Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Der Piratenfurst Fregattenkapitan Bolitho In Der Java See " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Der Piratenfurst: Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #8
1784 - in der Stra?e von Malakka. Englands Ostindische Handelskompanie fa?t in Indonesien Fu?. Eine wichtige Rolle spielt dabei Seiner Majestat Fregatte «Undine» unter ihrem Kommandanten Richard Bolitho. Mit intriganten Hofbeamten und einer verfuhrerischen Frau an Bord wird aus Bolithos Geheimauftrag ein erbitterter Kampf gegen Rebellen, Piraten und Saboteure, gegen den undurchdringlichen Dschungel, den Monsun und franzosische Kanonen - und gegen die unbezahmbare Leidenschaft fur die Frau eines anderen.

        Alexander Kent
        Der Piratenfurst
        Fregattenkapitan Bolitho in der Java-See Roman

        Fur die Contessa

        Tod und Teufel tanzen
        zur Hollenmusik der Sturme
        und rasen noch wilder zur Nacht,
        wie um die Furcht einzulullen,
        die den blinden Seemann beschleicht,
        der nur ihren Zugriff fuhlt.

    George H. Grant



        I Des Admirals Wahl

        Eine Ordonnanz des Admirals offnete die Tur des kleinen Vorzimmers und sagte sehr hoflich:»Wurden Sie bitte hier eintreten, Sir?«Er wich beiseite, um Captain Richard Bolitho einzulassen.»Sir John wei?, da? Sie hier sind.»
        Als der Diener gegangen war und die Tur hinter sich zugemacht hatte, trat Bolitho an den hohen Kamin, wo ein kraftiges Feuer brannte. Gut, da? ihn der Mann in dieses kleine Zimmer gefuhrt hatte und nicht in einen der gro?eren Warteraume. Als er sich vor dem bitter kalten Marzwind, der durch die Stra?en von Whitehall fegte, in das Admiralitatsgebaude gefluchtet hatte, war ihm der Gedanke an diese uberfullten Warteraume hochst unbehaglich gewesen. Dort traten sich die entlassenen Seeoffiziere gegenseitig auf die Fu?e und beobachteten das Kommen und Gehen solcher Besucher, die mehr Gluck zu haben schienen, mit beinahe ha?erfullten Blicken.
        Bolitho kannte diese Gefuhle aus eigener Erfahrung, wenn er sich auch oft gesagt hatte, da? es ihm besser ging als den meisten anderen. Denn als er vor einem Jahr nach England zuruckgekommen war, herrschte Friede im Land; Stadte und Dorfer waren bereits voller Seeleute und Soldaten, die niemand mehr brauchte. Er dagegen hatte seinen Besitz bei Falmouth, ein solides, ertragreiches Landgut; au?erdem hatte er eine Menge schwerverdientes Prisengeld mitgebracht - er mu?te wirklich dem Schicksal dankbar sein.
        Er trat vom Kamin weg ans Fenster und starrte auf die breite Stra?e. Es hatte fast den ganzen Vormittag geregnet, aber jetzt war der Himmel klar, und die zahlreichen Pfutzen glitzerten in der grellen Sonne wie Fetzen bla?blauer Seide. Nur die dampfenden Nustern der vielen Pferde, welche die Stra?e in beiden Richtungen passierten, und die hastenden, vorgebeugt gegen den Wind ankampfenden Fu?ganger verrieten, wie trugerisch der augenblickliche Sonnenschein war.
        Er seufzte. Es war im Marz 1784; erst vor einem guten Jahr war er aus Westindien heimgekehrt, aber ihm kam es wie ein Jahrhundert vor.
        So oft er konnte, hatte er die lange Reise von Falmouth nach London unternommen, um direkt bei der Admiralitat herauszufinden, warum seine Briefe ohne Antwort blieben, warum alle seine Antrage auf Zuteilung eines Schiffes, ganz gleich was fur eins, nicht beachtet wurden. Und jedesmal kamen ihm die Warteraume voller vor. Es waren immer die gleichen Manner; aber je ofter sie abgewiesen oder vertrostet wurden, um so unsicherer klangen ihre Stimmen bei den endlosen Gesprachen uber Schiffe und Seeschlachten, um so mehr schwand ihr Selbstvertrauen. Dutzendweise wurden Schiffe au?er Dienst gestellt, und jede Hafenstadt beherbergte ihr volles Ma? an dem menschlichen Treibgut eines beendeten Krieges: Invaliden und Kruppel; Manner, die im Geschutzfeuer taub und blind geworden waren; andere, die von ihren Erlebnissen halb verruckt geworden waren. Seit dem Friedensschlu? im Vorjahr war der Anblick solcher Menschen etwas so Gewohnliches, da? man gar nicht mehr daruber sprach, und die Betroffenen selbst waren zu verzweifelt, um uberhaupt noch zu hoffen.
        Eben bogen unten zwei Manner um die Ecke. Das Herz krampfte sich ihm zusammen bei dem Anblick. Auch ohne ihre zerfetzten roten Rocke hatte er gewu?t, da? es ehemalige Soldaten waren. Am Rinnstein hielt eine Kutsche; die Pferde steckten die Kopfe zusammen und erkundeten, was sich in ihren Futtersacken befand. Der Kutscher unterhielt sich mit einem elegant livrierten Lakaien aus dem Nebenhaus, und keiner der beiden warf auch nur einen Blick auf die zerlumpten Veteranen.
        Der eine lehnte seinen Kameraden an eine Steinbalustrade und trat dann zur Kutsche. Bolitho erkannte, da? der Mann, der sich an dem steinernen Gelander festhielt, blind war; er wandte den Kopf zur Stra?e hin, als horche er, wo sein Freund geblieben war. Worte waren da uberflussig. Der Soldat blickte den Kutscher und den Lakaien nur an und hielt die Hand auf. Die Geste war weder aggressiv noch unterwurfig, aber seltsam eindringlich. Nach kurzem Zogern steckte der Kutscher die Hand in die Innentasche seines schweren Mantels.
        In diesem Moment lief ein Herr eilig die Freitreppe der Admiralitat hinab und ri? die Kutschentur auf. Sein Mantel war so warm wie elegant, und die Schnallen auf seinen Schuhen blitzten in dem wasserigen Sonnenlicht. Er starrte den Soldaten an und sagte argerlich etwas zu dem Kutscher. Der Lakai eilte zu den Pferden und nahm ihnen die Futtersacke ab, und in Sekundenschnelle war die Equipage im geschaftigen Strom der Kutschen und Lastwagen verschwunden. Der Soldat starrte ihr einen Augenblick nach, hob dann resigniert die Schultern und ging zu seinem Kameraden zuruck. Die Arme untergehakt, schlurften sie langsam auf die nachste Stra?enecke zu.
        Bolitho bemuhte sich, das Fenster aufzumachen, aber der Riegel klemmte. Scham und Arger uber das eben Gesehene stiegen in ihm hoch.

«Kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?«fragte jemand hinter ihm: die Ordonnanz von vorhin.

«Ich wollte zwei Invaliden ein bi?chen Geld hinunterwerfen«, antwortete Bolitho.
        Der Mann schien erstaunt.»Mein Gott, Sir, daran gewohnt man sich in London.»

«Ich nicht.»

«Ich wollte Ihnen melden, Sir, da? Sir John Sie jetzt empfangen mochte.»
        Bolitho folgte ihm auf den Flur. Er verspurte eine plotzliche Trockenheit in der Kehle. Deutlich erinnerte er sich an seinen letzten Besuch hier im Hause; fast auf den Tag einen Monat war das her. Damals hatte er eine ausdruckliche schriftliche Vorladung bekommen und brauchte nicht voller Nervositat und heimlicher Wut in einem Wartezimmer herumzusitzen. Es war wie ein Traum, ein unglaublicher Gluckstreffer. Und so empfand er es immer noch, trotz der tausend Schwierigkeiten, mit denen die Tage seit seiner letzten Vorsprache belastet gewesen waren.
        Er hatte Order erhalten, unverzuglich das Kommando uber Seiner Britannischen Majestat Schiff Undine (zweiunddrei?ig Geschutze) zu ubernehmen, das zur Zeit im Dock von Portsmouth uberholt und neu ausgerustet wurde. In Kurze sollte es seeklar sein.
        Als er damals beschwingten Schrittes das Admiralitatsgebaude verlie?, stand ihm fast das Schuldgefuhl im Gesicht geschrieben, denn er hatte wohl gemerkt, da? ihn die Offiziere im Vorzimmer neidisch und sogar ubelwollend musterten.
        Es hatte ihn eine ganze Menge Geld gekostet, die Uberholungs- und Ausrustungsarbeiten zu beschleunigen. Er hatte gedacht, da? er jetzt, da die Flotte auf ein Viertel ihrer Kriegsstarke geschrumpft war, Reservetauwerk und - spieren leichter bekommen wurde als in Kriegszeiten; aber wie er zu seinem Erstaunen feststellen mu?te, war das Gegenteil der Fall. Resigniert hatte ihm ein Schiffsbauer verraten, den Werftbeamten lage mehr daran, mit den Reedern gro?er Handelsschiffe zusammenzuarbeiten; an denen konnten sie mehr verdienen als an einem kleinen Fregattenkapitan, den sie auf Staatsrechnung beliefern mu?ten.
        Mit Bestechungen, Drohungen und unter standigem Antreiben beinahe jedes einzelnen Werftarbeiters hatte er indessen mehr oder weniger erreicht, was er wollte. Anscheinend sah man im baldigen Auslaufen der Fregatte die einzige Moglichkeit, vor Bolitho wieder Ruhe zu haben und sich um eigene Geschafte kummern zu konnen.
        Mit gemischten Gefuhlen hatte er sein neues Schiff im Dock umschritten. Aber die freudige Erregung uberwog, und dazu kam die Gewi?heit, da? dieses Schiff alle seine Krafte fordern wurde. Verschwunden war das neidvolle Unbehagen, das ihn in Falmouth jedesmal befiel, wenn wieder ein Kriegsschiff die Landspitze unterhalb der Festung rundete. Aber noch etwas anderes hatte er gemerkt. Sein letztes Schiff war die Phalarope gewesen, eine der Undine sehr ahnliche Fregatte, vielleicht ein paar Fu? langer. Sie war sein ein und alles gewesen; vielleicht, weil er auf ihr so viel durchgestanden hatte. In den westindischen Gewassern, in der Seeschlacht bei den Saintes*, hatte er erlebt, wie sein geliebtes Schiff unter seinen Fu?en zusammengeschossen wurde, bis es fast ein Wrack war. Niemals wurde, niemals konnte es ein Schiff geben, das der Phalarope glich. Aber als er auf der Steinmauer des Docks auf und ab schritt, verspurte er ein neues, ein ahnliches Hochgefuhl.
        Mitten in der Hektik der Uberholungsarbeiten bekam er unerwartet Besuch von Konteradmiral Sir John Winslade, demselben, der ihn im Admiralitatsgebaude empfangen hatte. Er war ziemlich wortkarg gewesen, hatte das Schiff und Bolithos Vorbereitungen fluchtig inspiziert und dann beilaufig bemerkt:»Inzwischen kann ich Ihnen wenigstens so viel sagen: Sie segeln nach Indien. Mehr darf ich Ihnen im Moment nicht verraten. «Sein Blick glitt uber die Takler, die in den Wanten und auf den Rahen werkten, und er fugte trocken hinzu:»Ich kann nur in Ihrem Interesse hoffen, da? Sie rechtzeitig fertig werden.»
        Winslades Andeutungen waren keineswegs leichtzunehmen. Offiziere auf Halbsold gab es, so viele man wollte. Aber ein Schiff des Konigs zu bemannen, ohne da? der Druck eines Krieges dahinterstand und Pre?kommandos eingesetzt werden konnten - das war etwas vollig anderes. Und ware Bolitho nicht der Mann gewesen, der er nun einmal war, so hatte er in Versuchung geraten konnen, das Ziel der Reise so lange geheimzuhalten, bis genugend Matrosen die Musterrolle

* Kleine Inselgruppe der Franzosischen Antillen (der Ubersetzer).
        unterschrieben hatten und dann nicht mehr entwischen konnten.
        Er hatte die ublichen, in blumenreicher Sprache abgefa?ten Flugblatter in Portsmouth und Umgebung verteilen lassen. Er hatte Werbekommandos ins Binnenland bis nach Guildfort, das auf halbem Wege nach London lag, ausgeschickt, aber ohne viel Erfolg. Und jetzt, als er hinter der Admiralitatsordonnanz auf eine hohe, goldverzierte Tur zuging, fehlten der Undine immer noch funfzig Mann an der Sollstarke.
        In anderer Hinsicht hatte Bolitho mehr Gluck gehabt. Der vorige Kapitan der Undine hatte sein Stammpersonal scharf im Auge behalten. Als Bolitho das Schiff ubernahm, fand er einen harten Kern altgedienter Matrosen vor, sowie alle Deckoffiziere, einen erstklassigen Segelmacher und den geschicktesten Schiffszimmermann, dem er jemals bei der Arbeit zugesehen hatte. Bolithos Vorganger hatte den Dienst bei der Marine endgultig quittiert, um sich einer parlamentarischen Karriere zu widmen. Oder wie er es ausgedruckt hatte:»Ich habe die Nase voll davon, mit Stahl und Eisen zu kampfen. Von jetzt ab, junger Freund, kampfe ich mit Verleumdungen.»
        Konteradmiral Sir John Winslade stand mit dem Rucken zum Kaminfeuer und hielt sich die Rockscho?e auseinander, um moglichst viel von der Warme abzubekommen. Kaum jemand wu?te Genaueres uber ihn. Irgendwie hatte er sich durch eine Einzelaktion vor Brest ausgezeichnet, und daraufhin hatte er eine ansehnliche Position in der Admiralitat bekommen. An seinem bleichen, vornehmen Gesicht war nichts Auffalliges. Tatsachlich sah er so unauffallig aus, als truge nicht er seinen goldbetre?ten Rock, sondern der Rock ihn.
        Bolitho war erst siebenundzwanzig Jahre alt; aber er hatte schon zwei Kommandos innegehabt und wu?te mit Stabsoffizieren gut genug Bescheid, um sie nicht nach dem Au?eren zu beurteilen.
        Winslade lie? seine Rockscho?e fallen und wartete, bis Bolitho zu ihm herangetreten war. Dann streckte er ihm die Hand hin und sagte:»Sie sind punktlich, das ist gut. Wir haben viel zu besprechen. «Er trat an ein zierliches Lacktischchen.»Ein Glas Wein?«Jetzt erst lachelte er. Es war ein Lacheln wie der blasse Sonnenschein drau?en: sparlich und schnell vorbei.
        Er zog einen Stuhl fur Bolitho heran.»Auf Ihre Gesundheit, Captain. «Und als sie getrunken hatten:»Ich nehme an, Sie wissen, warum ich Sie fur dieses Kommando angefordert habe?»
        Bolitho rausperte sich.»Ich war der Ansicht, Sir, weil Captain Steward in die Politik geht, benotigen Sie einen neuen. .»
        Wieder lachelte Winslade, etwas verkniffen diesmal.»Bitte, Bolitho! Bescheidenheit auf Kosten der Aufrichtigkeit macht die Sache nur topplastig. Daruber sind Sie sich doch klar?»
        Er nippte an seinem Glas und fuhr im gleichen trockenen Ton fort:»Bei dieser Mission mu? ich mich auf den Kapitan der Undine vollkommen verlassen konnen. Sie werden auf der anderen Seite der Welt stationiert sein. Ich mu? wissen, was Sie denken, damit ich, wenn ich zu gegebener Zeit eine bestimmte Depesche erhalte, auch entsprechend handeln kann.»
        Bolitho versuchte, sich zu entspannen.»Danke. «Er lachelte etwas unsicher.»Fur Ihr Vertrauen, meine ich.»

«Gewi?. «Winslade griff nach der Karaffe.»Ich kenne Ihre Herkunft, Ihre dienstlichen Leistungen, speziell im letzten Krieg gegen Frankreich und seine Alliierten. Uber Ihr Verhalten auf dem amerikanischen Kontinent liegt ein sehr gunstiger Bericht vor. Ein ausgewachsener Krieg und eine blutige Rebellion in Amerika mussen eine gute Schulung fur einen so jungen Kommandanten gewesen sein. Doch dieser Krieg ist aus und vorbei - «, wieder das fluchtige Lacheln,»- aber wir, oder wenigstens einige von uns, wollen jetzt nach Moglichkeit verhindern, da? wir je wieder in eine so hilflose Pattsituation geraten.»

«Aber wir haben doch den Krieg nicht verloren, Sir!«rief Bolitho.

«Wir haben ihn auch nicht gewonnen. Und das ist das Wesentliche.»
        Bolitho mu?te unwillkurlich an die letzte Seeschlacht denken: das Schreien und Brullen auf beiden Seiten, das Krachen der Geschutze und der fallenden Spieren. So viele hatten an diesem Tag den Tod gefunden. So viele vertraute Gesichter wurden einfach ausgeloscht. Und manche, die ubriggeblieben waren wie jene beiden zerlumpten Soldaten mu?ten jetzt sehen, wie sie ihr Leben fristen konnten.»Wir taten unser Bestes, Sir«, sagte er gedampft.
        Der Admiral sah ihn nachdenklich an.»Das stimmt. Sie haben vielleicht den Krieg nicht gewonnen, aber Sie haben uns eine gewisse Frist verschafft. Zeit, um zu Atem zu kommen und den Tatsachen ins Gesicht zu sehen.»

«Sie denken, da? der Friede nicht lange dauern wird, Sir?»

«Ein Feind bleibt immer ein Feind, Bolitho. Nur die endgultig Besiegten sind friedlich. O ja, wir werden wieder kampfen, seien Sie sicher. «Er setzte sein Glas nieder und fragte in scharfem Ton:»Und nun Ihr Schiff. Sind Sie soweit?»
        Bolitho hielt seinem Blick stand.»Mir fehlen immer noch Seeleute, aber das Schiff selbst ist so klar, wie es nur sein kann. Vor zwei Tagen habe ich es aus der Werft schleppen lassen; jetzt liegt es in Spithead vor Anker, bis aller Proviant an Bord ist.»

«Wie viele Leute fehlen Ihnen?»
        Funf Worte nur, aber da gab es kein Drumherumreden.

«Funfzig, Sir. Aber meine Offiziere bemuhen sich weiter.»
        Der Admiral verzog keine Miene.»Aha. Nun, das ist Ihre Sache. Ich werde Ihnen ein Patent zur Anwerbung von Freiwilligem auf den Gefangnishulken[Hulk = entmasteter Schiffsrumpf; im weiteren Sinne: altes, nicht mehr seetuchtiges Schiff (der Ubersetzer).] im Hafen von Portsmouth besorgen.»

«Traurig, da? wir auf Straflinge angewiesen sind«, warf Bolitho ein.

«Es sind Manner - mehr brauchen Sie im Moment nicht. Wie die Dinge liegen, tun Sie vielleicht manchem dieser armen Teufel etwas Gutes damit. Die meisten sollten in die amerikanischen Strafkolonien verschifft werden. Jetzt, da wir Amerika los sind, mussen wir uns nach anderen Moglichkeiten umsehen. Man spricht von der Botany Bay in Neu-Holland; aber das kann naturlich blo? ein Gerucht sein.»
        Er stand auf und trat ans Fenster.»Ich kannte Ihren Vater und war sehr betrubt, als ich von seinem Tod horte. Er starb, als Sie in Westindien waren, glaube ich? Er wartete die Antwort nicht ab.»Gerade dieser Auftrag ware etwas fur ihn gewesen. Da hatte er sich so richtig beweisen konnen: auf sich selbst angewiesen und auf Sofort-Entscheidungen, die ihren Urheber vernichten konnen, wenn sie falsch sind. Alles das, wovon ein junger Fregattenkapitan traumt - hab' ich recht?«»Jawohl, Sir. «Bolitho erinnerte sich deutlich daran, wie sein Vater bei ihrem letzten Zusammensein ausgesehen hatte. Am selben Tage war er mit der Phalarope nach Westindien abgesegelt. Ein muder, gebrochener Mann, den der Verrat seines altesten Sohnes verbittert hatte. Hugh war sein Augapfel gewesen. Er war funf Jahre alter als Richard, ein geborener Spieler und Abenteurer, und schlie?lich hatte er einen Kameraden, einen Offizier, im Duell getotet. Schlimmer noch: er war nach Amerika geflohen,
        hatte sich dort den Revolutionaren angeschlossen und ein Kaperschiff gegen die Englander gefuhrt. An dieser Nachricht war sein Vater gestorben, ganz gleich, was der Doktor als Todesursache genannt hatte.
        Bolitho fa?te sein Glas fester. Einen gro?en Teil seiner Prisengelder hatte es gekostet, das Land zuruckzukaufen, das sein Vater hatte verau?ern mussen, um Hughs Schulden zu bezahlen. Aber seine Ehre konnte er nicht zuruckkaufen. Gut, da? Hugh tot war. Hatten sie sich je getroffen - Richard Bolitho hatte seinen Bruder umbringen konnen fur das, was er getan hatte.

«Noch Wein?«Winslade schien selbst in Gedanken gewesen zu sein.»Sie segeln also zunachst nach Madras. Dort melden Sie sich bei… Nun, das lesen Sie noch in Ihrer Segelorder. Hat keinen Sinn, es jetzt schon bekanntzugeben. Konnte ja sein, Sie kriegen Ihr Schiff doch nicht voll bemannt, eh?»

«Ich schaffe es schon, Sir. Und wenn ich personlich nach Corn-wall fahren mu?.»

«Das wird hoffentlich nicht notig sein.»
        Winslade wechselte das Thema.»Wahrend des amerikanischen Krieges haben Sie wahrscheinlich gemerkt, da? die Zusammenarbeit zwischen den militarischen und den zivilen Dienststellen sehr zu wunschen ubrig lie?. Die Truppen kampften, schlugen ihre Schlachten und vertrauten auf keine der beiden Instanzen. Dazu darf es nicht wieder kommen. Ihr neuer Auftrag mu?te eigentlich von einem ganzen Geschwader ausgefuhrt werden und unter der Flagge eines Admirals. Aber das wurde Aufsehen erregen, und gerade das will das Parlament angesichts der Unsicherheit dieses Friedens vermeiden. «Winslade schwieg einen Moment; dann fragte er unvermittelt: Wo wohnen Sie in London?»

«In Southwark, im Hotel George.»

«Ich gebe Ihnen eine Adresse: das Haus eines Freundes am St. James' Square. «Er lachelte uber Bolithos bedenkliche Miene.

«Machen Sie doch nicht so ein finsteres Gesicht! Es wird Zeit, da? Sie unter Menschen kommen und sich an Land etwas Ruckendeckung sichern. Dieser Auftrag kann Sie mit anderen Leuten in Beruhrung bringen als mit abgeklapperten Stabskapitanen. Sie mussen die richtigen Leute kennenlernen, das kann Ihnen nur nutzen. Ich schicke einen Kurier mit Instruktionen fur Ihren Ersten Leutnant. «Er warf Bolitho einen raschen Blick zu.»Herrick, nehme ich an, von Ihrem letzten
        Schiff.»

«Jawohl, Sir. «Er war sich nie im Zweifel daruber gewesen, wem er diesen Posten anbieten wurde, wenn er je wieder ein Schiff bekame.

«Na schon, Mr. Herrick also. Er kann die anfallenden Sachen erledigen. Ich brauche Sie fur die nachsten vier Tage in London. Mindestens!«bekraftigte er, als er den Protest in Bolithos Miene sah. Nachdenklich blickte der Admiral ihn sekundenlang an. Gewi?, Bolitho wollte so schnell wie moglich wieder auf sein Schiff und fuhlte sich in der fremden, verwirrenden Umgebung unsicher. Das und noch mehr stand ihm im Gesicht geschrieben. Als Bolitho vorhin ins Zimmer trat, war dem Admiral die Ahnlichkeit mit dem Vater aufgefallen: gro?, schlank, das schwarze Haar am Nackenansatz zusammengebunden. Jedoch die schwarze Locke uber dem rechten Auge erzahlte eine andere Geschichte. Einmal, als Bolitho sein Glas hob, war sie verrutscht, so da? darunter eine wei?liche Narbe sichtbar wurde, die sich bis in den Haaransatz hineinzog. Winslade war mit seiner Wahl sehr zufrieden. Bolithos ernste Zuge verrieten Intelligenz und auch Mitgefuhl, das sogar in sieben Kriegsjahren nicht geschwunden war. Winslade hatte sich seinen Mann aus hundert Kapitanen aussuchen konnen, aber er wollte einen haben, der ein Schiff und das Meer
brauchte und nicht blo? die materielle Sicherheit, die eine solche Stellung mit sich brachte. Und er brauchte einen Mann, der nicht nur denken, sondern auch entsprechend handeln konnte, der sich nicht einfach auf die Feuerkraft seiner Breitseiten verlie?. Bolithos Personalakte bewies deutlich, da? ihm eine schriftliche Order nicht die eigene Initiative ersetzte. Mehrere Admirale hatten gemurrt, als Winslade ihn fur dieses Kommando vorschlug. Aber Winslade hatte seinen Kopf durchgesetzt, denn er hatte das Parlament hinter sich, und das war ebenfalls eine Seltenheit.
        Mit einem Seufzer griff er nach der Tischglocke.»Gehen Sie jetzt, und leiten Sie Ihren Umzug in die Wege - ich gebe Ihnen gleich die Adresse. Im ubrigen habe ich viel zu tun, also amusieren Sie sich ruhig, so lange Sie konnen!»
        Auf sein Lauten erschien ein Diener, brachte Bolithos Hut und Degen und legte ihm geschickt das Gehange um. Winslade sah aufmerksam zu.»Immer noch dieselbe alte Klinge, wie?»
        Er fa?te den Degen an - eine in langem Dienst glattgewetzte Waffe und viel leichter als die modernen Degen.

«Aye, Sir«, lachelte Bolitho.»Mein Vater gab ihn mir, als… »

«Ich wei?. Denken Sie nicht mehr an die Geschichte mit Ihrem Bruder, Bolitho. «Er tippte nochmals an den Degengriff.»Ihre Familie hat in vielen Generationen so viel Ehre angesammelt, da? sie durch einen einzelnen nicht entehrt werden kann. «Er hielt ihm die Hand hin.»Seien Sie vorsichtig. Sicher zerrei?en sich schon manche Leute den Mund uber Ihren heutigen Besuch bei mir.»
        Bolitho trat hinter dem Diener auf den Flur und dachte unruhig uber die verschiedenen Gesichtspunkte der Unterredung nach. Madras… Ein fremder Kontinent… Eine lange, schwierige Reise, aber offenbar nur der Anfang seiner Mission.
        Jede Meile, die er segelte, wurde ihre Schwierigkeiten bringen, dachte er lachelnd. Und ihren Lohn. Er blieb einen Augenblick unter dem Torbogen stehen und starrte auf das Gewimmel der Menschen und Wagen. Bald wurde er wieder auf dem offenen Meer sein, nicht mehr in diesem Schmutz und Larm! Ein Schiff war ein lebendiges Wesen, etwas ganz anderes als diese langweiligen, pomposen Bauwerke.
        Jemand beruhrte seinen Arm. Er fuhr herum und sah einen jungen Mann in schabiger Uniform, der ihn mit banger Erwartung anblickte.»Ja, bitte? Sie wunschen?»

«Mein Name ist Chatterton, Captain«, sagte der Mann gepre?t.»Ich war Zweiter Leutnant auf der Warrior, vierundsiebzig Geschutze. «Er zogerte, als er Bolithos ernste Miene sah.»Ich hore, Sie rusten aus, Sir, und da dachte ich… »

«Tut mir leid, Mr. Chatterton. Meine Offiziersmesse ist voll.»

«Ja, Sir, das dachte ich mir. «Er schluckte.»Vielleicht konnte ich als Steuermannsmaat anmustern?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Leider brauche ich nur Matrosen. «Enttauschung verdusterte die Miene des jungen Mannes. Die alte Warrior hatte bei kaum einer Seeschlacht gefehlt; tapfere Manner hatten voller Stolz ihren Namen genannt. Und jetzt stand ihr Zweiter Leutnant wie ein Bettler da.

«Wenn ich Ihnen aushelfen kann«, sagte Bolitho leise,»eine kleine Uberbruckung…
«Er fa?te in die Tasche.»Danke, nein, Sir. «Der junge Mann zwang sich ein Lacheln ab.»Jedenfalls jetzt noch nicht. «Er stellte seinen Rockkragen hoch. Im Weggehen rief er noch:»Viel Gluck, Captain!»
        Bolitho sah ihm nach, bis er um die Ecke war. So hatte es auch Herrick gehen konnen, dachte er. Und jedem von uns.
        Der immer steifer werdende Sudost peitschte den Solent[Meerenge zwischen Portsmouth und der Isle of Wight (der Ubersetzer).] zu einer einzigen Masse kabbeliger, schaumgekronter Wellen auf, und die Undine, Fregatte Seiner Majestat, zerrte trotzig an ihrer Ankerkette.
        Leutnant Thomas Herrick stellte den Kragen seines schweren Wachmantels hoch und nahm seinen Gang uber das Achterdeck wieder auf. Er kniff die Augen zusammen, um sie vor dem Gemisch aus Regen und Spruhwasser zu schutzen. Im feuchten Zwielicht sah die straffgespannte Takelage aus wie ein Gewirr schwarzer Glasrohren.
        Trotz des schlechten Wetters herrschte lebhafter Betrieb an Deck, ebenso langsseits in den schwankenden Versorgungsbooten und Leichtern. Hier und da, auf den Decksgangen und im Bug des Schiffes, setzten die roten Uniformen der Wache stehenden Seesoldaten dem alles beherrschenden truben Grau ein paar farbige Lichter auf. Die Marineinfanteristen sollten dafur sorgen, da? die von den Booten und Leichtern ubernommenen Lebensmittel und Ausrustungsgegenstande nur in einer Richtung gingen und nicht durch eine offene Luke im Tausch gegen billigen Schnaps und andere Genusse wieder an Land gelangten.
        Zufrieden grinste Herrick und stampfte mit seinen kalten Fu?en auf den nassen Deckplanken. In dem Monat seit seiner Anmusterung hatte es eine Menge Arbeit gegeben. Andere mochten uber das schlechte Wetter, die Unsicherheit der langen Reise, uber die Strapazen in See und Wind fluchen - er nicht. Im vergangenen Jahr hatte er erheblich mehr Plage und Muhe gehabt; und er war froh, wieder an Bord eines Kriegsschiffes zu sein. Schon mit knapp zwolf Jahren war er in die Marine eingetreten; und in diesen letzten langen Monaten nach der Unterzeichnung des Friedens mit Frankreich und der Anerkennung der Unabhangigkeit Amerikas hatte er zum erstenmal erfahren, was es hei?t, der einzigen Lebensform, die er verstand und mit der er vertraut war, nicht mehr anzugehoren.
        Anders als viele seiner Kameraden mu?te Herrick von dem leben, was er verdiente. Er kam aus einer armen Familie; sein
        Vater war Schreiber in Rochester, seiner Heimatstadt. Als er von der Phalarope abmusterte, sich von Bolitho verabschiedete und wieder nach Rochester kam, war es noch schlimmer gewesen, als er erwartet hatte. Die Gesundheit seines Vaters war ruiniert, er schien sich zu Tode zu husten. Herricks einzige Schwester war gelahmt und konnte ihrer Mutter kaum im Haus helfen; und somit sah die Familie seine Ruckkehr mit anderen Augen als er, der sich wie ein Ausgesto?ener vorkam. Uber den Prinzipal seines Vaters hatte er eine Heuer als Maat auf einer kleinen Brigg bekommen, die ihr Geld mit Stuckgutfracht langs der Ostkuste und gelegentlich auch einmal uber den Kanal nach Holland verdiente. Der Schiffseigner war ein Geizhals, der mit einer so kleinen Mannschaft fuhr, da? das Schiff kaum bedient werden konnte, vom Be- und Entladen und von Reparaturen ganz zu schweigen. Als er Bolithos Brief bekam, dem der Befehl der Admiralitat beilag, sich an Bord der Undine zu melden, war er so erschuttert gewesen, da? er sein Gluck kaum fassen konnte. Seit dem letzten Besuch in Falmouth hatte er Bolitho nicht mehr
gesehen; vielleicht hatte er sogar im tiefsten Innern gefurchtet, da? ihre Freundschaft, die in Kanonendonner und Sturm geboren und gewachsen war, die Friedenszeit nicht uberleben wurde. Schlie?lich lagen ihre beiden Welten zu weit auseinander. Das gro?e steinerne Haus war ihm wie ein Palast vorgekommen. In Bolithos Familie waren fast alle Manner Seeoffiziere gewesen; und das stellte ihn auf eine ganze andere Ebene als Herrick, der in seiner Familie als erster zur See ging - aber es gab noch bedeutendere Unterschiede zwischen ihnen.
        Bolitho hatte sich nicht verandert. Das hatte Herrick auf den ersten Blick gemerkt, als sie sich vor einem Monat auf eben diesem Achterdeck wiedergesehen hatten. Sie war noch da, die leise Melancholie, die jedoch blitzschnell in jugendliche Erregung umschlagen konnte. Und vor allem war Bolitho selbst froh, wieder an Bord zu sein; er freute sich darauf, sein neues Schiff und auch sich auf die Probe zu stellen, sobald sich Gelegenheit dazu bieten wurde.
        Ein Midshipman[Seekadett, bzw. Fahnrich zur See (der Ubersetzer).] kam uber das Deck gerannt, fa?te vorschriftsma?ig an seinen Hut und meldete:»Kutter kommt zuruck, Sir.»
        Er war ein kleiner Kerl und erst seit etwa drei Wochen an Bord; er bibberte vor Kalte.

«Danke, Mr. Penn. Hoffentlich mit ein paar neue Matrosen.»
        Er sah den Jungen mi?billigend an.

«Bringen Sie Ihre Uniform in Ordnung. Der Captain kommt vielleicht heute zuruck.
«Dann ging er wieder auf und ab. Funf Tage lang war Bolitho nun schon in London. Herrick freute sich auf die Neuigkeiten, die er mitbringen wurde, besonders auf die Segelorder, damit sie endlich aus dem scheu?lichen Solent herauskamen. Er beobachtete den Kutter, der sich schwer stampfend durch die wei?en Wellenkamme arbeitete. Trotz der Bemuhungen des Bootsfuhrers handhabten die Bootsgasten die Riemen ziemlich ungeschickt. Er konnte den Dreispitz des Dritten Leutnants John Soames in der Achterplicht erkennen - ob der wohl Gluck gehabt hatte und Rekruten mitbrachte?
        Herrick hatte an Bord der Phalarope als Dritter angefangen und war zu Bolithos Stellvertreter aufgestiegen, nachdem der Erste und der Zweite Leutnant im Gefecht den Tod gefunden hatten. Die Frage ging ihm durch den Sinn, ob Soames sich schon uber seine eigene Beforderung in den kommenden Monaten Gedanken machte. Soames war ein Riesenkerl und stand im drei?igsten Lebensjahr, war drei Jahre alter als Herrick. Er war erst sehr spat Leutnant geworden, und zwar auf allerlei Umwegen uber den Dienst in der Handelsflotte und spater als Steuermannsmaat in der Kriegsmarine. Was er wu?te, hatte er sich selbst beigebracht: ein Mensch, der nicht kleinzukriegen war, aus dem man aber auch nicht klug wurde. Herrick traute ihm nicht recht.
        Ganz anders war der Zweite, Villiers Davy. Wie schon der Name vermuten lie?, war er von Familie; Geld und stolze Haltung gaben seinem quecksilbrigen Witz den notigen Ruckhalt. Auch ihm traute Herrick nicht so ganz; aber er hielt sich immer wieder vor Augen, da? seine Abneigung auf Davys Ahnlichkeit mit einem arroganten Midshipman der Phalarope beruhen mochte.
        Herrick drehte sich um, weil er Schritte hinter sich horte: ein machtiges Kassenbuch unter dem Mantel, kam Zahlmeister Triphook durch den stromenden Regen geschlurft.

«Ein schlimmer Tag, Mr. Herrick«, brummte er mi?mutig. Er deutete auf die Boote und fuhr fort:»Hol der Teufel diese Gauner. Die wurden noch einen Blinden bestehlen, das wurden sie.»
        Herrick grinste.»Ihr Zahlmeister tut so was nicht, wie?«Triphook blickte ihn ernsthaft an. Er war sehr dunn, hielt sich krumm und hatte lange gelbe Pferdezahne.

«Ich hoffe, Sie haben das nicht ernst gemeint, Sir.»
        Herrick beugte sich uber die triefenden Finknetze,[Hangemattskasten im Schanzkleid des Oberdecks (der Ubersetzer).] um einen Blick in den Kutter zu werfen, der eben langsseits festmachte. Du lieber Gott, was fur sauma?iges Rudern! Bolitho wurde etwas Besseres sehen wollen, und das bald.

«Regen Sie sich nicht auf, Mr. Triphook«, erwiderte er kurz.»Ich wollte Ihnen blo? einen Tip geben. An Bord meines vorigen Schiffes hatten wir einen Zahlmeister - Evans hie? er - , der verschob den Proviant. Lie? verdorbenes Fleisch liefern und steckte die Preisdifferenz ein - es ging damals ziemlich drunter und druber. Aber es kam rechtzeitig raus.»
        Triphook sah ihn unsicher an.»Und?»

«Captain Bolitho lie? ihn auf eigene Kosten frisches Fleisch kaufen. Fa? fur Fa? - ein frisches Fa? fur jedes schlechte. «Er grinste wieder.»Also lassen Sie sich warnen, mein Freund!»

«Bei mir wird der Captain nichts zu beanstanden haben, Mr. Herrick. «Im Weggehen sagte er noch:

«Darauf konnen Sie sich verlassen!«Aber es klang nicht sehr uberzeugend.
        Leutnant Soames kam aufs Achterdeck, fa?te an den Hut und meldete mit einem angewiderten Blick auf die nassen Planken:»Funf Mann, Sir. Ich war den ganzen Tag unterwegs und bin total heiser vom Vorlesen dieser Flugblatter.»
        Herrick nickte mitfuhlend. Er hatte das oft genug selbst machen mussen. Funf Mann. Sie brauchten immer noch drei?ig. Und selbst dann hatten sie keine Reserve fur Todesfalle und Verwundungen, mit denen man schlie?lich bei jeder langen Reise rechnen mu?te.
        Murrisch fragte Soames:»Was Neues?»

«Nein. Nur, da? wir nach Madras segeln. Aber ich denke, es geht bald los.»

«Je eher wir von Land weg sind, um so besser. Die Stra?en sind voller Besoffener, prima Seeleute, die wir gut gebrauchen konnten. «Zogernd fuhr er fort:»Wenn Sie nichts dagegen haben, konnte ich heute nacht mit einem Boot losfahren und ein paar davon schnappen, wenn sie aus ihren verdammten Bierkneipen getorkelt kommen.»
        Sie fuhren herum. Kreischendes Gelachter erklang vom Geschutzdeck, und eine Frau, die blo?en Bruste dem Regen preisgegeben, kam backbords unter dem Decksgang hervorgerannt. Zwei Matrosen waren hinter ihr her, beide offensichtlich angetrunken; man brauchte nicht lange daruber nachzudenken, was sie von ihr wollten.
        Herrick brullte:»Unter Deck mit dieser Schlampe! Oder ich lasse sie uber Bord schmei?en!«Er sah, wie der Midshipman vor Staunen uber dieses Schauspiel die Augen aufri?, und sagte grob:»Mr. Penn, verschwinden Sie gefalligst!»
        Soames grinste, was selten vorkam.»Verletzt das Ihre Gefuhle, Mr. Herrick?»
        Der zuckte die Schultern.»Ich wei?, es ist Brauch, den Matrosen im Hafen Weiber und Schnaps zu gestatten. «Er mu?te an seine Schwester denken, die an ihren verdammten Rollstuhl gefesselt war. Was hatte er darum gegeben, wenn sie so hatte laufen konnen wie diese Hafenhure von Portsmouth.»Aber es ekelt mich jedesmal an.»
        Soames seufzte.»Sonst wurde die Halfte dieser Bande desertieren, ob sie unterschrieben haben oder nicht. Wenn der Rum knapp wird, ist es mit der Anziehungskraft von Madras schnell vorbei.»

«Um auf Ihre Frage von vorhin zuruckzukommen«, sagte Herrick.»Matrosen, die auf solche Weise an Bord kommen, machen eine Menge boses Blut. Ein fauler Apfel kann das ganze Fa? verderben.»
        Soames sah ihn starr an.»Mir scheint, auf diesem Schiff sind die meisten Apfel jetzt schon faul. Die Freiwilligen laufen wahrscheinlich nur ihren Glaubigern davon - oder vielleicht sogar dem Henker. Und welche sind dabei, die wollen blo? sehen, was sie stehlen konnen, wenn sie erst einmal ein paar Meilen von der Obrigkeit entfernt sind.»

«Captain Bolitho ist Obrigkeit genug, Mr. Soames«, entgegnete Herrick.

«Ach so, Sie sind ja schon mit ihm gefahren. Da gab's doch eine Meuterei?»

«Nicht seinetwegen«, erwiderte Herrick mit argerlichem Blick.»Seien Sie so gut und sorgen Sie dafur, da? die neuen Leute Essen und Arbeitskleidung fassen. «Er erkannte Widerstreben im Blick des Zweiten und fuhr fort:»Das ist auch ein Punkt, den der Captain so haben will. Ich kann Ihnen nur raten, sich auf seine Wunsche einzustellen. Dann werden Sie ein leichteres Leben haben.»
        Soames ging, und Herrick entspannte sich etwas. In Zukunft durfte er sich nicht so leicht uber Soames argern. Aber jede
        Kritik an Bolitho, offen oder versteckt, ging ihm unter die Haut. Bolitho war das Sinnbild fur alles, was Herrick einmal sein wollte. Da? er den einen oder anderen von Bolithos verborgenen Fehlern kannte, vertiefte nur seine Loyalitat. Nachdenklich schuttelte er den Kopf. Es war sogar mehr als Loyalitat.
        Er spahte uber die Finknetze zum Land hinuber, auf die regennassen, bleiern glitzernden Mauern der Festung. Jenseits von Portsmouth Point war in dem Dreckwetter kaum noch etwas vom Land zu sehen. Gut, da? es endlich losging. Dann kam zu seinem regularen Sold noch die Seezulage, und die wurde eine Hilfe fur seine Angehorigen sein. In Westindien hatten sie unter Bolitho gutes Prisengeld verdient, und mit seinem Anteil hatte er ein paar Anschaffungen gemacht, die ihnen das Leben etwas erleichterten, bis er zuruckkehrte. Aber wann wurde das sein? In zwei Jahren? Besser, man dachte gar nicht daruber nach.
        Gekrummt kam ein Schiffsjunge durch den Regen zum unbemannten Steuerrad gerannt, drehte die Sanduhr um und wartete darauf, da? Herrick glaste. Es war Zeit, die diensttuende Wache unter Deck zu schicken. Herrick verzog das Gesicht. In der Offiziersmesse wurde es auch nicht viel gemutlicher sein als im Mannschaftslogis. Soames wurde stumm vor sich hin bruten. Davy wurde ihn mit irgendwelchen scharfzungigen Redensarten anzuzapfen versuchen. Giles Bellairs, der Hauptmann der Seesoldaten, wurde inzwischen schon leicht angetrunken sein, denn er wu?te, da? sein bulliger Sergeant mit der kleinen Abteilung ganz gut allein fertig wurde. Triphook wurde vermutlich in Berechnungen uber die Dienstkleidung der Neuen vertieft sein. Typisch fur den Zahlmeister: Er konnte die bevorstehende Reise Meile fur Meile in Salzfleisch, Speck, eisenhartem Schiffszwieback, Zitronensaft gegen Skorbut, Bier und Schnaps (zur Aufbesserung des Trinkwassers, das bald genug von allerlei Lebewesen wimmeln wurde) und all den tausend Kleinigkeiten, fur die er verantwortlich war, in aller Seelenruhe vorausplanen. Aber eine Garnitur
Dienstkleidung fur Manner, die noch eigene Fetzen auf dem Leib trugen, das war zu viel fur seine Wertbegriffe. Doch er wurde es schon noch lernen, wenn Bolitho das Schiff erst einmal zum Leben erweckt hatte. Rufe kamen von Land her, und Midshipman Penn piepste angstlich:»Pardon, Sir, aber ich furchte, der Schiffsarzt ist in Schwierigkeiten.»
        Herrick runzelte die Stirn, Der Schiffsarzt hie? Charles Whitmarsh: ein Mann von Kultur, aber mit Problemen. Nach Herricks Erfahrungen waren die meisten Schiffsarzte blo?e Schlachter. Wer sonst wurde zur See gehen und sich nach einer Seeschlacht mit blutigen, zerfetzten, schreienden, sterbenden Mannern befassen wollen? In Friedenszeiten mochte das anders sein. Aber Whitmarsh war leider ein Saufer. Dort unten in dem dumpelnden Dingi bemuhten sich der Bootsmannsmaat und zwei Matrosen, dem Arzt einen doppelten Palstek umzulegen, damit er besser an Bord kam. Er war ein gro?er, kraftiger Mann, fast so gro? wie Soames, und sein Gesicht gluhte in dem grauen Licht so rot wie die Uniform eines Seesoldaten.

«Lassen Sie ein Frachtnetz abfieren, Mr. Penn«, befahl Herrick unwillig.»Nicht sehr gentlemanlike, aber das Gestrampel da unten ist auch nicht gerade vornehm.»
        Schlie?lich war Whitmarsh auf dem Geschutzdeck gelandet, mit wirren Haaren und dem strahlenden Grinsen des Betrunkenen. Einer seiner Sanitatsgasten und zwei Seesoldaten schalten ihn aus dem Netz und schafften ihn unter Deck. Jetzt wurde er in seinem kleinen Lazarett ein paar Stunden schlafen und dann wieder von vorn mit Trinken anfangen.

«Ist er krank, Sir?«fragte Penn angstlich.
        Herrick sah den Knaben ernsthaft an.»Ein bi?chen blau, mein Junge. Aber einen Arm oder ein Bein abschneiden, das konnte er wohl noch. «Er tippte Penn auf die Schulter.»Gehen Sie unter Deck. Ihre Ablosung mu? gleich kommen.»
        Er blickte hinter dem Davoneilenden her und mu?te wieder grinsen. Nur schwer konnte er sich vorstellen, da? er selbst einmal wie Penn gewesen war: unsicher, angstlich und voll knabenhafter Illusionen, die eine nach der anderen durch das, was er sah und horte, verloren gingen.
        Da rief ein Seesoldat:»Wachtboot legt im Bootshafen ab,
        Sir!»

«Schon«, nickte Herrick. Das hie?: Order fur die Undine. Seine Blicke schweiften uber das Schiff, zwischen die hohen, in der Dunung dippenden Masten, uber das straffe Gewirr der Takelage und die sauber gerefften Segel bis zum Bugspriet, unter dem die Gallionsfigur, eine vollbusige Seejungfrau, blicklos in die Ferne starrte. Es hie? auch, da? Bolitho zuruckkommen wurde. Und zwar heute.
        Mehr brauchte Thomas Herrick nicht zu wissen.



        II Anker auf!

        Richard Bolitho stand im Windschutz der Steinmauer des Bootshafens und spahte durch den eiskalten Regen. Es war Nachmittag, aber der Himmel hing so voll niedriger Wolken, da? man glauben konnte, es sei schon Abend.
        Er war mude und steif von der langen Fahrt in der Postkutsche, bei der er sich zu allem anderen noch uber seine beiden Reisegefahrten geargert hatte: Kaufleute aus der Londoner City. Bei jedem Pferdewechsel oder auch sonst in einem der zahlreichen Wirtshauser an der Chaussee nach Portsmouth hatten sie sich eine Erfrischung genehmigt und waren dabei immer lauter und vergnugter geworden. Sie wollten mit einem Postschiff nach Frankreich, um dort neue Geschaftsverbindungen anzuknupfen und, wenn sie Gluck hatten, ihre Handelsbeziehungen ein gutes Stuck zu erweitern. Fur Bolitho war das immer noch schwer zu verstehen. Noch vor einem Jahr war der Armelkanal die einzige Barriere zwischen seinem Land und dem Feind gewesen: der letzte Festungsgraben, wie eine Zeitung es ausgedruckt hatte. Manner vom Schlage seiner beiden Mitpassagiere schienen das inzwischen vergessen zu haben. Fur sie war der Kanal nur noch ein argerliches Hindernis, das ihre Geschaftsreisen unbequemer und zeitraubender machte.
        Er kroch tiefer in seinen Bootsmantel. Plotzlich konnte er es kaum noch erwarten, an Bord zu kommen. Der Mantel war neu und stammte von einem guten Londoner Schneider. Der Freund von Konteradmiral Winslade war mit ihm in der Werkstatt gewesen und hatte dabei so viel Takt entwickelt, da? sich Bolitho wenigstens nicht ganz ahnungslos vorkam. Er war so unsicher in diesen Dingen. Und doch mu?te er lacheln, als er an die Zeit in London dachte. Er wurde sich nie an London gewohnen konnen. Es war zu gro?, zu hektisch. Niemand hatte Zeit und Luft zum Atmen. Kein Wunder, da? die Leute in den gro?en Hausern um den St. James Square alle paar Stunden ihre Dienstboten hinausschicken mu?ten, um frisches Stroh auf die Stra?e zu breiten. Das Knarren und Rumpeln der Wagen konnte wahrhaftig Tote erwecken. Das Haus seiner Gastgeber war wunderschon gewesen, und sie selbst waren reizende Leute, auch wenn sie sich manchmal uber seine Fragen milde amusiert hatten. Noch jetzt wurde er aus ihren seltsamen Lebensformen nicht ganz klug. Es genugte anscheinend nicht, in einem so vornehmen, modernen Haus mit prachtigen
Treppen und riesigen Kronleuchtern zu wohnen. Um zu den wirklich feinen Leuten zu zahlen, mu?te man an der richtigen Seite des Platzes wohnen, der Ostseite, wie Winslades Freunde.
        Bolitho hatte allerlei einflu?reiche Leute kennengelernt; seine Gastgeber hatten bei ihren Diners dafur gesorgt. Er hatte in dieser Hinsicht genugend Erfahrungen gesammelt, um genau zu wissen, da? er ohne ihre Hilfe nie mit solchen Menschen zusammengekommen ware. An Bord seines Schiffes kam ein Kapitan gleich nach dem lieben Gott, aber in der Londoner Gesellschaft war er ein ganz kleines Licht.
        Doch das alles lag jetzt hinter ihm. Er war wieder zu Hause. Seine Segelorder wartete schon auf ihn, nur der genaue Zeitpunkt des Ankerlichtens war noch unbestimmt.
        Er spahte nochmals um die Mauer. Der Wind schlug ihm ins Gesicht wie eine Peitsche. Der Signalturm hatte die Undine uber seine Ankunft informiert; und schon bald wurde ein Boot fur ihn am holzernen Pier unterhalb der Mauer festmachen. Wie mochte wohl sein personlicher Bootsfuhrer Allday an Bord zurechtkommen? Es war seine erste Reise als Kapitansbootsmann, aber Bolitho kannte ihn genau genug, um zu wissen, da? er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Es war schon, ihn wiederzusehen: ein vertrautes Gesicht, ein Mann, auf den er sich verlassen konnte.
        Er blickte zum George Inn hinuber, dem Wirtshaus an der Endstation der Postkutsche, wo ein paar Bediente sein Gepack bewachten, und dachte an die Garderobe, die er sich angeschafft hatte. Vielleicht war er doch nicht ganz unbeeinflu?t von London geblieben.
        Als Bolitho wahrend des amerikanischen Unabhangigkeitskrieges sein erstes Kommando als Kapitan der Schaluppe Sparrow innehatte, war wenig Zeit gewesen, sich mit den Luxusgutern dieser Erde vertraut zu machen. Aber in London, mit dem Rest seiner Prisengelder in der Tasche, hatte er das nachgeholt: neue Hemden, bequemes Schuhwerk. Dazu der weite, lange Bootsmantel, der auch dem heftigsten Regen widerstehen wurde. Das war bestimmt zum Teil Winslades Verdienst. Sein Gastgeber hatte gelegentlich erwahnt, da? Bolithos Mission mit der Undine nicht nur einen tuchtigen Kapitan erforderte, sondern auch einen Mann, der etwas darstellte, wenn er mit den Reprasentanten fremder
        Regierungen verhandelte. Da ware zum Beispiel, meinte er beilaufig, die Frage des Weines.
        Miteinander waren sie in einen niedrigen, holzgetafelten Laden in der St. James' Street getreten, der vollig anders aussah, als Bolitho sich das gedacht hatte. Die Ladentur trug als Symbol eine Kaffeemuhle, und daruber stand in Goldschrift der Firmenname: Pickering & Clarke. Der Laden wirkte gemutlich, sogar intim, und hatte sich ebensogut in Falmouth befinden konnen.
        Hoffentlich war der Wein bereits an Bord. Wenn nicht, wurde er wahrscheinlich ohne ihn absegeln mussen, aber mit einem gro?en Loch in seiner Geldborse. Es mu?te ein fremdartiges und aufregendes Erlebnis sein, allein in der Kajute zu sitzen und diesen wundervollen Madeira zu probieren. Das wurde ihm London ins Gedachtnis zuruckrufen, die feinen Hauser, die schlagfertigen, witzigen Gesprache und die Frauen, die einen so merkwurdig anschauten. Ein paarmal war ihm das letztere direkt unangenehm gewesen. Sie hatte ihn an die Zeit in New York wahrend des Krieges erinnert, diese Dreistigkeit in den Gesichtern, die selbstbewu?te Arroganz, die ihnen zur zweiten Natur geworden zu sein schien.
        Ein Eckensteher rief ihn an:»Da kommt Ihr Boot, Kapt'n! Ich helfe mit Ihrem Gepack!«Er fa?te an den Hut und rannte zum Gasthaus, um die Hausdiener zu benachrichtigen, wobei er sich vermutlich uberlegte, wieviel Trinkgeld von einem Fregattenkapitan zu erwarten war.
        Bolitho druckte sich den Hut fest in die Stirn und trat in den Wind hinaus. Es war die Barkasse der Undine, ihr gro?tes Boot. Die Riemen hoben und senkten sich wie Mowenschwingen, als sie auf den Pier zusteuerte. Es mu?te ein schweres Rudern sein, uberlegte er; sonst ware Allday mit der Gig, dem kleineren Boot, gekommen.
        Freudige Erwartung erfullte ihn, und beinahe hatte er uber das ganze Gesicht gelacht. Das dunkelgrun gestrichene Boot, die Rudergasten in ihren karierten Hemden und wei?en Hosen - alles war wieder da. Es war wie eine Heimkehr.
        Die Riemen flogen hoch und standen senkrecht wie zwei Reihen wei?er, schwingender Barten, wahrend der Mann im Bug festmachte und einem eleganten Midshipman beim Aussteigen half. Der zog schwungvoll den Hut:»Zu Ihren Diensten, Sir.»
        Das war Midshipman Valentin Keen, ein junger Mann, dessen Kommandierung auf die Undine wohl, wie Bolitho mutma?te, in erster Linie erfolgt war, um ihn von England wegzubringen, und nicht so sehr, um seine maritime Karriere zu beschleunigen. Er war dienstaltester Midshipman an Bord; und wenn er die Reise uberlebte, wurde er wahrscheinlich als Leutnant zuruckkehren - auf alle Falle wurde er ein Mann geworden sein.

«Meine Kisten sind da druben, Mr. Keen.»
        Reglos stand Allday in der Achterplicht; sein blauer Rock und seine wei?e Hose flatterten im Wind, und nur mit Muhe gelang es ihm, ein dienstlich starres Gesicht zu behalten.
        Die Beziehung zwischen ihnen beiden war seltsam. Allday war als gepre?ter Matrose an Bord der Phalarope gekommen. Als sie bei Kriegsende stillgelegt wurde, blieb Allday bei ihm in Falmouth: als Diener, Leibwachter und Freund, auf den er sich verlassen konnte. Jetzt, als Kapitansbootsmann, wurde er standig um ihn und manchmal der einzige Kontakt zu jener anderen Welt jenseits des Kajutschotts sein. Allday war sein Leben lang Seemann gewesen; nur kurze Zeit lebte er als Schafer in Cornwall, und ausgerechnet da hatte Bolithos Pre?kommando ihn geschnappt: ein seltsamer Anfang. Bolitho mu?te an Mark Stockdale, Alldays Vorganger, denken: einen ehemaligen Faustkampfer, der wegen seiner beschadigten Stimmbander kaum richtig sprechen konnte. Er war in der Seeschlacht bei den Saintes gefallen, als er Bolitho den Rucken deckte. Armer Stockdale… Bolitho hatte nicht einmal gesehen, wie er starb.
        Allday kletterte an Land.»Alles klar, Captain. Ein feines Abendbrot wartet in der Kajute. «Er schnauzte einen Matrosen an:»Schnapp dir die Kiste da, du Idiot, oder ich fre? deine
        Leber!»
        Grinsend nickte der Matrose. Bolitho war beruhigt. Alldays bemerkenswerte personliche Ausstrahlung schien sich bereits durchgesetzt zu haben. Er konnte fluchen und prugeln wie ein Wilder, wenn es notig war. Aber Bolitho hatte gelegentlich zugesehen, wie er Verwundete versorgte, und kannte auch seine andere Seite. Kein Wunder, da? die Madchen auf den Farmen rund um Falmouth ihn vermi?ten. Aber nach Bolithos Meinung war es besser fur Allday, zur See zu fahren. In letzter Zeit war zu viel uber seine Amouren geredet worden. Endlich war das Boot beladen, die Bedienten und der Eckensteher hatten ihr
        Geld bekommen. Zugig druckten die Riemen die lange Barkasse durch das kabbelige Wasser.
        Schweigend und in seinen Mantel gehullt sa? Bolitho da und lie? die ferne Fregatte nicht aus den Augen. Sie war schon, in mancher Hinsicht schoner als die Phalarope, wenn das uberhaupt moglich war. Sie war erst vier Jahre alt und kam von einer Werft in Frindsbury am Medway-Flu?. Herrick war in dieser Gegend zu Hause. Ihre Lange uber Deck betrug 130 Fu?;[39,6 m (der Ubersetzer).] aus guter englischer Eiche gebaut, war sie ein Meisterstuck. Kein Wunder, da? die Admiralitat sie nicht wie so viele andere Schiffe ihrer Klasse bei Kriegsende einfach auflegen wollte. Sie hatte fast vierzehntausend Pfund gekostet, wie man Bolitho des ofteren versichert hatte. Nicht da? man es ihm noch extra klarzumachen brauchte - er wu?te auch so, da? er von Gluck sagen konnte, so ein Schiff zu bekommen. Ein schmaler Ri? klaffte in den dahinfliegenden Wolken und lie? einen Strahl wasserigen Lichts uber die Stuckpforten der Undine und den sauberen Kupferbeschlag des Unterwasserschiffs spielen, der beim unruhigen Rollen hin und wieder sichtbar wurde. Ein solides Schiff, mit dem man alles machen konnte. Aber dabei fiel
Bolitho ein, was ihm Stewart, der vorige Kapitan, anvertraut hatte. In einem wutenden Scharmutzel vor Ushant[Insel vor Brest, franzosische Schreibweise Quessant (der Ubersetzer).] war sie von den schweren Geschutzen eines Vierundsiebzigers beschossen worden und hatte vier Treffer direkt unter der Wasserlinie abbekommen. Nur mit Gluck hatte sie England noch erreicht. Fregatten waren schnelle Schiffe fur uberfallartige Aktionen und nicht dazu bestimmt, sich mit schweren Linienschiffen in Feuergefechte einzulassen. Bolitho wu?te aus eigener bitterer Erfahrung, welchen Schaden ein Treffer an einem so grazilen Schiffskorper anrichten konnte. Stewart hatte noch gesagt, er sei trotz sorgfaltiger Uberprufung nicht sicher, ob der Rumpf nach der Reparatur wieder vollig stabil sei. War namlich der Kupferbelag erst wieder aufgenietet, so genugte eine Inspektion von der Innenseite nicht, um festzustellen, ob die Werft wirklich einwandfrei gearbeitet hatte. Kupfer schutzte den Rumpf vor Algenbewuchs, der die Geschwindigkeit erheblich mindern konnte. Aber hinter dem Kupfer mochte der schlimmste Feind jedes Kapitans
lauern: die Faule, die einen erstklassigen Schiffsrumpf in eine todliche Falle fur den Unvorsichtigen verwandeln konnte. Vor zwei Jahren war in Portsmouth das
        Flaggschiff des Admirals Kempenfeit, die Royal George, gekentert und gesunken, was mehrere hundert Menschen das Leben gekostet hatte. Es hie?, das Unterwasserschiff sei angefault gewesen und glatt herausgefallen. Wenn das einem stolzen Flaggschiff vor Anker passieren konnte, dann war bei einer Fregatte noch viel Schlimmeres zu befurchten.
        Bolitho fuhr aus seinen Gedanken hoch: uber dem Sausen des Windes vernahm er die schrillen Pfiffe des Bootsmanns und die stampfenden Schritte der Seesoldaten, die zur Ehrenbezeigung antraten. Er starrte zu den turmhohen Masten empor und sah die Matrosen in den Wanten. Seit einem Monat waren sie daran gewohnt, ihn an Bord zu sehen, mit Ausnahme der Neuen, die auch er noch nicht kannte. Die wurden sich jetzt Gedanken uber ihn machen - wie er wohl ware, zu hart oder zu nachlassig. Fur die Mannschaft bedeutete der Kapitan, sobald erst einmal der Anker gelichtet war, einfach alles, ob er nun gut oder bose, ein schlechter oder ein tuchtiger Seemann war. Nur sein Ohr horte auf ihre Klagen, nur seine Stimme sprach Belohnung oder Strafe aus.

«Riemen ein!«Allday erhob sich halb, die Ruderpinne in der Hand.»Auf Riemen!»
        Das Boot lief aus, und der Bootsmann erwischte mit seinem Haken das Wasserstag beim ersten Versuch. Wahrscheinlich, mutma?te Bolitho, hatte Allday wahrend seiner Abwesenheit flei?ig mit der Bootsmannschaft geubt. Er stand auf, um den richtigen Moment zu erwischen - er wu?te genau, Allday pa?te auf wie eine Katze vorm Mauseloch, damit er nicht zwischen Boot und Bordwand rutschte, oder, schlimmer noch, ruckwarts stolperte und mit Armen und Beinen strampelnd zwischen die Manner fiel. Dergleichen kam vor; Bolitho hatte es selbst gesehen und erinnerte sich an seine grausame Schadenfreude beim Anblick des neuen Kapitans, der triefend wie ein Scheuerlappen an Bord kam. Aber der Gischt hatte kaum Zeit, seine Hosenbeine anzufeuchten, da war er auch schon oben an Bord, und in seine Ohren gellte das Schrillen der Pfeifen und das Knallen der prasentierten Musketen der Marineinfanteristen. Er luftete den Hut zum Achterdeck hin und nickte den Offizieren gru?end zu.»Schon, wieder an Bord zu sein, Mr. Herrick. «Sein Ton war kurz und dienstlich.

«Willkommen an Bord, Sir. «Auch Herrick sprach in offiziellem Ton. Aber in den Augen beider Manner stand ein
        Glanz, der etwas mehr verriet als blo?e Bordroutine. Etwas, das keiner der anderen sah oder gar teilte.
        Bolitho zog seinen Mantel aus, reichte ihn Midshipman Penn und wandte sich um. Das schwindende Licht spielte uber die wei?en Aufschlage seines Galarocks. Nun wu?ten alle, da? er da war. Er sah die wenigen Matrosen, die oben in der Takelage noch etwas zu splei?en hatten, und andere, die sich auf den Decksgangen und zwischen den Doppelreihen der schweren Zwolfpfunder drangten. Er kam sich ein bi?chen pompos vor, und dieses Gefuhl notigte ihm ein amusiertes Lacheln ab.

«Ich gehe jetzt unter Deck.»

«Die Segelorder liegt in Ihrer Kajute, Sir. «Herrick barst vor Neugier; das merkte man ihm trotz seines dienstlich formellen Tonfalls deutlich an, denn seine blauen Augen, die manchmal so verletzt dreinblicken konnten, straften seine dienstliche Haltung Lugen.

«Schon. Ich lasse Sie in Kurze rufen.»
        Bolitho wollte nach achtern gehen; da bemerkte er eine Gruppe truber Gestalten in Zivil, die sich an der Achterdeckreling zusammendrangten. Leutnant Davy war eben dabei, sie nach einer Liste namentlich aufzurufen.

«Neue Leute, Mr. Davy?«fragte er.

«Wir sind immer noch drei?ig Mann unter Sollstarke, Sir«, warf Herrick leise ein.

«Aye, Sir. «Davy blickte mit zusammengekniffenen Augen von der Liste auf und durch den Spruhregen seinem Kapitan entgegen. Auf seinen hubschen Zugen lag ein zutrauliches Lacheln.»Ich bin gerade dabei, sie die Musterrolle unterzeichnen zu lassen.»
        Bolitho ging zur Leiter und kletterte rasch zum Geschutzdeck hinunter. Mein Gott, was fur Elendsgestalten! Halbverhungert, zerlumpt, verprugelt. Das harte Leben an Bord konnte kaum schlimmer sein als das Leben, das sie bisher gefuhrt hatten und das sie zu dem gemacht hatte, was sie jetzt waren.
        Davy hatte die Musterrolle auf einen der Zwolfpfunder gelegt. Was der fur elegante, gepflegte Hande hatte!» Kommt jetzt«, befahl er,»und macht eure Kreuze!»
        Halb selbstbewu?t, halb schuchtern schoben sie sich heran - bis vor ihren neuen Kapitan.
        Bolithos Blick blieb an dem letzten in der Reihe haften: ein untersetzter, muskuloser Mann, unter dessen abgetragenem Hut ein geteerter Zopf hervorsah. Wenigstens ein erfahrener Seemann!
        Der Mann merkte, da? Bolitho ihn ansah, und drangte sich vor.

«He, du da! Bleib gefalligst in der Reihe!«schimpfte Davy.»Dein Name?«fragte Bolitho.

«Turpin, Sir«, erwiderte der Mann zogernd. Davy wurde wutend.»Steh gefalligst stramm und nimm den Hut vor dem Captain ab, sonst hol' der Teufel deine Augen! Zumindest solltest du wissen, wem du Respekt zu erweisen hast!»
        Der Mann nahm Haltung an; sein Gesicht druckte Scham und Verzweiflung aus. Bolitho hob den alten Mantel an, den Turpin uber dem rechten Unterarm trug.

«Wo hast du die rechte Hand verloren, Turpin?«fragte er freundlich.
        Der Mann schlug die Augen nieder.»Auf der Barfleur, Sir. Das war anno 81 bei der Schlacht in der Chesapeake Bay. «Er blickte auf, und ein stolzer Glanz trat in seine Augen, aber nur einen Moment.

«Geschutzfuhrer war ich, Sir.»
        Davy mischte sich ein.»Tut mir au?erordentlich leid, Sir, aber ich habe nicht gemerkt, da? der Kerl Invalide ist. Ich lasse ihn sofort an Land bringen.»
        Bolitho sagte:»Du wolltest die Musterrolle mit der Linken unterzeichnen. Liegt dir so viel daran?»
        Turpin nickte.»Ich bin Seemann, Sir. «Er wandte sich um, weil einer der Neuangeworbenen seinen Nebenmann grinsend in die Seite gesto?en hatte.»Keine verdammte Landratte!«Dann wandte er sich wieder Bolitho zu, und seine Stimme wurde leiser.»Ich kann jeden Dienst tun, Sir.»
        Bolitho hatte kaum hingehort. Die Seeschlacht in der Chesapeake Bay fiel ihm wieder ein… Der Pulverrauch, der Geschutzdonner. Die Formationen der manovrierenden Schiffe, gepanzerten Rittern vergleichbar. Das wurde man nie mehr los. Und dieser Turpin war mittendrin gewesen, einer von Hunderten, die grolten, starben, fluchten, wie die Besessenen ihre Geschutze luden und abfeuerten. Er mu?te an die beiden fetten Kaufleute in der Postkutsche denken. Damit solche Leute mehr Geld verdienten!

«Schreiben Sie ihn ein, Mr. Davy«, sagte er barsch.»Ein Mann von der Barfleur wird uns mehr nutzen als viele andere.»
        Er schritt nach achtern zur Kampanje, wutend uber sich selbst und uber Davy, der keinen Instinkt hatte. Eine dumme, kurzsichtige Einstellung.
        Allday schleppte eben eine seiner Kisten nach achtern zur Kajutentur, wo unter der kreisenden Deckenlampe ein Marineinfanterist Wache stand.

«Das war gro?artig, Captain, was Sie da eben gemacht haben«, sagte er munter.

«Reden Sie nicht wie ein Narr, Allday!«Bolitho ging an ihm vorbei und fluchte leise, denn er hatte mit dem Kopf einen Decksbalken gestreift. Er blickte sich nach Allday um, doch dessen vertraute Zuge waren vollig ausdruckslos. Wahrscheinlich konnte er Ihre Arbeit tun!»
        Allday nickte ernsthaft.»Aye, Sir - das stimmt, ich habe zu viel zu tun.»

«Frecher Kerl, verdammter! Wei? der Teufel, warum ich mir so viel von Ihnen gefallen lasse!«Aber es hatte keinen Zweck, mit Allday zu schimpfen.
        Allday nahm ihm den Degen ab und hangte ihn an den Haken am Schott.»Ich kannte mal einen Mann in Bodmin, Captain «Er blieb stehen und musterte den Degen kritisch. Der nahm zum Holzspalten immer eine stumpfe Axt. Ich fragte ihn mal, warum er nicht 'ne scharfe nehme, da sagte der Kerl, wenn das Holz sich so glatt spalten lie?e, hatte er nichts mehr, woran er seine Wut auslassen konne.»
        Bolitho setzte sich an den Tisch.»Danke. Ich will daran denken, da? ich mir eine bessere Axt besorgen mu?.»
        Allday grinste.»Bitte sehr, Captain. War mir 'n Vergnugen. «Dann schritt er hinaus, um die nachste Kiste zu holen.
        Bolitho nahm den vielfach versiegelten Umschlag zur Hand. Hatte Allday eine richtige Erziehung genossen, dann hatte allerhand aus ihm werden konnen. Er mu?te lacheln, als er das Kuvert aufschnitt. Auch ohne Bildung war Allday ein harter Brocken.
        Herrick, den Hut vorschriftsma?ig unterm Arm, trat in die Kajute.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»
        Bolitho stand an einem der gro?en Heckfenster. Sein Korper glich automatisch die Schiffsbewegungen aus. Die Tide hatte gewechselt, die Undine schwojte so, da? Herrick jetzt durch die dicken Scheiben die fernen Lichter sehen konnte. Hinter dem Schleier aus Regen und Spruhwasser schienen sie zu schwanken und zu flackern.
        Im Schein der pendelnden Lampen sah die Kajute gemutlich und einladend aus. Die Sitzbank in der Rundung des Hecks hatte einen Bezug aus feinem grunem Leder; auf dem Fu?bodenbelag aus schwarz-wei? gewurfeltem Segeltuch standen Tisch und Stuhle aus kastanienbraunem Mahagoni.

«Setzen Sie sich, Thomas.»
        Langsam wandte Bolitho sich um und sah Herrick an. Inzwischen hatte er die Segelorder mehrmals durchgelesen, um nur ja nichts zu ubersehen.

«Wir lichten morgen nachmittag Anker«, sagte er.»Bei der Segelorder ist ein Berechtigungsschein zur Ubernahme von Freiwilligem aus den Gefangnishulken von Portsmouth. Ich ware Ihnen verbunden, wenn Sie das so fruh wie moglich und gleich nach Tagesanbruch erledigen wurden.»
        Herrick nickte. Er sah den Ernst in Bolithos Zugen, die ruhelosen Hande; nebenan in dem abgeteilten Speiseraum stand das sorgfaltig bereitete Mahl noch unberuhrt - der Kapitan hatte Sorgen. Irgend etwas machte ihn nervos.

«Wir sollen zunachst nach Teneriffa segeln. «Herrick richtete sich voller Spannung auf, und Bolitho sprach in beruhigendem Ton weiter:»Ich wei? schon, Thomas. Sie denken wie ich. Es kommt einem merkwurdig vor, wenn man friedlich einen Hafen anlaufen soll, in dem man noch vor ein paar Monaten einer ganz anderen Begru?ung gewartig sein mu?te.»

«Mit gluhenden Kugeln«, grinste Herrick.

«Dort werden wir zwei, vielleicht auch drei Passagiere an Bord nehmen. Wenn wir unseren Proviant erganzt haben, geht es ohne Aufenthalt weiter zu unserem eigentlichen Bestimmungsort: Madras. «Nachdenklich fuhr er wie im Selbstgesprach fort:»Uber zwolftausend Meilen. Da haben wir Zeit, einander kennenzulernen. Und unser Schiff. Laut Befehl sollen wir so schnell wie moglich segeln. Deswegen mussen wir dafur sorgen, da? unsere Leute rasch und gut ausgebildet werden. Ich will keine durch schlechte Seemannschaft verursachten Verzogerungen oder Schaden an Segeln oder Takelage.»
        Herrick rieb sich das Kinn.»Eine lange Reise.«»Aye, Thomas. Hundert Tage. In der Zeit will ich es schaffen.»
        Er lachelte, und sofort war aller Ernst aus seinen Zugen gewischt.»Mit Ihrer Hilfe naturlich.»
        Herrick nickte.»Darf ich fragen, welche Aufgaben uns in Madras erwarten?»
        Bolitho blickte auf die zusammengefaltete Segelorder nieder.»Ich wei? noch sehr wenig. Aber ich habe eine ganze Menge zwischen den Zeilen gelesen.»
        Er schritt hin und her; sein Schatten glitt schwankend uber die Wande der Kajute.

«Nach dem Krieg mu?ten allerlei Konzessionen gemacht werden, Thomas, um das Gleichgewicht der Krafte wiederherzustellen. Wir hatten den Hollandern Trincomali auf Ceylon weggenommen, den am vorteilhaftesten gelegenen, besten Seehafen im Indischen Ozean. Suffren, der franzosische Admiral, hat uns Trincomali wieder entrissen und bei Kriegsende den Hollandern zuruckgegeben. Und wir haben Frankreich viele Westindische Inseln zuruckgegeben, ebenso die franzosischen Stutzpunkte in Indien. Und Spanien hat Menorca zuruckbekommen. «Er hob die Schultern.»Auf beiden Seiten sind viele Menschen anscheinend umsonst gestorben.»

«Aber wo bleibt England, Sir?«fragte Herrick verwirrt.»Haben wir denn gar nichts herausgeholt?»
        Bolitho lachelte.»Darum geht es jetzt. Daher diese au?erordentliche Geheimhaltung und unsere vage Beorderung nach Teneriffa.»
        Er hielt inne und blickte auf den untersetzten Leutnant herab.»Ohne Trincomali sind wir in derselben Lage wie vor dem Krieg: wir haben auf Ceylon keinen guten Hafen fur unsere Schiffe, keine Basis, von der aus wir dieses weite Gebiet kontrollieren konnten, kein Sprungbrett fur die Ausdehnung des Handels mit Indien.


«Ich dachte, die East India Company[Ostindische Handelsgesellschaft: au?erordentlich machtige, private Unternehmung mit Hauptsitz in London, von der der Ansto? zur Kolonisierung Indiens ausging (der Ubersetzer).] hat alles, was sie braucht«, brummte Herrick.
        Bolitho mu?te wieder an die beiden Kaufleute in der Postkutsche denken. Und an andere, die er in London kennengelernt hatte.»Verschiedene Leute, die bei uns etwas zu sagen haben, halten Macht fur die Grundlage internationaler Uberlegenheit. Und hohe Handelsprofite fur ein Mittel, um solche Macht zu erlangen. «Er warf einen kurzen Blick auf den Zwolfpfunder an der Kajutenwand, dessen kraftvolle Umrisse dezent von einer Chintzdecke verhullt waren.»Und Krieg fur den Weg zu diesen dreien.»
        Herrick bi? sich auf die Lippe.»Und wir sollen sozusagen sondieren?»

«Vielleicht sehe ich das auch ganz falsch, Thomas. Aber Sie mussen wissen, wie ich denke - nur fur den Fall, da? etwas entscheidend schiefgeht. «Er dachte wieder an das, was Winslade in der Admiralitat zu ihm gesagt hatte:»…Ihr Auftrag mu?te eigentlich von einem ganzen Geschwader ausgefuhrt werden… «Winslade brauchte jemanden, dem er vertrauen konnte. Oder brauchte er nur einen Sundenbock fur den Fall, da? es schiefging? Es hatte Bolitho immer geargert, wenn er zu fest an der Leine seiner Vorgesetzten hing. Aber seine jetzige Order war so unbestimmt, da? er sich beinahe noch gehemmter fuhlte. Nur eins war klar: Er sollte in Teneriffa einen gewissen Mr. James Raymond an Bord nehmen und sich zu dessen Verfugung halten. Raymond war Geheimkurier der Regierung und sollte die neuesten Depeschen nach Madras bringen.
        Herrick warf ein:»Es wird nicht ganz leicht sein, sich daran zu gewohnen. Aber wenn man wieder auf See ist, noch dazu mit einem Schiff wie der Undine, dann ist alles andere mehr oder weniger gleichgultig.»
        Bolitho nickte.»Wir mussen unbedingt dafur sorgen, da? unsere Mannschaft allen Eventualitaten gewachsen ist, ob in Frieden oder Krieg. Und zwar bald. Dort, wo wir hinfahren, sind die Menschen vielleicht nicht sonderlich geneigt, unsere Ansichten zu akzeptieren. «Er setzte sich auf die Bank und starrte durch das bespritzte Fenster.»Ich werde mit den anderen Offizieren morgen fruh um acht Glasen[l Glas(en) = 1/2 Stunde. 8 Glasen = Ende einer vierstundigen Wache; hier also: zu Beginn der Morgenwache. Der Ausdruck stammt aus der Zeit der glasernen Sanduhren. Diese Zeitrechnung ist heute noch in der Seefahrt ublich (der Ubersetzer).] sprechen, wahrend Sie auf den Gefangnishulken sind. «Herrick machte eine unwillige Kopfbewegung, aber Bolitho lachelte nur.»Ich schicke Sie, weil Sie Verstandnis haben. Sie werden den armen Kerlen keine Todesangste einjagen. «Er stand auf.»Und jetzt, Thomas, trinken wir ein Glas Wein zusammen.»
        Herrick beugte sich vor.»Sie haben sich gewi? eine feine Sorte aus London schicken lassen, Sir.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Die Marke werden wir uns fur andere Gelegenheiten aufheben. «Er nahm eine Karaffe von ihrem Stander.»Der hier pa?t besser zu uns.
«In behaglichem Schweigen tranken sie ihren Rotwein. Bolitho uberlegte sich, wie merkwurdig es war, da? man so ruhig zusammensa?, obwohl die Reise, die sie vor sich hatten, so gro?e Anforderungen an alle stellte. Aber es war sinnlos, jetzt an Deck herumzulaufen oder im Proviant- und Rumvorrat herumzustobern. Die Undine war seeklar, bereit bis auf den letzten Tampen. Er dachte an sein Offizierskorps, den verlangerten Arm seiner Autoritat und seiner Ideen. Er wu?te noch nicht viel von seinen Offizieren. Soames war ein tuchtiger Leutnant, neigte aber zur Grobheit, wenn etwas nicht gleich klappte. Der nachsthohere, Davy, war schwerer zu beurteilen. Au?erlich kuhl und beherrscht, besa? er wie viele seinesgleichen einen Hang zu rucksichtsloser Harte. Der Segelmeister und Steuermann hie? Ezekiel Mudge, ein klobiger Mann, der so alt aussah, da? er sein eigener Gro?vater hatte sein konnen. Tatsachlich war er sechzig, bestimmt der alteste Segelmeister, dem Bolitho je begegnet war. Der alte Mudge wurde einer der wichtigsten Manner an Bord sein, wenn sie erst im Indischen Ozean waren. Er hatte fruher bei der East
India Company gedient und, wenn man seinen Berichten Glauben schenken konnte, mehr Sturme, Schiffbruche, Piratenuberfalle und sonstige Abenteuer mitgemacht als irgendein anderer lebendender Mensch. Er hatte eine machtige Adlernase, neben der seine Augen wie winzige blanke Steine funkelten. Eine wichtige Personlichkeit, der bestimmt kein Fehler in der Seemannschaft seines Kapitans entging.
        Die drei Fahnriche schienen guter Durchschnitt zu sein. Penn, der jungste, war drei Tage nach seinem zwolften Geburtstag an Bord gekommen. Keen und Armitage waren beide siebzehn; aber wahrend der erste die gleiche elegante Sorglosigkeit wie Leutnant Davy an den Tag legte, schien sich Armitage standig scheu umzublicken: ein Muttersohnchen. Und vier Tage, nachdem er sich in brandneuer Uniform mit blankgeputztem Dolch zum Dienst gemeldet hatte, war doch tatsachlich seine Mutter nach Portsmouth gekommen, um ihn zu besuchen. Ihr Mann hatte betrachtlichen Einflu?; und sie fuhr in einer wunderschonen Kutsche auf der Werft vor, wie eine Herzogin auf Staatsvisite. Bolitho hatte sie kurz begru?t und ihr gestattet, sich mit ihrem Sohn in der Abgeschlossenheit der Offiziersmesse zu unterhalten. Hatte sie das Logis gesehen, in dem ihr Kind wahrend seiner Dienstzeit leben mu?te, ware sie wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen. Schlie?lich hatte er Herrick schicken mussen, um den Umarmungen und Schluchzern der Mama unter dem Vorwand, Armitage wurde dienstlich gebraucht, ein Ende zu bereiten. Dienstlich! Der Junge
konnte kaum einen Schritt an Bord tun, ohne uber einen Block oder Ringbolzen zu stolpern und lang hinzufallen.
        Giles Bellairs, der stets wohlgelaunte Hauptmann der Seesoldaten, glich mehr einer Karikatur als einem Offizier aus Fleisch und Blut. Unglaublich stramm, mit immer steif nach hinten gedruckten Schultern, sah er aus, als sei ihm die Uniform wie buntes Wachs um die Glieder gegossen. Er sprach in kurzen, abgehackten Satzen, und nur von der Jagd oder vom Exerzieren. Seine Seesoldaten waren sein Lebensinhalt, doch horte man nur selten ein Kommando von ihm. Sein bulliger Sergeant namens Coaker hatte die Abteilung fest im Griff; und Bellairs begnugte sich mit einem gelegentlichen:»Weitermachen, Sa'rnt Coaker!«oder:»Sa'rnt Coaker, der Kerl steht ja die wie'n Sack Lumpen!«Er gehorte zu den wenigen Menschen in Bolithos Bekanntschaft, die total betrunken sein konnten, ohne da? sich in ihrem au?eren Erscheinungsbild auch nur das geringste anderte.
        Triphook, der Zahlmeister, schien sehr tuchtig zu sein, wenn auch recht geizig mit den Rationen. Er hatte viel Muhe auf die Uberprufung verwandt, ob die unteren Lagen der vom Proviantamt gelieferten Fasser nicht etwa verfaultes Fleisch enthielten, was man sonst erst viel spater auf hoher See entdeckt hatte. Solche Sorgfalt war bei einem Zahlmeister an sich schon selten.
        Aber der Schiffsarzt! Der war jetzt zwei Wochen an Bord. Hatte Bolitho ihn austauschen konnen, so hatte er es bestimmt getan. Whitmarsh war ein Trinker der schlimmsten Sorte. Nuchtern war er ruhig und sogar liebenswurdig. Aber betrunken, und das kam oft vor, schien er in Fetzen zu gehen wie ein murbes Segel in einer Fallbo. Whitmarsh mu?te lernen, sich vernunftig zu benehmen, dachte Bolitho mit zusammengebissenen Zahnen.
        Oben horte man Fu?getrappel, und Herrick meinte:»Heute wird sich der eine oder andere im Mannschaftslogis uberlegen, ob er recht daran getan hat, anzumustern.
«Er lachte.»Na, jetzt ist es auf alle Falle zu spat.»
        Bolitho starrte achteraus auf das schwarze, wirbelnde Wasser und lauschte auf den Ebbstrom, der das Ruder knarren lie?.»Aye. Es ist ein weiter Schritt vom Land auf die See. Viel weiter, als es sich die meisten Leute vorstellen. «Er setzte sein
        Weinglas auf das Regal zuruck.»Ich glaube, ich gehe jetzt schlafen. Morgen ist ein langer Tag.»
        Herrick nickte.»Dann also gute Nacht, Sir. «Er wu?te aber genau, da? Bolitho noch stundenlang aufbleiben wurde, rastlos planend, nach den letzten Fehlern suchend, nach Irrtumern in Wach- und Dienstplanen. Und Bolitho ahnte, da? Herrick das wu?te.
        Die Tur fiel hinter dem Leutnant zu, Bolitho schritt zum Heckfenster und stutzte die Hande auf das mittlere Fensterbrett. Er spurte unter seinen Handflachen das Erzittern des Holzes, das Arbeiten aller Verbindungen, das Klappern und Schlagen der Taljen und Blocke.
        Wurde jemand dem Schiff nachschauen? Aber wen interessierte das schon? Die Undine war nur ein Schiff mehr, das in den Kanal einlief, wie Hunderte vor ihr.
        Ein schuchternes Klopfen an der Tur, und Noddall, der Kajutsteward, trat unsicheren Schrittes ins Helle: ein kleiner Mann, spitzgesichtig wie ein angstliches Nagetier. Er hielt sogar standig die Hande in Brusthohe und erinnerte so noch mehr an ein schuchternes Eichhornchen.»Ihr Abendessen, Sir - Sie haben es gar nicht angeruhrt. «Er begann abzuraumen.»Das ist nicht gut, Sir. Gar nicht gut.

        Er schlurfte in seine Pantry, und Bolitho blickte ihm lachelnd nach. Wie versunken der Mann in seine eigene kleine Welt war - er schien kaum bemerkt zu haben, da? das Schiff einen neuen Kapitan besa?.
        Bolitho warf sich den neuen Mantel um die Schultern und verlie? die Kajute. Auf dem stockdunklen Achterdeck tastete er sich zur Heckreling und starrte zum Land hinuber: zahllose Lichter in unsichtbaren Hausern. Er drehte sich um und blickte zum Vorschiff; der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht, es war so kalt, da? er den Atem anhielt. Bla?goldene Lichtreflexe glitten uber das straffgespannte Tauwerk: im Vorschiff blinkte die kleine Laterne der Ankerwache.
        Es war ein entschieden angenehmes Gefuhl: sie brauchten hier keine Wachtposten an jedem Fallreep gegen heimtuckische Uberraschungsangriffe oder den Versuch einer Massendesertion. Auch keine Netze, um feindliche Enterer abzuhalten. Er legte die Hand auf einen der Achterdeck-Sechspfunder: kalt wie nasses Eis. Aber wie lange noch? Der Steuermannsmaat der Wache strich vorbei und machte einen Bogen, als er seinen Kapitan an der Reling stehen sah.

«Alles wohlauf, Sir«, meldete er.»Danke.»
        Bolitho wu?te nicht, wie der Mann hie?, noch nicht. In den nachsten hundert Tagen wurde er von seinen Leuten mehr als nur die Namen erfahren. Und umgekehrt sie von ihm.
        Mit einem Seufzer ging er wieder in seine Kajute. Die Wangen prickelten ihm vor Kalte. Noddall war nicht zu sehen, aber die Koje war bereit, und daneben stand ein Becher mit einem hei?en Trunk. Eine Minute, nachdem er den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, war er eingeschlafen.
        Der nachste Tag stieg so grau auf wie der vorige; doch der Regen hatte in der Nacht aufgehort, und der Wind kam stetig aus Sudost.
        Der ganze Vormittag verging mit pausenloser Arbeit. Die Deckoffiziere kontrollierten immer wieder die Namenslisten, machten sich mit den Gesichtern vertraut und sorgten dafur, da? erfahrene Seeleute zwischen die unausgebildeten plaziert wurden. Bolitho diktierte seinem Schreiber, einem vertrockneten Mann namens Pope, den Abschlu?bericht und unterschrieb, damit er mit dem letzten Boot noch an Land gelangte. Er fand Zeit, mit seinen Offizieren zu sprechen, den Stuckmeister Mr. Tapril in seiner Pulverkammer aufzusuchen und mit ihm die Verlagerung gewisser Geschutzteile und sonstigen Zubehors ins Vorschiff zu besprechen, um die Trimmung des Schiffes zu verbessern, bis der entsprechende Gewichtsanteil an Proviant aufgebraucht und damit ein Ausgleich geschaffen war.
        Er war gerade dabei, seinen Galaanzug mit der Seeuniform, einem alten Rock mit ausgebleichten Tressen und glanzlosen Knopfen, zu vertauschen; da kam Herrick in die Kajute und meldete, er habe funfzehn neue Leute von den Gefangnishulken mitgebracht.

«Wie war es?»

«Die Holle, Sir«, seufzte Herrick.»Ich hatte dreimal soviel bringen konnen, eine komplette Besatzung, wenn ich auch ihre Frauen und Kinder hatte mitnehmen wollen.»
        Bolitho antwortete nicht gleich, weil er gerade mit dem Anlegen seiner Halsbinde beschaftigt war.»Frauen?«fragte er dann.»In den Gefangnishulken?»

«Aye, Sir. «Ein Schauder uberlief Herrick.»Ich hoffe zu Gott, da? ich so etwas nie wieder zu sehen kriege.»

«Na schon. Lassen Sie sie die Musterrolle unterzeichnen, aber geben Sie ihnen vorlaufig noch keine Arbeit. Die sind wahrscheinlich zu schlapp, um auch nur einen Belegnagel zu halten, nachdem sie so lange unter Deck wie Vieh zusammengepfercht waren.»
        Ein Midshipman erschien in der offenen Tur.»Mr. Davy meldet mit allem Respekt, Sir, da? der Anker kurzstag ist. «Neugierig und aufmerksam lie? er die Augen in der Kajute schweifen.

«Danke«, lachelte Bolitho.»Nachstesmal bleiben Sie ein bi?chen langer und sehen sich hier richtig um.»
        Der Junge verschwand, und Bolitho blickte Herrick an.»Na, Thomas?»
        Herrick nickte zufrieden.»Aye, Sir, ich bin soweit. Wir haben ja lange genug warten mussen.»
        Sie stiegen miteinander zum Achterdeck hinauf. Wahrend Herrick mit seinem Sprachrohr an die Reling des Vorschiffes trat, blieb Bolitho achtern in einiger Entfernung von den anderen, die sich eifrig an ihre Stationen begaben.
        Klickend drehte sich das Gangspill - immer langsamer, bis die Rucken der Manner fast waagerecht gebeugt waren, um den schweren Anker klarzubekommen.
        Bolitho warf einen Blick auf die ungefuge Gestalt des Steuermanns neben dem doppelten Steuerrad. Er hatte vier Rudergasten eingeteilt - anscheinend wollte er kein Risiko eingehen, weder mit dem Ruder noch mit der Seemannschaft seines neuen Kapitans.

«Bringen Sie das Schiff in Fahrt. «Er sah, wie Herrick sein Megaphon hob.»Sobald wir aus dem kustengebundenen Schiffsverkehr drau?en sind, gehen wir auf Backbordbug und nehmen Kurs Westsudwest.»
        Der alte Mudge nickte gewichtig, das linke Auge hinter der vorspringenden Nase verborgen.

«Aye, aye, Sir.»
        Herrick brullte:»Klar bei Ankerspill!«Er beschattete die Augen mit der Hand, um den Wimpel im Masttopp besser sehen zu konnen.»Vorsegel los!»
        Beim Flappen und Rauschen der fallenden Leinwand blickten sich einige der Neuen verwirrt um. Ein Deckoffizier gab einem ein Ende in die Hand und schnauzte:»Hol dicht, du Esel! Steh nicht da und glotze wie ein Frauenzimmer!»
        Ein Bootsmannsmaat sa? rittlings auf dem Bugspriet und signalisierte durch Armzeichen, wie die Ankertrosse sich immer mehr spannte und ihr Winkel unter der vergoldeten Gallionsfigur immer stumpfer wurde.

«Aufentern! Marssegel los!»
        Bolithos Spannung loste sich etwas, als die leichtfu?igen Toppsgasten zu beiden Seiten in den Wanten emporkletterten. Es hatte keinen Zweck, beim erstenmal auf besondere Eile zu drangen. Die kritischen Beobachter an Land mochten denken, was sie wollten. Er hatte keine Lust zu riskieren, da? ihm das Schiff abtrieb.

«An die Brassen!»
        Herrick hing halb uber der Reling und schwenkte das Sprachrohr im Halbkreis wie ein Kutscher seine Donnerbuchse bei einem Raububerfall.»Fix da! Mr. Shellabeer, scheuchen Sie diese verdammten Faulpelze gefalligst!»
        Shellabeer war der Bootsmann: wortkarg und tiefbrunett, sah er eher wie ein Spanier als wie ein Mann aus Devon aus.
        Bolitho lehnte sich, die Hande in den Huften, etwas zuruck und beobachtete die Manner, die mit affenartiger Geschicklichkeit auf den schwankenden Rahen ausschwarmten. Die schwindelnde Hohe schien ihnen uberhaupt nichts auszumachen, aber ihm wurde fast ubel bei diesem Anblick.
        Eines nach dem anderen losten sich die machtigen Segel und schlugen an die Masten, wahrend die Matrosen sich auf den Rahen festhielten, untereinander und mit ihren Kameraden auf den anderen beiden Masten Zurufe tauschend.

«Anker ist klar, Sir!»
        Noch unsicher wie ein von seinen Ketten befreiter Gefangener, taumelte die Fregatte durch die tiefen Wellentaler; die Manner an den Brassen kampften verzweifelt, um die machtigen Rahen herumzuholen und den Wind zu fangen. Manche fielen dabei hin und wurden uber die glatten Planken geschleift.

«Hol dicht bei Leebrassen!«Herrick war schon fast heiser.
        Bolitho bi? die Zahne aufeinander und zwang sich, reglos zu bleiben, wahrend die Undine mehr und mehr vor den Wind ging. Hier und da hieb ein Bootsmannsmaat mit einem Tampen dazwischen oder schubste einen Mann an Brassen oder Fallen.
        Mit donnerndem Krachen sprang der Wind voll und stetig in die Segel, das Deck neigte sich und blieb gekrangt, die Rudergasten warfen sich in die Speichen.
        Bolitho zwang sich dazu, mit aller Gelassenheit von Midshipman Keen ein Fernrohr entgegenzunehmen, richtete es achteraus und beherrschte seine Mimik eisern, obwohl er vor Aufregung und Erleichterung beinahe zitterte. Das Segelsetzen klappte noch sehr schlecht; die Plazierung der wenigen erfahrenen Matrosen war noch sehr verbesserungswurdig; aber sie waren klar von der Kuste!
        Am Portsmouth Point standen tatsachlich ein paar Menschen und beobachteten, wie die Undine uber Stag ging; und da war auch das Verdeck einer glanzenden Equipage zu sehen, gerade unterhalb der Mauer: vielleicht Mrs. Armitage, die dem Schiff nachsah, das ihren Sohn entfuhrte.
        Heiser meldete der Steuermann:»Westsudwest liegt an, Sir!»
        Bolitho wandte sich um und sah gerade noch, wie der Alte mit widerwilliger Anerkennung nickte.

«Danke, Mr. Mudge. Wir werden gleich noch Fock- und Gro?segel setzen.»
        Er ging zum Vorschiff, wo Herrick noch an der Reling stand, schrag vorgeneigt, um die Krangung auszugleichen. Das Durcheinander war erst zum Teil beseitigt; die Manner stolperten uber das noch herumliegende Tauwerk wie Uberlebende einer Schlacht.
        Herrick blickte ihn melancholisch an.»Es war furchtbar, Sir!»

«Ganz meine Meinung, Mr. Herrick. «Er konnte sich ein Lacheln nicht verkneifen. Aber es wird schon besser werden, wie?»
        Am spaten Nachmittag war die Undine klar von der Insel Wight und schon ein ganzes Stuck im Armelkanal.
        Abends konnte man von Land aus nur noch ihre gerefften Royalsegel sehen, und wenig spater waren auch die verschwunden.



        III Gemischte Gesellschaft

        Am Morgen des vierzehnten Tages sa? Bolitho in seiner Kajute vor einem Becher Kaffee und grubelte zum soundsovielten Male daruber nach, was er bisher erreicht hatte.
        Am Vorabend hatten sie den runden Buckel der Insel Teneriffa gesichtet, der sich wie eine Wolkenbank am Horizont abzeichnete. Er hatte sich entschlossen, beizudrehen. In der Nacht die Kuste anzulaufen, war ein Risiko, das er lieber vermeiden wollte. Vierzehn Tage - sie kamen ihm wie eine Ewigkeit vor. Die meiste Zeit hatten sie sich mit schlechtem Wetter herumschlagen mussen. Er blatterte in seinem privaten Logbuch und uberflog die vielen deprimierenden Eintragungen: Gegenwind; gelegentlich starker Sturm; standig mu?ten Segel gekurzt oder gerefft werden, mu?ten sie Sturme abreiten. Nur die gefurchtete Biskaya hatte sich ihnen freundlich erwiesen, und das war wenigstens ein Trost. Andernfalls ware fast die halbe Mannschaft zu seekrank gewesen, um aufzuentern; und von den Gesunden hatte die Halfte zu viel Angst gehabt, um auf den wie betrunken schwankenden Rahen herumzuturnen, wenn die Deckoffiziere und Maaten nicht hart dazwischenschlugen - nein, bei schlechtem Wetter ware die Undine nicht uber die Biskaya hinausgekommen.
        Bolitho hatte durchaus Verstandnis dafur, wie dem Gro?teil der Mannschaft zumute war. Der heulende Wind, die Enge im knarrenden, rollenden Rumpf, wo sie ihr Essen (wenn sie uberhaupt etwas herunterwurgen konnten) ein paar Minuten spater in die Bilge erbrachen. Diese Verhaltnisse bewirkten eine Art Erstarrung wie bei einem Mann, der unbemerkt uber Bord gefallen ist. Eine Zeitlang schwimmt er tapfer, aber ohne zu wissen, wohin; dann ist er so erschopft und verwirrt, da? ihm alles gleichgultig wird - das ist der Punkt, an dem sich sein Schicksal entscheidet.
        Bolitho erkannte alle diese Zeichen wieder und wu?te, da? sie fur ihn eine ahnliche Herausforderung bedeuteten: gab er seinem Verstandnis, seinem Mitgefuhl nach, horte er sich von seinen uberlasteten Leutnants und Deckoffizieren zu viele Entschuldigungen an, wurde er das Schiff nie in den Griff bekommen, nie seine Leute in Schwung bringen, wenn es wirklich hart auf hart ging. Er wu?te, da? viele ihn heimlich verfluchten und beteten, der Schlag moge ihn treffen oder er moge nachts uber Bord fallen. Er sah ihre finsteren Blicke, spurte ihren Widerstand, wenn er an ihnen vorbeiging, zu jeder Stunde des Tages. Segeldrill immer wieder und wieder, stets nach Herricks Uhr gestoppt; und mit voller Absicht lie? er alle Beteiligten merken, da? er genau beobachtete, ob sie sich auch wirklich Muhe gaben. Er lie? die Mannschaften der drei Masten beim Segelsetzen oder Reffen miteinander in Wettbewerb treten, bis sie schlie?lich mit au?erster Anstrengung arbeiteten - nicht in sportlichem Geist, sondern in keuchender Wut und unter lautlosen Fluchen.
        Jetzt, uber seinem Becher Kaffee, empfand er widerwillige Befriedigung uber das, was sie gemeinsam geleistet hatten, sei es aus freiem Willen oder unter hartem Zwang. Wenn die Undine an diesem Tag in Santa Cruz vor Anker ging, wurden die kritischen Spanier eine Demonstration disziplinierter Seemannschaft zu sehen bekommen - der gleichen, die sie in Kriegszeiten kennen und furchten gelernt hatten.
        So wie er seine Mannschaft bis an die Grenze ihrer Krafte getrieben hatte, hatte er auch sich selbst nicht geschont. Und das spurte er trotz der einladenden Strahlen der Morgensonne, die uber die Decksaufbauten spielte. Fast bei jeder Wache, ob Tag oder Nacht, war er eine Zeitlang an Deck gewesen und hatte sich um den Dienst gekummert. Leutnant Davy besa? wenig Erfahrung in der Schiffsfuhrung bei widrigem Wetter; aber mit der Zeit wurde er es schon lernen. Soames verlor zu leicht die Geduld, wenn etwas nicht gleich klappte. Dann schubste er den unglucklichen Matrosen beiseite, brullte:»Ihr habt ja keine Ahnung! Lieber mach' ich es selbst!«und ri? ihm die Arbeit aus den Handen. Nur Herrick war imstande, den Sturm der endlosen Forderungen Bolithos abzuwettern; und diesem tat es leid, da? ausgerechnet sein Freund die Hauptlast zu tragen hatte. Es war leicht, einen Matrosen zu bestrafen, wenn in Wirklichkeit der Offizier den Kopf verloren oder in einer scharfen Brise nicht das richtige Wort gefunden hatte. Herrick stand wie ein Fels zwischen Offiziersmesse und Logis, zwischen Kapitan und Mannschaft.
        Zweimal mu?te sogar Prugelstrafe verhangt werden - Bolitho hatte gehofft, dergleichen vermeiden zu konnen. Beide Falle hatten ihre Ursache im privaten Bereich des Mannschaftslogis. Beim erstenmal hatte sich ein Dieb an den geringen Ersparnissen eines Matrosen vergriffen. Der zweite Fall war weit ernster: eine wilde Messerstecherei, bei der einem Mann das Gesicht vom Ohr bis zum Kinn aufgeschlitzt worden war. Bolitho wu?te nicht einmal, ob es sich um eine wirkliche Feindschaft handelte oder ob bei der allgemeinen Gereiztheit nur ein rascher Funken Mi?mut den Brand entzundet hatte. In einem Schiff mit gutem Ausbildungsstand hatte er in beiden Fallen kaum von der Sache gehort. Dann hatte namlich die Justiz des Mannschaftslogis wesentlich drastischer und rascher funktioniert, wenn ihre private Welt von einem Dieb oder Messerstecher bedroht wurde. Bolitho verabscheute Kapitane, die ihre Disziplinargewalt gebrauchten, ohne zu bedenken, wie sie einen Menschen zerbrechen konnte; die brutale korperliche Strafen verhangten, ohne dem Ubel an die Wurzel zu gehen und so Bestrafungen zu vermeiden, Herrick
wu?te, wie Bolitho daruber dachte. Als sie sich kennenlernten, war Herrick der jungste Leutnant auf dem Schiff gewesen, dessen vorheriger Kapitan so streng, so gedankenlos brutal gestraft hatte, da? der Boden fur eine Meuterei aufs Beste bereitet war. Herrick wu?te in solchen Dingen besser Bescheid als die meisten Offiziere, und doch hatte er es auf sich genommen, personlich bei Bolitho gegen den Vollzug der Prugelstrafe zu intervenieren. Das war ihre erste wirkliche Meinungsverschiedenheit; und Bolitho hatte mit gro?em Bedauern an Herricks Augen gesehen, wie sehr diesen die Ablehnung verletzte.

«Wir haben eine neue Mannschaft«, hatte Bolitho gesagt.»Es braucht seine Zeit, die Leute so zusammenzuschwei?en, da? sich jeder einzelne unter allen Umstanden auf seine Kameraden verlassen kann. Viele haben uberhaupt keine Ahnung, was bei der Marine gefordert wird. Es emport sie, wenn sie sehen, da? andere straflos ausgehen fur Versto?e, die sie selber sorgsam meiden. In diesem Stadium konnen wir nicht zulassen, da? sich die Manner in Fraktionen spalten: seebefahrene alte Leute gegen neue Rekruten; Gewohnheitsverbrecher gegen Schwache, die sich nur dadurch schutzen konnen, da? sie sich einer anderen Clique anschlie?en.»
        Aber Herrick wollte nicht nachgeben.»In Friedenszeiten, Sir, dauert es eben etwas langer.»

«Das abzuwarten, ware ein Luxus, den wir uns nicht leisten konnen. «Absichtlich schlug Bolitho einen harteren Ton an.»Sie wissen genau, wie ich daruber denke. Auch mir fallt das nicht leicht!»
        Der Dieb hatte keinen Laut von sich gegeben, als er seine Strafe erlitt, ein Dutzend Peitschenhiebe. Friedlich segelte die Undine unter blauem Himmel dahin, und die Schatten einiger Mowen kreisten unablassig uber dem grimmigen Schauspiel, das an Deck ablief. Beim Verlesen der betreffenden Kriegsartikel hatte Bolitho seine Mannschaft beobachtet: die gaffenden Manner in der Takelage; die schnurgeraden roten Reihen der Marineinfanteristen unter Hauptmann Bellairs; auch Herrick und die anderen Offiziere.
        Der zweite Delinquent, Sullivan hie? er, war ein Vieh von einem Kerl. Er hatte sich in Portsmouth freiwillig beim Rekrutierungskommando gemeldet und machte durchaus den
        Eindruck eines Gewohnheitsverbrechers. Aber er hatte schon einmal auf einem Kriegsschiff gedient und wurde daher als willkommener Zuwachs angesehen. Er bekam drei Dutzend Peitschenhiebe, nach dem Ma?stab der Kriegsmarine wenig genug fur jemanden, der einen Schiffskameraden halb umgebracht hatte. Wenn er sich an einem Offizier vergriffen hatte, ware er wahrscheinlich nicht ausgepeitscht, sondern gehangt worden.
        Auch das Auspeitschen war furchtbar. Beim ersten Hieb auf seinen nackten Rucken brach Sullivan vollig zusammen, und bei den weiteren Hieben, welche ihm zwei Maaten abwechselnd uber Schultern und Rucken zogen, wand und krummte er sich unter irrem Gebrull. Er hatte Schaum vorm Mund; die Augen quollen ihm wie Glaskugeln aus dem verzerrten Gesicht.
        Midshipman Armitage fiel beinahe in Ohnmacht; und manche, die eben mit ihrer Seekrankheit fertig geworden waren, fingen gleichzeitig an, sich zu ubergeben. Das grobe Fluchen der Deckoffiziere und Maaten nutzte gar nichts. Dann war es vorbei, und als» Wegtreten «befohlen wurde, ging es wie ein Seufzer der Erleichterung durch die Manner. Sullivan wurde losgebunden und zu Whitmarsh ins Lazarett geschafft, wo er ohne Zweifel zunachst eine doppelte Ration Rum bekam.
        In den Tagen nach dem Strafvollzug fuhlte Bolitho, wenn er auf dem Achterdeck patrouillierte oder Schiffsmanover beobachtete, standig die Blicke der Manner in seinem Rucken. Vielleicht sahen sie in ihm eher einen Feind als ihren Kapitan. Oft genug hatte er sich gesagt: wenn man die Ehre eines Kommandos will, mu? man auch alles andere, was damit zusammenhangt, akzeptieren. Nicht nur die Autoritat und das stolze Gefuhl, uber ein lebendiges Schiff zu herrschen, sondern auch die Sto?e und Puffe.
        Es klopfte, und Herrick trat in die Kajute.»Noch eine Stunde, bis wir unter Land sind, Sir. Mit Ihrer Erlaubnis werde ich alles au?er Marssegel und Kluver reffen lassen. Dann kommen wir leichter herein.»

«Trinken Sie einen Kaffee mit, Thomas!«Bolitho entspannte sich, als Herrick Platz nahm.»Ich frage mich, wie es mit uns weitergeht.»
        Herrick nahm den Becher entgegen und probierte vorsichtig.»Ich auch. «Er lachelte uber den Becherrand hinweg.»Ein- oder zweimal dachte ich, wir wurden uberhaupt nicht mehr Land zu sehen kriegen.»

«Ja. Ich kann verstehen, wie manchen Leuten an Bord zumute ist. Viele haben die See uberhaupt noch nicht gesehen, und schon gar nicht sind sie je so weit von England weg gewesen. Und auf einmal haben sie Afrika gleich backbords vor dem Bug. Anschlie?end segeln wir auf die andere Seite der Erde. Aber manche fangen wahrhaftig schon an, sich als Seeleute zu fuhlen, obwohl sie vor vierzehn Tagen noch zwei linke Hande mit lauter Daumen hatten.»
        Herrick lachelte noch breiter.»Das ist Ihr Verdienst, Sir. Manchmal bin ich dem Schicksal sehr dankbar, da? ich nicht Kapitan bin und keine Aussicht habe, einer zu werden.»
        Bolitho betrachtete ihn nachdenklich. Der Ri? war also verheilt.»Ich furchte, die Entscheidung daruber liegt nicht bei Ihnen, Thomas. «Er stand auf.»Jedenfalls werde ich dafur sorgen, da? Sie ein eigenes Schiff kriegen, sobald sich Gelegenheit ergibt, und sei es auch nur, damit etwas von Ihrem wilden Idealismus in die Bilge geht.»
        Sie grinsten einander an wie Verschworene.

«Jetzt hauen Sie ab, damit ich mir einen besseren Rock anziehen kann. «Er verzog das Gesicht.»Wir mussen unseren spanischen Freunden doch Respekt erweisen, wie?»
        Eine gute Stunde spater naherte sich die Undine, hochst eindrucksvoll uber ihrem Spiegelbild schwebend, majestatisch langsam der Reede von Santa Cruz. In der hellen Sonne schien die Insel Teneriffa von lauter Farbe uberzuflie?en. Starr vor Staunen blickten die Manner hinuber, und Bolitho horte manchen Matrosen tief und ehrfurchtig aufseufzen. Die Berge lagen nicht mehr im Schatten; es war, als ob sie, von tausend Nuancen und Schattierungen uberspielt, in der glei?enden Luft tanzten. Alles schien heller und gro?er als zu Hause; wenigstens kam es den unbefahrenen Mannern so vor. Schimmernd wei?e Hauser, blitzend blaue See mit brandungsumsaumten Stranden - manchem Mann verschlug es bei diesem Anblick Atem und Sprache.
        Allday stand achtern an der Kampanje und murmelte:»Der eine oder andere von den Dons wurde uns liebend gern eine Salve verpassen, wie wir da so schon langsam reinkommen. Darauf mocht' ich wetten.»
        Bolithos Blicke uberflogen noch einmal sein Schiff; er versuchte, es so zu sehen, wie man es von Land aus mustern wurde. Die Undine sah hochst elegant aus, nichts deutete auf die anstrengende Arbeit hin, die notig gewesen war, um sie so in Form zu bringen. Der schonste Wimpel flatterte von der Gaffel; sein Rot pa?te genau zu den Scharlachrocken der Marineinfanteristen, die soeben auf dem Achterdeck antraten. Am Steuerborddecksgang hielt Tapril, der Stuckmeister, eine letzte eilige Besprechung mit seinen Maaten ab, zur Vorbereitung des Saluts fur die spanische Flagge, die stolz uber der Batterie des Vorgebirges flatterte.
        Der alte Mudge stand neben dem Ruder, die Hande tief in den Taschen seines Wachmantels, den er anscheinend bei jedem Wetter trug. In den weitraumigen Taschen hatte er stets eine Unmenge von Instrumenten und privaten Kleinigkeiten. Vielleicht, dachte Bolitho, hatte er fruher einmal, als er eilig an Deck mu?te, die Halfte von all dem Zeug in seiner Kabine lassen mussen, und seitdem hatte er seine Taschen nicht mehr geleert. Er knurrte die Rudergasten an; sie drehten das Rad um ein paar Speichen, worauf sich das Gro?marssegel fullte, aber gleich wieder schlaff wurde, weil das Schiff langsam in Lee des Landes geriet.
        Herrick richtete das Teleskop auf die Kuste und meldete dann:»Wir runden das Kap, Sir.«»Ausgezeichnet. «Bolitho gab Tapril einen Wink.»Salut schie?en!»
        Und wahrend die britische Fregatte langsam auf die Reede zuhielt, erzitterte die frische Morgenluft unter dem regelma?igen Krachen der Kanonen. Geschutz um Geschutz antworteten die Spanier. Fast bewegungslos hing der Rauch uber dem flacher werdenden Wasser.
        Bolitho pre?te hinter seinem Rucken die Hande zusammen und spurte, wie ihm der Schwei? ausbrach. Unter dem schweren Uniformrock klebte das frische Hemd wie ein nasser Lappen am Korper.
        Ein seltsames Gefuhl, so unbewegt dazustehen, wahrend das Schiff langsam an der Sperrmauer entlangglitt - wie ein Traum oder ein Zaubertrick. Jeden Moment, glaubte er, musse sein Achterkastell unter einer Kanonenkugel bersten oder ein Treffer in die angetretenen Seesoldaten schlagen und blutiges Hackfleisch aus ihnen machen.
        Der letzte Schu? drohnte in seinen Ohren, und als der dichte Pulverrauch sich vom Deck hob, sah er eine andere Fregatte am Kopf der Mole vor Anker liegen: ein spanisches Schiff und gro?er als die Undine; bunt standen seine Fahnen und Wimpel vor der grunen Kuste. Der Kommandant dieser Fregatte erinnerte sich bestimmt ebenfalls an fruhere Zeiten, dachte Bolitho und blickte zum Wimpel im Gro?topp empor, der lustlos in der leichten Brise flappte. Jetzt war es bald soweit: neue Befehle wurden ein weiteres Stuck in dem gro?en Puzzlespiel erganzen.
        Mudge schnaubte sich kraftig die riesige Nase wie jedesmal, wenn er im Begriff war, ein Segelmanover einzuleiten.

«Alles klar, Sir.»

«Gut. An die Brassen! Klar zum Halsen!»
        Mr. Mudge gab den Befehl weiter; die nackten Fu?e der Matrosen platschten im Takt uber die frischgescheuerten Decksplanken, und Bolitho atmete erleichtert aus, als jeder Mann ohne Zwischenfalle seine Station erreicht hatte.

«Fier auf Marssegelschoten!»
        Die Flagge uber der Kustenbatterie dippte kurz im blendenden Sonnenlicht und stieg dann wieder hoch. Ein paar kleine Boote legten von Land ab, die meisten mit Fruchten und anderen Handelswaren beladen. Triphook, der Zahlmeister, wurde viel zu tun bekommen, denn fast der gesamte Brotvorrat war im ersten Sturm verdorben, und was sie noch an frischem Obst hatten, war der reine Abfall gegen das, was die Boote da heranbrachten.

«Gei auf Marssegel!»
        Ein Bootsmannsmaat schuttelte die Faust und brullte zu einem der Manner auf der Vormarsrah hinauf:

«Schafskopf, ungeschickter! Halt' dich gefalligst mit einer Hand fest, sonst siehst du deine Alte nie wieder!»
        Bolitho verfolgte genau, wie der Streifen Wasser zwischen Schiff und Land immer schmaler wurde. Die Sonne blendete; er mu?te die Augen zukneifen.

«Ruder in Lee!»
        Gespannt wartete er, bis die Undine unter heftigem Killen der noch stehenden Segel wurdevoll herumschwang.»Fallen Anker!»
        Ein Ruf vom Vorschiff, und mit machtigem Platschen verschwand der Anker unter der goldenen Gallionsfigur. Herrick wartete, bis der letzte Streifen Leinwand wie weggezaubert an den Rahen verschwunden war, und sagte dann:»Gar nicht so schlecht, Sir, finde ich.»
        Bolitho sah ihn todernst an - nur mit Muhe konnte er ein Lacheln unterdrucken.»Gar nicht so verdammt schlecht, Mr. Herrick.»
        Der grinste.»Sie werden die Gig nicht brauchen, Sir. Ein Boot halt schon auf uns zu - und was fur eins!»
        Allday trat heran und reichte Bolitho seinen Degen. Stirnrunzelnd murmelte er, anscheinend tief bekummert:»Nicht die Gig, Captain?»
        Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm das Degengehange umschnallen konnte. Diesmal nicht, Allday. «Schlimm, wie sowohl Herrick als auch Allday jede seiner Bewegungen beobachteten.
        Die Marineinfanteristen traten unter Scharren und Stampfen am Fallreep an. Sergeant Coakers breites Gesicht glanzte unter seinem schwarzen Tschako wie eine machtige, taufeuchte Frucht.
        Bolitho wandte sich der naher kommenden Barkasse zu, einem gro?artigen Fahrzeug mit vergoldeter und von einem Baldachin uberdachter Achterplicht. Dagegen hatte sich Alldays Gig wie ein armseliges Falmouther Hafenboot ausgenommen. Ein reichbetre?ter Offizier stand aufrecht im Boot, eine Schriftrolle unterm Arm, und musterte die ankernde Fregatte. Die ublichen Willkommensworte. Die Einleitung zu dem, was jetzt kam.

«Sie bleiben an Bord, Mr. Herrick«, sagte Bolitho bestimmt.»Mr. Davy wird mich an Land begleiten. «Er ignorierte Herricks offensichtliche Enttauschung.»Passen Sie gut auf und sorgen Sie dafur, da? unsere Leute jederzeit zu allem bereit sind.»
        Herrick fa?te an den Hut.»Aye, aye, Sir«, sagte er und eilte davon, um Davy von seinem Gluck Mitteilung zu machen.
        Bolitho lachelte nachdenklich. Bei den vielen Kustenbooten und sonstigen Versuchungen wurde Herrick sein ganzes Konnen aufbieten mussen, damit das Schiff nicht von Handlern und anderen, weniger respektablen Besuchern uberschwemmt wurde.
        Er horte He rrick sagen:»Also Sie werden den Captain an Land begleiten, Mr. Davy.»
        Davy zogerte, er wog wohl die Gunst des Augenblicks und Herricks Stimmung gegeneinander ab. Schlie?lich meinte er moglichst beilaufig:»Eine kluge Wahl, Mr. Herrick, wenn ich so sagen darf.»

«Na ja - an Bord wurden Sie ja auch verdammt wenig nutzen, nicht wahr?«blaffte Herrick, und Bolitho wandte sich ab, um sein Lacheln zu verbergen. Dann intonierten die vier
        Trommelbuben auf ihren Pfeifen das alte Flottenlied:»Herzen stark wie Eiche…«, Bellairs schwitzende Seesoldaten prasentierten ihre Musketen, und Bolitho trat herzu, um seinen Besucher zu begru?en.
        Die Residenz des Gouverneurs lag sehr schon an einer sanft ansteigenden Stra?e oberhalb des Hafens. Auf der Fahrt im Boot und nachher in der Equipage war Bolitho erleichtert, da? seine Eskorte, ein Major der Artillerie, sehr schlecht englisch sprach, so da? er sich, wenn sie an etwas Auffalligem vorbeifuhren, mit kurzen, bewundernden Ausrufen begnugen konnte. Offensichtlich war alles sorgfaltig geplant; gleich nachdem man am vorigen Abend die Royals der Undine gesichtet hatte, mu?ten die Dinge in Bewegung gekommen sein.
        Die Unterredung mit dem Gouverneur selbst war so kurz, da? Bolitho sich spater kaum noch an ihn erinnerte: ein bartiger, hoflicher Mann, der ihm die Hand schuttelte, die Gru?e des Konigs entgegennahm, sich dann zuruckzog und es seinem Adjutanten uberlie?, die beiden britischen Offiziere in den Nebenraum zu geleiten. Davy, der in solchen Dingen wahrhaftig nicht leicht zu beeindrucken war, flusterte:»Bei Gott, Sir, diese Dons wissen zu leben. Kein Wunder, da? die Goldtransporter aus Sudamerika hier Station machen. Ein guter Markt fur sie, mochte ich meinen.»
        Der Raum, in den man sie gefuhrt hatte, war in der Tat gro?artig: langgestreckt, kuhl, mit gekacheltem Fu?boden und einer Kollektion reichgeschnitzter Mobel und schoner Teppiche. In der Mitte stand ein machtiger Tisch aus Marmor. Sieben Geschutzbedienungen, dachte Bolitho, wurden Muhe haben, ihn von der Stelle zu bringen.
        Ungefahr ein Dutzend Personen umstanden diesen Tisch - in vorher festgelegter Ordnung, wie es ihm vorkam, so da? er ohne Zeitverlust unterscheiden konnte, wer hier etwas zu sagen hatte und wer nicht.
        Der Mann, den er fur James Raymond hielt, trat vor und erklarte:»Ich bin Raymond, Captain. Wir hatten Sie eigentlich etwas eher erwartet. «Er sprach schnell und abgehackt - der Zeitersparnis wegen oder aus innerer Unsicherheit? Schwer zu sagen. Raymond stand in der ersten Halfte der Drei?ig, war elegant gekleidet und ware ein gutaussehender Mann gewesen, wenn ihn nicht sein standiges gereiztes Stirnrunzeln entstellt hatte.
        Er fuhr fort:»Und hier ist Don Luis Puigserver, personlicher Beauftragter Seiner Katholischen Majestat, des Konigs von Spanien.»
        Puigserver war kraftig gebaut, sein Teint wirkte wie brauner Zwieback, und die buschigen schwarzen Augenbrauen beherrschten das ganze Gesicht. Trotz seiner harten Augen besa? er einen gewissen mannlichen Charme. Er trat vor und ergriff Bolithos Hand.

«Es ist mir ein Vergnugen, Capitan. Sie haben ein schones Schiff. «Mit einer Geste zu einem gro?en schlanken Mann am Fenster fuhr er fort: «Capitan Alfonso Triarte, Kommandant der Nervion, war sehr erfreut zu sehen, wie gut es manovriert.»
        Bolitho sah sich den Mann an. Schon bei Jahren - das mu?te er auch sein, wenn er die gro?e Fregatte kommandierte, die drau?en an der Mole lag. Er erwiderte Bolithos abschatzende Blicke ohne sonderliche Freude. Sie sahen sich an wie zwei Hunde, die vielleicht einmal zu oft miteinander gerauft hatten.
        Bolitho verga? Triarte sofort, als Puigserver in beilaufigem Ton weitersprach:»Ich will mich kurz fassen. Sie werden bald auf Ihr Schiff zuruckkehren wollen, um alle Vorbereitungen zur Abreise nach unserem Ziel zu treffen.»
        Bolitho sah ihn uberrascht an. Puigserver hatte entschieden etwas Gewinnendes: breit gebaut, die Beine in den feinen Seidenstrumpfen au?erordentlich muskulos, fester, kraftvoller Handedruck - ein selbstsicherer und vertrauenerweckender Mann. Kein Wunder, da? der Gouverneur es vermieden hatte, ihn warten zu lassen. Zweifellos war Puigserver eine Respektsperson.
        Jetzt schnippte er mit seinen spatelformigen Fingern, und sofort sturzte ein nervoser Adjutant herzu, um Bolitho Hut und Degen abzunehmen. Ein zweiter winkte einige Bediente herbei, und zwei Minuten spater sa?en alle um den altarahnlichen Tisch; vor jedem stand ein prachtvoller Kelch.
        Nur Puigserver war stehengeblieben. Mit vollig unbewegter Miene uberwachte er die Diener, die funkelnden Wein einschenkten. Doch als Bolitho zufallig den Blick senkte, sah er, da? Puigserver ungeduldig mit der Fu?spitze wippte.
        Dann erhob er sein Glas:»Meine Herren - auf unsere Freundschaft. «Sie standen auf und tranken. Der Wein war ausgezeichnet; Bolitho mu?te an sein unsicheres Herumsuchen in jenem Laden in der St. James' Street denken. Puigserver fuhr fort: Der Krieg hat wenig erbracht au?er der Erkenntnis, da? weiteres Blutvergie?en vermieden werden mu?. Ich will Ihre Zeit nicht mit leeren Versprechungen in Anspruch nehmen, die ich doch nicht einhalten kann; ich kann nur hoffen, da? wir in Zukunft unseren jeweiligen Interessen in Frieden nachgehen werden.»
        Bolitho warf einen raschen Blick auf die anderen. Raymond lehnte sich in seinem Stuhl zuruck und versuchte, gelassen auszusehen, aber in Wirklichkeit war er gespannt wie eine Stahlfeder. Der spanische Kapitan blickte uber sein Glas hinweg in irgendwelche Fernen. Die Mehrzahl der anderen hatte den leeren Gesichtsausdruck von Menschen, die so tun, als ob sie alles verstehen, aber in Wirklichkeit keine Ahnung haben. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, verstanden sie von zehn Worten nur eins.
        Davy sa? an der anderen Seite der Tafel. Seine klargeschnittenen Zuge glanzten vor Schwei?, und er bemuhte sich, ein streng dienstliches Gesicht zu machen.
        Im Grunde zahlten nur sie drei: Don Luis Puigserver, Raymond und Bolitho selbst. Der erstere sagte:»Spanien hat Menorca mit Dank wieder in Empfang genommen, ebenso gewisse andere Inseln - Konzessionen, welche sich aus diesem ungluckseligen Kriege ergaben. «Eine Sekunde lang hafteten seine Augen an Bolitho; dunkle, fast schwarze Augen, wie spanische Oliven.»Als Gegenleistung hat sich Seine Katholische Majestat veranla?t gesehen, dieser neuen gemeinsamen Unternehmung Ihren Allerhochsten Segen zu erteilen. Die Unternehmung ist ubrigens nicht ohne Risiko. «Er blickte zu Raymond hinuber.»Vielleicht sind Sie so freundlich, die Einzelheiten zu erlautern?

        Raymond machte Miene aufzustehen, blieb aber dann doch sitzen.»Wie Ihnen bekannt sein wird, Captain Bolitho«, begann er,»hat der franzosische Admiral Suffren mehrfach unsere Schiffe und Territorien in Ostindien sowie in Indien selbst angegriffen. Holland und Spanien - «, er zogerte, weil Capitan Triarte ein diskretes, aber vorwurfsvolles Husteln vernehmen lie?,»- waren Frankreichs Alliierte, hatten aber nicht die erforderlichen Geschwader und Truppen zur Verfugung, um ihre Besitzungen in diesem Gebiet zu schutzen. Suffren tat es fur sie. Er eroberte unseren Hafen Trincomali und gab ihn den Hollandern nach dem Krieg zuruck. Es gibt da noch mehrere ahnliche Falle, doch werden Ihnen die meisten bereits bekannt sein. Nun hat Spanien im Austausch gegen gewisse andere
        Vergunstigungen, die fur Sie im Moment ohne Interesse sind, prinzipiell eingewilligt, eines seiner Territorien auf Borneo an England abzutreten. «Er warf Bolitho einen Blick zu, den dieser als impertinent empfand.»Und dahin segeln Sie naturlich.»
        Naturlich. Es klang so einfach: Die Reise wurde eben zweioder dreitausend Meilen langer. Raymond sprach von Borneo, als handle es sich um Plymouth.
        Gelassen warf Bolitho ein:»Mir ist der Sinn dieser - hm - Abmachungen nicht ganz klar.»
        Puigserver mischte sich ein.»Das glaube ich Ihnen gern, Capitan.«Er warf Raymond einen kalten Blick zu.»Reden wir offen. Um bei diesem unsicheren Waffenstillstand weitere Spannungen zu vermeiden, denn genau das ist dieser Friedensschlu?, mussen wir mit au?erster Vorsicht vorgehen. Die Franzosen haben trotz ihrer Anstrengungen in Indien so gut wie nichts gewonnen; und sie sind empfindlich gegen jede rasche Expansion eines anderen Staates in der Umgebung ihrer ohnehin schrumpfenden Einflu?zonen. Ihr Ziel, Capitan, ist Teluk Pendang: ein ausgezeichneter Ankerplatz, eine beherrschende Position fur jedes Land, das den Wunsch hat, noch weitere Stutzpunkte in diesem Gebiet anzulegen. Kurz, die Brucke zu einem Weltreich.»

«Ich sehe schon, was Sie meinen, Senor«, nickte Bolitho. Aber er sah gar nichts, und er hatte auch noch nie von diesem Ort gehort.
        Raymond ri? das Gesprach wieder an sich.»Als im vorigen Jahr der Friede unterzeichnet war, sandte unsere Regierung die Fregatte Fortunante mit den Dokumenten dieses Abkommens nach Madras. Unterwegs stie? sie in Hohe des Kaps der Guten Hoffnung auf zwei heimkehrende Fregatten des Admirals Suffren. Diese wu?ten, was durchaus naturlich war, nichts von dem Friedensschlu? und lie?en dem Kapitan der Fortunate auch keine Zeit zu Erklarungen. Es kam zum Gefecht; die Fortunate scho? eines der franzosischen Schiffe so zusammen, da? es in Brand geriet und sank. Unglucklicherweise fing sie selbst ebenfalls Feuer und ging mit dem Gro?teil ihrer Mannschaft unter.»
        Bolitho konnte sich die Szene ausmalen. Drei Schiffe auf offener See. Zwischen ihren Landern herrschte zwar endlich Friede, aber die Kapitane wu?ten nichts davon, sondern waren noch voller Kampfeseifer, wie man es ihnen beigebracht hatte.

«Wie dem auch sei«, fuhr Raymond fort,»der uberlebende franzosische Kapitan war ein alter Haudegen namens Le Chaumareys, einer der besten Frankreichs.»
        Bolitho lachelte.»Ich habe von ihm gehort.»

«Ja«, sagte Raymond nervos,»bestimmt haben Sie das. Gewisse Leute in der Regierung nehmen nun an, da? die Franzosen durch Le Chaumareys von diesem unserem Abkommen mit Spanien erfuhren. Wenn das der Fall ist, mu? sich Frankreich aufs hochste beunruhigen uber die Aussicht, da? wir ein weiteres jener Territorien, um die es fur Spanien gekampft hat, in Besitz nehmen wollen.»
        Jetzt hatte Bolitho begriffen: darum all die vagen Andeutungen in der Admiralitat, die ganze Geheimnistuerei. Kein Wunder. Wenn Frankreich Wind von Englands Absicht bekam, in Ostindien eine expansive Politik zu betreiben, dann mu?te ein neuer Krieg ausbrechen. Es war, als stunde jemand mit einer brennenden Lunte in einem Pulvermagazin.»Was sollen wir also tun?«fragte Bolitho.
        Raymond entgegnete:»Sie werden zusammen mit der Nervion segeln. «Er schluckte.»Sie wird das Fuhrungsschiff sein, und Sie werden sich entsprechend verhalten. In Madras werden Sie den neuen britischen Gouverneur an Bord nehmen und ihn mit den gegebenenfalls zur Verfugung stehenden Truppen an seinen neuen Amtssitz bringen, namlich nach Teluk Pendang. Ich begleite Sie, denn ich habe Depeschen fur ihn und soll ihm, soweit es mir moglich ist, mit Rat und Tat zur Seite stehen.»
        Puigserver sah ihn an wie ein guter Onkel seinen kleinen klugen Neffen.»Und ich werde an Ort und Stelle dafur sorgen, da? unsere Leute keinen Unsinn machen, wie?»
        Mi?mutig sprach Raymond weiter.»Die Franzosen haben eine Fregatte in diesen Gewassern, die Argus, mit 44 Geschutzen. Es hei?t, da? Le Chaumareys sie kommandiert. Er kennt die Sunda-Inseln und Borneo so gut, wie es einem Europaer moglich ist.»
        Bolitho atmete langsam aus. Der Plan war soweit ganz gut. Die Entsendung eines britischen Geschwaders hatte fruher oder spater zur offenen Seeschlacht gefuhrt; aber zwei Fregatten verschiedener Nationalitat waren nicht so auffallig und wurden doch der Argus mehr als gewachsen sein, sowohl prestigema?ig als auch hinsichtlich der Feuerkraft.
        Langsam schritt Puigserver zu dem gro?en Fenster und starrte auf die vor Anker liegenden Schiffe hinunter.»Eine lange Reise, meine Herren, die aber, wie ich hoffe, uns allen zum Vorteil gereichen wird. «Er wandte sich Bolitho zu; sein Gesicht lag im Schatten.»Sind Sie seeklar?»

«Aye, Senor. Wir mussen nur noch Trinkwasser ubernehmen und frisches Obst, wenn das moglich ist.»

«Wird bereits erledigt, Capitan.«Er lachelte breit.»Es tut mir leid, da? ich Ihnen nicht auf einige Zeit Gastfreundschaft erweisen kann, aber diese Insel ist sowieso ein trauriger Aufenthalt. Wenn Sie aber einmal nach Bilbao kommen sollten - «, er ku?te die Fingerspitzen,»- dann kann ich Ihnen zeigen, wie man lebt. «Er lachte dem ubellaunig dreinschauenden Raymond ins Gesicht.»Und ich denke, wir werden einander wesentlich besser kennen, wenn diese Reise zu Ende ist.»
        Die spanischen Adjutanten verneigten sich ehrerbietig, als Puigserver zur Tur schritt.»Wir sehen uns noch, bevor wir segeln!«rief er und fugte, schon im Hinausgehen, hinzu:»Aber morgen lichten wir Anker, komme was wolle.»
        Lebhafte, gedampfte Unterhaltung setzte ein, und Raymond kam um den Tisch herum zu Bolitho.»Dieser verdammte Kerl!«flusterte er wutend.»Noch ein Tag mit ihm, und ich hatte ihm meine Meinung gesagt!»

«Auf welchem Schiff wollen Sie segeln?«fragte Bolitho.»Meins ist ja ganz ordentlich, aber viel kleiner als der Spanier.»
        Raymond drehte sich halb nach dem spanischen Kapitan um, der mit seinen Leuten au?er Horweite sprach.

«Mit dem Spanier segeln? Und wenn Ihr Schiff eine lausige Kohlenschute ware - mir ware es immer noch lieber als die Nervion!»
        Davy flusterte:»Ich glaube, sie erwarten, da? wir gehen.»
        Raymonds Gesicht wurde noch finsterer.»Ich komme mit auf Ihr Schiff, da konnen wir alles besprechen. Hier kann man ja nicht einmal atmen, ohne da? einer lauscht.»
        Bolitho sah seine Eskorte bereits vor der Tur warten und lachelte. Raymond mochte eine bedeutende Rolle bei dieser Mission spielen, aber Takt war jedenfalls nicht seine starke Seite.
        Fast ohne ein Wort kehrten sie zur Pier zuruck; aber Bolitho spurte deutlich die Spannung, unter der Raymond stand. Irgend etwas qualte ihn. Vielleicht fuhlte er sich seinen dienstlichen Aufgaben nicht gewachsen?
        Als die Gouverneursbarke zur Undine zuruckstrebte, fuhlte sich Bolitho erleichtert. Ein Schiff, das verstand er. Raymonds Welt jedoch war ihm so fremd wie der Mond.
        Raymond kletterte an Bord und starrte leeren Blicks auf die angetretene Ehrenformation und die geschaftigen Matrosen, die an den Taljen und Blocken des Ladegeschirrs arbeiteten. Fasser und allerlei Netze mit Fruchten und Strohhuten gegen die Sonne wurden an Deck gehievt.
        Bolitho nickte Herrick zu.»Alles wohl an Bord?«Er beruhrte Raymonds Arm.»Dies ist Mr. Raymond, unser Passagier. «Er fuhr herum, denn eben ertonte schrilles Frauengelachter vom Niedergang her.

«Wer hat dieses Weib an Bord gelassen? Bei Gott, Mr. Herrick, wir sind hier nicht in Portsmouth Point oder Nore!»
        Dann sah er das Madchen - klein, dunkel, rot gekleidet. Sie sprach mit Allday, dem das offensichtlich Spa? machte.
        Bedruckt sagte Raymond:»Ich hatte gehofft, Ihnen das eher erklaren zu konnen. Sie ist ein Dienstmadchen, die Zofe meiner Frau.»
        Herrick versuchte, Bolithos plotzlichen Zorn zu besanftigen.»Sie ist vor etwa einer Stunde mit ihrer Herrin an Bord gekommen, Sir. Anweisung vom Gouverneur. Ich konnte nichts machen«, sagte er verkniffen.

«Ach so. Dann allerdings«, murmelte Bolitho und schritt zum Achterdeck. Sie hatten tausend Meilen in einem kleinen, vollgestopften Kriegsschiff vor sich. Raymond allein war schon schlimm genug, aber seine Frau und ihre Zofe - das war zuviel! Er sah, wie ein paar Matrosen einander grinsend anstie?en. Wahrscheinlich hatten sie nur darauf gewartet, wie er reagieren wurde.
        Sehr gemessen sagte er:»Vielleicht wurden Sie mich vorstellen, Mr. Raymond?»
        Sie gingen zusammen nach achtern, und Davy wisperte:»Himmelkreuz noch mal, Mr. Herrick, das wird ja eine sehr gemischte Reisegesellschaft!»
        Herrick sah ihn bose an.»Und Sie haben sich vermutlich inzwischen gut amusiert.»

«Ein wenig Wein, ein paar hubsche Frauen…«Er kicherte.»Aber ich habe auch an Sie gedacht, Sir.»
        Herrick mu?te lachen.»Zur Holle mit Ihnen! Jetzt ziehen Sie sich gefalligst Ihre Bordgarnitur an und beaufsichtigen Sie den Laden. Heute braucht man uberall Augen.

        Inzwischen war Bolitho in seiner Kajute angelangt und schaute sich verzweifelt um. Koffer uberall, Kleider uber Mobel und Kanonen geworfen, als waren Einbrecher an Bord gewesen. Mrs. Raymond war gro? und schlank; nicht das kleinste Lacheln erhellte ihr Gesicht. Offenbar war sie wutend.

«Du hattest mit dem Auspacken noch warten sollen, Violet!«rief ihr Gatte erschrocken.»Hier ist unser Kapitan.»
        Bolitho verbeugte sich kurz.»Richard Bolitho, Ma'am. Ich hatte Ihrem Gatten gegenuber eben erwahnt, da? eine Fregatte nur wenig Bequemlichkeit zu bieten hat. Aber da Sie mit uns zu segeln wunschen, werde ich selbstverstandlich alles tun, was… «Er kam nicht weiter.

«Wunschen?«Ihre Stimme klang heiser vor Wut.»Bitte geben Sie sich keiner Tauschung hin, Captain! Mein Mann will nicht, da? ich auf der Nervion reise. «Sie verzog den Mund vor lauter Verachtung.»Er furchtet um meine Ehre, wenn ich bei einem spanischen Edelmann an Bord bin!»
        Bolitho bemerkte, da? sich Noddall nervos in der Speisenische herumdruckte, und blaffte ihn argerlich an:»Helfen Sie Mrs. Raymonds Zofe, all dieses… - «, er blickte sich hilflos um, - »dieses Geschirr zu verstauen!«Raymond lie? sich mittlerweile schwer wie ein Sterbender auf die Sitzbank fallen. Kein Wunder, da? er so mitgenommen aussah.»Und lassen Sie dem Ersten Leutnant ausrichten, da? ich ihn sprechen will!«Er sah sich in der Kajute um und sprach seine Gedanken laut aus.»Wir mussen die Zwolfpfunder vorubergehend herausnehmen und statt dessen Attrappen montieren.»
        Raymond sah stumpfen Blickes hoch.»Attrappen?»

«Holzerne Kanonenrohre. Damit es so aussieht, als ob wir voll armiert waren.»
        Herrick erschien in der Tur.»Sir?»

«Wir mussen ein paar Behelfswande errichten, Mr. Herrick, damit unsere Passagiere ein Schlafabteil erhalten. An Backbord, denke ich.»

«Nur fur mich und meine Zofe, bitte«, sagte Mrs. Raymond kalt und warf einen uninteressierten Blick auf ihren Gatten.»Er kann irgendwo anders auf diesem Schiff schlafen.»
        Herrick betrachtete sie aufmerksam und sagte:»Also dann schlaft Mr. Raymond an Steuerbord. Aber was wird mit Ihnen,
        Sir?»
        Bolitho seufzte.»Ich nehme den Kartenraum. «Und mit einem Blick auf das Ehepaar: Wir werden zusammen speisen, wenn Sie nichts dagegen haben. «Keiner von ihnen gab eine Antwort. Midshipman Keen trat an der offenen Tur von einem Fu? auf den anderen und lie? kein Auge von den beiden Frauen.»Mr. Soames la?t respektvoll melden, Sir, da? der Kapitan der Nervion an Bord kommt«, sagte er.
        Bolitho fuhr herum und fluchte leise, denn er hatte sich das Schienbein an einem der schweren Koffer gesto?en. Mit zusammengebissenen Zahnen sagte er:»Ich werde mich bemuhen, ihm die geziemende Gastfreundschaft zu erweisen, Mr. Herrick.»
        Herrick verzog keine Miene.»Gewi?, Sir.»
        Der Morgen graute bereits, als Bolitho mude in seine Koje sank. Der Kopf rauchte ihm noch von der Bewirtung des Capitan Triarte und seiner Offiziere. Spater hatten sie ihn uberredet, mit auf die Nervion zu kommen; und Triarte hatte es sich nicht nehmen lassen, sein geraumiges Schiff mit der beengten Undine zu vergleichen. Aber es hatte bei den Raymonds nichts genutzt. Nun war wieder Ruhe an Bord, und Bolitho versuchte, sich Mrs. Raymond vorzustellen, wie sie hinter der neugezogenen Wand schlummerte. Er hatte sie in der Kajute beobachtet, als die spanischen Offiziere an Bord waren. Hoheitsvoll, aber charmant; und aus den Gefuhlen, die sie fur ihren Gatten hegte, machte sie durchaus kein Hehl. Eine gefahrliche Frau, wenn man sie zur Feindin hatte, dachte er.
        Wie still das Schiff war. Vielleicht waren alle, wie er selbst, zu mude, um sich auch nur zu ruhren. Die Geschutze der Kapitanskajute waren mit gro?en Schwierigkeiten unter Deck gefiert worden. Um die richtige Trimmung wieder herzustellen, mu?te Proviant und schweres Geschirr nach achtern geschafft werden. Nun wirkte die Kajute ohne die Geschutze viel gro?er, aber er wurde nicht viel davon haben. Er grub seinen schmerzenden Kopf ins Kissen, und das war so anstrengend, da? ihm der Schwei? ausbrach. Eins war sicher: kaum jemals hatte er so viel Ursache gehabt, eine Reise zu beschleunigen.
        Bei Tageslicht war er wach und aus der Koje; es drangte ihn, seine Arbeit zu erledigen, ehe die Hitze das Denken erschwerte. Am spaten Nachmittag, unter den fernen Klangen einer Militarkapelle und dem Geschrei der Menge, die sich am Ufer zusammengefunden hatte, lichtete die Undine Anker. Hinter der Nervion, deren machtiges Vormarssegel ein prachtvolles Kreuz in Scharlach und Gold aufwies, kam sie klar von der Reede und setzte dann mehr Segel, um vor den Wind zu gehen.
        Ein paar kleine Schiffe gaben ihnen das Geleit, aber die schnellen Fregatten lie?en sie bald hinter sich. Als es Nacht wurde, hatten sie das Meer fur sich allein, und nur die Sterne leisteten ihnen Gesellschaft.



        IV Tod eines Schiffes

        Ezekiel Mudge, Segelmeister und Steuermann der Undine, sa? gemutlich in einem von Bolithos Sesseln und studierte die auf dem Tisch ausgebreitete Karte. Ohne seinen Hut wirkte er sogar noch alter; aber seine Stimme klang frisch und selbstsicher. Der Wind wird in ein, zwei Tagen auffrischen, Sir. Denken Sie an meine Worte. «Er tippte mit seinem eigenen Messingzirkel, den er gerade aus den Tiefen seiner Tasche gefischt hatte, auf die Karte.»Im Moment kommt uns der Nordostpassat gerade recht, und mit ein bi?chen Gluck sind wir in einer Woche vor den Kapverdischen Inseln. «Er lehnte sich zuruck und wartete gespannt darauf, was Bolitho wohl dazu sagen wurde.

«Das ist auch meine Meinung. «Bolitho trat ans Heckfenster und stutzte die Hande auf das Sims. Das Holz war brandhei?, und hinter dem kurzen, schaumenden Kielwasser der Fregatte lag die See in blendendem Glanz. Sein Hemd stand bis zum Gurtel offen, juckend rann ihm der Schwei? zwischen den Schultern hinab, und seine Kehle war staubtrocken.
        Es war fast Mittag; die Midshipmen mu?ten sich gleich auf dem Achterdeck bei Herrick melden, um den Sonnenstand fur das Besteck zu nehmen. Nur ein paar Stunden fehlten, dann waren sie eine volle Woche unterwegs. Jeden Tag hatte die Sonne sie ausgedorrt, und die standige leichte Brise hatte keine ausreichende Kuhlung bringen konnen. Jetzt hatte der Wind leicht aufgefrischt, die Undine segelte uber Backbordbug und glitt geistergleich dahin, alle Segel zogen ausreichend. Aber trotzdem empfand Bolitho nur geringe Befriedigung. Denn die Undine hatte ihren ersten Mann verloren, einen jungen Matrosen, der am Vortag kurz vor Einbruch der Dunkelheit uber Bord gegangen war. Bolitho hatte dem spanischen Kapitan entsprechend signalisiert und die Suche nach dem Unglucklichen begonnen. Der Mann hatte hoch oben auf der Gro?marsrah gearbeitet, Bolitho hatte ihn noch gesehen: wie eine Bronzestatue hob er sich gegen die untergehende Sonne ab. Aber er war zu selbstsicher gewesen, auch wohl zu leichtsinnig in den letzten entscheidenden Sekunden, als er seine Stellung wechselte. Ein Schrei im Fallen, und dann war er
mit dem Kopf voran aufs Wasser geprallt, fast auf der Hohe des Gro?mastes; wild mit den Armen rudernd, versuchte er, dem Schiff zu folgen, Davy hatte gesagt, der Matrose sei ein guter Schwimmer; so konnte man hoffen, ihn aufzufinden. Sie hatten zwei Boote ausgesetzt und den Gro?teil der Nacht nach ihm gesucht, jedoch vergeblich. Bei Morgendammerung lagen sie wieder auf Kurs, aber Bolitho mu?te zu seinem Arger feststellen, da? die Nervion keineswegs Segel gekurzt hatte oder sonstwie in der Nahe geblieben war; erst vor einer halben Stunde hatte der Ausguck ihre Bramsegel wieder gesichtet.
        Der Verlust des Matrosen bestarkte Bolitho in seinem Bemuhen, die Mannschaft in Form zu bringen. Er hatte gesehen, wie die spanischen Offiziere seine ersten Versuche beim Geschutzexerzieren durch ihre Fernglaser beobachteten und sich vor Schadenfreude auf die Schenkel schlugen, wenn etwas nicht klappte - und das war oft der Fall. Fur sie schien diese Fahrt eine Art Vergnugungsreise zu sein. Sogar Raymond hatte eine dumme Bemerkung gemacht:»Was plagen Sie sich mit Geschutzexerzieren ab, Captain? Ich verstehe ja nicht viel von solchen Dingen - aber Ihre Leute finden das doch sicher hochst lastig bei dieser verdammten Hitze?»
        Er hatte entgegnet:»Das ist meine Pflicht, Mr. Raymond. Moglich, da? wir auf dieser Reise die Geschutze uberhaupt nicht brauchen - aber man kann nie wissen.»
        Mrs. Raymond hatte sich hochmutig von allen ferngehalten; tagsuber sa? sie meistens unter einem kleinen Sonnensegel, das Herrick fur sie und die Zofe an der achteren Reling hatte anschlagen lassen. Wenn sie zusammenkamen, was vorwiegend bei den Mahlzeiten der Fall war, sprach sie nur wenig, und dann uber private Dinge, die Bolitho kaum begriff. Es machte ihr anscheinend Spa?, ihren Mann zu kritisieren, er sei zu saumselig, es fehle ihm im entscheidenden Augenblick an Entschlossenheit. Einmal hatte sie ihm wutend vorgeworfen:»Du la?t dich dauernd beiseite schieben, James! Ich kann mich ja in London uberhaupt nicht mehr sehen lassen, wenn du standig Demutigungen einsteckst! Margarets Mann wurde neulich geadelt, und er hat funf Dienstjahre weniger als du!«So ging es weiter.
        Als Bolitho sich jetzt nach Mudge umdrehte, uberlegte er, was dieser und die anderen wohl von ihrem Kommandanten denken mochten. Da? er Offiziere und Mannschaft zu hart herannahm, ohne Sinn und Zweck? Da? er sie mit stupidem Geschutzexerzieren schikanierte, wahrend auf dem Spanier die Manner von der Freiwache herumlungerten, schliefen oder Wein tranken wie Passagiere? Aber unvermittelt sagte Mudge, als hatte er seine Gedanken gelesen:»Lassen Sie die Leute ruhig reden, Sir. Sie sind noch jung, aber Sie haben den richtigen Instinkt fur das Notwendige - wenn Sie mir die Freiheit gestatten. «Er zupfte an seiner gro?en Nase.»Ich habe manchen Kapt'n mit langem Gesicht dastehen sehen, weil er nicht bereit war, wenn's darauf ankam. «Er lachte in sich hinein, da? die kleinen Augen in den Falten und Runzeln seines Gesichts fast verschwanden.»Und Sie wissen ja - wenn was schiefgeht, hat's keinen Zweck, die Fauste zu schutteln und allen anderen die Schuld zu geben. «Damit zerrte er eine kohlrubengro?e Uhr aus einer Innentasche.»Ich mu? hinauf an Deck, wenn Sie mich nicht mehr brauchen. Mr. Herrick mochte, da?
ich dabei bin, wenn die Bestecks verglichen werden. «Das schien ihn zu amusieren.»Wie gesagt, Sir, Ihr Standpunkt ist ganz richtig. Es ist durchaus nicht notig, da? die Mannschaft den Kapitan liebt, aber bei Gott, Sir, sie mu? Vertrauen zu ihm haben. «Er stapfte aus der Kajute, da? die Decksplanken unter seinem Schritt knarrten.
        Bolitho setzte sich und strich sein offenes Hemd glatt. Mudge war wenigstens ein Lichtblick.
        Allday steckte den Kopf durch die Tur.»Kann ich Ihnen jetzt den Steward schicken, Captain?«Er warf einen raschen Blick auf den Tisch.»Er wird Ihr Essen servieren wollen.»

«Na schon«, lachelte Bolitho. Es ware dumm gewesen, sich uber Kleinigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Aber das mit Mudge war wichtig. Er hatte vermutlich unter mehr Kapitanen gedient, als Bolitho in seinem ganzen Leben kennengelernt hatte.
        Sie blickten sich beide um, denn Midshipman Keen stand in der Tur. Er war schon stark gebraunt und sah so gesund und kraftig aus wie ein alter Fahrensmann.

«Kompliment von Mr. Herrick, Sir, und der Ausguck hat ein Schiff auf Gegenkurs zum Spanier gesichtet. Konnte eine Brigg sein. Ziemlich klein.»

«Ich komme sofort an Deck«, sagte Bolitho und fuhr dann lachelnd fort:»Die Reise scheint Ihnen zu bekommen, Mr. Keen.»
        Der junge Mann grinste verschmitzt.»Aye, Sir. Allerdings hat mein Vater nicht wegen meiner Gesundheit, sondern aus ganz anderen Grunden zur See geschickt, furchte ich.»
        Er verschwand eiligst, und Allday murmelte hinter ihm her:»Dieser junge Teufel! Hat bestimmt ein armes Madchen in Schwierigkeiten gebracht - da mocht' ich wetten!

        Bolitho verzog keine Miene.»Es kann ja nicht jeder so tugendhaft sein wie Sie, Allday.»
        Er trat an dem Wachtposten vor der Tur vorbei hinaus und stieg hinauf zum Achterdeck. Obgleich er darauf gefa?t war, fuhr ihn die Hitze an wie aus einem Brennofen. Der Teer in den Ritzen der Decksplanken klebte an seinen Schuhsohlen, Gesicht und Nacken brannten ihm, als er zur Wetterseite hinuberging und sein Schiff prufend musterte. Die Undine lief gut unter ihrer sonnengebleichten, leichten Besegelung. In der ma?igen Brise krangte sie nur schwach. Spritzwasser staubte hoch und netzte den Kluver, und hoch oben wehte der Wimpel waagrecht wie eine Peitschenschnur.
        Mudge und Herrick waren in ein leises Gesprach vertieft. Ihre Sextanten glanzten wie Gold. Armitage und Penn, die beiden Midshipmen, verglichen ihre Notizen, in den jungen Gesichtern stand sorgenvolle Konzentration.
        Soames an der Achterdeckreling wandte sich um, als Bolitho ihn fragte:»Dieses fremde Schiff - was halten Sie davon?»
        Soames schien sehr unter der Hitze zu leiden, das Haar klebte ihm in der Stirn, als kame er vom Schwimmen.

«Wird wohl irgendein Handelsschiff sein, Sir. «Es klang, als sei es ihm ziemlich gleichgultig.»Vielleicht wollen sie den Spanier nach der Position fragen. «Er verzog grimmig das Gesicht.»Was der schon davon wei?!»
        Bolitho nahm ein Fernglas aus der Halterung und enterte ein Stuck in die Gro?mastwanten auf. Nach einigem Suchen fand er die Nervion weit voraus an Steuerbord, ein Bild der Schonheit mit ihren machtigen Segeln uber dem metallisch glanzenden Rumpf. Er schwenkte das Glas etwas weiter nach Steuerbord auf das andere Schiff. Es war in der flirrenden Hitze kaum auszumachen, aber die braunlichen Segel konnte er doch gut erkennen: Rahsegel am Vormast, Schratsegel am Gro?mast. Unbestimmter Arger stieg in ihm auf.

«Eine Brigantine, Mr. Soames.«»Aye, Sir.»
        Bolitho sah ihn duster an und kletterte dann wieder an Deck.»In Zukunft wunsche ich eine vollstandige Meldung uber alles, was in Sicht kommt, wie unwichtig es Ihnen im Moment auch erscheinen mag.»
        Soames bi? die Zahne aufeinander.»Jawohl, Sir!»
        Herrick rief dazwischen:»Es war meine Schuld, Sir. Ich hatte Mr. Keen sagen sollen, da? er Ihnen eine genaue Schiffsansprache zu geben hat.»
        Bolitho ging nach achtern.»Mr. Soames hat doch die Wache?»
        Herrick kam hinter ihm her.»Gewi?, Sir, allerdings.»
        Die beiden Ruderganger nahmen Haltung an, als Bolitho zum Kompa? trat. Die Windrose lag ganz stetig: Sudwest und Seeraum genug. Irgendwo an Backbord lag die afrikanische Kuste, mehr als drei?ig Meilen entfernt. Nichts weiter auf dem Ozean als diese drei Schiffe. Zufall oder Absicht? Vielleicht war eine Kontaktaufnahme notwendig? Soames' Gleichgultigkeit irritierte Bolitho wie Wespengebrumm, und er sagte argerlich:»Sorgen Sie in Zukunft dafur, da? die Wachhabenden wissen, wozu sie da sind, Mr. Herrick!«Er deutete auf Keen, der an den Netzen lehnte.»Schicken Sie den mit einem guten Glas nach oben. Er hat junge Augen, vielleicht sieht er mehr.»
        Mudge kam steifbeinig herbei und knurrte:»Wir mussen ziemlich genau auf der Hohe von Kap Blanco sein. «Er rieb sich das Kinn.»Der westlichste Punkt dieses wilden Erdteils. Und wir sind reichlich dicht dran, wenn Sie mich fragen. «Ein pfeifendes Winseln entrang sich seiner Brust, die sich heftig hob und senkte: seine Art zu lachen.
        Vom Mast her kam Keens Stimme:»An Deck! Die Brigantine halt immer noch Kurs auf die Nervion.»
        Herrick legte die Hande um den Mund und rief hinauf:»Hat sie ihre Farben gesetzt?»

«Keine, Sir.»
        Herrick enterte ein Stuck mit seinem eigenen Glas auf. Nach einer Weile rief er hinunter:»Die Dons scheinen sich nicht viel daraus zu machen, Sir!»
        Mudge knurrte:»Was sollen sie sich auch uber diesen kleinen Pott aufregen?»
        Bolitho sagte:»Gehen Sie einen Strich mehr an den Wind, Mr. Mudge. Besser, wenn wir der Nervion wieder etwas naher kommen.»
        In seinem Rucken horte er eine Stimme:»Machen Sie sich etwa Sorgen, Captain?«Er fuhr herum. Mrs. Raymond stand am Fu?e des Gro?mastes, das Gesicht von dem riesigen Strohhut beschattet, den sie sich in Teneriffa gekauft hatte.
        Er schuttelte den Kopf.»Nein, Ma'am, ich bin nur neugierig. «jn Hemd und Hose, die noch dazu zerknittert waren, fuhlte er sich auf einmal unbehaglich und unsicher. Tut mir leid, da? ich Ihnen nichts Unterhaltenderes bieten kann.»
        Sie lachelte.»Das kann sich ja immer noch zum Besseren andern.»

«An Deck!«Beim Klang von Keens heller Stimme sahen sie alle nach oben.»Die Brigantine geht uber Stag, Sir.»

«Stimmt«, bestatigte Herrick.»Sie segelt dem Spanier direkt vor den Bug!«Mit breitem Grinsen wandte er sich ihnen zu.»Da werden die wohl ein bi?chen lebendig werden!»
        Aber sein Grinsen war auf einmal wie weggewischt, denn ein dumpfes Krachen hallte ubers Wasser, und Keen brullte:»Sie hat auf die Nervion gefeuert, Sir!»
        Ein zweites Krachen. Keen kreischte fast vor Aufregung:»Ein Schu? durch die Fock!»
        Bolitho kletterte zu Herrick in die Wanten.»Lassen Sie mich sehen!»
        Er ergriff das gro?e Teleskop und richtete es auf die beiden Schiffe. Die Brigantine stand jetzt, optisch verkurzt, mit dem Heck zur Undine und segelte langsam am machtigeren Umri? der Nervion vorbei. Sogar auf diese Entfernung sah er die Verwirrung an Bord des Spaniers, das Glitzern der Sonne auf den Waffen, als die Besatzung auf Stationen eilte.
        Heiser sagte Herrick:»Der Kapitan der Brigantine mu? verruckt sein; nur ein Irrer kann sich mit einer Fregatte einlassen!»
        Bolitho antwortete nicht. Er strengte sein Auge an. um das Drama zu beobachten, das die Linse des Teleskops ihm zeigte. Die Brigantine hatte zwei Schu? abgefeuert und damit einen, wenn nicht sogar zwei Treffer erzielt. Jetzt entfernte sie sich in rascher Fahrt; und da die Nervion mehr Segel zu setzen begann, wollte Triarte vermutlich die Verfolgung aufnehmen.

«Innerhalb einer Stunde wird er sie eingeholt haben. Sie gehen beide uber Stag.»

«Vielleicht hat dieser Narr gedacht, die Nervion sei ein fetter Kauffahrer?«Davy war an Deck gekommen.»Aber nein, das ist unmoglich.»
        Herrick sprang nach Bolitho aus den Wanten und sah ihn zweifelnd an.»Sollen wir uns an der Jagd beteiligen, Sir?»
        Aber Mudge stie? ihn fast beiseite und blaffte:»Von wegen Jagd!«Uberrascht blickten sie ihn an.»Wir mussen den Spanier warnen, Sir!«Er deutete mit seiner riesigen Hand nach Lee.»Vor Kap Blanco, Sir, liegt ein machtiges Riff, es zieht sich beinahe hundert Meilen in die See hinein. Die Nervion ist zwar jetzt schon in Gefahr, aber wenn der Steuermann nur noch einen Strich mehr an den Wind geht, dann ist sie uber dem verdammten Riff, ehe sie sich's versieht!»
        Bolitho starrte ihn entsetzt an.»Mr. Herrick, lassen Sie die Royals setzen! Schnell jetzt!«Rasch trat er zum Ruder.»Wir brauchen mehr Fahrt.»
        Soames rief:»Sieht so aus, als ob der Don einen Strich mehr an den Wind geht, Sir!

        Mudge starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Kompa?.»Jesus, er steuert tatsachlich Sudsudost!«Beschworend sah er Bolitho an.»Wir erreichen ihn nicht mehr rechtzeitig!»
        Bolitho rannte zwischen Reling und Ruder auf und ab. Mattigkeit, gluhende Hitze - alles war vergessen au?er jener fernen Pyramide aus wei?en Segeln, vor der die kleine Brigantine wie ein lockendes Irrlicht einherhupfte. Ein Verruckter? Ein Pirat, der sich im Gegner geirrt hatte? Das war jetzt einerlei.

«Buggeschutz klar!«befahl Bolitho.»Mr. Herrick, wir werden versuchen, die Nervion abzulenken.»
        Herrick beobachtete soeben, die Augen mit dem Sprachrohr beschattend, wie die Toppgasten die Royals setzten.

«Aye, aye, Sir!«Dann rief er:»Mr. Tapril zu mir!«Aber der Stuckmeister war bereits im Vorschiff und wies die Bedienung des langen Neunpfunders ein.
        Bolitho sagte scharf:»Die Nervion ist noch hoher an den Wind gegangen, Mr. Mudge! Vergeblich bemuhte er sich um einen ruhigen Ton. Wie konnte so etwas geschehen? Das Meer war so weit, so leer. Und doch, von dem Riff hatte er schon fruher von Seeleuten gehort, die diese Gewasser kannten. Manches gute Schiff war an seinem harten Rucken leckgeschlagen und gesunken.

«Steuerbordgeschutz klar, Sir!»

«Feuer!«Es krachte, brauner Rauch trieb nach Lee und zerflatterte, lange bevor die Gischt des Einschlags weit achteraus von der anderen Fregatte sichtbar wurde.

«Nochmals feuern!«Er sah Mudge an.»Einen Strich hoher!»
        Mudge protestierte.»Das kann ich nicht verantworten, Sir.»

«Nein. Ich verantworte es.»
        Bolitho schritt wieder zur Reling; sein offenes Hemd flatterte im Wind, aber er verspurte keine Kuhlung. Er blickte hoch und sah, da? die Segel prall gefullt waren - wie die des Spaniers. Bei diesem Segeldruck mu?te das Riff der Nervion den Kiel herausrei?en, wenn Triarte nicht etwas unternahm, und zwar sofort.
        Das Deck erzitterte beim zweiten Schu?, und die Kugel jaulte uber die Wellenkamme.

«Ausguck!«schrie Bolitho.»Was geschieht?»
        Der Ausguck antwortete mit rauher Stimme:»Die Dons holen auf, Sir! Eben rennen sie ihre Geschutze aus. «Bolitho zweifelte nicht daran, da? der Mann richtig gesehen hatte. Vielleicht hatten die Spanier ihr Buggeschutz gehort und sogar den Einschlag gesehen, dachten jedoch, Bolitho ware wieder einmal beim Exerzieren. Oder vielleicht glaubten sie auch, er sei, weil die Undine die Jagd nicht mitmachen konnte, so verargert, da? er auf diese unmogliche Entfernung feuerte, um seine Wut abzureagieren.»Wie weit noch, Mr. Mudge?«horte er sich fragen.
        Und Mudge antwortete:»Sie mu?te eigentlich schon aufsitzen, Sir. Die verfluchte Brigantine mu? ohne Schaden drubergekommen sein. Kein Wunder bei dem geringen Tiefgang.»
        Bolitho blickte ihn an.»Aber wenn sie durch ist, dann kann vielleicht… »
        Mudge schuttelte den Kopf.»Nicht die geringste Chance,
        Sir.»
        Der Mann im Ausguck stie? einen Schrei aus. Als Bolitho sich umdrehte, sah er mit Entsetzen, wie die spanische Fregatte hochgehoben wurde, noch etwas weiterrutschte und dann auf dem uberspulten Riff querschlug. Auf dem ganzen Schiff splitterten Masten und Rahen, sturzten Stagen, Wanten und Segel in einem furchterlichen Chaos an Deck. So stark war der Aufprall gewesen, da? sie mit der Backbordseite auf dem Riff lag. Durch die offenen Stuckpforten mu?te die See in triumphierendem Schwall einstromen. Die Manner waren im Durcheinander der Takelage gefangen, wurden von zersplitterten Spieren durchbohrt oder plattgedruckt von den Kanonen, die sich aus den Halterungen gerissen hatten und uber Deck rutschten.
        Die Brigantine war auf den anderen Bug gegangen. Sie nahm sich nicht einmal Zeit, das Ausma? ihrer Ubeltat anzusehen.

«Kurzen Sie die Segel, Mr. Herrick!«befahl Bolitho heiser.»Sobald wir dort sind, beidrehen und alle Boote zu Wasser! Wir mussen alles tun, um sie zu retten.»
        Ein paar Matrosen am Buggeschutz redeten laut durcheinander und deuteten auf die Nervion, die sich noch starker uberlegte, wobei noch mehr zu Bruch gegangene Spieren und Planken in die Grundseen uber dem Riff sturzten.

«Und nehmen Sie die Leute ran, Mr. Herrick!«Bolitho wandte sich ab.»Das ist kein Jahrmarktspektakel!»
        Er ging noch einmal zur anderen Seite hinuber; und als er auf das Riff sah, erwartete er fast, die stolze Silhouette der Nervion vor dem Wind stehend zu erblicken. Es war ein boser Traum. Ein Alptraum.
        Aber warum? Warum? Diese Frage setzte sich in seinem Hirn fest, als wolle sie ihn narren. Wie konnte das geschehen?

«Ich mochte mich nicht naher heranwagen, Sir«, sagte Mudge verbissen.»Wenn wir auch nur eine Mutze mehr Wind kriegen, konnen wir leicht selbst auflaufen.»
        Bolitho nickte langsam.»Auch meine Meinung. «Er wandte den Kopf ab.»Und ich danke Ihnen.»
        Ruhig entgegnete Mudge:»Es war nicht Ihre Schuld, Sir. Sie haben alles getan, was Sie konnten.»

«Beidrehen, Mr. Herrick!«Bolitho konnte kaum seine Stimme beherrschen.»Lassen Sie die Boote aussetzen!»
        Soames warf ein:»Das wird ein langer Pull, Sir. Mindestens drei Meilen. «Aber Bolitho horte gar nicht hin. Er sah nur die kleine Brigantine. Das war kein Zufall und auch kein spontaner Streich gewesen.

«Viele werden nicht uberleben, Sir«, sagte Mudge, die Hande tief in den Manteltaschen.»In diesen Gewassern gibt's 'ne Menge Haifische.»
        Unter dem protestierenden Knattern und Killen der noch stehenden Segel drehte die Undine bei, und die Boote wurden mit uberraschender Schnelligkeit abgefiert. Es war, als hatte etwas Unheimliches uber die drei Meilen friedlich daliegende
        See zu ihnen herubergegriffen und jeden einzelnen angeruhrt: ein Flehen um Hilfe, ein Warnschrei - es war schwer zu definieren. Aber als das erste Boot von der Bordwand klarkam und die Rudergasten den Schlag aufnahmen, sah Bolitho, da? die Manner grimmig und mit plotzlicher Entschlossenheit pullten. So hatte er sie noch nie gesehen.
        Allday sagte:»Ich nehme die Gig, wenn Sie erlauben, Sir.»

«Ja. «Sie sahen sich an.»Tun Sie, was Sie konnen.»
        Allday wandte sich ab und schrie nach seiner Besatzung.

«Sagen Sie dem Arzt, er soll sich bereithalten, Mr. Herrick. «Bolitho sah, wie Herrick mit den Umstehenden rasche Blicke wechselte, und fuhr kalt fort:»Und wenn er nachher zu betrunken ist, lasse ich ihn auspeitschen.»
        Alle Boote waren jetzt zu Wasser, und uber die kraftvoll streichenden Riemen hinweg konnte er die Trummer der spanischen Fregatte uber dem unsichtbaren Riff treiben sehen; das gro?e Vormarssegel mit seinem Kreuz in Rot und Gold lag uber dem Wrack wie ein Leichentuch.
        Die Hande auf dem Rucken, das unregelma?ige Rollen des Schiffes automatisch ausbalancierend, schritt Bolitho ruhelos bei den Finknetzen auf und ab.
        Er fing eine Bemerkung Raymonds auf:»Das war eine Dummheit von Triarte! Er hat die Situation total falsch beurteilt.»
        Bolitho blieb stehen und sah ihn an.»Schlie?lich hat er teuer dafur bezahlt, Raymond!»
        Raymond erkannte die Geringschatzung in Bolithos grauen Augen und ging weiter.»Ich wollte nur sagen…«Aber niemand beachtete ihn.
        Herrick sah zu, wie Bolitho ununterbrochen auf und ab schritt und hatte ihm gern etwas gesagt, was seine Verzweiflung lindern konnte. Aber besser als andere wu?te er, da? sich Bolitho in solchen Momenten nur selbst helfen konnte.
        Stunden spater, als die Boote mude zum Schiff zuruckkehrten, stand Bolitho immer noch an Deck; sein Hemd war dunkel von Schwei?, der Kopf tat ihm weh vom Grubeln.
        Herrick meldete:»Nur vierzig Uberlebende, Sir. Und manchen geht es sehr schlecht, furchte ich. «Er verstand die Frage in Bolithos Augen und nickte.»Der Schiffsarzt ist bereit, Sir. Ich habe dafur gesorgt.»
        Bolitho trat langsam an die Netze, beugte sich weit uber Bord und schaute in das erste Boot, die Gig, die eben festmachte. Ein Mann, der gekrummt an Alldays Beinen lehnte und von zwei Matrosen festgehalten wurde, schrie wie eine gemarterte Frau. Ein Hai hatte ihm ein Loch in die Schulter gerissen, so gro? wie eine Kanonenkugel. Bolitho wurde es ubel, er wandte sich ab.

«Um Gottes willen, Thomas, schicken Sie mehr Leute zum Helfen!»

«Schon geschehen, Sir.»
        Bolitho blickte auf den flatternden Wimpel an der Gaffel.»Himmel, wenn so etwas mitten im Frieden passieren kann, dann ware mir schon lieber, wir hatten Krieg!»
        Er beobachtete einige Rudergasten, die an Bord kletterten, die Hande voller Blasen, Rucken und Gesichter knallrot vom Sonnenbrand. Fast wortlos gingen sie unter Deck.
        Vielleicht hatte sie das, was sie da beim Riff gesehen hatten, mehr gelehrt als alles Exerzieren; die Erinnerung daran wurde eine Warnung fur sie alle sein.
        Wieder schritt Bolitho auf und ab. Und fur mich auch, dachte er.
        Bolitho trat in seine Kajute und blieb unter dem Skylight stehen. Die Sonne ging eben unter, und die offenen Heckfenster gluhten im ersterbenden Glanz wie poliertes Kupfer. Im Rhythmus der stetigen Schiffsbewegungen und der schaukelnden Deckenlampe schwankten die Schatten in der Kajute; er sah die kleine Gruppe an den Fenstern und konnte kaum glauben, was er sah.
        Don Luis Puigserver sa? unbeholfen auf der Polsterbank, einen Arm in der Schlinge, die Brust dick bandagiert. Als man ihn vor Stunden mit anderen Uberlebenden an Bord gehievt hatte, war er zuerst nicht erkannt worden, bis ein Leutnant, der einzige Gerettete der spanischen Offiziere, Atem genug hatte, um ihn zu identifizieren. Und dann hatte Bolitho gedacht, es sei zu spat. Der untersetzte Spanier war bewu?tlos und uber und uber mit Abschurfungen, Wunden und Beulen bedeckt. Er sah furchtbar aus; und wenn Bolitho an die letzten Minuten der Nervion dachte, schien es kaum glaublich, da? er noch am Leben war. Von den etwa vierzig Mann, die an Bord der Undine Zuflucht gefunden hatten, waren zehn bereits gestorben, und mehrere schwebten in Lebensgefahr. Die ursprunglich zweihundertsiebzig Mann starke Besatzung war auf die Katastrophe, die sie auf dem Riff erwartete, ganzlich unvorbereitet gewesen: sie wurde von fallenden Spieren zerschmettert, von der einstromenden See halb ertrankt; und dann, als das Schiff gekentert und vollig in Trummer geschlagen war, tauchten im wirbelnden Wasser die dunklen
Schatten der Haie auf und fielen uber die Schiffbruchigen her. Mit Entsetzen hatten die Manner zusehen mussen, wie ihre Gefahrten in blutige Fetzen zerrissen wurden - noch vor ein paar Minuten hatten sie mehr Segel gesetzt und die Geschutze bemannt, um die freche Brigantine zu stellen.
        Als die Boote der Undine kamen, war fast alles vorbei. Ein paar Manner schwammen verzweifelt zu ihrem gekenterten Schiff zuruck, aber als die Fregatte vom Riff glitt und sank, gerieten sie in den Sog und wurden mit hinabgezogen. Andere hatten sich an treibende Spieren und gekenterte Boote geklammert, wurden aber einer nach dem anderen von den silbergrauen Haien angefallen und unter Entsetzensschreien in das brodelnde, blutigrote Wasser gezogen.
        Und nun sa? Puigserver in Bolithos Kapitanskajute und nippte beinahe gelassen an einem Becher Wein. Er war nackt bis zum Gurtel, so da? Bolitho einige von den blutunterlaufenen Prellungen sah, lauter Zeugnisse seines unbeugsamen Willens zum Uberleben.»Ich bin dem Schicksal dankbar, da? Sie sich wieder erholt haben, Senor«, sagte Bolitho. Der Spanier setzte zu einem Lacheln an, aber das bereitete ihm offenbar Schmerzen. Er winkte den Arzt und einen Sanitatsgasten heran und fragte:»Wie viele von meinen Leuten leben noch?»
        Bolitho starrte uber seinen Kopf hinweg auf die Kimmung: ein kupferfarbener Streifen, der vor seinen Augen bereits verbla?te.
        Der Arzt hob die Schultern.»Drei?ig. Viele waren sehr schwer verletzt.»
        Puigserver trank einen Schluck.»Es war furchtbar anzusehen. «Seine dunklen Augen wurden hart. »Capitan Triarte war so wutend uber den Beschu?, da? er wie ein Besessener hinter der Brigantine hersegelte. Er war zu hei?blutig. Anders als Sie.

        Bolitho lachelte nachdenklich.»Anders als Sie. «Aber wenn er keinen Segelmeister wie Mudge gehabt hatte? Keinen befahrenen Mann, der dank seiner reichen Erfahrung die Drohung dieses Riffes in den Knochen spurte? Dann hatte die Undine vermutlich das Schicksal des Spaniers geteilt. Obwohl sich kein Luftzug in der Kajute regte, lief es ihm kalt den Rucken hinunter.
        Irgendwo hinter dem Schott schrie ein Mensch: ein dunner, langgezogener Laut, der plotzlich abri?, als sei eine Tur zugeschlagen worden. Whitmarsh wischte sich die Hande an der Schurze ab und richtete sich auf; er mu?te den Kopf einziehen, um nicht an die Decksbalken zu sto?en. Dann sagte er:»Don Puigserver wird in nachster Zeit Ruhe haben; ich mu? mich um meine anderen Patienten kummern. «Er schwitzte furchtbar, und an seinem linken Mundwinkel zuckte standig ein Muskel.
        Bolitho nickte.»Ja, danke. Und lassen Sie es mich bitte wissen, wenn Sie irgend etwas brauchen.»
        Vorsichtig betastete der Arzt die Verbande des Spaniers.»Gottes Hilfe vielleicht.
«Er lachelte melancholisch.»Hier drau?en haben wir wenig anderes.»
        Als er und der Sanitatsgast gegangen waren, murmelte Puigserver:»Ein Mann mit eigenen Problemen, Capitan.«Schmerzlich verzog er das Gesicht dabei.»Aber immerhin ein sanfter Mann, trotz seines Berufs.»
        Allday war dabei, ein Handtuch zusammenzufalten und ein paar unbenutzte Binden aufzurollen.»Mr. Raymond wollte Sie sprechen, Captain«, sagte er stirnrunzelnd. Aber ich habe ihm erklart, da? laut Ihrem Befehl die Kajute gesperrt ist, bis der Arzt mit Don Puig - «, er hustelte,»- mit dem spanischen Gentleman fertig ist.»

«Was wollte er?«Bolitho war so erschopft, da? ihm ganz gleichgultig war, was Raymond wollte. Er hatte wenig von ihm gesehen, seit die Uberlebenden aufgenommen worden waren, hatte nur gehort, da? er in die Offiziersmesse gegangen sei.

«Er wollte sich beschweren, Captain«, erwiderte Allday.»Seiner Frau hat es nicht gepa?t, da? Sie sie aufgefordert haben, bei den Verwundeten zu helfen. «Wieder runzelte er die Stirn.»Ich sagte ihm, Sie hatten Wichtigeres zu tun. «Damit nahm er seine Sachen und ging hinaus.
        Puigserver lehnte sich zuruck und schlo? die Augen. Da sie jetzt allein waren, schien es ihm nichts mehr auszumachen, da? Bolitho sah, welche Schmerzen er wirklich litt.

«Ihr Allday ist ein bemerkenswerter Bursche«, meinte er.»Mit ein paar hundert Mannern von seiner Sorte konnte ich mir vorstellen, in Sudamerika wieder einen Krieg anzufangen.»
        Bolitho seufzte.»Er macht sich zu viele Sorgen.»
        Puigserver offnete die Augen wieder und entgegnete lachelnd:»Anscheinend denkt er, Sie sind es wert, da? man sich um Sie Sorgen macht, Capitan.«Er lehnte sich vor und fuhr mit plotzlichem Nachdruck fort:»Aber ehe Raymond und die anderen hereinkommen, mu? ich mit Ihnen sprechen. Ich will Ihre Meinung uber den Schiffbruch horen.»
        Bolitho ging zum Schott hinuber und beruhrte seinen Degen, der dort hing.»Ich habe die ganze Zeit daruber nachgedacht, Senor«, sagte er.»Zuerst glaubte ich, die Brigantine sei ein Piratenschiff, dessen Kapitan so unter Druck stehe, da? er ein Gefecht brauchte, um seine Mannschaft zusammenzuhalten. Aber das kann nicht stimmen. Irgend jemand wei? von unserem Vorhaben.»
        Der Spanier wandte kein Auge von ihm.»Die Franzosen vielleicht?»

«Kann sein. Wenn die franzosische Regierung unsere Schiffsbewegungen so genau verfolgt, dann mussen ihr die Depeschen der Fortunate unbeschadigt in die Hande gefallen sein. Es mu? schon um etwas au?erst Wichtiges gehen, wenn sie sich auf ein so gefahrliches Spiel einlassen.»
        Puigserver griff nach der Weinflasche.»Ein Spiel, das sie gewonnen haben.»

«Dann sind Sie also derselben Meinung, Senor«. Bolitho beobachtete den Mann genau; jetzt, nachdem es dunkler geworden war, kam er ihm bleicher vor.
        Puigserver gab keine direkte Antwort.»Falls - und ich sage ausdrucklich falls - jemand dies geplant hatte, dann mu? dieser Jemand auch gewu?t haben, da? es sich um zwei Schiffe handelte. «Er hielt einen Moment inne und befahl dann scharf: Sagen Sie etwas, Capitan - schnell!»
        Bolitho erwiderte:»Das wurde keinen Unterschied machen. Dem Betreffenden ware klar, da? es sich um eine gemeinsame Mission handelt. Ein Schiff kann ohne das andere nichts ausrichten, und… »
        Puigserver klopfte sich mit dem Becher auf die Hufte; der Wein schwappte uber und befleckte seine Hose wie Blut.
        Erregt rief er aus:»Und? Weiter, Capitan! Was nun?»
        Bolitho blickte zur Seite; er sagte nachdenklich:»Ich mu? entweder nach Teneriffa oder nach England zuruckkehren und weitere Befehle abwarten. «Er wandte sich wieder dem Spanier zu. Der sa? zusammengesunken da; sein kantiges Gesicht war aufs Au?erste gespannt, die Brust hob und senkte sich wie nach schwerem Kampf. Mit dumpfer Stimme erwiderte er:»Schon in Santa Cruz wu?te ich sofort, Sie sind ein Mann, der nicht nur redet, sondern auch denkt. «Er schuttelte abwehrend den Kopf. Lassen Sie mich zu Ende sprechen. Dieser Kapitan der Brigantine und sein Hintermann - wer es auch immer sein mag, der meine Landsleute in einen so schrecklichen Tod gejagt hat - , die wollen, da? Sie umkehren!»
        Fasziniert von der Kuhnheit seines Denkens blickte Bolitho ihn an und wandte dann den Kopf ab.»Wenn Sie nicht hier sa?en, Senor, dann hatte ich auch keine andere Wahl.»

«Sehr richtig, Capitan.«Puigserver sah Bolitho uber den Becherrand hinweg prufend an; im Licht der Deckenlampe glanzten seine Augen wie brauner Bernstein.
        Bolitho fuhr fort:»Bis ich wieder in England bin, bis man dort neue Plane macht und sich uber sie geeinigt hat, konnten in Ostindien oder anderswo Dinge geschehen, die wir nicht mehr beeinflussen konnen.»

«Geben Sie mir die Hand, Capitan!«Puigserver beugte sich vor, sein Atem ging scharfer.»In ein paar Minuten werde ich schlafen. Es war ein scheu?licher Tag fur uns, aber fur viele andere noch weit schlimmer.»
        Bolitho nahm die ausgestreckte Hand; Puigservers offenbare Aufrichtigkeit beeindruckte ihn machtig.

«Wieviel Mann sind auf diesem Schiff?«fragte der Spanier.
        Bolitho dachte an das Gesindel, das in Spithead an Bord gekommen war: zerlumptes Volk aus den Gefangnishulken, fluchtige Verbrecher aus London; der Geschutzfuhrer mit nur einer Hand. Alle diese Manner.»Es la?t sich etwas aus ihnen machen, Senor«, antwortete er.»Alles in allem zweihundert, einschlie?lich der Marineinfanterie. «Er lachelte, um die Spannung etwas aufzulockern.»Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich auch Ihre Uberlebenden anmustern, ja?»
        Puigserver schien das nicht zu horen. Aber sein Handedruck war wie Eisen. Zweihundert, eh?«Er nickte grimmig.»Genugt.»
        Bolitho sah ihn scharf an.»Wir machen also weiter, Senor?»

«Sie sind jetzt mein Capitan. Was sagen Sie dazu?»
        Bolitho lachelte.»Das wissen Sie schon, Senor.»
        Puigserver seufzte erleichtert auf.»Wenn Sie diesen Narren Raymond zu mir schicken und Ihren Schreiber, dann werde ich mein Siegel unter diese neue Aktion setzen.
«Seine Stimme wurde harter.»Heute habe ich gesehen und gehort, wie viele
        Manner in Angst und Schrecken umkamen. Wer auch hinter dieser Gemeinheit steht, ich werde mit ihm abrechnen. Und dann, Capitan, wird es eine Rechnung sein, an die unsere Feinde lange denken werden.»
        Es klopfte - Midshipman Armitage erschien im Turrahmen, von der Deckenlampe drau?en auf dem Gang wie ein Schattenri? angeleuchtet.

«Empfehlung von Mr. Herrick, Sir. Auffrischender Wind aus Nordest. «Wie ein Schuler, der dem Lehrer seine Lektion aufgesagt hat, stand er da.

«Ich komme gleich an Deck. «Bolitho mu?te plotzlich an Mudge denken, der besseren Wind prophezeit hatte. Er wurde bei Herrick an Deck sein und auf Befehle fur die Nacht warten. Das und noch mehr horte er aus Armitages Meldung heraus. Was jetzt beschlossen wurde, entschied das Schicksal des Schiffes und jedes Mannes an Bord. Bolitho blickte Puigserver noch einmal an.»Es steht also fest, Senor!».

«Ja, Capitan.«Der Spanier wurde immer schlafriger.»Sie konnen mich jetzt ruhig allein lassen. Aber schicken Sie mir Raymond, ehe ich schnarche wie ein betrunkener Ziegenhirt.»
        Bolitho trat hinter dem Midshipman aus der Kajute und sah, wie ungeschickt der Wachtposten an der Tur seine Muskete hielt. Wahrscheinlich hatte er gelauscht; bis zur Nacht wurde das ganze Schiff Bescheid wissen: das war eine Reise, die nicht nur die Macht der britischen Flotte demonstrieren sollte, sondern eine, bei der mit wirklicher Gefahr zu rechnen war. Er lachelte grimmig, als er die Treppe zum Achterdeck hinaufstieg. Vielleicht wurden sie in nachster Zeit nicht mehr so uber das haufige Exerzieren an den Geschutzen schimpfen.
        Herrick und Mudge standen beim Ruder; der Steuermann hielt eine Blendlaterne uber seine Schiefertafel, auf welcher er Berechnungen in uberraschend sauberer Schrift gemacht hatte.
        Bolitho ging auf die Luvseite, blickte prufend zu den vollen Segeln auf und horchte auf die Bugwelle, die wei? schaumend wie das Wasser in einem Muhlenschacht am Rumpf entlangstromte. Dann trat er zu den beiden wartenden Mannern und sagte: Sie konnen die Segel zur Nacht kurzen, Mr. Herrick. Morgen mustern Sie von der Nervion-Mannschaft alle an, die Ihnen tauglich scheinen. «Er hielt inne, denn aus dem Orlopdeck drang wieder ein wilder Schrei an sein Ohr.»Viele werden es nicht sein, furchte ich.»
        Herrick fragte gespannt:»Wir gehen also nicht auf Gegenkurs, Sir?«Mudge rief dazwischen:»Und das ist auch gut so, wenn ich das sagen darf, Sir!«Er rieb sich den vorspringenden Bauch.»Mein Rheumatismus wird sich verziehen, wenn wir in hei?eres Klima kommen.»
        Bolitho sah Herrick bedeutsam an.»Wir segeln auf altem Kurs weiter, Thomas, und fuhren zu Ende, was da auf dem Riff angefangen hat.»
        Herrick war hoch befriedigt.»Dafur bin ich auch!«Er wollte zur Reling, wo schon ein Bootsmannsmaat auf seine Befehle wartete, aber Bolitho hielt ihn zuruck:»Von heute nacht an, Thomas, mussen wir scharf auf der Hut sein. Kein unnotiger Aufenthalt, um Trinkwasser aufzunehmen, wenn neugierige Augen in der Nahe sind. Wir werden notfalls jeden Tropfen rationieren, um mit unserem Bestand auszukommen. Aber wir mussen uns klar von Land halten, wo der Feind unsere Absichten und unseren Kurs ausspionieren konnte. Wenn, wie ich jetzt glaube, jemand im Geheimen gegen uns arbeitet, mussen wir ihn mit seinen eigenen Methoden schlagen. Wir mussen, um Zeit zu gewinnen, jede nur mogliche List gebrauchen.»
        Herrick nickte.»Das scheint mir durchaus angebracht, Sir.»

«Unseren Leuten hoffentlich auch. «Er schritt nach Luv hinuber.»Weitermachen!»
        Herrick wandte sich um.»Alle Mann der Wache - Segel kurzen!»
        Wahrend der Befehl weitergegeben wurde und die Matrosen die Decksgange entlangliefen, sagte Herrick:»Beinahe hatte ich es vergessen - Mrs. Raymond macht sich Sorgen um ihr Quartier.»

«Das ist bereits erledigt. «Bolitho schwieg einen Moment und beobachtete die aufenternden Manner.»Don Puigserver schlaft in der Hauptkajute. Mrs. Raymond kann die Kajute mit ihrer Zofe teilen.»

«Ob ihr das recht sein wird?«fragte Herrick zweifelnd.
        Bolitho schritt weiter auf und ab.»Wenn nicht, soll sie es sagen, Mr. Herrick. Und dann werde ich ihr erzahlen, was ich von einer Dame halte, die so zimperlich ist, da? sie keinen Finger ruhrt, um einem sterbenden Seemann zu helfen!»
        Ein Steuermannsmaat trat auf den Decksgang.»Alles klar zum Manover, Sir!«Herrick blickte Bolitho an, der immer noch auf und ab schritt. Das offene wei?e Hemd hob sich deutlich gegen die Netze und die See dahinter ab. In den nachsten Tagen wurde es auf der Undine noch viel enger werden, dachte er.»Schon, Mr. Fowlar. Reffen Sie die Bramsegel. Wenn der Wind weiter auffrischt, mussen wir vor Tagesanbruch auch noch die Marssegel reffen.»
        Der alte Mudge rieb sich den schmerzenden Rucken.»Dieses Wetter ist unberechenbar.
«Aber niemand antwortete ihm. Fast wortlos kamen die Toppsgasten wieder aus den Wanten herunter und sammelten sich vor den Deckoffizieren. Um den vibrierenden Bugspriet flog Gischt wie eine Salve wei?er Pfeile; hoch oben uber Deck arbeiteten die prallgefullten Marssegel knatternd gegen Takelage und Blocke.

«Wache abtreten. «Herricks Stimme war so ruhig wie sonst, er verlie? sich blindlings auf Bolithos Worte.
        Bolitho lachelte in der Dunkelheit. Vielleicht war es besser so.
        In der Kajute sa? Don Puigserver am Tisch und sah zu, wie der Federkiel des Schreibers uber das Papier kratzte. Raymond stand mit vollig ausdruckslosem Gesicht an einem Heckfenster und starrte in die Nacht. Schlie?lich sagte er uber die Schulter:»Sie nehmen eine gro?e Verantwortung auf sich, Don Puigserver. Ich bin nicht sicher, ob ich Ihnen dazu raten kann.»
        Unter Schmerzen lehnte sich der Spanier im Stuhl zuruck und horchte auf die regelma?igen Schritte oben an Deck.»Es ist nicht allein meine Verantwortung, Senor Raymond. Ich befinde mich dabei in sehr guter Gesellschaft, glauben Sie mir.»
        Uber ihnen und um sie herum arbeitete das Schiff flusternd im Gleichtakt mit See und Wind. Vorn, unter dem Bugspriet, blickte die goldene Nymphe starren Auges gegen den dunkel gewordenen Horizont. Entscheidung und Schicksal, Triumph oder Enttauschung bedeuteten ihr gar nichts. Ihr gehorte die See und damit das Leben selbst.



        V Teufelswerk

        Lassig stand Bolitho an der Achterdeckreling, wo ihm der Gro?mast etwas Schatten spendete; kritisch beobachtete er die taglichen Routinearbeiten des Schiffsdienstes. Eben erklangen vom Vorschiff her acht Glasen,[Das Ende der zweiten Vormittagswache (der Ubersetzer).] und er horte, wie Herrick und
        Mudge ihr Mittagsbesteck verglichen, wahrend Soames, der Wachoffizier, ruhelos am Niedergang herumstrich und auf seine Ablosung wartete.
        Zuzusehen, wie langsam und mude die Manner auf den Decksgangen und dem Geschutzdeck umherschlichen, war anstrengend genug. Vierunddrei?ig Tage waren vergangen, seit die Nervion auf dem Riff zerschellt war, und fast zwei Monate, seit sie in Spithead Anker gelichtet hatten. Die ganze Zeit hatten sie hart arbeiten mussen; seit dem Tage, an dem das spanische Schiff gesunken war, herrschte an Bord eine so gespannte und druckende Atmosphare, da? es kaum zu ertragen war.
        Am schlimmsten waren die letzten Tage gewesen. Vorher hatte die Mannschaft bei der Aquatortaufe und den damit verbundenen althergebrachten Brauchen einigen Spa? gehabt. Bolitho hatte eine Extraration Rum ausgeben lassen, und eine Zeitlang hatte sich die Abwechslung ganz segensreich ausgewirkt. Die Neuen hatten die Aquatoruberquerung als eine Prufung angesehen, die sie nun bestanden hatten. Die Befahrenen kamen sich noch befahrener vor und erzahlten allerlei wahre oder erlogene Geschichten von fruheren Reisen in diesen Gewassern. Ein Mann hatte sich als Fiedler entpuppt und nach kurzem, verlegenem Vorspiel mit seiner Musik ein bi?chen Frohlichkeit in das tagliche Einerlei gebracht.
        Aber dann starben dicht nacheinander die letzten schwerverletzten Spanier, und das druckte stark auf die allgemeine Stimmung. Whitmarsh hatte getan, was er konnte, hatte mehrere Amputationen ausgefuhrt, und bei den Schmerzensschreien der Unglucklichen schwand Bolithos kurze Befriedigung daruber, da? es ihm gelungen war, seine Mannschaft zusammenzuschwei?en. Der Todeskampf des letzten Spaniers hatte tagelang gedauert. Beinahe einen Monat hatte er sich qualen mussen, schluchzend und stohnend, oder auch friedlich schlafend, wahrend Whitmarsh stundenlang bei ihm wachte. Es war, ais wolle der Arzt seine Krafte erproben, als erwarte er, da? wieder etwas in ihm zerbrache. Die letzten Opfer unter seinen Patienten waren jene gewesen, die von den Haien besonders schlimm zerfleischt worden waren oder so schwere Bruche und Quetschungen erlitten hatten, da? auch eine Amputation sie nicht mehr retten konnte. Wundbrand hatte bei ihnen eingesetzt, und durch das ganze Schiff zog ein so furchtbarer Gestank, da? selbst die Mitleidigsten fur einen baldigen Tod der Armsten beteten.
        Unterhalb des Achterdecks wurde eben die Nachmittagswache gemustert, wahrend Leutnant Davy achtern darauf wartete, da? Soames seinen Bericht im Logbuch unterzeichnete. Selbst Davy sah erschopft und leicht schmuddelig aus, sein gutgeschnittenes Gesicht war in den langen Dienststunden so tief gebraunt, da? er einem Spanier glich.
        Alle mieden Bolithos Blick. Als ob sie Angst vor ihm hatten oder ihre ganze Energie brauchten, um auch nur einen weiteren Tag hinter sich zu bringen.

«Wache achtern angetreten«, meldete Davy.
        Soames funkelte ihn bose an.»Bi?chen spat, Mr. Davy.»
        Aber Davy warf ihm nur einen angewiderten Blick zu und wandte sich an den Steuermannsmaaten.»Rudergasten ablosen!»
        Wutend stapfte Soames zum Niedergang und verschwand unter Deck.
        Bolitho pre?te die Hande hinterm Rucken zusammen und machte ein paar Schritte vom Mast weg. Das einzig Gute war der Wind. Tags zuvor, als sie beim Kreuzen auf Ostkurs gegangen waren und der Ausguck weit querab Land in Sicht gemeldet hatte, machte sich der Westpassat bemerkbar. Bolitho beschattete die Augen mit der Hand, blickte nach oben und sah, wie der Wind ungeduldig und kraftvoll in jedes Segel druckte und die Gro?rah unter dem Druck vibrierte wie eine gigantische Armbrust. Dieser verschwommene Fleck Land war Cap Agulhas[Audi Nadelkap genannt (der Ubersetzer).] gewesen, die sudlichste Spitze des afrikanischen Kontinents. Nun dehnte sich vor dem Wirrwarr der Wanten und Schoten die blaue Leere des Indischen Ozeans; und ebenso wie viele seiner neuen Matrosen stolz darauf waren, da? sie den Aquator uberquert hatten, konnte er sich mit einigem Stolz vor Augen halten, was sie alle zusammen geleistet hatten, um uberhaupt so weit zu kommen. Seiner Vorausberechnung nach hatte das Kap der Guten Hoffnung etwa die Halfte ihres Weges bezeichnen sollen, und bis jetzt schien seine Rechnung zu stimmen. Meile
um Meile, einen sonnendurchgluhten Tag nach dem anderen, auf wilder Fahrt in brausenden Sturmen oder mit reglosen Segeln in den Kalmen, hatte er auf jede Weise versucht, seine Leute bei Laune zu halten. Als das nicht mehr wirkte, hatte er den taglichen Dienst verscharft, Geschutz- und Segeldrill befohlen und fur die wachfreie Mannschaft allerlei
        Wettbewerbe veranstaltet.
        Der Zahlmeister und sein Gehilfe standen bei einem Fa? Pokelfleisch, das soeben aus dem vorderen Laderaum hochgehievt worden war. Midshipman Keen stand daneben und versuchte so auszusehen, als verstunde er etwas davon, wahrend Triphook das Fa? offnete und jedes einzelne Vierpfundstuck Schweinefleisch prufte, bevor er es fur die Kombuse freigab. Keen, der voll jugendlicher Wurde als Midshipman der Wache bei solchen Gelegenheiten den Kapitan vertrat, hielt das vermutlich fur Zeitverschwendung. Aber Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? dem keineswegs so war. Manche Schiffsausruster waren fur ihre unredlichen Praktiken bekannt; sie wogen zu knapp oder packten unten in die Fasser verdorbenes Fleisch hinein, manchmal sogar Fetzen von altem Segeltuch. Denn sie wu?ten: wenn der Schiffszahlmeister den Betrug entdeckte, war er weit weg und konnte sich nicht beschweren. Auch die Zahlmeister selbst wirtschafteten manchmal in die eigene Tasche, indem sie mit ihren Partnern an Land allerlei krumme Geschafte machten.
        Bolitho sah, wie der hagere Zahlmeister kummervoll nickte, seine Liste abhakte - offenbar war alles in Ordnung - , und dann der kleinen Prozession zur Kombuse folgte; seine Schuhsohlen quietschten, weil sie an dem hei?en Pech der Decksnahte hangenblieben. Die Hitze, die erbarmungslose Eintonigkeit waren schon schlimm genug; aber Bolitho wu?te: eine Andeutung von Korruption, der kleinste Verdacht, da? die Mannschaft von ihren Offizieren betrogen wurde - und die ganze Crew explodierte. Er hatte sich immer wieder gefragt, ob er nicht zu oft an seine letzte Reise dachte. Schon das blo?e Wort Meuterei fullte das Herz manchen Kapitans mit Furcht, besonders wenn er nicht im Geschwaderverband, sondern ganz allein segelte. Bolitho tat ein paar Schritte an der Reling und verzog das Gesicht, als seine Hand gegen das Schanzkleid stie?. Das Holz war knochentrocken, die Farbe blatterte trotz regelma?iger Pflege ab. Er blieb einen Moment stehen und beschattete seine Augen, um einen gro?en Fisch zu beobachten, der weit voraus hochsprang. Wasser. Darum machte er sich die meisten Sorgen. Bei den vielen neuen Leuten
und dem unvorhergesehenen zusatzlichen Verbrauch fur die Pflege der Kranken und Verwundeten wurde das kostbare Trinkwasser selbst bei strenger Rationierung bald knapp werden.
        Er sah zwei schwarze Matrosen sich auf dem BackbordDecksgang ausstrecken; wirklich eine gemischte Mannschaft. Schon bei der Ausreise von Spithead war sie bunt gewesen, aber seit die uberlebenden Spanier dazugekommen waren, hatte sich die Zahl der verschiedenen Hautfarben noch erhoht. Au?er dem Leutnant Rojart, der stets melancholisch dreinblickte, bestand die uberlebende Crew des Spaniers aus zehn Matrosen, zwei Schiffsjungen und funf Soldaten. Diese letzteren, so froh sie zuerst gewesen waren, da? sie uberhaupt noch lebten, waren jetzt mit ihrem neuen Status offensichtlich unzufrieden. Sie hatten an Bord der Nervion zu Puigservers Leibwache gehort; jetzt waren sie weder Fisch noch Fleisch, und wahrend sie sich als Matrosen versuchten, schielten sie mit einer Mischung von Neid und Verachtung nach den schwitzenden Marineinfanteristen der Undine.
        Herrick unterbrach seine truben Gedanken mit der Meldung:»Mein Besteck und das des Steuermanns stimmen uberein. «Er hielt Bolitho seine Schreibtafel hin.»Wenn Sie kontrollieren wollen, Sir?«Sein Ton war ungewohnlich zuruckhaltend.
        Mudge schlurfte in den Schatten der Finknetze und sagte:»Wenn Sie uber Stag gehen wollen, Sir, dann konnen wir das ebensogut jetzt tun. «Er zog sein Taschentuch hervor und schnaubte sich heftig die Nase.
        Herrick warf eilig dazwischen:»Ich mochte einen Vorschlag machen, Sir.»
        Mudge trat beiseite und nahm geduldig beim Ruderganger Aufstellung. Es war schwer zu sagen, ob Herricks Vorschlag auf einem spontanen Einfall beruhte, oder ob er ihn mit den anderen abgesprochen hatte.»Es hat einige uberrascht, Sir«, begann er, da? Sie Cape Town nicht angelaufen haben. «Seine Augen leuchteten blauer denn je in der hellen Sonne.»Wir hatten die Kranken an Land bringen und Trinkwasser uberne hmen konnen. Ich bezweifle, da? der hollandische Gouverneur sich gro? darum gekummert hatte, was wir vorhaben.»

«Tatsachlich, Mr. Herrick?»
        Von der Kombuse stieg eine mattgraue Rauchwolke auf. Bald wurde die Freiwache in der brutenden Hitze des Mannschaftslogis' ihr Mittagessen bekommen, Skillygolee, wie sie es nannten: eine Mischung aus Roggenschleim, zerklopftem Schiffszwieback und Fleischresten vom Vortag; dazu eine volle Ration Bier zum Hinunterspulen.
        Bolitho drehte sich in plotzlichem Arger zu Herrick um.

«Und wie kommen Sie zu dieser bemerkenswerten Ansicht?«Er sah recht wohl, wie Herricks Miene sich verdusterte, aber trotzdem fuhr er fort:»Ich bin so etwas von Ihnen nicht gewohnt.»
        Herrick entgegnete:»Es ist nur, da? ich nicht zusehen mag, wie Sie sich kaputtmachen, Sir. Mir geht der Verlust der Nervion ebenso an die Nieren wie Ihnen, aber es ist nun einmal passiert. Sie haben fur die Leute getan, was Sie konnten.»

«Danke fur Ihr Mitgefuhl«, sagte Bolitho,»aber ich strapaziere weder mich noch die Mannschaft ohne bestimmten Grund. Ich glaube, da? wir gebraucht werden, schon jetzt, in diesem Moment.»

«Vielleicht, Sir.»
        Bolitho sah ihn forschend an.»Eben - vielleicht. Aber das habe ich zu verantworten und kein anderer. Wenn ich falsch gehandelt habe, dann werden Sie vielleicht eher befordert, als Sie denken. «Er wandte sich ab.»Wenn die Leute gegessen haben, wird Kurs gewechselt. Nordost zu Ost. «Er blickte zum Wimpel im Topp auf.»Sehen Sie nur, wie es weht! Wir werden die Royals setzen und mit diesem Wind unter unseren Rockscho?en laufen, solange es geht.»
        Herrick bi? sich auf die Lippen.»Ich bin immer noch der Meinung, wir sollten Land anlaufen, Sir, wenigstens um Wasser zu fassen.»

«Ich auch, Mr. Herrick. «Bolitho sah ihm kalt ins Gesicht.»Und ich tue das, sobald es moglich ist, ohne da? uns jemand dabei sieht. Ich habe meine Befehle. Und die fuhre ich aus, so gut ich kann - verstanden, Mr. Herrick?»
        Sie starrten einander an, zornig, beunruhigt, betroffen uber die plotzliche scharfe Kontroverse.

«Gewi?, Sir. «Herrick trat zuruck und spahte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne.»Sie konnen sich auf mich verlassen.»

«Schon. Ich dachte schon… «Er war mit ausgestreckter Hand einen Schritt vorgetreten; aber in diesem Moment wandte sich Herrick ab, das Gesicht ganz starr, so verletzt war er.
        Bolitho hatte seine Worte keineswegs bose gemeint. Er mochte in seinem Leben an vielem gezweifelt haben, aber nicht an Herricks Loyalitat. Er war beschamt und wutend uber sich selbst. Vielleicht machten ihn der ewige Druck dieser leeren Einformigkeit, das standige Zutunhaben mit Leuten, die nichts weiter wollten, als sich vor der Arbeit und der Sonne drucken, dazu die standigen Plane und Zweifel, doch mehr kaputt, als er glaubte.
        Er drehte sich auf dem Absatz um und sah Davy, der ihn neugierig anblickte.»Mr. Davy«, sagte er scharf,»Sie haben zwar eben erst die Wache ubernommen, und es sollte mir leid tun, Sie in Ihren Gedanken zu storen. Aber sehen Sie sich bitte die Fock an! Setzen Sie ein paar Leute an, damit das in Ordnung kommt!«Er sah das betroffene Gesicht des Leutnants und fugte noch hinzu:»Das Segel sieht genauso schlapp aus wie die ganze Wache!«Als er zum Kajutniedergang schritt, sah er, wie der Leutnant nach vorn eilte. Immerhin - das Focksegel zog zwar nicht ganz so, wie es sollte; aber das als Vorwand zu nehmen, um seine Wut an Davy auszulassen, war auch nicht richtig gewesen.
        Am Wachtposten vorbei trat Bolitho in die Kajute und knallte bose die Tur hinter sich zu. Aber auch hier fand er keine Ruhe. Hoddall war dabei, den Tisch zu decken, und machte ein argerliches Gesicht, weil Mrs. Raymonds Zofe dauernd hinter ihm hertrippelte wie ein Kind, das sich amusiert.
        Raymond lag schlaff in einem Stuhl bei den Heckfenstern; seine Frau sa? auf der Sitzbank, fachelte sich und sah Noddall mit einer Miene zu, die au?erste Langeweile verriet.
        Bolitho wollte wieder gehen, aber sie rief:»Bleiben Sie doch, Captain! Wir sehen Sie ja uberhaupt nicht mehr!«Sie tippte mit dem Facher neben sich auf die Holzbank.»Setzen Sie sich doch einen Moment. Ihr geliebtes Schiff wird's schon uberstehen.»
        Bolitho nahm Platz und stutzte den Ellbogen auf das Fenstersims. Es war gut, wieder Leben und Wind zu spuren, das Wirbeln und Schaumen des Kielwassers zu sehen, wie es glatt von der Gillung abflo? oder blubbernd unter dem Ruder hervorkam.
        Dann wandte er sich Mrs. Raymond zu und sah sie an. Die ganze Zeit war sie schon an Bord, aber er wu?te wenig von ihr. Sie beobachtete ihn amusiert und forschend. Sie mochte zwei, drei Jahre alter sein als er selbst, war nicht ausgesprochen schon, hatte aber etwas Aristokratisches an sich, das sofort fesselte. Sie hatte schone gleichma?ige Zahne, und ihr Haar, das ihr offen uber die Schultern fiel, war braun wie Herbstlaub. Wahrend er und seine Offiziere standig schwitzten und Muhe hatten, nach der Tyrannei der Sonne oder nach einer wilden Bo ein sauberes Hemd zu finden, war sie stets untadelig gekleidet.
        Wie jetzt auch. Sie trug ihr Kleid nicht nur, sie hatte es arrangiert, so da? nicht sie hier beim Heckfenster fehl am Platze wirkte, sondern er. Ihre schweren Ohrringe mu?ten mindestens den Jahressold eines Seesoldaten gekostet haben.
        Mrs. Raymond lachelte.»Gefallt Ihnen der Anblick, Captain?»
        Bolitho fuhr zusammen.»Entschuldigung, Ma'am. Ich bin mude.»

«Wie galant!«rief sie aus.»Und wie bedauerlich, da? Sie mich nur aus Mudigkeit ansehen. «Sie klappte den Facher auf und fuhr fort:»Das war ein Scherz, Captain. Machen Sie nicht ein so betroffenes Gesicht!»
        Bolitho lachelte.»Vielen Dank. «Plotzlich mu?te er an eine andere Frau denken, damals vor drei Jahren in New York. Und an ein anderes Schiff: sein erstes Kommando. Die Welt hatte offen vor ihm gelegen, da hatte ihm jene andere Frau klargemacht, da? das Leben nicht so freundlich war und nicht so einfach.

«Ich habe allerlei Sorgen«, raumte er ein.»Die meiste Zeit meines Lebens habe ich mit Kampfen und raschen Entschlussen zu tun gehabt. Aber das jetzt - Tag fur Tag nur Segel trimmen und auf die leere See starren - ist mir ungewohnt. Manchmal kommt es mir vor, als hatte ich einen Kauffahrer und kein Kriegsschiff.»
        Sie sah ihn nachdenklich an.»Das glaube ich Ihnen. Ich hatte das eher merken mussen. «Die Augen hinter den langen Wimpern verborgen, bot sie ihm ein zogerndes Lacheln.»Dann ware ich vielleicht nicht so verletzend zu Ihnen gewesen.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Es ist gro?tenteils meine Schuld. Weil ich so lange auf Kriegsschiffen gefahren bin, setze ich automatisch bei jedem die gleiche Dienstauffassung voraus wie bei mir. Wenn es brennt, erwarte ich, da? alle herbeirennen und loschen. Wenn ein Mann sich gegen mich wendet, Meuterer oder Feind, lasse ich ihn niedermachen oder tue es selbst. «Er blickte ihr ernst ins Gesicht.

«Deswegen hatte ich von Ihnen erwartet, da? Sie den verletzten Schiffbruchigen helfen wurden. «Er zuckte die Schultern.»Wie gesagt, ich hatte es erwartet und bat Sie nicht erst darum.»
        Sie nickte.»Dieses Eingestandnis mu? Sie ebenso uberraschen wie mich, Captain.
«Lachelnd zeigte sie ihre schonen Zahne.»Hat es die Luft ein bi?chen gereinigt?»

«Ja. «Unwillkurlich wischte er die rebellische Locke beiseite, die ihm an der verschwitzten Stirn klebte. Er sah, wie sich beim Anblick der Narbe unter dem Haar ihre Augen weiteten, und sagte rasch:

«Entschuldigen Sie mich, Ma'am. Ich mu? mir vor dem Essen noch die Seekarte ansehen.»
        Als er aufstand und gehen wollte, blickte sie ihn wohlgefallig an.»Sie verstehen Ihre Autoritat zu tragen, Captain. «Und mit einem Seitenblick auf ihren schlafenden Mann:»Besser als gewisse andere Leute.»
        Bolitho wu?te nicht recht, was er dazu sagen sollte.»Das ist wohl kaum ein Gesprachsgegenstand fur mich, Ma'am«, brachte er schlie?lich heraus. Von Deck her horte man Fu?getrappel, und Schatten glitten rasch uber das Oberlicht. Er blickte hoch.

«Was ist das?«fragte sie. Er merkte nicht, da? sie sich uber die Unterbrechung argerte.

«Ich wei? nicht. Ein Schiff vielleicht. Ich habe befohlen, da? mir dann Meldung gemacht wird, denn ich will jede Begegnung vermeiden.»
        Noddall hielt in seiner Arbeit inne, zwei Gabeln in der Hand.»Hab' keine Meldung vom Ausguck gehort, Sir.»
        Es klopfte, und Herrick stand keuchend in der Tur.

«Entschuldigung, da? ich so hereinplatze. «Er blickte an Bolitho vorbei auf Mrs. Raymond.»Es ware besser, wenn Sie mitkamen, Sir. «Bolitho trat hinaus und zog die Tur hinter sich zu. Im Gang zur Offiziersmesse stand eine kleine Gruppe Manner, die offensichtlich auf ihn warteten. Sie sahen verwirrt und betroffen aus, wie Fremde: Bellairs und sein riesiger Sergeant; Triphook, die Pferdezahne entblo?t, als wolle er nach einem unsichtbaren Angreifer schnappen; und hinter ihm versteckt der Kufer, ein kleiner, unscheinbarer Deckoffizier namens Joseph Duff. Er war der zweitalteste Mann an Bord und trug bei der Arbeit eine stahlgeranderte Brille, die er jedoch meist vor seinen Messegenossen zu verbergen wu?te.
        Herrick sagte fast ubersturzt:»Duff hat festgestellt, da? unser Trinkwasser zum gro?ten Teil ungenie?bar ist, Sir. «Er schluckte muhsam.»Entdeckte es soeben bei einer Routineinspektion und meldete es sofort dem Schiffskorporal.»
        Kopfschuttelnd murmelte Triphook:»So etwas habe ich im ganzen Leben noch nicht gesehen.»
        Bolitho winkte den Kufer heran.»Nun, Duff, was haben Sie also entdeckt?»
        Duff blinzelte ihn durch seine ovalen Brillenglaser an; er sah aus wie ein grauer Maulwurf.»Es war eine Routineinspektion, Sir. «Alle drangten sich um ihn, und er schien immer kleiner zu werden. Soames war aus seiner Kajute hinzugekommen und ragte hinter Bellairs wie ein Baum auf. Zitternd sprach Duff weiter:»Alles gute Fasser, Sir, dafur habe ich gesorgt. Das ist immer das erste, worauf ich achte. Hab' mein Geschaft bei einem erstklassigen alten Kufer auf der Gladiator gelernt, und… »

«Himmeldonnerwetter, sagen Sie es dem Captain endlich!«rief Herrick verzweifelt.
        Duff lie? den Kopf noch tiefer hangen.»In den meisten Fassern ist das Wasser faul, Sir. Ist auch kein Wunder.»
        Sergeant Coaker trat vor; seine Stiefel knarrten, als das Schiff plotzlich in ein Wellental tauchte. Er trug ein kleines Bundel in der Hand, hielt es aber von sich ab, als sei es lebendig.

«Aufmachen!»
        Mit steinernem Gesicht faltete der Sergeant das Bundel auseinander. Bolitho hatte ein Gefuhl, als stiege das Deck rasend schnell in die Hohe; Brechreiz wurgte ihn, denn das Bundel enthielt eine menschliche Hand, verkrummt wie im Zustand der Amputation.
        Erstickt rief Soames:»Jesus Christus!»
        Leise sagte Duff:»Und das in allen Fassern, Sir. Au?er in den letzten beiden am Schott.»

«Stimmt, Sir«, bestatigte Triphook dumpf.»Uberall Leichenteile drin. «Er zitterte heftig. Schwei? stromte uber sein Gesicht.»Da war ein Teufel am Werk, Sir!»
        Ein kurzer Schreckensschrei erscholl, und Bolitho trat rasch vor den Kufer; Mrs. Raymond, die unbemerkt herzugekommen war, keuchte:»Mir wird schlecht!«Sie lehnte sich an den Seesoldaten vor der Tur, das Gesicht kreidewei?, und starrte entsetzt die Gruppe an.

«Schaffen Sie das weg!«befahl Bolitho scharf. Und zu dem herumgeisternden Noddall: Rufen Sie diese alberne Zofe und kummern Sie sich um die Dame!«Sein Verstand wehrte sich noch gegen Duffs furchtbare Entdeckung, gegen ihre Bedeutung und die Ma?nahmen, die er jetzt treffen mu?te.»Der Schiffsarzt zu mir!»
        Bellairs betupfte sich die Lippen mit seinem Taschentuch.»Ubernehmen Sie, Sa'rnt Coaker! Lassen Sie den Doktor holen!«Er blickte die anderen bedeutungsvoll an. Zweifle allerdings, ob er… Na ja.»

«Vielleicht gehen wir lieber hier hinein, Sir?«fragte Herrick und machte einen Schritt zur Seite, so da? Bolitho in die Offiziersmesse treten konnte. Dort war es eng und stickig; der fur das Dinner gedeckte Tisch wirkte ziemlich deplaziert neben den beiden Zwolfpfundern. Bolitho sank schwer auf eine Seekiste und starrte durch die nachste Stuckpforte. Der frische Wind und die tanzenden Wellen freuten ihn jetzt nicht mehr. Gefahr lauerte an Bord seines Schiffes.

«Ein wenig Wein, Sir?«schlug Herrick vor.
        Als Bolitho sich umdrehte, sah er, da? die anderen kein Auge von ihm wandten. Soames stand am Kopf der Tafel, Bellairs und Triphook an ihrem anderen Ende. In diesen fluchtigen Sekunden erinnerte er sich an seine Zeit als junger Leutnant: In der Offiziersmesse speiste man nicht nur miteinander, sondern man teilte auch seine Zweifel und Befurchtungen und rechnete auf die Hilfe der Kameraden. Achtern, hinter dem Besanmast, war der Kapitan eine ferne, gottahnliche Gestalt und unerreichbar. Niemals, so lange er zuruckdenken konnte, hatte er geglaubt, da? ein Kapitan mehr brauche als Gehorsam.
        Man fuhlte sich sogar anders in der Messe; Pistolen hingen in einem Wandgestell und auf einer Leine ein paar Hemden, die der Messejunge eben gewaschen hatte; dazu Essensgeruch aus einem leise brodelnden Topf.

«Danke sehr«, entgegnete Bolitho.»Ein Glas Wein wu?te ich im Augenblick durchaus zu schatzen.»
        Sie entspannten sich etwas, und Soames sagte:»Wir mussen also umkehren, Sir. «Er uberlegte einen Moment.»Oder lieber die afrikanische Kuste anlaufen.»
        Stiefel knarrten drau?en, und Mudge schob sich herein; sein graues Haar stand ihm starr vom Kopf ab, als er den Hut in die Ecke warf.»Verdammt sollen meine Augen sein, aber was hore ich da fur eine blutige Schweinerei?«Er sah Bolitho und murmelte:»Pardon, Sir. Wu?te nicht, da? Sie hier sind.»
        Herrick hielt Bolitho ein Glas Wei?wein hin. Er lachelte nicht, wirkte jedoch gelassen.»Der ist noch ziemlich frisch,
        Sir.»
        Dankbar nippte Bolitho.»Sehr nett von Ihnen. «Er spurte die Saure des Weines in der Kehle.»Nach dem Anblick von vorhin… «Er fuhr herum, als der Arzt schlurfend durch die Tur trat, mit offenem Hemd und verschwommenen Augen.

«Sie wissen Bescheid, Mr. Whitmarsh?«Des Doktors Kinn war voller Stoppeln, und es kostete ihn augenscheinlich Muhe, geradeaus zu blicken. In aller Stille hatte er sich offenbar fur die Zeit, in der er wegen seiner angestrengten Tatigkeit nicht hatte trinken konnen, schadlos gehalten.»Nun?«fragte Bolitho.
        Whitmarsh tastete sich zu einem der Geschutze hin, hielt sich mit beiden Handen daran fest und sog durch die offene Stuckpforte wie ein Erstickender die frische Luft ein.

«Ich habe es gehort, Sir. Ich wei? Bescheid.»
        Bolitho sah ihn unbewegt an.»Da die Wasserfasser in Ordnung waren, als wir sie in Spithead an Bord nahmen, liegt es nahe; da? diese Leichenteile aus Ihrem Operationsraum stammen. «Er hielt inne; der Arzt tat ihm leid, aber Eile war notig.»Meinen Sie nicht auch?»

«Vermutlich. «Whitmarsh wankte zum Tisch und schenkte sich ein gro?es Glas Wein ein. Scharf sagte Bolitho:»Wenn Sie das jetzt trinken, Mr. Whitmarsh, dann sorge ich dafur, da? Sie keinen Tropfen mehr kriegen, so lange Sie unter meinem Kommando sind!«Er stand auf.»Jetzt denken Sie nach, Mann! Wer kann das getan haben?»
        Whitmarsh stierte das Glas in seiner Hand an; er schwankte stark, obwohl das Schiff nur schwach rollte.

«Ich hatte ununterbrochen zu tun, Sir, die Verwundeten waren in einem furchtbaren Zustand. Dabei halfen mir die Sanitatsgasten und mein Maat. «Er verzerrte das Gesicht vor angestrengtem Nachdenken; Schwei? tropfte ihm vom Kinn.»Sullivan war es. Er hatte amputierte Gliedma?en und andere Abfalle fortzuschaffen. Er war sogar recht willig dabei. «Der Arzt nickte unsicher.»Jetzt wei? ich es wieder: Sullivan.
«Er sah Bolitho starr an.»Der Mann, den Sie auspeitschen lie?en,
        Sir.»

«Seien Sie nicht so verdammt unverschamt zum Captain!«sagte Herrick grob.
        Plotzlich war Bolitho vollig ruhig.»Ist das Wasser Ihrer Meinung nach fur uns noch zu gebrauchen, Mr. Whitmarsh?»

«Auf keinen Fall. «Der Arzt starrte ihn immer noch an.»Es mu? uber Bord gegossen, die Fasser mussen sofort ausgescheuert werden. Ein Schluck Wasser, in dem verfaultes Fleisch war, und Sie haben eine Seuche an Bord! Ich hab' das schon erlebt. Da ist keine Heilung moglich!»
        Ganz langsam stellte Bolitho sein Glas auf den Tisch, damit er Zeit hatte, sich zu beruhigen.

«Anscheinend sind Sie nicht der einzige, der auf Heimatkurs zu gehen wunscht, Mr. Herrick. Und nun schnappen Sie sich Sullivan und stellen ihn unter Bewachung, damit er nicht noch mehr Unheil anrichtet!«Er wandte sich wieder an Whitmarsh.»Ich bin noch nicht fertig mit Ihnen.»
        Schritte hasteten uber das Achterdeck, dann trat Herrick wieder ein.»Sir, dieser verdammte Sullivan sitzt oben auf der Gro?bramrah und spielt verruckt! Keiner kann an ihn ran!»
        Bolitho horte Rufe an Deck und noch mehr Schritte.»Ich gehe hinauf!«sagte er.
        Die Decksgange waren voller Matrosen und Soldaten; Don Puigserver und sein spanischer Leutnant waren auch dabei und beobachteten zusammen mit Davy einen Bootsmannsmaat, der in den Gro?mast aufenterte, um Sullivan zu erreichen.
        Der Matrose hockte auf der Rah; anscheinend machte ihm weder das machtige geschwellte Segel noch die gluhende Sonne auf seinem Rucken etwas aus. Er war bis auf. einen Gurtel vollig nackt, in dem der breite Dolch steckte, fur dessen Gebrauch er ausgepeitscht worden war.
        Nervos sagte Davy:»Ich wei? nicht, was ich machen soll, Sir. Der Kerl hat offenbar einen Sonnenstich oder Schlimmeres.»
        Der Bootsmannsmaat brullte:»Jetzt scher dich an Deck, oder, beim lebendigen Jesus, ich schmei? dich eigenhandig von der
        Rah!»
        Aber Sullivan warf nur den Kopf zuruck und lachte schrill, nervenzerrei?end.»Aber, aber, Mr. Roskilly! Was wollen Sie denn machen? Mich mit Ihrem kleinen Tampen verhauen?«Er lachte wieder und ri? den Dolch aus dem Gurtel.»Na, dann komm doch, Kleiner! Auf dich warte ich gerade, du verdammter Arschkriecher!»

«Kommen Sie herunter, Roskilly!«rief Bolitho.»Es hat keinen Sinn, sich umbringen zu lassen!»
        Sullivan spahte unter der vibrierenden Rah hervor.»Hoppla, Leute - wen haben wir denn da? Keinen Geringeren als unseren schneidigen Kapt'n!«Er schuttelte sich vor Lachen.»Und er ist ganz durcheinander, weil ihm der arme alte Tom Sullivan sein schones Wasser versaut hat!»
        Ein paar Matrosen hatten uber das seltsame Schauspiel gegrinst, aber als die Rede auf Wasser kam, wurden sie schnell wieder ernst. Bolitho musterte die erhobenen Gesichter und spurte die sich ausbreitende Betroffenheit wie den Anhauch einer Flamme. Laut drohnten seine Schritte in der plotzlichen
        Stille, als er nach achtern ging. Unter der Rahe blieb er stehen und blickte hoch. Komm herunter, Sullivan!«Er stand im prallen Sonnenlicht, denn das bauchige Segel bot ihm keinen Schatten; er spurte Schwei? auf Brust und Schenkeln und auch den Ha? des Mannes dort oben.»Fur heute hast du genug angestellt!»
        Sullivan kicherte.»Habt ihr das gehort, Jungs? Genug angestellt!«Er beugte sich uber die Rah, das Sonnenlicht spielte uber die Narben auf seinem Rucken, die wei?lich von der gebraunten Haut abstachen. -»Sie haben genug mit mir angestellt, Kapt'n Bluthund Bolitho!»

«Sergeant Coaker!«befahl Herrick.»Lassen Sie einen Scharfschutzen nach achtern kommen! Der Kerl da oben ist gemeingefahrlich.»

«Befehl belegt!«rief Bolitho scharf, die Augen immer noch auf die Gro?bramrah gerichtet.»Ich will nicht, da? er abgeschossen wird wie ein toller Hund. «Er merkte, da? Puigserver ihn und nicht den Mann auf der Rah beobachtete, und da? Allday, ein Entermesser in der Hand, dicht neben ihm stand. Aber sie hatten alle nichts damit zu tun, es war eine Sache zwischen Sullivan und ihm. Er rief nach oben:»Ich bitte dich, Sullivan!«Er dachte an das Gesicht der Frau in der Kajute. Ich bat Sie nicht erst darum, hatte er zu ihr gesagt.

«Zur Holle mit Ihnen, Kapt'n!«Sullivan kreischte jetzt schrill, sein nackter Korper wand sich auf der Rah wie in qualvollen Krampfen.»Und dabei helfe ich jetzt nach!»
        Bolitho sah kaum die Handbewegung, nur das kurze Aufblitzen des Sonnenlichts auf der Klinge; dann entfuhr ihm ein leiser Ausruf: das Messer ritzte seinen Armel und fuhr dicht neben seinem rechten Schuh mit solcher Kraft in die Planken, da? sich fast ein Zoll der Klinge ins Holz bohrte.
        Sullivan war wie erstarrt; ein langer Faden Speichel wehte von seinem Kinn. Unglaubig starrte er zu Bolitho hinab, der regungslos am Fu? des Mastes stand, wahrend ihm Blut uber Ellenbogen und Unterarm lief und aufs Deck tropfte. Bolitho lie? Sullivan nicht aus den Augen, und die Konzentration half ihm, den brennenden Schmerz der Schnittwunde zu ignorieren.
        Plotzlich erhob sich Sullivan und begann, auf der Rah au?enbords zu kriechen. Wildes Geschrei erscholl an Deck; Herrick griff nach Bolithos Arm, um den jemand ein Tuch wickelte, so da? der Schmerz dumpfer wurde.
        Whitmarsh war bei den Netzen aufgetaucht und schrie ebenfalls dem Mann etwas zu, dessen Gestalt sich nun scharf vom blauen Himmel abhob. Sullivan drehte sich um und rief zum erstenmal mit jetzt normaler Stimme:»Und Sie auch, Doktor! Gott verdamme Sie zur Holle!«Dann sprang er in hohem Bogen ins Leere und schlug Sekunden spater laut aufklatschend ins Wasser. Ein paar Augenblicke trieb er noch achteraus, doch als der gro?e Schatten des Besansegels uber ihn hinwegglitt, warf er die Hande hoch und ging unter.

«Den hatten wir nie auffischen konnen«, sagte Herrick.»Wenn wir bei diesem Wind beidrehen, kommt alles von oben.»
        Bolitho wu?te nicht, zu wem Herrick sprach, vielleicht zu sich selbst. Er schritt zum Niedergang, den blutigen Arm mit der anderen Hand umklammernd, und sah noch, wie Roskilly, der Bootsmannsmaat, den Dolch aus den Planken zog. Roskilly war ein kraftiger Mann, aber er mu?te zweimal ansetzen, bis die Waffe freikam.
        Puigserver war Bolitho gefolgt.»Das war tapfer von Ihnen, Capitan.«Er seufzte. Aber er hatte Sie toten konnen.»
        Bolitho nickte. Die Schmerzen wurden starker.»Wir haben harte Zeiten vor uns, Senor, Wir mussen Wasser finden, und zwar bald. Aber umkehren werde ich nicht. «Er bi? die Zahne zusammen.
        Puigserver sah ihn melancholisch an.»Es war eine schone Geste, aber sie hatte Sie das Leben kosten konnen. Und alles wegen eines Verruckten.»
        Bolitho betrat seine Kajute.»Vielleicht waren wir beide nicht ganz klar im Kopf.»
        Herrick kam ihm eilig nach, und sie sahen, da? in der Kabine direkt unter dem Oberlicht ein Stuhl stand: Raymond mu?te hinaufgestiegen sein, um das Drama oben zu beobachten.
        Mrs. Raymond stand am Heckfenster. Sie war sehr bla?, kam ihm jedoch entgegen.»Ihr Arm, Captain!«Dann befahl sie ihrer Zofe:»Verbandszeug!»
        Jetzt erst merkte Bolitho, da? Herrick in der Kajute war.»Nun?»
        Herrick blickte ihn besorgt an.»Was Sie da taten…»

«Hatte mich das Leben kosten konnen. Ich wei?. «Er zwang sich zu einem Lacheln. Das habe ich bereits von anderer Seite gehort.»
        Herrick atmete langsam aus.»Und ich glaubte, Sie zu kennen,
        Sir.»

«Aber jetzt, Thomas?»
        Herrick grinste.»Ich wei? nur, da? Sie mich immer wieder uberraschen. Mich und andere auch. «Er machte eine Handbewegung zum Deck hin.»Eben habe ich gehort, wie ein Matrose, der fast einen Monat lang nur geschimpft und uber den Dienst geflucht hat, Sullivans schwarze Seele in die tiefste Holle wunschte, weil er Sie umbringen wollte. «Sein Grinsen verschwand.»Aber mir ware es lieber, Sie wurden die Mannschaft auf andere Weise gewinnen, Sir.»
        Die Zofe brachte eine Schussel zum Tisch, und Bolitho hielt ihr den Arm hin.

«Wenn Sie etwas wissen, Thomas, womit man sie bei guter Stimmung halten kann, dann ware ich Ihnen dankbar, wenn Sie's mir sagten. Inzwischen lassen Sie» Alle Mann
«pfeifen und setzen Sie die Royals. Ich brauche jeden Fetzen Leinwand, den das Schiff tragen kann. «Herrick wollte gehen, aber Bolitho hielt ihn zuruck.»Und geben Sie bekannt: die Ration wird auf eine Pinte[0,57 Liter (der Ubersetzer).] Wasser pro Tag gekurzt. «Er blickte sich in der Kajute um.»Auch fur Offiziere und Passagiere.»
        Herrick zogerte.»Und der Schiffsarzt, Sir?»
        Bolitho schaute auf die Zofe hinab, die den tiefen Schnitt in seinem Arm sauberte. Sie erwiderte seinen Blick ohne Scheu.

«Ich bin einstweilen in guten Handen«, sagte er.»Uber Mr. Whitmarsh werde ich nachdenken, wenn ich mehr Zeit habe.»
        Bolitho stand wartend am offenen Heckfenster. Das Mondlicht zeichnete einen glitzernden Pfad auf das Wasser. Die See war ungewohnlich bewegt, aber das ruhrte, wie er wu?te, von einer Tiefenstromung her, die sich noch viele Meilen von der afrikanischen Kuste entfernt bemerkbar machte. Eben kamen, horte er, die anderen in die Kajute und nahmen am Tisch Platz. Glaser klirrten, Wein wurde eingeschenkt; Noddall tat seine Arbeit. Trotz der Kuhle nach des Tages Sonnenglut fuhlte er sich ausgedorrt und steif. Um ihn herum knarrte und stohnte das Schiff in seinen ausgetrockneten Planken; ein Wunder, da? es nicht leckte wie ein alter Bottich.


        Eine Woche war jetzt vergangen, seit Sullivan in den Tod gesprungen war. Sieben lange Tage, in denen sein Schiff wieder und wieder die Kuste angesteuert hatte; aber jedesmal war irgendwo ein Segel oder auch nur ein Eingeborenenfahrzeug gesichtet worden, und er hatte wieder abgedreht.
        Jetzt durfte er es nicht langer aufschieben. Nachmittags war Whitmarsh bei ihm gewesen. Der Mann hatte so viele eigene Probleme, da? eine Unterredung mit ihm schwierig gewesen war.
        Immerhin hatte der Arzt klar und deutlich erklart, da? er die Verantwortung fur die Gesundheit der Mannschaft nicht mehr ubernehmen konnte, wenn Bolitho weiter darauf bestand, sich vom Land fernzuhalten. Die beiden verbliebenen Fasser Trinkwasser waren fast leer, und der Rest konnte kaum noch Wasser genannt werden - es war eher Schlamm. Immer mehr Manner lagen krank im Orlopdeck; und die, welche noch dienstfahig waren, durfte man keine Minute lang unbewacht lassen. Standig gab es Streit und Wutausbruche; und die Deckoffiziere mu?ten auch im Hinterkopf Augen haben, damit sie nicht ein Messer in den Rucken bekamen.
        Herrick meldete:»Alle anwesend, Sir. «Er war wie die anderen gespannt und argwohnisch.
        Bolitho wandte sich um und musterte seine Offiziere. Alle waren da au?er Soames, der die Wache hatte, sogar die drei Midshipmen. Er sah sie nachdenklich an. Das Kommende mochte ihnen eine Lehre fur spater sein.

«Ich beabsichtige, morgen wieder Kurs aufs Land zu nehmen.»
        Don Puigserver und sein Leutnant standen beim Schott; Raymond, etwas entfernt von ihnen, rieb sich das Kinn mit ruckartigen, nervosen Bewegungen.
        Davy sagte:»Ausgezeichnet, Sir«, und trank einen Schluck Wein.»Wenn wir den Leuten noch mehr Rum und noch weniger Wasser geben«, fuhr er fort,»sind sie bald zu blau, um auch nur einen Finger zu ruhren. «Er zwang sich ein Lacheln ab.»Eine schone Bescherung ware das.»
        Bolitho wandte sich Mudge zu. Der sa? im breitesten Sessel, trug wie immer seinen dicken Rock und starrte zum offenen Oberlicht hinauf, wo eine Motte im Licht der Deckenlampe tanzte. Dann blickte er in Bolithos Gesicht und seufzte.

«Ich war nur einmal an dieser Kuste, Sir. Als Steuermannsmaat auf der Windsor, einem Indienfahrer. Wir steckten damals in derselben Klemme: kein Wasser, wochenlang Flaute, die halbe Mannschaft verruckt vor Durst.»

«Aber es gibt dort tatsachlich Wasser?«fragte Bolitho.
        Der Alte rutschte in seinem Stuhl mit kurzen knarrenden Rucken zum Tisch hinuber und tippte auf die dort ausgebreitete Karte.»Wir sind jetzt in der Stra?e von Mozambique, das wissen wir alle. «Wutend glotzte er Midshipman Armitage an. Abgesehen von ein paar, die zu blod sind, um Navigation zu lernen. «In etwas milderem Ton fuhr er fort:»Die afrikanische Kuste ist hier ziemlich wild und noch wenig erforscht. Schiffe laufen sie naturlich hin und wieder an, wegen Wasser. Oder vielleicht 'n bi?chen Handel. Und manchmal auch, um schwarzes Elfenbein zu laden.»
        Midshipman Keen, der einzige, dessen Gesicht nicht von Uberanstrengung gezeichnet war, blickte Mudge erstaunt an.»Schwarzes Elfenbein, Sir?»

«Sklaven«, sagte Herrick scharf. Mudge lehnte sich behaglich zuruck.»Folglich mussen wir vorsichtig sein. Mit 'ner ausreichenden Truppe an Land gehen, das Wasser einnehmen, wenn ich tatsachlich noch wei?, wo welches ist, und dann gleich wieder auf See.»

«Meine Soldaten machen das schon«, warf Hauptmann Bellairs ein.
        Mudge warf ihm einen zornigen Blick zu.»Genau, Sir! In ihren hubschen roten Rocken, mit Trommeln und Pfeifen - ein schones Bild, stelle ich mir vor. «Grob fugte er hinzu:»Die Wilden werden sie zum Fruhstuck fressen, ehe sie auch nur ihre verdammten Stiefel putzen konnen!»

«Horen Sie mal!«Bellairs war ehrlich schockiert.
        Bolitho nickte.»Also gut. Der Wind steht richtig, wir mu?ten morgen gegen Mittag ankern konnen.»

«Aye«, stimmte Mudge zu.»Aber nicht zu dicht unter Land, Sir. Denn ein ganzes Stuck vor der Landspitze liegt ein Riff. Das hei?t: alle Boote zu Wasser und ein langer Pull fur die Leute.»

«Ja. «Bolitho sah Davy an.»Sie besprechen mit dem Stuckmeister die Bewaffnung der einzelnen Boote. Drehbassen fur Pina? und Kutter, Standmusketen fur die anderen Boote. «Er blickte in die aufmerksamen Gesichter.»Und ein Offizier pro Boot. Auf manche von unseren Leuten mussen wir scharf aufpassen, und sei es auch nur zu ihrem eigenen Besten. «Er lie? die Worte wirken.»Denken Sie immer daran: die meisten sind in solchen Unternehmungen vollig unerfahren; nur weil wir jetzt zwei Monate zusammen sind, kommen sie Ihnen vielleicht wie befahrene Seeleute vor. Doch das sind sie nicht; also behandeln Sie sie entsprechend! Fuhren Sie sie und uberlassen Sie das nicht anderen weniger Qualifizierten.»
        Er bemerkte, da? die Midshipmen Blicke tauschten wie Schuljungen vor einem Streich. Keens Augen glitzerten vor Erregung. Der kleine Penn war offensichtlich stolz, fur voll genommen zu werden. Dem ungluckseligen Armitage hatte die Sonne die Stirn verbrannt, weil er ein paar Minuten lang ohne Hut an Deck gewe sen war. Diese beiden Kerlchen waren leider noch unerfahrener als die meisten Matrosen.
        Bolitho sah auf die Karte. Wenn Sullivan nicht gewesen ware, hatten sie die ganze Reise bis Madras ohne Unterbrechung geschafft, trotz der Ausfalle durch Krankheit. Herrick hatte ihm helfen wollen, indem er sagte, es sei eben Pech; Puigserver hatte ihm versichert, er stehe bei jeder Entscheidung uber das Wohl des Schiffes hinter ihm. Aber es waren eben seine Entscheidungen, daran konnte niemand etwas andern.
        Unter den Anwesenden waren mehrere, die mit dem Schiffsarzt uberhaupt nicht mehr sprachen; und vielleicht nur aus diesem Grund hatte Bolitho nichts weiter dazu gesagt, da? Whitmarsh sich ausgerechnet Sullivan als Helfer ausgesucht und ihm, mochte er nun verruckt gewesen sein oder nicht, Gelegenheit gegeben hatte, das Wasser zu verderben. Er sah den Doktor nur beim Krankenstandsbericht und war jedesmal erschuttert uber den Zustand des Mannes: verbittert, innerlich kochend und dabei unfahig, seine Probleme mit anderen zu besprechen. Er versuchte es nicht einmal.
        Bolitho horte eine Frauenstimme, und die anderen sahen zum Oberlicht hoch, wo an Deck Schritte zu vernehmen waren: Mrs. Raymond und ihre Zofe beim gewohnten Spaziergang unter dem Sternenhimmel. Hoffentlich pa?te Soames auf, da? sie das Achterdeck nicht verlie?en. Er konnte fur ihre Sicherheit nicht garantieren, wenn sie gewissen Matrosen vor die Hande liefen. Bolitho wu?te genau, welche Gefuhle die Mannschaft hegte.
        Den Freiwilligen mu?te es ziemlich anders vorkommen, als die Rekrutierungsplakate ihnen versprochen hatten; und die Manner von den Gefangnishulken meinten jetzt vielleicht, sie hatten einen schlechten Tausch gemacht. Selbst fluchtige Verbrecher mochten von Zweifel und Reue geplagt werden. Ihre Verbrechen kamen ihnen nun, da sie Festnahme und Proze? nicht mehr zu furchten hatten, wohl weniger bedrohlich vor als Hitze, Durst und die tagliche Qual von Dienst und Disziplin.
        Er sah, wie Raymond sich auf die Lippen bi?, wahrend seine Augen dem Klang der sich entfernenden Schritte folgten, als konne er durch die Decksplanken sehen. Gerade in der Enge des Schiffes entfremdeten sich seine Frau und er immer mehr. Es war schon eine seltsame Ehe.
        Bolitho erinnerte sich an ein Vorkommnis der letzten Tage. Im Kartenraum, der ihm als Behelfskajute diente, hatte Allday ihm soeben den Arm neu verbunden. Mrs. Raymond war ohne vorher anzuklopfen eingetreten; weder er noch Allday hatten sie kommen gehort. Gelassen stand sie an der offenen Stuckpforte und sah wortlos zu. Bolitho war bis zum Gurtel nackt, und als er nach seinem frischen Hemd griff, hatte sie leise bemerkt:»Wie ich sehe, haben Sie noch eine andere Narbe, Captain.»
        Bolitho hatte sich an die Rippen gefa?t und war sich plotzlich des rissigen Wundmales bewu?t geworden, das von einem Pistolenschu? zuruckgeblieben war. Grob hatte Allday gesagt:»Der Captain ist beim Anziehen, Madam! An Land sind die Sitten anscheinend anders als an Bord!«Aber sie war ruhig stehengeblieben und hatte ihn mit halbgeoffneten Lippen angesehen. Doch wie konnte sie verstehen, woran er dachte? An den Gegner, der auf ihn geschossen hatte: ein Offizier seines eigenen Bruders, der ein Verrater war, ein steckbrieflich gesuchter Renegat. Jetzt war Hugh tot und von den meisten, die ihn gekannt hatten, vergessen. Aber nicht von mir.
        Er schuttelte seine truben Gedanken ab. Wichtig war nur das unmittelbare Vorhaben: Wasser. Nur das brauchte er, um nach Madras zu kommen. Was dann kam, war eine andere Sache, die warten konnte.

«Das ist alles, meine Herren!«Er merkte, da? er scharfer gesprochen hatte, als in seiner Absicht lag, und fugte hinzu:»Wir haben ein gutes Schiff, eines der modernsten und seetuchtigsten Fahrzeuge, das je gebaut wurde. Wir konnen es mit jedem Schiff aufnehmen, es sei denn mit einem Linienschiff. «Herrick sah ihn bei diesen Worten lachelnd an, und die gemeinsame Erinnerung schlo? die Kluft zwischen ihnen. Er machte eine kleine Pause und sprach dann weiter:»Und auch dabei gibt es seltene, allerdings nicht empfehlenswerte Ausnahmen. Aber ohne Trinkwasser sind wir Kruppel ohne die Kraft und den Schwung, einem neuen Tag ins Auge zu sehen. Denken Sie an meine Worte: Seien Sie wachsam! Im Augenblick ist das alles, was ich von Ihnen will.»
        Sie verlie?en die Kajute, und er blieb mit Puigserver und Raymond allein. Raymond blickte hoffnungsvoll den Spanier an, doch als dieser keine Anstalten machte, seinen ublichen Abendspaziergang an Deck anzutreten, verlie? er die Kajute.
        Bolitho setzte sich ans Fenster und betrachtete das Mondlicht, das auf dem schaumenden Kielwasser der Undine spielte.

«Was stimmt nicht mit ihm, Senor!«Merkwurdig, wie leicht man mit Puigserver reden konnte. Noch vor einem knappen Jahr war er ein Feind gewesen, einer, den Bolitho im Gefecht getotet hatte, es sei denn, er hatte sich ergeben. Oder umgekehrt. Puigserver war ein kraftvoller Mann, soviel stand fest, und lie? sich nicht in die Karten sehen. Aber Bolitho vertraute ihm. Der gro?te Teil der Mannschaft hatte ihn ebenfalls akzeptiert - wie Allday, der es schon lange aufgegeben hatte, sich um die richtige Aussprache seines Namens zu bemuhen; sie nannten ihn Mr. Pigsliver,[= Schweineleber (der Ubersetzer).] aber es klang beinahe wohlwollend.
        Puigserver musterte ihn amusiert.»Mein lieber Capitan, Raymond ist wie ein Wachhund. Er hat Angst wegen seiner Frau - nicht so sehr, da? andere ihr etwas tun, sondern davor, was sie selbst tun wird. «Ein tiefes Lachen stieg aus seinem Bauch empor.»Sie selbst, glaube ich, bekommt allmahlich Spa? an diesem Spiel und wei? ganz genau, da? jeder Mann an Bord sie mit hei?en Augen ansieht. Sie steht stolz wie eine Tigerin da.»

«Sie scheinen ja eine ganze Menge uber sie zu wissen, Senor.»
        Das Lacheln wurde noch breiter.»Von Schiffen verstehen Sie sehr viel, Capitan. Aber uber Frauen haben Sie zum Unterschied von mir noch eine Menge zu lernen, furchte ich.»
        Bolitho wollte protestieren, lie? es aber lieber. Die Erinnerung war noch zu frisch und schmerzhaft, als da? er Puigservers Behauptung hatte bestreiten konnen.



        VI Unternehmen zu Lande

        Gespannt blickten sie auf die Kuste, die im Morgenlicht zunehmend Farbe und Kontur gewann.»Na, Thomas - was meinen Sie dazu, so aus der Nahe?«fragte Bolitho verhalten. Sie hatten sich dem Land seit Sonnenaufgang vorsichtig genahert. Jetzt lag es vor ihnen - ein endloses Panorama in vielerlei Gruntonen.
        Mit zwei erfahrenen Matrosen auf dem Wasserstag, die unablassig loteten, und mit so wenig Leinwand wie moglich tastete sich die Undine auf diese unberuhrte Welt zu: so dicht wuchs der Dschungel, da? man meinte, weder Mensch noch Tier vermochten von der Kuste aus ins Innere vorzudringen.

«Der Steuermann scheint zufrieden, Sir«, entgegnete Herrick gelassen und richtete sein Fernrohr auf die Kuste.»Alles sieht so aus, wie er es beschrieben hat: im Norden ein rundes Kap und etwa eine Meile landeinwarts dieser seltsam aussehende Berg.»
        Bolitho stieg auf einen Poller und spahte hinuber. Die Undine hatte schlie?lich etwa vier Kabellangen[= Kabellange = 0,1 Seemeile = 185,3 m (der Ubersetzer).] vor dem Strand Anker geworfen, um auch bei Niedrigwasser genugend Seeraum und Tiefe zu haben. Immerhin sah es ziemlich flach aus; er konnte sogar den machtigen Schatten erkennen, den der kupferbeschlagene Rumpf der Undine am Meeresgrund warf. Heller Sand auch hier wie in den zahlreichen, weitgeschwungenen Buchten, die sie bei ihrer vorsichtigen Annaherung gesehen hatten.
        Lange Fahnen fremdartigen Seegrases wiegten sich in der Stromung wie in einem muden Tanz. Aber wenn das Schiff an seiner Ankerkette nach Backbord schwojte, sah Bolitho andere Gebilde - braun und grun, wie Flecken im Wasser: Riffe. Mudge hatte mit seiner Vorsicht durchaus recht gehabt. Und nach dem Schiffbruch der Nervion fand man sie an Bord auch ganz selbstverstandlich.
        Langsseits waren die ersten Boote bereits ausgebracht, und Shellabeer, der Bootsmann, schimpfte fausteschuttelnd mit einigen spanischen Matrosen, die eines davon lenzten. Es wurde fur die ausgetrockneten Fahrzeuge gut sein, wieder ins Wasser zu kommen, dachte Bolitho.
        Beilaufig sagte er:»Ich gehe mit an Land; passen Sie hier gut auf. «Er konnte Herricks unausgesprochenen Protest spuren und sprach deshalb rasch weiter:»Wenn an Land etwas schiefgeht, wird es ganz gut sein, wenn ich mit dabei bin. «Er wandte sich um und klopfte Herrick auf die Schulter.»Au?erdem habe ich das Bedurfnis, mir die Beine zu vertreten. Das ist mein Privileg als Kapitan.»
        Auf dem Geschutzdeck schritt Davy bereits auf und ab, musterte die Bootsmannschaften, sah die Waffen nach und kontrollierte das Geschirr fur das Verladen der Wasserfasser. Der Himmel uber ihnen war bleich, wie von der Sonne zerkocht, und alle Farben beschrankten sich auf den glitzernden Kustenstreifen. Die Ruhe uber diesem Landstrich beeindruckte Bolitho stark. Nur hier und da rollte eine Welle wie ein wei?es Schaumkollier auf den Strand, bis an den Fu? der Dunen. Es war, als hielte das Land den Atem an; Bolitho konnte sich vorstellen, da? tausend Augen, zwischen den Baumen versteckt, die vor Anker liegende Fregatte belauerten. Mit dumpfem Ton setzten die Drehgeschutze, von Bord abgefiert, auf dem Bug von Barkasse und Kutter auf, wahrend die Standmusketen mit ihren trichterformigen Mundungen in Gig und Pinasse untergebracht wurden. Die Jolle war zu klein fur die gro?en Wasserbehalter und sollte auch fur den Notfall reserviert werden.
        Bolitho rieb sich das Kinn und starrte auf die Kuste. Notfall? Alles wirkte doch so ruhig. Wahrend sie aufs Land zugeschlichen waren, an zahlreichen Buchten vorbei, die eine wie die andere aussahen (nur Mudge konnte sie allenfalls unterscheiden), hatte er unbewu?t auf ein Anzeichen, eine Andeutung von Gefahr gewartet. Aber nirgends lag ein Boot auf dem Sand, nirgends stieg Rauch von einem Feuer empor, nicht einmal der Ruf eines Vogels hatte die Stille unterbrochen.

«Boote klar, Sir!«meldete Shellabeer und wandte dabei sein fleischiges Gesicht von der blendenden Sonne ab.
        Bolitho trat zur Reling und schaute hinunter auf das Geschutzdeck. Die Matrosen schienen sich verandert zu haben - vielleicht wegen der Entermesser an ihren Gurteln oder weil sie uber dem Tatendurst vorubergehend den wirklichen Durst verga?en. Die meisten hatten sich uberhaupt sehr verandert, seit sie an Bord waren. Ihre nackten Rucken waren von der Sonne tief gebraunt; hier und da verriet eine Brandnarbe, da? der Mann unvorsichtig oder einfach dumm gewesen war.

«Da druben liegt Afrika, Jungs!«rief Bolitho. Ein Raunen der Erregung ging durch die Reihen wie Wind durch ein Kornfeld.»Ihr werdet dergleichen noch oft sehen, ehe wir wieder auf Heimatkurs gehen. Tut, was euch befohlen wird, bleibt bei eurer Abteilung, dann kann euch nichts passieren. «Und in scharferem Ton:»Aber es ist ein gefahrlicher Kustenstrich, und die Eingeborenen haben wenig Veranlassung, fremden Seeleuten zu trauen. Also pa?t gut auf und beeilt euch mit dem Wasserfassen!«Er nickte ihnen zu.»Und jetzt in die Boote!»
        Als die ersten Manner hinunterkletterten, trat Mudge zu Bolitho ans Fallreep.»Ich mu?te eigentlich mit an Land, Sir. Aber ich habe Fowlar, meinem besten Maat, die Lage der Wasserstelle beschrieben, und er ist ein tuchtiger Mann, Sir, wirklich.»
        Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm das Degengehange umschnallen konnte.»Na, was macht Ihnen dann Sorgen, Mr. Mudge?»
        Der Alte zog die Brauen zusammen.»Es gab 'ne Zeit, da konnte ich 'ne halbe Meile schwimmen und danach eine Meile mit vollem Gepack marschieren… »
        Herrick grinste.»Und hatten dann noch genug Atem fur 'ne Nummer mit einer hubschen Deern, wie?»
        Mudge blitzte ihn wutend an.»Ihre Zeit kommt auch noch, Mr. Herrick. Altwerden ist kein Spa?!»
        Bolitho lachelte.»Hier an Bord gelten Sie immer noch eine ganze Menge. «Und zu Herrick gewandt:»Riggen Sie Enternetze auf, solange wir weg sind. Mit nur einer Ankerwache und den paar Seesoldaten konnten Sie in Schwierigkeiten kommen, wenn jemand einen Uberraschungsangriff versucht. «Er legte ihm die Hand auf den Arm. Ich wei?, ich bin ubervorsichtig. Ich sehe Ihnen am Gesicht an, was Sie denken. Aber besser zu vorsichtig als tot. «Er warf einen kurzen Blick auf die Kuste. Besonders hier.»
        Auf dem Weg zur Schanzpforte fugte er noch hinzu:»Die Boote kommen jeweils zu zweien zuruck. Wechseln Sie nach Moglichkeit die Leute aus. Sie werden schnell ermuden bei dieser Hitze.»
        Er sah noch, wie Puigserver ihm vom Decksgang her zunickte und da? Raymond vom Achterschiff, neben dem kleinen Sonnendach seiner Frau, heruber spahte. Die Abteilung fur die Ehrenbezeugung stand angetreten; er fa?te gru?end an seinen Hut und kletterte rasch in die Gig, wo Allday schon an der Ruderpinne sa?.

«Ablegen!»
        Ein Boot nach dem anderen kam gemachlich aus dem Schatten der Fregatte heraus und nahm mit gleichma?igem Riemenschlag Kurs auf das Land. Bolitho blieb in der Gig stehen, um die kleine Flottille zu mustern: voran Leutnant Soames in der Barkasse, dem gro?ten Boot der Undine, und um ihn jeder Kubikzoll Raum vollgepackt mit Mannern und Fassern, wahrend im Bug ein Geschutzfuhrer an der geladenen
        Drehbasse hockte. Dann kam Davy im ebenfalls tiefbeladenen Kutter: schlank neben Mr. Pryke, dem rundlichen Schiffszimmermann der Undine, wie es sich gehorte, ging Pryke mit an Land, in der Hoffnung, passendes Holz fur die standigen Reparaturen am Schiff zu finden. Midshipman Keen, von dem kleinen Penn begleitet, hatte die Pinasse; die beiden zappelten buchstablich vor Aufregung in dem ruhig durchs Wasser gleitenden Boot. Bolitho blickte uber das Heck seiner Gig zum Schiff zuruck. Die Gestalten an Deck wirkten bereits klein und unpersonlich. Jemand war in der Kajute, Mrs. Raymond wahrscheinlich. Vielleicht sah sie den Booten nach, vielleicht wollte sie ihrem Mann aus dem Weg gehen, vielleicht hatte sie auch ganz andere Grunde. Dann blickte er auf die Manner in der Gig hinab, auf die Waffen zwischen ihren gespreizten Beinen, die verlegen abgewandten Gesichter. Vorn hockte ein Mann und schwenkte den Lauf der Standmuskete hin und her, um das Gestell von verkrustetem Salz zu befreien. Das war Turpin, der damals in Spithead so verzweifelt versucht hatte, Davy zu tauschen. Er spurte Bolithos Blick und
hob den Arm; ein Haken aus glanzendem Stahl sa? statt der Hand daran.»Der Stuckmeister hat's mir machen lassen, Sir!«rief er grinsend.»Besser als die richtige Hand!»
        Bolitho lachelte zuruck. Der wenigstens war guter Laune. Er beobachtete die langsam dahinziehenden Boote: insgesamt achtzig Mann mit Offizieren, und noch mehr wurden ubersetzen, sobald er die Boote fur ihren Transport entbehren konnte. Er setzte sich und zog den Hut tiefer uber die Augen. Dabei ruhrte er an die Stirnnarbe und erinnerte sich an jenes andere Wasserbeschaffungsunternehmen, an dem er vor so langer Zeit beteiligt gewesen war… Der plotzliche Angriff damals, Schreie von uberallher, der riesige Wilde, der das Entermesser schwang, das er soeben einem sterbenden Matrosen entrissen hatte. Bolitho hatte es noch aufblitzen sehen, dann war er mit blutuberstromten Gesicht besinnungslos zu Boden gesturzt. Sein Bootsmann hatte sich dazwischen-geworfen, sonst ware es aus mit ihm gewesen.
        Herrick pa?te es vermutlich nicht, da? Bolitho die Landetruppe selbst befehligte. Das war normalerweise Sache des Ersten Leutnants. Aber die Erinnerung an den Kampf damals mahnte ihn daran, da? jederzeit unvermutet etwas schiefgehen konnte.

«Noch eine Kabellange, Captain«, sagte Allday und lie? die Gig etwas abfallen. Bolitho fuhr auf; er mu?te getraumt haben. Die Undine war jetzt weit weg und sah wie ein zierliches Spielzeug aus, wahrend vor ihrem Bug das Land seine riesigen grunen Arme nach ihnen ausstreckte.
        Wieder einmal erwies es sich, da? man auf Mudges Gedachtnis bauen konnte. Zwei Stunden, nachdem die Boote auf den Strand gezogen und die Arbeitskommandos eingeteilt waren, meldete Fowlar, der Steuermannsmaat, er habe einen Bach mit wunderbar frischem Wasser gefunden.
        Sofort gingen sie an die Arbeit. Bewaffnete Wachen wurden an sorgfaltig ausgewahlten Punkten mit guter Sicht postiert und Spaher auf die kleine Anhohe geschickt, unter der Mudges Bach durch den dichten Dschungel rann. Nach den ersten unsicheren Schritten auf dem festen Land, das ihre Seebeine nicht mehr gewohnt waren, machten sich die Matrosen eifrig ans Werk. Pryke, der Schiffszimmermann, baute mit seinen Helfern rasch ein paar kraftige Schlitten, auf welchen die vollen Wasserfasser hinunter zu den Booten gezogen werden sollten; und wahrend der Kufer wachsam am Bach wartete, hieben die anderen unter Fowlars Aufsicht mit Axten einen Pfad durch den Wald.
        Bolitho hielt Verbindung zwischen Bach und Strand. Mehrmals ging er hin und her, um sich zu vergewissern, da? alles gut lief, und Midshipman Penn trabte treulich mit ihm, um im Bedarfsfall als Befehlsuberbringer zu fungieren. Am Strand hatte Leutnant Soames das Kommando; er sollte auch den Nachschub einteilen, der spater vom Schiff heruberkommen wurde. Davy war fur den Betrieb an der Wasserstelle zustandig, und Keen tauchte ab und zu an der Spitze einiger Bewaffneter auf, mit denen er die arbeitende Abteilung gegen unwillkommene Besucher sichern sollte. Fast sofort hatte Fowlar zwei Feuerstellen von Eingeborenen entdeckt; aber sie waren schon verrottet und auseinandergeweht und wohl seit Monaten nicht mehr benutzt worden. Trotzdem spurte Bolitho eine Bedrohung im Nacken, wenn er stehenblieb, um zu kontrollieren, wie weit die einzelnen Abteilungen waren: eine schwer zu definierende Feindseligkeit.
        Einmal mu?te er auf dem Weg landeinwarts beiseitetreten, als ein plumper Schlitten, von zwei Dutzend lasterlich fluchenden Matrosen geschoben, an ihm vorbeidonnerte und dabei das Unterholz wegdruckte. Da flogen unter mi?tonendem Gekreisch mehrere gro?e Vogel auf. Bolitho sah ihnen nach und trat dann in die breite Schleifspur zuruck. Wenigstens gab es hier doch etwas Lebendiges, dachte er. Unter den Baumen, die den Himmel verdeckten, war die Luft schwer und stank nach faulenden Pflanzen. Hier und da raschelte und knackte etwas, oder ein Auge blitzte wie ein kleiner schwarzer Knopf kurz in der Sonne auf und verschwand ebenso schnell.

«Das konnten Schlangen sein«, keuchte Penn. Sein Atem ging schwer, das Hemd klebte ihm am Korper, denn er mu?te sich machtig anstrengen, um Bolithos Tempo durchzuhalten.
        Davy stand unter einem Felsuberhang und machte einen Strich in seiner Liste, denn eben hammerte Duff wieder ein Wasserfa? sorgfaltig zu, damit auf dem holprigen Weg kein Tropfen verlorenging- Er richtete sich auf, nahm Haltung an und meldete: Alles klar, Sir.»

«Gut. «Bolitho buckte sich, schopfte mit den hohlen Handen Wasser aus dem Flu? und trank. Es schmeckte erfrischend wie Wein, trotz der schwarzlich-fauligen Wurzeln, die von beiden Ufern ins Wasser wuchsen.»Kurz bevor es dunkel wird, machen wir Schlu?«, sagte er und blickte hoch zu einem Fleck blauen Himmels, als die Baume leise zu rauschen begannen. Am Boden, unter den verfilzten Zweigen, war die Luft unbeweglich, aber oben wehte ein stetiger Landwind.

«Ich steige auf den Hugel, Mr. Davy. «Es kam ihm vor, als hore er Penn hinter sich verzweifelt aufstohnen.»Hoffentlich sind Ihre Ausguckposten wach.»
        Es war ein langer, anstrengender Marsch, und als sie aus den Baumen heraus waren und das letzte Stuck Weg frei vor ihnen lag, fuhlte Bolitho die Hitze auf seinen Schultern und ein Brennen unter seinen Schuhsohlen, als schritte er uber einen gluhenden Rost. Aber die beiden Posten oben schienen sich ganz wohl zu fuhlen. In ihren fleckigen Hosen und Hemden, die tiefgebraunten Gesichter von machtigen Strohhuten fast verborgen, glichen sie eher Schiffbruchigen oder Ausgesetzten als ehrlichen britischen Seeleuten.
        Aus einem Streifen Segeltuch hatten sie sich ein kleines Sonnendach aufgeriggt; dahinter lagen ihre Waffen, die Wasserflaschen und ein gro?es Fernrohr. Der eine tippte sich gru?end an die Stirn und meldete:»Alles klar, Kapt'n.»
        Bolitho zog sich den Hut tiefer in die Stirn und blickte aufmerksam in die Ebene hinunter. Die Kuste war zerrissener, als er vermutet hatte. Hier und da, in einer kleinen Bucht oder einem schmalen Meeresarm, den keine Karte verzeichnete, glitzerte Wasser durch Stamme und Laubwerk. Landeinwarts erstreckte sich uberall, in der Ferne von einer hohen dunklen Felsbarriere begrenzt, dichter Baumbewuchs wie die Dunung einer grunen See. Und so verfilzt waren die Wipfel, da? es aussah, als konne man festen Schrittes darubermarschieren.
        Bolitho nahm das Fernrohr und richtete es auf das Schiff. Die Umrisse der Undine anderten sich standig in der hitzeflirrenden Luft, aber er sah die Boote langsam wie mude Wasserkafer hin und her fahren. Staub und Sand an seinen Fingern verrieten ihm, da? das Teleskop mehr am Erdboden gelegen als zur Beobachtung gedient hatte. Er horte Penn laut glucksend aus der Wasserflasche trinken und konnte sich vorstellen, da? die Posten ihn zu allen Teufeln wunschten, damit sie wieder ihre Ruhe hatten. Zwar machte ihr Dienst hier oben recht durstig, aber er war immerhin leichter, als die Schlitten mit den Wasserfassern durch den Urwald zu zerren. Bolitho senkte das Glas. So viele Manner, Schlitten, Fasser - doch von hier aus sah man uberhaupt nichts. Sogar der Strand war verdeckt. Sobald die Boote sich der Kuste naherten, schienen sie von den Baumen verschluckt zu werden.
        Bolitho wandte sich so plotzlich nach rechts, da? die Manner erschraken. Sorgfaltig suchte er das Terrain ab. Baume und Wasserstreifen tauchten in der Linse des Fernrohrs auf und verschwanden wieder. Irgend etwas war da gewesen, eine fluchtige Reizung am Rande seines Blickwinkels - aber was? Die Posten sahen ihn zweifelnd an, bewegungslos, erstarrt, wie hypnotisiert.
        Ein Reflex in der Linse? Er blinzelte und rieb sich das Auge. Nichts. Noch einmal begann er zu suchen, ganz langsam. Dichter, geschlossener Urwald. Oder sah er nur, was er zu sehen erwartete? Und daher… Er versteifte sich, hielt den Atem an. Als er das Glas sinken lie?, verschwamm das Bild in der Ferne. Er wartete, zahlte die Sekunden, bis sein Atem wieder regelma?ig ging.
        Die Posten flusterten miteinander, und Penn trank schon wieder. Wahrscheinlich glaubten sie, ihr Kommandant sei zu lange in der Sonne gewesen. Sehr vorsichtig hob er das Glas erneut ans Auge. Dort, etwas nach rechts, wo er bereits Wasser blinken gesehen hatte, war etwas Dunkleres, das nicht zum Grun und Braun des Waldes pa?te. Er starrte hin, bis ihm das Auge trante und er nichts mehr sehen konnte.
        Dann schob er das Fernrohr mit lautem Schnappen zusammen und sagte:»Dort druben liegt ein Schiff. «Penn starrte ihn offenen Mundes an.»Im Suden von uns. Es mu? ein kleiner Meeresarm sein, den wir bei der Anfahrt ubersehen haben. «Er beschattete die Augen, versuchte, die Entfernung zwischen dem Liegeplatz des Fremdlings, der Undine und ihrer Landungsstelle am Strand zu schatzen.

«Mu? blind gewesen sein, Sir«, rief einer der Wachtposten verangstigt - und mehr als das.
        Doch Bolitho starrte an ihm vorbei und versuchte, nachzudenken.»Dann nehmt jetzt das Glas und sucht so lange, bis ihr es seht!»
        Selbstverstandlich hatte der Mann mehr Angst vor seinem Kommandanten oder einer Strafe wegen Nachlassigkeit als davor, was diese Entdeckung bedeuten konnte. Die Gedankengange waren Bolitho durchaus klar.»Hast du es gefunden?»

«Aye, Sir«, nickte der Mann eifrig, aber unglucklich.»Is'n Mast, ganz klar.»

«Na also«, sagte Bolitho trocken.»Dann behalte ihn gefalligst im Auge, damit er nicht wieder verschwindet.»
        Penn lie? die Feldflasche sinken und trabte hinter Bolitho her, der schon mit gro?en Schritten bergab ging.»Was kann das zu bedeuten haben, Sir?«stotterte er.

«Verschiedenes. «Bolitho spurte jetzt unter den ragenden Baumen etwas Erleichterung nach der brennenden Sonnenglut.»Vielleicht haben sie uns gesichtet und halten sich versteckt, bis wir Anker lichten. Vielleicht fuhren sie auch irgend etwas gegen uns im Schilde - ich wei? es nicht.»
        Ungeachtet der Ranken und Dornen, die an ihm rissen und zerrten, schritt er schneller aus. Ware nicht diese kleine Irritation im Blickfeld der Linse gewesen, hatte er nichts gesehen, nichts gewu?t von dem fremden Schiff. Vielleicht ware das sogar besser gewesen; vielleicht machte er sich unnotig Sorgen.
        Er fand Davy, wie er ihn verlassen hatte: gelangweilt uberwachte er das Fullen der Wasserfasser.

«Wo ist Mr. Fowlar?»
        Mit einem Ruck fuhr Davy aus seinem Dosen hoch.»Ah - am Strand, Sir.»

«Verdammt!«Also noch eine gute Meile, bis er sich Fowlars Karte und Mudges Notizen ansehen konnte. Er warf einen Blick zum Himmel: noch Stunden bis zum Sonnenuntergang, der dann aber sehr rasch kommen und das Licht wie ein Vorhang ausloschen wurde.»Ich habe ein Schiff gesichtet, Mr. Davy. Gut versteckt, im Suden von uns. «Eben kam der Zimmermann aus dem Unterholz, die blinkende Sage in der Faust.»Ubernehmen Sie hier die Aufsicht, Mr. Pryke. «Er winkte Davy.»Wir gehen zum Strand.»
        Pryke nickte, sein feistes Gesicht gluhte wie ein reifer Apfel.

«Aye, Sir. «Prufend blickte er zu Duff hinuber.»Nur noch funf Fasser, meiner Rechnung nach.»

«Schon. Treiben Sie die Leute zur Eile. Und lassen Sie sie am Strand antreten, sobald das letzte Fa? voll ist.»
        Eilig schritt Davy an Bolithos Seite dahin. Man sah seinem gutgeschnittenen Gesicht an, da? er tief betroffen war.

«Halten Sie es fur ein feindliches Schiff, Sir?»

«Eben das mussen wir herausfinden.»
        Stumm schritten sie weiter; Bolitho wu?te recht gut, da? Davy genau wie oben der Posten der Ansicht war, er mache zuviel Aufhebens von der Sache.
        Unten am Strand horte Fowlar gelassen zu und studierte dann seine Karte.»Wenn es dort liegt, wo ich annehme, dann ist die Stelle hier nicht eingezeichnet. Irgendwo zwischen diesem Strand und der nachsten Bucht. «Er machte ein Kreuz.»Hier ungefahr, mochte ich sagen, Sir.»

«Konnen wir vor Dunkelheit dort sein - uber Land?»
        Fowlar machte gro?e Augen.»Es sieht ziemlich nahe aus, Sir. Nicht mehr als drei Meilen entfernt. Aber im Dschungel bedeutet es das Vierfache. «Unter Bolithos festem Blick schlug er die Augen nieder.»Sie konnten es schaffen, Sir.»

«Und wenn wir bis morgen warten, Sir?«warf Davy ein.»Wir konnten dann mit der Undine naher an dieses Schiff heran.»

«Das wurde zu lange dauern. Vielleicht lichten sie noch in der Nacht Anker und sind morgen fruh weg. Und wenn sie uber unsere Anwesenheit und unser Vorhaben informiert sind, ware ein Bootsangriff bei Tage und in einem so schmalen Gewasser sinnlos. Das sollte Ihnen eigentlich klar sein, Mr. Davy.»
        Davy blickte auf seine Schuhe nieder.»Jawohl, Sir.»
        Eben schleiften die Manner keuchend ein weiteres Fa? zum Boot hinunter. Soames, der durch den tiefen Sand herbeigestapft war, um zuzuhoren, sagte unvermittelt: Das kann ein Sklavenschiff sein. Und dann ist es bestimmt gut bewaffnet. «Er rieb sich das Kinn und nickte.»Ihr Plan ist gut, Sir. Wir konnten am Fu? des Berges vorrucken, wo er bis an die See heranreicht, und uns dann sudwarts halten. «Mit einem verachtlichen Blick auf Davy setzte er hinzu:»Ich suche mir gute Manner dazu aus, die nicht gleich schlapp machen, wenn es mal ein bi?chen rauh wird.»
        Davy sagte nichts, aber offenbar wurmte es ihn, da? Soames gleich mit einem Plan bei der Hand war, nachdem er selbst ohne weitere Uberlegungen zum Abwarten geraten hatte.
        Bolitho blickte zur Undine hinuber.»Gut. Eine halbe Stunde Rast, dann geht es los. Vierzig Mann sollten bei einiger Vorsicht genugen. Vielleicht ist es auch blo?e Zeitverschwendung. «Er dachte an das stumme Lauern des Dschungels.»Aber ein Schiff, das so gefahrlich weit landeinwarts ankert? Nein, das mu? etwas zu bedeuten haben. «Er winkte Penn herbei.»Ich schreibe jetzt Befehle fur den Ersten Leutnant nieder, die Sie ihm sofort uberbringen werden. Die Undine soll morgen fruh die Boote dorthin ausschicken und uns abholen. Bis dahin mu?ten wir Bescheid wissen. «Er warf Davy einen Blick zu.»So oder so.»
        Keen trat, eine Pistole lassig im Gurtel, aus dem Wald. Nach einem Blick aufs Meer blieb er stehen und deutete mit erhobenem Arm hinaus. Die Jolle scho? mit Hochstgeschwindigkeit heran, in der Sonne glanzten ihre Riemen wie Silber.
        Das Boot stie? ans Ufer; ohne das Festmachen abzuwarten, sprang Midshipman Armitage heraus und fiel naturlich der Lange nach in den Sand. Allday, der die Szene kritisch beobachtet hatte, rief aus:

«Mein Gott, Captain! Dieser junge Herr stolpert noch mal uber ein Samenkorn!»
        Mit hochrotem Kopf hastete Armitage an den grinsenden Matrosen vorbei den Strand herauf.»Mr. Herrick la?t mit Respekt melden, Sir - «, er machte eine kleine Pause, um sich den Sand vom Kinn zu reiben,»- da? einige kleine Fahrzeuge nordlich von hier gesichtet worden sind. «Er deutete aufs Geratewohl irgendwo in den Dschungel. Ein ganzes Geschwader. Mr. Herrick meint, sie halten auf uns zu; allerdings sind sie… «Er machte eine Pause und verzerrte das Gesicht wie immer, wenn er eine schwierige Meldung loswerden mu?te,»…nicht mehr zu sehen. «Dann fiel ihm der Schlu? ein, und er nickte erleichtert.»Mr. Herrick meint, sie haben irgendwas an Land vor, laufen aber eine andere Bucht an.»
        Bolitho pre?te die Hande auf dem Rucken zusammen. Das war genau das, was er befurchtet hatte. Und es hatte zu keinem schlimmeren Zeitpunkt eintreffen konnen. Danke, Mr. Armitage.»
        Leise sagte Davy:»Dann wird es nichts mit unserem Unternehmen, Sir. Wir konnen uns nicht aufsplittern, wenn feindliche Eingeborene in der Nahe sind.»
        Verachtlich fuhr Soames dazwischen:»Die Pest darauf, Mr. Davy! Wir haben Munition genug, um tausend lausige Eingeborene zu verscheuchen!»

«Schlu? jetzt!«Bolitho starrte die beiden zornig an, wahrend seine Gedanken immer noch mit diesem Problem beschaftigt waren.»Mr. Herrick hat wahrscheinlich recht. Kann sein, sie gehen nur an Land, um zu jagen oder zu lagern. So oder so, unsere Aktion wird dadurch um so wichtiger. «Nachdenklich blickte er Soames an und las in dessen tiefliegenden Augen Arger und Triumph zugleich.»Suchen Sie Ihre Leute sofort aus.»
        Steif fragte Davy:»Und ich, Sir?»
        Bolitho wandte sich ab. Im Kampf Mann gegen Mann wurde Soames besser sein. Andererseits benotigte Herrick, wenn ihm selbst etwas zustie?, auf der Undine eher einen Mann mit Hirn als einen mit Muskeln, falls er in eigener Verantwortung weitersegeln mu?te.

«Sie kehren mit dem letzten Arbeitskommando an Bord zuruck. «Er kritzelte ein paar Zeilen auf Fowlars Block.»Und Sie werden, so gut Sie konnen - «, absichtlich ubersah er die Enttauschung auf Davys Gesicht,»- Mr. Herrick klarmachen, was ich vorhabe.»
        Gepre?t erwiderte Davy:»Ich bin dienstalter als Soames, Sir. Es ist mein gutes Recht, an dieser Aktion teilzunehmen.»
        Bolitho blickte ihn gelassen an.»Aber was Ihre Pflicht ist, entscheide ich. Ihre Loyalitat setze ich dabei voraus. «Er warf einen Seitenblick auf Soames, der vor einer Doppelreihe Matrosen auf und ab schritt.»Sie kommen auch noch dran, dessen seien Sie sicher.»
        Ein Schatten fiel uber Fowlars Karte - es war Rojart, der spanische Leutnant mit den ewig traurigen Augen.

«Ja, Tenientel»
        Er mu?te in einem der anderen Boote an Land gekommen sein.

«Ich mochte mich Ihnen zur Verfugung stellen, Capitan.«Stolz blickte er zu Davy und Allday hinuber.»Don Luis hat mir befohlen, Sie nach besten Kraften zu unterstutzen.»
        Bolitho seufzte. Rojart hatte sich bereits des ofteren als Traumer erwiesen. Vielleicht kam das von seinen furchtbaren Erlebnissen beim Schiffbruch. Immerhin - ein weiterer Offizier, auch wenn er Spanier war, wurde von Nutzen sein. Au?erdem war damit noch ein Offizier weniger an Bord.»Sie sehen also, Mr. Davy, da? Mr. Herrick Ihre Hilfe mehr denn je benotigt. «Und zu Rojart:»Ich nehme Ihr Angebot mit Dank an, Teniente.»
        Der Spanier lachelte mit blitzenden Zahnen und verneigte sich.»Zu Ihren Diensten, Capitan!»
        Grinsend murmelte Allday:»Na, dann helfe uns Gott!»
        Wieder wurde ein Wasserfa? aus dem Wald an den Strand geschleift; keuchend klappte Duff seine Brille zusammen und rief:»Das letzte, Sir!«Strahlend musterte er die Umstehenden.»Eine volle Ladung!»
        Soames schnallte sich den Gurtel enger und meldete:»Abteilung klar zum Abmarsch, Sir. «Er deutete auf die angetretenen Matrosen.»Alle bewaffnet, aber ohne uberflussiges Gepack. «Davy ubersah er einfach.
        Keen sammelte seine Patrouille soeben am anderen Ende des Strandes, und an einer flachen Stelle stand Pryke bei einem Haufen Bauholz, das die Helfer nach seinen Angaben zurechtgesagt hatten.
        Davy legte formell die Hand an den Dreispitz.»Viel Gluck,
        Sir!»
        Lachelnd entgegnete Bolitho:»Danke, Mr. Davy. Werden wir hoffentlich nicht allzu notig brauchen. «Und zu Fowlar:»Gehen Sie voran, und machen Sie sich dabei Notizen. Wer wei? - vielleicht kommen wir wieder.»
        Damit wandte er sich um und schritt auf den Waldrand zu.

«Kurze Rast!«Bolitho zog die Uhr aus der Tasche seiner Kniehose und sah nach der Zeit. Die Stundenziffern waren jetzt schon schwerer zu erkennen als vorhin. Er blickte hoch. Der Himmel war bereits dunkler, und uber den Baumen lag es nicht mehr wie Gold, sondern wie Purpur. Erschopft lie?en sich die Matrosen nieder oder lehnten sich an Baume, um sich von dem
        Gewaltmarsch zu erholen. Anfangs war es nicht allzu schwer gewesen. Mit Axten hatten sie sich einen Pfad gehauen und waren ganz gut vorangekommen; aber als sie sich der Stelle naherten, wo nach Bolithos und Fowlars Schatzung die schmale Bucht liegen mu?te, lie?en sie die Axte stecken und bahnten sich ihren Weg durch Busch und Schlingengewachse mit blo?en Handen.
        Nachdenklich betrachtete Bolitho seine Leute. Ihre Hemden waren zerschlitzt, Gesichter und Arme blutig von den Rissen tuckischer Zweige und Dornen. Hinter ihnen wurden die verschlungenen Aste dunkler und schienen im Dunst verrottender Vegetation zu zittern wie in einem Wind, den man nicht spurte.
        Soames trocknete sich Gesicht und Nacken mit einem Tuch.»Ich habe Spaher vorausgeschickt, Sir. «Er ri? einem Mann die Feldflasche vom Mund.»Langsam, Idiot! Das mu? vielleicht noch eine ganze Weile reichen!»
        Bolitho sah Soames jetzt mit anderen Augen. Die Manner zum Beispiel, die er als Spaher ausgesucht hatte, waren nicht die Starksten oder die Befahrensten, wie man es bei einem Leutnant seiner Herkunft erwartet hatte. Beide Spaher waren ganz frische Rekruten der Undine und ohne jede seemannische Erfahrung. Der eine hatte auf einer Farm gearbeitet, und der andere war Jagdgehilfe in Norfolk gewesen. Doch beide waren sehr gut ausgewahlt. Fast lautlos waren sie zwischen den Baumen verschwunden.

«Was halten Sie davon, Captain?«murmelte Allday.
        Beim Anblick dieses kraftvollen, zuverlassigen Mannes lie? Bolithos Spannung etwas nach.»Wir sind jetzt schon ziemlich dicht dran. «Wie Herrick wohl zurechtkam? Und ob er noch mehr Eingeborenenboote gesichtet hatte? Wie die meisten seiner Manner fuhlte er sich an Land unbehaglich - abgeschnitten vom Schiff.
        Fowlar zischte:»Achtung, da kommt jemand.»
        Musketenlaufe richteten sich ziellos aufs Gebusch, und ein paar Manner griffen nach ihren Entermessern.

«Nur einer von unseren Spahern!«rief Soames und trat auf die schattenhafte Gestalt zu.»Bei Gott, Hodges, du hast dich beeilt!»
        Der Mann kam auf die kleine Lichtung und blickte Bolitho an.»Ich habe das Schiff gefunden, Sir. Es liegt 'ne knappe halbe
        Meile entfernt. «Er zeigte in die Richtung.»Wenn wir etwas abdrehen, sollten wir in 'ner knappen Stunde dort sein.«»Was noch?»
        Hodges hob die Schultern. Er war ein mageres Kerlchen, und Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie er als Wildhuter in den Marschen von Norfolk herumgestreift war.

«Ich bin nicht zu nahe 'rangegangen, Sir«, sagte er.»Aber sie liegen ziemlich dicht unter Land. Einige Leute waren an Land, auf einer Lichtung. Ich habe… «Er zogerte.»Ich habe so eine Art Stohnen gehort. «Er schuttelte sich.»Lief mir richtig kalt uber den Rucken, kann ich Ihnen sagen, Sir.»

«Wie ich dachte«, sagte Soames wutend.»Sklavenjager, verfluchte! Sie haben wahrscheinlich ihr Lager an Land, fangen die armen Teufel ein und teilen sie in Gruppen. Madchen in der einen, Manner in der anderen. Dann werden die Kraftigsten ausgesucht.»
        Fowlar spuckte ins Laub und nickte grimmig.»Den ubrigen schneiden sie die Halse durch, um Pulver und Blei zu sparen, und lassen sie liegen.»
        Bolitho blickte den Spaher an; Fowlars brutalen Kommentar wollte er nicht horen. Da? diese Dinge geschahen, war allgemein bekannt, aber anscheinend wu?te niemand, was dagegen zu tun war. Besonders da viele einflu?reiche Personlichkeiten Profite aus dem Sklavenhandel zogen.»Haben sie Wachen aufgestellt?«fragte er.»Zwei hab' ich gesehen, Sir. Aber sie fuhlen sich anscheinend ganz sicher. Das Schiff hat zwei Kanonen ausgefahren.»

«Naturlich«, knurrte Soames.»Wenn einer versucht, die armen Teufel zu befreien, kriegt er den Bauch voll Schrapnell.»
        Der spanische Leutnant trat zu ihnen. Trotz des Gewaltmarsches brachte er es irgendwie fertig, in seinem gefaltelten Hemd mit den weiten Armeln elegant auszusehen.»Vielleicht sollten wir umkehren, Capitan.«Vielsagend hob er die Schultern.»Hat keinen Sinn, dieses Schiff zu alarmieren, wenn es blo? ein Sklavenhandler ist, oder?»
        Soames wandte sich wortlos ab. Sicher war er, ebenso wie der Gro?teil der Matrosen, emport daruber, da? Rojart die Sklaverei fur eine ganz normale Einrichtung hielt.

«Wir gehen weiter vor, Teniente. Unsere Boote treffen sowieso nicht vor morgen fruh ein. Mr. Soames, ubernehmen Sie das Kommando hier. Ich will mir das selbst ansehen. «Bolitho winkte Midshipman Keen.»Sie kommen mit. «Und wahrend er auf den Wald zuging, sagte er noch:»Die anderen machen sich bereit, mir zu folgen. Kein Wort; und haltet Tuchfuhlung, damit ihr nicht getrennt werdet. Wer einen Schu? abfeuert, mit Absicht oder aus Versehen, kann sich auf was gefa?t machen!»
        Hodges setzte sich an die Spitze.»Mein Kamerad, Billy Norris«, sagte er,»ist dort geblieben und beobachtet weiter, Sir. Bleiben Sie dicht hinter mir. Ich hab' den Weg markiert. «Und Bolitho glaubte ihm aufs Wort, obwohl er nirgends ein Zeichen sehen konnte.
        Erstaunlich, wie nahe sie waren. Schon nach kurzer Zeit tippte Hodges ihn auf den Arm und bedeutete ihm, unter einem scharfblattrigen Busch Deckung zu suchen. Und da lag auch schon, wie auf offener Buhne, der Meeresarm vor ihnen. Hier war es viel lichter als im Wald; die letzten Sonnenstrahlen spielten noch im Laub und malten schillernde Reflexe auf die trage Dunung. Langsam schob sich Bolitho vorwarts und versuchte, die schmerzhaften Stiche in Brust und Handen zu ignorieren. Dann erstarrte er und verga? alle Unbequemlichkeiten, denn jetzt konnte er das Schiff deutlich sehen. Hinter sich horte er, wie Allday seine eigenen Gedanken aussprach:»Bei Gott, Captain, es ist der Schuft, der die Dons auf das Riff gelockt hat!»
        Bolitho nickte. In dem engen Meeresarm wirkte die Brigantine gro?er, aber sie war nicht zu verkennen. Er hatte sie, das wu?te er genau, auf Jahre hinaus nicht vergessen. Dann horte er auch das klagliche Stohnen, von dem Hodges berichtet hatte; ein scharfer, metallischer Klang drang vom anderen Ufer der Bucht heruber.

«Sie legen den armen Teufeln Handschellen an«, flusterte Allday. Bolitho zwangte sich noch etwas vor und erkannte die Ankerkette der Brigantine, ein langsseits liegendes Boot und ein glimmendes Licht an der Kampanje. Keine Flagge, ebenso wie damals. Aber zweifellos war die Mannschaft auf der Hut. Zwei Geschutze waren schu?bereit ausgefahren, die Mundungen gesenkt, um etwaige Angreifer mit einer Salve zu empfangen.
        Langsam glitt ein Boot vom Ufer zum Schiff hinuber, und Bolitho fuhr zusammen, als er den Aufschrei einer Frau horte. Schrill, nervenzerrei?end hallte der Ton von den Baumen wider.

«Sie schaffen die Sklaven an Bord«, knirschte Allday.»Werden bald ablegen, schatze ich.»
        Bolitho nickte und befahl Keen:»Holen Sie die anderen. Aber sie sollen leise sein.
«Er sah sich nach dem zweiten Spaher um, der dumpf im Busch hockte.»Du gehst mit! Und zu Allday:»Wenn wir sie schnappen, werden wir endlich erfahren, wer hinter der Sache mit der Nervion steckt.»
        Allday hatte beide Hande an seinem Entersabel.»Bin sehr dafur, Captain!»
        Dumpfe Laute drangen von der Brigantine heruber, dann folgte ein schriller Aufschrei, der in ein langgezogenes Kreischen uberging, das aber plotzlich wie abgeschnitten verstummte. Wie weit mochte es wohl bis zur offenen See sein? Der Sklavenfanger mu?te so unauffallig, wie er hereingekommen war, auch wieder hinaus und sich alle Muhe geben, jedes Aufsehen zu vermeiden, bis sein Schiff klar von der Kuste war.
        Bolitho konnte kaum glauben, da? er hier sa? und ausgerechnet dieses Schiff beobachtete. Wahrend die Undine lange nach den Uberlebenden der Nervion gesucht und dann noch weite Umwege gemacht hatte, um das Land und andere Schiffe zu meiden, war dieser Sklavenfanger in aller Ruhe seinen Geschaften nachgegangen, als sei nichts geschehen. Er mu?te eiserne Nerven besitzen.
        Jetzt waren wieder Schreie zu horen, wie von Tieren im Schlachthaus. Slavenhandler hatten keine Empfindungen. Und schon gar kein Mitleid.
        Bolitho horte ein schwaches Gerausch hinter sich und dann Soames' leise, unbewegte Stimme:»Der junge Keen hat recht. Es ist tatsachlich dasselbe Schiff. «Prufend blickte er uber die Brigantine hinweg zu den Baumwipfeln empor.»Nicht mehr viel Zeit, Sir. In einer Stunde ist es stockfinster, vielleicht schon fruher.»

«Glaube ich auch. «In der Lichtung wurden jetzt die Sklaven zusammengetrieben. Ein paar Rauchfetzen stiegen von einem Feuer auf; vielleicht hatte daran ein Schmied an den Handfesseln gearbeitet. Dort war der schwachste Punkt.»Nehmen Sie zwanzig Mann und umgehen Sie das Lager. Beim ersten Alarmzeichen feuern Sie mit allem, was Sie haben. Das sollte wenigstens eine Panik verursachen.»

«Aye. So wird's gehen.»
        Bolithos Kopf war eiskalt vor Erregung. Bei solchen Gelegenheiten uberkam ihn stets eine Art Besessenheit.»Ich brauche zehn Mann, die schwimmen konnen. Wenn wir es schaffen, an Bord zu kommen, solange sie noch verladen, mu?ten wir das Achterdeck halten konnen, bis Sie die Boote gesturmt haben und uns zu Hilfe kommen.»
        Er horte, wie Soames sich das stoppelige Kinn rieb.»Ein tollkuhner Plan, Sir - aber jetzt oder nie!»

«Also dann… Sagen Sie Rojart, er soll mit ein paar Mann als Flankenschutz den Platz hier halten. Denn wenn alles schiefgeht, mussen wir wieder hierher zuruck.»
        Soames kroch zuruck und gab flusternd die Befehle weiter. Weitere Gestalten krochen raschelnd heran, und Keen meldete:»Unsere Abteilung ist klar, Sir.»

«Unsere Abteilung?»
        Keens wei?e Zahne blitzten in dem schwindenden Licht.»Ich schwimme ausgezeichnet, Sir.»
        Besorgt murmelte Allday:»Hoffentlich gibt es hier keine von diesen verdammten Wasserschlangen!»
        Bolitho blickte in die Gesichter der Manner. Wie gut er inzwischen die meisten von ihnen kannte! Er sah alles in diesen letzten Augenblicken. In manchen Augen glitzerte Angst, Erregung, auch die gleiche Wildheit, die ihn selber uberkommen hatte. Und manche Gesichter waren von schierer brutaler Kampfeslust verzerrt.
        Kurz befahl er:»Wir gehen unter diesen uberhangenden Buschen ins Wasser. La?t Schuhe und Strumpfe und alles andere bis auf die Waffen hier. Allday, Sie sorgen dafur, da? die Pistolen gut eingewickelt werden, damit sie trocken bleiben!»
        Er inspizierte den Himmel. Es wurde schnell dunkel, nur an den Baumwipfeln hielt sich noch der sanfte Widerschein der Abendsonne. In der Bucht und bei der Brigantine war das Wasser schwarz und glanzlos wie flussiger Schlamm.

«Los!»
        Er hielt den Atem an, als ihm das Wasser uber den Gurtel und dann bis zum Hals stieg. Es war sehr warm. Noch ein paar Sekunden wartete er, etwa auf einen Alarmruf oder Musketenschu?. Aber die erstickten Schreie vom Lager her verrieten, da? er den Zeitpunkt gut gewahlt hatte. Die Sklavenfanger waren jetzt zu beschaftigt, um uberall zugleich aufzupassen.
        Die anderen schwammen mit hochgehaltenen Waffen, nur Keen uberholte ihn mit gleichma?igem Kraulen.»Ich schwimme zur Ankerkette, Sir«, flusterte er und grinste tatsachlich dabei.
        Weiter, immer weiter… Dann hatten sie den halben Weg hinter sich, und Bolitho wu?te: wenn sie jetzt entdeckt wurden, waren sie verloren. Hoch ragten die Masten und Rahen uber ihnen auf, die gerefften Segel hoben sich scharf gegen den Himmel ab. In der Dammerung leuchtete die Ankerlaterne besonders hell. Nackte Fu?e platschten uber die Decksplanken, und ein Mann lachte wild auf: ein trunkenes Lachen. Vielleicht brauchte man eine Extraration Rum fur solche Arbeit, dachte Bolitho.
        Und dann klammerten sie sich am Schiff fest; die Stromung zerrte an ihren Beinen und druckte sie gegen die rauhen Planken, so da? sie unter dem Uberhang des Schiffsrumpfes verborgen blieben.

«Hier kann man uns von den Booten aus nicht sehen, damit sind wir erst mal sicher«, keuchte Allday.
        Da schallte ein furchtbarer Schrei uber das Wasser; Bolitho dachte im ersten Moment, es sei ein Todesschrei. Aber der Matrose neben ihm deutete zum Ufer, das sie eben verlassen hatten, und ware dabei fast abgetrieben.
        Im letzten Abendschein war dort Rojarts gefalteltes Hemd deutlich zu erkennen. Er stand offen und ungedeckt da, die Arme weit ausgebreitet, als wolle er die ganze Bucht mit allem, was darin war, umarmen. Wieder und wieder schrie er, dann drohte er mit den Fausten und stampfte mit den Fu?en, als sei er verruckt geworden.
        Bei Rojarts plotzlichem Erscheinen wurde es an Bord der Brigantine schlagartig still; dann horte Bolitho Stimmengewirr und Schritte auf den Planken und wu?te, da? es mit der Uberraschung vorbei war. Keen hing am Wasserstag unter dem Bugspriet, lie? sich jetzt aber zu Bolitho hintreiben. Verzweifelt keuchte er: Niemand hat Rojart darauf vorbereitet, da? es das Schiff ist, das die Nervion vernichtet hat. Er mu? es eben erst entdeckt haben… »
        Das Krachen des Schusses so dicht uber ihren Kopfen war betaubend. Rauch stieg empor und wirbelte ubers Wasser, so da? mancher Mann untertauchte, um nicht husten zu mussen.
        Ehe der Qualm ihm die Sicht versperrte, sah Bolitho noch, wie Rojart von einer vollen Ladung gehackten Bleis weggeschleudert wurde: ein blutiger Fetzen, an den nichts mehr an einen Menschen erinnerte. Bolitho klammerte sich an das
        Tau, das Allday um das Wasserstag geschlungen hatte, und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.
        Achtern krachte ein zweiter Schu?, und er fuhr zusammen, denn der Schiffsrumpf erzitterte unter seinen Handen wie ein lebendes Wesen. Diesmal war es eine Kugel; er horte sie durch die Baume zischen und in der Ferne einschlagen.
        Und in diesem Moment eroffneten Soames und seine Leute an der anderen Seite des Lagers das Feuer.



        VII Herricks Entscheidung

        Die vereinzelten Musketenschusse wurden fast von dem wilden Geschrei der entsetzten Sklaven ubertont. Auf der anderen Seite der Brigantine sprangen Manner polternd in ein Boot und stie?en wilde Rufe aus, offenbar um die Genossen am Lagerplatz anzufeuern. Bolitho gab Allday ein Handzeichen.»Jetzt! Uber den Bug! Mit bleiernen Gliedern zog er sich hoch und kletterte uber das kurze Vordeck an Bord. Das He rz klopfte ihm an die Rippen, unter sich vernahm er das erregte Flustern seiner Manner.
        Im Vorschiff hockten eng zusammengedrangt die nackten, gefesselten Sklaven. Verstandnislos beobachteten sie die Vorgange an Land. Zwei bewaffnete Matrosen der Brigantine standen an einem Drehgeschutz, aber da das Boot inzwischen auf dem Weg zur Kuste war, befand es sich in ihrem Schu?feld, und sie konnten nicht feuern.

«Drauf, Jungs!«brullte Allday und warf sich mit einem machtigen Satz an Deck. Sein schweres Entermesser fuhr in den Hals eines Mannes, der lautlos zu Boden sturzte. Der zweite Wachtposten lie? sich auf ein Knie nieder und zielte mit seiner Muskete auf Bolithos Manner, von denen inzwischen immer mehr an Bord geklettert waren. Der Blitz des Schusses erhellte die Gesichter. Bolitho horte die Kugel vorbeisausen und mit scheu?lichem Ton in Fleisch und Knochen einschlagen.
        Immer mehr Leute der Brigantine sturzten sich von der Kampanje her ins Gefecht, wild um sich schie?end, ohne sich um die Todesschreie der Sklaven zu kummern, die ihnen in die Schu?linie gerieten. Eine nackte junge Frau - ihr Korper glanzte vor Schwei?, eine Kette klirrte zwischen ihren Handgelenken - versuchte, einen der verwundet am Boden liegenden Sklaven zu erreichen. War es ihr Mann oder ihr Bruder?
        Aber einer von der Besatzung, der mit ein paar anderen das Achterdeck verteidigte, hatte sie bereits niedergehauen. Bolitho warf sich mit gezogenem Degen auf den Morder und spurte, wie dieser den Hieb mit seinem Sabel parierte. Das harte Gesicht des Mannes war von Ha? und irrer Wut verzerrt, als sie aufeinander einhieben und ihre Fu?e auf den blutbeschmierten Planken ausrutschten. Auf dem ganzen Deck wurde wild gefochten, und nur hier und da warf der Mundungsblitz eines Pistolenschusses kurz Licht auf Freund oder Feind. Bolitho trieb den Gegner ruckwarts gegen den Gro?mast und druckte seinen Oberkorper nach hinten. Die Parierstangen der beiden Waffen lagen gekreuzt vor der Kehle des Piraten. Bei dem Mann war jetzt die Wut in Angst umgeschlagen; Bolitho merkte es, machte seinen Degen mit einem heftigen Ruck frei und hieb ihm die Parierstange in die Zahne. Der Kerl schrie auf, ri? den Arm hoch, da fuhr Bolithos Degen ihm dicht unter der Schulter bis fast zum Griff in die Brust.
        Allday sprang an Bolithos Seite und rief:»Gut gemacht, Cap-tain!«Er rollte den Mann mit einem Fu?tritt zur Seite und knurrte:»Noch einer, bei Gott!«Denn ein Matrose der Brigantine war aus den Wanten gesprungen. Ob er uberraschend von oben angreifen oder selbst einem Angriff entgehen wollte - Bolitho wu?te es nicht. Er horte nur Alldays Keuchen, das Sausen seiner Klinge, als er den Mann erst niederschlug und ihn dann mit einem weiteren furchtbaren Hieb erledigte.

«Da kommen zwei Boote, Sir!»
        Bolitho sturzte zum Schanzkleid und duckte sich sofort, denn eine Kugel schlug dicht neben seiner Hand in die Reling.

«Nehmt sie mit dem Drehgeschutz unter Feuer!«brullte er.
        Hinter ihm rannte ein Mann vorbei, der vor Alldays Degen floh und im Laufen eine Pistole abfeuerte. Bolitho fuhr mit einem Aufschrei herum; er spurte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Aber als er sein Bein und den klaffenden Ri? in der Kniehose betastete, fuhlte er weder Blut noch den scharfen Schmerz von Knochensplittern. Der Kerl, der den ungezielten Schu? abgefeuert hatte, kam den schreienden Sklaven zu nahe. Ketten peitschten durch die Luft wie Schlangen, dann verschwand der Sklavenhandler unter einem sto?enden, tretenden Haufen kreischender, schwei?glanzender Neger.
        Allday tastete nach Bolitho.»Wo sind Sie verwundet, Captain?«Selbst in dem Kampfeslarm, in dem Gebrull ringsum, war seine Besorgnis deutlich herauszuhoren.
        Bolitho schob ihn beiseite und stie? zwischen zusammengebissenen Zahnen hervor: Der Kerl hat meine Uhr getroffen, Gott verdamme seine Augen!»
        Grinsend buckte sich Allday.»Fur ihn steht die Zeit jetzt auch still, schatze ich.
«Bolitho warf einen Blick auf den leblosen Korper bei den keuchenden Sklaven. Sie hatten ihn buchstablich in Stucke gerissen. Er zerrte Allday weg.»Nicht zu nahe heran, sonst geht's Ihnen ebenso.»

«Undankbare Hunde!«Aber Bolitho stand schon bei der verlassenen Drehbasse und richtete den Lauf auf das vorderste Langboot.

«Die denken vielleicht, wir sind auch Sklavenjager, nur von der Konkurrenz. «Er ri? die Abzugsleine und fuhlte den hei?en Pulverqualm im Gesicht; das Schrapnell explodierte, ein Hagel gehacktes Blei schlug in das uberfullte Boot. Schreie, Fluche, ins Wasser klatschende Korper und einzelne Schusse vom Heck her. Er beugte sich vor, um zu sehen, wo Soames die Kuste erreicht hatte. Aber das lie? sich unmoglich feststellen. Musketenkugeln jaulten uber die Bucht; einmal glaubte er, den Klang von Stahl auf Stahl zu horen.
        Dann wandte er sich um und uberblickte das Deck. Soeben rannte Keen vorbei, in der einen Hand eine leergeschossene Pistole wie eine Keule schwingend, in der anderen einen blitzenden Dolch. Bolitho packte ihn am Handgelenk.»Wie viele?»
        Keen starrte ihn verwirrt an.»Wir haben funf Mann verloren«, sagte er dann.»Aber die Sklavenhandler sind alle tot, Sir, oder uber Bord gesprungen. «Bolitho horchte angestrengt auf Rudergerausche. Hoffentlich kam Soames bald zur Hilfe.
        Ein dumpfer Aufprall achtern: vermutlich wieder ein Boot, dessen Besatzung entern wollte. Er zahlte seine kleine Truppe: funf Tote, ein Mann offenbar verwundet. Es fehlte ihm an Leuten. Heiser rief Allday:»Wir konnen eins von den Geschutzen an die Luke schaffen und ein Leck ins Schiff schie?en. Wenn wir sie auf der Kampanje festhalten konnen, bis… »
        Bolitho schuttelte den Kopf und wies auf die Sklaven.»Sie sind alle aneinandergekettet - sie wurden mit ertrinken!»
        Er merkte, wie der Kampfeswille seiner uberlebenden Manner erlosch wie ein Feuer unter einem Regengu?. Stumm blickten sie nach achtern, keiner hatte Lust, dem erwarteten Angriff als erster entgegenzutreten. Aber sie brauchten nicht lange zu warten. Die Kampanjeturen flogen auf, ein Haufen Manner sturmte an Deck, schrie und brullte in einem Dutzend Sprachen. Bolitho stand breitbeinig, den Degen quer vorm Leib.

«Kappt den Anker, damit sie ins flache Wasser treibt!«Eine Kugel zischte uber seinen Kopf hinweg, einer seiner Leute sturzte aufs Gesicht, Blut scho? aus seiner Kehle.

«Haltet stand, ihr Hunde!«brullte Allday. Aber es hatte keiften Zweck. Die ubriggebliebenen Matrosen hasteten zum Vorschiff und warfen die Waffen weg, die ihnen dabei hinderlich waren. Nur Keen war noch zwischen ihm und dem Bug; die Arme hingen ihm schlaff herab, sein junger Korper wankte vor Erschopfung.

«Kommen Sie, Captain!«sagte Allday.»Es hat keinen Zweck mehr!«Er feuerte noch einmal in den andrangenden Haufen und grunzte befriedigt: er hatte einen Todesschrei gehort.
        In den nachsten Sekunden herrschte solches Durcheinander, da? keiner begriff, was eigentlich vorging. Im einen Augenblick sa? Bolitho rittlings auf dem Bugspriet, im nachsten schwamm er auf die schwarze Masse der Baume zu. Er wu?te nicht mehr, wann er getaucht und wieder hochgekommen war, aber seine Kehle war rauh wie Sandpapier, nicht nur vom Brullen, sondern vom schieren Uberlebenskampf. Schaum spritzte auf, er horte Getrampel an Bord der Brigantine, denn immer mehr ihrer Leute hatten jetzt schwimmend oder im Boot das Schiff erreicht und kletterten an Deck. Immer noch pfiffen Kugeln uber seinen Kopf, und mit einem erstickten Schrei sank ein getroffener Matrose unter die Wasserflache.

«Zusammenbleiben!«Mehr konnte er nicht rufen, denn immer wieder klatschten ihm ubel schmeckende Wellen in den Mund. Vom Strand her rannte eine wei?e Gestalt in das aufspritzende Wasser; Bolitho tastete nach seinem Degen und fiel dabei stolpernd vornuber, denn seine Fu?e stie?en auf Sand und Kies. Es war Soames, der ihn keuchend vor Anstrengung und mit zerzaustem Haar aufs Trockene zog. Bolitho rang verzweifelt nach Luft. Es war mi?lungen, und sie hatten manchen guten Mann verloren. Umsonst.
        Allday kam aus dem Wasser; zwei weitere lagen wie tot auf dem Sand, doch verriet ihr schwerer Atem, da? sie noch lebten. Mehr waren nicht da.
        Von der Brigantine her krachte ein Kanonenschu?, aber die Kugel ging weit daneben, fuhr splitternd durch die Baume, Vogel und Sklaven kreischten im Chor dazu.
        Heiser berichtete Soames:»Ich konnte nur ein Boot erobern, Sir. Es waren zu viele Sklavenfanger an Land. «Seine Stimme zitterte vor Wut und Verzweiflung.»Als sie auf diesen spanischen Leutnant schossen, griffen meine Jungs an. Zu fruh. Tut mir furchtbar leid, Sir.»

«Sie konnen nichts dafur. «Schweren Schrittes ging Bolitho am Wasser entlang und spahte hinaus, ob noch ein Schwimmer kame.»Wie viele haben Sie verloren?»

«Sieben oder acht«, erwiderte Soames dumpf und mit einer Handbewegung zum Strand, wo mehrere dunkle Gestalten lagen.»Aber wir haben ein Dutzend umgelegt. «Und, fast schreiend vor plotzlicher Wut:»Wir hatten dieses verfluchte Schiff gekriegt! Bestimmt!»

«Ja. «Bolitho gab die Suche auf.»Lassen Sie unsere Leute antreten, dann gehen wir ins Boot. Wir mussen Mr. Fowlar und seine Truppe abholen, solange es noch finster ist. Bei Tageslicht kommt uns der Sklavenjager dazwischen, denke ich.»
        Es war nur ein kummerliches Boot und leckte ziemlich stark; ein paar verirrte Musketenkugeln hatten es getroffen. Einer nach dem anderen kletterten die erschopften Manner hinein. Sie waren zu mude, um einander auch nur anzusehen; es war ihnen sogar gleichgultig, wo sie sich befanden. Wenn sie jetzt hatten kampfen mussen, waren sie kurz und klein geschlagen worden.
        Bolitho betrachtete sie gespannt. Fluchtig dachte er an eine Au?erung, die Herrick vor vielen Wochen getan hatte: Im Frieden sind sie eben anders. Vielleicht.
        Die Verwundeten stohnten und schluchzten leise; er schob Keen zu ihnen hin. Kummern Sie sich um sie!«Er sah, wie der junge Mann zuruckzuckte, und wu?te, da? auch er nahe am Zusammenbrechen war. Da streckte er den Arm aus und druckte ihm die Schulter.»Rei?en Sie sich zusammen, Mr. Keen!«Und zu Soames gewandt:»Mr. Fowlars Leute konnen nachher die Riemen ubernehmen. Sie werden besser bei Kraften sein.»
        Er fuhr herum. Zwischen den Baumen drohnte ein Gerausch auf wie von einem riesigen, stampfenden Tier, und dazu gellte wildes, vielstimmiges Geschrei ubers Wasser.

«Um Gottes willen, was ist das?«murmelte Allday erschrocken.

«Die Sklaven im Lager. «Soames stand neben Bolitho, ihr Boot wollte soeben ablegen.»Sie wissen mehr als wir.»
        Bolitho konnte sich nur mit Muhe im Gleichgewicht halten, denn das uberladene Fahrzeug schwankte gefahrlich in der
        Stromung. Die Sklaven mu?ten inzwischen begriffen haben, da? sie - obwohl die Brigantine mit ihren Kanonen noch immer drau?en lag - jetzt nicht mehr gefesselt auf die andere Seite der Welt verschleppt wurden. Dieses Mal jedenfalls nicht. Bolitho dachte an die Boote der Eingeborenen, die Herrick gesichtet hatte. Vielleicht waren sie schon angekommen?

«Streicht Riemen!«kommandierte er.»Da ist Mr. Fowlar!»
        Enttauscht starrte der Steuermannsmaat auf das Boot.»Da drin ist aber fur meine Leute kein Platz, Sir!»

«Sie mussen aber rein, wenn sie am Leben bleiben wollen. «Allday ubernahm die Ruderpinne und zahlte die ins Boot kletternden Manner. Irgendwie fanden sie alle Platz, doch die Riemen lie?en sich kaum bewegen, und das Boot lag so tief, da? es nur knappe sechs Zoll Freibord hatte.

«Ablegen!»
        Bolitho zuckte zusammen: ein Kanonenschu? krachte, aus der Bordwand der Brigantine scho? eine lange, gelbrote Flamme wie eine giftige Zunge. Die Kugel zischte uber das Heck des Bootes hinweg und grub sich in den Sand.

«Ruhe!«rief Bolitho.»Und Schlag halten!«Denn unsauberes Rudern hatte zuviel Gischt aufgeworfen, dann mu?te das Boot ein besseres Ziel bieten.

«Einer ist eben gestorben«, flusterte Keen heiser.»Hodges,
        Sir.»

«Werft ihn ins Wasser! Aber die Trimmung ausgleichen, das Boot mu? ruhig liegen! Armer Hodges, er wurde nie mehr uber die Marschen von Norfolk streifen, nie wieder den Anhauch der Nordsee auf seinem Gesicht spuren oder einem Flug Enten nachschauen. Argerlich schuttelte sich Bolitho - was war mit ihm los? Der Leichnam glitt uber den Bootsrand, und der Ruderer, der dazu Platz gemacht hatte, rutschte wieder an die Ducht.

«Sie haben das Feuer eingestellt«, bemerkte Soames.»Lecken sich wahrscheinlich ihre Wunden, genau wie wir.»
        Wieder fuhlte Bolitho Bitterkeit in sich aufsteigen. Der Sklavenfanger hatte eine Anzahl Manner verloren, gewi?. Aber er hatte immer noch genugend Neger an Bord, so da? sich seine Reise auch ohne die an der Lagerstelle lohnte. Wahrend er, Bolitho… Er versuchte, nicht an ihren Mi?erfolg zu denken. Seine Manner waren vermutlich deswegen zuruckgewichen, weil sie das Vertrauen zu ihm verloren hatten. Und wer die Nervion angegriffen hatte, blieb immer noch ein Ratsel. Die
        Besatzung eines Sklavenschiffes bestand gewohnlich aus dem Abschaum vieler Hafen und Lander. Vielleicht hatte Davy tatsachlich recht gehabt, und er hatte die Brigantine uberhaupt in Ruhe lassen sollen. Der Kopf tat ihm genauso weh wie die Prellung an seinem Oberschenkel. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
        Fowlar sagte:»Mr. Mudge hat es mir erklart, Sir. Morgen mu? die Undine sich weit vom Land klarhalten, wegen der Sandbanke hier herum. Der Sklavenkapitan kennt wahrscheinlich eine bessere Durchfahrt, aber… «Er sprach nicht zu Ende.

«Ja. «Bolitho sah ein paar uberhangende Baume sich wie eine halbzerstorte Brucke ubers Wasser recken.»Wir machen hier fest. Lassen Sie die Manner rasten und verteilen Sie, was noch an Wasser und Verpflegung vorhanden ist.»
        Niemand antwortete. Manche schienen im Sitzen zu schlafen und blieben unbeweglich hocken, wie Bundel alter Lumpen.
        Bolitho versuchte, nicht an die Brigantine zu denken. Hatte er sie nicht angegriffen, so wu?te ihr Kapitan gar nicht, da? die Undine in der Nahe lag. Offenbar hatte man die Fregatte nicht gesichtet und wu?te auch nicht, wer der Angreifer gewesen war. Es war schlie?lich nichts Ungewohnliches, da? ein Sklavenhandler dem anderen die Beute abzujagen versuchte. Aber wegen seiner, Bolithos, Dickkopfigkeit wurde der Sklavenkapitan jetzt die Undine erkennen, sobald er die freie See gewann. Die Undine durfte sich nicht zu nahe heranwagen, und eine lange Verfolgungsjagd hatte auch keinen Zweck. Somit wu?te der Kapitan, falls er an der Verzogerung von Puigservers Mission beteiligt war, jetzt zumindest, da? die Undine unterwegs war.
        Bolitho pre?te die Finger um den Degengriff, bis der Schmerz ihn zur Besinnung brachte. Ware Rojart nicht gewesen, hatte es geklappt. Wie viele Schlachten waren schon verlorengegangen, blo? weil ein einzelner einen dummen Fehler beging? Armer Rojart… Das Schiff, das seine Nervion zugrunde gerichtet hatte, war das letzte gewesen, was er auf Erden gesehen hatte. Dann hatten sie ihn genauso brutal umgebracht.

«Eine kleine Bucht an Backbord, Captain! Sieht ziemlich sicher aus. «Allday starrte auf Bolithos gebeugte Schultern. Er empfand die Verzweiflung seines Kapitans wie seine eigene.

«Steuern Sie sie an, Allday!«befahl Bolitho. Er schob seine Gedanken mit fast physischer Anstrengung beiseite.»Drei
        Wachen zu je zwei Stunden. «Er setzte nochmals an.»Posten aufstellen und scharf aufpassen!»
        Ein Mann sprang uber das Dollbord und watete durch das flache Wasser, den Festmacher wie ein Zuggeschirr uber der muden Schulter. Das Boot stie? auf harten Sand. Durch die Stromung und die plotzlich Gewichtsverlagerung beim Hinausklettern der Manner neigte es sich wie trunken zur Seite.
        Bolitho horte Soames die erste Wache einteilen. Ob der wohl Bedenken gehabt hatte, wenn er das Enterkommando befehligt hatte? Vermutlich nicht. Soames hatte getan, was er fur richtig hielt, ungeachtet der hilflosen Sklaven, und hatte die Brigantine versenkt oder Feuer an das Pulvermagazin gelegt. Bei diesem Klima ware die Brigantine innerhalb weniger Minuten ausgebrannt, die Sklavenfanger waren hilflos gewesen und hatten spater leicht uberwaltigt werden konnen. Dagegen hatte er, Bolitho, uberhaupt nichts erreicht und obendrein fast ein Drittel seiner Mannschaft verloren, weil er die Sklaven nicht hatte opfern wollen.
        Allday kam mit einer Wasserflasche.»Hab das Boot gesichert, Captain. «Er gahnte gewaltig.»Ich hoffe blo?, wir mussen nicht zu weit landeinwarts. «Und nach einer kleinen Pause:»Lassen Sie sich nicht unterkriegen, es ist eben nicht zu andern. Wir haben doch schon viel Schlimmeres gesehen und erlebt. Ich wei?, manche unserer Leute sind weggelaufen, statt zu kampfen, als sie am notigsten gebraucht wurden. Aber es sind eben andere Zeiten - viele denken das jedenfalls.»
        Bolitho sah ihn stumpf an, konnte aber seine Gesichtszuge nicht erkennen.»Wie meinen Sie das?»
        Allday hob die Schultern.»Sie sehen nicht ein, da? sie sich wegen ein paar Sklaven totschlagen lassen sollen - oder wegen eines Schiffes, von dem sie nichts wissen. An Bord der alten Phalarope war das anders, verstehen Sie? Da hatten sie eine Flagge, der man folgen konnte, einen Feind, den man sah.»
        Bolitho lehnte sich gegen einen Baum, schlo? die Augen und lauschte, wie der Dschungel zur Nacht lebendig wurde, quiekend, brullend, grunzend, raschelnd.»Sie meinen, es war ihnen egal?«fragte er.
        Allday grinste.»Wenn wir einen richtigen Krieg hatten, so einen wie den letzten, dann wurden wir verdammt schnell ganze Kerls aus ihnen machen.»

«Das hei?t also, wenn sie nicht personlich bedroht sind, fallt es ihnen gar nicht ein, fur diese Unglucklichen zu kampfen?»
        Bolitho offnete die Augen wieder und studierte die Sterne.»Ich furchte, bevor die Reise zu Ende ist, werden einige von ihnen anders daruber denken.»
        Aber Allday war schon eingeschlafen. Das Entermesser lag uber seiner Brust wie die Grabbeigabe eines Ritters.
        Leise erhob sich Bolitho und ging zum Boot, um nachzusehen, wie der Verwundete versorgt war. Der Widerschein der Sterne glitzerte auf dem tragen Wasser. Zu seinem eigenen Erstaunen war er schon nicht mehr ganz so verzweifelt.
        Er blickte zum Waldrand zuruck, aber Allday war in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen. Es war ihm mit Allday schon oft so ergangen: Der Mann schien, absichtlich oder zufallig, in seiner offenen, einfachen Art jedesmal den springenden Punkt zu treffen. Nicht da? er irgendeine Patentlosung anbot, aber man gewann Abstand, und die Dinge ruckten in ihre richtige Perspektive.
        Der Verwundete lag in tiefem Schlaf. Kalkwei? hob sich sein Verband von den schwarzen Bootsplanken ab. Keen fuhr hoch, als Bolitho hinzutrat.»Entschuldigung, Sir. Ich habe Sie nicht kommen sehen.»

«Bleiben Sie ruhig liegen, Mr. Keen«, erwiderte Bolitho.»Wir haben es ja jetzt gemutlich fur die Nacht.»
        Als Bolitho gegangen war, trat Fowlar, der sich in der See Gesicht und Hande gewaschen hatte, zum Boot und sagte bewundernd:»Das ist 'n Mann, was? Der jammert und jault nicht, wenn's mal schiefgeht.»
        Keen nickte.»Ich wei?. Eines Tages werde ich hoffentlich so wie er.»
        Fowlar lachte laut auf, und vom Wald her antworteten die Schreie aufgestorter Vogel.»Ach du lieber Gott, Mr. Keen, da wurde er sich aber geschmeichelt fuhlen, wenn er das wu?te!»
        Keen wandte sich wieder dem Verwundeten zu. Leise, aber heftig murmelte er: Trotzdem ist es so - basta!»
        Im bleichen Glanz des Morgens flossen Himmel und Meer zu milchigem Dunst zusammen. Schwerfallig schob sich das uberladene Langboot aus den Baumen und kleinen Stranden heraus, die den Meeresarm zu beiden Seiten saumten. Bolitho hielt scharf Ausschau nach irgendwelchen Zeichen von Leben, die auf einen Hinterhalt deuteten. Hoch oben segelten ein paar Vogel, und weit drau?en, vor den letzten, winzigen Landfetzen, sah er die offene See, seltsam farblos im Morgenlicht. Dann musterte er die Manner im Boot. Die kurze Ruhepause schien ihnen wenig genutzt zu haben. Mude und verangstigt sahen sie aus, ihre Kleidung starrte vor Schmutz und getrocknetem Blut, die Gesichter waren hohl und stoppelig. Man konnte sich kaum vorstellen, da? sie zu einem Schiff des Konigs gehorten.
        Soames stand aufrecht neben Allday und spahte voraus, uberwachte die Manner, die das eingesickerte Wasser ausschopften, und sah zwischendurch nach dem verwundeten Matrosen - seine Augen waren uberall. Ganz vorn auf dem Steven hockte Keen, die nackten Fu?e im Wasser, zusammengesunken wie unter einer schweren Last, und beobachtete das nachstliegende Ufer.
        Die erste Dunung rollte in die Bucht; das Boot hob und senkte sich in den Wellen. Ein paar Leute stohnten erschrocken auf, aber die meisten starrten stumpf vor sich hin; ihnen war langst alles gleich.»Wenn wir im offenen Wasser sind«, sagte Bolitho,»drehen wir nach Backbord ab. So treffen wir am schnellsten auf die Boote der Undine.»
        Soames blickte kurz zu ihm heruber.»Kann Stunden dauern. Bis dahin wird es so hei? wie in einem verdammten Ofen.»
        Bolitho tastete unwillkurlich nach seiner Uhr und stohnte schmerzlich auf, als seine Finger die Prellung auf dem Oberschenkel beruhrten. Schlie?lich hatte er die Uhr herausgezogen: die abgeprallte Kugel hatte Deckel und Werk vollig zerschlagen, doch ohne die Uhr ware er jetzt wahrscheinlich dem Tode nahe oder bestenfalls Gefangener an Bord der Brigantine.

«Die ist hin, Sir«, bemerkte Soames gelassen. Bolitho nickte und erinnerte sich daran, wie seine Mutter sie ihm geschenkt hatte. Er war gerade Leutnant geworden. Die Uhr hatte ihm sehr viel bedeutet, nicht zuletzt deswegen, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte, an ihre Sanftheit und die Seelenstarke, mit der sie es getragen hatte, Mann und Sohne an die See zu verlieren.
        Ein paar Stimmen protestierten laut, weil das Boot stark krangte, und Bolitho sah, da? Keen von seinem exponierten Platz ins Bootsinnere zuruckkletterte.»Da, Sir! Steuerbord voraus!«schrie er, das Gesicht vor Schreck verzerrt.
        Bolitho stand auf, stutzte sich mit einer Hand auf Alldays Schulter und starrte auf die beiden langen, flachen Gebilde, die eben die au?erste Spitze des Landes rundeten: Boote. Unter perfektem Gleichschlag der langen Paddel glitten sie ziemlich schnell dahin, genau auf den Eingang der Bucht zu.

«Kriegskanus«, sagte Fowlar heiser.»Ich kenne sie von fruher. Die kommen noch naher ran, wenn ich mich nicht irre. «Er zog seine Pistole aus dem Gurtel und suchte nach dem Pulverhorn.
        Mit zusammengekniffenen Augen spahte Soames nach den beiden Kanus aus. Sein Gesicht war maskenstarr.»Gott verdamm' mich, in jedem sind mindestens drei?ig Mann!»

«Die tun uns nichts, das ware nicht fair! Wir sind doch keine Sklavenjager!«schrie ein Matrose angstvoll auf.

«Still, der Mann da!«Fowlar spannte die Pistole und legte den Lauf auf den Unterarm.»Fur die sind alle Wei?en gleich, also halt die Schnauze!»

«Tempo zulegen!«befahl Bolitho.»Vielleicht kommen wir vorbei.»

«Wenn Sie meinen, Captain?«sagte Allday und gab den Ruderern einen schnelleren Rhythmus an.

«Achteraus, Sir!«rief ein anderer Matrose.»Ich sehe die Marssegel der Brigantine.
«Vorsichtig, um die Ruderer nicht aus dem Takt zu bringen, drehte Bolitho sich um. Der Mann hatte sich nicht geirrt. Weit hinter ihnen glitt ein schlaffes Segel im Schneckentempo uber einer Reihe niedriger Baumwipfel dahin. Das Sklavenschiff mu?te schon vor Sonnenaufgang Anker gelichtet haben. Das leblose Tuch verriet Bolitho, da? die Brigantine von Booten geschleppt wurde. Aber war sie erst einmal in offenem Wasser, wurde sie auch bald entkommen sein. Und dort kamen die Kanus naher. Zum Unterschied von den Sklavenjagern sa?en er und seine Manner hier fest und wurden sterben - wenn sie Gluck hatten.

«Was konnen wir schon tun, Sir?«fragte Soames.»Diese Kanus sind schneller als wir, und zum Nahkampf lassen sie uns gar nicht erst dicht genug heran. «Nervos spielte er mit seinem Sabelgriff; zum erstenmal verriet er Angst.

«Stellen Sie fest, was wir an Waffen, Pulver und Munition haben«, erwiderte Bolitho.
        Viel konnte nicht mehr ubrig sein nach der planlosen Schie?erei an Land, zumal sein eigenes Enterkommando ja auch die Waffen an Bord der Brigantine gelassen hatte.
        Fowlar meldete:»Reicht kaum fur einen Schu? pro Mann,
        Sir.»

«Na schon. Die zwei besten Schutzen nach achtern! Und geben Sie ihnen alles Pulver, das wir haben. «Etwas leiser sagte er zu Soames:»Vielleicht konnen wir sie in Schach halten, bis unsere Boote eintreffen.»
        Die Kanus hatten gestoppt; unter dem Ruckwartsdruck der glitzernden Paddel lauerten sie wie zwei Hechte bewegungslos im Wasser. Bolitho hatte sein Fernrohr gebraucht - aber das lag irgendwo im Dschungel. Dennoch konnte er die Eingeborenen recht deutlich erkennen: die tief schwarzen Leiber waren uber die Paddel gebeugt, um auf Befehl sofort loszurudern. Im Heck sa? jeweils ein gro?er Mann mit buntem Kopfschmuck, den Korper von einem ovalen Schild gedeckt. Bolitho dachte an die Sklaven in der Lichtung, an das Madchen, das an Deck der Brigantine erschlagen worden war. Von diesen Negern, die stumm das Boot beobachteten, konnte kein Wei?er Gnade erwarten. Nur Blut wurde sie befriedigen.
        Die Wei?en ruderten immer naher, bis nur noch eine halbe Kabellange sie von den Eingeborenen trennte. Bolitho blickte sich nach den beiden Scharfschutzen in der Achterplicht um. Fowlar war der eine, der andere ein Matrose mit zernarbtem Gesicht. Das Haufchen Pulver und Kugeln wirkte zwischen den beiden Mannern noch winziger als vorher.

«Abfallen nach Steuerbord, Allday!«Bolitho war selbst uberrascht, wie ruhig seine Stimme klang.»Sie mussen jetzt bald reagieren.»
        Als sich das Langboot schwerfallig zur Mitte der Einmundung wandte, kam Leben in die beiden Kanus; schwungvoll fuhren die Paddel ins Wasser, plotzlich vibrierte die Luft von Trommelschlag, und im vordersten Kanu stie? der Anfuhrer einen schrillen Kriegsruf aus.
        Bolitho fuhlte, wie auch ihr Boot unter ihm vorwarts scho?, sah den Schwei? auf den Gesichtern seiner Rudergasten und die Angst, mit der sie den herangleitenden Kanus entgegenblickten.

«Achtung!«brullte er,»Schlag halten! Augen binnenbords!»
        Etwas schlug spritzend langsseits auf - ein schwerer Stein zweifellos; und jetzt prasselte eine ganze Salve wie Hagel auf Schultern und Rucken der zusammenzuckenden Matrosen. Einige wurden am Kopf getroffen und sanken bewu?tlos zusammen. Die Ruderer kamen aus dem Takt; ein Riemen fiel ins Wasser und trieb ab.

«Feuer!«befahl Bolitho.
        Fowlar druckte ab und fluchte, weil er vorbeigeschossen hatte. Dann knallte die andere Muskete. Druben schrie ein Neger auf und sturzte ins Wasser.

«Lenzen!«brullte Soames. Er feuerte und grunzte befriedigt, als wieder ein Schwarzer ins Wasser sturzte.
        Die Kanus trennten sich jetzt. Jedes schlug einen weiten Bogen, so da? sie etwas achterlicher zu beiden Seiten des Langbootes aufkamen, das damit vollig von den Ufern der Bucht abgeschnitten war. Vor ihnen lag die offene See, leer und lockend wie zum Hohn.
        Wieder scho? Fowlar, und diesmal hatte er mehr Gluck: er traf den Mann mit dem Kopfschmuck, der offensichtlich den Takt angab.
        Die Matrosen pullten so angestrengt oder spahten angstvoll nach vorn, da? kaum einer die eigentliche Gefahr bemerkte, bis es fast zu spat war.

«Dort vorn, Mr. Fowlar!«brullte Bolitho.»Feuern Sie so schnell wie moglich!«Denn mindestens ein Dutzend Kanus rundeten die grune, hugelige Landzunge, facherformig ausschwarmend und voll johlender, brullender Neger. Nach dem ersten Schu? zogerten sie, aber nur kurz. Dann schossen sie weiter durch die Dunung heran, durch die ihre Steven wie Messer schnitten.
        Kopflos rissen die Matrosen an den Riemen, einige wimmernd vor Angst, andere wollten aufspringen; nur ein paar griffen nach den ins Boot gefallenen Steinen, um sich zu verteidigen.

«Das ist die letzte Kugel, Sir!«brullte Fowlar. Ein schwerer Stein, offenbar von einer Schleuder aus einem der beiden Kanus achtern, prallte vom Dollbord ab und ri? ihm den Handrucken auf. Er fluchte lasterlich.
        Das vorderste Kanu der Flottille war inzwischen unter ohrenbetaubendem Getrommel und Kriegsgeschrei ganz nahe herangekommen.
        Bolitho zog den Degen und blickte seine angstgelahmten Matrosen an.»Los, Jungs! Nahkampf!»
        Aber daraus wurde nichts. Wieder ging ein Steinhagel auf das Boot nieder; ein Mann wurde so schwer getroffen, da? er uber Bord sturzte. Der letzte Scharfschutze feuerte und traf zwei Wilde mit einer Kugel. Das Kanu fiel ab; der ins Wasser gesturzte Matrose trieb dicht daran vorbei und wurde an Bord gezerrt. Sie stellten ihn auf die Fu?e, mit dem Gesicht zum Langboot, hielten ihm die Arme fest. Er schrie mit weit offenem Mund, aber die Schreie gingen im wilden Gebrull seiner Bezwinger unter. Plotzlich, Bolitho wurde es fast schlecht bei dem Anblick, hob der Anfuhrer ein Messer hoch uber seinen Kopf; die Augen des Gefangenen folgten der blitzenden Klinge wie hypnotisiert, der schreiend aufgerissene Mund war ein schwarzes Loch in dem kalkwei?en Gesicht. Sehr langsam senkte sich das Messer, dann spritzte leuchtendrotes Blut. Schrecken und Abscheu drehten den zuschauenden Matrosen fast den Magen um.

«Jesus Christus!«sagte Allday gepre?t.»Sie ziehen ihm bei lebendigem Leibe die Haut ab!»
        Bolitho packte den Scharfschutzen bei der Schulter; der zuckte zusammen, als sturbe er mit dem Mann im Kanu.

«Tu dein Bestes!«Bolitho hatte Muhe, die Worte herauszubringen. Der Mann druben lebte immer noch, wand sich wie eine arme Seele in Hollenqualen, wahrend das Messer sein Werk verrichtete.
        Ein Knall, und der Musketenkolbe n schlug im Rucksto? gegen die Schulter des Schutzen. Bolitho wandte sich ab.
        Gedampft sagte Soames:»Das war die einzige Moglichkeit, Sir. Ich wurde keinen Hund so leiden lassen.»

«Die Brigantine nimmt Fahrt auf, Sir!«rief Fowlar. Ohne da? jemand darauf geachtet hatte, war das Sklavenschiff ins freie Wasser gelangt. Sie hatten die schleppenden Boote eingeholt, die Vorsegel gesetzt, und segelten sich nun frei von Land.
        Die Kanus bildeten zwei Sto?keile; unter wildem Trommelwirbel setzten die Schwarzen zum letzten Angriff an. Bolitho hob seinen Degen zum dunstigen Himmel.

«Pullt, Leute! Wir kampfen bis zum Letzten!«Leere Worte - aber es war immer noch besser zu kampfen, als sich schweigend und ohne einen Finger zu ruhren, uberwaltigen, martern und abschlachten zu lassen.

«Da sind sie«, flusterte Allday. Er klemmte die Ruderpinne zwischen die Knie und zog das Entermesser.»Bleiben Sie dicht bei mir, Captain! Wir werden's den Hunden schon zeigen!»
        Bolitho blickte ihn an. Die Schwarzen waren ihnen an Zahl zehnfach uberlegen, und der Kampfeswille seiner ubermudeten Leute war schon jetzt gebrochen.»Das werden wir, Allday. «Er legte ihm die Hand auf den muskulosen Unterarm.»Und - danke!»
        Ein ohrenbetaubender Aufschrei ri? ihn herum, so da? das Boot gefahrlich schwankte. Da erblickte er geschwellte Gro?-und Vorsegel, eine Gallionsfigur, die wie pures Gold im milchigen Sonnenglast schimmerte - die Undine rundete die
        Landspitze. Ihre Steuerbordbatterie drohte wie mit einer Reihe scharfer schwarzer Zahne.

«Hinsetzen! Sonst kentern wir!«brullte Soames. Und Fowlar rief:»Sie geht uber Stag, Sir! Um Gottes willen, sie halt auf die Untiefe zu!»
        Bolitho verschlug es den Atem, als die elegante Silhouette der Undine sich verkurzte, die Segel ganz kurz killten, bis die Rahen wieder richtig gebra?t waren. Wenn sie jetzt auflief, ging es ihr wie der Nervion und noch schlimmer, denn die Uberlebenden wurden den Wilden in die Hande fallen.
        Aber die Undine zogerte nicht; schon erkannte er die blutroten Uniformen der Seesoldaten an den Achterdecknetzen und meinte, neben dem Rad Herrick und Mudge ausmachen zu konnen, als die Fregatte so stark krangte, da? die See fast in die Stuckpforten wusch.

«Hurra, Jungs, hurra!«brullte Keen unter Freudentranen. Er schwenkte sein Hemd uberm Kopf, die immer noch drohende Gefahr schon vergessend.
        Auch die Brigantine hatte inzwischen gewendet und segelte sich frei von dem dunklen Schatten, der unter der glitzernden Wasserflache lauerte, schuttelte die Reffs aus, um sich vom Wind nach Suden tragen zu lassen.
        Unglaubig rief Fowlar:»Sie verfolgt das Sklavenschiff! Die mussen verruckt geworden sein!»
        Bolitho sagte nichts. Er sah nur sein Schiff, und das reichte ihm. Er wu?te genau, was Herrick dachte; sein Plan war ihm so klar, als hatten sie ihn abgesprochen: Herrick konnte nicht alle Kanus gleichzeitig angreifen, um Bolitho und seine kleine Schar zu retten. Also wollte er die Brigantine stellen und so die Kriegskanus auf die einzige ihm mogliche Weise ablenken.
        Noch wahrend sich Bolitho das klarmachte, eroffnete die Undine das Feuer. Es war eine langsame, sorgfaltig gezielte Breitseite; in regelma?igen Intervallen spuckten die Rohre Flammen und Rauch, wahrend die Fregatte immer tiefer zwischen die Grundseen geriet.
        Jemand stie? ein heiseres Hurra aus, als der Vormast der Brigantine erzitterte und mit dem ganzen Gewirr der Takelage uber Bord kippte. Die Wirkung zeigte sich augenblicklich: in Sekundenschnelle kam sie aus dem Wind und bot in voller Breite ihren Rumpf einer zweiten Salve dar. Eine Zwolfpfunderkugel schlug neben dem Heck in die See und zerplatzte - so dicht lag das Riff unter der Wasseroberflache.

«Sie ist aufgelaufen!»
        Alles rief und schrie druben wie verruckt durcheinander. Manner umarmten sich und schluchzten, weil sie ihr Gluck nicht zu fassen vermochten. Bolitho konnte den Blick nur mit Muhe von der Brigantine lassen, die auf einem Riff oder einer Sandbank querschlug, wahrend die chaotische Takelage sie noch weiter landeinwarts druckte.
        Bolitho hielt den Atem an, als die Undine hastig Segel kurzte; ameisengleich krabbelten winzige Gestalten auf den Rahen, und als das Schiff uber Stag ging, blitzte der Kupferbeschlag kurz auf. Eine halbe Kabellange weiter, und die Fregatte hatte festgesessen.
        Allday rief:»Sie hat beigedreht, Captain. Ein Boot wird ausgesetzt!»
        Bolitho nickte nur, sprechen konnte er nicht.
        Wild paddelten die Kanus zu der hilflosen Brigantine hinuber; weitere Boote rundeten die Landspitze, hielten sich aber vorsichtig au?er Reichweite der ausgefahrenen Kanonen der Undine. Die gro?e Pinasse der Fregatte kam in voller Fahrt durch die kabbelige See heran. Als eins der Kanus sich ihr zuwandte, genugte ein Schu? aus der Drehbasse, um die kreischenden Eingeborenen in die Flucht zu jagen.
        Davy stand sehr aufrecht, sehr elegant im Heck. Selbst seine Rudergasten sahen im Vergleich zu den zerlumpten, hurrabrullenden Uberlebenden von Bolithos Landungskommando wie Ubermenschen aus.
        Das erbeutete Langboot sank bereits. Wurfsteine hatten seine Au?enhaut eingedruckt; Bolitho hatte sich keine halbe Stunde mehr halten konnen, ganz abgesehen von dem zweiten Kanugeschwader.
        Als die Pinasse langsseits kam und hilfreiche Hande die keuchenden Manner an Bord zogen, drehte sich Bolitho noch einmal um und sah zu der schon mit starker Schlagseite liegenden Brigantine hinuber. Selbst auf diese Entfernung waren Musketenschusse zu horen und das abgehackte Kriegsgeschrei aus den Kanus, die sich zum Angriff formierten: die Sklavenfanger wurden ein furchtbares Ende nehmen.
        Davy fa?te ihn beim Handgelenk und zog ihn in die Pinasse.

«Schon, Sie wiederzusehen, Sir. Und Sie auch naturlich, Mr. Soames«, setzte er verlegen grinsend hinzu.
        Bolitho lie? sich nieder, jetzt konnte er das Zittern seiner Beine nicht mehr beherrschen. Er vermochte die Augen nicht von seinem Schiff zu wenden, das, je naher sie kamen, immer hoher aufwuchs und schlie?lich turmhoch uber ihnen stand. Er war sich klar daruber, was er fur die Undine empfand - und fur diejenigen, die ihr Leben fur ihn aufs Spiel gesetzt hatten.
        Herrick stand an der Reling, um ihn zu begru?en. Seine Erleichterung, als er Bolithos beide Hande ergriff, schien ebensogro? wie die Angst, die er offenbar ausgestanden hatte.»Gott sei Dank, Sir, da? Sie in Sicherheit sind!»
        Bolitho suchte Zeit zu gewinnen. Er musterte die killenden Segel, die neugierigen Seesoldaten, die Geschutzbedienungen, die ihre Reinigungsarbeiten kurz unterbrochen hatten, um grinsend zu ihm heruberzusehen. Herrick war ein furchtbares Risiko eingegangen. Der reine Irrsinn. Aber Mudge neben dem Kompa? nickte ihm so strahlend zu, da? er an diesem Plan mindestens den gleichen Anteil gehabt haben mu?te wie Herrick.
        Doch Bolitho spurte auch etwas Neues an ihnen und versuchte, es zu definieren.
        Herrick berichtete:»Wir horten die Schie?erei, Sir, und schlossen daraus, da? Sie in Schwierigkeiten waren. Aber statt Boote zu schicken, kamen wir sozusagen in voller Starke. «Er warf einen Blick auf die geschaftigen Manner an den Geschutzen und Brassen.»Sie hielten sich gut. Und freuten sich, dabeizusein.»
        Bolitho nickte begreifend. Stolz. Das war das Neue. Ihn zu erwerben, war sie teuer zu stehen gekommen, und es hatte noch schlimmer ausfallen konnen.

«Bitte nehmen Sie Fahrt auf«, sagte er.»Lassen Sie uns von dieser Unheilskuste schleunigst verschwinden. «Einen Moment lang suchte er nach den richtigen Worten. Und, Thomas, wenn Sie jemals wieder daran zweifeln, da? Sie ein Schiff kommandieren konnen, dann werde ich Sie an den heutigen Tag erinnern. Sie haben die Undine erstklassig gefuhrt.»
        Herrick blickte zu Mudge hinuber und hatte ihm beinahe zugeblinzelt.»Wir haben den richtigen Kommandanten, Sir, und begreifen allmahlich auch den Nutzen seiner harten Schule.»
        Bolitho wandte sich, plotzlich zu Tode erschopft, dem Achterdeck zu.»Ich werde es euch nicht vergessen. «Damit verschwand er, gefolgt von Allday, durch den Kajutniedergang.
        Wiegenden Schrittes kam Mudge herbei und blieb neben Herrick stehen.»Das war knapp, Mr. Herrick. Wenn Sie's nicht befohlen hatten - ich wei? nicht, ob ich mich durch die Riffe getraut hatte.»
        Herrick blickte ihn an und dachte an Bolithos Au?erung vorhin; schlie?lich brauchte er seine Gedanken jetzt nicht mehr zu verbergen.

«Gewi?, Mr. Mudge. Aber es war das Risiko wert.»
        Er schaute auf die dunstige Kustenlinie, wo eine dunne Rauchwolke hochstieg. Die Brigantine mu?te in Brand geraten sein. Noch lange wurde ihm das Bild des vollgeschlagenen Bootes vor Augen stehen, mit Bolitho aufrecht im Heck, den alten, angelaufenen Degen in der Faust. Laut ausdrucklichem Befehl hatte die Sicherheit des Schiffes zwar absoluten Vorrang haben sollen. Und wenn er nicht gegen diesen Befehl gehandelt hatte, ware er jetzt Kommandant gewesen. Aber Bolitho ware auch irgendwo dort drau?en und kampfte mit dem Tode.

«Alle Mann an die Brassen!«Mit seinem Sprachrohr trat er an die Reling.»Und dankt Gott fur unser Gluck!»
        In der Kajute horte Bolitho Herricks Lachen und dann das Klappern und Knarren der Blocke, als die Matrosen auf Stationen eilten, um das Schiff wieder in Fahrt zu bringen.

«Einen Schluck Wein, Captain?«fragte Allday leise.»Oder vielleicht etwas Starkeres?»
        Bolitho lehnte sich an den Fu? des Besan. Das Holz vibrierte, als hoch oben der Wind in die Segel fuhr.

«Wissen Sie, Allday, nach allem, was es uns gekostet hat, mochte ich am liebsten ein Glas frisches Wasser.»



        VIII Madras

        Unbeweglich stand Bolitho an der Achterdeckreling und studierte die ausgedehnte Landflache vor dem Bug der Undine. In der Morgensonne leuchteten die terrassenartig ubereinandergebauten, wei?en Hauser, deren Firstlinien in unregelma?igen Abstanden von hohen Minaretten und goldenen Kuppeln unterbrochen wurden. Es war atemberaubend schon; und aus der Art, wie sich die Matrosen lautlos, gleichsam ehrfurchtig, an Deck bewegten, schlo? er, da? sie ebenso beeindruckt waren. Er blickte sich nach Herrick um. Tiefgebraunt und in seiner Galauniform wirkte er seltsam fremd.

«Wir haben es geschafft.»
        Bolitho hob sein Teleskop ans Auge und beobachtete ein paar hochbordige Dhaus, die unter den Schwingen ihres riesigen Segels dahinglitten. Auch sie gehorten zu diesem fremdartigen Zauber.

«Einen Strich abfallen!«sagte Mudge, und dann schwieg auch er, wahrend das Rad sich knarrend drehte.
        Vielleicht war er mit sich zufrieden, dachte Bolitho, und dazu hatte er auch allen Grund. Madras - allein dieser Name bezeichnete wie ein gro?er Meilenstein alles, was sie gemeinsam erreicht hatten. Drei Monate und zwei Tage waren seit dem Ankerlichten in Spithead vergangen. Damals hatte er in Mudges Gesicht grimmige Zweifel lesen konnen, als er sagte, sie wurden die Reise in hundert Tagen schaffen.
        Leise meinte Herrick:»Ja, Sir, seit wir die Kuste Afrikas im Rucken haben, ist uns das Gluck treu geblieben. «Er grinste breit.

«Sie und Ihr Gluck!«Aber Bolitho mu?te ebenfalls lacheln. Was Herrick gesagt hatte, stimmte. Innerhalb weniger Tage, nachdem das Land mit seinen Toten und Sterbenden achteraus verschwunden war, hatte der Sudwest stetig aufgefrischt - es waren die Auslaufer des Monsuns, der sich jetzt als ihr Freund erwies. Tag um Tag zog die Undine unter vollen Segeln frei und unbehindert dahin, nie ohne spruhenden Schaum am Bug; Delphine und andere seltsame Fische leisteten ihr treulich Gesellschaft. Es war, als sei das schreckliche Treffen mit den Kriegskanus die letzte Prufung des Schicksals gewesen.
        Bolitho warf einen Blick auf die leicht killenden Bramsegel oben und die einsame Fock vorn. Sie reichten knapp, um sie in das weite Hafenbecken zu bringen, wo eine imponierende Anzahl Schiffe vor Anker lag. Das war also Madras, der wichtigste britische Au?enposten an der Sudostkuste des indischen Kontinents, die Schwelle zu erweitertem Handel und neuen Entdeckungen. Schon die Namen klangen wie eine Aufforderung zum Abenteuer: Siam und Malakka und weiter sudostlich Java und eine Unzahl unbekannter Inseln.
        Schwerfallig kreuzte ein turmhohes Handelsschiff, das immer noch mehr Segel setzte, in eine bleiche Dunstbank uber dem Meer hinein. Mit seinen schwarzwei?en Stuckpforten und dem tadellosen Segeldrill hatte man es fur ein Kriegsschiff halten konnen. Aber es war ein Kauffahrer der East India Company, der Ostindischen Handelsgesellschaft, und noch vor drei Monaten hatte Bolitho seinen rechten Arm fur ein paar ihrer
        Matrosen gegeben. Sie waren gut ausgebildet und diszipliniert, der durchschnittlichen Mannschaft eines Kriegsschiffes in vieler Hinsicht uberlegen. Denn die britische Handelsgesellschaft konnte sich hohere Heuer, bessere Quartiere und Verpflegung fur ihre Besatzungen leisten, wahrend die Kriegsflotte nehmen mu?te, was sie mit anderen Mitteln kriegen konnte. Und in Kriegszeiten lief das gewohnlich auf Pre?kommandos hinaus.
        Bolitho hatte oft daruber nachgedacht, wie ungerecht das ganze System war. Eines Tages - hoffentlich wurde er es noch erleben - mochte sich das andern und die Marine die gleichen Gegenleistungen bieten konnen wie die Handelsschiffahrt.
        Der gro?e Indienfahrer dippte die Flagge, und Bolitho horte, wie Keen seine Signalgasten anwies, den Gru? zu erwidern. Dann schaute er wieder auf seine eigene Mannschaft - zur Zeit hatte er kaum einen Mann auswechseln wollen, wenn nicht besondere Grunde vorlagen. Braungebrannt von der Sonne, gehartet von schwerer Arbeit und regelma?igem Geschutz- und Segeldrill, waren sie aus ganz anderem Holz als der buntgemischte Haufen damals in Spithead.
        Er blickte kurz zum Indienfahrer hinuber und lachelte. Ein schones Schiff, gewi?, und in jeder Hinsicht vollkommen - aber es mu?te vor einem Schiff des Konigs die Flagge dippen. Auch vor seiner Undine.
        Mudge schnaubte sich die Nase und rief:»Noch funf Minuten, Sir!»
        Bolitho hob die Hand, und der Maat des Ankerkommandos bestatigte das Signal. Es war Fowlar, ein Mann, der seinen Wert und seine Treue bewiesen hatte. Der sich bereits eine Beforderung verdient hatte, sobald die Gelegenheit kam.
        Hauptmann Bellairs von der Marineinfanterie musterte seine Trommler und glich in dem blendenden Sonnenlicht mehr denn je einem Zinnsoldaten. Davy und Soames waren an ihren Stationen auf dem Geschutzdeck. Nie hatte das Schiff besser ausgesehen.
        Er horte Stimmen in seinem Rucken und wandte sich um. An der Heckreling standen Don Puigserver und Raymond im Gesprach. Vermutlich waren sie genauso gespannt darauf wie er, was sie in Madras erwartete. Puigserver trug den Galarock eines Leutnants, den Mrs. Raymonds Zofe auseinandergetrennt und geandert hatte, und zwar mit bereitwilliger Unterstutzung durch den Segelmacher der Undine. Dieser John Tait hatte zwar nur ein Auge und die gemeinste Verbrechervisage an Bord; die Zofe jedoch fand ihn anscheinend faszinierend.

«Nun, Captain, Sie mussen heute sehr zufrieden mit sich sein. «Mrs. Raymond war aus dem Kajutniedergang gekommen und trat an seine Seite. Sie bewegte sich vollkommen sicher, durchaus vertraut mit jedem Seegang. Auch sie hatte sich verandert. Zwar wirkte sie imme r noch etwas hochnasig, aber sie hatte doch diese Uninteressiertheit am Schiffsleben abgelegt, die Bolitho in der ersten Zeit so irritiert hatte. Ihr umfangreicher Vorrat an eigenen Delikatessen, den sie in Santa Cruz mit an Bord gebracht hatte, war langst verbraucht, und sie hatte ohne Klagen mit der einfachen Kost der Kapitanskajute vorliebgenommen.

«Das bin ich auch, Ma'am. «Er deutete zum Bug.»Nun werden Sie bald die Gerausche und Geruche einer kleinen Fregatte hinter sich lassen konnen. Zweifellos wird eine englische Lady hier drau?en wie eine Konigin behandelt.»

«Vielleicht. «Sie wandte den Kopf, um nach ihrem Mann zu sehen.»Hoffentlich werden Sie mich besuchen, wenn Sie an Land kommen. Auch Sie sind schlie?lich ein Konig hier an Bord, nicht wahr?«Ein fluchtiges Lachen.»In mancher Hinsicht tut es mir leid, das Schiff zu verlassen.»
        Bolitho betrachtete sie nachdenklich und dachte an seine Ruckkehr an Bord nach der Affare mit den Kanus: vollig ausgepumpt, fast im Stehen schlafend, der Kampfeswille war in totale Erschopfung umgeschlagen und sein Hirn so abgestumpft, da? er sich nicht einmal uber seine Errettung aus unmittelbarer Todesgefahr freuen konnte. Mrs. Raymond hatte ihn zu einem Sessel gefuhrt, ihrer Zofe ein paar knappe Befehle zugerufen, auch dem daruber hochst schockierten Noddall und sogar Allday, als hatte sie das Kommando ubernommen. Sie wollte den Schiffsarzt holen lassen, aber Bolitho hatte das kurz abgelehnt:»Ich bin nicht verwundet! Die Kugel hat blo? meine Uhr getroffen - Schweinerei, verdammte!«Da hatte sie mit lautem Lachen den Kopf zuruckgeworfen. Diese unerwartete Reaktion hatte ihn geargert; aber dann hatte sie, au?erstande, ihr Lachen zu unterdrucken, seine Hand ergriffen, und da hatte er zu seiner eigenen Uberraschung mitlachen mussen. Vielleicht hatte gerade das mehr als alles andere dazu beigetragen, da? er sich wieder fing und die nervose Spannung verlor, die er bis zu diesem Moment gewaltsam
verborgen hatte.
        Etwas davon mu?te jetzt noch auf seinem Gesicht zu lesen sein, denn sie fragte leise:»Darf ich's wissen?»
        Er lachelte verlegen.»Woran ich denke? Ich dachte nur an meine Uhr.»
        Er sah, da? ihre Lippen wieder zu zucken begannen. Warum hatte er eigentlich nie bemerkt, wie zart ihr Kinn und ihr Hals geformt waren? Erst jetzt fiel es ihm auf, da es zu spat war. Er fuhlte, da? er rot wurde. Wieso eigentlich?
        Sie nickte.»Es war grausam von mir, so zu lachen. Aber Sie machten ein so wutendes Gesicht, wahrend jeder andere zunachst einmal dankbar gewesen ware.»
        Da rief Herrick:»Klar zum Ankern, Sir«, und sie wandte den Kopf ab.

«Machen Sie weiter, Mr. Herrick!«sagte Bolitho.

«Aye, Sir«, antwortete Herrick, aber seine Augen hafteten an der Frau. Dann begab er sich eilig zur Reling und kommandierte:»An die Leebrassen!»
        Leicht und elegant drehte die Undine in den Wind, und schlie?lich fiel ihr Anker spritzend in das seidig blaue Wasser.
        Puigserver deutete auf eine kleine Prozession von Booten, die sich bereits dem Schiff naherte.»Jetzt beginnt die Zeit der Zeremonien, Captain. Der arme Rojart hatte daran seine Freude gehabt.»
        Er war jetzt ein ganz anderer Mann, mit stahlhartem Blick, tatendurstig seine Plane schmiedend. Hinter ihm beobachtete Raymond die naher kommenden Boote mit eher nervoser Spannung.
        Der Anker war gesteckt, alle Segel sauber gerefft; reges Leben herrschte auf den Decks der Undine, denn die Mannschaft traf Vorbereitungen, um Proviant, Besucher, oder was sonst befohlen wurde, an Bord zu nehmen. Und vor allen Dingen, um notfalls innerhalb weniger Stunden wieder seeklar zu sein.
        Bolitho wu?te, da? er von einem Dutzend verschiedener Seiten zugleich gebraucht wurde. Schon sah er den Zahlmeister herumschleichen, der sich bemuhte, das Auge des Kapitans auf sich zu lenken. Auch Mudge kam naher, offenbar mit einer Frage oder einem Vorschlag.

«Vielleicht sehen wir uns an Land, Mrs. Raymond«, sagte er ernst. Die anderen horten zu; er spurte ihre verstohlenen Blicke, ihr Interesse.»Es war keine leichte Reise fur Sie, und ich wurde Ihnen gern danken fur Ihre - ah - «, er zogerte, denn schon wieder begannen ihre Lippen vor unterdrucktem Lachen zu zittern - ,»Ihre Nachsicht.»
        Ebenso ernsthaft erwiderte sie:»Und ich darf Ihnen meinerseits danken fur Ihre - Kameradschaft.»
        Bolitho setzte zu einer Verneigung an, doch sie streckte ihm die Hand hin und sagte:»Bis zum nachsten Mal also, Captain.»
        Er nahm ihre Hand und fuhrte sie an die Lippen. Dabei spurte er einen ganz leichten Druck ihrer Finger, und als er ihr ins Gesicht sah, merkte er, da? es kein Zufall war.
        Dann war alles vorbei. Die Herren vom Empfangskomitee des Gouverneurs umringten ihn, und er mu?te seine Depeschen dem Kommandanten des Regierungsbootes ubergeben. Dann loste sich eine Barkasse mit grellbuntem Sonnendach aus dem dunklen Schatten der Undine; er sah seine Passagiere im Heck sich noch einmal nach ihm umblicken. Mit jedem Schlag der Riemen wurde das Boot kleiner.

«Sie sind sicher froh, Sir, da? Sie die Kajute jetzt wieder fur sich haben«, bemerkte Herrick munter.»Lange genug hat es ja gedauert.»

«Ja, Thomas. Da bin ich wirklich froh.«»Und jetzt, Sir, was zusatzliche Manner betrifft…«Herrick hatte Bolithos Luge durchschaut und hielt es fur klug, unverzuglich das Thema zu wechseln.
        Erst am spaten Nachmittag erhielt Bolitho die Aufforderung, personlich beim Gouverneur vorzusprechen. Er hatte schon gedacht, dieser Teil seiner Mission sei gestrichen worden oder sein Status in Madras so tief gesunken, da? man ihn sich auf Armeslange vom Leibe hielt, bis er von der Obrigkeit mit den entsprechenden Befehlen versehen wurde.
        Die Gig der Undine trug ihn, Herrick und Midshipman Keen an Land, obwohl ein hochnasiger Abgesandter ihn uberreden wollte, ein Hafenboot sei passender und bequemer.
        Am Kai wartete eine offene Kutsche, um sie zum Gouverneurspalast zu bringen; wahrend der ganzen langen Fahrt wechselten sie kaum ein Wort. Die grellen Farben, die wimmelnden, schwatzenden Menschen, uberhaupt die Fremdartigkeit der Stadt nahmen ihre Aufmerksamkeit voll in Anspruch. Bolitho fand die Menschen au?erordentlich interessant, schon wegen der unterschiedlichen Hautfarben: vom hellen Braun, nicht dunkler als die Sonnenbraune des jungen Keen, bis zum Tiefschwarz wie dem der Krieger, die er in Afrika gesehen hatte. Manner mit Turbanen und langen, flie?enden Gewandern, Rinder und herrenlose Ziegen, alles drangte sich durch die gewundenen Stra?en, zwischen den mit Tuchern verhangenen Laden und Bazaren - ein endloses Panorama von Bewegung und Larm.
        Die Residenz des Gouverneurs glich mehr einer Festung als einem Haus und hatte Schie?scharten in den Mauern, die von indischen Soldaten wohlbewacht wurden. Diese Gardisten waren besonders eindrucksvoll. Zu Turban und Bart trugen sie die wohlbekannten roten Rocke der britischen Infanterie und weite blaue Pumphosen mit hohen wei?en Gamaschen.
        Herrick de utete auf die Fahne, die schlaff, fast reglos an ihrem hohen Mast hing, und murmelte:»Das wenigstens ist ein Stuck Heimat.»
        Trat man aber durch das Tor in den kuhlen Schatten des Hauses, so war man wieder in einer anderen Welt. Die riesigen Torflugel schlossen den Larm der Stra?e aus, und uberall spurte man eine seltsame Atmosphare, eine Mischung aus Wachsamkeit und Eleganz: prachtige Teppiche, schwere Messingornamente, blo?armige Diener, so lautlos wie Geister, und gekachelte Gange, die labyrinthartig in alle Richtungen fuhrten.
        Der Adjutant sagte geschmeidig:»Seine Exzellenz wird Sie sofort empfangen, Captain. «Und mit einem wenig begeisterten Blick auf die anderen:»Allein.»

«Mr. Keen bleibt hier fur den Fall, da? ich eine Nachricht zum Schiff senden mu?«, sagte Bolitho zu Herrick.»Und Sie konnen Ihre Zeit nutzen, wie es Ihnen beliebt.
«Er trat etwas naher heran, damit der Adjutant das folgende nicht verstand.»Und sehen Sie sich ein bi?chen nach zusatzlichen Leuten um - vergessen Sie das nicht!»
        Herrick grinste erleichtert, moglicherweise weil er jetzt nicht mehr auf dumme Fragen zu antworten brauchte, mit denen ihn seit dem Festmachen alle moglichen Besucher uberfallen und in Atem gehalten hatten. Ein britisches Kriegsschiff schien weit mehr Interesse zu erregen als die standig ein- und auslaufenden Handelsschiffe. Es war ein Bindeglied zur Heimat, eine Andeutung von dem, was diese Menschen hinter sich gelassen hatten, als sie auszogen, um ein Weltreich aufzubauen.

«Viel Gluck, Sir«, sagte Herrick.»Das hier ist ein gewaltiger Unterschied zu Rochester. «Damit ging er.
        Der Adjutant sah ihm nach und warf dann einen uninteressierten Blick auf Keen. Wenn Sie wunschen«, sagte er,»kann ich diesen jungen Herrn in die Offiziersmesse bringen lassen.»
        Bolitho lachelte.»Hier wird er sich bestimmt viel wohler fuhlen.»
        Gelassen erwiderte Keen den starren Blick des Adjutanten und sagte:»Davon bin ich uberzeugt, Sir. «Und er konnte sich nicht enthalten, hinzuzufugen:»Mein Vater wird sich freuen zu erfahren, wie gastfreundlich man hier ist, wenn ich ihm nachstens schreibe.»
        Bolitho erganzte, schon im Weggehen:»Seinem Vater gehort ein erklecklicher Teil dieser Handelsniederlassung.»
        Der Adjutant sagte nichts weiter, sondern eilte schweigend durch den prachtigen Korridor voran. Er offnete Doppelturen und verkundete mit aller Wurde, derer er noch fahig war:»Captain Richard Bolitho von Seiner Majestat Schiff Undine.»
        Bolitho kannte zwar den Namen des Gouverneurs, wu?te aber sonst nicht viel von ihm. Sir Montagu Strang verschwand fast hinter einem machtigen Schreibtisch aus Ebenholz mit silbernen Fu?en in der Form von Tigerpfoten. Strang war klein, grauhaarig und schmachtig, und seine bleiche Gesichtsfarbe deutete auf ein kurzlich uberstandenes Fieber. Sein schmaler Mund lachelte nicht, und unter den buschigen Brauen hervor betrachtete er den auf einer blauen Teppichgalerie naher tretenden Bolitho, wie ein Jager seine Beute belauert.

«Willkommen, Bolitho. «Die Winkel des schmalen Mundes hoben sich nur so wenig, als schmerze ihn schon diese winzige Anstrengung.
        Doch dann bemerkte Bolitho, da? Strangs Haltung keineswegs Geringschatzung ausdruckte, denn als er naher kam, sah er, da? der Gouverneur aufgestanden und nicht, wie er zunachst gedacht hatte, in seinem Sessel sitzen geblieben war.

«Besten Dank, Sir.»
        Bolitho versuchte, seine Uberraschung oder, was schlimmer war, sein Mitleid zu verbergen. Bis zum Gurtel war Sir Montagu ein normal gebauter, wenn auch schmachtiger Mann. Aber seine Beine waren zwergenhaft kurz, und seine schmalen Hande schienen bis zu den Knien zu hangen.
        Im gleichen knappen Ton fuhr Strang fort:»Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe Ihnen einiges zu sagen, bevor wir zu den anderen gehen. «Er musterte ihn von oben bis unten und sprach dann weiter:»Ich habe Ihren Bericht gelesen und auch die Berichte gewisser Augenzeugen. Die Undine ist schnell gesegelt, und Ihr Verhalten war ausgezeichnet. Die Rettung der Uberlebenden der Nervion und Ihre wenn auch nur teilweise erfolgreiche Aktion gegen das Sklavenschiff waren so ziemlich das Erfreulichste, was ich heute zu horen bekam.»
        Bolitho nahm auf einem machtigen Sessel Platz und bemerkte erst jetzt, da? der riesige Facher uber seinem Kopf von einem winzigen Inder bewegt wurde, der scheinbar schlafend in einer entfernten Ecke sa?, mit dem nackten Fu? regelma?ig an einem Seil zog und so den Facher in Schwung hielt.
        Strang trat wieder an seinen Schreibtisch und setzte sich. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, benahm er sich immer so, wenn jemand kam, den er noch nicht kannte. Er wollte es hinter sich bringen und dem Besucher Verlegenheit ersparen. Bolitho hatte gehort, da? Strang schon seit vielen Jahren als Reprasentant der Regierung und Ratgeber in Handels- und Eingeborenenangelegenheiten in Indien stationiert war. Ein sehr bedeutender Mann. Kein Wunder, da? er lieber hier drau?en auf hohem Posten sa?, als da? er sich in London der standigen Demutigung taktloser Blicke aussetzte.

«Also, Bolitho, zur Sache«, begann Sir Montagu gemessen.»Ich habe lange auf Depeschen warten mussen, ohne zu wissen, ob meine ursprunglichen Vorschlage angenommen wurden. Der Verlust der Nervion war ein schwerer Schlag, aber Ihr Entschlu?, die Reise auf eigene Faust fortzusetzen, ohne erst Befehle abzuwarten, mildert ihn bis zu einem gewissen Grad. Don Puigserver ist voller Bewunderung fur Sie, doch ob uns das nutzt oder schadet, bleibt abzuwarten. «Die Augen unter den schweren Brauen blitzten argerlich.»Die Spanier haben in Teluk Pendang vieles verscherzt. Schwert und Kruzifix waren so ziemlich das einzige, was sie den Eingeborenen zu bieten hatten.»
        Bolitho pre?te die Hande zusammen und versuchte, sich von Strangs Betrachtungen nicht ablenken zu lassen. Also lief sein Auftrag weiter, die Undine wurde nach Teluk Pendang segeln.
        Strangs scharfe Stimme unterbrach seine Uberlegungen.»Sie denken bereits voraus, wie ich sehe. Erlauben Sie mir, ein paar Kleinigkeiten hinzuzufugen.»
        Weit drau?en horte Bolitho ein Hornsignal; es klang seltsam melancholisch. Strang bemerkte seinen Gesichtsausdruck und sagte:»Wir haben wahrend des Krieges viel durchgemacht. Hyder Ali, der Herrscher von Mysore, der die Briten grimmig ha?t, bekam reichlich Unterstutzung durch die Franzosen. Ohne unsere Kriegsflotte wurde heute das Lilienbanner und nicht der Union Jack hier wehen, furchte ich.
«Nuchterner fuhr er fort:»Aber das hat mit Ihrer Aufgabe nichts zu tun. Je eher wir in der Pendang Bay einen britischen Gouverneur einsetzen konnen, um so besser. Seit Kriegsende herrscht in der dortigen spanischen Garnison, die vorwiegend aus eingeborenen Soldaten besteht, ein einziges Chaos. Fieber und Aufsassigkeit machen einen geordneten Dienstbetrieb unmoglich. Es uberrascht mich nicht, da? der Konig von Spanien diesen Stutzpunkt loswerden will. «Seine Stimme wurde entschlossen. Doch unter unserem Schutz wird er gedeihen. Der eingeborene Herrscher ist ziemlich harmlos, sonst hatte er die spanische Besatzung gar nicht erst am Leben gelassen. Aber weiter westlich liegt ein gro?es Gebiet, kaum erforscht, von dem aus ein anderer, weniger freundlicher Furst namens Muljadi standig Raubzuge unternimmt. Er mu? im Zaum gehalten werden, wenn wir unsere Einflu?sphare ausdehnen wollen, verstehen Sie?»
        Nachdenklich nickte Bolitho.»Jawohl, Sir. Sie tragen gro?e Verantwortung.»

«Gewi?. Der Wind zaust immer den Wipfel des Baumes am meisten, Bolitho.»

«Ich bin mir noch nicht klar, was ich dabei tun soll, Sir. Meiner Meinung nach konnte eine neue Garnison mit frischen Soldaten dort mehr ausrichten als ich.»

«Das kenne ich schon«, wehrte Strang bitter ab.»Sie bestunde gro?tenteils aus eingeborenen Truppen und ein paar britischen Offizieren, die abgestumpft sind von der Hitze und gewissen, ah, lokalen Reizen. Nein, ich brauche etwas Bewegliches - mit einem Wort, Ihr Schiff. Die Franzosen sind, wie Sie inzwischen selbst erfahren haben, sehr interessiert. Sie haben irgendwo in diesen Gewassern eine Fregatte stationiert; das wissen Sie ja auch. Und deswegen kann ich mir keinen offenen Konflikt leisten. Wenn wir Erfolg haben wollen, mussen wir das Recht auf unserer Seite haben.»

«Und wenn sich Muljadi gegen uns oder unsere Verbundeten stellt, Sir?»
        Strang schritt zur Wand und strich leicht uber einen Gobelin.»Dann werden Sie ihn zerschmettern. «Mit uberraschender Gewandtheit drehte er sich um.»Im Namen des Konigs.»
        Damit griff er nach einer Tischglocke und lautete ungeduldig.»Ich organisiere den Transport der Truppen und aller notwendigen Vorrate. Die East India Company wird zu gegebener Zeit ein geeignetes Schiff zur Verfugung stellen. Das andere ist Ihre Sache, Sie stehen dann unter dem Oberbefehl des neuen Gouverneurs. Konteradmiral Beves Conway hat einiges bereits in die Wege geleitet. «Ein rascher Blick.»Sie kennen ihn doch?»

«Naturlich, Sir. «Ein Dutzend verschiedener Erinnerungen fuhren Bolitho durch den Kopf.»Er war Kommandant der Gorgon, vierundsiebzig Geschutze und mein zweites Schiff. «Trotz Strangs ernster Miene mu?te er lacheln.»Damals war ich sechzehn.»

«Zweifellos ein interessantes Wiedersehen. «Strang blickte zur offenen Tur hinuber, wo ein Diener stand, der ihn angstlich beobachtete.»Fuhre den Captain in den Saal. Und wenn ich das nachstemal laute, kommst du sofort!»
        Als Bolitho sich zum Gehen wandte, fragte Strang noch:»Haben Sie gesehen, da? ein Schiff der Company den Hafen verlie?, als Sie heute einliefen?»

«Jawohl, Sir.»

«Auf Heimatkurs und mit reicher Ladung fur England. «Er lachelte.»Nein, ich hege keineswegs Sehnsucht nach der Heimat, die in meinem Fall Schottland hei?t, sondern wollte Ihnen blo? andeuten, da? dessen Mannschaft die ganze Nacht gefeiert und dabei nach Seemannsart zuviel getrunken hat. «Er wandte sich ab.»Etwa zwanzig Matrosen waren zu betrunken, um an Bord zuruckzufinden. Sie stehen jetzt unter Aufsicht meiner Offiziere, und die haben mehr zu tun, als sich um Schnapsdrosseln zu kummern, die auf einem Kriegsschiff zweifellos wegen Desertion ausgepeitscht wurden. Ich will von dieser Angelegenheit weiter nichts wissen; aber falls Ihre Leutnants die Verantwortung ubernehmen, bekamen Sie vielleicht ein paar zusatzliche Manner.»

«Besten Dank, Sir«, lachelte Bolitho.

«Ich komme in Kurze nach. Gehen Sie jetzt, und trinken Sie ein Glas Wein mit den Herren meines Stabes.»
        In der Vorhalle setzte Bolitho Keen unverzuglich ins Bild. Erfreut zog der Midshipman die Brauen hoch.»Ich sage es sofort Mr. Davy, Sir. Allerdings habe ich meine Zweifel, da? John Company[In der Kriegsflotte und auch sonst ubliche, leicht abfallige Bezeichnung fur die East India Company (der Ubersetzer).] es uns danken wird, wenn wir Leute von seinem Indienfahrer schnappen. «Er lachte leise.»Und sie selbst werden auch nicht begeistert sein, Sir!»
        Eilig schritt Bolitho den Gang hinunter, wo der Diener bereits auf ihn wartete. Seine Gedanken waren schon bei dem, was er von Strang gehort hatte. Beves Conway, damals Kapitan eines Zweideckers, war immer so etwas wie ein Held fur ihn gewesen. Kalt und abweisend, gewi? - aber ein erstklassiger Seemann und niemals grundlos schroff, auch nicht gegenuber den Kadetten. Nachdem er das Kommando einige Jahre innegehabt hatte, war er noch vor Bolitho von Bord gegangen. Dann war er vollig von der Szene verschwunden - in der Flotte etwas Ungewohnliches. Die Gesichter und Schiffe wechselten standig wie der Wind, der ihr Leben beherrschte. Mit Conway an der Spitze bestand wohl kaum die Gefahr eines Mi?erfolgs, dachte Bolitho.
        Der Diener geleitete ihn zu einem Kuppelsaal, wo sich bereits eine Menge Menschen befanden, zu Bolithos Uberraschung auch Frauen. Er sah Puigserver, immer noch in seinem provisorischen Galarock, und Raymond, der sich lebhaft mit einem vierschrotigen Major unterhielt. Sofort lie? Raymond seinen Partner stehen, kam mit einem knappen Nicken Bolitho entgegen, fuhrte ihn im Saal herum, stellte ihn uberall vor und konnte dabei kaum seine Ungeduld verbergen, wenn jemand Fragen uber England stellte, etwas nach der letzten Mode daheim. Was» daheim «bedeutete, war etwas unklar; meistens war wohl London gemeint.
        Als Bolitho ein Glas Wein von einem devoten Diener entgegennahm, blieb Raymond kurz stehen.»Wie ein Haufen Kuhbauern!«Er lachelte einer vorubergehenden Dame zu, fuhr aber wutend fort:

«Doch sie lassen es sich hier machtig gutgehen!»
        Bolitho beobachtete ihn neugierig. Der Mann bemuhte sich, Verachtung zu zeigen, war aber in Wirklichkeit einfach neidisch.
        Dann horte er eine vertraute Stimme, und als er sich umwandte, sah er Mrs. Raymond, die sich mit einem Herrn unterhielt, mit dem er noch nicht bekannt gemacht war.
        Auch sie sah ihn sofort und rief:»Kommen Sie doch zu uns!«Ihr Lacheln erlosch, als sie ihren Mann bemerkte.»Wir haben uber die hiesigen Sitten und Gebrauche gesprochen.»

«Konteradmiral Conway, der neue Gouverneur von Teluk Pendang«, sagte Raymond kurz.
        Conway stand mit dem Rucken zu Bolitho. Er trug einen flaschengrunen Zivilrock und hielt die Schultern so gebeugt, da? es aussah, als stunde er gebuckt. Jetzt wandte er sich um und sah Bolitho an; seine raschen, aufmerksamen Blicke registrierten jede Einzelheit.

«Schon, Sie wiederzusehen, Sir«, sagte Bolitho. Weiter fiel ihm nichts ein. Hatte er Conway in Plymouth oder anderswo gesehen, er ware an ihm vorbeigegangen. Konnte sich ein Mann in zwolf Jahren so verandern? Conway wirkte mager und angespannt, zwei tiefe Furchen liefen von der scharfen Adlernase zum Kinn, so da? es aussah, als sei der Mund an ihnen aufgehangt.
        Conway streckte die Hand aus.»Richard Bolitho, wie?«Der Handedruck war so knapp wie sein Ton.»Und sogar Fregattenkapitan. So, so.»
        Bolitho fing sich wieder. Conway war Konteradmiral, gewi?; aber abgesehen vom hoheren Dienstalter stand er nur eine Rangstufe uber ihm selbst. Und kein Adelstitel, weder Knight noch Lord, belegte seinen Aufstieg auf der Leiter des Erfolges.
        Ruhig sagte er:»Ich habe viel Gluck gehabt, Sir.»
        Mrs. Raymond beruhrte Conways Armel mit ihrem Facher.»Er ist viel zu bescheiden. Ich hatte die beste Gelegenheit, den Captain im Dienst zu beobachten und auch von seinen fruheren Erfolgen zu horen.»
        Conways Blicke flogen zwischen beiden hin und her.»Hat er sie unterhaltsam erzahlt, Ma'am?»

«Ich horte es von anderer Seite«, entgegnete sie kuhl.»Captain Bolitho ein Selbstlob zu entrei?en ist, als wolle man eine Auster mit einer Feder offnen.»
        Conway zupfte ein Fadchen von seiner Weste.»Freut mich zu horen.»
        Raymond mischte sich ein.»Anscheinend soll ich mit Ihnen zu dem neuen Stutzpunkt segeln, Sir. «Offensichtlich wollte er Conways Aufmerksamkeit von der plotzlichen Verstimmung seiner Frau ablenken.

«Das ist richtig«, erwiderte Conway.»Und Captain Bolitho hier wird Ihnen bestatigen, da? ich Unfahigkeit und Schluderei nicht vertragen kann. Ich wunsche, da? jeder, der mit der Ubernahme des Stutzpunktes zu tun hat, an Ort und Stelle ist. «Verachtlich blickte er zu der schwatzenden Gesellschaft hinuber.»Und nicht hier in dieser verweichlichten Traumwelt herumlungert.»
        Mrs. Raymond, die hinter Conway stand, warf uber dessen Schulter Bolitho einen Blick zu und verzog spottisch den Mund.

«Ich mu? mit den Offizieren sprechen«, sagte Conway und neigte fluchtig den Kopf. Wenn Sie mich entschuldigen wollen, Ma'am?»
        Raymond wartete nur ein paar Sekunden, dann brach er los.»Mu?t du ausgerechnet jetzt eine Szene machen, Viola? Conway kann wei? Gott wichtig fur mich sein. Fur uns beide!»
        Sie warf Bolitho einen Blick zu.»Er ist ein - «, sie suchte nach einem Ausdruck,»- ein aufgeblasenes Ekel!«Und zu ihrem Mann:»Es macht mich krank, wie du vor solchen Leuten katzbuckelst! Immer vor solchen Nieten!»
        Raymond starrte sie entgeistert an.»Was meinst du damit? Er ist schlie?lich der neue Gouverneur.»
        Viola warf jemandem am anderen Ende des Saales ein fluchtiges Lacheln zu.»Du hast ja keine Ahnung. Er ist ein Versager. Man braucht ihn nur anzusehen.»
        Merkwurdigerweise schien Raymond erleichtert.»Ist das alles? Ich dachte schon, du hattest etwas Bestimmtes gehort. «Er blickte Conway nach.»Jetzt mu? ich wohl wieder zu ihm. Sir Montagu Strang hat mich angewiesen, ihm meine ganze Erfahrung zur Verfugung zu stellen.»
        Seine Frau bedeckte die Lippen mit dem Facher und flusterte:»Das durfte nicht viel Zeit in Anspruch nehmen!«Dann hangte sie sich bei Bolitho ein.»Und jetzt, Captain, durfen Sie mich begleiten, wenn Sie wollen.»
        Bolitho dachte uber die kleine Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten nach; aber noch mehr daruber, wie sehr sich Conway verandert hatte. Sie kniff ihn in den Arm.»Ich warte!»

«Es ist mir eine Ehre«, sagte er, lachelnd uber ihre Ungeduld.»Aber«, fuhr er kopfschuttelnd fort,»ich mochte blo? wissen, was mit Conway passiert ist.»
        Wieder gruben sich ihre Finger in seinen Arm.»Eines Tages wird irgendein dummer Offizier dasselbe von Ihnen sagen. «Sie warf den Kopf zuruck.»Auf jeden Fall ist er wirklich ein aufgeblasenes Ekel.»
        Bolitho bemerkte, wie der vierschrotige Offizier zu ihnen herubersah und dann etwas zu einem Kameraden sagte.

«Es wird Gerede geben, Ma'am, wenn wir hier so miteinander paradieren.»
        Gelassen blickte sie ihn an.»Na und? Macht Ihnen das was aus?«»Mir? Nein.»
        Sie nickte.»Dann ist es ja gut. Und mein Name ist Viola. Bitte benutzen Sie ihn in Zukunft.»
        Seinen Worten getreu, verlor Sir Montagu Strang keine Zeit, um die lange vorbereiteten Plane in die Tat umzusetzen. Zwei Tage nach dem Einlaufen der Undine in Madras warf die Bedford, ein schweres Transportschiff unter der Flagge der East India Company, Anker und begann, Proviant und Ausrustung fur den neuen Stutzpunkt zu laden.
        Nach seinem ersten Besuch im Gouverneurspalast hatte Bolitho keine Zeit mehr fur Zerstreuungen. Uber Teluk Pendang war nur wenig bekannt, allenfalls bei Kaufleuten, die Handelsbeziehungen nach dort gehabt hatten; so dauerte es eine ganze Weile, bis Bolitho mit seinen Kursberechnungen zufrieden war. Mudge, der diese Gewasser gut kannte, gab seine vorsichtige Zustimmung; und als er dem Kapitan der Bedford einen Besuch abstattete, beeilte er sich nicht nur, dessen Arbeit zu loben, sondern deutete auch an, da? er sachverstandigen Rat sehr zu schatzen wissen wurde.
        Der Kapitan zeigte sich hoflich amusiert.»Das sieht aber einem Offizier des Konigs gar nicht ahnlich!«sagte er.»Die meisten wurden lieber auf Grund laufen, als unsereinen fragen. «Wie wurde er sich wohl anstellen, fragte sich Bolitho, wenn er von den zwanzig Matrosen wu?te, die er, Bolitho, der allmachtigen I.E.C. weggeschnappt hatte?
        Ehe er von Bord des Transporters ging, hatte er einen ersten Blick auf die Truppen geworfen, welche die spanische Besatzung ablosen sollten. Sie machten den Eindruck, als wollten sie sich in ihrer neuen Garnison fur immer hauslich niederlassen, denn sie hatten Frauen und Kinder, allerlei Viehzeug und haufenweise Topfe und Pfannen bei sich - wo lie? sich das alles verstauen? Aber den Kapitan der Bedford schien es nicht zu storen; anscheinend war das hier drau?en so ublich.
        Als Bolitho dann in seiner Kajute sa? und seine Abmeldung schrieb, trat Herrick ein und meldete, da? Konteradmiral Beves Conway gleich an Bord kommen wurde.
        Conways Boot legte bereits an, als Bolitho an Deck kam. Er hatte sich schon Gedanken daruber gemacht, warum Conway ihn seit dem Einlaufen der Undine nicht mehr hatte sprechen wollen - uber diese Vernachlassigung war er sogar etwas betroffen gewesen. Zu seiner Uberraschung sah er, da? Conway immer noch seinen grunen Zivilrock trug, ohne Orden und Degen. Er hatte nicht einmal einen Hut auf, als er an Bord kam. Bellairs Empfangskommando und das Achterdeck gru?te er nur durch ein kurzes Nicken.

«Sauberes Schiff, Bolitho. «Hierhin und dorthin schweiften seine Augen, und Bolitho versuchte, sein Mi?behagen uber Conways Haltung zuruckzudrangen. Vielleicht war er immer so gewesen, auch damals an Bord der Gorgon, als Bolitho jedesmal vor Ehrfurcht fast erstarrte, wenn Conway auf dem Achterdeck erschien.

«Lassen Sie die Soldaten wegtreten«, sagte Conway,»ich bin nicht dienstlich hier.»
        Er schritt zu einem der Sechspfunder und strich mit der Hand uber den Verschlu?. Dann blickte er nach oben, wo gerade einige Matrosen die Wanten und Stagen schwarzten, bis sie wie Ebenholz glanzten.»Sieht sehr ordentlich aus.»
        Dann schaute er zur Bedford hinuber, die ihre Ladebaume uber die langsseits liegenden Leichter ausschwenkte.
        Bolitho konnte Conway jetzt etwas ungezwungener betrachten. Wie grau und dunn sein Haar geworden war!
        Ohne sich umzuwenden, fragte Conway:»Wann konnen wir Ihrer Schatzung nach an unserem Bestimmungsort sein?»

«Bei gutem Wind und unter Berucksichtigung alles dessen, was ich inzwischen gehort habe, sollten wir in achtzehn Tagen Land sichten. Spatestens in drei Wochen. Ich habe bereits erfahren, da? ich vor dem Transporter absegeln soll.»

«Das war meine Idee. «Conway wandte sich jetzt um und blickte Bolitho forschend an.»Es hat keinen Sinn, da? wir neben diesem verdammten Kasten herschleichen.»

«Dann werden Sie die Uberfahrt also auf der Undine machen,
        Sir?»

«Enttauscht? Naturlich segle ich mit Ihnen. Ich habe bereits angeordnet, da? mein Gepack heute nachmittag an Bord kommt.»
        Also war Bolitho wieder einmal seine Kajute los. Er hatte sich seit dem Einlaufen in Madras auf sie gefreut. Dort konnte er in Ruhe uber seine Fehler und Erfolge nachdenken. Puigserver - der ging noch. Aber Conway war etwas ganz anderes. Es wurde so sein, als ware er wieder Conways Untergebener.

«Ich werde meinem Ersten Leutnant gleich Bescheid sagen,
        Sir.»

«Herrick?«fragte Conway gleichgultig.»Nicht notig.»
        Bolitho starrte ihn verdutzt an. Das sah Conway gar nicht ahnlich. Er versuchte es noch einmal.»Wenigstens werden wir die Admiralsflagge am Kreuzmast fahren, wenn wir in Teluk Pendang einlaufen, Sir.»
        Die Wirkung war verbluffend. Conway fuhr herum, seine Gesichtszuge verzerrten sich in plotzlicher Wut.»War dieser Seitenhieb Absicht? Finden Sie ein perverses Vergnugen daran, mich zu verhohnen? Wenn ja, dann mache ich Sie fertig fur Ihre verdammte Frechheit, und zwar bald!»
        Bolitho bemuhte sich, ruhig zu antworten; er merkte, da? Herrick, der nicht weit weg von ihnen stand, mit offensichtlicher Betroffenheit zuhorte.»Ich bitte um Entschuldigung, Sir. Ich wollte Sie keinesfalls verletzen.»
        Conway holte tief Atem.»Keine Flagge, Bolitho. Ich bin der kunftige Gouverneur von Pendang Bay, einem Ort, von dem weder Sie noch die meisten Bewohner dieser Erde bis zum heutigen Tage gehort haben. «Seine Stimme klang jetzt schneidend bitter. Ich bin praktisch nicht mehr im Dienst. Nach dieser Tatsache wird sich der Respekt bemessen, den Sie mir erweisen.»
        Bolitho starrte ihn an. Plotzlich wurde ihm das Ganze nur allzu klar. Conway hatte diese Begegnung hinausgeschoben, nicht aus Hochmut oder Neid auf Bolithos verhaltnisma?ig raschen Aufstieg seit der Zeit auf der Gorgon, sondern weil er ein ruinierter Mann war.

«Dann wird Ihnen der hochste Respekt erwiesen, Sir. Das kann ich Ihnen versprechen. «Bolitho blickte etwas verlegen zur Seite.»Ich habe mehrfach Erfolg gehabt bei der Flotte. Der Zufall hat mir geholfen oder mein Gluck, wie mein Erster Leutnant sagen wurde. Aber ich habe nie vergessen, wo ich meine ersten Erfahrungen gesammelt habe, und auch nicht die Geduld, die mein damaliger Kapitan mit mir hatte.»
        Conway zupfte an seiner Weste; die Sonne brannte ihm auf Schultern und Nacken, aber er achtete nicht darauf.»Das war sehr freundlich von Ihnen.»
        Er blickte auf seine Hande und legte sie dann auf den Rucken.»Konnen wir unter Deck gehen?»
        In der Kajute schritt er ruhelos auf und ab, fa?te die Mobel an, spahte in die Ecken und sagte nichts. Schlie?lich erblickte er die holzernen Kanonenattrappen und sagte bissig:»Das war fur dieses Frauenzimmer, wie?»

«Jawohl, Sir. Ich werde dafur sorgen, da? sie stehenbleiben, bis Sie sich an Ihrem neuen Standort eingerichtet haben. «Er hatte» Residenz «sagen wollen, aber das andere Wort war ihm herausgerutscht.
        Conways Miene blieb ausdruckslos.»Nein, im Gegenteil. Lassen Sie die Geschutze wieder montieren. Mit mir brauchen Sie keine Umstande zu machen. Das Schiff mu? gefechtsbereit sein, und ein paar fehlende Geschutze konnten sehr viel bedeuten.
«Er gab keine weiteren Erklarungen, sondern fragte im gleichen bissigen Ton weiter:»Dieses Frauenzimmer, Mrs. Raymond, wie hat sie denn die drei Monate in einem Schiff der funften Klasse ausgehalten, eh?»

«Besser als ich dachte.»

«Hm. «Conway blickte Bolitho lange und grimmig an; sein eigenes Gesicht blieb im Schatten.»Seien Sie vorsichtig mit ihr. Sie ist nur drei Jahre alter als Sie, aber der Erfahrungsabstand ist unerme?lich gro?er.»
        Hastig wechselte Bolitho das Thema.»Darf ich fragen, Sir, wann die Segelorder zu erwarten ist?»

«Morgen wahrscheinlich, aber ich kann es Ihnen schon jetzt sagen: Ankerlichten am Tag nach Befehlsempfang. Keine Verzogerung und moglichst schnelle Fahrt. Wir werden auf der Reise Begleitung haben.»

«Sir?«Bolitho war uberzeugt, da? Conways Gedanken ganz woanders weilten, obwohl seiner Rede nichts dergleichen anzumerken war.

«Eine Brigg«, erwiderte Conway.»Don Puigserver hat sie zum eigenen Gebrauch gechartert. Unter anderem auf meine Veranlassung hin. Fur mich ist der Krieg noch nicht lange genug vorbei, als da? ich einen Spanier als Freund betrachten konnte.»

«Verstehe, Sir.»

«Sie verstehen gar nichts. Aber das spielt auch keine Rolle. «Conway trat an die Heckfenster und starrte auf die Kustenlinie und auf die zahllosen winzigen Fahrzeuge hinaus, die wie geschaftige Wasserkafer hin- und herschossen.»Ich mochte an Bord bleiben, Bolitho.»

«Bis zum Ankerlichten, Sir?«Bolitho sah sich in der Kajute um. Wie eng es hier war, verglichen mit dem Palast an Land.

«Ja. «Conway wandte sich vom Fenster ab.»Haben Sie was dagegen?«Eine Sekunde klang seine Stimme wie fruher.

«Nein, Sir«, lachelte Bolitho.»Ich habe die ganze Zeit auf die Gelegenheit gewartet, den Wein zu probieren, den ich in London gekauft habe, und… »

«London?«Conway seufzte bitter.»Verdammte Stadt! Seit funf Jahren habe ich keinen Fu? mehr dorthin gesetzt. Die Pest uber London und seine Gemeinheit!»

«Vielleicht hat es sich seitdem geandert… »

«Die Menschen andern sich nicht, Bolitho. «Conway tippte auf seine Brust.»Nicht hier drin. Gerade Sie mu?ten das doch wissen. Als ich horte, wer das Schiff kommandiert, mit dem ich die Uberfahrt machten sollte, da wu?te ich sofort, Sie wurden noch so sein wie damals. Vielleicht sind Sie nicht mehr so vergnugt und vertrauensselig, aber geandert haben Sie sich im Grunde nicht.»
        Schweigend beobachtete Bolitho, wie Conways Gesichtsausdruck mehrmals wechselte; vielleicht erinnerte er sich jedesmal an etwas Bestimmtes.»Die Gorgon - eine Ewigkeit ist das her. An Bord der Gorgon habe ich meine beste Zeit gehabt, wenn ich das damals auch nicht wu?te.»
        Vorsichtig wandte Bolitho ein:»Auf Ihrem neuen Posten werden Sie diese Ansicht vielleicht andern, Sir.»

«Glauben Sie?«Conway lachelte, aber seine Augen lachelten nicht mit.»Ich habe ihn bekommen, weil ich Erfolg haben werde. Ich mu?, es bleibt mir nichts anderes ubrig. Wenn man etwas verpatzt hat, Bolitho, dann bekommt man manchmal eine Chance, es wieder auszubugeln. «Er schlug mit der Faust in die andere Handflache. Und ich will Erfolg haben!»
        Es klopfte, und Allday trat in die Kajute.

«Wer ist dieser Kerl?»

«Mein Bootsfuhrer, Sir. «Bolitho mu?te lacheln, weil Allday ein so schockiertes Gesicht machte.»Ach so.»

«Mr. Herrick la?t respektvoll fragen, Sir«, meldete Allday,»ob Sie an Deck kommen konnen, um den Kapitan der Bedford zu empfangen.»
        Bolitho entschuldigte sich bei Conway und ging mit Allday hinaus.»»Kerl «hat er gesagt, Captain?«murmelte Allday.»Bi?chen grob, finde ich.»
        Bolitho lachte.»Wenn er Sie erst besser kennt, nennt er Sie bestimmt beim Vornamen.»
        Allday warf ihm einen mi?trauischen Blick zu und grinste dann.»Sicher, Captain.
«Dann senkte er die Stimme:»Es wurde eine Nachricht fur Sie abgegeben. Hier. «Er hielt Bolitho eine Visitenkarte hin. Sie sah in seiner breiten Hand ganz winzig aus.

«Um acht Uhr. Bitte?«hatte sie auf die Ruckseite geschrieben.
        Bolitho blickte von der Karte in Alldays maskengleiches Gesicht.»Wer hat Ihnen das gegeben?»

«Ein Diener, Captain. «Seine Lider zuckten nicht einmal.»Die Lady wei?, da? sie mir vertrauen kann.»
        Bolitho wandte sich ab, um seinen Gesichtsausdruck zu verbergen.»Danke.»
        Allday blickte ihm nach, wie er raschen Schritts zum Achterdeck hinaufging.»Wird ihm guttun. «Dann sah er, wie der wachhabende Marineinfanterist ihn verwundert anstarrte.»Was hast du denn zu glotzen?«blaffte er ihn an. Dann grinste er nochmals.»He, du Kerl?»



        IX Geschenk von zarter Hand

        Eine Stunde vor Ablosung der Morgenwache kam Bolitho an Deck, um diese friedlichste Zeit des Tages zu genie?en. Das Hemd offen bis zum Gurtel, ging er zur Luvseite und studierte genau jedes Segel; dann erst trat er zum Kompa? und kontrollierte den Kurs. Madras lag seit zwolf Tagen hinter ihnen; aber der Wind, der sich so vielversprechend angelassen hatte, war zu einer sanften Brise abgeflaut, so da? es unwahrscheinlich wurde, da? sie mehr als vier Knoten machen konnten, selbst wenn sie jeden Fetzen Tuch setzten.
        Fowlar kritzelte gerade etwas auf die Tafel neben dem Rad, richtete sich aber auf, als Bolitho kam, beruhrte gru?end die Stirn und meldete:»Kurs Sudost, Sir. Voll und bei.»
        Bolitho nickte, beschattete seine Augen und studierte aufs neue die Segel. Der Wind, soweit von Wind die Rede sein konnte, kam aus Sudwesten, und die Rahen der Undine waren dicht gebra?t, wahrend sie uber Backbordbug segelte. Ungefahr eine Meile voraus lag die Brigg Rosalind, die keine Schwierigkeiten hatte, das Tempo ihres schwereren Begleitschiffes zu halten. Bolitho fuhlte sich versucht, ein Fernrohr zu nehmen und sie etwas genauer zu studieren.
        Anscheinend dachte Fowlar, er musse au?er der blo?en Kursmeldung etwas mehr sagen. Wir konnten noch vor
        Sonnenuntergang bessere Fahrt machen, Sir. Mr. Mudge denkt, der Wind wird auffrischen, wenn wir erst in die Stra?e von Malakka kommen.»

«Ah - ja. «Bolitho versuchte, sich zu konzentrieren. Vom Deck der Rosalind aus mu?te die Undine unter vollen Segeln einen gro?artigen Anblick bieten. Aber diesmal war ihm das ein karger Trost. Er wollte mehr Fahrt machen, um seine eigentliche Aufgabe in Angriff zu nehmen. Dieses Dahinschleichen mochte fur einen Poeten oder Maler sehr idyllisch sein, aber es lie? ihm zuviel Zeit fur andere Gedanken.
        Davy kam eilig herbei.»Entschuldigen Sie, Sir, ich habe Sie nicht an Deck kommen sehen«, sagte er mit besorgt gerunzelter Stirn und machte eine Handbewegung zum Gro?mast hin.»Ich mu?te mich mit der Beschwerde eines Soldaten befassen. Nichts von Bedeutung«, setzte er beflissen hinzu.

«Sie sind Offizier der Wache, Mr. Davy. Allmahlich konnten Sie wissen, da? ich mich nicht in Ihren Dienst mische, blo? um mich wichtig zu machen. «Er lachelte. Schoner Tag heute, nicht wahr?»

«Jawohl, Sir. «Davy folgte mit den Augen Bolithos prufendem Blick. Das Meer war sehr blau, und au?er der niedrigen Brigg gab es kein Fleckchen, weder Land noch ein anderes Schiff, das die Leere, diese unendliche Weite unterbrach.
        Beilaufig fragte Davy:»Stimmt es, Sir, da? solche Missionen manchmal zur standigen Verwendung im Kolonialdienst fuhren,
        Sir?»
        Bolitho nickte.»Bei Konteradmiral Conway ist das der Fall. «Er blickte nachdenklich in Davys gebrauntes Gesicht. Der Leutnant hatte irgendwelche Sorgen. So etwas sah man ihm immer gleich an, genau wie damals, als nicht er, sondern Soames das Kommando bei dem Uberfall auf die Sklavenjager bekam.

«Ich dachte…«, setzte Davy zogernd an.»Ich bin selbstverstandlich mit dem Dienst bei der Koniglichen Marine durchaus zufrieden. Er ist genau das, was ich will. Als erster meiner Familie bin ich zur See gegangen. Mein Vater war Kaufmann in der City und hielt nichts vom Dienst. Er wollte mich durchaus nicht zur See gehen lassen.»
        Dieses Herumreden, dachte Bolitho, erwiderte aber ermunternd:»Bei Mr. Herrick war es auch so: der erste Seemann in der Familie.»

«Ja. «Jetzt kam Soames den Niedergang herauf, gahnte und sah nach der Uhr. Davy machte ein verzweifeltes Gesicht.»Also - das ist nicht ganz das, was ich meinte, Sir.»
        Bolitho wandte sich um und sah ihn voll an.»Mr. Davy, ich ware Ihnen verbunden, wenn Sie endlich zur Sache kamen. In einer Stunde ist es so hei? wie im Backofen, und ich wurde meinen Spaziergang gern noch vor dem Fruhstuck machen, nicht erst nach dem Dinner.»
        Davy bi? sich auf die Lippen.»Entschuldigung, Sir! Ich will es erklaren. «Dann schlug er die Augen nieder.»Darf ich von Ihrem Bruder sprechen, Sir?»
        Bolitho erstarrte.»Von meinem verstorbenen Bruder?»

«Ich wollte nicht unverschamt sein, Sir. «Davy hob den Kopf und sprach jetzt rasch weiter.»Ich habe irgendwo gehort, da? er den Dienst quittiert hatte.»
        Bolitho wartete ab. Er wurde diese Sache mit Hugh eben nicht los. Jetzt riskierte schon sein Zweiter Leutnant einen Anpfiff, blo? um seine Neugier zu befriedigen. Aber er irrte sich in Davys Fall.

«Es war wegen Spielschulden, habe ich gehort?«fragte Davy leise und mit so klaglich flehendem Gesicht, da? Bolitho seine Verbitterung verga? und fragte:»Ist das Ihr Problem? Spielschulden?»

«Jawohl, Sir. Wie ein rechter Narr versuchte ich in London, meine Verluste zuruckzugewinnen. Jetzt, da mein Vater tot ist, bin ich verantwortlich fur das Wohl meiner Mutter und fur unseren Grundbesitz. «Verlegen blickte Davy zur Seite. In Kriegszeiten hatte ich mit schnellerer Beforderung und entsprechenden Prisengeldern rechnen konnen, Sir.»

«Genauso schnell hatten Sie den Tod finden konnen. «Doch er fragte freundlich weiter:»Wollen Sie mir verraten, wieviel Schulden Sie haben?»

«Zwanzigtausend, Sir.»
        Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Das ist ungefahr so viel, wie die Undine und die Brigg zusammen kosten. Ich hatte Sie fur vernunftiger gehalten.»

«Vielleicht hatte ich es Ihnen nicht sagen sollen, Sir. «Davy war rot geworden und sah ganz elend aus.

«Nein. Es ist besser, wenn ich es wei?. Hier drau?en sind Sie wenigstens sicher vor Ihren Glaubigern. «Er blickte Davy einigerma?en erschuttert an.»Aber zwanzigtausend Pfund sind ein kleines Vermogen!»
        Soames stapfte vorbei und winkte seinen Bootsmannsmaaten.»Lassen Sie die Wache an Deck pfeifen, Kellock!«Sorgfaltig vermied er die Luvseite.
        Davy beeilte sich; er wu?te, da? Soames darauf wartete, ihn abzulosen.»Sehen Sie, Sir, ich dachte, da? ich auf so einer Reise wie dieser eine neue Stellung finden konnte.»

«Verstehe. Aber wir haben einen Schutzauftrag. Es geht nicht um Entdeckungen oder einen spanischen Goldschatz. «Er nickte Soames zu und sagte dann:»Aber ich werde Ihre Angelegenheit im Auge behalten.»
        Wahrend die beiden Leutnants sich uber den Kompa? beugten, nahm Bolitho seinen Spaziergang an Deck wieder auf. Eben gingen Keen und Armitage den Backborddecksgang entlang; er schickte ein stilles Gebet zum Himmel, die beiden Midshipmen mochten vor Davys Schicksal bewahrt bleiben, oder auch vor dem seines Bruders Hugh.
        Bei Keen lagen die Familienverhaltnisse ahnlich wie bei Davy. Auch er hatte einen reichen Vater und reiche Verwandte, die nicht im Dienst des Konigs zu Geld und Gut gekommen waren, sondern durch Handel und Gewerbe. Als Davys Vater starb, war sein Sohn vollig ungewappnet gegen die Versuchungen gewesen, die ihm sein Erbe ermoglichte. Keen andererseits war zur See geschickt worden, eben weil sein Vater reich war und gro?en Einflu? hatte. Herrick hatte Bolitho einmal erzahlt, da? Keen selber ihm das wahrend einer Nachtwache im Indischen Ozean anvertraut hatte.»Um einen Mann aus ihm zu machen. «Keen schien das ziemlich komisch zu finden, wie Herrick berichtete. Doch nach Bolithos Meinung mu?te der alte Keen ein sehr bemerkenswerter Herr sein. Es gab nicht viele, die das Leben und die heilen Knochen ihres Sohnes aus einem solchen Grund aufs Spiel setzten.
        Er sah Noddall mit einer Kanne hei?en Wassers ubers Geschutzdeck hasten. Also war Conway aufgestanden und wartete aufs Rasieren. Es war uberraschend, wie wenig im normalen Bordalltag von Conways Anwesenheit zu spuren war. Aber er hatte es selbst so gewollt. Was nicht hie?, da? er sich nicht fur das Schiff interessierte, ganz im Gegenteil. Jedesmal, wenn ein anderes Schiff gesichtet oder wenn zum Reffen oder Segelsetzen gepfiffen wurde, war Conway da und pa?te auf. Einmal, als sie einen halben Tag in einer Flaute lagen, hatten die Matrosen ein Netz ausgebracht, um vielleicht etwas frischen Fisch zu besorgen. Sie fingen nur ein paar Flundern und ein paar plattkopfige Fische, die Mudge sachverstandig als» Seefuchse
«bezeichnete; aber Conway hatte so viel Spa? daran gehabt, als hatten sie einen Wal gefangen.
        Es war, als ob er jede Stunde bewu?t auslebte wie ein Gefangener, der sein Urteil erwartete. Kein erfreulicher Anblick. Bolitho war knapp achtundzwanzig Jahre alt; aber als Fregattenkapitan mit zwei selbstandigen Kommandos hinter sich hatte er gelernt, das Urteil der Marine zu akzeptieren, wenn er auch manchmal anderer Meinung war.
        Eines Abends beim Dinner hatte er erfahren, was mit Conway geschehen war. Es war zwei Tage nach Madras gewesen, und Bolitho hatte Noddall befohlen, ein paar Flaschen vom besten Wein zu bringen, weil er Conway etwas Besonderes bieten wollte. Es war ein Madeira, der teuerste, den er jemals im Leben gekauft hatte. Conway schien das kaum zu merken. Er hatte ihn hinuntergegossen wie Apfelwein, ohne einen Ton dazu zu sagen. Aber er hatte sich schwer betrunken. Nicht langsam oder weil er nicht aufgepa?t hatte; auch nicht, weil er zeigen wollte, was er vertragen konnte. Sondern ganz bewu?t wie jemand, der zu oft allein war und die Wirklichkeit moglichst schnell vergessen wollte.
        Es war vor zwei Jahren in eben diesen Gewassern passiert, als Suffren, der franzosische Admiral, den Hafen Trincomali auf Ceylon eingenommen und dabei Englands Macht in Indien fast gebrochen hatte. Conway hatte seine Geschichte erzahlt, als sei Bolitho gar nicht da. Als wolle er sich blo? vergewissern, da? er sich noch an alles erinnerte.
        Conway war damals Kommandant eines Kustengeschwaders gewesen und hatte die Aufgabe, Versorgungsschiffe und militarische Geleitzuge zu schutzen. Eine Schaluppe hatte die Nachricht gebracht, da? ein franzosisches Geschwader vor der ceylonesischen Kuste eingetroffen war, und ohne Zogern war er ausgelaufen, um die feindlichen Schiffe anzugreifen und sie so lange unter Feuer zu nehmen, bis die Hauptmacht eintraf, um sie zu vernichten.
        Aber Conway wu?te nicht, da? ihn eine andere Schaluppe uberall suchte, mit neuen Befehlen fur die Verteidigung von Trincomali. Conway erreichte das Gebiet, wo die Franzosen gesichtet worden waren - aber sie waren schon weg. Er horte von Fischern, da? sie eben dorthin gesegelt waren, wo er herkam; und mit einer Nervositat, die sich Bolitho nur zu gut vorstellen konnte, war er mit seinen Schiffen auf Gegenkurs gegangen. Er fand die Franzosen und konnte gerade noch ihre Nachhut in ein kurzes, unbefriedigendes Gefecht verwickeln, doch verloren seine Schiffe in dieser Nacht die Verbindung zueinander. Als sich sein kleines Geschwader beim Morgengrauen wieder sammelte, waren die Versorgungsschiffe, die er hatte schutzen sollen, gekapert oder vernichtet; und als er Signalverbindung mit der Schaluppe des Admirals bekam, hatte sie abermals neue Befehle fur ihn: Trincomali war erobert worden.
        In der Stille der Kajute sprach Conway immer lauter; schlie?lich schrie er wie im Fieber.»Noch einen Tag, und ich hatte sie fertiggemacht! Dann hatte uns weder Suffren noch sonst ein Admiral aus Ceylon vertrieben!»
        Bolitho blickte hoch. Die ersten Trupps schwarmten auf die Rahen aus, um die regelma?igen Reparaturen zu besorgen, um zu splei?en und zu flicken. Es war nur zu klar: Conway hatte auch als Held aus der Affare hervorgehen konnen. Statt dessen machte man ihn zum Sundenbock. Doch mu?te er, wie Bolitho annahm, immer noch uber einigen Einflu? verfugen. Ein Gouverneursposten, ganz gleich wo, das sah immer noch mehr nach einer Belohnung aus als nach Schimpf und Schande.
        Plotzlich wurde Bolitho hellwach und hielt auf seinem Spaziergang inne. Vielleicht gab es noch einen Anla? dafur, einen viel heimtuckischeren. Vielleicht sollte Conway wieder als Sundenbock dienen?
        Aber er schuttelte den Kopf. Was hatte das fur einen Sinn gehabt?
        Allday kam uber das Achterdeck.»Fruhstuck ist fertig, Captain. «Mit zusammengekniffenen Augen spahte er zur Brigg hinuber.»Sie ist also immer noch da? Er lachelte, unbewegt von Bolithos starrem Blick.»Das ist gut.»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an. Es war derselbe Blick wie damals in Madras, als er die Gig fur ihn klargemacht hatte.»Danke«, sagte er kalt.»Was finden Sie daran so besonders gut?»
        Allday hob die Schultern.»Schwer zu sagen, Captain. Es ist so eine Art warmes Gefuhl im Bauch - ich habe das manchmal. Ganz angenehm.»
        Bolitho schritt an ihm vorbei zum Kajutniedergang. Der Morgen war ihm verdorben. Als er in die schattige Kuhle zwischen den beiden Decks trat, stellte er sich vor, was Viola Raymond jetzt eine Meile voraus an Bord der Brigg wohl tat.
        Ihr Mann wurde sie nicht aus den Augen lassen. Und» Mister Pigsliver «wurde beide beobachten.
        Es war immer noch schwer zu sagen, was sie wirklich von ihm hielt, ob sie seine Eroberung als ein Spiel betrachtete. Es gab allerlei distinguierte Gaste in der Residenz des Gouverneurs, Militars, Beamte der Company und andere; aber sie war von Anfang an fest entschlossen gewesen, gerade ihn an sich zu fesseln. Zwar hatte sie es nie direkt ausgesprochen, es zeigte sich an ihrer Erregtheit, ihrer spitzbubischen Rucksichtslosigkeit: eine Herausforderung, die er einfach nicht ubersehen konnte.
        Bald hatte sie ihn nicht mehr auf Abstand gehalten; und ein paarmal hatte sie ihre Hand auf der seinen ruhen lassen, selbst wenn Raymond in der Nahe war.
        Am letzten Abend, als er im Begriff war, wieder an Bord zu gehen, war sie ihm auf die dunkle Terrasse an der inneren Mauer nachgekommen und hatte ihm eine kleine Schachtel hingehalten.»Fur Sie. «Ganz beilaufig hatte sie es gesagt; aber er sah, wie ihre Augen glanzten, und wie erregt sich ihre Brust unter dem eleganten Kleid hob, als er die Schachtel offnete. Es war eine goldene Uhr.
        Er wandte sie in den Handen hin und her; Viola ergriff seinen Arm und flusterte: Nie werde ich Ihr Gesicht damals vergessen… «Diesmal hatte sie nicht gelacht. Weisen Sie mein kleines Geschenk nicht zuruck… Bitte!»
        Er nahm ihre Hand und ku?te sie, versuchte zu begreifen, was er tat, sah alle Gefahren voraus - doch sie waren ihm vollig gleichgultig.

«Es ist ganz gut, da? wir nicht auf demselben Schiff reisen, Captain!«Lachend zog sie seine Hand an ihre Brust.»Fuhlen Sie, wie mein Herz schon jetzt klopft? Eine Woche oder auch nur einen Tag - was da alles passieren konnte!»
        Bolitho trat an dem Posten vorbei in die Kajute. Diese Minuten gingen ihm nicht aus dem Sinn.
        Conway bestrich sich eben einen Zwieback dick mit Sirup; sein schutteres Haar war von der leichten Brise zerzaust, die durch ein offenes Heckfenster hereindrang.

«Wie spat ist es, Bolitho?»

«Wie - spat, Sir?»
        Conway warf ihm einen verschlagenen Blick zu, ehe er in seinen Zwieback bi?.»Ich bemerkte, da? Sie Ihre, ah, neue Uhr in der Hand hatten und dachte, die Uhrzeit ware irgendwie von Wichtigkeit.»
        Bolitho starrte ihn verdutzt an. Wieder kam er sich vor wie ein Midshipman vor seinem Captain. Dann grinste er freimutig.»Es war nur eine Erinnerung, nichts weiter.»
        Conway schnaubte verachtlich durch die Nase.»Kann ich mir lebhaft vorstellen.»

«Ein schoner Anblick, Thomas. «Bolitho lie? das Teleskop sinken und wischte sich die Stirn mit dem Handrucken. Gnadenlos brannte die Sonne herab, aber wie die meisten Manner an Deck oder oben in den Wanten spurte er sie im Augenblick nicht. Funfzehn Tage seit Madras, und trotz des widrigen Windes hatte die Undine gute Fahrt gemacht. Schon oft in seiner Fahrenszeit hatte Bolitho Land gesichtet; aber jedesmal, wenn er nach den Zufallen, von denen die Seefahrt letztlich abhing, das Ziel der Reise vor sich sah, erregte ihn der Anblick der Kuste aufs neue.
        Und jetzt sah er, undeutlich wegen des Glei?ens von Meer und Himmel, ein Fleckchen Grun an Backbord voraus, und wieder uberkamen ihn Erregung und Befriedigung. Das war die schmalste Stelle der Stra?e von Malakka. Steuerbords, selbst fur den Ausguck im Masttopp unsichtbar, lag die riesige, wie ein Krummschwert gebogene Insel Sumatra, als wolle sie die Meerenge abriegeln, so da? sie in alle Ewigkeit auf fremden Meeren segeln mu?ten.

«Kommt mir ungemutlich eng vor, Sir«, bemerkte Herrick.
        Bolitho lachelte.»Breiter als der Armelkanal, Thomas. Der Steuermann schwort, es ware der sicherste Kurs.»

«Vielleicht. «Herrick beschattete die Augen mit der Hand.»Das ist also Malakka? Kaum zu glauben, da? wir uberhaupt so weit gekommen sind.»

«Und in etwa funf Tagen werden wir mit Gottes Hilfe in der Pendang Bay Anker werfen. «Er sah Zweifel in Herricks blauen Augen.»Na los, Thomas, loben Sie unser Gluck!»

«Ja, Sir. Ich wei? recht gut, da? es eine schnelle Reise war, und ich bin ebenso zufrieden wie Sie. «Er fingerte an seiner Gurtelschnalle herum.»Aber etwas anderes macht mir mehr Sorgen.»

«Aha. «Bolihto wu?te, was kommen wurde. Er hatte wohl gemerkt, da? Herrick in diesen zwei Wochen mit jedem Tag besorgter aussah. Da er sehr viel Zeit mit dem Admiral verbringen mu?te, hatte er wenig Gelegenheit gehabt, mit Herrick zusammen zu sein: mal ein Gang uber Deck vor Sonnenuntergang, eine Pfeife Tabak, ein Glas Wein miteinander.
        Jetzt sprach Herrick es unverblumt aus.»Alle wissen Bescheid, Sir. Es steht mir nicht zu, uber Ihr Verhalten zu urteilen, aber… »

«Aber das ist genau das, was Sie jetzt tun, nicht wahr?«Bolitho lachelte nachdenklich.»Ist schon gut, Thomas, ich rei?e Ihnen nicht den Kopf ab.»
        Doch Herrick blieb ernst.»Es ist kein Spa?, Sir. Die Lady ist schlie?lich mit einem hochgestellten Gouvernementsbeamten verheiratet. Wenn diese Affare nach London durchsickert, dann sind Sie in Gefahr, und das ist eine Tatsache.»

«Vielen Dank fur Ihre Besorgnis. «Bolitho spahte voraus. Weit vor dem trage tanzenden Bugspriet der Undine segelte die Rosalind an Untiefen und Sandbanken vorbei, wie zweifellos schon manches liebe Mal.

«Aber daruber mochte ich nicht reden. Auch nicht mit Ihnen; schlie?lich halten Sie alles, was ich dazu sage, fur verkehrt.»

«Gewi?, Sir, ich bitte um Entschuldigung. «Aber dickkopfig redete er weiter.»Ich kann einfach nicht dabeistehen und zusehen, wie Sie durch anderer Leute Schuld kaputtgehen. Ich mu? wenigstens versuchen, Ihnen zu helfen.»
        Bolitho ergriff seinen Arm.»Trotzdem wollen wir uber diese Angelegenheit nicht mehr reden, Thomas. Einverstanden?»

«Aye, Sir. «Aber Herrick sah dabei unglucklich aus.»Wenn Sie es so haben wollen… »
        Ein Matrose kam aus der Kombuse und verschwand in einem Niedergang; er trug Putz und Schrubber.

«Der Schiffsarzt hat sich schon wieder ubergeben«, sagte Herrick mude.»Der Mann da soll vermutlich seine Kajute klarieren.»

«Betrunken, naturlich?»

«Sieht so aus. Aber er hat eben wenig zu tun, Sir; unsere Leute sind bemerkenswert gesund.»

«Ist auch besser so. «Unvernunftigerweise wurde Bolitho jetzt gereizt.»Was, in drei Teufels Namen, soll ich blo? mit Whitmarsh machen?»

«Es geht ihm eine Menge im Kopf herum, Sir.»

«Anderen Leuten auch.»
        Herrick bemuhte sich, gelassen zu sprechen.»Er hat zusehen mussen, wie sein jungerer Bruder wegen eines Verbrechens gehangt wurde, das er, wie sich spater herausstellte, nicht begangen hatte. Und selbst wenn er schuldig gewesen ware, dann ware es immer noch ein furchtbares Erlebnis gewesen.»
        Bolitho stie? sich von der Reling ab und fuhr herum.»Wie haben Sie denn das erfahren?»

«In Madras. Er kam betrunken an Bord, und ich war ein bi?chen grob mit ihm. Da brullte er mir die Geschichte ins Gesicht. Es macht ihn kaputt.»

«Ich danke Ihnen, da? Sie es mir erzahlt haben - wenn auch ein bi?chen spat.»
        Herrick wich nicht zuruck.»Sie waren sehr beschaftigt, Sir. Ich wollte Sie nicht belastigen.»
        Bolitho seufzte.»Verstehe schon. Aber in Zukunft mochte ich solche Dinge sofort horen. Die meisten Schiffsarzte sind blo?e Schlachter. Whitmarsh ist etwas Besseres. Aber ein standig betrunkener Arzt ist eine Gefahr fur jeden an Bord. Die Sache mit seinem Bruder tut mir leid; ich kann seine Gefuhle verstehen. «Er blickte Herrick ruhig ins Gesicht.»Wir mussen sehen, was wir tun konnen, damit er wieder einigerma?en in Ordnung kommt, ob es ihm nun pa?t oder nicht.»
        Herrick nickte ernsthaft.»Ganz meine Meinung, Sir. Der Patient kann seine Krankheit selbst am wenigsten beurteilen. «Er unterdruckte ein Grinsen.»Wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir.»
        Bolitho schlug ihm auf die Schulter.»Bei Gott, Thomas, Sie gehen wirklich zu weit. Es wundert mich gar nicht, da? Ihr Vater Sie zur See geschickt hat. «Damit ging er das schragliegende Deck hinauf nach Luv und uberlie? es Herrick, die Wache zu kontrollieren.
        Also wu?ten alle Bescheid. Bolitho strich uber die Uhrtasche seiner Hose. Was hatte Herrick erst gesagt, wenn er die Gravur auf der Innenseite des Deckels hatte lesen konnen?

«Wir gehen gleich uber Stag, Mr. Herrick. «Bolitho trat zum Kompa? und blickte uber Mudges Schulter.»Kurs Nordnordost.»
        Herrick fa?te an den Hut.»Aye, aye, Sir«, sagte er, ebenso dienstlich wie sein Captain.


        Funf Tage waren vergangen, seit sie uber Viola Raymond und uber des Doktors private Probleme gesprochen hatten; und
        Bolithos Stimmung war besser denn je. Auf dem Schiff hatte sich eine regelma?ige, gelassene Routine eingespielt, sogar das Exerzieren ging ohne Klagen vor sich. Die Mannschaft der Undine hatte zwar in bezug auf Geschutzdienst noch allerlei zu lernen, aber immerhin arbeitete jetzt an jeder Kanone eine eingespielte Bedienung und nicht ein kopflos durcheinanderstolpernder Haufen.
        Bolitho hob das Fernrohr und studierte die neuen Formen und Muster des Horizonts. Mudge hatte ihm versichert, da? Pendang Bay nur noch etwa funf Seemeilen voraus lag, aber trotzdem war es schwer zu glauben, da? sie das Ziel ihrer Reise so gut wie erreicht hatten. Nach funftausend Meilen eine andere Welt. Ein ganz anderes Leben.

«Alle Mann an die Brassen!«Bolitho horte Schritte hinter sich und wandte sich um, denn er wollte sehen, was Conway, der eben an Deck kam, fur ein Gesicht machte. Es war fruher Morgen, und ein paar Sekunden lang dachte Bolitho, er bilde sich blo? ein, was er sah. Aber Conway trug wirklich gro?e Konteradmiralsuniform mit Degen und Dreispitz. Den ersten hielt er etwas ungeschickt wie einen Zeigestock, als ware er nicht sicher, was die Leute dazu sagen wurden.

«Guten Morgen, Sir!«gru?te Bolitho. Herrick starrte sie beide an, die Sprechtrompete in der halberhobenen Hand vergessend.
        Conway trat zu Bolitho an die Reling und luftete gru?end den Hut. Die machtigen Rahen knarrten im Chor; keuchend vor Anstrengung, holten die Matrosen die Brassen dicht.

«Na, was meinen Sie dazu?«fragte Conway argwohnisch.

«Ich finde, Ihre Uniform ist dem Anla? durchaus angemessen,
        Sir.»
        Conways Lippen wurden plotzlich schmal, und die Mundfalten vertieften sich noch mehr. Seine Dankbarkeit, denn das und nichts anderes war es, war ruhrend, ja herzbewegend anzusehen.»Sie ist naturlich noch nicht gebugelt. Ich habe sie nur anprobiert, um zu sehen, ob etwas geandert werden mu?. «Und scharferen Tones:»Wenn ich schon Gouverneur bin, dann sollen sie gleich bei der Landung sehen, woher der Wind weht - hol sie alle der Teufel!»
        Midshipman Armitage beobachtete die Brigg, die ihre Rahen bra?te, um in Lee der Undine zu bleiben.

«Ein Gewitter, Sir«, sagte er nervos. Aber Bolitho hatte bereits ein Fernrohr ergriffen.

«Diesmal nicht, Mr. Armitage. «Er wandte sich Herrick zu.»Segel kurzen, Mr. Herrick, und dann alle Mann auf Stationen!»«
        Sie starrten ihn an wie einen vollig Fremden.

«Diese Sorte Gewitter kenne ich namlich.»



        X Unter der Piratenflagge


«Schiff klar zum Gefecht, Sir. «Gespannt wartete Herrick auf Bolithos Reaktion. Der lie? langsam sein Fernrohr vom Bug bis zum Heck gleiten. Er versuchte, das sich uberschneidende Gewirr von Wanten und Schoten zu meiden und seinen Blick auf die Kuste zu konzentrieren. Wegen des grellen Sonnenlichts, das bereits durch den Morgendunst sickerte, war es unmoglich, einen exakten Blickpunkt festzulegen und Entfernungen zu schatzen.

«Das dauert zu lange, Mr. Herrick«, erwiderte er.»Sie mussen auf zwolf Minuten kommen. «Aber er redete nur, damit er etwas mehr Zeit bekam, seine Gedanken zu sammeln.
        Das ferne Geschutzfeuer hatte aufgehort, aber es waren mindestens ein Dutzend Schusse gefallen: scharf und laut, trotz der gro?en Entfernung. Kleine Kaliber, wahrscheinlich.
        Bolitho lie? den Blick weiter nach Steuerbord schweifen. Als niedriger Keil schob sich das Land vor, parallel zum Kurs der Undine, die langsam heranglitt. Der ostliche Arm der Pendang Bay, ganz ohne Zweifel.
        Etwas Dunkles kam in die Linse; es war die Brigg, leicht krangend in der schwachen Brise; auf den Rahen wimmelten winzige Gestalten, das Reffen der Segel war fast beendet. Eine gro?e spanische Flagge wehte an der Besangaffel, und er uberlegte einen Augenblick, wie der Kapitan der Rosalind wohl auf Puigservers nationale Ambitionen reagieren mochte.
        Fast gegen seinen Willen sprach er seine Gedanken laut aus:»Ich wunschte, Puigserver ware bei uns. Gemeinsames Planen und Handeln waren meiner Meinung nach jetzt angebracht.»
        Conway grunzte.»Uberflussig. Die Undine ist das Kriegsschiff, Bolitho, nicht die Brigg. Heute will ich mich mit keinem verdammten Spanier rumargern mussen.»

«Was halten Sie davon, Sir?«fragte Herrick.
        Bolitho wiegte nachdenklich den Kopf.»Vielleicht ein Uberfall auf den Stutzpunkt. Aber soweit ich wei?, ist er gut befestigt.»
        Grob fuhr Conway dazwischen:»So viel Theater um ein paar lausige Wilde!»
        Herrick, der dicht neben Mudge stand, flusterte diesem zu:»Das hat wahrscheinlich auch der arme Captain Cook gesagt.»
        Bolitho fuhr herum:»Wenn Sie weiter nichts zu tun haben, als damliche Bemerkungen zu machen…«Er wandte sich wieder ab und befahl:»Sofort zwei gute Lotgasten aufs Wasserstag, und sie sollen regelma?ig aussingen! Mr. Mudge, lassen Sie einen Strich abfallen!»
        Sein scharfer Ton wirkte. Manner, die eben noch ihre Mutma?ungen uber die Vorgange an Land ausgetauscht hatten, standen auf einmal stumm und eifrig bei den Geschutzen, sammelten sich an den Fallen und Brassen und warteten auf das nachste Kommando. Das Ruder knarrte laut in der plotzlichen Stille, und der Rudergast sang aus:»Nordost zu Nord, Sir.»

«Recht so. «Fasziniert blickte Bolitho Conway an. Er sah ihn im Profil, seine Augen glitzerten vor Spannung.
        Vom Vorschiff her kam die Meldung des Lotgasten:»Kein Grund, Sir!»
        Bolitho blickte zu Mudge hinuber, aber dessen massiges Gesicht war fast ausdruckslos. Wahrscheinlich hielt er das Loten fur uberflussig. Nach der Karte und allen sonstigen Informationen war ausgewiesen, da? diese Gewasser bis auf etwa eine Kabellange vor Land tief genug waren. Aber vielleicht dachte Mudge auch, der Captain sei nur deshalb so vorsichtig, weil er nichts dem Zufall uberlassen wollte.
        Noch ein Krachen, ein einzelnes nur, rollte von der dunstigen Kuste heruber und verklang.
        Bolitho zog seine neue Uhr hervor und starrte lange auf das Zifferblatt. Bei der geringen Fahrt, die sie jetzt machten, wurden sie fast eine Stunde bis an Land brauchen. Aber das war nicht zu andern.

«Kein Grund, Sir!»

«Weitergeben an Hauptmann Bellairs«, befahl Bolitho.»Ein komplettes Landungsdetachement! Und an Mr. Davy: Boote klar zum Aussetzen, sobald wir ankern. Er ubernimmt das Kommando selbst!»

«Eine sichere Kuste, nach allem, was ich gehort habe«, sagte Conway.»Die Ansiedlung und das Fort liegen am westlichen Abhang der Bucht.»
        Herrick kam wieder nach achtern. Er fa?te gru?end an den Hut und fragte mit einer gewissen Zuruckhaltung:»Soll ich die Geschutze laden lassen, Sir?»

«Noch nicht, Mr. Herrick.»
        Bolitho richtete sein Fernrohr uber Backbord voraus. Die Ansiedlung, das Fort - er konnte sie nicht deutlich erkennen; vielleicht bildete er sich auch nur ein, etwas zu sehen. Eigentlich war alles nur ein verwischtes Grun, ohne Anzeichen von Besiedlung.
        Er horte das Befehlsgebrull des Sergeanten der Marineinfanterie und das Getrampel der Seesoldaten, die fur das Landungsdetachement in Gruppen eingeteilt wurden. Bellairs beaufsichtigte den Vorgang vom Steuerborddecksgang aus. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, aber seinen Augen entging nichts.

«Zwanzig Faden!«[Tiefenma?: l Faden = 1,829 m (der Ubersetzer).] sang der Mann unterm Bugspriet triumphierend aus.
        Duster nickte Mudge.»Stimmt ungefahr. Hier sind es uberall zwanzig Faden.»
        Ein paar kleine Vogel flitzten kreuz und quer uber die Wasserflache und kreisten um die gebra?ten Rahen. Bolitho sah ihnen zu und dachte an die Mauersegler, die um das graue Steinhaus in Falmouth flogen. Dort mu?te es jetzt schon sein! Sonne, leuchtende Farben, Schafe und Rinder auf den Hugeln. Und in der Stadt selbst ein Gewimmel von Farmern und Seeleuten, die seit uralten Zeiten einer von des anderen Arbeit lebten.
        Bolitho bemerkte Herrick in der Nahe und sagte leise:»Tut mir leid, da? ich vorhin grob geworden bin.»
        Herrick lachelte.»Hat nichts zu sagen, Sir. Sie hatten ganz recht. Wir sind auf dieser Reise schon mal reingefallen, weil wir nicht aufgepa?t haben. Schwierigkeiten verschwinden nicht davon, da? man wegsieht.»

«Die Rosalind setzt wieder ihre Vorsegel, Sir!«Sie wandten sich um und sahen, da? die Brigg sich vor den Wind legte und mehr Fahrt zu machen begann.»Bei Gott«, knurrte Conway,»der Kerl will vor uns einlaufen! Der Teufel soll ihn holen!»

«Das ist sein gutes Recht, Sir. «Bolitho richtete sein Teleskop auf die Brigg, sah die geschaftigen Gestalten an Deck und in der Takelage, sah, wie der Wimpel mit gro?artigem Schwung im Wind schlug und das Wappen darauf im Sonnenlicht glanzte. Bis die Ubergabe offiziell vollzogen ist, bleibt es Territorium der Spanischen Handelskompanie.»

«Eine blo?e Formalitat«, erwiderte Conway wutend und starrte Bolitho ins Gesicht. Geben Sie einen Warnschu? ab, Captain!»

«Befehl weitergeben zum Vorschiff, Mr. Herrick! Eine Kugel! Aber aufpassen, da? sie die Brigg nicht trifft!»
        Der Mann an der Lotleine sang aus:»Achtzehn Faden!»
        Die Lafette quietschte und knarrte, als das Geschutz ausgefahren wurde. Der Stuckfuhrer visierte am Rohr entlang, und als ein Sonnenstrahl ihn traf, sah Bolitho, da? seine eine Hand ein eiserner Haken war: Turpin.

«Klar zum Schu?, Sir!«meldete Herrick.

«Dann Feuer frei.»
        Die Kanone krachte, und Sekunden spater spritzte ein dunner Wasserstrahl hoch, weitab vom Bug der Brigg.

«Nun wissen sie wenigstens, da? wir kommen, Sir«, sagte Bolitho.

«Diese Wilden!«schimpfte Conway.»Ich werde es ihnen schon zeigen!»
        Mit einem Seufzer der Erleichterung sah Bolitho, da? die Brigg einen Strich abfiel. Der Kluver wurde, als Reaktion auf das grobe Signal, bereits aufgegeit. Der Gedanke, da? eine unzureichend bewaffnete Brigg zwischen einen eventuellen Feind und seine eigenen Kanonen geriet, war ihm unertraglich. Und noch dazu, da sie an Bord der Rosalind war.
        Scharf wandte er sich ab; er argerte sich uber sich selbst, weil er seine Gedanken wieder einmal ihre eigenen Wege gehen lie?. Gerade jetzt mu?te er vollig klaren Kopf behalten.

«Mr. Mudge, was wissen Sie noch von dieser Gegend, au?er dem, was Sie mir schon erzahlt haben?»
        Der Steuermann zuckte die Schultern.»Kaum jemand kennt das Hinterland, Sir: Kopfjager und viele Stammesfehden, wie ich gehort habe. Die Eingeborenen sind zum Teil Seefahrer, Piraten aus Nordborneo. Seedajaks nennt man sie. Manches gute Schiff, das nichtsahnend hier vor Anker lag, ist von diesen Teufeln uberfallen worden. «Er schuttelte so heftig den Kopf, da? seine Backen schwappten.»Dann hauen sie mit diesen langen Messern zu, und es ist aus und vorbei.»
        In diesem Moment deutete ein Matrose, der neben einem Sechspfunder stand, nach oben, wo der Wimpel im Topp auf einmal energisch zu flattern begann. Wie ein langer, trager Vorhang hob sich der Dunst und zerstob. Endlose Strande, dichter Dschungel und schlie?lich weit hinten die sich uberschneidenden Berge wurden sichtbar. Herrick lie? das Teleskop sinken.

«Und das soll der Stutzpunkt sein, Sir?»
        Bolitho behielt sein Glas vorm Auge; er wagte nicht, Conway ins Gesicht zu sehen. Was er zuerst fur einen Haufen gefallter und aufeinandergeschichteter Baumstamme gehalten hatte, wurde nun zu langen, spitzen Palisaden, in unregelma?igen Zwischenraumen von niedrigen Blockhausern verstarkt. Als sich der Dunst vollends verfluchtigt hatte, konnte er die Gouverneursresidenz ausmachen. Das mu?te sie sein, das gro?te Gebaude, das zu sehen war. Es war ebenfalls aus Baumstammen erbaut, mit einem oberen und einem unteren Wehrgang und einem spinnenbeinigen Wachtturm in der Mitte, an dem die spanische Flagge sich manchmal in der schwachen Brise trage hob.

«Um Gottes willen«, sagte Conway gepre?t - kaum wollten ihm die Worte aus der Kehle.
        Angestrengt spahte Bolitho hinuber, ob sich nicht au?er der Flagge etwas regte - irgendein Zeichen menschlichen Lebens. Der Bau sah primitiv aus, war aber gunstig gelegen und leicht zu verteidigen. Uberall auf der Welt mu?te es solche Stutzpunkte geben. Aber wie hatte es hier vorher ausgesehen? Irgendwer mu?te als erster aus einem Boot gestiegen und an Land gewatet sein, um eine Fahne zu hissen und damit das Gebiet fur sein Vaterland in Besitz zu nehmen. Bolitho hatte von Inseln im Pazifik gehort, die abwechselnd von einem halben Dutzend Nationen als ihr Eigentum beansprucht wurden. Manchmal lag der echte Wunsch nach Kolonisierung vor; manchmal aber war nur ein Schiff eingelaufen, das nichts weiter wollte, als Wasser und Brennholz zu ubernehmen.

«Zehn Faden!«sang der Mann am Lot aus.

«Wir ankern bei acht Faden«, sagte Bolitho zu Herrick. Allday machte sich bereits an der festgelaschten Gig zu schaffen.»Und dann die Boote zu Wasser, so schnell es geht!»
        Er betrachtete aufmerksam die kabbligen kleinen Wellen, welche die auffrischende Brise vor sich hertrieb: eine gro?e, gutgeschutzte Bucht. Wie es hei?t, hatte die Koniglich Spanische Handelsgesellschaft sie vor einigen Jahren beinahe zufallig in Besitz genommen. Eigentlich hatte sie ihren Stutzpunkt weiter nordlich errichten wollen, um Zugang zum Handel mit den Philippinen zu gewinnen. Aber da war Fieber ausgebrochen, es hatte Verluste an Schiffen und Vorraten gegeben, und so hatten sie sich schlie?lich hier festgesetzt. Es war leicht zu verstehen, warum die Spanier den Mut verloren hatten, und noch leichter war einzusehen, wieviel wichtiger das Gebiet fur die Briten sein wurde. Beide Indien waren von hier aus erreichbar und desgleichen die weitraumigen, bisher kaum erforschten Reserven des Chinesischen Meeres. So konnte der Stutzpunkt Teluk Pendang ein lebenswichtiges Bindeglied sein, vorausgesetzt, er bekam Zeit, sich zu entwickeln, und wurde geschickt regiert. Jetzt, da die Spanier und Franzosen sich aus dieser Gegend zuruckgezogen hatten, gab es nur noch die Konkurrenz des hollandischen
Ostindienhandels.
        Bolitho warf einen raschen Blick auf Conways maskenstarres Gesicht. War er der Mann, so etwas in Angriff zu nehmen?
        Berufssoldaten sahen selten etwas anderes als die Taktik der unmittelbaren Situation. Und wenn ein solcher Mann noch dazu durch eigene Fehler verbittert und verzweifelt war, so wurde er um so weniger zu Kompromissen bereit sein.

«Da kommen Leute aus den Palisaden, Sir!»
        Bolitho hob sein Teleskop aufs neue. Zu zweit und dritt kamen sie; einige trugen Musketen, andere hinkten waffenlos uber den Sand auf die lange, noch unfertige Pier aus Baumstammen und Steinen. Manche waren so dunkelhautig, da? man sie fur Eingeborene halten konnte; aber ihre Uniformen waren ohne Zweifel spanisch.
        Keiner winkte. Sie standen oder sa?en stumpf da und beobachteten das langsame Einlaufen der Fregatte.

«Mein Gott!«murmelte Herrick.»Die sehen ja aus wie Vogelscheuchen.»

«Was haben Sie denn erwartet, Mr. Herrick, Sir?«Ungesehen und ungehort war der Schiffsarzt aufs Achterdeck gekommen. Sein Gesicht und sein Hals sahen wie rohes Fleisch aus.
        Mit unbewegter Miene musterte Bolitho ihn.»Sie haben sich inzwischen erholt, Mr. Whitmarsh?»
        Der starre Blick des Arztes wanderte zum Kapitan hinuber. Seine Augen waren rotgerandert und schienen in ihren Hohlen zu brennen. Undeutlich murmelte er:»Wir sind am Ziel, wie ich sehe, Sir. «Er tastete nach einem Halt, fand keinen und fiel beinahe lang hin.»Immer geht's nach dem gleichen Muster«, murmelte er.»Erst kommen wir als Schutzmacht, wenn notwendig mit Kriegsschiffen und Soldaten, damit's auch ein richtiges Protektorat wird. Und wenn alles gesichert ist, dann kommen die Kaufleute, und von da an regiert die Flagge der Handelskompanie.»

«Und was weiter?«fragte Bolitho kalt.
        Whitmarsh richtete seinen leeren Blick auf ihn.»Dann wird der Landstrich eine Kolonie. Und wenn wir ihn ausgesogen haben wie eine Auster, dann - hick - schmei?en wir die Schale weg.»
        Erst jetzt schien Conway zu horen, was er sagte.»Scheren Sie sich unter Deck, Sie versoffener Kerl!«Verzweiflung arbeitete in seinem Gesicht; er mu?te sich durch diesen Wutausbruch entlasten.»Oder es wird Ihnen leid tun, beim Himmel!»
        Der Arzt brachte eine wacklige Verbeugung zustande.»Aber es tut mir schon jetzt leid, glauben Sie mir! Sie tun mir leid, da? Sie hier eine so elende Aufgabe ubernehmen mussen. «Schwankend wendete er sich Bolitho zu.»Und der gute Captain hier tut mir leid, der schlie?lich zwischen Gerechtigkeit und Tyrannei seinen Kopf hinhalten mu?. Und vielleicht am meisten tut mir…«Er taumelte, brach zusammen und blieb unbeweglich liegen wie ein Bundel Lumpen.

«Acht Faden Tiefe!»
        Die Meldung des Lotgasten brachte Bolitho in die Wirklichkeit zuruck.»Schafft ihn in seine Koje!«befahl er kurz. Einige Matrosen schleppten den leblosen Arzt zum Niedergang, und Bolitho bekam den sauren Gestank von vergossenem Wein und Erbrochenem in die Nase. Da verfaulte ein guter Mann.
        Conway starrte immer noch auf die Decksplanken.»Noch eine Sekunde, und ich hatte ihn in Eisen legen lassen. «Er warf Bolitho einen wutenden Blick zu.»Nun?»

«Es war schon etwas an dem, was er sagte, Sir. Was ein Nuchterner nur denkt, spricht ein Betrunkener oft genug aus.»

«Wir sind nahe genug, Sir, glaube ich«, rief Herrick dazwischen.
        Bolitho eilte zum Achterdeck, froh, Conways dusterer Stimmung zu entrinnen. Jetzt konnte er die Kustenlinie studieren, die der kleinen Landzunge an Backbord und die der gro?eren ostlichen an Steuerbord. Beide reichten weit ins Meer hinaus und hatten in der Fruhsonne bereits einen zartgrunen Schimmer.

«Signalisieren Sie der Rosalind, was wir vorhaben, und dann ankern Sie bitte. «Er wartete, bis die Ankermannschaft uber dem Kranbalken bereitstand, dann fugte er hinzu:»Sagen Sie Mr. Davy, er soll unsere Leute zusammenhalten, wenn wir an Land gehen. Ich will keine Seuche an Bord.»

«Glauben Sie, da? es hier Fieber gibt, Sir?«Sekundenlang glomm Angst in Herricks Augen auf. Wie die meisten Seeleute konnte er Blut und Breitseiten verkraften, auch die harte Disziplin, die seinen Alltag beherrschte. Aber das Unbekannte, die Schrecken der Seuchen, die ein ganzes Schiff dienstunfahig machen, es in ein schwimmendes Grab verwandeln konnten - das war etwas anderes.

«Wir werden es bald merken.»

«Die Rosalind hat unser Signal bestatigt, Sir.»
        Keen schien so munter und sorglos wie immer zu sein. Sogar Armitage blickte beinahe erwartungsvoll zum Land hinuber.

«Ruder legen!»

«An die Leebrassen!»
        Das Ruder schwang herum, und Bolitho schritt auf Conways Seite hinuber, um dem Gerenne der Matrosen auf dem Achterdeck aus dem Wege zu gehen; langsam drehte die Fregatte in den Wind.

«Wollen Sie auf Don Puigserver warten, Sir?»
        Conway blickte ihn an; an seinem Hals zuckte ein Nerv, als der Anker mit einer machtigen Schaumkaskade ins Wasser platschte.

«Mu? ich ja wohl. «Er spahte zur Brigg hinuber, die schon an ihrer Ankertrosse schwojte.»Ich wunsche, da? Sie mich begleiten.»

«Es ist mir eine Ehre, Sir.»

«So, finden Sie?«Conway nahm den goldbetre?ten Hut ab und fuhr sich mit der Handflache uber das graue Haar.»Wir werden ja sehen«, sagte er mit bitterem Lacheln.
        Noddall kam mit Bolithos Degen an Deck, zog sich aber sehr schnell zuruck, als Allday ihn wutend anknurrte:»He - gib mir das!«Er eilte zu Bolitho und schnallte ihm den Degen sorgfaltig um.»Was der sich einbildet!«murmelte er dabei. Dann richtete er sich auf und starrte die Boote an, die hochgehievt und ausgeschwungen wurden.

«Da haben wir eine lange Reise hinter uns gebracht, Captain. «Er wandte sich halb um und beobachtete, wie auch die Boote der Brigg abgefiert wurden.»Das ist kein guter Ort, finde ich.»
        Aber Bolitho horte nicht hin. Er sah zu, wie die Seesoldaten in die dumpelnden Boote kletterten, mit ihren roten Rocken, den standig ausrutschenden Stiefeln und, wie immer, mit machtigem Waffengeklirr. Hauptmann Bellairs inspizierte jeden einzelnen und ganz besonders den jungen Corporal, der die verhullte Flagge Englands trug, die bald uber dem fremden Boden wehen sollte.
        Wie viele Marineoffiziere hatte sich auch Bolitho oft die Inbesitznahme neuer Gebiete im Geist ausgemalt; aber dann war das Zeremoniell gro?artiger und glanzender gewesen: endlose Reihen von Soldaten, dazu Militarkapellen, eine hurraschreiende Volksmenge, und der ebenso prachtvolle wie machtige Anblick der drau?en vor Anker liegenden Kriegsschiffe. Jetzt sah er das ganz anders. Aber es war schlie?lich nur ein Anfang. Klein, doch darum nicht weniger beeindruckend.

«Na, dann wollen wir mal«, sagte Conway.»Wie ich sehe, ist der Don schon unterwegs.»
        Tatsachlich ruderten die Boote der Brigg bereits auf die Kuste zu; das eine trug die spanische Flagge, das andere die der East India Company. Erleichtert stellte Bolitho fest, da? Viola Raymond an Bord geblieben war.
        Conway kletterte hinter Bolitho in die Gig; die anderen Boote, bis zum letzten Platz voll schwerbewaffneter Seesoldaten, folgten in Facherformation; so bewegte sich die Flottille auf die nachste Bucht zu.
        Lange bevor sie in Rufweite der am Ufer hinter der Brandungslinie stehenden Leute waren, konnte Bolitho den Urwald riechen, wie Weihrauch, verwirrend und uberwaltigend. Er fa?te den Degengriff fester und versuchte, sich zusammenzunehmen. Das war ein Moment, den er nie vergessen durfte. Er warf einen raschen Blick auf Conway, aber der schien vollig unbeteiligt zu sein; ernst, fast melancholisch, irgendwie abwesend sah er aus.
        Der neue Gouverneur von Teluk Pendang war eingetroffen.
        Leutnant Thomas Herrick ging ein paar Schritte quer uber das Achterdeck. Nervos beobachtete er Bellairs' Seesoldaten und einige Matrosen unter den nachstgelegenen Palisaden. Es war kurz nach zwolf Uhr mittags, und die Sonne brannte mit voller Wucht auf die vor Anker liegenden Schiffe herab. Wer von den Matrosen nichts zu tun hatte, suchte Schatten unter den Decksgangen. Aber Herrick traute sich nicht, das Deck zu verlassen, obwohl ihm der Kopf bereits schwamm und ihm das Hemd am Leibe klebte wie ein nasser Fetzen.
        Die Undine zerrte an ihrer Ankerkette. Sie war geschwojt, jetzt zeigte ihr Heck auf den langen hellen Strand. Die Sicht war klarer geworden, man erkannte deutlicher, wie gro? der Gebaudekomplex war, der jetzt Conway unterstand. Er war weitlaufiger, als es auf den ersten Blick ausgesehen hatte, und offensichtlich von einem Festungsbaumeister entworfen. Selbst die noch unfertige holzerne Pier machte einen soliden Eindruck, aber wie der ganze Komplex war auch sie sehr vernachlassigt.
        Jedesmal wenn Herrick das Achterdeck uberquerte oder uber die Heckreling spahte, sah er Bolitho und ein paar Manner vom Landungskommando irgendwo auf den holzernen Brustwehren; auch im Raum zwischen den Palisaden, welche den Zugang zum Fort und den anderen Gebauden schutzten, hatte er sie beobachtet. Wie tote Fische lagen die Boote auf dem Strand da, wo sie vor vier Stunden gelandet waren. Ein paar Seesoldaten hatten die Drehgeschutze zum Fort geschafft; andere, von dem bulligen Sergeanten Coaker gescheucht, hatten die Brustwehren besetzt oder patrouillierten jetzt auf der Pier. Die wenigen spanischen Soldaten hatten sich ins Innere des Forts zuruckgezogen; und der Feind - oder worauf sie vorhin gefeuert hatten - war nirgends zu sehen.
        Schwere Schritte kamen uber die Planken; Herrick wandte sich um und erblickte Soames, der mit der einen Hand seine Augen beschattete und in der anderen ein Stuck Schiffszwieback hielt, an dem er kaute.»Schon ein Signal, Sir?«Soames betrachtete die ferne Ansiedlung ohne sonderliche Begeisterung.»An solch einem Ort sein Leben zu beenden - nein, danke!»
        Herrick war besorgt. Inzwischen hatte eigentlich etwas geschehen sein mussen. Es sollten sich etwa dreihundert spanische Soldaten nebst Tro? im Stutzpunkt befinden, und Gott wei? wie viele Eingeborene au?erdem. Aber gesehen hatte er bisher nur ganz wenige. Der alte unheimliche Gedanke fuhr ihm wieder durch den Sinn: die Pest vielleicht? Oder etwas noch Schlimmeres?

«Anscheinend inspizieren sie die inneren Verteidigungsanlagen«, erwiderte er.»Kein Wunder, da? die Dons diesen Posten loswerden wollen. «Er schauderte.»Von hier aus hat man den Eindruck, da? der verdammte Dschungel die Menschen wieder ins Meer drangen will.»
        Achselzuckend deutete Soames mit seinem angebissenen Zwieback zum Geschutzdeck. Soll ich die Geschutzbedienungen wegtreten lassen? Sieht nicht so aus, als ob uns die da druben noch Grund zum Eingreifen geben werden.»

«Nein. Es sind ja nur funf Geschutze bemannt. Lassen Sie die Bedienungen ablosen, und schicken Sie sie unter Deck zum Ausruhen. «Herrick war froh, als Soames ging. Er wollte sich konzentrieren, wollte sich uber Entscheidungen klarwerden, wenn er plotzlich handeln mu?te, ohne da? Bolitho hinter ihm stand. Beim letzten Mal war es anders gewesen. Da war eine wilde Verwegenheit uber ihn gekommen, noch verstarkt durch die Notwendigkeit, Bolitho auf dem schnellsten Wege zu Hilfe zu eilen.
        Aber hier gab es keine schreienden Wilden, keine heranflitzenden Kanus, die er mit ein paar Ladungen Hackblei zerschmettern konnte. Nur Schweigen. Deprimierende, unbewegte Stille.
        Da rief Midshipman Penn mit seiner schrillen Knabenstimme:»Eins der Boote wird zu Wasser gebracht, Sir!»
        Herrick spurte sein Herz klopfen, als der Mann dort druben am Strand die grungestrichene Gig der Undine ins flache Wasser stie?. Dann kam Bolitho - seine schlanke Gestalt war unverkennbar - zum Strand herunter, blieb einen Moment stehen, um Davy etwas zu sagen, und schwang dann die Beine uber das Dollbord.
        Endlich. Bald wurde er wissen, was los war. Nur vier Stunden hatte es gedauert, aber sie waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen.

«Klar zum Seitepfeifen!»
        Als Bolitho durch die Pforte an Bord kam, fiel Herrick auf, wie besorgt und nachdenklich er dreinsah. Sein Rock war voller Sand und Staub, das Gesicht schwei?na?. Blicklos starrte er auf das strammstehende Empfangskommando.

«Schiffsarzt mit Sanitatsgasten an Land!«befahl Bolitho.»Soll sich bei Mr. Davy melden. Wenn die anderen Boote kommen, schicken Sie Pulver, Blei und frisches Obst hinuber!«Er spahte nach der vor Anker liegenden Brigg und dem Boot aus, das sich wieder in rascher Fahrt dem Land naherte.»Ich habe die Rosalind aufgefordert, nach besten Kraften zu helfen. «Er warf einen Blick auf Herricks rundes Gesicht und lachelte zum erstenmal.»Beruhigen Sie sich, Thomas - es ist noch nicht das Ende. Nur beinahe. Kommen Sie in meine Kajute, wenn Sie die Befehle weitergegeben haben. Allday hat eine Liste von alldem, was gebraucht wird.»
        Als Herrick schlie?lich zu Bolitho in die Kapitanskajute kam, fand er ihn mit entblo?tem Oberkorper vor einem gro?en Krug Zitronenlimonade.

«Setzen Sie sich, Thomas. «Herrick nahm Platz. Er sah, da? Bolitho sich wieder gefa?t hatte. Aber da war noch irgend etwas; seine Gedanken liefen in einer anderen Richtung.

«Bei Kriegsende lag hier eine Garnison von rund dreihundert Mann. «Es war, als zeichne Bolitho ein Bild nach, das jemand fur ihn gemalt hatte.»Der Kommandant, bewahrter Ratgeber des Konigs von Spanien, war Oberst Don Jose Pastor, ein bekannt tuchtiger Soldat und bewandert in der Errichtung derartiger Stutzpunkte. Er verschaffte sich einiges Vertrauen bei den Eingeborenen und konnte durch Tauschgeschafte und andere Uberredungsmittel, nach spanischem Brauch auch durch Gewaltanwendung, eine starke Verteidigungslinie aufbauen und au?erdem ein ziemlich gro?es Stuck Urwald in unmittelbarer Nahe roden. Es gibt sogar eine Art Stra?e, die jetzt allerdings uberwuchert ist. Eine Wildnis.»

«Fieber?«riet Herrick.

«Das naturlich auch, aber nicht schlimmer, als in einer solchen Gegend zu erwarten. «Er sah Herrick ein paar Sekunden aufmerksam ins Gesicht; seine Augen waren sehr grau in dem reflektierten Licht.»Nein, der Stutzpunkt wurde uber ein Jahr lang fast ununterbrochen angegriffen. Zuerst dachten sie, es handle sich um irgendwelche rauberischen Stamme, Dajakpiraten vielleicht, denen der wachsende spanische Einflu? in ihrem Gebiet nicht pa?te. Oberst Pastor hatte nicht weit vom eigentlichen Stutzpunkt eine katholische Mission eingerichtet. Man fand die Monche furchterlich verstummelt und ohne Kopfe. «Er beachtete Herricks entsetzte Miene nicht.»Dann gab es Todesfalle durch Vergiftung der
        Zisternen. Die Garnison mu?te mit dem kleinen Bach auskommen, der innerhalb der Palisaden entspringt. Ohne ihn ware schon langst alles aus gewesen. Stellen Sie sich vor, Herrick, Sie waren hier Offizier, mu?ten versuchen, die Moral aufrechtzuerhalten, standig gegen einen unsichtbaren Feind kampfen, und hatten Tag fur Tag ein paar Manner weniger. Jeden Morgen bei Sonnenaufgang suchen Sie die Kimm ab, beten um ein Schiff, irgendein Schiff, das Hilfe bringen konnte. Nur eins kam in der ganzen Zeit, aber der Kapitan lie? niemanden an Land, aus Angst vor der Pest. Er warf nur Depeschen ab und segelte weiter. Ich kann das, wei? Gott, verstehen. Die da druben sehen aus wie lebende Skelette. «Ein Boot legte vom Rumpf ab, und er wandte sich um.»Hoffen wir, da? unser Arzt jetzt weniger an sich selbst denkt und lieber anderen hilft.»
        Leise fragte Herrick:»Was gedenkt Admiral Conway zu tun,
        Sir?»
        Bolitho schlo? die Augen und erinnerte sich an die kleine Konferenz im Turmzimmer des Palisadenforts, wo Puigserver mit bebender Stimme den Bericht des Hauptmanns Vega, des einzigen uberlebenden spanischen Offiziers, ubersetzt hatte.
        Die Uberfalle hatten nicht aufgehort. Einmal, als eine Patrouille in einen Hinterhalt geraten war, wurden die Verteidiger im Fort schier verruckt von den furchtbaren Schreien ihrer Kameraden, die in Sichtweite zu Tode gemartert wurden.

«Westlich von uns liegt eine kleine Inselgruppe, die Benuas«, sagte Bolitho. Obwohl Herrick den Zusammenhang nicht verstand, nickte er.»Ja, wir haben sie gestern passiert.»

«Sie beherrscht den Eingang zur Stra?e von Malakka, zwischen Borneo, Sumatra und Java. «Bolithos Stimme klang stahlhart.

«Dieser Furst von eigenen Gnaden, Muljadi, hat dort seine Festung. Vor vielen Jahren haben die Hollander sie als Fort errichtet, gaben sie aber auf, nachdem fast die ganze Besatzung an einer Seuche starb. «Duster blickte er zum Heckfenster hinaus.»Nicht so ein Blockhaus wie Conways neue Residenz, Thomas. Eine richtige Festung aus Stein.»
        Herrick versuchte, Bolitho aus seiner Depression zu rei?en.»Aber mit ein paar Schiffen und genugend Soldaten mu?te man doch diesem Muljadi eins verpassen konnen, Sir.»

«Einmal vielleicht. «Bolitho trank aus und starrte in das leere Glas.»Heute morgen wurde wieder ein Versuch gemacht, die Verteidiger hier zu uberwaltigen. Ich nehme an, die Angreifer sahen die Undine gestern die Meerenge passieren und wu?ten daher, da? sie sich beeilen mu?ten. Jetzt sind sie im Urwald verschwunden. Hauptmann Vega von der Garnison sagt, sie ziehen sich westwarts in die Marschen an der Kuste zuruck, dort werden sie abgeholt und uber See in Muljadis Festung gebracht. «Er seufzte laut.»Im ganzen Stutzpunkt leben gerade noch funfzig Menschen. Giftpfeile, Musketenkugeln - denn die Wilden haben europaische Waffen - und auch das Fieber forderten einen furchtbaren Zoll. Es hat sogar eine Meuterei gegeben, und Vegas Leute mu?ten gegen ihre eigenen Eingeborenen kampfen; dabei wu?ten sie vor Trunkenheit und Verzweiflung kaum noch, was sie eigentlich hier sollten.»
        Entsetzt starrte Herrick ihn an.»Und was ist mit Oberst Pastor, Sir? Wurde auch er getotet?»
        Bolitho rieb sich die wei?e Narbe auf der Brust.»Darauf wollte ich gerade kommen. Vor ein paar Wochen traf tatsachlich ein Schiff ein - aber nicht um zu helfen, nicht um Menschen, die immerhin vom selben Erdteil stammen, Unterstutzung zu gewahren. Es war die Argus, Thomas. «Er fuhr herum, und die Mattigkeit fiel von ihm ab wie ein Mantel.»Eine Fregatte von vierundvierzig Kanonen, unter dem Befehl von Capitaine Le Chaumareys. Er kam selbst an Land und verhandelte mit Oberst Don Pastor. Unter anderem brachte er eine Botschaft von Muljadi. Personlich.«Bolitho hielt sich mit beiden Handen am Tischrand fest.»Und er forderte Pastor auf, die Flagge zu streichen und sich im Namen Spaniens aller Anspruche auf diesen Stutzpunkt zu begeben.»

«Mein Gott!»

«Das kann man wohl sagen. Anscheinend sprach der Oberst von Hilfe, die bald eintreffen wurde, aber Le Chaumareys lachte ihn aus. Keine Rede von Hilfe, sagte er; kein einziges Schiff wurde durchkommen.»

«Dann haben also die Franzosen ihre Finger hier drin, Sir?»

«Ganz erheblich. «Bolithos Miene erhellte sich.»Merken Sie nichts, Thomas? Le Chaumareys hatte Instruktion, die Spanier zur Aufgabe ihrer hiesigen Besitzung zu zwingen. Er wu?te besser als jeder andere, da? die Nervion oder die Undine - oder beide - mit allen zur Verfugung stehenden Mitteln aufgehalten werden wurden. War der Stutzpunkt einmal offiziell an Muljadi ubergeben, und hatte der Franzose eine schriftliche Einverstandniserklarung von Pastor in Handen, der schlie?lich hier der Reprasentant seines Konigs ist, dann hatten wir oder sonst jemand nichts weiter tun konnen. Zweifellos hatte Le Chaumareys au?erdem Befehl, im Namen Frankreichs die Souveranitat Muljadis anzuerkennen und ihn um jeden Preis als Verbundeten Frankreichs zu gewinnen. «Er blickte zum Strand hinuber, wo die Matrosen zwei Boote loschten.»Aber wir sind durchgekommen, Thomas. Zu spat allerdings fur Pastor, der auf der Argus zu Muljadi gefahren ist, um zu Gunsten seiner Leute mit ihm zu verhandeln. Er tut mir leid, wenn ich auch seinen Mut bewundere.»
        Herrick nickte langsam, seine Augen umwolkten sich.

«Und als Pastor weg war«, fuhr Bolitho fort,»begann der letzte Angriff. Kein Befehlshaber, sehr wenige Verteidiger… Tote reden nicht viel.»
        Herrick dachte daran, wie sie morgens ganz langsam in die Bucht eingelaufen waren, wie der Dunst bei dem Kanonenschu? vom Wasser hochgewirbelt war. Kein Wunder, da? die zerlumpten Verteidiger nicht mehr imstande gewesen waren, sie durch Winken oder Rufen zu begru?en. Die Undine mu?te ihnen wie eine Erscheinung vorgekommen sein.
        Bolitho sprach weiter:»Don Puigserver ist unser einziger Trumpf. Er kann im Namen seines Konigs handeln und Conway beweisen, da? Spanien ihm vertraut.»

«Wie hat er denn auf all das reagiert?»
        Bolitho dachte an das Gesicht des Spaniers bei Vegas' Bericht: voll Schrecken, Scham und schlie?lich Wut. Was aber Conway von der Situation hielt, war nicht zu erkennen gewesen. Er hatte wenig gesagt, war nicht einmal auf Raymond eingegangen, als dieser anfing, sich daruber auszulassen, was das Parlament wohl sanktionieren wurde und was nicht. Eines war sicher: die Angelegenheit mu?te in engen Grenzen gehalten werden. Truppenverstarkungen konnten sie sich nicht erhoffen; es durfte uberhaupt nicht offiziell zur Kenntnis genommen werden, da? hier oder anderswo ein Machtwechsel stattfand. Wie Raymond mehr als einmal versicherte, hatten die Hollander viel zuviel damit zu tun, ihre Kriegsverluste zu kompensieren, als da? sie sich in ihrem Einflu?gebiet einen neuen Konflikt leisten konnten. Wenn Frankreich andererseits mehr Seekrafte in diese Gewasser warf, dann mochte Spanien seine Ansichten uber die bisher noch unerprobte Allianz mit England andern. Unter Umstanden konnte es wieder Krieg geben.
        Erst als sich Bolitho anschickte, wieder an Bord zu gehen, hatte der Konteradmiral ihn in eine Ecke gezogen.
        Leise hatte er gesagt:»Politik, Handelsprivilegien, Expansion kolonialer Macht - das sind Punkte, uber die man verschiedener Ansicht sein kann. Nur eines ist mir vollkommen klar und sollte auch Ihnen klar sein, Bolitho. «Er blickte ihn starr an, um eine Reaktion zu erkennen, bevor er weitersprach:»Jedes Ratsel hat eine Losung. Dieses hier hat sogar zwei, namlich die Undine und die Argus. Vielleicht versuchen die Regierungen spater, hier mehr Krafte einzusetzen; aber dann ist es zu spat fur uns. Wenn die Undine verlorengeht, sind auch wir verloren. Seien Sie sicher, da? Le Chaumareys das ganz genau wei?!«Bolitho wollte etwas fragen, aber Conway redete schon weiter:»Er ist ein sehr fahiger Seeoffizier, geben Sie sich da keinen Tauschungen hin. Unsere Geschwader hatten im Krieg alle Ursache, ihn in die tiefste Holle zu wunschen. Frankreich hat Muljadi seinen besten Mann geliehen; ich hoffe nur, England hat dasselbe fur mich getan!»
        Bolitho hatte wohl manches von dem, was ihm im Kopf herumging, laut ausgesprochen, denn Herrick rief erschrocken:»Aber wir haben doch keinen Krieg mehr, Sir! Kein Franzose wird den Degen ziehen, eben aus Angst, es konnte wieder Krieg geben!»
        Bolitho blickte Herrick an, froh, da? er da war.»Le Chaumareys hat bestimmt einen Kaperbrief. Er ist alles andere als ein Narr. Wenn er seine vierundvierzig Kanonen ausrennt, dann wird Muljadis Flagge an seinem Gro?topp wehen, nicht das Lilienbanner Frankreichs!«Er stand auf und ging ziellos in der Kajute hin und her. Aber jedes Geschutz wird eine erfahrene Mannschaft bedienen, die Besten der franzosischen Flotte. Wir dagegen…«Er wandte sich ab; plotzlich war sein Gesicht wieder wie ausgelaugt.»Aber genug davon. Seeschlachten werden nicht durch Tagtraume gewonnen.»
        Herrick nickte.»Und was tun wir jetzt, Sir?»
        Bolitho fuhr in sein Hemd, das gleiche fleckige wie vorher.»Wir werden Anker lichten, sobald es die Tide erlaubt. Wenn Muljadi Schiffe in diesen Gewassern hat, mussen wir Beruhrung mit ihnen suchen. Wir mussen ihm zeigen, da? wir zu Ende zu fuhren gedenken, was wir begonnen haben.»
        Ein Hornsignal tonte melancholisch uber das glitzernde Wasser, und Bolitho zog Herrick zum Heckfenster. Uber dem Fort wehte Conways neue Flagge; die wenigen Marineinfanteristen am Flaggenmast sahen aus wie kleine rote Insekten.»Sehen Sie, Thomas, eine Ruckzugsmoglichkeit gibt es nicht. Weder fur Conway noch fur uns.»
        Voller Zweifel beobachtete Herrick das kleine militarische Schauspiel.»Es ware sicherlich besser, die Bedford abzuwarten, Sir. Mit mehr Truppen und Geschutzen hatten wir eine bessere Chance.»

«Genau das wird auch Le Chaumareys denken. «Er lachelte und sah dabei plotzlich ganz jung aus.»Ich hoffe es jedenfalls.»
        Herrick tastete nach seinem Hut und war froh, da? er etwas zu tun hatte, das die Spannung uberbruckte, die Bolithos Ausfuhrungen bewirkt hatten.»Werden wir Bellairs und seine Seesoldaten an Land lassen?«fragte er.

«Zur Halfte. Es gibt eine Menge zu tun. Uberall liegen unbestattete Leichen; die ganze Gegend ist ein Seuchenherd. Die Verteidigungsanlagen sind stark, aber sie brauchen gute Wachen und Patrouillen. Auch die Rosalind wird hierbleiben, unter dem Schutz der Festungsartillerie - viel taugt sie allerdings nicht. Ich glaube, der Kapitan wurde am liebsten so schnell wie moglich absegeln, aber mit Conway wird er so leicht nicht fertig.»
        Herrick ging zur Tur.»Das habe ich mir aber ganz anders vorgestellt, Sir.»

«Ich auch. Doch ob es uns nun pa?t oder nicht, wir mussen unsere Pflicht tun. Wenn wir mit Muljadi und seiner Drohung fertig werden wollen, dann mu? er als gemeiner Seerauber behandelt werden. «Er wischte mit der Hand uber die Tischplatte.»Ganz egal, ob er die Argus als Verbundeten hat oder nicht!»
        Herrick eilte hinaus, seine Gedanken ubersturzten sich. In der Offiziersmesse stie? er auf Mudge, der duster auf einen Teller Salzfleisch starrte.»Segeln wir wieder los, Mr. Herrick?»
        Der mu?te lacheln. In einem kleinen Schiff wurden aus Geruchten sehr rasch Tatsachen.»Ja, Mr. Mudge. Die Argus treibt sich hier herum. Als Kaperschiff, nicht offen im Namen Frankreichs.»
        Unbeeindruckt gahnte Mudge.»Nichts Neues. Wir haben fruher dasselbe fur die East India Company gemacht. Wenn so ein Rajah nicht recht wei?, wie er sich verhalten soll, dann sind ein paar schu?bereite Rohre ein ganz gutes Argument, mit dem man ein bi?chen nachhelfen kann.»
        Seufzend blickte Herrick ihn an.»Also werden die Froschfresser einen bewaffneten Aufstand unterstutzen, wir dagegen werden den Schutz der Handelswege ubernehmen. Aber was ist mit den Menschen, die dazwischengeraten, Mr. Mudge?»
        Mit Widerwillen stie? der Steuermann seinen Teller weg.»Die sind noch nie gefragt worden. «Weiter sagte er nichts.



        XI Kriegsgluck

        Bolitho beobachtete aufmerksam den im Topp wehenden Wimpel und schritt dann nach achtern zum Kompa?. Nordwest zu West. Es war Nachmittag, und trotz des unbewolkten Himmels reichte die Brise aus, um die Hitze etwas ertraglicher zu machen. Die Undine hatte tags zuvor noch bis fast zur Dammerung in der Pendang Bay vor Anker gelegen, weil es bei den Kustenstromungen und dem stetigen Sudost zu gefahrlich gewesen ware, nachts zu segeln. Aber im letzten Moment hatte der Wind stark gekrimpt, und die Undine hatte, den schlanken Rumpf unter dem Segeldruck neigend, die Bay und den Stutzpunkt mit all seinen grimmen Erinnerungen in einem purpurnen Schatten hinter sich gelassen.
        Aber wenn der Wind auch aufgefrischt hatte, so mu?te die Undine doch fast gegen ihn ansegeln, alle Rahen vierkantgebra?t, damit jedes Segel richtig zog und das Schiff moglichst weit von Land freikam. Falls der Wind unvermittelt umsprang, solange sie noch so dicht unter dieser unsicheren Kuste waren, konnten sie leicht auf Legerwall und damit in ernste Schwierigkeiten geraten.

«Wie lange behalten wir den Kurs bei, Sir?«fragte Herrick.
        Bolitho antwortete nicht gleich. Er beobachtete aufmerksam die winzigen, dreieckigen Segel ihres eigenen Kutters, der vorsichtig zwischen ein paar felsigen Inselchen kreuzte. Dann wandte er den Blick zum Gro?topp, wo Midshipman Keen sa?, das eine nackte Bein herabbaumeln lie? und das Teleskop auf das ferne Boot gerichtet hielt. Davy befehligte den Kutter und wurde sofort signalisieren, wenn er etwas Verdachtiges sichtete. Es hatte keinen Sinn, mit dem Schiff zu nahe heranzugehen, wenn die Sicht gut blieb.
        Schlie?lich sagte Bolitho:»Wir haben das sudwestliche Kap gerundet, soweit ich das berechnen kann. Da ist alles Marsch und Sumpf, wie Mr. Mudge und Fowlar schon sagten. Wenn Hauptmann Vegas' Informationen stimmen, mussen Muljadis Schiffe in nachster Nahe sein. «Er drehte das Gesicht in den Wind, der ihm den Schwei? auf Stirn und Hals trocknete.»Die Benua-Inseln liegen etwa hundert Meilen westlich. Das ist ein schones Stuck offenes Wasser, wenn wir das Gluck haben sollten, diese Piraten zu stellen.»
        Herrick sah ihn skeptisch an; aber der offenbare Optimismus seines Kommandanten machte auch ihn zuversichtlich.»Was wissen wir eigentlich von Muljadi, Sir?«fragte er.
        Bolitho schritt das krangende Deck hinan zur Luvreling und zog sich das an den Rippen klebende Hemd ein Stuckchen aus dem Hosenbund.»Wenig oder nichts. Er stammt aus Nordafrika - aus Marokko oder von der Barbareskenkuste, hei?t es. Die Spanier schnappten ihn, und er kam als Sklave auf eine ihrer Galeeren. Er konnte fliehen, wurde aber wieder gefa?t.»
        Herrick stie? einen leisen Pfiff aus.»Da wird er bei den Dons einiges mitgemacht haben.»
        Bolitho mu?te plotzlich an den altlichen Oberst Pastor und seine unerfullbare Mission denken.»Sie schnitten ihm eine Hand und ein Ohr ab und setzten ihn an irgendeiner wusten Kuste aus.»
        Herrick schuttelte den Kopf.»Und doch gelangte er irgendwie bis nach Indien und kann jetzt seinen ehemaligen Herren Angst einjagen.»

«Und jedem anderen«, erganzte Bolitho unbewegt,»der sich zwischen ihn und sein Ziel stellt - was das auch sein mag.»
        Da fuhren sie beide herum und blickten nach oben, denn Keen schrie:»An Deck! Der Kutter hat signalisiert, Sir! Mr. Davy segelt nach Norden.»
        Bolitho griff nach einem Fernglas.»Naturlich. Das hatte ich wissen mussen. «Er richtete das Glas erst auf den Kutter und dann jenseits von diesem auf das sanft abfallende Vorgebirge. Winzige Inseln, zerbrockelnde Klippen und Felsen, und uberall das ungebrochene Grun des Urwalds. Jedes kleine Fahrzeug konnte sich da hindurchwinden, genauso wie Davys Kutter es eben tat.
        Herrick hieb eine Faust in die andere Handflache.»Wir haben sie, bei Gott!»
        Knapp befahl Bolitho:»Wir bleiben zunachst auf diesem Kurs. Hei?en Sie das Ruckkehrsignal fur Mr. Davy, und lassen Sie auf Gefechtsstationen trommeln. «Er lachelte, vielleicht blo?, um die Spannung etwas zu lockern.»Vielleicht schaffen Sie es diesmal in zehn Minuten?»
        Herrick wartete, bis Keen an einer Pardune heruntergerutscht kam und wieder bei seinen Signalgasten stand. Dann rief er:»Alle Mann an Deck! Klar Schiff zum Gefecht!»
        Ein einsamer Trommeljunge tat sein Bestes und lie? die Schlegel im Doppeltakt zum Signal wirbeln, und schon kamen die Manner aus den Niedergangen an Deck gerannt und sturzten sich an die Gratings.

«Damit konnten wir sie verjagen, Sir«, warf Mudge ein, der beim Ruderganger stand. Seine Kiefer malmten auf einem Stuck Fleisch oder auf einem Priem.

«Ich glaube kaum«, erwiderte Bolitho und beobachtete kritisch die Matrosen, die mit nacktem Oberkorper an die Geschutze rannten, die Persennings abwarfen und nach ihrem Gerat griffen. Die kleine Restabteilung Seesoldaten unter Fuhrung eines Korporals marschierte uber das Achterdeck; und ein paar andere enterten in den Vormast auf, wo ein Drehgeschutz montiert war.
        Der Kutter hatte inzwischen gewendet. Die Segel waren niedergeholt, das Boot arbeitete sich nur mit der Kraft seiner Riemen durch die landeinwarts laufende Dunung.

«Die hatten es bestimmt nicht oft mit einer Fregatte zu tun«, fuhr Bolitho, zu Mudge gewandt, fort.»Ihr Anfuhrer wird versuchen, das offene Meer zu erreichen und an uns vorbeizukommen, ehe er es riskiert, da? wir ihn blockieren oder eine Abteilung Seesoldaten in seinem Rucken landen. «Er fa?te Mudge beim Arm.»Der Kerl wird schon nicht wissen, wie wenig wir von solchen Dingen verstehen - eh?»
        Mudge verzog unwillig den Mund.»Ich kann nur hoffen, da? dieses Aas von Muljadi selbst der Anfuhrer ist. Der braucht eine Lektion, und das bald!»

«An Deck!«Der Ausguck im Masttopp wartete, bis das Gerenne auf dem Geschutzdeck aufgehort hatte.»Segel in Lee voraus!»

«Beim Himmel, tatsachlich!«Midshipman Keen ergriff einen Matrosen beim Arm und fugte aufgeregt hinzu:»Ein Schoner, nach dem Umri? zu urteilen!«Der Matrose - zehn Dienstjahre auf dem Buckel und schon graue Haare im Zopf - sah ihn von der Seite an und grinste:»Mein Gott, Sir, was ihr jungen Herren so alles gelernt habt - beneidenswert!«Aber seine Ironie ging im Trubel des Augenblicks unter.
        Herrick hob die Hand, als sich der letzte Geschutzfuhrer ihm zuwandte. Aus der Luke unter dem Achterdeck drohnte die Stimme eines Bootsmannsmaaten:»Achtern alles klar, Sir!«Herrick fuhr herum und sah, wie Bolitho seine neue Uhr zu Rate zog. Schiff klar zum Gefecht, Sir«, meldete er.

«In zwolf Minuten. Ausgezeichnet, Mr. Herrick! Sie konnen es der Mannschaft weitersagen. «Dann schritt er wieder uber das krangende Deck und richtete sein Fernrohr durch die Netze: zwei schrage Masten mit gro?en dunklen Segeln wie Vogelschwingen. Sie schienen stillzustehen; der Schiffsrumpf war noch hinter einer vorspringenden Landspitze verborgen. Doch das war Tauschung. Das Fahrzeug umrundete eben die letzte gefahrliche Klippe. Hatte es die hinter sich, mu?te es au?er Schu?weite sein. Aber dazu wurde es noch eine ganze Weile brauchen.
        Bolitho drehte sich um.»Wo bleibt dieser verdammte Kutter?»
        Mowll, Waffenmeister und mit Abstand der unbeliebteste Mann an Bord, rief aus: Kommt rasch auf, Sir!»

«Na, dann signalisieren Sie Mr. Davy, er soll sich beeilen. Sonst mu? ich ihn zurucklassen!»

«An Deck! Noch ein Segel in Lee voraus!»
        Wortlos suchte Herrick die zweite Segelpyramide mit seinem Fernrohr.»Noch ein Schoner. Wahrscheinlich Schiffe der Company, die der Pirat gekapert hat.»

«Zweifellos.»
        Jetzt war der Kutter langsseits, rundete den Bug der Undine unter dem Bugspriet und stie? mit einem lauten Knirschen gegen den Schiffsrumpf. Fluche und schlagende Riemen ubertonten Davys Schimpfen; dann gab Bootsmann Shellabeer, der das ganze Manover vom Decksgang her mit unverhohlenem Abscheu beobachtet hatte, gelassen den Befehl zum Fieren.
        Allday stand hinter Bolitho und flusterte:»Ein Gluck, da? der junge Mr. Armitage nicht das Kommando hat. Der hatte den Kutter bestimmt glatt durch die Rumlast[Lagerraum fur Spirituosen, ganz achtern im untersten Deck (der Ubers.).] gerannt. «Bolitho lachelte und hob die Arme, damit Allday ihm den Degen umschnallen konnte. Er hatte seinen Bootsfuhrer seit dem Fruhstuck, also kurz nach Sonnenaufgang, nicht gesehen.
        Aber im Augenblick der Gefahr, bei der leisesten Aussicht auf Feindberuhrung, war Allday zur Stelle, ruhig und gelassen wie immer; kaum da? er sich durch ein Wort bemerkbar machte.

«Kann sein.»
        Midshipman Armitage und Soames standen am Vormast und strichen auf ihren Listen die Geschutzbedienungen ab, die Soames wahrend der Uberfahrt nach Indien neu zusammengestellt hatte. Bolitho erubrigte eine Sekunde, um sich auszumalen, was Armitages Mutter wohl sagen wurde, wenn sie ihr geliebtes Sohnchen jetzt hatte sehen konnen: abgemagert, tief gebraunt, das Haar zu lang und ein Hemd, das eine grundliche Wasche verdammt notig hatte. Wahrscheinlich wurde sie wieder in Tranen ausbrechen. Aber in einer Hinsicht hatte sich der junge Mann nicht verandert: er war immer noch so ungeschickt und unsicher wie an seinem ersten Tag an Bord.
        Der kleine Penn dagegen, der wichtig an den Zwolfpfundern der Steuerbordbatterie entlangstolzierte und auf Leutnant Davy wartete, als dessen Adjutant er fungierte, war von diesem Fehler frei. Dafur versuchte er sich allerdings gern an Aufgaben, die fur die Erfahrung seiner zwolfeinhalb Jahre ein paar Nummern zu gro? waren.
        Davy duckte sich unter dem schwingenden Schatten des an Bord gehievten Kutters, der schnell in seinen Halterungen auf dem Geschutzdeck festgezurrt wurde, und rannte nach achtern. Er war klitschna? vom Spruhwasser, aber au?erst zufrieden mit sich.

«Das haben Sie gut gemacht«, lobte Bolitho.»Durch Ihr schnelles Signal werden wir diese beiden Fahrzeuge vielleicht nehmen konnen.»
        Davy strahlte.»Bi?chen Prisengeld, moglicherweise?»

«Bleibt abzuwarten«, erwiderte Bolitho und verbarg ein Lacheln.
        Herrick wartete, bis Davy bei seiner Geschutzmannschaft war, und sagte dann:»Nur die beiden Schoner, sonst nichts weiter in Sicht. «Er rieb sich gerauschvoll die Hande.
        Bolitho lie? das Teleskop sinken und nickte.»Sehr schon, Mr. Herrick. Sie konnen jetzt laden und ausrennen lassen. «Zum hundertsten Male blickte er nach dem Verklicker im Topp.»Wir werden gleich mehr Segel setzen und diesen Piraten zeigen, mit wem sie es zu tun haben.»

«Beide Schoner halten sich dicht unter Land, Sir. «Herrick nahm das Rohr vom Auge und wandte sich fragend zu Bolitho um.»Mit dieser Takelung konnen sie eben hoch am Wind segeln.»
        Bolitho trat zum Kompa? und behielt das Bild der beiden Fahrzeuge scharf im Gedachtnis. Seit mehr als einer halben Stunde arbeiteten sie sich langsam und methodisch durch die kleinen Inseln voran und folgten nun der Kustenlinie in Richtung auf eine abfallende, schmale Landzunge. Dahinter lag eine weitere Bucht mit noch mehr vorspringenden Landzungen; aber die Schoner wurden sich bestimmt sehr sorgfaltig den rechten Moment aussuchen: rasch wenden und dann auf das offene Meer hinaus, wahrscheinlich so weit wie moglich auseinander, so da? die Undine nur einen von ihnen angreifen konnte.
        Beide Schiffe wurden sehr geschickt gefuhrt. Durchs Fernrohr erkannte Bolitho eine gemischte Auswahl von kleinen Kanonen und Drehgeschutzen; die Mannschaft schien ahnlich zusammengewurfelt.
        Mudge sah ihn duster an.»Der Wind hat einen Strich gekrimpt, Sir. Konnte sich eine Weile so halten.»
        Bolitho wandte sich um, lie? seine Blicke langsam uber das Schiff gleiten und wog dabei Risiko und Vorteil gegeneinander ab. Die grune Landzunge schien fast den Steuerbordbug der Undine zu beruhren; in Wirklichkeit lag sie noch gut drei Meilen querab. Die beiden Schoner standen schwarz gegen die kabbelige, wei?bemutzte See und uberlappten jetzt einander, so da? sie wie ein einziges Schiff von grotesker Bauart wirkten. Die gro?en Segel standen wie eingraviert vor dem niedrigen Land.

«Bramsegel setzen! Ruder zwei Strich Steuerbord!«befahl Bolitho.
        Zweifelnd sah Herrick ihn an.»Das wird aber knapp, Sir. Wenn der Wind ausschie?t, haben wir alle Hande voll zu tun, um von der Kuste klarzukommen.»
        Aber Bolitho antwortete nicht; und so hob der Erste mit resigniertem Seufzer seine Sprechtrompete.

«An die Brassen!»
        Achtern lie?en die Ruderganger das Rad spielen und schielten nach den killenden Segeln und dem kardanisch aufgehangten Kompa?, bis sogar Mudge zufrieden war.

«Nordwest zu Nord, Sir!»

«Recht so.»
        Bolitho sah sich die Landzunge noch einmal genau an: eine Falle fur die beiden Schoner oder die letzte Ruhestatte der Undine, wie Herrick zu glauben schien?
        Herrick beobachtete die Manner auf den Rahen; er wartete darauf, da? die Bramsegel frei fielen und dann an den unteren Rahen festgezurrt wurden, bis sie sich wie stahlerne Brustpanzer im Wind wolbten. Die Undine machte schnelle Fahrt, sie lag jetzt fast vor dem Wind, der schrag von Backbord uber das Achterdeck fegte; mit vollen Gro?- und Vorbramsegeln holte sie deutlich auf.
        Besorgt erkundigte sich Mudge:»Glauben Sie, da? sie eine Wende versuchen werden, Sir?»

«Kann schon sein. «Eine Wand von Spruhwasser stieg hoch, brach sich am Luvschanzkleid und weichte Bolitho bis auf die Haut durch, so da? er erschauerte und seine Erregung noch stieg.»Sie werden so dicht unter Land bleiben, wie sie es riskieren konnen, und dann in der nachsten Bucht uber Stag gehen. Aber wenn einer den Kopf verliert oder vielleicht sogar alle beide und sie schon diesseits der Landzunge auf den anderen Bug gehen - dann werden wir ihnen eins verpassen.»
        Er blickte prufend zum Geschutzdeck hinuber, musterte die Manner an den Zwolfpfundern. Eine gute Breitseite sollte fur so einen Schoner mehr als ausreichen. Dann bekam der andere vielleicht Angst und strich die Segel, damit es ihm nicht ebenso ging. Aber daran durfte er jetzt nicht denken. Der Kampf hatte noch nicht einmal begonnen.
        Er stellte sich vor, wie Conway in seinem fernen Herrschaftsbereich lebte. Er wu?te bestimmt besser als Puigserver oder Raymond, was auf dem Spiel stand. Hatte die Undine einigerma?en Gluck, so bedeutete das fur ihn eine gewisse Periode der Sicherheit, in der er seine Tuchtigkeit als Gouverneur beweisen konnte.
        Ein schwacher Knall tonte uber das Wasser, und eine wei?e Gischtfeder stieg ein paar Sekunden hoch, aber ziemlich weit voraus an Steuerbord; gellendes Hohngeschrei von den ungeduldig wartenden Geschutzbedienungen quittierte den Versuch.

«Flagge zeigen, Mr. Keen!»
        Im Vormast richteten die Marineinfanteristen ihr Schwenkgeschutz aus. Eine andere Abteilung nahm mit
        Musketen an den Finknetzen Aufstellung, die Gesichter starr vor Konzentration.»Der eine bricht aus, Sir!»
        Bolitho hielt den Atem an. Der ihnen nachste Schoner begann stark zu krangen, sein machtiges Gro?segel fegte uber Deck wie eine riesige Vogelschwinge, und er steuerte hart Backbord.

«Jesus! Der Kerl hat sich festgesegelt! Seht euch das an!«brullte jemand.
        Der Kapitan des Schoners hatte sich ubel verschatzt. Denn wahrend er sein Schiff durch den Wind bringen wollte, um auf neuem Bug mehr Raum zu gewinnen, war es aufgeschossen und lag nun mit chaotisch schlagenden Segeln unbeweglich da.

«Den nehmen wir zuerst!«rief Bolitho.»Backbordbatterie klar zum Feuern!»
        Soames rannte an seinen Kanonen entlang, die Geschutzfuhrer hockten geduckt wie startende Laufer, visierten hinter den Verschlussen durch die Stuckpforten nach dem aufkommenden Ziel und hielten die Abzugsleinen straff.
        Breitbeinig versuchte Bolitho, das nahere Schiff im Blickfeld zu behalten. Schon trieb es ungelenk quer zum Wind, deutlich war zu sehen, wie die Mannschaft auf dem schmalen Deck verzweifelt arbeitete, um es wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Undine kam so schnell auf, da? es jetzt nur noch zwei Kabellangen backbords vorauslag und zusehends gro?er wurde. Bolitho sah die fremdartige Flagge an der Gaffel: schwarz, mit einem roten Emblem in der Mitte - eine auf den Hinterbeinen stehende, die Tatzen hebende Raubkatze. Er schob das Glas mit einem so lauten Schnappen zusammen, da? Keen der Schreck in die Glieder fuhr.
        Allday grinste.»Noch zwei Minuten, Captain - gerade richtig. «Er nickte zum Bug, wo der andere Schoner steten Kurs auf die Landzunge hielt.»Der la?t seinen Genossen anscheinend ruhig untergehen.»
        Soames spahte angestrengt nach achtern. Sein gebogenes Entermesser blitzte in der hellen Sonne, als er es langsam uber den Kopf hob. Er mu?te genau in die Sonne blicken und verzog das Gesicht so stark, da? er wie irre zu grinsen schien.
        Bolitho blickte zu Mudge hinuber.»Lassen Sie noch einen Strich abfallen!«Er rang sich ein Lacheln ab.»Keine Sekunde langer als unbedingt notig, das verspreche ich Ihnen.»
        Er zog seinen Degen und legte ihn lassig uber die Schulter, fuhlte den eiskalten Stahl durch das verrutschte Hemd.
        Heiser meldete der Ruderganger:»Nordnordwest liegt an,
        Sir!»
        Zum Fieren der Brassen blieb keine Zeit mehr, als die Undine noch naher auf die Kuste zuhielt, so da? der schwer kampfende Schoner endlich ins Schu?feld der gespannt lauernden Geschutzfuhrer kam.

«Feuer frei, Mr. Soames!«rief Bolitho.

«Achtung!«blaffte Soames. Mit gro?en Sprungen rannte er nach achtern und blieb bei jedem Geschutz kurz stehen, um die Ausrichtung des Rohres zu kontrollieren. Offenbar zufrieden, sprang er zur Seite.

«Feuer!»
        Bolitho erstarrte, als der Schiffsrumpf die Breitseite unregelma?ig und erschauernd aushustete. Soames hatte gute Arbeit geleistet. Er hatte eine plotzliche Bo, welche die Fregatte ein Stuck weiter nach Lee schob, sehr geschickt mit einkalkuliert und in dem Moment gefeuert, als die Undine sich wieder hob, so da? die Salve das gesamte Deck des Feindes bestrich.
        Bolitho griff nach einem Stag; seine Augen waren voller Pulverqualm, den der Wind auch durch die Pforten ins Schiff druckte. Uberall fluchten hustende Manner im dicken, braunen Dunst; aber Befehle und Drohungen brachten sie dazu, da? sie trotzdem unverzuglich die Rohre auswischten und neu luden, fur den Fall, da? eine weitere Breitseite notig wurde.
        Endlich hatte sich der Qualm vom Achterdeck verzogen, und Bolitho konnte den Schoner sehen. Was fur ein Anblick: kein Mast stand mehr, und das Deck war fast begraben unter einem Chaos von gefallenen Spieren und zerfetzter Leinwand. Der Schoner war ein Wrack.

«Gehen Sie wieder auf Nordwest zu Nord, Mr. Mudge!»
        Bolitho konnte nicht sehen, was der Steuermann fur ein Gesicht machte: erleichtert und bewundernd. In seinen Ohren drohnte noch der Donner der Kanonen und der scharfere, stechende Knall der Sechspfunder auf dem Achterdeck. Hoffentlich hatten die weniger Erfahrenen unter den Geschutzbedienungen daran gedacht, sich die Halstucher um die Ohren zu wickeln. Ein Mann, der in ungunstigem Winkel zum Geschutz stand, konnte von einem einzigen Schu? taub werden - oft fur sein ganzes Leben.

«Ausrennen!«Soames blickte zu den Stuckfuhrern hinuber, die einer nach dem anderen die pulvergeschwarzte Faust hoben, um zu signalisieren, da? ihr Geschutz feuerbereit war.

«Jetzt auf den anderen!«brullte Herrick. Er winkte Davy, der bei seiner Steuerbordbatterie stand; es war eine impulsive, ihm kaum zu Bewu?tsein kommende Bewegung. Davy winkte zuruck, verkrampft und marionettenhaft. Als sie hinter dem zweiten Schoner hersegelten, schob sich Midshipman Penn sachte ein Stuckchen zur Seite, um gegebenenfalls hinter seinem Leutnant Deckung zu finden.
        Herrick lachte laut auf.»Bei Gott, der junge Penn hat die richtige Idee, Sir. «Er blickte zu dem steif stehenden Wimpel empor.»Der Wind ist uns immer noch wohlgesonnen, das hebt die Stimmung der Leute.»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an. Spater wurden sie daruber reden. Aber wenn man mittendrin steckte, zwischen allen anderen, dann hatten Diskussionen wenig Sinn. Man wu?te nie vorher, wie sich ein Mann verhalten wurde, wenn es wirklich hart auf hart ging. Alles war drin: Stolz, Wut, Wahnsinn - und wei? Gott was noch. Selbst Herricks vertrautes Gesicht hatte sich verandert - und auch sein eigenes, zweifellos.

«Wir folgen ihm so dicht es geht unter Land«, sagte er.»Dann mu? er sich entscheiden: streichen oder kampfen. «Er nahm die Degenklinge von seiner Schulter. Jetzt war die Eiseskalte einer Hitze gewichen, als sei der Stahl ein hei?geschossener Flintenlauf.

«Der Steuermann ist ein Narr«, bemerkte Mudge.»Er hatte viel fruher wenden sollen. Ich hatte es so gemacht. Vor unserem Bug vorbeikreuzen, ehe wir ihn hatten wegputzen konnen. «Er grunzte verachtlich.»Eine zweite Chance kriegt er nicht.»
        Bolitho blickte zu ihm hinuber. Mudge hatte naturlich recht. Die Undine trieb ein gefahrliches Spiel, indem sie so leichtsinnig eine Leekuste ansegelte; aber die beiden Schoner hatten noch viel mehr riskiert.
        Eben sagte Herrick:»Prisenkommando auf den einen, und den anderen nehmen wir in Schlepp, wie? Wir sollten ganz schones Geld fur die beiden Schoner bekommen, Sir, auch wenn der eine kaum mehr als eine Hulk ist.»
        Bolitho beobachtete den zerschossenen Schoner und erwiderte nichts. War Muljadi an Bord gewesen? Sterbend oder vielleicht schon tot unter seinen Mannern? Das ware immer noch besser fur ihn, dachte er, als Puigserver in die Hande zu fallen.

«An Deck!«Der Ruf des Ausgucks ging fast unter im Brausen der Gischt und dem Rauschen des Windes.»Schiff achteraus an Backbord!»
        Bolitho fuhr herum und dachte eine Sekunde lang, der Ausguck sei zu lange in der Sonne gewesen. Erst konnte er nichts sehen, aber dann erkannte er Fock und Vormarssegel eines anderen Schiffes, das gerade die letzte Landspitze rundete, von der sie sich vorhin so vorsichtig in Verfolgung des Schoners freigehalten hatten.

«Wer ist das?«fragte Herrick besturzt und starrte Bolitho an.»Die Argus!»
        Der nickte grimmig.»Ich befurchte es, Mr. Herrick.»
        Er versuchte, gleichmutig zu sprechen, obwohl alles in ihm danach schrie, etwas zu unternehmen, das Unmogliche zu wagen. Wie leicht er es ihnen gemacht hatte! Er hatte sich von den beiden Schonern ablenken lassen wie ein Fuchs, der zwei Hasen auf einmal jagen will. Le Chaumareys mu?te ihnen langs der Kuste gefolgt sein - er hatte Bolithos Gedankengange erraten, ohne ihn auch nur zu sehen.

«Dann, bei Gott«, rief Herrick aus,»werden wir diesen Franzosen zum Teufel jagen! Der hat hier gar nichts zu suchen!»

«Sie kommt schnell auf, Sir!«rief Keen.
        Bolitho spahte hinuber. Die Argus war an Backbord schon fast in Hohe ihres Achterdecks, nahm ihnen den Wind weg, genau wie er selbst es mit den Schonern hatte machen wollen. Jetzt sa? die Undine in der Falle. Sollte er auflaufen oder versuchen, sich nach Luv durchzukampfen? Die Sonne blitzte auf der ihnen zugekehrten Rumpfseite der machtigen Fregatte, und uber ihrem milchigen Fahrwasser wurden kleine Schattenstriche sichtbar - sie rannte ihre Breitseite aus. Bolitho dachte an den Mann, der diese Kanonen befehligte. Wie mochte ihm in diesem Augenblick zumute sein?
        Leise fragte Herrick:»Achtzehnpfunder, nicht wahr, Sir?«Gespannt blickte er Bolitho ins Gesicht, als hoffe er, sein Kapitan wurde die Starke des Gegners bestreiten.

«Ja«, sagte Bolitho und holte Atem, denn an der Gaffel des Franzosen stieg eine Flagge hoch: schwarz und rot wie die auf den beiden Schonern. Also fuhr er mit Kaperbrief. Als Mietling einer fremden Macht, und die Flagge sollte den Anschein der Legalitat wahren.
        Keen setzte sein Teleskop ab und sagte hastig:»Sie ist jetzt fast in Hohe des entmasteten Schoners, Sir. «Es gelang ihm, in ruhigem Ton zu sprechen, aber seine Hande zitterten heftig.»Es sind ein paar Manner im Wasser. Vermutlich uber Bord gegangen, als die Masten runterkamen.»
        Bolitho nahm das Glas. Ihm wurde kalt, als er sah, wie die Fregatte mitten durch die Schiffbruchigen segelte und einige sogar uberrannte. Wahrscheinlich sah der Kapitan nur die Undine und hatte die Unglucklichen uberhaupt nicht bemerkt.
        Er sprach lauter als sonst und hoffte nur, die anderen wurden nicht ganzlich den Mut verlieren, weil seine Stimme so seltsam klang.»Wir andern gleich den Kurs.
«Den unausgesprochenen Protest in Mudges finsterem Gesicht lie? er unbeachtet. Aber jetzt - Bramsegel weg, Mr. Herrick. Das erwartet der Franzose von uns, als Vorbereitung zum Kampf. «Und mit einem Blick auf Mudge:»Mit etwas weniger Tuch bleibt uns etwas mehr Platz, um ihm die Stirn zu bieten.»

«Das hei?t also, wir segeln vor ihrem Bug vorbei, Sir«, erwiderte Mudge heiser. Aber selbst wenn wir durch den Wind kommen, ohne da? es uns die Rahen abrei?t - was dann? Dann uberholt uns die Argus achtern und verpa?t uns dabei eine Breitseite ins Heck!»
        Bolitho blickte ihm kuhl ins Gesicht.»Ich rechne darauf, da? er unbedingt den Windvorteil behalten will, denn sonst werden die Rollen vertauscht. «Aber in Mudges winzigen Augen las er kein Begreifen.»Oder wollen Sie lieber, da? ich die Flagge streiche, he?»
        Mudge wurde rot vor Wut.»Das war nicht fair, Sir!»
        Bolitho nickte.»Ein Seegefecht ist es auch nicht.»
        Mudge wandte den Blick ab.»Ich werde mein Bestes tun, Sir. Ich bringe sie so hart an den Wind wie noch nie. «Er tippte auf die Kompa?bussole.»Wenn der Wind halt, sollten wir fast genau West steuern konnen. «Er trat zum Ruder.»Mit Gottes
        Hilfe!»
        Eben rutschten die Toppmatrosen wieder an Deck, und Bolitho spurte, wie die Undine unter Mars- und Vorsegeln ins Stampfen geriet. Mit einem raschen Blick stellte er fest, da? sein Gegner desgleichen tat. Der brauchte sich keine Sorgen zu machen; die Undine mu?te sich zum Kampf stellen, sie hatte gar keinen Seeraum zur Flucht. Langsam schritt er auf und ab, trat, ohne hinzusehen, uber die Zugleinen der Sechspfunder, streifte im Vorbeigehen den gebeugten Rucken eines Matrosen am Geschutz. Sicherlich beobachtete der Kapitan der Argus jede seiner Bewegungen. Seine Chance - wenn er uberhaupt eine bekam - wurde nur Sekunden, bestenfalls wenige Minuten dauern. Er blickte zur Landzunge hinuber. Sie wirkte jetzt sehr nahe, offnete sich an Backbord wie ein riesiger Schlund, der das Schiff als Ganzes verschlingen wollte.
        Dann trat er an die Achterdeckreling und rief:»Mr. Soames! Ich brauche eine Breitseite, sowie wir wenden! Die Chance, da? Sie ihn treffen, ist nur gering, aber die plotzliche Attacke wird ihn vielleicht verwirren. «Langsam glitten seine Blicke uber die emporgewandten Gesichter auf dem Geschutzdeck.»Das Nachladen und Ausrennen mu? schneller gehen als je zuvor. Die Argus ist ein starkes Schiff und wird ihr schweres Kaliber voll einsetzen. Wir mussen nahe heran. «Sein Grinsen fuhlte sich wie eingefroren an.»Zeigt ihnen, da? wir besser sind, ganz egal, unter welcher Flagge sie fahren!»
        Ein paar Mann schrien hurra, aber es war kein beeindruckender Salut.
        Gelassen sagte Herrick:»Klar zur Wende, Sir.»
        Stille. Bolitho blickte noch einmal hinauf, der Wimpel stand wie vorhin. Wenn der Wind etwas ruckdrehen wollte, ware das eine kleine Hilfe. Aber ein Ausschie?en ware katastrophal. Eben stapfte Soames nach achtern und verschwand unter Deck. Er wollte die Heckzwolfpfunder inspizieren, die, sobald das Schiff auf dem neuen Bug lag, als erste den Gegner vor die Pforten bekommen wurden. Davy stand am Fockmast und schickte einige Leute seiner Geschutzbedienungen als Verstarkung der Backbordbatterie nach achtern. Wenn die Achtzehnpfunder der Argus erst Ernst machten, wurden sie viele Ersatzleute brauchen, dachte Bolitho grimmig.
        Er blickte Herrick an und lachelte.»Na, Thomas?»
        Der zuckte die Schultern.»Ich sage Ihnen, was ich davon halte, wenn es vorbei ist, Sir.»
        Bolitho nickte. Es war ein enervierendes Gefuhl. Selbstverstandlich war es das immer, doch leider jedesmal schlimmer als beim letztenmal. In einer Stunde, in Minuten, konnte er tot sein. Und dann wurde sein Freund Thomas Herrick eine Schlacht ausfechten mussen, die er nicht gesucht hatte; oder vielleicht todlich getroffen im Orlopdeck liegen und sich die Seele aus dem Leib brullen.
        Und Mudge - ein gro?artiger Seemann mit einem reichen Schatz an Erfahrungen. Er hatte bereits den Dienst quittiert; wenn ihm diese Einberufung nicht dazwischengekommen ware, wurde an Land bei seinen Kindern leben.

«Also dann«, befahl Bolitho kurz.»Ruder legen!»

«An die Brassen! Aber lebhaft!»
        Die Undine erschauerte und stohnte protestierend unter dem donnernden Druck des Windes und dem wilden Schlagen der Segel. Bei dem harten Kurswechsel krangte sie so stark, da? Gischt in die offenen Stuckpforten spruhte. Aus den Augenwinkeln sah Bolitho, wie die Bramsegel der Argus uber seinen Finknetzen emporwuchsen und ihr Umri? sich verkurzte, als die Undine um ihren Bug bog. Ein Geschutz krachte, aber die Kugel fuhr jaulend hoch uber ihnen davon. Jemand mu?te zu fruh abgezogen haben, oder vielleicht hatte der franzosische Kapitan auch schon gemerkt, was sie vorhatten.
        Soames war bereit und wartete auf freies Schu?feld. Und dann erzitterte das ganze Deck unter dem Krachen der ersten Geschutze. Qualm wirbelte auf und stieg als zerflatternde Wolke uber die Finknetze. Geschutz nach Geschutz feuerte, den ganzen Rumpf entlang, vom Heck bis zum Bug. Auch die Sechspfunder mischten sich ein, als die Argus an jeder einzelnen der schwarzen Mundungen vorbeiglitt. Bolitho sah, wie ihre Fock unter den Einschlagen bebte. Soames' Geschutzbedienungen feuerten, luden, feuerten nochmals, und wie durch Zauber erschienen Locher in den Segeln der Argus. Nun sah Bolitho auch, da? die Landzunge bereits an Steuerbord achteraus lag. Der Schoner, der sich in die nachste Bucht schlich, war schon ganz winzig.

«West zu Nord, Sir - voll und bei!«brullte Mudge. Er hielt sich an der Nagelbank des Besan fest und wischte sich die Augen mit seinem Taschentuch.»So hoch am Wind, wie es geht, Sir!«fugte er hinzu und deutete zum Topp, wo der Wimpel beinahe mittschiffs flatterte.
        Bolitho fuhr zusammen, als die Sechspfunder wieder krachten. Dicht neben ihm stie? ein Rohr auf seiner Lafette zuruck, bis es von der Halterung gebremst wurde. Schon war die Bedienung dabei, es auszuwischen, der Geschutzfuhrer holte vom Kugelrack ein neues Gescho?, wei? starrten die Augen und Zahne in den pulvergeschwarzten Gesichtern, die Stimmen gingen unter im Krachen und Brullen der Geschutze, die schweren Rohre quietschten beim Ausfahren wie wilde Eber.
        Endlich folgte die Argus Bolithos Manover. Mit hartgebra?ten Rahen schwang sie herum, um den Wind einzufangen und die Undine in Lee zu halten. Und da sah er auch schon die langen, gelb-roten Feuerzungen aus ihren Stuckpforten fahren; gelassen, ohne Eile, sorgfaltig gezielt, kam Schu? auf Schu? durch den Wirbel aus Pulverdampf und Gesicht. Eine Kugel jaulte uber das Achterdeck, durchschlug das Gro?marssegel und klatschte querab ins Wasser. Andere aber trafen den Rumpf - ob uber der Wasserlinie oder darunter, wu?te Bolitho nicht. Er horte Schreie hinter dem bei?enden Qualmvorhang, sah Manner hierhin und dorthin rennen wie verlorene Seelen in der Holle, sah sie neue Ladungen in die Rohre rammen und ihre schwei?glanzenden, pulvergeschwarzten Korper in die Zugleinen werfen, wieder und immer wieder.
        Uber dem Krachen vernahm er Soames' tiefe, schimpfende und anfeuernde Stimme, die die Manner an ihren Geschutzen hielt. Vom Vormast krachte das Drehgeschutz; vermutlich feuerten die Seesoldaten mehr, um ihre Angst abzureagieren, als in der Hoffnung, etwas zu treffen. Unter dem Achterdeck schien eine Stuckpforte in einem machtigen Flammenausbruch zu explodieren, und Bolitho sah, wie Manner und Korperteile in alle Richtungen geschleudert wurden; die Kugel hatte auch das Schanzkleid zerrissen, lauter spitzige Splitter schwirrten wie furchtbare Pfeile umher.
        Heulend, die Hande vor dem, was von seinem Gesicht ubriggeblieben war, sturzte ein Seesoldat von den Netzen weg. Andere standen oder knieten bei ihren gefallenen Kameraden, schossen, luden, schossen aufs neue, solange noch Leben in ihnen war.
        Eine Fallbo wirbelte den Qualm hinweg, und Bolitho erblickte die Rahen und die durchlocherten Segel der feindlichen Fregatte kaum funfzig Meter entfernt. Gedampftes Sonnenlicht spielte auf den Haken und Messern des Gegners, der sich zum Entern fertigmachte oder zur Abwehr ihres Angriffs. Noch eine Reihe feuriger Zungen stie? durch den Qualm, zusammenzuckend spurte er, wie sich die Planken unter seinen Fu?en bogen. Mit dumpfem Krach sturzte ein Geschutz um oder zersprang in Stucke.
        Das Gro?bramsegel oben war nur noch ein Fetzen, aber Spieren und Rahen schienen intakt. Ein verwundeter Matrose klammerte sich an die Gro?bramrah, Blut rann an seinem Bein entlang und tropfte hinunter aufs Deck. Ein anderer hatte ihn erreicht und zog ihn in Sicherheit; beide duckten sich unter die Rah; sie hingen in den zerrissenen Tauen wie zwei Vogel mit gebrochenen Schwingen.

«Er will uns manovrierunfahig schie?en und dann als Prise aufbringen!«brullte Herrick.
        Bolitho hatte eben einen Verwundeten von einem Sechspfunder weggezogen. Er nickte, denn er konnte sich schon denken, was die Argus wollte: ein weiteres Schiff fur Muljadis Flotte, vielleicht um die Argus abzulosen, damit sie nach Frankreich zuruckkehren konnte. Der blo?e Gedanke fuhr ihm wie ein Messer durchs Herz.

«Hart Ruder legen! Wir rammen!«Seine Stimme kam ihm selbst ganz fremd vor.»Davy soll die Enterhaken klarmachen!«Er fa?te Herrick beim Arm.»Wir mussen entern! Er schie?t uns sonst in Fetzen. «Eine Kugel flog dicht an seinem Kopf vorbei; er horte sie in das gegenuberliegende Schanzkleid einschlagen, und eine Wolke von Splittern flog wie tausend Pfeile uber das Deck. Herrick schrie Mudge etwas zu, dann den Mannern an den Brassen; durch den Qualm sah Bolitho den schattenhaften Umri? der Argus turmhoch uber ihrer Back stehen und die Manner auf dem Vorschiff durcheinanderrennen, als die beiden Schiffe aufeinander zuhielten. Das Prasseln des Musketenfeuers wurde vom Schlagen der Segel ubertont, die jetzt aus dem Wind gerieten. Lustlos fiel ihr Schiff ab.
        Herrick war in einer Blutlache ausgerutscht; er keuchte:»Hat keinen Zweck! Zu weit fur die Enterhaken!»
        Bolitho starrte an ihm vorbei. Der Gegner schob sich bereits vor, er lag quer vorm Bug der Undine; ein paar Schusse krachten, die Argus drehte vor den Wind, anderte leicht den Kurs und nahm Fahrt auf, wahrend die Undine, hilflos und mit fast backstehenden Segeln weiter abtrieb.
        Die Argus wollte anscheinend die Undine nochmals aus allen Rohren beharken, aber dann Bolitho Zeit geben, die Flagge zu streichen, ehe sie sein Heck kreuzte und ihm den Gnadensto? gab.
        Herrick zog ihn am Armel.»Was ist?»
        Herrick deutete nach oben, wo ein paar Sonnenstrahlen einen Weg durch den wirbelnden Rauch fanden.»Der Ausguck, Sir! Er hat Segel westlich voraus gemeldet! Seine Augen glanzten hoffnungsvoll.»Der Franzose zieht ab!»
        Wie betaubt blickte Bolitho ihn an. Es stimmte; er mu?te die Meldung wohl uberhort haben, halb taub wie er war vom Donnern der Geschutze oder von seiner Verzweiflung umnebelt. Jedenfalls hatte die Argus bereits ihr Gro?segel gesetzt und hielt vor dem Wind rasch auf die offene See zu.

«Alle Mann an, die Brassen, Mr. Herrick!«befahl Bolitho.»Gehen Sie wieder auf Backbordbug. Wenn wir mit dem Schiff dort Signalverbindung bekommen, konnen wir vielleicht die Verfolgung aufnehmen.»
        Er horte einen unterdruckten Schrei, wandte sich um und sah zwei Matrosen bei Keen knieen, der auf den Planken lag. Der Midshipman versuchte, sich an den Leib zu fassen, aber der eine Matrose hielt ihm die Handgelenke fest, wahrend der andere ihm die blutige Hose mit seinem Dolch aufschlitzte und die Halften zur Seite klappte. Ein paar Zoll uber der Leistenbeuge ragte etwas wie ein gebrochener Knochen heraus; aber es war etwas weit Schlimmeres: ein Holzsplitter vom Deck, wahrscheinlich so zerfasert, da? er wie ein Widerhaken festsa?.
        Bolitho kniete nieder und tastete vorsichtig danach; Blut pulsierte uber den Schenkel des Jungen, der die Schmerzensschreie zuruckhielt und nur leise stohnte. Bolitho dachte an Whitmarsh; aber der war weit weg in Pendang Bay und behandelte die Kranken und Verwundeten der Garnison.
        Der eine Matrose sage:»Ohne Hilfe schafft er's nicht, Sir. Ich hole einen Sanitatsgasten.»
        Aber da kniete Allday neben ihm.»Ich mach' das schon«, sagte er grimmig entschlossen.»Ruhig, Mr. Keen. Gleich sind Sie wieder auf den Beinen.»
        Bolitho stiegen vor Wut und Verzweiflung die Tranen in die Augen. Was hatte er ihnen allen angetan? Er beruhrte die nackte Schulter des Midshipman, sie war so glatt wie die einer Frau. Der Junge hatte noch nicht richtig zu leben begonnen.

«Schaffen Sie das, Allday?«fragte er kurz.
        Gelassen blickte der Bootsmann auf.»So gut wie die anderen Schlachter auch.»
        Davy kam eilig nach achtern und fa?te an seinen Hut.»Ausguck meldet, das Schiff ist die Bedford, Sir. Der Franzose mu? sie fur ein Kriegsschiff gehalten haben.
«Da sah er Keens Wunde.»Mein Gott!«murmelte er heiser.
        Die Finger des Verletzten krummten sich wie gefangene Tiere unter dem starken Griff des Matrosen. Schwerfallig stand
        Bolitho auf.»Also gut, Allday, schaffen Sie ihn in meine Kajute. Ich komme selbst, sobald ich hier fertig bin.»
        Allday sah zu ihm hoch.»Machen Sie sich keine Vorwurfe, Captain. So was ist eben Gluckssache. Wir kommen auch noch dran. «Er nickte den beiden Matrosen zu.»Nehmt ihn hoch!»
        Keen stie? einen scharfen Schrei aus, als sie ihn zum Kajutniedergang trugen, und ehe er unter Deck verschwand, sah Bolitho noch, da? seine Augen in den Himmel uber den zerfetzten Segeln starrten. Wollte er sich daran festhalten? Und durch dieses Bild am Leben selbst?
        Bolitho buckte sich und nahm Keens Dolch von dem blutbesudelten Deck auf. Er gab ihn Davy und sagte:»Wir werden mit der Bedford Kontakt aufnehmen. Im Augenblick konnen wir nichts weiter tun, als zum Stutzpunkt zuruckzukehren.»

«Gerettet durch die alte Bedford!«sagte Herrick bitter.»Ein lausiges Transportschiff aus Madras, vollgestopft mit seekranken Soldaten und ihren Weibern!»
        Sorgfaltig brachte der Ruderganger die Undine auf Kurs zuruck, wobei er geschickt den Kraftverlust ausglich, der durch die Locher in den Segeln entstand.

«Wenn die Argus das gewu?t hatte«, sagte Bolitho,»dann hatte sie uns alle beide fertiggemacht. «Er sah die Besturzung in ihren Gesichtern und fugte kurz hinzu: Aber dabei ware sie selbst draufgegangen. «Er warf einen Blick nach oben, zum Wimpel am Masttopp, und dann auf seine Uhr. Das ganze Seegefecht hatte weniger als zwei Stunden gedauert, und schon war die Argus fast in dem Dunst verschwunden, der vor der Kuste lag und das Nahen des Abends verkundete. Er beschattete die Augen und schaute nach der Bedford aus; wie kleine gelbe Muscheln standen ihre Bramsegel an der Kimm.
        Dann blickte er sich um. Zersplitterte Planken; die Toten, die unter dem Luv-Decksgang aufgereiht worden waren. Es gab viel zu tun; er durfte die Zugel keine Minute lockerlassen, wenn die Manner ihren Kampfeswillen behalten sollten - sie wurden ihn noch brauchen. Wieder brachten sie einen Toten von der Kampanje herbei. Er mu?te sich mit den Schadensmeldungen befassen, die Ausfalle ersetzen, Reparaturen anordnen. Und die Bestattungen.
        Aus dem Oberlicht der Kapitanskajute drang ein scharfer Schrei - dort unten lag Keen, und Allday versuchte, den Splitter herauszuholen.

«Ich gehe nach unten, Mr. Herrick«, sagte er.»Befassen Sie sich mit den Schadens - und Verlustmeldungen!»
        Bolitho eilte am Wachtposten vorbei und blieb dann stehen. Es war sehr still in der Kajute. Keen lag still und nackt auf dem Fu?boden. War es schon zu spat?

«Alles vorbei, Captain«, sagte Allday und hielt den blutigen Holzsplitter mit einer Pinzette hoch.»Fur so einen jungen Bengel hat er sich tapfer gehalten.»
        Bolitho blickte auf Keens aschgraues Gesicht hinunter. Seine Lippen waren blutig. Ein Matrose hatte ihm einen Lederriemen zwischen die Zahne gezwangt, damit er sich nicht die Zunge durchbi?. Noddall und der zweite Matrose legten ihm einen Verband an, und es roch stark nach Rum.

«Danke, Allday«, sagte Bolitho leise.»Ich wu?te nicht, da? Sie auch davon etwas verstehen.»
        Allday schuttelte den Kopf.»Hab's auch nur einmal gemacht, bei einem Schaf. Das arme Vieh war von einer Klippe auf einen jungen Baumstumpf gefallen. Kein gro?er Unterschied.»
        Bolitho trat zum Heckfenster und fullte sich die Lungen mit frischer Luft.»Das mussen Sie Mr. Keen erzahlen, wenn er wieder zu sich kommt. «Er wandte sich um und sah Allday ins Gesicht.»Wird er wieder ganz gesund?»
        Allday nickte.»Ja. Einen Zoll weiter, dann ware es aus gewesen. «Er sah, wie Bolitho zusammenzuckte, und rang sich ein Grinsen ab.»Jedenfalls was die Madchen betrifft.»
        Die Tur ging auf, und Herrick meldete:»Wir sind auf Signaldistanz mit der Bedford, Sir.»

«Ich komme an Deck. «Bolitho hielt inne und warf noch einen Blick auf Keen. Der Junge atmete schon leichter, das sah man deutlich.»Die Verluste?»
        Herrick senkte den Kopf.»Zehn Tote, Sir, und zwanzig Verwundete. Ein Wunder, da? wir nicht mehr verloren haben. Der Zimmermann und seine Leute sind schon unten, aber die meisten Locher scheinen uber der Wasserlinie zu liegen. Die Undine hat Gluck gehabt, Sir.»
        Bolitho blickte von Herrick zu Allday. »Ich habe Gluck gehabt. «Dann ging er aus der Kajute.
        Allday schuttelte den Kopf und seufzte, und es roch noch starker nach Rum.»Wenn Sie mich fragen, lassen Sie ihn lieber in Ruhe, Mr. Herrick, Sir.»
        Herrick nickte.»Ich wei?. Aber er nimmt sich diesen Ruckschlag sehr zu Herzen, obwohl ich keinen Kapitan kenne, der sich besser aus der Affare gezogen hatte.»
        Allday senkte die Stimme.»Aber ein Kapitan war heute besser. Und unserer wird nicht ruhen, bis er ihn wieder vor den Rohren hat.»
        Keen stie? einen leisen Seufzer aus, und Allday schnauzte die Matrosen an:»Los, ran, ihr Faulpelze! Eine Schussel neben seinen Kopf! Ich habe ihm so viel Rum in die Eingeweide gepumpt, da? er die ganze Kajute vollkotzen wird, wenn er wieder aufwacht!»
        Herrick schritt lachelnd zur Tur. Die Matrosen zurrten die Geschutze wieder fest und grinsten ihn an, als er vorbeiging. Einer rief:»Den Schei?kerlen haben wir's aber gezeigt, Sir, wie?»
        Herrick blieb stehen.»Jawohl, das haben wir, Jungs. Der Captain ist stolz auf euch.»
        Die Matrosen grinsten noch breiter.»Aye, Sir. Ich hab ihn gesehen. Mitten im dicksten Beschu? ist er rumspaziert, als ob er in Plymouth ware. Hoho! Da hab' ich gewu?t, wir schaffen es.»
        Herrick kletterte nach oben in die Sonne und starrte auf die zerfetzten Segel. Wenn ihr wu?tet, dachte er trube.
        Die anderen Leutnants und die Deckoffiziere waren bereits auf dem Achterdeck versammelt und gaben ihre Meldungen ab. Bolitho lehnte am Gro?mast. Als er Herrick sah, meinte er:»Uns bleibt noch eine ganze Weile Tageslicht. Wir werden die zerschossenen Segel und das laufende Gut auswechseln lassen, so lange es noch hell ist. Ich habe Befehl gegeben, da? in der Kombuse Feuer gemacht wird. Die Leute sollen anstandig zu essen bekommen. «Er deutete auf das schwerfallige Transportschiff, das nun knapp eine Meile entfernt war.»Wir konnten uns sogar von denen ein paar Helfer ausleihen, was?»
        Herrick sah, da? die anderen nur halb zuhorten; sie waren noch abgestumpft von der Anstrengung und dem Schock, den sie erst jetzt richtig spurten. Vermutlich war es dieser andere Bolitho - kuhl, selbstsicher, den Kopf schon wieder voll neuer Ideen - , den jener Matrose von der Geschutzbedienung wahrend des Gefechtes zu sehen geglaubt hatte.
        Aber da? er, Herrick, den richtigen Bolitho kannte, der sich hinter dieser Maske verbarg, das machte ihn plotzlich so stolz, da? alle Erschopfung von ihm abfiel.



        XII Sturm

        Wie ein Scherenschnitt stand die Gestalt des Konteradmirals vor dem farbenfrohen Viereck des Fensters; obwohl er Bolitho den Rucken zuwandte, konnte dieser erkennen, da? Conway vor Ungeduld fast zersprang. Drau?en vor dem Fenster, still und friedlich im Spiel der in der Abendsonne standig wechselnden Schatten, ankerten die Schiffe.
        Die Undine lag etwas abseits von dem ungefugen Transporter und der kleinen Brigg; die Schaden, welche die Achtzehnpfunder der franzosischen Fregatte angerichtet hatten, waren nicht mehr zu erkennen. Gelegentlich, wenn das Stimmengewirr verstummte, horte Bolitho das Klopfen und Hammern, das Knirschen der Sagen - die Undine bot nur aus der Ferne einen so schmucken Anblick.
        Nach der Hitze drau?en in der Bucht kam es ihm in dem gro?en Raum mit den Balkenwanden kuhl vor; obwohl die Manner, die darin sa?en, so aussahen, als hatten sie sich seit ihrer letzten Begegnung kaum bewegt, hatte sich doch der Raum selber in der kurzen Zeit betrachtlich verandert. Es gab mehr Mobel, ein paar Teppiche, eine ganze Sammlung von blitzenden Karaffen und Glasern - man hatte den Eindruck, in einer Wohnstatte zu sein, nicht mehr in einer belagerten Festung.
        Don Luis Puigserver hockte auf einer messingbeschlagenen Truhe und nippte an seinem Wein. Ihm gegenuber sa? James Raymond an dem mit Papieren bedeckten Schreibtisch und machte ein todernstes, verkniffenes Gesicht. Der Kapitan der Brigg, Hauptmann Vega von der ursprunglichen spanischen Garnison und zwei Offiziere der Bedford in roten Uniformen vervollstandigten die kleine Versammlung. Einen der letzteren, einen breitgesichtigen Mann, der als Major Frederick Jardine vorgestellt worden war und die von Madras gekommenen Soldaten befehligte, erkannte Bolitho sofort wieder: er hatte ihn in Madras mit Viola Raymond zusammen gesehen. Jardine lie? die bosartigen kleinen Schweinsaugen kaum einen Moment von Bolitho. Der andere Offizier, ein Hauptmann Strype, war sein Stellvertreter und vollkommenes Gegenteil: lang und dunn wie ein Stock, lispelnd unter seinem schwarzen Schnurrbart, und wenn er lachte, klang das wie ein kurzes Bellen. Er kam Bolitho ziemlich dumm vor, hatte jedoch offenbar gro?en Respekt vor seinem Vorgesetzten.
        Eben sagte Conway scharf:»Naturlich bin ich hochst betroffen zu horen, da? die Argus Sie angegriffen hat, Captain Bolitho.»

«Ein unrechtma?iger Angriff obendrein«, warf Raymond dazwischen.
        Conway wandte sich um. In der Abendsonne bekam sein graues Haar einen strohgelben Schimmer.

«Aber nicht unerwartet, Raymond. Ich jedenfalls habe damit gerechnet. Es war von Anfang an klar, da? die Franzosen die Hande im Spiel haben. Wir hatten Gluck, da? das Erscheinen der Bedford ihre Absicht, Captain Bolithos Schiff zu kapern, vereitelt hat. Das hatten sie doch geschafft, wie?«fragte er schneidend.
        Bolitho spurte aller Augen auf sich.»Ich glaube ja, Sir. «Conway nickte lebhaft. Gut. Gut, Bolitho. Ich wollte die Wahrheit horen, und ich wei?, was es Sie kostet, sie auszusprechen.»
        Raymond versuchte nochmals, seinen Standpunkt zu vertreten.»Ich glaube, Sir, wir sollten unverzuglich die Brigg mit Depeschen nach Madras schicken. Moglicherweise wird Sir Montagu Strang zu der Uberzeugung kommen, da? weitere Operationen hier nicht ratsam sind. «Conway richtete sich starr auf, aber Raymond redete weiter: Spater konnen neue Plane gemacht werden. Bis dahin mussen wir diesen Angriff als Warnung betrachten.»

«Warnung?«knurrte Conway.»Bilden Sie sich ein, da? ich mich von einem verdammten Piraten auch nur eine Minute ins Bockshorn jagen lasse und damit die ganze Aufgabe in Frage stelle, die ich eben erst ubernommen habe?«Er trat dicht an Raymond heran.»Nun? Bilden Sie sich das tatsachlich ein?»
        Raymond wurde bla?, aber er erwiderte stur:»Ich bin im Auftrag der Regierung hier, Sir. Als Ratgeber. Die Franzosen mussen doch begriffen haben, da? Sie ausmanovriert sind, ehe Sie uberhaupt angefangen haben. Wenn dieser Muljadi in den hiesigen Gewassern ungehindert rauben und morden kann, dann ist es unmoglich, aus Pendang Bay eine neue, bluhende Handelsniederlassung zu machen. Keine Gesellschaft wurde sich darauf einlassen. «Er wandte sich an den Kapitan der Brigg.»Ist dem nicht so?»
        Duster nickte der Mann.»Wir brauchen mehr Schutz, Sir.»
        Triumphierend fuhr Raymond fort:»Genau! Und das wollen die Franzosen bezwecken. Wenn wir noch mehr Kriegsschiffe fur den Patrouillendienst in diesen Gewassern anfordern, dann haben sie einen Grund, au?er der Argus weitere Schiffe zu schicken, um das Kraftegleichgewicht zu halten.»
        Conway starrte ihn wutend an.»Dann sollen sie doch!»

«Nein, Sir. Das wurde Krieg bedeuten. Die Argus ist durch ihren Kaperbrief gedeckt. Muljadi hat eine eigene Flotte und wird au?erdem von seinen franzosischen Freunden unterstutzt. In Indien gibt es tausend Muljadis, Manche sind echte Herrscher, und manche haben weniger Untertanen, als Captain Bolitho zur Zeit Matrosen hat. Wir alle wollen Frieden und unseren Handel bis nach China ausdehnen, wenn es geht, und noch weiter. Dort gibt es Reichtumer, von denen wir nur traumen konnen, Lander, deren Bewohner noch nie von Konig George oder Konig Louis gehort haben.»
        Gelassen warf Bolitho ein:»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sir, sind Sie der Meinung, da? sich der Gouverneur zuruckziehen sollte?»
        Raymond lachelte kuhl.»So wie Sie sich zuruckgezogen haben, nicht wahr?»
        Bolitho trat zum Fenster und blickte auf sein Schiff hinunter. Damit gewann er Zeit, die aufsteigende Wut, die ihm den Blick trubte, abklingen zu lassen. In der unteren Einfriedung sa? Midshipman Keen mit einem Schiffsjungen von der Nervion, der ihm als Pfleger zugeteilt war und aufpassen sollte, da? Keen nicht zu viel herumlief. Es war noch nicht ganz sicher, ob er sich von seiner Verwundung erholen wurde. War das tatsachlich erst vorgestern gewesen? Der Qualm, der Kanonendonner, die Erschopfung nach den anstrengenden Reparaturarbeiten. Dann die Bestattungen auf See - jeder Leichnam mu?te gut beschwert sein, ehe man ihn uber Bord warf, damit die streunenden Haie keine Zeit hatten, zuzupacken.

«Soviel ich wei?, Mr. Raymond«, entgegnete Bolitho,»haben Sie niemals Ihrem Vaterland mit der Waffe gedient?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Hatten Sie jemals des Konigs Rock getragen, so wu?ten Sie, da? ein geordneter Ruckzug nicht das Ende eines Kampfes bedeutet.»
        Er vernahm Hauptmann Strypes meckernde Stimme:»Ach Gott, das war aber ein bi?chen dunn, wie?»
        Bolitho fuhr herum und erwiderte grob:»Ich sprach zu Mr. Raymond, Sir, nicht zu einem verdammten Soldner, der sich einbildet, ein richtiger Soldat zu sein, blo? weil er Hauptmann wurde!»
        Don Puigserver setzte sein Glas heftig auf den Tisch.»Meine Herren! Ich wei?, da? Vega und ich hier nichts mehr zu sagen haben. Ich wei? aber auch, da? Senor Raymond wie auch der Gouverneur - «, er verbeugte sich leicht vor Conway - ,»beide recht haben. Solange Muljadi hier ungehindert Einflu? ausubt, konnen Sie keine Fortschritte machen. Bekommen Sie militarische Verstarkung, so fuhrt das nur zu weiteren Feindseligkeiten und starkerem Engagement der Franzosen. «Er machte eine Pause und zuckte beredt mit den Schultern.»Und ich bezweifle, da? mein Land das ignorieren konnte.»
        Dankbar fur sein Eingreifen, nickte Bolitho ihm zu. Er wu?te genau, noch eine Sekunde, und er hatte zuviel gesagt; auch Conway hatte ihm dann nicht helfen konnen, selbst wenn er gewollt hatte.
        Major Jardine rausperte sich.»Trotz der Au?erungen des tapferen Captain«, sagte er, ohne Bolitho dabei anzublicken,»glaube ich, da? meine Truppe stark genug ist. Ich habe zweihundert Sepoys und eine Geschutzbatterie auf Maultieren. Erfahrene Soldaten. «Er sprach undeutlich und schwitzte furchtbar, obwohl der Raum vergleichsweise kuhl war.
        Puigserver nickte ernst.»Wenn die Nervion hier ware, hatte das alles nicht passieren konnen. Ein weiteres Schiff, das der Argus unsere Flagge zeigt, und Muljadi hatte seine Plane zuruckgestellt, wenn nicht ganz aufgegeben.»

«Aber sie ist nicht da«, entgegnete Conway,»nur die Undine.»

«Und die scheint sich nicht allzugut aus der Affare gezogen zu haben«, norgelte Jardine. Er wandte sich Bolitho zu, seine kleinen Augen glitzerten wie Stahl.»Wenn ich auch nur Soldat bin oder ein Soldner, so sehe ich doch, da? dort unten keiner der beiden Schoner vor Anker liegt, und soviel wir wissen, weht auf der Argus immer noch die Flagge Muljadis. Was sagen Sie dazu, Captain?»
        Bolitho blickte ihm voll ins Gesicht.»Der eine Schoner ist gekentert und gesunken. Der andere konnte fliehen, weil die Argus kam. «Er war jetzt ganz unbewegt. Wer den Schaden hatte, brauchte eben fur den Spott nicht zu sorgen. Man mu?te dergleichen hinter sich bringen, es reinigte die Luft.

«In der Tat. «Jardine lehnte sich im Sessel zuruck, seine blankgeputzten Stiefel quietschten.»Und dann kam Ihnen die Bedford zu Hilfe. Das arme, vielgelasterte Schiff der Company mu?te die Argus vertreiben.»

«Wenn Sie an meiner Stelle gewesen waren, Major. .»
        Jardine spreizte die dicken Hande.»War ich aber nicht, Sir. Ich bin Soldat. Fur solche Dinge ist schlie?lich die Flotte zustandig und nicht ich - oder wie meinen Sie?»

«Das reicht mir«, sagte Conway kalt.»Ich verbitte mir dieses Wortgeplankel. Das gilt sowohl fur Sie, Bolitho, als auch - «, er sah Jardine an,»- fur jeden anderen!«Er legte die Hande auf den Rucken, so da? seine schon gebeugten Schultern noch tiefer sanken.»Ware die Undine in offener Seeschlacht von einem gleich starken Schiff geschlagen worden, hatte ich Captain Bolitho als ihren Kommandanten ablosen lassen. Das wei? er ganz genau, und Sie, meine Herren, sollten das auch bedenken. Von der Kriegsmarine wird nur zu haufig erwartet, da? sie gegen eine Ubermacht kampft; und bisher hat sie dabei so oft Erfolge erzielt, da? hohlkopfige Politiker und gierige Kaufleute, die schnelle Profite fur wichtiger halten als langfristige Sicherheit, den Sieg selbst gegen einen hoffnungslos uberlegenen Feind fur selbstverstandlich halten. Doch wie die Dinge liegen, mu? Captain Bolitho, sobald die notigen Reparaturen ausgefuhrt sind, unverzuglich in Muljadis Gebiet segeln. «Er blickte Bolitho unbewegt an.»Sie werden mit der Argus Kontakt aufnehmen, und zwar unter Parlamentarsflagge, und eine Botschaft von mir
uberbringen.»
        Hastig warf Raymond ein:»Ich beschwore Sie, Sir, lassen Sie Don Puigserver mit Captain Bolitho segeln! Er hat das Recht, die Freiheit des letzten hiesigen Gouverneurs, des Obersten Pastor, zu fordern. Er konnte Muljadi gegenuber sein Mi?fallen auf eine Weise zum Ausdruck bringen, die… »
        Jetzt wurde Conway ernstlich wutend, und seine Stimme hallte drohnend von den Wanden wider:»Ich bin hier Gouverneur«, brullte er Raymond an,»ich brauche Ihre Gangelei nicht, und auch nicht die Hilfe des Konigs von Spanien, verstanden?»
        Raymonds Mut welkte unter Conways Zorn dahin. Er sagte nichts mehr. Puigserver stand auf und schritt langsam zur Tur. Erleichtert und dankbar folgte ihm Hauptmann Vega.
        Puigserver blieb einen Moment stehen und blickte sie alle an. Seine Augen waren sehr dunkel.»Ich wurde Captain Bolitho naturlich gern begleiten. «Er lachelte fluchtig.»Ich hege gro?e Bewunderung fur seinen Mut und seine - «, er suchte nach dem richtigen Wort,»- seine Integritat. Aber ich habe viel zu tun. Es ist meine Aufgabe, die spanischen Soldaten und ihre
        Angehorigen mit der Bedford nach Hause zu schicken. «Er warf einen kurzen Blick auf Conway, und sein Lacheln schwand.»Wie Sie heute fruh sehr richtig bemerkten, hat Spanien hier keine Hoheitsrechte mehr.»
        Bolitho sah ihm nach, als er hinausging. Sofort bei der Ankunft hatte er die Spannung gespurt. Es konnte fur Conway nicht leicht gewesen sein. Er machte sich Sorgen, weil weder Nachrichten noch Verstarkungen noch Lebensmittel eintrafen. Aber es war falsch von ihm, sich Puigserver zum Gegner zu machen. Wenn es hier schiefging, wurde Conway alle Fursprache brauchen, die er bekommen konnte, sogar von spanischer Seite.
        Jardine sagte moglichst beilaufig:»Ich gehe dann am besten auch. Ich mu? die Sepoys einweisen und die Seesoldaten ablosen lassen. «Fur das, was Hauptmann Bellairs und seine Leute in so kurzer Zeit geschafft hatten, au?erte er kein Wort des Dankes oder der Anerkennung.
        Wieder blickte Bolitho durchs Fenster. Urwald und Schlinggewachse, die den Stutzpunkt bedrangt hatten, waren gelichtet und alle Toten beerdigt. Das als Lazarett benutzte Gebaude war gereinigt und frisch gestrichen worden; Whitmarsh war sogar des Lobes voll uber die Leistungen der Manner gewesen.
        Conway nickte.»Nach Sonnenuntergang kommen Sie bitte wieder hierher, Major.»
        Bolitho wartete, bis die beiden Offiziere drau?en waren, und sagte dann:»Bitte um Entschuldigung fur meinen Ausbruch, Sir. Aber ich habe die Nase voll von dieser Sorte.»

«Mag sein«, knurrte Conway.»Doch in Zukunft werden Sie den Mund halten. Auch wenn Jardine nur eine Handvoll invalider Bettler unter seinem Kommando hatte, wurde ich Ihnen dasselbe sagen. Ich brauche jeden Mann, den ich kriegen kann.»
        Raymond stand gahnend auf.»Verdammte Hitze! Ich glaube, ich lege mich vor dem Dinner ein bi?chen hin. «Auch er ging langsam hinaus, ohne einen Blick fur Bolitho.
        Gedampft sagte Conway:»Ihre Bemerkung uber das Waffentragen gefiel ihm nicht. «Er lachte leise.»Wahrend Sie weg waren, hat seine Frau Loblieder auf Marineoffiziere im allgemeinen und auf Sie im besonderen gesungen. «Er runzelte die Stirn.»Ich habe anscheinend zu meinem Unheil dauernd mit Menschen zu tun, die einander absichtlich ruinieren.»

«Wie geht es ihr, Sir?«Bolitho traute sich nicht, Conway ins Gesicht zu blicken. Ich habe sie seit meiner Ruckkehr noch nicht gesehen.»

«Sie hat diesem Saufer von Schiffsarzt bei der Kranken- und Verwundetenpflege geholfen. «Conway zog die Brauen hoch.»Uberrascht Sie das? Bei Gott, Bolitho, uber Frauen mussen Sie noch viel lernen. Aber alles zu seiner Zeit.»
        Bolitho dachte daran, wie Viola sich geweigert hatte, die Verwundeten an Bord der Undine zu versorgen, nachdem Puigserver mehr tot als lebendig an Bord gekommen war. Warum blo?? Er seufzte. Vielleicht hatten Puigserver und Conway beide recht: er mu?te noch viel lernen.

«Ich gehe wieder an Bord, Sir«, antwortete er.»Da ist eine Menge zu erledigen.»
        Conway sah ihn nachdenklich an.»Ja. Und denken Sie daran: Wenn Sie mit dem Kapitan der Argus zusammentreffen, dann behalten Sie Ihre personlichen Gefuhle fur sich. Er tut seine Arbeit, so gut er kann. Sie wurden dasselbe tun, wenn es Ihnen befohlen wurde. Wenn Le Chaumareys nicht im Feuer Ihrer Geschutze umgekommen ist, wird ihm ebensoviel daran liegen, personlich mit Ihnen zu sprechen. Er ist alter als Sie, aber ich glaube, Sie haben etwas gemeinsam. «Seine Falten vertieften sich, als er trocken schlo?:»Keinen Respekt vor Ihren Vorgesetzten!»
        Bolitho nahm seinen Hut. Bei Conway wu?te man nie, wo die menschliche Warme endete und die stahlerne Harte begann.

«Bitte kommen Sie abends an Land und speisen Sie mit uns - «, Conway machte eine Geste, die den ganzen Raum umfa?te,»- mit uns Abgeschriebenen.»
        Bolitho verstand, da? er entlassen war, verbeugte sich und ging.
        Jenseits der Palisaden war der Urwald so dicht und bedruckend wie eh und je; dennoch wirkte der Ort anheimelnder, wie etwas Dauerndes.
        Allday trieb sich im Schatten unterhalb des Haupttores herum. Er sah ein paar eingeborenen Frauen zu, die in einem gro?en Holztrog Wasche wuschen. Sie waren klein, braunlich, etwas mollig, besa?en aber eine geschmeidige Grazie, die Allday anscheinend sehr gefiel. Er nahm Haltung an und fragte:»Alles erledigt, Captain? Zu Bolithos anzuglichem Blick nickte er wohlgefallig.»Niedliche kleine Krabben. Wir werden auf unsere Matrosen aufpassen mussen, Captain.»

«Nur auf die Matrosen?«»Na ja… »
        Da kam der Schiffsarzt aus dem Behelfslazarett. Er rieb sich die Hande an einem Tuch ab und blinzelte in das schrag einfallende Sonnenlicht. Als er Bolitho sah, nickte er ihm zu.»Zwei von Ihren Verwundeten sind ab morgen wieder dienstfahig, Sir. Zwei sind gestorben, aber die anderen werden uberleben. «Er wandte den Blick ab.»Bis zum nachsten Mal.»
        Bolitho uberlegte. Zwolf Tote hatte sie der Angriff der Argus gekostet. Das war zuviel, auch wenn man bei diesem wutenden Gefecht von Gluck sagen konnte, da? es nicht mehr waren. Er seufzte. Vielleicht hatte Herrick ein paar» Freiwillige «von den anderen Schiffen erwischt?

«Ihr Bootsmann«, fuhr Whitmarsh fort,»hat, nebenbei bemerkt, gute Arbeit geleistet. Eigentlich mu?te der Junge tot sein. «Er blickte Allday an.»Schade um Sie. Sie sollten was Vernunftiges aus Ihrem Leben machen.»
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Freut mich, da? Sie Allday fur die Muhe gedankt haben, die er sich mit Mr. Keen gegeben hat. Aber er wird uber seine Zukunft schon selbst entscheiden, da bin ich ganz sicher.»
        Allday selbst stellte sich taub.

«Jedenfalls«, sagte Whitmarsh,»habe ich hier ein bi?chen saubergemacht. Die meisten werden durchkommen, aber ein paar werden doch noch sterben, ehe sie Spanien erreichen. Geschlechtskrank, selbstverstandlich.»

«Selbstverstandlich?»
        Whitmarsh sah ihm in die Augen.»Vollig verseucht. Und sie haben naturlich auch diese armen unwissenden Wilden angesteckt. Wenn einer Ihrer Matrosen mit diesen verdammten Pickeln zu mir kommt, dann verarzte ich ihn so, da? er wunscht, er hatte nie im Leben eine Frau beruhrt!»

«Es sind auch Ihre Matrosen, Mr. Whitmarsh!«erwiderte Bolitho mit einem prufenden Blick. Obwohl sich die ubliche feindselige Haltung des Arztes nicht geandert zu haben schien, sah er doch erheblich besser aus. Vielleicht lag es nur daran, da? es hier wenig zu trinken gab? Jedenfalls hatte er keine Ahnlichkeit mehr mit dem betrunkenen Wrack, das in Portsmouth im Frachtnetz an Bord gehievt werden mu?te.

«Da sind Sie also, Captain.»
        Er wandte sich um. Sie stand am Tor und sah ihn an. Ein wei?er Uberwurf reichte ihr fast bis zu den Fu?en, und sie trug den Strohhut, den sie in Santa Cruz gekauft hatte. Ihre Augen lagen im Schatten, aber ihr Lacheln war strahlend und warm.

«Ich bin Ihnen sehr dankbar, Madam«, erwiderte er,»fur alles, was Sie hier getan haben.»
        Whitmarsh nickte.»Mrs. Raymond hat das ganze Lazarett von oben bis unten organisiert. «Seine Bewunderung war echt.
        Viola lachelte Allday gru?end zu und hakte sich bei Bolitho ein.»Ich komme bis zum Strand mit, wenn ich darf. Es ist so erfrischend, Sie wieder hier zu haben.»
        Bolitho merkte, da? Whitmarsh und Allday sie beobachteten.»Sie sehen - ah - wohl aus«, sagte er.»Sehr wohl sogar.»
        Sie druckte seinen Arm ein ganz klein wenig.»Sagen Sie Viola zu mir!»

«Viola«, sagte er lachelnd.

«So ist's schon besser. «Aber als sie weitersprach, klang ihre Stimme ganz anders. Ich sah Ihr Schiff vor Anker gehen und war richtig verruckt vor Angst. Ich bat James, mich mit dem Boot hinuberzufahren, aber er weigerte sich. Naturlich! Da nahm ich ein Fernrohr und konnte Sie sehen - als ob ich neben Ihnen stunde. Und heute war ich ein Weilchen mit Valentin zusammen.»

«Valentin?«Er sah sie von der Seite an.»Wer ist das?»
        Sie lachte.»Naturlich - so eine Kleinigkeit wie einen Vornamen werden Sie sich nie merken. Ich meine Ihren Mr. Keen. «Dann wurde sie ernst.»Der arme Junge sieht noch so elend aus, aber er spricht immer nur von Ihnen. «Wieder ein fester Druck auf seinen Arm.»Ich bin beinahe eifersuchtig.»
        Bolitho blickte uber ihren Kopf hinweg auf die Gig. Sie lag auf dem Sand; kleine, schaumkopfige Wellen umspielten sie. Die Bootsbesatzung war in larmender Unterhaltung mit einigen Matrosen der Brigg begriffen; offensichtlich schilderten sie ihren Sieg - denn so sahen sie die Sache an - uber die Argus und die beiden Schoner. Trotz aller Bitterkeit und Enttauschung uber das Gefecht mu?te er lacheln. Vielleicht hatten sie sogar recht. Da? man unter solchen Umstanden uberhaupt am Leben geblieben war, konnte man durchaus als einen Sieg ansehen.
        Viola blickte ihn an, als suche sie etwas.»Sie lacheln, Captain? Uber meine Dreistigkeit vielleicht?»
        Er griff nach ihrer Hand.»Nein, das nicht. Niemals.»
        Sie warf den Kopf in den Nacken.»So ist es schon besser, Captain.»
        Er horte Alldays Schritte im Sand, und bei der Gig wurde es auf einmal still.»Ich hei?e Richard«, sagte er ernst.
        Allday horte Mrs. Raymond lachen und war plotzlich besorgt. Hier entstand eine Gefahr, die er recht gut sehen konnte; jedenfalls besser als sein Kommandant. Er zog den Hut, als Bolitho auf dem Weg zur Gig an ihm vorbeikam, und horte ihn sagen:»Ich komme nachher wieder an Land, Ma'am.»
        Sie beschattete die Augen mit der Hutkrempe.»Bis dann also, Captain.»
        Aber Allday hatte ihr Gesicht gesehen, ehe der Schatten es verbarg. Er wu?te, was es bedeutete, wenn eine Frau so aussah. Er warf einen raschen Blick auf den Turm des Forts und holte tief Atem, als prufe er die Luft. Widrige Winde im Anzug, dachte er, und nicht mehr allzuweit weg.
        Bolitho blickte ihn an.»Alles klar?»

«Scheint so, Captain«, antwortete Allday mit unbewegter Miene.
        Drei Tage nach ihrer Ruckkehr nach Teluk Pendang lichtete Seiner Majestat Fregatte Undine wieder Anker und ging in See. Am spaten Nachmittag war sie bereits weit drau?en in der glitzernden Einsamkeit der Javasee, und nicht einmal ein Kormoran leistete ihr Gesellschaft.
        Als die Undine in See ging, hatte ein fluchtiger Betrachter kaum noch etwas von den Schaden gesehen, welche die Kanonen der Argus angerichtet hatten. Aber Bolitho sah sie recht gut, als er an Deck kam. Die von Splittern und Schrapnellen zerrissenen Wanten und Stagen waren ersetzt und frisch geteert worden, so da? sie in der hellen Sonne glanzten. Die eilig eingezogenen, neuen Decksplanken hoben sich dunkler von der wettergebleichten und bimssteingescheuerten Beplankung ab, die so alt war wie das Schiff selbst. Der Segelmacher und seine Leute hatten am meisten zu tun gehabt, und sogar jetzt noch sah Bolitho, als er an Luv entlangschlenderte, Jonas Tait dort hocken, und sein eines Auge kontrollierte wachsam die nadelbewehrten Fauste, die immer noch flei?ig Nahte setzten.
        Fowlar, der wachhabende Steuermannsmaat, tippte gru?end an die Stirn und meldete: Sudwest zu Sud liegt an, Sir. «Er deutete voraus.»Ziemliche Dunung, Sir. Mr. Soames ist im Vorschiff und kontrolliert die Halterungen der Geschutze.»
        Bolitho warf einen Blick auf den Kompa? und betrachtete dann nacheinander die Segel an jedem Mast. Er hatte das unangenehme Stampfen des Schiffes schon bemerkt, aber es war noch zu fruh, um beurteilen zu konnen, was es damit auf sich hatte. Das Barometer stand auf unbestandig, doch das war man in diesen Breiten gewohnt. Mudge hatte sich sehr vorsichtig ausgedruckt, als Bolitho ihn nach seiner Meinung gefragt hatte.»Konnte Sturm geben, Sir - in diesen Gewassern wei? man das nie.»
        Bolitho nickte Fowlar zu und ging zur Achterdecksreling. Die Sonne stach auf Kopf und Schultern. Ganz ordentlicher Wind, dachte er; aber die Luft ist druckend, sehr druckend sogar.
        Herrick und Soames standen an den Zwolfpfundern im Gesprach. Der Bootsmann war auch dabei und wies auf die Stellen, wo noch etwas repariert werden mu?te. Aus dem Niedergang beim Gro?mast erklang die muntere Melodie eines Jig, den der Schiffsfiedler spielte: normale, alltagliche Gerausche und Bilder. Beruhigt begann er, an der Luvseite auf und ab zu schlendern.
        Aus dem Augenwinkel beobachtete er Soames, der vom Geschutzdeck kam. Es sah so aus, als wolle er zu Bolitho heruberkommen; aber er blieb dann doch auf der Leeseite. Bolitho war erleichtert. Soames hatte sich im Gefecht bewahrt, aber als Gesprachspartner war er schwerfallig und engstirnig.
        Und Bolitho wollte allein bleiben, nachdenken, was er richtig und was er falsch gemacht hatte. Jetzt, da er wieder einmal das Land weit hinter sich hatte und auf sich selbst angewiesen war, konnte er alles viel klarer sehen. Jetzt, da er nur seinen eigenen, uber die schwarzen Sechspfunder schwankend hinweggleitenden Schatten zur Gesellschaft hatte, fand er, da? er ofter richtig als falsch gehandelt hatte. War es unvermeidlich gewesen? Oder hatten sie es beide, er und sie, in Sekundenschnelle beenden konnen, durch ein blo?es Wort, eine Andeutung? Ihm fiel wieder ein, wie sie ihn uber den Tisch hinweg angesehen hatte, wahrend die anderen sich mit allerlei Unterhaltung und Geplauder die Zeit vertrieben. Capitan Vega hatte ihnen ein Lied vorgesungen, so traurig, da? ihm dabei die Tranen in die Augen traten. Puigserver hatte von den Abenteuern erzahlt, die er vor dem Kriege in Westindien und Sudamerika erlebt hatte. Raymond hatte sich nach einem ergebnislosen Streitgesprach mit Major Jardine uber die Moglichkeit eines dauernden Friedens mit Frankreich langsam aber sicher betrunken. Conway war
schrecklich nuchtern geblieben, oder, wenn das nicht der Fall war, mu?te er ein besserer Schauspieler sein, als Bolitho sich vorstellen konnte. Wann also war der eigentlich entscheidende Moment gewesen?
        Sie waren zusammen auf der oberen Brustwehr gestanden und hatten, uber das rauhe Balkenwerk gebeugt, auf die Bucht und die ankernden Schiffe geschaut. Ein schones Bild. Winzige Lichter glitzerten auf dem unruhigen Wasser. Bleich schaumte es an den Riemen eines Wachtbootes, das seine gleichformigen Kreise um die machtigen Schiffsrumpfe zog.
        Ohne ihn anzusehen, hatte sie gesagt:»Ich mochte, da? Sie heute nacht an Land bleiben. Ja?»
        War das die Entscheidung? Mit plotzlichem, gefahrlichem Entschlu? hatte er alle Bedenken beiseite geschoben.»Ich lasse meinem Ersten Leutnant Bescheid sagen.»
        Er wandte sich um und blickte uber das Deck. Da stand Herrick immer noch im Gesprach mit Shellabeer. Ob er damals wohl erraten hatte, was vorging?
        Bolitho wu?te noch ganz genau, wie sein Zimmer im Fort ausgesehen hatte. Es war eher eine Zelle, karger als eine Leutnantskajute auf einem Kriegsschiff. Er hatte auf dem Bett gelegen, die Hande hinterm Kopf gefaltet und auf die seltsamen Gerausche drau?en, auf die Schlage seines eigenen Herzens gelauscht.
        Tierschreie aus dem Dschungel, gelegentlich der Anruf einer Patrouille an den kontrollierenden Sergeanten. Der Wind, der um den viereckigen Turm strich, ohne das antwortende Summen der Takelung und das Klappern der Taljen, das Bolitho gewohnt war.
        Dann hatte er ihre Schritte drau?en auf dem Gang gehort, ein rasches Flusterwort zu ihrer Zofe, bevor sie die Tur offnete und schnell wieder hinter sich zuzog.
        Wie es weitergegangen war, wu?te er nicht mehr so genau. Da ging es ihm etwas durcheinander. Er erinnerte sich noch, da? er sie an sich gepre?t hielt, an ihren warmen Mund, an das plotzliche, uberwaltigende, verzweifelte Begehren, das die letzten Bedenken in alle Winde jagte.
        Es war kein Licht in der winzigen Kammer, nur der Mondschein. Er hatte sie nur kurz gesehen, ihre nackte Schulter, die wie Silber glanzenden Schenkel, als sie ins Bett kam und ihn tiefer, immer tiefer zu sich herabzog, bis sie sich schlie?lich in der Erfullung ihres Begehrens vereinten, keuchend und ermattet.
        Hatte er uberhaupt geschlafen? Oder sie nur in den Armen gehalten, sie begehrt mit der qualend klaren Gewi?heit, da? es nicht dauern konnte? Einmal in dieser Nacht, als es schon fast dammerte, hatte sie ihm ins Ohr geflustert:»Mach dir keine Vorwurfe. Das hat nichts mit Ehre zu tun. Es gehort zum Leben. «Sie hatte die Lippen auf seine Schulter gepre?t und zartlich weitergeflustert:»Wie wunderbar du riechst. Nach Schiff. Nach Salz und Teer. «Und mit leisem Kichern:»Das mu? ich auch haben. «Dann das angstliche Klopfen an der Tur, mit dem die treue Zofe das Nahen des Tages ankundigte, und das hastige Rascheln, als sie ihr Gewand uberstreifte.
        Aber fur Bolitho war es ein vollig anderer Tag als alle Tage bisher. Er fuhlte sich ganz anders als sonst. Voller Leben und Unruhe. Befriedigt, aber hungrig nach mehr.
        Er horte Schritte an Deck. Herrick stand vor ihm und sah ihn an.»Ja, Mr. Herrick?»

«Der Wind frischt wieder auf. Soll ich die Marssegel reffen lassen, Sir?«Kritisch musterte er die Takelung.»Hort sich an, als ob das Rigg machtig straff ist.»

«Wir wollen sie noch ein bi?chen so laufen lassen. Wenn moglich, bis acht Glasen, wenn wir halsen und Westkurs haben. Hat ja keinen Sinn, die Leute zusatzlich anzustrengen, wenn wir mit nur einem Manover auskommen konnen. «Er lehnte sich zuruck, die Hande in die Huften gestemmt, und starrte zum Topp des Gro?mastes, wo der lange Wimpel im Winde flatterte.»Sie hat immer noch eine Menge Kraft in sich.»

«Aye, Sir. «Herricks Stimme klang seltsam mude.

«Was nicht in Ordnung?»
        Gelassen erwiderte Herrick:»Sie wissen ja schon, Sir. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Was geschehen ist, ist geschehen.»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Dann wollen wir es auf sich beruhen lassen.»

«Gewi?, Sir«, seufzte Herrick. Er sah zum Ruderganger hinuber.»Ich habe nur vier Mann kriegen konnen, bedauerlicherweise. Weder die Bedford noch die Rosalind wollten mehr abgeben. Und diese vier sind ausgesprochene Stanker-Typen. «Er lachelte ein bi?chen.»Immerhin hat mir Mr. Shellabeer versichert, da? sie ihr Benehmen andern werden, ehe die Sonne wieder aufgeht.»
        Midshipman Armitage kam eilig den Niedergang herauf, fa?te an den Hut und stotterte Herrick an:»Mr. Tapril la?t respektvoll anfragen, ob Sie zu ihm ins Magazin kommen konnen, Sir.«»Ist das alles?«fragte Herrick.
        Der Junge machte ein ungluckliches Gesicht.»Sie hatten es versprochen, Sir.»

«Eben, Mr. Armitage. «Der Midshipman eilte wieder nach unten, und Herrick erklarte:»Ich wollte die Pulverfasser kontrollieren und neu markieren lassen. Hat keinen Sinn, gutes Pulver zu verschwenden. «Er senkte die Stimme.»Horen Sie, Sir, konnen Sie denn wirklich nicht sehen, wie verruckt das ist, was Sie da machen? Es ist uberhaupt nicht abzusehen, wie das Ihrer Karriere schaden kann!»
        Bolitho fuhr gereizt herum; aber dann sah er die echte Besorgnis in Herricks Miene.»Ich verlasse mich auf Ihre Lady Gluck, Thomas. «Er schritt zum Kajutniedergang und sagte zu Soames:»Rufen Sie mich sofort, wenn sich etwas andert.»
        Als er verschwunden war, schritt Soames zum Kompa?. Fowlar beobachtete ihn verstohlen. Wenn sie wieder in England waren, wurde auch er ein Leutnantspatent erhalten. Der Captain hatte so etwas angedeutet, und auf den konnte man sich verlassen. Aber wenn er diese allererste Stufe der Leiter erklomm, wurde er hoffentlich mehr Freude daran haben, als das bei Soames der Fall zu sein schien.
        Soames schnauzte ihn an:»Mr. Fowlar, Ihre Ruderganger sind einen Strich oder so vom Kurs abgekommen. Verdammt noch mal, bei Ihnen hatte ich das nicht erwartet! Dann ging er wieder, und Fowlar grinste hinter ihm her. Das Ruder lag genau richtig, und Soames wu?te das auch. Aber so war es nun mal in der Flotte - ein lausiges Spiel.»Halten Sie Kurs, Mallard!«sagte er zu dem Ersten Ruderganger. Mallard schob seinen Priem in die andere Backe und nickte.»Aye, aye, Mr. Fowlar,
        Sir.»
        Die Wache ging weiter.
        Gegen Ende der Hundewache frischte der Wind so auf, da? die Marssegel gerefft werden mu?ten. Bolitho fa?te in die Finknetzen, visierte die ganze Lange des Schiffes entlang und beobachtete, wie die Deckoffiziere ihre Segelbedienungen kontrollierten, ehe diese in die Masten gingen, wahrend Shellabeer und seine Maaten die Boote fester zurrten.
        Herrick brullte durch den Wind:»Innerhalb einer Stunde mussen wir noch ein Reff stecken, Sir, wenn ich mich nicht irre.»
        Bolitho wandte sich nach achtern und fuhlte das Spruhwasser im Gesicht, das freigiebig in Luv uberkam. Der Wind hatte schnell ruckgedreht und blies jetzt kraftig von Sudost, so da? die Undine ebenso heftig wie ungemutlich stampfte. Er antwortete:»Wenn wir gerefft haben, gehen wir auf Westkurs. Auf Backbordkiel wird sie ruhiger laufen. «Er beobachtete die gro?en, steil anlaufenden Wellen; wie zackige Reihen bosartiger Glasberge sahen sie aus. Wenn der Wind noch mehr auffrischte, wurden diese jetzt noch runden Wellen zu schweren Brechern werden.
        Er horte Mudge rufen:»Wir kriegen tatsachlich einen ordentlichen Sturm, Sir!«Er hielt seinen mi?geformten Hut fest; der Wind trieb ihm das Wasser in die Augen. Das Barometer hopst herum wie 'ne Erbse auf der Trommel!»

«Musterung durch, Sir!«schrie Davy.

«Sehr schon. Alle Mann in die Masten!«Herrick hob die Hand.»Kein Wettrennen! Verbieten Sie den Bootsmannsmaaten, mit ihren Tauenden herumzuprugeln!«Er warf einen Blick auf Bolitho.»Ein Ausrutscher, und der Mann geht uber Bord und ist verloren.»
        Bolitho nickte zustimmend. Herrick verga? solche Hinweise nie.

«Ich hoffe, der Sturm wird nicht allzulange dauern. Wenn wir beidrehen und ihn abreiten mussen, kommen Admiral Conways Plane bestimmt durcheinander.»
        Von oben tonten abgerissene Fluche und Schreie herab. Die Toppmatrosen kampften hart mit den schwer zu bandigenden, heftig schlagenden Segeln. Sie stie?en mit Fausten und Fu?en, warfen sich mit dem Oberkorper uber die Rahen, tief unter ihnen das Deck. Bolitho wurde beim blo?en Anblick dieser Knochenarbeit schwindlig. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Segel zu Herricks Zufriedenheit gemeistert waren; und dann war es auch schon Zeit, das nachste Reff zu stecken. Schaum und Spruhwasser peitschte an Luv ubers Deck; jede Planke, jede Leine quietschte und knarrte in wutendem Protest.

«Noch einen Strich vor den Wind, Mr. Herrick!«rief Bolitho.»Kurs West zu Sud! Herrick nickte. Auch sein Gesicht troff von Spruhwasser.»Achterwache an die Besanbrassen!«Wutend schuttelte er seine Sprechtrompete.»Zusammenbleiben, verdammt noch mal!»
        Ein Marineinfanterist war ausgerutscht, lag als scharlachroter Haufen auf den Decksplanken und strampelte mit den Beinen, so da? noch ein paar seiner Kameraden durcheinander gerieten.
        Bolitho deutete voraus; unter dem weiter auffrischenden Wind bekamen die Wellen jetzt glitzernde Schaumkronen.

«Sie lauft doch ruhiger, Mr. Herrick!«Er wurde gelassener, als jetzt die alteren Matrosen nach achtern eilten, um den Seesoldaten und den weniger erfahrenen Mannern bei den Besanbrassen zu helfen.»Und bis jetzt ist kein Mann verletzt, soweit ich sehe!»
        Die Undine hatte sich muhsam vor den Wind gedreht. Lackschwarz stachen Wanten und Schoten gegen die aufkommenden Wellen ab. Aber mit ihren leicht backgebra?ten Rahen und der bis auf Mars- und Focksegel gerefften Leinwand wurde sie einigerma?en mit dem Wind fertig.
        Keuchend, das Hemd klatschna?, kam Davy aufs Achterdeck.»Alles klar, Sir!«Er schwankte, stolperte, fiel gegen die Netze und sagte wutend:»Bei Gott, ich hatte vollig vergessen, was ein richtiger Wind ist!»
        Bolitho lachelte.»Lassen Sie die Freiwache unter Deck gehen, aber sagen Sie dem Bootsmann, er soll standig Kontrollen machen. Wir konnen uns nicht leisten, kostbares Geschirr zu verlieren, blo? weil es nicht ordentlich verstaut wurde. «Er wandte sich Herrick zu:»Kommen Sie mit in meine Kajute.»
        Dort war es trotz der tosenden See und den unter dem Anprall stohnenden Planken warm und gemutlich. Der Gischt malte ein Diagonalmuster an die Heckfenster, das Ruder knirschte und quietschte unter den Handen der Rudergasten, die das Schiff auf seinem neuen Kurs hielten. Noddall kam taperig herein, den schmachtigen Korper schrag gegen den uberhangenden Fu?boden geneigt, und setzte Weinglaser auf. Herrick quetschte sich in die Ecke der Sitzbank und blickte Bolitho fragend an. Und wenn wir vor dem Wind segeln mussen und dabei etwas vom Kurs abkommen - wurde das so viel ausmachen, Sir?»
        Bolitho dachte an seine schriftlichen Befehle, an Conways kurze, aber klare Instruktionen.»Unter Umstanden ja. «Er wartete, bis der Wein eingeschenkt war, und sagte dann:»Auf das, was wir erreichen konnen, Thomas!»
        Herrick lachte kurz auf. »Darauf trinke ich mit!«Bolitho setzte sich an seinen Schreibtisch. Das Schiff stieg und glitt dann steil in ein Wellental. Er war froh, da? Keen und ein paar andere Rekonvaleszenten auf seinen ausdrucklichen Wunsch in Pendang Bay geblieben waren. Wenn das Schiff noch lange so stampfte und rollte, mu?ten ja die besten Wundnahte rei?en.

«Admiral Conway beabsichtigte, die Bedford in See gehen zu lassen, sobald wir auf dem Wege zu den Benua-Inseln sind. Ich denke, er will die spanischen Soldaten so schnell wie moglich loswerden.»
        Herrick sah ihn gespannt an.»Ein bi?chen riskant, Sir, nicht wahr? Wo sich doch diese verdammte Argus immer noch hier herumtreibt?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Glaube ich nicht. Bestimmt haben die Franzosen oder Muljadi ihre Spione, die Conways Stutzpunkt beobachten. Die werden gesehen haben, da? wir in See gegangen sind. Die Argus wei? inzwischen ganz genau, da? wir kommen.»

«So gerissen sind die also?«Herrick sah ganz finster aus bei diesem Gedanken.

«Damit mussen wir rechnen. Ich glaube, Conway hat recht. Es ist besser, wenn die Bedford mit den Kranken und den Depeschen fur Madras weg ist, bevor es in Pendang Bay noch schlimmer wird.»

«Wenn ein richtiger Sturm aufkommt«, antwortete Herrick etwas optimistischer,»dann passiert erst mal gar nichts. Die Froschfresser mogen schlechtes Wetter nicht.»
        Bolitho mu?te uber Herricks Gottvertrauen lacheln.»Diesem hier konnte das egal sein. Er ist lange in diesen Gewassern gesegelt. Das ist keiner von diesen Ein-Schu?-und-weg-Spezialisten, die vor Brest oder Lorient mal kurz die Nase in den Kanal stecken und nach Hause flitzen, sobald sie das erste englische Schiff zu Gesicht kriegen. «Er rieb sich das Kinn.»Dieser Le Chaumareys interessiert mich. Ich wurde gern wissen, wie er als Mensch ist, nicht nur als Seemann und Kampfer.»
        Herrick nickte.»Er seinerseits scheint eine ganze Menge uber Sie zu wissen, Sir.
»Zuviel.»
        Eine machtige Woge glitt unter das Achterdeck, hob das Schiff an, stellte es einen Moment lang steil, und lie? es dann in das nachste Wellental gleiten. Drau?en vor der Tur sturzte der
        Posten stehende Marineinfanterist der Lange nach hin; sie horten das Klappern und Klirren der fallenden Muskete und sein Fluchen, wahrend er sich aufrappelte. Langsam sagte Bolitho:

«Wenn wir mit dem Kapitan der Argus zusammentreffen, mussen wir die Augen offenhalten. Wenn er gewillt ist, zu verhandeln, erfahren wir vielleicht etwas. Andernfalls mussen wir bereit sein zu kampfen.»
        Herrick runzelte die Stirn.»Kampfen ware mir lieber, Sir. Das ist die einzige Methode, die ich kenne, um mit einem Franzosen klarzukommen.»
        Bolitho mu?te plotzlich an jenes Zimmer in der Admiralitat denken und an die verschlossene Miene des Admirals Winslade, der ihm in aller Kurze die Mission der Undine angedeutet hatte. Vier Monate war das her. Es war Frieden - und doch waren Schiffe untergegangen, Menschen getotet oder fur den Rest ihres Lebens zu Kruppeln geworden. Aber selbst die Herrschermacht Ihrer Lordschaften von der Admiralitat, alle Gerissenheit und Erfahrung der Diplomaten waren hier nutzlos. Eine einsame, winddurchbrauste Fregatte, ein Minimum an Reserven, und kein Befehl von oben, wenn man ihn am allernotigsten brauchte! Herrick fa?te Bolithos Verstummen als Signal auf. Er stellte seinen Becher zwischen den erhohten Leisten des Tisches ab und stand vorsichtig auf.»Zeit fur meine Runde, Sir. «Er lauschte mit schiefem Kopf auf das Gurgeln des Wassers in den Speigatten des Achterdecks.»Ich habe die Mittelwache; vielleicht kann ich vorher noch ein paar Minuten schlafen. «Bolitho zog seine Uhr und merkte, da? Herrick sie mi?billigend ansah.»Ich gehe jetzt in die Koje. Wir werden in Kurze doch alle rausmussen.»
        Und in der Tat kam es ihm vor, als seien es nur Minuten gewesen, seit er den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, als schon jemand an der Koje stand und ihm auf die Schulter klopfte. Es war Allday. Sein Schatten stieg und fiel im heftigen Schwanken der Deckenlaterne wie ein schwarzes Gespenst.

«Tut mir leid, Sie aufzuwecken, Captain; aber es wird oben immer schlimmer. «Er schwieg einen Moment, damit Bolitho sich sammeln konnte.»Mr. Herrick befahl mir, Ihnen Bescheid zu sagen.»
        Bolitho taumelte aus der Koje. Unvermittelt spurte er, da? die Bewegungen des Schiffes noch unregelma?iger geworden waren. Er zog Kniehosen und Stiefel an, streckte den Arm aus, um sich in das schwere Olzeug helfen zu lassen, und fragte:

«Wie spat?«Allday mu?te schreien, denn die See donnerte gegen den Schiffsrumpf und klatschte wutend uber das Achterdeck.»Kurz vor der Morgenwache, Sir.»

«Sagen Sie Mr. Herrick Bescheid: die Wache soll sofort raus!«Er fa?te Alldays Arm, und sie torkelten zusammen durch die Kajute wie zwei betrunkene Matrosen.

«Alle Mann sofort an Deck! Ich bin in der Kartenkammer.»
        Dort fand er bereits Mudge vor, der mit seinem massigen Oberkorper uber dem Kartentisch lag und beim unsicheren Schein der wild schwingenden Deckenlampe leise fluchend die Karte studierte.

«Wie steht's?«fragte Bolitho knapp.
        Mudge sah zu ihm auf. Rotlich glommen seine Augen in dem schwachen Lichtschein. Schlecht, Sir. Die Segel gehen in Fetzen, wenn wir nicht 'ne Weile beidrehen.
«Bolitho blickte auf die Karte. Seeraum war reichlich vorhanden. Wenigstens ein Trost. Er eilte zum Achterdeck-Niedergang und fiel beinahe hin, als das Schiff in Korkenzieherlinien gleichzeitig rollte und jumpte, doch er kampfte sich zum Ruder durch. Vier Rudergasten standen am Rad. Sie waren festgelascht, damit sie nicht hinterrucks von einer Welle erwischt und uber Bord gewaschen wurden. Sie kampften mit den Spaken; ihre Augen gluhten in der flackernden Kompa?beleuchtung. Eben brullte ihm Herrick zu:»Ich habe» Alle Mann «pfeifen lassen, Sir, und au?erdem die Pumpen besetzt.»
        Die Kompa?rose sprang und zuckte.»Recht so. Wir werden unter gerefftem Gro?bramsegel beidrehen. Davy soll die besten Manner sofort in den Mast schicken!»
        Er fuhr herum. Ein kanonenschu?ahnlicher Knall ubertonte die brullende See, und er sah, wie das Besanmarssegel mitten auseinanderri?; die Teile zerfledderten noch in einzelne Streifen, die sich bleich gegen die schwarzen, tief dahinjagenden Wolken abhoben. Er horte das trubselige Janken der Pumpen, die heiseren Rufe der Manner, die sich zu ihren Stationen durchkampften und sich vor den schaumenden Wassern unter die Decksgange duckten.
        Fowlar rief, trotz des furchtbaren Durcheinanders schadenfroh grinsend:»Das Segel hat der Segelmacher gerade geflickt, Sir! Der wird sich ganz schon argern.»
        Bolitho beobachtete die schwarzen Silhouetten der Toppmatrosen, wie sie geschickt in die schwirrende Takelage aufenterten. Manchmal druckte der Wind sie so fest gegen die Wanten, da? sie einen Moment reglos hangenblieben, ehe sie weiter zu den Topprahen aufentern konnten.

«Die Barka? ist uber Bord gewaschen, Sir!«schrie Mudge. Aber niemand reagierte darauf, und Herrick spuckte erst einen Mundvoll Spritzwasser aus, ehe er sagte: Das Vormarssegel wird eben eingeholt, Sir. Die Jungen arbeiten gro?artig.»
        Da sauste etwas gegen die straffen Leinen und schlug mit dumpfem todlichem Krach auf die Planken des Geschutzdecks.

«Mann von oben!«brullte Herrick.»Bringt ihn zum Arzt!»
        Bolitho bi? sich auf die Lippe. Sehr unwahrscheinlich, da? der Mann einen solchen Sturz uberlebt hatte. Meter um Meter kampfte sich die Undine in den Wind; vom Achterdeck bis zum Bug schlugen die Wogen uber das Deck. Die Manner klammerten sich an die festgezurrten Geschutze oder an die Deckstutzen, um nicht vom Sog der zuruckflutenden Seen uber Bord gewaschen zu werden.

«Jetzt konnen wir ihn abreiten!«rief Mudge heiser. Bolitho nickte. Der Kopf wirbelte ihm von der brutalen Heftigkeit des aufprallenden Sturmes.»Wir setzen das Besansegel, wenn das Gro?marssegel wegfliegt! Der Bootsmann soll seine Leute bereit halten - wenn es soweit ist, mu? es verdammt fix gehen!»
        Eine Vorleine schlang sich um seine Taille, und er blickte in Alldays grinsendes Gesicht.»Sie kummern sich um uns, Captain - ich kummere mich um Sie!«Bolitho nickte; er hatte kaum noch Atem. Dann hielt er sich an den klitschnassen Finknetzen und spahte durch das nadelscharfe Spruhwasser uber sein Schiff. Ein gluckhaftes Schiff? Vielleicht hatte er das zu fruh gesagt und damit das Schicksal herausgefordert.

«Kurz vor Sonnenaufgang konnte es vorbei sein«, keuchte Herrick.
        Aber als die Morgendammerung tatsachlich kam und Bolitho die zornigen, kupferroten Wolken uber die endlosen, zerfetzten, schaumbedeckten Wogenkamme fliegen sah, da wu?te er, da? der Sturm den Kampf nicht so leicht aufgeben wurde. Hoch uberm Deck flatterten zerrissene Leinen wie verdorrte Schlingpflanzen im Wind, und das einsame Marssegel stand so voll, da? es ebenfalls jeden Moment rei?en konnte.
        Er blickte auf Herrick, dessen Nacken und Hande wund waren von Salzwasser und Wind. Die anderen sahen nicht besser aus - zerknittert, kaputt, mude. Er mu?te an die Argus denken; vielleicht lag sie sicher im geschutzten Hafen. Die blanke Wut kam ihm hoch.

«Schicken Sie ein paar Mann nach oben, Mr. Herrick. Da ist allerhand zu tun!«Aber Herrick zog sich eben Hand uber Hand an den Netzen zur Reling. Bolitho wischte sich Mund und Gesicht mit dem Armel ab. Wenn die Mannschaft diesen Sturm abwettern konnte, dachte er, dann war sie allem gewachsen.



        XIII Kein Pardon


«Noch etwas Kaffee, Sir?«Noddall hielt die Kanne uber Bolithos Becher, ohne auf Antwort zu warten.
        Bolitho trank langsam; die hei?e Flussigkeit durchrann ihn angenehm. Ein bi?chen schmeckte sie auch nach Rum. Noddall tat wirklich sein Bestes.
        Er lie? die Schultern sinken und zuckte zusammen. Jeder Knochen und Muskel tat ihm weh. Tatsachlich wie nach einem richtigen Gefecht. Oben an Deck stieg von den nassen Planken, aus den durchweichten Kleidungsstucken der muden Manner dichter Dampf auf. Seltsam geisterhaft sahen sie aus. Aber es war auch ein richtiges Gefecht ge wesen, uberlegte er, obwohl kein Kanonenschu? gefallen war. Drei Tage und drei Nachte lang hatten sie gekampft. Ihre schon engbegrenzte Welt wurde noch bedrangter durch die wei?beschaumten, aus endloser Weite donnernd anrollenden Wogen; ihre Sinne wurden stumpf im standigen Geheul des Windes. Wie Bolitho selbst kaum noch Atem hatte, schien auch dem Schiff der Atem ausgegangen zu sein. Jetzt stand es unter fast schlaffen Besansegeln beinahe ohne Fahrt uber seinem Spiegelbild. Dampfend unter dem wieder wolkenlosen Himmel, lag das Deck voller Fetzen, Enden, Spane, Splitter. An vielen Stellen war die Farbe abgeblattert, und das Holz trat nackt zutage, als waren die Zimmerleute eben erst fertiggeworden. Uberall arbeiteten Matrosen mit Marlspiekern und Segelnadeln, Hammern und
Taljen, bemuht, ihr Schiff wieder in Ordnung zu bringen, das sie so treulich durch dieses Chaos getragen hatte. Selbst Mudge hatte erklart, das sei so ziemlich der schlimmste Sturm gewesen, den er erlebt habe.
        Eben kam der Alte uber das Deck; auch aus seinem Mantel stieg Dampf auf, Wangen und Kinn verschwanden fast unter einem Wald von wei?en Stoppeln.»Nach meiner Schatzung sind wir ein ganzes Stuck uber die Benua-Gruppe hinaus. Wenn wir das Mittagsbesteck aufgenommen haben, wird mir wohler sein. «Er blinzelte zu dem schlaff hangenden Wimpel hinauf, der im Sturm fast die Halfte seiner Lange eingebu?t hatte.»Aber der Wind ist ausgeschossen, ganz wie ich mir das gedacht habe. Ich schlage vor, wir halten Ihren neuen Kurs, Nordnordwest, bis wir unsere Position einigerma?en festgestellt haben. «Er schnaubte sich heftig die Nase.»Und ich erlaube mir zu sagen, Sir, da? Ihre Schiffsfuhrung erstklassig war. «Er blies die Backen auf.»Ein paarmal dachte ich tatsachlich, wir waren verloren.»
        Bolitho blickte zur Seite.»Danke sehr. «Er dachte an die zwei Manner, die weniger Gluck gehabt hatten. Der eine war in der zweiten Nacht uber Bord gegangen. Weggewaschen, ohne da? jemand ihn gesehen oder gehort hatte. Der andere war vom Backbordbalken abgerutscht, als er eine durchgeriebene Zurring am Ankerstock auswechselte. Eine unvermutete einzelne Woge hatte ihn fast beilaufig von seinem Sitz gefegt, und Bolitho hatte noch eine Zeitlang gedacht, er wurde gerettet werden. Eifrige Hande hatten nach ihm gegriffen, aber eine zweite Welle hatte ihn erfa?t und ihn nicht etwa weggeschwemmt, sondern hoch in die Luft geworfen wie einen Hampelmann, und ihn dann mit wilder Wut gegen den schweren eisernen Anker geschleudert. Bootsmannsmaat Roskilly schwor, er habe die Rippen des Mannes krachen und splittern gehort, ehe er schreiend in dem schaumend am Schiffsrumpf entlangwirbelnden Wasser verschwand. Und dann noch der Mann, der vom Mast gefallen war. Somit hatte der Sturm drei Tote gekostet, und dazu sieben Verletzte. Knochenbruche, von der sto?enden, bockenden, klatschnassen Leinwand aufgerissene Finger,
Hautentzundungen durch Salz und Wind; Wunden an den Handflachen von den Leinen, die durch die umklammernden Fauste gerutscht waren - so lauteten die Eintragungen im Krankenjournal des Schiffsarztes.
        Herrick kam nach achtern und sagte:»Ich lasse gerade einen neuen Kluver anschlagen, Sir. Der andere ist nur noch als Flickzeug zu gebrauchen. «Noddall reichte ihm einen dampfenden Becher, und er trank genu?lich.»Der Himmel helfe dem armen Seemann!»
        Bolitho blickte ihn von der Seite an.»Sie wollen ja gar keinen anderen Beruf!»
        Herrick schnitt eine Grimasse.»Hier und da hatte ich schon mal meine Zweifel daruber.»
        Davy, der die Wache hatte, trat zu ihnen an die Reling.»Ob wir wohl bald Land in Sicht kriegen, Sir?«fragte er.
        Davy sah alter aus, weniger selbstgefallig als beim Dienstantritt auf der Undine. Im Sturm hatte er sich gut bewahrt; vielleicht dachte er immer noch, wirkliche Gefahr konne nur aus der Mundung einer Kanone kommen.
        Bolitho uberlegte.»Das hangt davon ab, wie genau wir unsere Position fixieren konnen. Wenn wir die Abdrift berucksichtigen und die veranderte Windrichtung, konnten wir, glaube ich, vor Einbruch der Dunkelheit die Inseln in Sicht haben.»
        Er lachelte, und das tat ihm so weh, da? ihm erst richtig klar wurde, wie anstrengend die letzten Tage gewesen waren.
        Mi?mutig sagte Herrick:»Der verdammte Froschfresser wird uns schon auslachen. Sitzt gemutlich in seinem Hafen unter den Kanonen dieses verdammten Piraten!»
        Bolitho blickte ihn nachdenklich an. Dieser Gedanke hatte ihn selbst wahrend der ganzen Zeit kaum losgelassen, obwohl er wei? Gott anderes genug im Kopfe hatte. Mit dem franzosischen Kapitan zu parlamentieren, war eine Sache, Eine ganz andere war, da? dieser Muljadis Flagge fuhr. Das zu akzeptieren, bedeutete das offene Eingestandnis einer Niederlage: die Anerkennung der faktischen Souveranitat Muljadis. Wenn Conway diese anerkannte, dann wurde jedes andere europaische Land, das Handels- und Schutzrechte in Indien besa?, und ganz besonders die machtige Niederlandische Ostindien-Companie, das als den Versuch Englands betrachten, alle Vorteile fur sich in Anspruch zu nehmen. Und das war genau, was Frankreich wollte.
        Was aber sollte er tun, wenn der franzosische Kapitan auf Conways Botschaft nicht einging? Drau?en vor den Inseln auf-und abpatrouillieren und die Argus in Kampfe verwickeln? Das ware eine sehr einseitige Angelegenheit. Le Chaumareys war ein alter Seefuchs und kannte in diesen Gewassern jedes Inselchen, jede Bucht, wo er sich in Kriegszeiten vor den britischen Fregatten verkrochen hatte. Und er brauchte weiter nichts zu tun, als irgendwo vor Anker liegen zu bleiben und sich von Land aus zu versorgen, bis die Undine wieder abzog.
        Seine Mudigkeit verstarkte noch seinen Arger. Wenn nur die Politiker mal hier waren und selbst sehen konnten, wie sich ihre
        Traume von Weltstrategie in Fleisch und Blut, in Holz und Segelleinwand ausnahmen!
        Land in Sicht! Steuerbord voraus!»
        Davy rieb sich die Hande.»Da sind wir ja naher dran, als Sie dachten, Sir!»

«Auf gar keinen Fall!«warf Mudge dazwischen. Er zerrte seine Tafel aus der Tasche und machte ein paar blitzschnelle Berechnungen.»Da gibt es eine kleine Insel, etwa vierzig Meilen sudlich der Benuas, Sir. «Er blickte sich suchend um, bis er Midshipman Penns winzige Gestalt an der Heckreling entdeckt hatte.»Rauf mit Ihnen, Mr. Penn, und nehmen Sie sich das gro?e Glas zur Gesellschaft mit!«Er starrte ihn wild an.»Sehen Sie sich genau um, und machen Sie mir 'ne Zeichnung, wie ich's Ihnen beigebracht habe!«Er wartete, bis der Junge an die Hauptmastwanten gerannt war, und lachte dann leise.

«Capt'n Cook hatte die richtige Idee, Sir. Jedes verdammte Ding, das man sieht, abzeichnen und beschreiben. Die Zeit wird kommen, wo jedes verdammte Kriegsschiff 'n komplettes Bilderbuch zum Studieren hat. «Er sah hinter dem aufenternden Penn her.»Manche Leute werden sich naturlich doch nicht danach richten!»

«Besser als ich dachte«, sagte Bolitho lachelnd zu Herrick.»Wir setzen einen Mann auf Lotstation und lassen loten, sobald wir Mudges Insel passieren. Nach der Karte sind hier herum etwa neunzehn Faden, aber ich mochte lieber sichergehen.»
        Nach zwanzig Minuten war Penn wieder an Deck, das braune Gesicht schwei?beperlt. Er reichte Mudge seinen fleckigen Notizblock und trat dann einen Schritt zuruck, gespannt, was der Alte wohl dazu sagen wurde. Davy blickte ihm uber die Schulter. Sieht ja wie ein Wal aus!«Mudge warf ihm einen kalten Blick zu.»Genau. «Und zu Penn gewandt:»Haben Sie gut gemacht. So hab ich's in Erinnerung. «Seine kleinen Augen gingen wieder zu Davy hinuber.»Genau wie ein gro?er steinerner Wal.«Und nach einer kaum merkbaren Pause:»Sir.»

«Irgendwas darauf?«Bolitho nahm ein Fernrohr und richtete es uber das Geschutzdeck auf die Insel. Zunachst sah er nur den gleichen schmerzhaft glei?enden Glanz wie uberall. Einen Moment uberlegte er, wo denn der Sturm eigentlich geblieben sei, wohin er nach diesem furchtbaren Toben verschwunden sein mochte.

«Lieber Gott, nein, Sir. «Mudge freute sich offensichtlich, da? er Davy eins ausgewischt hatte.»Blo? 'ne Handvoll Stein, wie die Spitze einer unterseeischen Klippe, was es zweifellos auch irgendwann mal war. Aber ich glaube schon, da? es bei starkem Wind einen ganz guten Schutz abgeben konnte.»
        Eben zogen ein paar Matrosen ein langes neues Tau uber die Decksplanken, von denen immer noch Dampf aufstieg. Sie mochten erschopft und dreckig und stoppelig sein, aber da war noch etwas anderes an ihnen. Die Art, wie sie zusammenarbeiteten - sie vertrauten einander.»Wir wollen einen Strich abfallen, Mr. Davy«, sagte er,»damit Sie sich Ihren Walfisch genauer ansehen konnen.»
        Davy sturzte an die Reling.»Mr. Penn! Pfeifen Sie» Alle Mann an die Brassen!
«Lachelnd sah Herrick ihm nach.»Haben Sie einen besonderen Grund dafur, Sir?»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Mehr so ein Gefuhl. «Er beobachtete die uber das Deck stampfenden Manner. Es dampfte immer noch. Im Vorschiff sah er richtigen Rauch, denn Boyle, der Koch, bereitete eben die erste warme Mahlzeit seit dem Sturm.
        Die Rahen schwangen unter dem Zug der Brassen herum, und der Ruderganger sang aus: Nordost zu Nord, Sir!«Davy eilte nach achtern, um den Kompa? und den Stand der Segel zu kontrollieren.»Die Luv-Gro?brasse noch ein Stuck dichtholen, Mr. Shellabeer!«Er tupfte sich das schwei?uberstromte Gesicht ab.»Recht so - belegen! Bolitho lachelte wieder. Wenn Davy sich geargert hatte, versah er aus irgendeinem Grund seinen Dienst besser.»Schicken Sie noch einen guten Ausguck hoch, bitte! befahl er.»Die Insel soll scharf beobachtet werden, bis wir auf ihrer Hohe sind.»
        Sanft hob und senkte sich der Bugspriet uber einem Teppichmuster aus glitzernden Sonnenreflexen.»Ich gehe unter Deck, Mr. Herrick. Ich will mich rasieren lassen und Noddall ein sauberes Hemd entrei?en.»
        Als er dann im Stuhl zuruckgelehnt sa? und Allday mit seinem Rasiermesser an der Arbeit war, fand er Zeit, sich daruber Gedanken zu machen, was er tun wurde, falls er mit dem Kapitan der Argus zusammentrafe. Das eilig hei?gemachte Wasser, das sanfte Gleiten der Klinge auf seiner Haut wirkten entspannend auf die Muskeln, und der leichte Luftzug von den offenen Heckfenstern fachelte um seine blo?en Schultern wie eine beschwichtigende Umarmung. Auf dem ganzen Erdball taten des Konigs Kapitane ihren Dienst, schlugen sich mit Skorbut und anderen Seuchen herum, beforderten Depeschen an einen Admiral oder an einen gottverlassenen Au?enposten, der noch auf keiner Landkarte eines Schuljungen zu finden war. Oder sie hockten hinter einem Kabinenschott und hatten Angst vor einer Meuterei, oder dachten sich irgendwelche Ablenkungsmanover aus, um eine zu verhindern. Vielleicht kampften sie gegen irgendeinen abtrunnigen Herrscher, welcher Untertanen des Konigs angegriffen hatte. Er lachelte. Und der eine oder andere wurde in ahnlicher Lage wie er selbst sein: ein winziges Teilchen eines halbausgeformten Planes.
        Durch das offene Oberlicht horte er den Ausguck:»Deck ahoi! Schiff vor Anker dicht unter der Kuste!«Er sprang auf, griff das saubere Handtuch und wischte sich damit den Schaum vom Kinn.
        Allday trat zur Seite und grinste bewundernd.»Bei Gott, Captain, Sie muss'n ja schlauer sein als ein Bauernkater! Woher haben Sie blo? gewu?t, da? da ein Schiff ist?»
        Bolitho stopfte sich das zerknitterte Hemd in den Hosenbund.»Pure Magie, Allday! Er rannte zur Tur, zwang sich dann aber zu warten, bis Midshipman Penn im Turrahmen erschien.

«Ein Schiff, Sir!«Mr. Davy la?t respektvoll melden, er glaubt, es ist ein Schoner.


«Danke, Mr. Penn«, antwortete er und zwang sich, seine Erregung zu verbergen.»Ich komme an Deck, sobald ich mich umgezogen habe. Mein Kompliment an den Ersten Leutnant, und ich lasse ihn bitten, aufs Achterdeck zu kommen, sobald ich dort bin.»
        Er wandte sich um und sah, da? Allday ein Lacheln verbarg.»Finden Sie irgend etwas amusant?«fragte er.

«Aber nein, Captain«, erwiderte Allday und blickte ihm ganz ernsthaft ins Gesicht. Ich hore immer gern zu, wenn feine Leute miteinander sprechen.»

«Hoffentlich lernen Sie was davon«, brummte Bolitho und trat auf den Gang hinaus.
        Oben empfing ihn Herrick ganz aufgeregt.»Ein Schoner, Sir! Der Mann im Vortopp ist mein bester Ausguck, und ich habe ihm noch ein besseres Glas hinaufbringen lassen.
«Er starrte Bolitho mit unverhohlenem Staunen an.»Das ist ja direkt unheimlich!»
        Bolitho lachelte fluchtig.»Es war nur so eine Idee, um die Wahrheit zu sagen. Aber der Sturm war ja ziemlich schlimm, und als der Steuermann davon sprach, da? die Insel guten
        Schutz bietet, habe ich mir eben gedacht, man mu?te mal nachsehen.»
        Er nahm Penns Fernrohr und spahte uber den Bug. Dort lag das Eiland jetzt, ein unbestimmter graublauer Fleck. Der Ausguck im Masttopp wurde viel mehr sehen konnen.

«Wie steht der Wind?»

«Aus Sudwest, Sir«, sagte Davy. Dementsprechend traf Bolitho seine Entscheidung. Kurs andern. Auf Backbordbug gehen. «Er schritt zur Bussole. Neugierig blickte der Ruderganger ihn an.

«Ruder Nordnordwest!»
        Ein Bootsmannsmaat beeilte sich,»Alle Mann an die Brassen «zu pfeifen.
        Bolitho erlauterte Herrick, was er vorhatte:»Auf diese Weise bleibt die Insel zwischen uns und dem Schoner, und wir haben Raum in Luv. Setzen Sie Gro?segel, aber lassen Sie die Oberbramsegel vorlaufig noch angeschlagen.»
        Herrick war sofort im Bilde.»Aye, Sir. Je weniger Leinwand wir zeigen, um so unwahrscheinlicher ist es, da? sie uns sichten.»
        Bolitho warf einen Blick auf Mudge, der jetzt bei Fowlar am Ruder stand.»Sie selbst haben mir diese Idee in den Kopf gesetzt. Ich habe mir dauernd uberlegt, wieso Muljadi immer so gut uber unsere Bewegungen informiert ist. Ich glaube, wir werden bald wissen, wie er das macht. «Er schaute in den verwaschenen blauen Himmel hoch uber den Masten, die in der hei?en Luft verschwammen.»Wir waren direkt von Osten gekommen, wenn der Sturm nicht gewesen ware. So haben wir wenigstens einen Vorteil von diesem Dreckwetter gehabt.»

«Und was ist mit den Instruktionen des Admirals?«fragte Herrick leise. Aber dann grinste er.»Ich kann Ihnen am Gesicht ansehen, da? Sie sich den passenden Moment selbst aussuchen wollen.»
        Bolitho lachelte.»Bettler konnen sich gar nichts aussuchen. Das habe ich langst gelernt.»
        Die Undine schwang mit krachenden, schauernden Segeln nach Backbord auf den neuen Kurs. Das kleine bucklige Inselchen schwamm in Luv vom Bugspriet weg, als habe es Anker gelichtet.

«Nordwest liegt an, Sir! Voll und bei!»

«Jetzt 'ran mit dem Gro?segel!«befahl Bolitho und gab Davy das Handzeichen.»Mr. Mudge, wie lange noch, Ihrer Meinung nach?»
        Mudge schob nachdenklich die Lippen vor.»Zwei Stunden,
        Sir.»

«Gut. Dann konnen wir beide Wachen zum Essen schicken, sobald die Segel richtig ziehen.»
        Eilig kletterten die Matrosen die Rahen entlang; andere standen unten an Deck bereit, um die machtigen Gro?segel von Haupt- und Fockmast dichtzuholen. Wohlgefallig nickte Herrick.»Die haben sich ein bi?chen verandert seit damals, als sie an Bord kamen, Sir!»

«Das wird wohl fur die meisten von uns zutreffen«, erwiderte Bolitho und merkte dabei plotzlich, da? er furchtbaren Hunger hatte. Er schritt zum Kajutniedergang. Bestimmt war das unbekannte Schiff harmlos, vielleicht ein schon langst aufgegebenes Wrack. Vielleicht wieder ein Trick, um ihn aufzuhalten und irrezufuhren.
        Noddall blickte ihm angstlich entgegen.»Wieder Salzfleisch,
        Sir.»

«Ausgezeichnet. «Er ubersah die Verwunderung in Noddalls Nagetiergesicht.»Aber etwas Wein zum Anfeuchten!«Er lehnte sich uber das Bord des Heckfensters und starrte auf das schaumende Kielwasser unter dem Steven. Zufall oder Gluck, wie man es nun nennen mochte - nur darauf konnte er rechnen. Und er wurde es zu nutzen wissen!

«Siebzehn Faden!«sang der Mann am Lot aus. Seine Stimme ubertonte das Flappen der Leinwand. Die Gro?segel waren jetzt wieder aufgegeit, und die Undine glitt stetig auf die kleine Insel zu. Eben tippte Shellabeer dem Mann auf die Schulter und lie? sich das Lot geben. Er befuhlte das talggefullte Bodenstuck und meldete dann: Felsiger Grund, Sir.»
        Bolitho nickte. Das Inselchen war so, wie Mudge es beschrieben hatte: eine isoliert stehende Felsenklippe, kein eigentlicher Teil des Meeresgrundes.

«Klarmachen zum Ankern, Mr. Herrick!«Er lie? sich von Penn ein Fernglas geben und suchte sorgfaltig die Felszacken der Insel ab. Sie lagen jetzt etwa funf Kabellangen entfernt, aber es war nahe genug um zu sehen, da? der erste Eindruck falsch gewesen war. Die Insel sah jetzt keineswegs mehr wie ein glatter Walfischrucken aus. Die Felsen waren blaulichgrau wie die Schiefergebirge in Cornwall. Wind und Wetter hatten tiefe
        Klufte hineingegraben, so als hatte ein Riese versucht, die Insel in Stucke zu hacken. Abgesehen von ein paar Buschen Stechginster und sonstigen Steinpflanzen sah sie kahl und unwirtlich aus, aber in vielen kleinen Spalten hockten zahllose Seevogel, und andere kreisten hoch oben in der Luft, etwa dreihundert Fu? uber dem Wasser, seiner Schatzung nach.
        Herrick gab mit lauter Stimme seine Befehle; die Takelung knarrte und krachte, als die Undine in einer plotzlich aufkommenden Dunung rollte. Das Wasser sah tief aus, aber das war Tauschung. Am Fu?e der nachstgelegenen Klippe gab es ein paar schmale, steinige Strande; vermutlich war der sicherste Ankerplatz auf der anderen Seite, dort wo sich das unbekannte Schiff versteckt hatte. Hier auf dieser Seite lief auch eine Brandung; steil und bosartig schaumte sie um die einzig sichtbare Stelle, wo eine Landung moglich schien.

«Ruder nach Lee!«Das Schiff glitt leicht in den Wind; er fing die Bewegung mit dem Glase ab und suchte nach irgendeinem Zeichen von Leben, einer geringfugigen Bewegung, die anzeigte, da? man sie gesehen hatte.

«Fallen Anker!»
        Das Aufplatschen des Ankers klang ungebuhrlich laut; diese gottverlassenen Klippen schienen den Schall argerlich zuruckzuwerfen.»Lebhaft, Jungens!«rief Herrick. Boote klar zum Aussetzen, Mr. Davy!»

«Mr. Herrick«, warf Bolitho dazwischen,»der Mann am Lot soll jetzt genau aufpassen, ob der Anker halt. Wenn er auf dem felsigen Grund rutscht, mussen wir mehr Kette stecken.»

«Aye, Sir. «Und Herrick eilte davon. Er hatte alle Hande voll zu tun.
        Trag schwojte und zerrte das Schiff an der Kette; es wurde jetzt ruhiger, einige Seevogel verlie?en ihre luftigen Platze und zogen uber den Masttopps ihre Kreise. Schwer atmend kam Herrick wieder.»Es scheint, wir liegen ziemlich sicher, Sir. Aber ich habe die Ankerwache angewiesen, scharf aufzupassen. «Er spahte mit zusammengekniffenen Augen zur Kuste hinuber.»Das sieht ja wie ein Kirchhof aus.»

«Zwei Boote brauchen wir«, sagte Bolitho nachdenklich.»Gig und Kutter sind genug. Die mussen flott durch die Brandung. Steiler Strand, anscheinend. Teilen Sie also einen guten Bootsmann fur den Kutter ein. «Er sah, da? Allday bereits durch Handzeichen das Anhieven und Aussetzen der Gig dirigierte, und fugte lachelnd hinzu:»Ich denke, me in Boot ist in guten Handen.»
        Herrick fragte betroffen:»Wollen Sie denn mit an Land, Sir?»

«Nicht weil es mich nach Ruhm gelustet, Thomas. «Er senkte die Stimme. Die eingeteilten Besatzungen traten jetzt bei den Waffenkisten zur Musterung an.»Aber ich mu? zum mindesten wissen, womit wir es zu tun haben.»
        Herrick war anscheinend nicht uberzeugt.»Aber wenn das andere Schiff zu den Piraten gehort - was dann, Sir? Dann werden Sie doch sicher wenden wollen und den Kerl unter Feuer nehmen, wenn er versucht freizuschlippen.»

«Nein. «Er schuttelte bestimmt den Kopf.»Der liegt da hinten sicher vor Anker. Und dort ist das Wasser zu flach, als da? ich nahe genug herankonnte, um ihn unter Feuer zu nehmen. Wenn er erst mal auf hoher See ist, dann kann er uns zum Besten haben, wie er will - ich furchte, wir sind unter diesen Umstanden einfach nicht beweglich genug. Und au?erdem«, fugte er hart hinzu,»will ich ihn entern.»

«Boote liegen langsseits, Sir!«meldete Davy. Ein krummer Entersabel baumelte an seiner Seite. Bolitho fa?te seinen eigenen Degen. Indessen betrachtete Hauptmann Bellairs die Boote, die ohne ihn fahren sollten, mit wachsendem Arger.

«Hauptmann Bellairs«, rief Bolitho,»ich ware Ihnen verbunden, wenn ich fur jedes Boot drei Ihrer allerbesten Scharfschutzen haben konnte. «Bellairs wurde zusehends heiterer und blaffte Sergeant Coaker an:»Ah - Beeilung, Sa'rnt! Eigentlich mu?ten sie ja allesamt erstklassige Scharfschutzen sein, wie?»
        Herrick grinste.»Sie denken auch an alles, Sir.»
        Bolitho lie? das Glas aufs neue uber die Insel gleiten, dort wo eben ein paar Seevogel elegant auf einer Klippe landeten. Das wurden sie nie tun, wenn Menschen in der Nahe waren.»Kann ja sein, da? Seeleute besser klettern konnen, aber eine gutgezielte Kugel im richtigen Moment ist nun mal nicht zu schlagen.»
        Er nickte Davy zu.»Mannschaften in die Boote!«Und dann zu Herrick, ganz beilaufig: Wenn etwas schiefgeht, finden Sie die Befehle des Admirals in meiner Kajute.»

«Sie konnen sich auf mich verlassen, Sir«, antwortete Herrick und machte wieder sein besorgtes Gesicht.»Aber ich bin sicher, da?. .»
        Lachelnd tippte Bolitho ihm auf den Arm.»Ja. Aber denken Sie trotzdem an die Befehle. Wenn es notig ist, fuhren Sie sie aus - nach Ihrem eigenen Ermessen!»
        Langsam schritt er zum Fallreep an den angetretenen Matrosen und Seesoldaten vorbei. Jetzt kannte er sie; von jedem einzelnen wu?te er, wie er hie? und was er taugte.
        Midshipman Armitage schien verwirrt und au?er Fassung zu sein.»Sir! Die Scharfschutzen wollen ihre Uniformrocke nicht ausziehen. «Ein paar von den Matrosen stie?en einander grinsend in die Rippen, und Armitage bekam einen roten Kopf.
        Bellairs krahte:»Ah - meine Manner konnen schlie?lich nicht wie die verdammten Landstreicher rumlaufen, wie?«Und zu Bolitho mit einem raschen, entschuldigenden Blick:»Das geht doch nicht, Sir, nicht wahr?»
        Bolitho schlupfte aus seinem blauen Rock und warf ihn Noddall zu, der sich bei der Achterdecksleiter herumtrieb.»Ist schon in Ordnung. «Ernsthaft nickte er den Marineinfanteristen zu.»Wenn ich ein bi?chen Autoritat ablegen kann, dann konnen Ihre Leute das bestimmt auch. «Der Sergeant sammelte die roten Rocke und die Tschakos ein, und der Ehre war offenbar Genuge getan. Trotzdem fugte er noch hinzu:»Au?erdem wird es eine schwierige Kletterei geben, und wer wei?, was danach kommt.»
        Einen Moment noch uberblickte er die schwankenden Boote und dachte nach, was er wohl vergessen haben konnte. Halblaut sagte Herrick:»Viel Gluck, Sir.»
        Bolitho warf noch einen Blick auf die Manner am Fallreep und in den Wanten.»Auch Ihnen, Thomas. Halten Sie die Leute in Alarmbereitschaft, Wache um Wache. Sie wissen, was Sie zu tun haben. «Er sah, wie Armitage zwischen den Rudergasten in der Gig herumstolperte. Es war beinahe grausam, ihn mitzunehmen. Und obendrein ein Risiko. Aber irgendwann mu?te er ja mal anfangen. Wenn jemand so eine Mutter hat wie Armitage, dachte er, dann ist es uberhaupt ein Wunder, wenn er zur See geht. Ware Keen an Bord gewesen, hatte er den mitgenommen. An der Reling stand Penn und sah sehnsuchtig auf die Boote hinunter. Der ware mit Freuden mitgefahren.»Tiger
«nennen ihn die Matrosen, dachte Bolitho amusiert.
        Dann kletterte er in die Gig. Diesmal wurde nicht Seite gepfiffen. Ein Gefuhl der Spannung uberkam ihn, als die Boote ablegten.»Nehmen Sie die Spitze, Allday! befahl er. Bei jedem Schlag der Riemen stiegen die felsigen Klippen hoher und hoher aus dem Wasser, und Bolitho konnte die starke Unterstromung spuren. Die Dunung brach sich und sprang als schaumende Brandung auf den Strand. Achteraus stampfte der Kutter durch das glitzernde Spruhwasser; uber den Schultern der Rudergasten schwankte Davys Kopf. Auch der Leutnant spahte aufmerksam zur Insel hinuber. Woran mochte er denken? Da? er auf diesem gottverlassenen Fleck seinen Tod finden konnte? Oder da? er dem so dringend benotigten Prisengeld einen Schritt naher sein mochte? Bolitho wischte sich die Spritzer vom Gesicht und konzentrierte sich auf die schnelle Anfahrt. Im Augenblick war die Gefahr des Ertrinkens gro?er als jede andere.
        Allday stand halbgebuckt, umfa?te eisern mit der einen Hand die Ruderpinne, visierte uber Heck und Bug, berechnete den Rhythmus der wutenden Brandungswellen, die schrage Linie der Brecher, die brullend zwischen die dunklen Klippen schlugen. Ihn brauchte man nicht zu warnen. Jedes Dreinreden wurde ihn nur verwirren, und das konnte katastrophale Folgen haben.

«Machtig steile Kuste, Captain«, warf er hin. Sein kraftvoller Korper glich die Schwankungen des Bootes aus.»Am besten schnell rein, im letzten Moment 'rum mit dem Bug, und dann mit der Welle breitseits auf den Strand. Was halten Sie davon, Captain?»

«Sehr schon«, lachelte Bolitho. Dann wurden sie uberdies Zeit haben, um auszusteigen und dem nachkommenden Kutter zu helfen.
        Ihm wurde plotzlich kuhl. Sie waren bereits im Schatten der Klippen; der Wellenschlag, das Knirschen der Riemen in den Duchten hallte von den Steinen wider. Es horte sich an, als sei ein drittes unsichtbares Boot in der Nahe.
        Sie rutschten beinahe uber die letzte Welle; verzweifelt versuchten die Rudergasten, Schlag zu halten.

«Jetzt!«brullte Allday und ri? die Ruderpinne herum.»Stauwasser an Backbord«, meldete er.
        Gefahrlich dumpelnd und krangend setzte die Gig beinahe breitseits auf den Strand, der Kiel pflugte mit protestierendem Knirschen und Zittern durch Kiesel und Tang. Doch schon sprangen die Manner in den Schaum, packten das Dollbord und brachten die Gig mit purer Muskelkraft ins Sichere.

«Alles raus!«Allday stutzte Bolitho am Arm, als sie alle miteinander durch die Wellen aufs feste Land wateten.
        Bolitho eilte zum Fu?e der Klippe und uberlie? Allday die Aufsicht uber die Sicherung des Bootes. Er winkte den drei Marineinfanteristen.»Ausschwarmen! Seht zu, ob ihr einen Weg zum Gipfel findet!«Sie begriffen sofort und eilten, ohne sich nach dem naherkommenden Kutter umzublicken, den gerollbedeckten Abhang empor, die geladenen Musketen schu?fertig im Arm.
        Gespannt sah Bolitho zu dem gezackten Felsgrat empor. Bla?blau wolbte sich der Himmel daruber. Keine spahenden Kopfe tauchten auf, keine plotzliche Musketensalve prasselte herab. Sein Atem ging jetzt ruhiger. Er wandte sich um und beobachtete den ankommenden Kutter, der herumschwang und mit dumpfem Aufschlag zwischen den wartenden Matrosen auf den Strand setzte.
        Nach Atem ringend stolperte Davy ihm entgegen; doch waren seine Finger, als er die Pistole lud, bemerkenswert ruhig.

«Mustern Sie die Manner«, sagte Bolitho,»und schicken Sie Ihre drei Seesoldaten hinter den anderen her!«Er sah sich nach Armitage um, aber der war nirgends zu erblicken.

«Himmeldonnerwetter, wo ist… «Aber Davy grinste - eben kam Armitage, sich die Hose zuknopfend, hinter einem Felsblock hervor. Unwillig sagte Bolitho:»Wenn Sie sich schon ausgerechnet jetzt erleichtern mussen, Mr. Armitage, ware ich Ihnen dankbar, wenn Sie wenigstens in Sicht blieben!»
        Der Midshipman lie? den Kopf hangen.»P..pardon, Sir. «Bolitho lenkte ein.»Es ist sicherer fur Sie; und ich werde mich bemuhen, es Sie nicht merken zu lassen, wenn ich schockiert sein sollte.»
        Allday kam mit knirschenden Schritten uber die Kiesel und lachte in sich hinein, wahrend er ein paar Pistolen mit frischem trockenem Pulver lud.»Wissen Sie, Mr. Armitage, ich kann verstehen, wie Ihnen zumute war.»
        Der Junge starrte ihn unglucklich an.»Sie?»

«Na klar. Ich hab mich mal auf 'nem Heuboden versteckt. «Er blinzelte dem Bootsmann des Kutters zu.

«Vor so 'nem lausigen Pre?kommando; und, ob Sie's glauben oder nicht, ich konnte nichts anderes denken, als da? ich furchtbar pissen mu?te!»

«Na, hoffentlich hilft ihm das ein bi?chen«, sagte Bolitho zu Davy. Dann verga? er Armitages Privatsorgen und befahl:»Vier Mann bleiben bei den Booten!»
        Wie ein wunderhubsches Schiffsmodell schwojte die Undine vor Anker; die Heckfenster glanzten im Sonnenlicht. Wahrscheinlich sah Herrick zu, wie sie vorgingen. Wenn die auf Strand gesetzten Boote angegriffen wurden, konnte er Hilfe schicken. Er blickte wieder an den Klippen hoch. Feucht, dumpf, trugerisch kuhl. Oben auf dem Grat, in der Sonne, wurde es bruhhei? sein. Er wartete, bis Davy wieder bei ihm war.

«Also dann los!»
        Allday gab dem Landungskommando ein Handzeichen, in Richtung auf die Klippen vorzugehen. Bolitho musterte die Manner prufend. Au?er Davy und Armitage hatte er an Chargen noch einen Steuermannsmaat namens Carwithen mitgenommen, der es furchtbar ubelgenommen hatte, wenn er an Bord hatte bleiben mussen, nachdem Fowlar sich so hatte auszeichnen konnen. Carwithen stammte wie Bolitho aus Cornwall und war ein dunkelhaariger, selten lachelnder Mann aus dem Fischerdorf Looe.
        Bolitho wartete, bis sie ihre Waffen nachgesehen hatten: alles Manner, die seinem Befehl gehorchten - an Bord oder an Land, das galt ihnen gleich.
        Carwithen sagte:»Hoffentlich gibt's was zu trinken auf der anderen Seite. «Es fiel Bolitho auf, da? kaum jemand bei dieser Bemerkung lachelte. Carwithen war als harter Mann bekannt, der leicht zuschlug, wenn er gereizt wurde. Er verstand seine Arbeit, aber zu mehr reichte es nach Meinung des Steuermanns nicht. Ganz anders als Fowlar, dachte Bolitho.

«Gehen Sie mit Ihrer Abteilung nach links, Mr. Davy, aber die Seesoldaten sollen das Tempo angeben. Sie, Mr. Armitage, bleiben bei mir.»
        Einer der Marineinfanteristen gab soeben ein Zeichen - er hatte einen Kletterpfad entdeckt, der zu einer ersten Felskante fuhrte.
        Seltsam, wie unangenehm den Matrosen jedesmal der Moment war, wenn sie die See hinter sich lie?en. Als ob eine Leine am Gurtel sie zuruckzerrte. Bolitho schob seinen Degen etwas beiseite und packte den nachsten Felsvorsprung. Endloser Regen und Wind hatte die Steine glattgeschliffen, Millionen von Seevogel sie mit ihrem Kot bedeckt. Kein Wunder, da? die Schiffe diese Insel mieden.
        Vorsichtig kletterte er uber Felsbrocken und Geroll. Er spurte einen kleinen Druck an seinem Schenkel - die Uhr, die sie ihm in Madras geschenkt hatte. Plotzlich mu?te er daran denken, da? sie ihm noch viel mehr gegeben hatte. Und er hatte es bedenkenlos genommen. Welch ein Gefuhl, als sie in seinen Armen lag, sanft und doch voller Leben…
        Seine Finger fa?ten in frischen Vogelkot, und er verzog das Gesicht. Wie schnell sich die Verhaltnisse andern konnen, dachte er grimmig.
        Das Vorgehen auf der kleinen Insel erwies sich als schwieriger und anstrengender, als sie erwartet hatten. Sobald sie die erste Klippe uberwunden hatten und die Sonne mit voller Glut auf sie niederbrannte, sahen sie, da? sie erst eine tuckische Schlucht passieren mu?ten, ehe sie die nachste Hohe in Angriff nehmen konnten. Und so ging es weiter, bis sie endlich uber eine fast kreisrunde Hochflache stapften, die, wie Bolitho annahm, die Mitte der Insel bildete. Dort fing sich die Hitze; keine Seebrise drang bis hierher, und der Vormarsch wurde noch durch den klebrigen Teppich aus Vogelmist erschwert, der das Plateau von einem Ende zum anderen bedeckte.
        Allday keuchte:»Machen wir Rast, wenn wir auf der anderen Seite sind, Captain? Seine Arme und Beine waren, ebenso wie die der anderen, voller Vogelschmutz, und eine dunne Lage Staub bedeckte sein Gesicht wie eine Maske.»Ich bin trocken wie ein Henkerauge!»
        Bolitho wollte nicht schon wieder auf die Uhr sehen. Wie er am Stand der Sonne erkannte, war es bereits tiefer Nachmittag. Das dauerte alles viel zu lange!
        An der anderen Seite des umschlossenen Plateaus konnte er Davys Abteilung sehen, die muhsam im Gansemarsch vorging. Die Scharfschutzen der Marineinfanterie schritten mit geschulterten Musketen wie Jager voran.»Ja«, antwortete er auf Alldays Frage,»aber wir mussen mit den Wasserrationen sparen.»
        Ihm kam es so vor wie der Gipfel der Welt. Die gekrummten Rander des Plateaus verbargen alles au?er der Sonne und dem leeren Himmel. Wie er an den langgestreckten, schwankenden Schatten sehen konnte, war hinter ihm einer der Manner in den mehrere Zoll hoch liegenden Vogelmist gefallen; Bolitho brauchte sich nicht umzudrehen; er wu?te auch so, da? es Armitage war.
        Heiser rief ein Matrose:»Hier, fassen Sie meine Hand! Mensch, Sie sehen vielleicht aus… Pardon, Sir!»
        Der arme kleine Armitage! Bolitho starrte blicklos die gelblichwei?en Kniehosen des Marineinfanteristen vor ihm an, der vor Staub und Hitze formlich qualmte. Vor dem Seesoldaten lagen ein paar Felsen; wahrscheinlich war die Hochebene dort zu Ende. Da konnten sie Rast machen, eine kurze Ruhepause im Schatten; sich ein bi?chen erholen.
        Er wandte sich um und sagte zu dem Matrosen, der Armitage aufgeholfen hatte:»Hast du noch Atem genug, um der Vorhut einen Befehl zu uberbringen, Lincoln?»
        Eifrig nickte der Mann. Er war klein und drahtig; sein Gesicht entstellte eine schreckliche Narbe - sie konnte von einem Seegefecht stammen oder auch von einer Kneipenschlagerei. Auf alle Falle mu?te er an einen Pfuscher von Wundarzt geraten sein, denn der eine Mundwinkel war standig in schiefem Grinsen hochgezogen.

«Aye, Sir«, sagte er und beschattete seine Augen.

«Dann sag ihnen, sie sollen am Felsen haltmachen.»
        Schon eilte Lincoln vorwarts. Seine flatternden, zerfetzten Hosenbeine wirbelten Wolken von Staub hoch.
        Sie brauchten dann noch eine Stunde bis zu dem felsigen Rand der Hochebene, und es kam Bolitho vor, als machten sie immer einen Schritt vor und zwei zuruck.
        Davys Abteilung erreichte den Plateaurand fast zur gleichen Zeit; und wahrend die Manner sich keuchend und hustend in den wenigen Schattenstellen zu Boden warfen, winkte Bolitho den Leutnant beiseite und sagte:»Wir wollen uns umsehen. «Mude nickte Davy. Sein Haar war so gebleicht, da? es aussah wie Stroh in der Sonne.
        Jenseits der Felsen hockte ein Seesoldat und musterte mit zusammengekniffenen Augen und sachverstandigem Interesse den sanft abfallenden Abhang, der sich ungebrochen bis zum Meer erstreckte. Und dort, an der schmalsten Stelle der Insel, dem» Schwanz des Walfisches«, lag der Schoner versteckt.
        Er lag so weit landeinwarts, da? Bolitho im ersten Moment dachte, er ware im Sturm aufgelaufen. Dann aber sah er Rauch von einem Feuer am Strand und horte gedampfte Hammerschlage - anscheinend fuhrte die Mannschaft Reparaturen aus. Vielleicht hatten sie den Schoner sogar trockenfallen lassen, um Schaden an Rumpf oder Kiel auszubessern. Doch jetzt schien das Schiff ganz in Ordnung zu sein, soweit auf den ersten Blick zu erkennen war.
        Winzige Gestalten bewegten sich an Deck, andere waren am Strand und zwischen den Felsen verstreut. Anscheinend war die Hauptarbeit inzwischen getan.
        Davy sagte:»Sie stochern in den Priels zwischen den Felsen herum, Sir. Suchen wohl Muscheln oder dergleichen.»

«Wieviele, meinen Sie, sind es?«fragte Bolitho.
        Davy runzelte die Stirn.»Zwei Dutzend, schatzungsweise.»
        Bolitho sagte nichts darauf. Es war eine lange Strecke den Abhang hinunter, und ganzlich ohne Deckung. Man mu?te seine Manner bemerken, lange bevor es zum Nahkampf kam. Nachdenklich bi? er sich auf die Lippen. Ob der Schoner wohl einen Tag oder auch langer hier bleiben wurde?
        Carwithen war zu ihnen gekommen und sagte heiser:»Die sind noch nicht fertig, Sir.
«Er flusterte, als sei die Mannschaft des Schoners in Horweite.»Ihre Boote haben sie machtig weit auf den Strand gezogen.»
        Davy hob die Schultern.»Mussen sich wohl sicher fuhlen.»
        Bolitho zog ein kleines Teleskop aus der Tasche und stutzte es sorgfaltig auf einen Fels. Eine falsche Bewegung, und ein Sonnenreflex wurde aufblitzen, der gewi? meilenweit zu sehen war.
        Ein Ausguckposten… Mindestens einer mu?te am Strand so plaziert sein, da? er die kleine Bucht gut uberblicken konnte, aber nicht die andere Seite der Insel, wo jetzt die Undine lag. Bolitho lachelte grimmig. Bei diesem langen, beschwerlichen Anmarsch war es kein Wunder, da? sie hier oben keinen Posten aufgestellt hatten.
        Bolitho fuhr zusammen und erstarrte. Jenseits der Bucht, fast in einer Linie mit dem reglos liegenden Schoner, bewegte sich etwas auf einer Felskante. Langsam stellte er sein Glas darauf ein: ein wei?er, breitkrempiger Hut, darunter ein dunkles Gesicht.

«Auf dem Felsrand gegenuber sitzt ein Ausguck. Dort - fast genau uber dem Priel.»

«Kein Problem«, sagte Carwithen.»Von See her geht's nicht, aber von hinten konnt' ich ihn leicht fertigmachen. «Kampfeslust klang aus seiner Stimme.
        Unten krachte ein Schu?, und sie duckten sich; hinter sich horte Bolitho Waffenklirren, als seine Leute in Deckung gingen.
        Etwas Wei?es, Flatterndes fiel vom Himmel und blieb reglos am Strand liegen. Die muschelsuchenden Matrosen des
        Schoners blickten kaum auf, als einer der Ihren hinging und es aufnahm.

«Er hat einen Tolpel geschossen«, sagte Carwithen.»Schmeckt ganz gut, wenn man nichts Besseres hat. «Der Seesoldat meinte:»Mu? 'n verdammt guter Schutze sein,
        Sir.»
        Der Soldat hatte recht. Das Gleiche hatte auch Bolitho gedacht. Ein Frontalangriff war also zu riskant, dabei waren sie alle umgekommen.
        Er sagte:»Ich schicke Nachricht zum Schiff, wir mussen warten, bis es dunkel ist. Hier«, sagte er zu dem Seesoldaten,»nimm das Glas, aber deck' es gut ab. «Er brauchte nichts weiter zu erklaren. Der Mann hatte soeben bewiesen, da? er nicht nur schie?en, sondern auch denken konnte.
        Die anderen lagerten weiter hinten noch zwischen den Felsen. Allday hielt ihm eine Feldflasche hin:

«Trinken Sie, Captain. Schmeckt wie Bilgewasser.»
        Bolitho kritzelte etwas auf seinen Block und gab das Blatt einem Matrosen.»Bring das zur Kuste und ubergib es dem Deckoffizier dort. «Er sah das verzweifelte Gesicht des Mannes und fugte beruhigend hinzu:»Du brauchst nicht zuruckzukommen. Wenn du bei der Undine bist, hast du eine Ruhepause verdient.»
        Da krachte noch ein Schu?, diesmal durch die Felsen gedampft, und dann folgte ein anderer Ton: etwas Weiches fiel zu Boden. Carwithen sprang auf.»Noch 'n Vogel, Sir!»
        Bolitho schlich mit ihm zu dem Ausschau haltenden Seesoldaten zuruck. Der starrte verwirrt auf den gro?en Tolpel nieder, der ihm mit ausgebreiteten Schwingen und blutiger Brust fast direkt vor die Fu?e gefallen war.
        Argerlich sagte Davy:»Also, wie in drei Teufels Namen hat er… »
        Bolitho hob die Hand, und sie erstarrten in Schweigen. Schwach erst, dann deutlicher, horte man Scharren und das Rollen loser Steinchen - jemand kam eilig herauf, um den toten Vogel zu holen.
        Bolitho blickte sich blitzschnell um. Hinter diesen paar kleinen Felsen konnte er seine drei?ig Mann nicht verstecken. Er sah, wie Allday ihnen Zeichen machte, ganz still zu sein, sah die Angst in Armitages Augen, der wie gebannt auf die letzte Felsbarriere starrte.
        Die Gerausche wurden lauter; Bolitho konnte horen, wie sich der Mann keuchend das letzte Stuck Abhang hinauf kampfte.
        Niemand bewegte sich. Der Seesoldat blickte starr seine Muskete an, die zwei Fu? von seiner Hand entfernt lag. Das geringste Gerausch, und sie waren alle verloren.
        Da handelte Carwithen, der am dichtesten bei der Felsenbarriere war. Fast lautlos ergriff er den toten Vogel und zog ihn ein paar Zoll unter die Kante des nachsten Felsens. Mit der anderen Hand zerrte er etwas unter seinem kurzen blauen Uberrock hervor, die Augen ohne zu blinzeln auf den Vogel gerichtet.
        Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis etwas geschah. Aber dann ging es so schnell, da? man kaum folgen konnte.
        Das dunkle Gesicht des Fremden starrte offenen Mundes auf sie herab, sein Blick flog von dem Vogel zu Carwithen, als er sich mit dem Oberkorper uber die Felskante zog, um nach seiner Beute zu greifen. Der Bootsmannsmaat lie? den Lockvogel fallen; die Bewegung war so schnell, da? sie den Fremden uberraschte, er schwankte, tastete im Gurtel nach dem blanken Griff einer Pistole.

«So nicht, mein Hubscher«, murmelte Carwithen ruhig, beinahe freundlich. Dann scho? seine andere Hand unter dem Rock hervor, ein Enterbeil blitzte auf. Carwithen schlug kurz und brutal zu - der Pickel der Axt grub sich in den Nacken des Mannes. Mit einem machtigen Ruck zog Carwithen den schon Bewu?tlosen ganz uber die Felskante, ri? das Beil heraus, drehte es um und durchschlug mit der Schneide seine Kehle. Nochmals hob sich das Beil und schlug zu.
        Blut spritzte uber Armitages Seesoldaten. Wieder ri? Carwithen das Beil hoch, aber Bolitho fiel ihm in den Arm. Er fuhlte den irren, aufgestauten Ha? in den Muskeln des anderen, der ihn abzuschutteln versuchte.

«Halt! Genug, verdammt noch mal!»
        In schreckerfulltem Schweigen starrten die Manner einander und den Toten an, der uber dem toten Seevogel lag. Heiser flusterte Carwithen:»Dieser Mistkerl treibt keine Seerauberei mehr!»
        Bolitho zwang sich, den Leichnam naher anzusehen: ein Javaner vermutlich, bekleidet mit irgendwelchen Fetzen, aber eine Pistole mit dem Wappen der Ostindischen Handelskompanie.»Hat er wahrscheinlich einem armen, ehrlichen Seemann abgenommen, der Bastard!«murmelte Carwithen.
        Niemand sah ihn an. Bolitho kniete mit seinem Teleskop hinter einem Felsblock und suchte sorgfaltig die Bucht unten ab. Carwithen hatte schnell und nachdrucklich getan, was getan werden mu?te. Aber es hatte ihm Spa? gemacht, das entwertete die Tat.
        Bolitho beobachtete den fernen Ausguck in seinem felsigen Versteck und die winzigen Gestalten, die noch immer in den Prielen herumstocherten.»Sie haben nichts gesehen«, sagte er leise.
        Mit einem Blick auf den immer noch schluchzenden Armitage fragte Davy:»Andert das etwas fur uns, Sir?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Hochstens wenn der Mann von seinen Leuten vermi?t wird. «Er studierte die langer werdenden Schatten der Felsen.»Wir mussen abwarten und konnen nur hoffen, da? es bald dunkel wird.»
        Carwithen wischte sein Enterbeil an einem Fetzen ab, den er von der Kleidung des Toten gerissen hatte. Sein Gesicht druckte nur Befriedigung aus - sonst nichts.
        Davy gab seinen Mannern ein Zeichen.»Schafft das da beiseite! Mit Steinen bedecken!«Er schluckte.»Diesen Tag werde ich so bald nicht vergessen.»
        Bolitho fa?te den Midshipman bei der Schulter und zog ihn vom Felsen weg.»Horen Sie zu, Mr. Armitage!«Er schuttelte ihn heftig, da die Augen des Jungen immer noch an der roten Spur hafteten, die der Leichnam hinterlassen hatte.»Rei?en Sie sich zusammen! Ich wei?, das war ein schrecklicher Anblick, aber Sie sind nicht blo? zum Zusehen hier, verstanden?«Er schuttelte ihn nochmals; es tat ihm weh, den Schmerz und Abscheu in den Augen des Jungen zu sehen.»Schlie?lich sind Sie einer meiner Offiziere und sollen ein Vorbild fur unsere Leute sein!»
        Armitage nickte benommen.»Jawohl, Sir. Ich werde versuchen, mich…«Wieder uberfiel ihn Brechreiz.

«Ich wei?, das werden Sie«, sagte Bolitho freundlich. Er merkte, da? ihn Allday uber die zitternde Schulter des Jungen hinweg anbuckte und leise den Kopf schuttelte.»Nun weg mit Ihnen, sehen Sie nach, ob der Kurier schon unterwegs ist!»

«Armer Kerl«, sagte Allday leise.»Der wird sich nie an diese Dinge gewohnen.»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Ich auch nicht. Sie etwa?»
        Allday zuckte die Schultern.»Wir haben gelernt, uns nicht anmerken zu lassen, was wir denken. Mehr kann ein Mann nicht tun.»

«Mag sein. «Er sah, da? Davy mit dem Fu? Sand uber das trocknende Blut scharrte. Dann blickte er Carwithen in das schwarzliche Gesicht, der eben die Pistole des Toten untersuchte.»Doch es gibt manche, die haben uberhaupt keine Gefuhle, und ich fand immer, da? sie keine richtigen Menschen sind.»
        Er trat in den Schatten zuruck, und Allday kam hinterher. Beim ersten Anzeichen, da? es losging, wurde sich Bolithos Stimmung schon andern, dachte er; im Moment war es besser, wenn man ihn in Ruhe lie?.



        XIV Der Segelmacher aus Bristol


«Wird es nicht langsam Zeit, Sir?«fragte Davy. Bolitho spahte vorsichtig uber die Felsen; bleich hob sich sein Hemd gegen den schon dunkler werdenden Himmel ab.

«Ja, das glaube ich auch. Carwithen soll antreten lassen.»
        In der kuhlen Abendbrise uberlief ihn ein Frosteln. Sowie die Sonne hinter den Bergen versunken war, wurde es in Minutenschnelle kalt. Sie hatten zu lange in der Sonne gelegen, geplagt von Durst und Hitze, von Legionen von Fliegen. Bolitho musterte den Umri? des vor Anker liegenden Schoners und die an der Poop und im Bug glimmenden Lichter. Das Feuer am Strand war zu einem Haufchen gluhender Asche erstorben. Niemand hielt sich mehr dort auf, soweit er sehen konnte; aber vermutlich hockte der Spaher immer noch gegenuber auf seiner Felskante.
        Allday meldete flusternd:»Klar zum Abmarsch, Captain«, und pa?te dabei auf, da? sein Entersabel nicht an die Felsen schlug.»Mr. Davy kontrolliert noch mal, ob auch jeder wei?, was er zu tun hat.»
        Wortlos nickte Bolitho und versuchte, die Entfernung zu schatzen, die sie uberwinden mu?ten. Sonderbarerweise kam sie ihm im Dammerlicht gro?er vor; aber nach den ruhigen Stimmen zu urteilen, die hier und da in Bruchstucken vom Schoner heruberklangen, schienen sie dort noch nicht bemerkt zu haben, da? einer von ihnen fehlte.
        Davy glitt heran.»Ich habe Carwithens Abteilung losgeschickt, Sir. «Er warf einen Blick auf die wenigen hellen Wolkchen.»Der Wind ist ziemlich stetig.»

«Ja. «Bolitho kontrollierte seine Pistole und schnallte den Gurtel enger.»Folgt mir einzeln im Gansemarsch.»
        Geistergleich glitten sie uber die letzte Felsbarriere. Wenn einer auf lose Kiesel trat, horte sich das in der Abendstille uberlaut an. Aber wie Davy schon bemerkt hatte, hielt sich der Wind, so da? die Brandung laut genug war, um die schwachen Gerausche zu ubertonen, welche die Manner machten.
        Einmal, als sie um den Fu? des Hugels bogen, traten sie fast auf zwei schlafende Seevogel, die mit schrillem Kreischen aufflatterten. Die ganze Abteilung erstarrte vor Schreck.
        Bolitho wartete, horchte auf seinen eigenen Herzschlag und auf das erregte Atmen der Manner hinter ihm. Nichts. Er hob den Arm, und sie schritten weiter.
        Uber die Schulter konnte er hinten noch die Felsbrocken sehen, in deren Schutz sie ungeduldig auf den Sonnenuntergang gewartet hatten; jetzt lagen sie schon weit oberhalb seiner langsam vorruckenden Abteilung. Inzwischen hatten sie fast Meereshohe erreicht; er horte einen Mann leise fluchen, der aus Versehen in den ersten kleinen Priel trat. Davys Abteilung mu?te zur Rechten flaches Wasser durchwaten; Bolitho hoffte nur, es wurde keiner der Lange nach in einen der Priele fallen, die dort von der auflaufenden Flut schon uberdeckt wurden.
        Fluchtig dachte er an sein Schiff, das auf der anderen Seite der Insel vor Anker lag, an die altgewohnten Gerausche und Geruche. An Herrick, der nervos auf die Nachricht von Sieg oder Katastrophe wartete. Im letzteren Fall konnte er ihnen nicht mehr helfen. Es wurde dann seine Sache sein, mit dem Feind Kontakt aufzunehmen und daraus zu machen, was er konnte. Es war leichter, wenn man die anderen als Feinde betrachtete, nicht als Menschen von Fleisch und Blut wie man selbst.
        Allday fa?te ihn hastig am Arm.»Ein Boot halt auf uns zu,
        Captain!»
        Bolitho hob den Arm, beide Abteilungen machten lautlos halt. Das Boot mu?te von der ihnen abgewandten Seite des Schoners gekommen sein. Er sah den Schaum der eintauchenden Riemen und der Bugwelle - jetzt stie? es durch die Brandung.
        Bolitho dachte an Carwithen und seine Handvoll Manner, die au?en herum gingen, um dem einsamen Wachter in den Rucken zu fallen. Sie mu?ten jetzt ungefahr am Ziel sein. Carwithens brutale Wildheit fiel ihm wieder ein - ob er den unglucklichen Posten inzwischen niedergemacht hatte?
        Unvermittelt erklang eine Stimme in der Dunkelheit, und Bolitho dachte schon, Carwithen sei aufgehalten worden. Aber die Stimme kam vom Boot her, und trotz der fremden Sprache horte Bolitho, da? der Mann eine Frage stellte. Oder vielleicht einen Namen rief.
        Allday flusterte:»Sie suchen nach dem Vermi?ten, Captain. «Er lie? sich auf die Knie nieder, um das Boot gegen die hellere Brandung besser erkennen zu konnen. Sechs sind es.»
        Leise sagte Bolitho:»Aufpassen, Jungs! La?t sie rankommen. «Er horte, wie einer der Manner mit den Zahnen knirschte: gespannt, nervos, das waren sie alle, verangstigt vielleicht durch die ungewohnte Umgebung.

«Einer klettert druben den Abhang zum Ausguck hinauf«, flusterte Allday.
        Vorsichtig zog Bolitho seinen Degen. Naturlich. Dort mu?te jemand zuerst hingehen und den Posten fragen, ob er den Vermi?ten gesehen hatte. Die anderen funf schlenderten den Strand entlang und unterhielten sich, sorglos ihre Waffen schwingend.
        Bolitho warf einen Blick hinter sich. Seine Manner knieten fast unsichtbar, duckten sich hinter Felsen oder lagen im flachen Wasser. Er wandte sich wieder um und beobachtete die naherkommenden Schatten. Noch zwanzig Yards, noch funfzehn. Jetzt mu?ten sie bald entdeckt werden.
        Ein furchtbarer Schrei zerri? die Stille und hing noch in der Luft uber der Felsenkante, als der Mann schon tot war.
        Die funf Schatten fuhren erschrocken herum - der Todesschrei mu?te von ihrem Wachtposten oben gekommen sein.

«Drauf, Leute!«brullte Bolitho.
        Wortlos sprangen alle hoch und sturzten sich auf die funf Gestalten, die auf die Brandung zurannten. Einer rutschte aus, fiel lang hin, versuchte aufzustehen, wurde aber vom Entersabel eines Matrosen niedergeschlagen und blieb als winselnder Haufen liegen, wahrend der Matrose weiterlief. Die anderen hatten das Boot erreicht, konnten es aber, da zwei Mann fehlten, nicht sofort ins tiefere Wasser schieben. Stahl blitzte in der Dunkelheit auf, die Matrosen waren uber ihnen, es kam zu einem wilden und morderischen Kampf. Ein Matrose blieb mit dem Fu? in einer Ducht hangen, fiel hin und wurde, ehe er wieder hochkommen konnte, von einem langen Sabel buchstablich in den Sand genagelt. Aber sein Gegner fiel fast gleichzeitig uber ihn. Die restlichen beiden warfen ihre Waffen weg, wurden aber von den wutenden Matrosen niedergemacht.

«Wir haben einen Mann verloren, Sir«, meldete Davy knapp, drehte den Leichnam auf den Rucken und nahm ihm den Entersabel aus der Hand.
        Bolitho stie? seinen Degen in die Scheide. Ihm zitterten die Beine vom schnellen Rennen, aber auch vor nervoser Spannung. Er blickte zu dem vor Anker liegenden Schoner hinuber: kein Ruf, kein Alarmzeichen. Einmal glaubte er, Gesang uber die rauschende Brandung heruberwehen zu horen, eine fremde, unbestimmt traurige Melodie.

«Verdammt nachlassiger Ausguck, Sir«, sagte Davy heiser.
        Die Manner sammelten sich jetzt bei den Booten. Das eine lag schon den ganzen Tag hier und am hochsten auf dem Strand. Um es zu Wasser zu bringen, wurden mehr Manner notig sein als bei dem zuletzt angekommenen.»Hatten Sie an ihrer Stelle mit einem Angriff gerechnet?«fragte Bolitho.
        Davy zuckte die Schultern.»Wahrscheinlich nicht.»
        Carwithen kam den Abhang herunter; er lief so schnell, da? seine Manner Muhe hatten, ihm zu folgen. Wutend sagte er:»Dieser elende Narr Lincoln war zu langsam mit seinem Dolch!«Bose funkelte er die Umstehenden an.»Mit dem rede ich noch!»

«Boote zu Wasser«, befahl Bolitho. Zu den sechs Marineinfanteristen sagte er:»Ihr nehmt das zweite. Was zu tun ist, wi?t ihr.»
        Einer von ihnen, der, welcher den Schoner zuerst gesehen hatte, brummte:»Alles klar, Sir. Wir gehen mit dem Boot so auf Position, da? wir die Poop sehen konnen, und putzen jeden weg, der da an den Laternen vorbeikommt.»
        Bolitho lachelte zufrieden.»Hauptmann Bellairs hat Sie mit Recht ausgesucht.»

«Hier lang, Captain«, flusterte Allday.
        Die Brandung umspulte ihm Beine und Unterkorper; er fuhlte das rauhe Dollbord des Bootes und Alldays Hand, die ihn hineinzog.

«Sto? ab!»
        Bolitho zwang sich gewaltsam, nicht auf die wild arbeitenden Riemen zu blicken, auch nicht auf Allday, der sich mit allen
        Kraften bemuhte, das Boot durch die Brandung zu steuern. Jetzt brauchte es nur eine Ladung gehacktes Blei vom Schoner, und sein ohnehin fadenscheiniger Plan mi?lang schon im Ansatz. Das Boot stampfte schwer; die Riemen zogen besser, als es sich erst einmal aus der starken Grundstromung gelost hatte. Die schlanken Masten des Schoners drohten heruber; das Gewirr der restlichen Takelage verschwamm gegen den dunklen Himmel.
        Allday stand breitbeinig und wachsam uber der Ruderpinne, die er leicht mit den Fingerspitzen hielt.

«Ruder an!«Er neigte sich vor, damit sie ihn besser horten.»Achtung, im Bug!»
        Achteraus horte Bolitho das regelma?ige Eintauchen der Riemen des zweiten Bootes, das eilig zum Bug des Schoners pullte.

«Jetzt oder nie, Captain!«stie? Allday aus und entblo?te die Zahne, so da? die Manner im Boot sich fragten, was er denn zu grinsen hatte.
        Bolitho erhob sich neben ihm und streckte den Arm aus, um das Boot von dem uberhangenden Achterdeck frei zu halten, das wie eine gleitende Wand direkt uber ihnen emporragte.

«Jetzt!»
        Ein gellender Schrei und ein Rasseln - der Buggast schleuderte seinen Draggen uber das Schanzkleid. Mit einem Knirschen stie? das Boot an die Bordwand; ein paar Manner fielen in dem Durcheinander hin, wahrend die anderen voller Eifer uber ihre Korper und die verschrankten Riemen, wie uber eine lebende Brucke, an Deck des Schoners kletterten.
        Schon hasteten ein paar Gestalten aus dem Vorderkastell, aber da knallte es dumpf; getroffen von der wohlgezielten Musketenkugel, wirbelte ein Mann herum - im hellen Licht der Pooplaterne sah es wie ein irrer Schattentanz aus.
        Bolitho spurte mehr als er es sah, wie eine Gestalt aus den Speigatten auf ihn zusprang. Er duckte sich weg, und im selben Moment zischte etwas uber seinen Kopf. Er fuhrte einen Degensto? nach dem Angreifer. Der Mann wich zuruck, griff aber, eine machtige Axt schwingend, gleich wieder an.

«Da? ihn die Pest…!«schrie Carwithen und feuerte seine Pistole direkt in das Gesicht des Mannes ab.

«Das reicht dem Bastard!«knurrte er befriedigt.
        Einer von der Mannschaft des Schoners war in den Vormast geklettert. Ein Matrose enterte unter wutendem Gebrull auf. Wieder knallte eine Muskete von dem zweiten, in der
        Dunkelheit lauernden Boot her, aufstohnend sturzte der Pirat aufs Deck, wo schon ein Entermesser auf ihn wartete.
        Allday rief:»Die meisten verstecken sich unter Deck, Captain!«Er rannte zum Niedergang und feuerte hinunter.»Die haben die Schnauze voll, glaube ich.»
        Bolitho spahte nach achtern zu den Laternen.»Ruft das andere Boot zur Verstarkung heran!»
        An Deck des Schoners war es auf einmal still, und als Bolitho langsam auf die kleine Kajutslaterne direkt vor dem Steuerrad zuging, konnte er seine Schritte horen. Aber der Kampf war noch lange nicht vorbei.
        Vorsichtig ging er um den Leichnam herum, der dort auf dem Rucken lag. Es war der erste, der von der Kugel des Marineinfanteristen gefallen war. Das tote Gesicht glanzte im Licht der Laterne; der Unterkiefer war weggerissen.

«Weg da, Captain!«schrie Allday, denn eben kletterte ein Pirat durch die Luke. Doch das Gesicht des Mannes verzerrte sich im Todeskampf, denn direkt unter ihm hatte jemand eine Pistole abgefeuert. Ein Schatten glitt durch den Pulverqualm; es war Lincoln, der Matrose mit der Narbe im Gesicht. Seine Augen waren hart wie Stein, als er sich durch die Luke zwangte und an Deck fallen lie?, direkt auf den Toten. Dumpf schlugen seine Fu?e auf dem Leichnam auf, er machte eine rasche Wendung, bei der er zweimal mit seinem Dolch zustie? - beim zweiten Sto? ertonte ein Schrei aus der Dunkelheit.
        Hinter ihm schwarmten noch mehr Matrosen an Bord, und Bolitho rief:»Licht her! Macht Platz!»
        Dann horte man das Platschen nackter Fu?e, und aus dem langsseits liegenden Boot ertonte Armitages angsterfullte Stimme.
        Carwithen war schon unten im Kabinendeck und schob einen Matrosen beiseite, um einem verwundeten Piraten mit seinem Dolch den Rest zu geben. Bolitho blieb kurz am Niedergang stehen und sah sich nach Davy um, doch dabei war sein Verstand noch damit beschaftigt, da? Allday ihm soeben das Leben gerettet hatte. Ohne seine Warnung ware er jetzt eine Leiche gewesen, und nicht jener arme Matrose.

«Mr. Davy! Beide Boote an Bord, sobald die Gefangenen entwaffnet und gefesselt sind!»

«Aye, aye, Sir!«antwortete der Leutnant siegesfroh.

«Und teilen Sie eine Wache fur die Gefangenen ein! Ich will nicht, da? irgendein Fanatiker unter ihnen die Bilge aufschlagt, ehe wir auch nur Segel setzen konnen!»
        Er stieg hinter Allday den Niedergang hinunter. Der Larm an Deck klang nur noch gedampft hinab und verstummte dann ganz.
        Ein Matrose stie? eine Kabinentur mit dem Fu? auf und sprang mit gezogener Pistole in den Raum.

«Keiner hier, Sir!«Aber dann sah er, da? sich hinter einem umgesturzten Stuhl etwas bewegte.»Nein, Sir, da ist noch so ein Schurke. Ich hole ihn!»
        Doch da schrak er zuruck:»Jesus! Das ist ja einer von uns!»
        Bolitho buckte sich unter die niedrigen Decksbalken und trat in die Kajute. Er verstand den Schreck und die Uberraschung des Matrosen. Da hockte ein Wrack von einem Mann; klein, verkrummt lag er auf den Knien, die verschrankten Hande wie betend vorgestreckt, schwankend im Rhythmus der Schiffsbewegung.
        Bolitho steckte den Degen in die Scheide und trat zwischen den zitternden Mann und den Matrosen, dessen Augen noch vor Kampfgier gluhten.»Wer bist du?»
        Er wollte nahertreten, aber der Mann warf sich ihm buchstablich vor die Fu?e. Gnade, Captain! Ich habe doch nichts getan! Bin blo? 'n ehrlicher Seemann!»
        Er tastete nach Bolithos Schuhen, und als dieser sich buckte, um ihn aufzuheben, sah er mit Schrecken, da? man dem Mann samtliche Fingernagel ausgerissen hatte.

«Steh auf!«sagte Allday grob.»Du sprichst mit einem Offizier des Konigs!»

«Still!«Bolitho hob die Hand.»Sehen Sie ihn doch an! Der hat genug gelitten.»
        Der Matrose lie? seinen Entersabel fallen und half dem Mann in einen Stuhl.»Ich hole ihm was zu trinken, Kapt'n!«Er ri? ein Schapp auf und fuhr erschrocken herum, als der Kleine angstvoll schrie:

«Ruhr das nicht an! Er zieht dir bei lebendigem Leibe die Haut ab, wenn du auch nur hineinzuschauen wagst!»

«Wer?«fragte Bolitho.
        Da erst schien der Mann zu begreifen. Was jetzt geschah, gehorte nicht mehr zu der furchtbaren Folge von Alptraumen, die er erlebt hatte. Er starrte in Bolithos ernstes Gesicht; die Tranen rannen ihm hilflos uber die hohlen Wangen.

«Muljadi!»

«Was - ist der hier?«keuchte Carwithen.
        Der elende kleine Mann spahte an Bolitho vorbei; seine angsterfullten Augen sahen die Matrosen im Gang, den Toten bei der Luke.

«Da! Sein Sohn!»
        Bolitho fuhr herum und beugte sich uber den Mann, den Lincoln niedergestochen hatte. Naturlich, das hatte er sehen mussen, statt sich selbst zu gratulieren, weil er einem gra?lichen Tod entgangen war.
        Der Mann lebte noch, obwohl Lincolns Klinge ihm tief in Hals und Schulter gedrungen war und eine gro?e klaffende Wunde gerissen hatte. Nur um Haaresbreite mu?te sie die Arterie verfehlt haben. Der Mann war nackt bis zum Gurtel, aber seine weite Hose, jetzt von seinem eigenen Blut und dem des Matrosen befleckt, war aus feinster Seide. Die Augen waren fest geschlossen, die Brust hob und senkte sich unter raschen, unregelma?igen Atemzugen.

«Lassen Sie mich den Bastard fertigmachen, Sir!«bettelte Carwithen.
        Bolitho achtete nicht auf ihn. Der Verwundete war nicht viel alter als zwanzig; um den Hals trug er ein goldenes Medaillon in Form einer aufgerichteten Raubkatze - wie das Tier auf Muljadis Flagge. Da bot sich vielleicht eine Moglichkeit.

«Verbindet ihn!«befahl Bolitho kurz.»Ich will ihn lebend haben!«Er wandte sich dem zerlumpten kleinen Mann in der Kajute zu.»Meine Leute werden sich um dich kummern, aber erst will ich… »
        Der Mann verdruckte sich zur Tur.»Ist es wirklich vorbei, Sir?«Er zitterte heftig und war nahe am Zusammenbrechen.»Ist das nicht blo? wieder so ein grausamer Trick?

        Allday erwiderte ruhig:»Das ist Captain Bolitho, Alter, von Seiner Majestat Schiff Undine.».

«Und jetzt sag uns, wer du bist!«befahl Bolitho.
        Der Kleine sank wie ein verprugelter Hund wieder auf dem Fu?boden zusammen.

«Ich war Segelmacher, Sir, auf der portugiesischen Bark Alvarez. Hab' in Lissabon angemustert, weil ich mein Schiff verloren hatte. Wir fuhren Stuckgut von Java, da wurden wir von Piraten uberfallen.»

«Wann war das?«fragte Bolitho. Er sprach ganz langsam, denn der Mann war offenbar vollig durcheinander.

«Vor einem Jahr, Sir, glaube ich. «In angestrengtem Nachdenken kniff er die Augen zu.»Sie brachten uns zu Muljadis Ankerplatz, wenigstens die Uberlebenden. Die meisten hat Muljadi umgebracht. Mich hat er nur leben lassen, weil ich Segelmacher bin. Einmal hab' ich versucht zu fliehen. Nach 'ner Stunde hatten sie mich wieder und haben mich gefoltert. «Sein Zittern verstarkte sich.»Die ganze Bande sah zu, hatte ihren Spa? dran und lachte. «Er sprang auf, packte sein Entermesser, das an der Tur lag, und schrie:»Sie haben mir alle Fingernagel ausgerissen, und noch Schlimmeres getan, die verfluchten Hunde!»
        Lincoln packte ihn beim Handgelenk und drehte es so, da? das Entermesser nicht mehr auf den Verwundeten gerichtet war.»Langsam, Alter! Sonst stellst du noch was an mit dem Ding.»
        Irgendwie schien Lincolns gelassen-freundliche Stimme den Kleinen zu beruhigen. Er drehte sich um und blickte Bolitho ganz vernunftig an.»Mein Name ist Jonathan Potter, Sir, aus Bristol.»
        Bolitho nickte.»Schon, Jonathan, du kannst mir nutzlich sein. Deine Kameraden werden davon zwar nicht wieder lebendig, aber vielleicht konnen wir andere vor einem ahnlichen Schicksal bewahren. Allday, kummern Sie sich um ihn!»
        Er trat aus der Kajute, dankbar fur die frische Luft an Deck, fur die Aktivitat, mit der Davys Leute Vorbereitungen zum Segelsetzen trafen. Potter war sicherlich der einzige Englander auf der portugiesischen Bark gewesen. Nur deswegen hatte Muljadi ihn! am Leben gelassen. Und ihn wie einen Sklaven gehalten, ihn so geschunden, da? er kaum noch einem Menschen glich. Das pa?te nur zu dem, was er bisher uber Muljadi gehort hatte.
        Davy kam zu ihm heruber.»Ich bin soweit, da? wir Anker lichten konnen, Sir. «Er schwieg einen Moment, denn er merkte, da? Bolitho an etwas anderes dachte.»Dieser arme Teufel mu? ja Schreckliches durchgemacht haben, Sir. Narben und Striemen von Kopf bis Fu? und nur noch Haut und Knochen.»

«Irgend etwas mu? ihn am Leben erhalten haben, Mr. Davy. Angst vor dem Tod, Durst nach Rache, ich wei? nicht, was«, erwiderte Bolitho nachdenklich. Das Schiff krangte plotzlich in der Dunung, und er griff nach einem Stag.»Aber was es auch ist, ich werde es fur unsere Zwecke nutzen.»

«Und der Kapitan des Schoners, Sir?»

«Wenn er wirklich Muljadis Sohn ist, dann haben wir einen guten Fang gemacht. Aber auf jeden Fall wunsche ich, da? er am Leben bleibt, also sagen Sie allen Leuten Bescheid. «Er dachte an das morderische Glitzern in Carwithens Augen.»Aber wirklich allen!»
        Er spahte querab zu der kleinen Insel hinuber, auf der so viel passiert war. Die gezackten Felsen lagen schon in tiefem Schatten.»Wir gehen gleich auf Sudwestkurs, um Seeraum zu gewinnen. Gegen Sonnenaufgang mu?ten wir so weit sein, da? wir wenden und die Undine sichten konnen. «Er warf einen zufriedenen Blick auf die Manner, die geschaftig uber Deck eilten.»Da haben wir eine hubsche kleine Prise aufgebracht.»
        Uberrascht starrte Davy erst Bolitho, dann den Schoner an; offenbar wurde ihm die Bedeutung erst jetzt richtig klar. Er nickte vergnugt.»Naturlich, Sir. Bestimmt ein schones Stuck Geld wert.»
        Bolitho ging auf die andere Deckseite.»Dachte mir, da? Sie das interessieren wurde, Mr. Davy. Aber jetzt schicken Sie Leute an das Gangspill und lassen Sie Anker lichten, solange der Wind sich halt. «Er mu?te auch an Herrick denken. Jedenfalls sind wir keine Bettler mehr.»
        Verstandnislos schuttelte Davy den Kopf. Dann sah er den Ruderganger an und die Ankercrew und grinste uber das ganze Gesicht. Endlich eine Prise, und vielleicht die erste von vielen.
        Noddall wartete schon in der Kajute beim E?tisch. Er nickte zufrieden, als Bolitho seinen geleerten Teller zur Seite schob.»So ist es schon besser, Sir! Der Mensch kann nur arbeiten, wenn er sich anstandig sattgegessen hat.»
        Bolitho lehnte sich behaglich im Stuhl zuruck und lie? den Blick langsam in der Kajute schweifen. Es war schon, wieder auf der Undine zu sein, besonders wenn man einen Erfolg seiner Muhen vorweisen konnte.
        Die Laterne uber dem Tisch warf schon einen blasseren Schein, und er sah durchs Heckfenster, da? die Morgenrote bereits einem wolkenlosen Tageshimmel gewichen war. Wie ein goldener Faden spannte sich die Kimm hinter der dicken, salzfleckigen Fensterscheibe.
        Gestern hatte er fast um dieselbe Stunde mit dem gekaperten Schoner wieder die Undine erreicht; die Spannung und Anstrengung des blutigen Gefechts waren vorubergehend im Hurrageschrei der an der Reling stehenden Matrosen und
        Seesoldaten untergegangen. Herrick war fast au?er sich vor Freude gewesen und hatte darauf bestanden, da? Bolitho unverzuglich in seine Kajute ging und sich erst einmal ausruhte.
        Der Schoner war fruher unter der Flagge der Hollandischen Ostindischen Kompanie gefahren, doch lie? sich nicht sagen, wie lange er in den Handen der Piraten gewesen war. Nach dem Schmutz und der Unordnung zu urteilen, mu?te es lange gewesen sein.
        An Deck wurde Reinschiff gemacht: nackte Fu?e patschten, Wasser rauschte, die Pumpen quietschten. Bolitho lie? seinen Gedanken freien Lauf. Noddall hatte recht, das Fruhstuck hatte ihm gut geschmeckt: dunngeschnittener Schweinebauch, mit Zwiebackkrumen braungebraten, dazu starken Kaffee mit etwas Sirup darin.
        Es klopfte, und Herrick trat ein. Er sah frisch und munter aus.»Der Wind weht stetig aus Sudwest, Sir.»

«Gut, Thomas«, lachelte Bolitho.»Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir.»
        Es fiel Bolitho auf, da? sich Herrick jedesmal entspannte, wenn es galt, einen festen Plan auszufuhren. Falls er wirklich ahnte, wie ungewi? dieser Plan noch im Kopf seines Kapitans war, dann lie? er es sich jedenfalls nicht anmerken.

«Ich hore von Mr. Mudge, da? wir ungefahr zehn Knoten laufen, Sir. «Herrick nahm von Noddall einen Becher Kaffee entgegen.»Und er strahlt, als ob er ein Vermogen am Spieltisch gewonnen hatte«, fuhr er lachelnd fort.
        Bolitho runzelte die Stirn.»Also sollten wir jederzeit Land sichten. Wenn der Wind gestern nicht so flau gewesen ware, hatten wir jetzt schon da sein konnen. «Er reckte die Arme; welch angenehmes Gefuhl an Brust und Rucken, wenn man ein frisches Hemd anhatte.»Aber es gab ja auch eine Menge zu tun.»

«Inzwischen hat Mr. Davy wohl schon den halben Weg zur Pendang Bay hinter sich.»

«Aye. Er wird sich wie ein Fregattenkapitan vorkommen, wenn ich mich nicht irre.»
        Davy hatte von innen her gestrahlt, als Bolitho ihm das Kommando uber den Schoner erteilt und ihn zu Conway geschickt hatte. Bolitho erinnerte sich an den Tag, als man ihm zum erstenmal das Kommando uber eine Prise anvertraut hatte. Er war damals Leutnant gewesen und viel junger als Davy. Wahrscheinlich hatte er ein ahnliches Gesicht gemacht. Es hie? immer, das erste selbstandige Kommando ware die wichtigste Phase der ganzen Karriere. Vielleicht wurde es sich bei Davy ebenso wie bei ihm auswirken.
        Er sah zum Skylight hoch, denn der Ausguck sang aus:»Deck ahoi! Land in Lee voraus!»
        Bolitho lachelte, obwohl es ihm kalt den Rucken hinunterlief.»Wenn die Argus nicht hier ist, mu? ich mir was Neues ausdenken.»
        Die Tur offnete sich, und Midshipman Armitage verkundete:»Mr. Soames la?t mit allem Respekt melden, Sir, da? der Ausguck Land in Lee voraus gesichtet hat.»

«Danke sehr, Mr. Armitage«, antwortete Bolitho.
        Die umschatteten Augen des Jungen lagen tief in den Hohlen; seine Finger zuckten nervos an der geflickten Kniehose. Zum Unterschied von den anderen, die mit dabei gewesen waren, konnte er seine Gefuhle nicht verbergen. Er hatte Angst und wu?te, da? er sie nicht bezwingen konnte.

«Mein Kompliment an Mr. Soames«, sagte Bolitho,»und bestellen Sie ihm: in einer halben Stunde Geschutzexerzieren fur beide Wachen. «Nach kurzem Zogern fuhr er fort.»Wenn Sie etwas auf dem Herzen haben, sollten Sie es vielleicht jetzt dem Ersten Leutnant anvertrauen - oder auch mir, wenn Sie meinen, wir konnten Ihnen helfen.»
        Armitage schuttelte den Kopf.»Nein, Sir, es geht schon wieder. «Er verschwand eilends.

«Was machen wir blo? mit ihm?«fragte Bolitho leise und sah seinen Freund an.
        Der Leutnant hob die Schultern.»Man kann nicht jeden bei der Hand nehmen, Sir. Er wird schon daruber hinwegkommen. Schlie?lich haben wir uns alle einmal durchbei?en mussen.»

«Aber Thomas, das sieht Ihnen gar nicht ahnlich«, erwiderte Bolitho lachelnd. Geben Sie doch zu, da? Sie sich um den Bengel Sorgen machen.»

«Na ja«, raumte Herrick etwas verlegen ein,»ich habe schon uberlegt, ob ich mal mit ihm reden soll.»

«Wu?te ich doch, Thomas. Sie haben nicht das richtige Gesicht zum Schwindeln.»
        Wieder klopfte es, diesmal war es der Schiffsarzt.

«Nun, Mr. Whitmarsh?«fragte Bolitho,»geht es unserem Gefangenen schlechter?»
        Whitmarsh schob sich durch die Tur wie in eine Zelle. Er duckte sich unter jeden Decksbalken, als suche er einen
        Fluchtweg.»Es geht ihm soweit ganz gut, Sir. Aber ich bin immer noch der Meinung, da? es besser gewesen ware, ihn mit dem Schoner zum Stutzpunkt zuruckzuschicken.»
        Bolitho sah Herricks Wangenmuskeln arbeiten und wu?te, gleich wurde er sich die Unverschamtheit des Arztes verbitten. Wie den anderen Offizieren fiel es auch Herrick nicht leicht, seine Abneigung gegen Whitmarsh zu verbergen. Und der tat selbst wenig, um sich beliebter zu machen.
        Ruhig erwiderte Bolitho:»Ich konnte schlie?lich nicht die Verantwortung fur einen Gefangenen ubernehmen, der nicht in meinem Gewahrsam ist, oder?»
        Schwei?tropfen bildeten sich auf der Stirn des Arztes. Hatte er so fruh am Morgen schon getrunken? Ein Wunder, da? er sich noch nicht umgebracht hatte.
        Oben horte man taktma?ige Schritte und metallisches Klirren: die Marineinfanteristen traten zur Musterung an. Etwas gezwungen fugte Bolitho hinzu: Sie mussen sich schon auf mein Urteil verlassen, Mr. Whitmarsh; ich rede Ihnen ja auch nicht drein.»
        Der Arzt starrte ihn an.»Sie geben also zu: wenn Sie ihn nach Pendang Bay hatten schaffen lassen, ware er gehangt worden?»
        Argerlich warf Herrick ein:»Herrgott noch mal, Mann, schlie?lich ist der Kerl ein verdammter Pirat!»
        Whitmarsh fixierte ihn bose. »Ihrer Meinung nach!»
        Rasch erhob sich Bolitho und trat zum Fenster.»Nun bleiben Sie aber sachlich, Mr. Whitmarsh! Als gewohnlicher Pirat wurde er verurteilt und gehangt, wie Sie recht gut wissen. Aber falls er tatsachlich Muljadis Sohn ist, dann konnen wir ihn als Druckmittel benutzen. Hier steht mehr auf dem Spiel, sind mehr Menschenleben in Gefahr, als ich geglaubt habe. Da kann ich auf Ihre Privatgefuhle keine Rucksicht nehmen.»
        Whitmarsh hielt sich an der Tischkante fest und beugte sich vor.»Wenn Sie durchgemacht hatten, was ich… »
        Bolitho wandte sich scharf zu ihm um.»Ich wei? Bescheid uber die Sache mit Ihrem Bruder, und er tut mir aufrichtig leid. Aber wie viele Hochverrater und Morder haben Sie schon hangen oder in Ketten verfaulen sehen, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu wenden?«Er merkte, da? jemand oben an dem offenen Skylight stehen blieb, und senkte die Stimme.»Menschlichkeit bewundere ich. Aber Sentimentalitat lehne ich ab. «Er beobachtete, wie die Wut in den Zugen des Arztes tiefem Schmerz wich.»Also geben Sie sich Muhe mit dem
        Gefangenen«, fuhr er fort.»Wenn es ihm bestimmt ist, gehangt zu werden, kann ich es nicht verhindern. Aber wenn ich sein Leben zu unserem Vorteil nutzen kann und es ihm damit rette, dann um so besser.»
        Unsicher wankte Whitmarsh zur Tur und sagte dumpf:»Und diesen Potter vom Schoner lassen Sie schon wieder Dienst machen!»
        Jetzt lachelte Bolitho.»Sie sind aber wirklich hartnackig, Mr. Whitmarsh! Potter hilft dem Segelmacher. Er wird sich schon nicht totarbeiten, und ich glaube, wenn er was zu tun hat, wird er sich schneller erholen als beim Bruten uber seine Leiden.»
        Etwas Unverstandliches murmelnd, stelzte Whitmarsh steif aus der Tur.

«So eine Frechheit!«rief Herrick.»Den hatte ich an Ihrer Stelle mit einem Belegnagel Mores gelehrt!»

«Das bezweifele ich. «Bolitho schwenkte seinen Kaffeebecher, aber der war leer. Doch er wird mich nie verstehen und noch weniger mir vertrauen.»
        Dann lie? er sich von Noddall seine Galauniform und seinen besten Dreispitz bringen und kam sich ziemlich lacherlich vor, als der Steward ihn abburstete und ihm Manschetten und Aufschlage zurechtzupfte.

«Ein boses Risiko gehen Sie da ein, Sir«, sagte Herrick unvermittelt.

«Aber eines, das sich nicht vermeiden la?t, Thomas. «Eben zog Noddall ein langes Haar von einem seiner Rockknopfe. Ihr Haar. Ob Herrick das gesehen hatte?» Wir mussen dem franzosischen Kapitan trauen. Alles weitere ist blo?e Spekulation.»
        Noddall hatte den alten Degen vom Gestell genommen, aber er hangte ihn sich nur uber den Arm - wu?te er doch, da? er sein Leben riskierte, wenn er sich Alldays geheiligtes Ritual anma?te.
        Bolitho seinerseits dachte an Whitmarshs Zorn, der zum Teil nicht unbegrundet war. Hatte er den Gefangenen ins Fort zuruckgeschickt, ware er von Puigserver bestimmt in Eisen gelegt worden, bis er ihn der nachsten spanischen Behorde ubergeben konnte. Dort ware er dann - falls er Gluck hatte - ohne weitere Umstande gehangt worden. Wenn er kein Gluck hatte… Nun, daruber dachte man am besten nicht nach. Der Sohn hatte fur den Vater bu?en mussen.
        Wie es jetzt stand, mu?ten die Uberlebenden der Schonerbesatzung, ein wuster Haufen, in Kurze ein rasches, unruhmliches Ende finden. Wieviele Menschen hatten sie auf dem Gewissen? Wieviele Schiffe hatten sie ausgeraubt, wieviele Besatzungen uber die Klinge springen lassen oder zu menschlichen Wracks gemacht wie Potter, den Segelmacher aus Bristol? Da kamen sie vergleichsweise gut weg, wenn sie aufgeknupft wurden.
        Bolitho ging hinaus, noch immer tief in Gedanken uber Recht und Unrecht bei Schnelljustiz.
        An Deck war es frisch; die Tageshitze hatte noch nicht eingesetzt, und er machte, solange noch Zeit dazu war, einen kleinen Spaziergang an Luv. In dem schweren Galarock wurde ihm bald der Schwei? ausbrechen, wenn er sich nicht im Schatten der vollen Segel hielt.
        Fowlar tippte gru?end an die Stirn und fragte unsicher:»Darf ich Ihnen danken, Sir?»

«Sie haben es zweifellos verdient, Mr. Fowlar«, lachelte Bolitho. Er hatte den Steuermannsmaat zum Vizeleutnant befordert, um die Lucke zu fullen, die Davy an Bord hinterlassen hatte. Ware der junge Keen mit ihnen gesegelt, hatte er das Gluck gehabt. Nun wurde Fowlars fruheren Rang ein anderer bekommen. Fur den wurde wieder einer nachrucken, und so ging es immer weiter - wie auf allen Schiffen.
        Herrick nahm Fowlar beiseite und wartete, bis Bolitho seinen Spaziergang wieder aufgenommen hatte.»Lassen Sie sich warnen: Sprechen Sie den Captain niemals an, wenn er seinen Spaziergang macht. «Er mu?te uber Fowlars Verwirrung lacheln.»Au?er naturlich, wenn etwas wirklich Wichtiges vorliegt; aber Ihre Beforderung gehort nicht dazu. «Er klopfte ihm auf die Schulter.»Trotzdem - meine Gratulation!»
        Bolitho hatte die beiden schon vergessen. Er hatte den dunklen Streifen Land gesehen, der gerade uber der glitzernden Kimm auftauchte, und dachte daruber nach, was er dort wohl vorfinden wurde. Aus der Entfernung sah es wie eine einzige weite Landmasse aus, aber er wu?te, es war in Wirklichkeit eine Ansammlung kleiner Inseln, manche noch kleiner als die, vor der sie den Schoner aufgebracht hatten. Die Hollander hatten sie ursprunglich wegen ihrer gunstigen Struktur und Lage okkupiert. Schiffe, die im Innern dieses Archipels ankerten, konnten bei jedem Wind nach jeder Richtung in See gehen und sich unter mehreren Passagen die kurzeste und beste aussuchen. Die Festung war zum Schutz vor Marodeuren gebaut worden, auch vor solchen wie dem, welcher jetzt selbst darin sa? und jedem Staat, jeder Flagge Trotz bot. Die Hollander zahlten die Benuas immer noch zu ihrem Besitz, aber wohl nur der Form halber; zweifellos waren sie froh, diesen Archipel mit seiner unheilvollen Geschichte los zu sein.
        Unter der Back unterhielt sich der Segelmacher mit Potter. Ob der sich wohl jemals wieder richtig erholen wurde? Es mochte ihm nicht leicht fallen, schon wieder so dicht bei Muljadis Festung zu sein. Aber au?er dem Gefangenen war er der einzige, der gesehen hatte, was hinter den schutzenden Riffen und Sandbanken lag.
        Trotz seines schweren Rockes uberlief Bolitho ein Schauer.
        Wenn er nun seinen Gegner falsch eingeschatzt hatte? Dann konnte aus ihm ein zweiter Potter we rden, ein elendes, gebrochenes Wrack, so gut wie tot fur seine Schwestern und alle seine Bekannten in England. Und Viola Raymond? Wie lange wurde sie brauchen, um ihn zu vergessen?
        Er schuttelte diese Stimmung ab und sagte:»Mr. Soames! Sie konnen auf Gefechtsstationen trommeln lassen. «Er sah, wie eine Welle der Erregung die Manner an Deck durchlief.»Uben Sie zuerst mit der Backbordbatterie!»
        Allday kam das schiefliegende Deck herauf und drehte den Degen in den Handen, bevor er ihn Bolitho umschnallte.

«Sie nehmen mich doch mit, Captain?«Er fragte ganz ruhig, aber Bolitho sah an seinen Augen, wie gespannt er war.«»Diesmal nicht, Allday.»
        Befehle schrillten durch das Mannschaftsdeck, atemlos rannten die Trommeljungen der Marineinfanterie zur Achterdeckreling, zogen die Schlegel aus dem wei?en Koppel und begannen ihren drangenden Wirbel.
        Allday beharrte:»Aber Sie werden mich brauchen!»

«Ja. «Bolitho blickte ihn ernst an.»Das werde ich immer… «Aber im Wirbeln der Trommeln und im Getrampel der Manner, die wieder einmal auf Gefechtsstation eilten, gingen die letzten Worte unter.



        XV Auge in Auge

        Bolitho stutzte sein Teleskop auf die Finknetze und studierte die einander uberschneidenden, kleinen Inseln. Den ganzen Morgen und auch wahrend der Vormittagswache war die Undine stetig nahergekreuzt. Er hatte sich jede auffallige Einzelheit notiert und die Notizen mit dem verglichen, was er bereits wu?te. Die Hauptpassage durch die Inseln offnete sich nach Suden zu, und fast in der Mitte der Zufahrt lag ein machtiger Felsbuckel, auf dem sich die Festung erhob. Selbst jetzt, weniger als zwei Meilen von den ersten Inseln entfernt, war es unmoglich zu sehen, wo die Festung begann und wo der zerkluftete Felsgrat endete.

«Wir andern noch einmal Kurs, Mr. Herrick. «Bolitho senkte das Glas und wischte sich mit dem Handrucken das Auge.»Steuern Sie Ostnordost.»
        Die Manner an den Backbord-Zwolfpfundern visierten durch die offenen Stuckpforten, in denen die Kanonen bereits in der Sonne glanzten, als ob sie eben abgefeuert waren.

«An die Brassen!«kommandierte Herrick.»Zwei Strich nach Backbord abfallen, Mr. Mudge!»
        Bolitho hielt Ausschau nach Potters schmachtiger Gestalt. Der stand unter der Back bei den Matrosen, die bei dem Manover nichts zu tun hatten; als er hochblickte, winkte Bolitho ihn zu sich.
        Dann schlupfte er aus seinem schweren Uniformrock, nahm den Hut ab, reichte beides Allday und sagte dabei so gelassen, wie es ihm moglich war:»Ich entere selbst auf.

        Allday schwieg dazu; er kannte Bolitho gut genug, um zu wissen, was ihn das kostete.
        Potter kam eilig aufs Achterdeck und gru?te.»Sir?»

«Traust du es dir zu, mit mir in den Gro?mast aufzuentern?»
        Potter blickte ihn verstandnislos an.»Ja, Sir, wenn Sie meinen… »

«Ostnordost liegt an, Sir«, meldete Herrick. Sein Blick wanderte von Bolitho zur Gro?rahe, die fast mitschiffs uber dem Deck stand und unter dem Winddruck auf das machtige Segel vibrierte.
        Bolitho schnallte seinen Degen ab und reichte ihn Allday.»Vielleicht brauche ich heute deine Augen, Potter.»
        Im Bewu?tsein, da? jedermann an Deck ihm zusah, schwang er sich in die Luvwanten und begann mit so festen Griffen aufzuentern, da? der Schmerz in seinen Handen starker war als sein Schwindelgefuhl. Immer weiter hinauf, immer mit dem Blick auf die Puttingswanten, die den machtigen Gro?mast stutzten, von dem aus zwei Seesoldaten neugierig, aber mit unbewegten Gesichtern seinen Aufstieg beobachteten.
        Er bi? die Zahne zusammen und zwang sich, nicht nach unten zu sehen. Seine Hohenangst betrachtete er als eine besondere Gemeinheit des Schicksals. Mit zwolf Jahren war er zur See gegangen und hatte Jahr um Jahr etwas dazugelernt; aus seiner kindlichen Begeisterung fur die Marine war echtes Verstandnis geworden, das man schon Liebe nennen konnte. Er war mit der Seekrankheit fertiggeworden, hatte gelernt, Einsamkeit und Kummer vor seinen Kameraden zu verbergen - zum Beispiel damals, als seine Mutter starb, wahrend er auf hoher See war. Auch sein Vater war begraben worden, als er im Karibischen Meer gegen Franzosen und Amerikaner kampfte. In mancher Seeschlacht hatte er furchtbare Verwundungen und qualvolles Sterben gesehen; sein eigener Korper trug Narben genug zum Beweis dafur, da? Uberleben und Tod nur um Haaresbreite auseinanderlagen. Warum in aller Welt war er mit dieser Hohenangst geschlagen? Die Webeleinen schnitten in seine Fu?sohlen, als er sich um die Puttingswanten schwang und nur an Fingern und Zehen hing.
        Bewundernd sagte der eine Marineinfanterist:»Bei Gott, Sir, Sie haben aber schnell aufgeentert!»
        Mit schmerzhaft keuchender Brust stand Bolitho neben ihm. Mi?trauisch musterte er den Seesoldaten, ob sich wohl heimlicher Spott hinter seinem Lob verbarg; es war der Scharfschutze, der vor zwei Tagen den vor Anker liegenden Schoner entdeckt hatte.
        So nickte er dem Mann zu und erlaubte sich nun doch einen Blick auf das Deck unter ihm. Zwergenhaft verkleinert bewegten sich Gestalten auf dem Achterdeck, und vorn sah er den Lotgasten im Wasserstag hangen und das schwere Blei geschickt weit uber den Bug hinausschleudern.
        Seine Spannung wich; er wartete, bis auch Potter oben war und neben ihm stand. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, sich noch weiter hinaufzuwagen, uber die nachsten vibrierenden Wanten bis zum Eselshaupt. Aber er lie? es sein. Abgesehen davon, da? er sich selbst und denen, die ihm zusahen, seine Kletterkunst bewies, hatte es wenig Sinn gehabt. Wenn Herrick ihn plotzlich an Deck brauchte, wurde er ziemlich dumm aussehen, wenn er ubereilt abenterte. Au?erdem war Potter jetzt schon ganz erschopft.
        Er nahm das Fernrohr zur Hand, das an seiner Schulter hing, und richtete es auf die Passage zwischen den Inseln. In der Zeit, die er gebraucht hatte, um aufzuentern und oben wieder zu Atem zu kommen, war die Undine mehr als eine Kabellange naher herangekreuzt, und er konnte jetzt hinter dem steil abfallenden Felsbuckel in der Mitte, der die grimmige Festung trug, die nachste Insel sehen, die vorher verdeckt gewesen war.

«Auf der Ostseite bin ich nie gewesen, Sir«, sagte Potter.»Aber ich habe gehort, da? es dort eine gute Durchfahrt gibt. «Er schauerte.»In den Sandbanken dort haben sie bei Ebbe die Leichen vergraben. Was noch von ihnen ubrig war.»
        Bolitho wurde auf einmal starr vor Konzentration und verga? fur den Augenblick das tief unter ihm liegende Deck. Denn er sah den dunkleren Schattenri? der Masten und Rahen eines Gro?seglers, fast verborgen in der Biegung des inneren Fahrwassers: eine Fregatte!
        Potter bemerkte, was Bolitho entdeckt hatte, und fuhr trube fort:»Der beste Ankerplatz, Sir. Die Geschutze der Festung konnen zwei Passagen gleichzeitig bestreichen und jedes Fahrzeug schutzen, das dort liegt.»
        Etwas Helles flatterte vor dem vordersten Eiland und breitete sich dann aus: auf einem kleinen Boot wurden Segel gesetzt. Bolitho warf einen raschen Blick auf den Vormast, wo Herrick eine gro?e wei?e Flagge gehi?t hatte. So oder so - bald wurden sie Bescheid wissen.
        Da krachte es hohl, und dann, nach einer halben Ewigkeit, scho? eine hohe Wasserfontane etwa eine Kabellange an Steuerbord voraus gen Himmel. Eilends schwenkte Bolitho das Glas zur Festung hinuber, aber der Pulverrauch war bereits verflogen, so da? er unmoglich den Schu?winkel schatzen konnte.
        Er schwenkte das Glas wieder zuruck: das Boot bog jetzt schon schneller um eine Anhaufung von Felsbrocken, das Segel dichtgeholt und an die Ruckenflosse eines riesigen Haifisches erinnernd. Er atmete erleichtert auf, denn im Masttopp wehte auch dort eine wei?e Flagge. Der einzelne Schu? der Festungsbatterie war ein Warnschu? gewesen.
        Bolitho warf sich das Teleskop wieder uber die Schulter.»Du bleibst noch hier, Potter. Halte die Augen offen und versuche, dich an jede Einzelheit zu erinnern. Vielleicht rettet das dem einen oder anderen das Leben. «Er nickte den beiden Marineinfanteristen zu:»Hoffentlich werdet ihr nicht gebraucht. «Dann schwang er ein Bein uber das niedrige Sull und bemuhte sich, dabei nicht nach unten zu sehen. Die Argus will das Furchten uns allein uberlassen.»
        Die beiden Manner stie?en sich grinsend an, als hatte er ihnen soeben eine ungeheuer wichtige Information anvertraut. Bolitho schluckte krampfhaft und trat den Abstieg an. Als er den Punkt erreicht hatte, an dem er die Finknetze der gegenuberliegenden Seite auf gleicher Hohe sehen konnte, wagte er es, auf die Gruppe hinunterzublicken, die ihn am Schanzkleid erwartete. Herrick lachelte, doch es war schwer zu sagen, ob vor Erleichterung oder weil er sich im stillen amusierte. Bolitho war mit einem Sprung an Deck und musterte bedauernd sein frisches Hemd. Es war klatschna? von Schwei? und trug auf der einen Schulter einen schwarzen Teerstrich.

«Egal«, sagte er,»unterm Rock sieht man das nicht. «Dienstlicher fugte er hinzu: Ein Boot halt auf uns zu, Mr. Herrick. Drehen Sie bei und lassen Sie den Anker klarieren.»
        Er warf nochmals einen Blick in die Takelage hinauf. Es war diesmal nicht so schlimm gewesen wie befurchtet. Aber er war schlie?lich unter idealen Bedingungen aufgeentert, nicht in einem brullenden Sturm oder in pechschwarzer Nacht.
        Als Herrick seine Befehle gegeben hatte, wandte sich Bolitho an Mudge:»Was halten Sie von diesem Schu??»
        Der Steuermann wiegte zweifelnd den Kopf.

«Ein altes Geschutz, Sir. Von da, wo ich stand, horte es sich an wie ein Rohr aus Bronze.»
        Bolitho nickte.»Ganz Ihrer Meinung. Es kann durchaus sein, da? sie noch die Originalbestuckung benutzen, die von den Hollandern. «Er rieb sich das Kinn und sprach seine Gedanken laut aus.»Dann werden sie sich aber huten, mit gluhenden Kugeln zu schie?en. «Er grinste Mudge in das traurige Gesicht.»Nicht da? uns das viel nutzt. Auch wenn sie mit Steinkugeln schie?en wurden, konnten sie kein Schiff verfehlen, das versucht, die Durchfahrt zu erzwingen.»
        Da meldete Fowlar:»Das Boot hat einen Offizier an Bord, Sir. Einen Froschfresser - die kenne ich.»
        Bolitho nahm ein Teleskop und beobachtete das naherkommende Boot. Es war ein Eingeborenenfahrzeug mit dem vertrauten hohen Bug und Lateinersegel und segelte schnell und leicht auf konvergierendem Kurs. Er sah den
        Offizier am Mast lehnen, den Dreispitz tief in die Stirn gezogen, um seine Augen vor der Sonne zu schutzen. Fowlar hatte recht: unverkennbar ein Franzose.
        Er trat ein paar Schritte von der Reling zuruck, als sich die Undine mit aufgegeitem Gro?segel und wild schlagenden Marssegeln in den Wind drehte, um ihren Besucher zu erwarten. Die Hande auf der Reling, wartete er ab, bis das Boot den Bug umrundet hatte, wo schon Mr. Shellabeer mit ein paar Matrosen wartete, um es festzumachen und Fender auszubringen.

«Jetzt, Mr. Herrick, werden wir es erfahren«, sagte Bolitho.
        Er schritt den schwankenden Decksgang hinab bis zur Fallreepspforte und wartete, da? der Franzose an Bord kam. Die schlanke Gestalt des Offiziers hob sich klar vom kabbligen Wasser ab; aufmerksam musterte er das Geschutzdeck der Undine, die Matrosen und Seesoldaten, die ihn von allen Seiten neugierig anstarrten. Als er Bolitho sah, zog er mit elegantem Schwung den Hut und verbeugte sich.»Lieutenant Maurin, m'sieur. Zu Ihren Diensten.»
        Er trug keine Rangabzeichen, und sein blauer Uniformrock war mehrfach geflickt und gestopft. Die Sonne hatte ihn gegerbt wie altes Leder, und seine Augen waren die eines Mannes, der fast sein ganzes Leben auf See verbracht hat. Zahigkeit, Selbstsicherheit, Tuchtigkeit - all das stand deutlich auf seinem Gesicht.
        Bolitho nickte.»Und ich bin Captain Bolitho von Seiner Majestat Schiff Undine.»
        Der Lieutenant lachelte schief.»Mein capitaine hat Sie bereits erwartet.»
        Bolitho warf einen Blick auf die Kokarde an Maurins Hut. Statt der franzosischen Farben zeigte sie die kleine rote Raubkatze.»Und welche Nationalitat haben Sie, lieutenant!»
        Der Mann hob die Schultern.»Ich stehe naturlich im Dienst des Fursten Muljadi.»
        Jetzt lachelte Bolitho.»Naturlich«, wiederholte er und fugte scharfer hinzu:»Ich wunsche unverzuglich Ihren Kapitan zu sprechen, um gewisse Dinge zu erortern.»

«Aber selbstverstandlich, m'sieur.»
        Wieder glitten seine Blicke uber die Manner an Deck, von einem zum anderen. Berechnend. »Capitaine Le Chaumareys ist damit einverstanden«, fuhr er fort,»da? ich als Pfand fur Ihre, ah, Sicherheit hier an Bord bleibe.»
        Bolitho verbarg seine Erleichterung. Ware Le Chaumareys im Gefecht getotet oder verwundet und durch einen anderen ersetzt worden, dann hatte er seine Taktik andern mussen. So aber antwortete er gelassen:»Das wird nicht notig sein. Ich vertraue dem Ehrgefuhl Ihres Kommandanten.»

«Aber Sir«, rief Herrick dazwischen,»das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Behalten Sie ihn hier! Ihr Leben ist zu wertvoll, um es auf das Wort eines Franzosen hin zu riskieren!»
        Lachelnd legte Bolitho ihm die Hand auf den Arm.»Wenn Le Chaumareys der abgebruhte Schurke ware, fur den Sie ihn halten, dann wurde es ihm auch nichts ausmachen, einen Leutnant zu verlieren, um einen britischen Kapitan in die Hand zu bekommen. In meiner Kajute sind ein paar Notizen. Mit denen konnen Sie sich die Zeit vertreiben, bis ich wieder da bin. «Er wandte sich zum Achterdeck, beruhrte gru?end seinen Hut und sagte dann zu Maurin:»Ich bin bereit.»
        Noch einen Augenblick blieb er an der Fallreepspforte stehen und blickte in das unten wartende Boot. Etwa ein halbes Dutzend halbnackter Manner sa? darin, alle bis an die Zahne bewaffnet und von der Sorte, die toten, ohne lange zu fragen.
        Leise sagte Maurin:»In meiner Gegenwart sind Sie sicher, m'sieur.«Er lie? sich geschickt auf den Schandeckel des Bootes hinab.»Im Moment jedenfalls.»
        Bolitho nahm die letzten paar Fu? im Sprung und hielt sich an einem primitiven Backstag fest, angeekelt von dem Gestank nach Schwei? und Dreck.»Merkwurdige Verbundete haben Sie, lieutenant.»
        Maurin gab das Zeichen zum Ablegen. Lassig hielt er eine Hand am Griff seiner Pistole.»Wer sich mit Hunden schlafen legt, steht mit Flohen auf, m'sieur. Das ist so ublich.»
        Bolitho warf einen raschen Blick auf sein Profil. Vielleicht ein zweiter Herrick?
        Doch als sich das Segel krachend fullte und das schlanke Boot Fahrt zu machen begann, dachte er an sein Vorhaben und verga? nicht nur Maurin, sondern auch die besorgten Gesichter auf dem Achterdeck der Undine.
        Das Boot glitt gefahrlich dicht an einer Reihe schwarzer Felszacken vorbei, und Bolitho griff wieder nach dem Backstag. Dann nahm es Kurs auf die Hauptdurchfahrt. Er bemerkte, da? die Stromung stark war und der einkommenden Tide entgegenlief. Das Boot stampfte auf dem letzten Teil der Fahrt.
        Achteraus war die Undine nicht mehr zu sehen, ein dunkler Landstreifen verbarg sie bereits.
        Unvermittelt fragte Maurin:»Warum gehen Sie ein solches Risiko ein, m'sieur?»
        Bolitho blickte ihn gelassen an.»Warum tun Sie's?»
        Maurin hob die Schultern.»Befehl ist Befehl. Aber bald fahre ich wieder nach Hause. Nach Toulon. Ich habe meine Familie nicht gesehen seit…«Er lachelte trube. Zu lange nicht.»
        Bolitho blickte uber die Schulter des Leutnants und studierte die grimme Festung, die jetzt an Backbord vorbeiglitt. Es war immer noch schwierig, die Ausma?e des Bauwerks festzustellen: eine hohe Mauer auf dem welligen Felsengrat; die Fenster nur kleine schwarze Schlitze. Oben auf der verwitterten Brustwehr konnte er die Mundungen einiger gro?er Geschutze hinter ihren Schie?scharten eben noch erkennen.
        Maurin sagte:»Ein schauerlicher Ort, nicht wahr? Aber die sind eben anders als wir. Sie leben wie Krabben zwischen Felsen. «Es klang verachtlich.
        Mehrere kleine Boote dumpelten vor Anker, und ein Schoner ahnlich dem, den sie aufgebracht hatten, hatte an einer steinernen Pier festgemacht. Maurin lie? ihn alles in Ruhe betrachten, auch die vielen Gestalten, die den Pier und den ansteigenden Weg zum Festungstor bevolkerten. Bolitho uberlegte, da? man ihn bestimmt mit voller Absicht durch die Hauptzufahrt hereingebracht hatte. Und es war wirklich eindrucksvoll. Der Gedanke, da? sich ein Seerauber, noch dazu ein in Indien Fremder, so eine Macht schaffen konnte, mu?te jeden beeindrucken, selbst einen aufgeblasenen Narren wie Major Jardine.
        Als die Bootsmannschaft begann, die Segel einzuholen, wandte er sich um und sah dicht vor dem Bug die Fregatte liegen. Aus der Nahe und auf so engem Raum wirkte sie noch viel gro?er. Viel gro?er als die Undine. Selbst fur die Phalarope, die er zuletzt kommandiert hatte, ware es ein kuhnes Unterfangen gewesen, sich mit den todlichen Breitseiten dieses Achtzehnpfunders einzulassen.

«Ein feines Schiff«, bemerkte er.
        Maurin nickte.»Das beste. Wir sind so lange zusammen, da? wir sogar dasselbe denken.»
        Bolitho sah die Geschaftigkeit an Bord, das Blinken der aufgepflanzten Bajonette der Wache an der Fallreepspforte. Sorgfaltige Regie, dachte er. An den Decksgangen sah er zusammengerollte Enternetze, die in kurzester Zeit aufgeriggt werden konnten. Hatten sie Angst vor einem Uberfall? Wahrscheinlicher war, da? Le Chaumareys seinem neuen Bundesgenossen nicht recht traute. Das war das einzig Positive, was Bolitho bisher gesehen hatte.
        Ein kleines Fischerdory trieb voruber; ein paar Eingeborene standen darin, die ihm mit den Fausten drohten und wie wilde Tiere die Zahne bleckten. Maurin sagte: Wahrscheinlich halten sie Sie fur einen Gefangenen, hein?«Es schien ihn irgendwie zu deprimieren.
        Bolitho hatte an anderes zu denken, denn nun umfuhr das Boot den Bug der Fregatte. Oben erwartete ihn capitaine Paul Le Chaumareys, uber den viele Geschichten in Umlauf waren: uber gewonnene Seeschlachten, Jagden auf Geleitzuge, zerstorte Stutzpunkte. Sein Kriegsruhm war, wie Conway es zutreffend beschrieben hatte, betrachtlich. Aber als Individuum war er ein Geheimnis, hauptsachlich deswegen, weil er einen erheblichen Teil seines Lebens au?erhalb Frankreichs zugebracht hatte.
        Bolitho lie? seine Blicke uber die ganze Lange des Schiffes schweifen: Argus, der hundertaugige Bote der Gottermutter Hera. Sehr passend fur einen so schwer fa?baren Mann wie Le Chaumareys, dachte er. Die Argus war ein stark gebautes Schiff und wies die Narben und Male eines harten Dienstes auf - ein Schiff, das zu befehligen er stolz gewesen ware. Ihr fehlte zwar die Eleganz der Undine, doch war sie zaher und kraftvoller.
        Das Boot hatte unter dem Bugspriet festgemacht, und Bolitho kletterte zum Schanzkleid empor, wo die Mannschaft sich um den Mast gruppiert hatte. Keiner machte Miene, ihm zu helfen. Schlie?lich sprang doch ein junger Matrose herzu und hielt ihm die Hand hin. »M'sieur«, grinste er breit, »a votre Service!«Bolitho ergriff die Hand und schwang sich an Deck. Dieser Franzose hatte auch ein Mann von der Undine sein konnen.
        Er luftete gru?end den Hut zu dem breiten Achterdeck hinuber und wartete ab, bis die Pfeifen schrillten und eine Abteilung Soldaten die Musketen prasentierte. Nicht so zackig wie Bellairs' Marineinfanteristen, aber mit routiniertem Schmi?, der von langer Ubung zeugte. So wie diese Abteilung war auch das ganze Oberdeck; nicht direkt schmutzig, aber auch nicht glattgeleckt, und nicht eben in musterhafter Ordnung. Etwas abgewetzt, aber jederzeit fur alles bereit.

«Ah, capitaine!«Le Chaumareys trat zur Begru?ung vor und blickte ihm fest in die Augen. Er sah ganz anders aus, als Bolitho ihn sich vorgestellt hatte: alter. Viel alter sogar. Vielleicht Mitte Vierzig. Einer der gro?ten Manner, mit denen er jemals zu tun gehabt hatte. Uber sechs Fu? hoch, und in den Schultern so breit, da? sein unbedeckter Kopf beinahe klein wirkte, besonders da er sein Haar so kurz trug wie ein Strafling.

«Ich hei?e Sie auf meinem Schiff willkommen!«Er machte eine Handbewegung uber das Deck hin.»In meiner Welt, die es schon seit langem ist. «Eine Sekunde lang erhellte ein Lacheln sein Gesicht.»Kommen Sie also hinunter in meine Kajute. «Er nickte Maurin zu:»Ich rufe Sie, wenn es soweit ist.»
        Bolitho schritt hinter ihm her zum Kajutniedergang; er merkte, da? die Manner jeder seiner Bewegungen aufmerksam folgten, als wollten sie etwas entdecken.

«Ich hoffe«, sagte Le Chaumareys beilaufig,»Maurin hat Sie mit der gebotenen Aufmerksamkeit behandelt?»

«Gewi?, danke. Er spricht ausgezeichnet englisch.»

«Stimmt. Auch deswegen habe ich ihn fur mein Schiff ausgesucht. Er ist mit einer Englanderin verheiratet. «Er lachte kurz auf.»Sie sind naturlich nicht verheiratet. Wie ware es mit einer franzosischen Braut fur Sie?»
        Er stie? die Tur auf und wartete gespannt, was Bolitho wohl sagen wurde. Die Kajute war geraumig und gut mobliert und wie das ganze Schiff ein bi?chen unordentlich. Eben bewohnt.
        Aber Bolithos Aufmerksamkeit wurde sofort von einer uppig gedeckten Tafel in Anspruch genommen.

«Das meiste davon sind einheimische Produkte«, bemerkte Le Chaumareys und tippte mit der Fingerspitze auf eine gro?e Fleischkeule.»Das hier zum Beispiel ist fast dasselbe wie geraucherter Schinken. Man mu? sich sattessen, solange man noch kann, eh?«Wieder lachte er kurz auf, und jetzt sah Bolitho auch, da? dieses Lachen aus einem ziemlich gro?en Bauch kam.
        Er begann:»Ich bin hier, um Ihnen… »
        Der Franzose drohte ihm tadelnd mit einem Finger.»Sie sind an Bord eines franzosischen Schiffes, m'sieur. Erst trinken wir.»
        Auf einen kurzen Kommandoruf eilte ein Diener aus der Nebenkajute mit einem hohen Kristallkrug Wein herbei. Der Wein war ausgezeichnet und kuhl wie Quellwasser. Bolitho blickte vom Krug zum Tisch. Echt? Oder noch ein Trick, um zu demonstrieren, wie uberlegen sie waren, selbst was Verpflegung und Getranke betraf?
        Man brachte einen Stuhl fur ihn, und als sie Platz genommen hatten, schien Le Chaumareys etwas aufzutauen.»Ich habe von Ihnen gehort, Bolitho«, sagte er.»Fur einen so jungen Offizier haben Sie schon allerhand geleistet. «Ohne jede Verlegenheit fugte er hinzu:»Es war immerhin schwierig fur Sie, diese ungluckselige Affare mit Ihrem Bruder… »
        Bolitho beobachtete ihn gelassen. Le Chaumareys war ein Mann, den er verstand wie einen Duellgegner: scheinbar lassig, entspannt - aber im nachsten Moment unvermutet zusto?end.»Vielen Dank fur Ihr Mitgefuhl«, erwiderte er.
        Le Chaumareys' kleiner Kopf nickte heftig.»Sie hatten wahrend des Krieges in diesen Gewassern sein sollen. Unabhangig und fur keinen Admiral erreichbar - das ware etwas fur Sie gewesen.»
        Bolitho merkte, da? ihm der Diener wieder einschenkte.»Ich bin gekommen, um mit Muljadi zu reden.»
        Er fa?te sein Glas fester. Das hatte er so einfach ausgesprochen, als hatten ihm diese Worte seit Monaten im Sinn gelegen und waren ihm nicht eben erst eingefallen.
        Verdutzt starrte Le Chaumareys ihn an.»Sind Sie verruckt? Wissen Sie, was er mit Ihnen machen wurde? In einer Minute wurden Sie um den Tod betteln, und ich konnte Ihnen nicht helfen. Nein, m'sieur, es ist blanker Irrsinn, daran auch nur zu denken.»
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Dann gehe ich wieder an Bord meines Schiffes.»

«Aber was ist mit Admiral Conway und seinen Depeschen? Hat er Ihnen nichts fur mich mitgegeben?»

«Das ist jetzt uberholt. «Bolitho achtete genau auf Le Chaumareys' Miene.»Au?erdem sind Sie nicht als franzosischer Kapitan hier, sondern als Muljadis Untergebener.»
        Le Chaumareys nahm einen tiefen Zug aus seinem Glas und kniff die Augen vor dem einfallenden Sonnenlicht zusammen.

«Horen Sie mich an«, sagte er bestimmt.»Zugeln Sie Ihre Ungeduld. Ich mu?te es auch, als ich so alt war wie Sie. «Er blickte sich in der Kajute um.»Ich habe meine Befehle, denen ich gehorchen mu?, so wie Sie den Ihren. Aber ich habe Frankreich gut gedient, und hier in Indien ist meine Zeit fast um. Vielleicht waren meine Dienste zu wertvoll, als da? man mich fruher nach Hause gelassen hatte; aber das sei, wie es wolle. Ich kenne diese Gewasser wie meine Hosentasche. Den ganzen Krieg hindurch habe ich von diesen Inseln leben mussen - Verpflegung, Wasser, Unterschlupf bei Reparaturen und Informationen uber Ihre Patrouillen und Geleitzuge. Als mir befohlen wurde, in eben diesen Gewassern weiterzumachen, hat mir das nicht gepa?t, aber wahrscheinlich fuhlte ich mich trotzdem geschmeichelt. Man brauchte mich also noch - im Gegensatz zu manchen Leuten, die auch tapfer kampften und jetzt nichts zu essen haben. «Er blickte Bolitho scharf an.»Wie das auch in Ihrem Lande zweifellos der Fall ist.»

«Ja«, gab Bolitho zu,»es ist ziemlich dasselbe.»
        Le Chaumareys lachelte.»Aber dann, mein ungestumer Freund, durfen wir beide nicht gegeneinander kampfen! Wir sind einander zu ahnlich. In der einen Minute braucht man uns, in der nachsten wirft man uns weg.»
        Kalt erwiderte Bolitho:»Ihre Aktionen haben viele Menschenleben gekostet. Waren wir nicht gekommen, so ware die ganze Besatzung von Pendang Bay umgebracht worden; das wissen Sie ganz genau. Eine spanische Fregatte wurde vernichtet, um uns aufzuhalten, nur damit dieser sogenannte Furst Muljadi seiner Seerauberei einen Anstrich von Legalitat geben und als offizieller Verbundeter Frankreichs standig den Frieden bedrohen kann.»
        Le Chaumareys zog die Brauen hoch.»Gut gesprochen. Aber an der Vernichtung der Nervion hatte ich keinen Anteil. «Er hob seine machtige Faust.»Gehort habe ich naturlich davon. Ich hore vieles, was mir nicht gefallt. Deswegen habe ich den spanischen Kommandanten hergeholt, um mit ihm uber die Sicherheit seiner Garnison zu verhandeln. Er war immer noch der Reprasentant seines Konigs und hatte Vereinbarungen treffen konnen, die Muljadi gewisse Rechte in Pendang Bay gegeben hatten - wenn Sie nicht dazwischengekommen waren. «Jetzt wurde er sehr ernst.»Ich wu?te nicht, da? im selben Moment, als ich mit ihm die Bay verlassen hatte, ein Angriff auf den Stutzpunkt begann. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort als franzosischer Offizier.»

«Und ich nehme es an. «Bolitho versuchte, ruhig zu bleiben, aber das Blut prickelte ihm in den Adern wie Eiswasser. Genau wie er es sich gedacht hatte: ein fertiger, ausgeklugelter Plan, der vielleicht schon in Europa begonnen hatte, in Paris und London, in Madrid sogar, und der beinahe geklappt hatte. Wenn er sich nicht entschieden hatte, die wenigen Uberlebenden der Nervion und seine Undine nach Pendang Bay zu segeln, und wenn Puigserver nicht ebenfalls dorthin gelangt ware, so ware die Sache erledigt gewesen, und Le Chaumareys ware bereits nach getaner Arbeit - und gut getaner Arbeit - auf dem Weg in seine Heimat.

«Ich bin gekommen, um den Kommandanten zu seinen Landsleuten zuruckzubringen«, sagte er, und seine Stimme klang ihm selbst fremd.»Don Luis Puigserver, der Reprasentant des Konigs von Spanien, erwartet seine Ruckkehr. «Seine Stimme wurde scharfer.»Ist Colonel Pastor uberhaupt noch am Leben? Oder gehort auch sein Tod zu den Tatsachen, die Sie wissen, aber nicht billigen?»
        Le Chaumareys erhob sich und ging schweren Schrittes zum Heckfenster.»Er ist hier, als Gefangener Muljadis. In der Ruine dort druben. Muljadi wird nie gestatten, da? Sie ihn mitnehmen, tot oder lebendig. Solange Pastor hier ist, haben Muljadis Forderungen den Anschein der Legalitat. Mit Pastor hat er einen klaren Beweis dafur in der Hand, da? England sein Wort nicht halten und die Rechte der Spanier nicht schutzen kann. Sie meinen, das sei unglaubwurdig? Zeit und Entfernung konnen aus jeder Wahrheit eine Farce machen.»

«Aber warum sollte Muljadi dann Angst haben, mit mir zu sprechen?«Der Franzose wandte sich bei diesen Worten vom Fenster ab; sein Gesicht war tief gefurcht und grimmig.»Ich sollte meinen«, fuhr Bolitho fort,»es wurde ihm eher daran liegen, mir seine Macht zu demonstrieren.»
        Le Chaumareys durchquerte die Kajute; unter seinem Gewicht knarrten die Decksplanken. Er blieb bei Bolithos Sessel stehen und sah ihm starr in die Augen. Muljadi und Angst? Nein, ich habe Angst, und zwar um Sie, Bolitho. Hier drau?en, an Bord meiner Argus, bin ich Muljadis Arm, seine Waffe. Fur ihn bin ich nicht blo? ein Seekapitan, sondern ein Symbol: der Mann, der seine Plane in die Wirklichkeit umsetzen kann. Aber au?erhalb dieser Planken kann ich fur Ihre Sicherheit nicht garantieren, und das ist bitterer Ernst. «Er zogerte.»Aber ich verschwende meine Zeit, wie ich sehe. Sie sind also immer noch entschlossen?»
        Bolitho lachelte grimmig.»Ja.»

«Ich habe viele Englander getroffen, in Krieg und Frieden. Manche mochte ich, andere konnte ich nicht ausstehen. Sie bewundere ich. «Er lachelte trube.»Sie sind ein Narr, aber tapfer. So einen Mann kann ich bewundern.»
        Er lautete eine Glocke und deutete auf die Tafel.»Und Sie wollen wirklich nichts essen?»
        Bolitho griff nach seinem Hut und erwiderte:»Wenn es so ist, wie Sie sagen, ware es pure Verschwendung, oder?«Er mu?te dabei lacheln, obwohl er kaum klar denken konnte.»Und wenn nicht - nun, dann mu? ich mich eben in Zukunft weiter mit Salzspeck begnugen.»
        Ein gro?er, schlanker, dunnhaariger Offizier trat in die Kajute, und Le Chaumareys sagte etwas in geschwindem Franzosisch. Dann nahm er seinen Hut und erklarte:»Mein Erster Leutnant. Ich habe es mir anders uberlegt, ich komme mit Ihnen. «Er hob die Schultern.»Ob aus purer Neugier oder um meine Voraussage bestatigt zu sehen - das wei? ich nicht. Aber ohne mich sind Sie ein toter Mann.»
        Als sie aufs Achterdeck kamen, lag schon ein Boot langsseits, und auf den Decksgangen drangten sich stumme Zuschauer. Sollen sie es sich ruhig ansehen, dachte Bolitho grimmig: eine Fahrt ohne Ruckkehr, wenn er sich verrechnet hatte.
        Le Chaumareys fa?te ihn beim Arm.»Horen Sie zu, denn ich bin alter und wohl etwas weiser als Sie. Ich kann Sie jetzt auf Ihr Schiff zuruckbringen lassen. Es ware keine Schande fur Sie. In einem Jahr ist die ganze Geschichte vergessen. Uberlassen Sie die Politik denen, die sich jeden Tag die Finger damit beschmutzen, ohne da? es ihnen etwas ausmacht.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wurden Sie das an meiner Stelle tun?«Er zwang sich ein Lacheln ab.»Ihr Gesicht sagt mir, was ich wissen wollte.»
        Le Chaumareys nickte seinen Offizieren zu und schritt zum Fallreep. Auf dem Geschutzdeck bemerkte Bolitho die frischen Reparaturstellen an Planken und Tauwerk: die Spuren jenes Gefechts mit der Undine, das er damals schon fast verlorengegeben hatte. Ein seltsames Gefuhl, so neben dem Kapitan der Argus zu gehen. Sie waren mehr wie Landsleute als wie Gegner, die einander noch vor so kurzer Zeit hatten vernichten wollen. Aber wenn sie nach diesem Erlebnis noch einmal aneinandergerieten, dann gab es keinen Waffenstillstand mehr.
        Stetig zog das Boot uber das wirbelnde Wasser, mit Kurs auf die Pier unterhalb der Festung. Die ganze Zeit lie?en die franzosischen Matrosen die Augen nicht von Bolitho. Aus Neugier - oder weil sie hier einem Feind ins Gesicht sehen konnten, ohne zu kampfen?
        Nur einmal wahrend der kurzen Uberfahrt sagte Le Chaumareys etwas:»Verlieren Sie Muljadi gegenuber nicht Ihre Selbstbeherrschung! Ein Wink von ihm, und Sie sind in Ketten. Mitleid kennt er nicht.»

«Und wie ist Ihre Situation?»
        Der Franzose lachelte bitter.»Mich braucht er, m'sieur.»
        Als sie an der Pier anlegten, sah er aufs neue den Ha?, der ihm schon fruher aufgefallen war. Inmitten einer Eskorte von Franzosen mu?te er sich beeilen, die steile Schrage zur Festung hinaufzukommen, denn von allen Seite horte er Fluche und wutendes Geschrei; kein Zweifel, ohne die massive Prasenz ihres Kapitans waren sogar die franzosischen Matrosen tatlich angegriffen worden.
        Zu ebener Erde war die Festung nicht viel mehr als eine leere Hulse. Im Hof lagen Binsen und Lumpen herum, die den immer zahlreicher werdenden Anhangern Muljadis als Schlaflager dienten. Oben auf der Brustwehr, unter dem blauen Himmel, sah man die Geschutze: alt, aber gro?kalibrig, und neben jedem ein Haufen Kugeln; lange Taue baumelten liederlich in den Hof hinunter, daneben standen primitive Korbe, vermutlich zum Hinaufziehen von Nachschub an Munition.
        Roh behauene Stufen. Die Sonne brannte ihm auf die Schultern, doch als sie plotzlich in den Schatten traten, spurte er feuchte Kalte am ganzen Leib.

«Warten Sie hier drin«, knurrte Le Chaumareys. Er fuhrte Bolitho in einen Raum mit steinernen Wanden, nicht gro?er als ein Kabelgatt, und schritt zu einer eisenbeschlagenen Tur am anderen Ende. Zwei schwerbewaffnete Eingeborene bewachten sie und glotzten die Franzosen an, als hofften sie auf einen Kampf. Aber Le Chaumareys drangte durch sie hindurch wie ein Dreidecker, der durch die Gefechtslinie bricht. Entweder fuhlte er sich vollkommen sicher, oder es war lange geubter Bluff - Bolitho wu?te es nicht.
        Er brauchte nicht lange zu warten. Die Tur wurde aufgerissen, und er blickte in einen gro?en Raum, einen Saal, der anscheinend die ganze Breite des Obergeschosses einnahm. Am anderen Ende befand sich ein Podest, das sich farbig von den grauen Steinen der Mauern abhob.
        Muljadi lehnte lassig in seidenen Kissen, die Augen starr auf die Tur gerichtet. Er war nackt bis zum Gurtel und trug nur eine wei?e bauschige Hose zu Stiefeln aus rotem Leder. Sein Kopf war vollig haarlos und wirkte in dem Sonnenlicht, das durch die
        Fensterschlitze fiel, seltsam spitz; ubergro? und grotesk stand das eine Ohr ab, das er noch hatte.
        Neben dem Thron wartete Le Chaumareys, ernst und mit wachsamem Gesicht. An den Wanden standen mehrere Manner. Noch nie hatte Bolitho so dreckiges, brutales Gesindel gesehen; doch nach der Qualitat ihrer Waffen zu urteilen, mu?ten sie Muljadis Unterfuhrer sein.
        Er ging auf den Thron zu, wobei er halb damit rechnete, da? einer der Zuschauenden vorspringen und ihn niederstechen wurde; aber keiner bewegte sich oder sprach.
        Als er sich dem Thron auf ein paar Fu? genahert hatte, sagte Muljadi grob:»Nicht naher!«Er sprach gut englisch, doch mit einem fremdartigen, vermutlich spanischen Akzent.

«Bevor ich Sie toten lasse, Captain«, fuhr er fort,»was haben Sie noch zu sagen?»
        Bolitho verspurte das Verlangen, sich die trockenen Lippen zu lecken. Hinter sich horte er ein erwartungsvolles Scharren und Rascheln; Le Chaumareys starrte ihn an, Verzweiflung im gebraunten Gesicht.
        Bolitho begann:»Im Namen Seiner Majestat, des Konigs George, fordere ich die Freilassung von Colonel Jose Pastor, Untertan der Spanischen Krone, der unter dem Schutze meines Landes steht.»
        Muljadi fuhr hoch; das Gelenk seiner abgehauenen Hand richtete sich wie ein Pistolenlauf auf Bolitho.»Fordern? Du unverschamter Hund!»
        Hastig trat Le Chaumareys vor.»Lassen Sie mich erklaren,
        m'sieur.»

«Sie haben mich mit Hoheit anzureden!«brullte Muljadi. Voller Wut wandte er sich wieder an Bolitho.»Ruf deinen Gott um Beistand an! Du wirst noch um deinen Tod flehen!»
        Bolithos Herz schlug gegen die Rippen; der Schwei? flo? ihm uber den Rucken und sammelte sich am Gurtel wie ein eisiger Reif. Mit gespielter Gelassenheit griff er in die Hosentasche und zog seine Uhr. Als er den Deckel aufklappen lie?, sprang Muljadi mit unglaubigem Keuchen hoch, sturzte sich auf Bolitho und packte mit eisernem Griff dessen Handgelenk.

«Wo hast du das her?«schrie er. Von der Uhr baumelte die kleine, goldene, tatzenschlagende Raubkatze.
        Bolitho zwang sich, so gelassen wie moglich zu antworten und nicht den genau gleichen Anhanger auf Muljadis Brust anzustarren.»Von einem Gefangenen. «Und in scharferem Ton:»Einem Seerauber!»
        Langsam verdrehte Muljadi Bolithos Handgelenk. Seine Augen gluhten.»Du lugst! zischte er.»Und du wirst leiden dafur! Jetzt gleich!»

«Um Gottes willen!«rief Le Chaumareys dazwischen.»Reizen Sie ihn nicht, er bringt Sie wirklich um!»
        Bolitho wandte den Blick nicht ab. Er spurte Muljadis Kraft, seinen Ha? - aber noch etwas anderes. Angst?
        Er sagte:»Mit einem Fernglas konnen Sie mein Schiff sehen. Und an der Gro?rah eine Schlinge. Wenn ich nicht vor Sonnenuntergang wieder an Bord bin, hangt Ihr Sohn - ich gebe Ihnen mein Wort darauf. Das Medaillon habe ich von seinem Hals genommen, als ich etwa vierzig Meilen sudlich von hier seinen Schoner aufbrachte.»
        Die Augen Muljadis schienen aus ihren Hohlen zu treten.»Du lugst!»
        Bolitho loste sein Handgelenk aus Muljadis Griff. Dessen Finger hinterlie?en Spuren wie Taue, die rasend schnell durch die Hand glitten und sie dabei versengten.
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Ich tausche ihn gegen Ihren Gefangenen aus.»
        Er blickte zu dem verdutzten Le Chaumareys hinuber.»Der capitaine kann das sicherlich arrangieren.»
        Muljadi sturzte zum Fenster und ri? einem seiner Manner ein Fernglas aus dem Gurtel. Heiser sagte er uber die Schulter hinweg zu Bolitho:»Sie bleiben als Geisel hier!»

«Nein«, erwiderte Bolitho,»keine Geiseln, sondern ein ehrlicher Austausch. Sie haben mein Wort als englischer Offizier.»
        Muljadi warf das Teleskop wutend auf den Steinboden, da? die Splitter der Linsen in alle Richtungen flogen. Sein Atem ging heftig, und auf seinem kahlrasierten Kopf glanzten Schwei?perlen.»Englischer Offizier? Bilden Sie sich ein, da? ich mir daraus etwas mache?«Er spuckte Bolitho vor die Fu?e.»Dafur werden Sie noch leiden, das verspreche ich Ihnen!»

«Gehen Sie darauf ein - Hoheit!«rief Le Chaumareys dazwischen.
        Aber Muljadi tobte wie ein Verruckter. Plotzlich griff er nach Bolithos Arm, zerrte ihn an das andere Saalende und stie? ihn dort vor ein Fenster.

«Blicken Sie hinunter, Captain!«Die Worte fielen wie Pistolenschusse.»Ich gebe Ihnen den Colonel - aber Ihr Stutzpunkt ist trotzdem nicht mehr zu retten!»
        Bolitho starrte auf den glitzernden Wasserstreifen hinunter, der sich zwischen der Festung und der nachsten Insel erstreckte. Dort, wo die Durchfahrt einen Bogen machte, lag eine Fregatte vor Anker; das Deck wimmelte von geschaftigen Mannern.
        Muljadis Ha? verwandelte sich in wilden Triumph, und er schrie:»Mein! Alles mein! Nun, Sie Offizier, sind Sie immer noch zuversichtlich?»

«Warum mu?ten Sie das tun?«fragte Le Chaumareys finster. Wilde Wut in den Augen, wirbelte Muljadi herum.»Denken Sie, man mu? mir sagen, was ich tun oder lassen soll? Halten Sie mich fur ein Kind? Ich habe lange genug gewartet. Das ist jetzt vorbei!»
        Knirschend offnete sich die Tur. Zwischen zwei bewaffneten Piraten kam der spanische Kommandant herein, blinzelnd, als ware er fast blind.
        Bolitho schritt an Muljadi und seinen Mannern vorbei.»Ich bin gekommen, um Sie heimzubringen, Senor.«Er sah die schmutzige, zerfetzte Kleidung des Offiziers, die Spuren der Handschellen an seinen Gelenken.»Es war sehr tapfer von Ihnen.»
        Leer und verschwommen, mit zitterndem Kopf, starrte der alte Mann ihn an.»Ich verstehe nicht«, stie? er hervor.
        Le Chaumareys sagte:»Kommen Sie! Sofort!«Und leiser fugte er hinzu:»Sonst kann ich nicht fur Ihre Sicherheit garantieren.»
        Wie Traumwandler schritten sie den abschussigen Weg zur Pier hinunter, gefolgt von der Stimme Muljadis, der etwas Unverstandliches in fremder Sprache hinter ihnen her schrie. Unverkennbar waren es Beschimpfungen und Drohungen.

«Die Fregatte«, sagte Bolitho kalt,»war ein englisches
        Schiff.»
        Mude nickte Le Chaumareys.»Ja. 1782 im Gefecht schwer havariert, wurde sie hier auf Grund gesetzt. Ihre Mannschaft kam auf ein anderes Schiff. Wir haben fast zwei Jahre an ihr gearbeitet. Jetzt ist sie wieder in Ordnung. Ich habe Befehl, sie in seeklarem Zustand an Muljadi zu ubergeben, bevor ich heimsegeln darf.»
        Bolitho sah ihn nicht an. Er stutzte den spanischen Kommandanten, der vor Schwache und Erschutterung zitterte.

«Dann kann ich nur hoffen, da? Sie stolz auf Ihr Werk sind, m'sieur. Und auf das, was Muljadi mit der Fregatte anrichten wird - nun, da sie seeklar ist.»
        Bald lag das Boot unter den Rahen der franzosischen Fregatte, und Bolitho stieg hinter Le Chaumareys das Fallreep hinauf. Dieser sagte kurz:»Maurin wird Sie zu Ihrem Schiff bringen. «Dann blickte er Bolitho ein paar Sekunden lang forschend an.»Sie sind noch jung. Eines Tages hatten Sie mich vielleicht verstanden. Nun ist das vorbei. «Er streckte die Hand aus.»Wenn wir uns wieder treffen - und das wird, furchte ich, unvermeidlich sein - , dann ist es zum letztenmal.»
        Er drehte sich abrupt um und schritt zu seiner Kajute. Bolitho holte seine Uhr hervor und betrachtete den goldenen Anhanger. Wenn er sich verrechnet oder wenn Potter ihm etwas Falsches erzahlt hatte… Daruber auch nur Vermutungen anzustellen, war unertraglich.
        Dann dachte er an die englische Fregatte. Ohne Muljadis Wutausbruch hatte er uberhaupt nichts von ihr erfahren. Dieses Wissen half zwar wenig; aber schlie?lich war es besser als nichts.
        Maurin kam und sagte munter:»Ich lasse ein Boot klarmachen. Auf Ihrem Schiff wird man uberrascht sein, da? Sie so unbehelligt wieder eintreffen. Ebenso uberrascht wie ich.»
        Bolitho lachelte.»Danke. Ich hatte guten Schutz. «Sein Blick schweifte zum Kajutniedergang; aber es blieb ungewi?, wen genau er gemeint hatte.



        XVI Weder besser noch schlechter als andere

        Langsam schlenderte Bolitho an der Brustwehr auf der Landseite des Stutzpunktes Pendang Bay entlang. Dunst stieg aus dem Dschungel empor; die Nachmittagssonne spielte auf den Blattern und Palmwedeln neben der Palisade. Kurz vor Mittag hatte die Undine bei blauem Himmel Anker geworfen, obwohl sie bei ihrer Annaherung den Stutzpunkt noch unter einer dunklen Wetterwolke hatten liegen sehen und die Bewohner fast um den kurzen Regengu? beneideten. Jetzt atmete er widerwillig den dumpfigen Geruch der verrottenden Blatter und der tief im Schatten verborgenen Wurzeln ein, der Kopfschmerzen verursachte.
        In den letzten zwei Tagen hatte sich die Undine mit widrigen Winden herumschlagen mussen; als sich der Wind schlie?lich drehte und gunstiger zu ihrem Kurs stand, war er kaum mehr als ein Hauch und brachte nur wenig Leben in die Segel.
        Er beobachtete ein paar rotrockige Sepoys, die au?erhalb der Palisade arbeiteten, und zwei eingeborene Frauen, die sich mit Kopflasten dem Tor naherten. Auf den ersten Blick schien sich nichts verandert zu haben; dennoch fuhlte er, in Erwartung einer weiteren Unterredung mit Conway - der zweiten innerhalb einer Stunde - , da? alles anders geworden war,
        Er schritt weiter zur nachsten Ecke der primitiven, aus Pfahlen errichteten Brustwehr. Unten lag die Undine an ihrer Ankertrosse, den erbeuteten Schoner dicht vor ihrem Bug. Als er zum flachen Wasser hinubersah, wo die Rosalind gelegen hatte, als er die Reise zu Muljadis Festung antrat, konnte er kaum das Fluchen unterdrucken. Sie war weg, ebenso das Transportschiff, die Bedford, zuruckgesegelt nach Madras, mit Depeschen und Raymonds personlichem Lagebericht fur Sir Montagu Strang.
        Als Bolitho sich eine halbe Stunde nach dem Ankerwerfen bei Conway gemeldet hatte, war er uber dessen schlechtes Aussehen erschuttert. Conway wirkte gebeugter denn je, seine Augen gluhten, und er schien vor Zorn und Verzweiflung fast au?er sich zu sein.

«Sie wagen es«, hatte er Bolitho angebrullt,»sich hinzustellen und mir zu erklaren, da? Sie meine Befehle vorsatzlich mi?achtet haben? Da? Sie, entgegen meinen ausdrucklichen Instruktionen, uberhaupt nicht erst versucht haben, mit Le Chaumareys zu verhandeln?»
        Bolitho stand bewegungslos, die Augen fest auf Conways verzerrtes Gesicht gerichtet. Eine leere Karaffe lag umgesturzt auf dem Tisch. Unverkennbar hatte Conway schon langer stark getrunken.

«Ich konnte nicht verhandeln, Sir. Das hatte die Anerkennung Muljadis bedeutet, und genau das wollen die Franzosen.»

«Sie glauben wohl, mir was Neues zu erzahlen?«Conway packte heftig die Tischplatte.»Auf meinen ausdrucklichen Befehl hin sollten Sie von Le Chaumareys fordern, da? er Colonel Pastor unversehrt freila?t! Die spanische Regierung hatte England schwere Vorwurfe machen konnen, weil wir ihn tatenlos und vor unseren Augen in Muljadis Gefangenschaft leiden lie?en!»
        Bolitho erinnerte sich gut, mit welcher Muhe er seine Stimme unter Kontrolle gehalten hatte. Trotz seiner Erregung hatte sie vollig ausdruckslos geklungen. Er wollte Conway nicht noch mehr in Wut bringen.

«Als ich wu?te, da? ich Muljadis Sohn gefangengenommen hatte, konnte ich die Bedingungen stellen, Sir«, hatte er geantwortet.»Die Chancen standen gut fur mich. Und wie sich herausstellte, kamen wir gerade noch zur rechten Zeit. Ich furchte, ein paar Tage spater ware Pastor tot gewesen.»

«Zum Teufel mit Pastor!«hatte Conway gebrullt.»Sie erwischen Muljadis Sohn - und wagen es, ihn freizulassen! Kniefallig und zu allem bereit hatte uns dieser blutige Seerauber um das Leben seines Sohnes gebeten!»
        Unvermittelt hatte Bolitho gesagt:»In den letzten Monaten des Krieges ist in diesen Gewassern eine Fregatte verlorengegangen.»
        Conway hatte sich uberrumpeln lassen.»Stimmt. Die Imogen unter Captain Balfour.
«Die Sonne blendete ihn, er kniff die Augen zusammen.»Achtundzwanzig Geschutze. War im Gefecht mit den Franzosen, ist dann in einen Sturm geraten und gestrandet. Ihre Mannschaft wurde von einer meiner Schaluppen ubernommen. Was, zur Holle, hat sie damit zu tun?»

«Alles, Sir. Hatte ich nicht mit Muljadi personlich gesprochen, so waren wir vollig ahnungslos. Die Imogen liegt hier, Sir, im Benua-Archipel, und zwar - soweit ich gesehen habe - vollstandig seeklar. Sie hatte uns mit ihrer Kampfkraft vollig uberrascht.»
        Conway war gegen den Tisch getaumelt, als hatte ihm Bolitho einen Schlag versetzt. Wenn das ein Trick von Ihnen ist, irgendein Schwindel, um… »

«Nein. Sie ist da, Sir. Neu ausgerustet und repariert, und die Mannschaft, daruber habe ich nicht die geringsten Zweifel, wurde von Le Chaumareys' Offizieren aufs beste ausgebildet. «Er konnte seine Verbitterung nicht verbergen.»Ich hatte gehofft, die Brigg Rosalind sei noch hier. Dann hatten Sie Nachricht schicken und Verstarkung anfordern konnen. Jetzt haben wir keine Wahl mehr.»
        Der nachste Teil der Unterredung war am schlimmsten gewesen. Unsicher war Conway zum Bufett gegangen, hatte sich mit einer neuen Karaffe zu schaffen gemacht und dabei gemurmelt:»Man hat mich verraten, von Anfang an. Raymond bestand darauf, da? die Brigg nach Madras segelte. Sie war ein Schiff der Company, und ich konnte sie nicht langer hierbehalten. Er hatte alle Trumpfe auf seiner Seite. Und auch auf alle Einwande die Antworten parat. «Wie Blut war der Rotwein auf sein Hemd gespritzt.»Und ich?«brullte er.»Ich bin weiter nichts als ein Strohmann! Ein Werkzeug, das Strang und seine Freunde benutzen, wie es ihnen pa?t!»
        Beim Eingie?en hatte er den Becher an der Karaffe entzweigeschlagen und griff jetzt nach einem neuen.»Und nun kommen Sie, der einzige Mann, dem ich vertraue, und sagen mir, da? Muljadi meinen Stutzpunkt jederzeit angreifen kann! Und Raymond… Ganz abgesehen davon, da? er mir dauernd Unfahigkeit nachweisen will, kann er jetzt seinen verfluchten Vorgesetzten auch noch berichten, da? ich nicht imstande bin, dieses Territorium der britischen Flagge zu erhalten.»
        Lautlos hatte sich die Tur geoffnet, und Puigserver war eingetreten. Nach einem kurzen Blick auf Conway hatte er zu Bolitho gesagt:»Ich bin geblieben, um Ihre Ruckkehr abzuwarten. Meine Leute sind mit der Bedford gesegelt, aber ich wollte nicht abreisen, ohne Ihnen dafur zu danken, da? Sie Pastor befreit haben. Sie haben es sich anscheinend angewohnt, Ihr Leben fur andere zu riskieren. Diesmal werden Sie, hoffe ich, nicht unbelohnt bleiben. «Wieder glitten seine schwarzen Augen zu Conway hinuber.»Nicht wahr, Admiral?»
        Conway hatte ihn nur leeren Blicks angestarrt.»Ich mu? nachdenken.»

«Das mussen wir alle. «Der Spanier hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und lie? den Blick nicht von Conway.»Ich horte einiges durch die Tur. Wohlgemerkt, ich wollte nicht horchen, aber Ihre Stimme war ziemlich kraftig.»
        Conway hatte nochmals versucht, sich zusammenzunehmen.»Dienstbesprechung, sofort! Glasern blickte er Bolitho an.»Sie warten drau?en! Ich mu? nachdenken.».
        Jetzt, als Bolitho geistesabwesend auf die kleinen Gestalten unter der Palisade starrte, stieg wieder Arger in ihm auf - und ein Gefuhl der Dringlichkeit.

«Richard!»
        Er fuhr herum und sah sie an der Ecke des Turmes im tiefen Schatten stehen; sie trug denselben breitrandigen Hut wie damals.

«Viola! Ich dachte schon…«Er war zu ihr geeilt und ergriff ihre Hande.
        Sie schuttelte den Kopf.»Spater. Hor zu. «Sanft beruhrte sie seine Wange, und ihre Augen waren plotzlich traurig.»Es hat so lange gedauert: elf Tage - aber fur mich waren sie wie elf Jahre. Als der Sturm kam, war ich so in Sorge um dich.»
        Er wollte etwas sagen, um den Schmerz in ihrer Stimme zu lindern, aber sie redete schnell weiter.»Ich glaube, James hat Verdacht geschopft. Er war in letzter Zeit sehr merkwurdig. Vielleicht hat meine Zofe etwas verlauten lassen. Sie ist ein gutes Madchen, aber wenn man ihr schmeichelt, kann sie den Mund nicht halten.
«Viola blickte ihn forschend an.»Doch das spielt keine Rolle, er wird nichts unternehmen. Um dich mache ich mir Sorgen. «Sie senkte den Kopf.»Und es ist alles meine Schuld. Ich wollte, da? er in der Welt etwas darstellt - in erster Linie, furchte ich, um meiner selbst willen. Ich habe ihn zu sehr angestachelt, ihn standig vorwartsgetrieben. Ich wollte ihn zu dem Mann machen, der er nie sein kann. «Sie pre?te seine Hand.»Aber das alles wei?t du ja.»
        Unter der Brustung erklangen Stimmen; Bolitho glaubte, auch Schritte zu horen. Gedampft fuhr sie fort:»James hat Sir Montagu einen Geheimbericht gesendet. Er wei? jetzt, da? Conway nicht der richtige Mann fur diesen Posten ist, und dieses Wissen wird er zu seinem eigenen Vorteil verwenden. Aber auch von dir, mein geliebter Richard, wird in diesem Bericht die Rede sein. Ich kenne ihn doch. Um dir eins auszuwischen, um seine kleinliche Rachgier zu befriedigen, wird er dir anlasten, da? du nicht imstande warst, Muljadi zu erledigen, diesen - seiner Meinung nach - primitiven Piraten, ob ihm nun Frankreich hilft oder nicht.»
        Gedampft erwiderte er:»Es ist sogar noch schlimmer. Muljadi hat starke Unterstutzung. Wenn er erst einmal den Stutzpunkt hier erobert hat, wird die Bevolkerung in diesem ganzen Gebiet revoltieren und sich ihm anschlie?en. Es geht gar nicht anders. Die Piraten sind fur sie die Befreier, die europaischen Schutzmachte die Eindringlinge und Unterdrucker. Das ist nichts Neues.»
        Sie wandte ihm rasch den Kopf zu, und er sah, wie der Puls an ihrem Hals klopfte.

«Hor mir zu, Richard! La? dich nicht weiter auf die Sache ein. Du bist zu wertvoll fur dein Land und fur alle, die auf dich blicken. Ich flehe dich an, la? dir nicht langer von Leuten befehlen, die es nicht wert sind, dir die Stiefel zu putzen!«Sie nahm sein Gesicht in ihre Hande.»Rette dein Schiff und dich selbst, und zum Teufel mit diesem Pack!»
        Sanft umfa?te er ihre Handgelenke.»So einfach ist es nicht mehr. «Er dachte an Le Chaumareys, den er beschworen hatte, mit Muljadi Schlu? zu machen, wegzusegeln und so seine Ehre zu retten.»Und ich wunschte bei Gott, du warest mit der Brigg abgereist. Muljadi ist jetzt starker denn je, und wenn er kommt… »
        Seine Augen schweiften zu seiner unten vor Anker liegenden Fregatte. Wie klein sie in diesem grellen Licht aussah.»Zwischen ihm und dieser Palisade steht nur noch die
        Undine.»
        Sie begriff plotzlich und starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an.»Du willst gegen sie alle kampfen?»
        Bolitho schob ihre Hande weg, denn ein Sepoy-Korporal kam um die Ecke des Turmes und meldete:»Captain Bolitho, Sahib, der Gouverneur mochte Sie sprechen, bitte.»

«Nun werden wir ja sehen, Viola. «Er versuchte zu lacheln.»Die Schlacht ist noch nicht vorbei.»
        Conway sa? am Tisch; der schwere Uniformrock verbarg sein weinbeflecktes Hemd. Puigserver hatte sich anscheinend nicht vom Fleck geruhrt. Raymond stand mit dem Rucken zum Fenster, das Gesicht tief im Schatten. Au?er ihnen nahmen noch Major Jardine und sein Stellvertreter an der Besprechung teil.
        Scharf sagte Conway:»Ich habe es ihnen erzahlt, Bolitho. Wort fur Wort, wie Sie es mir berichtet haben.»

«Danke, Sir«, erwiderte Bolitho und blickte Raymond an - von ihm wurde es kommen.

«Sie haben da allerhand auf sich genommen, Captain. Mehr, furchte ich, als in des Gouverneurs Absicht lag.»

«Jawohl. Aber ich habe gelernt, da? ich gelegentlich Eigeninitiative entwickeln mu?, besonders dann, wenn ich nicht an den Bandseln der Flotte hange. «Puigserver studierte mit plotzlichem Interesse seinen linken Schuh.»Tatsache ist«, fuhr Bolitho fort,»da? Muljadi beabsichtigt, diesen Stutzpunkt anzugreifen. Er kann jetzt gar nicht anders, da er seinen Gefangenen verloren hat und wei?, da? wir uber seine neue Fregatte informiert sind. Das hat die Situation total verandert.»
        Jardine sagte kurz:»Falls er angreift, konnen meine Manner ihn so lange aufhalten, bis Hilfe kommt. Sobald die Brigg erst in Madras ist, werden sehr rasch Truppen kommen, um den
        Schurken zu vernichten - wozu die Marine offensichtlich nicht imstande ist.»
        Bolitho beobachtete Raymonds Hande auf dem Fensterbrett und wartete ein paar Sekunden. Dann sagte er:»Nun, Mr. Raymond? Hat der tapfere Major recht?«Er merkte, da? Raymonds Hande sich fester um das Fensterbrett krampften.»Oder haben Sie in Ihrem Bericht an Sir Montagu angedeutet, da? Pendang Bay Ihrer Meinung nach abgeschrieben werden mu??»
        Jardine bleckte wutend die Zahne.»Quatsch!«Aber nach einer kleinen Pause wurde er unsicher und fragte Raymond:»Nun, Sir?»
        Dessen Antwort klang sehr ruhig.»Ich habe die Wahrheit berichtet. Man wird keine Schiffe schicken au?er Transportern, um die Soldaten der Company und deren Angehorige abzuholen.»
        Jardine explodierte.»Aber ich kann es schaffen, Sir! Sie hatten mir das fruher sagen mussen!»

«Sie konnen es nicht schaffen, Major!«warf Bolitho dazwischen.»Wenn Muljadi kommt, dann mit mehr als tausend Mann. Seine Festung ist voller Krieger, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht hatten Sie die Palisaden halten konnen, bis Hilfe aus Madras kommt. Doch ohne diese Hilfe haben Sie nur eine Chance, wenn Sie in einem Gewaltmarsch durch den Urwald nach Osten ausweichen, um vielleicht die Niederlassung der Hollandischen Kompanie zu erreichen und dort Sicherheit zu finden. «Er machte eine kleine Pause.»Aber in dieser Jahreszeit ist der Dschungel noch dichter als sonst, und ich bezweifle, da? viele von Ihren Mannern den Marsch uberleben, ganz abgesehen davon, da? Sie mit Uberfallen von Eingeborenen rechnen mussen, die Muljadi ihre Ergebenheit beweisen wollen.»
        Er hatte nuchtern und hart gesprochen. Gepre?t erwiderte Raymond:»Mir kann niemand einen Vorwurf machen. Ich habe nur berichtet, was ich wei?. Von dieser zweiten Fregatte wu?te ich nichts. «Er versuchte, seine Selbstsicherheit wiederzufinden. Genausowenig wie Sie!»
        Conway stand langsam auf; jede Bewegung kostete ihn Willensanstrengung.»Aber Sie hatten es ja so eilig, Mr. Raymond. Sie haben Ihre Befugnisse dazu mi?braucht, Ihre eigenen Interessen zu verfolgen, haben sogar die Brigg weggeschickt, obwohl ich ausdrucklich forderte, die Ruckkehr der Undine abzuwarten!»
        Er schritt zum gegenuberliegenden Fenster und starrte blicklos in den dichten Urwald.»Was konnen wir tun? Wie konnen wir uns am besten aufs Schlachtfest vorbereiten?«Blitzschnell fuhr er herum und schrie:»Na, Mr. Raymond? Mochten Sie uns das vielleicht erklaren? Ich kann es namlich nicht.»
        Major Jardine stotterte:»Aber so hoffnungslos kann es doch nicht sein?»
        Puigserver beobachtete Bolitho.»Nun, Capitan! Sie waren schlie?lich in der Hohle des Lowen, nicht wir.»

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«wandte sich Bolitho an Conway.
        Der Admiral nickte, sein schutteres Haar war ganz zerrauft.»Wenn da noch etwas vorzuschlagen ist - bitte!»
        Bolitho ging zum Tisch und schob die schweren silbernen Tintenfasser in eine bestimmte Stellung.»Die Benuas sind auf unseren Karten ziemlich zutreffend dargestellt, Sir; aber ich nehme an, von den kleineren Durchfahrten sind manche verschlickt und zu flach. Die Festung steht erhoht auf einer zentral gelegenen Insel, auf einem Felskegel, konnte man sagen. Zur See hin fallt der Felsen senkrecht ab, und was ich erst fur Riffe am Fu? dieses Felsens gehalten hatte, sind, wie ich jetzt glaube, gro?e Felsen von oben, die im Lauf der Zeit verwittert und abgesturzt sind.»
        Duster brummte Hauptmann Strype:»Dann kann man die Festung auch nicht ersturmen. Wirklich hoffnungslos.»
        Conway blickte Bolitho unwillig an und knurrte:»Also weiter!»

«Wenn wir sofort angreifen, Sir«, antwortete dieser und ignorierte die allgemeine Verbluffung,»bevor Muljadi bereit ist, dann konnen wir seinen ganzen Plan im Entstehen durchkreuzen.»

«Angreifen?«rief Conway.»Eben haben Sie uns doch noch aller Hoffnung beraubt, uberhaupt am Leben zu bleiben!»

«Die Hauptbatterie steht auf der seewarts gelegenen Brustwehr, Sir. Wenn wir sie vernichten, sind seine vor Anker liegenden Schiffe ohne unmittelbaren Schutz.»
        Conway rieb sich nervos das Kinn.»Ja, gewi?. Aber wie sollen wir sie vernichten?»

«Vielleicht durch den Zorn Gottes?«hohnte Jardine.

«Mit dem Schoner, Sir. «Bolitho heftete den Blick auf Conways gefurchte Stirn, die sich vor Zweifel und Spannung umwolkte.»Wir konnten die vorherrschende Windrichtung ausnutzen und ihn, bis zu den Decksplanken voll Schie?pulver und mit einer langen Zundschnur versehen, auf die abgesturzten Felstrummer treiben lassen. Die Explosion wurde meiner Ansicht nach einen Gutteil der Insel einsturzen lassen.
«Er spurte die wachsende Spannung seiner Zuhorer.»Jedenfalls den Teil mit der Geschutzbatterie.»
        Hauptmann Strype starrte das entsprechende Tintenfa? an, als sollte es tatsachlich jeden Moment in die Luft gehen.»Das konnte klappen, Sir. Eine tolle Idee!»

«Halten Sie den Mund!«grollte Jardine.»Und uberhaupt - wer das riskiert, mu?te ja wahnsinnig sein!»
        Aber er duckte sich, als Conway ihn anblaffte:»Seien Sie still!«Zu Bolitho gewandt, fuhr dieser fort:»Sie halten es fur ein vertretbares Risiko?»

«Jawohl. Der Schoner brauchte nur ein paar Mann Besatzung, und die konnten sich per Boot absetzen, sobald der endgultige Kurs anliegt. Bei einer langen Lunte hatten sie Zeit genug. Im Moment der Explosion werde ich mit der Undine in die Passage eindringen und die verankerten Fregatten nehmen, ehe sich die Besatzungen von dem Schrecken erholt haben. Nach einer solchen Explosion werden sie nicht gleich mit einem Angriff rechnen.»
        Puigserver nickte grimmig.»Gerechte Vergeltung, obendrein.»
        Conway funkelte ihn an.»Das ist der haarstraubendste Plan, den ich jemals gehort habe.»
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Daruber la?t sich streiten, Sir.»

«Was?«Wutend fuhr Conway herum.»Wollen Sie schon wieder meine Worte anzweifeln?»

«Ich erinnere mich an einen gewissen Kapitan, Sir, der vor langen Jahren, als ich noch ein dummer Midshipman war, sich nie scheute, etwas zu riskieren, wenn Not am Mann war.»
        Conway packte Bolitho beim Handgelenk.»Danke fur dieses Wort. «Er blickte weg und klopfte sich auf die Taschen, als suche er etwas.»Habe ich ganz vergessen…»

«Die Truppen bleiben naturlich hier«, sagte Bolitho. Es kam ihm vor, als sahe er Erleichterung in Jardines massivem Gesicht, und Bedauern auf Strypes Zugen. Seltsam, dachte er, der, den ich bisher fur den Schwacheren gehalten habe, ist in Wirklichkeit der Starkere.

«Wenn der Plan schiefgeht«, fuhr er fort,»und mit dieser Moglichkeit mussen wir rechnen, dann ist es Sache der Sepoys, den Stutzpunkt so schnell zu evakuieren, wie sie konnen. Aber bitte seien Sie sich uber eins klar: kein Verhandeln mit Muljadi, denn fur ihn gibt es nur eines: Vernichtung derer, die er sein ganzes Leben lang als seine Todfeinde betrachtet hat. «Er deutete zum Fenster.»Wenn er erst innerhalb dieser Palisaden ist, kommt jede Reue zu spat.»
        Conway kehrte zum Tisch zuruck; seine Miene war jetzt vollkommen gefa?t.»Ich bin einverstanden. Major Jardine, lassen Sie durch Ihre Leute sofort Pulver auf den Schoner bringen. Auch das letzte Fa?, wenn notig. Und Sie, Bolitho… Wer soll den Schoner kommandieren?»

«Ich habe mich noch nicht entschieden, Sir.»
        Raymond trat endlich ins Licht.»Ich habe gehandelt, wie ich es fur richtig hielt«, sagte er lahm.
        Aber Conway hatte nur ein verachtliches Nicken fur ihn ubrig.»Wenn Sie diese Affare uberleben«, sagte er,»werden Sie auf alle Falle davon profitieren, sofern es etwas zu profitieren gibt. Selbst wenn wir keinen Erfolg haben, werden Sie sicher den Adelstitel erhalten, nach dem Sie sich so sehnen. «Raymond ging eilends zur Tur.»Posthum, naturlich«, rief Conway ihm nach.
        Als sich der Gouverneur wieder dem Tisch zuwandte, schien er um zehn Jahre verjungt.»Nun, da ich mich entschlossen habe, Bolitho, kann ich auch nicht mehr warten.»
        Bolitho nickte. Ihn schmerzten alle Glieder wie nach einer physischen Anstrengung; und er machte sich auch erst jetzt richtig klar, was er erreicht hatte und worauf er sich mit seinem Schiff einlie?.»Ich gehe wieder an Bord, Sir«, sagte er.»Wir brauchen frisches Wasser und Obst, falls letzteres zu haben ist.»
        Allerlei Gesichter erschienen vor seinem geistigen Auge: das von Carwithen, als das Enterbeil sich in den Hals des Piraten grub. Davys stolze Miene, als er das Kommando uber den Schoner bekam. Fowlars echte Freude uber seine provisorische Beforderung. Und vor allem Herrick. Was wurde er zu diesem verzweifelten Plan sagen? Wurde er sich eingestehen, da? sein Kapitan nun doch den einen letzten verhangnisvollen Fehler gemacht hatte - verhangnisvoll fur sie alle?
        Da sagte Conway in seine Gedanken hinein:»Sie sind gerissen, Bolitho, mehr als ich vermutete…«Er wollte nach einer Karaffe greifen, uberlegte es sich aber anders. Nein. Wenn ich schon meinen Kopf verlieren soll, dann soll er wenigstens klar sein, eh?»
        Puigserver tippte mit breitem Zeigefinger auf ein Tintenfa?.»Wann soll es losgehen, Capitan!»

«Fruh. «Bolitho sah ihn nachdenklich an. Der Spanier war von Anfang an beteiligt gewesen.»Angriff im Morgengrauen.»
        Conway nickte.»Und wenn Sie noch nie um gunstigen Wind gebetet haben, dann tun Sie es jetzt.»

«Aye, Sir«, lachelte Bolitho.»Ich werde daran denken.»
        Er wollte gehen, blieb jedoch stehen, als der Admiral abschlie?end grollte:»Und wenn es schiefgeht, haben wir's doch wenigstens versucht. Haben getan, was wir konnten. «Als er sich umdrehte, fiel das Sonnenlicht voll auf sein Gesicht, und Bolitho sah, da? seine Augen feucht waren.»Raymond hatte naturlich recht, ich bin nicht der richtige Mann fur diesen Posten, und vermutlich war auch nie beabsichtigt, da? ich ihn behalten sollte, sobald der Stutzpunkt erst einmal vollstandig eingerichtet war. Aber wir werden es ihnen zeigen.»
        Mit gro?en Schritten ging er zu der Tur, die zu seinen Privatraumen fuhrte, und warf sie krachend hinter sich zu.
        Puigserver stie? einen Pfiff aus.»Der alte Lowe erwacht, wie?»
        Bolitho lachelte melancholisch.»Wenn Sie ihn so gekannt hatten wie ich, Senor… Wenn Sie gesehen hatten, wie seine Manner hurra schrien, bis sie heiser waren, wahrend der Pulverdampf von der Schlacht noch dick zwischen den Decks hing - dann wurden Sie verstehen.»

«Vielleicht. «Puigserver grinste breit.»Nun weg mit Ihnen! Ich glaube, Sie haben eine Menge gelernt, seit wir uns kennen, und das auf allerlei Gebieten - eh?»
        Bolitho trat hinaus, vorbei an einem sich verneigenden Diener. Als jemand seinen Armel beruhrte, fuhr er zusammen. Es war Viola Raymonds Zofe; das Gesicht verzerrt vor Angst, flusterte sie:»Hier entlang, Sir! Gleich hier hinunter!»
        Bolitho folgte ihr rasch, und da sah er auch schon die wei?e Gestalt am Ende des Ganges.

«Was ist?«fragte er.»Wir sollten uns so nicht treffen.»
        Mit flammenden Augen sah sie ihn an.»Du wirst dabei umkommen! Er hat es mir eben erzahlt. «Wutend schleuderte sie ihren gro?en Hut zu Boden und fuhr fort:»Und es ist mir egal! Es ist mir vollig egal, was dir passiert!«Dann warf sie sich in seine Arme und rief mit tranenerstickter Stimme:»Das war gelogen! Es ist mir gar nicht egal, Richard, Liebster! Ich sterbe, wenn dir was passiert!»
        Er fa?te sie unters Kinn.»Ruhig, Viola. Ich konnte nicht anders«, sagte er leise und strich ihr das Haar aus der hei?en Stirn.
        Von Schluchzen geschuttelt, fa?te sie seine Arme noch fester; es war ihr gleichgultig, da? die Zofe danebenstand und da? jeden Moment jemand in den Gang einbiegen konnte.»Keine Chance! Du hast nicht die geringste Chance!»
        Bolitho hielt sie etwas von sich ab und wartete, bis sie ruhiger wurde.»Ich mu? jetzt gehen. Und ich werde mich bestimmt vorsehen. «Er spurte, wie die Angst sie wieder uberfiel, und fugte rasch hinzu:»Ich mu? doch aufpassen, da? meine neue Uhr nicht Schaden nimmt, nicht wahr?»
        Die Tranen liefen ihr ubers Gesicht, doch sie versuchte ein Lacheln.»Das wurde ich dir auch nie verzeihen.»
        Er wandte sich um und schritt zur Treppe, blieb aber noch einmal stehen, als sie seinen Namen rief. Doch sie kam ihm nicht nach, sondern winkte nur mit erhobener Hand, als sei er schon weit weg. Unerreichbar.
        Unten wartete Allday bei der Gig.»Zuruck an Bord!«befahl Bolitho kurz.
        Allday blickte ihn neugierig an.»Die schaffen ja Pulverfasser auf den Schoner, Captain.»

«Soll das eine Frage sein?«Bolitho funkelte ihn wutend an, aber Alldays Gesicht blieb unbewegt.

«Ich dachte nur… Mr. Davy wird daruber nicht sehr erfreut sein.»
        Bolitho klopfte ihm auf den Arm.»Ich wei?. Und ich sollte meine schlechte Laune auch nicht an Ihnen auslassen.»
        Allday warf einen raschen Blick auf die holzernen Wande des Forts. In einem Fenster sah er eine wei?e Gestalt. Leise sagte er:»Ich kenne das Gefuhl, Captain.»
        Unterwegs beobachtete Bolitho die neben dem Schoner liegenden Boote, auf denen fieberhaft gearbeitet wurde. Es hatte sich so einfach und glatt angehort: zwei auf beschranktem Raum vor Anker liegende Fregatten waren leichter zu entern als - Geschutz gegen Geschutz - auf offener See zu stellen. Aber nichtsdestoweniger wurde noch mancher Mann der Undine sterbend seinen Kapitan verfluchen.
        Die Gig gewann Fahrt, und er seufzte. Puigserver hatte schon recht gehabt: Seit ihrem ersten Zusammentreffen in Santa Cruz hatte er eine Menge dazugelernt. Besonders uber sich selbst.

«Alle anwesend, Sir. «Herrick nahm neben der Kajutstur Platz und wartete, da? Bolitho die Besprechung eroffne.
        Hinter den Heckfenstern war es schon sehr dunkel, aber man konnte noch die gelben Lichter erkennen, die zwischen Fort und Strand hin und her wanderten: Das Beladen des Schoners ging pausenlos weiter.
        Bolitho blickte in die Gesichter seiner Manner. Alle waren hier, sogar Midshipman Keen, obwohl der Arzt noch keine Verantwortung fur seine Gesundheit ubernehmen wollte. Man sah Keen noch an, da? ihn jede Bewegung schmerzte, aber er hatte darauf bestanden, wieder Borddienst zu machen.
        Dann Mudge und Soames. Und Fowlar, etwas verlegen, weil er zum erstenmal an einer Offiziersbesprechung teilnahm. Davy, in dessen hubschem Gesicht noch die Enttauschung uber das stand, was Bolitho anscheinend mit dem Schoner vorhatte. Hauptmann Bellairs mit seiner weltmannischen Bierruhe. Der Zahlmeister, trubselig wie immer. Armitage und Penn - wie ungleiche Bruder. Und schlie?lich, direkt unter dem Skylight, der Schiffsarzt Whitmarsh, dessen Gesicht wie eine machtige rote Rube gluhte.
        Bolitho faltete die Hande auf dem Rucken. Ein durchschnittliches Offizierskorps, dachte er, weder besser noch schlechter als andere; und doch mu?te er jetzt mehr von ihnen fordern als von einer ganzen Kompanie altgedienter, kriegserfahrener Soldaten.

«Sie kennen mich lange genug«, begann er,»um zu wissen, da? ich Reden weder gern halte noch anhore. «Herrick grinste, und Mudges Augen wurden zu beiden Seiten der machtigen Nase noch kleiner.»Zu Beginn dieser Reise gab es viele an Bord, auch in der Offiziersme sse, denen meine Methoden zu hart, meine Anforderungen fur einen friedensma?igen Auftrag zu hoch vorkamen. Heute sehen wir die Dinge anders und wissen, da? unsere Erfahrung, unsere Ausbildung das einzige ist, was wir zu unserem Schutz einzusetzen haben und - noch wichtiger - zum Schutze derer, die von uns abhangen. «Er nickte Herrick zu.»Rollen Sie die Karte auf.»
        Wahrend Mudge sich vorbeugte, um die Rader der Karte mit Buchern und Messingzirkeln zu beschweren, musterte Bolitho noch einmal die Gesichter. Verrieten sie Angst oder Vertrauen? Das konnte man noch nicht wissen. Er fuhr fort:»Der Schoner wird in die Hauptdurchfahrt segeln und dabei bis zum letztmoglichen Moment die ostliche Landspitze als Deckung benutzen. Sobald er direkten Kurs auf die Felsen am Fu? der Inselfestung hat - «, er unterbrach sich, um die Zirkelspitze auf das kleine Kreuz zu legen,»- wird das Ruder festgelascht, und die Mannschaft geht ins Boot. Wir werden sie spater an Bord nehmen. «Er zwang sich zu einem Lacheln, obwohl ihm das Herz seltsam schwer war.

«Aber erst mussen wir die beiden Fregatten entern, namlich ehe ihre Besatzungen sich von dem Schreck uber die Explosion erholt haben.»

«Denen werden wir's zeigen, Sir!«rief Penn, sank aber unter Mudges vernichtendem Blick wieder zusammen.
        Bolitho lachelte dem Midshipman in das feuerrote Gesicht.»Und wir werden, von Mr. Penns Begeisterung beflugelt, in die Passage einlaufen, beiden Schiffen eine Breitseite verpassen, wenden und noch eine abfeuern. «Er blickte Davy bedeutsam an.

«Also sagen Sie den Geschutzbedienungen, da? sie auf Draht sein mussen. Die ersten beiden Breitseiten entscheiden alles.»
        Bellairs meinte gedehnt:»Ziemliches Risiko fur den Schoner, wurde ich sagen, Sir. Bei so viel Schie?pulver an Bord reicht eine einzige gluhende Kugel, und hoch geht er. «Unter Bolithos starrem Blick fing er an zu blinzeln und fuhr fort:»Nichts gegen die Wagehalse auf dem Schoner - aber was wird dann aus uns?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Die Batterie ist alt. Ich bin so gut wie sicher, da? sie keine Kugeln erhitzen werden, weil sie Angst haben, da? die Rohre platzen. Normalerweise brauchen sie auch gar keine hei?en Kugeln. Bei diesem Schu?feld kann die Batterie jedes Schiff treffen, sobald es in einer der beiden Hauptpassagen ist.»
        Er lachelte, um die plotzlichen Zweifel zu uberspielen, die Bellairs Bemerkung in ihm erregt hatte. Angenommen, die Kugeln lagen bereits in den Essen und wurden erhitzt? Aber dann hatte er bestimmt etwas gesehen. Gluhende Kugeln lie?en sich nicht in Korben auf eine so hohe Brustwehr hieven. Er fuhr fort:»Und uberhaupt wird bis dahin der gro?te Teil der Batterie auf dem Meeresgrund liegen, wo sie von Rechts wegen schon seit Jahren hingehort. Wir lichten morgen beim Hellwerden Anker. Der Wind scheint gunstig zu stehen und wird uns bei einigem Gluck gute Dienste leisten. Bleibt nur noch eine Frage zu klaren…«Er zogerte, denn Herrick sah gespannt zu ihm heruber.
        Aber er durfte in Herrick jetzt nicht seinen Freund sehen, den besten und treuesten, den er je besessen hatte. Er war sein Erster Leutnant, der tuchtigste Offizier an Bord. Anderes zahlte nicht, durfte nicht zahlen.

«Mr. Herrick befehligt den Schoner.»
        Mit ausdruckslosem Gesicht nickte Herrick.»Aye, Sir. Ich nehme sechs gute Manner mit. Das mu?te reichen.»
        Bolitho sah ihm in die Augen, die Gesichter der anderen traten zuruck.»Das uberlasse ich Ihnen. Und wenn Potter mitkommen will, mag er's tun. «Whitmarsh sprang auf und wollte anscheinend protestieren, aber Bolitho lie? ihn nicht zu Wort kommen.»Er kennt die Durchfahrt. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen konnen.»
        Die Tur offnete sich etwas, Carwithen steckte den Kopf herein.»Verzeihung, Sir, aber die Wasserfasser sind verstaut, und Meldung ist gekommen, da? der Schoner voll beladen ist.»

«Schon. «Bolitho wartete, bis sich die Tur wieder schlo?.»Also machen Sie weiter, meine Herren. Sie haben alle viel zu tun. «Er zogerte - warum fielen einem niemals die richtigen Worte ein, wenn man sie am notwendigsten brauchte?» Uns bleibt wenig Zeit fur Diskussionen, bis unser Auftrag erfullt ist.«Oder wir alle tot sind.
»Denken Sie immer daran: Unsere Leute sehen mehr denn je Vorbilder in Ihnen. Die meisten waren noch nie in einem richtigen Seegefecht; bei unserem Treffen mit der Argus glaubten viele, wir hatten eine Schlacht gewonnen, nicht einen geordneten Ruckzug angetreten. Diesmal gibt es keinen Ruckzug, weder fur uns noch fur den Feind. Le Chaumareys ist ein erstklassiger Kapitan, der beste vielleicht, den Frankreich je hervorgebracht hat. Aber er hat eine Schwache. «Er hielt einen Moment inne, nachdenklich lachelnd.»Eine Schwache, die wir uns noch nicht leisten konnten: er setzt blindes Vertrauen in sein Schiff und in sich selbst. Dieses unbedingte Selbstvertrauen unseres Gegners, im Verein mit Ihrem Konnen und Ihrer Entschlossenheit, wird uns zum Sieg verhelfen.»
        Sie standen auf, so stumm und ernst, als seien sie sich eben erst ihrer Verantwortung bewu?t geworden. Und der Unausweichlichkeit ihrer Situation.
        Als sie zur Tur hinausgingen, sagte Bolitho:»Einen Moment noch, Mr. Herrick.»
        Und als sie in der schwankenden Kajute allein waren:»Ich hatte keine andere Wahl, Thomas.»

«Ich ware auch sehr enttauscht gewesen, wenn Sie einen Dienstjungeren genommen hatten, Sir«, lachelte Herrick.»Also reden wir nicht mehr daruber.»
        Bolitho streckte ihm die Hand hin.»Also, dann Gott mit Ihnen, Thomas. Wenn ich die Lage falsch beurteilt habe oder der Feind uns uberlistet, rudern Sie sofort zuruck. Wenn ich» Belegen «signalisiere, geben Sie den Versuch sofort auf. Falls wir schon sterben mussen, will ich Sie bei mir haben.»
        Herrick nahm mit festem Griff Bolithos Hand; seine blauen Augen blickten plotzlich betroffen.»Reden Sie doch nicht so, Sir! Das pa?t nicht zu Ihnen. Wir werden gewinnen, hier meine Hand darauf!»
        Bolitho ging mit ihm zur Tur.

«Ich suche mir jetzt meine Leute aus, Sir«, sagte Herrick.
        Bolitho nickte, und das Herz tat ihm weh.

«Ubernehmen Sie Ihr Kommando, Mr. Herrick. Der Zweite vertritt Sie von jetzt ab hier an Bord.»
        Gemeinsam gingen sie nach oben an Deck, wo Herrick im Dunkel verschwand; Davy kam herbei und gru?te.

«Tut mir leid um Ihren Schoner«, sagte Bolitho.»Aber in letzter Zeit kann ich mir anscheinend nur noch selten aussuchen, was ich tun will.»
        Davy zuckte die Schultern.»Spielt auch keine Rolle mehr, Sir«, entgegnete er.»Ich jedenfalls kann nicht weiter sehen als die nachsten zwei, drei Tage; und mir ist auch egal, was dann kommt.»
        Wutend fa?te Bolitho ihn am Arm.»Es wird Ihnen noch leid tun, wenn Sie so daherreden! Es geht um das Schiff und um die Manner unter Ihrem Befehl, nicht um Ihre eigene Person. Wenn ein Mann erst glaubt, da? es kein Morgen fur ihn gibt, dann ist er schon so gut wie in eine Hangematte eingenaht, mit einer Kanonenkugel zu Fu?en. Glauben Sie an die Zukunft, denn die Manner, die von Ihnen abhangig sind, werden von Ihrem Gesicht ablesen, wie die Chancen stehen!«Er lie? ihn los und sagte in ruhigerem Ton:»Nun gehen Sie wieder an Ihren Dienst.»
        Er begann, an Backbord auf und ab zu gehen; wie von selbst hoben sich seine Fu?e uber Ringbolzen und Decksbeschlage, obwohl er uberhaupt nicht hinsah. Seine Vorwurfe waren nicht an Davy, sondern an sich selbst gerichtet gewesen. Aber jetzt war nicht die Zeit fur Zweifel und Selbstvorwurfe. Jetzt mu?te er die Rolle leben, die er ubernommen, die er sich in einem Dutzend Schlachten verdient hatte.

«Boot ahoi!«ertonte es vom Decksgang, wo das Licht der Schiffslaternen auf den gefallten Musketen mit den aufgepflanzten Bajonetten glitzerte.

«Don Luis Puigserver wunscht an Bord zu kommen«, lautete die Antwort.
        Davy hastete nach achtern.»Geht das in Ordnung, Sir?»
        Bolitho war wieder vollkommen ruhig.»Ich habe ihn halb erwartet«, lachelte er.
        Puigservers kraftvolle Gestalt erschien in der Fallreepspforte. Zielstrebig ging er auf Bolitho zu, um ihn zu begru?en.»Ich mu?te kommen, Capitan. Seit dem Untergang der Nervion fuhlte ich mich hier zugehorig. Und hier bleibe ich, bis diese Sache ausgestanden ist. «Er klopfte auf die silberbeschlagenen Pistolen unter seinem Rock.»Ich bin ein guter Schutze, Sir.»

«Ich konnte Ihnen befehlen, das Schiff zu verlassen, Senor.»

«Aber?«Puigserver legte den Kopf schrag.»Aber das werden Sie nicht tun. Ich habe eine schriftliche Erklarung uber meine Beweggrunde hinterlassen. Wenn wir die Schlacht uberleben, zerrei?e ich sie. Wenn nicht…«Den Rest lie? er ungesagt.

«Dann nehme ich Ihr Angebot mit Dank an, Senor.»
        Puigserver ging zu den Netzen und blickte ins Dunkel, auf die schwankende Positionslaterne.»Wann wird der Schoner Segel setzen?»

«Vor Sonnenaufgang. Er mu? moglichst viel Zeit haben, um sich in die vorteilhafteste Ausgangsposition zu manovrieren.»
        Wieder tat ihm das Herz weh bei dem Gedanken, da? Herrick seine schwimmende Pulverkammer direkt vor die Mundungen von Muljadis Kanonen segeln wurde.

«Ich verstehe. «Puigserver gahnte.»Dann gehe ich jetzt mit Ihren Offizieren von der Freiwache ein Glas Wein in der Messe trinken.»
        Ein paar Stunden spater fuhlte Bolitho Alldays Hand auf seiner Schulter und erwachte. Er war in seiner Kajute uber der Seekarte eingeschlafen, den Kopf auf dem Arm.
        Allday blickte ihn gespannt an.»Schoner hat Anker gelichtet,
        Captain.»
        Bolitho rieb sich die Augen. Dammerte schon der Morgen? Ein Schauer uberlief ihn.

«Mr. Pigsliver ist mit an Bord«, sagte Allday leise.
        Bolitho starrte ihn an. Hatte er damit gerechnet? Hatte er gespurt, da? Puigserver diesen Entschlu? im selben Augenblick gefa?t hatte, als er seinen Plan entwickelte?

«Sind sie gut abgekommen?»

«Aye, Captain. «Allday reckte sich und gahnte.»Haben vor 'ner halben Stunde die Landspitze umrundet. «Bedachtig fugte er hinzu:»Gut fur Mr. Herrick, da? der Don mit dabei ist. Bestimmt.»
        Bolitho sah ihn mi?trauisch an.»Sie haben davon gewu?t, nicht wahr?»

«Aye, Captain. Ich dachte, es ware am besten so.»
        Bolitho nickte.»Schon moglich. «Er trat zum Fenster, als wolle er nachsehen, ob das blinkende Positionslicht noch da war.»Es ist immer schlecht, wenn man allein ist.»
        Allday blickte zu dem schwarz angelaufenen Degen hin, der am Schott hing. Eine Sekunde lang dachte er an Bolithos fruheren Bootsmann, der bei den Saintes gefallen war, als er ihm den Rucken vor franzosischen Scharfschutzen deckte. Er, Allday, und der Captain hatten seit damals einen langen Weg miteinander hinter sich gebracht. Bald war vielleicht alles zu Ende. Er betrachtete Bolithos Schultern, der immer noch aus dem Heckfenster sah.
        Aber Sie, Captain, werden nie allein sein, dachte er. Nicht, solange ich noch Atem habe.



        XVII Bord an Bord

        Die Hande auf der Achterdeckreling, musterte Bolitho prufend sein Schiff. In der Dunkelheit hoben sich die hellen Decksplanken bleich gegen die See vor dem Bug ab, und nur an der ungleichma?igen Linie des Kielwassers, der wirbelnden, vom Vordersteven ausgehenden Pfeilspitze, war zu erkennen, da? die Undine tatsachlich Fahrt machte.
        Er versagte es sich, nach achtern zu gehen und bei dem abgeblendeten Kompa?licht nach seiner Uhr zu sehen. Seit seinem letzten Kontrollgang hatte sich nichts geandert; er wurde dadurch die Spannung nur vergro?ern.
        Drei Tage waren vergangen, seit sie Pendang Bay verlassen hatten, und meistens hatten sie dank des gunstigen Windes gute Fahrt gemacht. Sie segelten in sicherer Entfernung von Land und hatten sogar die kleine, walfischformige Insel gemieden, falls Muljadi dort wieder ein Fahrzeug als Wache stationiert hatte.
        Kurz vor dem letzten Sonnenuntergang hatten sie Herricks Schoner gesichtet, einen winzigen dunklen Span an der kupferfarbenen Kimm. Es sah fast so aus, als liege er beigedreht und erwarte die Undine an einem bestimmten Treffpunkt. Ein kurzer Austausch von Lichtsignalen, dann hatten die Schiffe einander in der Dunkelheit wieder verloren.
        Bolitho fuhlte die kuhle feuchte Luft auf Gesicht und Hals und schauderte. Die Mittelwache war eben vorbei, und allenfalls in einer Stunde oder so war die erste Helligkeit am Himmel zu erwarten. Uber Nacht, wahrend alle Mann das Schiff gefechtsklar machten, hatten sich dichte Wolken zusammengezogen und die Sterne gleichsam weggewischt, so da? die Undine in eine schwarze Leere hineinzusegeln schien.
        Er horte Mudge ruhelos bei den Finknetzen herumstapfen und sich die Hande warmreiben. Der Steuermann kam ihm ungewohnlich nachdenklich vor. Vielleicht plagte ihn sein Rheumatismus; oder er dachte ebenso wie Bolitho an Herrick dort drau?en, irgendwo an Backbord voraus.
        Bolitho straffte den Rucken und schaute zu den dunkleren Linien der Takelage hoch. Die Undine fuhr unter Mars- und Vorstagsegeln; nur die machtige Fock verdeckte die See vor dem Bugspriet. Es war seltsam, da? ihn so frostelte, obwohl doch die Sonne in ein paar Stunden qualend brennen wurde, ganz abgesehen von dem, was sie sonst noch erwartete.

«Halt der Wind, Mr. Mudge?»
        Der Segelmeister war offensichtlich froh, das Schweigen brechen zu konnen.»Stetig Sudwest, Sir. Voll und bei. «Er hustete laut.»Normalerweise ware ich dankbar dafur.»

«Und warum sind Sie's nicht?»

«Wei? nicht recht, Sir. «Mudge verlie? seinen Platz bei den Geschutzbedienungen der Achterdeck-Sechspfunder.»Ist zu unruhig fur meinen Geschmack.»
        Bolitho wandte sich um und spahte zum Vorschiff. Die machtige Fock schien Mudges Zweifel zu bestatigen. Die Undine steuerte fast genau Nord, und vor dem raumen Wind hatte sie glatt und gleichma?ig segeln mussen. Aber das tat sie nicht. Immer wieder fullte sich die Fock so hart, da? die Stagen und Wanten summend vibrierten, und hielt das Schiff mehrere Minuten lang fest auf Kurs. Aber dann wieder killte sie knatternd und fiel ein, hing schlaff fast bis zum Vormast durch - und das in standigem Wechsel.

«In diesen Gewassern wei? man nie«, sagte Mudge skeptisch.»Jedenfalls nie genau.»
        Nachdenklich studierte Bolitho Mudges zerraufte Silhouette. Wenn schon dieser erfahrene Mann sich Sorgen machte, was sollten da erst die anderen sagen?

«Mr. Davy«, rief er,»ich gehe aufs Vorschiff. «Der Leutnant loste sich von der Reling.»Sagen Sie Mr. Keen, er soll mir Gesellschaft leisten.»
        Bolitho schlupfte aus seinem Olzeug und reichte es Allday. Er war so in seine Gedanken vertieft gewesen, da? er sich gar nicht klargemacht hatte, wie diese nur zah dahinschleichenden Stunden auf seine Gefahrten wirken mu?ten. Er hatte» Klarschiff zum Gefecht «trommeln lassen, und in der fast vollstandigen Dunkelheit hatte das Manover kaum langer gedauert als am hellen Tag, so vertraut waren sie inzwischen mit dem Schiff. Es war ihr Zuhause. Da? so fruh gefechtsklar gemacht wurde, war nur eine Vorsichtsma?nahme. Der Schall pflanzte sich auf See leicht fort, und der Larm beim Herausnehmen der Zwischenwande, das Scharren und Knarren beim Riggen der Schutznetze uber dem Geschutzdeck und das Sichern aller Rahen mit Ketten war stark genug, um Tote zu erwecken. Aber danach konnten sie nichts weiter tun als warten - und daruber nachgrubeln, was das Tageslicht ihnen bringen wurde.
        Keen tauchte aus der Dunkelheit auf, bleich schimmerte seine Hand auf einem der schwarzen Sechspfunder.»Was macht Ihre Wunde?«fragte Bolitho.»Danke, Sir, schon viel besser.»
        Bolitho lachelte. Fast fuhlte er selbst den Schmerz, der vermutlich auf Keens Gesicht stand.

«Dann begleiten Sie mich ein bi?chen.»
        Sie schritten zusammen den Leedecksgang entlang, duckten sich unter den straffgespannten Netzen, die Shellabeers Leute aufgeriggt hatten, um fallende Takelage oder Schlimmeres aufzufangen, sahen in die emporgewandten Gesichter der Geschutzbedienungen, die ruhelosen Gestalten der Seesoldaten auf Posten an den Niedergangen, die Pulveraffchen - Schiffsjungen, die dicht beieinander hockten und darauf warteten, die jetzt noch stummen Kanonen zu futtern.
        Auf der Back, wo die niedrigen Karronaden wie gefesselte Tiere nach vorn spahten, erschauerten die Geschutzbedienungen jedesmal, wenn Spruhwasser uberkam und sie durchna?te.
        Bolitho blieb stehen und griff mit einer Hand in die Netze, als die Fregatte stampfend in ein tiefes Wellental glitt. Die meisten Matrosen waren nackt bis zum Gurtel; ihre Oberkorper schimmerten schwach vor dem dunklen Wasser.

«Alles klar, Leute?»
        Sie drangten sich um ihn, uberrascht durch sein plotzliches Auftauchen. Gezwungenerma?en hatte man das Feuer in der Kombuse geloscht, als gefechtsklar gemacht wurde. Ein hei?er Trunk hatte jetzt mehr gezahlt als ein Dutzend zusatzlicher Kanonen, dachte Bolitho bitter. Er sagte zu Keen:»Mein Kompliment an Mr. Davy, und er soll fur alle Mann eine doppelte Ration Rum ausgeben lassen. «Die Manner um ihn reagierten sofort; freudiges Gemurmel lief das Geschutzdeck entlang. Und wenn sich der Zahlmeister ziert, bekommt er es mit mir zu tun!»

«Danke, Sir! Sie denken auch an alles, Sir!»
        Er schritt zur Leiter und wandte dabei das Gesicht ab, damit sie seine Stimmung nicht spurten. Es war so leicht, sie aufzumuntern. Zu leicht, so da? er sich billig und heuchlerisch vorkam. Eine Doppelration Rum, die kostete nur wenige Pence. Wogegen sie in wenigen Stunden vielleicht ihr Leben oder ihre gesunden Glieder drangeben mu?ten.
        Mit gro?en Schritten ging er zum Hauptniedergang. Dort stand der riesige Soames mit Tapril, dem Stuckmeister. Er nickte Fowlar zu und den Bedienungen der Backbordbatterie. Alles seine Manner, fur die er verantwortlich war.
        Unvermittelt fiel ihm Konteradmiral Sir John Winslade ein, der ihn vor so vielen Monaten in der Admiralitat eingewiesen hatte. Er hatte einen Fregattenkapitan gebraucht, dem er vertrauen, dessen Gedankengangen er folgen konnte, selbst auf der anderen Seite des Erdballs. Bolitho dachte auch an die beiden Veteranen unter den Fenstern der Admiralitat; der eine war blind gewesen, der andere hatte fur ihn und sich selbst gebettelt.
        Alle diese kuhnen Plane und hochfliegenden Vorbereitungen fur eine neue We lt! Doch am Kern der Dinge anderten sie gar nichts. Die Undine und die Argus waren zwar nur zwei Einzelschiffe, aber durch das, worum es bei ihrem Zweikampf ging, ebenso wichtig wie zwei feindliche Flotten.
        Wenn die Undine es nun nicht schaffte - was wurden sie dann sagen, die feinen Leute in den herrschaftlichen Hausern von Whitehall und am St. James' Square, in den geschaftigen Londoner Kaffeehausern, wo aus blo?en Geruchten in wenigen Minuten Tatsachen wurden? Wurden sie auch nur einen Gedanken an die Manner verwenden, die fur sie und fur den Konig im Kampf ihr Leben gelassen hatten?
        Irgendwo im Dunkel stie? jemand ein leises Hurra aus - vermutlich war der Rum eingetroffen.
        Bolitho ging weiter nach achtern; er hatte es kaum gemerkt, da? er stehengeblieben war, weil sich seine Verbitterung in Zorn verwandelt hatte. Wie geraumig das Deck wirkte ohne die Boote, die sonst ubereinander auf ihren Gestellen lagen! Jetzt hingen sie alle achteraus im Schlepp und warteten auf den Moment, da die Leinen gekappt werden wurden.
        Das war immer ein boser Moment, dachte er. Boote waren zwar zerbrechlich und bedeuteten in der Schlacht immer eine zusatzliche Gefahr, weil ihre Splitter wie Dolche umherflogen. Trotzdem waren die meisten Matrosen froh, da? die Boote an Deck waren: als letzte Hoffnung, wenn es ganz schlimm wurde.
        Schnaufend kam Keen zuruck.»Alles erledigt, Sir. Mr. Triphook hat sich allerdings ein bi?chen aufgeregt uber die Extraration. «Seine Zahne leuchteten wei? in der Dunkelheit.»Mochten Sie auch ein Glas, Sir?»
        Rum war Bolitho zuwider. Aber er sah, da? die Matrosen und Seesoldaten ihn beobachteten.»Aber gewi?, Mr. Keen«, sagte er deshalb und hob das Glas zum Mund.

«Auf uns, Jungs!»
        Er dachte an Herrick und Puigserver auf ihrer schwimmenden Bombe. Und auf dich, Thomas!
        Er trank aus und blickte zum Himmel: noch kein Lichtschimmer. Und auch kein Stern zu sehen.»Ich gehe nach unten«, sagte er und tippte dem Midshipman auf den Arm. Sie bleiben hier beim Niedergang. Lassen Sie mich rufen, wenn notig.»
        Bolitho stieg in die Finsternis hinab. Hier waren seine Bewegungen nicht so sicher. Jeder hatte ihn rufen konnen, wenn er gebraucht wurde, aber er wollte Keen einen unnotigen Besuch im Schiffslazarett ersparen. Das konnte noch fruh genug kommen. Er dachte an Keens gro?e, pulsierende Wunde, an Alldays sanfte Hande, mit denen er den blutigen Splitter herausgeholt hatte.
        Noch eine Leiter. Er blieb stehen. Um ihn herum stohnten und knarrten die Schiffsplanken. Auf diesem Deck roch es anders: nach Teer und Werg, nach dicht beieinander lebenden Menschen, obwohl das Logis jetzt verlassen war. Und vom Vorschiff her kam der Gestank des machtigen Ankergeschirrs, von Bilgewasser und feuchter Kleidung. So roch es eben in einem lebenden, arbeitenden Schiff.
        Schwacher Laternenschein wies ihm den Weg zu Whitmarshs primitivem Arbeitsraum: aneinandergelaschte Seekisten, auf denen die Verwundeten entweder gerettet wurden oder verzweifelt starben; Lederriemen zum Drauf bei?en, Verbandszeug, um die Schmerzen zu lindern. Der riesige Schatten des Doktors schwankte auf dem schlingernden Deck. Bolitho beobachtete ihn aufmerksam. Ein starker Brandygeruch hing in der feuchthei?en Luft. Brandy zum Betauben - oder um den Arzt auf seine Privatholle vorzubereiten?

«Alles klar, Mr. Whitmarsh?»

«Aye, Sir.»
        Der Arzt schlurfte zu einer Seekiste und stemmte sich mit dem Knie dagegen. Er deutete mit einer Handbewegung auf seine Helfer, die stummen Sanitatsgasten, die das Opfer festhalten wurden, bis die Arbeit getan war: brutal geworden durch ihre Tatigkeit, taub fur die Schreie und jenseits allen Mitleids.

«Wir alle warten darauf, was Sie uns schicken werden, Sir. «Bolitho blickte ihm kalt ins Gesicht.»Werden Sie es nie lernen?»
        Finster entgegnete der Arzt:»O doch, Sir, ich habe meine Lektion gut gelernt. Wenn ich einem Mann das Bein abgesagt oder Werg in seine leere Augenhohle gestopft habe, mit nichts als Schnaps gegen die Schmerzen, dann bin ich Gott naher als die meisten Menschen.»

«Wenn dem so ist, dann kommen Sie ihm bitte nicht noch naher!«Bolitho nickte den anderen zu und ging zur Leiter.

«Vielleicht werde ich auch Sie hier begru?en konnen, Sir!«rief der Arzt hinter ihm her. Bolitho antwortete nicht. Anscheinend brach der Wahnsinn bei Whitmarsh jetzt endgultig durch. Der schandliche Tod seines Bruders, der Suff und die Art, wie er sich sein Brot verdienen mu?te, wirkten sich aus. Aber der Mann hatte auch eine andere Seite: er hatte von Mitleid mit den Verwundeten gesprochen, vom Dienst an den Unglucklichen - auf diese Seite seines Charakters mu?te sich Bolitho verlassen.
        Wieder dachte er an Herrick und hoffte, da? er mit seinem Boot rechtzeitig wegkam, wenn der Schoner endgultig auf Selbstmordkurs war. Seltsame Gefahrten hatte er: darunter Puigserver und den kleinen Segelmacher aus Bristol, der in all seiner Angst noch den Mut gefunden hatte, an den Ort zuruckzukehren, wo man ihn an Geist und Korper gebrochen hatte.

«Captain, Sir!»
        Das war Keens Stimme. Er beschleunigte seine Schritte.»Was ist?»
        Aber als er die Leiter ergriff und das bleiche Rechteck des Himmels sah, wu?te er die Antwort. Langsame, schwere Regentropfen prasselten auf das Luk wie kleine, von den Rahen fallende Kieselsteine, trommelten auf Planken und Decksgange.
        Er zog sich die letzten Sprossen hinauf und eilte zum Achterdeck. Er war noch ein paar Fu? entfernt, da offneten sich die Wolkenschleusen, und der Regen rauschte in machtigen, ohrenbetaubenden Schleiern herab.
        Bolithos Stimme ubertonte die Sintflut.»Was macht der
        Wind?»
        Mudge stand gebuckt bei der Kompa?bussole; unterm Anprall des Regens hatte sich sein Hut verschoben.

«Schie?t aus, Sir, soweit ich sagen kann.»
        Zischend und gurgelnd flo? das Wasser ubers Deck und durch die Speigatten. Die durchfrorenen Geschutzbedienungen druckten sich unter die Decksgange und kauerten hinter den geschlossenen Stuckpforten, um den Sturzbachen zu entgehen.
        Allday wollte Bolitho den geteerten Bootsmantel uber die Schultern legen, aber der schob ihn zur Seite. Er war bereits na? bis auf die Haut, und die Haare klebten ihm in der Stirn. Das Rauschen von Regen und Spritzwasser betaubte ihn fast. Aber trotz allem behielt er den Kontakt mit seinem Schiff. Das Deck lag ziemlich stetig unter seinen Fu?en, und uber seinem Kopf killte, wie er eben noch erkennen konnte, das Gro?marssegel und glanzte vor Nasse in dem immer mehr ausschie?enden
        Wind.

«An die Brassen, Mr. Davy! Holen Sie die Schoten dicht!«Tappend und fluchend gehorchten die Manner; das gequollene Tauwerk quietschte protestierend in den Blocken, als die Rahen herumgeholt wurden, um das Schiff auf Kurs zu halten.»Einen Strich hoher«, befahl Bolitho.
        Am gro?en Doppelruder rutschten Manner aus; er sah, wie Carwithen nach einem der Ruderganger boxte, der sich im Regengu? duckte.

«Nordwest, Sir! Voll und bei!»

«Kurs halten!»
        Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Armel. Der prasselnde Regen half, ihm den Kopf freizumachen, so da? er sich mit dem Geschehen auseinandersetzen konnte. Wenn der Wind weiter ausscho?, auch wenn er nur so blieb wie jetzt, wurde Herrick seinen Schoner nicht in die Position manovrieren konnen, von der aus er Muljadis Batterie zerstoren konnte. Mu?te der verdammte Wind ausgerechnet jetzt umspringen? Waren es Regentropfen oder Tranen der Verzweiflung, die ihm die Augen netzten?
        Er schlitterte zu Mudge hinuber und schrie:»Wie weit haben wir noch, was denken Sie?»

«Vier oder funf Meilen, Sir, mehr nicht. «Enttauscht starrte Mudge in den Regen. Dieser Gu? wird schnell vorbeigehen. Aber dann…«Er hob die Schultern.
        Bolitho wandte die Augen ab. Er wu?te Bescheid. Stand die Sonne erst hoch, dann wurde der Wind hochstwahrscheinlich auffrischen, Herrick nutzte er nichts, aber Le Chaumareys verlieh er Sicherheit an seinem Ankerplatz. Und die Undine wurde hilflos sein. Sie wurde vor der Kuste warten mussen, bis der Feind seine beiden Schiffe gefechtsklar hatte und zu seinen Bedingungen kampfen konnte. Oder sie konnten abdrehen und nach Pendang Bay zuruckeilen, ohne etwas anderes mitzubringen als eine letzte Warnung.

«Eine Schweinerei, bei Gott!«rief Davy wutend.
        Fast mitleidig sah Mudge zu ihm hinuber.»Das ganze Leben ist ein einziges Ruckzugsgefecht, Mr. Davy, von dem Tag Ihrer Geburt an.»
        Bolitho fuhr herum, um beiden Schweigen zu gebieten, aber da bemerkte er, da? er des Steuermanns Gesicht besser erkennen konnte als zuvor. Die Morgendammerung brach an - dagegen war nichts zu machen.
        Das Blut scho? ihm zu Kopf.»Wir greifen an wie geplant!«rief er.»Weitersagen an alle!»
        Davy sah ihn offenen Mundes an.»Gegen die intakte Batterie, Sir?»

«Das hatte vielleicht sowieso nicht geklappt. «Er versuchte, ruhig zu sprechen. Der Gegner wird dem Regen zuhoren und Gott dafur danken, da? er sicher vor Anker liegt. «Scharf sprach er weiter:»Sind Sie taub, Mann? Sagen Sie Mr. Soames, er soll laden lassen, sowie der Regen vorbei ist!»
        Davy nickte krampfhaft und rannte zur Reling.
        Hauptmann Bellairs trat zu Bolitho.»Verdammt riskante Sache, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Sir«, sagte er kuhl.
        Bolitho spurte, wie seine Schultern unter dem Regen tiefer sackten und der plotzliche Funke in ihm erlosch.

«Was wurden Sie denn an meiner Stelle tun?»
        Bellairs stellte seinen Kragen hoch und schob die Lippen vor.»Oh, ich wurde auch kampfen, Sir. Wir haben ja keine andere Wahl. Aber schade ist es trotzdem. Gottverdammt schade!»
        Bolitho nickte.»Da sind wir uns einig.»

«Deck ahoi! Land voraus in Sicht!«schallte es vom Ausguck.
        Steifbeinig schritt Bolitho nach Lee hinuber, seine Sohlen quietschten auf dem nassen Deck. Ein dunkler Streifen dehnte sich zu beiden Seiten des Bugs, schimmerte in dem schwachen Licht tauschend friedlich heruber.
        Eine Stimme sagte leicht uberrascht:»Der Regen la?t nach.»
        Wie zur Bestatigung hob sich die triefend nasse Fock vor einer auffrischenden Bo. Bolitho schauerte und bi? die Zahne zusammen.»Sagen Sie Mr. Soames Bescheid: laden und klar zum Ausrennen auf Befehl!«Er sah sich nach Keen um.»Die Flagge!»
        Eine andere Stimme murmelte:»Keine Chance, Kumpels! Die machen uns fertig!»
        Bolitho horte den Fall quietschen, als das Tuch zum Masttopp emporstieg und sich im Wind entfaltete, auch wenn es vorlaufig unsichtbar blieb.

«Sobald es hell genug ist, Mr. Keen, signalisieren Sie dem Schoner:»Aktion einstellen «Mr. Herrick kann hier warten und unsere Boote aufnehmen.»

«Aye, aye, Sir«, sagte Keen,»ich werde gleich… »
        Er fuhr argerlich herum, denn aus dem Dunkel horte er jemanden sagen:»Und unsere blutigen Leichen auffischen, das ist wahrscheinlicher!»

«Ruhe da!«schrie Keen.»Waffenmeister, schreiben Sie den Mann auf!»
        Leise sagte Bolitho:»Nicht doch! Wenn es ihnen hilft zu schimpfen, dann sollen sie das ruhig tun.»
        Die Fauste in die Huften gestemmt, blickte Keen ihn an.»Aber es ist nicht fair! Schlie?lich war's nicht Ihre Schuld, Sir!»
        Bolitho lachelte.»Danke, Mr. Keen.»
        Auf einmal sah er den Leutnant seines ersten Kommandos, der Schaluppe Sparrow, vor sich, einen amerikanischen Kolonisten; er hatte den Krieg mitgemacht, wo er am schlimmsten war, hatte seinem Konig gedient und dabei gegen seine eigenen Leute gekampft. Was hatte der Keen geantwortet? Bin nicht ganz sicher, hatte er gesagt. Bolitho konnte ihn beinahe horen, als sei er mit an Bord.
        Rasch wandte er sich nach Steuerbord, wo eben ein glimmender Streifen Sonnenlicht uber der leeren Kimm erschien. Jetzt war es bald soweit. Er merkte, da? er Angst hatte vor diesem Tageslicht, das ihn nackt und blo? den Kanonen preisgeben wurde, sobald sie in die enge Passage einfuhren, wo er mit Le Chaumareys zusammengetroffen war.
        Hinter sich horte er Schritte und Alldays Stimme, fest, unbewegt.»Gehen Sie lieber runter und ziehen Sie dieses nasse Zeug aus, Captain.»
        Gereizt fuhr er herum, seine Stimme brach fast vor Anspannung.»Mann, denken Sie, ich habe nichts anderes zu tun?»
        Doch der Bootsmann blieb stur.»Im Augenblick nicht. «Und im gleichen knappen Stil fuhr er fort:»Erinnern Sie sich noch, wie es bei den Saintes war, Captain?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Ziemlich schlimm. Alle diese Froschfresser und das Meer zum Bersten voll von ihren Schiffen. Ich stand im Vorschiff an einem Drehgeschutz. Und die Jungs zitterten alle vor Angst. Da drehte ich mich um und sah Sie. Sie gingen auf dem Achterdeck auf und ab, so gelassen, als ginge es in die Kirche und nicht in die Holle.»
        Bolitho starrte ihn an und war auf einmal wieder ruhig.»Ja, ich erinnere mich.»
        Allday nickte bedeutsam.»Aye. Und Sie trugen dabei Ihre beste Uniform.»
        Bolitho blickte uber Alldays Schulter. Im Geist horte er eine andere Stimme, die seines damaligen Bootsmanns, Alldays Vorganger, der an diesem Tag gefallen war. Die Leute wollen zu Ihnen aufblicken, hatte er gesagt.

«Na schon. Aber wenn man mich braucht… »
        Langsam zog ein Lacheln uber Alldays Gesicht.»Dann sage ich Ihnen sofort Bescheid, Captain.»
        Als er gegangen war, meinte Mudge leise zu Allday:»Das war vielleicht 'ne Schnapsidee, Mann! Mit seinen goldenen Tressen wird der Kommandant ein feines Ziel abgeben fur die Scharfschutzen!»
        Allday ma? ihn argerlich.»Das wei? ich. Und er auch. Er wei? aber auch, da? wir uns heute auf ihn verlassen - und dazu mu? man ihn sehen konnen!»
        Mudge schuttelte den Kopf.»Verruckt. Ihr seid alle verruckt.»

«Deck ahoi!«sang der Ausguck aus.»Schoner in Luv voraus!»

«Ruckrufsignal hissen!«befahl Keen.
        Allday stand mit untergeschlagenen Armen da und starrte in das zunehmende Fruhlicht, das bereits bis zu den Inseln reichte.»Mr. Herrick wird's nicht sehen«, verkundete er.
        Davy funkelte ihn an.»Es ist aber bald hell genug.»

«Wei? ich, Sir«, erwiderte Allday traurig.»Aber er wird's trotzdem nicht sehen. Nicht Mr. Herrick.»
        Ohne Mobel und sonstige Einrichtung wirkte die Kajute so seltsam feindselig wie ein leeres Haus, das seinen verstorbenen Herrn betrauert und widerwillig einen neuen erwartet.
        Bolitho stand bei den abgeblendeten Heckfenstern und lie? die Arme hangen, wahrend Noddall ihn wie eine Glucke umtanzte und ihm den schweren Rock glattstrich. Wie der Bootsmantel stammte er von einem erstklassigen Londoner Schneider und hatte einen guten Teil seiner Prisengelder gekostet.
        Durch einen Spalt des Skylightdeckels, der jetzt mit Riegeln am Kampanjebalken befestigt war, konnte er das Geschutzdeck uberblicken. Dort war das Licht noch sparlich, die Kanonen und ihre geschaftigen Bedienungen standen noch im Schatten. Selbst hier in der Kajute, wo er manchmal in der Einsamkeit Ruhe gefunden, mit Viola Raymond zusammengesessen oder mit Herrick eine Pfeife geraucht hatte, gab es kein Entrinnen. Von den Zwolfpfundern hatte man die Chintzbezuge abgenommen und sie mit den Mobeln irgendwo unterhalb der Wasserlinie, wo sie sicherer waren, verstaut. An den beiden Geschutzen standen die Bedienungen, unbehaglich und beklommen in seiner Gegenwart; einerseits wollten sie ihm beim Umkleiden zuschauen, andererseits trauten sie sich nicht, woanders hinzuschauen als auf ihre Kanonen.
        Mit schiefgeneigtem Kopf lauschte Bolitho dem Ruderblatt, das grollend auf das Drehen des Rades reagierte. Der Wind hatte aufgefrischt; er legte das ganze Schiff uber und hielt es so. Einer der beiden Geschutzfuhrer kontrollierte eben seine Rei?leine und stand dabei ganz schief zum Deck.

«So sehen Sie besser aus, Sir, viel besser«, murmelte Noddall. Er wiederholte es inbrunstig wie ein Gebet.»Besser, viel besser. Captain Stewart war immer besonders eigen vor einem Gefecht.»
        Bolitho verdrangte alle Zweifel und bosen Ahnungen. Stewart - wer war das? Dann fiel es ihm wieder ein: der vorige Kapitan der Undine. Ob dem wohl manchmal so ahnlich zumute gewesen war?
        Stampfende Schritte oben an Deck; jemand rief etwas.

«Schlu? jetzt, das mu? genugen!«Er griff nach Hut und Degen, blieb aber noch einen Moment stehen; Noddall hielt immer noch die Hande vor der Brust hoch wie Pfotchen; plotzlich tat er ihm leid.

«Sehen Sie sich vor, Noddall, und bleiben Sie unter Deck. Kampfen ist nichts fur Sie.»
        Es erschutterte ihn, da? Noddall heftig nickte und ihm dabei Tranen uber die Wangen liefen.»Danke, Kapt'n«, sagte er schwach und gebrochen, aber aufrichtig. Noch ein Gefecht konnte ich nicht aushallen. Und ich mochte Sie nicht enttauschen, Sir.»
        Bolitho eilte an ihm vorbei zur Leiter. Noddall war immer etwas Selbstverstandliches fur ihn gewesen. Niemals war ihm der Gedanke gekommen, da? Noddall jedesmal, wenn gefechtsklar gemacht wurde, vor Angst beinahe verging.
        Er rannte die letzten Stufen hoch und sah oben Davy und Keen, die ihre Fernrohre nach vorn gerichtet hatten.

«Was ist los?»
        Davy drehte sich um, mit Muhe schluckend, und konnte seine Blicke nicht von Bolithos goldbetre?tem Rock lassen.»Der Schoner hat das Signal nicht bestatigt, Sir.»
        Bolitho sah von ihm zur Signalflagge hoch, die sich jetzt frei und hell gegen die grauen Bramsegel abhob.»Sind Sie sicher?»
        Mudge knurrte:»Anscheinend will er nicht, Sir. Wenigstens scheint Mr. Allday das zu denken.»
        Statt zu antworten, suchte Bolitho den Landstreifen vor dem Bug sorgfaltig ab. Dort lag alles noch im tiefen Schatten, nur hier und da verriet ein heller Strich den nahen Sonnenaufgang. Aber der Schoner war klar genug zu sehen, er stand genau in Linie zum stampfenden Bugspriet der Undine; seine Segel leuchteten fast wei? vor den Klippen und gezackten Felsen. Herrick mu?te das Signal gesehen haben. Er hatte bestimmt darauf gewartet, seit der Wind ausgeschossen war. Bolitho blickte zum Masttopp empor. O Gott, der Wind hatte noch weiter gedreht und mu?te jetzt aus Westsudwest kommen.

«Aufentern lassen, Mr. Davy!«rief er.»Royalsegel setzen!»
        Er wandte sich um, und in dieser kurzen Sekunde sah er sie alle ganz klar: Mudge, von Zweifeln geplagt; Carwithen, dessen Lippen zu einem dunnen Strich zusammengepre?t waren; die Rudergasten, die nackten Rucken der Geschutzbedienungen und Keen mit seinen Signalgasten…
        Die Bootsmannspfeifen schrillten. Schattenhaft glitten die Toppmatrosen an den Webleinen empor, um mehr Segel zu setzen.
        Davy rief heruber:»Vielleicht will Mr. Herrick weitermachen wie geplant, Sir!»
        Mit einem Blick auf Allday, der aufmerksam den Schoner beobachtete, erwiderte Bolitho gelassen:»Sieht beinahe so aus, Mr. Davy.»
        Unter dem Zug der obersten Segel tauchte die Undine noch tiefer in das milchige Wasser. Schaumfetzen flogen uber Back und Netze wie Gespenster. Der Schiffsrumpf erzitterte stohnend unter dem Druck, und wenn Bolitho nach oben blickte, sah er, da? die Royalrahen sich durchbogen. Der Wimpel am Masttopp war jetzt deutlich zu erkennen; die Uniformrocke der Seesoldaten, die in schwankenden Reihen bei den Finknetzen angetreten standen oder mit ihren Musketen und Drehgeschutzen oben in den Toppen knieten, leuchteten rot wie
        Blut.
        Als er befahl:»Signal wiederholen, Mr. Keen!«kam ihm seine eigene Stimme fremd vor.
        Soames stand am Verschlu?block eines Zwolfpfunders und hielt sich mit beiden Handen am Decksgang fest. Er starrte auf das Land. Dann blickte er nach achtern zu Bolitho und zuckte kurz mit den Schultern. Im Geist hatte er Herrick wohl bereits abgeschrieben.

«Das wird nichts!«sagte Keen heiser.»Ohne Ruder treibt der Schoner bei diesem Wind an der Insel vorbei. Bestenfalls explodiert er mitten in der Durchfahrt!»
        Da schrillte Penns Knabenstimme vom Geschutzdeck:»Ich habe eine Trompete gehort!»
        Bolitho rieb sich die Augen, in denen schmerzhaft das Salz bi?. Also eine Trompete. Ein Posten in der Festung mu?te den Schutz der Mauern verlassen und auf See hinausgeblickt haben. Den Schoner hatte er wohl sofort gesehen, und in ein paar Minuten mu?te auch die Undine entdeckt werden.
        Das Brausen der See, die Gerausche des Schiffs wirkten plotzlich lauter denn je; jedes Stuck des Riggs und der Segel knallte und summte im Chor, als die Undine dem Land und dem hellen Dreieck aus Gischt, welches die Einfahrt in die Passage markierte, immer naher kam.
        Ein dumpfer Krach tonte uber das Wasser, und ein Mann rief:»Sie haben das Feuer eroffnet, Sir!»
        Bolitho griff nach einem Teleskop. Mit grimmigen Gesichtern hockten die Geschutzbedienungen vor ihren Kanonen oder warteten hinter den geschlossenen Stuckpforten. Hofften. Furchteten sich…
        Es war schwierig, das Glas einzustellen. Mit gespreizten Beinen suchte er festen Stand auf dem schlupfrigen, schwankenden Deck. Die Masten des Schoners kamen ins Blickfeld und verschwanden wieder, und der kleine blutrote Fleck der Kriegsflagge, der vorher noch nicht dagewesen war. Er spurte sich lacheln, obgleich ihm eigentlich mehr nach Weinen zumute war, obwohl er verzweifelt wunschte, seine flehenden Worte uber diese zwei Meilen schreien zu konnen. Herrick zeigte ebenfalls die Farben. Fur ihn war der Schoner nicht einfach eine schwimmende Bombe; er war ein Schiff - sein Schiff. Oder vielleicht wollte er mit dieser simplen Geste Bolitho etwas erklaren. Ihm zeigen, da? er verstand.
        Noch ein Krach; und dieses Mal sah er den Pulverrauch von der Batterie aufsteigen, ehe der Wind ihn auseinanderri?. Fedrig sprang eine Gischtfontane hoch, aber weit vom Schoner entfernt. Bolitho hielt ihn im Glas. Er krangte so, da? das
        Unterwasserschiff uber dem spritzenden Gischt sichtbar wurde. Bei diesem Wind konnte Herrick fur den letzten und gefahrlichsten Teil seiner Fahrt das Ruder nicht festlaschen, das wu?te er.

«Der Schu? sa? zu hoch, Sir!«schrie Davy.
        Diese Worte rissen Bolitho in die Wirklichkeit zuruck, und er senkte das Glas. Der Kanonier auf der Festung hatte also auf die Undine gezielt, nicht auf den kleinen Schoner. Ehe Muljadis Leute gemerkt hatten, was los war, mu?te Herrick bereits so dicht unter der Kuste gewesen sein, da? er im toten Winkel lag.
        Bolitho blickte wieder hin, als eine Doppelexplosion ubers Wasser rollte. Er sah die Mundungsfeuer nur kurz aufblitzen, dann stiegen die Zwillingsgeyser in Linie mit dem Schoner, aber weit hinter ihm auf.
        Hauptmann Bellairs verga? seinen blasierten Gleichmut, packte seinen Sergeanten beim Arm und brullte:»Bei Gott, Sar'nt Coaker, er will sie selbst auf Grund setzen!»
        Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis sich diese Erkenntnis uber das ganze Deck der Fregatte verbreitet hatte. Aber dann, als die Worte von einem Geschutz zum anderen bis zum Bug gedrungen waren, sprangen die Manner auf, brullten wie die Irren, schwenkten ihre Halstucher oder hupften wie Kinder auf dem sandbestreuten Deck. Von den Masten und auf der Back erscholl Geschrei, und selbst Midshipman Armitage, der sich eben noch an eine Belegklampe geklammert hatte, um nicht zusammenzubrechen, schwenkte seinen Hut und gellte:»Los! Ihr werdet es ihnen schon zeigen!»
        Bolitho rausperte sich muhsam.»Frage an Masttopp: Fregatten gesichtet?»
        Er versuchte krampfhaft, nicht an den mit Pulver vollgestopften Laderaum des Schoners zu denken. Und nicht an die Lunte, die in der Stille des Schiffsrumpfes bestimmt schon knisternd brannte.

«Aye, Sir! Er sieht die Rahen der ersten Fregatte hinter der Landspitze!«Selbst Davy hatte wilde Augen und schien, den bevorstehenden Kampf vergessend, von Herricks Selbstaufopferung uberwaltigt zu sein.
        Erneutes Geschutzfeuer, und nun spritzten die Fontanen rings um den Schoner hoch. Vielleicht kamen sie von der nachsten der ankernden Fregatten oder von kleineren Geschutzen auf dem winzigen Strand, der die Einfahrt beherrschte. Bolitho spurte, da? er die Zahne schmerzhaft fest zusammengebissen hatte.
        Zum mindesten wu?ten die Franzosen jetzt, da? irgend etwas geschah, aber sie wurden das volle Ausma? der Gefahr noch nicht gleich erkennen.
        Ein fast gleichzeitiges Aufstohnen der gespannt beobachtenden Matrosen lie? Bolitho das Glas heben; er sah die Bramstenge des Schoners umknicken und dann in einem flatternden Chaos von Leinwand und Rigg niedersinken.

«Zuruck, Thomas! Um Gottes willen, wende!«flusterte er.

«Schon wieder ein Treffer, Captain«, sagte Allday.»Und diesmal schlimmer.»
        Bolitho ri? sich los, er durfte nicht an Herrick denken. Das mu?te warten. Denn in wenigen Minuten wurde die Undine in Reichweite dieser Kanonen sein, wenn sie mit verzweifeltem Mut in die Passage einlief.
        Er zog den Degen und hob ihn uber den Kopf.

«Schaut auf ihn, Jungs!«Er konnte die Gesichter, die sich ihm zuwandten, nur undeutlich unterscheiden, sie schwammen wie im Nebel.»Mr. Herrick zeigt uns den Weg!»

«Er ist aufgelaufen!«Davy war beinahe au?er sich.»In voller Fahrt aufgelaufen!»
        Der Schoner hatte sich bei der harten Grundberuhrung ein Stuck aus dem Wasser gehoben und knallte jetzt mit dem ganzen Vorschiff zwischen die Felsbrocken und Klippen. Genau wie er es ihnen mit Conways silbernen Tintenfassern vorgespielt hatte.
        Selbst ohne Glas war zu sehen, da? ein paar kleine Boote sich von der Pier losten und auf den schwer havarierten Schoner zuhielten, der jetzt entmastet dalag und wie eine uralte Hulk von Brechern uberspult wurde. Gelegentlich zeigte ein Aufblitzen an, da? Scharfschutzen in das Wrack feuerten, und Bolitho betete, da? die Lunte noch brennen und Herrick nicht lebend in Gefangenschaft geraten moge.
        Die Explosion kam so plotzlich, so farbenspruhend und uberwaltigend in ihrer Gro?e, da? man kaum hinsehen, geschweige denn ihre Ausma?e schatzen konnte. Eine breite Wand orangeroter Flammen wuchs vor den Felsen auf und breitete sich nach rechts und links mit machtigen Feuerschwingen aus, verschlang alle Boote im Umkreis, versengte Menschen und Waffen und verbrannte sie zu Asche.
        Und dann folgte das Getose. Der Schall erreichte die Fregatte mit einem bestandig ansteigenden Brullen, bis die Manner sich die Hande auf die Ohren pre?ten und schreckensstumm die Flutwelle anstarrten, die unter den Rumpf der Fregatte rollte, sie muhelos hochhob und sich dann achteraus in den letzten Schatten der Nacht verlor.
        Endlich verklang der Donner, das Feuer erstarb und hinterlie? gelbrot glimmende Punkte - die Uberreste von verbranntem Gebusch in der Steilwand.
        Das Gerausch von Meer und Wind kehrte zuruck, von Rigg und Leinwand; hier und da sprach jemand fast im Flusterton, als hatten sie soeben erlebt, da? Gott personlich dazwischenfuhr.
        Mit harter Stimme befahl Bolitho:»Fock aufgeien, Mr. Davy!«Er ging zur Reling; jeder Schritt verursachte ihm korperlichen Schmerz.»Mr. Shellabeer, alle Boote bis auf die Barkasse kappen!«Er mu?te weiterreden, seine Leute wieder in Bewegung bringen, diesen furchtbaren Scheiterhaufen aus seinen Gedanken verbannen.
        Er merkte, da? Soames ihn erwartungsvoll ansah, und rief:»Laden und ausrennen!»
        Seine Worte gingen fast unter im Donnern der rebellierenden Leinwand, als das machtige Focksegel an seine Rah gegeit wurde. Vorhang, dachte er stumpf, Vorhang auf zum letzten Akt. Damit auch alles gut zu sehen war.
        Er horte die Backbord-Stuckpforten beim Aufgehen quietschen; dann warfen sich auf Soames' Kommandogebell die Geschutzbedienungen in die Zuge, die schwarzen Mundungen schoben sich immer schneller rumpelnd ans Tageslicht und standen drohend uber dem milchigen Wasser.
        Davy fa?te an den Hut.»Alle Geschutze ausgerannt, Sir!»
        Sein Gesicht war hager vor Anspannung.

«Danke.»
        Bolitho behielt den dunklen Kegel quer vor der Durchfahrt im Auge. Kein weiteres Mundungsfeuer blitzte aus diesen machtigen Rohren. Es hatte geklappt. Selbst wenn die Besatzung der Festung noch imstande war, einige Geschutze von der Landseite heruber zu schaffen, geschah das doch zu spat, um die Undine noch zu treffen, die jetzt in den treibenden Rauchvorhang stie?.
        Er beschattete die Augen und starrte auf den Fetzen Land, auf jene dunklen Striche - die Masten und Rahen der ersten Fregatte. Bald. Sehr bald. Er fa?te den Degen so fest, da? seine
        Knochel wei? hervortraten. Tief innen fuhlte er Schmerz und Zorn, eine wachsende, blinde Wut, die nur Rache fur Herrick lindern konnte.
        Und dann kehrte das Sonnenlicht zuruck, wurde mit jeder Minute starker. Bolitho enterte ein Stuck in die Luvwanten auf, unbekummert um Wind und Spruhwasser, das auf seinem Rock hangenblieb wie perlwei?e Schmuckspangen. Vor der Undine lief ihr langer Schatten uber das kabblige Wasser, sein eigener Schatten war dabei deutlich zu unterscheiden wie ein Detail in einem Webmuster.
        Er blickte zu Mudge hinunter.»Klar zum Kurswechsel, sobald wir die Landspitze passiert haben!»
        Er wartete, bis die Brassen bemannt waren, wo nun die Sonne die blo?en Rucken beschien, eine Tatowierung oder einen besonders langen Zopf hervorhebend. Dann sprang er an Deck und zerrte an seinem Halstuch, als wurge es ihn.

«Marineinfanteristen, Achtung!«Bellairs hatte seinen eleganten Schleppsabel gezogen und musterte seine Manner, die sich auf den dichtgepackten Hangematten eine Auflage fur ihre langen Musketen suchten.
        Neben jeder offenen Stuckpforte kauerte ein Geschutzfuhrer und hatte seine Abzugsleine schon fast straffgespannt, wahrend er darauf lauerte, da? er ein Ziel vors Rohr bekam.
        Das Stuckchen Land sprang ins Blickfeld, als ob es das Schiff beruhren wollte. Die Bugwelle krauselte das Wasser zwischen ein paar zerklufteten Felsen, die Bolitho von seinem Besuch her noch in Erinnerung hatte.

«Klar bei Brassen!»
        Mudge brullte:»Ruder nach Backbord! Lebhaft!»
        Wie ein Vollblutpferd warf sich die Undine unter dem Druck von Segel und Ruder herum; die Rahen kamen gleichzeitig uber, als sie ins Sonnenlicht drehte.

«Ruder Nordost zu Ost!«Mudge warf sich mit der ganzen Kraft seines ungefugen Korpers mit in die Speichen.»Stutzen, ihr Mistkerle!»
        Ein paarmal krachte es dumpf, und eine Kugel flog mit einem Knall wie von einer Peitsche durch das Vormarssegel.
        Bolitho nahm kaum Notiz davon. Er starrte die vor Anker liegende Fregatte an, das Gewimmel auf ihren Rahen und an Deck, die Vorbereitungen zum Ankerlichten.
        Davy war ebenso enttauscht wie er.»Das ist ja gar nicht die Argus, Sir!»
        Bolitho nickte. Es war die andere Fregatte. Die, welche von ihrer Besatzung aufgegeben worden war. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, jede einzelne Bewegung zu beobachten, um sich vorzustellen, was geschehen war.
        Le Chaumareys war weg. Zufall? Oder hatte er wieder einmal seine Uberlegenheit bewiesen, seine Gerissenheit, die noch nie ubertrumpft worden war?
        Wild schwang er die alte Klinge uber seinem Haupt und brullte:»Steuerbordbatterie! Auf das erkannte Ziel!«Blitzend fuhr der Degen nieder. »Feuer!»
        Brullend brach die Breitseite aus der Undine, Geschutz nach Geschutz erfa?te sein Ziel. Soames tobte an jedem rucklaufenden Verschlu?block vorbei, brullte die Manner an und beobachtete durch die Stuckpforten die Wirkung des Beschusses. Rauch drang aus den Pforten und rollte auf das gegnerische Schiff zu.
        Hier und da blitzte druben ein erwiderndes Geschutz auf; mindestens eine Kugel schmetterte in die Bordwand der Undine, Bolitho spurte die Decksplanken unter seinen Fu?en erbeben.
        Unter Fluchen und Gebrull ihrer Bedienungen mischten sich jetzt auch die Achterdecksgeschutze ein. Die plumpen Sechspfunder stie?en auf ihren Schienen innenbords, mit brennenden Augen wischten die Mannschaften die Rohre aus und rammten in Sekundenschnelle die neuen Ladungen hinein.
        Hoch uber ihren Kopfen, rechts und links gerauschvoll ins Wasser platschend, erreichte sie eine Salve kleinerer Kaliber, ob von der Festung oder der Fregatte, das wu?te Bolitho nicht, und es war ihm auch gleich. Lebhaften Schrittes uberquerte er das Deck und sah dabei nur die kahlgeschossenen Masten des gegnerischen Schiffes, den bunten Wimpel mit dem aufgebaumten Wappentier und die wachsende Qualmwolke der unaufhorlich einschlagenden Salven der Undine.
        Einmal uberlief ihn ein Schauder, als er ein verkohltes Treibgut achteraus vorbeischaukeln sah: einen kopflosen Leichnam, der sich im Kielwasser der Undine drehte, rote Blutfaden gleich obszonen Algen hinter sich herziehend.
        Herrick hatte gewu?t, da? die Argus verschwunden war, er hatte die Reede lange vor der Undine uberblickt. Er hatte nicht gezogert. Wieder fuhlte Bolitho ein stechendes Brennen in den Augen, Wut und Ha? brodelten in ihm hoch. Wieder krachten die Achterdeckgeschutze, bei den scharfen Detonationen zog sich ihm der Magen zusammen. Die Bedienungen sturzten mit Handspeichen vor, um die Kanonen fur die nachste Salve auszurichten.
        Herrick hatte es akzeptiert - wie fruher auch. Dafur hatte er gelebt.
        Laut, ohne sich um Mudge und Davy zu scheren, stie? er hervor:»Diese idiotischen Intriganten! Hol sie der Teufel fur ihre Dummheit!»

«Die Fregatte hat die Ankertrosse gekappt, Sir!«schrie Keen.
        Bolitho rannte zu den Netzen, fuhlte dabei dicht vor seinen Fu?en eine Musketenkugel ins Deck schlagen. Es stimmte - Muljadis Schiff trieb unbeholfen in Wind und Stromung, sein Heck schwang wie ein Torflugel quer vor die Undine. Jemand mu?te da die Nerven verloren haben, oder vielleicht war in dem Durcheinander ein Befehl mi?verstanden worden.
        Er brullte:»Wir gehen langsseits! Klar bei Marsfallen! Ruder hart Lee!»
        Wieder sturzten die Manner an die Brassen, donnernd schlugen die Marssegel in plotzlicher Freiheit, elegant schwang die Undine nach Backbord, bis ihr Kluverbaum auf die ferne Pier und die schwelenden Trummer wies.
        Soames kommandierte:»Richten! Fertig!«Seine rotgeranderten Augen wanderten an der Reihe keuchender Geschutzbedienungen entlang, wie ein Marschallstab deutete sein Degen:»Schafft den Mann da weg!«Er rannte hin und half, einen Verwundeten von einem Zwolfpfunder wegzuziehen.»Jetzt!«Sein Degen fuhr nieder.»Breitseite!»
        Diesmal feuerte die ganze Batterie in einer einzigen krachenden Flammenwand, aus der lange rote Zungen in den Qualm stie?en, der sich wie in Todeszuckungen wand.
        Heiseres Triumphgeschrei:»Da geht ihr Vormast!»
        Bolitho rannte zum Decksgang, Seesoldaten und Matrosen polterten ihm nach. Hoch uber dem Rauch schleuderten die behenden Toppsgasten bereits ihre stahlernen Draggen, forderten einander lachend zum Wettkampf heraus; jede Mannschaft wollte schneller sein als die andere. Und noch ein Hurra, als die Undine knirschend gegen die steuerlos treibende Fregatte stie?, ihren Bugspriet hoch uber die Kampanje des Gegners schob. Wahrend ihre Restfahrt die Schiffe dichter gegeneinander trieb, bellten die Waffen lauter denn je, denn jetzt trugen sie ihre Zerstorungswut nur uber knappe drei?ig Fu?breit wirbelnden Wassers.

«Entern!»
        Bolitho griff in die Gro?mastwanten und pa?te den Moment ab, in dem Soames brullte:»Feuer einstellen! Drauf, Jungs! Haut die Bastarde zusammen!«Dann war er druben, krallte sich in die Enternetze des Gegners, die von den Breitseiten schon machtige Risse aufwiesen. Muljadi schien seinen Angriffsplan schon fertig gehabt zu haben, denn aus den Decks quollen Hunderte von Mannern, um die hurraschreienden, fluchenden Enterer zu empfangen.
        Musketen- und Pistolenfeuer; irgendwo oben krachte ein Drehgeschutz, eine Ladung gehacktes Blei fegte uber das gegnerische Deck und schleuderte Holztrummer und menschliche Leiber in alle Richtungen.
        Ein bartiges Gesicht tauchte aus dem Qualm auf, und Bolitho hieb danach; mit der anderen Hand hielt er sich in den Netzen fest, um nicht uber Bord zu fallen und zwischen den Schiffsrumpfen zerquetscht zu werden. Der Pirat schrie auf und sturzte, ein Seesoldat stie? Bolitho zur Seite und kreischte wie ein Irrer, als er einen Mann mit dem Bajonett durchbohrte; sofort ri? er die Schneide wieder heraus und rammte den Kolben in einen verwundeten Feind, der wegzukriechen versuchte.
        Allday duckte einen Sabelhieb ab und brachte den Angreifer damit aus dem Gleichgewicht. Mit der linken Faust schob er den Mann zuruck, um mit der eigenen Klinge besser ausholen zu konnen. Sie traf wie eine Axt auf Holz.
        Bellairs stand in einer Abteilung Marineinfanteristen und brullte Kommandos, die kein Mensch horen konnte; sein eleganter Schleppsabel zuckte vor und zuruck wie eine silberne Schlange, wahrend er sich mit seinem Pulk zum Achterdeck durchkampfte.
        Noch einmal brandete Hurrageschrei auf, und Bolitho sah Soames mit seiner Entermannschaft in den Gro?mastwanten des Gegners; Musketen feuerten auf kurzeste Entfernung in das Gewimmel unter ihm; Soames kreuzte die Klinge mit der eines gro?en schlanken Offiziers - Le Chaumareys' Erstem Leutnant, wie sich Bolitho erinnerte.
        Soames rutschte aus und fiel auf eine umgesturzte Kanone, und der Franzose holte zum todlichen Stich aus. Aber ein Seesoldat hatte es gesehen; seine Musketenkugel ri? den Hinterkopf des Franzosen weg und warf ihn wie eine Stoffpuppe uber die Reling.
        Bolitho merkte, da? Allday ihn am Arm schuttelte, um ihm etwas begreiflich zu machen.»Der Laderaum, Captain!«brullte er und stie? seinen Entersabel in Richtung der Hauptluke.»Die Hunde haben Feuer gelegt!»
        Bolitho starrte hin; der Kopf schwirrte ihm von Kampf- und Siegesgeschrei, dem wahnwitzigen Wuten des Nahkampfes. Schon verdichtete sich der Rauch. Vielleicht hatte Allday recht, vielleicht hatte aber auch nur ein brennender Stopfen aus einem Geschutz der Undine mit Soames' letzter Breitseite seinen Weg in den Rumpf der Fregatte gefunden. So oder so, wenn er nicht sofort handelte, wurden beide Schiffe vernichtet werden.
        Er schrie:»Hauptmann Bellairs! Zuruck!»
        Bellairs glotzte ihn verstandnislos an; Blut tropfte ihm aus einer Stirnwunde. Dann aber schien er sich wieder unter Kontrolle zu bekommen und rief:»Zur Retraite!«Er sah sich nach seinem Sergeanten um, dessen Riesenkorper irgendwie von Stahl und Kugeln verschont geblieben war.»Coaker! Schreiben Sie den Kerl auf, wenn er nicht gehorcht!»
        Coaker griff nach einem Trommelbub der Marineinfanterie, aber er war tot; blicklos starrten seine Augen den Sergeanten an, der ihm die Trompete aus den schlaffen Fingern wand und mit aller Kraft das Ruckzugsignal blies.
        Den Kampf abzubrechen, fiel ihnen beinahe schwerer als vorher das Entern. Schritt fur Schritt wichen sie zuruck; hier und dort starb noch ein Mann oder sprang in den Raum zwischen den beiden Schiffsrumpfen, um nicht niedergemacht zu werden. Die Piraten hatten mittlerweile gemerkt, in welcher Gefahr ihr eigenes Schiff war, und schienen nur darauf bedacht, so schnell wie moglich von Bord zu kommen.
        Die ersten Flammenzungen leckten bereits durch eine Luke. Die liegengelassenen Verwundeten schrien im Chor auf, aber in Sekundenschnelle brannten die Gratings und das nachste Bootslager lichterloh.
        Bolitho packte die Webeleinen und warf einen letzten Blick auf die Fregatte. Seine Manner sprangen bereits auf den Decksgang der Undine hinuber. Vorn waren Shellabeer und seine Gehilfen schon dabei, die Taue zu kappen, welche die beiden Schiffe aneinanderfesselten, die vollen Bramrahen schon rundgebra?t, das Ruder gelegt, begann die Undine sich zu losen, glucklicherweise hielt der Wind Rauch und Funken von ihren Segeln und dem verwundbaren Rigg fern.

«Was jetzt, Sir?«keuchte Mudge.
        Bolitho sah die gegnerische Fregatte nach achtern gleiten. Immer noch schossen ein paar Verruckte uber den sich schnell vergro?ernden Zwischenraum hinweg.

«Eine letzte Breitseite, Mr. Soames!«rief er.
        Aber es war schon zu spat. Eine riesige Flammenwand barst durch das Geschutzdeck der Fregatte, wuchs gen Himmel und entzundete den Vormaststumpf mit den restlichen Segeln; wie ein Waldbrand sprang sie auf die Rahen des Gro?mastes uber.
        Wie aus weiter Entfernung horte Bolitho seine eigene Stimme:»Das Fockreff raus, und zwar schnell! Den Weg, den wir gekommen sind, konnen wir nicht zuruck, ihr Bordmagazin mu? jeden Moment hochgehen. Also probieren wie lieber die ostliche Durchfahrt!»

«Ist vielleicht zu flach, Sir«, wandte Mudge ein.

«Wollen Sie lieber verbrennen, Mr. Mudge?»
        Er ging zur Heckreling, um die Fregatte zu beobachten, deren Kampanje jetzt in hellen Flammen stand: immerhin ein englisches Schiff - aber so war es wohl besser.
        Er drehte sich um und sagte schroff:»Mr. Davy, ich brauche einen genauen Schadensbericht. «Er sah an Davys Augen, da? die Trunkenheit des Kampfes bereits von ihm gewichen war.»Und die Verlustliste!»
        Die Rahen schwangen herum, die Segel, durchlochert und rauchgeschwarzt, fullten sich in der Brise. Die Durchfahrt war anscheinend breit genug: sie hatten eine Kabellange Raum an Steuerbord, etwas mehr an Backbord. Er hatte schon Schwierigeres geschafft.

«Boot voraus, Sir!«Keen stand mit dem Fernrohr in den Wanten.»Mit blo? zwei Mann an Bord!»
        Mudge rief:»Ich halte sie stetig, Sir. Wir steuern beinahe wieder Nordost, aber ich wei? nicht… »
        Der Rest seiner Worte ging in Keens Kreischen unter:»Sir! Sir!«Unglaubig starrte er auf Bolitho herab.

«Nehmen Sie sich zusammen, Mr. Keen!«blaffte Davy.
        Aber Keen schien ihn nicht zu horen.»Das ist Mr. Herrick!»
        Bolitho sprang neben ihn in die Wanten. Das Boot war nur ein Wrack, und die hagere Gestalt, die jetzt einen Fetzen Tuch uberm Kopf schwenkte, sah wie eine Vogelscheuche aus. Halb im Wasser, lag auf dem Boden des vollgeschlagenen Bootes tatsachlich Herrick.
        Bolithos Hand mit dem Teleskop zitterte. Er sah jetzt Herricks Gesicht, aschgrau unter Verbanden. Dann offneten sich seine Augen, denn der andere Mann schien ihm die Neuigkeit zuzurufen - es kam Bolitho vor, als verstunde er jedes
        Wort.
        Er befahl:»Weitergeben an Bootsmann! Er soll das Boot mit dem Draggen langsseits holen. «Er fa?te den Midshipman am Arm.»Und sagen Sie ihm, er soll sich Muhe geben, sonst… Eine zweite Chance bekommt er nicht!»
        Allday war unter Deck gegangen, um irgend etwas zu holen. Jetzt war er wieder da und sah sich erstaunt um, bis Bolitho gelassen sagte:»Der Erste Leutnant kommt an Bord. Gehen Sie nach vorn, und hei?en Sie ihn in meinem Namen willkommen,
        ja?»
        Als die Fregatte einen flachen Landbuckel passierte, kam die Sonne hervor, um sie zu gru?en, ihnen die schmerzenden Glieder zu warmen und den Schock der uberstandenen Schlacht ein wenig zu lindern. Das Krachen einer dumpfen Explosion tonte von der Hauptdurchfahrt heruber, und noch mehr Rauch stieg uber dem nachstliegenden Land empor: er verkundete ihnen den Wind, der sie auf dem offenen Meer erwartete, und die endgultige Vernichtung der feindlichen Fregatte. Aber ob Muljadi an Bord gewesen war, das wu?te Bolitho nicht, und der entscheidende Kampf stand ihnen noch bevor.
        Er horte Rufe vom Vorschiff und dann ein Hurra, als einige Matrosen in das sinkende Boot kletterten, um Herrick und seinen Gefahrten an Bord zu holen.
        Nun, dachte Bolitho, was uns auch hinter jenen grunen Hugeln erwartet - Sieg oder Niederlage - , wir sind jedenfalls wieder zusammen.



        XVIII Im Namen des Koni gs


«Zwei Strich Backbord!»
        Bolitho versuchte, an Deck auf und ab zu gehen, aber er konnte seiner Nervositat nicht Herr werden. Noch waren die Spuren der Schlacht an Bord nicht beseitigt. Vor einigen Stunden waren sie in die ostliche Durchfahrt eingebogen; unter einem Minimum an Leinwand tasteten sie sich zum offenen Meer; zwei Mann hingen im Wasserstag und loteten standig.
        Seit einer Stunde antwortete er auf Fragen, horte sich Berichte und Meldungen an: zehn Tote, funfzehn Verwundete, die Halfte davon schwerverwundet. Eine ziemlich kleine Verlustliste in
        Anbetracht dessen, was sie geleistet hatten; aber das trostete ihn wenig, wenn er die Reihe der an Deck liegenden vernahten Hangematten ansah - ein nicht ungewohnter Anblick - , oder wenn wilde Schmerzensschreie aus der Hauptluke gellten.
        Wenn nur Allday endlich kommen und ihm berichten wurde, was mit Herrick war! Er hatte den uberlebenden Matrosen schon befragt, es war Lincoln mit der grotesken Narbe im Gesicht, durch die er aussah, als grinse er standig.
        Bolitho hatte bemerkt, da? Lincoln alles noch einmal durchlebte, als er stotternd berichtete; er schien sich gar nicht bewu?t zu sein, da? sein Kapitan und die Offiziere um ihn herumstanden - ja, er schien noch gar nicht richtig begriffen zu haben, da? er tatsachlich lebte.
        Es war fast so geschehen, wie Bolitho es sich gedacht hatte: Herrick war entschlossen, die Batterie zu zerstoren und seinen Schoner dort auf Grund zu setzen - um jeden Preis, selbst den des eigenen Lebens. Im letzten Moment, als die Lunte bereits glimmte und das Fahrzeug vom Steilhang her beschossen wurde, hatte Herrick ein vom Gro?mast fallender Block bewu?tlos geschlagen.»Und da«, flusterte der kleine Matrose,»kommt Mr. Pigsliver kalt wie 'ne Hundeschnauze und sagt:»Ab mit euch ins Boot, ich habe 'ne alte Rechnung zu begleichem - aber was er damit meint, sagt er nicht. Da waren wir nur noch drei Mann. Also, ich und Jethro fieren Mr. Herrick ins Dingi, aber der andere, der kleine Segelmacher, sagt, er bleibt beim Don. «An dieser Stelle hatte Lincoln so gezittert, da? er zunachst schwieg. Wir also nix wie ab«, fuhr er dann fort.»Und da geht der Schoner auch schon hoch, und den armen Jethro haut's uber Bord. Ich hab' gepullt wie verruckt und dabei gebetet, da? Mr. Herrick wieder zu sich kommt und mir sagt, was ich tun soll. «Vor lautlosem Schluchzen konnte er eine Weile nicht weitersprechen.»Dann
seh' ich hoch - und da is' sie in Lebensgro?e, die alte Undine. Ich schuttel' Mr. Herrick und rufe:»Hallo, wachen Sie auf, das Schiff kommt uns holen!«Und er - also, er guckt mich blo? an und meint:»Na und? Was hast du denn gedacht?»«
        Leise hatte Bolitho gesagt:»Danke, Lincoln. Das sollst du nicht umsonst getan haben.»

«Und Sie werden auch nicht vergessen, in Ihren Bericht das uber Mr. Pigsliver zu schreiben, Sir? Ich - ich meine, Sir, er mag ja 'n Don sein, aber…«Und dann war Lincoln vollig zusammengebrochen.
        Jetzt, als Bolitho ruhelos an den Sechspfundern entlangging, wo die Geschutzfuhrer im Sonnenschein knieten, Zubehor durchsahen, Leinen und Blocke pruften, die Oberkorper noch von Ru? und getrocknetem Blut befleckt, da versprach er sich: Nein, ich werde Puigserver nicht vergessen.

«Deck ahoi!»
        Geblendet schaute er hoch.»Offenes Wasser voraus, Sir!»
        Hinter sich horte er Schritte und fuhr herum.»Allday, wo, zum Teufel, waren Sie so lange?«Aber es war nicht Allday.
        Bolitho lief uber das Deck und streckte beide Hande aus, ungeachtet der neugierigen Gesichter rechts und links.»Thomas!«Er ergriff Herricks Hande.»Ich wei? nicht, was ich sagen soll.»
        Herrick lachelte schwach.»Ich bin immer noch derselbe,
        Sir.»

«Sie sollten unten bleiben, bis… «»Deck ahoi! Segel im Osten!»
        Herrick zog die Hande zuruck und sagte gelassen:»Ich bin schlie?lich Erster Leutnant, Sir. «Langsam blickte er sich auf dem Achterdeck um, sah die Splitter, die von Musketenkugeln zerfetzten Hangematten.»Mein Platz ist hier.»
        Davy trat herzu und tippte an den Hut.»Wieder klar Schiff zum Gefecht, Sir?»

«Ja.»
        Lachelnd sagte Davy zu Herrick:»Anscheinend hatten Sie auch nicht mehr Gluck mit dem Schoner als ich. Aber ich bin sehr froh, da? Sie wieder da sind, und das ist die pure Wahrheit.»
        Herrick fa?te an seinen frischen Kopfverband und zuckte zusammen.»Wenn man mir nicht versichert hatte, da? es anders war, dann wurde ich sagen, Puigserver hat mir selber eins uber den Schadel gegeben. So sehr war er darauf versessen, die Sache zu Ende zu bringen.»
        Er schwieg, die Trommeln wirbelten, die muden Gestalten an Geschutzen und Brassen sprangen auf. Der letzte Streifen Land glitt hinter ihnen zuruck, und die blaue, von kraftiger Dunung belebte See erstreckte sich endlos bis zur glitzernden Kimm. Backbords voraus, Rumpf und Spieren schwarz gegen das Licht, stand die Argus. Sie schien nur sehr langsame Fahrt zu machen, die Rahen waren vierkantgebra?t, um sie auf konvergierendem Kurs zu halten.

«Vier Meilen, wurde ich sagen«, murmelte Herrick.

«Ungefahr.»
        Bolitho studierte das gegnerische Schiff genau, er konnte einfach nicht wegsehen. Sie erinnerte ihn an eine Wildkatze, wie sie dort durch die wei?kopfigen Wellen schlich: zielstrebig, hinterhaltig, todlich.
        Er bildete sich ein, das Quietschen der Lafetten zu horen, als der glatte Rumpf auf einmal von Kanonenrohren gespickt war. Le Chaumareys lie? sich Zeit, wartete Bolithos ersten Zug ab.
        Die Spannung kehrte starker zuruck. Vielleicht hatte Le Chaumareys das alles so vorausgeplant, weil er seinem Verbundeten Muljadi nicht traute und damit rechnete, da? Bolitho ein Unentschieden, vielleicht sogar einen Sieg erkampfen wurde, wenn er sich seine Angriffsweise selbst aussuchen konnte.
        Die Manner der Undine hatten einen harten Kampf hinter sich. Forschend musterte er die von Kugeln durchlocherten Segel, horte den Schiffszimmermann und seine Gang im unteren Raum hammern. Er wu?te, da? er viel von ihnen forderte, wenn sie jetzt schon wieder und gegen diesen machtigen, schwarzbauchigen Veteranen der franzosischen Flotte antreten sollten.
        Dann blickte er die Manner in seiner unmittelbaren Nahe an. Er brauchte alle Seemannschaft, die sie besa?en, und nicht zuletzt ihren ganzen Mut.

«Na, Mr. Mudge, was macht der Wind?»

«Wird auffrischen, Sir. «Mudge zog sein Taschentuch und schnaubte sich heftig die gro?e Nase.»Konnte ein bi?chen krimpen. «Er deutete nach oben zum Wimpel, der steif stand wie ein Speer.»Ich mochte vorschlagen, Sir, da? Sie nur unter Bramsegeln kampfen.»
        Bolitho wandte sich an Herrick.»Was meinen Sie?»
        Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Herrick den Gegner.»Nahkampf, Sir. Sonst schie?t sie uns mit ihren weitreichenden Kanonen in Stucke. «Das Deck hob sich unter der ersten anrollenden Welle, und Gischt flog bis in die Netze.

«Also los. «Bolitho leckte sich die trockenen Lippen.»Weg mit der Fock!«Er senkte die Stimme.»Und lassen Sie die Toten sofort bestatten. Es tut nicht gut, wenn man daran erinnert wird, wo manche von uns heute vormittag noch enden werden.»
        Ruhig blickte Herrick ihm in die Augen.»Ich kann mir zwar bessere Grunde zum Sterben denken, Sir, aber - «, er blickte zu den reglosen Mannern an den Geschutzen hinuber - ,»keinen besseren Ort.»
        Bolitho schritt zur Reling und beobachtete die Argus einige Minuten lang. Le Chaumareys hielt eine gute Ausgangsposition, hatte sie wahrscheinlich sehr genau vorausberechnet. Dort druben lag er jetzt und lauerte, wartete ab, was Bolitho unternehmen wurde. Ob er versuchen wurde, in Luv von ihm zu gelangen oder den Kurs zu andern, um das Heck der Argus zu passieren und sie dabei mit einer gutgezielten Breitseite zum Kruppel zu schie?en.
        Die franzosische Fregatte rollte so stark in der Dunung, da? der Kupferbeschlag des Rumpfes kurz zu sehen war. Der Wind lag voll auf der ihnen zugekehrten Bordseite, aber Le Chaumareys hielt sich zuruck, blieb backbords der Unding und machte kaum Fahrt.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen und blinzelte in der glei?enden Sonne. Das mu?te ein schwieriges Zielen werden, so gegen das blendende Licht.
        Als er wieder zum Geschutzdeck hinubersah, lagen die Toten nicht mehr da. Eben kam Herrick zu ihm nach achtern und meldete:»Alles vorbei. «Nach einem Blick auf Bolithos nachdenkliches Gesicht fragte er:»Ist etwas nicht in Ordnung,
        Sir?»

«Ich glaube, ich fange an, Le Chaumareys zu verstehen«, antwortete Bolitho. Wieder spurte er das Herzklopfen, den altbekannten Schauer uber Nacken und Ruckgrat.»Ich denke, er will uns den Windvorteil lassen.»

«Aber, Sir…«Herricks blaue Augen glitten zur Argus hinuber und wieder zuruck. Vielleicht legt er mehr Wert darauf, da? wir die Sonne gegen uns haben?«Langsam hellte sich sein gro?es rundes Gesicht auf, er schien zu begreifen.»Konnte schon sein. So kann er auf Distanz bleiben und seine weitreichenderen Geschutze wirkungsvoll einsetzen.»
        Mit blitzenden Augen fuhr Bolitho herum.»Aber daraus wird nichts, Mr. Herrick! Sofort die Royals setzen! Tut mir leid, Mr. Mudge, aber wenn Ihr verdammter Wind uns auch die Rahen bricht, so ist das immer noch besser, als sie auf andere Weise zu verlieren.»
        Herrick hatte schon das Sprachrohr zur Hand.»Toppgasten aufentern! Royals setzen! Jetzt war ihm kaum noch anzusehen, was er vor kurzem durchgemacht hatte.»Bei Gott, Sir, auch wenn wir nicht so schwer sind, so sind wir doch wendiger, und das werden wir diesem Hund heute zeigen!»
        Bolitho grinste ihn an, obwohl seine Lippen dabei schmerzten.»Ruder zwei Strich Steuerbord. Wir laufen ihm vor den Bug!»
        Allday verschrankte die Arme und starrte Bolithos Rucken an, dann blickte er zur Flagge hoch, die im auffrischenden Wind knatterte.»Und dann ist Schlu? mit dem Laufen, wetten?«murmelte er.

«Ostnordost liegt an, Sir!«Carwithens Hand ruhte auf den polierten Speichen, wahrend der andere Ruderganger sich auf den Kompa? und den Stand der Segel konzentrierte.
        Mudge wischte sich die Hande am Mantel ab.»Sie halt sich gut, Sir!»
        Bolitho lie? das Fernrohr sinken und nickte nachdenklich. Die zusatzliche Kraft der Royals brachte die Undine quer vor den Kurs des Gegners. Er verzog das Gesicht, weil ihm die Sonne direkt ins Glas schien. Le Chaumareys war immer noch in der besseren Position. Er konnte nach Lee abfallen und ihnen seine Breitseite prasentieren, wenn die Undine vor ihm passieren wollte. Ebensogut konnte er sie seinen Kurs kreuzen lassen und sie, wahrend sie beim Halsen Zeit verlor, in Luv abdecken und sie dann, Gegenlicht oder nicht, von der anderen Seite her beschie?en.
        Herrick sagte heiser:»Sie halt immer noch Kurs. Vielleicht ist sie einen Strich abgefallen, aber das bedeutet nichts. «Er atmete langsam aus.»Prachtig sieht sie aus - hol' sie der Teufel!»
        Bolitho lachelte gezwungen. Die Umrisse der Argus hatten sich kaum verandert, aber nur, weil die Undine nach Steuerbord angeluvt hatte. Der Abstand war jetzt viel geringer, knappe zwei Meilen, so da? die rot-gelbe Gallionsfigur deutlich zu erkennen war und auch die auf dem Achterdeck arbeitende Mannschaft.
        Ein Krachen, und Sekunden spater stieg eine dunne Fontane trage aus den Wellenkammen empor, nicht ganz auf dem Kurs der Undine und eine halbe Kabellange zu kurz. Zum Einschie?en - oder auch nur, um die Geschutzbedienungen der Undine nervos zu machen: einer von Le Chaumareys' kleinen Tricks.
        Herrick murmelte verbissen:»Wie ich diesen Froschfresser kenne, wird er versuchen, uns mit Kettenkugeln und
        Schrapnells zu entmasten. Damit er noch eine Prise fur seinen verfluchten Bundesgenossen hat!»

«Diesen Franzosen kennen Sie nicht, Mr. Herrick. «Bolitho erinnerte sich an Le Chaumareys' Gesicht, als er von» zu Hause «sprach, von seinem Frankreich, das er so lange hatte entbehren mussen.»Ich schatze, er ist auf einen totalen Sieg aus.»
        Bei diesem Wort war ihm gar nicht wohl. Er assoziierte es mit einer sterbenden Undine, die zwischen ihren eigenen Toten trieb und dann fur alle Ewigkeit in die Tiefe ging. Wie die Fregatte, die er selbst versenkt hatte: Wie die Nervion und so viele andere Schiffe, die vor seinen Augen vernichtet worden waren.
        Die Szenerie war perfekt: zwei Schiffe, die einander mit allen Mitteln zu uberlisten versuchten - und nicht einmal eine Mowe, die ihren verzwickten Manovern zusah.

«Da, Sir! Sie setzt ebenfalls die Royals!«Carwithens Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.

«Jetzt will er uns doch noch abfangen!«rief Herrick aus.
        Bolitho beobachtete, wie sich die Segel an den Reuelrahen der Argus entfalteten und den Wind aufnahmen. Er konnte auch sofort die Wirkung erkennen: Der uberhangende Steven bohrte sich tiefer in die Wogen, sie machte deutlich starkere Fahrt. Von seinem Standort sah es tatsachlich so aus, als beruhre der Bugspriet der Argus seinen eigenen, obwohl sie noch mehr als eine Meile entfernt war. Rauch krauselte sich hoch, und er hielt den Atem an, als die hellen Feuerzungen aus den offenen Stuckpforten stachen.
        Die See kochte und scho? himmelhoch, als die schweren Kugeln in die Wellen schlugen oder als Aufpraller weiter entfernt davon-schossen. Eine Kugel ging dicht am Rumpf nieder, und die Druckwelle lie? selbst die hochsten Spitzen der Masten erzittern.

«Die wollen uns den Schneid abkaufen!»
        Herrick grinste zwar bei diesen Worten, aber Bolitho sah die Angst hinter seinen Augen lauern. Ihm war Le Chaumareys nicht wie ein Mann bombastischer Gesten vorgekommen. Er lie? seine Geschutzfuhrer sich einschie?en, demonstrierte ihnen die Schu?weite; vielleicht erlauterte er eben jetzt mit seiner drohnenden Stimme, was er von ihnen erwartete.

«Bei Gott, dieser Teufel kurzt schon wieder Segel!«Bolitho sah die Royals der Argus langs der Rahen verschwinden und beugte sich vor.

«Backbordbatterie - klar zum Feuern!»
        Vielleicht hatte er Le Chaumareys' einzige Schwache herausgefunden: da? er nicht nur siegen, sondern dabei auch am Leben bleiben wollte. Denn diese beiden Dinge trafen nicht immer zusammen, das wu?te Bolitho recht gut.

«Ruder drei Strich Backbord!»
        Er horte die scharrenden Fu?e, die uberraschten Rufe, als sein Befehl an die Matrosen weitergegeben wurde.

«Also, Sir«, meinte Mudge zweifelnd,»ob sich das nicht racht… »
        Aber Bolitho schien ihn nicht zu horen. Er wartete die Vollzugsmeldung ab und blickte dann zum Bugspriet, der erst langsam, dann schneller nach Backbord auswanderte und die gegnerische Fregatte in einem Netzwerk aus Stagen und Wanten einfing.

«Recht so!»
        Er wartete ungeduldig, wahrend Herrick abgehackte Kommandos durch die Sprechtrompete schrie und die Manner an den Brassen fieberhaft arbeiteten, um die Rahen zu trimmen.

«Nordost zu Nord liegt an, Sir«, meldete der Ruderganger atemlos.
        Mit einem kraftigen, achterlichen Wind fegte die Undine direkt auf das gegnerische Schiff zu, als wolle sie es mitten entzweischneiden. Wieder blitzte es bei dem Franzosen auf; Bolitho pre?te die Fauste zusammen, als das Eisen uber sein Schiff heulte, das Rigg zerfetzte, Segel durchlocherte und zu beiden Seiten Gischt hochjagte.

«Nun werden wir sehen. «Bolitho beugte sich vor, packte die Reling fester und spurte den schmerzhaften Sonnenglast in den Augen. Wieder lief ein Stakkato von Blitzen uber die ganze Lange der Argus, das Krachen der Breitseite rollte uber das Wasser wie der Wirbel einer gigantischen Trommel. Heftig schuttelte sich der Rumpf der Undine, und unterhalb des Achterdecks wechselten die Matrosen verzweifelte Blicke.
        Immer noch hielt die Argus Kurs und wurde mit jeder Minute gro?er. Noch mehr Detonationen, und ein wutender Ruck unter seinen Fu?en verriet Bolitho, da? sein Schiff wieder einen Treffer abbekommen hatte. Aber jetzt wurden die Breitseiten der Argus luckenhafter, und immer weniger Kugeln kamen ihrem Ziel nahe.

«Er mu? sich was einfallen lassen!«rief Herrick.
        Bolitho erwiderte nichts, starrte aber wie gebannt zum Achterdeck der Argus hinuber, wo er schon unter einer Anzahl von Matrosen Le Chaumareys' machtige Gestalt, seinen kleinen, kurzgeschorenen Kopf ausmachen konnte. Sein Erster Leutnant mu?te ihm sehr fehlen, scho? es Bolitho durch den Kopf. Genauso wie Herrick ihm gefehlt hatte, wenn sie nicht auf diese unwahrscheinlich Art wieder zusammengekommen waren.

«Der Wind, Mr. Mudge?«rief er hinuber. Ansehen mochte er den Steuermann nicht.

«Hat einen Strich gekrimpt, Sir! Nach dem Wimpel kommt er jetzt beinahe aus Sudwest.»

«Die Argus gibt Raum, Sir!«schrie Herrick.
        Ein einzelnes Hurra ertonte von irgendwoher, aber Bolitho fauchte:»Halten Sie die Leute ruhig!«Schnell fugte er hinzu:»Ruder hart Backbord! Ich will sie so genau vorm Wind wie es irgend geht, Mr. Mudge!»
        Starr vor Spannung beobachtete er, wie die Umrisse der Argus sich weiter verkurzten, als sie abdrehte und ihnen Raum gab, so da? die beiden Schiffe jetzt in spitzerem Winkel zueinander standen. Sie sandte noch eine langsame Breitseite heruber, und Bolitho horte einen Schrei von oben: ein Marineinfanterist fiel mit dem Kopf voran ins Netz, Blut quoll aus seinem Mund und spritzte auf die Geschutzbedienung unmittelbar unter ihm.
        Anscheinend hatte Le Chaumareys Bolithos direkten Angriff fur einen Akt eitler Tollkuhnheit gehalten. Er hatte den richtigen Moment abwarten wollen, um im Abdrehen die volle Breitseite zu prasentieren und die Undine kampfunfahig zu schie?en, wenn sie versuchte, vor seinem Bug zu passieren.
        Bolitho hob die Hand; dabei flehte er insgeheim, da? diese blitzenden Kanonen ihm Zeit genug zum Handeln lassen wurden.

«Backbordbatterie - Einzelfeuer!»
        Der Schiffsrumpf erzitterte, und Bolitho atmete tief auf, als der Rauch sich hob und zum Feind hinubertrieb.

«Klar zur Kursanderung!«Er hielt Herricks erschrecktem Blick stand.»Nein, jetzt wollen wir ihn noch nicht umarmen!«Sein Grinsen mu?te irrwitzig aussehen, dachte er.»Wir kreuzen sein Heck - er hat es ungedeckt gelassen!»
        Ein schweres Kaliber zerschmetterte das Backbordschanzkleid, warf einen Zwolfpfunder um und farbte Planken und Gratings mit hellroten, rasch gro?er werdenden Flecken.
        Soames' Befehle ubertonten die Schreie und Fluche der Manner: mit wilden Augen starrte er durch den Rauch.»He da, Manners! Die Handspeiche - schneller, zum Teufel!«Denn der Matrose Manners tastete verwirrt an seinem blutverschmierten Hosenbein herum - aber Blut und Fleischfetzen stammten von der Geschutzbedienung nebenan.
        Bolitho senkte die Faust.»Jetzt! Leeruder!»
        Durch den auffrischenden Wind und den Kurswechsel bekam die Undine starke Schlagseite; die Geschutzbedienungen feuerten noch eine unregelma?ige Save ab, bevor die Argus aus der Ziellinie glitt.

«Mr. Davy«, brullte Bolitho,»die Steuerbordbatterie!»
        Von der Backbordbatterie hasteten einige Manner hinuber, um ihren Kameraden zu helfen. Oben erzitterten Spieren und stohnten Blocke protestierend auf; mehr als ein Matrose fiel der Lange nach hin, als das Schiff mit laut schlagenden Segeln und fast mittschiffs gebra?ten Rahen hart an den Wind ging.
        Knallend ri? das Vorroyal mittendurch, seine Fetzen flatterten wie Wimpel im Wind, aber Bolitho kummerte es nicht. Er beobachtete, wie die dunkle Silhouette der Argus weiter nach Steuerbord glitt, wahrend die Undine genau auf ihr Heck zuhielt. Geschosse fuhren krachend in Rumpf und Takelage, und Bolitho wurde es fast ubel, als er sah, wie zwei Matrosen zu einer blutigen Masse zerquetscht wurden.
        Davys Stimme uberschlug sich beinahe:»Steuerbordbatterie - Einzelfeuer!«Der Feuerbefehl wurde fast vom Krachen des vordersten Geschutzes ubertont, dem sofort die anderen auf ganzer Lange folgten, wahrend die Argus wie eine schwarze Wand uber ihnen aufragte.

«Putzen! Laden! Ausrennen!»
        Das Ausrennen ging jetzt leicht, weil die Undine so stark krangte, da? jeder Lauf fast von selbst durch die Pforte stie?, quietschend wie ein wutender Keiler.

«Erst auf Befehl!«rief Bolitho durch die hohlen Hande den Kanonieren im Vorschiff zu. Mehrere Tote lagen dort; vermutlich hatten Le Chaumareys' Scharfschutzen erraten, was er vorhatte.
        Eine Musketenkugel schlug gellend gegen einen Sechspfunder, und einer der Ruderganger sturzte gurgelnd und um sich schlagend vornuber - der Querschlager hatte ihm den Unterkiefer weggerissen.
        Bolitho uberschrie den Gefechtslarm:»Einen Strich abfallen, Mr. Mudge! Sie wissen, was ich heute von Ihnen erwarte!«Schatten tanzten ubers Deck, als Stucke der Takelage, eine Muskete und allerlei Splitter oben in den aufgespannten Netzen wippten.
        Und da war auch die Argus, die schwer nach Steuerbord stampfte in dem Versuch, die Bewegung der Undine abzufangen - aber vergeblich: die britische Fregatte kreuzte unbehelligt ihr Heck.

«Feuer!»
        Die erste Kanonade krachte, ri? Stucke aus dem Heck der Argus und schlug die kleine Achterdecksgalerie in Trummer. Einer nach dem anderen folgten die Zwolfpfunder dem Beispiel der kleineren Kaliber; die Kugeln krachten ins Achterschiff oder flogen durch die offenen Fenster und trugen Tod und Verderben ins Schiffsinnere.
        Die Manner der Undine brullten Hurra, obwohl die Deckoffiziere schimpfend dazwischenschlugen; uber der machtigen Rauchwand sah Bolitho die Masten der franzosischen Fregatte langsam achtern weggleiten. Jetzt durfte er nicht straucheln.

«Wir wenden und gehen auf Backbordbug!»

«Aye, Sir. «Herrick wischte sich das schwei?uberstromte Gesicht. Uber den Pulverflecken auf Wangen und Mund leuchtete der Verband im rauchigen Sonnenlicht wie ein wei?er Turban.»Hei?e Arbeit heute, Sir!»

«An die Brassen! Klar zur Wende!»
        Ein schreiender, blutuberstromter Matrose wurde von seinem Geschutz weggeschleift. Als Whitmarshs Leute ihn hochhoben, wand er sich und wollte sie wegsto?en - er hatte wohl mehr Angst vor dem, was ihn unten erwartete, als vor dem Tod an
        Deck.
        Mit knatternden Segeln, durch deren zahllose Schu?locher der Wind pfiff, ging die Undine auf den anderen Bug, wandte sich von den Inseln ab und der Sonne zu.
        Der Seegang schien jetzt viel starker; Gischt zerspruhte im Wind und flog fast pausenlos als Spruhwasser uber das Deck. Bolitho rieb sich die Augen und versuchte, den Hustenreiz zu unterdrucken. Wie seine Augen waren auch seine Lungen wund vom Pulverrauch und Gestank der Schlacht. Unablassig beobachtete er das feindliche Schiff, das uber dem Gischt zu schweben schien. Ob beabsichtigt oder nicht, Le Chaumareys hatte nun jedenfalls den Windvorteil, und sein Schiff stand jetzt ungefahr eine Kabellange an Steuerbord voraus. Wenn die Undine ihr Uberholmanover fortsetzte, wurden beide Schiffe parallel laufen, nur auf Musketenschu?weite voneinander entfernt. Auf so morderisch kurze Entfernung konnte die Argus Vergeltung uben.
        Er warf einen raschen Blick auf Mudge. Auch der beobachtete See und Masttopp - aber aus dem gleichen Grund? Doch wenn er ihn jetzt fragte und damit verriet, da? er auf ein Wunder angewiesen war, dann wurde das seinen Mannern genauso den Kampfgeist nehmen, als waren sie entscheidend geschlagen worden. Sie kauerten bei ihren Geschutzen, keuchend und nach Luft schnappend, Rammen, Handspeichen, Ausputzer, Taljen in den teerigen Fausten. Ihre nackten Oberkorper waren vom fettigen Pulverstaub verschmiert, durch den der Schwei? in dunnen Streifen, Peitschenstriemen gleich, hinabflo?. In den geschwarzten Gesichtern gluhten die Augen wie die gefangener Tiere.
        Die Marineinfanteristen luden ihre Musketen nach, und Bellairs schritt mit seinem Sergeanten an der Heckreling entlang. Am Ruder hatte ein anderer den Platz des Toten eingenommen, und Carwithens brutaler Kiefer mit den kalten, ausdruckslosen Augen daruber bearbeitete einen Priem. Das Geschutzdeck war jetzt dunn bemannt.
        Das Schiff krangte starker, er mu?te sich festhalten. Uber die zerfetzten Netze blickte er aufs Meer, dessen Wellen jetzt hoher und steiler anrollten, als wollten sie die beiden Schiffe auseinandertreiben.

«Mr. Davy!«rief er.»Fertig?»
        Davy nickte stumpf.»Alle Geschutze mit Kettenkugeln geladen, Sir!»

«Gut. «Bolitho blickte Herrick an.»Ich hoffe zu Gott, da? der Steuermann diesen Wind auch wirklich kennt!«Und dann, knapp und scharf:»Fock setzen!»
        Unter dem kraftvollen Zug des machtigen Focksegels bekam die Undine erheblich mehr Fahrt und begann, das feindliche Schiff zu uberholen. Bolitho fuhr zusammen, als ein paar Kugeln aus dessen Heckgeschutzen auf der Undine einschlugen - die Pinasse hatte einen Treffer abbekommen und zerplatzte in unzahlige Splitter. Es ging den Franzosen jetzt ums Letzte: Geschutz gegen Geschutz und kein Pardon, bis die Undine zum Wrack geschossen war und sank.
        Er befahl:»Klar zum Anluven! Befehl abwarten!«Jeder Muskel schmerzte ihn, bei jedem Schu? vom Heck des Franzosen fuhr er zusammen - aber er wartete ab. Der Kluverbaum der Undine schien wie eine Lanze ins Achterdeck des Gegners zu stechen. Vereinzeltes Mundungsfeuer blitzte uber dem zerschmetterten Heck auf und zeigte, wo Scharfschutzen neue Stellungen bezogen hatten; Bolitho sah zwei seiner Seesoldaten aus dem Vormast fallen und horte ihre Schreie in der Morgenbrise verhallen.
        Besorgt rief Mudge:»Die Spieren brechen uns weg, wenn wir wenden, Sir!»
        Bolitho horte nicht hin.»Fertig, Jungs!»
        Er spurte, wie der Druck der Segel mit jeder Sekunde wuchs.

«Jetzt!»
        Er packte die Reling, als das Ruderblatt uberkam und der Bug auf den Gegner zu zeigen begann. Die Argus trimmte ihre Rahen und krangte stark, als sie Undines Wende folgte. Die Sonne glanzte auf ihrem Achterdeck - noch einmal blitzte eine Breitseite auf und zerri? die Luft mit Donnergetose.
        Bolitho sturzte beinahe, als die schweren Eisenkugeln in den Rumpf der Undine oder in die Takelage schmetterten. Der wirbelnde Rauch erstickte ihn fast; sein Bewu?tsein streikte vor dem Chaos aus Schreien und Schussen, das von allen Seiten losbrach.
        Aber er stemmte sich hoch und spahte zur Argus hinuber. Von ihrer letzten Breitseite trieb der Rauch so schnell nach achtern, da? die Undine einen Satz nach vorn zu machen schien. Diese optische Tauschung bewies ihm, da? Mudge mit dem Wind recht gehabt hatte; als er sah, wie die feindlichen Segel sich ihm entgegenwolbten, bemerkte er auch, da? die Stuckpforten der Argus Wasser ubernahmen, als der Wind sie noch tiefer druckte. Gott sei gedankt fur diese Bo! dachte er.

«Feuer!«Er mu?te den Befehl wiederholen, um verstanden zu werden: «Feuer!»
        Die See wusch auch uber die abgekehrten Leestuckpforten der Undine, und die Rohre ihrer ausgebrannten Luv-Batterie zielten beinahe in den Himmel, als die Geschutzfuhrer ihr Abzugsleinen durchrissen.
        Das Jaulen der Kettenkugeln ubertonte sogar das Krachen der Kanonen und das Heulen des Windes. Sie wirbelten durch die Luft und schmetterten in die obersten Segel und Rahen der Argus, die sich ungedeckt darboten. Unmittelbar darauf kam das
        Rigg herunter: Die rei?enden Stagen und Wanten knallten lauter als die Kanonen, als Vor- und Gro?mast wie riesige Baume schwankten und dann dumpf drohnend in den Rauch sturzten.
        Bolitho schwenkte seinen Degen.»Auf Kurs bleiben, Mr. Mudge! Gleich sind wir langseits!»
        Er rannte zum Niedergang, erstarrte aber, als der Wind den Rauch davontrieb. Uberall sah er Tote und Verwundete. Shellabeer lag zerquetscht unter einem Geschutz; Pryke, der Schiffszimmermann, war von einer zersplitterten Planke auf das Lukensull gespie?t; sein Blut mischte sich mit dem der anderen um ihn herum. Und Fowlar - war dieser Haufen da wirklich Fowlar?
        Aber zum Bedauern blieb so wenig Zeit wie zum Uberlegen. Da war schon die Argus, fast langsseits; schon rannte Soames seinen Mannern degenschwingend voran und schrie:»Hinuber mit euch, Jungs!»
        Die franzosischen Matrosen bemuhten sich noch, aus dem Gewirr von Spieren und laufendem Gut an Deck freizukommen.
        Da fuhr kalter Stahl zwischen sie. Bolitho kreuzte die Klinge mit einem Deckoffizier, rutschte dabei in einer Blutlache aus und rang um Atem, als der Franzose der Lange nach uber ihn fiel. Der Mann wand sich und stie? mit Armen und Beinen, aber ein Enterbeil grub sich in seinen Halsansatz, in Todesqualen weiteten sich seine Augen, und Carwithen ri? ihn hinweg. Uberall kampften fluchende, brullende Manner; Piken und Bajonette blitzten und stachen, Entermesser hieben in verzweifelter Wut.
        Davy suchte zum Achterdeck zu kommen und schrie nach den Mannern in seinem Rucken, denn ein Flankenangriff franzosischer Matrosen hatte ihn isoliert. Bolitho sah sein verzerrtes Gesicht uber den gebeugten Schultern, sah seinen Mund lautlose Schreie aussto?en, als sie ihn niederhieben - auch als er nicht mehr zu sehen war, zuckten die Degen noch nieder.
        Zitternd stand Midshipman Armitage auf dem Decksgang, kreidewei? im Gesicht, und schrie:»Mir nach!«Und dann war auch er tot, umgesto?en und niedergetrampelt im Aufeinanderprall der beiden Gruppen.
        All das sah Bolitho, als er sich zum Achterdeck durchschlug. Sah es und begrub es in seinem Gedachtnis, ohne Reaktion, wie einen Alptraum - als sei er nur Zuschauer.
        Er erreichte den Niedergang und sah sich dem franzosischen Leutnant gegenuber: Maurin, der mit einer Englanderin verheiratet war. Alle anderen schienen in einem wirbelnden Nebel unterzugehen, als sich ihre beiden Degen kreuzten und sie einander umkreisten.

«Streichen Sie die Flagge, Maurin!«sagte Bolitho heiser.»Es ist genug!»
        Der Franzose schuttelte den Kopf.»Ausgeschlossen, m'sieur.«Dann fiel er aus, parierte Bolithos Degen oben am Griff und drehte ihn geschickt nach au?en. Bolitho sprang auf die nachste Treppenstufe zuruck; er sah die verzweifelte Entschlossenheit in Maurins Gesicht und wu?te instinktiv, da? allein von diesem Mann Sieg oder sinnloses Abschlachten abhing.

«Le Chaumareys ist tot!«Vorsichtig setzte Bolitho den Fu? auf die nachste Stufe. Ich wei? es!«Er mu?te mit aller Kraft schreien, denn ein Dutzend Matrosen der Undine kam brullend uber das Geschutzdeck gerannt und fiel den Franzosen in den Rucken. Halb unbewu?t begriff Bolitho, da? sie uber das zerstorte Heck eingedrungen sein mu?ten. Mit eiskalter Stimme fuhr er fort:»Also streichen Sie endlich die Flagge, zum Teufel!»
        Maurin zogerte; deutlich war ihm die innere Unsicherheit anzusehen - aber dann hatte er sich entschieden: er fiel seitlich aus, hob seinen Degengriff bis fast in Augenhohe und fuhrte einen Sto? nach Bolithos Brust.
        Bolitho empfand so etwas wie Verzweiflung. Maurin war zu lange auf diesem einen Schiff gewesen, er hatte vergessen, da? ab und zu ein Wechsel notig war. Es war so leicht. So scheu?lich leicht.
        Bolitho legte das Gewicht auf sein Standbein, parierte die niederfahrende Klinge und stie? zu. Mit seiner ganzen Schwere sturzte der Leutnant in Bolithos Degen; diesem wurde beinahe der Griff aus der Hand gerissen, als Maurin rucklings zu Boden fiel. Ein bezopfter Matrose wollte ihm mit seiner Pike den Rest geben, aber Bolitho schrie ihn an:»Weg von ihm, oder ich bringe dich um!»
        Da warfen die franzosischen Matrosen ihre Waffen auf das blutverschmierte Deck, und Herrick trat zwischen sie. Es war vorbei. Das Mi?lingen von Maurins letztem verzweifeltem Versuch hatte ihren Kampfeswillen vernichtet.
        Bolitho stie? den Degen in die Scheide und stieg schweren Schritts die Stufen hinauf. Er wu?te, da? Allday dicht hinter ihm und Herrick an seiner Seite war, als sie zusammen vor dem toten Le Chaumareys standen, der neben dem Ruder lag. Er sah seltsam friedlich aus und hatte, in merkwurdigem Kontrast zu den Schreckensbildern dieser blutigen Schlachterei ringsum, kaum eine sichtbare Wunde; nur einen dunklen Fleck unter der Schulter und einen Blutfaden im Mundwinkel. Wahrscheinlich das Werk von Bellairs' Scharfschutzen, dachte Bolitho dumpf.
        Leise sagte er:»Ja, Capitaine - wir trafen noch einmal aufeinander. Sie haben es gewu?t.»
        Leutnant Soames kniete nieder, um Le Chaumareys den Degen abzuschnallen.»Lassen Sie«, sagte Bolitho,»er hat ehrenvoll gekampft, wenn auch fur eine schlechte Sache. «Dann wandte er sich ab; auf einmal konnte er es nicht mehr ertragen, alle diese Toten in ihrer ergreifenden Unbeweglichkeit zu sehen.»Und deckt ihn mit seiner Flagge zu. Mit seiner richtigen. Er war kein Pirat.»
        Davys Leiche wurde zum Decksgang getragen, sah Bolitho. Traurig sagte er:»Noch ein paar Minuten, und er hatte gesehen, wie die Argus genommen wurde. Das Prisengeld hatte vielleicht sogar fur seine Schulden gereicht.»
        Als sie uber den schmalen Wasserstreifen, der die beiden Schiffe trennte, wieder zur Undine hinubersprangen, drehte sich Bolitho uberrascht um: eine Gruppe Matrosen jubelte ihm zu. Er sah Herrick an, aber der zuckte nur die Schultern und sagte mit trubem Lacheln:»Ich wei?, wie Ihnen zumute ist, Sir, aber die Leute freuen sich, da? sie uberlebt haben, und danken Ihnen dafur auf ihre Art.»
        Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Uberleben? Vielleicht ist allein das Grund genug fur eine Schlacht. «Er zwang sich ebenfalls ein Lacheln ab.»Und furs Gewinnen.»
        Herrick hob Bolithos Hut vom Deck auf.»Ich werde die Leute an die Arbeit schicken, Sir. Die Pumpen horen sich viel zu beschaftigt an fur meinen Geschmack.»
        Bolitho nickte und schritt langsam zum Heck. Seine Schuhe verfingen sich in Splittern und zerrissenem Tauwerk. An der Heckreling blieb er stehen und musterte sein Schiff, die geborstenen Planken, das blutverschmierte Deck, die Manner, die sich ihren Weg durch die Trummer suchten; sie glichen wahrlich mehr Uberlebenden als Siegern.
        Dann lehnte er sich zuruck, lockerte seine Halsbinde, knopfte seinen Rock auf - seinen Galarock, der jetzt ein Dutzend Locher und Risse hatte - und schuttelte ihn ab. Uber seinem Kopf stand der Wimpel jetzt nicht mehr so steif; die plotzliche Bo war so schnell vorubergegangen, wie sie gekommen war, um ihn vor den machtigen Kanonen der Argus zu schutzen. Wenn sie nicht gewesen ware…
        In plotzlichem Erschrecken sah er sich suchend um; aber Mudge stand an seinem gewohnten Platz beim Ruder und schnitt sich eben ein Stuck Kase mit einem kleinen Messer zurecht, das er aus einer seiner zahllosen Taschen gefischt hatte. In dem rauchdurchzogenen Sonnenlicht sah er sehr alt aus. Der kleine Penn hockte auf seiner Lafette, lie? sich sein Handgelenk verbinden und betupfte seine Nase mit einem Tuch, die zu bluten angefangen hatte, als neben ihm eine Ladung zu fruh explodiert war.
        Bolitho betrachtete die beiden fast mit Zuneigung. Mudge und Penn - Alter und Jugend…
        Und da war auch Keen; er sprach mit Soames und sah sehr mitgenommen aus. Aber wie ein Mann.
        Fu?e knirschten uber die Trummer, Noddall kam. Vorsichtig pre?te er einen Krug an seine Brust.»Ich kann leider noch nicht an die Glaser heran, Sir«, sagte er. Sein Blick haftete an Bolithos Gesicht; wahrscheinlich hatte er die Augen fest zugekniffen, als er sich an den Schrecknissen unten vorbeigetastet hatte. Bolitho hob den Krug an die Lippen.»Aber das ist doch mein bester Wein!»
        Noddall betupfte sich die Augen und nickte angstlich.»Aye, Sir, der Rest davon. Die anderen Flaschen sind bei der Schlacht kaputtgegangen.»
        Genu?voll nahm Bolitho einen kraftigen Schluck; er konnte ihn brauchen. Es war ein langer Weg gewesen von jenem Laden in der St. James' Street bis hierher.
        Und in wenigen Wochen wurden sie wieder gefechtsklar sein. An die fehlenden Gesichter wurde man sich zwar noch erinnern, doch schon ohne den Schmerz, der jetzt noch wuchs. Die Schrecken des Kampfes wurden dann zu Kriegsruhm geworden sein, der Mut der Verzweiflung zur Pflicht gegenuber Konig und Vaterland.
        Mit einem bitteren Lacheln erinnerte er sich der Worte, die ihm seit so vielen Jahren gelaufig waren: im Namen des Konigs.
        Da horte er Penns helle Stimme:»Ich habe wirklich etwas Angst gehabt, Mr. Mudge.
«Eine unsichere Pause.»Aber nur etwas.»
        Der Alte sah uber das Deck zu Bolitho hinuber und erwiderte dessen Blick.»Angst, Junge? Ach du lieber Gott, dann kann er nie Kapitan werden, nicht wahr, Sir?»
        Bolitho lachelte. Dieses Wissen teilten nur er und Mudge miteinander, und der wu?te es besser als die meisten anderen: die grimmige Wahrheit der Schlacht taugte nicht fur Kinder.
        Dann musterte er wieder sein Schiff und die glanzende Schulter der Gallionsfigur, die neben dem Bug hervorsah.
        Die Undine ist die wahre Siegerin, dachte er, plotzlich sehr dankbar dafur, da? sie ihm erhalten geblieben war.



        Epilog

        Leutnant Thomas Herrick trat in die Kapitanskajute, den Hut vorschriftsma?ig unter den linken Arm geklemmt.»Sie haben mich rufen lassen, Sir.»
        Bolitho stand an einem offenen Fenster und blickte auf das Seegras hinunter, das sich im klaren Wasser hob und senkte, und auf die Fische, die darin spielten.
        Es war Nachmittag, und langs der Kuste von Pendang Bay wiegten sich die Palmen mit winkenden Wedeln und in einem Dutzend Grunschattierungen in der stetigen Brise. Gutes Segelwetter, dachte er geistesabwesend, aber nicht fur die Undine. Noch nicht.
        Er wandte sich um und deutete auf einen Stuhl.»Setzen Sie sich, Thomas.»
        Neugierig sah Herrick nach den geoffneten Depeschen, die heute an Bord gekommen waren. Eine Brigg hatte Befehle und Nachrichten aus Madras gebracht.

«In Kurze lauft wieder ein Indienfahrer ein, Thomas. Diese Depesche hier ist vom Admiral des Kustengeschwaders. Er schickt neue Leute als Ersatz fur unsere Verluste in der Schlacht.»
        Wie leicht sich das aussprach: Verluste. Er war sich bewu?t, da? Herrick ihn beobachtete und denselben Erinnerungen nachhing.
        Von den Schaden, die Le Chaumareys' Kanonen am Schiff angerichtet hatten, war nicht mehr viel zu sehen. Frische Farbe bedeckte die reparierten Holzteile, und der Geruch nach Teer und Hobelspanen durchzog das ganze Schiff. Einen Monat und zwei Tage war es her, da? sie Bord an Bord mit der Argus gekampft hatten, aber trotz der schweren Arbeit und der Genugtuung, das Schiff wieder im alten Zustand zu sehen, hatte Bolitho die Bilder des Kampfes noch so deutlich vor Augen, als sei es gestern gewesen.
        Und wie sie gearbeitet hatten! Vielleicht war das fur die ganze Mannschaft ebenso notig gewesen wie fur ihn selbst, und sei es auch nur, um die Erinnerungen noch eine Weile zu verdrangen.
        Einzelheiten kamen hoch, wenn man es am wenigsten erwartete: Midshipman Penn, wie er sich vor einem rucklaufenden Geschutz duckte, in Rauch gehullt, wahrend die Bedienung schon wieder mit Ausputzer und Rammstock vorsturzte. In einer Wolke fliegender Splitter war ein Mann an Deck geschleudert worden und lag jetzt da, blicklos in den Himmel starrend; Penn wollte ihm helfen, sprang aber erschrocken zur Seite, als der Mann ihn am Handgelenk packte. Er mu?te im selben Moment gestorben sein. Und Armitage, der nach Davys Tod dessen Enterkommando unter die sausenden Klingen gefuhrt hatte: trotz seiner Ungeschicklichkeit, obwohl er in diesem Moment fast starr und blind vor Entsetzen gewesen war, hatte er alle seine Kraft zusammengerafft, nur um zu erfahren, da? sie nicht ausreichte.
        Und nach der Schlacht der Gestank und Larm, und nicht zuletzt der bis zum Delirium betrunkene Schiffsarzt, den drei seiner Gehilfen mit Gewalt in den Verbandsraum zuruckzerren mu?ten.
        Nachdem das wilde Hurrageschrei dem Bewu?tsein des schwer erkampften Sieges gewichen war, hatten sie sich nur um das Nachstliegende gekummert: Verwundete mu?ten versorgt, die Toten dem Meer ubergeben, die Aufraumungsarbeiten unverzuglich begonnen werden.
        Blickte man auf all das zuruck, schien es wie ein Wunder, da? sie Pendang Bay uberhaupt erreicht hatten. Die unteren Rahen des Gro?- und Vormastes hatten uble Sprunge, der Gro?mast selbst war derma?en zersplittert und durchlochert, da? nur sofortige Notreparaturen an Stagen und Wanten ihn einigerma?en abgesichert hatten - die Arbeit wollte kein Ende nehmen. Unter der Wasserlinie waren mehr als ein Dutzend Lecks, und in jeder Wache mu?te an den Lenzpumpen gearbeitet werden. Mit der ubel zugerichteten Argus im Schlepptau, waren sie qualend langsam dem Land und der Sicherheit zugekrochen. Die eroberte Fregatte war inzwischen mit einem Notrigg nach Indien gesegelt, wo sie auf einer Werft schnellstens repariert, neu ausgerustet und von der East India Company ubernommen werden sollte.

«Sonst noch Instruktionen, Sir?«fragte Herrick.
        Bolitho griff nach der Weinflasche.»Es steht fest, da? Pendang Bay gegen einen anderen Stutzpunkt ausgetauscht wird, der zur Zeit noch im Besitz der Hollander ist. «Er blickte auf und sah das Erstaunen in Herricks Augen.»Jetzt, da wir das Fortbestehen der Siedlung gesichert haben, sind die Hollander anscheinend gern zu diesem Tausch bereit.»
        Mit plotzlicher Deutlichkeit erinnerte er sich an das Gesicht Conways, als dieser die erste Depesche offnete, die Raymond selbst aus Madras gebracht hatte. Heiser hatte er gesagt:»Also war alles umsonst?»
        Raymond hatte den Blick abgewandt.»Nein, Sir. Der andere Stutzpunkt im Norden ist fur unsere Zwecke weit besser geeignet. Sir Montagu Strang hat es mir erklart. Sie werden feststellen, da? Ihr Anteil an dem Geschehen hochste Anerkennung gefunden hat.»
        Spater, als Raymond das Zimmer verlassen hatte, murmelte Conway bitter:»Hochste Anerkennung, sagt er! Und dann ernennen sie einen anderen zum Gouverneur des neuen Stutzpunkts.»

«Tut mir leid, Sir«, hatte Bolitho geantwortet.»Es ist ein bitterer Sieg.»

«Bitter?«Uberraschenderweise hatte Conway sogar gelacht.»Dieser Dienst pa?t besser zu einem Kramer als zu einem Seemann, Bolitho. Vergessen Sie das nie!»
        Bolitho schob Herrick einen Becher Wein hin und merkte, da? dieser immer noch auf eine Antwort wartete.

«Bis unsere Ersatzleute angemustert haben, werden wir hier Patrouille fahren. Ich bin vorlaufig der dienstalteste Seeoffizier in diesen Gewassern. Was nicht uberrascht, da die Undine hier das einzige Kriegsschiff ist.»

«Ehrlich verdient, Sir«, grinste Herrick.»Als ich begriff, wie sehr Sie sich in den franzosischen Kapitan hineingedacht hatten, da… »
        Bolitho wandte den Blick ab.»Ware der Wind abgeflaut, wurden Sie vielleicht anders denken.»

«Also wieder mal unser Gluck, Sir?«Herrick grinste noch breiter.
        Es klopfte, und Penn trat ein.»Mr. Davy la?t respektvoll melden, da? der Indienfahrer Anker lichtet, Sir. Er meint, Sie wollten Bescheid wissen.»

«Danke.»
        Bolitho wartete, bis die Tur sich geschlossen hatte. Sein Herz war plotzlich zentnerschwer. Dieser Versprecher Penns hatte nichts Erheiterndes. Penns unmittelbarer Vorgesetzter war jetzt Keen, der Vizeleutnant geworden war; und Soames hatte Davys Stelle inne. Immer dasselbe: einer fiel, und die anderen profitierten davon.
        Leise sagte Herrick:»Der Indienfahrer segelt nach Madras, Sir. Unsere Verwundeten haben dort bessere Pflege.»
        Bolitho nahm seinen Hut.»Sehen wir uns an, wie er auslauft.»
        Die Sonne brannte hei? auf das Achterdeck, aber bei dem steten ablandigen Wind war es ertraglich. Er stellte sich mit Herrick an die Netze und sah, wie das dickbauchige Handelsschiff die Bramsegel setzte. Bunt hoben sich der bemalte Rumpf und die Flagge der East India Company vom Grun der Kuste ab.
        Bolitho studierte das Deck der Undine. Die Leute lie?en ihre Arbeit ruhen, um das Schiff zu beobachten, dessen glanzender Rumpf sich unter dem Druck der Segel leicht neigte, als es aus der Reede kreuzte. Sie dachten vielleicht an die gemeinsame Heimat, wo der Indienfahrer eines Tages Anker werfen wurde. Oder an die alten Freunde, die mit blutigen Verbanden im geraumigen Rumpf lagen, und an die anderen, die nicht mehr da waren und nichts mehr sehen konnten.
        Bolitho winkte Penn.»Ihr Glas, bitte!»
        Nur ein einziges Mal hatte er Viola Raymond nach seiner Ruckkehr allein gesprochen. Vielleicht pa?te Raymond zu sehr auf, aber vielleicht hatte sie auch besser als er begriffen, da? es keinen Sinn hatte, die Trennung noch schmerzlicher zu machen.

«Ein feines Schiff, Sir. «Auch Herrick blickte durch ein Fernrohr hinuber.»Wenn ich daran denke, da? mein alter Vater mich unbedingt auf einem Indienfahrer sehen wollte… Dann ware heute alles anders.»
        Bolitho zuckte zusammen; er hatte auf der prachtigen Kampanje des auslaufenden Handelsschiffes das bla?grune Kleid entdeckt und den breitkrempigen Hut, den sie in Santa
        Cruz gekauft hatte. Noch klangen ihm ihre Worte im Ohr, als wurden sie jetzt, uber den breiter werdenden Streifen bewegten Wassers hinweg, zu ihm gesprochen.

«Wenn du nach London kommst, besuch mich bitte. Mein Mann hat seine Beforderung bekommen, die er sich so wunschte; die ich mir auch zu wunschen glaubte - bisher.
«Sie hatte seine Hand gedruckt.»Hoffentlich hast auch du von mir bekommen, was du dir wunschtest.»
        Dumpf krachte ein Salutschu? vom Stutzpunkt her; vom Vorschiff des Indienfahrers kam prompt die Antwort. Hier wie dort dippten Flaggen zum respektvollen Gru?.
        Bolitho spurte den Schmerz zuruckkehren. Sie hatte recht, diesen Kummer konnten sie beide jetzt nicht brauchen, nur Verstandnis und Frieden nach diesem Sturm, der sie heftig, wenn auch nur kurz geschuttelt hatte.
        Nun segelte Raymond einem hoheren Posten entgegen, wahrend Conway wieder in die Anonymitat zurucksank. Das wurde er nie begreifen.
        Er selbst aber war sich ziemlich gleich geblieben, abgesehen von diesem Intermezzo. Oder doch nicht ganz? Viola hatte versucht, ihn nach ihren Vorstellungen zu formen, wie sie auch ihren Mann gern geformt hatte - vielleicht hatte ihn das doch etwas verandert?

«Signal, Sir!«rief Penn. »Wessex an Undine.«Angestrengt spahte er nach den Flaggen aus, die zu den Rahen des Indienfahrers emporstiegen, und buchstabierte die Botschaft: «Viel Gluck fur Sie, Sir.»

«Mit Dank bestatigen.»
        Bolitho lie? die bla?grune Gestalt nicht aus den Augen. Sie schwenkte langsam ihren Hut, das herbstlaubfarbene Haar wehte frei im Wind.
        Wie zu sich selbst murmelte Bolitho:»Und auch fur dich, Geliebte.»
        Einige seiner Leute winkten jubelnd, als das andere Schiff mehr Segel setzte und gravitatisch aus der Bucht kreuzte.
        Bolitho reichte das Teleskop einem Schiffsjungen und fragte:»Na, Mr. Herrick?»

«Aye, Sir«, nickte dieser.»Ein Glas Wein. Ich denke, das haben wir uns verdient.»
        Allday sah ihnen nach, als sie zum Niedergang schritten. Ihm entging nicht die kurze Bewegung, mit der Bolitho nach der Hosentasche tastete, in der er ihre Uhr trug. Es verriet Allday eine ganze Menge.
        Er schritt zu den Netzen hinuber und starrte dem Indienfahrer nach.

«Gro?artiger Anblick, nicht wahr, Allday?«fragte Keen, der hinzugetreten war.
        Allday sah ihn von der Seite an.»Aye, Sir. Ein bi?chen zu gro?artig fur unsereinen.»
        Keen wandte sich ab und begann, auf dem Achterdeck zu promenieren, wie er es von Bolitho gesehen hatte. Er wu?te, da? Allday heimlich uber ihn grinste, aber es lie? ihn kalt. Er war gepruft worden und hatte bestanden, das reichte ihm.
        Als er beim Skylight stehenblieb, horte er unten Bolithos Lachen und Herricks gelassene Erwiderung.
        Und er hatte alles mit ihnen geteilt.
        Als er wieder nach dem Indienfahrer Ausschau hielt, war dieser bereits um die Landspitze verschwunden.
        So schritt er also weiter auf und ab; Vizeleutnant Valentin Keen von seiner Majestat Fregatte Undine war zufrieden mit sich und der Welt.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Hulk = entmasteter Schiffsrumpf; im weiteren Sinne: altes, nicht mehr seetuchtiges Schiff (der Ubersetzer).

2

        Meerenge zwischen Portsmouth und der Isle of Wight (der Ubersetzer).

3

        Seekadett, bzw. Fahnrich zur See (der Ubersetzer).

4

        Hangemattskasten im Schanzkleid des Oberdecks (der Ubersetzer).

5


39,6 m (der Ubersetzer).

6

        Insel vor Brest, franzosische Schreibweise Quessant (der Ubersetzer).

7

        Ostindische Handelsgesellschaft: au?erordentlich machtige, private Unternehmung mit Hauptsitz in London, von der der Ansto? zur Kolonisierung Indiens ausging (der Ubersetzer).

8

        l Glas(en) = 1/2 Stunde. 8 Glasen = Ende einer vierstundigen Wache; hier also: zu Beginn der Morgenwache. Der Ausdruck stammt aus der Zeit der glasernen Sanduhren. Diese Zeitrechnung ist heute noch in der Seefahrt ublich (der Ubersetzer).

9

        Das Ende der zweiten Vormittagswache (der Ubersetzer).

10

        Audi Nadelkap genannt (der Ubersetzer).

11


0,57 Liter (der Ubersetzer).

12


= Schweineleber (der Ubersetzer).

13


= Kabellange = 0,1 Seemeile = 185,3 m (der Ubersetzer).

14

        In der Kriegsflotte und auch sonst ubliche, leicht abfallige Bezeichnung fur die East India Company (der Ubersetzer).

15

        Tiefenma?: l Faden = 1,829 m (der Ubersetzer).

16

        Lagerraum fur Spirituosen, ganz achtern im untersten Deck (der Ubers.).


 
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