noch hinzu.
        Bolithos Lachen klang durch das geoffnete Skylight an Deck, wo Tyrell die Wache hatte und Buckle neben dem Kompa?haus auf seiner Schiefertafel kritzelte.
        Buckle schuttelte den Kopf.»Was habe ich Ihnen gesagt? Er macht sich um nichts Sorgen.»

«Wahrschau an Deck!«Tyrell starrte nach oben zum Masttopp, von wo der Ruf kam.

«Segel in Sicht! Steuerbord querab!»
        Fu?e klapperten auf der Niedergangsleiter, und Bolitho erschien neben ihm. Seine Kiefer bearbeiteten noch ein Stuck Butterbrot.

«Ich hab' so ein seltsames Gefuhl heute morgen. «Er sah einen Steuermannsmaat beim Gro?mast stehen und rief ihn an:»Mr. Raven, hinauf mit Ihnen!»
        Mit erhobener Hand hielt er den Mann an, als er zu den Wanten rannte.»Erinnern Sie sich an Ihre Lektion ebenso wie ich?»
        Auch Graves, halb rasiert und nackt bis zur Hufte, war an Deck gesprungen. Bolitho blickte auf die wartenden Seeleute hinunter, betrachtete jeden einzelnen, um seine Ungeduld zu verbergen. Sie hatten sich in irgendeiner Weise verandert. Sie waren zaher geworden, vielleicht hatten sie mehr Selbstvertrauen gewonnen. Sie sahen aus wie sonnverbrannte Piraten und wurden durch ihren Beruf - er zogerte -, vielleicht durch ihre Treue zusammengehalten.

«Wahrschau an Deck!«Wieder das qualende Warten. Und dann schrie Raven hinunter: Die Bonaventure, ich bin ganz sicher!»
        Unter den Seeleuten erhob sich ein boses Knurren. Einer schrie auf:»Die verdammte Bonaventure ist es? Mit diesem Hund werden wir heute abrechnen, was?»
        Einige andere brullten beifallig, und sogar Bethune schrie aufgeregt:»Hurra, Leute!»
        Bolitho wandte sich wieder seinen Mannern zu. Sein Herz war plotzlich schwer, der vielversprechende Morgen vergallt und verdorben.»Lassen Sie die Bramsegel setzen, Mr. Tyrell. Auch die Royals, wenn der Wind so freundlich bleibt.»
        Er sah Tyrells bekummerte, ja sogar traurige Augen und sagte kurz angebunden:»Wir haben unsre Order. Depeschen fur unseren Admiral.«Argerlich deutete er uber die See hin.»Wollen Sie sich mit ihr herumschie?en?«Er wandte sich ab und fugte heftig hinzu:»Bei Gott, nichts ware mir lieber, als wenn sie uns angreifen wurde.»
        Tyrell griff nach seinem Sprachrohr und schrie:»Alle Mann an Deck, alle Mann klar zum Segel setzen!»
        Er warf einen kurzen Blick auf Bolitho, der uber das Schanzkleid hinausstarrte. Das Kaperschiff war nur vom Masttopp aus zu sehen. Aber wie gebannt schaute der Kapitan dorthin, wo es sein mu?te, so, als ob er jedes einzelne Geschutz sahe, jede gahnende Kanonenmundung, genau wie an jenem Tag, an dem die Bonaventure den Widerstand der Miranda zur Seite gefegt hatte wie einen Abfallhaufen.
        Graves trat auf Tyrell zu. Seine Augen ruhten auf den Seeleuten, die von den Befehlen noch immer verwirrt schienen.

«Es ist nicht leicht, vor einem Feind davonzulaufen«, sagte Tyrell.
        Graves zuckte die Achseln.»Und wie steht es mit Ihnen? Ich dachte, Sie sollten mit diesem Ausgang zufrieden sein!«Er fuhr vor dem kalten Blick Tyrells zuruck, fugte aber geschmeidig hinzu:»Fur Sie ware es doch wohl schwer, gegen einen Amerikaner zu kampfen, oder?«Dann eilte er die Leiter hinunter zu seinen Leuten beim Fockmast.
        Tyrells Augen verfolgten ihn.»Bastard!«Er sprach nur zu sich selbst und war von seiner eigenen Ruhe uberrascht.»Bastard!»
        Als er sich abwandte, sah er, da? Bolitho das Deck verlassen hatte.
        Buckle deutete mit dem Daumen auf das Skylight.»Jetzt lacht er nicht mehr, Mr. Tyrell. «Seine Stimme klang grimmig.»Ich mochte sein Kommando nicht haben, nicht fur alle Huren in Ply-mouth.»
        Tyrell tippte an das Halbstundenglas und sagte nichts.
        Wie anders ist er als Kapitan Ransome, dachte der Leutnant. Er wurde weder Hoffnungen noch Befurchtungen mit jemand von ihnen geteilt haben. Und dieselben Seeleute, die nun bereits an den Wanten aufenterten, waren keineswegs uberrascht gewesen, wenn er eine ahnliche Entscheidung wie Bolitho gefallt hatte. Aber sie glaubten, Bolitho konnte sie uberallhin und gegen alle Chancen fuhren. Deshalb waren sie nun von seiner Entscheidung so verwirrt. Die plotzliche Erkenntnis bekummerte Tyrell. Teilweise, weil Bolitho nicht verstand, vor allem aber, weil er derjenige war, der Bolitho hatte klarmachen sollen, wie fest sie alle zu ihm standen.
        Ransome hatte sie immer benutzt, aber nie gefuhrt. Statt ein Beispiel zu geben, hatte er Regeln aufgestellt. Er dagegen. Tyrell blickte auf das Skylight, das jetzt geschlossen war, und in Gedanken horte er wieder eine Madchenstimme.
        Graves kam nach achtern und tippte an seinen Hut. Angesichts der vielen beobachtenden Augen blieb sein Ton formell.

«Erlauben Sie, da? ich die Freiwache unter Deck entlasse, Sir?»

«Aye, nur zu, Mr. Graves. «Ihre Blicke kreuzten sich, dann wandte sich Tyrell ab.
        Er schritt zur Reling und starrte zu den sorgfaltig getrimmten Segeln, zu den sonnenverbrannten Toppsgasten auf den Rahen hinauf.
        Der Freibeuter konnte sie jetzt unmoglich fangen, selbst wenn er sich noch so sehr anstrengte. Ein anderes Schiff vielleicht, einen Kauffahrer oder einen ahnungslosen Handler von den Bahamas, aber niemals die Sparrow.
        Er sah den Bootsfuhrer des Kapitans bei den Wanten stehen.»Wie geht es ihm, Stockdale?»
        Stockdale schaute ihn prufend an, wie ein Wachhund einen moglichen Eindringling. Dann entspannte er sich ein wenig. Seine gro?en Hande hingen lose an beiden Seiten herunter.

«Er kommt sich vor wie an die Kette gelegt, Sir.»
        Zornig blickte er auf das blaue Wasser hinaus.»Aber wir haben schon Schlimmeres erlebt, sehr viel Schlimmeres.»
        Tyrell nickte. Aus Stockdales Augen war deutlich zu lesen, da? er die Wahrheit sprach.»Er hat in Ihnen einen guten Freund, Stockdale?»
        Der Bootsfuhrer wandte sein zerhauenes Gesicht ab.»Aye, ich habe ihn Dinge tun sehen, bei denen die meisten dieser Burschen hier zu ihren Muttern laufen und beten wurden.»
        Tyrell schwieg und ruhrte sich nicht. Er beobachtete das Profil des Mannes, in dessen Gehirn Erinnerungen auftauchten, Ereignisse, die so lebensnah waren, als ob sie erst gestern geschehen waren.
        Stockdale sprach mit seiner wispernden Stimme:»Ich habe ihn wie ein Kind getragen. Ich habe ihn so au?er sich vor Zorn gesehen, da? sich kein Totschlager in seine Nahe getraut hatte. Ein anderes Mal habe ich zugeschaut, wie er einen alten Mann in seinen Armen hielt, bis er starb, obwohl man fur den armen Teufel wirklich nichts mehr tun konnte. «Er drehte sich um. Seine Augen blitzten erregt.»Mir fallen die rechten Worte nicht ein, sonst wurden mir alle Leute zuhoren wollen.»
        Tyrell streckte eine Hand aus und beruhrte seinen muskulosen Arm.»Sie irren sich, Sie haben die rechten Worte gefunden. Danke, da? Sie mir etwas erzahlt haben.»
        Stockdale grunzte und ging schwerfallig zum Niedergang. Nie zuvor hatte er so gesprochen, aber irgendwie traute er Tyrell. Er war wie Bolitho ein Mann, nicht nur ein Offizier. Das genugte ihm.
        Den ganzen Tag uber rauschte die Sparrow in gischtspruhender Freiheit dem leeren Horizont entgegen. Die Wachen wechselten, Geschutzubungen fanden statt, und ein Mann wurde ausgepeitscht, weil er nach einem Wortwechsel sein Messer gegen einen Kameraden gezuckt hatte. Aber es gab keine Wettkampfe an Deck, und als Heyward mit seinem Degen erschien, um eine neue Ubungsreihe zu beginnen, fand er keine Teilnehmer. Auch Dalkeith kam nicht aus seinem Lazarett herauf, um ein paar Pistolenschusse abzufeuern.
        Bolitho blieb allein mit seinen Gedanken in der Kajute. Er fragte sich, warum sein Befehl uber den Kurs der Sparrow so schwer zu ertragen war. Kommando, Fuhrerschaft, Befehlsgewalt waren nur leere Worte. Sie erklarten nicht seine wirklichen Gefuhle, noch konnten sie bose Ahnungen wegwischen.
        Wie der Konteradmiral es gesagt hatte, war der rechte Weg nicht immer beliebt oder am leichtesten zu gehen.
        Als die Glocke die erste Hundewache auslautete, horte er wieder einen Schrei aus dem Masttopp.

«Wahrschau an Deck! Segel in Lee voraus!»
        Bolitho zwang sich, am Tisch sitzen zu bleiben, bis Fahnrich Bethune nach unten kam und berichtete, da? sich das Segel kaum von der Stelle ruhrte. Das Schiff schien beigedreht zu liegen.
        Auch jetzt noch zogerte er, bevor er an Deck erschien. Gab es eine neue Enttauschung? Oder wieder die Notwendigkeit, einem Gefecht auszuweichen? Nur die Zeit und die Entfernung wurden ihm Aufschlu? geben konnen.
        Graves hatte die Wache.»Ware es eine unsrer Fregatten, Sir, konnten wir dann nicht umkehren und die Bonaventure angreifen?»
        Heyward fugte hinzu:»Vielleicht konnten wir sie dann als Prise nehmen?»
        Bolitho sah sie kalt an.»Und wenn es eine franzosische Fregatte ist, was dann?»
        Er bemerkte, wie sie unter seinem Blick erstarrten.»Ich schlage vor, da? Sie Ihre Gedanken bei sich behalten.»
        Aber das einsame Segel gehorte weder zu einem Freibeuter noch zu einem patrouillierenden Kriegsschiff. Als die Sparrow auf sie zuhielt, beobachtete Bolitho das fremde Schiff durch sein Glas. Er sah die Lucke in seinem Rigg, wo die Gro?stenge heruntergebrochen war wie ein Ast vom Baum. Die riesigen Schrammen an seinen Flanken bewiesen, wie hart Wind und See ihm zugesetzt hatten.
        Buckle sagte leise:»Bei Gott, es mu? den vollen Sturm abbekommen haben. Ich glaube, es ist ziemlich ubel dran.»
        Tyrell, der zur Gro?stengenrah hinaufgeklettert war, glitt an einer Backstage herunter auf Deck und berichtete.»Das Schiff kenne ich. Es ist die Royal Anne, ein Westindienfahrer.»
        Buckle stimmte zu:»Aye, Sie haben recht. Sie setzte drei Tage vor uns Segel in Sandy Hook. Soll nach Bristol bestimmt sein, wie ich horte.»

«Hei?en Sie die Flagge.»
        Bolitho schwenkte sein Glas langsam uber die Decks des Schiffes. Er bemerkte die winzigen Figuren, die dort in Gruppen umherstanden, das zerbrochene Schanzkleid, wo eine riesige See wie ein sturzender Felsen an Bord gedonnert war. Ein trauriger Anblick! Spieren fehlten, Segel hingen in Fetzen. Der Kauffahrer mu?te den ganzen Sturm ausgeritten haben, an dessen Rand sie in der Nacht entlanggesegelt waren.

«Das Schiff ist in meinem Buch verzeichnet, Sir«, meldete Bethune.»Es steht unter dem Befehl des Oberkommandierenden.»
        Aber Bolitho horte kaum hin. Er sah, wie die Leute dort auf dem Oberdeck zur Sparrow heruberstarrten. Da und dort winkte ein Mann. Vielleicht stie? er ein Freudengeschrei aus, weil er eine eigene Flagge sah.
        Bolitho straffte sich.»Es sind Frauen an Bord. «Er senkte sein Glas und blickte Tyrell fragend an.»Sie fahrt unter besonderem Befehl?»
        Tyrell nickte langsam.»Indienfahrer segeln gelegentlich unter Charter der Regierung, Sir. «Er schaute weg.»Die Royal Anne bringt wahrscheinlich Zivilisten von New York nach England, weg vom Kriegsschauplatz.»
        Bolitho hob wieder sein Fernglas. Seine Gedanken beschaftigten sich mit Tyrells Worten.

«Wir werden nahe heranfahren und ihr Leeschutz geben. Lassen Sie den Steuerbordkutter klar machen. Der Arzt wird mich hinuber begleiten. «Er blickte Bethune an.»Signalisieren Sie das. Wenn es nicht verstanden wird, dann rufen Sie, sobald wir nahe genug sind.»
        Er verlie? die Reling, als die Flaggen an der Leine hochsausten.
        Tyrell folgte ihm und sagte ernst:»Sie kann der Bonaventure unmoglich entkommen, Sir. Selbst dann nicht, wenn sie unbeschadigt ware.»
        Bolitho schaute ihm ins Gesicht.»Ich wei?.»
        Trotz seiner jagenden Gedanken versuchte er, ruhig zu erscheinen. Mu?te er umkehren und das gro?e Kaperschiff angreifen? Die Tatsachen hatten sich nicht geandert. Die Sparrow wurde von der Bonaventure immer noch mit Leichtigkeit zusammengeschossen und versenkt werden. Die Royal Anne war so beschadigt, da? der Aufschub, den er durch die Aufopferung seines Schiffes und seiner Besatzung erreichen konnte, die Lage nicht wesentlich andern wurde. Sollte er wieder ausrei?en? Aber der Gedanke, den Indienfahrer hilflos dem Feind zu uberlassen, war zu grausam, um in Erwagung gezogen zu werden.
        Aber er mu?te ihn erwagen. Es war seine Entscheidung, ganz allein sein Entschlu?.

«Die Royal Anne wartet auf uns, Sir. Sollen wir die Fahrt aus unserm Schiff nehmen?«rief Buckle.

«Recht so.»
        Bolitho ging langsam am Schanzkleid entlang.»Lassen Sie die Royals und die Bramsegel bergen, Mr. Tyrell. Wir werden sofort beidrehen. «Er sah Stockdale mit seinem Rock und Degen auf ihn zueilen. In funf Stunden wurde es dunkel sein. Wenn sie irgend etwas unternehmen wollten, so mu?ten sie sich beeilen. Und sie mu?ten viel Gluck haben!
        Er schlupfte in seinen Rock.»Mr. Tyrell, Sie kommen mit mir.»
        Wahrend das Boot uber das Schanzkleid geliert wurde, blickte er zuruck, fast so, als erwarte er, dort ein Segel schimmern zu sehen.

«Kutter liegt langsseits, Sir!»
        Er nickte und schritt zum Schanzkleid.»Sehen wir, was wir tun konnen.»
        Und ohne irgend jemanden anzuschauen, folgte er Tyrell in den Kutter.



        IX Klar zum Entern

        Als sich Bolitho an einer schwankenden Jakobsleiter zum plumpen Schanzkleid der Royal Anne emporzog, war er sich der Schwierigkeiten, die ihn erwarteten, vollkommen bewu?t. Auf dem Ober- und Achterdeck standen viele Passagiere und Matrosen einzeln oder in gro?en Gruppen beisammen. Aber alle drangten sich zusammen, wahrend sie Bolitho und die Seeleute, die ihm aus dem Kutter nachfolgten, anstarrten.
        Bolitho blieb stehen, um seine Gedanken zu sammeln, und wahrend er den Degen an seiner Seite zurechtruckte und Tyrell seine Mannschaft in einer Reihe antreten lie?, schatzte er das Schiff und seinen Zustand langsam ab. Heruntergefallene Riggteile und zerbrochene Spieren, gro?e Fetzen zerrissenen Segeltuchs und Tauwerk lagen auf Deck unordentlich herum, und die schwerfalligen Schiffsbewegungen verrieten ihm, da? in den Bilgen viel Wasser schwappte.
        Ein gro?er, schlaksiger Mann in einem blauen Rock trat hervor und tippte an seine Stirn.

«Ich hei?e Jennis, Sir. «Er schluckte stark.»Steuermann und dienstaltester Offizier.»

«Wo ist der Kapitan?»
        Jennis zeigte bekummert auf die Reling.»Im Sturm uber Bord gegangen. Und mit ihm zwanzig Mann.»
        Stiefel stapften auf einer Niedergangsleiter, und Bolitho erstarrte, als eine wohlbekannte Person die anderen beiseite stie? und auf ihn zuschritt. Es war General Blundell, untadelig wie immer, aber mit zwei Pistolen an seinem Gurtel.
        Bolitho gru?te.»Es uberrascht mich, Sie hier zu sehen, Sir James. «Er versuchte, seine Abneigung zu verbergen.»Sie scheinen sich in Schwierigkeiten zu befinden?»
        Der General blickte sich um, spahte dann zur Sparrow hinuber, die sich mit lose flappenden Segeln in der Dunung wiegte, als ob sie schliefe.

«Und in Eile!«bellte er.»Dieses verdammte Schiff hatte den Hafen uberhaupt nicht verlassen durfen. «Er deutete auf den Steuermann.»Dieser Trottel kann nicht einmal Ordnung unter seinen Leuten halten.»
        Bolitho blickte Tyrell an.»Nehmen Sie Ihre Leute und inspizieren Sie den Schiffsrumpf und alle Schaden. So schnell wie moglich, bitte.»
        Mit zusammengekniffenen Augen musterte er eine Gruppe von Seeleuten, die am vorderen Niedergang herumlummelten. Sie kummerten sich weder um seine Ankunft noch um die Unordnung auf dem Schiff.
        Der Steuermann begann eilig zu berichten:»Wir mu?ten unsere Pistolen benutzen, Sir. Einige Leute verloren die Vernunft, als der Sturm losbrach. Wir haben Rum und andere alkoholische Getranke sowie Sirup und Kaffee geladen. Wahrend wir das Schiff retteten, brach ein Teil der Mannschaft mit einigen Passagieren zusammen die Laderaume auf und fing zu saufen an. «Er schauderte.»Die Weiber schrien und kreischten, das Schiff schien auseinanderzubrechen, Kapitan Harper wurde uber Bord gespult. Es war mir nicht moglich, alles gleichzeitig zu uberwachen.»
        Blundell fuhr ihn an:»Sie sind verdammt unbrauchbar. Ich sollte Sie wegen Verantwortungslosigkeit erschie?en lassen!»
        Als sich der erste Seemann der Sparrow dem vorderen Luk naherte, kam Leben in die betrunkenen Kerle. Mit Gejohle und hohnischem Geschrei versperrten sie den Weg uber das Deck, und von rechts vorn schleuderte eine unsichtbare Hand eine Flasche, die an einem Ringbolzen zerschellte und einen Seemann verletzte. Blutstropfen rannen uber seine Brust.

«Vorwarts, Mr. Tyrell!«sagte Bolitho scharf.
        Der Leutnant nickte.»Zieht eure Entermesser, Leute. «Er nahm seine Pistole und richtete sie auf die Linie der schwankenden Matrosen.»Schlagt jeden tot, der sich zur Wehr setzt. Bootsmannsmaat, fuhren Sie die Kerle nach unten ab und stellen Sie sie an die Pumpen!»
        Einer der Betrunkenen machte Anstalten, auf die Manner der Sparrow loszugehen, aber er fiel bewu?tlos aufs Deck, als ihn der Bootsmannsmaat mit flacher Klinge hart gegen den Schadel schlug.

«Mr. Jennis, es gibt viel zu tun«, sagte Bolitho.»Teilen Sie Ihre Leute ein und lassen Sie neue Vorsegel anschlagen. Lassen Sie diesen Wirrwarr losschneiden und uber Bord werfen, so da? die Verletzten an Deck niedergelegt werden konnen. Mein Schiffsarzt soll sich um sie kummern.»
        Er wartete, bis der Steuermann seine Befehle gegeben hatte. Dann fugte er hinzu: Wie ist das Schiff bewaffnet?»
        Mit einer unbestimmten Bewegung winkte Jennis uber das Schiff hin.»Nicht gut, Sir. Zwanzig Sechspfunder und ein paar Drehbassen. Wir versuchen, Gefechten moglichst auszuweichen. Diese Geschutze genugen, um uns die Bukaniers oder Gelegenheitspiraten vom Leib zu halten. «Er blickte uberrascht auf.»Warum fragen Sie?»
        General Blundell mischte sich ein.»Zum Teufel, soll ich hier vielleicht herumstehen, wahrend Sie sich uber die Ausrustung dieses verdammten Schiffes unterhalten? Ich habe schon genug mitgemacht und..»

«Sir James, nordlich von hier kreuzt ein feindliches Kaperschiff«, sagte Bolitho kurz.»Wahrscheinlich folgt es unserm Kurs. Die Ausrustung, wie Sie es nennen, werden wir dringend brauchen, wenn uns dieser Feind in die Quere kommt.»
        Er wandte sich ab und horchte auf, als das Klanken der Pumpen ihm bewies, da? Tyrell die Meuterer in den Griff bekommen hatte.

«Gehen Sie nach achtern und schauen Sie nach, was dort los ist«, sagte er zu Stockdale.
        Blundells Stimme klang jetzt weniger zuversichtlich.»Kaperschiff? Uns angreifen?»
        Bolitho antwortete:»Die Sparrow ist sehr klein, Sir. Der Feind ist zweimal so stark wie wir!»

«Besser als nichts«, grunzte der General.»Wenn Sie kampfen mussen, tun Sie es aus verdienstvollen Grunden.»
        Bolitho beachtete ihn nicht mehr, als Tyrell an Deck erschien.

«Ich habe das Bilgenwasser ausgelotet. Das Schiff macht standig Wasser, aber die Pumpen scheinen es fassen zu konnen. Unter Deck ist der Teufel los. Kabinen sind aufgebrochen, Besoffene, zwei Mann mit Messern umgebracht. «Mit gerunzelter Stirn blickte er zum Steuermann hin, der seine Leute aufforderte, die heruntergerissenen Spieren wegzuraumen.»Er mu? verruckt gewesen sein vor Verzweiflung. «Dann schaute er Bolitho fragend an.»Was wollen wir machen?»

«Ihr Kapitan wird seine Pflicht tun«, warf Blundell ein.»Wenn wir angegriffen werden, wird er dieses Schiff und die Passagiere verteidigen. Mu? Ihnen das etwa noch erklart werden, Mann?»
        Tyrell blickte ihn kalt an.»Nicht von Ihnen, General!»

«Wie viele Frauen sind an Bord«, fragte Bolitho kurz angebunden. Er beobachtete Stockdale, der die Passagiere vom Achterschiff herfuhrte. Seine Stimme, mit der er versuchte, sie zu beruhigen, war kaum zu horen.
        Es waren auch viele Kinder dabei, mehr als Bolitho vermutet hatte.

«Um Himmels willen, wie lange wollen Sie denn noch so herumstehen?«Der General brullte, sein Gesicht war fast so rot wie sein Waffenrock.»Was spielt es denn fur eine Rolle, wieviele von diesen und jenen an Bord sind, und welche Farbe ihre Augen haben?«Er konnte sein Geschrei nicht fortsetzen.
        Tyrell trat dicht an ihn heran. Er hatte den Kopf gesenkt, so da? sich ihre Gesichter fast beruhrten.

«Horen Sie zu, General, was der Kaptn sagt, ist richtig. Der Feind ist allem, was wir ihm entgegensetzen konnen, weit uberlegen, und dieser Indienfahrer hier ist noch verdammt viel schlimmer dran.»

«Das geht mich nichts an, und ich warne Sie, achten Sie auf Ihr Benehmen!»

«Sie mich warnen, General?«Tyrell lachte lautlos.»Hatten Sie die Reparaturarbeiten der Sparrow in Sandy Hook nicht hinausgezogert, waren wir schon seit einem Monat wieder auf See. Und dann waren Sie nun allein hier drau?en und sa?en da wie eine fette Ente, die drauf wartet, fur den Kochtopf abgeknallt zu werden. «Sein Ton wurde harter.»Achten Sie also auf Ihr eigenes verdammtes Benehmen!»
        Bolitho stand etwas abseits und horte nur halb auf ihre Zornausbruche. Wiederum sollte Blundells Erscheinen ihn und sein Schiff in wirkliche Gefahr bringen. Es blieb ihm nur noch zu hoffen, da? die Bonaventure ihn nicht finden wurde, da? er den angeschlagenen Westindienfahrer wieder seeklar machen und dieses Gebiet mit gro?tmoglicher Eile verlassen konnte.
        Jennis kam wieder nach achtern.»Ich habe die Leute dazu bringen konnen, ein neues Vorsegel anzuschlagen, Sir. Aber sonst haben wir kaum noch zusatzliches Segeltuch an Bord. Dies hier ist ein Kompanieschiff, und es sollte, sobald es Bristol erreicht hat, vollkommen uberholt werden. Deshalb segelten wir unterbemannt und ohne genugend Offiziere.»
        Er strich mit der Hand uber sein zerfurchtes Gesicht.»Wenn Sie uns nicht gefunden hatten, so waren wohl noch mehr Leute verruckt geworden und zu den Meuterern ubergelaufen. Neben etlichen Anstandigen haben wir unter den Passagieren einen ziemlich gro?en Haufen von Gaunern an Bord.»
        Bolitho blickte auf, als ein pendelnder Block gegen die Besan-stenge klapperte. Er sah die zerrissenen Segel wie zerfetzte Fahnen flappen und bemerkte, da? die helle Kompaniefahne anfing, lustig zu wehen. Er runzelte die Stirn. Der Wind frischte auf, ganz leicht nur, aber es erschwerte die Umstande, wenn er vor der Entscheidung stand, die unerbittlich auf ihn zukam.
        Und dennoch, es gab immer noch eine Chance, da? er sich irrte. In diesem Fall entstanden lediglich mehr Unannehmlichkeiten und Entbehrungen fur die Passagiere.
        Er zog seine Uhr und klickte den Deckel auf. Keine vier Stunden mehr Tageslicht.

«Mr. Tyrell, lassen Sie sofort alle Boote der Royal Anne zu Wasser. Schicken Sie eine Botschaft an Graves, da? ohne Verzogerung unsere Boote mit funfzig Mann heruberkommen sollen. Wir mussen wie die Teufel arbeiten, wenn wir dieses Schiff so weit reparieren wollen, da? es wieder Segel setzen kann.»
        Er wartete, bis Tyrell und der ungluckliche Steuermann weggeeilt waren. Dann wandte er sich an den General:»Nun, Sir James, ich werde sehen, da? ich das Notigste tun kann.»
        Der General rief hinter ihm her:»Und wenn, wie Sie befurchten, der Feind aufkreuzt, wollen Sie sich dann davonstehlen und uns allein lassen?«Seine Stimme klang heiser vor unterdrucktem Zorn.»Werden Ihre schriftlichen Befehle Sie vor der Schande bewahren konnen, wenn Sie das vorhaben?»
        Bolitho blieb stehen und blickte ihn an.»Nein, Sir James, wenn es uns die Zeit erlaubt, werde ich alle Passagiere und Seeleute der Royal Anne auf mein Schiff bringen lassen.»
        Dem General quollen fast die Augen aus dem Kopf.»Was? Die Ladung zurucklassen und ohne sie absegeln?«Er schien vor Unglaubigkeit fast gelahmt zu sein.
        Bolitho lie? seine Augen uber die See gleiten. Er sah die Boote langsseits dumpeln und bemerkte, wie allmahlich die Ordnung zuruckkehrte, da seine eigenen Leute alles beaufsichtigten.
        Naturlich, das hatte er sich gleich denken sollen. Die Beute des Generals war ebenfalls hier an Bord. Zu seiner Uberraschung half ihm dieser Gedanke, seine Gelassenheit wiederzugewinnen. Er konnte sogar lacheln, als er zu sich selbst sprach:»Sie, General, werden die Notwendigkeit gro?ter Eile wohl zu schatzen wissen. In beiderseitigem Interesse.»
        Tyrell trat an seine Seite.»Das hat ihm den Wind aus den Segeln genommen.»

«Es war kein Scherz, Tyrell. Wenn wir zusammen mit dem Kauffahrer bei Einbruch der Dunkelheit weitersegeln konnen, haben wir ganz gute Chancen. Es konnte ja sein, da? die Bonaventure schlie?lich ihren Kurs geandert hat, nachdem sie uns aus den Augen verlor. Vielleicht ist sie nun schon viele Seemeilen weit weg.»
        Tyrell blickte ihn ernst an.»Aber Sie glauben selbst nicht so recht daran, Sir?»

«Nein. «Er trat zur Seite, als zerrissene Riggteile wie schwarze Schlangen von einem umgesturzten Kutter weggezerrt wurden.»Das Wann macht mir eher Sorgen als das Ob.»
        Tyrell deutete uber das Schanzkleid hinaus.»Graves schickt soeben die ersten Leute heruber. «Er zog eine Grimasse.»Auf der Sparrow ist nun nicht genug Besatzung. Das Schiff kann so kaum unter Segeln gehalten werden.»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Wenn die Halfte der Besatzung durch Fieber umgekommen ware, dann mu?te es der Rest auch irgendwie schaffen. «Dann fugte er hinzu:»Gehen wir jetzt zu den Damen. Sie werden wohl noch verzweifelter sein als der General. Glauben Sie nicht auch?»
        Es waren etwa funfzig Frauen an Bord. Sie waren unter den hohen Aufbauten des Achterdecks zusammengedrangt, doch nach Rang und Stellung in jener anderen Welt auf dem Festland voneinander getrennt. Ob alt oder jung, ha?lich oder schon, sie betrachteten Bolitho schweigend, als ob er aus der See gestiegen sei wie ein Bote Neptuns.

«Meine Damen!«Er leckte seine Lippen, als ein aufregend schones Madchen in einem gelbseidenen Gewand ihn anlachelte. Er versuchte es noch einmal.»Meine Damen, ich mu? bedauern, Ihnen Ungelegenheiten zu bereiten, aber es gibt noch sehr viel zu tun, bevor Sie sicher Weiterreisen konnen.»
        Sie lachelte immer noch, unverhohlen, belustigt, genau in der Art, die ihn immer in Verwirrung gebracht hatte.

«Sollte jemand von Ihnen verletzt sein, so wird mein Schiffsarzt das Beste fur Sie tun. Gerade wird eine Mahlzeit bereitet, und meine eigenen Leute werden vor Ihren Quartieren Posten beziehen.»
        Das schone Madchen fragte:»Glauben Sie, da? der Feind kommen wird, Kapitan?»
        Sie hatte eine kuhle, selbstbewu?te Stimme, der Erziehung und gute Herkunft anzuhoren waren.
        Er zogerte.»Das ist immer moglich.»
        Sie zeigte ihre ebenma?igen Zahne.»Nun, was fur tiefschurfende Worte von solch einem jungen Offizier des Konigs!»
        Einige andere lachelten, manche lachten sogar laut.

«Wollen Sie mich bitte entschuldigen, meine Damen«, er warf einen zornigen Blick auf das Madchen,»ich habe zu tun.»
        Tyrell verbarg ein Lacheln, als er hinter ihm herging. Er mu?te an Stockdales Worte denken.»So zornig, da? kein Totschlager sich in seine Nahe getraut hatte.
«Jetzt war er zornig, in heller Wut!
        Es ist gut so, dachte Tyrell. Es wurde seine Gedanken von der wirklichen Gefahr ablenken.
        Eine Bedienstete beruhrte Bolithos Arm.»Bitte um Verzeihung, Sir. Aber unten in einer Kajute ist eine Dame ziemlich ubel dran. Fieber!»
        Bolitho blieb stehen und schaute zuruck.»Holen Sie den Arzt. «Er spannte sich, als das schone Madchen wieder auf ihn zutrat. Ihr Gesicht war plotzlich ernst.

«Es tut mir leid, da? ich Sie so zornig gemacht habe, Kapitan. Es ist unverzeihlich.»

«Zornig?«Bolitho zerrte an seinem Gurtel.»Ich kann mich nicht erinnern.»
        Sie beruhrte seine Hand.»Das ist jetzt unter Ihrer Wurde, Kapitan. Vielleicht etwas unsicher, aber hochfahrend sind Sie nicht. Ich sehe Sie ganz anders.»

«Wenn Sie endlich ausgeredet haben..»
        Wieder hielt sie ihn auf, ohne auch nur die Stimme zu erheben.

«Die anderen Frauen waren der Hysterie ziemlich nahe, Kapitan. Der Sturm warf uns durcheinander wie zerlumpte Puppen. Dann ertonte das Geschrei der Aufruhrer und Meuterer. Manner kampften miteinander um Rum oder um das, was sie uns in ihrer Tollheit abnehmen wollten.»
        Sie senkte den Blick.»Es war furchterlich. Grauenhaft.»
        Dann sah sie Bolitho wieder ins Gesicht. Ihre Augen hatten die Farbe von Veilchen. Plotzlich schrie jemand. >Ein Schiff! Ein Schiff des Konigs!<, und wir rannten trotz der Gefahr an Deck.»
        Sie wandte sich ab und schaute uber die Reling.»Und da waren Sie, die kleine Sparrow. Fur uns alle war das fast zuviel. Hatte ich nicht diesen dummen Scherz auf Ihre Kosten gemacht, so waren vielleicht einige Frauen zusammengebrochen.»
        Seine Abwehr geriet ins Wanken.»Eh, ja, gewi?. «Er spielte mit seinem Degengriff. Dalkeith warf ihm im Vorubergehen einen sonderbaren Blick zu.
        Bolitho fuhr fort:»Sie haben sehr geistesgegenwartig gedacht, meine Dame.»

«Ich wei? uber manche Dinge gut Bescheid, Kapitan! Ich sah Ihre Augen, als Sie mit Ihrem Leutnant und Sir James sprachen. Es ist noch Schlimmeres im Anzug, nicht wahr?»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Ehrlich gesagt, ich wei? es nicht.»
        Er horte die Stimme des Generals, der einen Seemann anbrullte, und fuhr fort: Dieser Mann macht mir immer Schwierigkeiten.»
        Sie lachelte und machte einen spottischen Knicks.»Sir James kann recht schwierig sein, das gebe ich zu.»

«Kennen Sie ihn?»
        Sie ging zu den anderen Frauen zuruck.»Mein Onkel, Kapitan«, sagte sie lachend. Sie mussen wirklich versuchen, Ihre Gefuhlsausbruche besser zu verbergen. Sonst werden Sie nie Admiral!»
        Tyrell trat wieder heran.»Diese Frau unten in der Kajute ist krank. Aber Dalkeith wei? gut genug Bescheid in solchen Dingen. «Er runzelte die Stirn.»Und wie sieht es mit Ihnen aus, Sir?»
        Bolitho rausperte sich.»In Gottes Namen, horen Sie auf, mich so dumm zu fragen!
»Aye, Sir. «Er grinste, als er das Madchen an der Reling und Bolithos Verwirrung bemerkte.»Ich verstehe, Sir.»
        Ein dumpfer Knall erschutterte die Luft. Alle wandten sich um, und Bolitho sah ein Rauchwolkchen von einem der Backbordgeschutze der Sparrow wegtreiben.
        Der General kam keuchend die Leiter herauf und schrie:»Was war das?»

«Das verabredete Signal, Sir«, antwortete Bolitho.»Mein Ausguck hat den Feind gesichtet.»
        Er betrachtete weder den General noch die Leute um ihn herum. Seine Gedanken erfa?ten diese eine wichtige Tatsache. In gewisser Hinsicht war es fast eine Erleichterung, nun die Entscheidung endgultig treffen zu mussen.

«Mr. Tyrell, die Bonaventure wird noch einige Stunden brauchen, bis sie hier ist und ihre Absichten zu erkennen geben kann. Dann durfte es fur ihren Kapitan zu spat zum Angriff sein. Warum sollte er auch? Er braucht nur die Morgendammerung abzuwarten, um dann zuzuschlagen.»
        Tyrell beobachtete ihn und war beeindruckt von seinem ruhigen Ton.
        Bolitho fuhr fort:»Wenn der Wind uns keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir die Passagiere zur Sparrow ubersetzen konnen. Ich mochte jedes Boot im Einsatz haben und verlange, da? alle Mann, die nicht verletzt oder krank sind, die Befehle mit aller Kraft ausfuhren.»

«Ich verstehe. «Tyrell musterte ihn ungeruhrt.»Etwas anderes konnen Sie nicht tun. Manch einer wurde die Royal Anne mit allen Seeleuten und Passagieren ihrem Schicksal uberlassen.»
        Bolitho schuttelte seinen Kopf.»Sie haben nicht verstanden, Tyrell. Ich habe nicht vor, die Royal Anne im Stich zu lassen oder zu versenken, damit sie nicht in die Hande der Feinde fallt. «Er sah, wie sich Tyrells Kiefer zusammenpre?ten, bemerkte die plotzliche Spannung in seinen Augen.

«Ich beabsichtige, mit sechzig Freiwilligen hier an Bord zu bleiben. Was spater geschehen wird, hangt hauptsachlich vom Kapitan der Bonaventure ab.»
        Er hatte nicht bemerkt, da? sich die anderen um ihn zusammengedrangt hatten, aber er drehte sich nun um, als der General aufschrie:»Das konnen Sie nicht! Wagen Sie es nicht, dieses Schiff mit seiner Ladung aufs Spiel zu setzen! Verdammt, hier habe ich auch ein Wortchen mitzureden.»
        An Bolithos Arm raschelte Seide. Er horte die ruhige Stimme des Madchens:»Sei still, Onkel. Der Kapitan hat mehr vor, als nur etwas zu wagen. «Sie schaute Blundell unverwandt an.»Er hat vor, fur uns zu sterben. Ist das nicht genug - selbst fur dich?»
        Bolitho nickte kurz und ging davon. Hinter sich horte er Stock-dales Stimme, der sich beeilte, seinen Ruckzug zu decken. Er mu?te jetzt nachdenken, jeden Augenblick bis zur endgultigen Sekunde des Todes vorplanen. Er blieb stehen und lehnte sich gegen die verzierte Reling. Der Tod. Sollte er so bald schon uber ihn kommen?
        Er wandte sich zornig um.»Geben Sie Befehl an die Boote, sofort mit dem Ubersetzen anzufangen! Zuerst Frauen und Kinder, dann die Verletzten.»
        Er blickte dem davoneilenden Steuermann Jennis nach und bemerkte, wie ihn das Madchen anstarrte.»Und keine Einwande, von niemandem!»
        Er schritt uber das Deck und betrachtete sein eigenes Schiff. Wie gro?artig es aussah, da es sich vorsichtig naher an den Indienfahrer heranschob. Jetzt wurde er bald die Segel des Feindes am Horizont auftauchen sehen. Er wurde heransegeln und sich wie der Jager auf seine Beute sturzen. Es gab noch so viel zu tun. Befehle, welche die Korvette nach Antigua zu bringen hatte. Vielleicht sogar noch ein kurzer Brief an seinen Vater. Aber nicht sofort! Jetzt mu?te er erst noch ein paar Augenblicke still stehenbleiben, um sein Schiff zu bewundern. Er mu?te sich seine schnittigen Umrisse einpragen, bevor es ihm genommen wurde.
        Bolitho starrte immer noch uber das Wasser, als Tyrell meldete, da? alle verfugbaren Boote eingesetzt seien, um Besatzung und Passagiere der Royal Anne zur Sparrow zu bringen.»Sie wird noch schlimmer vollgestopft werden als damals, da wir die Rotrocke retteten, Sir. «Er zogerte und fuhr dann fort:»Ich wurde gern bei Ihnen bleiben, Sir.»
        Bolitho schaute ihn nicht an.»Sind Sie sich daruber im klaren, was Sie sagen? Hier steht mehr auf dem Spiel als Ihr Leben.»
        Tyrell versuchte zu grinsen.»Hector Graves wird einen besseren Kommandanten abgeben, Sir.»
        Jetzt wandte sich Bolitho ihm zu.»Sie werden gegen einige Ihrer eigenen Leute kampfen mussen.»
        Tyrell lachelte.»Ich wu?te, da? es das war, was Sie dachten. «Er deutete auf einige Seeleute der Sparrow, die eben eine altere Frau zu den Booten trugen.»Das dort sind meine Leute, kann ich also bleiben?»
        Bolitho nickte.»Gerne!«Er zog den Hut vom Kopf und fuhr mit den Fingern durch sein Haar.»Ich will jetzt gehen und die Befehle fur Graves niederschreiben.»

«Wahrschau an Deck! Segel backbord querab!»
        Sie sahen sich in die Augen. Dann sagte Bolitho leise.»Treiben Sie die Leute an. Ich mochte nicht, da? der Feind sieht, was wir vorhaben.»
        Als er wegging, starrte ihm Tyrell nach und murmelte:»So sei's denn, Kaptn!»
        Er horte ein plotzliches Geschrei und bemerkte, wie das Madchen, das Bolitho so zornig gemacht hatte, mit Sto?en und Schlagen die Absperrkette der Seeleute zu durchbrechen suchte.
        Ein Bootsmannsmaat brullte:»Sie will nicht von Bord, Sir!«Das Madchen hammerte mit ihren Fausten auf dem nackten Arm des Seemanns herum, doch er schien es gar nicht zu spuren.

«Lassen Sie mich bleiben, ich will hier sein«, rief sie Tyrell zu.
        Er grinste auf sie herunter und deutete auf ein langsseits liegendes Boot. Strampelnd und protestierend wurde sie hochgehoben und zur Reling getragen, dann ohne jede Feierlichkeit wie ein gelbseidenes Paket ins Boot hinunterbefordert.
        Der Himmel war bereits viel dunkler, als Bolitho das Deck wieder betrat. In der Hand trug er einen versiegelten Umschlag. Sein Boot wartete am Bug angehakt. Alle anderen Boote waren bereits an Deck gehievt, und das Schiff schien leer und still in der Dunung zu rollen. Er hob ein Teleskop und richtete es querab uber die See. In etwa sechs Meilen Entfernung konnte er jetzt die Bonaventure sehen. Aber sie hatte bereits ihre Segel gerefft und wartete, wie er vermutet hatte, auf den nachsten Tag.
        Tyrell tippte an seinen Hut.»Unsere Leute sind an Bord, Sir. «Er deutete auf das Hauptdeck, wo Fahnrich Heyward mit einem Unteroffizier sprach.»Ich habe sie selbst ausgesucht, aber Sie hatten noch viel mehr Freiwillige haben konnen.»
        Bolitho ubergab einem Seemann den Umschlag.»Geben Sie das an unser Beiboot weiter.
«Dann sagte er langsam zu Tyrell:»Gehen Sie unter Deck und ruhen Sie sich ein bi?chen aus. Ich mu? mir inzwischen verschiedenes durch den Kopf gehen lassen.»
        Wenig spater hatte sich Tyrell in einer verlassenen Kabine niedergelegt. Auf dem Fu?boden lagen aufgebrochene Kisten und herausgerissene Kleidungsstucke. Uber sich horte er die ruhelosen Schritte Bolithos auf den Decksplanken. Hin und her, auf und ab. Vielleicht lag es an diesem gleichma?igen Pochen, da? ihm die Augenlider herabsanken. Er fiel in tiefen, traumlosen Schlaf.
        Bolitho stand mit gespreizten Beinen auf dem Achterdeck der Royal Anne. Soeben sah er zum ersten Mal an diesem Morgen seinen Schatten uber das Schanzkleid fallen. Wie langsam war diese Nacht vergangen! Aber nun beim ersten Morgenschimmer schien alles gleichzeitig zu beginnen, wie bei einem schlecht einstudierten Drama. Backbord querab sah er die sich immer deutlicher abzeichnende Segelpyramide der Bonaventure, die sich zielbewu?t vor dem Wind naherte. Sonderbarerweise war ihr Rumpf immer noch in Schatten gehullt. Nur ein wei?schimmernder Schaumstreifen vor dem Bug verriet ihre wachsende Geschwindigkeit. Sie war jetzt etwa drei Meilen entfernt. Er schwenkte sein Glas nach der anderen Seite zu einer kleinen Korvette hin. Die Sparrow lag viel naher, aber dennoch wirkte sie sehr viel kleiner als das Kaperschiff.
        Tyrell trat an seine Seite.»Der Wind scheint ziemlich stetig zu sein, Sir. Nordwest zu Nord. «Er sprach mit verhaltener Stimme, als ob er furchtete, die Schiffe in ihren bedachtigen Vorbereitungen zum Kampf zu storen. Bolitho nickte. Wir werden Sudost steuern. Genau das erwartet der Feind von uns.»
        Er ri? seine Augen von dem Kaperschiff los und blickte uber das Deck des Indienfahrers hin. Das neue Focksegel zog gut, ebenso das Besansegel und der Kluver. Der Rest war wenig besser als Lappen, und der Versuch, den Kurs mehr als einen Strich zu andern, ware reine Zeitvergeudung.
        Tyrell seufzte.»Ich habe die Kanonen selbst nachgesehen, Sir. Sie sind geladen, wie befohlen. «Er kratzte sich den Bauch.»Einige sind so alt, da? sie zerspringen wurden, wenn wir sie doppelt laden.»
        Bolitho schaute wieder zuruck und beobachtete die anderen Schiffe. Langsam fuhrte er sein Fernglas uber das Deck der Sparrow, sah die Leute hinter dem Schanzkleid und einen einzelnen Seemann auf der Gro?mastsaling. Dann, als ein verspielter Windsto? das Unterliek des Gro?segels wie eine Mullerschurze anhob, entdeckte er Graves. Er stand neben dem Ruderrad, hatte die Arme verschrankt und glich in jedem Zoll einem Kapitan. Bolitho atmete langsam aus. So viel hing von Graves ab. Wenn er den Kopf verlor oder seine sorgfaltig abgefa?ten Anweisungen falsch auslegte, dann konnte der Feind immer noch mit einem Schlag zwei Fliegen fangen. Aber Graves hatte den ersten Teil der Befehle richtig erfa?t. Er trug Bolithos neue Uniform. Die Goldlitzen waren trotz des schwachen Lichtes deutlich zu sehen. Sicher wurde der feindliche Kapitan vorsichtig und wachsam sein. Nichts durfte jetzt falsch anlaufen. Gott allein wu?te, wie die vielen Passagiere unter Deck au?er Sicht zusammengepfercht worden waren. Das Schiff mu?te ihnen wie ein verriegeltes Grab vorkommen. Fur die Frauen und Kinder mu?te es ein Alptraum sein,
sobald das Geschutzfeuer einsetzte.
        Fahnrich Heyward kam aufs Achterdeck und meldete:»Unsere Entermannschaft ist bereit, Sir.»
        Wie Bolitho und Tyrell hatte auch er seine Uniform abgelegt und wirkte nun in Kniehosen und offenem Hemd noch jugendlicher.

«Danke. «Bolitho bemerkte, da? er statt des kurzen Sabels eines Fahnrichs einen seiner kostbaren Degen trug.
        Ein Schu? krachte dumpf, und er sah, wie ein Gescho? von den eilig ziehenden Wellenkammen abprallte und dann eine wei?e Gischtfahne zwischen ihm und dem Bug der Sparrow hochwarf. Ein Probeschu?, eine Absichtserklarung? - Wahrscheinlich beides, dachte er grimmig. Trotz des Flatterns zerrissenen Segeltuchs klang von der Sparrow her das Wirbeln der Trommeln uber das Wasser. Bolitho stellte sich vor, wie dort nun die Leute auf ihre Gefechtsstationen rannten. Die zweite Phase! Er sah den scharlachroten Fleck der Flagge, die ubermutig an der Gaffel hochsauste, und fuhlte ein Wurgen in seiner Kehle, als die Geschutzpforten sich offneten und die Reihen der Kanonen enthullten.
        Graves hatte weniger als die Halfte der Besatzung zur Verfugung. Er mu?te einige Leute des Indienfahrers zum Dienst gepre?t haben, da er die Geschutze so sauber ausrennen konnte. Aber es mu?te alles vollkommen echt aussehen, so als ob sich die Korvette zum Widerstand vorbereitete und versuchen wollte, ihren schwerfalligen Genossen zu verteidigen.
        Wieder ein Schu?! Die Kugel pflugte etwa eine Kabellange vor der Sparrow durch die See.
        Bolitho bi? die Zahne aufeinander. Jetzt konnte es Graves gerade noch schaffen. Sollte der Wind in diesem Augenblick schralen, ware es ihm nicht mehr moglich, rechtzeitig zu wenden. Er lage dann unter dem Gescho?hagel des Feindes, wenn er versuchte, abzufallen und das Manover noch einmal einzuleiten.

«Jetzt!«zischte Tyrell heiser.
        Die Rahen der Korvette schwangen herum. Ihre Leereling tauchte schwer in die Dunung ein, und sie begann mit dichtgeholten Segeln auf den Backbordbug zu wenden. Jetzt passierte sie das Heck der Royal Anne wie ein kleiner Wachhund. Signalflaggen sausten an der Rah hoch, und Bolitho stellte sich vor, wie Bethune seinen Leuten zurief, sich zu beeilen und das sinnlose Signal aufzuhissen. Der Feind mu?te glauben, da? sich die Sparrow auf ihren Todeskampf vorbereitete und dem Kompanieschiff befahl, Rei?aus zu nehmen.
        Geschutzfeuer blitzte entlang der vordersten Batterie derBona-venture auf, und die Einschlage tasteten sich immer naher an die stark uberliegende Sparrow heran. Graves lie? jetzt die hinderlichen Segel uber den Geschutzen aufgeien, obwohl er kaum den vierten Teil der Kanonen bemannt haben konnte.
        Zwischen zusammengebissenen Zahnen pre?te Tyrell die Worte heraus:»Hector, das ist jetzt nahe genug! Um Himmels willen, la? dich nicht auffressen!»
        Ein schwerer Schu? rollte uber das haiblaue Wasser, und obwohl das Mundungsfeuer hinter dem Rumpf der Sparrow verborgen war, wu?te Bolitho, da? eines der Buggeschutze abgefeuert worden war. Er sah, wie die Kugel kurz vor der Back des Feindes in den Gischt platschte und dann das Vorschnellen orangefarbener Zungen, als die Bonaventure augenblicklich zuruckfeuerte.
        Auf der Sparrow bebte die Vorbramstenge, dann knickte sie ab und sturzte in den braunen Rauch hinunter. Das Segel verfing sich mehrmals im Tauwerk des Riggs, bevor es in die See eintauchte. In einigen Segeln zeigten sich jetzt Locher, und Bolitho hielt den Atem an, als einige Wanten uber dem Achterschiff in einem schweren Treffer ruckten und brachen.
        Der Feind war jetzt schon sehr nahe. Sein Vormarssegel wolbte sich, und genau vorm Wind segelnd griff er die Sparrow an, die weniger als zwei Kabellangen von seinem Steuerbordbug entfernt lag.

«Er hat's geschafft«, rief Tyrell.»Verdammt, jetzt geht er uber Stag!»
        Die Sparrow wendete. Ihre Masten richteten sich auf, als sie gewaltsam herumkam. Das zunehmende Sonnenlicht lie? ihre Segel aufleuchten, die unter der Beanspruchung flappten und ruttelten.
        Das Geschutzfeuer hatte aufgehort, denn die Korvette bot nun, da sie ihr Heck gegen den Feind drehte, kein gutes Ziel. Jetzt wurde auf der Sparrow das Focksegel losgemacht, und wahrend ihre Geschwindigkeit zunahm, sah Bolitho die Toppsgasten wie schwarze Insekten uber die Rahen laufen. Immer mehr Segel blahten sich im Wind. Deutlich konnte er Buckle an der Achterdecksreling ausmachen. Seine Aufgabe hielt ihn so sehr in Spannung, da? er sich im Vorbeisegeln gar nicht um den schwerfalligen Kauffahrer kummerte. Schon lag die Sparrow querab, und nach wenigen Minuten hatte sie bereits den Bug der Royal Anne passiert. Sie fuhr den ersten Sonnenstrahlen entgegen, die uber den weiten Horizont tauchten.
        Bolithos Mund fuhlte sich trocken an. Seine Arme und Beine erschienen ihm unsicher, als ob sie zu jemand anderem gehorten. Auf der Bonaventure wurde jetzt die Fock aufgegeit und enthullte die ganze Breite des Achterdecks, die vielen Menschen, die an der Reling standen und der fliehenden Korvette nachdeuteten und winkten. Zweifellos stie?en sie jetzt ein Freudengebrull aus. Die ganze Wildheit des bevorstehenden Gefechts verlor sich jetzt in den verblufften Reaktionen auf einen nicht erkampften Sieg.
        Bolitho wandte sich an Tyrell:»Denken Sie also daran. Wir mussen, wenn nur irgend moglich, die Bonaventure manovrierunfahig machen. Sollte eine patrouillierende Fregatte sie dann finden, kann sie vollenden, was wir begonnen haben. «Er packte sein Handgelenk.»Aber achten Sie darauf, da? unsre Leute ihre Rollen gut spielen. Wenn die Bonaventure jetzt abdreht, kann sie uns mit ihren Geschutzen in einem Atemzug in Stucke schlagen.»
        Das Kaperschiff hatte sich inzwischen naher herangeschoben. Es lief vor dem Wind auf das Heck der Royal Anne zu, als ob es an der Backbordseite uberholen wollte. Sein Kapitan war ein hervorragender Seemann. Au?er den Marssegeln war alles Tuch aufgegeit. Dennoch beherrschte er das schwere Schiff sicher und geschickt. Er wurde zweifellos den Windvorteil halten, was immer Bolitho auch zu tun versuchte.
        Ein Geschutz spie eine lange Feuerzunge aus, und Bolitho fuhlte die Kugel in den Schiffsrumpf einschlagen. Die Planken unter seinen Fu?en erbebten heftig.
        Auf dem Achterdeck des feindlichen Schiffes hob sich eine dunkle Menschengruppe von dem lichten Himmel ab. Die Sonne blitzte auf erhobenen Fernrohren. Sie wurden jetzt ihr Opfer prufen. Die Royal Anne sah ahnlich aus wie am Tag zuvor, als Bolitho an Bord gekommen war. Teile des Riggs hingen uber das beschadigte Schanzkleid. Ein Luk war plangema? offen gelassen, und einige seiner Leute rannten in scheinbarer Verwirrung uber das Deck.
        Heyward stand unter der Back verborgen und dirigierte ihr Verhalten.

«Jetzt!«Bolitho winkte, und vom Hauptdeck aus spien zwei Sechspfunder ihre Herausforderung uber den immer schmaler werdenden Wasserstreifen zwischen den Schiffen.
        Vom Heck her tonte der scharfe Knall einer Drehbasse. Wahrscheinlich fiel die Kartatsche harmlos ins Meer, bevor sie die Flanke des Feindes treffen konnte.
        Die Antwort erfolgte sofort. Die ganzeBreitseite der Bonaven-ture entlang schickte Geschutz um Geschutz krachend seine Kugeln in den Rumpf der Royal Anne. Bolitho war froh, die meisten seiner Manner unter Deck geschickt zu haben. In diesem morderischen Beschu? waren schon jetzt zu viele niedergemaht worden. Holzstucke und Planken flogen nach allen Richtungen, und er sah, wie ein Seemann mit wild zuckenden Beinen wie ein blutiger Fetzen zur Seite geschleudert wurde.
        Stockdale blickte Bolitho an und sah ihn nicken. Mit einem Grunzen raste er, ein Entermesser schwenkend, uber das Deck.
        Bolitho zog seine Pistole und schrie ihm nach. Als Stockdale weiterrannte, druckte er ab. Er dankte Gott, da? seine Hand ruhig gezielt hatte und der Schu? dicht uber den Kopf des Bootsfuhrers pfiff. Stockdale erreichte sein Ziel und durchtrennte mit einigen Hieben die Fallen. Die gro?e Kompaniefahne taumelte wie ein helles Seidentuch auf die Luvreling nieder.
        In einer Pause des Kanonendonners scholl, unwirklich und verstarkt durch ein Sprachrohr, eine Stimme uber das Wasser.

«Drehen Sie bei, oder ich versenke Sie!»
        Bolitho horte, wie am Vorschiff Heyward seine Leute aufforderte, dem Anruf zu gehorchen, dann das plotzliche Aufseufzen der Planken, als das Schiff wie betrunken in den Wind schwankte. Die ubriggebliebenen Segel knatterten und schlugen.

«Er macht klar zum Entern«, sagte Tyrell.
        Die Rahen der Bonaventure waren jetzt von Mannern besetzt, und als der machtige Schiffsrumpf vorsichtig, dann nachdrucklicher langsseits glitt, sah Bolitho, wie von vielen Stellen aus gleichzeitig die Enterhaken flogen. Die Leute auf den Rahen machten eilig ihre Leinen an den Wanten und Spieren der Royal Anne fest, und nun, da beide Schiffe aneinander gefesselt schwankten und rollten, war fur Bolitho der Augenblick des Handelns gekommen.

«Jetzt, Entermannschaft vorwarts!»
        Mit einem Chorus von Gebrull und Schreien sturzten die Seeleute aus beiden Luken hervor und sprangen auf das Schanzkleid. Bevor die Feinde erkannten, was geschah, waren schon mehrere von ihnen unter den Beilen und Entermessern der Angreifer gefallen. Einen Augenblick, wenige Sekunden zuvor noch, hatten sie die Royal Anne fur eine hilflose Prise gehalten, fur ein Schiff, das sich ergeben hatte und dessen Flagge von einem eigenen Matrosen heruntergehackt worden war. Dann, wie aus dem Nichts, brach der brullende Haufen fremder Seeleute hervor und sprang mit blitzenden Klingen und heiseren Stimmen, toll vor Kampfeswut, uber das Schanzkleid.
        Bolitho rannte zur Reling und ri? an der Abzugsleine einer Drehbasse. Er sah, wie die Kartatsche durch einen Knauel von Feinden mahte und sie mit einem morderischen Hagel zur Seite fegte.
        Dann griff er mit der zweiten Gruppe seiner Leute an, zog sich an den Wanten hoch und hieb zugleich mit seinem Degen in einen Arm, der einen Enterhaken hielt. Geschrei und Fluche, das Knallen der Pistolen, stahlernes Klirren. Er war wie betaubt von diesem Getose. Hinter ihm glitt ein Mann ab und wurde wie ein gemartertes Tier zwischen den Schiffen zerquetscht, die ihre Flanken aneinanderrieben. Sein Blut lief hellrot in die aufstiebenden Fahnen des Gischtes.
        Jetzt stand er auf dem feindlichen Deck. Sein Arm zitterte, als er die Parade eines Mannes zur Seite schlug, ihm den Degenkorb gegen den Kiefer schmetterte und ihn in den Haufen kampfender Leute zuruckwarf. Ein anderer sprang ihn mit gezucktem Entermesser an, rutschte auf einem Blutflecken aus und wurde von Stockdales Klinge im Genick getroffen. Es klang, wie wenn eine Axt in einen Holzpflock getrieben wird.

«Zerhackt ihm das Rigg, Manner!«schrie Bolitho wild.»Macht den Hund zum Kruppel!»
        Er fuhlte eine Kugel hei? an seinem Gesicht vorbeifahren und duckte sich, als ein anderes Gescho? in die Brust des Seemannes neben ihm klatschte. Sein Todesschrei ging unter im tobenden Kampfeslarm.
        Nun hatte er eine Leiter erreicht. Seine Schuhe waren schlupfrig vom Blut, seine Finger tasteten sich an einem Gelander hinauf, dessen Holz von einem Gescho? zersplittert war.
        Zwei Offiziere parierten die Beil- und Sabelhiebe und versuchten, ihren hart bedrangten Leuten zu Hilfe zu kommen. Bolitho sah, wie einer von ihnen seinen Degen in einen Bootsmannsmaat stie?, sah, wie sich dessen Augen im Todesschmerz verdrehten, bevor er auf das untere Deck hinuntersturzte.
        Im nachsten Augenblick war Bolitho oben und stand dem Ersten Offizier des Kaperschiffes gegenuber. Mit Hieb und Parade tasteten sie die Starken und Schwachen des Gegners ab.

«Fahr zum Teufel!«Der Feind duckte sich und stach nach Bolithos Kehle.

«Ergib dich, solange du noch lebst, du verruckter Hund!»
        Bolitho wehrte die Klinge mit seinem Degenkorb ab und hebelte den Mann aus seinem Stand. Deutlich spurte er die Warme seines Korpers, sein heftiges Atmen.

«Verdammt, ergib dich«, schrie Bolitho zuruck.
        Ein Pistolenschu? krachte. Der Offizier lie? seinen Arm s inken und starrte verblufft auf den Strom hellroten Blutes, der sto?weise durch sein Hemd quoll.
        Im Vorbeispringen feuerte Tyrell dem Feind eine zweite Pistolenkugel in die Brust.

«Ich kenne den Lump, Kaptn, war vor dem Krieg ein verdammter Sklavenhandler!»
        Einen Augenblick spater sank er stohnend auf ein Knie nieder. Blut stromte aus seiner Hufte. Bolitho zog ihn zur Seite, schlug gleichzeitig einen brullenden Seemann nieder und stie? ihm seine Klinge durch die Brust.

«Ruhig Blut, Leute!»
        Er starrte verzweifelt auf die nachsten seiner Leute. Viel Tauwerk des Riggs war durchhauen, doch letzten Endes hatte der Angriff nur wenig Eindruck gemacht. Und uberall wichen seine Manner zuruck. Ihr wilder Mut zum Kampfen und Siegen nahm mit der schrumpfenden Mannschaftsstarke ab.
        Von uberall her, so schien es, feuerten Pistolen und Musketen in die zuruckgehenden englischen Seeleute. Heyward stand breitbeinig vor einem Verwundeten, brullte wie ein wildes Tier und schlug zwei Angreifer gleichzeitig zuruck.
        In unerreichbarer Ferne sah Bolitho den amerikanischen Kapitan regungslos auf dem Achterdeck stehen und das Gemetzel beobachten. Er war ein hochgewachsener, gutaussehender Mann. Entweder traute er den Fahigkeiten seiner Leute so sehr, oder er war so entsetzt uber den Opfermut seiner Gegner, da? er seine Augen nicht von dem blutigen Schauspiel losrei?en konnte.
        Bolitho schlug ein Entermesser zur Seite und schluchzte laut auf, als seine Klinge wenige Zoll vor dem Griff brach. Er schleuderte den Rest seines Degens dem Mann an den Kopf und sah ihn gleichzeitig von einem Schu? durchbohrt mit zuckenden Beinen fallen.
        Halb betaubt erinnerte er sich an den geschmeidigen Handler in English Harbour, der ihm die Waffe verkauft hatte. Er wurde sein Geld jetzt nicht mehr bekommen, der verfluchte Kerl!
        Mit krachzender Stimme rief er Stockdale zu:»Sie wissen, was Sie zu tun haben!«Er mu?te ihn wegsto?en, und selbst dann noch, als er gehorchte und wegrannte, spahte er immer wieder mit besorgten Augen zuruck.
        Dann horte er wieder die fremdartig verzerrte Stimme, und als er aufblickte, sah er, wie der amerikanische Kapitan sein Sprachrohr an den Mund hielt.

«Ergebt euch jetzt! Ihr habt mehr als genug geleistet. Ergebt euch oder sterbt!»
        Bolitho fuhr herum, sein Herz schien ihm zu zerspringen, sein Geist war verstort, als er einen jungen Seemann aufs Deck fallen sah. Ein Entermesser hatte sein Gesicht vom Ohr bis zum Kinn gespalten.
        Achzend versuchte Tyrell, sich auf seinem verletzten Bein aufzurichten. Mit wildem Blick deutete er zuruck:»Seht, Stockdale hat's geschafft!»
        Aus dem Hauptdeck der Royal Anne quoll eine Fahne schwarzen Rauches. Sie breitete sich aus, wurde dichter, bis sie wie unter Druck aus allen Fugen und Ritzen stromte.

«Zuruck, Manner! Zuruck!«gellte Bolithos Stimme.
        Dann hinkten und taumelten die Leute der Sparrow uber das Schanzkleid, zerrten und schleppten die Verwundeten mit sich, trugen andere, die zu schwer verletzt waren, um sich zu bewegen. Es waren nicht viele ubriggeblieben und fast alle verwundet.
        Bolitho wischte mit dem Handrucken uber seine tranenden Augen. Er horte Tyrell qualvoll stohnen, als er ihn mit sich zuruckzerrte und das eigene Deck erreichte. Hinter ihnen erscholl rasendes Gebrull, das Klingen stahlerner Axte, als die Feinde versuchten, die Laschings durchzuhauen, die sie selbst so geschickt festgezurrt hatten, um die Schiffe aneinanderzufesseln. Aber es war zu spat. Schon von dem Augenblick an, da Stockdale den letzten und gefahrlichsten Teil des Unternehmens eingeleitet hatte. Ein kurzes, helles Aufflackern! Dann brach das Feuer uber die Ladung von Rum und Alkohol herein und breitete sich mit furchterlicher Geschwindigkeit uber den ganzen Schiffsrumpf aus.
        Flammen leckten aus offenen Geschutzpforten und liefen wie bose, gluhende Zungen am geteerten Tauwerk der Bonaventure entlang. Segel zerfielen zu Asche, und dann loderte ein brullendes Feuermeer zwischen den Schiffen auf und vereinigte sie zu einem einzigen Scheiterhaufen.
        Bolitho spahte auf das Boot nieder, das unter dem Heck festgemacht worden war, nachdem es seine Befehle an Graves uberbracht hatte.»Alle Mann von Bord!»
        Einige kletterten hinunter, andere sturzten sich kopfuber ins Wasser, packten schreiend das Dollbord, bis Kameraden ihnen ins Boot halfen.
        Flammende Segel, Asche, Schauer sengender Funken trieben uber ihre Kopfe, und gerade als ein Seemann die Leine loswarf und sie halb geblendet nach den Rudern griffen, horte Bolitho wieder eine gewaltige Explosion. Es klang, als ob der Donner aus der Tiefe der See her kame.
        Der Westindienfahrer begann sofort zusammenzusacken. Seine Masten und Spieren, die mit dem Rigg des Feindes verhakt waren, schleuderten Flammen und Funken einige hundert Fu? hoch in die rauchverhangene Luft.
        Bolitho betrachtete seine Handvoll unverletzter Seeleute, die sich mit allen Kraften in die Riemen legten. Wahrend er das Boot von den brennenden Schiffen wegsteuerte, fuhlte er, wie die Hitze seinen Rucken versengte. Die Pulvervorrate gingen in die Luft, Masten sturzten. Der Laderaum der Royal Anne brach in einem Inferno von Larm und fauchenden Flammen auseinander. Dann das Brausen einstromenden Wassers! Er horte das alles und dachte sogar einen Augenblick lang an die Goldbarren des Generals, die vielleicht irgend jemand einmal auf dem Grund des Meeres entdecken mochte.
        Aber all das beruhrte ihn nicht. Sie hatten das Unmogliche vollbracht. Die Miranda war geracht!
        Traurig schaute er seine Manner an, betrachtete ihre Gesichter, die jetzt so viel fur ihn bedeuteten. Dort sa? der junge Heyward, schmutzig und erschopft. In seinem Scho? lehnte ein verletzter Seemann. Dort Tyrell mit einem blutigen Verband um den Oberschenkel. Die Augen hatte er im Schmerz geschlossen, aber er hatte seinen Kopf zuruckgelegt, als ob er die ersten warmen Sonnenstrahlen suchte. Und Stockdale war uberall. Er verband Wunden, lenzte das Boot aus, unterstutzte einen ausgepumpten Seemann beim Rudern und half, einen Toten uber das Dollbord heben. Er war unermudlich, unzerstorbar.
        Bolitho betrachtete seine ausgestreckte Hand. Sie war ganz ruhig, obwohl jeder Nerv, jeder Muskel zu beben schien. Er blickte seine leere Degenscheide an und lachelte traurig. Das war nun alles gleichgultig.
        Bolitho konnte sich nicht erinnern, wie lange seine Leute an den Riemen pullten, wie lange es dauerte, bis die beiden brennenden Schiffe endlich sanken. Die Sonne brannte auf ihre schmerzenden, erschopften Glieder nieder, der Riemenschlag wurde langsamer und zogernder. Einmal, als Bolitho sich umdrehte, sah er, da? die See weithin mit treibenden Uberbleibseln der Schiffe und der Menschen, die auf ihnen gekampft hatten, bedeckt war. Dem Freibeuter war es gelungen, wenigstens ein Boot abzusetzen, und bevor es im Dunst verschwand, sah er, da? es mit Uberlebenden vollgepfropft war. Vielleicht wurden auch jene dort jetzt dieselbe Verzweiflung wie die Manner der Miranda kennenlernen.
        Dann streifte ein Schatten uber sein Gesicht, und er blickte auf. Er hatte die Sparrow nicht bemerkt, deren Bramsegel jetzt frohlich den Pfad der Sonnenstrahlen kreuzten.
        Die Manner im Boot starrten schweigend ihr Schiff an. Sie konnten nicht einmal miteinander sprechen. Noch immer konnten sie es nicht fassen, da? sie uberlebt hatten.
        Bolitho stand an der Pinne. Seine Augen brannten, als er sein vorsichtig heransegelndes Schiff und die Kopfe uber dem Schanzkleid sah. Die Sparrow hatte ihn gesucht. Trotz der Gefahr, trotz der Unwahrscheinlichkeit, da? sein Plan gelang, war sie zuruckgekehrt. Eine Stimme klang uber das Wasser.»Boot ahoi?»
        Es mu?te die Stimme des Steuermanns gewesen sein, der wohl besorgt war, wer noch lebte.
        Stockdales zerfurchtes Gesicht blickte Bolitho fragend an. Als er nicht antwortete, stand er auf und legte seine gro?en Hande an den Mund.

«Sparrow ahoi! Klar zum Empfang des Kapitans!«Bolitho sank zusammen. Die letzten Krafte verlie?en ihn. Er war zuruckgekehrt!
        Ende


 
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