Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Nahkampf Der Giganten Flaggkapitan Bolitho Bei Der Blockade Frankreichs " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Nahkampf der Giganten: Flaggkapitan Bolitho bei der Blockade Frankreichs Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #11
1793 - Gibraltar: Die wachsende Macht des revolutionaren Frankreich erschreckt die royalistischen Lander Europas, darunter auch England, das wie stets mit seiner Flotte siegen oder untergehen wird. Eines ihrer altesten Linienschiffe ist die
«Hyperion», mit der Kapitan Bolitho, von Gibraltar kommend, in einem kuhnen Handstreich die Insel Cozar erobert. Von seinem eifersuchtigen Admiral im Stich gelassen, mu? sich Bolitho der franzosischen Ubermacht stellen - eine Seeschlacht, die nicht nur uber das Schicksal der Blockade entscheidet, sondern auch daruber, ob Bolitho jemals Falmouth und seine ihn dort erwartende Verlobte wiedersehen wird.

        Alexander Kent
        Nahkampf der Giganten
        Flaggkapitan Bolitho bei der Blockade Frankreichs

        Der Schlacht Getos' bannt Schiff an Schiff, und in den Luften heult der Tod. Doch halt ihn Tag mit festem Griff, und Nacht schutzt ihn vor Sterbensnot.

    Julian Grenfell



        I Die alte Hyperion

        Die Fregatte Harvester, vor neun Tagen von Spithead ausgelaufen, drehte elegant in die leichte, ablandige Brise und lie? den Anker fallen. Das Echo ihrer Salutschusse rollte wie ferner Donner von der hohen Wand des ewigen, immer gleichen Felsens von Gibraltar zuruck. Ihr junger Kapitan blickte noch einen Moment von der Hohe des Achterdecks auf das von Matrosen wimmelnde Hauptdeck: von den scharfen Kommandos und gelegentlich auch mal vom Rippensto? eines ungeduldigen Deckoffiziers angetrieben, schwangen die Manner die Boote aus. Das Einlaufen in einen Hafen war jedesmal ein kniffliges, spannungsreiches Manover; der Kapitan war keineswegs der einzige an Bord, der genau wu?te, da? auf den in geringer Entfernung vor Anker liegenden gro?en Linienschiffen, dessen machtigstes die Konteradmiralsflagge im Vortopp fuhrte, schon mehrere Teleskope hochst kritisch auf sein kleines Schiff gerichtet waren.
        Mit einem letzten Blick schritt er nach achtern und kreuzte nach Steuerbord hinuber, wo ein hochgewachsener, schlanker Mann einsam an den Finknetzen lehnte.

«Soll ich nach einem Boot signalisieren, Sir? Oder genugt Ihnen eins von meinen?»
        Kapitan Richard Bolitho ri? sich aus seinen Gedanken und wandte sich dem Kapitan der Fregatte zu.

«Danke, Captain Leach; ich nehme Ihr Boot. Das geht schneller. «Er glaubte, eine Spur von Erleichterung in den Augen des Mannes zu sehen; es war ihm klar, da? es fur einen so jungen Kommandanten, der noch nicht einmal planma?iger Fregattenkapitan war, keineswegs angenehm gewesen sein mochte, ihn als Passagier an Bord zu haben.
        Etwas weniger dienstlich fuhr er fort:»Sie haben ein feines Schiff, und es war eine flotte Reise. «Trotz der Morgensonne uberflog ihn ein leichter Schauder, und er merkte, da? Leach ihn interessiert musterte. Aber was konnte dieser junge Mann schon davon wissen, wie ihm zumute war? Wahrend sich die Fregatte durch den Armelkanal gekampft und Brest gerundet hatte, wo wieder einmal britische Geschwader in jedem Wetter drau?en waren und die franzosische Flotte blockierten, waren Bolithos Gedanken weit uber den stampfenden Bugspriet hinausgeeilt - bis zu diesem Augenblick jetzt. Dann war es weitergegangen, quer uber die Biskaya mit ihren tobenden Sturmen und tuckischen Stromungen; und noch weiter nach Suden, bis die portugiesische Kuste wie ein blauer Nebelstreifen weit achteraus lag. Bolitho hatte viel Zeit gehabt, an das zu denken, was vor ihm lag: sein neues Schiff, und was es ihm im Lauf der Zeit alles bringen wurde. Bei seinen einsamen Gangen auf dem gischtuberspruhten Achterdeck hatte er nie vergessen, da? er hier nur Passagier war; mehr als einmal mu?te er sich zuruckhalten, um sich nicht in die
Schiffsfuhrung einzumischen.
        Aber jetzt, im Schatten des machtigen Felsens von Gibraltar, mu?te er sich derlei Gedanken aus dem Kopf schlagen. Er war nicht mehr der unabhangige Fregattenkapitan, der eigene Initiative entwickeln konnte, wie sie ein solches Kommando verlangte. In ein paar Minuten wurde er ein Linienschiff ubernehmen, eins von denen, die dort so behabig und selbstbewu?t an den Ankertrossen schwojten - nur zwei Kabellangen[l Kabellange entspricht 185,3 m.] entfernt. Achtern vom Flaggschiff lag eins, das sah er sich genauer an. Ein Zweidecker, eines von den Vierundsiebzig-Kanonen-Schiffen, die das Ruckgrat der weit auseinandergezogenen englischen Geschwader bildeten. Die Fregatte unter seinen Fu?en stampfte sogar im stillen Wasser der Reede, ihre sich verjungenden Masten kreisten vor dem verwaschenen blauen Himmel, ihre Takelage summte wie vor Unbehagen uber die Notwendigkeit, so nahe bei diesen klobigen Schiffen ankern zu mussen. Im Vergleich zu der Fregatte wirkte der Zweidek-ker vierschrotig und unbeweglich mit seinen himmelhohen Masten und breiten Rahen, der doppelten Reihe von Stuckpforten; er bot ein Bild
der Massigkeit und Starke; die flinken Hafenboote nahmen sich neben ihm wie Wasserkafer aus.
        Leach sah zu, wie die Gig ums Schiff herum zur Fallreepspforte gerudert wurde. Bolithos personlicher Bootsfuhrer stand neben einem Stapel Gepack wie ein machtiger Wachhund beim kostbaren Besitz seines Herrn.

«Da haben Sie einen guten Mann, Sir«, sagte er.
        Lachelnd folgte Bolitho seinem Blick.»Allday ist bei mir seit…«Der Ruckblick auf die vergangenen Jahre machte ihm keine Muhe, so als warte jeder Gedanke, jede Erinnerung nur darauf, wieder aufzutauchen.»Mein erster Bootsmann ist 82 bei den Saintes[kleine Gruppe, zu den >Inseln uber dem Winde< in der Karibik gehorig (s. Kent, >Zerfetzte Flaggen<)] gefallen. Seitdem dient Allday bei mir.»
        Es waren nur ein paar erklarende Worte, aber was bedeuteten sie nicht alles fur Bolitho; auch Alldays Anblick war eine standige Erin- nerung. Die Seeschlacht bei den Saintes, sein Dienst auf der Fregatte Phalarope, all das lag jetzt elf Jahre zuruck; und wieder war England im Krieg.
        Nachdenklich blickte Leach in Bolithos ernstes Gesicht. Wahrend der ganzen ereignislosen Reise von Spithead bis Gibraltar hatte er das Bedurfnis empfunden, ihm menschlich naherzukommen, aber irgend etwas hatte ihn davon abgehalten. Er hatte schon viele Passagiere nach Gibraltar gebracht: Garnisonsoffiziere, Kuriere, Ersatz fur Verungluckte oder Gefallene, denn der Krieg expandierte bereits nach allen Richtungen. Normalerweise war diese Aufgabe eine ganz nette Abwechslung im taglichen Einerlei. Aber etwas an Bolithos leidenschaftsloser, fast zuruckgezogener Art hatte einen naheren Kontakt verhindert. Jetzt betrachtete er Bolitho mit einer Mischung aus Interesse und Neid. Bolitho war ein Kapitan von hoherem Dienstalter und im Begriff, einen neuen Abschnitt seiner Karriere zu beginnen; wenn er auch nur etwas Gluck hatte, wurde er in ein paar Jahren, vielleicht schon in Monaten, auf der Anwarterliste fur den Admiralsrang stehen.
        Nach dem, was Bolitho soeben gesagt hatte, mu?te er Mitte oder Ende der Drei?ig sein. Er war gro? und so schlank, da? er uberraschend jugendlich wirkte, und wenn er lachelte, wirkte auch sein Gesicht junger. Es hie?, Bolitho sei zwischen den Kriegen mehrere Jahre in der Sudsee stationiert gewesen, hatte sich dort ein schlimmes Fieber geholt und sei als schwerkranker Mann zuruckgekommen. Das konnte stimmen, dachte Leach. Da waren die tiefen, scharfen Linien um Bolithos Mund, und unter der gleichma?igen Braune wies seine Haut an den Backenknochen und unter den Augen jene Transparenz auf, die fur eine solche Krankheit charakteristisch war. Aber das in den Nacken zuruckgekammte Haar war schwarz, ohne den geringsten Schimmer von Grau; und mit der einzelnen Strahne uber seinem rechten Auge sah er aus wie ein Draufganger, der sich standig im Zaum halten mu?te.
        Ein Leutnant trat gru?end herzu.»Boot ist klar, Sir. «Bolitho streckte die Hand aus.»Also, dann einstweilen adieu, Leach. Zwe i-fellos werden wir bald wieder zusammenkommen.»
        Jetzt lachelte der Fregattenkapitan zum erstenmal.»Das hoffe ich auch, Sir. «Er schnippte argerlich mit den Fingern.»Das hatte ich doch beinahe vergessen! Ich habe einen Midshipman[Seekadett oder Fahnrich zur See, Offiziersanwarter] an Bord, der fur Ihr Schiff bestimmt ist. Soll er mit Ihnen zusammen fahren?»
        Es horte sich so distanziert an, als sprache er von einem uberflussigen Gepackstuck; und trotz seiner inneren Spannung mu?te Bo-litho grinsen.»Wir waren schlie?lich alle mal Midshipmen, Leach. Ja, er kann mitkommen«, nickte er. Dann stieg er zur Fallreepspforte hinab, wo die Bootsmannsmaaten und eine Abteilung MarineInfanteristen zur Ehrenbezeugung angetreten waren. Seine Kisten und Koffer waren bereits weg; Allday wartete an der Schanz und blickte Bolitho aufmerksam entgegen.»Alles verstaut, Captain«, meldete er und klopfte dienstlich mit den Knocheln der geballten Faust an die Stirn.[ein damals (und manchmal noch heute) in England ubliches Aquivalent fur die vorschriftsma?ige» Ehrenbezeugung durch Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung«, wenn man keine tragt (d. U.).]
        Bolitho nickte. Allday hatte etwas au?erst Zuverlassiges an sich. Zwar war er nicht mehr der schlanke, geschmeidige Toppmatrose von einst. Er war breiter und starker geworden und sah in seinem blauen Jackett und den wei?en Segeltuchhosen so kraftvoll und unzerstorbar aus wie ein Felsen. Aber seine Augen waren noch immer dieselben: nachdenklich und leicht amusiert. Ja, es war gut, ihn heute bei sich zu haben.
        Dann erblickte Bolitho den Midshipman: ein fluchtiger Eindruck von einem blassen, feingeschnittenen Gesicht und einem mageren, schlaksigen Korper, der anscheinend nicht stillhalten konnte.
        Merkwurdig, dachte er, da? ich den Jungen nie an Bord gesehen habe, obwohl es auf einer Fregatte so eng ist.
        Leach schien seine Gedanken erraten zu haben.»Er ist fast die ganze Reise seekrank gewesen«, sagte er wegwerfend.
        Freundlich fragte Bolitho:»Wie hei?en Sie, mein Junge?»

«S. S. Seton, Sir«, stotterte der Midshipman, wurde rot und schwieg.
        Gefuhllos sagte Leach:»Er stottert auch noch. Heutzutage mussen wir anscheinend alles nehmen.»
        Bolitho verbarg sein Lacheln.»Gewi?. «Dann fuhr er fort:»Schon, Mr. Seton, gehen Sie bitte zuerst ins Boot. «Er sah, wie der Junge versuchte, diese neue Komplikation in seiner Karriere geistig zu verarbeiten, und befahl:»Weitermachen, Allday!»
        Kaum vernahm er das Getriller der Pfeifen und das grobe Kommandogebell; erst als die Gig von der Fregatte klargekommen war und dem Druck der Riemen mit schaumender Bugwelle durch das ruhige Wasser des Hafens glitt, gonnte er sich einen weiteren Blick auf sein neues Schiff.
        Allday folgte seinen Augen und sagte gleichmutig:»Na, da ist sie ja wieder, Captain. Die alte Hyperion.»
        Wahrend die kleine Gig stetig uber das blaue Wasser zog, konzentrierte sich Bolitho auf die vor Anker liegende Hyperion. Allday hatte seine Bemerkung vielleicht ganz gedankenlos hingeworfen; aber seine Worte schlugen eine andere Saite in Bolithos Gedachtnis an, und er betrachtete es nicht mehr als blo?en Zufall, da? er jetzt aufs neue mit diesem alten Schiff zusammentraf.
        Die Hyperion war tatsachlich ein alter Kasten: vor einundzwanzig Jahren hatte ihr Kiel zum erstenmal Salzwasser geschmeckt; es war also logischerweise unvermeidbar, da? er sie ab und zu wieder zu Gesicht bekam, da ihn sein Dienst standig von einem Teil der Welt zum anderen fuhrte. Aber immer, wenn er seelisch und korperlich die Grenze seiner Krafte erreicht hatte, war dieses alte Schiff irgendwo in der Nahe gewesen. Bei den blutigen Seeschlachten in der Chesapeake Bay* und bei den Saintes, als seine eigene geliebte Fregatte fast zum Wrack geschossen wurde, hatte er ihren stumpfen Bug sich durch den dichtesten Pulverdampf schieben sehen; aus ihrem Rumpf blitzte Kanonenfeuer, ihre Segel hatten Locher wie Pockennarben, doch mit aller Macht hielt sie ihren Platz in der Gefechtslinie.
        Bolitho kniff die grauen Augen zusammen. Die Sonnenreflexe auf dem Wasser warfen ein Muster aus tanzenden Lichtern an die hohe Bordwand. Er wu?te, da? die Hyperion mehr als drei Jahre lang

* siehe Bruderkampf, Ullstein Buch 3462.
        standig im Dienst gewesen war. Soeben kam sie aus Westindien, und die Wogen der Hoffnung auf rasche Abmusterung und wohlverdiente Ruhe fur Schiff und Mannschaft gingen hoch.
        Aber wahrend die Hyperion majestatisch in friedlichen Geschaften unter der karibischen Sonne gesegelt war und Bolitho in seinem Haus in Falmouth verzweifelt gegen das verzehrende Fieber gekampft hatte, sammelten sich wiederum die Kriegswolken uber Europas Himmel und verdichteten sich. Die blutige Revolution in Frankreich wurde auf der anderen Seite des Kanals zuerst mit nervoser Schadenfreude beobachtet - es war verstandlich, da? die Englander recht zufrieden zusahen, wie ein alter Feind von innen heraus geschwacht wurde, ohne da? es sie etwas kostete. Aber als sich die wilde Wut noch weiter ausbreitete und nach England durchsickerte, da? aus dem Durcheinander von Exekutionskommandos und blutigem Pobelaufruhr eine neue, sogar noch starkere Nation hervorging, da fanden sich die Manner, welche die Schrek-ken des Krieges kennengelernt hatten, mit der Unvermeidlichkeit eines neuen Krieges ab.
        Bolitho hatte sein Bett verlassen und war mit dem besorgt protestierenden Allday nach London gefahren. Die falsche Lebhaftigkeit dieser Stadt war ihm stets zuwider gewesen, ihre endlosen, schmutzigen Stra?en und im Kontrast dazu die Pracht der gro?en Hauser der Reichen; aber er war entschlossen, notfalls auf den Knien zu bitten um ein neues Schiff. Nach wochenlangem Antichambrieren und fruchtlosen Unterredungen hatte er die Aufgabe bekommen, unter den widerwilligen Bewohnern der Stadte am Medway Rekruten fur die Schiffe zu werben, die jetzt endlich neu in Dienst gestellt wurden.
        Vom Standpunkt der Admiralitat, die eine erschopfte Flotte erweitern und neu ausrusten mu?te, war es klug, Bolitho als Rekrutenwerber einzusetzen. Seine erfolgreichen Unternehmungen als junger Fregattenkapitan waren noch in guter Erinnerung, und im Kriegsfalle war er gerade der richtige Kommandant, um Landratten an die Unsicherheit und Harte der See zu gewohnen. Unglucklicherweise sah Bolitho selbst die Sache weniger enthusiastisch. Irgendwie war es bezeichnend fur seinen Charakter, da? er diesen Auftrag als einen Beweis mangelnden Vertrauens seiner Vorgesetzten empfand, beruhend wahrscheinlich auf seiner eben uberstande-nen Krankheit. Ein kranker Kapitan konnte eine Gefahr sein, nicht nur fur sich selbst und sein Schiff, sondern auch fur die lebenswichtige Befehlskette, deren Schwachung Verderben und Niederlage bringen konnte.
        Im Januar des nachsten Jahres schwirrten den Englandern die Kopfe bei der Nachricht, da? der Konig von Frankreich von seinem eigenen Volke hingerichtet worden war; und ehe man den Schock verdaut hatte, erklarte der neue franzosische Nationalkonvent den Krieg. Es war, als sei die gesamte franzosische Nation toll geworden und habe das Land aus der Bahn der Vernunft geworfen. Selbst Spanien und Holland, die ehemaligen Verbundeten, hatten ebenfalls Kriegserklarungen empfangen und warteten jetzt wie England auf den ersten wirklichen Zusammensto?.
        Und so hatte die alte Hyperion fast ohne Ruhepause wieder Segel gesetzt. Erst nach Brest, und dann, wie zu erwarten, als Mitglied der Kanalflotte, welche die Blockade aufrechterhielt und die franzosischen Schiffe abpa?te, die dort unter den Kanonen der Kustenbatterien Schutz suchten.
        Bolitho hatte sich weiter mit der Rekrutenanwerbung herumgeplagt. Die Verzweiflung daruber, da? er kein direktes Kommando bekam, trug nur dazu bei, seine Gesundheit aufs neue zu schwachen.
        Endlich, als der Winter dem Fruhling wich, hatte er Order erhalten, sich nach Spithead zu begeben und dort Passage nach Gibraltar zu nehmen. Und nun sa? er in der Gig und tastete nach dem dicken Umschlag in seiner Brusttasche. Er gab ihm das unumschrankte Kommando uber das himmelhohe Schiff da vorn, gegen das alles andere klein und bedeutungslos wurde. Schon vernahm er die schrillen Bootsmannspfeifen, das Tappen nackter Fu?e, das Klirren der Musketen - sein Schiff bereitete sich vor, ihn zu empfangen. Hatten sie schon auf ihn gewartet? Wurden sie seine Ankunft mit Freude oder Unlust begru?en?
        Es war ein gro?er Unterschied, ob man das Kommando nach einem Kapitan ubernahm, der befordert wurde oder in Pension ging, oder ob man eines toten Mannes Schuhe anzog.
        Die Gig rundete den schweren Bug, und Bolitho blickte hoch zu der glanzenden Galionsfigur. Das ganze Schiff war neu gestrichen worden, und auch ihre Vergoldung sah frisch und sauber aus. Eine Kleinigkeit nur, aber sie zeigte, da? das Schiff gut instandgehalten wurde. Der Sonnengott Hyperion stie? sein Dreizack vor, und seine Krone war die aufgehende Sonne selbst. Nur die beiden starren blauen Augen unterbrachen das gleichma?ige Gold. Wie viele Feinde des Konigs mochten wohl durch Gischt und Pulverqualm in dieses starre Goldantlitz geblickt und Minuten spater den Tod gefunden haben?
        Bolitho vernahm ein erschrecktes Stohnen, wandte den Kopf und sah Midshipman Seton auf die turmhohen Masten mit den festgemachten Segeln starren. Angst fullte sein Gesicht, seine Hand war verkrampft wie eine Vogelklaue, als er nach dem Dollbord der Gig fa?te. Ruhig fragte Bolitho:»Wie alt sind Sie, Mr. Seton?»
        Der Junge ri? die Augen von dem Schiff los und murmelte:»S… Sechzehn, Sir.
«Ernsthaft nickte Bolitho.»Nun, ich war ungefahr ebenso alt, da kam ich auf ein Schiff, das war ziemlich genauso wie dieses hier. Und im selben Jahr wurde die Hyperion gebaut. «Ein knappes Lacheln.»Wie Sie sehen, Mr. Seton, leben wir alle beide noch.»
        Er sah an dem bleichen Gesicht des Midshipman, wie die Gemuts- bewegungen einander jagten, und war froh, nicht erwahnt zu haben, da? es sich damals um sein zweites Schiff gehandelt hatte. Denn Bolitho war schon seit seinem zwolften Jahr zur See gefahren. Warum mochte der Vater Seton wohl so lange gewartet haben, bis er seinen Sohn zur Marine schickte?
        Er reckte sich hoch. Das Boot scho? zur Fallreepspforte, eine Stimme ertonte:»Boot ahoi?«und Allday rief durch die hohlen Hande: «Hyperion!»
        Nun bestand kein Zweifel mehr, falls dem je so gewesen war. Jeder einzelne Mann an Bord wu?te nun, da? der straffe Offizier mit dem goldbetre?ten Hut sein neuer Kommandant war und nachst Gott der absolute Herrscher uber alle auf diesem Schiff. Alle waren sie in seine Hand gegeben - er konnte jedermann auspeitschen oder hangen lassen, ebensogut aber auch Leistungen belohnen und Schwachen anprangern.
        Nach dem Kommando» Riemen hoch!«fa?te der Bootsmann mit dem Haken in die Gro?rusten, und Bolitho brauchte seine ganze Selbstdisziplin, um reglos im Heck sitzenzubleiben. Seltsamerweise war es der seekranke Midshipman, der den Zauber brach. Er machte Miene, an der Bordwand hochzuklettern; aber Allday knurrte:»Noch nicht, junger Herr!«, und zog ihn auf seinen Sitz zuruck.»Der Ranghochste geht zuletzt ins Boot, aber zuerst hinaus, kapiert?»
        Bolitho starrte auf die beiden und verga? sie sofort. Er druckte das Gehange fest an den Schenkel, denn einmal hatte er erlebt, wie ein neuer Kapitan uber seinen Degen gestolpert und rucklings ins Boot gefallen war. Steifbeinig kletterte er das Fallreep hoch und trat durch die geschnitzte und vergoldete Schiffspforte.
        Als er den Hut luftete, war er fast uberwaltigt von der unmittelbaren Reaktion, die von allen Seiten, von unten und von oben, zu kommen schien. Die Ehrenbezeugung, die mit den schrillen Querfloten begonnen hatte, als sein Gesicht uber der Schanz erschien, war in ein wildes Crescendo ausgebrochen, in dem er zuerst nur mit Muhe die Einzelheiten unterscheiden konnte: die Trommeln und Pfeifen des kleinen Spielmannszuges der Marine-Infanterie, das Klirren und Klappern der prasentierten Musketen und das Schwirren der gezogenen Degen vereinten sich zur Gerauschkulisse der Begru?ungszeremonie.
        Irgendwie beengten ihn die scharlachroten Reihen der Seesoldaten, das Blau und Wei? der versammelten Schiffsoffiziere, die dichtgedrangten, bezopften Kopfe der Matrosen, die aus dem ganzen Schiff eiligst zusammen- und vom Dienst weggerufen worden waren.
        Er hatte eigentlich darauf vorbereitet sein mussen, aber da er so lange auf Fregatten Dienst getan hatte, verwirrten ihn diese plotzlichen Menschenmassen auf einem Schiff. Doch als der erste Schreck vorbei und sein Blick rasch uber die Reihen der blanken Geschutze, die frischgescheuerten Planken, das dichte Netzwerk des Riggs fuhr, wurde ihm - und vielleicht zum ersten Male - der ganze Umfang seiner neuen Verantwortung klar.
        Bis zu diesem Augenblick hatte er die Hyperion nur als neue Umgebung betrachtet, in der es sich etwas anders leben wurde als bisher. Jetzt, als die Spielleute plotzlich verstummten und ein gro?er, schlanker, ernsthaft blickender Leutnant ihm entgegentrat, begriff er, was es mit diesem Kommando wirklich auf sich hatte. Diese Erkenntnis uberraschte ihn und machte ihn zugleich demutig.
        Der plumpe, einhundertachtzig Fu?* lange Rumpf der Hyperion umschlo? eine vollig neue Welt. Eine merkwurdige, festumgrenzte

* = ca. 60 m
        Existenz, in der einige sechshundert Manner - Offiziere, Matrosen und Seesoldaten - zusammenlebten, arbeiteten und, wenn es sein mu?te, starben, jedoch durch Dienstrang und Disziplin streng in einzelne Gruppen geschieden waren. Es war kaum verwunderlich, da? manche Kommandanten von Linienschiffen dem Bewu?tsein ihrer Macht und Bedeutung erlagen.
        Der schlanke Offizier beobachtete ihn gespannt, doch mit dienstlich ausdrucksloser Miene. Lieutenant Quarme, Sir«, stellte er sich vor.»Ich bin der Dienstalteste an Bord.»
        Bolitho nickte.»Danke sehr, Mr. Quarme. «Er fa?te in die Brusttasche und holte seine Bestallung hervor. Durch den Larm und die plotzliche Erregung uberkam ihn eine Schwache, so da? er nach all dem Warten und Bangen der letzten Wochen auf einmal das Bedurfnis nach Ruhe und Alleinsein in seinem neuen Quartier empfand.
        Dieser Quarme sieht wie ein tuchtiger Offizier aus, dachte er. Plotzlich stand ihm Herrick vor Augen, sein ehemaliger Erster Leutnant auf der Phalarope und der Tempest, und von ganzem Herzen wunschte er, Herrick und nicht Quarme stunde jetzt vor ihm, um ihn zu begru?en.
        Quarme schritt langsam die Reihen der Offiziere ab, Namen murmelnd, hier und da dienstliche Erlauterungen gebend. Bolithos Miene blieb dabei vollig unbewegt. Es war noch viel zu fruh fur Lacheln und naheres Kennenlernen. Die wirklichen Charaktere wurden erst spater hinter diesen starren, respektvollen Gesichtern hervortreten. Es scheint eine ziemlich durchschnittliche Kollektion zu sein, dachte er vage - aber was fur eine Menge Leute gegen die paar Offiziere an Bord einer Fregatte! Er schritt die Reihe entlang, an den Leutnants und hoheren Deckoffizieren vorbei bis zu den in faszinierter Spannung wartenden Midshipmen. Er dachte an den jungen Seton - was mochte der wohl von diesem ehrfurchtgebietenden Schauspiel halten? Wahrscheinlich war er vollig erschuttert. Zwei Offiziere der Marine-Infanterie standen stramm vor den Reihen der Manner in Scharlachrot mit dem wei?en, uber Kreuz geschnallten Lederzeug und den silbernen Knopfen; und im zweiten Glied standen die niederen Deckoffiziere, die Handwerker, von denen es abhing, ob ein Schiff lebte oder starb: Bootsmann, Zimmermann, Kufer und so weiter.
        Bolitho fuhlte den warmen Sonnenschein auf der Wange und entfaltete rasch seine Papiere. Die Leute druckten sich naher heran, um besser horen und sehen zu konnen; manche schlugen die Augen nieder, als er sie ansah, als ob sie Angst hatten, schon jetzt aufzufallen.
        Mit klarer Stimme und unbewegt verlas Bolitho seine Bestallung, dieses Schreiben an Richard Bolitho, Esqu. das von Admiral Samuel Hood unterzeichnet war und den Befehl enthielt, das Kommando uber Seiner Britannischen Majestat Schiff Hyperion zu ubernehmen. Die meisten Manner hatten derlei Bestallungen schon ofter gehort, doch als er die knappen, dienstlich-formellen Satze verlas, war ihm die tiefe Stille bewu?t, die ihn umgab. Als hielte das ganze Schiff den Atem an.
        Bolitho rollte seine Papiere zusammen und steckte sie wieder in die Brusttasche. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Allday sich langsam zum Achterdecksniedergang hinschob. Nach alter Gewohnheit hielt er sich auch hier den Ruckzug vor lastigen Formalitaten und Unbequemlichkeiten offen.
        Trotz der uber die Finknetze scheinenden Sonne fuhlte sich Bo-litho leicht schwindlig, und ein Frosteln uberlief ihn unvermittelt. Doch er bi? die Zahne zusammen und zwang sich, vollig reglos stehenzubleiben. Dies war ein kritischer Moment. Der Eindruck, den er jetzt auf die Manner machte, konnte eines Tages ihr Schicksal entscheiden - und seines auch. Scheu?lich, wenn er jetzt einen Fieberanfall bekame und alle Zeugen seiner demutigenden Schwache wurden! Uberraschenderweise gab ihm diese Vorstellung seine innere und au?ere Festigkeit zuruck.
        Er hob die Stimme.»Ich will Sie nicht langer vom Dienst abhalten, denn es gibt viel zu tun. Die Trinkwasserboote werden gleich langsseits kommen, denn ich beabsichtige, diesen gunstigen Wind zu nutzen und heute nachmittag Segel zu setzen. «Er sah die beiden Leutnants rasche Blicke tauschen und fuhr in harterem Ton fort:»Meine Segelorder besagt, da? ich mich mit diesem Schiff unverzuglich dem Geschwader Lord Hoods vor Toulon anzuschlie?en habe. Sobald wir dort sind, werden wir uns die gro?te Muhe geben, den Feind in seinen Hafen festzuhalten. Und wenn irgend moglich, werden wir ihn zu stellen und zu vernichten suchen.»
        Ein leises Murmeln ging durch die dichtgedrangten Reihen, und Bolitho erriet, da? viele hoffnungsvolle Seelen bis zum letzten Moment, auch noch als das Schiff von der Brest-Blockade abgezogen und nach Gibraltar beordert worden war, geglaubt hatten, die Hyperion wurde nach Hause segeln. Seine Worte, seine neue Bestallung hatten diese Hoffnung zerschlagen. Jetzt, mit dem ersten Stuck windgefullter Leinwand, wurde jede Meile, die der algenbewachsene Kiel verschlang, sie noch weiter von England weg fuhren. Und fur manchen wurde es bestimmt eine Reise ohne Wiederkehr.
        Etwas ruhiger sprach er weiter:»England liegt im Kriege mit einem Tyrannen. Wir brauchen jedes Schiff und jeden loyalen Mann, um ihn zu sturzen. Jeder gebe sein Bestes. Ich fur mein Teil will das ebenfalls tun.»
        Mit einem kurzen Nicken drehte er sich auf dem Absatz um.»Machen Sie weiter, Mr. Quarme. Teilen Sie Leute zur Wasserubernahme ein, und sorgen Sie dafur, da? der Zahlmeister reichlich frisches Obst an Bord nimmt. «Er blickte uber die nebeldurchzogene Bai nach Algeciras hinuber.»Da wir ja neuerdings mit Spanien verbundet sind, sollte das nicht allzu schwer fallen.»
        Der Erste Offizier fa?te an den Hut. Dann rief er aus:»Drei Hurras fur Konig George!»
        Langsam schritt Bolitho nach achtern. Er fuhlte sich ausgelaugt und eisig kalt. Die Hurras waren zwar rasch genug gekommen, aber sie klangen mehr wie eine Pflichtubung, ohne echtes Gefuhl.
        Er stieg die Stufen hinauf und schritt uber das geraumige Achterdeck. Als er unter der Kampanje den Kopf einzog, sagte Allday gemachlich grinsend:»Ist nicht notig, da? Sie sich bucken, Captain. Hier haben Sie reichlich Platz.»
        Richard Bolitho schob die Papiere auf seinem Tisch etwas beiseite und lehnte sich zuruck, um die Augen auszuruhen. Er blickte auf seine Taschenuhr und merkte uberrascht, da? er fast sechs Stunden lang pausenlos uber den Schiffsbuchern und Berichten gebrutet hatte, wobei sich sein geschaftiger Geist die ganze Zeit der Gerausche drau?en und oben an Deck bewu?t gewesen war. Mehr als einmal war er versucht gewesen, seine konzentrierte Arbeit zu unterbrechen und in die Sonne hinauszugehen, sei es auch nur, um sich zu uberzeugen, da? der Bordbetrieb normal ablief; aber jedesmal hatte er sich dazu gezwungen, sitzenzubleiben und mit dem Studium der Schiffsangelegenheiten fortzufahren.
        Zeit und Erfahrung wurden ihm zeigen, wo die wirklichen Starken und Schwachen seines neuen Schiffes lagen; schon in diesen paar Arbeitsstunden in seinem Quartier hatte er sich im Geiste ein brauchbares Bild gemacht. Nach allem, was er gelesen und uberpruft hatte, schien die Hyperion unter dem verstorbenen Kommandanten Turner das normalste Schiff gewesen zu sein, das man sich nur vorstellen konnte. Das Strafbuch, das sich Bolitho zuerst angesehen hatte - seiner Erfahrung nach der sicherste Ma?stab fur einen Kapitan und seine Schiffsfuhrung -, wies die ubliche Liste kleiner Vergehen auf; Auspeitschungen und Degradierungen gab es nicht mehr, als normalerweise zu erwarten waren. Wahrend der Stationierung in Westindien hatte es mehrere Todesfalle durch Fieber und Unfalle gegeben (meist auf Unvorsichtigkeit zuruckzufuhren). Auch die Logbucher wiesen nichts Besonderes auf.
        Stirnrunzelnd lehnte sich Bolitho noch weiter im Stuhl zuruck. Das war alles so normal, sogar langweilig fur ein Schiff mit der kriegerischen Vergangenheit der Hyperion, da? es den Eindruck einer gewissen Lassigkeit machte.
        Wieder sah er sich in seinem neuen Quartier um, als wolle er sich ein schwaches Abbild des fruheren Bewohners verschaffen. Es war, fand er, eine geraumige, sogar elegante Kajute und im Vergleich zu der kargen Enge an Bord einer Fregatte der reine Palast. Der Salon, in dem er sa?, nahm die ganze Breite des Hecks ein und ma? uber drei?ig Fu? von einer Wand zur anderen; die hohen Heckfenster, unter denen der geschnitzte Schreibtisch stand, schimmerten im Abendlicht und umrahmten das farbenprachtige Panorama des weitraumigen Hafens mit seinen vielen vor Anker liegenden Schiffen.
        Es gab noch einen ebenso gro?en Speiseraum, und an den beiden Schmalseiten je einen kleineren abgetrennten Verschlag: das Schlafkabinett und die Kartenkammer.
        In plotzlichem Impuls stand Bolitho auf und ging zu dem E?tisch aus Mahagoni hinuber. Er hatte sechs Ausziehplatten; Turner schien gern Gaste bei sich gesehen und sie gro?zugig bewirtet zu haben. Alle Stuhle, auch die lange Sitzbank unter den Heckfenstern, waren mit feinem grunem Leder bezogen; und uber dem ublichen Bodenbelag aus schwarz-wei?-gewurfelter Leinwand lag ein uppiger Teppich - mit dem Geld, das er gekostet hatte, konnte man mehrere Monate lang die Heuer einer Fregattenbesatzung bestreiten, schatzte Bolitho.
        Er suchte sich einzureden, seine innere Spannung, die nicht weichen wollte, beruhe eher auf mangelndem Selbstvertrauen als auf realen Ursachen.
        Er starrte sein Bild im Kajutspiegel an, sah die Falten auf der Stirn, die Schwei?flecken auf dem Hemd. Automatisch strich er die schwarze Strahne aus der Stirn; dabei ruhrten seine Finger an die tiefe Narbe, die von der Braue schrag nach oben bis zum Haaransatz verlief. Ein seltsamer Gedanke, da? die Hyperion damals in nur wenigen Meilen Entfernung vorbeigesegelt war, als jenes Entermesser ihn niederstreckte und fur den Rest seines Lebens zeichnete.
        Ein nervoses Klopfen an der Tur, und ehe Bolitho antworten konnte, ging sie auf, und ein schmalschultriger Mann in einfachem blauem Rock kam mit einem Silbertablett herein.
        Bolitho blickte ihm unwillig entgegen.»Was ist?«Der Mann schluckte muhsam.»Mein Name ist Gimlett, Sir. Ich bin Ihr Kajutsteward, Sir. «Er hatte eine piepsige Stimme, und bei jeder Silbe bleckte er gro?e vorstehende Zahne wie ein verangstigtes Kaninchen.
        Bolitho bemerkte, wie die Augen des Mannes zu einem Seitentischchen glitten, auf dem er sein zweites Fruhstuck angerichtet hatte. Es war noch unberuhrt. Bolitho hatte es, was der armselige Gimlett nicht wu?te, uberhaupt nicht bemerkt. Sein Arger uber die Storung legte sich etwas. Die Angst auf dem Gesicht des Mannes war durchaus echt. In der Flotte kursierte das Gerucht von einem jahzornigen Kapitan, der seinen Steward auspeitschen lie?, nur weil dieser einen Becher Kaffee verschuttet hatte.
        Gimlett sagte:»Wenn das Fruhstuck nicht nach Ihrem Geschmack war, Sir, dann werde ich…»

«Ich hatte keinen Hunger. «Das stimmte zwar nicht, war jedoch ein brauchbarer Kompromi?.»Aber danke, Gimlett, da? Sie daran dachten. «Auf einmal interessierte ihn dieser Steward.»Haben Sie Captain Turner lange gedient?»

«Jawohl, Sir. «Gimlett trat nervos von einem Fu? auf den anderen.»Und er war ein guter Herr, Sir. Sehr rucksichtsvoll, wirklich.»

«Sie stammen wohl aus Devon?«fragte Bolitho mit fluchtigem Lacheln.

«Aye, Sir. Ich war Erster Pferdeknecht im >Goldenen Lowen< in Plymouth, habe aber bei Captain Turner angeheuert, um meinem Vaterland besser zu dienen. «Doch da fiel sein Blick auf den Sto? Papiere auf Bolithos Tisch, und er sprach hastig weiter: Also - ich hatte ein bi?chen Arger mit einem Zimmermadchen, Sir. Da war's schon besser so.»
        Bolithos Lacheln wurde breiter. Anscheinend furchtete Gimlett, sein fruherer Herr konnte irgendwo den wahren Grund seines An-heuerns schriftlich niedergelegt haben. So waren Sie also mit Captain Turner nur in Westindien? Und nicht mit ihm an Land, bei ihm zu Hause?«Diese letzte Frage stellte er, weil Gimlett ihn so verstandnislos ansah.

«Nein, Sir. «Seine Augen huschten durch die geraumige Kajute.»Dies hier war sein Zuhause, Sir. Er hatte keine Familie, blo? das Schiff. «Wieder schluckte er, als habe er schon zuviel gesagt.»Kann ich abraumen, Sir?»
        Bolitho nickte nachdenklich und trat wieder ans Fenster. Das war die bisher beste Erklarung. Unter Turner war die Hyperion eine schwimmende Behausung geworden, eher ein Lebensraum als ein Kriegsschiff. Und ihre Besatzung, seit drei Jahren ohne Feindberuhrung oder sonstige gro?e Harten fern von England, war vermutlich ebenso unvorbereitet auf die Anforderungen, die Blockade und Krieg an sie stellen wurden.
        Zweimal im Lauf des Tages war Quarme, der Erste Offizier, bei Bolitho gewesen, um zu melden, wie es voranging. Auf Bolithos beilaufige Fragen hatte er mehr oder weniger zugegeben, da? Turner zwar ein guter Kapitan gewesen war, aber keine Initiative entwickelt hatte. Jedoch war es schwierig herauszufinden, was Quar-me wirklich dachte. Er war achtundzwanzig Jahre alt, ruhig, ve r-schlossen, und machte den Eindruck eines Mannes, der auf seine Chance wartete. Daran mochte er durchaus recht tun - uberall wurden Schiffe in Dienst gestellt, und es gab bereits Ausfalle durch Tod und Verwundung. Wenn nichts dazwischenkam, konnte Quarme noch in diesem Jahr ein eigenes kleines Kommando erhalten. Bolitho war zuerst stutzig geworden, weil Turner keine Beurteilung des Leutnants hinterlassen hatte, die ihn fur dergleichen qualifizierte. Inzwischen aber hatte er sich ein Bild von seinem Vorganger gemacht, und es begann ihm zu dammern, da? Turner wahrscheinlich gewunscht hatte, das Schiff und alles an Bord, einschlie?lich der Offiziere, moge so bleiben, wie es war. Eine einleuchtende, aber egoistische Haltung.
        Es gab noch einen weiteren Faktor in Turners Personlichkeit, der ihm zu schaffen machte. Unter den privaten Papieren, die Quarme nach Turners Tod geoffnet hatte, fand sich so etwas wie ein Testament. Es enthielt ein paar Legate an einige entfernte Verwandte - aber was Bolitho auffiel, war das sauber geschriebene Kodizill am Schlu?:». und dem nachsten Kommandanten dieses Schiffes hinterlasse und vermache ich alle meine Mobel und Ausrustungsgegenstande, meinen Weinvorrat und meine personliche Habe in der aufrichtigen Hoffnung, da? er alles auch weiterhin zu seinem und des Schiffes Nutzen verwenden moge.»
        In der Tat ein merkwurdiges Vermachtnis. Erst wollte Bolitho alles durch Allday einpacken und in die Garnison bringen lassen. Aber dann hatte er es sich anders uberlegt, denn in seiner Ungeduld, zur Hyperion zu sto?en, hatte er England in hochster Eile verlassen und fuhrte - abgesehen von seinen Uniformen und einigen wenigen privaten Habseligkeiten - nichts mit sich, was das Leben an Bord eines Linienschiffes erleichtern konnte. Nun, wahrend er sich in der gro?en Kajute umsah, war er doch nicht ganz mit dieser Losung zufrieden. Es war, als hatte er Turner, indem er auf dessen ausgefallenen Wunsch einging, die Moglichkeit gegeben, noch an Bord zu bleiben. Er mochte tot und bestattet sein, aber hier in der Kapitanskajute schien das Gedenken an ihn fast in der Luft zu hangen, als sei er noch personlich gegenwartig.
        Wieder klopfte es, und diesmal war es Quarme. Er trug den Hut unterm Arm, und uber seine dienstlich-gemessene Miene spielten Sonnenreflexe.»Offiziere wie befohlen in der Messe versammelt, Sir«, meldete er. Noch wahrend er sprach, wurden an Deck vier Glasen* der Nachmittagswache angeschlagen - er mu?te wohl drau?en vor der Tur auf den richtigen Moment gewartet haben.

* An Bord wird jede halbe Stunde durch Glockenschlage markiert. Eine Wache dauert vier Stunden, also acht Glasen. Die Bezeichnung ruhrt von der Drei?ig-Minuten-Sanduhr (= Stundenglas) her, fruher dem einzigen Zeitmesser an Bord (d. U.).

«Recht so, Mr. Quarme. Ich bin bereit. «Er nahm den Uniformrock von der Stuhllehne, ruckte die Halsbinde zurecht und zog ihn an.»Ich bin mit dem Logbuch fertig, Sie konnen es mitnehmen.»
        Quarme antwortete nicht, sondern blickte auf den alten Degen, der am polierten Schott hing. Alldays erste Handlung war es gewesen, ihn dort aufzuhangen; und als Bolitho den Blicken Quarmes folgte, dachte er an seinen Vater und Gro?vater. Selbst im hellen Sonnenlicht sah der Degen schwarzlich und alt aus. Doch auch wenn er nichts anderes von Falmouth mitgebracht hatte als diesen Degen, ware ihm der mehr wert gewesen als alles, was er sonst besa?. Halb und halb erwartete er, da? Quarme eine Bemerkung machen wurde. Herrick hatte das getan. Aber diese Vergleiche waren unnutz. Kalt befahl er:»Gehen Sie voran, bitte!»
        Seit seinem allerersten Kommando, der winzigen Schaluppe Spar-row, hatte Bolitho immer darauf geachtet, da? er seine Offiziere so bald wie moglich naher kennenlernte. Wahrend er jetzt hinter Quarme auf das Achterdeck hinaustrat und die breite Stiege zum Hauptdeck hinunterschritt, fragte er sich, wie seine neuen Untergebenen beschaffen sein wurden. Jedesmal befiel ihn bei solchen Anlassen eine gewisse Nervositat, obwohl er sich oft genug gesagt hatte, da? gespannte Erwartung viel eher Sache der anderen war.
        Die Offiziersmesse lag direkt unter seiner eigenen Kajute; wie dort liefen die Heckfenster uber die ganze Breite des Raumes. Aber an den Wanden lagen winzige Schlafkammern, und in den Ecken standen dicht an dicht Seekisten und alles mogliche, was zur personlichen Ausrustung der einzelnen gehorte. Auch zwei Geschutze der oberen Batterie von Zwolfpfundern befanden sich im Raum; und Bolitho empfand eine fluchtige Befriedigung daruber, da? seine eigenen Raume nicht wie dieser hier aus- und umgeraumt werden mu?ten, wenn» Klar Schiff zum Gefecht
«befohlen wurde; dabei gab es immer ein furchtbares Durcheinander, und manches ging zu Bruch.
        Die Messe war ziemlich voll, die Anwesenden mu?ten stehen, denn Bolitho hatte ausdrucklich befohlen, da? au?er den funf Leutnants und den Offizieren der Marine-Infanterie auch die Midship-men und hoheren Deckoffiziere anwesend sein sollten. Diese letzteren bildeten, wie er aus hart erworbener Erfahrung wu?te, das wahre Bindeglied zwischen Achterdeck und Mannschaftslogis.
        Er setzte sich ans obere Ende des langen Tisches und legte den Hut auf die zusammengerollte Karte.»Setzen Sie sich, meine Herren, oder bleiben Sie stehen - ganz nach Belieben. Meinetwegen brauchen Sie Ihre Gewohnheiten nicht zu andern.
«Hofliches Gelachter - der Kommandant war genaugenommen nur Gast in der Offiziersmesse; was passieren wurde, wenn man ihm diese Gastfreundschaft versagte, war jedoch eine andere Frage. Bolitho rollte die Karte auf und war sich dabei bewu?t, da? aller Augen mehr an ihm als an der Karte hafteten.

«Wie Sie vorhin gehort haben, sollen wir zu Lord Hood sto?en. Es gibt in Toulon gewisse Elemente - Franzosen zwar, doch strikt gegen die gegenwartige revolutionare Regierung -, die mit einiger Nachhilfe durchaus einen Umsturz einleiten konnten. Wenn wir unsere Starke zeigen und jede Gelegenheit nutzen, um den Schiffsverkehr des Feindes zu schadigen, haben wir eine Chance, diese Situation zu fordern. «Er schaute auf und sah das blasse Gesicht des kleinen Seton, von den Schultern zweier Offiziere eingerahmt. Gleichmutig fuhr er fort: Etwa Mitte Juni wird Lord Hood genugend Krafte versammelt haben, um all das zu ermoglichen. Jedes Schiff wird gebraucht. Daher ist es von grundlegender Wichtigkeit, da? jeder einzelne Offizier sein Au?erstes tut, um den Ausbildungsstand und damit die Kampfbereitschaft zu verbessern. «Sein Blick uberflog die gespannten Gesichter.»Vermutlich werden wir in nachster Zeit keine Gelegenheit haben, unsere Fehlstellen aufzufullen - ist das klar?»
        Leise sagte Quarme:»Ich glaube, der Zweite Offizier hat eine Frage, Sir.»
        Bolitho blickte hinuber zu einem mude und gelangweilt dreinschauenden Offizier, der auf einer Seekiste sa?.»Ihr Name ist mir entfallen«, sagte er.
        Der Leutnant sah ihm kuhl ins Gesicht.»Sir Philip Rooke, Sir.»
        Sein Ton klang keinesfalls aufsassig, trotzdem konnte Bolitho die Herausforderung in den blassen Augen des Leutnants erkennen.

«Ja, Mr. Rooke, und Ihre Frage?«Bolithos Stimme war ebenso unbewegt.
        Gleichmutig erwiderte Rooke:»Wir sind jetzt drei Jahre auf See. Das Unterwasserschiff ist grasgrun und die Hyperion so langsam wie eine alte Kuh. «Ein zustimmendes Murmeln lie? sich horen, und Rooke fuhr fort:»Captain Turner war davon uberzeugt, da? wir vor Brest abgelost und noch in diesem Monat nach Portsmouth zurucksegeln wurden.»
        Bolitho musterte ihn nachdenklich. Rooke war also der erste, der die Maske fallenlie?. Trocken erwiderte er:»Captain Turner ist tot.
        Aber ich bin davon uberzeugt, er hatte sich auf keinen Fall die Chance entgehen lassen, mit der Hyperion seine Pflicht zu tun.»
        Rowlstone, der Schiffsarzt, ein kleiner, ungesund aussehender Mann mit tiefgefurchtem, talgwei?em Gesicht, sprang auf.»Ich habe getan, was ich konnte, Sir! Er starb an Herzversagen. «Mit wilden Augen blickte er sich um.»An seinem Schreibtisch! Ich konnte ihm nicht mehr helfen, verstehen Sie?»
        Rooke starrte ihn wutend an.»Was wissen Sie denn, Mann? Sie sind doch eher ein Schlachter als ein Arzt!»
        Ashby, der Hauptmann der Marine-Infanterie, zog den Bauch ein und schnippte ein Staubchen von seiner handschuhengen Uniform.»Kommandant Turner war ein guter Mann. Wir vermissen ihn alle, jawohl. «Er sah Bolitho fest ins Gesicht.»Bin aber Ihrer Ansicht, Sir. Wir haben schlie?lich Krieg. Ah - Hauptsache: kampfen. Ja-woll.»

«Danke, Captain Ashby«, lachelte Bolitho trocken.»Das ist sehr beruhigend.»
        Dann blickte er hinuber zu Gossett, dem Segelmeister* und Steuermann. Der war ein Kerl wie ein Fa?, und obwohl er am Tisch sa?, war sein Kopf fast in gleicher Hohe mit dem des verzweifelten Schiffsarztes, der immer noch stand.»Und Sie, Mr. Gossett? Was ist Ihre Meinung?»
        Gossett legte die Fauste auf die polierte Tischplatte und blickte sie nachdenklich an - sie waren auch ein Anblick: wie zwei Schinkenknochen. Mit tiefer Stimme antwortete er:»Wir haben einen tuchtigen Vorrat an Spieren und Segeln, Sir. Sie mag ja ein alter
        Kasten sein, aber sie kann immer noch mit besseren und jungeren Fahrzeugen mithalten. «Er grinste so breit, da? die kleinen blanken Augen fast im gebraunten Gesicht verschwanden.»Ich hab mal so'n * Navigationsoffizier (»Master«) und fur die unmittelbare Schiffsfuhrung verantwortlich (d.U.).
        alten Vierundsiebziger aus 'ner Schlacht rausgesegelt, mit nur einem
        Mast, und das ganze untere Geschutzdeck vollgeschlagen!«Er gluckste, als ware das ein riesiger Spa? gewesen. «Die Frogs* werden uns bereit finden, wenn sie in Reichweite kommen, Sir!»
        Bolitho erhob sich. Er hatte den Topf zum Kochen gebracht, und die nachsten Tage wurden ihm mehr uber diese Manner verraten.»Schon meine Herren«, sagte er knapp. Der Wind kommt immer noch frisch aus Nordwest. Segelsetzen in einer Stunde. «Er sah zu Quarme hinuber.»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen, und machen Sie klar zum Ankerlichten. Wir haben neunhundert Meilen vor uns, bis wir das Geschwader sichten. Nutzen Sie die gut aus!«Er blickte im Kreise herum. »Sie alle!»
        Die Messe begann sich zu leeren. Er schritt rasch zu dem sonnengebleichten Achterdeck hinauf. Er wu?te nicht warum, aber es war ein schlechter Anfang gewesen. Vielleicht litt er noch unter dem Fieber, vielleicht war er auch einfach mude vom langen Hoffen und Harren. Aber andererseits war es auch moglich, da? er fur ein Schiff wie die Hyperion noch gar nicht reif war. Er verhielt einen Augenblick und starrte in die turmhohen Masten und auf die winzigen Gestalten, die wie sorglose Affen dort oben herumwerkten.
        Allday kam ubers Deck.»Ich habe Gimlett gesagt, da? er Ihr Seezeug rauslegt, Captain. «Er atmete tief ein und fuhr fort:»Ich bin froh, da? ich wieder auf einem Schiff segele. Ich hatte ein bi?chen die Nase voll von den Hugeln - jeden Tag derselbe Anblick!»
        Bolitho fuhr herum, aber er beherrschte sich. Es ware zu billig gewesen, den Arger uber seine Mudigkeit und die unbefriedigende Dienstbesprechung an Allday auszulassen.

«Wenigstens werden die Frauen in Falmouth eine Weile vor Ihnen Ruhe haben, Allday!

        Der Bootsmann sah Bolitho nach, bis dieser unter der Kampanje verschwunden war, und grinste dann ubers ganze Gesicht.»Der braucht keine Angst zu haben. Er hat sich nicht verandert, und so leicht wird ihn auch nichts andern!«Dann lehnte er sich gegen die Finknetze und starrte uber die Bucht auf die verankerten Schiffe.

* Ein damals bei den britischen Streitkraften gebrauchlicher Spottname fur die Franzosen frog-eaters = Froschfresser, wegen ihrer Vorliebe fur gebackene Froschschenkel). Vergleichbar dem Ausdruck >Krauts< fur die Deutschen (d. U.).



        II Demonstration der Starke

        Bolitho hatte seine Kajute verlassen und ging raschen Schrittes zum Achterdeck. Unter dem Schutz der Kampanje standen die beiden Rudergasten am machtigen Doppelrad und nahmen dienstliche Haltung ein, als er vorbeikam. Doch er blieb nur kurz stehen, um einen Blick auf den Kompa? zu werfen. Nordost zu Nord. Die Kompa?rose schien seit Tagen in dieser Position festgeklemmt zu sein. In den acht langen Tagen seit Gibraltar war die Hyperion nur muhselig und langsam vorangekommen und hatte knapp einen Durchschnitt von drei Knoten* halten konnen. Zweimal hatten sie sogar in Flaute festgelegen. Seit dem Ankerlichten hatten sie alles in allem nur 520 Meilen** zuruckgelegt.
        Aber als er in das helle Sonnenlicht hinaustrat, konnte er den Unterschied nicht nur sehen, sondern auch fuhlen. Vor ein paar Minuten war ein Midshipman atemlos in die Kajute gerannt gekommen und hatte gemeldet, da? die schwache Brise endlich auffrische; und er sah selbst, wie der Wimpel im Masttopp peitschend ausschlug und die neugesetzten Segel sich mit frischen Kraften spannten.
        Quarme drehte sich von der Achterdeckreling zu ihm um und fa?te an den Hut.»Ich habe Bramsegel setzen lassen, Sir. Hoffen wir, da? der Wind sich halt. «Er sah uberanstrengt aus.

«Er wird schon, Mr. Quarme. «Bolitho war ohne Rock und Hut. Er fuhlte mit einer Art sinnlichem Behagen, wie der Wind sein Hemd aufplusterte und ihm die trockenen Lippen kuhlte.»Wir konnen gleich auch noch die Royals setzen.»
        Er stutzte sich mit den Handflachen auf die von der Sonne ausgedorrte Reling und blickte auf das Hauptdeck hinunter. Die sechzehn Kanonen der Steuerbordbatterie waren ausgerannt, und die Geschutzbedienungen, nackt bis zum Gurtel, waren beim Exerzieren. Vom unteren Geschutzdeck her vernahm er das Quietschen und
        Rumpeln der Lafetten, als die schweren Vierundzwanzigpfunder es den oberen Geschutzen nachtaten. Ohne aufzublicken, sagte er:

«Funfzehn Minuten haben Sie heute fur >Klar Schiff< gebraucht -
        das ist zu lange, Mr. Quarme.»

* Geschwindigkeitsbezeichnung = Seemeilen je Stunde.

** l Seemeile = 1,85 km.

«Die Manner sind mude, Sir. «Quarme bemuhte sich, das moglichst beilaufig zu sagen.»Aber es ist schon etwas besser geworden, scheint mir.»
        Da das Schiff schon so lange Dienst tat, immer mit der gleichen Besatzung, waren allgemeine Seemannschaft und Segeldrill in Ordnung. Das Segelsetzen und - bergen ging so flott, da? es fur einen Binnenlander aussehen mu?te, als sei gar nichts dabei. Bo-litho wu?te aus Erfahrung, da? ein Kriegsschiff beim ersten Auslaufen normalerweise mehr gepre?te, ahnungslose Landratten als ausgebildete Seeleute an Bord hatte; daher war er froh, da? seine Leute schon so lange auf See dienten. Aber ein Linienschiff war keine Fregatte, es brauchte normalerweise nur genug Seemannschaft, um auf Position und am Feind zu bleiben; komplizierte Manover waren nicht seine Sache. Erst wenn es in Schu?position und zu massiver Feindberuhrung kam, wenn es bis zum Sieg oder Untergang kampfen mu?te, erwies sich sein wahrer Wert. Und wie Quarmes Meinung daruber auch sein mochte - Bolitho wu?te, da? die Geschutzausbildung auf der Hyperion erschreckend unzulanglich war.
        Tag fur Tag hatte er mit den Geschutzen jede nur denkbare Lage uben lassen. Von den Hauptbatterien bis zu den kurzrohrigen Karronaden, von den Zwolfpfundern des Achterdecks bis zu den Musketen der Seesoldaten hatte er Waffen und Manner schonungslos durchgearbeitet. Wenn dabei, wie Quarme behauptete, Verbesserungen erzielt worden waren, so befriedigten sie ihn keineswegs.
        Schlie?lich sagte er:»Wir nehmen die Steuerbordbatterie nochmals vor. Sagen Sie es durch!»
        Er ging nach Lee hinuber, wahrend Quarme seinen Befehl uber das Hauptdeck brullte. Da das Schiff auf Backbordbug segelte und in der frischen Brise heftig krangte, mu?ten die Geschutze gegen die Schraglage des Decks in Position gebracht werden, ehe man mit dem eigentlichen Exerzieren anfangen konnte; und Bolitho bemerkte, wie einige Matrosen, die im Moment nicht so viel zu tun hatten, einen Augenblick Pause machten und zusahen.
        Da war zum Beispiel Buckle, der grauhaarige Segelmacher, der mit seinen Leuten auf Deck hockte und die letzte Partie der schweren Schlechtwettersegel, die sie vor Brest gebraucht hatten, reparierte. Die Nadeln in den ledergeschutzten Fausten ruhten, die Manner hatten sich umgedreht und starrten hinuber. Sogar Gossett, der Master, in dessen riesiger Hand ein Sextant blinkte, hielt bei der geduldigen Belehrung inne, die er zwei Interesse heuchelnden Midshipmen erteilte, und runzelte die Stirn, als Leutnant Rookes Stimme uber das Deck schallte:»Also aufgepa?t jetzt! Geschutze innenbords und klar zum Laden!«Er stand auf dem SteuerbordDecksgang, der oberhalb der Batterie entlanglief und das Achterdeck mit der Back verband. Wutend starrte er auf seine Manner hinunter, das Gesicht fleckig vor Hitze und Ungeduld.»Der nachste, der einen Rammstock fallen la?t oder uber seine eigenen Fu?e stolpert, tanzt an der Grating!«Er zog seine Uhr aus der Tasche.»Jetzt!»
        Grunzend vor Anstrengung, auf den sandbestreuten Planken ausrutschend, warfen sich die Manner an die Geschutze; der Schwei? rann in glanzenden Bahnen uber ihre Rucken, als sie die langen Rohre aus den offenen Stuckpforten bis zum Anschlag der Gleitschienen zuruckholten.
        In den letzten acht Tagen hatte Bolitho ein wachsames Auge auf Rooke gehabt. Er schien seinen Dienst recht ordentlich zu versehen, hatte aber eine unangenehme Art und verlor leicht die Ruhe. Gestern erst hatte Bolitho einen Wettkampf zwischen den beiden Batterien des Hauptdecks arrangiert, und Backbord hatte mit drei Minuten Vorsprung gewonnen. Rooke war fast aus der Haut gefahren. Jetzt, als seine Manner uber ihren Geschutzen hockten, konnte Bolitho die Spannung direkt korperlich spuren.

«Laden!«brullte Rooke. Ein wildes Durcheinander. Schimpfend trieb jeder Stuckfuhrer seine Manner an, die Ubungskartuschen in die Mundungen stie?en und das Laden mit Kugeln markierten, wahrend andere, die Zugleinen in den Fausten, darauf warteten, die Geschutze durch die offenen Stuckpforten auszurennen.

«Besser diesmal, Sir«, murmelte Quarme. Bolitho sagte nichts dazu. Aber es hatte deutlich besser geklappt, trotz des Ubereifers bei manchen jungeren Matrosen. Er sah, wie Rooke an die Reling trat, als wolle er seine Leute noch mehr antreiben - er mu?te ja wissen, da? sein Kommandant auf dem Achterdeck war.

«Ausrennen!«brullte Rocke. Gehorsam quietschten die Lafetten uber die zerfurchten Planken, fieberhaft sturzte jeder Stuckfuhrer vor, um den Entluftungsstutzen zu verschrauben - da: ein scharfes Klirren und Klappern, die drei vordersten Schutzen fielen lang hin. Alle anderen Stuckfuhrer hielten die Rechte hoch, nur beim ersten Geschutz herrschte totales Durcheinander.

«Was, zum Deibel!«kreischte Rooke.»Was ist das fur eine blutiggottverdammte Sauerei?»
        Auf dem Oberdeck grinsten ein paar Zuschauer unverhohlen, und als Bolitho sich umdrehte, sah er, wie der Wachoffizier, Leutnant Fowler, auf seine Fu?e starrte und sich das Taschentuch auf den Mund pre?te.
        Mit langen Schritten kam Rooke den Decksgang entlang, bis er direkt uber dem Geschutz stand, das versagt hatte.»Bell, dafur will ich deine Ruckenwirbel sehen! Ich lasse dich peitschen, bis…»
        Der Stuckfuhrer starrte zu ihm hinauf und hob hilflos die Hande.

«War ich doch gar nich', Sir! War der junge Herr da!«Er zeigte auf Midshipman Seton, der sich eben zwischen zwei noch benommenen Matrosen hochrappelte.»Der is' uber sein' Dolch gestolpert, Sir, und die andern beiden sind uber ihn gefallen!»

«Halt den Mund!«Rooke schien zu merken, da? aller Augen auf ihn gerichtet waren. Etwas leiser fragte er:»Und was haben Sie diesmal angestellt, Mister Seton ?»
        Der Junge hob seinen Hut auf und sah sich um wie ein Tier in der Falle.»Sir, ich. Ich. «Es dauerte ein paar Sekunden, bis er die Sprache wiederfand.»Ich wollte an der Zugleine mit anfassen, Sir.»

«Ach, tatsachlich?«Rooke sprach jetzt ganz leise. Er fuhr sich mit der Hand uber den Mund.»Stehen Sie nicht da wie ein sabberndes altes Weib! Rei?en Sie sich gefalligst zusammen, wenn ich mit Ihnen spreche!»
        Bolitho wandte sich ab. Es war ihm unertraglich, Seton so leiden zu sehen, doch jede Einmischung hatte jetzt nur Rookes Autoritat bei den Leuten untergraben.
        Aber Rooke hatte noch nicht genug. Mit lauter Stimme fragte er:»Warum, in Gottes Namen, haben Ihre Eltern Sie blo? zur See geschickt, Mr. Seton? Es mu? doch auch andere Berufe geben, wo Sie Schaden anrichten konnen!«Ein paar Matrosen lachten, und dann antwortete Seton heiser:»I. Ich habe keine, Sir. M. Meine Eltern sind.
«Er konnte nicht weitersprechen.
        Die Hande in die Huften gestemmt, starrte Rooke verachtlich auf ihn hinunter. Keinen Vater, keine Mutter, Mr. Seton? Da mussen Sie ja ein noch schabigerer Bastard sein, als ich dachte!»
        Bolitho fuhr herum.»Mr. Quarme, lassen Sie die Geschutze sichern und die Bedienungen wegtreten. «Er warf einen raschen Blick nach oben.»Der Wind halt sich. Sie konnen jetzt die Royals setzen. «Er wartete, bis die Bootsmannspfeifen den Befehl weitergegeben hatten und die Manner in dichtem Schwarm die Jakobsleitern aufenterten.»Und Mr. Rooke soll sich bei mir melden.»
        Bolitho ging nach Luv hinuber und kreuzte die Hande auf dem Rucken. Wie die anlaufende Brise das blaue Wasser rippte, das hier und da schon wei?e Kamme trug! Nach dem Mittagsbesteck mu?ten sie etwa drei?ig Meilen sudostlich von Tarragona sein, aber so weit er sehen konnte, war die See leer. Doch seine Berechnungen waren bereits vom Ausguck im Gro?topp bestatigt worden, der dort oben, fast zweihundert Fu? uber Deck, auf seinem schwingenden, gefahrlichen Sitz hockte. Er allein hatte bisher die fernen Berge Spaniens gesehen. Bolitho war froh, da? er sich entschlossen hatte, ausreichend Seeraum zu gewinnen und die seinem Kurs entgegenlaufende Kustenstromung zu meiden. Au?erdem brachte ihm diese Entscheidung den gunstigsten Wind; und wenn der sich hielt, wurde er Hoods Schiffe um so schneller finden.

«Sie wollten mich sprechen, Sir?«Rooke sah ihn mi?trauisch an. Sein Atem ging noch rasch von der Anstrengung.

«Stimmt«, sagte Bolitho kuhl.»Ihre Manner haben sich ganz gut gehalten. Mit etwas Ubung wird das noch besser werden. «In Roo-kes Augen blitzte es auf - amusiert oder verachtlich? Langsam fuhr Bolitho fort:»In Zukunft wollen Sie es sich bitte versagen, Mr. Seton so zu demutigen.»
        Rookes Miene war wie aus Holz.»Er braucht Disziplin, Sir. Wie alle.»

«Vollig meine Meinung. Aber Disziplin ist eines, und Schikane ist etwas anderes, Mr. Rooke. «Sein Ton war scharf.»Es fordert die Disziplin nicht, wenn Sie einen Midshipman vor jenen Leuten beleidigen, die vielleicht eines Tages in der Schlacht von ihm abhangen.»

«Ist das alles, Sir?«Rookes Hande zitterten an seinen Hosennahten.

«Im Moment ja. «Bolitho blickte nach oben, wo eben die letzten Royals flappten und sich dann unter dem Druck des Windes harteten. Gegen den Himmel glanzte die volle Besegelung wie wei?e Pyramiden.»Sie werden mehr erreichen, wenn Sie den Leuten ein gutes Beispiel geben, Mr. Rooke«, sagte er noch. Stirnrunzelnd sah er hinter dem Leutnant her, der steifbeinig zum Decksgang schritt. Er hatte sich Rooke zum Feind gemacht - aber es war unwahrscheinlich, da? ein Mann seiner Art uberhaupt jemandes Freund war.
        Zogernd trat Quarme herzu.»Die Geschichte tut mir leid, Sir. Er wird manchmal ein bi?chen deutlich.»
        Bolitho blickte ihm ins Gesicht.»Schade, da? Sie nicht etwas deutlicher geworden sind, Mr. Quarme. Es pa?t mir nicht, da? ich Ihre Arbeit tun mu?.»
        Quarme sah ihn an, als hatte er einen Schlag ins Gesicht bekommen.»Meine Arbeit, Sir?»

«Ja. Ich habe nicht erwartet, da? ich meinen Offizieren Menschenfuhrung erst beibringen mu?. Schlie?lich sind Sie Mr. Rookes unmittelbarer Vorgesetzter. «Er lie? die Worte wirken.»Erledigt«, schlo? er dann.»Ich mochte nichts weiter dazu sagen. «Aber als er an der gegenuberliegenden Deckseite auf und ab schritt, wurde ihm klar, da? die Sache noch lange nicht erledigt war.
        Die nachsten Tage unterschieden sich nur wenig von den vorangegangenen: Segel- und Geschutzexerzieren hatten den Vorrang vor dem sonstigen Dienstbetrieb an Bord. Die Hyperion hatte den letzten Landvorsprung Kataloniens gerundet und kreuzte mit Nordostkurs in den Golfe du Lion. Es war eine monotone Etappe, wenig geeignet, die allgemeine Gereiztheit und Nervositat zu beheben. Wahrend seiner taglichen Spaziergange an Deck war sich Bolitho seiner Isolation bewu?t und der Schranke, die er selbst zwischen sich und den Offizieren aufgerichtet hatte. Doch sie mu?te sein, das war ihm jetzt klarer denn je. Wenn sie wollten, konnten sie ihn ablehnen, sogar hassen; aber sie mu?ten zusammengeschwei?t, zu einer Waffe geschmiedet werden, die er gebrauchen konnte, wenn die Zeit kam.
        Quarmes Haltung Rooke gegenuber begriff er immer noch nicht ganz. Sah er die beiden zusammen, dann kam ihm Quarme, der sonst in allen Dienstangelegenheiten sehr tuchtig und flei?ig war, immer so merkwurdig nervos und unsicher vor. Vielleicht imponierte ihm Rookes adelige Herkunft. Es war sogar bei Stabsoffizieren (von ehrgeizigen Ersten Leutnants ganz zu schweigen) nichts Ungewohnliches, da? sie sich bis zur Servilitat von einem Untergebenen beeindrucken lie?en, der vielleicht Einflu? bei Hofe oder im Parlament hatte und ihnen unter Umstanden zu einer rascheren Beforderung verhelfen konnte. Aber das war hier wahrscheinlich nicht der Fall. Die beiden dienten zu lange auf dem gleichen Schiff, da hatte sich so etwas eigentlich schon ergeben mussen.
        Bolitho sa? an seinem Tisch und stocherte lustlos in dem von Gimlett servierten Essen herum. Durch die Heckfenster sah er ihr kurzes Kielwasser und horte das Schlagen und Quietschen des Rudergeschirrs, wahrend das Schiff schwerfallig vor dem stetigen Wind segelte, der keinen Strich abwich. In der Abendsonne tanzten Millionen Lichtreflexe auf der See, und beim Anblick der endlosen Reihen kleiner kabbliger, wei?kopfiger Wellen fuhlte er sich noch einsamer.
        Da klopfte es an die Tur, und Midshipman Piper trat vorsichtig uber das Sull in die Kajute. Unter Vollzeug schien die Hyperion wie ein Brett mit immer gleicher Krangung zu liegen, so da? es gegen die offene Tur aussah, als stemme Piper sich schrag gegen einen starken Wind.»Mr. - Mr. Inch la?t respektvoll melden, er glaubt, da? wir das Geschwader gesichtet haben, Sir.»

«So - glaubt er das?«Bolitho spurte merkwurdige Erleichterung. Endlich passierte etwas, das die allgemeine Apathie brach.

«Sir?»
        Bolitho lachelte. Inch war der jungste Leutnant, ein eifriger, wenn auch wenig selbstsicherer junger Mann, der es naturlich vermied, sich eindeutig festzulegen.

«Wie hat sich Mr. Seton eingelebt?«fragte er.
        Piper verzog das Gesicht, so da? er aussah wie ein runzliges Aff-chen.»Er fuhlt sich nicht ganz wohl, Sir«, seufzte er.»Hat sich noch nicht an die Bordroutine gewohnt.»
        Bolitho verbarg ein Lacheln. Auch Piper war erst sechzehn, redete aber so selbstsicher wie ein Admiral.
        Er schritt an dem Posten stehenden Seesoldaten vorbei auf das Achterdeck hinaus. Der Wind war immer noch sehr frisch; aber voraus war uber dem stampfenden Bugspriet schon eine Landzunge zu erkennen. Sie hatten den ganzen Tag daraufzugehalten, einmal, als sie durch eine gro?ere offene Bucht segelten, hatten sie sie aus dem Auge verloren, doch als sie das au?ere Vorland gerundet hatten, war sie sofort wieder in Sicht gekommen.

«Ausguck meldet sechs Segel in Backbord voraus, Sir«, sagte Quarme formlich. Uber die Schulter des Ersten hinweg sah Bolitho Inchs langes Gesicht zu Quarmes Worten unbestimmt nicken.

«Recht so. Zwei Strich anluven, damit wir ihren Kurs schneiden.»
        Er schritt uber das Deck. Die Bootsmannsmaaten brullten:»Alle Mann an die Brassen! Und die Matrosen stromten aus dem Logis an Deck. Wie festgerammt stand Gossett neben dem Ruder und bi? sich auf die Unterlippe, als die machtigen Rahen rundkamen.»Stutzen, Mann!«knurrte er den Rudergast an.»Voll und bei!«Dann warf er einen Blick nach oben auf die donnernden Segel, und langsam breitete sich ein Lacheln uber seine Zuge. Dieses Lacheln kannte Bolitho - Gossett war zufrieden.
        Er nahm sein Teleskop und fing mit den Beinen das unregelma?ige Rollen des Schiffes ab, denn die Hyperion segelte jetzt hoher am Wind, der peitschend ubers Vorschiff fegte.

«Hinauf mit Ihnen, Mr. Piper«, blaffte Quarme,»und machen Sie gefalligst eine genaue Ansprache!»
        Bolitho sah voraus die hohen, gleichma?ig verteilten Segelpyramiden wie polierte Muschelschalen im Sonnenlicht glanzen. Selbst von Deck aus waren sie nicht zu verkennen.

«Auf Signale achten und sofort Meldung machen!«befahl er.
        Da tonte auch schon, vom Winde getragen wie ein Flotenton, Pipers Stimme vom Gro?mast herab:»Sechs Linienschiffe, Sir! Das vorderste fuhrt die Admiralsflagge!»
        Die sechs Schiffe lagen auf dem anderen Bug; Bolitho sah sie im Teleskop immer gro?er und in den Einzelheiten deutlicher werden, bis das vorderste, ein machtiger Dreidecker mit der Admiralsflagge am Gro?topp, die ganze Linse ausfullte, so da? er den gischtbespruhten Rumpf mit der rot und goldenen Galionsfigur deutlich erkennen konnte. Angestrengt ausspahend, wartete er: an der Rah stiegen druben winzige schwarze Balle empor und offneten sich dann flatternd zu bunten Streifen.

«Flaggschiff signalisiert, Sir!«rief Inch. Er hupfte vor Aufregung, als hatte er personlich das Geschwader an die Kimm gezaubert.
        Caswell, der Signal-Midshipman, hockte bereits im Besan und hatte sein riesiges Glas auf einen Block gestutzt, da? es so fest lag wie ein Kanonenrohr.»Sie setzt unser Rufzeichen, Sir!«Langsam bewegten sich seine Lippen, als er ablas: «Victory an Hyperion: Position in Luv einnehmen!»
        Rasch warf Quarme ein:»Der Admiral wird Sie an Bord bestellen, Sir!»

«Glaube ich auch. «Bolitho pre?te die Hande auf dem Rucken zusammen, um seine Erregung zu meistern.»Gehen Sie uber Stag!«befahl er.»Dann lassen Sie mein Boot klarmachen.»
        Quarme nickte, hob seine Sprechtrompete und befahl:»Achtung! Klar zur Wende!»
        Vom Ruder her erklang Gossetts bellende Stimme:»Klar ist!«Und als die Matrosen an die Brassen rannten, befahl er:»Leeruder!«Im Vorschiff wurden die Brassen losgeworfen, und die Hyperion schwang langsam durch den Wind; jeder Block, jedes Segel schlug und killte wie in Wut uber den plotzlichen Kurswechsel.
        Vom Hauptdeck her erklang erst ein schmerzlicher Aufschrei und dann die scharfe Stimme eines Bootsmanns:»Beeilung, du Tolpel! Lord Hood sieht dir zu!»
        Atemlos und stohnend stemmten die Manner an den Brassen die Fersen ein und holten die machtigen Rahen rund, immer weiter, immer mehr, bis die Segel mit jubilierendem Gebrull uberkamen und sich dann wieder fullten, wahrend das Schiff unter ihnen sich langsam auf den anderen Bug legte. Bolitho sah Gossetts befriedigtes Grienen und sagte:»Sie reagiert gut, Mr. Gossett. Langsam, aber sehr zuverlassig. «Und zum Ersten Offizier gewandt:»Wir wollen die Royals wegnehmen, Mr. Quarme.»
        Auf den neuen Befehl hin enterten noch mehr Matrosen auf, und wahrend die Segel unter den Handen der Toppgasten kurzer wurden und schlie?lich verschwanden, rief Midshipman Caswell, der bei dem Manover zur Gegenseite gerannt war:»Flaggschiff an
        Hyperion' >Bitten Kommandanten baldmoglichst an Bord! <»

«Bestatigen!«bellte Bolitho.»Baldmoglichst «von einem Admi-ral bedeutete» sofort oder noch fruher«.»Gig klar!«befahl Bolitho.
        Wahrend die sechs Schiffe naher kamen, drehte die Hyperion in den Wind. Donnernd protestierten die Segel, jedes einzelne Stag, alle Wanten vibrierten wie Cellosaiten.
        Die Kommandantengig war bereits ausgeschwungen, und als Bo-litho seinen Degen aus den Handen des nervosen Gimlett entgegennahm, brullte Allday:»Fier ab!«Als Bolitho an der Fallreepspforte stand, dumpelte das Boot schon langsseits, die wei?en Riemen standen hoch wie zwei Reihen polierter Walrippen. Beinahe hatte er den richtigen Zeitpunkt verpa?t; aber als das Boot knirschend an der Bordwand scheuerte, sprang er und betete zu Gott, er moge richtig abgekommen sein.
        Erleichtert atmete Allday aus.»Riemen bei! Zu. gleich!«Dann ri? er die Pinne hart herum, und als Bolitho wieder zu Atem gekommen war, lag die Hyperion schon ein gutes Stuck achteraus. Eben schwang sie noch einmal herum, um die richtige Position zum Flaggschiff einzunehmen, und als er sah, wie sich die Segel wieder fullten und die Bugwelle aufspruhte, konnte er einen Anflug von Stolz nicht unterdrucken. Er war erst knapp zwolf Tage an Bord, und doch konnte er sich kaum noch an die Zeit davor erinnern.
        Nach einer weiteren beschwerlichen Kletterei zur Fallreepspforte des Flaggschiffs empor wurde Bolitho von dessen Kommandanten empfangen und nach kurzer formeller Begru?ung sofort in die gro?e Heckkajute geleitet. War Bolithos Quartier auf der Hyperion schon sehr geraumig, so logierte der Admiral in jeder Hinsicht noch gro?artiger.
        Hood sa? auf der Bank unter den Heckfenstern und hatte zu seiner Bequemlichkeit ein Bein auf einen Stuhl gelegt. Wie ein Schattenri? hob sich sein massiges Haupt ab, als er auf die Schiffe hinausstarrte, die langsam im Kielwasser der Victory folgten. Er stand nicht erst auf, sondern bedeutete Bolitho durch eine Handbewegung, sich auf den Stuhl neben den Schreibtisch zu setzen.»Freut mich sehr, da? Sie hier sind, Bolitho. Sie scheinen ganz gut uber die Jahre gekommen zu sein.»
        Vorsichtig nahm Bolitho Platz und studierte seinen Vorgesetzten mit Interesse und Bewunderung. Er wu?te, da? Hood auf die Siebzig zuging; aber au?er einem gewissen Ansatz zum Doppelkinn und einer etwas verlangsamten Sprechweise schien er sich in den elf Jahren seit ihrem letzten Zusammentreffen nicht viel verandert zu haben. Die buschigen Brauen und die gro?e Adlernase drauten noch wie damals. Und die Augen, die ihn jetzt aufmerksam und abschatzend uber den Tisch hinweg musterten, glanzten klar wie bei einem jungen Mann.
        Unvermittelt fragte der Admiral:»Wie gefallt Ihnen das Schiff, he? Gut genug fur Sie?»

«Ich bin recht zufrieden, Sir. «Bolitho wu?te, da? Lord Hood kaum Zeit mit unnotiger Konversation verschwendete, und daher wunderte ihn diese Frage. Vielleicht spurte Hood seine Jahre doch etwas. Ware nicht Krieg gewesen, hatte er sich jetzt eines ruhigen Lebensabends erfreut, weit weg von den Sorgen eines Flottenkommandeurs.
        Ohne Pause sprach Hood weiter:»Ich wei? uber Sie Bescheid. Was Sie damals bei den Saintes gemacht haben, war gro?artig. «Er seufzte.»Ich wunschte, ich hatte die Barfleur, mein altes Flaggschiff, aber sie steht unter Lord Howe bei der Kanalflotte. «Er stemmte sich hoch und schritt schwerfallig durch die Kajute.»Sie haben die Geheimdienstberichte gelesen, nehme ich an«, sagte er uber die Schulter. Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er weiter. Er konnte voraussetzen, da? sich jeder Kommandant, der zu seiner Flotte stie?, vorher mit allen verfugbaren Informationen versorgt hatte - wenn er Kommandant bleiben wollte.»Dort druben in Tou-lon liegen zwanzig franzosische Linienschiffe. Ich werde dafur sorgen, da? sie so lange nicht herauskommen, bis ich mich entschlossen habe, was als nachstes zu tun ist.»
        Bolitho verarbeitete diese Information. Das britische Geschwader, das standig vor der franzosischen Kuste patrouillierte, wurde immer gro?er; daher waren die Franzosen verruckt gewesen, wenn sie ihre Schiffe in Toulon bei Ein- oder Auslaufversuchen exponiert hatten.
        Und fur Marseille galt das gleiche. Scharf sprach Hood weiter:»In einer Woche etwa habe ich einundzwanzig Schiffe unter meiner Flagge, und dann werde ich wissen, was ich tue. Comte Trogoff befehligt die franzosischen Schiffe in Toulon, und unsere Agenten dort haben bereits gemeldet, da? er zu Verhandlungen neigt. Wie viele in Toulon ist er konigstreu gesinnt. Aber seine Lage wird gefahrlich. Wenn er nicht der Unterstutzung durch seine Landsleute absolut sicher sein kann, wird er uns nie gestatten, Soldaten zu landen und den Hafen zu besetzen.»
        Nachdenklich erwiderte Bolitho:»Meiner Meinung nach hat er nicht mehr viel Zeit, sich zu entscheiden, Sir.»
        Lord Hood zog eine Grimasse, die bei ihm ein Lacheln bedeutete.»Bei Gott, da haben Sie recht! Es liegen Berichte vor, da? der franzosische General Carteau bereits auf dem Marsch nach Suden ist. Hoffentlich wei? auch Trogoff davon, denn so oder so durften seine Tage gezahlt sein, wenn wir ihm nicht helfen. «Er fuhr sich mit der Hand quer uber die Kehle.»Er durfte nicht der erste franzosische Admiral sein, der aufs Schafott steigt. Nicht einmal einer vom ersten Dutzend!»
        Bolitho versuchte, sich in die Lage des unglucklichen Admirals zu versetzen. Der mu?te tatsachlich eine schwierige Entscheidung treffen.
        Bolitho spurte, wie das machtige Hundert-Kanonen-Flaggschiff jenseits der geschlossenen Tur vor Leben wimmelte, konnte das Knarren der Spieren und Blocke, die dumpfen Befehle horen. Und druben, auf seinem eigenen Schiff, warteten Quarme und die anderen gespannt, wie es weitergehen wurde. Querpfeifen schrillten vom Oberdeck, er horte Getrappel und Kommandos. Zweifellos kam noch ein Kommandant an Bord, von einem der achteraus liegenden Schiffe.
        Gelassen fuhr der Admiral fort:»In dieser Situation kommt es darauf an, da? wir einen vertrauenerweckenden Beweis unserer Starke liefern. Und das darf auf keinen Fall schiefgehen, besonders in diesem fruhen Stadium nicht. «Er blickte Bolitho bedeutsam an.»Haben Sie schon von der Insel Cozar gehort?»

«Ah - jawohl, Sir. «Er sah die Ungeduld in Hoods Augen aufblitzen und fuhr rasch fort:»Wir haben sie in der Nacht zum Sechsten passiert.»

«Und das ist alles, was Sie von Cozar wissen, nehme ich an?«»Sie liegt vor der franzosischen Kuste, Sir, gehort aber zu Spanien.»

«Na, das ist schon besser«, entgegnete der Admiral trocken.»Die Dinge liegen so, da? der hingerichtete Konig Louis den Spaniern die Insel gegen bestimmte Konzessionen in der Karibischen See uberlassen hat. Cozar liegt etwa 125 Meilen westsudwestlich von dem Stuhl, auf dem Sie jetzt sitzen. Ein elendes, sonnengedorrtes Stuck Land, das die Spanier bis vor kurzem als Strafkolonie benutzten. Mit ihrer gewohnten Verachtung fur Menschenleben haben sie erkannt, da? nur Skorpione und Straflinge dort existieren konnen. «Unbeweglich stand Hood da und blickte auf Bolitho hinab.»Aber Cozar hat einen wesentlichen Vorzug«, fuhr er fort.»Namlich einen gro?artigen naturlichen Hafen - und sonst uberhaupt keine Ankergrunde. An jedem Ende ist ein Kastell, und eine gutplazierte Batterie konnte eine ganze Flotte beliebig lange in Schach halten.»
        Bolitho nickte.»So dicht vor der franzosischen Kuste gelegen, lie?e sich die Insel wie eine steinerne Fregatte verwenden. Unsere Schiffe hatten eine sichere Nachschubbasis und einen guten Unterschlupf bei Schlechtwetter und konnten von dort aus Vorsto?e gegen die Kustenschiffahrt unternehmen.»
        Hood schwieg dazu; und plotzlich wurde es Bolitho klar, was der Admiral mit seiner» vertrauenerweckenden Demonstration der Starke «gemeint hatte. Ge lassen fuhr er fort:»Wir konnten von dort aus eine zweite Invasion starten, wenn sich die Aktion Toulon als erfolgreich erweisen sollte.»
        Hood warf ihm einen grimmigen Blick zu.»Endlich haben Sie begriffen. Gut, Bolitho! Er schritt wieder zum Fenster.»Unglucklicherweise konnte es den Franzosen bereits eingefallen sein, wie wichtig Cozar ist. Vor einer Woche habe ich die Schaluppe Fairfax hingeschickt, um zu rekognoszieren. Seitdem haben wir von ihr nichts mehr gesehen und gehort. «Er schlug wutend die Hande zusammen.»Spanien ist zwar neuerdings unser Alliierter, aber wer kann sagen, wie lange so eine Allianz Bestand hat, wenn Not am Mann ist?»
        Ein nervoses Klopfen an der Tur, und Hoods Adjutant, ein Flaggleutnant, steckte angstlich den Kopf herein. Hood warf ihm einen wutenden Blick zu.»Raus, zum Teufel!«Dann wandte er sich wieder an Bolitho.»Ich habe zur Zeit ein spanisches Geschwader bei mir. Falls wir Cozar attackieren und besetzen, mu? der Hauptanteil daran scheinbar bei den Spaniern liegen. «Er zog die Brauen hoch.»Das wird unsere Beziehungen festigen und den Franzosen zeigen, da? wir mit Spanien nicht nur aus Angst verbundet sind, sondern auf Grund gegenseitigen Respekts. «Er lachelte grimmig.»So mu? das also aussehen, eh?»
        Bolitho rieb sich nachdenklich das Kinn.»Und Sie wollen, da? die Hyperion mit dabei ist, Sir.»

«Genau. Von allen meinen Kommandeuren sind Sie, glaube ich, am besten dazu geeignet. Ich erinnere mich, da? Sie damals in der Karibik einige sehr erfolgreiche Aktionen unternommen haben. Ihre Initiative und Phantasie sind genau das, was wir im Moment brauchen. «Etwas geniert blickte er zur Seite.»Sie segeln mit zwei spanischen Linienschiffen, aber die Aktion lauft unter dem Oberbefehl von Vizeadmiral Sir William Moresby. Kennen Sie ihn?»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Hoods Worte beschaftigten ihn noch intensiv. Von so weit war er gekommen und hatte gehofft, an wirklichen Kampfen teilzunehmen - und nun das! Die Hyperion wurde hin- und wieder zurucksegeln und nichts leisten au?er einem obskuren Beitrag zu einem ortlich begrenzten Scharmutzel. Sa?en die Spanier erst einmal sicher auf ihrem eigenen Territorium, wurden sie es sehr eilig haben, die Hyperion wieder loszuwerden - um Vizeadmiral Moresby wurden sie sich dabei wenig scheren. Hood sah ihn ernsthaft an.»Moresby ist ein guter Flaggoffizier*. Er wei? Bescheid.»
        Bolitho merkte, da? das Gesprach beendet war, und stand auf, wandte sich aber um, als Hood abschlie?end sagte:»Ich wollte mit Ihnen personlich sprechen, damit Sie sich uber die Bedeutung dieser Mission klar sind. Was auch passieren mag, ich bitte, dies wortlich aufzufassen: die Insel mu? ohne Verzogerung genommen werden. Wenn die Franzosen Zeit haben, dort eine richtige Garnison zu installieren, dann bekommen sie einen Versorgungsstutzpunkt fur ihre Flotte und konnen alles ausspionieren, was ich tue. Mein Geschwader ist sowieso schon bis an die Grenzen des Moglichen auseinandergezogen. Ich kann es mir nicht leisten, noch mehr Schiffe auszuschicken, um die Insel standig zu kontrollieren. Ist das klar?»
        Die Tur offnete sich ein paar Zoll, und der Flaggleutnant sagte verzweifelt: Entschuldigung, Mylord, aber der Kapitan der Agamemnon ist an Bord und bittet um eine Unterredung.»
        Statt wie sonst wutend aufzufahren, lachelte Hood, was ziemlich selten vorkam.»Das ist der junge Captain Nelson; gleiches Dienstalter wie Sie, Bolitho. Na, diesmal wird er enttauscht. «Seine halb beschatteten Augen funkelten.»Er wird von Cozar gehort haben. Auch er liebt es namlich, gelegentlich auf eigene Faust zu handeln, genau wie Sie.»
        Bolitho spielte mit dem Gedanken, einen Kommandowechsel vorzuschlagen, doch Hood sprach bereits weiter:»Aber seine Agamemnon ist ein schnelles Schiff. Ich brauche sie hier, falls etwas schiefgeht.»

«Jawohl, Sir. «Bolitho dachte an Rookes verachtliche Worte:»Sie ist so langsam wie eine alte Kuh«, und fuhr fort:»Die Hyperion wird schon zeigen, was sie kann.»

* Marineoffizier mit der Berechtigung zum Fuhren der Admiralsflagge.
        Der Admiral sah ihm ins Gesicht.»Habe nie daran gezweifelt, mein Junge. «Er lachte in sich hinein, wahrend Bolitho zur Tur schritt.»Und ich glaube kaum, da? der Krieg schon morgen zu Ende geht. Da wird es noch oft genug Gelegenheiten fur Sie geben!»
        Bolitho trat aus der Tur und prallte fast mit dem nervosen Flaggleutnant zusammen, der ihm sofort ein gro?es versiegeltes Kuvert in die Hand druckte und dabei murmelte:»Ihre Segelorder, Sir. In einer Stunde wird Vizeadmiral Sir William Moresby seine Flagge von der Cadmus auf die Hyperion uberfuhren. Darf ich Ihnen empfehlen, da? Sie schnellstens wieder an Bord Ihres Schiffes gehen, Sir? Sir William legt, ah, gro?en Wert darauf, vorschriftsma?ig empfangen zu werden.»
        Bolitho stie? einen Grunzer aus und eilte zur Fallreepspforte. Der Kopf schwirrte ihm von diesen Neuigkeiten und Ereignissen. Die Cadmus war ein gro?er Dreidecker. Zweifellos braucht Lord Hood sie ebenfalls, dachte er bitter.
        Der Kapitan des Flaggschiffs wartete schon bei der zum Seitepfeifen angetretenen Abteilung und lachelte Bolitho sorgenvoll zu. Es mu?te ziemlich schwierig sein, ein Schiff zu fuhren, das Lord Hood an Bord hatte.
        Doch als Bolitho in seine wartende Gig kletterte, verga? er Hood und beschaftigte sich mit dem Problem, aus der Hyperion ein Flaggschiff zu machen. Ein Dreidecker war sie nicht. Sir William wurde sie etwas eng finden.
        Das Boot stie? ab, und Bolitho merkte, da? Allday an der Pinne gespannt zu ihm herubersah. Dann blickte er sich nach der turmhohen Victory um - dort dachte vermutlich kein Mensch mehr an seinen kurzen Besuch an Bord. Doch als sein Blick auf das breite Achterdeck des Flaggschiffs fiel, sah er oben einen schlanken, beinahe schmachtigen Mann an den Finknetzen lehnen und zu ihm herunterschauen. Dessen Uniform war noch ausgeblichener als Bolithos eigene, und sein Haar war zu einem steifen, unmodernen Zopf gebunden. Als das Boot flott um das Heck der Victory schor, sah Bolitho, wie der Mann die Hand hob - es mochte ein Gru? sein oder auch eine Geste der Resignation. Bolitho hob zum Gegengru? die Hand an den Hut. Zweifellos Nelson von der Agamemnon, dachte er. Ein schmachtiges Kerlchen, gar nicht wie ein Linienschiffskapitan; und dort auf dem riesigen Achterdeck der Victory sah er ganz verloren und verlassen aus. Also, dieser Nelson hatte wirklich keinen Grund, neidisch zu sein, dachte er bose. Nur zu gern hatte er ihm die Aktion Cozar uberlassen.
        Allday senkte den Kopf und fragte leise:»Gute Nachrichten, Cap-tain? Bleiben wir beim Geschwader?»
        Bolitho warf ihm einen wutenden Blick zu.»Kummern Sie sich um Ihren Kram! Dieses Boot wackelt mit dem Hintern wie eine Hafenhure!»
        Allday wartete, bis Bolitho sich wieder umgedreht hatte, und lachelte dann in sich hinein. Die ganzen letzten Monate hatte er sich um die Gesundheit seines Kapitans Sorgen gemacht. Doch Arger von oben war besser als jede Medizin, dachte er frohgemut. Nur - die Franzosen konnten sich jetzt auf etwas gefa?t machen!



        III Sir Williams letztes Wort

        Bolitho blieb unter der Kampanje stehen, bis sich seine Augen an das Dammerlicht gewohnt hatten, und trat dann aufs Achterdeck hinaus. Auf den ersten Blick gab es noch keine Anzeichen dafur, da? die Morgenrote bereits hinter der Kimm wartete, doch als er hochblickte, erkannte er, da? die Sterne hinter dem schwarzen Gewebe der Takelage und den geisterhaften Umrissen der Segel verbla?ten, und da? der Himmel nicht mehr samtschwarz, sondern geheimnisvoll purpurn war. Jedesmal hatte Bolitho aufs neue seine
        Freude an diesem Anblick.
        Ein Schatten nahte sich von der Achterdecksreling: Quarme.»In einer halben Stunde geht die Sonne auf, Sir. Ich habe wie befohlen das Wecken eine Stunde fruher angesetzt. Die Leute haben auch schon gegessen.»
        Bolitho nickte.»Recht so. «Er konnte jetzt schon besser sehen. Langsseit verzischten Glut und Asche im Meer: die Koche warfen die Reste des Kombusenfeuers uber Bord - auch das hatte er befohlen. Auf einmal fuhlte er sich steif und verkrampft. Hatte er sich doch nur Zeit gelassen, noch einen Becher Kaffee zu trinken!
        Vizeadmiral Moresby bewohnte Bolithos Quartier, daher hatte er selbst in einer provisorischen Koje im Kartenraum geschlafen. Die meisten anderen Kommandanten hatten unter diesen Umstanden die Kajute des Ersten Offiziers okkupiert; aber in seiner derzeitigen grublerischen Stimmung fuhlte sich Bolitho in der Abgeschlossenheit des kleinen Kartenraumes wohler, mochte es auch etwas eng sein.
        Seit fast drei Tagen hielt die Hyperion, gefolgt von zwei spanischen Linienschiffen, Kurs auf die Insel Cozar. Es waren ungemutliche Tage mit irritierenden Konferenzen zwischen Moresby und dem spanischen Admiral gewesen, wobei nicht viel mehr geklart wurde, als da? jeder beabsichtigte, nach seinem eigenen Kopf zu handeln. Jetzt lagen die beiden Schiffe mehrere Meilen achteraus; ohne Sinn fur Dringlichkeit und Zeitplanung hatten sie zur Nacht einfach beigedreht.

«Toppgasten aufentern, Mr. Quarme«, sagte Bolitho unvermittelt.»Lassen Sie Bramsegel, Gro? und Fock reffen. Marssegel und Kluver genugen fur unser Vorhaben.»
        Quarme gab den Befehl weiter, und unmittelbar darauf setzte hektische Aktivitat uber Deck ein.
        Nach Bolithos sorgfaltiger Berechnung lag die Insel jetzt etwa vier Meilen an Steuerbord voraus; und vor der achtern aufgehenden Sonne wurden verschlafene Wachtposten die Hyperion um so schlechter ausmachen konnen, je weniger Segel sie fuhrte. Auch da? sie weniger Fahrt machte, wurde dabei nur von Vorteil sein.
        Doch alle seine sorgfaltig geplanten Vorsichtsma?regeln konnten sich als sinnlos erweisen, denn der spanische Admiral hatte am Vorabend, als er mit seinen beiden Kommandanten zu einer weiteren langen Konferenz an Bord der Hyperion gekommen war, ausdrucklich erklart, es sei durchaus moglich, da? Cozar noch in spanischer Hand sei; Bolithos komplizierte Vorbereitungen, seine heimliche Annaherung mochten blo?er Zeitverlust sein. Zwar konnte Bolitho die Franzosen nicht leiden, doch er hatte Respekt vor ihnen und unterschatzte sie keineswegs. Es ware dumm gewesen, die Moglichkeiten zu ubersehen, die ihnen eine so machtige Festung bot.
        Der spanische Admiral, Don Francisco Anduaga, war ein stolzer, schlanker, hochmutiger Aristokrat, der von Anfang an ungeniert deutlich machte, was er davon hielt, unter Moresbys Oberbefehl zu stehen. Moresby war klein, untersetzt, aggressiv, und Anduagas Stolz interessierte ihn einen Schmarren. Wie ein hartnackiger Ter-rier wuhlte er in ihren Planen herum. Und es gab in der Tat sehr wenige Punkte, uber die sich die beiden Admirale einig waren. Die Spanier akzeptierten das britische Signalsystem und in gro?en Zugen den Plan der Annaherung, aber das war schon fast alles. Jedoch bei seinem letzten Besuch hatte Anduaga wenigstens einen nutzlichen Beitrag geleistet. Er hatte einen tief brunetten Leutnant mitgebracht, der tatsachlich auf Cozar Dienst getan hatte, als es noch Strafkolonie gewesen war. Seine Informationen waren eindrucksvoll, aber gunstig nur fur diejenigen, die auf der Insel sa?en und sie beherrschten.
        Cozar war knapp funf Meilen lang und schien der ungastlichste Fleck der Erde zu sein. Von gefahrlichen Klippen und verstreuten Felsen umgeben, war es nur durch die gro?e naturliche Bucht an der Sudseite erreichbar; dann gab es noch einen zweiten Landeplatz direkt unter den Kanonen der starken Bergfestung. Am anderen Ende lag ein Hugel mit einem alten Maurenkastell und einer kleineren Batterie, um jeden abzuwehren, der tollkuhn genug war, bei Tag oder Nacht die Klippen zu sturmen. Und in der Mitte zwischen diesen beiden erhob sich ein dritter, uber tausend Fu? hoher Berg, von dem aus selbst ein Halbblinder jedes sich nahernde Schiff sehen konnte, noch bevor es voll uber der Kimm stand.

«Ein scheu?licher Ort, Capitano«, hatte der Spanier mit melancholischem Augenrollen gesagt.»Nicht einmal geeignet fur wilde Tiere.»
        Aber Bolitho wollte mehr wissen.»Was ist mit Trinkwasser?
        Gibt es genug?»

«O nein. Sie sind vom Regen abhangig, der in einer kunstlichen Zisterne aufgefangen wird. Wenn mehr gebraucht wird, mu? es per Schiff geholt werden.
«Verlegen schlug er die Augen nieder.»Von der Hafenstadt St. Clar; aber damals waren wir naturlich noch mit Frankreich alliiert, verstehen Sie.»
        Argerlich war Moresby dazwischengefahren:»Wenn Sie daran denken, ihnen die Wasserversorgung abzuschneiden, Bolitho, dann mussen Sie sich was anderes einfallen lassen. Fur eine Blockade bleibt uns keine Zeit, und uberhaupt wissen wir gar nicht, welche Vorrate sie haben.»
        Irritiert hatte Anduaga von einem zum anderen geblickt.»Aber was machen Sie sich alle fur Sorgen?«Er hatte eine sanfte, seidenweiche Stimme, die durchaus zu der absoluten Uberlegenheit pa?te, mit der er allen Mitmenschen gegenubertrat.»Die achtzig Kanonen meiner Marte konnen sie in Stucke hauen! Doch ich versichere Ihnen, es wird keine Franzosen dort geben. «Grausam glitzerten seine Augen.»Die spanische Garnison wei? ganz genau, da? sie es mit mir zu tun kriegt, wenn sie so dumm ist und sich diesen franzosischen Kuhbauern ergibt!»
        Eine Stimme unterbrach Bolithos dusteres Grubeln:»Land! Land in Luv voraus!»
        Nervos fuhr er herum.»Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Gossett!«Und zu Quarme: Lassen Sie >Klar Schiff zum Gefecht< anschlagen, bitte, aber lassen Sie noch nicht laden oder ausrennen.»
        Wieder schrillten die Pfeifen, und als sich die dunklen Decks mit wimmelnden Gestalten fullten, fragte Quarme gelassen:»Wollen Sie dem Admiral Bescheid sagen, Sir?»
        Unter Deck erhob sich ein machtiges Getrampel und Gescharre: Trennwande wurden umgelegt, allerlei herumstehendes Geschirr unter die Wasserlinie geschafft, damit die Geschutzbedienungen nicht behindert wurden.

«Sir William wird es wohl schon gemerkt haben, Mr. Quarme«, entgegnete Bolitho trocken.
        Er hatte kaum ausgeredet, da spritzte ein Midshipman von der Kampan je herbei und stammelte ganz au?er Atem:»Empfehlung vom Admiral, Sir, und… und…«Er stockte, weil ihn alle gespannt anblickten.

«Also mein Junge, was hat er nun gesagt?«fragte Bolitho.
        Der arme Midshipman stammelte:»Er hat gesagt: >Was, zum Deibel, soll der Quatsch
        Bolitho hielt seine Stimme unter Kontrolle.»Richten Sie Sir William meinen Respekt aus und informieren Sie ihn, da? ich soeben >Klar Schiff zum Gefecht< habe anschlagen lassen. «Und mit einem kalten Blick auf Quarme:»Aber wie ich sehe, dauert das bereits uber zehn Minuten. «Er sah, wie Quarme erstarrte, und fuhr gleichmutig fort:»Geben Sie mir mein Glas. «Dann zog er sich in die Besanwanten hinauf und enterte auf, die erstaunten Blicke der anderen in seinem Rucken. Langsam qualte er sich zur Besansaling empor und spurte dabei die klammen, schwankenden Webeleinen durch die Schuhsohlen; zu seinem eigenen Arger war sein Griff fester als notig, beinahe ein krampfhaftes Anklammern. Gro?e Hohen waren ihm zuwider, und zwar seit er zum erstenmal, als zwolfjahriger Midshipman, aufgeentert hatte. Auch jetzt tat er es nur aus Wut und Stolz, das wu?te er recht gut, und dieses Wissen argerte ihn um so mehr.
        Er hakte ein Bein um die holzerne Spiere und zog das Teleskop aus. Tief unter ihm lag das Deck in bleichem Dammerlicht, aber es war schon hell genug, um Einzelheiten auszumachen: die schwarzen Verschlusse der Kanonen unter den Decksgangen; am Vormast das Karree von Hauptmann Ashbys Seesoldaten; fast schwarzlich schimmerten die scharlachroten Uniformen in dem seltsamen Licht; und achtern, bei der Heckreling, konnte er den schwachen Lichtschimmer aus dem Oberlicht erkennen. Sir William mu?te inzwischen hellwach sein. Er wurde knurren und schimpfen, weil er keine Meldung bekommen hatte; aber Bolitho hatte inzwischen gelernt, da? der Admiral sehr schnell mit Vorwurfen bei der Hand sein wurde, wenn er als Kommandant irgend etwas ubersah. Doch all das verga? er, wahrend er sein Glas aufstutzte und mit elastischen Muskeln das Schwanken und Vibrieren des Mastes auffing. Da lag die Insel, unverkennbar. Sie naherten sich ihr von Sudosten, dicht am Wind und auf Steuerbordbug, so da? sich die drei Berge uberschnitten und gegen den stumpfgrauen Himmel so aussahen wie ein riesiger, zerknautschter Dreispitz.
        Vom Hauptdeck her scholl ein metallisches Klirren zu ihm empor, gefolgt von dem wutenden Schimpfen eines Unteroffiziers, den er nicht sehen konnte. Bolitho schob sein Glas zusammen und enterte rasch ab. In der Eile verga? er sogar seine Hohenangst.

«Sorgen Sie dafur, da? die Manner still sind, Mr. Quarme! Wir sind weniger als drei Meilen von der Insel entfernt. Wenn die druben tatsachlich noch schlafen, dann mochte ich nicht, da? sie vorzeitig aufwachen.»

«Das war ich, Bolitho! Auch ich wollte noch ein bi?chen schlafen!»
        Bolitho fuhr herum und erblickte den Admiral, der wie ein bleiches Gespenst unter der Kampanjetur stand. Er hatte nur einen Rock uber sein langes wei?es Nachthemd geworfen, und auf seinem Schadel sa? wie der Loschtrichter auf einer Kerze noch die rote Nachtmutze. Es gelang Bolitho, in dienstlichem Ton zu antworten:»Ich mu? um Entschuldigung bitten, Sir. Aber es schien mir kluger, auf alles vorbereitet zu sein.»
        Der Admiral glotzte ihn bose an.»Das sagen Sie!»
        Hinter ihm tauchte Gimlett auf, nervos ein Tablett mit zwei Glasern balancierend. Das war Moresbys tagliches Morgenritual. Das eine Glas enthielt ein rohes Ei, das andere zur Halfte Brandy. Bo-litho blickte weg, weil ihm jedesmal beinahe ubel wurde, wenn der Admiral diese seltsame Mischung hinuntergo?.
        Moresby schmatzte mit den Lippen und sagte murrisch:»Wird ja endlich heller. «Er fuhr so heftig herum, da? die Quaste seiner Nachtmutze in der frischen Brise wie ein Wimpel tanzte.»Wo stecken die verdammten Dons?»

«Die brauchen Stunden, bis sie uns eingeholt haben, Sir. «Bolitho versuchte sich, seinen Eifer nicht anmerken zu lassen.»Vielleicht konnen wir noch etwas dichter heran? Der Meeresboden fallt hier ziemlich steil ab, bis auf achtzig Faden*.»
        Der Admiral knurrte:»Sieht ja alles ruhig aus. Vielleicht hatte Don Anduaga doch recht. «Er runzelte die Stirn.»Hoffentlich!»
        Doch Bolitho blieb hartnackig.»Ich habe ein komplettes Landkommando eingeteilt, Sir: neunzig Seesoldaten und hundert ausgesuchte Matrosen. Wir konnten die Boote eine Kabellange vor der Hafeneinfahrt absetzen, ehe die Garnison uberhaupt merkt, was geschieht.»
        Moresby seufzte.»Nun mal sachte. Mir gefallt die Geschichte genausowenig wie Ihnen, aber Lord Hoods Befehle sind ganz eindeutig: Wir lassen die Dons zuerst landen. «Er schritt zur Kampan-je zuruck.»Und uberhaupt wurden Sie ganz schon dumm dastehen, wenn es Arger gibt und die Spanier erst einen Tag spater kommen. Sie haben ja gehort, was der Leutnant uber die Verteidigungsanlagen gesagt hat. Die schie?en Ihre Manner zusammen, bevor sie uberhaupt aus den Booten sind!»
        Bolitho erwiderte mit gedampfter Stimme:»Aber nicht so fruh am Morgen, Sir. Auf den Uberraschungseffekt kommt es an. Wenn uns die Festungsbesatzung erst gesehen hat, kriegen wir nie wieder eine Chance.»

«Ich ziehe mich jetzt an. «Moresbys Stimme klang gefahrlich ruhig.»Mein Gott, Fregattenkapitane sind doch alle gleich. Keinen Sinn fur Verantwortung oder Risiko!»

* Langenma? fur die Wassertiefe, l Faden = 1,829 m
        Bolitho schritt zweimal das Achterdeck auf und ab, um seine Gedanken zu ordnen. Moresby war schon ziemlich alt fur seinen Dienstgrad und daher wahrscheinlich ubervorsichtig.
        Gossett sang aus:»Insel querab, Sir!«! Mit zusammengekniffenen Augen musterte er die gebra?ten Rahen.
        Bolitho nickte. Die Nervenanspannung hatte ihn unkonzentriert gemacht. Er hatte kaum ernstlich geglaubt, da? Moresby Hoods Befehl ignorieren wurde, aber im stillen doch auf so etwas gehofft. Mude sagte er:»Gut, Mr. Gossett, lassen Sie halsen!»
        Die Hyperion wandte sich gegen die ablandige Dunung und ging pflichtgetreu mit dem Heck durch den Wind; sofort fa?ten die Segel wieder die leichte Brise, die ubers Wasser strich.

«Auf Backbordbug bleiben, Mr. Gossett!«Bolitho vergegenwartigte sich im Geiste die Seekarte.»Am diesseitigen Landarm der Bucht springt eine lange Felsbarriere ins Meer vor. Vielleicht steht da ein Posten!»
        Er dachte an die Kanoniere, an seine Offiziere, die uberall im Schiff gespannt warteten. Grinsen wurden sie, dachte er bitter, und denken, ihr neuer Kapitan hatte mehr Angst als Umsicht. Alles Exerzieren, alle Vorbereitungen waren umsonst, wenn seine n-stinktive Vorsicht sich als uberflussig erwies.
        Er blickte zum Wimpel empor: er glanzte bla?golden wie gesponnene Seide. Und als er uber den Bug nach vorn spahte, stellte er fest, da? die Kimm als dunkler Streifen sichtbar geworden war: wie schnell die Sonne in diesen Breiten aufgeht, dachte er. Diese Feststellung deprimierte ihn. Mit der Sonne wurde die Hitze kommen, der Drang zur Unbeweglichkeit und hilflosen Passivitat, so da? das Schiff uber seinem Spiegelbild dumpeln und kaum noch Fahrt machen wurde.

«An Deck! Zwei Schiffe in Lee voraus!»

«Dann haben die Dons also doch nicht lange geschlafen, Sir«, murmelte Quarme.

«Vielleicht haben sie unserem Admiral nur nicht so recht getraut. «Bolitho starrte auf die glasige Dunung.»Richten Sie Sir William meine Hochachtung aus und melden Sie ihm, da? die Spanier bald eintreffen werden.»
        Quarme zogerte.»Soll ich die Manner vom Achterdeck wegtreten lassen?»

«Sie sollen tun, was ich Ihnen sage, weiter nichts!«Bolitho bereute seinen Ausbruch sofort, blieb aber abgewandt an der Reling stehen, wahrend Quarme mit seiner Botschaft hinwegeilte.
        Blutrot und bose stieg die Sonne uber die scharfe Kimm und malte einen immer breiter werdender Pfad auf die leere Wasserwuste. Dann sah Bolitho die Bramsegel der beiden spanischen Schiffe. Das geheimnisvolle Morgenlicht tauchte sie in Feuer - ganz unwirklich sahen sie aus.
        Moresby erschien an Deck, und Bolitho wandte sich zu ihm um. Der Admiral trug seine Galauniform mit goldenen Tressen an Hut und Rock, dazu seinen besten Degen, als ginge es zur Flottenparade.

«Ein herrlicher Tag, Bolitho«, sagte er tief einatmend. Auf sein Fingerschnippen hin reichte ihm der Signal-Midshipman ein Fernrohr. Minutenlang hielt er es auf die beiden Schiffe gerichtet.
        Dann seufzte er resigniert.»Signal an die Marte! Sie soll eine achterliche Position einnehmen. «Er blinzelte in die Sonne und fugte hinzu:»Und Sie werden dann halsen und das Geschwader auf dem Ruckweg zur sudlichen Einfahrt anfuhren. Wenn nichts geschieht, laufen wir in den Hafen ein. «Er warf das Glas dem Mids-hipman wieder zu.»Don Anduaga kann diese verdammte Insel von mir aus haben.
«Damit schritt er nach achtern und sah wortlos zu, wie die Signalflaggen zur Rah hochschossen.
        Stetig stieg die Sonne uber den glitzernden Horizont, und die Sicht wurde immer klarer, als wurde die Gardine von einem Fenster gezogen. Hier gab es kein dammeriges Halblicht, in dem sich die Augen eingewohnen konnten. In der einen Minute war es noch Nacht, und in der nachsten.
        Bolitho ri? sich aus diesen zwecklosen Gedanken und schritt nach achtern, um die beiden spanischen Schiffe zu beobachten. Wie sie da direkt vor der Sonne standen, boten sie einen gro?artigen Anblick. Beide hatten sie Segel gekurzt, aber von Masten und Rahen wehten so viele farbenfreudige Flaggen und prachtige Banner, da? man nicht unterscheiden konnte, ob sie signalisierten oder sich nur geschmuckt hatten, um einen unblutigen Sieg zu feiern.
        Die Marte, Anduagas Flaggschiff, bot einen Anblick wie aus dem Bilderbuch. Von der prachtigen Galionsfigur bis zu eleganten, schrag einfallenden Heck war sie eitel Farbe und Bewegung. Auf dem Oberdeck konnte Bolitho das muntere Gewimmel der spanischen Soldaten ausmachen, die den Hauptteil des Landungskommandos bilden sollten.
        Er wandte sich ab und richtete das Glas auf die Insel. Im hellen Sonnenlicht wirkte sie nicht halb so bedrohlich: auf den Bergen, die von weitem ganz grau ausgesehen hatten, wuchs niederes Gestrupp und sonnendurres Unterholz. Nur der gro?e runde Festungsturm verlieh dem friedlichen Bild etwas Bedrohliches. Nichts ruhrte sich, nur die Brandung schlug an die Klippen. Der Naturhafen lag noch in tiefem Schatten, so da? nicht einmal der scharfaugige Ausguck erkennen konnte, ob sich dort etwas bewegte.

«Also schon, Bolitho«, sagte Moresby kurz,»ein Schu?! Wir sind ja dicht genug dran. «Er hatte ziemlich leise gesprochen, aber in der gespannten Stille klangen seine Worte beinahe laut. Bolitho winkte zum Hauptdeck hinunter. Pearse, der Stuckmeister, zundete den vordersten Zwolfpfunder und trat vor dem zuruckfahrenden Rohr zur Seite. Der laute Krach des Einzelschusses loste ein Echo aus, das um die ganze Bucht zu rollen schien. Mit protestierendem Gekreisch flogen Mowen hoch.
        Bolitho hielt sein Glas auf den oberen Rand der Festung gerichtet und sah mit angehaltenem Atem, da? eine Flagge eilig am Mast emporstieg, die s ich eine Sekunde spater in der frischen, ablandigen
        Brise entfaltete. Er lie? das Teleskop sinken und blickte den Admi-ral an. Moresby lachelte grimmig.
        Selbst ohne Glas war die Flagge leicht zu erkennen: das kraftige Gelb und Rot Spaniens.
        Moresby entschied:»Signal an die Marte: >Wenden und in Kiellinie Hafen anlaufen<«Und mit einem kalten Blick auf Bolitho:»Sie behalten den Kurs zunachst bei und schlie?en sich dann an!»
        Als Midshipman Caswell die Order hastig auf seiner Schiefertafel notierte, wandte Bolitho ein:»Meiner Meinung nach sollten wir lieber ein Boot vorschicken, Sir. Einen Kutter vielleicht?»
        Moresby blickte zu den aufsteigenden Flaggen empor und winkte Bolitho zu sich an die Reling.»Ich habe schon zu viel Zeit vertrodelt. Denken Sie, mir liegt daran, da? die Dons uberall herumerzahlen, wir hatten Angst, unseren eigenen Augen zu trauen?«Er schob entschlossen das Kinn vor.»Vergessen Sie nicht: mit dieser Operation sollen wir bei den Spaniern Starke demonstrieren!»

«Die Marte hat anscheinend Order bestatigt, Sir«, rief Caswell unsicher. In der Tat setzte das spanische Flaggschiff mehr Segel, sein Umri? verlangerte sich merkbar, als es sich der Insel zuwandte. Die Princesa, ein etwas kleineres Schiff mit vierundsechzig Kanonen, scherte aus; in wilder Konfusion schlugen ihre Segel, als sie sich bemuhte, dem Fuhrungsschiff zu folgen.
        Gossett musterte die Spanier mit offensichtlicher Verachtung.»Haben das Signal wohl uberhaupt nicht gesehen!«knurrte er.»Am Abend sind sie bestimmt allesamt besoffen!»
        Moresby sagte:»Ich schlage vor, Sie lassen Ihre Leute wegtreten, Bolitho, und Geschutze und Stuckpforten sichern, bevor wir wenden.»
        Und mit plotzlichem Arger:»Das war genug Affentheater fur einen Tag!»
        Mit geballten Fausten ging Bolitho nach Luv hinuber.»Haben Sie gehort, Mr. Quarme? Der Erste nickte ausdruckslos und unbewegt.»Also machen Sie weiter!»

«An Deck! Masten tief innen im Hafen!»
        Einige Matrosen blickten zu der winzigen Gestalt des Ausgucks empor, aber die meisten starrten stumpf nach achtern auf die glanzvollen spanischen Schiffe.
        Bolitho ri? Quarme die Sprechtrompete aus der Hand.»Was fur ein Schiff, Mann?»

«Is' nich' viel, Sir. «Dann schien dem Mann klarzuwerden, da? er mit seinem Kommandanten sprach, und er wurde deutlicher:»Wohl 'ne Schaluppe, Sir!»
        Mit zwei Schritten war Bolitho an der Reling.»Befehl belegt!«schrie er zu den Leuten hinunter, die bereits die Haltegiens der Zwolfpfunder festzurrten und die Stuckpforten verriegelten.
        Dann blickte er Moresby an und sagte:»Diese Schaluppe, Sir - es kann die Fairfax sein, die Lord Hood zum Rekognoszieren hergeschickt hat!«Abwartend pre?te er die Hande hinterm Rucken zusammen.
        Dem Admiral war anzusehen, da? er unsicher wurde.
        Bolitho fuhr fort:»Falls das wirklich unser Schiff ist, dann…»
        Moresby wandte den Blick ab.»Mein Gott, Mann! Wenn das stimmt…«Heiser vor Erregung befahl er:»Signal an die Marte: Ruckzug auf Position achteraus! Und das gleiche Signal an die Princesa!»
        Aber das spanische Flaggschiff hatte die Wende bereits ausgefahren und lag in der frischen Morgenbrise schon auf direktem Kurs zum Hafen.

«Schu? vor den Bug, verdammt! Damit der Kerl das Signal sieht!«blaffte Moresby wutend. Aber bei den Geschutzbedienungen herrschte noch das Durcheinander, das immer eintrat, wenn plotzlich Gegenorder gegeben wurde. Und so dauerte es volle drei Minuten, bis das Buggeschutz bellte.

«Keine Bestatigung, Sir!«rief Caswell atemlos.
        Leutnant Inch, der sich an der allgemeinen Diskussion nicht beteiligt hatte, sagte unvermittelt:»Ich sehe Rauch, Sir.»
        Bolitho hob das Teleskop und musterte das rauhe, graue Gestein, das in dem glei?enden Sonnenlicht auf einmal unheimlich drohend wirkte. Als er das Glas fixiert hatte, konnte er hinter den unteren Mauern ein Hitzeflimmern ausmachen, das sich rasch verstarkte. Er horte noch Inchs zweifelnde Worte:»Also, Pulverrauch ist das nicht!«Dann blickte er zu Moresby hinuber und sah die Verzweiflung auf dessen Gesicht.»Eine Feueresse!«sagte der Admiral dumpf.»Die machen Kugeln hei?, bei Gott!»
        Der Ausguck stie? einen uberraschten Schrei aus, und alle fuhren herum: In Sekundenschnelle war die spanische Flagge uber der
        Festung verschwunden; jetzt stieg dort eine andere empor, und als sie sich in der hellen Sonne entfaltete, lie? Moresby ein unglaubiges Gemurmel vernehmen, als hatte er bis jetzt, wenn auch wider besseres Wissen, immer noch Hoffnung gehabt.
        Mit einem harten Klick schob Bolitho sein Teleskop zusammen. Die wei?e Flagge mit der neuen Trikolore als Gosch fegte jeden Zweifel hinweg.»Kursanderung, Mr. Gossett! Ruder Ost zu Nord!«befahl er, wandte sich sodann Moresby zu und fragte moglichst leise:»Was jetzt, Sir?»
        Der Admiral ri? den Blick von der Marte los. Offenbar hatte auch Anduaga die franzosische Flagge gesehen, und ebenso offenbar konnte er nichts tun. Die Hafeneinfahrt war kaum eine Meile breit, und der franzosische Kommandant hatte abgewartet, bis der machtige Schatten der Marte die gedachte Linie zwischen der Festung und der weitausladenden Landzunge passiert hatte; dann erst hatte er seine wahre Flagge gezeigt.
        Die Marte fiel etwas ab, holte ihre Rahen uber und schob sich dichter an die Festung heran. Wahrscheinlich hoffte Anduaga, in dem breiteren Fahrwasser des Hafens einen Schlag machen zu konnen und mit einem einzigen raschen Manover wieder die offene See zu gewinnen.
        Aber selbst fur eine wendige Fregatte ware das ein Kunststuck gewesen. Die Matrosen der Marte wurden durch die dichtgedrangten Soldaten behindert, und jeder Rest Ordnung wurde zur volligen Konfusion, als das erste Geschutz der Festungsbatterie Feuer eroffnete. Noch dazu hatte der Kapitan der Marte nicht in Betracht gezogen, da? ihm die vorspringende Landzunge den Wind wegnahm. Hilflos flappten die Segel, und ein paar lange Minuten gehorchte das Schiff dem Ruder nicht.
        Moresbys Stimme klang gepre?t.»Zur Hafeneinfahrt, Bolitho! Wir mussen Anduaga Feuerschutz geben!«Er fuhr herum, denn die Luft erzitterte unter einer vollen Salve der Festungsbatterie. Hohe Fontanen stiegen um das spanische Flaggschiff auf, aber immer noch hatte dieses keinen einzigen Schu? abgegeben.

«Zwei Strich Backbord, Mr. Gossett!«befahl Bolitho. Dann blickte er zu Quarme hinuber.»Geschutze laden und ausrennen!«Er wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang, denn ihm war, als mu?te bei Moresbys letztem Befehl sein ganzes Innere aufschreien.
        Es war so zwecklos, der Marte zu folgen. Schon von dem Moment an, da die franzosische Flagge gehi?t wurde, war es sinnlos gewesen. Kein Schiff konnte gegen eine gutplazierte Festungsbatterie etwas ausrichten. Und dann auch noch hei?e Kugeln! Verzweifelt schaute er zu den Rahen seiner Hyperion empor, die unter dem Zug der Brassen knirschend uberkamen. Jede Leine, jede Spiere, jede Planke uber der Wasserlinie war trocken wie Zunder.»Eimerkette bilden, Mr. Quarme!«rief er. Sie wissen, was passiert, wenn auch nur eine hei?e Kugel langer als eine Minute in den Planken steckt!»
        Moresby senkte sein Glas.»Signal an Princesa: Position achteraus einnehmen!«Ubers Wasser kam Trommelklang, und das Vier-undsechzig-Kanonen-Schiff rannte seine Geschutze aus.

«Zu spat!«stie? Bolitho unwillkurlich hervor.
        Der Admiral sah ihn nicht an.»Vielleicht kann sich die Marte noch zuruckziehen. Wenn wir sie mit allen Kraften unterstutzen…«Er brach ab und erstarrte: eine machtige Flammenzunge scho? an der Bordwand des Flaggschiffs hoch. Sie war so riesig, da? die Marte dagegen ganz klein aussah. Zwar hatte sie endlich ihre Geschutze ausgerannt, aber schon als die Oberdeckbatterie eine unregelma?ige Salve feuerte, hatte die Flammenwand die ganze Steuerbordseite verschluckt, so da? die schlagenden Segel und die bunten Flaggen in Sekundenschnelle nur noch Asche im Wind waren.
        Brauner Rauch trieb wie eine Nebelwand von der Steinmauer oberhalb der Klippen uber die See, alle paar Sekunden donnerten die schweren Geschutze, und mit jedem Schu? wurde die Feuersbrunst unten schlimmer. Irgendwie waren Kluver und Fock der Marte verschont geblieben, so da? die Brise das Schiff herumschwang. Die trage Drehung trieb die Flammen jedoch quer uber das Oberdeck, und in zwei Minuten brannte es hellauf vom Bug bis zur Kampanje; von dem uberfullten Achterdeck sprangen winzige Gestalten ins Meer, wo schon viele um ihr Leben kampften und in den glitzernden Wellen Schutz vor den Flammen suchten.
        Bolitho ri? sich von diesen Schrecken los und konzentrierte sich auf den Abhang, der dem Bug der Hyperion direkt gegenuberlag.

«Ein Strich Steuerbord!«Er horte, wie Caswell erschuttert Atem holte, und vernahm in der unheilschwangeren Stille auf der Hyperion das Prasseln und Knistern des brennenden Schiffes - als ware er mitten in einem Alptraum. Die todgeweihte Marte trieb immer naher, bis die vorspringende Landzunge sie gnadig den Blicken entzog. Aber dahinter sah man den schwarzen Rauchpilz hochsteigen, dem ein dichter Schauer spruhender Funken entwich; gnadenlos zerhackte die Festungsbatterie das geschlagene Schiff zu einem Haufen schwelender Wrackteile.
        Bolithos Mund war knochentrocken, aber er durfte nicht an sich denken. Die Marte hatte eine Besatzung von etwa siebenhundert Mann gehabt. Dazu kamen uber zweihundert Soldaten und hundert Pferde, die jetzt vor Angst und Schrecken tobten.
        Vom Berghang kam ein gelbroter Blitz, und dann folgte ein Schlag hoch uber dem Deck. Bolitho blickte auf das qualmende Loch im Gro?bramsegel, und dann auf den Admiral.

«Wir mussen angreifen, Bolitho«, sagte Moresby mit zusammengebissenen Zahnen.»Was anderes konnen wir doch gar nicht tun!»
        Bolitho sah einem weiteren Gescho? nach, das an der Gro?rah vorbeipfiff und wie eine tollwutige Schlange uber die Wellenkamme tanzte.»Wir mussen uns zuruckziehen! entgegnete er.»Bei allem Respekt, Sir - aber diese Runde haben wir verspielt.
«Wieder staunte er uber seine steinerne Ruhe, obwohl sich sein Schiff mit jeder Minute der Hafeneinfahrt naherte. Noch eine Viertelstunde, dann mu?te er wenden. So oder so. Mit eiserner Beherrschung sprach er weiter:»Die Frogs konnen uns zu Kleinholz hauen, Sir. Und wenn wir wirklich bis zur anderen Seite des Hafens kommen und einen Landeversuch machen, dann warten sie schon am Ufer auf unsere Boote.»
        Er sah Moresbys verzweifelte Miene und konnte seine Erwagungen nur ahnen. Was der Admiral zu diesem Zeitpunkt auch unternahm, es mu?te zum Ruin seiner Laufbahn fuhren. Ein AchtzigKanonen-Schiff vernichtet, seine Mannschaft verbrannt oder gefangengenommen, und dazu noch die franzosische Flagge uber Cozar, unberuhrt, unerreichbar! Schlie?lich verdrangte Bolitho sein Mitleid und sagte rauh:»Um Gottes willen, Sir! Gegen diese Geschutze konnen wir nicht an!»
        Da blickte Moresby zu seinem Admiralswimpel hoch, der am Vormast flatterte, und sagte mit seiner alten Entschlossenheit:»Fuhren Sie Ihr Schiff, wie Sie wollen, Bolitho! Aber wir werden vor diesen verraterischen Hunden nicht kneifen!«Kirschrot vor Wut schrie er:»Jetzt nicht - und niemals! Das ist mein letztes
        Wort!»
        Bolitho blickte ihm fest und kalt ins Gesicht und trat zur Reling. Steuerbordbatterie feuerklar, Mr. Quarme! Volle Elevation! Wir feuern, sobald wir die Landzunge gerundet haben. «Fluchtig sah er hoch: noch verdeckte ein Berggrat das Schiff vor den feindlichen Kanonieren. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis die Hyperion ins Schu?feld von mindestens sieben Geschutzen schwersten Kalibers geriet.
        Auf allen Decks pfiffen die Bootsmannsmaaten den Befehl aus, und die Geschutzmundungen beider Batterien hoben sich mit metallischem Kreischen himmelwarts. Als dann der Schatten des Schiffs beinahe den Fu? der Klippe streifte, senkte sich tiefes Schweigen uber alle Decks; sogar das Drohnen der feindlichen Kanonen war verstummt.
        Ashbys Marine-Infanteristen, die in dichtem Pulk im Achterschiff in Bereitschaft gestanden hatten, verteilten sich jetzt auf Deck und in den Netzen, die geladenen Musketen schu?bereit. Leutnant Shanks, Ashbys Stellvertreter, stand an der Kampanjere-ling, den schweren Schleppsabel noch in der Scheide; trotzig schien er die hoffnungslose Unterlegenheit von Musketenfeuer gegenuber gluhenden Kanonenkugeln zu ignorieren.

«Sir!«rief Caswell eben,»die Princesa dreht ab!»
        Tatsachlich. Ob der Anblick der auf die Kuste zuhaltenden Hyperion den spanischen Kapitan erschreckt oder geangstigt hatte - jedenfalls entschied er sich dafur, dem eigenen Urteil zu gehorchen und nicht dem letzten verzweifelten Signal Moresbys.

«Dieser feige Hund!«murmelte der Admiral heiser.»Den lege ich fur diese Schweinerei in Eisen!»
        Bolitho ignorierte ihn, was angesichts des nahen Todes fur sie alle nicht auffiel. Seine Angst vor Verwundung und Qualen unter dem Messer des Schiffsarztes, die ihn sonst jedesmal vor einer Seeschlacht befiel, war einer dumpfen Resignation gewichen. Seltsam - ware er nicht so eigensinnig und hartnackig gewesen, hatte er jetzt noch in Kent Rekruten anwerben konnen. Er dachte an Mores-bys Starrkopfigkeit und wurde plotzlich wutend. Da? seine Leute - mochten sie nun aus Vaterlandsliebe aufs Schiff gekommen sein oder weil der blinde Zufall sie einem Pre?kommando in die Fange getrieben hatte - ihr Leben einem Mann wie Moresby anvertrauen mu?ten, der, wenn alles schiefgegangen, wenn bewiesen war, da? er falsch gehandelt hatte, keinen anderen Rat wu?te als einen sinnlosen Heldentod! Und wenn dann die alten Planken der Hyperion neben denen der Marte verrotteten, wurde die franzosische Flagge immer noch uber der Festung wehen!
        Ein breiter Strahl Sonnenlicht fiel uber das Achterdeck, und mit Schrecken bemerkte Bolitho, da? sein Schiff bereits in das ruhigere Wasser der Hafeneinfahrt glitt. Dort druben lag der fernere Landarm der Einfahrt, ein unvollendeter Wall, dessen Steine in der Sonne glanzten wie die Zahne eines Riesen. Er konnte jetzt die kleine Schaluppe ausmachen, die in einer Bucht zwischen hohen Hugeln wie im Schutze gruner Mauern vor Anker lag. Ein paar winzige Gestalten ruderten in einem Kutter an ihrem Bug vorbei, ohne sich um das zu kummern, was sich unterhalb der Festung abspielte. Sie waren so unbekummert, da? sie zu rudern aufhorten, als sich der Bugspriet der Hyperion in die Einfahrt schob; ja, ein Mann stand sogar auf und spahte heruber.
        Bolitho klammerte sich an die Reling, fuhlte sein Herz wie mit Trommelschlegeln gegen seine Rippen klopfen.»Mr. Rooke!«Der Leutnant blickte, die Augen mit der Hand vor der grellen Sonne beschattend, vom Hauptdeck zu ihm empor.»Sie leiten die Beschie?ung! Rollende Salve aller Geschutze, immer zwei und zwei, sobald Sie auf Schu?weite sind! Auf die Brustwehr der Festung!»
        Rooke nickte und wandte sich dann wieder zu seinen Geschutzfuhrern um, die geduckt an den Kanonen hockten. Die Hyperion nahm die Einfahrt vorsichtiger, als es die sorglose Marte getan hatte, und so mu?te die franzosische Batterie noch etwas warten. Als das Schiff langsam um ein paar vorspringende Klippen glitt, horte Bolitho Schreckensrufe aus den Masttopps. Er lehnte sich uber die Netze und sah, was von Anduagas Flaggschiff ubriggeblieben war. Die Marte brannte immer noch, aber eine Explosion im Rumpf mu?te ihr den Kiel herausgerissen haben; nun lag sie wie ein Scheiterhaufen quer uber einer Sandbank, vollig entmastet, den Rumpf fast bis zum unteren Geschutzdeck heruntergebrannt. Um sie herum trieb ein Teppich von Asche und verkohlten Holzstuk-ken, und dazwischen die verwundeten, verstummelten, schreiend um sich schlagenden Schiffbruchigen. Manche hielten sogar wie in einem makabren Totentanz die zahlreichen treibenden Leichen ihrer Kameraden umklammert.

«Feuer frei!«erklang Rookes scharfer Ruf. Ohne Eile verlie? die Breitseite die Bordwand der Hyperion; jedes Geschutz der oberen Batterie feuerte zugleich mit seinem schwereren Partner im Unterdeck.
        Bolitho spurte das Schiff erschauern, als glitte es uber ein Riff. Aufmerksam verfolgte er die Einschlage in der Mauer der Festungsbatterie - ein paar Splitter flogen wie Kieselsteine in die Luft, das war alles. Wie aus der Ferne horte er das wilde Geschrei seiner Geschutzfuhrer:»Laden! Ausrennen!«Die Rohre stie?en wie im Wettlauf durch die offenen Stuckpforten und quietschten dabei ohrenbetaubend.
        Und dann feuerten die ersten beiden Geschutze der Festungsbatterie. Die eine Kugel kam zu hoch und krachte in den fernen Steinwall. Die zweite traf das Schiff dicht unterhalb des Achterdecks. Alle Planken erzitterten, und ein Loschkommando rannte mit
        Eimern herzu, um die Rauchfaden zu ersticken, die von der im Holz steckenden Eisenkugel hochwirbelten.

«Feuer!«Wieder glitten die Geschutze auf dem schragliegenden Deck innenbords, der Pulverqualm wurde durch die Stuckpforten zuruck uber das ganze Schiff getrieben und bi? in die Augen der Kanoniere, die fieberhaft die hei?en Rohre ausputzten und neue Ladungen hineinrammten.
        Jetzt waren sie schon innerhalb des Hafens. Noch weitere Geschutze der Festungsbatterie beteiligten sich an der Kanonade, und Bolitho registrierte mindestens zwei Treffer im Unterdeck. Irgendwo schrie ein Mann gellend und unaufhorlich, so da? ein paar Pulverjungen, die mit Kartuschen aus dem Magazin gerannt kamen, wie erstarrt stehenblieben.

«Einen Strich Backbord, Mr. Gossett!«Das Ruder bewegte sich, ein Matrose griff, um dem Rudergast zu helfen, mit aller Kraft in die abgewetzten Speichen.
        Druben galoppierte ein einzelner Reiter uber den Grat und hielt an, um sein Teleskop auszuziehen. Wie ein blasierter Zuschauer im Theater starrte er das Schiff an, und Leutnant Shanks schnarrte wutend:»Eine Guinea fur den ersten, der ihn trifft!«Die Seesoldaten feuerten eifrig, sie waren froh, da? es endlich etwas fur sie zu tun gab, obschon jeder wu?te, da? die Musketen nicht halb so weit trugen. Immerhin scheute das Pferd, der Kavallerist trat eiligst den Ruckzug an, und die Seesoldaten grinsten einander durch den Pulverdampf zu, als hatten sie eine ganze Armee in die Flucht geschlagen.
        Bolitho fuhr herum, als wieder ein Gescho? heranheulte und wie ein Hammerschlag in sein Schiff fuhr. Diese Kugel war durch eine Stuckpforte geflogen, schlug mit metallischem Laut gegen einen Vierundzwanzigpfunder und raste dann als Abpraller in eine Gruppe Matrosen auf der gegenuberliegenden Bordseite. Bolitho horte die verzweifelten Rufe der Offiziere und das schreckliche Schreien der Verwundeten; dann sah er zu Moresby hinuber, aber der blickte starr geradeaus; eine Hand am Degen, mit der anderen nervos gegen seinen Oberschenkel trommelnd.

«Feuer im unteren Geschutzdeck, Sir!«Midshipman Piper kam atemlos angerannt und rutschte beinahe aus, als er zu seiner Me l-dung strammstand. Sein Affchengesicht war rauchgeschwarzt.»Und zehn Mann verwundet!«Er schluckte.»Alles ein einziges Blutbad da unten, Sir!»
        Bolitho fand irgendwie Zeit, die Kaltblutigkeit des Jungen zu bewundern. Spater wurde er noch zusammenklappen - wenn er lange genug lebte.

«Teilen Sie noch mehr Loschkommandos ein, Mr. Quarme! Aber schnell!«Er ri? sich vom Anblick der Rauchfahne los, die aus dem vorderen Niedergang emporstieg.
        Es war hoffnungslos. Je naher das Schiff kam, ein um so besseres Ziel bot es. Bolitho konnte jetzt den Pier sehen, und auch der war dicht mit Soldaten besetzt, deren Waffen in der Sonne blinkten. Hier und da blitzte eine Muskete auf - sie schossen auf diejenigen Schiffbruchigen der Marte, die noch Kraft genug hatten, um an Land zu schwimmen. Er war so wutend, da? ihm der Kopf drohnte und er kaum noch denken konnte. Schlie?lich hielt er es nicht mehr aus. Da wurde sein Schiff der Vernichtung preisgegeben, fur nichts und wieder nichts!
        Er wandte sich brusk zu Moresby um, spurte aber noch bei der Wendung einen hei?en sandigen Luftzug im Gesicht. Er wollte einen Warnruf aussto?en, doch da traf die Kugel schon ein Geschutz unmittelbar neben ihm und zerbarst in einer Wolke heulender Splitter. Drei Seesoldaten sturzten aus den Netzen und wanden sich blutend auf den Planken; der Ruderganger, der Bolitho noch vor ein paar Minuten aufgefallen war, brach achzend in die Knie und pre?te die Hande auf den Bauch, um seine Eingeweide festzuhalten, die blutig hervorquollen.

«Der Admiral ist getroffen!«schrie Quarme, sturzte zur Reling und kniete bei Moresby nieder.»Arzt zu mir! Schnell!»
        Mit zwei langen Schritten war Bolitho druben.»Auf Ihre Gefechtsstation, Mr. Quarme!«Aus dem Augenwinkel sah er gerade noch, wie Gossett den Verwundeten wegstie? und in eine Qualmwolke griff, wo er einen Mann beim Arm erwischte und zum Rad zerrte. Er vernahm die Schreie ringsum, doch als der Qualm uber das Schanzkleid wirbelte, bestand seine ganze Welt nur noch aus diesem kleinen Stuck des sonnendurchgluhten Achterdecks. Mo-resby starrte zu ihm empor; sprechen konnte er nicht, denn ein Splitter hatte seine Kehle aufgerissen.
        Midshipman Caswell stand zitternd da, schluckte die aufsteigende Ubelkeit hinunter, dann ri? er sich zusammen, kniete nieder und bettete Moresbys Kopf in seinen Scho?.
        Ohne den Blick von der bleichen, starren Miene des Admirals zu nehmen, befahl Bolitho:»Klar zum Wenden, Mr. Gossett!»
        Moresby schien zu begreifen; er versuchte den Kopf zu heben, aber ein Blutstrom scho? aus der Wunde und flo? uber seine seidene Weste.

«Jetzt!«brullte Bolitho.»Leeruder!«Unten an Deck holten die Manner fluchend die Brassen durch; und die Rahen, schwebende Schatten uber dem Qualm, kamen langsam uber.
        Immer noch donnerten die Geschutze, und als eine plotzliche Fallbo den Qualm vertrieb, kam es Bolitho von seinem Standpunkt aus so vor, als schwinge die Festung um das Schiff, mit dem Achterdeck als Drehpunkt. Er empfand einen plotzlichen, fast stechenden Stolz auf seine mude alte Hyperion. Sie reagierte gro?artig. Sie konnte ja nichts dafur, da? ein Narr sie ins Ungluck gefuhrt hatte. Er kniete sich neben Moresby nieder, dessen Zunge bebte, als wolle sie sich losrei?en. Caswells junges Gesicht war vor Angst und Mitleid verzerrt, und Tranen, die er nicht zuruckhalten konnte, zogen bleiche Bahnen durch die fettige Pulverschwarze auf seinen Wangen.

«Sie hatten recht, Bolitho«, flusterte Moresby muhsam,»hol' Sie der Teufel!«Er zuckte zusammen, als eine Kugel uber die Kam-panje jaulte und ein Stag wie einen Wollfaden zerschnitt.»Ich hatte das voraussehen mussen. «Ein neuer Blutstrom aus der Wunde erstickte seine Stimme.

«Schon gut, Sir«, sagte Bolitho ruhig.»Ich bringe das Schiff hier wieder hinaus.»
        Moresby schlo? die Augen.»Weglaufen vor denen!«Er stohnte schmerzlich auf.»Mein Leben lang bin ich nie.»
        Bolitho hatte sich viel lieber um sein Schiff gekummert, aber eine plotzliche Mitleidsregung hielt ihn neben Moresby fest.»Wir rennen nicht weg, Sir. Wir kommen wieder und nehmen die Batterie, Sie werden's schon sehen!»
        Ein Geschutzfuhrermaat kam mit weit aufgerissenen Augen aufs Achterdeck gerannt. Cap'n, Sir!«Er stand starr beim Anblick des hingestreckten Admirals und meldete dann etwas leiser:»Feuer aus, Sir!»
        Moresby hatte Bolithos Worte anscheinend noch gehort.»Naturlich«, murmelte er,»Sie sind ja ein kornischer Dickkopf, Bolitho. Die konnte ich noch nie leiden. Zu verdammt widerspenstig, zu. zu. «Blut stromte ihm uber Hals und Weste, und sein Haupt sank an Caswells Brust zuruck - zum letzten Mal.
        Bolitho stand auf.»Kommen wir frei?«Gossett starrte ihn nur an.»Nun?»
        Der Master leckte sich die Lippen und nickte dann.»Da, sehen Sie, Sir!«Wieder glitt die Hafeneinfahrt am Schiff vorbei, diesmal achteraus. Vor ihnen lag die Marte, deren Rumpf noch immer brannte, deren Planken noch immer die Toten trugen. Ertrunkene Manner und Pferde trieben um den Bug der Hyperion; nur widerstrebend schienen sie. ihr Platz machen zu wollen.
        Nur noch wenige Schusse gaben dem Schiff das Geleit, denn der Pulverdampf und der Rauch des brennenden Flaggschiffes bildeten einen sehr wirkungsvollen Schirm. Oder vielleicht waren die franzosischen Kanoniere auch zu siegestrunken, um sich noch um die fliehende Hyperion zu kummern. Sie hatten auch allen Grund dazu, dachte Bolitho bitter.

«Halsen, Mr. Gossett!«befahl er.»Gehen Sie auf Ostkurs, sobald wir klar von der Einfahrt sind!«Und zu allen, die noch auf dem
        Achterdeck standen, sagte er ausdruckslos:»Ich habe dem Admiral versprochen, da? wir wiederkommen.»
        Dann erblickte er die unbeschadigte Princesa, die immer noch weit drau?en lag, unerreichbar fur die Festungsgeschutze.»Signal an Princesa.«Seine Stimme klang ihm selbst vollig fremd.»Kommandant unverzuglich zu mir an Bord!«Stumm blickte er sich um: das blutverschmierte Deck, die Verwundeten, die sich verzweifelt dagegen wehrten, unter Deck gebracht zu werden, wo das Messer des Schiffsarztes auf sie wartete, die zerfetzte Planke, deren Splitter Moresby getotet hatte, und der tote Admiral selbst.»Und wenn der spanische Kapitan sich weigert, dem Befehl nachzukommen, eroffne ich das Feuer auf die Princesa!»
        Gossett warf einen scheuen Blick auf Bolithos Gesicht und wandte sich ab. Er wu?te, da? Bolitho im Ernst gesprochen hatte. Eigentlich hatte der Kommandant erleichtert sein mussen, dachte Gossett, aber er sah gar nicht danach aus, obwohl er sein Schiff gerettet hatte und Moresbys Verblendung ehrenvoll entgegengetreten war. Aber in Bolithos Augen glomm eine solche Wut, wie sie Gossett in seiner ganzen Dienstzeit noch nicht gesehen hatte: es war der Blick eines gereizten Raubtiers. Tief innen fuhlte der Master, da? Bolitho diesen Blick behalten wurde, bis die Hyperion im Hafen von Cozar ankerte und die Kustenbatterie unschadlich gemacht war.
        Ein paar Matrosen schrien Hurra, und Bolitho sagte knapp:»Geschutze festzurren, Mr. Quarme. Danach melden Sie mir alle Verluste und Schaden! Zum Hurraschreien ist vielleicht spater Zeit, jetzt haben wir anderes zu tun. «Er starrte nach achtern in die driftende Rauchwand, die das Schiff wie ein Vorhang verdeckte.
        Quarme wischte sich das schwei?nasse Gesicht mit dem Armel.»Schlie?en wir uns dem Geschwader wieder an, Sir?«Er zuckte zusammen, als Bolitho das mit einem kalten Blick beantwortete, und fuhr eilig fort:»Ich meine nur, Sir, beide Admirale sind tot, und.»
        Bolitho wandte sich ab.»Dann mussen wir eben sehen, wie wir allein zurechtkommen, nicht wahr, Mr. Quarme?»



        IV Ein Angriffsplan

        Lieutenant Ernest Quarme trat in die Kapitanskajute, den Hut vorschriftsma?ig unter dem linken Arm, und kniff die Augen zusammen, weil ihn das helle Sonnenlicht blendete, das durch die hohen Heckfenster fiel und Wande und Mobiliar in einem seltsam grunlichen Schein erglanzen lie?.»Sie haben befohlen, Sir?»
        Bolitho lehnte am Fenster und starrte ins Kielwasser der Hyperion, das trage und blasenwerfend von dem algenbewachsenen Ruder ablief. Er brauchte ein paar Sekunden, um seine Augen an das Halbdunkel der Kajute zu gewohnen; dann setzte er sich auf die Fensterbank und winkte Quarme auf den Stuhl daneben. Er merkte, da? der Erste ihn gespannt ansah, obwohl seine Gesichtszuge nichts von dem verrieten, was er denken mochte - Bolitho konnte nur hoffen, da? seine eigene Miene ebenso undurchdringlich war.
        Knarrend und flusternd dumpelte das Schiff langsam auf Sudostkurs. Die Segel waren kaum gefullt, boten aber den Mannern, die an Deck arbeiteten, immerhin Schutz vor der Sonne. Gedampft waren die Hammerschlage und das Knirschen der Sagen zu horen, denn Cuppage, der Schiffszimmermann, reparierte mit seinen Maaten die Schaden und Narben, die der kurze heftige Kampf hinterlassen hatte.
        Bolitho rieb sich die Augen und versuchte, die Mudigkeit zu vertreiben. Wenn nur auch die anderen Narben so leicht zu beseitigen gewesen waren. Aber Wut, Erleichterung uber das gluckliche Entkommen, dazu die Erregung des Kampfes waren bald in dumpfen Trubsinn umgeschlagen, der wie eine Gewitterwolke uber dem ganzen Schiff hing. Das kurze, einseitige Gefecht lag jetzt zwei Tage zuruck: zwei Tage eintonigen Aufkreuzens und Patrouillierens, wobei sie standig die Insel und ihre Flagge als hohnische Erinnerung an ihren Mi?erfolg vor Augen hatten.
        Wieder und wieder hatte sich Bolitho den Kopf nach einem Plan zermartert; aber jeder Plan erschien ihm immer fragwurdiger und gefahrlicher, je mehr Zeit verstrich.
        Doch an diesem Morgen war die Entscheidung gefallen. Als es dammerte, lag die Hyperion etwa sieben Meilen westlich der Insel. Dieses Gebiet hatte sich Bolitho ausgesucht, weil er es fur die geeignete Basis zu einem raschen Vorsto? auf den geschutzten Hafen hielt und er den vorherrschend ablandigen Wind ausnutzen konnte. Er hatte die Princesa, das spanische Vierundsechzig-Kanonen-Schiff, an die andere Seite der Insel beordert, wo sie die beste Moglichkeit hatte, die von den Franzosen gekaperte Schaluppe Fairfax abzufangen, wenn sie versuchen sollte, auf diesem Kurs zu entwischen.
        Die Schaluppe war ein wichtiges Glied in seiner Gesamtplanung. Die franzosische Garnison hatte kein anderes Schiff zur Verfugung, um die Nachricht von Moresbys Angriff und dem patrouillierenden britischen Geschwader zum Festland zu melden, und wenn von dort nicht ein Versorgungsschiff kam, wurde Cozar im Belagerungszustand bleiben. Bolitho hatte mit der Idee gespielt, die Fairfax mit einem Handstreich herauszuholen; aber davon war er sofort abgekommen. Insgeheim wu?te er, da? diese Idee mehr Balsam fur seinen verletzten Stolz als wirklich von Wert war. Moresbys Angriff war der Hyperion schon teuer genug zu stehen gekommen: acht Tote und sechzehn Verwundete. Und der Schaden fur die Kampfmoral war uberhaupt nicht zu messen.
        Doch als das Morgenlicht starker wurde, hatte der Ausguck gemeldet, da? von der Fairfax nichts mehr zu sehen sei. Das war der entscheidende Schlag. Irgendwie mu?te sie in der Nacht entwischt sein; jetzt, als die Mittagssonne gnadenlos auf das ausgebleichte Deck niederbrannte, ankerte sie bestimmt schon in St. Clar und uberbrachte die Sensationsmeldung von dem abgeschlagenen Angriff der Englander. Die Kustenverteidigung wurde alarmiert werden und, was noch schlimmer war, die Franzosen wurden erfahren, wie stark das abgeschlagene britische Geschwader war. Hochstwahrscheinlich warteten in den Buchten und Hafen dieses franzosischen Kustenstrichs mehrere Linienschiffe schon auf die Chance, die Schmach der Hoodschen Blockade zu rachen. Es war bekannt, da? mehrere solcher Schiffe durch die britischen Sperren geschlupft waren, und vermutlich befand sich bereits Verstarkung fur sie in unmittelbarer Nahe.
        Bolitho zurnte sich selbst, weil ihm die Fairfax durch die Lappen gegangen war. Allerdings hatte er damit rechnen konnen, denn kein Linienschiff war schnell genug, eine Sloop im Dunkeln zu erwischen, und die Batterie dort oben sorgte schon dafur, da? die Hyperion bei Tageslicht nicht zu dicht herankam.
        Nachdenklich blickte Bolitho zu Quarme hinuber.»Wie ist die Sicht jetzt?»
        Quarme zuckte die Achseln.»Andert sich stundlich, Sir. Augenblicklich knapp zwei Meilen.»
        Bolitho nickte. Seit dem ersten Tageslicht hatte der Wind immer mehr abgeflaut, so da? die milchige See sich nur wenig krauselte - ein paar elende kleine Boen hatten sie gerade so viel angetrieben, da? das Schiff sich steuern lie?. Im Lauf des Morgens war Nebel aufgekommen, der hin und her wogte und manchmal sogar die Insel langere Zeit verhullte. Spielt auch keine Rolle mehr, dachte er resigniert; die Garnison wei? sowieso, da? wir da sind. Und die Schaluppe war entwischt.

«Darf ich fragen, was Sie vorhaben, Sir?«unterbrach Quarme sein Nachdenken.
        Bolitho sah ihn an.»Haben Sie einen Vorschlag zu machen?»
        Quarme senkte den Blick.»Es steht mir zwar nicht zu, Sir, aber ich glaube doch, es ware klug, Lord Hood zu informieren. «Er schien eine Unterbrechung zu erwarten; als sie ausblieb, fuhr er fort:»Bis jetzt kann Ihnen niemand einen Vorwurf machen. Aber wenn der Admiral nicht rechtzeitig Meldung bekommt, wird er Ihnen das sehr ubelnehmen.»

«Danke sehr, Mr. Quarme, daran habe auch ich gedacht. «Bolitho stand auf und machte ein paar Schritte auf dem Teppich. Eine Sekunde lang starrte er seinen Degen an, der neben der Tur hing.»Aber wir haben nur zwei Schiffe. Wenn ich die Princesa mit Depeschen losschicke, wei? kein Mensch, was fur eine Geschichte der Admiral zu horen kriegt, ganz egal, was ich geschrieben habe. Und wenn wir selbst segeln - glauben Sie wirklich, da? der Spanier mit einem plotzlichen Angriff vom Festland her allein fertig wird?»
        Sichtlich betroffen trat Quarme von einem Fu? auf den anderen, und Bolitho fuhr lachelnd fort:»Vielleicht denken Sie, da? ich zum Kommandanten der Princesa zu grob war?»
        Deutlich stand ihm das Bild vor Augen: der ungluckselige Spanier hatte eben dort gesessen, wo Quarme jetzt sa?, ein verdusterter, ubelnehmerischer Mann, der zuerst so getan hatte, als verstunde er kaum englisch. Aber unter Bolithos schneidenden Worten fingen seine Augen bald an, erst vor Wut und dann vor Scham zu funkeln. Bolitho hatte ihm sehr deutlich seine Meinung daruber gesagt, da? die Princesa sich nicht am Gefecht beteiligt hatte. Da war der Spanier aufgesprungen und hatte mit wutverzerrtem Gesicht geschrien:»Ich protestiere! Ich konnte die Hafeneinfahrt nicht rechtzeitig erreichen. Ich werde mich bei Admiral Hood wegen Ihrer Anwurfe beschweren!«Stolz warf er den Kopf hoch.»Ich bin in hohen Regierungskreisen nicht unbekannt!»
        Bolitho hatte ihm kalt ins Gesicht geblickt, in Gedanken beim Todeskampf des spanischen Flaggschiffs, dessen verbrannte Wrackteile um den Bug der Hyperion trieben.

«Sie werden sogar noch bekannter werden, Capitano, wenn ich Sie wegen Feigheit vor dem Feind unter Arrest stelle! Admiral Moresby hat mir vor seinem Tode die volle Befehlsgewalt ubertragen.«Uberraschend leicht war diese Luge uber seine Lippen gekommen.»Und nichts von dem, was Sie bis jetzt gesagt haben, uberzeugt mich davon, da? Sie uberhaupt wert sind, am Leben zu bleiben!»
        Bolitho hatte den Anblick eines gedemutigten Mannes immer als etwas Scheu?liches empfunden; jetzt mu?te er sich zwingen, die Angst und den moralischen Zusammenbruch dieses Mannes mitanzusehen. Aber das war vor zwei Tagen gewesen, als noch eine geringe Chance bestanden hatte, ihre gemeinsame Niederlage irgendwie wettzumachen. Inzwischen jedoch mochte der Spanier gewisse eigene Ideen entwickelt haben, wie er personlich auf seine Kosten kommen konnte.

«Ich bin trotz allem der Meinung«, sagte Quarme,»da? Sie Lord Hood informieren sollten, Sir. Was der spanische Kapitan getan oder nicht getan hat, durfte fur die Zukunft wenig bedeuten.»
        Bolitho wandte sich argerlich ab, argerlich uber sich selbst und uber Quarme, weil er ganz genau wu?te, da? dieser recht hatte. Doch im Unterbewu?tsein horte er Hoods Worte:»Die Insel ist unverzuglich einzunehmen!«Unverzuglich. Zur Zeit hatte der Admiral an Bord der Victory sicherlich mit seinen eigenen Problemen genug zu tun: der Geheimpolitik in Toulon, der Demonstration der Starke, die er so ausfuhrlich erlautert hatte. Und inzwischen marschierte die franzosische Armee immer weiter sudwarts, auf die Kuste zu.
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Anscheinend sind Sie und ich ofter verschiedener Meinung. Sie waren ja auch dagegen, da? ich Sir William Moresby zusammen mit den gefallenen Matrosen auf See bestatten lie?.»
        Der Themawechsel verwirrte Quarme.»Nun ja, ich meinte, unter diesen Umstanden…»

«Admiral Moresby fiel im Gefecht, Mr. Quarme. In meinen Augen besteht kein Unterschied zwischen seinem Tod und dem Tod derjenigen, die ihr Leben fur ihn gelassen haben. «Bolithos Stimme war noch ruhig, aber eiskalt.»Sir William ruht auf dem Meeresgrund ebenso sicher wie auf jedem Kirchhof. «Er trat wieder ans Heckfenster.»Unsere Manner sind entmutigt. Wenn gleich die erste Schlacht verlorengeht, ist das schlecht fur die Moral. Es hangt so viel davon ab, da? sie Vertrauen zu uns haben, wenn sie der nachsten Breitseite ins Gesicht sehen mussen. Die toten Matrosen sind zusammen mit ihrem Admiral gefallen. Daher sollten sie sein Grab und auch die Zeremonien mit ihm teilen!»
        Quarme offnete schon den Mund zu einer Entgegnung, aber er fuhr erschrocken herum, denn von drau?en her drang ein Ruf bis in die Kajute:»An Deck! Segel in Sudwest!»
        Bolitho starrte Quarme an.»Kommen Sie mit!«befahl er kurz.»Vielleicht sind die Franzosen schon da.»
        Auf dem Achterdeck fiel die Sonne seine Schultern an wie Glut aus einem Feuerofen, aber Bolitho spurte es kaum. Er blickte erst zur Insel hinuber und dann zum Masttopp hinauf. Von Cozar war noch immer nichts zu sehen. Aber drau?en uber der glei?enden See war der Nebel aufgerissen und hatte sich gelichtet. Midshipman Caswell reichte ihm ein Fernglas.»Kann der Ausguck sie schon ansprechen?«fragte Bolitho. Im Teleskop konnte er wenig mehr erkennen als einen splittergro?en wei?en Streifen, der sich kaum von der Kimm abhob.

«Ein kleines Schiff, Sir!«meldete der Ausguck.»Ist allein und steuert Ostkurs.»

«Entern Sie auf, Mr. Quarme«, sagte Bolitho,»und melden Sie mir, was Sie sehen!«Er wu?te, da? die anderen ihn aufmerksam beobachteten, und unterdruckte seinen Wunsch, selbst aufzuentern.
        Leutnant Rooke war Wachoffizier. Er stand an der Achterdeckreling, das Teleskop unterm Arm, den Hut in die Stirn gezogen, um seine Augen vor dem blendenden Glast zu schutzen. Wie immer war seine Uniform tadellos; neben den anderen in ihren fleckigen Hemden oder - wie die meisten - mit nacktem Oberkorper sah er aus wie ein Londoner Dandy.
        Bolitho achtete nicht auf sie und versuchte auch, nicht Quarmes hoher, schlanker Gestalt nachzustarren, der rasch zur Saling aufenterte. Rooke hatte bestimmt seinen Spa? an der Geschichte, dachte er grimmig. Sobald sie wieder beim Geschwader waren, wurde er nichts Eiligeres zu tun haben, als sich uber den Mi?erfolg seines Kommandanten auszulassen. Aber dieser Gedanken, redete Bolitho sich ein, war unfair. Wahrscheinlich beruhte seine Abneigung gegen Rooke nur auf seiner grundsatzlichen Aversion gegen die Bevorzugung von Adligen in der Marine. Bekam jemand den Adelstitel fur Tapferkeit und wirkliche Verdienste - gut und schon. Aber spater wurde dieser Titel oft genug zu einer Belastung fur ehrgeizige Nachkommen. In London hatte Bolitho jedesmal eine ganze Anzahl von dieser Sorte getroffen: verwohnte, egoistische junge Stutzer, die das Offizierspatent ihrer Geburt und ihrem Reichtum verdankten und trotz der Uniform, die sie mit so viel Prahlerei trugen, keine Ahnung von der Marine hatten.
        Da rief Quarme:»Jetzt erkenne ich sie ganz genau, Sir. Sieht wie eine Schaluppe aus. Halt Ostkurs.»

«Sie wird Depeschen und Post fur die Gibraltar-Flotte an Bord haben«, sagte Rooke. Die anderen blieben stumm, waren aber wohl der gleichen Meinung. Bolitho blickte zu Gossetts massiger Gestalt heruber.»Sie kennen diese Gewasser, Mr. Gossett. Wird sich das Wetter halten?»
        Der Master runzelte die Stirn, bis seine Augen fast in dem gebraunten Gesicht verschwanden.»Nicht lange, Sir. Diese leichten Boen kommen und gehen, aber ich schatze, noch vor acht Glasen frischt der Wind auf. «Er wollte sich damit keineswegs gro?tun; sein Urteil grundete sich auf lange Erfahrung.
        Bolitho nickte.»Sehr schon, Mr. Gossett. Pfeifen Sie >Alle Mann<. Fertigmachen zum Halsen. Wir andern den Kurs und fangen diese Schaluppe ab.»
        Keuchend erschien Quarme an Bolithos Seite.»Wir konnen ihr doch signalisieren, da? sie uns ansegeln soll, Sir. «Er schien fast emport daruber, da? ein Linienschiff einem so kleinen Fahrzeug entgegenkommen sollte.
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Sobald wir nahe genug sind, signalisieren Sie bitte. Ich will sie jetzt nicht mehr au?er Sicht verlieren.»
        Quarme begriff nicht.»Was soll ich signalisieren, Sir?»
        Die Bootsmannspfeifen riefen an die Brassen. Unten auf dem Hauptdeck rissen sich die Matrosen aus ihrer Schlaffheit und eilten auf Stationen.»Signalisieren Sie:
>Beidrehen und Befehle abwarten««, sagte Bolitho ruhig.

«Verstehe. Sie wollen also doch Depeschen an Lord Hood schik-ken, Sir. «Quarme bi? sich auf die Lippen und nickte bedeutsam.»Meiner Ansicht nach die beste Entscheidung. Keiner kann Ihnen einen Vorwurf machen, Sir.»
        Bolitho beobachtete die Marine-Infanteristen, die wie stets im Gleichschritt und ganz unseemannisch an die Besanbrassen marschierten.»Ich habe nicht die Absicht, Lord Hood zu berichten, Mr. Quarme. Jedenfalls nicht eher, als bis es tatsachlich etwas zu berichten gibt.»
        Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Schaluppe auf Signaldistanz war; doch eine Stunde vor Ende der Nachmittags wache hatten beide Schiffe gehalst. Sie lagen jetzt auf Sudkurs und bewegten sich von der nebelverhangenen Insel weg. Bolitho lie? dem Kommandanten der Schaluppe signalisieren, er solle an Bord kommen. Als beide Schiffe Segel gekurzt hatten, begab er sich wieder in seine Kajute und schickte nach Quarme.

«Eine Viertelstunde nach der Ankunft des Kommandanten bitte ich alle Offiziere in meine Kajute, Mr. Quarme. «Er kummerte sich nicht um das erstaunte Gesicht des Ersten, sondern fuhr knappen Tones fort:»Auch alle Deckoffiziere der Freiwache, ist das klar?»

«Aye, aye, Sir. «Quarmes Augen schweiften zum Heckfenster, wo die kleine Schaluppe hurtig auf den Wellen ritt.»Darf ich fragen, was Sie vorhaben, Sir?»
        Unbewegt sah Bolitho ihm ins Gesicht.»In funfzehn Minuten, Mr. Quarme.»
        Er bezwang die nagende Ungeduld, bis er horte, wie das Boot langsseit kam und die schrillen Querpfeifen die Ankunft des Kommandanten verkundeten. Aber als Lieutenant Bellamy, Kommandant Seiner Majestat Schaluppe Chanticleer, dem das alles genauso unverstandlich war wie Mr. Quarme, endlich in die Kajute trat, war Bolitho wenigstens au?erlich wieder vollkommen ruhig.
        Bellamy war ein junger, schlacksiger, besorgt blickender Offizier, der standig auf das Schlimmste gefa?t schien.
        Bolitho kam sofort zur Sache.»Tut mir leid, da? ich Sie so unvermittelt an Bord rufen mu?te, Bellamy; aber als dienstaltester Offizier dieses Geschwaders brauche ich Ihre sofortige Hilfe.»
        Bellamy verarbeitete diesen Anfang zunachst ziemlich gefa?t. Auch stellte er Bolithos Recht, sein Schiff zu stoppen, nicht in Abrede; Bolitho nahm an, da? ihm die Bezeichnung» dienstaltester Offizier «imponiert hatte.
        Er fuhr fort:»Dort druben liegt Cozar, das, wie Sie vielleicht wissen, jetzt in der Hand des Feindes ist. Ich beabsichtige, diesen Zustand zu andern, und zwar unverzuglich. «Er blickte den Leutnant forschend an.»Jedoch ist Ihre Mitwirkung dabei unerla?lich, verstehen Sie?»
        Offensichtlich verstand Bellamy nicht. Wenn schon ein Vierundsiebziger sich nichts zutraute, dann schien es ihm ziemlich unwahrscheinlich, da? seine kleine, leichtgebaute Schaluppe viel ausrichten konnte. Aber trotzdem nickte er. Vielleicht nur, um Bolitho bei Laune zu halten, diesen Geschwaderkommandeur, der allem Anschein nach nur uber ein einziges Schiff verfugte.
        Bolitho lachelte.»Also gut - ich will Ihnen sagen, was ich vorhabe.»
        Funfzehn Minuten spater offnete Quarme wortlos die Tur und lie? die Offiziere der Hyperion an sich vorbei in die Kajute treten. Ihre Blicke, die zunachst geschaftig in diesem geheiligten Quartier umherirrten, hefteten sich schlie?lich auf den fremden Leutnant.
        Gelassen blickte Bolitho ihnen entgegen.»Also, meine Herren, wenigstens haben wir jetzt einen Plan. «Nun blickten sie alle Bo-litho an und lie?en ihn auch nicht mehr aus den Augen.

«In einer Stunde gehen wir auf Nordkurs und kreuzen in Richtung Festland. Die Zeit wird knapp, und es gibt eine Menge zu tun. Die Franzosen werden wohl kaum versuchen, wahrend der Nacht Cozar anzusegeln. Erstens ist das nicht ganz ungefahrlich, und zweitens konnten sie auf die Princesa sto?en. «Er entrollte eine Seekarte auf dem Tisch.»Ich beabsichtige, morgen fruh bei Sonnenaufgang hier auf dieser Position zu stehen, nordwestlich der Insel; und sobald uns die Garnison gesichtet hat, wird Leutnant Bellamy seine Sloop direkt in den Hafen segeln.»
        Hatte er das personliche Erscheinen Gottvaters angekundigt, so hatte die Wirkung nicht gro?er sein konnen. Einige Offiziere starrten Bellamy so unglaubig an, als ob sie von diesem eine Erklarung oder Bestatigung erwarteten; doch der blickte nur stumm auf seine Fu?e hinunter. Andere wechselten erschrockene Blicke und musterten Bolitho, als wollten sie sich vergewissern, da? er nicht verruckt geworden sei.
        Mit leichtem Lacheln fuhr Bolitho fort:»In der nachsten Stunde wird eine unserer Karronaden auf die Chanticleer geschafft. «Er bi? die Zahne zusammen, denn mit diesen Worten hatte er sich und jeden Anwesenden festgelegt.»Au?erdem nimmt sie einhundert Matrosen und alle Marine-Infanteristen an Bord.»
        Hauptmann Ashby konnte sich nicht langer beherrschen.»Aber was soll daraus werden, Sir? Ich meine, verdammt noch mal, Sir. «Er verfiel in hilfloses Schweigen. Dann erklang Rookes elegant-nachlassige Stimme von der anderen Seite der Kajute:»Die Frogs sollen also denken, die Schaluppe sei die Fairfax, die wieder im Hafen einlauft, Sir?»
        Wortlos nickte Bolitho. Der schlaue Rooke war jedenfalls den anderen ein ganzes Stuck voraus.»Genau.»
        Es gab ein gro?es Durcheinander, allerlei Gemurmel und vielerlei Fragen; starrkopfig wandte Quarme ein:»Aber wie soll das klappen, Sir? Ich meine, die Chanticleer ist zwar eine Schaluppe, aber doch mit der Fairfax gar nicht zu verwechseln. Sie ist alter und kleiner!«Und mancher in seiner Nahe nickte dazu.

«Eine gute Frage, Mr. Quarme. «Bolitho verschrankte die Hande hinter dem Rucken. Dennoch wei? ich aus Erfahrung, da? die Menschen gewohnlich das sehen, was sie erwarten. «Ganz langsam blickte er sich im Kreise um.»Und der Feind wird eine Schaluppe sehen, die von der Hyperion gejagt wird. Sie werden auf uns feuern, um ihr Deckung zum Einlaufen zu geben. Wenn sie merken, was wirklich gespielt wird, ist die Schaluppe bereits im Hafen und so dicht am Pier, da? sie sich im toten Winkel der franzosischen Geschutze befindet.»
        Jeder horte ihm jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Selbst die Midshipmen reckten die Halse, um ihn besser zu verstehen.

«Es mu? allerdings schnell gehen, meine Herren«, fuhr er fort.»Die Franzosen konnen jetzt jeden Moment Verstarkung senden. Und ein scharfaugiger Ausguck konnte den Unterschied zwischen den beiden Schaluppen erkennen, ehe wir im Hafen sind. Aber die Garnison hier besteht aus Landsoldaten. Brauche ich noch mehr zu sagen? Uberraschenderweise gab es tatsachlich hier und da Gelachter. Das war wenigstens ein Anfang.
        Bolitho blickte sich um.»Haben wir eine franzosische Flagge? Die neue, meine ich.»
        Mehrfaches Kopfschutteln.
        Bolitho suchte mit den Augen den grauhaarigen Segelmacher.»Schon, Mr. Buckle, Sie haben drei?ig Minuten, um eine anzufertigen. Also fangen Sie an!»
        Er wartete die Antwort nicht ab, sondern wandte sich an den Stuckmeister der Hyperion. »Mr. Pearse, Sie konnen sofort mit dem Verladen der Karronade beginnen. Suchen Sie eine gute Mannschaft aus und nehmen Sie das Boot, das Ihnen am geeignetsten scheint.»
        Er blickte ihm nach, der hinter dem Segelmacher die Kajute verlie?, und fuhr gelassen fort:»Bei unserem letzten Angriff waren wir minutenlang durch eine Landzunge vor der Batterie gedeckt. Wenn wir unser Schiff auf dem gleichen Kurs halten wie damals, wird der Gegner wahrscheinlich schnell ein paar Geschutze von der anderen Seite so verlegen, da? er besser feuern kann. Inzwischen werden sie ziemlich selbstsicher sein und voraussetzen, da? wir nicht direkt vor ihre Kanonen segeln. Dadurch bekommt die Schaluppe sogar noch bessere Chancen.»
        Erregtes Gemurmel. Das war zumindest ein Plan. Allerdings gab es noch vieles zu klaren und zu erklaren. Aber ein Plan war es immerhin.

«Also schon, meine Herren, Sie konnen gehen. Fangen Sie an. Ich komme gleich an Deck und kummere mich selbst um die erste Phase.»
        Als sie die Kajute verlie?en, wandte sich Bolitho nochmals Lieutenant Bellamy zu. Von diesem hatte er irgendeine Au?erung, vielleicht sogar Protest erwartet; aber Bellamy hatte nichts gesagt, und Bolitho war keineswegs sicher, da? er auch nur die Halfte von dem begriffen hatte, was da auf ihn zukam.

«Danke sehr, Bellamy«, sagte er.»Sie waren mir eine gro?e Hilfe.»
        Der Leutnant starrte ihn an und schluckte.»Tatsachlich?«Er schluckte nochmals.»Ah - vielen Dank, Sir. «Bolitho folgte ihm an Deck und sah ihm nach, wie er unsicheren
        Schrittes zur Fallreepspforte ging. Dann atmete er ganz langsam aus. Da hatte er sich allerhand geleistet, wirklich! Er hatte Lord Hood nicht gemeldet, da? das Unternehmen Cozar gescheitert war. Er hatte sich den Oberbefehl uber eine Aktion angema?t, die verlustreich und katastrophal enden konnte. Er hatte sogar eine Depeschen und Post befordernde Schaluppe widerrechtlich angehalten, fur seine Zwecke eingesetzt und wahrscheinlich der Vernichtung preisgegeben.
        Er blickte zum Masttopp auf und sah, da? der Wimpel sich hob und in der auffrischenden Brise flatterte. Wenn es davor noch irgendein Argument gegen diese Aktion gegeben hatte - jetzt gab es keines mehr. Die Konsequenz seiner ersten Anweisungen machte jeden Widerruf unmoglich. Zweifeln hatte jetzt keinen Sinn mehr. Bolitho ging zur Wetterseite hinuber und schritt dort in tiefer Konzentration auf und ab.
        Mit einem heftigen Ruck erwachte Bolitho und starrte sekundenlang zu Allday hoch, der, einen schweren Krug in der Hand, uber ihn gebeugt stand.

«Tut mir leid, da? ich Sie wecken mu?, Captain«, sagte er mit seiner gelassenen Stimme,»aber es wird schon hell. «Er hob den Krug und go? den hei?en Trank ein, wahrend Bolitho seine Gedanken sammelte und sich in der winzigen Kajute der Schaluppe umsah. Oberhalb des Sessels, in dem er tief erschopft eingeschlafen war, konnte er das bleiche Rechteck des Skylights sehen; und in der plotzlichen Erkenntnis des Kommenden erstarrte er in seinem Sessel wie ein Mann, der aus einem Alptraum aufschreckt und feststellen mu?, da? sein Traum Wirklichkeit ist.
        Der hei?e bittere Kaffee rann ihm angenehm durch den Magen.»Wie ist der Wind?»
        Allday hob die Schultern.»Schwach, aber stetig, Captain. Immer noch aus Nordwest.»

«Gut. «Er stand auf und fluchte, denn er war mit dem Kopf gegen den niederen Decksbalken gesto?en. Allday verkniff sich ein Grinsen.»Nicht viel los mit diesem Schiff, wie, Captain?»
        Bolitho rieb sich die Arme, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu bringen, und entgegnete kuhl:»Mein erstes Kommando war auch eine Schaluppe, Allday. Kaum anders als diese. «Dann lachelte er resigniert.»Aber Sie haben recht. So ein Fahrzeug ist nur fur sehr junge oder sehr kleine Leute.»
        Die Tur offnete sich, und Leutnant Bellamy steckte den Kopf herein.»Aha, Sie sind schon geweckt worden, Sir. «Er grinste.»Schones Wetter fur uns!»
        Bolitho musterte ihn verwundert. Erstaunlich, wie sich Bellamy fur diesen Plan engagiert hatte! Wenn etwas schiefging, wurde er allerhand zu erklaren haben. In der Marine konnte man sich nicht immer damit herausreden, da? man nur Befehle ausgefuhrt hatte.
        Gebuckt folgte ihm Bolitho uber die kurze Leiter auf das Achterdeck. Es war sehr kuhl; das bleiche Fruhlicht schien uber Wolkenfetzen und kabbelige See. Erschauernd dachte er sehnsuchtig an seinen Uniformrock. Aber wie die anderen hatte er alles weggelassen, was ein aufmerksamer feindlicher Wachtposten sehen und identifizieren konnte.
        Bellamy deutete nach Backbord voraus.»Cozar liegt dort druben, etwa funf Meilen entfernt, Sir. Jetzt ist es bald soweit.»
        Bolitho ging zur Heckreling und spahte angestrengt achteraus. Er spurte die stetige Brise auf der Haut, doch von der Hyperion war noch nichts zu sehen. Langsam trat er zu dem ungeschutzten Ruderrad. In der Stille klangen seine Schuhsohlen merkwurdig laut auf den Planken.
        Nochmals uberdachte er die vergangenen hektischen Stunden und suchte nach einem Fehler in seinem Plan. Quarme war sichtlich enttauscht gewesen, als er ihm das Kommando uber die Hyperion ubertrug. Selbst Bolithos geduldige Erlauterungen hatten seine Stimmung nicht heben konnen. Eines war sicher: wenn sich die Franzosen nicht tauschen lie?en oder wenn die Schaluppe uberwaltigt wurde, bevor sie am Pier war, wurde keiner an Bord uberleben. Es war Bolithos Plan, also trug er auch personlich das Risiko. Indessen konnte er auch Quarme verstehen. Quarme war Berufsoffizier; er hatte nur wenig Geld und keine einflu?reichen Verwandten, die seine Karriere fordern konnten. Seine Beforderung hing davon ab, da? er ein Enterkommando oder ein so gewagtes Unternehmen wie dieses hier fuhrte. Andere avancierten durch Tod oder Beforderung ihrer Vorgesetzten. Vielleicht hatte Quarme schon darauf spekuliert, da? er durch Kapitan Turners plotzliches Ableben ein Stuck weiterkam.
        Aber wenn auf Cozar alles schiefging, brauchte die Hyperion einen guten, vernunftigen Mann als Kommandanten, und Quarme hatte bewiesen, da? er durchaus fahig war, das Schiff zu fuhren.

«Die Kimm wird klarer, Sir«, sagte Bellamy aufgeregt und zerrte an seiner Uhr. Mein Gott, dieses Warten!»
        Tatsachlich wurde es heller. Bolitho konnte schon das Oberdeck der Schaluppe und den Bugspriet sehen, der wie ein schwarzer Finger in den bleichen Himmel stach.
        Hatte das kleine Fahrzeug nicht so verzogert auf Ruder und Wind reagiert, hatte man sich nur schwer vorstellen konnen, da? sich unter Deck samtliche Marine-Infanteristen Hauptmann Ashbys und au?erdem funfzig Matrosen der Hyperion drangten, und da? noch weitere funfzig, unbequem unter einer Persenning verborgen, an Deck hockten. Es war ein Gluck, da? Bellamy bereits knapp an Leuten gewesen war, aber trotzdem wurde jeder Kubikzoll Stauraum und das ganze Logisdeck gebraucht, um die Manner unterzubringen.
        Die Matrosen der Chanticleer sa?en oder standen an der Schanz herum, sprachen kaum und warteten darauf, jeden Fetzen Leinwand zu setzen, sobald der Befehl kam.
        Fluchtig scho? Bolitho die schreckliche Moglichkeit durch den Kopf, da? Quarme es nicht schaffen wurde, rechtzeitig zur Stelle zu sein. Die ganze Nacht hindurch war die Schaluppe weit vorausgesegelt, damit nicht etwa ein spionierendes Fischerboot oder ein Kustensegler sie im Geleit fahren sah, womit die einzige Erfolgschance ruiniert gewesen ware, ehe die Aktion uberhaupt begonnen hatte.
        Er musterte die Steuerbordbatterie. Die Schaluppe war mit achtzehn leichten Geschutzen armiert, deren Breitseite an dieser machtigen Festung kaum einen Kratzer verursachen wurde.

«Ah!«seufzte Bellamy, als der goldene Rand der Sonnenscheibe uber der Kimm aufglanzte. Und da lag auch die Insel, vielleicht vier Meilen voraus. Die buckligen Hohen und das dunkle Viereck der Festung standen schwarz vor dem immer heller werdenden Sonnenlicht. Von Westen sieht die Insel ganz anders aus, dachte Bolitho. Doch als er das Fernrohr ans Auge hob, konnte er die wei?en Brecher am Fu?e des Vorgebirges erkennen. Dagegen wirkte die Steilkuste sehr hoch und machtig.
        Wieder uberkam ihn ein Schauer, und er mu?te an die langen Monate seines Krankenlagers in Falmouth denken. Muhelos konnte er sich das gro?e Haus ins Gedachtnis rufen, den Blick auf die Mole und Pendennis Castle, die er vom Fenster seines Krankenzimmers hatte sehen konnen, wenn er nicht gerade zu benommen und schwindlig gewesen war. Dazu das Haus mit den gro?en, nachgedunkelten Portrats der Bolithos, die alle auf See gelebt und auf See den Tod gefunden hatten. Denn er war der letzte seine Geschlechts; es gab niemanden au?er ihm, der die Familientradition fortfuhren konnte.
        Er dachte auch an Nancy, seine jungste Schwester. Sie hatte ihn zusammen mit Allday durch die vielen schweren Fieberanfalle gebracht. Sie liebte ihn innig, das wu?te er recht gut, und versuchte bei jeder Gelegenheit, Mutterstelle an ihm zu vertreten.
        Gelassen beobachtete er die rasch dahinziehenden Wolken. Wenn er heute umkam, wurde das alte Haus Nancy gehoren. Sie war mit einem Gutsbesitzer aus Falmouth verheiratet, einem Landedelmann, der nur fur die Parforcejagd und gutes Essen lebte. Er hatte schon langst ein Auge auf Bolithos Haus geworfen und wurde nur zu gern einziehen.

«Ihr Degen, Captain«, flusterte Allday. Automatisch hob Bolitho die Arme und spurte den festen Druck des Gurtes um seine Mitte, als Allday die Schnalle schlo? und dabei murmelte:»Ein bi?chen lockerer geworden, seit Sie ihn das letzte Mal getragen haben, Captain. «Er schuttelte den Kopf.»Sie brauchen eine ordentliche Portion kornischen Hammelbraten!»

«Machen Sie nicht so ein verdammtes Theater!«Bolitho senkte die Hand und fuhr uber den abgewetzten Degengriff. Er hatte den alten Degen in der Kajute der Hyperion hangen lassen sollen. Aber der Gedanke, da? er jemand anderem in die Hande hatte fallen konnen, oder - noch schlimmer - auf Nancys Gatten ubergehen, war ihm unertraglich. Der Kerl hatte ihn bestimmt zwischen Hirschgeweihen und ausgestopften Fuchskopfen an die Wand gehangt, denn fur ihn war die Waffe nur ein Schaustuck mehr.
        Bolitho versuchte, sich daran zu erinnern, wie ihm sein Vater den Degen uberreicht hatte, aber er konnte sich von dem stolzen alten Herrn mit dem einen Arm und dem dicken, graumelierten Haar kein klares Bild mehr machen.
        Er zog die Klinge ein paar Zoll weit aus der Scheide und sah den rasiermesserscharfen Stahl im jungen Sonnenlicht aufglitzern. Alt - aber so echt und treu wie eh und je. Er stie? sie in die Scheide zuruck und fuhr herum, als er Bellamy erleichert murmeln horte:»Bei Gott, da ist sie ja!»
        Der Rumpf der Hyperion lag noch in tiefem Schatten, aber die Bram- und Marssegel standen so klar und wei? im Sonnenlicht wie die eines Geisterschiffes. Wahrend er noch hinuberblickte, erschienen wie durch Zauberkraft auch die Royals, und plotzlich wehte Gischt um den Bug. Der Landwind hatte das Schiff erreicht; es rollte wie in einer muden Verneigung.
        Allday sagte:»Sie andert den Kurs - hat uns gesehen.»
        Im Vorschiff der Hyperion blitzte es kurz auf, und Sekunden spater war ein dumpfes Krachen zu horen. Erschrocken zogen alle an Deck der Schaluppe die Kopfe ein, als das Gescho? uber das kleine Schiff heulte, aber weit vor ihnen ins Meer klatschte. Verdammt!«keuchte Bellamy.»Das war knapp!»
        Bolitho spurte die gleiche eiskalte Erregung wie schon so oft, und das Grinsen fror auf seinem Gesicht wie eine Maske fest.»Sollte es auch. Das mu? doch echt aussehen. «Er fa?te den emporten Bella-my am Arm.»Los! Ran jetzt!»
        Der Leutnant brullte durch die hohlen Hande:»Alle Mann aufentern! Setzt Gro?segel und Fock!«Die Manner eilten auf Stationen, und er rannte zur gegenuberliegenden Reling.»Hei?t die Flagge, zum Teufel!«Aber sogar er war beinahe uberrascht, als die selbstgemachte Trikolore an die Gaffel stieg und herausfordernd im Winde flatterte.
        Die Schaluppe gehorchte den Segeln gut; in der langen ablandigen Dunung flog Gischt in gro?en wei?en Streifen von ihrem Bug.
        Der einzige andere Offizier der Chanticleer machte sich jetzt bemerkbar. Geschutzbedienung auf Stationen! Geschutze ausrennen!»
        Die Stuckpforten sprangen auf, und die schlanken Rohre reckten sich wie neugierige Hundenasen uber die milchig schimmernde Bugwelle. Im Vorschiff, festgebunden wie ein stumpfschnauziges Raubtier, stand die zweite Karronade der Hyperion. Sie war bereits geladen und uberpruft worden, wahrend Bolitho in seinem unbequemen Sessel geschlummert hatte. Diese Kanone verscho? eine machtige Kugel von achtundsechzig Pfund, die beim Aufschlag zerbarst. Sie war mit Bleischrot gefullt und wirkte auf kurze Entfernung morderischer als alles bisher Bekannte. Vielleicht wurde sie heute uber Erfolg oder Scheitern der Aktion entscheiden.
        Wieder jaulte eine Zwolfpfunderkugel uber ihre Kopfe und warf eine halbe Kabellange vor dem Bug der Schaluppe eine hohe Wassersaule auf.
        Bolitho wandte sich Rooke zu, der neben ihm auftauchte, die schlanke Gestalt in ein geborgtes Matrosenjackett gehullt. Doch selbst so wirkte er elegant. Gepre?t sagte er:»Das ist bestimmt unser Mr. Pearse, Sir. Der feuert jeden Schu? personlich ab, oder ich mu?te mich sehr tauschen. «Er bi? die Zahne zusammen, als die dritte Kugel hart langsseit niederfuhr und die Geschutzbedienungen der Schaluppe mit Spruhwasser uberschuttete.

«Pearce hat sicherlich ein gutes Auge«, sagte Bellamy, aber es klang doch etwas unbehaglich.
        Ferner Trompetenschall ubertonte das Sausen der Takelage und das Zischen des Spritzwassers. Bolitho hob sein Glas ans Auge. Uber der Festung stieg die Flagge hoch; Sonne funkelte auf einem Teleskop uber der Batterie oder auf einem Geschutzrohr.

«Kursanderung, Bellamy!«befahl er knapp.»Denken Sie daran, was ich Ihnen sagte: runden Sie die Landzunge so dicht wie irgend moglich!»
        Und Bellamy gab seine Kommandos. Die Hyperion halste und schwang bedrohlich herum, bis sie fast parallel zur Schaluppe lag. Sie war noch eine gute Meile entfernt, aber unter dem machtigen Druck ihrer Segel und des achterlichen Windes lief sie schnell und gut. Jeder Beobachter an der Kuste mu?te annehmen, da? sie sich verzweifelt anstrengte, die Schaluppe zu uberholen und abzufangen, ehe sie einen Schlag machen und den sicheren Hafen erreichen konnte.
        Von der Klippe her antwortete jetzt ein Drohnen, und alle lauschten auf das hohe Jaulen des Geschosses, das uber ihre Masten hinwegflog.

«Ich sehe keinen Schaden«, sagte Rooke.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Durchs Glas hatte er erkannt, da? im bauchigen Gro?segel der Hyperion ein Loch klaffte. Wirklich ein guter Schu?!»Wenigstens konzentrieren sie sich im Moment auf Quarme«, sagte er; aber er mu?te sich Muhe geben, da? seine Worte einigerma?en heiter klangen - in Wirklichkeit war ihm keineswegs so zumute. Im steigenden Licht besa? die Hyperion eine eigenartige, schwer zu erklarende Schonheit. Er konnte die drohende Galionsfigur sehen, die Wasserreflexe an der hohen Bordwand, und er fuhlte etwas wie korperlichen Schmerz, als wieder ein Geschutz der Batterie feuerte und dicht am Heck des alten Schiffes eine Wasserfontane aufspritzte. Der kann als Abpraller in den Rumpf gegangen sein, dachte er grimmig. Er warf einen Blick auf die Brustwehr der Festung - noch kein Rauch zu sehen. Aber sie wurden nicht lange brauchen, um die Glut der uber Nacht heruntergebrannten Essen anzufachen; dann wurden sie mit gluhenden Kugeln schie?en, und jeder Treffer konnte die Hyperion in eine brennende Holle verwandeln.
        Quarme war viel zu dicht unter Land. Vielleicht hatte er sich verschatzt - oder wollte er dem Feind einen moglichst realistischen Eindruck bieten?

«Der Narr dort soll sich besser verstecken!«horte er Rooke schimpfen. Zwei hornhautige Fu?e ragten unter der Persenning hervor; ein Deckoffizier lie? seinen Tampen darauf niedersausen - ein Schrei, und weg waren sie.
        Bellamy war naturlich mehr an seinem eigenen Schiff interessiert als an der Gefahr, in der sich die Hyperion befand. Er stand neben dem Ruder und achtete scharf auf Kompa? und Segel, denn die dunkle Landzunge sprang ihnen entgegen wie ein Stier, der die Chanticleer auf die Horner nehmen wollte.
        Er senkte die Hand.»An die Brassen! Schneller, faule Bande!«Unter protestierendem Quietschen und Knarren erzitterte die Schaluppe und ging dann unter dem Druck von Wind und Ruder auf den anderen Bug. Ein einzelnes Riff hatte beinahe ihren Kiel angekratzt, als sie das Vorgebirge rundeten. Dahinter winkte das flache Wasser des Hafenbeckens einladend wie eine gutbekoderte Falle.

«Kurzen Sie jetzt die Segel, Mr. Bellamy«, sagte Bolitho ruhig.»Und die Manner unter Deck sollen sich fertigmachen!«Seine Hand am Degengriff war feucht von Schwei?.
        Er wandte sich um und beobachtete, wie sich der Umri? der Hyperion verkurzte - sie schickte sich an zu halsen, um naher an die Kuste zu kommen. Auch sie hatte jetzt gerefft. Er hielt den Atem an, denn dicht an ihrem Rumpf sprangen wieder zwei Fontanen hoch. Die Franzosen feuerten jetzt schneller; anscheinend war, wie er es vorausgesehen hatte, die Batterie zur See hin verstarkt worden. Er drehte sich um. Lieber wollte er nach vorn blicken, als noch langer die gefahrlichen Manover der Hyperion mitansehen. Eine Anzahl Matrosen der Schaluppe drangten sich auf der Back zusammen und starrten zur breiten Hafeneinfahrt. Argerlich rief er ihnen zu: Schaut nach achtern, ihr Idioten! Als Franzosen mu?t ihr mehr Angst vor der Hyperion haben als vor eurem eigenen Ankerplatz!»
        Seine Worte machten die Manner sicherer und lockerten auch seine eigene Spannung.

«Da ist die Pier, Sir«, sagte Rooke. Bolitho nickte. Es war nur ein primitiver holzerner Steg, von dem sich ein schmaler Pfad in eine Kluft zwischen den Bergen schlangelte. Dort war es schon recht lebendig, und er konnte eben noch das Rohr eines alten Feldgeschutzes ausmachen, das sich zwischen seine machtigen eisenbeschlagenen Rader duckte.

«Stetig jetzt, Mr. Bellamy!«Er mu?te sich die trocknen Lippen lecken.»Steuern Sie zunachst den Liegeplatz hinter der Pier an! Aber wenn Sie auf Kabellange ran sind, nehmen Sie die Segel weg und Kurs auf den Steg! Inzwischen sind Sie im Windschatten der Berge, aber das Schiff mu?te genug Restfahrt haben, um glatt reinzukommen.»
        Widerwillig loste Bellamy die Augen vom Bug.»Wird der Bordwand nicht behagen, Sir! Aber dann grinste er breit.»Bei Gott, das ist besser, als Flottenpost fahren!»
        Bolitho warf schnell einen Blick auf Inch, den pferdegesichtigen jungsten Leutnant der Hyperion, dessen Kopf vom Niedergangsluk eingerahmt war - hinter ihm warteten, enganeinandergepre?t wie Erbsen im Fa?, die restlichen Manner des Landungskommandos. Fur die mu? es noch schlimmer sein, ging es ihm durch den Kopf. In dem engen, stockfinsteren Laderaum zusammengepfercht, hatte ihnen nur die eigene Angst und der Geschutzdonner Gesellschaft geleistet.

«Winkt den Soldaten an Land zu!«rief Bolitho. Einige Matrosen glotzten ihn verstandnislos an. »Winkt! Ihr seid doch gerade dem verdammten Englander entwischt!»
        Seine Stimme klang so wild und bose, da? tatsachlich ein paar Manner in gellendes, irres Gelachter ausbrachen und wie verruckt zu den Leuten an der Pier hinubergestikulierten. Und die winkten zuruck!
        Erleichtert wischte Bolitho sich die Stirn mit dem Hemdsarmel und sagte:»Wenn Sie soweit sind, Mr. Bellamy…»
        Ein kurzer Blick nach ac htern zeigte ihm, da? die Hafeneinfahrt tatsachlich schon von der keilformig vorspringenden Landzunge verdeckt war. Daruber konnte er die obersten Rahen der Hyperion sehen und verspurte ungeheure Erleichterung, denn sie halste bereits wieder und nahm Kurs auf die offene See, wo ihr nichts mehr passieren konnte.

«Jetzt! Leeruder!«schrie Bellamy heiser. Als Bolitho wieder nach vorn blickte, zeigte der Bugspriet bereits auf die Kluft zwischen den Bergen. Vorsichtig zog er den Degen aus der Scheide und ging zum Vorschiff, wo die Karronade wartete.



        V Kurz und scharf

        Mit gerefften Segeln glitt die Chanticleer stetig auf den primitiven holzernen Steg zu, wo sich etwa drei?ig franzosische Soldaten eingefunden hatten und zusahen, wie das Schiff einlief. Etwas seitlich von den schwatzenden Soldaten hatte ein hochmutiger, schnurrbartiger Offizier zu Pferde Posten bezogen. Reglos sa? er im Sattel, nur seine Hande und Fu?e bewegten sich leicht, um das nervose Pferd zu beruhigen, denn immer noch feuerte die Festungsbatterie hinter der Hyperion her, die schon nicht mehr zu sehen war.
        Aber dann, als die uberladene Schaluppe schwankend naher kam, schienen die vordersten Soldaten zu merken, da? etwas nicht stimmte. In den nachsten Sekunden uberschlugen sich die Ereignisse. Im Vorschiff schrillte eine Pfeife, die letzte Stuckpforte sprang auf, die Karronade schob sich unbeholfen vor und wurde sichtbar, die Persenning an Deck wurde weggerissen, darunter und aus allen Niedergangen schwarmten Seesoldaten und Matrosen heraus - auf einmal wimmelte das Deck der Sloop von Menschen. Die franzosischen Soldaten wichen zuruck, um sich auf dem geschutzten Pfad in Sicherheit zu bringen; aber es war zu spat, denn hinter ihnen versuchten ihre Kameraden, zum Steg vorzusto?en; hier und da rief noch der eine oder andere Hurra und winkte der Trikolore im Masttopp zu.
        Die Karronade brullte los wie Donner. Zwischen den engen Klippen war die Druckwelle der Explosion so stark, da? sie ein paar kleine Steinlawinen loste. Hunderte erschrockener Seevogel flatterten unter Protestgeschrei auf und zogen hoch am Himmel ihre wirbelnden Kreise.
        Die machtige Kugel pflugte durch die dichtgedrangten Soldaten und schlug hinter ihnen in die Lafette des Feldgeschutzes. Ein zweites helles Aufblitzen; und als sich der Pulverqualm von Deck verzogen hatte, sah Bolitho den blutigen Pfad, den die Kugel gerissen hatte: rechts und links sturzten Soldaten sterbend nieder.
        Er senkte den Degen:»Feuer!»
        Jetzt kamen die kleinen Bordgeschutze an die Reihe. Sie waren mit Schrapnell geladen, und sobald ihr peitschenartiger Knall sekundenlang die Todesschreie und das Schmerzgebrull an Land ubertonte, mahten die Ladungen aus den kleinkalibrigen Rohren alle, die noch standen, nieder wie Gras.
        Bolitho sprang uber die Schanz an Land; seine Schuhsohlen rutschten auf Blut und Fleischfetzen; wie ein lebender Strom folgten ihm die Manner, und ihre Augen gluhten dumpf, als waren sie halb betaubt von der Schlachterei ringsum.
        Schrapnells bohrten sich in den Steg, und mit protestierendem Knarren kam die Chanticleer zum Stehen. Ihr Deck bebte, als Matrosen und Seesoldaten an Land sturzten, wo die Offiziere sie in provisorischer Marschordnung formierten.
        Nur eine Handvoll Franzosen rannten den Pfad zuruck, verfolgt von den Musketenschussen eifriger Marine-Infanteristen und dem Hohngeschrei der Matrosen, die meist mit Piken und Entermessern bewaffnet waren.
        Bolitho packte Ashby am Arm.»Sie wissen, was zu tun ist. Ziehen Sie Ihre Abteilung gut auseinander. Es mu? so aussehen, als waren wir doppelt so viele.»
        Ashby nickte heftig, sein Gesicht gluhte scharlachrot vom Rennen und Schreien.
        Es brauchte noch viel mehr Geschrei, um die erregten Seesoldaten in Marschordnung auf den Pfad zu bringen. Hell hoben sich die roten Uniformen von dem schwarzlich-blutigen Hintergrund aus zerfetzten Leichen und gekrummten Verwundeten ab.
        Erst jetzt bemerkte Bolitho, da? der franzosische Offizier auf seinem Pferd irgendwie vor dem morderischen Blei verschont geblieben war. Ein Matrose sprang vor und wollte dem Pferd in die Zugel fallen, aber mit einer einzigen raschen Bewegung zog der Offizier seinen Sabel und hieb ihn nieder. Lautlos sank der Mann zu Boden, und wie ein Seufzer stieg es aus den Reihen der wartenden Seesoldaten auf. Ein einzelner Pistolenschu?, und der Offizier sank, wurdevoll bis zum bitteren Ende, aus dem Sattel; still und stumm lag er neben dem ersten Gefallenen des Landekommandos.
        Leutnant Shanks reichte die noch rauchende Pistole seiner Ordonnanz.»Laden!«befahl er kurz und wandte sich dann formell an Hauptmann Ashby:»Ich denke, Sie sollten das Pferd nehmen, Sir.»
        Elegant schwang sich Ashby in den Sattel und blickte auf Bolitho herab.»Ich reite den Pfad entlang, Sir. Die Festung mu?te in etwa zwanzig Minuten zu erreichen sein, glaube ich. «Er wandte sich im Sattel um und beobachtete mit soldatisch-sachverstandigem Interesse, wie die erste Abteilung Marine-Infanteristen im Laufschritt ausschwarmten, um auf beiden Seiten des Tales zu rekognoszieren. Ihre roten Rocke leuchteten durch das sparliche Unterholz.
        Zwei Trommler und zwei Pfeifer bezogen Position an der Spitze des Haupttrupps; dann folgte Leutnant Inch mit siebzig Matrosen, die er ebenfalls in eine Art Marschkolonne gebracht hatte. Ashby zog sich den Hut in die Stirn. Auf dem erbeuteten Pferd sah er, wie Bolitho fand, hochst militarisch aus.

«Bajonett pflanzt - auf!«brullte der Hauptmann. Bolitho wandte sich um und starrte auf die steilen Klippen des Vorgebirges. Von seinem Standort aus konnte er nicht einmal die Brustwehr der Batterie sehen. Seine eigene Abteilung Matrosen wartete unter Rooke und einem Midshipman am Ende der Pier.

«Nach rechts! Im Eilschritt - marsch!«ertonte Ashbys heiseres Kommando.
        Es war wie ein irrer Traum, dachte Bolitho: Ashby auf dem Grauschimmel an der Spitze seiner Manner… Der dumpfe Tritt der Stiefel, als die Abteilung gleichmutig durch die blutige Masse marschierte, die das grimmige Artilleriefeuer der Schaluppe hinterlassen hatte. Und noch unwirklicher wurde die Szene, als Trommler und Querpfeifer den munteren Marsch» Lustige Dragoner «intonierten. Es kam Bolitho wie Hohn vor, da? den Spielleuten unter solchen Umstanden ausgerechnet diese Melodie eingefallen war.
        Steifbeinig ging er zu Rooke hinuber.»Wir mussen sofort abruk-ken!«Er deutete auf die hinabgesturzten Felsbrocken, die wie ein zerrissenes Halsband den Fu? der Klippe saumten.»Da mussen wir langsklettern, bis wir unterhalb der Batterie sind. Es sind gut zwei Kabellangen; wir mussen also schnell machen, ehe die Garnison sich von dem Schreck erholt.»
        Rooke verzog das Gesicht.»Wenn die Franzosen Ashbys Armee am Haupttor aufkreuzen sehen, werden sie denken, das Ende der Welt ist da!»
        Bolitho nickte.»Hoffentlich. Wenn nicht, kriegen wir mehr als nur Steine auf den Kopf!»
        Rutschend und keuchend kampfte sich die Reihe der Matrosen am Fu?e der Klippen entlang. Wieder horten sie das Donnern schwerer Geschutze, und Bolitho konnte sich denken, da? Quarme einen weiteren Scheinangriff begann. Jetzt mu?te die Garnison das Landeunternehmen durchschaut haben; aber sie konnten wenig mehr tun als stillzusitzen und den eigentlichen Angriff zu erwarten. Wenn sie, wie es Rooke angedeutet hatte, Ashbys zuversichtlichen Anmarsch uber die einzige Stra?e der Insel sahen, mu?ten sie eigentlich annehmen, da? der Angriff aus dieser Richtung kommen wurde.
        Bolitho hatte alle Einzelheiten, die er uber die Festung in Erfahrung bringen konnte, gesammelt und genau studiert. Hoffentlich hatten die Franzosen in der Zwischenzeit an der Gesamtanlage nichts geandert. Der kreisrunde Bergfried, der Hauptturm der Festung, war von einer achteckigen Blendmauer umgeben, die in regelma?igen Abstanden tiefe Schie?scharten auf wies. An der Landseite der Brustwehr befand sich ein tiefer Graben, uber den unterhalb der Festungsmauer eine Brucke fuhrte.
        Aber nach der See zu, und uber der Klippe selber, gab es nur die Blendmauer. Wer diese Festung entworfen hatte, mu?te es fur unwahrscheinlich gehalten haben, da? der Feind uber die Hafeneinfahrt hinausgelangen konne; und fur ebenso unwahrscheinlich, da? jemand die hundert Fu? hohen Klippen erkletterte.
        Bolitho rutschte aus und fiel bis zum Gurtel ins Wasser. Es war trotz der Sonne sehr kalt, und die plotzliche Abkuhlung beruhigte seine Nerven.
        Sie kampften sich muhsam vor. Das Tempo verlangsamte sich bereits, denn das Gedrange auf dem engen Schiff hatte kein Training fur solchen Sport ermoglicht.
        Rooke keuchte:»Das Fort ist moglicherweise schwerer zu nehmen als wir gedacht haben, Sir. Vielleicht mu? Ashby einen Frontalangriff machen.»
        Bolitho musterte ihn kurz.»Wie die meisten alten Festungen ist auch diese unter der Voraussetzungen gebaut, da? alle Angriffe von See herkommen. Daran, da? so ein Fort auch von innen her aufgerollt werden konnte, denken die Festungsarchitekten anscheinend nie.»
        Bewu?t ubersah er die Unsicherheit in Rookes schmalem Gesicht. Fluchtig dachte er an Pendennis Castle, in deren Schatten er aufgewachsen war und die er von seinem Fenster aus unzahlige Male studiert hatte. Auch diese Festung war gebaut worden, um Stadt und Hafen Falmouth gegen Angriffe von See her zu verteidigen. Und dann, wahrend des Burgerkrieges, war es ganz anders gekommen: die alte Burg hatte ihre Verteidigungswaffen landwarts gerichtet, um den anruckenden Truppen Cromwells* Widerstand zu leisten und Konig Charles' letzte Bastion zu schutzen. Auf einem alten Bild in

* Oliver Cromwell sturzte 1649 Konig Charles I. und lie? ihn hinrichten. War dann bis zu seinem Tode (1658) als» Lord-Protector «ein ungeliebter Herrscher (d. U.).
        Bolithos Haus bildete die Belagerungsszene den Hintergrund fur das Portrat von Captain Julius Bolitho, der versucht hatte, die Blok-kade zu brechen und seine Schiffsladung zu der belagerten Burg durchzubringen. Doch der Versuch war mi?gluckt. Er fiel durch eine Musketenkugel, die ihm die Schande ersparte, gehangt zu werden. Und so oder so war die Feste Pendennis gefallen.
        Muhsam zog sich Bolitho den Grat eines von der See glatt gewaschenen Felsens entlang und starrte an der Klippe empor.»Ich glaube, hier sind wir richtig. «Sein Herz paukte ihm gegen die Rippen, und schwei?na? klebte ihm das Hemd am Korper.
        Es sah wirklich sehr steil aus, aber wenn er die Entfernung richtig geschatzt hatte, so mu?ten sie direkt unter der runden Kuppe des Vorgebirges sein, wo die Brustwehr bis auf ein paar Fu? an die Felskante heranreichte.

«Mr. Tomlin, sind Sie bereit?«Tomlin war der Bootsmann der Hyperion, ein untersetzter, stark behaarter, ungewohnlich kraftiger Mann. Aber trotz seines gewaltigen Korperbaus und seiner Muskelkraft hatte Bolitho niemals gesehen, da? er einen Matrosen, uber den er sich argerte, geschlagen hatte.
        Jetzt stand er auf einem Felsbrocken und hielt einen schweren Wurfhaken in seiner machtigen Hand.»Fertig, Sir. «Wenn er den Mund offnete, sah man, da? ihm zwei Vorderzahne fehlten, was seiner schon furchterregenden Erscheinung beim Grinsen noch einen greulich irren Akzent aufsetzte.
        Bolitho musterte sein Detachement. Die Manner waren vom Spruhwasser der Brandung und vom klebrigen Schleim der Algen durchweicht und sahen wildaugig und desperat aus.
        Er sprach langsam, aber knapp.»Mr. Tomlin klettert als erster hoch und sichert den Haken. Dann ich; danach folgen die anderen, aber nie mehr als zwei auf einmal. Verstanden?«Wortlos nickten einige, und er fuhr fort:»Keiner gibt einen Laut von sich, ehe ich es befehle. Wenn wir gesehen werden, ehe wir oben und uber der Mauer sind, konnen wir nicht wieder zuruck. «Er blickte ihnen grimmig in die Gesichter.

«Tut genau, was ich tue, und bleibt zusammen!»
        Er mu?te das plotzliche Mitgefuhl unterdrucken, das ihn angesichts dieser erschopften, aber ihm blind vertrauenden Matrosen uberkam. Doch sie mu?ten ihm vertrauen, anders ging es nicht. Also nickte er kurz.»Schon, Mr. Tomlin. Nun lassen Sie mal sehen, ob Sie Kraft in den Armen haben!»
        Wenn man Tomlin zusah, kam einem die Klippe gar nicht mehr so steil vor. Wie ein junger flotter Toppmatrose enterte er auf. Funfzehn Fu? unter dem Klippenrand war ein schmaler Saum, und hier erst machte er Gebrauch von dem schweren Wurfhaken, den er tief und fest in einige Felsvorsprunge hineintrieb. Sein klobiger Korper stand wie der groteske Wasserspeier einer gotischen Kathedrale gegen den Himmel. Dann warf er die starke Leine hinunter und blickte in die zu ihm emporgewandten Gesichter.
        Bolitho prufte die Leine und kletterte los. Der Felsen war rauher, als er gedacht hatte, die wenigen Vorsprunge und Vertiefungen waren schlupfrig von Mowenkot, so da? er keuchend nach Atem rang, als Tomlin ihn ganz unzeremoniell packte und neben sich auf die Platte hievte. Dabei grinste er sein zahnluckiges Raubtiergrinsen.: Ganz schon fix, Sir! Jetzt die anderen!«Und er winkte mit seinem riesigen Daumen.
        Bolitho war keines Wortes fahig. Er richtete sich muhsam auf und schatzte die nachste und letzte Etappe dieser Kletterei ab. Uber dem Rand der Klippe konnte er jetzt die Mauerkrone der Brustwehr sehen, und daruber einen Streifen verwehenden Pulverqualm von der Batterie. Au?erdem zwei Schie?scharten, aber beide waren leer, und er nahm an, da? die Geschutze auf die andere Seite geschafft worden waren, um das Feuer auf die Hyperion zu verstarken.
        Unten splitterten ein paar Steine - die ersten Matrosen kletterten hoch. Aber er wagte nicht hinunterzublicken. Die morderische Spannung und die korperliche Anstrengung forderten ihren Zoll.

«Also gut, ich gehe jetzt nach oben. «Neidisch blickte er in Tomlins ha?liches Gesicht und fragte sich, wie dieser so ruhig und selbstsicher sein konnte.»Sorgen Sie mir dafur, da? sich die Leute still verhalten!»
        Tomlin grinste.»Den ersten Schweinehund, der auch nur flustert, schmei? ich personlich die Klippe runter, Sir!«Und Bolitho wu?te, da? es ihm damit ernst war.
        Er begann, sich den steilen Klippenhang hinanzuziehen. Unvermittelt spurte er die Sonne im Nacken und den stachligen Ginster unter seinen zupackenden Fingern. Seine ganze Welt bestand nur noch aus diesem kleinen Stuck Felsen, und selbst die Zeit schien Sinn und Realitat verloren zu haben.
        Aus dem Augenwinkel konnte er das Meer sehen, glasklar und blau, die Kimm glanzte so stark, da? es seinen Augen weh tat. Von seinem Schiff war nichts zu sehen, aber am Erzittern der Klippe unter den dumpfen Abschussen der Batterie merkte er, da? es nicht weit weg sein konnte. Dann hob er den Kopf und sah die Brustwehr. Sie war so nahe, da? er Grasbuschel und winzige blaue Blumen sehen konnte, die zwischen den wetterzerklufteten Steinen wuchsen, und auch die hellen Narben neben den Schie?scharten, Spuren des ersten Angriffs der Hyperion. Als er sich uber den Grat zog und so schnell wie moglich an den Fu? der Brustwehr kroch, kam er sich nackt und schutzlos vor. Jeden Moment konnte der Anruf eines Postens erfolgen oder eine Musketenkugel ihn todlich in den Rucken treffen. Die nachste Schie?scharte lag nur ein paar Fu? uber der Klippe. Er wagte kaum zu atmen, als er sich langsam auf die Knie hob und uber ihren Rand spahte. Eine Sekunde lang verga? er die Gefahr, in der er sich befand, und die Verantwortung fur das Kommende und fuhlte sich merkwurdig unbeteiligt, wie ein blo?er Zuschauer, distanziert
von Wirklichkeit und Schmerz, von Raum und Zeit.
        Beim Bau der achteckigen Mauer, die das Zentrum der Festung umgab, hatte man sich weniger um sichere Fundamente gekummert, sondern so gebaut, da? sie sich dem bergigen Gelande anpa?te, als konne nichts sie jemals erschuttern. Bolithos Schie?scharte war eine der hochsten der Mauer, und durch sie konnte er uber den massigen Festungsturm hinaus bis zum au?ersten Ende der Batterie sehen. Er erkannte sogar die Stra?e, die zwischen den Bergen unterhalb des Tores verschwand, und die wimmelnden Gestalten der keuchenden, halbnackten Soldaten, die immer noch Kugeln zu den auf See gerichteten Geschutzen schleppten. Selbst im Sonnenglast war zu erkennen, da? die Kugeln hei? waren, und obwohl jede einzelne von zwei Soldaten in einem eisernen Gestell getragen wurde, beugten die Trager ihre Oberkorper von der Hitze weg, wahrend sie uber den steinigen Boden trabten.
        Bolitho horte, wie sich die Matrosen in seinem Rucken uber den Klippenrand qualten, und vernahm Rookes geflusterte Drohungen und Befehle. Rechts und links von ihm fa?ten sie Posten. Aber er drehte sich nicht um. Er sah sich genau die flache Erdschanze unterhalb der Festungsmauer an, in der die Munitionstrager wie geschaftige Maulwurfe verschwanden. Dort lag zweifellos das Magazin und die Feuerstelle, geschutzt von machtigen Erdaufschuttungen fur den Fall, da? ein feindliches Gescho? dank eines blinden Gluckstreffers einschlagen sollte.

«Alle da, Sir«, meldete Rooke. Er hatte einen Ri? in der Wange, und seine Augen gluhten - vor Uberanstrengung oder unterdruckter Spannung.

«Gut. «Bolitho erstarrte und pre?te das Gesicht an den warmen Stein. Von weit weg vernahm er gedampft die Trommeln und Pfeifen von Ashbys Abteilung. Fast verga? er seine eigene gefahrliche Situation, als er in der Ferne die scharlachrote Marschkolonne mit dem stolz trabenden Grauschimmel an der Spitze um die Wegbiegung kommen sah. Die roten Uniformrocke der MarineInfanteristen schienen waagrecht vorwartszugleiten, nur die wei?en Hosenbeine darunter bewegten sich im Gleichtakt. So sah die auf dem gewundenen Pfad anmarschierende Kolonne tatsachlich wie eine glanzendrote Raupe mit stahlern-stachligem Rucken aus. Ash-by hatte seine Sache gut gemacht. Die einzelnen Gruppen marschierten, wie Bolitho befohlen hatte, in Abstanden, so da? man glauben konnte, sie seien weit zahlreicher. Jetzt konnte er auch das Ende der Kolonne sehen: Inchs Matrosen, eine schwankende, auseinandergezogene, wei? und blaue Masse in einer ordentlichen Staubwolke, die auf eine viel starkere Truppe schlie?en lie?.

«Wie stark sind die Franzosen, Sir?«fragte Rooke. Bolitho kniff die Augen zusammen, um die franzosischen Artilleristen besser beobachten zu konnen, die eben jetzt die anruckende Kolonne erstmals gesehen hatten. Etwa funfzig Soldaten befanden sich seiner Meinung nach in der Batterie. In der Festung selbst konnten zweimal, ja dreimal so viele sein. Doch das bezweifelte er. Nur wenige Kopfe hoben sich, soweit er sehen konnte, vom Himmel ab; au?er diesen erkannte er nur noch ein paar Soldaten auf dem einen Wachturm neben dem Doppeltor.

«Stark genug fur ihre Zwecke, Mr. Rooke«, erwiderte er. Auch die Verteidigungskrafte jenseits der Mauer hatte er gesehen. As h-bys Truppe wurde sich mit denen auseinandersetzen mussen, falls sein eigener Plan schiefging und Ashby angreifen mu?te. Zwei steile Damme, einer davon schien neu zu sein. Zwar konnte er von hier aus nichts erkennen, aber bestimmt waren sie mit zugespitzten Pfahlen und anderen Hindernissen armiert. Jede angreifende Truppe wurde von Schrapnell- und Musketenfeuer niedergemaht werden, ehe sie auch nur den Hauptgraben unterhalb der Mauer erreicht hatte.
        Ashby tat, was er konnte, um mit seinem Anmarsch ein moglichst imponierendes Schauspiel zu bieten. Die MarineInfanteristen bildeten standig neue Gruppen und Abteilungen oder flankierten die eigene Marschkolonne. Wahrscheinlich kam ihnen das Ganze ebenso ratselhaft vor wie oben den Franzosen, die ihren
        Anmarsch beobachteten.

«Wir haben nur ein paar Minuten Zeit«, sagte Bolitho eindringlich.»Die Franzosen werden bald merken, da? alles nur Bluff ist. «Unwillkurlich duckte er sich, als ein einzelnes Geschutz von der anderen Mauer her losdonnerte, und fuhr dann fort: Die Hyperion kann ihre Scheinangriffe auch nicht stundenlang fahren. Wenn eine dieser gluhenden Kugeln an einer Stelle trifft, wo unsere Leute nicht rechtzeitig hinkommen, brennt das Schiff lichterloh.»
        Rooke zog den Degen und sah die beiden Pistolen in seinem Gurtel nach.»Ich bin bereit«, sagte er mit fester Stimme.»Aber ich meine immer noch, wir sollten das Haupttor zu erreichen versuchen. Wenn wir dort sind, ehe die Frogs es bemerken, konnen wir Ashby den Weg fur einen Frontalangriff freimachen.»

«Und wenn nicht?«entgegnete Bolitho gelassen.»Dann hauen sie uns kurz und klein und konnen Ashby vernichten, wann und wie sie wollen. «Er leckte sich die trockenen Lippen und glitt von der Schie?scharte.
        Alle Matrosen beobachteten ihn scharf - sie versuchten, ihr eigenes Schicksal aus seinen Augen zu lesen. Er sprach weiter:»Wenn ich Befehl gebe, klettern wir durch diese beiden Schie?scharten uber die Brustwehr. «Er war sich wohl bewu?t, wie die kostbaren Sekunden verrannen, aber die Manner mu?ten ganz genau verstehen, was sie zu tun hatten.»Es sind etwa funfundsiebzig Yards bis zum Festungstor zu uberwinden. Jetzt steht es offen - aber wenn sie uns zu fruh sehen, knallen sie uns die Tur vor der Nase zu!«Er rang sich ein Lacheln ab.»Also rennt, als ware der Teufel hinter euch her! Wenn wir die Festung einnehmen, wird sich die Au?enbatterie ergeben. Auf sich allein gestellt, ware sie verloren.»
        Plotzlich zuckte er zusammen: einer von denen, die ihn da gespannt anblickten, war Midshipman Seton. Rooke bemerkte sein Stutzen und sagte obenhin:»Ich hielt es fur richtig, da? er mitkommt, Sir. Wir brauchen alle erfahrenen Leute fur spater.»
        Bolitho musterte ihn kuhl.»Auch Leutnants sind nicht immun, Mr. Rooke!»
        Da mischte sich Tomlin mit seiner groben Stimme ein:»Die Batterie hat wieder Feuer eroffnet, Sir. Machen sich anscheinend keine Sorgen wegen Captain Ashby.»
        Bolitho zog den Degen und strich sich die Haarstrahne aus der
        Stirn.»Also dann hinuber, Jungs! Wer einen Laut von sich gibt, den lasse ich auspeitschen.»
        Auch der Furchtsamste unter den Mannern wu?te, da? diese Drohung gegenstandslos war. Wenn die Franzosen sie jetzt entdeckten, wurde die Peitsche ihre geringste Sorge sein.
        Bolitho stand langsam auf und warf ein Bein uber den Rand der Schie?scharte. Die Mauer war sehr dick, aber er spurte eine stutzende Hand unter seinem Arm und wu?te, da? Allday dicht hinter ihm war. Merkwurdigerweise hatte er wahrend des langsamen Vormarsches durch die Klippen uberhaupt nicht an seinen Bootsfuhrer gedacht. Vielleicht weil er sich schon so lange auf ihn verlie?, da? seine Treue und sein Mut ihm selbstverstandlich erschienen. Unvermittelt sagte er:»Wenn ich falle, Allday, dann bleiben Sie bei Mr. Rooke. Er wird alle Hilfe brauchen, die er kriegen kann.»
        Allday blickte ihn ruhig und aufmerksam an.»Aye, aye, Cap-tain. «Dann warf er das schwere Enterbeil uber die Schulter und fuhr fort:»Aber wahrscheinlich zielen die Franzosen eher auf ihn.«Und bei diesen Worten grinste er.»Mit allem Respekt, Sir, aber Sie sehen so zerlumpt aus, da? es sich nicht lohnt, auf Sie zu schie?en!»
        Bolitho musterte ihn.»Eines Tages gehst du zu weit, du frecher Bursche.»
        Dann erschien Rooke an der Spitze der zweiten Abteilung und begann den Durchstieg. Bolitho sprang zu Boden und rannte auf den runden Turm zu. Unwichtige Einzelheiten traten wahrend seines Laufs uber das Glacis hart und klar hervor: kleine wei?e Steinsplitter, ein weggeworfenes Hemd, ein grobgezimmerter, zerbrochener Stuhl, ein irdener Weinkrug glitten blitzschnell an ihm vorbei, als er mit seinem Schatten um die Wette auf die Festungsmauer zurannte.
        Keuchend erreichte er sie, pre?te sich gegen die machtigen Steinblocke und wartete, bis die anderen bei ihm waren. Es war kaum zu glauben, aber bis jetzt hatte sie tatsachlich noch keiner gesehen. Und von hier sah es so aus, als waren sie allein auf der Insel; denn die breite Silhouette des Turmes verbarg Kanonen und Tore, Graben und Soldaten.
        Er gab ein Zeichen mit dem Degen und ging langs der Mauer vor.
        Der Torbogen wurde durch die Rundung des Turmes zunachst verdeckt, und als er ihn schlie?lich erreichte, war er fast ebenso uberrascht wie die beiden franzosischen Soldaten, die dort auf ihren Musketen lehnten. Der eine ging aufs Knie und legte seine Muskete an; der andere, aufgeweckter oder nicht ganz so tapfer, drehte sich um und floh durch die schmale Offnung ins Innere. Bolitho schlug die Muskete beiseite und rannte hinter ihm her. Ohne es recht zur Kenntnis zu nehmen, horte er den furchtbaren Schrei des Postens, den ein Entermesser niederhieb, ehe er feuern konnte. Sekundenlang war er geblendet, als er in das kuhle Dunkel des Turmes sturzte; doch als er einen Moment verhielt, um sich zu orientieren, sah er eine steile Wendeltreppe und horte von oben laute Alarmrufe.

«Mr. Tomlin!«schrie er,»blockieren Sie das Tor!»
        Die hereinhastenden Matrosen rannten ihn fast um.»Dann das untere Stockwerk durchsuchen!«Er wandte sich um und rannte auf die Wendeltreppe zu, halb betaubt vom Widerhall der Rufe und des wilden Gebrulls, als die erste Angst der Manner in Raserei umschlug.
        Hinter einer Treppenbiegung krachte ein Schu? hervor, und knapp unter Bolitho schrie ein Matrose auf und sturzte rucklings in die Nachfolgenden. Eine kleine Tur zu einem engen Gang stand offen, und Bolitho erblickte einen franzosischen Soldaten, der mit gefalltem Bajonett im Laufschritt angriff. Bolitho konnte die Treppe weder hinauf noch hinunter; als das Bajonett schon dicht vor seiner Brust war, blitzte Alldays Enterbeil im Halbdunkel auf, und der Soldat fiel, Kopf voran, hinter dem toten Matrosen auf die Stufen.
        Mit Abscheu starrte Bolitho auf die zerschmetterte Muskete zu seinen Fu?en nieder. Eine abgetrennte Hand hielt nach wie vor den Kolben umklammert, als sei sie trotz Alldays wildem Axthieb noch lebendig.
        Gepre?t sagte er:»Weiter, Jungs! Noch zwei Stockwerke!«Er schwenkte den Degen, und in seinem Kopf schwirrte der gleiche krankhafte Wahnsinn, der seine Manner erfa?t hatte.
        Aber an der letzten Treppenwindung stie?en sie auf eine dichte Linie Soldaten, deren Musketen ohne zu wanken auf die andrangende Masse der Matrosen gerichtet waren, und deren aufgepflanzte Bajonette morderisch glitzerten. Jemand schrie einen Befehl, und ihre ganze Welt explodierte in Musketenfeuer. Bolitho wurde von fallenden Leibern beiseitegesto?en, in seinen Ohren gellten Schreie und Fluche, als die vordere Reihe der Soldaten niederkniete und nun das zweite Glied auf kurzeste Entfernung feuerte. Die steinernen Stufen wurden schlupfrig von Blut; rechts und links stie?en und drangten sich die Manner, um dem Gemetzel zu entfliehen. Der Schwung des Angriffs, Bolitho wu?te es, war gebrochen. Gewi?, sie hatten die Festung unbemerkt erreicht, und das hatte sie in ein irres Hochgefuhl versetzt, aber nun war es in kopflose Panik umgeschlagen. Er sah die Schulter an Schulter stehenden Soldaten, die jetzt die Treppe herunterkamen; ihre Bajonette waren bereit, das Vernichtungswerk zu vollenden.
        Mit einem Schrei, der wie verzweifeltes Aufschluchzen klang, warf sich Bolitho uber die letzten Stufen hinauf; sein Degen schlug die vordersten beiden Bajonette beiseite, die nach seinem zerfetzten Hemd stie?en, und mit aller Kraft hieb er auf die Manner des zweiten Gliedes ein. Die erschrockenen Soldaten standen zu dicht, um ihre langen Musketen voll ausnutzen zu konnen, und er sah im Gesicht eines Mannes, den sein Degen wie ein Puppe zur Seite fegte, eine dunkelrote Wunde aufklaffen. Er fuhlte, wie sie taumelten und gegen ihn stie?en, ja sogar ihren warmen Schwei?, als sie wie eine lebendige Flutwelle uber die Steinstufen quollen. Jemand stie? ihm einen Gewehrkolben ins Kreuz, und mit schmerzverdunkeltem Blick sah er einen barhauptigen Offizier, der verzerrten Gesichts seine Pistole im Anschlag hielt. Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung ri? Bolitho den Degen hoch und fuhrte einen so starken Hieb nach dem Mann, da? er seine Schulter im Aufprall erzittern fuhlte. Die Klinge fuhr dem Offizier durch Kragen und Epaulette, in lautlosem Todesschrei offnete sich sein Mund, und aus der
durchschnittenen Arterie scho? ein Blutstrahl empor wie eine scheu?liche rote Blume. Immer mehr Matrosen warfen sich nun in das Kampfgewuhl. Bolitho selbst merkte, wie er ruckwarts stolperte, aber jemand hielt ihn fest und schrie seinen Namen. Dann wurde er wieder vorwartsgedrangt, uber Leichen und schreiende Verwundete hinweg; und die britischen Matrosen sturmten auf das helle Rechteck am oberen Ende der Treppe zu.
        Wie im Traum sah Bolitho, da? Rookes Degen in einen Mann neben der Tur fuhr und der Leutnant weitersturmte, ohne auch nur aus dem Tritt zu kommen. Ein langer, bezopfter Matrose hieb sein Enterbeil dem sterbenden Franzosen mit solcher Kraft in die Schulter, da? er den Fu? gegen den Korper des Mannes stemmen mu?te, um es wieder herauszurei?en.
        Allday stutzte ihn. Sein machtiges Beil pfiff wie die Sense eines Schnitters, sobald ein Uberlebender versuchte, uber den einzigen Fluchtweg, die Treppe, nach unten zu entkommen.
        Bolitho verdrangte Schmerz und Ubelkeit - ihm wurde klar, da? seine siegestrunkenen Manner, wenn er nicht sofort etwas tat, jeden Franzosen umbringen wurden, der noch im Turm war. Er schob Allday beiseite und folgte den anderen in den Sonnenschein hinaus.»Die Flagge!«rief er Rooke zu.»Nieder mit ihr, Mann!»
        Mit wilden Augen fuhr Rooke herum. Da sah er Bolitho und kam wieder zu Sinnen. Hast du gehort? Los, Strohkopf!«krachzte er. Ein Matrose neben ihm, der gerade dabei war, einen verwundeten Franzosen mit nackten Handen zu erwurgen, lie? mit einem Schmerzensruf davon ab, weil Rooke ihm die flache Klinge auf die Schulter gehauen hatte.
        Allday wartete, bis die franzosische Flagge auf den Steinplatten lag; dann wickelte er sich einen britischen Wimpel vom Leib und reichte ihn dem atemlosen Matrosen.»Hei? den, Bursche!«Mit geschultertem Enterbeil sah er zu, wie die britische Flagge hochstieg und sich in der warmen Brise entfaltete.»Da haben sie was dran zu kauen!«grinste er.
        Bolitho trat an die Brustwehr und stutzte sich schwer auf die verwitterten Steine. Unter ihm starrten die franzosischen Artilleristen verzweifelt zu der britischen Flagge auf und dann zur Hyperion hinaus, die eben uber Stag ging und Kurs auf die Hafeneinfahrt nahm. Ihm war speiubel, und er war todmude, trotzdem blieb noch viel zu tun. Muhsam wandte er sich um und musterte die atemlosen Sieger. Von den funfundzwanzig, mit denen er angetreten war, schienen nur noch wenige ubrig zu sein.»Bringt die franzosischen Soldaten in einen sicheren Gewahrsam«, sagte er. Tomlin erschien in der offenen Tur.»Nun?»
        Der Bootsmann tippte sich gru?end mit der Faust an die Stirn.»Hier is' 'n franzosischer Offizier, Sir. Der Kommandeur der Batterie. «Tomlins Fangzahne glitzerten vor Vergnugen.»Hat sich ergeben, Sir.»

«Ja, schon gut. «Er konnte dem Franzosen nicht ins Gesicht sehen - dieser wunde, gedemutigte Blick des Besiegten.»Mr. Roo-ke«, befahl er,»gehen Sie hinunter und entwaffnen Sie die Batterie. Dann offnen Sie das Festungstor, begru?en Hauptmann Ashby und richten ihm mein Kompliment fur gute Arbeit aus.»
        Rooke eilte hinweg, und Bolitho horte fernes Hurrarufen. Ob vom Schiff oder von Ashbys Marine-Infanteristen, das wu?te er nicht, und es war ihm auch vollig gleichgultig.
        Jetzt schwamm Alldays Gesicht in sein Blickfeld.»Sind Sie verletzt, Captain? fragte der Bootsmann besorgt.»Ich glaube, Sie sollten sich ein bi?chen ausruhen.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Lassen Sie mich nachdenken. Ich mu? nachdenken!«Er wandte sich um und erblickte Seton, der bleich und entsetzt auf einen verwundeten Franzosen zu seinen Fu?en starrte. Der Mann hatte einen Stich in den Magen bekommen. Blut stromte aus seinem offenen Mund, aber er klammerte sich noch ans Leben; es war herzzerrei?end und mitleiderregend, wie seine Worte im Blut erstickten. Vielleicht empfand er in diesen letzten Augenblicken Seton irgendwie als Retter.

«Helfen Sie ihm, mein Junge«, sagte Bolitho.»Er kann keinen Schaden mehr anrichten. «Aber Seton wich zuruck, seine Lippen zitterten, als der Mann seinen Schuh mit blutiger Hand beruhrte. Seton konnte das Zittern nicht beherrschen, und Bolitho sah, da? sein Dolch noch in der Scheide stak. Der mu? ein dutzendmal durch die Holle gegangen sein, dachte er. Laut aber sagte er:»Er ist nicht mehr unser Feind. Lassen Sie ihn wenigstens nicht sterben, ohne da? jemand bei ihm ist!«Er wandte sich ab, konnte nicht mitansehen, wie der verstorte Midshipman sich neben diesen blutenden Todgeweihten hinkniete, der seine Hand umklammerte, als sei sie das Kostbarste auf der Welt.

«Das kommt noch, Captain«, sagte Allday leise.»Mit der Zeit lernt er' s schon.»

«Es ist kein Spiel, das man lernen kann, Allday«, antwortete Bo-litho leeren Blickes.»Und ist auch nie eines gewesen.»
        Ashby kam die Treppe heraufgepoltert, ein machtiges Grinsen spaltete sein Gesicht. Bei Gott, Sir! Eben gehort, was Sie getan haben!«Begeistert schlug er die Hande zusammen.»Bei Gott, Sir, das war gro?artig, wirklich!»
        Bolitho blickte zur Hyperion hinunter. Sie hielt jetzt direkt auf die Hafeneinfahrt zu; er konnte die Matrosen unterscheiden, wie sie zu den Booten schwarmten und sie klarierten.

«Sie mussen quer durch die Insel zu dem anderen Fort marschieren, Ashby«, sagte er zu dem Hauptmann.»Die Besatzung wird sich wahrscheinlich schnell ergeben, wenn Sie dem Kommandanten klarmachen, da? er jetzt allein ist.»
        Doch Ashby ruhrte sich nicht. Sein Gesicht, so scharlachrot wie seine Uniform, schien alles andere zu verdecken, und seine Stimme drohnte in Bolithos Kopf: Prachtvoller Sieg, Sir. Genau was wir brauchten. Wirklich prachtvoll!»

«Wie Sie meinen, Ashby«, erwiderte Bolitho.»Aber jetzt gehen Sie bitte und tun, was ich gesagt habe. «Gott sei Dank, da? er weg ist, dachte er, als er den immer noch aufgeregt vor sich hin redenden Hauptmann im Treppenaufgang verschwinden sah.
        Hatte er eigentlich gewu?t, was er tat, als er sich den franzosischen Bajonetten entgegenwarf? Oder war es der Wahnsinn des Kampfes gewesen, und dazu vielleicht die Angst vor Niederlage und Schande?
        Unten auf der Batterie wimmelten die Brustwehren von durcheinanderschreienden Matrosen; zwei Mann hatten sich auf Ashbys Pferd geschwungen und trabten grinsend wie die Kinder zwischen den verstorten Gefangenen herum.
        Allday sagte:»Er hat recht, Captain. Als Sie losgingen, war es aus mit denen. «Er schuttelte den Kopf.»Ganz wie in alten Zeiten. Kurz und scharf, und am Ende blutige Nasen!»
        Bolitho blickte auf Seton hinunter. Der hockte immer noch bei dem franzosischen Soldaten, hielt dessen blutige Hand umklammert und blickte mit entsetzten, starren Augen in das Gesicht des Mannes.
        Allday folgte Bolithos Blick und sagte gedampft:»Er ist tot, Mr. Seton. Sie konnen ihn jetzt alleinlassen.»
        Bolitho erschauerte. Es war vorbei.»Ich brauche einen Kurier zur Chanticleer«, sagte er.»Mr. Bellamy mu? sofort absegeln und die Princesa benachrichtigen, da? wir die Insel genommen haben. «Als er sich rasch umdrehte, stand Seton neben ihm. Noch zitterten seine Lippen, und uber die bleichen Wangen rannen Tranen.
        Aber seine Stimme war jetzt fester und seltsam entschlossen.

«Ich gehe, Sir, wenn Sie meinen, ich kann das.»
        Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter und blickte ihn sekundenlang aufmerksam an. Alldays Worte klangen in ihm nach:»Mit der Zeit lernt er' s schon.»

«Schon, Mr. Seton«, sagte er langsam.»Ich bin ganz sicher, da? Sie es konnen.»
        Er sah dem Jungen nach, der steifbeinig zum Treppenaufgang schritt; reglos hingen seine Arme herab, und er hielt den Kopf von den starraugigen Toten und stohnenden Verwundeten abgewandt. Das hatte ich sein konnen, dachte Bolitho mude. Vor zwanzig Jahren bin auch ich beinahe zusammengebrochen, und jemand hat mir durch ein paar mitfuhlende Worte geholfen. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er nachdenklich in die Sonne. Aber trotz aller Muhe konnte er sich weder an die Worte noch an den Mann erinnern, der ihm den Verstand gerettet hatte, als damals, genau wie jetzt bei Seton, seine Knabenwelt in Scherben ging. Da richtete er sich auf und stie? den Degen in die Scheide.»Kommen Sie, All-day«, sagte er.»Gehen wir uns ansehen, was wir da erobert haben!»



        VI Verhandlungen

        Eilig trat Bolitho in seine Kajute und warf die Tur heftig hinter sich zu. Minutenlang empfand er dankbar den willkommenen Schatten, obwohl er wu?te, es war nur eine Illusion nach der gnadenlosen Hitze auf dem Achterdeck, wo er eben einer Auspeitschung vor versammelter Mannschaft beigewohnt hatte. Gimlett, sein Steward, schlurfte nervos an ihm vorbei und starrte ihn beinahe ehrfurchtig an, als er Hut und Rock abwarf und sich das Hemd aufri?, noch bevor er seinen Degen abschnallte. Wortlos warf er Gimlett die Sachen zu und trat mude an das offene Heckfenster. Die Szene, die ihn begru?te, war unverandert: das glatte, glitzernde Wasser des Ankerplatzes und die kahlen, in der Hitze flirrenden Berge uber den hochaufragenden Klippen der Insel Cozar. Sogar das Schiff kam ihm unbeweglich, leblos vor. Das war auch keine Tauschung, denn die Hyperion war vorn und achtern direkt an der Armierung der Hafeneinfahrt festgemacht, so da? sie einen eventuellen Angreifer, der sich etwa nicht von der Batterie auf dem Felsen abschrecken lie?, jederzeit mit einer vollen Breitseite empfangen konnte.
        Sein Blick fiel auf die Glaskaraffe mit dem Becher, die Gimlett ihm hingestellt hatte. Fast automatisch trank er den herben Rotwein, den sie in der eroberten Festung vorgefunden hatten. Er vermittelte die Illusion einer kurzen Erfrischung, aber wie ein nie weichendes Gespenst war der Durst bald wieder da.
        Bolitho warf sich auf die Sitzbank unter dem Fenster und horchte auf das Getrappel oben, als die letzten der wegtretenden Manner unter Deck verschwanden. Es war fast Mittag, und trotz der Sonnensegel uber dem Luk und Niedergang gluhte das Schiff bereits wie ein Feuerofen.
        In all seinen Dienstjahren als Flottenoffizier hatte er sich nie an den Anblick einer Auspeitschung gewohnen konnen. Irgend etwas ruhrte jedesmal an seinen innersten Nerv, oder es gab einen unerwarteten Zwischenfall, der die elende Prozedur noch verlangerte.
        Mit zusammengezogenen Brauen go? er sich einen zweiten Becher Wein ein. Der eben bestrafte Mann war ein Schandfleck auf dem blanken Schild von Bordroutine und Disziplin gewesen; dennoch spurte Bolitho immer noch eine merkwurdige Unruhe, obwohl alles vorbei war und der Delinquent sich irgendwo im Orlopdeck befand, wo der Arzt ihm den zerhauenen Rucken salbte und pflasterte.
        Der Mann hatte Durst gehabt, ganz einfach. Im Dunkel der Nacht hatte er versucht, eines der Fasser mit dem stinkenden, halb verdorbenen Trinkwasser aufzubrechen, und ein Korporal hatte ihn dabei erwischt.
        Zwei Dutzend Hiebe - nach den Ma?staben des Unterdecks ein ziemlich mildes Urteil. In der Kriegsflotte herrschte eben schnelle und strenge Disziplin. Wenn ein Mann etwas ausgefressen hatte, konnte er durchaus Gluck haben und nicht erwischt werden. Wenn aber doch - nun, dann wu?te er, was ihm bevorstand.
        Dieser Mann hatte trotz langer Dienstzeit auf einem Dutzend Schiffen bisher Unannehmlichkeiten solcher Art vermeiden konnen. Vielleicht hatte er mehr Angst um sein Ansehen und seinen Stolz als vor den Schmerzen gehabt. Aber nach den ersten funf Schlagen hatte er angefangen zu schreien und sich mit nacktem Oberkorper wie ein Gekreuzigter an der blutbespritzten Grating gewunden.
        Angeekelt starrte Bolitho in sein leeres Glas. Jetzt war es ruhig im Schiff; kein Rufen, keine winselnde Melodie des Schiffsfiedlers, kein Herumtoben der Midshipmen. Vom Feuer ihres uberraschenden Sieges war kein Funken mehr vorhanden, kein Hochgefuhl mehr ubrig, das die lastende Dumpfheit gelockert hatte, die wie ein boses Omen uber dem Schiff hing.
        In plotzlich aufsteigender Wut knirschte er mit den Zahnen. Drei lange Wochen war es her, da? sie die Festung gesturmt und die franzosische Flagge niedergeholt hatten, und mit jedem trage da-hinkriechenden Tag wurden Spannung und Bitterkeit starker.
        Ein nervoses Klopfen an der Tur, und Whiting, der Zahlmeister, spahte vorsichtig herein.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?«Er schwitzte machtig, denn er war au?erordentlich dick; ein mehrfaches Doppelkinn wackelte bei jedem Schritt auf seiner Brust. Normalerweise lachte er gern und oft; doch wie die meisten seines Berufes besa? er scharfe, unfehlbare Augen, und es hie?, er wisse bis zur letzten Kaserinde auswendig, was an Vorraten in der Schiffslast war. Wie er so dastand und nervos von einem Fu? auf den anderen trat, erinnerte er Bolitho an einen riesigen Wels.

«Ja, das habe ich, Whiting. «Er tippte auf die Papiere vor ihm auf dem Tisch. Haben Sie das Trinkwasser nochmals kontrolliert?»
        Der Zahlmeister lie? den Kopf hangen, als ob es irgendwie seine Schuld ware.»Aye, aye, Sir. Wenn wir die Ration auf eine Pinte[= 0,57 Liter.] pro Mann und Tag kurzen, reicht es noch eine Woche. «Zweifelnd schob er die Unterlippe vor.»Aber selbst dann werden sie mehr Wurmer zu trinken kriegen als Wasser, Sir.»
        Bolitho stand auf und stutzte die Handflachen auf das hei?e Fenstersims. Das Wasser unter ihm war so klar, da? er die kleinen Fische uber ihren eigenen Schatten auf dem harten Sandgrund des Ankerplatzes hin und her schie?en sah. Was sollte er tun? Was konnte er tun? Drei Wochen wartete er jetzt darauf, da? die Chanticleer von der Flottenbasis zuruckkehrte und Hilfe brachte. Er hatte einen ausfuhrlichen Bericht fur Lord Hood geschrieben und erwartet, da? ein Versorgungsschiff schon nach wenigen Tagen eintreffen wurde. Aber zwei Wochen lang hatte sich uberhaupt nichts am Horizont gezeigt. Zu Anfang der dritten Woche hatte der Ausguck auf der Festung eine franzosische Fregatte von Nordwesten geme l-det. Etwa eine Stunde lang hatte das feindliche Segel wie eine Fe-
        der uber der Kimm gestanden, war dann aber verschwunden. Ja, dachte er wutend, die Franzosen konnten warten. Ein paar Tage nach dem Angriff der Hyperion ware ein Versorgungsschiff fur die Garnison fallig gewesen. Jetzt enthielt die flache Zisterne nur Staub, und in der gnadenlosen Sonne lagen die britischen Matrosen wie tot herum und hatten nur eine Pinte am Tag, um den qualenden Durst zu stillen.
        Es wurde noch mehr Auspeitschungen geben, dachte er trubsinnig, stie? sich vom Fensterbrett ab und trat zum Seitenfenster. Weit hinten in der kleinen Bucht sah er die Princesa reglos wie ein geschnitztes Modell uber ihrem eigenen Schatten liegen. Vielleicht, so uberlegte er, hatte er ihretwegen und nicht zum Schutz vor einem Angriff von See her befohlen, da? die Hyperion am entgegengesetzten Ende der Bucht ankerte. Von dem Moment an, als die Princesa festgemacht hatte, war es zwischen den britischen und den spanischen Matrosen zu Reibereien, einige Male sogar zu offenen Prugeleien gekommen.
        Nach der ersten Woche fruchtlosen Wartens hatte ihn der spanische Kapitan an Bord besucht und war ohne Umschweife zur Sache gekommen: Auf der Insel befanden sich fast hundert franzosische Gefangene. Hundert zusatzliche Bauche, die mit Nahrung und Frischwasser gefullt werden mu?ten.

«Wir mussen sie liquidieren«, hatte Capitano Latorre eindringlich gesagt.»Sie sind nutzlos fur uns!«Sein Blutdurst war ein weiterer Grund fur Bolithos Entscheidung, die Kontrolle uber die Hauptfestung selbst in der Hand zu behalten. Ashbys Seesoldaten hausten dort; die spanischen Soldaten von der Princesa mu?ten sich mit dem alten maurischen Fort am anderen Ende der Insel begnugen.
        Latorre war wutend gewesen, sowohl uber Bolithos Weigerung, die Gefangenen abzuschlachten, als auch uber seine ebenso entschiedene Absage, die spanische Flagge uber der Batterie wehen zu lassen.
        Der Zahlmeister unterbrach sein Grubeln.»Diese Spanier haben Wasser genug, Sir, bestimmt. «Er zog eine wutende Grimasse.»Hol sie der Teufel!»
        Bolitho blickte ihn gelassen an.»Vielleicht, Mr. Whiting, haben Sie recht. Aber lage die Hyperion nicht hier mit ausgefahrenen
        Geschutzen, dann ware der tapfere Capitano Latorre wohl langst weg. Wurde ich fordern, da? er mich seine Vorrate inspizieren la?t, so gabe das eine Katastrophe. Und wir sollen ja, wie ich mich dunkel erinnere, bei dieser Aktion Verbundete sein.»
        Aber der Zahlmeister hatte keinen Sinn fur Ironie.»Dons oder Frogs - trauen kann man beiden nicht!»
        Das Gesprach wurde unterbrochen, als Quarmes Kopf in der Turoffnung erschien.

«Ja, Mr. Quarme?«Bolitho horte Whiting erleichtert aufseufzen, weil damit die Last von seinen fetten Schultern genommen war.
        Quarme sah erschopft aus.»Signal von der Batterie, Sir. Die franzosische Fregatte ist wieder in Nordwest gesichtet worden - Gott wei?, was sie als Wind benutzt!«Er trocknete sich das Gesicht.»Ich wunschte beim Himmel, auch wir waren da drau?en!»
        Bolitho nickte dem Zahlmeister zu.»Machen Sie weiter, Mr. Whiting. Aber sorgen Sie dafur, da? die Wasserfasser rund um die Uhr bewacht werden!«Als sich die Tur hinter Whiting geschlossen hatte, fuhr er fort:»Diese Fregatte wird ein Auge auf unsere Masttopps halten oder auf die Flagge uber der Batterie.»
        Quarme hob die Schultern.»Zeitverschwendung. Selbst mit Ash-bys wenigen Leuten konnten wir die Insel gegen eine ganze Flotte halten!»
        Bolitho warf ihm einen scharfen Blick zu. Merkwurdig, da? der Mann so wenig Phantasie hatte.»Damit keinerlei Zweifel aufkommt, Mr. Quarme: wenn wir nicht innerhalb einer Woche Wasser bekommen, mussen wir die Insel aufgeben!«Wutend wandte er sich ab.»Die Franzosen wissen, wie es mit unserem Wasser steht, ebenso wie sie wissen mussen, da? man uns keinen Nachschub geschickt hat. «Er beschattete die Augen mit der Hand und starrte zu den hohen Klippen hinuber. Dort unten hoben sich im stehenden Wasser die verkohlten Reste der Marte wie schwarze Knochen ab. Und ohne gunstigen Wind ist es vielleicht auch dann schon zu spat. Der Durst hat unseren Leuten machtig zugesetzt.»

«Hilfe ist vielleicht schon unterwegs, Sir. «Quarme folgte ihm mit den Augen bei seinem rastlosen Auf-und-Ab-Schreiten in der Kajute.»Lord Hood mu? Ihren Bericht ja erhalten haben.»

«So? Mu? er?«Bolitho blieb stehen, wutend uber Quarmes leere Vertrauensseligkeit und sein eigenes Unvermogen, eine Losung zu finden.»Das freut mich zu horen. Donnerwetter, Mann, die Chanti-cleer kann ja gesunken sein. Jetzt, in dieser Minute, kann sie Feuer oder eine Meuterei an Bord haben!»
        Quarme lachelte muhsam.»Das halte ich fur unwahrscheinlich…»
        Kalt starrte Bolitho ihn an.»Dann glauben Sie also, wir sollen weiter abwarten, wie?»
        Quarmes Lacheln gefror.»Ich wollte nur sagen: wir konnten ja nicht wissen, da? es so kommen wurde; mehr kann schlie?lich niemand von uns verlangen, Sir. Wir haben die Insel befehlsgema? eingenommen und unseren Auftrag nach besten Kraften erfullt.»
        Bolitho gewann auf einmal seine Gelassenheit wieder.»Befehle auszufuhren ist nicht immer die letzte Losung, Mr. Quarme. Im Dienst des Konigs mogen Sie noch so viele Siege und Triumphe erringen - aber machen Sie nur einen Fehler, dann sind alle Ihre Verdienste ausgeloscht. «Er zog sich das Hemd von der feuchten Haut ab.»Wenn man sein Bestes tut, dann ist das eben manchmal noch nicht gut genug.»
        Mi?mutig setzte er sich.»Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Was wir noch an Wasser besitzen, ist nicht der Rede wert, aber wir haben ausreichend Wein und Branntwein. Fruher oder spater mussen ein paar Hitzkopfe wild werden, und dann werden wir noch mehr als diese verdammte Insel verlieren!«Er deutete zur Klippe hin.»Was bilden Sie sich ein, wie lange wir ohne Ashbys Seesoldaten an Bord eine Besatzung halbverdursteter Matrosen unter Kontrolle halten konnen?»
        Quarme starrte ihn entsetzt an.»Ich mache schon mehrere Jahre auf diesem Schiff Dienst, Sir, und kenne die meisten Leute gut. Sie wurden niemals.»

«Ich wei? nicht«, erwiderte Bolitho mit einer heftigen Handbewegung,»ob ich Sie wegen Ihres Vertrauens bewundern oder wegen Ihrer Ahnungslosigkeit bemitleiden soll!«Ohne sich um Quarmes argerliches Erroten zu kummern, sprach er weiter:»Ich habe eine Meuterei aus nachster Nahe erlebt. Eine ha?liche, schreckliche Angelegenheit. «Er starrte auf das hohnisch glitzernde Wasser.»Auch da waren es ganz normale Matrosen. Nicht besser, nicht schlechter als unsere. Die Menschen andern sich nicht, nur die Situationen.»
        Muhsam schluckte Quarme.»Wenn Sie meinen, Sir…»
        Bolitho fuhr auf seiner Bank herum, denn eben hatte Allday die Tur einen Spaltbreit geoffnet.»Ja?»
        Allday warf einen kurzen Blick auf den Ersten Offizier und sagte:»Entschuldigung, Captain, aber ein Seesoldat mit einer Meldung von Captain Ashby ist an Bord gekommen. «Er schob sich in die Kajute.»Er la?t respektvoll anfragen, Sir, ob Sie dem dienstaltesten franzosischen Offizier eine Unterredung gewahren wollen.»
        Bolitho ri? seine Gedanken vom Bild der leeren Wasserbehalter los.»Aus welchem Grund, Allday?»
        Der Bootssteurer zuckte die breiten Schultern.»Private Grunde, Captain. Er mochte Sie blo? mal sprechen.»

«Verdammte Unverschamtheit!«grollte Quarme.»Weil Sie die Dons daran gehindert haben, ihnen die Halse abzuschneiden, bilden sich diese Franzosen anscheinend ein, Sie wurden ihnen alles Mogliche bewilligen!»
        Bolitho blickte unbewegt uber Quarme hinweg.»Mein Kompliment an Captain Ashby, und er mochte den Mann unverzuglich heruberschicken. Ich empfange ihn.»
        Quarme ballte die Fauste.»Brauchen Sie mich, Sir?»
        Mit nachdenklichem Gesicht stand Bolitho auf.»Wenn ich Sie rufen lasse, Mr. Quarme. «Er sah ihm nach, als er steifbeinig zur Tur schritt, und fugte bedeutsam hinzu:»Im Krieg mu? man die Segel nach dem Wind setzen, Mr. Quarme. Auch die kleinste Brise darf man nicht auslassen, wenn man auf eine Leekuste zutreibt.»
        Der dienstalteste uberlebende Offizier der Garnison von Cozar war ein Artillerieleutnant namens Charlois, ein schwergebauter Mann, schon etwas bei Jahren, mit faltigem, melancholischem Gesicht und hangendem Schnurrbart, der in seiner schlechtsitzenden Uniform und den schweren Stiefeln keineswegs soldatisch wirkte. Bolitho entlie? Leutnant Shanks, der den Gefangenen an Bord gebracht hatte, und forderte dann den Franzosen auf, am Tisch Platz zu nehmen. Er sah dessen gierigen Blick, als er zwei Glaser Wein einschenkte; doch lie? er sich nicht von dem wenig imponierenden Au?eren des Offiziers tauschen. Immerhin hatte dieser die Hauptbatterie der Festung befehligt. Seiner Vorsorge, seinem Konnen und seiner Sorgfalt war es zuzuschreiben gewesen, da? die gro?en, aber uralten Kanonen des Forts das spanische
        Flaggschiff mit seinen achtzig Geschutzen innerhalb weniger Minuten in ein flammendes Inferno verwandelt hatten, bis schlie?lich das Pulvermagazin in die Luft flog und der Sieg vollkommen war. Von den etwa tausend spanischen Matrosen und Seesoldaten hatten weniger als ein Dutzend die Katastrophe uberlebt. Diese waren von der tragen Stromung an die gegenuberliegende Seite des Naturhafens getrieben worden, und nur das hatte sie vor der endgultigen Vernichtung durch die franzosischen Scharfschutzen gerettet.
        Charlois hob sein Glas und sagte stockend: «Your health, Cap-tain!«Dann go? er den Wein auf einen Zug hinunter.
        Bolitho blickte ihn ernsthaft an.»Sie sprechen gut englisch. «Zeitverschwendung mit leeren Redensarten war ihm zuwider; doch wu?te er, da? so etwas manchmal notig war, damit jeder die Starken und Schwachen des anderen abschatzen konnte.
        Der Offizier breitete die plumpen Hande aus.»Ich war im letzten Krieg Gefangener in England, in einer Festung in Deal.»

«Und warum wollen Sie mich sprechen, Lieutenant? Haben Sie Schwierigkeiten mit Ihren Mannern?»
        Der Franzose bi? sich auf die Lippen und warf ein paar rasche Blicke umher. Dann senkte er die Stimme und erwiderte:»Ich habe uber unsere Zwangslage nachgedacht, Captain. «Er schien zu einem Entschlu? gekommen zu sein.»Ihre und meine. Sie haben kein Wasser fur Ihre Leute und konnen nicht viel langer bleiben, n'est-ce pas!»
        Bolitho lie? sich nichts anmerken.»Wenn Sie nur deshalb gekommen sind, um mir das zu sagen, war Ihre Fahrt uberflussig,
        m'sieu.»
        Charlois schuttelte den Kopf.»Ich bedaure, da? ich Sie verletzt habe, Captain. Aber ich werde langsam alt und bin uber die naturliche Vorsicht eines Offiziers, der noch Karriere machen mochte, hinaus. «Er lachelte, als dachte er an ein Geheimnis.»Aber ich mu? mich auf Ihr Wort als Gentleman verlassen konnen, da? alles, was ich Ihnen jetzt sage, strikt unter uns bleibt. Ich habe Frau und Kinder in St. Clar und wunsche nicht, da? sie meinetwegen leiden.»
        Ehe Bolitho antworten konnte, fuhr er fort:»Sie sind sich wohl nicht klar daruber, da? meine Soldaten nicht zur regularen Armee gehoren, eh? Sie sind Milizen, zum gro?ten Teil in St. Clar selbst rekrutiert und alle miteinander aufgewachsen. Wir sind einfache
        Leute und wollten weder Krieg noch Revolution; aber wir mu?ten damit fertig werden, so gut es ging. Mit dem Garnisonskommandeur war es etwas anderes - der war Berufsoffizier. «Mude hob er die Schultern.»Aber er ist im Kampf gefallen.»
        Bolitho legte die Hande auf den Tisch und verschrankte die Finger, um seine wachsende Ungeduld zu meistern.»Was wollen Sie mir eigentlich erzahlen?»
        Charlois senkte die Lider.»Es geht die Rede, da? Ihr Lord Hood die Stadt Toulon attackieren will. Die dortige Bevolkerung hat sehr gemischte Gefuhle, weil der Konig bei der Revolution den Tod gefunden hat. «Er holte tief Atem.»Nun, Captain, in meiner kleinen Heimatstadt denkt man genauso.»
        Bolitho erhob sich und trat zu der Seekarte, die auf dem E?tisch ausgebreitet lag. Er wu?te, was dieses Bekenntnis den franzosischen Offizier gekostet hatte, und was es fur seine Zukunft bedeuten mu?te, wenn durchsickerte, da? er - wenn auch nur in Worten - sein Vaterland an einen englischen Kapitan verraten hatte. Endlich fragte er:»Wieso konnen Sie dessen so sicher sein?»

«Ich habe Anzeichen dafur gesehen«, entgegnete Charlois melancholisch.»St. Clar ist eine Kleinstadt, genau wie hundert andere auch. Wir haben ein paar Weinberge, ein bi?chen Fischerei, ein bi?chen Kustenhandel. Bis zur Revolution gingen die Geschafte langsam, aber zufriedenstellend. Doch diese Unruhe in Toulon und weiter ostlich brachte alles durcheinander. Eben jetzt schickt die Regierung eine Armee, um die Royalisten ein fur allemal zu zerschmettern. Und wenn das erst erledigt ist, werden sie noch we iter-gehen. Bei einem Krieg mit England kann unsere Regierung auch nicht die kleinste Unbotma?igkeit riskieren.»
        Bolitho wandte sich um und sah ihm aufmerksam ins Gesicht.»Sie meinen, diese Armee wird auch in St. Clar einmarschieren?»
        Charlois nickte bedeutsam.»Es wird Hinrichtungen und Repressalien geben. Alte Schulden werden mit Blut bezahlt werden. Das ware das Ende fur uns.»
        Erregung stieg in Bolitho auf, als er die Worte des Franzosen uberdachte. Letzten Endes hatte Lord Hood doch gesagt, da? die Einnahme Cozars hauptsachlich deswegen so wichtig war, weil sie bei den Franzosen der Eindruck hervorrufen wurde, man wolle das Festland an mehreren Punkten zugleich angreifen. Aber selbst er hatte nie daran gedacht, da? die Franzosen eine solche Invasion willkommenhei?en wurden.
        Charlois musterte ihn besorgt und gespannt.»Wir konnten unterhandeln. Das lie?e sich arrangieren. Ich kenne den Burgermeister gut, er ist mit meiner Cousine verheiratet. Es ware nicht schwierig.»

«Es klingt sogar zu einfach, m'sieu. Mein Schiff ware in Gefahr, wenn sich Ihre Worte als unzutreffend erwiesen. «Er hielt aufmerksam nach einem Zeichen von Schuldbewu?tsein Ausschau, doch las er nur Verzweiflung in den Augen des Mannes.

«Ich habe viele Tage daruber nachgedacht. Sie haben meine Manner in Gefangenschaft, und in St. Clar halten sie die Besatzung Ihrer Fairfax fest, die wir hier uberwaltigt haben. Man konnte uber einen Gefangenenaustausch verhandeln. Das ist doch nichts Ungewohnliches, eh? Und dann, wenn die Anzeichen gunstig sind, konnten wir erkunden, ob es nicht moglich ware, gemeinsam mit Toulon gegen die Konigsmorder zu kampfen!«Er schwitzte machtig, aber nicht nur vor Hitze.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen, bis der Schmerz seine rasenden Gedanken beruhigte.»Na schon. «Er sah Charlois fordernd an.»Ich will aber zusatzlich Wasser.»
        Charlois erhob sich muhsam, doch offensichtlich erleichtert.»Das ware kein Problem, Capitaine. Die Insel sollte in einem Monat oder so Nachschub bekommen, und die Lastkahne mit Wasser liegen bereits in St. Clar.»
        Bolitho trat an die Tur.»Der Erste Offizier zu mir!«Dann schritt er wieder zum Tisch und sah dem franzosischen Offizier sekundenlang in die Augen.»Wenn Sie versucht haben, mich zu tauschen«, sagte er gemessen,»so werden Sie das bereuen.»
        Quarme trat ein.»Sir?»

«Schaffen Sie alle franzosischen Gefangenen an Bord, und zwar innerhalb einer Stunde. Inzwischen habe ich die neuen Befehle fur Captain Ashby fertig, denn wir segeln ohne ihn.»
        Quarme starrte ihn an.»Wir segeln, Sir?»
        Bolitho gab dem wartenden Pikett ein Zeichen, Charlois an Deck zu fuhren, und sagte dann gelassen:»Sofort alle Boote zu Wasser. Unsere Manner konnen das Schiff aus dem Hafen schleppen. Mit einigem Gluck erwischen wir drau?en eine ablandige Brise und konnen Kurs aufnehmen.»
        Quarme begriff anscheinend immer noch nicht, was da vor sich ging.»Aber Sir, die Leute sind zu durstig und erschopft fur eine so schwere Arbeit. Manche liegen wie tot unter Deck!»

«Dann scheuchen Sie sie hoch, Mr. Quarme!«Er blickte durchs Fenster auf die in der Hitze flirrenden Berge.»Geben Sie alles Wasser aus, bis zum letzten Tropfen! Ich will das Schiff schleunigst auf See haben, verstehen Sie? Heute abend will ich in St. Clar sein und dort verhandeln. «Er sah, da? Quarme vollig verwirrt war, und fuhr beinahe freundlich fort:»Vielleicht ist das die Brise, von der ich vorhin sprach. «Oben auf Deck horte man das Schrillen der Pfeifen und wie das Wachtboot klariert wurde.»Noch vor dem nachsten Morgenrot, Mr. Quarme, werden wir einiges verandert haben. Entweder haben wir den Weg fur weitere Operationen auf dem Festland geebnet - oder wir sind Kriegsgefangene. «Er lache l-te breit in Quarmes starres Gesicht.»So oder so - auf jeden Fall bekommen wir zu trinken.»
        Langsam schritt Bolitho uber das Achterdeck und hielt seine Uhr dicht an die Kompa?lampe. In ihrem dusteren Schein erkannte er, da? es halb vier Uhr morgens war; vor weniger als einer Viertelstunde hatte er zuletzt auf die Uhr gesehen. Ebenso langsam ging er wieder auf die andere Seite des Achterdecks, jeder Schritt eine konzentrierte Anstrengung, um die Spannung und die immer starker werdende Verzagtheit zu unterdrucken. Es war volle zwei Stunden her, da? die Hyperion beigedreht und ihre Jolle in das schwarze, wogende Wasser abgefiert hatte. Zwei Stunden Warten und Grubeln, wahrend die Hyperion kaum zwei Meilen vor dem gro?en Festlandkeil langsam patrouillierte. Bald wurde es heller werden. Er starrte durch das schwarze Liniengewirr der Takelage zu den hellen, unbewegt funkelnden Sternen auf, und es kam ihm vor, als stunden manche nur ein paar Fu? uber dem langsam kreisenden Besantopp. In ihrem bleichen Glanz standen die Segel ge isterhaft wei? und verletzlich vor dem nachtschwarzen Himmel. Die ablandige Brise hielt sich und wirkte nach der Tageshitze eiskalt. Obwohl das Schiff gefechtsklar war,
ruhten die meisten Geschutzbedienungen neben ihren Kanonen, noch vollig erschopft von dem anstrengenden Verholen aus der Einfahrt von Cozar. Sie hatten sich an den Riemen abgelost, als die Boote das Schiff wie Zugochsen von seinem Liegeplatz weggeschleppt hatten, und nun waren ihre Hande wund und voller Schwielen. Einmal hatte es ausgesehen, als wolle die Hyperion auf den Banken vor dem Hafenbecken stranden, und nur mit au?erster Anstrengung, unter den Schlagen und Fluchen der Deckoffiziere, konnten die Manner sie freiholen. Aber selbst das war noch nicht genug. Die erschopften, keuchenden Matrosen hatten hoffnungsvoll nach achtern gestarrt, ob die Segel nicht ein Zeichen von Leben verrieten. Doch die Leinwand hing wie zum Hohn schlapp von den Rahen, als gabe es uberhaupt keinen Wind auf der Welt.
        Sonnengedorrte, erschopfte Manner waren schon unter gunstigen Umstanden kaum eine geeignete Schleppmannschaft fur die schwere Hyperion. Ihre etwa sechzehnhundert Tonnen schienen mit den winzigen Booten, die an ihrem machtigen Bug zerrten, zu spielen wie ein Junge, der ein paar Maikafer am Faden hat. Und dann, als schon einer der Kutter zuruckgefallen war, weil die Ruderer auf die Schlage und Drohungen des verzweifelten Midshipman einfach nicht mehr reagierten, war die Leinwand plotzlich ins Zittern geraten; mude und unglaubig hatten die Manner auf die Segel und das wie von Katzenpfoten gekrauselte, plotzlich lebendig gewordene Wasser gestarrt. Als es Abend und Nacht wurde, fand das Schiff allmahlich seine Kraft wieder, und ein auffrischender Nordwest fuhrte es vorwarts und um die ferne Kustenlinie herum.
        Sobald es vollig Nacht geworden war, hatten sie Segel gekurzt und waren immer naher an diesen machtigen Block tieferer Finsternis herangekreuzt, hinter dem der geschutzte Hafen von St. Clar lag.
        Jetzt wartete er dort vorn, wie verloren unter den Sternen und vor dem welligen Bergland dahinter. Es gab weder Hafenlichter noch Leuchtfeuer, und mehr als einmal hatte ein nervoser Ausguck ein kleines Fahrzeug auf Gegenkurs gemeldet; aber es waren immer nur irgendwelche dunklere Schatten in der Stromung gewesen, die ihn getauscht hatten - eine schlimme Nervenprobe fur ihn und die ganze Mannschaft.
        Bolitho stutzte die Hande auf die Reling und blickte starr in die Dunkelheit. Er konnte es nicht lassen, immer wieder daruber nachzudenken, was er getan hatte; und wahrend die Minuten vergingen, kam zu seiner inneren Unsicherheit noch die wachsende verzweifelte Spannung hinzu.
        Er hatte Leutnant Charlois gestattet, in der Jolle an Land zu gehen und mit seinen Freunden in St. Clar Kontakt aufzunehmen. Die Erfolgschancen dieses skizzenhaften Planes waren von vornherein gering, und Bolitho qualte sich mit Zweifeln und Erwagungen daruber, was er noch hatte tun konnen, um ihm wenigstens etwas mehr Aussichten zu geben. Es war kein Trost, da? er noch alle franzosischen Gefangenen an Bord hatte. Ohne Wasser konnte er sich ebensogut der Garnison von St. Clar ergeben oder sein Schiff vor der Kuste versenken.
        Er dachte auch an Leutnant Inchs aufgeregtes Pferdegesicht, als er ihm den Befehl uber die kleine Besatzung der Jolle erteilt hatte. Inch war ein sehr diensteifriger und mutiger Offizier, aber in solchen Dingen fehlte ihm jede Erfahrung; und Bolitho wu?te, da? er ihn im Grunde nur deshalb abkommandiert hatte, weil er der jungste Leutnant und daher am entbehrlichsten war, wenn Charlois sich fur Verrat statt fur Unterhandlungen entscheiden sollte.
        Plotzlich fiel ihm Midshipman Seton ein. Merkwurdig, da? dieser sich freiwillig gemeldet hatte, Inch zu begleiten, und noch merkwurdiger, da? Bolitho irgend etwas fehlte, weil Seton nicht an Bord war. Aber wenn der Junge auch furchtbar stotterte - etwas konnte er besser als jeder andere an Bord: er sprach flie?end franzosisch.
        Quarme tauchte neben ihm auf.»Haben Sie Befehle, Sir?»
        Bolitho starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den fernen Landbuckel und versuchte, sich daran zu erinnern, wie er auf der Seekarte aussah.»Gehen Sie auf Steuerbordbug, Mr. Quarme.»
        Quarme zogerte.»Da geraten wir aber sehr dicht unter Land,
        Sir.»
        Bolitho sah an ihm vorbei.»Beordern Sie zwei gute Lotgasten in die Rusten. Wir mussen der Jolle jede mogliche Chance geben.»
        Er vernahm die Gerausche beim Dichtholen der Brassen und das Gurgeln der See am Ruder. Wozu das alles? Wenn Inch bereits gefangengenommen war, bedeutete es nur eine Verlangerung der Qual. Mit der Morgensonne wurde die Katastrophe kommen. Das Ende.
        Ein Aufklatschen drau?en, und die drohnende Stimme des Lotgasten:»Zwanzig Faden!»
        Unter den Finknetzen bewegte sich etwas; er sah den kleinen, af-fengesichtigen Midshipman Piper auf Zehenspitzen zum Land hinuberspahen. Merkwurdig, wie er und Seton sich angefreundet hatten. Der kecke, unbekummerte Piper und der nervose, stotternde Seton. Aber an den gespannten Bewegungen Pipers merkte Bolitho, wie eng ihre Freundschaft geworden war.

«. und vierzehn dreiviertel«, sang der Lotgast aus, und Bolitho empfand das wie Spott. Hinter diesem Landvorsprung gab es betrachtliche Untiefen. Hinter ihm knarrte das gro?e Rad, und der Rudergast meldete:»Nordwest zu West, Sir, voll und bei!»
        Quarme kam wieder zu ihm. Er war anscheinend sehr nervos.»Wenn dieser Wind abflaut, Sir, kommen wir vom Festland nicht klar.»
        Bolitho wandte sich ihm in der Dunkelheit zu.»Das wei? ich so gut wie Sie, Mr. Quarme. Und sogar noch besser, denn die Verantwortung liegt bei mir.»
        Quarme blickte zur Seite.»Entschuldigung, aber ich dachte.»
        Er verstummte, als der Lotgast erschrocken ausrief:»Zehn Faden!»
        Bolitho rieb sich das Kinn. Untiefen. Ein Wort nur, aber es war wie die Bestatigung der totalen Niederlage. Wie von fern horte er sich sagen:»Wir gehen tiefer in die Bucht hinein. Wenn wir auf der anderen Seite sind, wird es hell, und dann.»
        Er fuhr herum. Eine Stimme rief:»Boote Backbord querab, Sir!«Noch wahrend er zu den Finknetzen rannte, schrie der Ausguck:»Drei, nein, vier Boote, Sir!»
        Bolitho ergriff ein Teleskop und suchte die dunklen Wellen mit den hellen Sternenreflexen darauf ab. Der Kopf schmerzte ihm vor Konzentration. Und dann sah er sie, niedrige schwarze Gebilde mit Umrissen aus wei?em Schaum.

«Mein Gott, die rudern aber!«stie? Rooke hervor.»Schwere Kutter, wie es scheint.»
        Bolitho schob das Glas zusammen und reichte es Midshipman Caswell. Aber ehe er etwas sagen konnte, horte er dicht an seinem Ohr Quarmes Stimme, scharf, eindringlich, kaum beherrscht.»Boote unter Langriemen, Sir! Das sind Rudergaleeren. Mein Gott, die kenne ich von Indien her. Sie haben ein gro?es Geschutz im Bug, rudern einem Schiff direkt unter den Bug und schie?en es zu Kleinholz, ehe es manovrieren und zuruckfeuern kann!»
        Seine Stimme mu?te bis an die andere Seite des Achterdecks gedrungen sein, denn Bolitho sah mehrere Gesichter sich zu ihm wenden und horte plotzlich erschrockenes Gemurmel.

«Nicht so laut, Mr. Quarme! Wollen Sie, da? unsere Leute durchdrehen?»
        Doch Quarme konnte sich anscheinend nicht mehr zuruckhalten.»Ich wu?te ja, da? so was passieren wurde! Aber Sie wollten nicht horen! Ihnen geht es nur um Ihren eigenen Ruhm, alles andere ist Ihnen egal!«Er hatte jetzt sogar Tranen in der Stimme, schien weder zu wissen noch zu bedenken, was er da sagte.

«Seien Sie still, Mann!«fuhr Bolitho ihn an.»Nehmen Sie sich gefalligst zusammen!»
        Messerscharf schnitt Rookes Stimme durch das Dunkel:»Ich habe alles gehort, Sir! Die Boote schien er ganz vergessen zu haben. Und alles andere wohl auch, au?er der Tatsache, da? Quarme nun dienstlich ein toter Mann war; Rookes Worte klangen wie ein Pistolenschu?.
        Quarme fuhr herum und starrte ihn an; sein Korper wurde auf einmal ganz schlaff, und er schwankte mit dem Rollen des Schiffs wie ein Trunkener.
        Es war wie ein lebendes Bild, eine Ansammlung regloser Statuen, ohne Einflu? auf das Kommende: Gossett, massig, unbeweglich neben dem Rad; die Geschutzbedienungen neben den Neunpfun-dern des Achterdecks, geduckt und wachsam wie erschreckte Tiere. Caswell und Piper, sprachlos vor Schreck, und Rooke an der Reling, Hande auf den Huften, den Kopf zur Seite geneigt, das Gesicht bleich vor dem Nachthimmel.
        Als hatte die See selber gesprochen, durchbrach von unten her eine Stimme die Stille: «Hyperion ahoi! Bitte an Bord kommen zu durfen!»
        Bolitho wandte sich um. Das war Lieutenant Inch gewesen. Gelassen befahl er: Beidrehen, bitte! Und signalisieren Sie Mr. Inch, da? er langsseit kommen kann. Offnen Sie die Enternetze fur ihn, aber passen Sie auf, falls die anderen irgendwelche Tricks vorhaben!»
        Quarme erwachte aus seiner Trance und machte eine Bewegung, als wolle er die Order automatisch ausfuhren, auf Grund von Disziplin und Gewohnheit. Bolithos Worte jedoch lie?en ihn erstarren.»Sie sind abgelost, Mr. Quarme. Gehen Sie in Ihre Kajute! Mr. Rooke, Sie ubernehmen!»
        Quarme stammelte:»Ich meinte doch nur. «Damit drehte er sich um und schritt zur Treppe. Die Manner machten ihm den Weg frei. Sie schamten sich fur ihn, und doch konnten sie die Blicke nicht von dem Unglucklichen losrei?en.
        Bolitho schritt zur Achterdecksleiter und blieb dort eine Weile stehen, bis er Wut und Enttauschung uberwunden hatte und sich achselzuckend mit den Tatsachen abfand. Hatte Rooke nichts gesagt, hatte er Quarmes Insubordination ignorieren konnen. Hatte sich Quarme nur noch ein paar Sekunden zuruckgehalten, nur so lange, bis Inch sich gemeldet hatte, so ware nichts passiert. Aber tief im Innern wu?te er: nie wieder wurde er Quarme voll vertrauen konnen; Rookes Eingreifen spielte da gar keine Rolle. Quarme hatte Angst gehabt, und fruher oder spater mu?te er wieder Angst haben, und dann wurde diese Angst vielleicht nicht nur ihn, sondern andere das Leben kosten. Jeder Mensch hatte Angst, wenn er kein Idiot war, das wu?te Bolitho genau. Aber die Angst auch zu zeigen, war unverzeihlich.
        Sabelklirrend stieg Leutnant Inch die Achterdecksleiter empor und drangte sich atemlos durch die Manner, die ihm schweigend entgegenblickten.»Melde mich zuruck, Sir!«Aufgeregt grinste er uber sein ganzes langes Gesicht.»Wir haben den Burgermeister von St. Clar mit an Bord.»

«Und die anderen Boote, Mr. Inch, was sollen die?«Bei dem bedeutungsschweren Ton dieser Frage wurde sich Inch der gespannten Atmosphare bewu?t. Er schluckte.»Ich habe die Wasserkahne gleich mitgebracht, Sir. Ich dachte, das spart Zeit.»
        Reglos starrte Bolitho ihn an.»Spart Zeit… Hm. «Und er dachte an Quarme, der dort unten in seinem Privatgefangnis hockte. An Rooke und an all die anderen, die, zum Guten oder zum Schlechten, von ihm abhangig waren.
        Unsicher nickte Inch.»Aye, Sir. Die Franzosen haben sich wirklich anstandig verhalten. «Erschrocken blickte er an sich herunter, denn etwas Langes, Dunkles war ihm unter dem Rock hervorgerutscht und Bolitho vor die Fu?e gefallen.

«Und was ist das, Mr. Inch?«fragte Bolitho. Die Spannung hielt ihn gepackt wie ein Schraubstock. Klaglich erwiderte Inch:»Ein Laib frisches Brot, Sir.»
        Aus der Dunkelheit klang hilfloses Gelachter auf. Die Midship-men und Geschutzbedienungen fielen ein, obwohl die meisten kein Wort verstanden hatten. Aber es lag Erleichterung, Verzweiflung, Dankbarkeit darin - alles zugleich.
        Langsam sagte Bolitho:»Schon, Mr. Inch. Sie haben heute Nacht gute Arbeit geleistet. «Noch spurte er, wie die nervose Spannung an seinen Worten wie an Geigensaiten zupfte.»Jetzt heben Sie Ihr Brot auf und gehen Sie an Ihren Dienst.»
        Inch entfloh durch die Reihen der kichernden Matrosen, und Bo-litho fuhr fort: Klar zum Ankerwerfen, Mr. Rooke. Wie der Funfte Offizier eben ganz richtig sagte, spart es Zeit.»
        Er drehte sich auf dem Absatz um.»Weitergeben an lieutenant Charlois und seinen Burgermeister: ich empfange beide in meiner Kajute. «Erst als er unter der Kampanje unnotigerweise den Kopf einzog, fiel die gespannte Wachsamkeit von ihm ab. Jetzt konnte und wurde ihn nichts mehr uberraschen. Wasserubernahme in Schu?weite eines feindlichen Hafens, ein Laib frisches Brot auf den Planken des Achterdecks. Und ein Offizier, der nicht im feindlichen Feuer, sondern unter dem Druck seiner Zweifel zusammengebrochen war.
        Er horte das Klappern der Blocke und das protestierende Schlagen der Segel: schwerfallig drehte sich das Schiff in den Wind, um vor Anker zu gehen. Unten wartete Allday schon, und auf dem Tisch stand ein volles Glas Brandy.

«Was starren Sie mich an, Allday?«Argerlich blickte er auf sein Spiegelbild im Heckfenster. Selbst im schwachen Licht der beiden Hangelampen erkannte er, wie erschopft, ja beinahe verstort er aussah.»Sind Sie gesund, Captain?«fragte Allday besorgt.
        Mude sank Bolitho auf die Fensterbank und starrte seinen Degen an.»Diesmal ist es nicht das Fieber, Allday«, seufzte er.
        Der Bootsfuhrer nickte.»Das kommt alles wieder klar, Captain.«Argerlich fuhr er herum, als drau?en vor der Tur Schritte erklangen.»Soll ich sie wegschicken?»

«Nein, Allday«, erwiderte Bolitho mit einem raschen Blick voller Zuneigung;»wenn alles wieder klarkommen soll, wie Sie prophezeien, dann mussen wir jetzt ein bi?chen was dafur tun.»
        Flotten Schrittes trat Midshipman Piper in Bolithos Kajute, blieb aber stehen, als er seinen Kommandanten nachdenklich durch die gro?en Heckfenster starren sah.

«Mr. Rooke meldet mit Respekt, Sir, da? der Ausguck soeben Cozar in Lee voraus gesichtet hat. «Hoffnungsvoll glitten seine Augen zu einem unberuhrten Teller mit Essen, der auf dem Tisch stand.
        Bolitho wandte sich nicht um.»Danke. «Halb im Selbstgesprach fuhr er fort:»Wenn alles klappt, laufen wir also in etwa drei Stunden ein.»
        Uberrascht von diesem Vertrauensausbruch, nickte Piper gravitatisch.»Aye, Sir, Bramsegel und Royals ziehen gro?artig, da werden wir keine Schwierigkeiten haben.»
        Bolitho wandte sich um und sah ihn blicklos an.»Sie konnen etwas fur mich tun, Mr. Piper. «Was der Junge eben gesagt hatte, war gar nicht bis in sein Bewu?tsein gedrungen.»Bestellen Sie Mr. Quarme, er soll sofort zu mir kommen.»

«Aye, aye, Sir. «Piper eilte hinweg und uberlegte sich, wie er diese vertrauliche Unterhaltung mit dem Kommandanten den weniger informierten Bewohnern des Midshipman-Logis schildern wurde.
        Bolitho lie? sich wieder auf die Sitzbank fallen und starrte fast angeekelt auf das unberuhrte Mahl. Er hatte Hunger, gewi?, aber beim blo?en Gedanken an Essen wurde ihm regelrecht ubel. Merkwurdig, da? er, obwohl alles so planma?ig gelaufen war, weder Freude noch Befriedigung empfinden konnte. In der frischen nordwestlichen Brise pflugte das Schiff wie neubelebt durch die wei?-kopfige See, und selbst das harte Sonnenlicht war nicht mehr so drohend und gefahrverkundend. Alle Segel standen, alle Wanten und Stage summten wie die Saiten eines gut gestimmten Instruments; es war, als freue die Hyperion sich selbst uber ihre neue Vitalitat. Und noch anderes war an Bord zu horen, das ihm eigentlich sein Selbstvertrauen hatte zuruckgeben mussen: die Leute sangen oder tauschten Zurufe bei der Arbeit aus, denn sie hatten keine unmittelbaren Sorgen mehr - Trinkwasser war reichlich vorhanden, und Durst, der Schrecken des Matrosen, war nur noch eine fernliegende Drohung wie andere Mi?geschicke auch.
        Bolitho starrte auf das schaumende Kielwasser und das Dutzend kreisender Mowen, die dem Schiff folgten, seit es von St. Clar ausgelaufen war. Sogar jetzt noch konnte er nur schwer glauben, was geschehen war: die geheimnisvollen Boote, die fremdartigen franzosischen Stimmen in der Dunkelheit; der aufgeregte Inch, das Gesprach mit lieutenant Charlois und dem Burgermeister von St. Clar. Letzterer war ein kleiner, ledergesichtiger Mann im Samtrock gewesen, lebhaft, mit raschen Gesten und entwaffnendem Lachen. Wahrend die Mannschaft eifrig die Trinkwasserbehalter an Bord hievte, hatte Burgermeister Labouret Charlois' Angaben vollauf bestatigt: Die Leute von St. Clar liebten die Englander nicht; aber sie kannten sie auch nicht. Die Revolution dagegen kannten sie und wu?ten, was in ihrem Namen bisher geschehen war und was noch geschehen wurde, wenn es so weiterging.
        Bolitho hatte fast ohne Unterbrechung zugehort. Im Geist sah er die Revolution mit neuen Augen und empfand dabei das gleiche unbehagliche Gefuhl wie damals, als seine Manner an Bord der Fregatte Phalarope gemeutert hatten. Diese Meuterei hatte ihre Ursachen in den Handlungen anderer gehabt und war ausgebrochen trotz aller seiner Bemuhungen, sie zu verhindern und alte Fehler wieder gutzumachen. Doch als sie kam, war sie ebenso schnell und schrecklich, als hatte er sie selbst provoziert. Und als er den beiden Franzosen zuhorte, hatte er tiefes Mitgefuhl empfunden. Fur sie mochte St. dar der Mittelpunkt der Welt sein, aber er wu?te, da? ihre Sache bereits verloren war.

«Ich habe mein Wort gehalten, Capitaine«, hatte Charlois geschlossen.»Sie bekamen Wasser und die Besatzung der Fairfax.«Dabei hatte er etwas verlegen gelachelt.»Die Schaluppe selbst mu?ten wir einstweilen behalten, das verstehen Sie doch? Es ware nicht gut, unsere Karten ganz aufzudecken - eh?»
        Bolitho verstand durchaus. Wenn Lord Hood einen weiteren Angriff auf das Festland scheute, dann mochte die Schaluppe den Burgern von St. Clar als einziges Zeugnis ihrer Loyalitat vor einem rachedurstenden Revolutionsgerichtshof dienen.
        In der hellen Morgensonne hatte die Hyperion Anker gelichtet und war vor den auffrischenden Wind gegangen. Die Franzosen hatten nicht nur die Besatzung der Schaluppe uberstellt und Trinkwasser geliefert, sondern sogar die verbrauchten und halbverfaulten Wasserfasser der Hyperion durch neue ersetzt. Das war eine Geste des guten Willens; sie hatten auch noch berittene Wachter ein Stuck landeinwarts geschickt, damit sie sicher sein konnten, da? die Anwesenheit der Hyperion unentdeckt geblieben war.
        Im Fruhlicht, als die Wasserleichter abgelegt hatten, war Rooke aber doch die Bemerkung entfahren:»Ich bezweifle, da? die Frogs diesen Handel lange geheimhalten konnen. Irgendein verdammtes Fischerboot wird die Nachricht an die nachste Garnison verkaufen.»
        Kalt hatte ihm Bolitho erwidert:»Mag sein, da? Sie solchen Verrat schon erlebt haben, Mr. Rooke. Doch bei mir zu Hause in Cornwall ist die Loyalitat ganzer Stadte und Dorfer durchaus nichts Ungewohnliches. «Darauf hatte Rooke geschwiegen. Vielleicht hatte er im bleichen Morgenlicht eine Warnung in den Augen seines Kommandanten gelesen.
        Mi?mutig starrte Bolitho jetzt das Schriftstuck an, das vor ihm auf dem Tisch lag. Noch ein paar Zeilen, und er war fertig. Wenn er von Lord Hood Rat und volle Unterstutzung bekam, war eine richtige Invasion immer noch moglich. So oder so wurde St. Clar zum Kampfgebiet werden.
        Er streckte die Hand aus und griff nach dem unvollendeten Bericht. Dieser eine Punkt war ein Fleck auf dem Ganzen und erfullte ihn mit tiefem Mi?mut. Er mu?te mit Quarme sprechen, ihm sagen, er solle den Mund halten. Dann lie? es sich vielleicht irgendwie arrangieren, ihn nach England zu schicken. Jetzt, da sich das Land wieder im Krieg befand, war es unwahrscheinlich, da? der Ausrutscher eines kleinen Leutnants viel Aufsehen erregen wurde. Quar-me konnte von neuem anfangen. Wenn er ihn auf eigene Verantwortung fortschickte, konnte er ihn vor dem Kriegsgericht retten, mit dem Risiko allerdings, selbst den Proze? gemacht zu bekommen. Blieb nur noch Rooke. Stirnrunzelnd bi? er sich auf die Lippe. Aber in erster Linie kam es auf Quarme an und wie er es verkraftet hatte, so lange mit seinen Gedanken allein zu bleiben.
        Es klopfte, doch als er aufblickte, sah er nicht Quarme, sondern den Steuermann.

«Tut mir leid, Mr. Gossett, aber wenn es nicht sehr wichtig ist, mussen Sie spater kommen.»
        Gossett schien schwer erschuttert. Sein machtiger Korper schwankte mit dem Schiff wie ein Baum im Wind.

«Ich habe den jungen Mr. Piper getroffen, Sir. Er war sehr aufgeregt, und da dachte ich, ich sag' Ihnen lieber selbst, was passiert ist.»
        Bolitho starrte ihn an. Plotzlich uberlief es ihn eiskalt.
        Langsam nickte Gossett.»Mr. Quarme ist tot, Sir. Hat sich in seiner Kajute erhangt.»

«So. Erhangt. «Bolitho wandte sich ab, um sein Entsetzen zu verbergen. Gossett rausperte sich laut.»Der arme Kerl. Hat in letzter Zeit gro?e Sorgen gehabt.»
        Bolitho wandte sich um und blickte dem Steuermann ins Gesicht.»Als ich Cozar mit der Chanticleer nahm, konnte ich beobachten, wie die Hyperion ihre Scheinangriffe fuhr und das Feuer der Batterie auf sich zog. Das war erstklassige Seemannschaft.
«Er lie? seine Worte wirken und merkte, da? Gossetts Augen erschrocken aufflackerten.»Seemannschaft«, fuhr er fort,»die in jahrelangem Dienst und in feindlichem Feuer erworben sein mu?te.»
        Gossett trat von einem Fu? auf den anderen.»Wird schon so sein,
        Sir.»

«Sie haben die Hyperion an jenem Tage gesegelt, nicht wahr? Ich will die Wahrheit wissen.»
        Fast trotzig hob der Steuermann den Kopf.»Jawohl, Sir. Mr. Quarme war 'n guter Offizier. Aber, wenn Sie mir die Freiheit erlauben, er hatte 'ne Menge Arger mit seiner Frau. Die stammte aus vornehmer Familie und wollte 'n feines Leben fuhren.
«Resigniert hob er die Schultern.»Aber Mr. Quarme war eben Leutnant und weiter nichts, Sir.»

«Sie meinen, er hatte kein Geld?«fragte Bolitho tonlos.

«So ist es, Sir. «Wutend verzog der Steuermann das tiefbraune Gesicht.»Und dann dieses dreckige Gerede, da? er irgendwelche Gelder unterschlagen haben soll, die er in Verwahrung hatte.»
        Bolitho hob die Hand.»Warum hat man mir das nicht gesagt?»
        Gossett sah verlegen zur Seite.»Wir alle wu?ten doch, er wurde nie was von seinem eigenen Schiff klauen, Sir. Nich' wie manche andere, die ich auch nennen konnte. Er hatte vor, die Sache mit
        Cap'n Turner durchzusprechen und Klarheit zu schaffen. Hat mir sogar erzahlt, da? Cap'n Turner wu?te, wer das Geld wirklich geklaut hat.»
        Ruhig erwiderte Bolitho:»Aber Captain Turner starb an Herzschlag. «Er dachte an den Ausbruch Rowlstones bei der ersten Dienstbesprechung und an die aggressive Art, mit der Rooke dem Doktor uber den Mund gefahren war.
        Verlegen erwiderte Gossett:»Tut mir leid, da? ich' s Ihnen nicht gesagt habe, Sir, nach allem, was Sie fur das Schiff getan haben. Aber ich hatte das Gefuhl, da? ich ihm das schuldig war, wissen Sie.»

«Ja, verstehe. «Bolitho legte die Hand flach auf den unvollendeten Bericht.»Aber das ist keine Entschuldigung, Mr. Gossett. Ihre Loyalitat schulden Sie dem Schiff, nicht einem einzelnen. Trotzdem danke, da? Sie es mir erzahlt haben. Ich hatte es wohl auch so gemacht. «Er fugte hinzu:»Das bleibt aber unter uns, Mr. Gossett.»
        Heftig nickte der Steuermann.»Bleibt es, Sir.»
        Noch lange, nachdem Gossett gegangen war, sa? Bolitho reglos am Fenster. Dann trat er an den Tisch, nahm die Feder auf und schrieb rasch den Schlu? des Berichts:

«…jener tapfere Offizier, der, wie oben erwahnt, das Schiff unter standigem feindlichen Feuer mit gro?er Kuhnheit und unter Hintansetzung seiner personlichen Sicherheit gefuhrt hat, nahm sich spater unter tragischen Umstanden das Leben. Er war meiner Uberzeugung nach ein kranker Mann, der sich, hatte er nicht seine Gesundheit dem Wohle des Schiffes geopfert, einen Platz in der Kriegsmarine errungen hatte, an dem sein Name noch lange in Erinnerung geblieben ware. «Er unterschrieb den Bericht und starrte minutenlang darauf nieder.
        Es ist wenig genug, dachte er bitter, und nutzt Quarme gar nichts. Aber in England wurde es denen, die Quarme noch als den Mann gekannt hatten, den Gossett vor Unheil zu schutzen versucht hatte, ein gewisser Trost sein.
        Dennoch wu?te Bolitho mit Sicherheit: Wenn Unheil angriff, dann meist von innen her. Und dagegen gab es keine Verteidigung.



        VII Ein edler Ritter

        Nur unter Marssegeln und Fock fuhr die Hyperion eine Halse und nahm dann endgultig Kurs auf die Hafeneinfahrt. Auf dem Oberdeck und den Decksgangen trieben sich Matrosen der Freiwache herum und starrten beinahe ehrfurchtig auf die Szenerie, die sie jenseits der Festung und des kahlen Vorgebirges gru?te. Bolitho hob sein Teleskop und schwenkte es langsam von einer Seite zur anderen. Kaum zu glauben, da? es die gleiche leere Ankerstelle war, die er am Tag vorher verlassen hatte. Als der Ausguck gemeldet hatte, da? er hinter den Klippen Mastspitzen ausmachen konne, hatte Bolitho das fur eine von Hoods Versorgungsschiffen oder allenfalls fur eine Fregatte mit Depeschen und neuer Segelorder gehalten. Doch als das Schiff langsam auf die buckligen Hugel zuglitt, wurde ihm klar, da? es sich um ganz etwas anderes handelte.
        In der Mitte des Naturhafens lag ein hochbordiger Dreidecker vor Anker, an dessen Hauptmast ein Konteradmiralswimpel schlaff herabhing. Jenseits dieses Schiffes, nahe an der Pier, ungefahr dort, wo die Karronade die franzosischen Soldaten dezimiert hatte, lag noch ein gro?es Fahrzeug, seinem Bau nach ein Versorgungsschiff. Im flacheren Wasser ostlich davon ankerte eine kleine Schaluppe, die er sofort als die Chanticleer erkannte. Die spanische Princesa lag noch an derselben Stelle wie am Vortag; aber noch eindrucksvoller als die Schiffe selbst war die Geschaftigkeit an Bord und der Betrieb im Hafen.
        Um die Schiffe herum sowie zwischen ihnen und der Pier verkehrten Boote jeder Form und Gro?e: Kutter, Gigs, Barkassen und Jollen in unubersehbarer Zahl; und als Bolithos Glas den Abhang erfa?te, sah er ein gro?es, rechteckiges Zeltlager, an dessen vereinzelten Lagerfeuern sich winzige, scharlachrote Gestalten zu schaffen machten. Anscheinend war jetzt auch britische Infanterie auf der Insel.
        Zusammenfahrend merkte er, da? die Hyperion schon die schutzenden Arme der Einfahrt passiert hatte; doch Rooke stand, wie er mit einem raschen Blick feststellte, immer noch steif an der Achterdeckreling, die Sprechtrompete wie bei der Parade unterm Arm.

«Halsen Sie gefalligst!«befahl Bolitho argerlich.
        Rooke wurde rot und hob die Trompete:»Klar zum Halsen! An die Luvbrassen!»
        Bolitho pre?te die Lippen zusammen. Im Kampf und bei der taglichen Routine war Rooke ein recht brauchbarer Offizier; aber jedesmal, wenn er die machtige Hyperion in engen Gewassern verantwortlich fuhren sollte, wurde er merklich kleiner.
        Pearse, der Stuckmeister, stand am Vormast und spahte unter der schutzenden Hand zum Achterdeck hinauf. Bolitho nickte kurz, und mit dumpfen Salutschussen, deren Echo rund um die Klippen rollte, erwies die Hyperion dem Konteradmiral, wer das auch sein mochte, ihren Respekt.
        Bolitho wu?te, da? er sich um den Salut nicht weiter zu kummern brauchte. Das war Routinesache. Wahrend die Geschutze im Funfsekundenabstand krachten und das Schiff in einer Wolke driftenden Pulverqualms weiterkroch, schatzte er die Entfernung ab. Mit Augen und Verstand nahm er die glatte Wasserflache unter den hohen Klippen, den immer lebloser hangenden, langen Admiralswimpel wahr.

«An die Marsschoten!«schrie Rooke atemlos.»Hol dicht!«Die sonnenbraunen Matrosen auf den sich nach au?en verjungenden Rahen bewegten sich im Takt und vollig gleichgultig gegenuber der schwindelnden Hohe.

«Leeruder!»
        Mit der fast ganz abgeflauten Brise drehte sich die Hyperion in den Wind; was sie noch an Segeln fuhrte, verschwand, als Bolitho ein rasches Handzeichen gab, und vom Vorschiff kam der Ruf:»La? fallen Anker!«Mit halbem Ohr horte er den Anker ins Wasser platschen und die Trosse polternd abrollen. Endlich war auch der Salut vorbei, und er konnte wieder klar denken.
        Midshipman Caswell unterbrach die plotzliche Stille. Er hatte sein Glas auf das Flaggschiff gerichtet, denn er mu?te die Signalflaggen unter seinen Rahen als erster erkennen, sobald sie sich entfalteten. »Tenacious an Hyperion! >Bitte Kommandant in funfzehn Minuten an Bord         Allday wartete schon an der Kampanje.»Gimlett soll meine Paradeuniform bereitlegen«, rief Bolitho ihm zu.»Und dann lassen Sie mein Boot zu Wasser!«Er fragte Gossett, der auf den machtigen Dreidecker starrte:»Kennen Sie ihn?»
        Nachdenklich schob Gossett die Unterlippe vor.»Die Tenacious lag eine Zeitlang mit uns vor Brest, Sir. Dann mu?te sie nach Ply-mouth zur Uberholung. Damals hatte sie keinen Admiral an Bord.»
        Caswell sah von seinem Flottenhandbuch auf. »Tenacious, neunzig Kanonen, Sir. Kommandant Matthew Dash.»
        In Bolithos Hirn formte sich ein vages Bild.»Ich habe ihn einmal getroffen«, sagte er nur. Dennoch, es wurde eine ganze Menge davon abhangen, was fur ein Mann der Konteradmiral war. Bolitho eilte in seine Kajute, warf den abgewetzten Dienstrock ab und zerrte sich die ausgebleichte Weste vom Leib. Dann fuhr er rasch in ein sauberes Hemd und kammte sich, wahrend Gimlett ihn wie ein angstliches Gespenst umflatterte. Lord Hood ist ja alt genug, um auf solche Au?erlichkeiten keinen gro?en Wert zu legen, dachte Bolitho grimmig, aber sein Konteradmiral ist da offenbar anderer Ansicht. Die funfzehn Minuten Frist sprachen fur sich selbst.
        Er horte sein Boot langsseit dumpeln und Alldays scharfe Kommandos. Und die ganze Zeit gingen ihm die Moglichkeiten im Kopf herum, die sich jetzt aus der Anwesenheit eines Neunzig-Kanonen-Linienschiffes und der neu eingetroffenen Soldaten ergaben. Lord Hood mu?te die Wichtigkeit seines ersten Berichtes erkannt haben. Anscheinend war die bevorstehende Aktion bereits mehr als eine skizzenhafte Idee.
        Er fluchte, als Gimlett ihm das Halstuch zurechtzupfte und an dem Degen herumzerrte. Wie ein altes Weib ist der Kerl, dachte er verzweifelt.
        Rooke erschien in der offenen Tur.»Gig ist klar, Sir. «Jetzt, da das Schiff vor Anker lag, schien er sich wesentlich wohler zu fuhlen.
        Bolitho fuhr in die Armel des goldbetre?ten Galarocks mit den wei?en Aufschlagen und sagte:»Alle Boote zu Wasser, Mr. Rooke. Schicken Sie die Mannschaft der Fairfax an Land, und warten Sie dann weitere Befehle ab. «Er steckte den mit so viel Muhe formulierten Bericht ein und fuhr fort:»Nachstesmal, wenn wir einen Hafen anlaufen, mussen Sie versuchen, ein Gefuhl fur das Schiff zu bekommen, verstehen Sie?»

«Der Wind machte mir Sorge, Sir«, antwortete Rooke unbewe g-ten Gesichts.»Sie hat so starken Bewuchs am Unterwasserschiff, da? sie unberechenbar ist.»
        Bolitho griff nach seinem Dreispitz.»Bis auf weiteres fungieren Sie auf der Hyperion als Erster Offizier und sind dementsprechend fur alles verantwortlich. Dazu gehort auch der Wind und jede verdammte Einzelheit binnen- und au?enbords - verstanden?»
        Rooke stand stramm.»Aye, aye, Sir.»

«Gut. «Er schritt wieder in das Sonnenlicht hinaus, an der Abteilung vorbei, die zum Seitepfeifen angetreten war, blieb aber an der Fallreepspforte noch einen Moment stehen.»Wie ich sehe, fahrt die Chanticleer den Postwimpel, Mr. Rooke. Ich schicke ein paar Depeschen hinuber; und wenn unsere Leute etwa Briefe haben, dann schicken Sie sie mit. «Er hielt inne; sein Blick fiel auf die angetretene Reihe Bootsmannsmaaten mit ihren angesetzten Querpfeifen, auf die Trommeljungen mit ihren wei?en Garnhandschuhen und auf Leutnant Inch mit seinem Teleskop. Da? keine Seesoldaten dabei waren, kam ihm seltsam vor.

«Mr. Quarmes personliche Sachen packen Sie am besten zusammen und schicken sie mit hinuber«, sagte er dann abschlie?end. Er suchte in Rookes Augen nach einem Schimmer von Bedauern oder Mitleid. Aber der fa?te nur an seinen Hut und trat beiseite. Unter dem Schrillen der Querpfeifen kletterte Bolitho hinunter in das wartende Boot.
        Captain Dash von der Tenacious begru?te Bolitho herzlich. Er war etwa Mitte Funfzig, ein untersetzter, derber Mann mit rauher, kratziger Stimme, doch wenn er lachelte, wirkte er freundlich und gutmutig. Er war eines der seltensten Produkte der Kriegsmarine, denn er hatte seine Karriere im Unterdeck begonnen; als Schiffsjunge war er freiwillig eingetreten und hatte es, was Bolitho sich kaum richtig vorstellen konnte, durch Anstrengung und Willenskraft, mit Zahnen und Klauen, bis zum Kommandanten eines Linienschiffs gebracht.
        Bolitho ging neben ihm zu der breiten Achterdecksleiter und fragte:»Wann sind Sie eingetroffen?»

«Heute vormittag«, grinste Dash.»Seitdem ist hier der Teufel los. «Er zeigte mit seinem verarbeiteten Daumen auf den Transporter.»Das ist die Weiland, ein ehemaliger Indienfahrer. Hat funfhundert Mann vom 91. Infanterieregiment gebracht, und au?erdem die Halfte der gro?schnauzigsten Sergeanten von ganz England - so hort sich's wenigstens an. «Dann wurde er unvermittelt ernst.

«Ich war in Gibraltar, als die Schaluppe von Lord Hood mit meiner neuen Segelorder kam. «Er zuckte die Schultern.»Deshalb fuhrt mein Schiff jetzt eine Konteradmiralsflagge, und ich mu? mich anstandig benehmen.«»Wie ist er denn?»

«Schwer zu sagen. Seit er an Bord ist, mu? ich springen wie'n Hundchen; aber meist bleibt er in seiner Kajute. Er wartet jetzt auf Sie.»
        Bolitho lachelte.»Ich habe noch gar nicht nach seinem Namen gefragt.»
        Dash zog sich die Leiter hinauf.»Er ist erst vor kurzem Flaggoffizier geworden.
«Und mit einem Blick zum Gro?mast:»Sie stehen jetzt unter Flagge von Sir Edmund Pomfret, Ritter des BathOrdens, Konteradmiral der Uberseeflotte. «Er brach ab und sah Bolitho unsicher an.»Sie kennen ihn doch?»
        Bolitho blickte zur Seite, denn der Kopf schwirrte ihm. Also Edmund Pomfret. Das konnte nicht wahr sein! Er versuchte, sich an sein erstes Zusammentreffen mit Pomfret zu erinnern. Das war im Gasthaus» Konig George «in Portsmouth gewesen. Er war in diese Stadt gerufen worden, um seine Bestallung als neuer Kommandant der Fregatte Phalarope entgegenzunehmen, vor nun fast zwolf Jahren. Auf dem Weg zu seinem neuen Schiff war er an einem anderen Kapitan vorbeigekommen, der darauf wartete, den ganzen Zorn des Admirals uber sich ergehen zu lassen. Dieser war gerade als Kommandant der Phalarope abgelost worden, und zwar wegen sinnloser Grausamkeit und totaler Gleichgultigkeit fur das Wohlergehen, ja sogar fur Leben und Tod seiner Mannschaft. Und dieser Mann, der den Keim der Meuterei auf der Phalarope gelegt hatte, war Edmund Pomfret gewesen!
        Dash verhielt einen Moment vor der Tur der gro?en Kajute. Zwei Marine-Infanteristen starrten ohne Lidschlag unter ihren schwarzen Tschakos hervor.»Fuhlen Sie sich wohl, Bolitho? Ich hore, Sie hatten das Fieber, und.»
        Bolitho tatschelte ihm beruhigend den Arm.
        Er klopfte an die Tur und horte eine scharfe Stimme:»Herein!»
        Pomfret sa? an einem machtigen Tisch und unterschrieb ein Schriftstuck, das ihm sein Flaggleutnant vorlegte. Ohne aufzusehen, winkte er Bolitho zu einem Stuhl. Nehmen Sie Platz, Captain. Ich mu? das hier noch durchlesen.»
        Pomfret hatte sich ziemlich verandert; uberraschenderweise sah er in der schweren, goldbestickten Admiralsuniform junger aus, als es seinen vierzig Jahren entsprach; nur unter der glanzenden Seidenweste machte sich deutlich ein Bauch bemerkbar, und seine Stirn furchten tiefe Falten, die sich anscheinend nie glatteten. Aber der kleine, verdrie?liche Mund war wie fruher, auch die blassen, vorstehenden Augen, die nun uber das Papier huschten. Er hatte volles, rotliches Haar, und seine Haut schien von der Art zu sein, die keine Sonne vertragt; sie war fleckig vor Hitze, trotz der schattig-kuhlen Kajute.
        Jetzt sah Pomfret auf und schwenkte die Hand.»Weitermachen, Fanshawe. Aber seien Sie wenigstens nachstes Mal etwas fixer!«Der Leutnant verschwand eiligst, und Pomfret richtete jetzt zum erstenmal den Blick voll auf Bolitho.

«Ein Narr, dieser Mann!«Seine Stimme war ruhig, aber scharf; er schien sich zu argern.»Na, Bolitho - was haben Sie fur sich selbst zu sagen?»
        Bolitho griff nach seinem versiegelten Bericht.»Ich komme soeben von St. Clar, Sir.»
        Pomfret trommelte mit den Fingern einer Hand auf die Tischplatte. Anscheinend hielt er sich absichtlich zuruck.»Ihr Hauptmann hat mir das alles schon erzahlt. Was ich wissen will: was, zum Teufel, haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, uberhaupt nach St. Clar zu segeln?»

«Ich mu?te Wasser fur mein Schiff beschaffen, Sir. Von der Flotte kam kein Nachschub, uberhaupt keine Nachricht. Ich mu?te selbst einen Entschlu? fassen.»
        Pomfret schob die Unterlippe vor.»Au?erdem haben Sie, glaube ich, mit dem Feind unterhandelt?»

«Jawohl, Sir. Einer der Gefangenen - «Mit seidenweicher Stimme unterbrach ihn Pomfret:»Der ehemaligen Gefangenen, meinen
        Sie?»

«Er gab mir Grund zu der Hoffnung, da? St. Clar uns in Zukunft recht nutzlich sein konnte, Sir. «Bolitho konnte sich atmen horen; in seinem Innern brannten Arger und Unmut wie Feuer.

«Ich halte nicht viel von Siegen durch Nachgiebigkeit, Bolitho.
        Die Franzosen sind und bleiben unsere Feinde. In Zukunft werden Sie ausschlie?lich Befehle ausfuhren, sonst nichts. Wir verhandeln nicht, sondern handeln, und das mit Nachdruck. «Er krauselte verachtlich die Lippen.»Bruderlichkeit interessiert uns hier nicht.»
        Gleichmutig sprach Bolitho weiter:»Ich habe den Tod meines Ersten Offiziers zu melden, Sir. Es steht alles im Bericht.»
        Pomfret sah gar nicht nach dem Kuvert hin, sondern erwiderte kalt:»Sie scheinen gro?e Anziehungskraft fur Tod und Verderben zu besitzen, Bolitho. Ihr Erster Offizier, vorher das spanische Flaggschiff mit Admiral Anduaga, und naturlich Ihr eigener Kommandant, Sir William Moresby.»
        Bolitho wurde rot vor Emporung.»Das ist unfair, Sir! Gerade bei Sir William habe ich mich befehlsgema? verhalten!»
        Pomfret winkte scheinbar freundschaftlich ab.»Sachte, Bolitho! Sie mussen lernen, sich zu beherrschen.»
        Bolitho entspannte sich etwas. Jetzt wu?te er, was ihm bevorstand. Ihm fiel ein, was er zu Quarme gesagt hatte:»Die Menschen andern sich nicht. «Gelassen erwiderte er:»Bei der Einnahme von Cozar waren unsere Verluste sehr gering, Sir.»

«So horte ich. «Pomfret lehnte sich zuruck.»Nun - in Zukunft wird manches anders werden, denn Sie stehen jetzt unter meinem Kommando. Und dafur konnen Sie nur sich selbst die Schuld geben, denn Sir William ist schlie?lich auf Ihrem Schiff ums Leben gekommen. Ich bin lediglich in seine Schuhe getreten, Bolitho, genau wie Sie in die Captain Turners. «Ein fluchtiges Lacheln.»So, das ware also das. Ich war unterwegs nach Neu-Holland und der Botany Bay,[sudlich von Sydney, heutiges New South Wales.] als mich in Gibraltar die neuen Befehle erreichten. Ich sollte Gouverneur werden und aus diesem widerlichen Haufen von Straflingen und Idioten, die dort fur uns eine neue Kolonie grunden, etwas halbwegs Vernunftiges machen.
«Seine Wangen roteten sich vor unterdruckter Wut.»Nun moge Gott ihnen helfen!»
        Langsam sagte Bolitho:»Hatte ich gewu?t, da? Sie kommen, Sir, dann hatte ich auf Cozar gewartet. Aber das Trinkwasser…»
        Pomfret nickte finster.»Ah ja, das Trinkwasser! Sie sind immer noch derselbe, scheint mir. Zu weich!«Er nickte nochmals.»Oh, ich habe nichts vergessen, Bolitho, nur keine Angst!»

«Besten Dank, Sir.»
        Pomfret sprang beinahe auf.»Seien Sie nicht so impertinent!«Wie erschopft von der Hitze, sank er wieder in den Stuhl und fuhr etwas ruhiger fort:»Die Menschen respektieren Schwache nicht, das sollten Sie inzwischen gelernt haben.»
        Bolitho standen plotzlich die unglucklichen Straflinge in der Bo-tany Bay vor Augen. Hunderte waren wegen aller moglichen Vergehen dorthin deportiert worden. Da die amerikanischen Kolonien nicht mehr zur Verfugung standen, hatte sich England entschlossen, seine unerwunschten Verbrecher auf die andere Seite der Welt zu schicken; dort mochten jene wenigen, die Not und unbekannte Krankheiten uberlebten, fur ihr Vaterland, das sie versto?en hatte, neue Gebiete erschlie?en. Ob sie jemals erfahren wurden, dachte er, was sie fur ein Gluck gehabt hatten, da? ihnen wenigstens Pomfret erspart geblieben war?
        Wie im Selbstgesprach redete Pomfret weiter:»Ich habe es satt, bei solchem Geschmei? von Ehre und Loyalitat zu horen. Die lugen, betrugen und saufen doch nur und kummern sich einen Dreck um anstandige Seeoffiziere wie Sie und mich.»
        Bolitho wu?te nicht genau: meinte er Straflinge oder Matrosen - oder machte er da keinen Unterschied? Er entgegnete:»Auf alle Falle sind es Manner, Sir, und ich verachte keinen, nur weil er nicht dieselben Uberzeugungen hat wie ich.»
        Pomfret musterte ihn mit zusammengekniffenen Augen.»Dann sind Sie ein noch gro?erer Narr, als ich dachte. «Er beugte sich vor, um seinen Worten starkeres Gewicht zu verleihen.»Sie befehligen keine Fregatte mehr, Bolitho. Unter meiner Aufsicht werden Sie lernen, Ihre Pflicht so zu tun, wie es sich fur den Kommandanten eines Vierundsiebzigers gehort - verstanden?»

«Jawohl, Sir. «Bolitho blickte ihn unbewegt an.»Aber bisher war ich allein und handelte, wie ich es fur richtig hielt. Wir haben die Manner der Fairfax wieder, und vielleicht auch bald die Schaluppe.»
        Pomfret trocknete sich das Gesicht mit einem seidenen Tuch.»Haben Sie auch die Offiziere der Fairfax!»

«Nein, Sir. Die Franzosen hatten sie bereits nach Norden transportiert, um sie eventuell auszutauschen.»

«Schade«, antwortete Pomfret mit einem abwesenden Nicken.»Ich hatte die Dummkopfe vors Kriegsgericht gestellt, weil sie sich das Schiff mit einem so bloden Trick wegnehmen lie?en. Aber im Moment habe ich andere Sorgen. «Er blatterte in einigen Papieren.»Ich werde Lord Hood uber die derzeitige Situation berichten, und inzwischen wollen wir auf dieser makabren Insel eine richtige Garnison aufbauen.
«Herausfordernd blickte er in Bolithos ernstes Gesicht.»Sie sieht ja aus wie der nutzloseste Fleck der Erde!»

«Die Insel hat einen guten Hafen, Sir. Es gibt auch noch ein altes Dorf, wo fruher die Straflinge untergebracht waren. Aber das ist jetzt zerfallen. Die Festung haben Sie gesehen, und.»
        Stirnrunzelnd unterbrach ihn Pomfret:»Sie konnen Ihre Seesoldaten wiederhaben. Die Armee ubernimmt jetzt die Insel, unter meinem Kommando naturlich.»
        Naturlich, dachte Bolitho wutend.»Und meine Segelorder, Sir?»
        Pomfret gahnte.»Fanshawe gibt sie Ihnen umgehend, sonst hol' ihn der Teufel. Sie werden unverzuglich nach Gibraltar segeln und meine Anordnungen wortlich genau ausfuhren!«Er ignorierte Bo-lithos uberraschte Miene.»Ich befehligte einen Konvoi von Straflingstransportern, als das hier losging. Sie werden ihn herbringen.»

«Aber was wird aus St. Clar, Sir?«Es war Bolitho, als wurde die Kajute druckend eng.

«St. Clar steht immer noch, wenn Sie zuruckkommen, Bolitho. «Es klang wie eine Zurechtweisung.»Lord Hood hat mir hier das Oberkommando ubertragen und mir damit freie Hand gegeben, um aus diesem ziemlich unbefriedigenden Anfang einen vollen Erfolg zu machen!»
        Steif stand Bolitho auf.»In Gibraltar - sind das Versorgungsschiffe, Sir?»

«Zum Teil. Aber das alles steht in Ihrer Order. Seien Sie unbedingt in Gibraltar, bevor der ganze Konvoi abgesegelt ist. Sonst ware ich gar nicht erfreut, kann ich Ihnen versichern!«Und als Bolitho sich zum Gehen anschickte, fugte Pomfret noch hinzu:»Ich habe mich um dieses Kommando nicht beworben, Bolitho. Aber nun, da ich es habe, werde ich es auch erfolgreich zu Ende fuhren, und wer mir dabei Schwierigkeiten macht, kriegt Arger. So wahr mir Gott helfe!«Er hatte mit gro?er Entschiedenheit gesprochen, aber auf einmal schien er genug von diesem Gesprach zu haben.»Anschlie?end werde ich Ihren Bericht lesen und sehen, was er taugt. Ich nehme an, Sie wollen Ersatz fur Ihren toten Leutnant?»

«Jawohl, Sir.»

«Schon, sprechen Sie mit dem Flottenkommandanten in Gibraltar. Dazu haben Sie meine Erlaubnis.»
        Bolitho verschluckte seine Erwiderung. Erstaunlich, wie die Beforderung einen Menschen bis zur Uberheblichkeit verandern konnte. Er sagte nur:»Dann werde ich sofort Anker lichten, Sir. «Noch in der Tur horte er Pomfret ihm nachrufen:»Sie haben meine Befehle jederzeit wortgetreu auszufuhren!»
        Kapitan Dash erwartete Bolitho bei der Fallreepspforte, eine Menge Fragen im Gesicht.»Na, Bolitho, ist er der Mann, an den Sie sich erinnerten?»
        Bolitho starrte zu den schlanken Masten der Hyperion hinuber.»Genau der. «Und mit einem Blick nach unten zu der wartenden Gig:»Ich glaube, wir haben eine interessante Zeit vor uns.»
        Eine knappe Stunde nach der kurzen Besprechung bei Konteradmiral Pomfret hatte die Hyperion bereits Anker gelichtet, und ihr Bugspriet strebte wieder der fernen, lockenden Kimm zu. Die Besatzung mu?te glauben, ein Fluch laste auf dem Schiff, es sei dazu verdammt, ewig zu segeln, bis die Planken verrotteten und die Manner ins Meer fielen. Da? auf einmal so viele Schiffe vor Cozar lagen und sogar Infanterie auf der Insel war, hatte gro?es Interesse erregt: die Matrosen der Hyperion waren sogar irgendwie stolz darauf gewesen, als hatten sie dadurch, da? sie allein nach St. Clar gesegelt waren und tollkuhn dicht am Feind geankert hatten, diese ganze Operation in Gang gesetzt.
        Als jedoch» Klar zum Ankerlichten «gepfiffen wurde und As h-bys Marine-Infanteristen betrubt von der Festung wieder an Bord stampften, fiel die aufgeflammte Begeisterung in sich zusammen und verwandelte sich in Verwirrung und Enttauschung.
        Doch wenigstens brauchten die Offiziere der Hyperion nicht standig neue Tricks zu erfinden, um die Mannschaft auf der Ruckreise nach Gibraltar zu beschaftigen. Trotz des klaren Himmels frischte der Wind erheblich auf, sobald sie Cozar zuruckgelassen hatten. Wahrend das alte Schiff stampfend seinen Weg nach Sudsudwest nahm und die Sudkuste von Spanien umrundete, lag es manchmal so hoch am Wind, da? es ihn fast von vorn hatte und muhsam gegenan kreuzen mu?te. Tag um Tag ging es so, ohne Atempause. Kaum waren die Manner von den Masten herunter und zu einer kurzen Rast im Logis, da gellte schon wieder der Ruf:»Alle Mann an Deck! und» Aufentern zum Segelkurzen!»
        Nicht da? es unter Deck viel Erholung gab. Die Stuckpforten waren wegen des peitschenden Spritzwassers abgedichtet, und der Gestank nach Bilgewasser und hastig geschmortem Essen konnte aus dem engen Logis nicht abziehen. Die Hyperion wurde mit dem kurzen, knuppeligen Seegang schlecht fertig. Das monotone Quietschen der Lenzpumpen tonte so regelma?ig und unaufhorlich durchs Schiff, da? man es gar nicht mehr bemerkte, bis es beim Wachwechsel auf kurze Zeit verstummte.
        Am Morgen des zehnten Tages lief das Schiff dankbar in die Reede unterhalb des Felsens von Gibraltar ein; die Mannschaft war zu erschopft und niedergeschlagen, um sich uber Reisezweck oder Zukunft Gedanken zu machen.
        Reglos sa? Bolitho in der Kajute. Die feucht an ihm klebende Kleidung widerte ihn an, aber er war zu mude, um aufzustehen. Ihm war, als sei er wahrend der ganzen Reise nie langer als funf Minuten unter Deck gewesen, und in der eleganten Kajute fuhlte er sich deplaciert und schmutzig. Die vier Leutnants, die das Schiff noch besa?, waren diensteifrig genug gewesen, aber ihnen fehlte jede Erfahrung mit schwierigem Wetter. Bolitho war uberzeugter denn je, da? Kapitan Turner die eigentliche Schiffsfuhrung nie jemand anderem als Quarme oder Gossett anvertraut hatte; jetzt wurden die Resultate dieser Einseitigkeit schmerzhaft deutlich.
        Rooke trat ein und meldete mude:»Signal von der Fregatte Har-vester, Sir. Hat Depeschen fur Sie. «Seine Stimme war tonlos vor Erschopfung. Er schwankte, ri? sich aber unter Bolithos prufendem Blick zusammen. Starker als seine Kameraden war er sich seiner Unzulanglichkeit bewu?t, und diesmal konnte er keinem anderen die Schuld zuschieben.
        Bolitho erhob sich muhsam aus dem Sessel und trat ans Heckfenster. Durch die salzverkrustete Scheibe konnte er die Fregatte vor Anker liegen sehen. Ihr roter Wimpel hob sich leuchtend gegen den Felsen ab. Ihm schien, als hatte sie sich seit damals, als er nach seiner Ankunft aus England von Bord gegangen war, uberhaupt nicht vom Fleck geruhrt. War es wirklich erst zwei Monate her? Ihm kam es so lange vor wie ein ganzes Leben.
        Knapp zwei Kabellangen vor der Fregatte lagen die drei schweren Transporter und eine kleine, tanzelnde Achtzehner-Schaluppe. Wieder fielen ihm Pomfrets Befehle ein. Er hatte sie dutzende Male durchgelesen, und sie waren ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen, auch als er sein Schiff in die kreischende Holle aus Wind und Gischt hineintrieb. Nun, alle an Bord wurden sie bald genug zu horen bekommen, dachte er mude. Mit einem Mann wie Pomfret stellte man sich am besten von Anfang an auf den richtigen Fu?.

«Soll ich ein Boot hinuberschicken, Sir?«fragte Rooke.

«Nein. «Bolitho rieb sich mit den Fingerknocheln die Augen.»Signalisieren Sie der Harvester und der Schaluppe Snipe: Kommandanten sofort zu mir an Bord! <»
        Rooke war verunsichert.»Gehoren die auch zu unserem Geschwader, Sir?»

«Ja, Mr. Rooke. Und das Geschwader fahrt Geleit fur die drei Transporter nach Cozar.»
        Bei diesen Worten mu?te er an Pomfret und sein Flaggschiff denken. Der hatte das Geleit ebensogut selbst ubernehmen konnen; wenn er eine Fregatte oder auch nur die Chanticleer nach Cozar vorausgeschickt hatte, ware das Ungewisse Warten auf neue Befehle schnell vorbei gewesen. Aber Pomfret war mit seinen Begleitschiffen und einem ziemlich schnellen Transporter losgesegelt; an Bolithos Schwierigkeiten und seinen Mangel an Frischwasser hatte er uberhaupt nicht gedacht - oder sie waren ihm gleichgultig gewesen.
        Als er sich vom Fenster abwandte, war Rooke bereits drau?en, und an der Tur stand Gimlett, zeigte grinsend seine Eichhornchenzahne und rieb sich nervos-erwartungsvoll die Hande.

«Ein neues Hemd, Gimlett!«befahl Bolitho.»Und legen Sie mir gleich eine frische Uniform aus. Ich habe Besuche zu machen. «Er rieb sich das Kinn und fuhr fort:»Ich will mich waschen und rasieren, ehe die beiden Kommandanten an Bord kommen.»
        Als Leach, der Kommandant der Fregatte, und Tudor, der Kommandant der Snipe, in seine Kajute gefuhrt wurden, war Bolitho wenigstens au?erlich so frisch und munter wie ein Mann, der seine Tage an Land in einem komfortablen Haus verbracht hatte. Er wartete, bis Gimlett seinen Besuchern Wein eingeschenkt hatte, und sagte dann: Willkommen an Bord, meine Herren. Ich nehme an, Sie sind sofort segelfertig?»
        Leach nickte.»Admiral Pomfret hat uns instruiert, bei den Transportern zu bleiben, nachdem der erste Geleitzug abgesegelt war. Wie es scheint, werden derartige Schiffe, wenn sie ungeschutzt segeln, in den letzten Wochen regelma?ig angegriffen, und mir ist wohler, wenn Ihre Hyperion auf uns aufpa?t. «Er lehnte sich etwas bequemer zuruck.»Freut mich ubrigens, Sie wiederzusehen, Sir. Ich nehme an, der junge Seton ist seine Seekrankheit inzwischen los?»
        Tudor, ein breitgesichtiger Leutnant, sprach jetzt zum erstenmal. Entweder hatten ihm der Wein oder Leachs offenbare Vertrautheit mit Bolitho Mut gemacht.»Ich wei? nicht, ob ich das richtig verstanden habe, Sir. «Die beiden blickten ihn an, und er fuhr leicht verwirrt fort:»Der Admiral hat befohlen, da? eines der fur NeuHolland bestimmten Schiffe, die Justice, hierbleiben soll. Es ist mir klar, da? die beiden Vorratsschiffe fur unser Geschwader lebenswichtig sind - «, er hob hilflos die Schultern -,»aber ein Straflingsschiff sollte nicht unbewacht zuruckbleiben.»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Es bleibt auch nicht zuruck. «Gleichzeitig setzten sie ihre Glaser ab und blickten ihn einer wie der andere erschrocken an.»Die Justice«, fuhr Bolitho fort,»segelt mit uns nach Cozar.»

«Aber, Sir«, protestierte Leach,»das ist doch ein Straflingsschiff! Herrgott, sie hat dreihundert Gefangene an Bord!»

«Das wei? ich. «Bolitho blickte auf den Tisch nieder, wo Pom-frets Order lag. Er konnte Leachs Verwirrung durchaus begreifen. Pomfret mu?te Bellamy von der Chanticleer bis aufs Hemd ausgefragt haben, bevor er diese uberraschende Entscheidung traf. Wie er in seiner Order geschrieben hatte:». anscheinend ist ein Teil der Befestigungsanlagen auf Cozar in schlechtem Zustand und vollig unzureichend. Da keine anderen Arbeitskrafte fur die Instandsetzung zur Verfugung stehen und mir Lord Hood volle Entsche i-dungsgewalt ubertragen hat, beabsichtige ich, einen Teil des Straflingstransports, namlich die Belegschaft des Transports Justice, dazu zu verwenden, und unterstelle diese hiermit meinem Kommando.»
        Wieder einmal hatte Pomfret ganz klar erkennen lassen, da? ihm der Verbrauch von Menschen weniger bedeutete als etwa der von Segeltuch oder Spieren.

«Darf er denn das?«fragte Leach eindringlich.»Ich meine - ist es legal?»

«Vielleicht gibt es ein paar Anfragen im Parlament, Leach. Aber vermutlich kummert sich kein Mensch darum. Manche werden der Ansicht sein, da? ein Transport von Verbrechern das Land schon zu viel Geld kostet, besonders jetzt, da wir wieder im Kriege mit Frankreich sind. Diese Leute werden es fur durchaus vernunftig halten, da? die Straflinge ihre Uberfahrt sozusagen abarbeiten.»
        Jedoch Leach war eigensinnig.»Aber Sie - halten auch Sie es fur richtig?»
        Bolitho verschrankte die Finger unterm Tisch.»Das geht Sie nichts an, Leach!«Er sprach scharfer als beabsichtigt und wu?te, da? Leach seine innere Unsicherheit daran so deutlich erkannte, als hatte er seine wahren Gedanken laut ausgesprochen.
        Tudor sah zu Boden.»Wenn das so ist.»
        Auf einmal wurde Bolitho wutend.»Wenn das so ist, dann wollen wir die Sache unverzuglich in Angriff nehmen, nicht wahr, Tudor?»

«Soll ich den Kapitan der Justice informieren, Sir? «versuchte Leach die Spannung zu lockern.»Er ist ein schwieriger Mann und hat fur die Marine nicht viel ubrig.»

«Ich werde es ihm selbst sagen«, erwiderte Bolitho und schritt zum Fenster.»Keine angenehme Aufgabe.»
        Leach wechselte das Thema:»Ich hore, Sie brauchen einen Ersten Offizier, Sir? Mein eigener ist ein guter Offizier, bei dem langst ein Avancement fallig ware.»
        Bolitho starrte zum Straflingsschiff hinuber, als sahe er es zum erstenmal.»Danke, Leach, das ist anstandig von Ihnen. Sowohl mir gegenuber als auch Ihrem Leutnant, den Sie vermutlich nicht gern verlieren wurden. «Er schuttelte den Kopf.»Aber damit mussen wir noch eine Weile warten. Der Wind krimpt die ganze Zeit und frischt immer mehr auf. Wir mussen bald weg, sonst kommen wir nicht mehr raus und mussen den Sturm auf Reede abwettern.»
        Leach nickte.»So weht es schon seit Tagen vom Atlantik. «Er stand auf und griff nach seinem Hut.»Ich bin ganz Ihrer Meinung. Wir mussen moglichst bald in See gehen.»
        Bolitho geleitete die beiden Offiziere an Deck. Als sie in ihren Booten waren, befahl er:»Meine Gig, bitte! Ich will zur Justice hinuber.»
        Am kurzen Blickwechsel seiner Offiziere merkte er, da? sie ganz genau wu?ten, was vor sich ging. Neuigkeiten liefen auf irgendwelchen geheimnisvollen Wegen schneller von einem Schiff zum anderen als durch das ausgeklugeltste offizielle Signalsystem.

«Haben Sie Befehle, Sir?«fragte Rooke.

«Besorgen Sie mittlerweile so viel frisches Obst, wie die Boote tragen konnen. Aber um acht Glasen gehen wir ankerauf, verstanden?»
        Damit kletterte er ins Boot und wickelte sich in seinen Mantel, als wolle er seine Gedanken vor den Blicken der neugierigen Matrosen verbergen.

«Ablegen! Zu-gleich!«blaffte Allday. Leise sagte er uber Bo-lithos Schulter: Komischer Name fur 'n Straflingsschiff, Sir.[Justice = Gerechtigkeit] Aus dem Bodmin-Gefangnis sind ein paar Leute deportiert worden, die haben blo? mal 'n Brot gestohlen. Ist das vielleicht Gerechtigkeit!»
        Bolitho duckte sich vor dem Spruhwasser, das wie Hagel uber ihn wegpeitschte. Seltsam, da? Allday und seinesgleichen, die selber gewaltsam zur Marine gepre?t worden waren, so viel Mitgefuhl fur diese Leute, aber keines fur ihre Kameraden empfanden, die wie sie selbst Heimat und Familie entrissen worden waren. Doch genau wie Allday wu?te er, da? es da Unterschiede gab; und auch wenn er sich nicht daran storen durfte, wurden sie ihm doch standig bewu?t bleiben.

«Boot ahoi!«ertonte eine grobe Stimme vom verwitterten Deck des Transporters herab.
        Laut und deutlich antwortete Allday:»Kommandant Seiner Majestat Linienschiff Hyperion kommt an Bord!»
        Bolitho erschauerte unter seinem Mantel. Die Justice stank nach menschlichem Zerfall, nach Verwesung.



        VIII Passagier an Bord

        Kapitan Hoggan von der Justice stand mit verschrankten Armen mitten in seiner unordentlichen Kajute und betrachtete Bolitho unverhohlen amusiert. Er war ein muskuloser Mann mit dickem, ungekammtem Haar; sein schwerer Rock, der fur den Nordatlantik besser geeignet gewesen ware, sah aus, als hatte er darin geschlafen.

«Wenn Sie dachten, ich hatte was dagegen, haben Sie sich getauscht. «Er deutete auf eine Schnapsflasche.»Mochten Sie ein Glas, bevor Sie gehen?»
        Bolitho blickte sich in der Kajute um. Seekisten und Gepackstuk-ke aller Art turmten sich an den Wanden; es gab auch ein blankes Gestell mit Musketen und Pistolen. Wie kam ein ehrlicher Seemann dazu, so einen Posten anzunehmen? Ein Schiff zu befehligen, das sein Geld verdiente, indem es eine elende Menschenfracht nach der anderen transportierte? Wahrscheinlich enthielten diese Kisten die personliche Habe von Straflingen, die wahrend der Uberfahrt gestorben waren. Bei diesem Gedanken verging Bolitho der Durst.»Nein, Captain, ich trinke nicht«, erwiderte er kalt.

«Wie Sie wollen. «Die enge Kajute roch auf einmal nach Rum, denn Hoggan schenkte sich ein gro?es Glas randvoll.»Was ist schon dabei?«fragte er.»Auf Ihren Befehl bringe ich also dieses Mistpack nach Cozar. Was danach kommt, ist Pomfrets Problem. «Er kniff ein Auge zu.»Fur mich ist das eine kurze Reise - und dann ab nach Hause, zum selben Preis. Viel besser, als monatelang auf See zu liegen und dann in der Botany Bay!»
        Trotz der dumpfen Hitze in der Kajute erschauerte Bolitho.»Schon. Sie werden also Anker lichten, sobald ich signalisiere. Richten Sie sich nach allen Anweisungen, die Sie von meinem Schiff bekommen, und halten Sie immer Ihre Station!»
        Hoggans Miene wurde harter.»Meine Justice ist kein Kriegsschiff!»

«Sie steht jedenfalls unter meinem Befehl. «Bolitho versuchte, die Verachtung zu unterdrucken, die er fur diesen Mann empfand. Er blickte auf seine Taschenuhr. Jetzt seien Sie so gut und lassen Sie die Gefangenen antreten. Ich will ihnen sagen, was geschieht.»
        Hoggan schien protestieren zu wollen. Aber dann grinste er und murmelte:»Das ist ja die Hohe! Warum machen Sie sich diese Muhe mit den Kerls?»

«Tun Sie bitte, was ich sage!«befahl Bolitho mit abgewandtem Blick.»Die Leute haben wenigstens das Recht, zu erfahren, was aus ihnen wird.»
        Hoggan stapfte hinaus; Minuten spater horte Bolitho drau?en Befehlsgebrull, dann stand Hoggan wieder in der Kajutentur und verbeugte sich ironisch.»Die Gentlemen sind bereit, Captain!«meldete er mit breitem Grinsen.»Ich mu? fur ihr rauhes Au?ere um Entschuldigung bitten, aber sie haben den Besuch eines Offiziers des Konigs nicht erwartet!»
        Bolitho warf ihm nur einen kalten Blick zu und trat auf das windgepeitschte Deck hinaus. Schmale Wolkenfetzen jagten hoch oben uber die kreisenden Mastspitzen, und Bolitho merkte, da? der Wind immer mehr auffrischte.
        Dann blickte er vom Hauptdeck hinunter in die dichtgedrangte Masse der zu ihm emporgerichteten Gesichter. Die Justice war nicht viel geraumiger als eine gro?e Fregatte, doch war ihr Rumpf, wie er wu?te, wesentlich tiefer; bei ihr kam es nicht auf Schnelligkeit an, sondern auf reichlichen Frachtraum. Und doch schien es unwahrscheinlich, da? alle diese zerlumpten, verzweifelten Manner die lange Reise nach Neu-Holland uberlebt hatten, denn das Schiff hatte au?er ihnen noch eine volle Mannschaft und entsprechende Vorrate an Bord. Er musterte die beiden Decksgange: anders als bei einem Kriegsschiff waren sie nicht nur nach au?en, sondern auch nach innen bestuckt; die gefahrlich aussehenden Drehbassen waren nicht nach See, sondern auf die unten versammelten Straflinge gerichtet. Sie waren ganz unterschiedlich gekleidet; vom feinen, aber verschmutzten Wollstoff bis zu stinkenden Gefangnislumpen war alles vorhanden; hier und da fiel ein ehemals farbenprachtiges Gewand auf und machte das Bild noch fremdartiger. Durch Habgier oder Ungluck entwurzelt, standen sie jetzt stumm auf dem schwankenden Deck. In
ihrem Gesichtern waren alle moglichen Gefuhle von angstlicher Erwartung bis zur stumpfen Verzweiflung zu lesen.
        Einige Wachtposten auf den Decksgangen trugen Peitschen, die sie geubt gegen ihre Stiefel schnippen lie?en, wahrend sie darauf warteten, da? Bolitho endlich seine Rede hielt und sich dann um seine eigenen Angelegenheiten kummerte.
        Lernten die Menschen denn nie aus fruheren Ereignissen? fragte sich Bolitho. Sinnlose Brutalitat hatte mit vernunftiger Ordnung und Disziplin nichts zu tun. Erst vor einem knappen Jahr waren einige Meuterer der Bounty, die das Pech gehabt hatten, erwischt zu werden, in Portsmouth vor den Augen der ganzen Flotte an den Rahen gehenkt worden; und doch interessierten sich manche Leute mehr fur Bestrafung als fur die Frage, wie man Meutereien verhindern konnte.

«Ich werde euch nicht lange aufhalten. «Bolithos Stimme ubertonte ohne Anstrengung das Knarren der Spieren und Blocke.»Ich bin nicht hier, um euch zu richten oder zu verurteilen. Das haben bereits andere getan. Ich habe euch nur zu eroffnen, da? euer Transport nach Neu-Holland verschoben worden ist. Fur wie lange, das kann ich jetzt noch nicht sagen. «Nun horten alle mit hochster Spannung zu.»Dieses Schiff segelt im Geleitzug nach der Insel Cozar, die etwa sechshundert Meilen entfernt ist. Dort werdet ihr durch eure Arbeit einen Beitrag im Kampf gegen die Feinde unseres Vaterlandes leisten!»
        Wie ein einziger Seufzer stieg es von den dichten Reihen hoch; und als Bolitho, verwundert uber diese Reaktion, Hoggan anblickte, sagte der gleichgultig:»Manche hatten Frauen und Kinder dabei. «Er deutete unbestimmt nach Lee.»Die sind schon mit dem Hauptkonvoi vorausgesegelt.»
        Angewidert von Hoggans Gleichgultigkeit und entsetzt daruber, was seine Worte fur die Straflinge bedeuteten, starrte Bolitho hinunter. Er hatte daran denken mussen, da? Manner und Frauen auf verschiedenen Schiffen transportiert wurden - eine durchaus zweckma?ige Ma?nahme. Aber er hatte diese Menschen nur als gesichtslose Wesen gesehen; da? manche auch Familie hatten, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Und da tonte auch schon eine Stimme zu ihm empor:»Aber meine Frau, Sir! Was soll sie ohne mich anfangen?»

«Halt's Maul, du verrotztes Schwein!«brullte Hoggan.
        Bolitho hob die Hand.»Ich will versuchen, darauf zu antworten, Captain. «Zu den Straflingen gewandt, fuhr er fort:»Der Krieg la?t uns in dieser Sache keine Wahl. Meine eigenen Manner haben seit vielen Monaten keinen Fu? an Land gesetzt, manche seit Jahren nicht. Auch sie haben Familien.»
        Der Mann von unten rief dazwischen:»Aber meine Frau ist nicht in ihrer Heimat, sondern weit weg, irgendwo da drau-?en…«Unvermittelt schien der Armste den ganzen Schrecken des Begriffs Deportation zu erfassen.
        Bolitho sprach weiter:»Ich werde fur euch tun, was ich kann. Wenn ihr gute Arbeit leistet und gehorcht, wird sich das bestimmt zu euren Gunsten auswirken. Strafnachla? oder Aufhebung des Urteils liegen durchaus im Bereich der Moglichkeiten. «Er wollte weg von diesem Elendsschiff, hatte aber nicht das Herz, ihnen einfach den Rucken zu drehen und sie ihrer Verzweiflung zu uberlassen.»Denkt immer daran: Wer oder was ihr auch sein mogt, Englander seid ihr alle und steht einem gemeinsamen Feind gegenuber.»
        Er brach ab, denn Allday sagte leise:»Die Boote der Hyperion kommen zuruck, Captain. Mr. Rooke macht sich wohl Sorgen wegen dem Wind.»
        Bolitho nickte und wandte sich an Hoggan.»Sie konnen klarmachen zum Ankerlichten. Wir segeln sofort. «Er sah noch, wie die Masse der emporgewandten Gesichter in kleine ratlose Gruppen auseinanderbrach, und fuhr eindringlich fort:»Versuchen Sie, ihnen das Leben nicht noch schwerer zu machen, Captain.»
        Mit offenkundiger Feindseligkeit sah Hoggan ihn an.»Wollen Sie mir etwa Befehle erteilen, Sir?»

«Da Sie es so ausdrucken - ja!«Bolithos Augen wurden kalt und hart.»Und ich mache Sie personlich dafur verantwortlich. «Ohne ein weiteres Wort schritt er hinter Allday her.
        Wahrend die Gig tapfer einen immer heftiger werdenden Tanz mit den wei?bemutzten Wellen austrug, starrte Bolitho zur Hyperion hinuber und dachte uber die Wandlung, die er - so kam es ihm jedenfalls vor - wahrend seines kurzen Besuchs auf der Justice durchgemacht hatte. Er wu?te, da? es auf Tauschung beruhte, aber nach der Atmosphare von Hoffnungslosigkeit und Verfall auf dem Straflingsschiff kam ihm die Hyperion wie eine vergleichsweise heile Welt vor. Beim Anblick ihrer hohen, gischtuberspruhten Bordwand und der zweckma?igen, zielstrebigen Arbeit der Manner wurde er ruhiger; seine durcheinanderwirbelnden Gedanken beruhigten sich. Schnell kletterte er durch die Pforte und passierte, indem er fluchtig an den Hut tippte, die zu seinem Empfang angetretene Abteilung. Er befahl Leutnant Inch:»Sofort Boote einholen und festmachen! Und melden Sie Vollzug!«Dann erst hatte er das vage Gefuhl, da? irgend etwas nicht stimmte. Normalerweise hatte er das sofort gemerkt, aber er hatte zu lebhaft an die Straflinge gedacht. Inch starrte nach achtern; er folgte seinem Blick und begriff, warum der Leutnant so
nervos war.
        Allday, der eben durch die Fallreepspforte kletterte, konnte sich nicht enthalten auszurufen:»Na so was! Ein Frauenzimmer auf dem Achterdeck!»
        Mit erzwungener Ruhe und gefahrlich leise fragte Bolitho:»Wollen Sie bitte so freundlich sein und mir erklaren, was das zu bedeuten hat, Mr. Inch?»
        Der Leutnant schluckte verlegen.»Sie kam in einem Boot an Bord, Sir. Von der Festung. Sie hat einen Brief..»
        Bolitho schob ihn beiseite.»Ich werde das selbst in Ordnung bringen, da Sie ja anscheinend den Verstand verloren haben!«Mit langen Schritten ging er nach achtern und die Decksleiter hinauf; er hatte Herzklopfen vor Arger.
        Da stand, stirnrunzelnd und nervos, Leutnant Rooke, und neben ihm Midshipman Seton, der merkwurdigerweise trotz des Captains gefahrdrohender Miene lachelte.
        Dann erst sah er das Madchen. Es trug ein grunes Samtkleid, zu dem ein breiter spanischer Sonnenhut, mit rotem Band unterm Kinn festgebunden, stark kontrastierte. Sie bemuhte sich, den Hut in der steifen Brise festzuhalten und gleichzeitig zu verhindern, da? ihr das lange Haar ums Gesicht peitschte.

«Wollen Sie mir dafur bitte eine Erklarung geben?«fragte Bo-litho, gereizt von einem zum andern blickend.
        Rooke setzte zum Sprechen an, aber das Madchen sagte gelassen:»Ich bin Cheney Seton, Captain, und habe fur Sie einen Brief von Sir Edmund Pomfret. «Sie fuhr mit der Hand in eine Rocktasche und brachte ein Kuvert zum Vorschein; dabei blickte sie fest in Bolithos argerliches Gesicht. Ihre gro?en Augen waren so blaugrun wie die See, ratselhaft und sehr ernst; auch ihre Stimme verriet nichts uber ihre Gedanken und Gefuhle. Etwas ratlos nahm Bolitho den Brief entgegen; er hatte den Sinn ihrer Worte nicht gleich erfa?t.

«Seton, sagten Sie?»

«S-Sir, sie ist m-meine Schwester. «Midshipman Seton verstummte unter Bolithos kaltem Blick.
        Unbewegt fuhr das Madchen fort:»Tut mir leid, wenn ich Ihnen Ungelegenheiten verursache, Captain. «Sie deutete auf ein Haufchen Gepack.»Aber wie Sie sehen, liegt hier kein Irrtum vor.»
        Bolitho sah Seton streng an.»Wu?ten Sie davon, Mr. Seton?»

«Er hat nichts gewu?t. «Sie sprach mit einer gewissen Scharfe, und ware Bolitho nicht so wutend gewesen, hatte er vielleicht gesehen, da? sie sich kaum noch beherrschen konnte.»Ich war beim Geleitzug nach Neu-Holland. «Sie zuckte die Achseln, als sei das jetzt unwichtig.»Nun soll ich mit Ihnen zu dieser Insel segeln.»

«Wollen Sie mich bitte nicht unterbrechen, Miss, ah, Seton, wenn ich mit einem meiner Offiziere spreche!«Bolitho war bereits etwas unsicher geworden; aus dem Augenwinkel sah er ein paar neugierige Matrosen unterhalb des Achterdecks.
        Ebenso scharf wie er erwiderte sie:»Dann wollen Sie bitte nicht von mir sprechen, als sei ich ein Stuck Inventar Ihres Kanonenboots, Captain!»
        Dalby, der Dritte Offizier, der sich in Horweite befand, sagte hilfsbereit:»Das ist kein Kanonenboot, Miss. >Linienschiff< hei?t das bei der Marine.»
        Jetzt brullte Bolitho los:»Und wer hat Sie gefragt, Mr. Dalby?«Wutend fuhr er herum.»Mr. Rooke, bitte lassen Sie >Klar zum Ankerlichten< pfeifen, und geben Sie die entsprechenden Signale an den Geleitzug!«Dann wandte er sich wieder Miss Seton zu. Jetzt lie? sie die Arme hangen, denn anscheinend machte es ihr nichts mehr aus, da? ihr Haar, tief kastanienbraun, wie er feststellte, vom Wind gezaust wurde.

«Wenn Sie mitkommen wollen, Miss Seton, kann ich mir diese Geschichte etwas ausfuhrlicher anhoren.».
        Allday und Gimlett eilten voraus, und Bolitho folgte ihnen mit dem Madchen den Kampanjeniedergang hinunter. Es war schlank und trug den Kopf trotzig hoch. Dieser verdammte Pomfret soll zur Holle fahren, dachte er wutend. Warum hatte er ihm nichts von diesem Madchen gesagt? Schlimm genug, da? er die Hyperion zu einer Zeit, in der es durchaus zum Kampf kommen konnte, uberhaupt nach Gibraltar geschickt hatte. Aber dann noch Setons Schwester vorzufinden und sie wie ein weiteres Stuck von Pomfrets
        Privatgepack mitnehmen zu mussen, war beinahe mehr, als er ertragen konnte.
        Sie trat in die Kajute und blickte sich mit der gleichen ernsthaften Aufmerksamkeit um wie vorhin an Deck. Etwas ruhiger begann Bolitho:»Und nun konnen Sie mir die Sache vielleicht erklaren?»

«Haben Sie etwas dagegen, da? ich mich setze, Captain?«fragte sie und blickte ihn gelassen an.

«Bitte sehr. «Bolitho ri? den Brief auf und trat damit zum Fenster. Da stand es. So weit, so gut. Schlie?lich sagte er:»Ich wei? immer noch nicht, warum Sie nach Cozar wollen.»

«Und ich wei? nicht, ob Sie das etwas angeht, Captain. «Sie fa?te die Armlehnen ihres Sessels fester.»Aber da es bald allgemein bekannt sein wird - ich reise nach Cozar, um Sir Edmund Pomfret zu heiraten.»
        Bolitho starrte sie sprachlos an.»Ach so«, sagte er endlich.»Verstehe.»
        Sie lehnte sich im Sessel zuruck; mit ihrem Trotz war es offensichtlich vorbei. Das glaube ich kaum«, erwiderte sie mude.»Aber wenn Sie mir freundlicherweise sagen wollen, wo ich wohnen kann, werde ich mir Muhe geben, Ihnen aus dem Weg zu gehen.»
        Bolitho sah sich ratlos um.»Hier. Ich lasse mir im Kartenraum ein Bett aufstellen. Hier haben Sie Platz genug.»
        Sekundenlang hatten ihre Augen einen Ausdruck, als amusiere sie sich heimlich. Wenn Sie meinen, Captain?»
        Jetzt kam Allday - fur Bolitho wie der Strohhalm eines Ertrinkenden.»Bringen Sie meine Sachen in den Kartenraum, Allday! Ich will mich sofort umziehen - meine Alltagsgarnitur!«Zum Teufel mit dem Madchen, dachte er; es macht sich uber mich lustig, weil ich mich wie ein Narr anstelle.»Also holen Sie Gimlett, und sagen Sie ihm Bescheid!»
        Allday warf einen raschen Blick auf das Madchen im Sessel. Doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Er sagte nur:»Sieht nach einer steifen Brise aus, Captain. «Damit verschwand er.
        Ein paar Minuten spater kam Bolitho aufs Achterdeck, und die Unterhaltung der Offiziere verstummte wie abgeschnitten, als hatte er sie angebrullt.
        Rooke meldete:»Transporter haben Anker kurzstag, Sir. «Er nahm sich machtig zusammen; wahrscheinlich, dachte Bolitho, freut es ihn wenig, das Schiff unter dem Teleskop jedes Kapitans in Gibraltar aus dem Hafen segeln zu mussen. Bolitho hatte seinen kleinen grausamen Spa? daran.»Schon, Mr. Rooke«, sagte er kurz,»setzen Sie Segel, bitte. «Gossett blickte wie ein trauriger Bullenbei?er heruber.»Stecken Sie einen Kurs in Luv der Landspitze ab, Mr. Gossett, und stellen Sie zwei gute Manner ans Ruder. «Er konnte sich nur mit Muhe beherrschen, so argerlich war er, als er an der Reling Aufstellung nahm und den Blick langsam uber sein Schiff schweifen lie?. Die Manner standen schon an den Speichen des Ankerspills, die Seesoldaten an den Brassen, die Toppgasten warteten auf den Befehl zum Aufentern.

«Signal an Geleitzug: >Anker lichten««, befahl er, nahm ein Teleskop zur Hand und beobachtete, wie die Transportschiffe seeklar machten.
        Als die Flaggen hochstiegen, setzte Rooke das Sprachrohr an und brullte:»Klar bei Gangspill!«Tomlin, der Bootsmann, zeigte grinsend seine beiden Hauer und winkte bestatigend mit der Hand. Rooke leckte sich nervos die Lippen.»Setzt Vorsegel! Aufentern und Toppsegel los!»
        Wortlos sah Bolitho zu, als die Toppgasten wie eine menschliche Flutwelle aufenterten, denn die Rohrstocke der Deckoffiziere und Bootsmannsmaaten trieben die Saumigen mit mehr Enthusiasmus an als sonst. Anscheinend spurten sie die Gereiztheit ihres Kommandanten und wollten kein Risiko eingehen.

«Hol' dicht die Brassen!»
        Keuchend vor Anstrengung warfen sich die Manner am Gangspill in die Speichen; der machtige Anker ri? sich aus dem Schlick und Sand des Hafens, schwerfallig legte sich die Hyperion in die starker auffrischende Brise. Dann traf sie die volle Kraft des Windes, sie krangte noch mehr, die Matrosen auf den Rahen kampften mit Handen und Fu?en, um die gro?en Bauche der sich unter ihnen entfaltenden Segel zu bezwingen. Mehr und mehr nahm die Hyperion Fahrt auf, die Rahen spannten sich knarrend wie riesige Bogen. Die Ankermannschaft verkattete flink den Anker, dann pflugte die Hyperion, schon auf Kurs, durch die Gischt stiebenden Wellen; und die Zuschauer an der Kuste sahen sie ihres stolzen Namens wurdig.

«Alle Schiffe sind Anker auf, Sir«, meldete Caswell.

«Recht so. Signalisieren Sie: >Auf Station wie befohlen<. «Er zog sich den Dreispitz fest in die Stirn und blickte zum Wimpel empor. Der stand steif wie ein Speer.

«Neues Signal: >So viele Segel wie moglich setzen<. «Nur nicht gleich zu viel signalisieren, dachte er grimmig. Spater wurde er noch Veranlassung genug haben, die Saumigen anzutreiben.
        Wie ein Terrier hinter den Bullen uberholte die winzige Schaluppe Snipe unter geschwelltem Gro?segel das vorderste Transportschiff. Ihr Platz war an der Spitze des Konvois. Die Hyperion und die Fregatte wurden in Luv bleiben, in diesem Falle also achteraus; so hatten sie die Moglichkeit, jederzeit schnell vorzusto?en, wenn sie ihr Geleit verteidigen mu?ten.
        Bolitho musterte die Harvester im Teleskop: ihr schlanker Bug stieg und fiel kraftvoll und grazios wie ein schones starkes Raubtier mit den nun anrollenden gro?en Hochseewellen. Die Hyperion schob in diesem Seegang nur lassig ihre machtige Schulter vor und hullte sich dann in Gischt wie in ein Tuch. Bei dem achterlichen Wind arbeitete das Deck in stetigem Stampfen; die Luft daruber war erfullt vom Jaulen der Takelage und dem alles beherrschenden Schlagen und Rauschen der Segel, in denen die Matrosen, von unten winzig anzusehen, immer noch kampften, um entsprechend Bolithos jungstem Befehl mehr Segel zu setzen.
        Auf einmal fiel ihm die Frau wieder ein, die dort unten in seiner Kajute sa?. Ihretwegen war er so gereizt. Aber dann sah er Gossetts besorgtes Gesicht und sagte:»Wir mussen wahrscheinlich bald reffen, Mr. Gossett, aber erst einmal wollen wir den Wind ausnutzen, damit wir moglichst rasch von Land freikommen. «Der Master nickte sichtlich erleichtert. Vermutlich begriff er besser als mancher andere an Bord, da? es keinen Sinn hatte, ein Schiff bis zum Mastbruch zu segeln, blo? damit der Kommandant seinen Arger abreagieren konnte.
        Starke und Richtung des Windes blieben fast gleichma?ig gunstig bis zum vierten Tag nach Gibraltar. Bis dahin war das Geschwader gut 420 Meilen gesegelt. An Bord der Hyperion konnte sich niemand an eine so schnelle Reise erinnern. Es hatte kaum Zwischenfalle gegeben. Gegen Abend des vierten Tages scho? der Wind plotzlich nach Nordosten aus und flaute etwas ab. Bolitho fand jedoch, als er an der Luvseite des Achterdecks stand und die prachtvolle, kupferrot glanzende untergehende Sonne bewunderte, er konne zufrieden sein. Die Schiffe waren gut zusammengeblieben; sogar jetzt konnte er, wenn er uber den stampfenden Bug nach vorn blickte, die Rumpfe der Transporter in dem seltsamen Licht so aufglanzen sehen, als waren sie aus poliertem Metall. Das gro?te Schiff, die Erebus, fuhrte; ihr folgte in angemessenem Abstand als zweite die Vanessa. Beide waren gutgefuhrte Schiffe, und wie sie da im schwindenden Sonnenlicht glanzten, sahen sie mit ihren aufgemalten falschen Stuckpforten und der straffen Takelage tatsachlich wie Kriegsschiffe aus. Nach ihnen kam die Justice. Ihr Rumpf war von stumpfem Schwarz,
denn sie lag schon im Schatten. Ihre Matrosen arbeiteten noch in der Takelage, um wie auf den anderen Schiffen die Segel fur die Nacht zu kurzen.
        Das Sausen des Windes im Rigg wurde unvermittelt ubertont von Gelachter aus der Offiziersmesse. Vermutlich, dachte Bolitho, nutzten die Leutnants ihre Freiwache und die seltene Gelegenheit, eine Dame zu bewirten, nach besten Kraften aus.
        Er verschrankte die Hande auf dem Rucken und nahm seinen Spaziergang langs der Luvreling wieder auf, wobei ihm die beiden Rudergasten und Dalby, der Wachoffizier, interessiert zuschauten. Letzterer hatte sich diskret nach Lee verzogen.
        Merkwurdig, wie Cheney Seton das ganze Schiff im Sturm erobert hatte. Obwohl sie sich immer nur kurze Zeit bei der Kampan-je aufhielt, fanden sich jedesmal eine ganze Anzahl Matrosen ein, die dort eigentlich gar nichts zu suchen hatten, und lachelten ihr freundlich zu - oder starrten sie auch blo? an wie eine Erscheinung.
        Gimlett war naturlich in seinem Element. Wie eine Gluckhenne bemutterte er Cheney Seton und schutzte sie gegen jeden Eindringling energischer, als Bolitho es ihm je zugetraut hatte. Und sie hielt ihr Wort. Sie ging Bolitho aus dem Weg und tat nichts, was sie auch nur von fern mit der Schiffsfuhrung in Konflikt bringen konnte.
        Je heftiger ihm die Gedanken durch den Kopf schossen, um so schneller wurden auch seine Schritte; denn ihm war wieder einmal klar geworden, da? Miss Seton es gerade durch ihre Zuruckhaltung erreicht hatte, nicht sich, sondern ihn zu isolieren, und zwar noch starker als sonst. Vielleicht war sie nur aus diesem Grund Inchs
        Einladung zum Dinner in der Offiziersmesse gefolgt. Halb und halb hatte Bolitho erwartet, ebenfalls eingeladen zu werden, aber das hatten sie nicht getan. Wie er auf dem immer dunkler werdenden Deck auf und ab ging und dem Klatschen seiner Schuhsohlen auf den Planken lauschte, hoffte er fast, da? irgend etwas Unvorhergesehenes, etwa ein Windwechseln eintreten moge, damit er» Alle Mann
«pfeifen lassen und die frohliche Gesellschaft dort unten storen konnte. Jedesmal, wenn er sich in seinem engen Kartenraum zur Ruhe begab, konnte er sich kaum an den Gedanken gewohnen, da? das Madchen nur ein paar Fu? von ihm entfernt schlief oder in seiner eigenen Kajute speiste, wahrend er sich verkroch wie ein unartiger Schuljunge. Noch seltsamer war, da? er auch nach vier Tagen kaum mehr von ihr wu?te, als in der Minute, als sie an Bord gekommen war. Was er uber sie gehort hatte, waren Informationen aus dritter oder vierter Hand, und um so ratselhafter, weil sie unvollstandig waren. Der Steward des Midshipmanlogis hatte Mids-hipman Piper seinem Kameraden Caswell erzahlen horen, was Seton ihm uber seine Schwester anvertraut hatte. Der Steward hatte es naturlich Gimlett weitererzahlt, der mit sichtlichem Widerstreben und nur unter Prugelandrohung einiges davon Allday enthullt hatte. Und dieser wiederum hatte, etwa wahrend Bolitho sich rasierte oder er ihm, wenn das Schiff mitten in der Nacht in eine heftige Bo geriet, in seinen schweren Bordmantel half, beilaufig daruber gesprochen. Bolitho hatte es
ebenso beilaufig zur Kenntnis genommen und somit nicht nur Zeit gespart, sondern auch das Gesicht gewahrt.
        Als er jetzt an Deck hin und her ging, das Kinn tief im Schal vergraben, machte er sich im Geist ein Bild von dem Madchen, das Pomfrets junge Frau werden sollte. Cheney zahlte sechsundzwanzig Jahre und war bis vor kurzem in Pomfrets Londoner Haus als eine Art Haushalterin tatig gewesen. Das war Bolitho im ersten Moment ziemlich verdachtig vorgekommen, doch nach Alldays Angaben hatte Pomfret es zum beiderseitigen Vorteil so arrangiert, damit sie ihren kranklichen Vater pflegen konnte, der aus irgendeinem Grund, den Bolitho nicht erfuhr, in diesem Hause wohnte, als sei es sein eigenes. Ihr Vater war jetzt tot, und sie hatte auf der ganzen Welt nur noch ihren Bruder. Ihre Mutter war bei einem Aufstand auf Jamaika umgekommen; revoltierende Sklaven hatten die Setonsche Farm uberfallen, mehr weil sie in ihrem Weg lag, als aus irgendeinem besonderen Grund. Bolithos Stirnrunzeln vertiefte sich. Das war interessant. Pomfret war damals einem vor Jamaika operierenden Geschwader zugeteilt gewesen und wahrscheinlich irgendwie mit den Setons bekanntgeworden; zumindest in jenen Tagen mu?te die Familie des
Madchens ziemlich wohlhabend und einflu?reich gewesen sein. Aber was danach geschehen war, daraus wurde Bolitho nicht ganz klug. Nur eines war klar: ihre trotzige Haltung, die er zunachst fur angeborene Arroganz gehalten hatte, war lediglich Notwehr. Es konnte nicht leicht fur sie gewesen sein, allein in London zurechtzukommen. Ein letztes Stuckchen Information hatte ihm Allday erst heute fruh verpa?t: Pomfret hatte die Vormundschaft uber Midshipman Seton ubernommen. Anscheinend lag dem Admiral sehr viel daran, seine Position bei dem Madchen zu starken, dachte Bolitho.
        Leutnant Dalby kam uber das stockdunkle Deck und fa?te an den Hut.»Alle Lampen brennen vorschriftsma?ig«, meldete er.
        Bolitho blieb stehen und suchte die langsamen Transporter mit den Augen. Jeder fuhrte eine einzelne Laterne, und so waren sie auch wahrend der Nacht untereinander standig in Sichtkontakt. Es war seine Idee gewesen, und auch er hatte es schon als ubertriebene Vorsicht empfunden. Andererseits hatte die Schaluppe Snipe, dem Konvoi weit voraus wie ein stobernder Terrier, nachmittags signalisiert, da? sie im Sudwesten ein unbekanntes Segel ausgemacht hatte. Es war seitdem nicht wieder gesichtet worden, aber man mu?te vorsichtig sein. Wahrscheinlich ein spanischer Kauffahrer, dachte er, obwohl der Geleitzug ziemlich weit drau?en stand, uber sechzig Meilen vom nachsten Land entfernt. Immerhin waren sie im Golf von Valencia und kamen mit jedem Tag der franzosischen Kuste naher.

«Recht so, Mr. Dalby. «Er hatte wenig Lust, sich mit dem Dritten zu unterhalten, der zu leicht ins Schwatzen kam, wenn man ihm Gelegenheit dazu gab. Doch Dalby sprach schon weiter:»Wenn sich das Wetter halt, sind wir in funf Tagen vor Cozar, Sir. «Er schlug laut die Hande zusammen, denn nach des Tages Hitze war es jetzt empfindlich kalt.»Hoffentlich wird Miss Seton von ihrer neuen Heimat nicht enttauscht sein.»
        Das war auch ein Punkt, uber den sich Bolitho des ofteren Gedanken gemacht hatte. Aber da? dieser Dalby so leichthin daruber redete, versetzte ihn in eine unvernunftige Wut.

«Kummern Sie sich gefalligst um Ihren Dienst, Mr. Dalby«, fuhr er ihn an.»Sie hatten schon langst die Wache herausrufen und die Luvbrassen dichtholen lassen mussen, die schlagen ja wie Glockenseile!»
        Dalby verschwand eiligst, und Bolitho seufzte. Es ging ihn zwar uberhaupt nichts an - aber wie konnte Pomfret ein Madchen nach Cozar holen, in diese sonnengebleichte Holle?
        Am Achterdecksniedergang bewegte sich etwas, und er sah zwei Gestalten an Deck kommen und nach Lee hinubergehen. Die eine war Cheney, fest in ihren langen Mantel gehullt, die Kapuze uberm Haar; die andere war ihr Bruder, der beim Dinner in der Offiziersmesse als Begleitung fungiert hatte; vermutlich war er uber die plotzliche Beliebtheit, die ihm die Anwesenheit seiner Schwester verschaffte, hochst erfreut.
        Seton erblickte den einsamen Bolitho und sagte rasch:»M-mu? gehen. H-hab' in einer Stunde W-wache!«Er verschwand eiligst unter Deck, und das Madchen wandte sich um. Bleich hob sich sein Gesicht vor der dunklen See ab.»Gute Nacht, Captain!«Sie hob fluchtig die Hand und stutzte sich dann gegen den Mast, denn die Hyperion nahm eben wieder eine steil anrollende Welle.»Das war ein sehr netter Abend.»
        Sie wandte sich zur Kampanje, doch Bolitho rief rasch:»Ah - Miss Seton!«Sie hielt inne und drehte sich wieder um.»Ich, ah, fragte mich gerade, ob Sie sich in der Kajute auch wohl fuhlen?»
        In der Dunkelheit leuchtete ihr Lacheln auf.»Danke sehr, Cap-tain, durchaus.»
        Bolitho fuhlte, da? er tatsachlich rot wurde, und geriet in Wut uber seine eigene Dummheit. Was hatte er sich blo? dabei gedacht? Doch sie fuhr gelassen fort:»Fast tut es mir leid, da? wir bald am Ziel sein werden.»
        Zogernd ging Bolitho uber das trennende Deck zu ihr hinuber und sagte:»Daruber habe auch ich mir schon Gedanken gemacht. Cozar ist eigentlich kein passender Ort fur ein Lady.»

«Ich wei?, Captain. «In ihrer Stimme lag weder Zuruckweisung noch Feindseligkeit.
        Dalby kam rasch ubers Deck und starrte die beiden verwundert an.»Brassen zur Nacht gesichert, Sir«, meldete er.
        Wutend fuhr Bolitho herum.»Verschwinden Sie, Mr. Dalby!«knurrte er und wandte sich wieder dem Madchen zu. Es hielt die Hand vor den Mund und schuttelte sich vor unterdrucktem Lachen.»Der Arme! Sie haben ihn zu Tode erschreckt!«Doch gleich nahm sie sich wieder zusammen.»Ich kann mir nicht vorstellen, warum Ihre Leute Sie so mogen. Sie sind doch furchtbar streng!»
        Bolitho wu?te nicht, was er sagen sollte.»Ich wollte ihn nicht. «setzte er an, doch kam er sich so blod vor, da? er mit verlegenem Grinsen abbrach.»Bitte um Entschuldigung, Miss Seton«, brachte er schlie?lich zustande,»ich will versuchen, mich zu bessern.»
        Sie nickte nur.»Dann gehe ich jetzt in meine Kajute, Captain«, sagte sie.
        Bolitho folgte ihr einen halben Schritt.»Vielleicht konnten wir gelegentlich zusammen essen?«Er war furchtbar verlegen, und um es noch schlimmer zu machen, war er sich dessen auch bewu?t.»Vielleicht noch bevor wir in Cozar sind?»
        Einen gra?lichen Augenblick dachte er, sie wurde ihren Sieg dadurch kronen, da? sie so tat, als habe sie nichts gehort. Doch dann blieb sie, anscheinend nachdenklich, neben dem Ruder stehen.»Das ware sehr nett, Captain. Ich will es mir morgen uberlegen. «Und damit verschwand sie. Mit Augen, die wie helle Glasmurmeln glitzerten, starrten die beiden Rudergasten ihren vollig verwirrten Kommandanten an.
        Bolitho war das gleichgultig. Er freute sich uber alle Ma?en; und was irgendeiner seiner Leute von ihm denken mochte, kummerte ihn in diesem Moment merkwurdigerweise uberhaupt nicht.
        Am nachsten Morgen war Bolitho schon sehr fruh auf und hatte sich besonders sorgfaltig rasiert und gekleidet. Das war allerdings nichts Ungewohnliches; denn obwohl er Sonnenuntergange auf See liebte, faszinierte und belebte ihn die Morgenfruhe noch mehr. Die Luft atmete sich frischer, und die See war in der bleichen Morgensonne noch ohne jede Bosartigkeit.
        Er ging aufs Achterdeck und postierte sich an der Reling. Geschaftig liefen die Matrosen auf dem Oberdeck hin und her, arbeiteten mit Schwabber und Bimsstein und ubertonten mit ihren vergnugten Zurufen das stete Klappern der Lenzpumpe.
        Rooke hatte, wahrend Bolitho sich rasierte, um Erlaubnis ersucht, die Bramsegel zu setzen, und der Anblick der schimmernd wei?en Leinwand hoch oben erfullte ihn gerade heute mit besonderer Freude. Uberhaupt war er hochzufrieden. Das Schiff benahm sich ausgezeichnet, und die Manner waren viel vergnugter als fruher. Beim Gedanken an den Vorabend empfand er allerdings kurz eine schmerzliche Ungewi?heit. Das Madchen wurde das Schiff sehr bald verlassen. Hoffentlich ging diese neue Atmosphare von Kameradschaft und Zusammengehorigkeit nicht mit ihm von Bord.
        Aber er wu?te genau, da? er mit diesen Uberlegungen nur seine eigenen Gefuhle erforschte. Ware er noch im Zweifel gewesen, so hatte ihm der plotzliche Schmerz beim blo?en Gedanken, sie zu verlieren, die richtige Antwort gegeben. Es war naturlich absolut lacherlich. So oder so, in Kurze war sie Frau eines Admirals, und zweifellos wurde Pomfret seinen Einflu? zu nutzen wissen und alsbald seine Flagge in angenehmerer Umgebung hissen.
        Hinter ihm murmelte Gossett einen Gru?, und als Bolitho sich umwandte, sah er Cheney langsam auf die Reling zuschreiten, das Gesicht dem noch dunstigen Sonnenlicht zugewandt. Schon als sie an Bord kam, war sie sonnengebraunter gewesen als bei jungen Damen ublich; seit er wu?te, da? sie auf Jamaika aufgewachsen war, wunderte ihn das nicht mehr. Und die Tage auf See hatten ihrer Braune einen wunderschonen Goldton verliehen; er empfand ihren Anblick, als sie so dastand und die milde Morgensonne geno?, als au?erordentlich herzbewegend.
        Verlegen lachelnd luftete er seinen Dreispitz.»Guten Morgen, Miss Seton. Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?«Er sprach lauter als beabsichtigt, und ein Schiffsjunge neben dem Neunpfunder erstarrte uber seinem Bimsstein und glotzte zu ihm empor.

«Sehr gut, Captain«, lachelte sie.»Besser als seit Tagen.»

«Ah - na, fein. «Er kummerte sich nicht um die neugierigen Matrosen am Ruder.»Wie Sie sehen, halt sich der Geleitzug gut, und auch der Wind benimmt sich sehr anstandig.»
        Sie sah ihn an, und plotzlich wurden ihre Augen ernst.»Dann erreichen wir Cozar also planma?ig?»

«Ja«, nickte er und hatte beinahe hinzugefugt:»Leider. «Er ri? sich zusammen und blickte zum Wimpel empor.»Ich habe dem
        Zimmermann Auftrag gegeben, ein paar Mobel anzufertigen, damit Sie es auf Cozar gemutlicher haben.»
        Sie sah ihn immer noch an, und er spurte, wie ihm die Wangen hei? wurden.»Er hat es selbst vorgeschlagen«, schlo? er verlegen.
        Ein paar Sekunden schwieg sie. Dann nickte sie langsam, und ihre Augen glanzten wieder.»Vielen Dank, Captain. Das war sehr nett von Ihnen.»
        Die Matrosen, die Rudergasten, der Offizier der Wache - alle schienen meilenweit weg zu sein.»Ich wunschte nur, ich konnte mehr fur Sie tun«, antwortete er leise.
        Sie wandte sich ab und blickte auf die See; das lange Haar verbarg ihr Gesicht, und er bekam einen furchtbaren Schreck: Nun war er zu weit gegangen, sie wurde nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen; geschah ihm ganz recht.
        Aber sie sagte nur:»Vielleicht sollten wir lieber nicht mehr zusammen essen, Captain. Vielleicht ware es besser, wenn.»
        Sie brach ab, denn von oben ertonte die Stimme des Ausgucks:»An Deck! Die Snipe geht uber Stag, Sir! Sie hat Signal gesetzt!»
        Diese Meldung ri? Bolitho aus der Niedergeschlagenheit, in die ihn Cheneys Worte versetzt hatten.

«Hinauf mit Ihnen, Mr. Caswell, und stellen Sie fest, was sie will!«Und zu dem Madchen sagte er moglichst ruhig:»Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte keineswegs andeuten, da? ich. «Hilflos suchte er nach Worten.
        Sie wandte sich ihm wieder zu, und er sah, da? sie Tranen in den Augen hatte.»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Captain, glauben Sie mir. Sie haben nichts gesagt, was.»

«An Deck! Signal lautet: Snipe an Hyperion: Fremdes Segel mit Kurs Nordnordwest<«Caswell mu?te schreien, um den Wind zu ubertonen.
        Als Bolitho sich wieder Cheney zuwenden wollte, war sie nicht mehr da. Muhsam sagte er:»Recht so. Signal an Snipe…«Er zog die Brauen zusammen. Jeder Gedanke kostete ihn korperliche Anstrengung.»Signal: >Sofort rekognoszieren!< Und an den Geleitzug: >Segel kurzen<. «Caswell glitt an einem Backstag hinunter und rannte auf Signalstation.
        Bolitho schritt an der Hei?leine vorbei zur Reling. Ein Signalwimpel nach dem anderen wurde aus dem Gestell genommen und glitt schlangengleich zur Rah hinauf. Eine Meile achteraus legte sich die Fregatte Harvester leicht in den Wind, und auf mehr als einem erhobenem Teleskop blinkte die Sonne, als die vielfarbigen, so bedeutsamen Signale sich entfalteten.
        Bolitho bemerkte Rookes erwartungsvollen Blick und befahl:»Nehmen Sie die Royals weg, Mr. Rooke, sonst uberholen wir noch das Geleit.»
        Jedes verfugbare Teleskop war auf das ferne wei?e Federchen gerichtet, als die kleine Schaluppe ihren Kurs anderte und dem Horizont zu segelte. War es wieder einmal falscher Alarm? Aber im Moment konnte Bolitho weder Spannung noch Erleichterung empfinden.
        Die Minuten zogen sich hin. Im Vorschiff wurden acht Glasen angeschlagen: Wachwechsel.
        Allday kam ubers Achterdeck.»Sie haben noch nicht gefruhstuckt, Captain«, sagte er besorgt.

«Hab' keinen Hunger«, erwiderte Bolitho achselzuckend. Er schimpfte nicht einmal mit Allday, weil dieser ihn beim Nachdenken gestort hatte.
        Eine volle Stunde verstrich, bis die Bramsegel der Schaluppe wieder an der sich nun scharfer abzeichnenden Kimm auftauchten. Caswell enterte in den Gro?mast auf und balancierte geschickt das leichte Rollen des Schiffes aus.

«Signal von Snipe, Sir. «Er rieb sich die tranenden Augen und versuchte es noch einmal.»Ich kann es nicht genau ausmachen. «Beinahe ware er abgesturzt, denn ein paar unregelma?ige Wellen hoben die Hyperion an. Dann rief er:»Signal lautet:
>Feind in Sicht«, Sir.»
        Bolitho nahm die Meldung seltsam unbewegt entgegen.»Na schon«, sagte er nur. Signal an Geleitzug: >Feind in Sicht - Klar Schiff zum Gefecht«.»
        Rooke starrte ihn verwundert an.»Aber, Sir, vielleicht wollen sie uns gar nicht angreifen.»

«Die sind nicht so weit gesegelt, um uns guten Tag zu sagen, Mr. Rooke«, erwiderte er schneidend. Druben auf der Justice wurde es plotzlich lebendig, als die neuen Signale auswehten.»Nein, sie sind hinter den Transportern her.»
        Er blickte sich um: alle Manner auf dem Deck, dessen Planken vom Reinschiff noch na? waren, standen reglos und sahen voller Spannung zu ihm auf. Hier wie auf den anderen Schiffen erwartete man seine Befehle. Gelassen sagte er:»Mr. Rooke, lassen Sie >Klar Schiff zum Gefecht «anschlagen!»
        Zwei kleine Trommeljungen der Marine-Infanterie rannten zum Backborddecksgang, stulpten sich ihre schwarzen Tschakos auf, hangten sich die Trommeln um und nahmen die Schlegel zur Hand. Das ganze Schiff hielt den Atem an, als die beiden, die Gesichter vor Konzentration verzerrt, ihren Wirbel schlugen. Auch die Har-vester und die beiden Transporter nahmen das Signal auf.
        Bolitho zwang sich, bewegungslos an der Reling stehenzubleiben, wahrend die Matrosen an Deck stromten und die MarineInfanteristen, deren Uniformen in der starker werdenden Morgensonne so rot wie Blut leuchteten, achtern und oben in den Toppen Stellung bezogen. Unter Deck zeigten dumpfe Hammerschlage beim Abbau der Zwischenwande und sonstige Gerausche, da? das Schiff von einem schwimmenden Heim zu einer todlichen Waffe umgewandelt wurde. Wieder blickte er auf die ruhige See, aber sie trostete ihn wenig. Der Morgen war ihm schon verdorben gewesen, ehe die Snipe ihre Meldung gemacht hatte.
        Rooke fa?te an den Dreispitz. Er schwitzte machtig.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir. «Dabei fiel ihm wohl ein, da? Bolitho fruher nie mit der Zeit zufrieden gewesen war, und er fugte hastig hinzu:»In weniger als zehn Minuten diesmal, Sir.»

«Gut«, nickte Bolitho ernst.

«Soll ich Befehl zum Laden geben, Sir?»

«Noch nicht. «Jetzt endlich fiel ihm sein Fruhstuck ein, und er verspurte heftigen Hunger. Bestimmt wurde er keinen Bissen essen konnen, aber mit irgend etwas mu?te er sich beschaftigen. Er blickte auf das zwischen den Stagsegeln durchscheinende Sonnenlicht und bekam plotzlich Angst. Vielleicht war er heute abend schon tot. Oder er krummte sich, was noch schlimmer ware, schreiend unter dem Messer des Schiffsarztes. Hastig leckte er sich die trockenen Lippen und sagte zu den Offizieren:»Sie haben alle gefruhstuckt, ich noch nicht. Ich bin im Kartenraum, wenn Sie mich brauchen. «Damit wandte er sich um und schritt langsam zum Niedergang.
        Gossett sah ihm nach und flusterte bewundernd:»Habt ihr das gesehen, Jungs? Eiskalt wie der Polarwind ist unser Cap'n!»



        IX Wie eine Fregatte

        Midshipman Piper lugte in den Kartenraum, wartete einen Moment, bis er wieder bei Atem war, und meldete:»Empfehlung von Mr. Rooke, Sir: Feind ist jetzt in Sicht.»
        Mit betonter Gelassenheit hob Bolitho den Becher zum Mund und nippte. Naturlich war sein Kaffee eiskalt.
        Ebenso gelassen fragte er:»Und, Mr. Piper? Weiter nichts?»
        Der Knabe schluckte heftig. Er konnte sich kaum vom Anblick seines Kommandanten losrei?en, den es uberhaupt nicht zu beruhren schien, da? die Gefahr plotzlich so nahe geruckt war.

«Drei Segel, Sir. Zwei Fregatten und ein gro?eres Schiff.»

«Ich komme gleich. «Er wartete, bis der Junge hinausgeeilt war, und schob dann das unberuhrte Fruhstuck vom Tisch. Mit einem Blick auf die Seekarte wurde ihm seine vollig isolierte Lage wieder bewu?t. Hatte die weit vor dem Geleitzug operierende Snipe die Schiffe in irgendeiner anderen Position gesichtet, hatte er ein bi?chen Optimismus aufbringen konne. Aber so - der Feind befand sich direkt in Luv und auf konvergierendem Kurs zu diesem ungunstig zusammengesetzten Konvoi. Der Gegner konnte sich Zeit lassen und sich den passendsten Moment zum Angriff aussuchen.
        Er setzte den Dreispitz auf und stieg rasch aufs Achterdeck. Die Brise war noch frisch, doch die Luft schon viel warmer. Er zwang sich dazu, langsam zur Reling zu schreiten und auf das Oberdeck hinunterzusehen, wahrend doch jeder Nerv in seinem Korper danach schrie, hastig nach einem Teleskop zu greifen und sich den Feind genauer anzusehen.
        Unter den Decksgangen warteten schweigend die Geschutzbedienungen bei ihren Kanonen. Dort war das Deck mit Sand bestreut, damit die nackten Fu?en der Matrosen besseren Halt fanden, wenn der Kampf erst im Gange war: neben jedem Zwolfpfunder stand ein frischgefullter Wassereimer fur den Schwabber oder zum Loschen, falls Planken oder Tauwerk, beide trocken wie Zunder, Feuer fangen sollten. Bei jedem Niedergang hielt ein MarineInfanterist mit aufgepflanztem Bajonett Wache, breitbeinig das leichte Rollen des Schiffes ausgleichend, dessen Pflicht es war, jeden vor Angst kopflosen Matrosen, dem der Kampf an Deck zu hei? wurde, daran zu hindern, da? er nach unten floh.
        Endlich nahm Bolitho doch ein Teleskop und richtete es uber die Finknetze. Das Straflingsschiff taumelte massig vor der Linse vorbei, doch dann hatte er das Glas richtig eingestellt und auf einen Punkt dicht unter der Kimm fixiert, direkt auf den Backbordbug des vordersten feindlichen Schiffes. Er brauchte den Kopf nicht zu wenden, sondern wu?te auch so, da? die Umstehenden ihn beobachteten. Sie hatten sich die aufkommenden Schiffe schon langst genau angesehen. Jetzt wollten sie wissen, wie er reagierte, und das wurde sie entweder zuversichtlich stimmen oder verunsichern. Er bi? die Zahne zusammen und versuchte, moglichst ausdruckslos dreinzublicken.
        Mit vorsichtigen Bewegungen des Glases glich er das Rollen der Hyperion aus und sah die beiden Fregatten. Sie segelten so dicht beieinander und mit dem Bug fast auf sein Glas zu, da? sie tatsachlich wie ein einziges riesiges, sonderbar gebautes Fahrzeug aussahen. Das eine lag etwas voraus, hatte auch mehr Segel gesetzt, und eben entfalteten sich unter seinem Blick auch noch die Bramsegel. Sechsunddrei?ig Kanonen hatte sie mindestens, und die zweite Fregatte war nicht viel kleiner.
        Doch weiter achteraus und auf Steuerbordbug lag ein Linienschiff. Wie die Fregatten fuhr es keine Flagge; aber der Bau des Vorschiffs, der elegante Schwung der Masten waren nicht zu verkennen: ein franzosischer Zweidecke r, wahrscheinlich aus einem der Mittelmeerstutzpunkte ausgelaufen, um Hoods Blockade zu testen. Bolitho senkte das Glas und blickte zu den Transportern hinuber. Da haben die Franzosen gleich zu Anfang einen guten Happen, dachte er grimmig.

«Wir behalten diesen Kurs bei, Mr. Rooke«, sagte er.»Hat keinen Zweck, nach Suden auszuweichen. Der Gegner ist im Vorteil, wenn er in Luv bleibt, und sudwarts«-, er lachelte fluchtig -,»liegt nur Afrika, weiter nichts.»
        Rooke nickte.»Aye, Sir. Glauben Sie, da? sie angreifen werden?»

«In spatestens einer Stunde geht's los, Mr. Rooke. Der Wind konnte abflauen. Ich wurde an ihrer Stelle bestimmt angreifen.»
        Aus dem, was er im Teleskop gesehen hatte, versuchte er, sich ein Bild von dem franzosischen Zweidecker zu machen. Er war nur ein bi?chen gro?er als die Hyperion; aber, und das schlug stark zu
        Buche, er wurde vermutlich schneller sein, denn er hatte ausgiebig im Hafen gelegen. Dockarbeiter und Takler hatten sich ausfuhrlich mit ihm beschaftigen konnen.
        Er fa?te einen Entschlu?.»Ruder zwei Strich Backbord. Wir beziehen Position dicht achteraus vom Geleit. Signal an die Harve-ster: >Gehen Sie sofort auf Station in Luv des Fuhrerschiffs<.»

«Und die Snipe, Sir?«fragte Rooke gespannt.

«Die kann wohl ihre gegenwartige Position beibehalten. «Er stellte sich das Unheil, die totale Zerstorung vor, welche die Breitseite einer Fregatte auf einem so zerbrechlichen Schiffchen anrichten mu?te.

«Jetzt ist der Gegner am Zug - und das sehr bald.»
        Mit rundgebra?ten Rahen kreuzte die Hyperion langsam das Kielwasser der anderen Schiffe, wahrend die Harvester, Bram- und Royalsegel wie in plotzlichem Kampfeseifer ballonartig geblaht, kuhn am Heck die Justice vorbeirauschte und sich ebenso schwungvoll die Erebus, dem vordersten Transportschiff, naherte.

«Die feindlichen Fregatten sind uber Stag gegangen, Sir«, rief Leutnant Dalby. Bolitho beschattete die Augen. Beide Schiffe schwangen herum und krangten stark im Wind. Nach dem Manover mu?ten sie parallel zum Geleitzug laufen, mit etwa funf Meilen Abstand. Selbst ohne Glas konnte Bolitho ausmachen, da? ihre Stuckpforten noch geschlossen waren. Zweifellos konzentrierten sich die beiden Kommandanten vorerst darauf, in moglichst gunstige Schu?position zu kommen.
        Der Zweidecker hielt majestatisch seinen Kurs, als wolle er achteraus am Geleit vorbei, ohne es uberhaupt zu beachten. Sein Kommandant tat genau das, was Bolitho ebenfalls getan hatte: er lie? die beiden Fregatten auf das Geleit los und entweder die Har-vester oder das Fuhrerschiff angreifen - oder beide zugleich. Wollte die Hyperion naher heran, um der Harvester beizustehen, wurde sie einige Zeit brauchen, um zuruckzusetzen und das Geleit von achtern zu schutzen; inzwischen konnte der Zweidecker bereits zugeschlagen haben. Es war die alteste Lektion in Kriegskunst: divide et impera- teile und siege.

«Kurs Nord zu Ost, Sir, voll und bei«, meldete Gossett.

«Recht so. «Er starrte zum Mastwimpel hoch.»Signal an Geleit: >Alle verfugbaren Segel setzen!<«Und Rooke befahl er scharfen
        Tones:»Schnell wieder die Royals los, ich will sehen, was der Zweidecker darauf unternimmt.»
        Unter Vollzeug schlo? die Hyperion zu den Transportern auf, und augenblicklich reagierten die franzosischen Schiffe. Das Linienschiff hatte zweifellos erwartet, da? Bolitho zum Geleit aufschlie?en und es so gut wie moglich vor einem Zangenangriff schutzen wurde. Eine Flucht war unwahrscheinlich und auch nicht sinnvoll. Doch da die englischen Schiffe bereits au?er Schu?weite zu kommen drohten, hatten die Franzosen gar keine Wahl - sie mu?ten die Jagd aufnehmen.
        Hauptmann Ashby atmete langsam aus.»Da - bei Gott!«Der hohe Zweidecker wendete bereits; wild flappten die Segel, als er durch den Wind ging. So schnell reagierte er auf Bolithos Taktik, da? er uberma?ig krangte, als wolle seine Gro?rah die Wellenkamme streifen. Unter den Gischtbrettern, die das Manover aufwarf, verschwanden die unteren Stuckpforten vollig.
        Der Segeldrill auf dem Franzosen war offenbar lange nicht so gut wie auf der Hyperion - wahrscheinlich weil jener mehr Zeit im Hafen als auf offener See verbracht hatte. Doch innerhalb einer Viertelstunde standen ihre Bram- und Royalsegel wie eine riesige Pyramide aus strahlend wei?er Leinwand.

«Sie uberholt uns, Sir«, sagte Rooke tonlos.»In einer halben Stunde ist sie gleichauf. «Doch Bolitho blickte unbewegt nach vorn und beobachtete die Justice. Sie war jetzt eine knappe Meile entfernt und konnte wie die anderen Transporter das Tempo nicht mithalten. Die beiden feindlichen Fregatten lagen naher an dem Fuhrerschiff: angestrengt durch das Gewirr der Takelage spahend, sah er an der vordersten Fregatte eine Reihe kurzer Mundungsfeuer aufblitzen, begleitet von einer Rauchwolke.
        Es schien Stunden zu dauern, bis das dumpfe Rumpeln der Kanonen an sein Ohr drang; und dann sagte Bolitho:»Sie konnen jetzt laden lassen, Mr. Rooke. Sorgen Sie dafur, da? die erste Breitseite ordentlich Schrapnell enthalt, das bringt Gluck!»
        Gewohnlich war die erste Salve auch die letzte, bei der man einigerma?en Zeit hatte, genau zu zielen. Danach war das Feuern mehr Routine - und Gefuhlssache. Und im unteren Batteriedeck wurde es noch schlimmer sein. Dort hatten sie kaum Platz genug zum Aufrechtstehen und feuerten in einem Inferno von Enge, erstickendem
        Qualm, halber Finsternis und Grauen, das besser im Verborgenen blieb.

«Die Harvester schie?t zuruck, Sir!»
        Bolitho nickte. Mit halbem Auge sah er, wie seine Kanoniere die mattglanzenden Kugeln von den Gestellen holten und sie in die gahnenden Rohre rammten. Erfahrenere Geschutzfuhrer pruften jede Kugel mit beinahe liebevoller Grundlichkeit. Manche waren besser gerundet als andere. Diese wahlten sie fur die erste Breitseite aus.

«Signal an Harvester: >Nach Belieben Feindberuhrung aufneh-men<. «Er mu?te uber die hohle Phrase beinahe lacheln. Als ob das irgend jemandem beliebte!

«Ausrennen, Sir?«fragte Rooke, der querab nach Backbord starrte: muhelos verkurzte der Franzose seinen Abstand zum Geleitzug. Der Kommandant war kaltblutig genug, um gerade noch in Luv der langsameren Hyperion zu bleiben. Brach Bolitho aus, mu?te er sein verwundbares Heck der franzosischen Breitseite prasentieren. Auf diese kurze Entfernung reichte das aus, um aus den mittleren Decks ein Schlachthaus zu machen und die Hyperion wahrscheinlich obendrein noch zu entmasten. Behielt er seinen jetzigen Kurs bei, so wurde es einen Kampf Schu? um Schu? geben, wobei der Franzose im Vorteil war und die Hyperion nach keiner Seite uber Stag gehen konnte, ohne eine schwere Salve einstecken zu mussen.

«Noch nicht, Mr. Rooke. «Er hatte seine Stimme gut in der Gewalt; doch als er sah, wie sich der Schatten des anderen Schiffes uber der glitzernden See hob und senkte, kam ihm die Idee, da? Rooke wahrscheinlich glaubte, er wolle kneifen - entweder aus Angst oder weil ihm einfach kein Plan einfiel, wie er sein Schiff retten konnte.
        Wieder ein rascher Blick zum Masttopp. Er wagte kaum hinzusehen, weil er furchtete, sein Auge konne ihn tauschen. Aber der Winkel des Wimpels hatte sich etwas verandert.

«Der Wind ist einen Strich ausgeschossen, nicht wahr, Mr. Gos-sett?«fragte er moglichst beilaufig.
        Der Master starrte ihn an.»Ja, stimmt, Sir. Nur ein bi?chen«, antwortete er anscheinend verwundert, da? das uberhaupt der Rede wert sei.
        Bolitho versuchte, moglichst ruhig zu uberlegen. Er mu?te seine ganze Willenskraft aufwenden, um nicht auf den fernen Geschutzdonner der einsam kampfenden Harvester zu horen, und auch um seine schleichende Befurchtung zu unterdrucken, da? er die Lage von Anfang an falsch beurteilt hatte.

«Na schon. Mr. Rooke, Segel kurzen! Weg mit den Royal- und Bramsegeln!«Die Toppgasten enterten auf, und er verschrankte die Hande hinterm Rucken.»Jetzt konnen Sie die Backbordbatterie ausrennen lassen.»
        Die Hyperion schien in ein Wellental zu sinken, als die Zugkraft der oberen Segel wegfiel. Der Bewuchs am Unterwasserschiff wirkte bremsend; Bolitho sah den Kreuztopp erzittern wie einen Baum im Wind und konnte das Vibrieren noch in den Planken unter seinen Schuhsohlen spuren.
        Dann schritt er nach Backbord hinuber und beugte sich uber die Reling, um zu beobachten, wie die dunkle Reihe der Stuckpforten hochklappte. Sekunden spater horte er das Quietschen der Lafetten, als die schwitzenden Matrosen sich in die Zuge warfen und ihre schweren Waffen gegen die Schraglage des Decks verholten. Sonnenlicht beruhrte die schwarzen Mundungen, als sie die offenen Pforten durchstie?en, und Rooke rief:»Batterie ausgerannt, Sir!»
        Mit leichtem Erschauern wandte sich Bolitho wieder dem Franzosen zu. Der stand jetzt kaum eine Kabellange achteraus, und obwohl er ebenfalls Segel kurzte, mu?te er innerhalb weniger Minuten auf gleicher Hohe sein. Fur den franzosischen Kommandanten wurde es so aussehen, als hatte Bolitho vergeblich versucht, sein Geleit unter Vollzeug in Sicherheit zu bringen, und als fiele er jetzt zuruck, um die Quittung fur seine Dummheit in Empfang zu nehmen.
        Bolitho leckte sich die staubtrockenen Lippen. Langsam sagte er zu Gossett:»Klar zum Halsen, Mr. Gossett! In zwei Minuten will ich hart vor seinem Bug uber Stag gehen!«Gossetts vollig verdutzte Miene entging ihm, denn er spahte nach dem anderen Zweidek-ker aus. Der hatte seine Steuerbordbatterie ausgerannt, und auf den Decksgangen sah er zusammengedrangte Gestalten und Sonnenreflexe auf Musketen und Entersabeln.
        Gossett hatte inzwischen die Sprache wiedergewonnen.»Aye, aye, Sir.»

«Wir segeln auf Gegenkurs zuruck und greifen seine andere Seite an«, erlauterte Bolitho kurz. Ein unbewu?tes starres Grinsen lag auf seinem Gesicht, und er verspurte die gleiche sinnlose Wut, die er auf Cozar mit aller Willenskraft gezugelt hatte. Rooke nickte und hob die Sprechtrompete. Unter seiner Sonnenbraune war er erbleicht, aber irgendwie brachte er die Befehle zustande.»Klar zum Halsen!

        Bei» Stutzruder!«warf Gossett sein ganzes Korpergewicht mit ins Rad, um den keuchenden Rudergasten zu helfen.
        Sekundenlang schien das Schiff verruckt zu werden; und als die Manner die Schoten loswarfen und der Schiffsrumpf auf den Druck des Ruders zu reagieren begann, ging im Schlagen der Segel und dem gequalten Jaulen der Takelage sogar der ferne Geschutzdonner unter.

«Hol' dicht die Brassen!«Rooke tanzte fast vor verzweifelter Ungeduld.»Hol' dicht bei Gro?segel!»
        Was sich der Franzose bei dem verzweifelten Manover der Hyperion denken mochten, blieb Bolitho vollig unklar; eiskalt rann ihm der Schwei? von der Stirn, als er zu dem Zweidecker hinuberstarrte. Vielleicht hatte er doch zu lange gewartet. Das feindliche Schiff schien wie eine riesige Klippe uber dem Achterdeck der Hyperion aufzuragen; muhsam arbeitete sich die alte Dame herum, und es sah aus, als konne nichts den Franzosen daran hindern, sich blindlings in ihre Backbordseite zu bohren.

«Hol' dicht, ihr Hunde!«Rooke war so heiser, da? sich seine Stimme fast uberschlug. Doch die Manner hingen schon fast waagrecht an den Brassen, sie stemmten die Fersen ein und zerrten wie verruckt, sie horten und dachten uberhaupt nichts mehr und sahen nichts anderes als die turmhohen, unbeweglichen Segel, die alles andere ausloschten.
        Aber die Hyperion reagierte: Uber der machtig schlagenden Leinwand kamen die Rahen herum, die Segel bauschten sich wie Ballons und achzten im Wind, das Deck krangte immer starker dem ansturmenden Bug des Franzosen entgegen.
        Bolitho klammerte sich an die Reling und brullte:»Achtung: Geschutzfuhrer - Feuer frei! Weitersagen an die untere Batterie!«Der Schwei? machte ihn fast blind, und er zitterte vor Erregung. Irgendwie hatte die Hyperion seine unmoglich scheinenden Forderungen erfullt und war direkt vor dem Bug des Gegners durch den
        Wind gegangen. Jetzt, auf Gegenkurs, segelte sie bereits den Franzosen wieder an, der sein Stuckpforten noch dicht hatte und somit noch nicht verteidigungsbereit war.
        Auf dem Hauptdeck herrschte ein einziges wirbelndes Chaos: die Manner der Steuerbordbatterie rannten hinuber zur anderen Seite und schienen dort nicht gleich ihre richtigen Stationen zu finden. Der Bug der Hyperion schor an der Back des Franzosen vorbei; ihr Schatten glitt uber die durcheinanderrennenden Franzosen wie ein Unheilswolke.
        Leutnant Inch rannte an den Geschutzen entlang; auf sein Handzeichen donnerten die ersten beiden los. Die Schiffe rauschten so schnell aneinander vorbei, da? der Effekt fast dem einer vollen Breitseite gleichkam, so rasch sprang die spitzen roten Feuerzungen aus dem Rumpf der Hyperion.
        Bolitho ware beinahe zu Boden gegangen, als sich die Achter-deck-Neunpfunder einmischten. Rundum und oben, horte er das erregte Schreien und Fluchen von Ashbys Marine-Infanteristen; sie feuerten blindlings in die Rauchwand, die von dem Franzosen hochwuchs und hinter der eine Holle von Tod, Blut und Zerstorung wutete. In einer Entfernung von vielleicht zwanzig Yards passierten sie die immer noch geschlossenen gegnerischen Stuckpforten.

«Schlu? mit dem verdammten Hurragebrull!«schrie Bolitho.»Laden und ausrennen!«Er hatte seinen Degen in der Faust, obwohl er sich nicht erinnern konnte, wann er ihn gezogen hatte.»Backbordkarronade feuerklar!«Vom Vorschiff her starrte ihn die Bedienung des stumpfschnauzigen, niederen Geschutzes an. Die Manner waren von Rauchschwaden umgeben; ihre Kopfe schienen frei im Raum zu hangen. Er wandte sich Gossett zu:»Klar zum Halsen. Jetzt kreuzen wir sein Heck; wir haben ihm den Wind we g-genommen!»

«Da, Sir! Der Vortopp fallt!»
        Bolitho rieb sich die tranenden Augen und wandte sich um; mit einer Art muder Wurde begann der obere Vormast des Franzosen zu wanken und brach dann ab. Er sah die winzigen Gestalten, die sich verzweifelt an die Rahen klammerten und dann wie Fallobst abgeschuttelt wurden, als die riesige Spiere mit dem ganzen Rigg und den zerfetzten Segeln nach vorn in die Rauchwand sturzte.
        Aber die Hyperion schwang schon wieder herum. Die Manner an den Brassen keuchten und husteten, als die Geschutze erneut feuerten. Der Larm und Qualm des Kampfes machten sie taub und blind. Bolitho eilte ubers Deck, ohne druben die rauchumwehten, durchlocherten, in Fetzen hangenden Segel aus den Augen zu lassen, denn jetzt passierte die Hyperion das Heck des Feindes. Eine Fallbo brachte etwas bessere Sicht; die Heckaufbauten lagen, knapp funfzig Fu? vor dem eigenen Bug, frei im Schu?feld. Er unterschied die hohen Kajutfenster, das wohlbekannte, hufeisenformige Heck, das die franzosische Schiffskonstrukteure so liebten, und die Manner, die sich uber dem Schiffsnamen Saphir zusammendrangten. Sie schossen mit Musketen, und er sah einige seiner Vorschiffmatrosen fallen und sich in Qualen winden; der Geschutzdonner ubertonte ihre Schreie.
        Aber dann, als der Bugspriet der Hyperion seinen schwarzen Schatten uber den Streifen sichtbaren Wassers warf, feuerte die Karronade. Einen Sekundenbruchteil, bevor der Rauch wieder uber das Wasser wirbelte, sah Bolitho, da? die Reihe der Heckfenster wie unter einem wilden Windsto? barst, und er konnte sich das Blutbad im uberfullten unteren Batteriedeck der Saphir vorstellen - vom Heck zum Bug war die geballte Ladung durch den ganzen Rumpf geflogen. In einem engen Raum voller Matrosen, die von der schnellen Rache der Hyperion schon halb betaubt gewesen waren, mu?te die Holle ausgebrochen sein.
        Er zwang sich, nicht mehr daran zu denken, sondern sich auf das Oberdeck der Hyperion zu konzentrieren. Als das Schiff gewichtig das Heck des Feindes rundete, konnte die Backbordbatterie nur halb so viele Schusse losen wie beim ersten Angriff. Die angstliche Spannung, unter der die Manner gestanden hatten, als die Saphir so selbstbewu?t herankam, hatte sich in rauschartige Erregung verwandelt; Bolitho sah, als er durch die Rauchwolken spahte, mehr als einen Kanonier, der, statt sich um seinen Dienst zu kummern, entzuckt hoch in die Luft sprang, weil er von den Schrecknissen dort druben, jenseits des schmalen Streifens Wasser, auch etwas sehen wollte.
        Bolitho legte die hohlen Hande an den Mund und brullte:»Mr. Inch! Backbordgeschutze doppelt laden! Durchsagen an Unterdeck: ebenfalls!»
        Inch nickte heftig. Sein Dreispitz sa? schief, sein langes Gesicht war von Pulverrauch geschwarzt.
        Die Saphir krangte leicht nach Backbord; der ins Wasser gefallene Mast wirkte wie ein gro?er Treibanker, so da? es ein paar kostbare Minuten langer dauerte, ihr Heck zu runden. Obgleich die Hyperion nun praktisch wieder in Lee stand, hatte die Saphir mit ihren zerschossenen Spieren und Segeln keinen Vorteil von der Luvposition. Als der Bugspriet der Hyperion scharf an der hohen Kampanje des Franzosen vorbeischnitt und die Buggeschutze mit erneuter Wut ihre Ladung ausspuckten, sah Bolitho gro?e Stucke Holz aus dem Schanzkleid hochfliegen; in einem Funkenregen ri? eines der feindlichen Geschutze aus der Halterung und rutschte seitlich auf die Bedienungsmannschaft, deren Todesschreie die britischen Kanoniere nur zu gro?eren Anstrengungen anspornten.
        Dann, als beide Schiffe quer durch den Qualm pflugten, feuerte die obere Batterie der Saphir zum erstenmal. Es war eine stotternde Salve, deren Flammenzungen jetzt durch den treibenden Rauch stie?en. Ihre Detonationen mischten sich mit denen der Breitseite der Hyperion. Die Distanz hatte sich wieder verringert, und beide Schiffe lagen jetzt knapp drei?ig Fu? auseinander. Die Kanoniere der Saphir hatten gefeuert, als das Schiff im Wellental lag, und Bolitho spurte das Deck unter sich erzittern, als eine Kugel nach der anderen in den massigen Rumpf seines Schiffes einschlug oder jaulend in die unsichtbare Welt jenseits der Rauchwolken flog. Aus den Masten des Franzosen kamen Musketenschusse, und Bolitho erhaschte einen kurzen Blick auf einen Offizier, der mit seinem Degen auf ihn deutete, als wolle er den Schutzen das Ziel weisen. Musketenkugeln schlugen dumpf in die Finknetze neben ihm, und er sah einen Matrosen entgeistert auf seine Hand starren: ein Querschlager hatte ihm einen Finger abgeschnitten, so sauber wie mit der Axt.
        Unter gebrullten Beschimpfungen erwiderten Ashbys Seesoldaten das Feuer, und bald hing mehr als ein Franzose leblos im Rigg, als Zeichen ihrer Treffsicherheit.
        Wieder kam eine unregelma?ige Salve aus den oberen Stuckpforten der Saphir, doch die Masten der Hyperion blieben unbeschadigt. Zwar waren die Segel ziemlich durchlochert, aber nur wenige Blocke und Spieren baumelten frei oder fielen in die Netze, die er zum Schutz der Kanoniere hatte aufriggen lassen. Eben rannte ein kleiner Schiffsjunge ubers Deck, gebeugt unter einer Last Pulver aus dem Magazin. Ein Kanonier wurde von seinem Zwolfpfunder weg durch die Luft geschleudert und fiel mit aufgerissenem Leib, aus dem die Eingeweide hingen, dem Jungen vor die Fu?e. Der hielt nur einen Moment inne und rannte dann blindlings weiter an sein Geschutz, zu entgeistert, um uberhaupt auf das Ding zu achten, unter dessen Todeszuckungen die Decksplanken sich immer roter farbten.
        Oben im Qualm sah Bolitho die franzosische Flagge an der Gaffel wehen. Das wei?e Tuch mit der blau-wei?-roten Gosch wirkte seltsam sauber und schien mit der irrsinnigen Holle unten kaum etwas zu tun zu haben; Bolitho hatte gerade noch Zeit, sich zu fragen, wer sich wohl die Muhe gemacht hatte, die Flagge noch zu hissen.

«Ihr Gro?mars hat's weggerissen, Sir«, brullte Gossett heiser und schuttelte vor lauter Begeisterung den Ruderganger im Takt zu seinen Worten.»Mein Gott, sehen Sie sich das arme Luder blo? an!»
        Ashby schritt uber das Achterdeck, die Breeches blutbespritzt, der Degen baumelte an einer Goldschnur von seinem Handgelenk. Er fa?te gru?end an den Hut, unbekummert um die jaulenden Musketenkugeln und das Schmerzgebrull, das jetzt auf beiden Schiffen ertonte.»Sobald Sie befehlen, konnen wir entern, Sir! Ein ordentlicher Ansturm, und wir hauen ihnen das Ruckgrat aus dem Leib!«Dabei grinste er tatsachlich.
        Ein Seesoldat, die Hande vors Gesicht geschlagen, fiel rucklings aus den Netzen und lag reglos an Deck. Eine Musketenkugel hatte ihm den Schadel fast auseinandergerissen. Wie Porridge war sein Hirn auf den Planken verschmiert.
        Bolitho blickte weg.»Nein, Captain, so gern ich sie als Prise hatte - ich mu? zuerst an das Geleit denken. «Er sah einen hochgewachsenen franzosischen Matrosen druben an den Finknetzen stehen und seine Muskete genau auf ihn richten. Der Mann hob sich scharf von der Rauchwand ab, unbekummert um alle Gefahr, nur von dem Drang beseelt, den britischen Kapitan zu toten. Seltsamerweise konnte Bolitho einfach dastehen und es sich wie ein Zuschauer ansehen: hell blitzte die Muskete auf, der Knall ging unter im Donnern der schweren Geschutze, wahrend die Hyperion vom Rucksto? der Breitseite bockte. Bolitho spurte, wie die Kugel ihn am Armel zupfte - nicht starker als eines Mannes Finger. Hinter sich horte er einen schrillen Aufschrei, und ohne aufzusehen wu?te er, da? die Kugel doch noch ein Opfer gefunden hatte. Aber sein Blick hing an dem unbekannten Schutzen. Der mu?te ein tapferer Mann sein, oder das Schicksal seines Schiffes hatte ihn in eine so irre Wut versetzt, da? er seiner eigenen Sicherheit nicht achtete. Er stand noch auf dem Schandeck, da ri? ihn ein Neunpfun-dergescho? der Hyperion mitten
auseinander, so da? der Oberkorper mit wild schlagenden Armen langsseit ins schaumende Wasser sturzte, wahrend die gespreizten Beine noch sekundenlang fest und entschlossen stehenblieben.
        Mit der Saphir sah es ubel aus. Die Segel waren schwarzliche Fetzen, nur Kluver und Besanuntersegel schienen noch intakt. Dunne rote Blutstrome rannen aus ihren Speigatten und zu Seiten der Pforten herab. Bolitho konnte den Umfang der Zerstorung nur raten. Bezeichnenderweise griff die untere Batterie des Feindes uberhaupt nicht in den Kampf ein, die machtigen Vierundzwanzig-pfunder blieben stumm und ohnmachtig. Ein Wunder, da? das ganze Schiff noch nicht in Flammen aufgegangen war. Doch er wu?te aus boser Erfahrung, da? solche Au?erlichkeiten tauschen konnten. Die Saphir mochte immer noch zum Kampf fahig sein, und ein einziger, genau gezielten Schu? konnte die Hyperion so lange au?er Gefecht setzen, da? sie den schwer errungenen Vorteil wieder einbu?te.

«Mr. Rooke!«rief er.»Royal- und Bramsegel setzen!«Unten an Deck blieb den Matrosen der Mund vor Erstaunen offen, denn sie3 konnten nicht glauben, da? Bolitho den schwer angeschlagenen Zweidecker entkommen lassen wollte.»Danach die Steuerbordgeschutze ausrennen!«Und zu Gossett:»Nehmen Sie Kurs auf den Geleitzug! Wir luven an und sehen dann, wie weit wir kommen.»
        Die Deckoffiziere trieben bereits die vom Kampf erschopften Matrosen an die Brassen; Bolitho wandte sich um und sah den Franzosen rauchumhullt achteraus bleiben. Beinahe vergnugt fing die Hyperion den Wind in ihren pockennarbigen Segeln und nahm Kurs auf die anderen Schiffe.
        Ein halbnackter Geschutzfuhrer, dessen muskuloser Oberkorper vom Rauch so schwarz und blank wie der eines Negers war, sprang auf seine Lafette, schrie:»Ein Hurra auf den Cap'n, Jungs!«, und geriet fast au?er sich, als sich die Manner in einem wilden Hurraschreien und Armeschwenken abreagierten. Ein Kanonier verlie? sogar seine Gefechtsstation und tanzte auf und ab, die nackten Fu?e klatschten auf dem blutuberstromten Deck, und sein Zopf flog im Takt zu seinem wilden Hupfen.
        Ashby grinste.»Kann man ihnen nicht ubelnehmen, Sir!«Er winkte den Mannern zu, um sich fur Bolithos grimmige Miene zu entschuldigen.»Das war 'n herrlicher Trick vorhin! Bei Gott, Sie haben sie gesegelt wie eine Fregatte. Hatte nie geglaubt, da? so was moglich ware.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Zu jeder anderen Zeit ware ich dankbar, das zu horen, Captain Ashby. Aber jetzt scheuchen Sie um Gottes willen die Leute an die Arbeit! Eilig schritt er nach Luv hinuber. Fast ware er in einer glanzenden Blutlache ausgerutscht, als er das Fernglas hob, um nach dem Geleit auszuschauen.
        Endlich kam die Hyperion von der treibenden Rauchwolke frei, und er konnte die Justice sehen. Sie lag ziemlich weit hinter den anderen Schiffen und dem hei?en Gefecht dort vorn, das diese ebenfalls in eine Wolke wirbelnden Rauches hullte. Daruber konnte er die Bramsegel die Harvester ausmachen - sie standen also noch, so unwahrscheinlich ihm das vorkam. Ihre meisten anderen Segel waren weg, und eine franzosische Fregatte schien fast langsseit zu liegen, Rah an Rah.
        Dann wurde ihm beinahe schlecht: eine stetig wachsende Flammenwand erhob sich zwischen den beiden Fregatten, und als eine kurze Bo den Rauch wie einen Vorhang teilte, sah er die kleine Snipe brennend und wie eine Fackel hilflos vor dem Wind treiben. Sie war entmastet und hatte schon gefahrlich Schlagseite. Die tiefen Gescho?spuren auf ihrem flachen Deck, die mit dem Seegang rollenden Leichen neben den zerschossenen, umgesturzten Kanonen verrieten ihm, da? sie bei diesem Gefecht nicht untatig zugeschaut hatte.
        Die Transporter schienen, da sie von der kampfenden Harvester geschutzt wurden, noch intakt zu sein; doch als der Rauch sich wieder einmal lichtete, schor die zweite franzosische Fregatte aus und nahm deutlich Kurs auf die Vanessa. Die Fregatte hatte zwar ihren Besantopp eingebu?t, aber dem schwerfalligen Kauffahrer war sie noch mehr als gewachsen. Zwei Buggeschutze auf ihrem Vorschiff hatten das Feuer eroffnet; unbewegt sah Bolitho, wie von dem prunkvollen Heck der Vanessa Holzstucke absplitterten und hochflogen wie vom Wind gepfluckt.

«Ein Strich Backbord!«befahl er heiser, und der Bugspriet der Hyperion fuhr suchend an der Reihe ferner Schiffe entlang wie ein stobernder Jagdhund - hatte der Feind nicht bemerkt, da? sie sich von der Saphir gelost hatten?
        Erst als die Fregatte beinahe das Heck des Transporters gekreuzt hatte, wurde es druben unruhig. Doch da war es bereits zu spat. Wegen der hilflosen Vanessa konnte sie nicht zuruck, und wegen des Windes konnte sie nicht wenden. Verzweifelt holte sie die Brassen dichter, und mit fast mitschiffs gebra?ten Rahen krangte sie in der frischen Brise so stark, da? die Beobachter an Deck der Hyperion das kupfern beschlagene Unterwasserschiff im dunstigen Sonnenlicht wie Gold glanzen sahen.
        Zielbewu?t strebte die Hyperion an den Heckaufbauten der Vanessa vorbei; ungeruhrt starrte das Titanenhaupt ihrer Galionsfigur zu dem rauchgeschwarzten Transporter hinuber.
        Bolitho hob den Degen; seine Stimme hielt gerade noch einen ubereifrigen Geschutzfuhrer zuruck, der schon an seiner Rei?leine zupfte.»Erst beim Abwartsrollen feuern!«Die Klinge blinkte in der Sonne, und fur manchen an Bord der verzweifelten Fregatte druben war es das letzte, was er auf dieser Welt sah. Jetzt!«Der Degen fuhr blitzend nieder, und als die Hyperion schwer in ein Wellental glitt und die Doppelreihe der Mundungen sich leicht der See zuneigte, barst die Luft unter einer wutenden Breitseite. Es war die erste Salve der Steuerbordbatterie, und die Wucht der Doppelladungen schmetterte mit der zerstorenden Kraft einer Lawine in den ungeschutzten Rumpf der Fregatte.
        Das feindliche Schiff schien sich taumelnd erheben zu wollen; Vor- und Hauptmast fielen gleichzeitig unter einem wusten Gewirr von laufendem Gut und wei? aufsplitternden Spieren.
        Nur wenige Minuten wurde es dauern, bis die Vanessa hinderlich zwischen der Hyperion und der Fregatte liegen mu?te, aber die Geschutzbedienungen brauchten kein Antreiben. Als der Bugspriet mit flatterndem Kluver das zerschossene Heck des Transporters passierte, feuerte die gesamte Backbordbatterie nochmals; im Hagel der Geschosse fiel der letzte Mast des Franzosen, und damit war der niedrige Rumpf nur noch ein schwimmendes Wrack.
        Wieder brullten die Manner Hurra, und die Matrosen auf dem Achterdeck der Vanessa stimmten ein. Diese war, als die letzte Breitseite an ihr voruberrauschte, etwas zuruckgefallen. Mancher an Bord mu?te befurchtet haben, die Hyperion konne in ihrer Kampfeswut nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden. Inzwischen kletterten ihre Matrosen in die Luvwanten und winkten schreiend heruber; und als der alte Zweidecker langsam aufkam und seine Leute zuruckwinkten und - schrien, weinte mancher hemmungslos.
        Bolitho verschrankte die Finger fest hinterm Rucken, damit sie nicht so stark zitterten.»Signal an die Justice: >Mehr Segel setzen und auf Station gehen! <»
        Noch halb betaubt nickte Caswell, aber trotz seiner Benommenheit war er fahig, seine Signalgasten an die Leinen zu rufen.

«An Deck! Die andere Fregatte dreht ab, Sir!«schrie der Ausgucker schien ebenso wild wie die anderen zu sein. Caswell senkte sein Glas und bestatigte die Meldung. Die Harvester signalisiert, Sir. Sie kann die Verfolgung nicht aufnehmen, Segel und Rigg zu stark beschadigt.»
        Bolitho nickte. Kein Wunder. Der Kapitan der Harvester hatte sich mit zwei Fregatten gleichzeitig geschlagen, ohne andere Unterstutzung als die winzige Snipe. Er hatte Gluck gehabt, da? er noch lebte.

«Signalisieren Sie der Harvester folgendes, Mr. Caswell«, sagte er und runzelte nachdenklich die Stirn; der Text durfte nicht banal oder gleichgultig klingen, denn die Manner der Harvester hatten gezeigt, was sie konnten. Langsam fuhr er fort:»>Sie haben reiche Ernte[Harvest = Ernte (d.U.).] gehalten. Gute Arbeit<.»
        Eifrig kritzelte Caswell auf seiner Schiefertafel.»Und Sie konnen ruhig jedes einzelne Wort ausbuchstabieren!«schlo? Bolitho. Er beschattete die Augen, als die ausgebrannte Snipe kenterte und mit dumpfem Zischen sank. Treibgut markierte die Stelle wie Pockennarben.
        Heiser sagte Gossett:»Die Erebus hat Boote ausgesetzt und sucht nach Uberlebenden, Sir.»
        Bolitho antwortete nicht. Selten machte ein Matrose sich die Muhe, schwimmen zu lernen. Bestimmt waren kaum noch welche ubrig, die vom letzten gro?en Gefecht der Snipe erzahlen konnten.
        Muhsam sagte er:»Ich wunsche einen ausfuhrlichen Bericht uber Verluste und Schaden, Mr. Rooke.»
        Der Leutnant starrte immer noch auf die feindlichen Schiffe. Dwars von ihnen rollte die entmastete Fregatte hilflos in den Wellen, und es wurde noch lange dauern, bis sie ins Schlepptau genommen werden konnte. Eher war damit zu rechnen, da? sie an Ort und Stelle sank. Die andere Fregatte holte zu dem zerstorten Zweidecker auf; uber dem treibenden Rauch gingen Signale hoch, bunt und geschaftig.
        Bolitho sagte:»Wir mussen uns um unser Geleit kummern. Die beiden da konnen auf die Endabrechnung noch warten. «Er sprach laut und vernehmlich und es schien, als sprache er mit seinem
        Schiff.
        Caswell rief:»Die Justice hat bestatigt, Sir!«Dann grinste er:»Die Harvester auch.
«Er blickte in die geschwarzten Gesichter der Untenstehenden.»>Habe Aktion eingestellt«, signalisiert sie.»
        Schmerzhaft spurte Bolitho, wie sich seine ausgetrockneten Lippen zu einem Lacheln verzogen. Diese dienstlich-formelle Antwort Leachs sprach Bande uber die Zahigkeit des Mannes.»Bestatigen!»
        Unten an der Achterdecksleiter stand ein Sanitatsmaat, die Arme bis zu den Ellbogen voll Blut. Bei diesem Anblick empfand Bolitho wieder jene vertraute Verzweiflung uber das Leiden, die Wunden, die den Sieg so bitter machten.

«Was ist?»
        Unsicher sah der Mann sich an Deck um, staunte anscheinend, da? es noch einigerma?en ganz war. Unter der Wasserlinie, wenn der Schiffsrumpf unter den Rucksto?en und Einschlagen schwankte und zitterte, die schreienden Verwundeten zu versorgen, war bestimmt keine leichte Arbeit.»Schiffsarzt la?t melden, Sir, Mr. Dal-by hat's erwischt; er mochte Sie sprechen, Sir.»
        Bolitho zuckte zusammen. Dalby, undeutlich erinnerte er sich an das Gesicht des Leutnants, wie er es zuletzt gesehen hatte.»Schwer?«fragte er.
        Der Mann schuttelte bedauernd den Kopf.»Nur noch Minuten,
        Sir.»

«Ubernehmen Sie, Mr. Rooke. Signalisieren Sie dem Geleit, sie sollen ihre alten Stationen wieder einnehmen, sobald die Erebus ihre Boote wieder eingeholt hat.»
        Rooke fa?te an den Dreispitz.»Aye, aye, Sir.»
        Bolitho kletterte die Leiter hinunter und merkte plotzlich, wie steif seine Beine waren und da? ihn die Kiefer vor Anstrengung schmerzten. Hier und dort streckte ein Matrose, der tapferer war als die anderen, die Hand aus, um ihn zu beruhren, und einer rief sogar:»Gott segne Sie, Cap' n!»
        Bolitho horte nichts. Er brauchte alle seine Kraft, um weiterzugehen, und er wu?te nur eins: sie hatten gewonnen, aber wie immer waren die Kosten des Sieges nicht zu ermessen.
        Bolitho duckte sich unter den niederen Decksbalken und tastete sich durch das Halbdunkel des Orlopdecks.[Zwischendeck eines Linienschiffs. Enthalt Midshipmenlogis und Lazarett (d. U.).] Im Vergleich hierzu war die Luft auf dem Achterdeck frisch und rein, selbst auf dem Hohepunkt einer Seeschlacht; denn hier, tief im Bauch des Schiffes, gab es nur wenig Ventilation, und sein Magen rebellierte gegen den Gestank nach Bilgewasser, Rum und Blut.
        Rowlstone, der Arzt, wu?te schon lange, da? sein winziges Lazarett vollig unzureichend fur die vielen Verwundeten von den oberen Decks war; und als Bolitho in den Lichtkreis der schwingenden Laternen trat, sah er, da? das ganze Revier vor dem saulendicken Mastfu? voller Verwundeter lag. Die Hyperion stampfte heftig in einer von achtern anrollenden See, so da? die Laternen irre, unberechenbare Kreise zogen und seltsame, tanzende Schatten auf die gewolbte Bordwand warfen oder sekundenlang kleine Bildausschnitte wie Teilstucke eines alten, nachgedunkelten Gemaldes hervorhoben.
        Uber dem Knarren der Planken und dem dumpfen Anprall der See vernahm Bolitho ein stetiges Stimmengewirr, hier und da ein Wimmern oder einen scharfen Schmerzensschrei. Aber die meisten Verwundeten lagen ganz still da, nur ihre Augen folgten dem Licht der kreisenden Laternen oder starrten stumpf auf die kleine Gruppe um den blank gescheuerten Tisch, wo Rowlstone, das blasse, talgi-
        ge Gesicht verzerrt vor Konzentration, an einem Matrosen arbeitete, den zwei Santitatsmaaten festhielten. Der Mann hatte wie jeder Schwerverwundete eine kraftige Portion Rum bekommen. Und doch rollte, wahrend Rowlstones Sage gnadenlos durch sein Bein zog, sein Kopf hin und her; der Lederriemen zwischen seinen Zahnen erstickte sein Schmerzensgeheul, Rum und Erbrochenes ertrankten seine verzweifelten Proteste. Geschaftig sagte Rowlstone, die Hande ebenso blutig wie die schwere Schurze, die ihn vom Kinn bis zu den Zehen bedeckte. Endlich gab er seinen Maaten ein Zeichen; ohne weitere Umstande hoben sie den Matrosen vom Tisch und schafften ihn in das barmherzige Dunkel jenseits der Laternen.
        Der Arzt blickte auf und sah Bolitho. Inmitten der Verwundeten und Verstummelten wirkte der stattliche Kapitan plotzlich klein und verletzlich.
        Leise fragte Bolitho:»Wieviele?»

«Zehn Tote, Sir. «Der Arzt wischte sich die Stirn mit dem Unterarm, was einen roten Strich uber dem rechten Auge hinterlie?.»Bis jetzt. «Er blickte uber die Schulter, denn zwei seiner Assistenten schleppten soeben einen neuen Mann zum Tisch. Wie es im Seegefecht oft passierte, war er von Holzsplittern getroffen; und als die Sanitatsmaaten ihm die blutbefleckte Hose herunterzogen, sah Bolitho den gro?en, gezackten Holzzahn unterhalb des Magens im Fleisch stecken. Sekundenlang starrte Rowlstone ohne zu blinzeln den Mann an. Dann sagte er ausdruckslos: Drei?ig Schwerverwundete, Sir. Etwa die Halfte davon konnte durchkommen.»
        Ein Sanitater go? dem Verwundeten Rum in den offenen Mund. Der konnte den schieren Sprit anscheinend nicht schnell genug schlucken, und dabei wichen seine Augen, Schrecken und zugleich Hoffnung geweitet, nicht von Rowlstones Handen.
        Der Chirurg griff nach seinem Messer und deutete seitwarts.»Mr. Dalby liegt da druben, Sir. «Fast verzweifelt blickte er auf den Verwundeten und fuhr dann fort: Wie die meisten ist er im unteren Batteriedeck verwundet worden.»
        Bolitho trat zur Seite, denn der Arzt beugte sich jetzt uber den nackten Korper auf dem Tisch. Der Verwundete wurde augenblicklich starr, und Bolitho glaubte, den ersten Schnitt des Messers am eigenen Leibe zu fuhlen.
        Dalby lehnte halb sitzend, die Schultern gegen eine der starken Rippen des Schiffes gestutzt, auf einer Matratze. Bis auf einen breiten, durchgebluteten Verband um den Leib war er nackt, und bei jedem seiner offenbar schmerzhaften Atemzuge sickerte Blut durch die dicke Binde. Als Kommandeur der unteren Batterie war er bei der ersten franzosischen Breitseite verwundet worden. Trotz seiner Wunde sah er jetzt, als er die Augen offnete und seinen Kommandanten anstarrte, fast erleichtert aus.
        Bolitho kniete sich neben ihn.»Kann ich etwas fur Sie tun?»
        Dalby schluckte muhsam, und ein paar Tropfen Blut glitzerten auf seinen Lippen. Wollte Sie sprechen, Sir. «Er fa?te die Matratzenkanten fester und hielt den Atem an.»Mu? Ihnen sagen…»

«Nicht sprechen, Mr. Dalby. «Bolitho sah sich nach sauberem Verbandszeug um, fand nichts und tupfte dem Leutnant die Lippen mit seinem eigenen Taschentuch ab.
        Aber Dalby, dessen Augen plotzlich zu glanzen begannen, beugte sich muhsam vor. Hat mich ganz verruckt gemacht, Sir. Dieses Geldlich hab's genommen. «Mit schlaffem Mund sank er gegen die Bordwand.»Quarme hatte nichts damit zu tun. Ich brauchte es unbedingt, wissen Sie. Unbedingt!»
        Traurig blickte Bolitho ihn an. Es spielte gar keine Rolle mehr, wer das Geld genommen hatte. Quarme war tot, und Dalby wurde ihm schon bald folgen.

«Schon gut, Mr. Dalby. Das ist jetzt vorbei.»
        Dalby erschauerte heftig; plotzlich troffen ihm Brust und Arme vor Schwei?. Doch als Bolitho ihn beruhrte, fuhlte er sich eiskalt und klamm an, schon wie ein Leichnam.
        Undeutlich murmelte er:»Hatte Schulden. Alles verspielt. «Er starrte Bolitho an, doch seine Augen fanden kein rechtes Ziel mehr.»Ich hatt' s Ihnen gesagt, aber…»
        Hinter Bolitho schrie ein Mann auf. Der Ton drang Bolitho direkt ins Hirn, aber er beugte sich vor, um zu horen, was Dalby ihm noch sagen wollte. Diesem stromte das Blut jetzt starker aus dem Mund; verzweifelt blickte Bolitho sich um und rief einen Midshipman an, der sich uber einem nackten bandagierten Verwundeten beugte. He - bringen Sie mir eine frische Binde!»
        Der Midshipman wandte sich um und eilte herzu, eine saubere Binde in der ausgestreckten Hand. Entsetzt und uberrascht starrte
        Bolitho hoch.»Aber um Gottes willen, Miss Seton, was machen Sie hier?»
        Das Madchen antwortete nicht gleich, sondern kniete sich neben Dalby hin und tupfte ihm Blut und Speichel von Gesicht und Brust. Selbst noch im gelben Laternenschein schien Bolithos Irrtum begreiflich: In Uniformrock und wei?er Kniehose, das starke kastanienbraune Haar im Nacken zusammengebunden, war Cheney Seton leicht fur einen Jungling zu halten.
        Dalby starrte sie an und versuchte zu lacheln.»Kein Kanonenboot, Miss.
>Linienschiff< hei?t das bei der Marine…«Sein Kopf sank zur Seite, und er war tot.
        Bolitho sagte:»Ich hatte doch angeordnet, da? Sie bis auf weiteres in der Fahnrichsmesse bleiben sollten!«Er fuhlte sich auf einmal nicht mehr erschopft und verzweifelt, sondern eher argerlich.»Hier ist keineswegs der rechte Ort fur Sie! Ihre Uniform und das am Hals offene Hemd waren blutbefleckt.
        Ernsthaft, betroffen und anteilnehmend blickte sie ihm ins Gesicht.»Sie brauchen sich um mich keine Sorgen zu machen. Auf Jamaika habe ich viele Menschen sterben sehen. «Sie wischte sich eine Haarstrahne aus den Augen.»Als das Gefecht anfing, wollte ich helfen. «Sie blickte auf Dalby nieder.»Ich mu?te einfach helfen. «Dann sah sie wieder Bolitho an, und ihre Augen hatten einen fast flehenden Ausdruck. Verstehen Sie das nicht?«fragte sie, streckte die Hand aus und fa?te seinen Armel. Bitte seien Sie nicht bose. «Lange sah sich Bolitho auf dem wusten Orlopdeck um. Die nackten Korper der Verwundeten und Toten lagen durcheinander, wie makabre Skulpturen, und Rowlstone operierte an seinem Tisch mit einer Selbstverstandlichkeit, als existiere fur ihn nur, was vor ihm im schwankenden Lichtkreis der Laterne lag. Ruhig entgegnete Bolitho:»Ich bin nicht bose. Wahrscheinlich hatte ich nur Angst um Sie. Jetzt haben Sie mich beschamt. «Er wollte aufstehen, war aber zu keiner Bewegung fahig.
        Sie antwortete:»Ich horchte auf den Kanonendonner und fuhlte das Schiff beben, als wurde es auseinandergerissen. Und die ganze Zeit dachte ich an Sie dort oben - so ungeschutzt.»
        Bolitho beobachtete schweigend ihre ausdrucksvollen Hande, das Heben und Senken ihrer Brust, wahrend sie das Furchtbare aufs neue durchlebte.

«Da wollte ich diesen Mannern hier unten helfen«, fuhr sie fort.»Ich dachte, sie wurden es mir verubeln, da? ich am Leben und noch heil war. «Sie senkte die Augen, und er sah ihre Lippen zittern.»Geflucht und geschimpft haben sie wei? Gott genug, aber keiner hat sich beklagt, nicht einer!«Wieder sah sie ihm in die Augen, diesmal beinahe mit Stolz.»Und als sie horten, Sie wurden herunterkommen, haben sie tatsachlich versucht, Hurra zu rufen!»
        Bolitho stand auf und half Cheney auf die Fu?e. Sie weinte jetzt, fast tranenlos, und widerstrebte nicht, als er sie durch die tiefhangenden Laternen zum Niedergang fuhrte.
        An Deck uberraschte es ihn, da? die Sonne immer noch so hell schien, da? die Schiffe weitersegelten, unbekummert um das, was achteraus lag, und um die Manner, die sie trugen. Er schritt uber das Achterdeck mit seinen gro?en roten Flecken und den zersplitterten Planken, vorbei an den Rudergasten, die genau auf den Kompa? und den Stand jedes einzelnen pockennarbigen Segels achteten. An der Kajutentur sagte er leise:»Versprechen Sie mir, da? Sie sich hinlegen.»
        Sie wandte sich um und blickte ihm forschend in die Augen.»Mussen Sie schon gehen? Doch dann zuckte sie leicht die Schultern, oder vielleicht war sie auch nur erschauert.»Das war eine dumme Frage. Ich wei? ja, was Sie zu tun haben. Alle oben warten auf Sie. «Ihre Geste bei diesen Worten umfa?te das ganze Schiff und jeden Mann an Bord. Schuchtern beruhrte sie seinen Arm und schlo?:»Ich habe vorhin den Ausdruck Ihrer Augen gesehen und verstehe Sie jetzt besser.»
        Von oben horten sie einen Ruf:»Captain, Sir, die Harvester bittet um Erlaubnis, fur die Bestattungen beizudrehen!»

«Erteilt!«rief Bolitho zuruck. Sein Blick war noch immer auf das Gesicht des Madchens gerichtet, und sein Verstand wehrte sich dagegen, an die tausend Dinge zu denken, die seiner harrten. Endlich sagte er:»Sie haben uns heute sehr geholfen. Ich werde das nicht vergessen.»
        Er wandte sich um, der Sonne zu, und horte noch ihre leise Erwiderung:»Ich auch nicht, Captain!»



        X Ein guter Offizier

        Sir Edmund Pomfret stand neben dem gro?en Heckfenster in seiner Tageskajute, sorgfaltig den einfallenden grellen Sonnenschein meidend. Wahrend des ganzen Berichts hatte er die gleiche Stellung beibehalten: breitbeinig, die Arme auf der Brust verschrankt, Bolitho den Rucken zuwendend, so da? dieser weder des Admirals Gesicht sehen noch dessen Stimmung erraten konnte. Die Hyperion hatte erst die Transporter und dann die schwer beschadigte Harve-ster in die schutzenden Arme des Naturhafens einlaufen lassen und dann in der Morgenfruhe unterhalb der Bergfestung Anker geworfen. Bolitho hatte eigentlich erwartet, sofort auf die Tenacious gerufen zu werden; doch aus Grunden, die nur Pomfret kannte, hatte er bis sieben Glasen der Vormittags wache warten mussen, ehe das kurze Signal» Kommandant unverzuglich an Bord «auf dem Flaggschiff erschien.
        Jetzt, als Bolitho die ausfuhrliche Beschreibung seiner Verteidigung des Konvois abschlo?, fuhlte er sich so mude und schlapp, als hatte er ein Schlafmittel eingenommen; daher konnte er seinen Worten so distanziert zuhoren, als betrafen sie jemand anderen. Pomfret hatte ihn nicht gebeten, Platz zu nehmen. Au?er ihm war noch ein rotgesichtiger Infanterie-Oberst in der Kajute, den Pomfret kurz als Sir Tonquil Cobban, Kommandeur der auf Cozar stationierten Soldaten, vorstellte. Jedoch war Pomfret ebenfalls stehengeblieben, und trotz seiner breitbeinigen Positur und der unbewe g-ten Schultern wirkte er nervos und gereizt.

«So haben Sie also die Snipe verloren, wie?«fragte er unvermittelt.
        Es klang wie eine Anklage, doch Bolitho erwiderte nur mude:»Wenn ich noch ein weiteres Begleitschiff gehabt hatte, Sir, dann ware es vielleicht anders gekommen.

        Ungeduldig ri? Pomfret den Kopf hoch.»Wenn, wenn! Die ganze Zeit hore ich immer nur >wenn
«Sechzehn Tote und sechsundzwanzig Verwundete, von denen die meisten wohl durchkommen werden.»

«Hm. «Langsam wandte Pomfret sich um und trat an seinen Schreibtisch, auf dem eine gro?e farbige Seekarte lag. Lassig sagte er:»Ich hatte noch ein paar Tage auf Sie gewartet, aber dann ware ich auch ohne Nachschub abgesegelt. «Er warf Bolitho einen forschenden Blick zu.»Ich habe Nachricht von Lord Hood. Seine Truppe ist in Toulon gelandet, und ich habe Befehl, St. Clar einzunehmen.»

«Jawohl, Sir. «Auf diese Nachricht hatte Bolitho gewartet, doch nun, da sie kam, erschien sie ihm wie eine Wende zum Negativen. Er wu?te, da? Pomfret und der Colonel ihn genau beobachteten, und gab sich Muhe, seine Gedanken in Zaum zu halten. Er fragte:»Wunschen Sie, da? ich nochmals mit den Stadtvatern verhandle, Sir?»
        Pomfret runzelte die Stirn.»Keineswegs. Ich war in Ihrer Abwesenheit nicht faul und habe alles fest in der Hand, das kann ich Ihnen versichern. «Er wandte sich mit einem fluchtigen Lacheln dem Oberst zu.»Die Frogs mussen sich jetzt anstandig benehmen,
        eh?»
        Nun erst sprach der Colonel. Er hatte eine dumpfe, drohnende Stimme und trommelte sich bei jedem Wort auf den tadellosen Uniformrock.»Jawohl, bei Gott! Da General Carteau auf Toulon marschiert, haben unsere neuen Alliierten in St. Clar gar keine andere Wahl, als uns zu unterstutzen!«Der Gedanke schien ihm Spa? zu machen.
        Pomfret nickte.»Nun, Bolitho, ich wunsche, da? Sie Ihr Schiff unverzuglich wieder seeklar machen.»

«Die Reparaturen sind in vollem Gang, Sir. In den vier Tagen nach dem Gefecht haben wir alle Schaden an der Takelage beseitigt, und auch die meisten Innenreparaturen sind schon fertig.»
        Da Pomfret die Seekarte studierte, bemerkte er nicht, wie sich Bolithos Miene plotzlich verandert hatte. Vier Tage. Obwohl er sich die ganze Zeit bemuht hatte, nicht daran zu denken, fiel ihm jetzt alles wieder ein. Er hatte gehofft, die sichere Ruckkehr mit den Transportschiffen und die Anstrengung, sein Schiff wieder seeklar zu machen, wurden die Erinnerung an diese vier Tage zuruckdrangen, bis sie durch Zeit und Entfernung so undeutlich wurde, da? sie nicht mehr schmerzte. Aber ganz ohne sein Zutun hatte er auf einmal wieder das Gesicht Cheneys vor Augen, wie sie ihm zugehort hatte, als er ihr von seinem Schiff erzahlte, wahrend sie auf dem Achterdeck gemeinsam den Matrosen und Zimmerleuten zusahen, welche die Narben der Schlacht beseitigten.
        Am zweiten Abend, kurz vor Sonnenuntergang, war Bolitho mit ihr uber den Luvdecksgang geschritten und hatte ihr das komplizierte Labyrinth des Riggs erlautert, die Sehnenstrange, welche die Kraft des Schiffes weiterleiteten. Da hatte sie leise gesagt:»Danke, da? Sie mir das erklart haben. Damit haben Sie mir das Schiff lebendig gemacht.»
        Cheney hatte das alles weder langweilig noch komisch gefunden. Es hatte sie wirklich interessiert, auch wenn seine Art zu sprechen nur deshalb so eindringlich war, weil Schiffe das einzige waren, wovon er etwas verstand, das einzige Leben, das er kannte.
        In diesem Moment war ihm klargeworden, da? sie unabsichtlich die Wahrheit getroffen hatte.»Ich freue mich, da? Sie es so sehen«, hatte er geantwortet und dann auf die dunklen Geschutze im Schatten der Decksgange gedeutet.»Die Leute an Land sehen so ein Schiff weit drau?en vorbeisegeln, denken aber selten an die Menschen, die darin leben und sterben. «Dabei hatte er auf das leere Vorschiff gestarrt und sich all jene vorgestellt, die vor ihm auf diesem Schiff gewesen waren und nach ihm kommen wurden. Seine Hande umklammerten die Reling.»Sie haben ganz recht - ein Schiff besteht nicht blo? aus Holz.»
        An einem anderen Abend hatten sie miteinander in der Kajute gespeist, und wieder hatte sie ihn zum Erzahlen gebracht - von seinem Zuhause in Cornwall, seinen Reisen, den Schiffen, auf denen er gedient hatte.
        Wahrend die Seemeilen unter dem Kiel der Hyperion wegglitten, schienen sie beide zu empfinden, da? aus diesem seltsamen Gefuhl von Kameradschaft und Verstandnis etwas anderes erwuchs. Sie sprachen nicht davon; doch wahrend der letzten beiden Tagen mieden sie einander und kamen nur noch in Gesellschaft anderer zusammen. Kaum war der Anker klatschend gefallen, kam auch schon ein Boot langsseits: Lieutenant Fanshawe, Pomfrets Adjutant, holte Cheney ab.
        Sie war in demselben grunen Kleid aufs Achterdeck gekommen, das sie getragen hatte, als er sie zum erstenmal sah, und hatte zu der dusteren Festung auf den kahlen Bergen hinubergestarrt. Bolitho merkte, da? viele Matrosen auf den Decksgangen oder in den Wanten standen, und er spurte die Traurigkeit, die uber dem Schiff hing. Sogar die Deckoffiziere konnten oder mochten die Leute nicht an die Arbeit zurucktreiben und sahen ebenfalls zu, wie das Madchen tapfer den versammelten Offizieren die Hande schuttelte und seinen Bruder auf die Wange ku?te. Bolitho selbst hatte sich Muhe gegeben, in moglichst formellem Ton zu sprechen.»Wir alle werden Sie vermissen. «Gossett hatte heftig dazu genickt.»Es tut mir leid, da? Sie so viel durchmachen mu?ten. «Und dann wu?te er nicht weiter.
        Sie hatte ihn mit einer gewissen Besturzung angesehen, als wurde ihr erst jetzt, angesichts der Insel, klar, da? die Reise unwiderruflich zu Ende ging. Dann hatte sie gesagt:»Ich danke Ihnen, Cap-tain. Ich hatte es sehr gut an Bord. «Und hatte ringsum in die stummen Gesichter geblickt.»Es waren Tage, die ich nie vergessen werde.»
        Bolitho fuhr zusammen, denn auf einmal horte er wieder Pom-frets Stimme.». und ich nehme an, Sie werden Ihre Verluste mit den Uberlebenden der Snipe ersetzen oder auch auf den Transportern geeignete Leute finden.»

«Jawohl, Sir. «Muhsam konzentrierte er sich auf die vielen Einzelheiten, die noch zu erledigen waren. Dalby war tot, und er hatte Caswell zum Vizeleutnant befordert, um die Lucke in seinem Offiziersstab zu fullen. So war das eben: ein Mann starb, ein anderer stieg auf.
        Die Schwerverwundeten mu?ten an Land oder auf eines der Transportschiffe geschafft werden, wo sie ordentlich gepflegt werden konnten. Der Bestand an Kugeln, Pulver und zahllosen anderen Dinge mu?te erganzt werden.
        Cobban erhob sich, seine gewaltigen, blankgewichsten Stiefel knarrten heftig. Er war sehr gro?; wenn er stand, wirkte Pomfret neben ihm wie ein Zwerg.»Nun«, drohnte er,»ich gehe an Land. Wenn wir St. Clar am Funften einnehmen wollen, ist vorher viel zu tun. «Er hangte den Sabel ein und runzelte nachdenklich die Stirn. Immerhin ist es im September kuhler, da marschiert es sich besser. Meine Truppen werden jedenfalls tun, was ihnen befohlen wird. «Und Bolitho sah an den schmalen, zusammengepre?ten Lippen des Colonel, da? ihm seine Offiziere vermutlich ziemlich gleichgultig waren - von den einfachen Soldaten ganz zu schweigen.
        Pomfret wartete, bis Cobban drau?en war, und sagte dann gereizt:»Sehr lastig, das Militar, aber unter diesen Umstanden. «Er tippte fluchtig auf die Karte.»Ich nehme an, Miss Seton befand sich wahrend der Schlacht an einem sicheren Ort?»
        Vielleicht weil er dauernd an sie gedacht hatte oder auch, weil seine Mudigkeit ihm einen Streich spielte, kam es Bolitho vor, als klinge Pomfrets Frage nervos oder sogar argwohnisch.

«Jawohl, Sir«, antwortete er und schlug die Augen nieder, als ihm wieder die nackten Gestalten im Orlopdeck, die schwingenden Laternen, das Madchen in blutbespritzter Uniform in den Sinn kamen.

«Gut«, nickte Pomfret.»Freut mich zu horen. Ich habe sie in der Festung untergebracht. Das wird ausreichen, bis. «Er beendete den Satz nicht. Es war auch nicht notig.
        Bolitho erwiderte nur:»Meine Zimmerleute haben ein paar Mobel gebaut. Ich dachte, dann wurde es Miss Seton in der Festung etwas gemutlicher haben.»
        Pomfret blickte ihn sekundenlang an.»Aufmerksam von Ihnen. Hochst aufmerksam. Ja, Sie konnen die Sachen hinuberschaffen lassen, sobald es Ihnen pa?t. «Er schritt zum Fenster und sprach rasch weiter:»Wir segeln am Ersten des Monats. Haben Sie Ihr Schiff bis dahin fertig!«Er starrte zum schwarzen Rumpf des Straflingsschiffes hinuber.»Abschaum! Der letzte Dreck von Newgate, selbstverstandlich. Aber fur das, was hier zu tun ist, genugen sie. «Und ohne sich umzudrehen, schlo? er:»Das war's, Bolitho.»
        Bolitho trat in die blendende Helle hinaus. Pomfret hatte nicht einmal ihm oder seinen Leuten gratuliert, da? sie die kostbaren Transporter gerettet und dabei sogar noch zwei Angreifer zu Wracks geschossen hatten. Typisch fur den Mann, dachte er bitter. Solche Leistungen waren fur Pomfret offenbar selbstverstandlich. Nur zu einem Mi?erfolg hatte er etwas gesagt, und Bolitho konnte sich auch vorstellen, was.
        Stumm kletterte er in seine Gig und setzte sich auf der Heckbank zurecht. Als sich die Riemen hoben und wie Schwingen ins Wasser tauchten, mu?te er an Dalby und die Verzweiflung seiner letzten Minuten denken. Glucksspiel war der Fluch und Untergang so manchen guten Offiziers. Monatelang in der Enge ihres Schiffes eingesperrt, auf ihre eigene Gesellschaft angewiesen, durch harte
        Disziplin von den Mannern getrennt, die sie zu fuhren hatten - da war es durchaus nichts Ungewohnliches, da? Manner wie Dalby ihr Letztes auf eine Karte setzten und verloren. Erst harmlose Zerstreuung, dann grausame Wirklichkeit - Bolitho wu?te genau, wie gefahrlich das Spiel war. Sein eigener Bruder hatte des Vaters Herz gebrochen, indem er einen Offizierskameraden in sinnlosem Duell wegen einer Spielschuld getotet hatte.
        Er ri? sich aus seinem dumpfen Bruten und befahl scharf:»Kurs auf den Transporter dort druben!»
        Allday blickte zu ihm auf.»Die Erebus, Captain?»
        Bolitho nickte.»Sie hat die Uberlebenden der Snipe an Bord.»
        Allday legte Ruder und sagte nichts. Es war kaum Sache eines Linienschiffkommandanten, sich in eigener Person um ein paar eventuelle Rekruten zu kummern; es konnten auch nur eine Handvoll Manner mit dem Leben davongekommen sein. Aber er wu?te aus Erfahrung: Bolitho hatte schwere Sorgen. Wenn er sich so benahm wie jetzt, sagte man besser uberhaupt nichts.
        Jedenfalls wartete der Kapitan der Erebus schon darauf, Bolitho zu begru?en. Er grinste zum Willkommen uber das ganze tiefgebraunte Gesicht.»Ich wollte Ihnen danken, Captain!«Lange schwenkte er Bolithos Hand wie einen Pumpenschwengel.»Sie haben mein Schiff gerettet! So was hab' ich noch nie gesehen! Als Ihre alte Hyperion dem Franzmann unterm Bugspriet durchging, da dachte ich, nun ist es passiert!»
        Bolitho lie? ihn eine Weile reden und sagte dann:»Danke, Cap-tain. Aber Sie konnen sich wohl denken, warum ich hier bin?»
        Er nickte.»Aye. Aber ich furchte, es kommen nur sechs Mann und ein Offizier fur Sie in Frage. Die drei anderen werden wohl sterben, bevor die Woche um ist. «Er brach ab und starrte Bolitho erschrocken an.»Ist Ihnen nicht wohl, Sir? Sie sind ja auf einmal ganz bla?!«Er fa?te ihn beim Arm.
        Bolitho machte sich frei und verfluchte die Freundlichkeit des Mannes und seine eigene Anfalligkeit fur das alte Fieber. Er fuhlte das Deck unter sich schwanken, als liege das Schiff drau?en im Sturm und nicht im geschutzten Hafen.

«Ich will wieder auf mein Schiff, Captain«, erwiderte er kurz.»Mir fehlt nichts.
«Suchend sah er sich nach Allday um, denn er bekam plotzlich Angst, da? er vor dem fremden Kapitan und dessen Leuten zusammenbrechen konnte.
        Es war schlimmer als sonst. Seit er Kent verlassen hatte, um nach Gibraltar zu segeln, hatte es ihn nicht so schlimm geschuttelt. Seine Gedanken drehten sich wie sein Gesichtsfeld, sogar den Kapitan der Erebus sah er nur verschwommen wie durch hei?e Luft. Aber Allday war zur Stelle. Sanft und doch fest fuhlte er die Hand des Bootsmanns an seinem Arm und lie? sich zur Leiter fuhren. Wie bei einem Blinden scharrten seine Sohlen uber die Planken.
        Der Kapitan rief ihm nach:»Aber der Offizier der Snipe, Sir! Soll ich ihn hinuberschicken?«Die Frage uberspielte nur seine Verwirrung, denn er wu?te, wenn er Bolitho seine Hilfe anbot, wurde er es nur schlimmer machen.
        Bolitho wollte antworten, doch der Schuttelfrost war so stark, da? er kein Wort herausbrachte. Er vernahm Alldays Knurren:»Augen ins Boot, gefalligst!«und erriet, da? seine Mannschaft ihn beobachtete.
        Allday blickte zum Kapitan der Erebus auf und sagte kurz:»Schicken Sie ihn nur, Sir. Er wird bestimmt gebraucht.»
        Der Kapitan nickte. Anscheinend kam ihm gar nicht zum Bewu?tsein, da? ihm hier ein einfacher Bootsmann Befehle erteilte.

«Zum Schiff, Allday!«sagte Bolitho schwach.»Bringen Sie mich um Gottes willen schnell an Bord!»
        Allday wickelte Bolitho in den Bootsmantel und legte ihm den Arm um die Schultern, sonst ware Bolitho wie ein Toter von der Bank gerutscht. Allday kannte das schon; Mitleid und Zuneigung erfullten ihn. Und wutend war er auch. Wutend uber den Admiral, der Bolitho so lange aufgehalten hatte, obwohl nur ein blinder Narr ubersehen konnte, da? die Seeschlacht ihre die letzten korperlichen und seelischen Reserven gekostet hatte.

«Legt ab!«bellte er.»Riemen bei, zu-gleich!«Die Riemen hoben und senkten sich. Durchholen! Pullt wie noch nie!«Und mit einem Blick auf Bolithos verzerrtes Gesicht setzte er halb fur sich selbst hinzu:»Das wenigstens konnt ihr fur ihn tun!»
        Langsam offnete Bolitho die Augen und starrte zum Oberlicht am Kopfende seiner Koje empor. Wenigstens das dumpfe Brausen in seinen Ohren schien schwacher geworden zu sein; er horte zwischendurch Schiffsgerausche, das stetige Rauschen des Wassers an der Bordwand und ferne Stimmen.
        Vorsichtig versuchte er, Arme und Beine zu bewegen, aber die unter der Matratze festgestopften Decken hielten ihn so fest, da? er stillhielt und lieber versuchte, seine Gedanken in Ordnung zu bringen. Er erinnerte sich noch daran, wie er von Bord der Erebus gegangen und in seine Gig geklettert war. Es war ihm erschienen, als kame die Gig uberhaupt nicht naher an die Hyperion heran; die ganze Zeit hatte er die gro?te Muhe gehabt, sich in dem rollenden Boot aufrecht zuhalten; nur unbestimmt spurte er die Gegenwart der schwitzenden Rudergasten und Alldays Arm um seine Schultern.
        Das Fieber hatte grausam gewutet. Manchmal umschwebten ihn Gesichter, Hande hielten ihn fest oder betteten ihn um, ohne da? er etwas dagegen tun konnte. Zwischendurch mu?te er getraumt haben, um wurgend und schwitzend zu erwachen, denn seine Kehle war staubtrocken und seine Zunge so dick geschwollen, da? er zu ersticken glaubte. Wach oder im tiefen Erschopfungsschlaf, war er sich hin und wieder eines wei?en Dreiecks bewu?t, das er noch nie gesehen hatte. Es schien zu kommen und zu gehen wie ein Segel, nie nahe genug, um es zu identifizieren, und doch verband er in Gedanken etwas Trostendes, Angenehmes damit.
        Langsam wandte er den Kopf, spurte Schwei? auf seinem Kissen und die feuchtkalte Umarmung der Laken. Neben der Koje sa? Gimlett, die Schultern vor Konzentration vorgebeugt, und beobachtete ihn. Sein Korper schien vor und zuruck zu schwingen wie ein menschliches Pendel.

«Seit wann liege ich hier?«fragte Bolitho. Kaum erkannte er die eigene Stimme wieder.
        Gimlett ruckte sein Kissen bequemer zurecht.»Drei Tage, Sir. «Erschrocken fuhr er zuruck, denn Bolitho wollte die Decken beiseitesto?en.

«Drei Tage!«Unglaubig starrte Bolitho in dem engen Gela? umher. Himmeldonnerwetter, ich mu? aufstehen!»
        Ein grimmig lachelnder Allday glitt in seinen Gesichtskreis.»Sachte, Captain! Ihnen ging's ziemlich schlecht. «Er beugte sich uber ihn und steckte die Decken sogar noch fester.
        In hilfloser Wut schlo? Bolitho die Augen.»Verdammt noch mal, Allday! Helfen Sie mir auf! Ich befehle es Ihnen, verstanden?»
        Doch Allday blieb unbeirrbar ruhig.»Tut mir leid, Captain, aber der Schiffsarzt sagt, Sie sollen liegenbleiben, bis.»
        Plotzlich merkte Bolitho, da? die Koje stetig schwankte, da? Gimlett und Allday wirklich schwankten. Als er muhsam den Kopf wandte, sah er rotliche Sonnenstrahlen im Takt mit dem regelma?igen Heben und Senken des Schiffes um das Oberlicht spielen.

«Mein Gott, wir sind auf See!«murmelte er undeutlich. Allday und Gimlett wechselten einen kurzen Blick, und Bolitho fragte rasch:»Wie hat Rooke sie aus dem Hafen bekommen?»
        Allday trat so nahe heran, da? Bolitho die dunklen Schatten der Erschopfung unter seinen Augen sehen konnte.»Ging alles klar, Captain, glauben Sie mir. «Er deutete zum offenen Fenster.»Wir ankern ostlich von Cozar, unter dem maurischen Fort. Heute vormittag haben wir den Hafen verlassen - die See war so glatt wie'n Jungfernbauch!»
        Aber Bolitho wollte sich nicht beruhigen. Denn in den drei Tagen, die er nutz- und hilflos in seiner Koje lag, hatte sich eine kleine Invasionsflotte segelfertig gemacht. Zu Dutzenden mu?ten die Signale vom Flaggschiff zu jedem Schiff im Hafen gegangen sein; und was Pomfret jetzt von ihm dachte, mochte der Himmel wissen.

«Wie spat ist es?«fragte er.

«Drei Glasen der ersten Hundewache, Captain. «Allday setzte sich auf einen Stuhl und streckte die Beine. Jetzt, da sein Kommandant dem Zugriff des Fiebers entronnen schien, war er beinahe vergnugt.»Der Admiral hat seine Order geschickt, und au?erhalb dieses Schiffes wei? unter Garantie kein Mensch von Ihrer Krankheit.

        Bolitho schlo? die Augen. Er konnte sich leicht vorstellen, wie Allday und Gimlett ihn bewacht hatten. Ihre abgespannten Gesichter, ihre offenbare Freude uber seine Besserung sprachen Bande. Aber um dieses elende Fieber vor dem versammelten Geschwader geheimzuhalten, brauchte es mehr Leute als einen Bootsfuhrer und einen Steward. In der Erkenntnis, da? die gesamte Schiffsmannschaft dabei mitgewirkt haben mu?te, fuhlte er plotzlich Tranen der Ruhrung in seine Augen steigen.
        Gelassen sagte Allday:»Nichts zu befurchten, Captain. Sie mussen blo? wieder gesund und kraftig werden. «Er grinste.»Diese ganze Hafenroutine war eine gute Schulung fur die jungen Herren. «Er sah, da? Bolitho wieder die Augen offnete, und fuhr fort:»Der Leutnant von der Snipe hat ubernommen und die ganze Zeit als Erster Offizier Dienst gemacht. Das Flaggschiff hat zugestimmt, Captain. «Er unterdruckte ein Lacheln.»Sie brauchen nur noch zu bestatigen.»
        Beruhigt sagte Bolitho:»Dann mu? er ein guter Offizier sein.»

«O ja, das ist er. «Jetzt konnten Allday und Gimlett ihr Grinsen nicht mehr zuruckhalten.
        Bolitho starrte mit wachsender Gereiztheit von einem zu anderen.»Na? Was soll dieses verdammte Getue?«rief er; aber das strengte ihn so an, da? er erschopft in die Kissen zuruckfiel und nicht einmal Widerstand leistete, als Gimlett ihm die Stirn mit einem feuchten Tuch wischte.
        Dann horte er eine Bewegung an der Tur und Alldays gelassene Stimme:»Das wird er sein, Captain. «Er wartete nicht erst, bis Bolitho etwas sagte, sondern ging zur Tur und offnete sie. Die Hyperion hatte an ihrem Kabel so geschwojt, da? die kleine Kajute im Augenblick in tiefem Schatten lag. Und als Bolitho den Hals reckte, um den Mann im Turrahmen zu erblicken, glaubte er zunachst, noch im Fiebertraum zu liegen. Denn da war das wei?e Dreieck wieder. Doch als er scharfer hinsah, merkte er, da? es sich weder um eine Phantasiegebilde noch um eine Alptraumszene handelte. Der Leutnant trug einen Arm quer vorm Leib in einem Dreieckstuch, das sich von seiner dunklen Gestalt tatsachlich so hell wie ein kleines Segel abhob.
        Als das Schiff langsam zuruckschwojte und das Licht nun voll auf des Mannes Antlitz fiel, verga? Bolitho Fieber und Spannung. Immer noch fehlten ihm die Worte, doch er wu?te, da? der andere ahnlich bewegt war.
        Endlich brachte er hervor:»Um Gottes willen, sagt mir, da? ich nicht traume!»
        Lachend antwortete Allday:»Das ist er, Captain, Lieutenant Thomas Herrick - oder was noch von ihm ubrig ist!»
        Bolitho zog die Hand aus den Decken und ergriff Herricks Rechte, die dieser ihm entgegenstreckte.»Es tut wirklich gut, Sie zu sehen, Thomas. «Er fuhlte den festen, harten Gegendruck, den er von fruher kannte.
        Ernst blickte Herrick auf ihn herunter.»Und ich kann gar nicht sagen, wie mir zumute ist, Sir. «Er schuttelte den Kopf.»Es ging Ihnen dieser Tage ziemlich schlecht, aber bald wird alles wieder beim alten sein.»
        Bolitho konnte die Hand nicht loslassen.»Jetzt wird es bestimmt besser, Thomas.
«Das Wiedersehen mit Herrick hatte ihn so mitgenommen, da? er sich plotzlich ganz schlapp fuhlte; doch er fragte weiter:»Wo haben Sie gesteckt? Was haben Sie gemacht?»
        Allday unterbrach.»Ich glaube, Captain, Sie sollten sich eine Weile ausruhen. Spater kann ich Ihnen…»

«Maul halten, verdammt!«krachzte Bolitho.»Oder ich lasse dich auspeitschen!»
        Doch Herrick sagte:»Er hat recht, Sir. Liegen Sie schon ruhig, ich erzahle Ihnen schon, was es zu erzahlen gibt.»
        Bolitho legte sich zuruck und schlo? die Augen. In dem gleichen gelassenen Ton, den er so gut kannte, begann Herrick seinen Bericht. Sofort hatte Bolitho ihn wieder vor Augen, wie er damals gewesen war: der eigensinnige, idealistische Leutnant an Bord der Phalarope in den westindischen Gewassern, und spater auf der Fregatte Tempest in der weiten Wasserwuste der Sudsee. Und vor allem sah er ihn als das, was er in erster Linie war: ein treuer Freund, dem er vertraute.
        Herrick hatte sich etwas verandert, war breiter geworden und hatte graue Strahnen im Haar. Aber sein rundes Gesicht strahlte immer noch Zuverlassigkeit aus, und die Augen, die Bolitho jetzt in seiner Koje forschend musterten, leuchteten so blau wie bei ihrem ersten Zusammentreffen.
        Gelassen berichtete Herrick:»Als die Tempest im Jahr 1791 abgerustet wurde, hatte ich die feste Absicht zu warten, bis ich wieder unter Ihnen anmustern konnte. Ich nehme an, Sie wu?ten das. «Er seufzte.»Aber als ich nach Hause, nach Rochester kam, war mein Vater tot, und das Geld reichte gerade zum Uberleben. Mein Vater war Schreiber; ihm gehorte nicht einmal das Haus, in dem wir aufgewachsen waren. Und ich war auf Halbsold; da mu?te ich nehmen, was ich kriegen konnte. Ich heuerte auf einem Ostindienfahrer an. Fruher hatte ich mir geschworen, das niemals zu tun, aber jetzt war es noch ein Gluck fur mich - gro?e Teile der Kriegsmarine waren abgerustet, und die Leute lungerten beschaftigungslos an Land herum. Ich dachte, bis ich wieder nach England zuruckkam, waren Sie vielleicht gesund. Aber da hatten wir schon Krieg.»
        Muhsam warf Bolitho ein:»Ich habe versucht, Sie zu finden, Thomas. «Er offnete die Augen nicht, merkte aber, da? Herrick sich aufrichtete.

«Tatsachlich, Sir?»

«In Rochester. Ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen und mit Ihrer Schwester, die Sie in all den Jahren unterstutzt haben. Ich wu?te gar nicht, da? sie gelahmt ist.

        Herrick war tief betroffen.»Sie hat mir nie davon erzahlt.»

«Ich hatte sie darum gebeten. Sie waren auf See, und da ich Sie gut genug kenne, dachte ich, Sie wurden Ihre sichere Stellung sofort aufgeben, wenn Sie glaubten, ich hatte Ihnen ein Schiff anzubieten. Und das war damals nicht der Fall.»
        Wieder seufzte Herrick.»Es waren schwierige Zeiten, Sir. Aber ich bekam eine Stelle auf der Snipe und stach mit dem Straflingskonvoi von Torbay aus in See. In Gibraltar erhielten wir neue Segelorder, und das andere wissen Sie ja.»
        Bolitho offnete die Augen und blickte Herrick aufmerksam ins Gesicht.»Aber Tudor, Ihr Kommandant, war doch in Gibraltar bei mir an Bord. Er wu?te, da? ich einen erfahrenen Ersten brauchte. Er mu? es Ihnen doch gesagt haben.»
        Herrick wandte den Blick ab.»Hat er auch. Aber ich habe Sie verlassen, als die Tempest au?er Dienst gestellt wurde. Nun wollte ich nicht eine alte Freundschaft ausnutzen, um mir neue Vorteile zu verschaffen.»
        Bolitho lachelte melancholisch.»Sie haben sich nicht verandert, Thomas. Immer noch so stolz! Aber der Verlust der Snipe war ein harter Schlag fur Sie. Der Krieg weitet sich immer mehr aus, und bei dem erhohten Bedarf mu?ten Sie eigentlich in kurzer Zeit Kapitan werden. Dann waren Sie auch bald Fregattenkapitan geworden und hatten das erreicht, was Sie voll und ganz verdienen. «Er bemerkte die plotzliche Verwirrung in Herricks Miene und fuhr rasch fort:»Wenn wir St. Clar eingenommen haben, wird ein dienstalterer Leutnant als Kommandant der Schaluppe Fairfax benotigt - falls es sie dann noch gibt. «Er wollte sich auf die Ellbogen aufstutzen, aber Herrick druckte ihn sanft ins Kissen zuruck.»Sie mussen unbedingt mit Sir Edmund sprechen, Thomas«, redete Bolitho weiter.»Wenn Sie hier an Bord bleiben, werden Sie nie Kommandant!»
        Herrick stand auf und richtete seine Armschlinge.»Ich habe es schon einmal verpa?t. Nun mochte ich lieber bei Ihnen bleiben, wenn Sie mich haben wollen. «Er sah, wie Bolitho den Kopf we g-drehte, und schlo? mit fester Stimme:»Das entspricht namlich genau meinen Wunschen!»
        Bolitho sah ihn wieder an - er wu?te nicht, was er dazu sagen sollte.

«Au?erdem«, fuhr Herrick fort und lachelte, so da? er in dem halben Licht beinahe jungenhaft aussah,»au?erdem wei? ich, da? ich eine bessere Prisenchance habe, wenn ich bei Ihnen bleibe. Und vergessen Sie nicht: ich war Pomfrets Dritter auf der Phalarope. Wenn er irgendwelche Vergunstigungen zu vergeben hat, dann bestimmt nicht an mich!»

«Sie konnen daruber scherzen, Thomas«, erwiderte Bolitho,»aber ich glaube, Sie treffen da eine Fehlentscheidung. «Er streckte den Arm aus und ergriff wieder Herricks Hand.»Aber bei Gott, es ist eine Wohltat, Sie wieder an Bord zu haben!»
        Herrick ging, und Gimlett sagte:»Ich glaube, Sie sollten ein bi?chen Suppe essen, Sir.»
        Bestimmt erwiderte Bolitho:»Weg mit dem Zeug! Ich stehe sofort auf, und wenn auch nur, um eure ungeschickten Pfoten loszuwerden!»
        Allday sah zu Gimlett hinuber und kniff ein Auge zu.»Ich glaube, dem Kapt'n geht's tatsachlich besser!»
        Der nachste Morgen war hell und klar, und als Bolitho aufs Achterdeck hinaustrat, tat ihm der salzige Wind wohler als jede Medizin. Auch hatte es wahrend der Nacht aufgefrischt, und der Mastwimpel stand in seiner vollen Lange waagrecht ab.
        Herrick hatte ihn gesehen und fa?te an den Dreispitz.»Anker ist kurzstag, Sir. Klar zum Auslaufen. «Sein Ton war dienstlich, aber als sich ihre Augen trafen, verspurte Bolitho eine leise Erregung, als hatten sie ein Geheimnis miteinander.

«Recht so, Mr. Herrick. «Er nahm ein Teleskop und musterte die ankernden Schiffe. Es war ein kleines, aber eindrucksvolles Geschwader, das Bolitho, der mehr an die Einzelkampfe einer Fregatte gewohnt war, wie eine kleine Flotte vorkam. In sorgfaltig berechnetem Abstand zerrten die beiden schweren Linienschiffe an ihren Ankertrossen. Die spanische Princesa war nicht mehr so festlich beflaggt wie damals; vermutlich, dachte Bolitho, hatte Pomfret ihrem Kommandanten klargemacht, da? kein Grund vorlag, sein Schiff so herauszuputzen. Die Tenacious lag am weitesten landeinwarts. Eben erschien ein neues Signal an ihrer Rah, und auf dem Oberdeck wurde es lebendig.

«Signal vom Flaggschiff«, ertonte Midshipman Pipers quakende Stimme.»>Ankerauf<, Sir!»
        In Lee schimpfte Caswell:»Das hatten Sie auch eher sehen konnen, Mr. Piper!»
        Piper murmelte eine Entschuldigung, und Bolitho verbarg ein Lacheln. Als provisorischer Leutnant hatte Caswell anscheinend muhelos vergessen, da? er noch vor vier Tagen Pipers Dienst getan und alle Vorwurfe eingesteckt hatte, berechtigte wie unberechtigte.

«Bringt das Schiff in Fahrt«, sagte Bolitho.»Wir runden die Landzunge in Luv.»
        Herrick setzte die Sprechtrompete an. Seine Stimme, seine Bewegungen waren vollkommen ruhig.»Klar bei Ankerspill! Setzt Stagsegel!»
        Bolitho schritt zu den Finknetzen hinuber und beobachtete, wie das Transportschiff Weiland und die beiden Versorgungsschiffe, die er von Gibraltar hier her eskortiert hatte, mit der gelenkten Konfusion des Segelsetzens fertig wurden.

«Signal vom Flaggschiff«, meldete Piper laut.»Beeilen!»
        Herrick wandte sich halb um und rief:»Los die Bramsegel!«Die Augen mit der Hand beschattend, verfolgte er die hektische Aktivitat uber Deck; es bauschte sich erst ein, dann ein zweites Segel und schlug ungeduldig in der frischen Brise.

«Anker ist klar, Sir!«Das war Rookes Stimme. Wie mag der sich wohl mit Herrick als neuem Vorgesetzten abfinden? fragte sich Bolitho.

«An die Brassen!«brullte Herrick.»Sie da, Mr. Tomlin, scheuchen Sie die Kerls nach achtern! Ran an die Besanfallen!«Bolitho uberlief es, aber es war kein Fieberschauer, sondern die altbekannte Erregung, und sie war so stark wie eh und je. Um Herrick brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Der hatte einen schwerfalligen Indienfahrer mit hohem Tiefgang gesegelt, dessen Mannschaft vermutlich aus einem Dutzend Landern kam und sich nur unzureichend verstandigen konnte - da mu?te er die gutgedrillte Mannschaft der Hyperion als Erleichterung empfinden.
        Gewichtig wie gepanzerte Ritter kreuzten die drei Linienschiffe langsam um die flache Landspitze von Cozar. Die Tenacious fuhrte; Hyperion und Princesa folgten mit je einer Viertelmeile Abstand - ein imponierendes, prachtiges Bild.
        Die drei Transporter mit den rotrockigen Soldaten an Bord kreuzten vorsichtiger mehr in Lee, wahrend die Schaluppen Chanticleer und Alisma vorn und achtern wie wachsame Schaferhunde um die wertvolle Herde patrouillierten. Die schwer beschadigte Harvester war im Hafen geblieben, um ihre Reparaturen zu vollenden. Bis weitere Hilfe kam, war sie das einzige Schiff, das die Insel schutzte.
        Die letzte Fregatte Pomfrets, die Bat, war schon zwei Tage fruher ausgelaufen und wurde bei einigem Gluck bereits an der franzosischen Kuste rekognoszieren, fur den Fall, da? es dort in letzter Minute Schwierigkeiten gab.

«Neues Signal vom Flaggschiff, Sir!«Piper war schon ganz heiser.»>So viel Segel setzen, wie der Wind erlaubt!»»
        Herrick glich mit wippenden Zehen ein plotzliches Rollen der Hyperion aus, die eben eine steile, wei?bemutzte See durchstie?.»Beeilung! Setzt Bramsegel!«Er beugte sich uber die Reling und deutete mit der Sprechtrompete auf einen Mann.»Du da mit dem Dolch! Ein bi?chen lebhaft, sonst kriegst du den Zorn des Bootsmanns zu spuren!«Und dabei grinste er wie uber einen heimlichen
        Spa?.
        Gossett sang aus:»Kurs Nord zu West, Sir! Voll und bei!»
        Das Deck erzitterte, als sich immer mehr Segel an den vibrierenden Rahen entfalteten und die fixen Toppgasten kuhn in schwindelnder Hohe ausschwarmten und sich gegenseitig anfeuerten.
        Piper keuchte:»He, Seton, fa? mit an! Ich habe keine Puste mehr!»
        Bolitho wandte sich um, momentan abgelenkt durch Midshipman Seton, der zu Piper rannte, um seinem Freund an den Fallen zu helfen. Dann hob er wieder das Glas und richtete es auf die Insel, die unter seinem Blick wie ein brauner Schatten im Morgendunst versank. Er konnte gerade noch das kleine maurische Fort und das zerfallene Mauerwerk darunter ausmachen, und auch eine Gruppe spahender Gestalten: Straflinge, die bereits am Wiederaufbau der vernachlassigten Verteidigungsanlagen arbeiteten. Doch jetzt sahen sie den Schiffen nach und fragten sich zweifellos, ob auch sie jemals England oder wenigstens ein anderes Land als diese verdammte Insel zu Gesicht bekommen wurden.
        Bolitho dachte an jemand anderen. Als Piper den Bruder des Madchens bei Namen gerufen hatte, empfand er aufs neue jene bohrende, schmerzhafte Unruhe, die das Fieber vorubergehend gedampft hatte. Da merkte er, da? Herrick unter dem Rand seines Dreispitzes zu ihm heruber sah, und versuchte, die Erinnerung an das Madchen zu verdrangen. Wenigstens hatte er jetzt Herrick.
        Aber ungeachtet dieses Trostes stellte er sein Glas neu ein, und als das Geschwader auf ein weiteres Signal des Flaggschiffes uber Stag ging und Kurs auf die franzosische Kuste nahm, spahte er noch immer nach Cozar hinuber.



        XI Eine Geste des Vertrauens

        Leutnant Thomas Herrick ruckte die Schultern in dem schweren Olzeug zurecht und lehnte sich in den Wind. Seine Augen waren wund von Salz und Gischt, und als er nach vorn zum stampfenden Vorschiff blickte, konnte er kaum glauben, da? die zweite Wache eben begonnen hatte, denn es war bereits so dunkel wie in der tiefsten Nacht. Verbissen kehrte er dem heulenden Wind den Rucken und lie? sich von ihm zum Ruder drucken, wo vier durchweichte Matrosen mit den Speichen rangen und angstlich auf die wenigen stehenden Segel starrten, wahrend sich das Schiff krachend und rollend der Bo in die Zahne warf. Obgleich die Hyperion au?er den gerefften Bramsegeln kein Tuch fuhr, war der Druck betrachtlich, und das Brausen der See ging unter im Inferno der knatternden Segel, dem damonischen Geheul des Riggs und dem melancholischen Janken der Pumpen.
        Herrick blickte kurz auf den schaukelnden Kompa? und sah, da? die Hyperion nach wie vor Kurs hielt, fast rechtweisend Nord. Wie lange wurden sie sich wohl noch mit diesem Wetter herumschlagen mussen? uberlegte er. Vor vier Tagen erst war das Geschwader von Cozar ausgelaufen, doch ihm kam es wie ein Monat vor. In den ersten beiden Tagen war es bei klarem Himmel und lebhaftem Nordwest ganz gut gegangen; unter Pomfrets standigem Signalisieren waren die Schiffe so tief in den Golfe du Lyon eingedrungen, da? jede franzosische Patrouille denken mu?te, sie wollten eher in Toulon zu Lord Hood sto?en, als ein Unternehmen auf eigene Faust starten. Dann jedoch, als der Wind ausscho? und auffrischte, als tiefhangende, schwarzbauchige Wolken den Himmel bedeckten, waren Pomfrets Signale noch hektischer geworden, denn die schwerbeladenen Transporter konnten die befohlenen Stationen kaum halten, und die beiden Schaluppen tanzten wie Ruderboote in dem immer wutenderen Seegang.
        Regen gab es auch noch, aber die See ging so hoch, da? die hart arbeitenden Matrosen kaum wu?ten, ob Gischt oder Regen sie bis auf die Haut durchweichte und wie mit Klauen nach den Fu?en derer griff, die mit den nassen Segeln kampften, um sie festzumachen, ehe sie wie Papier von den Rahen gerissen wurden.
        Am dritten Tag gelangte Pomfret zu einer Entscheidung: Das Geschwader sollte nordlich von St. Clar beidrehen und den Sturm abwettern; die Hyperion jedoch sollte sich absetzen, auf Sudkurs gehen und die Einfahrt des kleinen Hafens sperren, bis das ganze Geschwader einlief. Irgendwo im Norden der Einfahrt stampfte bereits die einsame Fregatte Bat in der hochgehenden See und bemuhte sich, die andere Seite der Bucht zu blockieren.
        Herrick stie? einen wutenden Fluch aus, denn ein Gischtbrett fegte uber die Finknetze, traf ihn ins Gesicht und lief ihm wie eisiger Rauhreif an Bauch und Beinen herab. Je mehr er an Pomfret dachte, um so wutender wurde er. Sobald Herrick versuchte, die Handlungsweise Pomfrets zu analysieren, kam er ihm vor wie damals an Bord der Phalarope: launisch, ausweichend, zu plotzlichen, blinden, unvernunftigen Wutanfallen neigend. Merkwurdig, da? man in der kleinen, klosterlich abgeschlossenen Welt der Kriegsmarine seine alten Feinde nie loswurde, dachte er. Die Freunde jedoch kamen und gingen; selten nur kreuzte man ihren Pfad ein zweites
        Mal.
        In der vorigen Nacht, als die Matrosen wieder einmal aufgeentert waren, um Segel zu kurzen, hatte Herrick diese Gedanken Bolitho anvertraut. Doch der hatte weder uber den Admiral noch uber dessen Motive sprechen wollen; und Herrick fand denn auch, da? es unfair von ihm gewesen war, seine eigenen Zweifel auch nur zu erwahnen. Bolitho war ihm ein echter Freund und ein Mann, den er mehr als jeden anderen bewunderte, aber zuerst und vor allem war er Kommandant. Ein Kommandant, den die Last der Verantwortung einsam machte, und der weder Vorzuge noch Schwachen seiner Vorgesetzten mit Untergebenen diskutieren durfte, ganz gleich, was er selbst von ihnen hielt.
        Aber Herrick blieb davon uberzeugt, da? Pomfret, auch wenn er im Lauf der Jahre dazugelernt haben sollte, einen alten Groll nicht verga?. Er blieb hart und rucksichtslos, Charakterzuge, die in der Marine ziemlich haufig vorkamen, doch daruber hinaus hegte er die felsenfeste Uberzeugung, da? er immer recht hatte und nie etwas falsch machen konnte.
        Auf der Reise von England her hatte Herrick gehort, da? Pom-frets kunftiger Posten in Neu-Holland eher ein Strafkommando als eine Belohnung war. Der Gedanke hatte sicher etwas fur sich, denn es war unwahrscheinlich, da? England im Krieg mit einem so machtigen Feind wie Frankreich einen Mann von Rang und Erfahrung Pomfrets als Kommandeur einer Straflingskolonie ans andere Ende der Welt schicken wurde - es sei denn, man wollte verhindern, da? er an entscheidenderer Stelle Schaden anrichtete.
        Und seine Manie fur schriftliche Befehle, seine standigen Signale, die seinen Untergebenen wenig Raum fur Eigeninitiative lie?en - all das schien auf einen Mann zu deuten, der fest entschlossen war, sich zu bewahren, und zwar ein- fur allemal.
        Bestimmt war er ein ausgezeichneter Organisator; selbst Herrick mu?te ihm das zugestehen. Wahrend Bolitho fiebernd in seiner Kajute gelegen und er als Erster Leutnant das Schiff gefuhrt hatte, waren die Beweise dafur augenfallig gewesen. Die Straflinge arbeiteten an der Ausbesserung der verfallenden Festungsanlagen und bauten einen neuen steinernen Pier; die Soldaten, schwitzend und sonnenverbrannt, wurden unaufhorlich fur die Landung in St. Clar gedrillt. Herrick lachelte schadenfroh: im Augenblick mu?te die Truppe allerdings zu seekrank sein, um irgend etwas unternehmen zu konnen; das wurde Pomfrets Laune noch verschlechtern. Und dabei war morgen der Tag X. Wenn es das Wetter irgend erlaubte, sollte das Geschwader in die Bucht einlaufen und die Stadt in Besitz nehmen. Und innerhalb einer Woche wurde ganz Europa wissen, da? England dem stolzen Erbfeind wiederum einen Schlag versetzt hatte und tatsachlich auf franzosischem Boden gelandet war.
        Hinter sich auf den Planken horte Herrick Schritte und sah Bo-litho zur Luvreling spahen, das Haar vom Spruhwasser fest an den Kopf geklebt. Anscheinend hatte er nie langer als ein paar Minuten geschlafen, aber Herrick kannte ihn gut genug, um seine standige Anwesenheit nicht als Mi?trauen aufzufassen. So war er nun einmal, und das wurde sich auch nicht andern.
        Bolitho uberschrie den Wind:»Schon Land in Sicht?»
        Herrick schuttelte den Kopf.»Nein, Sir. Ich habe den Kurs wie befohlen geandert, aber die Sicht betragt nur noch eine knappe halbe Meile.»
        Bolitho nickte.»Kommen Sie in den Kartenraum.»
        Nach dem Chaos an Deck schien Herrick der kleine Kartenraum mit dem dunkelpolierten Holz und der kreisenden Laterne eine andere, friedliche Welt zu sein, trotz der arbeitenden Balken und knarrenden Mobel.
        Auf die Ellbogen gestutzt, sehr nachdenklich, studierte Bolitho die Karte. Mit den Spitzen des Messingstechzirkels tippte er im Takt zu seinen Worten aufs Papier: Mr. Gossett ist sicher, da? es morgen abflaut, Thomas. Er irrt sich selten.»
        Skeptisch studierte Herrick das Gewirr der Kurs- und Peillinien auf der Karte, das nur zu deutlich zeigte, wie schwer sich die Hyperion mit ihrem Auf- und Abpatrouillieren vor der sudlichen Einfahrt von St. Clar getan hatte. Die kleine Bucht, an der vor Zeiten ein paar unternehmungslustige Fischer den Ort St. Clar gegrundet hatten, war wie von eines Riesen Axt in die Kustenlinie gekerbt. Im Norden und Suden von steilen Vorgebirgen geschutzt, war die Einfahrt etwa eine Meile breit und bot auch dem gro?ten Fahrzeug einen geschutzten Ankerplatz. Weiter landeinwarts verengte sie sich betrachtlich, bis sie schlie?lich in die Mundung eines kleinen, aber rei?enden Flusses uberging, der von den Bergen herunterkam. Der Flu? war zu wenig anderem nutze, als die Stadt in zwei Halften zu teilen; der nord-sudliche Verkehr mu?te uber eine steinerne Brucke am Ende des Hafens.
        Gesaumt wurde die Bucht von ungastlichen Klippen und scharfkantigen Felsen. Somit war der Hafen selbst der einzig sichere Ort fur einen Landfall. Doch wenn man dabei auf Widerstand traf, brauchte es zehnmal starkere Krafte, als Pomfret zur Verfugung hatte. Und selbst dann konnte alles mit Mi?erfolg und betrachtlichen Menschenverlusten enden.
        Nachdenklich sagte Bolitho:»Sehr schade, da? wir nicht eher gelandet sind, Thomas. Seit meinen Verhandlungen mit dem Burgermeister ist uber ein Monat vergangen. Der erste konspirative Eifer mag inzwischen abgestumpft sein.»
        Herrick grunzte zweifelnd.»Sir Edmund hat ja angeblich dafur gesorgt, da? die Franzmanner uns helfen werden.»

«Vielleicht. Doch immerhin waren sie es, die Verhandlungen begonnen haben, und zwar, damit wir ihnen helfen. Es geht ihnen in erster Linie um die eigenen Interessen, vergessen Sie das nicht. Die wollen doch nicht als Verrater, sondern als Patrioten dastehen, ob der Plan nun so oder so ausgeht.»
        Herrick blickte ihn neugierig an.»Halten Sie denn nichts von diesem Plan, Sir?»

«Fur unsere Ziele konnten wir uns gar keinen besseren erhoffen. Mit einer solchen zusatzlichen Unterstutzung hatte Lord Hood normalerweise nie rechnen konnen. «Er runzelte die Stirn.»Aber fur den Burgermeister und seine Freunde wird er, furchte ich, schlimmere Auswirkungen haben als jede Niederlage im Kampf.»
        Drau?en auf dem Gang naherten sich rasche Schritte, und Mid-shipman Piper rief atemlos:»Captain, Sir! Mr. Caswell la?t respektvoll melden, da? wir ein kleines Boot gesichtet haben!»
        Herrick sagte:»Wahrscheinlich Treibgut. Bei diesem Wetter ist bestimmt kein Boot drau?en.»
        Bolitho lachelte fluchtig.»Das ist Mr. Caswells erste Sichtmeldung als Leutnant. Sie mussen ein bi?chen gro?zugig sein.»

«Wenn Sie meinen, Sir?«grinste Herrick.
        Regen und heulender Wind empfing sie an Deck, und Bolitho mu?te sich an den Netzen festhalten. Eifrig gegen den Larm anschreiend, wies Caswell nach Backbord, wo die schaumgekronten
        Wellen sich in eine chaotische Brandung verwandelten, mit der sich die Hyperion noch wurde auseinandersetzen mussen.

«Bei Gott, Sir!«rief Herrick.»Er hat recht. «Mit halb zugekniffenen Augen spahte er in den Wind, Gesicht und Brust trieften so stark, als sei er eben aus dem Wasser gehievt worden.
        Bolitho wartete ab, bis sich das Schiff wieder hob; dann sah er etwas Schwarzes sich von den wei?schaumenden Wellen abheben, und sekundenlang tauchte daruber das Dreieck eines braunen Segels auf.»Ein Fischer, Sir!«schrie Caswell.»Er kentert hier drau?en, wenn er nicht in ruhigeres Wasser kreuzt!»

«Vier Meilen bis zum nachsten Land, Mr. Caswell«, erwiderte Bolitho.»Wenn er ruhigeres Wasser wollte, ware er nicht so weit hinausgefahren.»

«Ein Licht!«meldete der Ausguck aufgeregt.»Er zeigt ein Licht.»
        Bolitho lehnte sich an einen Neunpfunder.»Beidrehen, Mr. Herrick!«Er sah des Leutnants erstaunte Miene und erklarte ungeduldig:»Das Fahrzeug treibt mit Wind und Stromung ab. Es in einem Boot einzuholen, ware hoffnungslos. «Er blickte zu den steinharten Segeln auf.»Wir lassen ihn auf uns zutreiben. Teilen Sie ein paar Leute ein, die ihn langsholen sollen. Ein paar Minuten, um die Besatzung dieses Bootes an Bord zu holen, und dann lassen Sie es driften!»
        Herrick offnete den Mund, schlo? ihn aber gleich wieder und sagte nur:»Aye, aye, Sir. «Er hangelte sich zur Achterdeckreling hinuber und brullte:»Mr. Tomlin! Wir holen das Boot langsseit! Draggen klar!«Seine Stimme ging fast unter im Zischen des uberkommenden Wassers und dem Crescendo des Sturms in der Takelage.»Klar zum Beidrehen! An die Brassen!»
        Mit einem Kreischen wie rei?ende Seide fiel das Vorbramsegel in sich zusammen und explodierte in wild flatternde Tuchstreifen. Aber die Hyperion ging dennoch majestatisch stampfend in den Wind. Das Manover erhohte noch den Larm an Bord. Deckoffiziere und Steuermannsmaaten mu?ten noch lauter schreien, damit ihre Befehle verstanden wurden.
        Das kleine Boot war schon fast vollgeschlagen, und als es schwerfallig auf die Bordwand zutrieb, sah Bolitho die Seen uber das Dollbord schlagen und ungehindert die geduckten Gestalten am
        Ruder umspulen. Die Hyperion erzitterte kaum, als es gegen die Bordwand krachte. Matrosen fluchten und schrien gegen den Wind an; bei einem zweiten Anprall knickte der Mast des Bootes wie ein Streichholz, der Sturm ri? das nasse Segel weg und wehte es wie ein entfesseltes Gespenst uber das Deck der Hyperion.

«Schnell!«schrie Herrick.»Es treibt ab!«Zwei bezopfte Matrosen hingen bereits an Leinen au?enbords und muhten sich, das Boot zu erreichen. Es brach jetzt rasch auseinander; sein Bug geriet, wie Bolitho vom Achterdeck aus sah, unter die Wolbung des Schiffsrumpfes, und uber zwanzig Mann hatten zu tun, um es an den Draggen langsseits zu halten. Lieutenant Inch kampfte sich zum Fallreep vor und rief durch die hohlen Hande:»Sir! Wir haben Sie: ein Mann und ein Junge!«Er stolperte, als das Schiff schwer uberholte. Die Masten vibrierten, als wollten sie ausbrechen.
        Bolitho winkte.»Loswerfen! Gehen Sie wieder auf Kurs, Mr. Herrick!«Er blinzelte Salzschaum aus den Augen. Die Toppgasten enterten auf, um die noch stehenden Segel zu sichern. Bei der blo?en Vorstellung, mit dort oben zu arbeiten, schwindelte ihn.
        Mit einem Knall wie ein Pistolenschu? brach eine steife Draggenleine und schleuderte die gegenhaltenden Matrosen in einem wusten Haufen auf die Planken. Aber der Bootsmann bekam den zweiten Draggen klar, und mit einem hohlen Ton, einem Seufzer ahnlich, kenterte das Boot und verschwand im Gischt.
        Doch die Matrosen hatten die beiden Insassen dem Meer entrissen und hielten sie fest. Der eine hing schlaff in der Schlinge; der zweite, kleinere, schien sich zu wehren.

«Schaffen Sie die beiden nach achtern, Mr. Tomlin!«befahl Bo-litho. Hinter sich horte er das Rad unter der vereinten Kraft der beiden Ruderganger knarren, und dann ertonte Gossetts Stimme:»Wir sind auf Kurs, Sir! Nord zu West, voll und bei!»

«Das war knapp, Sir«, sagte Herrick und schuttelte sich wie ein nasser Hund.»Hatte nie gedacht, da? ich mal erleben wurde, wie ein Linienschiff so tut, als ware es ein Amusierkahn!»
        Bolitho antwortete nicht. Er schaute der schlaffen Gestalt entgegen, die Tomlins Matrosen heranbrachten, und selbst in diesem Halbdunkel konnte er die durchweichte Uniform, den gro?en Schnurrbart erkennen, den die Nasse schief an die Wange des Mannes klebte, als gehore er dort uberhaupt nicht hin.
        Herrick sah Bolitho zusammenzucken.»Wer ist das, Sir?«fragte er.
        Leise erwiderte Bolitho:»Lieutenant Charlois. Der Mann, der die Verhandlungen eingeleitet hat. «Errief:»Den Arzt zu mir! Und bringt den Mann in meine Kajute!»
        Die Matrosen nahmen den Leblosen wieder hoch, und Bolitho wandte sich dem Jungen zu. Er war etwa so alt wie Seton, doch breitschultrig und ebenso schwarzhaarig wie Bolitho selbst.»Was ist geschehen?«fragte er ihn.»Sprichst du englisch, Junge?»
        Der Junge murmelte etwas und spuckte dann verachtlich aus. Kalt sagte Tomlin: Benimm dich, Bengel!«Er verpa?te ihm eine rasche Ohrfeige; doch dann ri? er entsetzt die Augen auf, denn der Junge sank zu seinen Fu?en hin.»Allmachtiger!»

«Bringen Sie ihn unter Deck, Bootsmann«, sagte Bolitho,»und sorgen Sie dafur, da? er trocken und warm wird. Ich spreche nachher mit ihm. Jetzt mu? ich zu Charlois.»
        Breitbeinig schritt Inch das schrage Deck hinan und sah gerade noch den Schiffsarzt hinter Bolitho herhasten.»Also wirklich, Mr. Herrick«, sagte er,»das ist mir ein Ratsel!»
        Herrick bi? sich auf die Lippen und beobachtete die Segel.»Eins ist sicher, Mr. Inch: da? der Mann hier drau?en fast ertrunken ist, hat seinen Grund - aber bestimmt keinen guten!»
        Bolitho stand in der Tur seiner Schlafkajute und sah zu, wie Rowlstone, sich mit einer Hand an der schwankenden Koje festhaltend, die Untersuchung des bewu?tlosen Charlois abschlo?. Allday und ein Sanitatsmaat hielten Laternen hoch.
        Der Schiffsarzt reckte die schmalen Schultern und sagte endlich:»Tut mir leid, Sir. «Er zuckte die Achseln.»Hat eine Kugel im linken Lungenflugel. Nichts mehr zu machen, furchte ich.»
        Bolitho trat herzu und sah auf das breite Gesicht des Franzosen und die nur flach atmende Brust nieder.

«Hatte ich ihn fruher bekommen«, sagte Rowlstone bedeutsam,»ware er moglicherweise zu retten gewesen. Aber die Wunde ist schon ziemlich alt. Drei Tage vielleicht. Sehen Sie den schwarzen Rand um den Einschu?? Schlimm.»
        Bolitho brauchte nicht erst hinzusehen, er konnte es riechen.»Wundbrand?«fragte er leise.
        Rowlstone nickte.»Mir unverstandlich, da? er uberhaupt noch lebt.»

«Nun - sorgen Sie dafur, da? es ihm so leicht wie moglich wird. «Er wollte sich schon abwenden und gehen; da sah er, da? Charlois' Augenlider zuckten und sich hoben. Sekundenlang starrten diese Augen nur blicklos und verstandnislos, als gehorten sie gar nicht zu dem Mann, dessen Gesicht im Lampenlicht talgwei? glanzte.

«Sind Sie das, capitaine!«Die schmerzverzerrten Lippen bewegten sich fast unmerklich; Bolitho mu?te sich bucken, um die Worte zu verstehen, und sein Magen rebellierte bei dem fauligen Gestank der Wunde.
        Charlois schlo? die Augen wieder.»Gott sei Lob und Dank!«»Ich bin es«, sagte Bolitho.»Aber warum haben Sie St. Clar verlassen?»
        Es war schmerzlich anzusehen, wie der Mann gegen seinen Tod ankampfte, um noch einmal klar zu denken. Doch er mu?te Bolitho wissen lassen, was los war.

«Mein Sohn?«fragte Charlois schwach.»Ist er in Sicherheit?»
        Bolitho nickte.»Wohlbehalten und gesund. Ein tapferer Junge, hat bei diesem Wetter die Pinne bis zuletzt nicht losgelassen.»
        Charlois versuchte zu nicken.»Braver Kerl… Aber nun ha?t er mich. Verabscheut mich als Verrater Frankreichs!«Eine Trane rann ihm aus dem Augenwinkel, doch er sprach weiter.»Er begleitete mich nur, weil er es fur seine Sohnespflicht hielt - nur deswegen!»
        Die Anstrengung des Sprechens machte sich bemerkbar, und Rowlstone sah Bolitho mit stummer Warnung an. Doch Bolitho mu?te weiterfragen.»Aber warum sind Sie ausgelaufen?»

«Ich gab Ihnen damals mein Wort, capitaine. Wir haben uns gegenseitig etwas versprochen, Sie und ich. Ich dachte, es wurde alles sehr schnell gehen, aber Ihr Admiral war anderer Meinung.»

«Wie lange waren Sie auf See?«fragte Bolitho.
        Charlois seufzte.»Zwei, drei Tage. Als das Schiff nach St. Clar kam, wu?te ich, alles ist aus, und deshalb suchte ich Sie. Aber wir wurden beschossen. Mich trafen sie. «Mit schmerzverzerrtem Gesicht warf er den Kopf auf dem rauhen Kissen hin und her.»Mit uns ist es aus, capitaine!»

«Was fur ein Schiff?«Bolitho legte die Hand auf Charlois' Schulter und fuhlte das feuchtkalte Fleisch.»Reden Sie, Mann!»
        Abgehackt murmelte Charlois:»Sie floh vor dem Sturm… Beschadigt im Kampf mit Ihnen… Die Saphir.»
        Traurig blickte Bolitho ihn an. Es war eine Ironie des Schicksals, da? ausgerechnet die Saphir, die Bolitho im Gefecht besiegt hatte, so unerwartet in St. Clar erschienen war.
        Charlois' Stimme klang jetzt kraftiger.»Ihr Kommandant ist ein kleiner Parvenu. Er verdankt sein Kommando dem Blut seiner Vorganger, die besser waren als er, aber auf Befehl des Revolutionsrats umgebracht wurden. Er hat schnell gemerkt, da? etwas nicht stimmt, und schickte Kavallerie nach Toulouse. Dort sind viele Soldaten. «Seine Stimme wurde wieder schwacher, sein Atem ging kurzer und rasselte laut in der engen Kabine.»Es ist aus. Das mussen Sie Ihrem Admiral sagen.»
        Bolitho blickte zur Seite. Diese endlose, tobende Wasserwuste, die Dunkelheit, die sein Schiff umschlo?. Irgendwo, weit im Nordosten, ritt Pomfrets Geschwader den Sturm ab. Die Hyperion wurde die ganze Nacht brauchen, um ihn zu finden, vielleicht noch langer. Bis dahin mu?te es zu spat sein. Pomfret wurde in die Bucht segeln und von der geballten Feuerkraft eines vor Anker liegenden Achtzig-Kanonen-Schiffes empfangen werden. Wahrscheinlich wurde auch die Kustenbatterie auf das Geschwader feuern; da ihre Gegenrebellion bereits verloren war, konnten sie nichts anderes tun. Und Pomfret wurde stur weiter angreifen, Schiffe und Manner verlieren, die er bitter notig hatte. Seine Kampfstarke reichte zwar aus, um die Stadt zu besetzen, aber nicht, um sie gegen einen Feind zu verteidigen, der jeden Moment Verstarkung aus Toulouse bekommen konnte. Reiter schafften das in einem Tag, oder in Anbetracht der vom Regen aufgeweichten Wege in einem Tag und einer Nacht, wenn sie scharf ritten. Und das wurden sie, dachte er grimmig. Die Garnison von Toulouse bestand aus Berufssoldaten, die dort die Bergstra?en zur
spanischen Grenze sicherten. Wie lange wurden sie fur den Marsch nach St. Clar brauchen? Drei Tage? Wenn die Franzosen in Falmouth gelandet waren - wie lange wurden dann englische Truppen brauchen, um sich gegen die Invasoren zu wenden? Nur sehr kurze Zeit.
        Gossett hatte ihm versichert, da? der Sturm abflauen wurde. Nichts wurde also Pomfret aufhalten, und Bolitho hatte keine Zeit, ihn zu suchen.
        Charlois sprach weiter:»Sie haben Hafensperren ausgelegt. Glauben Sie mir, capitaine, die sind auf alles vorbereitet!»

«Danke, lieutenant. Seien Sie versichert, da? wir Ihnen das nicht vergessen werden.»

«Zu spat. «Unter ihren Augen schwand Charlois' Leben dahin.»Es hatte gutgehen konnen, wenn Sie nur rechtzeitig gekommen waren! Aber es gab Zweifler und Angstliche. Wir brauchten ein Signal, verstehen Sie? Eine Geste des Vertrauens!»
        Bolitho trat zuruck.»Holt seinen Sohn. Es geht zu Ende mit ihm.»
        Sobald der zitternde Junge in die Kajute gefuhrt wurde, ging Bo-litho hinaus aufs Achterdeck. Der Junge ha?te die Englander, nicht seinen Vater. Es war richtig, da? die beiden jetzt beieinander waren.
        Herrick fragte:»Das mit dem Angriff, kann das stimmen?»
        Bolitho blickte in den fliegenden Gischt und horchte auf den Wind, der im Rigg heulte.»Halb und halb, Thomas«, erwiderte er.»Die Saphir liegt jedenfalls in St. Clar. Wenn unsere Leute den Hafen zu sturmen versuchen, gibt es ein Blutbad.»
        Nachdenklich sagte Herrick:»Dann mussen wir vor der Bucht kreuzen, Sir. So konnen wir auf das Geschwader sto?en und den Angriff verhindern.»
        Bolitho schien laut zu denken.»Ein Signal brauchen sie. Eine Geste des Vertrauens.

        Dann fuhr er herum und packte Herrick beim Arm. Seine Miene war entschlossen.»Und das sollen sie haben! Die Saphir ist mir einmal entwischt, Thomas. Jetzt soll sie uns nicht mehr aufhalten!»
        Herrick verstand nicht gleich.»Sie wollen angreifen, Sir?»
        Er nickte heftig.»Ja, das will ich! Im Schutze der Dunkelheit und so bald wie moglich.»
        Er brach ab, denn der junge Franzose kam an Deck. Er ging muhsam, Allday hatte ihm den Arm um die Schultern gelegt. Fur Char-lois war alles vorbei.
        Verbittert sagte Bolitho:»Das war ein tapferer Mann, Thomas. Ich habe kein Mitleid mit einem, der sein Leben aus Ehrgeiz einbu?t. Aber ein Mann, der fur eine gute Sache stirbt, mag der Erfolg auch noch so ungewi? sein, darf nicht vergessen werden!«Er verschrankte die Hande auf dem Rucken und starrte zum dunklen
        Himmel auf.»Fallen Sie jetzt zwei Strich nach Backbord ab, und setzen Sie einen neuen Kurs auf die sudliche Landzunge ab. Dort sind wir geschutzter, und bei dieser schlechten Sicht wird man uns nicht bemerken. «Herrick erwiderte:»Das ist gegen den Befehl des Admirals, Sir. «Sekundenlang blickte Bolitho ihn wie abwesend an. Dann antwortete er gepre?t:»Ich gehe ein bi?chen auf und ab, Thomas. Storen Sie mich erst, wenn wir eine Meile vor Land sind.»
        Regen und Spritzwasser peitschten ubers Deck, als die Hyperion sich naher an das im Dunkel liegende Land herankampfte. Ruhelos marschierte Bolitho in Luv auf und ab, Kinn in der Halsbinde, Hande auf dem Rucken verkrampft. Er war barhauptig, doch schienen ihm Wind und Wasser nichts auszumachen. Er war mit seinen Gedanken beschaftigt.
        In der Offiziersmesse der Hyperion war es feucht und stickig; die schaukelnden Laternen hullte der Rauch mehrerer Pfeifen ein. Stumm lauschten die Offiziere der ruhigen Stimme ihres Kommandanten. Vor den abgedichteten Heckfenstern schien das Tosen der See schwacher geworden zu sein; jedenfalls waren die Schiffsbewegungen jetzt, da man der Bucht naher und durch die Landzunge vor dem Wind etwas geschutzt war, nicht mehr so heftig.
        Bolitho stutzte sich auf die entrollte Seekarte und blickte in die gespannten Gesichter ringsum. Die Mienen waren so verschieden wie die Manner selbst: einige offensichtlich nervos, andere nur aufgeregt, ohne sich viel dabei zu denken. Manche, darunter Herrick, waren offensichtlich enttauscht, weil sie an der eigentlichen Aktion erst in der Schlu?phase beteiligt sein wurden.
        Gemessen sagte Bolitho:»Das ist ein Unternehmen fur Boote, meine Herren. So mu? es auch sein, wenn wir die Chance zur Uberraschung haben sollen. «Er blickte auf die Karte, achtete aber nicht auf die gekritzelten Details, sondern prufte nur sorgfaltig, ob er etwas vergessen oder, was noch schlimmer gewesen ware, nicht ganz genau und vollstandig erklart hatte. Er sprach jetzt rasch.»Wir nehmen die Barkasse, beide Kutter, die Gig und die Jolle. Gesamtstarke: neunzig Offiziere und Matrosen. Bewaffnung: Entermesser und Pistolen, aber letztere nur fur die Alteren. Ich will nicht, da? ein Ubereifriger vorzeitig losknallt und alles verrat!»
        Heiser fragte Gossett:»Sie sagen, am Nordarm der Bucht ist ein Leuchtfeuer, Sir? Er beugte sich vor und tippte mit der langen
        Pfeife auf die Karte.»Hier steht, da? es seit der Kriegserklarung nicht mehr brennt.»

«Ganz recht. «Vor unterdruckter Erregung zitterten Bolitho die Knie.»Das wissen wir, denn wir sahen schon kein Feuer, als wir das erstemal hier waren. Die Franzosen denken vermutlich, da? niemand dumm genug ist, bei Nacht und ohne Leuchtfeuer in die Bucht zu segeln. Aber naturlich trifft das auf uns nicht zu.»
        Einige lachelten, und er wunderte sich, da? eine so oberflachliche Bemerkung anderes als Bedenken und Zweifel ausloste. Der ganze Plan war schon in seinem Anfangsstadium geplatzt, wenn sie von einem Wachtposten oder Patrouillenboot gesichtet wurden. Rasch sprach er weiter, um die Vorstellung zu verdrangen, da? seine jungen eifrigen Offiziere vielleicht in Kurze tot oder verwundet unter diesem feindlichen Himmel lagen.»Mr. Herrick, Sie wissen, was zu tun ist: Sie kreuzen vor der Einfahrt und warten auf das Feuer der Leuchtboje. Das ist das Signal fur Sie, in den Hafen einzulaufen.«Uber die Kopfe der anderen blickte er in Herricks Augen und sprach nur fur ihn weiter.»Erscheint das Feuer nicht, versuchen Sie unter keinen Umstanden, die Einfahrt zu erzwingen. Dann werden Sie das Geschwader suchen und sich bemuhen, Sir Edmund zu uberreden, da? er der Kuste fern bleibt. «Nun sah er wieder in die anderen Gesichter.»Denn wenn alles dunkel bleibt, meine Herren, haben wir es nicht geschafft.»

«Und dann, Sir«, warf Rooke ein,»ist der Teufel los.»
        Bolitho lachelte gelassen.»Und wenn wir Erfolg haben, vielleicht auch. «Er richtete sich auf.»Noch Fragen?»
        Das war nicht der Fall. Sie kannten ihre Instruktionen. Vermutlich wurden sie, ebenso wie er selbst, froh sein, wenn sie es hinter sich hatten, so oder so.
        Als sie die Kajute verlie?en und zum Oberdeck gingen, sagte Herrick leise:»Ich wunschte, Sie wurden mich mitnehmen, Sir.»

«Ich wei?. «Oben wurden die angetretenen Matrosen von den Deckoffizieren kontrolliert; andere machten unter Mr. Tomlins Aufsicht die Boote zum Ausfieren klar.»Aber dieses Schiff braucht einen guten Kommandanten, Thomas. Wurde ich bei einem Gefecht auf See fallen, so ware es ohnedies in Ihren Handen. «Er hob die Schultern.»Falle ich heute nacht, dann ist es ebenso.»
        Aber Herrick blieb hartnackig.»Trotzdem, Sir. Mir ware wohler, wenn ich bei Ihnen ware.»
        Bolitho fa?te ihn am Armel.»Dennoch werden Sie hierbleiben und meine Befehle ausfuhren - eh?»
        Der Bootsmann kam uber das von Leuten wimmelnde Deck und tippte gru?end an die Stirn.»Alles klar, Sir.»

«Recht so, Mr. Tomlin. Bemannen Sie die Boote.»
        Sekunden spater wandte sich das Schiff auf ein leises Kommando der Kuste zu und drehte bei. Die Gerausche der Rahen, der Segel, das Quietschen und Klappern der Taljen und Blocke, als die Boote hoch uber Deck ausgeschwungen wurden, kam Bolitho unglaublich laut vor; aber bei nur etwas Gluck wurde man sie in dem Brausen von Wind und See an Land nicht horen.

«Sobald wir abgelegt haben«, sagte er zu Herrick,»machen Sie klar zum Gefecht. Sie sind zwar knapp an Offizieren, aber Matrosen haben Sie reichlich.»
        Herrick grinste muhsam.»Ich habe den Master und Mr. Caswell, Sir. Den altesten und den jungsten. Und naturlich die >Bullen<.«[Marine-Infanteristen]
        Bolitho hielt die Arme hoch und lie? sich von Allday den Degen umgurten. Kurz fa?te er nach dem abgewetzten Griff an seiner Seite und sagte dann:»Die Hyperion gehort jetzt Ihnen. Passen Sie gut auf sie auf. «Damit stieg er auf den Decksgang und spahte zu den langsseits festgemachten Booten hinab. Sie fullten sich mit Mannern, und selbst in der Finsternis konnte er die karierten Hemden der Matrosen, das Glitzern der Waffen und hier und da die dunklere Gestalt eines Offiziers unterscheiden.

«Also dann, Mr. Rooke«, rief er,»ablegen!»
        Er beobachtete, wie die gro?e Barkasse und der erste Kutter mit bereits eingesetzten Riemen von der Bordwand wegtrieben. Rooke und ein Midshipman hatten das Kommando, und in Sekunden waren beide Boote in der Nacht verschwunden. Als nachster legte Inch mit dem zweiten Kutter ab und pullte, eigentlich mit mehr Gerausch als notig, um den Bug herum. Nun warteten nur noch die Kommandantengig und die kleine Jolle, unter Fowler, dem Dritten Offizier, und Midshipman Piper.
        Bolitho atmete tief ein und sah sich rasch auf der Hyperion um. Herrick und Gossett blickten vom Achterdeck heruber, ebenso
        Hauptmann Ashby, der achtern an der Kampanjeleiter stand und vermutlich daruber wutend war, da? seine Seesoldaten den Uberfall nicht mitmachen durften.
        Allday sagte:»Wenn Sie soweit sind, Captain?«In der Finsternis schimmerten seine Zahne sehr wei?.
        Bolitho nickte und schwang sich in die Gro?rusten hinunter, wartete, bis die Jolle sich mit einer Welle hob, und sprang dann zu den anderen ins Boot.
        Er beugte sich uber das Dollbord und winkte zur Gig hin.»Mr. Fowler, halten Sie sich dicht hinter mir!«Dann befahl er Midship-man Piper, der neben ihm sa?:»Legen Sie ab, Mr. Piper! Wir haben einen langen Pull vor uns.»
        Die Jolle kam schwankend klar von der glitzernden Bordwand der Hyperion, ihre Riemen bissen in das wirbelnde Wasser, sie wendete und nahm Kurs auf die Kuste. Das kleine Boot hatte au?er den Mannern an den Riemen noch zehn Matrosen, dazu Allday und die Offiziere an Bord. Die Manner wurden schwer zu pullen haben.
        Zu Bolithos Fu?en hockte Seton. Woran mochte der wohl denken? Das jetzt war etwas anderes als sein erster Besuch in St. Clar!
        Achteraus konnte Bolitho sein Schiff kaum noch ausmachen. Bis auf den milchigen Schaum unter dem Steven war es schon vollig mit dem dunklen Himmel verschmolzen.
        Stetig folgte die Gig in ihrem Kielwasser, taktma?ig hoben und senkten sich die Riemen, die schwarzen Kopfe bewegten sich wie Teile einer Maschine. Von den anderen Booten war nichts zu entdecken, und Bolitho erwischte sich dabei, da? er sie in Gedanken beschwor, leise und sicher ihre vorbestimmten Ziele anzufahren und nicht etwa einem franzosischen Wachtboot in die Arme zu laufen.
        Er horte Alldays groben Befehl:»Lenzen! Sonst haben wir bald mehr Wasser im Boot als unterm Kiel!«Und zu Bolitho gewandt:»Wir werden mindestens zwei Stunden brauchen, bis wir auf Position sind, Captain.»

«Das werden wir. «Mit vorgebeugtem Oberkorper glich Bolitho die heftigen Schwankungen des Bootes aus.»Wenn es stimmt, was Mr. Inch sagt, werden wir die Kirchturmuhr schlagen horen, sobald wir um die Landzunge sind. «Er sprach etwas lauter, damit de Manner an den Riemen ihn verstanden.»Die werden wir den ganzen Weg lang horen, bis zum Hafen, Jungs. In England wurdet ihr um diese Zeit im Bett liegen.»
        Er wandte sich ab, um den dunkleren Schatten der Kuste zu studieren, und horte ein paar Manner uber seine Bemerkung lachen. Gebe Gott, da? sie die Uhr noch die Morgenstunden schlagen horen, dachte Zu seinen Fu?en horte er Seton wurgen. Der war noch schlimmer dran als die anderen - au?er Angst hatte er auch die Seekrankheit.



        XII Nachtgefecht

        Sie brauchten uber eine Stunde, um das ruhigere Wasser zwischen den beiden Landzungen zu erreichen, und dann keuchten die Ruderer vor Erschopfung. Da sie standig lenzen und sich an den Riemen regelma?ig ablosen mu?ten, kam kein zugiges Rudern zustande; Piper konnte weiter nichts tun, als einen moglichst steten Kurs zu halten und aufzupassen, da? sie nicht allzusehr aus dem Takt kamen oder laut wurden.
        Bolitho spahte nach achtern und sah die dunkle Form der Gig etwa funfzig Fu? entfernt. Leutnant Fowler hatte mehr Manner an den Riemen, aber dafur war sein Boot auch entsprechend schwerer, und zweifellos starrte er sich die Augen nach seinem Kommandanten aus dem Kopf und betete um eine kleine Ruhepause.
        Aber die Strecke war noch weit, das Boot schlingerte und stampfte plotzlich im Sog einer ablandigen Stromung, und Bolitho fragte sich, wie Rooke und seine Abteilung wohl vorankamen. Als sie zwischen den Landzungen in die Bucht einfuhren, hatte er den schwachen Umri? des niedrigen wei?en Leuchtturms gesehen, der wie ein Gespenst oben auf der Klippe stand, und hatte instandig gehofft, da? Rooke sie einnehmen konnte, ohne Alarm auszulosen. Er hatte auch Inch und seinen Kutter gesehen, doch nur ein paar Sekunden, dann war er in einer winzigen Seitenbucht der sudlichen Landzunge verschwunden. Die Manner in der Jolle hatten Zeit und Atem gefunden, um zu fluchen und Inchs Abteilung zu beneiden. Die konnten sich wenigstens jetzt uber die Riemen beugen und ausruhen, wahrend der Kutter ankerte und auf den Moment seines Eingreifens wartete.
        Der Bugmann stie? ein scharfes Zischen aus.»Da ist sie, Cap' n!»
        Er deutete mit dem Bootshaken voraus. Seine gebeugten Schultern hoben sich scharf wie eine Galionsfigur gegen das dunkle Wasser ab.»Die Sperre, Sir.»

«Stopp, Jungs!«befahl Bolitho.»Bootshaken klar!«Etwa zwei Sekunden lang offnete Allday die Blende seiner Laterne und richtete sie nach achtern. Die umwickelten Riemen der Gig hoben sich tropfend und verstummten. Lautlos glitten die beiden Boote an die behelfsma?ige Sperre heran, und die Manner im Bug setzten die Haken sorgfaltig ein. Die Sperre bestand aus einem dicken Kabel, das sich in schwarzem Halbkreis in der Finsternis verlor. In rege l-ma?igen Abstanden wurde es von gro?en Fassern an der Wasseroberflache gehalten; obwohl in aller Eile zusammengebaut, reichte diese Sperre doch vollig aus, um ein Schiff am Einlaufen zu hindern.
        Bolitho kletterte uber die eingezogenen Riemen nach vorn und stutzte sich auf die Schultern der keuchenden Matrosen. Das Kabel hatte sich vollgesaugt und war mit schleimigen Algen behangen, und er konnte sehen, da? es sich zu beiden Seiten unter dem Druck der Stromung ausbuchtete. So hatte er es auch erhofft und erwartet. Der andauernde heftige Regen, selten genug in diesen Breiten, hatte den kleinen Flu? auf den doppelten Wasserstand anschwellen lassen, so da? er sich nun brausend von den Bergen in die wartende See ergo?.
        Uberrascht schaute Bolitho hoch - der Regen hatte aufgehort. Selbst die Wolken kamen ihm dunner, nicht mehr so drohend vor, und sekundenlang uberfiel ihn Panik. Dann schlug die ferne Kirchturmuhr einmal. Es war also entweder ein oder halb zwei Uhr; der Klang gab ihm die Ruhe wieder, und ohne etwas zu sagen, kletterte er zuruck. Es blieb noch viel Zeit, seine Manner mu?ten sich ausruhen. Leutnant Fowler beugte sich aus der Gig und flusterte gepre?t:»Kommen wir hinuber, Sir?»
        Bolitho nickte.»Wir zuerst. Sie folgen, sobald wir klar sind. Das Kabel hangt zwischen den Bojen tief durch, es wird nicht schwierig.»
        Dann erstarrte er, denn ein Matrose keuchte:»Sir - Boot in Steuerbord voraus!»
        Sie sa?en stocksteif. Die Matrosen hielten die Boote voneinander ab, um die Gerausche zu dampfen. Erst unbestimmt und fern, dann deutlicher und naher horten sie das Spritzen und Knirschen von Riemen.

«Wachboot«, flusterte Bolitho. Wegen der kabbeligen Wellen war es unmoglich, das Boot selbst auszumachen, aber der regelma?ige Schlag der Riemen, der flache wei?e Gischtschnurrbart um den Bug waren genug. Bolitho horte einen Mann leise pfeifen und, vollig unerwartet und dadurch doppelt erschreckend, ein lautes zufriedenes Gahnen.

«Sie patrouillieren an der Sperre, Sir«, flusterte Piper. Er zitterte heftig, ob aus Angst oder Kalte, blieb Bolitho unklar.
        Er horte, wie das Boot vor ihnen mit spritzenden Riemen vorbeizog; bei jedem Schlag wurde das Gerausch unbestimmter. Naturlich hielt der franzosische Bootssteurer bei dieser Stromung reichlich Abstand von der Sperre, auch wurde die Besatzung ohne ausdrucklichen Befehl nicht allzu scharf Ausschau halten, wenn die ganze Sperre noch intakt war. Schlie?lich konnte kein Schiff daruber hinweg, und da sie an beiden Enden bewacht war, mu?te man es sofort merken, falls sie zerschnitten wurde.
        Bolitho entspannte sich ein wenig, als das Wachboot in der Finsternis verschwand. Es wurde vermutlich am anderen Ende eine Weile pausieren, ehe es wieder zuruckruderte, bei einigem Gluck eine Viertelstunde lang. Und inzwischen. Er wandte sich um und befahl kurz:»Also dann, Jungs! Hinuber!»
        Quietschend und scheuernd, von flachen Riemenschlagen getrieben, rutschten die beiden Boote uber das durchhangende Kabel und glitten in den Hafen hinein. Ein direkt hinter ihnen liegendes Fa? sprang im Wasser hoch, und Bolitho erwartete fast einen plotzlichen Anruf oder ein Lichtsignal, da? sie entdeckt waren. Doch nichts geschah, und mit frischer Energie legten sich die Manner wieder im die Riemen. Als es vom Kirchturm zwei Uhr schlug, kampften sie sich mitten im enger werdenden Fahrwasser voran. Mit jeder muhseligen Minute wurde der Gegenstrom starker.
        Selbst in der Finsternis konnte man die wei?gekalkten Hauser zu beiden Seiten des Hafens ausmachen. Sie standen terrassenformig am Hang; die unteren Fenster der hinteren Reihe blickten jeweils uber die Dacher der vorderen. Genau wie ein Fischerhafen zu Hause in Cornwall, dachte Bolitho. Leicht konnte er sich die steilen engen Gassen vorstellen, welche die Terrassen miteinander verbanden, die zum Trocknen aufgehangten Netze, den Geruch nach Fisch und Teer.
        Heiser sagte Allday:»Da ist sie, Captain. Die Saphir.».
        Der Rumpf des Zweideckers war nur ein dunklerer Schatten, aber vor den helleren Hausern hoben sich seine Masten und Rahen wie schwarzes Spinngewebe ab. Allday legte ganz leicht Ruder; gefolgt von der Gig, glitten sie weiter in die Fahrwassermitte und von dem schlafenden Schiff weg.
        Der scharfe Geruch nach verkohltem Holz und verbrannter Farbe, den der Wind herantrug, erinnerte Bolitho an das Gefecht. Hier und da konnte er an Bord eine Blendlaterne ausmachen, auch den sanften Schimmer des Oberlichts auf der Back. Doch kein Anruf lie? sich horen, kein plotzlicher alarmierender Schrei.
        Die eroberte Schaluppe Fairfax lag zwei Kabellangen hinter dem Franzosen in flacherem Wasser. Sie schwojte unruhig in der Stromung, den schlanken Bug landeinwarts gerichtet. Bolitho musterte sie genau, wahrend die beiden Boote voruberglitten. Sein erstes Kommando war eine Schaluppe gewesen, und auf einmal verspurte er Mitgefuhl fur die kleine Fairfax. Ein Schiff in Feindeshand stimmt einen stets irgendwie traurig, dachte er. Ohne ihre gewohnte Besatzung, ohne Schiffsfuhrung in der Muttersprache, mit neuem Namen und nach den Bedurfnissen des Siegers umgerustet, blieb sie trotz allem doch dasselbe Schiff.

«Die Brucke, Sir!«flusterte Piper. Es war nicht viel mehr zu sehen als ein grauer Buckel, aber Bolitho wu?te, da? sie das Ende des Hafens erreicht hatten; und wie zur Bestatigung seiner Berechnungen schlug die Kirchturmuhr dreimal. Beim Aufblicken sah er, da? jetzt durch Risse in den Wolken hier und da ein Stern blinkte. Also war der Sturm vorbei.
        Unvermittelt kam der Augenblick der Entscheidung. Seine Manner konnten nicht mehr rudern; unter der Brucke rauschte die Stromung wie ein Wildwasser, und fur die muden, schwitzenden Ruderer gab es deshalb keine Rastchance.
        Rasch blickte er sich im Boot um.»So, Jungs. Wir lassen uns jetzt also wie besprochen vom Strom treiben. Wir nehmen die Gro?rusten; Mr. Fowler entert uber die Back auf. «Leise zog er seinen Degen und deutete uber Bord.»Abfallen, Allday! Bleiben
        Sie klar von der Gig - wir wollen Mr. Fowler nicht in die Quere kommen, er hat genug zu tun.»
        Allday druckte die Pinne herum, die Riemen wurden leise eingezogen, und das Boot nahm direkten Kurs auf die schlanke Schaluppe. Alle hielten den Atem an, als das Wasser an der Au?enhaut, das Kratzen von gezogenem Stahl erschreckend laut klangen. Selbst das Bilgewasser unter den Bodenbrettern schwappte so vernehmlich, da? mancher Mann erschrocken zusammenfuhr.
        Plotzlich draute die Fairfax uber ihnen. Fast schienen die Masten mit den angeschlagenen Segeln an die Sterne zu ruhren. Dann, als Allday die Pinne noch starker umlegte und die Jolle schwerfallig auf die Rusten zuschwang, zerri? eine Stimme direkt uber ihnen die
        Stille.

«Qui v a la?»
        Schwarz hoben sich Kopf und Schultern des Mannes vom festgemachten Gro?segel ab. Mit einer zugigen Bewegung ri? Bolitho Midshipman Seton hoch und zischte:»Los, Junge! Antworte ihm!»
        Seton fuhlte sich noch schlapp von der Seekrankheit, und in der plotzlichen Stille klang seine Stimme gebrochen und schwankend. »Le patrouilleur.«Er wurgte, als Bolitho ihn nochmals ruttelte. »L'oficier de garde!»
        Bolitho fuhlte sich krampfhaft grinsen und flusterte:»Gut gemacht!«Von oben her war ein Gemurmel zu horen, das nun, da alles in Ordnung schien, eher argerlich als besorgt klang.
        Dumpf stie? der Bootssteven gegen den Schiffsrumpf, die Enterhaken flogen uber das Schanzkleid. Bolitho sprang in die Rusten, der Degen baumelte ihm vom Handgelenk, irritiert von den ungewohnten Aufbauten zog er sich hoch und uber die Schanz. In der Dunkelheit horte er unter sich einen scharfen Schrei und den scheu?lichen Laut, mit dem sich ein Entermesser in Fleisch und Knochen grub. Dann war au?er schwerem Atmen und dem Klatschen nackter Fu?e an Deck nichts mehr zu horen.

«Allday! Nehmen Sie mit zehn Mann das Logisdeck! Wahrscheinlich schlafen sie alle, verlassen sich auf die Ankerwache. «Bolitho deutete mit dem Degen zum Niedergang.
        Unten in Hohe des Wasserstags war jetzt das Aneinanderschla-gen von Riemen und ein argerlicher Ruf zu horen; Bolitho eilte uber das finstere Deck und sah Fowlers Leute auf der Back, die gerade den Festmacher der Gig belegten.

«Still da! Was, zum Donnerwetter, fallt euch ein?«zischte er.
        Ungeschickt kletterte Fowler uber den Kranbalken und keuchte:»Tut mir leid, Sir! Einer ist auf mich gefallen. Geht alles klar, Sir?»
        Trotz seiner nervosen Spannung mu?te Bolitho grinsen.»Sieht so aus, Mr. Fowler.
«Er wandte sich um, denn ein riesiger Ire namens O' Neil kam eben ubers Deck und tippte sich gru?end an Stirn.»Was ist?»

«In der Kapitanskajute is' keiner, Sir. Aber Ihr Bootsmann hat unten 'n paar Franzmanner gefunden. «Er deutete zum Niedergang und wiegte dabei unternehmend das Entermesser in der machtigen Hand.»Vielleicht sollt' man sie erledigen?»

«Kommt nicht in Frage, O'Neil«, sagte Bolitho scharf und wandte sich wieder Fowler zu.»Gehen Sie mit Ihren Mannern sofort an die Arbeit. Jedes Stuck Tuch, jede Spiere, uberhaupt alles Brennbare, am Vormast aufstapeln!»
        Fowler erschauerte leicht und blickte uber Bord, als die Schaluppe zur Strommitte hin schwojte.»Aye, aye, Sir. Ein paar Manner schaffen schon das Ol aus der Gig herauf. Mein Gott, das Schiff wird bei diesem Wind wie ne Fackel brennen!»

«Ich wei?«, nickte Bolitho.»Schlimm. Ich tu's wahrhaftig nicht gern.»
        Schon kamen die Manner mit den kleinen Olkanistern vom Bug herbeigeeilt.»Mu? es denn wirklich sein?«fragte Fowler.

«Das Schiff ist nicht so viel wert wie das Leben unserer Leute, Mr. Fowler. Vorausgesetzt, da? der Wind nicht umschlagt, konnen wir die Trosse kappen und es auf die Saphir zutreiben lassen. «Er lie? den Degen in die Scheide gleiten und schlo?:»Nichts richtet solche Panik an wie ein Brander.»
        Midshipman Piper spahte aus dem Niedergang zu ihm hoch, seine Augen glitzerten vor Erregung.»Sir - da unten!«Anscheinend war er so durcheinander, da? ihm die Worte fehlten.»Allday hat was gefunden…«Er brach ab, denn eben kam der Bootssteurer raschen Schrittes an den geschaftigen Matrosen vorbei, einen kleinen Mann, der ein flatterndes Hemd und nicht viel mehr am Leibe trug, hinter sich herziehend.

«Wer ist dieser Mann?«fragte Bolitho scharf.
        Allday starrte kurz den wachsenden Haufen Zunder beim Vormast an und antwortete dann gelassen:»Er ist der Steuermannsmaat, der hier die Aufsicht hatte, Captain.
«Er atmete tief.»Aber um ihn geht's nicht. Da unten liegen uber drei?ig verwundete Franzosen. Der junge Mr. Seton spricht jetzt mit ihnen und beruhigt sie, so gut es geht.»
        Bolitho drehte sich um und blickte zu der fernen Saphir hinuber.»Schwer verwundet? fragte er schlie?lich.

«Aye, Captain. Anscheinend Leute von der Saphir. Mr. Seton sagt, sie wollten morgen in See gehen und versuchen, die Blockade von Marseille zu durchbrechen. «Er schuttelte den Kopf.»Aber ich glaube, manche werden den Morgen nicht mehr erleben.

        Erregt stie? Fowler hervor:»Also, das ist nicht zu andern. Sie hatten ja bei den Breitseiten ebenfalls sterben konnen. Verbrennen ist ein ziemlich schneller Tod.»
        Bolitho versuchte, seine rasenden Gedanken zu ordnen. Alldays Entdeckung kam wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte mit allem nur Menschenmoglichen gerechnet: da? sie sich den Weg an Bord erkampfen mu?ten, da? eine tuchtige Ankerwache oder Patrouille sie abschlug. Dann hatte die Gig von der anderen Flanke her eingreifen mussen oder hatte zumindest die Uberlebenden in Sicherheit oder schlimmstenfalls in Gefangenschaft gebracht. Nun starrte er ratlos auf die emsig arbeitenden Matrosen. Der Magen drehte sich ihm um.
        Fowlers Worte uber die verwundeten Matrosen hatten ebenso etwas fur sich wie seine eigenen:». nicht so wertvoll wie das Leben unserer Leute«, hatte er gesagt. Der Plan, das wu?te er, hatte geklappt. Wenn die Schaluppe erst einmal brannte, ware sie wie ein Bote der Holle auf den schlafenden Zweidecker zugetrieben. Die Saphir hatte ebenfalls in Brand geraten mussen, beide Schiffe waren bis zur Wasserlinie heruntergebrannt, und die Gefahr fur Pom-frets Landung ware beseitigt gewesen. Die Mannschaft der Saphir hatte Mut und Geschick im Gefecht bewiesen; aber mude Manner, die im sicheren Hafen erwachten, ihre Welt in Flammen stehen sahen und wu?ten, wenn das Feuer das Magazin erreichte, wurden sie allesamt in die Luft fliegen, solche Manner konnten kaum noch Kampfeswillen aufbringen.
        Plotzlich mu?te er an Rooke und die Abteilung am Leuchtfeuer denken. Es mu?te inzwischen in ihrer Hand sein, sonst ware Alarm gegeben worden. Rooke wurde schon nach Flammen Ausschau halten. Unterhalb der Landspitze warteten Inch und seine Manner, um die Sperre zu kappen. Dessen Aufgabe ware die leichteste gewesen, denn kein Wachboot patrouillierte im Hafen, wenn das eigene Schiff verbrannte.
        Tonlos sagte er:»Ich schicke keinen Menschen in einen solchen Tod. «Er sah Allday an.»Wie stark war die Ankerwache?»

«Sieben Mann, Captain«, entgegnete Allday.»Ich hab' sie wie befohlen gefesselt, nur einen mu?ten wir niederschlagen. «Unsicher fuhr er fort:»Niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen, Captain. Wenn' s andersrum ware - bestimmt wurden die Sie lebendig braten.»
        Ernst blickte Bolitho ihn an.»Solche Vermutungen helfen mir wenig. «Er sah zum Himmel auf. Es klarte rasch auf, und nach Osten zu standen die Sterne wie ein Stickereimuster uberm Horizont. Irgendwo da drau?en kreuzte Herrick und hielt sorgenvoll Ausschau nach dem Leuchtfeuer, das ihn in den Hafen leiten sollte, ehe der Morgen graute; denn sobald es hell wurde, war er nackt und schutzlos.
        Er fa?te einen Entschlu?.»Schafft die Leute an Deck. Die Schaluppe hat zwei Boote, und wir nehmen auch noch eins von unseren. «Er sprach sehr rasch, wie um sich selbst zu uberzeugen.»Schont sie soweit wie moglich, aber beeilt euch, um Gottes willen!«Er erwischte Piper beim Armel.»Sie, mein Junge, haben die Aufsicht beim Ausbooten. Auf der Hyperion haben Sie das oft genug gemacht; aber diesmal mu? es ohne jedes Gerausch vor sich gehen!»
        Piper nickte und rief im Wegeilen ein paar Namen. Bolitho sah ihm nach, bis die Finsternis den kleinen Kerl verschluckt hatte, und fuhlte sich seltsam bewegt. Dann ri? er sich aus seiner Bedrucktheit und wandte sich an Fowler. Es hatte keinen Zeck, in Midshipmen nur sechzehnjahrige Knaben zu sehen. Sie waren Offiziere des Konigs, und es war weder moglich noch zweckma?ig, sie anders zu behandeln.»Wenn die Franzmanner druben nicht stocktaub sind«, bemerkte Fowler sachlich,»dann mussen sie merken, da? irgendwas in Gange ist, Sir. «Bitter fugte er hinzu:»Vielleicht hatte dieser Charlois doch recht!»
        Nachdenklich blickte Bolitho ihn an.»Wurden Sie das Schiff mit all diesen hilflosen Menschen da unten in Brand stecken?»
        Fowler trat von einem Fu? auf den anderen und entgegnete schlie?lich:»Wenn es mir befohlen wird - ja.»

«Danach habe ich nicht gefragt«, erwiderte Bolitho kalt.»Befehle auszufuhren, ist immer leichter, als sie zu erteilen. Wenn Sie so lange leben, da? Sie selbst kommandieren, werden Sie sich daran erinnern.»
        Betreten murmelte der Leutnant:»Entschuldigung, Sir.»
        Ein dumpfes Gerausch, ein Schmerzensschrei, und der erste Verwundete wurde durch den Niedergang heraufgeschafft. Bolitho vernahm Setons Stimme; besanftigend, beschworend, versuchte er, den Ausbruch einer Panik unter den erschreckten Franzosen zu verhindern. Bolitho verstand nicht recht, was der Junge sagte, aber er schien Erfolg zu haben, denn der Mann lag jetzt ganz still beim Schanzkleid, als das erste Boot aus seinen Halterungen gehoben und an knarrenden Taljen ausgeschwenkt wurde. Piper tanzte fast vor Aufregung:»Leise! Hol an!«Und als das Boot uber der Reling verschwand, krachzte er:»Fier ab - sachte!»

«Nehmen Sie die Gig«, sagte Bolitho,»und machen Sie sie achtern fest. Wir mussen die Jolle zur Kuste schicken, furchte ich.»

«Sie war schon vorher uberladen«, sagte Fowler.»Wenn jetzt noch Ihre Abteilung dazukommt.»
        Allday rannte heran.»Blo? noch drei Mann, Sir. Einer ist tot, den lasse ich liegen.»
        Das zweite Boot klatschte langsseit ins Meer, und die Matrosen der Hyperion begannen, die Verwundeten uber die Reling zu heben. Gefesselt, verangstigt, von mehreren Bewaffneten bewacht, stand die franzosische Ankerwache am Gro?mast, und ihr toter Kamerad lag noch an der Schanz als Warnung fur jeden, der etwa an Widerstand dachte.
        Die Manner arbeiteten rasch und leise, doch mit der Zeit wurde die Spannung unertraglich. Bolitho versuchte, nicht zum Himmel aufzusehen, denn der war jedesmal heller.»Mr. Seton«, sagte er,»machen Sie diesen Franzosen klar, da? sie in den Booten mausestill zu sein haben! Ein Laut, und ich spicke sie mit Schrapnell, ehe sie eine halbe Kabellange weg sind!»

«Aye, aye, Sir«, nickte Seton, schwankend vor Erschopfung und Schrecken.»T-tut mir leid, da? es nicht l-leiser ging, Sir.»
        Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter.»Sie haben das sehr gut gemacht, mein Junge! Ich bin stolz auf Sie.»
        Allday trat zur Seite, als Seton an ihm voruberrannte, und meinte gelassen:»Der ist gar nicht so ubel, Captain.»

«So sagten Sie schon. «Die Kirchturmuhr schlug vier, und Bo-litho schob den Hut zuruck.»Es wird spat, Allday. Wie viele noch?»
        Der Bootsfuhrer blickte ubers Deck.»Nur noch die beiden da an der Schanz. Ich schaff' sie hinunter. «Doch als er herzutrat, geriet einer der beiden Hilflosen ins Rollen und stie? einen schrillen Schmerzensschrei aus, so plotzlich und unerwartet, da? alle erstarrten. Doch dann warf sich Allday uber ihn, pre?te die Hande auf den Mund des armen Kerls, und der Schrei ri? ab, als sei eine Tur zugeschlagen worden.

«Tot, Captain«, sagte Allday leise und stand auf. Bolitho beobachtete die vor Anker liegende Saphir. Auf ihrem Achterdeck waren einige schattenhafte Gestalten erschienen. Laternen bewegten sich.»Spielt keine Rolle mehr, Allday«, entgegnete er.»Er hat sie geweckt.»
        Alle versteinerten, als von druben der schneidende Ton einer Trompete uber das schwarze Wasser schallte; und gleich darauf wirbelte eine Trommel. Uberall im Hafen wurden Fenster hell. Hunde bellten, Seevogel schrien verschlafen.
        Als Bolitho sich umwandte, sah er, da? seine Leute zu ihm aufsahen; seine Verzweiflung wich einer verzehrenden, bitteren Wut. Diese Manner hatten ihm vertraut, hatten seinen Befehlen ohne zu fragen gehorcht, auch angesichts des uberwaltigenden Risikos. Nun standen sie da und warteten, wahrend man dort, jenseits des Wassers auf dem franzosischen Schiff zu den Waffen griff. Aus dem Augenwinkel sah er, wie einer aus seiner Bootsmannschaft sich bekreuzigte; ein anderer lehnte an der Reling und starrte zum Land hinuber, als sahe er es zum letztenmal. Irgend etwas hakte in Bo-litho aus; und als er sprach, erkannte er seine Stimme selbst kaum wieder:»Sto?en Sie die Boote ab, Allday!«Und zu Fowler: Fertig zum Kabelkappen; und sagen Sie Piper, er soll die Gig ubernehmen!«Doch Fowler starrte ihn nur wortlos an; da packte Bolitho ihn beim Handgelenk.»Wir sind nicht von so weit gekommen, um jetzt so schnell aufzugeben. «Er wandte sich an die stumm dastehenden Matrosen:»Na, Jungs - kampfen oder schwimmen wir?»
        Wie auf Signal schien die Betaubung zu weichen; sie rannten zur Back, und jemand rief:»Los, Leute! Wir braten diese Hunde, ehe sie uns vollspucken!»
        Ein dumpfes Krachen, und eine schlecht gezielte Kugel hupfte funfzig Yards vor dem Bug ubers Wasser. Jemand auf der Saphir hatte offenbar ein Buggeschutz bemannt; aber da beide Schiffe in Wind und Strom heftig schwojten, blieb das eine leere Geste.
        Der letzte der franzosischen Ankerwache sprang uber die Reling, das Boot warf die Leinen los, und Fowler schrie:»Vorn alles klar,
        Sir!»

«Kappen!«brullte Bolitho.
        Mit einem Knall brach das steife Ankertau und schnellte peitschengleich uber den Bug. Das kleine Schiff trieb sofort ab, krangte steil in seiner plotzlichen Freiheit.

«Anzunden, Captain?«schrie Allday.
        Doch Bolitho spahte uber den Bug zu dem anderen Schiff hinuber. Er konnte heisere Kommandos horen, das Rumpeln der aufgehenden Stuckpforten, das beredte Knarren und Quietschen ausfahrender Lafetten.

«Noch nicht!»
        Wahrscheinlich dachte der Kommandant der Saphir, da? es sich um einen Uberfall handelte, mit dem die Englander die Fairfax befreien wollten. Was es auch spater kosten mochte, er mu?te sie moglichst lange in diesem Glauben halten.
        Allday schluckte und griff nach seinem Entermesser. Der Wind druckte die Schaluppe weiter in die Strommitte, und Bolitho sah die Doppelreihe der feindlichen Geschutzpforten. Einige standen schon offen, andere offneten sich jetzt, denn immer mehr Manner gehorchten dem fordernden Ton der Trompete und eilten auf Gefechtsstationen.
        Der ganze Hafen war jetzt hell, als hatte ein einziger Blitz alle Lampen angezundet. Der erste Salve krachte und hallte zwischen den Berghangen wider. Hohe Wassersaulen stiegen rechts und links empor; Bolitho sah etwas Helles, Deformiertes an der Bordwand der Sloop entlangreiben; Schreie brachen unvermittelt ab, als das zerschmetterte Boot kenterte und sank. Eine Kugel mu?te es getroffen und entzweigeschlagen haben, gerade als die freigelassenen Franzosen versuchten, ihre Verwundeten an Land zu rudern.
        Noch mehr Geschutze brullten auf, und der Widerschein ihrer langen, orangeroten Feuerzungen auf dem Wasser sah aus wie eine zweite Batterie. Bolitho fuhlte, wie sich der Schiffsrumpf unter ihm hob, und horte das splitternde Krachen aufgerissener Planken, als die schweren Kugeln durch das untere Deck pflugten, als wollten sie der Schaluppe das Herz aus dem Leibe rei?en.
        Ein Mann schrie:»Der Gro?topp kommt von oben! In Deckung!»
        Wild fuhr alles auseinander, als die gesplitterte Stenge mit ihrer Rah auf das Achterdeck niederdonnerte und die gerissenen Leinen wie mit Klauen nach den Mannern hieben und einen sogar uber Bord rissen.
        Wieder eine Reihe von Blitzen, diesmal aber naher und besser gezielt. Die Fairfax schuttelte sich wie im Krampf, Planken und Decksbalken bogen sich aufwarts - es war, als verfluche das Schiff die Manner, die es tatenlos zugrunde gehen lie?en.
        Bolitho krallte sich an der Reling fest; eine Kugel durchschlug die Steuerbordschanz und zerfetzte zwei Matrosen, die eben einen Verwundeten wegschleiften. Er war dankbar fur die Finsternis, obwohl sie die formlose, zuckende Menschenmasse weder ganz verhullen, noch das gra?liche Schreien und Winseln ersticken konnte.
        Er wappnete sein Bewu?tsein dagegen und brullte:»Legt Feuer!»
        Geduckt schleuderte ein Matrose eine Laterne in den Stapel aus Tuch und Holz, und sekundenlang sah Bolitho im Gesicht des Mannes, der hier seinem Zorn freien Lauf lie?, eine unbeschreibliche Maske des Hasses und der Rachsucht.
        Die Entfernung zwischen den beiden Schiffen betrug nur noch knapp siebzig Yards, und zunachst dachte Bolitho, es sei schon zu spat. Er konnte auf dem Decksgang der Saphir bereits Manner sehen, die zu der Stelle rannten, wo die beiden Schiffe einander beruhren wurden. Er konnte ihr triumphierendes Geschrei horen - wie das Klaffen eines wilden Rudels kurz vor dem Rei?en der Beute.
        Flammen huschten uber das Deck wie Funken einer Lunte, und als sie den olgetrankten Stapel erreichten, schien die ganze Schaluppe in Flammen aufzugehen, so da? die Manner zurucktaumelten und die Augen mit den Handen schutzten, fasziniert und erschuttert von dem, was sie da angerichtet hatten. Wieder schlug eine Salve ein; unter Deck horte Bolitho Wasser gurgeln und Schotts einrei?en - die See wollte ihren Sieg vollenden.
        Der Wind trieb den Rauch von der Back nach achtern, und Bo-litho hustete heftig. Er rieb sich die Tranen aus den Augen. Vormast und Vorbramrah flammten auf wie ein riesiges brennendes Kruzifix. Das Feuer verbreitete sich mit phantastischer Schnelligkeit. An Bord der Saphir verwandelte sich der Jubel bereits in Schreckensrufe. Jemand zog die Rei?leine eines Schwenkgeschutzes; Schrot hagelte an Bolithos Gesicht vorbei und schlug gegenuber ins Deck. Ein Matrose wurde von den Fu?en gerissen; noch in der Luft brach sein Schrei ab, und er fiel als zuckendes Bundel an Deck zuruck, wo sein Todeskampf eine Blutspur auf die Planken zeichnete.
        Bolitho sah Seton geduckt, die Hand vor dem Mund, nach achtern rennen, und mu?te ihn mehrmals beim Namen rufen, ehe er ein Zeichen des Verstehens erkannte.

«In die Gig, Mr. Seton! Alles von Bord!«Jenseits der Flammen sah er die hohe Bordwand des Zweideckers; jedes Geschutzrohr glanzte in seiner Pforte wie in hellem Sonnenlicht, als der Brander immer nahertrieb.

«Kommen Sie, Captain!«brullte Allday.»Wir sind gleich…»
        Wieder fegte ein Schrotschu? ubers Deck, jagte aus den Flammen Funken hoch und ri? mehrere Manner nieder, die Fowler nach achtern trieb.
        Seton fa?te nach seiner Schulter und sagte schwach:»Ich bin getroffen, Sir!«Dann sank er um. Und gerade, als ein Matrose zu ihm hineilte, stie? der angekohlte Bugspriet der Fairfax wie eine Lanze ins Kluvergeschirr der Saphir.

«Zuruck, Sir!«brullte Fowler.»Schnell, sie entern uns!»
        Schon sprangen Franzosen aufs Deck der Schaluppe, einige rannten zu den Flammen, andere tasteten sich durch den Rauch, feuerten mit Pistolen, hieben mit Entermessern nach Todwunden und Lebenden.
        Bolitho sah einen franzosischen Matrosen auf sich zukommen und spurte den Luftzug einer Kugel an der Wange, ehe er die Pistole aus dem Gurtel ri?. Aber dann zuckte die Waffe in seiner Hand auch schon im Rucksto?, der Mann taumelte, schrie auf, griff an die Brust und fiel zuruck in den Qualm. Bolitho schleuderte die leergeschossene Pistole einem anderen Gegner ins Gesicht und zog den Degen. Immer mehr Gestalten erschienen auf dem Achterdeck, tasteten sich wie Blinde mit ausgestreckten Armen durch den treibenden Vorhang aus Qualm und Flugasche. Undeutlich horte Bo-litho die Kirchturmuhr schlagen, doch jetzt aus einer anderen Richtung - daran merkte er, da? beide Schiffe zusammen abtrieben. Jemand an Bord der Saphir hatte noch die Ankertrosse gekappt; doch als eine Bo sekundenlang den Rauch teilte, sah er, da? es bereits zu spat war: Flammenzungen liefen die Takelage hinauf, das Schiff brannte unrettbar.
        Dann ballte sich der Rauch wieder zu einer erstickenden Wolke zusammen. Heulend trieb der Wind die Flammen uber das Deck der Schaluppe, Funkengeysire zischten himmelwarts, noch uber den Masttopp hinaus. Um ihn herum fochten Manner; das scharfe Klirren von Stahl auf Stahl und vereinzelte Pistolenschusse setzten spitze Akzente im dumpfen Kampfeslarm. Er fuhlte das Deck unter seinen Fu?en absacken, die Planken vibrierten im einstromenden Wasser. Es war ein Wettrennen zwischen dem Feuer und der See. Die Fairfax hatte ihre Aufgabe vollbracht; jetzt konnte sie unter die Wasseroberflache gleiten, sei es auch nur, um ihren elenden Zustand zu verbergen.
        Fowler war jetzt wieder neben Bolitho; sein Degen blitzte im Feuerschein, als er die Klingen der immer noch aus Rauch und Aschenregen ansturmenden Franzosen parierte.

«Wir mussen die Verwundeten zurucklassen, Sir!«uberbrullte er den Kampfeslarm. Er machte einen Ausfall, und ein Gegner taumelte schreiend gegen das Schanzkleid. Bei dem Fall schien sich das Deck unter seinem Rucken zu offnen, Flammen spruhten zwischen verkohlten Planken hoch, so da? der Mann sich krummte wie eine arme Seele im Hollenpfuhl; seine Haare brannten, seine Schreie gingen unter im furchtbaren Brausen der Flammen, die jetzt aus dem Schiffsrumpf schossen.
        Bolitho stolperte vorwarts und fand Seton noch an der Reling liegen, den Kopf wie im Schlaf auf dem gebogenen Arm. Der Matrose, der ihn in die Gig schaffen sollte, war geflohen oder tot; mit fast wahnsinniger Wut stellte Bolitho sich breitbeinig uber den Jungen, hieb einen Angreifer nieder und erwischte mit dem gleichen Schwung einen anderen, der beim Ruder gegen Allday kampfte.
        Aber es wurde immer gefahrlicher. Lange konnte es nicht mehr dauern. Die Franzosen schienen so von Sinnen vor Wut und Verzweiflung, da? sie mehr danach trachteten, die Handvoll britischer Matrosen zu vernichten, als ihr eigenes Schiff zu retten.
        Fowler lie? den Degen fallen und schlug die Hande vors Gesicht.»O Jesus, o mein Gott!«brullte er. Im Licht der flackernden Flammen glitzerte sein Blut, das ihm uber Hals und Brust stromte, wie schwarzes Glas. Gurgelnd brach er in die Knie, und ein franzosischer Leutnant, barhaupt, den Uniformrock in verkohlten Fetzen, ri? den Degen hoch, um Fowlers ungeschutzten Schadel zu spalten. Bolitho sprang nach vorn, blieb mit dem Fu? an einer gesplitterten Planke hangen und sah, wie die Klinge des Franzosen die Richtung wechselte und sausend die Luft durchschnitt. Mit letzter Kraft hielt er sich im Gleichgewicht und hob instinktiv den linken Arm zum Schutz. Die Klinge fuhr in seinen Unterarm; er fuhlte einen betaubenden Schmerz. Aber der franzosische Leutnant rutschte aus, die Wucht seines Angriffs warf ihn fast um; sein Gesicht gluhte im Feuer wie eine Maske aus Metall, mit funkelnden Augen starrte er Bolithos Degen entgegen, der uber Setons Korper eine Finte schlug - dann stach die rasiermesserscharfe Klinge zu. Der Franzose schrie nicht einmal auf, sondern taumelte zuruck, die Finger in die Brust
gekrallt, den Rucken wie in grotesker Verneigung gekrummt.

«Sie sinkt, Captain!«brullte Allday. Bolitho blinzelte und versuchte, sich den Schwei? aus den Augen zu wischen. Aber sein Arm hing wie tot herab, und mit unglaubigem Schrecken sah er, da? Blut an seiner Seite niederrann, sein Hosenbein durchfeuchtete und an Deck tropfte. Betaubt schuttelte er den Kopf und starrte zum Bug. Die hohe Flammenwand hatte sich auf die Saphir verlagert, wo aufgegeite Segel und geteerte Leinen als peitschende Flammenschnure davonflogen; kleinere Feuerherde huschten, vom Wind getrieben, zum Achterschiff und setzten alles in Brand, was sie unterwegs beruhrten. Durch die verlassenen Stuckpforten konnte er sehen, da? das Schiff auch innen wie ein Schmelzofen brannte. Blindlings sprangen Manner uber Bord und schrien furchtbar, wenn sie zwischen die brennenden Rumpfe gerieten und zu einem blutigen Brei zerquetscht wurden. Aber das Deck der Schaluppe kippte nun schnell ab. Unten stromte die See ein und erstickte die Flammen mit triumphierendem Zischen. Der Fockmast war ganz uber Bord gegangen; das hatte Bolitho in dem Chaos aus Tod und Vernichtung uberhaupt nicht gemerkt. Leichen
rollten die Deckschrage abwarts, einige Verwundete krochen wimmernd von den Flammen weg oder versuchten mit letzter Kraft, das Achterdeck zu erreichen.

«Gig ist klar!«brullte Allday.»Los, Captain, ich helfe Ihnen!»
        Bolitho blickte sich noch immer um, als erwarte er den nachsten Angriff. Aber au?er ihm waren nur noch Tote an Bord.

«Keiner mehr da«, schrie Allday.»Sie haben alle erledigt!«Dann sah er Bolithos Arm.»Hier, Captain, meine Hand!«Sie gerieten beide ins Taumeln, denn die Sloop legte sich schwerfallig auf die Seite, die leichten Deckgeschutze rissen sich aus ihren Halterungen, rutschten polternd zum Schanzkleid oder sturzten zischend in den feurigen Krater.
        Bolitho sprach mit zusammengebissenen Zahnen, denn der Schmerz wuhlte in seinem Arm wie mit gluhenden Zangen.»Der Junge! Hol ihn, Allday!«Muhsam schob er die blutverklebte Klinge in die Scheide und zog sich mit dem gesunden Arm zur Heckreling, wahrend Allday den bewu?tlosen Seton aufnahm und uber die Schulter warf.
        An der Reling stand O'Neil, nackt bis zum Gurtel, und wickelte sein Hemd um Fowlers Gesicht, wobei der Leutnant hin und her schwankte und zu sprechen versuchte, aber Stoff und Blut erstickten seine Worte.

«Hab' getan, was ich konnte«, sagte der Ire und duckte sich, als eins der Geschutze in der Hitze explodierte, wie von unsichtbarer Hand abgefeuert.»Der arme Kerl hat fast kein Gesicht mehr!»
        Bolitho konnte nur krachzen.»Da ist die Gig! Wir mussen springen!«Er fuhlte kaum den Sprung, spurte aber Salzwasser in seinen Lungen kratzen und kuhle Luft im Gesicht, als er wieder an die Oberflache kam. Turmhoch erschien ihm die Gig, aber da war Piper, das kleine Affengesicht rauchgeschwarzt; er gestikulierte mit seinem Dolch und kreischte:»Da ist der Captain! Helft ihm, Jungs!»
        Bolitho packte das Dollbord und keuchte:»Holt Fowler und Se-ton!«Wie kalt das Wasser ist, fuhr es ihm durch den Kopf; und als er aufblickte, war der Himmel uber der Rauchwolke schon bleich und sternenleer, und die Mowen, die mit wutendem Geschrei hoch uber dem Hafen kreisten, schimmerten golden. Nicht vom Feuerschein, sondern in der Morgensonne. Wahrend Manner starben und Schiffe verbrannten, war die Morgenrote uber den Horizont gestiegen. Als er den Kopf hob, wunderte er sich noch mehr, denn dort, wo er den Kirchturm erwartet hatte, lag jetzt die Steilkuste; und darauf schimmerte hell unter seiner Laterne der Leuchtturm.
        Bolitho bi? vor Schmerz die Zahne zusammen, als mehrere Hande ihn packten und ins Boot hoben, wo er keuchend neben Allday und den anderen liegenblieb. Er wollte die Augen schlie?en, sich dem heranschwebenden schwarzen Vorhang uberlassen, der schon darauf wartete, seine wachsenden Schmerzen zu lindern; und das Krachen des explodierenden Schie?pulvers, das Prasseln der fallenden Spieren, mit dem sich die Saphir zum Sinken anschickte, zu betauben. Schon war das Wasser bis an die Stuckpforten gestiegen, und das Hauptdeck brannte in ganzer Ausdehnung.

«Wie viele haben wir verloren?«Er klammerte sich an Alldays Knie, wahrend Piper versuchte, das Blut seiner Armwunde zu stillen.»Sagen Sie doch, Mann!»
        Alldays grobes Gesicht glanzte in dem schwachen Sonnenlicht; als er Bolitho so ansah, kam er diesem irgendwie fern und unzerstorbar vor. Ruhig entgegnete er: Lassen Sie nur, Captain. Was es auch gekostet hat - dieser Anblick ist es wert.
«Und mit Pipers Hilfe stutzte er Bolitho etwas, damit er uber das Dollbord sehen konnte. Die Matrosen lagen uber ihren Riemen und blickten fast scheu zu Bolitho heruber.
        Die Saphir war verloren - von dem einst so stolzen Schiff war kaum noch etwas ubrig. Bord an Bord mit der Schaluppe war sie durch den ganzen Hafen gedriftet, und jetzt sa? sie vollig ausgebrannt dicht unterhalb des eroberten Leuchtturms auf Grund.
        Doch Bolitho hatte weder Augen fur sie noch fur das Treibgut, welches die Stelle markierte, wo die Fairfax gesunken war. Denn mitten in der Einfahrt lief nur unter Bramsegeln und Kluver sein Schiff, seine alte Hyperion, in den Hafen ein. Ihre Stuckpforten standen offen, und als sie sich leicht dem Ankerplatz zuwandte, spielte die Morgensonne auf der Doppelreihe der Geschutze und lie? die Rundung ihres Rumpfes golden aufglanzen.
        Bolitho leckte sich die trockenen Lippen und versuchte zu lacheln, als er Ashbys Seesoldaten im Karree auf dem Achterdeck angetreten sah und die schwachen Klange der kleinen Bordkapelle vernahm. Schwach waren sie, weil von Hurrarufen ubertont. Die Matrosen in der Takelage und am Ankerspill, die Geschutzfuhrer mit ihren bunten Kopftuchern und die Scharfschutzen in den Masten, sie jubelten alle.
        Als der alte Vierundsiebziger die gekappte Sperre passierte, wartete Inch hutschwenkend im Kutter; seine Stimme verlor sich auf die Distanz, doch sein Stolz war um so augenfalliger.
        Leise sagte Allday:»Sehen Sie da, Captain!«, und zeigte zum Land, wo die Brustwehr der Kustenbatterie uber Steinen, blanker Erde und nassem Gras heruberdrohte.
        Eine Flagge wehte uber den unsichtbaren Kanonen, aber es war nicht die Trikolore: hell und leicht stand sie im abflauenden Wind, so da? man im Sonnenlicht deutlich die goldenen Lilien erkannte.

«Sie haben ihnen das Signal gegeben, das sie brauchten, Cap-tain«, sagte Allday. Und da ist ihre Antwort an Sie.»
        Undeutlich murmelte Fowler unter dem durchgebluteten Verband:»Mein Gesicht - Jesus, mein Gesicht!»
        Doch Bolitho spahte wieder nach seinem Schiff aus, das jetzt majestatisch in den Wind ging. Die Segel wehten aus wie Banner, als der Anker dort ins Wasser klatschte, wo die Saphir gelegen hatte. Vorsichtig naherten sich ein paar Boote von Land, jedes fuhrte die konigstreue Flagge und war voll winkender, jubelnder Stadtbewohner.

«Rudert an, zugleich!«kommandierte Allday und fugte fur die Ohren der gesamten Bootsbesatzung noch hinzu:»Die wollen unseren Captain sehen, Jungs!«Lachelnd blickte er auf Bolitho hinab.»Und das sollen sie auch.»



        XIII Wieder auf Cozar

        Die Mannschaft des Kommandantenboots stellte die Riemen hoch und sa? reglos auf den Banken, wahrend das Boot ruhig an den Landungssteg glitt, wo es unverzuglich an den gro?en rostigen Eisenringen festmachte. Bolitho schlug den Mantel um sich, trat vorsichtig auf die glatten
        Stufen, blieb einen Moment stehen und uberblickte den voller Schiffe liegenden Hafen von St. Clar. Es war Abend, und in dem purpurnen Dammerlicht wirkten sie friedlich, beinahe heiter mit ihren blinkenden Laternen und den wegen der feuchten Hitze des Tages offenen, von innen schwach erhellten Stuckpforten. Das Flaggschiff, die Tenacious, ankerte in der Mitte; Schnure mit bunten Laternen waren langs der Kampanje gespannt, und von dem alten Steg aus konnte Bolitho eines jener melancholischen Lieder horen, die alle Seeleute der Welt lieben.
        Wenn er sich so umsah, lie? sich schwer glauben, da? so viel passiert war, da? die Hyperion erst im Morgengrauen desselben Tages an der noch schwelenden Saphir vorbeigesegelt war, um den Hafen zu ubernehmen. Er ruckte seinen verwundeten Arm unter dem Mantel zurecht, und ein stechender Schmerz durchfuhr ihn. Wieder durchlebte er die scheu?lichen Minuten, als Rowlstone ihm den Rock- und Hemdarmel aufgeschnitten, die klaffende Wunde freigelegt und von Blut und Stoffetzen gereinigt hatte, wobei das Blut von neuem aus dem tiefen Schnitt zu stromen begann. Er hatte die Zahne zusammengebissen, zogernd einen Finger nach dem anderen bewegt und Gott dafur gedankt, da? der Arzt den Arm nicht zu amputieren brauchte.
        Jetzt stieg Herrick aus dem Boot, blieb neben ihm stehen und sagte:»Kaum zu glauben, da? wir in Frankreich sind, Sir. Diese Schiffe sehen aus, als ob sie seit langem hierher gehorten.»
        Das stimmte. In den wenigen Stunden seit der Ankunft von Pom-frets Geschwader waren die Transporter entladen worden; dankbar, der Enge des Schiffes entronnen zu sein, hatten sich die Soldaten im hellen Sonnenlicht formiert, waren dann durch das Stadtchen auf die Berge zu marschiert und hatten auch langs der Kustenstra?e Stellungen bezogen. Au?er Oberst Cobbans Infanterie und einer kleinen Abteilung leichter Artillerie waren noch tausend Mann spanische Fu?truppen und sogar Kavallerie mitgekommen, eine prachtige, stolze Schwadron in hellgelben Uniformrocken. Auf ihren herrlichen Pferden waren sie durch die engen Gassen getrabt, fasziniert und ehrfurchtsvoll von den Burgern angestarrt und von den Kindern bejubelt.
        Aber jetzt lag das Stadtchen wie tot da, denn sobald die gelandeten Truppen von den Stra?en verschwunden waren, hatte Pomfret
        Ausgangssperre verhangt. Die engen Gassen, die Brucke uber den Flu? wurden von britischen Marine-Infanteristen bewacht, und standig sorgten Patrouillen dafur, da? Pomfrets Anordnungen eingehalten wurden.
        Die Sperre vor dem Hafen war nicht erneuert worden, aber ein halbes Dutzend Wachboote fuhren regelma?ige Patrouillen. Die verkohlte Hulk der Saphir mochte jedermann daran erinnern, wie teuer Sorglosigkeit und Vertrauensseligkeit zu stehen kamen.

«Fahren Sie zum Schiff zuruck, Allday«, sagte Bolitho.»Ich signalisiere, wenn ich das Boot brauche.»
        Allday nahm Haltung an und fa?te an den Hut.»Aye, aye, Cap-tain. «Seine Stimme klang besorgt, aber Bolitho beruhigte ihn:»Ich glaube nicht, da? sich dieser Besuch lange hinziehen wird.»
        Ware der besorgte Allday bei dieser Unterredung dabeigewesen, hatte sie ihm noch mehr Kummer gemacht.
        Der Admiral hatte Bolitho sehr kuhl empfangen. Den Bericht uber den Uberfall und die Ereignisse, die dazu gefuhrt hatten, horte er sich wortlos an, ohne eine Miene zu verziehen.
        Dann sagte er argerlich:»Sie nehmen sich zu viel heraus! Sie kannten meine Befehle, und doch haben Sie vollig nach eigenem Ermessen gehandelt!«Dabei war er aufgestanden und in der Kajute auf und ab gegangen.»Es ware durchaus moglich gewesen, da? die Franzosen ein doppeltes Spiel trieben. Diese angeblich gluhende Loyalitat fur ihren toten Konig konnte ebensogut ein taktisches Manover sein, um unsere Operationen zu verzogern.»
        Bolitho hatte an Charlois gedacht und an seine verzweifelte Entschlossenheit, ihn zu warnen.»Charlois hat sein Leben dafur gelassen, Sir. Ich handelte, wie ich es fur richtig hielt, um eine militarische Katastrophe mit gro?en Verlusten an Menschen und Material zu verhindern.»
        Mi?trauisch blickte Pomfret ihn an.»Aber Sie sind als erster in den Hafen eingelaufen, Bolitho vor mir und dem Geschwader! Das kam Ihnen wohl sehr gelegen?»
        Bolitho entgegnete:»Ich konnte nicht rechtzeitig Verbindung mit Ihnen aufnehmen, Sir. Ich mu?te so handeln.»

«Es gibt einen Punkt, an dem Hartnackigkeit zur Dummheit wird!«Pomfret hatte sich dann nicht weiter uber die Angelegenheit ausgelassen, denn in diesem Augenblick war Kapitan Dash eingetreten und hatte gemeldet, da? die Soldaten zur Ausschiffung bereit seien.
        Bolitho war zu mude, zu schwach und zu krank gewesen, um sich uber Pomfrets kleinliche Wut lange zu argern. Spater, in der Erinnerung, kam es ihm so vor, als hatte der Admiral ihn tatsachlich im Verdacht gehabt, er hatte den Uberfall auf die Saphir nur geplant und ausgefuhrt, um Ansehen, Lob und Anerkennung fur sich selbst zu erringen, auch auf die Gefahr hin, sein Schiff und jeden Mann an Bord zu verlieren.
        So also war diese erste Unterredung verlaufen. Jetzt sagte Bolitho zu Herrick:»Der Admiral wunscht mit den Offizieren seines Stabes ein Glas Wein zu trinken. Wir wollen lieber sehen, da? wir punktlich sind.»
        Wortlos wanderten sie durch eine enge, kopfsteingepflasterte Gasse, deren Hauser sich einander zuneigten, als wollten sie sich beruhren.
        Endlich fragte Herrick:»Wie lange wird es dauern, bis der Feind einen Gegenangriff auf den Hafen unternimmt, Sir?»

«Wer kann das sagen? Aber Cobban hat seine Spaher ringsum aufgestellt, und zweifellos wird Sir Edmund weiter Kustenpatrouillen fahren lassen, um die Stra?e nach Norden zu uberwachen. «Das sollte moglichst beilaufig klingen, doch konnte er seine Enttauschung daruber, wie sich die Dinge in St. Clar entwickelten, nicht ganz verbergen. Die Anordnungen und Befehle, die Pomfret als Ortskommandant erlie?, warfen einen dunklen Schatten. Diese abendliche Ausgangssperre zum Beispiel. Die Burger hatten Schiffe und Soldaten begru?t, als seien es ihre eigenen, hatten den grinsenden Rotrocken Blumen zugeworfen, als wollten sie zeigen, wie sehr sie an diese Unternehmung glaubten. Schlie?lich waren sie nicht ganz unbeteiligt daran, auch sie wurden die Kosten dafur zu tragen haben - unter Umstanden mit Leib und Leben.
        Und die helle Begeisterung an Bord der Hyperion war sehr schnell vergangen, als Pomfret lediglich den kurzen Befehl gab, Truppen und Vorrate so schnell wie moglich auszuladen. Hatte er nur ein Wort der Anerkennung gesagt! Die Hyperion hatte funfzehn Tote und Vermi?te verloren, und zehn weitere waren schwer verwundet. Im Verhaltnis zu den Verlusten, die entstanden waren, wenn sie die Saphir nicht versenkt hatten, schien das zwar geringfugig. Aber innerhalb der Schiffsbesatzung war es ein ganz personlicher, tiefgreifender Verlust.
        Pomfret hatte es sehr eilig gehabt, seine Flagge an Land zu hissen. Als Bolitho und Herrick uber den schattenverhangenen Marktplatz gingen, sahen sie, da? der Admiral sein neues Hauptquartier mit gro?ter Sorgfalt ausgesucht hatte. Es war das Haus eines reichen Weinkaufmanns, ein hubsches, gro?zugiges Bauwerk mit Saulenportal, von hohen Mauern umgeben. Seesoldaten mit uber der Brust gekreuzten Riemen standen stramm, nervos blickende Bediente erwarteten an den hohen Doppelturen die von den Schiffen und aus der Garnison eintreffenden Offiziere und nahmen ihnen Kopfbedeckungen und Mantel ab.
        Besorgt sah Herrick zu, wie Bolitho seinen verbundenen Arm moglichst bequem unter dem Uniformrock zurechtruckte; wieder fiel ihm auf, wie scharf die Linien um Bolithos Mund geworden waren, wie ihm der Schwei? unter der rebellischen Locke auf die Stirn trat.»Sie hatten mich allein gehen lassen sollen«, sagte er schlie?lich. Sie sind noch nicht wieder hergestellt, Sir. Noch lange nicht!»
        Bolitho verzog das Gesicht.»Und mir dieses schone Haus entgehen lassen? Kommt gar nicht in Frage!»
        Herrick sah sich um: die Gobelins an den Wanden, die glitzernden, wundervoll zum Raum passenden Kronleuchter.»Sir Edmund ist anscheinend der Ansicht, da? ihm ein gewisser Luxus zusteht, Sir. «Herrick sagte das mit unverhullter Bitterkeit. Warum ist er so wutend auf Pomfret? uberlegte Bolitho. Wegen der alten Geschichten oder der neuen Ungerechtigkeit, die sich der Admiral - jedenfalls nach Herricks Ansicht - mit seinem Kapitan leistete?

«Sie werden eines Tages noch uber Ihre Zunge stolpern, Thomas«, entgegnete er mit fluchtigem Lacheln.
        Ein Lakai mit Perucke ri? die Tur auf und rief, nachdem ein britischer Unteroffizier ihm etwas ins Ohr gemurmelt hatte, lauthals: «Capitaine de vaisseau M'sieur Boli…«Der Unteroffizier starrte ihn wutend an und bellte dann selbst mit einer Stimme, die eher fur seine Scharfschutzen im Masttopp geeignet war: Kommandant Richard Bolitho von Seiner Britannischen Majestat Linienschiff Hyperion!»
        Lachelnd trat Bolitho in den langgestreckten, holzgetafelten Saal voller Menschen, anscheinend ausschlie?lich Heeres- und Marineoffiziere. Alle Gesichter wandten sich ihm zu, und das laute Durcheinander der Gesprache verstummte. Als erster fing Bellamy von der Chanticleer an, in die Hande zu klatschen, und wahrend Bolitho etwas verwirrt stehenblieb, ging das Handeklatschen in Hurrarufe uber; der Larm erfa?te das ganze Haus und drang in den stillen Garten, wo die Wachtposten die Halse reckten, um der Ovation zu lauschen.
        Unsicher schritt Bolitho an den Mannern vorbei, die ihn da mit frohlichem Jubel empfingen. Er verstand kaum, was sie ihm zuriefen, und merkte auch nur vage, da? Herrick treulich an seiner Seite blieb, um mit seinem Korper den verwundeten Arm vor allzu begeisterten Offizieren zu schutzen.
        Pomfret erwartete sie am hinteren Ende des Saales, prachtig in Gala, den Kopf zur Seite geneigt, die Lippen zusammengepre?t - ob amusiert oder argerlich, das war nicht ohne weiteres zu unterscheiden. Er wartete, bis ein Lakai Bolitho ein Glas Wein gereicht hatte; dann hob er, Stille gebietend, die Hand und sagte:»Wir haben bereits auf Seine Majestat getrunken. Und jetzt: Auf unseren Sieg! Und Tod den Franzosen!»
        Bolitho nippte an seinem Wein. Der Larm und die Hektik ringsum verwirrten ihn. Er fand den Trinkspruch banal und unter den Umstanden wenig angebracht. Doch als er sich rasch im Raum umblickte, sah er zu seiner Uberraschung keinen einzigen franzosischen Offizier und auch keinen der Honoratioren von St. Clar.
        Pomfret sprach ihn jetzt an:»Das war ein ruhrender Empfang, Bolitho! Die Heimkehr des Helden, wenn ich so sagen darf. «Sein Gesicht war fleckig vor Hitze, und seine Augen glanzten uberma?ig.
        Leise fragte Bolitho:»Ist denn keiner der ma?gebenden Franzosen gekommen, Sir?»
        Kalt blickte Pomfret ihm ins Gesicht.»Ich habe keinen eingeladen.»
        In Bolitho stieg der Zorn hoch, und seine Wunde fing an zu pulsieren.»Aber Sir, es war doch eine Gemeinschaftsaktion. Die Burger wollten genau wie wir die Revolutionsregierung sturzen! Darin gleichen wir uns doch.»

«Wir gleichen uns?«Pomfret blickte ihn mit milder Uberlegenheit an.»In den Augen des Allmachtigen vielleicht. Aber in meinen Augen sind sie Franzosen, und denen ist nicht zu trauen! Das sagte ich Ihnen schon fruher. Ich habe hier das Kommando und lasse mir von diesen verdammten Bauern nicht dreinreden!»
        Er wandte sich um und bemerkte jetzt zum erstenmal Herrick.»Ah - Ihr tuchtiger Leutnant. Hoffentlich hat er sich damit abgefunden, da? es bei diesem Unternehmen keine Prisengelder gab? Jetzt, da Saphir und Fairfax versenkt sind, kann es noch ein Weilchen dauern, bis wir wieder ein halbwegs lohnendes Schiff erwischen - eh?»
        Herrick wurde rot.»Ich horte nicht, da? sich jemand daruber beklagt hatte, Sir. Menschenleben sind meiner Ansicht nach wichtiger als Geld.»
        Pomfret lachelte kuhl.»Ich wu?te nicht, da? ich Sie um Ihre Meinung gebeten hatte, Mr. Herrick. «Er wandte sich brusk um, denn soeben schob sich Oberst Cobbans massige Gestalt durch die Versammelten.

«Ah, Sir Tonquil! Sind inzwischen all Ihre Truppen in Stellung?»
        Mit einem Grunzen nahm der Colonel ein Glas von dem silbernen Tablett.»Schanzen aufgeworfen, Geschutze in Stellung. «Grinsend zeigte er die Zahne.»Hier konnen wir bis in alle Ewigkeit sitzen, wenn' s notig ist.»
        Bolitho fragte:»War das angebracht, Sir? Es ist doch nicht sehr wahrscheinlich, da? wir hier lange bleiben. Sobald Verstarkung eintrifft, mussen wir landeinwarts marschieren, wenn das ganze Unternehmen uberhaupt Sinn haben soll.»
        Langsam drehte sich Cobban zu ihm um.»Darf ich fragen, was, zum Teufel, Sie das uberhaupt angeht, Sir?»
        Bolitho konnte den Brandy in Cobbans Atem beinahe schmek-ken. Unbewegt erwiderte er:»Es geht mich eine ganze Menge an. Und ich sehe keinen Grund fur Ihre Fluche.»
        Pomfret unterbrach lachelnd die Kontroverse.»Beruhigen Sie sich, Sir Tonquil. Captain Bolitho ist der Mann, der diesen Hafen eingenommen hat. Ihm liegt naturlich sehr daran, da? seine Bemuhungen nicht umsonst waren.»
        Cobban blickte von einem zum anderen. Dann sagte er grob:»Ich bin Soldat, und mir pa?t es nicht, mich von solchen Leuten ausfragen zu lassen.»
        Plotzlich waren alle totenstill. Bolitho erwiderte gelassen:»Sehr bedauerlich, Colonel. Und noch bedauerlicher ist es, da? Sie, als Sie sich Ihren Dienstgrad kauften, sich nicht gleich die notigen Manieren mitgekauft haben!»
        Cobban wurde blutrot. Er sagte, und es klang, als ersticke er in seinem hohen Kragen:»Sie impertinenter Emporkommling! Wie konnen Sie es wagen, so mit mir zu sprechen?»
        Kuhl unterbrach Pomfret:»Das reicht, meine Herren! Das reicht durchaus!«Er richtete die blassen Augen auf Bolitho.»Ich wei?, da? Duelle in Ihrer Familie nichts Ungewohnliches sind, Captain Bolitho, aber unter meiner Flagge dulde ich sie nicht.»
        Wutend murmelte Cobban:»Wie Sie meinen, Sir Edmund. Aber wenn es nach mir ginge…»

«Sie finden mich jederzeit bereit, Colonel, wenn Sie mir Gelegenheit geben«, sagte Bolitho. In seinem Kopf hammerte es wie auf einem Ambo?, und der Wein brannte ihm hei? im Magen. Aber ihm war jetzt alles gleichgultig. Pomfrets leise Bosartigkeit und Cobbans grobschlachtige Dummheit lie?en ihn alle Vorsicht vergessen. Er sah in Herricks besorgtes, wachsames Gesicht und blickte dann uberrascht hinunter, denn Pomfret legte ihm die Hand auf den Arm.»Ihre Wunde macht Ihnen sicher zu schaffen«, sagte er.»Ich will Ihnen deshalb den Ausbruch nicht ubelnehmen. «Er seufzte, als sei das alles nicht so wichtig.»Sie gehen morgen wieder in See, Bolitho. Zuruck nach Cozar. «Abwesend schaute er in den Saal.»Sie konnen der Garnison meine Depeschen bringen, und wenn Sie zuruckkommen, nehmen Sie Miss Seton mit. «Er wurde beinahe vertraulich und jovial.»Wir werden den Leuten hier schon zeigen, da? wir zu bleiben gedenken. Vielleicht gebe ich sogar eine Art Empfang fur sie, eh?»
        Cobban hatte sich ein wenig beruhigt.»Und die Hochzeit, Sir Edmund? Werden Sie sie in St. Clar feiern?»
        Pomfret, die Augen noch auf Bolithos ernstes Gesicht gerichtet, nickte.»Ja. Als Zeichen unseres Vertrauens in die Zukunft. «Er lachelte.»Das Punktchen auf dem i, genau im richtigen Augenblick.»
        Bolitho schwamm der Kopf. Pomfret machte sich uber ihn lustig, das war offensichtlich. Und die Hyperion wurde schon wieder hinausbeordert. Dieses Schiff kam anscheinend nie zur Ruhe. Bekam nie Zeit, sich zu erholen und seine Wunden zu heilen.
        Moglichst beilaufig erwiderte er:»Mit einer Fregatte ginge es schneller, Sir.»

«Ich mochte aber, da? Sie segeln, Bolitho. Dabei konnen Sie sich gleich ein bi?chen erholen. Und inzwischen werden wir versuchen, diesen Krieg so zu fuhren, da? auch Sie damit zufrieden sind.»

«Ist das alles, Sir?»
        Der Admiral dachte ein paar Sekunden nach.»Im Moment, ja.»
        Ein Lakai prasentierte Pomfret ein Tablett mit Glasern, aber er winkte ab und sagte abschlie?end:»Wollen Sie mich jetzt entschuldigen, Bolitho?«Unvermittelt wandte er sich um und ging auf die geschwungene Treppe zu.

«Ich werde Ihre Worte von vorhin nicht vergessen, Captain! Sie werden Ihnen noch leid tun, seien Sie sicher«, knurrte Cobban.

«Wollen wir wieder an Bord zuruck?«fragte Bolitho und ging mit Herrick zur Tur, ohne Cobban eines Blickes zu wurdigen.
        Herrick folgte ihm verwirrt. Ihm schwirrte immer noch der Kopf von diesen nur muhsam kaschierten Beleidigungen. Es trieb ihn, den hier versammelten Offizieren laut und deutlich auseinanderzusetzen, was Bolitho fur sie getan hatte und was jeder einzelne ihm verdankte. Drau?en tat Bolitho einen tiefen Atemzug und starrte zu den blinkenden Sternen empor. Sein Gesicht war entspannt, aber er sah merkwurdig traurig aus.
        Herrick bemerkte leise:»Der Admiral hat ein zweites Glas Wein abgelehnt, Sir. Ich begreife das nicht. An Bord der Phalarope hat er ziemlich viel getrunken.»
        Bolitho horte ihn gar nicht. Er dachte an Cheney Seton. Diesmal wurde es noch schwerer sein, sie als Passagier an Bord zu haben. Wenn die Hyperion hier wieder Anker warf, wurde Cheney heiraten.
        Er hakte seinen Degen ein und sagte abwesend:»Wir werden, bevor wir an Bord gehen, mit Monsieur Labouret ein Glas Wein trinken. Ich habe einen ublen Geschmack im Mund. «Ohne ein weiteres Wort schritt er durch die Tore und hinunter zum Hafen.

«La? fallen Anker!«Herricks Stimme hallte uber die ganze Bucht. Er senkte das Sprachrohr, der Anker klatschte ins Wasser, kleine Wellen breiteten sich in Kreisen aus und verliefen zu den Klippen hin. Die Vormittagswache hatte kaum begonnen, doch nach der freien Luft auf offenem Meer fuhlten sie sich in dem umschlossenen Naturhafen bereits wie in einem Ofen.
        Wortlos beobachtete Bolitho die routinema?ige Geschaftigkeit auf dem leise an seiner Trosse arbeitenden Schiff: das Ausfieren der Boote und Aufriggen von Sonnendachern an Deck. Cozar hat sich nicht verandert, dachte er. Das einzige unter der Steilkuste ankernde Schiff war die Fregatte Harvester; auch ohne Teleskop konnte er sehen, da? Leach, ihr Kommandant, mit seinen Reparaturen beinahe fertig war.
        Langsam schritt er zu den Netzen und schaute zur Bergfestung hinauf. Vor der Hafeneinfahrt hing Dunst, der schon dem sich langsam nahernden Schiff gru?end entgegengekommen war, loschte den Horizont aus, schmiegte sich um die grauen Mauern der Festung und der Batterie wie eine Nebelwolke. Ein leichter Schauer uberlief ihn, und er hielt den bandagierten Arm etwas vom Korper ab. Sie hatten die Insel schon gestern fruh gesichtet, doch wegen des ungunstigen Windes mu?ten sie die Nacht beidrehen und konnten die Festung, die aus dem schutzenden Nebel wie ein Zauberschlo? aufragte, nur aus der Ferne betrachten.
        Herrick tippte an den Hut und meldete:»Boote zu Wasser, Sir!«Er blickte fluchtig zu den Berghangen hinuber.»Sieht so aus, als waren da noch eine ganze Menge Soldaten fur St. Clar, Sir.»
        Bolitho nickte. Den sonnengedorrten Hang bedeckten Reihen kleiner Zelte, hier und da konnte er eine rotuniformierte Gestalt mit blinkendem Bajonett ausmachen. Aber alles war sehr ruhig, als hatten die Inseleinsamkeit, die Hitze und der Staub allen Lebensmut aus der Garnison vertrieben.

«Ich habe Mr. Seton Bescheid sagen lassen, Sir«, fuhr Herrick fort und sah Bolitho dabei besorgt an.»Er ist zur Uberfahrt bereit. Geht das in Ordnung?»

«Ja. «Eben bog die Jolle unten aus dem Schatten des Schiffsrumpfes; zwei Midshipmen sa?en nebeneinander im Heck. Es war schon richtig, da? Seton Gelegenheit bekam, seine Schwester allein zu sehen, bevor die Hektik des Auslaufens wieder begann. Der
        Junge hatte sich bemerkenswert rasch erholt und schien tatsachlich bei den Kampfen auf der brennenden Fairfax an Personlichkeit gewonnen zu haben. Die Kugel, die ihn niederri?, hatte eine bose Schramme in seine Schulter gebrannt, aber au?er dem Schock und dem Blutverlust hatte er nichts Ernstliches davongetragen. Aber einen Zoll oder so tiefer, und. Bolitho bi? sich auf die Lippen. Die Riemen nahmen Schlag auf und pullten die Jolle zur Pier.
        War es ihm wirklich um Setons Gefuhle gegangen, als er ihm den Besuch seiner Schwester erlaubt hatte? Oder war es nur ein Versuch, das Unvermeidliche hinauszuzogern?

«Wie geht es Mr. Fowler?«fragte er.
        Herrick schuttelte den Kopf.»Der Schiffsarzt macht sich machtig Sorgen um ihn. Sein Gesicht sieht furchtbar aus. An Fowlers Stelle ware ich lieber tot.»
        Halb zu sich selbst meinte Bolitho:»Das sagt sich so leicht, Thomas. Ich habe manchmal vor oder beim Kampf darum gebetet, lieber zu fallen, als verstummelt zu werden. Aber als mir Rowlsto-ne den Armel vom Rock schnitt, habe ich ebenso ernsthaft ums Uberleben gebetet.»
        Besorgt fragte Herrick:»Was macht die Wunde, Sir?»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Ohne sie ware mir wohler. «Ihm war nicht nach einer Unterhaltung zumute, nicht einmal mit Herrick. Wahrend der kurzen Reise nach Cozar hatte er sich von seinen Offizieren ferngehalten und sich mit einem gelegentlichen Gang langs der Schanz begnugt, meist jedoch die Abgeschlossenheit seiner Kajute vorgezogen. Das war unrealistisch und dumm, er wu?te es. Immer noch fuhlte er sich etwas fiebrig. Deshalb und wegen des standig pochenden Wundschmerzes war er so niedergeschlagen. Oder redete sich das jedenfalls ein.
        Er versuchte, sich fur die bevorstehende Offensive mit St. Clar als Ausgangspunkt zu interessieren, doch das half nur wenig, seinen sonst so regen Sinn fur taktische Probleme und Gefechtsvorbereitungen anzustacheln. Aber personliche Verbitterung stand dem Kommandanten eines Liniens chiffes nicht an. Er mu?te seine Zweifel und bosen Ahnungen beiseite schieben und all das Unheil wieder gutmachen, das Pomfrets Gleichgultigkeit auf seinem Schiff angerichtet hatte.
        Eines Nachts, als ihn der qualende Schmerz im Arm aus der Koje getrieben hatte, war er auf das finstere Achterdeck hinausgetreten und hatte eine Unterhaltung zwischen Rooke und Gossett mit angehort.

«Was wir auch machen, ist verkehrt«, hatte Rooke wutend gesagt.»Wenn wir allein angreifen, kriegen wir hinterher Vorwurfe. Und wenn wir dabei Erfolg haben, kassiert immer jemand anderer die Anerkennung!«Der Master hatte gebrummt:»Es geht eben manchmal hart zu, wenn alte Rechnungen auf anderer Leute Kosten beglichen werden, Mr. Rooke. An sich macht der Admiral seine Sache ja ganz gut. Aber wie er unseren Captain behandelt, das kann ich ihm nicht verzeihen. «Und Rooke hatte sehr scharf darauf geantwortet:»Es ist verdammt unfair, wenn das ganze Schiff darunter leiden mu?, da? sich die beiden nicht ausstehen konnen!»

«Bei allem Respekt, Mr. Rooke«, hatte Gossett sehr bestimmt erwidert,»meiner Ansicht nach hat der Captain gerade Sie mehr als fair behandelt!»

«Was, zum Teufel, wollen Sie damit sagen? Ich hatte Erster werden mussen, das stand mir zu!»

«Wir wissen beide, da? das nicht gemeint ist«, hatte Gossett sehr gelassen und kalt erwidert.»Unter Captain Turner waren Sie bei passender Gelegenheit rascher befordert worden, das mag schon sein. «Er senkte die Stimme.»Aber Cap'n Bolitho hat kein Wort uber Glucksspiel zu Ihnen gesagt, nicht wahr? Nicht ein einziges Mal hat er gedroht, etwas gegen Sie zu unternehmen, weil Sie dem armen Mr. Quarme alle Ersparnisse abgeknopft und Dalby zum Kameradendiebstahl getrieben haben. Wenn Sie wollen, tragen Sie mich ins Logbuch ein, weil ich das gesagt habe - aber meiner Meinung nach hat der Captain Sie mehr als milde behandelt. Ihre Bedurfnisse sind gro?er als Ihr Geldbeutel, und daher bessern Sie ihn mit dem einzigen auf, was Sie au?er Kampfen ausgezeichnet konnen. «Und Rooke hatte kein Wort darauf erwidert.
        Wahrend Bolitho nun zusah, wie die kleine Jolle an der Pier festmachte, grubelte er daruber nach, warum er Rooke nicht daraufhin angesprochen hatte. Vielleicht wegen seines eigenen hitzigen Wortwechsels mit Cobban. Schon wahrend des Sprechens hatte er sich selbst mit ganz anderen Augen gesehen. Er glich also doch seinem Bruder. Hatte er Gelegenheit bekommen, so hatte er sich auf ein sinnloses Duell eingelassen. Es war eine entnervende Entdeckung, um so mehr, als auch Pomfret das begriffen hatte.
        Herrick sagte:»Nichts von den Straflingen zu sehen, Sir. Wahrscheinlich arbeiten sie auf der anderen Seite der Insel.»
        Bolitho nickte. Die Justice war nach England zuruckgesegelt. Ihrem Kapitan waren die Straflinge gleichgultig; seinetwegen mochten sie allesamt auf Cozar verrecken und verfaulen.
        Unvermittelt sagte Bolitho:»Lassen Sie bitte mein Boot klarmachen. Ich gehe jetzt an Land. «Er konnte seine Unruhe nicht langer verbergen.
        Herrick musterte ihn besorgt.»Horen Sie, Sir, es geht mich ja nichts an; aber als Sie im Fieber lagen, habe ich dies und das gehort. «Unter Bolithos unbeirrtem Blick schlug er die Augen nieder.»Ich mu? es nicht erst sagen, Sie wissen auch so, da? ich alles fur Sie tun wurde. Das ist gar keine Frage. Ich wurde sofort mein Leben hingeben, wenn es notig ware. «Und er schaute mit seinen trotzigen blauen Augen wieder auf.»Ich glaube, das gibt mir das Recht, offen zu sprechen.»

«Und woruber?«fragte Bolitho.

«Nur uber dieses: Sir Edmund ist ein machtiger Gegner, Sir. Er mu? gro?en Einflu? haben, sonst hatte er den Verlust seines ersten Kommandos und all den Arger, den er verursacht hat, dienstlich nicht uberstehen konnen. Er ist trotz allem Flaggoffizier geworden. Er wurde keinen Moment zogern, seinen Einflu? und seine Autoritat gegen Sie zu verwenden, wenn er auch nur einen Moment dachte, Sie interessierten sich fur seine Verlobte, Sir.»

«Ist das alles?«fragte Bolitho sehr ruhig.
        Herrick nickte.»Aye, Sir. Ich kann nicht still und stumm dabeistehen und zusehen, wie so etwas passiert.»
        Bolitho pre?te die Finger zusammen, da? der Schmerz ihm wie mit Messern durch den Arm fuhr.»Dann konnen Sie jetzt mein Boot abrufen, Mr. Herrick. «Unbewegten Gesichts, obwohl er innerlich kochte, wandte er sich ab. Da? Herrick vollkommen recht hatte, war nur ein geringer Trost, ebenso wie der Gedanke, was es ihn gekostet haben mu?te, das auszusprechen.»Sie brauchen me i-netwegen nichts zu furchten«, sagte er kuhl und abschlie?end,»aber in Zukunft ware es mir lieber, wenn Sie nicht versuchen wurden, mein Leben fur mich zu leben. «Er sah Gimlett bei der
        Schanztreppe stehen und rief ihm scharf zu:»Legen Sie meine Landuniform heraus! Dann ging er, drehte sich aber neben dem unbesetzten Ruder noch einmal um und blickte in Herricks sorgenvolles Gesicht.»Also lassen wir es auf sich beruhen.»
        Zwanzig Minuten spater schritt Bolitho zur Fallreepspforte. Sein verwundeter Arm lag unter dem schweren Mantel in einer Binde. Herrick stand bei den anderen Offizieren, und Bolitho fuhlte sich versucht, ihn beiseitezunehmen und diese dumme Verstimmung zu bereinigen, an der nur er selbst die Schuld trug. Wutend uber sich - und noch wutender, weil Herrick seine klaglichen Verteidigungsversuche durchschaut hatte -, blaffte er:»Ubernehmen Sie!«, luftete den Dreispitz und kletterte in das wartende Boot.
        Die Pfeifen schrillten und verklangen, als die Gig aus dem schutzenden Schatten des Schiffsrumpfes glitt; wenn er achteraus blickte, sah er Herrick immer noch an Deck stehen und ihm nachschauen, weine untersetzte Gestalt wirkte auf einmal ganz klein im Vergleich zur haushohen Bordwand der Hyperion.
        Leise fragte Allday:»Ist der Arm besser, Captain?«Dann sah er Bolithos steif zuruckgedruckte Schultern und schob die Lippen vor. Da kann sich der eine oder andere noch auf was gefa?t machen, dachte er. Wahrend er Kurs auf den Pier nahm, achtete er sorgfaltig auf ein Zeichen, eine winzige Veranderung in Bolithos grimmigen Zugen. Er konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so gesehen zu haben; und tiefgreifende Veranderungen pa?ten nicht zu Alldays Phlegma. Irgendwie schien ihm Bolitho unter einer merkwurdigen Spannung zu leiden, unter einer nervosen Erwartung, die ihm sonst vollig fremd war. Aber vor sich selbst konnte er ihn nicht schutzen, und die Tragweite dieser Entdeckung machte ihm gro?e Sorgen.
        Zu seiner Uberraschung und seinem Arger wurde Bolitho am Pier von einem jungen Infanterieoffizier begru?t. In Erwiderung der strammen Ehrenbezeugung tippte er an den Hut.»Fahnrich Cow-per, Sir, vom 91. Infanterieregiment«, stellte sich der junge Mann vor. Er schluckte heftig, weil Bolitho ihn nur stumm und ohne zu lacheln anblickte, und fuhr unsicher fort:»Ich habe ein Pferd mitgebracht, Sir; ich - ich dachte, das ware bequemer fur Sie.»
        Bolitho nickte.»Sehr aufmerksam von Ihnen. «Er hatte eigentlich zu Fu? auf die Festung gehen wollen, damit er Zeit zum Nachdenken bekam und um sich zu uberlegen, was er sagen wollte.
        Der Fahnrich bemerkte sein Zogern und sagte hilfsbereit:»Wenn Sie nicht reiten konnen, Sir, fuhre ich das Tier am Zugel.»
        Bolitho musterte ihn kuhl.»Ich mag ja Seeoffizier sein, Mr. Cowper, aber au?erdem stamme ich aus Cornwall. Pferde sind in meiner Heimat nicht ganz unbekannt.»
        Mit aller Wurde, die er aufbringen konnte, schwang er sich auf das schlafrige Tier. Seine Bootsmannschaft und die Ordonnanz des Fahnrichs sahen ehrfurchtig und bewundernd zu.
        Langsam trotteten sie den Sandweg hinan, und bei jedem Stolpern des Pferdes zuckte der Schmerz erneut durch Bolithos Arm. Er zwang sich dazu, die Umgebung zu studieren, wenn auch nur, um sich von seinen truben Gedanken abzulenken. Der Weg war bis auf einen muden Wachtposten vollig menschenleer. Von den Schaden, die die Karronade und Ashbys siegestrunkene Seesoldaten angerichtet hatten, war nichts mehr zu sehen. Hinter der Wegbiegung erblickte er die Festung und die geraden Reihen der Armeezelte.

«Ich nehme an, Sie freuen sich darauf, wieder zu Ihren Kameraden in St. Clar zu sto?en?«fragte er.
        Der junge Fahnrich wandte sich leicht im Sattel um und blickte ihn uberrascht an. Ich wei? nicht recht, wie es weitergehen soll,
        Sir.»
        Bolitho starrte die Festung an.»Hoffentlich ist Ihr Kommandeur besser informiert.»
        Ungeruhrt von Bolithos Sarkasmus grinste Cowper.»Aber, Sir, der Kommandeur bin ich.»
        Bolitho parierte sein Pferd und musterte den Fahnrich.» Was sind
        Sie?»
        Cowpers Grinsen verschwand, und er ruckte unter Bolithos wutendem Starren ungemutlich im Sattel hin und her.»Also, das hei?t, ich bin der einzige Offizier hier.»
        Bolitho deutete auf die Zelte.»Und Sie allein befehligen all diese Manner? Um Gottes willen, was reden Sie da?»
        Der junge Mann breitete die Hande aus.»Also - es sind ja nur noch zwanzig Mann und ein Sergeant. Die Zelte sind blo?e Attrappen fur den Fall, da? eine franzosische Fregatte rekognoszieren kommt.»
        Bolitho fuhlte das Pferd unter sich schwanken, wahrend er Cow-pers wahnwitzige Erklarung zu verdauen suchte.»Keine Verstarkung fur St. Clar? Uberhaupt nichts?»

«Gar nichts, Sir. Ich habe vor zwei Tagen Instruktionen von Lord Hood bekommen. Aus Toulon. «Er bewegte die Zugel, denn Bo-litho hatte sein Pferd wieder angetrieben.»Meine Befehle lauten, die Stellung hier bis auf weiteres zu halten. Au?erdem das Lager so weit wie moglich auszudehnen und zu erweitern. «Er sprach so rasch, als hatte er Angst vor dem, was Bolitho dazu sagen wurde.»Wir haben jedes Stuck Leinwand zurechtgeschnitten, das wir auftreiben konnten. Alte Segel, Hangematten, alles. Meine Leute gehen nur herum, zunden Lagerfeuer an und haben ein Auge auf die Straflinge. «Seine schmalen Schultern sanken etwas zusammen.»Es macht einen richtig nervos.»
        Bolitho schaute ihn mit plotzlichem Mitgefuhl an. Ein Junge, mehr nicht. Er konnte noch nicht lange genug im Dienst sein, um viel Kampferfahrung zu besitzen, und doch hatte man ihm eine Aufgabe zugemutet, bei der altere als er vor der Zeit graue Haare bekommen wurden.

«Also steht es in Toulon nicht gut?«fragte er.
        Cowper nickte.»Sieht so aus, Sir. Lord Hood hatte zwei Regimenter mit, aber sie konnen nicht viel mehr tun, als die Stadt zu besetzen und die Forts in der Umgebung zu halten. Anscheinend sind viele Franzosen, die man fur treue Royalisten hielt, zu den Revolutionaren ubergegangen.»

«Und fur St. Clar sind keine Truppen ubrig. «Bolitho sprach seine Gedanken laut aus.»Aber zweifellos hat Lord Hood die Situation in der Hand.»

«Das steht zu hoffen, Sir«, sagte Cowper, aber es klang wenig uberzeugt.
        Stumm passierten sie die Holzbrucke uber den tiefen Graben mit den gefahrlich aussehenden spitzen Pfahlen und ritten durch die offenen Tore in die Festung ein. Nur ein einsamer Soldat schritt an der Brustwehr auf und ab; ein zweiter rannte herbei, um die Pferde zu ubernehmen. Au?er ihm war der einzig sichtbare Mensch ein halbnackter, an ein Lafettenrad gebundener Mann, dem die Haut vom Sonnenbrand in Fetzen ging und der sich mit offenem Mund mitleiderregend in der gluhenden Sonne wand.»Wegen Wachvergehens, Sir«, erlauterte Cowper bedruckt.»Mein Sergeant sagt, das ware die einzig richtige Strafe. «Er wandte sich ab.»Disziplin mu? wohl mit solchen Mitteln erzwungen werden.»

«Bestrafung im Felde ist gut und richtig, wenn Sie eine ganze Armee hinter sich haben, Mr. Cowper«, entgegnete Bolitho.»Aber Sie sollten Ihrem Sergeanten lieber klarmachen, da? im Ernstfall ein schlechter Soldat immer noch besser ist als ein toter.»
        Cowper nickte entschlossen.»Danke, Sir. Das sage ich ihm bestimmt.»
        War man erst einmal in dem runden Turm, so fuhlte sich die Luft nach der Gluthitze im Hof kuhl, beinahe eisig an. Als Bolitho hinter dem Fahnrich die Stufen emporstieg, mu?te er an damals zuruckdenken, als der enge Raum voller Musketenqualm gewesen war und von den Schreien und Fluchen Verwundeter und Sterbender gebebt hatte.
        Das Quartier, in dem Jahr fur Jahr ein Festungskommandant nach dem anderen gehaust hatte, war duster und charakterlos. Der Hauptraum, der auf die Landspitze hinausblickte, war der Form des Turmes entsprechend gerundet, und seine schmalen, tiefeingeschnittenen Fenster leuchteten wie frohe Bilder aus einer anderen Welt. Hier lagen ein paar Binsenmatten auf dem Fu?boden, und er sah auch einige der einfachen, aber wohlgeformten Mobel, die der Schiffszimmermann der Hyperion gebaut hatte.
        Eine kleine Seitentur offnete sich, und das Madchen, gefolgt von ihrem Bruder und Midshipman Piper, trat ins Zimmer.»Captain Bolitho mochte Sie besuchen, Ma'am«, sagte Cowper mit einem drohenden Blick auf die Midshipmen.»Wenn Sie mich begleiten wollen, meine Herren, zeige ich Ihnen gern die - ah - ganze Festung.»

«Entschuldigen Sie, Sir, da? ich nicht an der Pier war, als Sie kamen, Sir«, stotterte Seton.
        Etwas unbestimmt entgegnete Bolitho:»Ich habe auch nicht damit gerechnet. «Er blickte dem Madchen nach, das an ein Fenster trat. Cheney trug ein lockeres wei?es Kleid, und das volle kastanienbraune Haar hing ihr offen uber die Schultern.
        Als die anderen aus dem Zimmer gingen, sagte sie:»Sie sind mir willkommen, Captain. «Ihre Augen richteten sich auf seinen leeren
        Armel.»Ich horte von meinem Bruder, was geschehen ist. Es mu? schrecklich gewesen sein.»

«Er hat sich gut gehalten, Miss Seton«, sagte Bolitho gepre?t.»Seine eigene Verwundung ware auch fur einen alten Seemann schlimm genug gewesen.»
        Doch schien sie das gar nicht zu horen.»Als ich ihn mit seinem verbundenen Arm sah, glaubte ich, da? ich Sie hasse. Er ist doch noch ein Knabe und fur so ein Leben uberhaupt nicht geeignet. «Ihre Augen schimmerten im Licht der Sonne so grun wie das Wasser unten.»Diese Reaktion ist fur eine Schwester wohl ganz naturlich. Aber als ich ihn reden horte, wurde mir klar, da? er sich verandert hat. Mein Gott, und wie er sich verandert hat!«Sie blickte ihm voll ins Gesicht.»Er spricht uberhaupt nur von Ihnen. Wu?ten Sie das?»
        Ihm fehlten die Worte. All seine sorgfaltig eingeubten Satze waren ihm entfallen, als sie ins Zimmer kam. Ungeschickt erwiderte er:»Auch das ist ganz naturlich. Als ich so alt war wie er, dachte ich von meinem Kommandanten nicht anders.»
        Sie lachelte zum erstenmal.»Gut, da? wenigstens Sie sich nicht verandert haben, Captain. Manchmal mache ich in der Abendkuhle einen Spaziergang auf der Brustwehr und denke dabei an unsere Reise von Gibraltar nach Cozar. «Ihr Blick schweifte in die Ferne.»Dann kann ich das Schiff sogar noch riechen und hore den Donner dieser gra?lichen Kanonen.»

«Und nun bin ich gekommen, um Sie nach St. Clar zu bringen. «Die Worte schienen ihm im Hals steckenbleiben zu wollen.»Doch Sie haben ja wohl erwartet, da? ein Schiff kommen wurde?»

«Ein Schiff, ja. «Sie nickte, und bei der Bewegung ihres Halses und ihres Haares brannte ihm aufs neue das Herz.»Aber nicht Ihr Schiff, Captain. «Sie blickte starr zu ihm empor, die Hande fest verschrankt.»Wurde Ihnen befohlen, mich abzuholen?»

«Aye. Es war der Wunsch Ihres - Sir Edmunds Wunsch.»

«Tut mir leid, da? gerade Sie es sein mu?ten. Ich dachte, wir wurden uns nie wiedersehen - wir beide.»

«Ich wei?. «Er konnte seine Verbitterung nicht langer verbergen.»Wahrscheinlich mu? ich sogar zusehen, wenn Sie Lady Pomfret werden.»
        Sie trat einen Schritt zuruck und errotete unter ihrer Braune.»Also verachten Sie mich, Captain? Erlaubt Ihr Stolz es Ihnen nie, einen Fehler zu machen oder etwas zu tun, das gegen Ihr Pflichtgefuhl geht?«Sie hob die Hand.»Nein, sagen Sie nichts. Ihr Gesicht verrat deutlich, was Sie denken.»

«Ich konnte Sie nie verachten«, entgegnete Bolitho leise.»Was Sie tun, ist Ihre Sache. Ich bin eben einer von Sir Edmunds Offizieren. Er hatte auch jeden anderen schicken konnen.»
        Sie strich sich mit der Hand eine lose Locke aus dem Gesicht - eine Geste, an die er sich schmerzhaft deutlich erinnerte.»Lassen Sie mich Ihnen etwas erzahlen, Captain. Als meine Mutter wahrend des Aufstandes auf Jamaika starb, stand es schon schlimm genug mit uns. Aber kurz danach kam ein gro?er Sturm, und viele Schiffe gingen verloren. Darunter die zwei, die meinem Vater gehorten. Die Aufstandischen hatten den gro?ten Teil unserer Ernte vernichtet und alle Gebaude zerstort. Mein Vater hatte diese beiden Schiffe dringend gebraucht, um uns und eine letzte Ladung Waren nach England zu bringen, verstehen Sie? Er brauchte sie!»
        Mit wachsender Hilflosigkeit sah Bolitho ihre bittere Verzweiflung.»Ich habe von diesem Sturm gehort.»

«Er hat meinen Vater ruiniert. Und nach dem Tod meiner Mutter brach er gesundheitlich vollig zusammen. Sir Edmund kam nach Jamaika, um den Aufstand niederzuschlagen. Er hatte es nicht notig gehabt, uns zu helfen; aber er zogerte keinen Augenblick. Er bezahlte unsere Uberfahrt nach England und meines Vaters Schulden. Wir konnten es ihm niemals zuruckerstatten, weil meines Vaters Geist so krank wurde wie sein Korper. «Sie machte eine hilflose Handbewegung.»Wir durften sogar Sir Edmunds Haus in London bewohnen, als ware es unser eigenes, und er kam fur Ruperts Erziehung auf; er redete ihm sogar zu, auf ein Schiff des Konigs zu gehen - auf Ihr Schiff, Captain!»

«Entschuldigen Sie. «Bolitho hatte das Verlangen, die Hand auszustrecken und sie zu beruhren, doch seine Glieder waren wie aus Stein.
        Beschworend blickte sie in seine Augen.»Schauen Sie mich an, Captain. Ich bin sechsundzwanzig. Da Rupert auf See ist, stehe ich jetzt ganz allein da. Ich wei?, Sir Edmund liebt mich nicht, aber er braucht eine Frau. Das zum wenigsten bin ich ihm schuldig.»

«Die Jahre verstreichen«, erwiderte Bolitho,»und dann merkt man auf einmal, da? einem etwas entgangen ist…«Er brach ab, denn sie trat einen Schritt auf ihn zu, ein schmerzliches Erschrek-ken im Gesicht.»Ich sagte es Ihnen ja, Captain, ich bin schon sechsundzwanzig. Das soll aber nicht hei?en, da? ich mich dem Erstbesten an den Hals werfen mu?. Doch Sir Edmund braucht mich, und so mu? es eben sein.»
        Bolitho sah zu Boden.»Ich meinte mich selbst, nicht Sie. «Er wagte nicht, ihr ins Gesicht zu blicken, bevor er ausgeredet hatte. Danach wurde er gehen.»Ich bin zehn Jahre alter als Sie, und bis zu dem Tag, als wir uns zum erstenmal sahen, habe ich nie etwas bedauert. Mein Heim liegt in Cornwall, aber ich bin immer nur vorubergehend dort. Man hat zwar irgendwo seine Wurzeln, doch bleiben kann man nicht. «Er wartete auf einen plotzlichen Ausbruch, doch sie blieb stumm.»Ich kann Ihnen nicht das elegante London bieten, auch nicht Sir Edmunds Lebensstil, aber eines kann ich Ihnen bieten.»
        Seine Worte verklangen, und dann fragte sie ganz ruhig:»Was, Captain?»
        Er fand seine Stimme wieder.»Ich kann Ihnen meine Liebe anbieten. Ich erwarte nicht, da? Sie sie in gleichem Ma?e erwidern; aber wenn Sie mir eine Chance geben wollen, nur eine Chance, will ich versuchen, Sie glucklich zu machen und Ihnen den Frieden zu geben, den Sie nach allem Leid verdienen. «Er spurte die tiefe Stille im Raum und horte das ferne Anschlagen der Wellen drau?en. Und lauter als alles das schmerzhafte Klopfen seines Herzens.
        Endlich sagte sie:»Ich brauche Zeit zum Nachdenken. «Sie trat rasch an ein Fenster, so da? er ihr Gesicht nicht sehen konnte.»Wissen Sie auch, was Sie tun, Captain? Was das fur Sie bedeuten kann?»

«Ich wei? nur, was Sie mir bedeuten. Wie Sie sich auch entscheiden - daran wird sich nichts andern. «Er sah, da? ihre Schultern zitterten, und fuhr ruhiger fort: Ich wurde mit Sir Edmund sprechen, wenn Sie.»
        Sie schuttelte den Kopf.»Nein. Ich mu? das selbst durchstehen. «Wie von ferne sprach sie weiter.»Sir Edmund kann sehr hart sein. Es konnte schlimme Folgen fur Sie haben.»
        Bolithos Herz tat einen Sprung.»Dann denken Sie also. Ich meine - Sie konnten wirklich.?»
        Sie wandte sich um und legte ihm beide Hande auf die Schultern. Ihre Augen leuchteten so, da? sie ihr ganzes Gesicht beherrschten.»Hat es daran je Zweifel gegeben?«Doch als er sie mit dem gesunden Arm umfassen wollte, trat sie einen Schritt zuruck und hob die Hande.»Bitte jetzt nicht. Ich mu? nachdenken. Bitte la? mich allein.»
        Bolitho trat zuruck und wandte sich zur Tur. Der Kopf wirbelte ihm vor Gedanken und Ideen.»Aber willst du mich heiraten? Sag es mir nur einmal, bevor ich gehe!»
        Ihre Lippen zitterten, und eine Trane rollte uber ihre Wange.»Du bist der Mann, den mein Bruder verehrt, und noch viel mehr dazu. Ja, mit Freuden will ich dich heiraten.»
        Nachher, als sein Boot ihn wieder zur Hyperion brachte, war er immer noch wie betaubt. Der Offizier der Wache machte seine Meldung, als er aufs Achterdeck kam, aber er horte weder, was er sagte, noch erinnerte er sich hinterher, was er geantwortet hatte.
        Einsam stand Herrick, das Teleskop unterm Arm, an der Schanzleiter. Rasch uberquerte Bolitho das Deck und sprach ihn an:»Ich mu? mich bei Ihnen entschuldigen, Thomas. «Mit einer Handbewegung wischte er Herricks unausgesprochenen Protest beiseite.»Mein Benehmen war unverzeihlich, und was ich da gesagt habe, war schlechthin lacherlich.»
        Herrick musterte ihn besorgt.»Haben Sie Schmerzen im Arm, Sir?«Verstandnislos starrte Bolitho ihn an.»Schmerzen? Arm? Ach was!»

«Tja, Sir«, sagte Herrick unsicher,»mir tat das auch leid. Aber ich kann einfach nicht mitansehen, wie Sie sich selbst in Schwierigkeiten bringen. «Er seufzte tief auf.»Doch jetzt konnen wir bald auslaufen, und nach der Hochzeit kommt alles wieder in Ordnung. «Er grinste erleichtert.»Und das ist auch gut so.»
        Vergnugt sah Bolitho ihn an und uberlegte, ob er ihm gleich reinen Wein einschenken sollte.»Die Hochzeit wird verschoben, Thomas«, sagte er schlie?lich.

«Verschoben, Sir?«Herrick war ganz durcheinander.»Das verstehe ich nicht.»
        Bolitho massierte sich den verbundenen Arm.»Ich denke, Fal-mouth ist dafur ein passenderer Ort, finden Sie nicht? Und Sie sollen Brautfuhrer sein, Thomas, wenn Sie mir diesen Dienst erweisen wollen.»
        Herrick verschlug es fast die Sprache.»Sie haben doch nicht etwa… Aber das ist doch nicht moglich!«Er bekam den Mund nicht zu vor Verwirrung.»Doch nicht Miss Seton, Sir? Des Admirals Braut?»

«Genau die, Thomas«, grinste Bolitho. Er trat unter die Kampan-je, und Herrick horte ihn pfeifen, bis die Kajutentur zuschlug. Das hatte Bolitho noch nie getan.
        Herrick hielt sich an der Reling fest.»Da hol' mich doch der Teufel«, murmelte er und schuttelte sich wie ein Hund.»Da hol' mich der Teufel kreuzweise!»



        XIV Schwere Entscheidungen

        Die Ruckkehr der Hyperion nach St. Clar verursachte wenig Erregung oder Interesse, und als sie achtern vom Flaggschiff vor Anker ging, merkte Bolitho bald, da? die Burger andere Sorgen hatten als die Ankunft dieses Schiffes, auch wenn es seinerzeit eine Folge von Ereignissen ausgelost hatte, die sie jetzt nicht mehr beeinflussen konnten.
        Die royalistischen Flaggen wehten immer noch tapfer von den Hausern und auf der Landspitze, aber die Luft in den engen Gassen war schwer und dick von Spekulationen und Spannung. Manchmal blieben die Leute stehen und brachen ihre Unterhaltungen ab, wenn ferner Kanonendonner oder ein schnell vorbeifahrendes Lafettengeschutz sie plotzlich daran erinnerte, wie nahe sie den Krieg auf dem Hals hatten.
        Wenige Minuten nach dem Ankern war eine Barkasse langsseit gekommen, und Fanshawe, Pomfrets vielgeplagter Adjutant, brachte Cheney Seton an Land.
        Auf der langsamen Uberfahrt von Cozar hatte Bolitho nur kurz mit ihr besprochen, was zu tun war. Er wollte sich und ihr den Frieden ihres neugefundenen Gluckes nicht verderben, und als sie sich trennten, war er immer noch dagegen, da? sie die ganze Last auf sich nehmen und Pomfret allein gegenubertreten wollte. Aber darin war sie unnachgiebig. Es schmerzte regelrecht, als er sie ins
        Boot steigen sah, und nur mit Muhe konnte er sich davon zuruckhalten, ihr zu folgen.
        Das war nun drei Tage her. Geschaftig hatte er an der Verbesserung der Hafenverteidigung mitgearbeitet und in jeder Minute erwartet, etwas von Pomfret zu horen. Es gab viel zu tun. Besatzungen fur eine hastig zusammengestellte Flottille von Fischerbooten und Luggern mu?ten auf getrieben werden, welche die zahllosen kleinen Grotten und Buchten um die Einfahrt patrouillieren sollte, damit nicht feindliche Krafte unbemerkt einsickern und uberraschend angreifen konnten. Auch Cobbans Feldwachen und die weit umherstreifende spanische Kavallerie pa?ten scharf auf.
        Die Nachrichten waren wenig ermutigend. Langs der Landstra?e ins Binnenland sollte schwere Artillerie gesichtet worden sein, und kaum ein Tag verging ohne Zusammensto? mit feindlichen Patrouillen. Eine Schule der Stadt wurde als Feldlazarett eingerichtet, und es sollte bereits Plane zur Lebensmittelrationierung geben fur den Fall einer regelrechten Belagerung.
        Jeden Tag, sobald Bolitho in die Stille seiner Kajute zuruckkehrte, erwartete er, eine Nachricht von Pomfret vorzufinden. Wenn dann alles auf dem Schiff ruhig war und es wieder Nacht wurde, nahm er den Brief vor, den er von Cheney bekommen hatte, und las ihn immer wieder wie zum erstenmal. Sie wohnte nicht in Pomfrets Hauptquartier, sondern beim Burgermeister und seiner Familie, wenigstens furs erste. Der Brief schlo? mit den Worten:». und von meinem Fenster aus kann ich Dein Schiff sehen. Dort, bei Dir, ist mein Herz.»
        Bolitho hielt es fur richtig, da? sie sich jetzt nicht sahen. Vermutlich war die Kunde von seinem Wagnis bereits in der ganzen Hafenstadt verbreitet, aber es hatte keinen Sinn, dem Feuer, das Pom-fret unter ihm anzunden wurde, noch mehr Brennstoff zuzufuhren.
        Am dritten Tag kam die Aufforderung:»Alle Kommandanten und Truppenoffiziere sofort im Hauptquartier melden!»
        Im Nachmittagssonnenschein wirkte das Haus nicht so imposant; und es fiel Bolitho auf, da? sich die Marine-Infanteristen am Tor Passanten gegenuber nicht mehr so gleichmutig verhielten, sondern ihre Musketen mit den aufgepflanzten Bajonetten aktionsbereit trugen und sich in der Nahe der Wachstube hielten. Man wollte gehort haben, da? viele Burger bereits in die Berge geflohen seien, entweder aus Sorge um die Sicherheit ihrer Familien oder um die geeignete Zeit fur einen Frontenwechsel abzuwarten. Bolitho konnte sie deswegen nicht verurteilen. Pomfret hatte einen zu tiefen Graben zwischen seinen Streitkraften und der Bevolkerung von St. Clar gezogen. Aus deren berechtigtem Ressentiment wurde bestimmt noch Schlimmeres werden, wenn nicht bald bessere Nachrichten von der Front kamen.
        Beim Eintreten sah Bolitho einige Diener Porzellan und Glas in Kisten verpacken - anscheinend wollte der rechtma?ige Besitzer des Hauses seine Habe in Sicherheit bringen, ehe es zu spat war.
        Eine Ordonnanz wies Bolitho in ein dunkelgetafeltes Arbeitszimmer, wo bereits eine Anzahl Offiziere versammelt waren. Wie er sah, waren alle Kommandanten au?er jenen der beiden Schaluppen anwesend. Die Schaluppen hielten an der nordlichen Zufahrt ein wachsames Auge auf die Kustenstra?e, wo sich feindliche Truppen im Falle eines gro?eren Angriffs nahern mu?ten.
        Pomfret stand neben dem Schreibtisch und sprach mit Oberst Cobban und einem gro?en, schlanken, hochmutig aussehenden Spanier, vermutlich Don Joaquin Salgado, dem Ranghochsten ihrer Verbundeten. Sonst waren noch mehrere Heeresoffiziere sowie zwei oder drei von der Marine-Infanterie anwesend. Zu wenig, um standzuhalten, wenn die Franzosen mit gesammelter Kraft angriffen, dachte Bolitho grimmig.
        Fanshawe flusterte Pomfret etwas zu, und dieser sah kurz zu Bo-litho heruber. Nur eine Sekunde lang - und bei diesem kurzen Blickwechsel las Bolitho nichts, gar nichts in Pomfrets blassen, vorstehenden Augen.

«Nehmen Sie Platz, meine Herren«, sagte der Admiral knapp. Ungeduldig tippte er mit der Fingerspitze auf, bis das Scharren und Murmeln vorbei war.»Vor drei Tagen hat mir die Hyperion Depeschen aus Cozar uberbracht. «Wieder ein fluchtiger Blick, eiskalt und fremd.»Anscheinend bekommen wir die Verstarkung, auf die wir gezahlt haben, noch nicht.»
        Ein Gemurmel stieg auf; Pomfret wartete, bis es vorbei war, und fuhr dann fort: Aber sie kommt, meine Herren, sie kommt bestimmt. «Er fuhr mit der Hand uber seine Landkarte.»Diese Aktion in St.Clar kann der erste Schritt zu unserem Einzug in Paris sein! Haben wir mehr Schiffe und Soldaten zur Verfugung, dann konnen wir so tief in den weichen Unterleib Frankreichs sto?en, da? der Feind um Frieden bettelt!«Blitzend fuhr sein Blick durch den Raum.»Aber den werden wir ihm nicht bewilligen. Diesmal gibt es weder Frieden noch Ve rhandlungen, sondern nur den Sieg, den totalen Sieg!»

«Sehr richtig«, sagte jemand; aber abgesehen von dieser einsamen Stimme herrschte vollige Stille.
        Bolitho wandte sich zum nachsten Fenster. Die staubigen Scheiben blinkten in der Sonne, gro?e Insekten summten um die gepflegten Blumenbeete. In Cornwall dachte man jetzt wohl bereits an den Winter und legte Vorrate von Brennholz und Viehfutter an. Auf dem Lande war der Winter ein Feind, den man in Schach halten mu?te, und zwar mit nicht weniger Entschlossenheit, als sie hier in St. Clar brauchten. Plotzlich fiel ihm Cheney ein. Was wurde sie fur ein Gesicht machen, wenn er sie in dem alten grauen Herrenhaus unterhalb der Festung herumfuhrte? Mit ihr konnte das Haus wieder lebendig werden. Es wurde nicht mehr eine blo?e Statte der Erinnerung sein, sondern ein Heim werden.
        Pomfret sprach bereits weiter.»Der Patrouillendienst mu? standig aufrechterhalten werden, aber keinesfalls darf ein gro?eres Gefecht gesucht werden, ehe wir mehr Truppen und Artillerie haben; es sei denn, es gibt keine Alternative.»
        Er nickte Cobban zu und lie? sich dann in einen hochlehnigen Stuhl mit vergoldeter Lehne fallen. Sein Blick war abwesend und grublerisch. Cobban stand auf; seine Stiefel knarrten auf dem prachtigen Teppich.»Habe dem nicht viel hinzuzufugen«, sagte er.»Meine Manner sind ausgeruht und kampfbereit. Wir erlitten bereits ein paar Verluste, aber das war zu erwarten. Spahen und Wachen lautet die Devise, meine Herren. Wir halten diesen Hafen, und der Feind soll noch wunschen, er ware nie gegen uns angetreten!»
        Ohne aufzublicken, bemerkte Don Salgado beilaufig:»Sehr schone Worte, Colonel. Aber ich bin nicht sonderlich beeindruckt. «Anscheinend tief in Gedanken versunken, spielte er mit dem reichen Besatz seines gelben Uniformrocks.»Ich bin Kavallerist und es nicht gewohnt, hinter Hecken zu lauern und mich von irgendwelchen zerlumpten Flintenmannern beschie?en zu lassen, die ich nicht einmal sehen kann!»
        Cobban musterte ihn wutend, weil er seine wohlgesetzte Rede so brusk unterbrochen hatte. Arrogant erwiderte er:»Das ist aber, wenn ich so sagen darf, nicht Ihre Angelegenheit!»
        Langsam hob der Spanier die dunklen Augen und heftete sie auf Cobbans rotes Gesicht.»Tapfere Worte. Aber vielleicht haben Sie einen wichtigen Punkt ubersehen? Ich befehlige namlich die Halfte unserer Streitkrafte, und nicht Sie. «Seine Stimme bi? wie ein Degenstich.»Es war ausgemacht, da? ich meine Infanterie und Kavallerie Ihrem Oberbefehl unterstelle, vorausgesetzt - «, das Wort hing reglos in der Luft -,»vorausgesetzt, da? die Englander Verstarkung schicken. «Vielsagend hob er die Schultern.»Ihr Admiral Hood vermag in Toulon mit zwei Regimentern nichts auszurichten. Wie also konnen Sie hoffen, mit einer Handvoll Infanteristen mehr zu erreichen?«Er lachelte kuhl.»Hoffentlich werden Sie daran denken, wenn Sie mir wieder einmal erzahlen, was hier meine Pflicht ist.»
        Pomfret schien aus seiner Trance zu erwachen.»Das genugt, meine Herren! Die Stadt ist vom Feind umgeben. Wir haben noch schwere Zeiten vor uns. Aber ich bin sicher, da? bereits jetzt, wahrend Sie hier sitzen und sich streiten wie alte Weiber, starke Hilfskrafte unterwegs sind.»
        Bolitho beobachtete ihn genau. Wenn Pomfret log, um die bedruckte und gespannte Stimmung zu heben, so tat er es sehr uberzeugend. Mit plotzlicher Klarheit erinnerte er sich an eine Au?erung Herricks uber Pomfrets Vergangenheit und an die Bedeutung, die dieser ganze Feldzug fur ihn haben mu?te. Er mu?te einfach Erfolg haben und wurde keine Einmischung und keine Unsicherheit dulden. Bolitho dachte auch an Sir William Moresby, der unter der Batterie von Cozar auf dem Achterdeck der Hyperion gefallen war. Sir William hatte zwar gewu?t, was seine Pflicht war; jedoch in allem, was daruber hinausging, war er unsicher gewesen. Pomfret dagegen war zielstrebig und von sich uberzeugt bis zum Fanatismus.

«Anscheinend«, sagte der Admiral abschlie?end,»hat jeder gesagt, was er zu sagen hatte. Sonst noch Fragen?»
        Kapitan Greig von der Fregatte Bat stand auf.»Aber wenn die Verstarkung ausbleibt, Sir, dann sehe ich nicht, wie.»
        Weiter kam er nicht. Pomfret mu?te sich schon seit einiger Zeit zuruckgehalten haben; die Skepsis des jungen Kommandanten war der Tropfen, der das Fa? zum Uberlaufen brachte.

«Horen Sie um Gottes willen auf zu jammern, Mann!«Seine Stimme uberschlug sich, er fing an zu schreien, doch das schien ihm gleich zu sein.»Was, im Namen des Allmachtigen, wissen denn Sie davon? Ihr jungen Fregattenkapitane seid alle gleich, seht nicht uber einen kurzen Konflikt hinaus, oder ihr seid nur auf der Jagd nach Prisengeldern. «Anklagend wies er mit dem Finger auf Greig, der ganz bla? geworden war.»Schlie?lich war es Ihr Schiff, das die Saphir in den Hafen gelassen hat! Wenn Sie sie gesichtet hatten, wenn Sie sich bemuht hatten, Ihren Sold zu verdienen, statt wie ein liebeskranker Bauernjunge zu traumen und zu trodeln, dann ware es vielleicht gar nicht so weit gekommen.»
        Greig erwiderte gepre?t:»Ich habe meine Station nicht verlassen, weil Sie mir befohlen hatten, mich nordlich der Einfahrt zu halten.»

«Seien Sie still!«kreischte Pomfret.»Wie konnen Sie es wagen, meine Worte anzuzweifeln? Noch einen Mucks von Ihnen, Sie Wurm, und ich bringe Sie vors Kriegsgericht, verstanden?«Schwitzend vor Wut wandte er sich den anderen zu.»Ich sage es zum letztenmal, und das gilt fur alle!«Er schlug mit der Faust auf die Landkarte.»Hier sind wir, und hier bleiben wir! Wir haben Befehl, diesen Hafen zu halten, bis wir den Kampf ins Binnenland tragen konnen. Und genau das ist meine Absicht!»
        Bolitho sah sehr deutlich, was fur eine Wirkung Pomfrets Worte auf die schweigenden Offiziere hatten. Sie schienen von seinem Ausbruch wie gelahmt zu sein. Dash von der Tenacious schien verwirrt und verlegen, nur der spanische Oberst war anscheinend unbeeindruckt. Wie er dasa? und auf seine Stiefel blickte, schien er fast zu lacheln.
        Cobban rausperte sich unsicher.»Das ist alles, meine Herren. «Er begann, seine Papiere aufzunehmen, lie? sie aber wieder fallen.
        Pomfret hatte sich wieder in seinen vergoldeten Sessel gesetzt, und als die Offiziere sich zum Hinausgehen anschickten, nahm er einen Messingzirkel vom Tisch und stach damit in die Luft.»Ein Wort noch, Captain Bolitho!»
        Bolitho horte die Tur hinter den anderen zufallen und stand reglos am Tisch. Cobban war schwer atmend wie nach einem raschen Lauf an ein Fenster getreten. Seine Anwesenheit schien Pomfret nicht zu storen, aber Fanshawe, der noch in Papieren kramte, blaffte er an:»Raus!»

«Sie wunschen, Sir?«fragte Bolitho dienstlich.
        Der Admiral hatte sich im Stuhl zuruckgelehnt und musterte ihn, wahrend sein Zirkel einen kleinen Wirbel auf die Tischplatte schlug. Er sprach jetzt wieder vollkommen gelassen.»Nach Dash sind Sie hier der dienstalteste Kapitan. Es ist nicht ausgeschlossen, da? der Feind versuchen wird, uns von See her anzugreifen oder zumindest unseren Nachschub abzuschneiden. «Tapp, tapp, tapp machte der Zirkel.»Sie werden daher morgen fruh bei Sonnenaufgang mit der Hyperion auslaufen und nordlich der Einfahrt patrouillieren.»
        Unbewegt blickte Bolitho ihm ins Gesicht.»Bis wann, Sir?»

«Bis ich etwas anderes anordne. «Pomfret warf den Zirkel auf den Tisch.»Ich brauche mein Flaggschiff hier im Hafen, falls sich diese schlappschwanzigen Fischer ebenso dumm anstellen wie dieser Narr Greig.»

«Aha. «Bolitho spurte, wie Hitze in seinem verwundeten Arm hochstieg, und die Kehle wurde ihm plotzlich trocken, als er begriff, was Pomfrets Worte bedeuteten.
        Pomfret lie? ihm keine Zeit zu einem Einwand. Fast beilaufig fuhr er fort: Ubrigens, da mich Miss Seton uber ihren neuen Status informiert hat, halte ich es fur angebracht, da? sie mit dem ersten verfugbaren Schiff die Stadt verla?t.»
        Gepre?t erwiderte Bolitho:»Ich verstehe Ihre Gefuhle, Sir, aber sie konnen kein Grund dafur sein, Miss Seton noch mehr Unbequemlichkeiten und Strapazen auszusetzen.»

«Was Sie nicht sagen!«Pomfret tupfte sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch.»Sie haben vielleicht ubersehen, da? Miss Seton auf meine Veranlassung hier ist. Als englische Staatsangehorige steht sie unter meinem Schutz. «Seine Stimme wurde lauter.»Und als Flaggoffizier und Oberbefehlshaber beabsichtige ich, diese Protektion unverzuglich und vollstandig auszuuben.»

«Ist das Ihr letztes Wort, Sir?«Jedes Verstandnis, jedes Mitgefuhl, das er fur Pomfrets ungluckliche Lage empfunden haben mochte, war ihm nun vergangen. Es konnte Wochen dauern, bis ein Schiff verfugbar war, das Cheney Seton nach England oder einem anderen sicheren Hafen bringen konnte. Und in der Zwischenzeit, wahrend die Situation in und um St. Clar immer bedrohlicher wurde und die Belagerung sich zum offenen Krieg ausweitete, wurde sie unter Feinden allein sein, wahrend er drau?en isoliert patrouillierte und sie weder sehen noch unterstutzen konnte.

«Jawohl, mein letztes Wort. «Pomfrets Augen waren ausdrucksund mitleidslos.»Ich mag Sie nicht, Bolitho, denn ich kann es nicht vertragen, wenn man sich von Gefuhlen leiten la?t. Seien Sie also gewarnt!«Heftig stand er auf und trat zum Fenster.»Sie konnen gehen!»
        Bolitho hieb sich den Dreispitz auf den Kopf und sturmte durch die Tur, ohne recht zu wissen, was er tat. Er mu?te sofort zu Cheney. Es war immer noch Zeit, etwas zu arrangieren.
        Unten an der Treppe sah er Seton und Piper sich leise miteinander unterhalten und blieb stehen.»Was machen Sie hier?»
        Piper fa?te an seinen Hut und sagte finster:»Ich habe Seton im Boot an Land gebracht, Sir. «Sein Affengesicht war ganz schwer vor Traurigkeit.»Er sollte sich sofort hier melden, Sir.»
        Bolitho blickte Seton an.»Wissen Sie den Grund, mein Junge?»

«J-jawohl, Sir. Auf Sir Edmunds Befehl soll ich als. «Er hielt verlegen inne, und Piper schaltete sich ein:»Er wird als Signaloffizier zur Armee abgeordnet, Sir.»
        Bolitho schluckte seine kalte Wut hinunter und sagte ruhig:»Wenn alles vorbei ist, werde ich mich freuen, Sie wieder an Bord zu haben, Mr. Seton. Sie haben sich gut, sogar sehr gut gehalten, und ich bin sicher, da? Sie auch in Ihrem neuen Dienst dem Schiff Ehre machen werden.»
        Setons Lider zuckten.»D-danke sehr, S-sir.»
        Es war nichts Ungewohnliches, da? Midshipmen fur solche Zwecke eingesetzt wurden; aber die Tatsache, da? Pomfret nichts davon erwahnt hatte, war fur Bolitho ein Beweis, da? es sich hier um keine normale Abkommandierung handelte. Jedoch - das Leben eines Knaben als Mittel zur Rache zu benutzen, dazu konnte eigentlich niemand, nicht einmal Pomfret fahig sein. Dann fiel ihm wieder ein, mit welch plotzlicher Wut der Admiral den jungen Greig zusammengestaucht hatte, und es lief ihm kalt den Rucken hinunter.
        Er streckte die Hand aus, und Seton druckte sie krampfhaft.»Ich werde dafur sorgen, da? Ihre Schwester gut nach Hause kommt.»
        Es war merkwurdig, fast erschutternd, da? ihm dieser schmachtige Midshipman jetzt so nahestand wie einst sein eigener Bruder. Und als er in das bleiche Gesicht des Knaben sah, wu?te er, da? er ihm noch viel naherstehen wurde.

«Ich freue mich aufrichtig, da? es mit Ihnen und meiner Schwester so gekommen ist, Sir«, sagte Seton und schritt rasch ins Haus; erst auf dem Marktplatz wurde es Bolitho klar, da? der Junge bei seinem letzten Satz nicht gestottert hatte.
        Unten an der Landungsbrucke fragte Piper:»Glauben Sie, da? er's schaffen wird, Sir?«Er mu?te sich in Trab setzen, um mit Bolithos weitausgreifenden Schritten mitzukommen.»Ich meine, Sir, wenn ich nicht auf ihn aufpasse, ist er doch verraten und verkauft.»
        Bolitho blieb am Boot stehen und sah auf Piper hinunter.»Bestimmt wird er das, Mr. Piper. Er hatte ja einen guten Lehrmeister. «Und als er ins Boot sprang, versuchte er, sich einzureden, da? seine Worte keine Luge gewesen waren.
        Mit dem ersten Licht des nachsten Tages ging die Hyperion Anker auf und segelte, die Rahen rundgebra?t, um die schwache nordwestliche Brise voll auszunutzen, langsam an den schutzenden Armen der Hafeneinfahrt vorbei und hinaus auf die offene See.
        Das Stadtchen schien noch zu schlafen; abgesehen von den Wachtposten und ein paar muden Matrosen waren Landungsbrucke und Uferstra?e verlassen und still.
        Herrick stand an der Achterdeckreling, die Hande in den Huften, und blickte kritisch zu den in den Masten arbeitenden Mannern empor, deren nackte Arme im steigenden Sonnenlicht golden glanzten. Ein paar Unbeschaftigte standen auf den Decksgangen und starrten zum langsam vorbeigleitenden Panorama der Hugel und Hauser hinuber; und bei den ausgerichteten Rudern stand Piper mit der Jollenbesatzung, welche die letzten Zurrings klarierte, ehe das Schiff die offene See erreichte. Der Midshipman starrte, die Augen mit der Hand beschattend, nach Backbord; wahrscheinlich dachte er immer noch an seinen Freund.
        Als Herrick sich von der Reling abwandte, merkte er, da? Bolitho ebenfalls starr nach achtern blickte; mit dem gesunden Arm stutzte er ein Teleskop auf die Netze.

«Anker ist verstaut, Sir, Schiff seeklar«, meldete Herrick.
        Bolitho lie? das Glas sinken. Die niedrigen Hugel der Landzunge verdeckten jetzt die Sicht auf die Stadt. In den endlosen Minuten, als das Schiff langsam auf die Hafenausfahrt zusegelte, hatte er sie noch sehen konnen, hatte ihre schlanke Gestalt bis zum allerletzten Moment im Teleskop behalten. Sie stand auf einem kleinen Balkon direkt uber dem Wasser; hell hob sich ihr Kleid vom offenen Fenster ab, und ihr Gesicht war so nah und klar, da? er beinahe glaubte, sie beruhren zu konnen. Als er das Glas sinken lie?, verschwanden Hauser und ankernde Schiffe; schon war die Verbindung abgerissen.
        Er wandte das Gesicht in den Wind und erschauerte leicht, als er durch das offene Hemd an seine Brust beruhrte.
        Gimlett hatte ihn vor Sonnenaufgang geweckt, aber er hatte noch minutenlang reglos in seiner Koje gelegen. Ganz leicht konnte er ihre Nahe, die Beruhrung ihrer Hand, sogar den Duft ihres Haares spuren. Es war ein hastiger Abschied im Hause Labourets gewesen. Als er danach in seiner Koje lag, waren ihm die warmen Decken wie ihre Umarmung vorgekommen, und als er aufgestanden war und sich vor seinem Spiegel rasierte, dachte er an ihre Hand, die ihn gestreichelt hatte.

«Mr. Herrick«, sagte er unvermittelt,»sobald wir klar von Land sind, lassen Sie Fock, Besan- und Gro?segel setzen. Wir steuern Nordost und nutzen diesen ablandigen Wind aus.»
        Herrick nickte.»In der Sudsee habe ich mir geschworen, ich wurde niemals mehr um Wind beten. Aber selbst die Nordsee im Winter ist besser als diese Flaute.»
        Bolithos Blick war abwesend.»Ich wei?. Ein scharfer Wind, der einem gefrierenden Gischt ins Gesicht treibt, verjagt die truben Gedanken, oder wenigstens tun sie dann nicht mehr so weh.»
        Gossett spahte nach dem fernen Leuchtturm aus. Automatisch berechnete er im Kopf Abdrift und Kompa?kurs.»Klar zum Halsen,
        Sir.»
        Zogernd fragte Herrick:»Ist alles gutgegangen, Sir? Ich meine, haben Sie alles arrangieren konnen?»
        Bolitho seufzte.»Zum Teil, Thomas. Labouret wird tun, was er kann, das hat er mir versprochen. Und dann habe ich in Captain Ashby einen guten Verbundeten. Unter diesen Umstanden bin ich jedenfalls froh, da? er an Land bleibt.»
        Jetzt kam das Schiff klar von der Landspitze und uberlie? sich bereitwillig der wartenden Dunung. Das Sonnenlicht scho? durch das straffe Rigg und spielte auf der Krone des Titanenhauptes unterm Bugspriet.
        Bolitho ri? sich aus seinen truben Gedanken.»Klar zur Halse, bitte!«Herrick wartete ab, bis der Befehl wiederholt und ausgepfiffen war, und fragte dann:»Noch Befehle, Sir?»
        Plotzlich fiel Bolitho der frischgebruhte Kaffee in seiner Kajute ein. Vorhin hatte er ihn nicht anruhren mogen; jetzt brauchte er ihn, und sei es auch nur, um allein zu sein.»Wir exerzieren um acht Glasen mit der unteren Batterie, Mr. Herrick«, sagte er.»Ich will nicht, da? die Geschutze rosten, nur weil sie nicht benutzt werden.»
        Lachelnd sah Herrick ihm nach, als er unter den Kampanje verschwand. Er macht das Beste daraus, dachte er. Und er hat ganz recht, wenn er Schiff und Mannschaft gerade jetzt scharf hernimmt. Die Kommandeure der Hyperion kamen und gingen, aber sie selbst mu?te gesegelt und in Betrieb gehalten werden, und dazu waren die Manner da, die auf ihr Dienst taten.
        Er nahm seine Sprechtrompete auf.»Mr. Pearse: Untere Batterie exerziert um acht Glasen! Und ich bitte mir aus, da? Sie bis zur Feuerbereitschaft zwei Minuten weniger brauchen als letztesmal!»
        Der Stuckmeister nickte, und Herrick begann, auf dem Achterdeck auf und ab zu gehen. Ich rede schon wie Bolitho, dachte er. Diese Erkenntnis freute ihn, und er beschleunigte seine Schritte.
        Die Nacht erreichte die Hyperion gut zwanzig Meilen nordostlich von St. dar. Fast reglos hingen ihre Segel, sie dumpelte trage in der hohen, ablandigen Dunung. Die Luft in Bolithos Kajute war stickig, die anwesenden Offiziere drangten sich nach Moglichkeit unter dem offenen Skylight zusammen, und ihre Gesichter glanzten feucht im Licht der schwingenden Lampen.
        Stumm, mit dem Rucken zum Heckfenster, sah Bolitho Gimlett zu, der nervos hin und her huschte, die Glaser der Offiziere nachfullte und den Pfeifentabak herumreichte. Hier hinter dem Schott war es ungewohnlich ruhig, nur das ums Ruderblatt gurgelnde Wasser und das Knarren der Ruderzuge tonten herein, gerade laut genug, um zu unterstreichen, wie wenig Fahrt sie machten. Aber das spielt gar keine Rolle, dachte Bolitho bitter. Bei seiner Patrouille kam es weder auf Schnelligkeit noch auf den Kurs an. Das Schiff mu?te lediglich da sein. Nur hatten seine Leute bei diesem Schleichtempo, dieser langweiligen Routine, zu wenig Beschaftigung und zu viel Zeit, um uber die Zwecklosigkeit ihres Auftrags nachzugrubeln. Was auch geschah, er mu?te dafur sorgen, da? sie nicht unter der Isolierung zu leiden hatten, die Pomfret ihm aufzwang. Er hatte seine Offiziere zu einem au?erdienstlichen Zusammensein gebeten, als ersten Schritt eines psychologischen Feldzugs, der konsequent weitergefuhrt werden mu?te, wenn nicht die sorgfaltig aufgebaute Kampfmoral vor seinen Augen verrotten sollte.
        Langsam blickte er im Kreis der Gesichter umher, und dabei wurde ihm wieder einmal klar, da? sein Offizierskorps nicht nur zahlenma?ig kleiner geworden war, sondern auch wesentliche personelle Veranderungen erlitten hatte. Quarme und Dalby waren tot; die beiden Marine-Infanteristen und der junge Seton waren in St. Clar geblieben. Und die noch Anwesenden wirkten durch die unaufhorliche dienstliche Uberbeanspruchung mude und erschopft. Fast jeder Seemann schimpfte standig uber sein schweres Los; aber diese hier hatten auch allen Grund dazu. Der junge Piper zum Beispiel war gerade sechzehn, war mit dreizehn Jahren an Bord gekommen und hatte bis zu diesem Tag kaum jemals den Fu? an Land gesetzt, allenfalls hatte er mit seiner geliebten Jolle kleine Auftrage ausgefuhrt. Den meisten anderen in diesem uberfullten Schiff ging es ahnlich. Das harte Leben war bei der Marine etwas ganz Selbstverstandliches; und so brauchte man sich nicht zu wundern, da? die Landbewohner die Pre?kommandos[Pressen nannte man die gewaltsame Rekrutierung zur Kriegsmarine.] furchteten wie die Pest und schon beim blo?en Anblick
einer Marineuniform Angst bekamen. Und doch waren diese Manner, die neben ihren Geschutzen lebten, sie jeden Tag sahen, sobald sie nur erwachten, unschlagbar im Gefecht, und anscheinend war auch ihr Kampfgeist nicht zu brechen. Oft genug mu?ten sie hungern, wenn der Kommandant ein Geizkragen, oder wurden ausgepeitscht wie Tiere, wenn er ein Tyrann war. Doch sobald sie zum Kampf gerufen wurden, versagten sie kaum jemals. Das konnte Bolitho nie ganz verstehen. Manche sagten, sie waren aus Angst so tapfer; andere meinten, Tradition und Disziplin der Marine seien die wirklichen Grunde. Er jedoch glaubte, da? die Ursachen tiefer lagen. Ein Kriegs-
        schiff war eine Lebensgemeinschaft. Vaterland und Flagge standen oft genug erst an zweiter Stelle. Die Manner in den vollgestopften Decks kampften, um einander zu schutzen, um alte Kameraden zu rachen, und sie kampften um ihr Schiff.
        Mit ruhiger Stimme begann er zu sprechen.»Ich habe Sie hergebeten, meine Herren, damit Sie die Schwierigkeiten, die auf uns zukommen, klar erkennen. Es kann Wochen dauern, bis wir zuruckgerufen werden. Niemand wei?, was die Franzosen planen und auszufuhren imstande sind. Aber angesichts dieser Umstande ist unser Platz die hohe See. Was der Feind auch fur Siege in Europa erringt, er kann den Krieg nicht gewinnen, solange unsere Schiffe bereit sind, ihn zu bekampfen. «Er bemerkte, da? Herrick sachlich nickte und der junge Caswell sich auf die Lippen bi?.»Wir werden taglich exerzieren. Aber wir mussen noch weitergehen. Versuchen Sie zu erreichen, da? die Leute sich nicht zu viel mit sich selbst beschaftigen. Arrangieren Sie Wettkampfe, ganz egal wie banal und unbetrachtlich; tun Sie Ihr Bestes, um ihnen Mut zu machen. Was vorher an Gutem oder Schlechtem unbemerkt geblieben ist, bricht hervor, wenn wir mit Langeweile und Einsamkeit nicht fertig werden. «Er hob sein Glas.»In diesem Sinne meine Herren, trinken wir auf unser Schiff. Gott segne es!»
        Die Glaser klangen, und die Offiziere warteten darauf, da? Bo-litho weitersprach. Etwas scharfer fuhr er fort:»Da sich unsere Anzahl verringert hat, befordere ich Midshipman Gordon zum Vizeleutnant. Er wird Mr. Rooke bei der unteren Batterie assistieren.»
        Er hielt inne, denn die anderen Midshipmen hieben Gordon auf die Schultern; dessen Gesicht, eine einzige Ansammlung von Sommersprossen, spaltete sich zu einem uberraschten Grinsen. Bolitho warf Rooke einen schnellen Blick zu; der sagte nichts, nickte aber. Es war eine wohldurchdachte Entscheidung, denn Gordon war bei der Ersturmung des Leuchtfeuers von St. Clar anscheinend sehr gut mit Rooke ausgekommen; vermutlich weil sie beide aus alter, einflu?reicher Familie stammten. Gordons Onkel war Konteradmiral, und wahrscheinlich hielt Rooke deswegen sein unangenehmes Temperament etwas im Zaum.

«Au?erdem«, fuhr Bolitho fort, und das Stimmengewirr erstarb,

«meine ich, einer der Steuermannsmaaten konnte als Wachoffizier Dienst tun, bis Mr. Fowler wieder gesund ist.»
        Inch sah auf.»Darf ich Bunce vorschlagen, Sir? Ein sehr verla?licher Mann.»

«Sie durfen, Mr. Inch. Sagen Sie es ihm gleich nachher. «Inch nickte und nahm einen Zug aus seinem Glas. Er hatte sich vielleicht am meisten von allen verandert. Vom Funften und jungsten Offizier war er zum Vierten aufgestiegen, aber was noch wichtiger war, er hatte auch das dazugehorige Selbstvertrauen gewonnen.
        Plotzlich richteten sich aller Augen auf das Skylight, denn von dort erklang ein gedampfter Ruf:»Halt! Mensch, was machst du denn, zum Teufel?«Es folgten das Gerausch rennender Fu?e und dann dieselbe Stimme, jedoch laut und schallend: Achtung - Mann uber Bord!»
        Die Offiziere eilten an Deck, und Gossett brullte:» Kreuzmarssegel back! Kutter zu Wasser!»
        Das Achterdeck lag ganz im Finstern, kein Stern war durch die reglosen Wolken zu sehen. Dunkle Gestalten liefen die Decksgange entlang, und achtern horte Bolitho, wie die Manner der Kutterbesatzung, vom Alarmruf aufgeschreckt, sich gegenseitig umrannten.»Was ist los, Gossett?«rief Bolitho,»Wie war das moglich?»
        Bunce, der untersetzte Steuermannsmaat, den Inch vorhin erwahnt hatte, schob sich durch die eilenden Manner.»Hab's gesehen, Sir«, erklarte er mit dienstlichem Gru?. Ich stand am Ruder, weil einer meiner Leute gerade die Kompa?lampen auswechselte.
«Er schauerte.»Als ich hochsehe, Sir, glotzt mich plotzlich sein Gesicht an! Herrgott, war das scheu?lich - ich bete zu meinem Schopfer, da? ich so was nicht noch mal sehen mu?!»
        Das backgestellte Segel schlug donnernd, das Schiff rollte wie betrunken, und irgendwo jenseits der Kampanje horte Bolitho das Platschen von Riemen im Wasser und die Befehlsrufe des Bootsmanns im Kutter.»Mr. Fowler war's, Sir«, berichtete Bunce weiter.»Er hatte sich die Verbande abgerissen, hielt einen Spiegel in der Hand und weinte wie ein kleines Kind. Die ganze Zeit starrte er dabei sein Gesicht im Spiegel an!»

«Stimmt, Sir«, kam eine Stimme aus dem Dunkel.»Es war alles zerfetzt von den Augen bis zum Kinn, und uberhaupt keine Nase mehr!»
        Langsam schritt Bolitho zu den Netzen. Der arme Fowler… Er war ein schmucker Leutnant gewesen, bis er, von einem Degenhieb gefallt, mit zerfetztem Gesicht neben ihm auf die Planken gesunken war.

«Ich wollt' ihn noch aufhalten, Sir«, sagte Bunce zu Herrick,»aber er war ja wie verruckt. Und beinahe nackt; ich konnt' ihn einfach nich' zu fassen kriegen.
«Wieder uberlief ihn ein Schauer.»Rannte los und sprang uber Bord, ehe wir ihn erwischten.»
        Bolitho sah das Boot auf dem ebenholzschwarzen Wasser tanzen, die Riemen zogen phosphoreszierendes Meeresleuchten nach.

«Kann nichts sehn, Sir«, schrie der Bootsmaat herauf, der aufrecht im Kutter stand.

«Rufen Sie das Boot zuruck, Mr. Herrick«, befahl Bolitho knapp.»Und nehmen Sie wieder Fahrt auf!»
        Er ging an den stummen Gestalten vorbei, die ihn anstarrten, und sah noch, wie Inch den Midshipman Lory trostete, der mit Fowler eng befreundet gewesen war.»Mr. Inch«, sagte er,»Sie sind jetzt Dritter Offizier. Hoffentlich ist das fur einige Zeit die letzte Beforderung aus diesen Anlassen.»
        Steifbeinig ging er in seine Kajute und starrte auf die herumstehenden Weinglaser. Er versuchte, den Stopsel aus einer Karaffe zu ziehen, aber er stak zu fest; und da er sie mit seinem verwundeten Arm nicht entkorken konnte, knallte er die Karaffe wutend auf den Tisch.»Gimlett!«brullte er. Angstvoll sturzte der Steward in die Kajute.»Ein Glas Wein, aber schnell!«Als er es an die Lippen setzte, zitterte seine Hand heftig, aber er konnte sie nicht beherrschen. Diesmal war es nicht das Fieber - Wut und Verzweiflung stiegen wie eine Flutwelle so hoch in ihm, da? er das leere Glas fast an die Wand geworfen hatte. Hatte er Fowler auf der brennenden Fairfax gelassen, wurde er jetzt als tapferer Seemann im Gedachtnis der Besatzung fortleben und nicht als armseliger, irrer Selbstmorder. Warum hatte er so ohne Wurde sterben mussen? Wie konnte es sein, da? ein Mann, den er kannte, dessen Gewohnheiten ihm so gelaufig waren wie seine eigenen, in Sekunden zu einer leeren Menschenhulle geworden war?
        Er knallte das Glas auf den Tisch.»Nachfullen!»
        Und eben hatte er noch den Offizieren Vortrage daruber gehalten, wie gewisse Vorkommnisse der Moral schaden konnten! War Fow-ler schon kein Mensch mehr, sondern ein Vorkommnis?
        Er dachte an Pomfret und daran, was dieser ihm antat, ihm und dem ganzen Schiff. Hol dich der Teufel! Zur Holle mit dir, du Elender!«Seine Stimme bebte so vor Wut, da? Gimlett sich wie ein geprugelter Hund in die Ecke druckte.
        Schlie?lich ri? sich Bolitho mit einem Ruck zusammen.»Ist schon gut, Gimlett. Keine Angst. «Er hob den Becher ans Licht der Lampe und wartete, bis der Wein still und blutrot im Glas stand.»Sie habe ich nicht gemeint, Gimlett. Sie konnen jetzt gehen.»
        Als Bolitho wieder allein war, zog er Cheneys Brief aus der Brusttasche und begann zu lesen.



        XV Zuerst die Menschen!

        Gewi? war Bolitho darauf vorbereitet und gewillt, die Stimmung im Schiff trotz Pomfrets Winkelzugen nicht absinken zu lassen, doch die Wirklichkeit wurde viel schlimmer, als selbst er vorausgesehen hatte. Woche um Woche fuhr die Hyperion ihre anscheinend endlose Patrouille, ein riesiges, eintoniges Rechteck auf dem offenen Meer. Nur gelegentlich unterbrach die ferne Kuste Frankreichs oder der lauernde Schatten der Insel Cozar die Leere.
        Zweimal begegneten sie der Schaluppe Chanticleer; sie hatte wenig zu melden, was Bolithos wachsende Nervositat hatte beschwichtigen konnen. Die Situation der Schaluppe war genauso scheu?lich wie seine eigene, denn die unberechenbaren Wetterverhaltnisse des Mittelmeeres spielten einem so kleinen Fahrzeug besonders mit. Bellamy, der Kommandant, konnte sich das Ausbleiben jeglicher Nachrichten aus Pomfrets Hauptquartier ebensowenig erklaren wie Bolitho selbst. Es gab nur Geruchte. Angeblich bombardierten die Franzosen St. Clar mit Belagerungsgeschutzen; im Weichbild der Stadt wurde bereits gekampft, so da? man kaum noch ohne Gefahr auf die Stra?en konne.
        Aber an Bord der Hyperion waren solche Spekulationen ebenso unnutz wie fernliegend, denn in ihren menschenwimmelnden Decks bedeutete Wirklichkeit: heute - und allenfalls morgen. Bolitho wu?te, da? seine Leute sich alle Muhe gaben, ihre Enttauschung, ihren Mi?mut nicht zu zeigen. Sie verhielten sich wunschgema?, einen ganzen Monat lang gab es standig Wettkampfe und freundschaftliche Konkurrenzen aller Art. Verschiedene Preise wurden ausgesetzt; fur die beste Splei?arbeit, das schonste Schiffsmodell, fur Hornpipe- und Jigtanzer, sogar fur die zahllosen kleinen Gegenstande, welche die alteren Matrosen mit gro?er Liebe und Sorgfalt herstellten: winzige, zierliche Schnupftabaksdosen, aus steinhart getrocknetem Salzfleisch geschnitzt und dann poliert, oder Kamme und Broschen aus Knochen und Glasstuckchen.
        Aber das konnte nicht von Dauer sein. Kleine Streitigkeiten wuchsen sich zu Schlagereien aus, Unzufriedenheit und Beschwerden zogen wie Giftschwaden durch das Gedrange an Bord; und einmal schlug ein wutender Matrose einen Unteroffizier ins Gesicht. Das brachte ihm selbstverstandlich Prugelstrafe ein. Und diese blieb nicht die einzige.
        Auch die Offiziere waren gegen die wachsende Unruhe und Unzufriedenheit nicht immun. Bei einem Kartenspiel in der Offiziersmesse hatte Rooke den Zahlmeister des Falschspiels bezichtigt. Hatte Herrick nicht mit fester Hand eingegriffen, hatte der Vorfall blutige Konsequenzen gehabt. Doch auch Herricks wachsames Auge konnte nicht alles sehen.
        Der einzige Verbundete Bolithos war das Wetter. Im Verlauf der Wochen verschlechterte es sich betrachtlich, und haufig mu?ten die Matrosen in einer einzigen Stunde alle Segel setzen und wieder reffen; dann waren sie so mude, da? sie nicht einmal die Energie zum Essen aufbrachten. Allerdings gab es auch nichts Vernunftiges mehr zu essen. Was Bolitho in St. Clar an frischen Lebensmitteln hatte auftreiben konnen, war bald verbraucht, und jetzt lebte das ganze Schiff von den Grundrationen: Salzfleisch und Schiffszwieback - viel mehr gab es nicht.
        In der elften Woche, als die Hyperion die sudliche Strecke ihrer Patrouille absegelte, flaute die scharfe Brise ab, die sie tagelang begleitet hatte. Der Wind krimpte ein paar Strich, und dieser Wechsel brachte Regen.
        Bolitho stand in Luv auf dem Achterdeck und sah den Regen wie einen eisernen Vorhang auf das Schiff zukommen. Er trug weder Rock noch Hut und lie? sich richtig durchweichen. Im Vergleich zu dem fauligen Trinkwasser schmeckte der Regen wie Wein; und als er mit zusammengekniffenen Augen in den Wind spahte, sah er mehrere der auf dem Oberdeck arbeitenden Matrosen gleich ihm in diesem Himmelsgu? stehen, als wollten sie ihre Wut und Niedergeschlagenheit abwaschen lassen.
        Tomlin, der Bootsmann, lie? im Vorschiff eiligst Segeltucheimer aufstellen; und Crane, der Kufer, trieb seine Maaten an, die leeren Fasser fertigzumachen, damit sie gefullt werden konnten, ehe der Regen aufhorte. Und jetzt kann ich nicht einmal mehr sagen, da? ich den Hafen anlaufen mu?, um Trinkwasser aufzunehmen, dachte Bolitho mi?mutig. So schnell kann aus einem Freund ein Feind werden!
        Herrick kam ubers Deck. Sein triefendes Haar klebte auf der Stirn.»Wenn es jetzt aufklart, mussen wir Cozar Backbord voraus in Sicht bekommen, Sir. «Er verzog das Gesicht.»Ich sage ascheinend immer wieder dasselbe.»
        Da hatte er recht. Wenn sie die Insel sichteten, bedeutete das nur, da? sie eine Seitenlange ihres Patrouillenreviers absolviert hatten. Die Hyperion fuhr eine Wende und begab sich zum soundsovielten Male auf den langen und langweiligen Torn in Richtung Festland.
        Bolitho lehnte sich uber die Reling und achtete nicht darauf, da? Regen und Spruhwasser ihm Rucken und Hosenbeine durchna?ten. Kein Wunder, da? die Hyperion so langsam war, bei dem jahrealten Bewuchs an ihrem Unterwasserschiff! Jede Strahne Seegras, jeder Streifen Tang bedeutete eine Meile Ozean unter ihrem geteerten Kiel, jede Muschelkolonie hundert Drehungen des Ruderrades. Bolitho schmeckte Salz zwischen den Zahnen und sah beim Aufblicken, da? der Regen abgezogen war und nur noch im Osten die knuppeligen Wellen aufrauhte.

«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks im Masttopp ubertonte den Wind.»Segel Backbord voraus!»
        Bolitho blickte Herrick an. Sie hatten beide gedacht, der Mann wurde Cozar in Sicht melden. Ein Schiff - das war etwas Ungewohnliches, ein Ereignis.»Lassen Sie das zweite Reff herausnehmen, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Wir sehen uns das mal naher an.»
        Aber das ware gar nicht notig gewesen; denn sobald die Brams egel des fremden Schiffes in einem breiten Streifen Sonnenlicht uber der Kimm standen, halste es und nahm Kurs direkt auf die Hyperion.
        Piper war bereits mit seinem Teleskop in den Besanwanten, als sich die ersten Flaggen an der Rah des Fremden entfalteten.

«Es ist die Harvester, Sir!«Er spuckte aus, denn ein plotzlicher Schwall Spritzwasser war in Luv ubergekommen und hatte ihn beinahe von seinem unsicheren Platz gefegt. »Harvester an Hyperion«, keuchte er.»>Habe Depeschen fur Sie<.»
        Bolitho uberlief es; er hatte kaum auf dergleichen zu hoffen gewagt.»Klar zum Beidrehen, Mr. Herrick!»
        Kaum hatte die Hyperion mit ihren klatschnassen, laut schlagenden Segeln das Manover beendet, da war die schnelle Fregatte schon so nahe, da? man die breiten Salzstreifen an ihrem Rumpf erkennen konnte und das nackte Holz, wo die ruhelose See die Farbe wie mit Messern weggekratzt hatte.
        Unruhig bebten die Rahen der Fregatte, und das schmale Deck neigte sich, denn Leach drehte in den Wind, bis sein Schiff stampfend in Lee der Hyperion lag.

«Das ist seltsam, Sir«, sagte Herrick.»Er hatte die Depeschen doch an der Leine heruberdriften lassen konnen. Bei diesem Wind hat ein Boot machtig zu pullen, bis es hier ist.»
        Aber die Harvester lie? bereits ein Boot zu Wasser, und als es endlich von der Bordwand klargekommen war, sah Bolitho, da? nicht etwa ein Midshipman im Boot sa?, sondern Captain Leach personlich.

«Es mu? wichtig sein. «Bolitho bi? sich auf die Lippen, als das Boot auf einer machtigen, wei?bemahnten Welle beinahe querschlug.»Mr. Tomlin soll sich bereit halten, das Boot langsseit zu nehmen!»
        Dann kletterte Leach das Fallreep der Hyperion herauf, nahm sich kaum Zeit zum Atemholen und eilte, den triefenden Dreispitz schief auf dem Kopf, die Augen rotgerandert vor Ubermudung, zum Achterdeck.
        Bolitho ging ihm mit langen Schritten entgegen.»Willkommen an Bord! Es ist lange her, da? ich solch einen Beweis bester Seemannschaft gesehen habe!»
        Leach starrte Bolithos nasses Hemd und sein zerrauftes Haar an, als erkenne er ihn erst jetzt. Doch er lachelte nicht.»Kann ich Sie allein sprechen, Sir?»
        Bolitho wandte sich zur Kampanje; er merkte, da? seine Offiziere aufmerksam geworden waren und da? das Erscheinen der Fregatte gespannte Erregung hervorgerufen hatte. In der schwankenden Kajute lie? er Leach zunachst ein volles Glas Brandy austrinken und fragte dann:»Nun, was machen Sie hier drau?en?»
        Leach nahm in einem der grunen Ledersessel Platz und schluckte.»Ich bin hier, weil ich Sie bitten mochte, nach St. Clar zuruckzukommen, Sir. «Er wischte sich die salzwunden Lippen, die von dem starken Schnaps heftig brannten.

«Und die Depeschen?«fragte Bolitho.»Sind sie vom Admiral?»
        Mit sorgengefurchter Miene blickte Leach auf die Tischplatte nieder.»Ich habe keine Depeschen, Sir. Aber ich mu?te irgendeinen Grund angeben, wollte Ihre Manner nicht noch zusatzlich beunruhigen. Es gibt auch so Arger genug.»
        Bolitho setzte sich.»Lassen Sie sich Zeit, Leach. Kommen Sie aus St. Clar?»
        Leach schuttelte den Kopf.»Von Cozar. Ich habe gerade die letzte Handvoll Soldaten abgeholt. «Verzweifelt hob er die Augen zur Decke.»Anschlie?end sollte ich Sie suchen, Sir. Zwei Tage bin ich hinter Ihnen her.»
        Bolitho schenkte ihm nochmals ein.»Ich wei? nicht«, fuhr Leach fort,»ob ich richtig handele oder ob das Meuterei ist. Wie die Dinge liegen, kann ich meinem eigenen Urteil nicht mehr trauen.»
        Ganz langsam atmete Bolitho aus und zwang seine verkrampften Muskeln, sich zu entspannen.»In St. Clar steht es also schlecht, nehme ich an?»
        Leach nickte.»Seit Wochen hammern die franzosischen Geschutze auf den Hafen ein. Ich habe Patrouille nach Sudosten gefahren; aber jedesmal, wenn ich zum Hafen kam, war es schlimmer. Der Feind machte einen Scheinangriff und brachte es irgendwie fertig, die spanischen Truppen aus ihren Stellungen zu locken. «Er seufzte.»Die feindliche Kavallerie hat sie in Stucke gehauen. Es war ein Massaker. Anscheinend hat niemand gewu?t, da? die Franzosen uberhaupt Kavallerie hier haben. Und es waren Elitetruppen, Dragoner aus Toulouse.»

«Was plant der Admiral, Leach?«Bolithos Stimme klang ganz ruhig, aber er kochte innerlich bei der Vorstellung, wie die auseinandergetriebene Infanterie unter den gnadenlosen Reitersabeln fiel.
        Unvermittelt und mit steinernem Gesicht stand Leach auf.»Das ist es ja gerade, Sir. Sir Edmund sagt keinen Ton. Keine Befehle, keine Vorbereitungen fur einen Gegenangriff, auch nicht fur eine Evakuierung!«Fast verzweifelt blickte er Bolitho an.»Anscheinend vertritt ihn Captain Dash. Der hat mich beauftragt, Sie zu suchen und zuruckzubringen.»

«Haben Sie Sir Edmund nicht gesprochen?»

«Nein, Sir. «Hilflos hob Leach die Hande.»Ich glaube, er ist krank; aber Dash hat nur sehr wenig erzahlt. «Er beugte sich vor.»Die Lage ist verzweifelt, Sir! Uberall Panik, und wenn nicht bald was geschieht, fallt die ganze Truppe in Feindeshand!»
        Bolitho stand auf und kam zum Tisch heruber.»Sie sagen, Sie haben Leute von Cozar an Bord?»

«Nur ein paar Soldaten und einen jungen Fahnrich«, entgegnete Leach mude.

«Und die Straflinge?»
        Mit ausdrucksloser Stimme erwiderte Leach:»Was die betrifft, so hatte ich keine Befehle. Die Straflinge sind noch dort.»
        Bolitho wandte sich ab. Es lag nahe, Leach als einen herzlosen Narren zu verurteilen. Aber es lag noch naher, die Schwierigkeiten und Bedenken zu sehen, mit denen er konfrontiert war. Dash war Flaggkapitan; doch da er keine schriftliche Order besa?, mu?te Leach schon jetzt das Kriegsgericht oder Schlimmeres befurchten.

«Danke, da? Sie offen zu mir sind«, sagte Bolitho ruhig.»Ich segle sofort nach St. Clar zuruck. «Nun, da er auf Leachs Vorschlag einging, war er kein blo?er Zuschauer mehr, sondern hatte teil an der Verschworung. Sein Ton wurde scharfer. Aber ehe Sie wieder zu mir sto?en, werden Sie nach Cozar zurucksegeln und jeden einzelnen Strafling von der Insel holen, verstehen Sie?»
        Leach nickte.»Wenn das Ihr Wunsch ist, Sir.»

«Es ist ein Befehl. Diese Manner haben mit der ganzen Geschichte nichts zu tun, und ich habe ihnen mein Wort gegeben. Ich will nicht noch mehr Leid verursachen.»
        Es klopfte an die Tur, und Herrick meldete:»Entschuldigung, Sir, aber der Wind frischt weiter auf. Er wird bald so stark sein, da? das Boot nicht mehr zur Harvester zuruck kann.»
        Bolitho nickte.»Captain Leach geht gleich von Bord. «Auf Herricks fragenden Blick fuhr er fort:»Sobald er weg ist, gehen Sie uber Stag und nehmen Kurs auf St. Clar. Aber mit jedem Fetzen Tuch, den das Schiff verkraften kann - ist das klar?»
        Herrick eilte davon, und Leach sagte tonlos:»Danke, Sir. Was jetzt auch kommt, ich werde nicht bereuen, da? ich bei Ihnen war.»
        Bolitho ergriff seine Hand.»Hoffentlich hat keiner von uns es zu bereuen.»
        Sobald das Boot der Fregatte abgelegt hatte, schwangen die schweren Rahen herum, und wahrend das Schiff im starken Wind krangte, schwarmten die Toppgasten hinauf, um sich mit den killenden Segeln herumzuschlagen - mit vorgeneigtem Leib pre?ten sie sich an die Rahen und krallten sich an die Fu?pferde, um nicht aufs Deck oder in die kochende See zu sturzen.
        Herrick wischte sich schwungvoll einen Schu? Spruhwasser aus den Augen und rief zu Bolitho hinuber:»Ist es in St. Clar schlimmer geworden, Sir?»
        Bolitho spurte, wie das Deck unter seinen gespreizten Beinen bockte. Das alte Schiff tat sich schwer bei dem Manover. Er konnte die Spieren und Planken unter dem verstarkten Druck knarren und quietschen horen; doch als sich mehr und mehr Segel hoch oben mit Wind fullten, bemuhte er sich, diese unheimlichen Gerausche, mit denen das Schiff gegen die rauhe Behandlung protestierte, einfach nicht zu horen.»Ich furchte ja«, beantwortete er Herricks Frage.»Anscheinend wird der Belagerungsring um den Hafen immer enger.»
        Ehe Herrick weiterfragen konnte, schritt Bolitho zur Luvreling hinuber. Es hatte keinen Sinn, ihm zu erklaren, da? ein gut Teil von dem, was St. Clar jetzt zu leiden hatte, offenbar aus der Stadt selbst kam. Vielleicht nahm Herrick es ihm ubel, da? er so auf Distanz gehalten wurde; aber wenn es zu einer Kriegsgerichtsverhandlung kam, konnte er dann wenigstens nicht als Mitschuldiger gelten.
        Gossett fragte:»Sie wollen doch nicht etwa die Royals setzen, Mr. Herrick?»
        Bolitho fuhr herum.»Aber ich, Mr. Gossett! Sie haben immer den Mund vollgenommen, was das Schiff alles leisten konne. Jetzt beweisen Sie es!»
        Gossett wollte protestieren, sah aber Bolithos trotzige Schulterhaltung, und da lie? er es lieber.

«Pfeifen Sie >Alle Mann         Er tragt fur uns alle, dachte Herrick. Immer sorgt er sich, aber helfen lassen will er sich nicht. Er packte die Reling, denn ein langer Brecher hob das Heck und rollte tosend unter den Decksgangen dahin. Die Pumpen klapperten lauter denn je, und als Herrick sich die brennenden Augen wischte, sah er, da? sich die Rahen unter dem Druck der geschwellten Segel bogen, die so hart schienen wie Stahl. Aber die Hyperion reagierte. Gott mag wissen wie, dachte er verwundert, aber dieser alte Kasten scheint zu verstehen, wie wichtig es fur den Captain ist - sogar besser als wir.
        Und doch brauchte die Hyperion zwei volle, nervenzermurbende Tage bis St. Clar, denn sie mu?te fast gegen den Wind segeln, und keiner an Bord kam zur Ruhe. Wenn die Matrosen nicht beim Segelsetzen waren oder an den Pumpen werkten, hatten sie es mit einer immer langer werdenden Reparaturliste zu tun: es gab zu flicken und zu splei?en, als hinge das Leben davon ab - und das war auch der Fall. Denn obwohl der Wind standig in den strapazierten Segeln heulte und die Hyperion so gefahrlich krangte, da? die See uber die unteren Stuckpforten wusch, knuppelte Bolitho das Schiff ohne Rast oder Rucksicht auf Verluste voran. Es war ein Kampf, in dem Schiff und Kapitan miteinander wetteiferten; der wutende Wind und die grollende See waren beider gemeinsame Feinde.
        Weder Offiziere noch Matrosen beobachteten mehr die gefahrlich gebogenen Rahen oder horten das schmerzliche Jaulen des Rigges. Daruber waren sie hinaus. Wer noch Zeit und Kraft zum Nachdenken hatte, sparte sie fur Bolitho auf, der das Schiff durch eine Krise nach der anderen fuhrte und wunderbarerweise weder Essen noch Schlaf zu brauchen schien.
        Wahrend der Vormittagswache des zweiten Tages rundete die Hyperion den nordlichen Arm der Bucht und kreuzte dankbar in die Hafeneinfahrt. Aber jede Hoffnung auf eine Atempause schwand sofort bei dem Anblick, der die mude Mannschaft erwartete; und angstvolle Minuten vergingen, bis der Anker ganz vorn, noch zwischen den Armen der Hafeneinfahrt, fiel. Hier, im tiefen Wasser, wo sie vor der vollen Kraft des Windes geschutzt waren, horten sie deutlich das bedrohliche Donnern der Artillerie und gelegentlich auch das Krachen einsturzenden Mauerwerks, wenn eine wohlgezielte Kanonenkugel ein Haus in der Stadt getroffen hatte.
        Bolitho suchte mit dem Glas die Uferfront ab und sah den gro?en Rauchpilz hinter den geduckten Hausern, die wusten Narben und Locher. Er hatte so weit drau?en ankern mussen, weil der innere Hafen voller Schiffe lag, die das Geschutzfeuer von drau?en hereingetrieben hatte. Die Tenacious und die Princesa, das spanische Schiff, lagen am nachsten bei der Stadt; zwei Transporter schwoj-ten an den Ankertrossen und hatten kaum genug Zwischenraum, um nicht zu kollidieren, wenn der Wind plotzlich umsprang. Bo-litho schob das Glas heftig zusammen. Zusammengetrieben. In der letzten Zuflucht, die ihnen noch blieb und im Angesicht des Feindes zusammengedrangt. Keine Ruckzugsmoglichkeit mehr. Nur noch die See im Rucken.

«Mein Boot!«befahl er scharf.»Ich fahre ins Hauptquartier zum Admiral. «Er hatte sofort gesehen, da? die Admiralsflagge nicht mehr auf der Tenacious wehte.
        Herrick kam raschen Schrittes nach achtern.»Soll ich mitkommen, Sir?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie ubernehmen das Schiff, bis ich zuruckkehre. Passen Sie gut auf die Ankertrosse auf, damit sie sich nicht losrei?t und zu ihrer alten Feindin an die Kuste treibt. «Trube starrte er auf die verkohlten Reste der Saphir unterhalb des Leuchtfeuers.»Anscheinend sind wir gerade zum letzten Akt der Tragodie zurechtgekommen.»
        Allday kommandierte die Manner an den Davits, die sein Boot uber die Leeschanz abfierten.»Ich nehme Mr. Inch und zwolf gute Manner, bewaffnet und in anstandigen Uniformen. Ganz gleich, wie es steht, meine Leute sollen nicht wie ein Haufen Zigeuner aussehen.»
        Gossett sagte in die Luft hinein:»Wie ich sehe, ist die Vanessa, das Transportschiff, ausgelaufen. Kann froh sein, da? sie weg ist. «Bolitho lie? sich von Gimlett in den Uniformrock helfen. Da? die
        Vanessa St. Clar verlassen hat, dachte er grimmig, ist noch der einzige Lichtblick an diesem Wolkenhimmel. Er hatte Ashby ausdrucklich angewiesen, das Madchen auf das erste Schiff zu setzen, das nach England auslief, hatte Cheney Geld und einen Brief an seine Schwester in Falmouth mitgegeben. Wenn sie es tatsachlich bis nach Falmouth schaffte, wurde sie gut versorgt sein.

«Boot ist klar, Sir. «Leutnant Rooke sah ihn gespannt an.»Sieht so aus, als sei alles umsonst gewesen, Sir, nicht wahr?»
        Bolitho zog den Dreispitz fest in die Stirn und entgegnete:»Ein kalkuliertes Risiko ist niemals vollig umsonst, Mr. Rooke. Als Kartenspieler mu?ten Sie das doch wissen. «Dann kletterte er eilends ins Boot, wo Inch und seine Abteilung bereits zusammengepre?t wie Heringe in der Tonne hockten.
        Wahrend das Boot stetig an den anderen Schiffen vorbeizog, sah Bolitho deren Matrosen auf den Decksgangen oder in den Masten stehen. Stumm und aufmerksam beobachteten sie die Stadt. Vermutlich wu?ten sie, da? ihre Schiffe unter diesen Umstanden vollig hilflos waren. Sie konnten weiter nichts tun als aufpassen und auf den unvermeidbaren Ruckzug warten.
        Weiter drin im Hafen war eine zweite Sperre gelegt worden, doch nicht, um Schiffe an der Einfahrt zu hindern. Bolitho sah langs der Balken die Wracks mehrerer Fischerboote und anderer kleiner Fahrzeuge, manche bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die Sperre hatte wohl verhindern sollen, da? sie auf die ankernden Schiffe zutrieben. Ein Brander mu?te dieses vollgestopfte Hafenbecken in eine Flammenholle verwandeln, aus der kein Mensch mehr herauskam.
        Stumm pullten die Rudergasten; ihre Blicke flogen umher und entdeckten ein Unheilszeichen nach dem anderen. Am schlimmsten waren die Hauser der Nordseite getroffen. Mehr als eins brannte lichterloh, anscheinend ohne da? jemand loschte. Aufgerissene Dachstuhle gahnten den Himmel an. Auch am Landungssteg lagen einige kleinere Wracks, und beim Anlegen bemerkte Bolitho ein bleiches, nach oben gewandtes Gesicht unter der klaren Wasseroberflache, das mit weit offenen Augen noch in das Land der Lebenden starrte. Kurz befahl er:»Allday, Sie bleiben mit der Mannschaft hier. Ich gehe in die Stadt. «Er hakte den Degen im Gehange los.»Kann sein, da? es Arger gibt, also passen Sie gut auf!»
        Allday nickte und zog seinen Entersabel.»Aye, aye, Captain. «Er schnupperte in der Luft wie ein Hund.»Sie brauchen blo? Bescheid zu sagen, dann kommen wir.»
        Eilends schritt Bolitho die ansteigende Stra?e hinauf, die Matrosen der Landeabteilung hielten sich dicht hinter ihm. Es war noch viel schlimmer, als er befurchtet hatte. Geduckte Gestalten hockten wie Tiere in den Ruinen. Aus Angst oder Trotz wollten sie ihre zerstorten Heimstatten wohl nicht verlassen. Im Trummergeroll, in dem allgemeinen Durcheinander offenbar ubersehen, lagen Leichen. Uber den prasselnden Flammen horte er ab und zu das Jaulen eines Artilleriegeschosses, dem jedesmal ein krachender Einschlag folgte.
        Keuchend und schwei?uberstromt rannte Inch neben ihm.»Hort sich nach schwerem Kaliber an, Sir. Die Franzosen mussen schon in den sudlichen Bergen sitzen, da? sie bis hier hereinschie?en konnen. «Er zuckte zusammen, als es krachend in ein nahes Haus einschlug und eine Lawine von Staub und zerbrochenen Ziegeln herunterprasselte.
        An der Ecke des Marktplatzes sah Bolitho ein kleines Detache-ment pulvergeschwarzter Marine - Infanteristen. Sie lagerten um ein Feuer und starrten wortlos auf einen machtigen schwarzen Topf daruber. Uberrascht sah er, da? es Manner von der Hyperion waren. Auch sie wandten sich nach ihm um; ein riesiger Sergeant sprang auf und nahm Haltung an, den dampfenden Napf noch in der Hand.
        Bolitho nickte gru?end.»Sergeant Best, freut mich, da? ihr es euch gemutlich macht.»
        Der Seesoldat grinste uber das ganze schmutzige Gesicht.»Aye, Sir. Hauptmann Ashby hat unsere Leute rings um das Hauptquartier verteilt. «Er deutete zum Haus hinuber.»Die Artillerie versucht immer wieder, 'ne Breitseite draufzusetzen, aber die Kirche ist im Wege. «Er verstummte, denn eine Kugel schlug in die Kirchturmspitze und ri? den blinkenden Wetterhahn ab, der wie ein Vogelbalg auf den Platz fiel.»Besser gezielt diesmal«, bemerkte er mit der Sachlichkeit des Berufssoldaten.
        Wutend schritt Bolitho zum Tor. Hinter der Mauer waren noch mehr Seesoldaten. Einige schliefen neben den zusammengesetzten Musketen, andere standen herum oder hockten auf den Treppenstufen. Ihre Gesichter waren von Mudigkeit und Anstrengung gezeichnet. Doch als Bolitho naher kam, kommandierte ein Korporal heiser:
«Hyperion, Ach… tung!«Wie aus einer Art Betaubung erwacht, taumelten sie hoch, rissen sich zusammen und nahmen Haltung an. Und auf den trubseligen Gesichtern erschien tatsachlich eine Art Freudenschimmer, als sie ihren Kommandanten erkannten. Einer rief:»Fein, da? Sie wieder da sind, Sir! Wann kommen wir hier weg?»
        Eilig schritt Bolitho zur Tur.»Ich dachte, euch geht's hier zu gut, da bin ich lieber gekommen, damit ihr wieder vernunftig zu tun kriegt!»
        Es war erschutternd, da? sie uber diese dumme Bemerkung lachten.
        Sie vertrauten ihm; sein blo?er Anblick gab ihnen Sicherheit, als konne seine Leutseligkeit und das Gefuhl, zum selben Schiff zu gehoren, ihre Lage vollig andern.
        Drinnen sah er Kapitan Dash an Pomfrets gro?em Schreibtisch sitzen, den Kopf auf die Arme gesunken.
        Er sagte zu Inch:»Warten Sie drau?en und halten Sie die Leute beisammen!«Damit schlo? er die Tur hinter sich und trat zum Schreibtisch.
        Dash rieb sich die Augen und starrte ihn an.»Mein Gott, ich traume wohl noch! Unsicher stand er auf.»Freue mich, da? Sie da sind.»
        Bolitho setzte sich auf die Tischecke.»Ich ware schon fruher gekommen, aber. «Er zuckte die Achseln. Das lag jetzt alles in der Vergangenheit.»Wie schlecht steht es?»
        Mude und lustlos schlug Dash auf die gro?e Karte.»Hoffnungslos, Bolitho. Der Feind bekommt jeden Tag mehr Verstarkung. «Sein Finger zog den Lageplan der Stadt nach. Unsere Leute sind hier eingeschlossen. Wir mu?ten die Bergstellung aufgeben, und die Stra?e auch. Die ganze Front weicht zuruck. Morgen kampfen wir vielleicht schon in den Stra?en. «Er tippte auf den sudlichen Arm der Bucht.»Wenn sie uns da rausschmei?en, sind wir erledigt. Sobald die Franzosen Artillerie auf dem Landvorsprung haben, konnen sie in ein paar Stunden unsere Schiffe zu Brennholz schie?en. Wir kamen nicht mal aus dem Hafen!»
        Bolitho musterte Dash scharf. Irgendwie hatte er sich verandert.»Und was tut der Admiral?«fragte er leise.
        Dash fuhr zusammen und erbleichte.»Sir Edmund ist krank«, antwortete er.»Ich dachte, Sie wissen das.»

«Ja, Leach hat mir so was angedeutet. «Er sah, da? Dashs Hande nervos zuckten. Aber was ist nun wirklich mit ihm?»
        Dash ging ans Fenster.»Eine Brigg brachte Depeschen aus Tou-lon. Die ganze Geschichte ist aus und vorbei. Lord Hood hatte Order gegeben, den Hafen zu raumen und vorher alle Hafenanlagen zu zerstoren. «Er duckte sich unwillkurlich, denn ein naher Einschlag lie? wei?en Staub von der Decke rieseln. Dann fuhr er wutend fort: Als ob es hier noch viel zu zerstoren gabe!»
        Bolithos Bauchmuskeln krampften sich zusammen.»Und Tou-lon?«fragte er. Aber er konnte sich die Antwort schon denken.
        Dash zuckte heftig die Achseln.»Da steht es genauso schlecht. Innerhalb der nachsten Wochen raumen wir Toulon.»
        Bolitho stand auf und verschrankte die Hande auf dem Rucken.»Aber was hat nun der Admiral gesagt?»

«Ich dachte, er wird verruckt. «Dash wandte sich ab, so da? sein Gesicht im Schatten lag.»Er tobte und raste, beschimpfte alle, mich eingeschlossen, und dann zog er sich in sein Zimmer zuruck.»

«Wann war das?«Bolitho wu?te, da? er das Schlimmste noch nicht gehort hatte.

«Vor zwei Wochen.»

«Zwei Wochen!«Bolitho starrte Dash entsetzt an.»Und was, um Gottes willen, haben Sie in der Zeit unternommen?»
        Dash wurde rot.»Sie mussen das von meinem Standpunkt aus betrachten, Bolitho. Ich bin kein Aristokrat, das wissen Sie. Ich habe mich mit Zahnen und Klauen vom Unterdeck nach oben gekampft. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaubte nie, da? ich so weit kommen wurde. «Seine Stimme wurde hart.»Aber nun, da ich es geschafft habe, werde ich auch alles tun, um meinen Rang zu behalten.»
        Kalt entgegnete Bolitho:»Ob es Ihnen nun pa?t oder nicht - Sie haben hier den Oberbefehl, solange Pomfret krank ist. «Er schlug mit der Faust auf den Tisch.»Sie mussen handeln! Sie haben gar keine andere Moglichkeit!»
        Dash hob die Arme.»Diese Verantwortung kann ich nicht ubernehmen. Was wurde Sir Edmund mit mir anstellen? Und was wurde man in England dazu sagen?»
        Bolitho musterte ihn sekundenlang. In der Schlacht hatte Dash bestimmt vor nichts und niemandem Angst. Mit halbzerschossenem Schiff und gegen jede Ubermacht hatte er bis zum bitteren Ende gekampft. Aber einer Situation wie dieser war er nicht gewachsen.
        Dann dachte er an die zerschossene Stadt, an Manner wie Fowler, die damals den ersten Sieg ermoglicht hatten. Schonungslos erwiderte er:»Glauben Sie tatsachlich, Ihre Karriere oder sogar Ihr Leben seien so wichtig?«Er sah, da? Dash sich wie unter einem Schlag krummte, fuhr aber fort:»Denken Sie an die Menschen, die von Ihnen abhangig sind - und dann sagen Sie mir, da? Sie immer noch zogern!»
        Gepre?t entgegnete Dash:»Ich habe nach Ihnen geschickt, weil Sie Bescheid wissen sollten…»

«Ich wei? schon, wozu Sie mich brauchen, Captain Dash!«Bo-litho blickte ihm uber die staubbedeckte Karte hinweg in die Augen.»Ich soll Ihnen den Rucken starken, Ihnen bestatigen, da? Ihre Ma?nahme richtig ist. «Er wandte sich ab, denn von Dashs Unsicherheit und der Grausamkeit seiner eigenen Worte wurde ihm fast ubel.

«Das will ich nicht bestreiten«, erwiderte Dash schweratmend.»Ich war immer ein Mann, der Befehle ausfuhrt. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, dafur reicht's bei mir. Aber in einer solchen Situation bin ich verloren, so wahr mir Gott helfe!«Er senkte den Blick auf die Karte.

«Na schon. «Bolitho hatte gern den Schmerz gelindert, den er diesem Mann zugefugt hatte; doch die Zeit drangte. Es war uberhaupt keine Zeit mehr.»Ich rede mit Pomfret. Inzwischen berufen Sie eine Lagebesprechung ein. «Er bemuhte sich, seine Bitterkeit zu uberwinden.»Bitten Sie alle Offiziere hier in dieses Zimmer. In einer Stunde - konnen Sie das schaffen? Und holen Sie auch La-bouret dazu, den Burgermeister.»

«Sind Sie sich auch klar, da?. Und wenn jetzt etwas schiefgeht, Bolitho?«murmelte Dash.

«Dann mussen Sie den Kopf hinhalten, Dash. Und ich genauso - aber das wird Ihnen kein Trost sein.»
        Er schritt zur Tur und sagte abschlie?end:»Eins jedoch ist ganz sicher, Captain Dash. Wenn Sie hier sitzenbleiben und nichts tun, werden Sie Ihr Gesicht nie wieder im Spiegel sehen konnen. Denn das wurde bedeuten, da? Sie der Verantwortung, nach der Sie Ihr Leben lang gestrebt haben, nicht gewachsen waren. Da? Sie das eine Mal, als es wirklich darauf ankam, versagten.»
        Damit wandte er sich ab und trat hinaus.»Mr. Inch«, befahl er kurz,»melden Sie sich bei Captain Dash. Er wird Ordonnanzen brauchen. Kummern Sie sich sofort darum!»
        Sodann eilte er die geschwungene Treppe hinauf. Oben stand ein Marine-Infanterist vor einer Tur Posten. Drinnen im Zimmer war es stockdunkel; und wahrend Bolitho sich zum Fenster tastete, rollte etwas unter seinem Fu? weg und klirrte gegen die Wand. Aber seine Nase hatte ihm schon verraten, was es mit Pomfrets Krankheit auf sich hatte. Als er die Vorhange aufzog und sich im Zimmer umsah, stieg Ubelkeit in ihm hoch.
        Pomfret lag, Arme und Beine von sich gestreckt, auf dem breiten Bett. Sein Mund stand weit offen, sein Atem ging schwer und muhsam. Um das Bett herum und uberall auf dem prachtigen Teppich lagen leere Flaschen, zerbrochene Glaser, allerlei Kleidungsstucke, Mobel, die so aussahen, als hatte sie der Admiral mit blo?en Handen zertrummert.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen und beugte sich uber das Bett. Pomfrets unrasiertes Gesicht war wachsern und verschwitzt. Auf der Bettdecke lag Erbrochenes, und der ganze Raum stank wie eine uble Spelunke. Er fa?te Pomfret bei der Schulter und schuttelte ihn; es war ihm vollig egal, wie der Admiral darauf reagierte. Doch er schien einen Leichnam zu schutteln.»Wachen Sie auf, verdammt!«Er schuttelte starker. Pomfret stohnte dumpf, aber das war auch alles. Dann fiel Bolithos Blick auf ein zerknulltes Stuck Papier auf dem Nachttisch. Er sah das wohlbekannte Dienstsiegel, das Wappen uber dem sauber geschriebenen Text. Er ging um das Bett herum und machte sich daran, Pomfrets Order aus Toulon zu lesen. Einmal hielt er inne und wandte den Kopf, um in Pomfrets schlaffes Gesicht zu blicken. Jetzt wurde ihm alles klar: Herricks Bemerkung, da? Pomfret hier seine letzte Bewahrungschance bekommen hatte. Die Verbissenheit, mit der er von St. Clar aus den Sieg uber Frankreich erzwingen wollte. Und hatte er Hilfe und die versprochenen Verstarkungen bekommen, ware ihm das vielleicht sogar gegluckt - ein trauriger
Gedanke.
        Bolitho las weiter; und mit jeder Zeile begriff er mehr, wuchs seine Verzweiflung. Niemals war wirklich beabsichtigt gewesen, St. Clar langer zu halten als notig, um den Feind von Toulon abzulenken. Pomfret hatte die Kastanien aus dem Feuer holen sollen, weiter nichts. Ware die Invasion von Toulon aus erfolgreich gewesen - nun ja. Aber wie die Dinge lagen, blieb Lord Hood jetzt keine Zeit mehr fur Pomfrets Sorgen - er hatte seine eigenen. Die Order enthielt genaue Anweisungen fur die Zerstorung der Hafeneinrichtungen vor der Raumung; doch Bolitho blieb an dem letzten Teil des Textes hangen - sein Herz erstarrte bei dem eiskalten Satz:»In Anbetracht des beschrankten Schiffsraums und der Nahe der feindlichen Streitkrafte ist keinerlei Evakuierung von Zivilisten moglich.»
        Bolitho starrte auf die sauberliche Schrift, bis sie vor seinen Augen zu tanzen begann. So mu?te Pomfret hier gesessen und den Befehl gelesen haben. In Zukunft wurde er der Mann sein, der die konigstreuen Burger von St. Clar ihrem Schicksal uberlassen hatte, einer morderischen Vergeltung, zu schrecklich, um sie sich auszudenken. Wieder wandte sich Bolitho um und blickte in des Admi-rals Gesicht. Und er hatte keine Schuld«, sagte er laut.»Herrgott im Himmel, es war von Anfang an nur eine Finte und hatte uberhaupt nichts zu bedeuten!«Mit einem Fluch knullte er das Papier zusammen und schleuderte es durch den Raum.
        Er erinnerte sich an Herricks Erstaunen, als Pomfret damals das Glas Wein abgelehnt hatte. Auch damit war es jetzt vorbei. In immer schrecklicherer Deutlichkeit sah er, wie unheilbar Pomfret ruiniert war.
        Wahrend dieser ganzen Zeit, als Menschen starben und Familien von den Trummern ihrer Hauser zerschmettert wurden, hatten zwei Manner tatenlos zugesehen und sich geweigert zu handeln: Unten im Erdgescho? hatte Dash auf einen Befehl gewartet, der ihm die Verantwortung abnahm; und was Cobban getan hatte, wu?te Gott allein - vielleicht lebte er auch gar nicht mehr.
        Beim Aufstehen erblickte sich Bolitho in einem goldgerahmten Spiegel. Seine Augen gluhten, und tiefe Linien der Erschutterung zogen sich um seinen Mund. Er war sich selbst ganz fremd. »Ich habe das Ganze angefangen - nicht er«, murmelte er. Pomfret auf seinem Bett stohnte, Speichel rann ihm uber die Wange. Drau?en stand Fanshawe mu?ig an einem Flurfenster.»Kommen Sie herein!«Der Flaggleutnant fuhr herum, als hatte jemand auf ihn geschossen. Bolitho blickte ihn unbewegt an, und als er sprach, war seine Stimme eiskalt.»Kummern Sie sich um den Admiral und lassen Sie das Zimmer saubermachen!«Nervos blickte Fanshawe zur Tur.»Die Dienerschaft ist geflohen,
        Sir.»
        Bolitho packte ihn beim Armel.»Dann machen Sie eben selbst sauber. Wenn ich zuruckkomme, ist es in Ordnung! Ich schicke Ihnen meinen Bootsmann, der kann Ihnen helfen, aber sonst kriegt kein Mensch den Admiral so zu sehen, verstanden ?«Heftig schuttelte er den Leutnant am Arm, um seine Worte zu unterstreichen.»Unsere Leute wissen davon nichts. «Er senkte die Stimme.»Und sie sind von uns abhangig, Gott helfe ihnen!»
        Ohne ein weiteres Wort ging er die Treppe hinunter. Der Kopf wirbelte ihm; kaum vernahm er das Drohnen der Geschutze rings um die Stadt.
        Er trat ins Freie und machte eine Runde um das Haus, damit sich seine Gedanken sammeln konnten. Als er wieder in das getafelte Arbeitszimmer trat, warteten die anderen bereits.
        Labouret sa? in einem Sessel, das Kinn war ihm auf die Brust gesunken; aber als Bolitho durch die Tur trat, sprang er auf und ergriff stumm seine beiden Hande.
        Bolitho blickte ihn an; nur zu deutlich sah er den Schmerz und die Verzweiflung in den dunklen Augen des Burgermeisters.»Ich wei?, Labouret«, sagte er leise.»Glauben Sie mir, ich verstehe alles.»
        Trube nickte Labouret.»Es hatte ein gro?er Sieg werden konnen, m'sieur.«Er senkte die Augen, aber Bolitho hatte schon gesehen, da? ihm die Tranen uber die Wangen liefen.
        Hauptmann Ashby grinste:»Es freut mich, da? Sie wieder hier sind, Sir, mehr, als ich sagen kann!»
        Bolitho blickte sich im Zimmer um.»Wo ist Colonel Cobban?»
        Ein junger Infanterie-Hauptmann sagte rasch:»Er hat mich geschickt, Sir. Er, ah, konnte nicht kommen.»

«Spielt auch keine Rolle«, sagte Bolitho kalt. Der spanische Oberst sa? in demselben Sessel wie damals; seine Uniform war so sauber und gepflegt, als kame er geradewegs von der Parade. Er nickte Bolitho kurz zu und starrte dann wieder auf seine Stiefel.
        Muhsam sagte Kapitan Dash:»Ah - wenn Sie anfangen wollen,
        Bolitho?»
        Bolitho wandte sich den anderen zu. Dash hatte noch nicht offiziell bekanntgegeben, da? er Bolitho die Befehlsgewalt ubertragen hatte.»Viel Zeit bleibt nicht mehr«, sagte er gelassen.»Wir beginnen unverzuglich mit der totalen Raumung. «Sie sahen einander an. Uberrascht? Erleichtert? Schwer zu sagen. Er fuhr fort:»Wir geben ein generelles Signal an das gesamte Geschwader, damit es Boote schickt. Zuerst die Verwundeten - sind es viele?»

«Uber vierhundert, Sir«, meldete ein Infanterist.

«Schon. Sie werden unverzuglich an Bord der Erebus und der Weiland geschafft. Captain Dash regelt den Einsatz unserer Matrosen, die bei der Einschiffung helfen.
«Er blickte kurz zu Dash hinuber; halb und halb erwartete er einen Einwand, aber Dash nickte blo? und murmelte:»Wird sofort erledigt.»
        Bolitho sah ihm nach, als er hinausging. Mein Gott, dachte er mude, der ist froh, da? er hier weg kann.
        Dann verga? er Dash, als Labouret leise fragte:»Was soll ich meinen Leuten sagen, capitaine? Wie kann ich ihnen noch ins Gesicht sehen?«Offenbar wu?te er, was in Pomfrets Order stand, oder er konnte es sich denken.
        Bolitho sah ihn an.»Bis Sie festgestellt haben, wie viele Ihrer Mitburger die Stadt mit uns verlassen wollen, werden wir mit der Einschiffung der Verwundeten fertig sein, monsieur.«Er sah, wie die Lippen des Franzosen zitterten, und fuhr rasch fort:»Alle, die wegwollen, fahren mit. Ich kann Ihnen nicht viel versprechen, mein Freund, aber wenigstens werden sie ihres Lebens sicher sein.»
        Sekundenlang starrte Labouret ihn an, als wolle er ein Geheimnis entratseln. Dann erwiderte er erstickt:»Das werden wir Ihnen nie vergessen, capitaine! Niemals! Damit ging er.
        Dann fuhr Bolitho fort:»Die Harvester wird bald einlaufen, sie hat die Straflinge an Bord. Auch die mussen auf die beiden Transporter verteilt werden.»
        Jetzt fuhr der spanische Oberst aus seinem Sessel auf.»Was reden Sie da? Verwundete und elende Bauern und obendrein noch Straflinge? Was aber wird aus meinen Pferden, capitano? Wie kann ich die auf zwei Schiffen unterbringen?»
        Zogernd schlo? sich der Infanteriehauptmann seiner Frage an:

«Und die Geschutze, Sir?»
        Bolitho blickte durch die offene Tur. Eben fuhrte ein Seesoldat Allday die Treppe hinauf zu Pomfrets Zimmer.»Die mussen eben hierbleiben, meine Herren«, erwiderte er kuhl.»Zuerst kommen die Menschen. «Sie starrten ihn an, doch er blickte ihnen in die Augen, bis sie wegsahen.»Dieses eine Mal kommen die Menschen zuerst.»
        Der Oberst stand auf und ging zur Tur. Heiser sagte er uber die Schulter zuruck: Ich halte Sie fur einen Narren, capitano. Aber einen tapferen Narren.»
        Als drau?en sein Pferd hinweggetrabt war, sagte Bolitho:»Jetzt zeigen Sie mir unsere Infanteriestellungen. Diese Operation mu? absolut glatt und ohne Panik ablaufen, wenn sie klappen soll.»
        Eine halbe Stunde spater gingen sie, alle au?er Ashby. Bolitho fuhlte sich vollig ausgelaugt.»Nun, Ashby, haben Sie noch Fragen?»
        Ashby zog sich den Uniformrock glatt und ruckte an seinem Koppel. Dann sagte er: Ich hatte noch keine Zeit, es Ihnen zu sagen, Sir. Aber Miss Seton ist noch hier in St. Clar.»

«Was?«Bolitho starrte ihn entsetzt an.

«Ich habe versucht, sie an Bord der Vanessa zu bringen, Sir«, erklarte Ashby mit unglucklicher Miene.»Aber sie wollte unbedingt bleiben. Sie hilft im Lazarett.
«Seine Augen glanzten in dem staubigen Sonnenlicht.»Sie ist ein Beispiel und Vorbild fur alle, Sir.»

«Danke, Ashby«, entgegnete Bolitho ruhig.»Ich werde selbst mit ihr sprechen. «Er nahm seinen Hut und trat hinaus auf die Stra?e, in das Krachen des Artilleriebeschusses.



        XVI Einer von vielen

        Bolitho brachte sein geliehenes Pferd hinter einer Steinhutte in Deckung und sprang aus dem Sattel. Ashby, der den ganzen Nachmittag bei ihm gewesen war, sa? ebenfalls ab und lehnte sich an die Mauer. Sein Atem ging schwer vor Erschopfung.
        Es war erst spater Nachmittag, und doch konnte man glauben, die Nacht brache herein, so dick war der ziehende Qualm. In der wachsenden Dammerung schien die Stadt von einem geschlossenen Ring aus dem Mundungsfeuer der Kanonen und Musketen umgeben. Ashby deutete auf das bleiche Band der Landstra?e.»Weiter konnen wir nicht vorgehen, Sir«, sagte er.»Hundert Yards vor uns sind die Franzosen.»
        Bolitho duckte sich hinter einer primitiven Barrikade aus Wagen und sandgefullten Fassern. Er konnte die verstreute Linie der Soldaten sehen, die sich nach rechts und links erstreckte. Mit langsamen, regelma?igen Bewegungen luden sie und feuerten in Richtung auf die Landstra?e. Dunkel hoben sich ihre roten Uniformrocke von dem staubigen Geroll ab.
        Ein junger Leutnant kroch hinter einem umgesturzten Bauernwagen hervor und kam zu Bolitho gerannt. Wie seine Manner war er schmutzig und abgerissen, doch seine Stimme klang ruhig, als er, auf die tief verschatteten Hugel deutend, die Lage erlauterte:»Wir mu?ten in der letzten Stunde etwa funfzig Yards zuruckgehen, Sir.
«Er duckte sich vor einer Musketenkugel.»Viel langer kann ich mich hier nicht halten. Ich habe die Halfte meiner Manner verloren, und die noch kampffahig sind, haben kaum mehr Munition.»
        Bolitho zog sein Taschenteleskop aus und spahte uber die Barrikade. Vor dem aufblitzenden Mundungsfeuer konnte er die Gefallenen und Verwundeten mit den leuchtend wei?en Brustriemen liegen sehen, die jeden Meter des Ruckzugs kennzeichneten. Hier und da hob einer den Arm, und einmal horte er wahrend einer kurzen Feuerpause den halberstickten Ruf nach Wasser.
        Er dachte an das provisorische Lazarett am Hafen. Da hatten sich ihre Blicke ein paar Sekunden lang uber die gebeugten Kopfe und ausgestreckten Leiber hinweg gefunden. Bolitho hatte dem dienstaltesten Feldscher gesagt, was er vorhatte, aber dabei nur zu dem Madchen hinubergeblickt. Der Sanitater hatte ihn erst ziemlich unglaubig gemustert, doch als eben wieder ein Verwundeter we g-getragen wurde, sagte er mude:»Wir werden sie an Bord bringen, Captain, und wenn wir sie auf den Rucken nehmen und schwimmen mussen!»
        Bolitho war mit Cheney in einen kleinen Nebenraum getreten, der einmal so etwas wie ein Kindergarten gewesen sein mu?te. Haufenweise lagen verschmutzte Verbande und zerfetzte Uniformen herum. Die Wande waren mit primitiven Bildern bedeckt, gemalt von Kindern, die jetzt in der belagerten Stadt eingeschlossen und vom Tod bedroht waren.

«Ich wu?te, da? du kommen wurdest, Richard«, hatte sie gesagt,»ich wu?te es ganz sicher!»
        Er hatte sie an seine Brust gezogen und ihre Verkrampfung gespurt, die plotzliche Schwere ihres Kopfes an seiner Schulter.»Du bist ja vollig erschopft! Du hattest mit der Vanessa segeln sollen.»

«Ich konnte unmoglich weg, bevor du zuruckkamst, Richard. «Sie hob das Kinn und blickte ihm lange ins Gesicht.»Jetzt geht es mir wieder besser.»
        Drau?en vor dem Haus vibrierte die Luft vor Artilleriefeuer und den Rufen rennender Manner. Aber in diesen we nigen Sekunden waren sie miteinander allein gewesen, weit weg von der bitteren Wirklichkeit und allem Leid um sie herum.
        Sanft loste er ihre Hande von seinen Rockaufschlagen.»Matrosen des Geschwaders werden sehr bald eintreffen. Alles wird getan, um St. Clar zu evakuieren. Bitte sag mir, da? du mitfahren wirst. «Forschend blickte er ihr ins Gesicht.»Nur das will ich wissen.»
        Langsam nickte sie.»Alle sagen, da? die Evakuierung dein Werk ist, Richard. Sie reden von nichts anderem. Da? du entgegen dem Befehl zuruckgekommen bist, um uns zu helfen. «Tranen glanzten in ihren Augen.»Ich bin froh, da? ich geblieben bin - jetzt habe ich gesehen, wie du wirklich bist.»

«Wir stecken alle miteinander bis zum Hals in dieser Geschichte. Ich konnte gar nicht anders.»
        Sie schuttelte den Kopf; und diese Bewegung war ihm in der Erinnerung besonders teuer.»Du magst es so nennen, Richard, aber ich kenne dich besser, als du denkst. Sir Edmund hat uberhaupt nichts getan, alle anderen haben nur abgewartet, und inzwischen sind viele Menschen sinnlos umgekommen.»

«Sei nicht zu hart mit dem Admiral. «Seine Worte kamen ihm selbst seltsam vor, als hatte er in diesen Stunden gelernt, Pomfret mit ganz anderen Augen zu sehen und ihn sogar ein wenig zu verstehen.»Er und ich wollten dasselbe. Nur unsere Motive waren verschieden.»
        Da erschienen auch schon die ersten Matrosen im Lazarett. In ihren sauberen, karierten Hemden, mit ihrem zielstrebigen Zupacken wirkten sie an diesem Ort der Verzweiflung und des Todes wie Fremde.
        Noch jetzt, als er hinter dieser elenden Barrikade hockte, stand ihm ihr Bild deutlich vor Augen: eine schmale, trotzige Gestalt inmitten der Ernte des Krieges; sie hatte sogar ein Lacheln zustande gebracht, als er aufgesessen war.
        Ein Soldat stie? einen schrillen Schrei aus, sturzte rucklings von der niedrigen Mauer und fiel kopfuber neben seinem Kameraden zu Boden. Doch der wandte nicht einmal den Kopf, sondern lud und scho?. Der Tod war etwas Selbstverstandliches geworden - man kummerte sich nicht mehr darum. Uberleben war nur noch eine vage Moglichkeit.
        Bolitho wandte sich um. Dort hinter ihm war die Brucke, und unter jenem Streifen Erde und verbranntem Gras lag der Flu?. Er entschlo? sich.»Haben Sie die Sprengladungen gelegt, Leutnant?»
        Der Offizier nickte erleichtert.

«Gut. Dann ziehen Sie sich uber den Flu? zuruck, und sprengen Sie die Brucke.»
        Plotzlich vernahm man das Klirren von Zaumzeug. Bolitho fuhr herum und erblickte den spanischen Oberst, der gelassen auf dem schmalen Weg dahintrabte. Hinter ihm ritten die Reste seiner Kavallerie. Ihre Kurasse und Helme blitzten wie Silber im Mundungsfeuer der Artillerie.
        Geduckt rannte Bolitho zur Scheune zuruck.»Was tun Sie hier, Oberst?«rief er.»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen Ihre Leute zur Evakuierung vorbereiten!»
        Vollig reglos sa? Don Joaquin Salgado im Sattel. Als er lachelte, glanzten seine Zahne wei? in der Dunkelheit.»Sie haben heute noch viel zu erledigen, capitano. Seien Sie so freundlich und trauen Sie mir zu, da? ich mein Handwerk ebensogut verstehe wie Sie das Ihre.»

«Hinter dieser Schutzenlinie ist nur noch offenes Gelande und der Feind, Oberst!»
        Der Spanier nickte.»Eben. Und wie vorhin jemand mit Recht bemerkte, sind Sie alle verloren, wenn der Feind den sudlichen Arm der Bucht erreicht, ehe Sie die offene See gewonnen haben. «Er beugte sich etwas vor; der Sattel knirschte unter ihm.»Ich lasse meine Pferde nicht hier verkommen, capitano, und erschie?en werde ich sie auch nicht. Ich habe genug von dieser Art Kriegfuhrung!«Er richtete sich wieder auf und zog seinen gebogenen Sabel.»Viel Gluck, capitano!«Und ohne zuruckzublicken, gab er seinem
        Pferd die Sporen und galoppierte auf die Barrikade zu. Seine Manner reagierten sofort. Brullend wie Irre jagten sie hinter ihm her; die fliegenden Hufe streiften fast die erschrockenen Soldaten bei der Barrikade. Mit blitzenden Sabeln schwarmten sie facherformig zur Attacke auf die feindliche Linie aus.

«Ruckzug, Leutnant!«brullte Bolitho.»Das ist unsere Chance! So ein Verruckter!«Die Soldaten sprangen hoch und zogen sich auf die Brucke zuruck. Bolitho starrte den attackierenden Reitern nach.»Und dieser Mann hat gesagt, ich sei tapfer!»
        In der Dunkelheit horte er das Wiehern verwundeter Pferde, knatternde Schusse, und uber allem das scharfe Trompetensignal der Kavallerie. Endlich war das feindliche Sperrfeuer verstummt. Indessen war keine Zeit, stehenzubleiben und die Tapferkeit eines einzelnen zu bewundern. Jetzt nicht. Spater vielleicht. Bolitho ri? sich aus seinen Gedanken und rannte zu seinem Pferd.

«Von denen kommt keiner lebend davon«, schrie Ashby.»Bei Gott, Sir, dieser Mann mu? verruckt sein!»
        Bolitho trieb sein Pferd auf die Brucke zu.»Das ist pure Wut, Hauptmann Ashby. Wei? Gott, ich kann ihn verstehen!»
        Im Hafen herrschte hektisches Getriebe. An der Pier lagen Boote aller Art und Gro?e; pausenlos schleppten bezopfte Matrosen Frauen und Kinder die Stra?en hinunter und ubergaben sie ihren Kameraden in den Booten, so selbstverstandlich und geschickt, als hatten sie jahrelang nichts anderes getan.
        Uberall ertonten Rufe und Schreie. Matrosen und Seesoldaten stritten sich mit einigen Burgern herum, die anscheinend fest entschlossen waren, so viel an Mobeln und Gepack mitzunehmen, wie die Boote irgend tragen konnten. Da verhandelte ein Unteroffizier mit einer alten Frau, die mit einem Kalb am Strick dastand und es nicht loslassen wollte. Leutnant Inch schob sich durch das Gewimmel und fa?te gru?end an den Hut.»Die Verwundeten sind an Bord, Sir. «Er mu?te schreien, um das Stimmengewirr zu ubertonen.»Dies hier sind die letzten Stadtbewohner, die weg wollen.»
        Bolitho nickte.»Und die anderen?»

«Tauchen hochstwahrscheinlich unter, Sir. «Er zuckte zusammen, denn eine dumpfe Explosion erschutterte die Gebaude oberhalb des Kais.»Was war denn das?»

«Die Brucke. «Bolitho schritt zum Wasser und sah den stromabwarts fahrenden Booten nach.
        Ein Leutnant trat herzu und meldete:»Die Harvester hat die, ah, Straflinge an Land gebracht, Sir.»

«Gut. «Bolitho loste den Blick von den hastenden, verzweifelten, plotzlich der Unsicherheit der Flucht preisgegebenen Menschen.»Ich komme gleich und spreche zu ihnen.»
        Die Straflinge waren in einem niedrigen Schuppen zusammengepfercht. Bolitho erkannte Captain Poole vom Transporter Erebus, der kopfschuttelnd diesen Haufen zusatzlicher Passagiere betrachtete.

«Sind alle bereit?«fragte Bolitho.
        Poole grinste.»Mein Schiff sieht vielleicht aus, Captain. Man findet kaum einen Belegnagel vor lauter Menschen. «Da er bemerkte, da? sich die Falten in Bolithos Gesicht vertieften, fuhr er zuversichtlich fort:»Aber keine Angst, ich bringe sie schon alle von hier weg.»
        Bolitho stieg auf eine Kiste und schaute in die gespannten Gesichter. Selbst im schwachen Laternenschein konnte er feststellen, da? die meisten Straflinge jetzt gesunder aussahen als beim letzten Mal. Wie lange war das her? Tatsachlich erst vier Monate?
        Er begann zu sprechen.»Ihr geht jetzt auf die Erebus, ohne Wachen und Handschellen. «Durch die dichtgedrangten Gestalten fuhr ein Schauer der Erregung. Captain Poole hat schriftliche Order von Admiral Pomfret, die er dem Standortkommandanten in Gibraltar uberreichen wird. «Wie leicht ihm die Luge von den Lippen kam! Die Order war zwar mit Pomfrets Petschaft gesiegelt, aber unterschrieben hatte Bolitho selbst.»Ich bin uberzeugt, da? vielen von euch Straferla? gewahrt wird; obwohl manche vielleicht mit dem nachsten Konvoi nach Neu-Holland segeln wollen, um sich in einem neuen Land ein neues Leben aufzubauen.
«Fast ubermannte ihn die Erschopfung, aber er fuhr fort:»Ihr habt euch anstandig verhalten und nicht wenig Mut gezeigt. Das ist zumindest eine Belohnung wert.»
        Er wandte sich zum Gehen, doch da ertonte eine Stimme:»Augenblick, Captain!«Als er sich ihnen wieder zuwandte, starrten sie ihn alle an. Ihre Augen glitzerten im Lampenschein. Und wieder die Stimme:»Wir wissen, was Sie fur uns getan haben, Captain.
        Nicht wahr, Jungs?«Zustimmendes Gemurmel.»Manche Leute hatten uns auf Cozar verfaulen lassen, aber Sie haben uns da we g-geholt. Wir mochten Ihnen blo? sagen, da? Sie uns mehr gegeben haben als die Hoffnung auf Freiheit: unsere Selbstachtung!»
        Noch halb geblendet schritt Bolitho in die Dunkelheit hinaus, und ihr Hurrageschrei verebbte hinter ihm. Poole grinste unverhohlen und sagte irgend etwas, aber seine Worte gingen im Larm unter.
        Dann sah Bolitho Midshipman Seton an der Pier stehen. Seine eine Hand war verbunden; mit der anderen hielt er ein erschopftes Pferd beim Zugel.»Darf ich wieder an Bord, Sir?«fragte der Junge.

«Gott sei Dank, da? Sie in Sicherheit sind«, sagte Bolitho und fa?te ihn bei der Schulter.»Ich habe Sie den ganzen Nachmittag gesucht.»
        Seton blickte verlegen drein.»Ich hatte mich verirrt, Sir. Das Pferd ist mir durchgegangen, und ich brauchte zwei Tage, um durch die feindlichen Linien zu kommen.»
        Bolitho lachelte mude.»Mr. Piper wird sich freuen, da? Sie wieder da sind. Er dachte sich schon, da? Sie irgendwelche Dummheiten angestellt haben.»
        Er sah sich um. Die Straflinge stromten die Stufen hinunter zu den eben angekommenen Booten.»Bleiben Sie erst mal hier und helfen Sie diesen Leuten, Mr. Seton. Wenn alle verladen sind, konnen Sie ins Admiralshauptquartier kommen. Ich werde dort sein.»

«Ist es vorbei, Sir?«fragte der Midshipman.

«So ziemlich«, erwiderte Bolitho; doch seine Worte hatten etwas Endgultiges. Morgen fruh bei Sonnenaufgang holen wir die letzten Soldaten an Bord. «Er zuckte die Achseln.»An diesen Tag werden Sie wahrscheinlich noch lange denken.»
        Mit plotzlichem Ernst nickte Seton.»Ich habe mit meiner Schwester gesprochen, bevor sie an Bord ging, Sir. Sie hat mir alles erzahlt. «Verlegen trat er von einem Fu? auf den anderen.»A-alles, was passiert ist, S-Sir.»
        Bolitho sah, da? Ashby schon bei den Pferden wartete, und entgegnete leise:»Aber Mr. Seton, Sie stottern ja schon wieder!«Damit ging er, und der Junge starrte ihm nach.
        Der Marktplatz vor Pomfrets Hauptquartier war leer bis auf ein paar Marine-Infanteristen und einen stobernden Hund. Das feindliche Bombardement hatte aufgehort, und tiefe Stille lag uber der zerschlagenen Stadt, als hielte sie den Atem an vor dem kommenden Tageslicht und dem letzten Akt der Tragodie.
        Bolitho trat ins Haus und fand das getafelte Arbeitszimmer verlassen; die Karte lag neben Pomfrets Schreibtisch am Boden. Als er sich in einen Sessel fallen lie?, sah er Allday in der offenen Tur stehen.

«Der Admiral schlaft, Captain. Ich habe ihn saubergemacht. Mr. Fashawe ist oben und pa?t auf. «Dann wurde sein Ton personlicher und bestimmter.»Aber Sie sollten auch ein bi?chen schlafen, Cap-tain. Sie sehen vollig erledigt aus, wenn ich so sagen darf.»

«Sie durfen nicht, Allday. «Aber als Allday sich buckte, um ihm die Stiefel auszuziehen und den Degengurt abzuhaken, lie? er ihn gewahren.

«Ich bringe Ihnen Suppe, Captain, damit Sie was in den Leib kriegen.»
        Leise vor sich hin pfeifend ging er davon, und Bolitho lie? den Kopf gegen die Sessellehne sinken. Plotzlich fuhlte er sich vollstandig ausgehohlt. Und es war noch so viel zu tun. Er hatte Cob-ban immer noch nicht gefunden und auch noch nicht die endgultige Zerstorung der wenigen noch intakten Hafeneinrichtungen vorbereitet. Er dachte an Cheneys Gesicht und an den Glanz ihrer Augen beim Abschied. Im ersten Fruhlicht wurden die Transporter auslaufen. Die Kriegsschiffe blieben noch, um die letzte Phase des Ruckzuges zu decken.
        Ruckzug. Das Wort traf ihn wie eine Beleidigung. Ein Ruckzug war nicht leicht zu akzeptieren, mochte er auch noch so unvermeidlich sein. Der Kopf sank ihm auf die Brust, Mudigkeit hullte ihn ein wie ein Mantel. Vage horte er noch, da? Allday wiederkam, und spurte eine Decke um seine muden, schmerzenden Schultern. Wie von fern horte er Allday murmeln:»Ganz recht, Captain, schlafen Sie ruhig! Eine Menge Menschen konnen heute ruhig schlafen, blo? weil Sie da waren. Ich hoffe zu Gott, da? sie auch wissen, wer sie gerettet hat.»
        Leutnant Herrick stie? sich von der Achterdecksreling ab und rieb sich heftig die Augen. Noch eine Sekunde, und er ware im Stehen eingeschlafen. Das ganze dunkle Schiff schien zu schlafen, tiefe
        Stille lag uber dem geschutzten Hafenbecken. Nur ab und zu horte man die scharrenden Schritte eines Wachtpostens und das Stohnen des Windes im Rigg.
        Der Himmel hatte sich wahrend der Nacht bewolkt, und Herrick spurte ein paar sanfte Regentropfen auf der Wange, als er langsam zur Kampanjeleiter ging. Die Morgenrote war nicht mehr fern; schon lag ein diffuses Licht wie mattes Zinn uber der Kimmung.
        Er horte Bootsmann Tomlins argerliche Stimme in der Finsternis - wahrscheinlich hatte er einen unglucklichen Wachmatrosen beim Schlafen uberrascht. Kein Wunder. Die Manner hatten wie die Teufel gearbeitet, bis das letzte Boot des Geschwaders im Abendlicht zwischen den ankernden Schiffen verschwunden war. Die scheinbar hoffnungslose Aufgabe war geschafft; aber wie das in so relativ kurzer Zeit hatte geschehen konnen, wu?te keiner zu sagen. Manner, Frauen und Kinder von St. Clar. Verwundete Soldaten und die eiligst zuruckgerufenen Truppen von der Brucke. Irgendwie waren sie alle in die Transporter gequetscht worden; doch Herrick bezweifelte, da? dort jemand zum Schlafen kam. Der Landwind trug den Gestank nach Feuer und Tod heran und erinnerte sie an das, was sie hinter sich lassen mu?ten.
        Irgendwo dort hinter dem dunklen Ufer ist Bolitho noch an der Arbeit, dachte er grimmig, und nimmt auf seine eigenen Schultern, was von Rechts wegen andere tragen mu?ten.
        Er horte Schritte neben sich. Schwarz hob sich Gossetts machtige, in einen langen Olmantel gehullte Gestalt von den gebleichten Decksplanken ab.

«Dauert nicht mehr lange, Mr. Herrick«, sagte der Master gelassen.

«Sie konnten also auch nicht schlafen?«Herrick schlug die Arme zusammen, um das Blut wieder in Gang zu bringen.»Mein Gott, das war eine lange Nacht!»

«Ich habe keine Ruhe, ehe nicht alle unsere Leute wieder an Bord sind«, knurrte Gossett. Er hob die Hand, denn ein Pfiff wie von einem aufgeschreckten Seevogel schrillte uber das Wasser.»Sie pfeifen >Alle Mann< auf den Transportern. Die gehen gleich Anker auf.»

«Gut. «In den kalten Wind spahend, sah Herrick, wie das Licht einer kleinen Laterne uber das Deck des einen Transporters huschte. Wenn ein neuer Tag uber den Ruinen von St. dar aufging, wurde der kleine Konvoi in See stechen, mit der Princesa als Hauptgeleitschiff; bis Gibraltar sollte noch die Fregatte Bat und eine der Schaluppen dazusto?en.
        Gossett schien Herricks Gedanken gelesen zu haben.»Diesmal wenigstens konnen wir uns auf die Princesa verlassen. Sie ist auf Heimatkurs, da findet sie schon hin«, sagte er bitter.
        Beide fuhren zusammen, denn vom Steuerborddecksgang ertonte ein Ruf:»Boot ahoi!»
        Aus dem Dunkel kam sofort die Antwort: «Aye, Hyperion!»

«Das ist komisch«, murmelte Gossett.»Anscheinend eins von unseren eigenen Booten, aber der Kapt'n sitzt nicht drin.»
        Herrick nickte und schritt zum Fallreep.»Der kommt auch nicht, ehe nicht alle anderen weg sind, Mr. Gossett.»
        Der Master seufzte.»Das brauchen Sie mir nicht erst zu sagen.»
        Das Boot machte an den Gro?rusten fest, und Sekunden spater kam Allday durch die Fallreepspforte. Als er den Leutnant sah, klopfte er gru?end an die Stirn.

«Kompliment vom Kommandanten, Sir. «Er spahte zum Boot hinunter und zischte: Schnauze halten, da unten!«Dann fuhr er fort:»Wurden Sie bitte mit anfassen, damit wir den Admiral an Bord kriegen, Sir?»
        Herrick starrte ihn an.»Den Admiral?«Jetzt kam Rowlstone durch die Fallreepspforte, ihm folgte der kleine Piper. Gelassen fuhr Allday fort:»Befehl vom Kommandanten: Sir Edmund wird in seine Schlafkabine gebracht, Sir. «Er bemerkte, da? Herrick sich nach dem Bootsmannsmaat der Wache umsah, und warnte rasch:»Er hat gesagt: keinen Wirbel, und niemand kriegt den Admiral zu sehen, bis er wieder auf den Beinen ist.»
        Herrick nickte. Er kannte Allday lange genug; niemals hatte er erlebt, da? dieser verwirrt war oder seine Befehle durcheinanderbrachte. Wenn Bolitho wollte, da? Pomfret unbemerkt an Bord kam, dann hatte er bestimmt Grunde dafur.
        Er winkte Gossett:»He, fassen Sie mit an!»
        Wie Verschworer schoben und hoben sie den in eine Decke gewickelten Pomfret durch die Pforte und dann zum Achterdeck. Der Adjutant des Admirals legte mit Hand an die primitive Tragbahre.
        Auch der hat wahrscheinlich die ganze Nacht nicht geschlafen, dachte Herrick.
        Allday fuhrte die kleine Kolonne an, die ihren Weg zur Kampan-je nahm.»Der Captain kommt mit der Nachhut, Sir. «Er rieb sich das Kinn, es knirschte wie Sandpapier. Dann mu? aber alles schnell gehen.»
        Herrick nickte.»Wir sind seeklar. «Er hielt Allday an, der sich eben umwandte, um wieder zum Boot zu gehen.»Sagen Sie Cap-tain Bolitho…«Er brach ab, wu?te nicht, wie er seine Gefuhle ausdrucken sollte.
        Allday grinste in der Dunkelheit.»Dem brauch' ich nichts zu sagen, Sir. Er wei? schon, was Sie denken, keine Angst.»
        Herrick blickte dem Boot nach, als es von der Bordwand abstie?. Die Riemen strichen schwer und mude, so mude wie die Manner selbst.
        Ein Matrose rief:»Die Transporter haben Anker kurzstag, Sir! Und die Erebus setzt auch schon Bramsegel!»

«Gut. «Herrick sah jetzt, wie die fahle Leinwand auch auf den anderen Schiffen Form und Identitat bekam. Ein Schiff nach dem anderen machte sich klar zum Auslaufen. Er befahl:»Sagen Sie Mr. Tomlin, er soll in einer Viertelstunde >Alle Mann< pfeifen; und die Kombuse soll Feuer machen. «Ein leichter Schauer uberlief ihn.»Es wird wohl eine Weile dauern, bis wir danach die nachste warme Mahlzeit in den Bauch kriegen.»
        Gossett trat zu ihm an die Reling.»Was bedeutet das alles, Mr. Herrick? Warum ist Sir Edmund bei uns und nicht auf dem Flaggschiff?»
        Herrick blickte kurz zur Tenacious hinuber.»Warum? Das geht uns nichts an. Aber bei Sonnenaufgang werden wir Sir Edmunds Flagge am Besanmast hissen. «Er spurte, wie Gossett ihn anstarrte.»Und wo die Flagge ist, da ist auch die Verantwortung - oder ich mu?te mich sehr irren.»
        Als das erste Sonnenlicht die Berge beruhrte und in die voller Trummer liegenden Stra?en sickerte, eroffnete die feindliche Artillerie wieder das Feuer. Schwarze Rauchwolken quollen von der Pier auf. Helle Funken und Flugasche markierten die letzte Phase der Zerstorung: Soldaten warfen olgetrankte Lappen in Lagerschuppen und Fischerboote und zundeten sie an. Mit grimmigem Gesicht stand Hauptmann Ashby neben seiner Abteilung Seesoldaten und beobachtete, wie die letzten Manner eilig von der Feuerlinie zuruckkamen und zu den Booten stromten; manche schleppten verwundete Kameraden, andere gebrauchten ihre Musketen als Krucken.
        Im Hauptquartier stand Bolitho an einem offenen Fenster, die Hande auf das Fensterbrett gestutzt, und blickte aufmerksam in die Berge jenseits der Stadt. Hinter sich horte er Stiefel knirschen. Ein junger Infanterieoffizier, schwarz vor Pulverrauch, stand da und sah ihn an.»Alles fertig?»
        Der Offizier nickte.»Die letzte Gruppe geht eben zuruck, Sir. «Er wandte sich um und nahm Haltung an, denn ein junger Leutnant mit drei Mann in voller Ausrustung bog unten um die Stra?enecke, im Gleichschritt wie bei der Parade. Der Leutnant trug die Regimentsfahne, und als er an Bolitho vorbeikam, sah dieser, da? Tranen helle Bahnen in das geschwarzte Gesicht gezogen hatten.
        Bolitho trat ins Zimmer zuruck. Schon war das Haus leer und halbzerstort; kaum deutete etwas darauf hin, da? Pomfret einst von hier aus seinen» ersten Schritt nach Paris «hatte tun wollen.
        Drau?en auf dem Platz stand Ashby und gru?te dienstlich.»Sprengladungen gelegt, Sir. Die Frogs konnen jetzt jede Minute kommen.»
        Bolitho nickte und horchte auf das Gewitter der schweren Artillerie, die ein letztes Sperrfeuer auf die ausharrende Stellung der Rotrocke legte. Deutlich sah er die hinter Barrikaden und Erdaufschuttungen kauernden Gestalten, die scheinbar bereit und entschlossen waren, auch noch diesem letzten Angriff standzuhalten. Dies war beinahe das Scheu?lichste an dieser scheu?lichen Geschichte, dachte er. Denn kurz vor Sonnenaufgang, als die erschopften Truppen sich aus ihren Stellungen zuruckzogen, hatten Lieutenant Inch und eine Abteilung Matrosen nach seinen Anordnungen die letzte Nachhutstellung vorbereitet. Doch wenn die Franzosen nun bald das Feuer einstellen und in die Stadt sturmen wurden, konnten diese Soldaten weder zuruckschie?en noch ihre Waffen wegwerfen und sich ergeben; denn sie waren schon tot. Aus dem Feldlazarett und von den Erdschanzen hatten Matrosen die Gefallenen, die nicht mehr dagegen protestieren konnten, zusammengetragen und sie mit ihren Musketen zu einer stillen Feuerlinie aufgebaut. Sogar eine Fahne wehte uber ihren blicklosen Gesichtern, als letzter, grimmiger Hohn.
        Bolitho ri? sich aus seinen truben Gedanken. Tote spurten keine Schmerzen mehr, die Lebenden mu?ten gerettet werden.»Los, Ashby«, befahl er.»Lunten an!»
        Er horte Trompetenklang und eine Welle von Hurras - die ersten franzosischen Soldaten sturmten von der Kustenstra?e in die Stadt. Die Seesoldaten zogen sich in kleinen Gruppen auf die zerschossene Pier zuruck, die aufgepflanzten Bajonette noch auf die dunklen Gassen gerichtet.
        Von den Burgern, die in St. Clar bleiben wollten, war nichts zu sehen. Sie waren untergetaucht. Nach der ersten Welle der Wut und des Blutvergie?ens wurden sie hervorkommen und Frieden mit ihren Landsleuten machen. Sie wurden Freunde, ja sogar Verwandte denunzieren, um ihre Treue zur Revolution zu beweisen. Das wird eine strenge und langwierige Abrechnung, dachte Bolitho.
        Eben jetzt mu?ten die Franzosen auf die toten letzten Verteidiger starren und uberlegen, was dieser Versuch, ihren endgultigen Sieg zu verzogern, wohl bedeutete.
        In diesem Moment hatte die erste Lunte den Zunder erreicht, und die ganze Stadt schien unter der Wucht der Explosion zu schwanken.

«Das ist das Hauptmagazin, Sir«, sagte Ashby heiser.»Da werden noch ein paar von diesen Bastarden draufgegangen sein. «Er schwenkte den Degen.»In die Boote!»
        Unter dem Krachen einer zweiten machtigen Explosion eilten die Seesoldaten in die Boote und folgten denen, die bereits den Flu? hinunterruderten. Ein paar franzosische Scharfschutzen mu?ten in die Hauser am Hafen eingedrungen sein, denn die abziehenden Boote wurden beschossen, und kleine fedrige Wasserfontanen stiegen langsseit hoch.
        Bolitho blickte seinem Leutnant entgegen, der mit blo?em Kopf, eine rauchende Lunte in der Hand, uber den Platz gerannt kam.»Alles klar, Shanks?»

«Die letzte Ladung ist gezundet, Sir. «Shanks verzog das Gesicht, denn eben ri? eine machtige Detonation ein ganzes Haus am
        Anfang einer engen Gasse nieder, und die Schockwelle schleuderte ihn beinahe ins Wasser.
        Die Barkasse hatte an der Pier festgemacht; als gerade die letzten Seesoldaten hineinkletterten, schrie Allday:»Da kommt franzosische Kavallerie, Captain!»
        Es waren etwa ein Dutzend Reiter. Sie brachen aus einer Seitengasse hervor, und als sie die Barkasse gewahrten, kamen sie im gestreckten Galopp durch den Rauch der letzten Explosion. Bolitho warf einen raschen Blick umher und sprang dann an Bord.
        Als das Boot ablegte, richtete ein Matrose geduckt die Drehbasse aus, trat beiseite und zog die Abzugsleine. Das Boot schwankte im Rucksto? nach dem letzten Schu? dieses Feldzuges.
        Bolitho klammerte sich ans Dollbord, als die Pinne das Boot herumri?, bis die abgedeckten Hauser die blutigen Uberreste von Pferden und Reitern, welche die doppelte Ladung Schrapnell niedergemaht hatte, den Blicken entzogen.
        Aus und vorbei. Bolitho fragte sich, was aus Oberst Cobban worden sein mochte; aber er konnte beim besten Willen kein Mitgefuhl fur ihn aufbringen. In der Nacht, als er in Pomfrets leerem Arbeitszimmer eingeschlafen war, hatte ihm eine atemlose Ordonnanz gemeldet, da? Cobban unter Parlamentarflagge zu dem franzosischen Kommandeur gegangen sei.»Um einen ehrenvollen Frieden auszuhandeln«, wie er sich ausgedruckt hatte. Jetzt in der grimmigen Wirklichkeit des hellen Tages wurden die Franzosen Cobbans klaglichen Versuch, sein eigenes Fell zu retten, nur als Verzogerungsmanover zur Deckung des britischen Ruckzugs ansehen. Groteske Vorstellung, da? man Cobban in England vielleicht gerade dieser Haltung wegen als einen aufopfernden, mutigen Offizier im Gedachtnis behalten wurde.
        Die Boote waren jetzt im tieferen Wasser der Bucht, und Bolitho richtete sich muhsam auf, denn die beiden Linienschiffe erwarteten ihn. Dann sah er Pomfrets Admiralswimpel vom Besan der Hyperion wehen und wu?te, da? Herrick die Ma?nahme seines Kommandanten verstanden hatte, auch wenn er sie vielleicht nicht billigte.
        Eine halbe Stunde spater hatte beide Schiffe Anker gelichtet; und als der auffrischende Wind den Rauch der brennenden Stadt aufs Meer hinaustrieb, stand Bolitho an den Finknetzen, die Hande auf dem Rucken ineinander verschrankt. Im stillen Wasser des Hafenbeckens spiegelten sich die Flammen wider.
        Als die Segel der Hyperion sich fullten, und sie Kurs auf die offene See nahm, kam die allerletzte Szene dieser Tragodie - wie ausgesucht und genau fur diesen Moment berechnet.
        Ein einzelner Reiter erschien hoch auf dem sudlichen Vorland der Bucht; hell leuchtete sein gelber Uniformrock im bleichen Licht, als er den auslaufenden Schiffen nachsah. Bolitho brauchte kein Fernrohr, um den spanischen Oberst zu erkennen. Kein Wunder, da? die Schiffe vom Vorland aus nicht beschossen worden waren. Salgados Kavallerie hatte gute Arbeit geleistet; aber um welchen Preis, das sah man an dieser einsamen Gestalt.
        Noch wahrend Bolitho hinsah, sank der Spanier seitlich aus dem Sattel und blieb am Rand der Klippe liegen. Hatte ihn ein Musketenschu? gefallt, dessen Knall nicht bis zu Bolitho gedrungen war, oder war er vorher schon so schwer verwundet worden, da? er jetzt vom Pferd sturzte? Niemand wu?te es.
        Salgados Pferd trat zuruck und beschnupperte seinen Herrn, als wolle es ihn zum Leben erwecken. Noch lange, nachdem die Schiffe die offene See gewonnen hatten, stand das Pferd als scharfumris-sene Silhouette vor dem wolken verhangenen Himmel wie ein Monument.
        Bolitho wandte sich ab. Ein Monument fur unsere Toten, dachte er.
        Dann sah er Herrick mude an.»Sobald die Harvester und die Chanticleer heran sind, setzen Sie einen Kurs ab, mit dem wir Co-zar umrunden, Mr. Herrick«, sagte er.

«Wir sto?en also wieder zur Flotte, Sir?»
        Bolitho nickte und wandte sich abermals der wirbelnden Rauchwolke zu.»Hier haben wir nichts mehr zu suchen.»
        Ashby wartete, bis Bolitho das Achterdeck verlassen hatte, und sagte dann langsam: Aber bei Gott, die Franzosen werden sich an unseren Besuch noch lange erinnern, Mr. Herrick!»
        Herrick seufzte tief auf.»Und ich auch, Hauptmann Ashby. Ich auch.»
        Dann zog er sein Teleskop auf und richtete es auf die Tenacious, die dem Signal gehorchte und uber Stag ging, um ihre achterliche Station einzunehmen.
        Vom Heckfenster seiner Kajute aus beobachtete Bolitho den Dreidecker ebenfalls. Kalkwei? standen die Segel im Fruhlicht. Was wohl Dash jetzt denken mochte? Und ob er sich an seine Loyalitatsbeteuerungen noch erinnern wurde, wenn die Aufregung uber die Kampfe und den Ruckzug vorbei war und die Admiralitat kuhl die Untersuchung des Falles einleitete und vielleicht sogar einen Sundenbock suchte?
        Er drehte sich um, denn Inch stand in der Tur.»Wollen Sie mich sprechen?»
        Inch starrte noch von Schmutz und Rauch der brennenden Stadt, und sein Pferdegesicht war schlaff vor Erschopfung. Er suchte etwas in seiner Tasche.»Bitte um Entschuldigung, aber in der Hitze des Gefechts und uber dem Arrangieren der toten Soldaten habe ich ganz vergessen, Ihnen das hier zu ubergeben. «Er zog einen kleinen Gegenstand hervor, der unter den tanzenden Lichtreflexen des Kielwassers hell aufglanzte.
        Bolitho starrte auf Inchs Hand und konnte kaum begreifen, was er mit seinen eigenen Augen sah.»Wo haben Sie das her?«fragte er.

«Ein Strafling hat ihn mir gegeben, Sir«, berichtete Inch,»kurz bevor die letzten an Bord der Erebus gebracht wurden.»
        Bolitho ergriff den Ring und betrachtete ihn auf der offenen Handflache.
        Inch musterte seinen Kommandanten neugierig.»Dieser Mann kam in der allerletzten Sekunde, hielt mir den Ring hin und sagte, ich solle ihn personlich an Sie ubergeben. «Er zogerte.»Sie sollten ihn Ihrer, ah, Braut schenken, sagte er.»
        Bolitho war zumute, als wurde die Kajute ganz eng. Es war doch unmoglich. Unsicher fragte Inch:»Kennen Sie den Ring, Sir?»
        Bolitho ging nicht darauf ein, sondern fragte:»Diesen Mann - haben Sie ihn genauer gesehen?«Er trat einen Schritt auf Inch zu.»Ja oder nein?»
        Inch wich zuruck.»Es war schon dunkel, Sir. «Er kniff die Augen nachdenklich zusammen.»Sein Haar war schon grau, aber er war durchaus ein Gentleman, wurde ich sagen.»
        Er verstummte, denn Bolitho schob ihn zur Seite und eilte aufs Achterdeck. Herrick starrte ihn erschrocken an, aber er kummerte sich nicht darum. Er ri? einem verstorten Midshipman das Teleskop aus der Hand und enterte ein Stuck in die Besanwanten auf. Sein Herz trommelte gegen die Rippen, als er weit voraus den Geleitzug erblickte, dicht unter der Kimm, beinahe schon au?er Sicht. In einer Woche etwa wurde er Gibraltar erreichen, dann wurde die menschliche Fracht sich fur immer in alle Winde zerstreuen.
        Unsicheren Fu?es enterte er wieder ab, blieb an Deck stehen und sah lange auf den Ring nieder. Grauhaarig und ein Gentleman, hatte Inch gesagt. Aber er war schon angegraut gewesen, als sie einander das letzte Mal gesehen hatten. Vor zehn, nein, vor elf Jahren. Und in all diesen letzten Monaten hatte dieser Mann, nur ein Strafling unter vielen, ihn beobachtet, wahrend er, Bolitho, keine Ahnung gehabt, wahrend er geglaubt hatte, sein Bruder sei lange tot.
        Doch hatte er es gewu?t - was hatte er tun konnen? Hugh war also wie die anderen wegen irgendeines kleinen Vergehens auf dem Weg nach Neu-Holland, unter falschem Namen selbstverstandlich. Nur ein Zeichen des Erkennens, und er mu?te belangt werden als das, was er wirklich war: ein Deserteur der Koniglichen Marine, ein amerikanischer Hochverrater. Und Bolithos eigenes Leben ware ruiniert gewesen, hatte er auch nur einen Finger fur Hugh geruhrt.
        Also hatte Hugh gewartet, war bis zum letztmoglichen Augenblick im Verborgenen geblieben und hatte ihm seine heimliche Botschaft erst gesandt, als kein personliches Zusammentreffen mehr moglich war. Dieser Ring, den sie beide kannten, mu?te Richard Bolitho mehr sagen als alle Worte.
        Herrick trat herzu und musterte den Ring interessiert.»Ein schones Stuck, Sir.»
        Bolithos Blick schien durch Herrick hindurchzugehen.»Er hat meiner Mutter gehort.
«Ohne ein weiteres Wort ging er wieder unter Deck in seine Kajute.



        XVII Die Franzosen sind durch!

        Als acht Glasen angeschlagen wurden und den Beginn der Vormittagswache verkundeten, kam Bolitho unter der Kampanje hervor und nahm seinen gewohnten Platz an der Luvseite des Achterdecks ein. Der Himmel war voll niedriger, rasch ziehender Wolken, der halbe Wind von Steuerbord lie? heftigen Regen erwarten. Bolitho ruckte die Schultern in seinem schweren Mantel zurecht und musterte eingehend die Tenacious. Zur Nacht hatte sie Segel gekurzt, um nicht den langsameren Schiffen davonzulaufen; nun lag sie ein paar Meilen an Steuerbord achteraus. Der Horizont war ganz verhangen, und gegen die truben Wolken und die bleigraue See schimmerte der machtige Dreidecker in beinahe unirdischem Licht.
        Bolitho fa?te in die Netze und wandte den Kopf wieder in den Wind. Da lag die Insel Cozar etwa sechs Meilen entfernt, die scharfen Umrisse ihrer Felsen von Wolken und Dunst verhullt. Wahrend er mi?gelaunt in seinem Fruhstuck herumstocherte, hatte er sich vorgestellt, wie es dort wohl aussehen mochte, hatte uber die Hoffnungen und Torheiten nachgedacht, fur die ihm der Name dieser Insel inzwischen Symbol geworden war.
        In den drei Tagen, seit sie die rauchenden Ruinen von St. Clar hinter sich gelassen hatten, war er immer wieder in Gedanken den Ablauf dieses kurzen Feldzuges durchgegangen; hatte versucht, die Operation mit unparteiischen Augen zu sehen, die Tatsachen so aneinanderzureihen, wie es ein Historiker tun wurde. Unverwandt starrte er auf die buckelige Umri?linie der Insel und bi? sich auf die Lippen. Hundertmal war sie im Lauf ihrer Geschichte besetzt, verloren, wieder okkupiert worden. Nun lag sie aufgegeben da und wartete auf den Nachsten, der sich ihrer bemachtigen wollte. Zur Zeit war Cozar menschenleer und wust; nur die vielen Toten bewachten diese durre Hinterlassenschaft.
        Herrick war zu ihm an die Finknetze getreten.»Ob wir sie jemals wiedersehen werden, Sir?»
        Bolitho blieb stumm. Er beobachtete die hart unter Land segelnde Chanticleer, deren Takelage sich wie eine Radierung von den dusteren Klippen abhob. Vermutlich dachte Bellamy dort druben jetzt an seine Mitwirkung bei der Einnahme von Cozar. Die erregende Kuhnheit, ja Unverschamtheit der Operation mochte ihm nun wie ein Spa? erscheinen. Aber Herrick hatte irgend etwas gesagt.»Wollten Sie etwas Dienstliches?«fragte Bolitho.
        Herricks Miene entspannte sich.»Nun ja, Sir, eigentlich.»

«Na dann schie?en Sie los, Thomas. «Bolitho wandte sich von der Insel ab.»Ich war in letzter Zeit ein schlechter Gesellschafter. Sie mussen mir das nachsehen. «In der Tat hatte er seit St. Clar kaum mit Herrick gesprochen. Seine Offiziere mu?ten seinen
        Wunsch, allein zu sein und nachzudenken, respektiert haben, denn bei seinen seltenen Spaziergangen auf dem Achterdeck hatten sie dafur gesorgt, da? er die Luvseite fur sich hatte und dort ungestort war.
        Herrick rausperte sich laut.»Haben Sie heute vormittag den Ad-miral gesprochen, Sir?»
        Bolitho lachelte. Herrick hatte schnell und uberhastet gefragt; wahrscheinlich hatte er schon seit Tagen daruber gebrutet, was er sagen wollte.»Mr. Rowlstone ist jetzt bei ihm, Thomas. Sir Edmund ist sehr krank, mehr kann ich Ihnen zur Zeit nicht sagen.»
        Der arme Rowlstone wu?te ebensowenig wie der jungste Matrose, was mit Pomfret los war. Allerdings sah der Admiral ein bi?chen besser aus; aber wenn sich auch sein Korper bemuhte, wieder zu Kraften zu kommen, so blieb er doch geistig wie erstarrt und war kaum ansprechbar, als hatten der Schock und die Angst vor der Realitat, die zu akzeptieren er sich immer noch weigerte, all sein Denken blockiert. In der Tat wirkte Pomfret wie ein lebender Leichnam. Er lie? sich von Gimlett rasieren und waschen. Wenn er Suppe oder kleingeschnittenes Fleisch bekam, offnete er den Mund wie ein Kind zum Futtern. Und nie sagte er ein Wort.
        Herrick war jedoch hartnackig.»Erlauben Sie, Sir, ich mu? es aussprechen. Meiner Meinung nach haben Sie Sir Edmund gegenuber keine Verpflichtungen, es ist eher umgekehrt. «Er deutete zur Tenacious hinuber.»Warum ubergeben Sie nicht Captain Dash die Verantwortung, bevor wir die Flotte in Sicht bekommen? Er ist der Dienstaltere, und es ware ungerecht, da? Sie fur ihn den Kopf hinhalten sollen.»
        Bolitho seufzte.»Sie haben doch Sir Edmund gesehen, nicht wahr?«Und als Herrick nickte, sprach er ruhig und eindringlich weiter:»Wollen Sie ihm den letzten Fetzen Selbstachtung wegnehmen und darauf herumtrampeln?«Er schuttelte den Kopf.»Wenn wir wieder bei der Flotte sind, soll Sir Edmund wenigstens unter dem Schutz seiner Flagge stehen und nicht zur Abrechnung geschleppt werden wie ein verschnurtes Huhn zum Kochtopf. «Er pre?te die Hande auf dem Rucken zusammen.»Nein, Thomas, so etwas mache ich nicht mit.»
        Herrick offnete den Mund, um etwas einzuwenden, schlo? ihn aber wieder, denn Bolitho fuhr herum und spahte uber den Bug wie ein Hund, der etwas wittert.

«Horen Sie?«Bolitho packte die Reling und beugte sich vor.»Ich wei? nicht. Es war nur so ein Gefuhl, aber. «Er blickte Herrick an, bis dieser zu begreifen schien.

«Donner?«murmelte er; ihre Augen trafen sich.»Oder Geschutzfeuer?»
        Bolitho rief durch die hohlen Hande:»Mr. Inch! Die Royals setzen!«Er trat zum Kompa? hinuber, und schon durchbrach das Schrillen der Pfeifen die Stille.»Einen Strich hoher!«Gespannt wartete er, bis der Mann am Ruder aussang:»Kurs Nord zu Ost,
        Sir!»

«Wo, um Gottes willen, steckt die Harvester!«. fragte sich Bo-litho laut.
        Herrick beobachtete die hastig aufenternden Matrosen.»Irgendwo an Backbord voraus, Sir.»
        Langsam trat Bolitho an Herricks Seite.»Also - das kam von keiner Fregatte, Thomas. Da war schwereres Kaliber!»
        Er spahte achtern und bemerkte, da? die Tenacious nach noch auf gleicher Hohe war, obgleich sein Schiff jetzt mehr Segel fuhr. Taktma?ig schlug er mit der Faust auf die Reling, um seine Gedanken zu unterstreichen. Wenn sie nur den Dreck am Kiel hatte loswerden konnen, dann wurde die alte Hyperion ihnen allen etwas zeigen!

«Vielleicht ein Schiff der Blockade?«unterbrach Herrick sein Grubeln.

«Unwahrscheinlich. «Bolitho starrte auf den Dunst, der die Kimm verbarg.»Lord Hood kann sich nicht mehr um die Blockade irgendwelcher Kustenstriche kummern, er hat jetzt zu viel am Hals. Der Abzug seiner Streitkrafte aus Toulon - das ist tausendmal schlimmer als unser Ruckzug aus St. Clar, Thomas.»

«An Deck! Segel in Luv voraus, Sir!»
        Sie blickten zu dem schwingenden Masttopp empor, dann sagte Bolitho gelassen:»Nun, wir werden bald mehr wissen. Entern Sie auf, Thomas, und sagen Sie Bescheid, sobald Sie etwas festgestellt haben.»
        Midshipman Piper erschien wie hergezaubert.»Sir, die Harvester signalisiert!»
        Bolitho nahm ein Teleskop aus der Halterung und spahte an Pipers ausgestrecktem Arm entlang. Die Fregatte lag gut sichtbar an Backbord voraus, und auf einmal hatte er sie scharf und klar in der Linse, denn eine plotzliche Bo fegte den Dunst hinweg wie Rauch.

«>Schiffe in Nordost««, ubermittelte Piper das Signal. Er hielt in-ne und blatterte in seinem Handbuch.»»Schatzung: sechs Linienschiffe«.»
        Automatisch verarbeitete Bolithos Verstand die Information der Fregatte und ordnete sie in seine eigenen Erkenntnisse ein. Die Schiffe, wer sie auch sein mochten, lagen fast genau auf dem Kurs der Hyperion. Langsamer als diese konnten sie kaum sein, also war anzunehmen, da? sie Gegenkurs fuhren und direkt auf sie zukamen.
        Heiser rief Herrick hinunter:»An Deck! Da ist eine Verfolgung im Gange, Sir! Vielleicht funf oder sechs Linienschiffe in Kiellinie!»
        Bolitho warf einen kurzen Blick zur Tenacious hinuber.»Kommen Sie an Deck, Mr. Herrick!«Er winkte Inch und befahl:»Signal an alle Schiffe, Mr. Inch: >Machen Sie gefechtsklar«.»
        Wahrend die Signalflaggen hochgingen, landete Herrick uber ein Backstag mit einem Knall direkt neben Bolitho. Der blickte ihn ernst an.»Lassen Sie >Klar Schiff zum Gefecht «anschlagen!»
        Herrick fa?te an den Hut.»Aye, aye, Sir!«Dann grinste er.»Glauben Sie, wir konnen denen die Prise direkt vor der Nase we g-schnappen, Sir?»
        Doch Bolitho lachelte nicht.»Ich furchte, das Schiff, das da gejagt wird, ist eines von uns, Mr. Herrick.»
        Ubers Wasser kam der rasselnde Trommelwirbel, mit dem die Tenacious Klarschiff einleitete. Wahrscheinlich dachte Dash, Bo-litho sei verruckt geworden, denn er hielt es wohl ebenso wie He r-rick fur unmoglich, da? der Feind bereits in solcher Starke das offene Meer gewonnen hatte.
        Die Trommler der Hyperion nahmen das Signal auf; und wahrend die Manner aus den Niedergangen an Deck stromten und von den Maaten, die noch im Laufen die Namen aufriefen, an ihre Gefechtsstationen dirigiert wurden, blickte Bolitho noch einmal zu Pomfrets Wimpel auf, der lustig am Besan flatterte.
        Dann verstummte der betriebsame Larm. Herrick eilte wieder aufs Achterdeck und meldete:»Schiff klar zum Gefecht, Sir.»
        Immer noch blickte Bolitho nachdenklich zum Masttopp empor.»Die Hyperion wurde zu lange abseits gehalten, Thomas. Die Admiralsflagge wird dafur sorgen, da? wir heute im Zentrum des Geschehens sind. «Trotz Herricks beunruhigtem Blick sprach er gelassen weiter:»Da sehen Sie also, da? ich Sir Edmund nicht auf die Tenacious uberfuhren kann, selbst wenn ich es wollte.»
        Piper war ins Eselshoofd[Mast und Stenge des Gro?masten.] aufgeentert, um besser sehen zu konnen.»An Deck!«rief er.»Das vorderste Schiff fuhrt unsere Flagge,
        Sir!»
        Bolitho schlug die Faust in die andere Handflache.»Hab ich's nicht gesagt, Thomas? Innerlich zitterte er vor Spannung.»Lassen Sie die Rahen mit Ketten sichern und die Boote in Schlepp nehmen! Heute darf uns kein uberflussiges Kleinholz um die Ohren fliegen, Thomas!»
        Herrick gab den Befehl weiter und trat beiseite, als ein paar Matrosen aus Tomlins Abteilung nach achtern rannten, um die Schleppleine zu belegen. Wenn eine Kanonenkugel ein Boot an Deck traf, dann barst es in einem Hagel morderischer Splitter. Trotzdem verspurte Herrick Unbehagen, als ein Boot nach dem anderen uber Bord gefiert wurde. Es war, als werfe man die letzte Uberlebenschance weg.
        Bolitho schien an dergleichen nicht zu denken.»Signal an Chan-ticleer: >Position in Lee einnehmen!«Ich will nicht, da? es ihr geht wie der Snipe.«Auch er beobachtete das Abfieren der Boote.»Die Schaluppe kann der Schlacht zusehen und uns moralisch unterstutzen«, schlo? er.
        Herrick starrte ihn verwundert an. Wie schaffte er es blo?, so ruhig, so vollig unbeteiligt zu wirken angesichts der unmittelbaren Gefahr? Aber Bolitho sah gar nicht Herricks Gesicht, aufmerksam musterte er sein Schiff, denn jede Einzelheit mu?te gepruft werden. Bald war dazu keine Zeit mehr.
        Jedes Geschutz war bemannt, jeder Geschutzfuhrer kontrollierte geschaftig Mannschaft und Gerat. Zwischen Pulverkammer und Batterien eilten die kleinen» Pulveraffen «hin und her, Schiffsjungen mit Kartuschen und Ladepfropfen, die Augen weit aufgerissen und die Gesichter vor Konzentration verzerrt: heute war es ihre einzige Aufgabe, jene Rohre mit Nachschub zu versorgen.
        Die Seesoldaten standen an den Netzen, Bajonette aufgepflanzt, Musketen schu?fertig. Im Vorschiff konnte Bolitho Lieutenant Shanks und seine Abteilung bei den Karronaden sehen, den Rucken zum Feind, den Blick zum Achterdeck gerichtet.
        Rooke und der junge Gordon schritten miteinander die Reihen ihrer Geschutze ab; und Bolitho fragte sich fluchtig, was sie wohl so angelegentlich zu diskutieren hatten. Zuletzt musterte er das Achterdeck, das Nervenzentrum des Schiffes, wo die Entscheidung uber alles Leben an Bord fiel. Caswell stand bei den Neunpfundern, doch seine Augen hingen an Piper und Seton, die bei den Signalleinen warteten. Das alles erinnerte ihn an seine eigene Vergangenheit, und das Warten wurde ihm unertraglich.

«Ich gehe nach unten, Mr. Herrick«, sagte er,»um den Admiral aufzusuchen. «Er warf einen Blick auf den Verklicker[Wimpel, der Windrichtung und - starke anzeigt.] oben.»Es wird noch eine Stunde dauern, bis wir Feindberuhrung haben. «Das abgerissene Geschutzfeuer klang noch wie ferner Donner.
        Unten stockten die routinema?igen Arbeiten zur Gefechtsvorbereitung sekundenlang, als er erschien. Ein paar einzelne Gesichter fielen ihm auf, die ihn an fruhere Gefechte erinnerten. Ein grauhaariger Geschutzfuhrer tippte sich gru?end an die Stirn und sagte:»Denen zeigen wir's heute, Sir!«Er legte die schwielige Hand auf den Verschlu? seines Zwolfpfunders.»Unsere olle Maggie hier wartet schon darauf.
«Seine Manner nickten grinsend dazu.
        Bolitho verhielt einen Augenblick.»Tut euer Bestes, Leute!«Gewaltsam verdrangte er den Gedanken, da? in ein paar Stunden manche von diesen Mannern tot sein und andere um ein schnelles Sterben beten wurden.»Und pa?t auf«, sagte er zu dem Geschutzfuhrer,»da? die Leute ihre Halstucher um die Ohren binden. Sie sollen es noch horen konnen, wie die Landratten in England Hurra schreien, wenn wir nach Hause kommen!«Im Weggehen horte er sie lachen und rufen und fuhlte sich beschamt.
        Fast blindlings stieg er den nachsten Niedergang hinab und blieb einen Moment stehen, um die Augen an die Dunkelheit zu gewohnen. Im unteren Batteriedeck war es Nacht im Vergleich zum Dammerlicht der oberen Batterie. Doch bald wurden die Stuckpforten offen stehen, und dieses niedere, balkendurchzogene Gewolbe wurde wie unter den Schlagen hollischer Vorschlaghammer erzit-
        tern. Inch war jetzt bei seinen Vierundzwanzigpfundern und grinste tatsachlich, als er auf seinen Kommandanten zuging.

«Halten Sie unbedingt Kontakt zur oberen Batterie«, sagte Bo-litho.»Und sehen Sie zu, da? Ihre Kanoniere Ruhe bewahren. Auf Sie kommt es heute an.»
        Inch nickte.»Midshipman Lory ist bei mir, Sir. Der kann mich auf dem laufenden halten.»
        Bolitho schaute an der Doppelreihe der Kanonen entlang. Im Dunkel glitzerten die Augen der Manner, alle blickten ihn an.»Viel Gluck, Jungs!«Deck und Bordwande waren rot gestrichen, damit man das Blut nicht so deutlich sah; aber was es zu sehen gab, wurde schlimm genug sein. Der Midshipman starrte ihn unve rwandt an - Bolitho dachte an das Furchtbare, das er seinerzeit auf seinem ersten Schiff erlebt hatte. Knapp dreizehn Jahre war er alt gewesen, da hatte er in der unteren Batterie eines Schiffes wie der Hyperion Dienst getan. Vielleicht war der Schrecken so unfa?bar gewesen, da? er an Wirklichkeit verlor; anders war kaum zu erklaren, weshalb er damals nicht verruckt geworden war.
        Dankbar kehrte er ans Tageslicht zuruck und uberlegte, was er mit Pomfret anfangen sollte. Wie wurde er es geistig und seelisch verkraften, wenn er unten im Orlopdeck verstaut wurde?
        Rowlstone stand am Fenster der Kapitanskajute und starrte blicklos zur Tenacious hinuber.»Soll ich auf Station gehen, Sir?«fragte er.
        Bolitho antwortete nicht gleich. Er trat an die offene Tur der Schlafkabine und blickte an Fanshawe, der zusammengesunken dasa?, vorbei zur Koje hin. Pomfret lehnte beinahe aufrecht im Bett, die Brust in der stickigen Luft entblo?t; seine Blicke folgten der schwingenden Deckslaterne.
        Bolitho sprach ruhig zu ihm.»Wir stehen kurz vor einem Gefecht, Sir. Haben Sie irgendwelche Befehle?»
        Die blassen Augen hefteten sich auf Bolithos Gesicht.
        Hilflos sagte Fanshawe:»Ich glaube, er versteht Sie nicht, Sir.»
        Langsam und deutlich sagte Bolitho:»Sir Edmund, die Franzosen sind durchgebrochen! Doch Pomfret zuckte mit keiner Wimper.
        Hinter ihm sprach jetzt Rowlstone:»Ich werde ihn ins Orlop schaffen, Sir, da kann ich ein Auge auf ihn halten.»
        Bolitho fa?te ihn beim Arm.»Moment noch!«Pomfrets Hande hatten sich an den Kojenrandern festgekrallt; die Knochel waren wei? vor Anstrengung. Er offnete den Mund, brachte aber kein Wort hervor.
        Bolitho sah Pomfret in die Augen, hielt sie mit seinem Blick fest, wollte ihn durch pure Willenskraft zum Sprechen zwingen. Einen Sekundenbruchteil glaubte er, einen Funken des Begreifens in diesen Augen zu lesen.
        Leise befahl Bolitho:»Sie bleiben hier bei ihm, Fanshawe. «Pomfrets Finger entspannten sich etwas.»Ich werde den Admiral informiert halten, soweit ich kann.
«Dann wandte er sich schnell ab und ging wieder aufs Achterdeck.
        Der ferne Kanonendonner war verstummt, die Schiffe lie?en sich jetzt im Teleskop klar erkennen. Das verfolgte Schiff war ein Vierundsiebziger wie die Hyperion, und als es sich leicht in den Wind legte, sah er, da? es den Besanmast verloren hatte. Doch war ein Behelfsmast aufgeriggt, und der Gefechtswimpel flatterte tapfer uber den durchlocherten Segeln. Eben stieg eine Reihe Signalflaggen zur Rah hinauf.

«Die Zenith, vierundsiebzig Kanonen, Kommandant Kapitan Steward, Sir«, erklang Pipers schrille Stimme.
        Bolitho nickte, hielt aber sein Glas uber das havarierte Schiff hinweg auf das Gedrange der stumpf-wei?en Bramsegel gerichtet. Er zahlte sechs feindliche Schiffe; dann mu?te er das Glas absetzen, um sein Auge auszuruhen. Sie fuhren in unregelma?iger Gefechtsformation und luvten bereits langsam an.
        Herrick senkte sein Glas.»Die haben den Windvorteil, Sir, daran ist nicht zu rutteln«, sagte er.
        Bolitho schaute uber das Achterdeck.»Signal an alle: >Formieren zur Gefechtslinie vor und hinter dem Flaggschiff!««Unter den Signalgasten brach fieberhafte Tatigkeit aus, aber er sah nicht hin. Steward war ihm nicht ganz unbekannt. Ein guter Kapitan. Schon begann er zu halsen, um Front gegen den Feind zu machen und die Spitze der britischen Formation zu ubernehmen. Achteraus bestatigte Dash soeben Bolithos Signal; Minuten spater schwangen auch die Rahen der Tenacious herum, und sie manovrierte sich behabig hinter das Flaggschiff.
        Bolitho empfand dieses Wort als Hohn: Flaggschiff. Pomfret war der Sprache nicht mehr machtig, fiel als Befehlshaber vollig aus.
        Und es war elf Jahre her, seit Bolitho an einer richtigen Seeschlacht beteiligt gewesen war. In der Schlacht bei den Saintes hatte er eine kleine Fregatte kommandiert. Und damals waren die gegnerischen Streitkrafte an Bewaffnung und Kampferfahrung seinen eigenen ungefahr gleich gewesen.
        Er wandte sich noch einmal zu den feindlichen Schiffen um. Zwei zu eins. Selbst Rooke wurde das Risiko fur ziemlich hoch halten.

«Wir passieren Backbord zu Backbord, Sir«, sagte Herrick.»Ihren Kurs zu kreuzen, das schaffen wir nicht mehr.»
        Bolitho nickte. Cozar lag in Luv; anscheinend kam er von diesem verdammten Stuck Erde nicht los, er konnte machen, was er wollte. Jetzt wirkte die Insel als Barriere, die ihn daran hinderte, nach Luv aufzukreuzen. Und wenn er seinen jetzigen Kurs beibehielt, wurden die franzosischen Schiffe die Hyperion an Backbord passieren und sie der Lange nach bestreichen, ehe sie wenden und wieder feuern konnte.

«Signal an alle: >Segel kurzen!««befahl er. Die Zenith hatte ihr Manover beendet und war jetzt an der Spitze. Durch sein Glas konnte er erkennen, wie die Buggeschutze des Feindes sie zugerichtet hatten; besonders die Heckaufbauten waren stark beschadigt. Gelassen sagte er:»Wir durchbrechen die feindliche Linie in der Mitte, meine Herren. So erringen wir den Windvorteil und jagen ihnen einen Schrecken ein. «Er sah Herrick besturzte Blicke mit Ashby tauschen und sprach weiter:»Das hei?t, da? uns nur drei Breitseiten bevorstehen statt sechs!»
        Er wandte sich um, denn hinter sich horte er Alldays Schritte, der ihm Galarock und - hut brachte. Stumm sahen die Manner auf dem Achterdeck zu, wie ihr Kommandant den Rock seiner Alltagsmon-tur auszog und in die Armel des anderen fuhr. Das tat er vor jedem Gefecht. War es Wahnsinn oder Eitelkeit? Er wu?te es nicht genau. Vielleicht wollte er auch im Gegensatz zu seinem Vorganger auf der Hyperion nichts Wertvolles hinterlassen, wenn er heute fallen sollte. Die schiere Dummheit dieses Gedankens beruhigte ihn, und die zuschauenden Matrosen und Seesoldaten sahen ihn sogar schwach lacheln. Allday hielt ihm den Degen hin und fragte leise:»Mu? ich beim Admiral bleiben, Sir?«Verzweifelt sah er zu den knienden Geschutzbedienungen hin.»Mein Platz ist doch hier.»

«Ihren Platz bestimme ich, Allday! Aber ich finde Sie schon, wenn ich Sie brauche, keine Sorge«, entgegnete Bolitho und nickte ihm zu.

«Beide Schiffe haben bestatigt, Sir!«rief Piper. In der tiefen Stille klang seine Stimme uberlaut.

«Recht so. Jetzt bereiten Sie ein weiteres Signal vor, Mr. Piper, aber hissen Sie es noch nicht: >Der Reihe nach wenden und wieder Gefechtslinie formieren!»»
        Er zog den Degen und wog die Klinge in Handen. Der Stahl war eiskalt. Zu allen auf dem Achterdeck sagte er dann:»Anschlie?end folgt ein letztes Signal. Und das bleibt stehen, bis ich Gegenorder gebe!»
        Piper sah von seiner Schreibtafel auf, das Gesicht vor angestrengter Konzentration verzerrt.»Fertig, Sir!»
        Bolitho blickte den naher kommenden Schiffen entgegen. Jetzt dauerte es nicht mehr lange. Zu Pipe r sagte er:»Wenn wir die gegnerische Formation durchbrechen, hissen Sie >Kampf auf kurzeste Distanz«!»
        Damit stie? er den Degen in die Scheide zuruck.»Und jetzt, Mr. Herrick, konnen Sie Befehl zum Laden und Ausrennen geben. «Noch eine Sekunde blickte er Herrick an, wollte ihm die Hand drucken, irgend etwas Personliches oder auch nur Banales sagen. Aber der rechte Moment war schon vorbei.
        Herrick fa?te an den Hut und hob sein Sprachrohr. Er hatte den Schmerz in Bolithos Augen gesehen und wu?te Bescheid, auch ohne Worte.
        Er brullte seine Befehle ubers Deck, und dort wurde es lebendig. Die Stuckpforten wurden aufgerissen, ein Geschutzfuhrer nach dem anderen gab sein Handzeichen. Rooke rief:»Ausrennen!«, wandte sich dann ebenfalls um und blickte Bolitho erwartungsvoll an.
        Unregelma?iger Kanonendonner rollte uber das Wasser, und durch die straffen Wanten sah Herrick, wie eine Wolke Pulverrauch herantrieb und die Zenith einhullte.
        Mit zusammengebissenen Zahnen befahl Gossett seinem Maaten: >Tragen Sie ins Logbuch ein: Feindberuhrung um zwei Glasen der Vormittagswache!««Dann rausperte er sich und murmelte:»Und Gott steh' uns bei!»
        Das Warten auf ihr Eingreifen ri? an den Nerven. Bolitho zwang sich, reglos an der Reling zu stehen und zuzusehen, wie die angeschlagene Zenith die volle feindliche Breitseite zu spuren bekam. Mit nur siebzig Fu? Distanz passierte der Zweidecker das franzosische Fuhrungsschiff; doch als eine Fallbo den wirbelnden Rauch teilte, sah Bolitho erleichtert, da? die Masten der Zenith noch standen und ihre Rohre eben wieder ausgerannt wurden, um sich mit dem nachsten Gegner zu messen. Das zweite Schiff des feindlichen Geschwaders war ein Dreidecker, und Bolitho zuckte zusammen, als dessen vorliche Geschutze krachend Feuer spuckten. Uber der hochsteigenden Rauchwand sah er die bunten Farben des feindlichen Wimpels am Masttopp - es war die Kommandoflagge eines Admirals.

«Achtung! Klar zum Feuern!«brullte er, verbannte das Bild der detonierenden Kanonen und konzentrierte sich auf das Fuhrungsschiff, dessen Bugspriet jetzt den der Hyperion uberlappte, so da? sich zwei Riesenspeere zu kreuzen schienen; die Manner an den vorderen Geschutzen sahen durch die offenen Pforten das drohend naher kommende Vorschiff des Feindes Gestalt annehmen.

«Feuer!«schrie Rooke.
        Wie trunken schwankte die Hyperion unter dem Rucksto? der Breitseite, die in Doppellinie an ihrem Rumpf entlanglief; die Rohre fuhren gegen die Halterungen zuruck, die Kanoniere husteten und fluchten, als der scharfe Pulverqualm durch die Stuckpforten hereinwehte und ihnen in die Augen bi?; aber sie tappten schon wieder blindlings nach der nachsten Ladung.
        Bolitho beschattete die tranenden Augen mit der Hand und starrte hinauf zum Vormast des Feindes, der langsam und stetig aus dem Qualm wuchs, bis er direkt uber ihm in der Luft zu hangen schien. Dann scho? der Franzose. Die rotlich-gelben Flammen stachen in den dichten Pulverrauch und verliehen ihm ein bosartiges Eigenleben. Er spurte, wie die Kugeln in den Rumpf krachten und die Planken unter seinen gespreizten Beinen donnernd barsten, als wolle das ganze Deck aufbrechen.

«Und noch mal, Jungs!«brullte er.»Verpa?t ihnen noch eine!»
        Sein Schadel drohnte, als hinter ihm die Neunpfunder in das wilde Getummel einstimmten; durch den ohrenbetaubenden Donner horte er die halberstickten Schreie von Verwundeten und das Befehlsgebrull bei den Seesoldaten, die jetzt mit ihren Musketen blind in den alles einhullenden Rauch feuerten. Ein Einschlag in die Reling, dicht neben seiner Hand, und ein langer Holzsplitter stak schrag wie ein Federkiel im Handlauf.

«Holt die Scharfschutzen dort druben runter, Kerls!«brullte Ash-by nach oben.
        Ein Korporal der Marine - Infanterie feuerte mit dem Schwenkgeschutz im Gro?mast, und noch bevor der dicke braune Qualm sich verzogen hatte, sah Bolitho, da? ein halbes Dutzend Manner von den Schrapnells aus dem Masttopp des Feindes gefegt wurde und wie Abfall ins Meer sturzte.
        Blinkend fuhr Rookes Degen nieder:»Ausrennen! Feuer!«Und wieder das grollende Donnern beider Batterien und danach das Krachen von Eisen gegen Holz - die volle Breitseite der Hyperion lag im Ziel.
        Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Armel. Das erste gegnerische Schiff hatte die Hyperion bereits passiert, ohne da? seine Treffer, soweit er im Moment sehen konnte, viel Schaden angerichtet hatten. Er unterdruckte ein Lacheln. Die Tenacious wurde dem feindlichen Fuhrungsschiff rasch den Gnadensto? geben, dachte er triumphierend.

«Ruhig, Jungs!«rief er durch die hohlen Hande.»Jetzt kommt das Flaggschiff!«Er horte Hohngeschrei bei den Kanonen.»Schie?t ihm ordentlich Salut!»
        Dann rannte er zur anderen Deckseite und schaute angestrengt nach der Zenith aus. Er sah ihre Gro?bramstenge mit dem Gefechtswimpel noch uber dem Rauch schweben; sie war bereits in Hohe des dritten feindlichen Schiffes. Ihr Vormast war weg, aber ihre Geschutze feuerten noch, und zwischen den wutenden Breitseiten konnte er Hurragebrull horen. Die Manner mu?ten alle Vorsicht und Vernunft zum Teufel geschickt haben.

«Mr. Piper!«rief er.»Hei? Signal!«Die Flaggen schossen zur Rah empor, und er blickte erwartungsvoll zu der hart getroffenen Zenith hinuber. Da nur noch ein Mast sichtbar war, lie? sich ihre Position schwer abschatzen.
        Doch Piper pa?te auf.»Sie bestatigt, Sir!«Er klammerte sich an die Wanten und starrte hinuber, scherte sich nicht um den heransegelnden feindlichen Dreidecker.
        Mit angehaltenem Atem beobachtete Bolitho, wie Captain Steward eine Wende fuhr und den Feind direkt anging. Gegen die gebra?ten Rahen des vierten franzosischen Schiffes hob sich der Gro?topp der Zenith mit dem wehenden Gefechtswimpel klar ab. Jetzt luvte sie an, und Bolitho mu?te sich an der Reling festhalten, um nicht noch weiter zum anderen Ende des Decks zu rennen, wo er besser hatte sehen konnen, wie sie durch den Wind ging, bis ihr Bug entschlossen den Kurs des Feindes kreuzte. Wild feuerten ihre Geschutze nach beiden Seiten - sie gab sich wirklich alle Muhe, Bolithos letztem Signal zu gehorchen.

«Sie ist durch!«schrie Herrick.»Bei Gott, sie hat die Formation durchbrochen!»
        Hurrageschrei ertonte hinter dem Rauch; manche wu?ten vielleicht gar nicht, warum sie schrien, schrien nur aus dem verzweifelten Wunsch, ihre eigene Angst zu ubertonen.

«Achtung, Mr. Rooke!«brullte Bolitho und rannte wieder an die Netze. Wie ein Steilhang hob sich das franzosische Flaggschiff uber den Rauch, vom Vorderkastell trommelte Musketenfeuer, die Buggeschutze bleckten bereits ihre langen roten Zungen, doch ihre Schusse lagen noch funfzig Yards zu kurz.

«Feuer frei!«kommandierte Rooke. Er rannte ubers Oberdeck, und ein Geschutzfuhrer nach dem anderen zog, wenn er vorbeikam, seine Rei?leine ab; immer ohrbetaubender wurde der Donner der Kanonen.
        Jetzt warf achtern auch die Tenacious ihre starke Feuerkraft in den Kampf; doch das kam Bolitho gar nicht recht zu Bewu?tsein, denn das Deck bockte unter ihm wie ein scheuendes Pferd. Ein zwanzig Fu? langes Stuck des Backborddecksganges sauste durch die Luft und schleuderte Manner und brennende Splitter in den Rauch hinein.
        Die uber dem Oberdeck ausgespannten Schutznetze beulten sich unter dem Aufprall ausgerissener Blocke und zerfetzten Segeltuchs; doch standen noch alle Masten, und keine Rah war beschadigt.

«Bei Aufwartsfahrt feuern, Mr. Rooke!«rief er. Denn an den gebra?ten Rahen des Franzosen hatte er die Farben eines Signals entdeckt, das dort plotzlich im Winde flatterte. Der franzosische Admiral versucht, unseren Durchbruch zu stoppen, scho? es ihm durch den Kopf. Er zog den Degen und hielt ihn hoch.»Auf mein
        Kommando! Seine Takelage mu? runter!«Er war heiser vor Anstrengung und Qualm.
        Wieder durchbrach eine unregelma?ige Breitseite die Rauchwand, und zwei Zwolfpfunder wurden wie Papierknauel uber Deck geschleudert. Bolitho blickte nicht zu den Mannern hin, die darunter lagen, versuchte, ihre Schmerzensschrei zu uberhoren - die Rohre mu?ten fast rotgluhend gewesen sein.
        Er hieb den Degen abwarts:»Feuer!»
        Die Hyperion rollte schwer und kam im Rucksto? beider Breitseiten noch starker uber.
        Der Vormast des Franzosen neigte sich mit einer Art wurdevoller Trauer; die Stage und Wanten hielten ihn gerade noch lange genug, um den Mannern im Topp noch ein paar Sekunden Hoffnung zu geben. Dann aber sturzte die ganze Masse der Takelage mit einem machtigen Seufzer nach vorn in den Rauch, pflugte durch die Kanoniere im Vorschiff und kippte uber Bord in das brodelnde Wasser.
        Bolitho tastete sich hinuber zum Ruder, zu Gossett.»Klar zur Wende!«befahl er. Eine Musketenkugel peitschte an seinem Kopf vorbei und schlug in die Kampanjetreppe ein.»Jetzt kreuzen wir die feindliche Formation, wenn Sie soweit sind!»
        Er wartete die Antwort nicht ab, sondern eilte zur Achterdecksreling zuruck. Das feindliche Schiff rollte steuerlos vor dem Wind; die nachgeschleppte Masse der Takelage wirkte wie ein riesiger Treibanker. Jenseits des Bugs, der unter dem Gewirr fast verschwand, konnte Bolitho bereits die turmhohe Segelpyramide der Tenacious sehen, und noch ehe er seine Augen ab - und dem nachsten feindlichen Schiff zu wandte, erkannte er, da? die Breitseite des Dreideckers in das franzosische Flaggschiff schmetterte - dessen Gro?bramstenge kam von oben und erhohte noch das Chaos an
        Deck.

«Jetzt!«Bolitho mu?te zweimal rufen, denn hinter ihm bellten gerade die Neunpfunder bosartig los. »Jetzt, Mr. Gossett!»
        Gespannt beobachtete er, wie das gro?e Doppelrad sich zu drehen begann - die Rudergasten mu?ten bei ihrem Kampf mit den Speichen uber zwei tote Kameraden hinwegsteigen. Von der Achterdecksreling her brullte Herrick:»An die Brassen! Loswerfen und uberholen!»
        Das dritte Schiff feuerte bereits durch den Rauch uber den schmalen Streifen Wasser. Die Kugeln hammerten in den Rumpf der Hyperion, durchschlugen Bramsegel und oberen Besan, zerfetzten Fallen und Wanten, wirbelten Holzsplitter hoch in die Luft.
        Doch das alte Schiff reagierte. Langsam glitt sein Bugspriet auf das Heck des Feindes zu, und Bolitho sah eine Anzahl franzosischer Matrosen herbeirennen, als wollten sie einen Enterangriff abwehren. Doch als sie merkten, was die Hyperion vorhatte, eroffneten sie, von ihren Offizieren und der Wut des Kampfes getrieben, ein wildes Pistolen- und Musketenfeuer.
        An der abgekehrten Bordseite sah Bolitho ein anderes Schiff gespenstisch durch den Qualm aufkommen; beinahe unglaubig stellte er fest, da? die Hyperion tatsachlich die feindliche Linie durchbrochen hatte; ihr Bugspriet mit dem killenden Kluver stie? bereits aus dem Rauch und hatte die Luvseite des Feindes erreicht.

«Achtung, Steuerbordbatterie! Jetzt seid ihr dran, Jungs!«schrie er.
        Ein Mann sturzte von einem Neunpfunder rucklings an Deck, das Gesicht zu einem blutigen Brei zerschmettert; Bolitho sah, wie der junge Caswell, bleich, aber entschlossen, einen anderen Mann an dessen Platz wies.
        Die Kanoniere an Steuerbord warteten auf den richtigen Moment. Der Rauch verbarg noch den Hauptteil dieses vierten Schiffes, aber der schwarze Bugspriet und die glanzende Galionsfigur boten ein ausgezeichnetes Ziel.

«Feuer frei!«schrie Rooke.
        Die Hyperion reagierte weiterhin auf Wind und Ruder und passierte zielstrebig das Heck des dritten Schiffes, wahrend ihre Steuerbordbatterie das Feuer auf ihr hilfloses Gegenuber eroffnete. Jeweils zwei Geschutze bellten auf und fuhren zuruck; innenbords wischten die Bedienung unter Hurragebrull die Rohre aus und hatten schon neu geladen, ehe auch die achteren Geschutze abgefeuert waren.
        In Fetzen flog das Schanzkleid des ungluckseligen Schiffes gen Himmel, und die Vorstagsegel wehten in Streifen davon wie alte Lumpen.
        Bolitho wartete, bis die Masttopps der Tenacious hinter ihm in Kiellinie standen. Denn Dash zog nach; aus dem krachenden Gebrull der eigenen Geschutze konnte er den tieferen Donner seiner Zweiunddrei?igpfunder heraushoren, mit denen der Dreidecker auf den Feind einhammerte.
        Als die Hyperion elegant durch den Wind ging, klarte der Rauch uber ihrem Deck auf, als hatte eine Riesenhand ihn weggewischt. Mit einem Male lagen alle ihre Wunden blo?; und Bolitho war von dem furchtbaren Anblick wie gelahmt.
        Uberall auf dem Oberdeck lagen Tote und Verwundete. Die ubrigen arbeiteten, die nackten Oberkorper schwei?glanzend und pulvergeschwarzt, an ihren Kanonen mit so verzweifelter Wildheit wie Verdammte in der Holle.
        Das gro?e Netz uber dem splitterbesaten Deck war voller Leinwandfetzen und Holzstucke, und hier und da wand sich ein Mann, der oben abgeschossen worden war, mit gebrochenen Gliedern in den Maschen wie eine Fliege im Spinngewebe.
        Die Marine-Infanteristen unterhielten von den Wanten aus lebhaftes Musketenfeuer, beschimpften beim Laden den Feind und tauschten ermutigende Zurufe mit ihren Kameraden in den schwankenden Masttopps.
        Auch die Backbordbatterie feuerte jetzt wieder; ihre Kugeln hatten kaum zwanzig Yards bis zum Heck des Feindes zu uberqueren, auf dem es bald wie in einem blutigen Schlachthaus aussah.
        Bolitho hieb mit der Faust auf die Reling, als wolle er sein Schiff anspornen, die Wende zu vollenden. Aber es konnte nicht so gut weitergehen. Bald mu?ten sich die anderen franzosischen Schiffe erholt haben, sich erneut zur Gefechtslinie formieren und den Kampf wieder aufnehmen. Ehe es soweit war, mu?te er das feindliche Flaggschiff gestellt und die drei vordersten Schiffe so stark beschadigt haben, da? sie den Kampf aufgaben.
        Er fuhr herum, denn Piper rief:»Signal von Zenith: >Brauche Hilfe«!»
        Bolitho hatte es bereits gesehen. Der Zweidecker war total ent-mastet, nur vom Gro?mast stand noch ein Stumpf; manovrierunfahig trieb er mit dem Wind dem Flaggschiff vor den Bug. Wo die beiden Schiffe kollidierten, war bereits der Kampf Mann gegen Mann im Gange, und uber den schmalen Wasserkeil zwischen den Rumpfen feuerten die Batterien beider Schiffe pausenlos aufeinander - mit wenigen Fu? Abstand.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Signalisieren Sie: >Nicht moglich«, Mr. Piper!«Als die Wimpel hochflogen, befahl er:»Und jetzt das andere Signal - lebhaft, Mr. Piper!»
        Bolitho kummerte sich nicht weiter um das unregelma?ige Feuer seiner eigenen Geschutze, die das am nachsten liegende Schiff beschossen - es klang wie das trotzige Gebell von Hollenhunden. Der Feind scho? kaum zuruck, und er konnte auf dem zerstorten Deck so etwas wie Panik erkennen, als die Tenacious gravitatisch durch die Lucke in der Gefechtsformation brach und ihre dreifache Reihe Kanonen auf das ungeschutzte Heck des Franzosen richtete. Er packte Herrick an der Schulter und merkte, da? dieser bei der plotzlichen Beruhrung zusammenzuckte. Wahrscheinlich, dachte Bolitho grimmig, erwartet er genau wie ich eine Musketenkugel.

«Die Zenith ist so gut wie erledigt, Thomas…«Er brach ab, denn eine Kanonenkugel pflugte durch die Achterdecksleiter in eine Gruppe kniender Seesoldaten. Ihm wurde ubel, als sich das Blut wie rote Farbe uber die Planken ergo? - es schien uberhaupt nicht versiegen zu wollen. Aus dem Chaos zerschmetterter Glieder und schreiender Manner rollte ein Kopf mit weitaufgerissenen, stieren Augen uber Deck.
        Er mu?te schlucken, um den Brechreiz zu unterdrucken.»Wir mussen unbedingt das feindliche Flaggschiff nehmen, Thomas!«In Herricks ru?verschmierten Zugen leuchtete Begreifen auf. Er fuhr herum, denn irgend jemand hatte einen halberstickten Hurraruf ausgesto?en: der junge Caswell war es; er deutete auf das letzte Signal und schwenkte wie ein Verruckter den Hut:»Kampf auf kurzeste Distanz!»
        Durch den wirbelnden Rauch leckte eine neue Reihe gelbroter Feuerzungen, und Caswell war tot. Er hatte eben eine Hand vor die Brust gehalten; die Kugel trieb sie durch seine Rippen und zerschnitt sein Hurra wie mit einem Messer.
        Bolitho wandte sich dem gigantischen Dreidecker zu. Rasende Wut, Ha?, Verzweiflung, Bitterkeit kochten in ihm. Er hatte den Degen in der Faust, und als er ihn schwenkte, ri? ihm eine Musketenkugel den Hut vom Kopf, so da? ihm die rebellische Strahne ubers Auge fiel und er den zerfetzten Korper Caswells mit den unglaubigen Augen nicht mehr sah.

«Steuerbordgeschutzbedienungen klar zum Entern!«Seine
        Stimme uberschlug sich beinahe.»Los, Jungs, England braucht den Sieg - worauf wartet ihr noch?»
        Er horte das Jubelgeschrei nicht, denn er rannte bereits den Backborddecksgang hinunter. Er sprang uber das zerschossene Schanzkleid und uber die halbnackten Kanoniere, den Degen in der Faust und die Augen starr auf das eine bunte Stuck Tuch gerichtet, das noch im Masttopp des feindlichen Schiffes flatterte.



        XVIII Zwei tapfere Manner

        Als Bolitho auf das feindliche Vorderkastell sprang, hatte der Bugspriet der Hyperion Enternetze und Wanten des Franzosen durchsto?en und ragte wie die Lanze eines Riesen uber den Steuerborddecksgang. Er sah sich nach den zum Sprung geduckten Matrosen und Marine-Infanteristen um.»Hinuber mit euch, Jungs!«rief er. Und dann, als beide Rumpfe kollidierten, sprang er von einem Kranbalken ab, teilte mit wilden Degenhieben die Netze und suchte wankend nach einem Halt fur seine Fu?e.
        Auf der anderen Seite leistete die entmastete, steuerlose Zenith immer noch verbissen Widerstand; vor einer starken Welle feindlicher Enterer hatten sich die englischen Matrosen jedoch schon bis zum Achterdeck zuruckziehen mussen. Entermesser und - beile blitzten im Rauch, die Luft erzitterte von Kampf- und Wutgebrull; immer mehr verloren sie an Boden und mu?ten uber die Leichen ihrer gefallenen Kameraden weiter zuruckweichen.
        Aber als Bolithos Entermannschaft an Deck sprang, kam der franzosische Angriff ins Stocken, und auf ein Trompetensignal hin lie?en eine ganze Anzahl Franzosen ab und sprangen auf ihr eigenes Schiff zuruck, um es gegen die Enterer zu verteidigen.
        Leutnant Shanks von der Marine-Infanterie, dem der Sabel am Handgelenk baumelte, zog sich an dem schlaffen Netz hoch und feuerte seine Manner durch lauten Zuruf an. Ein schnurrbartiger franzosischer Soldat kam uber den Decksgang gerannt und bohrte, ehe Shanks aus dem Netz springen konnte, sein Bajonett tief in den Leib des Offiziers. Mit einem schrillen Aufschrei fiel Shanks wie ein Stein ins Wasser.
        Bolitho sah noch die Beine des Leutnants uber der Wasseroberflache, doch als die Schiffsrumpfe gegeneinandertrieben, fa?ten sie den Korper im Zangengriff, zerquetschten ihn und hielten ihn fest - noch ein paar Sekunden zuckten die Beine wie im Krampf, dann war es vorbei.
        Mit einem letzten Degenhieb kam Bolitho vom Netz frei und sprang aufs Oberdeck. Schon wandte sich derselbe franzosische Soldat ihm entgegen, aber ein Bootsmannsmaat stie? Bolitho beiseite; mit wutendem Gebrull hieb er den Franzosen nieder - durch die Schulter bis fast in die Achselhohle fuhr die Schneide des Enterbeils.
        Immer mehr Manner sprangen von der Hyperion heruber, so da? es schwer wurde, Freund und Feind zu unterscheiden. Bolitho feuerte einen Pistolenschu? nach dem Ruder ab, und der letzte Ruderganger sturzte zuckend auf die zersplitterten Planken. Dann stellte er sich mit dem Rucken gegen die Kampanjeleiter und kreuzte die Klinge mit einem wildaugigen Unteroffizier, wahrend um ihn herum der schreckliche Kampf tobte.
        Bolitho parierte den schweren Sabel und stie? nach dem Hals des Franzosen. Er fuhlte den Schock des Widerstands bis ins Handgelenk und fuhr herum, um sich einen anderen Gegner zu suchen, wahrend der Mann, dem das Blut aus der gro?en Halswunde spritzte, uber der Reling hing.
        Ein paar Schritte weiter rannte ein franzosischer Seesoldat sein Bajonett einem schreienden Midshipman in den Leib; da wirbelte Tomlin, der Bootsmann, sein machtiges Enterbeil wie ein Spielzeug und schlug sich einen Pfad durch das Oberdeck, die Schultern voller Blut - ob sein eigenes oder das seiner Opfer, war nicht zu sagen.
        Ein franzosischer Leutnant hatte den Degen weggeworfen, schlaff vor Schrecken stand sein Mund offen, und er versuchte, Bolithos Arm zu ergreifen. Er wollte sich ergeben, vielleicht sogar mit dem ganzen Schiff, aber daraus wurde nichts. Die britischen Matrosen waren noch nicht in der Stimmung fur Pardon. Stohnend schlug der Mann die Hande vors Gesicht, da sah Bolitho einen Entersabel blitzen, der die Hande des Offiziers an den Gelenken abtrennte und ihn selber auf die Planken streckte.
        Sergeant Best, der eine kurze Lanze wie eine Keule schwang, arbeitete sich durchs Kampfgetummel zu Bolitho und zerrte einen franzosischen Offizier mit.»Das ist der Admiral, Sir«, brullte er und fuhrte dabei einen wutenden Hieb nach einem bereits ve rwundeten Matrosen, der schreiend uber einem verlassenen Schwenkgeschutz zusammenbrach.
        Sekundenlang starrte Bolitho den kleinen Admiral an, ehe er in der Erregung des Kampfes begriff, was das bedeutete.»Bringen Sie ihn nach achtern, Sergeant!«Er sah noch, wie sich das angstverzerrte Gesicht des Admirals etwas entspannte, und fuhr fort:»Und dann holt um Gottes willen die Flagge runter und hi?t unsere eigene!»
        Der Admiral setzte zum Sprechen an. Vielleicht war er sogar froh, da? alles vorbei war, oder aber er wollte gegen Bests rauhen Zugriff protestieren, der ihn wegzerrte wie einen Sack. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, ware er bereits tot, hatte ihn der starke Arm des Marine-Infanteristen nicht beschutzt.
        Da horte er Tomlins Stiergebrull:»Zuruck da! La?t sie leben!«Und als Bolitho, einen Toten mit dem Fu? beiseite schiebend, auf den Decksgang rannte, sah er zu seiner Uberraschung, da? die franzosischen Matrosen ihre Waffen wegwarfen und sich zum Bug zuruckzogen. Von der Zenith kam wildes Hurrageschrei, und die Kanoniere der Hyperion standen neben ihren rauchenden Rohren und brullten mit.
        Doch der Anblick der Schaden auf der Hyperion ernuchterte ihn rasch. Von dem hohen Dreidecker aus waren sie nur allzu deutlich zu sehen. Wo er hinblickte, lagen Tote und Sterbende. Die Bordwand war furchtbar zerschossen, doch auf dem Unterdeck steckten die Matrosen die Kopfe aus den Stuckpforten und stimmten in das wilde Siegesgeschrei ein.
        Ein wie betrunken schwankender Leutnant ergriff Bolithos Hand und bearbeitete sie wie einen Pumpenschwengel. Seine Augen glanzten vor Freude.»Ich bin von der Zenith, Captain. O Gott, was fur ein Sieg!»
        Brusk schob Bolitho ihn beiseite.»Ubernehmen Sie hier das Kommando, Leutnant! befahl er, denn eiskalt durchfuhr der Schreck sein Hirn: dort druben kam ein weiteres franzosisches Schiff vor dem Wind auf die Hyperion zu.

«Zu mir, Leute!«brullte er seinen Mannern zu.»Zuruck auf die Hyperion!»
        Der Leutnant lief ihm nach.»Was soll ich tun, Sir?«Bolitho antwortete nicht gleich, sondern beobachtete, wie seine Manner eiligst auf ihr Schiff hinubersprangen. Aber der Leutnant blieb hartnackig.

«Captain Steward ist gefallen, als wir die franzosische Gefechtslinie durchbrachen, Sir!»
        Bolitho wandte sich ihm zu und musterte ihn nachdenklich.»Also - treiben Sie die Franzosen unter Deck zusammen und stellen Sie Posten an die Niedergange. «Er blickte zu den zerfetzten Segeln hoch.»Am besten holen Sie jeden gesunden Mann von Ihrem Schiff heruber und machen alles klar, um die Zenith ins Schlepptau zu nehmen. «Er schlug dem verwirrten Leutnant auf die Schulter.»Dabei konnen Sie viel lernen!«Damit wandte er sich ab und sprang hinter seinen letzten Mannern her ubers Schanzkleid.
        Herrick hatte bereits befohlen, die Enterhaken am Rumpf des franzosischen Schiffes zu kappen. Als er Bolitho sah, keuchte er:»Gott sei Dank, Sir! Ich hatte Sie druben aus den Augen verloren.»
        Bolitho grinste und deutete mit seinem Degen nach Luv.»Sehen Sie da druben, Thomas! Das mu? das funfte Schiff der Franzosen sein. Das vierte ist mit dem Wind abgetrieben und wird uns mit seinen Buggeschutzen jedenfalls nicht mehr argern.»
        Von Deck erscholl Rookes Ruf:»Wir kommen nicht klar, Sir!»

«Verdammt!«Herrick eilte an die Netze und spahte zu dem eroberten Schiff hinuber. Wir mussen starker gedriftet sein, als ich dachte, Sir. «Mit plotzlichem Schrecken starrte er uber Bolithos Schulter.»Bei Gott, der Kerl geht uber Stag!«Er winkte den Mannern der Steuerbordbatterie:»Feuer eroffnen! Aber schnell, wenn ihr das nachste Morgenrot noch sehen wollt!»
        Der Kommandant des ansegelnden Linienschiffes hatte reichlich Zeit gehabt, seinen nachsten Zug zu planen. Wahrend die Zenith und die Hyperion in den Nahkampf verwickelt waren und Dash die beiden anderen Schiffe zusammenscho?, hatte er stark angeluvt; und da ihn dichter Rauch verbarg, hatte niemand gemerkt, da? er sich so den Windvorteil verschaffte.
        Jetzt, wahrend die Manner der Hyperion wieder an die Geschutze rannten, kam er langsam herum und prasentierte seine volle Breitseite auf eine Entfernung von siebzig Yards. Er braucht den Nahkampf nicht zu riskieren, dachte Bolitho und spurte auch schon Feuer und Eisen aus der doppelten Reihe Kanonen.
        Wie ein sengender Sturmwind, der jede Orientierung hinwegfegte, schmetterte die Breitseite des Franzosen ins Achterschiff der
        Hyperion und verheerte es wie eine Lawine. Ihr folgte erstickender Rauch: inmitten seiner schreienden und fluchenden Manner starrte Bolitho wie betaubt empor - der Besan war knapp zwanzig Fu? uber der Kampanje gesplittert.
        Dann antworteten seine eigenen Kanoniere, doch unsicher und zerrissen, denn sie mu?ten sich durch die wirbelnde Dunkelheit tasten und rutschten auf den schlupfrigen Planken aus; zollhoch stand das Blut in den Speigatten. Bolitho sprang zur Seite, denn die Besangaffel sturzte aufs Achterdeck und schmetterte in das Gewuhl wie die Axt eines Riesen.
        Er horte Gossett brullen:»Ruder ist ausgefallen, Sir!«Dann ein Fluch.»Scher dich auf Station, Mensch!»
        Der Franzose war noch da; er bra?te seine Rahen rund, um noch eine Breitseite abzufeuern. Eine Sekunde lang herrschte Stille, dann donnerten wieder Kanonen, und staunend sah Bolitho, da? Segel und Rigg des Feindes wild schwankten, da? mehrere Spieren brachen und langsseit fielen. Durch den Rauch konnte er sekundenlang die gerefften Bramsegel des Franzosen erkennen: Captain Leach mu?te den richtigen Moment abgepa?t haben, um mit seiner leichteren Harvester aus nachster Nahe in den Kampf der Giganten einzugreifen.
        Zwischen dem Krachen der Geschutze waren Axtschlage zu horen, denn Tomlin trieb seine Manner aufs Au?erste an, die Pardu-nen des gebrochenen Besan zu kappen; andere rannten durch das blutige Inferno nach achtern, um Gossett beim Aufriggen eines Notruders zu helfen. Doch dazu reichte die Zeit nicht, dachte Bo-litho resigniert.
        Fast au?er sich, lief Rooke an der Steuerbordbatterie entlang und schlug mit seinem Degen den blutenden, verstorten Geschutzbedienungen den Takt, die ihre Geschosse und Kartuschen in die Rohre rammten und die Zwolfpfunder auf dem krangenden Deck fur die nachste Salve ausrannten. Aber manche Stuckpforte war leer; umgesturzte Kanonen und die zerfetzten Uberreste ihrer Bedienungen lagen in gra?lichem Durcheinander auf den Planken. Hoch uber dem zerschossenen Deck hingen Tote und Sterbende in der Takelage, und ein Schrapnellhagel jaulte wie ein hollischer Trompetensto? durchs Rigg.
        Rooke hieb den Degen nach unten.»Feuer!»
        Bolitho taumelte, als die Rohre in ihre Halterungen zuruckstie?en; und da sah er, da? Rooke, wie von einer unsichtbaren Riesenhand gehoben, aufrecht durch die Luft flog und aufs Deck schme t-terte. Es war so grausig, da? Bolitho fast ubel wurde: Rooke schrie eben noch degenschwenkend seine schwitzenden Kanoniere an, und eine halbe Sekunde spater lag er an der Backbordschanz mit verdrehten, gebrochenen Gliedern, und schon stromte sein Blut aus einem Dutzend Wunden. Von dem Mann, der einmal Rooke hie?, war nichts mehr ubrig.
        Aus allen Richtungen zugleich schienen die Schusse zu kommen; vermutlich waren auf dem dritten Schiff der franzosischen Gefechtsformation doch noch ein paar Kanonen kampffahig, mochte es auch von der Tenacious schwer angeschlagen und seine Manner halb blind vor Rauch sein. Trotzdem trafen einige Kugeln das Achterdeck der Hyperion, wo sie weitere Schaden und blutige Verluste verursachten.
        Bolitho wandte sich um und stand wie erstarrt. Sekundenlang glaubte er, in der wilden Wut des Kampfes tatsachlich den Verstand verloren zu haben. Denn mitten auf dem Achterdeck stand in voller Galauniform, die sich hell vom Gewirr der zerfetzten Planken und Leinen abhob, Admiral Pomfret und musterte die furchtbare Szene, als sei er vollig immun gegen Gefahr.

«Ich wollte ihn zuruckhalten, Captain«, schrie Allday und taumelte mit einem wutenden Fluch beiseite, denn neben ihm hatte Leutnant Fanshawe eine Musketenkugel in die Brust bekommen und klammerte sich sterbend an seinen Arm.
        Pomfret sah gar nicht hin.»Wie steht's, Bolitho?»
        In Bolithos Kopf drehte sich alles.»Der franzosische Admiral hat die Flagge gestrichen, Sir. Mindestens zwei weitere Schiffe sind kampfunfahig. Aber wenn Sie unbedingt hierbleiben wollen, Sir Edmund, schlage ich vor, da? Sie sich etwas Bewegung machen. Die Franzosen haben Scharfschutzen in den Masten, und Ihre Uniform bietet ein zu gutes Ziel.»
        Pomfret zuckte die Achseln.»Na schon, wenn Sie meinen«, und er spazierte seelenruhig das Deck entlang, Bolitho immer neben ihm.

«Freut mich, da? es Ihnen besser geht, Sir.»
        Pomfret nickte gleichgultig.»Gerade zur rechten Zeit, wie mir scheint. «Er blieb stehen, denn Piper kam durch den Qualm auf ihn zugerannt, lachend und weinend vor Erregung, ein gro?es Flaggentuch in Handen. Er fa?te nicht einmal an den Hut, als er Pomfret ansprach:»Hier, Sir Edmund«, rief er,»die feindliche Flagge! Fur
        Sie!»
        Bolitho mu?te trotz seiner geschundenen Nerven lacheln.»Ihr Sieg, Sir. Ein schones Souvenir.»
        Eine Musketenkugel ri? Pomfret den Hut vom Kopf; und als Bo-litho sich buckte, um ihn aufzuheben, sah er, da? der Admiral erschrocken die Hand ausgestreckt hatte. Zum erstenmal seit Wochen verriet er eine gewisse Gemutsbewegung.
        Bolitho wandte sich halb um und sah den Grund: Piper lag auf den Knien, die Flagge an die Brust gepre?t. Mitten im Tuch klaffte ein schwarzes Loch; Bolitho wollte zufassen und Piper stutzen, da furchte sich dessen Knabengesicht vor Qual; leblos fiel er dem Admiral vor die Fu?e.
        Seton kam taumelnd durch den Rauch und brach neben dem Toten auf die Knie; aber Bolitho fa?te zu und richtete ihn auf.»Die Signale, Mr. Seton!«Der Junge starrte ihn betaubt an, doch Bolitho sprach scharf weiter:»Fur die Signale sind jetzt Sie verantwortlich!»
        Herrick sah Seton nach, der wie ein Blinder davontappte; seine Sohlen scharrten auf dem blutverschmierten Deck, die Hande hingen ihm an den Seiten nieder, als wollten sie ihm nicht mehr gehorchen.
        Dann beugte er sich uber den toten Midshipman, doch Pomfret befahl:»Lassen Sie ihn, Mr. Herrick! Tun Sie Ihre Pflicht!«Ohne einen Blick fur Herrick oder Bolitho drehte er den Toten auf den Rucken und deckte behutsam die eroberte Flagge uber sein Gesicht.»Tapferer Junge«, murmelte er.»Wenn ich nur in St. Clar mehr seiner Art gehabt hatte!»
        Bolitho ri? sich von der Szene los. Undeutlich wurde ihm bewu?t, da? die Kanonen schwiegen. Er ging zur Reling: dort zog das feindliche Schiff vorm Wind davon, seine Bramsegel fullten sich, wahrend der Rumpf tiefer in den dichten Qualm stie?.
        Um ihn herum schrien und tanzten die Manner siegestrunken, sogar ein paar Verwundete zogen sich an der zerschossenen Schanz in die Hohe, um dem fliehenden Schiff nachzusehen und mit den anderen zu brullen. Da rief Seton:»Signal von der Tenacious, Sir!«Seine Stimme klang vollig ausdruckslos.»>Zwei feindliche Schiffe ziehen sich zuruck. Die anderen haben kapitulierte»
        Bolitho packte die Reling fester. Arme und Beine zitterten ihm, ohne da? er etwas dagegen tun konnte. Unmoglich, aber wahr: durch Rauch und Trummer horte er das Hurra seiner Manner, immer lauter und langer, als wolle es nie aufhoren. Die Matrosen sprangen in dem blutigen Durcheinander auf, um einander die Hande zu schutteln oder auch nur, um einen Freund zu begru?en, der das wuste Gemetzel irgendwie uberstanden hatte.

«Captain, Sir!»
        Bolitho stie? sich von der Reling ab; fast erwartete er, da? ihn seine Beine nicht mehr trugen. Als er sich umwandte, sah er zu seiner Besturzung, da? Rowlstone neben dem Admiral kniete, der reglos auf den Planken lag.
        Mit zitternder Stimme sagte der Arzt:»Sir Edmund ist tot, Sir. «Er hatte die Hand unter dem goldbetre?ten Uniformrock, und als er sie herauszog, war sie voller Blut.
        Gossett murmelte:»Mein Gott, er mu? schon vorher verwundet gewesen sein und hat nichts gesagt!«Er nahm seinen verwitterten Hut ab und starrte ihn an, als sahe er ihn zum erstenmal.
        Gedampft berichtete Allday:»Als der Franzose unser Heck kreuzte, Captain, flog eine Kugel in den Kartenraum. «Unter Bo-lithos wortlosem Blick schlug er die Augen nieder.»Sie totete den armen Gimlett, und ein Splitter traf den Admiral. «Er lie? den Kopf hangen.»Ich mu?te ihm schworen, da? ich Ihnen nichts davon sage. Dann mu?te ich ihm seine Galauniform anziehen. Tut mir furchtbar leid, Captain, ich hatt's Ihnen vielleicht doch sagen sollen.»
        Bolitho sah an ihm vorbei.»Nicht Ihre Schuld, Allday. «So hatte Pomfret also schlie?lich doch nichts von diesem Sieg. Aber eines hatte er begriffen: da? er dabei sein mu?te. Sein verwustetes Gehirn hatte doch noch die Starke und den Willen aufgebracht, Anerkennung auf die einzige Art zu zeigen, zu der er fahig war.

«Ein tapferer Mann, das mu? man ihm lassen«, sagte Herrick halblaut.
        Bolitho blickte auf die beiden Toten nieder, die nebeneinander auf dem zerschossenen Deck lagen. Admiral und Midshipman.

«Zwei tapfere Manner, Thomas«, sagte er heiser.
        Der Rauch trieb jetzt ab und enthullte die bei Sieger und Besiegten angerichteten Schaden. Die beiden letzten franzosischen Schiffe segelten bereits unter Vollzeug davon. Nicht da? ihre Kommandanten jetzt noch etwas zu furchten hatten, dachte Bolitho bedauernd. Abgesehen von der Chanticleer - und die war weit weg -, hatten alle britischen Schiffe zusammen kaum genug intakte Segel, um ein einziges Schiff auszurusten, so da? von einer Verfolgung gar nicht die Rede sein konnte. Wenn nur die Manner mit ihrem Siegesgebrull aufgehort hatten! Eben kam Inch unsicheren Schrittes ubers Oberdeck. Bei Rookes Leichnam blieb er stehen, blickte kurz hinunter und ging dann weiter. Es sah beinahe so aus, als zucke er die Achseln. Er selbst lebte noch, das war Mirakel genug fur einen Tag und einen Mann.
        Seton rief:»Masttopp meldet Schiffe in Nordost, Sir!«Bolitho war vom Kanonendonner noch so taub, da? er nicht richtig verstand.»Diesmal sind es unsere, Sir«, erlauterte Seton. Doch dann starrte er auf den toten Piper hinunter und begann zu zittern.
        Traurig folgte Herrick seinem Blick.»Wenn sie fruher gekommen waren. «Er lie? den Satz unbeendet.
        Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm und sagte ruhig:»Lassen Sie eine neue Admiralsflagge hei?en, Thomas. Es ist immer noch Pomfrets Schiff. «Er mu?te die Augen abwenden, weil er Tranen darin brennen fuhlte.»Und dann folgendes Signal.
«Er zogerte, denn noch einmal sah er all diese Gesichter vor sich: Cas-well und Shanks, Rooke und den kleinen Piper. Wie so viele andere vor ihnen gehorten sie schon der Vergangenheit an. Mit gefestigter Stimme gab er das Signal an: «Hyperion an Flaggschiff: >Wir schlie?en zum Geschwader auf«.»
        Herrick tippte an den Hut und schritt an den jubelnden Matrosen vorbei. Sekunden spater stiegen die Flaggen zu einer noch intakten Rah hoch und ersetzten das Signal, das dort so lange gestanden hatte. Irgendwie hatte Piper es geschafft, da? es wahrend der ganzen Schlacht oben blieb - er mu?te es ein paarmal ausgewechselt haben.
        Herrick nahm Seton das Teleskop aus der schlaffen Hand und richtete es auf die fernen Schiffe. Seine Lippen bewegten sich wie in leisem Selbstgesprach. Dann wandte er sich Bolitho zu und berichtete: «Victory an Hyperion: >Willkommen. England ist stolz auf Sie<. «Dann wandte er sich ab, denn er konnte Bolithos traurige Augen nicht ertragen.
        Gossett drangte sich durch die immer noch johlenden Matrosen heran und meldete: Notruder funktioniert, Sir.»
        Bolitho fuhr herum und wischte sich das Gesicht mit dem Armel. Er hatte seine Gelassenheit wieder.»Danke, Mr. Gossett. Seien Sie so gut und nehmen Sie Fahrt auf. «Er strich mit der Hand die zersplitterte Reling und fuhlte den Schmerz des alten Schiffes wie seinen eigenen.»Wir haben noch einen langen Weg vor uns.»
        Gosset wollte etwas antworten, doch Herrick schuttelte den Kopf. Besser als jeder andere wu?te er, da? Bolitho den letzten Satz zu seinem Schiff gesprochen hatte. Und in dieses Zwiegesprach sollte sich niemand einmischen.



        Epilog

        Der Sommeranfang brachte den Menschen die unterschiedlichsten Dinge. Es war bisher der zweite Sommer in einem Krieg, der anscheinend nie mehr enden wollte. In den Stadten begru?ten ihn diejenigen mit Erleichterung, die fast schon gefurchtet hatten, da? ihre Insel unter die Ferse des Diktators gerate. Fur andere, denen der Krieg viel abgefordert hatte, die verwitwet, verwaist oder fern von ihren Lieben waren, bezeichnete er nur einen weiteren Meilenstein auf dem langen Weg der Einsamkeit und Verzweiflung.
        Doch in Cornwall, und speziell im Seehafen Falmouth, wurde er dankbar begru?t als gerechte Belohnung fur Note und Gefahren dunklerer Tage. Im Binnenland waren die uppigen Felder, die bluhenden Hecken, die Hugel mit ihren verstreut grasenden Schafen und zufriedenen Rindern die sichtbaren Zeichen des Uberlebens und des Glaubens an die Zukunft.
        In der Stadt selbst herrschte beinahe Feierstimmung. Wenn Fal-mouth auch klein war, lebte es doch von der See, den Schiffen und Mannern, die wie Ebbe und Flut kamen und gingen. Viele Generationen von Seeleuten, fur die das Leuchtfeuer von St. Anthony kein blo?es Seezeichen, sondern der erste Gru? der Heimat war, hatten echtes Verstandnis fur die Angelegenheiten der weiten Welt und erheblichen Einflu? in der Stadt.
        Selbst die Nachrichten wurden besser, als versprachen Warme und blauer Himmel endlich den Sieg. Erst in dieser Woche hatten die stadtischen Ausrufer in den engen Stra?en und an der geschaftigen Hafenfront das Neueste zur Kenntnis gebracht. Und das Allerneueste war kein blo?es Gerucht, sondern etwas, das auch zage Herzen ermutigte.
        Lord Howe hatte im Atlantik gegen eine franzosische Flotte gekampft und sie geschlagen, und diese Seeschlacht trug bereits den stolzen Namen» Der glorreiche Erste Juni«. Die Kunde davon wirkte wie ein starkender Trank. Nach den Ruckschlagen und Mi?erfolgen auf Grund mangelnder Vorbereitung und Leichtsinn an hoherer Stelle war es genau das, was das Land brauchte. Selbst da? Hood vor sechs Monaten hatte Toulon aufgeben mussen, schien nun weniger wichtig, als gehore es schon zu den vergangenen und vergessenen Mi?helligkeiten des harten Winters.
        Fur die Leute von Falmouth war alles, was vorher geschehen war, nur noch Geschichte. England war bereit, notfalls bis ans Ende aller Zeiten zu kampfen, um den franzosischen Tyrannen ein fur allemal zu bezwingen.
        Neue Namen, neue Ideen kamen jeden Tag auf und fegten die alten, uberholten hinweg: Namen wie Saumarez und Hardy, Colling-wood und der des jungen Kapitan Nelson, dessen Taten bereits die Phantasie der Nation beflugelten.
        Doch Falmouth brauchte nicht uber die eigenen Mauern hinauszublicken, um einen Mann zu finden, dem es zujubeln konnte. Und an diesem Tag waren viele von den umliegenden Dorfern und We i-lern zur Stadt geritten, und mancher Fischkutter war im Hafen geblieben, statt drau?en seinen Verdienst zu suchen; sie alle gesellten sich der Menge zu, die wartend die alte graue Kirche von Konig Charles dem Martyrer umstand. Denn hier wurde nicht irgendein beliebiger Seeoffizier getraut, sondern ein Sohn der Stadt, ein Mann, dessen Familie ebens o ein Teil von Falmouth war wie die Steinquadern der Kirche oder die Brandung am Fu?e von Pendennis Point. Die Familie Bolitho war schon immer ein interessantes Gesprachsthema gewesen, wenn man an dunklen Winterabenden zusammensa?; und diese vieldiskutierte Heirat war so ungewohnlich und aufregend wie die meisten Abenteuer der Familiengeschichte.
        Die Braut war bildschon und mitten in einem Schneesturm in Falmouth angekommen. Nur wenige hatten sie wirklich gesehen, doch es hie?, sie gehe regelma?ig auf den Pfaden oberhalb des Stammsitzes der Familie Bolitho spazieren und schaue nach einem Schiff aus, das anscheinend nie kam.
        Doch jetzt war das Warten zu Ende und Richard Bolitho wieder da. Sogar die Kneipen leerten sich, als er zur Kirche schritt, die Leute riefen seinen Namen, obwohl die meisten ihn noch nie gesehen hatten. Aber er war ein Symbol, er gehorte zu ihnen. Das war mehr als genug.
        Fur den besagten Mann verging der Tag in einem Wirbel undeutlicher Bilder und aufgeregten Stimmengewirrs, mit Belehrungen in letzter Minute und widersprechenden Ratschlagen. Nur ein paar Ereignisse stachen daraus hervor, und auch diese schienen einen ganz anderen zu betreffen; er selbst kam sich fast vor wie ein Zuschauer.
        Zum Beispiel der erste wirklich ruhige Augenblick: da sa? er steif im vordersten Gestuhl der uberfullten Kirche und wu?te, da? ihn jeder anstarrte; dennoch konnte er sich nicht umdrehen und wutend zuruckstarren. Einmal kam er sich vor wie ein Kind, verwirrt und verirrt, und in der nachsten Sekunde wie ein alter Mann. Alles war so anders; selbst Herrick sah in seiner neuen Kapitansuniform fremd aus. Er hatte auf seine Uhr sehen wollen, aber gerade noch bemerkt, da? der alte Pastor Welmsley ihn strafend anblickte; da hatte er es sich lieber versagt.
        Der arme Herrick. Anscheinend war er uber seine Beforderung zum Kapitan ebenso verwirrt wie uber ihre neue Beziehung, die damit einherging. Bolitho hatte wohl bemerkt, wie nervos er die vielen Ahnentafeln an der Wand neben der Kanzel gemustert hatte, die Zeugen des weit zuruckreichenden Stammbaums von Bolitho. Die letzte Tafel war klein und schlicht:»Lieutenant Hugh Bolitho, geboren 1752, gestorben 1782«. Weiter nichts. Und Bolitho hatte immer noch nicht Zeit gefunden, daruber nachzudenken, was Herrick wohl gesagt hatte, wenn ihm die Wahrheit uber seinen Bruder offenbart worden ware. Irgendwo auf der anderen Seite des Globus mochte Hugh jetzt an Falmouth denken und vielleicht sogar uber den makabren Scherz lacheln, den das Leben sich mit ihm erlaubt hatte.
        Dann war Bolithos Grubelei abgerissen, denn die Orgel brauste, und hinter ihm schlug die Volksstimmung kleine Wellen. Als er sich umwandte, sah er viele bekannte Gesichter in der Gemeinde, und manche riefen Erinnerungen wach, die zu schmerzlich waren, um bei ihnen zu verweilen. Die Hyperion lag in Plymouth, wo die Schaden der Schlacht repariert wurden. Aber Inch war da und Gos-sett; sogar Hauptmann Ashby, der lieber hatte wegbleiben sollen. Er hatte einen Arm verloren, hatte sich aber anscheinend durch nichts am Kommen hindern lassen. In einem Monat oder so wurde Bolitho wieder mit der Hyperion in See gehen, aber bestimmt schon lange vorher an Bord sein mussen. Er wurde neue Offiziere um sich haben und lauter unausgebildete Manner, die er fur das Leben auf dem alten Schiff schulen mu?te. Aber diesmal wurde kein Herrick dabei sein; uberhaupt nur sehr wenige der alten Besatzung. Er wu?te, da? Herrick mit der Admiralitat haderte, weil er, Bolitho, nicht auch befordert worden war. Aber es war Pomfrets Sieg gewesen. So stand es jedenfalls in der Gazette,[dem amtlichen Nachrichtenblatt der Kriegsmarine]
obwohl jeder Matrose der Flotte es besser wu?te.
        Doch Bolitho verga? alles, als die Braut am Arm ihres Bruders in der Kirchentur erschien. Sonnenlicht umrahmte ihre schlanke Gestalt. Und der junge Seton sah in Zivil seltsam aus. Noch seltsamer war, da? er jetzt als vermogender und wichtiger Mann galt. Pom-frets Testament besagte klar und deutlich, da? er als Universalerbe seinen Landbesitz, das Haus in London und eine ganze Menge Geld erhielt. Die einzige Bedingung: er durfte nicht mehr zur See fahren. Seton wollte zuerst nicht darauf eingehen, aber Bolitho hatte ihm zugeredet. Es gab Manner, die schlugen die Schlachten und gaben alles fur ihr Vaterland, ohne zu wagen und rechnen. Bolitho und Herrick gehorten dazu. Aber wenn England die wachsenden Verluste des Krieges uberstehen sollte, dann brauchte es auch Manner wie Seton, die in der Heimat arbeiteten: loyale, verstandige, anstandige, ideenreiche Manner. Sie wurden die Ruinen wieder aufbauen, wenn es nicht mehr notwendig war, furs Vaterland zu sterben.
        An das, was nachher kam, hatte Bolitho nur verschwommene Erinnerungen. Cheney hatte neben ihm Platz genommen, und die eigentliche Trauung hatte begonnen. Die Beruhrung ihrer Hand, das tiefe Verstandnis in ihren Augen, die so glanzten wie die See; die dunne Stimme des Pfarrers; und Herricks Bekraftigung als Trauzeuge, als er die Ringe hervorholte. Bei seinem zu lauten und nicht recht angebrachten» Aye, aye, Sir «kicherte die ganze Kirchengemeinde.
        Jetzt war es vorbei, und die See unterhalb des Vorgebirges lag im tiefen Abendrot. Trinkspruche, Schulterklopfen, die Tranen seiner Schwester - alles war vorbei, und die schwere Tur des Herrenhauses war verschlossen.
        Hinter sich, in dem hohen Zimmer, horte er das Rascheln des Bettzeugs.»Was ist denn, Richard?«rief sie.
        Aber er blickte noch aus dem Fenster auf ein Schiff, das weit drau?en ankerte und auf die Morgenflut wartete. Ein Kriegsschiff, wahrscheinlich eine Fregatte, dachte er. Leicht konnte er sich vorstellen, wie die Offiziere in der Messe geruhsam bei ihren Pfeifen und Bierkrugen sa?en, wie im Mannschaftslogis ein Fiedler aufspielte, wie der Wind im Rigg jaulte und das Schiff ungeduldig am Kabel zerrte. Matrosen klagten und schimpften, wenn sie das Land hinter sich lie?en, aber ein Schiff freute sich immer.

«Alle Manner meiner Familie waren Seeleute«, antwortete er,»und ich bin es auch. Immer wird da drau?en ein Schiff auf mich warten.»
        Er wandte sich um und sah ihre Arme hell aus dem Dunkel leuchten.»Das wei? ich, Liebster. Aber jedesmal, wenn du heimkommst, warte Ich hier auf dich, Richard.»
        Unten in dem verlassenen Speisezimmer starrte Allday die geleerten Glaser und abgegessenen Teller an. Dann griff er sich einen Becher und go? sich ein volles Ma? Brandy ein. Damit ging er in den Nebenraum und starrte den Degen an, der uber dem steinernen Kaminsims hing. Irgendwie wirkt er ja ganz friedlich, dachte er. In einem Zug kippte er den Brandy hinunter und ging langsam hinaus. Er pfiff ein altes Lied, dessen Text er langst vergessen hatte.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        l Kabellange entspricht 185,3 m.

2

        kleine Gruppe, zu den >Inseln uber dem Winde< in der Karibik gehorig (s. Kent,
>Zerfetzte Flaggen<)

3

        Seekadett oder Fahnrich zur See, Offiziersanwarter

4

        ein damals (und manchmal noch heute) in England ubliches Aquivalent fur die vorschriftsma?ige» Ehrenbezeugung durch Anlegen der rechten Hand an die Kopfbedeckung«, wenn man keine tragt (d. U.).

5


= 0,57 Liter.

6

        sudlich von Sydney, heutiges New South Wales.

7

        Justice = Gerechtigkeit

8

        Harvest = Ernte (d.U.).

9

        Zwischendeck eines Linienschiffs. Enthalt Midshipmenlogis und Lazarett (d. U.).

10

        Marine-Infanteristen

11

        Pressen nannte man die gewaltsame Rekrutierung zur Kriegsmarine.

12

        Mast und Stenge des Gro?masten.

13

        Wimpel, der Windrichtung und - starke anzeigt.

14

        dem amtlichen Nachrichtenblatt der Kriegsmarine


 
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