Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Mauern Aus Holz Manner Aus Eisen Admiral Bolitho Am Kap Der Entscheidung " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Mauern aus Holz, Manner aus Eisen: Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #20
1806 - Vizeadmiral Sir Richard Bolitho hat das Kap der Guten Hoffnung von den Hollandern zuruckerobert. Aber in London ist man von dieser Leistung nicht sonderlich beeindruckt, dort ist er wegen seiner Affare mit Lady Catherine Sommervell gesellschaftlich geachtet. Man beordert ihn schleunigst nach Danemark, wo die zweite Schlacht um Kopenhagen bevorsteht. Denn Enlgand schickt seine "holzernen Mauern" - seine Schiffe - weltweit aus, um sich dahinter unbehindert auszudehnen.

        Alexander Kent
        Mauern aus Holz, Manner aus Eisen
        Admiral Bolitho am Kap der Entscheidung

        Maurice und Geraldine FitzGerald in Liebe und Dankbarkeit gewidmet


«Wir wenigen, wir wenigen Begluckten, ein Kreis verschwor'ner Bruder; denn ihn, der heut' sein Blut mit mir vergie?t, ihn nenn' ich Bruder.»

    Heinrich V.



        I Die Pflicht ruft

        Kapitan Daniel Poland, Kommandant Seiner Britannischen Majestat Fregatte Truculent, streckte die Arme und unterdruckte ein Gahnen, wahrend sich seine Augen an die Dunkelheit gewohnten. Als er die Reling des Achterdecks umklammerte und die schemenhaften Figuren ringsum Identitat und Rang annahmen, fuhlte er Stolz auf sein Kommando. Er hatte diese Manner zu einer Besatzung geformt, die seine Wunsche und Befehle befolgte, ohne sich noch viel verbessern zu mussen. Vor zwei Jahren hatte er das Kommando ubernommen, aber seinen vollen Kapitansrang wurde er erst in sechs Monaten erhalten. Erst dann wurde seine Laufbahn sicher sein vor Ruckschlagen. Mi?gunst, ein unseliger Fehler oder ein Mi?verstandnis - alles konnte ihn wieder nach unten oder ganz aus dem Dienst in der Kriegsmarine befordern. Aber wenn er erst einmal Vollkapitan war, mit den beiden Epauletten auf den Schultern, konnte ihn nur noch wenig aus der Bahn werfen. Er lachelte kurz. Nur der Tod oder eine schreckliche Verwundung wurden das schaffen, denn das Eisen des Feindes nahm keine Rucksicht auf die Hoffnung und den Ehrgeiz seiner Opfer.
        Poland trat an den kleinen Tisch am Niedergang und hob die geteerte Segeltuchhaube, um im Licht einer abgeblendeten Lampe das Logbuch zu prufen. Niemand auf dem Achterdeck sprach oder storte ihn; jedermann wu?te, da? er da war, und kannte nach zwei Jahren seine Gewohnheiten.
        Wahrend er die sauber geschriebenen Kommentare seiner Wachoffiziere las, spurte er, wie sich das Schiff unter ihm hob und senkte; Schaum peitschte wie Hagel uber das Deck. Wieder fuhlte er Stolz, mahnte sich aber zur Vorsicht. Wer sich auf andere verlie?, konnte schnell Mi?trauen ernten, und Mi?trauen bei Vorgesetzten gefahrdete Beforderungen. Trotzdem - wenn der Wind durchstand, wurden sie die afrikanische Kuste, das Kap der Guten Hoffnung, beim ersten Tageslicht sichten.
        Seit neunzehn Tagen unterwegs. Das war wahrscheinlich die schnellste Uberfahrt, die je ein britisches Kriegsschiff von Portsmouth gemacht hatte. Poland dachte zuruck an England, das sie in einem Regenschauer achteraus hatten versinken sehen, als die Truculent sich in den offenen Kanal schob: kalt, na?, Lebensmittelmangel und Pre?kommandos.
        Sein Blick blieb am Datum hangen: 1. Februar 1806. Das war vielleicht die Erklarung. Die Nachricht vom Sieg bei Kap Trafalgar war vor weniger als vier Monaten ins Land geplatzt. Seither sah es so aus, als habe Nelsons Tod die Menschen betaubt. Sogar auf seinem eigenen Schiff hatte es Poland gespurt: Der Kampfgeist seiner Offiziere und Mannschaftsgrade schien stumpfer geworden zu sein. Dabei war die Truculent zur Zeit der gro?en Schlacht nicht einmal im selben Ozean gewesen, und seines Wissens nach hatte keiner seiner Leute je den kleinen Admiral gesehen. Dieser Umstand argerte ihn, und er verfluchte sein Schicksal, das sein Schiff so weit weg gefuhrt hatte von einem Kampf, in dem er Ruhm und Lohn hatte ernten konnen. Typisch fur Poland war, da? er dabei den furchtbaren Zoll an Toten und Verwundeten nicht bedachte, den die denkwurdigen Tage von Trafalgar gefordert hatten.
        Er schaute nach oben in den hellen Umri? des vollstehenden Kreuzmarssegels. Dahinter gab es nur Dunkelheit. Das Schiff hatte seine schwere Leinwand gegen die Leichtwettersegel der Passatzone ausgewechselt und wurde sehr gut aussehen, wenn das Tageslicht kam. Er erinnerte sich an ihre schnelle Fahrt nach Suden: die Berge Marokkos hasig blau in der Ferne, dann weiter sudostlich uber den Aquator. Ein einziger Stopp nur bei St. Helena, diesem winzigen Fleck auf der Karte.
        Kein Wunder, da? junge Offiziere darum beteten, ein Kommando uber eine Fregatte zu erhalten. Auf ihr war man sein eigener Herr, hing nicht an den Schurzenzipfeln der Flotte und war ziemlich sicher vor den Eingriffen der Admiralitat.
        Er wu?te, da? ein Kommandant bei seinen Leuten gleich nach Gott kam. Meistens schien er auch wirklich allmachtig, denn er konnte jeden an Bord strafen oder belohnen - ohne selbst mit Strafe rechnen zu mussen. Poland hielt sich fur einen gerechten und fairen Kommandanten, aber er wu?te, da? man ihn eher furchtete als verehrte. Jeden Tag hatte er dafur gesorgt, da? es seinen Mannern nicht an Arbeit mangelte. Der Vizeadmiral wurde nichts an seinem Schiff auszusetzen haben, weder an seinem Aussehen noch an der Besatzung.
        Sein Blick fiel auf das Skylight der Kajute, es leuchtete jetzt hell aus der Dunkelheit. Auf dieser Reise durfte es keine Fehler geben, nicht mit einem so bedeutenden Passagier dort unten in den Raumen des Kommandanten.
        Es wurde Zeit. Poland stellte einen Fu? auf die Lafette eines gesicherten Neunpfunders, und der Zweite Offizier erschien wie herbeigezaubert.

«Mr. Munro, Sie konnen die Achterdeckswache in funfzehn Minuten antreten lassen, wenn wir uber Stag gehen.»
        Der Leutnant beruhrte im Dunkeln seinen Hut.»Aye, aye, Sir. «Er sprach so leise, als ob auch er an den Passagier dachte und an den Larm der Soldatenstiefel auf dem Deck uber dessen Schlafraum.
        Poland mahnte unwirsch:»Und keine Schlamperei!»
        Munro sah, wie der Master, der schon an seinem Platz neben dem gro?en Doppelrad stand, die Schultern krummte. Er ahnte wahrscheinlich, da? der Kommandant ihn verantwortlich machen wurde, wenn der Horizont bei Tagesanbruch so leer wie zuvor blieb.
        Eine stammige Gestalt schlurfte an Deck nach Lee, und Poland horte, wie Waschwasser uber Bord geschuttet wurde. Das war der Bootsfuhrer ihres Passagiers, ein kraftiger, vierschrotiger Mann namens John Allday. Einer, der vor niemandem Respekt hatte, au?er vor seinem Vizeadmiral. Wieder empfand Poland Zorn - oder Neid. Er dachte an seinen eigenen Bootsfuhrer, der zwar so geschickt und verla?lich war, wie man es sich nur wunschen konnte, ein Mann, der sich von den Bootsgasten nichts vormachen lie?. Aber er war ihm kein so guter Freund, wie es Allday fur den Admiral zu sein schien. Na ja, ein Bootsfuhrer war eben nur ein gemeiner Seemann.
        Scharf rief er:»Der Admiral ist wach und wird bald erscheinen. Purren Sie die Achterdeckswache heraus - und dann alle Mann an die Brassen!»
        Williams, seiner Erster Offizier, kletterte den Niedergang hoch und versuchte, gleichzeitig den Mantel zuzuknopfen und den Hut auszurichten, als er den Kommandanten bereits an Deck sah.»Einen guten Morgen, Sir!»

«Das will ich auch hoffen«, antwortete Poland kuhl.
        Die Leutnants sahen sich an und grinsten hinter seinem Rucken. Poland war Realist im Umgang mit der Besatzung, besa? aber kaum Humor. Seine Richtlinien fand er gleicherweise in der Bibel wie in den Kriegsartikeln.
        Die Pfeifen schrillten zwischen den Decks, und die Wache kam uber die feuchtglanzenden Planken getrabt. Jeder eilte auf seine Manoverstation, wo die Unteroffiziere mit ihren Listen standen und die Bootsmannsgehilfen darauf warteten, Schlafmutzen mit Tampen oder Rohrstock anzutreiben. Sie alle wu?ten, wer der beruhmte Passagier war, der die meiste Zeit achtern in Polands Kajute geblieben war.

«Da geht sie auf, Leute!»

«Notieren Sie den Mann zur Bestrafung«, bellte Poland. Aber er sah doch hin und bemerkte das erste zarte Gluhen der Morgensonne, das die Flaggleinen und den Wimpel im Masttopp beruhrte, dann nach unten flo? und die Wanten lachsrosa einfarbte. Bald wurde das Licht uber die Kimm fluten, sich ausbreiten und den ganzen Ozean beleben. Aber Poland war das gleichgultig. Zeit, Entfernung, geloggte Geschwindigkeit - nur sie bestimmten seinen Alltag.
        Allday lehnte sich gegen die feuchten Finknetze. Sie wurden vollgestopft mit Hangematten sein, wenn das Schiff erst auf dem neuen Kurs lag. Land voraus? Wahrscheinlich. Doch Allday spurte Kapitan Polands Unrast, so wie er sich auch seiner eigenen Angste bewu?t war. Gewohnlich war er froh, ja sogar erleichtert, das Land verlassen und wieder an Bord eines Schiffes gehen zu konnen. Aber diesmal war es nicht so gewesen.
        Allday hatte gehort, wie man an Bord uber den Mann sprach, dem er diente und den er liebte wie sonst niemanden. Nein, die Truculent war nicht ihr Schiff. Er betastete diesen Gedanken im Geist wie eine frische Narbe. Die Truculent war nicht zu vergleichen mit der alten Hyperion.
        Es war am 15. Oktober geschehen, vor weniger als vier Monaten. In seinem Herzen spurte er immer noch das Krachen jener furchterlichen Breitseiten, die Schreie, den Wahnsinn und dann… Der alte Schmerz zuckte durch seine Brust, und er griff nach ihm mit der Faust, schluckte Luft und wartete darauf, da? er aufhorte. Das war in einem anderen Ozean, einer anderen Schlacht gewesen, aber eine brennende Erinnerung an ihr gemeinsames Schicksal. Allday ahnte, was Poland hinter seiner regungslosen Miene dachte. Manner wie er konnten Richard Bolitho nie verstehen. Sie wollten es auch gar nicht.
        Allday rieb sich die Brust und grinste. Ja, sie beide hatten viel gesehen und viel zusammen erlebt, Vizeadmiral Sir Richard Bolitho und er. Das Schicksal hatte sie zusammengesplei?t. Allday wischte sich Gischtflocken aus dem Gesicht und schuttelte den langen geteerten Zopf uber seinem Kragen. Die meisten Leute glaubten wahrscheinlich, da? es Bolitho an nichts mangelte. Seine letzten Ruhmestaten wurden in den Hafen und Kneipen Englands besungen, und Charles Dibdin oder einer seiner Freunde hatte sogar eine Ballade daruber komponiert:»Wie die Hyperion uns den Weg freischo?…«Das waren die Worte eines sterbenden Matrosen gewesen, dessen Hand Bolitho an jenem schrecklichen Tag bis zuletzt gehalten hatte, obwohl er gleichzeitig an hundert anderen Stellen benotigt wurde.
        Nur die, die an seinen Gefechten teilgenommen hatten, wu?ten, wie Bolitho wirklich war. Sie kannten die Kraft und die Hingabe des Mannes mit den goldenen Schulterstucken, der seine Leute auch dann noch begeistern konnte, wenn sie halb wahnsinnig waren oder taub vom hollischen Larm der Schlacht. Der sie Mut fassen lie?, selbst im Angesicht des sicheren Todes. Trotzdem blieb Bolitho ein Au?enseiter, uber den die Londoner Gesellschaft die Nase rumpfte und in den Kaffeehausern Geruchte verbreitete. Allday richtete sich seufzend auf. Der Schmerz kam nicht wieder. Die Schwatzer waren alle uberrascht gewesen, wenn sie gewu?t hatten, wie wenig Bolitho sich darum scherte. Er horte Polands kurzes Kommando: Einen guten Mann nach oben, wenn ich bitten darf!»
        Allday fuhlte fast Mitleid mit dem Ersten, als der antwortete:»Bereits geschehen, Sir. Ich habe einen Gehilfen des Masters in den Fockmast geschickt, als die Wache an Deck kam.»
        Beim Weggehen funkelte Poland den mu?igen Bootssteurer des Admirals an.»Nur die Achterdeckswache und meine Offiziere durfen hier. «Aber er verschluckte den Rest und trat zum Kompa?.
        Allday stapfte den Niedergang hinunter und tauchte wieder in die Geruche und Gerausche des Schiffes ein: Teer, Farbe, Tauwerk und Salz. Er horte gebellte Kommandos, das Quietschen von Spieren und Blocken, das Stampfen Dutzender nackter Fu?e, als die Manner ihre Kraft gegen den Druck von Wasser und Wind warfen und das Schiff uber Stag ging, auf den neuen Kurs.
        An der Tur zur Achterkajute stand der Posten der Seesoldaten steif unter einer wild tanzenden Lampe. In seinem roten Rock kippte er fast um, als das Ruder hart ubergelegt wurde. Allday nickte ihm zu und stie? die Lamellentur auf. Er mi?brauchte seine Vorrechte selten, aber es machte ihn stolz, hier nach eigenem Willen kommen und gehen zu konnen. Wieder etwas, das Kapitan Poland argerte, dachte er und kicherte. Fast stie? er mit Ozzard zusammen, Bolithos schmachtigem Steward, der sich mit ein paar Hemden zum Waschen davondruckte, grau und unauffallig wie ein Maulwurf.»Wie geht's ihm?»
        Ozzard sah sich um. Hinter den Schlafstellen und Polands Schwingkoje lag die Kajute fast noch im Dunkeln - bis auf eine einsame Laterne. Er murmelte:»Hat sich nicht bewegt. «Dann war er verschwunden: verla?lich, verschwiegen und immer da, wenn er gebraucht wurde. Ozzard brutete wohl immer noch uber seinem Verhalten an jenem Tag im Oktober, als die alte Hyperion zwar den Kampf gewonnen, aber danach untergegangen war. Nur Allday wu?te, da? Ozzard vorgehabt hatte, mit ihr zu sterben, mit all den Toten und Verwundeten. Der Grund dafur war sein Geheimnis. Ob Bolitho ihn ahnte?
        Dann sah er Bolithos bleiche Gestalt vor den breiten Heckfenstern. Er sa? auf der Bank, ein Knie angezogen, und sein Hemd leuchtete wei? vor dem bewegten Wasser drau?en.
        Allday sagte unsicher:»Ich hole noch eine Laterne, Sir Richard.»
        Bolitho wandte den Kopf, aber seine grauen Augen blieben im Schatten.»Es wird bald hell genug sein, mein Freund. «Unwillkurlich beruhrte er sein linkes Augenlid.»Wir werden heute wohl Land sichten.»
        So ruhig gesagt, dachte Allday, und doch mu?ten ihm Kopf und Herz von Erinnerungen uberquellen, von guten und bosen. Aber seine Stimme verriet nichts davon, auch nichts von der Sehschwache seines linken Auges.

«Wenn nicht, wird Kapt'n Poland gottslasterlich fluchen, darauf wette ich«, sagte Allday.
        Bolitho lachelte und wandte sich wieder der See zu, die ums Ruder kochte, als wurde gleich ein gro?er Fisch das Wasser durchsto?en, um nach der Fregatte zu schnappen. Er liebte die Morgendammerung auf See. Auf so vielen und so unterschiedlichen Gewassern hatte er sie erlebt, von den stillen blauen Tiefen der gro?en Sudsee bis zu den wutenden grauen Wusten des Atlantiks. Jedes Meer hatte sich ihm so unverwechselbar eingepragt wie die Schiffe und die Manner, die sich mit ihm gemessen hatten.
        Er hatte gehofft, da? der neue Tag ihm Befreiung bringen wurde von seinen bohrenden Gedanken. Ein gutes, sauberes Hemd, eine grundliche Rasur von Allday - danach fuhlte er sich meist wohler. Aber diesmal nicht.
        Wieder horte er die Pfeifen schrillen und konnte sich leicht die systematische Hektik an Deck vorstellen, als die Segel getrimmt und Brassen und Fallen dichtgeholt wurden. Insgeheim wurde er wohl immer der Fregattenkapitan bleiben, der er einst gewesen war, als Allday an Bord kam, geschnappt von einem Pre?kommando. Seit damals hatten sie viele tausend Meilen gesegelt und zu viele Manner verloren: Gesichter, so schnell weggewischt wie Kreidestriche von einer Tafel.
        Bolitho sah das erste Licht auf den Wellenkammen; zu beiden Seiten des Ruders teilte sich golden der Schaum, als die Morgensonne uber die Kimm zu steigen begann. Da stand er auf und stutzte sich aufs Fenstersull, um der See ins Gesicht zu blicken.
        Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, an den Admiral, der ihm den verha?ten Befehl gegeben hatte. Vergeblich hatte er protestiert, es war das einzige Kommando, das ihm die Admiralitat nach seinem schrecklichen Fieber zugebilligt hatte.

«Schlie?lich waren Sie doch einmal Fregattenkapitan, Bolitho. «Ja, aber vor zwolf Jahren - oder noch langer! Am Ende hatte man ihm die alte Hyperion geben mussen und das wohl auch nur wegen der blutigen Revolution in Frankreich und wegen des Krieges, der ihr folgte und bis zu diesem Tag tobte.
        Die Hyperion wurde das wichtigste Schiff seines Lebens. Viele hatten an seiner Urteilsfahigkeit gezweifelt, als er sich den alten Vierundsiebziger als Flaggschiff erbat. Aber sie schien die richtige Wahl zu sein, die einzige. Und nun war sie im letzten Oktober gesunken, nachdem sie im Mittelmeer Bolithos Geschwader gegen eine viel starkere Streitmacht spanischer Schiffe angefuhrt hatte, die sein alter Feind, Admiral Don Alberto Casares, kommandierte. Es war ein verzweifeltes Gefecht gewesen, und von den ersten Breitseiten an war der Ausgang vollig ungewi?. Obwohl es unmoglich schien, hatten sie die Spanier schlie?lich doch geschlagen und sogar einige Prisen mit nach Gibraltar gebracht.
        Aber die alte Hyperion hatte dabei ihr Letztes gegeben. Mit ihren dreiunddrei?ig Jahren leistete sie schlie?lich keinen Widerstand mehr, als die gro?e spanische San Mateo mit ihren neunzig Kanonen eine letzte Breitseite auf sie abfeuerte. Doch trotz allem, was Bolitho in seinem Leben auf See erlebt und erlitten hatte, konnte er sich nur schwer damit abfinden, da? es die alte Hyperion nicht mehr gab.
        Daheim in England sagten sie, wenn er das spanische Geschwader Casares' nicht im Gefecht aufgehalten und besiegt hatte, ware es rechtzeitig zur Vereinigten Flotte vor Trafalgar gesto?en, und dann hatte selbst der tapfere Nelson dort kaum siegen konnen. Bolitho wu?te nicht, wie er darauf reagieren sollte. Wollte man ihm damit schmeicheln - oder Nelsons Ruhm schmalern? Jedenfalls war ihm ubel geworden, als dieselben Leute, die Nelson einst geha?t und verachtet hatten - auch wegen seiner Affare mit Emma Hamilton - , ihn jetzt aufs hochste lobten und seinen Tod beklagten.
        Wie so viele, war auch Bolitho dem kleinen Admiral nie begegnet, der seine Seeleute begeistert hatte, trotz des zermurbenden Blockadedienstes oder bei blutigen Gefechten Schiff gegen Schiff. Nelson hatte seine Manner wirklich gekannt und ihnen die Autoritat gegeben, die sie verstanden und brauchten.
        Bolitho merkte, da? Allday leise die Kajute verlie?, und machte sich wieder Vorwurfe, da? er ihn mitgenommen hatte zu diesem Einsatz. Doch Allday, standfest wie eine englische Eiche, wollte es nicht anders. Bolitho hatte ihn nur verletzt und beleidigt, wenn er ihn als Halbinvaliden in Falmouth zuruckgelassen hatte.
        Er beruhrte sein linkes Lid und seufzte. Wurde ihn das verletzte Auge im hellen afrikanischen Sonnenlicht qualen? Nur zu gut konnte er sich an den Augenblick im Gefecht erinnern, als er in die Sonne geschaut und sein Blick sich verschattet hatte, als krieche Seenebel ubers Deck. Und an den triumphierenden Atemzug des Spaniers, der mit seinem Sabel einen Ausfall machte. Jenour, dem Flaggleutnant, war der Degen aus der Hand geschlagen worden, als er versuchte, Bolitho zu verteidigen. Aber Allday war dagewesen und hatte das Schlimmste verhindert. Der Sabel des Spaniers war uber das blutige Deck geschlittert, sein abgetrennter Arm mit ihm. Ein zweiter Hieb brachte ihm das Ende, als Alldays Rache fur eine Wunde, die ihn seither fast standig schmerzte und behinderte.
        Konnte er Allday nach all dem daheim zurucklassen, und sei es aus Fursorglichkeit? Bolitho wu?te, da? nur der Tod sie einst trennen wurde.
        Er stie? sich vom Fenster ab und nahm den Facher aus seiner Seekiste zur Hand. Catherines Facher. Sie hatte dafur gesorgt, da? er ihn mitnahm, als er in Spithead an Bord der Truculent ging. Was tat sie wohl gerade, gut sechstausend Meilen achteraus? In Cornwall mu?te es jetzt kalt und trub sein. Die Bauernkaten duckten sich um das gro?e graue Haus der Bolithos unterhalb von Pendennis Castle. Wind vom Kanal wurde die wenigen Baume am Hang schutteln, die Bolithos Vater einst» meine zerlumpten Krieger «genannt hatte. Die Bauern konnten jetzt ihre Steinwalle und Scheunen reparieren, die Fischer von Falmouth ihre Boote ausbessern, dankbar fur den Schutzbrief, der sie vor den verha?ten Pre?kommandos rettete.
        Das alte graue Haus war Catherines einzige Zuflucht vor dem Hohn und Tratsch der Gesellschaft. Ferguson, der einarmige Steward, der einst wie Allday in die Marine gepre?t worden war, kummerte sich aufopfernd um sie. Aber im ganzen Westen des Landes wurde man ebenso wie in London uber sie lastern und tratschen: Bolithos Geliebte. Die Frau eines Viscount, die zu ihrem Mann gehorte und nicht wie eine Matrosenhure leben sollte. Das waren Catherines eigene Worte.
        Nur einmal hatte sie sich Bitterkeit und Zorn anmerken lassen: als er nach London gerufen wurde zum Empfang seiner Befehle. Da hatte sie ihn quer durch den ganzen Raum emport angesehen und gefragt:»Begreifst du nicht, was sie uns antun, Richard? Die Wut hatte ihr dabei eine ganz neue Schonheit verliehen. Ihr langes dunkles Haar breitete sich aufgelost uber ihren hellen Morgenmantel, ihre Augen blitzten zornig.»In ein paar Tagen ist doch Lord Nelsons Beisetzung!«Sie entwand sich ihm, als er versuchte, sie zu beruhigen.»Hor mir lieber zu, Richard. Uns bleiben weniger als zwei Wochen zusammen, und davon bist du die meiste Zeit unterwegs. Verdammt noch mal, du hast dein altes Schiff verloren und alles fur dein Land geopfert. Jetzt haben sie Angst, da? du an Nelsons Beisetzung nicht teilnehmen willst ohne mich, wahrend sie doch nur Belinda akzeptieren wurden. Deshalb befehlen sie dich nach London.»
        Dann war sie weinend zusammengebrochen und hatte sich von ihm trosten lassen, hatte sich an ihn geschmiegt wie damals, als sie in Falmouth ihren ersten gemeinsamen Sonnenaufgang erlebt hatten.
        Bolitho hatte ihre Schulter gestreichelt und gesagt:»Ich erlaube niemandem, dich zu beleidigen.»
        Hatte sie ihm uberhaupt zugehort? Nein, sie dachte nur an seine Behinderung.»Der Chirurg, der mit dir segelte - Sir Piers Blachford - , der mu?te dir doch helfen konnen. «Sie hatte sein Gesicht zu sich herabgezogen und seine Augen mit besorgter Zartlichkeit geku?t.

«Mein Liebster, du mu?t dich vorsehen!»
        Jetzt war sie in Falmouth, und trotz allem Schutz und aller Verehrung blieb sie; dort weiterhin eine Fremde.
        Sie hatte ihn am jenem kalten, windigen Vormittag zu seiner Abreise nach Portsmouth begleitet. Zusammen warteten sie am alten Kai, wohl wissend, da? mit diesen abgetretenen Stufen auch Nelson zum letzten Mal englischen Boden unter den Fu?en gehabt hatte. Hinter ihnen stand die Kutsche mit dem Wappen der Bolithos, so schlammbespritzt, als wolle sie von den Stunden zeugen, die sie beide unerkannt darin verbracht hatten.
        Nicht immer ganz unerkannt. Auf dem Weg durch Guildford hatten ein paar Bummelanten auf der Stra?e hurra gerufen und:»Gott segne dich, Dick! Und schei? auf die Arschlocher in London. 'Tschuldigung, Madam!»
        Als die Barkasse sich mit kraftigem Riemenschlag der Treppe naherte, hatte sie die Arme um seinen Hals gelegt, das Gesicht na? von Regen und Tranen:»Ich liebe dich, mein Alles. «Sie hatte ihn lange geku?t und sich erst von ihm gelost, als die Barkasse gerauschvoll festmachte. Erst dann hatte sie sich abgewandt, aber noch einmal innegehalten, um zu sagen:»Erinnere Allday daran, da? er gut auf dich aufpassen soll.»
        Die restlichen Umstande hatte er vergessen, als ob plotzlich Dunkelheit uber ihn hereingebrochen sei.
        Kapitan Poland klopfte hart an die Tur und trat in die Kajute, den Dreispitz unter den Arm geklemmt. Bolitho sah seine Blicke durch den halbdunklen Raum huschen, als erwarte er, seine Kajute vollig verandert zu finden.
        Bolitho setzte sich wieder auf die Fensterbank. Truculent war ein gutes Schiff, er fuhlte sich wohl darauf. Daruber fiel ihm sein Neffe Adam ein, und er fragte sich, ob er schon die gro?te aller Chancen erhalten hatte: das Kommando uber eine neue Fregatte. Wahrscheinlich war er schon mit ihr auf See wie die Truculent. Adam wurde es bestimmt schaffen.

«Neuigkeiten, Kapitan?«fragte er.
        Poland sah ihm ins Gesicht.»Wir haben Land in Sicht, Sir Richard. Der Master, Mr. Hull, halt es fur einen perfekten Landfall.»
        Immer diese Vorsicht. Bolitho war sie schon einige Male aufgefallen, auch als er Poland eingeladen hatte, mit ihm zu Abend zu speisen.»Und was halten Sie selbst davon, Kapitan?»
        Poland schluckte trocken.»Er hat wohl recht, Sir Richard. «Zogernd fugte er hinzu: Der Wind hat nachgelassen. Wir werden den ganzen Tag brauchen, um die Kuste zu erreichen. Selbst den Tafelberg sieht man erst vom Masttopp aus.»
        Bolitho griff nach seinem Mantel, lie? ihn aber dann doch liegen.»Ich komme gleich nach oben. Sie haben eine ungewohnlich schnelle Reise gemacht, Kapitan. Das werde ich in meinem Bericht erwahnen.»
        Zu jeder anderen Zeit hatte es ihn amusiert, den schnellen Wechsel des Ausdrucks in Polands sonnengerotetem Gesicht zu beobachten. Einerseits freute er sich, denn das schriftliche Lob eines Vizeadmirals konnte vielleicht fur eine noch schnellere Beforderung des Kommandanten sorgen. Andererseits konnte es aber so interpretiert werden, da? Poland die zweifelhafte Gonnerschaft eines Mannes geno?, der uber Autoritat spottete, der seine Frau wegen einer anderen verlassen und seine Ehre in den Wind geworfen hatte.
        Aber jetzt war jetzt, und Bolitho sagte scharf:»Also los!»
        Auf dem Achterdeck sah Bolitho seinen Flaggleutnant Jenour bei den Schiffsoffizieren stehen und freute sich wieder, wie vorteilhaft sich der Mann verandert hatte: ein eifriger, liebenswurdiger Junge und der erste in seiner Familie, der zur Royal Navy gegangen war. Bolitho hatte anfangs daran gezweifelt, da? er die Herausforderungen bestehen wurde, die sie erwarteten. Auch hatte er gehort, da? einige der erfahrenen Salzbuckel an Bord daruber Wetten abschlossen, wie lange Jenour uberleben wurde. Aber er hatte uberlebt - und wie! Er war aus den Gefechten als Mann, als Veteran hervorgegangen.
        Es war Jenours schoner Degen gewesen, ein Geschenk seines Vaters, der ihm entrissen worden war, als er Bolitho zu Hilfe eilte. Jenour hatte aus dieser Erfahrung ebenso gelernt wie aus vielen anderen. Seit jenem letzten Gefecht trug der junge Mann seinen Degen stets an eine Sorgleine geknupft, die mit einem dekorativen Knoten geschmuckt war und die Waffe im Kampf fest mit seinem Handgelenk verband. Es war auffallend, mit welchem Respekt die Offiziere der Truculent Jenour behandelten, obwohl die meisten von ihnen alter waren als er und einen hoheren Rang hatten. Die Fregatte mit ihren sechsunddrei?ig Kanonen war zwar standig im Dienst gewesen, auf Patrouillen und als Begleitschiff, doch noch kein Mitglied der Offiziersmesse hatte - wie Jenour - bisher an einem gro?eren Seegefecht teilgenommen.
        Bolitho nickte den Offizieren zu und schritt ubers Seitendeck nach vorn, das wie sein Gegenuber das Achterdeck mit dem Vordeck verband. Unter ihm in der Kuhl wurde die Hauptbatterie bereits vom Stuckmeister und einem seiner Gehilfen inspiziert. Poland war wirklich grundlich, dachte Bolitho. Er stand jetzt an der Reling und beobachtete die halbnackten Seeleute, die ihre Hangematten sauber in die Finknetze stauten. Einige der Manner waren schon braun, andere rot verbrannt von zuviel Sonne.
        Diese Sonne erhob sich nun aus der See und ubergo? die niedrigen Wellen wie mit geschmolzenem Kupfer. Schon dampfte Truculent in der Morgenkuhle. Sie wurde wie ein Geisterschiff aussehen, bis die Hitze Rumpf und Segel ganz getrocknet hatte.
        Bolitho bedauerte die Wachoffiziere in ihren Huten und schweren Manteln. Poland wollte damit offensichtlich Autoritat demonstrieren, wie ungemutlich sie sich auch fuhlten. Was sie wohl von seiner lassigen Kleidung hielten? Fur Pomp und Etikette blieb immer noch Zeit, wenn sie auf die Flotte trafen, die angeblich hier vor der afrikanischen Kuste operierte. Unterwegs waren sie sich vorgekommen wie das einzige Schiff auf dem Ozean.
        Gedankenversunken begann er langsam hin und her zu gehen. Manner, die mit nimmer endenden Wartungsarbeiten beschaftigt waren, mit Splei?en, dem Ersatz von Tauwerk, mit Malen und Schrubben, sahen hoch, wenn sein Schatten an ihnen vorbeiglitt. Aber jeder schaute schnell weg, wenn ihre Blicke sich zufallig trafen.
        Mr. Hull, der schweigsame Master der Fregatte, uberwachte drei Midshipmen, die abwechselnd in einer Karte arbeiteten. Neben ihm versuchte der Zweite, zur Zeit Wachoffizier, nicht zu gahnen - das ware riskant gewesen bei einem Kommandanten mit so unberechenbarem Temperament. Aus der Kombuse roch es nach Fruhstuck, doch bis zum Wachwechsel wurde es noch lange dauern.
        Hull fragte leise:»Was denkt er jetzt wohl, Mr. Munro?«Er deutete kurz auf die hohe Gestalt im wei?en Hemd, in deren dunklem Haar, im Nacken zusammengebunden, die Brise spielte, wahrend er ohne Hast hin und her wanderte.
        Munro antwortete leise:»Ich wei? nicht, Mr. Hull. Aber wenn nur die Halfte von dem wahr ist, was man so hort, hat er genug zum Nachdenken. «Wie die anderen hatte auch Munro wenig vom Vizeadmiral gesehen, au?er bei einem gemeinsamen Essen, zu dem er und der Kommandant die Offiziere und Unteroffiziere eingeladen hatten, um ihnen den Zweck der Reise zu erlautern.
        Zwei starke Verbande waren mit Infanterie und Seesoldaten zum Kap beordert worden. Ihr einziges Ziel: zu landen, Kapstadt zu belagern und es den Hollandern wieder abzunehmen, Napoleons unfreiwilligen Alliierten. Dann, und nur dann, wurden Englands Schiffahrtswege ums Kap wieder sicher sein vor franzosischen Kaperern. In Kapstadt gab es auch eine Werft, die nach der Wiedereroberung verbessert und vergro?ert werden sollte, damit englische Schiffe sich nie wieder notdurftig selbst versorgen oder wertvolle Monate vergeuden mu?ten auf der Suche nach passenden Stutzpunkten.
        Polands Stimme schnitt durch Munros Gedanken wie ein Messer:»Mr. Munro! Achten Sie gefalligst auf die Faulpelze, die angeblich am zweiten Kutter arbeiten. Sie starren zum Horizont, statt zu arbeiten. Aber vielleicht liegt es daran, da? auch der Wachhabende in den Tag traumt, wie?»
        Mr. Hull grinste mitleidlos.»Der hat seine Augen wirklich uberall. «Er wandte sich an die Seekadetten, um von Munros Verlegenheit abzulenken.»Und was treiben Sie da, meine Herren? Guter Gott, so werden aus Ihnen niemals Leutnants, aus keinem von Ihnen.»
        Bolitho horte das alles, war aber in Gedanken woanders. Er dachte an Catherines verzweifelten Zorn. Wieviel von dem, was sie sagte, traf zu? Er wu?te, da? er sich im Lauf der Jahre Feinde gemacht hatte. Viele hatten versucht, ihm zu schaden, auch wegen seines toten Bruders Hugh, der wahrend der Amerikanischen Revolution die Fronten gewechselt hatte. Spater hatten sie das gleiche mit seinem Neffen Adam versucht. O ja, er hatte echte Feinde, nicht nur eingebildete. Brauchte man ihn wirklich so schnell am Kap der Guten Hoffnung? Oder stimmte es, da? Nelsons Sieg uber die Vereinigte Flotte die englische Strategie vollig umgesto?en hatte? Frankreich und Spanien hatten zwar viele Schiffe verloren, sie waren gesunken oder als Prise genommen worden. Aber auch Englands Flotte war nach Trafalgar schwer angeschlagen, und die wichtigen Blockadegeschwader vor Frankreichs Hafen hatten die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht. Napoleon wurde jetzt neue Schiffe brauchen und sie in Toulon bauen lassen oder an der franzosischen Kanalkuste, moderne Schiffe, von denen Nelson in seinen Wortgefechten mit der Admiralitat
so oft gesprochen hatte. Doch bis dahin wurde sich Napoleon woanders nach Hilfe umschauen - vielleicht bei seinem alten Alliierten Amerika?
        Bolitho zupfte Kuhlung suchend an seinem Hemd, einem aus der eleganten Kollektion, die Catherine ihm in London gekauft hatte, wahrend er bei den Lords der Admiralitat vorsprach. Er hatte die Hauptstadt immer geha?t, ihre verlogene Gesellschaft, ihre privilegierten Burger, die den Krieg nur wegen seiner Unbequemlichkeit verfluchten, ohne an die vielen Manner zu denken, die drau?en ihr Leben hingaben, um die Freiheit aller zu schutzen. Burger wie. Doch er verdrangte Belinda aus seinen Gedanken und tastete nach dem silbernen Medaillon, das Catherine ihm gegeben hatte: klein, aber mit ihrem perfekten Miniaturportrat im Inneren. Es zeigte ihre dunklen Augen, ihren unverhullten Hals, wie er ihn kannte und liebte. Auf der Ruckseite enthielt es eine gepre?te Haarlocke von ihr. Er konnte nur raten, wie lange sie dieses Medaillon schon besessen hatte. Sicherlich war es kein Geschenk ihres ersten Mannes, dieses Glucksritters, der bei einer Rauferei in Spanien ums Leben gekommen war. Vielleicht aber stammte es von ihrem zweiten Mann, Luis Parejas. Er war gefallen, als er Bolitho half, ein erobertes
Handelsschiff gegen Berberpiraten zu verteidigen. Luis war doppelt so alt gewesen wie Catherine, aber auf seine Weise hatte er sie geliebt. Die Miniatur besa? die Finesse, die er als spanischer Kaufmann geschatzt hatte.
        Damals war Catherine in Bolithos Leben getreten - und nach einer kurzen, heftigen Affare wieder daraus verschwunden. Das war ein Mi?verstandnis gewesen, der fehlgeschlagene Versuch, ihrer beider Ruf zu schutzen. Bolitho hatte sich oft verflucht, da? er ihre Trennung zugelassen hatte.
        Erst vor zwei Jahren, als die Hyperion Antigua anlief, hatten sie einander wiedergefunden. Bolitho fuhrte eine Ehe mit Belinda, die erkaltet war. Catherine war zum dritten Mal verheiratet - mit Viscount Somervell, einem bosartigen, dekadenten Mann. Er hatte versucht, sie physisch zu vernichten, und hatte sie ins Schuldgefangnis werfen lassen, als er von ihrer neu entflammten Leidenschaft erfuhr. Bolitho hatte sie daraus gerettet. Er horte ihre Stimme so klar, als stunde sie neben ihm auf dem schnell trocknenden Deck:»Trag dies immer bei dir, Liebster. Ich werde es dir erst wieder abnehmen, wenn du neben mir liegst. «Er fuhlte die Gravur auf der Ruckseite des Medaillons, die sie in London hatte anbringen lassen: Moge das Gluck dich immer leiten. Moge die Liebe dich immer schutzen.
        Bolitho trat an die Finknetze und beschattete seine Augen, um ein paar Mowen zu beobachten. Dann wandte er den Kopf und hielt den Atem an. Die Sonne war zwar stark, blendete aber noch nicht genug, um. Er zogerte, starrte zur glitzernden Kimm. Nichts geschah. Kein Nebel stieg auf wie ein boser Geist und trubte sein linkes Auge. Er atmete auf.
        Allday bemerkte Bolithos Reaktion und freute sich. Das Gesicht des Vizeadmirals hatte ausgesehen wie das eines Mannes auf dem Schafott, der im letzten Augenblick begnadigt worden war.

«An Deck!«Alle Gesichter wandten sich nach oben.»Segel an Steuerbord achteraus!»
        Scharf befahl Poland:»Mr. Williams, entern Sie auf und nehmen Sie ein Fernglas mit nach oben!»
        Der Erste nahm dem Midshipman der Wache das Teleskop ab und kletterte in den Wanten des Gro?masts zum Krahennest hinauf. Truculents Leinwand blahte sich kaum, doch die Bramsegel des fremden Schiffes schienen sich ihnen auf konvergierendem Kurs mit gro?er Schnelligkeit zu nahern. Bolitho hatte das oft beobachtet: Im selben Seegebiet hing das eine Schiff in der Flaute fest, wahrend das andere mit vollen Segeln dahinsturmte.
        Poland sah Bolitho ausdruckslos an, aber seine Hande offneten und schlossen sich an seiner Seite und verrieten seine Erregung.»Soll ich klar zum Gefecht machen, Sir Richard?»
        Bolitho hob das Teleskop. Eine ungewohnliche Peilung. Wahrscheinlich gehorte der Ankommling nicht zum ortlichen Geschwader.»Wir lassen uns noch Zeit, Kapitan Poland. Zweifellos konnen Sie die Kanonen in weniger als zehn Minuten ausrennen lassen, wenn es sein mu?. «Poland errotete.»Ich - also, Sir Richard. «Er nickte energisch.»In weniger, ganz bestimmt.»
        Bolitho richtete das Glas sorgsam aus, konnte aber nur die Mastspitzen des Ankommlings erkennen. Er sah die Peilung auswandern, weil der andere Kurs anderte, als wolle er sich auf die Truculent sturzen.
        Leutnant Williams rief aus dem Krahennest:»Fregatte, Sir!»
        Bolitho sah winzige Farbflecken uber dem fremden Schiff aufsteigen, als dort ein Flaggensignal gehi?t wurde. Williams rief die Kennziffern nach unten. Poland konnte sich nur mit Muhe davon zuruckhalten, dem Midshipman das Signalbuch aus den Handen zu rei?en.
        Der Junge stotterte:»Es ist die Zest, Sir. Vierundvierzig Kanonen. Unter Kapitan Varian.»
        Poland murmelte:»Oh, ich wei?, wer er ist. Antwortet mit unserer Kennung - schnell!»
        Bolitho senkte das Glas und beobachtete die beiden Gesichter. Das des Midshipman war verwirrt, fast verangstigt. Noch vor wenigen Minuten hatte er den ersten Hugel des ersehnten Landes gesehen, das sich aus dem Seedunst hob, und im nachsten Augenblick war das alles unwichtig geworden, und die Aussicht auf einen unerwarteten Feind, vielleicht sogar auf den Tod, lag vor ihm. Das andere Gesicht war das Polands. Wer Varian auch sein mochte, er war bestimmt nicht sein Freund und ohne Zweifel ranghoher, da er ein Vierundvierzig-Kanonen-Schiff befehligte.
        Leutnant Munro hockte in den Wanten, die Beine um die Webleinen gehakt, achtete nicht auf den Teer, der seine wei?e Kniehose befleckte, und hatte sogar seinen Fruhstuckshunger vergessen.»Signal, Sir: Kommandant wird an Bord gebeten«, meldete er.
        Bolitho sah die plotzliche Niedergeschlagenheit in Polands Gesicht. Nach dieser bemerkenswert schnellen Reise von England, ohne Verlust oder Verletzung eines einzigen Mannes an Bord, wirkte diese Arroganz auf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.

«Mr. Jenour zu mir, bitte. «Bolitho sah den Flaggleutnant ahnungsvoll lacheln.»Ich nehme an, Sie haben meine Flagge in Verwahrung?»
        Diesmal konnte Jenour das Grinsen nicht zuruckhalten.»Aye, aye, Sir!«Er rannte fast vom Achterdeck.
        Bolitho sah, wie die gro?e Segelpyramide der anderen Fregatte sich uber dem funkelnden Wasser hob und senkte. Was er vorhatte, war vielleicht kindisch - aber Poland hatte es verdient.

«Kapitan Poland, um der guten Ordnung willen: Ihr Schiff steht nicht nur unter Ihrem Kommando. «Er sah, wie auf Polands angespanntem Gesicht die Niedergeschlagenheit dem Begreifen wich.»Signalisieren Sie bitte an Zest, und machen Sie es Kapitan Varian unmi?verstandlich klar: >Sie haben den Vortritt<.»
        Poland blickte hoch, als Bolithos Admiralsflagge im Fockmasttopp auswehte. Dann gestikulierte er ungeduldig zu den Signalgasten hinuber, die fieberhaft ihre bunten Signalflaggen ordneten.
        Jenour trat zu Munro, als der wieder an Deck sprang.»Sie wollten doch wissen, wie der wahre Bolitho aussieht«, sagte er.»Zum Beispiel duldet er nicht, da? man seinen Mannern mit Mi?achtung begegnet. «Nicht einmal einem Streber wie Poland, hatte er fast hinzugefugt.
        Bolitho sah die Teleskope auf der anderen Fregatte das Sonnenlicht reflektieren. Zests Kommandant konnte nichts von Bolithos Auftrag wissen, niemand konnte das. Er bi? die Zahne zusammen. Aber nun waren sie alle gewarnt.



        II Erinnerung an Nelson


«Bitte, glauben Sie mir, Sir Richard, eine Respektlosigkeit war nicht beabsichtigt.»
        Bolitho stand am gro?en Kajutfenster und horte das Schlagen der Blocke und das Platschern der Wellen. Die Truculent lag beigedreht. Ihre Unterredung mu?te kurz sein, denn der Wind wurde bald wieder auffrischen, wie der Master vorhergesagt hatte. Die andere Fregatte sah er nicht, sie lag wohl in Lee.
        Er setzte sich auf die Bank unter dem Fenster und deutete auf einen Stuhl.»Eine Tasse Kaffee, Kapitan Varian?«Er horte Ozzards leise Schritte, der mit der Kanne herbeikam. So hatte Bolitho Zeit, seinen Gast genauer zu betrachten.
        Kapitan Varian war das genaue Gegenteil von Poland: sehr gro?, breitschultrig und selbstsicher. Wie sich Landratten wahrscheinlich Fregattenkapitane vorstellten.

«Ich brannte eben auf Neuigkeiten, Sir Richard«, fuhr Varian fort.»Da sah ich dieses Schiff und. «Er hob seine gro?en Hande und versuchte, entwaffnend zu lacheln.
        Bolitho musterte ihn unbewegt.»Da? ein Kommandant der Kanalflotte kaum Zeit zum Ubersetzen haben durfte, ist Ihnen nicht eingefallen? Sie hatten doch leicht auf Rufweite herankommen konnen.»
        Ozzard go? Kaffee ein und starrte an dem Besucher vorbei.

«Ich hab' eben nicht nachgedacht«, nickte Varian.»Aber da? gerade Sie hier sind, Sir Richard, der doch sicher woanders dringend gebraucht wird…«Das Lacheln blieb, der Blick wurde hart.
        Das ist kein Mann, mit dem man sich streitet, jedenfalls nicht als Untergebener, dachte Bolitho.»Sie werden sofort auf Ihr Schiff zuruckkehren, Kapitan«, sagte er. Aber vorher bitte ich um Ihre Beurteilung der Lage. «Er trank einen Schluck hei?en Kaffee. Was ist blo? los mit mir? dachte er. Warum bin ich so kurz angebunden? Als junger Kommandant hatte er doch genauso gehandelt. Tausend Meilen von zu Hause monatelang warten und dann ein befreundetes Schiff treffen.»Ich habe neue Befehle auch fur Sie«, schlo? er.
        Varian sah ihn aufmerksam an.»Sie wissen, Sir Richard, der gro?te Teil von Heer und Marine fur die Ruckeroberung von Kapstadt ist bereits hier. Das Geschwader ankert nordwestlich von hier vor der Saldanhabucht. Sir David Baird befehligt die Truppen, Commodore Popham die Transporter und Begleitschiffe. Wie ich horte, soll die Landung bald beginnen. «Er verstummte unter Bolithos festem Blick.

«Sie gehoren zur Einsatzreserve. «Bei dieser Feststellung zuckte Varian mit den Schultern und schob seine Tasse auf dem Tisch hin und her.

«Jawohl, Sir Richard. Ich erwarte aber noch einige Schiffe. «Als Bolitho schwieg, fuhr er fort:»Wir beobachteten das Kap und sahen Ihre Segel. Da nahm ich an, Sie seien vom Kurs abgekommen.»

«Warum hat Ihr Vorgesetzter, Commodore Warren, Sie dazu abgestellt? Zest ist doch seine wichtigste Fregatte, deren Hilfe er jederzeit brauchen kann. «Bolitho erinnerte sich an Commodore Warren wie an ein verbla?tes Bild. Er hatte mit ihm vor Toulon zu tun gehabt. Damals wollten franzosische Konigstreue den Hafen der Revolutionsarmee wieder abnehmen, und Bolitho war zum ersten Mal Kommandant der Hyperion gewesen. Seither hatte er Warren nicht mehr getroffen, hatte nur gehort, da? er in der Karibik Dienst tat.

«Dem Commodore geht es nicht gut, Sir Richard«, antwortete Varian.»Er hatte meines Erachtens kein Kommando mehr, wenn.»

«Sie haben also als dienstaltester Kapitan die gesamte Verantwortung fur die Begleitschiffe ubernommen?»

«Ich habe einen ausfuhrlichen Bericht daruber geschrieben, Sir Richard.»

«Den werde ich lesen, sobald ich Zeit dazu habe. «Bolitho hob die Hand.»Ich will, da? wir Kapstadt fruher angreifen. Die Zeit ist entscheidend. Darum sind wir so schnell gesegelt. «Das traf Varian.»Also werden unsere beiden Schiffe sofort zum Geschwader sto?en. Ich mochte Commodore Warren unverzuglich sprechen.»
        Er stand auf und sah aus dem Heckfenster. Die Wellenkamme krauselten sich im Wind wie wei?e Spitzen. Das Schiff hob sich ungeduldig.
        Varian versuchte Haltung zu bewahren.»Und wo bleiben die anderen uns versprochenen Schiffe, Sir Richard?»

«Es gibt keine anderen Schiffe und wird auch keine geben. Ich mu? sogar einige der hiesigen Einheiten sofort nach England in Marsch setzen.»

«Ist etwas Schlimmes passiert, Sir Richard?»

«Im Oktober hat unsere Flotte unter Lord Nelson den Feind bei Trafalgar besiegt«, sagte Bolitho leise.
        Varian schluckte trocken.»Das wu?ten wir nicht, Sir Richard. «Fur einen Moment verlor er die Kontrolle.»Ein Sieg! Mein Gott, was fur eine wunderbare Nachricht!»
        Bolitho zuckte mit den Schultern.»Aber der tapfere Lord Nelson ist dabei gefallen. Der Sieg war also zu teuer erkauft.»
        Es klopfte, Poland trat ein. Die Kapitane musterten einander, nickten sich zu wie alte Freunde. Doch Bolitho spurte, da? sie Welten trennten.

«Der Wind frischt auf aus Nordwest, Sir Richard. «Poland sah Varian nicht wieder an.»Und Zests Beiboot hangt immer noch an den Gro?rusten in Luv.»

«Bis demnachst, Kapitan Varian. «Bolitho streckte die Hand aus und erganzte etwas freundlicher:»Wir blockieren noch immer alle feindlichen Hafen, Sir. Das ist lebenswichtig fur unser Land und mu? auch so bleiben. Aber trotz des ermutigenden Siegs von Trafalgar ist unsere Flotte geschwacht.»
        Die Tur fiel hinter den beiden Kapitanen zu, und Bolitho horte das Schrillen der Pfeifen, als Varian von Bord ging.
        Unruhig lief Bolitho in seiner Kajute auf und ab und erinnerte sich an seine letzte Besprechung in der Admiralitat in London.
        Admiral Sir Owen Godschale hatte ihm erlautert, warum Eile geboten war. Zwar war die vereinigte franzosischspanische Flotte geschlagen, aber der Krieg noch lange nicht gewonnen. Es gab Berichte, wonach mindestens drei kleine franzosische Geschwader die Blockade durchbrochen hatten und in den Weiten des Atlantiks verschwunden waren. War es Napoleons neue Strategie, abgelegene Hafen und einsame Inseln zu uberfallen, Versorgungsschiffe aufzubringen und Handelswege zu bedrohen? Gab es keine Ruhe fur die Englander, wahrend die Franzosen ihre neue Flotte aufbauten?
        Godschales verachtliche Einschatzung der franzosischen Kriegsmarine argerte Bolitho. Ein Geschwader, das aus Brest ausgebrochen war, hatte der erfahrene alte Vizeadmiral Leissegues gefuhrt, und sein Flaggschiff, die Imperial, hatte 120 Kanonen. Das war also gewi? keine Lappalie, wie Sir Owen meinte.
        Die Franzosen hatten sicher Kapstadt im Auge, und was sie mit einer Eroberung der Stadt erreichen wurden, konnte man sich leicht vorstellen. Dann konnten sie wie mit einer Axt Englands Handelswege nach Indien und Ostasien kappen.
        Bolitho erinnerte sich, wie kuhl Godschale zu ihm gewesen war. Der Admiral war zur selben Zeit wie er in die Marine eingetreten, sie waren also dem Dienstalter nach gleich. Aber vielleicht wollte Godschale wie so viele andere, moglicherweise sogar auf Betreiben Belindas, Catherine und ihn trennen. Oder liebte der Admiral seine neue Macht so sehr, wie er Skandale ha?te? Es hie?, Godschale strebe einen Sitz im Oberhaus an.
        Catherines Worte klangen ihm wieder im Ohr:»Begreifst du nicht, was sie uns antun?

        Vielleicht war dieser Auftrag nur ein Anfang. Jeder in London wu?te, wie Bolitho eine Aufgabe anging: furchtlos, ohne Zogern und ohne Rucksicht auf das, was zu Hause geschah. Wollte man ihm eine Falle stellen?
        Er trat vor den alten Familiendegen an der Wand. Er sah schabig aus, verglichen mit der prunkvollen Prasentierwaffe darunter. Aber so viele Bolithos vor ihm hatten die alte Waffe gefuhrt und waren manchmal sogar mit ihr gefallen. Keiner seiner Vorfahren hatte sie kampflos gestreckt. Das machte Bolitho zuversichtlich, und er lachelte grimmig, als Allday eintrat.

«Jetzt ist die Nachricht uber Lord Nelsons Tod im Geschwader rum, Sir. Das wird manchem den Mut nehmen. «Er deutete auf das afrikanische Festland.»Dafur zu kampfen lohnt sich nicht, werden sie sagen. Ja, wenn man zwischen den Franzosen und England stunde.«»Mit solch knorrigen alten Eichen wie dir werden sie schon wieder Mut fassen«, antwortete Bolitho.

«Au?erdem wette ich, da? sich zwei gewisse Kapitane bald in den Haaren liegen«, grinste Allday.
        Bolitho musterte ihn forschend.»Verdammt noch mal, was wei?t du noch, du alter Fuchs?»

«Nicht viel im Augenblick, Sir Richard. Nur da? unser Kapitan Poland fruher mal Erster Offizier bei diesem anderen Kapitan war.»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Nur mit Allday konnte er freimutig uber alles reden. Die anderen erwarteten von ihm nur Fuhrung und sonst nichts.
        Allday nahm den Degen von der Wand und wickelte ihn in ein Tuch.»Ich sag' ja immer, Sir Richard, achtern finden Sie zwar die meiste Ehre, aber vorn die besseren Manner. Und dabei bleibt's.»
        Als Allday gegangen war, setzte sich Bolitho und offnete sein Tagebuch. Darin lag der Brief an Catherine, den er begonnen hatte, als England in Dunst und Regen achteraus verschwunden war - zu Beginn der langen Reise. Ob sie diesen Brief je lesen wurde, konnte er erst wissen, wenn sie wieder in seinen Armen lag. Er beugte sich vor und beruhrte das Medaillon unter seinem frischen Hemd.
        Wieder ein Morgen, liebste Kate, und ich sehne mich so nach dir … Er schrieb noch immer, als das Schiff uber Stag ging und der Ausguck im Masttopp das versammelte Geschwader meldete.
        Mittags ging er an Deck und spurte die Sonne wie Feuer im Gesicht. Seine Schuhe blieben am aufgeweichten Teer kleben, der aus den Ritzen der Planken quoll. In seinem Teleskop sah er braunrote und rosa Berge unter dem harten, glitzernden Licht liegen. Die Sonne glei?te wie poliertes Silber und sog alle Farbe aus dem Himmel. Er bewegte das Glas, fing den Schwell darin ein, der das Schiff anhob und an beiden Seiten vorbeirauschte. Das also war der Tafelberg: ein dunkler Klotz in geheimnisvollem Dunst, drauend wie ein riesiger Altarstein.
        Zu seinen Fu?en ankerten die Schiffe. Er musterte eins nach dem anderen. Der altere Vierundsechziger Themis war Commodore Warrens Flaggschiff. Warren war krank. Aber wie schwer? Er hatte Varian nicht weiter ausgefragt, wollte nicht Untergebenen gegenuber unsicher erscheinen, die ihm bald ruckhaltlos vertrauen mu?ten.
        Eine zweite Fregatte, einige Schoner und zwei Versorger bildeten den Rest, der Kern der Flotte lag weiter im Nordwesten sicher vor Anker, weit genug von Land entfernt. Hier gab es nur eine kleine flache Bank, auf der man ankern konnte. Hinter der Hundert-FadenLinie fiel der Grund steil ab in schwarze Tiefen.
        Licht spiegelte sich druben in Teleskoplinsen, und Bolitho wu?te, da? man die Truculent uberrascht beobachtete, ihr langsames Naherkommen unter der Admiralsflagge im Vortopp. Kapitan Poland trat neben ihn.

«Rechnen Sie mit einem langen Feldzug, Sir Richard?«fragte er. Sein Ton war uberaus hoflich. Sicher wollte er gern wissen, was Bolitho und Varian in der Kajute besprochen hatten.
        Bolitho lie? das Teleskop sinken und sah Poland an.»Ich hatte gelegentlich mit dem Heer zu tun, Kapitan. Die mogen Feldzuge, ich nicht. Eine Seeschlacht ist schnell vorbei, man siegt oder streicht die Flagge. Langwierige Nachschubprobleme und endlose Marsche sind nichts fur mich.»
        Poland gestattete sich ein seltenes Lacheln.»Fur mich auch nicht, Sir Richard.»
        Bolitho sah sich nach Jenour um.»Lassen Sie Wasserleichter langsseits kommen, sobald wir ankern, Kapitan. Und loben Sie Ihre Mannschaft mal, das wird allen gut tun. Es war eine sehr schnelle Reise.»
        Als die Achterdeckswache den gro?en Besanbaum schiftete, stach das Sonnenlicht wie mit blitzenden Lanzen nach ihnen. Bolitho bi? die Zahne zusammen. Aber sie hatten sich alle geirrt, sein Auge war in Ordnung. Er konnte die anderen Schiffe trotz des Hitzeflimmerns klar und deutlich erkennen.
        Jenour beobachtete ihn und nickte Allday zu, der mit dem polierten Degen nach achtern kam. Es gab also doch noch Hoffnung.
        Die beiden Fregatten drehten in den Wind und ankerten erheblich fruher als selbst der grimmige Mr. Hull vorhergesagt hatte. Signale wurden ausgetauscht, Boote zu Wasser gelassen, Sonnensegel aufgeriggt. Bolitho beobachtete das alles vom Achterdeck aus, wahrend er noch einmal uber seinen Auftrag nachdachte.
        Der Landeplatz im Nordwesten war fur den ersten Angriff gut gewahlt, es gab keinen besseren. Bolitho studierte die Karte mit gro?ter Sorgfalt. Die Saldanhabucht war flach und geschutzt genug, um dort Truppen und Marineinfanterie anlanden zu konnen. Die Schiffe wurden ihnen zunachst Feuerschutz geben. Doch im Binnenland begannen dann die wirklichen Probleme, denn die Bucht lag einhundert Meilen von Kapstadt entfernt. Die englische Infanterie, wochenlang auf engstem Raum an Bord zusammengepfercht, war noch nicht fit fur lange Fu?marsche und standige Scharmutzel. Die Hollander, diese hervorragenden Soldaten, wurden sich nicht alle paar Meilen mit ihnen schlagen, sondern Vorrate und Wasserstellen unbrauchbar machen und den erschopften Truppen erst vor Kapstadt entschlossen entgegentreten. Widerstand bei der bevorstehenden Landung schien also wenig wahrscheinlich.
        Bolitho verspurte seine alte Ungeduld. Es wurde einen langen und teueren Feldzug geben, der um die Nachschublinien gefuhrt wurde von Truppen, die bisher nur den Garnisonsdienst in Westindien kennengelernt hatten - auf den Inseln des Todes, wie die Infanterie sie nannte. Dort starben mehr Manner an Fieber als im Feuer des Feindes.
        Jenour naherte sich gru?end.»Ihre Depesche an den General ist unterwegs, Sir Richard. Mit dem Schoner Miranda.»
        Bolitho beschattete die Augen und sah den kleinen, grazilen Schoner sich von den anderen Schiffen freikreuzen. Sein Kommandant war sicher froh, fur ein paar Tage fremder Befehlsgewalt zu entkommen.
        Abendrote breitete sich uber den glitzernden Horizont und tauchte Masten und Spieren in Bronze. An Land hatte man die Ankunft der Truculent bestimmt genauso aufmerksam registriert wie auf den anderen Schiffen.

«Was bedruckt Sie, Stephen? Raus damit.»
        Jenour hatte sich gut unter Kontrolle, aber Bolitho konnte man nichts vormachen. Ich denke«, er befeuchtete sich die trockenen Lippen,»der Commodore hatte langst um Erlaubnis bitten mussen, an Bord zu kommen. «Er schwieg unter Bolithos forschendem
        Blick.

«Das hatte ich an seiner Stelle getan. «Bolitho erinnerte sich an Kapitan Varians respektlose Bemerkung.»Bitten Sie Kapitan Poland um seine Gig und sagen Sie ihm, da? ich zur Themis ubersetzen will.»
        Funfzehn Minuten spater sa? Bolitho in Ausgehuniform und Hut schwitzend im Heck der Gig, Jenour neben sich und einen kritischen Allday neben Polands Bootsfuhrer. Auf den Schiffen, an denen sie vorbeipullten, hoben Wachoffiziere gru?end die Hute, bewegungslos und stumm sahen Matrosen von Rahen und Webleinen zu ihnen herunter. Ihre nackten Arme glanzten wie Bronze.
        Allday beugte sich vor und sagte leise:»Sehen Sie, Sir, man wei? Bescheid. Eine Stunde nach unserer Ankunft wei? man auf allen Schiffen: Nelson ist gefallen, aber wir haben gesiegt!»
        Einer der Bootsgasten starrte Allday verblufft an, und dieser runzelte die Stirn. Der Bootsgast blickte schnell weg und kam fast aus dem Rudertakt. Das konnte er nicht fassen: Ein Seemann, auch wenn er Bootsfuhrer war, sprach den Admiral an, und der neigte sich sogar vor, um ihm zuzuhoren?
        Bolitho nickte.»Nelson wird uns allen sehr fehlen. England wird nie wieder einen wie ihn bekommen.»
        Allday lehnte sich zuruck. Da bin ich nicht so sicher, dachte er und sah Bolitho an.
        Der steile Bugsprit der Themis schien bei ihrem Naherkommen vor ihnen zu salutieren. Die Themis war ein altes Schiff und hatte alles mogliche geleistet, nur nie gekampft. Ursprunglich hatte sie vierundsechzig Kanonen getragen, dann hatte man einige davon ausgebaut, weil sie Truppen von einem Unruheherd zum nachsten transportieren mu?te. Sie hatte sogar die Straflingskolonie in NeuSudwales angelaufen. Jetzt gehorte sie zur Invasionsflotte in einem Krieg, in dem alles, was sich uber Wasser halten konnte, gebraucht wurde.
        Jenour versuchte sich zu entspannen. Er hatte die Wache an der Seitenpforte aufziehen sehen, rotliches Sonnenlicht reflektierte von ihren gezogenen Sabeln. Als der Buggast die Gig festgemacht hatte, stieg Bolitho nach oben. Die gebrullten Kommandos und das Schrillen der Pfeifen betaubten ihn fast. Allday war dicht hinter ihm und wurde ihn stutzen, falls sein Fu? abglitt oder sein Auge versagte. Blo? das nicht.
        Er fing sich und gru?te zum Achterdeck hin, uber dem die Kriegsflagge vor dem Abendhimmel tanzte.
        Der Offizier, der ihn empfing, trug nur ein einzelnes Schulterstuck. Aber fur einen Commander war er zu alt, also bei
        Beforderungen offensichtlich ubergangen worden.»Willkommen an Bord, Sir Richard.»
        Bolitho lachelte kurz. Allday hatte recht, auf Schiffen gab es keine Geheimnisse. Wo steckt der Commodore?«Bolitho sah zu Warrens Flagge auf.»Ist er krank?»
        Commander Maguire sah unglucklich drein.»Er bittet um Entschuldigung, Sir Richard. Er erwartet Sie in seiner Kajute.»
        Bolitho nickte den anderen Offizieren zu und wandte sich an Jenour.»Bleiben Sie mit Allday hier und schauen Sie sich um.»
        Maguire fuhrte ihn zum Niedergang und verbeugte sich, als Bolitho zur Achterkajute schritt, vor der ein Seesoldat knallend die Hacken zusammenschlug. Das Schiff strahlte etwas Unwirkliches aus. Vielleicht war es auf zu vielen Stationen und zu lange fern von England eingesetzt worden. Funfzehn Jahre, hatte Bolitho gehort, war die Themis nicht mehr in England gewesen. Was konnte da ihr Rumpf noch an Belastungen aushalten?
        Ein schwarzer Diener in Leinenhose und roter Weste offnete die Lamellentur. Wieder einmal war Bolitho uberrascht.
        Man hatte aus der Achterkajute die Kanonen entfernt, um Quartier fur die vielen Offiziere zu schaffen, die bei den langen Truppentransporten untergebracht werden mu?ten. Um auf die Entfernung den Feind trotzdem zu tauschen, hatte man im Heck Kanonenattrappen eingebaut. Darum also wirkte die Kajute jetzt so geraumig. Nur ein Gestell mit Musketen erinnerte an den Krieg.
        Commodore Arthur Warren kam hinter einer zweiten Lamellentur hervor.»Sir Richard! Was mussen Sie von mir denken?»
        Bolitho war entsetzt. Er hatte den gleichaltrigen Warren nie naher gekannt, doch dieser Offizier in der zu gro?en Uniformjacke wirkte mit seinem faltigen Gesicht wie ein sehr alter Mann.
        Die Tur fiel zu. Commander Maguire hatte sich ohne Erlaubnis entfernt. Kein Wunder, da? der selbstbewu?te Kapitan Varian hier fur seine Zukunft eine Chance sah, dachte Bolitho.
        Sie waren allein mit dem Diener.

«Setzen Sie sich doch bitte. «Bolitho wartete, bis der Diener roten Wein in kostbare spanische Glaser gefullt und sie ihnen gereicht hatte. Warren setzte sich mit schmerzverzogenem Gesicht, ein Bein steif vor sich ausgestreckt, die linke Hand im Jackett verborgen. Das war kein kranker, sondern ein sterbender Mann.
        Bolitho hob sein Glas.»Auf gute Besserung. Die Neuigkeiten von Trafalgar haben Sie gewi? schon erfahren.»
        Der Wein war schal und flach, aber Bolitho achtete nicht darauf. Er dachte an seine Zeit als Flaggleutnant von Konteradmiral Sir Charles Thelwall auf dem Dreidecker Euryalus. Die Gesundheit seines Vorgesetzten hatte sich damals auf See rapide verschlechtert. Er schatzte Thelwall sehr, und es schmerzte ihn, als er sich an Land zur Ruhe setzte und bald darauf starb. So hatte Thelwall dann auch die Meuterei in der Nore, in Spithead, in Plymouth und Schottland nicht mehr erlebt, die kein Kapitan vergessen durfte, wenn er nicht mit seinem Leben spielen wollte. Der Admiral hatte damals so ausgesehen wie Warren jetzt.
        Der Commodore unterdruckte einen tiefen, gurgelnden Husten. Die roten Flecken danach auf seinem Taschentuch stammten nicht vom Wein. Vorsichtig sagte Bolitho: Ich mochte Sie nicht behelligen, Commodore, aber ich konnte den Arzt der Truculent kommen lassen. Er ist ein guter Mann, den ich schatze.»
        Warren richtete sich auf.»Es geht schon, Sir Richard. Ich kenne meine Pflichten.»
        Bolitho sah sich um. Das Kommando uber dieses alte Schiff und der Dienstrang eines Commodore war alles, was der Mann in seinem ganzen Leben erreicht hatte. Bolitho versuchte, sein Mitleid zu verbergen, und fuhr fort:»Ich habe neue Befehle an das Geschwader geschickt. Einige Schiffe mu? ich abziehen und nach England in Marsch setzen. «Schimmerte da Hoffnung in Warrens Augen auf? Er mu?te ihn enttauschen. Leider nur Fregatten, nicht dieses Schiff, Sir. Wir brauchen eine neue Strategie, um Kapstadt zu erobern und danach auch zu halten, ohne da? wir uns auf eine lange Belagerung einlassen, die nur die Hollander gewinnen wurden.»
        Warren antwortete heiser:»Die Armee wird das nicht mogen, Sir Richard. Sir David Baird ist ein Eisenfresser.»
        Bolitho dachte an den Brief, der in seinem Safe auf der Truculent eingeschlossen lag. Dieser Brief war nicht wie andere von einem Sekretar oder einem Lord der Admiralitat unterzeichnet, sondern trug Unterschrift und Siegel des Konigs. Obwohl es hie?, da?         Warren unterdruckte wieder einen Hustenanfall.»Was habe ich zu tun? Ich bin Ihr ergebener Diener, Sir Richard. Wenn Kapitan Varian Ihnen gemeldet haben sollte…»
        Bolitho unterbrach ihn.»Ich gehore seit meinem zwolften Lebensjahr der Marine an und habe seither gelernt, mir eine eigene Meinung zu bilden. «Er stand auf, trat ans Fenster und blickte uber die Kanonenattrappe hinweg zum nachsten Schiff, einer Fregatte.»Ich werde nicht ein einziges Leben mehr aufs Spiel setzen, Commodore Warren, als notig ist, damit wir beide hier unser Bestes geben konnen. Uberall in der Marine sind loyale Manner und Offiziere enttauscht, da? der Sieg von Trafalger nicht vollstandig war. Aber es wird noch Jahre dauern, bis der Tyrann Napoleon besiegt ist.»
        Warren und der Diener starrten ihn an, denn er hatte sehr laut gesprochen. Nun lachelte er.»Vergeben Sie mir meinen Ubereifer. Aber ich habe zu viele gute Schiffe untergehen, zu viele tapfere Manner fallen gesehen, weil ihre Vorgesetzten Fehler begingen. Wer die harten Gesetze des Krieges lieber vergessen mochte, wird es unter meinem Kommando schwer haben. «Er nahm seinen Hut.

«Augenblick noch, Sir Richard. «Warren nahm seinen eigenen Hut aus der Hand des Dieners und folgte ihm an Deck bis zur Seitenpforte. Seine Stimme klang viel fester.»Den Krieg kennen meine Manner und ich bisher nicht. Aber ich werde mein Bestes tun, genau wie meine Leute.»
        Jenour sah Bolithos ernstes Lacheln und wu?te, da? Wichtiges vor ihnen lag.
        Commodore Warren blickte sich suchend nach Maguire um. Fur die alte Themis war offensichtlich kein Flaggoffizier eingeplant worden.
        Bolitho nahm Jenour beiseite.»Wir werden spater hierher umziehen, Stephen, wenigstens fur die nachste Zeit. Bereiten Sie die anderen auf der Truculent darauf vor. Mr. Yovell allerdings wird die ganze Nacht fur mich zu schreiben haben. Und dann finden Sie mir hier an Bord einen guten Signalmeister, es tut nie gut, dafur einen Fremden mitzubringen. Ferner mochte ich um acht Glasen morgen alle Kommandanten hier an Bord sehen, also warnen Sie sie vor.
        Schicken Sie dazu das Wachboot rum, wenn Sie wollen.»
        Jenour verschlug dieses Tempo den Atem. Ihm war, als habe sich Bolitho aus einem Gefangnis befreit.

«Der Feind wei?, da? wir hier sind«, fuhr Bolitho fort.»Er kann uns beobachten. Ich mochte mir jenseits des Kaps den zweiten Ankergrund ansehen, vielleicht erspart uns das einen Hundert-Meilen-Marsch. Mein Befehl an den General lautete deshalb, den Angriff zu verschieben.»
        Jenour sah Bolithos Augen, sie waren grau wie der Ozean, uber den er blickte.»Aber Sie rechnen mit dem Widerstand des Generals, nicht wahr?»
        Bolitho klopfte Jenour auf den Arm.»Wir handeln unabhangig voneinander. Da wir heute schon ofter an Nelson gedacht haben, sollten wir uns auch an seine Worte erinnern: Die kuhnsten Ma?nahmen sind fast immer die sichersten.»
        In dieser Nacht sa? Bolitho am Heckfenster seiner Kajute auf der Themis und beobachtete die Schiffe, ohne Schlaf zu finden.
        In diese Kajute hatte sich einst ein Gouverneur gefluchtet - vor der Pest, die in seiner Kolonie ausgebrochen war.
        Die Luft hing schwer und feucht im Raum. Drau?en patrouillierte das Wachboot langsam zwischen den ankernden Schiffen. Bolitho dachte an Cornwall und an den scharfen Wind seiner Heimat. Jetzt lag er im Schatten Afrikas, weil andere es so gewollt hatten. Brauchte man sein Konnen hier so dringend? Oder war ihnen ein toter Held wie Nelson lieber als ein lebender, dessen Anwesenheit sie standig an ihre Fehler erinnerte?
        Das Deck zitterte, als eine Stromung das Schiff an der Ankerkette bewegte. Vom Wechsel auf die Themis hatte Allday nicht viel gehalten. Die Mannschaft war zu lange an Bord, viele waren von Handelsschiffen in der Karibik gepre?t worden, manche hatten Schiffsuntergange uberlebt, und viele waren aus den Gefangnissen Jamaikas geholt worden. Wie Warren war auch dieses Schiff ausgelaugt, erledigt. Bolitho hatte am Seitendeck die Halterungen fur die Drehbassen gesehen. Die zeigten nicht auf den Feind, sondern binnenbords auf die eigenen Leute, noch aus der Zeit, als das Schiff Straflinge und Kriegsgefangene transportiert hatte.
        Auch Ozzard schlief nicht, Bolitho horte ihn in der neuen Speisekammer rumoren. Ozzard, der ein Geheimnis mit sich herumtrug, wie Bolitho aufgefallen war. Er gahnte und rieb sich das verletzte Auge. Warum war Ozzard damals nicht an Deck gewesen, als Uberlebende und Verwundete die sinkende Hyperion verlie?en? Daruber fiel ihm sein Flaggkapitan und Freund Valentine Keen ein, den der Verlust des alten Schiffes genauso geschmerzt hatte. Und dann schlief Bolitho doch ein.



        III Wer ist die Albacora?

        Der kleine Toppsegelschoner Miranda erinnerte an eine riesige, flatternde Motte. Mowen umkreisten ihn schreiend, als er gischtumhullt wendete. Seine Spieren gingen uber, dann fingen die Segel den Wind von der anderen Seite ein.
        Die Miranda krangte so weit nach Lee, da? die See durch ihre Speigatten rauschte, sogar uber die Reling einstieg und die Vierpfunder an Deck umspulte, als seien es Felsen im Meer. Das Donnern der Brecher und das Knallen der Leinwand umgaben das Schiff. Kommandos waren kaum notig, denn jeder an Bord wu?te, was er zu tun hatte und wo Gefahren drohten. Die See konnte einem Mann an Deck die Knochen brechen, der Wind ihn fauchend uber Bord fegen. Ein so kleines, quirliges Schiff brauchte aufmerksame und erfahrene Manner.
        Achtern am Kompa? hielt sich ihr Kommandant, Leutnant James Tyacke, an einer Pardune fest. Wie seine ganze Besatzung war er na? bis auf die Haut. Mit geroteten Augen starrte er durch die Gischt hoch zum brettharten Gro?segel und seiner Flagge, wahrend das Schiff mit sudlichem Kurs durch die Seen pflugte.
        Sie hatten die ganze Nacht und ein Gutteil des Tages dazu gebraucht, um sich aus der Saldanhabucht freizusegeln, weg von den ankernden Kriegsschiffen, Versorgern, Bombarden, Truppentransportern und kleineren Einheiten. Leutnant Tyacke war lange nach Westen abgelaufen, um genugend Raum fur eine schnelle Reise hinunter zu Commander Warrens kleiner Flottille zu haben. Noch aus einem anderen Grund war er weit auf See hinaus gesegelt, und den ahnte allenfalls der zweite Mann an Bord. Tyacke wollte so viel Raum wie moglich zwischen sich und die Flotte legen, damit ihn nicht wieder ein Befehl zum Flaggschiff zuruckrief.
        Er hatte seinen Auftrag ausgefuhrt, hatte Bolithos Depeschen dem General und dem dortigen Commodore ubergeben und war nun froh, wieder unterwegs zu sein.
        Tyacke war drei?ig Jahre alt und seit drei Jahren Kommandant der Miranda. Verglichen mit ihr war das Flaggschiff wie eine Stadt gewesen, in der es mehr Rotrocke gab als Seeleute. Naturlich kannte er solch gro?e Schiffe. Vor acht Jahren war er Leutnant auf der Majestic gewesen, einem Zweidecker in Nelsons Mittelmeerflotte. Er hatte im unteren Batteriedeck gekampft, als Nelson die Franzosen in der Bucht von Abukir vernichtete. Aber sie waren zu furchtbar, diese Bilder seiner Erinnerung. Im Lauf der Zeit verwischten sie sich wie Szenen aus einem Albtraum. Spater zahlte man ihn zu den Glucklichen - nicht wegen des Sieges, fur den sich nur Leute ruhmen konnten, die nicht dabeigewesen waren. Aber er hatte uberlebt, wo so viele gefallen waren oder sich unter der Sage und dem Messer des Schiffsarztes zu Tode geschrieen hatten. Und er war auch nicht als mitleidheischender Kruppel daraus hervorgegangen, an dessen Verdienste sich niemand erinnern wollte.
        Leutnant Tyacke blickte auf den Kompa?. Sein Schiff schnitt durch die Wogen, als seien sie Luft. Er legte die Hand aufs Gesicht und spurte, was er jeden Tag beim Rasieren im Spiegel sah. Eine Kanone war explodiert oder eine brennende Lunte herubergeschleudert worden und hatte eine Ladung Pulver entzundet. Niemand war ubriggeblieben, der ihm den genauen Ablauf beschreiben konnte. Niemand au?er ihm. Die ganze rechte Halfte seines Gesichts war weggebrannt worden und sah nun aus wie gegrilltes Fleisch. Die Leute drehten sich weg, um ihn nicht sehen zu mussen. Ein Wunder, da? die Augen unverletzt geblieben waren.
        Er erinnerte sich, wie er vor Stunden mit den Depeschen an Bord des Flaggschiffs gekommen war. Er hatte weder den dortigen Commodore noch den General gesehen. Ein gelangweilter Oberst nahm ihm den Umschlag ab, ein Glas Wein in der gepflegten Hand, und lud ihn nicht einmal zum Sitzen ein, schon gar nicht zum Mittrinken.
        Als er dann uber die Seite des riesigen Schiffes in sein Beiboot hinunterkletterte, war eben dieser Oberst an die Reling geeilt.»Leutnant! Warum haben Sie uns nichts von Nelson und seinem Sieg berichtet?«hatte er ihm nachgerufen.
        Tyacke hatte an der schwarzen, gewolbten Bordwand hinaufgeblickt und seine Verachtung nicht langer verhehlt.»Niemand hat mich danach gefragt, Sir!»
        Benjamin Simcox, als Master-Gehilfe fur Navigation auf der Miranda zustandig, sa? im Beiboot neben seinem Kommandanten. Im gleichen Alter wie Tyacke, war er wie der Schoner selbst aus der Handels- zur Kriegsmarine gewechselt. Mit Bob Jay, dem zweiten Master-Gehilfen, machten sie den nur 22 Meter langen Schoner zu einem perfekten Segler, auf den jeder an Bord stolz war.
        Tyacke, Simcox oder Jay waren die drei Wachfuhrer, und Tyacke und Simcox waren in den drei Jahren Freunde geworden. Ihr unterschiedlicher Rang trennte sie nur bei so offiziellen Anlassen wie jetzt beim Besuch des Flaggschiffs.
        Tyacke sah Simcox an, verga? seine Entstellung fur einen Augenblick und sagte:»Das war seit einem Jahr das erste Mal, da? ich wieder den Degen angelegt habe, Ben.»
        Simcox nickte und erinnerte sich daran, wie er einmal nachts in der Kammer neben der des Kommandanten erwacht war. Tyacke hatte im Traum laut auf ein Madchen eingeredet, das versprochen hatte, auf ihn zu warten. Das Gestammel war herzzerrei?end gewesen. Simcox hatte Tyacke an der Schulter geruttelt, damit nicht das ganze Schiff mithorte. Eine Erklarung war nicht notig. Tyacke hatte eine Flasche Brandy geholt, die bis zur Morgendammerung leer gewesen war. Tyacke hatte dem Madchen, das er seit seiner Jugend kannte, keine Vorwurfe gemacht. Niemand wurde sein Gesicht jeden Morgen sehen wollen, sagte er.
        Nachdem sich die Miranda auf dem neuen Kurs stabilisiert hatte, rief Simcox durch den Larm seinem Kommandanten zu:»Prima, wie sie lauft!«Er zeigte auf eine Figur, die sich bei der Luke angeleint hatte, Hose und Strumpfe mit Erbrochenem bekleckert:»Dem allerdings geht's nicht so gut!»
        Es war Midshipman Roger Segrave, seit Gibraltar auf der Miranda. Sein fruherer Kommandant hatte Tyacke gebeten, ihn zu ubernehmen, damit der Junge auf einem kleineren Schiff mehr praktische Seemannschaft lernte als auf dem Dreidecker und Selbstvertrauen gewann. Es hie?, der Onkel des Midshipman sei
        Admiral in Plymouth und bange um den guten Namen der Familie. Roger durfte auf keinen Fall durch das Leutnantsexamen fallen. Tyacke hatte klar gesagt, da? er nichts davon hielt. Der junge Mann storte die eingespielte Bordroutine wie ein unwillkommener Besucher.
        Simcox war von der alten Schule. Von einem Tampen oder einer Ohrfeige zur rechten Zeit hielt er mehr als von langen Reden uber Disziplin. Doch verbohrt war er nicht. Also erklarte er dem Midshipman, was ihm bevorstand. Leutnant Tyacke war der einzige Offizier an Bord, und Segrave als Kadett durfte auf diesem kleinen Schoner keine Privilegien erwarten. Hier waren alle eine einzige Besatzung, anders als auf einem ubervollen Linienschiff.
        Segrave sank stohnend uber die Luke. Sechzehn Jahre war er alt und fast so hubsch wie ein Madchen; er benahm sich wie ein scheuer Edelknappe, auch der Besatzung gegenuber. Zwar gehorte er nicht zu den verwohnten Monstern, von denen Simcox gehort hatte, aber leider auch nicht zu den jungen Mannern, die alles erfolgreich anpacken konnten. Er gab sich Muhe - ohne Erfolg. Jetzt starrte er in den Himmel, gleichgultig gegenuber dem peitschenden Gischt und seiner beschmutzten Kleidung. Leutnant Tyacke musterte ihn kuhl.»Binden Sie sich los, gehen Sie nach unten und holen Sie uns Rum. Leider kann ich niemand anderen schicken, alle werden hier gebraucht.»
        Simcox grinste hinter dem Jungen her, der achzend unter Deck verschwand.»Gehen Sie nicht ein bi?chen hart mit ihm um, James?»
        Tyacke zuckte mit den Schultern.»Schadet nichts. In ein oder zwei Jahren la?t er Manner an der Grating auspeitschen, nur weil sie ihn scheel angeschaut haben.»

«Der Wind raumt«, rief Jay, der zweite Gehilfe.

«Geht hoher ran. Setzt die Marssegel und dann ab mit Vollzeug.»
        Unter Deck horte man Scherben klirren. Jemand erbrach sich.

«Den kleinen Affen bringe ich noch mal um«, murmelte Tyacke.

«Was halten Sie von Bolitho?«fragte Simcox, um ihn abzulenken.
        Der Kommandant hielt sich fest und beugte sich vor, als eine See uber Deck rauschte. In dem schaumenden, gurgelnden Wasser standen seine halbnackten Manner und grinsten einander zu. Niemand von denen wurde uber Bord gehen.

«Ein guter Mann, ganz bestimmt. «Tyacke erinnerte sich an die Hurrarufe, als Bolithos Schiff in die Schlacht eingegriffen hatte.»Ich kannte viele, die unter ihm gedient haben. In Dover gab's noch einen alten Mann, der unter Bolithos Vater kampfte, als der seinen Arm verlor. In Dover war ich zu Hause, und da ist auch dieser Schoner gebaut.»
        Simcox musterte das scharfe Profil seines Kommandanten. Ein Madchen, das den Leutnant nur von dieser Seite sah, hatte sich leicht in ihn verlieben konnen.

«Erzahlen Sie dem Admiral von diesem alten Mann?»
        Tyacke wischte sich Wasser von Gesicht und Hals.»Wie denn? Er ist doch Admiral!»
        Die Miranda jagte unter vollem Tuch durchs Wasser, da? der Schatten ihrer Segel wie eine riesige Flosse uber die Wellen flog. Trotzdem lag sie leicht auf dem Ruder. Sie war als Paketboot in Dover gebaut worden, aber schon nach den ersten Fahrten von der Royal Navy requiriert worden. Siebzehn Jahr spater segelte sie noch immer unter der Kriegsflagge, ein sehr lebendiges Schiff, das hoch an den Wind ging wegen seines einfachen Segelrisses und seines tiefen Kiels. Er verhinderte, da? sie zuviel Abdrift machte wie manche gro?eren Schiffe. Mit ihren vier Vierpfundern und zwei Karronaden war sie als Kurier gebaut, nicht fur Gefechte. Eine einzige Breitseite von einer Fregatte hatte sie in ein Wrack verwandelt.
        Zwischen den Decks hing der kraftige Duft nach Rum und Tabak und der fette Geruch des Mittagessens. Als sich die Wache um den Messetisch versammelte, sa?en Simcox und Tyacke in der Kajute. Dieser Raum war so niedrig, da? sich die beiden gro?en Manner darin nur gebuckt bewegen konnten.
        Der Midshipman sa? ihnen beschamt und angstlich am anderen Ende gegenuber. Er tat Simcox leid. Schon der Gedanke an Essen bei diesem Seegang mu?te seinen Magen aus dem Gleichgewicht bringen.
        Plotzlich sagte Tyacke:»Sollte ich doch mit dem Admiral zusammentreffen, werde ich ihn um Bier fur uns bitten. Ich habe gesehen, da? einige Soldaten auf dem Flaggschiff Bier tranken - warum also nicht auch wir? Das Wasser bringt hier sicherlich mehr Leute um als die Hollander.»
        Beide sahen uberrascht auf, als Segrave sich meldete:»In London wurde viel uber Vizeadmiral Bolitho geredet.»

«Und was bitte?«fragte Tyacke mit tauschend freundlicher Stimme.
        Segrave verga? seine Seekrankheit und gab bereitwillig Auskunft.»Meine Mutter meinte, er hat sich unmoglich benommen. Unmoglich! Wie konnte er nur seine Frau wegen dieser Kokotte verlassen? Ganz London emport sich daruber. «Weiter kam er nicht.

«Wenn Sie das vor der Mannschaft sagen, werde ich Sie unter Arrest stellen und in Eisen legen lassen, junger Mann«, drohte Tyacke. Aber Simcox war sicher, da? die Freiwache trotzdem jedes Wort gehort hatte. Warum erregte sich der Kommandant so?
        Tyacke beugte sich vor.»Und wenn Sie hier solchen Schwachsinn noch einmal sagen, werde ich Sie zum Duell fordern, egal wie jung und nutzlos Sie sind.»
        Segrave wurde bla?. Simcox legte Tyacke eine Hand auf den Arm.»Ruhe, Ruhe. Woher soll's der Junge wissen?»
        Tyacke schuttelte seine Hand ab.»Verdammt noch mal, Ben, was wollen diese Leute eigentlich?«Er wies mit dem Zeigefinger auf Segrave.»Wieso durfen sie Manner verurteilen, die jede Stunde, jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, damit andere in Ruhe und Frieden daheim ihren Tee trinken und ihre Kekse essen konnen? Ich kenne Bolitho nicht, aber so etwas lasse ich nicht uber ihn sagen.»
        In der Stille gurgelte die See ums Heck.»Tut mir leid, Sir«, wisperte Segrave schlie?lich.
        Tyacke lachelte unerwartet.»Ich hatte Sie nicht anbrullen sollen, das war nicht fair. Sie konnen sich nicht wehren. «Er wischte sich die Stirn mit einem zerknullten Taschentuch.»Aber jedes Wort zahlt, also seien Sie auf der Hut.»
        In dem frischen Nordwest war von drau?en plotzlich der Ruf des Ausgucks zu horen: Segel an Steuerbord voraus!»
        Simcox klemmte seine Tasse in einem sicheren Winkel fest.
        Der Ruf war gerade zur rechten Zeit gekommen.

«Kurs Sudwest zu Sud liegt an, Sir. Voll und bei.»
        Das Deck der Miranda neigte sich noch starker, als der Schoner unter dem Druck von Gro?- und Vorsegeln dem Ruder gehorchte. Wasser rauschte um die halbnackten Seeleute, die die gequollenen Leinen dichtholten und mit gekrummten Zehen Halt an Deck suchten. Leutnant Tyacke zog sich zur Luvreling hoch. Am Bug sprang die Gischt empor und lie? den Kluver im Sonnenlicht metallisch glanzen.
        Simcox nickte zustimmend, als der rundliche Bootsmann George Sperry noch zwei Mann ans Ruder stellte. Die Miranda wurde uber eine geschnitzte Pinne gesteuert, was in dem harten Wind viel Kraft verlangte. Er sah Midshipman Segrave im Schatten des Gro?masts stehen, der unter dem Segeldruck achzte. Der Junge versuchte mude, den Mannern auszuweichen, die an ihm vorbeihasteten, um die Brassen dichtzusetzen. Wahrschau!«rief er ihm zu. Eine See stieg uber die Leereling ein, begrub den Jungen unter sich und rauschte weiter. Segrave kam schnaufend und pitschna? wieder frei.

«Her zu mir!«rief Simcox.»Achten Sie auf Segel, Wind und Kompa?, damit Sie endlich ein Gefuhl fur die Miranda kriegen.»
        Hoch oben knallte etwas wie eine Peitsche: Eine Leine war gebrochen und wehte aus. Schon enterte ein Matrose auf, ein zweiter warf ihm eine Leine zum Anstecken nach, denn zum Splei?en blieb keine Zeit.
        Segrave klammerte sich an die Beting unter dem Besanbaum und starrte nach oben. Die Manner, die da arbeiteten, scherten sich einen Teufel um den Wind, der sie aus der Takelage rei?en wollte. Noch nie hatte er sich so elend, so verzweifelt und so mutlos gefuhlt. Noch immer schmerzte ihn Tyackes Anpfiff wegen Bolitho. So wutend hatte er den Kommandanten noch nie erlebt.
        Segrave wollte Tyacke ausweichen, doch das war auf einem so kleinen Schiff unmoglich. Es gab niemanden, mit dem er reden konnte, der ihn verstand. Auf seinem letzten Schiff hatte er gleichaltrige Kameraden gehabt, aber was blieb ihm hier? Sein Vater war ein Held gewesen, an den sich Roger Segrave allerdings kaum erinnern konnte. Bei seinen seltenen Besuchen daheim war er ihm fremd geblieben, ein unzufriedener Mann. Lag es daran, da? er drei Tochter, aber nur einen Sohn hatte? Eines Tages traf die Nachricht ein, da? Kapitan Segrave in der Schlacht von Camperdown gefallen war. Mit trauriger, doch gefa?ter Stimme hatte die Mutter den Kindern den Tod des Vaters mitgeteilt. Da hatte schon ein Onkel, pensionierter Admiral in Plymouth, Roger unter seine Fittiche genommen - zum bleibenden Ruhm der Familie. Als der Onkel ein passendes Schiff gefunden hatte, wurde der Junge mit einer Seekiste an Bord geschickt. So begannen fur ihn drei hollische Jahre auf See. Segrave ha?te die Marine, ihm war die Familientradition herzlich gleichgultig. Ehe er Portsmouth verlie?, hatte er seiner Mutter sein Herz
ausgeschuttet, aber sie hatte ihn umarmt und dann von sich geschoben. Ihre Stimme klang verletzt:»Und das, nachdem der Admiral soviel fur dich und unsere Familie getan hat! Sei tapfer, Roger. Wir wollen stolz auf dich sein!»
        Segrave versteifte sich jetzt, als der Kommandant sich zu ihm umdrehte. Wenn er nur nicht dieses furchtbar entstellte Gesicht gehabt hatte! Segrave ahnte trotz seiner Jugend, wie sehr Tyacke darunter litt. Und obwohl er es gar nicht wollte, starrte er ihm immer wieder ins Gesicht.
        Wenn er seine Prufung bestand, wurde er zum Leutnant befordert werden. Er duckte sich, als Gischt auf ihn niederprasselte. Dann mu?te er die Messe mit anderen Offizieren teilen, und die wurden schnell erkennen, was fur ein Schwachling er war; eine Gefahr fur alle, wenn es zum Kampf kam. Er ballte die Hande, bis es schmerzte, und schluckte vor Furcht.
        Simcox kopfte ihm auf die Schulter.»Fallen Sie einen Strich ab. Neuer Kurs Sudsudwest. «Segrave gab den Befehl an den altesten Ruderganger weiter, doch der ubersah den Midshipman und suchte Simcox' Blick zur Bestatigung.

«An Deck! Der Fremde lauft davon und setzt mehr Segel.»
        Tyacke schob die Daumen hinter seinen Gurtel.»Er versucht's also. «Durch die hohlen Hande rief er:»Mr. Jay, nehmen Sie ein Glas mit nach oben!«Der Mastergehilfe eilte zu den Webleinen, und da kam schon der nachste Befehl:

«Marssegel setzen!«Tyacke lachelte, was er selten tat.»Er wird uns nicht entkommen.»
        Dann schien er Segrave zum erstenmal zu bemerken.»Entern Sie mit auf und lernen Sie was!«Damit lie? er den Midshipman stehen.
        Segrave hatte endlich das Ende der schwankenden Webleinen erreicht und hielt sich neben Mr. Jay auf der Saling fest. Die Hohe machte ihm nichts aus, er starrte uber die endlose See mit ihren wei?schaumenden Wellen. Hier oben konnte man das Schiff vergessen. Er sah, wie die Gischt am Bug hochstieg und uber das Deck geweht wurde, fuhlte das Zittern des Mastes und merkte, wie die Segel den Wind einfingen, dessen Heulen alles an Deck ubertonte.
        Jay gab ihm das Teleskop.»Schauen Sie sich den mal an. «Dann brullte er nach unten:»Ein Schoner, Sir! Ohne Flagge.»
        Tyackes Stimme drang muhelos bis zu ihnen herauf:»Flieht er?»

«Aye, aye, Sir.»
        Sie horten das Quietschen eines Blocks, und Sekunden spater entfaltete sich die Kriegsflagge unter der Gaffel der Miranda. Jay grinste:»Denen werden wir's zeigen!

        Segrave sah, da? das andere Schiff ebenso stark uberholte wie die Miranda. Es schien plotzlich sehr viel naher. Segrave erkannte schmutzige, geflickte Segel und auswehende, gebrochene Tampen. Der Rumpf war wohl mal schwarz gewesen, aber jetzt hatten Wetter und Seen an vielen Stellen die Farbe abgefressen. Auf einem Schiff der Navy ware so etwas unmoglich gewesen, auch nach hartesten Einsatzen.»Was ist das fur einer, Mr. Jay?»

«Vermutlich ein Sklavenhandler. «Jay musterte das andere Schiff abschatzig.»Den schnappen wir uns ganz bestimmt.»
        Tyackes Stimme schallte ubers Deck:»Klar zum Gefecht! Mr. Archer nach achtern, bitte. «Archer war der Stuckmeister.»Mr. Segrave! Nach unten, aber sofort!»
        Jay sah zu, wie der Midshipman in den Webleinen abenterte. Sein helles Haar wehte im Wind. Uber den Jungen konnte man sich nicht beklagen, doch ein so kleines Schiff hatte seine Tucken. Eine Hand furs Schiff, eine fur dich selbst, hie? die wichtigste Regel. Passagiere oder Muttersohnchen hatten an Bord keinen Platz.
        Als Segrave das Deck erreicht hatte, stand Simcox schon vor ihm:»Helfen Sie Mr. Archer, er wird vorn den Vierpfunder feuerklar machen und abfeuern. Lernen Sie dabei, soviel Sie konnen.»
        Der rundliche Bootsmann grinste mit seinen schadhaften Zahnen:»Archer schie?t einen Apfel vom Baum, selbst noch auf hundert Schritt.»
        Tyacke sprach jetzt mit dem Ruderganger, und in der grellen Sonne sah sein Gesicht wie frisches Fleisch aus. Segrave folgte dem Stuckmeister, aber am liebsten hatte er sich unter Deck verkrochen. Der grauhaarige Elias Archer stand lassig mit vor der Brust verschrankten Armen auf dem tanzenden Vordeck und lie? seine Manner das Buggeschutz laden.

«Haben Sie das schon mal gemacht?«frage er den Midshipman und starrte dabei zu dem anderen Schiff hinuber. Es war gro?er als die Miranda und konnte ihnen immer noch davonsegeln.
        Segrave schuttelte den Kopf. Ihm war eiskalt trotz der Sonne, und er zitterte, wenn der Bug in die See fiel.»Nein«, antwortete er.

«Mein letztes Schiff hat mal einen franzosischen Zweidecker verfolgt, aber der lief auf Grund und ging in Flammen auf, ehe wir ihn entern konnten.»

«Wir machen das besser. «Der Stuckmeister nahm eine glanzende Kanonenkugel aus dem Gestell und rollte sie prufend zwischen seinen harten Handen.»Kurierschiffe mussen schnell und leicht sein. Ohne uns bekame die Flotte keine Nachrichten. Und ohne uns ware selbst Nelson damals am Ende gewesen. «Einem aus seiner Mannschaft befahl er:»Stuckpforte auf.»
        Segrave sah Manner an Schoten, Halsen und Brassen eilen. Der verfolgte Schoner war bestimmt abgefallen, obwohl das von hier aus schwer zu beurteilen war.
        Archer beugte sich vor und beobachtete kritisch, wie die Kanone geladen wurde. Manche Idioten verdoppeln die Pulvermenge«, sagte er,»aber nicht auf der kleinen Miranda.»
        Segrave horte den Befehl des Kommandanten:»Signalisieren Sie ihm, er soll beidrehen.»
        Archer grunzte nur.»Darum kummert der sich einen Dreck.»

«Vielleicht kennt er unsere Signale nicht«, meinte Segrave unschlussig.
        Ein Matrose deutete grinsend auf die Kanone.»Die versteht er bestimmt!»
        Der andere Schoner zeigte sein Unterwasserschiff unter dem Druck der Segel. Kopfe wurden uber der Reling sichtbar, aber niemand antwortete auf das Signal der Miranda. »Laden und ausrennen«, kam Tyackes Befehl.
        Die Kugel wurde in die Mundung geschoben, ein Propf nachgestopft, dann zog die Mannschaft an den Brocktauen, und das Rohr schob sich durch die offene Pforte. Archer erklarte, was vorging.»Der hat zwar den besseren Wind, mein Junge, aber wir konnen ihm eins verpassen, wohin wir wollen.»
        Jay im Ausguck brullte plotzlich:»Die werfen eine Leiche uber Bord, Sir. Und noch eine!»
        Tyacke pre?te das Teleskop ans Auge.»Der letzte lebte noch«, sagte er bose.»Vor ihren Bug, Mr. Archer!»
        Archer duckte sich, peilte uber den Lauf und ri? an der Abzugsleine. Die Kanone ruckte zuruck in ihre Halteseile, Rauch wehte aus der Pforte, und der Lauf wurde sofort fur den nachsten Schu? ausgewischt.
        Segrave sah an Steuerbord des fremden Schoners Gischt aufspritzen. Hatte Archer mit seinem Schu? so weit daneben gelegen? Aber die Kugel war ubers Wasser gehupft wie ein springender Delphin und vor dem Bug eingeschlagen. Segrave deutete auf die Gischt, die jetzt in sich zusammenfiel.»Was ist das?»
        Sperry, der Bootsmann, sagte heiser:»Da toben Haie.»
        Segrave fuhlte, wie ihm schlecht wurde. Die beiden Korper, die man wie Abfall uber Bord gekippt hatte, waren vor seinen Augen zerrissen worden.

«Bootsmann! Beiboot aussetzen!»
        Segrave sah, wie das andere Schiff beidrehte, seine geflickten Segel flatterten wild. Aber die Mannschaft der Miranda war solche Jagden gewohnt. Die Waffenkiste stand schon geoffnet an Deck, Jay rutschte eine Pardune hinunter, griff nach einem Sabel und lie? sich eine Pistole reichen.

«Wir bleiben in Lee. Geht an Bord und durchsucht sie, aber la?t euch auf nichts ein. Ihr wi?t, was ihr tun mu?t!«rief ihnen Tyacke zu.
        Simcox wandte sich an Segrave.»Halten Sie sich am besten an Mr. Jay. Wenn der da druben Sklaven an Bord hat, mussen wir ihn laufen lassen. Es gibt kein Gesetz gegen Sklavenhandel, jedenfalls noch nicht. Aber ich wurde die Crew da druben hangen, Gesetz hin, Gesetz her.»
        Tyacke trat zu ihnen.»Unterstutzen Sie Mr. Jay, wo Sie konnen«, sagte er zu Segrave.»Aber seien Sie auf der Hut, die dort druben sind tuckischer als Schlangen.»
        Vom Beiboot aus sah die kleine Miranda riesig aus.»Klar bei Riemen. Ruder an!«Jay ergriff die Pinne, und das Beiboot hielt auf den anderen Schoner zu.
        Sperry, mit einer Axt und einem Entermesser im Gurtel, sog Luft durch die Nase. Kein Sklavenhandler!«sagte er.»Er stinkt nicht. Wir hier in Lee mu?ten es riechen.

        Segrave bi? die Zahne zusammen. Was kam da blo? auf ihn zu? Er erinnerte sich, wie seine Mutter ihm und den Schwestern vom Tod des Vaters berichtet hatte. Wie wurde sie auf seinen Tod reagieren? Mit Stolz? Oder laut klagend? Er starrte auf das andere Schiff, bis seine Augen schmerzten. Zur Holle mit allem!
        Jay rief hinuber:»Im Namen des Konigs! Wir kommen jetzt an
        Bord!»
        Sperry grinste.»Wie schon du das mal wieder gesagt hast, Bob.»
        Wahrend die beiden sich neckten, starrte Segrave sie angstvoll an. Sklavenschiffe waren oft hervorragend bewaffnet, hatte er gehort.
        Plotzlich wurde Jay ernst.»Also, wir machen's wie ublich, Manner. Ubernehmt als erstes das Ruder und entwaffnet die Mannschaft. Und Sie bleiben in meiner Nahe«, wandte er sich an Segrave.»Also los!»
        Ein Wurfanker flog uber die Reling des Schoners, der Albacore hie?, und dann kletterten sie alle an Bord. Das Rauschen der See klang ferner, als sie auf dem fremden Deck standen. Segrave hielt sich an den Mastergehilfen, der sich jetzt vor einem Herrn in schmutziger wei?er Kniehose und zerknittertem Seidenhemd verneigte.

«Sie sind wohl der Skipper?»
        Segrave musterte die fremde Crew. Ein gemischtes Volk, der Abschaum der Gosse.

«Und was ist das?«Mit kraftigem Schwung zog der Bootsmann einen Mann aus der Gruppe, ri? ihm das Hemd auf und drehte ihn um, so da? Jay die Tatowierung auf seiner Brust sehen konnte: gekreuzte Flaggen, eine Kanone und der Name eines Schiffs - Donegal.

«Ein Deserteur, ha! Das ist wohl das Ende fur dich.»
        Der Mann wand sich.»Um Gottes willen, la?t mich laufen! Ich bin doch auch nur so ein armes Schwein wie ihr.»

«Und bald eine Leiche mit einem Strick um den Hals.»
        Das wurde Segrave nie verstehen: Manner, die selbst zum Dienst gepre?t worden waren, wurden sauwutend, wenn sie auf einen Deserteur trafen.
        Der Skipper zuckte nur mit den Schultern und schuttelte den Kopf. Jay seufzte. Sprichst wohl kein Englisch, oder?«Er sah sich um und zeigte mit seinem Sabel auf den Deserteur.»Wenn du uns hilfst, wirst du nicht gehangt.»
        Der fremde Seemann lie? sich auf die Knie fallen.»Ich hab' doch erst eine Reise gemacht, Sir!»

«Und wer warf die beiden Manner uber Bord?«Die Sabelspitze beruhrte die Kehle des Mannes.»Keine Lugen, oder du gehst selber zu den Haien.»

«Der Skipper hat sie uber Bord geworfen, Sir!«Er sabberte vor Angst.»Sie haben gekampft und einander umgebracht. «Er senkte den Blick.»Der Skipper wollte sie sowieso loswerden, sie waren nicht kraftig genug fur harte Arbeit.»
        Segrave beobachtete den Mann im Seidenhemd, er schien kuhl und unbewegt. Man wurde ihm nichts anhaben konnen, obwohl er zwei Sklaven umgebracht hatte.

«Behalt die Crew im Auge, George«, rief Jay. Und an einen Matrosen gewandt:»Wir gehen jetzt unter Deck. Sie kommen mit, Mr. Segrave.»
        Unten war es noch schmutziger. Der Rumpf stohnte und knarrte, wahrend die Manner mit brennenden Lampen zwischen die leeren Handfesseln und Fu?eisen traten, die verhinderten, da? die Schwarzen sich mehr als ein paar Schritte bewegen konnten - auf der langen Reise von Afrika zu den westindischen Inseln oder ans sudamerikanische Festland.

«Darum nehmen sie nur die gesundesten. Andere wurden die Reise nicht uberleben.
«Jay spuckte aus.»Sie liegen hier unten wochenlang im eigenen Dreck.»
        Segrave wurgte der Ekel, aber er konnte sich gerade noch beherrschen.»Wird der Deserteur wirklich begnadigt?»
        Jay sah ihn gro? an.»Naturlich, wenn er uns helfen kann. Dann wird er nicht gehangt. Aber zweihundert Peitschenhiebe kriegt er bestimmt, damit er in Zukunft nicht vergi?t, wohin er gehort.»
        Der Seemann, der sie begleitete, fragte:»Was ist da achtern im Heck, Mr. Jay?»

«Die Kajute und die Kammern. Warum?»

«Ich hab' dort was gehort.»

«Guter Gott!«Jay zog seine Pistole und spannte sie.»Vielleicht will uns irgendein Schweinehund in die Luft jagen. Los, ran!»
        Der junge Seemann warf sich mit aller Kraft gegen die Tur und ri? sie aus den Angeln. Bis auf einen Fleck Sonnenlicht lag die Kajute im Dunkeln. Und selbst das bi?chen Licht hatte Muhe, durch das dreckige Glas des Skylights zu dringen.
        Auf einer schmutzigen Koje lag zwischen Lumpen eine junge schwarze Frau. Sie stutzte sich auf die Ellbogen, ihre Beine waren von einem schmutzigen Laken bedeckt. Sonst war sie nackt. Sie schaute die Eindringlinge ohne Uberraschung an. Als sie sich bewegen wollte, hielt eine Fu?kette sie zuruck.

«Aha«, sagte Jay leise,»so vergnugt sich also der Skipper.»
        Sie kehrten an Deck zuruck. Miranda ging gerade auf den anderen Bug, um naher an die treibende Albacora zu kommen. Tyackes Stimme erreichte sie mit Leichtigkeit: Wer ist die Albacora?»

«Ein Sklavenschiff, Sir. Hat zur Zeit aber nur eine Schwarze an Bord. Und einen Deserteur!»
        Segrave dachte an das schwarze Madchen: angekettet wie ein Tier, zum Vergnugen des Skippers. Wie schon sie gewesen war, trotz ihrer dunklen Haut…

«Zielhafen?«Jay sah auf die Karte.»Madagaskar, Sir!»

«Viel ist sie ja nicht wert«, murmelte einer der Manner neben Segrave,»aber ein kleines Prisengeld wurden wir schon fur sie kriegen, nicht wahr?«Sein Kumpel nickte.
        Tyackes Stimme verriet nichts.»Sehr gut, Mr. Jay. Bringen Sie den Deserteur an Bord!»

«Nein, nein!«schrie der Mann, aber der Bootsmann streckte ihn mit einem gezielten Fausthieb nieder. Als der Kerl sich erholt hatte, kroch er ubers Deck und umklammerte Jays Knie.»Er hat die richtige Karte unter Deck gebracht, als wir Sie sichteten«, stammelte er.»Das macht er immer, wenn sich ein fremdes Schiff nahert. Dann holt er die falsche Karte hoch, die jeder sehen kann.»
        Jay schob die Hande des Deserteurs weg.»Da? ich daran nicht gedacht habe!«Er griff nach Segraves Arm.»Kommen Sie mit!»
        In der Kajute lag das Madchen noch wie vorhin da, als habe es sich inzwischen nicht bewegt. Sie wuhlten in Buchern und Karten, alten Kleidern und Waffen. Jay wurde nervos, weil er wu?te, da? Tyacke schnell wieder weitersegeln wollte.»Das bringt nichts«, sagte er schlie?lich.»Der Deserteur wollte nur seine Haut retten und hat diese Kartengeschichte erfunden.»
        Ein Spiegel lehnte an einem Kasten mit Duellpistolen. Jay hob ihn an - ein letzter Versuch.»Nichts, verdammt noch mal!«Er warf das Glas weg, und Segrave fing es auf, ehe es zu Boden fallen konnte. Die Schwarze auf der Koje bewegte sich, ihre Bruste glanzten im Sonnenlicht.

«Sie liegt auf was, Mr. Jay!»
        Jay starrte zuerst ratlos zu ihr hinuber, dann ging er zur Koje, um sie zur Seite zu schieben. Aber ihr schwei?nasser Korper entglitt seinem Griff, sie bewegte sich blitzschnell, und ein Messer blitzte in ihrer linken Hand. Segrave sprang Jay zu Hilfe.
        Jay fiel und rutschte durch Segraves Ansturm uber den Boden der Kajute. Der junge Mann sank uber die Frau und stie? einen schrillen Schmerzensschrei aus.
        Segrave spurte das Messer wie eine Flamme uber seine Hufte zucken und wu?te, mit dem zweiten Stich wurde sie seinen ungeschutzten Rucken treffen. Aber dann knallte es, und das Messer flog zu Boden. Die Frau fiel mit blutendem Mund gegen die Wand. Jay hatte sie geschlagen.
        Der junge Seemann kam jetzt in die Kajute gerannt.»Helfen Sie Mr. Segrave«, befahl ihm Jay, schob die Frau zur Seite und zog einen Lederbeutel unter ihrem nackten Leib hervor.
        Segrave untersuchte stohnend den Schnitt in seiner Hose. Das Messer hatte ihn ganz schon erwischt. Uberall war Blut. Er bi? sich auf die Lippen, um nicht zu schreien. Der Seemann wickelte ein Hemd um die Wunde, aber der Stoff war schnell durchtrankt.
        Jay ri? die Ledertasche auf, fand die Karte und rollte sie mit zitternden Fingern halb auf.

«Ich mu? sofort den Kommandanten sprechen«, sagte er dann, richtete sich auf und sah in Segraves schmerzverzerrtes Gesicht.»Sie haben mir gerade das Leben gerettet. Noch etwas Geduld, ich bin gleich zuruck. «Seine Stimme klang sanft.
        Oben an Deck schien der Abend zu dunkeln, die Wolken hatten Rander aus schimmerndem Gold.

«Ihr wirklicher Zielhafen ist Kapstadt, Sir«, rief Jay hinuber.»Ich habe hier eine Nachricht - in franzosisch, denke ich.»
        Tyacke befahl:»Schicken Sie mir den Skipper und diese Ledertasche heruber. Und den Deserteur. Ich laufe zum Geschwader weiter. Werden Sie und Mr. Segrave an Bord klarkommen?»
        Jay grinste.»Naturlich. Jetzt haben wir hier keine Probleme mehr.»
        Der Skipper der Albacora protestierte, als ein Seemann ihn packte.»Legen Sie ihn in Eisen«, knurrte Jay.»Wegen Mordversuchs an einem Offizier, Totung von Sklaven und Handel mit dem Feind. «Als der Mann plotzlich schwieg, nickte er.»Aha, du hast mich also ganz gut verstanden.»
        Als das Boot mit den Gefangenen zur Miranda zuruckgekehrt war, plazierte Jay seine Manner sehr sorgfaltig auf der Albacore. »Wir nehmen gleich Fahrt auf. Beobachtet die Crew genau, und im
        Zweifel schie?t ihr sofort, klar?»
        Mit dem Bootsmann kehrte er in die Kajute zuruck, wo der junge Matrose noch immer Segraves Blutung zu stoppen versuchte, der sich erbittert wehrte. Da druckte Sperry ihn zu Boden, der junge Matrose und Jay schnitten ihm die blutige Hose auf und legten die Wunde frei.

«Mit ein, zwei Stichen kann ich das nahen«, sagte Sperry.»Besorgt mehr Verbandszeug.»

«Um Gottes willen, was ist denn das?«rief Jay.
        Der Midshipman lag jetzt da wie tot. Sein Gesa? und seine Oberschenkel waren voller Wunden und Narben - den Spuren zahlreicher Auspeitschungen. Aber nicht auf der Miranda. Er hatte die Schmerzen dieser Narben und halb verheilten Wunden sechs Wochen lang erduldet, ohne ein Wort zu sagen.

«Er ist ohnmachtig. Ich hole meine Sachen, Bob.»

«Bringt Brandy mit oder Rum.»
        Der Midshipman lag immer noch reglos da, Blut sickerte durch seine Verbande. Ohne Segrave wurde ich selber jetzt hier liegen, dachte Jay und blickte zu dem jungen Seemann hoch.»Das bringen wir auf der Miranda wieder in Ordnung, klar? Und wer ihn noch mal schikaniert, kriegt es mit mir zu tun.»
        Als Midshipman Segrave wieder zu sich kam, sah er sofort, wie dunkel der sternenubersate Himmel uber ihm war. Er spurte Wolldecken und ein Rissen unter seinem Kopf. Ein Schatten beugte sich uber ihn.»Geht's besser?«fragte Jay.
        Dann kam der Schmerz wieder, pochte wie sein Herz. Er schmeckte Brandy im Mund und versuchte sich zu erinnern. An Hande, die ihn festhielten, an Schmerzen, seine Ohnmacht. Es schauderte ihn.

«Ist wieder alles in Ordnung?«fragte er schwach.

«In Ordnung? Naturlich!«Jays Stimme klang frohlich.»Sie haben mir das Leben gerettet und sind der Held des Tages. Nur Ihretwegen haben wir jetzt eine Prise, die Albacora.»
        Dann griff Jay vorsichtig nach Segraves Arm.»Wer hat Sie so ausgepeitscht?»
        Doch der Midshipman schlo? abwehrend die Augen. Was wurde eine Antwort ihm bringen? Nichts. Aber der Mastergehilfe Jay, ein
        Kerl aus Eisen, hatte ihn, Segrave, einen Helden genannt. Nur das zahlte.



        IV Wer suchet, der findet

        In der Achterkajute der Themis war es hei? wie in einem Ofen trotz der offenen Stuckpforten und der Sonnensegel uber den Niedergangen. Bolitho sa? am Tisch und prufte den Inhalt der Ledertasche, die ihm von der Miranda geschickt worden war. Commodore Warren hockte zusammengesunken in einem Sessel, blickte mit aschfahlem Gesicht nach drau?en und hoffte auf ein wenig frische Luft. Ab und zu zupfte er sich das Hemd oder die Uniformjacke vom schwei?nassen Korper.
        Neben Bolitho machte sich Yovell, der rundliche Schreiber, eifrig Notizen und schob dabei immer wieder seine goldgefa?te Brille hoch.

«Hat Sie die Antwort des Generals uberrascht, Sir Richard?«fragte Warren plotzlich.
        Bolitho hob den Blick. Was die echte Karte der Albacora zeigte, war interessant. Doch was der lange Brief eines franzosischen Kaufmanns aus Kapstadt enthielt, war noch wichtiger.

«Ich hab' sie erwartet, Commodore«, antwortete er.»Sir David Bairds Soldaten werden jetzt gerade landen. Das konnen wir nicht mehr verhindern.»
        Leutnant Jenour an den Heckfenstern beobachtete, wie reglos die Miranda uber ihrem Spiegelbild auf dem unbewegten Wasser stand. Ihr Kommandant hatte gerade noch Gluck gehabt, denn jetzt war der Wind vollig eingeschlafen. Er drehte sich um, als Bolitho sagte:»Ihr Franzosisch ist doch hervorragend, Stephen. Fiel Ihnen etwas auf, als Sie mir diesen Brief ubersetzten?»
        Jenour versuchte, die Hitze zu ignorieren. Bolitho sah von ihnen allen am frischesten aus, wie er so in Breeches und Hemd am Tisch sa?; sein Uniformrock lag uber einer Seekiste. Seit Mirandas Segel in der Morgendammerung an der Kimm aufgetaucht waren, war er ruhelos in seiner Kajute auf und ab gegangen. Jetzt, in der Mittagshitze, horte man gereizte Stimmen an Deck. Diese Sonnenglut und das Warten war gefahrlich fur die Disziplin. Auf See und in Fahrt ware es anders gewesen.
        Jenour rieb sich das Kinn.»Ich konnte keinen Code entdecken, Sir Richard. Solche Briefe schreibt ein Kaufmann dem anderen und la?t sie per Schiff befordern. Es ist doch nicht ungewohnlich, da? franzosische Kaufleute in Kapstadt leben, oder?»
        Bolitho rieb sich die Stirn. Der Brief enthielt ein Geheimnis, ganz bestimmt. Aber warum konnte es selbst der kluge Jenour nicht entdecken?
        Yovell, der in seine Notizen starrte, hatte den richtigen Einfall.»Es ist die Schlacht von Trafalgar, Sir. Der Schreiber berichtet daruber seinem Freund.»
        Bolitho sah seine Manner an.»Sehr gut, Yovell. Die Truculent segelte ungeheuer schnell von England hierher, und niemand hier wu?te bei unserer Ankunft von der Schlacht und Nelsons Tod. Bis auf diesen Briefeschreiber. Der Sklavenhandler mu? den Brief also von einem Franzosen bekommen haben, der vor uns hier ankam!»
        Warren tupfte sich sorgfaltig den Mund ab.»Ein franzosisches Kriegsschiff?»
        Jenour ballte unglaubig die Fauste.»Sollte es vor Brest die Blockade durchbrochen haben?»

«Der Schlussel liegt in Kapstadt, meine Herren. Aber ich wei? noch nicht, wo.
«Bolitho beugte sich uber die Karte.»Lassen Sie den Kommandanten der Miranda rufen, Stephen.»
        Als Jenour schon die Kajute verlassen wollte, rausperte sich Warren entschuldigend.»Ich hatte es ganz vergessen, Sir Richard, aber Leutnant Tyacke ist bereits an Bord. Er brachte die Tasche personlich.»
        Bolitho spurte Arger in sich aufsteigen. So ging das nicht: zwei Fregattenkapitane, die einander ha?ten, und ein Commodore, den die ganze Operation nicht im geringsten interessierte. Dazu ein Haufen Schiffe, die noch nie miteinander manovriert hatten. Das mu?te geandert werden, schnell. Doch zuerst kam Tyacke.

«Bitten Sie ihn rein, Stephen.»
        Warren fuhrt verlegen fort:»Sie mussen wissen, da? Leutnant Tyacke….»
        Jenour trat in der Nachbarkajute auf den Mann zu, der aus der Stuckpforte auf das stille Wasser blickte, die Hande auf dem Rucken verschrankt.»Wurden Sie bitte nach nebenan kommen? Sir Richard Bolitho wunscht Sie zu sprechen.»
        Man hatte dem Leutnant wenigstens eine Erfrischung angeboten, wahrscheinlich ein Glas von diesem schrecklichen Rotwein.»Tut mir leid, wir wu?ten nicht, da? Sie noch an Bord sind. «Entsetzt starrte Jenour in das zerstorte Gesicht Tyackes. Wie konnte er damit nur leben?

«Und wer sind Sie?«fragte Tyacke scharf. Dann sah er das Gold auf Jenours Schulterstuck.»Flaggleutnant, ach so.»
        Wieder mu?te sich Jenour entschuldigen.»Ich wu?te nicht, da? Sie.»
        Tyacke ruckte seinen Sabel gerade und drehte sich weg.»Ich bin solche Blicke gewohnt, Sir. Aber Freude machen sie mir nicht. «Er lie? sich seinen Arger anmerken. Was waren das fur Kameraden, die ihn so anstarrten?
        Er buckte sich, trat in die gro?e Kajute und blieb uberrascht stehen. Den Commodore hatte er schon einmal gesehen, also mu?te der bebrillte Mann in einfacher blauer Uniformjacke der beruhmte Bolitho sein. Nicht gerade eine Heldenfigur. Aber die meisten Flaggoffiziere, die Tyacke bisher getroffen hatte, sahen nicht aus wie Buhnenhelden.

«Bitte entschuldigen Sie meine Unhoflichkeit, Mr. Tyacke. «Bolitho kam aus dem Schatten, und Yovell zog sich zuruck.»Ich wu?te nicht, da? Sie noch an Bord sind. Bitte nehmen Sie Platz.»
        Tyacke setzte sich unsicher. War er zu lange auf See gewesen, da? er sich so tauschen konnte? Der Mann im wei?en Hemd, der ihn so freundlich begru?te, sollte ein Admiral sein? Er schien kaum alter als er selbst zu sein, obwohl er naher an Funfzig als an Vierzig sein mu?te. Nur die scharfen Linien um seinen Mund und eine wei?e Haarstrahne uber der Stirn verrieten, da? er kein Jungling mehr war. Dazu offene graue Augen. Tyacke fuhlte sich plotzlich wie ein Midshipman, so stumm und verlegen.

«Ihr Fund auf dem Sklavenschiff war fur uns wichtiger, als Sie ahnen. «Bolitho lachelte und sah dadurch noch junger aus.»Ich lote gerade aus, was in ihm steckt.»
        Die Tur offnete sich, und ein kleiner Steward kam uber den gewurfelten Teppich auf Tyacke zu.»Ein Glas Rheinwein, Sir?«Er beobachtete den Leutnant und fugte hinzu: Er ist schon kuhl, Sir. «Offenbar war das etwas Besseres, als sonst auf dem Flaggschiff angeboten wurde.
        Tyacke trank. Der Steward hatte genau wie der Admiral beim Anblick seines Gesichts mit keiner Wimper gezuckt und ihn auch nicht neugierig oder entsetzt angestarrt. Bolitho beobachtete den Leutnant. Ein gezeichneter Mann, Uberlebender einer furchtbaren Seeschlacht.»Wo ist die Albacora jetzt?»
        Tyacke ri? sich aus seinen Gedanken.»Sie wird in zwei Tagen hier sein, Sir Richard. Ich lie? eine kleine Prisenbesatzung an Bord. Und einen verletzten Midshipman.»
        Bolitho nickte.»Ich habe in Ihrem Bericht von ihm gelesen. Scheint ein tapferer junger Mann zu sein.»

«Mich hat er uberrascht«, gab Tyacke zu.
        Bolitho wandte sich seinem Sekretar zu.»Yovell, schreiben Sie einen Befehl fur unseren anderen Schoner aus. Ich mochte, da? die Albacora bei einem gro?en Versorgungsschiff langsseits geht, dem Land abgekehrt und nachts. Von Land aus darf man sie auf keinen Fall entdecken. Der Schoner soll sie abfangen. Wurden Sie sich bitte darum kummern, Commodore Warren?»
        Warren richtete sich auf, aber ein heftiger Husten uberfiel ihn.

«Ich mochte auf Ihrem Schoner mitsegeln, Mr. Tyacke«, fuhr Bolitho fort und registrierte Uberraschung und Unglauben im Gesicht des anderen.»Ich bin kleine Schiffe gewohnt, machen Sie sich also keine Sorge um meine - hm - Wurde.»
        Der Commodore verlie? die Kajute, doch Bolitho horte ihn noch immer husten. Jenour sah dem Schreiber uber die Schulter, der den Befehl in Schonschrift zu Papier brachte.
        Einen Augenblick schien es, als seien sie beide allein in der Kajute.»Wo ist das passiert?«fragte Bolitho leise.
        Der Leutnant zuckte zusammen und hielt dann seinem Blick stand.»In der Schlacht bei Abukir, Sir. Ich war auf der Majestic.»

«Unter Kapitan Westcott. Ein guter Mann. Schade um ihn. «Der Admiral beruhrte vorsichtig das Lid uber seinem verletzten Auge.»Bitte kehren Sie auf die Miranda zuruck. Sobald Ihre Prise einlauft, sollten wir ankerauf gehen. Ich mochte mir das Kap genauer ansehen, auch das Land und die See dahinter. Hier an Bord bin ich zu nichts nutze.»
        Als Tyacke die Kajute verlassen wollte, rief ihn Bolitho noch einmal zuruck.»Sie sind ein tapferer Mann, Mr. Tyacke. Geben Sie mir Ihre Hand. «Sein Griff war fest. Sie haben mir Mut gemacht. Vielen Dank!»
        Etwas verwirrt fand Tyacke sich im Beiboot der Miranda wieder. Simcox sa? an der Pinne, aufgeregt und neugierig. Tyacke wartete, bis die Manner ihren Takt fanden; ohne Vorbereitung sagte er dann:»Der Admiral will mit uns zum Kap.»

«Ein Admiral? Auf der Miranda?»
        Der Leutnant nickte nur.
        Irgendwas war an Bord des Flaggschiffs vorgefallen, spurte Simcox. Irgend etwas Wichtiges. Hoffentlich hatte niemand Tyacke verletzt.»Ich wette, Sie haben vergessen, ihn um das Bier zu bitten!«sagte er.
        Aber Tyacke horte gar nicht zu.»Und wenn es sein mu?, werden wir mit diesem Admiral zur Holle und zuruck segeln, so wahr ich hier sitze«, murmelte er. Dann schwiegen sie, bis das Boot an der Miranda festmachte.
        Richard Bolitho quetschte sich in die Ecke seiner Koje auf der Miranda und streckte die Beine aus. Sie war wei? Gott ein unruhiges Schiff. Er war alle Arten von Seegang gewohnt, aber hier an Bord meldete sich selbst sein abgeharteter Magen.
        Tyacke war seit dem Ankerlichten an Deck geblieben. Obwohl Bolitho nur ein Stuck blauen Himmel durch das Skylight sah, hoffte er auf stetigeren Seegang, wenn sie erst einmal weiterab von Land standen, jenseits der unruhigen Kustenstromung. Er bedauerte, da? Ozzard nicht mitgekommen war, der seine Wunsche erriet, noch ehe er sie aussprechen konnte. Aber auf diesem kleinen Schiff war der Raum zu beengt. Und die Mannschaft der Miranda hatte es sicher nicht gern gesehen, wenn er seinen eigenen Steward mitbrachte. Er hatte auf dem Weg in die Kajute Uberraschung, Neugier und Ablehnung in den Augen der Manner entdeckt. Sie sahen sein AnBord-Kommen nicht als Ehre, sondern als Eindringen eines Fremden. Gut, da? auch Jenour auf dem Flaggschiff geblieben war; seine Augen und Ohren waren dort nutzlicher.
        Bolitho hatte das Sklavenschiff neben einem der Versorger festmachen gesehen, war aber nicht an Bord gegangen. Er hatte von der Frau in der Achterkajute gehort und von dem Deserteur, der jetzt in Eisen auf sein Urteil wartete. Aber Tyacke hatte in seinem Bericht sicherlich nicht alles erwahnt.
        Er horte, da? sich das Marssegel knallend im Wind blahte, und meinte zu spuren, wie das Schiff sich in seinen neuen Kurs fand. Dabei fiel ihm wieder Alldays Kritik ein:»Das ist nichts fur einen Vizeadmiral. Jedes Kohlenschiff bietet mehr Bequemlichkeit.»
        Allday war jetzt irgendwo an Deck, entweder immer noch allein oder schon neben einem neuen Kumpel bei einem Schluck Rum. Auf diese Weise erfuhr er in wenigen Stunden mehr uber Besatzung und Schiff als Bolitho in einem ganzen Jahr.
        Den verwundeten Midshipman hatte Tyacke auf der Themis in der Obhut des Arztes gelassen, aber nichts weiter erwahnt. Bolitho fragte sich, ob Tyacke immer so verschlossen war; nur der Master schien so etwas wie sein Freund zu sein. Tyacke war wohl schon immer ein einsamer Mann gewesen, und die schreckliche Entstellung vergro?erte diese Einsamkeit noch.
        Bolitho entrollte die Karte unter einer schwingenden Laterne; sie schaukelte langst nicht mehr so wild wie noch vor kurzem. Die gro?en Segel eines Schoners waren wie Flugel, sie hielten das Schiff mit seinem gro?en Tiefgang in einem Seegang, in dem andere Schiffe wie Korken getanzt hatten, auf relativ ebenem Kiel.
        Bolitho studierte die Tiefenangaben auf der Karte, die Peilungen und Landmarken und rieb sein linkes Auge. Er schwitzte. Allday hatte wohl doch recht: Die Miranda war wirklich kein bequemer Aufenthaltsort. Die kleine, vollgestopfte Kajute erinnerte ihn an seine fruhere auf dem Kutter Supreme. 1803 hatten die Franzosen ihn aufgebracht und das Feuer eroffnet. Dabei war eine Kanonenkugel in einen Eimer Sand geschlagen und hatte ihn umgeworfen, mittags im hellsten Sonnenlicht. Als man Bolitho danach wieder auf die Beine half, umgab ihn Dunkelheit. Sein linkes Auge machte ihm seither Schwierigkeiten, und auf der Hyperion hatte er deshalb fast das Leben verloren. Die Folge der Verletzung war ein Nebel, der ihn manchmal halb erblinden lie?. Der beruhmte Chirurg Sir Piers Blachford hatte Bolitho gewarnt: Er musse sich schleunigst an Land untersuchen und behandeln lassen, wenn er das linke Auge nicht verlieren wollte. Aber eine Garantie fur den medizinischen Erfolg konnte auch Blachford nicht geben.
        Bolitho meinte, tief im Innern des Auges Schmerz zu fuhlen. Das war nur Einbildung oder Furcht, schalt er sich. Naturlich hatte er an Land bleiben sollen zur Behandlung. Aber Manner mit seiner Erfahrung wurden auf See gebraucht, besonders nach der Schlacht von Trafalgar, seit Nelson gefallen war und der Feind an Land immer noch unbesiegt. Bald wurde sein nachster Angriff erfolgen.
        Die Tur flog auf, Tyacke lie? sich schwer auf einen Stuhl fallen. Er atmete hastig wie nach einem Zweikampf, und sein Hemd war vollig durchna?t. Unwillkurlich hatte er sich so gesetzt, da? sein entstelltes Gesicht im Schatten blieb.

«Wir laufen rechtweisend Sud, Sir«, berichtete er.»Der Wind schralt ein bi?chen, aber das ist gut fur den Fall, da? wir schnell uber Stag gehen mussen. Sind Sie sicher, da? Sie auf Ihre Rangabzeichen verzichten wollen?»
        Bolitho lachelte. Von der Decke hing sein Uniformrock ohne Schulterstucke; er sah aus wie der Tyackes.»Nicht immer sagt das Etikett etwas uber den Inhalt aus. Ich hoffe, Ihre Leute fuhlen sich wohler, wenn sie mich ohne Epauletten sehen. Ich mochte es so, also machen Sie sich keine Gedanken. Ist Ihre Besatzung wohlauf?»

«Bis auf einen Mann - ja. Mit dem mu? ich noch reden. «Das klang etwas besorgt. Eine interne Sache, Sir Richard, die mit unserem Auftrag nichts zu tun hat.»

«Schon gut. «Bolitho faltete die Karte zusammen. Die Mannschaft der Miranda war vollzahlig bis auf den Midshipman, der das Leben des Mastergehilfen gerettet hatte. Eine interne Sache, hatte Tyacke gesagt. Also nicht meine, dachte Bolitho.
        Tyacke sah ihn lacheln und entspannte sich etwas.»Es wird gleich zu essen geben, Sir.»
        Bolitho spurte seinen Magen knurren. Ja, er hatte Hunger, trotz allem. Wenigstens behelligte ihn sein verletztes Auge jetzt nicht mehr. Vielleicht gab es trotz Blachfords Warnung noch ein Wunder.
        Wahrend er auf die Ruckkehr der Miranda wartete, hatte er einen Truppentransporter besichtigt und war uberrascht gewesen, da? noch keiner der Soldaten dort gestorben war. An Bord roch es wie auf einem Bauerhof, nicht wie auf einem Kriegsschiff Seiner Majestat. Manner, Pferde, Kanonen, Gepack, Wagen waren in die Decks hineingepfercht. Auf einem Straflingsschiff hatte es mehr Platz gegeben. Die Besatzung mu?te es nun in dieser stinkenden Enge aushallen, bis Sir David mit seiner Artillerie und Infanterie sich nach Kapstadt durchgekampft hatte. Wenn sich aber die Hollander starker als erwartet wehrten? Sie konnten den Vormarsch der Englander immer noch stoppen, und dann gab es nur noch den kleinen Verband von Commodore Warren, der seine Seeleute und Soldaten im Rucken des Feindes anlanden konnte. Aber die Elendsgestalten, die Bolitho auf dem Transporter gesehen hatte, wurden ein schwieriges Landemanover kaum schaffen und die folgenden Gefechte bestimmt nicht uberstehen.
        Nebenan war Alldays tiefe Stimme zu horen, der einem von Tyackes Mannern half, das Essen fur die Offiziere zu holen.

«Bei Ihrer Erfahrung, Mr. Tyacke, sollten Sie ein gro?eres Schiff kommandieren.
«Bolitho sah, wie der andere sich verschlo?.»Sie hatten langst befordert werden mussen.»
        Tyackes Augen blitzten.»Man hat mir's angetragen, Sir, aber ich habe abgelehnt.
«Das klang wie Trotz.»Die Miranda reicht mir. Niemand kann sich uber sie beklagen.

        Bolitho drehte sich um, als ein Matrose dampfende Schusseln auftrug, dem Allday kritisch uber die Schulter schaute.»Schon gut, alter Freund«, sagte er.»Danke.»
        Die beiden verlie?en die Kajute, und Tyacke beobachtete beim Essen insgeheim Bolitho, der das fette Schweinefleisch wie eine gro?e Delikatesse verzehrte. Was war der Admiral blo? fur ein Mann? Simcox hatte ihn das immer wieder gefragt. Aber wie sollte er ihm begreiflich machen, da? Bolitho keine bohrenden Fragen stellte, obwohl er es bei seinem Rang gedurft hatte? Und wer konnte die Freundschaft zwischen Allday und Bolitho erklaren?
        Tyacke dachte an Simcox' Wunsch, go? lachelnd zwei Glaser Madeira ein und sagte: Bier wurde uns gut tun, Sir, wenn wir es hier irgendwo bekommen konnten.»
        Bolitho hob das Glas gegen das Licht und starrte es an. Aber es war das Glas, das beschlug, sein Auge blieb klar.»Bier? Naturlich. Ich werde Ihren Wunsch den Kameraden vom Heer ubermitteln. Wenigstens das konnten sie ja fur uns tun. «Wieder hob er sein Glas und fragte:»Heute ist doch Samstag, nicht wahr? Also trinken wir einen Toast!»

«Auf Freundinnen und Frauen, Sir?»
        Bolitho beruhrte das Medaillon unter seinem Hemd.»Auf alle, die wir lieben. Mogen sie Geduld haben mit uns.»
        Tyacke trank schweigend mit. Er wu?te niemanden, dem sein Leben oder Sterben etwas bedeutet hatte.
        Bolithos Gedanken aber waren in diesem Augenblick weit weg im heimatlichen Cornwall.
        Allday wischte das blitzende Rasiermesser sauber.»Das war's, Sir Richard. Zu mehr ist das Wasser auf diesem Schiff nicht zu gebrauchen. «Er lie? seiner Verachtung freien Lauf.»Das nachste Mal steigen wir dann auf einen Fischerkahn um, konnte ich mir vorstellen.»
        Bolitho seufzte und schlupfte in das zerknitterte Hemd. Den Luxus frischer Wasche vermi?te er hier am meisten. Er sah Morgenlicht durchs Skylight sickern und machte sich uberrascht klar, da? er diese Nacht fest durchgeschlafen hatte.
        Allday reichte ihm Kaffee.»Nicht gut mit diesem Wasser. «Wie schaffte es Allday blo?, ihn zu rasieren in diesem schwankenden Raum, in dem er sich nicht einmal aufrichten konnte? In all den Jahren hatte Allday ihn nie geschnitten. Aber mit dem Kaffee hatte er recht. Er mu?te wirklich Bier anfordern, das wurde helfen, bis sie frisches Wasser bunkern konnten.
        Eigentlich hatte Commodore Warren sich darum kummern mussen, doch der war wohl schon jenseits von allem. Bolitho schob den Kaffee zur Seite.
        An Deck horte er Pumpen quietschen und Wasser platschern: Die Mannschaft machte rein Schiff. Auf diesem kleinen Schoner waren alle Gerausche sehr nahe.

«Ich gehe nach oben«, sagte er und rieb sich den Kopf, weil er an einen Decksbalken gesto?en war.
        Allday klappte das Rasiermesser zusammen.»Ein Pi?pott, mehr nicht. «Murrend folgte er Bolitho an Deck.
        Im feuchten Morgenwind ging Bolitho zum Kompa?hauschen. Uberall arbeiteten Manner, schrubbten das Deck, arbeiteten in den Webleinen oder besserten das laufende Gut aus, wo immer es nach der windigen Nacht notig war.
        Tyacke gru?te.»Guten Morgen, Sir. Unser Kurs ist Sudost zu Sud. «Er deutete uber das Schanzkleid.»Das Kap liegt vier Meilen voraus. «Er lachelte stolz.»Naher wurde ich nicht unter Land gehen, denn auf die Tiefenangaben in der Karte kann man sich hier nicht verlassen. Wo es abgrundtief sein soll, entdeckt man plotzlich
        Riffe.»
        Bolitho drehte sich um und sah, wie jedermann an Deck schnell wegschaute. Tyacke merkte es.»Machen Sie sich bitte nichts daraus, Sir. Der ranghochste Offizier, der bisher an Bord kam, war - mit Verlaub - der Kommandeur der Wache in Gibraltar.»
        Simcox gesellte sich zu ihnen.»Es klart auf, Sir. «Das war eine vollig unnotige Bemerkung, doch Bolitho wu?te, da? sich Simcox in seiner Gegenwart genauso gehemmt fuhlte wie die ganze Besatzung.

«Wann werden Sie Master, Mr. Simcox?»
        Der Mann wand sich.»Wei? nicht, Sir. «Er sah zu Tyacke hinuber, und Bolitho begriff: Simcox wurde als Master auf ein anderes Schiff versetzt werden, dann blieb Tyacke allein auf der Miranda zuruck. Keiner von beiden wollte das.
        Bolitho beschattete seine Augen. Die See anderte im ersten Morgenlicht ihre Farbe, Schwarme von Vogeln kundeten vom nahen Land. Er sah voraus den gewaltigen Tafelberg und einen zweiten Berg ebenfalls an Backbord, noch vom Morgennebel umhullt. Nur sein Kamm glanzte wie Gold.
        Simcox rausperte sich.»Der Wind steht gunstig, Sir Richard. Aber es sind schon Schiffe sudlich von hier vom Sturm bis zum Kap Agulhas gejagt worden, ehe sie umkehren konnten.»
        Bolitho nickte. War das eine gutgemeinte Warnung? Wenn feindliche Kriegsschiffe hinter dem vorspringenden Kap lagen - wurden sie wegen eines zerbrechlichen Schoners auslaufen? Kaum. Andererseits war auch die Supreme nur ein Schoner gewesen, und trotzdem hatte sich die franzosische Fregatte uber sie hergemacht.
        Tyacke setzte sein Teleskop ab.»Alle Mann an Deck, Ben!«Simcox' Vorname war ihm wohl aus Versehen entschlupft.»Wir wenden und laufen rechtweisend Ost. «Er sah Bolitho an.»In die Hohle des Lowen!»
        Bolitho blickte zum Stander des Kommandanten hoch.»Anders geht's nicht, Mr. Tyacke, aber bringen Sie das Schiff nicht unnotig in Gefahr.»
        Die Besatzung rannte an Brassen und Schoten, loste Belegnagel, warf Leinen los und tat das alles so sicher und flink, da? kein Ruf oder Ruch sie antreiben mu?te. Der Himmel wurde schnell heller. Bolitho fuhlte, wie sein Magen sich beim Gedanken an seinen nachsten Schritt zusammenzog. Allday, der in der Nahe des Rudergangers stand, musterte ihn besorgt, denn er wu?te, da? der Admiral gleich aufentern wurde.
        Als Bolitho im Alter von achtzehn Jahren Leutnant geworden war, hatte ihn das endlich befreit von einer Pflicht, die er furchtete und ha?te wie keine zweite: in die Webleinen aufzuentern, wenn Alarm geschlagen wurde, oder wenn er aus einem anderen Grund in den Ausguck mu?te. Denn an die Hohe hatte er sich nie gewohnen konnen. Er hatte sich oben stets verzweifelt an einen Halt geklammert und die Manner bewundert, die nichts von dem Schiff unter sich zu sehen schienen und nur in die Ferne spahten. Er hatte
        Manner einen schlimmen Tod sterben sehen, wenn der Sturm sie von Rahen oder Stagen ri? oder tobende Leinwand sich nicht einfangen lie?. Andere waren noch lebend in die See gesturzt und hatten beim Auftauchen ihr Schiff erbarmungslos davonsegeln sehen. Es war wirklich kein Wunder, da? junge Manner sich versteckten, wenn an Land die Pre?kommandos unterwegs waren.

«Klar zum Wenden!«Tyacke wischte sich mit dem Handrucken uber das zerstorte Gesicht und musterte seine Manner, den Stand der Segel, den Wind.»Hol dicht! Ruder nach Lee! Gut so. Da geht sie durch den Wind! Fier auf! Gut so. Tom, ein Mann mehr an die Vorbrasse.»
        Die Schatten von Gro?- und Stagsegel huschten ubers Deck. Die Pinne wurde gelegt, Leinwand knallte protestierend. Bolitho fuhlte, wie er ausrutschte, sah die See unter der Leereling schaumen und das hugelige Land weit vor dem Bug auswandern. Die dreht ja auf dem Teller«, horte er Allday hinter sich bewundernd sagen. Aber das Kompliment bekam keiner au?er ihnen beiden mit.

«Stutzruder! Gut so. Fall ab einen Strich.»
        Der alteste Ruderganger meldete dem Kommandanten:»Neuer Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir.»

«Gut so. «Tyacke starrte nach oben.»Schicken Sie ein paar Manner hoch, um das Marssegel zu reffen, Mr. Simcox. «Er grinste.»Bei diesem Wind konnten wir es sonst verlieren.»
        Die beiden Masten des Schoners tanzten und lehnten sich dann unter dem Druck des Windes weit nach Lee uber.»Ein Glas, bitte«, befahl Bolitho.»Ich will vorne aufentern. «Er ubersah Alldays stummen Protest.»An Land wird es so fruh nicht allzu viele neugierige Augen geben.»
        Er ging nach vorn, schatzte das Stampfen des Bugs ab, zog sich aufs Schanzkleid und begann, in den Webleinen emporzuklettern. Hoher und hoher stieg er und zwang sich, nicht nach unten zu blicken. Was mochte die Besatzung wohl von ihm denken? Ein Vizeadmiral, der sich in den Webleinen nach oben zog! Der Ausguck im Mast hatte ihn die ganze Zeit beobachtet und begru?te ihn, als er atemlos oben ankam, mit:»Schoner Tag heute, Sir Richard.»
        Bolitho klammerte sich an ein Stag und wartete, bis sein Herz wieder ruhiger schlug; als man ihn das letzte Mal nach oben gehetzt hatte, war er Midshipman gewesen. Dann wandte er sich an den
        Ausguck:»Sie kommen aus Cornwall, nicht wahr?»
        Der Mann nickte grinsend. Anscheinend hielt er sich nirgendwo fest.»Aus Penzance, Sir.»
        Bolitho zerrte das Teleskop nach vorn. Hier oben trafen sich also zwei Manner aus demselben Landstrich. Es dauerte eine Weile, bis er sich an das Stampfen des Schoners gewohnt hatte und das Glas ruhig halten konnte. Dann sah er eine Huk, scharf vorspringend, Gischt wirbelte vor ihr hoch - ein Riff also, wie Tyacke vorhergesehen hatte.
        Es war inzwischen so warm, da? sein Hemd am Rucken klebte. Deutlich sah er den Verlauf der Stromungen unter dem Kap. Sie vermischten sich miteinander, brachen sich und schickten ihre Auslaufer auf das Land zu. Hier trafen sich zwei Ozeane, der Atlantik und der Indische Ozean. Hier offnete sich die Ferne, das Tor nach Indien, nach Ceylon, nach New South Wales. Darum war Kapstadt so wichtig. Wie Gibraltar zum Mittelmeer, so war Kapstadt der Schlussel zum Indischen Ozean.

«Schiffe, Sir. An Backbord.»
        Bolitho fragte nicht, wie der Mann sie ohne Fernglas entdeckt hatte. Man wurde als guter Ausguckposten geboren, konnte diese Kunst nicht erlernen. Bolitho hatte solche Manner immer bewundert. Sie entdeckten von oben gefurchtete Brecher, vor denen keine Karte warnte. Mancher Kapitan hatte so sein Schilf und das Leben seiner Mannschaft retten konnen.
        Bolitho wartete, bis er mit dem Glas die Schiffe eingefangen hatte. Es waren zwei, die da vor Bug- und Heckanker lagen. Das sah aus, als sollten sie als wehrhafte Batterie gegen einen Angreifer von See her dienen.

«Es sind hollandische Kauffahrer aus Indien, Sir.»
        Bolitho nickte. Wie die Ostindische Kompanie Englands besa? auch ihr hollandisches Gegenstuck gut bemannte und bewaffnete Handelsschiffe, die sich gegen Kaperer wehren und manches Kriegsschiff in die Flucht jagen konnten. Die Schiffe hier stellten eine Gefahr dar. Sie hatten wahrscheinlich Truppen und Nachschub nach Kapstadt gebracht und warteten jetzt auf weitere.
        Bolitho sah nach unten und erschrak. Der Mast lag so weit uber, da? unter ihm nur Wasser war und er seinen eigenen Schatten uber die Wellen gleiten sah.

«Sie konnen halsen, Mr. Tyacke!«Hatte man ihn gehort? Doch die Manner liefen schon auf ihre Manoverstationen.
        Plotzlich sprang eine Wassersaule vor ihnen aus der See, und Sekunden spater horte Bolitho das Echo eines Kanonenschusses. Woher kam der? Er lag zu nahe, als da? er ignoriert werden konnte.
        Bolitho wollte schon nach unten klettern, als der Ausguck ihm zurief:»Da ist noch ein drittes Schiff, Sir.»
        Bolitho setzte das Glas wieder an. Er mu?te sich beeilen, denn schon tobte der Kluver und knallte wie wild, wahrend unten Ruder gelegt wurde. Dann sah er - trotz der schnellen Bewegungen der Miranda - das dritte Schiff. Sein niedriger Rumpf war bisher von den beiden Kauffahrern verdeckt worden. Bolitho hatte drei Fregatten kommandiert und erkannte eine, wenn er sie sah. Das da hinten war eine Fregatte, eine hollandische oder franzosische. Vielleicht wartete sie auf den Brief, den Tyackes Manner mit der Albacora abgefangen hatten. Bolitho wischte sich das Haar aus dem Gesicht. Der Mast schwang auf die andere Seite hinuber, und die Saling achzte, als wolle sie bersten.
        Nach Tyackes Karte war diese Bucht zwanzig Meilen breit, also gro?er als die Tafelbucht, die sie vor der Dammerung passiert hatten. Was immer der hollandische Oberbefehlshaber am Kap vorhatte, diese Bucht und die hier ankernden Schiffe wurde er schutzen. Ein Frontalangriff des englischen Geschwaders mu?te teuer werden und konnte moglicherweise in einem Desaster enden.
        Bolitho tippte dem Ausguck auf die Schulter.»Bewahren Sie sich Ihre guten Augen.
«Dann begann er seinen Abstieg, ohne die Antwort des Mannes abzuwarten.
        Tyacke unten horte ihm genau zu, dann sagte er:»Die konnten versuchen, unser Geschwader zu spalten.»

«Zu spalten, bis sie Verstarkung bekommen. Das denke ich auch. Bitte versuchen Sie, so schnell es geht zum Geschwader zuruckzusegeln. Danach werden wir auch mit dem General reden mussen. Sir David wird das alles gar nicht gern horen.»
        Tyacke trat zur Seite, rief Befehle, uberwachte Kompa? und Ruder, wahrend Simcox auf der Schiefertafel den neuen Kurs berechnete.
        Neben den Luvwanten traf Bolitho auf Allday.

«Ist Ihnen die Gro?e der Kanonenkugel aufgefallen, Sir Richard? Die wurde von einem Fort abgeschossen, nicht von der Fregatte. Wir brauchen mehr Schiffe, und selbst dann wird's nicht leicht.»
        Allday seufzte. Seine Wunde schmerzte ihn wieder, er rieb sich die Brust.
        Bolitho sah ihn freundlich an.»Ich mochte nicht, da? hier Manner sinnlos fallen. Wir segeln zuruck. Es gibt nur einen Weg zu beiden Zielen, und wenn wir den verpassen, vermasseln wir alles.»
        Tyacke stand in Lee, als Simcox nahertrat, sich das Gesicht mit einem roten Tuch wischend.»Das eben war nur knapp vorbei, James.»
        Tyacke sah, da? Bolitho Allday die Hand auf die Schulter legte. Der jugendliche Vizeadmiral in seinem nassen Hemd und den teerbeschmierten Strumpfen lachte so lange, bis endlich auch sein Bootsteurer grinsen mu?te.

«Wir haben's noch lange nicht geschafft, Ben. «Tyacke verspurte Erleichterung, als das Land hinter ihnen im Dunst verschwand.»Aber wenn es so weit ist, werden unsere Manner nicht schlechter kampfen als die anderen. Obwohl es ihr erstes Gefecht sein wird.»
        Doch Simcox horte ihn nicht mehr, er war schon wieder bei seinen Leuten.



        V Wofur sie sterben mussen


«Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir Richard?«Der junge Hauptmann starrte Bolitho entgegen, der den sanft ansteigenden Strand emporstieg, als sei er gerade von einem anderen Stern gekommen.
        Bolitho sah sich um. In der Bucht ankerten die englischen Schiffe dicht an dicht und zwischen ihnen und dem Festland waren alle Arten von kleinen Booten unterwegs. Einige setzten rotgekleidete Infanteristen ab, die durch das flache Wasser an Land wateten, andere waren so schwer mit Waffen und Ausrustung beladen, da? sie zu kentern drohten.
        Bolitho sah seine Gig hastig zur Miranda zuruckkehren. Tyacke war sicher froh, wenn er diese Bucht wieder verlassen konnte.
        Hier an Land war es um vieles hei?er als an Bord, wie kochender Dunst stieg die Hitze aus der Erde. Bolitho fluchte, denn er trug seine Ausgehuniform und seinen goldbetre?ten Hut fur diesen Besuch beim Heer. Wahrend er dem jungen Offizier folgte, versuchte er einzuschatzen, wie weit die Truppen bei ihrer Landung gekommen waren. Es wimmelte hier von Soldaten. Einige schleppten Kanonenkugeln und Pulverfasser den Strand hinauf, andere marschierten in geschlossenen Formationen auf die Hugel zu. Man schaute ihm neugierig nach, doch seine Rangabzeichen besagten hier nichts. Einige Soldaten waren braungebrannt vom Garnisonsdienst in Indien, anderen sah man die Rekruten schon von weitem an. Aber alle schwitzten furchterlich in ihren roten Rocken und waren mit Waffen und Gepack schwer behangt.

«Sieht nicht gut aus, Sir Richard. «Allday schob sich den Hut in die Stirn.
        Weit weg horte man leichtes Artilleriefeuer - englisches oder hollandisches? Es klang ungefahrlich und fern, aber die zugedeckten Toten am Wegesrand, die hier begraben werden sollten, redeten eine deutliche Sprache.
        Der Hauptmann hielt an und deutete auf eine Reihe Zelte.»Hier liegt meine Kompanie, Sir Richard. Der General ist nicht da, wird aber sicher bald zuruckkehren.»
        Irgendwo brullte ein Mann vor Schmerzen, wahrscheinlich im Lazarettzelt. Die Invasion ging wirklich ziemlich langsam voran, das Lazarett hatte langst hinter die Hugel verlegt sein mussen.
        Der Hauptmann lie? Bolitho in ein Zelt eintreten, dessen Boden Teppiche bedeckten. Die Ordonnanzen hatten sicher lange suchen mussen, bis sie ein so gro?es ebenes Stuck Boden entdeckt hatten. Ein Oberst mit sorgenvollem Gesicht erhob sich mude von einem Feldstuhl und verneigte sich.

«Ich kommandiere das 61. Regiment, Sir Richard. «Er schuttelte Bolithos Hand.»Wir wu?ten, da? Sie hier irgendwo kreuzen, aber nicht, da? Sie mitten unter uns sind. Leider hatten wir keine Zeit, Sie gebuhrend zu empfangen.»
        Bolitho entdeckte oben im Zelt ein Loch, und der Oberst folgte seinem Blick.»Ein Scharfschutze schlich gestern abend durch unsere Linien. Er versprach sich hier wohl ein wertvolles Ziel. «Er nickte einer Ordonnanz zu, die mit gefullten Glasern erschienen war.»Das wird Ihren Durst stillen, wahrend wir auf den General warten.»

«Hatte der Gegner mit uns gerechnet?»

«Er hat, Sir Richard. Und alle Vorteile sind auf seiner Seite. Aber er kampft nicht soldatisch. Der Scharfschutze zum Beispiel trug keine Uniform, sondern Lumpen. Er totete zwei meiner Manner, ehe wir ihn erwischten. Das ist nicht ehrenhaft.»

«Ich glaub', ich hab' den Mann drau?en an einem Baum hangen sehen, Sir Richard«, bemerkte Allday trocken.
        Der Oberst starrte ihn an, als sahe er ihn zum ersten Mal.»Wer sind denn Sie?»

«Meine Begleitung, Oberst«, sagte Bolitho knapp. Er sah, wie Allday sich ein Glas Wein vom Tablett nahm. Es schien in seiner Faust zu schrumpfen.
        Der Oberst trat an einen Tisch voller Karten.

«Der Feind zieht sich zuruck, wenn wir ihm nachsetzen. Er stellt sich nicht zum Kampf. Deshalb dauert alles viel zu lange. «Er sah Bolitho scharf an.»Und wenn Sie uns jetzt sagen, da? wir keinen Nachschub und keine Verstarkung bekommen, dann werden wir Kapstadt erst in ein paar Monaten statt in wenigen Wochen einnehmen.»
        Hufe klapperten drau?en, Kommandos wurden gerufen, Prasentiergriffe knallten. Der General betrat das Zelt, warf Hut und Handschuhe auf einen Stuhl. Er war ein zierlicher Mann mit durchbohrenden blauen Augen. Offenbar einer, der von seinen Untergebenen nur das forderte, was er selber zu leisten bereit war.
        Sir David gab einige Befehle und verlangte dann, da? man sie allein lie?. Allday, der inzwischen drei Glaser Wein intus hatte, murmelte:»Ich bleibe in Horweite, Sir Richard.»
        Als die Zeltklappe fiel, murmelte der General:»Ein ungewohnlicher Kerl…»

«Er hat mir schon einige Male das Leben gerettet und meinen Verstand noch ofter.»
        Der Blick des Generals wurde etwas freundlicher.»Von seiner Sorte konnte ich hier ein paar tausend gebrauchen. «Das Lacheln verschwand wieder.»Die Landung hat geklappt, Commodore Popham hat wahre Wunder vollbracht. Und bis auf die unvermeidlichen Ausfalle lief zunachst alles gut. «Ernst sah er Bolitho an.»Aber jetzt sagt man mir, da? ich keine Verstarkungen erhalte. Ja, Sie wollen sogar noch einige Fregatten abziehen!»
        Bolitho mu?te an seinen Freund Thomas Herrick denken. Auch dessen Augen strahlten so blau, blickten so ernst und verla?lich.

«Was ich will, spielt keine Rolle, Sir David«, sagte er knapp.»Der Konig hat die Befehle unterschrieben, nicht ich.»

«Ich hatte trotzdem gern gewu?t, wer ihm die Hand dabei fuhrte.»

«Davon habe ich nichts gehort«, antwortete Bolitho. Der General lachelte gequalt. Das hangt auch keiner an die gro?e Glocke.»
        Wie zwei Duellanten, die sich plotzlich eines Besseren besannen, traten sie an den Kartentisch, und Bolitho legte seine Karte uber alle anderen.»Sie sind Soldat, ich bin Seemann. Aber ich wei?, wie wichtig der Nachschub fur die kampfende Truppe ist. Der Feind erwartet bestimmt Verstarkung. Wenn die eintrifft, ehe Sie Kapstadt einnehmen konnen, Sir David - welche Chance fur einen Sieg haben Sie dann noch?»
        Der General schwieg lange, studierte die Karte und die Notizen, die an sie geklammert waren. Schlie?lich sagte er mit belegter Stimme:»Dann haben wir kaum noch Chancen. «Etwas von der fruheren Scharfe kehrte in seinen Ton zuruck:»Aber es ist die verdammte Pflicht der Marine, genau das zu verhindern. Blockieren Sie den Hafen, wehren Sie jeden Eindringling ab!«Das horte sich fast wie eine Anklage an.
        Bolitho dachte an die Handvoll Schiffe unter seinem Kommando. Jeder Kommandant wu?te, was er zu tun hatte. Die drei Fregatten wurden vor dem Kap kreuzen und das umliegende Seegebiet absuchen. Die beiden Schoner hatten den Kontakt zwischen ihnen und Kommodore Warren zu halten. Trotzdem konnten bei Dunkelheit feindliche Schiffe leicht zwischen ihnen durchbrechen und in den Schutz der Kustenbatterien gelangen. Dann blieben ihre Chancen so ma?ig wie bisher, und ein Eindringen in die Bucht wurde bestenfalls zu einem Waffenstillstand fuhren. Den schlimmsten Ausgang aber wollte sich Bolitho gar nicht vorstellen: da? die britischen Truppen sich geschlagen zuruckziehen mu?ten, weil sie keinen Nachschub bekamen und der Feind hinhaltenden Widerstand leistete. Diese Niederlage wurde durch ganz Europa schallen. Der grandiose Sieg bei Trafalgar war bestimmt schnell vergessen, wenn das Heer Kapstadt nicht einnehmen konnte. Die unfreiwilligen Alliierten Napoleons wurden dann enger an ihn gefesselt werden, und der Widerstandswille in England konnte brockeln.

«Keiner von uns hat sich nach diesem Auftrag gesehnt, Sir David.»
        Aber der General wandte sich dem jungen Hauptmann zu, der plotzlich im Zelteingang stand.»Ja?»

«Eine Meldung von Major Browning, Sir. Er mochte seine Artillerie verlegen.»

«Er soll nichts tun, bis ich dort bin. Und lassen Sie mein Pferd holen. «Dann wandte er sich wieder Bolitho zu.»Ihre Nachricht wirft uns zuruck, trotzdem verlasse ich mich auf Sie. Nicht weil ich an meinen Offizieren und Mannern zweifle, sondern weil ich keine andere Wahl habe. Man wird die Lage am Kap genau beobachten. Wenn hier alles klappt, wird es auch in Europa gegen Napoleon vorangehen. Vergessen wir nicht, ein Sieg ist trotz aller Triumphe auf See erst errungen, wenn der Infanterist das feindliche Land besetzt hat.»
        Stimmen erklangen drau?en und der mude Hufschlag eines Pferdes, das zu einem neuen Gewaltritt gesattelt wurde. Der General leerte ein Glas Brandy und griff nach Hut und Handschuhen.»Sie erinnern mich an Nelson«, sagte er spottisch.»Der war ein guter Seemann und hielt sich auch fur einen guten Infanteriebefehlshaber.»
        Kuhl antwortete Bolitho:»Die Marine hat Bastia erobert und Calvi eingenommen, nicht die Infanterie.»

«Gut pariert. «Der General verlie? das Zelt. Bolitho folgte ihm. Soldaten marschierten vorbei und wirbelten roten Staub auf. Der General drehte sich um. Schauen Sie sich diese Leute an. Wofur werden sie sterben mussen?»
        Bolitho sah Allday unten am Strand das Beiboot heranwinken.»Wenn Sie mich besser kennten, wurden Sie mir eine solche Frage nicht stellen.»
        Die blauen Augen des Generals waren kalt wie Eis, als er in den Sattel stieg.»Aber ich kenne Sie nicht, habe nur von Ihnen gehort, Sir Richard. Und ich frage nicht, als Soldat bitte ich Sie um Ihre
        Hilfe!»
        Der Oberst begleitete Bolitho den Strand hinunter zum Beiboot.»So habe ich den General noch nie erlebt, Sir Richard«, sagte er. Dann salutierte er zum Abschied. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.»
        Bolitho musterte den flach abfallenden Strand.»Entweder in Kapstadt oder in der Holle.»
        Als sie den ankernden Schoner fast schon erreicht hatten, wandte sich Bolitho an Allday.»Erinnerst du dich an die Achates?»
        Der Bootssteurer zog eine Grimasse und rieb sich die Brust.»Die vergesse ich bestimmt nicht. Aber das ist vier Jahre her.»
        Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Trotzdem, mein Freund. Wei?t du noch, wie wir sie fast verloren hatten?»
        Allday spurte, da? es ihm trotz der Mittagshitze eiskalt uber den Rucken lief.»Sie denken an einen Brander, Sir?«Er senkte die Stimme, die Manner an den Riemen sollten nichts mitbekommen.
        Doch Bolitho sprach laut weiter.»Ich wei?, was ich damit von den Leuten verlange.
«Ein Fisch sprang aus dem Wasser, fiel zuruck.»Aber sonst verlieren wir noch mehr Manner und Schiffe.»
        Der Ruderganger im Beiboot konzentrierte sich ganz auf das Anlegemanover bei der Miranda. Schlie?lich wurden sie wohl nie wieder einen Flaggoffizier an Bord haben. Niemand im Boot ahnte, was Bolitho durch den Kopf ging. Er sagte zu Allday:»Mr. Simcox hat etwas Wichtiges uber den Wind hier gesagt. Es mu? bald sein, denn der Feind konnte Anker lichten und davonsegeln. Aber wir konnen nur Freiwillige gebrauchen.»
        Allday bi? sich auf die Lippen. Die Manner auf dem Schoner waren ihm fremd, nicht Bolithos Leute, die mit ihm durch dick und dunn gegangen waren. Trotzdem… Er erinnerte sich an die Achates, wie sie in San Felipe vor Anker gelegen hatte. Das fremde Schiff hatte sich ihr scheinbar harmlos genahert und war dann in Flammen aufgegangen und auf sie zugetrieben. Wenn es etwas Schlimmeres gab, als einen Brander abzuwehren, dann war es fur die eigenen Leute, diesen Brander zu bemannen. Dafur Freiwillige finden? Die waren so selten wie Jungfrauen in Seemannskneipen.
        Bolitho griff in die Rusten, als das Boot an der Miranda langsseits ging und die Mannschaft die Riemen hob. Er sah Allday an.»Trotzdem haben wir keine andere Wahl.
«Damit zog er sich uber das Schanzkleid und sprach sofort mit Tyacke. Der wurde es dem Admiral kaum danken, schatzte Allday, nicht nach dem schrecklichen Brand, der ihm diese furchtbare Wunde beigebracht hatte.
        Bolitho fuhlte sich von Kommodore Warren beobachtet, als er Ozzard sein verschwitztes Hemd zuwarf und in ein frisches schlupfte. Dann trat er zu den Heckfenstern in der Kajute der Themis und sah ungeduldig zu, was auf dem nahen Versorger und dem gekaperten Sklavenhandler geschah. Wie lange brauchten die Leute blo?, um den Angriff vorzubereiten? Die Zeit wurde knapp. Und es war wichtig, da? Warren genau verstand, was er vorhatte.

«Der Schoner Dove wird Ihre Signale als Relaisstation an die Fregatten weitergeben, die drau?en patrouillieren. «Bolitho sah im Geist die Searcher - eine Fregatte mit sechsunddrei?ig Kanonen - hinter dem Horizont kreuzen: Warrens erste Verteidigung gegen jeden Feind, der sich von Westen naherte. Der zweite Schoner hielt Kontakt zum Geschwader in der Saldanhabucht. Jeder Kommandant konnte selbst entscheiden, was er bei drehendem Wind oder bei Annaherung eines feindlichen Schiffes tun wollte, der Leutnant auf dem Schoner genauso wie der Kapitan der Fregatte. Das hatte Bolitho in seinen Befehlen prazise festgelegt. Aber einen Kampf Breitseite gegen Breitseite durfte es nur auf Befehl des Kommodore geben.
        Warren protestierte:»Ich bin dagegen, Sir Richard. Wenn Sie bei diesem Handstreich fallen oder in Gefangenschaft geraten, wie soll ich das London erklaren?»
        Bolitho sah ihn mitleidig an. Als ob es dann noch auf Erklarungen ankame. Hatte Varian mit seinem abfalligen Urteil uber Warren vielleicht doch recht?» Ich lasse Ihnen dazu einige Briefe hier«, antwortete er.»Aber machen Sie sich daruber keine Sorgen. Es gibt in London einige, die das ganz gerne sahen.»
        Allday kam mit dem alten Familiendegen und legte ihn Bolitho um. Er hatte seine kurze blaue Jacke und die wei?e Leinenhose angezogen. Jetzt ermahnte er Ozzard mit einem Blick auf den prunkvollen Degen an der Wand:»Pa? mir ja gut auf den auf!»
        Bolitho beugte sich uber die Seekarte. Die Truculent unter Kapitan Poland mu?te inzwischen westlich der Tafelbucht stehen und auf die Miranda und ihre gefahrliche Begleitung warten. Im Sudwesten stand Varian mit ihrer starksten Fregatte, der Zest. Wenn der Angriff gelang, sollte Varian die Schiffe verfolgen, die vor dem Brander auf die offene See flohen. Es war unwichtig, ob der Feind die Albacora wiedererkannte. Nur fur die Manner an Bord war das von Bedeutung, die im letzten Augenblick in die Boote steigen mu?ten.
        An der Tur meldete der Posten:»Der Schiffsarzt, Sir!»
        Der Eintretende war so hager wie Warren und schien kein Lacheln zu kennen.»Tut mir leid, Sir, aber der Midshipman der Miranda mochte sofort auf sein Schiff zuruck«, berichtete er.
        Warren runzelte verargert die Stirn.»Das mussen Sie entscheiden. Ich habe jetzt keine Zeit.»

«Geht's dem Fahnrich wieder besser?«fragte Bolitho.
        Der Schiffsarzt schien verwirrt von der goldbetre?ten Uniform, die Bolitho jetzt statt des gewohnten Hemdes trug.»Es ist eine schwere Wunde, Sir. Und ein tapferer junger Mann. «Mehr sagte er nicht.

«Dann soll er zu uns auf die Miranda kommen. Kummern Sie sich bitte darum, Stephen. «Als der Flaggleutnant aufatmete, fugte Bolitho hinzu:»Ja, diesmal kommen Sie mit. Wenn Allday mein rechter Arm ist, dann sind Sie mein linker.»
        Er erinnerte sich, wie Jenour ihn angesehen hatte, als er vor ein paar Stunden auf sein Flaggschiff zuruckgekommen war. Ein Kurier hatte Depeschen uberbracht und es so eilig gehabt, da? er nicht einmal ankerte.»Im Umschlag Ihrer Lordschaften ist auch ein privater Brief fur Sie, Sir Richard.»
        Bolitho drehte sich um.»Von wem?»

«Von Ihrer Lady«, hatte Jenour schnell geantwortet, und als er Bolithos Frage spurte, sofort hinzugefugt:»Aus Falmouth.»
        Endlich, der erste Brief von Catherine! Hatte Belinda ihm geschrieben, hatte sie nur wieder mehr Geld fur ihre aufwendige Lebensfuhrung verlangt. Nun trug er Catherines Brief ungeoffnet in der Tasche bei sich, bis er in der drangvollen Enge der Miranda irgendwo ein Platzchen fand, um ihn ungestort zu lesen. Nach dem Angriff wurde er ihr antworten und all seine Sehnsucht in die durren Worte legen. Und falls er fallen sollte? Dann lag im Safe des Schiffes ein Brief fur sie.
        Bolitho verlie? die Kajute. Drau?en wartete Ozzard mit seinem Hut.»Wenn wir dies hier erledigt haben, geht's zuruck nach Falmouth. «Seltsamerweise stieg bei diesen Worten Furcht in Ozzards Augen auf.»Hier bist du gut aufgehoben. Kommodore Warren wird sich um dich kummern.»
        Als er zum Fallreep eilte, folgten ihm alle Blicke. Sicher war man froh, da? er das Schiff verlie?. Sein Bleiben schien nur Gefahr zu signalisieren.
        Langsam sank die Sonne, hielt sich noch als feuriger Ball uber ihrem eigenen Spiegelbild. Der Horizont leuchtete wie ein gluhender Draht. Commodore Warren nahm den Hut ab, die Pfeifen schrillten, und die Seesoldaten prasentierten das Gewehr. Bolitho stieg ins Beiboot und sah den Midshipman neben Jenour und Allday sitzen.

«Guten Tag, Mr. Segrave. «Der Junge antwortete etwas, aber es blieb ungehort, weil das Boot ablegte und die Riemen ins Wasser tauchten.
        Jenour sah zuruck, froh, da? er nicht bei Yovell und Ozzard auf der Themis bleiben mu?te. Er prufte die Sorgleine, die sein Handgelenk mit dem Degenkorb verband, und schob das Kinn vor.
        Allday sah die Sonne untergehen. Ihr Rot bedeutete diesmal Tod - fur Freund oder Feind? fragte er sich.

«Und was steckt noch in Ihrem Postsack, Stephen?«fragte Bolitho in die Stille hinein.

«Eine Nachricht fur die Miranda, Sir Richard. «Jenour dachte an den Privatbrief fur Bolitho. Wie wichtig er fur ihn gewesen war! Da befehligte der Mann mit kuhlem Kopf eine ganze Flotte, aber ein einziger Brief aus Falmouth machte ihn weich und verletzlich.
        Als Bolitho an Bord der Miranda kletterte, begru?te Tyacke ihn an der Reling. Uber das dunkle Wasser hinweg sahen sie die Albacora im Schein der untergehenden Sonne daliegen.
        Der schmutzige Schoner sah aus, als ob er schon in Flammen stunde.

«Wir haben unser Bestes getan, Sir Richard«, berichtete Tyacke.»Sie hat keine Stuckpforten, also haben wir Locher ins Deck geschnitten. Trotzdem wird sie brennen wie eine Fackel, wenn's so weit ist. «Beide Schoner wurden Anker lichten, sobald es dunkel genug war, und sich davonstehlen wie Diebe in der Nacht.»Fruh morgens sollten wir dann auf die Truculent sto?en«, fuhr Tyacke fort.»Da werden Sie es dann bequemer haben als hier.»
        Im rotlichen Sonnenlicht sah Tyackes entstelltes Gesicht aus, als blute es.»Ich brauche keine Bequemlichkeit«, antwortete Bolitho.»Ich habe hier gefunden, was ich suchte. Wenn alle Schiffe so gefuhrt wurden wie Ihres.»
        Abrupt drehte sich Tyacke um.»Es gibt noch viel fur mich zu tun, Sir. Bitte entschuldigen Sie mich.»
        Die riesige rote Sonnenscheibe rutschte unter die Kimm. Eigentlich mu?ten dort Dampfwolken aufsteigen oder der Rauch einer Explosion, dachte Midshipman Segrave. Er stand am Niedergang, als Simcox ihn fand.»Heute wird es eng an Bord«, scherzte er.»Mal sehen, ob wir einen Platz fur Sie finden. «Dann wurde er ernst.«»Bob Jay hat mir von Ihren alten Narben erzahlt. «Und als der Junge ihn wutend anstarrte: Das war seine verdammte
        Pflicht mir gegenuber.»
        Segrave ballte die Fauste.»Dazu haben Sie kein Recht!»

«Wollen Sie mir meine Rechte erklaren, Mr. Segrave? Ich trage des Konigs Rock ein paar Jahre langer als Sie. Sagen Sie mir also nicht, was ich darf und was nicht.
«Simcox' Gesicht war nur eine Handbreit von dem Segraves entfernt.»Man hat Sie auf Ihrem alten Schiff ausgepeitscht wie einen tollen Hund, daher die Narben. Irgendjemand wollte Ihnen zeigen, welche Macht er hat und wie schwach Sie sind.
«Der Junge nickte betroffen.»Das ist jetzt vorbei. Jay wird nie vergessen, da? Sie ihm das Leben gerettet haben. «Er legte ihm die Hand auf die Schulter.»Ich mu?te ubrigens auch das dem Kommandanten melden.»
        Segrave wischte sich das Gesicht mit dem Armel.»Es war wohl Ihre Pflicht«, sagte er mit zitternder Stimme.

«Alles klar jetzt?«fragte Simcox.

«Nein. «Der Junge schuttelte verzweifelt den Kopf.»Ich habe auf der Themis gehort, da? ich auf mein altes Schiff zuruck mu?, wenn wir Kapstadt hinter uns haben. «Er stieg den Niedergang hinunter.»Verstehen Sie jetzt?»
        Als die Dunkelheit fiel und die Sterne am dunklen Himmel hervortraten, sa? Bolitho in seiner Kajute am Tisch. Er horte an Deck Kommandos und das Quietschen der Ankerwinde, als der Anker kurzstag gehievt wurde. Jay, der Mastergehilfe, war mit einer kleinen. Prisenmannschaft druben auf der Albacora. Auf der Miranda mu?te die reduzierte Mannschaft deshalb harter als sonst arbeiten und Wache um Wache gehen.
        Tyacke schaute herein.»Wir konnen ankeraufgehen, Sir. Haben Sie noch Befehle?«Das klang anders als sonst.

«Gibt's Probleme?«fragte Bolitho.

«Ja. Ich habe neue Befehle bekommen: Segrave und Simcox mussen die Miranda verlassen, wenn das alles vorbei ist. «Tyacke versuchte zu lacheln, aber es mi?lang ihm.»Ben Simcox ist ein alter Freund von mir. Und uber den Midshipman denke ich jetzt auch anders.»

«Ich wei?. «Bolitho sah die Uberraschung auf Tyackes entstelltem Gesicht. Als er weitersprach, bemerkte Tyacke zum erstenmal die furchterliche Narbe auf Bolithos Stirn, die eine Strahne nur halb verdeckte.»Einer meiner Flaggleutnants bezeichnete meine Kommandanten und mich einmal als >eine kleine Schar Begluckten. Aber wir wurden immer weniger. Ich wei?, was es hei?t, einen Freund zu gewinnen und ihn sofort wieder zu verlieren. Man konnte manchmal meinen, es sei besser, mit niemandem befreundet zu sein.»
        Oben rief eine Stimme: «Albacora nimmt Fahrt auf!»

«Tut mir leid«, entschuldigte sich Tyacke,»ich wollte nicht an alte Wunden ruhren.


«Verstehe«, lachelte Bolitho.»Ubrigens werde ich morgen Freiwillige brauchen.»
        Tyacke drehte sich an der Tur um.»Keine Sorge, Sir Richard. Auf diesem Schiff werden Sie genugend Freiwillige finden. «Dann war er verschwunden. Sekunden spater erklang der Ruf von Deck:»Anker auf!»
        Bolitho blieb nachdenklich sitzen und horte den Larm oben nicht. Er brauchte Manner wie Tyacke und seine Besatzung nicht nur fur den Kampf. Aber ob sie das je verstehen wurden?
        Dann offnete er bedachtsam Catherines Brief. Ein Efeublatt fiel heraus. Er hielt den Brief dicht unter die schwingende Lampe und las: «Mein Geliebter. Dieses Blatt stammt von Deinem Haus, meinem neuen Heim ...»
        Da legte er den Brief zur Seite, denn die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen.



        VI Die Tapferen und die anderen

        Leutnant James Tyacke umklammerte die Luvreling und starrte durch die Gischt voraus, als Bolitho nach oben kam.»Segel in Sicht, Sir!»
        Bolitho griff haltsuchend nach einer Pardune.»Ich habe die Meldung gehort. Sie haben einen guten Mann oben, Mr. Tyacke.»
        Der Ausguckposten hatte das fremde Schiff bei Beginn der Morgendammerung gemeldet. In der Nacht hatte der Wind gedreht und kam jetzt aus Nord. Die Miranda lief rechtweisend Ost und lag so hart uber, da? die Leereling oft genug durchs Wasser rauschte. Die Gischt war eiskalt.
        Noch sah man die Kimm nicht, nur die Wellenkamme und die heranrauschenden Seen. Die Annaherung an den Feind wurde fur beide Schoner nicht leicht sein. Voraus entdeckte Bolitho einen Lichtpunkt, weniger als eine Kabellange entfernt: das Heck der Albacora. Tyackes und Jays gute Seemannschaft hatte die beiden Schoner auch nachts zusammenbleiben lassen. Aber wenn jetzt die Sonne aufging, wurden die Manner auf beiden Schiffen ihre Erschopfung spuren, denn eine ganze Nacht Segeltrimmen und Manoverfahren zehrte an den Kraften.

«Wir schlie?en jetzt zur Albacora auf, Sir«, rief Tyacke Bolitho zu, dessen Augen sich noch nicht an das Zwielicht gewohnt hatten. Erstaunlich, da? der Ausguck schon das ferne Segel sah. Es mu?te die Truculent sein. Oder war es ein Feind?

«An Deck! Fregatte voraus - beigedreht!»
        Also war es die Truculent. Bolitho horte Simcox aufatmen. Kapitan Poland war wieder einmal zur rechten Zeit in der gewunschten Position.
        Jemand meldete, da? die Albacora ein Boot zu Wasser gelassen hatte.»Was haben Sie wegen der Freiwilligen vor?«fragte Bolitho leise Tyacke.

«Das Flaggschiff hat uns den Deserteur geschickt. Und dann hat sich ein Seesoldat gemeldet - was immer der wert sein mag. «Aus seinen Worten klang die ubliche Mi?achtung des Seemanns fur die Marineinfanterie.

«Sind das alle?»

«Der Rest kommt von der Miranda.«Erstes Licht schlich uber die Kimm.»Ich habe mit meinen Mannern geredet und kann mich auf sie verlassen.»

«Mr. Simcox wei?, was er auf der Albacora zu tun hat?»
        Tyacke antwortete nicht sofort. Er beobachtete das Beiboot, das hart pullend uber die See glitt, um in Lee der Miranda Schutz zu finden.»Mr. Simcox bleibt hier an Bord«, sagte er dann.
        Bolitho verbarg seine Uberraschung.»Sie fuhren hier das Kommando. Es ist also Ihre Entscheidung.»
        Plotzlich stand Simcox zwischen ihnen.»Ich protestiere! Ich kenne die Gewasser besser, und uberhaupt.»
        Tyacke packte ihn am Arm.»Sie tun, was ich Ihnen sage, ich bin hier der Kommandant. Und jetzt kummern Sie sich um das Beiboot da unten!»
        Bolitho konnte Simcox' Gesicht nicht erkennen, aber er spurte, wie sehr dieser Befehl den Mann verletzt hatte.

«Ben ist ein gro?artiger Seemann, Sir«, erlauterte Tyacke.»Wenn er diesen verdammten Krieg uberlebt, wird noch mehr aus ihm. «Wutend wandte sich der Kommandant dann an die Gruppe im Heck des Schoners:»Morgan, holen Sie diese Leine dicht, oder wollen Sie, da? das Beiboot zerschmettert wird?»
        Zum erstenmal hatte Tyacke einen seiner Manner unberechtigt angeschnauzt. Ihn bedruckte wohl die Entscheidung, Simcox an Bord zu lassen und selbst auf den Brander zu gehen.
        Manner eilten im Zwielicht hin und her, und dann stand Jay, der Mastergehilfe, an der Pinne.»Wir sind soweit, Sir. Wir konnen die Besatzungen jetzt auswechseln. «Er sah von Tyacke hinuber zu Simcox.»Geht Ben mit?»

«Nein, ich gehe. Sie bleiben hier bei ihm. Und bei diesem
        Schiff!»
        Als sich auch Segrave bereitmachte, sagte Tyacke leise zu Bolitho:»Er hat sich freiwillig gemeldet. Wenn's schlimm wird, kann ich einen zweiten Offizier gebrauchen. «Laut fragte er:»Na, wollen Sie immer noch mit, Mr. Segrave? Wenn Sie lieber bleiben wollen, tun Sie's. Niemand wird Sie deshalb fur einen Feigling halten, nicht nach dem, was Sie fur Mr. Jay getan haben.»
        Das erste schwache Sonnenlicht fing sich in Segeln und Rigg.

«Ich komme mit, Sir«, sagte der Junge.
        Von oben rief der Ausguck:»Es ist die Truculent, Sir. Sie schuttelt gerade ein paar Reffs aus und kommt naher.»

«Sie wird Sie an Bord nehmen wollen, Sir.»
        Allday stand schon mit dem Kleidersack neben ihm, auch Jenour tauchte auf. Plotzlich blieb keine Zeit mehr. Manner stiegen ins Beiboot, und Tyacke hatte es eilig, auch wenn er als letzter uberstieg. Er schwang gerade ein Bein ubers Schanzkleid, als plotzlich Simcox neben ihm auftauchte.»Soll ich nicht doch mitkommen?»
        Simcox schwankte, aber Tyacke fing ihn auf. Bolitho sah den kurzen Abschied zweier Freunde.»Du wirst mal ein guter Master, Ben. Such dir auch einen guten Kommandanten.»
        Was Simcox antwortete, wurde vom Larm an Deck und dem Klatschen der Seen ubertont. Dann war Tyacke verschwunden, und das Beiboot flog auf die Albacora zu.

«Schlie?en Sie zur Truculent auf, Mr. Simcox. Wenn wir ubergesetzt haben, folgen Sie sofort dem Brander. «Warum hatte er

«Brander «gesagt und nicht Albacora? Wohl um Simcox das Unvermeidliche klarzumachen.

«Wir sollen also mit der Miranda den Brander verfolgen, Sir Richard?«Simcox hatte es akzeptiert.

«Richtig. Verfolgen Sie ihn zum Schein. Der Trick ist alt, aber er konnte Erfolg haben. Mr. Tyacke mu? jedenfalls nahe an die feindlichen Schiffe herankommen, ohne zunachst ihren Verdacht zu wecken.»

«Und welche Chance hat die Crew auf dem Brander, Sir Richard?»
        Bolitho sah ihn fest an.»Kaum eine. Es kostet viel Zeit, zum Feind aufzukreuzen. Wenn erst die Lunten brennen, mussen Tyacke und seine Besatzung ins Beiboot und zum Land rudern. Dort werden sie den Hollandern in die Hande fallen. Aber man wird sie wohl ungeschoren lassen, denn unsere Truppen sind nahe. «Er spurte, da? Jenour seine Luge durchschaute, und erlauterte:»Wenn Mr. Tyacke einen Fehler macht, werden wir zwolf gute Leute verlieren. Wenn wir aber direkt angreifen, wurden wir alle Schiffe und jeden Mann opfern.»
        Allday sah zur fernen Kuste.»Keine leichte Entscheidung.»
        Bolitho strich sich die Haarstrahne aus der Stirn. Was auch geschehen wurde, das Resultat war in jedem Fall schlimm.

«Die Herren in London lassen sich deswegen sicher keine grauen Haare wachsen«, murmelte Allday.»Ich habe schon gefurchtet, Sie wurden selbst auf den Brander gehen, Sir Richard.»
        Bolitho sah Wolken uber dem Land aufsteigen und meinte, Sand zwischen den Zahnen zu spuren.»Diesmal nicht.»
        Die gro?en Segel der Truculent schoben sich naher heran. Ihr Deck dampfte bereits in der ersten Morgensonne. Sie drehte in den Wind, ein Beiboot wurde zu Wasser gelassen. Simcox pfiff seine Restbesatzung an Brassen und Schoten, um die Miranda in den Wind zu stellen, damit das Boot langsseits kommen konnte.

«Alles Gute, Mr. Simcox. Mein Bericht wird Ihnen bei der Masterprufung sicherlich nutzlich sein.»
        Muhsam suchte Simcox nach den passenden Worten.»Danke, Sir Richard. Aber wir waren eben Freunde, und ich wei?, warum er das getan hat. «Er deutete auf die davonziehende Albacora. »Wenn einer es schaffen kann, dann Mr. Tyacke.»
        Das Boot der Fregatte naherte sich ihnen, im Heck einen
        Leutnant, der in dem unruhigen Wasser muhsam das Gleichgewicht hielt.

«Ich hoffe, wir sehen uns wieder, Mr. Simcox. Sie haben eine gute Besatzung und ein wunderbares Schiff. «Aber das hatte er besser nicht sagen sollen, denn irgendwann wurde er vielleicht Schiff und Mannschaft in den Tod schicken mussen. Da erinnerte man sich lieber nicht allzu genau.

«Achtung! »
        Bolitho nickte den Mannern an der Pforte zu. Da stand der verla?liche Stuckmeister Elias Archer. Jay, der Mastergehilfe, wurde wahrscheinlich bald Simcox' fruheren Platz einnehmen. Bootsmann Sperry fehlte, der war also bei Tyacke. Warum hatte aber der Midshipman darauf bestanden, auf den Brander umzusteigen? Er hatte doch gerade erst Befehl bekommen, auf sein altes Schiff zuruckzukehren. Bolitho beschlo?, nicht weiter daruber nachzugrubeln.»Ich denke an Ihr Bier, Mr. Simcox!»
        Dann war er unten im Boot, stutzte sich auf den Leutnant und versuchte, seinen Degen nicht zwischen den Beinen einzuklemmen.

«Also hier war es?«Tyacke blickte sich in der Kajute der Albacora um.»Dreckig wie ein Schweinestall!»
        Segrave starrte die Koje an, als lage dort noch die nackte Sklavin in Ketten. Wie alle anderen Raume unter Deck war auch dieser vollgestopft mit brennbarem Material. Der Brander stank: nach Ol, nach schimmeliger Leinwand, nach tranigem Werg, nach Holz aus Warrens Transportschiffen, das man mit Teer ubergossen hatte: alles, was die Albacora in eine lodernde Fackel verwandeln wurde. Segrave spurte den Luftzug durch das Loch im Deck streichen, der spater die Flammen hochjagen wurde. Und zum erstenmal, seit er sich gemeldet hatte, wurde ihm angst.
        Das Schiff setzte weniger hart ein.»Wir laufen leichter, Sir«, sagte er.
        Tyacke ri? sich aus seinen Gedanken.»Wie? Ja, naturlich. Aber den Wind haben wir immer noch gegen uns. «Er hockte sich auf eine Kiste, wo sein verletztes Gesicht im Schatten lag.»Mr. Simcox hat mir von Ihren anderen Verletzungen erzahlt«, begann er so ruhig, als habe er alle Zeit der Welt.»Man hat Sie geschlagen. Weil Sie an Bord nichts taugten?»
        In der Erinnerung ballte Segrave die Fauste. Der Kommandant damals hatte kein Interesse gehabt an dem, was bei den Midshipmen geschah. Ihn interessierten nur Ergebnisse, sonst nichts. Ein Leutnant hatte daraufhin die Offiziersanwarter in zwei Gruppen geteilt, die nun miteinander wetteiferten beim Kanonenexerzieren, in Seemann- schaft, bei Bootsmanovern. Wer verlor, wurde bestraft, wer gewann, erhielt kleine Belohnungen. Segrave gehorte als Neuling immer zu den Verlierern. Also hatte man ihn immer wieder nackt ausgezogen, uber eine Lafette gebunden und ausgepeitscht. Seine Kameraden hatten das getan, aber auch der verantwortliche Leutnant. Sie hatten ihn erniedrigt und beleidigt, immer und immer wieder. Die Narben dieser Mi?handlung wurde er nie mehr verlieren.
        Mit Tyacke konnte er plotzlich uber all das sprechen, in kurzen abgehackten Satzen. Der Kommandant horte stumm zu, bis der Junge schwieg.

«Solche Brutalitat hat immer der Kommandant zu verantworten«, sagte er schlie?lich.»Wenn es ihm egal ist, wie die Offiziere seine Befehle ausfuhren oder ihre Aufgaben erfullen, kommt es so weit. Kein Leutnant kann so etwas wagen, wenn ihn sein Kommandant dabei nicht decken wurde. Haben Sie sich freiwillig auf den Brander gemeldet, weil Sie auf Ihre altes Schiff zuruckkehren sollten?«Als Segrave schwieg, fuhr er fort:»Sie hatten den Leutnant umbringen sollen. Was Schlimmeres als hier hatte Sie dann auch nicht erwartet. Aber Ihnen ware wohler gewesen. «Er legte Segrave die Hand auf die Schulter.»Doch Sie haben Ihre Entscheidung getroffen. «Ein Sonnenstrahl huschte uber seine entstellte Gesichtshalfte.»Und ich die meine.»
        Oben horte man Schritte, die heisere Stimme des Bootsmanns scheuchte ein paar Manner auf ihre Stationen.

«Es tut mir nicht leid, da? ich hier bin«, sagte Segrave.»Gut!»
        Zusammen stiegen sie an Deck, und die frische Luft tat ihnen wohl nach dem Gestank in der Kajute. Tyacke sah zum Wimpel hoch, prufte den Kurs am Kompa?. Ja, der Wind stand durch, hatte aber hier unter Land weniger Kraft. Er nahm das Teleskop aus seiner Halterung. Da fiel sein Blick auf den Deserteur namens Swayne. Er holte gerade die Lose aus einer Leine, bewegte sich dabei schnell und leicht: ein erfahrener Seemann. Seit er hier an Bord war, sah er nicht mehr so verzagt aus, denn solange man lebte, gab es Hoffnung. Auf dem Flaggschiff hatten ihn entweder zweihundert Hiebe oder der Strick erwartet. Der andere Fremde an Bord war ein Seesoldat namens Buller. Der hatte Rum gestohlen, sich betrunken und dann seinen Sergeanten verprugelt. Das war zuviel fur die Truppe. Auch ihn hatte man gehenkt oder ausgepeitscht.
        Die anderen Manner kannte Tyacke bereits genau, sie kamen von der Miranda. Sperry, der Bootsmann, lie? zwei Manner die Fockrah mit einer Kette festsetzen, denn wenn die Flammen erst nach oben schlugen, waren Ketten notig, um Fahrt im Schiff zu halten. Das geteerte laufende Gut brannte sofort weg.
        So jedenfalls hatte es Tyacke gehort. Wie jeder Seemann furchtete er Feuer an Bord am meisten. Ob er die Sache durchstehen konnte? Er wu?te, da? es darauf nur eine Antwort gab.
        Der Kommandant hob das Glas und sah am Midshipman vorbei, dem das Haar ins Gesicht wehte. Das Land lag genau voraus, und die Huk, die die Einfahrt zur Bucht schutzte, war im fahlen Morgenlicht gut zu erkennen: grun und felsig. Die Decksplanken unter seinen Fu?en wurden langsam warm und wurden bald trocken wie Zunder sein. Wenn der Feind vorn an der Landspitze weitreichende Kanonen plaziert hatte, wurden sie nicht bis in die Bucht kommen. Kein Schiff hatte Chancen gegen eine Landbatterie, schon gar nicht, wenn sie mit gluhenden Kugeln scho?. Tyacke versuchte nicht daran zu denken, was eine gluhende Kanonenkugel unter Deck anrichten wurde.

«An Deck!«Der Ausguckposten zeigte nach achtern.»Die Miranda geht uber Stag.»
        Tyacke drehte sich um. Die offene See achteraus hielt die Nacht noch langer fest. Mirandas gro?e Segel schienen formlich ubers Wasser zu fliegen, ihr Toppsegel flatterte, als sie durch den Wind ging. Es sah wirklich so aus, als verfolge sie den schabigen Sklavenhandler mit Feuereifer.

«Schutteln Sie alle Reffs aus, Mr. Sperry. Wir mochten doch nicht durch ein Schiff des Konigs aufgebracht werden - oder?«Sperry grinste und verschwand.»Sie werden an der Pinne gebraucht, Mr. Segrave. Wir haben noch etwa zehn Meilen bis zum Angriff.

        Segrave nickte. Hinter Tyackes absto?endem Au?eren hatte er seine gewinnende Kameradschaft entdeckt.
        Im Fernglas offnete sich jetzt vor ihnen die Bucht wie eine Buhne.

«Wir laufen nach Nordost«, befahl der Kommandant,»auf die Untiefe zu, wie jedes kleine Handelsschiff, das von einem Kriegsschiff gejagt wird. Dann wenden wir und halten auf Steuerbordbug genau auf die ankernden Schiffe zu. Falls sie noch da sind. «Tyacke rieb sich das Kinn; er hatte sich doch rasieren sollen.»Also klar zur Wende, Mr. Segrave!»
        Segrave bestatigte und stellte sich an der Pinne neben den jungen Seemann, der damals unten in der Kajute seine Messerwunde versorgt hatte.

«Wir werden's auch diesmal schaffen, Mr. Segrave«, sagte dieser.

«Ganz bestimmt. «Segrave lachelte zuruck.
        Als ein Schu? ubers Wasser klang und Pulverrauch vom Bug der Miranda aufstieg, drehte sich Tyacke um. Simcox beherrschte das Spiel gut. Hoffentlich ubertrieb er es nicht und holte die Albacora ein. Plotzlich mu?te Tyacke an das Madchen denken, das er in Portsmouth gekannt hatte. Marion, richtig. Er wischte sich den Schwei? vom Gesicht.
        Ein zweiter Schu? rollte uber die glitzernde See, die Kugel schlug eine Kabellange achteraus ins Wasser.

«Neuer Kurs Nordost liegt an, Sir!«Zum erstenmal horte er den stillen Segrave laut und deutlich rufen.
        Gischt wehte uber das schmutzige Deck. Der Bootsmann zuckte nur kurz mit den Schultern, als ein dritter Schu? fiel und schon etwas naher lag als der letzte. Sperry spahte durch das Skylight in die Kajute hinunter. Hier hatte er sich damals mit der Schwarzen vergnugt.
        So hing jeder seinen Gedanken nach. Tyacke fragte sich, ob das Madchen Marion sich an ihn erinnern wurde, wenn sie vom letzten Kommando eines gewissen Leutnant Tyacke in der Zeitung las.
        Kapitan Daniel Poland hielt respektvollen Abstand zu Bolitho, der am Tisch mit dem Zirkel einige Entfernungen in der Karte nachma?.

«Soweit wir wissen, ist niemand mehr in die Bucht eingelaufen«, uberlegte der Vizeadmiral.»Sie oder Leutnant Varian hatten das doch bemerkt und mir gemeldet. Das hei?t, die Ostindienfahrer und die Fregatte liegen noch in der Bucht. Hab' ich recht?»

«Die Bucht ist riesig, Sir Richard«, gab Poland zu bedenken.»Viermal so gro? wie die Tafelbucht. «Er fuhlte sich unter Bolithos forschendem Blick unwohl.»Aber es wird schon so sein, wie Sie sagen.»
        Bolitho zog seine Uhr heraus. Tyackes Brander und die Miranda mu?ten jetzt auf den vorgesehenen Positionen stehen. Immer noch dachte er an den Leutnant, der seinen Platz mit dem des Freundes getauscht hatte.
        Jenour, der unruhig aus den Heckfenstern geblickt hatte, meldete Kanonenschusse, und Bolitho sah auf die Karte.»Es lauft wie geplant.»
        Er sah sich in der Kajute um. Nach der Miranda schien er hier so viel Platz zu haben wie auf einem Linienschiff. Er wandte sich Poland zu.»Lassen Sie klar Schiff zum Gefecht machen, wann es Ihnen pa?t. Und bitten Sie Allday…»
        Doch der war schon leise eingetreten und brachte Bolithos alten Degen. Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm das Gehenk umlegen konnte.

«Wieder mal«, seufzte er dabei.

«Und wie immer«, antwortete Bolitho,»verlasse ich mich auf dich, alter Freund.»
        Leutnant Tyacke senkte das Teleskop. Er wurde sich jedem Beobachter verdachtig machen, wenn er die beiden Ankerlieger zu lange durchs Glas studierte, statt sich um den Schoner zu kummern, der ihn verfolgte. Aber er hatte schon gesehen, was er suchte: Die beiden Schiffe, offensichtlich Ostindienfahrer, lagen vor Heck- und Buganker. Bolitho hatte also recht gehabt. Sie konnten wie eine Batterie an Land jeden Angreifer abwehren, der sich ihnen muhsam aufkreuzend naherte.»Sehen Sie sich das an, Mr. Segrave!«Der junge Matrose neben dem Midshipman deutete auf die Miranda. Mit Vollzeug ging sie durch den Wind, drehte fast auf der Stelle, nahm wieder Fahrt auf und kam so schnell naher, da? Segrave schon glaubte, Simcox mit seinem wehenden Haar druben an der Pinne zu erkennen.
        Wieder stieg ein Wolkchen von ihrem Bug auf, und diesmal schlug die Kugel nur eine Bootslange entfernt ein. Gischt spritzte an Deck.»Verdammt«, fluchte Sperry,»wenn du noch mal so gut zielst, kriegst du's mit mir zu tun, Elias Archer!»
        Segrave leckte sich die trockenen Lippen. Wie er und der junge Seemann hatte wohl auch der Bootsmann vergessen, da? sie den Stuckmeister der Miranda nie wiedersehen wurden.

«Wachboot, Sir!«schrie der Ausguck im Fockmast.
        Tyacke prufte den Wimpel und den Stand der Segel.»Klar zur Wende, Mr. Sperry. «Er schatzte die Entfernung und prufte die Kraft des Windes. Sie waren jetzt schon eine Stunde lang tiefer in die Bucht hinein gesegelt, ohne da? sie jemand aufgehalten hatte. Sicherlich wurde aus vielen Fernglasern beobachtet, wie hier ein Sklavenhandler vor einem Briten floh. Vielleicht hatte auch der hollandische Kommandant die Albacora wiedererkannt.
        Tyacke sah sich das Wachboot im Teleskop genauer an: ein kleiner Kutter, die Riemen schon eingelegt, loste sich gerade vom ihnen nachstgelegenen Handelsschiff. Messingknopfe glanzten auf der Uniform eines Offiziers, der im Heck des Kutters stand. Das Wachboot wurde sie anrufen und zum Beidrehen auffordern. Es gab nur eine Moglichkeit.

«Buller zu mir!«Der Seesoldat eilte zu Tyacke.»Man sagt, Sie seien ein guter Schutze?»

«Ich war der beste in meiner Kompanie, Sir!»
        Tyacke grinste.»Sehr gut. Also nehmen Sie Ihre Muskete und erschie?en Sie den Offizier da in dem Kutter. Die haben eine Drehbasse im Bug, Sie sollten also besser gleich beim ersten Schu? treffen.»
        Der Soldat buckte sich und offnete hinter dem Schanzkleid seinen Rock, unter dem er seine Waffe verborgen hatte.»Alles klar, Sir!»
        Tyacke sah zu Segrave hinuber.»Alles klar auch bei Ihnen?»
        Der Midshipman nickte, bleich und entschlossen.
        Tyacke ging zur Heckreling. Ja, ihr Beiboot hing noch in seinen Taljen. Er starrte zum Land, dann nach Backbord, wo die Feindschiffe lagen. Das Wachboot schien es nicht besonders eilig zu haben, sich der Albacora zu nahern, der die Miranda dicht auf den Fersen war.

«Klar zur Wende. Leeruder! Los die Schoten - und hol sinnig dicht!«Tyackes Stimme trieb die Manner an, bis sie schwitzten. Fur ein Wendemanover brauchte man eigentlich doppelt so viele Leute.
        Segrave rutschte aus, fand Halt auf dem geteerten Deck, stemmte sich gegen die Pinne und sah die riesigen Segel ubergehen. Der Schoner drehte durch den Wind und fiel ab.

«Komm auf, verdammt noch mal!«fluchte der junge Seemann neben ihm. Die Segel wurden hart angebra?t, der Schoner lief hoch am Wind auf neuem Bug. Wo voraus Land gewesen war, ankerten jetzt die Schiffe; im Sonnenlicht leuchteten deren bunte hollandische Flaggen. Tyacke suchte irgendwo Halt. Dies war zwar nicht die Miranda, aber auch ein wendiges Schiff. Er sah den Wachkutter. Seine Segel killten, er verlor an Fahrt. Nun tauchten die Riemen ein. Das Boot drehte auf der Stelle, soda? seine kleine Bugkanone nicht mehr auf sie zeigte, sondern auf die Miranda.
        Sperry hielt die Luft an.»Die Miranda blast den doch glatt aus dem Wasser. Was hat er blo? vor?»
        Der Ausguck rief:»An Deck! Die Fregatte nimmt Fahrt auf!»
        Tyacke drehte sich um und sah erschrocken, da? sich die Marssegel der Fregatte blahten und sie von ihrem Ankerplatz auf sie zuglitt.

«Die la?t uns keine Chance. «Sperry rieb sich verzweifelt die Augen.»Sie geht viel hoher an den Wind als wir!»

«Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Segrave«, befahl Tyacke ruhig. Er hob sein Glas und hielt den Atem an.»Sie hat's auf die Miranda abgesehen. O Gott!«Dann brullte er, so laut er konnte:»Verschwinde, Ben! Fall ab, du bist schneller!«Naturlich konnte ihn niemand an Bord der Miranda horen.»Hau ab, Ben!»

«Was ist los?«fragte Segrave leise.

«Die Fregatte schneidet ihm den Fluchtweg ab«, antwortete der zweite Ruderganger.
        Segrave sah, da? die Miranda jetzt die Gefahr erkannte. Ihre Linien wurden kurzer, sie drehte ab.
        Tyacke beobachtete die Fregatte im Glas. Sie war kleiner als die Truculent, doch genauso elegant. Ihre machtigen Segel blahten sich im Wind, schoben sie immer schneller voran, und dann sah man an der Gro?maststenge die franzosische Trikolore auswehen. Der Kommandant suchte ganz offensichtlich freien Seeraum.
        Tyacke wurde es fast ubel, als er sah, wie die Fregatte ihre Kanonen ausrannte. Er bildete sich ein, die Befehle druben zu horen. Auf nur eine Meile Entfernung mu?te sie die Miranda vernichtend treffen. Er sah Rauch aus den Kanonen aufsteigen und horte das dumpfe Stakkato der Abschusse. Die See vor und hinter der Miranda schien zu kochen, wei?e Saulen stiegen gen Himmel wie Springbrunnen, schienen zu erstarren und fielen in sich zusammen.
        Gab es doch noch Hoffnung? Trotz der kurzen Distanz hatte kein einziger Schu? den Rumpf getroffen.
        Doch da horte er seine Manner aufstohnen. Als ob ein riesiger Vogel seine Flugel faltete, so fielen die Segel der Miranda herab und begruben das Schiff unter sich. Die Masten waren ihr weggeschossen worden, die Rahen und Spieren sturzten hinterher.
        Doch die franzosische Fregatte feuerte kein zweites Mal. Sie setzte ihre Royals, winzige Figuren legten auf den Rahen aus, und ihr Bug drehte auf Sudostkurs. Der Wind jagte sie auf die offene freie See hinaus.
        Tyacke behielt die Miranda im Auge und begriff, warum der Franzose kein zweites Mal gefeuert hatte. Das Deck des Schoners war an vielen Stellen aufgerissen, schon stieg Rauch davon auf.
        Die Miranda brannte.
        Doch dann verschwand der Rauch so plotzlich, wie er aufgestiegen war. Die See hatte den Schoner verschluckt.
        Tyacke lie? das Glas sinken. Die Miranda war nicht mehr. Die ihm helfen wollten, waren selbst zu Opfern geworden.
        Segrave und ein paar Manner beobachteten ihn.
        Sein Befehl kam mit ruhiger Stimme:»Nehmen Sie die Segel weg, Mr. Sperry. Die Jagd ist zu Ende. «Er deutete auf das Wachboot, wo einige Manner an den Riemen ihnen zuwinkten.»Die halten uns fur Freunde!»
        Langsam, um den Gegner zu tauschen, machten sich seine Manner an die Arbeit. Tyacke stand neben Segrave, eine Hand auf der des Jungen. Gemeinsam legten sie Ruder, bis ihr Steven genau auf die Lucke zwischen den beiden verankerten Handelsschiffen zeigte.

«Halten Sie diesen Kurs!«Tyacke sah sich um. Da standen seine Manner und dachten an die Miranda, an Ben Simcox, an Bob Jay, an den alten Archer. Wer von ihnen die Breitseite uberlebt hatte, wurde nun ein Opfer der Haie werden.

«Fertig, Manner!»
        Er setzte gerade seinen Hut auf, als druben ein Trompetensignal erscholl.»Sie schlagen Alarm!«Sofort wurde es auf dem Wachboot unruhig, die Riemen droschen wild ins Wasser, und der Bug des Kutters drehte drohend auf sie zu.»Klar zum Schu?, Buller!«Der Seesoldat kniete schon hinter dem Schanzkleid, die geladene Muskete neben sich.

«Denken Sie an die Miranda. Und an die Peitsche, die Sie verdient haben, aber nicht mehr spuren werden!«Der Offizier im Kutter bemuhte sich, seine Manner wieder im Gleichtakt rudern zu lassen.»Feuer!»
        Die Muskete schlug im Rucksto? gegen Bullers kraftige Schulter. Tyacke sah den Hollander die Arme senken, uber die Seite kippen und im Wasser davontreiben. Einige Manner versuchten, mit den Riemen nach dem Offizier zu angeln. Dann krachte das kleine Buggeschutz des Kutters, und der junge Seemann neben Segrave brach schreiend zusammen. Wieder scho? Buller. Ein Mann an der Drehbasse fiel rucklings zwischen seine Kameraden. Die Riemen wirbelten durcheinander. Segrave sah nun auch Bootsmann Sperry auf den Planken knien, die Zahne vor Schmerz gebleckt. Zwischen seinen Fingern quoll es blutig aus seinem Bauch hervor. Er hatte wahrscheinlich den Hauptteil der Schrotladung abbekommen.
        Tyacke kniff die Augen zusammen. Da lagen die dicken Ostindienfahrer - Bug gegen Bug mit einer halben Kabellange Abstand. Nichts wurde sie mehr retten konnen. Aber Sperry lag jetzt auf dem Rucken, sein Blut flo? durch die Speigatten au?enbords; er hauchte sein Leben aus.
        Was hielten die Hollander wohl von der Albacora, fragte sich Segrave. Sahen sie schon den Brander in ihr? Als habe er Segraves Gedanken erraten, rief Tyacke plotzlich:»Es geht los, Leute! Unter Deck, Mr. Segrave, und Feuer an die Zundschnure!»
        Segrave spurte Furcht in sich hochkriechen. Sie standen auf ihrem eigenen Scheiterhaufen. Aber dann rannte er an dem toten Bootsmann vorbei, horte Trompetensignale jetzt auf beiden Schiffen und das Quietschen von Lafetten. Ein paar Offiziere druben hatten endlich erkannt, was sich abspielte. Segrave schluchzte hemmungslos, als er die stinkende Kajute der Albacora erreichte, denn immer noch sah er vor sich, wie die Miranda sank. Sein einziger Freund, Jay, den er gerettet hatte, war tot. Und den kleinen Schoner, ihre ganze Welt, gab es nicht mehr.
        Segrave zuckte zuruck, als die Zundschnur wie eine bose Schlange zu zischen begann. Er griff zur zweiten. Diesmal war seine Hand ruhig, als er das Zundholz hielt.
        Dann hastete er nach oben. Wenn seine Mutter oder sein Onkel, der Admiral in Plymouth ihn jetzt gesehen hatten, waren sie dann endlich zufrieden gewesen? Doch er spurte bei dem Gedanken keine
        Bitterkeit mehr.
        Oben stand Tyacke an der Pinne, als sei er ein Teil des Schiffs.»Schauen Sie dort hinuber!»
        Manner rannten uber die Decks der Kaufahrer, andere kletterten ins Rigg, und ein paar versuchten, die Ankertrossen zu kappen.
        Etwas explodierte unter seinen Fu?en mit dumpfem Knall. Schwerer schwarzer Rauch quoll nach oben, und dann leckten die ersten Rammen aus dem Deck der Albacora.

«Holt das Boot langsseits!»
        Segrave beobachtete, wie sich das Feuer durch die Decksnahte fra?, und spurte, da? der Rumpf unter ihm hei? wurde wie eine Herdplatte. Tyacke stand noch immer wie festgenagelt an der Pinne.
        Ein Mann schrie:»In's Boot, Sir!«Das war der Deserteur.
        Ganz ruhig sprach Segrave auf Tyacke ein:»Sie durfen nicht an Bord bleiben und mit der Albacora verbrennen, Sir. «Tyacke wandte ihm sein zerstortes Gesicht zu.»Bitte nicht, wir brauchen Sie. «Er horte das Feuer unter sich lauter prasseln.»Auf der Miranda sind alle gestorben, das darf nicht umsonst geschehen sein. Um Ihrer Freunde willen - kommen Sie!»
        Tyacke straffte sich.»Du hast recht, mein Junge. Ich will dich noch als Offizier sehen.»
        Zusammen kletterten sie ins Beiboot. Kaum waren sie aus dem Schatten der Albacora gepullt, sahen sie, wie ihr Rumpf aufplatzte und Flammen mit wutendem Fauchen gen Himmel schossen.
        Tyacke sa? an der Pinne.»Pullt, Leute! Wenn wir die Huk erreichen, konnen wir uns vielleicht an Land verstecken.»
        Ein Mann rief plotzlich:»Jetzt sind sie dran! O mein Gott!«In seinen aufgerissenen Augen spiegelten sich die Flammen, als der brennende Schoner gegen den ersten Ostindienfahrer stie?.
        Das Feuer raste seine geteerten Wanten empor, jagte die Rahen entlang. Manner, die aufgeentert waren und versucht hatten, noch rechtzeitig Segel zu setzen, fanden sich zwischen Absturz und Verbrennen gefangen. Sie fielen wie Puppen an Deck, denn das war ein schneller Tod, schneller als der durch Flammen oder Haie. Der zweite Ostindienfahrer war noch von seinem Heckanker freigekommen, aber zu spat. Feuerzungen leckten gierig nach seinem Vordeck und rasten die Finknetze entlang nach achtern.
        Im Boot schwiegen alle. Nur die Riemen quietschten.»Sucht eine gute Stelle, wo wir an Land gehen konnen!«befahl Tyacke.
        Buller hatte wieder eine Kugel in seine Muskete gerammt.»Wir werden keinen Strand brauchen, Sir. «Seine Stimme klang unglaubig.
        Tyacke folgte seinem Blick auf See hinaus und packte Segraves Arm.»Da ist die Truculent!«, rief er.»Sie holt uns!»
        Sie drehten und ruderten mit aller Kraft auf die Landspitze zu, als hinter ihr die Masten der Fregatte sichtbar wurden. Achteraus von ihnen stieg eine schwarze Rauchwand gen Himmel, aus der Flammen zungelten. Das Ende der Ostindienfahrer war schrecklich.
        Segrave sah Tyacke an und wu?te, da? der Leutnant fast an Bord der Albacora geblieben ware. Doch er, der geschundene Kadett, hatte es erreicht, da? Tyacke nun weiterleben wollte.
        Auch er selbst wurde nicht aufgeben, schwor er sich. Niemals.



        VII Noch eine Uberlebenschance

        Bolitho lehnte sich an den holzernen Lauf einer Kanonenattrappe und schaute durch die offene Pforte nach drau?en. In der Nachmittagshitze war das Holz so hei? wie ein Rohr, das gerade abgefeuert worden war. Auf seinem Flaggschiff, der Themis, war es ungewohnlich still. Nichts bewegte sich an Bord. Auch die Truculent lag reglos vor Anker, die See um sie herum glanzte wie ein Spiegel. Am Tisch der Kajute schrieb Yovell Befehl nach Befehl fur die Kommandanten beider Geschwader aus. Die eine oder andere Ausfertigung wurde schlie?lich auch auf Sir Owen Godschales Tisch in der fernen Londoner Admiralitat landen. Gelegentlich drang von Land das leise Grollen der Artillerie heruber, denn das englische Heer marschierte auf Kapstadt zu.
        Jenour betupfte sich Gesicht und Hals mit einem Taschentuch und beugte sich uber den Tisch, um etwas zu prufen. Er sah bedruckt aus seit dem plotzlichen Verlust der Miranda. Die Truculent hatte die Besatzung des Branders an Bord genommen und sofort die Suche nach der franzosischen Fregatte begonnen. Dabei hatten sie auch mit Kapitan Varian gerechnet, der eigentlich jedes Schiff sehen mu?te, das aus der Bucht entkam. Aber die franzosische Fregatte blieb verschwunden. Drei Tage spater trafen sie die Zest, und Varian berichtete, er habe zwar ein fremdes Schiff gejagt, doch ohne Erfolg.
        Bolitho versuchte, den Verlust der Miranda zu verdrangen, Tyackes Zorn und Schmerz zu vergessen, als dieser an Bord geklettert kam. Der Qualm der brennenden Hollander war viele Meilen weit zu sehen gewesen. Auch die Soldaten des Generals hatten den Rauchpilz bestimmt entdeckt und neuen Mut gefa?t. Bolitho versuchte vergeblich, seinen Trubsinn abzuschutteln. Das Ergebnis war den Einsatz wert gewesen. Doch wieder einmal hatte er den Mannern zu nahe gestanden, die gefallen waren: Simcox, Jay, der scharfaugige Landsmann aus Penzance und viele andere.
        Es klopfte, und Commander Maguire trat ein, den Hut unter dem Arm.»Sie lie?en mich rufen, Sir Richard?«Durch das offene Fenster drang wieder das ferne Grollen von Kanonen.

«Bitte setzen Sie sich. «Bolitho trat an den Tisch.»Nach diesem Feldzug werden Sie heim nach England segeln, Commander Maguire. Ihre Order ist schon ausgeschrieben. Bis dahin stehen Sie unter dem Kommando von Commodore Popham.»
        Der Mann zeigte keinerlei Regung. Wie viele andere im Geschwader hielt er den Einsatz des Branders und das Opfer der Miranda fur sinnlos. Der Verlust der beiden Schoner und der beiden Hollander wurde am Unentschieden dieser Kampagne nichts andern.
        Nebenan stie? etwas an, dann horte man Manner eine schwere Last bewegen. Erst jetzt zuckte ein Nerv in Maguires Gesicht. Er hatte lange unter Commodore Warren gedient. Aber Warren war in dem Augenblick an seiner Lungenkrankheit gestorben, als die Segel der Truculent wieder uber der Kimm auftauchten. Sein Schreiber und sein Steward hatten Warrens weltlichen Besitz in einer Kiste verstaut, die ein Transportschiff mit nach England nehmen sollte.

«Und was wird aus meinem Schiff?«fragte Maguire.

«Es wird endlich in eine Werft kommen und neu ausgerustet werden.»

«Aber die Themis ist doch viel zu alt, Sir Richard!»
        Bolitho uberhorte den Einwand.»Sie ist nicht so alt wie mein fruheres Flaggschiff.
«Das sollte nicht scharf klingen, doch Maguire zuckte zusammen.»Der Krieg geht weiter, Commander, und wir brauchen jedes Schiff, jedes! Wenn es nur segeln und kampfen kann. «Bolitho schaute aus dem Heckfenster ins Wasser, sah den Bewuchs am Kupferbeschlag.»England braucht mehr als holzerne Kanonen!»
        Damit entlie? er den Commander.

«Das eben hat Ihnen mi?fallen, nicht wahr, Stephen?»
        Jenour richtete sich auf.»Nun, manchmal, Sir.»
        Bolitho hob die Hand.»Ja, auch mir tat Warren leid. Aber irgendwie gehorte er nicht mehr in unsere Zeit. Wir mussen diesen verdammten Krieg gewinnen und uns deshalb um die Lebenden kummern.»
        Durch die zweite Tur trat Allday ein.»Es sind gerade ein paar Fasser Bier an Bord gebracht worden, Sir Richard, wohl noch fur die Miranda. Und fur Sie ist ein Fa?chen Brandy dabei - vom General personlich.»
        Bolitho zupfte sich das schwei?nasse Hemd von der Brust.»Ja, das hat er mir in seinem Brief angekundigt. «Er dachte an General Baird, der jetzt an Land kampfte. Von seinem Gegner, General Jansens, hielt er einiges. Der sei kein Mann, der sinnlos zerstore, hatte er gesagt. Hie? das, Jansens wurde sich eher ergeben, als Kapstadt kaputtschie?en lassen? Bolitho fuhlte plotzlich, wie ein kuhler Schauer uber seinen Rucken kroch. Ihm schien, als sei Warren immer noch in der Kajute, voller Ha? auf den Admiral, der nun uber sein Schiff bestimmte.

«Alles in Ordnung, Sir Richard?«Allday fragte sich besorgt, ob etwa Bolithos Fieber zuruckkehrte.
        Vielleicht beobachtete ihn Warren ja wirklich, sagte sich dieser. Sie hatten ihn ganz in der Nahe der See ubergeben, eingenaht und mit einer Kanonenkugel zu Fu?en.
        Drau?en meldete der Posten:»Offizier der Wache, Sir!»
        Der Leutnant trat fast lautlos ein.»Das Boot der Truculent hat abgelegt, Sir Richard.»

«Sehr gut, Mr. Latham. Empfangen Sie Leutnant Tyacke bitte mit allem Respekt. Er hatte das Kommando uber die ganze Operation.»
        Der Leutnant verbeugte sich und verschwand. Mehr als der Befehl verbluffte ihn, da? der Admiral sich an seinen Namen erinnerte.
        Ozzard schlich herbei.»Ein frisches Hemd, Sir?»
        Bolitho sah drau?en das Boot der Truculent uber das bleierne Wasser naherkommen. Nein«, sagte er. Tyacke wurde sich nicht wohlfuhlen, wenn er ihm mit frischem Hemd gegenubersa?. Und das Gesprach zwischen ihnen war wichtig, sogar sehr wichtig. Lassen Sie uns dann bitte allein.»
        Schweigend sammelte Yovell seine Papiere ein.
        Zu Jenour sagte Bolitho:»Ich werde heute abend mit Mr. Tyacke essen und mochte Sie gern dabeihaben. Aber jetzt mu? ich allein mit ihm reden.»
        Jenour zog sich zuruck. Am Fallreep sah er die Seesoldaten das Gewehr prasentieren, als Tyacke an Bord kletterte, den Hut zog und zum Achterdeck gru?te. Von dieser Seite aus gewahrte Janour nur die unverletzte Gesichtshalfte Tyackes. So also hatte der Mann fruher ausgesehen. Nicht schlecht.
        Allday fing Tyacke achtern unter der Poop ab. Der Leutnant hielt inne und fragte kuhl:»Die Herren erwarten mich wohl schon, wie?»
        Allday verstand seinen abweisenden Ton. Der entstellte Mann hatte jetzt auch sein Schiff verloren.»Behandeln Sie den Admiral freundlich, Sir«, bat er.»Er denkt jetzt daran zuruck, wie er sein letztes Schiff verlor. Das geht ihm so nahe wie Ihnen.»
        Tyacke nickte schweigend. Allday hatte ihn aus dem Konzept gebracht. All seine Argumente, die sorgfaltig vorbereiteten Erklarungen schienen ihm plotzlich entwertet.
        Beim Weggehen stolperte Allday fast uber das Brandyfa?chen, und Ozzard lie? sich hinter ihm vernehmen:»La? ja die Finger davon, John. Ich seh's dir an, wenn du an seinem Brandy warst!»
        An Land feuerten die Kanonen lange Salven in ununterbrochenem Donner, der von den fremden Hugeln zuruckgeworfen wurde.»Wei?t du, warum sie kampfen?«fragte
        Allday.

«Keine Ahnung. «Ozzard rollte das Brandyfa?chen aus dem Weg, und Allday seufzte. Ein kleiner Schluck ware jetzt genau richtig gewesen.
        Tyacke wartete, als der Posten seinen Namen rief, der ihn kein einziges Mal angesehen hatte. Als er die Tur aufstie?, sa? Bolitho auf der Bank unter den Heckfenstern; bis auf sie beide war die Kajute leer und so unpersonlich wie fruher. Nichts verriet, da? Warren hier jahrelang gelebt hatte. Tyacke dachte an seine enge, vollgestopfte Kajute auf der Miranda. Die lag nun auf dem Meeresboden.

«Bitte setzen Sie sich. «Bolitho deutete auf einen kleinen Tisch mit Wein und zwei Glasern.»Ich danke Ihnen fur Ihr Kommen.»
        Tyacke richtete sich auf. Seine geborgten Kleider waren viel zu eng.»Entschuldigen Sie meinen Aufzug, Sir Richard, aber die Offiziere der Truculent haben mir gegeben, was sie entbehren konnten.»
        Bolitho nickte.»Mir ging's schon ofter ahnlich. Alles, was ich besa?, war plotzlich versunken. «Er schenkte kuhlen Rheinwein ein.»Auch auf diesem Schiff bin ich nicht zu Hause.»
        Er setzte sich Tyacke gegenuber und streckte die Beine aus.»So, und nun berichten Sie mir von den Mannern, die bei Ihnen waren. Der Seesoldat zum Beispiel - hat er sein Mitmachen bereut?»
        Tyacke berichtete von ihrem langen Weg in die Bucht. Ferne Gestalten wurden vor ihren Augen lebendig, als er von ihrem Mut und ihrer Furcht erzahlte: von Buller, dem Scharfschutzen, von Swayne, dem Deserteur, und von Midshipman Segrave, der plotzlich Mut gefa?t hatte und Tyacke half, als er es am dringendsten brauchte. Dabei tranken sie, ohne es zu merken.

«Ich mochte, da? Sie heute abend mit mir speisen«, sagte Bolitho schlie?lich.»Wir wollen dabei aber nicht uber den Krieg reden, der beschaftigt mich schon Tag und Nacht genug.»
        Hatte er richtig gehort? Der Vizeadmiral lud ihn, den Leutnant, der sein Schiff verloren hatte, zum Essen ein?» Gern. Danke. Aber erwarten Sie keine Schmeicheleien von mir, Sir. Ich tue alles fur Sie, aber ich verschaffe mir keine Vorteile durch Su?holzraspeln.»

«Ich auch nicht«, antwortete Bolitho.»Wir sind beide Marineoffiziere, wenn auch mit verschiedenen Dienstgraden. Unser Land braucht heute jedes Schiff und jeden Mann, vor allem so mutige und erfahrene Offiziere wie Sie.»

«Wollen Sie, da? ich die Miranda schneller vergesse? Wollen Sie mich auf einem anderen Schiff als Offizier haben?«Tyacke fuhlte sich wie in einer Falle.

«Kennen Sie die Brigg Larne, Mr. Tyacke?»

«Sie segelt in Commodore Pophams Geschwader. «Das klang unsicher.»Unter Commander Blackmore.»
        Bolitho beugte sich uber ein Blatt mit Yovells sauberer Schrift.»Blackmore ubernimmt ein gro?eres Schiff. Sie werden die Larne befehligen.»
        Tyacke sah ihn unglaubig an.»Aber kann ich das? Ich bin doch nur…»
        Bolitho reichte ihm einen Umschlag.»Hier ist Ihre offizielle Order. Und Sie sind mit sofortiger Wirkung zum Commander befordert. Ihre Lordschaften in London werden das spater bestatigen. «Er amusierte sich uber Tyackes Verlegenheit.»Mein Flaggleutnant wird dafur sorgen, da? Sie sofort die passende
        Uniform bekommen. «Er go? Wein nach.»Wollen Sie also das Schiff ubernehmen und mir damit einen Wunsch erfullen?»
        Tyacke war aufgestanden.»Ich werde es ubernehmen, und einen besseren Grund als Ihren Wunsch brauche ich nicht.»
        Bolitho stand ebenfalls auf.»Horen Sie das?«Sein Blick hatte sich verandert.»Die Kanonen - sie schweigen. Das hei?t, Commander Tyacke, unser Feldzug ist zu Ende. Der Feind hat sich ergeben.»
        Es klopfte, Jenour sturzte herein.»Gerade haben wir ein Signal empfangen: Die Hollander haben die Fahne gestrichen!»
        Der Admiral lachelte.»Jetzt konnen wir nach Hause segeln.»
        Kapitan Poland stand mit verschrankten Armen da und sah seinen Mannern zu, die halbnackt auf ihre Manoverstationen rannten. Am Ankerspill erklang eine Fiedel, und ein Shantyman stimmte ein anfeuerndes Lied an. In den kurzen Pausen zwischen den Strophen brullte ein Bootsmannsgehilfe:»Los, Manner, los! Sonst kommen wir nie nach England.»
        Der Erste Offizier rausperte sich diskret neben Poland.»Der Admiral kommt, Sir.»
        Poland blickte ihn an.»Danke, Mr. Williams. Aber wir haben hier nichts zu verbergen. «Er gru?te, als Bolitho unter dem Besan erschien, der im Licht der sinkenden Sonne kupferrot leuchtete.»Wir sind soweit, Sir Richard.»
        Bolitho sah in der Ferne den Tafelberg und in der Bucht das verankerte Geschwader. Die Schiffe schimmerten wie gluhendes Metall. Nur ein leichter Landwind riffelte die See.
        Bolitho spurte die verwehende Hitze des Tages und fragte sich, warum Poland keinerlei Bewegung zeigte beim Beginn ihrer langen Heimreise.
        Am Ankerspill warfen sich die Manner in die Spaken. Der Bootsmann brullte sie ermunternd an, und dann klickte das riesige Spill. Die dicke Trosse begann sich zu bewegen.
        Die offenen Stuckpforten der anderen Schiffe sahen aus wie Augen, die sie beobachteten. Aber sie hatten hier ihre Pflicht erfullt, uber der Festungsbatterie an Land wehte die englische Flagge. Und da wurde sie von nun an bleiben.
        Einige Einheiten des Geschwaders waren schon fruher ankeraufgegangen und hatten den langen Heimweg angetreten: zwei
        Linienschiffe, funf Fregatten, auch Varians Zest, und eine ganze Flottille kleinerer Schiffe. Sie wurden dringend in England gebraucht. Andere wie die Themis wurden folgen, sobald die Truppen fest in Kapstadt etabliert waren und niemand mehr England den Ankergrund hier streitig machen konnte. Die rauchgeschwarzten Spanten der beiden Ostindienfahrer waren eine harsche Warnung.
        Bolitho erinnerte sich an Tyackes festen Handschlag beim Abschied.»Die Larne ist ein gutes Schiff«, hatte der neue Commander gesagt.»Nach der Miranda naturlich eine Herausforderung fur mich. Aber wir werden gut miteinander auskommen.»
        Irgendwo da hinten ankerte er nun. Bolitho wu?te, da? Tyacke an Deck sein wurde, um die Truculent ankeraufgehen zu sehen.
        Er trat zur Seite, damit Kapitan Poland und die Manner auf dem Achterdeck mehr Platz hatten. Segrave lehnte an den Finknetzen.»Wie fuhlen Sie sich, Mr. Segrave? Es war wohl ein kurzer Aufenthalt - aber mit einer Menge neuer Erfahrungen.»
        Der Junge hatte im Abendlicht ein dunkelrotes Gesicht.»Ich bin froh, da? ich hier war, Sir Richard. «Sein Haar flatterte im Wind, wahrend er die Manner am Ankerspill beobachtete. Sie gingen jetzt schneller, die dicke Ankertrosse kam zugig an Bord.
        Bolitho erinnerte sich an seine ersten Jahre als Midshipman.»Tut's Ihnen leid, da? wir heimsegeln?»
        Segrave nickte und verga? einen Augenblick, da? er mit einem Vizeadmiral sprach. Aber wenn ich auf mein altes Schiff zuruckkehre, mu? alles anders werden.»
        Bolitho sah ein Wachboot vorbeirudern, der Leutnant im Heck gru?te die Flagge der Truculent. »Machen Sie sich daruber keine Sorgen. Sie haben hier Ihren Mut entdeckt.»
        Jenour stand in der Nahe und horte zu. Er wu?te, da? Bolitho langst einen Brief an Segraves fruheren Kommandanten geschrieben hatte. Leuteschinder zogen sich Bolithos Zorn zu, aber davon wu?te der Midshipman naturlich nichts.
        Endlich kam der erwartete Ruf von vorn:»Anker ist kurzstag, Sir!»
        Pfeifen schrillten, fluchend hastete ein Mann nach vorn, dem ein Tampen Beine gemacht hatte.

«Alles klar, Sir!«meldete Williams.

«Fock und Kluver setzen!«Polands Stimme klang ruhig und unbewegt. Was hatte dieser Mann eigentlich gegen Varian? Und was suchte er im Leben au?er Beforderung? Auf den Rahen arbeiteten die Manner und lie?en das Tuch auswehen. Unten an Brassen, Halsen und Schoten warteten andere auf den Befehl, der das stilliegende Schiff in einen schnellen Segler verwandeln wurde.
        Was wurde in England auf sie zukommen? Wurde man sie an Bord festhalten, bis neue Befehle eingingen? Oder wurde man sie auf andere Schiffe verteilen, zwischen die unerfahrenen Landratten und Opfer der Pre?kommandos? Die Fiedel spielte flotter, und das Ankerspill drehte sich noch schneller.

«Es ist Sommer in England, wenn wir zuruckkehren, Stephen«, sagte Bolitho plotzlich.»Wie schnell so ein Jahr vergeht.»
        Jenour drehte sich zu ihm um.»Ein Jahr der Siege!»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Kaum. Es wird Ruckschlage geben.»

«Der Anker ist frei!»
        Bolitho hielt sich an den Finknetzen fest, als sich das Schiff leicht uberlegte und der Anker festgezurrt wurde. In England wurden sie den anderen Anker benutzen - auch so ein Ritual.
        Die Truculent fiel ab, Leinwand knallte, Manner rannten an Schoten und Brassen, und uber allem ertonte die Stimme von Hull, dem Master:»Komm auf! Gut so - Kurs halten!»
        Bolitho beobachtete den Master. Seine beiden Ruderganger griffen in die Speichen des gro?en Rades, ihre Augen blitzten. Master zu werden, war Simcox' gro?ter Wunsch gewesen.
        Die Marssegel fullten sich, und die Truculent nahm Fahrt auf, glitt an der Huk vorbei auf die offene, rotlich glanzende See hinaus.

«Westsudwest, Sir! Voll und bei!»
        Poland verzog den Mund zu einer harten Linie.»Gehen Sie hoher an den Wind, Hull, so hoch sie kann!«Als der Erste wieder auf dem Achterdeck erschien, befahl er: Bramsegel setzen und auch die Royals, sobald hier alles klar ist, Mr. Williams.
«Er blickte zum Admiral an den Netzen hinuber.»Und da? mir keine Fehler passieren!

        Bolitho blieb an Deck, bis die Dunkelheit das Land und die davor verankerten Schiffe verschluckt hatte. Ihre Welt war jetzt nur noch die See und die Gischt, die am Bug hochsprang und seitlich davonwirbelte. Der Himmel ging dunkel in den Ozean uber.
        Unten erwartete ihn Ozzard mit einem spaten Imbi?.
        An den salzverkrusteten Heckfenstern der Kajute stehend, dachte Bolitho an seine Zeit als Kommandant einer Fregatte. Das Auslaufen war damals immer spannend gewesen, ein Vorsto? auf die freie See. Poland sah das offenbar ganz anders. Vielleicht zahlte er aber auch nur die Tage, bis er seine ungeliebte Last loswurde, den Vizeadmiral an Bord. Bolitho sah hoch, als er Schritte an Deck horte. Der Wind wehte Stimmen herunter, und das Rigg sirrte. Es zog ihn nach oben, wie gern hatte er selbst die Kommandos gegeben, die Kurse ausgerechnet, das Schiff gefuhrt! Aber sein Dienstrang machte das unmoglich.
        Er war jetzt neunundvierzig Jahre alt und wirkte viel junger. Sicher fragte mancher Offizier Jenour druben in der Messe nach dem Admiral aus. Sei's drum. Besser so, als da? Geruchte uber ihn umgingen. Davon gab es schon genug, uber ihn und Catherine. Sie war eine betorend schone Frau, nach der sich alle Manner umdrehten, bei Hofe ebenso wie auf der Stra?e. Er spurte sinnlose Eifersucht auf jeden, der jetzt das Gluck hatte, sie zu sehen.
        Allday schaute herein.»Soll Ozzard den Imbi? auftragen?«Er machte sich Gedanken uber die Melancholie seines Admirals. England zu verlassen, war schlimm fur Bolitho gewesen, aber die Ruckkehr wurde vielleicht noch schlimmer. Was war Catherine widerfahren in all den Monaten?

«Ich bin nicht hungrig.»
        Eine See rauschte mit Macht am Rumpf vorbei, und Bolitho wu?te, da? das Schiff jetzt das offene Meer erreicht hatte und das Land weit hinter ihnen lag. Wie lange wurde die Truculent nach England brauchen?
        Allday blieb hartnackig.»Es gibt gebratenes Schweinefleisch, in Brotkrumen paniert, genau, wie Sie es mogen. So was Feines haben Sie in den letzten Wochen bestimmt nicht gegessen.»
        Bolitho drehte sich nach ihm um.»Ich mochte, da? du mir morgen das Haar kurzschneidest. «Als Allday schwieg, fragte er:»Du haltst mich sicher fur verruckt?»
        Allday antwortete diplomatisch:»Die meisten Herren in der Offiziersmesse tragen ihr Haar jetzt kurz, es ist die neue Mode. «Er schuttelte seinen geteerten Zopf. Mir wurde so was nicht stehen.»

«Aber du kannst es schneiden?»

«Naturlich, Sir Richard«, antwortete Allday mit breitem Grinsen.

«Darf ich noch was sagen?»

«Habe ich dich je daran gehindert? Sag, was du loswerden willst.»

«Also, was Sie fur Tyacke getan haben, war sehr anstandig. So hat er noch eine Chance.»

«Jeder andere hatte das auch getan.«»Eben nicht!»
        Sie sahen einander an wie Zweikampfer, bis Bolitho fragte:»Wie meinst du das?«»Ich meine, man sollte nun auch was fur Sie tun. So wie Sie was fur andere tun.»
        Hoflich klapperte Ozzard mit Tellern und Geschirr in der Pantry nebenan. Bolitho ging zum Tisch.»Ich werde wohl doch was essen, sonst la?t ihr mir keine Ruhe.
«Ozzard kam und schenkte ihm Wein ein.»Mach das Brandyfa?chen auf«, sagte Bolitho und zu Allday gewandt:»Wir konnten wirklich ein paar tausend Leute wie dich brauchen. Der General hatte recht.»
        Ozzard stellte die Flasche in einen tonernen Weinkuhler. Schade um das Schrankchen, das mit der Hyperion untergegangen war, dachte er. Es war ein Geschenk von Catherine gewesen.

«Bedien' dich aus dem Fa?chen, Allday. Und dann Schlu? fur heute. Gute Nacht.»
        Allday verlie? die Kajute. Bolitho a? allein und zerstreut sein Abendbrot. In Gedanken war er schon daheim in Cornwall.
        In den folgenden Wochen kampfte sich die Truculent nach Nordwesten, an den Kapverdischen Inseln vorbei. Wahrend der langen Heimreise durch die wechselnden Windzonen zog Bolitho sich noch mehr zuruck als bei der Ausreise.
        Allday wu?te, da? Bolitho nichts zu tun hatte. Nicht einmal das Schiff durfte ihn beschaftigen, das war Polands Sache. Zwar umgaben ihn standig Offiziere und Matrosen, wenn er an Deck kam, doch vom Admiral hielten sie sich fern.
        Wenn er um die Mittagszeit oben erschien, beobachtete er den Master, der die Midshipmen an Karte und Sextant unterrichtete. Und er sah ins Logbuch, zahlte die Tage und Etmale. Poland vermutete dahinter wortlose Kritik. Als Bolitho einmal Jenour wegen einer Kleinigkeit anfuhr, entschuldigte er sich hinterher:»Die Untatigkeit bringt mich noch um, Stephen. «Gereizt starrte er auf die leere See hinaus. In seinen Traumen war Catherine bei ihm. Doch immer wieder tauchte eine Hand auf, die sie wegzerrte, ohne da? sie sich dagegen wehren konnte.
        Sieben Wochen und zwei Tage, nachdem sie den Tafelberg verlassen hatten, fuhr er in der Morgendammerung hoch, weil Allday an seiner Koje stand, einen dampfenden Becher Kaffee in der Hand.»Was ist los?«fragte er und folgte Allday in die Kajute.
        Drau?en vor den Heckfenstern glitzerte die See hart und grau wie poliertes Zinn. Allday deutete aus dem seitlichen Fenster.»Ich wei?, es ist noch sehr fruh, die Morgenwache ist gerade erst aufgezogen. Aber ich dachte, ich sollte Sie trotzdem wecken.»
        Bolitho rieb mit dem Armel die Scheibe sauber. Keine brennende Sonne, kein bei?endes Morgenlicht. Aus dem hasigen Grau an Backbord schalte sich Land, Brecher leckten an Felsen hoch. Ihr fernes Rumoren blieb unhorbar.

«Du wei?t, wo wir sind, alter Freund? Ein perfekter Landfall! Um acht Glasen werden wir Falmouth querab haben.»
        Er schritt in der Kajute auf und ab, dankbar dafur, da? Allday ihn geweckt hatte und er horen konnte, wie der Mann im Ausguck laut aussang:»Land in Lee!«Es war nicht irgendein Stuck Land, sondern Cornwall, das Kap Lizzard. Catherine wurde jetzt wohl noch schlafen, ahnungslos, da? Bolitho ihr so nahe war.
        Allday holte die Kanne.»Noch etwas Kaffee?»
        Er wurde nicht gehort. Bolitho hatte das Medaillon geoffnet und starrte auf Catherines Bild nieder. Grau sickerte der Morgen in die Kajute.
        In der kleinen Kammer schlief Ozzard auf dem Boden, einen Arm uber das Brandyfa?chen gehakt. Vorsichtig schob Allday ihn zur Seite, hielt den Becher unter den Hahn und fullte ihn. Endlich wieder zu Hause! Darauf konnte man schon einen Becher Brandy leeren.
        An Deck schrillten die Pfeifen und rissen die Besatzung in den neuen Arbeitstag.
        Es wurde wirklich Zeit, da? sie heimkamen.



        VIII Im Mondlicht

        Bryan Ferguson wischte sich Schwei? von der Stirn und lehnte sich gegen den Zaunubertritt, bis er wieder ruhiger atmete. Der Seewind konnte nichts ausrichten gegen die starke Sonne, die auf Pendennis Castle niederbrannte und sich so grell auf dem Wasser spiegelte, da? man nicht lange aufs Meer schauen konnte.
        Hier konnte er gar nicht oft genug stehen und den Ausblick genie?en. Er lachelte. Seit zwanzig Jahren schon war er Bolithos Gutsverwalter - wirklich so lange? Das Haus lag hinter ihm am Hang eines Hugels, uber den sich Acker hinzogen, deren Rander von Feldblumen uberquollen. Das hohe Gras daneben wogte wie Wellen im Wind. Er kniff die Augen zusammen. Ein Pfad fuhrte an der Klippe nach unten zum Strand, und auf halber Hohe stand dort die Frau an einer Biegung, an einem scharfen Knick, der gefahrlich war des nachts oder wenn man ausrutschte. Dann ware man unten nur noch tot angekommen.
        Die Lady hatte ihn gebeten, oben beim Zaun zu bleiben. Wollte sie, da? er Atem schopfte, oder wollte sie allein sein? Bewundernd schaute er auf sie hinunter. Ihr Haar, nur locker zusammengebunden, wehte im Wind, der ihr das Kleid an den Korper pre?te. Sie sah aus wie eine Fee aus alten kornischen Sagen.
        Bolithos Bedienstete hatten Catherine nur zogernd angenommen, doch mit niemandem im Ort uber ihren Status getratscht. Inzwischen war jeder bereit, sie so zu schutzen, wie es Bolitho angeordnet hatte. Allerdings hatten Ferguson und seine Frau, die den Haushalt fuhrte, erwartet, da? Bolithos Lady sich fernhielt von der Bewirtschaftung des Gutes. Doch kaum war sie nach Bolithos Abschied aus Portsmouth zuruckgekehrt, hatte sie gro?es Interesse an allem geau?ert, dabei jedoch immer gefragt, nie Befehle gegeben. Lady Belinda hatte es fruher genau umgekehrt gemacht.
        Catherine war mit Ferguson sogar zu den umliegenden Katen geritten, die zum Gut gehorten. Dabei hatte er ihr verraten, da? der Besitz ursprunglich viel gro?er gewesen war, damals in den Tagen von Bolithos Vater. Aber um die Schulden von Richards Bruder Hugh zu decken, der aus der Royal Navy desertiert war und mit den Amerikanern gegen die Krone kampfte, hatte sehr viel Land verkauft werden mussen.
        Der Wind spielte mit Fergusons leerem Armel. Den Arm hatte er in der Schlacht bei den Saintes verloren, auf der Fregatte Phalarope, unter Bolithos Kommando. Wie Allday war er seinerzeit in die Marine gepre?t worden, aber jetzt, zwanzig Jahre spater, immer noch bei Bolitho.
        Oft war Catherine wie heute mit Ferguson zu Fu? unterwegs. Beim Gang uber die Felder hatte sie von ihm alles wissen wollen: Was wurde angebaut, was kostete Samen, auf welchen Markten wurden Getreide und Gemuse des Gutes verkauft? Nein, so eine Lady wie sie hatte Ferguson noch nie kennengelernt.
        Schon in den ersten Tagen begriff er, was fur eine charakterstarke Frau sie war. Er hatte sie durch das alte Herrenhaus gefuhrt, vorbei an den nachgedunkelten Portrats von Bolithos Vorfahren. Kapitan Julius, der erste Bolitho, war in Falmouth gefallen, als er die Blockade der Cromwellschen Truppen bei Pendennis Castle sprengen wollte. Aufmerksam studierte sie ihn und alle anderen. In einem kleinen Schlafraum hing das verhullte Portrat Cheneys, die Bolithos erste Frau gewesen war. Catherine hatte Ferguson gebeten, es ans Fenster zu stellen, damit sie es besser sehen konnte. Das Bild beruhrte sie tief, Ferguson horte sie in der stillen Kammer laut atmen.»Warum hangt das Bild hier unter einem Tuch?«Er suchte eine Erklarung, doch sie unterbrach ihn:»Lady Belinda hat darauf bestanden, stimmt's?«Und nach kurzem Zogern beschlo? sie:»Wir werden das Bild reinigen lassen - und alle anderen auch. «Ihre Augen blitzten dabei, und er fuhlte sich wie ein mit ihr Verschworener.
        Ja, Lady Catherine konnte gewi? jedem Mann den Kopf verdrehen, wenn sie nur wollte. Aber sie verstand es ebensogut, mit Pistolen, Pulver und Schrot umzugehen, wie Allday ihm verraten hatte.
        Lady Cheney hatte Bolitho damals mit dem Portrat uberraschen wollen, wenn er aus dem Krieg zuruckkehrte. Doch als er schlie?lich heimkam, fand er nur noch das Portrat vor. Lady Cheney und ihr ungeborenes Kind waren bei einem Unfall mit der Kutsche ums Leben gekommen.
        Als Ferguson ihr davon berichtete, ergriff Catherine seinen Arm.»Sie haben sie heimgetragen, ich wei?. «Sie sah auf seinen leeren Armel nieder.»Sie haben alles getan, was ein Mensch nur tun kann.»
        Jetzt hing Lady Cheneys Bild wieder dort, wo es ursprunglich gehangen hatte, gegenuber dem Fenster, das auf die See blickte, die so grau war wie die Augen der ersten Mrs. Bolitho.
        Lady Catherine kam den Pfad herauf, Ferguson reichte ihr die Hand und half ihr beim Zaunubertritt. Ihr Haar hatte sich gelost, am
        Rocksaum sah er Staub und nassen Sand. Sie war gro?er als Ferguson, nicht viel kleiner als Bolitho. Er spurte ihren festen Handedruck, als sie fragte:»Warum liegt das Land da druben brach?»

«Zu viele Steine vom Hugel, da kommt kein Pflug durch. Und dann ist da noch das Dickicht. «Sie nickte.»Wir haben einfach nicht genugend Leute, Mylady. Die Pre?kommandos, wissen Sie? Entweder sind unsere Manner auf See oder bei den Soldaten. Nur Alte und Kruppel gibt's hier noch.»
        Er war uberrascht uber die Warme in ihren Augen.»Sie sind aber kein Kruppel, Ferguson. Zusammen werden wir beide etwas aus diesem Land machen. «Ihre Stimme klang plotzlich hart.»Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie alle gut in diesem Land leben - nur Bolitho nicht. Sein Schwager, der Squire, scheint keine Probleme zu haben. Der hat immer genugend Manner auf den Feldern!»

«Franzosische Gefangene, Mylady. Vergessen Sie nicht, er ist Friedensrichter.
«Ferguson war froh, als Catherine das Thema fallenlie?. Denn gut von diesem Land lebte vor allem Lady Belinda in ihrem herrschaftlichen Haus in London.

«Der Squire nutzt seine Stellung aus. Ich mag vor allem seine Frau, sie ist Sir Richards Lieblingsschwester, nicht wahr?»
        Ferguson mu?te sich Muhe geben, mit ihr Schritt zu halten.»Aye. Aber Miss Nancy, so hie? sie fruher, hatte sich ursprunglich in Sir Richards besten Freund verliebt.»
        Sie hielt inne und sah ihn an.»Sie wissen aber auch alles. Ich beneide Sie darum. Ich beneide Sie um jede Stunde, die Sie ihn langer kennen als ich. «Sie ging weiter und pfluckte dabei eine Blume aus der Hecke.»Sie mogen ihn sehr, nicht wahr?»
        Ferguson gru?te einige Feldarbeiter.»Ich wurde fur keinen anderen arbeiten.»
        Uberrascht stellte sie fest, da? die meisten Leute auf dem Feld Frauen waren. Nur der einbeinige Vanzell war da und warf sein ganzes Gewicht in die Zugleine eines Karrens. Ferguson sah einen Schatten uber Lady Catherines Gesicht huschen. Sie kannte offenbar wirklich das Elend der Menschen. Schlie?lich hatte Bolitho sie aus Wailes geholt, dem Londoner Schuldgefangnis.
        Ihr Mann hatte damals falsch ausgesagt, um sie in eine Strafkolonie abschieben zu lassen. Aber nach allem, was Ferguson von Allday gehort hatte, ware sie eher gestorben, als sich nach New
        South Wales schicken zu lassen. Bolitho hatte sie vor diesem Schicksal bewahrt, und Vanzell, damals in Wailes Gefangniswarter, hatte ihm dabei geholfen. Vanzell, der fruher unter ihm gedient und dabei ein Bein verloren hatte. Nun lebte er auf dem Gut. Die meisten, die hier arbeiteten, waren auf seinen Schiffen gefahren oder aber die Witwen und Waisen Gefallener.

«Wir haben viel vor uns«, sagte sie,»aber wir werden das Land wieder fruchtbar machen, Sie und ich. Schottland - braucht Schottland nicht Getreide?»
        Ferguson grinste.»O ja. Aber Schiffe sind teuer.»
        Sie sah ihn nachdenklich an.»Das waren sie schon immer. «Dann verstummte sie, weil sie das Gatter zum Hof erreicht hatten.
        Trotz des in Cornwall verbrachten Winters war ihre Haut immer noch sonnengebraunt. Doch Ferguson blieb spater dabei, da? sie in diesem Augenblick bleich geworden war wie eine frisch gekalkte
        Wand.

«Mylady! Was ist?»
        Sie griff sich an die Brust.»Der Postbote!»
        Ein junger Mann mit Dreispitz stand schwatzend bei Matthew, dem Kutscher. Ferguson winkte ihn heran.
        Der Junge kam, hob gru?end zwei Finger zum Hut, zeigte beim Lacheln eine gro?e Zahnlucke und sagte:»Ein Brief fur Sie, Madam!»

«Danke. «Sie wandte sich ab und starrte auf den Umschlag nieder.»Er tragt keine Marke…»

«Den hat ein Amtsschreiber verfa?t, nehme ich an.»
        Ferguson sah ihre verstorten Augen und teilte plotzlich ihre Angst.»Es ist etwas passiert. Etwas Schlimmes«, horte er sie flustern.
        Der Postbote, der nichts begriff, versuchte zu erklaren:»Der Brief kam mit der Postkutsche, verstehen Sie? Jemand mu? dafur unterschreiben. Da? er den Brief bekommen hat, verstehen Sie?«Er sah in ihre angstlichen Gesichter.»Aus London ist er. Aus London kommt der Brief.»

«Kommen Sie, Mylady. «Behutsam nahm Ferguson ihren Arm.»Wir gehen ins Haus.»
        Aber da hatte sie den Umschlag schon aufgerissen. Ein zweiter Brief befand sich darin, versiegelt.
        Ferguson horte, da? seine Frau die Treppe herunterlief, und wagte kaum zu atmen. So kamen die Hiobsbotschaften wohl immer an. Es war stets die gleiche Geschichte. Nicht ein einziger Bolitho lag in Falmouth beerdigt, alle waren auf See gefallen. Selbst Kapitan Julius hatte man nicht mehr gefunden, nachdem sein Schiff vor Falmouth in die Luft geflogen war, damals im Jahr 1646.
        Catherine sah Ferguson an und dann seine Frau. Dabei flusterte sie:»Er ist in London!«Sie hielt den Brief so vorsichtig wie etwas Zerbrechliches.»Kapstadt hat sich ergeben. Der Feldzug ist zu Ende.»
        Die Kochin Grace Ferguson legte einen warmen Arm um ihre Herrin und sagte leise: Gott sei Dank. Und so soll es immer fur Sie sein!»
        Ferguson wollte wissen, wann der Brief geschrieben worden war. Catherine straffte sich.»Hier steht kein Datum. «Aber Bolithos Handschrift verriet, da? er es eilig gehabt hatte.
        Ferguson gab dem Postboten ein Trinkgeld. Der offizielle au?ere Umschlag hatte offenbar den wahren Inhalt verbergen sollen. Man hatte sich nur wieder das Maul zerrissen uber die beiden, wenn man Bolithos Handschrift erkannte.
        Aber der Botenjunge hatte ihnen noch etwas mitzuteilen.»Der Postkutscher hat gesagt, der Brief war' langst hier, wenn ihm nicht unterwegs ein Rad gebrochen war'. Das hat den Brief aufgehalten.»
        Catherines Gesicht druckte jetzt unverhohlene Freude aus. Ferguson bestarkte sie darin:»Sir Richard ist vielleicht morgen schon hier, Mylady. Er wird zunachst in der Admiralitat Bericht erstattet haben, und das dauert ja. «Er erinnerte sich, wie verargert Bolitho immer war uber die vielen Berichte, die es nach jedem Einsatz zu verfassen galt.
        Hufschlag erklang auf der Stra?e zur Stadt, die am Friedhof vorbeifuhrte und an der Kirche, wo die Gedenktafeln fur die gefallenen Bolithos hingen. Matthew lauschte gespannt.»Kein Pferd von uns.»
        Aber da lief Catherine schon auf die Stra?e, die Arme weit ausgestreckt. Sollten die Leute doch reden und glotzen, was machte das schon! Aber wie war er so schnell nach Falmouth gekommen?
        Als Bolitho aus dem Sattel glitt und sie in die Arme nahm, horte er sie flustern: Eigentlich wollte ich mich dafur besonders schon machen. Wie sehe ich blo? aus?»
        Er hob ihr Kinn und sah sie lange an.»Wunderschon. «Nein, das alles war kein Traum.»Unterwegs brach ein Rad, aber ich konnte nicht warten und nahm mir ein Pferd. Wenn du nicht mehr hier gewesen warst.»
        Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen.»Aber ich bin hier, Liebster.»
        Er schob ihren Finger beiseite und fand ihre Lippen mit seinem Mund.

«Habe ich dich zu lange warten lassen?»
        Bolitho wandte sich vom Fenster ihr zu. Sie kam die Treppe herauf, das Haar immer noch offen, doch uber die Schultern zuruckgekammt. Dazu trug sie ein einfaches grunes Kleid.
        Er hielt sie auf Armeslange von sich ab.»Selbst in einer Seemannsbluse warst du noch wunderschon.»

«Wie du mich anschaust! Ich werde gleich rot wie ein Schulmadchen. «Ihre Blicke wanderten uber sein Gesicht.»Und du? Was macht dein Auge?»
        Er ku?te sie auf die Wange, spurte die Warme ihres Korpers. All seine Angste verflogen. Catherine war hier. Sie hatten sich nie getrennt. Sie im Arm zu halten, mit ihr zu sprechen - fur nichts anderes gab es jetzt Platz in seinen Gedanken.

«Es geht besser. Ich hatte keine Probleme in der Sonne da unten.»
        Sie verbarg ihre Erleichterung. Noch wollte sie ihm nicht zeigen, wie sehr sie sich um ihn gesorgt hatte.

«Und du?«fragte er.»War es schlimm so allein?»
        Sie lachte, schuttelte ihr Haar.»Ich glaube, man mag mich hier. «Damit schob sie den Arm unter seinen und fuhrte ihn ins nachste Zimmer.»Es gibt aber auch unangenehme Nachrichten. Deine Schwester Nancy sagte mir vor acht Tagen, da? deine andere Schwester aus Indien zuruckgekehrt ist.»

«Felicity? Ach!«Er versuchte, sich an diese Schwester zu erinnern, die zwei Jahre alter war als er. Als er zum Leutnant befordert worden war, hatte er sie zum letzten Mal gesehen. Damals war sie mit einem Offizier des 81. Infanterieregiments verheiratet gewesen, das zum Dienst in der Ostindischen Handelsgesellschaft abgestellt wurde. Seltsamerweise erinnerte er sich an seinen Schwager besser als an seine Schwester. Er war ein leiser, angenehmer Mann gewesen, der Felicity kennengelernt hatte, als seine Kompanie in Cornwall stationiert gewesen war.

«Ihr Mann ist tot, Richard. Sie will jetzt in Cornwall leben.»
        Bolitho ahnte, da? noch mehr auf ihn zukommen wurde.»Sie hat zwei Sohne, nicht wahr? Einer dient im Regiment des Vaters, der andere in der Flotte der Handelsgesellschaft, wenn ich mich recht erinnere. Wie starb der Vater?»

«Ein Pferd warf ihn ab.»

«Hast du sie schon kennengelernt?»
        Catherine hob das Kinn.»Sie wollte Nancy nicht begleiten. Meinetwegen!»
        Er nahm sie in die Arme, streichelte ihr Gesicht.»Wenn ich doch hiergewesen ware…»

«Mach dir nichts draus, Richard. Jedenfalls noch nicht. Nicht heute. «Er fuhlte, wie sie zitterte, und zog sie wortlos enger an sich.

«Und wie war es bei dir?»
        Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Da gab es all die vielen Gesichter von Kapstadt: Tyacke, Segrave, Poland, Varian, Warren. Doch in den Fluren der Admiralitat waren sie wie weggewischt gewesen.

«Wir haben gute Manner verloren«, sagte er.»Aber es hatte noch schlimmer kommen konnen. Ich habe Admiral Godschale in London schon berichtet. Das hei?t, jetzt ist er ja Lord Godschale.»
        Catherine nickte.»Ich wei?. Fur manche lohnt es sich, zu Hause zu bleiben, wahrend andere drau?en ihr Leben einsetzen.»

«Das hat mir auch Nelson mal geschrieben. «Er ergriff ihre Hand.»Ich merke schon, du willst mich wieder verteidigen - meine Tigerin.»
        Sie lachelte trotz ihrer Verbitterung.»Und ob!»
        Bolitho sah die vielen Blumen drau?en, horte die Blatter an den Baumen rascheln. Wie ungewohnt ihm das alles war!» Ich wollte schnell weg aus London, wollte hierher zu dir. Allday kommt nach mit unserem Gepack.»

«Es ist ungewohnt, dich ohne ihn zu sehen.»

«Er versteht's schon. In Madeira haben wir gebunkert, und ich habe dort Spitzen fur dich gekauft. Allday bringt sie mit. Hoffentlich gefallen sie dir. Ich bin vielleicht ein guter Seemann, aber bestimmt kein guter Einkaufer.»
        Damit erhob er sich und holte einen silbernen Facher aus seiner Uniformjacke.»Der stammt aus Portugal. «Er sah ihre Freude, beobachtete, wie sie den Facher offnete, ihn gegen die Sonne hielt.

«Wie schon er ist!«Sie sah Bolitho an, ihre dunklen Augen hielten ihn fest.»Ich habe solche Sehnsucht nach dir. Ich habe so sehr auf dich gewartet. «Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.»Vielleicht sagt eine anstandige Frau so etwas nicht, aber ich kann's nicht langer ohne dich aushallen. «Damit loste sie sich von ihm und verschwand im Schlafzimmer.
        Als er eintrat, stand sie im Gegenlicht am Fenster, das aufs Kap hinausging. Sie hielt den Vorhang hoch und trug nichts als ein wei?es Hemd, am Hals gehalten von einer goldenen Kette. Das Haar fiel ihr offen uber die Schultern. Sie bewegte sich nicht, als er naherkam und sie in die Arme nahm. Beide blickten aus dem Fenster, und Catherine spurte seine streichelnden Hande. Sie flusterte:»Hor nicht auf, bitte. Nie wieder!«Sie dehnte sich, als seine Hande ihre Bruste fanden und die Goldkette losten, vorauf das wei?e Hemd zu Boden glitt. Dann lag er neben ihr, und seine Hande glitten uber ihre nackte Haut, wahrend sie ihn ku?te. Ihre Finger entdeckten das kurze Haar in seinem Nacken, wo vor der Abreise noch sein Zopf gewesen war. Sie wollte ihn so vieles fragen: Warum war der Zopf gefallen? Wie lange konnte er in der Heimat bleiben? Aber ihr Korper wollte nicht warten. Es war kurz, und einmal schrie sie laut auf. Denn auch Bolitho kannte keine Geduld mehr.
        Viel spater offnete er die Augen und fand sich in ihren Armen liegen, als hatten sie sich nie bewegt. Mondlicht schien ins Zimmer.»Wie lange liegen wir hier schon?

        Sie ku?te ihn.»Nicht lange genug. Wei?t du, da? du einen hellen Fleck am Nacken hast, wo fruher der Zopf Schatten warf?«»Gefallt es dir?»
        Sie zog seinen Kopf an ihre Brust.»Ich werde mich schon daran gewohnen. Der Mann, den ich liebe, ist jedenfalls unverandert. «Sie streichelte sein Haar.»Ich bringe dir gleich was zu essen. Die Leute im Haus schlafen langst.»
        Bolitho stand auf, und gemeinsam gingen sie zum Fenster, spurten die warme Nachtluft um ihre nackten Korper streichen und horten die See unten friedlich um die Felsen rauschen.
        Er legte den Arm um ihre Huften und spurte, wie ihr Korper ihm antwortete. Der Mond schien auf sie herab wie ein gro?es silbernes Medaillon.

«Du hast mir Tag und Nacht gefehlt«, sagte er.»Ich brauche dich so sehr.»

«Und ich dich auch, Liebster.»
        Er schlo? das Fenster.»Siehst du den Ring um den Mond? Wir werden vor Morgengrauen Sturm bekommen.»
        Sie zog ihn an sich. Als er sie umarmte, spurte sie sein Herz hammern. Spater lag er neben ihr, atmete tief und schlief endlich ein.
        Sie sah aus dem Fenster. Der Mond schien so hell wie immer, der Himmel war ganz klar. Die Sterne blitzten wie ferne Lichter.
        Es gab keinen Ring um den Mond. Bolitho mu?te sich geirrt haben. Das verletzte Auge hatte ihm einen Streich gespielt. Ihre Angst war wieder da.



        IX Ein schoner Sommer

        Bolitho verhielt sein Pferd neben einer niedrigen, moosbewachsenen Mauer und blickte uber die Felder zu den kleinen Hausern an der Stra?e nach Penryn hinuber. So gluckliche und zufriedene drei Tage wie seit seiner Ruckkehr hatte er noch nie im Leben genossen. Catherine war jede Minute an seiner Seite gewesen und hatte in dieser unbeschwerten Zeit viel aus seinem Leben erfahren. Er war hier geboren, war zwischen diesen Dorfern und Hofen aufgewachsen, bis er wie alle Bolithos zur See gegangen war.
        Die Manxman, sein erstes Schiff, lag damals mit ihren achtzig Kanonen in Plymouth. England sonnte sich in einem kurzen Frieden, trotzdem erschrak der zwolfjahrige Seekadett Bolitho beim Anblick des Schiffes so sehr wie nie wieder in seinem Leben. Die Hohe der gewaltigen Masten, das Gewirr aus laufendem und stehendem Gut jagten ihm Angst ein. Wie wurde er sich je darin und unter den herumhastenden Seeleuten zurechtfinden? Aber er lernte schnell. Da? er einmal unter seiner eigenen Admiralsflagge Schiffe ins Gefecht fuhren wurde, ware ihm allerdings nicht im Traum eingefallen.
        Catherine trieb ihr Pferd naher heran und fragte:»Was denkst du gerade?«Sie griff nach seiner Hand.»Du warst ganz weit weg.»
        Er lachelte ihr zu. Sie trug ein dunkelgrunes Reitkostum, hatte ihr Haar geflochten und uber den Ohren aufgerollt.»Ich dachte an alles mogliche, aber vor allem daran, wie sehr ich dich liebe. «Er erwiderte ihren Handedruck.
        Sie hatten beim Ausritt am Strand in der Steilkuste eine Hohle gefunden und sie erforscht. Ein Stein mit einem Ring daran brachte ihm viele Erinnerungen zuruck. Hier hatte er als Junge sein Boot festgemacht. Dann war die Flut gekommen, und er hatte nicht mehr wegrudern konnen. Ein Suchtrupp hatte ihn gefunden, wie er an den Felsen hing, die Fu?e bereits von den Wellen umspult. Sein Vater war auf See gewesen, sonst hatte er eine furchterliche Tracht Prugel fur seinen Leichtsinn bezogen.
        Catherine hatte vorgeschlagen:»Daraus machen wir jetzt unsere Hohle!«Noch immer rauschte sein Blut, wenn er daran dachte, wie sie sich auf dem Sand der Hohle geliebt hatten, bis die Welt um sie versank.
        Jetzt sahen sie weit uber das friedliche Land. Die Pferde zupften am Gras und rieben gelegentlich die Kopfe aneinander. Uber dem steten Summen der Bienen hing das Trillern unsichtbarer Lerchen, und weit weg schlug eine Glocke an.

«Ich mag deine Schwester Nancy«, begann Catherine.»Sie ist sehr lieb und hat mir viel geholfen, obwohl sie eine wie mich bestimmt noch nie kennengelernt hat. «Sie blickte hinab auf das gro?e Haus.»Auch ihr Mann hat mir seine Hilfe angeboten, ohne da? ich darum bitten mu?te.»
        Das Haus, das Nancy und Lewis Roxby bewohnten, gehorte seit Generationen der Familie des Squires. Doch Bolitho wu?te, da? Lewis, von vielen» der Konig von Cornwall «genannt, statt dessen lieber das Haus der Bolithos bewohnt hatte. Alle seine Vorfahren waren Gutsbesitzer und Friedensrichter gewesen, aber Lewis reichte das nicht. Er besa? inzwischen Zinngruben und hatte sogar ein Fuhrgeschaft gegrundet. Wenn seine Unternehmen ihn nicht beanspruchten, ritt er haufig Jagden und trank auch gern. Mit Bolitho verband ihn wenig, doch Nancy liebte er sehr.
        Sie trieben ihre Pferde an. Bolitho hatte seiner Schwester Felicity ein paar Zeilen geschickt und seinen Besuch angekundigt. Zu Pferd wirkte es formloser als eine Vorfahrt in der Kutsche.
        Zwei Pferdeknechte eilten ihnen im Hof entgegen und sahen mit gro?en Augen, wie Catherine ohne Hilfe aus dem Sattel glitt. Bolitho lachelte sie an.

«Man beobachtet uns aus einem Fenster«, sagte sie und wurde einen Augenblick unsicher.»Ich hatte vielleicht doch nicht mitkommen sollen.»

«Dann wollen wir ihnen noch etwas zum Glotzen geben«, sagte er, ku?te sie auf die Wange und legte ihr den Arm um die Schultern.»Ich bin sehr stolz auf dich.»
        Ein Diener offnete die gro?e Tur, und Lewis Roxby, rundlich und rotgesichtig, kam ihnen jovial entgegen. Catherine erwiderte seine Begru?ung mit einem warmen Lacheln und einem Handedruck.

«Richard, du Schurke! Du hattest uns wirklich mehr Zeit gonnen konnen, miteinander vertraut zu werden!«Lewis legte Catherine den Arm um und fuhrte sie in ein gro?es Zimmer, durch dessen offene Turen sie den Rosengarten bewundern konnten. Das ganze Zimmer duftete. Catherine klatschte uberwaltigt in die Hande. So mochte sie gespielt haben in den Elendsstra?en von London, wo sie aufgewachsen war, dachte Bolitho. Durch eine Glastur sah er zwei Damen auf das Haus zukommen.
        Nancy hatte zwar etwas zugenommen, sich aber sonst seit ihrem letzten Treffen nicht verandert. Sie hatte die Schonheit ihrer Mutter geerbt und deren zarte Haut. Neben ihr schritt Felicity. Ihr Profil verriet die geborene Bolitho, doch ihr Haar schimmerte schon grau, und ihr Gesicht war aschfahl, als habe sie gerade ein Fieber uberstanden. Sie nickte ihm schon von weitem zu, aber er fuhlte, da kam eine Fremde zu ihnen herauf.
        Nancy lief ihm entgegen, umarmte und ku?te ihn.»Und hier ist Felicity, nach so vielen Jahren endlich wieder zu Hause. «Ihre Stimme klang eine Spur zu frohlich.

«Ich mochte dich gern mit Catherine bekanntmachen«, sagte Bolitho.
        Felicity musterte sie kuhl, neigte nur kurz den Kopf.»Leider kann ich Sie hier nicht willkommen hei?en, denn dies ist nicht mein Haus. Ich habe im Augenblick keins.»

«Das werden wir bald andern«, warf Roxby ein.

«Mein Beileid zum Tod deines Mannes«, sagte Bolitho.»Es mu? ein schrecklicher Verlust fur dich gewesen sein.»
        Sie schien ihn nicht gehort zu haben.»Ich habe gerade erst Edmund benachrichtigen lassen. Mein zweiter Sohn Miles ist gleich mit mir nach England gereist. «Ihre tiefliegenden Augen sahen Catherine an.»Wir hatten noch eine Tochter, aber sie starb in Indien.»
        Voll Mitgefuhl sagte Catherine:»Das tut mir sehr leid. Ich bin in solch einem Klima aufgewachsen und kann Ihnen den Schmerz nachfuhlen.»
        Felicity nickte.»Naturlich, bevor Sie Ihren jetzigen Mann in Sudamerika trafen, waren Sie ja mit einem Spanier verheiratet.»
        Roxby unterbrach:»Ein Glas Wein, Richard?»
        Bolitho schuttelte den Kopf. War Felicity schon immer so giftig gewesen?» Du wei?t, da? du jederzeit in unserem Haus willkommen bist, bis du wei?t, wo du dich niederlassen willst«, sagte er zu ihr.»Wahrend ich auf See bin, handelt Catherine in meinem Namen.»
        Felicity setzte sich in einen hochlehnigen Stuhl.»Es ist nicht mehr mein Haus, seit ich Raymond geheiratet habe. Und jetzt ist dort bestimmt kein Platz fur mich.
«Sie blickte Bolitho unbewegt an.»Aber du warst ja schon immer ein taktloser Mensch.»

«Sagen Sie das nicht, Mrs. Vincent. Ich kenne niemanden, der sich mehr um andere Menschen kummert als Ihr Bruder. «Catherines Augen blitzten, doch ihre Stimme klang beherrscht.»Selbst wenn andere seine Fursorge nicht erwidern.»
        Felicity wischte Staub von ihrem Armel.»Naturlich. Und Sie wissen das bestimmt besser als jeder andere hier!»
        Bolitho sah, wie Catherines Finger sich in den Stoff ihres Kleides gruben. Es war ein Fehler gewesen, herzukommen.

«Doch um etwas mu? ich dich bitten, Richard. «Felicitys Gesicht blieb unbewegt. Mein Sohn Miles dient nicht mehr bei der East India Company. Wurdest du bitte dafur sorgen, da? er in die Royal Navy eintreten kann? Ich besitze einige Ersparnisse, er sollte also schnell befordert werden.»
        Bolitho nahm Catherines Arm.»Ich werde fur Miles tun, was ich kann. Er soll mich mal besuchen. «Nach einer Pause fuhr er fort:»Ich verstehe deinen Schmerz uber den Verlust deines Mannes, aber nicht deine Ungezogenheit gegenuber Catherine. Dies ist auch nicht mein Haus, sonst wurde ich deutlicher werden!»
        Catherine war erstarrt, Nancy den Tranen nahe, Roxby blies die Backen auf und wunschte sich woanders hin; nur Felicity blieb kuhl und unbeeindruckt. Bolitho nahm Catherines Arm und ging.
        Drau?en an der Tur murmelte der Hausherr, wahrend ihre Pferde gebracht wurden:»Tut mir leid, Richard, sie hat sich schandlich benommen. «Und zu Catherine gewandt: Aber sie wird sich wieder fangen. Witwen sind eben manchmal seltsam. «Er ku?te ihre Hand.
        Catherine lachelte.»Ich kannte ihren Mann nicht, aber ob er mit ihr glucklich war? Meinetwegen mu? sie sich ubrigens nicht andern.»
        Vor dem Hof nahm Bolitho ihre Hand.»Es tut mir so leid, Kate!»
        Sie zitterte vor Wut.»Ich bin es gewohnt. Aber niemand darf so uber dich reden.
«Die Pferde blieben stehen, als spurten sie Catherines Arger.»Und das soll deine Schwester sein? Wei? sie eigentlich, was du fur dieses Land tust?»
        Er streichelte ihren Arm.»Meine Tigerin!»
        Sie wischte sich mit dem Handschuh uber die Augen.»Zur Holle mit ihr! Wir reiten um die Wette nach Hause!»
        Ihr Pferd warf schon Schmutz von der Stra?e hoch, ehe Bolitho noch losreiten konnte. Roxby blickte ihnen nach, bis sie in den Feldern verschwunden waren. Was fur ein Temperament, dachte er. Kein Wunder, da? Richard so gut aussieht, diese Frau halt ihn jung. Er blieb vor einem Spiegel stehen. Mit einer Frau wie Catherine wurde er. Aber er verbot sich diese Gedanken.
        Als er das Zimmer betrat, war er froh, nur seine Frau anzutreffen.

«Felicity hat sich hingelegt, Lewis.»
        Roxby sah Tranenspuren in Nancys Gesicht und trat zu ihr, um sie zu streicheln.»Es wird Zeit, da? ich ein Haus fur sie finde. Aber woher wei? sie das alles uber Catherine? Wir haben ihr nichts erzahlt.»
        Nancy nahm seine Hand.»Das wu?te ich auch gern. Richard sieht ubrigens sehr viel besser aus als bei seinem letzten Urlaub. Diese Frau tut ihm gut.»
        Roxby sah, da? kein Diener in der Nahe war, und tatschelte den vollen Busen seiner Frau.»Du mir auch«, sagte er. Errotend richtete sie ihre Frisur.
        Aber er dachte noch immer an die beiden, die da eben losgaloppiert waren, als bedrucke sie nichts auf der Welt. So hatte sein Leben mit Nancy auch einmal ausgesehen, ehe die Kinder kamen und der Kampf um Besitz und Macht ihm das letzte abverlangte.
        Zwei Wochen vergingen, und die restliche Welt existierte nicht fur sie. Nur einmal sprachen sie davon, als sie zur Mundung des Helford River ritten. Eine Fregatte segelte sich gerade von Land frei, ihre Segel blitzten in der Sonne, ihr schnittiger Rumpf teilte die
        Wellen.

«Wann erwartest du neue Befehle?«fragte Catherine.
        Er legte den Arm um ihre Taille.»Bald. Es gab schon ein paar Hinweise in der Admiralitat. Man will ein neues Geschwader aufstellen - falls man genugend Schiffe findet.»
        Auf der Fregatte entfalteten sich die Toppsegel. Im ablandigen Wind nahm sie Fahrt auf wie ein Vogel, der freigelassen worden war.
        In London hatte Bolitho auch von Adam gehort. Sein Neffe hatte das Kommando uber die Anemone bekommen. Mit ihren achtunddrei?ig Kanonen machte sie Blockade- und Patrouillendienst vor der niederlandischen Kuste. Und als seinen Bootsteurer hatte Adam Alldays Sohn an Bord.
        Allday hatte diese Nachricht nicht sonderlich bewegt. Er hatte sich bei seiner Ruckkehr nach Falmouth sofort von Yovell und Ozzard getrennt, um schnell seine alte Freundin, die Wirtstochter, zu besuchen. Aber das Wirtshaus hatte den Besitzer gewechselt, und die Wirtstochter war jetzt mit einem Bauern aus Redruth verheiratet. Seither war Allday trubsinnig.
        Am Ende von Bolithos zweiter Urlaubswoche berichtete die Naval Gazette uber die Eroberung Kapstadts. Der Bericht enttauschte ihn: kein Wort uber den Brander oder uber Tyacke. Er legte das Blatt zur Seite. Allday trat ein und meldete Miles Vincent.

«Na, dann schick meinen Neffen rein.»
        Catherine arbeitete mit Ferguson im Kontor an Preisen und Planen fur das kommende Erntejahr. Bolitho fragte sich, woher sie ihr Wissen nahm. Sie kannte die Getreidepreise in Cornwall, aber auch die weiter im Norden und sogar in Schottland. Ferguson war dankbar fur ihre Hilfe und die neuen Ideen.
        Die Tur offnete sich, und dann stand Felicitys jungerer Sohn vor ihm. Er trug eine schmucklose blaue Jacke und ein gefalteltes wei?es Hemd, alles makellos sauber. Irgendwie erinnerte der Junge an Adam, kam Bolitho allerdings ein wenig schwerblutiger vor.

«Bitte setz dich. «Bolitho schuttelte seine Hand.»Wir bedauern den fruhen Tod deines Vaters. Er hat die Familie sicherlich schwer getroffen.»

«Das stimmt, Sir Richard. «Der junge Mann nahm Platz und faltete die Hande im Scho?.
        Er sitzt da wie einer, der beim Vater um die Hand seiner Tochter anhalt, dachte Bolitho. Schuchtern, aber entschlossen. Man sah ihm den Bolitho an. Miles war neunzehn Jahre alt und hatte die grauen Augen und das dunkle Haar seiner Mutter. Und er besa? die Selbstsicherheit, die man von einem Offizier erwartete.

«Du willst also Offizier bei der Kriegsmarine werden? Ich sehe da keine Probleme. Grune Midshipmen haben wir genug, aber erfahrene junge Anwarter wie du sind selten.»
        Bolitho beobachtete Miles' Reaktion. Was hatte Felicity ihm erzahlt? Sie sahen einander heute zum ersten Mal. Einem Vizeadmiral gegenuberzusitzen, dessen Taten in aller Munde waren, machte ihn sicherlich sehr gehemmt. Doch sein Neffe uberraschte Bolitho.

«Ich bin verblufft, Sir Richard«, sagte der junge Mann.»In der East India Company war ich bereits diensttuender Leutnant, Wachoffizier und fur die Navigation zustandig. Man hatte mich sehr bald als Leutnant bestatigt. Sie denken doch nicht, da? ich wieder als Midshipman anfangen werde!«Seine Zuruckhaltung war der Emporung gewichen.

«Langsam, langsam«, mahnte Bolitho.»Der Dienst in der Navy hat mit dem in der Company nicht viel gemein. Man besoldete euch dort besser, ihr hattet mehr Platz. Aber Companyleute kampfen nur fur die eigene Fracht. In der Navy kampft man gegen den Feind, wer es auch ist. Meine Leute fechten nicht fur Geld oder Gewinn und selten genug fur Konig und Vaterland. «Die Augen des jungen Mannes wurden gro?. Sie kampfen fur sich selber und fur ihr Schiff, ihre Kameraden, bis der verha?te, harte Dienst sie schlie?lich als Wracks ausspuckt. Falls sie Gluck haben und uberleben.»
        Miles stotterte:»Das war mir nicht klar, Sir Richard. «Jetzt sah er wieder aus wie einer, der um die Hand der Tochter anhalt.

«Wenn du immer noch zur Navy willst, werde ich dir helfen. Wir werden einen guten Kapitan finden, der einen erfahrenen jungen Mann braucht. Bei deinen Dienstjahren wirst du schon in ein paar Monaten zum Leutnant befordert werden, vielleicht sogar noch schneller. Wir brauchen Offiziere dringender als je zuvor, aber wenn sie nicht fuhren konnen und kein gutes Beispiel geben, haben wir keine Verwendung fur sie.»

«Ein Beispiel, wie Sie selber es fur alle sind, Sir Richard!«Miles sprang auf, weil Catherine eintrat.
        Sie sah erst Bolitho, dann den Gast an.»Sie mussen Miles sein«, sagte sie, warf ihren breitkrempigen Gartenhut auf eine Truhe und ku?te Bolitho. Miles holte ihr einen Stuhl.»Danke.»
        Beim Abschied sah Miles die Portrats im Treppenhaus.»Ich ware gern einer von ihnen«, sagte er und drehte sich kurz nach Catherine um.»Ich wurde den Bolithos Ehre machen!«Damit verneigte er sich und ging.

«Er sieht dir sehr ahnlich«, meinte Catherine.»Komm, la? uns vor dem Abendessen noch Spazierengehen. Ich mochte viel mehr wissen. «Sie deutete auf die Bilder.»Von dir und deiner Familie.»

«Und ich wu?te gern, was du fur Plane mit Ferguson schmiedest.»
        Allday schlo? hinter ihnen die Tur.»Hast du den jungen Mann gesehen, der zu uns will?«fragte er Ozzard.

«Ja, aber ich wu?te zu gern, warum er die Company verlassen hat«, antwortete Ozzard.

«Die wollten ihn vielleicht nicht mehr. So was kommt vor. Mein Madchen wollte mich auch nicht mehr. Sie hatte doch warten konnen«, sagte Allday bitter.

«Frauen warten nie, mein Freund. Je eher du das kapierst, desto besser fur dich.»
        Allday sah Ozzard verblufft hinterher. Woher diese plotzliche Scharfe? Ozzard war doch sonst so ein sanfter Typ.
        Es wurde ein wunderbarer Sommer. Das Korn stand hoch, die Schafe hatten gut gelammt, und selbst die Fischer klagten nicht uber zu magere Fange. Man hatte wie im tiefen Frieden gelebt, wenn nicht uberall die jungen Manner gefehlt hatten. Vom Krieg horte man selten in Cornwall. Nur manchmal erfuhren sie von feindlichen Schiffen, die angeblich die Blockade durchbrochen hatten und in der Biskaya gesichtet wurden. Dann, am letzten Augusttag, kam Order fur Bolitho.
        Sie ritten an den Klippen entlang, aber diesmal gingen sie nicht in die verborgene Hohle, wo sie sich so heftig geliebt hatten. Sie blieben drau?en und hielten ihre Pferde.

«Wo immer du bist, ich werde bei dir sein«, sagte Catherine.
        Zu Hause schien die spate Abendsonne fast waagrecht durch das westliche Fenster. Im Haus regte sich nichts. Bolitho schlitzte den schweren, rot versiegelten Umschlag auf, der in der Ecke das Zeichen der Admiralitat trug, den Anker mit der unklar gekommenen Leine.
        Catherine stand mit dem Rucken zu ihm, den Strohhut in der Hand. Sie sah in den Garten und versuchte ruhig zu bleiben, schmeckte aber Salz auf ihren Lippen. Von Gischt oder Tranen?
        Er legte den Umschlag beiseite.

«Ich bekomme das Geschwader. «Er trat zu ihr.»Und ein neues Flaggschiff. Alles schon sehr bald.»

«Wie lange bleibst du noch?«Sie lie? den Hut fallen.

«Ich mu? zuerst nach London. Wir mussen nach London, wenn du willst. «Er nahm sie in die Arme.»Mein Flaggschiff ist die Black Prince. Sie wird gerade erst in Chatham ausgerustet, in der Koniglichen Werft. Dahin nehme ich dich mit. Ich will, da? wir so lange es geht zusammen bleiben.»
        Sie setzte sich vor den kalten Kamin. Er schritt, die Hande auf dem Rucken, wie an Deck eines Schiffes auf und ab.»Ich brauche einen guten Flaggkapitan. Darauf bestehe ich!»

«Du denkst an Valentine Keen?»
        Er trat zu ihr, nahm ihre Hande.»Du kennst alle meine Gedanken. Aber Val ist noch nicht wieder im Dienst. Den Tag seiner Hochzeit hat er uns allerdings bisher nicht angekundigt. Und auch Zenoria hat dir nicht geschrieben, oder?«Er schuttelte den Kopf.»Nein, Val kann ich nicht bitten. Er und Zenoria wurden es mir niemals danken. Er hat, genau wie ich, ziemlich spat die Frau furs Leben gefunden.»
        Sie sah, wie sich die Abendsonne in seinen Augen spiegelte.»Versprich mir, zum Arzt zu gehen, wenn wir in London sind«, bat sie.»Tu's mir zuliebe!«Er mu?te lacheln.»Wenn dafur Zeit bleibt. In zwei Tagen brechen wir auf. Ich hasse diese Reisen nach London, sie kommen mir jedesmal langer vor.»
        Sie gingen zur Fenstertur.»Und wenn Zeit dafur bleibt, zeige ich dir in London etwas, damit du nicht immer so schlecht gelaunt bist, wenn du zu Ihren Lordschaften mu?t«, versprach Catherine. Sie traten in den Garten hinaus und gingen auf die Mauer mit der Pforte zu, wo sie ihn begru?t hatte.»Mach dir auf See um mich keine Sorgen. Ich werde nie zwischen dir und deinem Schiff stehen. Du gehorst mir, und ich gehore dir.»
        Ozzard polierte Zinnteller fur Mrs. Ferguson und drehte sich nicht um, als Allday eintrat.»Es geht also wieder los?»

«Ja, aber erst nach London.»
        Ozzard rieb stumm an dem Teller herum, obwohl der bereits fleckenlos glanzte.

«Wir bekommen die Black Prince mit vierundneunzig Kanonen. Gro?er als alles, was wir gewohnt sind. Fast ein Palast!»
        Aber Ozzard war in Gedanken ganz woanders. Er war in London, wieder auf der Stra?e in Wapping Wall, auf die er so verstort gerannt war - damals. Er horte wieder ihr Betteln und dann die Schreie. Und zuletzt die furchtbare Stille, nachdem er seine junge Frau und ihren Liebhaber mit der Axt erschlagen und zerhackt hatte, bis sein Arm erlahmte. Ozzard. An diesen Namen hatte sich der Schiffsarzt auf der Hyperion erinnert, der damals in London Gerichtsmediziner gewesen war. Da hatte der Steward mit dem sinkenden Schiff untergehen, ein Ende machen wollen mit all den blutigen Erinnerungen.
        Aber es war anders gekommen.

«Also gut, nach London«, seufzte er.



        X Im Zentrum der Macht

        Admiral Lord Godschale gab sich so herzlich wie moglich, um Bolitho die Kuhle ihrer letzten Unterhaltung vergessen zu machen.»Wir sollten uns spater noch ausfuhrlich unterhalten, Sir Richard. Hier in der Admiralitat vertrocknen wir allzu leicht, wahrend bedeutende Manner wie Sie drau?en Gro?es leisten.»
        Bolitho stand an einem der hohen Fenster und sah auf Stra?e und Park hinaus. Ruhte London eigentlich nie? Kutschen jeder Gro?e uberholten oder begegneten sich. Die Kutscher wollten ihr Konnen beweisen und lie?en zwischen den Radern nur wenige Zentimeter Platz. Herrenreiter und gelegentlich auch Damen im Sattel bildeten bunte Flecke zwischen den Wagen und Eselskarren der Handler. Die warme Septembersonne animierte die Menschen, lie? sie anhalten und Gesprache fuhren. Offiziere in ihren farbigen Rocken stromten aus den nahen Kasernen in den Park, offenbar auf der Suche nach weiblicher Gesellschaft.

«Wir sind alle nur so gut wie unsere Leute«, antwortete Bolitho.
        Aber das hatte Godschale nicht gemeint, im Gegenteil. Sein neuer Adelstitel und die Macht, die er ihm verlieh, bestarkten ihn in der
        Uberzeugung, da? kein Schiff oder Kommandant ohne die leitende Hand Seiner Lordschaft etwas Vernunftiges leisten konnten.
        Bolitho sah zu, wie er Madeira einschenkte. Zur Zeit der Amerikanischen Revolution hatten sie beide Fregatten gefuhrt und waren sogar am selben Tag zu Kapitanen befordert worden. Doch an den jungen schneidigen Kommandanten Godschale erinnerte heute wenig. Er war zwar immer noch ungebeugt, kraftig gebaut und gutaussehend, doch seine rotliche Hautfarbe hatte er nicht an Deck im Sturm erworben. Indes war hinter dem gepflegten Au?eren ein stahlerner Wille zu spuren. Bolitho erinnerte sich noch sehr genau an ihr Treffen im letzten Jahr, als Godschale versucht hatte, ihn mit einer Intrige von Catherine weg und zu Belinda zuruck zu treiben.
        Sicherlich war Godschale nicht in das Komplott eingeweiht gewesen, das Catherine ins Gefangnis gebracht hatte. Solch schmutzige Machenschaften hatten ihn Amt und Titel gekostet. Au?erdem hatte er niemals so plumpe Fehler gemacht. Nein, seine Schwachen waren Eitelkeit und unerschutterlicher Glaube an die eigene Klugheit. Insofern konnte er unwissentlich ein Werkzeug von Catherines Mann werden.
        Bolitho wu?te nicht, wo sich dieser Viscount Somervell zur Zeit aufhielt. Es hie?, er sei im Auftrag des Konigs in Nordamerika. Er verdrangte den Gedanken an ihn, denn falls sie sich jemals von Angesicht zu Angesicht begegnen wurden, war der Ablauf abzusehen: Bolitho wurde ihn fordern. Somervell galt als erfahrener Duellant - doch nur mit Pistolen. Bolitho beruhrte den alten Degen an seiner Seite. Vielleicht wurde ihn ja jemand in Amerika von diesem Schurken befreien.
        Godschale reichte ihm ein Glas.»So nachdenklich?«Er zog die Brauen hoch.»Auf die alten Tage, Sir Richard. Und aufkommendes Gluck!«Sie tranken.
        Bolitho setzte sich und legte den Degen uber die ausgestreckten Beine.»Das franzosische Geschwader, erinnern Sie sich? Es durchbrach unsere Blockade, noch ehe wir zum Kap segelten. Hat man es aufgebracht?»
        Godschale lachelte. Er wu?te, wie sehr diese Frage Bolitho interessierte, und fuhlte sich am langeren Hebel. Er wu?te auch, da? Catherine Lady Somervell hier in London war, sich um den Skandal nicht scherte und noch mehr Tratsch und Kritik provozierte. Es war mit Nelson schon schlimm genug gewesen, aber seine Affare war jetzt vergessen, ebenso wie Emma Hamilton selbst. Keiner wu?te, wo sie sich seit seinem Tod aufhielt.
        Somervells Charakter und schlechter Ruf waren Godschale herzlich gleichgultig. Aber der Mann besa? Freunde, sehr machtige Freunde bei Hofe. Der Konig selbst hatte ihn gelegentlich vor Skandalen gerettet. Doch hatten er oder seine engsten Berater Somervell klugerweise aus London entfernt, bis das Problem zwischen dem Viscount und dem Vizeadmiral gelost war.
        Godschale besa? genugend Feingefuhl, um zu spuren, wie beliebt Bolitho im Lande war. Nach Nelsons Tod war er sicherlich der am meisten verehrte Seeheld. Niemand zweifelte an seinem Mut, der ihm trotz seiner ungewohnlichen Strategie und Taktik oft Schlachten gewann. Trotzdem - in Friedenszeiten hatte man seine Affare mit Lady Somervell niemals geduldet. Die Gesellschaft hatte beide geschnitten, und Bolithos Karriere ware abrupt beendet worden.
        Doch jetzt war Krieg, und Godschale wu?te einen Mann zu schatzen, der Schlachten gewann und die Nation begeisterte.

«Das gro?ere der beiden franzosischen Geschwader fuhrte unser alter Bekannter, Vizeadmiral Leissegues. Es entwischte seinen Bewachern. Sir John Duckworth, der vor Cadiz patrouillierte, erfuhr, da? ein franzosisches Geschwader vor Santo Domingo ankerte; er war Leissegues schon auf den Fersen gewesen, jetzt segelte er hinuber und stellte ihn. Es kam zu einem Gefecht Schiff gegen Schiff. Der Feind wurde zersprengt, aber die Imperial mit ihren 120 Kanonen fing Feuer und sank. Schade, wir hatten sie gern in unserer Flotte gesehen. Doch man kann eben nicht alles schaffen«, seufzte er. Das klang, als habe Seine Lordschaft das Gefecht in diesem Raum gewonnen. Er fuhr fort:»Mit dem kleineren franzosischen Geschwader gab es ein Gefecht, einige wenige Schiffe gingen verloren, aber der Feind kehrte in den Hafen zuruck.»

«Ich beneide Duckworth«, sagte Bolitho.»Ein entscheidendes Gefecht, gut geplant und gut ausgefuhrt. Napoleon kocht bestimmt vor Wut.»
        Godschale fullte sein Glas nach.»Ihr Einsatz in Kapstadt war nicht weniger wichtig, Sir Richard. Wertvolle Schiffe konnten der Flotte zur Verfugung gestellt werden.»
        Bolitho zuckte mit den Schultern.»Jeder erfahrene Kapitan hatte diese Aufgabe bewaltigen konnen.»
        Godschale wackelte verneinend mit dem Zeigefinger.»Nicht doch, mein Lieber. Unsere Kommandanten brauchen dringend ein Leitbild, glauben Sie mir. «Er wechselte das Thema.»Aber ich habe weitere Neuigkeiten fur Sie. «Als er zu seinem Schreibtisch ging, sah Bolitho zum erstenmal, da? er hinkte. Wie Lord St. Vincent bu?te er wohl mit Gicht fur zuviel Portwein und das su?e Leben in der Heimat.
        Godschale wedelte mit einigen Papieren.»Die Black Prince wird ein gutes Schiff und nach den strengsten Ma?staben gebaut. Haben Sie schon Ihren Flaggkapitan bestimmt?


«Unter anderen Umstanden wurde ich um Kapitan Valentine Keen bitten. Aber er heiratet demnachst und war ziemlich lange hart eingesetzt. Also mu? ich wohl auf ihn verzichten.»

«Oh, wir haben einen Brief von Kapitan Keen bekommen. Darin bot er seine sofortigen Dienste an. Sonderbar, da? er sich nicht zuerst an Sie gewandt hat.
«Wieder hob Godschale die Augenbrauen.»Ein guter Mann?»

«Ein guter Kommandant und ein verla?licher Freund. «Was war los mit Keen? Warum diese ungewohnliche Zuruckhaltung?

«Nun ja. In diesen harten Zeiten sind erfahrene Kapitane rar. «Godschale runzelte die Stirn.»Ich sehe also Ihrer schnellen Entscheidung entgegen. Es gibt naturlich viele Kommandanten, die sich darum rei?en, die Black Prince unter Ihrer Flagge zu segeln.»

«Bitte geben Sie mir Gelegenheit, der Sache nachzugehen, Mylord.»
        Godschale strahlte ihn an.»Naturlich. Dafur hat man doch seine Freunde!»
        Bolitho bemerkte seinen schnellen Blick auf die Uhr. Vier Cherubim mit aufgeblahten Backen stellten darauf die vier Winde dar. Er erhob sich.»Sie finden mich in London, Mylord. Ihr Sekretar hat meine Adresse.»

«Ja, richtig. Lord Brownes Stadthaus, nicht wahr?«Sein Lacheln verbla?te.»Er war wohl Ihr Flaggleutnant, ehe er aus der Navy austrat.»

«Ja. Ein guter Freund.»

«Daran haben Sie wirklich keinen Mangel.»
        Bolitho wartete, denn er spurte, was in Godschale vorging. Wenn Catherine und Bolitho in Lord Brownes Haus wohnten, dann war diesem die Meinung der Londoner Gesellschaft vollig gleichgultig. Konnte das gefahrlich werden? Bolitho ruckte seinen Degen zurecht.

«Ich mochte kein Ol ins Feuer gie?en«, begann Godschale,»aber gibt es noch eine Chance, da? Sie und Lady Belinda… Verdammt noch mal, Sie wissen schon, was ich meine!»
        Bolitho schuttelte ihm die Hand.»Nein, keine Chance, Mylord. Und es ist besser, Sie horen das von mir. Ich wei?, da? Lady Godschale mit Belinda befreundet ist, und mochte keine falschen Hoffnungen wecken. Es ist aus.»
        Godschale dachte offensichtlich uber eine passende Bemerkung nach, sagte aber nur, weil ihm nichts einfiel:»Wir sehen uns bald wieder, dann gibt es sicher Neuigkeiten. Denken Sie inzwischen daruber nach, wie schnell eine feindliche Kugel auf See verkruppeln oder toten kann. Hier an Land aber schafft das auch das Gerede der Leute.»
        Bolitho ging zur Tur.»Ich halte eine Kugel immer noch fur gefahrlicher, Mylord.»
        Hinter ihm hieb Godschale wutend auf den Tisch. Dieser verdammte, unbelehrbare Starrkopf!

«Mylord wunschen?«fragte sein Sekretar von der Tur her.

«Nichts, verdammt noch mal!»

«Ihr nachster Besucher wartet.»
        Godschale setzte sich und go? sich ein drittes Glas Madeira ein.»Ich empfange ihn erst in einer halben Stunde.«»Aber, Mylord.»

«Hort mir denn in diesem Hause niemand zu? Mit etwas Gluck wird Bolitho im Wartezimmer auf Konteradmiral Herrick treffen. Ich mochte, da? sie miteinander reden und sich an alte Zeiten erinnern. Haben Sie verstanden?»
        Der Sekretar verschwand, und Godschale trank seufzend sein Glas aus. Alles mu?te man selber machen, dachte er dabei.
        Die beiden Kapitane im au?eren Wartezimmer sa?en so weit entfernt voneinander wie moglich. Sie vermieden selbst den Blickkontakt. Bolitho wu?te, sie warteten auf einen Vorgesetzten oder einen Sekretar der Admiralitat. Wie oft hatte er wie sie hier nervos Beforderung oder Tadel entgegengesehen - bei der Admiralitat lag beides stets dicht beieinander.
        Als er den langen Raum durchquerte, standen beide auf, nahmen Haltung an und gru?ten. Bolitho gru?te zuruck. Sie erkannten ihn und fragten sich jetzt bestimmt: Warum war der Vizeadmiral hier, was bedeutete das fur sie?
        Bolitho dachte uber seinen Flaggkapitan nach. Er verstand ihn nicht. Gewi?, Keen war besorgt gewesen uber den gro?en Altersunterschied zu der Frau, die er liebte. Er war einundvierzig, und Zenoria, die er aus einem Straflingstransporter mit Ziel New South Wales befreit hatte, wurde gerade zweiundzwanzig. Aber jeder, der sie beobachtete, spurte, wie gut die beiden zueinander pa?ten. Was war da vorgefallen? Wenn Keen nur aus Loyalitat seine Dienste anbot, mu?te er ihm absagen.
        Da offnete sich vor ihm eine gro?e Tur, und Thomas Herrick stand da und starrte ihn an, so uberrascht, als sei er vom Himmel gefallen.
        Herrick war rundlicher geworden und hielt sich etwas gebeugt, als belaste ihn der Rang eines Konteradmirals. Sein Haar war ergraut, doch sonst schien er ganz derselbe, der Bolitho beim letzten Gefecht der Hyperion zu Hilfe geeilt war. Sein Handedruck war immer noch so fest wie damals, als er, ein blutjunger Leutnant, auf Bolithos Phalarope gekommen war. Auch seine Augen strahlten wie fruher, blau und leicht verletzlich.

«Was machst du hier…«begannen beide gleichzeitig.
        Voll Warme sagte Bolitho:»Es ist wunderbar, dich wiederzusehen, Thomas!»
        Herrick vergewisserte sich, da? die beiden wartenden Kapitane nicht mithoren konnten.»Und dich, Richard!»
        Bolitho musterte seinen Freund und spurte dessen Verlegenheit. Es hatte sich also nichts geandert, nach wie vor mi?billigte Herrick Bolithos Verbindung mit Catherine.»Ich werde die Black Prince ubernehmen, sobald sie fertig ausgerustet ist«, berichtete er.
        Doch Herrick lie? sich nicht ablenken, er sah Bolitho genauer an.»Was macht dein Auge?«Bolitho schuttelte den Kopf.»Kein Problem. Und was machst du?»
        Herrick druckte das Kinn in sein Halstuch.»Ich habe noch die Benbow. Und einen neuen Flaggleutnant. De Broux war zu weich fur mich, nicht mein Fall.»
        Bolitho fuhlte sich seltsam beruhrt. Vor einigen Jahren war die Benbow sein Schiff gewesen und Herrick sein Flaggkapitan. Das
        Schicksal ging manchmal schon seltsame Wege.
        Herrick sah auf die Uhr.»Ich bin mit Lord Godschale verabredet. «Er sprach den Namen verachtlich aus, und Bolitho ahnte, wie Herrick den Admiral einschatzte.

«Ich werde ein Geschwader in der Nordsee ubernehmen. Patrouillendienst«, berichtete er.»Darin kommandiert Adam meine einzige Fregatte, die Anemone.«Er lachelte kurz.»In manchem andert sich unsere Marine nie, aber ich bin froh, da? ich wenigstens Adam habe.»
        Irgendwo schlug eine Uhr, und Herrick fragte nervos:»Dein Flaggschiff wird in Chatham ausgerustet?«Etwas bedruckte ihn offenbar, das er noch loswerden wollte. Wie ich dich kenne, wirst du dabei in der Nahe deines Schiffes bleiben. Nimm dir doch bitte die Zeit und besuche meine Frau. Dulcie wurde sich freuen.»

«Stimmt was nicht, Thomas?»

«Ich bin mir nicht sicher. Aber sie ist seit kurzem immer so mude. Sie mutet sich mit ihren Hilfsdiensten zuviel zu, trotzdem kann ich sie nicht davon abbringen. Sie ist eben einsam. Wenn wir Kinder hatten, wenigstens eins, wie du und Lady Belinda. «Er hielt inne.»Aber so ist wohl der Lauf der Welt.»
        Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Ich werde Dulcie besuchen. Catherine will, da? ich unbedingt einen Arzt aufsuche. Vielleicht finde ich bei der Gelegenheit auch einen fur Dulcie.»
        Herricks blaue Augen wurden harter.»Tut mir leid. An sie habe ich nicht gedacht.
«Er sah an Bolitho vorbei.»Vielleicht ist es doch besser, ihr besucht Dulcie nicht.»
        Bolitho starrte ihn an.»Steht also Catherine immer noch zwischen uns?»
        Verzagt sah Herrick auf.»Es ist nicht meine Schuld«, sagte er, schon im Gehen. Alles Gute, Richard. Meine Bewunderung fur dich kann nichts beeintrachtigen.»

«Bewunderung - ist das alles?«rief Bolitho ihm nach.»Thomas, verdammt noch mal, was ist aus uns geworden?»
        Die beiden Kapitane erhoben sich, und ihre Blicke flogen zwischen den beiden Admiralen hin und her. Bolitho eilte nach drau?en.

«Hau ab, du Kruppel!»
        Ein junger Mann, zwei Madchen am Arm, schuttelte drohend die Faust gegen einen Mann, der in einem zerlumpten roten Rock am
        Stra?enrand mit einer Zinnschale bettelte. Die Madchen kicherten.

«Stopp!«Bolitho hielt das Trio an und ging zu dem Bettler.»In welchem Regiment haben Sie gedient?»
        Der Mann sah auf, als habe er nicht richtig gehort. Er besa? nur noch einen Arm, und seine Beine waren schrecklich verdreht. Er sah sehr alt aus, aber Bolitho schatzte ihn auf unter vierzig.

«Im 31. Infanterieregiment, Sir. «Der Kruppel sah an den Gaffern vorbei.»Es war das alte Huntingdonshire-Regiment. Wir wurden als Seesoldaten eingesetzt. «Sein Stolz war schon wieder verflogen.»Das hier hab' ich unter Lord Howe abbekommen!»
        Bolitho sah den jungen Gecken an.»Wo Sie gedient haben, frage ich besser nicht. Man sieht, was Sie fur ein Typ sind.»

«Sie haben kein Recht, mich so zu behandeln!»

«O doch, junger Mann. Gerade ist mein Leutnant mit einem Pre?kommando hierher unterwegs. Wenn ich den rufe, werden Sie schnell lernen, was es hei?t, fur Konig und Vaterland zu kampfen. «Das war eine billige Luge, denn kein Pre?kommando hatte es gewagt, diese vornehme Gegend zu durchstreifen. Doch der junge Mann war im Handumdrehen verschwunden, und seine beiden Begleiterinnen konnten ihm nur verwundert nachstarren.
        Bolitho warf dem Veteran einige Goldmunzen in die Schale.»Gott schutze Sie. Was Sie taten, war nicht umsonst. «Unglaubig starrte der Mann auf die Goldmunzen hinab.»Ihr Mut und Ihre Erinnerungen werden Ihnen weiterhelfen.»
        Bolitho drehte sich um. Da stand seine Kutsche. Catherine offnete den Schlag, und er sprang hinein.»Ich dachte immer, ich kenne mich mit Menschen aus«, sagte er, als die Kutsche anfuhr.»Aber jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher. Eigentlich verstehe ich nur noch dich ganz.»
        Catherine sah aus dem Fenster. Sie wu?te, Herrick war in die Admiralitat gegangen und sicherlich Bolitho begegnet. Alles weitere, auch den Zwischenfall mit dem jungen Dandy, brauchte ihr keiner zu erklaren. Sanft sagte sie:»Dann wollen wir das Beste daraus machen.»
        Tom Ozzard lehnte sich an eine steinerne Balustrade, um sich kurz auszuruhen. Er war seit Stunden unterwegs und hatte ofter die Orientierung verloren, doch sein Ziel stets vor Augen gehabt. Nun holte er tief Atem.
        Jetzt war er in dem schabigen Teil Londons, wo er lange gelebt hatte, dem Viertel am Flu?. Die Giebel der Hauser beruhrten sich fast uber der Stra?e und lie?en kaum Licht nach unten. Es stank nach Pferdemist und offenen Abwassergraben. Der Larm war kaum zu ertragen.
        Ihm gegenuber bot ein Mann brullend frische Austern an. Drei Matrosen probierten sie und spulten sie mit dunklem Bier hinunter. Der Flu? war allgegenwartig. Von der London Bridge bis zur Isle of Dogs lagen Handelschiffe Rumpf an Rumpf, ihre Masten und Rahen schwankten in der Stromung wie entlaubte Baume.
        In der Kneipe neben dem Austernverkaufer vergnugten sich Matrosen mit grell geschminkten Hafenhuren und betranken sich mit Bier und Genever. Die verrottende Leiche eines Piraten, der in Ketten am Galgen des Execution Docks hing, schien niemanden au?er Ozzard zu storen.
        Dies war seine Gasse. Damals war sie noch von ehrbaren Handwerkern und Handlern bewohnt gewesen und von ihm, dem Schreiber. Tagsuber hatte er bei einem Anwalt gearbeitet, abends fur die Nachbarn.
        Eigentlich war er verruckt, hierher zuruckzukehren.
        Wahrscheinlich lebten hier noch Menschen, die sich an ihn erinnerten. Aber die Gasse, das Haus und die schreckliche Szene hatten ihn so oft bis in seine Traume hinein verfolgt, da? er den Ort seiner Tat wenigstens noch einmal sehen mu?te. Er musterte das Haus, sein ehemaliges Haus. An jenem blutigen Nachmittag hatte ihn der Anwalt fruher heimgehen lassen, als Ausgleich fur viele Uberstunden. Schon seit Monaten mu?te seine Frau ihm Horner aufgesetzt haben. Sobald er ins Kontor nach Billingsgate aufgebrochen war, mu?te ihr Liebhaber ins Haus geschlupft sein. Warum hatte ihm kein Nachbar etwas davon gesagt, warum hatten alle geschwiegen?
        Ihm wurde jetzt noch schlecht, wenn er an das Bild bei seiner Heimkehr dachte. Da lag seine Frau, so jung, so begehrenswert schon, nackt in den Armen ihres Liebhabers. Es war ein sonniger Tag wie der heutige gewesen. Er hatte die Kuchenaxt genommen und auf die nackten Glieder eingeschlagen. Sie schrie, der Mann schrie, und als es in der Schlafkammer so aussah wie spater im Gefecht auf den Schiffen Bolithos, hatte er die Axt fallen gelassen und war geflohen - mit blutbeschmierten Handen.

«Halt! Stehenbleiben!»
        Ozzard hatte die schweren Schritte und das Klirren von Waffen nicht naherkommen gehort. Jetzt blockierte ihm ein Pre?kommando den Fluchtweg. Die Werber waren, anders als in den Dorfern an der Kuste, bis an die Zahne bewaffnet. Ein Stuckmeister baute sich, einen Knuppel in der Faust und ein Entermesser locker im Gurtel, vor Ozzard auf.»Was haben wir denn hier?»
        Er starrte Ozzards blaue Jacke mit den glanzenden Knopfen an und musterte auch seine Schnallenschuhe, die sich Seeleute gern leisteten, wenn sie genugend Geld gespart hatten.»Du bist doch kein Seemann, Freundchen!«Der Riese drehte den kleinen Ozzard einmal um sich selbst.

«Aber ich diene doch. «beteuerte Ozzard klaglich.

«Zur Seite!«Der Leutnant bahnte sich einen Weg durch seine Manner und musterte Ozzard neugierig.»Rede, mein Freund. Die Flotte braucht Manner. Wenn du dienst, dann sag uns, wo!»

«Ich bin Diener bei Sir Richard Bolitho. «Ozzard sah den Leutnant an, ohne mit der Wimper zu zucken.»Er ist Vizeadmiral der Heimatflotte und zur Zeit in London.»

«Die Hyperion war doch sein letztes Schiff?«Der Leutnant sprach schon sehr viel freundlicher, und Ozzard nickte.»Dies ist keine Gegend fur Bolithos Leute. Also weg von hier!»
        Der Stuckmeister sah den Leutnant fragend an, erntete Zustimmung und druckte Ozzard ein paar Munzen in die Hand.»Hier, trink ein Glaschen. Das hast du ja wohl verdient nach allem, was ihr auf der Hyperion durchgemacht habt.»
        Was hatten die Werber wohl gesagt, hatte er ihnen erzahlt, wie er damals den langen Weg nach Tower Hill gelaufen war, um auf ein Pre?kommando zu treffen und in die Navy zu fluchten? Damals lauerten dort immer Kommandos auf der Suche nach Opfern. Ozzard starrte sein Haus an. Die Fenster spiegelten das Rot der untergehenden Sonne wie Blut. Er zitterte.
        Das Pre?kommando war verschwunden. Weiter weg rannten Fu?e, ein Schrei erklang - dann wurde es still. Die Werber hatten wohl ein Opfer gefunden, das morgen mit blutigem Kopf auf einem Wachschiff auf der Themse aufwachen wurde. Achtlos lie? Ozzard die Munzen fallen und machte sich auf den langen Ruckweg zu Lord Brownes Stadthaus. Die engen Gassen schluckten seine Gestalt schnell. Hinter ihm blieb das Haus drohend und dunkel zuruck.
        Ein paar Meilen flu?aufwarts half Bolitho Catherine aus der Gig, die sie uber den Flu? gebracht hatte. Der wolkenlose Himmel hatte in der fruhen Dunkelheit zahllose Sterne aufgesetzt, passend zu dem verzauberten Abend, den Catherine ihm versprochen hatte.
        Bolitho belohnte den Bootsfuhrer mit einem guten Trinkgeld, denn er sollte sie spater wieder uber den Flu? zuruck rudern. Er hatte Catherine unverhohlen bewundert, und Bolitho konnte ihm das nicht ubelnehmen. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus Seide, deren Grun bei jeder Bewegung ins Schwarze changierte. Sie hatte ihr Haar hochgesteckt und sich mit den Ohrringen geschmuckt, die ihr Bolitho geschenkt hatte, als sie sich zum erstenmal liebten. Sie hatte sie durchs Gefangnis gebracht, indem sie sie im Saum ihres Kleides einnahte.

«Ich warte druben mit dem Boot, bis Sie mich brauchen, Admiral. «Die Gig glitt schnell uber den Flu? zuruck.

«Woran hat der Mann mich erkannt?«Bolitho trug einen einfachen blauen Rock, den ihm der Schneider in Falmouth genaht hatte, dessen Vorfahren schon seit langem allen Bolithos und unzahligen anderen Marineoffizieren Uniformen angemessen hatten.
        Catherine entfaltete ihren neuen Facher, ihre Augen glanzten im Licht der Laternen.»Dich und mich kennen mehr Leute, als du glaubst. Aber jetzt vergi? deine Probleme und la? dich uberraschen.»
        Hier in Vauxhall lag der beruhmteste aller Lustgarten Londons. Lauben mit Laternen, Hecken aus wilden Rosen und frohliches Vogelgezwitscher luden zum Verweilen ein. Bolitho bezahlte zweimal eine halbe Krone Eintrittsgeld und schritt dann neben Catherine den Grand Walk entlang, die breite Promenade, von Linden gesaumt und versteckten Grotten mit platschernden Springbrunnen.

«Dies ist mein London, und dir gefallt es auch, das spure ich!«Catherine druckte seinen Arm. Sie gingen weiter an geschmuckten Lauben vorbei, in denen laute Gesellschaften frohlich tafelten. Von uberall her erklang Musik, das Klirren der Glaser, das Knallen von Champagnerkorken.»Hier gibt's die besten Musiker Londons. Sie verdienen sich so ihr Geld, bis die Konzertsaison wieder beginnt.»
        Bolitho nahm den Hut ab und trug ihn in der Hand. Der Weg war voller Menschen. Parfumduft mischte sich mit dem der Heckenrosen und dem Dunst des nahen Flusses. Catherine hatte den Schal um Schultern und Hals abgenommen, ihre Haut strahlte hell im Schein der Laternen. Immer wieder tauchten Uniformen auf, meist rote mit den blauen Biesen der Koniglichen Leibregimenter. Ab und zu lie? sich auch ein Marineoffizier sehen, dessen Schiff vermutlich weiter flu?abwarts vor Anker lag.
        Sie hielten an, als sich zwei Wege kreuzten. Musik von Handel ertonte von links, rechts sang eine Mannerstimme ein deftiges Kneipenlied. Das mischte sich gut und storte niemanden.
        Am Ende des hellen Lustgartens begann der Dark Walk, in den ihn Catherine nun fuhrte, vorbei an Paaren, die einander im Schatten ku?ten. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen.»Hier war ich noch nie«, flusterte sie.
        Er ku?te sie.»Ich konnte es aber dem Mann, der dich hierherfuhrte, nicht ubelnehmen«, sagte er und lie? seine Lippen uber ihren Hals und ihre Schultern gleiten.
        Sanft schob sie ihn weg.»Der Abend beginnt erst. Ich habe uns eine Laube reservieren lassen.»
        Er konnte sich nie daran gewohnen, da? die Stunden mit ihr so schnell vergingen. Sie a?en verschiedene Salate und gebratenes Huhn, tranken einen leichten Wein dazu und genossen die Musik.

«Starr mich nicht so an«, bat sie lachelnd.
        Als er antwortete:»Ich liebe dich!«horte er von ihr die gleichen Worte. Bald danach stand sie auf.»La? uns heimkehren. Ich habe solche Sehnsucht nach dir. «Sie legte sich den Schal um die Schultern.

«Warte hier«, bat er unten am Flu?.»Ich rufe unseren Bootsfuhrer. «Damit verschwand er im Schatten.
        Als Catherine sich umdrehte, fragte eine Stimme aus der Dunkelheit:»So allein, mein schones Kind? Vermi?t du nicht was?«Ein Hauptmann, offensichtlich angetrunken, kam mit schiefem Grinsen auf sie zu.

«Verschwinden Sie«, sagte sie barsch.»Ich bin in Begleitung!«Sie zog sich den Schal fester um die Schultern.

«Das werden wir ja sehen. «Der Hauptmann ri? ihr den Schal von den Schultern, stolperte dabei und sagte, sich aufrichtend:»Solche Schonheit darf man doch nicht verhullen.»

«Hande weg von der Dame!«Bolithos Stimme klang nicht einmal sehr laut.

«Er ist voll bis an die Kiemen. «Catherine schuttelte sich.
        Der Hauptmann starrte Bolitho an und verbeugte sich linkisch.»Ihre Freundin sieht so aus, als ob sie einen armen Soldaten nicht abweisen wurde.»
        Bolitho blieb ruhig.»Ich wurde Sie ja zum Duell fordern.»
        Der Hauptmann grinste.»Gern. Ich erwarte Ihre Sekundanten.»
        Bolitho offnete seine Jacke.»Sie horen nicht zu. Ich sagte, ich wurde Sie fordern - wenn ich Sie fur einen Gentleman hielte. Da Sie es aber nicht sind, lassen Sie uns die Sache gleich hier erledigen!«Bolithos alter Degen blitzte plotzlich im Licht.
        Ein Offizier brach durchs Gebusch, offensichtlich auch angetrunken, aber noch etwas nuchterner als der Hauptmann. Er erkannte die Gefahr.»Weg da, du Narr! Bitte verzeihen Sie ihm, Sir Richard. Nuchtern benimmt er sich wie ein Herr.»
        Bolitho sah die beiden unbewegt an.»Das will ich hoffen. «Sein Degen glitt in die Scheide zuruck, er drehte beiden den Rucken zu und fuhrte Catherine zum Boot. Aber sie spurte, wie sein Arm vor Erregung zitterte.»So wutend habe ich dich ja noch nie erlebt.»

«Tut mir leid, wenn ich mich wie ein hitzkopfiger Kadett benommen habe.»

«Oh, du warst gro?artig«, protestierte sie. Sie hob das Taschchen an ihrem linken Handgelenk.»Dem Hauptmann hatte ich eine Kugel in den Hintern gejagt, wenn er dich angegriffen hatte. Dafur reicht die kleine Pistole hier drin allemal.»

«Du steckst immer noch voller Uberraschungen!«Lachelnd schuttelte Bolitho den Kopf.
        Das Boot setzte sie uber, und am anderen Ufer war seine Emporung verflogen.»Du hattest recht«, sagte er,»es war eine verzauberte Nacht. Ich werde sie nie vergessen.»

«Sie ist noch nicht vorbei.»
        Der Bootsfuhrer dankte seinen ungewohnlichen Passagieren.»Wenn Sie wieder mal hinuber wollen, Sir Richard, dann fragen Sie nach Bobby. Hier am Flu? kennt mich jeder.»
        Ihre Kutsche wartete, und als sie sich ihr naherten, sahen sie Ozzard vor dem Schlag stehen. Seine Messingknopfe funkelten wie Warnlichter.

«Du hattest nicht auf uns warten sollen«, sagte Bolitho.»Du hattest inzwischen nach Hause fahren konnen.»

«Da war ich auch, Sir Richard. Aber dann kam ein Bote von der
        Admiralitat. Sie sollen sich morgen fruh, sobald es Ihnen moglich ist, bei Lord Godschale einfinden.»
        In der Ferne schlug eine Kirchenuhr.»Also heute«, sagte Catherine leise.
        Als sie in der Arlington Street hielten, meinte Bolitho:»So wichtig kann es nicht sein, ich habe ja noch immer kein Flaggschiff.»
        Sie drehte sich am Fu? der Treppe um.»Und wenn schon, mein Admiral. Uns bleibt ja immer noch diese Nacht.»
        In der leeren Kuche hockte Allday allein mit einem Krug Rum und einer Tonpfeife an dem frischgeschrubbten Tisch. Ozzard hatte sich nicht zu ihm gesetzt. Irgendetwas bedruckte ihn, seit sie in London waren. Er war still zu Bett gegangen.
        Allday sa? da und dachte an die Wirtstochter in Falmouth, die nicht auf ihn gewartet hatte. Es ware so schon mit ihr gewesen. Er nahm einen gro?en Schluck Rum.»Mehr will ich ja gar nicht«, sagte er laut.»Nur manchmal ein bi?chen Freude.»
        Aber er wu?te, da? er die an Land nie finden wurde.



        XI Ein neuer Auftrag

        Bolitho stie? die Tur zum gro?en Empfangszimmer auf, sah Catherine am Fenster stehen und trat zu ihr. Er pre?te die Lippen in ihr Haar und murmelte:»Es ist soweit.»
        Sie nickte und lehnte sich an ihn.»Mehr darf ich nicht verlangen. Es waren wunderbare Wochen. «Sie drehte sich in seinen Armen um, suchte Trost in seinen Augen.
        Bolitho horte, wie jemand seine Seekiste polternd die Treppen hinunterschleppte. Drau?en warf der Abend lange Schatten - ein fruher Herbst meldete sich.

«Diesmal bleibe ich nicht lange weg. Mein Einsatz ist kurz. «Er ha?te diese Lugen, doch man hatte ihm gesagt, der Auftrag sei geheim. Er sollte sich nach Dover begeben, nicht nach Portsmouth oder Chatham wie sonst, und von dort nach Kopenhagen. In Dover wurde man ihm alles weitere erklaren.

«Wenn es denn sein mu?«, sagte sie leise und legte ihm die Fingerspitzen auf die Lippen.

«Ich bin in spatestens zwei Wochen wieder zuruck. Bleib in
        London. Lord Browne ist auf Jamaika, wir konnen hier so lange wohnen, wie wir wollen.»

«Geht Jenour mit?»

«Ja, er wartet in Dover auf mich.»

«Dann hat er mehr Gluck als ich!»
        Er spurte, wie sie sich an ihn drangte, als drau?en Kutschrader uber das Pflaster rollten.»Ozzard wird sich um deine Wunsche kummern, und Yovell wird dir alles sagen, was du wissen willst. Ich wurde dir gern auch Allday lassen, aber.»

«Das wurde ich nie erlauben. Du ohne deinen Schatten, nein!»
        Die Tur offnete sich einen Spalt breit, und ein Diener meldete:»Die Kutsche ist da, Sir Richard!»
        Bolitho legte ihr den Arm um die Schultern.»Komm«, sagte er,»wir gehen zusammen hinunter. Ich habe dir noch soviel zu sagen, aber es wird mir erst auf dem Weg nach Dover einfallen.»
        Catherine sah die Treppe an und erinnerte sich, wie Bolitho sie hier zartlich nach oben getragen hatte, nachdem er sie aus dem Gefangnis befreit hatte: eine barfu?ige, schmutzige Frau. Jetzt sah sie den anderen Bolitho - den Mann in Uniform.
        Der Abend war kuhl. Bolitho nahm sie in den Arm.»Nichts kann uns trennen, aber dieser Einsatz mu? sein. Vielleicht la?t Val Keene sich hier sehen, ich habe ihm geschrieben. «Hinten auf der Kutsche sah er den vierschrotigen Umri? Alldays sitzen.
        Sie buckte sich und reichte ihm ein Blatt, das der Wind gegen ihren Fu? geweht hatte.»Erinnerst du dich an das Efeublatt? Dies hier soll dich zu mir zuruckbringen. Komm bald wieder, Liebster! Ich habe dich doch gerade erst gefunden.»
        Er ku?te sie, als konne er sich nie mehr von ihr losen. Und dann waren sie plotzlich getrennt. Allday gru?te und hielt den Wagenschlag auf. Bolitho bemerkte weder Initialen noch Wappen auf der Tur. Man behandelte seinen Auftrag in der Tat als Geheimsache.
        Catherine reichte Allday Bolithos Bootsmantel.»Bitte kummere dich um ihn, Allday, so treu wie immer.»
        Allday lachelte mitfuhlend.»Wir sind schneller zuruck, als Sie glauben, Mylady.
«Er stieg auf seinen Sitz. Bolitho beugte sich aus dem Fenster.»Mein Herz bleibt bei dir«, sagte er,»ich. «Doch da losten sich schon die Bremsen, die Peitsche knallte und das Geschirr der Pferde klirrte. Die Kutsche rollte uber die Steine davon.
        Catherine sah ihr lange nach. Als die Abendkuhle sie schaudern lie?, trat sie ins Haus. Wie leer es ohne ihn war! Sie wurde also nicht nach Falmouth zuruckkehren, sondern hier auf ihn warten. Sein geringes Gepack deutete in der Tat auf eine kurze Reise. Fur einen langeren Auftrag hatte er mehr von den Seidenhemden mitnehmen mussen, die sie ihm in London gekauft hatte.
        In der Halle traf sie Yovell.»Wurden Sie mir bitte einen Gefallen tun?«fragte sie ihn.»Und heute abend mit mir essen?»
        Er war uberrascht.»Das ist eine gro?e Ehre fur mich«, sagte er schlie?lich und versuchte, den Blick von ihrem offenen Haar zu wenden, von ihren lachelnden Augen.

«Sie mussen aber auch dafur bezahlen«, sagte sie.»Sie mussen mir dabei alles uber den Mann erzahlen, den ich liebe.»
        Er setzte seine Brille ab und polierte sie. Dann nickte er. Was war das nur fur eine wunderbare Frau, die der Admiral da gefunden hatte, dachte er. Alles Gerede, all die Geruchte konnten seinetwegen zum Teufel gehen.
        Um vier Uhr morgens stieg Bolitho in Dover aus der Kutsche. Die schnelle Fahrt hatte ihn durchgeschuttelt. Er reckte die steifen Glieder und schmeckte die salzige Luft.
        Zwei Seeleute waren aus der Dunkelheit aufgetaucht und trugen unter Alldays Aufsicht seine Seekiste ins Wachhauschen. Er blickte zum Himmel. Dover Castle dort oben sah aus wie ein Teil des Berges und erinnerte ihn an den Tafelberg bei Kapstadt.
        Allday keuchte und unterdruckte einen Hustenanfall. Der war sicher genauso froh, heil in Dover angekommen zu sein. Die Stra?e war zum Gluck leer gewesen, denn der Kutscher hatte die Pferde wie wild angetrieben. Offenbar war er solche nachtlichen Fahrten mit Kutschen gewohnt, die niemand sehen sollte und die weder Namen noch Wappen trugen.

«Halt! Stehenbleiben! Wer da?»
        Bolitho lie? den Mantel von den Schultern gleiten, trat in den Lichtschein einer erhobenen Laterne und zeigte seine Schulterstucke. Gleich darauf horte er Jenours Stimme und sah seine hellen Kniehosen ihm entgegeneilen.»Willkommen, Sir Richard! Wer hat Ihnen denn Flugel verliehen?»
        Er schuttelte Jenours Hand, die so kalt war wie seine. Der kuhle Herbst kundigte einen nahen Winter an.
        Der Leutnant der Wache trat zu ihnen und tippte gru?end an seinen Hut.»Willkommen in Dover, Sir Richard.»
        Bolitho spurte in der fremden Stimme Eifer und Neugier. Er hatte Dover nie sonderlich gemocht. Schon vor dreizehn Jahren war er hier gewesen, kurz vor Ausbruch des Krieges. Das Fieber, das ihn in der Sudsee uberfallen und beinahe getotet hatte, schwachte ihn damals noch. Trotzdem hatte er den undankbaren Auftrag bekommen, Seeleute zu rekrutieren und Deserteure zu fangen, die sich als Schmuggler betatigten. Aber vor allem hatte er damals in Dover gegen Geschaftemacher gekampft, die mit den Schmugglern unter einer Decke steckten.
        Jetzt merkte er erschreckt, da? die anderen auf ihn warteten.»Welches Schiff? fragte er den Wachoffizier.

«Die Truculent, Sir Richard, unter Kapitan Poland. Sie liegt drau?en vor Anker.»
        So war das also. Entweder verlor man ein Schiff ganz aus den Augen, oder man traf es immer wieder. Er wu?te, da? Truculent und Zest seinem Nordseegeschwader zugeteilt worden waren. Aber wann wurde die Black Prince endlich fertig? Und gab es irgendetwas bei diesem Geschwader, das Keen zum Schweigen brachte?

«Hier ist das Boot, Sir Richard. «Der Wachoffizier ging mit der Laterne voran. Sie war abgeblendet, als wimmle der Hafen von hollandischen Spionen und franzosischen Agenten. Froh, wieder bei Bolitho zu sein, nahm Jenour seinen schnellen Schritt auf. Er hatte bei seinen Eltern in Southampton Urlaub gemacht und sich, als der Bote aus London kam, fast erleichtert gefuhlt.
        Als sie um die Ecke eines Proviantschuppens bogen, packte sie der Seewind mit gewohnter Macht. Bolitho verharrte an der Mole und musterte die Schiffe im Hafen. Der Gedanke lie? ihn frosteln: Von hier war der Feind keine zwanzig Meilen entfernt. Dover mu?te ihm standhalten unter seinem dunnen Schirm von Kanonenbooten und einer schwachen Landwehr. Die Menschen an der Sudkuste dankten wahrscheinlich mehr als alle anderen in England den Blockadeschiffen, da? sie die Franzosen in ihren Hafen festhielten.

«Wie lauft die Tide?»

«Hochwasser in zwei Stunden, Sir Richard. «Der Mann schien uberrascht von der prazisen Frage.
        Also ein schneller Start. Aber wer wurde ihm die Nachricht bringen, auf die es ankam?

«Seien Sie weiter wachsam, Leutnant. Das zahlt sich hier immer aus.»
        Damit stieg er ins Beiboot, das ihm so gut bekannt war, setzte sich und begru?te den Leutnant im Heck:»Sie haben wohl nicht erwartet, mich so bald wiederzusehen, was, Mr. Munro?»
        Jenour hatte seinen Eltern immer wieder beschrieben, wie wichtig Bolitho seine Leute nahm. Sie dankten es ihm, wenn der Admiral sich an ihre Namen erinnerte und an das letzte Zusammentreffen. Auch Munro, der junge Zweite Offizier, wurde nicht vergessen, da? der Admiral ihn mit Namen angesprochen hatte. Jenour schauderte trotz seines warmen Mantels. Eine durchwachte Nacht, Schiffe unbeleuchtet vor der Kuste, ein geheimer Auftrag: dahinter konnte Gefahr und Tod lauern. Wie hielt Bolitho diese Spannung auf die Dauer aus?

«Da ist sie, Sir Richard!»
        Bolitho drehte sich um, Wasser spritzte ihm von den Riemen ins Gesicht und vertrieb die Mudigkeit aus seinem Kopf. Uber sich sah er Masten vor den ziehenden Wolken aufragen, horte die Gerausche des Schiffes, das auf ihn wartete. Befehle hallten durch die Nacht, getragen von einem Wind, der bald kraftig zulegen und auf Sudwest drehen wurde. Blocke quietschten und Pfeifen schrillten, signalisierten den Mannern auf dem schlupfrigen Deck oder auf den nassen Rahen, was sie zu tun hatten. Bolitho schaute hoch. Da oben war kein Platz fur Ungeubte. Jemand schrie auf vor Furcht, aber ein Schlag lie? ihn verstummen. Kapitan Poland hatte hier sicherlich seine Besatzung aufgefullt. Jedenfalls waren Landratten an Bord, die nun auf schmerzhafte Weise zu lernen begannen.
        Bolitho dachte an Catherine. Die Zeit mit ihr war wieder viel zu kurz gewesen. Er hatte nicht lange genug nach einem Schmuck fur sie suchen konnen, auch fur eine Konsultation beim Arzt hatte die Zeit nicht gereicht, so wenig wie fur seine Tochter Elisabeth, die er vor Jahren das letzte Mal gesehen hatte: ein Puppchen, das ihm kaum einen Blick schenkte.

«Boot ahoi!«scholl es durch die Nacht.
        Alldays kraftige Stimme antwortete:»Flagge. Fur Truculent!»
        Bolitho konnte sich vorstellen, was jetzt an Bord geschah. Ohne Zweifel wurde Kapitan Poland Offiziere und Manner auf Trab bringen, um den Admiral gebuhrend begru?en zu konnen.
        Der Buggast hakte an den Gro?rusten ein, andere packten zu, um das Dumpeln des Bootes in der kraftigen Stromung zu dampfen. Bolitho kletterte hinauf und trat durch die Pforte. Poland stand mit seinen Offizieren wie erwartet da, dem Anla? entsprechend in gro?er Uniform - selbst zu dieser Nachtstunde.
        Er schuttelte Poland die Hand.»Ich gratuliere Ihnen, Kapitan Poland.»
        Im schwankenden Licht einer Laterne glitzerten jetzt zwei Epauletten auf den Schultern des Kommandanten. Er hatte endlich seinen vollen Kapitansrang erreicht.

«Besten Dank, Sir Richard. Ihrem Bericht verdanke ich meine Beforderung.»
        Bolitho sah, wie die Gig hochgehievt, uber die Netze gehoben und in ihren Klampen festgezurrt wurde. Er spurte, wie schnell alles ging und wie eilig es die Fregatte hatte, Anker zu lichten.

«Das hier wird ganz anders als in Afrika«, sagte er.
        Poland richtete sich auf, schien kurz zu prufen, ob in Bolithos Worten eine Falle steckte, fand keine und gab zu:»Ich wei? nur das Ziel unserer Reise, Sir Richard, mehr nicht.»
        Trostend beruhrte Bolitho seinen Arm. Armer Poland. Wie so viele Kapitane hatte er geglaubt, mit diesem Rang nun zum Kreis derer zu gehoren, denen die da oben alles mitteilten. Aber dem war nicht so. Man bekam mit der zweiten Epaulette nur mehr Verantwortung, nicht mehr Informationen.
        Poland wandte sich an seinen Ersten:»Stellen Sie genugend Manner ans Ankerspill. Wir segeln, sobald die Tide kentert. «Und an Bolitho gewandt:»Wenn Sie mir bitte folgen wurden, Sir Richard? Ein Gast wird mit uns reisen.»
        Wahrend die Fregatte in der Dunkelheit zum Leben erwachte, betrat Bolitho die Achterkajute, die er in langen einsamen Wochen so gut kennengelernt hatte. Als erstes entdeckte er eine gelockte Perucke auf einem Stander, dann sah er einen Mann auf sich zukommen, der sich offensichtlich noch nicht an die Bewegungen des Schiffs gewohnt hatte.
        Er sah alter aus, gebeugter. Oder lag das nur an den schwankenden Laternen? Sein schutteres Haar war zu einem altmodischen, dunnen Zopf geflochten. Der Mann war bestimmt sechzig, wenn nicht alter. Er legte den Kopf schrag und beaugte Bolitho wie ein neugieriger Vogel.»Es ist Jahre her, seit wir uns das letzte Mal sahen, Sir Richard.»
        Bolitho ergriff die ausgestreckte Rechte mit beiden Handen.»Charles Inskip! Wie konnte ich das jemals vergessen. Sie berieten mich damals, als ich in diplomatischem Auftrag unterwegs war - ebenfalls nach Kopenhagen.»
        Sie betrachteten einander lachelnd.»Der Konig hat geruht, meine Dienste ebenso zu honorieren wie die Ihren, Sir Richard. Ich bin jetzt Sir Charles Inskip - dank seiner Gute!«Sie lachten beide.

«Ja, diese Zeremonie kostet Nerven!«Ob Seine Majestat in dem Augenblick, als er Inskip geadelt hatte, seinen Namen genauso vergessen hatte wie zuvor den Bolithos?
        Kopenhagen… Bolitho war damals hingeschickt worden, um mit den Danen zu verhandeln. Napoleon hatte verlangt, da? die gesamte danische Flotte den franzosischen Admiralen ubergeben wurde. Man konnte sich nicht einigen, und so kam es zur Schlacht von Kopenhagen. Dabei hatte Nelson den Befehl seines Oberkommandierenden mi?achtet und den Angriff allein vorgetragen.
        Rufe ertonten von oben und dann das Knattern von Leinwand, die endlich befreit wurde. Er spurte, wie die Truculent sich uberlegte und Fahrt aufnahm.
        Inskip beobachtete ihn.»Sie waren wohl selber gerne oben und wurden das Schiff fuhren?«Bolitho nickte und setzte sich. Ein Diener trat ein, ein Tablett mit Glasern und Weinkaraffe balancierend.
        Inskip seufzte.»Wir kehren an den Ort unserer Taten zuruck, Sir Richard. «Er schlug auf seine Rocktaschen.»Hier trage ich eine Zusage, in der anderen eine Drohung. Ich werde Ihnen sagen, um was es diesmal geht. «Er unterbrach sich, als die Fregatte sich stark uberlegte.»Oh - ich war wohl zu lange an Land. Mein Magen la?t mich wieder im Stich.»
        Auch der Diener, offensichtlich mit Inskip aus London gekommen, hatte seine Schwierigkeiten. Mit unbewegtem Gesicht bemuhte er sich, den Wein ohne Pannen einzuschenken.
        Bolitho tastete in seiner Tasche nach dem Facher, den Catherine ihm als Souvenir mitgegeben hatte.»Ich hore Ihnen gerne zu, Sir Charles, aber welche Rolle ich dabei spielen soll, ist mir noch schleierhaft.»
        Inskip hob das Glas gegen das Licht. Er war ein erfahrener
        Regierungsvertreter fur skandinavische Angelegenheiten, doch in diesem Augenblick sah er aus wie ein Dorfschulmeister.

«Sie kennen ja die Danen«, begann er.»Es gibt vernunftige Manner in Kopenhagen, aber leider auch viele, die einen Kompromi? mit Napoleon befurworten. Doch das ware nur ein anderes Wort fur Unterwerfung, denn Napoleons Armee steht an den Grenzen Danemarks.»
        Bolitho sah auf das Gold an seinem Armel nieder. Also wieder einmal eine undankbare Aufgabe.
        Im ersten Morgengrauen stand der Vizeadmiral auf der Luvseite des Achterdecks und sah sich um. Die nachlaufenden Seen lie?en das Schiff unruhig gieren, und immer wieder schlug Spritzwasser an Deck. Kapitan Poland kam in triefendem Olmantel uber die glatten Planken heran.

«Wir werden bei Tagesanbruch im Kleinen Belt stehen, Sir Richard«, rief er. Seine roten Augen verrieten Mangel an Schlaf. Fur ihn war es eine harte Reise gewesen. Kein weiter Ozean unter freundlich blauem Himmel mit stetigem Passatwind, kein Tafelberg als weithin sichtbare Landmarke. Truculent war durch den engen Kanal geprescht und hatte dann mit Nordostkurs die Nordsee uberquert, auf Danemark zu. Unterwegs waren ihnen nur ein englischer Schoner und eine englische Fregatte begegnet. Erkennungssignale wurden ausgetauscht, dann hatten Regenboen die Schiffe verschluckt. Sie mu?ten sehr sorgfaltig navigieren, vor allem als sie ins Skagerrak liefen und dann nach Suden abdrehten. Es war bitterkalt, Bolitho schauderte unter seinem Bootsmantel.»Eine schwierige Passage, Kapitan«, sagte er. Polands rotgeranderte Augen musterten ihn fragend, suchten vergeblich nach verborgener Kritik.»Ich gehe unter Deck. Rufen Sie mich, wenn Sie etwas Wichtiges sichten.»
        Catherine wurde sich gramen, denn die Reise dauerte doch langer. Eine ganze Woche hatten sie allein bis hierher gebraucht.
        Unter Deck war es sehr ruhig nach dem heulenden Wind und dem Gurgeln der Seen. Am Posten vorbei betrat Bolitho seine Kajute. Auch sie war feucht und kuhl, und die Heckbank unter den Fenstern glanzte na?, als stunde sie oben an Deck.
        Sir Charles Inskip sa? am Tisch unter der schwankenden Lampe und las Papiere, die ihm sein Diener reichte. Er sah auf, als Bolitho sich dazusetzte.»Kommt dieses Schiff denn nie zur Ruhe?»
        Bolitho reckte die Arme, um sich zu entspannen.»Schauen Sie mal auf die Karte«, riet er Inskip.»Da, wo ich gestern ein Kreuz machte, stehen wir jetzt. Bald werden wir Helsingor sehen.»

«Dort erwartet uns ein danisches Begleitschiff. «Inskip schien nicht sehr glucklich daruber.»Danach sind wir ganz in ihren Handen. Hoffentlich nicht allzu lange!»
        Sie sahen alle auf, als drau?en ein Schrei ertonte, den der Wind davontrug.»Was war das?«fragte Inskip.»Land in Sicht«, lachelte Bolitho. Inskip bat seinen Diener, ihm den schweren Mantel zu holen.»Ich gehe nach oben.»
        Allday legte ein Handtuch um Bolithos Hals. Poland wurde sich erst melden, wenn es wirklich Helsingor war. Wahrend Allday ihn rasierte, schlo? Bolitho die Augen. Wie der erste Becher Kaffee am Morgen, so war ihm auch die Rasur ein Anla?, sich zu sammeln und nachzudenken. Allday hob die Klinge und wartete, da? die Schiffsbewegungen ruhiger wurden. Er hatte sich immer noch nicht an Bolithos kurzen Haarschnitt gewohnt. Aber er hatte den abgeschnittenen Zopf gerettet, ungesehen in einem Tabaksbeutel nach Hause gebracht und ihn Lady Catherine uberreicht. Ihre Augen hatten vor Freude und Uberraschung geblitzt.
        Als Allday nach getaner Arbeit sein Messer zusammenklappte, trat Poland ein.»Wir haben Helsingor voraus, Sir Richard. «Eine Pfutze bildete sich um seine Fu?e, er wartete.

«Sehr gut. Ich komme gleich. «Poland verschwand, und Bolitho lie? sich in seinen schweren Mantel helfen. Wieder schlug ein Schwall Wasser ubers Skylight. Die Tur ging auf, Inskip und sein Sekretar kamen von Deck zuruck. Sie offneten ihre Seekisten und riefen nach dem Diener. Fur die erste Begegnung mit den Danen wollten sie die passende Kleidung tragen.
        Inskip sagte atemlos:»Wir haben ein Schiff gesichtet. Gewi? unseren danischen Begleiter. «Bolitho horte das Poltern der Lafetten, Poland lie? also die Laschings der Kanonen losen und sie fur alle Falle laden. Typisch fur ihn - er ging kein Risiko ein.

«Dann wollen wir mal«, sagte Bolitho. Allday zupfte ihm ein Fadchen vom Rock und schritt prufend um seinen Admiral. Die breiten goldenen Litzen, die Medaille fur die Teilnahme an der Schlacht von Abukir, der alte Degen - Bolitho sah aus wie einer seiner Vorfahren auf den Portrats im alten Herrenhaus.

«Dann wollen wir mal sehen«, meinte er,»was da auf uns zukommt.»



        XII Sturmwarnung

        Sir Charles Inskip sah ubellaunig aus dem schmalen Fenster, dessen Scheiben unter einer Regenbo zitterten.»Diese Behandlung hatte ich nicht erwartet«, schnaufte er.
        Bolitho trat neben ihn und sah auf die Schiffe hinaus, die vor ihnen im Hafen ankerten. Die dicken Eisengitter vor den Fenstern gefielen ihm nicht, ebensowenig die Art, jeden Danen von ihnen fernzuhalten. Zwar waren ihre Raume in der Festung recht bequem, doch abends wurden die Turen abgeschlossen. Er sah drunten Truculent an ihrer Ankertrosse zerren, sie sah einsam und verletzlich aus. Die gro?e danische Fregatte Dryaden, die sie hierher eskortiert hatte, ankerte nur zwei Kabellangen entfernt. Bolitho lachelte. Das war nicht gerade ein Zeichen des Vertrauens. Ebensowenig, da? Truculent ein Ankerplatz genau unter den gro?ten Kanonen der Festungsbatterie zugewiesen worden war. Kein sehr gesunder Platz, falls es zum Schlimmsten kam.
        Sie warteten schon volle sieben Tage. Bolitho zwang sich, nicht standig daruber nachzudenken. Inskip hatte ihm immer wieder versichert, sie lagen hier auf Wunsch eines danischen Ministers. Dieser Christian Haarder wollte angeblich unbedingt verhindern, da? sein Land in den Krieg hineingezogen wurde - gleichgultig, ob auf Englands oder auf Frankreichs Seite. Danemark besa? eine stolze Flotte trotz der schweren Verluste, die es vor funf Jahren in diesen Gewassern erlitten hatte. Die Danen hatten sicher alle ihre Schiffe von den Inseln und vom Festland hier versammelt und unter ein Oberkommando gestellt. Ein kluges Vorgehen.

«Ich habe zwei Botschaften an ihn geschickt. Auch der Hof ist informiert, aus Hoflichkeit. Meine Briefe hatten langst zu einem Gesprach fuhren mussen!«Inskip war ungehalten.

«Die Leute werden sich fragen, was ein englisches Kriegsschiff hier will. «Bolitho beobachtete eine schnittige Galeere, die langsam an der Truculent vorbeiruderte. Die langen roten Riemen hoben und senkten sich im Gleichtakt, als kame die Besatzung geradewegs aus der Antike. Doch diese Galeeren waren gefahrlicher, als sie aussahen. Sie konnten jedes Segelschiff ausmanovrieren, wie Bolitho aus eigener boser Erfahrung wu?te. Ihre schwere
        Bugkanone konnte das Heck jedes Kriegsschiffes zertrummern, ohne Gegenwehr furchten zu mussen. Wen mehrere Galeeren gleichzeitig angriffen, der wurde schnell zu einem Wrack, das diese behenden Wolfe der See zerrissen.

«Die Leute werden es bald erfahren, wenn wir hier noch langer liegen mussen«, knurrte Inskip.
        Allday sammelte die Kaffeebecher ein, obwohl das eigentlich die Aufgabe von Inskips Diener gewesen ware, der sich im Nebenraum zu schaffen machte. Bolitho sah auf die Uhr. Jenour hatte langst zuruck sein mussen. Inskip hatte ihn vor Stunden mit einem weiteren Brief losgeschickt.

«Glauben Sie, da? die Franzosen in die Sache involviert sind?»
        Inskip brachte seine Gedanken in Kiellinie.»Die Franzosen? Sie sehen die wohl uberall, Bolitho. Aber vielleicht ist es tatsachlich so.»
        Er unterbrach sich, als Agnew, sein Diener, mit vor Kalte roter Nase durch den Turspalt spahte.»Der Leutnant kehrt zuruck, Sir Charles.»
        Inskip ruckte seine Perucke zurecht und stellte sich in Positur.»Er kommt nicht allein, wie man hort.»
        Die Tur flog auf, Jenour trat ein. Hinter ihm erschien der Kommandant der Dryaden und ein gro?er Mann in dunklem Samtmantel, der nur Minister Haarder sein konnte.
        Man begru?te einander mit Verbeugungen, doch nur Inskip bot Haarder die Hand. Wie alte Gegenspieler standen sie sich gegenuber, dachte Bolitho, und schienen sich abzutasten.
        Dann blickte Haarder Bolitho an.»An Sie erinnere ich mich noch von Ihrem letzten Besuch hier.»
        Bolitho horte keinen feindlichen Unterton in den Worten des Ministers.»Damals wurde ich mit gro?er Hoflichkeit empfangen«, sagte er, und jedermann verstand, was er unausgesprochen lie?: aber diesmal nicht!
        Haarder zuckte mit den Schultern.»Wir machen uns keine Illusionen, Admiral. Die danische Flotte ist wieder eine Beute, die sich jeder gern einverleiben«, seine Augen funkelten,»oder auf den Grund des Meeres schicken wurde, falls ihm ersteres nicht gelingt. «Ernst sah er sie an.»Meine Ministerkollegen sind von Ihren guten Absichten nur schwer zu uberzeugen. «Er hob die Hand, um Inskips Protest zu unterdrucken.»Falls es stimmt, da? die Franzosen den
        Oberbefehl uber unsere Flotte anstreben, und das unterstellen Sie ja wohl - was sollen wir dagegen tun, meine Herren? Sollen wir gegen sie kampfen? Und konnten wir diesen Kampf gewinnen, wenn doch das starke England schon zwolf Jahre lang vergeblich gegen Frankreich anrennt? Ehe Sie uns verurteilen, denken Sie lieber uber unsere Lage nach. Wir wollen nur Frieden, selbst mit unseren alten Gegnern, den Schweden. Wir wollen Handel, nicht Krieg - kommt Ihnen das so fremd vor?»
        Inskip lehnte sich zuruck.»Sie konnen oder wollen uns in dieser Sache also nicht helfen?»
        Haarder sah ihn mitfuhlend an.»Ich hatte darauf gehofft. Aber meine Stimme ist nur eine gegen viele.»
        Bolitho gab noch nicht auf.»Nie wieder sollte Danemark solche Verluste einstecken mussen wie beim letzten Mal«, sagte er.»Darin werden Sie mir sicher zustimmen.»
        Haarder erhob sich.»Ich werde es noch einmal versuchen«, antwortete er.»Inzwischen wird Kommandant Pedersen von der Dryaden Sie in offene Gewasser zuruckbegleiten.
«Er uberreichte Inskip einen versiegelten Umschlag.»Fur Ihren Premierminister von jemandem, der viel machtiger ist als ich.»
        Inskip starrte auf den Umschlag.»Lord Grenville mag solche Provokationen ebensowenig wie damals Mr. Pitt. «Er streckte dem Danen die Hand hin.»Aber wir sind ja noch nicht am Ende.»
        Haarder schuttelte sie nachdrucklich und sagte betont:»Wir haben noch nicht mal angefangen, alter Freund. «Zu Bolitho gewandt, fuhr er fort:»Ich bewundere, was Sie auf See und an Land erreicht haben. Mein Konig hatte Sie gern empfangen, aber wir sind da in der Klemme. Wer dem einen einen Vorteil gewahrt, mu? ihn auch dem anderen bieten, verstehen Sie?»
        Verbeugungen, Handeschutteln, und dann war Haarder gegangen. Hoflich meldete sich der danische Kapitan:»Erlauben Sie?«Einige bewaffnete Seeleute betraten den Raum, um das Gepack der Gaste an Bord zu schaffen.»Eine Gig wird Sie auf Ihr Schiff zuruckbringen. Danach«, er sprach hoflich, aber deutlich,»werden Sie bitte meine Anweisungen befolgen!»
        Als der Kommandant den Raum verlassen hatte, fragte Inskip:»Warum haben sie uns blo? auf ihre Entscheidung so lange warten lassen? Wozu sieben Tage, wenn uns Haarder nur ausrichten sollte, da? Danemark neutral bleibt?»
        Bolitho sah sich um, als suche er Allday, aber er wollte nur vermeiden, da? Inskip sein Gesicht sah. Denn eine scheinbar hingeworfene Bemerkung Haarders war in seinem Kopf explodiert wie eine Morsergranate. Oder hatte der Dane nur mit Worten gespielt? Hatte er da etwas gesagt, was nur ein Seemann, kein Diplomat verstehen konnte?

«Klemme«, hatte er gesagt. Und: Vorteil fur den einen, Vorteil fur den anderen. War das eine Warnung gewesen?

«Wenigstens werden wir bald nach England zuruckkehren«, meinte Jenour.»Noch ehe die Wintersturme einsetzen. Immerhin ein Trost.»
        Bolitho fuhrte ihn am Arm zum Fenster.»Stephen, man hat uns hier mit Absicht so lange warten lassen. Das war kein Zufall. «Er sah, da? Jenour ihn verstand.»Aber kein Wort daruber, zu niemandem! Sorgen Sie nur dafur, da? wir so schnell wie moglich ankeraufgehen und auslaufen.»
        Allday beobachtete sie und erkannte, wie hellwach Bolitho plotzlich geworden war, wie sich der junge Leutnant straffte. Jenour konnte seine Gefuhle noch nicht ganz verbergen. Er legte Bolitho das Gehenk um.»Den Degen werden Sie wohl sicher bald brauchen, Sir Richard.»
        Inskip kam in den Raum zuruck und sah sie beide an.»Sie halten das sicher fur einen vergeblichen Ausflug?»
        Bolitho verbarg seinen Grimm, jetzt, da er die Gefahr erkannt hatte.»Wollen hoffen, da? es wirklich nur ein Ausflug gewesen ist.»
        Eine Kutsche brachte sie unter Bewachung das kurze Stuck zur Mole, wo die Gig wartete. Inskip wickelte sich in seinen Mantel, nickte dem danischen Kapitan kurz zu und setzte sich ins Heck, offensichtlich noch in Gedanken bei dem, was ihm Haarder mitgeteilt und was er verschwiegen hatte.
        Bolitho sah zu, wie das Gepack verstaut wurde. Die regenverhangene Stadt wirkte mit ihren grunen Turmen und schonen Giebeln wie ein Aquarell, dessen Farben im Regen verliefen. Catherine hatte den Anblick gemocht. Der Kommandant beobachtete ihn. War es nur Neugier auf den seit Nelsons Tod jungsten Vizeadmiral der Royal Navy? Oder sollte er verhindern, da? Bolitho Kontakt zu Leuten an Land aufnahm?

«Ich wunsche Ihnen eine gute Heimreise, Sir Richard. Werden wir uns wiedersehen?»
        Nein, dieser Kapitan ahnte sicher nicht, warum man sie hatte so lange warten lassen.»Hoffentlich in friedlicheren Zeiten, Captain Pedersen. «Damit kletterte er ins Boot.
        Die Passagiere schwiegen wahrend der kurzen Uberfahrt, man horte nur die Kommandos des Bootsfuhrers. Ein Wachboot ruderte vorbei, der Leutnant gru?te. Alles geschah nach Vorschrift, ganz wie im Frieden. Dabei war Bolitho fast sicher, da? er nachstes Mal Captain Pedersen uber den Mundungen ausgerannter Kanonen wiedersehen wurde, kurz vor einer Breitseite.
        Kapitan Poland und seine Offiziere begru?ten die Ankommlinge erleichtert an Bord der Truculent. In einem eiskalten Regenschauer loste sich die danische Gig von ihren Gro?rusten und verschwand.

«Bitte gehen Sie sofort ankerauf, Kapitan Poland«, befahl Bolitho.»Die Dryaden wird uns zwar durch den Belt begleiten, aber die Truculent ist schneller. Sobald wir die Enge hinter uns haben, mu? die Truculent so schnell sein wie damals auf der Reise nach Kapstadt. «Wenn Poland ihn doch blo? nicht so anstarren wollte!» Ich erklare Ihnen alles spater genauer, aber ich furchte, wir werden bald kampfen mussen.»
        Poland fuhr hoch.»Naturlich, Sir Richard!«Sein Blick suchte den Ersten Offizier. Wenn es zum Kampf kommt, wird mein Schiff Sie nicht enttauschen. «Doch da hatte der Vizeadmiral ihn bereits verlassen. In der Achterkajute ging Bolitho sofort zur Seekarte. Wassertropfen aus Haar und Mantel fielen auf das Papier. Das Ankerspill klickte, am Vorschiff sang ein Shantymann, Wasser gurgelte um das Ruder. Das Schiff erzitterte. Gleich mu?te Poland den Anker frei haben. Er wurde das Schiff sicher aus dem Hafen und dem Belt fuhren.
        Das andere war dann nicht mehr seine Sache. Bolitho beugte sich uber die Karte.
        Eine Hand auf der Schulter weckte ihn. Sein Flaggleutnant stand neben der Koje, eine Lampe in der Hand, das Gesicht regennass.»Erstes Tageslicht, Sir Richard. Sie wollten geweckt werden. «Jenour schluckte und schlug die Hand vor den Mund.»Mir ist schlecht…»
        Bolitho horte das Tosen von Wind und Wellen, das Stohnen und Knarren des Holzes. Die Fregatte kampfte sich durch einen ausgewachsenen Sturm. Er horte jemanden stohnen, wahrscheinlich
        Inskip nebenan. Jetzt sah er auch Alldays Gestalt im Hintergrund der Kajute, schrag geneigt wie ein Baum im Wind. Er naherte sich mit einem halbvollen Becher Kaffee.»Der letzte fur lange Zeit, Sir Richard. Die Kombuse steht unter Wasser.
«Dann sah er Jenour an und spottete:»Sie brauchen wohl ein Stuck Speck am Faden? Jenour verschwand eiligst.
        Bolitho trank den hei?en Kaffee in kleinen Schlucken.»Was liegt an?»
        Allday fand Halt an einem Deckenbalken.»Wir laufen noch immer unter gerefften Marssegeln und Kluver. Der Kommandant wollte nicht Segel kurzen, bis ihm das Gro?bramsegel in Streifen davonflog. Der Master sagt, der Dane hat jetzt abgedreht.»
        Bolitho glitt aus der Koje, und Allday nahm die Blenden von der Lampe, als er sich uber die Karte beugte. Poland machte gute Fahrt trotz des schlechten Wetters, das sie hinter der Enge erwartet hatte. Die Truculent stand jetzt im nordlichen Kattegat und wurde bald halsen, um mit Sudwestkurs durchs Skagerrak in die Nordsee zu laufen, sich freizusegeln von der Kuste und den Fischern, die sich bei diesem Hundewetter immer noch hinaus wagten.

«Der Wind hat seit der ersten Wache gedreht«, berichtete Allday weiter.»Jetzt haben wir einen steifen Nordost, direkt vom Nordpol und stark genug, um jede Spiere zu brechen. «Er half Bolitho in den schweren Olmantel.
        Oben an Deck klammerten sie sich beide an einen Neunpfunder. Allday spurte in der bei?enden Kalte plotzlich seine alte Wunde, sie schmerzte wie ein frischer Schnitt quer uber die Brust. Bolitho streckte ihm den Arm hin.»Halt dich fest!»
        Der Schmerz verebbte.»Schei?wunde«, knirschte Allday und versuchte ein grimmiges Lacheln.»Piesackt mich, wann sie will, ohne da? man's vorher ahnt.»

«Du kennst meinen Vorschlag«, antwortete Bolitho,»er gilt immer noch. Du kannst dich jederzeit in Falmouth zur Ruhe setzen. «Er merkte, wie Allday seine Krafte sammelte.»Du hattest es jedenfalls langst verdient nach allem, was du fur dein Land getan hast. Und fur mich.»
        Allday wartete, bis das Deck sich wieder hob.»Und dann, Sir Richard? Soll ich in der Kneipe rumhangen und Garn spinnen wie die anderen Teerjacken? Oder den Schafhirten spielen? Vielleicht eine reiche Witwe heiraten? Von denen gibt's ja genug nach zwolf
        Jahren Krieg.»
        Bolitho gab es auf. Es hatte keinen Sinn, Allday uberzeugen zu wollen. Au?erdem raubte ihm der Wind fast den Atem. Beide Wachen waren an Deck, reagierten auf die Kommandofetzen und schlitterten durchs Wasser, das die Seitendecks spulte.
        Poland hielt sich an der Achterreling fest.»Tut mir leid, Sir Richard, da? Sie so unsanft geweckt wurden.»
        Bolitho lachelte.»Das Wetter kann man Ihnen wirklich nicht anlasten. «Hatte Poland das uberhaupt gehort? Lauter fragte er:»Wo stehen wir jetzt?»
        Poland deutete nach Lee voraus.»Da liegt Kap Skagen. In einer halben Stunde halsen wir. «Seine Stimme war rauh vom Befehlen in der sturmischen Nacht.»Wir haben kaum eine Stunde verloren.»
        Bolitho nickte.»Ich wei?. Sie fuhren das Schiff sehr gut.»

«Die Dryaden hat in der Nacht eine Marsrah verloren und ihren Besan«, sagte Poland zufrieden.»Die sehen wir so bald nicht wieder.»
        Bolitho fror. Gut, da? er wenigstens seinen Morgenkaffee getrunken hatte, den letzten fur lange Zeit, wenn Allday recht behielt.
        Die danische Fregatte war also au?er Sicht, allenfalls noch vom Masttopp aus zu entdecken. Aber wer mochte bei diesem Sturm da oben Ausguck gehen?
        Poland rief etwas, als vier Manner an ihm vorbeirannten, um die Gig festzuzurren, die sich loszurei?en drohte. Sie wateten hufttief durch das eiskalte Wasser und schienen im nachsten Augenblick hoher zu sein als das Achterdeck.

«Drei Manner liegen unten mit Verletzungen«, rief Poland Bolitho zu.»Keine Druckeberger, der Schiffsarzt hat mir das bestatigt!»
        Bolitho duckte sich vor einem Schwall Gischt. Das war wieder mal typisch Poland, dachte er und rief:»Wenn wir erst aus dem Skagerrak sind, hilft uns dieser Wind sehr. «Poland nickte, ohne ihn zu verstehen.»Uber die Nordsee wird uns jemand begleiten. Sie konnen dann die Segel kurzen, eventuelle Reparaturen ausfuhren und das Feuer in der Kombuse wieder anzunden lassen.»
        Poland war keineswegs uberrascht, da? Bolitho von dem geloschten Herdfeuer wu?te. Sie haben sicher die Zest hierher befohlen, nicht wahr?»
        Bolitho nickte. Es war gut, da? er fur diesen Fall vorgesorgt und Varian mit der Zest vors Skagerrak beordert hatte. Falls seine Annahme nicht stimmte, hatte er nichts verloren. Doch wenn sie stimmte.

«An Deck! Der Dane dreht ab!»
        Poland bewegte sich mit der Leichtigkeit des erfahrenen Seemanns, als eine gewaltige See die Truculent vorn anhob, sie steil klettern und dann schnell ins Tal gleiten lie?. Kalter, bei?ender Gischt spruhte auf. Bolitho trat an die Seitenreling und suchte mit zusammengekniffenen Augen die Kimm an Backbord ab. Da lag der Schimmer von Land, naher als zwei Meilen. Poland lief so hoch er konnte, um Skagen sicher zu runden.

«Alle Mann an Deck! Klar zum Halsen!»
        Wie alte mude Manner taumelten Matrosen und Seesoldaten an die Schoten und Brassen, zermurbt von der unbarmherzigen See und dem fauchenden Wind.

«Mr. Williams, Ihre besten Toppgasten nach oben! Ich mochte auf dem neuen Kurs sofort die Bramsegel setzen. «Poland sah Hull, den Master, fast drohend an.
        Williams hob das Sprachrohr.»Klar auf dem Achterdeck!«Er wartete, schatzte den richtigen Augenblick ab.»Fall ab drei Strich nach Backbord.«Argerlich drohte er mit dem Sprachrohr, als eine See zwei Manner in die Netze fegte. Sie kletterten wasserspuckend zuruck.

«Mr. Lancer! Noch vier Mann an die Leebrassen!«Poland nickte, das Kinn auf die Brust gesenkt.»Ruder nach Luv!»
        Mit donnernden Segeln und quietschenden Blocken ging die Truculent mit dem Heck durch den Wind. Einen Augenblick hielt er sie fast aufrecht, dann lag sie auf dem anderen Bug, und der Sturm pre?te sie wieder ins Wasser.
        Poland sah prufend auf den Kompa?.»Halten Sie genau diesen Kurs, Mr. Hull!»
        Grimmig meldete der Master:»West zu Nord liegt an, Sir.»

«An Deck!»
        Poland sah mit seinen geroteten Augen genervt nach oben.»Was gibt's?»

«Segel an Steuerbord voraus!«brullte der Ausguck herunter. Bolitho nickte vor sich hin.»Schicken Sie einen guten Mann mit einem Fernglas nach oben, Mr. Williams! befahl Poland und fragte sich, woher Bolitho gewu?t hatte, da? hier ein Segel auftauchen wurde.
        Hulls bester Gehilfe enterte auf. Und dann gellte seine Stimme durch den Larm: Kriegsschiff, Sir!«Eine lange Pause.»Kleines Schiff, Sir. Eine Korvette - ja, eine Korvette!»
        Hull bestatigte:»Wenn er Korvette sagt, dann ist es eine.»
        Poland naherte sich Bolitho, tippte gru?end an den Hut.»Ein Franzose, Sir Richard. Korvette. «Und nach kurzem Zogern:»Zu klein, um uns gefahrlich zu werden.»

«Aber gro? genug, um sich an uns zu hangen. Wir werden bald sehen, was passiert.»
        Bolitho blickte erwartungsvoll nach Steuerbord. Naturlich hatte Poland recht, keine Korvette wurde sich an eine Fregatte wagen, die sechsunddrei?ig Kanonen trug. Ihr Kommandant war also sicher, da? irgendwo hinter der Kimm Verstarkung wartete. Bolitho sagte:»Lassen Sie die Kombuse klar machen und das Herdfeuer wieder in Gang bringen. «Poland sah ihn verstandnislos an; an die Kombuse hatte er bei diesem Wetter als letztes gedacht.»Ihre Manner sind jetzt zu erschopft, um zu kampfen. Aber eine hei?e Mahlzeit und eine doppelte Portion Rum fur jeden, Mr. Poland, und Sie haben wieder eine Besatzung, die im Gefecht nicht zaudern wird.
«Poland nickte.»Ich gehe Sir Charles Inskip verstandigen. Auf ihn wartet wieder eine unangenehme Uberraschung.»
        Allday horte, wie ein Matrose in der Nahe seinem Nachbarn in die Rippen stie? und sagte:»Unser Dick macht sich keine Sorgen. Warum sollten wir?»

«Aha, unser Dick«, dachte Allday. Jetzt also waren sie wirklich Bolithos Manner. Er leckte sich die Lippen. Ein Schluck Rum war immer willkommen, vor allem, wenn es vielleicht der letzte im Leben sein wurde.
        Catherine verhielt am Fu? der Treppe und musterte die Stra?e mit ihren eleganten Hausern hinter den entlaubten Baumen. Obwohl es erst spater Nachmittag war, fuhrten die Kutschen schon Laternen. Sie hatte in Begleitung Yovells einige Einkaufe gemacht. Nun winkte sie dem Kutscher.»Heute brauche ich Sie nicht mehr, danke!«Der Kutscher gru?te mit erhobener Peitsche. Er hatte sie von Falmouth nach London gebracht und war wie die Kutsche ein
        Stuck Heimat in der fremden Stadt. Heimat? Catherine lachelte. Falmouth und das gro?e graue Steinhaus waren tatsachlich ihre Heimat geworden.
        Eine von Lord Brownes Dienerinnen eilte die Treppe hinunter ihr entgegen, aber Catherine war schon in der Halle. Durch die offene Tur sah sie vor dem brennenden Kamin in der Bibliothek einen Mann in Uniform stehen.
        Als ihr Puls sich wieder beruhigt hatte, erkannte sie: Es war nicht Bolitho. Der Mann drehte sich um. Ein Kapitan, gro?, mit hellem Haar, blauaugig. Valentine Keen! Er beugte sich uber ihre Hand.»Ich hatte in der Admiralitat zu tun und wollte Sie besuchen.»
        Sie hangte sich an seinen Arm, und zusammen traten sie vor das warmende Feuer.»Sie sind immer willkommen, Val.»
        Auch er kannte Richard schon viel langer als sie, hatte unter ihm als Midshipman und spater als Leutnant gedient und war schlie?lich sein Flaggkapitan geworden. Bitte nennen Sie mich Catherine, wir sind doch alte Freunde. «Sie setzte sich und wies auf einen anderen Stuhl.»Irgendetwas bedruckt Sie, Val. Wir haben uns Sorgen um Sie und Zenoria gemacht. Kann ich irgendwie helfen?»
        Er schien ihre Frage uberhort zu haben.»In der Admiralitat sprach man von Sir Richard. «Er schaute sich um, als erwarte er ihn.»Ist er noch nicht zuruck?»
        Sie schuttelte den Kopf.»Es dauert viel langer als geplant. Heute vor vier Wochen hat er London verlassen.»
        Was fur eine schone Frau, dachte Keen, als sie sich abwandte und ins Feuer starrte. Aber sie konnte nicht verbergen, da? sie sich um Richard gro?e Sorgen machte.

«Einer von Lord Godschales Sekretaren erklarte mir, da? Richard in wichtigem Auftrag unterwegs ist. Aber das Wetter spielt nicht mit. Vor allem in der Nordsee ist es winterlich rauh. Ich denke, sie wettern nur einen Sturm ab. «Keen spurte, da? seine Worte sie ein wenig beruhigten.

«Und was machen Ihre Heiratsplane?»

«Zenoria ist nach Cornwall gefahren, zu einem Onkel, dem sie seit ihrer Kindheit sehr vertraut. Er war lange in Westindien und ist erst kurzlich zuruckgekehrt. Aber wo die beiden sich jetzt aufhalten, wei? ich nicht.»
        Catherine fuhlte seine Verzweiflung mit.»Sie lieben sie?»
        Er nickte, verlegen wie ein Schuljunge.

«Und ich wei?, da? Zenoria Sie liebt. Sie haben ihr nicht nur das Leben gerettet, Sie haben sich auch um sie gekummert, als andere sie verstie?en. Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde sie suchen und finden. Sie mu? lernen, was es hei?t, mit einem Seemann verheiratet zu sein. Und Sie, lieber Val, durfen nicht vergessen, was Zenoria an Schwerem erlebt hat: das Urteil, das Straflingsschiff, die Peitsche. Vielleicht braucht sie noch ein wenig Zeit, Val.»
        Er nickte dankbar.»Ich war bei Godschale, um mich zuruckzumelden. Richard hat mir geschrieben. Ich werde sein Flaggkapitan auf der Black Prince.»
        Sie stand auf und legte ihm die Hand auf die Schulter, neben die einzelne Epaulette.»Das freut mich, Val. Jetzt geht es mir schon viel besser.»
        Die Tur offnete sich, von drau?en wehte Kuhle herein.»Was ist, Maisie?»
        Das Madchen starrte erst sie an, dann Keen.»Entschuldigung, Mylady, aber da ist ein Bote fur den Herrn Kapitan.»
        Keen erhob sich.»Ich habe in der Admiralitat hinterlassen, da? man mich hier erreichen kann.»
        Erschreckt sah sie ihn an.»Bestimmt ist etwas passiert!»
        Keen ging hinaus, kam aber schon kurz darauf wieder. Als er Catherines Hande ergriff, fuhlten sie sich an wie Eis.

«Es war tatsachlich ein Bote von der Admiralitat«, sagte er und griff fester zu, als sie ihre Hande wegziehen wollte.»Bitte, horen Sie mir zu. Richard mochte sicher, da? Sie dies wissen. «Er sah eine Ader an ihrem schonen Hals aufgeregt klopfen.»Es gab ein Seegefecht, und Richards Schiff war hineinverwickelt, schon auf dem Weg zuruck nach England. Mehr wei? man noch nicht. Ein Schoner brachte die Nachricht nach Dover.»
        Sie sah sich in dem gro?en Zimmer um wie ein gefangenes Tier.»Ist er verletzt? Was kann ich tun? Ich kann doch nicht hier sitzen und warten!»
        Er fuhrte sie zu ihrem Stuhl zuruck. Ihre Starke und ihr Mut hatten sie nicht verlassen, sie brauchte nur eine Richtung fur ihr Tun.

«Sie bleiben hier, Catherine. «Als sie widersprechen wollte, fuhr er fort:»Richard wurde genau das von Ihnen erwarten. Und ich bleibe hier bei Ihnen, bis wir mehr wissen.»

«Wann wird das sein?«fragte sie leise.

«Bald. Morgen oder ubermorgen.»
        Sie sah ins Feuer. War es das Ende? Das Ende seines Lebens, das Ende ihrer Liebe? Ein Bote kam und lieferte eine Meldung ab - aus. Plotzlich mu?te sie an Nelson denken und an Emma Hamilton. Die am lautesten seinen Tod beklagten, dachten am wenigsten an die Frau, die Nelson geliebt hatte. Emma Hamilton war schon jetzt vergessen, niemand wu?te, wo sie sich aufhielt.
        Sie stand auf.»Ich mochte mich ein bi?chen zuruckziehen, um an Richard zu denken. Das verstehen Sie doch, Val?»



        XIII In auswegloser Lage

        Bei?endes Licht kroch uber den Morgenhimmel. Bolitho stutzte sich auf die Reling des Achterdecks, sie fuhlte sich vom vielen Salz so rauh an wie Sandstein. Die Truculent bewegte sich auf dem neuen Kurs etwas gleichma?iger.
        Die Sonne suchte den Dunst zu durchbrechen, der uber der Kimm stand. Einzelne Wolken trieben am Himmel, so zerfasert wie die Nebelbanke daheim in Cornwall. Aus der Kombuse roch es noch immer nach hei?em Fett. Die Manner, die an Deck arbeiteten, sahen jetzt besser aus nach einem warmen Fruhstuck und einer doppelten Portion Rum. Bolitho stellte sich die Seekarte vor. Die Fregatte segelte mit Sudwestkurs platt vor dem Wind und schien uber die mitlaufenden Seen zu hupfen. Vierzig Meilen entfernt an Steuerbord lagen die dusteren Fjorde Norwegens und jenseits davon die offene See und die Arktis, die ihnen diesen bei?enden Wind schickte. Drei?ig Meilen voraus, so die Schatzung des Masters, lag an Backbord immer noch ein Stuckchen Danemark. Bis dahin reichte das Patrouillengebiet der Zest.
        Bolitho schirmte die Augen ab und blickte achteraus. Ihr Verfolger war vom Deck aus nicht mehr zu sehen.
        Inskip tauchte an seiner Seite auf, und er erkundigte sich hoflich:»Geht es Ihnen jetzt besser, seit wir die offene See gewonnen haben?»

«Ja, aber das liegt mehr an Ihrem Mann Allday als am Seegang.»
        Inskips sonst so blasses Gesicht war kraftig gerotet, und sein Atem roch nach Rum. Er rausperte sich umstandlich.»Das Rezept hat er selbst erfunden, nehme ich an: hei?er Haferschleim mit viel Rum.»
        Ein paar Schritte entfernt standen Poland und der Erste ins
        Gesprach vertieft. Immer wieder blickten sie zur Mastspitze hoch, und schlie?lich schickte Williams einen Decksoffizier mit einem Teleskop nach oben.
        Inskip fragte beunruhigt:»Was hat das zu bedeuten?«Er deutete achteraus.»Der Franzose kann uns doch nicht mehr gefahrlich werden?»
        Bolitho rieb sich das Kinn, sah im Geiste wieder die Seekarte vor sich.»Die Korvette folgt uns wie ein Jagdhund. Oder wie ein Aasgeier, der wartet, was auf dem Schlachtfeld fur ihn abfallt.»
        Er horte Poland rufen:»Klar bei Gro?segel, Mr. Williams! Diesen Damenwind wollen wir doch nicht verschenken.»
        Durch das Schiff ging ein Ruck, als der Wind in die zusatzliche Segelflache fa?te und es noch schneller durch die Seen jagte. Jenour stand am Kompa?. Ob er ahnte, warum Poland mehr Segel gesetzt hatte?

«Sie nehmen an, wir laufen in eine Falle?«Der Rum machte Inskips Fragen direkter. Wie ware das moglich - und wo ist sie gestellt?»
        Leise antwortete Bolitho:»Man hat uns eine ganze Woche in Kopenhagen warten lassen. Warum wohl?»
        Inskip dachte nach.»Es war eine schwierige, geheime Mission. Konnte da eine Woche dem Feind nutzen?»

«Erinnern Sie sich: Am 4. November letzten Jahres machte der Schoner Pickle in Falmouth fest und brachte uns die erste Nachricht vom Sieg bei Trafalgar und von Nelsons Tod. «Bolitho lie? sich Zeit mit seiner Erlauterung, es war wichtig, da? Inskip alles begriff.»Von Falmouth nach London reiste der Kommandant mit der Expre?kutsche, und am Morgen des 6. November erreichte er die Admiralitat. Fur diesen langen Weg brauchte er nur zwei Tage. Was glauben Sie, schaffen also franzosische Spione in einer ganzen Woche?»
        Er blickte zum Himmel auf. Die Wolken wurden dunner, zwischen ihnen blinkte gelegentlich helles Blau.

«Kurs Sudwest liegt an!«meldete der Ruderganger.

«Sudwest ist gut, Sir Charles, aber wir haben noch vierhundert Meilen vor uns.»
        Poland kam auf sie zu.»Ich wurde gern mehr sudlich laufen, Sir Richard. «Er schaute nach vorn in den Schaum, den ihre
        Galionsfigur beim Einsetzen aufwarf.»Der Weg ist dann zwar langer, aber.»

«Dann wurden wir niemals auf Leutnant Varian treffen, das wissen Sie doch. Warum also dieser Vorschlag?«Poland hielt sich sonst mit Empfehlungen immer zuruck. Warum jetzt nicht mehr?» Haben Sie Grund, an Leutnant Varian zu zweifeln? Dann ware es Ihre Pflicht, mir das zu melden, Kapitan!»
        Poland sah unglucklich drein, aber der Admiral wurde ihn jetzt nicht mehr davonkommen lassen. Also begann er:»Vor ein paar Jahren war ich als Erster Offizier unter Varian in der Karibik. Wir liefen nach Jamaika, auf Anforderung des dortigen Gouverneurs. Auf der Insel tobte ein Sklavenaufstand, und einige Wei?e waren auf ihren Plantagen in hochster Gefahr.»
        Bolitho erinnerte sich. Der Aufstand war in der Zeit des unsicheren Friedens von Amiens ausgebrochen, als man glaubte, der Krieg sei endgultig zu Ende und England und Frankreich seien ausgeblutet. Das bot eine Chance fur die Sklaven auf der Insel, allerdings keine fur die Offiziere, denn im Frieden wurden sie kaum befordert. Da kam ihnen ein Aufstand gerade recht - als langersehnte Chance, sich auszuzeichnen.

«Ich habe davon gehort«, sagte Bolitho.»Es gab viele Tote und eine blutige Rache.»
        Poland schien ihn nicht gehort zu haben.»Ein Handler hatte gemeldet, ein gro?er Sklavenhaufen belagere eine Plantage. Sie lag zu weit von der Kuste, wir konnten unsere Kanonen nicht einsetzen. Varian befahl mir deshalb, die Sklaven mit einer Gruppe bewaffneter Matrosen auszuloschen. «Er wischte sich den Mund.»Als wir ankamen, trafen wir auf keinen Haufen, sondern auf eine blutrunstige kleine Armee. Alle Wei?en waren zerhackt worden. Und die Frauen«, er schauderte in der Erinnerung,»waren sicher dankbar gewesen, als sie endlich sterben durften.»

«Varian ging ankerauf und lie? Sie im Stich, nicht wahr?»
        Poland sah ihn verblufft an.»Aye, Sir Richard. Er nahm an, wir seien genauso zerstuckelt worden wie die armen Leute auf der Plantage. Mit einer Niederlage wollte er auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden. Also segelte er davon, berichtete dem Admiral, er hatte den Kontakt zu uns verloren und uns von See aus nicht mehr helfen konnen. Wenn nicht ortliche wei?e Miliz uns schlie?lich rausgehauen hatte, waren wir wirklich zerstuckelt worden.»

«An Deck! Die Korvette setzt mehr Segel!»
        Poland schien den Ruf nicht gehort zu haben. Im selben sachlichen Ton fuhr er fort:»Varian war noch nie in einem richtigen Gefecht. Er hat Schmuggler gejagt und Piraten aufgebracht, mehr nicht. «Dann richtete sich Poland auf, seine alte Formlichkeit schien zuruckzukehren.»Ich hatte den Vorfall damals sofort melden mussen, unterlie? es aber. Varian empfahl mich fur ein eigenes Kommando, ich bekam die Truculent - und schwieg.»
        Bolitho druckte sich den Hut tiefer in die Stirn. Selbst wenn nur die Halfte von dem stimmte, was er soeben gehort hatte, war Kommandant Varian mit seiner Zest eine Gefahr fur jeden, der sich auf ihn verlie?. Seine Zest war auch am Kap der Guten Hoffnung nicht auf ihrer Station gewesen. Hatte die Miranda sonst uberlebt? War Varian ein Feigling?

«An Deck! Segel in Luv voraus!»
        Poland starrte nach oben und sah dann Bolitho an.»Tut mir leid, Sir Richard, ich habe Leutnant Varian diesmal wohl zu unrecht verdachtigt.»
        Furchtete er jetzt etwa die Folgen seines spaten Bekenntnisses?
        Inskip meldete sich rauspernd.»In Varian irren Sie sich beide. Der ist bestimmt da, wo wir ihn erwarten, und macht den Franzosen Beine.»

«An Deck! Das Schiff in Luv ist eine franzosische Fregatte, Sir!»
        Die Stimme aus dem Ausguck war im ganzen Schiff zu horen. Bolitho bemerkte, wie alle Gesichter sich zu ihm kehrten, nicht zum Kommandanten.
        Zest erwartete sie also nicht. Sie sa?en in der Falle.
        Bolitho sah in Inskips gerotetes Gesicht.»Ich furchte, wir haben uns nicht geirrt, Sir Charles. «Er drehte sich zu Poland um.»Klar Schiff zum Gefecht, bitte.»

«An Deck! Zweites Segel hinter dem ersten!»
        Der Ruderganger stohnte laut auf.

«Die Korvette hat die Trikolore gesetzt!»
        Poland fuhr sich mit der Zunge uber die Lippen. Also zwei feindliche Schiffe auf Annaherungskurs und ein drittes wie ein Jagdhund in ihrem Kielwasser. An Steuerbord druckte der Wind mit ganzer Kraft, an Backbord drohte die danische Kuste. War die Truculent jetzt gefangen? Sollte er auf Land zulaufen bis zur
        Strandung - oder sollte er sich stellen, um von dieser Ubermacht zerschossen zu werden? Mit erloschenem Blick befahl er seinem Ersten Offizier:»Alle Mann an Deck und dann klar zum Gefecht!»
        Die Trommler der Seesoldaten rannten an ihre Platze. Allday uberquerte das Deck, das Entermesser achtlos im Gurtel. Jenour ruckte seinen Degen gerade und blickte entschlossen nach achtern, als die Trommeln zu wirbeln begannen.

«Und wenn die Zest doch noch kommt?«Nur Bolitho horte Inskips Frage, als die Manner durch die Decks rannten und uberall Zwischenwande abgeschlagen wurden, damit sie niemanden behinderten.»Warum sind es gleich drei Schiffe?«klagte er.
        Bolitho sah an Gaffel und Gro?mast ihre Kriegsflagge auswehen. Die Aufforderung zum Gefecht war angenommen.

«Die Franzosen wu?ten von unserem Auftrag«, sagte er zu Inskip.»Einer der erfahrensten Gesandten Seiner Majestat war unterwegs nach Danemark mit einem Flaggoffizier. Darauf hatten die Franzosen nur gewartet. Wenn man uns hier gefangennimmt, kann Napoleon die Danen wegen ihrer Geheimgesprache mit uns unter Druck setzen. Und damit vielleicht Schweden und Ru?land bewegen, auf seine Seite uberzugehen.»
        Inskip schwieg bedruckt und beobachtete die Manner an den Kanonen, wie sie die Zugseile losten und mit Handspaken die Rohre in die richtige Position druckten. Quer uber das Oberdeck wurden oben Netze aufgeriggt, um die Besatzung vor fallenden Trummern zu schutzen. Auch die Boote wurden von ihren Klampen gehievt und zu Wasser gebracht. Bei Beschu? waren sie eine Quelle gefahrlicher Splitter - und nach dem Gefecht eine zusatzliche Beute fur den Sieger. Fur die meisten Matrosen aber bedeuteten sie eine Chance zu uberleben, und mancher sah ihnen duster nach.
        Die Seesoldaten luden ihre Musketen und pflanzten die Bajonette auf. Sie wurden auch auf die eigene Besatzung schie?en, falls einer in Panik davonlief.

«Schiff ist klar zum Gefecht!«meldete Williams mit entschlossenem Blick.

«Sehr gut, Mr. Williams«, antwortete Poland distanziert.»Aber noch nicht laden und ausrennen. «Seine Augen waren so starr, als sei er bereits tot.
        Inskip beruhrte Bolitho am Armel.»Wollen Sie wirklich gegen drei Schiffe kampfen?»
        Bolitho antwortete ihm nicht direkt.»Hei?en Sie meine Flagge im Vortopp, Kapitan Poland. Damit man wei?, wer an Bord ist.»
        Inskip lie? die Schultern sinken. Deutlicher hatte die Antwort nicht ausfallen konnen.
        Der Himmel klarte in der nachsten Stunde auf, die Sonne durchbrach die Wolken, brachte aber keine Warme. Schaumflocken flogen uber die Netze, und wen sie trafen, der erschauerte wie unter dem Anprall von Eis.
        Bolitho bat den altesten Midshipman um sein Teleskop und ging zu den Besanwanten. Ohne Hast enterte er in die Webleinen auf und beobachtete den Feind durchs Glas.
        Die erste franzosische Fregatte war auf ihrem konvergierenden Kurs gut zu erkennen. Jedes Segel war gesetzt und stand prall im Wind. Sie war gro?, Bolitho schatzte sie auf vierzig Kanonen. Die zweite war kleiner, etwa so gro? wie die Truculent. Unschwer konnte er sich auf ihr den Larm vorstellen, das gleiche Quietschen der Lafetten, die gleiche Ungeduld der Manner, die auf den Befehl zum Ausrennen warteten.
        Um sich herum spurte er Stille. Jedermann an Deck beobachtete ihn, wahrend er den Feind abschatzte. Die Franzosen lie?en sich Zeit.
        Er schob das Rohr zusammen, stieg nach unten und gab es dem Midshipman zuruck. Vielen Dank, Mr. Fellowes. «Der junge Mann lachelte geschmeichelt, denn der Admiral hatte sich an seinen Namen erinnert. Bolitho uberquerte das Achterdeck. Neben Poland standen Inskip und Agnew, der kummervolle Sekretar. Alle drei erwarteten sein Urteil uber die Lage.
        Bolitho sprach nur mit Poland.»Lassen Sie bitte mehr Segel setzen. «Er sah nach oben in die Rahen.»Der Wind hat etwas nachgelassen, wir werden die Truculent also dadurch nicht entmasten.»
        Er erwartete Protest, ein Gegenargument, doch dann sah er, als Poland sich an seinen Ersten wandte, etwas wie Erleichterung im Gesicht des Kapitans. Die Toppgasten hasteten in die Takelage, und Bolitho sah die Gro?rah sich im achterlichen Wind spannen wie ein riesiger Bogen; Leinwand knallte, als die Royals gesetzt wurden.
        Poland kam keuchend zuruck.»Befehle, Sir?»
        Bolitho wu?te, er wurde das kommende Gefecht durchstehen, egal wie es ausging.»Die Franzosen werden nach ihrer ublichen
        Taktik vorgehen«, erlauterte er.»Die erste Fregatte wird nahe heransegeln und uns mit ihrem gro?en Kaliber bestreichen. «Polands dusterer Blick folgte seinem ausgestreckten Arm, als konne er auf der gegnerischen Fregatte schon die Mundungsfeuer sehen.»Ich glaube, da? ihr Kommandant seiner Sache sehr sicher ist. Vielleicht zu sicher.»

«Das ware ich an seiner Stelle auch«, warf Inskip ein, aber Bolitho uberhorte ihn.

«Er wird versuchen, die Truculent manovrierunfahig zu schie?en, uns mit Ketten- oder Stangenkugeln die Rahen und Masten abzurasieren. Die zweite Fregatte wird unser Heck beharken wollen, denn so fahren die Franzosen ublicherweise einen Angriff mit zwei Schiffen gegen eins. Aber heute werden wir das verhindern.
«Poland zuckte zusammen, denn an einem Mast war mit einem Knall wie ein Pistolenschu? eine Leine gebrochen.»Wenn sie uns erst entern, haben wir keine Chance mehr. «Er deutete nach achteraus.»Vergessen Sie nicht, da gibt es immer noch den lauernden Aasgeier, der auch seinen Teil zum Sieg beitragen mochte.»

«Was also tun wir?«fragte Poland mit trockenen Lippen.

«Kapitulieren, wenn Sie mich fragen!«warf Inskip ein.
        Bolitho sah ihn direkt an.»Ich frage Sie aber nicht, Sir Charles. Wenn Sie sonst nichts zur Losung beitragen konnen, schlage ich vor, Sie verschwinden mit Ihrem Sekretar unter Deck und bereiten sich darauf vor, dem Schiffsarzt zu helfen. «Mit Genugtuung sah er den Arger in Inskips Gesicht.»Und falls Sie jemals wieder London erreichen, sollten Sie Ihren und meinen Dienstherren schildern, was sie von den Mannern da unten verlangen - jedesmal, wenn ein Schiff des Konigs ins Gefecht segelt!«Er deutete mit dem Arm auf die Artilleristen, die hinter ihren Kanonen hockten. Als er sich wieder umdrehte, waren Inskip und sein Sekretar verschwunden.

«Damit waren wir unter uns«, wandte er sich an den erstaunten Poland.»Ich lie? mehr Segel setzen, Kapitan, damit die Franzosen glauben, wir wollen fliehen. Nun setzen sie jeden Fetzen Leinwand, um uns aufzubringen. Eine gute Fregatte als Prise - das wollen sie sich nicht entgehen lassen.»
        Langsam verstand Poland.»Sie wollen anluven und wenden, Sir Richard?»

«Ja. Lassen Sie uns ein bi?chen auf und ab gehen, es dauert noch mindestens eine halbe Stunde, bis der Feind nahe genug ist. Ich finde, Bewegung lockert nicht nur die Muskeln, sondern auch die Gedanken. «Er lachelte. Die Besatzung sollte sehen, wie gelassen ihr Kommandant das alles nahm.

«Das Manover mu? dann ungeheuer schnell geschehen. Wenn Ruder gelegt wird, mussen die Segel schon gerefft sein. Dann konnen wir zwischen ihnen durchlaufen und beide unter Feuer nehmen!»
        Poland nickte.»Sie wissen, da? meine Manner gut gedrillt sind.»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken. Poland verstand. Er brauchte sich nur auf dieses erste Manover zu konzentrieren.

«Ich wurde vorschlagen, der Erste Offizier steht am Fockmast. So kann er jede Kanone kontrollieren und sie notfalls selber richten. Wir werden keine Zeit haben fur einen zweiten Versuch.»
        Als Poland zu Williams ging und die beiden miteinander sprachen, forderte Bolitho Jenour auf:»Begleiten Sie mich. Ich furchte, es wird ein hei?er Tag, also bleiben Sie immer in Bewegung.»
        Allday rieb sich die Brust, denn die alte Narbe machte sich wieder bemerkbar. Plotzlich dachte er an Bolithos Angebot. Eine kleine Kneipe in der Nahe von Falmouth, mit einer rotbackigen Witwe, die man in den Arm nehmen konnte… Nicht schlecht. Keine Gefechte mehr, nicht mehr den Donner der Kanonen, nicht mehr das Schreien der Sterbenden, das Brechen der Spieren.

«Das erste Schiff rennt aus!»
        Poland schaute nur kurz zu Bolitho hin, dann kam sein Befehl:»Stuckpforten auf! Steuerbordbatterie laden und ausrennen!»
        Er hatte verstanden und tat das Richtige. Hatte er beide Batterien ausfahren lassen, hatte der Gegner seine Absicht so klar erkannt, als hatte er sie ihm durch Flaggensignale mitgeteilt.

«Noch nicht feuern!»
        Quietschend wie eine aufgescheuchte Schweineherde rollten die Achtzehnpfunder zu ihren Pforten und steckten die Rohre ins Freie. Die Mannschaften beobachteten einander genau, damit die Breitseite gleichzeitig abgefeuert werden konnte.
        Weit entfernt krachte es dumpf, und Augenblicke spater stieg eine Wassersaule funfzig Meter an Steuerbord voraus auf: ein Probeschu?, um die Entfernung zu messen.
        Poland fuhr sich ubers Gesicht.»Klar zur Wende, Mr. Hull!»
        Bolitho ging langsam an den gespannt wartenden Rudergasten vorbei. Die Manner wu?ten, da? sie schon der kleinste Fehler bei soviel gesetzter Leinwand unter einem Berg gebrochener Masten und Spieren begraben wurde. Der junge Zweite am Kartentisch richtete sich auf, als Bolithos Schatten uber das Logbuch fiel, in das er gerade den Zeitpunkt des ersten Schusses eingetragen hatte.

«Kann ich etwas fur Sie tun, Sir Richard?»

«Ich habe nur aufs Datum gesehen. Vielen Dank. «Bolitho beruhrte das Medaillon unter seinem Hemd. Heute war Catherines Geburtstag. Moge die Liebe dich immer schutzen, stand auf dem Medaillon eingraviert, das sie ihm geschenkt hatte. Ihm war, als hore er sie diese Worte laut aussprechen.
        Polands Faust knallte in die offene Hand.»Jetzt. Ree!«Sekunden spater waren die Segel dichtgeholt, und die See lag vor ihnen wie eine Buhne, vor der sich ein Vorhang gehoben hatte.

«Ruder nach Lee. Hart nach Lee, verdammt noch mal!»
        Rufe schallten ubers Deck, als die Manner sich in die Brassen warfen, um die Rahen rundzuholen, bis das Deck sich nach dem abrupten Kurswechsel auf die andere Seite neigte. Mannschaften verlie?en ihre Kanonen und rannten nach Backbord, um den Kameraden dort zu helfen. Als die Pfortendeckel aufschlugen, rannten sie die Kanonen aus, was auf dem schrag nach unten geneigten Deck leichter ging. Gischt spruhte durch die Luken, und mancher glotzte verwundert, als vor seinen Augen eine Fregatte auftauchte, die eben noch auf der anderen Seite gewesen war.

«Ziel erfassen!«Leutnant Williams hob seinen Degen, wahrend er von der Bugkarronade aus seine Geschutze musterte.»Eine Guinee fur den ersten Treffer!»
        Midshipman Brown neben ihm schrie:»Ich verdopple den Preis!«Sie grinsten einander an.

«Feuer!»
        Die Batterie krachte wie eine einzige Kanone. Die ohrenbetaubenden Stimmen der langen Achtzehnpfunder ubertonten die Antwort des Feindes. Der franzosische Kommandant wurde durch das Manover der Truculent vollig uberrascht, nur die Halfte seiner Kanoniere hatte uberhaupt ein Ziel erfa?t. Seine Segel waren nur ein Berg wild killender Leinwand. Die Toppgasten versuchten, sie zu zahmen, um der Truculent auf ihrem neuen Kurs zu folgen.
        Am Kompa?hauschen fuhlte Bolitho das Deck zittern, als einige
        Kugeln des Franzosen in den holzernen Rumpf schlugen. Das Wasser spritzte hoch auf, als die Kettenkugeln wirkungslos herabfielen, die dem Rigg der Truculent gegolten hatten.

«Ziel erfassen an Steuerbord, Mr. Williams!«rief Poland nach vorn. Die Manner eilten an ihre Geschutze zuruck, wie sie es oft genug exerziert hatten. Die Entfernung zur zweiten Fregatte war viel gro?er. Auch sie lag mit flatternden Segeln im Wind, ihr Kommandant versuchte das gleiche Manover.
        Williams musterte die Steuerbordbatterie, dann schnitt sein Degen durch die Luft.

«Feuer!»
        Bolitho hielt den Atem an, als das Mundungsfeuer der Breitseite aus den Kanonen leckte. Eine gut geplante Salve, doch der Gegner lag noch im Wind und zeigte sich von vorn: ein schmales Ziel auf zwei Kabellangen Entfernung.
        Wie ein gro?er Baum neigte sich der Fockmast der zweiten Fregatte langsam unter dem Druck des Windes nach vorn. Er neigte sich weiter, zog brechende Wanten und Stagen hinter sich her, und dann rauschte auch der Gro?mast nach unten und begrub das ganze Deck unter Leinwand und Trummern. Wahrscheinlich hatte die letzte Breitseite der Truculent das besorgt. Doch auch ein einziger Gluckstreffer aus einem Achtzehnpfunder reichte aus dafur.
        Bolitho sah Poland ins rauchverschmierte Gesicht.»Jetzt stehen unsere Chancen schon besser, Kapitan.»
        Die Matrosen an den Neunpfundern auf dem Achterdeck jubelten heiser. Allday sah durch den Pulverrauch, da? die erste Fregatte langsam wieder Fahrt aufnahm. Sie lag jetzt an Backbord, ihr Gro?segel war aufgetucht, die anderen Segel hatten Kanonenschusse durchlochert. Bolitho hatte den Franzosen den Windvorteil genommen. So war das damals auch bei den Saintes gewesen auf ihrem ersten Schiff, der Phalarope. Bolitho war immer noch der wagemutige Schiffsfuhrer von damals, trotz seines hohen Ranges.
        Aber die Manner jubelten zu fruh. Allday sah nach druben und packte sein Entermesser fester. Hier kommt die Antwort, dachte er.
        Williams hob seinen Degen und blickte nach achtern.»Feuerklar an Backbord, Sir!»

«Feuer!»
        Das Schiff wankte und legte sich unter dem Rucksto? der
        Kanonen auf die Seite. Der Wind trug ihren Pulverrauch zum Feind hinuber. Dann horte es sich an, als rutsche die Truculent uber ein Riff oder grabe sich in eine Sandbank. Aber es war die Breitseite des Gegners, die ihren Rumpf traf und durchs Rigg jaulte. Blocke und gebrochenes Tauwerk fielen auf die Netze. Ein Seesoldat in rotem Rock sturzte vom Gro?mast und blieb mit ausgebreiteten Armen und Beinen im Netz uber einer Stuckmannschaft hangen.
        Bolitho hustete wegen des Rauchs. Was Inskip unten in der Dunkelheit des Orlopdecks wohl machte? Die ersten Verwundeten wurden schon nach unten getragen, aber wie durch ein Wunder war nichts Wichtiges am Schiff getroffen worden. Nur Jenour schien aus der Fassung gebracht, er wischte sich immer wieder das Gesicht.

«Kapitan Poland, bitte andern Sie Kurs und laufen Sie genau West«, befahl Bolitho. Aber als er durch den dunner werdenden Rauch nach ihm sah, lag Poland auf den Planken, ein Bein seltsam verbogen unter sich. Mit beiden Handen griff er sich an die Kehle, als wolle er das Blut stillen, das wie rote Farbe uber seine Uniform stromte. Bolitho kniete sich neben ihn.»Bringen Sie ihn nach unten!«Aber Poland schuttelte so heftig den Kopf, da? Bolitho die offene Halswunde sah, die ihm ein Splitter gerissen hatte. Er starb, erstickte beim Sprechen an seinem eigenen Blut. Gott verdamme Varian, den feigen Hund!«waren seine letzten Worte.
        Leutnant Munro stand bleich neben Bolitho.»Ihr Kapitan ist gefallen«, sagte dieser.»Melden Sie das dem Ersten!»
        Selbst noch im Tod blickten Polands Augen zornig und ablehnend. Er war mit einem schrecklichen Fluch auf den Lippen gestorben.
        Bolitho sah zu Williams nach vorn - er stand da ohne Hut, mit dem Degen noch in der Faust. Ein Matrose bedeckte die Leiche Polands mit einem Stuck Segeltuch.
        Bolitho erhob sich und trat an die Querreling. Das Schiff erzitterte unter ihm, als eine weitere Breitseite abgefeuert wurde.»Varian ist wirklich ein feiger Hund«, murmelte er.

«Die Korvette, Sir!«meldete Jenour.»Sie greift uns an.»

«Danke, ich seh's. Melden Sie's der Steuerbordbatterie und auch den Seesoldaten. Niemand wird dieses Schiff entern. Mein Befehl gilt: niemand!»
        Jenour gab den Befehl weiter an einen Gehilfen des Bootsmannes. Er hatte einen Bolitho gesehen, den er bisher nicht kannte: einen Mann ohne Furcht, ohne Ha?, aber auch ohne Hoffnung. Jetzt suchte Bolithos Blick in den Rauchschwaden seinen Bootssteurer Allday. Jenour sah, wie die beiden einander zulachelten, als die Kanonen feuerten. Wie zwei uralte Freunde, die wu?ten, was kam, ohne sich davor zu furchten.
        Bolitho hatte Jenours Erstaunen bemerkt, verga? es aber sofort. Die Kanonen fingen sich beim Rucksto? in ihren Brocktauen. Wie Besessene sturzten sich die Kanoniere uber sie, wischten die rauchenden Rohre aus, rammten Pulverladungen hinein und schlie?lich die bosartig glanzenden Kugeln. Pulverrauch hatte ihre nackten Rucken geschwarzt, und trotz des scharfen Windes schnitt Schwei? dunne Rinnsale in den Schmutz.
        Blut farbte das Deck, das von den franzosischen Kanonenkugeln tiefe Risse davongetragen hatte. Einer der riesigen Achtzehnpfunder war umgesturzt und hatte einen Mann unter sich begraben. Seine Haut rauchte noch unter dem gluhend hei?en Lauf. Andere Tote waren zur Seite gezerrt worden, um Platz fur die Pulverjungen zu machen, die von Kanone zu Kanone hetzen und ihre Kartuschen fallen lie?en, ohne nach links und rechts zu sehen. Zwei Korper, die fliegende Metallsplitter so zugerichtet hatten, da? nichts an ihnen mehr an einen Menschen erinnerte, wurden uber die Netze gehoben und ins Wasser geworfen. Ihre Bestattung war ebenso brutal wie der Tod im Gefecht. Im Teleskop beobachtete Bolitho die andere Fregatte. Sie war bestimmt so oft getroffen worden wie die Truculent, aber sie scho? immer noch. Bolitho spurte die Einschlage unter sich im Rumpf. Dazwischen horte er das Arbeiten der Pumpen. Wenn Poland noch lebte, hatte er jetzt sicher einem seiner Offiziere befohlen, fur noch schnelleres Lenzen zu sorgen.
        Auf dem Achterdeck seines Gegners entdeckte Bolitho im Glas den franzosischen Kommandanten, der ihn selber mit dem Teleskop beobachtete. Er bewegte das Glas und sah druben am Ruder Tote und Sterbende. Williams Breitseiten hatten also furchterliche Ernte gehalten. Doch die Truculent mu?te weiterfeuern, die Fregatte manovrier- oder kampfunfahig machen, damit sie nicht selber zusammengeschossen wurde.
        Er senkte das Glas und rief Williams zu:»Zielen Sie hinter ihren Gro?mast! Feuern in der Aufwartsbewegung!»
        Einschlage ubertonten seine Worte, aber ein Unteroffizier hatte sie verstanden und rannte mit dem Befehl nach vorn. Mit gefletschten Zahnen gru?te Williams bestatigend. Rechnete er damit, das Kommando zu ubernehmen? Hatte er Furcht vor dem Tod? Bolitho wu?te wenig von diesem Mann da vorn im feindlichen Feuer.
        Stucke des Schanzkleids surrten durch die Luft und wirbelten angesengte, aufgeschlitzte Hangematten wie kopflose Korper ubers Deck. Metall schlug gegen eine Kanone, Manner daran brachen zusammen und wanden sich zuckend in ihrem eigenen Blut. Der junge Midshipman neben Williams wurde mit weggerissenem Gesicht beiseitegeschleudert.
        Bolitho dachte an die Grabsteine auf dem Friedhof von Falmouth. Fur den jungen Midshipman wurde man sicher auch einen errichten, wenn die Nachricht von seinem Tod in England eintraf: gefallen fur Konig und Vaterland. Wie wurden es seine Angehorigen aufnehmen?

«In der Aufwartsbewegung!«Die Kanonen brullten, Bolitho wurde fast von den Fu?en geschleudert. Spieren regneten aus dem Kreuzmast des Franzosen, ein weiteres Marssegel flog in Fetzen davon. Aber seine Flagge wehte noch, der Kampf ging weiter.

«Sie kommt naher, Sir Richard!«schrie Leutnant Munro. Bolitho nickte und zuckte zusammen, als eine Kugel einen Seesoldaten in zwei Teile ri?. Er hatte den Niedergang bewacht, der unter Deck fuhrte. Midshipman Fellowes stopfte sich die Faust in den Mund, um nicht zu erbrechen oder nicht zu schreien - beides ware verstandlich gewesen.
        Munro senkte sein Glas.»Die andere Fregatte treibt, aber sie kappen die Trummer.»

«Ja. Wir mussen die hier erledigen, ehe sie wieder in den Kampf eingreifen kann.»
        Es krachte laut hinter ihnen. Splitter heulten durch die Luft und schlugen ins Holz. Etwas traf Bolithos linke Epaulette und ri? sie fort. Sie fiel an Deck wie ein verachtlich weggeworfenes Taschentuch. Nur einen Fu? tiefer, und der Eisensplitter hatte sein Herz durchschlagen. Er streckte stutzend die Arme aus, als Munro gegen die Reling sank, eine Hand unter der Jacke. Helles Blut stromte darunter auf seine wei?e Weste und seine wei?en Breeches. Allday fing Munro auf und legte ihn sanft auf das Deck.

«La? den Arzt kommen!«befahl Bolitho.
        Der Leutnant starrte mit weitgeoffneten Augen in den leeren blauen Himmel, als begreife er nicht, was geschah.

«Nein, Sir, bitte nicht. «Er keuchte, als der Schmerz kam, Blut lief ihm aus einem Mundwinkel.»Ich will in Ruhe sterben.»
        Allday stand auf und sagte heiser:»Keine Chance, Sir Richard. Glatt durchschossen!

        Jemand rief um Hilfe, ein anderer schrie auf vor Schmerz, als wieder Kugeln in den Rumpf schlugen. Bolitho fuhlte sich wie gelahmt. Das alles war wie damals auf der Hyperion. Wie damals hielt er die Hand eines Sterbenden, der erstickt stammelte: Warum ich?»

«Ich bin ja da, Mr. Munro«, sagte Bolitho.»Gleich geht es Ihnen besser.»
        Munros Augen wurden gro?, dann wich alles Verstehen aus ihnen.
        Hull, der Master, der mit Wind und Ruder sein eigenes Gefecht gefuhrt hatte, rief: Korvette nimmt Fregatte in Schlepp, Sir!»
        Bolitho erhob sich.»Warum denn das?«Er stellte die Scharfe seines Glases nach.
        Hinter Rauchfahnen entdeckte er die beiden Schiffe. Ein Beiboot brachte die Schlepptrosse zur Fregatte. An einer Rah der Korvette wehten Signalflaggen aus, und als er sich umdrehte, sah er Signalflaggen auch uber den Mundungsblitzen der kampfenden Fregatte. Dieser Kommandant gab den Kampf bestimmt nicht auf, warum also schleppte die Korvette das gro?e Schiff aus dem Feuerbereich? Das war doch unsinnig.
        Die Rahen des Franzosen bewegten sich plotzlich, und wie durch Zauberei blahten sich alle seine Segel.

«Die Fregatte wendet, Sir Richard!»
        Bolitho brullte durch die hohlen Hande nach vorn:»Mr. Williams, feuern Sie auf ihr Heck, wenn sie wendet!»
        Allday schien genauso verblufft.»Warum bricht sie den Kampf ab? Wenn die drei uns…

        Plotzlich war es fast still. Man horte nur die Kommandos der Stuckfuhrer und das Saugen der Pumpen. Von irgendwo oben kam die Stimme eines Seesoldaten:»An Deck! Segel in Luv!»
        Der Franzose nahm Fahrt auf, wahrend er drehte. Bleiches Sonnenlicht lag auf seinem zerschossenen Heck. Der Name L'Intrepide war zum erstenmal zu erkennen.

«Nach oben, Mr. Lance, so schnell Sie konnen! Ich mochte wissen, wer sich da nahert«, befahl Bolitho.
        Der Leutnant enterte in wilder Hast auf. Nur einmal verhielt er, als Williams Kanonen wieder schossen und Qualm nach oben stieg.

«Die setzen noch mehr Segel«, rief Allday.
        Manner traten verwirrt an die Reling. Was sollte das bedeuten? Verwundete krochen ubers Deck, um zu erspahen, was druben geschah. Sie blieben ohne Antwort.

«Achtung - sie will uns mit den Heckkanonen bestreichen!«rief Bolitho warnend. Er hatte gesehen, wie sich im Heck der Fregatte zwei Klappen offneten und zwei Mundungen sich hervorschoben. Sie zielten auf die Truculent, obwohl sich die Entfernung zwischen den beiden Schiffen schnell vergro?erte.

«Klar zum Feuern!«brullte Williams wieder.
        Als ob ihn der Kampf da unten uberhaupt nichts anginge, meldete sich Leutnant Lance von oben:»Es ist eine englische Fregatte. Setzt gerade ihre Kennung.»

«Bestimmt die Zest«, knurrte Allday.»Aber verdammt zu spat!»
        Lancer, der sein Signalbuch mit nach oben genommen hatte, rief verblufft herunter: Es ist die Anemone, Sir Richard. Unter Kapitan
        Bolitho!»
        In diesem Augenblick feuerte L'Intrepide beide Heckkanonen ab. Eine Kugel schlug ins Achterdeck, streckte zwei Ruderganger nieder, deren Blut Hull bespritzte, und zertrummerte die Reling. Die letzte Kugel traf den Kreuztopp und lie? gebrochenes Holz und Blocke herabregnen. Lance blieb oben.
        Bolitho fuhlte sich fallen, aber keinen Schmerz. Er versuchte zu verstehen, was Lance da gerufen hatte, doch das Denken fiel ihm zu schwer.
        Kraftige Hande hielten ihn besorgt und zartfuhlend.»Langsam, Sir«, horte er Alldays Stimme.»Ein Block hat Sie getroffen.»
        Dann eine fremde Stimme, ein unbekanntes Gesicht. Der Schiffsarzt tastete seinen Kopf ab.»Ist nicht schlimm, Sir Richard. Aber wenn er Sie voll erwischt hatte, hatte er selbst Ihren harten Schadel zertrummert.»
        Er horte Manner jubeln. Da lie? er sich von Jenour und Allday vorsichtig hochheben und stutzen. Jetzt kam auch der Schmerz. Bolitho stand zwischen den Trummern, die der letzte Schu? des Franzosen auf der Truculent hinterlassen hatte, und mu?te sich ubergeben.
        Williams schrie:»Eine englische Fregatte, Manner! Wir haben gewonnen.»

«Es ist nur eine Gehirnerschutterung, Sir Richard«, sagte Allday beruhigend.
        Bolitho deckte sein linkes Auge ab und wartete darauf, da? der Rauch des Gefechts sich verzog.
        Adam war gekommen und hatte sie gerettet.
        Er drehte sich zu Allday um.»Es hat geblitzt!»

«Wieso geblitzt? Ich verstehe nicht. «Allday war verwirrt.

«In meinem Auge«, sagte Bolitho.»In meinem Auge ist etwas passiert. Ich kann nicht mehr klar sehen.»

«Halten Sie ihn fest«, sagte Allday zu Jenour.»Ich besorge uns einen Schluck, den brauchen wir jetzt alle. Captain Adam ist gleich da, Sir Richard.»
        Er sah uber die zerrissenen, blutigen Planken, uber die Toten und Verwundeten hinaus auf die kalte Nordsee. Irgendwo schrie ein Mann vor Schmerzen.
        Das war die Wirklichkeit. Wenn der Sieg schon vergessen war, blieb immer noch der Schmerz.



        XIV Ehrenhandel


«Nun, das hat Ihnen doch nicht viel ausgemacht, Sir Richard. Ihnen als altem Krieger. «Sir Piers Blachford schob die Armel noch weiter hoch und wusch seine knochigen Hande in einer Schussel hei?en Wassers, die ein Diener in das hohe, kuhle Zimmer gebracht hatte. Er lachelte dabei. Bolitho lehnte sich im Sessel zuruck und entspannte sich langsam. Der Himmel trug schon die Rottone des nahenden Abends, obwohl es erst drei Uhr nachmittags war. Immer wieder prasselte Regen gegen die Fenster, und von der Stra?e drang das Klappern der Hufe und Knarren der Rader herauf.
        Bolitho hob die Hand an sein verletztes Auge. Es fuhlte sich wund und entzundet an nach der grundlichen Untersuchung durch Blachford. Er hatte auch eine Flussigkeit benutzt, die erbarmungslos brannte.
        Blachford sah ihn streng an.»Bitte nicht reiben! Noch nicht!«Er trocknete seine Hande an einem wei?en Handtuch ab und winkte den Diener herbei.»Kaffee fur Sie?»
        Bolitho verneinte. Unten wartete Catherine und machte sich
        Sorgen.»Ich mu? leider gehen. Aber sagen Sie mir jetzt, was Sie herausgefunden haben.»
        Blachford schuttelte den Kopf.»Sie sind immer noch derselbe ungeduldige Mann wie damals auf der Hyperion. Erinnern Sie sich? Damals hat es noch Hoffnung gegeben.»
        Bolitho hielt Blachfords Blick stand. Dieser durre Mann mit dem grauen Stoppelhaar war auf der Hyperion bis zum Ende dabeigewesen und hatte viele Leben gerettet. Damals wie heute erinnerte er Bolitho an einen Reiher, der am Flu?ufer geduldig wartete, bis er zupacken konnte.
        Catherine war sofort zu Blachford gefahren, noch wahrend Bolitho in der Admiralitat Bericht erstattete. Trotz seiner vielen Verpflichtungen und Operationen hatte sich Sir Piers Zeit genommen fur den Admiral. Bei der Untersuchung half ihm ein kleiner energischer Arzt, der mit kehligem Akzent sprach. Bolitho glaubte in ihm, der sich Rudolf Braks nannte, einen Deutschen oder geflohenen Hollander zu erkennen. Beide Arzte hatten Nelsons Augenverletzung sehr genau gekannt und einiges daruber veroffentlicht.
        Blachford lehnte sich zuruck.»Ich mochte mich zuerst mit meinem beruhmten Kollegen beraten«, sagte er.»Ihr Auge ist eher sein Gebiet als meins. Wir mussen Sie sicher noch einmal untersuchen, Sir Richard. Sie sind doch hoffentlich noch eine Zeitlang in London?»
        Bolitho dachte an Falmouth. Der Winter kam naher, er mu?te dorthin zuruck. Er hatte zwar damit gerechnet, auf der Truculent zu fallen, aber jetzt rief ihn Cornwall.

«Ich wollte eigentlich nach Hause, Sir Piers.»
        Ein kurzes Lacheln.»Also haben wir nur noch ein paar Tage. Wie ich hore, bekommen Sie ein neues Flaggschiff?«Er verriet nicht, woher er das wu?te. Bolitho erinnerte sich an Admiral Godschales scheinheiliges Mitgefuhl. Dabei hatte er wahrscheinlich schon einen Ersatz parat gehabt, falls Bolitho nicht zuruckgekehrt ware. Hatte Godschale mit Blachford gesprochen?

«Ein paar Tage bin ich noch hier, Sir Piers. Vielen Dank fur Ihre Bemuhungen. Und vor allem fur Ihre Freundlichkeit Lady Catherine gegenuber.»
        Blachford erhob sich.»Selbst wenn ich aus Stein ware, was ja manche behaupten, hatte ich ihrem Wunsch nachgeben mussen.
        Eine Frau wie sie trifft man nur selten. «Er streckte ihm seine knochige Rechte entgegen.»Ich melde mich wieder.»
        Bolitho verlie? den Raum und stieg die gro?e Freitreppe hinunter. Unten offnete ihm ein Diener die Tur zum Wartezimmer. Catherines dunkle Augen waren voller Fragen. Er ku?te sie und druckte sie an sich.»Es ist kein schlimmes Urteil«, beruhigte er sie.
        Sie suchte in seinem Gesicht nach einem verborgenen Sinn und fand keinen.
        Bolitho sah nach drau?en in den Regen.»Wollen wir den Kutscher nicht nach Hause schicken und zu Fu? gehen? So weit ist es gar nicht.»
        Als sie dann unter seinem weiten Mantel uber das nasse Pflaster schlenderten und sich weder von Kutschen noch einem Trupp Kavallerie storen lie?en, erzahlte sie, da? sie die Naval Gazette gelesen hatte.»Kein Wort uber Charles Inskip oder dich!»
        Er hatte ihr von dem Gefecht berichtet und von Anemones rechtzeitigem Auftauchen, das sie alle gerettet hatte, und von Varians schandlichem Verschwinden.»Der Mann wird mir dafur hangen!«hatte er gedroht.
        Jetzt erzahlte er ihr mehr.»Weder Sir Charles noch ich waren offiziell an Bord. Das wird man vielleicht nicht glauben, aber es verbreitet doch Unsicherheit. Und vor allem - die Franzosen konnen unseren Besuch nicht gegen die Danen verwenden.»

«In dem Bericht hei?t es, Poland habe die beiden Fregatten bekampft, bis dein Neffe erschien. Aber in Wirklichkeit hast doch du das Gefecht gefuhrt!»
        Bolitho zuckte die Schultern.»Poland war tapfer. Aber er ahnte wohl, da? er fallen wurde. Er hat Varian verflucht, ehe er starb.»
        Bolitho schwieg und dachte an Sir Charles Inskip, seinen Sekretar und seinen Diener. Die drei hatten einsilbig und schnell die Truculent verlassen.
        Sie kamen vor Lord Brownes Haus an, als der Regen heftiger wurde.»Nanu, zwei Kutschen? Ich dachte, wir haben diesen Abend fur uns.»
        Die Tur offnete sich, als sie auf der ersten Stufe standen. Mrs. Robbins, die Lord Browne den Haushalt fuhrte und wahrend seiner Abwesenheit auf seinem Herrensitz in Sussex wohnte, begru?te sie. Sie hatte sich damals ruhrend um Catherine gekummert, aber als echte Londonerin eine feste Meinung, was sich schickte und was nicht.
        Catherine nahm den Hut ab.»Schon, Sie wiederzusehen, Mrs. Robbins!»
        Doch die Haushalterin blickte an ihr vorbei.»Ich wu?te nicht, wo Sie sind, Sir! Mr. Allday ist nicht da, Ihr Leutnant ist in Southampton - so geht's doch nicht!»
        Bolitho hatte sie noch nie so erregt gesehen. Er nahm ihren Arm.»Was ist denn passiert, Mrs. Robbins?»
        Sie vergrub das Gesicht in der Schurze.»Seine Lordschaft - er braucht Sie. «Sie sah die gro?e Treppe hinauf.»Der Arzt ist jetzt bei ihm. Bitte, beeilen Sie sich!»
        Catherine wollte schon zur Treppe eilen, doch Bolitho sah, wie die Haushalterin den Kopf schuttelte. Da sagte er:»Bleib hier, Kate, und kummere dich um Mrs. Robbins. La?t euch was Hei?es zu trinken bringen. Ich bin bald wieder unten.»
        Ein alterer Diener sa? oben vor der gro?en Tur, zu betroffen, um zu gru?en. Bolitho erinnerte er an Allday.
        In dem gro?en Raum war es dunkel, drei Manner sa?en im Lichtschein der Lampe an Brownes Bett. Einer, offensichtlich der Arzt, hielt seine Hand und zahlte den Puls.
        Ein anderer sagte leise:»Er ist gekommen, Oliver.»
        Sie machten ihm Platz, und Bolitho setzte sich auf die Bettkante. Da lag der Mann, der sein Flaggleutnant gewesen war, bis er seines Vaters Adelstitel und Besitz geerbt hatte. Er trug ein Tageshemd, und seine Haut glanzte vor Schwei?. Seine Augen weiteten sich, als er Bolitho erkannte. Er flusterte:»Es geht dir gut - schon. Ich dachte schon, du lebst nicht mehr.»

«Nur ruhig, Oliver, ruhig. Was ist denn passiert?«fragte Bolitho den Arzt.
        Wortlos hob dieser einen Verband an. Das Hemd war aufgeschnitten, die Brust mit Blut bedeckt.
        Eine Schu?wunde.»Wer war das?«fragte Bolitho.

«Naher, komm naher!«Brownes Stimme trug nicht mehr weit.
        Bolitho senkte das Ohr dicht an den Mund des jungen Mannes. Wie oft war er unbewegt mit ihm uber das Achterdeck geschritten, wenn um sie herum die Holle tobte. Ein tapferer junger Mann, der hier seinen letzten Kampf verlor.

«Es war Somervell. Ein Duell. «Jedes Wort schmerzte ihn, doch er gab nicht nach. Deine Lady ist jetzt Witwe. «Er bi? sich auf die blutleeren Lippen.»Aber mich hat's auch erwischt.»
        Verzweifelt fragte Bolitho den Arzt:»Konnen Sie denn nichts fur ihn tun?»
        Der schuttelte den Kopf.»Da? er so lange uberlebt hat, ist schon ein Wunder.
«Browne griff nach Bolithos Arm.»Der verdammte Somervell hat damals auch meinen Bruder getotet«, flusterte er muhsam.»Jetzt hab' ich's ihm heimgezahlt. «Sein Kopf rollte zur Seite, er hatte seine letzte Kraft verbraucht und war fur immer verstummt.
        Bolitho druckte ihm die Augen zu. Nach einer Weile stand er auf.»Ich sage es jetzt Catherine, Oliver. «Sein Auge schmerzte ihn starker als je zuvor. Er ging zur Tur, wollte noch etwas sagen, spurte aber, da? niemand ihm zuhorte, und schlo? die Tur leise von au?en.
        Unten wartete Catherine auf ihn mit einem Glas Brandy.»Ich wei? es schon«, sagte sie.»Allday ist wieder da und hat es mir erzahlt. Browne hat meinen Mann getotet und wurde dabei selbst todlich verwundet. Es tut mir so leid um deinen Freund, aber fur meinen Mann empfand ich schon lange nur noch Abscheu. «Sie reichte ihm das Glas.

«Oliver pragte das Wort von den wenigen Begluckten«, sagte er.»Diese Schar ist mit seinem Tod noch viel kleiner geworden.»
        In der Kuche sa? Allday vor einer Lammpastete, von der er nur die Halfte geschafft hatte, stopfte seine Pfeife und sagte:»Ein Krug Bier ware jetzt willkommen, liebe Mrs. Robbins. Und bei langerem Nachdenken auch noch etwas von dem schonen Rum da druben!»
        Die Haushalterin war betroffen vom Tod ihres Herrn und besorgt um ihre eigene Zukunft. Lord Oliver, wie man ihn in der Kuche nannte, war der letzte der Familie. Nach seinem Tod wurden Titel und Besitz an einen entfernten Cousin ubergehen - und was wurde dann aus ihr?

«Wie konnen Sie nur in dieser traurigen Stunde so unbeschwert essen, trinken und rauchen?«fragte sie bose.
        Allday sah sie aus rotgeranderten Augen an.»Das will ich Ihnen erklaren. Ich habe uberlebt«, er zeigte nach oben,»wir haben uberlebt. Ich vergie?e fur jeden toten Kameraden eine Trane, aber wirklich kummern tu' ich mich nur um uns!»
        Sie schob ihm den Steinkrug zu, obwohl er schon angetrunken war.»Benehmen Sie sich blo? anstandig, wenn die Bestatter nachher die Leiche abholen. Adel oder nicht, das Duell war gegen das Gesetz!»
        Schnell zog sie den Becher Rum weg, als Alldays Kopf auf den Tisch fiel. In diesem Haus war der Krieg immer sehr weit entfernt gewesen, hier hatte nie Mangel geherrscht. Nur wenn Lord Oliver selbst auf See gewesen war, hatte man an den Krieg gedacht. Doch mit Alldays letztem Satz war er wieder zuruckgekehrt.
        Sie horte eine Tur klappen. Sicher gingen die beiden jetzt zur Totenwache nach oben. Ihre strengen Zuge wurden mild. Lord Oliver hatte es gefreut, so gute Freunde an seiner Bahre zu wissen.
        Der Arzt, der beim Duell dabeigewesen war, machte kein Hehl daraus, da? er es eilig hatte, das Haus zu verlassen. Er konnte nichts mehr tun, beide Duellanten waren tot.

«Oliver hat also in einem Brief hinterlassen, da? er in Sussex bestattet werden wollte?«fragte Bolitho.»War er denn so sicher, da? er sterben wurde?»
        Der Arzt sah kummervoll zu Catherine am Kamin hinuber und antwortete leise: Viscount Somervell galt als erfahrener Duellant. Lord Brownes Brief war nur eine kluge Vorsorge.»
        Unten an der Treppe wurde geflustert, Turen offneten und schlossen sich. Man bereitete alles fur die Uberfuhrung des Toten auf den Familiensitz in Sussex vor.
        Catherine sagte:»Mein letzter Dienst an Somervell ist hoffentlich bald getan. Keine Sorge, Richard, ich werde dich dabei nicht enttauschen. «Sie nahm seine Hand, als seien sie beide allein im Raum.
        Wieder einmal war Bolitho uberrascht von ihrer Kraft. Mit Hilfe des Doktors hatte sie Somervells Leiche bereits in das gro?e Haus am Grosvenor Platz bringen lassen. Mu?te sie nun in jenem Haus alle Vorkehrungen fur die Beerdigung ihres Mannes treffen? Er streichelte ihre Hand. Wenn sie das tun mu?te, wurde er ihr dabei helfen. Den Skandal konnte das kaum noch verschlimmern.
        Ein Diener mit verweinten Augen offnete die Tur.»Pardon, aber der Leichenwagen ist jetzt da.»
        Neue Stimmen, viele Schritte, dann trat ein kraftiger Mann in dunkler Kleidung ein und stellte sich als Hector Croker vor, der Verwalter des Browneschen Landsitzes. Er mu?te sofort aufgebrochen und ohne Rast und Ruh uber die gewundenen
        Landstra?en nach London gejagt sein. Der Arzt ubergab ihm einen Umschlag mit Papieren, offensichtlich sehr erleichtert.
        Croker sah Mrs. Robbins zwischen ihren Taschen und Koffern stehen.»Sie fahren mit uns. Seine Lordschaft hat bestimmt, da? Sie auf dem Gut bleiben. «Mrs. Robbins verschwand ohne langen Abschied.
        Im Erdgescho? beobachteten sie, wie dunkelgekleidete Manner den Sarg durch die Halle und in den Wagen trugen. Bolitho folgte ihnen und gab ihrem Vormann ein paar Munzen. Catherine trat zu ihm vor die Tur und schob eine Hand unter seinen Arm. Auf Wiedersehen, Oliver. Ruhe in Frieden.»
        Ein Regenschauer jagte heran, aber sie blieben mit entblo?ten Hauptern drau?en stehen, bis der Wagen abgebogen war.
        Im Haus wandte sich Yovell an Bolitho:»Soll ich packen, Sir Richard?»
        Catherine kam seiner Antwort zuvor.»Ich packe selber, Sie werden anderweitig viel zu tun haben. «Sie sah Bolitho an:»Du willst doch bestimmt an Val schreiben, aber auch an Konteradmiral Herrick.»

«Ja«, sagte Bolitho nachdenklich.»Sie kannten Oliver so gut wie ich.»
        Valentine Keen war in Chatham dabei, die Black Prince in Dienst zu stellen. Das Schiff war inzwischen vom Stapel gelaufen, doch nun begann die aufreibendste Arbeit. Erfahrene Seeleute und Unteroffiziere mu?ten gesucht werden, es gab endlose Verhandlungen mit den Proviantverwaltern. Wenn man nicht alles kontrollierte, wurde oft schlechtere Ware als bestellt angeliefert, auf da? sich Kramer und Zahlmeister den Gewinn teilen konnten. Aus einem Eichenwaldchen ein gut funktionierendes Kriegsschiff zu machen, einen Baustein in den holzernen Mauern, die England schutzten, das war eine kraftezehrende, schier endlose Aufgabe.
        Bolitho mu?te auch Adam benachrichtigen, der die lecke Truculent mit seiner Anemone in den Hafen geschleppt, aber dort kaum Zeit zum Ankern gehabt hatte, so schnell wurde er wieder auf See gebraucht. Auch Adam war einer von Bolithos fruheren Flaggleutnants. Mehr als andere wu?te gerade er, wie sehr dieser Posten den Mann an den Admiral band.
        Catherine sagte in seine Gedanken:»Mit Somervells Tod andert sich fur uns nichts, Liebster. «Bolitho nickte. Catherine war frei, aber er nicht. Belinda wurde in eine Scheidung niemals einwilligen.»Ich werde bei dir bleiben und dir helfen«, versprach er.

«Er hatte kaum Verwandte. Und die auch nur in Ubersee.»

«Aber Freunde bei Hofe hatte er«, sagte Bolitho. Ihm fiel auf, da? sie ungern Somervells Namen nannte.
        Sie nickte.»Allerdings war der Konig ungehalten uber seine wilden Launen und seine Spielsucht. Er hat alles verspielt, was ich je besa?. Und nun werde ich erben, was von seinem Besitz noch ubrig ist. Seltsam, nicht wahr?»
        Nachmittags traf Jenour ein, au?er Atem und schmutzbespritzt. Er hatte sechs Pferde auf dem Weg von Southampton nach London mude geritten, nachdem er dort von Lord Brownes Tod gehort hatte.»Mein Platz ist jetzt wohl bei Ihnen«, sagte er zu Bolitho.»Ich wei?, wie sehr Sie ihn geschatzt haben.»
        Catherine war in Yovells Begleitung zu Somervells Notar gegangen und hatte Bolitho nicht mitnehmen wollen. Sie war also wieder frei und vielleicht sogar finanziell unabhangig, wenn Somervell Besitztumer hatte. Ob da Falmouth bei seiner haufigen Abwesenheit wirklich ein Ersatz fur das Leben war, das sie in London kannte - und sich vielleicht wieder wunschte? Und was blieb ihr, wenn er fiel? Vorsichtig beruhrte er sein linkes Auge.

«Was kann ich fur Sie tun, Sir Richard?»
        Bolitho hatte Jenour fast vergessen.»Wir brechen nach Chatham auf, zu unserem neuen Flaggschiff. Und dann mussen wir noch zur Kriegsgerichtsverhandlung gegen Kapitan Varian. Er hat uns im Stich gelassen, genau wie er damals Poland auf Jamaika im Stich lie?.»
        Jenour nickte.
        Die Tur offnete sich, ein Bote brachte Nachricht von Dr. Rudolf Braks, dem Augenarzt, da? sich Bolitho am nachsten Morgen um zehn Uhr bei ihm einfinden solle. Es wirkte mehr wie ein Befehl als wie eine Einladung.
        Fur Jenour klang der Name Braks auslandisch. Woher kannte er ihn? Sein Vater hatte ihn einmal erwahnt - aber in welchem Zusammenhang?
        Bolitho bedankte sich mit einem Trinkgeld. Als er Catherine kurz darauf zuruckkehren horte, bat er Jenour:»Erwahnen Sie Braks nicht gegenuber Lady Catherine. Sie hat genug Probleme, um die sie sich jetzt kummern mu?.»
        Sie begru?te Jenour herzlich und umarmte Bolitho.»War es schlimm?«fragte er.
        Sie hob die Schultern.»Noch nicht. Der Bericht des Arztes ging an die Behorden, und da beide Duellanten gefallen sind, kann niemand angeklagt werden. «Als Jenour das Zimmer verlassen hatte, fuhr sie fort:»Ich wei?, was du jetzt befurchtest, Richard, und wenn ich dich nicht so sehr liebte, ware ich verargert. Du hast mich aufgenommen, als ich keinen Penny besa?, jetzt kann ich auch etwas fur dich tun, Liebster. «Sie blickte ins Kaminfeuer.»Wir mussen bald aufbrechen. Ich werde dieses Haus vermissen, von dem die Welt so weit entfernt war. «Sie schaute aus dem Fenster; immer noch rann Regen uber die Scheiben.»Aber hier ist es dunkel geworden.»
        Der Tag von Somervells Trauerfeier endete schneller, als beide dachten. In dem gro?en Haus am Grosvenor Square gingen Leute ein und aus, die sie kaum kannten, Freunde des Toten und Neugierige, die einen Blick auf die Leiche und Catherine werfen wollten.
        Der Arzt, der an Olivers Totenbett gestanden hatte, war ebenfalls zugegen und fragte die Witwe, ob sie den Toten noch einmal sehen wolle.
        Catherine schuttelte den Kopf.»Ich habe gewi? manche Fehler, aber eine Heuchlerin bin ich nicht!»
        Es gab nur einen bosen Zwischenfall, als der letzte Besucher des Tages gemeldet wurde: Oberst Collyear von der Koniglichen Gardekavallerie. Er war ein gro?er, arroganter Soldat mit grausamem Mund.»So sehen wir uns also doch noch mal«, sagte er zu Lady Catherine.»Ich fande es grotesk, Ihnen mein Beileid auszusprechen. Doch der Anstand verlangt, da? ich Ihrem toten Gatten einen letzten Gru? entbiete.»
        Dann bemerkte er Bolitho und fuhr in demselben uberheblichen Ton fort:»Zuerst dachte ich, Sie seien sein Gegner gewesen, Sir. In dem Fall hatte ich Sie gefordert.»
        Ruhig antwortete Bolitho:»Sie finden mich jederzeit bereit, falls Sie es wagen sollten, mich oder diese Dame zu beleidigen. Zwingen Sie mich nicht dazu, den Ernst dieses Tages zu vergessen.»
        Catherine sagte nur:»Bitte gehen Sie. Jedes weitere Wort ware zuviel.»
        Sporen und Sabel klirrten, als der Mann sich steif verabschiedete.
        Bolitho mu?te an den Ersten Offizier der Hyperion denken, der mit dem Schiff untergegangen war. Leutnant Parris war verwundet worden und hatte sich erschossen, um nicht unter das Messer des Chirurgen zu kommen. Aber zuvor hatte er ihm noch seine unselige Leidenschaft fur Somervell gestanden. Der arrogante Oberst Collyear war sicherlich auch so ein Mannerfreund des Viscount gewesen.
        Jenour lehnte an einer Saule.»Ist sein Steward noch im Haus?«fragte ihn Catherine.

«Ja, Mylady. Ich fand ihn in seinem Zimmer, weinend.»

«Geben Sie ihm sein Geld und schicken Sie ihn weg. Ich mochte ihn nicht mehr im Hause haben. «Sie wandte sich an Bolitho.»Dieses Haus gehort nun mir, aber mein Heim wird es nie. «Sie ku?te ihn.»Ich konnte dich hier nicht umarmen.»
        Als die Diener Stroh auf der Stra?e ausgebreitet hatten, um den Larm vorbeirollender Kutschen zu dampfen, und die Haustur abgeschlossen war, sa?en beide immer noch vor dem Kaminfeuer, das langsam vergluhte.
        Ozzard legte spater Holz nach, sah, da? beide auf der Couch unter Bolithos schwerem Mantel ruhten, und verlie? den Raum. In der Kuche stie? er auf Allday.

«Trink einen Schluck mit«, schlug der Bootssteurer vor.»Ubrigens, du bist doch ein gelehrter Mann…»

«Wieso?«Ozzard verbarg seine Uberraschung. Ahnte Allday etwas, wu?te er gar, was damals im Haus des Schreibers geschehen war?

«Ich habe hier ein Buch gefunden uber Schafzucht. Lies mir daraus vor.»
        Der gro?e Bootssteurer und der kleine Diener lie?en sich am Kuchentisch nieder.



        XV Ein letzter Dienst

        Kapitan Valentine Keen sah aufmerksam uber sein neues Schiff, drehte sich dann um und ging nach achtern, wo im Schutz des Achterdecks hohe Offiziere und Herren der Admiralitat auf ihn warteten. Black Prince, ein Linienschiff mit vierundneunzig Kanonen, hatte drei Monate fruher als geplant in Dienst gestellt werden konnen. Jetzt mu?ten nur noch die letzten Formalitaten erledigt werden, dann unterstand dieser riesige Dreidecker ganz seinem Kommando.
        Nebenan ankerte ein Linienschiff, das mit seinen vierundsiebzig Kanonen so gro? war wie die alte Hyperion, die ihnen damals so gewaltig vorgekommen war. Jetzt wirkte der Ankerlieger neben der Black Prince klein. Ob sein neues Schiff wohl so gut segeln und manovrieren wurde wie das alte?
        Keen dachte daran, da? in dieser Werft vor vierundsiebzig Jahren auch Nelsons alte Victory auf Kiel gelegt worden war. Was mochte aus der Navy in den nachsten vierundsiebzig Jahren wohl werden? uberlegte er. Dann luftete er gru?end den Hut vor dem Hafenadmiral und nahm Haltung vor Bolitho an.»Das Schiff ist bereit, Sir Richard!«Er wartete, spurte hinter sich die Stille, wo Offiziere und Mannschaften angetreten waren, um an der offiziellen Ubergabe der Black Prince teilzunehmen. Auf nahen Mauern und Hellingen sa?en Dockarbeiter im kalten Wind. Sie konnten mit Recht stolz auf ihre Arbeit sein.
        Diesen Stolz gab es bei der Besatzung noch nicht. Einige Leute waren ihm uberstellt worden von Schiffen, die hier zur Reparatur lagen oder neu ausgerustet wurden. Aber den gro?ten Teil hatten die Pre?kommandos aus dem nahen Binnenland und aus kleinen Hafen gebracht: Abschaum, Herumtreiber, die durch gutes Beispiel oder Brutalitat erst zu Seeleuten gemacht werden mu?ten.
        Bolitho sah mude aus und erschopft. Das Gefecht auf der Truculent hatte viel von ihm gefordert. Keen konnte sich gut vorstellen, wie Bolitho seinen hohen Rang vergessen hatte, um das Schiff anstelle des gefallenen Kapitans zu fuhren. Er hatte mit Bolitho schon auf so vielen Schiffen gedient, da? er sich fragte, wie der Admiral all die Gefahren bisher uberlebt hatte.

«Ich freue mich, an diesem stolzen Tag hier an Bord zu sein, Kapitan Keen«, sagte Bolitho lachelnd. Es amusierte ihn wahrscheinlich, wie formell sie beide vor all den hohen Gasten miteinander umgehen mu?ten.
        Keen dankte. Er musterte sein neues Schiff und fand nichts daran auszusetzen. Seine Offiziere und Decksoffiziere hatten wie er bis zum letzten Tag geschuftet. Es hatte immer wieder Stunden gegeben, in denen er glaubte, die Arbeit wurde nie enden. Der Rumpf war voller Zimmerleute und Tischler gewesen, an Deck arbeiteten die Segelmacher, uberall sah man Maler; zwischen ihnen turnten die Midshipmen herum, gescheucht von Cazalet, dem Ersten Offizier. Von ihm wu?te Keen wenig, nur da? er schon Erfahrung auf einem anderen Dreidecker gesammelt hatte. Er schien niemals zu ermuden und fand fur jedes Problem eine Losung. Tag fur Tag hatte Keen ihn bewundernd beobachtet, wie er uber die Berge von Tauwerk stieg, an den Ankern vorbei und zwischen all der Ausrustung hindurch, die ununterbrochen auf dem Schiff abgeliefert wurde. Nichts mehr war davon zu sehen, das Tauwerk war langst da, wo es hingehorte, zu Fu?pferden, Brassen, Taljen, Webleinen und Schoten verarbeitet. Das stehende Gut glanzte frisch geteert wie schwarzes Glas.
        Auf dem Vorschiff standen die Seesoldaten in einem roten Quadrat, auf dem Achterdeck in einer Linie. Die Offiziere in ihren blau-wei?en Uniformen waren nach Dienstalter angetreten, und hinter ihnen warteten die Midshipmen neben den Decksoffizieren. Einige der jungen Herren sahen in diesem Schiff sicherlich die Chance ihres Lebens. Andere, vor allem die kleinen, die wohl besser bei ihren Muttern geblieben waren, blickten bedruckt um sich. Zwolf Meilen stehendes und laufendes Gut mu?ten sie nicht nur benennen, sondern nachts im Dunkeln, bei Regen oder in einem heulenden Sturm auch sicher erklettern und bedienen konnen.
        Und schlie?lich die Seeleute: Erfahrene und Anfanger, Gepre?te und Vagabunden. Sie wu?ten, da? ihr Leben in Keens Handen lag, da? sein Konnen im Gefecht uber Sieg oder Untergang des Schiffes entschied. Er rausperte sich und hob die Pergamentrolle mit der runden, erhabenen Schrift und dem Siegel der Admiralitat. Ihm war, als lese die Worte jemand anderer:

«. Und nach Prufung werden Sie an Bord gehen und als ihr Kapitan das Kommando ubernehmen.»
        Hinter ihm rausperte sich eine Dame. Er erinnerte sich, wie neugierig sie alle Bolitho beobachtet hatten und wie enttauscht sie schienen, weil er ohne Catherine gekommen war. Also nichts, uber das man zu Hause tratschen konnte. Keen hatte noch keine Gelegenheit gefunden, Bolitho nach Catherine zu fragen.». Alle Offiziere und Mannschaften auf diesem Schiff werden Ihnen gehorchen und folgen, wenn Seine Britannische Majestat Konig Georg entschieden hat, das Schiff Black Prince in seine Dienste zu nehmen.»
        Mit einem kurzen Blick uber die Rolle sah Keen seinen Bootsteurer Tojohns neben dem vierschrotigen Allday stehen. Ihre vertrauten Gesichter gaben ihm Kraft und Zuversicht, und er fuhr fort:». Weder Sie noch einer aus Ihrem Schiff wird anderes tun, als ihm die Kriegsartikel vorschreiben. Gott schutze den Konig!»
        Es war geschafft. Keen setzte seinen Hut wieder auf und verstaute die Rolle in seinem Rock. Der Erste Offizier trat vor und rief:»Drei Hurras auf Seine Majestat! Etwas lauter hatten die Hochrufe ausfallen konnen, fand Keen, doch als er sich umdrehte, lachelte der Hafenadmiral. Man begluckwunschte einander, schuttelte Hande und war zufrieden - mit dem Schiff und mit dem Profit.

«Lassen Sie die Besatzung wegtreten, Mr. Cazalet, und kommen Sie dann bitte in meine Kajute!»
        Cazalet hob eine Augenbraue. Es war doch wohl an der Zeit, die Gaste zu bewirten. Einige sahen aus, als wurde man sie nur schwer wieder loswerden.
        Jenour gru?te mit der Hand am Hut.»Verzeihung, Sir. Sir Richard geht jetzt von Bord.»

«Schade. Ich hatte gehofft, er bleibt langer. «Keen sah Bolitho sich abseits von den Besuchern halten, die jetzt am glanzenden neuen Ruderrad vorbei auf das Achterdeck stromten.

«Ubermitteln Sie den Gasten meine Gru?e, Val. Ich mu? leider gehen. Catherine wollte nicht kommen und sich anstarren lassen. «Bolitho blieb ungeruhrt, als eine Dame ihn mit offenem Mund betrachtete, bis ihr Begleiter sie weiterschob.»Ich danke Ihnen, da? Sie sich um sie gekummert haben, als ich auf See war. Und sie wird auch Zenoria finden, ganz bestimmt!»
        Keen horte von achtern Gelachter, das Klappern von Tellern und das Klingen der Glaser.»Ich bringe Sie von Bord, Sir Richard.»
        Sie gingen zur Seitenpforte. Keen hatte die Posten verdoppeln lassen. Ihre Musketen trugen Bajonette, ihre gekreuzten Brustriemen glanzten fleckenlos wei? gekalkt. Sie waren wachsam, denn viele Gepre?te sahen jetzt die letzte Chance zu fliehen, ehe das Schiff in See ging und der Drill begann. Keen hatte mehr Verstandnis fur sie als andere Kommandanten, doch er wu?te auch, da? ihm an der Sollstarke noch immer funfzig Mann fehlten. Bewaffnete Doppelposten wurden jeden abhalten, sein Heil in der Flucht zu suchen.

«Wache an die Pforte!«Die neue glanzende Admiralsbarkasse dumpelte leicht im geschutzten Wasser des Hafens. Allday sa? im Heck, seine Manner trugen neue karierte Hemden und geteerte Hute.
        Bolitho verhielt fur einen letzten Rundblick. Ein Schiff ohne Vergangenheit, ohne Erinnerungen. Ein ganz neuer Anfang. Seltsam, das alles.

«In den nachsten Tagen erhalten Sie neue Befehle«, sagte er zu seinem Flaggkapitan.»Bitte nutzen Sie die Zeit, um aus den Leuten eine Besatzung zu machen, auf die wir beide stolz sein konnen.»
        Keen lachelte, obwohl er Bolitho nicht gern gehen sah.»Ich hatte ja den besten Lehrer.»
        Bolitho drehte sich um - und merkte, da? er schwankte. Keen packte seinen Arm und hielt ihn fest. Einem Seesoldaten fiel vor Schreck die Muskete aus der Hand, sie krachte aufs Deck. Der Leutnant der Wache fuhr ihn heftig an, das gab Bolitho Zeit, sich zu fangen.

«Ihr Auge, Sir Richard?«Keen war entsetzt uber Bolithos hoffnungslose Miene.

«Catherine wei? nichts davon. Aber mir kann niemand mehr helfen.»
        Keen stand zwischen ihm und der Ehrenwache, die ihre Pfeifen bereits zum Signal angesetzt hatten.»Ich wette, sie wei? es langst. «Vergeblich suchte er nach trostenden, helfenden Worten.

«Vielleicht. «Bolitho gru?te die Wache und kletterte vorsichtig die Jakobsleiter hinunter, bis Allday ihm unten in die Barkasse half.
        Keen folgte ihnen mit Blicken, bis sie hinter einem ankernden Truppentransporter verschwunden waren. Die Black Prince war ein sauer verdientes Kommando fur ihn, dienstaltere Kapitane hatten wer wei? was gegeben, es zu bekommen. Ein neues Schiff zu kommandieren, uber dem bald die Flagge eines Vizeadmirals wehen wurde, brachte jedem Ehre. Warum also fuhlte er sich so niedergeschlagen? Ihn storte das Gelachter achtern. Den Gasten an Bord waren die Menschen, die hier dienten, herzlich gleichgultig.
        Ein Leutnant stellte sich ihm in den Weg.»Verzeihung, Sir, aber ein Leichter mit Vorraten fur uns legt gerade druben ab!»

«Sind Sie der wachhabende Offizier, Mr. Flemyng? Dann machen Sie Ihre Arbeit auch richtig, Sir, oder ich suche mir jemand anderen!»
        Der junge Leutnant schien vor Scham zu versinken, und Keen bereute seinen Ausbruch sofort.

«Tut mir leid, Mr. Flemyng. Mein Rang hat Privilegien, aber sein Mi?brauch ist unverzeihlich. «Erstaunt sah ihn der Offizier an.»Fragen Sie mich ruhig, sonst verstehen wir uns nicht, wenn es darauf ankommt. Aber in dem Fall informieren Sie bitte den Bootsmann und die Wache, da? Vorrate an Bord kommen.»
        Der Leutnant verschwand, und Keen sah nach oben. Die Mastspitzen zeichneten winzige Kreise in den Himmel. Mowen lie?en sich im Landwind treiben, spahten hungrig nach Abfallen aus.
        Das also war sein Schiff!
        Die leichte Kutsche, bis hoch an die Fenster mit Schlamm bespritzt, hielt auf dem Hugel an. Die beiden Pferde dampften in der Kalte.
        Yovell lie? die Sitzkante los, an die er sich geklammert hatte.»Diese Wege sind eine Schande, Mylady.»
        Catherine lie? die Scheibe herunter, steckte trotz des Regens, der sie von Chatham hierher begleitet hatte, den Kopf ins Freie und fragte Matthew, den Kutscher:»Wo sind wir?»
        Mit hochrotem Gesicht beugte sich der junge Mann herab und antwortete:»Da druben das Haus mu? es sein, Mylady. Andere gibt es hier nicht. «Er blies die Backen auf. Ziemlich einsam, wenn Sie mich fragen.»

«Du kennst dich hier aus?»
        Er lachelte.»Gewi?, Mylady. Vor vierzehn Jahren war ich hier als Junge. Mit meinem Gro?vater, der auch schon bei den Bolithos diente.»

«Was hattet ihr in Kent zu tun?»

«Sir Richard war hierher abkommandiert worden, um Schmuggler zu jagen. Er schickte mich aber bald zuruck nach Falmouth, als es fur mich zu gefahrlich wurde.»
        Catherine zog den Kopf zuruck.»Fahren wir weiter!«Sie schlo? das Fenster, und die Kutsche rollte durch Schlamm und Pfutzen hugelabwarts. In der Ferne schimmerte der Medway. Die Stra?e von Chatham folgte dem Flu?, der mal in gro?en Bogen und Windungen durch das Land flo?, mal wie ein See zu ruhen schien, doch immer den Himmel spiegelte, silbern oder bleigrau mit jagenden Wolken. Catherine schauderte, als sie weit drau?en Hulks liegen sah, duster und mastlos, sicherlich uberquellend von Kriegsgefangenen. Das erinnerte sie an ihre eigene Zeit im Gefangnis.
        Bolitho war jetzt an Bord seines neuen Flaggschiffes. Wie lange wurde er noch in England bleiben konnen? Sie nahm sich vor, jede Minute mit ihm zu genie?en. Daruber verga? sie fast den Zweck ihrer Reise und die Sorge, ob Herricks Frau sie uberhaupt empfangen wurde. Sie dachte zuruck an die Beisetzung Somervells auf einem Londoner Friedhof. Niemand hatte mit ihr gesprochen au?er dem Pfarrer, den sie aber nicht kannte. Am Grab stand neben ihr nur Bolitho. In der Nahe am Stra?enrand warteten Kutschen, aus denen sie Gesichter beobachteten, um dann spater uber sie zu hecheln. Ein Mann lehnte an der Mauer und war davongeeilt, als sie den Friedhof verlie?en: Somervells Steward.
        Matthew bremste und bog langsam in eine gut gepflasterte Allee ein. Catherine spurte plotzlich ihr Herz schlagen. Sie kam uneingeladen zu Dulcie Herrick und ohne sich angemeldet zu haben. Aber eine Anmeldung hatte vielleicht eine Absage zur Folge gehabt. Es bedruckte sie, da? Herrick sie nie akzeptieren wurde. Und Dulcie?
        Yovell sah nach drau?en.»Ein schones Haus. Was fur ein Aufstieg!«Damit spielte er wohl auf Herricks Herkunft an. Bolithos altester Freund stammte aus armlichen Verhaltnissen. Nur seine Ehe mit der uber alles geliebten Dulcie war ihm Trost und Ansporn gewesen bei seinem schwierigen Aufstieg in der Navy. Als Yovell Catherine aus der Kutsche half, empfand sie Verbitterung. Bolitho hatte seinem Freund immer und uberall zur Seite gestanden - hatte Herrick jetzt nicht loyal und tapfer zu ihnen beiden stehen mussen?

«Bleiben Sie beim Kutscher«, bat sie Yovell.»Mein Besuch wird wahrscheinlich nicht lange dauern.»
        Matthew, der Kutscher, sagte:»Ich bringe die Pferde auf den Hof, da gibt's hoffentlich Wasser fur sie.»
        Catherine stieg die Treppe hinauf, hob einen glanzenden Messingklopfer und lie? ihn gegen das Holz fallen. Fast sofort wurde ihr geoffnet. Sie trat in einen dunklen Flur.
        Als die beiden Manner in den Hof fuhren, hob Yovell entsetzt beide Hande. Zwei Stallburschen reinigten dort eine Kutsche, die kurz vor ihnen angekommen sein mu?te.»Die gehort Lady Belinda, ich kenne sie! Ich mu? ins Haus, zu Lady Catherine. Sir Richard wurde es mir nie verzeihen…»

«La? sie allein«, sagte der Kutscher.»Du kannst nicht zwei
        Stuten gleichzeitig reiten. «Er grinste.»Ich setze jederzeit auf Lady Catherine!»
        Yovell sah ihn tadelnd an und ging zur Hintertur.
        Nach dem Larm der Reise wirkte der Flur auf Catherine fast gespenstisch ruhig und kuhl wie ein Grab.»Ist deine Herrin zu Hause?«fragte sie die kleine Dienerin, die ihr geoffnet hatte.

«Ja, Madam. Aber sie liegt zu Bett. «Das Madchen deutete verlegen auf eine Tur. Und sie hat Besuch!«Catherine lachelte.»Bitte melde mich an. Catherine Somervell - Lady Somervell.»
        Sie trat in ein Vorzimmer und sah drau?en zwei Manner im Garten arbeiten. Als der Regen heftiger wurde, suchten sie Schutz unter dem Fenster. Dabei merkte Catherine, da? die beiden spanisch miteinander sprachen.
        Eine Tur in der Halle schlug, Schritte ertonten, die Tur zum Vorzimmer wurde aufgesto?en - und Belinda stand ihr gegenuber.
        Catherina war noch nie mit ihr zusammengetroffen, erkannte sie aber sofort an der Ahnlichkeit mit ihrem Portrat in Falmouth.»Ich wu?te nicht, da? Sie hier sind«, begann sie,»sonst.»

«Sonst waren Sie geblieben, wo Sie hingehoren«, unterbrach Belinda sie mit gro?er Scharfe.»Wie konnen Sie es wagen, hierher zu kommen!«Ihr Blick wanderte abschatzig uber Catherine und blieb an ihrem Trauerkleid aus schwarzer, glanzloser Seide hangen.»Wie unverschamt von Ihnen, Trauer zu tragen!»
        Von weitem horte man schwaches Rufen.

«Ihre Meinung daruber ist mir herzlich gleichgultig. «Catherine geriet allmahlich in Zorn.»Dies ist nicht Ihr Haus, und ich besuche die Hausherrin, wenn sie es erlaubt!»

«Ich verbitte mir diesen Ton!«fuhr Belinda auf.

«Das sagen ausgerechnet Sie?«Catherine blieb hart.»Sie haben sich mit einem schurkischen Betruger zusammengetan, um mich zu beseitigen: meinem Mann! Nein, ich trauere nicht um Somervell, sondern um Richards Freund.»

«Ich werde Richard niemals freigeben!«Belinda mu?te zur Seite treten, weil Catherine auf die Tur zuging.

«Freigeben? Als ob er ihnen jemals gehort hatte!»
        Wieder war die leise rufende Stimme zu horen. Catherine ging ohne ein weiteres Wort an Belinda vorbei. Sie war wie erwartet: schon und herzlos. Diese Erkenntnis machte sie argerlich, aber auch traurig.
        Das Rufen kam aus einem gro?en Bett mitten im Nachbarzimmer. Herricks Frau lehnte in den Kissen und musterte die Eingetretene wie vordem Belinda - doch ohne Feindschaft.

«Ich bin gleich wieder da, liebe Dulcie!«rief Belinda von drau?en.»Aber im Augenblick brauche ich dringend frische Luft. «Die Haustur fiel zu.

«Bitte verzeihen Sie meinen unangemeldeten Besuch. «Catherine frostelte trotz des Feuers im Kamin.
        Dulcie deutete mit einer Hand auf den Bettrand.»Setzen Sie sich bitte, so kann ich Sie besser sehen. Mein lieber Thomas hat mich vor ein paar Tagen verlassen und segelt jetzt zu seinem Geschwader. Er fehlt mir uberall. «Ihre Hand tastete sich auf Catherines zu und ergriff sie.»Ja, Sie sind wirklich schon, Lady Somervell. Ich verstehe, da? Richard Sie liebt.»
        Dulcies Hand war hei? und trocken.

«Das ist sehr lieb von Ihnen. Aber bitte, nennen Sie mich Catherine.»

«Es tut mir leid, da? Viscount Somervell gestorben ist… Regnet es noch?»
        Catherines Besorgnis wuchs, denn Dulcies Gedanken liefen wirr durcheinander.»War ein Arzt bei Ihnen?«fragte sie vorsichtig.
        Wie von weit her antwortete Dulcie:»Es ist so traurig. Thomas und ich konnten keine Kinder haben.»
        Catherine blieb beharrlich:»Wie lange liegen Sie schon zu Bett?»
        Zum erstenmal lachelte Dulcie. Dabei sah sie zerbrechlich aus wie ein Porzellanpuppchen.»Sie ahneln Thomas«, flusterte sie.»Der fragt auch immer und macht sich solche Sorgen. Er denkt, ich arbeite zuviel. Aber er wei? nicht, wie einsam es hier ist, wenn er auf See ist.»

«Was sind das fur Manner, die im Garten arbeiten?»
        Dulcie hatte die Frage offenbar nicht verstanden.»Belinda ist so lieb«, fuhr sie fort.»Sie haben eine kleine Tochter.»
        Catherine sah zur Seite. Sie, das waren Richard und Belinda.»Diese Manner sprachen spanisch!«beharrte sie.
        Sie hatte nicht gehort, da? Belinda zuruckgekommen war.»Ach ja, Sie waren ja mal mit einem Spanier verheiratet«, sagte Lady Bolitho.»Einer von Ihren vielen Ehemannern!»

«Es sind Kriegsgefangene«, antwortete Dulcie.»Freigelassen auf Ehrenwort. Sehr gute Gartner. «Ihre Lider flatterten.»Ich bin so mude.»
        Catherine loste ihre Hand und stand auf.»Dann werde ich Sie jetzt verlassen. Aber ich wurde mich gern ausfuhrlicher mit Ihnen unterhalten, Dulcie.»
        Belinda folgte ihr in die Halle.»Verschonen Sie Dulcie mit Ihrer Gegenwart«, sagte sie.»Man wei? ja, wer Sie sind. Mussen Sie sich auch noch den Herricks aufdrangen? Den Ruf meines Mannes haben Sie schon auf dem Gewissen. Eines Tages wird er noch bei einem Duell getotet werden!«Bosheit funkelte in Belindas Augen.
        Catherine dachte an den Mann im Lustgarten am Themseufer und an Oberst Collyear. Beide hatten sie behandelt wie eine Hure und beide Male hatte sich Bolitho wirklich fast duelliert.

«Und das macht Ihnen Sorge? Sie waren doch noch nie stolz auf Richard. Warum tragen Sie uberhaupt seinen Namen?«Sie ging zur Tur.»Dulcie hat Fieber. Ich habe die beiden Gartner unter dem Fenster gehort, sie sprachen vom Kerkerfieber, das auf den Gefangnisschiffen herrscht. Vielleicht hat sich Dulcie bei ihnen angesteckt. Seit wann ist sie krank?»
        Belinda war unsicher geworden.»Seit zwei Tagen. Seit ihr Mann das Haus verlassen hat.»
        Catherine fa?te einen Entschlu?.»Ich schicke Mr. Yovell mit einer Nachricht nach London. Hier mu? ein erfahrener Arzt her, nicht der Landdoktor aus dem Dorf. Und kein Wort zu den Dienern uber Kerkerfieber. Die laufen sonst alle weg. Auch Sie sollten das Zimmer nicht betreten.»

«Ist es denn so ansteckend?»
        Catherine sah Belinda verachtlich an. Diese Frau war ihr keine Hilfe.»Ich bleibe hier. Kerkerfieber ist Typhus. Dulcie wird ihn nicht uberleben.»
        Yovell kam ungerufen in die Halle, und Catherine erklarte ihm leise die Lage.

«Das ist ja schrecklich, Mylady! Wir brauchen sofort einen erfahrenen Arzt!»
        Sie sah die Furcht in seinen Augen und legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. Fur Dulcie kame er zu spat, aber die anderen hier brauchen ihn. Ich kenne Typhus. Man hatte sie viel fruher behandeln mussen, jetzt ist es wohl hoffnungslos. Sie hat Schmerzen und schon einen Ausschlag am Hals, wie ich sehen konnte, als sich ihr Schal verschob. Ich bleibe bei ihr. Niemand sollte einsam sterben.»
        Belinda ging mit fahrigen Bewegungen in der Halle auf und ab.»Ich mu? nach London zuruck, meine Tochter wartet.«»Dann verschwinden Sie endlich!»
        Gru?los eilte Belinda davon. Catherine lachelte.»Begreifen Sie, Daniel, da? ich hier gebraucht werde? Sagen Sie das bitte Sir Richard.»
        Der Schreiber verbeugte sich und verschwand. Gleich darauf klapperte die Kutsche in den Regen hinaus. Richard wurde ihre Entscheidung verstehen. Als ihn seinerzeit ein Fieber bis zur Bewu?tlosigkeit gequalt hatte, war sie nackt zu ihm ins Bett geschlupft, um seinen zitternden Korper zu warmen.
        Belinda kam mit ihrem Gepack die gro?e Treppe herunter, fixierte Catherine bose und warf im Vorbeigehen hin:»Ich hoffe, Sie sterben hier!»

«Auch dann wird Richard nicht zu Ihnen zuruckkehren«, antwortete Catherine kuhl.
        Dann rollte auch Belindas Kutsche davon.
        Die kleine Dienerin, die ihr die Tur geoffnet hatte, stand plotzlich verschreckt vor Catherine.

«Hol bitte die Haushalterin und die Kochin«, befahl sie.»Wie hei?t du?«»Mary, Mylady.»

«Gut, Mary. Wir beide werden uns um deine Herrin kummern. Das wird es ihr leichter machen.»

«Was leichter machen, Madam?»

«Schon gut. Hol die beiden, und dann sage ich euch, was wir brauchen.»
        Als das Madchen gegangen war, lie? Catherine sich auf einen Stuhl sinken. Was da auf sie zukam, verlangte Umsicht und Starke. Das Leben hier im Haus konnte zu einem Alptraum werden. Wieder horte sie Dulcie rufen; es klang wie der Name Thomas.

«Ich hoffe, Sie sterben hier«, hatte Belinda ihr gewunscht. Seltsamerweise gab ihr dieser Wunsch Kraft. Und als die Kochin und die Haushalterin kamen, sprach sie ruhig und ohne zu zogern mit ihnen.

«Eure Herrin mu? gebadet werden, das werde ich tun. Sie kochen ihr bitte eine nahrhafte Suppe. Und dann brauche ich Brandy.»
        Die Kochin verschwand. Die Haushalterin sagte leise:»Ich bleibe hier, bis es vorbei ist. Madam hat mich immer gut behandelt und ins Haus aufgenommen, als mein Mann starb. «Sie schaute zu Catherine auf.»Er ging unter die Soldaten und ist in Indien am Fieber gestorben.»

«Also wissen Sie, was Mrs. Herrick hat?»

«Ich konnt's mir denken. Obwohl Lady Bolitho eben sagte, ich sei wohl narrisch. Sie ist ja schnell verschwunden!»
        Catherine rollte die Armel hoch.»Also fangen wir an! Und schicken Sie jemanden zum Arzt, er mu? Bescheid wissen.»
        Die Haushalterin musterte Catherines teure schwarze Robe.»Ich hab' noch irgendwo abgelegte Kleider von einem Hausmadchen. Die sollten Sie anziehen. Wir mussen sie ja hinterher verbrennen.»
        Es wurde spater als geplant und schon dunkel, bis Matthew die Kutsche durch das vertraute Stadttor lenken konnte. Als sie uber das Kopfsteinpflaster ratterten, schaute Bolitho hinaus. Was hatte sich seit seinem letzten Aufenthalt in Falmouth verandert? Es war immer wieder schon, hierher zuruckzukehren, auch wenn jetzt Schnee in der Luft lag.
        Aus einigen Fenstern und sogar einigen Laden schien noch Licht. Als die Kutsche dann den Berg hinauffuhr, betrachtete er die Bauernhauser. Kerzen brannten in manchen Fenstern, an den Scheiben hingen bunte Papierblumen und grune Zweige als Schmuck: Weihnachten zu Hause.
        Catherine in ihrem warmen Mantel mit der Pelzhaube schaute neben Bolitho aus dem Fenster. Hinter ihr lagen schwere Tage, an denen sie geglaubt hatte, Falmouth nie wiederzusehen.
        Yovell war mit der Kutsche zu spat vor dem Gasthaus in Chatham angekommen, in dem sie Zimmer gemietet hatten. Unterwegs hatten sie ein Rad verloren und deshalb einen Tag langer als sonst gebraucht. Bolitho war au?er sich vor Sorge gewesen und hatte Pferde fur sich und Jenour satteln lassen. Dann waren sie ohne Pause zu Herricks Haus geritten, aber Dulcie war schon gestorben. Ihr schwaches Herz hatte aufgehort zu schlagen, noch ehe das furchtbare Fieber sie umbringen konnte. Catherine lag unter einer Decke nackt im Bett, denn die Haushalterin hatte alle Kleider verbrannt. Wie leicht hatte sie sich anstecken konnen, wahrend sie Dulcie bis zu ihrem letzten Atemzug betreute. Der Arzt hatte ihr nicht viel helfen konnen, er war ein schwachlicher Mensch und vollig uberfordert.
        Und nun die lange Fahrt nach Falmouth - sechs Tage hatten sie bis nach Hause gebraucht.
        Die Kutsche hielt.
        Ferguson und seine Frau erwarteten sie an der Treppe, andere vertraute Gesichter tauchten im Licht der Kutschenlampen auf. Das Gepack wurde abgeladen. Ferguson hatte das Haus gut vorbereitet. Gro?e Feuer flackerten in den Kaminen, selbst in dem in der Halle, denn Warme war jetzt sehr willkommen.
        Als sie endlich in ihrem Zimmer waren, von dem aus man auf das Meer blicken konnte, bat Catherine um ein hei?es Bad.»Ich mochte alles abwaschen«, sagte sie.
        Ozzard kam mit vielen Kannen voll hei?em Wasser.
        Sie rief durch die Badezimmertur:»Wie wird Thomas von Dulcies Tod erfahren?»
        Bolitho trat ans Fenster: bedeckter Himmel, keine Sterne. Drau?en sah er ein winziges Licht. Ein kleines Boot, das noch rechtzeitig zum Weihnachtsabend den Hafen erreichen wollte. Er dachte daran, wie Herrick ihm damals die Nachricht von Cheneys Tod gebracht hatte.»Admiral Godschale schickt ihm eine Depesche«, antwortete er,»mit dem ersten Kurierschiff, das zu Thomas' Geschwader auslauft. Ich habe ihm einen Brief beigelegt - von uns beiden. «Er horte ihre Zustimmung.»Du bist wirklich sehr mutig gewesen. Wie leicht hattest du selber sterben konnen!»
        Sie trat ins Zimmer, in einen Bademantel gehullt. Ihr Gesicht gluhte.»Dulcie hat im Fieber immer wieder Thomas' Namen gerufen. Sie wu?te, da? sie sterben mu?te.»
        Bolitho hielt sie so, da? sie sein Gesicht nicht sehen konnte.»Ich mu? bald auf die Black Prince zuruck, Kate. Vielleicht schon in zwei Wochen, vielleicht noch fruher.»
        Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.»Ich wei?. Aber denk nicht daran. Nicht jetzt.»
        Er blickte ins Feuer, in dem ein Schwarm Funken aufstieg.»Noch etwas, Kate. Es war soviel zu tun nach Olivers und dann noch Dulcies Tod, deshalb kam ich nicht dazu, es dir zu sagen. Verstehst du?»
        Sie bog sich in seinen Armen zuruck, als suche sie die Gedanken hinter seiner Stirn.»Du siehst aus wie ein kleiner Junge, der ein
        Geheimnis hat«, flusterte sie.

«Die Arzte konnen nichts mehr fur mein Auge tun«, berichtete er sachlich. Und atmete erleichtert auf, weil es nun endlich gesagt war.
        Sie loste sich aus seinen Armen, fuhrte ihn zum Fenster und stie? es auf. Kirchenglocken, Liebling, horst du? Die Weihnachtsglocken!»
        Sie hielten einander fest, wahrend die Glocken der Kirche von Charles the Martyr ihr frohliches Gelaut uber Stadt und Hugel ertonen lie?en.»Ku? mich«, sagte sie, es ist Mitternacht. Weihnachtsmorgen!»
        Danach schlo? sie leise das Fenster und sagte:»Sieh mich an, Richard. Wenn mein Auge verletzt ware, was wurdest du tun? Es wurde dich genausowenig storen wie mich deines. Wir leben weiter und geben die Hoffnung nicht auf. Kein Arzt ist unfehlbar.»
        Es klopfte an der Tur, Ozzard stand vor ihnen mit einer Flasche und zwei Glasern. Verlegen sah er sie an.»Ich dachte, das ware jetzt das Richtige fur Sie, Mylady.
«Es war Champagner, gekuhlt mit dem Eis des Flusses.
        Bolitho dankte Ozzard, der schnell den Raum verlie?, und offnete die Flasche selber.

«Das einzig Gute, das aus Frankreich kommt!«Catherine warf den Kopf zuruck und lachte wie damals im Lustgarten.
        Bolitho sagte:»Wei?t du, da? dies seit meiner Kadettenzeit das erste Weihnachten ist, das ich zu Hause verlebe?»
        Sie schlug die Bettdecke zuruck, das halbvolle Glas noch in der Hand. Dann stellte sie es ab, lie? den Mantel fallen und sah ihn aus ihren dunklen Augen an.»Komm, das wollen wir feiern.»
        Bolitho ku?te ihre Bruste, benetzte sie mit Champagner, ku?te sie wieder.

«Komm!«flusterte sie.»Bin ich denn ein Stein, da? du mich so lange warten la?t?»
        Ferguson und Allday uberquerten den Hof, um noch ein Glas zu trinken, ehe im Haus die Festlichkeiten losbrachen. Allday sah oben Kerzenlicht hinter einem Fenster brennen und seufzte. Ferguson, sein Freund seit den Tagen auf der Phalarope, ahnte, was in ihm vorging. Dem Bootssteurer fehlte eine Frau, in deren Arme er Liebe gefunden hatte.

«Erzahle, John«, lenkte er ihn ab.»Was ist geschehen? Wir haben nur Geruchte gehort.»
        Allday berichtete.»Und dann ist Herricks Frau gestorben. Von unserer Lady bis zuletzt gepflegt. Soll man's glauben?»
        Ferguson zog ihn durch eine Tur. Seine Frau Grace war schon zu Bett gegangen. Hier, das ist unser bester Rum.»
        Allday trank und hustete.»Der bringt aber Wind in die Segel! Woher hast du den?»

«Von einem Schiffer, der ihn aus Port Royal mitbrachte. «Ferguson hob sein Glas. Willkommen zu Hause, alter Freund!»
        Allday grinste. Das hatte auch Bolitho sagen konnen.»Und einen Schluck auf die, die nie mehr zuruckkehren!«Er lachte kollernd, und die Katze, die vor dem Kamin schlief, offnete erschrocken die Augen.

«Auch einen auf die Offiziere - jedenfalls auf einige von ihnen!»
        Als Ferguson die zweite Flasche offnete, sagte Allday leise:»Gott schutze euch!»
        Kurz darauf wurde das Fenster druben dunkel. Von fern klang das Rauschen der See durch die Nacht.



        XVI Das Nordseegeschwader

        Seiner Britannischen Majestat Schiff Black Prince schien einen Augenblick zu zogern, ehe es seine eintausendachthundert Tonnen ins nachste Wellental hinabgleiten lie?. Achtern in der gro?en Tageskajute trank Bolitho seine letzte Tasse Morgenkaffee und staunte immer noch, wie leicht das gewaltige Schiff diese schwere See nahm. Es war jetzt acht Uhr morgens, und er horte die Stimmen der ablosenden Wache oben nur sehr gedampft. Auf dem Dreidecker lag die Admiralskajute weit entfernt vom Dienstbetrieb, er schien hier geschutzter zu leben; die Offiziersmesse lag unter ihm und Kommandant Keens Kajute uber ihm. Und zum ersten Mal geno? er den Luxus einer privaten Heckgalerie. Seine Tageskajute war mit wertvollen Holzern getafelt und auf das sorgfaltigste ausgemalt worden. Die Bank unter den Heckfenstern war mit grunem Leder gepolstert, ebenso die Stuhle. Catherine mit ihrem sicheren Geschmack hatte nichts Besseres auswahlen konnen, dachte er. Doch uberall auf dem Leder glitzerte Feuchtigkeit, die Luft war kalt und ungemutlich. Den siebenhundert Seeleuten und einhundert
        Soldaten an Bord wurde es noch schlimmer gehen. Sie waren erst dabei, sich mit dem riesigen Schiff vertraut zu machen.
        Allday trat ein und meldete:»Eis bildet sich an Deck, Sir Richard. Und das am 1. Februar!»

«Und sonst, Allday?«fragte Bolitho den Mann, der auf dem Schiff sein Auge und Ohr war.
        Allday hob die Schultern und verzog das Gesicht. Seine Wunde schmerzte in der Kalte haufiger.»Die Leute sind noch unruhig und unsicher. Aber ich mu? schon sagen, Sir Richard, fur ein so gro?es Schiff segelt sie verdammt schnell. Noch ein paar Wochen Drill, dann hat Kapitan Keen eine sehr gute Besatzung.»
        Bolitho verstand. Auf neuen Schiffen mu?te auch die Crew alles von neuem lernen. Black Prince war keine wendige Fregatte. Mit ihrem hohen Rumpf, den vierundneunzig Kanonen in drei Batteriedecks und den je zwei Karronaden vorn und achtern verlangte sie eine gut eingespielte Mannschaft.

«Ich habe Pfeifen gehort. Um was geht's?»
        Ozzard machte sich an dem Schrank zu schaffen, den Catherine ihm fur die neue Kajute geschenkt hatte. Ein Schrank aus Mahagoni mit einem Kuhler fur kostbare Weine und makellos glanzenden Turen, in die das Wappen der Bolithos eingelegt war.

«Es hie? alle Mann an Deck als Zeugen einer Bestrafung, Sir Richard.»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an. Keen ha?te sonst Auspeitschungen, im Gegensatz zu vielen anderen Kapitanen, die es gern mit der neunschwanzigen Katze hielten. Erst kam bei ihnen die Strafe, spater die Untersuchung.
        Vor der Tur stie? der Posten den Gewehrkolben auf den Boden. Um diese Stunde kam gewohnlich Keen, nachdem er das Log gepruft hatte, die neue Wache aufgezogen war und er das Tagespensum mit dem Ersten Offizier besprochen hatte.
        Er trat ein und meldete zur Begru?ung:»Ein steifer Nordwest, Sir Richard. «Er nickte Allday zu.»Aber die Decks sind trocken. Das Schiff fuhlt sich wohl in solchem Wetter. «Trotzdem sah er erschopft aus und hatte dunkle Schatten unter den Augen.»Wenn der Wind durchsteht, werden wir das Geschwader gegen Mittag erreichen.

        Bolitho merkte, da? Ozzard und Allday die Kajute verlassen hatten.»Nehmen Sie Platz, Val. Ist sonst alles in Ordnung?»
        Keen sah durch die salzverkrusteten Fenster.»Es gibt ein paar alte Bekannte an Bord. Das sollten Sie wissen, ehe Sie zufallig auf sie treffen.»
        Hinter den dicken Scheiben hob sich die See fast lautlos und sackte wieder weg. So war es immer, auf jedem Schiff traf man Bekannte. Die Navy war da wie eine Familie oder wie ein Gefangnis. Und mit den bekannten Gesichtern kamen die alten Erinnerungen wieder.

«Danke, Val, das ist richtig. Ich habe mich an Deck kaum sehen lassen, mit Absicht.»
        Ein Deck tiefer erzitterte der Ruderschaft unter dem Anprall eines Brechers. Das war bis hier oben zu spuren.

«Wie hat sich mein Neffe zurechtgefunden? Mit seinen Erfahrungen im Dienst der East India Company mu?te er sich bald zum Leutnantsexamen melden konnen.»
        Keens Stirn legte sich in Falten.»Darf ich offen sprechen, Sir Richard? Wir kennen uns doch lange und gut genug…»

«Das erwarte ich auch von Ihnen, Val. Wir sind Freunde, und das hat mit unserem Dienstrang nichts zu tun. «Er sah die Unsicherheit in Keens Gesicht.»Sie haben an Bord das Kommando, nicht ich.»

«Ich mu?te eine Auspeitschung anordnen. Der Delinquent namens Fittock hatte angeblich Midshipman Vincent widersprochen, Ihrem Neffen. Und sein vorgesetzter Leutnant besitzt noch nicht viel Erfahrung.»

«Aha. Er hat sicherlich gedacht, es sei besser, die Aussage von Midshipman Vincent nicht zu bezweifeln. Schlie?lich ist er der Neffe des Admirals!«Bolitho wurde argerlich.
        Keen hob die Schultern.»Es ist nicht leicht auf einem neuen Schiff. Die vielen unerfahrenen Manner wurden jedes Nachgeben falsch verstehen und sofort hemmungslos ausnutzen.»

«Trotzdem - Vincent hat den Matrosen provoziert?»

«Ich denke schon. Fittock ist ein guter Toppgast. Es konnte schaden, einen so erfahrenen Matrosen vor gepre?ten Mannern auszupeitschen.»
        Bolitho erinnerte sich an den Kommandanten der Hyperion, den Vorganger von Keen. Der hatte durchgedreht und seinen Ersten Offizier erschie?en wollen. Er dachte auch an den kranken, uberarbeiteten Kommodore Warren am Kap der Guten Hoffnung und an Varian, den eine zweite Verhandlung erwartete, die leicht zu einem Todesurteil fuhren konnte. Alles Manner, die unter der schweren Last des Dienstes zusammengebrochen waren.

«Vielleicht ist Vincent nur unerfahren«, versuchte er zu vermitteln.»Oder er wollte jemanden beeindrucken.»
        Sanft korrigierte Val:»Das glauben Sie doch nicht wirklich.»
        Bolitho nickte.»Stimmt, es ist unwahrscheinlich. Aber was konnen wir tun? Wenig. Sie haben hier das Kommando. Nehmen wir mal an, ich wurde mich einmischen, dann wurde man daraus schlie?en, da? der Admiral seinem Flaggkapitan mi?traut. Wenn Sie Vincent nicht decken, ware das Ergebnis ahnlich. Dann hie?e es, da? die jungen Offiziere an Bord keinen Schu? Pulver wert seien.»
        Keen seufzte.»Manch einer hielte dieses Problem fur unbedeutend, Sir Richard, aber die Mannschaft ist noch nicht zusammengewachsen. Von Loyalitat ist noch nichts zu spuren.»
        Bolitho stimmte ihm zu.»Und wir haben so wenig Zeit.»
        Keen erhob sich.»Ich werde es auch mit Mr. Cazalet besprechen, dem Ersten Offizier. Er ist schon wie mein rechter Arm. Aber man wird ihn bald versetzen und ihm das Kommando uber ein eigenes Schiff geben.»

«Augenblick noch, Val. Ich soll Ihnen sagen, da? Catherine Zenoria besuchen wird. Sie standen einander fruher sehr nahe und haben ahnliches durchgemacht. Also nur Mut, Sie werden Zenoria wiederfinden. «Keen schwieg.

«Werden Sie Konteradmiral Herrick auf der Benbow besuchen?«fragte er schlie?lich. Er reagierte sehr verzweifelt auf die schlimme Nachricht, die man ihm brachte. Aber niemand sollte vom Tod seiner Frau nur aus einem Brief der Admiralitat erfahren. Verzeihen Sie, Sir Richard, vielleicht hatte ich das nicht sagen sollen?

        Bolitho strich sich den Armel glatt.»Ja, ich werde mit Herrick sprechen.»
        Es klopfte an der Lamellentur, und der Posten meldete:»Midshipman der Wache, Sir!»
        Ozzard erschien wieder und offnete dem Midshipman die Tur.

«Noch einer, der Ihnen viel zu verdanken hat, Sir Richard«, sagte Keen leise.
        Bolitho sah dem blassen jungen Mann entgegen, der seine Wiedersehensfreude kaum verbergen konnte.

«Ich freue mich, Sie auf diesem Schiff zu wissen, Mr. Segrave.»
        Er wirkte alter als damals, als er Leutnant Tyacke geholfen hatte, die brennende Albacora zwischen die ankernden Versorger zu segeln.»Ich - ich habe Ihnen geschrieben, Sir Richard, um mich fur Ihre Unterstutzung zu bedanken. Mein Onkel, der Admiral, bewundert Sie sehr. «Erst jetzt wandte sich Segrave an Keen:»Mr. Cazalet la?t ausrichten, der Ausguck hat im Nordosten ein Segel gesichtet!«»Danke. Ich komme gleich an Deck.»
        Als die Tur hinter Segrave zufiel, sagte Keen:»Ich wei? Bescheid uber den Jungen und die Prugel, die er auf seinem ersten Schiff bezogen hat. Leutnant Tyacke ist in seinen Augen der Gro?te!«Er lachelte, sein Gesicht sah jetzt endlich entspannt aus.»Nach Ihnen naturlich, Sir Richard.»
        Es tat gut, Keen frohlich zu sehen. Zu all den Lasten, die ein neues Kommando auf einem neuen Schiff mit sich brachte, bedruckte ihn sicher auch die Sorge um Zenoria. Suchte sie Keen im Schlaf ebenso heim wie das Catherine tat, wenn Bolitho zu lange auf See gewesen war?

«Leutnant Tyacke ist ein bemerkenswerter Mann«, sagte er.»Wenn man ihn erst besser kennt, empfindet man statt Mitleid gro?e Bewunderung.»
        Sie gingen zusammen nach oben zu ihrem Morgenspaziergang auf dem Achterdeck. Die Achterdeckswache wich ihnen respektvoll aus und bewegte sich auch sonst mit gro?ter Vorsicht, um sie ja nicht zu behindern.
        Der Himmel war tiefgrau, Masten und Segel standen dunkel davor. Unter Mars- und Gro?segel laufend, lag die Black Prince nur wenig nach Lee uber.

«An Deck!«Nach der Truculent klang der Ruf von oben, als sei der Ausguck Meilen entfernt.»Es ist eine Fregatte, Sir!»
        Keen schlug den Mantelkragen gegen den bei?enden Wind hoch.»Also kein Franzose, denn der wurde mit Vollzeug davonsegeln!»
        Bolitho hielt sich gerade noch davor zuruck, sein verletztes Auge zu reiben. Man beobachtete jede seiner Bewegungen, und viele sahen ihn jetzt zum ersten Mal. Ein neues Schiff, ein bekannter Flaggoffizier - nur zu leicht konnte er das Vertrauen der Manner verspielen.
        Ein gro?er, dunkelhaariger Midshipman, dessen Stimme alles ubertonte, befahl:»Nach oben mit Ihnen, Mr. Gough! Und nehmen Sie ein Fernglas mit!«Ein kleiner Kadett kletterte eilends die
        Webleinen empor und war im Gewirr des Riggs schnell verschwunden. Bolitho lachelte innerlich. Der gro?e Midshipman hie? Bosanquet und gehorte zur Gang des Stuckmeisters. Er sollte bald seine Leutnantsprufung ablegen.

«An Deck!«Einige Matrosen grinsten, als sie die piepsige Stimme des Jungen von oben horten.»Sie setzt das Erkennungssignal!»
        Cazalet, der Erste Offizier, hob das Sprachrohr; seine dunklen Augenbrauen zitterten.»Wir sind alle schon sehr gespannt, Mr. Gough.»
        Wieder piepste der Midshipman aus luftiger Hohe:»Die Zahlen lauten funf, vier, sechs, Sir!»
        Bosanquet hatte schon das Signalbuch aufgeschlagen.»Die Zest. Vierundvierzig Kanonen, Kommandant Kapitan Varian.»
        Jenour trat neben ihn und schaute zu Bolitho hinuber.»Korrigieren Sie bitte das Buch. Varian ist nicht mehr ihr Kommandant.»
        Keen befahl:»Bitte antworten Sie der Zest!»
        Bolitho trat an die Querreling. Einige sahen in ihm sicherlich Varians Henker. Unten auf dem Hauptdeck riggten der Bootsmann Ben Gilpin und seine Gehilfen in Lee eine Grating auf. Sie bereiteten die Auspeitschung vor. Fur alle, die frisch an Bord gekommen waren, mu?te dieser Strafvollzug ein furchtbarer Anblick sein. Und die anderen wurde er noch brutaler werden lassen.
        Bolitho straffte sich, als er Felicitys Sohn ganz in der Nahe stehen sah. In seinem Blick lag zuviel grausame Vorfreude.

«Fallen Sie zwei Strich ab, Mr. Cazalet. Wir wollen auf die Zest warten«, befahl Keen.
        Jenour hatte gesehen, wie Bolitho sich uber das linke Auge strich. In seiner Familie gab es einige Arzte, und einem davon, seinem Onkel, hatte er den fremd klingenden Namen des Arztes genannt, der Bolitho behandelt hatte: Rudolf Braks. Sein Onkel kannte den Namen gut.»Der hat Lord Nelson behandelt«, sagte er,»und er behandelt auch den Konig, dessen Augenlicht immer schlechter wird. Wenn Braks deinem Admiral nicht helfen konnte, dann kann es keiner.»
        Jetzt horte er den Ersten Offizier melden:»Alle Mann an Deck angetreten, Sir.»
        Keen antwortete kurzangebunden:»Uberwachen Sie die leidige Sache.»
        Bolitho horte die Bitterkeit in Keens Ton. Er erinnerte sich wahrscheinlich an den Straflingstransport. Damals hatte er Zenoria vor der Peitsche gerettet und spater ihre Unschuld nachgewiesen. Aber ein Hieb hatte sie noch getroffen und ihre Haut von der Schulter bis zur Hufte aufgerissen. Die Narbe wurde sie nie mehr verlieren.
        Bolitho ging nach unten in seine Tageskajute und setzte sich auf die Bank unter den Fenstern. Er ballte die Faust, als er, gedampft durch die Decks, die Trommeln wirbeln horte. Das ferne Knallen der Peitsche traf ihn fast ebenso wie den Delinquenten. Er versuchte an Herrick zu denken und an das Geschwader, das er von ihm ubernehmen wurde. Funf Linienschiffe, doch nur zwei Fregatten. Diese Aufklarer fehlten eben uberall.
        Allday trat ein und ging quer durch die Kajute.»Die Bestrafung ist voruber, Sir Richard.»
        Bolitho horte ihn kaum, er dachte an Vincent. Und an die abweisende Art, wie seine Mutter Catherine behandelt hatte.

«Wei?t du, alter Freund«, sagte er wie zu sich selber,»wer helfen will, tut manchmal das Falsche.»

«Zugleich!«Allday beugte sich an der Pinne vor, als ritte er uber holperige Stra?en, statt die Barkasse der Black Prince zu steuern. Trotz seiner gro?en Erfahrung machte ihm dieses Ubersetzen von einem Flaggschiff zum anderen zu schaffen. Er hielt sich zuruck, um in Gegenwart seines Admirals nicht laut zu fluchen, aber spater wurde er es dafur um so mehr tun. Die untrainierten Rudergasten furchteten zu Recht Alldays Ungeduld mehr als den hohen Gast im Heck. Bolitho sah zum ersten Mal sein Flaggschiff vom Wasser aus. Im Februarlicht glanzte der machtige Dreidecker wie poliertes Glas. Sein schwarz-beiger Rumpf mit den wei?en Kanonenpforten war der einzige Farbfleck auf der grauen Nordsee. Weit achteraus drehte die Zest auf ihren Platz im Geschwader ein.
        Das Schiff lag gut im Trimm. Keen hatte sich rundum rudern lassen, ehe es das erste Mal auf See ging und noch einmal danach. Er hatte Ballast und Vorrate umstauen lassen, bis der Bug hoher aus dem Wasser kam. Unter dem Bugspriet drohte mit gezogenem
        Schwert die Galionsfigur, der Schwarze Prinz, Sohn Konig Edwards III., in seinem Kettenhemd, geschmuckt mit Lilie und englischem Lowen. Unter dem schwarzen, gekronten Helm starrte er wie lebensecht nach vorn. Der Holzschnitzer war einer der besten Englands gewesen, der hochbetagte Aaron Mallow aus Sheerness.
        Vor ihnen lag jetzt die Benbow, Herricks Flaggschiff. Sie fuhrte vierundsiebzig Kanonen wie die Hyperion, war jedoch schwerer, denn sie war gebaut worden, als England noch Eichen fur seine holzernen Mauern in Fulle besa?. Jetzt waren die Walder in Kent und Sussex, in Hampshire und im Westen abgeholzt, denn der Krieg, ewig hungrig, fra? nicht nur die Manner, sondern auch die Baume.
        Von druben leuchtete ihnen das Rot der angetretenen Seesoldaten entgegen, Metall blitzte auf. Bolitho mu?te wieder an den Toppgast denken, der ausgepeitscht worden war.
        Keen hatte ihm berichtet: Mit nacktem Oberkorper war er an die Grating gefesselt worden und hatte ohne Schmerzensschrei die zwolf Hiebe ausgehalten - nur die Luft hatte ihm die Peitsche aus den Lungen gepre?t. Aber als man ihn losband, hatte eine Stimme aus der stummen Menge geschrien:»Das zahlen wir denen heim, Jim! Naturlich konnte weder der Waffenmeister noch der Profos den Rufer finden. Seither war der bis dahin unbekannte Matrose Jim Fittock an Bord so etwas wie ein Martyrer geworden - wegen Felicitys Sohn Miles Vincent. Das durfte sich auf keinen Fall wiederholen.
        Dann ragte der Rumpf der Benbow uber ihnen auf, und Allday wurde noch zorniger, weil der Buggast einige Male vergeblich an den Gro?rusten einzuhaken versuchte. Schlie?lich kletterte Bolitho die salzverkrustete Treppe empor. Bei diesem truben Licht hatte er stolpern konnen, ohne da? jemand wegen seines Auges Verdacht schopfte. Der Wirbel der Trommeln, das Schrillen der Pfeifen und die gebrullten Kommandos zu seinem Empfang schmerzten ihn fast. Aber in diesen wenigen Minuten erkannte er vertraute Gesichter an Bord wieder, die vorschriftsma?ig geradeaus starrten, unter ihnen Hector Gossage, Herricks Flaggkapitan. Er stand wie ein Fels vor den anderen Offizieren. Ein neuer Mann hatte De Broux ersetzt, den Flaggleutnant mit dem» verdammten franzosischen Namen«, wie Herrick immer gesagt hatte. Der Neue war plump und schien weder besonders intelligent noch besonders interessiert zu sein. Und dann sah er Herrick - und erschrak zutiefst.
        Sein Haar, fruher braun und noch kurzlich nur mit wenigen grauen Faden durchzogen, hatte alle Farbe verloren. Tiefe Falten entstellten das vertraute Gesicht. Sie hatten einander doch erst vor kurzem in der Admiralitat getroffen. Konnte ein Mann in kurzer Zeit so altern?

«Willkommen an Bord, Sir Richard!«Herricks Handedruck war so fest wie immer.»Sie erinnern sich sicher an Kapitan Gossage?»
        Bolitho nickte, lie? aber Herricks Hand nicht los.»Ich fuhle mit dir, Thomas.»
        Herrick zuckte mit den Schultern, wollte seine Gefuhle verbergen.»Lassen Sie wegtreten, Kapitan Gossage«, befahl er.»Bleiben Sie in der Nahe der Black Prince und informieren Sie mich, falls sich das Wetter verschlechtert. «Er fuhrte Bolitho nach achtern, und dieser fragte sich dabei, ob Herrick schon immer so gebuckt gegangen war.
        In der Tageskajute, wo er so oft auf und ab geschritten war, sah sich Bolitho um. Gab es noch Spuren von ihm? Nein, keine. Diese Kajute hatte genausogut auf jedem anderen Linienschiff sein konnen.
        Ein Diener, an den er sich nicht erinnerte, brachte Brandy. Herrick sah Bolitho an.»Ich bin froh, da? du mich hier ablost, damit die Benbow endlich daheim ins Dock kann. Wir haben im letzten Sturm fast das Ruder verloren. Damals warst du wohl noch an Land. Die See ri? einen Mastergehilfen und zwei Matrosen uber Bord - wir hatten gar keine Chance, sie aufzufischen.»
        Bolitho unterbrach ihn nicht. Herrick mu?te sich immer erst freireden, ehe er zur Sache kam, das war er gewohnt. Aber Brandy um diese Stunde, das war neu. Ingwerbier oder Wein - das kannte er bei Herrick. Vielleicht hatte er mit dem Trinken begonnen, nachdem Dulcie gestorben war.

«Ich habe deinen Beileidsbrief bekommen, er tat mir gut. «Harsch fuhr er den Diener an:»Lassen Sie die Flasche hier, Mann! Ich komme schon alleine klar. «Der alte Herrick hatte so nie gesprochen; nicht umsonst war er immer der beliebteste Offizier bei den Besatzungen gewesen. Seine Hand zitterte leicht, als er die Glaser nachfullte und ein paar Spritzer Brandy auf den Teppich verschuttete. Er schien es nicht zu bemerken.

«Guter Stoff. Stammt von einem Schmuggler. «Nur die Augen waren so klar und blau, wie Bolitho sie kannte. Ihm war, als schaue ihn ein Bekannter aus einem fremden Korper an.

«Verdammt noch mal, ich war nicht bei ihr, als sie mich am notigsten brauchte! brach es aus Herrick heraus.»Ich hatte ihr doch gesagt, sie solle sich nicht um die Gefangenen kummern! Jetzt mochte ich sie am liebsten alle aufhangen. «Er trat an die Wand, an der sein Degen hing und mit dem Schwanken des Schiffes am Holz scheuerte. Doch er ubersah die Waffe und beruhrte fast zartlich das Teleskop daneben in seiner Halterung, das Dulcie ihm einst in London geschenkt hatte.»Aber ich ware auf jeden Fall zu spat gekommen.»
        Herrick leerte sein Glas in einem Zug.»Lady Bolitho hat mir von den verdammten Spaniern erzahlt, die uberall in Haus und Garten arbeiteten. Sie hatte sie auf den Hulks lassen sollen!«Er sah Bolitho an und fragte plotzlich:»War bei der Beerdigung alles so, wie es sein sollte?»

«Ja. Deine Schwester war da und viele von Dulcies Freunden.»

«Und ich konnte nicht kommen! Sie starb allein.»
        Der Satz hing in der Luft, bis Bolitho sagte:»Dulcie war nicht allein. Catherine war bei ihr und hat sie gepflegt, bis der Tod sie erlost hat. Das war mutig von ihr, denn Typhus ist sehr ansteckend.»
        Herrick trat an den Tisch und griff zur Brandyflasche.»Nur Catherine?»

«Ja. Sie lie? nicht einmal die Haushalterin ins Zimmer.»
        Herrick rieb sich die Augen, als schmerzten sie ihn.»Du denkst jetzt bestimmt, da? sich Catherine dafur meine Anerkennung verdient hat.»
        Bolitho zugelte seinen Zorn.»Ich bin nicht hergekommen, um aus deinem Schmerz Gewinn zu schlagen, Thomas. Ich wei? noch sehr genau, wie du mir damals die schreckliche Nachricht uber Cheneys Tod brachtest. Ich fuhle mit dir, Thomas, denn ich wei?, was es hei?t, einen geliebten Menschen zu verlieren.»
        Herrick lie? sich schwer in seinen Stuhl fallen und fullte sich schon wieder das Glas.»Aber du hast jetzt Catherine - und ich habe alles verloren. Dulcie gab mir die Kraft zum Vorwartskommen. Es war ein langer Weg vom armen Kadetten zum Konteradmiral. «Als Bolitho schwieg, beugte er sich uber den Tisch und sprach lauter.»Aber du hast das ja nie verstanden! Dein Neffe auch nicht, niemand. Ihr Bolithos denkt immer nur an euch!»

«Ich gehe jetzt, Thomas. «Es war schrecklich zu beobachten, wie der Schmerz diesen Mann zerstorte. Was brach da aus ihm heraus? Hatte er diesen Vorbehalt gegen Bolitho etwa jahrelang in seiner Seele verborgen? Spater wurde er diese Worte sicherlich bereuen.

«Wenn du in England bist, erinnere dich an all das Schone, das du mit Dulcie zusammen erlebt habt. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.»
        Herrick erhob sich unsicher.»Was macht dein Auge? Geht es dir besser?«Trotz Alkohol und Trauer erinnerte er sich plotzlich daran, da? Bolitho auf diesem Schiff fast gefallen ware.

«Danke, es geht, Thomas. «Bolitho nahm Hut und Mantel.
        Die Tur offnete sich einen Spalt, und Kapitan Gossage schaute herein.»Ich wollte dem Konteradmiral melden, da? der Wind auffrischt. «Er sah zu Herrick hinuber, der zusammengesunken auf der Heckbank sa? und sich nicht ruhrte.»Ich lasse die Fallreepswache antreten, damit Sir richtig verabschiedet werden, Sir Richard.»

«Nein, lassen Sie nur meine Barkasse rufen. «Dann druckte er die Tur zu und sagte so leise, da? der Posten es nicht horen konnte:»Kummern Sie sich bitte um den Admiral. Da sitzt ein tapferer Mann, der schwer getroffen wurde - wenn auch nicht durch feindliches Feuer.»
        So grimmig und traurig hatte Jenour seinen Admiral noch nie gesehen. Als dieser wieder an Deck kam, unterlie? er jede Frage, warum ihn der Konteradmiral nicht gebuhrend verabschiedete, und meinte nur mit etwas erzwungener Frohlichkeit:»Da druben liegt die hollandische Kuste, jetzt leider wegen eines Schauers au?er Sicht.»
        Bolitho betastete sein Auge, als Schmerz es durchzuckte wie eine bose Erinnerung. Liegt die Barkasse langsseits, Stephen?«Als Jenour ging, um nachzuschauen, murmelte er:»Ich wunschte, es ware nicht Holland, sondern Cornwall!»
        Dann kletterte er die Leiter hinunter in die schaukelnde Barkasse. Die See hatte ihn wieder.
        Leutnant Stephen Jenour klemmte sich den Hut unter den Arm und betrat Bolithos Tageskajute. Oben an Deck war es noch immer sehr kalt, doch ein Atemschopfen des Windes hatte die Wellen etwas beruhigt. Wa?riges Sonnenlicht brachte einen Anschein von Warme in die vollen Messedecks, und auch hier in der gro?en Kajute meinte Jenour, sie zu spuren. Bolitho beugte sich uber eine Karte mit dem Operationsgebiet des Geschwaders. Er sah mude aus, aber ruhiger als beim Abschied von seinem Freund auf der Benbow. Jenour ahnte nur, was zwischen den beiden vorgefallen war und wie sehr es Bolitho getroffen hatte. Durch die gro?en Heckfenster sah er zwei Vierundsiebziger des Geschwaders, die Glorious und die alte Sunderland, die keinen Seekrieg ausgelassen hatte. Sie mu?te jetzt, uberlegte Jenour, etwa so alt sein wie die Hyperion.
        Nach Benbows Ausscheiden unterstanden Bolitho neben der Black Prince noch funf Linienschiffe, und zwei weitere, die Tenacious und die Valkyrie, lagen in England im Reparaturdock. Jenour wunderte sich, da? Konteradmiral Herrick die Schiffe nach Hause geschickt und damit das Geschwader geschwacht hatte, ohne erst Bolithos Ansicht daruber abzuwarten. Aber er hielt sich mit seinen Fragen zuruck.
        Plotzlich merkte Jenour, da? Bolitho ihn schon eine ganze Weile lang anschaute. Er meldete errotend:»Ihre Kommandanten sind jetzt an Bord versammelt, Sir Richard. Lediglich der Kommandant der Zest fehlt, er macht Wachdienst wie befohlen.»
        Bolitho nickte. Vor vierzehn Tagen war Herrick nach England abgesegelt. Seither herrschte besseres Wetter, deshalb hatte er sein Geschwader zusammenziehen konnen. Die Schiffe dumpelten auf der silbern glanzenden Nordsee. Zum erstenmal waren alle Kommandanten gleichzeitig an Bord der Black Prince.

«Was macht unsere Kurierbrigg?»
        Wieder einmal errotete Jenour. Konnte Bolitho ahnen, da? der Ausguck im Masttopp der Glorious die Brigg bereits gemeldet hatte? Seit seinem Morgenspaziergang auf dem Achterdeck war er doch in seiner Kajute geblieben.
        Bolitho sah Jenours Verwirrung und lachelte.»Das Signal wurde an Deck wiederholt, und ich war drau?en auf der Heckgalerie. Sie hat ihre Vorteile, man hort dort vieles, auch was nicht unbedingt fur den Admiral bestimmt ist.»
        Er hatte die Hoffnung, da? die kleine Kurierbrigg Mistral vielleicht einen Brief von Catherine mitbrachte. Aber sie hatte bestimmt noch keine Zeit gefunden, ihm so bald nach seiner Abreise zu schreiben.

«Der Kommandant der Brigg wird sich sofort an Bord melden, wenn er heran ist«, antwortete Jenour.
        Bolitho dachte an die Kommandanten, die drau?en darauf warteten, ihn kennenzulernen: alles erfahrene Manner, doch keiner ein Freund. Vor Jahren war er aufgeregt gewesen, wenn er als Kommandant zum ersten Mal vor seine Offiziere und Mannschaften hingetreten war. Inzwischen wu?te er, da? die anderen viel aufgeregter waren als er selbst.

«Bitten Sie Kapitan Keen, die Herren zu mir zu fuhren. Er war ubrigens ganz uberrascht, die Nicator in unserem Geschwader zu finden. Er hat sie vor sechs oder sieben Jahren gefuhrt, in der Schlacht vor Kopenhagen. Schon damals war sie so verrottet, da? Keen immer behauptete, von der Ewigkeit trenne ihn nur ein Kupferblech.»

«Haben wir denn immer noch zu wenig Schiffe?»
        Bolitho beobachtete den Flug der Mowen drau?en, die standig ihre Farbe zu wechseln schienen.»Ja. Darum waren die danischen Schiffe so wichtig fur uns. Vielleicht wird nichts daraus, aber wer wei??«Er wurde ungeduldig.»Bitten Sie Ozzard, unsere Gaste mit Wein zu bewirten.»
        Jenour verschwand in die Anrichte, wo Ozzard und ein zweiter Diener Glaser polierten und in ihre Stander klemmten, damit sie nicht im Seegang wegrutschten und zerbrachen.
        Bolitho streichelte den kleinen Weinschrank von Catherine. Herrick mu?te jetzt zu Hause sein. Bei seiner Ankunft wurden ihm die Warme und Bewunderung Dulcies am meisten fehlen. Vielleicht warf er ihm insgeheim vor, er habe die Benbow nur ins Dock befohlen, um endlich den Oberbefehl uber dieses Geschwader zu bekommen? Er verbot sich solche Spekulationen. Wer verbittert uber einen Freund war, der kam immer auf schlimme Gedanken.
        Die Tur offnete sich, Keen fuhrte die Kommandanten herein, die sich Bolitho namentlich vorstellten. Was er sah, war eine Mischung aus Erfahrung, Konnen und Neugier. Bis auf einen hatten alle ihren vollen Kapitansrang. Ozzard umschwirrte sie mit seinem Tablett, doch aller Augen wandten sich dem eintretenden jungen Kommandanten der Fregatte Anemone zu, der eher wie ein jungerer Bruder als wie ein Neffe des Admirals aussah.
        Bolitho gab Adam die Hand, aber dann konnte er sich nicht zuruckhalten und umarmte ihn. Das gleiche dunkle Haar, die gleichen Bewegungen. Bolitho hielt Adam auf Armlange von sich ab und studierte sein Gesicht. Der junge Mann hatte erreicht, wovon er immer getraumt hatte: Kommandant einer Fregatte zu sein. Er war jetzt sechsundzwanzig Jahre alt. Auch Bolitho war sechsundzwanzig gewesen, als er seine erste Fregatte ubernommen hatte. Zufall?
        Leise sagte Adam:»Ich freue mich, dich wiederzusehen, Onkel. Wir hatten viel zu wenig Zeit damals, als ich die Truculent in den Hafen schleppte.»
        Ohne dich und deine Anemone hatten uns die drei Franzosen zu Treibholz geschossen und ich ware jetzt tot, dachte Bolitho. Denn niemals wieder ware er in Gefangenschaft gegangen.
        Keen bat die Kommandanten, Platz zu nehmen. Jeder ordnete dabei, was er sah, in das Bild ein, das er sich von Bolitho gemacht hatte.
        Bolitho richtete sich auf und sah sie alle der Reihe nach an.

«Ich wollte Sie so schnell wie moglich kennenlernen, meine Herren. Denn ich habe festgestellt, da? einem spater zu oft die Zeit fehlt, miteinander zu reden.
«Einige Gesichter lachelten.»Tut mir leid, da? zwei unserer Kommandanten nicht dabei sind. «Er zogerte einen Augenblick; machte er damit nicht Herrick einen Vorwurf? Doch Herrick hatte die beiden Schiffe nach Hause geschickt, ohne auf seinen Rat zu warten.»Dies ist nicht die rechte Zeit, die Zugel locker zu lassen. Viele von uns haben den Sieg in Trafalgar miterlebt, der angeblich alle Gefahren fur unser Land beseitigt hat. So hort man es jedenfalls in London und auch innerhalb der Flotte. Doch nur ein Narr konnte glauben, die Zeiten wurden friedlicher, solange Napoleon regiert. Wir brauchen jedes Schiff und jeden Mann, der darauf kampft. Die Franzosen werden ihre Terraingewinne konsolidieren, und sie haben ja bewiesen, da? ihnen kaum ein Landheer widerstehen kann. Wer wei?, welche Talente sie gegen uns in See schicken, wenn sie endlich wieder so viele Schiffe haben, wie sie brauchen? Die franzosische Marine wurde durch die Revolution geschwacht, die in ihrer blutigsten Zeit unter den Seeoffizieren genauso viele Opfer forderte wie unter den Aristokraten. Doch neue Anfuhrer wachsen heran, und gegen
diese mussen wir uns wappnen. «Er fuhlte sich plotzlich leer und wie ausgehohlt.»Haben Sie Fragen?»
        Kapitan John Crowfoot, Kommandant der Glorious, ein gro?er, gebeugter Mann mit dem Habitus eines Landpfarrers, fragte:»Werden die Danen ihre Flotte den Franzosen ubergeben, Sir Richard?»

«Ich glaube nicht, es sei denn unter gro?tem Druck. Kein Dane wunscht sich Franzosen im Land.»
        Kapitan George Huxley von der Nicator, ein gedrungener Mann mit hartem Blick, sagte selbstbewu?t:»Wir brauchen dringend mehr Fregatten, Sir Richard. Ohne sie sind wir wie blind. Ein Geschwader, sogar eine ganze Flotte konnte nachts an uns vorbeisegeln, und wir wurden nichts merken!«Er drehte sich zu den Fenstern um, als suche er die hollandische Kuste, die drei?ig Meilen entfernt lag.
        Bolitho antwortete:»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Kapitan Huxley. Aber ich habe nun mal nur zwei Fregatten, die meines Neffen und die Zest, deren Kommandant ich noch nicht kenne.»
        Keen hatte ihn vorgewarnt: Kapitan Fordyce, der Sohn eines Admirals, sei ein Leuteschinder. Ihre Lordschaften in der Admiralitat hatten wahrscheinlich geglaubt, nach Kapitan Varian habe die Zest eine harte Hand notig.
        Es folgten noch viele Fragen - zu Reparaturen und Vorraten, zu Patrouillengebieten und moglichen Gefechten. Bolitho gestand sich ein, da? er auch nach diesem langen Treffen seine Kommandanten noch nicht richtig kannte. Aber er wollte ihnen wenigstens einige seiner Grundsatze vermitteln.»Mit unnotigen Signalen verliert man zuviel Zeit im Gefecht. Und Zeit zahlt im Kampf, wie Sie alle wissen. Ich habe daruber einige Briefe mit Lord Nelson gewechselt, den ich leider, wie Sie wohl alle, nie personlich getroffen habe. «Er sah zu Adam hinuber.»Mein Neffe ist die Ausnahme, er hatte das Gluck, Nelson ofter zu treffen. Leider ist er nicht mehr unter uns, aber sein Beispiel wird uns helfen.»
        Er spurte, da? alle gespannt auf seine nachsten Worte warteten.»Nelson hat einmal gesagt, da? kein Kommandant viel falsch machen kann, wenn er sein Schiff im Kampf neben das des Gegners legt. «Crowfoot von der Glorious nickte eifrig, und an der Tur lauschte Jenour auf jedes Wort.»Ich glaube, besser als Nelson kann man es nicht sagen.»
        Sie trennten sich erst nach zwei Stunden und reichlichem Weingenu?. Beim Abschied dachten sie offenbar schon daran, was sie, an Bord zuruckgekehrt, ihren Offizieren berichten wurden.
        Bolitho empfing noch den jungsten Kommandanten des Geschwaders, den von der Kurierbrigg Mistral, den Allday spater als» noch so einen zwolfjahrigen Skipper
«charakterisierte.
        Der Nordwest war abgeflaut, die gro?en Linienschiffe kurzten ihre Segel fur die kommende Nacht. Eigentlich hatte Keen den Admiral zu sich zum Abendessen einladen wollen, doch als er sah, da? der Kommandant der Brigg ihm einen Privatbrief ubergab, verzichtete er darauf. Vorsichtig offnete Bolitho den Umschlag und las im Licht der Kerzen Catherines Zeilen: Liebster, erst gestern hast du mich verlassen, und schon glaube ich, es ist eine Ewigkeit her … Bolitho sah sich in der leeren Kajute um. Hatte er Catherines Lachen gehort, oder war es ein Murmeln der See gewesen? Er vertiefte sich wieder in ihren Brief.



        XVII» Aber er hat ihre Herzen…»

        Falls das Nordseegeschwader unter dem neuen Kommando Bolithos baldige Ablosung vom oden Blockadedienst erwartet hatte, so wurde es enttauscht. Wochen und Monate vergingen, der Fruhling vertrieb den eisigen Wind und die ewige, kalte Nasse des Nordens, und noch immer patrouillierten sie scheinbar sinnlos von den friesischen Inseln bis hoch zum Skagerrak, wo Poland seinen letzten Kampf ausgetragen hatte. Bolitho verlangte viel von ihnen, mehr als jeder andere zuvor. Segelmanover, Kanonendrill, in Kiellinie segeln, nebeneinander segeln - alles ubten sie mit so wenig Kommandos und Signalen wie moglich. Dann teilte er sein Geschwader in zwei Gruppen, lie? den wurdigen Crowfoot von der Glorious die zweite Division ubernehmen und fuhrte sie gegeneinander. Inzwischen waren die beiden Vierundsiebziger Valkyrie und Tenacious wieder zum Geschwader zuruckgekehrt und hatten einen kleinen Schoner mitgebracht, die Radiant unter dem Kommando eines alteren Leutnants, der fruher beim Zoll gedient hatte.
        Der Schoner war zwar klein, aber sehr handlig. Immer wieder stie? er zwischen die Inseln vor oder kreuzte dicht an die flache Kuste heran, sah sich dort um und floh erst dann aufs offene Meer hinaus, wenn ein feindliches Patrouillenschiff endlich Anker gelichtet und Segel gesetzt hatte und ihm bedrohlich nahe kam.
        Eines Morgens offnete Allday ein Heckfenster - und fruhlingshafte Warme stromte herein. Bolitho starrte bei der Rasur an die Decke und fuhlte das Messer uber sein Kinn kratzen.»Ich glaube, alle hassen mich wegen des Drills, zu dem ich sie zwinge«, sagte er.
        Allday dachte nach, rasierte aber weiter.»Das ist auch ganz gut so, Sir Richard. Auf einem kleinen Schiff sollte man den Drill nicht ubertreiben, aber auf einem Dickschiff wie diesem sollten Offiziere und Mannschaften nicht zu eng zusammenwachsen.»
        Bolitho sah ihn fragend an.»Wieder eine deiner Weisheiten. Und wie ist die zu verstehen?»

«Zwischen den Decks braucht man jemanden, den man hassen kann. Das macht einen Mann so scharf wie der Schleifstein das Messer.»
        Bolitho lachelte und lie? seine Gedanken wandern. Cornwall mu?te nach dem truben Winter jetzt wunderbar frisch riechen. Gelber Stechginster und gro?e Polster von Glockenblumen bluhten bestimmt neben dem Pfad auf der Steilkuste. Was Catherine jetzt wohl machte?
        Sie hatte Somervells Besitzungen in London verau?ert und, nachdem sie seine Schulden bezahlt hatte, ein kleines Haus an der Themse gekauft.»Wenn du in London zu tun hast, haben wir hier unser Zuhause«, hatte sie erklart,»und mussen niemanden um Zuflucht bitten. «Zusammen mit Ferguson hatte sie in Falmouth mehr Land kultivieren lassen, denn sein Besitz sollte sich nicht nur selbst tragen, sondern auch Profit abwerfen. Nicht ein einziges Mal erwahnte sie Belinda, deren aufwendiger Lebensunterhalt gro?e Summen verschlang.
        Es klopfte, Keen trat ein und meldete:»Der Schoner ist in Sicht und mochte langsseits kommen.»
        Allday tupfte Bolithos Gesicht trocken und musterte dabei verstohlen sein linkes Auge. Nichts deutete auf eine Verletzung hin oder auf eine Verschlechterung. Sollte es doch heilen?

«Neuigkeiten, Val?«fragte Bolitho.

«Er kommt aus der richtigen Richtung«, antwortete Keen unverbindlich.
        Es dauerte, bis der Schoner aufgekreuzt war und in Lee der Black Prince ein Boot zu Wasser gelassen hatte. Sein Kommandant, Leutnant Evan Evans, hatte fruher einen Zollkutter befehligt und sah mehr nach einem Piraten aus als nach einem gesetzestreuen
        Leutnant der Koniglichen Marine. Er war ein Berg von einem Mann, mit dichtem grauen Haar, das anscheinend mit einer Schafschere gekappt worden war. Sein ziegelrotes Gesicht zierten so viele Runzeln, da? es den starken Trinker verriet. Ozzard bot Rum an, und Evans leerte den Becher in einem Zug.

«Berichten Sie, was Sie beobachtet haben«, forderte Bolitho ihn auf.
        Sie traten an den Tisch, auf dem die Karte und Bolithos Logbuch lagen.
        Evans deutete mit einem Finger, der so dick und hart wie ein Marlspieker war, auf einen Punkt der Karte.»Hier, vor drei Tagen, Sir Richard. Sie segelte in die Deutsche Bucht, vorbei an Helgoland, jedenfalls war das die allgemeine Richtung.»
        Bolitho zugelte seine Ungeduld. Evans rief seine Erinnerungen ab, und wenn er ihn hetzte, wurden die Bilder ihre Scharfe verlieren. Er sprach mit starkem walisischem Akzent.

«Wer - sie?«half Keen vorsichtig weiter.
        Evans sah ihn erstaunt an.»Na, ein Linienschiff, so gro? wie eine Kathedrale. «Er hob die Schultern.»Dann kamen von irgendwoher aus der Sonne noch zwei Fregatten, eine davon ein Vierundvierziger. «Er runzelte die Stirn, bis seine hellen Augen fast verschwanden.
        Bolitho richtete sich auf.»Haben Sie Namen erkennen konnen, Mr. Evans?»

«Nun ja, wir hatten's eilig, als sie mit ihrer Bugkarronade auf uns scho?. Da rissen wir die Hufe hoch und verschwanden.»

«Es war die Intrepide, habe ich recht?»
        Evans starrte ihn an.»Woher wissen Sie das, Sir?»

«Nur eine Vorahnung. «Aber er spurte ganz deutlich, da? es bald losgehen wurde. Wie gro? war das Linienschiff, was schatzen Sie?»
        Evans trank einen zweiten Becher Rum, dann wischte er sich mit dem Handrucken die Lippen.»Genau kann ich das nicht sagen. «Er ma? die Kajute mit Blicken.»Jedenfalls gro?er als dieses Schiff, Sir Richard.»

«Wie bitte?«Bolitho sah Keen uberrascht an.»Das mu? ein Irrtum sein. Kein einziges Feindschiff mit mehr als vierundsiebzig Kanonen hat Trafalgar uberlebt. Entweder sanken sie in der Schlacht oder im Sturm, der folgte. «Fast anklagend sah er Evans an.»Und kein Agent hat uns vom Neubau eines so gro?en Schiffes berichtet.»
        Der Leutnant lachelte. Er war seinen Bericht losgeworden, die Verantwortung lag jetzt bei anderen, und der Rum war gut.»Ich habe aber eines gesehen, Sir Richard. Ich fahre seit funfundzwanzig Jahren zur See und kenne Schiffe. Ich bin kein gruner Junge mehr!»

«Ich mochte, da? Sie diese Nachricht nach Portsmouth bringen. Sie ist eilig und wichtig.»

«Die Nore ware schneller zu erreichen, Sir Richard.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»In Portsmouth gibt es den optischen Telegrafen, der ist schneller. «Er sah, da? Evans einen dritten Becher Rum trank.»Sie haben doch einen verla?lichen Ersten?»
        Der rauhe Waliser verstand, was gemeint war.»Keine Sorge, Sie konnen sich auf mich verlassen, Sir Richard. Am Montag bin ich in Portsmouth.»

«Au?erdem gebe ich Ihnen einen Privatbrief mit. Wurden Sie ihn bitte mit der Pferdepost nach Falmouth expedieren?»
        Der Mann grinste breit.»Aber sicher doch, Sir Richard. Ich kenne die Burschen am Portsmouth Point, sie sind mir noch einen Gefallen schuldig.»
        Um die Mittagszeit war der Schoner wieder unterwegs, und der Neid derer folgte ihm, die wu?ten, da? England sein Ziel war.
        Tief unten im Rumpf hatten zwei Manner, angeleitet vom Gehilfen des Zahlmeisters, ein Fa? Pokelfleisch aus der Last geholt und an Deck hieven lassen. Nun sa?en die beiden in der Dunkelheit unten und leerten noch eine Flasche Cognac: Fittock, der ausgepeitscht worden war, und Duthy, ein Reepschlager aus Devon, erfahrene Seeleute beide.
        Sie sprachen leise, weil sie wu?ten, da? sie sich hier eigentlich nicht aufhalten durften. Aber wie viele erfahrene Salzbuckel ha?ten sie es, zusammen mit den Neulingen zu leben.

«Ich fresse einen Anker vor Freude, wenn meine Dienstzeit um ist, Jim. Wenn ich heil an Land komme, wei? ich schon, was ich mache.»
        Fittock schmeckte dem Cognac nach. Kein Wunder, da? die Herren Offiziere ihn mochten. Er nickte. »Wenn du heil an Land kommst, das ist der Punkt!»

«Glaubst du denn, wir werden hier je ein Gefecht erleben?»
        Fittock juckten die Peitschennarben auf seinem Rucken, er rieb sich an einem Fa?. Du kennst doch das alte Sprichwort: Wenn der Tod durchs Schiff rast, soll er's halten wie mit dem Prisengeld.»
        Sein Freund schuttelte den Kopf.»Versteh' ich nicht, Jim.»
        Fittock lachte.»Mogen die Offiziere das meiste abbekommen!»

«Was machen Sie denn hier?«schnitt da eine Stimme durch die Dunkelheit.
        Beide sprangen auf, als Midshipman Vincent seine Lampe hob und schadenfroh grinste. Hinter ihm stand mit wei?em Koppel und gekreuzten wei?en Brustriemen der Profos.
        Kalt sagte Vincent:»Abschaum wie Sie lernt es wohl nie, Fittock!«Duthy protestierte:»Wir haben nichts Verbotenes gemacht, Sir. Haben hier unten nur gesessen und geredet.»

«Lug mich nicht an, du Schwein!«Vincent streckte die Hand aus.»Gib mir die Flasche! Dafur werdet ihr ausgepeitscht.»

«Sie denken wohl, Sie konnen sich alles leisten, weil Ihr Onkel hier Vizeadmiral ist, Sie Schei?kerl? Ich habe lange unter ihm gedient, Sie gehoren einfach nicht auf dasselbe Schiff wie er.»

«Korporal, nehmen Sie den Mann fest!«Vincent schrie jetzt fast.»Das ist ein Befehl!»
        Der Korporal tat, als wolle er sein Gewehr von der Schulter nehmen.»Komm, Jim Fittock, du kennst die Regeln. Mach uns keinen Arger.»
        Plotzlich waren Schritte zu horen, wei?e Kniehosen erschienen im Lampenlicht. Midshipman Segrave sagte ruhig:»Es wird keinen Arger geben, Korporal.»

«Was wollen Sie, Segrave? Diese Manner haben getrunken, das ist verboten. Als ich sie entdeckte…»

«Waren sie sicher wieder aufsassig, nehme ich an?«Segrave war uberrascht, wie leicht ihm die Ma?regelung Vincents fiel.»Haut ab, ihr beiden!«Er drehte sich zum Korporal um, der ihn dankbar anlachelte.»Und Sie verschwinden hier auch, ich brauche Sie nicht.»

«Und der Cognac?«schrie Vincent.»Das ist der Beweis!»
        Aber die Flasche war wie durch ein Wunder verschwunden. Im Gehen sagte Fittock leise zu Segrave:»Das werde ich Ihnen nie vergessen, Sir.»

«Noch was, Korporal!«Die gewichsten Stiefel und der wei?e
        Beinschutz verhielten auf der Leiter.»Schlie?en Sie bitte die Luke, wenn Sie oben sind!»
        Vincent starrte Segrave unglaubig an.»Sind Sie ganz und gar verruckt geworden?»
        Segrave zog seine Jacke aus und lie? sie fallen.»Ich kannte mal jemanden wie Sie.
«Er rollte seine Armel auf.»Er machte allen das Leben zur Holle.»
        Vincent versuchte verachtlich zu lacheln.»Und das haben Sie wohl nicht ausgehalten?»
        Segrave wunderte sich, wie kuhl er blieb.»Stimmt, ich habe es nicht ausgehalten. Dann traf ich eines Tages Ihren Onkel und einen Mann mit halbem Gesicht. Seitdem konnte ich mit der Angst leben - und kann es immer noch.»
        Oben klappte die Luke zu.

«Schon die ganze Zeit beobachte ich, wie Sie sich hinter dem Namen Ihres Onkels verstecken und Leute qualen, die sich nicht wehren konnen. Kein Wunder, da? man Sie bei der Ostindischen Kompanie gefeuert hat. «Da hatte er nur geraten, aber offensichtlich ins Schwarze getroffen.

«Ich fordere Sie!«rief Vincent.
        Ein Faustschlag warf ihn zu Boden, aus seiner geplatzten Lippe rann Blut. Segrave taten die Fingerknochel weh, aber in den Schlag hatte er Jahre des Leidens gelegt. Zum Duell, du Muttersohnchen?«Wieder schlug er zu.»Duelle sind was fur Manner. Ich duelliere mich nicht mit Zwergen.»
        Vier Decks uber ihnen ging Leutnant Flemyng auf und ab und schaute ungeduldig auf die Sanduhr. Schlie?lich fuhr er einen Gehilfen des Bootsmanns an:»Holen Sie mir Mr. Vincent! Der treibt sich bestimmt wieder irgendwo rum.»
        Der Mann wollte loseilen, aber der Erste Offizier stoppte ihn.»Noch nicht, Mr. Flemyng. «Und als der Dritte ihn fragend ansah:»Mr. Vincent braucht noch etwas Zeit!»
        Admiral Lord Godschale wedelte mit einem parfumierten Taschentuch vor seiner Adlernase und klagte:»Der Flu? riecht heute abend ganz widerlich!»
        In seiner Paradeuniform mit den goldenen Epauletten sah er sehr beeindruckend aus. Stolz und zufrieden blickte er auf die bunte Schar seiner Gaste, die sich auf der weitlaufigen Terrasse seines
        Hauses in Greenwich versammelt hatten. Es war wirklich hei?, und erst der Abend wurde den Offizieren in ihren blauen und roten Tuchrocken Erleichterung bringen. Auf dem Flu?, der sich hier nach Blackwall Reach hinunter wand, segelten Frachtkahne, Fischer holten ihre Netze ein, und immer wieder sah man Jollen schnell das Fahrwasser queren. Das Haus machte gro?en Eindruck, und Godschale war froh, es so gunstig erstanden zu haben. Sein Vorbesitzer hatte, als der Krieg mit Frankreich ausbrach, sein Land und allen Besitz verkauft und war nach Amerika geflohen. Der Lordadmiral sah zu, wie sich Sir Charles Inskip einen Weg durch die Gaste bahnte, hier ein Wort verlor, dort ein Kompliment anbrachte - ganz der geborene Diplomat. Aber Godschale fuhlte sich unwohl in seiner Gegenwart.
        Inskip trat neben ihn und nahm ein Weinglas vom Tablett eines schwitzenden Dieners.»Was fur eine gro?artige Gesellschaft, Mylord!»
        Godschale nickte, schlie?lich hatte er diesen Tag mit gro?er Sorgfalt geplant. Es kam eben auf die richtige Mischung an von Leuten, die gesellschaftlich etwas darstellten: Politiker ebenso wie Offiziere des Heeres und der Marine. Selbst der Premierminister hatte sein Kommen zugesagt.
        Godschale sah seine Frau in vertrautem Gesprach mit zwei Freundinnen. Es fiel ihm schwer, in ihr noch das junge Madchen zu sehen, das er als flotter Fregattenkapitan geheiratet hatte. Sie sah jetzt uninteressant aus, sogar langweilig. Wohlgefallig betrachtete er jedoch die Damen in ihrer Nahe. Ihnen kam der hei?e Tag nur recht: nackte Schultern, tief ausgeschnittene Kleider - all das ware noch vor zwei Jahren in London unvorstellbar gewesen.
        Inskip bemerkte Godschales hungrige Blicke und fragte ablenkend:»Ist es wahr, da? Sie Sir Richard Bolitho zuruckgerufen haben? Das hatten Sie uns sagen mussen!»
        Godschale uberhorte die Kritik.»Es war notwendig. Ich schickte die Tybalt nach ihm. Bolitho kam vor zwei Tagen in der Nore an.»
        Inskip blieb unbeeindruckt.»Ich wei? nicht, was das nutzen soll.»
        Godschale loste seinen Blick von einer jungen Dame, die mit nacktem Busen dagestanden hatte, ware das Dekollete ihres Kleides nur einen Finger breit tiefer gewesen. Er sprach jetzt flusternd.»Sie kennen die letzten Neuigkeiten? Napoleon hat einen Vertrag mit Ru?land geschlossen und jetzt die verdammte Frechheit, Schweden und Danemark zu befehlen - ich sagte: befehlen - , ihre Hafen vor uns zu schlie?en. Zusatzlich verlangt Frankreich, da? ihm beide Flotten unterstellt werden. Das waren an die zweihundert Schiffe, verdammt! Warum hat das niemand vorhergesehen? Ihre Leute sollten doch in Danemark Augen und Ohren offenhalten! Inskip zuckte mit den Schultern.»Zaubern konnen wir nicht. Aber ich mochte wissen, was wir als nachstes tun. «Godschale zupfte an seinem Halstuch, als ersticke er. Tun? Das ist doch wohl klar!»
        Inskip erinnerte sich plotzlich an Bolithos Verbitterung und Harte auf der Truculent, als die drei franzosischen Schiffe aufgetaucht waren.»Darum also ist Bolitho hier!«sagte er.
        Godschale antwortete ihm nicht direkt.»Admiral Gambier stellt gerade eine Kriegsflotte zusammen, dazu so viele Transportschiffe, wie wir brauchen, um eine Armee nach Danemark zu befordern.»

«Also eine Invasion! Aber die Danen werden nie kapitulieren. Ich denke, wir sollten noch abwarten.»

«Wirklich?«Wutend sah Godschale ihn an.»Glauben Sie, Ihre empfindlichen Danen liegen mir mehr am Herzen als das Uberleben Englands? Und nur daruber reden wir, verdammt noch mal!«Er ri? ein Glas vom Tablett eines Dieners und leerte es in zwei Zugen.
        Das Orchester spielte jetzt eine muntere Gigue, aber kaum einer der Gaste hatte Lust, die Terrasse zu verlassen und zu tanzen. Und Godschale ahnte, warum. Am Morgen hatte er Bolitho in der Admiralitat von dem Empfang erzahlt, und dieser hatte keinen Zweifel daran gelassen, unter welcher Bedingung er kommen wurde.

«Es werden viele Damen da sein. Ich nehme an, Sie befehlen mich dorthin, ohne meine einzuladen?»
        Plotzlich knurrte Godschale laut:»Der Mensch stellte sich hin und sagte mir, er kame nur in Begleitung seiner Lady!»

«Uberrascht Sie das?«Inskip lachelte, als er merkte, wie unwohl sich Godschale fuhlte. Denn man erzahlte sich, der Lord unterhalte in London gleich zwei Geliebte.»Ich wei?, was Lady Somervell fur Bolitho getan hat.»
        Godschale sah, da? sein Sekretar ihm zuwinkte, und rief laut:»Seine Exzellenz, der Premierminister!»
        Der Herzog von Portland, ein Tory, schuttelte Hande und sah sich wohlgefallig um. Nettes Aufgebot, Godschale. Immer dieses Gerede vom Untergang der Aristokratie - blanker Unsinn, sage ich!»
        Inskip mu?te an Bolithos Manner denken, die er im Gefecht hatte sterben sehen. Die Leute hier sahen dagegen aus wie Puppen im Theater.
        Der Premierminister begru?te einen ernst blickenden Herrn in perlgrauem Anzug.»Sir Paul Sillitoe. «Der Angesprochene lachelte fluchtig.»Mein geschatzter Ratgeber in dieser unvorhergesehenen Krise. «Inskip warf ein:»Nicht ganz unvorhergesehen.»
        Godschale unterbrach ihn:»Ich habe alles unter Kontrolle. Wir haben ein neues Geschwader in der Nordsee stehen. Es hat eine einzige Aufgabe: zu beobachten, ob die Franzosen Skandinavien angreifen.»
        Sillitoes Augen leuchteten auf.»Unter Sir Richard Bolitho, ja. Ihn wurde ich gern kennenlernen.»

«Ich nicht!«Der Premierminister betupfte sich den Mund.
        Sillitoe sah ihn unbewegt an. Seine Augen lagen jetzt im Schatten, sein Gesicht verriet nichts.»Ich furchte, dann werden Sie kaum langer im Amt bleiben als Ihr Vorganger. «Gelassen bemerkte er die aufflackernde Wut seines Vorgesetzten.»Der franzosische Admiral Villeneuve sagte nach seiner Gefangennahme, bei Trafalgar sei jeder englische Kommandant ein Nelson gewesen. Ich bin zwar kein Seemann, aber ich wei?, wie Matrosen leben - kaum besser als in einem Gefangnis. Manner wie Nelson haben sie trotzdem begeistert, und fur sie vollbringen sie Wunder. «Er schaute sich um.»Bolitho ist kein Nelson, aber der beste, den wir haben. Vergessen konnen Sie das, aber nur auf eigene Gefahr.»
        Unter den Gasten kam Unruhe auf, und Godschale folgte ihren Blicken. Da entdeckte er Bolitho. Die Strahne uber seiner Stirnnarbe hatte ein paar wei?e Faden mehr. Und neben ihm, eine Hand auf seinem Arm, stand eine strahlend schone Lady Catherine. Sie hatte die Trauerkleidung abgelegt. Ihr hochgekammtes Haar glanzte in der Sonne. Sie trug ein grunes Kleid, dessen Seide mit jedem Schritt changierte. An ihrem Handgelenk hing ein kleiner Facher.
        Sie sah weder nach rechts noch nach links. Godschale spurte schon von weitem ihre Kraft und merkte, da? sie sich nichts aus dem machte, was uber sie und den hochgewachsenen Marineoffizier an ihrer Seite geflustert wurde.
        Godschale ergriff ihre Hand.»Mylady. In der Tat, so eine Uberraschung!»
        Sie erkannte den Premierminister und verbeugte sich leicht.»Machen Sie uns bekannt?»
        Der Premierminister wollte sich umdrehen, doch Bolitho sagte ruhig:»Der Herzog von Portland - Lady Catherine Somervell. «Er verbeugte sich.»Welche Ehre!»
        Sir Paul Sillitoe stellte sich selbst gelassen vor, dann nahm er Catherines Hand und hielt sie einen Augenblick fest.»Sie beflugeln ihn, Mylady. «Leicht beruhrte er ihre Hand mit seinen Lippen.»Und vielleicht beflugeln Sie England durch ihn.»
        Ihr Mund verzog sich in einem ironischen Lacheln, als sie ihre Hand zurucknahm. Eine Ader an ihrem Hals klopfte heftig. Aufmerksam forschte sie in Sillitoes Gesicht, und als sie keinen Spott darin entdeckte, antwortete sie:»Sie sind sehr gutig, Sir.»
        Sillitoe hatte alle Menschen um sich herum vergessen, selbst Bolitho. Er sagte leise:»Die Wolken sammeln sich wieder, Lady Catherine. Ich furchte, Sir Richard wird bald so dringend gebraucht wie nie zuvor.»

«Mu? denn immer er es sein?«fragte sie zuruck.»Ich wei? von Collingwood und Duncan - und bestimmt gibt es noch mehr tuchtige Admirale!»
        Godschale wollte unterbrechen, doch Sillitoe blieb unbeirrt:»Sie alle sind gute Fuhrer und haben das Vertrauen der Flotte. «Dann sah er Bolitho an.»Aber Bolitho hier hat ihre Herzen!»
        Godschale rausperte sich, er fuhlte sich nicht wohl bei dieser Unterhaltung. Man sah von uberall zu ihnen heruber, selbst das Orchester war verstummt. Laut sagte er:»Das ist eben eines Seemanns Los. Es verlangt viel von uns allen, Lady Catherine.»
        Sie spurte seine Blicke auf ihrem Busen.»Aber von einigen mehr als von anderen!»
        Godschale wandte sich an einen Lakai, um seinen Arger zu verbergen:»Sag dem Orchester, wir brauchen Musik!«Er lachelte dem Premierminister entschlossen zu. Konnen wir jetzt mit der Beratung anfangen, Euer Ehren?»
        Portland nickte Sillitoe zu.»Sie nehmen das fur mich wahr. Morgen reden wir dann daruber, Godschale. Es gibt soviel zu tun!»
        Wieder wollte er gehen, doch Bolitho wandte sich noch einmal an ihn:»Ich sehe Sie also nicht mehr vor meiner Abreise? Eigentlich wollte ich Ihnen noch einige wichtige Gedanken vortragen.»
        Der Premierminister beaugte ihn, als vermute er hinter seinen
        Worten versteckten Spott.»Spater. «Er drehte sich zu Catherine um.»Einen guten Abend!»
        Als Godschale seinen enteilenden Gast hinausgeleitete, flusterte Bolitho Catherine zu:»Ich hatte dich nicht herbringen sollen. Ihre Heuchelei und ihr sattes Selbstbewu?tsein machen mich krank.»
        Sie lachelte.»Was viel wichtiger ist, hast du bei der Herfahrt erlebt, als die Leute uns begru?ten und uns beiden zuwinkten. Vergi? nie, Richard, sie bauen auf dich. Sie wissen, da? du sie nicht im Stich la?t. «Sie dachte an Sillitoe, den sie nicht einschatzen konnte. War er Freund oder Feind? Ehrlich war er in jedem Fall. Du hast ihre Herzen, vergi? das nie!»
        Sie schlugen einen schmalen Weg ein, der in einen ruhigen Teil des Gartens mit einem Springbrunnen fuhrte. Hier war es leer und still. Von weitem wehte Musik heruber.
        Bolitho umarmte und ku?te sie.»Ich mu? aber noch mit den Herren sprechen, Kate.»
        Sie nickte strahlend.»Und danach fahren wir nach Hause, in unser Haus am Flu?.»
        Als Sir Paul Sillitoe und Inskip mit Godschale auf die Terrasse zuruckkehrten, fanden sie Bolitho allein vor. Er beobachtete, wie ein Lastkahn an der Isle of Dogs vorbei den Flu? hinunter manovrierte.

«Sie sind allein?«strahlte Godschale.
        Bolitho lachelte.»Lady Catherine wandert durch den Garten. Das ist ihr lieber, als unter Fremden zu sein.»
        Sillitoe sagte trocken:»Sie findet es hier wohl ein bi?chen zu schwul.»
        Godschale wollte antworten, doch seine Frau zog ihn am Armel zur Seite.»Ich hab' sie gesehen«, berichtete sie echauffiert.»Gerade eben, beim Springbrunnen. Er hat sie gestreichelt und geku?t!«Emport sah sie ihren Mann an.»Ich war so entsetzt, da? ich nicht langer hinschauen konnte.»
        Godschale tatschelte ihren Arm. Fur jemanden, der nicht hinschauen konnte, hatte sie gut beobachtet.»Ich mu? leider zuruck, Liebling. Es geht um etwas sehr Wichtiges. «Er sah, da? Sillitoe ihm auffordernd zunickte.

«Aber diese Frau dulde ich nicht in meinem Haus. Wenn sie auch nur ein Wort mit mir spricht, jage ich sie davon!»
        Godschale ergriff ihr Handgelenk und sagte scharf:»Das wirst du nicht tun. Du wirst zurucklacheln und ihr freundlich antworten. Und jetzt geh zu deinen Freundinnen und uberla? uns den Krieg!«Er drehte sich auf dem Absatz um und ging neben seinem Sekretar zum Haus.
        Dieser sagte sanft, bemuht um das weitere Wohlwollen seines Herrn:»Da war eine junge Dame, die Frau des Kommandanten der Alderney …«Er sah, da? Godschale sich erinnerte.»Sie sprach heute wieder vor, um etwas fur ihren Mann zu erbitten. Sie ist wirklich sehr attraktiv, Mylord.»
        Godschale nickte.»Arrangieren Sie einen Termin mit ihr. «Als er sein Arbeitszimmer betrat, wo die anderen auf ihn warteten, war er schon wieder ganz der alte:»Also, meine Herren, was nun den Krieg angeht.»
        Bolitho offnete die Glastur und trat hinaus auf den schmalen Eisenbalkon. Auf der Themse glitzerten die Lichter der Schiffe wie Gluhwurmchen. Es war so hei? und windstill, da? sich die Vorhange nicht bewegten. Sie hatten sich geliebt, sich total verausgabt, und doch spurte er noch immer Verlangen nach ihr.
        Morgen wurde er zur Nore zuruckkehren, wo die Tybalt auf ihn wartete, um ihn zum Geschwader zuruckzubringen. Er dachte an sein Geschwader, das drau?en die Nordsee durchpflugte, immer noch in der Hoffnung zu erfahren, was der Gegner vorhatte. Fur das, was vor ihnen lag, waren seine Erfahrung und sein Urteil entscheidend. Er war wie die Nabe eines gro?en Rades.
        Zuerst hatte er sich mit der Black Prince vertraut gemacht, mit dem Schiff genauso wie mit seiner Besatzung. Er lernte Gesichter und Namen, Pflichten und Reaktionen der Manner an Bord, vor allem der Offiziere. Falls er ausfiel, mu?ten sie das Schiff fuhren: der Master, der Erste und die anderen Leutnants, die Stuckfuhrer - wie Speichen reichten diese Manner in alle Decks und Winkel des Schiffes.
        Dann hatte er auch die anderen Offiziere seines Geschwaders kennengelernt, die im Kampf mit ihm segeln wurden. Nur Adam mit seiner Fregatte hielt sich entfernt, weiter weg, als selbst der beste Ausguck sehen konnte, immer auf der Suche nach dem Gegner. Falls sich Napoleon die Flotten Danemarks und Schwedens aneignen konnte, mu?te England ihnen schon allein aufgrund ihrer Uberzahl unterliegen. Denn noch immer waren die Lucken, die Trafalgar gerissen hatte, nicht aufgefullt. Beide neutrale Flotten, so horte man, hatten einhundertachtzig Schiffe. Bolitho hatte Godschale auch nach Herricks neuer Aufgabe gefragt. Der Admiral wollte zunachst nicht mit der Sprache heraus, doch als Bolitho beharrlich blieb, antwortete er: Herrick kommandiert die Begleitschiffe fur die Versorger. Eine lebenswichtige Aufgabe!»
        Lebenswichtig? Ein alter muder Commodore wie Arthur Warren hatte diese Aufgabe leicht erfullen konnen.
        Der Mond trat hinter einer langen Wolke hervor und legte Glanz auf den Flu?. Bolitho packte das Balkongelander und starrte ins Licht, bis er einen glanzenden Ring um den Mond sah, breit und verschwommen. Da schaute er weg und schluckte trocken. Schlimmer war sein Auge nicht geworden. Oder bildete er sich das nur ein? Er fuhlte die Vorhange gegen seine Beine wehen und wu?te, Catherine war zu ihm getreten.

«Was ist, Richard?«Ihre Hand massierte seinen Rucken, verlockend und stark, loste seine Verspannung. Er drehte sich um und streichelte sie unter ihrer gro?en Stola aus den Spitzen, die er aus Madeira mitgebracht hatte. Sie zitterte wie in einer kuhlen Brise, als seine Hand uber ihren nackten Korper glitt.

«Ich segle morgen«, sagte er, schon vom Abschied gezeichnet.»Aber etwas wu?te ich gern noch von dir. «Sie druckte das Gesicht gegen seine Schulter.»Was denn?»

«Bei der Beerdigung von Somervell«, begann er,»habe ich gesehen, da? du ein Taschentuch ins Grab geworfen hast.»
        Ihr Atem streifte warm seine Schulter.»Darin war sein Ring. Ich wollte nichts mehr von ihm besitzen.»
        Das hatte er gehofft.»Wurdest du meinen Ring tragen, wenn ich einen fande, der schon genug ist fur dich?»
        Sie hielt den Atem an. Der Mann, der morgen vielleicht in den Tod segeln mu?te, fand Zeit, an einen Ring fur sie zu denken! Sie lie? sich von ihm ins Zimmer fuhren und die Stola abnehmen. Ihr Korper glanzte im Licht der beiden Kerzen neben dem Bett.

«Ich ware stolz darauf«, flusterte sie, und er sah Tranen unter ihren Wimpern. Aber sprechen wir nicht von morgen. Heute bin ich noch da - fur dich, Liebster.»
        Als der Morgen uber London heraufzog, offnete Bolitho die Augen. Catherines Kopf ruhte an seiner Schulter, ihr Haar lag ausgebreitet auf dem Kissen. Er entdeckte die roten Spuren seiner Zartlichkeit auf ihrer Haut. Sie sah aus wie ein kleines Madchen, als er ihr das Haar aus dem Gesicht strich.
        Irgendwo lautete eine Glocke, und ein fruher Wagen rollte uber das Kopfsteinpflaster.
        Die Zeit des Abschieds war gekommen.



        XVIII Feuer und Nebel

        Bolitho stand an den Heckfenstern der Black Prince und lauschte den vertrauten Gerauschen des Segelsetzens. Die Fregatte Tybalt drau?en nahm gerade wieder Fahrt auf, um in der Nore neue Befehle einzuholen. Ihr Kommandant war sicher froh, seinen hohen Passagier ohne Verspatung und Zwischenfall bei seinem Geschwader abgeliefert zu haben und jetzt wieder sein eigener Herr zu sein.
        Bolitho dachte an den Abschied im Haus an der Themse. Eigentlich hatte Catherine ihn nach Chatham begleiten wollen, aber zugestimmt, als er sie bat:»Fahre nach Falmouth, Kate, dort bist du unter Freunden. «Noch immer sah er sie mit ihren gro?en Augen auf der Treppe des Hauses stehen.
        Bolitho horte, wie Ozzard sich in der Schlafkajute zu schaffen machte. Er schien der einzige zu sein, der sich freute, wieder an Bord zu leben. Selbst Allday war ungewohnlich niedergeschlagen. Er hatte erzahlt, da? sein Sohn, Bootssteurer auf der Anemone, den Dienst in der Navy quittieren wollte, weil er genug hatte vom Krieg. Er liebe zwar die See, aber der konne er auch anders dienen, zum Beispiel als Fischer. Er wollte einmal ein eigenes Boot besitzen und heiraten - jedenfalls nicht so leben wie sein Vater. Der letzte Satz hatte Allday besonders verletzt. Als er mir sagte, da? Leutnant Adam Bolitho einverstanden sei, hatte ich verloren«, berichtete er.
        Es klopfte, und Keen trat ein. Bolitho musterte ihn neugierig. Keen sah entspannt aus, selbst die vielen Pflichten eines Flaggkapitans schienen ihn nicht mehr zu belasten. Bolitho hatte ihm einen Brief von Zenoria mitgebracht, den ihm Catherine zu treuen Handen ubergeben hatte. Er trat an den Tisch und sagte zu Keen:»Sie konnen all diese Papiere hier noch genauer studieren, aber im wesentlichen geht es darum, da? sich eine gro?e Flotte, einschlie?lich einiger Schiffe vom Kap, in Norfolk vor Great Yarmouth gesammelt hat, dem gro?ten Ankerplatz, der gleichzeitig nahe genug an Danemark liegt. Admiral Gambier hat seine Flagge auf der Prince of Wales gesetzt und den Oberbefehl uber die funfundzwanzig Linienschiffe ubernommen. Ursprunglich wollte Gambier ja die Black Prince als sein Flaggschiff, aber ihre Ausrustung dauerte ihm zu lange.»
        Herrick fiel ihm wieder ein.»Dort sammeln sich auch zahlreiche Versorger und Truppentransporter. Einige haben flachgehende Leichter an Bord, um Artillerie und Truppen an Land zu setzen fur eine Belagerung. Es wird die gro?te kombinierte Operation, seit Wolfe 1759 Quebec eroberte. «Er dachte an den General am Kap und fugte hinzu:»Lord Cathcart hat das Oberkommando uber die Landstreitkrafte. Ihm unterstellt sind zehn Generalmajore, einer davon ist Sir Arthur Wellesley. Ich glaube, Cathcart und viele andere sehen diesen Angriff als ersten Schritt zu einer gro?angelegten Landung auf dem Festland.»

«Dann moge Gott den Danen helfen!«antwortete Keen ernst.
        Bolitho schlupfte aus seiner schweren Uniformjacke und warf sie auf einen Stuhl. Wir bleiben hier, bis Gambiers Flotte durchs Skagerrak gesegelt ist, und sorgen dafur, da? die Franzosen nicht den Nachschub angreifen. Das wurde die Truppen in gro?te Schwierigkeiten bringen. Dann folgen wir als Nachhut.»

«Kapitan Crowfoot ist mit seiner Glorious immer noch bei unserer zweiten Division im Norden.»

«Ich wei?. «Bolitho rieb sich das Kinn.»Signalisieren Sie der Anemone, sie soll zum Geschwader aufschlie?en und Crowfoot meine Befehle uberbringen. Ich halte es fur besser, wenn wir alle zusammenbleiben, bis wir wissen, was hier vor sich geht.

        Als Keen schon gehen wollte, frage Bolitho noch:»Gibt's private Neuigkeiten, Val?»
        Keen strahlte.»Der Brief von Zenoria, Sir… Wir haben jetzt das Hochzeitsdatum festgelegt. Lady Catherine wird alles arrangieren. Die beiden haben sich gut verstanden, sie hat Zenoria sogar nach Falmouth eingeladen!»
        Bolitho lachelte und druckte Keen fest die Hand.»Ich freue mich sehr. Niemand hat dieses Gluck so verdient wie Sie. »l
        Als Keen gegangen war, um die Anemone zum Geschwader zuruckrufen zu lassen, uberlegte Bolitho, was Catherine ihm von dem Treffen mit Zenoria erzahlt hatte. Es klang so, als ob Zenorias Onkel, der kurzlich aus Indien zuruckgekehrt war, etwas gegen ihre
        Heirat hatte. Wollte er die schone junge Frau mit den Mondscheinaugen vielleicht selber ehelichen?
        Dann widmete er sich wieder den Dokumenten, die er aus London mitgebracht hatte. Er hatte die Operationsplane in einer bleibeschwerten Tasche transportiert. Hatte ein Gegner die Tybalt abgefangen und besiegt, ware die Tasche uber Bord geflogen und versunken, statt dem Feind in die Hande zu fallen.
        Bolitho sah die Realitat hinter den schon geschriebenen Dokumenten: Zwanzigtausend Soldaten mit Kanonen und Morsern wurden in Danemark landen, beschutzt von kleinen Kanonenbooten und bewaffneten Briggs. Sie wurden von Helsingor nach Kopenhagen vorrucken und diese schone Stadt, sollten die Danen sich auf eine Belagerung einlassen, mit ihren spitzen grunen Turmen in Trummer legen. Das schien Bolitho ein Irrsinn zu sein. Die Danen waren nicht kriegerisch, sie wollten lediglich in Ruhe gelassen werden. Er klappte die Mappe zu. Trotzdem gab es keine andere Moglichkeit.
        Keen kam zuruck und meldete:»Die Anemone wird noch vor dem Abend bei uns eintreffen, Sir Richard.»
        Wahrend sie ihre Taktik und den genauen Wortlaut der dazu notigen Befehle besprachen, erschien Vincent, der Midshipman der Wache, und meldete, die Bramsegel der Anemone waren bereits in
        Sicht.

«Wie haben Sie sich eingelebt?«fragte Bolitho seinen Neffen. Dann sah er den Blutergu? auf seiner Backe und den Schorf um seinen Mund.»Recht gut, Sir Richard«, antwortete Vincent wortkarg. Als er gegangen war, fragte Bolitho:»Er hatte wohl mit jemandem eine Auseinandersetzung, Val?»
        Keen hob die Schultern.»Man kann nicht immer alle jungen Herren im Auge behalten.»
        Bolitho merkte, da? er Keen den Rucken starken mu?te.»Vincent ist ein Tyrann, Val, er unterdruckt, wen er kann, und hat ein ubersteigertes Selbstbewu?tsein. Ich hoffe, Sie behandeln ihn nicht anders als den Rest, blo? weil er mit mir verwandt ist. Au?erdem furchte ich, aus dem jungen Mann wird nie ein Leutnant!»
        Keen war uberrascht uber soviel Offenheit.»Es gab einen Kampf, Sir«, raumte er ein.»Zwei Midshipmen hatten einen Streit untereinander auszutragen. Der andere war Midshipman Segrave.»

«Das hatte ich mir denken konnen«, nickte Bolitho.»Niemand hat mehr Grund als er, sich gegen so einen Westentaschentyrannen zu wehren.»
        Die Laternen brannten schon, als die Anemone in Lee der Black Prince beidrehte. Yovell versiegelte gerade die Befehle fur Kapitan Crowfoot, als Keen Adam Bolitho in die Kajute des Vizeadmirals fuhrte. Dieser fa?te kurz zusammen, was er mit Keen ausfuhrlich besprochen hatte.

«Ich mu? wissen, ob die Franzosen versuchen, unseren Nachschub anzugreifen. Unser Schoner wird am Morgen der Zest und der Mistral entsprechende Befehle bringen.»

«Was sagt man in London zu dem gro?en feindlichen Linienschiff, das hier gesichtet wurde?«wollte Adam wissen.

«Sie glauben nicht daran«, antwortete Keen.

«Ich glaube es aber«, murmelte Adam.

«Vielleicht hat sich Leutnant Evans ja wirklich geirrt, obwohl ich ihm traue.
«Trotz seiner Vorliebe fur Rum, dachte Bolitho.
        Adam erhob sich.»Wenn es zum Gefecht kommt, pa? gut auf dich auf, Onkel. Wir brauchen dich noch, wir alle!»
        Bolitho umarmte seinen Neffen, und Keen ging, um Adams Boot langsseits rufen zu lassen.

«Irgend etwas bedruckt dich, Adam«, sagte Bolitho, als sie allein waren.»Du fuhrst zwar ein Schiff des Konigs, aber fur mich bist du immer noch wie ein Sohn.»
        Adam lachelte, sah aber dabei nicht glucklicher aus.»Es ist nichts, Onkel.»
        Bolitho beharrte:»Sag es mir, dann werde ich versuchen, dir zu helfen.»
        Adam wandte sich ab.»Ich wei?, Onkel, du bist immer mein Rettungsanker. Aber mir fehlt nichts.»
        Bolitho brachte ihn zur Treppe, denn ihm wurde plotzlich klar, da? dies vor dem kommenden Gefecht ihr letztes Treffen war. Vielleicht sogar ihr allerletztes in diesem Leben. Da? es ein Gefecht geben wurde, spurte Bolitho in allen Knochen. Ein Schauer lief ihm uber den Rucken.

«Allday hat mir von seinem Sohn berichtet«, sagte er beim Abschied.
        Adam fuhr aus seinen Gedanken hoch.»Tut mir leid, aber John Allday gehort auf kein Kriegsschiff. Ich wei?, was der Vater denkt, aber der Sohn wurde fallen, wenn er noch langer an Bord bliebe. Ich kenne die Zeichen.»
        Das klang, als sprache ein alterer Mann, ein Mann mit viel Erfahrung.»Du bist sein Kommandant«, antwortete Bolitho,»und kennst ihn wahrscheinlich besser als sein Vater.»
        Adam reichte ihm die Hand.»Meine besten Wunsche an Lady Catherine, wenn du ihr wieder schreibst.»

«Danke. Wir sprechen oft von dir. «Wieder wollte er ihn fragen, was ihn bedruckte, doch er lie? es. Adam glich ihm zu sehr. Er wurde erst reden, wenn er selbst es fur richtig hielt.
        Adam gru?te und bat formell:»Ihre Erlaubnis, das Schiff zu verlassen?»

«Aye, Leutnant. Und Gott mit Ihnen.»
        Die Trommeln wirbelten. Am Fu? der Leiter halfen zwei Schiffsjungen, Adams Boot in der See ruhig zu halten.»Ich mochte nur wissen, was ihn bedruckt, Val.»
        Keen ging mit Bolitho zum Achterdeck.»Vermutlich eine Dame, Sir. Die bringen Unruhe ins Herz, wie wir wissen.»
        Bolitho sah Allday an einem festgezurrten Zwolfpfunder stehen, allein unter all den Mannern.»Komm mit nach achtern«, sagte er leise,»auf ein Glas. Ich mochte dich etwas fragen.»
        Allday schuttelte sich in der Dammerung wie ein alter nasser Hund.»Ja, jetzt konnte ich ein Glas vertragen. Danke, Sir Richard.»
        Leutnant Cazalet, gerade bei seiner Abendrunde, blieb neben Jenour stehen. Sie sahen beide, wie der Vizeadmiral und sein Bootssteurer im Niedergang verschwanden. Ein au?ergewohnliches Paar, Mr. Jenour«, meinte der Erste.
        Jenour sah in Cazalet einen guten Offizier, genau wie ihn ein Kapitan brauchte, aber mehr nicht.»Ich kann mir den einen nicht ohne den anderen vorstellen«, antwortete er.
        Aber Cazalet war schon verschwunden. Jenour begann daruber nachzudenken, wie er das an diesem Tag Erlebte in einem Brief nach Hause berichten konnte.
        Kapitan Hector Gossage, Kommandant des Vierundsiebzigers Benbow, lief unruhig auf dem Achterdeck hin und her, die Augen im harten Sonnenlicht zusammengekniffen. Gerade waren acht Glasen geschlagen worden und die Vormittagswache angetreten. Schon jetzt kam ihm die Hitze unertraglich vor. Gossage verfluchte ihr langsames Vorankommen und den Teer, der an seinen Sohlen kleben blieb. An Steuerbord sah er die lange Reihe der Versorgungsschiffe, die sich bis an die diesige Kimm erstreckte. Wie lange wurde die Fahrt nach Kopenhagen noch dauern, wo sie Admiral Gambiers Flotte und die Armee versorgen sollten?
        Gossage war stolz auf die Benbow. Sie hatte seit ihrem Stapellauf fast ununterbrochen Dienst getan und viele erfahrene Matrosen und Offiziere an Bord erlebt. Falls es so etwas wie gluckhafte Schiffe gab, dann war sie eins.
        Er sah die offenen Decksluken und fragte sich, wann der Konteradmiral an Deck kommen wurde. Seit dem Tod seiner Frau hatte er sich stark verandert. Gossage war klug genug, uber all das Schweigen zu bewahren, was sein Admiral seither ubersehen oder schlicht vergessen hatte. So etwas konnte leicht auf ihn, den Flaggkapitan, zuruckfallen. Er war fast vierzig und wollte spatestens in einem Jahr den Wimpel eines Kommodore fuhren. Au?erdem war Herrick immer ein verstandnisvoller Vorgesetzter gewesen, horte gern zu und nahm auch Ideen wohlwollend auf. Aber jetzt. Gossage bi? sich auf die Lippen, als er an die vielen Nachte dachte, in denen der betrunkene Herrick kaum noch hatte sprechen konnen. Und das war ein Mann, der fruher jeden Offizier davor gewarnt hatte, den Alkohol als Krucke fur seine eigenen Schwachen zu benutzen.
        Er nahm ein Fernglas aus dem Gestell und suchte die Reihe der Schiffe ab. Sie lagen tief im Wasser und krochen nur langsam vorwarts. Der Wind hatte nachts auf Nord gedreht, bis zum Skagerrak brauchten sie also gewi? noch einen ganzen Tag. Es war ein wichtiger Geleitzug, den sie schutzten: zweihundert Kavalleristen der Light Brigade mit ihren Pferden, au?erdem Gardeinfanteristen und Seesoldaten mit Vorraten, Waffen und Munition, wie sie eine Armee fur eine lange Belagerung brauchte. Gossages Sohlen losten sich schmatzend vom Teer zwischen den Planken. Aber bei diesem Tempo wurde der Krieg vorbei sein, ehe sie Kopenhagen erreichten.
        Er suchte im Glas das zweite Begleitschiff, die Egret. Er entdeckte sie, aber die Sonne blendete ihn. Die Egret war ein uralter Zweidecker mit sechzig Kanonen. Sie hatte lange als Ausbildungsschiff vor Anker gelegen, bis dieser Krieg ihren erneuten Einsatz forderte. Ein Uberrest. Aber Hauptsache, sie schwamm, damit die Lords der Admiralitat ihre Sollzahlen erreichten.
        Beim ersten Tageslicht hatte ein Ausguck weit voraus an Steuerbord Land gesichtet, ein Schatten nur, den der Dunst des Augustmorgens schnell wieder verschluckte, ehe die Sonne die Nordsee in eine glasige Flache verwandelte, uber der die Hitze flimmerte.
        Leutnant Gilbert Bowater kam den Niedergang herauf, gru?te und meldete: Konteradmiral Herrick ist auf dem Weg nach oben, Sir. «Selbst dieser unscheinbare Flaggleutnant versuchte neuerdings, dem Admiral moglichst aus dem Weg zu gehen.
        Die Morgenwache richtete sich auf, und der Gehilfe des Masters starrte wie gebannt auf den Kompa?. Gossage begru?te Herrick.»Der Nordwind steht durch, Sir. Und der Konvoi halt seit dem Morgengrauen seine Formation.»
        Herrick ging zum Kompa?hauschen und blatterte in den feuchten Seiten des Logbuchs. Sein Mund fuhlte sich wie ausgedorrt an, und als er sich umdrehte, schwindelte es ihn im gnadenlosen Licht der Sonne. Er spahte zu den Schiffen hinuber, die sie seit Great Yarmouth begleiteten - eine sinnlose Last, keine stolze Pflicht.
        Gossage beobachtete ihn, auf alles gefa?t.»Ich habe den Bootsmann und seinen Leuten befohlen, das stehende Gut zu teeren, Sir. Das Schiff soll gut aussehen, wenn wir einlaufen.»
        Zum ersten Mal bemerkte Herrick seinen Flaggleutnant.»Nichts zu tun, Bowater?«fuhr er ihn an. Zu Gossage sagte er:»Lassen Sie den Konvoi nicht trodeln wie eine Herde Schafe, Kapitan. Signal an Egret: Sie soll aufschlie?en und die Reihe anfuhren! Sein Arger ging mit ihm durch.»Das mu? ich Ihnen doch nicht erst sagen, Mann!»
        Gossage wurde rot und bemerkte, wie die Manner am Ruder sich ansahen.»Wir haben ziemlichen Dunst, Sir. Da ist es nicht leicht, durch Signale in Kontakt zu bleiben.»
        Herrick lehnte sich an die Netze.»So ein Flu?schiffer braucht auch einen Monat, um ein Signal weiterzugeben. «Plotzlich drehte er sich um.»Also lassen Sie endlich eine Kanone abfeuern, das wird die Egret aufwecken!»
        Gossage rief uber die Schulter:»Mr. Piper, den Stuckmeister zu mir! Und machen Sie das Buggeschutz an Steuerbord klar!»
        Herrick fuhlte, wie die zunehmende Hitze seinen Durst verschlimmerte.

«Klar zum Feuern, Sir!»
        Er nickte kurz und zuckte zusammen, als der Schmerz durch seinen Schadel raste. Die Lafette ruckte in ihre Brocktaue zuruck, in der feuchten Luft hing der Rauch fast unbeweglich. Herrick lauschte dem Echo des Schusses nach. Die Versorgungsschiffe schlichen mude weiter, als sei nichts geschehen.»Einen guten Mann nach oben!«befahl er.»Wenn die Egret in Sicht kommt, will ich es sofort wissen!»

«Wenn wir unsere Fregatte noch bei uns hatten. «warf Gossage ein.
        Herrick sah ihn unwirsch an.»Haben wir aber nicht. «Er machte eine fahrige Bewegung.»Hier gibt es nur noch uns und diese lahmen Barken da!»
        Ein Kanonenschu? hallte uber das Wasser, und Gossage meldete:»Die Egret antwortet, Sir. «Herrick zupfte an seinem Halstuch.»Sie soll sofort zum Flaggschiff aufschlie?en!»

«Aber, Sir«, wagte Gossage einzuwenden,»so verlieren sie viel Zeit - und wir auch.
«Er blickte sich hilfesuchend um.
        Herrick rieb sich die Augen. Er hatte schon so lange nicht mehr gut geschlafen, da? er sich kaum noch an eine Nacht ohne Albtraume erinnern konnte. Dulcie war tot, sie wurde nie wieder in der Tur stehen und ihn begru?en… Scharf befahl er: Setzen Sie endlich das Signal!«Er trat ans Schanzkleid und spahte nach querab.»Der Schu? eben kam von dort, nicht von der Egret, meine Herren!»
        Wieder drohnte ein Knall durch den Dunst. Herrick wurde plotzlich ganz ruhig. Haben Sie das gehort, Kapitan Gossage? Was sagen Sie jetzt?»

«Tut mir leid, Sir«, sagte dieser leise.

«Man hort nur, was man horen will, auch auf See«, antwortete Herrick.
        Leutnant Bowater meldete:»Die Versorger formieren sich zur Kiellinie, Sir.»
        Herrick lachelte duster.»Sie riechen die Gefahr! Wahrscheinlich hatte Sir Richard wieder einmal recht. Wir waren nur zu voreingenommen, um ihm richtig zuzuhoren.»
        Der Midshipman der Wache rief:»Die Egret hat bestatigt, Sir!»

«Sie soll mehr Segel setzen und den Platz vor dem Flaggschiff einnehmen.»
        Eine Stunde schlich dahin, eine zweite. Was hatten diese Schusse in der Mittagshitze bedeutet? fragte sich Herrick. Waren sich da vielleicht nur ein Kaperer und ein Schmuggler begegnet? Er sah nicht hoch, als der Ausguck Land in Lee meldete.

«Eine Stunde noch, schatze ich, dann sind wir im Skagerrak, Sir. «Gossage entspannte sich allmahlich.

«An Deck! Segel an Steuerbord voraus!»
        Manner rannten nach rechts, und ein Dutzend Teleskope versuchte, den Dunst uber der spiegelnden See zu durchdringen. Alle atmeten auf, als der Ausguck meldete: Brigg, Sir. Sie fuhrt unsere Flagge!»
        Herrick fa?te sich in Geduld, wahrend die Brigg zum Flaggschiff aufkreuzte. Endlich rief der Signalgast:»Es ist die Larne, Sir, unter Commander Tyacke!»
        Herrick versuchte, sich trotz seiner Kopfschmerzen zu erinnern. Tyacke? Larne? Er kannte beide Namen, doch der Zusammenhang fiel ihm nicht ein.

«Lieber Gott, die ist aber zugerichtet!»
        Im Glas sah Herrick die Brigg jetzt genauer. In ihrem Vortoppsegel gahnten Locher, und auch ihr Bug war zersplittert.

«Sie la?t kein Boot zu Wasser. Sie will wohl langsseits kommen!»
        Herrick bewegte sein Glas und sah den Kommandanten. Er trug die einzelne Epaulette eines Commanders und hatte sich in die Webleinen geschwungen, ein Sprachrohr in der Hand. Aber sein Gesicht! Selbst die Ferne konnte die Entstellung nicht verbergen. Und dann fiel es Herrick wieder ein: Tyacke war mit Bolitho am Kap gewesen. Der Brander, die entflohene franzosische Fregatte - plotzlich wu?te er alles wieder.

«Benbow ahoi!«Herrick senkte das Glas. So war der Commander druben nur eine gesichtslose Gestalt.»Die Franzosen sind durchgebrochen! Ich bin auf zwei Linienschiffe gesto?en und drei weitere!»
        Herrick schnippte mit den Fingern, und der Erste Offizier reichte ihm ein Sprachrohr.»Hier Konteradmiral Herrick! Was fur Schiffe genau?«Jedes laute Wort schmerzte in seinem Schadel.
        Tyacke antwortete mit klarer Stimme, und Herrick glaubte dabei Gelachter zu horen. Ich habe nicht gewartet, um das rauszufinden, Sir. Die hatten mich glatt versenkt.
«Er drehte sich um und gab ein Kommando. Die Larne fiel daraufhin etwas ab.»Aber eins war ein Linienschiff zweiter Klasse mit vierundneunzig Kanonen. Kein Zweifel, Sir!»
        Herrick trat zuruck.»Sagen Sie ihm bitte, er soll dies so schnell er kann an Sir Richard Bolitho melden. Nein, besser gleich an Admiral Gambier.«Uberrascht stellte er fest, da? ihn das alles nicht mehr beruhrte.
        Gossage atmete heftig.»Die Brigg setzt wieder Segel. Soll ich dem Konvoi befehlen, sich aufzulosen, Sir?»

«Haben Sie Varian von der Zest vergessen? Der wartet auf ein Kriegsgericht. Man hat schon mal einen englischen Admiral verurteilt und erschossen, weil er einem Angriff ausgewichen ist. Da wurde man auch bei uns nicht zogern!«Er sah Tyackes Brigg nach, die schon vor dem Konvoi kreuzte. Der Mann mit dem entstellten Gesicht wurde morgen auf Gambier oder Bolitho sto?en, aber fur sie war es dann wahrscheinlich zu spat.
        Als er wieder sprach, klang es fest und entschieden:»Signal an den Konvoi: mehr Segel setzen, dabei Kurs und Abstand genau einhalten. Stellen Sie sicher, da? jeder Kommandant wei?, wie nahe der Feind ist.»

«Aye, aye, Sir. Und dann?»
        Plotzlich fuhlte Herrick sich furchtbar mude. Aber er wu?te, so bald gab es keine Erholung fur ihn.»Dann, Kapitan Gossage, lassen Sie unser Schiff klar zum Gefecht machen.»
        Gossage eilte davon. Dabei fiel ihm plotzlich auf, da? er Herrick zum ersten Mal seit dem Tod seiner Frau lacheln gesehen hatte. Er hatte dabei ausgesehen, als habe er nichts mehr zu verlieren.
        Kapitan Keen las auf dem Achterdeck seine Uhr ab, indem er sie ans Kompa?licht hielt. Um ihn herum standen nur schattenhafte Gestalten. Druben an Land brullten die Kanonen, eine fur ihn ungewohnte Erfahrung. Die Black Prince lag vor Bug- und Heckanker und hatte jeden Angreifer mit einer Breitseite bestreichen konnen.
        Keen spurte gespannte Erwartung um sich herum. Jede Ankertrosse wurde von einem Boot voller Seesoldaten bewacht. Seesoldaten waren auch an der Reling rings um das Deck verteilt und die Drehbassen so tief wie nur moglich auf das schwarze Wasser des gro?en Hafens von Kopenhagen gerichtet.
        Der erste Teil des Angriffs war gut gelaufen. Am zwolften August war die Flotte vor Helsingor erschienen und auf keinen Widerstand gesto?en, trotz der vielen danischen Kriegsschiffe. Drei Tage spater hatte das Heer seinen Marsch auf Kopenhagen begonnen. Je naher die Truppen kamen, desto heftiger wurde die Gegenwehr der Danen. Und beim letzten Angriff wurde die britische Flotte bedroht durch flachgehende Schiffe, von denen jedes zwanzig Kanonen trug, und von einer Kanonenbootflottille. Erst nach heftigem Gefecht konnten sie abgewehrt werden.
        Bolitho kam ubers Deck auf Keen zu. Wahrscheinlich hat er wieder nicht geschlafen, dachte sein Freund.

«Bald ist es soweit, Val.»

«Aye, Sir. Die Artillerie ist in Stellung gebracht. Wie ich hore, sind siebzig Morser und Kanonen auf Kopenhagen gerichtet.»
        Bolitho sah sich in der Dunkelheit um. Die Black Prince war Gambiers Flotte nach Helsingor gefolgt und schnell in einen Schu?wechsel mit der danischen Kronenbatterie verwickelt worden. Zwei Gruppen englischer Linienschiffe ankerten zwischen den danischen Verteidigern und ihrer Flotte. Aber die meisten danischen Schiffe waren offenbar eingedockt und wurden repariert, wahrscheinlich als Tauschung fur jeden, der es auf sie abgesehen hatte.
        Auf dem Hohepunkt des Bombardements und zwischen den Attacken der Kavallerie und Infanterie hatte der britische Oberbefehlshaber Lord Cathcart die Zeit gefunden, die danische Kronprinzessin und die Nichten des Konigs unbehelligt durch die englischen Linien zu geleiten, um ihnen die Schrecken einer Belagerung zu ersparen.
        Keens Augen zuckten, als auf dem Nachthimmel plotzlich Feuer ausbrach und die gezielte Bombardierung begann. Brandbomben wurden auf die Stadt geschleudert, und binnen einer Stunde standen bereits viele Gebaude in Flammen.

«Warum streichen die Danen nicht die Flagge?«fragte Keen durch zusammengebissene Zahne.»Sie haben doch keine Chance.»
        In seinen Augen spiegelten sich die zungelnden Flammen. Das Schiff unter ihnen ruckte bei jedem Abschu? an seinen Trossen.
        Die Danen, dachte Bolitho. Wir sprechen immer von den Danen, nie vom Feind. Plotzlich sah er ein Boot unten auf dem Wasser naherkommen. Die Brande beleuchteten es gespenstisch. Wei?e gekreuzte Brustriemen wurden sichtbar, und jemand rief den Seesoldaten auf englisch zu, ja nicht zu schie?en. Dann erhob sich ein Offizier im Heck des Bootes, legte die Hande um den Mund und rief durch den Larm der Explosionen:»Sir Richard Bolitho! Der Kommandierende Admiral la?t gru?en und bittet Sie zu sich an Bord!»

«Was fur ein Zeitpunkt fur eine Konferenz!«Bolitho blickte Jenour und Allday an. Dann wandte er sich an Keen.»Ich nehme eines unserer Wachboote. Es mu? ja ziemlich dringend sein, wenn er nicht bis morgen fruh warten will.»
        Sie eilten zur Pforte, unter der das Boot festmachen durfte, und Bolitho sagte im Absteigen:»Sie wissen, was Sie zu tun haben, Val. Wenn Sie angegriffen werden, kappen Sie die Ankertrossen - von den Booten aus, wenn notig.»
        Dann sa? er unten im Boot zwischen Jenour und dem Offizier der Wache. Ihm war, als wurde er uber flussiges Feuer gerudert. Kleine Stucke verbranntes Holz trieben gegen das Boot, und immer wieder zischte hei?e Asche ins Wasser.
        Auf dem Flaggschiff begru?te ihn Admiral Gambier auf seine kuhle Art.»Tut mir leid, da? ich Sie zu dieser Stunde herbitten mu?. Aber wir sind in einer Zwangslage.»
        Jemand nahm Bolitho den Hut ab und reichte ihm dafur ein Glas eiskalten Rheinweins. In der Kajute des Admirals standen alle Turen offen. Qualm waberte durch den Raum, als nahere sich ein Brander. Offiziere in Blau und Rot standen herum, und Gambier musterte sie mi?billigend.»Die Herren gratulieren sich schon - noch ehe die Danen sich ergeben haben.»

«Die Danen «hatte auch Gambier gesagt, nicht» der Feind».

«Wir gehen in die Kajute meines Kapitans«, schlug er vor.»Da ist es etwas ruhiger.

        Die Kajute - ahnlich, aber alter als Keens Kajute auf der Black Prince - erhellte nur eine einzige Lampe. Vor den Heckfenstern brannte die Stadt wie das Tor zur Holle.
        Gambier wandte sich kurz an einen Fahnrich.»Holen Sie ihn!«Und zu Bolitho:»Gut, da? Sie die Schiffe vom Kap mitgebracht haben. Mein Kapitan ist des Lobes voll daruber.»
        Man horte drau?en Schritte, und Gambier sagte leise:»Ich warne Sie, das Gesicht des Mannes ist durch eine Wunde furchterlich entstellt.»
        Bolitho fuhr herum.»James Tyacke!»

«Er hat nicht gesagt, da? er Sie kennt. Komischer Kerl!»
        Tyacke trat ein, gebuckt wegen der niedrigen Decke; Bolitho ergriff seine Hand und schuttelte sie herzlich.
        Wenn Gambier beeindruckt war, zeigte er es nicht.»Berichten Sie Sir Richard, was Sie gesehen haben, Commander.»
        Als Tyacke beschrieb, wo und wie er funf franzosische Schiffe entdeckt hatte und wie Herricks Konvoi zu ihnen stand, stiegen in Bolitho Wut und Verachtung auf. Man hatte ihm ja nicht glauben wollen.

«Und Sie sind dessen ganz sicher, Commander?«fragte Gambier zum wiederholten Male.
        Tyacke trat aus dem Schatten und zeigte einen Augenblick sein zerstortes Gesicht. Ein Linienschiff zweiten Ranges, vielleicht sogar noch gro?er, und ein zweites Linienschiff dahinter. Dazu ein paar weitere Schiffe. Ich hatte keine Zeit, sie lange zu studieren.»
        Gambier sagte:»Ich hatte nicht damit gerechnet, da? Konteradmiral Herrick selbst Schutz brauchen konnte. Das war ein Fehler. Ich hatte Ihr Nordseegeschwader auf seiner Station lassen sollen.»
        Bolitho unterbrach ihn scharf:»Glauben Sie, da? der Feind den Konvoi schon entdeckt hat?»
        Tyacke zuckte die Schultern.»Das bezweifle ich. Aber er wird sie finden, wenn sie Kurs und Geschwindigkeit beibehalten.»
        Bolitho wandte sich an den Admiral:»Ich bitte um Erlaubnis, mit meinem Geschwader zu ihrer Entlastung auszulaufen, Sir!»

«Unmoglich! Kommt gar nicht in Frage. Die meisten Ihrer Schiffe stehen in den Ostseezugangen. Sie wurden zwei Tage brauchen, ehe sie zum Konvoi sto?en.»

«Dann wird der Konvoi vernichtet und sein Begleitschutz auch«, sagte Tyacke bitter.
        Der Admiral runzelte die Stirn.»Aber Ihr Flaggschiff konnen Sie dazu nehmen - und ein zweites. Die Nicator, sie hat neben Ihnen geankert. Das alte Madchen bricht uns sonst noch auseinander, wenn es hier dauernd schie?en mu?. «Er unterbrach sich.»Doch wer soll Sie durch den Sund lotsen?»

«Ich kenne mich aus, Sir. Unter Nelson war ich schon mal hier.»

«Ich werde voraussegeln, Sir, falls Sie mir trauen«, warf Tyacke ein.
        Gambier begleitete sie zur Pforte, dann fragte er seinen Flaggkapitan:»Bin ich eigentlich ein schwieriger Vorgesetzter?«Der Kapitan lachelte.»Es geht, Sir.»
        Gambier sah dem Wachboot nach, das hastig durch den Hafen gerudert wurde, immer wieder erleuchtet von den Branden in der Stadt.»Eben hatte ich auf meinem eigenen Flaggschiff das Gefuhl, da? Bolitho hier den Oberbefehl hat, nicht ich.»
        Auf der Black Prince gab Bolitho seine Befehle, als hatte er sie langst ausgearbeitet.»Schicken Sie ein Boot zu Ihrem alten Schiff, Val. Die Nicator soll sofort Anker lichten und uns folgen. «Er ergriff seinen Arm.»Und bitte keine Diskussionen. Tyackes Larne wird uns hinauslotsen. Ich habe doch geahnt, da? so etwas passiert!»
        Der gro?e Dreidecker erwachte plotzlich zum Leben, als die Trommeln wirbelten und die Besatzung auf ihre Manoverstationen eilte. Alles war besser, als hier zu ankern und in dieses Inferno einzustimmen. Nur zu gern verlie?en sie den Hafen. Das Gangspill klickte schon, bald wurde der Heckanker aufgeholt sein. Eine Hecklaterne glitt ubers Wasser, und gelegentlich konnte Bolitho im Flammenschein dahinter den Umri? der Larne erkennen.
        Zwei gro?e Brandbomben fielen gleichzeitig auf die Stadt und beleuchteten Dacher und Schiffe wie ein grelles Feuerwerk. Bolitho hatte die Hand vor das verwundete Auge geschlagen. Als der riesige Ball verglomm, zog er sie weg. Er sah seine Umgebung wie durch Wolken oder ein beschlagenes Glas.»Doch nicht jetzt, lieber Gott, nicht jetzt!«murmelte er verzweifelt.»Anker ist kurzstag, Sir!»
        Im Sprachrohr horte sich Keens Stimme fremd an.»Wie verlauft die Trosse, Mr. Sedgemore?«Er wartete auf den nachsten Feuerblitz, um den Winkel zu erkennen, den ihm der Leutnant mit ausgestrecktem Arm wies. Im Hafen war sehr wenig Platz, Keen mu?te genau berechnen, wie sein Schiff sich bewegen wurde, wenn der Anker freikam. Cazalet brullte:»Marssegel setzen!«Und nach ein paar Sekunden:»Achtung, Achterdeckswache!»
        Die unteren Stuckpforten der Black Prince schienen fast das Wasser zu beruhren, als von vorn der Schrei kam:»Anker ist frei, Sir!»
        Bolitho griff haltsuchend in die Netze und rieb sich das Auge.»Kann ich helfen, Sir Richard?«flusterte Jenour neben ihm.
        Statt der erwarteten heftigen Abfuhr horte er nur ein leises Stohnen.»Ich verliere mein Augenlicht, Stephen. Aber wurden Sie das bitte fur sich behalten?»
        Jenour war zu erschuttert, um zu antworten. So nickte er nur.

«Es darf niemand erfahren!«Bolitho packte seinen Arm, bis Jenour vor Schmerz das Gesicht verzog.»Da drau?en warten Freunde auf unsere Hilfe.»
        Keen trat zu ihnen.»Schiff ist in Fahrt, Sir. «Dann sah er von einem zum anderen und begriff sofort, was geschehen war.»Soll ich den Schiffsarzt rufen lassen?»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Vielleicht wurde die Trubung ja vorubergehen. Wenn der Morgen anbrach, konnte er moglicherweise so gut sehen wie vorher.»Nein, danke, Val. Es wissen schon zu viele. Segeln Sie hinter der Hecklaterne der Larne her und schicken Sie Ihren besten Lotgast in den Bug.»
        Aus der Dunkelheit tauchte Allday mit einem Becher auf. Bolitho trank und schmeckte Kaffee mit Rum und noch etwas. Er fuhlte, wie er sich entspannte.»Das hat gut getan, alter Freund. Jetzt ist es wohl vorbei. «Er reichte Allday den Becher zuruck.
        Doch als er sich nach der brennenden Stadt umsah, hing der Nebel immer noch vor seinem linken Auge.



        XIX Die wahre Flagge

        Die Black Prince segelte so hoch am Wind wie moglich. Ihre gro?en Rahen waren so dichtgebra?t, da? eine Landratte geglaubt hatte, sie stunden mittschiffs. Fast die ganze letzte Nacht hatten sie damit verbracht, im engen Sund gegenan zu kreuzen. Der Donner des Bombardements von Kopenhagen war ihnen gefolgt, immer leiser werdend.
        Die Nicator hatte es geschafft, Fuhlung zum Flaggschiff zu halten, doch Besatzung und Offiziere auf dem gro?en Dreidecker hatten all ihre Erfahrung gebraucht und viel Kraft. Jede einzelne Tiefenangabe des Lotgasten wurde laut nach achtern gerufen, und einmal hatte Bolitho das Gefuhl gehabt, da? nur noch eine Handbreit Wasser zwischen dem Kiel des gro?en Schiffes und einer Katastrophe stand.
        In der Morgendammerung fuhren sie ins Kattegat ein, ebenfalls ein flaches Gewasser, doch ihnen kam es nach dieser Nacht vor wie der weite Atlantik. Ein Blick zu seinem Wimpel im Vortopp zeigte Bolitho, da? der Wind aus Nordost durchstand. Morgen wurde ihnen das sehr helfen. Zum hundersten Mal mu?te Bolitho an Herrick denken und an seine Redensart von der launischen Dame Fortuna.

«Noch Befehle fur den Tag, Sir?«fragte Keen.
        Sie schauten einander an wie Freunde uber den Gartenzaun an einem ganz normalen Tag.»Morgen passiert's - oder gar nicht, Val. Sie wissen ja, wie diese Konvois uber die See schleichen, der Langsamste bestimmt das Tempo. Konteradmiral Herrick hat rund zwanzig Frachter zu begleiten. Wenn es ein Gefecht gegeben hat, dann mu?ten die schnellsten davon jetzt im Skagerrak stehen - falls sie dem Feind entkommen sind. «Er versuchte zu lacheln.»Sie halten mich vielleicht fur verruckt, aber es konnte gut sein, da? Herrick morgen fruh mit seiner Herde frohlich gru?end an uns vorbeisegelt.»

«Darf ich etwas fragen, Sir?«»Gern.»

«Wenn Sie Konteradmiral Herrick waren, Sir, was wurden Sie an seiner Stelle tun, wenn sich ein feindlicher Dreidecker und sein Geleit Ihrem Konvoi nahert?»
        Bolitho sah zur Seite.»Ich wurde dem Konvoi befehlen, sich aufzulosen. Dann wurde ich den Feind in ein Gefecht verwickeln.
        Das verschafft den verstreuten Schiffen Zeit zur Flucht, so da? wenigstens einige davon durchkommen.»

«Glauben Sie, da? auch er das tun wurde?»
        Bolitho nahm Keen am Arm und fuhrte ihn hinter das gro?e Doppelrad. Julyan, der Master, redete mit seiner tiefen, grollenden Stimme auf seine Gehilfen ein. Schon fruher hatte Keen den Mann gelobt, er sei sein Gewicht in Gold wert. Aber was er wirklich konnte, hatte er in dieser Nacht bewiesen, beim harten Anknuppeln gegen Wind und Stromung.

«Ich mache mir Sorgen, Val. Wenn der Feind seine Schiffe findet, wird Herrick das Gefecht zu einer ganz personlichen Abrechnung machen. «Aus der Kombuse wehte der fette Geruch von Schweinefleisch heruber.»Sobald beide Wachen gegessen haben, machen Sie klar Schiff zum Gefecht, Val. Aber loschen Sie das Kombusenfeuer noch nicht. Volle Bauche haben schon mehr Schlachten gewonnen als kalter Stahl.»
        Keen musterte das Deck, als herrsche dort bereits das Chaos eines Nahkampfs. Einverstanden. «Dann sagte er:»Ihr Mr. Tyacke konnte mit dem gro?en Franzosen recht haben, auch wenn ihn noch keiner kennt. Schlie?lich kennt auch noch kaum jemand die Black Prince - sie ist viel zu neu.»
        Der Wachhabende rausperte sich laut.»Wollen Sie mir vorschlagen, die Wache abzulosen, Mr. Sedgemore?«kam Keen seiner Frage zuvor.

«Moment mal«, unterbrach ihn Bolitho.»Was haben Sie da eben gesagt, Val?»

«Nichts weiter. Nur etwas uber die hier unbekannte Black Prince.»
        Bolitho sah nach oben zur Flagge.»Haben Sie einen guten Segelmacher, Val? Dann bitten Sie ihn zu uns. Es mu? aber schnell gehen. Und noch ehe es dunkel wird, mu? ich Kapitan Huxley auf der Nicator verstandigen. «Keen schickte einen Midshipman um den Segelmacher. Bolitho wurde ihm sicherlich bald erklaren, was er beabsichtigte. Und vielleicht knobelte er ja selber noch daran.
        Der Segelmacher der Black Prince sah so aus wie alle seiner Zunft: graues, buschiges Haar, kraftige Augenbrauen, die uber die Stirn hinaus reichten, und dazu eine Lederschurze voller Werkzeug wie Faden, Nadeln und naturlich Segelmacherhandschuhe. Der Segelmacher blinzelte mit seinen wa?rigen Augen alle nacheinander an: den Admiral, seinen Kommandanten, den Wachoffizier, die Midshipmen und die Gehilfen des Masters.»Ja, Sir?«fragte er mi?trauisch.

«Konnen Sie mir eine danische Flagge nahen, Fudge, einen richtig gro?en Danebrog?»
        Der Mann nickte.»Zur Tauschung, Sir Richard?»
        Leutnant Sedgemore wollte den Segelmacher anfahren, aber Keen gab ihm ein Zeichen zu schweigen.

«Richtig«, antwortete Bolitho.»Ein wei?es Kreuz auf rotem Grund mit zwei Schwanzen. So wie der Wimpel eines Kommodore - nur gro?er.»
        Fudge straffte sich.»Ich war mit Nelson auf der Elephant vor Kopenhagen, Sir Richard! Ich wei?, wie eine danische Flagge aussieht.»

«Wann kann ich sie bekommen?»
        Fudge grinste mit seinen schlechten Zahnen.»Schnellstens naturlich. In spatestens zwei Tagen, Sir Richard!»

«Wir brauchen sie dringend. Konnte ich sie schon morgen fruh haben?»
        Fudge schaute ihn so aufmerksam an, als suche er eine Erklarung fur die Eile.»Ich fange sofort an, Sir Richard. «Er betrachtete die Seeleute um sich herum, als gehorten sie zu einer minderwertigen Rasse.»Verlassen Sie sich nur auf mich!»
        Als Fudge verschwand, rieb sich Bolitho die Hande, als friere ihn.»Ich mochte Sie um einen Gefallen bitten, Val. Gehen wir zusammen eine Runde durch das Schiff.»

«Naturlich, Sir Richard. «Keen war jetzt klar, was Bolitho am nachsten Tag vorhatte.

«Lassen Sie aber zuerst die Larne langsseits kommen, ich habe schriftliche Befehle fur die Nicator. Danach soll Tyacke au?er Sicht bleiben, denn wenn die Franzosen auftauchen, konnten sie seine Brigg wiedererkennen und sich fernhalten. Ich will aber den gro?en Franzosen um jeden Preis, um jeden!»
        Die wenigen Zeilen brachte Bolitho selbst zu Papier. Yovell versiegelte die Order und steckte sie in die Tasche aus Olzeug, die fur den Kommandanten der Nicator bestimmt war.

«Sie mussen wissen, was ich geschrieben habe, Val«, fa?te Bolitho zusammen.»Sollte ich fallen, ubernehmen Sie das Kommando. Und sollte die Black Prince die Flagge streichen mussen, wird die Nicator das Gefecht abbrechen und zu Admiral Gambier zurucksegeln.»
        Spater, als die letzten Abgelosten ihr Abendessen verzehrt hatten, begannen Bolitho und Keen ihre Runde, begleitet vom jungsten Leutnant und naturlich von Allday. Zu viert gingen sie durch die weitlaufigen Decks und stiegen die Leitern hinunter bis ins Orlop.
        Viele Seeleute wollten uberrascht von ihren Tischen aufstehen, aber Bolitho winkte ab. Er sprach mit einigen von ihnen und war verblufft, wie sie ihn befragten. Aus Neugier oder um ihre Uberlebenschancen besser abzuschatzen?
        Er traf auf Gepre?te und Freiwillige, Schanghaite von anderen Schiffen, horte alle Dialekte Englands: aus Devon und Hampshire, aus Kent und Yorkshire, aber auch fremde, etwa aus Schottland. Und naturlich war unter ihnen auch ein Mann aus Falmouth, der stolz vor seinen Kameraden behauptete:»Naturlich kennt mich Sir Richard!»
        Als er seinen Namen nannte, sagte Bolitho:»Ich erinnere mich an Ihren Vater, Tregorran, er war Schmied neben der Kirche. «Er legte ihm die Hand auf die Schulter.»Ihr Vater war ein guter Mann. «Damit ging er weiter.»Also, Leute, hoffen wir, da? wir bald alle wieder zu Hause sind!»
        Weil die Stuckpforten geschlossen waren, roch es in den Decks stark nach Teer, Bilgenwasser und Schwei?. Hier konnte kein gro?er Mann aufrecht stehen, und doch lebten hier so viele Manner und starben auch.
        Bolitho kletterte den letzten Niedergang empor, als einige Manner hurra zu rufen begannen. Die Rufe folgten ihm nach oben. Allday las in seinem Gesicht, was er dachte: Rauhbeine, Diebe, Schurken, Unschuldige und Verdammte - sie waren Englands letzte Hoffnung: Manner aus Eisen. Die schmuddelige Hose eines Midshipman tauchte im Lampenschein auf, ein paar geflusterte Worte wurden gewechselt, dann meldete der Leutnant, der sie begleitete, dem Kommandanten:»Mr. Jenours Empfehlung, Sir, und die Tasche mit den Befehlen ist der Nicator gerade ubergeben worden.»
        Jetzt sah ihn Bolitho zum ersten Mal deutlicher.»Sind Sie nicht Leutnant Whyham? Der junge Offizier nickte unsicher.»Dachte ich's mir doch. Sie waren vor vier Jahren einer meiner Midshipmen auf der Argonaut, stimmt's?»
        Der Leutnant starrte ihnen immer noch nach, als Bolitho und Keen schon die frische Luft des Oberdecks erreicht hatten. Nach dem Gestank unten schmeckte sie wie frisches Quellwasser.
        Unsicher bat Keen:»Wurden Sie heute abend mit mir essen, Sir? Ehe wir alle Zwischenwande legen und klar zum Gefecht machen lassen.»
        Bolitho schaute ihn an, noch immer bewegt von der Zuneigung seiner Manner, die nichts hatten als sein Wort, an das sie sich klammern konnten.»Mit dem gro?ten Vergnugen, Val.»
        Beim ersten Tageslicht erwachte die Black Prince zum Leben. Wie Uberlebende aus langst vergessenen Zeiten und Wracks krochen die achthundert Leute aus ihren Decks, losten sich von dem letzten bi?chen Frieden und der Ruhe, die jeder in seiner Hangematte gefunden hatte. Bolitho stand auf dem Achterdeck in Luv und horte nackte Fu?e laufen und Waffen scheppern. Keen verhielt sich richtig, keine Pfeife schrillte, keine Trommel schlug. Niemand sollte furchten mussen, da? der letzte Tag seines Erdenlebens anbrach. Bolitho sah zum ostlichen Himmel, ohne in der Dammerung um sein Auge zu furchten. Das grelle Licht war nahe, aber erst zu ahnen wie ein aufziehender Sturm hinter dem trugerischen Lacheln der See.
        Er stellte sich vor, wie der Feind sie sehen wurde: einen gro?en Dreidecker mit seiner rechtma?igen danischen Flagge unter der englischen, also ein danisches Schiff, das von Englandern aufgebracht worden war. Doch zu einer Tauschung gehorte mehr. Als Fregattenkapitan hatte Bolitho sich manche List ausgedacht und war ebenso vielen selbst aufgesessen. In einem so langen Krieg konnte man selbst die Normalitat nicht ohne Mi?trauen hinnehmen.
        Wenn sie das kommende Gefecht verloren, mu?ten sie einen doppelten Preis bezahlen. Keen hatte dem Bootsmann befohlen, keinerlei Ketten aufzuriggen. Spieren und Trummer wurden also an Deck fallen und das Schiff verkruppeln, Manner an ihren Kanonen zerschmettern. Auch alle Boote blieben in den Klampen, und ihre Splitter wurden morderische Wunden rei?en.
        Keen trat zu ihm. Wie alle Offiziere an Deck hatte er seine Uniformjacke unten gelassen, um sich nicht zu verraten. Auch er sah zum ostlichen Himmel.»Es wird wieder ein klarer Tag, Sir Richard.»
        Bolitho stimmte zu.»Ich hatte auf Regen gehofft, zumindest auf Wolken bei diesem Nordost. «Aber sie hatten ganz klare Sicht.»Wir werden die Sonne im Rucken haben, also werden sie uns zuerst entdecken. Wir sollten schon Segel kurzen, Val.»
        Keen suchte sich einen Midshipman.»Mr. Rooke, bitten Sie den Ersten Offizier, Bramsegel und Royals wegnehmen zu lassen!»
        Bolitho wu?te sich verstanden. Falls sie schon jetzt gesichtet wurden, konnte der Gegner mi?trauisch werden. Warum segelte eine schwach bemannte Prise unter Vollzeug, wenn sie nichts zu furchten hatte?
        Keen sah den Mannern nach, die schemenhaft in den Webleinen emporkletterten, um die schweren Segel aufzutuchen und an die Rahen zu binden.»Major Bourchier hat seine Manner auf dem Vordeck, hier hinten und im Gro?topp aufgestellt, genauso als musse er eine echte Prise unter Kontrolle halten, auf der die ursprungliche Besatzung noch arbeitet.»
        Mehr konnten sie im Augenblick nicht tun.
        Cazalet rief:»Der Segelmacher, Sir!»
        Fudge und einer seiner Gehilfen kamen aus dem Schatten, die in der Nacht genahte danische Flagge zwischen sich.

«Sie haben Wort gehalten«, lobte ihn Bolitho.»Gute Arbeit. Lassen Sie Fudge die neue Flagge setzen, diese Ehre gebuhrt ihm.»
        Das war nun wirklich etwas Besonderes, an diesen Augenblick wurde sich mancher noch lange erinnern. Manner verlie?en sogar ihre Kanonen, um das Hissen der Flagge zu beobachten, die schlie?lich unter der englischen auswehte.
        Jemand rief:»Hast wohl dein bestes Tuch dafur genommen, Segelmacher!»
        Der Segelmacher starrte nach oben und sagte trocken:»Ist noch genug ubrig, um dich heute darin einzunahen, Freund!»

«Ich habe einen unserer besten Manner in den Ausguck geschickt, Sir«, meldete Keen.»Taverner, Gehilfe des Masters. Der hat Augen wie ein Falke und einen klaren Kopf.»
        Bolitho fuhr sich uber die trockenen Lippen. Kaffee, Wein, ja sogar das faulige Wasser aus den Fassern hatten ihm jetzt gut getan.
        Keen uberlegte laut.»Konteradmiral Herrick konnte auch etwas ganz anderes tun, Sir: nach England zurucksegeln, weil er hofft, unterwegs auf das patrouillierende Geschwader zu treffen.»
        Bolitho stellte sich das ernste, verla?liche Gesicht Herricks vor.
        Mit einem Konvoi umkehren? Niemals. Das ware fur ihn wie Weglaufen.
        Tojohns, Keens Bootssteurer, gurtete den Flaggkapitan mit dem Gehenk fur den leichten, gebogenen Sabel, den er in jedem Gefecht trug. Bolitho packte den Griff seines eigenen Degens, den Allday an seinen Gurtel gehangt hatte. Er fuhlte sich an wie Eis, und Bolitho erschauerte, besorgt beobachtet von Allday. Der Alte roch stark nach Rum.
        Und dann wurde die Dunkelheit plotzlich zerrissen durch einen gewaltigen Blitz, der das ganze Schiff erhellte und die Manner wie Statuen beleuchtete. Die Wanten und Webleinen schienen zu gluhen. So plotzlich, wie das Licht auf sie zugejagt war, so schnell war es auch wieder verschwunden, als habe es eine Riesenhand ausgeloscht. Dann erst, scheinbar eine halbe Ewigkeit spater, kam der Knall der Explosion und mit ihm ein hei?er Wind, der die Segel backschlagen lie? und die Gesichter versengte.
        Uberall wurden Stimmen laut, als die Dunkelheit die Black Prince wieder einschlo?.

«Was war das, alter Freund?»

«Ein Schiff, das Pulver und Munition transportiert hat«, antwortete Allday betroffen.
        Ob jemand an Bord sich vorstellen konnte, da? auch sein Leben in solch einem Pulverblitz enden konnte? fragte sich Bolitho. Kein letzter Schrei, kein Handedruck mit einem Freund, keine Tranen - nichts, nur ein plotzliches Ausloschen.
        Keen rief:»Mr. Cazalet, schicken Sie die Midshipmen unter Deck, sie sollen allen erklaren, was vorgefallen ist. «Sogar daran dachte er, wahrend sein Schiff in die Dunkelheit segelte, selber aufs hochste gefahrdet.»Unter Deck mu? sich das wie ein Riff angefuhlt haben.»
        Eine schmachtige Figur erschien von irgendwoher, tastete sich an den Rudergangern vorbei und stellte sich hinter die Offiziere. Allday knurrte:»Was zum Teufel willst du hier an Deck?»
        Bolitho drehte sich um.»Ozzard! Was soll das? Ihr Platz ist unten im Schiff.»
        Doch Ozzard horte nicht, er zitterte wie Laub im Wind.»Ich kann nicht, Sir! Nie wieder. Nicht seit dem letzten Mal. «Er zitterte starker.»Ich halte das nicht noch mal aus!»

«Naturlich. Ich hatte daran denken sollen«, beruhigte ihn Bolitho.»Such einen Platz fur ihn hier in der Nahe, Allday. «Auch das hatte der Untergang der Hyperion bewirkt: einen vor Furcht zitternden Diener.
        Aus dem Fockmast ertonte die Stimme des Ausgucks:»An Deck - Land an Backbord voraus!»

«Das wird Kap Skagen sein«, stellte Keen fest.»In einer Stunde konnen wir den Kurs andern auf West.»
        Die Erregung, die jetzt das Oberdeck ergriff, teilte sich auch Bolitho mit. Sie waren endlich im Skagerrak - in einem Seegebiet ohne Grund, wie die Mar ging. Wracks und Seeleute seien hier in bodenlose Abgrunde gesunken und teilten ihren ewigen Schlaf mit blinden Kreaturen von so schrecklicher Gestalt, da? niemand sie beschreiben konnte. Aber wie dem auch war, wenn ihr Bug erst einmal nach Westen zeigte, stand nichts mehr zwischen der Black Prince und England.
        Das Morgenlicht kroch uber die Kimm und erhellte Stenge nach Stenge, bis das ganze Deck zu erkennen war; achteraus wurde die Nicator sichtbar.
        Taverner, der Gehilfe des Masters oben im Ausguck, rief plotzlich:»An Deck! Brennende Schiffe. «Er suchte nach Worten.»O Gott, ich kann sie gar nicht alle zahlen!»
        Keen griff zum Sprachrohr.»Hier spricht der Kommandant!«Er machte eine Pause, damit die Leute oben sich sammeln konnten.»Was seht ihr vom Feind?»
        Bolitho trat an die Querreling und blickte in die nach oben gewandten Gesichter, die alle wissen wollten, was hinter der Kimm geschah.

«Zwei franzosische Linienschiffe, Sir. Eines von uns, aber ohne Mast. «Taverner schwieg, und Bolitho horte den Master murmeln:»Dann mu? es schlimm sein!»
        Das aufsteigende Tageslicht wurde bald alles enthullen. Der Feind mu?te am Vorabend noch vor der Dammerung auf Herricks Konvoi gesto?en sein, wahrend die Black Prince aus dem Sund kroch, um ihm zu helfen. Dann hatte er den ganzen Konvoi entweder erbeutet oder vernichtet. Den Rest des Geleitschutzes wurde er heute erledigen.
        Mude sagte Keen:»Wir kommen zu spat, Sir.»
        Der Knall eines Kanonenschusses rollte ubers Wasser. Taverner meldete:»Das entmastete Schiff hat Feuer eroffnet, Sir! Die geben nicht auf!«Allen Drill vergessend, brullte er plotzlich:»Schie?t sie zusammen, Jungs! Drauf! Wir kommen!»
        Das entmastete Schiff mu?te die Benbow sein, eine andere Moglichkeit gab es nicht. Bolitho sagte:»Lassen Sie mehr Segel setzen, Val. Aber es bleibt dabei, wir sind eine Prise unter englischer Besatzung. «Keen wirkte bedruckt.»Wir haben keine andere Wahl, wir mussen den Windvorteil nutzen und den Uberraschungseffekt.»
        Zwei Breitseiten folgten jetzt kurz hintereinander. Der Feind suchte wohl Benbows Feuerkraft zu halbieren, sie zwischen sich zu nehmen, zu entern und zu erobern. Ohne Takelage konnte sie sich nicht mehr bewegen. Die Salven wurden ihr ungeschutztes Heck zertrummern und unter Deck ein Blutbad anrichten. Bolitho ballte die Fauste, bis sie schmerzten. Herrick wurde eher sterben als sich ergeben. Er hatte schon zuviel verloren.
        Die Black Prince nahm langsam mehr Fahrt auf und ging auf Westkurs, wo hinter Kap Skagen immer noch Dunkelheit auf dem Wasser lag. Erst allmahlich enthullte das zunehmende Tageslicht die schrecklichen Spuren eines verlorenen Gefechts: Spieren, Lukendeckel, leer treibende Rettungsboote und weiter drau?en den Kiel eines gekenterten Schiffes. Als es heller wurde, sahen sie noch andere Schiffe: Einigen fehlten die Masten, andere schienen unbeschadigt, aber alle fuhrten die franzosische Flagge uber der englischen.
        Das zweite Geleitschiff, das Tyacke erwahnt hatte, war nirgends zu sehen. Unter Herricks Oberkommando war es bestimmt eher gesunken, als sich zu ergeben.
        Taverner hatte sich wieder unter Kontrolle, als er rief:»An Deck! Sie haben das Feuer eingestellt, Sir!»
        Keen hob sein Sprachrohr.»Hat Benbow die Flagge gestrichen?»
        Taverner sah genauer hin. Nach all seinen Jahren auf See gab es immer noch etwas, das ihn uberraschte.»Nein, Sir, hat sie nicht. Aber der gro?e Franzose fallt ab und setzt mehr Segel!»
        Bolitho ergriff Keens Arm.»Jetzt haben sie uns entdeckt, Val. Da kommen sie!»
        Er sah seinen Neffen durch den Qualm entsetzt hinuberstarren, als ein langgezogenes tierisches Gebrull horbar wurde. Tojohns fragte durch die zusammengebissenen Zahne:»Was zum Teufel ist das?»
        Keen antwortete sachlich:»Pferde. Kavalleriepferde. Sie verenden unter Deck auf den brennenden Schiffen.»
        Bolitho strich sich uber sein linkes Auge. Er hatte schon einmal Pferde in Todesnot so schreien gehort, bis die See sie endlich verschluckte.
        Er sah seine Leute voll stummer Wut am Schanzkleid stehen. Sie hatten kuhl einen Feind niedergestreckt und sich kaum umgeschaut, wenn neben ihnen ein Freund fiel - aber Pferde, hilflose Tiere, so leiden zu horen - das war zuviel fur sie. Er straffte sich und sagte mit lauter, ruhiger Stimme, so da? ihn jeder verstand:»Das gro?e Schiff dort lauft auf uns zu, Manner. Was ihr auch denkt oder fuhlt - bleibt auf eurem Platz. Jede unserer Kanonen ist mit Doppelkugeln geladen und feuerbereit. Also haltet durch. Dies ist ein starkes neues Schiff, und unsere Freunde auf der Benbow warten auf uns. Aber wir wollen nicht Rache, sondern Gerechtigkeit!»
        Er wu?te, was Herrick druben ausgehalten hatte. Vielleicht war er schon gefallen. Er sah Ozzard nach vorne rennen, ein gro?es Teleskop uber der Schulter. Plotzlich schien das Schiff unter den Rufen der Besatzung zu erzittern.

«Auf, Manner! Ein Hurra fur unsern Admiral! Ein Hurra fur unsern Kaptn und seine Braut in England!»

«Da haben Sie's«, sagte Keen bewegt.»Das sind Ihre Leute. Sie wurden alles fur Sie tun.»
        Auf dem Vorschiff rannte Allday hinter Ozzard her und packte ihn, verzweifelt uber die Manner, die Hurra schrien und nicht wu?ten, was auf sie zukam.»Was zum Teufel machst du da? Bist du verruckt geworden?»
        Ozzard lie? das Fernglas sinken und sagte uberraschend ruhig:»Du hast doch gehort, was Sir Richard gesagt hat. Nicht Rache, sondern Gerechtigkeit. «Er deutete auf den naherkommenden Franzosen.»Ich verstehe ja nicht viel von Schiffen, aber das erkenne ich wieder. Wie konnte ich es je vergessen?»

«Was meinst du?«fragte Allday, doch er wu?te die Antwort schon.
        Ozzard starrte immer noch hinuber.»Mir ist egal, wie sie jetzt hei?t oder welche Flagge sie zeigt. Die da hat unsere Hyperion versenkt! Und Rache dafur ist nur gerecht. Also, John, was machen wir?«Doch er erhielt keine Antwort.
        Midshipman Roger Segrave fuhlte, wie ihm vor Angst fast die Luft wegblieb und seine Hande sich um die Reling krampften. Sein Blick suchte die Leute neben ihm: den Master und seine Gehilfen am Kompa?, vier Ruderganger am gro?en Rad und eine Handvoll Manner, die ihnen beispringen sollten, aber noch so taten, als seien sie unbeschaftigt. Segrave kam sich vor wie in einem verruckten Traum. Auf dem Seitendeck an Backbord, von wo sich der feindliche Dreidecker naherte, lungerten unbewaffnete Matrosen herum, die miteinander redeten und nur gelegentlich auf das Schiff deuteten, als seien sie Danen. Sie taten so, als betreffe sie das alles nicht. Doch als Segrave genauer hinsah, entdeckte er unten die feuerbereiten Stuckmannschaften an ihren Kanonen. Hier oben und in den beiden unteren Decks hockten sie mit Handspaken, Rammen und Wischern zwischen sich; selbst die Deckel von den Zundlochern waren schon entfernt, damit ja keine Sekunde verlorenging, wenn die Tauschung aufflog.
        Er sah Bolitho angelegentlich mit Keen sprechen und ab und zu nach druben blicken, vor allem aber ihre eigenen Leute beobachten, ob sie nicht die Nerven verloren. Der gro?e Midshipman Bosanquet unterhielt sich angeregt mit dem Flaggleutnant, nur die Seesoldaten hatten ihre Rolle nicht geandert. Ihre roten Uniformen waren auch oben im Gro?topp zu erkennen, wo sie die Drehbassen nach unten richteten. Ein Zug stand mit aufgepflanzten Bajonetten auf dem Vorschiff, ein zweiter achtern in der Nahe der Poop.
        Segrave horte Bolitho sagen:»Mr. Julyan, Sie spielen heute den Kommandanten!»
        Der gro?e Master grinste breit.»Ich fuhle mich schon formlich wachsen, Sir Richard!»
        Segrave wurde ruhiger, sah dem Kommenden gefa?ter entgegen.
        Scherzhaft meinte Bolitho:»Unsere danischen Kameraden haben zwar weniger auffallige Uniformen als wir, aber ein Kommandant sollte trotzdem einen Hut tragen!»
        Alle grinsten, als Julyan zuerst Keens und dann Bolithos Hut ausprobierte, der ihm perfekt pa?te.
        Noch einmal musterte Bolitho das Achterdeck und sah auch kurz Segrave an.»Das Warten hat gleich ein Ende. Achtung!»
        Das zweite feindliche Schiff, ein Zweidecker, fiel jetzt ab und halste. Flaggen stiegen an seinen Signalleinen auf oder wurden niedergeholt, zur Bestatigung oder als Ausfuhrungsbefehl. Der franzosische Zweidecker hatte es offenbar auf die Nicator abgesehen, die sich der Black Prince naherte, als wolle sie ihre Prise schutzen.
        Der Erste ri? Segrave aus seinen Gedanken.»Ab in die untere Batterie, Mr. Segrave! Melden Sie sich dort beim Dritten Offizier!«Er sah sich um.»Wo ist der verdammte Vincent? Er hatte langst zuruck sein mussen. Schicken Sie ihn sofort zu mir, wenn Sie ihn sehen. «Als er Segraves Spannung merkte, fugte er hinzu:»Immer mit der Ruhe, junger Mann. Heute werden Manner sterben, aber Sie sind noch nicht dran.
«Segrave rannte zum Niedergang und dachte plotzlich an die rauhe Herzlichkeit auf der alten Miranda, die in die Luft geflogen war. Jetzt war er ein Jahr alter, aber ihm schien es wie ein Dutzend Jahre.
        Noch einmal sah er sich um, ehe er hinabstieg. Dieses Bild wurde er nie vergessen: Bolitho stand da, eine Hand auf dem Griff des alten Degens, und sein gefalteltes Hemd bauschte sich im Wind. Hinter ihm hielt sich der alte Bootsfuhrer bereit. Keen, Jenour, Bosanquet, die Mastergehilfen, die Ruderganger, die Toppgasten - sie alle schienen ihm in diesem Augenblick um vieles lebendiger zu sein als damals die Menschen zu Hause.
        Als er sich umdrehte, erschrak er. Jenseits der Backbord-gangway wehte eine Fahne, die er bisher nur in Buchern abgebildet gesehen hatte: die Trikolore. So nahe also war der Feind schon!
        Eine Stimme rief:»Sie luvt an. Will wohl mit uns plaudern!«Doch provozierte das keine Antwort, keine spottische Bemerkung wie sonst. Segrave schien es, als knurre jeder leise vor Wut. Er kletterte weiter abwarts, vorbei an Wachtposten an den Niedergangen, die verhindern sollten, da? Feiglinge nach unten flohen. Er wich den Pulveraffen aus, Jungen, die schon neue Ladungen zu den Kanonen brachten, obwohl die noch gar nicht gefeuert hatten. Unten in der Last des Zimmermanns hockte zwischen Bohlen und vorbereiteten Pfropfen ein Midshipman: Vincent.

«Mr. Cazalet braucht Sie dringend an Deck!»
        Vincent schien sich zwischen die Holzer verkriechen zu wollen.»Hau blo? ab! Fahr zur Holle, Segrave. Ich hoffe, du krepierst heute!»
        Segrave ging weiter, stumm vor Entsetzen. Dieser Midshipman war erledigt, noch ehe seine Karriere richtig begonnen hatte.
        Das untere Batteriedeck lag in tiefer Dunkelheit, und doch spurte Segrave die Gegenwart der vielen Menschen, die sich hier um die Kanonen drangten. Manchmal fiel ein Lichtstrahl durch Ritzen in den Stuckpforten und beleuchtete weit aufgerissene Augen und nackte, schwitzende Schultern.
        Hier unten kommandierte der Dritte Offizier, Flemyng, die starkste Waffe der Black Prince, die achtundzwanzig Zweiunddrei?igpfunder. Hier lebten und exerzierten ihre Mannschaften nur fur diesen Augenblick.
        Flemyng, ein gro?er Mann, stand gebeugt bei der ersten Kanone. Als Segrave naherkam, sah er, da? er durch ein kleines Beobachtungsloch nach drau?en spahte.

«Segrave, bleiben Sie bei mir!«Seine Stimme klang abgehackt und fremd. Segrave hatte ihn bisher als den leutseligsten unter den Offizieren kennengelernt.
        Als Segraves Augen sich an die Dunkelheit gewohnt hatten, konnte er die nachste Kanone gut erkennen; ihre dunklen Verschlu?stucke lagen auf der schwarz-roten Lafette. Manner hockten und knieten um sie herum, ihre Rucken glanzten wie Stahl. Der Gehilfe des Stuckmeisters druckte Segrave zwei Pistolen in die Hand.»Beide sind geladen, Sir.»
        Aber wurde der Feind bis hierher kommen - so tief ins Schiff hinunter? Segrave zuckte zusammen, als jemand sein Bein beruhrte und leise fragte:»Wollten Sie mal sehen, wie wir hier unten leben?«Es war der Mann, den er vorm Auspeitschen bewahrt hatte, Jim Fittock. Eine Stimme bellte:»Ruhe im Batteriedeck!»
        Segrave schob die Pistolen in seinen Gurtel.»Ich habe selbst lange genug im Zwischendeck gewohnt.»
        Fittock nickte seinen Kameraden zu, was bedeutete, da? dieser Offizier in Ordnung war. Warum, das wollte niemand wissen.

«Ja, ja«, nickte Fittock,»wir werden ihnen heimzahlen, was sie mit dem Konvoi gemacht haben. «Ein Lichtstrahl fiel auf Segraves Pistolen, und er fragte sich, wie er einem so jungen Midshipman erklaren sollte, da? er die Waffen benutzen mu?te, falls ein Mann aus der Holle hier unten fliehen wollte.
        Eine Pfeife schrillte, und eine Stimme rief vom Niedergang:»Der Feind steht gleich querab, Sir!»
        Handspaken kratzten ubers Deck, als die Rohre hoher gerichtet wurden. Leutnant Flemyng zog seinen Sabel.»Achtung, Manner! Die Franzosen haben uns aufgefordert, beizudrehen. Also seid ganz nett und freundlich. «Aber seine Stimme klang wild und aufgeregt. Als er sich umdrehte, um wieder durch sein Guckloch zu blicken, sah er nur die nahe Bordwand des Feindes.
        Plotzlich horte Segrave Pfeifen schrillen und Flemyngs gebrullten Befehl: Stuckpforten auf! Ausrennen!»
        Die Lafetten quietschten, als die Manner die Kanonen an den Zugseilen nach vorne rissen und die gro?en Mundungen sich ins Sonnenlicht schoben. Die Stuckfuhrer duckten sich und holten die Abzugsleinen steif. Jeder wartete jetzt auf den nachsten Befehl, und mancher murmelte noch ein leises Gebet.
        Unglaubig erkannte Segrave vor der nachstgelegenen Stuckpforte die feindliche Galion und das feine Schnitzwerk am Bug. Die hohe Bordwand trug Spuren von Einschussen und Pulverqualm. Die Zeit schien stillzustehen, niemand sprach, niemand bewegte sich. Es schien, als sei das Schiff erstarrt.
        Da sauste Flemyngs Sabel nach unten.»Feuer!»
        Segrave wurgte und bekam keine Luft mehr, als die Kanonen nach der ersten Breitseite in ihre Brocktaue zuruckfuhren und um ihn herum Pulverrauch wirbelte. Die Rohre wurden ausgewischt und sofort neu geladen, wie es die Manner oft geubt hatten. Von druben starrten ihn schwarze Kanonenmundungen an, hinter denen sich fremde Gesichter drangten. Er wurde dieses Bild nie mehr vergessen: wie die eigene Breitseite druben einschlug, keine vierzig Meter entfernt.
        Das Schiff schwankte, als seine drei Batterien nacheinander uber das rauchverhullte Wasser feuerten. Die Manner schrien und fluchten, feuerten sich gegenseitig an, die Kanonen schneller zu laden und in dem wirbelnden Rauch als erste die Hande heben zu konnen.

«Ausrennen! Ziel auffassen! Feuer!»
        Ein furchtbares Krachen donnerte gegen ihre Seite. Irgendwo achtern rollte eine Kanone zuruck und sank seitlich um wie ein verwundetes Tier. Manner fielen schreiend in dem erstickenden Nebel. Segrave sah eine abgeschossene Hand wie einen vergessenen Handschuh neben der nachsten Kanone liegen. Nicht umsonst waren die Wande hier alle rot gestrichen; so fiel das Blut weniger auf.

«Feuer einstellen!»
        Flemyng drehte sich weg, um nicht sehen zu mussen, wie ein verstummelter Midshipman nach unten ins Orlopdeck gezerrt wurde. Ihm waren ein Arm und ein Bein abgeschossen worden. Auch Segrave blickte zur Seite. Der Verwundete war in seinem Alter und trug seine Uniform, aber er war kein Mensch mehr.

«Steuerbordpforten offnen!»
        Fittock ri? Segrave am Arm.»Kommen Sie mit, Sir! Der Kommandant geht durch den Wind und beharkt ihn jetzt von der anderen Seite. Wir helfen den Kameraden gegenuber. «Sie krochen uber umgefallenes Gerat, rutschten in einer Blutlache aus, sahen sich um. Durch die offenen Stuckpforten war deutlich zu erkennen, da? die Segel des Feindes vollig durcheinander standen.

«Feuern in der Aufwartsbewegung!«Flemyng trug keinen Hut mehr, und seine Stirn war blutbespritzt.

«Feuer!»
        Gestalten schrien und umarmten sich.»Ihr Fockmast kommt runter!»
        Neben einer Kanone hielt ein Matrose seinen Kameraden im Arm und wischte ihm immer wieder das Haar aus der Stirn, wahrend er auf ihn einsprach:»Wir haben's gleich geschafft, Tim. Die Hunde sind schon entmastet!«Aber der Kamerad antwortete nicht mehr. Ein Gehilfe des Stuckmeisters sagte roh:»Trag den Mann hoch und la? ihn uber Bord gehen. Er ist tot!«Der Gehilfe war kein sonderlich grausamer Mann, aber mit dem Tod sollte man sich hier nicht langer als notig aufhalten.
        Der Seemann pre?te den Toten enger an sich, dessen Kopf auf seine Schulter rollte. Den schmei?t ihr nicht uber Bord, ihr verdammten Hunde!«schrie er gellend.
        Segrave fuhlte sich von Fittocks harter Faust auf die Beine gestellt.»La? die beiden in Ruhe«, befahl dieser dem Gehilfen.»Es gibt hier genug anderes zu tun.
«Dann fuhrte er Segrave beiseite, damit die anderen nicht uber dessen Entsetzen spotten konnten.
        Im ganzen Schiff standen oder hockten Gestalten, noch immer Tucher um die Ohren gewickelt zum Schutz vor dem Kanonendonner, raumten auf mit Handen, die vom Laden der Kanonen, vom Rammen, vom Ausrennen bluteten.
        Es dauerte, bis das Trompetensignal der Seesoldaten in allen Decks gehort worden war. Dann erhob sich ein Hurrageschrei ins rauchdurchwehte Sonnenlicht. Bolitho stand achtern an der Reling und beobachtete das feindliche Schiff. Es trieb vor dem Wind und drehte ihnen das Heck zu, deutlich war darauf der Name San Mateo zu lesen. Er hatte geglaubt, das Gefecht wurde nie enden, doch es hatte nur drei?ig Minuten gedauert, von dem Augenblick an gerechnet, als die danische Flagge niedergeholt und seine eigene gehi?t worden war.
        Er sagte:»Ich wu?te, da? wir es schaffen!«, und spurte neben sich Alldays trostliche Nahe. Aber es hatte viele Tote gegeben.

«Signal von Nicator, Sir!«meldete Jenour heiser.
        Bolitho hob dankend die Hand. Zum Gluck war auch Jenour unverwundet geblieben. Black Prince hatte drei Breitseiten abgefeuert, noch ehe der Feind schwach dagegenhielt. Und dann war es fur ihn zu spat gewesen.

«Nicator soll zum Konvoi aufschlie?en«, befahl er.»Und sie soll den franzosischen Prisenbesatzungen eindeutig klarmachen: Falls sie die Schiffe versenken, durfen sie selbst nach Hause schwimmen. «Er horte die Manner zustimmend murmeln. Am liebsten hatten sie wohl jeden einzelnen franzosischen Gefangenen an der nachsten Rah aufgeknupft, aus Wut uber das Gemetzel im Konvoi. Das war der Irrsinn des Krieges: Der Sieger mu?te die verletzen oder toten, die ihm zuvor Angst gemacht hatten.
        Bolitho dachte an Ozzard. Der hatte die San Mateo erkannt, die die Hyperion so brutal zerstort hatte. Das Schiff war's doch wohl nicht gewesen, sondern die Besatzung - oder? Ihm wurde immer noch ubel, wenn er daran dachte, wie die San Mateo ihre Breitseiten in die Hyperion gefeuert hatte, ohne Rucksicht auf ihre eigenen Gefahrten, die sich nicht mehr bewegen konnten. Nein, Ozzard hatte recht: Es war doch das Schiff, nicht die Besatzung.
        Keen trat zu ihm, und Bolitho ri? sich zusammen.»Hat Benbow die Flagge gestrichen?


«Nein. Ihr Ruder ist weggeschossen. Ihre Kanonen schweigen. Es hat druben ein Blutbad gegeben.»

«Ein Fernglas!«Als Bolitho damit Herricks Flaggschiff absuchte, war er entsetzt. Ohne jede Bewegung lag es schwer im Wasser, Masten und Rigg hingen zu beiden Seiten uber Bord. Dunne rote Faden rannen aus den Speigatten uber die zerschossene Bordwand auf ihr stilles Spiegelbild herab. Das sah aus, als verblute das Schiff. Bolithos Herz schlug heftiger, als er die zerschossene Flagge von der Poop hangen sah, wo sie irgendjemand festgenagelt haben mu?te. Die Handelsschiffe des Konvois trieben hinter der Benbow. Zuschauer, Opfer, die hilflos auf das Ende warteten.
        Scharf befahl Bolitho:»Machen Sie alle Kanonen feuerklar, Kapitan Keen!«Niemand antwortete ihm, weil jeder den Atem anhielt.»Wenn die Franzosen die Flagge nicht streichen, mussen sie sterben!«Er drehte sich um.»Ist das klar?»

«Die Larne nahert sich!«Noch einer, der nicht gefallen war: Bosanquet. Vielleicht verhinderte seine Meldung Schlimmeres.
        Bolitho sagte:»Lassen Sie meine Barkasse zu Wasser und bitten Sie den Schiffsarzt zu mir. Die Benbow braucht Hilfe. Der Erste Offizier soll mich begleiten! Kopfschuttelnd erinnerte er sich und ging auf Keen zu.»Tut mir leid, Val, ich habe nicht mehr daran gedacht.»
        Cazalet war im ersten Schu?wechsel gefallen. Eine Kugel hatte ihn fast zerteilt, als er Manner zu Reparaturen im Rigg nach oben schickte.
        Wieder ertonten Hurrarufe und nahmen schier kein Ende. Wie gro?e fallende Blatter sanken die Flaggen aus dem Rigg der San Mateo herab. Die Stuckmannschaften traten von ihren Kanonen zuruck.

«Sie hat die Flagge gestrichen«, sagte Keen erleichtert. Man merkte ihm an, da? er die Beschie?ung nicht gern fortgesetzt hatte.
        Die Barkasse wurde ubers Schanzkleid ausgeschwenkt und langsam zu Wasser gelassen.

«Wir sind soweit, Sir Richard. «Keen sah ihn forschend an.»Soll ich Ihren Mantel holen?»
        Bolitho drehte sich um und kniff die Augen zusammen, als ihn ein Sonnenstrahl traf.»Ich brauche ihn nicht.»
        Julyan, der Master, rief fragend:»Und Ihren Hut, Sir?«Man horte ihm an, wie erleichtert er war. Viele waren gefallen, er nicht. Wieder einmal hatte er uberlebt, und wieder war es ein Schritt nach oben.
        Durch den Rauch sah Bolitho ihn forschend an.»Sie haben doch einen Sohn, nicht wahr? Schenken Sie ihm den Hut. «Schnell schritt er zur Pforte.»La?t uns aufbrechen!»
        Die Uberfahrt zur Benbow verlief schweigend. Nur das Quietschen der Riemen in den Dollen und das Keuchen der Rudergasten waren zu horen. Als der gro?e Schatten des zerschossenen Rumpfes uber ihnen hing, fragte sich Bolitho, ob er noch die Kraft fur die nachsten Minuten aufbringen wurde. Hilfesuchend beruhrte er das Medaillon unter seinem Hemd.
        Vor allen anderen kletterte er an Bord. Von der Gangway bis zur Wasserlinie war die Benbow mit Einschu?lochern ubersat. Ihr Rigg trieb in der See. Tote hatten sich darin verfangen wie Tang. Aus einigen Stuckpforten starrten hohlaugige, bleiche Gesichter, aus anderen hingen Leichen.
        Das Achterdeck wirkte ohne den Schutz von Kreuz- und Gro?mast nackt und leer. Bolitho horte den Schiffsarzt der Black Prince Befehle geben, er war in einem zweiten Boot langsseits gekommen. Doch auf der Poop war Bolitho ganz allein.
        Um das zerschossene Rad lagen die toten Ruderganger wie blutige Stoffbundel, ihre Gesichter druckten noch das Entsetzen und die Wut uber ihren gewaltsamen Tod aus. Ein Bootsmannsgehilfe hatte offenbar gerade versucht, dem Flaggleutnant das verletzte Bein zu verbinden, als eine Kartatsche sie beide niedergemaht hatte. Ein Signalgast lag auf einer Flagge, die er hatte hei?en wollen. Die Flaggleine war gerissen, als der Mast uber Bord gesturzt war. Am Kompa?hauschen lehnte mit angewinkeltem Bein Herrick und war kaum noch bei Bewu?tsein.
        Er wedelte mit einer Pistole und neigte lauschend den Kopf, als sei sein Trommelfell zerrissen.»Seesoldaten zu mir!«krachzte er.»Der Feind flieht. Zielt gut, Freunde!»
        Allday flusterte:»Guter Gott, seht euch das an!»
        Herricks Seesoldaten bewegten sich nicht mehr. Sie lagen, vom Sergeanten bis zum Rekruten, wie umgefallene Spielzeugsoldaten da, ihre Bajonette auf einen unsichtbaren Feind gerichtet.
        Bolitho stieg uber einen ausgestreckten Arm in scharlachroter Uniform, nahm Herrick die Pistole sanft aus der Hand und gab sie Allday; dieser merkte erschreckt, da? sie geladen und gespannt war.

«Wir sind da, Thomas, und helfen euch. «Bolitho hob Herricks Arm und wartete, bis seine Augen ihn erkannten.»Horst du die Hurrarufe? Das Gefecht ist vorbei - der Sieg ist unser.»
        Herrick lie? sich aufhelfen. Er starrte das zersplitterte Deck an, die verlassenen Kanonen und die Toten. Wie von weit weg sagte er:»Also bist du doch noch gekommen, Richard. «Der Schock des Gefechts und die Erschopfung hatten bewirkt, da? er kaum noch wu?te, was er sagte.»Wieder ein Sieg fur dich!»
        Bolitho erhob sich und bat den Schiffsarzt:»Bitte kummern Sie sich um den Konteradmiral. «Der Wind wuhlte im Haar des toten Sergeanten, seine Augen blickten so starr, als hore er aufmerksam zu. Bolithos Blicke glitten uber die lange Reihe wartender Schiffe.

«Das stimmt nicht ganz, Thomas. Gesiegt hat hier allein der Tod.»



        Epilog

        Das Tag und Nacht andauernde Bombardement Kopenhagens brachte das erwartete Ergebnis: Am 5. September schickte der Gouverneur der Stadt, General Peyman, einen Parlamentar mit wei?er Flagge. Uber die Bedingungen wurde man sich noch einigen, wenn moglich den tapferen Verteidigern ihre Ehre lassen, doch die Kampfe gingen zu Ende.
        Wahrend Bolitho und seine Manner ihre Prisen ubernahmen und sich um die Toten und Verwundeten kummerten, im Konvoi und auf den eroberten franzosischen Schiffen, wurden in Kopenhagen die Bedingungen ausgehandelt. Voraussetzung fur den Waffenstillstand war die Ubergabe aller danischen Schiffe samt Ersatzteilen und Vorraten. Alle Schiffe, an denen gerade gebaut wurde, mu?ten aus den Werften entfernt werden. Lord Cathcarts Truppen wurden die Zitadelle und die anderen Festungen sechs Wochen lang besetzt halten, bis die Flotte ubergeben war. Man zweifelte anfangs daran, da? die englische Marine diese Aufgabe trotz ihrer Erfahrung und ihres Konnens in so kurzer Zeit uberhaupt bewaltigen konnte, doch selbst die gro?ten Zweifler mu?ten die Flotte schlie?lich bewundern und stolz ihre Leistung anerkennen.
        In den sechs Wochen wurden sechzehn Linienschiffe, Fregatten, Korvetten und zahlreiche kleinere Einheiten nach England geschafft; die Sorge Albions, die Blockade Frankreichs wegen des Mangels an Schiffen nicht mehr aufrechterhalten zu konnen, wurde damit zerstreut. Die britischen Geschwader kehrten auf ihre Stationen zuruck, einige wurden aufgelost oder warteten auf neue Befehle. Nach dem spektakularen Sieg von Trafalgar brauchte das verwohnte englische Volk einige Zeit, bis es begriff, was in der zweiten Schlacht von Kopenhagen geleistet worden war. Erst langsam wurde allen klar, da? Englands holzerne Mauern, die von den Kanalhafen bis in die Biskaya und von Gibraltar bis zur italienischen Kuste reichten, Napoleon auf dem Festland gefangen hielten. Das neue Jahr brach an, und mit ihm kamen einige der Sieger nach Hause.
        Fur einen spaten Januartag war das Wetter in Cornwall erstaunlich mild und friedlich. Man sagte, das sei ein gutes Vorzeichen, denn dieser Teil des Landes war mit schonen Tagen nicht gerade gesegnet. Das kleine Dorf Zennor lag an der Nordkuste der Halbinsel und war mit Falmouth an der lieblicheren Sudkuste nicht zu vergleichen. An der wilden Nordkuste fielen die Felsen steil ab, umtost von einer nie einschlafenden Brandung. Manches Schiff war schon an dieser dusteren Kuste gestrandet. Zennor lebte vom Ackerbau. An die Narren, die dennoch hier Fischfang betrieben, erinnerten viele Grabsteine in der Kirche.
        Trotz des kuhlen, feuchten Wetters lie? sich niemand im Dorf das gro?e Ereignis entgehen: Eine der Ihren heiratete. Den Vater der Braut hatte man damals falschlich angeklagt und gehangt, weil er zu laut uber die Rechte der Landarbeiter gesprochen hatte.
        Solch ein Fest hatte das Dorf noch nie erlebt. Auf den ersten Blick sah es so aus, als gebe es hier mehr Pferde und teure Kutschen als Dorfbewohner. Das Blau und Wei? der Marineuniformen war durchsetzt vom Scharlachrot der Seesoldaten und Offiziere aus der benachbarten Garnison. Auch so elegante Damenroben hatte man hier noch nie gesehen.
        Die kleine Kirche aus dem zwolften Jahrhundert, die sonst nur bauerliche Feste und kleine Hochzeiten kannte, war bis auf den letzten Platz gefullt. Trotz der Banke und Stuhle, die noch uberall hinzugestellt worden waren, fand nicht jeder drinnen Platz. Viele mu?ten drau?en auf dem Friedhof bleiben.
        Ein junger Leutnant verbeugte sich vor Catherine, als sie am Arm Adam Bolithos die Kirche betrat.»Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Mylady?«Die Orgel spielte leise, als er sie auf ihren reservierten Platz fuhrte. Viele Gaste beugten sich vor, um sie zu beobachten, flusterten miteinander und genossen den neuesten Klatsch.
        Seltsamerweise war ihr das gleichgultig. Sie sah auf der anderen Seite der Kirche einige von Bolithos Kommandanten sitzen. Sie hatten sicherlich ihre Schwierigkeit gehabt, dieses Dorf am Ende der Welt rechtzeitig zu erreichen. Von Falmouth war es eine Reise von vierzig Meilen auf Stra?en, die mit jeder Meile enger und holpriger wurden.
        Leise sagte Catherine:»Ich freue mich, da? es ein so schoner Tag fur die beiden ist. «Sie sah zu Adam auf und fand bestatigt, was Bolitho ihr bereits gesagt hatte: Irgend etwas bedruckte seinen Neffen.»Sieh dir den armen Val druben an. Der wurde bestimmt lieber in die nachste Schlacht segeln, als hier zu stehen und zu warten.»
        Keen als Brautigam stand neben dem kleinen Altar bei seinem Bruder, der so blond war wie seine beiden Schwestern. Der Bruder trug als einer der wenigen keine Uniform, er war Anwalt in London.

«Ich mu? gleich nach der Trauung aufbrechen, Catherine«, sagte Adam. Er sah sie an, und wieder erstaunte sie seine gro?e Ahnlichkeit mit Richard.

«So schnell schon?«Sie legte ihm die Hand auf den Arm.

«Damit hat jeder Kommandant einer Fregatte zu kampfen. Kaum ist er von Bord, holt sich der Admiral seine besten Leute auf andere Schiffe. Bei seiner Ruckkehr findet er dann nur noch den Abschaum vor.»
        Das war naturlich nicht der Grund, und beide wu?ten es.

«Ich mu? dir etwas sagen, Catherine«, fuhr Adam fort.»Du wirst es verstehen, vielleicht als einzige. «Er griff nach ihrer Hand, wurde aber unterbrochen, weil am Altar Bewegung entstand. Keen beugte sich vor und sah den Mittelgang hinunter.
        Tojohns, sein Bootssteurer, gab ihnen von der Tur her ein Zeichen. Hinter ihm stand Allday in seiner besten Uniform. Von fern horte man Hochrufe und Klatschen, jemand lautete sogar eine Kuhglocke. Catherine horte eine Kutsche herankommen, wahrend das Klatschen lauter wurde. Es galt wohl nicht nur der Braut, sondern auch dem Mann, der sie zu ihrem Brautigam fuhrte.

«Wie schon sie ist, Adam«, sagte sie, als Bolitho mit Zenoria am Arm langsam durch den Mittelgang der Kirche schritt. Sie sah in Adams Gesicht. Und weil sie ihn kannte, wu?te sie plotzlich den Grund fur seine Niedergeschlagenheit. Es gab keinen Zweifel, alles an Adam verriet, da? er in Zenoria verliebt war, die gerade Valentine Keen heiraten wollte.
        Richard Bolitho lachelte die Braut an.»Ich wollte Sie schon immer zum Altar fuhren, zu Val. Schon, da? ich es heute kann. «Zenoria strahlte vor Gluck. Er sah bekannte Gesichter ihnen entgegenlacheln. Seine Schwester Nancy tupfte sich schon die
        Tranen aus den Augen. Ferguson und seine Frau standen zwischen einigen hohen Offizieren. Midshipman Segrave teilte sich eine Bank mit dem Hafenadmiral von Plymouth. Der junge Mann sollte nach seiner Ruckkehr das Leutnantsexamen ablegen.
        Eine hohe Gestalt huschte herein und blieb mit hochgeschlagenem Mantelkragen an der Wand stehen: Commander Tyacke, der gekommen war, um Kapitan Keen Respekt zu zollen. Er hielt sich im Halbdunkel.
        Bolitho mu?te an viele gefallene Freunde denken, die er hier vermi?te. Und an Herrick, der zu Hause seine Verletzungen auskurierte. Aber ob seine andere Wunde je heilen wurde?
        Bolitho ubergab die Braut an Keen, und der Pfarrer, nervos wegen der hohen Zahl illustrer Gaste, offnete seine Bibel. Dann stand Bolitho neben Catherine und ergriff ihre Hand, als die alten Worte gesprochen und wiederholt und die Ringe getauscht wurden.
        Schlie?lich fingen uber ihnen die alten Glocken an zu lauten, und die Menschen beugten sich aus den Banken, um dem vorbeigehenden Paar gute Wunsche zuzurufen. In dem Trubel verschwand Adam, und auch von Tyacke war nichts mehr zu sehen. Bolitho blickte sich in der leeren Kirche um. Am Eingang wartete Allday auf sie.
        Leise sagte er:»Moment noch, Catherine. Ich habe hier etwas fur dich. «Er hob ihre Hand an und streifte ihr einen Ring uber - helles Gold, mit Diamanten und Rubinen besetzt.»Vor Gott sind wir zwar schon lange verheiratet, Liebste, aber erst jetzt habe ich den richtigen Ring gefunden. Und hier ist der rechte Platz, ihn dir zu geben.»
        Allday grinste an der Tur. Eine Seemannsbraut und ihr Mann. Warum auch nicht?
        Und uber dem Gluck der beiden verga? er seine eigene Einsamkeit.
        Seemannische Ausdrucke der Segelschilfszeit
        Zusammengestellt von F. W. Wentzel
        Abdrehen wenn die Ankertrosse senkrecht nach unten
        Kursanderung, um einer Gefahr zeigt, der Anker schon losgebrochen, aber auszuweichen abfallen noch nicht auf dem Grund ist
        Vom Wind wegdrehen, so da? er voller ausbringen einfallt. Gegensatz: Anluven Abflauen ein Boot, ein Fallreep nach au?enbords
        Nachlassen des Windesachtem bringen auslegen hinten im Schiff achteraus wenn die Matrosen zum Los - oder in Richtung nach hinten achterlich Festmachen der Segel auf die Fu?pferde der
        Richtung von querab bis achteraus Rahen treten ausrennen
        Achterdeck die Kanonen mit Hilfe von Taljen in hinterer Teil des Oberdecks, Feuerstellung bringen Ausschie?en
        Kommandostand der alten Segelschiffe, wo Rechtsdrehung des Windes (auf den Kompa?
        Kompa? und Ruder standen Achtersteben bezogen). Gegenteil: Krimpen das hinterste Holz des Schiffes am Wind
        (beim Wind) segeln wenn der Kurs im spitzen Back
        Winkel zur Windrichtung liegt anbrassen Vorderteil des Schiffes Backbord die Rahen eines Seglers mit den Leebrassen linke Schiffsseite (von achtern gesehen)
        so weit anholen, wie es die Wanten erlauben. backbrassen
        Gegenteil: aufbrassenAnkerspill Rahsegel so drehen, da? der Wind von vorne
        Winde mit senkrechter Achse zum Aufholen einfallt und die Fahrt des Schiffes gebremst des Ankers anluven wird Backstage zum Wind hindrehen (s. abfallen) anschlagen Stage, die den Mast schrag nach achtern

1. Ein neues Segel an der Rah oder Gaffel stutzen Bark festbinden. 2. Die halbstundigen Schlage der Dreimaster mit zwei vollgetakelten und
        Schiffsglocke Aufbrisen einem (dritten) gaffelgetakelten Mast
        Zunehmen des WindesAu/geien Barkasse
        Aufholen der Schothorner eines Rahsegels an gro?tes Beiboot eines Kriegsschiffes Baum die Fah aufhei?en hochziehen aufkommen Rundholz, an dem das Segel unten befestigt

1. Zurucklegen des Ruders, wenn eine ist beidrehen
        Drehbewegung eingeleitet ist. 2. ein 1. Um einen Sturm abzuwettern, legt sich das schnelleres Schiff nahert sich von hinten. 3. Segelschiff mit geringster Segelflache schrag ein Gewitter» kommt auf«»auf und nieder!«gegen den Wind, so da? es praktisch dwars senkrecht. Ausruf beim Ankerlichten, vertreibt.

2. Durch Backbrassen ein Schiff abstoppen,
        auf der Stelle treiben bekalmen einem anderen Schiff durch Vorbeifahren in
        Luv den Wind wegnehmenbelegen

1. Eine Leine festmachen. 2. Einen Befehl aufheben
        Belegnagel Dollbord
        Holz- oder Eisenpflock zum Festmachen von verstarkter oberer Rand eines Bootes, in den
        Leinen Besan Dollen (Metallgabeln) fur die Riemen der dritte, nicht vollgetakelte Mast (auch s ein eingesteckt werden Draggen
        Gaffelsegel) Besteck (auch Drachen) kleiner, vierarmiger
        Standort des Schiffes auf See, a) gegi?t, Bootsanker, den man auch als Suchanker wenn er auf geschatzten Werten fur Kurs und benutzen kann Drehbasse
        Wegstrecke basiert, b) terrestrisch, wenn er leichtes, schwenkbares Geschutz Ducht auf Landpeilungen, c) astronomisch, wenn er Sitzbrett im Ruderboot dwars auf Messung von Gestirnshohen beruht Bilge querab, rechtwinkelig zur Schiffslangsachse
        Kielraum, die tiefste Stelle im Schiffsrumpf
        Block entern/aufentern
        Rolle oder Scheibe in einem Holzgehause 1. In die Takelage klettern. 2. Das
        Bootsmann gewaltsame Besteigen eines feindlichen
        Decksoffizier, dem die Instandhaltung des Schiffes Enterhaken
        Schiffes und seiner seemannischen eiserner Haken an langer Stange zum
        Ausrustung obliegt Bootsmannsstuhl Heranholen eines feindlichen Schiffes, bevor
        Brett an zwei Seilen, mit dem sich ein Mann es geentert wird Eselshaupt zu Arbeiten in der Takelage hochziehen brillenartiges Verbindungsstuck von Mast kann. Auch Offiziere wurden damit auf See und aufgesetzter Stenge Etmal oft an Bord gehievt Bramrah der von Mittag zu Mittag (in 24 Stunden)
        die dritte Rah von unten (mit dem zuruckgelegte Weg
        Bramsegel) Brassen
        Taue an den Rahnocken zum horizontalen Faden
        Schwenken (Brassen der Rahen) Breitfock Langeneinheit zu sechs Fu? = 1,829 Meter das unterste Rahsegel am Fockmast, auch Fall einfach» Fock «Brigg Leine zum Hei?en oder Fieren einer Rah
        Zweimaster, der vordere Mast voll-, der oder eines Segels Fallreep hintere gaffelgetakelt Bug Treppe oder Strickleiter (Seefallreep), die an der vorderste Teil des SchiffesBugspriet der Bordwand heruntergelassen werden kann
        uber den Bug nach vorn hinausragende Fallreepspforte
        Stange Einla?offnung vom Fallreep ins Schiff, bei hochbordigen Schiffen in einem der unteren
        Davit Decks Fender kranartige Konstruktion zum Aussetzen von Sto?dampfer (damals) aus geflochtenem
        Booten Decksoffiziere Tauwerk fieren
        Bootsmann, Steuermann, Stuckmeister, eine Last absenken, Leine verlangern
        Feuerwerker: Dienstgrad zwischen Offizier Finknetze und Unteroffizier, damals der hochste U-formige, mit starken Netzen verkleidete erreichbare Dienstgrad fur Mannschaften Gabeln, in die die festgezurrten Hangematten
        (mit wenigen Ausnahmen, z. B. James Cook) der Besatzung tagsuber verstaut wurden. Sie
        Dingi kleinstes Beiboot boten im Gefecht Schutz gegen Schrapnell-
        und Gewehrkugeln
        Fockmast wenn das Schiff am Wind segelt.»Mit der v orderste MastFregatte Backbord - Halsen «segeln =»mit Steuerbord -
        leicht bewaffneter (20 bis 50 Kanonen) Schoten«, gleichbedeutend mit» auf schneller Segler, der Flotte als Aufklarer Steuerbord-Bug «segeln halsen beigegeben. Voll getakelt Fu?pferd mit dem Heck durch den Wind auf den Tau unterhalb der Rah, auf dem die Matrosen anderen Bug gehen; b ei Rahseglern das beim Losmachen, Reffen und Festmachen einfachere Manover (vgl. wenden) Heck des Segels stehen der hinterste Teil des Schiffes Hei?en
        (Hissen)
        Galion Hochziehen eines Segels, einer Flagge balkonartiger Vorbau des Schiffsbugs, Hieven tragt die Galionsfigur Hei?en einer schweren Last mit einer Winde
        Gangspill hoch am Wind mit Spillspaken gedrehte Winde mit in moglichst spitzem Winkel zur senkrechter Achse zum Aufholen des Windrichtung. Rahschiffe kamen bestenfalls
        Ankers oder zum Einholen von Trossen bis 60 Grad an den Wind holen
        Gangway gleichzeitig ziehen Hulk

1. Laufbrucke an beiden Schiffsseiten ausgedientes Schiff, zu Wohnzwecken zwischen Back und Achterdeck. benutzt Hutte

2. Laufplanke zwischen Schiff und Pier Aufbau auf dem Achterschiff, auch Poop, Geitau Pupp, Kampanje genannt Hundewachen Leine zum Aufholen der Segel Gieren die beiden halben Abendwachen von 16-18 ungewolltes Abweichen vom Kurs, meist bei und
18-20 Uhr (in Deutschland nannte man achterlicher See Gig spater auch die Wache von 00-04 Uhr so) Boot des Kommandanten, schlank und schnittig gebaut gissen Jager schatzen (s. Besteck) Glasen vorderstes Stagsegel am Kluverbaum
        Anschlagen der Schiffsglocke alle halbe Jakobsleiter
        Stunde mit 1-8 Schlagen (jeweils fur 4 Strickleiter, Seefallreep
        Stunden = 1 Wache) Gordings Jolle am Unterliek befestigte Leinen zum kleines Beiboot
        Aufholen eines Segels (z. Unterschied von
        Geitau, das am Schothorn anfa?t) Grating Kabelgat(t)
        holzernes Gitterwerk Gro?mast Lagerraum fur TauwerkKabellange
        Hauptmast, beim Dreimaster der mittlere Zehntel einer Seemeile = 185,3 Meter Kabine
        Gro?segel Wohnraum eines Passagiers an Bord Kajute das unterste Segel am Gro?mast eines Wohnraum des Kapitans oder
        Rahschiffes (alle Rahen, Segel, Schoten etc. Kommandanten an BordKalfatern des Gro?mastes haben die Vorsilbe» Gro?-«) Dichten der Nahte zwischen Schiffsplanken
        Gro?topp mit Werg und Teer Kammer

1. Der Gro?mast mit seiner Takelage Wohnraum eines Offiziers an Bord, meist nur

2. Die oberste Spitze des Gro?mastes mit Wanden aus Segeltuch, die vor dem
        Gefecht entfernt wurden
        Hals
        Tau, mit dem die untere Luvecke eines Untersegels nach vorn geholt wird,
        Kampanje Kombuse Schiffskuche Kompa?rose veralteter Name fur Poop oder Hutte in 32 Strich (a 11 1/4 Grad) eingeteilte,
        Kanonen horizontale Scheibe, die sich mittels der an
        Vorderlader aus Bronze oder Gu?eisen, nach ihrer Unterseite angebrachten Magnete auf dem Gewicht der von ihnen verschossenen den (magn.) Nordpol einstellt Korvette
        Eisenkugeln Klassifiziert; schwerste war der kleineres, vollgetakeltes Kriegsschiff (bis 20

32-Pfunder mit Reichweite von ca. 2300 m Kanonen) Koppeln
        Karronade Ermitteln des Schiffsorts durch Einzeichnen nach Carron in Schottland (Ursprungsort) der gesegelten Kurse und Distanzen in die benanntes, gro?kalibriges Geschutz mit Seekarte Krangung kurzem Lauf und geringer Reichweite, aber die durch Wind und Seegang bewirkte gefahrlicher Ladung (Eisenstucke oder vorubergehende seitliche Neigung des dergleichen) katten Schiffes. Sonst: Schlagseite kreuzen einen am Bug hangenden Anker mit den auf Zickzackkurs am Wind segeln Kreuzmast
        Kattgien (Taljen) unter den Kattdavit beim Dreimaster der hinterste Mast, wenn er
        (Kranbalken) bringen Kiel vollgetakelt ist. Sonst: BesanmastKrimpen
        Grundbalken des Schiffes, auf dem Vor- und Linksdrehen des Windes (auf den Kompa?
        Achtersteven und seitlich die Spanten bezogen) kurzstag aufgesetzt sind kielholen ist die Ankertrosse beim Ankerlichten kurz

1. Das Schiff seitlich trockenlegen, um den vorm Losbrechen des AnkersKutter
        Schiffsboden reinigen oder neu streichen zu 1. Einmastiges Fahrzeug mit Gaffelsegel. 2.
        konnen. 2. Schwere Strafe an Bord. Der Kriegsschiffsbeiboot mit bis zu 14 Riemen Delinquent wurde an einer Leine unter dem
        Schiff durchgezogen Kielschwein Landfall auf dem Kiel aufgesetzter das erste Insichtkommen von Land nach
        Verstarkungsbalken Killen langerer Fahrt Langsseit(s)…
        Flattern der Segel Kimm holen, kommen, liegen: der Lange nach Seite der sichtbare HorizontKink(en) an Seite mit einem anderen Schiff Laschen
        Verdrehung (Torn) in einer Leine Klampe Festzurren beweglicher Gegenstande an Bord festmontierte Vorrichtung zum Belegen von Last
        Leinen Klampen Vorrats- oder Stauraum laufendes Gut
        Profilholzer zur Lagerung der Beiboote samtliches Tauwerk der Takelage, das geholt
        Klarschiff oder gefiert wird (Fallen, Schoten, Halsen,
        Herstellung der Gefechtsbereitschaft Kluse Brassen etc.) Lee
        Offnung in der Bordwand zum Durchfuhren die dem Wind abgewandte Seite (Gegensatz:
        von Festmacheleinen oder Ankertrosse Luv) Leesegel
        Kluver Zusatzsegel, die bei leichtem standigem am Kluverbaum gesetztes Stagsegel Wind (Passat) in Verlangerung der Rahen
        Kluverbaum ausgebracht wurden die den Bugspriet verlangernde Spiere
        Knoten

1. Geschwindigkeitsangabe: Seemeilen pro Stunde. 2. Jede wieder losbare Verbindung zweier Enden
        Legerwall Nagelbank
        Kuste, auf die der Wind steht: gefahrlich fur fester Balken mit Lochern zur Aufnahme der
        Segler lenzen Belegnagel Niedergang Treppe an Bord

1. leerpumpen. 2. vor Topp und Takel bei Niederholer
        Sturm vor dem Wind treiben Liek Leine, mit der eine Rah oder ein Stagsegel
        Tau, mit dem ein Segel eingefa?t ist heruntergeholt wird, wenn es nicht durch
        Linienschiff eigenes Gewicht kommt Nock Ende eines das in der Linie kampfende Schlachtschiff. Rundholzes (z. B. Rahnock)
        Nach Gro?e und Kanonenzahl in mehrere
        Klassen eingeteilt: 1. Klasse = Dreidecker Osfa?
        von ca. 2800 Tonnen mit uber 100 Kanonen schaufelartiges Gefa? mit Handgriff zum
        Log Ausschopfen (Auslosen) eines Bootes
        Gerat zur Messung der Fahrt durchs Wasser Orlopdeck
        Lot das unterste Deck bei Schiffen mit vier
        Gerat zum Messen der Wassertiefe Luv und mehr Decks die dem Wind zugewandte Seite (Gegensatz:
        Lee) Palstek einer der zahlreichen Seemannsknoten
        Maat Pardunen
        Unteroffizier, Gehilfe des Decksoffiziers Taue zum Abstutzen des Mastes nach achtern
        (z. B. Steuermannsmaat) peilen
        Manntaue die Richtung zu einem anderen Objekt

1. Langs Deck gespannte Taue zum feststellen Pinasse
        Festhalten bei schwerem Wetter. 1. Einmastiges Segelschiff des 17.

2. Zwischen den Bootsdavits herabhangende Jahrhunderts. 2. Schiffsbeiboot Plicht Taue Marlspieker Sitzraum im hinteren Teil eines Bootes Arbeitsgerat des Seemanns, beim Splei?en Poller unentbehrlich Mars Pfosten zum Belegen von Tauwerk Poop
        Plattform am Fu? der Marsstenge auf der achterer Decksaufbau, auch Pupp, Hutte oder
        Saling Marssegel Kampanje Puttings
        Das zweite Segel uber Deck, an der Marsrah siehe: Rusteisen Puttingswanten
        (spater unterteilt in Ober- und die um die Marsen herumfuhrenden unteren
        Untermarssegel) Masttoppen Mastspitzen Enden der Stengewanten (schwierig zu
        Meile umklettern) Putz auf See die Seemeile = 1852 m (England: seem. Ausdruck fur Eimer, Schlagputh aus

1853 m) Messe Leinwand Speiseraum der Offiziere an Bord
        Midshipman Quarterdeck
        Offiziersanwarter (Seekadett und Fahnrich Oberdeck hinter dem Gro?mast, meist zur See) Mittelwache als Achterdeck bezeichnet
        Wache zwischen Mitternacht und vier Uhr Quartermaster fruh Mooring s. vermuren Ruderganger, auch Steuermannsmaat
        Rahen
        Querbaume an den Masten, an denen die Segel angeschlagen sind; hangen an eisernen Racks raumen Schaluppe der Wind dreht- auf die Fahrtrichtung alte Bezeichnung fur verschiedene kleinere bezogen - mehr nach achtern (Gegensatz: Schiffe, vom Schiffsboot bis zum schralen) raumer Wind Frachtsegler (engl. sloop) schamfilen zum Segeln gunstiger Wind von schrag durchscheuern Schanz(e)
        achtern Reffbandsel ein der erhohten Back entsprechender am Segel angenahte kurze Leine zum Aufbau auf dem Achterschiff Schanzkleid
        Einbinden des Reffs Reffen geschlossene Reling aus Holzplanken SSchapp
        Verkleinern der Segelflache Reling Schrank-, Regelfach Schebecke offenes Gelander langs der Kante eines schlankes dreimastiges Segelschiff mit
        Decks Reinschiff Lateinersegeln scheren grundliche Reinigung des Schiffes Riemen Leine durch einen Block fuhren schiften seemannischer Ausdruck fur das Bootsruder, auf die andere Schiffsseite nehmen. Auch:
        mit dem man» pullt «oder» wriggt «Rigg Segel auswechseln Schlag (Schlage)
        moderner Ausdruck fur die gesamte die einzelnen Abschnitte des Zickzackkurses
        Takelage; fruher: Takelage minus Segel beim Kreuzen Schlingern
        Rollen Bewegung des Schiffes um seine Langs - und
        Bewegungen des Schiffes im Seegang um Querachse Schoner
        Langsachse (sonst: schlingern, stampfen) Segelschiff mit zwei und mehr Masten mit
        Royals Schratsegel, erster Mast gleich oder kurzer
        Segel uber den Bramsegeln Ruder Schonerbark
        Steuer(rad) Ruderganger der Mann am Ruder dreimastiges Segelschiff, bei welchem nur
        Rusten der vorderste Mast vollgetakelt istSchot in Deckshohe au?en an der Bordwand Bedienungsleine des Segels, bei Rahsegeln angebrachte, starke Bohlen oder Platten, die an den au?eren Ecken (Schothornern)
        den Wanten Halt und gro?eren Spreiz geben. angreifend und nach achtern fuhrend
        Auf den vorderen Rusten stand der Lotgast (entgegengesetzt: der Hals) Schott(en)
        beim Loten Rusteisen Wande, die das Schiff in (meist
        Ketten oder Eisenplatten, die von den Rusten wasserdichte) Abteilungen teilen, auch nach unten fuhrten und den Zug der Wanten allgemein fur Wand schralen auf die Bordwand ubertrugen. In diese Ketten der Wind fallt vorlicher ein (Gegensatz:
        hakte der Bootsgast beim Langsseitkommen raumen) Schratsegel den Bootshaken ein Rund achtern! Segel, deren Unterliek in
        Ausfuhrungskommando beim Halsen Langsschiffsrichtung gefahren wird (Gaffel-,
        rundbrassen Rahen herumschwenken Stagsegel usw.) schricken einer unter Spannung stehenden Leine etwas
        Saling Lose geben Schwoien
        Querholz am untersten Ende der Maststenge Drehen des vor Anker liegenden Schiffes zum Ausspreizen der Oberwanten, meist zu durch Wind und Strom einer Plattform ausgebaut (s. Mars)
        Seefallreep Treibanker
        Leiter aus zwei durch holzerne Stufen Segeltuchsack, der im Wasser Richtung und verbundenen Tauen (s. Jakobsleiter) Seemeile Treiben des Schiffes beeinflu?t Trosse
        Bogenminute am Aquator bzw. auf einem Fasertauwerk mit uber 4 cm Durchmesser Meridian = 1852 bzw. 1853 Meter Seite pfeifen Ubergehen
        Ehrenbezeigung fur an Bord kommende oder Verrutschen von Gegenstanden Uber Stag von Bord gehende Offiziere Sextant gehen nautisches Gerat zum Messen der 1. Wendemanover, mit dem Bug (Vorstag)
        Gestirnshohe Skylight durch den Wind gehen. 2. Verrutschen von
        Oberlichtfenster Spake Geschirr usw. unklar kraftiges Holz, mit dem die Kanone seitlich seemannischer Ausdruck fur» nicht in gerichtet oder das Ankerspill gedreht wird Ordnung «Untersegel
        Steuermann die untersten Rahsegel (Fock, Gro?segel)
        der fur die Navigation verantwortliche Unterwanten
        Decksoffizier Strich die bis zum Mars fuhrenden, seitlichen

32. Teil der Windrose: ein Kompa?strich = Stutztaue des Mastes Untiefe flache Stelle 11 1/4 Grad Stuckmeister
        Decksoffizier, dem die Artillerie des Schiffes verholen untersteht stutz! Schiff an einen anderen Liegeplatz bringen
        Befehl an den Ruderganger, die Drehung des verkatten
        Schiffes durch Gegenruder zu beenden Sull zwei Anker hintereinander an derselben hohe Schwelle an Luken, Niedergangen, Trosse anbringen Verklicker
        Schotten und Fenstern, die das Eindringen Wimpel oder Windsack an der Mastspitze von Wasser verhindern soll vermooren (vermuren) in Gewassern mit wechselnder Stromung und wenig Raum zum
        Takelage Schwoien ein Schiff so zwischen zwei Anker
        Gesamtheit der Masten mit Segeln und legen, da? es nur einen geringeren Drehkreis stehendem wie laufendem Gut Takelung Typ benotigt versetzen der Takelage Talje durch Stromung vom Kurs abgebracht
        Flaschenzug Tide werden Vertornen
        Gezeit. Eine Tide ist der Zeitraum vom Verdrehen einer Leine verwarpen
        Niedrigwasser bis zum nachsten ein Schiff mit einem im Beiboot immer
        Niedrigwasser Topp wieder ausgefahrenen (Warp - )Anker mit
        Mastspitze; auch der Mast mit seiner Hilfe des Spills bewegen vollgetakelt
        Takelage Toppsgast an allen Masten nur Rahsegel fahrend fur die Instandhaltung der Takelage seines Vorpiek
        Mastes verantwortlicher, besonders der vorderste unterste Raum im Schiff geschickter Matrose. Ubertragen auch Vorsegel
        Bezeichnung fur alle Matrosen, die auf den die Stagsegel vor dem Fockmast:
        Rahen arbeiten Vorstengestagsegel, Innenkluver,
        Au?enkluver, Jager
        Vortopp wenden der Fockmast mit seiner Takelage vor Topp mit dem Bug durch den Wind gehen und Takel lenzen wenn ein Schiff bei (fur Rahsegler schwieriger als zu schwerem Sturm ohne jedes Segel treibt, halsen) meist mit Treibanker
        Zeising
        Wache Bandsel zum Festmachen der Segel an der

1. Der jeweils Wache gehende Teil der Rah bzw. am Baum zurren festbinden
        Besatzung. 2. Die Dauer des Wachdienstes Zwischendeck
        (meist vier Stunden) Wanten ein zwischen Innenboden und Oberdeck die seitlichen Stutztaue der Masten, eingeschobenes Deck, auch der Raum untereinander durch Webeleinen verbunden oberhalb des Zwischendecks. Auf zum Aufentern Webeleinen s. Wanten Kriegsschiffen meist Batteriedeck genannt.


 
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