Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Strandwolfe Richard Bolithos Gefahrvoller Heimaturlaub " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Strandwolfe: Richard Bolithos gefahrvoller Heimaturlaub Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #2 Dezember 1773: Nach vierzehn strapaziosen Monaten auf See an Bord der Gorgon kehrt Midshipman Richard Bolitho zuruck nach England. Wahrend das Linienschiff in Plymouth im Dock zur dringend notwendigen Uberholung liegt, will er Weihnachten bei seinen Eltern in Falmouth verbringen. Doch daraus wird nichts, denn an der Kuste Cornwalls treiben ubelste Strandrauber, die gezielt Schiffsstrandungen herbeifuhren, ihr Unwesen. Fur Richard Bolitho hei?t es, deren todlichem Spuk ein Ende zu setzen…

        Alexander Kent
        Strandwolfe: Richard Bolithos gefahrvoller Heimaturlaub

        Allen Midshipmen aus Vergangenheit und Gegenwart gewidmet

        I Heimaturlaub

        Schwankend und mit lautem Raderklappern kam die Postkutsche auf dem Hof des Gasthauses zum Stehen, und die kleine Gruppe muder Passagiere stie? Seufzer der Erleichterung aus. Es war Anfang Dezember des Jahres 1773, und Falmouth lag wie ganz Cornwall unter einer dichten Decke von Schnee und Matsch. Die Kutsche mit ihren vier von der raschen Fahrt dampfenden Pferden wirkte in dem schwachen Nachmittagslicht vollig farblos, so sehr war sie mit Schlamm bespritzt. Midshipman[Seekadett bzw. Fahnrich zur See] Richard Bolitho sprang herab, dann blieb er stehen und starrte einige Zeit bewegungslos auf das ihm vertraute alte Gasthaus und die verwitterten Gebaude dahinter. Die Fahrt war muhselig gewesen: lediglich funfundfunfzig Meilen von Plymouth bis hierher, aber sie hatten zwei volle Tage dafur gebraucht. Der Kutscher war sehr weit landeinwarts gefahren, beinahe bis zum Bodmin-Moor, um den uber die Ufer getretenen River Fowey zu umgehen; auch hatte er sich wegen der schlechten Stra?en strikt geweigert, bei Nacht zu fahren. Nach Bolithos Meinung furchtete er sich jedoch mehr vor Stra?enraubern als vor den
wetterbedingten schlechten Wegverhaltnissen. Die Gentlemen fanden es namlich sehr viel bequemer, Kutschen auszurauben, die auf schlammigen, ausgefahrenen Wegen steckengeblieben waren, als einen Schu?wechsel mit den scharfaugigen Wachen auf des Konigs Landstra?en zu riskieren.
        Doch dann verga? er die Reise, die geschaftig die Pferde ausspannenden Knechte und die Mitreisenden, die in die einladende Warme des Gasthauses stromten, und geno? den Augenblick der Heimkehr.
        Es war genau ein Jahr und zwei Monate her, seit er Falmouth verlassen hatte, um in Spithead an Bord der Gorgon zu gehen, eines Linienschiffes mit vierundsiebzig Geschutzen. Jetzt lag sie in Plymouth zur dringend notwendigen Uberholung und Instandsetzung, und er, Richard Bolitho, war zum wohlverdienten Urlaub nach Hause gekommen.
        Er reichte seinem Reisegefahrten die Hand, als dieser jetzt zu ihm in den na?kalten Wind herab kletterte; Midshipman Martyn Dancer war am selben Tag an Bord der Gorgon gekommen wie er selbst und ebenfalls siebzehn Jahre alt.

«So, Martyn, wir sind am Ziel!»
        Bolitho lachelte, froh daruber, da? Dancer mit ihm gekommen war. Das Haus der Dancers lag in London und war vollig verschieden von dem der Bolithos, die seit Generationen Seeoffiziere waren. Dancers Vater dagegen war ein reicher Teehandler in der Londoner City. Aber auch wenn ihre Welten meilenweit auseinanderlagen, so stand ihm Martyn doch ebenso nahe, als sei er sein leiblicher Bruder.
        Als die Gorgon vor Plymouth geankert hatte und die an Bord gekommene Post verteilt wurde, stellte Dancer fest, da? seine Eltern im Ausland weilten. Er schlug sofort vor, Bolitho solle mit ihm nach London kommen, aber der stets wachsame Erste Offizier der Gorgon, Mr. Verling, hatte kalten Tones gesagt:»Ich denke, das lassen Sie lieber. Allein in dieser Stadt - Ihr Vater wurde mich dafur zur Rechenschaft ziehen!«So hatte Dancer bereitwillig Bolithos Einladung angenommen, was diesem insgeheim lieber war, brannte er doch darauf, seine Familie wiederzusehen und sich ihr mit all den Veranderungen vorzustellen, die vierzehn Monate harten Dienstes bei ihm bewirkt hatten. Genau wie sein Freund, war auch er magerer geworden - soweit dies uberhaupt noch moglich war - und vor allem selbstsicherer. Auch war er dankbar dafur, da? er alle Sturme und Gefechte uberlebt hatte.
        Der Kutscher beruhrte gru?end seinen Hut, nahm die Munzen, die Bolitho ihm in die Hand druckte, und sagte:»Seien Sie unbesorgt, Sir. Ich passe auf, da? der Wirt die Kisten zu Ihrem Haus bringen la?t. «Dabei zeigte er mit dem Daumen auf die bereits hell erleuchteten Fenster des Gasthauses.»Jetzt werde ich mich fur ein Stundchen zu den Mitreisenden setzen, dann geht's weiter nach Penzance. «Im Weggehen rief er:»Viel Gluck, die jungen Herren!»
        Bolitho blickte ihm sinnend nach. So viele Bolithos waren hier schon ein- oder ausgestiegen, auf dem Weg zu Schiffen, die sie in ferne Lander bringen sollten, oder von weiter Reise heimgekehrt. Manch einer von ihnen war niemals mehr zuruckgekommen. Er warf seinen blauen Umhang uber die Schultern und sagte:»La? uns gehen, das bringt das Blut wieder in Bewegung!«Dancer nickte zahneklappernd. Genau wie Bolitho, war er sonnengebraunt, und beide konnten sich nach gut einem Jahr an Afrikas Kusten noch nicht mit dem schroffen Klimawechsel abfinden.
        Als sie jetzt durch den Schneematsch schritten, vorbei an der alten Kirche und den uralten Baumen, mochten sie kaum glauben, da? sie all das wirklich erlebt hatten: die Jagd nach Seeraubern, die Zuruckeroberung der Brigg Sandpiper, mit der sie dann nach einer hitzigen Verfolgung durch gefahrliche Riffe ein Piratenschiff vernichtet hatten. Manner waren gefallen, andere hatten Verwundungen erlitten: das Los der Seeleute uberall in der Welt. Bolitho hatte im Nahkampf Mann gegen Mann gestanden, hatte toten mussen und einen Fahnrichskameraden beim Angriff auf die Festung von Sklavenhandlern fallen sehen.[siehe A. Kent: DIE FEUERTAUFE] Sie waren keine Knaben mehr, sie waren gemeinsam zu jungen Mannern geworden.»Da ist es.
«Bolitho wies auf das gro?e graue Haus, viereckig, unbeugsam und fast von der gleichen Farbe wie die niedrig dahinjagenden Wolken und das Vorland dahinter. Durch das Gartentor ging es den breiten Weg zum Eingang hinauf, und Bolitho brauchte nicht einmal zu dem massiven Ring des Turklopfers zu greifen; denn schon flog die Tur auf, und Mrs. Tremayne, die Haushalterin, lief ihm entgegen, das rote Gesicht strahlend vor Freude.
        Sie schlo? ihn in die Arme und druckte ihn an sich. Ihr Geruch nach frischem Leinen, Lavendel, nach Kuche und gerauchertem Speck weckte noch mehr alte Erinnerungen in ihm. Sie war uber funfundsechzig und genauso ein Teil des Hauses wie dessen Grundmauern.
        Sie wiegte ihn in ihren Armen wie ein Kind, obwohl er einen ganzen Kopf gro?er war als sie.

«Oh, junger Master Dick, was haben sie dir angetan?«Sie brach beinahe in Tranen aus.»So dunn wie ein Schilfrohr, wohl nichts zu essen gekriegt, aber ich werde dir bald wieder Fleisch auf die Knochen bringen.»
        Nun entdeckte sie Dancer und entlie? Bolitho widerstrebend aus ihren Armen. Der grinste verlegen, aber erfreut uber ihre Anteilnahme. Sie war allerdings noch viel starker gewesen, als er damals, im Alter von zwolf Jahren, zum ersten Mal zur See gegangen war.

«Dies ist mein Freund Martyn Dancer. Er bleibt uber Weihnachten bei uns.»
        Alle wandten sich um, als Bolithos Mutter auf der Treppe erschien.

«Und Sie sind uns herzlich willkommen!«Dancer betrachtete sie hingerissen. Er hatte wahrend der langen Seewachen oder wahrend der wenigen ruhigen Augenblicke unter Deck schon viel von Harriet Bolitho gehort. Aber sie war doch ganz anders als in seiner Vorstellung. Sie schien viel zu jung, um Richards Mutter zu sein, viel zu zerbrechlich, um so oft allein gelassen zu werden in diesem gro?en Steinhaus unter dem Vorland von Pendennis Castle.»Mutter!»
        Bolitho lief zu ihr, und sie umarmten sich lange. Noch immer beobachtete Dancer Richard, seinen Freund, den er so genau zu kennen glaubte, der gewohnlich seine Gefuhle hinter einem unbeteiligten Gesicht und dem ruhigen Blick seiner grauen Augen verbarg. Richard, dessen Haar so schwarz war wie sein eigenes blond, der zwar Bewegung zeigte uber den Tod eines Freundes, im Kampf aber ein Lowe wurde, er wirkte hier mehr wie ihr Freier als ihr Sohn.
        Endlich sagte sie ruhig zu Dancer:»Wie lange konnt ihr bleiben?»
        Die Frage war beherrscht ausgesprochen, aber er spurte die Spannung darin.
        Bolitho erwiderte fur ihn:»Vier Wochen, vielleicht langer, wenn…»
        Sie streckte die Hand aus und streichelte sein Haar.»Ich wei?, Dick, wenn. Die Marine mu? dieses Wort erfunden haben.»
        Sie hakte beide jungen Manner unter.

«Aber du bist wenigstens zu Weihnachten zu Hause und hast einen Freund mitgebracht. Das ist gut. Dein Vater ist noch in Indien. «Sie seufzte.»Und ich furchte, Felicity bleibt mit dem Regiment ihres Mannes in Canterbury.»
        Bolitho betrachtete sie ernst. Er hatte nur an sich selbst gedacht, an seine Heimkehr, an seinen Stolz uber das Vollbrachte. Seine Mutter dagegen hatte allem allein gegenubergestanden, wie es so oft das Los der Frauen war, die in die Familie Bolitho einheirateten.
        Seine Schwester Felicity, jetzt neunzehn, war glucklich gewesen uber die haufigen Besuche eines jungen Offiziers der hiesigen Garnison. Wahrend Bolithos Abwesenheit hatte sie ihn geheiratet und das Elternhaus verlassen.
        Da? sein einziger Bruder Hugh nicht zu Haus sein wurde, hatte Bolitho erwartet. Hugh war vier Jahre alter, des Vaters Augapfel und tat zur Zeit Dienst als Leutnant auf einer Fregatte. Ein wenig verlegen fragte er:»Und Nancy? Geht es ihr gut, Mutter?»
        Ihr Gesicht erhellte sich und lie? sie noch junger erscheinen.»Ja, Dick, es geht ihr gut. Sie ist augenblicklich unterwegs und macht einen Besuch, trotz des Wetters. «Dancer fuhlte sich seltsam erleichtert. Er hatte viel gehort von Nancy, dem jungsten Familienmitglied. Sie mu?te ungefahr sechzehn sein und wohl eine Schonheit, nach der Mutter zu schlie?en.
        Bolitho sah seines Freundes Gesichtsausdruck und bemerkte:»Das ist eine gute Nachricht.»
        Seine Mutter blickte von einem zum anderen und lachte.»Aha, ich verstehe.»

«Ich bringe Martyn in sein Zimmer, Mutter. «Sie nickte und sah ihnen nach, als sie die Treppe hinaufstiegen, vorbei an den Portrats langst verblichener Bolithos.»Als wir vom Postboten horten, da? die Gorgon in Plymouth eingelaufen sei, da wu?te ich, da? du nach Hause kommen wurdest, Dick. Ich hatte es Kapitan Conway niemals verziehen, wenn er mir diese Freude verweigert hatte. «Bolitho sah den Kommandanten vor sich, zuruckhaltend, von beeindruckender Ruhe in allen Gefahrensituationen. Er konnte sich ganz und gar nicht vorstellen, da? er auf Frauen horte. Dancer betrachtete eingehend eines der Portrats im Treppenhaus.»Mein Gro?vater Daniel«, erklarte Bolitho.»Er war mit Wolfe in Quebec. Mu? ein gro?artiger alter Herr gewesen sein. Manchmal wei? ich nicht mehr genau, ob ich ihn wirklich kannte, oder ob es nur Erinnerung ist an das, was mein Vater mir uber ihn erzahlt hat.»
        Dancer grinste.»Er sieht recht verwegen aus, und Konteradmiral war er auch!«Damit folgte er Bolitho uber den Treppenabsatz und horte, wie der Wind Hagel gegen die Fenster peitschte. Es wirkte alles so seltsam nach den standigen Bewegungen an Bord, den Gerauschen und Geruchen eines mit Menschen uberfullten Kriegsschiffes.
        Es war immer dasselbe mit den Fahnrichen. Stets waren sie hungrig, stets wurden sie gejagt, in alle Richtungen gehetzt. Jetzt wurde er, wenn auch nur fur ein paar Tage, Frieden finden, und wenn es nach Mrs. Tremayne ging, auch einen vollen Magen. Bolitho offnete eine Tur.»Eins der Madchen wird dein Gepack herauf bringen, Martyn. «Er zogerte ein wenig, seine Augen blickten so grau drein wie die See jenseits des Vorlandes.»Ich bin froh, da? du mitgekommen bist. Einige Male«, er zogerte erneut,»wahrend der letzten Monate dachte ich, da? ich niemals mehr nach Hause kommen wurde. Da? auch du jetzt hier bist, macht es erst vollkommen.»
        Er wandte sich abrupt ab, und Dancer schlo? leise die Tur hinter ihm.
        Er wu?te, was Bolitho hatte ausdrucken wollen, und war geruhrt daruber, da? er es ihm gegenuber ausgesprochen hatte. Dann trat er an eines der Fenster und blickte durch das triefende Glas. Im truben Winterlicht wirkte die bewegte, mit wei? leuchtenden Schaumkronen bedeckte See sehr einsam. Dort drau?en lag sie und wartete auf ihre Ruckkehr. Er lachelte und begann sich zu entkleiden. Nun, sie sollte nur warten!

«So, Martyn, was hieltest du von deinem ersten freien Abend?«Die beiden Fahnriche sa?en mit ausgestreckten Beinen vor dem prasselnden Kaminfeuer, die Augen fielen ihnen fast zu von der Hitze und dem uppigsten Mahl, das Mrs. Tremayne seit langem zubereitet hatte.
        Dancer hob sein Glas, sah zu, wie der Flammenschein durch den rubinfarbenen Portwein changierte, und lachelte zufrieden.»Sieht einem Wunder verdammt ahnlich.
«Es war ein sehr ausgedehntes Mahl gewesen, und Bolithos Mutter sowie seine jungere Schwester Nancy hatten sich alle Muhe gegeben, die beiden zum Erzahlen zu bringen. Bolitho ertappte sich bei der Vorstellung, wie viele Erzahlungen dieser Tisch wohl schon mit angehort hatte, einige sicherlich ein wenig ausgeschmuckt, aber alle wahr und erlebt. Nancy hatte aus diesem Anla? ein neues Kleid getragen, das offensichtlich in Truro angefertigt worden war:»Das Neueste aus Frankreich.
«Es war tief ausgeschnitten, und obwohl ihre Mutter einige Male die Stirn gerunzelt hatte, lie? es sie eher junger wirken als leichtfertig.
        Sie glich ihrer Mutter viel starker als ihre Schwester, die mehr nach der Bolitho-Seite schlug. Nancy hatte das gleiche, leicht hervorbrechende Lacheln, mit dem Harriet seinerzeit Kapitan James Bolitho so bezaubert hatte, da? er das schottische Madchen zur Frau nahm.
        Auf Dancer hatte Nancy gro?en Eindruck gemacht, und Bolitho schien es, als beruhe dies auf Gegenseitigkeit. Drau?en war es ruhiger geworden, der Hagel ging allmahlich in Schnee uber. Die Stalle und anderen Gebaude waren bereits mit einer dicken, glitzernden Schicht bedeckt. Niemand wurde heute nacht mehr weit kommen, dachte Bolitho und bedauerte den Kutscher auf seinem Wege nach Penzance. Wie still das Haus wirkte. Die Dienstboten waren schon lange zu Bett gegangen, nur die beiden Freunde sa?en noch traumend oder ihr Garn spinnend vor dem Kamin.

«Morgen gehen wir zum Hafen hinunter, Martyn, wenn mir auch Mr. Tremayne gesagt hat, da? im Augenblick so gut wie nichts auf Reede liegt, was des Ansehens wert sei. «Die mannliche Halfte der Familie Tremayne war Butler und Faktotum im Haus und wie alles andere Personal recht alt. Obgleich der Siebenjahrige Krieg schon vor zehn Jahren zu Ende gegangen war, waren die vielen Lucken, die er in den Dorfern und Siedlungen hinterlassen hatte, immer noch fuhlbar. Manch junger Mann war in den Kampfen gefallen, anderen hatte es drau?en in der Welt besser gefallen als in ihrer engen, landlichen Heimatgemeinde, und sie waren nicht mehr zuruckgekehrt. In Falmouth wurde man entweder Seemann oder Landarbeiter, so war es seit alters her.

«Vielleicht ist es morgen klar genug, da? wir reiten konnen?«»Du kannst reiten?»

«Wir fahren in London nicht immer nur Kutsche, oder was glaubst du?»
        Ihr Gelachter verstummte abrupt, als zwei laute Schlage von der Eingangstur durch das Haus drohnten.

«Wer ist um diese Zeit noch unterwegs?«Dancer war schon aufgesprungen.
        Bolitho hob die Hand.»Warte!«Er trat an einen Schrank und nahm eine Pistole heraus.»Wir wollen lieber vorsichtig sein, selbst hier.»
        Zusammen offneten sie die gro?e Doppeltur; der kalte Wind umfing ihre uberhitzten Korper wie ein Leichentuch. Bolitho erkannte den Jagdhuter seines Vaters, John Pendrith, der dicht beim Haus eine Kate bewohnte. Es war ein murrischer Mann von machtigem Korperbau, gefurchtet von den Wilderern, deren es nicht wenige gab.

«Tut mir leid, wenn ich store, Sir. «Er gestikulierte vage mit seiner langlaufigen Flinte.»Aber da ist einer aus der Stadt gekommen, und der alte Reverend Walmsley sagte, am besten sollte ich zu Ihnen gehen.«»Komm herein, John.»
        Bolitho schlo? die Tur hinter ihm. Der spate Besuch des riesigen Jagdaufsehers wie auch dessen geheimnisvolles Gehabe beunruhigten ihn etwas.
        Pendrith nahm dankend ein Glas Brandy an und warmte sich am Feuer. Dampf stieg von seinem dicken Uberrock auf wie von einem Zugpferd.
        Was auch geschehen sein mochte, es mu? etwas Wichtiges sein, wenn Pfarrer Walmsley es fur notig hielt, mitten in der Nacht einen Boten zu schicken.

«Dieser Bursche hat eine Leiche gefunden, Sir, unten am Strand. Sie hat wohl schon einige Zeit im Wasser gelegen. «Trube blickte er auf.»Es ist Tom Morgan, Sir.
«Bolitho bi? sich auf die Lippen.»Der Zolleintreiber?«»Aye. Er ist umgebracht worden, bevor man ihn ins Wasser warf, sagt der Junge.»
        Im Treppenhaus waren Gerausche zu horen, dann kam Bolithos Mutter herabgeeilt, in einen grunen Samtumhang gehullt; fragend sah sie Bolitho an.

«Ich mache das schon, Mutter«, sagte Bolitho beruhigend.»Sie haben Tom Morgan am Stand gefunden.»

«Tot?»
        Pendrith antwortete grob:»Ermordet, Madam. «Zu Bolitho gewandt, erklarte er:»Sehen Sie, Sir, die Soldaten sind namlich weg und der Friedensrichter ist in Bath, also wandte sich der alte Reverend an Sie. «Er schnitt eine Grimasse.»Schlie?lich sind Sie ein Offizier des Konigs, Sir.»
        Dancer rief:»Sicherlich ist da noch sonst wer zustandig?«Aber Bolithos Mutter zog schon an der Klingelschnur, das Gesicht bla?, doch entschlossen.

«Nein. Sie kommen immer zu uns. Ich lasse Corker zwei Pferde satteln. Du begleitest sie, John.»
        Bolitho sagte ruhig, aber bestimmt:»Ich mochte lieber, da? er hier bei dir bleibt, Mutter. «Er druckte ihren Arm.»Es geht schon in Ordnung, wirklich. Ich bin nicht mehr der kleine Junge, der mit einer Stulle in der Tasche zur See gegangen ist. Das ist vorbei.»
        Seltsam, wie leicht ihm die Umstellung fiel. Vor ein paar Minuten hatte er noch ins Bett gehen wollen. Jetzt war er hellwach, jeder Nerv gespannt und bereit, plotzlicher Gefahr zu begegnen. Aus Dancers Gesichtsausdruck ersah er, da? es diesem genauso ging.
        Pendrith lie? sich vernehmen:»Ich habe den Jungen zuruckgeschickt, er sollte bei dem Leichnam bleiben. Sie kennen die Stelle, Sir, es ist die kleine Bucht, wo Sie und Ihr Bruder im Dory[einfaches, aber stabiles Fischerboot] gekentert sind und eine gehorige Tracht Prugel dafur bezogen haben!«Er grinste vielsagend.
        Ein Dienstmadchen erschien und nahm die Anweisung entgegen, Corker, den Kutscher, zu wecken.
        Bolitho sagte:»Wir haben keine Zeit, die Uniformen anzuziehen, Martyn. La? uns gehen, wie wir sind.»
        Sie hatten irgendwelche Zivilkleider angezogen, die sie in Kisten und Schranken fanden. In einem Haus, das seit Generationen das Heim von Seeoffizieren war, gab es genug uberzahlige Rocke und Kniehosen.
        In einer Viertelstunde waren sie abmarschbereit, die schlafrige Entspannung war wacher Gespanntheit gewichen. Wenn die Marine ihnen nichts anderes vermittelt hatte, das auf alle Falle hatten sie gelernt. Die einzige Moglichkeit, auf einem Kriegsschiff am Leben zu bleiben, war stete Wachsamkeit. Drau?en horte man jetzt das Klappern von Pferdehufen, und Bolitho fragte:»Wer ist der Junge, der den Toten gefunden hat,
        John?»
        Pendrith hob die Schultern.»Der Sohn vom Schmied. «Er tippte mit dem Finger an die Stirn.»Er ist nicht ganz richtig im Kopf. «Zum Abschied ku?te Bolitho seine Mutter auf die Wange. Ihre Haut war eiskalt.

«Geh' ins Bett, ich bin bald zuruck. Morgen schicken wir jemanden zum Richter nach Truro oder zu den Dragonern. «Sie waren drau?en und zu Pferde, bevor der wirbelnde Schnee ihren Ritt nur noch schwieriger machen konnte. Man sah kaum Lichter im Ort, die meisten Bewohner waren langst im Bett.
        Dancer rief:»Wahrscheinlich kennst du die Leute hier fast alle, oder sie kennen dich, wie? Das ist der Unterschied zwischen hier und London!»
        Bolitho steckte das Kinn in den Kragen und trieb sein Pferd durch das Schneegestober. Da? Pendrith sich noch an den Vorfall mit dem Dory erinnerte. Sein Bruder Hugh und er hatten miteinander gewetteifert. Hugh war damals Midshipman gewesen, wahrend er selbst auf sein erstes Schiff wartete. Ihr Vater war au?er sich vor Wut, bei ihm etwas ganz Ungewohnliches, und zwar nicht so sehr wegen des Unfalls, als vielmehr wegen der Angst, die ihre Mutter ausgestanden hatte. Es stimmte, sie waren beide verprugelt worden, damit sie den Vorfall so schnell nicht verga?en.
        Bald horten sie die See, die zischend und donnernd gegen das felsige Vorland brandete. Alles wirkte unter diesem Schneemantel unheimlicher. Seltsame Gestalten ragten in der Dunkelheit auf, wahrend die Baume ihre wei?e Last abwarfen, was Gerausche verursachte wie die Schritte eines hervorsturmenden Wegelagerers.
        Es dauerte eine volle Stunde, bis sie die kleine Bucht gefunden hatten, die kaum mehr war als eine Spalte in dem massiven Fels, mit einem winzigen, abschussigen Stuck Sandstrand. Der Sohn des Schmieds wartete auf sie mit einer Laterne, summte vor sich hin und stampfte in dem eiskalten, nassen Sand frierend von einem Fu? auf den anderen.
        Bolitho stieg ab.»Halte mein Pferd, Martyn. «Das Tier war unruhig, wie Pferde oft in Gegenwart des Todes. Der Leichnam lag mit ausgestreckten Armen und offenem Mund auf dem Rucken.
        Bolitho zwang sich, neben dem toten Zollner niederzuknien.»Lag er so, Tim?»

«Aye, Sir. «Der Junge kicherte.»Ich suchte nach…«Er hob die Schultern.»Irgendwas.»
        Bolitho wu?te Bescheid uber den Schmied des Ortes. Seine Frau hatte ihn schon seit langem verlassen, und er schickte seinen schwachsinnigen Sohn stets aus der Hutte, wenn er sich mit einer seiner zahlreichen Besucherinnen vergnugte. Es hie?, er hatte den Jungen in einem Wutanfall so geschlagen, da? er schon als Saugling den Verstand verlor.
        Der Bursche fugte noch hinzu:»Seine Taschen sind leer, Sir.
        Nicht eine Munze drin.«»Ist das der Mann, Dick?«rief Dancer. Bolitho stand auf. Aye. Seine Kehle ist durchgeschnitten. «Die Kuste Cornwalls war beruchtigt fur ihre Schmuggler, aber die Zollbeamten wurden bei ihren Bemuhungen, sie aufzustobern und gefangenzunehmen, selten angegriffen. In Abwesenheit des Friedensrichters bedeutete dieser Zwischenfall, da? sie sich um Hilfe nach Truro oder sonstwohin wenden mu?ten. Bolitho erinnerte sich an des Jagdaufsehers Worte und sagte zu Dancer:»Nun, mein Freund, wir haben wohl doch nicht vollig dienstfrei.»
        Dancer beruhigte die nervosen Pferde.»Es schien mir auch zu schon, um wahr zu sein.»
        Bolitho befahl dem Jungen:»Geh ins Wirtshaus und bestell dem Wirt, er soll ein paar Leute wecken. Wir brauchen auch einen Karren. «Er wartete, bis der Schwachsinnige seine Worte begriffen hatte.»Kannst du das behalten?«Der Junge nickte ruckartig.»Ich denke schon. «Er kratzte sich den Kopf.»Ich warte hier schon lange, Sir. «Dancer reichte ihm etwas Geld herunter.»Das ist fur deine Muhe, Tim.»
        Als der junge Bursche von dannen stolperte, wobei er vor sich hin schwatzte, rief Bolitho ihm nach:»Aber gib's nicht deinem Vater!»
        Dann sagte er:»Binde die Pferde lieber fest und hilf mir. Wir haben auflaufendes Wasser, der Leichnam wird sonst in einer halben Stunde fortgeschwemmt.»
        Sie zogen den aufgedunsenen Korper den schragen Strand hinauf, und Bolitho dachte an andere Manner, die er hatte sterben sehen, schreiend und fluchend, in der Hitze und dem Larm des Gefechtes. Das war schrecklich genug. Aber so zu sterben wie dieser Mann, allein und verangstigt, um dann wie Abfall ins Meer geworfen zu werden, das schien ihm noch weit schrecklicher.
        Bis endlich Unterstutzung gekommen war, sie den Leichnam in die Kirche geschafft und sich danach im Wirtshaus gestarkt hatten, dammerte bereits der Morgen.
        Die Reiter und ihre Pferde waren bei der Heimkehr so leise wie moglich, aber Bolitho wu?te, da? seine Mutter sie trotzdem horen und erwarten wurde.
        Als sie herbeieilte, um sie zu begru?en, sagte er in bestimmtem Ton:»Nein, Mutter. Geh lieber wieder ins Bett!«Sie betrachtete ihn seltsam und lachelte dann.»Wie gut, wieder einen Mann im Haus zu haben«, sagte sie.



        II Die Avenger

        Bolitho und Dancer traten durch die Vordertur ein und stampften Schnee und Schlamm von den Stiefeln. Ihre Gesichter und Hande prickelten vor Kalte nach dem scharfen Ritt uber das Vorland. Es hatte fast aufgehort zu schneien; hier und da ragte Ginster oder sonstiges Gestrupp aus dem Schnee wie Seegras aus einer zerrissenen Matratze.
        Bolitho bemerkte leise:»Wir haben Besuch, Martyn. «Schon im Hof hatte er die Kutsche gesehen und die beiden prachtigen Pferde, die von Corler und dem Stallknecht betreut wurden. Das Wappen am Wagenschlag hatte er als das Sir Henry Vyvyans erkannt, eines reichen und machtigen Landedelmannes, dessen ausgedehnte Besitzungen etwa zehn Meilen westlich von Falmouth lagen. Au?erdem war er ein hochst geachteter Landvogt.
        Sir Henry stand vor dem prasselnden Kaminfeuer und sah Mrs. Tremayne zu, die einen Krug Punsch bereitete. Sie hatte hierfur ihr eigenes Rezept mit sorgfaltig abgestimmten Zugaben von Zucker, Gewurzen und geschlagenem Dotter. Vyvyan war eine eindrucksvolle Erscheinung: gro?, breitschultrig, mit einer machtigen Hakennase. Beherrschend in seinem Gesicht war jedoch eine schwarze Klappe uber dem linken Auge. Von der Stirn uber die Augenhohle bis zum Wangenknochen zog sich eine furchterliche Narbe. Das Auge mu?te wie mit einer riesigen Klaue herausgerissen worden sein. Als Bolitho noch klein war, hatte er vor diesem Mann schreckliche Angst gehabt.
        Das unversehrte Auge fixierte jetzt die beiden Fahnriche, dann sagte Vyvyan mit drohnender Stimme:»Freut mich, Sie wiederzusehen, mein Junge, auch Ihren Freund.
«Er blickte Bolithos Mutter an, die am Fenster sa?.»Sie mussen stolz auf ihn sein, Madam.»
        Bolitho wu?te, da? Vyvyan seine Zeit nicht mit zwecklosen Besuchen vertrodelte. Er galt bei vielen als ratselhaft, obgleich seine schnelle Ahndung von Wegelagerei und Stra?enraub auf seinen Landereien bekannt und allgemein respektiert war. Man sagte, er habe sein Vermogen erworben, indem er Franzosen und Spanier kaperte, andere wiederum deuteten Sklavenhandel und Rumschmuggel an. Vielleicht hatten sie auch alle unrecht, dachte Bolitho.
        Seltsam, wie unwirklich ihnen bereits der Tod des Zollbeamten erschien, wahrend sie uber die ausgefahrene Kustenstra?e galoppiert waren. Es war jetzt zwei Nachte her, seit sie mit dem Schwachsinnigen bei der Leiche gestanden hatten. Jetzt, bei blauem Himmel, von dem der Wind die letzten Wolken und somit auch die Schatten von den verschneiten Hangen gefegt hatte, kam ihnen alles nur wie ein boser Traum vor. Vyvyans tiefe Stimme fuhr fort:»Deshalb sagte ich mir, Madam, da Richter Roxby und seine Familie sich in Bath amusieren, da das Militar sich auf unsere Kosten eine schone Zeit macht - wer anderer als ich selbst soll nach Falmouth hinuber und die Muhe und die Verantwortung fur diesen Fall auf sich nehmen? Ich sehe es als meine Pflicht an, zumal der arme Tom Morgan einer meiner Pachter war. Er wohnte am Rand von Helston, ein kraftiger, zuverlassiger Mann. Man wird ihn sehr vermissen, besonders seine Familie.»
        Bolitho beobachtete seine Mutter, sah die Erleichterung in ihrem ebenma?igen Gesicht. Sie war froh daruber, da? Sir Henry gekommen war, um Recht und Ordnung wiederherzustellen, den umlaufenden Geruchten den Boden zu entziehen. Bolitho hatte wahrend seines zweitagigen Urlaubs schon eine Menge gehort - Erzahlungen uber Schmuggler, Gruselgeschichten uber Hexerei in einigen der kleinen Fischerdorfer. Offensichtlich war sie auch daruber erleichtert, da? Vyvyan und nicht ihr jungster Sohn die Verantwortung tragen mu?te.
        Sir Henry nahm jetzt den Krug kochendhei?en Punsch von Mrs. Tremayne entgegen und sagte anerkennend zu ihr:»Gott soll mich strafen, Madam, aber wenn Mrs. Bolitho nicht eine so gute Freundin ware, wurde ich Sie nach Vyvyan Manor locken. In der ganzen Grafschaft gibt es niemanden, der einen so wunderbaren Punsch brauen kann wie Sie.»
        Dancer rausperte sich.»Was sind Ihre Absichten, Sir?«»Alles schon erledigt, mein Sohn. «Er sprach frohlich und beilaufig wie jemand, der gewohnt ist, Entschlusse zu fassen und sofort auszufuhren.»Sobald ich von der Sache horte, schickte ich einen Boten nach Plymouth. Der kommandierende Admiral dort ist ein Freund von mir.
«Sein eines Auge blinzelte Dancer zu.»Ich habe gehort, da? Ihre Leute kurzlich gegen das Schmugglerpack vorgegangen sind.»
        Bolitho stellte sich den gro?en Zweidecker Gorgon vor, der jetzt in Plymouth mit wahrscheinlich schneebedeckten Decks im Dock lag. Deshalb wurden die Reparaturen sicherlich langer dauern als vorgesehen, so da? Kapitan Conway moglicherweise seinen jungeren Offizieren Urlaubsverlangerung gewahren wurde. Schlie?lich konnten nach dem Auslaufen Jahre vergehen, bis die Gorgon wieder nach England kam.
        Vyvyan fugte hinzu:»Der Admiral wird ein Schiff schicken, das sich mit der Angelegenheit befassen soll. Ich will nicht, da? hier ein Morder sein Unwesen treibt, nicht an meiner Kuste!»
        Bolitho fiel ein, da? ein Teil von Vyvyans Landereien bis an die See reichte, vom gefurchteten Kap Lizard bis in die Nahe der Manacles: eine gefahrliche, grausame Kuste. Ein Schmuggler, der dort seine Ware anlanden und Vyvyans rauher Justiz trotzen wollte, mu?te wirklich viel Mut besitzen. Er wandte sich seiner Mutter zu, als diese jetzt leise sagte:»Ich bin Ihnen dankbar, da? Sie diese Muhe auf sich nehmen, Sir Henry. «Sie wirkte bla?, wohl weil das von drau?en reflektierte Schneelicht auf ihr Gesicht fiel.
        Vyvyan betrachtete sie liebevoll.»Ware nicht Ihr Mann, Madam, ich hatte Sie mir geangelt, obwohl ich nur ein ubel zugerichteter alter Schurke bin.»
        Sie lachte.»Das werde ich ihm erzahlen, wenn er zuruckkommt. Vielleicht gibt er dann die Seefahrt endlich auf. «Vyvyan trank den letzten Schluck Punsch und lehnte ein weiteres Glas, das Mrs. Tremayne ihm anbot, mit einer Handbewegung ab.

«Danke, nein, ich mu? weiter. Sagen Sie bitte diesem Tolpel von Kutscher, er soll sich fertigmachen!«Dann wandte er sich wieder Mrs. Bolitho zu:»Lassen Sie das lieber bleiben, Madam. England wird bald wieder jeden Seemann brauchen. Weder die spanischen Dons noch der franzosische Hof werden Ruhe geben, bevor sie nicht noch einmal gegen uns blankgezogen haben. «Er lachte laut.»Sollen sie!«Dann, die Fahnriche musternd:»Mit Burschen wie diesen da konnen wir nachts ruhig schlafen, denke ich!«Er umarmte Mrs. Bolitho zum Abschied, klopfte den Fahnrichen kraftig auf die Schulter und stampfte hinaus in die Halle, wo er mit Stentorstimme nach seinem Kutscher rief. Dancer grinste.»Sein Mann mu? wohl taub sein. «Bolitho fragte eifrig:»Ist schon Essenszeit, Mutter? Wir sind halb verhungert!»
        Sie lachelte beiden freundlich zu:»Gleich gibt es etwas. Sir Henrys Besuch kam dazwischen.»
        Zwei weitere Tage voll interessanter Erlebnisse verstrichen, und nichts storte ihren Urlaub von Disziplin und taglicher Bordroutine.
        Dann berichtete der Postbote, der im Haus auf einen hei?en Trunk Station machte, ein Schiff sei vor der Reede von Carrick gesichtet worden.
        Der Wind hatte betrachtlich gedreht, deshalb mu?te es mindestens eine Stunde dauern, bis das einlaufende Schiff seinen Ankerplatz erreicht hatte.
        Bolitho fragte den Postboten, was fur ein Schiff es sei, und dieser erwiderte mit einer Grimasse:»Ein Schiff des Konigs, Sir, dem Aussehen nach ein Kutter.»
        Ein Kutter. Vielleicht einer, wie der Zoll sie benutzte, oder, noch besser, unter Marinekommando.
        Rasch fragte er:»Wollen wir gehen und ihn uns anschauen?«Dancer suchte bereits nach seinem Uberrock.»Ich bin fertig. «Bolithos Mutter hob abwehrend die Hande. Kaum von See zuruck, und schon willst du dir wieder Schiffe ansehen! Genau wie dein Vater!»
        Die Luft war schneidend kalt wie Eis, aber als sie die Stadt durchquert und den Hafen erreicht hatten, gluhten sie vor Eifer und Anstrengung. Gutes und reichliches Essen, regelma?iger Schlaf und viel Bewegung hatten bei beiden Wunder bewirkt. Zusammen standen sie auf dem Anlegesteg und beobachteten das langsam zum Ankerplatz kreuzende Schiff. Es war etwa 75 Fu?[ca. 25 m] lang, bei der stattlichen Breite von uber 20 Fu?,[ca.7 m] und hatte einen einzigen Mast, einen plumpen, runden Bug und ein recht schwerfalliges Aussehen. Bolitho wu?te jedoch, da? gut gefuhrte Kutter dank ihrer gro?en Segelflache bis zu funf Strich an den Wind gehen konnten, und das bei jedem Wetter. Dieser hier fuhrte ein gewaltiges Gro?segel, ein Rahsegel im Topp und vorne Fock und Kluver. Au?erdem konnte er noch mehr setzen, sogar Leesegel, wenn erforderlich.
        Der Kutter drehte jetzt langsam in den Wind, zugig verschwanden die Segel, wahrend die Besatzung ihn klarmachte zum Ankern. Die rote Flagge und ein Wimpel im Topp boten den einzigen Farbkontrast gegen den bleiernen Himmel. Bolitho hatte dasselbe erregende Gefuhl, das ihn immer erfullte, wenn er einen Teil seiner eigenen Welt sah, und mochte dieser auch noch so klein sein.
        Mochte der Kutter auch plump und schwerfallig aussehen, ohne die schimmernden Geschutze und die stolzen Galionsfiguren gro?erer Kriegsschiffe, so war er doch Reprasentant des Konigs. Er sah den Anker ins Wasser klatschen, sah das ubliche Getummel an den Taljen der Davits beim Ausschwenken der
        Jolle.
        Uber das bewegte Wasser hinweg horten sie das Stimmengewirr und malten sich die Szene an Bord aus. In diesem Schiffskorper von siebzig Fu? Lange drangte sich wahrscheinlich eine Besatzung von sechzig Seelen, obwohl man sich schlecht vorstellen konnte, wie sie es fertigbrachten, auf solch engem Raum zu schlafen, zu essen und zu arbeiten. Diesen Platz mu?ten sie noch teilen mit Ankertross, Wasser, Proviant, Pulver und Munition. Das lie? jedem nur ein paar Quadratzoll fur seine eigene Bequemlichkeit.
        Die Jolle war zu Wasser gelassen worden, und Bolitho sah das
        Schimmern einer wei?en Kniehose unter blauem Rock, als der Kommandant einstieg, um an Land zu fahren. Nachdem das Schiff an seinem Tau entsprechend Wind und Stromung eingeschwoit war, konnte Bolitho den Namen auf dem uberhangenden Heck lesen: Avenger - der Racher. Der ermordete Zollner hatte das zu schatzen gewu?t, dachte er grimmig. Zuschauer hatten sich angesammelt, um den Ankommling in Augenschein zu nehmen, aber es waren nicht sehr viele. Die Kustenbewohner blieben bei einem Kriegsschiff immer etwas argwohnisch, auch wenn es nur klein war. Bolitho schritt nach vorn, als das Boot an der Treppe festmachte. Ein stammiger Seemann kam auf ihn zu und gru?te.»Mr. Midshipman Bolitho, Sir?«Dancer grinste.»Selbst in Zivil wirst du erkannt, Dick!«Der Seemann fugte hinzu:»Mein Kommandant wunscht Sie zu sprechen, Sir.»
        Erstaunt gingen sie zur Anlegertreppe, wahrend der Dreispitz und die Schultern des Kommandanten der Avenger uber den nassen Steinstufen erschienen. Bolitho starrte ihn verblufft an.»Hugh!»
        Sein Bruder musterte ihn ungeruhrt.»Aye, Richard. «Dann nickte er Dancer kurz zu und befahl seinem Bootssteurer:»Fahren Sie zum Schiff zuruck und sagen Sie Mr. Gloag, ich werde signalisieren, wenn ich das Boot brauche. «Bolitho betrachtete ihn verwirrt und mit gemischten Gefuhlen. Hugh diente seiner Meinung nach auf einer Fregatte. Er hatte sich verandert, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Die Linien um seinen Mund waren scharfer geworden, seine Stimme hatte den strengen Ton des Befehlsgewohnten, aber der Rest war unverandert. Das schwarze Haar war wie sein eigenes und wie das auf einigen Portrats im Hause uber dem Kragen adrett mit einer Schleife zusammengebunden. Hughs ruhige Augen wirkten angestrengt nach den langen Stunden der Seefahrt; er trug dieselbe uberhebliche Selbstsicherheit zur Schau, deretwegen sie sich schon fruher oft in die Haare geraten waren. Sie fielen nebeneinander in Schritt, Hugh drangte sich an den Zuschauern vorbei, ohne sie eines Blickes zu wurdigen. Unterwegs fragte er:»Geht es Mutter gut?«Die Worte klangen jedoch unbeteiligt, als seien seine Gedanken nicht
bei der Sache.»Sie freut sich bestimmt sehr uber deinen Besuch, Hugh. Das wird eine wirkliche Weihnachtsuberraschung fur sie. «Hugh wandte sich an Dancer. Ihr habt wohl allerhand erlebt auf der alten Gorgon?»
        Bolitho verbarg ein Lacheln. Da war er wieder, der Stachel, diese Andeutung von Zweifel in der Frage.
        Dancer nickte.»Sie haben davon gelesen, Sir?«»Einiges. «Hugh beschleunigte seinen Schritt.»Auch habe ich den Admiral in Plymouth gesehen und euren Kommandanten gesprochen. «Am breiten Eingangstor blieb er stehen, sein Blick prufte das Haus, als sahe er es zum erstenmal.»Ich kann es euch ebensogut schon jetzt sagen. Ihr seid meinem Kommando unterstellt, bis diese Angelegenheit hier geklart ist oder bis meine Fehlstellen an Bord aufgefullt sind.»
        Bolitho starrte ihn an, wutend uber Hughs Schroffheit. Vor allem tat es ihm um Dancer leid.»Fehlstellen?»
        Hugh musterte ihn kuhl.»Aye. Ich mu?te letzte Woche meinen Ersten Offizier und einige gute Leute an Bord einer Prise lassen. In der Marine sind Ersatzoffiziere und Seeleute knapp, wovon ihr naturlich nichts wi?t. An Afrikas Kusten mag die Sonne scheinen, hier aber herrscht eisige Wirklichkeit.«»Hast du uns angefordert?»
        Hugh hob die Schultern.»Euer Kommandant hat mir gesagt, da? ihr beide hier seid. Verfugbarkeit und Ortskenntnis entschieden den Rest. Er billigte die Versetzung.»
        Das frohe Gesicht seiner Mutter, als sie eintraten, versohnte Bolitho ein wenig.
        Dancer sagte leise:»Es kann ganz lustig werden, Dick. Dein Bruder hat das Auftreten eines erfahrenen Offiziers. «Widerwillig stimmte Bolitho zu:»Das hat er, wei? Gott!«Dann sah er, da? Hugh seine Mutter ins angrenzende Zimmer fuhrte. Als sie wieder herauskam, lachelte sie nicht mehr.»Es tut mir so leid, Dick, und noch mehr fur dich, Martyn. «Dancer erwiderte mit fester Stimme:»Das durfen Sie nicht sagen, Madam. Wir sind beide gewohnt, Unerwartetes hinzunehmen.«»Trotzdem.»
        Sie wandte sich um, als Hugh wieder eintrat, ein Glas Brandy in der Hand.

«Trotzdem, meine Lieben«, fuhr Hugh an ihrer Stelle fort,»ist es eine ernste Angelegenheit und lediglich die Spitze des Eisberges. Gott allein wei?, was dieser Tor Morgan vorhatte, als er umgebracht wurde; aber kein Zollner sollte Alleingange unternehmen. «Sein Blick heftete sich auf Bolitho.»Es geht um weit Schlimmeres als Schmuggel. Zuerst glaubten wir, es lage an dem schlechten Wetter. Wracks sind schlie?lich nichts Ungewohnliches an dieser Kuste.»
        Bolitho frostelte es. Das war es also: Strandrauberei. Das schlimmste aller Verbrechen.
        Sein Bruder fuhr in seinem knappen Ton fort:»Aber zu viele wertvolle Ladungen sind hier in letzter Zeit verlorengegangen:
        Silber und Gold, Spirituosen und kostbare Gewurze. Genug, um eine ganze Stadt zu versorgen oder eine Armee zu finanzieren. «Er hob die Schultern, als sei er der Vertraulichkeiten mude.»Meine Aufgabe ist es, diese Morder zu finden und den Behorden zu ubergeben. Das Warum und Wozu ist nicht die Sache eines Offiziers des Konigs.»
        Seine Mutter sagte heiser:»Aber Strandrauber! Wie konnen sie nur hilflose Seeleute anlocken und ausplundern…»
        Hugh lachelte.»Sie sehen den Landadel unter den an
        Privatstranden angetriebenen Wracks reiche Beute halten,
        Mutter. Da geht die Vernunft schnell zum Teufel.»
        Dancer protestierte:»Aber es ist ein ungeheurer Unterschied, ob ein Schiff durch Unfall strandet oder absichtlich ins Verderben gelockt wird, Sir!»
        Hugh blickte weg.»Moglich. Aber nicht fur die Strandwolfe, diese Hyanen, die von Wracks leben.»
        Dancer sagte:»Die Nachricht von Ihrer Ankunft wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten, Sir.»
        Hugh nickte.»Ich werde ein paar Hande schmieren und Versprechungen machen. Einige werden mir Informationen zukommen lassen, nur damit die Avenger sonstwohin verschwindet.»
        Bolitho sah seinen Freund an. Diese Seite der Marine war ihnen fremd: da? ein Kommandant gegen Bestechungsgelder Informationen sammelte und dann vollig frei und unabhangig seine Entscheidungen traf, ohne erst den Segen der Vorgesetzten abwarten zu mussen.
        Die Tur flog auf, Nancy rannte durch den Raum und schlang ihre
        Arme um des Bruders Hals.

«Hugh! Das ist ja wirklich ein Familientreffen!»
        Hugh hielt sie von sich ab und musterte sie eingehend.

«Langsam! Du bist jetzt eine Lady - na, wenigstens beinahe.»
        Schnell wurde er wieder dienstlich.»Wir laufen mit der Tide aus.
        Ich schlage vor, Dick geht zum Hafen hinunter und ruft ein
        Boot. «Sein Ton wurde hart.»Bitte keine Einwande, Mutter. Ich pflege meine Entscheidungen rasch zu treffen. Aber wir werden
        Weihnachten zusammen verleben, wenn ich es einrichten kann.»
        Als Bolitho die Tur schlo?, um in seinem Zimmer zu packen,
        horte er noch die Stimme seiner Mutter.

«Aber warum blo?, Hugh? Du warst doch gern auf deinem
        Schiff! Jeder sagte, da? dein Kommandant sehr zufrieden mit dir war.»
        Bolitho zogerte. Er ha?te heimliches Lauschen, aber er mu?te wissen, was sich ereignet hatte.
        Hugh erwiderte kurz:»Ich habe die Laertes verlassen, weil man mir dieses Kommando anbot. Die Avenger ist nicht gro?, aber ich bin mein eigener Herr. Ich kann den Zollkuttern und ihren Besatzungen Gewicht und Autoritat verleihen, kann vollig nach eigenem Ermessen entscheiden und handeln. Ich bedaure den Wechsel kaum.»

«Aber warum hast du dich so schnell entschieden?«»Nun, Mutter, es war die beste Losung, wenn du es genau wissen willst. Ich hatte Streit.»
        Bolitho horte seine Mutter aufschluchzen und ware am liebsten zu ihr geeilt.
        Hugh fugte hinzu:»Eben Ehrenhandel.»

«Hast du jemanden im Duell getotet? Oh, Hugh, was wird dein Vater sagen?»
        Hugh lachte kurz.»Nein, ich habe ihn nicht getotet. Nur ein bi?chen geritzt.»
        Er mu?te sie in die Arme genommen haben, denn ihr Schluchzen klang ruhiger und gedampft.

«Und Vater mu? es nicht erfahren, wenn du es ihm nicht erzahlst.»
        Dancer erwartete Richard oben auf dem Treppenabsatz.»Was ist los?»
        Bolitho seufzte.»Mein Bruder hat ein hitziges Temperament. Ich glaube, er war in ein Duell verwickelt.»
        Dancer lachelte.»In St. James wird alle Augenblicke jemand im Duell verletzt oder getotet. Der Konig hat es zwar verboten«, er hob die Schulter,»aber das Duellieren geht trotzdem weiter. «Sie halfen sich gegenseitig beim Wiedereinpacken der Seekisten. Mrs. Tremayne ware dabei doch nur in Tranen ausgebrochen, auch wenn sie ihr versprochen hatten, bald wiederzukommen. Als sie die Treppe hinuntereilten, war Hugh schon verschwunden.
        Bolitho ku?te seine Mutter zum Abschied. Dancer nahm ihre Hand und sagte mit bewegter Stimme:»Selbst wenn ich niemals mehr zuruckkehre, Madam, schon dieser eine Besuch war ein gro?es Geschenk fur mich.»
        Sie hob den Kopf.»Danke, Martyn, Sie sind ein guter Junge. Pa?t auf euch auf, alle beide!»
        Zwei Seeleute warteten bereits am Portal, um die Kisten an Bord zu tragen.
        Bolitho lachelte in sich hinein. Hugh war sich also seiner Sache sicher gewesen, wie immer. Er hatte alles unter Kontrolle. Als sie den Platz vor dem Gasthaus uberquerten, rief Dancer plotzlich:»Schau, Dick, die Postkutsche!«Sie blieben stehen und starrten hinuber, als ihre Kutsche auf dem Kopfsteinpflaster polternd an ihnen vorbeischaukelte, wahrend der Postillion ein schmetterndes Hornsignal ertonen lie?. Sie fuhr zuruck nach Plymouth, Kutscher und Wachmann waren sogar noch dieselben wie auf der Herfahrt. Bolitho seufzte tief.»Wir gehen am besten so schnell wie moglich an Bord. Ich furchte, Mrs. Tremaynes Kochkunste haben meinen Diensteifer erheblich gedampft. «Sie wandten sich wieder der See zu und trabten mit hangenden Kopfen zum Anlegesteg.



        III Wie ein Vogel

        Nach einer bewegten Fahrt zu der vor Anker liegenden Avenger stellte Bolitho uberrascht fest, da? der Kutter fur seine geringe Gro?e relativ stabil lag. Der steife Wind zwang ihn, seinen Hut festzuhalten; einen Augenblick blieb er vor dem engen Niedergang stehen, betrachtete interessiert den stammigen Mast und das breite Deck, das in dem grauen Licht wie Metall glanzte. Das Schanzkleid hatte auf beiden Seiten Stuckpforten fur zehn Sechspfunder, wahrend vorn im Bug und achtern im Heck zusatzliche Sockel fur Schwenkgeschutze montiert waren. Klein mochte der Kutter sein, aber bestimmt kein Schwachling im Kampf, entschied er.
        Eine Gestalt loste sich aus dem geschaftigen Gedrange arbeitender Seeleute und trat den beiden Fahnrichen entgegen. Es war ein Riese an Gro?e und Umfang, mit einem von Wind und Wetter gebraunten Gesicht, so da? er mehr wie ein Spanier wirkte als wie ein Brite.
        Mit drohnender Stimme sagte er:»Hab' schon von Ihnen gehort. «Er streckte eine gro?e, narbenbedeckte Hand aus:»Andrew Gloag, kommissarischer Segelmeister und Steuermann.»
        Bolitho stellte Dancer vor und verglich die beiden dabei: der schlanke, blonde Fahnrich und die gewaltige, unerschutterliche Gestalt Gloags im geflickten blauen Rock. Seinem Namen nach konnte er aus Schottland stammen, jetzt sprach er jedoch unverfalschten Devonshire-Dialekt.

«Die jungen Herren gehen wohl besser nach achtern. «Gloag schielte zur Kuste hinuber.»Wir gehen bald Anker auf, wie ich den Kommandanten kenne. «Er grinste, wobei er mehrere Zahnlucken entblo?te.»Hoffentlich sind Sie ihm nicht zu ahnlich. Noch ein paar von derselben Sorte konnte ich kaum verkraften!«Lachend schob er sie zum Niedergang.»Gehen Sie hinunter und sehen Sie nach Ihren Sachen. «Er fuhr herum und brullte durch die hohlen Hande:»Lebhaft da, du fauler Schuft! Beleg' die Leine, oder ich zieh' dir das Fell uber die Ohren!»
        Bolitho und Dancer kletterten atemlos die kurze Niedergangstreppe hinunter und tasteten sich zu einer kleinen Kabine im Heck weiter, wobei sie mehrfach mit dem Kopf an die niedrigen Decksbalken stie?en. Die Avenger schien sie mit ihren Gerauschen und Geruchen zu umfangen, einige wohlvertraut, andere jedoch fremdartig anmutend. Sie wirkte mehr wie ein Lastprahm als ein Kriegsschiff. Offenbar war sie eine Klasse fur sich, ebenso wie Andrew Gloag, dessen gewaltige Stimme muhelos durch Wind und Holz drang. Als Steuermannsmaat und kommissarischer Steuermann wurde er vermutlich niemals auf dem Achterdeck eines Schiffes wie der Gorgon kommandieren, aber hier war er Konig.
        Es fiel Bolitho schwer, sich Gloag bei der Zusammenarbeit mit Hugh vorzustellen. Plotzlich fiel ihm sein Bruder wieder ein, und er fragte sich wie schon so oft, weshalb er ihm im Grunde immer fremd blieb.
        Hugh war irgendwie verandert, harter und selbstsicherer, falls dies uberhaupt noch moglich war. Genauer gesagt, er wirkte nicht glucklich.
        Dancer schob seine Seekiste in eine freie Ecke und setzte sich darauf. Sein Kopf reichte selbst jetzt noch bis fast zu den Decksbalken.

«Was haltst du von allen, Dick?»
        Bolitho lauschte auf das Knarren und Achzen des Holzes, das Klappern und Klatschen nassen Tauwerks in der Takelage uber ihren Kopfen. Bald wurde es noch lebhafter werden, wenn sie erst einmal den Schutz der Reede verlassen hatten.»Strandrauberei und Schmuggel, ich glaube, die beiden gehen immer Hand in Hand, Martyn. Der kommandierende Admiral in Plymouth mu? jedoch mehr wissen als wir, wenn er so bereitwillig die Avenger schickt.»

«Ich horte deinen Bruder sagen, er habe seinen Ersten Offizier verloren, weil er ihn auf eine Prise uberstellen mu?te, Dick. Da mochte ich blo? wissen, was aus dem letzten Kommandanten des Kutters geworden ist. «Er lachelte.»Dein Bruder scheint ein besonderes Geschick zu haben, die Leute loszuwerden. «Das Lacheln verschwand. Tut mir leid, Dick. Das war taktlos von mir!»
        Bolitho beruhrte Dancers Arm.»Nein. Du hast recht, das ist so seine Art.»
        Riemen klatschten langsseits ins Wasser, begleitet von weiteren Fluchen und Drohungen Gloags.

«Die Jolle legt wieder ab. «Bolitho zog eine Grimasse.»Hugh kommt an Bord.»
        Es dauerte langer als erwartet, bis Hugh vollig durchna?t vom spruhenden Gischt, grimmigen Gesichts und in unverkennbar schlechter Laune eintraf.
        In der Kabine warf er sich auf eine Bank und schnauzte:»Wenn ich an Bord komme, erwarte ich, von meinen Offizieren empfangen zu werden. «Er starrte die Fahnriche wutend an.»Dies ist kein Linienschiff, wo fur jede nebensachliche Aufgabe zehn Mann zur Verfugung stehen. Dies ist. «Er fuhr herum, als ein verangstigter Seemann zu ihnen hereinblickte.»Wo, zum Teufel, haben Sie gesteckt, Warwick?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Bringen Sie Brandy und hei?es Wasser dazu. «Der Mann verschwand blitzartig.
        In etwas ruhigerem Ton fuhr Hugh fort:»Ihr mu?t auf jedem Kriegsschiff, auch wenn es noch so klein ist, immer ein gutes Beispiel geben.»
        Bolitho sagte:»Tut mir leid. Ich dachte, da wir deinem Kommando nur attachiert sind.»
        Hugh lachelte.»Attachiert, gepre?t, freiwillig, ist mir alles gleich. Ihr seid meine Offiziere, bis etwas anderes befohlen wird. Hier wartet Arbeit auf euch!»
        Er blickte auf, als Gloag durch die Tur trat, den gewaltigen Korper vornubergebeugt, als ware er bucklig.»Setzen Sie sich, Mr. Gloag. Wir trinken noch ein Glas, bevor wir Anker auf gehen. Alles in Ordnung an Deck?«Der Steuermann nahm seinen verbeulten Hut ab, und Bolitho sah zu seiner Uberraschung, da? Gloags Schadel vollig kahl war. Er sah aus wie ein braunes Ei, wahrend das Haar im Nacken und auf den Wangen so dick wuchs wie ein Pelz, als wolle es das Manko wettmachen. Hugh fuhr fort:»Du wirst die Pflichten des stellvertretenden Kommandanten ubernehmen, Richard. Mr. Dancer wird dir dabei helfen. Zwei Halften ergeben ein Ganzes. «Er lachelte uber seinen Witz.
        Gloag schien die gespannte Atmosphare zu spuren und polterte dazwischen:»Ich habe gehort, da? Sie beide das Kommando auf einer Brigg ubernommen haben, als Ihre dienstaltesten Offiziere krank oder verwundet waren?»
        Dancer nickte mit leuchtenden Augen.»Aye, Sir. Auf der Sandpiper. Dick kommandierte sie wie ein altgedienter Offizier.«Hugh unterbrach:»Hier ist Brandy.
«Halb zu sich selbst fugte er hinzu:»Wir brauchen hier an Bord keine Heldenversammlung, besten Dank!»
        Bolitho blinzelte seinem Freund zu. Sie hatten immerhin einen kleinen Sieg uber Hughs Sarkasmus davongetragen. Er fragte:»Was Neues von den Schmugglern, Mr. Gloag?«»Oh, allerhand. Sie transportieren Spirituosen und Gewurze, Seide und mehr solchen Blodsinn fur Leute mit zuviel Geld. Mr.
        Pyke sagt, wir werden sie bald an den Hammelbeinen fassen. «Dancer sah ihn an. Pyke?»
        Hugh schob Becher uber den niedrigen Tisch.»Pyke ist mein Bootsmann. War fruher beim Zoll, bevor er vernunftig wurde und des Konigs Rock anzog. «Er hob sein Glas. Willkommen an Bord, meine Herren!»
        Der verangstigte Seemann namens Warwick, der zugleich Messesteward war, brachte eine Lampe herein und hangte sie vorsichtig an einen Decksbalken.
        Bolitho setzte gerade sein Glas an die Lippen, als er sah, da? Dancer ihm einen Wink mit den Augen gab. Er blickte in die angezeigte Richtung und sah einen dunklen Fleck auf Hughes wei?em Strumpf. Solche Flecken hatte er wahrend des letzten Jahres zu oft gesehen, um ihn nicht sofort als Blut zu erkennen. Im ersten Augenblick glaubte er, Hugh sei verwundet oder hatte sich beim Anbordkommen das Schienbein gesto?en. Dann merkte er jedoch, da? dieser seinem Blick mit einem Gemisch aus Trotz und Beschworung begegnete.
        Getrappel von Fu?en war uber ihnen zu horen, und Hugh stellte sein Glas vorsichtig auf den Tisch.

«Ihr werdet Wache um Wache gehen. Sobald wir aus der Bucht sind, segeln wir sudwarts und gewinnen Seeraum. Ich habe ein paar Informationen, aber noch nicht genugend. Wir setzen keine Lichter, unnotiger Larm ist zu vermeiden. Meine Leute kennen ihre Arbeit, die meisten von ihnen sind ehemalige Fischer oder Berufsseeleute, gewandt wie die Katzen. Ich will diese Schmuggler oder Strandrauber so schnell wie moglich und gleich mit Stumpf und Stiel ausrotten, bevor ihr Beispiel Schule macht. Ahnliches hat es in dieser Gegend schon fruher gegeben, sogar in Kriegszeiten. Der Schwarzhandel bluhte in beiden Richtungen, hat man mir erzahlt!»
        Gloag griff nach seinem Hut und ging gebuckt aus der Tur.»Ich mache alles klar zum Auslaufen, Sir.»
        Hugh blickte Dancer an.»Gehen Sie mit. Lernen Sie von ihm. Die Avenger ist keine Gorgon.«Als Dancer zur Tur ging, wahrend sein Schatten im Licht der schwankenden Laterne hin und her huschte, fugte Hugh halblaut hinzu:»Und auch keine Sandpiper, um das gleich klarzustellen. «Zum erstenmal allein miteinander, musterten sich die Bruder prufend.
        Bolitho schien es, als konne er durch Hughs Maske der verachtlichen Abwehr hindurchsehen. Es war nicht nur die krampfhafte Wahrung seiner Autoritat, was beim ersten, wenn auch vielleicht nur vorubergehenden eigenen Kommando des Einundzwanzigjahrigen verstandlich gewesen ware. Da war noch etwas anderes, eine deutlich spurbare Unruhe und abwehrende Harte in seinen Augen. Er brauchte nicht lange zu warten.
        Hugh begann zu sprechen, beilaufig zunachst:»Du hast den Fleck gesehen? Schade, aber es lie? sich nicht vermeiden. Ich kann mich darauf verlassen, da? du dichthaltst?«Bolitho pa?te seinen Ton dem seines Bruders an und sagte mit gleichgultigem Gesicht:»Mu?t du das erst fragen?«»Nein. Tut mir leid. «Hugh griff zum Brandy und schenkte sich geistesabwesend nochmals ein.»Es war eben eine Angelegenheit, die ich unbedingt noch erledigen mu?te.«»Hier in Falmouth?«Bolitho beugte sich vor, fast ware er aufgesprungen.»Denkst du denn gar nicht an Mutter? Hugh seufzte.»Es war zum Teil ihretwegen. Ein Narr, der sich wegen einer anderen Affare rachen wollte.«»Dieselbe Affare, deretwegen du die Laertes verlassen mu?test?«»Ja. «Sein Blick schweifte in die Ferne.»Er wollte Geld. Also beantwortete ich seine Beleidigungen auf die einzig ehrenhafte Weise.»

«Du hast ihn provoziert und dann umgebracht?«Richard wartete auf ein Zeichen von Schuldbewu?tsein. Doch Hugh zog nur seine Uhr und hielt sie unter die Lampe.»Der zweite Teil deiner Frage ist richtig. Dieser verdammte
        Schuft!»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Eines Tages wirst du's zu weit treiben.»
        Hugh lachelte zum erstenmal. Er schien erleichtert, wie befreit, da? er jetzt das Geheimnis mit jemandem teilte.»Aber bis zu diesem traurigen Tag, mein Junge, ist noch allerhand Arbeit zu verrichten. Somit begib dich also an Deck und scheuch' die Leute auf. Wir wollen Anker lichten, bevor es dunkel wird. Sonst landen wir noch deinetwegen als zersplittertes Wrack auf dem St. Anthony Head!»
        Das Wetter hatte sich erheblich verschlechtert. Als Bolitho durch die Niedergangsluke an Deck stieg, schuttelte der Wind ihn wie mit Fausten. Gestalten hasteten geschaftig hin und her, das Platschen ihrer nackten Fu?e auf den nassen Decksplanken erinnerte an eine Herde von Seehunden. Trotz des scharfen Windes und des spruhenden Gischtes trugen die Manner nur ihre karierten Hemden und weite wei?e Hosen. Kalte und Nasse schienen ihnen nichts anzuhaben.
        Bolitho duckte sich und sprang zur Seite, als die Jolle eingeschwenkt wurde und die Manner an den Davits noch zusatzlich mit eisigem Wasser bego?. Er sah den Bootsmann Pyke, der das Einsetzen leitete, bis das Boot an seinen Klampen festgezurrt war. Man konnte ihn sich gut als Zollner vorstellen. Er hatte einen verschlagenen, listigen Blick und war vollig anders als jeder Bootsmann, den Bolitho bisher kennengelernt hatte. Es wurde einige Zeit dauern, bis er sich hier eingelebt hatte, dachte er. Uberall pruften die Manner das Tauwerk auf den Belegnageln, nahmen es ab, als erwarteten sie, es gefroren zu finden.
        Es wurde fruhzeitig dunkel werden. Bereits jetzt war das nachstliegende Land undeutlich und verschwommen, die Mauern von Pendennis und St. Mawes formlos und kaum zu erkennen. Gloag rief:»Drei Mann an die Pinne! Sie wird tanzen wie 'ne Pastorentochter, sobald wir freikommen, Jungs!«Jemand lachte; das war ein gutes Zeichen. Gloag mochte gefurchtet sein, wurde aber offensichtlich auch geachtet. Dancer sagte rasch:»Hier kommt unser Kommandant, Dick. «Bolitho wandte sich um, als sein Bruder an Deck erschien. Trotz des Wetters trug er weder Uberzieher noch Olzeug. Die Aufschlage seines Offiziersrocks leuchteten sehr wei? in dem truben Halbdunkel, und der Dreispitz sa? verwegen schief. Bolitho legte gru?end die Hand an den Hut.»Der Master sagt, wir sind klar zum Ankerlichten, Sir. «Er war selbst uberrascht, wie leicht ihm der formliche Ton fiel. Aber es war die Marine, die jetzt sprach, nicht der Bruder zum Bruder.»Danke. Lassen Sie kurzstag hieven und schicken Sie die Leute auf Station. Wir setzen Gro?segel und Fock, sobald der Anker freigekommen ist; mal sehen, wie sie das vertragt. Sobald wir frei vom
Land sind, will ich Fock und Toppsegel setzen.»

«Gerefft, Sir?»
        Die Augen Hughs ruhten einen Augenblick auf ihm.»Abwarten.»
        Bolitho lief nach vorn in den plumpen Bug. Es schien unglaublich, da? die Avenger so viel Zeug fahren konnte, und das an einem einzigen Mast und bei diesem Wind! Er lauschte auf das metallische Klicken der Fallen, als die Manner ihr ganzes Gewicht in die Spillspaken legten. Er stellte sich vor, wie der Anker, mit seinen Flunken im Boden eingegraben, darauf wartete, herausgebrochen zu werden. In Augenblicken wie diesen malte er sich das oft aus. Er schreckte aus seinen Gedanken, als sein Bruder mit scharfer Stimme rief:»Mr. Bolitho! Mehr Leute ans Gro?segel! Das wird harte Arbeit!»
        Gloag schlug seine riesigen Hande zusammen wie Bretter.»Wind hat einen Strich geschralt, Sir!«Er grinste in den peitschenden Gischt, von seinem Gesicht stromte das Wasser.»Soll uns nur recht sein.»
        Bolitho kletterte uber ungewohnte Geschutztaljen und dickes Tauwerk, vorbei an ihm fremden Seeleuten und Unteroffizieren, bis er ganz vorn am Steven war. Er sah die gespannte Ankertrosse, die durch die Kluse hereinpolterte, als sich jetzt mehr Leute in die Handspaken legten. Auf beiden Seiten des Vorderstevens schaumte der Gezeitenstrom vorbei, als sei die Avenger schon in voller Fahrt.
        Der Bootsmann kam nach vorn und stellte sich neben ihn.»Die richtige Nacht fur unsere Zwecke, Sir!«Er erklarte es nicht weiter, sondern beschrieb einen alles umfassenden Kreis mit seiner Faust. Dann schrie er:»Ist kurzstag,[mit straff gespannter Ankertrosse] Sir!«Nun schien alles auf einmal zu passieren, als der Anker allmahlich auf und nieder[mit senkrechter Ankertrosse] kam und die Leute sich auf das Gro?segel warfen, als hinge von dessen gewaltigem Baum ihr Leben ab. Bolitho mu?te zur Seite springen, als das Vorsegel plotzlich freibrach und sich donnernd aufbaumte, aber sofort wieder von den Mannern zusammengeschlagen und unter Kontrolle gebracht wurde.
        Pyke rief nach achtern:»Anker ist frei, Sir!«Die Wirkung war uberraschend. Gro?segel und Fock fullten sich knallend, die Avenger legte sich unter dem Druck von Wind und Strom ruckartig auf die Seite und schien seitwarts in ihr sicheres Verderben zu gleiten.
        Gloag brullte heiser:»Schoten dicht, Mr. Pyke, lebhaft!«Bolitho fuhlte sich plotzlich uberflussig und im Wege, als die Manner jetzt hierhin und dorthin sprangen, blind gegenuber dem Spritzwasser, das gurgelnd und schaumend uber die Leereling rauschte.
        Und dann, ebenso plotzlich, war alles voruber. Die Avenger lag hoher am Wind als jedes Schiff, das er bisher gesehen hatte, nachdem das riesige Gro?segel und die flossenformige Fock dichtgeschotet waren, wie Gloag befohlen hatte, und war so dicht, da? sie beinahe mittschiffs standen. Bolitho suchte sich einen Weg durch das Getummel der arbeitenden Seeleute nach achtern, bis er an die lange Ruderpinne kam, an der drei Manner breitbeinig standen, weder Segel noch Kompa? aus den Augen lassend. Schaum wirbelte unter dem Heck hervor, und Bolitho sah, da? Dancer ihm vom Vordeck aus zugrinste - wie ein Schuljunge mit einem neuen Spielzeug.
        Hugh blickte ihn ebenfalls an, die Lippen zu einem Strich zusammengepre?t.

«Nun?«Hughs Frage war zugleich auch eine Drohung.
        Bolitho nickte.»Ein Klasseschiff, Sir! Sie fliegt wie ein Vogel!»
        Der Bootsmann stapfte an die Luvreling und starrte zu der verschwommenen Kustenlinie hinuber.

«Aye, Mr. Bolitho. Und ich wette, ein paar Teufel beobachten diesen Vogel jetzt ganz genau!»
        Das Land schob sich rasch vorbei, und Bolitho sah, wie der Gischt von den Kammen der Brecher gepeitscht wurde und in langen Streifen davonstob, als sie sich jetzt der gefahrlichen Landzunge naherten.
        Pyke schrie durch die trichterformig gehaltenen Hande:»Klar zum Auf entern!«Er blickte in des Kommandanten starres Gesicht, als erwarte er einen Widerruf seiner Forderung nach noch mehr Tuch. Als dieser jedoch nichts sagte, fugte er herzhaft hinzu:»Und einen Extraschluck fur denjenigen, der als erster wieder unten ist!»
        Bolitho versuchte, sich jeden Teil des jetzt rasch dunkler werdenden Decks einzupragen, bis er glaubte, es auch bei volliger Dunkelheit den eifrigen Seeleuten gleichtun zu konnen in diesem Gewirr von Tauwerk und Blocken, die dem Schiff erst das Leben verliehen.
        Hugh und Master Gloag schienen zufrieden, als sie die arbeitenden Seeleute und die Segelstellung beobachteten und gelegentlich einen Blick auf den Kompa? warfen. Was fur einen Riesenschritt ich doch noch vor mir habe, dachte Bolitho: vom Fahnrichslogis zu einem Platz auf dem Achterdeck. Sein Bruder war mit einundzwanzig Jahren schon auf einem ganz anderen Niveau. In wenigen Jahren hatte er dieses erste, winzige Kommando vielleicht schon vergessen und kommandierte wahrscheinlich seine eigene Fregatte. Die Avenger jedoch spielte fur ihn trotzdem eine lebenswichtige Rolle, vorausgesetzt, da? er sich aus weiteren Affaren heraushielt und seinen Degen privat in der Scheide lie?. »Mr. Bolitho!»
        Hughs Stimme schreckte ihn auf.

«Ich habe vorhin gesagt, da? ich an Bord keine Passagiere brauche! Also bewegen Sie sich gefalligst und schicken Sie mehr Leute nach vorn. Wir setzen den Kluver, sobald die Toppsgasten oben sind.»
        Als die Dammerung allmahlich tiefer Dunkelheit wich, warf sich die Avenger gegen die steiferen Kamme der offenen See. Stampfend schleuderte ihr Bug ganze Bretter aus Gischt beiseite, wenn er sich von der schwindelnden Hohe eines Wogenkammes in das tiefe Wellental sturzte. Schlie?lich ging sie uber Stag und wies mit ihrem Steven nach Suden.
        Stunde um Stunde trieb Hugh seine Besatzung an, bis sie zum Umfallen mude war. Das nasse, gefrierende Segeltuch, eisenhart und unnachgiebig, machte den Fausten der vom Salzwasser geblendeten Manner schwer zu schaffen, und das standige Donnern der prallen Segel ubertonte sogar das Toben der See. Das Kreischen der Blocke, wenn das aufgequollene Tauwerk durchgeholt wurde, das Stampfen der Fu?e an Deck, ein gelegentlicher Kommandoruf vom Achterdeck, alles zusammen vereinigte sich zu einem gewaltigen Chor der Anstrengung. Selbst der jugendliche Kommandant des Kutters mu?te schlie?lich zugeben: zuviel war zuviel. Zogernd und widerstrebend befahl er, Toppsegel und Kluver fur den Rest der Nacht zu bergen.
        Schlie?lich kroch die Freiwache keuchend und zerschunden zu einer kurzen Atempause unter Deck. Manch einer von ihnen schwor, er werde nie wieder den Fu? an Bord setzen, sobald sie erst im Hafen waren. Doch das schworen sie immer. Und gewohnlich kamen sie dann doch wieder zuruck. Andere waren zu erschopft, um uberhaupt noch denken zu konnen, und lie?en sich in ihrem Logis einfach fallen. Dort lagen sie dann inmitten des im Brackwasser hin und her schwappenden Gemisches aus nassen Kleidungsstucken und losem Tauwerk, bis der nachste Ruf ertonte:»Alle Mann an Deck zum Segelbergen!«Darauf brauchten sie nie lange zu warten.
        Als Bolitho endlich in seiner Behelfskoje lag, hin und wieder hochgeschleudert vom wilden Stampfen des Schiffes, dachte er daran, wie sich der Urlaub wohl gestaltet hatte, wenn er Dancers Einladung nach London gefolgt ware.
        Ein Lacheln spielte um seine Lippen, bevor er in tiefen Schlaf fiel. Das ware ein Unterschied wie Tag und Nacht gewesen.



        IV Keine andere Wahl

        Leutnant Hugh Bolitho sa? festgekeilt in einer Ecke der niedrigen Kabine, einen Fu? gegen ein Spant gestemmt, um sich zu halten. Die Avenger lief rollend und stampfend, mit Geklapper und Geknarre durch einen dichten Vorhang aus Hagel und Schnee vor dem Wind nach Suden.
        Die beiden Fahnriche, Master Gloag und Pyke, der verschlagen blickende Bootsmann, vervollstandigten die Versammlung. Die Luft in dem engen Raum war schwer von Dunst, Feuchtigkeit und dem scharfen Geruch nach Brandy.
        Bolitho glaubte vergessen zu haben, wie sich ein trockener Faden auf dem Leib anfuhlte. Zwei Tage und Nachte lang, wahrend die Avenger an der Kuste Cornwalls entlanggekreuzt war, hatte er kein einziges Mal mehr als ein paar Minuten geschlafen. Hugh schien niemals zu ruhen. Er rief standig zu besonderer
        Wachsamkeit auf, obgleich nur ein Verruckter bei diesem Wetter unterwegs sein konnte. Jetzt, nachdem sie das gefurchtete Kap Lizard mit seinem Kranz gefahrlicher Riffe gerundet hatten, lagen sie in Lee der Kuste beigedreht. Obgleich es stockdunkel und kein Land in Sicht war, spurten sie dessen Nahe, empfanden das Land nicht als Freund, sondern als tuckischen Feind, der darauf wartete, ihnen den Kiel herauszurei?en, wenn sie auch nur einen einzigen Fehler machten.
        Bolitho war beeindruckt von seines Bruders au?erlicher Ruhe, der Art und Weise, wie er seine Plane ohne das geringste Anzeichen von Unsicherheit formulierte. Er stellte fest, da? Gloag dem Urteil seines Kommandanten vollig vertraute, obwohl er doch alt genug war, um dessen Vater zu sein. Hugh sagte jetzt:»Ich hatte beabsichtigt, einen Landungstrupp auszubooten oder selbst an Land zu gehen, um diesen Informanten zu treffen. Das Wetter hat mir aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein Boot wurde schwerlich die verabredete Stelle finden, und damit entfiele das Uberraschungsmoment.»
        Bolitho blickte Dancer an, ob dieser wohl ebenso befremdet war wie er selbst. Informanten, heimliches Rendezvous im Dunkeln, es war eine vollig andere Marine, als sie beide kannten. Pyke warf abrupt dazwischen:»Ich kenne das Terrain gut, Sir. Es ist die Bucht, wo Morgan erledigt wurde. Wie geschaffen fur das Anlanden von Schmuggelware.»
        Hughs Blick blieb neugierig an Pyke haften.»Glauben Sie, da? Sie sich mit dem Kerl treffen konnten? Schlie?lich hatte die Warterei hier keinen Zweck, wenn die Vogel ausgeflogen waren. Eben das soll er uns verraten. «Pyke spreizte die Hande.»Ich kann es versuchen, Sir.«»Versuchen reicht nicht, verdammt!»
        Bolitho beobachtete Hugh. Wieder ging sein Temperament mit ihm durch, und er sah die beinahe physische Anstrengung, die es ihn kostete, sich zu zugeln.
        Ruhiger fugte er hinzu:»Sie wissen, was ich meine?«»Aye, Sir. Wenn wir an Land kommen, ohne das Boot leckzuschlagen, erreichen wir auch seine Hutte. «Hugh nickte lebhaft.»Gut. Dann rudern Sie so schnell wie moglich mit dem Landetrupp hinuber, finden Sie heraus, was der Mann wei?, aber bezahlen Sie ihn noch nicht. Wir mussen sichergehen. «Er blickte seinen Bruder an.»Du, Richard, gehst mit Mr. Pyke. Die Anwesenheit meines - ah - Stellvertreters gibt der Sache mehr Gewicht.»
        Gloag rieb sich den kahlen Schadel.»Dann gehe ich jetzt an Deck und peile den Strom ein. Schlie?lich wollen wir Ihren
        Bruder nicht schon bei seinem ersten Einsatz verlieren. «In sich hineinkichernd, ging er nach oben.
        Sein Kichern brach ab, als eine Stimme an Deck rief:»Brecher in Lee voraus, Sir! Das war Truscott, der Stuckmeister, der allein Wache schob, wahrend seine Vorgesetzten uber Strategie und Taktik grubelten.
        Hugh knurrte wutend:»Hier gibt's einfach zu viele Riffe. Gehen Sie an Deck, Mr. Dancer. Lassen Sie die Jolle aussetzen und mustern Sie den Landungstrupp. Sehen Sie zu, da? alle bewaffnet sind, aber stellen Sie sicher, da? keine einzige Schu?waffe geladen ist. Ich will nicht, da? irgendein ubereifriger Idiot aus Versehen vorzeitig feuert. «Seine Augen blitzten bose.»Sie sind mir personlich dafur verantwortlich!»
        Danach entspannte er sich ein wenig.»Mehr konnen wir im Augenblick nicht tun. Die Leute behaupten, da? eine Ladung Schmuggelgut in der nachsten Bucht, nordwestlich von hier, abgeworfen worden sei. Angeblich soll sie dort liegenbleiben, bis jeder glaubt, die Avenger sei verschwunden. «Er schlug mit der Faust auf den Tisch.»Sie erzahlen zwar eine ganze Menge, aber nichts von wirklichem Wert.»
        Pyke grinste.»Das klingt aber echt, Sir. Ich werde auf alle Falle die Hundertfu?ler mitnehmen.»
        Wieder rief eine Stimme von oben:»Boot ist klar, Sir! Mr. Gloag la?t fragen, ob der junge Herr sich beeilen konnte?«Hugh nickte.»Sofort. «Er ging hinauf an Deck. Bolitho spurte die nasse Kalte bis in die Knochen. Das bequeme Leben zu Hause hatte ihn bereits verwohnt, dachte er reumutig. Mude und ausgelaugt von See und Wind, hatte er einen ausgesprochenen Tiefpunkt.
        Er blickte hinunter zu dem hin und her geschleuderten Boot. Es war so dunkel, da? er nicht einmal dessen Umrisse ausmachen konnte, er sah lediglich einen wild stampfenden Schemen in einem Bett aus wei?em, leuchtendem Gischt. Dancer eilte herbei und ergriff ihn am Arm.»Ich wurde gern mit dir gehen, Dick!»

«Das ware mir auch lieber. Ich fuhle mich zwischen diesen Leuten wie ein Anfanger.

        Sein Bruder Hugh kam uber die schlupfrigen Decksplanken zu ihnen.

«Weg mit euch! Steigen Sie ein, Bootsmann!«Er wartete, bis Pyke uber die Reling gestiegen und verschwunden war, und fugte rasch hinzu:»Halte die Augen auf. Ich bleibe beigedreht liegen, wenn es geht, auf jeden Fall bin ich bei Hellwerden in der Nahe. Wenn die Informationen stimmen, haben wir eine Chance. «Bolitho schwang sich uber das Schanzkleid und wartete, bis seine
        Augen sich an die Dunkelheit gewohnt hatten. Ein falscher Schritt, und er mu?te weggeschwemmt werden, wie ein Holzsplitter im Muhlbach.
        Das Boot legte ab und schor frei von der Avenger, bevor er wieder zu Atem gekommen war; Pyke fuhrte die Ruderpinne und spahte uber die Kopfe der Manner an den Riemen hinweg, als suche er einen Weg durch die Reihe der ansturmenden Brecher. Um sich abzulenken, fragte Bolitho:»Was sind eigentlich Hundertfu?ler, Mr. Pyke?»
        Der Schlagmann grinste, seine Zahne leuchteten wei? in der Dunkelheit.»Hier, Sir! Er trat nach etwas, als er sich beim nachsten Schlag in den Riemen legte.
        Bolitho buckte sich und ertastete zwei enorme Draggen, Suchanker, aber eine Sonderanfertigung, die er noch nie gesehen hatte: ihre zahllosen Flunken sahen aus wie Insektenbeine. Pyke wandte den Blick nicht von der Kustenlinie, als er jetzt sagte:»Die Schmuggler versenken gewohnlich ihr Schmuggelgut und warten, bis die Luft rein ist. Dann bergen sie es, wenn an Land alles klar zur Ubernahme ist. Meine Hundertfu?ler baggern auch das kleinste Bundel vom Grund herauf. «Humorlos lachte er vor sich hin.»Ich habe schon allerhand heraufgeholt wahrend meiner Zeit beim Zoll. «Der Bugmann rief:»Land voraus, Sir!»
        Das Boot glitt vorwarts, der Gischt zischte zwischen den Riemenblattern hindurch und uber die ohnehin vollig durchna?ten Seeleute.»La? laufen.»
        Eine gro?e Felstafel glitt an ihrer Steuerbordseite voruber und erstickte das Tosen der Brandung wie eine ungeheure Tur. Mit einem heftigen Sto? lief das Boot auf festem Sand auf. Die Leute sprangen fluchend ins Wasser, um die Wucht des Aufpralls zu dampfen, wahrend andere das Boot am Bug zwischen kleineren Felsblocken hindurchzogen.
        Bolitho versuchte, sein Zahneklappern zu unterdrucken. Er mu?te sich darauf verlassen, da? Pyke genau wu?te, was er tat. Dies hier war also die Bucht, aber fur Bolitho hatte es das Ende der Welt sein konnen.
        Pyke musterte ihn in der Dunkelheit.»Nun, Sir?«»Sie kennen dieses Geschaft besser als ich. «Bolitho war es klar, da? einige der Manner lauschten und sie beobachteten, aber es war weder der Ort noch der rechte Zeitpunkt, seine Wurde auf Kosten der Sicherheit zu wahren. Er war zwar der stellvertretende Kommandant der Avenger, aber andererseits erst ein junger Fahnrich.
        Pyke grunzte, zufrieden oder verachtlich, das lie? sich nicht feststellen.
        Dann rief er:»Zwei Mann bleiben beim Boot! Ladet jetzt eure Waffen. «Dann deutete er aufwarts in die Dunkelheit.»Ashmore, du beziehst dort oben Posten. Pa? auf, da? sich kein neugieriger Halunke in der Gegend herumtreibt.»
        Unsichtbar fragte Ashmore aus dem Dunkel:»Und wenn einer auftaucht, Sir?»

«Dann schlag ihm den Schadel ein, zum Teufel!«Pyke schnallte seinen Gurtel fest. Der Rest kommt mit uns. «Zu Bolitho sagte er:»So eine Nacht wie diese ist genau richtig. «Der Schnee wirbelte um sie herum, als sie sich einen steilen, gewundenen und schlupfrigen Pfad aufwartstasteten. Als Bolitho einmal anhielt, um an einer besonders steilen und glatten Stelle seinem Nachfolger die Hand zu reichen, sah er weit unter sich die See, die in endloser Reihe ansturmenden, schwarzen, leuchtend wei? gekronten Brecher.
        Plotzlich dachte er an seine Mutter. Es kam ihm vollig unwirklich vor, da? sie nur etwa zwolf Meilen von ihn entfernt sein sollte; immerhin war es ein gewaltiger Unterschied zwischen der Vogelfluglinie und dem Zickzackkurs der Avenger bis in diese Bucht.
        Pyke schien unermudlich. Seine langen, hageren Beine trugen ihn mit einer Geschwindigkeit und Sicherheit aufwarts, als taten sie das jeden Tag.
        Bolitho versuchte, die Kalte und den ihn blendenden Schneeregen zu ignorieren. Es war wie ein Weg ins Nirwana. Er prallte gegen Pykes Rucken, als dieser plotzlich innehielt und zischte: «Leise! Irgendwo dort oben mu? die Hutte stehen. «Bolitho griff nach seinem Degen und spitzte die Ohren. Pyke nickte.»Ja, hier entlang. «Er eilte weiter auf dem Pfad, der nun allmahlich flacher wurde.
        Kurz darauf schimmerte wie ein heller Felsblock die Hutte aus dem Schneeregen. Sie war kaum gro?er als ein normales Zimmer, hatte sehr niedrige Wande, ein Strohdach und kleine, blinde Fenster.
        Bolitho uberlegte, wer wohl hier in der Einsamkeit wohnen mochte. Es mu?te ziemlich weit sein bis zur nachsten Siedlung oder gar bis zu einem Dorf.
        Pyke studierte die kleine Hutte mit beruflichem Interesse. Zu Bolitho sagte er: Der Mann hei?t Portlock und ist sich fur nichts zu schade: Wildern, Spitzeln fur die Anwerber, Schmuggel - er fa?t alles an, was Geld bringt. «Pyke lachte kurz auf.»Wie der's all die Jahre fertiggebracht hat, dem Henker zu entgehen, ist mir ein Ratsel. «Er seufzte.»Robins, gehen Sie eine halbe Kabellange weiter und passen Sie gut auf. Coote, Sie stellen sich auf die Ruckseite der Hutte. Da ist zwar keine Tur, aber man kann nie wissen. «Er blickte Bolitho an.»Klopfen Sie lieber.
»Ich denke, wir sollen leise sein?»

«Nur zu Anfang. Bis hierher sind wir wohl unbemerkt gekommen. «Leise naherte er sich der Hutte.»Wenn wir aber jetzt beobachtet werden, Mr. Bolitho, mu? es offiziell aussehen, sonst wird der redselige Mr. Portlock bald wie ein Fisch aufgeschlitzt.»
        Bolitho nickte. Er lernte standig dazu.
        Dann zog er seinen Degen und schlug nach kurzem Zogern kraftig mit dem Griff gegen die Tur.
        Zunachst passierte nichts, man horte lediglich das Prasseln des Schneeregens, das keuchende Atmen der Seeleute.

*ca. 92 m
        Nach einer ganzen Weile rief eine Stimme:»Wer ist da, mitten in der Nacht?»
        Bolitho schluckte. Er hatte nach Pykes Beschreibung eine grobe Mannerstimme erwartet, aber es war eine weibliche, noch dazu klang sie jung und verangstigt.
        Er spurte die Spannung der Seeleute und rief mit fester Stimme:»Im Namen des Konigs, offnen Sie, Madam!«Langsam und zogernd wurde die Tur aufgemacht, das sparliche Licht einer truben Laterne warf einen schwach orangefarbenen Schimmer uber ihre Fu?e.
        Pyke schob sich ungeduldig durch die Tur und rief:»Einer von euch bleibt drau?en! Er schnappte sich die Laterne, schwenkte sie suchend durch den Raum und sagte:»Wie eine verdammte Gruft!«Bolitho hielt den Atem an, als das Innere der Hutte sichtbar wurde.
        Selbst bei dieser durftigen Beleuchtung sah er, da? sie vor Schmutz starrte. Alte Fasser und Kisten lagen unordentlich auf dem Boden herum, wahrend Treibholz und anderes Strandgut an den Wanden und rund um den fast erloschenen Kamin wie eine Barrikade aufgeschichtet waren.
        Bolitho warf einen Blick auf das Machen, das die Tur geoffnet hatte. Es trug kaum mehr als Lumpen und war trotz des kalten
        Fu?bodens aus festgestampfter Erde barfu?. Ihm wurde fast ubel.
        Sie mu?te ungefahr in Nancys Alter sein, uberlegte er.
        Ein Mann, der wohl Portlock sein mu?te, stand an der hinteren
        Wand und sah genauso aus, wie Bolitho ihn sich vorgestellt hatte:
        brutal, grobgesichtig, einer, der fur Geld alles tun wurde.
        Der Kerl rief jetzt mit heiserer Stimme:»Ich hab' nichts getan!
        Wer gibt euch das Recht, hier mitten in der Nacht einzudringen?»
        Als niemand antwortete, wurde er kuhner und reckte sich hoch auf.

«Was fur ein Offizier sind Sie eigentlich?»
        Er starrte Bolitho so ha?erfullt an, da? dieser die Wut des
        Mannes fast korperlich zu spuren glaubte.

«Das lasse ich mir nicht gefallen, nicht von so einem grunen
        Jungen!»
        Pyke huschte hinuber wie ein Schatten. Sein erster Schlag warf Portlock keuchend auf die Knie, der zweite schleuderte ihn zu Boden, wo er auf der Seite liegenblieb. Ein roter Blutfaden lief uber sein Kinn.
        Pyke war nicht einmal au?er Atem.»Nur damit wir uns richtig verstehen!«Er trat zuruck und balancierte auf den Fu?ballen, wahrend Portlock sich stohnend vom Boden erhob.»In Zukunft wirst du einen Offizier des Konigs mit Respekt behandeln, gleichgultig, wie alt er ist, verstanden?»
        Bolitho hatte das Gefuhl, da? ihm die Fuhrung entglitt.»Sie wissen genau, warum wir hier sind. «Er sah, wie sich der Blick des Mannes in Sekundenschnelle von Wut in Unterwurfigkeit wandelte.

«Ich mu?te doch ganz sichergehen, junger Herr.»
        Bolitho wandte sich angeekelt ab.»Oh, stellen Sie ihm in Gottes
        Namen schon Ihre Fragen«, sagte er zu Pyke.
        Er blickte nach unten, weil eine Hand seinen Arm beruhrte. Es war das Madchen, das seinen durchna?ten Rock befuhlte, wobei es leise vor sich hinsummte wie eine Mutter, die ihr Kind im Arm halt.

«Zuruck, Madchen!«rief ein Seemann scharf. Zu Bolitho gewandt, sagte er heftig: Diesen Blick kenne ich, Sir. So gierig, wie wenn sie die Gehenkten noch am Galgen fleddern!«Pyke fugte hinzu:»Oder die Unglucklichen, die das Pech hatten, hier zu stranden!»
        Portlock sagte:»Von alldem wei? ich nichts, Sir!»

«Wir werden ja sehen. «Pyke betrachtete ihn kalt.»Ist die
        Ladung noch hier?»
        Portlock nickte, wobei er den Bootsmann wie ein verangstigtes Kaninchen anstarrte. Aye.»

«Gut. Und wann soll sie abgeholt werden?«Sein Ton wurde scharfer.»Lug' nicht!»

«Morgen fruh, bei Niedrigwasser.»
        Pyke blickte Bolitho an.»Ich glaube ihm. Bei Niedrigwasser ist es leichter, die Ware auf den Haken zu bekommen. «Er zog eine Grimasse.»Au?erdem sind die Zollboote dann gezwungen, im tieferen Wasser zu bleiben.»
        Bolitho sagte:»Dann rufen wir wohl besser die Leute wieder zusammen.»
        Pyke aber beobachtete Portlock noch immer. Schlie?lich sagte er:

«Du bleibst hier.»
        Portlock protestierte.»Aber mein Geld! Man hat mir versprochen…»

«Verdammt sei dein Geld!«Bolitho konnte sich nicht beherrschen, obwohl er merkte, da? Pyke ihn amusiert betrachtete.»Wenn du uns verratst, geht es dir genauso dreckig wie denen, die du jetzt an uns verraten hast!»
        Er blickte das Madchen an, sah den blauen Fleck auf seiner Wange, den Ausschlag um den Mund. Als er aber die Hand trostend ausstreckte, schreckte sie zuruck und hatte ihn wohl angespuckt, ware nicht ein stammiger Seemann dazwischengetreten.
        Pyke verlie? die Hutte und wischte sich dabei das Gesicht ab.»Sparen Sie sich Ihr Mitleid, Mr. Bolitho. Abschaum zeugt Abschaum.»
        Bolitho fiel neben Pyke in Schritt. Die funkelnden Geschutze und hellen Segelpyramiden eines Linienschiffes schienen ihm weiter entfernt denn je. Dies hier war Verkommenheit auf ihrer untersten Stufe, wo selbst die kleinste Regung von Anstand als Schwache ausgelegt wurde.
        Er horte sich selbst sagen:»Dann bringen wir's schnell hinter uns. Ich habe genug von diesem Ort.»
        Der Schneeregen umwirbelte sie in dichten Flocken wie zur Begru?ung, und als Bolitho noch einmal zuruckblickte, war die Hutte bereits in dem wei?en Gestober verschwunden.»Hier konnen wir genausogut warten wie woanders. «Pyke rieb sich die Hande und hauchte sie an. Es war das erste Zeichen von Unbehagen, das er sich anmerken lie?.
        Bolitho fuhlte, wie seine Fu?e in Schneematsch und halbgefrorenem Gras einsanken, und bemuhte sich, nicht an Mrs, Tremaynes hei?e Suppe oder an ihren kostlichen Schlummerpunsch zu denken. Zwei Stunden lang hatten sie sich jetzt in der grimmigen Kalte einen Weg uber die Klippen erkampft, standig vom eisigen Wind bedroht, der sie ins Dunkel hinabschleudern wollte, und vollig auf Pykes Fuhrung angewiesen. Dieser sagte unvermittelt:»Dort unten liegt die Bucht. Nichts Besonderes, aber gut geschutzt. Ein paar gro?e Felsbrocken versperren den Zugang fur alle, bis auf die Neugierigsten. Bei Niedrigwasser ist der Strand fest und stark abfallend. «Er nickte nachdrucklich.»Dann werden sie kommen. Oder in der nachsten Nacht.»
        Einer der Seeleute seufzte, und der Bootsmann knurrte bose:»Was hast du denn erwartet - 'ne warme Hangematte und ein gro?es Bier?»
        Bolitho nahm sich zusammen, um nicht ebenfalls zu klagen, und setzte sich auf einen Erdhugel. Zu beiden Seiten lagerte sich die kleine Gruppe der Seeleute, sieben an der Zahl, so gut es ging. Drei weitere waren irgendwo hinter ihnen bei der Jolle. Keine gro?e Streitmacht, wenn es zum Kampf kommen sollte. Andererseits waren sie alle Berufsseeleute, hart, diszipliniert und kampfbereit.
        Pyke zog eine Flasche aus der Rocktasche und reichte sie Bolitho.»Brandy. «Er schuttelte sich vor lautlosem Lachen.»Den hat Ihr Bruder vor einiger Zeit einem Schmuggler abgenommen.»
        Bolitho trank einen tuchtigen Schluck aus der Flasche. Es brannte wie Feuer und verschlug ihm fast den Atem, war aber im Augenblick gerade das Richtige.
        Pyke sagte:»Reichen Sie sie ruhig weiter, wir mussen hier ziemlich lange warten.»
        Bolitho horte, wie die Flasche von Hand zu Hand ging und das beifallige Grunzen der Leute nach jedem Schluck. Doch alles Unbehagen war sofort vergessen, als jemand plotzlich ausrief:»Ich habe einen Schu? gehort!»
        Pyke ergriff die Flasche und steckte sie wieder in seine Rocktasche.»Aye! Ein kleines Kaliber. «Besorgt starrte er in die Dunkelheit.»Kam von einem Schiff irgendwo dort drau?en. Mu? in Seenot sein.»
        Bolitho frostelte es noch mehr. Diese Kuste war geradezu ubersat mit Wracks: Schiffe aus der Karibik, aus dem Mittelmeer, von uberall her. Unzahlige Seemeilen hatten sie hinter sich gebracht, und dann, auf dem letzten Teil der Reise, vor Cornwall… Felsen, die ihnen den Kiel herausrissen, von Brandung umtobte, scharfe Klippen, die auch dem ausdauerndsten Schwimmer die Rettung verwehrten.
        Und jetzt, nach allem, was er gehort hatte, auch noch Strandrauber, diese Mordgesellen!
        Vielleicht hatten sie sich getauscht? Aber noch wahrend er in diesem Gedanken Trost suchte, ertonte ein zweiter Knall von der offenen See her, und das Echo brach sich an den Felsen ringsum. Ein Seemann flusterte aufgeregt:»Hat sich hochstwahrscheinlich verirrt, den Lizard mit Land's End verwechselt. Ist schon ofter vorgekommen, Sir. «Pyke grunzte:»Arme Teufel.»

«Was machen wir?«Bolitho versuchte, in Pykes Gesicht zu lesen.»Wir konnen sie doch nicht ihrem Schicksal uberlassen!«»Ist noch nicht gesagt, da? sie auf Grund geraten werden, und wenn, ob sie sinken. Vielleicht setzen sie sich bei Porthieven auf oder treiben wieder frei.»
        Bolitho wandte sich ab. Pyke war es wohl vollig gleichgultig, er hatte nur Interesse an seiner Aufgabe, moglichst rasch das Schmuggelgut zu finden und zu bergen.
        Er malte sich das unbekannte Schiff aus. Moglicherweise hatte es Passagiere, vielleicht kannte er sogar einige von ihnen. Er stand auf.»Gehen wir auf die andere Seite der Bucht, Mr. Pyke. Wir konnen genausogut auf der Landspitze gegenuber warten. Wahrscheinlich kommt das Schiff bald in Sicht. «Pyke sprang auf. Das ist zwecklos, sage ich Ihnen!«Er schien au?er sich vor Arger.»Was passieren soll, passiert. Der Captain hat uns klare Befehle gegeben, wir mussen ihm gehorchen!«Bolitho fuhlte, da? alle ihn ansahen.

«Robins, gehen Sie zum Boot und sagen Sie den Leuten dort, was wir vorhaben. Finden Sie hin?»
        Robins hatte nur zu verneinen brauchen, Unwissenheit vorschutzen konnen, und das Ganze ware voruber gewesen, bevor es angefangen hatte. An die Namen der anderen Leute konnte er sich kaum erinnern.
        Aber Robins antwortete munter:»Aye, Sir, ich finde schon den Weg. «Er zogerte.»Und dann, Sir?»
        Bolitho zogerte.»Bleiben Sie dort. Wenn ihr die Avenger bei Tagesanbruch sichtet, mu?t ihr hinuberpullen und meinem - ah - dem Kommandanten melden, was wir vorhaben. «Es war geschehen. Er hatte Hughs Befehle mi?achtet, Pyke ubergangen und es auf sich genommen, nach dem Schiff in Seenot Ausschau zu halten. Sie hatten nur ihre Waffen, nicht einmal einen von Pykes Hundertfu?lern, um das Schiff in tieferes Wasser zu lotsen.
        Pyke sagte verachtlich:»Folgt mir also. Aber ich mochte klarstellen: Ich bin absolut dagegen!»
        Sie schlugen einen anderen schmalen Pfad ein, jeder in seine Gedanken versponnen.
        Bolitho dachte an die Brigg Sandpiper, auf der er zusammen mit Dancer ein Piratenschiff gestellt hatte, das doppelt so gro? war wie sie selbst. Wieder wunschte er, da? sein Freund jetzt bei ihm ware.
        Als sie gerade um einen Felsvorsprung kletterten, rief ein Seemann mit vor Erregung heiserer Stimme:»Dort, Sir, Lichter!«Bolitho starrte verblufft hinuber, obgleich er etwas Ahnliches schlie?lich erwartet hatte: zwei Laternen bewegten sich, weit voneinander entfernt, auf dem abfallenden Vorland. Die eine stand fast vollig still, die andere schaukelte langsam auf und nieder.
        Pyke sagte:»Sind auf Ponys gebunden, ich kenne das. Der Kapitan da drau?en halt sie fur Ankerlichter. «Er spuckte die Worte formlich aus.»Und die Bucht fur einen sicheren
        Ankerplatz.»
        Bolitho sah die Szene so deutlich vor sich, als ware er selbst an Bord. Einen Augenblick vorher herrschte wohl noch Zweifel, Unsicherheit, Panik. Dann sichteten sie die beiden Ankerlichter: scheinbar Menschen, andere Schiffe, die in der Bucht sicher vor Anker lagen!
        Wahrend es in Wirklichkeit nichts dort gab als Felsklippen; und die Menschen, die auf sie warteten, hielten Messer und Keulen in Handen.
        Er sagte:»Wir mussen so schnell wie moglich zu diesen Lichtern! Vielleicht kommen wir noch rechtzeitig. «Pyke erwiderte:»Sie sind wohl verruckt? Dort lauert zweifellos eine ganze Armee von diesen Teufeln! Was fur Chancen hatten wir gegen sie?»
        Bolitho blickte ihn an, wunderte sich selbst uber den Klang seiner Stimme. Denn er sagte vollkommen ruhig, obwohl er am ganzen Korper zitterte:»Vielleicht gar keine, Mr. Pyke. Aber wir haben keine andere Wahl!»
        Als sie begannen, uber die Felsen zur Bucht hinab zu klettern, schien sogar die Nacht den Atem anzuhalten.»Wie lange bis zur Dammerung?«Pyke blickte kurz auf. »Zu lange.»
        Bolitho griff nach seiner Pistole und fragte sich, ob sie trotz der Nasse funktionieren wurde. Pyke hatte seine Gedanken erraten. Denn wider besseres Wissen hatte er gehofft, da? die Morgendammerung die Avenger heranbringen wurde, um ihnen zu helfen.
        Er dachte an Hugh, was der wohl an seiner Stelle getan hatte. Bestimmt hatte er einen Plan bereit gehabt. Au?erlich ruhig sagte er:»Ich brauche zwei Mann. Wir halten auf die Lichter zu. Sie, Mr. Pyke, steigen mit dem Rest der Leute auf diesen Hugel und lenken die Kerle ab. «Pyke starrte ihn an.»Sie kennen diesen Strand nicht! Da gibt's keinen Zoll Deckung. Die werden Sie niedermahen, bevor Sie zwei Schritte gemacht haben.»
        Bolitho wartete, fuhlte, wie ihm das nasse Hemd an der Haut klebte. Aber in Kurze wurde er vielleicht noch viel kalter sein. Pyke spurte des anderen Verzweiflung, aber auch seine Entschlossenheit, das Unmogliche zu versuchen. Abrupt sagte er: Babbage und Trillo sind am besten geeignet. Sie kennen diese Kuste, aber zum Sterben ist das kein Grund. «Der eine, der Babbage hie?, zog sein schweres Entermesser und fuhr mit dem Daumen prufend uber die Klinge. Der zweite, Trillo, war klein und drahtig und bevorzugte ein gefahrlich aussehendes Enterbeil.
        Beide verlie?en die kleine Gruppe ihrer Kameraden und traten zu dem Fahnrich. Sie waren gewohnt zu gehorchen, Protest war nutzlos.
        Bolitho sah Pyke an.»Danke!»
        Der grunzte nur, dann rief er den anderen zu:»Folgt mir, Leute!«An Bolitho gewandt, sagte er:»Ich werde tun, was ich kann. «Bolitho zog seinen Hut in die Stirn und schritt zwischen den Felsblocken hindurch auf den nassen, festen Sand hinaus, in der einen Hand den Degen, in der anderen die schwere Pistole. Hinter sich horte er die Schritte der beiden Seeleute; das Gerausch wurde jedoch beinahe ubertont von seinem eigenen Herzklopfen.
        Plotzlich sah er das nachstgelegene Licht und erkannte darunter die schattenhaften Umrisse eines angepflockten Pferdes; etwas weiter entfernt stand ein zweites Tier mit einer langen Stange auf dem Rucken, an deren einem Ende ebenfalls eine Laterne befestigt war.
        Es schien unmoglich, da? irgend jemand auf so einen plumpen Trick hereinfallen wurde, doch Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? die Ausgucksleute auf Schiffen oft nur das sahen, was sie gern sehen wollten.
        Jetzt entdeckte er mehrere Silhouetten, die sich vom hellen Hintergrund der schaumenden Brecher abhoben. Sein Herz sank. Es mu?ten mindestens zwanzig bis drei?ig Leute sein. Da schallte das dunne Knallen von Pistolenschussen herunter in die Bucht: Pyke und seine Leute taten das Ihrige. Er horte erschreckte Schreie vom Strand her, das Geklirr von Stahl, als jemand zwischen den Felsen seine Waffe fallen lie?.»Jetzt!«rief Bolitho.»So schnell wir konnen!«Er raste auf das Pferd zu und schlug die Laterne herunter, die noch brennend auf den nassen Sand fiel. Das Pferd scheute und schlug verangstigt aus, als weitere Schusse uber ihre Kopfe pfiffen.
        Bolitho horte seine beiden Gefahrten schreien, sah Babbage mit dem Entermesser einen Angreifer niedermahen, bevor er weitersturmte, um die nachste Laterne von der Stange zu kappen. Eine Stimme rief:»Schie?t diese Schweine uber den Haufen! Jemand anderer schrie schmerzerfullt auf, als eine verirrte Kugel ihn traf.
        Gestalten schwarmten nach allen Seiten aus, ruckten langsam und vorsichtig naher, verwirrt durch Pykes Storfeuer vom Hugel herab.
        Einer sprang Bolitho an, und er feuerte, sah, wie der Mann mit verzerrtem Gesicht hintenuberfiel, als die Kugel ihn voll traf. Andere drangten nach, kuhner geworden, als sie feststellten, da?
        ihnen nur drei Mann gegenuberstanden.
        Bolitho kreuzte mit einem Gegner die Klinge, wahrend Babbage, mit seinem schweren Entermesser hackend und stechend, allein zwei Mann in Schach hielt.
        Bolitho spurte des Gegners Ha?, fand aber noch Zeit zu horen, da? Trillo einen wilden Schrei ausstie?, als er von zahllosen Hiebund Stichwaffen niedergemaht wurde.»Jetzt bist du dran, verdammter Zollschnuffler!«keuchte sein Gegner.
        Benommen, Geist und Korper schon eingestimmt auf den unvermeidbaren Tod, war Bolitho erstaunt uber seine plotzliche Wut. Sterben war ein Ding, aber fur einen Zollner gehalten zu werden, ein anderes; er empfand es als au?erste Beleidigung. Mit absoluter Klarheit erinnerte er sich wieder an das, was sein Vater ihm uber Selbstverteidigung beigebracht hatte. In einer letzten Anstrengung drehte er sein Handgelenk und wand so dem Gegner die Klinge aus der Hand. Als der Mann vornuber an ihm vorbeistolperte, schlug er ihm den Degen mit voller Wucht ins Genick.
        Dann traf ihn etwas seitlich am Kopf, und er brach in die Knie; undeutlich nahm er noch wahr, da? Babbage mit zischend geschwungener Klinge uber ihm stand, um ihn zu verteidigen. Dann umfing ihn Dunkelheit, und er fuhlte, wie seine Wange auf dem nassen Sand aufschlug, erwartete den Todessto?. Gleich mu?te es soweit sein. Durch die schmerzende Benommenheit seines Hirns drangen Rufe und Pferdegetrappel. Sein letzter Gedanke galt seiner Mutter, die ihn hoffentlich so nicht zu sehen bekam.



        V Der Koder

        Bolitho offnete stohnend und sehr langsam die Augen. Der Schmerz durchzuckte ihn vom Kopf bis zu den Fu?sohlen. Er versuchte, sich zu entsinnen, was vorgefallen war; als die Erinnerung daran langsam zuruckkehrte - zugleich mit den Schmerzen in seinem Kopf -, starrte er verwirrt und benommen um sich.
        Er lag auf einem dicken Fell vor einem prasselnden Kaminfeuer, noch in seiner verschmutzten Uniform, die in der starken Hitze dampfte.
        Jemand kniete neben ihm, und er sah die sauberen, aber verarbeiteten Hande eines Madchens, die seinen bandagierten Kopf anhoben.
        Das Madchen sagte leise:»Bleiben Sie liegen, Sir«, und uber die Schulter rief es: Er ist wach!»
        Bolitho horte eine wohlbekannte, drohnende Stimme und sah Sir Henry Vyvyan sich uber ihn beugen, das einzige Auge auf ihn gerichtet, wahrend er sagte: «Wach, Madchen? Er ware uns fast drauf gegangen!»
        Sir Henry rief nach einigen unsichtbaren Dienstboten und fugte etwas leiser hinzu: Gott verdammich, Junge, das war eine haarstraubende Dummheit. Noch eine Sekunde, und diese Schurken hatten Sie in Stucke gehackt!«Er druckte dem Madchen ein gro?es Glas in die Hand.»Gib ihm hiervon zu trinken!«Dann, wahrend Bolitho versuchte, das hei?e Getrank zu schlucken, schuttelte er nochmals den Kopf.»Was hatte ich blo? Ihrer Mutter gesagt?»

«Was ist mit den anderen, Sir?«Bolitho erinnerte sich wieder an Trillos Schrei, vermutlich seinen letzten auf dieser Erde. Vyvyan hob die Schultern.»Nur einer ist tot. Ein wahres Wunder. «Es klang, als konne er es immer noch nicht fassen.»Eine Handvoll Manner gegen diese Horde Teufel!«»Ich danke Ihnen, Sir. Sie haben uns das Leben gerettet.«»Nicht der Rede wert, Junge. «Vyvyan lachelte, und die Narbe in seinem Gesicht wirkte dadurch noch grimmiger.»Ich lief mit meinen Leuten zum Strand, weil ich den Kanonenschu? gehort hatte. Wir waren ohnehin drau?en. Schlie?lich ist die Marine nicht als einzige hinter diesen Verbrechern her.
«Bolitho lag still und blickte zu der hohen Decke hinauf. Er sah, wie das Madchen ihn mit blauen Augen und besorgt gerunzelten Stirn beobachtete.
        Also hatte Vyvyan alles gewu?t. Hugh hatte das in Betracht ziehen sollen. Ohne Sir Henry waren sie jetzt alle tot gewesen.»Und das Schiff, Sir?«fragte er.

«Gestrandet, aber bis zum Morgen besteht keine Gefahr. Ich habe Ihren Bootsmann hingeschickt, er pa?t auf. «Sir Henry tippte sich mit dem Finger vergnugt an die riesige Nase.»Das wird ein hubsches Bergegut, schatze ich.»
        Die Tur wurde einen Spaltbreit geoffnet, und eine grobe Stimme meldete:»Die meisten sind entkommen, Sir. Zwei haben wir umgelegt, aber der Rest verschwand zwischen den Felsen und in Hohlen. Bis Anbruch der Dammerung sind sie bestimmt schon meilenweit weg. «Er kicherte.»Einen von ihnen haben wir trotzdem geschnappt.

        Vyvyans Stimme klang nachdenklich.»Ohne das Schiff und die Notwendigkeit, diesen Seeleuten zu helfen, hatten wir wahrscheinlich die ganze Bande erwischt. «Er rieb sich das Kinn.»Immerhin wird wenigstens einer am Galgen baumeln und diesen Schurken zeigen: Der alte Fuchs schlaft nicht!«Die Tur schlo? sich gerauschlos. Tut mir leid, Sir. Ich habe das
        Gefuhl, da? alles meine Schuld war.»

«Unsinn! Sie haben nur Ihre Pflicht getan und ganz richtig gehandelt. Ihnen blieb gar keine andere Moglichkeit. «Grimmig fugte er hinzu:»Aber mit Ihrem Bruder werde ich Klartext reden, darauf konnen Sie sich verlassen!»
        Die Erschopfung, die Hitze des Feuers und die Wirkung des Getrankes lie?en Bolitho bald in einen tiefen Schlaf fallen. Als er wieder erwachte, war es bereits Morgen, und fahles Winterlicht fiel durch die Fenster von Vyvyan Manor. Er befreite sich von zwei dicken, schweren Decken und stand vorsichtig auf; in einem Wandspiegel stellte er fest, da? seine Erscheinung mehr einem Opfer als einem Sieger glich. Vom Flur her beobachtete ihn Vyvyan durch eine offene Tur und fragte:»Fertig, Junge? Mein Butler meldet mir soeben, da? Ihr Schiff vor der kleinen Bucht geankert hat. Aber lassen Sie sich Zeit. Ich war selbst den gro?ten Teil der Nacht auf und wei?, wie Ihnen zumute ist. «Er grinste.»Immerhin ist nichts gebrochen, nur werden Sie ein paar Tage lang Kopfschmerzen haben. «Bolitho zog seinen Rock an und setzte den Hut auf. Er bemerkte, da? beide gesaubert und ein Ri? im Armel sorgfaltig geflickt worden war. Ein Sabelhieb mu?te seinen Arm um Haaresbreite verfehlt haben.
        Es war ein heller, kalter Morgen. Der Schneematsch hatte sich uberall in Harsch verwandelt, am bla?blauen Himmel stand keine einzige Wolke. Ware die Nacht genauso klar gewesen, dann hatte man auf dem Schiff sicherlich die Gefahr erkannt, und die Schmuggler hatten in aller Ruhe die Ladung vom Meeresgrund geborgen.
        Wenn… wenn… Aber diese Uberlegungen waren jetzt gegenstandslos.
        Vyvyans Wagen setzte Bolitho auf der schmalen Kustenstra?e uber dem Vorland ab, und zu seinem Erstaunen sah er dort Dancer und ein paar Seeleute auf ihn warten und weiter unten ein auf den Strand gezogenes Boot.
        Wie anders alles bei Tageslicht wirkte! Er erwartete beinahe, noch Leichen herumliegen zu sehen, aber der Strand war so glatt wie Seide, und drau?en vor der Bucht lag die Avenger fast bewegungslos vor Anker.

«Dick! Gott sei Dank, da? du lebst!«Dancer lief ihm entgegen und ergriff ihn am Arm.»Aber du siehst schrecklich aus!«Bolitho lachelte mit schmerzverzerrtem Gesicht.»Danke. «Zusammen stiegen sie den steilen Pfad hinunter, und Bolitho sah mehrere stammige Manner die beiden Laternen und einige weggeworfene Waffen untersuchen. Ob es Zollner oder Vyvyans Leute waren, konnte er nicht erkennen.
        Dancer bemerkte:»Der Captain hat uns geschickt, dich abzuholen, Dick.«»Wie ist seine Laune?»

«Erstaunlich gut. Ich glaube, das Schiff, das du gewarnt und dadurch vor den Felsen bewahrt hast, hat viel damit zu tun. Es sitzt eine Meile von hier entfernt auf Strand. Dein Bruder uberredete die Besatzung, auszusteigen, und schickte dann eine Prisenbesatzung an Bord. Ich bin uberzeugt, der Kapitan war so froh uber die Rettung ihres Lebens, da? er nicht weiter uber den Verlust von Schiff und Ladung nachdachte. «Einige Seeleute verstauten gerade Pykes Hundertfu?ler im Heck des Bootes.
        Dancer erklarte:»Wir haben den Meeresgrund damit abgesucht, aber nichts gefunden. Die Schmuggler mussen noch im Lauf der Nacht gekommen sein, nachdem Vyvyans Leute die Strandrauber vertrieben hatten.»
        Das andere Boot der Avenger lag schon langsseits, als Bolitho an Bord zuruckkehrte. Robins, den er zur Jolle hinuntergeschickt hatte, hatte gute Arbeit geleistet. Der arme Trillo war ihr einziger Verlust.
        Mit in die Seite gestemmten Armen, den Hut wieder in demselben kuhnen Winkel uber dem einen Ohr, beobachtete ihn Hugh, als er uber die Reling kletterte.

«Ganz der kleine Tausendsassa, wie?«Er schritt uber das breite Deck und reichte ihm die Hand.»Du Idiot! Aber es war mir im selben Augenblick klar, da? du meine Befehle nicht mehr befolgen wurdest, als ich das Notsignal horte. Ich hatte meine Prisenbesatzung an Bord, bevor sie das Wort Messer auch nur aussprechen konnten.
«Er lachelte.»Feine kleine hollandische Brigg, unterwegs nach Cork mit Spirituosen und Tabak. Das bringt einen guten Preis.»

«Sir Henry sagte, die Strandrauber seien alle entkommen, bis auf einen.»

«Strandrauber, Schmuggler, ich glaube, es sind alles dieselben Leute. Pyke hat ein paar von ihnen angeschossen, die werden vielleicht irgendwo auftauchen. Kein Gericht in Cornwall wird einen Schmuggler verurteilen, aber bei Strandraubern ist es etwas anderes.»
        Bolitho blickte seinen Bruder an.»Der Verlust des Schmuggelgutes ist mein Verschulden. Aber ein paar Fa?chen Brandy gegen den Wert eines Schiffes und der Menschen darauf - ich konnte nicht anders handeln.»
        Hugh nickte ernst.»Das wu?te ich. Aber Brandy war es wohl nicht. Meine Leute fanden in einer Hohle versteckt geoltes Packmaterial. Diese versenkte Ladung bestand bestimmt nicht aus Getranken, mein lieber Bruder, sondern aus guten franzosischen Musketen, wenn du mich fragst. «Bolitho starrte ihn an.»Musketen?»

«Aye. Fur irgendwelche Rebellen in Irland oder Amerika - wer will das schon sagen? Jemand, der in diesen unruhigen Zeiten Waffen zu liefern hat, kann viel Geld verdienen. «Bolitho schuttelte den Kopf, bedauerte es aber sofort.»Das geht uber mein Begriffsvermogen.»
        Sein Bruder rieb sich die Hande.»Mr. Dancer, sagen Sie dem Master, er soll Anker lichten. Wenn Waffen die Koder sind, die wir brauchen, dann werden wir eben welche beschaffen. «Dancer beobachtete ihn vorsichtig.»Und wo geht es hin, Sir?«»Nach Falmouth naturlich. Ich werde doch jetzt nicht zum Admiral zuruckfahren, wenn es hier anfangt, interessant zu werden. «Er blieb am Niedergang stehen.»Waschen Sie sich und ziehen Sie sich anstandig an, Mr. Bolitho. Immerhin hatten Sie eine ruhigere Nacht als mancher andere. «Die Avenger kehrte nach Falmouth zuruck, ohne da? sich irgend etwas Ungewohnliches ereignete. Sobald sie vor Anker lagen, fuhr Hugh Bolitho an Land. Gloag und die Fahnriche bereiteten die Ubernahme von Ladung vor und wehrten die Neugierigen ab, darunter auch diejenigen, die offensichtlich geschickt worden waren, um so viele Information wie moglich zu ergattern. Bolitho sah bald an jeder Ecke und hinter jedem Fa? einen Schmuggler. Die Nachricht vom Auflaufen eines Schiffes und von Vyvyans Jagd nach den Strandraubern war der Avenger vorausgeeilt; die Spekulationen uberschlugen sich fast. Als
der junge Kommandant des Kutters zuruckkehrte, war er ungewohnlich guter Laune.
        In der kleinen Messe berichtete er:»Alles geschafft. Ich habe mit verschiedenen Leuten in der Stadt gesprochen und das Gerucht in die Welt gesetzt, da? die Avenger auslaufen und im Kanal auf die Suche nach einem zweiten Waffenschmuggler gehen wird. So erfahren die hiesigen Schmuggler, da? wir von der Ubernahme der Waffen wissen, auch wenn wir selbst keine mehr entdeckt haben. «Er blickte vergnugt von Gloag zu seinem Bruder und dann zu Dancer.»Nun, begreift ihr? Ein beinahe perfekter Plan. «Gloag rieb sich seinen kahlen Schadel wie immer, wenn er seine Zweifel hatte. Dann antwortete er:

«Ich begreife wohl, da? niemand genau uber weitere Waffenlieferungen informiert sein kann, Sir. Naturlich werden die Franzosen weiterliefern, solange sie hier Kaufer vermuten. Aber wo sollen wir solch eine Ladung herbekommen?«»Brauchen wir gar nicht. «Hughs Lacheln wurde breiter.»Wir werden nach Penzance segeln und dort eine Ladung eigener
        Waffen loschen, sie auf Lastwagen verladen und auf dem Landweg zur Garnison nach Truro schicken. Der Kommandeur von Pendennis hat zugesagt, mir eine verlockende Ladung Musketen, Schie?pulver und Munition zur Verfugung zu stellen. Auf dem Weg nach Truro wird dann bestimmt jemand versuchen, sich der Ladung zu bemachtigen. Bei dem derzeitigen Stra?enzustand werden sie der Versuchung kaum widerstehen konnen. «Bolitho warf ein:»Ware es nicht besser, dem Admiral in Plymouth vorher mitzuteilen, was du vorhast?«Hugh starrte ihn an.»Ausgerechnet du stellst diese Frage, das ist kostlich! Du wei?t genau, was dann geschieht: Entweder sagt er nein, oder die Entscheidung dauert so lange, bis das ganze Land wei?, was wir vorhaben. Nein, wir werden es rasch anpacken und - «, er lachelt kurz -,»es diesmal auch gut zu Ende bringen. «Bolitho blickte sinnend auf den Tisch nieder. Ein Hinterhalt, die Vorfreude auf rasche und leichte Beute, die in Panik ubergeht, wenn die Angreifer merken, da? sie selbst in der Falle sitzen, diesmal ohne die Chance, zwischen Felsen oder in Hohlen zu entwischen.
        Hugh fuhr fort:»Ich habe einen Boten nach Truro geschickt. Die Dragoner mu?ten jetzt zuruck sein, und ihr Oberst ist ein alter Freund von Vater. Dies hier wird ihm genausoviel Spa? machen wie eine Sauhatz!»
        In dem plotzlich eintretenden Schweigen wurde es Bolitho bewu?t, da? er an den toten Trillo dachte. Hier waren sie, munter und geschaftig, wahrend man ihn schon begraben und vergessen hatte.
        Dancer sprach in die Stille hinein:»Es mu?te klappen, Sir. Viel hangt naturlich von der Wachsamkeit unserer Leute ab, die auf einen Uberfall gefa?t sein mussen.»

«Genau. Und von einem guten Teil Gluck. Aber wir verlieren nichts, wenn wir es versuchen. Sollte alles schiefgehen, dann werden wir ein solches Wespennest aufstochern, da? bestimmt irgend jemand Verrat ubt, und sei es auch nur, um uns loszuwerden.»
        Ein Boot knirschte langsseits, Minuten spater trat Pyke ein. Er nahm mit anerkennendem Kopfnicken ein Glas Brandy entgegen und sagte:»Die Prise ist in den Handen des Zollvorstehers, Sir. Alles geregelt. «Er blickte Bolitho an und fugte hinzu:»Dieser Informant Portlock ist ubrigens tot, Sir. Irgend jemand hat zu viel geredet. «Hugh fragte:»Noch jemand ein Glas Brandy?«Bolitho blickte ihn wutend an. Hugh wu?te es bereits, mu?te von Anfang an gewu?t haben, da? man den Mann umbringen wurde.»Was wurde aus dem Madchen?»
        Pyke betrachtete ihn noch immer.»Die ist weg. Gut, da? wir sie los sind. Wie ich schon sagte: Abschaum zeugt Abschaum. «Wespennest, hatte sein Bruder gesagt. Es schien sich jetzt schon zu ruhren.
        Uber ihren Kopfen glaste es, und Hugh kundigte an:»Ich fahre an Land und esse zu Hause, Richard.»
        Er blickte Dancer an.»Haben Sie Lust, mitzukommen? Ich denke, mein Bruder bleibt am besten an Bord, bis er seinen Verband los ist. Mutter bekommt sonst Zustande, wenn sie unseren Helden sieht.»
        Dancer warf einen Blick auf Bolitho.»Nein danke, Sir, ich bleibe hier.»

«Gut. Pa?t auf, da? die Wachen stark genug sind. Heute nacht wird's allerhand Gerede geben in den Kneipen von Falmouth, davon bin ich uberzeugt.»
        Als er nach oben ging und die beiden Fahnriche allein lie?, sagte Bolitho:»Du hattest ruhig mitfahren sollen, Martyn. Nancy hatte sich gefreut.»
        Dancer lachelte wehmutig.»Wir kamen zusammen, und so soll es auch bleiben. Nach der gestrigen Nacht denke ich au?erdem, du brauchst eine Leibwache, Dick!»
        Gloag kehrte von der Verabschiedung seines Kommandanten zuruck und ergriff sein Glas wieder. In seiner Faust wirkte es wie ein Fingerhut.

«Gern wu?te ich ja«, er blickte sie grimmig an,»was geschieht, wenn sie herausbekommen, was wir planen? Wenn sie schon jetzt Augen und Ohren zwischen uns haben?«Bolitho starrte ihn an, aber Dancer antwortete zuerst.»Dann, Mr. Gloag, furchte ich, wird der Verlust von Regierungswaffen und Munition mehr Erklarungen benotigen, als wir geben konnen.»
        Gloag nickte ernst.»Das ist auch meine Ansicht. «Er nahm einen Schluck und leckte sich die Lippen.»Konnte sehr unangenehm werden.»
        Bolitho uberlegte, was der Admiral in Plymouth und sein eigener Kommandant auf der Gorgon wohl dazu sagen wurden. Die Karrieren von James Bolithos beiden Sohnen konnten dann ein sehr rasches Ende finden.



        VI Klarer Auftrag

        Bolitho wanderte auf der hohen Mole auf und ab und beobachtete den Betrieb im Hafen von Penzance. Abgesehen von der bitteren Kalte hatte es Fruhling sein konnen, uberlegte er. Die Fischerboote und kleinen Kustenfahrzeuge, die Dacher und
        Kirchturmspitzen der Stadt jenseits des Hafens schienen ihm alle unnaturlich bunt zu leuchten.
        Er sah hinab zur Avenger, die an der Mole lag. Aus diesem Blickwinkel wirkte sie noch weniger wie ein Kriegsschiff. Ihr breites Deck war voll unordentlichem Tauwerk und geschaftigen Seeleuten. Hier und da sah er jedoch auch eine bewegungslose Gestalt, die trotz der scheinbar aufgelockerten Atmosphare wachsam nach herumlungernden Verdachtigen Ausschau hielt. Selbst ihr Auslaufen war sorgfaltig geplant worden. Die Ladung geliehener Waffen und Munition war bei volliger Dunkelheit an Bord gehievt worden, wahrend Pyke mit mehr als zwanzig Mann Anlegebrucke und Stra?e bewachte, um sicherzustellen, da? niemand etwas von ihrer Tatigkeit merkte. Dann war die Avenger ausgelaufen und unter Vermeidung des ortlichen Schiffsverkehrs in die offene See gesegelt, bevor sie bei Helligkeit Penzance angesteuert hatte.
        Hugh war jetzt an Land und hatte wie ublich nichts uber sein Ziel noch sonst welche Erklarungen verlauten lassen. Bolitho beobachtete die vorbeikommenden Manner und Frauen, Seeleute und Fischer, Handler und Mu?igganger. Hatte das Gerucht schon die Runde gemacht? Plante jemand bereits den Hinterhalt fur Hughs fingierten Waffentransport? Dancer kam vom Kutter heraufgeklettert und stellte sich handereibend neben ihn. Die Kalte war empfindlich.»Alles scheint friedlich, Martyn«, sagte Bolitho. Sein Freund nickte frohlich.»Dein Bruder hat an alles gedacht. Der Zollmeister war hier und hat mir gesagt, da? Lastwagen geschickt wurden, um unser kostbares Gut zu ubernehmen. «Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.»Ich wu?te bisher nicht, da? die Marine sich uberhaupt auf derartige Spielchen einla?t.»
        Ein Seemann rief:»Kommandant kommt, Sir!«Bolitho winkte dem Mann dankend zu. Er hatte die freundliche Art und Weise, wie Vor- und Achterschiff miteinander umgingen, schatzengelernt; dabei hatte man erwarten sollen, da? auf einem so uberfullten Schiff die Trennung besonders scharf sein wurde.
        Hugh Bolitho, den Degen umgeschnallt und sehr selbstsicher wirkend, stieg rasch die Gangway hinunter an Deck, in respektvollem Abstand gefolgt von den Fahnrichen. Er gru?te zum Achterschiff hin und zur lebhaft wehenden Flagge und sagte dann:»Die Lastwagen werden gleich eintreffen. Es hat alles gut geklappt, die ganze Stadt summt von Geruchten uber unseren Beutezug an guten Musketen, Pulver und Munition.
«Er lie? den Blick rasch uber die Bundel von Musketen schweifen, die bereits unter des Stuckmeisters wachsamen Augen vom Laderaum an Land gehievt wurden. Dann sog er prufend die Luft ein und bemerkte:»Guter Tag fur unser Vorhaben. Sie werden alles beobachten, vielleicht gerade in diesem Augenblick. Bestimmt versuchen sie, festzustellen, ob die Ladung wirklich an Land und in sichere Hande uberwechselt, oder ob es sich nur um eine Finte handelt.»
        Gloag, der zugehort hatte, sagte bewundernd:»Sie haben einen hellen Kopf, Sir, daruber besteht kein Zweifel. Ich sehe Sie schon auf Ihrem eigenen Flaggschiff, und das in nicht allzu weiter Ferne!»

«Vielleicht. «Hugh strebte dem Niedergang zu.»Die Wagen werden vom Augenblick ihrer Ankunft bis zur Beendigung des Beladens unter Bewachung sein, und eine Abteilung Zollner wird sie zusatzlich begleiten. «Sein Blick blieb auf Dancer haften.»Sie ubernehmen das Kommando. Der oberste Zollbeamte wei?, was er zu tun hat, aber ich mochte, da? ein Marineoffizier den Trupp kommandiert.»
        Bolitho sagte rasch:»Ich mache das, Sir. Es scheint mir nicht gerecht, Dancer zu schicken. Schlie?lich ist es mein Verschulden, da? er uberhaupt hier sein mu?.»

«Die Sache ist erledigt. «Hugh lachelte.»Au?erdem wird alles vorbei sein, bevor es richtig angefangen hat. Ein paar blutige Kopfe und der Anblick der Dragoner werden genugen. Sir Henry Vyvyan kann hinterher so viele Rauber aufhangen wie ihm behagt!

        Als Hugh unter Deck verschwand, sagte Dancer:»Es ist keine gro?e Angelegenheit, Dick. Wir haben auf der alten Gorgon weit Schlimmeres durchgemacht, und schlie?lich kommt es uns spater fur unser Examen zugute, wenn der verdammte Prufungstag einmal heranruckt.»
        Bis Mittag waren die Wagen beladen. Wieder hatte Hugh Bolitho gut vorausgeplant. Die Arbeit verursachte nicht genug Wirbel, um die Vorbereitungen fingiert erscheinen zu lassen, aber genug, um den Stolz eines jungen Kommandanten uber seinen gro?artigen Fang zu dokumentieren.
        Wenn alles klappte, mochte Gloag mit seinem Kompliment recht behalten. Das Prisengeld fur den gestrandeten Hollander und die Vernichtung einer Bande Schmuggler und Strandrauber wurden au?erdem viel dazu beitragen, Hughs andere Probleme zu beseitigen.

«Du da! Nimm mir meine Tasche ab!»
        Bolitho wandte sich um und sah, wie einer der Seeleute einem langen, schlaksigen Mann in blauem Rock und Hut auf den Kutter hinuberhalf. Der Matrose schien ihn gut zu kennen und sagte grinsend:»Willkommen an Bord, Mr. Whiffin, Sir. Wieder zuruck?

        Bolitho ging eilig nach achtern und uberlegte dabei, wo er diesen Namen schon einmal gehort hatte. Er war jetzt seit zehn Tagen an Bord und kannte die Namen und Aufgaben der meisten Leute, aber Whiffins Stellung war ihm bisher verborgen geblieben. Der gro?e Mann musterte ihn gelassen, das Gesicht ernst und ausdruckslos.

«Whiffin, Zahlmeister und Sekretar«, stellte er sich vor. Bolitho legte gru?end die Hand an den Hut. Naturlich, das war es. Diese Kutter hatten meistens einen Sekretar an Bord, der mehrere Aufgaben zugleich erfullte. Er war Zahlmeister, Schreiber des Kommandanten und mitunter sogar Hilfsarzt. Whiffin machte durchaus den Eindruck, als beherrsche er dies alles. Bolitho fiel ein, da? sein Bruder einmal beilaufig erwahnt hatte, er habe Whiffin mit diesem oder jenem Auftrag an Land geschickt. Nun war er jedenfalls wieder zuruck.»Kommandant an Bord?«Whiffin musterte Bolitho neugierig.»Sie sind also der Bruder.»
        Wo Whiffin auch gewesen sein mochte, er schien bemerkenswert gut informiert zu sein.»Achtern.»

«Gut. Ich suche ihn gleich auf.»
        Er warf noch einen forschenden Blick auf Dancer und ging dann nach unten, wobei er sich mit der Geschicklichkeit eines Wiesels den engen Niedergang durchwand.
        Dancer spitzte die Lippen zu einem lautlosen Pfiff.»Ein seltsamer Mann.»
        Kurz darauf rief der Bootsmannsmaat der Wache:»Kommandant mochte Sie sprechen, Sir!»
        Bolitho lief zum Niedergang und uberlegte dabei, ob sich durch Whiffins Ruckkehr etwas am Plan geandert habe. Vielleicht sollte doch er und nicht Dancer die Wagen begleiten? Sein Bruder blickte kurz auf, als Bolitho die Messe betrat. Whiffin sa? neben ihm und fullte die Luft mit Rauchschwaden aus einer langen Tonpfeife.

«Sir?»

«Eine kleine Plananderung, Richard. «Hugh lachelte kurz.»Ich mochte, da? du den obersten Zollbeamten aufsuchst. Gib ihm diesen Brief und la? dir eine Quittung dafur ausstellen. «Bolitho nickte.»Verstehe, Sir.«»Das bezweifle ich, macht aber nichts.»
        Bolitho warf einen Blick auf die Adresse auf dem versiegelten Umschlag und stieg wieder hinauf an Deck. Hier nahm er Dancer beiseite und sagte:»Fur den Fall, da? ich bis zu deiner Abfahrt nicht zuruck bin, wunsche ich dir schon jetzt viel Gluck, Martyn. «Er schlug ihm lachelnd auf die Schulter, erstaunt uber seine plotzliche Ruhrung.»Und sei vorsichtig!«Dann stieg er uber die Gangway zur Mole hinauf und schlug den Weg zur Stadt ein.
        Es dauerte mehr als eine Stunde, bis er den Zolloffizier gefunden hatte. Der schien nicht bei bester Laune zu sein, vielleicht wegen der Mehrarbeit, die ihm aufgeburdet wurde, vielleicht auch, weil er den Empfang des Briefes quittieren sollte, als traue man ihm nicht.
        Als Bolitho endlich zum Hafen zuruckkehrte, schien sich nichts verandert zu haben, wenigstens auf den ersten Blick. Als er jedoch naherkam und den machtigen Mast mit den festgemachten Segeln der Avenger vor sich hatte, stellte er fest, da? die Wagen schon abgefahren waren.
        Noch wahrend er an Deck stieg, sagte Truscott, der Stuckmeister:»Sie werden unten erwartet, Sir.»
        Schon wieder? Es horte wohl nie auf. Er war und blieb ein Fahnrich, gleichgultig, was Hugh fur ihn vorgesehen hatte. Dieser sa? genauso am Tisch, wie er ihn verlassen hatte, als habe er sich inzwischen uberhaupt nicht bewegt. In der Luft hingen noch die Rauchschwaden, Whiffin war wohl eben erst gegangen.»Du bist ja rasch wieder zuruck, Richard. «Es klang geistesabwesend.»Gut. Sage Mr. Gloag, er soll alles zum Ablegen klarmachen. Wir sind knapp an Leuten, also pa?t auf, da? jeder wei?, was er zu tun hat.«»Die Wagen sind weggefahren!»
        Sein Bruder betrachtete ihn ein paar Sekunden lang.»Ja, bald nach deinen Aufbruch.
«Er hob eine Augenbraue.»Was wundert dich daran?»

«Stimmt etwas nicht?«Bolitho gab nicht nach, auch als er das Aufblitzen von Ungeduld in seines Bruders Augen bemerkte.»Whiffin hat Neuigkeiten mitgebracht, sie bereiten einen Hinterhalt vor. Die Wagen werden zunachst ostwarts nach Helston fahren, dann nordostlich in Richtung Truro. Whiffin hat seine Zeit an Land gut genutzt und ein paar Guineas in die richtigen Hande gesteckt. Wenn alles klargeht, wird der Uberfall zwischen hier und Helston stattfinden. Die Kustenstra?e liegt gunstig im Bereich von mindestens einem Dutzend Hohlen und kleinen Stranden. Die Avenger wird jetzt auslaufen und sich zur Unterstutzung bereithalten.»
        Bolitho wartete auf weitere Informationen. Sein Bruder erklarte alles knapp und zuversichtlich, doch mit einem seltsamen Unterschied: Es klang, als sprache er seine Gedanken laut aus, um sich selbst zu uberzeugen.
        Bolitho fragte weiter:»Der Brief, den ich ubergeben habe, war fur die Dragoner bestimmt?»
        Hugh lehnte sich an die holzgetafelte Wand und sagte bitter:»Es wird keine Dragoner geben. Sie kommen nicht. «Bolitho verschlug es die Sprache. Er sah wieder das Gesicht seines Freundes Dancer vor sich, als sie Abschied genommen hatten. Er rief sich Hughs Bemerkung ins Gedachtnis zuruck, da? die Avenger knapp an Leuten sei. Es war geplant, da? zehn Leute Dancer begleiten sollten, dazu wurden dann noch ein paar Zollner sto?en. Doch die Dragoner von Truro, hervorragend ausgebildet und kampferprobt, waren als Hauptmacht vorgesehen gewesen.
        Die Tatsache, da? Hugh mehr Seeleute geschickt hatte als ursprunglich geplant, zeigte, da? er dies alles schon seit geraumer Zeit gewu?t hatte.
        Bolitho sprach es aus:»Du hast es gewu?t, genauso wie du uber den Tod des Informanten Portlock Bescheid wu?test.«»Ja. Wenn ich es dir gesagt hatte, was ware die Folge gewesen?«Er blickte zur Seite.»Du hattest es Dancer erzahlt und ihn zu Tode erschreckt, bevor er uberhaupt losmarschiert ware.«»So wie es jetzt aussieht, schickst du ihn moglicherweise in seinen Tod.»

«Sei nicht so unverschamt!«Hugh stand auf, wobei er sich wegen der niedrigen Decksbalken automatisch buckte.»Und so widerlich selbstgerecht!»

«Ich konnte hinter ihnen herreiten«, flehte er, wu?te aber im selben Augenblick, da? es umsonst war.»Es gibt andere Moglichkeiten, die Schmuggler zu fangen - zu einem anderen Zeitpunkt.»

«Die Sache ist entschieden. Wir laufen mit der Ebbe aus. Der Wind hat gedreht und steht gunstig fur uns. «Leise fugte Hugh hinzu:»Beruhige dich, wir schaffen es schon. «Und als Bolitho zur Tur ging:»Mr. Dancer ist dein Freund, und wir beide sind Bruder. Fur alle anderen aber sind wir Vorgesetzte mit einem klaren Auftrag, den es auszufuhren gilt. «Er nickte.»Also los,
        ja?»
        Achtern an der Heckreling versuchte Bolitho, die Dinge nuchtern zu sehen, wie sein Bruder sie sah, wahrend die dezimierte Besatzung begann, die Festmacheleinen einzuholen. Es ware eine Kleinigkeit gewesen, die Lastwagen zuruckzurufen. Ein schneller Reiter konnte sie in weniger als zwei Stunden einholen. Aber Hugh wurde seinen Plan auf keinen Fall aufgeben, wie gering auch ohne die Hilfe der Dragoner die Aussicht auf Erfolg sein mochte. Eher brachte er Dancer und zwei Dutzend seiner eigenen Leute in Lebensgefahr.
        Fast direkt gegen den Wind auslaufend, verlie? die Avenger in aller Ruhe den Hafen. Bolitho beobachtete seinen Bruder, der am Kompa? stand, und versuchte, dessen wahre Gefuhle zu ergrunden.
        Gloag lie? sich vernehmen:»Zum Teufel mit dieser klaren Sicht, Sir. Wir werden nicht vor der Dunkelheit uber Stag gehen konnen. «Seine Stimme klang ungewohnlich besorgt.»Die Zeit lauft uns davon.»
        Nun durchschaute Bolitho seines Bruders Maske, als dieser sich vom Kompa? abwandte und in scharfem Ton erwiderte:»Behalten Sie Ihren Pessimismus fur sich, Mr. Gloag! Ich bin nicht in Stimmung dafur!»
        Er ging nach unten, und Bolitho horte, wie er die Tur seiner Kabine ins Schlo? warf.»Sturm im Anzug«, bemerkte der Master zu niemandem im besonderen.
        Die Dunkelheit hatte sich bereits uber Mounts Bay gesenkt, als Hugh Bolitho wieder an Deck erschien.
        Er nickte Gloag und den Rudergangern zu und sagte:»Mr. Pyke und der Stuckmeister sollen sich um die Boote kummern, sie bewaffnen und klarmachen zum sofortigen Aussetzen. «Er blickte auf den schwach erleuchteten Kompa?.»Rufen Sie alle Mann an Deck und gehen Sie auf Ostkurs, bitte. «Wahrend das Kommando gepfiffen wurde und die Seeleute auf ihre Stationen eilten, kam Hugh heruber zu seinem Bruder, der neben den Rudergangern stand.

«Es wird eine klare Nacht, Dick. Der Wind hat aufgefrischt, aber noch besteht kein Grund zum Reffen.»
        Bolitho horte kaum hin. Er sah den Weg des Kutters vor sich, als sei er selbst ein Seevogel hoch oben in den Luften. Aus der Karte wu?te er, da? der neue Kurs wieder landeinwarts fuhrte, zu den gefahrlichen Untiefen und Klippen, wo der Hollander gestrandet war wie viele schone Schiffe vor ihm. Wenn Whiffins Information richtig war, wurden die nur langsam vorwartskommenden Wagen bald uberfallen werden. Waren die Angreifer bereits uber das Tauschungsmanover im Bilde, so konnten sie sich ins Faustchen lachen; wenn nicht, machte es wenig Unterschied, da Dancer und seine Leute keine Hilfe zu erwarten hatten.
        Bolitho warf einen Blick nach oben auf die prall gefullten Segel, auf den lang auswehenden Wimpel im Topp.»Klar zum Wenden!«kam das Kommando seines Bruders. Als nach Ausfuhrung des Manovers wieder Ruhe und Ordnung eingetreten war und der lange Bugsprit der Avenger genau nach Osten zeigte, kam der Stuckmeister nach achtern und meldete, wobei sein Korper einen noch spitzeren Winkel zum Deck bildete, da eine Bo den Kutter gerade stark uberlegte:»Boote ausgerustet und uberpruft, Sir! Ich habe einen guten Mann bei der Waffenkiste gelassen, fur den Fall, da?…«Er fuhr herum, als eine heisere Stimme rief:»Licht Backbord voraus, Sir!»
        Dunkle Gestalten glitten das schrage Deck hinunter nach Lee, um nach dem gemeldeten Licht Ausschau zu halten. Jemand rief:»Vielleicht Strandrauber?«Aber Gloag, der das Licht ebenfalls gesehen hatte, sagte:»Nein, dafur war es zu gleichma?ig. «Er wies mit der Hand nach Lee:»Dort ist es wieder!»
        Bolitho ergriff ein Teleskop und richtete es durch den ziehenden Gischt muhsam auf das Licht. Zweimal blinkte es: eine Blendlaterne. Also ein Signal!
        Er merkte, da? Hugh neben ihm stand, horte das Klick seines Teleskops, als er es zusammenschob.»Wo ist das, Ihrer Meinung nach, Mr. Gloag?«fragte er vollig beherrscht.»Schwer zu sagen, Sir.»
        Bolitho horte Gloag angestrengt atmen, jegliche Animositat zwischen ihm und dem jungen Kommandanten schien im Augenblick vergessen.
        Pyke rief:»Um die Landspitze herum in Richtung Prah Sands, Sir, meiner Meinung nach.»
        Das Licht blinkte wieder zweimal - wie ein bose lauerndes Auge vor der Kustenlinie.
        Unglaubig staunend sagte Pyke:»Verdammt, die wollen also heute nacht eine Ladung an Land bringen, diese Schufte!«Bolitho lief es kalt uber den Rucken. Er stellte sich das unbekannte Schiff vor, das irgendwo vor dem ohne Licht fahrenden Kutter segeln mu?te. Wenn sie dort die Avenger sichtete, wurden sie vermutlich abdrehen oder Alarm geben, der dann auch den Gegner vor der geplanten Falle warnen mu?te. Der Uberfall wurde sicherlich stattfinden, aber ohne jede Aussicht auf Pardon. Kurzen Sie Segel, Mr. Gloag. Mr. Truscott, lassen Sie die Geschutze mit Schrott und Kartatschen laden. «Hughs scharfer Ton lie? den Stuckmeister stutzen.»Aber laden Sie e in Geschutz nach dem anderen. Ich mochte nicht den geringsten Laut horen!«Hugh hielt Ausschau nach einem Bootsmannsmaaten.»Geben Sie durch an alle: Den ersten, der den Feind alarmiert, lasse ich auspeitschen. Aber ein Goldstuck bekommt, wer ihn zuerst sichtet!»
        Bolitho uberquerte das Deck, bevor er sich dessen noch bewu?t war.

«Du willst ihn doch nicht verfolgen und angreifen?«Sein Bruder blickte ihn an, obgleich die Gesichter in der Dunkelheit nicht zu erkennen waren.

«Was dachtest du denn? Wenn ich ihn entkommen lasse, verlieren wir womoglich beides. Aber so konnen wir sie vielleicht alle auf einmal erledigen!»
        Er wandte sich ab, als die Leute an die Fallen und Brassen eilten.»Ich habe gar keine andere Wahl.»



        VII Eine Tragodie

        Als die Avenger durch die heranrollenden Brecher stampfte, konnte Bolitho seine Angste nur noch schwer verbergen. Der Kutter schien einen unglaublichen Larm zu machen, und obgleich er wu?te, da? sie nicht weiter als eine halbe Kabellange[ca.
92 m] zu horen waren, fand er darin keinen Trost. Das Klatschen des Wassers gegen den Rumpf, das Knallen der schweren Segel, das anhaltende Schlagen und Klappern der sonstigen Takelage, das alles vereinigte sich zu einem gewaltigen Crescendo. Toppsegel und Kluver waren geborgen, aber auch unter Gro?segel und Fock mu?te die Silhouette der Avenger fur jeden wachsamen Schmuggler zu erkennen sein. Wie Gloag vorausgesagt hatte, war es eine klare Nacht mit guter Sicht. Jetzt, da sich ihre Augen an die Dunkelheit gewohnt hatten, schien alles nur noch heller zu sein. Keine einzige Wolke war zusehen, dazu glitzerten Myriaden von Sternen, reflektiert vom Wasser und leuchtendem Gischt. Die Segel uber ihnen hoben sich wie riesige Schwingen vom helleren Himmel ab. Ein Mann beugte sich mit ausgestrecktem Arm weit uber einen Sechspfunder.

«Dort, Sir, genau in Lee voraus!»
        Gestalten eilten wie in einem gut einstudierten Reigen uber Deck. Hier und da knirschte ein Teleskop beim Ausziehen, oder jemand flusterte mit seinem Nebenmann, sei es in Erwartung des Kommenden, sei es voller Neid auf den Glucklichen, der das Goldstuck erhalten wurde.
        Hugh Bolitho sagte:»Ein Schoner, ohne Lichter. Noch unter vollen Segeln. «Mit einem Klicken schob er sein Glas zusammen.»Wir haben Gluck, der macht noch mehr Larm als wir. «Dann fugte er knapp hinzu:»Gehen Sie einen Strich hoher, Mr. Gloag. Wir wollen den Windvorteil behalten, so lange es geht. «Gedampfte Stimmen gaben Befehle weiter, Tauwerk quietschte durch Blocke, wahrend das gewaltige Gro?segel uber ihren Kopfen killte, bis es sich auf dem neuen Kurs wieder fullte. Bolitho blickte auf den Kompa?, als der Ruderganger mit heiserer Stimme meldete:»Ost zu Sud, Sir.»

«An die Backbordgeschutze!«Hughs Stimme klang unbeteiligt.»Pforten auf!»
        Bolitho beobachtete, wie die Verschlusse der Stuckpforten sich hoben und den Blick auf den vorbeischaumenden Gischt freigaben. Die Avenger holte so stark uber, da? Wasser durch die Pforten hereinscho? und sich uber die Sechspfunder und die leichteren Schwenkgeschutze ergo?.
        Normalerweise hatte Bolitho dieselben Empfindungen gehabt wie alle anderen um ihn herum: angespannt, entschlossen und wild in Erwartung des bevorstehenden Kampfes. Aber diesmal konnte er sich nicht konzentrieren, konnte seine Gedanken nicht von den Lastwagen losrei?en, von der zu kleinen Eskorte, den Schrecken eines plotzlichen Uberfalls durch einen weit uberlegenen Gegner.
        Ein Licht blitzte in der Dunkelheit auf, er glaubte zunachst, ein unachtsamer Seemann habe auf dem anderen Schiff eine Lampe fallen lassen. Doch dann horte er einen schwachen Knall, wie das Gerausch einer in der Hand zerberstenden Walnu?, und wu?te, da? es ein Pistolenschu? gewesen war. Ein Signal oder eine Warnung. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, was es bedeuten mochte.

«Ruder hart uber, Mr. Gloag!«Hugh rief es laut, da Vorsicht nicht mehr notig war, aber die Manner erstarrten trotzdem.»Klar an Deck!»
        Weitere Blitze kamen vom anderen Schiff, trugen mehr zum Erkennen von dessen Form und Gro?e bei, als da? sie den sich duckenden Seeleuten der Avenger Schaden zufugten. Die Entfernung nahm rapide ab; die gro?en Segel trieben den Kutter vor dem Wind wie einen Raubvogel dahin. Dann sahen sie plotzlich die Umrisse des Schoners aus der Dunkelheit auftauchen. Seine Segel standen wild durcheinander, da man im letzten Augenblick versucht hatte, uber Stag zu gehen. Bolitho beobachtete seinen Bruder, der wie unbeteiligt an der Luvreling stand, ein Fu? auf einem Poller, als beobachtete er eine Regatta.

«Klar zum Feuern!»
        Eine kurze, spannungsgeladene Pause; uber das Wasser hinweg horte Bolitho aufgeregte Stimmen und das Klirren von Metall, dann kam von Hugh das Kommando:
«Feuer!«Auf eine Entfernung von weniger als siebzig Yards donnerte die Backbordbatterie ihre Ladung in den Feind. Die langen, organgefarbenen Feuerzungen blendeten die Augen ebenso, wie die Detonationen die Ohren betaubten. Anders als die schwere Artillerie eines Linienschiffes oder selbst noch einer Fregatte, hatten die kleinen Sechspfunder der Avenger einen unangenehm hohen Knall, der sich ins Gehirn zu bohren schien. Bolitho malte sich die Wirkung von Schrot und Kartatschen auf das andere Schiff aus. Schon horte er das Brechen und Fallen von Spieren, sah das Aufleuchten von Gischt neben dem abgedunkelten Schoner, als Takelage und mit dieser moglicherweise Menschen von den Masten ins Wasser sturzten wie Fallobst.»Auswischen! Laden!»
        Hugh Bolitho hatte den Degen gezogen, er schimmerte im schwachen Sternenlicht wie ein dunner langer Eiszapfen. Es war derselbe Degen, mit dem er gerade erst diese Ehrenhandel bereinigt hatte, und vielleicht viele andere vorher.»Feuer»
        Noch wahrend die Breitseite herausdonnerte und den Schiffsrumpf wie eine Riesenfaust schuttelte, verriet vereinzeltes Blitzen und Knallen auf dem anderen Schiff, da? die Schmuggler noch nicht willens waren, sich zu ergeben.
        Hugh Bolitho schrie gellend:»Klar zum Entern!«Er wandte sich nicht einmal um, als ein Mann dicht neben ihm zuckend zu Boden sturzte, eine Gewehrkugel in der Brust. Wie oft mochten sie dies wohl exerziert haben, dachte Bolitho, wahrend er seinen Degen zog. Die Geschutzbedienungen verlie?en ihre rauchenden Kanonen, ergriffen Entermesser, Piken, Axte und Enterbeile, wahrend der Rest der Besatzung an Fallen und Schoten sturzte. Einen Augenblick vor der Kollision verschwanden die Segel der Avenger wie von Zauberhand, so da? sie infolge der Restfahrt zwar mit einem immer noch gewaltigen Ruck langsseits schor, die Gefahr des Entmastens jedoch erheblich verringert war. Auch wurde sie nicht gleich wieder von ihrem Gegner weggetrieben.
        Noch wahrend die Enterhaken durch die Luft flogen und sich auf dem anderen Schiff verankerten, sprangen die Enterer bereits hinuber und schwarmten aus, begleitet von Schussen und Kampfeslarm.
        Da schrie Pyke:»Zuruck, Jungs!»
        Auch dies funktionierte wie eine Szene aus einer gut einstudierten Tanzvorfuhrung. Die eben noch hurraschreienden Enterer warfen sich wieder uber die Reling und sprangen auf ihr eigenes Schiff zuruck, wahrend die beiden Schwenkgeschutze auf der Back ihre morderische Ladung zwischen die schreienden Gestalten spien, die sich gerade den Eindringlingen entgegenwarfen, um den Angriff zuruckzuschlagen. Reihenweise wurden sie von den Kartatschen niedergemaht. Hugh Bolitho wies den Weg zum Angriff mit seinem Degen.»Jetzt! Auf sie, Jungs!«Dann war er mit einem gewaltigen Satz druben auf dem anderen Schiff, gleichzeitig einen der eigenen Leute mitrei?end, der zu kurz gesprungen war und zwischen die knirschenden Schiffsrumpfe zu fallen drohte. Noch in der Luft schlug er einem Gegner die Klinge uber den Kopf. Bolitho rannte zur Back, mit gezucktem Degen sprang er mit der letzten Gruppe der Enterer laut schreiend hinuber. Ein Mann neben ihm brach lautlos zusammen, ein anderer schlug schreiend die Hande vors Gesicht. Das Schreien endete in einem Rocheln, als eine Lanze aus dem Dunkel geflogen kam und ihn
durchbohrte.
        Schulter an Schulter drangen Bolithos Leute auf dem Deck des Schoners vor, wahrend die auf dem Kutter zuruckgebliebenen Seeleute ihnen Warnungen und Ratschlage zuriefen, begleitet von Pistolenschussen und ein paar wohlgezielten Speerwurfen. Bolitho rutschte in der gro?en Blutlache aus, die durch das morderische Kartatschenfeuer der Schwenkgeschutze entstanden war. Doch er verbannte alle anderen Gedanken und konzentrierte sich ganz auf den Angriff, auf Gesichter, die vor ihm auftauchten und wieder verschwanden. Stahl klirrte auf Stahl, muhsam und mit schmerzendem Handgelenk parierte er, zugleich nach einer Lucke in der Deckung des Gegners spahend. Uber die Kopfe und Schultern der schreienden und fluchenden Kampfer hinweg sah er seines Bruders wei?e Aufschlage schimmern, horte seine Stimme, als er die Leute vorwartstrieb, den Gegner in immer kleinere Gruppen aufspaltend. Jemand schrie:»Das ist fur Jackie Trillo, du Schwein!«Ein Entermesser fuhr zischend wie eine Sense durch die Luft und trennte mit einem einzigen, gewaltigen Hieb fast des Gegners Kopf vom Rumpf.»Ergebt euch! Nieder die Waffen!»
        Aber noch mu?ten ein paar von ihnen dran glauben, bevor die Entermesser und Piken auf die Decksplanken polterten, zwischen die Toten und die stohnenden Verwundeten. Dann sah Bolitho, wie sein Bruder mit der Degenspitze auf einen Mann wies, der neben dem unbemannten Ruder stand.»Lassen Sie Ihre Leute ankern. Aber wenn Sie versuchen, das Schiff zu versenken, lasse ich Sie auspeitschen. «Er steckte den Degen in die Scheide.»Und nachher aufhangen. «Bolitho ging zu Hugh hinuber und stellte sich neben ihn.»Ganz Cornwall mu? das gehort haben!»
        Hugh schien nicht hinzuhoren.»Es sind doch keine Franzmanner, wie ich zuerst dachte. Eher scheinen es Kolonisten zu sein. «Er wandte sich abrupt seinem Bruder zu und nickte:»Ja, das stimmt. Wir lassen die Prise hier unter Bewachung zuruck. La? zwei Schwenkgeschutze hinuberschaffen und auf die Gefangenen richten, dann teile einen Unteroffizier zur Bewachung ein. Er wird wissen, was er zu tun hat. Bestimmt wurde er lieber sterben als mir zu melden, da? sie ihm entkommen konnten! Bolitho folgte ihm, wahrend sein Bruder Befehle erteilte, hier Fragen beantwortete, dort eine Anordnung mit energischer Handbewegung oder mit nachdrucklich erhobener Stimme unterstrich.
        Pyke rief von vorn:»Anker halt, Sir!»

«Gut. «Hugh ging zur Bordwand.»Der Rest von euch kommt mit mir. Mr. Gloag, lassen Sie ablegen und Segel setzen, bitte!«Blocke quietschten, wie Geisterschwingen erhoben sich die Segel und trieben die Avenger von dem Schoner frei, der narbenbedeckt und mit schwerer Schlagseite zuruckblieb.»Wohin, Sir?«Gloag blickte hinauf und musterte die Stellung der Segel.»Es ist verdammt gefahrlich hier.
»Schicken Sie einen guten Lotgasten nach vorn ins Netz, bitte. Lassen Sie standig loten. Bei vier Faden Tiefe werden wir ankern und sofort die Boote aussetzen. «Er warf einen Blick auf seinen Bruder.»Wir dringen in zwei Gruppen landeinwarts vor, bis wir die Stra?e kreuzen.«»Aye, Sir!»
        Uberraschend klopfte Hugh seinem Bruder auf die Schulter.»Kopf hoch, Junge! Eine hubsche Prise, sicherlich voller Schmuggelgut, und lediglich ein paar Mann verloren! Wir konnen immer nur einen Schritt nach dem anderen tun!«Als der Kutter sich dichter ans Land herantastete, verkundete des Lotgasten eintoniges Aussingen die wachsende Gefahr. Endlich, als bereits bedrohlich nahe Brandung und dahinter sich dunkel abzeichnendes Land an Steuerbord zu sehen waren, warfen sie Anker. Ohne Gloags wiederholte eindringliche Warnungen ware Hugh sicher noch dichter unter Land gegangen, vermutete Bolitho.
        Auch so beneidete er Gloag nicht um seine Verantwortung. Zwischen Sandbanken und schroffen Felsen, ohne ausreichende Besatzung vor Anker zu liegen, war schlimm genug. Aber wenn der Wind wieder auffrischen sollte, konnte er kaum verhindern, da? die Avenger abdriftete und schlie?lich auf die Klippen getrieben wurde.
        Falls Hugh sich dessen ebenfalls bewu?t war, gelang es ihm gut, seine Befurchtungen zu verbergen.
        Die beiden Boote wurden zu Wasser gelassen, und mit Ausnahme einer verschwindend kleinen Gruppe von Leuten stieg alles ein, bis an die Zahne bewaffnet. Die tief im Wasser liegenden Boote steuerten die nachstgelegene Kuste an. Noch wahrend die Riemen sich im Takt hoben und senkten und das Land sie allmahlich auf beiden Seiten umfing, empfand Bolitho die Leere und Stille. Schon das Gerausch von Gewehrfeuer hatte genugt. Die Leute, mit denen vorhin die Signale ausgetauscht worden waren, befanden sich bestimmt langst in ihren Hutten, oder sie rannten, so schnell sie konnten, zu irgendwelchen Verstecken.
        Als sie endlich auf einem kleinen Sandstrand versammelt waren, auf den die See mit voller Wucht anbrandete, um dann gerauschvoll durch die Felslucken zuruckzustromen, sagte Hugh:»Wir teilen uns in zwei Gruppen auf, Richard. Ich nehme die rechte, du die linke Seite. Wer auf Anruf nicht stehen bleibt, wird unter Feuer genommen. «Dann nickte er seinen Leuten zu:»Vorwarts!»
        In zwei langen Reihen stiegen sie den steilen Kustenhang hinauf. Zunachst erwarteten sie, beschossen zu werden, fanden sich aber allmahlich damit ab, da? sie allein auf weiter Flur waren. Bolitho uberquerte die schmale Kustenstra?e, wahrend seine Leute auf beiden Seiten ausschwarmten. Der Wind peitschte ihnen die flatternden Hosen um die Beine. Die Lastwagen waren wohl schon vorbeigefahren und jetzt in Sicherheit. Vielleicht konnte man die Radspuren der schwer beladenen Fahrzeuge entdecken, sofern sie auf dem felsigen Boden uberhaupt welche hinterlassen hatten.
        Der Seemann mit Namen Robins hob die Hand.»Sir!«Bolitho lief zu ihm hinuber.»Da kommt jemand!«Die Seeleute schwarmten aus und verschwanden auf beiden Seiten im Unterholz. Bolitho horte das leise metallische Klicken, als sie die Hahne ihrer Gewehre spannten. Robins und Bolitho verharrten lautlos hinter einem sturmzerzausten Busch.
        Der Seemann flusterte plotzlich:»Da ist er wieder - betrunken, soviel ich horen kann. «Er grinste.»War offensichtlich nicht so beschaftigt wie wir!«Sein Grinsen erstarrte zur Grimasse, als sie horten, da? der Mann schluchzte und vor Schmerzen stohnte. Dann sahen sie ihn hin und her schwankend die Stra?e uberqueren, beinahe fallend in seinen bemitleidenswerten Bemuhungen um Eile. Kein Wunder, da? Robins ihn fur einen Betrunkenen gehalten hatte. Plotzlich jedoch rief er:»O Gott, Sir! Das ist einer von unseren Leuten! Billy Snow!«Bevor Bolitho Robins zuruckhalten konnte, lief er auf den Schwankenden zu und fing ihn in seinen Armen auf.»Was ist passiert, Billy?»
        Der Mann keuchte:»Wo wart ihr, Tom? Wo wart ihr blo??«Bolitho und ein paar andere Seeleute halfen Robins, den Mann vorsichtig auf den Boden zu legen. Wie er es geschafft hatte, bis hierher zu kommen, war ein Ratsel. Er blutete aus mehreren Hieb- und Stichwunden, und seine Kleidung war vollig blutdurchtrankt.
        Als sie versuchten, seine Wunden zu versorgen, sagte Snow mit schwacher Stimme: Erst ging alles gut, Sir, aber dann sahen wir die Soldaten. Sie kamen herangebraust wie eine Kavallerieschwadron bei der Attacke!»
        Er winselte, und jemand sagte argerlich:»Vorsichtig mit der Wunde, Tom!»
        Snow fuhr undeutlich fort:»Einige der Unsrigen riefen hurra, nur so zum Spa?, und der junge Mr. Dancer lief ihnen entgegen, um sie zu begru?en.»
        Bolitho beugte sich tief hinunter zu ihm, er fuhlte des Mannes Verzweiflung, das Herannahen des Todes.»Dann, dann…«Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter. Ruhig, Mann, lassen Sie sich Zeit.»

«Aye, Sir. «Im fahlen Sternenlicht schimmerte sein Gesicht wie Wachs, die Augen waren fest geschlossen. Er versuchte es wieder.»Sie ritten in uns hinein wie ein Sturmwind, hackend, schlagend, stechend. Sie lie?en uns keine Chance, in einer Minute war alles voruber.»
        Er hustete, und Robins flusterte heiser:»Er geht von uns, Sir!«Bolitho fragte rasch:»Was wurde aus den anderen?«Snow wandte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf.»Dort druben, weiter oben, liegen sie. Alle tot, glaube ich, obwohl ein paar von ihnen in Richtung zur See gefluchtet sind. «Bolitho wandte sich ab, seine Augen brannten und schmerzten. Seeleute liefen immer in Richtung See, wenn sie sich verraten und verloren fuhlten. Das war alles, was sie wu?ten, ihre letzte Hoffnung.»Er ist tot, Sir.»
        Sie standen um Snow herum und starrten ihn an. Wohin hatte er in seinen letzten Augenblicken fluchten wollen?» Kommandant kommt, Sir.»
        Hugh Bolitho trat, gefolgt von seinen Leuten, aus der Dunkelheit, so da? die Stra?e mit einem Male belebt erschien. Alle blickten auf den Leichnam nieder.

«Also sind wir zu spat gekommen. «Hugh beugte sich uber den Toten.»Snow, ein guter Mann. «Er richtete sich auf und fugte abrupt hinzu:»Beeilt euch, sucht die anderen. «In der Mitte der Stra?e schritt er weiter, aufrecht, vollkommen allein. Es dauerte nicht lange, bis sie die anderen fanden. Sie lagen auf der Stra?e oder am felsigen Abhang verstreut, und einige waren offensichtlich die Steilkuste hinuntergeworfen worden. Uberall war Blut, und als die Seeleute die mitgebrachten Laternen anzundeten, glitzerten die toten Augen bose auf, als wollten sie ihre Kameraden noch im Tode fur ihren Verrat verfluchen.
        Die Wagen und Waffen der Begleitmannschaft waren verschwunden, jedoch fehlten einige von den Leuten. Bolitho vermutete, da? sie entweder in der Dunkelheit entkommen oder aber gefangengenommen worden waren. Und dies in Cornwall, seiner eigenen Heimat, nicht mehr als funfzehn Meilen von Falmouth entfernt!
        Ein Mann, den Bolitho als den Bootsmannsmaaten Mumford erkannte, kam herbei, in der Hand einen Dreispitz; er sagte bedruckt:»Ich denke, dies ist Mr. Dancers Hut, Sir. «Bolitho nahm ihn entgegen. Er fuhlte sich kalt und feucht an. Da brachte ein Ruf sie alle in Bewegung. Jemand hatte einen verwundeten Seemann gefunden. Er lag versteckt in einer Felsspalte oberhalb der Stra?e, kaum noch bei Bewu?tsein. Bolitho lief ebenfalls hin, um zu sehen, ob noch Hilfe moglich sei. Plotzlich blieb er jedoch abrupt stehen, denn im Schein der Laterne, die Robins hochhielt, hatte er etwas Helles durch das nasse Gras schimmern sehen. Robins, rief schnell: Moment, ich schaue nach, Sir!«Zusammen kletterten sie den schlupfrigen Hang hinauf, bis die Laterne eine am Boden ausgestreckte Gestalt schwach beleuchtete. Was Bolitho hatte schimmern sehen, war blondes Haar, das sich jetzt beim Naherkommen als blutverschmiert erwies.

«Bleiben Sie zuruck!»
        Bolitho nahm Robins die Laterne aus der Hand und rannte das letzte Stuck des Weges, dann kniete er bei dem Leichnam nieder, packte den blauen Rock und drehte den leblosen Korper auf den Rucken. Im schwachen Lampenlicht schienen ihn die toten Augen argerlich anzustarren.
        Er lockerte seinen Griff, beschamt uber seine Erleichterung. Es war nicht Dancer, sondern ein Zollner, niedergemaht bei dem Versuch, dem Gemetzel zu entkommen. Er horte Robins fragen:»Alles in Ordnung, Sir?«Bolitho unterdruckte die in ihm aufsteigende Ubelkeit und sagte:»Helfen Sie mir, den armen Kerl hinunterzuschaffen!«Stunden spater versammelten sie sich erschopft und niedergeschlagen im ersten grauen Morgenlicht unten am Strand. Weitere sieben Uberlebende waren gefunden worden oder beim Klang der Stimmen aus ihren Verstecken hervorgekommen. Doch Martyn Dancer war nicht darunter. Als Bolitho wieder an Bord des Kutters stieg, sagte Gloag mit rauher Stimme:»Solange er am Leben ist, besteht auch noch Hoffnung, Mr. Bolitho.»
        Dieser sah der ablegenden Jolle zu, in der Peploe, der Segelmacher, und sein Maat mit ernsten Gesichtern an Land fuhren, die Toten fur ihre Bestattung einzunahen. Sie hatten teuer bezahlen mussen fur diese Nacht, dachte Bolitho unglucklich. Ihm kam der blonde Tote in den Sinn, seine eigene Verzweiflung, die sich in Hoffnung gewandelt hatte, als er feststellte, da? es nicht sein Freund war, der da vor ihm lag. Aber jetzt, als er die blasse Kustenlinie mit den kleinen Gestalten darauf betrachtete, hatte er das Gefuhl, da? diese Hoffnung nicht sehr gro? war.



        VIII Stimme im Dunkel

        Harriet Bolitho trat ein, ihr langes Samtgewand streifte gerauschlos die Tur. Einen Augenblick blieb sie stehen und betrachtete ihren Sohn, dessen Gestalt sich als Silhouette gegen das Kaminfeuer abhob. Die Hande hielt er den Flammen entgegengestreckt.
        Dicht daneben sa? Nancy auf dem Teppich, die Knie bis zum Kinn hochgezogen. Sie beobachtete ihren Bruder so intensiv, als wolle sie ihn zum Sprechen zwingen.
        Durch die andere Doppeltur horte sie undeutliche Stimmen. Schon uber eine Stunde beratschlagten sie in der angrenzenden Bibliothek: Sir Henry Vyvyan, Colonel de Crespigny von den Dragonern und naturlich Hugh Bolitho.
        Wie so oft hatte auch diesmal die Nachricht von dem Uberfall und von der Erbeutung des Schmuggelschiffes Falmouth auf dem Landweg viel schneller erreicht als die Hauptakteure selbst. Lange bevor die Avenger und ihre Prise auf der Reede ankerten, wu?te man schon alles, was sich auf See abgespielt hatte. Harriet Bolithos insgeheime Befurchtung, da? sich etwas dieser Art ereignen wurde, hatte sich bewahrheitet. Hugh war immer eigensinnig gewesen, nie wollte er auf den Rat anderer horen. Sein jetziges Kommando, so klein es auch sein mochte, war das ungunstigste, was man sich fur ihn vorstellen konnte. Er brauchte eine feste Hand wie die des Kommandanten der Gorgon, Richards Schiff.
        Sie richtete sich auf und durchschritt muhsam lachelnd den Raum. Die beiden hatten ihren Vater jetzt notiger gebraucht, denn Richard blickte ihr mit angespanntem Gesicht entgegen.»Wie lange werden sie noch bleiben?»
        Sie hob die Schultern.»Der Oberst versucht zu erklaren, warum seine Leute dem Transport nicht zu Hilfe kommen konnten. Sie waren im letzten Augenblick wegen eines Goldtransportes nach
        Bodmin zuruckbeordert worden. De Crespigny hat eine Untersuchung angeordnet und auch nach unserem Friedensrichter geschickt.»
        Bolitho betrachtete seine Hande. Er stand ganz dicht am Feuer, fror aber noch immer. Das von seinem Bruder erwahnte Wespennest war mitten unter ihnen aufgescheucht worden. Wie die besturzten und verwirrten Uberlebenden des Uberfalls, so hatte auch er zuerst einen tiefen Groll gegen die Dragoner verspurt, weil sie nicht zur Hilfe gekommen waren. Aber als er Zeit zum Nachdenken fand, begriff er das Dilemma des Obersten. Ein etwas nebelhafter Plan, Schmuggler zu fangen, stand gegen seine strikte Order, einen wertvollen Goldtransport zu begleiten; da hatte er nicht lange uberlegen durfen. Au?erdem hatte er erwartet, da? Hugh das Unternehmen abblasen wurde, sobald er diese Anderung erfuhr.
        Unwillig stie? Bolitho hervor:»Aber was unternehmen sie zur Befreiung Martyns?»
        Seine Mutter stand hinter ihm und fuhr ihm streichelnd ubers Haar.

«Alles, was in ihrer Macht liegt, Richard. Der arme Junge - auch ich denke standig an ihn.»
        Die Tur der Bibliothek offnete sich, und die drei Manner traten ins Zimmer.
        Was fur ein seltsames, zusammengewurfeltes Trio, dachte Bolitho. Sein Bruder - schmallippig, verschlossen, schabig in seiner Borduniform -, Vyvyan wuchtig, grimmig, mit der gewaltigen Narbe, die den Eindruck von Willenskraft noch verstarkte, und der Dragoneroberst: adrett, elegant wie ein Angehoriger der Leibwache des Konigs. Es war kaum zu glauben, da? er ohne Pause so viele Meilen geritten war. Harriet Bolitho hob den Kopf.»Nun, Sir Henry, was halten Sie von der Angelegenheit?»
        Vyvyan rieb sich das Kinn.»Ich denke, Madam, da? diese Teufel den jungen Dancer als Geisel mitgenommen haben; weshalb, kann ich allerdings nicht sagen. Es sieht schlecht aus, daruber mussen wir uns klar sein.»
        De Crespigny meinte:»Wenn ich mehr Leute hatte, wenigstens zwei weitere berittene Abteilungen, konnte ich vielleicht etwas unternehmen, aber so…«Er beendete den Satz nicht. Bolitho beobachtete sie mude und enttauscht. Jeder von ihnen dachte nur an sich selbst, versuchte, sich aus der Sache herauszuhalten, die Schuld einem anderen zuzuschieben, jetzt, da die Behorden erfuhren, was sich ereignet hatte. Er blickte seinen Bruder an. Es bestand wohl kein Zweifel daran, wer diesmal seinen Kopf hinhalten mu?te. Nancy flusterte:»Ich werde fur ihn beten, Dick. «Er blickte sie an und lachelte. Sie hielt Martyns Hut ans Feuer, um ihn zu trocknen, behandelte ihn wie einen Talisman. Vyvyan fuhr fort:»Wir durfen diese Niederlage nicht hinnehmen. Mussen uns etwas einfallen lassen.»
        Man horte Stimmen in der Halle, und einen Augenblick spater steckte Mrs. Tremayne den Kopf ins Zimmer. Hinter ihr sah Bolitho des Jagdaufsehers gewaltige Gestalt aufragen.»Was gibt es, Pendrith?«fragte Mrs. Bolitho. Pendrith trat ein, einen Geruch nach Erde und Feuchtigkeit verbreitend. Er nickte den Anwesenden zu und sagte dann mit seiner rauhen Stimme zu Mrs. Bolitho:

«Einer von des Colonels Leuten wartet mit einer Botschaft drau?en, Madam. «Wahrend der Oberst sich entschuldigte und eilig hinausging, fugte Pendrith rasch hinzu: Und ich bringe das hier, Sir. «Er hielt Vyvyan ein Papier entgegen. Dessen eines Auge uberflog die ungelenke Handschrift und rief aus: «An alle, die es angeht… Was, zum Teufel, soll das?«Das Auge bewegte sich rascher, und dann sagte er:»Es ist eine Forderung, wie ich mir schon dachte. Sie halten den jungen Dancer als Geisel fest.»
        Bolitho fragte rasch:»Was fordern sie?«Sein Herz hammerte fast schmerzhaft, und er konnte kaum atmen. Vyvyan uberreichte Mrs. Bolitho den Brief und sagte bedruckt: Dieser eine Strandrauber, den meine Leute gefangen haben - gegen ihn wollen sie Dancer austauschen. Sonst. «Er blickte weg.
        Hugh Bolitho starrte ihn an.»Selbst wenn wir austauschen durften. «Er kam nicht weiter.
        Vyvyan fuhr herum, sein Schatten fullte fast den ganzen Raum. »Durften? Was sagen Sie da, Mann? Hier steht ein Menschenleben auf dem Spiel! Wenn wir diesen Schurken hangen, bringen sie den jungen Dancer um, das steht fest. Vielleicht tun sie es ohnehin. Aber ich glaube, sie werden Wort halten. Vor einem Offizier des Konigs haben sie doch etwas mehr Scheu als vor einem Zollner.»
        Hugh Bolitho begegnete Sir Henrys Blick mit Unmut.»Es geschah in Ausubung seines Dienstes.»
        Vyvyan trat ein paar Schritte vom Feuer zuruck und stie? ungeduldig und resigniert hervor:»Fassen Sie es so auf, wenn Sie wollen. Aber wir kennen des Strandraubers Identitat jetzt und werden ihn wieder zu fassen kriegen. Dem Henker entgeht er bestimmt nicht. Doch Dancers Leben ist wertvoll fur seine Familie, fur sein Land.
«Sein Ton wurde harter.»Au?erdem wird es besser aussehen.»

«Was meinen Sie damit, Sir?«Hugh war bla? und wirkte mude, zeigte aber keinerlei Spur von Schwache.»Ich will es Ihnen erklaren. Wie wird es spater bei der Kriegsgerichtsverhandlung aussehen? Der Verlust eines Fahnrichs wiegt schwer, auch der Tod all der Seeleute und Zollner wird nicht leicht zu erklaren sein; dazu kommt der Verlust dieser verdammten Musketen, die sich jetzt in den falschen Handen befinden. Aber vor allem - wer kam heil und unverletzt davon? Die beiden Offiziere der Avenger, beide aus derselben Familie!«Zum erstenmal schien Hugh betroffen.

«Aber so war es nicht, Sir! Ohne den Schoner waren wir rechtzeitig zur Stelle gewesen, mit oder ohne Dragoner. «Der Oberst kehrte wieder zuruck; ruhig sagte er: Ich habe soeben erfahren, da? die Besatzung des Schoners unter strenger Bewachung nach Truro geschafft werden soll. «Vyvyan reichte ihm den zerdruckten Brief und beobachtete ihn. Der Oberst sagte wutend:»Ich hatte schon vermutet, da? die Geschichte noch nicht zu Ende ist, verdammt!«Hugh blieb dickkopfig bei seinem Standpunkt.»Dieser Schoner hatte kistenweise Goldmunzen geladen, die Besatzung bestand ausschlie?lich aus amerikanischen Kolonisten. Zweifellos sollte dieses Gold hier in Cornwall zum Ankauf von Gewehren dienen. Der Schoner hatte sie dann zu einem sicheren Versteck gebracht, um sie auf ein gro?eres Schiff umzuladen.
«Der Oberst musterte Hugh kalt.»Der Kapitan des Schoners beteuert seine Unschuld. Er sagt aus, da? er sich verirrt habe, da? Sie ohne Warnung auf ihn gefeuert hatten. Er hielt Sie fur Piraten. «Er hob mude die Hand.»Ich wei?, Mr. Bolitho. Aber jeder wird ihm glauben. Sie haben die Gewehre eingebu?t, keinen einzigen Strandrauber gefangen und eine Menge Leute verloren, ohne einen stichhaltigen Grund angeben zu konnen. Ich wei?, da? es Geruchte uber Unruhen in der amerikanischen Kolonie gibt, aber bis jetzt sind es eben nur Geruchte. Was Sie jedoch getan haben, sind Tatsachen.»
        Vyvyan sagte mit seiner rauhen Stimme:»Schonen Sie ihn, wir waren alle einmal jung. Ich habe schon gesagt, da? wir in den Austausch der Gefangenen einwilligen. Schlie?lich haben wir eine gute Prise im Hafen liegen, vorausgesetzt, die Behorden konnen dem Kapitan nachweisen, da? er hinter Waffen her war. Und wenn wir Dancer erst gesund wiederhaben, wird er uns vielleicht mehr erzahlen konnen. «Er lachelte verschlagen.»Was meinen Sie, Colonel?»
        De Crespigny seufzte.»Diesfallt nicht unter die Befugnisse eines Gutsherren oder jungen Leutnants. Selbst ich benotige dazu
        Weisungen. «Er blickte sich um, ob der Jagdaufseher den Raum verlassen hatte.»Wenn Ihr Gefangener jedoch fliehen sollte, sehe ich keinen Grund, dies sofort weiterzumelden. «Vyvyan grinste.»Gesprochen wie ein wahrer Soldat. Gut, ich werde meine Leute entsprechend anweisen. «Sein Auge glitt uber die Familie Bolitho.»Wenn ich unrecht habe und sie dem jungen Dancer auch nur ein Haar krummen, dann werden sie es spater bitter bereuen.»
        Hugh Bolitho nickte.»Also, ich akzeptiere den Plan, Sir. Aber danach habe ich in diesen Gewassern keinen Erfolg mehr zu erwarten. Man wird mein Schiff und alle an Bord der Lacherlichkeit preisgeben.»
        Bolitho blickte seinen Bruder an und empfand Mitleid mit ihm. Aber es gab keinen anderen Ausweg.
        Als die beiden Gaste nacheinander das Haus verlassen hatten, stie? Hugh heftig hervor:»Wenn ich auch nur einen einzigen von diesen Schuften in meiner Gewalt hatte, dann ware die ganze verdammte Affare ein fur allemal erledigt!«Die nachsten beiden Tage vergingen in Sorge und Ungewi?heit. Von Dancers Entfuhrern hatte man nichts mehr gehort, und in der Tat bedurfte es keines weiteren Beweises fur die Echtheit des Briefes. Ein paar goldene Knopfe, von einer Fahnrichsuniform abgeschnitten, sowie ein Halstuch, das Bolitho als Dancer gehorend identifizierte, hatte man vor dem Gartentor gefunden. In der zweiten Nacht sa?en die beiden Bruder allein vorm Feuer; keiner mochte das Schweigen brechen. Schlie?lich sagte Hugh: Ich gehe hinunter zur Avenger. Du bleibst besser hier, bis wir etwas horen.»

«Was wirst du danach anfangen?»

«Anfangen?«Hugh lachte bitter.»Wieder auf ein verdammtes Dickschiff als Leutnant gehen, denke ich. Meine Beforderung ist aus dem Fenster geflogen, als ich das nicht schaffte, weswegen ich hergekommen war.»
        Bolitho erhob sich, weil er Hufgeklapper vor dem Haus horte. Die Tur flog auf, und er sah Mrs. Tremayne ihn mit so gro?en Augen austarren, da? sie ihr ganzes Gesicht auszufullen schienen.

«Sie haben ihn, Master Richard! Sie haben ihn gefunden!«Im nachsten Augenblick schien der Raum uberfullt zu sein: Bedienstete, Dragoner und Pendrith, der sagte: Die Soldaten haben ihn entdeckt, wie er auf der Stra?e herumirrte, mit auf dem Rucken gefesselten Handen und einem Tuch vor den Augen. Ein Wunder, da? er nicht kopfuber die Klippen hinabsturzte!«Sie verstummten alle, als Dancer, von Kopf bis Fu? in einen langen Umhang gehullt, ins Zimmer trat, auf beiden Seiten gestutzt von einem Dragoner.
        Bolitho lief ihm entgegen und packte ihn an den Schultern. Er konnte kaum sprechen; beide starrten sich ein paar Sekunden lang wortlos an, bis Dancer sagte: Das war verdammt dicht dran diesmal, Dick!»
        Harriet Bolitho bahnte sich einen Weg durch die starrenden Menschen, nahm Dancer den Umhang ab und schlo? ihn dann in die Arme. Sie zog seinen Kopf an ihre Schulter, wobei ihr die Tranen ungehemmt uber die Wangen liefen.»Oh, du armer, armer Junge!»
        Die Entfuhrer hatten Martyn alle Sachen abgenommen, bis auf die Kniehose. Barfu?, mit verbundenen Augen und gefesselten Handen, hatten sie ihn auf einer ihm unbekannten Stra?e ausgesetzt, wo er in der bitteren Kalte bei einem Sturz sicherlich erfroren ware. Jemand hatte ihn auch geschlagen, denn Bolitho sah Striemen auf seinem Rucken.
        Mrs. Bolitho sagte mit belegter Stimme:»Mrs. Tremayne, fuhren Sie diese braven Manner in die Kuche. Geben Sie ihnen alles, was sie mochten, auch Geld.»
        Die Soldaten strahlten und traten sich verlegen die Stiefel sauber.»Danke sehr, Ma'am, es war uns ein Vergnugen, wirklich!«Dancer lie? sich vor dem Feuer nieder und erzahlte:»Sie brachten mich in ein kleines Dorf. Ich horte jemanden sagen, es sei ein verhexter Ort, niemand wurde sich herwagen, um nach mir zu suchen. Sie lachten daruber und erklarten mir, auf welche Weise sie mich umzubringen gedachten, wenn ihr Mann nicht freigelassen wurde. «Er blickte zu Hugh Bolitho auf.»Tut mir leid, da? ich Sie enttauscht habe, Sir. Aber unsere Angreifer sahen aus wie wirkliche Soldaten, und sie schlugen erbarmungslos auf uns ein, bevor wir unseren Irrtum erkannt hatten. «Schaudernd rieb er sich die Arme, als schame er sich seiner Nacktheit.
        Hugh erwiderte:»Was geschehen ist, ist geschehen, Mr. Dancer. Aber ich freue mich, da? Sie am Leben und in Sicherheit sind. «Mrs. Bolitho brachte eine Tasse hei?er Suppe.»Trink das, Martyn, und dann ins Bett. «Sie hatte sich wieder vollkommen in der Gewalt.
        Dancer blickte Bolitho an.»Ich hatte die ganze Zeit das Tuch uber den Augen. Als ich versuchte, es wegzurei?en, fuhlte ich ein gluhendes Eisen dicht vorm Gesicht. Einer von ihnen sagte, wenn ich es noch einmal tate, ware das Tuch nicht mehr notig. Das Eisen wurde mich blenden, ein fur allemal. «Er frostelte, als Nancy seine Schultern mit einem wollenen Tuch bedeckte.
        Hugh Bolitho schlug mit der Faust gegen die Wand.»O ja, sie waren schlau. Sie wu?ten, da? Sie zwar ihre Gesichter nicht erkennen wurden, wohl aber spater vielleicht den Ort, an dem man Sie festgehalten hatte.»
        Dancer erhob sich mit schmerzverzerrtem Gesicht. Seine Fu?e waren arg zugerichtet worden, bevor die Soldaten ihn gefunden hatten.

«Ich kenne aber einen von ihnen.»
        Sie starrten ihn alle an und dachten, er werde gleich zusammenbrechen.
        Dancer hielt Mrs. Bolitho seine ausgestreckten Hande hin, bis sie sie ergriff.

«Es war am ersten Tag. Ich lag in der Dunkelheit und wartete auf den Tod, als ich die Stimme plotzlich horte. Wahrscheinlich hatten sie ihm nicht gesagt, da? ich dort war. «Er verstarkte den Griff seiner Hande.»Es war der Mann, den ich hier gesehen hatte, Madam, den Sie Vyvyan nannten. «Sie nickte langsam, das Gesicht voller Mitleid.»Du hast genug gelitten, Martyn, und wir haben uns gro?e Sorgen um dich gemacht. «Sie ku?te ihn sanft.»Jetzt ins Bett mit dir. Du findest in deinem Zimmer alles, was du brauchst. «Hugh Bolitho starrte ihn noch immer an, als habe er sich verhort.»Sir Henry? Sind Sie sicher?»
        Seine Mutter rief dazwischen:»La? ihn, Hugh. Dem armen Jungen ist schon genug Leid zugefugt worden!«Bolitho sah seines Bruders alte Energie und Entschlossenheit zuruckkehren wie eine Bo, die sich plotzlich einem Schiff in der Flaute nahert.

«Fur dich ist er vielleicht ein Junge, Mutter. Trotzdem bleibt er immer noch einer meiner Offiziere. «Hugh konnte seine Erregung kaum verbergen.»Dicht unter unseren Augen… Kein Wunder, da? Vyvyans Leute immer in der Nahe waren und wir niemals einen Schmuggler fingen. Und - er mu?te sich seines Pseudoge-fangenen entledigen, bevor ein Untersuchungsrichter auftauchte. Der Mann hatte sonst gegen ihn ausgesagt, um sein Leben zu retten.»
        Bolitho fuhlte, wie sein Mund trocken wurde. Wenn das stimmte, dann hatte Vyvyan sogar einige seiner eigenen Leute erschie?en lassen, damit es echt aussah. Dann war er ein Ungeheuer, kein Mensch. Und beinahe hatte alles geklappt, konnte noch immer klappen, wenn Dancers Erzahlung keinen Glauben fand. Strandrauber, Schmuggler, Rebellen aus den amerikanischen Kolonien - es kam ihm vor wie ein boser Traum. Vyvyan hatte das alles geplant, die Behorden die ganze Zeit an der Nase herumgefuhrt. Es war ihm auch gelungen, ihnen die Idee mit dem Gefangenenaustausch in den Kopf zu setzen.
        Seinen Bruder fragte Bolitho:»Was wirst du tun, Hugh?«Dieser lachte bitterbose. Ich ware geneigt, dem Admiral einen ausfuhrlichen Bericht zu schicken. Aber erst wollen wir herausfinden, wo dieses verdammte Dorf liegt. Es kann nicht weit von der Kuste entfernt sein. «Seine Augen gluhten.»Das nachste Mal, Richard, das nachste Mal wird er we niger Gluck haben!«Bolitho folgte Dancer die Treppe hinauf in sein Zimmer, vorbei an den kritischen Augen der Ahnenportrats.»In Zukunft, Martyn, will ich mich nie mehr beklagen, da? ich auf einem Linienschiff Dienst tue.»
        Dancer setzte sich auf den Bettrand und lauschte dem Heulen des Windes.

«Ich auch nicht. «Er rollte sich auf die Seite, mude und erschopft. Als Bolitho Dancers blonden Schopf im Kerzenlicht betrachtete, kam ihm plotzlich jener andere Blondkopf in den Sinn, der tot im nassen Gras gelegen hatte, und ihn durchstromte ein Gefuhl unendlicher Dankbarkeit.



        IX Die Klaue des Teufels

        Colonel de Crespigny sa? steif in der Achterkajute der Avenger und blickte sich mit einer Mischung aus Neugier und Widerwillen in dem engen Raum um.
        Er sagte zu den beiden Fahnrichen:»Wie ich schon Ihrem - ah - Kommandanten erklart habe, kann ich auf Grund einer so durftigen Zeugenaussage keinerlei Risiko eingehen. «Als beide sofort zu protestieren begannen, fugte er hastig hinzu:»Ich sage ja nicht, da? ich nicht glaube, was Sie gehort haben oder meinen, gehort zu haben. Aber vor einem Gericht - und seien Sie sicher, ein Mann von Sir Henrys Position und Autoritat wurde sich den besten Anwalt nehmen - klange es weniger uberzeugend.»
        Er beugte sich zu Dancer hinuber, wobei seine blankpolierten Stiefel auf den Decksplanken knarrten.

«Uberlegen Sie selbst. Ein erstklassiger Advokat aus London, ein erfahrener Untersuchungsrichter und ein voreingenommenes Gremium von Geschworenen - Ihr Wort ware bestimmt der einzige Protest im ganzen Gerichtssaal! Die Besatzung des Schoners kann man auf Verdacht festhalten, obgleich ihr bisher keinerlei uble Absicht oder gar eine Verbindung zu Sir Henry nachzuweisen war. Ich bin ziemlich sicher, da? neue Belastungen auftauchen werden, aber nur gegen sie und nicht gegen den Mann, den wir uberfuhren wollen.»
        Hugh Bolitho lehnte sich gegen die Bordwand, die Augen halb geschlossen.»Es scheint, wir sind an einem toten Punkt angelangt.»
        Der Oberst nahm einen Pokal und fullte ihn sorgfaltig, bevor er wieder das Wort ergriff.»Wenn Sie das Dorf finden und dazu ein paar klare, eindeutige Beweise, kann ein Fall daraus werden. Wenn nicht, dann sind Sie auf Sir Henrys Unterstutzung angewiesen, und zwar vor jedem Untersuchungsrichter und Gerichtshof. So grausam und ungerecht dies auch erscheinen mag, es sind die Tatsachen, mit denen Sie sich abfinden mussen. «Bolitho betrachtete seinen Bruder und empfand wie dieser die Ungerechtigkeit ihrer Niederlage. Wenn Vyvyan erst hinter ihre Absicht kam, wurde er moglicherweise einen weiteren Plan in Szene setzen, um sie in Mi?kredit zu bringen und ihnen Hindernisse in den Weg zu raumen.
        Gloag, den man wegen seiner Erfahrung zu der Besprechung hinzugezogen hatte, lie? sich vernehmen:»Es gibt Hunderte solcher Dorfer und Siedlungen im Umkreis von funf Meilen, Sir. Die Suche konnte Monate dauern.»
        Hugh Bolitho sagte bitter:»In welcher Frist die Kunde bis zum Admiral vorgedrungen und die Avenger sonstwohin unterwegs ist, zweifellos mit einem neuen Kommandanten.
«De Crespigny nickte.»Hochstwahrscheinlich. Ich diene seit langem in der Armee, bin aber immer wieder erstaunt uber die Entscheidungen meiner Vorgesetzten.»
        Hugh griff nach einem Glas, uberlegte es sich dann jedoch anders.

«Ich habe meinen Bericht fur den Admiral und den obersten Zollbeamten in Penzance fertig. Whiffin, mein Sekretar, macht soeben die erforderlichen Abschriften. An die Verwandten der Gefallenen habe ich geschrieben und den Verkauf ihrer personlichen Habe veranla?t. «Er spreizte die Hande.»Ich we i? nicht, was sonst noch zu tun ware.»
        Richard Bolitho betrachtete ihn interessiert, sah er doch jetzt einen vollig anderen Mann vor sich als den selbstbewu?ten, zeitweilig sogar arroganten Bruder, den er gewohnt war.»Wir mussen das Dorf finden«, sagte er,»und zwar, bevor sie die Musketen und die andere Beute beiseite schaffen. Es mu? doch irgendeinen Anhaltspunkt geben!»
        De Crespigny seufzte.»Ich stimme zu. Aber auch wenn ich jeden Mann und jedes Pferd losschicke - finden wurden sie nichts. Die Diebe ve rschwanden wie die Fuchse in ihrem Bau, und Sir Henry kame dahinter, da? wir auf seiner Spur sind. Die
>Gefangen-nahme< des Strandraubers und der gut arrangierte Austausch waren meisterhafte Schachzuge. Sie wurden jedes Gericht uberzeugen, vor allem in Cornwall.»
        Dancer rief aus:»Sir Henry hat doch gesagt, er kenne den
        Gefangenen und wurde ihn fruher oder spater bestimmt wieder einfangen.»
        De Crespigny schuttelte den Kopf.»Wenn Sie in bezug auf Sir Henry recht behalten, hat er den Mann langst umgebracht oder so weit weggeschickt, da? er keinen Schaden mehr anrichten kann. «Aber nun fuhr Hugh Bolitho auf:»Nein! Mr. Dancer hat heute die einzige Bemerkung gemacht, die Hand und Fu? hat. «Er blickte sich in der Kabine um, als suche er einen Ausweg.»Vyvyan ist zu schlau und zu skrupellos, um eine Spur zu legen, deren Unechtheit nachgewiesen werden konnte. Wenn wir herausfinden, wer der Mann war und wo er herkam, konnte uns das vielleicht weiterfuhren!«Er schien zu neuem Leben zu erwachen.»Es ist jedenfalls alles, was wir in der Hand haben. «Gloag nickte zustimmend.»Ich wette, er stammt von einem der Hofe, die Sir Henry gehoren.»
        Bolitho spurte formlich das Aufflackern von Hoffnung in der Kabine. Zwar war sie schwach, aber doch starker als noch vor wenigen Augenblicken.
        Hugh sagte lebhaft:»Ich schicke jemanden nach Hause. Wir mussen Hardy fragen, der hat fur Vyvyan gearbeitet, bevor er zu uns kam.»
        De Crespigny starrte ihn an.»Ihr Obergartner? Seine Aussage wurde ich nicht ins Treffen fuhren, wenn fur mich so viel auf dem Spiel stunde.»
        Hugh lachelte.»Mit Verlaub, Sir, es ist meine Karriere, die auf dem Spiel steht, und der gute Name meiner Familie. «Die Avenger schwoite lassig an ihrer Ankertrosse, als wolle sie ihren Eifer bekunden, wieder auszulaufen und ihren Teil zum Erfolg beizutragen.
        Richard Bolitho fragte:»Nun, sollen wir es versuchen?«Er kannte Bill Hardy als einen alten Mann, dessen Tastsinn ihm mehr uber die seiner Obhut anvertrauten Pflanzen und Blumen vermittelte als sein nur noch schwaches Augenlicht. Aber er hatte sein ganzes Leben in einem Umkreis von zehn Quadratmeilen rund um Falmouth zugebracht und wu?te eine ganze Menge uber die Menschen. Allerdings war er schweigsam und behielt sein Wissen fur sich. Bolitho vermutete, da? sein Vater ihn eingestellt hatte, weil er ihm leid tat.
        Hugh sagte:»Sobald wir konnen, aber vorsichtig. Sie schon jetzt zu alarmieren, ware eine Katastrophe.»
        Uberraschenderweise gestattete er seinem Bruder und Dancer, mit diesem Auftrag nach Hause zuruckzukehren. Ob aus dem Grunde, weil diese beiden wenig Aufsehen erregen wurden, oder weil er furchtete, da? sein Temperament mit ihm durchgehen konnte, vermochte Bolitho nicht zu entscheiden.
        Als sie uber den mit Kopfsteinen gepflasterten Platz eilten, sagte Dancer noch etwas atemlos:»Allmahlich fange ich an, mich wieder frei zu fuhlen! Was auch kommen mag, ich bin dafur gewappnet!»
        Bolitho musterte ihn lachelnd. Sie hatten sich auf das gemeinsame Weihnachten und auf eins von Mrs. Tremaynes phantastischen Festessen gefreut. Aber nun sah die unmittelbare Zukunft genauso grau aus wie das trube Wetter und keineswegs mehr so ermutigend, wie sie ihnen in der Kabine der Avenger erschienen war. Anstatt des erhofften, uppig gedeckten Tisches von Mrs. Tremayne wurden sie wohl demnachst eher den Amtstisch eines Untersuchungsrichters vor sich haben. Bolitho fand seine Mutter in der Bibliothek, wo sie einen Brief schrieb, einen der vielen an ihren Mann. Es mu?ten wohl jeweils mehr als ein Dutzend unterwegs sein oder in der Obhut irgendeines Hafenkommandanten auf die Ankunft seines Schiffes warten.
        Sie horte sich an, was sie beabsichtigten, und erklarte sofort:»Ich werde mit ihm sprechen.»
        Bolitho protestierte.»Hugh sagt, du sollst dich aus allem heraushalten. Keiner von uns mochte, da? du in diese Angelegenheit hineingezogen wirst.»
        Sie lachelte.»Ich wurde bereits hineingezogen, als ich euren Vater heiratete. «Sie band sich einen Schal um und fugte ruhig hinzu:»Der alte Hardy sollte in die Strafkolonien abtransportiert werden, weil er Fisch und andere Lebensmittel fur seine Familie gestohlen hatte. Es war ein schlechtes Jahr mit magerer Ernte und vielen Krankheiten. Allein in Falmouth starben mehr als funfzig Menschen am Fieber. Der alte Hardy verlor spater Frau und Kind. Sein Opfer - denn er war ein stolzer Mann - war umsonst gewesen.»
        Bolitho nickte. Sir Henry Vyvyan hatte Hardy retten konnen, aber er hatte den Fehler begangen, von ihm zu stehlen. Die Angelegenheit eroffnete Bolitho einen weiteren Einblick in das Wesen seines Vaters: der strenge, disziplinierte Kapitan, der seiner Frau zuliebe mit dem kurzsichtigen Gartner Mitleid hatte und ihn nach Falmouth holte.
        Dancer nahm Platz und blickte ins Kaminfeuer.»Deine Mutter setzt mich immer wieder in Erstaunen, Dick. Ich habe das Gefuhl, sie besser zu kennen als meine eigene.
«Nach einer Viertelstunde erschien sie wieder und setzte sich an den Schreibtisch, als sei nichts gewesen.

«Der Zeuge hei?t Blount, Arthur Blount. Er hatte schon fruher Schwierigkeiten mit dem Zoll, aber jetzt wurde er zum erstenmal gefa?t. Er war niemals lange an einem Arbeitsplatz, meist befa?te er sich dort nur mit kleineren Ausbesserungsarbeiten auf den Farmen.»
        Bolitho dachte an den toten Portlock. Wie Blount war auch dieser ein unsteter Mann ohne feste Arbeit gewesen und hatte alles angenommen, was er kriegen konnte.
        Mrs. Bolitho fuhr fort:»Ich rate euch, an Bord zuruckzukehren, ich schicke dann Nachricht, wenn ich etwas hore. «Damit legte sie ihrem Sohn die Hand auf die Schulter, blickte ihm in die Augen und sagte:»Aber seid vorsichtig. Vyvyan ist ein machtiger Mann. Wurde ein anderer als Martyn diese Vorwurfe erheben, ich hatte ihm nie geglaubt. «Sie lachelte dem blonden Fahnrich traurig zu.»Aber jetzt, da ich es auf diese Weise erfahren habe, bin ich uberrascht, da? ich nicht schon fruher darauf gekommen bin. Sir Henry hat Verbindungen nach Amerika und hegt wohl auch ehrgeizige Plane druben. Gewalt war von jeher seine Lebensweise, warum sollte er sich jetzt geandert haben? Aber es bedurfte eines Ortsfremden wie Martyn, ihn zu entlarven.»
        Die Fahnriche gingen an Bord zuruck. Der Wind hatte aufgefrischt, und sie stellten fest, da? mehrere der kleineren Fischerboote bereits in den Schutz der Bucht zuruckgekehrt waren.
        Hugh horte sich die Geschichte von Blount an und sagte:»Ich habe die Nase voll vom Warten, aber es bleibt uns diesmal keine andere Wahl.»
        Spater, als es dunkel war und die Reede voller wei?er Schaumkronen, horte Bolitho, da? die Deckswache ein sich naherndes Boot anrief.
        Dancer, im Augenblick wachhabender Offizier, kam den Niedergang heruntergepoltert und stie? mit dem Kopf gegen einen Decksbalken, anscheinend ohne es zu spuren. Er rief aufgeregt:»Es ist deine Mutter, Dick!«Dem Kommandanten meldete er in formlichem Ton:»Mrs. Bolitho, Sir. «Sie betrat die Kabine; ihr Umhang und Haar glitzerten von den Gischtspritzern, was sie noch junger erscheinen lie?. Sie setzte sich und berichtete:»Der alte Hardy kennt den Weiler, und ich selbst sollte ihn auch kennen. Ihr erinnert euch, da? ich von dem schrecklichen Fieber erzahlt habe? Damals ging ein Gerucht um, es sei die Strafe fur irgendeine Hexerei, die sich in der kleinen Siedlung sudlich von hier zugetragen haben sollte. Eine wutende Menschenmenge zerrte zwei arme Frauen aus ihren Hutten und verbrannte sie als Hexen. Es war der Wind oder die in der Trunkenheit au?er Rand und Band geratene Menge, niemand wei? genau, wer schuld hatte, jedenfalls erfa?ten die Flammen der beiden Scheiterhaufen die Hutten, und bald war der ganze
        Weiler eine einzige Feuersbrunst. Als das Militar anruckte, war alles schon voruber. Die meisten Bewohner glaubten, da? die Zerstorung ihrer Hauser ubernaturliche Rache gewesen sei, eine Bestrafung fur das, was sie zwei Hexen angetan hatten. «Sie frostelte.»Es war naturlich toricht, aber einfaches Volk lebt nach einfachen Gesetzen.»
        Hugh stie? horbar den Atem aus.»Aber Blount glaubte nicht an diesen Zauber und lie? sich dort nieder. Andere gesellten sich dann zu ihm und teilten seine Freistatte. «Er blickte Dancer an und rief:»Mein Sekretar soll kommen!«Zu den anderen sagte er:»Ich schreibe De Crespigny eine Nachricht. Wir mussen moglicherweise ein gro?es Gebiet durchsuchen. «Dancer starrte ihn an.»Wollen wir hin?«Hugh lachelte grimmig.»Aye. Wenn es eine falsche Spur ist, dann wei? ich es wenigstens vor Vyvyan. Wenn es aber stimmt, mochte ich beim Fangschu? dabei sein! Er dampfte die Stimme und sagte zu seiner Mutter:»Du hattest nicht selbst kommen sollen. Du hast schon genug getan.»
        Whiffin trat gebuckt durch die Tur und starrte die Frau an, als traue er seinen Augen nicht.

«Einen Brief an den Kommandanten in Truro, Whiffin. Dann brauchen wir Pferde und ein paar gute Leute, die sowohl reiten als auch kampfen konnen.»

«Ich habe zum Teil schon vorgesorgt, Hugh. «Seine Mutter beobachtete amusiert sein Erstaunen.»Pferde und drei von unseren eigenen Leuten warten am Anlegesteg. «Gloag meinte besorgt:»Gott segne Sie, Madam, aber ich habe nicht mehr im Sattel gesessen, seit ich ein kleiner Junge war. «Hugh schnallte bereits seinen Degen um. Sie bleiben hier. Das ist eine Arbeit fur junge Leute. «In einer halben Stunde hatte sich die kleine Gruppe auf dem Steg versammelt: drei Landarbeiter, Hugh und seine beiden Fahnriche und sechs Seeleute, die geschworen hatten, sie konnten so gut reiten wie jeder feine Herr. Zu den letzteren gehorte auch der findige Robins.
        Hugh Bolitho musterte sie durch den immer heftiger werdenden Regen.

«Fertig, Leute! Bleibt dicht zusammen!«Er wandte sich um, als ein weiterer Reiter in der Dunkelheit davongaloppierte, der den Brief zu Oberst de Crespigny bringen sollte.

«Und wenn wir diese Teufel finden, mochte ich kein Rachegemetzel erleben. Gerechtigkeit ist es, was wir jetzt brauchen. «Er wendete sein Pferd auf den nassen Pflastersteinen.»Los!»
        Au?erhalb der Stadt mu?ten sie wegen des dichten Regens und des schlechten Stra?enzustands die Gangart der Pferde verlangsamen. Nach kurzer Zeit stie? ein einsamer Reiter zu ihnen, der eine lange Muskete quer vor sich uber dem Sattel hielt. Er sah aus wie das Bild eines alten Kriegers.»Hier entlang, Mr. Hugh, Sir! Es war Pendrith, der Jagdaufseher.»Ich habe von Ihrem Plan Wind bekommen, Sir. «Es klang, als grinste er.»Dachte, Sie konnten einen alten Waldlaufer dabei gebrauchen.»
        Schweigend ritten sie weiter, nichts war zu horen als das Trommeln der Hufe auf dem nassen Boden, das Keuchen von Mensch und Tier und das gelegentliche Klirren eines Steigbugels oder Entermessers.
        Bolitho dachte an seinen Ritt mit Dancer, als sie zu dem schwach-sinnigen Jungen in der kleinen Bucht geritten waren, wo Tom Morgans Leichnam lag. War es erst wenige Tage her? Es kam ihm vor, als seien es Monate gewesen. Als sie naher an das abgebrannte Dorf kamen, erinnerte sich Bolitho, wie seine Mutter ihn gescholten hatte, weil er als Junge einmal auf einem geliehenen Pony allein dorthin geritten war, nur von einem Hund begleitet. Jetzt hatte sie den Aberglauben als toricht bezeichnet, doch damals hatte sie anders gesprochen. Die Pferde drangten sich zusammen, als Pendrith abstieg und sagte:»Hochstens noch eine halbe Meile, Sir. Es ist wohl besser, von hier aus zu Fu? zu gehen.»
        Hugh sprang aus dem Sattel.»Fesselt die Pferde. Zwei Leute bleiben hier als Wache.
«Er zog die Pistole und wischte mit dem Armel das Regenwasser davon ab.»Fuhren Sie uns, Pendrith! Ich bin mehr auf See zu Hause als im Wald. «Bolitho merkte, da? einige Leute uber diese Bemerkung lachten. Er lernte immer noch dazu.
        Pendrith und ein Knecht fuhrten sie. Es war kein Mond zu sehen, aber eine Lucke im jagenden Gewolk gab kurz den Blick frei auf ein kleines spitzes Dach.
        Bolitho flusterte seinem Freund zu:»Noch heute bauen sie in manchen Dorfern diese kleinen Hexenhauser. Sie sollen am Dorfeingang die bosen Geister vertreiben.
«Dancer bewegte sich unbehaglich in seinen geborgten Sachen und zischte:»Hier haben sie wohl nicht viel Erfolg damit gehabt.»
        Pendriths massige Gestalt kam zu ihnen zuruckgerannt, Bolitho schien es, als werde er von Gespenstern gejagt. Der Jagdaufseher stie? hervor:»Dort brennt irgendein Feuer, Sir, auf der anderen Seite des Dorfes!»
        Er wandte sich wieder um, und jetzt leuchtete sein Gesicht rot auf, als eine gewaltige Feuerzunge himmelwarts stieg und eine Wolke von Funken in die Luft wirbelte.
        Einige der Manner schrien entsetzt auf; selbst Bolitho, der an die alten Hexengeschichten gewohnt war, lief es eiskalt uber den Rucken.
        Hugh brach durch die Busche, alle Vorsicht beiseite lassend, und schrie:»Lebhaft, Jungs, sie haben eine der Hutten in Brand gesetzt!»
        Als sie die Kate erreichten, brannte sie bereits lichterloh. Ein dichter Funkenregen prasselte auf die geblendeten Leute herab und hinderte sie am Naherkommen.

«Mr. Dancer! Nehmen Sie zwei Mann, und gehen Sie auf die Ruckseite!»
        Im Licht der sich rasch ausbreitenden Flammen hoben sich die Gestalten der Seeleute und Landarbeiter klar vom Hintergrund der Baume und Regenschleier ab. Richard Bolitho wickelte sich sein Halstuch um Mund und Nase und trat dann mit voller Wucht gegen die Tur. In diesem Augenblick sturzte polternd das strohgedeckte Dach ein, so da? Funken seine Beine versengten. Pendrith brullte: Zuruck, Master Richard! Es ist zwecklos!«Bolitho wandte sich ab und sah seinen Bruder in die Flammen starren, unempfindlich gegen Hitze und Funken. Im selben Augenblick wurde ihm alles klar. Hugh sah mit der Hutte all seine Hoffnungen, seine ganze Zukunft in Flammen aufgehen. Die Hutte mu?te angezundet worden sein, denn kein normales Feuer hatte sich bei diesem starken Regen so rasch ausbreiten konnen. Rasch fa?te er einen Entschlu?. Er warf sich nochmals mit ganzer Kraft gegen die Tur, von dem eisernen Willen getrieben, noch rechtzeitig in die Hutte zu gelangen.
        Die Tur gab nach und sturzte wie eine verkohlte Zugbrucke nach innen, und als der Rauch sich hob, sah er den sich windenden Korper eines Mannes zwischen brennenden Mobeln und gluhenden Dachsparren am Boden liegen. Blitzartig registrierte er diese Einzelheiten, wahrend er hineinrannte, sich uber den Liegenden beugte und ihn an den Schultern zur Tur zerrte. Der Mann war an Handen und Fu?en gefesselt und half verzweifelt mit den Beinen nach. Uber dem Knebel quollen seine in Todesangst geweiteten Augen hervor. Der Gestank verbrannten Fleisches und der Gedanke an die ungeheure Grausamkeit, mit der ein Mensch hier bei lebendigem Leibe hatte verbrannt werden sollen, verursachten Bolitho Ubelkeit.
        Schreie drangen durch das Brausen der Flammen an sein Ohr wie das Kreischen sterbender Hexen, die einen letzten Fluch ausstie?en.
        Nun griffen andere zu und zerrten Bolitho samt seiner Last ins Freie, in den herrlichen, kuhlenden Regen. Dancer kam durch den Feuerschein gerannt und schrie aufgeregt:»Das ist das Dorf, Dick! Ich bin ganz sicher! Diese Hutten wand…«Er brach ab und starrte auf den halb verbrannten Mann am Boden, der offensichtlich mit dem Tode rang. Pendrith kniete in Schlamm und Funkenflug neben ihm und fragte heiser:»Wer hat dir das angetan?»
        Der Mann, in dem Pendrith bereits den vermi?ten Blount erkannt hatte, keuchte:»Sie haben mich gefesselt, damit ich verbrenne!«Er krummte sich vor Schmerzen, die Zahne im Todeskampf entblo?t.»Sie wollten mir nicht glauben!«Er schien erst jetzt zu merken, da? ihn Seeleute umstanden, und fugte mit brechender Stimme hinzu:»Nach allem, was ich fur ihn getan habe!«Hugh beugte sich uber ihn, das Gesicht wie zu Stein erstarrt, und drangte:»Wer? Wer hat es getan, Blount? Wir mussen es wissen! Er versteifte sich, als eine der geschwarzten Hande des Verbrannten nach seinen wei?en Aufschlagen griff.»Du stirbst! Sag's uns, bevor es zu spat ist!»
        Der Kopf des Mannes sank zur Seite; Bolitho konnte fast fuhlen, wie seine Schmerzen beim Nahen des erlosenden Todes verebbten.

«Vyvyan!«Noch einen Augenblick gaben ihm Ha? oder Lebenswille Kraft. Blount schrie den Namen: «Vyvyan!«Hugh Bolitho stand auf und nahm den Hut ab, stand entblo?ten Hauptes, als sollte der Regen wegwaschen, was er gesehen hatte. Robins flusterte: Dieser Schrei hat ihm den Rest gegeben, Sir. «Hugh wandte sich ab.»Ihm und manchen anderen. «Als Richard Bolitho sich zum Gehen anschickte, sah er den Fleck an seines Bruders wei?em Aufschlag, den der sterbende Blount hinterlassen hatte. Im flackernden Licht der Flammen kam er ihm vor wie ein Abdruck der Klaue Satans.



        X Feuer frei!

        Bolitho und Dancer richteten ihre Glaser auf die Anlegebrucke und beobachteten die plotzliche Aktivitat bei der Jollenbesatzung, die dort seit mehr als einer Stunde wartete.»Bald werden wir es. wissen, Dick. «Dancers Stimme klang nervos.
        Bolitho senkte sein Teleskop und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Er war klatschna?, aber genau wie Dancer und die meisten Besatzungsmitglieder der Avenger hatte er keine Ruhe gefunden und erwartete ungeduldig seines Bruders Ruckkehr.
        Das erste Entsetzen nach dem Auffinden des Mannes, der Vyvyans Beteiligung bei all diesen Verbrechen bestatigte, war schon abgeklungen. Colonel de Crespigny war selbst mit einem Dragonertrupp nach Vyvyan Manor geritten, mu?te sich dort aber sagen lassen, da? Sir Henry in einer wichtigen Angelegenheit das Haus verlassen habe und man weder wisse, wohin er gefahren sei, noch wann er zuruckkomme. Als der Butler des Obersten Unsicherheit spurte, hatte er noch kuhl hinzugefugt, Sir Henry habe nichts hinterlassen, denn er sei es nicht gewohnt, da? sich das Militar fur seine Schritte interessiere. Von dieser Seite war also keinerlei Schuldnachweis moglich. Au?er der letzten, verzweifelten Anklage eines Sterbenden hatten sie nichts, aber auch gar nichts in der Hand. Man hatte in Vyvyan Manor weder gestohlene Ladung noch Gewehre oder Branntwein gefunden, lediglich zahlreiche Abdrucke im Boden, die auf die kurzliche Anwesenheit vieler Menschen hinwiesen. Huf- und Radspuren sowie Schleifspuren von Fassern und Kisten zeigten deutlich, da? eine Menge der verschiedenartigsten Guter in gro?er Eile
beiseitegeschafft worden waren. Aber auch diese Spuren wurden vom anhaltenden Regen bald weggewaschen werden. Auf keinen Fall konnten sie als Beweise dienen. Dancer bemerkte leise:» Morgen ist Weihnachten, Dick. Diesmal wird es vielleicht kein frohliches Fest werden. «Bolitho sah ihn dankbar an. Dancer war vermutlich der einzige, dem die Untersuchungsverhandlung bis auf eine kurze Zeugenaussage erspart bleiben wurde. Seine eigene Rolle, ganz zu schweigen von der Bedeutung seines Vaters in der City von London, wurden dafur sorgen. Trotzdem fuhlte er sich genauso betroffen wie die Bruder Bolitho, die ihn in die ganze Angelegenheit hineingezogen hatten.
        Der Bootsmaat der Wache rief:»Kommandantenboot hat abgelegt, Sir!»

«Gut. Rufen Sie die Fallreepsgaste, und machen Sie alles klar zu seinem Empfang.»
        Vielleicht ist es das letzte Mal, da? Hugh als Kommandant empfangen wird, dachte Bolitho. Hugh kletterte an Bord und beruhrte gru?end seinen Hut.»Rufen Sie alle Mann an Deck, und setzen Sie die Boote ein. «Er warf einen Blick auf den lustlos schlagenden Toppwimpel.»Wir laufen sofort aus. «Nun sah er zum erstenmal die beiden Fahnriche an und fugte bitter hinzu:»Ich bin froh, wenn ich drau?en auf See bin, Heimat oder nicht. «Bolitho erstarrte. Somit gab es also keine Hoffnung mehr, keinen Aufschub.
        Als Dancer und der Maat nach vorn eilten, sagte Hugh in etwas ruhigerem Ton:»Ich habe Befehl, sofort nach Plymouth zu segeln. Die Besatzungsmitglieder, die ich an Bord der Prise geschickt hatte, warten bereits dort, somit wirst du als mein Stellvertreter nicht mehr langer benotigt.«»Hast du etwas uber Sir Henry Vyvyan gehort?«Sein Bruder zuckte mit den Schultern.»De Crespigny wurde genauso an der Nase herumgefuhrt wie wir alle. Du erinnerst dich an den Goldtransport, zu dessen Geleitschutz die Dragoner aus Bodmin plotzlich auf so geheimnisvolle Weise angefordert wurden? Wir haben inzwischen erfahren, da? es Vyvyans Beutegut war. Wahrend also unsere Leute mit den Zollnern dem brutalen Uberfall seiner Privatarmee ausgesetzt waren, lie? Vyvyan seine Beute kaltlachelnd in Looe an Bord bringen und dabei von denselben Soldaten eskortieren, die jetzt nach ihm suchen! Hugh wandte sich seinem Bruder zu und sah ihn an; sein Gesicht schien gealtert zu sein.»Wahrend er also nach Frankreich entwischt, um dort moglicherweise weitere Waffen fur seine Privatkriege zu kaufen, habe ich die Konsequenzen auszubaden.
Ich habe versucht zu rennen, bevor ich gehen konnte, und dabei wurde ich ubers Ohr gehauen, ohne es zu merken.»

«Und man wei? genau, da? sich Sir Henry schon an Bord befindet?«Bolitho konnte sich den Mann genau vorstellen, noch wahrend er diese Frage aussprach.
        Es wurde ein gro?er Triumph fur Vyvyan werden, der schon ein gefahrliches, aber eintragliches Leben gefuhrt hatte, bevor er nach Cornwall gekommen war. Wenn uber alles Gras gewachsen war, wurde er zuruckkehren, und es war unwahrscheinlich, da? er dann noch immer von den Behorden gesucht wurde. Hugh nickte.»Aye. Das Schiff ist die Virago, eine neue, handliche, ketchgetakelte Schaluppe. Vyvyan ist anscheinend schon seit einem Jahr ihr Eigner. «Er wandte sich brusk ab, das Regenwasser lief ihm unbeachtet ubers Gesicht.»Die Virago kann jetzt schon sonstwo sein. Meine Segelorder vom Admiral in Plymouth sieht vor, da? ein Kriegsschiff zur Untersuchung angefordert werden soll, mehr nicht. «Er schlug resignierend und verzweifelt die Hande zusammen.»Aber die Virago ist schnell und kann bei diesem Wetter jedes andere Fahrzeug ausstechen. «Gloag kam an Deck gepoltert, noch an einem zahen Stuck Salzfleisch kauend.»Sir?»

«Wir wollen gleich auslaufen, Mr. Gloag. Nach Plymouth. «Kein Wunder, da? Hugh hier so rasch wie moglich weg wollte. Gefahr, die von einem Feind drohte oder bei einem Duell, konnte ihn nicht erschuttern, sie ertrug er leicht; Verachtung und Hohn dagegen nicht.
        Bolitho beobachtete das Einschwingen der tropfenden Boote, die nassen Gestalten der arbeitenden Seeleute schimmerten in dem heftigen Regen wie Metall.
        Nach Plymouth und vor ein Untersuchungsgericht! Keine angenehme Art und Weise, das Jahr zu beenden. Er dachte an die greifbare Nahe des Erfolges, an die Gefuhllosigkeit, mit der Vyvyan die Plunderung der gestrandeten Schiffe und den Tod der Besatzungen arrangiert hatte. Er dachte auch an Dancers Gesicht, als die beiden Dragoner ihn ins Haus fuhrten, an die Striemen auf seiner Schulter, an die Drohung seiner Warter, ihm die Augen auszubrennen. Die ganze Zeit uber waren sie dicht vorm Ziel gewe sen, aber nun war alles umsonst gewesen, und sie rannten wieder gegen Mauern an. Hugh sagte:»Ich gehe nach unten. La? mich rufen, wenn der Anker kurzstag ist.»
        Sein Kopf war schon fast im Niedergang verschwunden, als Bolitho ihn noch einmal anhielt.»Was ist?«Bolitho erklarte leise:»Ich habe noch einmal uberlegt, was wir erreicht haben, was wir wirklich wissen. «Er sah, wie sich seines Bruders Zuge glatteten, und fuhr eilig fort:»Nein, ich sage das nicht, um dir die bittere Pille zu versu?en. Aber was ware, wenn all die anderen unrecht hatten, de Crespigny, der Hafenkommandant, alle?»
        Hugh stieg die Niedergangstreppe langsam wieder nach oben, die Augen fest auf seinen Bruder gerichtet.»Sprich weiter.»

«Vielleicht haben wir Sir Henrys Selbstsicherheit uberschatzt. Oder vielleicht hatte er schon langer vor, England zu verlassen?«Er sah das Begreifen auf seines Bruders Gesicht und fuhr rasch fort:»Dann wurde er sicherlich nicht nach Frankreich segeln!«Hugh stieg uber den Lukensull und blickte uber den dunklen Hafen, die wei?en Schaumkronen, zu den glitzernden Lichtern der Stadt.

«Nach Amerika?«Er packte des Bruders Schulter, bis dieser sich ihm entwand.»Bei Gott, du magst recht haben! Moglicherweise segelt die Vigaro in diesem Augenblick kanalabwarts, mit keinem Hindernis zwischen sich und dem Atlantik als - «, er blickte uber sein stabiles, breites Schiff -,»meiner Avenger!«Bolitho tat beinahe leid, was er gesagt hatte. Vielleicht war es wieder nur eine falsche Hoffnung? Ein weiterer Stachel, um den Admiral noch mehr zu verargern und das Kriegsgericht wegen Unbotma?igkeit zu beschleunigen?
        Gloag beobachtete ihn gespannt.»Es steht grobe See drau?en, Sir, auch wird es Nebel geben, wenn der Regen aufhort.«»Was wollen Sie, Mr. Gloag? Da? ich jetzt aufgebe? Meinen
        Mi?erfolg eingestehe?»
        Gloag strahlte. Er hatte erreicht, was er wollte, und war zufrieden.

«Ich schlage vor, da? Sie ihn verfolgen, Sir. Bringen Sie diesen Satan zuruck zum Henker.»
        Wie um die letzten Zweifel zu zerstreuen, kam vom Bug der Ruf:»Anker ist kurzstag, Sir!»
        Hugh Bolitho bi? sich auf die Lippen. Er berechnete seine Chancen, sein Blick glitt vom Mann am Ruder zu den Leuten an den Brassen und Fallen, von seinem grauaugigen Bruder zu Gloag, Pyke und den anderen.
        Dann nickte er.»Los, Mr. Gloag! Laufen Sie aus und setzen Sie einen Kurs ab, der so dicht wie moglich unter Land fuhrt. «Dancer blickte Bolitho an und grinste schief. Weihnachten war nur noch ein schoner Traum.
        Bolitho wartete darauf, da? die Avenger eine ihrer taumelnden Talfahrten beende, und uberquerte dann schnell das Deck, um einen Blick auf den Kompa? zu werfen. Der starke Seegang war ermudend. Jede von achtern auflaufende See hob das kurze und gedrungene Schiff in die Hohe und lie? es sogleich ins nachste Wellental knallen, und dies seit nahezu zwolf Stunden. Die Zeit war ihnen jedoch weitaus langer erschienen. Einer der Ruderganger sagte mude:»West zu Nord, Sir. «Wie sie alle, wirkte auch er erschopft und entmutigt. Sieben Glas ertonten von der Back. Bolitho ging rasch zur Luvreling und hielt sich dort fest, bevor der Kutter wieder eine seiner verruckten Schlingerbewegungen machte. In einer halben Stunde wurde es Mittag sein, Mittag des Weihnachtstages. Aber dieser Tag bedeutete eine Menge mehr fur seinen Bruder, ja vielleicht fur sie alle. Moglicherweise war es nur eine torichte Geste gewesen, ein letzter, verzweifelter Versuch, das Geschick zu wenden. Sie hatten nichts gesichtet, nicht einmal einen ubereifrigen Fischer, was allerdings am heutigen Tag auch kein Wunder war, dachte Bolitho
verbittert.
        Er schielte durch den Regen, sein Magen rebellierte gegen die gro?zugige Rumration, die heute verteilt worden war. Das haufige Segeltrimmen und Uberstaggehen hatten keine Moglichkeit gelassen, in der Kombuse Feuer zu machen und etwas Warmes zu kochen. Bolitho hatte beschlossen, nie wieder Rum zu trinken, wenn er es vermeiden konnte. Gloag hatte recht gehabt mit seiner Wettervorhersage, wie meistens. Der Regen fiel gleichma?ig stark und schnitt wie Eisnadeln in Gesicht und Hande. Als er schlie?lich doch etwas nachlie?, kam ein seltsamer Dunst auf, der Himmel und See zu einem verschwommenen, grauen Vorhang verschmolz.
        Bolitho malte sich seine Mutter bei den Weihnachtsvorbereitungen aus. Die ublichen Besucher von den Hofen und Hausern der Umgebung waren jetzt sicherlich schon da. Man wurde Vyvyans Abwesenheit bemerken. Alle wurden Harriet Bolitho beobachten, ihr Fragen stellen…
        Er straffte sich, als er seinen Bruder wieder an Deck kommen horte. Seit sie Falmouth verlassen hatten, war er kaum mehr als eine halbe Stunde unter Deck gewesen.
        Bolitho beruhrte gru?end seinen salzverkrusteten Hut.»Wind stetig, noch immer sudlich, Sir.»
        Er hatte wahrend der Nacht ruckgedreht und kam nun nahezu von Backbord querab, das pralle Gro?segel krangte die Avenger bis zu den Leespeigatten.
        Gloags unformige Gestalt loste sich von der Leereling, und er murmelte:»Wenn er auffrischt oder schralt, mussen wir wohl uber Stag gehen. «Seine Stimme klang unwillig, als wolle er vermeiden, zu den Sorgen seines Kommandanten noch beizutragen, doch er wu?te, da? er Verantwortung fur alle trug. Bolitho beobachtete, wie sich Unentschlossenheit und Halsstarrigkeit in seinem Bruder einen erbitterten Kampf lieferten, was auf seinen vom Wind geroteten Gesicht deutlich zum Ausdruck kam. Der Kutter stand jetzt etwa zehn Seemeilen sudlich des gefurchteten Kap Lizard, und wie Gloag gesagt hatte, befanden sie sich bei aufkommendem Sturm zu dicht unter der Leekuste. Das konnte unangenehm werden und war nur dann zu vermeiden, wenn sie rechtzeitig uber Stag gingen. Hugh Bolitho trat an die Luvreling und starrte in den peitschenden Regen.
        Mehr zu sich selbst als zu den anderen sagte er:»Die verdammten Schufte! Jetzt haben sie mich endgultig erledigt. «Das Deck hob sich und glitt wieder nach unten. Die Leute fielen in nassen Bundeln durcheinander und fluchten trotz der drohenden Blicke ihrer Unteroffiziere. Bald mu?ten sie umkehren, sie waren ohnehin schon zu spat daran, um des Admirals Befehl punktlich zu befolgen. Wenn Hugh die Umkehr noch weiter verzogerte, konnte der Wind ihm einen letzten ublen Streich spielen und ganz drehen, so da? sie zuruck kreuzen mu?ten.
        Er blickte seinen jungeren Bruder an und lachelte finster.»Du denkst zu viel, Richard, man sieht es dir an. «Bolitho versuchte, es mit einem Achselzucken abzutun.»Die Suchaktion war schlie?lich mein Vorschlag. Ich dachte nur.«»Mach dir keinen Vorwurf, es ist ohnehin beinahe voruber. Zu Mittag werden wir umkehren. Im ubrigen war es eine gute Idee. An jedem anderen Tag des Jahres wurde hier im Kanal das ubliche Gewimmel von Schiffen herrschen, dann ware er so wenig zu finden gewesen wie eine Nadel im Heuhaufen. Aber am Weihnachtstag?«Er seufzte.»Wenn das Schicksal es ein bi?chen besser gemeint und wir wenigstens gute Sicht gehabt hatten, wer wei??«Lustlos fugte er hinzu:»Wir sollten besser noch einmal die Segel uberprufen, fur den Fall einer plotzlichen Wetterverschlechterung. «Es war seine Pflicht, sich um Schiff und Segel zu kummern, aber an seiner Stimme konnte man erkennen, da? er in Gedanken weit weg war, noch immer nach seinem Feinde suchte. Enter auf und uberpruf die Leesegelbaume, dann sag Mr. Pyke, da? wir bald reffen mussen. «Er blickte zu dem prall gefullten Toppsegel auf, zu den
vibrierenden Wanten und Stagen, die mit zornigem Brummen auf den Ansturm des Windes reagierten.
        Dancer war ebenfalls an Deck gekommen, er wirkte bla? und zerzaust.»Ich gehe nach oben, Sir!»
        Hugh lachelte mude.»Immer noch diese Hohenangst, Richard?«Die Bruder blickten sich an, und Dancer, der nur den einen von ihnen genauer kannte, hatte das Gefuhl, da? die beiden sich jetzt naher waren als seit langem.
        Wahrend Dancer im Luvwant auf enterte, sagte Bolitho:»Ich bin froh, da? du mich auf die Avenger geholt hast. «Dann wandte er sich ab, verwirrt daruber, da? es so schwierig war, etwas Derartiges auszusprechen.
        Hugh nickte langsam.»Auf der alten Gorgon beneiden sie euch wahrscheinlich und stellen sich vor, da? ihr vergnugt an einer reichgedeckten Tafel sitzt. Wenn sie wu?ten. «Er blickte auf, offensichtlich erregt, als Dancer von oben rief:»An Deck! Segel in Luv Voraus!»
        Noch wahrend sein Schrei verhallte, erklangen von der Back acht Glasen. Sie waren also die ganze Zeit hinter dem anderen Schiff hergefahren, ohne es zu sehen. Es konnte nur die Virago sein, mu?te sie sein. Noch ein paar Minuten, und die Avenger hatte abgedreht und ihrem Gegner erlaubt, fur immer zu verschwinden. Pyke und Truscott, der Stuckmeister, kamen nach achtern gerannt, das Haar na? vom Spritzwasser, ihre Gestalten in so schragem Winkel zum Deck, da? sie wie betrunken wirkten. Pyke rief:»Ich gehe nach oben, Sir, um festzustellen, ob sie es ist!«Er fletschte die Zahne, als wolle er zeigen, da? dies seine personliche Angelegenheit sei, die er mit keinem anderen teilen wollte.
        Hugh Bolitho reichte seinen Hut einem der Seeleute und knurrte:»Nein, ich gehe selbst.»
        Schweigend warteten sie. Ware Dancer nicht aufgeentert, so waren sie jetzt nach Plymouth gesegelt, ohne etwas von der
        Anwesenheit der Virago zu ahnen. Hugh Bolitho stieg mit Rockscho?en, die wie ein Doppelwimpel um seine wei?e Kniehose wehten, rasch nach oben. Er hielt nur einmal kurz an, als er den Fahnrich passierte, und enterte dann weiter auf, bis er fast in Regen und Dunst verschwand. Als er die Toppsegelrah erreicht hatte, blieb er stehen, die Arme um den wild vibrierenden Mast geschlungen, und hielt Ausschau. Nach zwei Minuten war er wieder unten an Deck und erklarte mit ausdruckslosem Gesicht:»Es ist die Virago, daran besteht kein Zweifel. Zwei Masten, ketchgetakelt, unter Vollzeug. «Lediglich seine Augen zeigten Leben, sie gluhten wie feurige Kohlen, als er jetzt seine Gedanken aussprach.»Sie hat naturlich den Windvorteil, aber das macht nichts. «Er trat an den Kompa?, dann musterte er sorgfaltig jedes Segel.»Setzen Sie den Kluver, Mr. Pyke, danach schicken Sie die Leute nach oben und lassen die Leesegelbaume ausbringen. Mit den Leesegeln konnen wir sogar diese Schaluppe aussegeln. «Seine Augen blitzten, als er scharf hinzufugte:»Oder ich ziehe jemandem das Fell uber die Ohren!«Dancer wurde wieder an
Deck beordert und ein erfahrener Seemann nach oben geschickt, um seinen Platz einzunehmen. Als Dancer na? und atemlos an Deck erschien, rief er aus:»Das Gluck hat sich gewendet, Sir!»
        Hugh Bolitho bi? die Zahne zusammen.»Wir brauchen heute vor allem Geschicklichkeit und Konnen, Mr. Dancer. Aber ich garantiere Ihnen, auch das Gluck werde ich nicht mehr aus den Handen lassen!»
        Die Avenger reagierte sofort auf den vermehrten Segeldruck. Wie riesige, abstehende Ohren ragten die Leesegel auf beiden Seiten weit uber die Bordwand hinaus, und die gewaltige Segelpyramide donnerte unter dem ungeheuren Winddruck. Stampfend erkampfte sich der Kutter seinen Weg durch Brecher und Wellentaler.
        Fur Bolitho war es ein seltsames Gefuhl, beinahe furchterregend. Aber Mast, Rahen und Tauwerk hielten dem Druck stand. Die See scho? in breiten Bahnen uber die Luvreling, aber noch war die Virago von Deck aus nicht zu erkennen; nach Dancers Beschreibung war auch aus dem Mast nicht viel von ihr zu sehen. Ihr Rumpf war durch Gischt und Dunst verdeckt, wahrend ihre Segel wie korperlose Flossen in der Luft schwebten, nur fur einen scharfaugigen Ausguck zu entdecken.
        Bolitho hielt es fur unwahrscheinlich, da? Vyvyan oder sein Kapitan uberhaupt an die Moglichkeit dachten, da? sie verfolgt wurden, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Vyvyan wu?te wahrscheinlich mehr uber die ortlichen Schiffsbewegungen als sogar die Admiralitat. Sicher malte er sich aus, da? die Avenger gemutlich im Hafen lage, oder da? ihr Kommandant bereits mit ihr auf dem Weg nach Plymouth sei, zu seinem wutschnaubenden Admiral.
        Wahrscheinlich feierten sie jetzt dort vorn auf der Virago Weihnachten, den Sieg uber des Konigs Autoritat und den Gewinn der ungeheuren Beute, von deren Ausma?en Bolitho sich nicht einmal eine Vorstellung machen konnte. Warum auch sollten sie nicht feiern? Vyvyan hatte all seine Schachzuge gewonnen. Jetzt umschiffte er gerade das gefahrliche Kap Lizard, kam bald frei von den Scilly-Inseln und konnte dann in der unerme?lichen Weite des Atlantik verschwinden. Bolitho horte Truscott fragen:»Was fur eine Bestuckung wird sie wohl haben, Sir?»
        Hugh Bolithos Antwort klang abwesend. Er prufte nochmals kritisch die Segelstellung, suchte nach einem moglichen Schwachpunkt.

«Normalerweise dieselbe wie wir. Ich furchte aber, Sir Henry Vyvyan wird noch ein paar Uberraschungen fur uns bereithalten, also seien Sie auf der Hut, Mr. Truscott. Ich mochte nicht, da? Sie blindlings darauflos schie?en. Jeder Schu? mu? sitzen!«Sein Ton wurde harter.»Dies ist kein gewohnlicher Kampf, sondern eine Ehrensache.»
        Bolitho horte seine Worte. Sie klangen, als ginge es wieder in ein Duell, als ware es eine Angelegenheit, die nur auf diese Weise zu bereinigen war. Vielleicht hatte er diesmal recht damit. Gloag rief:»Der Regen zieht ab, Sir!»
        Der Unterschied war noch kaum festzustellen, dachte Bolitho. Es hing nur mehr Gischt in der Luft als Regen. Da die Pumpen die ganze Zeit uber in Betrieb waren, nahm er an, da? eine ziemlich gro?e Menge Seewasser eingedrungen war. Es herrschte jetzt eine andere Beleuchtung. Die Sonne war es noch nicht, und doch schienen die Wogenkamme heller, die tiefen Wellentaler weniger grau. Der Ruderganger meldete: Westsudwest liegt an, Sir!«Bolitho hielt den Atem an. Trotz der Windstarke hatte Gloag es fertiggebracht, noch drei volle Strich hoherzugehen. Jedes Segel und jede Spier knarrte und zitterte, als tobte schon jetzt eine Schlacht.
        Hugh Bolitho sah das Staunen in seines Bruders Gesicht und nickte ihm kurz zu.

«Wie ich dir sagte, Richard. Sie la?t sich glanzend manovrieren. «Ein Schrei vom Ausguck beendete ihre Unterhaltung.»An Deck! Schiff in Lee voraus!»
        Peploe, der Segelmacher, der mit seinen Maaten Reservetuch auf dem Achterdeck bereithielt fur den Fall, da? eins der Segel aus den Lieken fliegen sollte, blickte Gloag an und grinste:»Wir haben den Schweinehund! Jetzt stehen wir in Luv! Der Ausguck rief:»Sie haben uns gesichtet!«Alle starrten fasziniert auf das andere Schiff, das aus dem weichenden Regen und Dunst wie eine Erscheinung hervortrat. Es zog elegant durchs Wasser, ein langer, wei?er Bart aus Schaum reichte vom Vorsteven bis weit nach achtern. Irgend jemand keuchte erschrocken, als eine Rauchfahne vom Achterdeck der Virago aufstieg. Bevor sie sich verzogen hatte, durchschlug eine Kugel die Takelage der Avenger. Sie ri? gro?e Locher in Gro?segel und Steuerbord-Leesegel.»Bei Gott, der alte Fuchs ist wachsam!«Hugh wandte sich um und folgte mit den Augen dem weiteren Weg der Kugel uber die Wellenkamme.
        Dann trat er an die Leereling und richtete sein Teleskop auf den Gegner.»Laden und Ausfahren! Fur einen Warnschu? besteht kein Anla? mehr. Der ist schon von seiner Seite erfolgt!«Er uberlie? Truscott die kleine Breitseite der Avenger und fugte ruhiger hinzu:»Das war ein beachtliches Kaliber, mindestens Neunpfunder. Moglicherweise hat er die an Bord schaffen lassen, weil er mit so einem Zwischenfall rechnete. «Ein weiterer Knall ertonte, und eine Kugel heulte dicht an der Heckreling vorbei und peitschte eine Wassersaule uber das Achterdeck.
        Hugh sagte argerlich:»Lassen Sie die Flagge setzen. «Der Stuckmeister zeigte klar vom Vordeck:»Alle Geschutze geladen und ausgefahren!«Bei dieser Schlagseite war es leicht, die Sechspfunder an ihre Stuckpforten heranzufahren, weniger leicht jedoch, mit Genauigkeit zu feuern. Die See reichte bis wenige Zoll unterhalb der Pforten, und bei jedem Uberholen wurden die Geschutzbedienungen bis auf die Haut durchna?t. »Klar zum Feuern!»
        Funf teerige Hande hoben sich uber das Schanzkleid, funf zischende Lunten wurden uber den Zundlochern bereitgehalten. Dann kam das Kommando: «Feuer!»
        Die harten, fast gleichzeitig erfolgenden Detonationen lie?en das Deck erzittern und drohnten in den Ohren. Unter Hurrarufen holten die Bedienungsmannschaften ihre Kanonen wieder ein, um sie mit der geringstmoglichen Verzogerung auszuwischen und nachzuladen.
        Uber das schwankende Deck und hinauf in die Takelage schwarmten die Manner wie eine Herde Affen, reparierten oder kappten Tauwerk und holten das getroffene Leesegel ein, das durch den starken Wind bereits vollig zerfetzt war. Ein einziger Treffer hatte genugt, dies alles anzurichten.
        Ein Krachen - der Kutter schwankte heftig. Bolitho begriff, da? eine Kugel den Schiffskorper getroffen hatte, moglicherweise dicht an der Wasserlinie. Er richtete sein Glas auf den Gegner. Sofort erwachten dessen Masten und Rahen zum Leben, und in der Vergro?erung sah er Gestalten an Brassen und Fallen arbeiten, genau wie die Leute der Avenger. Bolitho zuckte zusammen, als die nachste luckenhafte Breitseite aus der Steuerbordbatterie bellte. Er sah aufgepeitschte Wassersaulen rund um das stattliche Heck der Virago aufsteigen, einige auch in deren Kielwasser. Die Geschutze kamen bei der starken Schlagseite nicht richtig zum Tragen. Um den Besatzungen eine bessere Zielchance zu geben, hatte Hugh noch hoher an den Wind gehen mussen. Dies jedoch wurde ihre Fahrt vermindern und den Abstand vergro?ern. Jetzt sah er druben einen kurzen, stechenden Blitz aufzucken und glaubte, etwas Schwarzes zu erkennen, bevor die eiserne Kugel das Schanzkleid durchschlug und wie eine Sage ins Deck schnitt. Manner schrien und duckten sich vor den herumfliegenden Bruchstucken und Splittern. Einer der Ruderganger wurde
jedoch fast in zwei Stucke gerissen, bevor die Kugel durch die andere Bordwand verschwand.
        Stimmen brullten Kommandos, Fu?e glitten in Blut und Seewasser aus, als die Leute den Verwundeten zu Hilfe eilten und die Lucke am Ruder auffullten.
        Die Entfernung zur Virago nahm jetzt deutlich zu, und als Bolitho sein Glas auf deren Achterdeck richtete, sah er dort einen grunen Fleck. Das mu?te Vyvyan in seinem langen, grunen Umhang sein, den er so oft beim Reiten getragen hatte. Gloag rief:»Zwecklos, Sir. Noch mehr davon, und wir verlieren Mast und Spieren!»
        Noch wahrend seiner Worte heulte eine weitere Kugel durch die Takelage. Sie ri? das andere Leesegel samt Baum heraus. In einem Durcheinander von zerfetztem Segeltuch, zersplittertem Holz und zerrissenem Tauwerk sturzte alles auf die Reling und dann uber Bord. Mit Axten und Beilen jagten die Manner herbei, um die Trummer zu kappen, da diese wie Treibanker im Wasser hingen und ihre Fahrt bremsten.
        Hugh Bolitho hatte seinen Degen gezogen und befahl mit fester Stimme:»Mr. Dancer, setzen Sie das Signal: Feind in Sicht!«Dancer, vom Linienschiff her an eiserne Disziplin gewohnt, rannte mit seinen Signalgasten an die Flaggleinen, bevor er noch nachdenken konnte. Denn es war niemand in der Nahe, dem sie signalisieren konnten - aber Vyvyan wu?te das vielleicht nicht. Die Signalflaggen waren in wenigen Augenblicken zur Rah gehi?t und dort geschuppt worden. Nun wehten sie voll aus. Der
        Kapitan der Virago wurde Vyvyan jetzt vermutlich vorschlagen zu wenden und sudlicher zu halten, um der Gefahr zu entgehen, von nun zwei Verfolgern in die Mounts Bay abgedrangt zu werden, wo sie dann in der Falle sitzen mu?ten.»Es wirkt! Dancer starrte Bolitho voller Verwunderung an. Die Segel der Virago gerieten in Unordnung, als sie jetzt durch den Wind zu gehen versuchte. Ihre achteren Rahen wurden lebend gebra?t, wahrend die vorderen und die Vorsegel bereits backstanden. Gleichzeitig jedoch blitzte es bei ihr an Bord wieder auf, und weitere Takelage und schwere Blocke der Avenger kamen von oben.
        Ein gewaltiger Ruck erschutterte das Schiff, und die Seeleute stoben schreiend und fluchend auseinander, als der Toppmast samt Rahen und Stagen herabsturzte, splitternd gegen Reling und Geschutze schlug, bevor er uber Bord kippte. Hugh Bolitho winkte mit dem Degen.»Ruder hart uber, Mr. Gloag! Wir wollen so dicht heran wie moglich!«Als die Pinne ubergelegt wurde und das Gro?segel gehorsam auf seinem Baum nach au?en schwang, rief er Truscott zu: «Jetzt! Feuer frei!«Bei der nur noch geringen Entfernung gab jeder Geschutzfuhrer genau gezieltes Einzelfeuer ab.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen und versuchte, die furchterlichen Schreie der Verwundeten unter den Trummern zu uberhoren. Er konzentrierte sich ganz darauf, die Wirkung des Einzelfeuers der Avenger zu beobachten. Dann horte er das Krachen, welches das Tosen der Wogen und den Kampflarm ubertonte, und wu?te, da? zumindest einer der Sechspfunder getroffen hatte.
        Es bedurfte nur dieses einen Volltreffers. Die Virago, die jetzt wieder unter vollem Segeldruck lag, auf der Flucht vor dem unsichtbaren Bundesgenossen der Avenger, ruckte und zitterte, als sei sie auf eine Sandbank gelaufen. Schlie?lich, zuerst langsam und dann immer schneller werdend, begann die riesige Segelpyramide zu schwanken und zu sturzen. Die Gro?bramstenge und der gesamte Vormast mit Rahen und Segeln kippte unter dem Wind- und Fahrtdruck nach achtern und verwandelte in einem einzigen Augenblick die Virago aus einem prachtigen Vollblut-renner in einen wusten Trummerhaufen. Hugh Bolitho ergriff ein Megaphon und rief - ohne das andere Schiff aus den Augen zu lassen - mit schneidender Stimme:»Klar zum Segelbergen! Mr. Pyke, klar zum Entern!«Nun war ein neues Gerausch zu horen, ein Drohnen, das von der Avenger selbst zu kommen schien. Das war ihre Besatzung, deren Stimmen sich zu einem Grollen mischten, als sie jetzt ihre Waffen ergriffen und auf ihre Enterstationen sturzten.
        Dancer sagte:»Die sind bestimmt in der Uberzahl, Sir!«Hugh Bolitho blickte prufend die Klinge seines Degens entlang, als kontrolliere er den Lauf einer Schu?waffe. Aber sie werden nicht kampfen.»
        Er beobachtete das Zusammenschrumpfen der Entfernung, das Gro?erwerden des anderen Schiffes.»Jetzt, Mr. Gloag!»
        Die Segel waren schon geborgen, und als die Pinne nun hart ubergelegt wurde, scho? der Bug der Avenger auf die Breitseite der Virago zu.
        Die winzigen Gestalten dort waren langst zu Mannern, die verschwommenen Kopfe zu klaren Gesichtern geworden, von denen Bolitho einige erkannte, die er schon in Falmouth gesehen hatte.
        Hugh Bolitho stand an der Reling, seine scharfe Stimme tonte durch das Sprachrohr: Im Namen des Konigs, ergebt euch!»
        Sein Degen wies wie ein Zeigestock auf die Schwenkgeschutze:»Oder wir feuern!»
        Mit einem gewaltigen Ruck prallten die beiden Schiffskorper aufeinander. Noch mehr Takelage und zerbrochene Spieren polterten an Deck und erhohten die Verwirrung. Aber trotz einiger unwilliger Rufe fiel kein Schu?, kein Degen wurde gezogen.
        Hugh Bolitho ging langsam zwischen seinen Leuten hindurch und stieg auf das feindliche Schiff uber. Er lie? sich Zeit, hielt Ausschau nach etwaigen Funken des Widerstandes. Bolitho und Dancer folgten ihm mit gezogenem Degen und waren sich dabei des bedruckenden Schwe igens bewu?t. Sogar das Schreien der Verwundeten war verstummt. Dies waren keine disziplinierten Seeleute. Sie hatten keine Flagge, keine Ideale, die sie beflugelten. In diesem Augenblick wu?ten sie, da? es fur sie kein Entrinnen mehr gab, und ihre personliche Sicherheit wurde ihnen das wichtigste. Vielleicht konnte eine Aussage gegen die Manner, die sie bisher ihre Freunde genannt hatten, sie vor dem Galgen retten, ihnen zu einer Gefangnisstrafe verhelfen. Einige hofften wohl auch, durch geschicktes Lugen freizukommen. Sicher wurden sie das mit derselben Kaltblutigkeit tun, mit der sie ihre fruheren Grausamkeiten begangen hatten.
        Bolitho stand neben seinem Bruder an Deck der Virago und musterte die verangstigten Gesichter. Er spurte, da? ihre Wut in Furcht umgeschlagen war, so, wie der Gischt bereits das Blut von Deck gewaschen hatte.
        Sir Henry Vyvyan wurde moglicherweise auch jetzt noch irgendwelche Privilegien geltend machen, dachte er. An Hughs vollstandigem Sieg war trotzdem nicht zu zweifeln. Sie hatten das Schiff, die Ladung und so viele Gefangene, da? die Kuste viele Jahre lang vor Strandwolfen sicher sein wurde.»Wo ist Sir Henry?»
        Ein kleiner Mann in blauem Rock mit Goldknopfen, offensichtlich der Kapitan der Virago, schob sich nach vorn. Seine Stirn blutete aus mehreren Schnittwunden.»Es war nicht meine Schuld, Sir!»
        Er wollte nach Hugh Bolithos Armel greifen, aber der Degen fuhr wie eine Schlange dazwischen.
        So trat er wieder zuruck, wahrend Bolitho und die anderen ihm zum Achterdeck folgten, das die volle Wucht des sturzenden Mastes hatte aushallen mussen.
        Sir Henry Vyvyan lag eingeklemmt unter einer schweren Spiere, sein Gesicht schmerzverzerrt. Doch noch atmete er, und als die Seeleute der Avenger ihn umstanden, offnete er sein eines Auge und sagte muhsam:»Zu spat, Hugh. Du kommst um das Vergnugen, mich baumeln zu sehen.»
        Hugh Bolitho senkte seinen Degen zum erstenmal, so da? dessen Spitze nur wenige Zoll vor Vyvyans Brust das Deck beruhrte. Dann erwiderte er ruhig:»Ich hatte Ihnen ein besseres Ende gewunscht, Sir Henry.»
        Vyvyans Auge richtete sich auf die blitzende Klinge, und er sagte, schon vom Tode gezeichnet:»Ich mir auch. «Dann stohnte er auf und starb.
        Hughs Degen verschwand in der Scheide, die Bewegung hatte etwas Endgultiges an sich.

«Kappt diese Trummer!«Seine Stimme klang vollig unbewegt.»Und bestellt Mr. Gloag, wir mussen die Virago in Schlepp nehmen, bis ein Behelfsmast aufgeriggt werden kann. «Danach erst sah er seinen Bruder und Dancer an.»Gut gemacht!«Er warf einen Blick auf die britische Flagge, die gerade an der Gaffel der Virago gehi?t wurde - dieselbe, die uber seinem eigenen Schiff wehte, wenn auch zerfetzt von Wind und Geschutzfeuer.»Das schonste Weihnachtsgeschenk, das ich jemals bekommen habe! Dancer grinste.»Und in Falmouth wird vielleicht doch noch etwas ubriggeblieben sein, womit wir feiern konnen, was meinst du, Dick?»
        Bevor sie auf die Avenger zuruckkehrten, warf Bolitho einen letzten Blick zum Achterdeck der Virago. Sein Bruder stand noch immer neben der eingeklemmten Gestalt im langen grunen Umhang.
        Vielleicht hatte er sogar jetzt noch das Gefuhl, da? Sir Henry Vyvyan ihm zuvorgekommen war?


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Seekadett bzw. Fahnrich zur See

2

        siehe A. Kent: DIE FEUERTAUFE

3

        einfaches, aber stabiles Fischerboot

4

        ca. 25 m

5

        ca.7 m

6

        mit straff gespannter Ankertrosse

7

        mit senkrechter Ankertrosse

8

        ca. 92 m


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê