Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Kanonenfutter Leutnant Bolithos Handstreich In Rio " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #3 Richard Bolitho ist Leutnant geworden und lauft 1774 als Dritter Offizier auf der Fregatte 'Destiny' nach Rio de Janeiro aus. Ihr Auftrag ist die Suche nach einem verschwundenen Goldtransporter, denn die Admiralitat in London befurchtet, da? mit diesem Gold der Aufstand in den jungen amerikanischen Kolonien unterstutzt wird. Am schweren Borddienst unter einem harten Kommandanten, am jahen Tod guter Freunde, aber auch an einer ersten Liebe reift Richard Bolitho zu dem Mann heran, der den spateren Seehelden schon ahnen la?t. Dieser Roman steht chronologisch an vierter Stelle der inzwischen auf dreiundzwanzig Titel angewachsenen marinehistorischen Romanserie um den Seehelden Richard Bolitho.

        Alexander Kent
        Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio

        Fur Winifred, in Liebe

        I Willkommen an Bord

        Richard Bolitho druckte dem Mann, der seine Seekiste zur Pier getragen hatte, ein paar Munzen in die Hand. Ihn frostelte in der na?kalten Luft. Obwohl der Vormittag schon halb herum war, lagen die langgestreckten Hauserreihen von Plymouth und die Umgebung noch in Nebelschwaden gehullt. Kein Windhauch war zu spuren, alles wirkte duster und unheimlich.
        Bolitho reckte sich und lie? seine Blicke angestrengt uber das kabbelige Wasser des Hamoaze schweifen. Dabei spurte er die ungewohnt steife Leutnantsuniform, die - wie alles in seiner Seekiste - funkelnagelneu war: die wei?en Aufschlage auf seinem Rock ebenso wie der Hut mit der im Dreieck hochgeschlagenen Krempe, den er etwas ungeschickt auf sein schwarzes Haar gestulpt hatte. Sogar Kniehose und Schuhe stammten aus demselben Geschaft in Falmouth - seiner Heimatstadt in der Grafschaft auf der anderen Uferseite -, von demselben Schneider, der, wie schon seine Vorfahren, neuernannte Seeoffiziere eingekleidet hatte, seit man sich erinnern konnte.
        Dies war ein gro?er Augenblick fur Richard Bolitho, die Verwirklichung all seines Hoffens und Strebens: dieser erste, oft unerreichbar scheinende Schritt vom Kadettenlogis zur Offiziersmesse, zur Wurde eines Koniglichen Seeoffiziers.
        Er druckte seinen Hut so fest in die Stirn, als wolle er sich damit noch einmal selber bestatigen. Es war tatsachlich ein gro?er Augenblick.

«Sie wollen auf die Destiny, Sir?»
        Der Mann, der seine Seekiste getragen hatte, stand immer noch neben ihm. In dem truben Licht wirkte er armlich und abgerissen, doch unverkennbar als das, was er einmal gewesen war: ein Seemann.
        Bolitho sagte:»Ja, sie mu? irgendwo da drau?en liegen.»
        Der Mann folgte seinem Blick uber das Wasser, doch seine Augen schienen in unbekannte Fernen zu schauen.

«Eine schone Fregatte, Sir. Knapp drei Jahre alt. «Er nickte traurig.»Sie wird schon seit Monaten ausgerustet. Es hei?t, fur eine lange Reise.»
        Bolitho dachte uber den Mann und all die Hunderte von Mannern nach, die in den Hafen und Kustenorten herumlungerten, Arbeit suchten und sich dabei nach der See sehnten, die sie so oft aus vollem Herzen verflucht hatten.
        Aber man schrieb jetzt Februar 1774, und bekanntlich befand sich England seit Jahren im Frieden. Sicherlich gab es hier und da auf der Welt kriegerische Zusammensto?e, aber dabei ging es meist um ortliche Handelsinteressen oder um Selbstbehauptung. Die alten Feinde blieben trotzdem die gleichen: entschlossen, ihre Zeit abzuwarten und den schwachen Punkt des Gegners zu finden, um diesen eines gunstigen Tages zu benutzen.
        Schiffe und Manner, die einst ihr Gewicht in Gold wert gewesen waren, hatte man ausgemustert. Die Schiffe verrotteten, die Seeleute - wie diese zerlumpte Gestalt mit fingerloser rechter Hand und einer tiefen Narbe auf der Backe - hatte man ohne Abfindung und Versorgung einfach an Land gesetzt.
        Bolitho fragte:»Auf welchem Schiff sind Sie gefahren?»
        Der Mann schien plotzlich zu wachsen, als er antwortete:

«Auf der Torbay, Sir. Unter Kapt'n Keppel. «Genauso schnell sank er wieder zusammen.»Gibt's eine Chance fur mich bei Ihnen an Bord,
        Sir?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich bin neu und wei? noch nicht, wie es auf der Destiny aussieht.»
        Der Mann seufzte.»Ich werde Ihnen ein Boot rufen, Sir.»
        Er steckte zwei Finger seiner heilen Hand in den Mund und lie? einen durchdringenden Pfiff ertonen. Als Antwort horte man durch den Nebel das Platschern von Riemen, und dann naherte sich langsam ein Ruderboot.
        Bolitho rief:»Zur Destiny, bitte!»
        Als er sich umdrehte, um seinem abgerissenen Begleiter noch ein paar Munzen zuzustecken, war der schon wie ein Geist im Nebel verschwunden.
        Bolitho kletterte ins Boot, zog seinen neuen Umhang fester und klemmte den Sabel zwischen die Knie. Das Warten war voruber. Es hie? nicht langer: ubermorgen oder morgen. Es war jetzt.
        Das Boot dumpelte und gluckste in dem kabbeligen Wasser, wahrend der Ruderer Bolitho mit wenig Sympathie musterte. Wieder so ein junger Fant, der armen Seeleuten das Leben zur Holle machen wird, dachte er wohl. Und er mochte uberlegen, ob der junge Offizier mit dem ernsten Gesicht und dem schwarzen, im Nacken zusammengebundenen Haar uberhaupt wu?te, was er fur das Ubersetzen bezahlen mu?te. Er sprach mit dem Akzent eines Mannes aus dem Westen. Auch wenn er nur ein» Auslander «vom jenseitigen Ufer war, aus Cornwall, so wurde er sich doch von ihm nicht anschmieren lassen.
        Bolitho rekapitulierte noch einmal, was er bisher uber sein neues Schiff erfahren hatte: drei Jahre alt, hatte der zerlumpte Trager gesagt. Er sollte es wissen. Denn ganz Plymouth grubelte daruber, warum man sich in diesen schweren Zeiten solche Muhe mit der Ausrustung und Bemannung einer Fregatte machte.
        Im ubrigen: Mit achtundzwanzig Kanonen bestuckt, dabei schnell und beweglich, war die Destiny ein Schiffstyp, von dem die meisten jungen Offiziere traumten. Im Krieg war eine Fregatte nur lose der Flotte zugeordnet, war schneller als jedes gro?ere Schiff und starker als jedes kleinere: kurz, ein Faktor, mit dem man rechnen mu?te. An Bord einer Fregatte gab es auch bessere Aussichten auf fruhzeitige Beforderung, und spater - wenn man den Gipfel, namlich das Kommando uber solch ein Schiff, erreicht hatte - bot sie auch Aussicht auf kuhne Unternehmungen und reiche Prisengelder.
        Bolitho dachte an sein letztes Schiff, das Linienschiff Gorgon: vierundsiebzig Kanonen, riesengro? und plump, mit einem Gewimmel von Menschen, mit gewaltigen Segeln, meilenlangem Tauwerk und riesigen Masten und Rahen. Es war au?erdem eine Schule gewesen, eine sehr strenge Schule, in der die jungen Kadetten und Fahnriche vieles lernen mu?ten, vor allem aber, ihre Gefuhle zu beherrschen und auch Ungerechtigkeiten zu ertragen.
        Bolitho schaute hoch, als der Bootsmann sagte:»Mu?te jetzt in Sicht kommen, Sir.»
        Bolitho spahte nach vorn, froh uber die Unterbrechung. Was hatte seine Mutter gesagt, als er sich von ihr in dem gro?en grauen Haus in Falmouth verabschiedet hatte?» Wirf alles hinter dich, Dick. Du kannst nichts ungeschehen machen. Darum pa? jetzt auf dich auf. Die See taugt nicht fur Traumer.»
        Die Nebelwand wurde erst dunkler und teilte sich dann, als das vor Anker liegende Schiff aus dem Dunst auftauchte. Das Boot naherte sich seinem Bug von der Steuerbordseite und schwabberte unter dem weit vorragenden Kluverbaum nach achtern. Wie Bolithos neue Uniform auf der nassen Pier, so schien die Destiny in den truben Nebelschwaden zu schimmern.
        Von ihrer schlank wirkenden, schwarz-gelben Bordwand bis zu den drei Mastspitzen war sie ein Vollblut. Ihre Wanten, Stage und Pardu-nen waren neu geteert, ihre Rahen sauber quergebra?t, und jedes Segel war sorgfaltig aufgetucht. Bolitho schaute zur Galionsfigur empor, die ihn zu begru?en schien. Es war die schonste Figur, die er je gesehen hatte: ein barbusiges Madchen, dessen ausgestreckter Arm auf den fernen Horizont zu weisen schien. In der anderen Hand hielt es einen Lorbeerkranz. Nur die goldenen Blatter und die starren blauen Augen setzten Farbakzente in das reine Wei? der Gestalt.
        Zwischen zwei Riemenschlagen erlauterte der Bootsmann:»Man sagt, der Holzschnitzer hat seine junge Braut als Modell fur die Figur benutzt, Sir. «Er zeigte grinsend seine ha?lichen Zahne.»Ich wette, er hat ein paar Kerls wegboxen mussen, ehe er sie bekam.»
        Bolitho musterte die Fregatte, als sie an ihrer Bordwand entlang-dumpelten, und sah, da? sich ein paar Leute auf der Laufbrucke hoch uber ihm zu schaffen machten. Sie war ein schones Schiff. Er hatte Gluck gehabt.

«Boot ahoi!»
        Sein Bootsmann antwortete:»Aye! Zur Destiny!»
        Bolitho bemerkte einige Bewegung an der Fallreepspforte, aber keine gro?e Aufregung. Die Antwort auf den Anruf hatte genug ausgesagt.»Aye «hie?: Das Boot brachte einen Offizier, der aber nicht alt genug war, um jemanden an Bord zu beunruhigen, geschweige denn den Kommandanten.
        Bolitho stand auf, als zwei Matrosen ins Boot sprangen, um es festzuhalten und seine Kiste herauszuholen. Bolitho musterte sie kurz. Er war noch nicht ganz achtzehn Jahre, aber seit seinem zwolften Lebensjahr auf See und hatte in dieser Zeit gelernt, Matrosen einzuschatzen.
        Sie sahen kraftig und zah aus, aber das Au?ere konnte manches verbergen. Viele Seeleute waren der Auswurf von Gefangnissen und Schwurgerichten, die man an Bord geschickt hatte, anstatt sie zu deportieren oder dem Henker zu ubergeben.
        Die Matrosen traten in dem dumpelnden Boot beiseite, als Bolitho dem Ruderer Geld gab. Der Mann steckte es in sein Wams und grinste.»Danke, Sir. Und viel Gluck!»
        Bolitho kletterte das Fallreep hoch und trat durch die Pforte im Schanzkleid aufs Deck der Fregatte. Er staunte uber den Unterschied zu einem Linienschiff, obwohl er ihn erwartet hatte. Die Destiny schien nahezu chaotisch vollgestopft mit vielerlei Dingen; von den zwanzig Zwolfpfundern auf ihrem Oberdeck bis zu den kleineren Stucken weiter achtern schien jeder Quadratzoll sinnvoll genutzt. Da lagen und hingen sauber aufgeschossene Schoten, Fallen und Brassen, standen in ihren Klampen festgezurrte Beiboote und exakt ausgerichtete Musketen in ihren Gestellen am Fu? jedes Mastes, wahrend dazwischen und uberall sonst, wo noch Platz war, Manner hantierten, die er alle bald namentlich kennen wurde.
        Ein Leutnant trat zwischen den Fallreepsgasten vor und fragte:»Mr.
        Bolitho?»
        Bolitho ruckte seinen Hut zurecht.»Aye, Sir. Melde mich an Bord!»
        Der Leutnant nickte nur kurz.»Folgen Sie mir. Ihre Sachen lasse ich nach achtern bringen. «Er gab einem Matrosen eine leise Anweisung und rief dann laut:»Mr. Timbrell! Schicken Sie ein paar Leute in den Vortopp! Es sah da oben aus wie in einem Affenstall, als ich das letz-temal nachschaute.»
        Bolitho zog im letzten Augenblick den Kopf ein, als sie unter den Uberhang des Achterdecks traten. Auch hier schien ihm alles eng und uberfullt: noch mehr Kanonen, jede sorgsam hinter ihrer geschlossenen Stuckpforte festgezurrt, dazu der Geruch von Teer und Tauwerk, frischer Farbe und eng zusammengedrangten Menschen - das Flair eines lebenden Schiffes.
        Er versuchte, den Leutnant, der ihn nach achtern zur Offiziersmesse fuhrte, abzuschatzen. Er war schlank, hatte ein rundes Gesicht und den etwas gequalten Ausdruck eines Mannes, der zeitweise Verantwortung tragt.

«Da waren wir.»
        Der Leutnant offnete eine Lamellentur, und Bolitho trat in sein ne u-es Heim. Trotz der Zwolfpfunder mit ihren schwarzen Mundungen, die daran erinnerten, da? es an Bord eines Kriegsschiffes keinen Platz gab, der vor herumfliegendem Eisen sicher war, sah der Raum uberraschend gemutlich aus. Er enthielt einen langen Tisch wie in einem Kadettenlogis, aber mit hochlehnigen Stuhlen statt der Banke, wie er sie jahrelang gewohnt gewesen war. Dann gab es Wandgestelle fur Trinkglaser, andere fur Sabel und Pistolen, und der Fu?boden war mit bemaltem Segeltuch bespannt.
        Der Leutnant wandte sich zu Bolitho um und musterte ihn aufmerksam.»Ich hei?e Stephen Rhodes und bin der Zweite Offizier. «Er lachelte und wirkte dadurch junger, als Bolitho ihn eingeschatzt hatte.»Da dies Ihr erstes Kommando als Offizier ist, will ich versuchen, es Ihnen so leicht wie moglich zu machen. Nennen Sie mich Stephen, wenn Sie wollen, aber vor den Leuten >Sir<. «Rhodes wandte den Kopf und rief:»Poad!»
        Ein kleiner hagerer Mann in blauem Jackett huschte durch eine andere Tur herein.

«Bringen Sie Wein, Poad. Dies ist unser neuer Dritter Offizier.»
        Poad machte eine kleine Verbeugung.»Ist mir ein Vergnugen, Sir.»
        Als er davoneilte, bemerkte Rhodes:»Ein guter Steward, aber er klaut. Sie lassen also besser nichts Wertvolles herumliegen. «Er wurde wieder ernst.»Unser Erster Offizier ist in Plymouth, hat da irgendwas zu erledigen. Er hei?t Charles Palliser. Anfangs wirkt er etwas barsch. Er ist schon seit Indienststellung der Destiny mit unserem Kommandanten an Bord. «Unvermittelt wechselte er das Thema. Sie konnen froh sein, dieses Kommando bekommen zu haben. «Es klang wie ein Vorwurf.»Sie sind noch sehr jung. Ich bin dreiundzwanzig und nur darum schon Zweiter Offizier, weil mein Vorganger umgekommen ist.»

«Im Kampf gefallen?»
        Rhodes grinste.»Nein, nichts Heroisches. Er wurde von einem Pferd abgeworfen und brach sich das Genick. Ein prima Bursche in seiner Art, aber so ist es nun einmal.

        Bolitho beobachtete den Messe-Steward, der Glaser und eine Flasche in Reichweite von Rhodes abstellte. Er sagte:»Ich war selber uberrascht, als ich diese Kommandierung bekam.»
        Rhodes sah ihn forschend an.»Das klingt nicht sehr begeistert. Sind Sie nicht gern zu uns gekommen? Mann, es gibt Hunderte, die vor Freude an die Decke springen wurden, wenn sich ihnen eine solche Chance bote.»
        Bolitho schaute weg. Ein schlechter Anfang.

«Das ist es nicht. Aber mein bester Freund wurde vor einem Monat getotet. «Jetzt war es heraus.»Ich kann es immer noch nicht glauben.»
        Rhodes' Blick wurde milder; er schob ihm ein Glas hin.

«Trinken Sie, Richard. Das wu?te ich nicht. Manchmal kann ich es nicht begreifen, warum wir all dies hier auf uns nehmen, anstatt - wie andere - bequem an Land zu leben.»
        Bolitho lachelte ihn an. Au?er seiner Mutter zuliebe hatte er in letzter Zeit kaum einmal gelachelt.

«Was haben wir fur Befehle, Stephen?»
        Rhodes lie? sich in seinen Stuhl zuruckfallen.»Niemand au?er unserem Kommandanten wei? Bestimmtes. Wir machen eine lange Reise sudwarts, das ist gewi?. In die Karibik vielleicht oder noch weiter. «Er schuttelte sich und starrte auf die nachste Stuckpforte.»Gott, bin ich froh, da? wir diese Nasse hier bald hinter uns haben. «Er nahm einen schnellen Schluck.»Wir haben eine gute Besatzung, zum gro?ten Teil wenigstens, mit den ublichen Galgenvogeln dazwischen. Der Steuermann ist erst kurzlich vom Maat zum Deckoffizier befordert worden, aber er ist ein guter Navigator, wenn er auch gegenuber seinen Vorgesetzten manchmal etwas wichtig tut. Und heute abend werden wir unser volles Kontingent an Midshipmen bekommen. Zwei davon sind erst zwolf, beziehungsweise dreizehn Jahre alt. «Er grinste.»Seien Sie nicht zu lasch mit ihnen, Richard, nur weil Sie selber vor kurzem Midshipman waren. Wenn etwas schiefgeht, sind namlich Sie dran, nicht die Jungen.»
        Rhodes zog eine Uhr aus der Hosentasche.»Der Erste Offizier mu? jeden Augenblick zuruckkommen. Ich scheuche jetzt besser schon die Fallreepsgaste raus. Er liebt eine tadellose Vorstellung, wenn er an Bord kommt.»
        Er zeigte auf eine kleine, mit Segeltuchwanden abgeteilte Kammer.»Die gehort Ihnen, Richard. Sagen Sie Poad, was Sie brauchen, dann wird er die anderen Stewards anweisen, sich darum zu kummern. «Impulsiv streckte er Bolitho die Hand hin.»Schon, da? Sie bei uns sind. Willkommen!»
        Bolitho sa? in der leeren Messe und lauschte auf das Gerausch der Blocke und Leinen und der trappelnden Fu?e uber seinem Kopf. Er horte rauhe Stimmen, das Trillern einer Bootsmannsmaatenpfeife, als irgendein Ausrustungsstuck aus einem langsseit liegenden Boot an Bord gehievt wurde, um dort registriert und in irgendeiner Last verstaut zu werden.
        Bald wurde Bolitho die Gesichter der Mannschaft kennen, ihre Starken und ihre Schwachen. Und in dieser niedrigen Messe wurde er sein tagliches Leben, seine Hoffnungen und Enttauschungen mit seinen Messekameraden teilen: mit den beiden anderen Wachoffizieren, mit dem Offizier der Seesoldaten, dem neuernannten Steuermann, dem Schiffsarzt und dem Zahlmeister - den wenigen Auserwahlten unter der Besatzung von rund zweihundert Seelen.
        Er hatte den Zweiten Offizier gern noch nach dem Kommandanten gefragt. Aber Bolitho war zwar sehr jung fur seinen Rang, doch immerhin erfahren genug, um zu wissen, da? die Frage ungehorig gewesen ware. Aus Rhodes' Sicht ware es Wahnsinn gewesen, einem eben an Bord Gekommenen zu vertrauen und ihm gegenuber seine personliche Meinung uber den Kommandanten der Destiny zu au?ern.
        Bolitho offnete die Tur zu seiner kleinen Kammer. Sie war kaum langer als die pendelnd aufgehangte Koje, bot aber daneben genugend Platz zum Sitzen. Ein Stuck privates Territorium, soweit man in einem kleinen, von Leben uberquellenden Kriegsschiff davon reden konnte. Doch im Vergleich zu seiner Hangematte im ubervollen Kadettenlogis des Orlopdecks war dies ein Palast.
        Seine Beforderung war sehr schnell gekommen, wie Rhodes bemerkt hatte. Wenn der ihm unbekannte Leutnant nicht durch einen Sturz vom Pferd umgekommen ware, hatte es diese freie Stelle kaum gegeben.
        Bolitho offnete die obere Halfte seiner Seekiste und hangte einen Spiegel an einen der massiven Balken neben der Koje. Er betrachtete sich darin und bemerkte die dunnen Linien, die sich infolge der Anstrengungen der letzten Jahre um seinen Mund und seine Augen eingegraben hatten. Er war auch magerer geworden, muskulos und sehnig, wie es nur Bordernahrung und harte Arbeit fertigbringen.
        Poad schaute zu ihm herein.»Ich konnte ein Mietboot anheuern und in die Stadt schicken, um etwas Sonderproviant fur Sie zu besorgen,
        Sir.»
        Bolitho lachelte. Poad war wie ein Standbesitzer auf einem Markt in Cornwall.

«Ich habe mir schon einiges herbestellt, danke. «Er bemerkte Poads Enttauschung und fugte hinzu:»Aber wenn Sie sich darum kummern wollen, da? es richtig verstaut wird, ware ich Ihnen verbunden.»
        Poad nickte kurz und trollte sich. Er hatte sein Angebot gemacht, und Bolitho hatte richtig reagiert. Irgendwann wurde schon etwas fur ihn dabei herausspringen, wenn Poad die privaten Vorrate der Offiziere unter seine Obhut nahm.
        Eine Tur ging gerauschvoll auf, und ein hochgewachsener Offizier trat in die Messe, warf seinen Hut auf eine Kanone und rief gleichzeitig nach Poad.
        Er musterte Bolitho ausgiebig, wobei er alles, von den neuen Schuhschnallen bis zur Haartolle, in sich aufzunehmen schien.
        Er sagte:»Ich bin Palliser, die Nummer Eins.»
        Er hatte eine lebhafte Art zu sprechen. Als Poad mit einem Krug Wein hereinkam, blickte er zu ihm hinuber.
        Bolitho betrachtete den Ersten Offizier neugierig. Er war sehr gro? und mu?te sich daher unter die niedrigen Decksbalken bucken. Ende der Zwanzig, schien er aber die Erfahrungen eines weit Alteren zu besitzen. Er und Bolitho trugen die gleiche Uniform, doch waren sie so verschieden voneinander, als ob ein Abgrund zwischen ihnen lage.

«Sie sind also Bolitho. «Seine Augen wanderten uber den Rand des Bechers zu ihm. Sie haben ein gutes Fuhrungszeugnis; das hei?t: auf dem Papier. Aber dies ist eine Fregatte, Mr. Bolitho, und kein uberbemanntes Linienschiff Dritten Ranges. Hier ist es erforderlich, da? sich jeder Offizier und jeder Mann voll einsetzt, damit dieses Schiff schnellstens seeklar wird. «Er nahm noch einen kraftigen Schluck. Melden Sie sich also bitte an Deck. Nehmen Sie die Barkasse, und fahren Sie an Land. Sie mussen die Umgebung hier doch kennen, wie?«Ein Lacheln huschte uber sein Gesicht.»Gehen Sie mit einem Rekrutierungskommando ans Westufer und durchkammen Sie die umliegenden Ortschaften. Little, der Stuckmeistersmaat, wird Sie begleiten. Er kennt das Geschaft. Wir haben auch ein paar Plakate, die Sie in den Gasthofen aufhangen konnen. Wir brauchen etwa zwanzig tuchtige Burschen, kein Gesindel. Unsere Besatzung ist zwar komplett, aber wie es damit am Ende einer langen Reise aussieht, ist ein anderes Kapitel. Ein paar Leute werden wir zweifellos verlieren. Jedenfalls hat es der Kommandant so befohlen.»
        Bolitho hatte geglaubt, er konne erst einmal auspacken, seine Leute kennenlernen und nach der langen Fahrt von Falmouth etwas zu sich nehmen.
        Um seine Anordnung abzurunden, sagte Palliser fast nebenbei:»Heute ist Dienstag. Seien Sie bis Freitag mittag zuruck. Verlieren Sie keinen von Ihren Leuten, und lassen Sie sich nicht ubers Ohr hauen!»
        Mit lautem Turknall rauschte Palliser aus der Messe und rief drau?en irgendeinen Namen.
        Rhodes tauchte in der offenen Tur auf und lachelte ihm ermutigend zu.»Pech gehabt, Richard. Aber er gibt sich harter, als er ist. Er hat Ihnen eine gute Gruppe fur die Aufgabe ausgesucht. Ich habe Erste Offiziere kennengelernt, die einem Anfanger eine Auslese von Halunken mitgegeben hatten, nur um ihm nach erfolgloser Ruckkehr tuchtig Zunder geben zu konnen. «Er zwinkerte ihm zu.»Mr. Palliser wird bald selber ein Schiff haben. Denken Sie immer daran, es hilft einem betrachtlich.»
        Bolitho lachelte.»In diesem Fall mache ich mich besser gleich auf den Weg. «Er hielt einen Moment inne.»Und vielen Dank noch fur den Willkommensgru?.»
        Rhodes lie? sich in einen Stuhl fallen und dachte ans Mittagessen. Er horte, wie drau?en in der Barkasse die Riemen klargelegt wurden und der Bootssteurer seine Befehle gab. Was er bisher von Bolitho gesehen hatte, gefiel ihm. Gewi?, er war noch sehr jung, aber er machte den Eindruck, als ob er im Kampf oder bei schwerem Wetter seinen Mann stehen wurde.
        Seltsam, da? man sich niemals Gedanken uber die Sorgen und Probleme seiner Vorgesetzten machte, so lange man noch Midshipman war. Ein Offizier, ob jung oder alt, war einfach eine Art hoheres Wesen. Eines, das schimpfte und schnell die Mangel bei einem Anfanger entdeckte. Aber jetzt wu?te er es besser. Selbst Palliser hatte Angst vor dem Kommandanten, Und wahrscheinlich furchtete dieser wiederum, bei seinem Admiral oder einem noch Hoherstehenden aufzufallen.
        Rhodes lachelte. Denn ein paar kostbare Augenblicke lang war er mit sich und der Welt zufrieden.
        Little, der Stuckmeistersmaat, trat - die gro?en Hande in die Seite gestemmt - einen Schritt zuruck und sah zu, wie seine Manner ein weiteres Werbeplakat aufhangten.
        Bolitho zog seine Uhr heraus und blickte uber den Dorfanger, als die Kirchenuhr die Mittagsstunde schlug.
        Little sagte verdrie?lich:»War's vielleicht Zeit fur einen Schluck,
        Sir?»
        Bolitho holte tief Luft. Wieder ein Tag nach einer schlaflosen Nacht in einem kleinen, nicht besonders sauberen Gasthof, und immer mit der Sorge, da? sein Rekrutierungskommando selber desertieren konnte, trotz Rhodes beruhigender Worte uber die gute Auswahl. Aber Little hatte dafur gesorgt, da? es bisher glatt gegangen war. Sein Name pa?te uberhaupt nicht zu ihm, er war stammig und ubergewichtig, ja dick, und sein Bauch hing wie ein Sack uber den Gurt seines Entermessers. Wie er das bei den schmalen Rationen des Zahlmeisters schaffte, war ein Ratsel. Aber er war ein guter Mann, erfahren und ausgekocht, ihn legte niemand herein.
        Bolitho sagte:»Noch eine Station, Little, und dann…«Er lachelte ihm schuldbewu?t zu.»Dann gebe ich fur alle einen aus.»
        Da strahlten sie: sechs Matrosen, ein Korporal der Seesoldaten und die beiden jungen Spielleute, die wie Zinnsoldaten aussahen.
        Ihnen machte es nichts aus, da? der Erfolg ihres Werbezugs miserabel gewesen war. Das Auftauchen von Bolithos Werbern erregte gewohnlich wenig Interesse, ausgenommen bei Kindern und klaffenden Dorfkotern. Alte Erfahrungen wurden hier - so nahe der See - nicht so schnell vergessen. Viele erinnerten sich noch an die gefurchteten Pre?kommandos, die rucksichtslos Manner von ihren Familien weggerissen und auf die Schiffe des Konigs gezerrt hatten, wo sie den harten Bedingungen eines Krieges ausgesetzt waren, dessen Ursache sie nicht einmal kannten. Und wie viele dieser Leute waren nie zuruckgekehrt!
        Bolitho hatte bisher vier Freiwillige gewonnen - aber Palliser erwartete zwanzig - und sie mit einem Begleiter zur Destiny geschickt, bevor sie es sich wieder anders uberlegen konnten. Zwei von ihnen waren Berufsseeleute, die anderen Knechte, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten - ungerechterweise, wie beide versicherten. Bolitho hatte den Verdacht, da? es vielleicht dringendere Grunde fur ihre freiwillige Meldung gab, doch blieb ihm keine Zeit, sie auszufragen. Sie trampelten uber den ungepflegten Dorfanger, dessen hohes nasses Gras Bolithos schone neue Schuhe und Strumpfe beschmutzte. Little legte einen Schritt zu, und Bolitho uberlegte, ob es richtig gewesen war, ihnen allen einen Drink zu versprechen. Er gab sich innerlich einen Ruck. Bisher hatte nichts ordentlich geklappt, nun konnte es kaum noch schlimmer kommen.
        Little stie? einen Pfiff aus.»Vor der Kneipe stehen Manner, Sir. «Er rieb sich die gro?en Hande und sagte zu dem Korporal:»Auf, Dipper, la? deine Spielleute loslegen!»
        Die beiden Winzlinge in Soldatenuniform warteten, bis ihr Korporal den Befehl an sie weitergab; wahrend der eine dann einen Wirbel auf seiner Trommel schlug, zog der andere eine Querpfeife aus dem Brustriemen und stimmte eine Tanzmelodie an.
        Der Korporal hie? Dyer. Bolitho fragte:»Warum nennen Sie ihn Dipper?«[Dipper = (Ein-)Taucher]
        Little grinste mit abgebrochenen Zahnen, dem untruglichen Kennzeichen eines Berufsboxers.

«Du meine Gute, Sir, weil er Taschendieb war, bevor ihm die Erleuchtung kam, sich zu den Ochsen[Ochsen = Spitzname der Matrosen fur die Seesoldaten an Bord] zu melden.»
        Die Mannergruppe vor dem Gasthaus schien sich zu zerstreuen, als die Matrosen und Seesoldaten naherkamen. Nur zwei Gestalten blieben stehen, und ein ungleicheres Paar konnte man sich kaum denken.
        Der eine war klein und quirlig und hatte eine scharfe Stimme, die Trommel und Querpfeife leicht ubertonte. Der andere war gro? und kraftig, bis zum Gurtel nackt, und seine Arme und Fauste hingen herunter wie Waffen, die nur auf ihren Einsatz warteten.
        Der kleine Mann, ein Ausrufer vom Jahrmarkt, der sich zunachst uber das plotzliche Verschwinden seines Publikums geargert hatte, sah nun die Seeleute und wandte sich ihnen munter zu.

«Well, well, well, wen haben wir denn da? Sohne des Meeres, echte britische Teerjacken!«Er zog seinen Hut vor Bolitho.»Und ein richtiger Gentleman an ihrer Spitze, zweifellos!»
        Bolitho sagte mude:»Lassen Sie die Leute wegtreten, Little. Ich sorge inzwischen dafur, da? der Wirt Bier und Kase herausbringt.»
        Der Schausteller schrie:»Wer von euch Tapferen wagt einen Kampf mit meinem Boxer? Sein Blick wanderte von Mann zu Mann.»Eine Guinee[Guinee = 21 Shilling] demjenigen, der gegen ihn zwei Minuten auf den Fu?en bleibt!«Die Munze blitzte zwischen seinen Fingern.»Ihr braucht nicht zu gewinnen, Jungs, nur zwei Minuten kampfen und auf den Fu?en bleiben!»
        Er hatte jetzt ihre volle Aufmerksamkeit gewonnen, und Bolitho horte, wie der Korporal Little zuflusterte:»Wie war's, Josh? Eine ganze Guinee!»
        Bolitho hielt an der Tur des Wirtshauses inne und schaute sich den Preisboxer zum erstenmal naher an. Er sah aus, als habe er Krafte fur zehn, wirkte aber trotzdem verzweifelt und bemitleidenswert, wie er so ins Leere starrte. Seine Nase war deformiert, und sein Gesicht zeigte die Spuren vieler Kampfe: auf Jahrmarkten, vor dem Landadel, vor jedem, der dafur zahlte, Manner um einen blutigen Sieg kampfen zu sehen. Bolitho wu?te nicht, wen er mehr verachtete, den Mann, der von dem Boxer lebte, oder denjenigen, der auf ihn und seine Schmerzen wettete.
        Er sagte nur kurz:»Ich bin drin zu finden, Little. «Der Gedanke an ein Glas Bier oder Apfelwein belebte ihn wieder. Little dachte bereits an andere Dinge.»Aye, Sir. «Es war ein freundlicher kleiner Gasthof. Der Wirt eilte herbei, um Bolitho zu begru?en, wobei sein Kopf fast an die Decke stie?. Ein Feuer prasselte im Kamin, und es roch nach frisch gebackenem Brot und gerauchertem Schinken.

«Setzen Sie sich dorthin, Herr Leutnant. Ich kummere mich um Ihre Leute. «Er bemerkte Bolithos Gesichtsausdruck.»Tut mir leid, Sir, aber Sie verschwenden Ihre Zeit in dieser Gegend. Im Krieg sind hier viele gepre?t worden, und wer zuruckkam, ist in die gro?en Stadte wie Truro und Exeter gegangen und hat sich dort Arbeit gesucht. «Er schuttelte den Kopf.»Wenn ich zwanzig Jahre junger ware, hatte ich vielleicht unterschrieben. «Er grinste.»Aber so…»
        Etwas spater sa? Bolitho am Feuer, lie? den Matsch auf Strumpfen und Schuhen trocknen und hatte seinen Rock aufgeknopft, der nach der ausgezeichneten Pastete der Wirtin recht stramm sa?. Ein gro?er alter Hund hatte sich zu seinen Fu?en niedergelassen und schnarchte wohlig in der Warme.
        Der Wirt flusterte seiner Frau zu:»Hast du ihn dir angesehen? Ein Offizier des Konigs - aber er ist noch ein halbes Kind!»
        Bolitho fuhr aus seinem Halbschlaf auf und reckte sich; in halber Hohe schienen seine Arme zu erstarren, als er von drau?en lautes Geschimpfe und brullendes Gelachter horte. Er sprang auf, griff nach Hut und Sabel und versuchte zur gleichen Zeit, seinen Uniformrock zuzuknopfen. Er rannte fast zur Tur; als er ins helle Licht hinaustrat, sah er, wie sich Matrosen und Seesoldaten vor Lachen bogen, wahrend der kleine Schausteller schrie:»Ihr habt geschummelt! Ihr mu?t geschummelt haben!»
        Little warf die Goldmunze hoch und fing sie wieder in seiner kraftigen Hand auf. Ich nicht, Kamerad. Offen und ehrlich, wie's bei Josh Little immer zugeht!«Bolitho mischte sich ein.»Was ist hier los?»
        Korporal Dyer erklarte, immer wieder prustend vor Lachen:»Er hat den gro?en Preisboxer auf den Rucken gelegt, Sir. So was hab' ich im Leben nicht gesehen!»
        Bolitho blickte Little an.»Wir sprechen uns spater. Jetzt lassen Sie die Leute antreten. Wir haben noch mehrere Meilen bis zum nachsten
        Ort.»
        Als er sich umdrehte, sah er mit Verwunderung, wie der kleine Schausteller auf den Boxer losging. Letzterer stand da wie zuvor, als ob er sich die ganze Zeit nicht bewegt hatte oder gar zu Boden geworfen worden ware.
        Der Schausteller ergriff eine kurze Kette und schrie:»Das ist fur deine verdammte Dummheit!«Die Kette landete klirrend auf dem nackten Rucken des Mannes.»Und dies dafur, da? du mich um mein Geld gebracht hast. «Wieder schlug er zu.
        Little schaute Bolitho unbehaglich an.»Hier, Sir, ich gebe dem Burschen sein Geld zuruck. Ich kann's nicht mit ansehen, da? der arme Kerl wie ein Hund verprugelt wird.»
        Bolitho mu?te heftig schlucken. Der gro?e Preisboxer hatte seinen Peiniger mit einem einzigen Schlag toten konnen. Aber vielleicht war er schon so weit abgestumpft, da? er weder Schmerz noch sonst etwas empfand.
        Bolitho hatte einfach genug. Erst dieser schlechte Auftakt auf der Destiny, dann sein Mi?erfolg bei der Rekrutierung - und nun dieser entwurdigende Anblick. Er brachte das Fa? einfach zum Uberlaufen.

«Sie da, horen Sie sofort auf!«Bolitho machte ein paar Schritte vorwarts, wahrend ihm seine Leute teils bewundernd, teils amusiert zuschauten.»Legen Sie die Kette augenblicklich hin!»
        Der Schausteller schien zunachst eingeschuchtert, gewann aber schnell sein fruheres Selbstvertrauen zuruck. Von einem so jungen Leutnant hatte er nichts zu befurchten, erst recht nicht hier in der Gegend, wo er oft auftrat und beliebt war.

«Es ist mein gutes Recht!»
        Little knurrte:»Uberlassen Sie den Lumpen mir, Sir. Ich werde ihm sein >gutes Recht< zeigen!»
        Die Angelegenheit schien Bolitho aus den Handen zu gleiten. Einige Dorfbewohner waren hinzugekommen, und Bolitho sah schon seine Leute in eine regelrechte Schlacht mit der Bevolkerung verwickelt, bevor sie sich zu ihrer Barkasse durchschlagen konnten.
        Er drehte dem frechen Schausteller den Rucken zu und trat an den Boxer heran. Aus der Nahe wirkte er sogar noch gro?er, aber statt seiner Gro?e und Muskeln sah Bolitho nur die Augen, die halb unter vernarbten Brauen verborgen lagen.

«Sie wissen, wer ich bin?»
        Der Mann nickte, wobei sein Blick auf Bolithos Mund gerichtet war, als lese er die Worte dort ab.
        Freundlich fragte Bolitho:»Wollen Sie in den Dienst des Konigs treten? Auf der Fregatte Destiny in Plymouth?«Er stockte, als er das muhsame Verstehen in den Augen des Mannes sah.»Wollen Sie mit mir kommen?«Genauso langsam, wie der Mann nickte, nahm er - ohne einen Blick auf den mit offenem Mund dastehenden Schausteller zu werfen - sein Hemd und eine kleine Tasche auf.
        Bolitho wandte sich zu dem Schausteller um, sein Arger war nun dem Gefuhl billigen Triumphes gewichen. Wenn sie das Dorf hinter sich hatten, wurde er den Boxer sowieso freilassen.
        Der Schausteller schrie:»Das konnen Sie nicht machen!»
        Little naherte sich ihm drohend.»Hor auf, Kamerad! Mehr Respekt vor einem Offizier des Konigs, oder…«Er lie? keinen Zweifel uber das» Oder».
        Bolitho befeuchtete sich die Lippen.»Antreten, Leute! Korporal, ubernehmen Sie das Kommando!«Er sah, da? der Boxer die Seeleute beobachtete, und fragte:»Ihr Name? Wie hei?en Sie?»

«Stockdale, Sir. «Selbst der Name kam nur muhsam heraus, seine Stimmbander mu?ten in vielen Kampfen Schaden gelitten haben, so da? sie nur noch heisere Tone hervorbrachten.
        Bolitho lachelte ihm zu.»Also Stockdale. Ich werde Sie nicht vergessen. Sie konnen uns verlassen, wann Sie wollen. «Er blinzelte Little zu.»Jedenfalls bevor wir unser Boot erreichen.»
        Stockdale schaute den kleinen Schausteller an, der auf einer Bank sa? und die Kette noch immer in der Hand baumeln lie?. Dann brach es keuchend aus ihm heraus: Nein, Sir, ich werde Sie nicht verlassen. Jetzt nicht und nie.»
        Bolitho sah, wie er sich bei den anderen einreihte. Die offensichtliche Ernsthaftigkeit des Mannes ruhrte ihn.
        Little sagte ruhig:»Machen Sie sich keine Sorgen, Sir. Diese Geschichte wird im Nu an Bord bekannt sein. «Er beugte sich vor, so da? Bolitho Bier und Kase riechen konnte.»Ich bin in Ihrer Division, Sir, und werde jeden Lumpen zusammenschlagen, der es wagt, Ihnen Arger zu machen!»
        Ein Strahl blassen Sonnenlichts fiel auf die Kirchturmuhr, als das Rekrutierungskommando schweigend dem nachsten Dorf entgegenmarschierte; Bolitho war froh uber das, was er eben getan hatte.
        Dann begann es zu regnen, und er horte Little sagen:»Nicht mehr lange, Dipper, dann geht's zuruck an Bord und zu einem kraftigen Schluck.»
        Bolitho musterte Stockdales breite Schultern. Ein weiterer Freiwilliger, das machte im ganzen funf. Er neigte den Kopf unter dem Regen. Fehlten aber noch funfzehn.
        Im nachsten Dorf war es eher noch schlimmer, und es gab dort nicht einmal einen Gasthof. Der Gutsbesitzer erlaubte ihnen mit offensichtlichem Widerstreben, in einer unbenutzten Scheune zu schlafen. Er behauptete, das Haus voller Gaste zu haben, und au?erdem. Das Wort sprach Bande. Die Scheune war an einem Dutzend Stellen undicht und stank wie eine Kloake. Die Seeleute, die an au?erste Sauberkeit in ihren engen Quartieren gewohnt waren, gaben ihrer Unzufriedenheit laut Ausdruck.
        Bolitho konnte sie dafur nicht tadeln; als Korporal Dyer ihm meldete, da? Stockdale verschwunden sei, antwortete er:»Das uberrascht mich nicht, Korporal. Aber halten Sie ein Auge auf die ubrigen!»
        Eine Weile noch dachte er uber den verschwundenen Stockdale nach und wunderte sich, da? ihm der Verlust naheging. Vielleicht hatten Stockdales schlichte Worte ihn doch tiefer beruhrt, als er selber glaubte. Er schien ihm einen Wendepunkt zu markieren, eine Art Glucksbringer zu sein.
        Little rief plotzlich:»Allmachtiger Himmel! Sehen Sie sich das an!»
        Stockdale trat pudelna? ins Licht ihrer Laternen und legte einen Sack vor Bolithos Fu?e. Die Manner traten heran, als die Schatze daraus im sparlichen Licht sichtbar wurden: mehrere Huhner, frisches Brot, Topfe mit Butter, eine halbe Fleischpastete und - als Hohepunkt - zwei gro?e Kruge voll Apfelwein.
        Little schnaufte:»Ihr beiden rupft die Huhner! Du, Thomas, pa?t auf, da? keine ungebetenen Gaste kommen!«Er sah Stockdale an und holte die Guinee heraus.»Hier, Kamerad, die hast du sauer verdient!»
        Stockdale horte kaum hin. Als er sich uber den Sack beugte, krachzte er:»Es war sein Geld. Behalten Sie's. «Zu Bolitho sagte er:»Dies ist fur Sie, Sir. «Er hielt ihm eine Flasche hin, die aussah, als enthielte sie echten Kognak. Das rundete das Bild ab: Der Gutsbesitzer hatte sicher die Finger im ortlichen Schmuggel an der Kuste.
        Stockdale sah Bolitho an.»Ich sorge schon fur Sie, Sir. «Bolitho fiel auf, da? er sich unter den geschaftigen Seeleuten bewegte, als hatte er sein ganzes Leben dazugehort.
        Little bemerkte ruhig:»Schatze, Sie konnen aufhoren, sich Sorgen zu machen, Sir. Der gute Stockdale ist allein so viel wert wie funfzehn Mann, jedenfalls nach meiner Schatzung. «Bolitho trank einen Schluck Kognak, wahrend Fett aus einem Huhnerschenkel auf die Manschette seines neuen Hemdes tropfte.
        Er hatte eine Menge dazugelernt, nicht zuletzt uber sich selber. Sein Kopf sank nach hinten, und er fuhlte nicht mehr, wie
        Stockdale ihm den Becher vorsichtig aus der Hand nahm.



        II Bruch mit der Vergangenheit

        Bolitho kletterte das Fallreep an der Bordwand der Destiny hoch und lupfte seinen Hut kurz zum Achterdeck[Traditionelle Ehrenbezeigung zur Ragge beim Anbordkommen] hin. Die dicken Wolken und der Nebel waren verschwunden, und die Hauser von Plymouth jenseits des Homoaze schienen sich im warmen Mittagslicht zu sonnen.
        Er war mude und steif von dem langen Marsch, au?erdem verschmutzt vom Nachtquartier in Scheunen oder bescheidenen Gasthofen. Der Anblick seiner sechs Rekruten, die vom Wachtmeister gemustert und dann nach vorn gebracht wurden, trug wenig dazu bei, seine Stimmung zu heben. Der sechste Freiwillige war erst vor knapp einer Stunde zu ihnen gesto?en, kurz ehe sie ihr Boot erreichten: ein sauber gekleideter, keineswegs wie ein Matrose aussehender Mann von etwa drei?ig, der angab, Apothekergehilfe zu sein. Er wolle eine lange Seereise machen, um Lebenserfahrung zu sammeln und zu sich selber zu kommen, behauptete er. Seine Geschichte klang ebenso unwahrscheinlich wie die der beiden Knechte, aber Bolitho war zu mude, um sich lange Gedanken daruber zu machen.

«Ah, Sie sind also zuruck, Mr. Bolitho!»
        Der Erste Offizier stand an der Querreling des Achterdecks, seine schlanke Gestalt hob sich nur als Silhouette vom blassen Winterhimmel ab. Er hielt die Arme vor der Brust verschrankt und hatte die Neuankommlinge offenbar schon die ganze Zeit, seit die Barkasse langsseit gekommen war, beobachtet. Knapp fugte er hinzu:»Kommen Sie bitte gleich nach achtern.»
        Bolitho stieg zur Backbord-Laufbrucke hinauf und begab sich zum Achterdeck. Sein Gefahrte der letzten Tage, Stuckmeistersmaat Little, strebte einem Niedergang zu, wahrscheinlich, um sich mit seinen Freunden einen» kraftigen Schluck «zu genehmigen. Im Nu war er unter Deck verschwunden und damit in seiner eigenen Welt. Bolitho fuhlte sich plotzlich fast so fremd wie vor drei Tagen, als er das Deck zum erstenmal betreten hatte.
        Er stand vor dem Ersten Offizier und legte gru?end die Hand an den Hut. Palliser sah ausgeruht und gepflegt aus, wogegen sich Bolitho noch mehr wie ein Landstreicher vorkam.
        Bolitho meldete:»Sechs Rekruten, Sir. Der gro?e Bursche war Boxer und konnte ein wertvoller Zuwachs werden. Der als letzter an Bord kam, hat fur einen Apotheker in Plymouth gearbeitet. «Sein Bericht klang ihm selbst schwerfallig. Palliser hatte sich nicht geruhrt, und auf dem Achterdeck war es ungewohnlich still. Bolitho schlo?:»Ich habe mein Bestes getan, Sir.»
        Palliser zog seine Uhr heraus.»Gut. Wahrend Sie weg waren, ist der Kommandant an Bord gekommen. Er wollte Sie sehen, sobald Sie zuruck sind.»
        Bolitho starrte ihn an. Er hatte ein Donnerwetter erwartet. Sechs statt zwanzig, und darunter einer, der nie ein Seemann werden wurde!
        Palliser lie? seinen Uhrdeckel zuschnappen und sah Bolitho kuhl an.»Hat der lange Landaufenthalt Ihr Gehor beeintrachtigt? Der Kommandant will Sie sehen. Das hei?t an Bord dieses Schiffes nicht >nachher< oder >gleich<, sondern in dem Augenblick, in dem der Kommandant diesen Gedanken ausgesprochen hat.»
        Bolitho blickte entschuldigend auf seine schmutzigen Strumpfe und Schuhe.»Tut mir leid, Sir, aber ich dachte, Sie hatten befohlen…»
        Palliser schaute schon woanders hin; er beobachtete einige Leute, die auf dem Vorschiff arbeiteten.»Ich hatte Ihnen befohlen, zwanzig Mann zu bringen. Hatte ich sechs Mann verlangt, wie viele hatten Sie dann wohl gebracht? Zwei? Uberhaupt keinen?«Uberraschenderweise lachelte er plotzlich.»Sechs, das ist schon ausgezeichnet. Nun aber ab zum Kommandanten. Es gibt Schweinepastete zu Mittag, also beeilen Sie sich, sonst ist nachher nichts ubrig. «Er wandte sich energisch um und rief:»Mr. Slade, was machen diese Faulpelze da eigentlich? Verdammt noch mal!»
        Bolitho eilte leicht benommen den Niedergang hinunter und durchs Achterschiff. Gesichter wurden im Halblicht zwischen den Decks undeutlich sichtbar, Gesprache verstummten, als er vorbeihastete. Der neue Offizier geht zum Kommandanten. Wie mag er sein?
        Zu lasch - oder zu hart?
        Ein Seesoldat stand, Muskete bei Fu?, als Ehrenposten vor der Kajute. Sein Oberkorper schwankte leicht im Rhythmus des an seiner Ankertrosse zerrenden Schiffes. Seine Augen funkelten im Lichtschein der Laterne, die an einem Decksbalken uber ihm hin und her schaukelte. Sie brannte Tag und Nacht, wenn der Kommandant an Bord war.
        Bolitho bemuhte sich, wenigstens sein Halstuch etwas zurechtzu-zupfen und die rebellische Haartolle aus dem Gesicht zu streichen. Der Posten gab ihm dazu genau funf Sekunden Zeit, dann stie? er kurz mit der Muskete aufs Deck.»Der Dritte Offizier, Sir!»
        Der Turvorhang offnete sich, und ein struppiger Mann in schwarzer Jacke, wahrscheinlich der Schreiber des Kommandanten, warf einen ungeduldigen, auffordernden Blick heraus: wie ein Lehrer, der einen zu spat kommenden Schuler hereinruft.
        Bolitho pre?te seinen Hut fester unter den Arm und betrat die Kajute. Im Vergleich zum ubrigen Schiff war sie geraumig. Ein zweiter Vorhang trennte den hintersten Teil vom Speiseraum und der danebenliegenden Schlafkammer. Die schragen Heckfenster, welche die ganze Breite des Achterschiffs einnahmen, leuchteten warm in der Sonne, wahrend Decksbalken und Mobelstucke in dem vom Wasser reflektierten Licht schimmerten.
        Kapitan Henry Vere Dumaresq hatte offenbar an einem Fenster gestanden und aufs Wasser hinuntergeschaut: er drehte sich ungewohnlich behende um, als Bolitho den Raum betrat.
        Bolitho bemuhte sich, ruhig und entspannt zu wirken, aber es gelang ihm nicht. Solch einen Menschen wie den Kommandanten hatte er noch nie gesehen. Sein Korper war breit und untersetzt, und der Kopf sa? so dicht auf den Schultern, als hatte er keinen Hals; er wirkte genau wie der ubrige Mann: machtig. Alles an Dumaresq machte den Eindruck ungewohnlicher Kraft. Little hatte gesagt, der Kommandant sei erst achtundzwanzig, aber er sah so alterslos aus, als ob er sich nie verandert hatte und nie verandern wurde.
        Er ging Bolitho entgegen, um ihn zu begru?en, und setzte dabei die Fu?e wie mit bewu?t gebandigter Kraft auf. Bolithos Blick fiel auf seine Beine, die durch teure wei?e Strumpfe auffielen. Die Waden schienen so dick zu sein wie anderer Leute Oberschenkel.

«Sie sehen etwas ramponiert aus, Mr. Bolitho. «Dumaresq hatte eine tiefe, wohlklingende Stimme, mit der er bei Sturm an Deck sicher gut durchdrang; doch Bolitho vermutete, da? sie auch Warme und Sympathie ausdrucken konnte.
        Er sagte verlegen:»Aye, Sir. Ich habe. Ich war mit dem Rekrutierungskommando unterwegs.»
        Dumaresq wies mit dem Kopf auf einen Stuhl.»Setzen Sie sich. «Er hob die Stimme: Rotwein!»
        Fast augenblicklich erschien ein Steward und go? Wein in zwei schon geschliffene Glaser. Danach zog er sich genauso unauffallig zuruck.
        Dumaresq setzte sich - kaum einen Meter entfernt - Bolitho gegenuber. Sein Auftreten und seine Energie wirkten einschuchternd. Bo-litho verglich ihn mit seinem letzten Kommandanten. Auf dem riesigen Vierundsiebzig-Kanonen-Schiff war der Kommandant immer ungeheuer weit weg gewesen, fern vom Geschehen in Offiziersmesse und Kadettenlogis. Nur in kritischen Lagen oder bei zeremoniellen Anlassen hatte er seine Anwesenheit spuren lassen, blieb aber auch dann immer auf Distanz.
        Dumaresq sagte:»Mein Vater hatte die Ehre, vor einigen Jahren unter dem Ihren dienen zu durfen. Wie geht es ihm?»
        Bolitho dachte an Mutter und Schwester in dem alten Haus in Fal-mouth: wie sie auf die Heimkehr von Kapitan James Bolitho warteten; wie seine Mutter die Tage zahlte und vielleicht auch davor bangte, da? er sich sehr verandert hatte. James Bolitho hatte in Indien einen Arm verloren, und als sein Schiff au?er Dienst gestellt wurde, hatte man ihn auf unbestimmte Zeit auf die Reserveliste gesetzt.
        Bolitho sagte:»Er mu?te jetzt wieder zu Hause sein, Sir. Aber da er einen Arm verloren hat und damit die Aussicht, im Dienst des Konigs zu bleiben, wei? ich nicht, wie es mit ihm weitergehen wird. «Er brach ab, erschrocken daruber, da? er seine Gedanken offen ausgesprochen hatte.
        Aber Dumaresq deutete nur auf das Glas.»Trinken Sie, Mr. Bolitho, und sprechen Sie sich aus. Mir ist wichtiger, da? ich erfahre, was Sie denken, als da? Sie uber meine Reaktion nachdenken. «Der Satz schien ihn selber zu belustigen.»Es geht uns allen ahnlich. Wir konnen uns wirklich glucklich schatzen, da? wir dies hier haben. «Sein gro?er Kopf drehte sich nach links und rechts, als er die Blicke durch die Kajute schweifen lie?. Er sprach vom Schiff, von seinem Schiff, das er offenbar mehr als alles andere liebte.
        Bolitho sagte:»Ein schones Schiff, Sir. Es ist eine Auszeichnung fur mich, hierher kommandiert worden zu sein.»

«Ja.»
        Dumaresq beugte sich vor, um die Glaser neu zu fullen. Wieder bewegte er sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit und setzte seine Krafte wie seine Stimme nur sparsam ein.
        Er sagte:»Ich habe von Ihrem gro?en Kummer gehort. «Er hob eine Hand.»Nein, nicht von jemandem an Bord. Ich habe eigene Quellen, denn ich will meine Offiziere ebensogut kennen wie mein Schiff. Wir werden in Kurze auf eine Reise gehen, die eine Menge einbringen, aber auch nutzlos ausgehen kann. Auf jeden Fall wird sie nicht leicht. Wir mussen alle traurigen Erinnerungen hinter uns lassen, ohne sie deswegen zu vergessen. Dies ist ein kleines Schiff, jeder Mann an Bord mu? seinen Platz voll ausfullen. Sie haben unter einigen hervorragenden Kommandanten gedient und dabei sicherlich viel gelernt. Doch auf einer Fregatte ist manches anders. Hier gibt es nur wenige Leute, die sich nicht voll einsetzen mussen, und ein Offizier gehort bestimmt nicht zu ihnen. Sie werden anfangs vielleicht Fehler machen, die werde ich milde beurteilen; aber wenn Sie Ihre Autoritat mi?brauchen, werde ich gnadenlos dazwischenfahren. Vermeiden Sie es, bestimmte Leute zu bevorzugen, denn die wurden Sie eines Tages ausnutzen.»
        Er lachte in sich hinein, als er Bolithos ernstes Gesicht sah.»Leutnant zu sein ist schwerer, als es zu werden. Denken Sie immer daran: Die Leute schauen auf Sie, wenn Schwierigkeiten auftreten; Sie mussen dann so handeln, wie es Ihnen richtig scheint. Ihr bisheriges Leben hat in dem Augenblick aufgehort, als Sie das Kadettenlogis verlie?en. Auf einem kleinen Schiff ist kein Platz fur Einzelganger mit Anpassungsschwierigkeiten. Sie mussen ein Teil des Ganzen werden, verstehen Sie?»
        Bolitho sa? wie gebannt auf seiner Stuhlkante. Dieser seltsame Mann hielt ihn mit dem zwingenden Blick seiner weit auseinanderstehenden Augen wie in einem Schraubstock gefangen.
        Bolitho nickte.»Ja, Sir, ich verstehe.»
        Dumaresqs Blick entspannte sich, als vorn im Schiff die Glocke zweimal angeschlagen wurde.

«Gehen Sie jetzt zum Essen. Ich bin sicher, da? Sie Hunger haben. Mr. Pallisers schlaue Methoden, zu neuen Leuten zu kommen, produzieren gewohnlich Appetit, wenn schon nicht mehr.»
        Als Bolitho aufstand, fugte Dumaresq ruhig hinzu:»Diese Reise ist fur viele Leute sehr wichtig. Unsere Kadetten haben meist einflu?reiche Eltern, die wunschen, da? ihre Spro?linge sich auszeichnen und vorwartskommen - in einer Zeit, da der gro?te Teil der Flotte aufgelegt ist und langsam vermodert. Unsere Fachkrafte, die Deckoffiziere, sind ausgezeichnet, und wir haben einen guten Stamm erstklassiger Seeleute. Die Neuen mussen sich anstrengen, da mitzuhalten. Ein letzter Punkt, Mr. Bolitho, und ich hoffe, mich hierin nicht wiederholen zu mussen: Auf der Destiny steht Loyalitat obenan. Loyalitat mir gegenuber, Treue zum Schiff und zu Seiner Britischen Majestat. In dieser Reihenfolge!»
        Bolitho fand sich - noch immer verwirrt von dem kurzen Gesprach - au?erhalb des Turvorhangs wieder. Poad tauchte auf und fragte aufgeregt:»Alles erledigt, Sir? Ich habe Ihre Sachen an einem sicheren Platz verstaut, wie befohlen. «Er lief ihm zur Offiziersmesse voran.»Den Beginn der Mahlzeit habe ich so lange hinausgeschoben, bis Sie fertig waren, Sir. «Bolitho betrat die Messe, die - im Gegensatz zum letztenmal - voller Mannner war, die sich laut unterhielten.
        Palliser stand auf und sagte in den Larm hinein:»Meine Herren, unser neuer Kamerad.»
        Bolitho sah, da? Rhodes ihn anlachelte, und war froh uber dieses freundliche Gesicht. Er schuttelte Hande und murmelte etwas, das ihm angebracht schien. Obersteuermann Julius Gulliver war genauso, wie ihn Rhodes beschrieben hatte: unfrei, gezwungen, irgendwie hinterhaltig. Leutnant John Colpoys, der die Seesoldaten an Bord befehligte, errotete leicht, als er Bolitho die Hand schuttelte und etwas affektiert sagte:»Sehr erfreut, mein Lieber.»
        Der Schiffsarzt wirkte rund und gemutlich wie eine aufgeplusterte Eule und roch nach Schnaps und Tabak. Und da war noch Samuel Codd, der Zahlmeister, ein - wie Bolitho schien - ungewohnlich heiterer Vertreter seines Berufsstandes. Schonheit zeichnete ihn nicht aus, denn er hatte sehr gro?e Schneidezahne im Oberkiefer und ein so kleines, fliehendes Kinn, da? die obere Halfte seines Gesichts standig die untere zu vertilgen schien.
        Colpoys sagte:»Hoffentlich konnen Sie Karten spielen.»
        Rhodes lachelte.»Probieren Sie's doch mal mit ihm. «Zu Bolitho sagte er:»Er wird Ihnen das Fell uber die Ohren ziehen, wenn Sie sich mit ihm einlassen.»
        Bolitho setzte sich neben dem Arzt an den Tisch. Dieser holte einen goldgefa?ten Kneifer heraus, der zu seinen roten Pausbacken wenig pa?te, und stellte fest: Pastete vom Schwein. Ein sicheres Zeichen dafur, da? wir bald auslaufen. Danach«, er warf dem Zahlmeister einen Blick zu,»sind wir wieder auf Samuels Vorrate angewiesen, von denen die meisten schon vor zwanzig Jahren als ungenie?bar erklart wurden.»
        Glaser klirrten, und die Luft wurde schwer von Dampf und Essensduften. Bolitho musterte die Tischrunde. So also sahen Offiziere aus, wenn sie sich au?er Sichtweite ihrer Untergebenen befanden.
        Rhodes flusterte:»Was halten Sie von ihm?»

«Vom Kommandanten?«Bolitho versuchte, seine Gedanken zu ordnen.»Ich bin beeindruckt. Er ist so, so.»
        Rhodes winkte Poad, ihm die Karaffe mit Wein zu bringen.»Gefahrlich?«Bolitho lachelte.»Anders. Aber etwas Angst macht er einem schon.»
        Palliser unterbrach ihre Unterhaltung.»Wenn Sie gegessen haben, machen Sie sich mit dem Schiff vertraut, Richard. Vom Kiel bis zum Flaggenknopf, vom Kluverbaum bis zur Hecklaterne. Wenn Ihnen etwas unklar ist, fragen Sie mich. Machen Sie sich moglichst schon mit den Deckoffizieren und den jungen Unteroffizieren bekannt, und pragen Sie sich die Namen Ihrer eigenen Division ein. «Er zwinkerte dem Leutnant der Seesoldaten zu, aber nicht schnell genug, so da? Bolitho es noch bemerkte.»Ich bin sicher, Mr. Bolitho wird alles daransetzen, da? seine Leute es bald mit denen aufnehmen konnen, die er uns heute so erfolgreich an Bord gebracht hat.»
        Bolitho sah auf den Teller nieder, den ein Steward vor ihn hingestellt hatte. Das hei?t: Von dem Teller war wenig zu sehen, da er bis zum Rand mit Essen uberhauft war. Palliser hatte ihn also mit seinem Vornamen angesprochen und sogar einen Witz uber seine Freiwilligen gemacht. Demnach waren das die wirklichen Menschen hinter der starren Haltung und den Fesseln der Rangordnung drau?en an Deck. Er hob den Blick und lie? ihn uber den Tisch wandern. Wenn man ihm Zeit lie?, wurde er sich unter ihnen wohlfuhlen, dachte er.
        Rhodes sagte zwischen zwei Bissen:»Ich habe gehort, da? wir mit der Montagstide auslaufen. Ein Bursche der Admiralitat war gestern an Bord. Er wei? gewohnlich Bescheid.»
        Bolitho versuchte sich zu erinnern, was der Kommandant gesagt hatte: Loyalitat steht obenan. Dumaresq hatte fast die letzten Worte seiner Mutter wiederholt: Die See ist kein Ort fur Traumer.
        Fu?e trappelten uber ihren Kopfen. Bolitho horte, wie weitere schwere Netze mit Vorraten zum Gezwitscher einer Bootsmannsmaatenpfeife an Bord gehievt wurden.
        Bald wurden sie weit weg vom Land sein, weg von den schmerzlichen Erinnerungen, den Gedanken an das, was er verloren hatte. Ja, es war gut, wieder unterwegs zu sein.
        Wie Leutnant Rhodes vorausgesagt hatte, machte Seiner Majestat Fregatte Destiny am Morgen des nachsten Montag klar zum Ankerlichten. Die letzten Tage waren fur Bolitho so schnell vergangen, da? er hoffte, auf See wurde es an Bord etwas ruhiger zugehen als zuletzt im Hafen. Palliser hatte ihn jede Wache in Trab gehalten. Der Erste Offizier gab sich nie mit dem au?eren Schein zufrieden, sondern legte Wert darauf, da? Bolitho ihm den Sinn seiner Arbeit erklarte, seine Meinung au?erte und Vorschlage - zum Beispiel uber den Austausch von Leuten seiner Wache - machte. So schnell er mit sarkastischen Bemerkungen zur Hand war, so flink war Palliser auch darin, die Gedanken eines Untergebenen in die Tat umzusetzen.
        Bolitho dachte oft daran, was Rhodes uber den Ersten Offizier gesagt hatte:»Hinter einem eigenen Kommando her. «Palliser wurde bestimmt sein Bestes fur das Schiff geben und ebenso entschieden jedes Versagen bekampfen, dessen Folgen ihm angelastet werden konnten.
        Bolitho hatte sich eifrig bemuht, die Manner, mit denen er direkt zusammenarbeiten mu?te, kennenzulernen. Anders als auf den gewaltigen Linienschiffen, hing das Uberleben einer Fregatte nicht von der Dicke ihrer holzernen Bordwande, sondern von ihrer Beweglichkeit ab. Die Besatzung war in Divisionen eingeteilt, weil sie so am besten eingesetzt werden konnte.
        Der Fockmast mit seinen Rahsegeln - zuunterst Fock, daruber Mars, Bram und Royal; dazu die Stagsegel: Kluver und Au?enkluver - war entscheidend fur schnelle Halsemanover, aber auch bei der Wende, wenn das Schiff mit dem Bug durch den Wind ging. Wichtig war er auch im Gefecht, wenn der Kommandant plotzlich abfallen wollte, um das empfindliche Heck des Gegners mit einer Breitseite zu beharken.
        Am achteren Ende des Schiffes standen Steuermann und Ruderganger und nutzten jeden Mast, jeden Zoll Segel, um das Schiff mit den sparsamsten Kommandos auf Kurs zu halten.
        Bolitho hatte die Aufsicht am Gro?mast. Als hochster der drei Masten war er in Abschnitte unterteilt, ebenso die Manner, die an ihm auf enterten, ohne Rucksicht darauf, was sie bei schlechtem Wetter dort oben erwartete.
        Diese flinken Toppsgasten waren die Elite der Mannschaft, wahrend an Deck zur Bedienung der Fallen, Schoten, Halsen und Brassen die weniger gewandten Leute abgestellt waren, die neu rekrutierten oder alteren Matrosen, denen man die Arbeit mit der vom Salzwasser steifen Leinwand, einhundert Fu? und mehr uber Deck, noch nicht oder nicht mehr zumuten konnte.
        Rhodes befehligte am Fockmast, wahrend ein Steuermannsmaat den Besanmast unter sich hatte, der wegen seiner geringeren Segelzahl am leichtesten zu bedienen war und zur Handhabung seines Gaffelsegels vor allem Korperkrafte brauchte. Die Wache der Seesoldaten auf dem Achterdeck und eine Handvoll Matrosen genugten, um mit dem Besan fertig zu werden.
        Bolitho gab sich gro?e Muhe, mit dem Oberbootsmann, einem furchterregenden Mann namens Timbrell, gut auszukommen. Tim-brell hatte ein von Wind und Wetter gezeichnetes Gesicht und war wie ein antiker Krieger uber und uber mit Narben bedeckt. Er war der Erste unter den Seeleuten. Sobald sie frei von Land waren, trat Tim-brell nach Anweisung des Ersten Offiziers in Aktion. Er beseitigte Sturmschaden, besserte Stengen und Rahen aus, erneuerte - wo es erforderlich war - den Farbanstrich und sorgte dafur, da? alle Fugen dicht, das stehende und laufende Gut in Ordnung waren, und hatte noch ein Auge auf die Fachleute, die sich mit diesen verschiedenen Arbeiten beschaftigten: Schiffszimmermann, Segelmacher und viele andere. Timbrell war Seemann bis in die Fingerspitzen und konnte fur einen jungen Offizier ein guter Freund sein, aber auch ein schlimmer Feind, wenn er falsch behandelt wurde.
        An diesem speziellen Montagmorgen ging der Betrieb auf der Destiny noch vor dem ersten Tageslicht los. Der Koch hatte eine schnelle Mahlzeit bereitet, als ob er dafur verantwortlich sei, da? sie bald in Fahrt kamen.
        Listen wurden noch einmal uberpruft, Namen aufgerufen, Manner auf ihre Platze geschickt. Fur eine Landratte hatte alles wie ein wildes Durcheinander ausgesehen: das viele Tauwerk, das sich an Deck schlangelte, die Manner auf den gro?en Rahen, welche die Segel, die uber Nacht durch unerwarteten Frost hartgefroren waren, losmachten.
        Bolitho hatte den Kommandanten mehrmals an Deck kommen sehen. Er redete mit Palliser oder besprach etwas mit Gulliver, dem Obersteuermann. Falls er erregt war, so zeigte er es jedenfalls nicht, sondern marschierte in seiner festen Gangart uber das Achterdeck, als denke er an ganz etwas anderes als an sein Schiff.
        Die Offiziere und Deckoffiziere hatten ihre schon etwas abgetragenen See-Uniformen angezogen, wogegen sich Bolitho und die meisten jungen Kadetten in ihren neuen Jacken mit den blitzenden Knopfen ganz fremd vorkamen.
        Bolitho hatte mit der Post aus Falmouth zwei Briefe von seiner Mutter bekommen. Sie stand vor seinem geistigen Auge, wie er sie zuletzt gesehen hatte: zart und liebreizend,»eine Lady, die nie alt wird«, sagten einige Leute von ihr; das Madchen aus Schottland, das Kapitan James Bolitho seit ihrem ersten Zusammentreffen bezaubert hatte. Sie war eigentlich zu schwach, um die Last der Bewirtschaftung des gro?en Hauses und des Gutes allein zu tragen. Seit Richards alterer Bruder Hugh wieder an Bord einer Fregatte diente, weit weg auf See, nachdem er einige Zeit den Zollkutter Avenger in Falmouth gefuhrt hatte,[siehe Kent. Strandwolfe] und so lange sein Vater noch nicht wieder zu Hause war, wurde ihr die Last doppelt schwer werden. Richards inzwischen erwachsene Schwester Felicity hatte ihr Elternhaus verlassen, um einen Armeeoffizier zu heiraten, wahrend auch die Jungste der Familie, Nancy, wohl bald ans Heiraten denken wurde.
        Bolitho ging zur Laufbrucke, wo die Manner ihre Hangematten, die sie von unten heraufgebracht hatten, in die Finknetze verstauten. Arme Nancy, sie wurde Bolithos toten Freund sehr vermissen und mu?te nun ganz allein mit ihren enttauschten Hoffnungen fertig werden.
        Jemand stand neben ihm: der Schiffsarzt, der zum Ufer blickte. Jedesmal, wenn sich Bolitho bisher mit dem rundlichen Doktor unterhalten hatte, war es ein Gewinn fur ihn gewesen. Bulkley war ein wunderliches Mitglied ihrer Gemeinschaft. Schiffsarzte waren - soweit
        Bolitho bisher erfahren hatte - geringe Vertreter ihres Berufsstandes, meist nichts anderes als Schlachter; ihre blutige Kunst mit Messer und Sage wurde von den Seeleuten mehr gefurchtet als eine Breitseite des Gegners.
        Aber Henry Bulkley war eine Ausnahme. Er hatte in London ein angenehmes Leben gefuhrt, hatte eine Praxis in einer vornehmen Gegend besessen und Patienten, die reich, aber auch anspruchsvoll waren.
        Bulkley hatte es Bolitho in der Stille einer Nachtwache erklart:»Ich begann, die Tyrannei der Kranken zu hassen, die Selbstsucht von Leuten, die nur zufrieden sind, wenn man sie verwohnt. Ich bin zur See gegangen, um dem zu entkommen. Hier habe ich eine Aufgabe und brauche nicht Zeit an Leute zu vergeuden, die zu reich sind, um sich die Muhe zu machen, ihren Korper kennenzulernen. Hier bin ich genauso ein Spezialist wie Mr. Vallance, unser Oberstuckmeister, oder wie der Zimmermeister, und leiste den gleichen Dienst wie sie. Oder wie der arme Mr. Codd, der Zahl- und Proviantmeister, der sich uber jede zuruckgelegte Meile gramt und errechnet, wieviel Kase, Salzfleisch, Kerzen und Leinwand sie ihn gekostet hat.
«Er hatte zufrieden gelachelt.»Und ich genie?e das Vergnugen, andere Lander zu sehen. Jetzt bin ich drei Jahre bei Kapitan Dumaresq, und es mogen noch zwei oder drei hinzukommen. Er selber ist naturlich niemals krank. Er wurde es einfach nicht erlauben, da? so etwas passiert.»
        Bolitho sagte:»Es ist ein seltsames Gefuhl, so fortzusegeln zu einem Ziel, das nur der Kommandant und vielleicht zwei oder drei weitere Personen kennen. Wir haben keinen Krieg, aber trotzdem Gefechtsbereitschaft.»
        Er sah den gro?en Menschen, der sich Stockdale nannte, mit den anderen Matrosen am Fu? des Gro?mastes antreten.
        Der Arzt folgte seinem Blick.»Ich habe gehort, was an Land geschehen ist. Sie haben an ihm einen treuen Gefolgsmann. Mein Gott, ein Kerl wie ein Eichbaum! Ich glaube, Little mu? ihm ein Bein gestellt haben, um die Guinee zu gewinnen. «Er warf einen Blick auf Bolithos Profil.»Es sei denn, er wollte von vornherein mit Ihnen kommen - um vor irgend etwas zu fliehen wie die meisten von uns.»
        Bolitho lachelte. Bulkley kannte nur die Halfte der Geschichte. Stockdale war fur Segelmanover dem Besanmast zugeteilt worden und fur den Gefechtsfall den Sechspfundern auf dem Achterdeck. So war es schriftlich festgelegt und mit Pallisers schwungvollem Namenszug gegengezeichnet worden. Aber irgendwie hatte es Stockdale geschafft, diese Dinge zu andern. Jetzt gehorte er zu Bolithos Division am Gro?mast und zu den Zwolfpfundern der Steuerbord-Batterie, die Bolithos Kommando unterstand.
        Eines ihrer Beiboote naherte sich mit kraftigem Ruderschlag vom Ufer, alle anderen waren schon vor dem ersten Hahnenschrei in ihren Halterungen an Deck eingesetzt und festgelascht worden.
        Das Beiboot war ihre letzte Verbindung mit dem Land und hatte Dumaresqs abschlie?ende Briefe und Berichte zum Kurier nach London gebracht. Am Ende wurden sie auf irgendeinem Schreibtisch in der Admiralitat landen, eine Notiz wurde dem Ersten Seelord zugehen, dort wurde ein Kreuzzeichen auf einer der gro?en Seekarten eingezeichnet werden: Ein kleines Schiff war mit versiegelten Befehlen in See gegangen. Nichts Neues, nur die Zeiten hatten sich geandert.
        Palliser schlenderte zur Querreling, das Megaphon unter dem Arm; sein Blick kreiste wie der eines Raubvogels und spahte nach einem neuen Opfer aus.
        Bolitho schaute am Gro?mast empor und konnte gerade noch den langen roten Wimpel hoch oben erkennen, der in einer Bo achtern auswehte. Nordwestwind. Dumaresq wurde ihn auch brauchen, um vom Ankerplatz freizukommen. Das war immer schwierig, aber jetzt - nach dreimonatiger Liegezeit - genugte es, da? ein unaufmerksamer Matrose oder Maat einen Befehl falsch weitergab, um ein stolzes Ablegen innerhalb von Minuten in ein Desaster zu verwandeln.
        Palliser rief:»Alle Offiziere bitte nach achtern!«Es klang gereizt, er war sich der Bedeutung des Augenblicks offenbar bewu?t.
        Bolitho trat zu Rhodes und Colpoys auf das Achterdeck, wahrend Steuermann und Schiffsarzt sich wie Eindringlinge im Hintergrund hielten.
        Palliser sagte:»In einer halben Stunde lichten wir Anker. Gehen Sie auf Ihre Station und behalten Sie jeden Mann im Auge. Sagen Sie Ihren Bootsmannsmaaten, da? sie den Leuten Beine machen und jeden zur Bestrafung notieren sollen, der nicht richtig zufa?t. «Er warf Bo-litho einen merkwurdigen Blick zu.»Ich habe diesen Stockdale Ihnen zugeteilt. Mit ist selber nicht klar, warum, aber er meinte, da sei sein Platz. Sie mussen eine besondere Anziehungskraft haben, Mr. Bolitho, obwohl ich bei Gott nicht ahne, worin die bestehen sollte.»
        Sie legten die Hand gru?end an ihre Hute und begaben sich auf ihre verschiedenen Stationen. Pallisers Stimme folgte ihnen, durch das Megaphon hohl und eindringlich:»Mr. Timbrell! Noch zehn Manner ans Ankerspill! Wo ist der verdammte Vorsanger?«Das Sprachrohr schwenkte herum wie die Peitsche eines Kutschers.»Zum Teufel, Mr. Rhodes, ich mochte den Anker noch heute kurzstag gehievt haben, nicht erst nachste Woche.»
        Klink, klink, klink - das Spill drehte sich widerwillig, als die Manner sich kraftig in die Spillspaken warfen. Kopfschlage und aufgeschossene Buchten der Fallen und Schoten wurden von ihren Belegnageln gelost, und wahrend Offiziere und Kadetten in der bewegten Flut der an Deck aufgereihten Matrosen wie blau-wei?e Inseln wirkten, schien es, als erwache das Schiff selber zum Leben.
        Bolitho warf einen Blick hinuber zum Land. Noch immer keine Sonne; ein leichter Regenschauer malte Krauselmuster aufs Wasser, die sich dem Schiff naherten. Die wartenden Manner zitterten vor Kalte und trampelten mit nackten Fu?en aufs Deck.
        Little sprach leise, aber eindringlich auf zwei neue Leute ein, wobei seine gro?en Hande wie Spaten durch die Luft fuhren, um seine Erklarungen zu verdeutlichen. Er bemerkte Bolitho und stohnte:»Gro?er Gott, Sir, die sind wie Holzklotze!»
        Bolitho beobachtete seine beiden Kadetten und uberlegte, wie er die Mauer durchbrechen konne, die zwischen ihm und den beiden stand. Er hatte erst am Tag zuvor kurz mit ihnen gesprochen. Die Destiny war ihr erstes Bordkommando, was auch - mit zwei Ausnahmen - fur die ubrigen Kadetten galt. Peter Merrett war so klein, da? man ihn kaum zwischen den Taurollen und den hin und her eilenden Seeleuten wiederfand. Er war zwolf Jahre alt, Sohn eines prominenten Anwalts aus Exeter, der wiederum einen Admiral zum Bruder hatte: eine furchteinflo?ende Kombination. Eines schonen Tages - wenn er ihn erlebte - konnte der kleine Merrett sie zu seinem Vorteil nutzen, wahrscheinlich auf Kosten anderer. Aber jetzt, wie er so zitternd vor Kalte und ziemlich verangstigt dastand, sah er nur wie ein Haufchen Ungluck aus. Der andere hie? Jan Jury, war vierzehn Jahre alt und kam aus Weymouth. Sein Vater, ein verdienter Seeoffizier, war bei einem Schiffsungluck ums Leben gekommen. Den Verwandten des toten Kapitans mu?te die Marine als der geeignete Platz fur den jungen Jury erschienen sein. Jedenfalls waren sie damit alle
Sorgen um ihn los. Bolitho nickte ihm zu.
        Jury war gro? fur sein Alter, hatte ein freundliches Gesicht, einen blonden Haarschopf, und konnte seine Aufregung kaum beherrschen. Er sprach auch als erster.»Wissen wir eigentlich, wohin die Fahrt geht, Sir?»
        Bolitho sah ihn ernst an. Nur vier Jahre trennten sie. Jury ahnelte zwar nicht seinem toten Freund, doch er hatte die gleiche Haarfarbe.
        Er tadelte sich selber fur seine Gedanken und antwortete:»Das werden wir fruh genug erfahren. «Seine Worte kamen scharfer heraus, als er beabsichtigt hatte, darum fugte er hinzu:»Es ist ein gut gehutetes Geheimnis, jedenfalls soweit es mich betrifft.»
        Jury beobachtete ihn neugierig. Bolitho wu?te, was er dachte, kannte die vielen Fragen, die er gern gestellt hatte, um diese neue, so vieles von ihm fordernde Welt zu entdecken. Genauso war er selber einmal gewesen.
        Bolitho sagte:»Ich mochte, da? Sie im Gro?mast aufentern, Mr. Jury, und die Arbeit der Leute oben beaufsichtigen. Sie, Mr. Merrett, bleiben bei mir, um Meldungen nach vorn oder achtern zu uberbringen, wenn notig.»
        Er lachelte, als ihre Blicke uber die Wanten zum drohenden Gewirr der Takelage emporwanderten, zur riesigen Gro?rah und den kleineren Rahen daruber, die nach jeder Seite wie Bogenenden weit uber Bord ragten.
        Die beiden alteren Offiziersanwarter, die Fahnriche Henderson und Cowdroy, hatten ihre Posten achtern am Besanmast, wahrend die restlichen beiden zu Rhodes am Fockmast gehorten.
        Stockdale stand wie zufallig in Bolithos Nahe und schnaufte:»Guten Morgen auch, Sir!»
        Bolitho lache lte ihn an.»Nichts bereut, Stockdale?»
        Der riesige Mann schuttelte den Kopf.»Nein, Sir. Brauchte 'ne Veranderung. Wird mir guttun.»
        Little grinste uber das Rohr eines Zwolfpfunders hinweg.»Ich wette, er konnte die Gro?brasse allein bedienen!»
        Einige Matrosen tuschelten miteinander und zeigten, als das Tageslicht zunahm, auf Gebaude an Land.
        Vom Achterdeck kam prompt die Ruge:»Mr. Bolitho, sorgen Sie bitte fur Ordnung bei Ihren Leuten! Das sieht mehr nach einer Hammelherde aus als nach einer Kriegsschiffsbesatzung!»
        Bolitho grinste.»Aye, aye, Sir!«Und fur Little fugte er hinzu:»Schreiben Sie jeden Mann auf, der…»
        Er konnte den Satz nicht beenden, denn Kapitun Dumaresqs Hut tauchte am achteren Niedergang auf und darunter seine massige Gestalt, die sich mit offensichtlichem Gleichmut auf die Luvseite des Achterdecks begab.
        Bolitho gab den beiden Kadetten noch einmal leise Instruktionen.»Hort zu, ihr beiden: Geschwindigkeit ist wichtig, aber nur insoweit, als Befehle trotzdem korrekt ausgefuhrt werden. Hetzen Sie die Leute nicht unnotig, die meisten von ihnen sind alte Hasen und schon seit Jahren auf See. Beobachten Sie, lernen Sie, aber packen Sie zu, wenn einer der neuen Leute Mist macht.»
        Beide nickten eifrig, als hatten sie eben fundamentale Weisheiten vernommen.

«Vorn alles klar, Sir!»
        Das war Timbrell, der Oberbootsmann. Er schien uberall zugleich zu sein. Mal war er hier, um die Finger eines Mannes richtig um eine Brasse zu legen und sie davor zu bewahren, da? sie in einen Block gerieten und zerquetscht wurden; mal war er da, um seinen Rohrstock auf die Schultern eines anderen niedersausen zu lassen, der sich blode anstellte. Die Wirkung war meist ein kurzer Aufschrei des Betroffenen und schadenfrohes Grinsen der anderen.
        Bolitho horte den Kommandanten etwas sagen; Sekunden spater stieg die rote Nationalflagge zur Mastspitze empor und stand so steif im Wind wie eine bemalte Metallplatte.
        Wieder Timbrells Stimme:»Anker ist kurzstag, Sir!«Er beugte sich uber die Backsreling vorn und beobachtete aufmerksam die Stromung unter dem Bugspriet.

«Am Ankerspill - Achtung!»
        Bolitho warf noch einen schnellen Blick nach achtern: auf den
        Kommandostand, auf Gulliver mit seinen drei Rudergangern am gro?en Doppelrad; auf Colpoys mit seinen Seesoldaten an den Kreuzbrassen, den Fahnrich der Wache und Henderson, den Signalfahnrich, der immer noch zur wild killenden Flagge emporschaute, weil er furchtete, da? sie sich in ihrer Leine vertornen konnte. Im Augenblick war ihm das wichtiger als sein Leben.
        An der Querreling stand Palliser mit einem Steuermannsmaaten und - etwas abseits - der Kommandant auf fest verwurzelten, stammigen Beinen, die Hande unter den Rockscho?en, mit einem Blick seinen gesamten Befehlsbereich umfassend. Zu seinem Erstaunen sah Bo-litho, da? Dumaresq unterm Rock eine scharlachrote Weste trug.

«Vorsegel los!»
        Die Manner auf der Back vorn erwachten zum Leben. Ein vertraumter Neuling ware fast von ihnen niedergetrampelt worden, als die gro?en Leinwandflachen der vorderen Stagsegel in plotzlicher Freiheit flatterten und schlugen.
        Palliser warf dem Kommandanten einen Blick zu und erntete ein fast unmerkliches Nicken. Darauf hob der Erste Offizier das Megaphon und rief:»Enter auf! Marssegel los!»
        Die Webeleinen uber beiden Laufbrucken hingen plotzlich voller Matrosen, die wie Affen zu ihren Rahen aufenterten, wahrend die fixesten Burschen noch hoher hinaufkletterten, um etwas spater, wenn das Schiff in Fahrt war, dort ihren Teil der Arbeit zu leisten.
        Bolitho verbarg seine Besorgnis unter einem Lacheln, als Jury hinter den sicher zupackenden und wieselschnellen Matrosen aufenterte.
        Neben ihm krachzte Merrett:»Mir wird ubel, Sir.»
        Slade, der alteste Steuermannsmaat, der gerade vorbeieilte, knurrte:»Dann schluck's runter! Wenn du hier spuckst, Burschchen, lege ich dich ubers Kanonenrohr und verpasse dir sechs Schlage, damit du's lernst!«Er eilte weiter, gab Befehle, schubste Manner auf ihre Station und hatte den kleinen Kadetten schon wieder vergessen.
        Merrett schluchzte:»Mir ist wirklich furchtbar schlecht!»
        Bolitho sagte:»Gehen Sie nach Lee hinuber.»
        Er schaute nach Pallisers Megaphon aus und dann hinauf zu seinen Mannern auf den Rahen und in die wogende Leinwand des Gro?marssegels, in die der Wind schon hier und da hineingefa?t hatte und die sich nun vollends zu befreien suchte.

«An die Brassen! Alle Mann - Achtung!«»Anker ist los, Sir!»
        Wie ein befreites Tier schuttelte sich die Destiny und trieb zunachst achteraus, bis die wild schlagenden Vorsegel dichtgeholt, die Marsegel angebra?t waren und sich mit Wind fullten. Da gehorchte das Schiff endlich dem hart gelegten Ruder und nahm Fahrt voraus auf.
        Bolitho erschrak, als ein Mann auf der Gro?rah ausrutschte, aber seine Kameraden packten ihn und zogen ihn in Sicherheit.
        Das Schiff drehte weiter, bis die Kuste wie in einem wilden Reigen am Bugspriet und der grazilen Galionsfigur vorbeizutanzen schien.

«Mehr Leute an die Luv-Fockbrassen! Schreiben Sie den Mann auf, Mr. Slade! Lassen Sie den Anker festzurren - Beeilung jetzt!»
        Pallisers Stimme war uberall. Als der Anker tropfend unter dem Kranbalken hing und schnell beigeholt und festgezurrt wurde, damit er nicht gegen die Bordwand schlug, wurden die damit beschaftigten Leute von Pallisers alles ubertonendem Sprachrohr schon wieder anderswohin kommandiert.»Setzt Fock und Gro?segel!»
        Die beiden gro?ten Segel des Schiffes entfalteten sich an ihren Rahen und blahten sich in dem frischen Wind wie eiserne Brustpanzer. Bolitho machte eine kleine Pause, um Atem zu holen und seinen Hut zurechtzurucken. Die Landschaft, durch die er auf der Suche nach Freiwilligen gestreift war, lag querab in Lee, wahrend der Bug der Destiny auf die enge Ausfahrt wies, hinter der die offene See wie ein riesiges graues Feld auf sie wartete.
        Manner kampften mit verheddertem Tauwerk, uber sich das Quietschen der Blocke, als Brassen und Schoten statt der Muskeln nun den Kampf gegen Wind, Seegang und die wachsende Pyramide aus Leinwand aufnahmen.
        Dumaresq hatte sich anscheinend uberhaupt nicht bewegt. Das Kinn im Halstuch vergraben, beobachtete er das Ufer, das an ihnen vorbeiglitt.
        Bolitho wischte sich ein paar Wassertropfen - war es Regen oder salzige Gischt? - aus den Augen. Er war aufgeregt und freute sich plotzlich, da? er dazu noch fahig war.
        Durch die enge Ausfahrt ging es in den Sund hinaus, wo Drake einmal der spanischen Armada aufgelauert hatte, wo schon hundert
        Admirale Plane geschmiedet hatten, die uber ihre nachste Zukunft entscheiden sollten. Wohin hatte das alles gefuhrt?» Lotgast in die Luv-Rusten, Mr. Slade!»
        Bolitho merkte jetzt, da? er auf einer Fregatte war. Hier gab es kein vorsichtiges Abwagen, keine behabigen Manover. Dumaresq wu?te, da? viele Augen an Land sie selbst zu dieser fruhen Stunde beobachteten. Er wurde so nahe an die Landzunge herangehen wie moglich, mit nur knapp einem Faden Wasser zwischen Kiel und Katastrophe. Er hatte den richtigen Wind und das Schiff, mit dem er dies riskieren konnte.
        Hinter sich horte Bolitho, wie Merrett sich ubergab, und hoffte, Pal-liser wurde es nicht bemerken.
        Stockdale scho? die Leine um Handballen und Ellenbogen auf, als sei er es von jung auf nicht anders gewohnt. Gegen seine kraftigen Unterarme wirkte die dicke Leine wie Kabelgarn. Er brummte mit seiner heiseren Stimme:»Jetzt bin ich frei, so frei, wie ich's mir wunsche.»
        Bolitho antwortete nicht, denn er erkannte, da? der in vielen Kampfen ausgelaugte Boxer zu sich selber gesprochen hatte.
        Pallisers Stimme weckte ihn wie ein Peitschenhieb.»Mr. Bolitho! Ich sage Ihnen schon jetzt, da? ich die Bramsegel gesetzt haben mochte, sowie wir durch die Enge sind. Damit haben Sie Zeit, Ihren Traum zu beenden und sich wieder um Ihren Dienst zu kummern, mein Herr!»
        Bolitho beruhrte seinen Hut und nickte seinen Unteroffizieren zu. Palliser war in Ordnung, so lange sie sich in der Messe befanden. Aber an Deck war er ein Tyrann.
        Merrett hatte sich uber die Kanone gebeugt und erbrach sich in den Wassergang.

«Verdammt noch mal, Mr. Merrett! Machen Sie das blo? schon sauber, bevor Sie abtreten. Und rei?en Sie sich zusammen!«Bolitho wandte sich ab, aufgebracht und gleichzeitig uber sich selber erstaunt. Pallisers Art war offenbar ansteckend.



        III Jaher Tod

        Die Woche nach dem Auslaufen der Destiny aus Plymouth wurde die arbeitsreichste und anstrengendste in Bolithos jungem Leben.
        Sobald sie frei von Land waren, lie? Dumaresq so viele Segel setzen, wie sein Schiff bei dem standig zunehmenden Wind ohne Gefahr tragen konnte. Das Leben war nun begrenzt auf einen Alptraum aus bei?endem, eiskaltem Spruhwasser, das sich in wilden Kaskaden immer dann uber sie ergo?, wenn die Fregatte, aus einem Wellental auftauchend, den nachsten haushohen Wellenberg anschnitt. Es schien niemals zu enden. Seit Tagen steckten sie in nassen Kleidern, die zu trocknen keine Gelegenheit war, und a?en das, was der Smutje bei dem Wetter mit Muhe zustande und heil nach achtern brachte, wo sie es moglichst schnell hinunterschlangen.
        Einmal, als Rhodes Bolitho auf Wache abloste, schrie er ihm uber das Getose wild schlagender Leinwand und tobender See ins Ohr:»Das ist typisch fur unseren > Herrn und Meisten: Er treibt das Schiff bis an die Grenze und pruft dabei jeden Mann auf Herz und Nieren. «Er duckte sich, als ein neuer Schauer eiskalten Spruhwassers uber sie hinwegzog.»Die Offiziere pruft er dabei naturlich auch, das wollen wir nicht vergessen.»
        Die Stimmung an Bord war gereizt, und ein- oder zweimal flackerte Ungehorsam auf, der aber durch die kraftigen Fauste eines Maates oder die Drohung mit offizieller Meldung und Auspeitschen unterdruckt wurde.
        Der Kommandant war viel an Deck und ging ruhelos zwischen Kompa? und Kartenraum hin und her, wobei er ihr Vorankommen mit Gulliver, dem Master, oder mit dem Ersten Offizier besprach.
        Nachts war es noch schlimmer. Bolitho kam es vor, als ware es ihm noch kein einziges Mal gelungen, den Kopf wahrend der Freiwache in sein muffiges Kopfkissen zu vergraben, bevor ihn nicht ein heiserer» Alle-Mann«-Ruf wieder aufstorte.»Alle Mann! Ein Reff ins Marssegel!»
        In solchen Augenblicken erkannte Bolitho den Unterschied: Auf einem Linienschiff hatte er sich mit den ubrigen nach einem solchen Kommando in die Masten arbeiten und seine Schwindelanfalle niederkampfen mussen, ohne die anderen etwas von seiner Angst merken zu lassen. Aber wenn er es dann geschafft hatte, war es vorbei. Jetzt, als Offizier, kam dagegen alles so, wie Dumaresq vorausgesagt hatte,
        Mitten im heftigsten Sturm, gegen den die Destiny in der Biskaya ankreuzte, kam der Befehl, ein weiteres Reff einzustecken. Es war eine Nacht ohne Mond und Sterne, sie sahen lediglich eine sich immer neu aufturmende, wei?gekronte Wasserwand. Sie brachte ihnen zu Bewu?tsein, wie winzig ihr Schiff in Wirklichkeit war.
        Die Manner taumelten auf ihre Stationen, benommen von der nicht enden wollenden, harten Arbeit und halb blind vom Salzwasser, das sie unaufhorlich ubergo?. Zogernd arbeiteten sie sich die vibrierenden Webeleinen hinauf und legten auf den Marsrahen aus. Die Destiny lag so stark nach Lee uber, da? es schien, als tauche sie mit der Nock ihrer Gro?rah in die brechenden Wellenkamme ein.
        Forster, befehlshabender Deckoffizier am Gro?mast und Bolithos rechte Hand, hatte ihm zugerufen:»Dieser Mann hier will nicht nach oben, ums Verrecken nicht!»
        Bolitho, der sich an einem Stag festhielt, um nicht weggerissen zu werden, schrie zuruck:»Dann gehen Sie, um Himmel willen, selber, Forster! Wenn Sie nicht oben sind, passiert Gott wei? was!«Dabei schaute er zu den ubrigen Leuten hinauf, wahrend der Sturm unaufhorlich jaulte und schrie wie ein Lebewesen, das sich an ihrer Qual weidete.
        Jury war mit oben gewesen und beim Hinabklettern von der Macht des Windes an die Wanten gepre?t worden. Am Fockmast hatten sie die gleichen Probleme mit Menschen und Tauwerk, Segeln und Rahen, wahrend das Schiff sein Moglichstes tat, sie alle in die tobende See zu schleudern.
        Da erinnerte sich Bolitho, was Forster ihm zugerufen hatte. Der Befehlsverweigerer starrte ihn trotzig an, eine magere Gestalt in halb zerrissenem kariertem Hemd und Seemannshose.

«Was ist los mit Ihnen?«Bolitho mu?te schreien, um sich in dem Getose verstandlich zu machen.

«Ich kann nicht!«schrie der Mann zuruck und schuttelte wild den Kopf.»Kann nicht!»
        Gerade kampfte sich Little fluchend vorbei und schleppte mit dem Bootsmann neues Tauwerk als Reserve fur den Gro?mast heran.
        Er brullte:»Ich hieve ihn personlich nach oben, Sir!«Bolitho aber rief dem Matrosen zu:»Helfen Sie unter Deck an den Pumpen!»
        Zwei Tage danach wurde der Mann als verschwunden gemeldet. Eine sorgfaltige Durchsuchung des Schiffes blieb ergebnislos.
        Little hatte seine Ansicht zu erlautern versucht.»Die Sache ist so, Sir: Sie hatten ihn zum Aufentern zwingen sollen, selbst wenn er dann abgesturzt ware und sich die Knochen gebrochen hatte. Oder Sie hatten ihn zur Bestrafung melden mussen. Er hatte drei Dutzend Schlage bekommen, aber das hatte ihn zum Mann gemacht.»
        Zogernd mu?te Bolitho Little recht geben. Er hatte den Stolz des Mannes verletzt. Seine Kameraden hatten mit ihm gefuhlt, wenn er auf der Grating festgebunden und ausgepeitscht worden ware. So aber traf ihn nur Verachtung, und das war mehr, als dieser eigenbrotlerische und halsstarrige Matrose ertragen konnte.
        Auch am sechsten Tag hielt der Sturm noch an und machte sie durch seine Heftigkeit mutlos und benommen. Zerrissene Segel wurden ausgetauscht, und das Reparieren von Schaden und immer wieder notige Aufklaren an Deck verhinderten jeden Gedanken an eine Verschnaufpause.
        Inzwischen wu?te jedermann an Bord, wohin die Reise zunachst ging: zur portugiesischen Insel Madeira. Aber der Anla? blieb weiterhin ein Geheimnis. Au?er fur Rhodes, der streng vertraulich mitteilte, da? sie dort lediglich einen ordentlichen Vorrat Wein fur den personlichen Bedarf des Schiffsarztes ubernehmen wollten.
        Dumaresq hatte den Bericht uber den Tod des Matrosen offenbar im Logbuch gelesen, aber Bolitho nicht daraufhin angesprochen. Auf See kamen mehr Manner durch Unfalle um als durch Kugeln und Enterbeile.
        Doch Bolitho fuhlte sich schuldig. Little und Forster, ihm an Lebensjahren und Erfahrung weit voraus, hielten seiner Meinung nach nur zu ihm, weil er ihr Vorgesetzter war.
        Forster hatte lediglich bemerkt:»Tja, wir waren in dem Augenblick vielleicht nicht ganz auf Draht, Sir.»
        Und alles, was Little dazu sagte, war:»Hatte schlimmer kommen konnen, Sir.»
        Es war erstaunlich, welche Wandlung die schlie?liche Wetterbesserung brachte. Das Schiff erwachte wieder zum Leben, und die Manner packten zu, ohne sich erst angstlich umzuschauen oder sich mit beiden Handen an den Wanten festzuklammern, wenn sie aufentern sollten.
        Am Morgen des siebten Tages, als die Dufte aus der Kombuse zu ersten Wetten verfuhrten, was es wohl zu essen gab, rief plotzlich der Ausguck im Vortopp:»An Deck! Land in Sicht! Land voraus in Lee!»
        Bolitho hatte gerade Wache und bat Merrett, ihm ein Fernrohr zu bringen. Der Midshipman sah nach dem Sturm und einer Woche hartester Anstrengungen aus wie ein geschrumpfter alter Mann, aber er war noch ganz munter und kam beim Wachwechsel nie zu spat.

«Lassen Sie mich sehen. «Bolitho richtete das Fernrohr durch eine Lucke in den schwarzen Wanten in die vom Ausguck gemeldete Richtung.
        Dumaresq Stimme lie? ihn zusammenfahren.»Das ist Madeira, Mr. Bolitho. Eine zauberhafte Insel.»
        Bolitho tippte an seinen Hut. Fur einen Mann seiner Statur bewegte der Kommandant sich erstaunlich gerauschlos.

«Es - hm - entschuldigen Sie, Sir.»
        Dumaresq lachelte und nahm das Teleskop aus Bolithos Handen. Wahrend er es auf die ferne Insel richtete, sagte er:»Als ich Wachoffizier war, habe ich immer dafur gesorgt, da? ein Mann meiner Wache aufpa?te und mich warnte, wenn der Kommandant auftauchte.»
        Er sah Bolitho an, wobei seine weit auseinanderstehenden, durchdringenden Augen irgend etwas in ihm zu suchen schienen.»Aber Sie machen so etwas naturlich nicht, nehme ich an. Noch nicht.»
        Er ubergab Merrett das Glas und setzte hinzu:»Schlie?en Sie sich mir an. Etwas Bewegung ist gut fur das innere Gleichgewicht.»
        So marschierten Kommandant und jungster Offizier der Destiny gemeinsam auf der Luvseite des Achterdecks auf und ab, wobei sie automatisch den Ringbolzen im Deck und den Taljen der Kanonen auswichen.
        Dumaresq erzahlte von seiner Heimat in Norfolk, aber nur von den Ortlichkeiten; von den Menschen dort erwahnte er nichts, sprach weder uber Freunde noch uber eine Frau. Bolitho versuchte, sich an Du-maresqs Stelle zu versetzen. Hier ging dieser lassig spazieren und unterhielt sich uber unwichtige Dinge, wahrend sein Schiff mit sauber getrimmten Segeln von einer gleichma?igen Brise vorangetrieben wurde. Er trug die Verantwortung fur alle, Offiziere, Matrosen und
        Seesoldaten, und fur all das, was ihnen bevorstand, ob sie nun segelten oder kampften. In diesem Augenblick steuerten sie eine fremde Insel an, und danach wurde die Reise sie sehr viel weiter fuhren.»Verantwortung kennt keine Grenzen«, hatte Bolithos Vater einmal gesagt. Und:»Fur jeden Kommandanten gibt es nur ein Gesetz: Wenn er Erfolg hat, werden andere die Fruchte ernten. Bleibt der Erfolg aus, fallt alle Schuld auf ihn.»
        Dumaresq fragte plotzlich:»Haben Sie sich eingelebt?»

«Ich denke schon.»

«Gut. Falls Sie immer noch uber den Tod des Matrosen grubeln, mu? ich Ihnen sagen: Horen Sie auf damit. Das Leben ist Gottes gro?te Gabe. Es aufs Spiel zu setzen, ist eine Sache; aber es wegzuwerfen, ist Betrug. Der Mann hatte kein Recht dazu. Wir vergessen es am besten. «Als Palliser an Deck erschien, wandte sich Dumaresq diesem zu. Palliser lupfte seinen Hut vor dem Kommandanten, doch sein Blick war auf Bolitho gerichtet.

«Zwei Manner zur Bestrafung, Sir. «Er hielt ihm sein Notizbuch hin.»Sie kennen beide.»
        Dumaresq verlagerte sein Gewicht auf die Fu?spitzen, bis es schien, als wurde sein schwerer Korper gleich die Balance verlieren.

«Erledigen Sie das bis zwei Glasen, Mr. Palliser. Wir wollen es hinter uns bringen, die Leute brauchen deswegen nicht ihre Mahlzeit aufzuschieben. «Er schlenderte nach achtern und nickte dabei dem Steuermannsmaat der Wache zu wie ein Gutsherr seinem Wildhuter.
        Palliser schlo? sein Notizbuch mit einem Knall.»Empfehlung an Mr. Timbrell, und sagen Sie ihm, er mochte eine Grating zur Bestrafung vorbereiten. «Dann kam er auf Bolithos Seite heruber.»Nun, was gab es?»
        Bolitho berichtete:»Der Kommandant hat mir von seinem Heim in Norfolk erzahlt, Sir.»
        Palliser schien irgendwie enttauscht.»Verstehe.»

«Warum tragt er eigentlich eine rote Weste, Sir?»
        Palliser bemerkte, da? der Wachtmeister mit dem Bootsmann zuruckkam.»Ich bin uberrascht, da? er Sie nicht auch in diesem Punkt ins Vertrauen gezogen hat.
«Bolitho verbarg ein Lacheln, als Palliser sich entfernte. Also wu?te der's offenbar auch nicht. Nach drei Jahren gemeinsamer Seefahrt war das immerhin erstaunlich.
        Bolitho stand neben Rhodes an der Heckreling und betrachtete das farbenfrohe Bild im Hafen und an der Pier von Funchal. Die Destiny lag vor Anker, nur die Gig des Kommandanten und ein Kutter waren bisher ausgesetzt und schaukelten an der Backspier. Es sah nicht so aus, als ob es Landurlaub fur alle geben wurde, dachte Bolitho.
        Einheimische Boote mit seltsam geschwungenen Vor- und Achtersteven umruderten die Fregatte, und die Insassen hielten Fruchte und bunte Schals, gro?e Weinflaschen und viele andere Dinge hoch, um die Seeleute, die auf den Laufbrucken oder in den Wanten herumlungerten, zum Kauf zu animieren.
        Die Destiny hatte sich am fruhen Nachmittag ihrem Ankerplatz genahert, und alle Leute waren an Deck, um sich nichts von dem Anblick der Insel, die Dumaresq mit Recht» zauberhaft «genannt hatte, entgehen zu lassen. Die Hugel hinter den wei?en Hausern bedeckten wunderschone Blumen und Busche, ein Anblick, der nach der wilden Fahrt durch die Biskaya den Augen besonders wohl tat. Diese Strapazen waren nun ebenso wie die beiden Auspeitschungen auf dem letzten Schlag vor dem Einlaufen vergessen.
        Rhodes zeigte lachelnd auf ein Boot mit drei dunkelhaarigen Madchen, die sich in ihre Kissen zurucklehnten und auffordernd zu den jungen Offizieren hinaufschauten. Es war klar, was sie zum Verkauf boten.
        Kapitan Dumaresq war an Land gegangen, kaum da? sich der Pulverqualm ihrer Salutschusse fur den portugiesischen Gouverneur verzogen hatte. Palliser gegenuber hatte er geau?ert, da? er zum Gouverneur gehe, um den ublichen Hoflichkeitsbesuch abzustatten: aber Rhodes sagte spater:»Fur einen rein gesellschaftlichen Besuch war er viel zu aufgeregt, Dick. Da lag Verschworung in der Luft oder ahnliches.»
        Die Gig war mit dem Befehl zuruckgekehrt, da? Lockyer, der Schreiber des Kommandanten, mit einigen Papieren aus dem Safe nachkommen solle. Jetzt stand er am Schanzkleid und machte sich mit seiner Dokumententasche wichtig, wahrend die Fallreepsgasten einen Bootsmannsstuhl an der Nock der Gro?rah befestigten, mit dem sie ihn in die Gig hinunterlassen wollten.
        Palliser trat zu ihnen und sagte verachtlich:»Schaut euch den alten Narren an. Geht nie an Land, aber wenn doch, dann mu? erst ein Fahrstuhl fur ihn aufgeriggt werden, damit er nicht vom Fallreep fallt und ertrinkt.»
        Rhodes grinste, als es endlich gelungen war, den Schreiber ins Boot zu fieren.»Er ist offenbar der Alteste an Bord.»
        Uber den Satz dachte Bolitho nach. Das war namlich eine der Entdeckungen, die er gemacht hatte: Sie waren eine sehr junge Besatzung, mit nur wenigen von den alteren Leuten dazwischen, wie er sie auf den gro?en Linienschiffen gewohnt gewesen war. Der Sailing Master eines Linienschiffs zum Beispiel war ublicherweise schon bejahrt, wenn er solch einen verantwortungsvollen Posten erreichte; aber ihr Gulliver war noch keine drei?ig.
        Die meisten Manner, die an den Netzen lehnten oder an Deck herumlungerten, sahen gesund aus: hauptsachlich ein Verdienst ihres Schiffsarztes, hatte Rhodes behauptet. Darin zeigte sich der Wert eines Arztes, der sich um die Leute kummerte und wu?te, wie man dem gefurchteten Skorbut und anderen Krankheiten vorbeugte, die ein ganzes Schiff lahmen konnten.
        Bulkley war einer der wenigen Bevorzugten, die an Land gehen durften. Der Kommandant hatte ihm befohlen, so viel frisches Obst und Fruchtsafte einzukaufen, wie er fur erforderlich hielt; Codd, der Zahlmeister, hatte ahnliche Anweisungen fur alles erreichbare Gemuse.
        Bolitho nahm den Hut ab und lie? die Sonne sein Gesicht warmen. Es ware schon gewesen, Funchal zu durchstreifen und dann in einer der schattigen Tavernen auszuruhen, von denen ihm Bulkley und andere erzahlt hatten.
        Die Gig hatte jetzt die Landungsbrucke erreicht, und einige Seesoldaten der Destiny bahnten dem alten Lockyer einen Weg durch die gaffende Menge.
        Palliser sagte:»Wie ich sehe, ist Ihr Schatten nicht fern.»
        Bolitho wandte den Kopf und sah Stockdale auf dem Batteriedeck neben einem Zwolfpfunder knien. Er horte Vallance, dem Oberfeuerwerker, aufmerksam zu und zeigte dann auf die Lafette. Bolitho sah, da? Vallance nickte und dann Stockdale anerkennend auf die Schulter klopfte.
        Das war ungewohnlich. Bolitho hatte schon mitbekommen, da? Val-lance nicht gerade der umganglichste Deckoffizier an Bord war. Er wachte eifersuchtig uber seinen Bereich, der von der Pulverkammer bis zur Geschutzbedienung reichte. Jetzt kam er nach achtern und tippte vor Palliser gru?end an den Hut.

«Dieser neue Mann Stockdale, Sir, hat ein Problem an der Kanone gelost, mit dem ich mich schon seit Monaten herumschlug. Es handelte sich um eine Neuerung, mit der ich bisher nicht glucklich war. «Er lachelte, was bei ihm selten vorkam. Stockdale meint, wir konnten die Lafette so umsetzen, da?…»
        Palliser hob beide Hande.»Sie uberraschen mich, Mr. Vallance. Aber tun Sie, was Sie fur richtig halten. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Ihr Stockdale ist zwar ziemlich schweigsam, scheint sich aber hier an Bord wohl zu fuhlen.»
        Bolitho bemerkte, da? Stockdale vorn Batteriedeck zu ihm heraufschaute. Als er ihm zunickte, leuchtete das zerschlagene Gesicht des Mannes im Sonnenlicht auf und warf ein Lacheln zuruck.
        Jury, der Midshipman der Wache, rief:»Gig sto?t von Land ab, Sir!»

«Das ging aber schnell. «Rhodes griff nach einem Fernrohr.»Wenn der Kommandant schon zuruckkommt, lasse ich am besten. «Er schnappte nach Luft und setzte schnell hinzu:»Sir, sie bringen Lok-kyer zuruck!»
        Palliser nahm ein zweites Glas und richtete es auf die grungestrichene Gig. Dann sagte er ruhig:»Der Schreiber ist tot. Sergeant Bar-mouth halt ihn.»
        Bolitho lie? sich das Teleskop von Rhodes geben. Im ersten Augenblick bemerkte er nichts Ungewohnliches. Die schlanke Gig naherte sich schnell, die wei?en Riemenblatter hoben und senkten sich in flottem Takt, denn die Manner in ihren rot-wei?-karierten Hemden und mit den geteerten Huten legten sich kraftig ins Zeug.
        Als die Gig einen Bogen fuhr, um einem treibenden Baumstamm auszuweichen, sah Bolitho, da? Barmouth, der Sergeant der Seesoldaten, den sparlich behaarten Kopf des Schreibers so hielt, da? er nicht auf die Kissen des Hecksitzes fiel. Eine schreckliche Wunde lief quer uber Lockyers Kehle; im Sonnenlicht hatte sie die gleiche rote Farbe wie der Waffenrock des Soldaten.
        Rhodes murmelte:»Ausgerechnet jetzt ist der Schiffsarzt an Land. Mein Gott, das wird eine schone Bescherung!»
        Palliser schnippte mit den Fingern.»Wo ist dieser Mann, den Sie mit den anderen Neuen an Bord brachten? Dieser Apothekergehilfe, Mr. Bolitho!»
        Rhodes antwortete schnell:»Ich hole ihn, Sir. Er hat schon Aushilfsdienst im Krankenrevier gemacht.»
        Palliser sah Jury an.»Sagen Sie dem Bootsmannsmaat der Wache, er soll Leute zum Bootshei?en holen!«Er rieb sich das Kinn.»Das war kein Unfall.»
        Die Boote der Einheimischen machten Platz, damit die Gig an den Gro?rusten anlegen konnte.
        Als die schlanke, unaufgeklarte Gig hochgehei?t und uber die Laufbrucke eingeschwungen wurde, ging es wie ein Aufstohnen durchs Schiff. Blut rann aus dem Boot an Deck, und Bolitho sah, wie der Apothekergehilfe mit Rhodes herbeieilte, um den leblosen Korper in Empfang zu nehmen.
        Der Name des Apothekergehilfen war Spillane: ein stets ordentlich gekleideter, aber verschlossener Mann, eigentlich nicht der Typ, der eine sichere Stellung an Land einem Abenteuer zuliebe oder» um Erfahrungen zu sammeln «verlie?, dachte Bolitho. Aber jetzt schien er sich kompetent zu fuhlen; als Bolitho sah, wie er den Matrosen Anweisungen gab, war er froh, da? sie ihn an Bord hatten.
        Sergeant Barmouth berichtete:»Also, Sir, ich hatte dafur gesorgt, da? der Schreiber sicher durch die Menge kam, und wollte gerade meinen Platz an der Landungsbrucke wieder einnehmen, als ich einen Schrei horte. Gleich darauf brullten alle durcheinander - Sie wissen ja, wie das in dieser Weltgegend ublich ist, Sir.»
        Palliser nickte.»Verstehe, Sergeant. Und was geschah dann?»

«Ich fand Lockyer in einer Gasse, Sir. Mit durchgeschnittener Kehle. «Barmouth wurde bla?, als er seinen eigenen Vorgesetzten uber das Achterdeck auf sich zukommen sah. Nun wurde er alles noch einmal fur Colpoys wiederholen mussen. Der Leutnant der Seesoldaten liebte es nicht - wie die meisten seiner Zunft -, wenn die Marineoffiziere sich in seine Angelegenheiten mischten, egal, wie dringend sie waren.
        Palliser fragte kuhl:»Lockyers Tasche fehlte?«»Jawohl, Sir!»
        Palliser kam zu einem Entschlu?.»Mr. Bolitho, nehmen Sie den
        Kutter, einen Midshipman und sechs Mann. Ich gebe Ihnen die Adresse, wo Sie den Kommandanten finden. Melden Sie ihm, was geschehen ist. Keine Dramatisierung, nur die Tatsachen, soweit Sie sie kennen.»
        Bolitho beruhrte kurz seinen Hut. Er war uberrascht, obwohl er noch unter dem Schock des plotzlichen Todes von Lockyer stand. Also wu?te Palliser doch mehr von der Mission des Kommandanten, als er bisher zugegeben hatte. Und als Bolitho den Zettel mit dem Stra?ennamen und einer kleinen Kartenskizze musterte, den Palliser ihm in die Hand druckte, wu?te er, da? dies weder die Residenz des Gouverneurs war noch irgendein anderes offizielles Gebaude.

«Nehmen Sie Mr. Jury, und suchen Sie sich selber die sechs Manner zusammen. Ich mochte aber, da? sie anstandig aussehen.»
        Bolitho nickte Jury zu und horte noch, wie Palliser zu Rhodes sagte:»Ich hatte Sie schicken konnen, aber Bolitho und Jury haben noch nagelneue Uniformen und bringen damit unser Schiff weniger in Mi?kredit.»
        In kurzester Zeit sa?en sie im Kutter und pullten zum Ufer. Bolitho war erst eine Woche auf See, aber die Zeit schien ihm viel langer, so stark war der Wechsel seiner Umgebung.
        Jury sagte:»Vielen Dank, da? Sie mich mitgenommen haben, Sir.»
        Bolitho dachte an Pallisers letzten Satz; dieser konnte es einfach nicht lassen, einen sarkastischen Hieb auszuteilen. Und doch war er es gewesen, der an Spillane gedacht und au?erdem gesehen hatte, was Stockdale mit der Kanone anfing. Ein Mann mit vielen Gesichtern, dachte Bolitho.
        Er antwortete:»Achten Sie darauf, da? die Manner sich nachher nicht zerstreuen.
«Er brach ab, als er Stockdale entdeckte, der halb von den Ruderern verdeckt - vorn im Boot sa?. Irgendwie hatte er es geschafft, sich schnell in ein kariertes Hemd und eine wei?e Hose zu werfen und mit einem Entermesser zu bewaffnen.
        Stockdale tat, als bemerke er Bolithos Verwunderung nicht.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Ich glaube nicht, da? Sie Arger mit den Leuten haben werden.»
        Was hatte der gro?e Boxer gesagt?» Ich werde Sie nicht verlassen. Niemals.»
        Der Bootssteurer schatzte den Abstand zur Landungsbrucke, legte dann hart Ruder und befahl:»Riemen ein!»
        Der Kutter kam an ein paar Steinstufen zum Stehen, der Bugmann piekte den Bootshaken in einen rostigen Eisenring. Bolitho zog sein Sabelgehange zurecht und schaute zu der neugierigen Menge auf. Sie schien freundlich gesonnen; doch wenige Meter entfernt war ein Mann ermordet worden.
        Er befahl:»Auf der Pier antreten!»
        Am Kopf der Treppe gru?te er Colpoys' Wachtposten. Die Seesoldaten machten einen recht frohlichen Eindruck und rochen trotz ihrer strammen Haltung stark nach Alkohol. Einer von ihnen trug sogar eine Blume am Kragen.
        Bolitho schaute sich um und steuerte mit so viel Selbstvertrauen, wie er aufbringen konnte, auf die nachste Stra?e zu. Die sechs Matrosen marschierten hinter ihm her und tauschten dabei Blicke und Winke mit der auf Balkons und in Fenstern ausliegenden Weiblichkeit.
        Jury fragte:»Wer konnte ein Interesse daran haben, den armen Lok-kyer zu ermorden, Sir?»

«Das frage ich mich auch. «Er zogerte einen Augenblick und wandte sich dann in eine enge Gasse, uber der sich die Dacher der anliegenden Hauser so nahe kamen, als wollten sie den Himmel ganz ausschlie?en. Es duftete intensiv nach Blumen, und in einem der Hauser spielte jemand auf einem Saiteninstrument.
        Bolitho studierte noch einmal seinen Zettel und musterte dann ein schmiedeeisernes Tor, das auf einen Hof fuhrte, in dessen Mitte ein Brunnen platscherte. Sie waren da.
        Er sah, wie Jury mit gro?en Augen all die fremden Dinge betrachtete, und erinnerte sich, wie er selber einst bei ahnlicher Gelegenheit gestaunt hatte.
        Leise sagte er:»Sie kommen mit. «Dann hob er die Stimme.»Stockdale, Sie haben hier die Aufsicht. Niemand entfernt sich ohne meinen ausdrucklichen Befehl. Verstanden?

        Stockdale nickte grimmig. Er plante sicherlich, jeden, der gegen den Befehl verstie?, zusammenzuschlagen.
        Ein Diener fuhrte Bolitho in einen kuhlen Raum uber dem Hof, wo Dumaresq und ein alterer Herr mit wei?em Spitzbart und einer Haut, die wie weiches Wildleder aussah, sa?en und Wein tranken.
        Dumaresq stand nicht auf.»Nun, Mr. Bolitho?«Wenn er uber ihr unerwartetes Kommen beunruhigt war, so verbarg er es gut.»Was gibt es?»
        Bolitho warf einen zweifelnden Blick auf den alten Herrn, doch Dumaresq sagte kurz:»Wir sind unter Freunden.»
        Bolitho erzahlte, was von dem Augenblick an geschehen war, als der Schreiber das Schiff mit seiner Tasche verlassen hatte.
        Dumaresq stellte fest:»Sergeant Barmouth ist kein Dummkopf. Wenn die Tasche noch da gewesen ware, hatte er sie gefunden. «Er wandte sich um und sagte etwas zu seinem Gastgeber. Dieser schien zu erschrecken, bevor er seine ursprungliche Haltung zuruckgewann.
        Bolitho spitzte die Ohren. Dumaresqs Gastgeber lebte zwar auf dem portugiesischen Madeira, doch der Kommandant hatte offenbar mit ihm spanisch gesprochen.
        Dumaresq befahl:»Gehen Sie zuruck an Bord, Mr. Bolitho. Eine Empfehlung an den Ersten Offizier, und melden Sie ihm, er soll den Schiffsarzt und alle anderen Leute an Land sofort zuruckrufen. Ich beabsichtige, noch vor Anbruch der Nacht Anker zu lichten.»
        Bolitho dachte jetzt nicht an die Schwierigkeiten, ja an das offensichtliche Risiko, den Hafen bei Dunkelheit zu verlassen. Er verstand die plotzliche Eile und die Dringlichkeit, die durch die Ermordung Lockyers ausgelost worden war.
        Er machte eine Verbeugung vor dem alten Herrn und sagte:»Ein wunderschones Haus, Sir.»
        Der alte Herr lachelte und ve rneigte sich leicht.
        Bolitho ging die Treppe hinunter, Jury immer hinter sich, und uberlegte, da? sein Gastgeber offensichtlich verstand, was er uber das schone Haus gesagt hatte. Wenn Dumaresq also mit ihm spanisch und nicht englisch gesprochen hatte, dann nur, damit er und Jury ihn nicht verstanden.
        Er beschlo?, diese Erkenntnis als einen Teil des Ratsels fur sich zu behalten.
        Noch in derselben Nacht fuhrte Dumaresq sein Schiff wie angekundigt wieder auf See. Bei leichtem Wind lediglich unter Marssegeln und Kluver, wand sich die Destiny - gefuhrt von einem Kutter mit einer Laterne am Heck, die ihr wie ein Gluhwurmchen den Weg wies - zwischen den anderen vor Anker liegenden Schiffen hindurch.
        Bei Tagesanbruch lag Madeira schon wie ein purpurfarbener Hocker weit achteraus am Horizont. Aber Bolitho war gar nicht sicher, da? das Geheimnis mit der Gasse hinter ihnen zuruckbleiben wurde, in der Lockyer seinen letzten Atemzug getan hatte.



        IV Spanisches Gold

        Leutnant Charles Palliser schlo? die beiden au?eren Lamellenturen von Dumaresqs Kajute und meldete:»Alle versammelt, Sir. «Offiziere und altere Deckoffiziere der Destiny schauten in unterschiedlicher Haltung Dumaresq erwartungsvoll entgegen. Es war zwei Tage nach ihrem Auslaufen von Madeira, am spaten Nachmittag. Auf dem Schiff war eine Art lassiger Ruhe eingekehrt. Ein leichter Nordostwind trieb es auf Backbordbug stetig in die Weite des Atlantiks hinaus.
        Dumaresq warf einen Blick zum Oberlicht hinauf, auf das ein Schatten gefallen war, wahrscheinlich vom Steuermannsmaat der Wache.

«Schlie?en Sie auch das!»
        Bolitho musterte seine Gefahrten und fragte sich, ob sie seine wachsende Neugierde teilten.
        Diese Zusammenkunft war unvermeidbar gewesen, aber Dumaresq hatte es gro?e Muhe gekostet, ihnen mitzuteilen, da? sie einberufen wurde, sobald das Schiff frei von Land sei.
        Dumaresq wartete, bis Palliser sich wieder gesetzt hatte. Dann sah er sie der Reihe nach an. Sein Blick wanderte vom Offizier der Seesoldaten uber den Arzt, den Master und den Zahlmeister schlie?lich zu seinen drei Seeoffizieren.
        Er sagte:»Sie alle sind uber den Tod meines Schreibers informiert. Ein zuverlassiger Mann, auch wenn er einige sonderbare Gewohnheiten hatte. Es wird schwer sein, ihn zu ersetzen. Indessen bedeutet seine Ermordung durch unbekannte Tater mehr als nur den Verlust eines Gefahrten. Ich habe einige Geheimbefehle, uber die ich Sie nun, da die Zeit dafur gekommen ist, in groben Zugen ins Bild setzen mu?. Es hei?t zwar, wenn zwei Leute von einer Sache wissen, ist sie nicht langer ein Geheimnis. Doch ein sehr viel argerer Feind auf einem kleinen Schiff sind Geruchte und das, was sie anrichten konnen.»
        Bolitho zuckte zusammen, als der fordernde Blick des Kommandanten einen Augenblick auf ihm ruhte, bevor er weiter in der Kajute herumwanderte.
        Dumaresq sagte:»Vor drei?ig Jahren, also bevor die meisten in unserer Mannschaft ihren ersten Atemzug taten, fuhrte ein Kommodore Anson eine Expedition um Kap Hoorn in die Gro?e Sudsee. Seine Aufgabe war es, spanische Niederlassungen zu beunruhigen, denn - wie Sie wissen sollten - wir standen damals im Krieg mit den Dons. «Er nickte grimmig.»Wieder einmal.»
        Bolitho dachte an den vornehmen Spanier in dem Haus hinter dem Hafen von Funchal, an die Geheimnistuerei und an die verschwundene Dokumententasche, fur die ein Mann hatte sterben mussen.
        Dumaresq fuhr fort:»Eines ist sicher: Kommodore Anson mag ein mutiger Mann gewesen sein, aber was ihm fur die Gesunderhaltung seiner Besatzungen einfiel, war mehr als bescheiden. «Er schaute seinen rundlichen Schiffsarzt an und erlaubte seinen Zugen, sich zu entspannen.»Anders als bei uns. Aber vielleicht hatte er keine erfahrenen Arzte, die ihn beraten konnten.»
        Einige kicherten, und Bolitho nahm an, die Bemerkung war zur allgemeinen Entspannung eingeflochten worden.
        Dumaresq fuhr fort:»Mag dem gewesen sein, wie es will, jedenfalls hatte Anson innerhalb von drei Jahren alle Schiffe seines Geschwaders au?er der Centurion eingebu?t und dreizehnhundert seiner Leute auf See bestattet. Die meisten starben an Seuchen, Skorbut und schlechter Ernahrung. Es ist anzunehmen, da? man Anson vor ein Kriegsgericht gestellt hatte, auch wenn er ohne weitere Zwischenfalle heimgekommen ware.»
        Rhodes rutschte auf seinem Stuhl, und seine Augen glanzten, als er Bolitho zuflusterte:»So etwas habe ich mir doch gedacht, Dick.»
        Ein Blick von Dumaresq unterband, was Rhodes sonst noch hatte mitteilen wollen.
        Der Kommandant schnippte unsichtbaren Staub von seiner Weste.»Anson stie? auf ein spanisches Schatzschiff, das mit Goldbarren im Schatzwert von uber einer Million Guineen heimwarts segelte.»
        Bolitho erinnerte sich dunkel, da? er etwas von dem Vorfall gelesen hatte. Anson hatte das Schiff nach kurzem Gefecht genommen. Er hatte seine Aktion zeitweise sogar unterbrochen, damit die Spanier ein Feuer, das in ihrer Takelage ausgebrochen war, loschen konnten. Er war namlich erpicht darauf gewesen, das Schatzschiff - die Nuestra Senora de Covadonga - intakt in die Hand zu bekommen. Prisengerichte und die Gewaltigen der Admiralitat hatten seit langem auf solch einen Erfolg gewartet, der ihnen wichtiger war als die Menschenleben, die seinetwegen verloren wurden.
        Dumaresq hob den Kopf und gab seine entspannte Haltung einen Augenblick auf. Auch Bolitho horte den Ruf vom Ausguck im Masttopp, der ein entferntes Segel in Richtung Nord meldete. Sie hatten es schon zweimal an diesem Tag gesichtet, denn es war unwahrscheinlich, da? sich mehr als ein fremdes Schiff auf diesem abgelegenen Kurs befand.
        Der Kommandant zuckte mit den Schultern.»Spater. «Er verbreitete sich nicht weiter daruber, sondern fuhr fort:»Bis vor kurzem war nicht bekannt, da? damals ein zweites Schatzschiff nach Spanien unterwegs war. Es war die Asturias, und sie war gro?er als Ansons Prise und schwerer beladen. «Er warf dem Arzt einen Blick zu. Ich sehe, Sie haben davon gehort?»
        Bulkley lehnte sich zuruck und verschrankte die Hande uber seinem ansehnlichen Bauch.»Das habe ich, Sir. Die Asturias wurde von einem britischen Freibeuter unter dem Kommando eines jungen Mannes aus Dorset, Kapitan Piers Garrick, angegriffen. Sein koniglicher Kaperbrief rettete ihn mehrmals vor dem Galgen, an dem er als gemeiner Pirat gelandet ware, und heute ist er Sir Piers Garrick, ein hochangesehener Mann und bis vor kurzem Inhaber mehrerer Regierungsamter in der Karibik.»
        Dumaresq lachelte ingrimmig.»Das ist wahr, aber ich empfehle, da? Sie Ihre sonstigen Vermutungen auf den Bereich der Offiziersmesse beschranken. Die Asturias wurde nie gefunden, und Garricks Freibeuter wurde bei der Auseinandersetzung so schwer beschadigt, da? er ebenfalls aufgegeben werden mu?te.»
        Er schaute irritiert in die Runde, als der Posten vor der Kajute durch die Tur rief:»Midshipman der Wache, Sir!»
        Bolitho konnte sich die Aufregung auf dem Achterdeck vorstellen: Sollten sie die Zusammenkunft unter ihren Fu?en storen und Duma-resqs Unwillen in Kauf nehmen? Oder sollten sie das Verhalten des fremden Schiffes einfach in die Logkladde eintragen und das Beste hoffen?
        Dumaresq sagte:»Soll hereinkommen!«Er schien seine Stimme nicht ein bi?chen zu heben, und doch drang sie muhelos bis zum vorderen Teil der Kajute.
        Es war Midshipman Cowdroy, ein sechzehn Jahre alter Bursche, den Dumaresq schon einmal wegen unnotiger Strenge gegen Leute seiner Wache bestraft hatte.
        Er sagte:»Meldung von Mr. Slade, Sir: Der Ausguck hat das fremde Segel wieder in nordlicher Richtung gesichtet. «Er schluckte vor Aufregung und schien unter dem Blick des Kommandanten zusammenzuschrumpfen.
        Dumaresq sagte schlie?lich:»Verstanden. Aber wir werden nichts unternehmen. «Als die Tur sich hinter Cowdroy geschlossen hatte, setzte er hinzu:»Obwohl ich annehme, da? der Fremde nicht rein zufallig hinter uns hersegelt.»
        Auf der Back wurde die Schiffsglocke angeschlagen. Dumaresq fuhr unbeirrt fort: Nach neuesten, zuverlassigen Informationen ist der gro?te Teil des Schatzes noch vorhanden: eineinhalb Millionen in Goldbarren.»
        Sie starrten ihn an, als hatte er eine ungeheuerliche Obszonitat von sich gegeben.
        Rhodes fa?te sich als erster.»Und wir sollen ihn finden, Sir?»
        Dumaresq lachelte ihn an.»Wie Sie es ausdrucken, klingt es sehr einfach, Mr. Rhodes, und vielleicht finden wir ihn auch einfach so. Aber solch ein riesiger Schatz hat sicherlich bereits einiges Aufsehen erregt. Die Dons werden ihn als rechtma?iges Eigentum reklamieren. Ein Prisengericht wird dagegen vielleicht argumentieren, da? das Schiff bereits von Garrick erobert war, bevor es fluchten und sich verbergen konnte. Der Goldschatz sei damit Eigentum Seiner Britischen Majestat. «Er senkte die Stimme.»Und dann gibt es noch andere, die gern die Hand darauf legen und einen Fall daraus machen wurden, der uns nichts als Unheil bringen durfte. So, meine Herren, jetzt wissen Sie Bescheid. Unser Auftrag hei?t nach au?en hin, da? wir einen Auftrag des Konigs erledigen. Aber wenn die Nachricht von dem Schatz sich plotzlich uberall herumgesprochen hat, mochte ich wissen, wer dahintersteckt.»
        Palliser erhob sich, verga? dabei aber nicht, den Kopf einzuziehen, der sonst an die Decksbalken gesto?en ware. Die ubrigen taten es ihm nach.
        Dumaresq wandte sich um und schaute auf die glitzernde See, die sich achteraus bis zum Horizont erstreckte.

«Wir segeln zunachst nach Rio. Dort hoffe ich, mehr zu erfahren.»
        Bolitho hielt den Atem an. Sudamerika, Rio de Janeiro, das lag uber funftausend Meilen von Falmouth entfernt. So weit weg von zu Hause war er noch nie gewesen.
        Als sie Anstalten machten zu gehen, sagte Dumaresq:»Mr. Palliser und Mr. Gulliver bleiben noch hier.»
        Palliser rief Bolitho nach:»Ubernehmen Sie bitte meine Wache, bis ich Sie ablose!»
        Sie verlie?en die Kajute, jeder mit seinen Gedanken beschaftigt. Ihr ferner Bestimmungsort wurde den Matrosen ziemlich gleichgultig sein. Ob nah oder fern, uberall war Ozean, immer blieb das Schiff sich gleich. Da mu?ten Segel gesetzt, getrimmt, geborgen werden - was auch geschah, am harten Leben des Seemanns anderte sich nicht viel, ob nun England oder die Arktis ihr Ziel war. Aber wenn erst das Gerucht uber einen Goldschatz im Schiff herum war, mochte sich manches andern.
        Als er zum Achterdeck hinaufstieg, bemerkte Bolitho, da? die Leute, die sich zur Wachablosung versammelten, ihn neugierig anschauten, aber wegsahen, wenn sein Blick auf sie fiel. Es hatte den Anschein, da? sie schon alles wu?ten.
        Slade beruhrte seinen Hut:»Die Wache ist angetreten, Sir.»
        Er war ein harter Steuermannsmaat und bei vielen Leuten unbeliebt, besonders bei denen, die seinen hohen Anforderungen an seemannisches Konnen nicht gerecht wurden.
        Bolitho wartete, da? die Leute am Ruderrad abgelost wurden, der ubliche Vorgang bei Ubergabe einer Wache. Ein Blick dann nach oben zum Stand der Segel und Rahen, Uberprufung des Kompasses und der Notizen, die der Midshipman der Wache mit Kreide auf eine Schiefertafel geschrieben hatte.
        Gulliver kam an Deck und pre?te die Handflachen zusammen wie immer, wenn er nervos war.
        Slade fragte:»Schwierigkeiten, Sir?»
        Gulliver sah ihn nachdenklich an. Es war zu kurze Zeit her, da? er selber sich noch in Slades Stellung befunden hatte, um die Bemerkung als harmlos anzusehen. Wollte Slade sich damit beliebt machen? Oder sollte anklingen, da? er sich schon den Offizieren der Messe zugehorig fuhlte?
        Er befahl kurz:»Beim nachsten Wechsel des Halbstundenglases werden wir Kurs andern. «Er warf einen Blick auf den kardanisch aufgehangten Kompa?.»Neuer Kurs dann Sudwest zu West. Der Kommandant beabsichtigt, die Bramsegel zu setzen, obwohl ich bezweifle, da? wir ihr bei diesem leichten Wind damit auch nur einen weiteren Knoten herauskitzeln konnen.»
        Slade schielte zum Ausguck im Vortopp hinauf.»Das fremde Segel hat also doch etwas zu bedeuten.»
        Pallisers Stimme eilte ihm beim Hochkommen auf dem Niedergang voraus:»Es bedeutet, Mr. Slade, da? - wenn das Segel morgen fruh immer noch da ist - es uns tatsachlich verfolgt.»
        Bolitho bemerkte Besorgnis in Gullivers Blick und erriet, was Du-maresq ihm und Palliser gesagt haben mochte.

«Ich nehme an, wir konnen nichts dagegen unternehmen, Sir. Wir sind nicht im Krieg.»
        Palliser sah ihn ruhig an.»Wir konnen eine ganze Menge dagegen tun. «Er nickte, um diese Feststellung zu bekraftigen.»Seien Sie also auf alles gefa?t.»
        Als Bolitho sich anschickte, das Achterdeck Pallisers Aufsicht zu uberlassen, rief dieser ihm nach:»Und ich werde genau darauf achten, wie lange Ihre Bummelanten brauchen, wenn ich alle Mann zum Bramsegelsetzen rufen lasse!»
        Bolitho deutete eine Verbeugung an.»Es wird mir eine Ehre sein,
        Sir.»
        Rhodes erwartete ihn unten auf dem Batteriedeck.»Gutgemacht, Dick. Er wird Sie respektieren, wenn Sie ihm kontra geben.»
        Sie gingen nach achtern zur Messe, und Rhodes sagte:»Sie wissen, da? unser 'Herr und Meiste' beabsichtigt, das andere Schiff aufzubringen, nicht wahr, Dick?»
        Bolitho warf seinen Hut auf eine der Kanonen und lie? sich am Tisch nieder.

«Ich nehme es an. «Seine Gedanken wanderten wieder zuruck zu den Klippen und Buchten von Cornwall.»Voriges Jahr, Stephen, machte ich Vertretungsdienst auf einem Zollkutter.»
        Rhodes wollte gerade eine witzige Bemerkung dazu machen, als er in Bolithos Augen aufsteigenden Kummer gewahrte.
        Bolitho sagte:»Es gab da einen Mann, einen gro?en und angesehenen Gutsbesitzer. Er starb bei dem Versuch, aus dem Lande zu fluchten. Ihm war nachgewiesen worden, da? er Waffen fur den Aufstand in Amerika geschmuggelt hatte. Vielleicht denkt der fremde Kommandant, hier liege ein ahnlicher Fall vor, und all die Jahre habe das Gold nur auf die richtige Verwendung gewartet.«Uberrascht von seinem eigenen Ernst, zog Bolitho ein Gesicht.»Aber lassen Sie uns uber Rio sprechen. Ich freue mich schon darauf.»
        Colpoys schenderte herein und lie? sich umstandlich auf einem Stuhl nieder.
        Er sagte zu Rhodes:»Der Erste Offizier la?t Ihnen sagen, Sie mochten einen Midshipman zur Schreibarbeit in der Kajute abstellen. «Er schlug die Beine ubereinander und bemerkte spottisch:»Wu?te gar nicht, da? unsere jungen Herren des Lesens und Schreibens kundig sind.»
        Ihr Gelachter erstarrte, als der Schiffsarzt mit ungewohnlich ernster Miene eintrat und nach einem prufenden Blick in die Runde sagte:»Der Oberfeuerwerker hat mir gerade interessante Dinge erzahlt. Einer seine Maate hat ihn gefragt, ob sie die Kugeln der Zwolfpfunder umstauen sollten, um Platz fur die Goldbarren zu schaffen. «Er lie? seine Worte einsickern.»Wie lange ist es her? Funfzehn Minuten, zehn? Es wird das am kurzesten bewahrte Geheimnis aller Zeiten gewesen sein.»
        Bolitho lauschte dem regelma?igen Knarren und Quietschen der Takelage und den Schritten der Wache auf dem Deck uber ihnen.

«Seien Sie auf alles gefa?t«, hatte Palliser gesagt. Der Satz hatte plotzlich noch eine andere Bedeutung bekommen.
        Am Morgen nach Dumaresqs Enthullungen uber das Schatzschiff stand das fremde Segel noch immer weit achteraus.
        Bolitho hatte die Morgenwache und spurte die wachsende Spannung, als das Licht uber dem ostlichen Horizont zunahm und die Gesichter um ihn herum Form und personliche Zuge gewannen.
        Dann kam der Ruf:»An Deck! Segel in Nordost!»
        Dumaresq schien darauf gewartet zu haben. Innerhalb weniger Minuten erschien er an Deck, und nach einem fluchtigen Blick auf den Kompa? und die lose killenden Segel bemerkte er:»Der Wind hat abgeflaut. «Er schaute Bolitho an.»Das ist ein mieses Geschaft!«Er ri? sich sofort wieder zusammen und sagte:»Ich werde jetzt erst einmal fruhstucken. Schicken Sie Mr. Slade nach oben, sobald er auf Wache kommt. Er hat ein Auge fur Schiffe aller Art. Er soll sich den Fremdling anschauen, der - wei? Gott, wie er es macht - gewitzt genug ist, Fuhlung zu halten, ohne uns aus den Augen zu verlieren.»
        Bolitho sah Dumaresq nach, bis er nach unten verschwunden war, und blickte dann uber die ganze Lange der Destiny. Es war die geschaftigste Zeit an Bord. Matrosen schrubbten kniend mit Sandsteinen -»Gebetbuch «genannt - die Decksplanken, andere reinigten Kanonen oder uberholten unter Timbrells kritischen Blicken das stehende und laufende Gut der Masten. Die Seesoldaten ubten sich im komplizierten Exerzieren mit Musketen und aufgepflanzten Bajonetten, wobei Colpoys sich im Hintergrund hielt und die Arbeit seinem Sergeanten uberlie?.
        Beckett, der Schiffszimmermann, reparierte mit einigen Leuten die Backbord-Laufbrucke, die beschadigt worden war, als bei der Proviantubernahme ein Hilfskran uber ihr zusammengebrochen war. Das Oberdeck mit seiner doppelten Reihe von Zwolfpfundern wirkte wie Geschaftsstra?e und Marktplatz in einem, wo hart gearbeitet, aber auch munter geklatscht wurde; wo der einzelne sich drucken, aber auch seinen Vorgesetzten angenehm auffallen konnte.
        Spater, als die Decks aufgeklart waren, wurden die Manner zum Segelexerzieren gerufen, wobei Palliser seinen Stammplatz auf dem Achterdeck einnahm und ihre verzweifelten Bemuhungen uberwachte, ein Segel noch ein paar Sekunden schneller als das letzte mal zu reffen oder neu zu setzen.
        Und wahrend der ganzen Zeit, in der sie den Alltagsdienst auf einem Kriegsschiff erledigten, blieb das fremde Schiff stets hinter ihnen. Wie eine kleine Motte am Horizont war es immer da. Wenn die Destiny Segel wegnahm und dadurch ihr Fahrt verringerte, machte der Fremdling es ihr nach. Wurde mehr Leinwand gesetzt, meldete der Ausguck sofort das gleiche Manover bei dem Fremden.
        Dumaresq kam an Deck, als Gulliver gerade die Bemuhungen des
        Midshipman der Wache beaufsichtigte, die Mittagshohe der Sonne zu messen und damit ihren Standort zu bestimmen. Bolitho stand nahe genug, um seine Frage zu horen: Nun, Mr. Gulliver, wie wird das Wetter heute nacht?«Er schien ungeduldig, ja argerlich daruber zu sein, da? Gulliver seinen normalen Dienstobliegenheiten nachging.
        Der Master warf einen Blick zum Himmel und dann auf den roten Wimpel an der Mastspitze.»Der Wind hat etwas geraumt, Sir, aber seine Starke ist unverandert. Wir werden heute nacht keine Sterne haben, zu viele Wolken uber der Kimm.»
        Dumaresq bi? sich auf die Unterlippe.»Gut. Dann soll's geschehen. «Er wandte sich um und rief:»Holen Sie Mr. Palliser!«Er sah Bolitho.»Sie haben heute nachmittag die Hundewache. Sorgen Sie dafur, da? ein paar Lampen am Besanmast bereitgestellt werden. Ich mochte, da? unser Freund standig unsere Lichter sieht, es wird ihn beruhigen.»
        Bolitho bemerkte die Veranderung in dem Mann, die Kraft, die ihn wie eine Woge durchlief und seinen Verfolger zu vernichten drohte.
        Palliser kam nach achtern geeilt und blickte vorwurfsvoll drein, als er den Kommandanten wieder mit dem jungsten Offizier sprechen sah.

«Ah, Mr. Palliser, ich habe Arbeit fur Sie.»
        Dumaresq lachelte; aber an der Art, wie seine Gesichtsmuskeln zuckten und Rucken und Schultern sich strafften, konnte Bolitho erkennen, da? er nicht so gelassen war, wie er sich gab.
        Dumaresq machte eine weit ausholende Gebarde.»Ich mochte, da? die Barkasse bei Anbruch der Dunkelheit, bei schlechtem Licht noch fruher, bereit zum Aussetzen ist. Geben Sie bitte einem guten Mann das Kommando, und teilen Sie einige zusatzliche Leute ein, die den Mast in der Barkasse aufrichten und Segel setzen, sobald sie abgelegt hat. «Er beobachtete Pallisers undurchdringliche Miene und setzte hinzu:»Ich mochte, da? sie einige gro?e Lampen mitnehmen. Wir werden unsere eigenen loschen und das ganze Schiff verdunkeln, sobald die Barkasse von uns frei ist. Danach beabsichtige ich, einen Schlag nach Luv zu machen, dann zu wenden und abzuwarten.»
        Bolitho wandte sich um und schaute Palliser an. Ein anderes Schiff bei Dunkelheit anzugreifen, war nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
        Dumaresq fugte hinzu:»Ich lasse jeden Mann an Bord auspeitschen, der auch nur so viel Licht zeigt wie ein Gluhwurmchen.»
        Palliser beruhrte seinen Hut.»Ich kummere mich darum, Sir. Und das Kommando im Boot kann Mr. Slade ubernehmen. Er ist so scharf auf Beforderung, da? er sich daruber freuen wird.»
        Bolitho bemerkte mit Staunen, da? Dumaresq und der Erste Offizier einander anlachten wie zwei Schuljungen nach einem gelungenen Streich.
        Dumaresq schaute zum Himmel auf und wandte den Blick dann nach achtern. Nur vom Masttopp aus konnte man das andere Schiff sehen, aber es hatte den Anschein, als konne Dumaresq bis hinter den Horizont blicken. Er war jetzt wieder ganz ruhig und Herr seiner Gefuhle.
        Er sagte:»Davon werden Sie Ihrem Vater erzahlen konnen, Mr. Bo-litho. Es wurde ihm gefallen.»
        Ein Matrose mit einem Bunsch Tauwerk wie einem Bundel toter Schlangen uber der Schulter schlenderte vorbei: Stockdale. Als der Kommandant nach unten verschwand, flusterte er:»Greifen wir den da hinten an, Sir?«Bolitho zuckte die Achseln.»Ich - hm - ich glaube, ja. «Stockdale nickte kraftig.»Dann schleife ich mal mein Entermesser. «Und damit war der Fall fur ihn zunachst klar.
        Wieder allein mit seinen Gedanken, ging Bolitho zur Querreling und schaute hinab auf die Manner, die damit beschaftigt waren, die Barkasse aus der Reihe der ubrigen Boote freizulegen. Ob Slade wu?te, uberlegte er, wie gefahrlich sein Auftrag war? Wenn nun der Wind zunahm, nachdem die Barkasse losgeworfen hatte? Slade konnte Meilen von ihrem Kurs abgetrieben werden. Ihn wiederzufinden, wurde dann so schwer sein wie die Suche nach der beruhmten Stecknadel im Heuhaufen.
        Jury kam an Deck und trat nach einigem Zogern zu ihm an die Reling. Bolitho sah ihn erstaunt an.»Ich dachte, Sie waren achtern fur den armen Lockyer eingesprungen?»
        Jury hielt seinem Blick stand.»Ich habe den Ersten Offizier gefragt, ob er an meiner Stelle nicht Midshipman Ingrave einteilen konne. «Unter dem prufenden Blick Bolithos verlor er etwas von seiner gespielten Gelassenheit.»Ich wollte lieber in Ihrer Wache bleiben, Sir.»
        Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Auf Ihre eigene Verantwortung. «Aber er fuhlte sich trotzdem etwas geschmeichelt.
        Die Bootsmannsmaaten eilten von Luk zu Luk, lie?en ihre Silberpfeifen trillern und riefen dazwischen mit heiseren Stimmen die Wache nach oben, um die Barkasse auszusetzen.
        Jury lauschte dem Trillern und sagte:»Die Nachtigallen von Spithead sind heute abend mal wieder gro? in Form, Sir.»
        Bolitho verbarg ein Lacheln. Jury druckte sich wie ein Matrose aus, wie ein alter Seebar. Er sah ihn ernst an.»Sie setzen sich besser in Bewegung und schauen nach, ob mit den Lampen alles klappt. Anderenfalls wird Mr. Palliser uns beide in Stucke rei?en, furchte ich.»
        Als sich die Dammerung herabsenkte und ihre Vorbereitungen verhullte, meldete der Ausguck im Mast, da? das andere Segel noch immer in Sicht sei.
        Palliser tippte an seinen Hut, als der Kommandant an Deck kam.»Alles klar, Sir.»

«Sehr gut. «Dumaresqs Augen blitzten im Widerschein der aufgereihten Lampen. Nehmen Sie ein paar Segel weg, und dann klar zum Aussetzen des Bootes!«Er schaute hinauf, als das Gro?marssegel aufgegeit wurde und trage an seiner Rah schlug. Danach setzen wir sofort wieder jeden Fetzen, den wir haben. Wenn das Frettchen hinter uns ein Freund ist und sich nur bei uns angehangt hat, um unseren Schutz zu genie?en, werden wir es bald erfahren. Wenn nicht, Mr. Palliser, wird er einiges erfahren, das verspreche ich Ihnen.»
        Eine anonyme Stimme flusterte:»Kommandant kommt, Sir. «Palliser drehte sich um und wartete, da? Dumaresq zu ihm an die Reling trat. Schattenhaft schob sich Gulliver durch das Dunkel.»Kurs Ost zu Sud, Sir, voll und bei.«[Ausdruck fur ein hoch am Wind segelndes Schiff, dessen Segel trotzdem vollstehen.]
        Dumaresqs Antwort war ein kurzes Grunzen.»Sie hatten recht mit der sternenlosen Nacht, Mr. Gulliver, obwohl der Wind frischer ist als erwartet.»
        Bolitho stand mit Rhodes und drei Midshipmen auf der Leeseite des Achterdecks bereit, jeden plotzlich gegebenen Befehl auszufuhren. Und naturlich waren sie damit auch nahe genug, um an der weiteren
        Entwicklung und wachsenden Spannung teilzunehmen. Dumaresqs Bemerkung hatte geklungen, als mache er den Master fur den Wind verantwortlich.
        Bolitho schaute hinauf, und es uberlief ihn ein Schauer. Nachdem die Destiny sich muhsam ein gutes Stuck nach Luv hochgearbeitet hatte, war sie, wie von Dumaresq geplant, durch den Wind gegangen und sturzte sich nun mit einer steifen Brise von Backbord gegen die ansturmenden Seen, die an der Luvseite Gischt bis zur Takelage hinaufschickten und die an Deck hockenden Seeleute wie mit einem Tropenregen ubergossen.
        Die Segel der Destiny waren bis auf Marssegel und Kluver weggenommen; in die gro?e Breitfock jedoch waren nur zwei Reffs eingesteckt, fur den Fall, da? sie bei einer plotzlichen Kursanderung gesetzt werden mu?te.
        Rhodes murmelte:»Irgendwo da vorn ist das andere Schiff, Dick. «Bolitho nickte und versuchte, nicht an die Barkasse zu denken, die in der zunehmenden Dunkelheit bis auf ihre Lichter, die sich lebhaft im Wasser spiegelten, verschwunden war.
        Es war unheimlich, dieses totenstille, dunkle Schiff. Niemand sagte etwas, und die stark eingefetteten Blocke und Taljen lie?en ihr sonstiges Knarren und Quietschen vermissen. Zu horen waren nur die vorbeirauschenden Seen und das Gurgeln des durch die Speigatten ablaufenden Wassers, wenn die Destiny den Bug wieder einmal tief in ein Wellental gesteckt hatte.
        Bolitho versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was vor ihnen lag. Palliser hatte die besten Seeleute als Enterkommando ausgesucht, falls es dazu kam. Doch der auffrischende Wind konnte Dumaresqs Plane durchkreuzt haben, dachte Bolitho. Er horte Jury, der ruhelos an den Netzen hin und her ging, und Cowdroy, Rhodes' Midshipman, der schon zwei Jahre an Bord war: ein murrischer und uberheblicher Bursche von sechzehn Jahren, als Offizier ungeeignet. Rhodes hatte mehr als einmal Anla? gehabt, ihn beim Kommandanten zu melden, und das letztemal war er vom Bootsmann schandlich uber einen Sechspfunder gelegt und mit dem Stock gezuchtigt worden. Das schien ihn aber nicht geandert zu haben. Als dritter vervollstandigte der kleine Mer-rett, der sich wie ublich moglichst au?er Sichtweite hielt, das Trio. Rhodes sagte leise:»Jetzt ist es bald soweit, Dick. «Er lockerte den
        Sabel an seinem Gurtel.»Konnte ein Sklavenhandler sein, wer wei??»
        Yeames, Steuermannsmaat der Wache, sagte heiter:»Wohl kaum, Sir. Ein Schiff voll Sklaven wurden Sie jetzt schon riechen.»
        Palliser brummte argerlich:»Haltet den Mund!»
        Bolitho beobachtete, wie die See wei? schaumend uber die Leereling schlug. Dahinter sah er nichts als eine tiefschwarze Wand, nach oben durch eine gezackte Linie abgeschlossen. Schwarz wie Stiefelwichse, hatte Colpoys bemerkt. Seine Scharfschutzen hockten schon oben in den Masten, bemuhten sich, ihre Musketen trocken und gleichzeitig nach dem Fremdling Ausschau zu halten.
        Wenn der Kommandant und Gulliver die Zeit richtig berechnet hatten, mu?te der Fremde jetzt an Steuerbord voraus in Sicht kommen. Die Destiny wurde die bessere Position zum Wind haben und dadurch verhindern konnen, da? das andere Schiff ausri?. Die Manner der Steuerbordbatterie standen bereit, die Geschutzfuhrer knieten hinter den Rohren, um sie gleich nach dem Ausrennen auf den Feind richten zu konnen.
        Einer Zivilperson, die daheim in England am Kamin sa?, mochte das alles verruckt erscheinen. Aber fur Kapitan Dumaresq war es etwas ganz anderes, und darauf kam es an. Das andere Schiff, wer es auch sein mochte, mischte sich in Angelegenheiten des Konigs. Und das machte es zu seiner personlichen Angelegenheit, die nicht auf die leichte Schulter zu nehmen war.
        Bolitho uberlief ein neuer Schauer, als er an seine erste Begegnung mit dem Kommandanten dachte:»Loyalitat fur mich, das Schiff und seine Britannische Majestat, in dieser Reihenfolge.»
        Die Destiny hob ihren bebenden Kluverbaum wie eine Lanze und schien einen Augenblick bewegungslos uber dem nachsten Wellental zu schweben, bevor sie hinabfiel und mit ihrem Bug den nachsten Wasserberg teilte, wodurch eine Flut von Gischt uber der Back zusammenschlug.
        Aus dem Augenwinkel sah Bolitho, da? etwas von oben herunterfiel. Es schlug an Deck auf und explodierte mit lautem Knall.
        Rhodes duckte sich, als eine Kugel gefahrlich nahe an seinem Gesicht vorbeipfiff. Er schnappte nach Luft.»Da hat doch so ein verdammter Ochse seine Muskete fallen lassen!»
        Erschreckte Stimmen und wilde Fluche klangen vom Batteriedeck hoch, und Leutnant Colpoys rannte zum Huttenaufgang, um sich den Sunder zu kaufen.
        Das alles ereignete sich in schneller Folge. Die Explosion lenkte die Aufmerksamkeit der Offiziere und Seeleute nur wenige Augenblicke ab, wahrend sich die Destiny unbeirrt den nachsten Wellenbergen entgegenwarf.
        Palliser sagte argerlich:»Ruhe da, verdammt noch mal!»
        Bolitho wandte sich um und erstarrte, als aus der Finsternis, vor dem Winde herlaufend, das andere Schiff auftauchte, und zwar nicht in sicherem Abstand an Steuerbord, sondern ganz nahe an Backbord, wie ein Phantom uber ihrer Reling.

«Ruder hart Steuerbord!«Dumaresqs machtige Stimme brachte die verschreckten Leute wieder zu Besinnung.»An die Schoten, Halsen und Brassen! Soldaten auf dem Achterdeck - Achtung!»
        Sich aufbaumend und wieder tief eintauchend, mit donnernd schlagenden Segeln, drehte die Destiny von dem auf sie zukommenden Schiff weg. Geschutzbedienungen, die noch vor wenigen Minuten ihre Waffen fur das bevorstehende Gefecht klariert hatten, sturzten nach der ersten Uberraschung auf die andere Seite, um ihren Kameraden zu helfen, deren Zwolfpfunder noch festgezurrt hinter dichtverschlossenen Stuckpforten standen.
        Ein Brecher ergo? sich uber das Achterdeck und durchna?te alle dort Stehenden bis auf die Haut. Die Ordnung war jedoch schnell wiederhergestellt, und Bolitho sah Matrosen, die sich so stark in die Brassen legten, da? sie mit ihren Rucken fast das Deck beruhrten.
        Er brullte:»Achtung, Leute!«, und griff nach seinem Sabel, wahrend Rhodes und seine Midshipmen zum Vorschiff rannten.»Sie steuern direkt auf uns zu!»
        Ein Schu? warf sein Echo uber das Getose von See und Wind, doch ob er versehentlich oder gezielt abgefeuert worden war, interessierte Bolitho jetzt nicht.
        Er spurte Jury an seiner Seite.

«Was sollen wir tun, Sir?»
        Es klang verangstigt. Mit gutem Recht, dachte Bolitho. Merrett hatte sich an die Netze geklammert, als wolle er sie nie wieder loslassen. Bolitho kostete es gro?e Anstrengung, seine jagenden Gedanken unter Kontrolle zu bekommen. Er mu?te handeln. Niemand war da, der ihm Ratschlage oder Befehle gab. Jedermann auf dem Achterdeck war voll von seinen eigenen Aufgaben in Anspruch genommen.
        Er brachte es fertig zu sagen:»Bleiben Sie bei mir!«Dann rief er einem vorbeirennenden Mann zu:»Sie da, holen Sie die Leute von der Steuerbord-Batterie nach oben, wir mussen Enterer zuruckschlagen!»
        Wahrend Manner fluchend und schreiend in alle Richtungen rannten, horte Bolitho die Stimme Dumaresqs. Er stand auf der entgegengesetzten Seite des Achterdecks, aber es horte sich an, als sprache er direkt an Bolithos Ohr.

«Klar zum Entern, Mr. Bolitho!«Er wandte sich um, als Palliser weitere Leute an die Fallen, Geitaue und Gordings schickte, um durch Abdrehen die Gewalt des Zusammensto?es zu mildern.»Er darf uns nicht entwischen!»
        Bolitho starrte ihn entschlossen an.»Aye, Sir!«Er war gerade dabei, seinen Sabel zu ziehen, als das andere Schiff mit einem splitternden Drohnen breitseits gegen ihre Bordwand stie?. Wenn Dumaresq nicht so schnell gehandelt hatte, ware es mit dem Bug in sie hineingefahren und hatte sie wie mit einer gewaltigen Axt in zwe i Teile gespalten.
        Schreie verwandelten sich in Hilferufe, als eine wild durcheinandergeratene Masse von Tauwerk und gebrochenen Spieren auf Deck und zwischen die beiden Schiffsrumpfe prasselte. Manner wurden von den Fu?en gerissen, als die See die Schiffe anhob und noch einmal ge-geneinanderwarf, wobei ein weiteres Gewirr von Takelagenteilen und Blocken von oben kam. Einige Manner lagen darunter, aber Bolitho zog Jury am Arm und schrie:»Komm mit!«Er schwang seinen Sabel und schaute krampfhaft nicht auf das Wasser nieder, das zwischen den beiden Schiffen hochbrodelte. Ein Fehltritt, und alles war vorbei. Er sah Little ein Enterbeil schwingen und Stockdale, der sein Entermesser wie einen Dolch vor die breite Brust hielt.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen und machte einen Satz in die Wanten des anderen Schiffes. Seine Fu?e traten ins Leere, als sie nach einem Halt suchten. Sein Sabel war seiner Hand, die ein Stag gefa?t hatte, entglitten und schaukelte am Riemen bedrohlich von seinem Handgelenk, wahrend er keuchend um Halt kampfte. Andere Manner, die ebenfalls den Sprung gewagt hatten, tauchten neben ihm auf, doch einer hatte es nicht geschafft und war zwischen die beiden Schiffsrumpfe gefallen. Es wurgte Bolitho im Hals, als der Schrei des Mannes plotzlich abbrach wie eine Tur, die zugeschlagen wurde.
        Als er auf das fremde Deck hinuntersprang, horte er andere Stimmen und sah vage Gestalten sich durch heruntergefallene Takelage arbeiten, wahrend achtern eine Pistole knallte.
        Er griff nach seinem Sabel und schrie:»Werft die Waffen weg! Im Namen des Konigs!»
        Das wilde Geschrei, das seiner klaglichen Aufforderung folgte, war fast schlimmer als die Gefahr, in der er sich befand. Vielleicht hatte er geglaubt, Spanier oder Franzosen vor sich zu haben. Aber die Stimmen, die seinem hocherhobenen Sabel entgegenbrullten, waren so englisch wie seine eigene.
        Eine Stenge fiel krachend aufs Deck, zerschmetterte eine der Gestalten zu Brei und trennte die Gegner einen Augenblick. Mit einem letzten Zittern losten sich die beiden Schiffe voneinander. In diesem Augenblick, als eine Sabelklinge aus dem Dunkel auf ihn zustie?, erkannte Bolitho, da? die Destiny fort war und er nun um sein Leben kampfen mu?te.



        V Klinge gegen Klinge

        Das kleine Enterkommando der Destiny ruckte, sich gegenseitig im Dunkeln rufend und Fluche mit den Gegnern tauschend, von allen Seiten zusammen. Dabei wurde das Deck standig von Brechern uberspult und jede Bewegung durch herabgefallene Takelageteile und wild durcheinanderliegendes Tauwerk erschwert. Auch hingen Wrackteile uber die Bordwand ins Wasser und zogen das Schiff wie Seeanker in die Wellentaler hinab.
        Bolitho hieb nach irgendeinem Gegenuber, wobei seine Klinge auf harten Stahl traf, wahrend er gleichzeitig einen anderen Angriff abwehrte. Bolitho war ein guter Fechter, aber sein leichter Marinesabel war eine armliche Waffe gegen ein hartgeschmiedetes Enterbeil. Um ihn herum brullten und keuchten ineinanderverschlungene Manner, die sich mit Dolchen, Entermessern oder anderen Waffen fanatisch bekampften.
        Little schrie:»Nach achtern, Manner, nach achtern!«Er bahnte sich einen Weg durch das trummerubersate Deck, schlug im Lauf einen Gegner mit seinem Enterbeil nieder und zog die Halfte seiner Leute hinter sich her.
        In Bolithos Nahe rutschte ein Mann aus und rollte sich im Fallen herum, um sein Gesicht vor dem Mann, der mit erhobenem Entermesser uber ihm stand, zu schutzen. Bolitho horte das Sausen des Stahls und den ekelerregenden, dumpfen Ton, mit dem er Knochen spaltete. Als er sich umwandte, sah er, da? es Stockdale war, der die Klinge seines langen Entermessers herausri? und den toten Gegner ohne Umstande uber Bord stie?.
        Es war ein wildes Durcheinander, ein entfesselter Alptraum fern aller Wirklichkeit. Bolitho wehrte einen weiteren Gegner ab, der sich wie ein Kletteraffe an einem Stag hatte heruntergleiten lassen. Er duckte sich, als er den Mann uber seinem Kopf spurte, und horte ihn ausatmen, als er seinen Schwung abbremste. Bolitho stie? ihm den Griff seines Sabels in die Magengrube, und als er sich wegduckte, schlug er ihm den Sabel mit aller Kraft uber den Nacken. Dabei fuhlte er einen Schmerz im Arm, als ob er selber niedergehauen worden ware.
        Ungeachtet all des Schrecklichen um ihn herum, blieben Bolithos Sinne hellwach, aber eher wie die eines Zuschauers, der an dem blutigen Massaker vollig unbeteiligt war. Das Schiff war eine Brigantine. Ihre Rahen standen kreuz und quer durcheinander, so da? sie hilflos nach Lee abtrieb. Alles auf diesem Schiff roch neu, es mu?te gerade erst gebaut worden sein. Seine Besatzung schien vollig uberrascht, als die Segel der Destiny vor ihrem Bug auftauchten, und dieser Schreck wirkte bis jetzt nach und hatte das kleine Enterkommando bisher vor Schlimmerem bewahrt.
        Ein Mann bahnte sich den Weg nach vorn, ungeachtet der wimmernden und zerfetzten Gestalten, auf die er dabei trat. Bolitho, durch dessen Kopf viele Uberlegungen jagten, war es sofort klar, da? diese hagere Gestalt im blauen Rock der Kapitan des Schiffes sein mu?te.
        Die Brigantine war zur Zeit au?er Kontrolle, aber das lie? sich in wenigen Sekunden andern. Doch die Destiny war nirgends zu sehen. Vielleicht waren ihre Beschadigungen schlimmer, als er vermutet hatte. Man glaubte ja nie, da? auch dem eigenen Schiff passieren konnte, was man dem Gegner wunschte.
        Bolitho sah den matten Schimmer von Stahl und schlo? daraus, da? die Morgendammerung nicht mehr fern war. Uberraschenderweise mu?te er plotzlich an seine Mutter denken. Er war froh, da? sie es nicht mit ansehen mu?te, wenn er fiel. Der hagere Mann schrie:»Weg mit der Waffe, Stinktier!«Bolitho versuchte, zuruckzubrullen, seine Manner um sich zu sammeln und sich selber zum au?ersten Widerstand anzuspornen.
        Dann trafen die Klingen aufeinander. Bolitho fuhlte die Starke des Mannes durch die Waffe, als ware sie die Verlangerung seines Armes.
        Die Sabel klirrten, Bolitho parierte und schlug nach dem anderen Mann, der nach jedem Ausfall zuruckschlug und vorwartsdrangte.
        Plotzlich ein scharfes Klingen. Bolitho fuhlte, da? ihm der Sabel aus der Hand geglitten und auch die Schlaufe ums Gelenk durch die Gewalt des Schlages gerissen war.
        Er horte eine gellende Stimme schreien:»Hier, Sir!«Es war Jury, der ihm mit dem Griff voran einen Degen zuwarf.
        Wut kam Bolitho zu Hilfe. Irgendwie fing er die Waffe auf und bekam sie in den Griff, wobei er sich ihres Gewichts und ihrer Lange bewu?t wurde. Nebelhafte Bilder schossen ihm durch den Kopf: sein Vater, der ihm und seinem Bruder Hugh im Kuchengarten von Fal-mouth ersten Fechtunterricht gab; der ihm spater beibrachte, jede Bewegung sorgfaltig abzuwagen.
        Er zuckte zusammen, als der Sabel des anderen seinen Armel dicht unterhalb der Achselhohle durchschnitt. Ein paar Zoll weiter und… Er fuhlte, wie Wut alle anderen Empfindungen hinwegschwemmte: ein Zustand des Wahnsinns, der ihm Kraft und Selbstvertrauen zuruckgab.
        Bolitho parierte einen neuen Hieb und spurte dabei die Kraft und den Ha? seines Gegners, roch seinen Schwei?. Er horte Stockdales heisere Stimme und wu?te, da? dieser zu hart bedrangt war, um ihm beistehen zu konnen. Andere hatten aufgehort zu kampfen und starrten, als ware ihre eigene Wut verraucht, gebannt auf die beiden Fechter in ihrer Mitte.
        Wie in einer anderen Welt fiel ein Kanonenschu?. Eine Kugel pfiff uber das Deck und schlug wie eine eiserne Faust durch ein killendes Segel. Die Destiny war also nahe, und Dumaresq hatte das Risiko gewagt, moglicherweise einige seiner eigenen Leute zu toten, um seine Gegenwart fuhlbar zu machen.
        Einige Leute der Brigantine warfen sofort ihre Waffen weg. Andere waren weniger glucklich und wurden von den mit neuem Mut erfulltem Enterern niedergemacht, bevor sie begriffen hatten, was vorging.
        Bolithos Gegner brullte:»Zu spat fur Sie, Sir!«Er stie? Bolitho mit der Faust zuruck, schatzte den Abstand und machte einen Ausfall.
        Bolitho horte Jury aufschreien, sah Little mit gefletschten Zahnen auf sich zurennen.
        Nach so viel Ha? und Todesangst war es fast zu einfach und ohne Wurde: Er behielt sein Gleichgewicht und brauchte seinen Fu?en und Armen nicht einmal zu kommandieren, als er geschickt auswich und die Wucht des gegnerischen Angriffs dazu nutzte, seine eigene Waffe mit einer Drehbewegung freizubekommen und sie ihm in die Brust zu sto?en.
        Little zog den Mann beiseite und hob sein blutiges Beil, als er sich loszurei?en versuchte. Bolitho rief:»Halt! La? ihn leben!»
        Er sah sich benommen und angewidert um, wahrend einige seiner Manner ihm lauthals zujubelten.
        Little lie? den verwundeten Mann aufs Deck fallen und wischte sich das Gesicht mit dem Handrucken, als entweiche auch aus ihm langsam der Wahnsinn der Kampfeswut. Bis zum nachstenmal.
        Bolitho sah, da? Jury mit dem Rucken an einer gebrochenen Spier lehnte und beide Hande in den Bauch pre?te. Er kniete neben ihm nieder und versuchte, Jurys Finger wegzuziehen. Nicht er, dachte er, nicht so fruh!
        Ein Matrose, den Bolitho als einen seiner besten Leute vom Gro?mast erkannte, buckte sich und zog die Hande des Midshipman mit einem Ruck auseinander. Bolitho schluckte, ri? das Hemd auf und erinnerte sich dabei an Jurys Heldentat und an sein Vertrauen im Augenblick des Enterns. Bolitho war selber noch jung, aber er hatte solche Aktionen immerhin schon mitgemacht.
        Er schaute auf die Wunde herab und hatte gern gebetet. Die Spitze der Klinge mu?te durch das gro?e, vergoldete Schlo? an Jurys Gurtel abgelenkt worden sein. Bolitho konnte selbst bei diesem schwachen Licht erkennen, da? vor allem das Metall getroffen worden war. Es hatte die Wucht des Sto?es aufgefangen, und der Angreifer hatte dadurch den Bauch des Jungen nur geritzt.
        Der Matrose grinste und ri? ein Stuck von Jurys Hemd als Notverband ab.»Nur ein Kratzer, Sir. Das kommt wieder in Ordnung.»
        Noch zitternd richtete Bolitho sich auf und stutzte sich dabei mit einer Hand auf die Schulter des Mannes.

«Danke, Murray.»
        Der Mann schaute zu ihm auf.»Ich sah, wie er Ihnen den Degen zuwarf, Sir. Im selben Augenblick hat irgendein anderer Kerl zugesto?en. «Er wischte sein Entermesser gedankenlos an einem Stuck Segeltuch ab.»Das war aber der verdammt letzte Streich, den er auf dieser Erde tat.»
        Bolitho kampfte sich zu dem verlassenen Ruder durch. Stimmen aus der Vergangenheit schienen ihm zu folgen und ihn zu ermahnen:»Sie werden jetzt auf dich schauen, jetzt, da der Kampfgeist und die Raserei aus ihnen entwichen sind.»
        Er wandte sich um und befahl ene rgisch:»Bringt die Gefangenen nach unten und bewacht sie gut. «Er suchte nach einem bekannten Gesicht unter den Leuten, die ihm blindlings gefolgt waren, ohne da? sie wirklich wu?ten, was sie taten.

«Sie, Southmead, ubernehmen das Ruder. Die ubrigen helfen Maat Little, die uber Bord hangende Takelage zu klarieren.»
        Er warf einen schnellen Blick auf Jury. Die Augen des Jungen standen weit offen, als ob er sich Muhe gabe, nicht vor Schmerzen zu weinen. Bolitho zwang sich zu einem Lacheln, das etwas schief ausfiel.»Wir haben ein Prise erobert, Mr. Jury. Vielen Dank fur Ihren Degen. Das war sehr mutig von Ihnen. «Jury wollte antworten, aber er verlor das Bewu?tsein. Durch das Getose von Wind und See horte Bolitho die machtige, durch ein Megaphon verstarkte Stimme von Kapitan Dumaresq.
        Bolitho rief Stockdale zu:»Antworten Sie fur mich, ich bin zu erschopft.»
        Als die beiden Schiffe, deren schone Linien durch gebrochene Rahen und herunterhangendes Tauwerk verunziert wurden, einander wieder naher kamen, hob Stockdale seine riesigen Hande an den Mund und rief:»Das Schiff ist unser, Sir!»
        Man horte rauhe Hurrarufe von der Fregatte heruberschallen. Offensichtlich hatte Dumaresq nicht erwartet, noch einen einzigen von ihnen lebend wiederzusehen.
        Pallisers scharfe Befehle traten an die Stelle der sonoren Stimme des Kommandanten:»Bleiben Sie beigedreht liegen, wenn Sie konnen! Wir mussen erst Mr. Slade und sein Boot suchen!»
        War es Einbildung, als Bolitho meinte, jemanden lachen zu horen? Er hob die Hand, als die Fregatte sich langsam und schwerfallig entfernte, wahrend schon Manner auf ihren Rahen dabei waren, neue Segel anzuschlagen und Tauwerk durch Ersatzblocke zu scheren.
        Dann schaute er uber das Deck der Brigantine, auf die verwundeten Manner, die leise stohnten oder wie kranke Tiere wegzukriechen versuchten.
        Einige wurden sich nie mehr bewegen.
        Als das Tageslicht weiter zunahm, prufte Bolitho den Degen, den Jury ihm zu seiner Rettung zugeworfen hatte. In dem schwachen Licht sah das Blut auf dem Griff und auf seinem Handgelenk wie schwarze Farbe aus.
        Little kam wieder nach achtern. Der neue Dritte Offizier schien ihm noch sehr jung. Im nachsten Augenblick wurde er die Waffe in einer Aufwallung des Ekels daruber, was er mit ihr angerichtet hatte, uber Bord werfen. Das ware ein Jammer. Spater wurde ihm einfallen, da? er sie seinem Vater oder seiner Braut hatte schenken sollen.
        Little sagte:»Geben Sie her, Sir, ich werde sie fur Sie reinigen. «Er sah, da? Bolitho zogerte, und fugte warm hinzu:»Sie war ein guter Kamerad fur Sie, und zu seinen Kameraden soll man halten, das sagt Ihnen Josh Little, Sir.»
        Bolitho gab ihm die Waffe.»Ich glaube, Sie haben recht. «Er richtete sich straff auf, obwohl ihn jeder Muskel und jede Sehne schmerzten.

«Lebhaft, Leute! Wir haben noch viel zu tun. «Er rief sich die Worte des Kommandanten in Erinnerung:»Nichts geschieht von allein.»
        Vom Fu? des Fockmastes aus, neben dem ein Haufen herabgefallener Takelage lag, beobachtete ihn Stockdale. Er nickte befriedigt. Wieder war ein Kampf voruber.


        Bolitho wartete mude neben Dumaresqs Tisch in der Kajute der De-stiny. Er war so erschopft, da? seine Glieder nicht mehr automatisch die Schlingerbewegungen der Fregatte auffingen. Im truben Morgenlicht hatten sie lesen konnen, da? die Brigantine Heloise hie?, von
        Bridport in der Grafschaft Dorset kam und in die Karibik kommandiert war. Unterwegs hatte sie in Madeira eine Ladung Wein ubernehmen sollen.
        Als Dumaresq das Logbuch der Brigantine durchgeblattert hatte, warf er Bolitho einen Blick zu.

«Setzen Sie sich, Mr. Bolitho, bevor Sie umfallen!»
        Er erhob sich und ging zu den achteren Seitenfenstern, pre?te sein Gesicht gegen das dicke Glas und schaute auf die Brigantine, die in Lee der Destiny lag. Palliser und ein frisches Prisenkommando hatten vor einiger Zeit ubergesetzt, und die Erfahrung des Ersten Offiziers war jetzt auch notig, um die Schaden auszubessern und das Schiff baldmoglichst wieder flott zu machen.
        Dumaresq sagte:»Sie haben sich gut gehalten. Au?erordentlich gut. Fur einen so jungen Offizier mit so geringer Erfahrung in der Fuhrung von Leuten haben Sie mehr erreicht, als ich zu hoffen wagte. «Er verschrankte die Hande unter den Rockscho?en, als musse er Arger unterdrucken.»Aber sieben unserer Leute sind tot, weitere schwer verwundet. «Er griff nach oben und druckte mit dem Handrucken das Oberlicht auf.»Mr. Rhodes, versuchen Sie, herauszufinden, wo sich der verdammte Doktor herumtreibt!»
        Bolitho verga? seine Mudigkeit, seine Enttauschung daruber, da? er das Kommando uber die Prise an den Ersten Offizier hatte abgeben mussen. Es faszinierte ihn zu beobachten, wie der Zorn in Dumaresq hochstieg: wie eine glimmende Zundschnur, deren Feuer sich dem Pulverfa? naherte. Sie hatte bewirkt, da? der arme Rhodes oben, als er die Stimme seines Kommandanten unter seinen Fu?en horte, aufsprang.
        Dumaresq wandte sich wieder Bolitho zu.»Gute Manner haben ihr Leben verloren - durch Piraten und Morder, niemand anderen!«Von der falschen Berechnung, die beide Schiffe fast zu Wracks gemacht, aufjeden Fall aber schwer beschadigt hatte, kein Wort. Dagegen:»Ich wu?te, da? sie etwas vorhatten. Es wurde mir in Funchal klar, da? es daheim zu viele Augen und Ohren gegeben hatte. «Er zahlte die Argumente an seinen dicken Fingern ab:»Erst mein Schreiber, nur wegen des hhalts der Tasche. Dann die Brigantine, die England zur gleichen Zeit verlie?, als wir aus Plymouth ausliefen, und die dann >zufallig< zur gleichen Zeit mit uns in Madeira lag. Ihr Kapitan mu? gewu?t haben, da? ich nicht gegen den Wind aufkreuzen und ihn jagen konnte. So lange er sich in gebuhrender Entfernung hielt, war er sicher.»
        Bolitho verstand. Hatte die Destiny ihren Vorsto? bei Tageslicht unternommen, hatte die Helolse den Vorteil ihrer Position nutzen konnen. Die Fregatte hatte sie zwar in jedem fairen Wettkampf ausgesegelt, doch bevor sie sie erreicht hatte, ware es dunkel geworden, und im Schutz der Dunkelheit konnte die Brigantine, wenn sie gut gefuhrt wurde, muhelos entwischen. Bolitho dachte an den hageren Mann, den er im Kampf niedergestochen hatte. Er tat ihm jetzt beinahe leid. Du-maresq hatte befohlen, da? er herubergebracht wurde, damit Bulkley, der Schiffsarzt, sein Leben rettete, wenn es moglich war.
        Dumaresq fugte hinzu:»Wahrhaftig, es pa?t alles zusammen. Wir sind auf der richtigen Fahrte.»
        Der Posten drau?en rief:»Der Schiffsarzt, Sir!»
        Dumaresq warf dem schwitzenden Doktor einen kurzen Blick zu.»Es wird auch verdammt Zeit, Mann!»
        Bulkley zuckte die Achseln, entweder weil ihn Dumaresqs explosives Temperament kalt lie?, oder weil er so daran gewohnt war, da? es ihm nichts mehr ausmachte.

«Der Mann lebt, Sir. Eine schlimme Wunde, aber ohne Verunreinigungen. «Er warf Bolitho einen neugierigen Blick zu.»Au?erdem ist er ein kraftiger Bursche. Ich bin uberrascht und befriedigt, Sie noch in einem Stuck vorzufinden, junger Mann.»
        Dumaresq fuhr ungeduldig dazwischen:»Lassen wir das jetzt. Wie darf der Schurke es wagen, ein Schiff des Konigs herauszufordern! Er hat von mir keine Milde zu erwarten, dessen seien Sie sicher.»
        Langsam beruhigte er sich. Es war wie nachlassender Seegang, dachte Bolitho.

«Ich mu? so viel wie moglich aus ihm herausholen. Mr. Palliser durchsucht inzwischen die Heloise, aber in Anbetracht dessen, was Mr. Bolitho schon tat, um etwas zu finden, habe ich wenig Hoffnung auf Erfolg. Aus ihrem Logbuch ist zu entnehmen, da? die Heloise im vorigen Jahr von Stapel gelaufen ist und erst vor einem knappen Monat fertiggestellt wurde. Fur ein Handelsschiff, das Gewinn einfahren soll, ist sie aber kaum gro? genug.»
        Der Doktor bemerkte:»Mr. Jury geht's leidlich. Ein ha?licher
        Schnitt, aber er ist ein gesunder Junge. Es wird sicher nichts davon bleiben.»
        Dumaresq mu?te lacheln.»Ich habe mit ihm gesprochen, als er vom Kutter hochgetragen wurde. Da spielt wohl etwas Heldenverehrung mit, nicht wahr, Mr. Bolitho?»

«Er hat mir das Leben gerettet, Sir. Er hatte also keinen Grund, mich zu ruhmen.»
        Dumaresq nickte.»Hm, wir werden sehen. «Er wechselte das Thema.»Wir wollen noch vor Anbruch der Dunkelheit gemeinsam lossegeln. Bis dahin mussen alle Mann kraftig zupacken. Mr. Palliser wird auf dem verdammten Piraten einen Ersatzmast aufriggen mussen. «Er schaute Bolitho an.»Informieren Sie das Achterdeck: Der Ausguck im Mast soll stundlich wechseln. Wir werden wegen der uns aufgezwungenen Verzogerung die Augen besonders offenhalten mussen, ob weitere Verfolger hinter uns her sind. Wie die Dinge liegen, haben wir eine nette kleine Prise, und niemand wei? etwas von dem Zwischenfall. Das mag uns in gewisser Weise sogar helfen.»
        Bolitho stand mit schweren Beinen auf. Es wurde also keine Ruhepause geben.
        Dumaresq sagte:»Lassen Sie die Leute um zwolf Uhr zur Beisetzungsfeier antreten, Mr. Bolitho. Wir werden die armen Burschen auf ihre letzte Reise schicken, solange wir noch beigedreht liegen. «Er zerstreute aufkommende Gefuhle durch den Nachsatz: Es hat keinen Sinn, damit Zeit zu vertrodeln, wenn wir erst wieder in Fahrt sind.»
        Bulkley folgte Bolitho am Posten drau?en vorbei und bis zum Niedergang, der ins Hauptdeck hinunterfuhrte. Der Arzt seufzte.»Er mu? den Bissen erst verdauen.
«Bolitho sah ihn an und versuchte, seine Gedanken zu lesen. Aber zwischen den Decks war es zu dunkel, man konnte lediglich die Gerausche und Geruche des Schiffes wahrnehmen.»Sind es die Goldbarren?»
        Bulkley hob den Kopf, um die gedampften Rufe von einem lang-seits kommenden Boot, das von der Dunung gegen die Bordwand gedruckt wurde, zu verstehen.

«Sie sind noch zu jung, um alles zu begreifen, Richard. «Er legte seine rundliche Hand auf Bolithos Arm.»Und das soll keine Kritik sein, glauben Sie mir. Aber ich habe andere Manner wie unseren
        Kommandanten kennengelernt, und ihn kenne ich besser als manche anderen. Er ist in vieler Hinsicht ein makelloser Offizier, wenn auch etwas starrsinnig. Aber er lechzt nach Taten wie ein Trinker nach der Flasche. Er befehligt diese schone Fregatte, aber insgeheim fuhlt er, da? er zu fruh oder zu spat geboren ist. In einem England, das sich im Friedenszustand befindet, sind die Aussichten gering, sich hervorzutun. Das pa?t mir zwar sehr gut, aber…«Er schuttelte den Kopf.»Ich habe genug gesagt. Aber ich wei?, Sie werden mein Vertrauen nicht mi?brauchen.»
        Er ging gemachlich Richtung Niedergang und hinterlie? ein Aroma von Schnaps und Tabak, das sich mit den anderen im Raum schwebenden Geruchen mischte.
        Bolitho trat hinaus ins Tageslicht und kletterte schnell die Leiter zum Achterdeck hoch. Er wu?te, da? er sofort stehend einschlafen wurde, wenn er nicht in Bewegung blieb.
        Das Batteriedeck der Destiny war ubersat mit heruntergekommenen Teilen der Takelage. Mittendrin standen Bootsmann und Segelmacher und berieten, was davon noch zu gebrauchen war. Oben waren Matrosen dabei, Tauwerk zu splei?en und zerrissene Segel herunterzuholen, damit sie geflickt und fur spatere Notfalle verstaut werden konnten. Ein Kriegsschiff war vollig autark, nichts wurde daher verschwendet oder weggeworfen. Teile dieser Leinwand wurden bald, beschwert mit einer Kanonenkugel, ins Meer gleiten und die Toten, die sie umhullten, hinabziehen an einen Ort, an dem es nur Dunkel und Stille gab.
        Rhodes trat an seine Seite.»Gut, da? Sie wieder da sind, Dick. «Er senkte die Stimme, als sie sich zu der neben ihnen treibenden Brigantine umwandten.»Der >Herr und Meisten rannte herum wie ein rasender Lowe, als Sie sich von unserer Bordwand gelost hatten. Ich wurde ihn eine Woche lang lieber mit au?erster Vorsicht behandeln.»
        Bolitho betrachtete aufmerksam das andere Schiff. Es kam ihm jetzt mehr denn je wie ein Traum vor. Kaum zu glauben, da? er es geschafft hatte, seine Leute zu sammeln und die Heloise zu nehmen, nachdem es anfangs so kritisch ausgesehen hatte. Manner waren gefallen, zumindest einen davon hatte er selber getotet. Aber was bedeutete das jetzt noch? So gut wie nichts.
        Er ging zur Querreling und sah, wie sich mehrere Gesichter ihm auf dem Hauptdeck unten zuwandten. Was mochten sie jetzt denken?
        Rhodes war ehrlich begeistert, aber es gab sicher auch Neider. Andere wurden meinen, er habe eben Gluck gehabt oder auch zuviel Erfolg fur einen so jungen Offizier.
        Spillane, der neue Assistent des Schiffsarztes, erschien auf der Lee-Laufbrucke und warf ein Paket uber Bord. Bolitho wurde es ubel. Was war darin, ein Bein oder ein Arm? Es hatte von ihm stammen konnen.
        Er horte Slade, den Steuermannsmaat, irgendeinen unglucklichen Matrosen lauthals beschimpfen. Da? die Destiny seine Barkasse wiedergefunden hatte, schien ihn ebensowenig milder gestimmt zu haben wie die dankbaren Rufe seiner erschopften Leute, als man sie zuruck an Bord holte.
        Zur befohlenen Zeit wurden die Toten beigesetzt, wahrend die Lebenden mit entblo?ten Hauptern dastanden und der Kommandant einige Worte aus dem Gebetbuch verlas.
        Dann, nach einer schnell eingenommenen Mahlzeit mit einer Extraportion Rum, war die Luft wieder erfullt vom Larm der Hammer und Sagen und dem durchdringenden Geruch nach Farbe und Teer, mit dem die Fugen kalfatert wurden.
        Dumaresq kam zum Ende der Nachmittagswache fur einige Minuten an Deck, musterte sein Schiff und dann den aufklarenden Himmel, der ihm mehr verriet als jedes Instrument. Zu Bolitho, der wieder einmal Wache hatte, sagte er:»Schauen Sie sich unsere Leute bei der Arbeit an. Zu Hause werden sie als Raufbolde und nichtsnutzige Saufer gebrandmarkt, aber geben Sie ihnen ein Tauende und ein Stuck Holz, und Sie werden staunen, was sie daraus machen.»
        Er sprach mit so viel Gefuhl, da? Bolitho zu fragen wagte:»Glauben Sie, da? es bald wieder Krieg gibt, Sir?»
        Einen Augenblick dachte er, er ware zu weit gegangen. Dumaresq fuhr schnell auf seinen kraftigen Beinen herum, und sein Blick war hart, als er sagte:»Sie haben mit dem verdammten Knochensabler gesprochen, nicht wahr?«Dann lachte er in sich hinein.»Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Sie haben noch keine Ranke kennengelernt. «Er ging fur seinen gewohnten Spaziergang auf die andere Seite und sagte nur noch:»Krieg? Ich verlasse mich darauf!»


        Bevor die Dunkelheit einbrach und die beiden Schiffe voreinander verbarg, meldete Palliser, da? er auf der Brigantine soweit sei. Die weniger starken Beschadigungen konnten wahrend der Weiterfahrt nach Rio beseitigt werden.
        Slade war zur Heloise hinubergerudert worden, um das Kommando auf der Prise zu ubernehmen, und Palliser kehrte in der Jolle zuruck, als die Nacht sich gerade wie ein Vorhang zum Horizont herabsenkte.
        Bolitho staunte uber Pallisers Ausdauer. Er zeigte keinerlei Ermudung und schonte sich nicht, als er mit einer Laterne bewaffnet eifrig im Schiff herumstoberte und die Ausfuhrung der Reparaturen uberprufte. Wenn er etwas entdeckte, das er fur schlampige Arbeit hielt, setzte es harte Worte fur den Schuldigen.
        Dankbar kletterte Bolitho in seine Koje und lie? seine Sachen liegen, wo sie hingefallen waren. Um ihn herum vibrierte und knarrte die Destiny vor einer achterlichen See, als sei auch sie dankbar fur die Ruhepause.
        Den Menschen an Bord ging es nicht anders. Bulkley sa? in seinem Krankenrevier, sog an einer langen Tonpfeife und teilte einiges von seinen Alkoholvorraten mit Codd, dem Zahlmeister.
        Nebenan, vom Orlopdeck aus kaum sichtbar, schliefen die Verwundeten oder wimmerten leise in der Finsternis.
        In der Kajute sa? Dumaresq in Hemdsarmeln und bis zur Taille aufgeknopft und schrieb eifrig in sein privates Tagebuch. Von Zeit zu Zeit sah er scharf zur Tur, als wolle er sie mit Blicken durchbohren und die ganze Lange seines Schiffes kontrollieren. Manchmal sah er auch zu den Decksbalken uber sich auf, weil Gullivers Schritte auf dem Achterdeck ihm sagten, da? der Master noch immer uber die Ursachen der Kollision grubelte und befurchtete, da? die Schuld daran ihm in die Schuhe geschoben werden konnte.
        Im Hauptdeck, das kaum Stehhohe bot, schaukelte die Mehrzahl der Besatzung in ihren Hangematten, die im Takt der Schiffsbewegungen hin und her pendelten: wie sauber aufgereihte Erbsenhulsen, die darauf warteten, sich im Nu zu offnen und ihren Inhalt freizugeben, wenn die Wetterlage es verlangte oder die Trommeln zum Gefecht riefen.
        Nur einige der Manner, die entweder Wache an Deck gingen oder keinen Schlaf finden konnten, dachten noch an den kurzen, erbitterten Kampf und an die Augenblicke, in denen sie Todesangst kennengelernt hatten; an vertraute Gesichter, die nun ausgeloscht waren, oder an das Prisengeld, das die hubsche Brigantine ihnen einbringen wurde.
        Auch Midshipman Jury, der sich in seiner Koje im Krankenrevier hin und her warf, durchlebte den Kampf noch einmal. Er dachte an den schrecklichen Augenblick, als Leutnant Bolithos Sabel weggeschlagen worden war, an sein verzweifeltes Bemuhen, ihm zu helfen, und an den plotzlichen Schmerz in der Magengrube, als hatte ihn hei?es Eisen versengt. Er dachte an seinen toten Vater, an den er sich kaum erinnern konnte, von dem er aber annahm, da? er jetzt stolz auf ihn gewesen ware.
        Die Destiny trug alle unterschiedslos: den finsterblickenden Palliser, der Colpoys in der sonst leeren Messe gegenubersa?, vor sich auf dem Tisch die Karten, die ihn zu verhohnen schienen, bis zu Steward Poad, der in seiner Hangematte schnarchte. Sie alle waren auf Gnade oder Ungnade dem Schiff ausgeliefert, dessen Galionsfigur nach dem Horizont zu greifen schien und ihm doch nie naherkam.
        Zwei Wochen nach Eroberung der Brigantine kreuzte die Destiny mit Sudkurs den Aquator. Sogar der Master schien uber ihr flottes Vorankommen und die zuruckgelegte Strecke erfreut. Der ihnen gunstige Passat und die milde, warme Luft trugen dazu bei, die Stimmung der Leute zu heben und Krankheiten fernzuhalten.
        Uber ein Drittel der Besatzung uberquerte den Aquator zum erstenmal. Allerlei Ulk und rauhe Scherze, welche die traditionelle Zeremonie begleiteten, wurden beflugelt durch eine Viertageration Rum und Wein fur alle Mann.
        Little, der Stuckmeistersmaat, gab einen majestatischen Neptun mit goldgemalter Papierkrone und einem Vollbart aus Schiemannsgarn ab. Als verschamte Konigin an seiner Seite posierte ein entsprechend ausgestopfter Schiffsjunge. Alle Neuankommlinge in Neptuns Konigreich wurden grundlich abgeseift und untergetaucht.
        Hinterher kam Dumaresq zu seinen Offizieren in die Messe und druckte ihnen seine Zufriedenheit mit Schiff und Besatzung und ihrer flotten Reise aus. Die Heloise war weit zuruckgefallen, da sie immer noch mit der Reparatur ihrer Schaden beschaftigt war. Dumaresq hatte offenbar nicht die Absicht, deshalb seinen eigenen Landfall hinauszuschieben. Slade hatte Befehl, so schnell wie moglich in Rio zu ihm zu sto?en.
        An den meisten Tagen zog die Destiny unter samtlichen Segeln ihre Bahn und hatte ein prachtiges Bild fur ein anderes Schiff, das mit ihnen den Ozean teilte, abgegeben. Die neuen Leute, die hoch uber Deck bei der Arbeit waren oder am regelma?igen Segel- und Geschutzexerzieren teilnahmen, begannen sich mehr und mehr einzuleben, und Bolitho beobachtete, wie die bleiche Haut derjenigen, die aus dem Schuldturm oder noch Schlimmerem kamen, in der taglich starker brennenden Sonne eine dunklere Tonung annahm.
        Ein weiterer Mann, der in dem Gefecht verwundet worden war, starb und erhohte ihre Verluste damit auf acht. Der Kapitan der Heloi-se, der Tag und Nacht von einem Seesoldaten bewacht wurde, kam langsam wieder zu Kraften. Bolitho nahm an, da? Dumaresq ihn nur darum unbedingt am Leben erhalten wollte, damit er ihn spater wegen Piraterie aufknupfen lassen konnte.
        Midshipman Jury durfte wieder Dienst tun, allerdings nur an Deck oder auf Wache achtern. Seltsamerweise schien die Erinnerung an die gemeinsam geteilte Gefahr ihn und Bolitho eher voneinander fernzuhalten; obwohl sie einander taglich mehrmals begegneten, spurte Bo-litho ein gewisses Unbehagen zwischen ihnen.
        Moglicherweise hatte der Kommandant recht. Vielleicht hatte Jurys» Heldenverehrung«, wie er es bezeichnet hatte, eher eine Verlegenheit als eine Bindung zwischen ihnen geschaffen. Der kleine Merrett dagegen schien mehr Selbstvertrauen gewonnen zu haben. Es war, als ob er mit seinem sicheren Tod gerechnet hatte und nun uberzeugt sei, ihm konne nichts Schlimmeres mehr passieren. Er enterte mit den anderen Midships in den Wanten auf, und wahrend der Hundewachen horte man seine helle Stimme oft mit seinen Kameraden diskutieren oder streiten.
        Eines Abends, als die Destiny unter Mars- und Untersegeln ihre Bahn zog und Bolitho die erste Wache von Leutnant Rhodes ubernahm, sah er, wie Jury die anderen Midshipmen auf den Gefechtsstanden in den Marsen beobachtete, die dort allerlei Unsinn trieben. Sicherlich wunschte er sich, bei ihnen oben zu sein.
        Bolitho wartete, bis der Ruderganger rief:»Ruder ubernommen, Kurs Sud-Sud-West liegt an!«Danach ging er hinuber auf die andere Seite, wo Jury stand, und fragte: Was macht die Wunde?»
        Jury sah ihn an und lachelte.»Tut nicht mehr weh, Sir. Ich hatte
        Gluck. «Seine Finger strichen uber den Ledergurtel und beruhrten den Kratzer auf dem Metallschlo?.»Waren es wirklich Piraten?»
        Bolitho zuckte die Schulter.»Jedenfalls waren sie darauf aus, uns zu verfolgen. Spione vielleicht, doch nach den Buchstaben des Gesetzes gelten sie als Piraten.»
        Daruber hatte er nach jener schrecklichen Nacht viel nachgedacht. Er vermutete, da? Dumaresq und Palliser mehr wu?ten, als sie sagten, und da? die eroberte Brigantine irgendwie mit Dumaresqs geheimer Mission und ihrem kurzen Aufenthalt in Funchal zu tun hatte.
        Er sagte:»Wenn wir dieses Tempo beibehalten, sind wir in einer Woche in Rio. Dann werden wir sicherlich die Wahrheit erfahren.»
        Gulliver erschien auf dem Achterdeck und schaute lange schweigend zu der steifer werdenden Leinwand hinauf. Schlie?lich meinte er:»Der Wind wird starker. Ich glaube, wir sollten einige Segel we g-nehmen. «Er zogerte und sah Bolitho an. Wollen Sie es dem Kommandanten melden, oder soll ich es tun?»
        Bolitho sah, wie die Marssegel sich im Wind blahten. Im scheidenden Sonnenlicht wirkten sie wie gro?e, rosafarbene Muscheln. Aber Gulliver hatte recht, und er hatte es selbst erkennen mussen.

«Ich werde es ihm melden.»
        Gulliver ging zum Kompa? hinuber, als sei er von einer inneren Unruhe getrieben. Das Wetter ist zu schon, um sich zu halten. Ich kenne das.»
        Bolitho winkte Midshipman Cowdroy heran, der zur Zeit - bis Jury ganz wiederhergestellt war - die Wache mit ihm teilte.»Meine Empfehlung an den Kommandanten, und ich lasse ihm melden, da? der Nordost auffrischt.»
        Cowdroy tippte an seinen Hut und eilte zum Niedergang. Bolitho schluckte seine Abneigung gegen ihn herunter; ein arroganter, intoleranter Geselle. Er wunderte sich, da? Rhodes mit ihm zurechtkam.
        Jury fragte leise:»Bekommen wir Sturm, Sir?»

«Kaum. Aber es ist gut, wenn wir darauf vorbereitet sind. «Er sah etwas in Jurys Hand glitzern und sagte:»Das ist aber eine schone
        Uhr.»
        Jury hielt sie ihm hin, sein Gesicht strahlte.»Sie gehorte meinem Vater.»
        Bolitho offnete vorsichtig den Deckel und entdeckte darin das winzige, aber ausgezeichnete Portrat eines Seeoffiziers, dem Jury sehr ahnlich sah. Es war eine wunderschone Uhr, von einem der besten Handwerker Londons hergestellt.
        Bolitho gab sie Jury zuruck und sagte:»Gehen Sie sorgsam mit ihr um. Sie mu? sehr wertvoll sein.»
        Jury steckte sie wieder in die Hosentasche.»Sie ist das einzige, was ich von meinem Vater besitze.»
        Irgend etwas in seinem Ton beruhrte Bolitho tief und bewirkte, da? er sich unbeholfen vorkam. Es argerte ihn, da? er Jurys Bemuhen, ihm zu gefallen, nicht eher durchschaut hatte. Der Junge hatte sonst niemand in der Welt, der sich um ihn kummerte.
        Er sagte:»Schon, Mr. Jury, wenn Sie auf dieser Reise gut aufpassen, wird es Ihnen spater sicher zustatten kommen. «Er lachelte.»Wer hat vor ein paar Jahren von James Cook gewu?t, mochte ich wissen. Nun ist er ein Volksheld, und wenn er von seiner letzten Reise zuruckkommt, wird er zweifellos wieder befordert werden.»
        Die Stimme Dumaresqs lie? ihn herumfahren.»Machen Sie mir den Jungen nicht verruckt, Mr. Bolitho. In Kurze wird er noch meinen Posten verlangen.»
        Bolitho wartete auf Dumaresqs Entscheidung wegen der Segel. Man wu?te nie genau, woran man mit ihm war.

«Wir werden beizeiten Segel wegnehmen, Mr. Bolitho. «Er wippte auf den Fersen und prufte ein Segel nach dem anderen.»Aber wir wollen rennen, so lange wir konnen.»
        Als er im Niedergang verschwunden war, rief der Steuermannsmaat der Wache:»Der Kutter hat sich aus der Halterung gelost. Sir.»

«Danke. «Bolitho sah sich wieder nach Midshipman Cowdroy um.»Nehmen Sie ein paar Leute und sichern Sie den Kutter, bitte. «Er spurte den Widerstand des Kadetten und wu?te auch den Grund: Cowdroy mu?te es merken, da? er froh war, ihn wahrend der Wache los zu sein.
        Jury hatte erraten, was vorging.»Ich mache das, Sir. So etwas ist mir vom Arzt erlaubt.»
        Cowdroy wandte sich um und fuhr ihn an:»Sie sind krank, Mr. Jury. Sie brauchen sich meinetwegen nicht zu bemuhen. «Er ging weg und rief nach einem Bootsmannsmaat.
        Wie Gulliver prophezeit hatte, nahm der Wind weiter zu; die See veranderte ihr Gesicht und setzte wei?e Schaumkronen auf. Bolitho verga? den kleinen Streit zwischen den beiden Midshipmen, den er verursacht hatte.
        Erst wurde ein Segel weggenommen, dann ein anderes, aber als das Schiff im zunehmenden Seegang immer starker stampfte, schickte Dumaresq alle Mann nach oben und lie? samtliches Tuch au?er dem Gro?marssegel bergen, damit die Destiny den Sturm beigedreht abreiten konnte.
        Dann - wie um zu beweisen, da? er ebenso freundlich wie bose sein konnte - flaute der Wind ab, und als das Tageslicht zuruckkehrte, war es bald so warm, da? das Schiff im Sonnenschein trocknete und Dampfwolken von den Decks aufstiegen.
        Bolitho exerzierte mit der Steuerbordbatterie von Zwolfpfundern, als Jury meldete, da? er wieder voll dienstfahig erklart worden sei und nicht mehr im Krankenrevier schlafen musse.
        Bolitho hatte das Gefuhl, da? etwas mit ihm nicht stimmte, war aber entschlossen, sich nicht einzumischen. Er sagte:»Der Kommandant erwartet, da? unser Salut der beste sein wird, den sie in Rio je gehort haben. «Er sah einige der halbnackten Seeleute grinsen und sich die Hande reiben.»Deshalb veranstalten wir jetzt einen kleinen Wettbewerb: erste Division gegen die zweite. Fur die Sieger gibt's eine Extraration Wein. «Er hatte sich dafur schon die Zustimmung des Zahlmeisters geholt.
        Codd stie? seine gro?en Schneidezahne wie den Schnabel einer Galeere vor und stimmte frohlich zu:»Wenn Sie bezahlen, Mr. Bolitho? Alles, wenn Sie zahlen! Little rief:»Wir sind bereit, Sir.»
        Bolitho wandte sich zu Jury um.»Sie konnen die Zeit nehmen. Die Division, die ihre Kanonen als erste ausgerannt hat, und zwar zweimal bei drei Durchgangen, bekommt den Preis.»
        Er wu?te, da? die Manner schon ungeduldig wurden und mit Handspaken und Taljen hantierten, als bereiteten sie sich auf ein Gefecht vor.
        Jury versuchte, Bolithos Blick aufzufangen.»Ich habe keine Uhr,
        Sir.»
        Bolitho starrte ihn an und bemerkte gleichzeitig, da? der Kommandant und Palliser an der Achterdecksreling standen, um dem Wettkampf der Leute zuzuschauen.

«Sie haben sie verloren? Die Uhr Ihres Vaters?«Er erinnerte sich, wie stolz Jury auf sie gewesen war und wie traurig, als er sie ihm am vorherigen Abend gezeigt hatte.»Erzahlen Sie, wie das kam.»
        Jury schuttelte unglucklich den Kopf.»Sie ist weg, Sir. Mehr wei? ich nicht.»
        Bolitho legte Jury die Hand auf die Schulter.»Warten Sie ab, ich werde mich der Sache annehmen. «Er zog seine eigene Uhr, ein Geschenk seines Vaters.»Nehmen Sie meine.»
        Stockdale, der an einer der Kanonen kauerte, hatte alles mitangehort und dabei die Gesichter ringsum studiert. Er hatte noch nie eine Uhr besessen und wurde auch kaum je eine besitzen, aber irgendwie begriff er, da? es mit dieser etwas Besonderes auf sich hatte. In der engen Gemeinschaft einer Schiffsbesatzung war ein Dieb gefahrlich. Seeleute besa?en zu wenig, um ein solches Verbrechen ungestraft zu lassen. Am besten fing man den Dieb, bevor Schlimmeres passierte, seinetwegen und im Interesse aller.
        Bolitho schwenkte den Arm.»Rennt aus!»
        Die zweite Division gewann spielend. Das war zu erwarten gewesen, schimpften die Verlierer, denn ihr gehorten Little und Stockdale an, die beiden starksten Manner an Bord.
        Aber als der Wein ausgeteilt war und sie sich mit ihren Bechern im Schatten des Gro?segels ausruhten, wu?te Bolitho, da? zumindest fur Jury der Spa? verdorben war.
        Er sagte zu Little:»Lassen Sie die Kanonen wieder festzurren. «Er ging nach achtern. Einige Leute nickten ihm zu, als er an ihnen vorbeikam.
        Dumaresq wartete, bis er das Achterdeck erreicht hatte.»Das haben Sie gut gemacht!

        Palliser lachelte bittersu?.»Wenn wir unsere Leute immer mit Wein bestechen mussen, bevor sie die Kanonen bedienen, sind wir bald ein >trockenes< Schiff.»
        Bolitho stie? hervor:»Mr. Jurys Uhr ist gestohlen worden, Sir.»
        Dumaresq sah ihn ruhig an.»Na und? Was soll ich tun, Mr. Bo-
        litho?»
        Bolitho bekam einen roten Kopf.»Tut mir leid, Sir. Ich - ich dachte.»
        Dumaresq beschattete seine Augen, um drei kleine Vogel zu beobachten, die dicht uber der Wasseroberflache dahinjagten.»Ich kann das Land fast schon riechen. «Er wandte sich wieder Bolitho zu.»Es ist Ihnen gemeldet worden, also kummern Sie sich darum.»
        Bolitho beruhrte seinen Hut, als der Kommandant und der Erste Offizier ihren Spaziergang auf der Luvseite des Decks wieder aufnahmen.
        Er hatte noch eine Menge zu lernen.



        VI Eine Frage der Disziplin

        Lediglich unter Marssegeln und Kluver - alle anderen Segel waren aufgegeit - glitt die Destiny langsam uber das tiefblaue Wasser von Rios au?erer Reede. Es war druckend hei? und kaum genug Wind, um mehr als ein leichtes Krauseln unter dem Bug hervorzurufen, doch Bolitho spurte die Aufregung und Neugier an Bord, als sie sich den geschutzten Ankerplatzen naherten.
        Selbst der abgebruhteste Seemann konnte nicht abstreiten, da? der Anblick, der sich ihnen bot, majestatisch war. Sie hatten die Kuste aus dem Morgennebel emporwachsen sehen, und nun lag sie ausgebreitet zu beiden Seiten vor ihnen, als wolle sie das Schiff umarmen. So etwas wie Rios gro?en Bergkegel hatte Bolitho noch nie gesehen. Er machte alle anderen zu Zwergen. Und dahinter gab es - verstreut zwischen uppig grunen Waldern - weitere Hugel, die mit ihren steilen Gipfeln wie zu Stein erstarrte Wellen aussahen. Helle Strande, schaumende Brandung, und eingebettet zwischen Hugeln und Meer die Stadt; wei?e Hauser, kantige Turme und nickende Palmen - welch ein Gegensatz zum Englischen Kanal!
        An Backbord entdeckte Bolitho die erste Festungsbatterie unter der portugiesischen Flagge, die nur gelegentlich etwas auswehte und dann im harten Sonnenlicht zu erkennen war. Rio war gut befestigt und besa? genugend Batterien, um auch die kuhnsten Angreifer abzuschrecken.
        Dumaresq musterte die Stadt und die vor Anker liegenden Schiffe durch ein Fernglas. Er sagte:»Fallen Sie einen Strich ab.«»Kurs West-Nord-West, Sir!»
        Palliser schaute auf seinen Kommandanten.»Ein Wachboot nahert sich.»
        Dumaresq lachelte knapp.»Der fragt sich bestimmt, was, zum Te u-fel, wir hier wollen.»
        Bolitho zupfte sein Hemd von der schwei?nassen Haut ab und beneidete die halbnackten Matrosen, die nicht wie die Offiziere in GalaUniformen schwitzen mu?ten.
        Mr. Vallance, der Oberfeuerwerker, musterte bereits die ausgesuchten Geschutzbedienungen, um sicherzustellen, da? beim Flaggensalut nichts schiefging.
        Bolitho fragte sich, wie viele unsichtbare Augen wohl die langsame Annaherung der englischen Fregatte beobachteten. Ein Kriegsschiff! Was wollte es? Kam es in friedlicher Absicht oder mit Nachrichten uber einen weiteren Vertragsbruch in Europa?

«Fangen Sie an mit dem Salut!»
        Geschutz fur Geschutz krachten die Salutschusse. In der druckenden Luft blieb der Pulverqualm auf dem Wasser liegen und nahm ihnen die Sicht auf das Land.
        Das portugiesische Wachboot hatte mit einigen kraftigen Ruderschlagen um seine ganze Lange gedreht. Es sah aus wie ein gro?er Wasserkafer.
        Jemand bemerkte:»Er will uns hineinlotsen.»
        Die letzte Kanone rollte beim Abschu? zuruck, und die Bedienungen beeilten sich mit dem Auswischen der noch rauchenden Rohre und dem Festzurren jeder Waffe, als endgultiges Zeichen ihrer friedlichen Absicht.
        Eine Gestalt auf dem Wachboot schwenkte eine Flagge, und als sich die langen Riemen tropfend aus dem Wasser hoben und so verharrten, bemerkte Dumaresq trocken: Nicht zu weit hinein, Mr. Palliser. Sie trauen uns noch nicht ganz.»
        Palliser hob das Sprachrohr an den Mund:»Klar zum Ankern! An die Brassen, Fallen und Schoten!»
        Nach festgelegtem Plan eilten die Matrosen und Maaten auf ihre Stationen.

«Los die Schoten!«Pallisers Stimme scheuchte die Mowen auf, die sich nach den Salutschussen gerade wieder auf dem Wasser niedergelassen hatten.»Gei auf die Marssegel! La? fallen Kluver!»
        Dumaresq sagte:»Es ist soweit, Mr. Palliser. Ankern!«»Ruder nach Luv!«[Im Englischen:»Helm a'lee!«-»Hart nach Lee!«, weil zu der Zeit Ruderkommandos noch auf eine Pinne bezogen wurden, die nach Lee gelegt werden mu?te, wenn das Ruderblatt nach Luv weisen sollte (indirektes Ruderkommando). Um den deutschen Leser nicht zu verwirren, ist hier stets das» direkte «Ruderkommando angegeben (Anm. d. Ubers.).]
        Langsam drehte die Destiny in den Wind und verlor dabei an Fahrt.»La? fallen Anker!»
        Das Wasser spritzte auf, als der gro?e Anker fiel, wahrend oben auf den Marsrahen die Matrosen auslegten und die Segel aufholten und festbanden, als ob eine unsichtbare Hand sie wie Marionettenfiguren bewegte.

«Klar zum Aussetzen der Gig und des Kutters!»
        Nackte Fu?e stampften uber die hei?en Decks, wahrend die Destiny sich, jetzt an ihrer Ankertrosse hangend, in der Dunung des Ozeans wiegte.
        Dumaresq verschrankte die Hande hinter dem Rucken.»Rufen Sie bitte das Wachboot langsseit. Ich werde an Land gehen und dem Vizekonig einen Hoflichkeitsbesuch abstatten. Am besten erledigt man solch unangenehme Dinge moglichst bald. «Er nickte Gulliver und seinen Leuten am Ruder zu.»Gut gemacht!»
        Gulliver suchte im Gesicht des Kommandanten nach einem Hintergedanken. Als er nichts dergleichen fand, antwortete er dankbar:»Es ist das erstemal, da? ich hier als Master einlaufe, Sir.»
        Ihre Blicke trafen sich. Ware der Zusammensto? nicht so glimpflich ausgegangen, ware es fur beide das letztemal gewesen.


        Bolitho war mit seinen Leuten bei der Arbeit und hatte keine Zeit zu beobachten, wie die portugiesischen Offiziere an Bord kamen. Sie sahen in ihren stolzen Uniformen prachtvoll aus und litten offenbar nicht unter der Hitze. Die Stadt lag nun fast verborgen in Dunst und flimmerndem Licht, was ihr zusatzlichen Zauber verlieh.
        Dazu tragen auch die hell gestrichenen Hauser und die malerischen Boote bei, die wie arabische Handelsschiffe getakelt waren, wie Bo-litho sie oft an der Kuste Afrikas gesehen hatte.

«Lassen Sie die Wache wegtreten, Mr. Bolitho. «Pallisers scharfe Stimme holte Bolitho in diese Welt zuruck.»Und dann halten Sie sich mit dem Kommando der Seesoldaten bereit, den Kommandanten an Land zu begleiten.»
        Dankbar verschwand Bolitho unter Deck und begab sich nach achtern. Im Gegensatz zum Oberdeck war es hier fast kuhl.
        Im Halbdunkel stie? er beinahe mit dem Schiffsarzt zusammen, der gerade vom Hauptdeck hochkam. Er schien ungewohnlich erregt und sagte:»Ich mu? den Kommandanten sprechen. Ich furchte, der Kapitan der Brigantine stirbt.»
        Bolitho ging durch die Messe in seine Kammer, um seinen Sabel und seinen besten Hut fur den Landgang zu holen.
        Sie hatten bisher wenig uber den Kapitan der Heloise erfahren, au?er da? er Jacob Triscott hie? und aus Dorset stammte. Wie Bulkley schon festgestellt hatte, bot es keinen besonderen Anreiz, am Leben zu bleiben, da? der Strick des Henkers auf einen wartete. Bolitho merkte, wie die Neuigkeit ihn beruhrte. Da? man einen Mann in Notwehr oder in Erfullung seines dienstlichen Auftrags totete, damit mu?te man rechnen. Aber nun sollte der Mann, der versucht hatte, ihn niederzustechen, nach langerem Krankenlager sterben. Die Verzogerung schien ihm wurdelos und unfair.
        Rhodes sturzte hinter ihm in die Messe.»Ich bin am Verdursten! All diese Besucher an Bord, ich bin vollig geschafft!»
        Als Bolitho aus seiner Kammer trat, rief Rhodes aus:»Was ist mit Ihnen los?»

«Der Kapitan der Brigantine stirbt.»

«Ich wei?. «Er zuckte die Achseln.»Er oder Sie. Nur so sollten Sie es betrachten.
«Er fugte hinzu:»Der >Herr und Meister< ist davon am meisten betroffen. Er hatte auf die Information gesetzt, die er von dem Schurken bekommen wollte, bevor er den letzten Atemzug tat. So oder so.»
        Er folgte Bolitho durch den Turvorhang, und zusammen schauten sie nach vorn in das flirrende Licht auf dem Oberdeck.
        Rhodes fragte:»Hat sich schon etwas mit Jurys Uhr ergeben?»
        Bolitho lachelte grimmig.»Der Kommandant hat befohlen, da? ich mich darum kummere.


«Das habe ich erwartet.»

«Ich nehme an, er hat es inzwischen vergessen, aber ich mu? etwas unternehmen. Jury hat schon Pech genug gehabt.»
        Johns, der Bootssteurer des Kommandanten, ging in seinem besten blauen Jackett mit vergoldeten Knopfen vorbei. Er sah Bolitho und sagte:»Die Gig liegt langsseit, Sir. Sie sollten einsteigen.»
        Rhodes klopfte Bolitho auf die Schulter.»Unser Kommandant hat es nicht gern, wenn man ihn warten la?t.»
        Als Bolitho sich anschickte, dem Bootssteurer zu folgen, sagte Rho-des leise: Horen Sie, Dick, wenn es Ihnen recht ist, da? ich etwas wegen dieser verdammten Uhr unternehme, wahrend Sie an Land…»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nein, aber vielen Dank. Der Dieb gehort sicherlich zu meiner Division. Doch jeden Mann zu durchsuchen und seine Habseligkeiten an Deck auszubreiten, wurde das Vertrauen und die Loyalitat ruinieren, die ich in dieser kurzen Zeit gewinnen konnte. Ich mu? mir etwas anderes ausdenken.»
        Rhodes sagte:»Ich hoffe, der junge Jury hat seinen Zeitmesser nur verloren. Ein Verlust ware besser als ein Diebstahl.»
        Sie verstummten, als sie sich auf der Steuerbord-Laufbrucke dem Fallreep naherten, wo eine Korporalschaft der Seesoldaten und die Fallreepsgasten angetreten waren, um ihrem Kommandanten die traditionellen Ehren beim Vonbordgehen zu erweisen.
        Aber Dumaresq stand breitbeinig da, den Kopf vorgestreckt, und schrie den Schiffsarzt an:»Nein, mein Herr, er darf nicht sterben! Nicht bevor ich die Information habe!»
        Bulkley hob hilflos die Hande.»Aber der Mann ist schon halb hinuber, Sir. Ich kann nichts mehr machen.»
        Dumaresq schaute auf die wartende Gig und den Kutter hinunter, der mit Colpoys' Begleitkommando beladen war. Er wurde in der Residenz des Vizekonigs erwartet. Eine Verspatung wurde Verstimmungen zur Folge haben, die er gerade jetzt vermeiden mu?te, weil er das Entgegenkommen der Portugiesen brauchte.
        Er wandte sich abrupt zu Palliser um.»Verdammt, machen Sie das. Sagen Sie diesem Halunken Triscott, da? ich - wenn er Einzelheiten uber seine Mission und seinen Bestimmungsort preisgibt - einen Brief an seine Heimatgemeide in Dorset schicken werde. Ich will dafur sorgen, da? er als ehrenwerter Mann in Erinnerung bleibt. Machen Sie ihm klar, was das fur seine Familie und seine Freunde bedeutet. «Er bemerkte Pallisers zweifelnde Miene.»Herrgott noch mal, Mr. Palli-ser, denken Sie sich was aus. Verstanden?»
        Palliser fragte sanft:»Und wenn er mir ins Gesicht spuckt?»

«Dann lasse ich ihn hier in aller Offentlichkeit aufknupfen. Mal sehen, was seine Familie dazu sagt.»
        Bulkley trat vor.»Langsam, meine Herren. Der Mann liegt im Sterben und kann keinem mehr schaden.»

«Gehen Sie hinunter und tun Sie, was ich gesagt habe. Das ist ein Befehl.
«Dumaresq drehte sich zu Palliser um.»Lassen Sie von Mr. Timbrell ein Jolltau an der Nock der Gro?rah anschlagen. Ich werde den Schurken personlich daran hangen, ob er im Sterben liegt oder nicht, wenn er sich weigert, uns zu helfen.»
        Palliser folgte dem Kommandanten zum Fallreep.»Es mu? eine unterschriebene Erklarung sein, Sir. «Er nickte, wie um es zu bestatigen.»Ich werde einen Zeugen hinzuziehen, der seine Worte protokolliert.»
        Dumaresq lachelte verkniffen.»Guter Mann! Sie machen das schon. «Er sah Bolitho und fuhr ihn an:»In die Gig mit Ihnen! Jetzt wollen wir den Vizekonig besuchen.»
        Als das Boot frei von der Bordwand war, drehte Dumaresq sich um und musterte sein Schiff, wozu er die Augen wegen der starken Sonnenspiegelung zukneifen mu?te.

«Bulkley ist ein guter Arzt, aber manchmal benimmt er sich wie ein altes Weib. Wir sind nicht zur Erholung hier, sondern um einen verschollenen Schatz zu bergen.»
        Bolitho versuchte, seine Haltung zu andern, da die Ducht, auf die er sich seinem Kommandanten gegenuber gesetzt hatte, kochend hei? war.
        Der vertrauliche Ton Dumaresqs ermutigte ihn zu der Frage:»Gibt es wirklich einen Schatz, Sir?«Er sprach dabei so leise, da? der Schlagmann ihn nicht verstehen konnte.
        Dumaresq packte seinen Sabelgriff fester und starrte auf das Land.

«Es gibt ihn irgendwo, das wei? ich. In welcher Form, bleibt herauszufinden. Aber dafur sind wir hier. Aus diesem Grund besuchte ich auch meinen alten Freund auf Madeira. Aber irgend etwas Unfa?bares geht im Hintergrund vor sich. Deshalb wurde mein Schreiber ermordet. Deswegen trieb die Heloise ihr gefahrliches Spiel und versuchte, uns zu folgen. Und nun erwartet der arme Bulkley von mir, da? ich ein Gebet fur einen Schurken lese, der vielleicht den Schlussel zu allem besitzt; fur einen Mann, der beinahe meinen jungen, sentimentalen Dritten Offizier getotet hatte. «Er wandte sich Bolitho zu und sah ihn merkwurdig an.»Sind Sie immer noch aufgebracht wegen Jurys Uhr?»
        Bolitho schluckte. Der Kommandant hatte es tatsachlich nicht vergessen.

«Sobald wir zuruck sind, werde ich die Sache in die Hand nehmen,
        Sir.»

«Hm. Machen Sie keine zu gro?e Affare daraus. Wenn ein Verbrechen geschehen ist, mu? der Schuldige bestraft werden - streng. Aber diese armen Burschen besitzen kaum einen Heller. Ich mochte sie nicht alle gedemutigt sehen wegen eines gemeines Diebes, obwohl Gott wei?, da? viele von ihnen auf die Weise begannen. «Dumaresq hob weder die Stimme, noch schaute er seinen Bootssteurer an.»Sehen Sie mal zu, was Sie da machen konnen, Johns.»
        Mehr sagte er nicht, doch Bolitho spurte, da? es ein starkes Band zwischen dem Kommandanten und seinem Bootssteurer gab.
        Dumaresq schaute zur Landungsbrucke. Da standen weitere Uniformierte und einige Pferde. Auch eine Kutsche wartete, um die Besucher zur Residenz zu bringen.
        Dumaresq spitzte die Lippen.»Sie werden mich begleiten, Mr. Bo-litho. Dabei konnen Sie etwas lernen. «Er kicherte in sich hinein.»Als das Schatzschiff, die Asturias, vor drei?ig Jahren das Gefecht abbrach, soll sie hinterher in Rio eingelaufen sein. Es wurde au?erdem behauptet, da? die portugiesischen Behorden eine Hand mit im Spiel hatten, als die Goldbarren verschwanden. «Jetzt setzte er ein breites Lacheln auf.»Sicherlich sind einige Leute auf der Pier besorgter, als ich es im Augenblick bin.»
        Der Bugmann hob seinen Bootshaken, und bei» Riemen hoch!«legte die Gig ohne den leisesten Sto? an der Landungstreppe an.
        Dumaresqs Lacheln war verschwunden.»So, nun wollen wir sehen. Ich mochte so bald wie moglich zuruckfahren und horen, welchen Erfolg Mr. Pallisers Uberredungskunste gehabt haben.»
        Oberhalb der Treppe nahm die in einer Reihe angetretene Gruppe von Colpoys' Seesoldaten Haltung an; ihre Gesichter hatten durch die brennende Sonne die rote Farbe ihrer Rocke angenommen. Ihnen gegenuber, in wei?en Waffenrocken mit leuchtend gelben Aufschlagen, stand eine Korporalschaft portugiesischer Soldaten.
        Dumaresq gru?te mit dem Hut und schuttelte die Hande verschiedener Wurdentrager, wahrend Begru?ungsfloskeln getauscht und ubersetzt wurden. Bolitho war uberrascht uber die gro?e Zahl schwarzer Gesichter in der Zuschauermenge. Sicher waren das Sklaven und Bedienstete von den gro?en Besitzungen und Plantagen, uber Tausende von Meilen verschleppt, um, wenn sie Gluck hatten, von einem freundlichen Dienstherrn gekauft zu werden. Wenn sie Pech hatten, lebten sie nicht mehr sehr lange.
        Schlie?lich kletterte Dumaresq mit drei Portugiesen in die Kutsche, wahrend die anderen Herren ihre Pferde bestiegen.
        Colpoys steckte seinen Sabel in die Scheide, warf einen Blick auf die Residenz des Vizekonigs am Hang eines uppig bewachsenen Hugels und stohnte:»Wir mussen marschieren, verflixt noch mal. Ich bin aber Seesoldat und kein damlicher Infanterist.»
        Bis sie das prachtig aussehende Gebaude erreicht hatten, war Bo-litho vollig durchgeschwitzt. Wahrend die Seesoldaten von einem Diener hinter das Gebaude gefuhrt wurden, durften Bolitho und Col-poys in einen hohen Raum treten, dessen eine Seite sich zur See und zu einem Garten mit leuchtenden Blumen und schattenspendenden Palmen offnete.
        Weitere Diener brachten auf leisen Sohlen unauffallig Stuhle und Wein fur die beiden Offiziere, und uber ihren Kopfen begann ein gro?er Facher hin und her zu wedeln. Colpoys streckte die Beine von sich und trank genu?lich den Wein.»Su? wie das Halleluja in der Kirche.»
        Bolitho lachelte. Die portugiesischen Beamten, Militars und Kaufleute lebten offenbar gut. Sie mu?ten sich lediglich an die Hitze gewohnen und gegen das Fieber und sonstige Krankheiten widerstandsfahig werden. Aber die Reichtumer des wachsenden Imperiums waren so gro?, da? man sie nicht einmal schatzen konnte: Silber, Edelsteine, seltene Metalle und riesige Flachen mit gut gedeihenden Zuckerrohrplantagen, die wiederum ganze Armeen von Sklaven benotigten, um die Forderungen des fernen Lissabon zu erfullen.
        Colpoys setzte sein Glas ab und stand auf. In der Zeit, die sie fur ihren Marsch von der Pier hierher benotigt hatten, war Dumaresq offenbar mit seinen Geschaften fertig geworden. Doch als er aus einem Bogengang erschien, entnahm Bolitho seinem Gesichtsausdruck, da? er alles andere als zufrieden war.
        Dumaresq sagte:»Wir wollen zuruck zum Schiff.»
        Die Verabschiedungszeremonie fand gleich in der Residenz statt. Bolitho erfuhr, da? der Vizekonig nicht in Rio war, aber zuruckkehren wurde, sobald ihn die Nachricht vom Besuch der Destiny erreichte.
        Dumaresq erklarte das Notwendigste, als sie hinaus ins Sonnenlicht traten, wobei er als Antwort fur die salutierende Wache die Hand an den Hut legte. Mit seiner sonoren Stimme knurrte er:»Er besteht darauf, da? ich seine Ruckkehr abwarte. Aber ich bin doch nicht von gestern, Bolitho. Diese Leute sind zwar unsere altesten Verbundeten, aber einige davon sind halbe Piraten. Also, ob der Vizekonig nun kommt oder nicht: wenn die Heloise erst zu uns gesto?en ist, werde ich schleunigst Anker lichten.»
        Zu Colpoys sagte er:»Fuhren Sie Ihre Leute zuruck. «Als die scharlachroten Rocke in einer Staubwolke abmarschierten, kletterte Duma-resq in die Kutsche.»Sie kommen mit mir, Mr. Bolitho. Wenn wir die Pier erreichen, mochte ich, da? Sie eine Nachricht fur mich uberbringen. «Er zog einen schmalen Briefumschlag aus seinem Rock.»Ich rechne immer mit dem Schlimmsten und habe deshalb dies hier vorbereitet. Der Kutscher wird Sie hinfahren, und ich zweifle nicht daran, da? die Nachricht von Ihrem Besuch innerhalb einer Stunde in der ganzen Stadt herum ist. «Er lachelte grimmig.»Der Vizekonig ist nicht der einzige Schlaukopf.»
        Als sie mit klappernden Hufen hinter Colpoys und seinen schwitzenden Seesoldaten herfuhren, erganzte Dumaresq noch:»Nehmen Sie einen Mann mit, als personlichen Schutz. Ich sah diesen ehemaligen Preisboxer im Kutter. Stockdale hei?t er wohl. Nehmen Sie den mit.»
        Bolitho wunderte sich. Wie war es moglich, da? Dumaresq so viele Dinge auf einmal im Kopf behielt? Da drau?en lag ein Mann im Sterben, und auch Pallisers Leben war vielleicht bald nicht mehr lebenswert, wenn es ihm nicht gelang, die Informationen zu bekommen. Dann war da irgendwo in Rio jemand, der mit den verschwundenen Goldbarren in Verbindung stand, aber nicht der, zu dem Bolitho Du-maresqs Brief bringen sollte. Schlie?lich waren da das Schiff, seine
        Besatzung und die gekaperte Heloise, dazu Tausende von Meilen Fahrt, ehe sie wissen konnten, ob sie Erfolg hatten oder nicht. Fur einen Kapitan von achtundzwanzig Jahren trug Dumaresq wahrlich eine gro?e Burde. Im Vergleich dazu war die Angelegenheit von Jurys verschwundener Uhr recht unbedeutend.
        Ein schlankes, schwarzhaariges Halbblutmadchen mit einem Korb voller Fruchte auf dem Kopf blieb stehen und schaute ihnen nach, als die Kutsche vorbeifuhr. Ihre nackten Schultern hatten die Farbe von Honig, und sie warf ihnen einen kecken Blick zu, als sie merkte, da? die beiden Offiziere sie bewundernd ansahen.
        Dumaresq sagte:»Ein schones Madchen. Und eine schonere Bugverzierung habe ich noch nie gesehen. Es wurde das Risiko lohnen, sie umzulegen.»
        Bolitho wu?te nicht, was er sagen sollte. Er war derbe Kommentare von Matrosen gewohnt, aber aus Dumaresqs Mund klang es vulgar und seiner nicht wurdig.
        Dumaresq sagte nichts mehr, bis die Kutsche hielt. Dann:»Machen Sie, so schnell Sie konnen. Ich beabsichtige, morgen Trinkwasser zu ubernehmen, und bis dahin ist noch eine Menge zu erledigen. «Er verschwand in der Gig.
        Bolitho dirigierte den Kutscher zu der auf dem Umschlag stehenden Adresse. Stockdale sa? ihm gegenuber und fullte die halbe Kutsche aus.
        Dumaresq hatte an alles gedacht. Bolitho oder ein anderer Fremder hatten angehalten und ausgefragt werden konnen, aber die Kutsche mit dem Wappen des Vizekonigs auf der Tur hatte uberall freie Fahrt.
        Das Haus, vor dem die Kutsche schlie?lich hielt, war ein niedriges Gebaude, von einer dicken Mauer umgeben. Bolitho hielt es fur eines der altesten Hauser Rios. Es besa? den zusatzlichen Luxus eines gro?en Gartens und einer gepflegten Auffahrt.
        Ein farbiger Diener empfing Bolitho ohne das geringste Zeichen von Uberraschung und fuhrte ihn in eine gro?e, kreisrunde Eingangshalle, in der Marmorvasen voll Blumen standen, wie Bolitho sie auch im Garten gesehen hatte, und einige Plastiken, die in ihren Nischen wie verliebte Wachtposten in Schilderhauschen wirkten.


        Bolitho blieb in der Mitte der Halle zogernd stehen, ungewi?, was er als nachstes tun solle. Ein weiterer Diener ging vorbei, schaute auf irgendeinen fernen Punkt und ignorierte den Brief in Bolithos Hand.
        Stockdale grollte.»Ich werde die Burschen auf Trab bringen, Sir!»
        Eine Tur offnete sich gerauschlos, und Bolitho bemerkte einen schmachtig gebauten Mann in wei?er Kniehose und plissiertem Hemd, der ihn musterte.
        Er fragte:»Sind Sie vom Schiff?»
        Bolitho staunte, denn der Mann war Englander.»Ja, Sir. Ich bin Leutnant Richard Bolitho von Seiner Britannischen.»
        Der Mann trat mit ausgestreckter Hand naher und begru?te ihn.

«Ich kenne den Names des Schiffes, Leutnant. Ganz Rio kennt ihn inzwischen.»
        Er fuhrte ihn zu einem von Bucherregalen umsaumten Raum und bot ihm einen Stuhl an. Als die Tur von einem unsichtbaren Bediensteten geschlossen wurde, sah Bolitho, da? Stockdale auf dem gleichen Platz stand, wo er ihn verlassen hatte, bereit, ihn zu beschutzen und - wenn er irgendeinen Verdacht schopfte - das Haus Stein fur Stein niederzurei?en.

«Mein Name ist Jonathan Egmont. «Der Hausherr lachelte hoflich.»Das wird Ihnen nichts sagen, denn Sie sind noch sehr jung fur Ihren Rang.»
        Bolitho lie? die Arme auf den Stuhllehnen ruhen. Es war ein schon geschnitzter Lehnstuhl, er mu?te hier - wie das ganze Haus - schon lange stehen.
        Eine weitere Tur offnete sich, und ein Diener wartete darauf, da? Egmont ihn bemerkte.»Etwas Wein, Leutnant?»
        Bolithos Mund war wie ausgedorrt.»Ein Glas wurde ich gern annehmen, Sir.»

«Ruhen Sie sich aus, wahrend ich lese, was Ihr Kommandant mir mitzuteilen hat.»
        Bolitho sah sich im Raum um, als Egmont zu einem Tisch hinuberging und Dumaresqs Brief mit einem goldenen Stilett aufschlitzte. Rundherum Bucher uber Bucher, und auf dem Boden einige wertvolle Teppiche. Es war schwierig, Einzelheiten zu erkennen, weil seine Augen noch vom Sonnenlicht geblendet waren; au?erdem waren die
        Fenster so dicht verhangt, da? es fast zu dunkel war, um den Gastgeber naher zu betrachten. Ein intelligentes Gesicht, dachte Bolitho. Der Mann schien um die Sechzig zu sein, aber die Menschen in diesem Klima alterten schneller. Es war schwierig zu erraten, was Egmont hier tat und wie Dumaresq ihn entdeckt hatte.
        Egmont legte den Brief sorgsam auf den Tisch und schaute zu Bo-litho hinuber.

«Ihr Kommandant hat Ihnen nichts uber den Inhalt erzahlt?«Er sah Bolithos Gesichtsausdruck und schuttelte den Kopf.»Nein, naturlich nicht. Es war falsch, Sie danach zu fragen. «Bolitho sagte:»Er befahl mir, den Brief unverzuglich zu uberbringen. Das ist alles.»

«Verstehe. «Einen Augenblick schien er unsicher, sogar besorgt. Dann sagte er:»Ich werde tun, was ich kann. Es wird selbstverstandlich einige Zeit dauern, aber da der Vizekonig nicht in der Residenz ist, wird Ihr Kommandant sicherlich noch bleiben.»
        Bolitho offnete den Mund, schlo? ihn aber wieder, als die Tur sich offnete und eine Frau mit einem Tablett eintrat. Er sprang auf und schamte sich sogleich seines zerknitterten Hemdes und seiner schwei?verklebten Haare. Denn er kam sich wie ein Vagabund vor im Vergleich zu dieser Gestalt; sie war das schonste Wesen, das er je gesehen hatte.
        Ganz in Wei? gehalten war ihr Gewand, in der Taille durch einen schmalen goldenen Gurtel zusammengerafft. Ihr Haar glanzte pechschwarz wie seines und fiel, obwohl im Nacken durch ein Band gebandigt, uppig auf ihre Schultern, deren Haut wie Seide glanzte.
        Sie musterte ihn vom Scheitel bis zur Sohle, wobei sie den Kopf leicht auf die Schulter neigte.
        Egmont war aufgestanden und sagte formlich:»Das ist meine Frau, Leutnant Bolitho.»
        Bolitho verbeugte sich.»Es ist mir eine Ehre, Madam. «Er wu?te nicht, was er weiter sagen sollte. Ihre Erscheinung bewirkte, da? er sich unbeholfen vorkam und unfahig, auch nur einen Satz herauszubringen; aber auch sie hatte noch nichts zu ihm gesagt.
        Sie setzte das Tablett auf einen Tisch und hielt ihm die Hand entgegen.

«Seien Sie uns willkommen hier, Leutnant. Sie durfen meine Hand kussen.»
        Bolitho ergriff die Hand, fuhlte ihre weiche Haut und roch ihr Parfum, das ihm vollends den Kopf verdrehte.
        Ihre Schultern waren nackt, und trotz des Zwielichts im Raum sah er, da? sie violette Augen hatte. Sie war schon, ja, mehr als das. Auch ihre Stimme, als sie ihm die Hand geboten hatte, war aufregend. Wie kam es, da? sie Egmonts Frau war? Sie mu?te betrachtlich junger sein, Spanierin oder Portugiesin, gewi? keine Englanderin. Bolitho hatte sich nicht gewundert, wenn sie direkt vom Mond heruntergestiegen ware.
        Er stammelte:»Richard Bolitho, Madam.»
        Sie trat einen Schritt zuruck und hielt eine Hand vor den Mund. Dann lachte sie. Bo-li-tho! Ich glaube, es ist leichter fur mich, wenn ich Sie nur mit >Leutnant< anrede. «Ihr Gewand schwang herum, als sie sich ihrem Mann zuwandte.»Spater, denke ich, darf ich Sie einfach Richard nennen.»
        Egmont sagte:»Ich werde einen Brief schreiben, den Sie mitnehmen konnen, Leutnant.
«Er schien hinter seine Frau, ja, durch sie hindurchzuschauen, als ob sie nicht da ware.»Ich werde tun, was ich kann.»
        Sie wandte sich wieder Bolitho zu.»Bitte kommen Sie uns besuchen, so lange Sie in Rio sind. «Sie deutete einen kleinen Knicks an, und ihre Augen ruhten dabei auf seinem Gesicht. Dann sagte sie mit weicher Stimme:»Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen.»
        Dann war sie verschwunden, und Bolitho sank in seinen Stuhl, als ob ihm die Beine weggezogen worden waren.
        Egmont sagte:»Es wird einen Augenblick dauern. Genie?en Sie den Wein, wahrend ich Tinte und Papier hole.»
        Schlie?lich war es geschafft, und als Egmont den Umschlag mit feuerrotem Siegellack verschlo?, bemerkte er kuhl:»Erinnerungen wirken lange nach. Ich lebe hier nun schon viele Jahre und war nur selten - au?er in geschaftlichen Angelegenheiten - verreist. Und dann kommt eines Tages ein Schiff des Konigs, befehligt von dem Sohn eines Mannes, der mir einst sehr nahestand, und plotzlich ist alles verandert. «Er hielt ihm den Brief hin.»Ich wunsche Ihnen einen guten Tag.»
        Stockdale betrachtete Bolitho neugierig, als er die Bibliothek verlie?.»Alles erledigt, Sir?«Bolitho hielt inne, weil sich eine andere Tur offnete und er Mrs.
        Egmont dastehen sah. Sie sagte nichts und lachelte nicht einmal, sondern schaute ihn lediglich an - als ob sie sich etwas Unbekanntem ausliefere, dachte Bolitho. Dann bewegte sich ihre Hand und hob sich einen Augenblick an ihre Brust. Bolitho fuhlte, da? sein Herz so heftig schlug, als wollte es sich zu ihrer Hand drangen.
        Die Tur schlo? sich, und Bolitho glaubte fast, er habe sich alles nur eingebildet oder der Wein sei zu stark gewesen. Als er aber Stockdales Gesicht sah, wu?te er, da? es kein Trugbild gewesen war.

«Wir kehren besser zum Schiff zuruck, Stockdale.»
        Stockdale folgte ihm hinaus ins Sonnenlicht. Keinen Augenblick zu fruh, dachte er.
        Es war Dammerung, als das Boot, das sie von der Landungsbrucke abgeholt hatte, an den Rusteisen festmachte. Bolitho kletterte zur Fallreepspforte hinauf, mit seinen Gedanken noch bei der wunderschonen Frau im wei?en Gewand.
        Rhodes wartete auf ihn mit den Fallreepsgasten und flusterte ihm schnell zu:»Der Erste Offizier erwartet Sie, Dick.»

«Kommen Sie nach achtern, Mr. Bolitho!«Pallisers brusker Ton brachte Rhodes zum Schweigen, bevor er mehr sagen konnte.
        Bolitho kletterte zum Achterdeck hinauf und beruhrte seinen Hut.

«Sir?»
        Palliser fuhr ihn an:»Ich warte schon eine Ewigkeit auf Sie!»

«Ja, Sir. Aber ich hatte einen Auftrag des Kommandanten.»

«Das hat ja lange Zeit in Anspruch genommen!»
        Bolitho unterdruckte mit Muhe seinen aufsteigenden Arger. Was er auch tat oder zu tun versuchte, Palliser war nie zufrieden.
        Er sagte ruhig:»Gewi?, Sir. Und jetzt bin ich hier.»
        Palliser starrte ihn an, als vermute er hinter seinen Worten eine Unverschamtheit. Dann sagte er:»Wahrend Ihrer Abwesenheit hat der Wachtmeister auf meine Anordnung hin einige Wohnraume der Mannschaft durchsucht. «Erwartete auf eine Reaktion Bolithos.»Ich wei? zwar nicht, welche Art Disziplin Sie in Ihrer Division einzufuhren versuchen, aber lassen Sie mich Ihnen versichern, da? es mehr als der Bestechung mit Schnaps und Wein bedarf, um etwas zu erreichen. Mr. Jurys Uhr wurde im Besitz eines Ihrer Manner vom Gro?mast gefunden. Murray hei?t der Mann. Was sagen Sie nun?»
        Bolitho sah Palliser unglaubig an. Murray hatte Jury das Leben gerettet. Ohne sein schnelles Handeln in jener Nacht an Deck der Heloi-se ware der Midshipman jetzt tot gewesen. Und wenn Jury nicht ihm, Bolitho, den Degen zugeworfen hatte, um seinen verlorenen Sabel zu ersetzen, ware auch er selbst jetzt eine Leiche. Das hatte sie miteinander verbunden, ohne da? einer davon gesprochen hatte.
        Er protestierte:»Murray ist ein guter Mann, Sir. Ich kann nicht glauben, da? er ein Dieb sein soll.»

«Ich bin mir aber ganz sicher. Sie mussen eben noch eine Menge lernen, Mr. Bolitho. Manner wie Murray wurden niemals einen Kameraden bestehlen, aber ein Offizier, selbst ein kleiner Kadett, ist fur sie Freiwild. «Mit einiger Anstrengung dampfte er seine Stimme.»Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Mr. Jury hatte die Kuhnheit, die unglaubliche Frechheit, mir zu sagen, er habe die Uhr Murray gegeben, als Geschenk! Das konnen doch selbst Sie nicht glauben!»

«Ich glaube, er sagte das, um Murray zu retten, Sir. Es war falsch, aber ich kann es verstehen.»

«Das habe ich mir gedacht. «Palliser beugte sich vor.»Ich werde dafur sorgen, da? Mr. Jury ausgeschifft wird und eine Ruckfahrkarte nach England bekommt, sobald wir mit einer hoheren Autoritat zusammentreffen. Was halten Sie davon?»
        Bolitho antwortete hitzig:»Ich glaube, da handeln Sie unfair. «Er fuhlte, wie sein Arger verzweifeltem Zorn Platz machte. Palliser hatte mehrfach versucht, ihn zu provozieren, aber diesmal war er zu weit gegangen. Er sagte:»Wenn Sie versuchen, uber Mr. Jury mich zu treffen, werden Sie sicherlich Erfolg haben. Aber das zu erwagen, obwohl Sie genau wissen, da? er keine Familie hat und mit ganzem Herzen der Marine gehort - das ist gemein. An Ihrer Stelle, Sir, wurde ich mich schamen.»
        Palliser starrte ihn an, als ware er geschlagen worden. »Was wurden Sie tun?»
        Eine kleine Gestalt trat aus dem Schatten hervor: Macmillan, der Kommandantensteward. Er sagte:»Verzeihung, meine Herren, aber der Kommandant bittet Sie sofort in seine Kajute.»
        Dumaresq stand breitbeinig in der Tageskajute, die Hande in die Huften gestemmt, und blickte seinen beiden Offizieren entgegen.

«Ich verbitte mir, da? Sie auf meinem Achterdeck wie zwei Stra?enlummel streiten! Was, zum Teufel, ist in Sie gefahren?»
        Palliser sah emport, ja bla? aus, als er sagte:»Wenn Sie gehort haben, was Mr. Bolitho gesagt hat, Sir.»

«Gehort? Gehort?«Dumaresq stie? eine Faust in Richtung des Oberlichtfensters.»Ich glaube, das ganze Schiff hat es gehort. «Er schaute Bolitho an.»Wie konnen Sie sich eine solche Insubordination gegenuber dem Ersten Offizier erlauben? Sie haben ihm ohne Gegenrede zu gehorchen. Disziplin hat den Vorrang, wenn wir nicht zu einem Sauhaufen herabsinken wollen. Ich erwarte, nein: ich verlange, da? das Schiff jederzeit auf ein Wort von mir einsatzbereit ist. Uber unwichtige Dinge in Horweite aller Leute zu streiten, ist ein Wahnsinn, den ich nicht dulde. «Er prufte Bolithos Gesicht und fugte milder hinzu:»Es darf nicht wieder vorkommen.»
        Palliser versuchte es noch einmal.»Ich habe ihm gesagt, Sir. «Er verstummte, als sich ein Blitzstrahl aus den unwiderstehlichen Augen auf ihn richtete.

«Sie sind mein Erster Offizier, und ich stelle mich hinter alles, was Sie unter meinem Kommando tun. Aber ich mochte nicht, da? Sie Ihren Zorn an Kameraden auslassen, die zu jung sind, um sich gegen Sie zu wehren. Sie sind ein erfahrener und bewahrter Offizier, wahrend Mr. Bolitho ein Neuling in der Messe ist. Was Mr. Jury betrifft, so wei? er nicht mehr von den Brauchen auf See als das, was er seit Plymouth gelernt hat. Konnen Sie diese Feststellung akzeptieren?»
        Palliser schluckte, den Kopf unter die Decksbalken geneigt.»Jawohl, Sir.»

«Gut, darin stimmen wir also uberein.»
        Dumaresq ging zu den Heckfenstern und blickte auf die vom Wasser reflektierten Lichter.

«Mr. Palliser, Sie werden den Diebstahl weiter verfolgen. Ich mochte nicht, da? ein guter Mann wie Murray bestraft wird, wenn er nichts von der Sache wei?. Andererseits wird er der Strafe nicht entgehen, wenn er schuldig ist. Das ganze Schiff wei? inzwischen, was passiert ist. Wenn er wegen unserer Unfahigkeit, die Wahrheit herauszufinden, straflos ausginge, beraubten wir uns der Moglichkeit, die wirklichen Unruhestifter und selbsternannten Richter zu ma?regeln. «Er streckte Bolitho die Hand entgegen.»Sie haben sicherlich einen Brief fur mich. «Als er ihn an sich nahm, setzte er langsam hinzu:»Kummern Sie sich um Mr. Jury. Sie haben es in der Hand, ihn fair, aber streng zu behandeln. Es wird ebenso eine Prufung fur Sie sein wie fur ihn. «Er nickte ihm zu.»Abtreten!»
        Als Bolitho die Tur hinter sich schlo?, horte er Dumaresq sagen:»Das war eine gute Aussage, die Sie von Triscott bekommen haben. Sie macht die vorangegangenen Fehlschlage wieder wett.»
        Palliser murmelte etwas, und Dumaresq antwortete:»Noch ein Steinchen, und das Puzzlespiel konnte schneller aufgehen, als ich dachte.»
        Bolitho machte sich unter den Blicken des Wachtpostens, die ihm bis in die Schattenzone folgten, davon. Er betrat die Messe und lie? sich so vorsichtig wie jemand, der gerade vom Pferd gefallen war, nieder.
        Poad fragte:»Etwas zu trinken, Sir?»
        Bolitho nickte, obwohl er kaum hingehort hatte. Er sah Bulkley an einem der dicken Holzbalken lehnen und fragte:»Ist der Kapitan der Heloise tot?»
        Bulkley blickte mude auf und wartete, bis sein Blick Bolitho erfa?t hatte.»Aye. Minuten, nachdem er seinen Namen unter die Aussage geschrieben hatte, starb er.
«Der Arzt war kaum zu verstehen.»Ich hoffe nur, die Sache war es wert.»
        Colpoys kam aus seiner Kammer und schwang ein elegantes, wei? gekleidetes Bein uber einen Stuhl.

«Langsam werde ich verruckt. Man liegt hier drau?en vor Anker und hat nichts zu tun…«Er blickte von Bolitho zu Bulkley und zog eine Grimasse.»Es scheint, ich hatte unrecht. Hier herrscht der reinste Frohsinn!»
        Bulkley seufzte.»Ich habe das meiste mit angehort. Triscott sollte nur diese eine Reise als Kapitan machen. Es scheint, er hatte Befehl, uns in Funchal zu treffen und herauszufinden, was wir vorhatten. «Der Arzt stie? versehentlich ein Glas Branntwein um, schien es aber nicht zu bemerken.»Sobald er unser Ziel wu?te, sollte er in die Karibik segeln und das Schiff seinem Besitzer, der den Bau bezahlt hatte, ubergeben. «Er hustelte und tupfte sich das Kinn mit einem roten Taschentuch ab.»Statt dessen wurde Triscott neugierig und versuchte, uns zu folgen. «Er schaute prufend nach achtern, als suche er Duma-resq durch das Schott hindurch.»Stellen Sie sich vor: eine Maus, die den Tiger jagen wollte! Nun, dafur hat er bezahlt.»
        Colpoys fragte ungeduldig:»Schon, aber wer ist dieser mysteriose Kaufer von Brigantinen?»
        Bulkley drehte sich so langsam zu dem Leutnant um, als tate es ihm weh, sich zu bewegen.»Ich hatte Sie fur schlauer gehalten. Sir Piers Garrick naturlich! Ehemals Freibeuter im Namen des Konigs und jetzt ein verdammter Seerauber auf eigene Faust!»
        Rhodes betrat die Messe.»Ich habe das eben mitgehort. Wir hatten es wissen mussen, nachdem unser Kommandant schon seinen Namen genannt hatte. Nach so vielen Jahren! Der Mann mu? jetzt uber sechzig sein. Glauben Sie wirklich, da? er wei?, was aus den Goldbarren der Asturias wurde?»
        Colpoys sagte gelangweilt:»Der Knochensabler ist eingeschlafen, Stephen.»
        Poad, der sich in der Nahe aufgehalten hatte, sagte:»Es gibt heute frisches Schweinefleisch, meine Herren. Eine Aufmerksamkeit, die uns ein Mr. Egmont mit besten Empfehlungen geschickt hat. «Er wartete auf den richtigen Augenblick, um fortzufahren:»Der Uberbringer sagte, als Erinnerung an den Besuch Mr. Bolithos in seinem Haus. «Bolitho errotete, als alle ihn anschauten.
        Colpoys schuttelte bedauernd den Kopf.»Mein Gott, wir sind kaum angekommen, und schon hat eine Frau die Hand im Spiel.»
        Als Gulliver sich zu Colpoys und dem Zahlmeister an den Tisch setzte, nahm Rhodes Bolitho beiseite.»Hat er Ihnen hart zugesetzt, Dick?»

«Ich habe meine Selbstbeherrschung verloren. «Bolitho lachelte reuig.

«Lassen Sie sich nichts gefallen! Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe.
«Rhodes vergewisserte sich, da? niemand zuhorte.»Ich habe Jury gesagt, da? er im Kartenraum auf Sie warten soll. Sie werden dort einige Zeit ungestort sein, bringen Sie es hinter sich. Ich habe so etwas auch schon durchgemacht. «Er schnupperte und rief:»Ich rieche Schweinebraten, Dick. Sie mussen an Land tatsachlich gro?en Eindruck gemacht haben.»
        Bolitho arbeitete sich zu dem kleinen Kartenraum durch, der neben dem Niedergang lag, und sah Jury neben dem leeren Kartentisch stehen. Wahrscheinlich glaubte er seine Karriere ebenso vom Tisch gewischt wie Gullivers Berechnungen.
        Bolitho sagte:»Man hat mir berichtet, was Sie getan haben. Der Fall Murray wird untersucht, darauf hat der Kommandant mir sein Wort gegeben. Sie werden nicht ausgeschifft, wenn wir auf das karibische Geschwader sto?en, sondern bleiben auf der Destiny.«Er horte, wie Jury aufatmete, und sagte:»Es liegt jetzt also an Ihnen.»

«Ich - ich wei? nicht, was ich sagen soll, Sir.»
        Bolitho spurte seine innere Entschlossenheit wanken. Er war selbst einmal so unerfahren wie Jury gewesen und wu?te, was es bedeutete, einer offensichtlichen Katastrophe entgegenzusehen.
        Er zwang sich zu sagen:»Sie haben falsch gehandelt, indem Sie logen, um einen Mann zu schutzen, der wahrscheinlich schuldig ist. «Er unterband Jurys Protestversuch. Es war nicht richtig, so stark fur einen Mann einzutreten, wie Sie es fur einen anderen kaum getan hatten. Ich habe den gleichen Fehler begangen. Wenn ich gefragt worden ware, ob ich mich so fur Murray eingesetzt hatte, wenn er eine Niete ware, oder fur Sie, wenn Sie mich nicht gerettet hatten, hatte ich zugeben mussen, da? ich zu Ihren Gunsten voreingenommen war.»
        Jury sagte gepre?t:»Ich bedaure den Arger, den ich verursacht habe. Besonders Ihnen.»
        Bolitho sah ihn zum erstenmal voll an und bemerkte den inneren Kampf, den er durchmachte.»Ich wei?. Wir haben beide aus all dem gelernt. «Er fiel in einen harteren Tonfall:»Andernfalls waren wir beide es nicht wert, des Konigs Rock zu tragen. Und nun gehen Sie bitte wieder in Ihr Quartier.»
        Er horte Jury den Kartenraum verlassen und wartete einige Minuten, um sich zu sammeln.
        Er hatte korrekt gehandelt, auch wenn es jetzt schon etwas spat dafur war. In Zukunft wurde Jury sich in acht nehmen und weniger willig sein, sich an andere zu hangen.»Heldenverehrung «hatte der Kommandant es genannt.
        Bolitho seufzte und begab sich in die Messe. Als er eintrat, schaute Rhodes ihn fragend an.
        Bolitho zuckte die Schultern.»Es war nicht leicht.»

«Das ist es nie. «Rhodes grinste und schnupperte wieder.»Wir werden etwas spater essen, aber mir scheint, das Warten lohnt.»
        Bolitho nahm Poad ein Glas Wein ab und setzte sich in einen Armstuhl. Rhodes' Rezept war einfacher, dachte er: Lebe fur das Heute und sorge dich nicht um das Morgen, auf diese Weise kann dich nichts verletzen. Aber dann dachte er an Jurys verzagtes Gesicht und wu?te, da? das nicht stimmte.



        VII Im Zwiespalt

        Zwei weitere Tage vergingen ohne ein Anzeichen, da? der portugiesische Vizekonig zuruckgekehrt war oder beabsichtigte, Dumaresq zu empfangen.
        Unter der unbarmherzigen Sonne fast zerflie?end, erledigten die Seeleute ihre tagliche Arbeit recht unlustig. Die Stimmung war allgemein gereizt, Streitigkeiten flammten leicht auf, und bei verschiedenen Anlassen wurden Leute nach achtern zur Bestrafung gebracht.
        Wenn Dumaresq an Deck kam, schien er mit jedem von der Schiffsglocke angezeigten Wachwechsel argerlicher und unduldsamer zu werden. Ein Matrose bekam Strafarbeiten allein deshalb, weil er ihn angestarrt hatte, und Midshipman Ingrave, der als sein Schreiber eingesprungen war, wurde mit der Bemerkung:»Zu damlich, um eine Feder zu halten«, die noch lange in seinen Ohren nachklang, zuruck zu seinem normalen Dienst an Deck geschickt.
        Selbst Bolitho, der wenig Erfahrung mit den Gepflogenheiten in auslandischen Hafen hatte, fiel die der Destiny auf gezwungene Isolierung auf. Ein paar Boote mit allerlei Handelswaren lungerten zwar voller Hoffnung auf Geschafte um das Schiff herum, wurden aber von den aufmerksamen Wachbooten am Herankommen gehindert. Und ganz gewi? war, da? keine Nachricht von dem Mann namens Egmont kam.
        Samuel Codd, der Zahlmeister, war nach achtern marschiert, um sich daruber zu beklagen, da? es ihm unmoglich sei, seine Vorrate an frischem Obst zu erganzen. Das halbe Schiff mu?te mit angehort haben, wie Dumaresqs Zorn sich sturzbachartig uber ihn ergo?.

«Fur was halten Sie mich eigentlich, Sie Geizkragen? Glauben Sie, ich habe nichts anderes zu tun als zu kaufen und zu verkaufen wie ein ambulanter Gemusehandler? Nehmen Sie ein Boot und gehen Sie selber an Land, aber sagen Sie dem Kaufmann diesmal, die Vorrate seien fur mich bestimmt!«Seine machtige Stimme folgte Codd noch, als der langst die Kajute verlassen hatte:»Und kommen Sie mir nicht mit leeren Handen zuruck!»
        Nur in der Offiziersmesse war die Stimmung kaum verandert. Es gab den ublichen Klatsch und aufgebauschte Berichte uber die Ereignisse wahrend der Tagesarbeit. Nur wenn Palliser erschien, wurde das Klima formlich, fast frostig.
        Bolitho hatte sich Murray kommen lassen und ihm die Beschuldigung, ein Dieb zu sein, eindringlich vor Augen gehalten. Murray hatte entschlossen verneint, irgend etwas mit der Angelegenheit zu tun zu haben, und Bolitho gebeten, fur ihn einzutreten. Bolitho war von dem Ernst des Mannes beeindruckt. Murray war uber die Aussicht auf eine zu unrecht erlassene Prugelstrafe weniger verangstigt als emport. Aber die Strafe war nicht mehr abzuwenden, wenn der wahre Dieb nicht gefunden werden konnte.
        Poynter, der Oberwachtmeister, blieb unerbittlich. Er hatte die Uhr in Murrays Utensilienkasten bei einer kurzen Durchsuchung entdeckt. Jeder konnte sie da versteckt haben, aber aus welchem Grund? Es hatte festgestanden, da? etwas unternommen werden wurde, um die verschwundene Uhr wiederzufinden. Ein vorsichtiger Dieb hatte hundert Moglichkeiten gehabt, sie an einem sicheren Ort zu verstecken. Aber so? Die Sache ergab keinen Sinn.
        Am Abend des zweiten Tages kam die Heloise in Sicht. Sie naherte sich langsam der Kuste. Ihre Segel schimmerten im scheidenden Sonnenlicht, als sie einen letzten Schlag in Richtung Hafeneinfahrt machte.
        Dumaresq beobachtete sie durch sein Teleskop und brummte:»Braucht ja endlos! Da mu? er sich schon etwas mehr anstrengen, wenn er befordert werden will!»
        Rhodes sagte:»Haben Sie es bemerkt, Dick? Die Trinkwasserprahme sind nicht wie versprochen gekommen. Unser Vorrat mu? ziemlich zu Ende sein. Kein Wunder, da? unser >Herr und Meister< vor Zorn rot anlauft.»
        Bolitho erinnerte sich an Dumaresqs Worte, da? die Destiny am Tag nach ihrer Ankunft Frischwasser ubernehmen wolle. Das hatte er uber all dem, was seine Gedanken inzwischen gefangennahm, vergessen.

«Mr. Rhodes!«Dumaresq trat an die Querreling des Achterdecks.»Signalisieren Sie der Heloise, da? sie auf der au?eren Reede ankern soll. Mr. Slade soll nicht versuchen, bei Dunkelheit naher ans Land heranzusegeln. Um ganz sicherzugehen, schicken Sie ihm ein Boot mit dem Befehl, da? er frei von der Landzunge vor Anker gehen soll.»
        Das Trillern der Bootsmannsmaatenpfeife brachte die Bootscrew im Laufschritt nach achtern. Einige stohnten, als sie sahen, wie weit die Brigantine entfernt war. Das gab eine lange Strecke zu pullen, und zwar hin und zuruck.
        Rhodes suchte den Midshipman der Wache.»Mr. Lovelace, Sie fahren mit!«Er lie? sich nichts anmerken, als er Bolitho zuzwinkerte.»Verdammte Kadetten, was, Dick? Mussen ein bi?chen beschaftigt werden.»

«Mr. Bolitho!«Dumaresq hatte ihn beobachtet.»Kommen Sie bitte zu mir.»
        Bolitho eilte nach achtern, bis sie beide au?er Horweite der anderen an der Heckreling standen.

«Ich mu? Ihnen mitteilen, da? Mr. Palliser keinen anderen Schuldigen gefunden hat.
«Dumaresq musterte Bolitho eindringlich.»Das beunruhigt Sie, wie ich sehe.»

«Ja, Sir. Ich habe keinen Gegenbeweis, aber ich bin uberzeugt, da? Murray unschuldig ist.»

«Ich werde warten, bis wir wieder auf See sind. Aber dann mu? die Bestrafung vollzogen werden. Jedoch empfiehlt es sich nicht, Leute vor den Augen Fremder auszupeitschen.»
        Bolitho wartete ab, da er ahnte, da? noch mehr kommen wurde.
        Dumaresq beschattete seine Augen, als er zum Wimpel an der Mastspitze emporschaute.»Eine schone Brise. «Dann sagte er:»Ich brauche einen neuen Schreiber. Auf einem Kriegsschiff gibt es mehr Schriftstucke und Listen als Pulver und Blei. «Sein Tonfall wurde scharfer.»Oder Trinkwasser, was das betrifft!»
        Bolitho straffte sich, als Palliser nach achtern kam und wie vor einer unsichtbaren Linie stehenblieb.
        Dumaresq sagte:»Wir sind fertig. Was ist, Mr. Palliser?»

«Ein Boot nahert sich, Sir. «Er beachtete Bolitho nicht.»Das gleiche, welches Schweinefleisch fur die Messe gebracht hat.»
        Dumaresq hob die Brauen.»Wirklich? Das interessiert mich. «Er machte abrupt kehrt und sagte:»Ich bin in meinen Raumen. Und was den Schreiber betrifft, so habe ich mich entschieden, den neuen Gehilfen des Schiffsarztes, Spillane, mit der Aufgabe zu betrauen. Er scheint ein gebildeteter Mann zu sein und wei?, wie man sich Vorgesetzten gegenuber benimmt; au?erdem will ich den guten Doktor nicht verwohnen, er hat genugend andere Hilfskrafte, die sein Krankenrevier versorgen konnen.»
        Palliser tippte an seinen Hut.»Zu Befehl, Sir.»
        Bolitho ging zur Backbord-Laufbrucke, um das naherkommende Boot zu betrachten. Ohne Glas konnte er erkennen, da? niemand darin sa?, den er kannte. Fast hatte er uber sich selber gelacht, da? er so dumm sein konnte. Was hatte er erwartet? Da? Jonathan Egmont selbst herauskam, um den Kommandanten zu besuchen? Oder da? seine reizende Frau die unbequeme und anstrengende Fahrt unternahm, um ihm zuzuzwinkern? Er wurde offenbar schon kindisch. Vielleicht war er zu lange auf See gewesen, oder sein letzter Heimaturlaub in Falmouth, der so viel Ungluck nach sich zog, hatte ihn anfallig fur Phantastereien und unerfullbare Traume gemacht?
        Das Boot kam an die Gro?rusten, und nach einer langeren Diskussion in Zeichensprache zwischen den Ruderern und dem Bootsmannsmaat der Wache wurde ein Briefumschlag zu Rhodes hinaufgereicht, den er sofort nach achtern zur Kajute trug. Das Boot wartete ein paar Yards vom Schiff entfernt; seine dunkelhautigen Insassen beobachteten die geschaftigen Matrosen und Seesoldaten und schatzten wahrscheinlich die Starke einer Breitseite der Destiny ab.
        Schlie?lich kam Rhodes zuruck, rief das Boot heran und reichte dem Bootssteurer einen anderen Umschlag hinunter. Er sah, da? Bo-litho zuschaute, und kam zu ihm an die Hangemattsnetze.

«Ich wei?, da? Sie es nicht gern horen werden, Dick«, und dabei konnte er ein inneres Lachen nicht ganz unterdrucken,»aber wir sind heute abend zum Essen eingeladen. Ich glaube, Sie kennen das Haus bereits.»

«Wer wird hingehen?«Bolitho bemuhte sich, seine plotzliche Besorgnis nicht zu zeigen.
        Rhodes grinste.»Der >Herr und Meisten, alle Offiziere und - als hofliche Geste - der Schiffsarzt.»

«Das kann ich nicht glauben! Der Kommandant wurde das Schiff doch niemals verlassen, wenn nicht wenigstens ein Offizier an Bord bliebe. «Bolitho schaute nach achtern, wo Dumaresq gerade an Deck erschien.»Bestimmt nicht!»
        Dumaresq rief:»Holen Sie Macmillan und meinen neuen Schreiber Spillane!«Sein Ton war frohlockend, anders als in den letzten Tagen.»In einer halben Stunde brauche ich meine Gig.»
        Rhodes eilte schon davon, als Dumaresq ihm laut nachrief:»Ich mochte, da? Sie, Mr. Bolitho und unser tapferer Rotrock bis dahin anstandig angezogen sind. «Er lachelte.»Der Doktor ebenfalls. «Er ging mit langen Schritten davon, wahrend sein Steward wie ein Ter-rier hinterhertrippelte.
        Bolitho schaute auf seine Hande. Sie wirkten ruhig, aber er hatte das Gefuhl, als habe er die Herrschaft uber sie - genau wie uber sein Herz - verloren.
        In der Messe herrschte wustes Tohuwabohu. Poad und seine Gehilfen suchten nach sauberen Hemden und gebugelten Uniformrocken, um ihre Schutzlinge aus wetterharten Seeoffizieren in geschniegelte Gentlemen zu verwandeln.
        Colpoys verfluchte seinen Burschen wie ein Kavallerist, wahrend der Mann seine Stiefel auf Hochglanz brachte und er sich selber im Handspiegel betrachtete.
        Bulkley, zerknittert und eulenhaft wie immer, brummte:»Er nimmt mich nur mit, um das Unrecht, das er mir mit meinem Gehilfen angetan hat, wiedergutzumachen.»
        Palliser hakte ein.»Ach du lieber Himmel! Wahrscheinlich will er nur nicht riskieren, Sie allein an Bord zuruckzulassen.»
        Gulliver war offensichtlich entzuckt, da? er als zeitweilig Verantwortlicher fur das Schiff fungieren sollte. Auf der langen Uberfahrt von Funchal hierher hatte er sichtlich an Selbstvertrauen gewonnen, und au?erdem ha?te er die Gepflogenheiten der vornehmen Gesellschaft, wie er Codd einmal anvertraut hatte.
        Bolitho war als erster am Fallreep. Er sah, da? Jury gerade die Wache auf dem Achterdeck ubernahm. Ihre Blicke trafen sich und wanderten dann weiter. Es wurde anders werden, wenn das Schiff erst wieder in See war. Dann konnten gemeinsame Aufgaben die Spannung zwischen ihnen beseitigen, nur: Murrays Schicksal war auch dann noch nicht entschieden.
        Dumaresq erschien an Deck und musterte seine Offiziere.»Gut!
        Recht gut!«Er musterte die langsseits liegende Gig unten, die Mannschaft in den karierten Hemden und mit den geteerten Huten und den Bootssteurer, der zum Ablegen bereit wartete.»Gut gemacht, Johns!»
        Bolitho dachte daran, wie er das letztemal mit Dumaresq an Land gefahren war, der so nebenbei zu Johns gesagt hatte, er solle sich um die Angelegenheit mit Jurys verschwundender Uhr kummern. Johns war als Bootssteurer des Kommandanten bei den Unteroffizieren und dienstalteren Leuten sehr angesehen. Ein Wort zur rechten Zeit, ein Wink an den Wachtmeister, der keines gro?en Ansto?es bedurfte, wenn es darauf ankam, die Leute unter Druck zu setzen, und eine schnelle Durchsuchung hatten das ubrige getan.

«Ins Boot!»
        In genauer Beachtung des Dienstalters und von einigen wachfreien Leuten auf der Laufbrucke beobachtet, kletterten die Offiziere der Destiny in die Gig hinunter. Als letzter nahm Dumaresq in seinem goldbetre?ten Rock mit den wei?en Aufschlagen auf dem Hecksitz Platz. Als das Boot vorsichtig von der Bordwand absetzte, sagte Rho-des:»Erlauben Sie mir zu sagen, Sir, da? wir Ihnen sehr dankbar fur diese Einladung sind.»
        Dumaresqs Zahne leuchteten sehr wei? in der Dunkelheit.»Ich habe alle meine Offiziere gebeten, mitzukommen, Mr. Rhodes, weil wir eines Geistes sind. «Sein Lacheln breitete sich uber das ganze Gesicht aus.»Au?erdem mochte ich die Leute an Land wissen lassen, da? wir alle anwesend sind.»
        Rhodes erwiderte etwas lahm:»Verstehe, Sir«, aber es war klar, da? er nichts verstanden hatte.
        Trotz seiner kurzlichen Mi?erfolge und Sorgen hatte Bolitho sich wieder beruhigt. Er beobachtete die Lichter an Land und war entschlossen, sich gut zu amusieren. Schlie?lich waren sie in einem fremden, exotischen Land, von dem er zu Hause in Falmouth nach seiner Ruckkehr erzahlen wollte.
        Kein anderer Gedanke sollte ihm heute abend dazwischenkommen. Dann fiel ihm ein, wie sie ihn angeschaut hatte, als er das Haus verlie?, und er fuhlte seinen festen Vorsatz dahinschwinden. Es war lacherlich, aber mit diesem Blick hatte sie bewirkt, da? er sich wie ein erwachsener Mann vorkam.
        Bolitho musterte die ubervolle Tafel und fragte sich, wie er es schaffen sollte, all diesen Kostlichkeiten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Schon wunschte er, Pallisers knappen Ratschlag beachtet zu haben, den dieser seinen jungen Kameraden kurz vor dem Verlassen der Gig gegeben hatte:»Man wird versuchen, Sie betrunken zu machen. Passen Sie also auf!«Das war vor fast zwei Stunden gewesen, aber es schien Bolitho viel langer her.
        Sie sa?en in einem Saal mit gewolbter Decke, an den Wanden hingen farbenfrohe Gobelins, deren Pracht noch verstarkt wurde durch Hunderte von Kerzen in den glitzernden Kristall-Lustern uber ihnen und auf den mehrarmigen Leuchtern, die in regelma?igen Abstanden auf der Tafel standen und aus purem Gold sein mu?ten.
        Die Offiziere der Destiny waren sorgsam am Tisch verteilt und bildeten blau-wei?e Flecken zwischen den prachtiger gekleideten ubrigen Gasten, alles Portugiesen. Die meisten sprachen kaum englisch und riefen einander mit erhohter Lautstarke zu, wenn sie sich etwas ubersetzen lassen oder ihrem Tischnachbarn etwas erklaren wollten. Der Kommandeur der Kustenbatterien, ein Fa? von einem Mann, wurde an Lautstarke und Appetit nur von Dumaresq ubertroffen. Gelegentlich neigte er sich einer der Damen zu, brullte vor Lachen oder schlug mit der Faust auf den Tisch, um seine Bemerkungen zu unterstreichen.
        Eine kleine Armee von Dienern trug eine nicht endenwollende Folge von Gerichten auf: von gekochtem, kostlich schmeckendem Fisch bis zu riesigen Platten mit geschmortem Rindfleisch. Und wahrend der ganzen Zeit flo? der Wein immer wieder wie von selbst in ihre Glaser, roter Wein aus Portugal oder Spanien, herber Wei?wein aus Deutschland und milde Sorten aus Frankreich. Egmont war sehr gro?zugig. Bolitho hatte den Eindruck, da? er selber wenig trank und seine Gaste mit einem ironischen Lacheln beobachtete.
        Es tat fast weh, Egmonts Frau am gegenuberliegenden Ende der Tafel anzuschauen. Sie hatte Bolitho kurz zugenickt, als er ankam, weiter nichts. Und jetzt fuhlte er sich zwischen einem portugiesischen Schiffshandler und einer runzligen Dame, die unaufhorlich a?, unbeachtet und irgendwie verloren.
        Mrs. Egmonts Anblick war atemberaubend. Sie hatte sich wieder in Wei? gekleidet, das ihre Haut golden schimmern lie?. Das Kleid war vorne tief ausgeschnitten, und um den Hals trug sie ein Geschmeide, das einen doppelkopfigen aztekischen Vogel darstellte, dessen lange Schwanzfedern mit Rubinen besetzt waren, wie Rhodes sachkundig festgestellt hatte.
        Wenn sie den Kopf wandte, um mit einem Gast zu sprechen, tanzten die rubinbesetzten Schwanzfedern zwischen ihren Brusten, und Bo-litho sturzte ein weiteres Glas Rotwein hinunter, ohne zu bemerken, was er tat.
        Colpoys war bereits halb betrunken und schilderte seiner Tischnachbarin ausfuhrlich, wie er einmal im Schlafzimmer einer Dame von ihrem Ehemann uberrascht worden war.
        Palliser hingegen schien unverandert. Er a? bedachtig und hielt sein Glas immer halb gefullt, wahrend Rhodes seiner selbst nicht mehr ganz sicher schien. Seine Zunge war schwer, seine Bewegungen wirkten fahriger als zu Beginn des Mahls. Nur der Schiffsarzt geno? Essen und Trinken, ohne da? es ihm etwas antat.
        Dumaresq war unglaublich in Form. Er wies kein Gericht zuruck und schien vollig gelost. Seine starke Stimme reichte uber den ganzen Tisch, hielt hier eine einschlafende Konversation in Gang oder rief dort einen seiner Offiziere zur Ordnung.
        Einmal rutschten Bolithos Ellenbogen vom Tisch, so da? er beinahe nach vorn zwischen die Teller gefallen ware. Der Schock half ihm, sich zusammenzurei?en und zu erkennen, wie stark die Getranke wirkten. Nie wieder!
        Er horte Egmont sagen:»Ich glaube, meine Herren, wenn die Damen sich jetzt zuruckziehen, sollten wir in einen kuhleren Raum uberwechseln.»
        Irgendwie schaffte es Bolitho, rechtzeitig auf die Fu?e zu kommen und der runzligen Dame aus ihrem Stuhl zu helfen. Als sie den anderen Damen zur Tur folgte, welche die Manner sich selber uberlie?en, kaute sie immer noch.
        Ein Diener offnete eine andere Tur und wartete, da? Egmont seine Gaste in einen Raum mit Ausblick zur See fuhrte. Dankbar trat Bo-litho hinaus auf die Terrasse und lehnte sich an die Steinbrustung. Nach der Hitze der Kerzen und dem vielen Wein wirkte die Luft hier rein wie ein Bergquell.
        Er schaute zum Mond auf und dann hinuber zum Ankerplatz der
        Destiny, aus deren offenen Stuckpforten Licht fiel und sich im Wasser spiegelte, als ob das Schiff brenne.
        Der Schiffsarzt trat zu Bolitho an die Brustung und holte tief Luft.»Das war ein richtiges Gastmahl, mein Junge!«Er stie? kraftig auf.»Es hatte ausgereicht, ein ganzes Dorf einen Monat lang zu sattigen. Stellen Sie sich vor: Das alles mu? aus Frankreich und Spanien herubergebracht werden - ohne Rucksicht auf die Kosten. Wenn man bedenkt, da? viele Menschen froh waren, wenn sie nur einen Laib Brot hatten, wird man ziemlich nachdenklich.»
        Bolitho sah ihn an. Auch er hatte schon daran gedacht, allerdings nicht in Zusammenhang mit der Ungerechtigkeit. Er fragte sich, wie Egmont, ein Fremder in diesem Land, so reich hatte werden konnen. Reich genug, um sich alle Wunsche zu erfullen, sogar den nach einer schonen Frau, die halb so alt war wie er. Der doppelkopfige Vogel an Mrs. Egmonts Hals war aus purem Gold gewesen und ein Vermogen wert. Gehorte er zum Schatz der Asturias? Egmont hatte Dumaresqs Vater gekannt, aber dessen Sohn offenbar bisher nicht kennengelernt. Die beiden hatten- soweit Bolitho beobachten konnte - kaum miteinander gesprochen oder hochstens in Gegenwart anderer und im ublichen leichten Plauderton.
        Bulkley lehnte sich vor und ruckte seine Brille zurecht.»Da fahrt ein ubereifriger Kapitan, der nicht bis zur Morgentide warten kann.»
        Bolitho wandte sich um und schaute seewarts. Sein geubtes Auge entdeckte schnell ein Schiff, das gerade die Reede verlie?.
        Bulkley sagte beilaufig:»Mu? ein Einheimischer sein. Jeder Fremde wurde hier auf Grund laufen.»
        Palliser rief aus der offenen Tur:»Kommen Sie herein, und leisten Sie uns Gesellschaft!»
        Bulkley lachte in sich hinein.»Immer gro?zugig, wenn's nicht auf seine Kosten geht.»
        Aber Bolitho blieb, wo er war. Aus dem Raum drang schon Larm genug, Gelachter und Geklirr von Glasern, dazu Colpoys' Stimme, die sich immer hoher uber die anderen erhob. Bolithos Abwesenheit schien gar nicht aufzufallen.
        Er spazierte auf der mondbeschienenen Terrasse auf und ab und lie? den Seewind sein Gesicht kuhlen. Als er an einem abgelegenen Raum vorbeikam, horte er Dumaresq Stimme, sehr nahe, sehr eindringlich:

«Ich bin nicht so weit hergekommen, um mich mit Ausreden abspeisen zu lassen. Sie steckten von Anfang an bis zum Hals in der Sache drin. So viel hat mir mein Vater immerhin erzahlt, bevor er starb. «Die Verachtung in seiner Stimme war schneidend wie ein Peitschenhieb.»Meines Vaters >tapferer< Erster Offizier, der sich zuruckzog, als er dringend gebraucht wurde!»
        Bolitho wu?te, da? er hatte weitergehen sollen, aber er konnte sich nicht bewegen. Dumaresqs Ton schien seine Beine zu lahmen. Es lag etwas darin, das sich in Jahren aufgestaut hatte und nicht langer zuruckhalten lie?.
        Egmont protestierte lahm:»Ich habe es nicht gewu?t. Sie mussen mir glauben. Ich mochte Ihren Vater. Ich habe ihm treu gedient und ihn immer bewundert.»
        Dumaresqs Stimme klang jetzt gedampft. Er mu?te sich ungeduldig abgewandt haben.

«Aber mein Vater, den Sie so bewundert haben, starb als armer Mann - das ubliche Schicksal eines abgehalfterten Schiffskommandanten, der nur noch einen Arm und ein Bein besa?. Dennoch bewahrte er Ihr Geheimnis, Egmont, er zumindest hielt sich an das, was wir Loyalitat nennen! Jetzt konnte das Ende fur alles gekommen sein, was Ihnen lieb ist.»

«Wollen Sie mir drohen, Sir, in meinem eigenen Haus? Der Vizekonig schatzt mich. Er wird sich sehr schnell au?ern, wenn ich mich bei ihm beschwere.»

«Wirklich?«Dumaresqs Stimme wurde gefahrlich ruhig.»Piers Garrick war ein Pirat, vielleicht von vornehmer Herkunft, aber seinem Wesen nach ein verdammter Pirat. Wenn die Wahrheit uber die Astu-rias herausgekommen ware, hatte ihn selbst sein Kaperbrief nicht vor dem Galgen retten konnen. Das Schatzschiff hat sich tapfer gewehrt, und Garricks Kaperschiff wurde schwer beschadigt. Der Don strich die Flagge, weil er wahrscheinlich nicht erkannt hatte, da? Garricks Schiff vollig durchlochert war. Das war das Dummste, was er tun konnte.»
        Bolitho wartete mit angehaltenem Atem und furchtete, die plotzliche Stille konnte bedeuten, da? seine Anwesenheit bemerkt worden war.
        Doch Dumaresq sagte unvermittelt:»Garrick versenkte sein eigenes
        Schiff und ubernahm die Asturias. Wahrscheinlich totete er die meisten Spanier oder lie? sie da, wo niemand sie finden konnte, verhungern. Es war ja alles so einfach fur ihn. Unter irgendeinem Vorwand fuhrte er das Schatzschiff in diesen Hafen. England und Spanien lagen im Krieg miteinander, so durfte die Asturias kurze Zeit bleiben, um - offiziell - Reparaturen auszufuhren; in Wirklichkeit aber, um zu beweisen, da? sie nach dem Gefecht mit Garrick noch schwamm. «Egmont sagte unsicher:»Das ist eine Vermutung.«»Wirklich? Lassen Sie mich fortfahren, dann konnen Sie entscheiden, ob Sie immer noch den Vizekonig um Hilfe bitten wollen. «Seine Stimme war so schneidend, da? Bolitho fast Mitleid fur Egmont empfand.
        Dumaresq fuhr fort:»Ein englisches Kriegsschiff wurde ausgesandt, um den Verlust von Garricks Schiff und das Verschwinden des Schatzes, der eine rechtma?ige Prise des Konigs gewesen ware, zu untersuchen. Dieses Schiff wurde von meinem Vater gefuhrt. Sie, sein Erster Offizier, wurden losgeschickt, um eine Erklarung von Garrick einzuholen; er mu? erkannt haben, da? er reif fur den Galgen war, wenn er Sie nicht auf seine Seite zog. Mit Ihrer Hilfe wurde er rehabilitiert. Und wahrend er sein Gold aus dem Versteck holte, wo er es nach Versenkung der Asturias verborgen hatte, quittierten Sie den Dienst in der Marine und tauchten seltsamerweise ausgerechnet hier in Rio auf, wo alles begonnen hatte. Aber diesmal als reicher Mann, als sehr reicher Mann. Mein Vater hingegen diente weiter. Dann, im Jahr 1762, als er mit Admiral Rodney von Martinique aus die Franzosen von den Karibischen Inseln vertrieb, wurde er schwer verwundet, was ihm den Lebensnerv zerschnitt. Welche Folgerungen sind aus dieser Geschichte zu ziehen?»

«Was wunschen Sie von mir?«Egmont wirkte benommen, uberwaltigt von Dumaresqs totalem Sieg.

«Ich verlange eine beschworene Erklarung, die bestatigt, was ich soeben gesagt habe. Notfalls werde ich die Hilfe des Vizekonigs in Anspruch nehmen, sobald der Haftbefehl aus England eintrifft. Den Rest konnen Sie sich denken. Mit Ihrer Erklarung und der Vollmacht, die Seine Majestat und die Lords der Admiralitat mir erteilt haben, beabsichtige ich, Sir Piers Garrick festzunehmen und nach England vor Gericht zu bringen. Au?erdem will ich den Goldschatz oder vielmehr das, was noch davon ubrig ist. Aber in erster Linie will ich Garrick!»

«Warum behandeln Sie mich dann so schlecht? Ich hatte nichts mit dem zu tun, was Ihrem Vater bei Martinique passierte. Damals war ich nicht mehr in der Marine, das wissen Sie doch!»

«Piers Garrick lieferte Waffen und sonstiges militarisches Material an die franzosischen Garnisonen in Martinique und Guadeloupe. Ohne ihn - und Sie - ware mein Vater vielleicht unverwundet geblieben. Und Garrick hatte nicht ein zweites Mal Gelegenheit gehabt, sein Vaterland zu verraten.«»Ich - wei?… Ich brauche Zeit, um daruber nachzudenken.«»Ihre Zeit ist abgelaufen, Egmont. Sie hatten volle drei?ig Jahre Frist. Ich verlange, da? Sie mir Garricks Schlupfwinkel nennen, mir sagen, was er tut, und alles, was Sie uber den Goldschatz wissen. Alles! Wenn Sie meine Forderung erfullen, segle ich weiter, und Sie sehen mich nicht wieder. Wenn nicht. «Dumaresq lie? den Rest ungesagt.
        Egmont sagte:»Kann ich Ihnen trauen?»

«Mein Vater traute Ihnen. «Dumaresq stie? ein kurzes Lachen aus.»Wahlen Sie.»
        Bolitho pre?te sich mit dem Rucken an die Wand und blickte zu den Sternen auf. Dumaresq wurde offenbar nicht nur von Pflichtgefuhl und Tatkraft getrieben, sondern auch von Ha?. Ha? hatte ihn vage Informationen sammeln und nach dem Schlussel suchen lassen, der die Tur zu dem Geheimnis um Garrick offnen konnte. Kein Wunder, da? die Admiralitat gerade ihn mit diesem Auftrag betraut hatte: Der zusatzliche Ansporn der Rachsucht gab Dumaresq einen meilenweiten Vorsprung vor jedem anderen Kommandanten.
        Eine Tur flog krachend auf, und Bolitho horte Rhodes singen und dann protestieren, als er von anderen in den Raum zuruckgezogen wurde.
        Er ging langsam uber die Terrasse davon, verwirrt von dem eben Gehorten. Wie konnte er wieder Dienst tun, ohne sein Wissen preiszugeben? Dumaresq wurde ihn in Sekunden durchschauen.
        Plotzlich war Bolitho vollig nuchtern. Was wurde aus Mrs. Egmont werden, wenn Dumaresq seine Drohung wahr machte? Er drehte sich heftig um und ging auf die offenen Turen zu. Als er eintrat, bemerkte er, da? einige Gaste schon gegangen waren. Der Kommandeur der Festungsbatterien verneigte sich tief und schwenkte dabei den Hut vor seinem stattlichen Bauch. Egmont stand neben seiner Frau, das Gesicht bleich, aber ausdruckslos. Dumaresq gab sich gewandt wie zu Beginn des Festes; er nickte den scheidenden Portugiesen freundlich zu und ku?te behandschuhte Damenhande zum Abschied. Beide schienen von den Menschen, die Bolitho soeben ungewollt hatte streiten horen, himmelweit verschieden zu sein.
        Dumaresq sagte:»Ich glaube, meine Offiziere sind mit mir einig in der Begeisterung fur diese Festtafel, Mr. Egmont!«Sein Blick haftete nur einen Augenblick auf Bolitho, aber dieser spurte die Frage, als ware sie laut hinausgeschrien worden. Ich hoffe, wir konnen Ihre Freundlichkeit erwidern. Doch Dienst ist Dienst, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen.»
        Bolitho schaute in die Runde, aber niemand schien die Spannung zwischen Egmont und dem Kommandanten bemerkt zu haben.
        Egmont wandte sich ab und sagte:»Wir wollen uns allen eine gute Nacht wunschen, meine Herren.»
        Seine Frau trat vor, doch ihre Augen lagen im Schatten, als sie Du-maresq die Hand hinhielt.»Man konnte auch schon >Guten Morgen< sagen, nicht wahr?«Dumaresq lachelte und ku?te ihre Hand.»Sie zu sehen, ist zu jeder Tageszeit ein Genu?, Madam.»
        Sein Blick blieb an ihrem halb entblo?ten Busen haften, und Bolitho lief rot an, als ihm einfiel, was Dumaresq uber das Madchen gesagt hatte, dem sie mit ihrer Kutsche begegnet waren.
        Mrs. Egmont schenkte dem Kapitan ein Lacheln, ihre Augen strahlten jetzt im Widerschein des Kerzenlichts.»Dann haben Sie fur einen Tag sicher genug gesehen, Sir!»
        Dumaresq lachte und nahm seinen Hut von einem Diener in Empfang, wahrend die anderen sich verabschiedeten.
        Rhodes wurde gemeinsam aus dem Hause getragen und in eine der wartenden Kutschen gelegt, wo er selig lachelnd weiterschlief.
        Palliser murmelte:»Elende Schande!»
        Colpoys, den nur seine Eitelkeit davor bewahrt hatte, wie Rhodes zusammenzuklappen, lallte mit schwerer Zunge:»Wunderbarer Abend, Madam. «Als er sich uber Mrs. Egmonts Hand beugte, fiel er beinahe vornuber.
        Egmont sagte scharf:»Du gehst besser hinein, Aurora, es wird schon feucht und kuhl.»
        Bolitho sah sie an. Aurora - welch wunderbarer Name. Er holte seinen Hut und machte Anstalten, den anderen zu folgen.

«Nun, Leutnant, haben Sie mir gar nichts zu sagen?»
        Sie sah ihn an, wie sie es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte, den Kopf leicht zur Seite geneigt.

«Verzeihung, Madam.»
        Sie streckte ihm die Hand hin.»Entschuldigen Sie sich nicht so oft. Ich wollte, wir hatten mehr Zeit gehabt, miteinander zu reden, aber es waren zu viele Leute da. «Sie warf den Kopf zuruck, und die rubinen-besetzten Schwanzfedern des Schmuckvogels tanzten uber ihrem Busen.»Hoffentlich haben Sie sich nicht zu sehr gelangweilt.»
        Bolitho bemerkte, da? sie den langen wei?en Handschuh ausgezogen hatte, bevor sie ihm die Rechte bot.
        Er hielt ihre Finger und sagte:»Ich habe mich nicht gelangweilt, ich war unglucklich. Das ist ein Unterschied.»
        Sie zog die Hand zuruck; Bolitho furchtete, er hatte durch seine Plumpheit alles zerstort. Aber Mrs. Egmont warf nur einen Blick auf ihren Mann, der Bulkleys Abschiedsworten zuhorte: dann sagte sie mit weicher Stimme:»Wir durfen Sie nicht unglucklich sein lassen, Leutnant, nicht wahr?«Sie sah ihn an, und ihre Augen strahlten.»Das wurde ich nie tun.»
        Bolitho verbeugte sich und murmelte:»Wann darf ich Sie wiedersehen?»
        Egmont rief ihm zu:»Kommen Sie, die anderen sind schon gegangen!»
        Er schuttelte Bolithos Hand.»Halten Sie Ihren Kommandanten nicht auf, das lohnt sich nicht.»
        Bolitho ging zu einer der wartenden Kutschen und kletterte hinein. Aurora wu?te also Bescheid und verstand ihn. Nach allem, was er mit angehort hatte, wurde sie einen Freund brauchen. Er starrte blicklos in die Dunkelheit, horte noch ihre Stimme, fuhlte wieder den warmen Druck ihrer Finger.»Aurora. «Erschrocken fuhr er hoch, als er merkte, da? er ihren Namen laut ausgesprochen hatte.
        Aber er brauchte sich nicht zu beunruhigen. Alle seine Gefahrten waren fest eingeschlafen.
        Sie wand sich in seinen Armen, lachend und zugleich aufreizend, als er sie festzuhalten, ihre nackten Schultern mit Kussen zu bedecken versuchte.
        Bolitho fuhr keuchend und mit jagendem Puls in seiner Koje hoch, weil ihm eine Laterne direkt ins Gesicht leuchtete. Es war Yeames, der Steuermannsmaat, der die Verwirrung des Leutnants und sein langsames Erwachen neugierig beobachtete. Bolitho fragte:»Welche Zeit haben wir?»
        Yeames grinste mitleidlos.»Es ist fruher Morgen, Sir. Die Manner haben gerade die Sandsteine zum Deckschrubben geholt. «Wie nebenbei setzte er hinzu:»Der Kommandant wunscht Sie zu sehen.»
        Bolitho rollte sich aus der Koje und sprang beidbeinig auf, damit er nicht etwa umfiel. Die kurze Erfrischung auf Egmonts Terrasse war vergessen; sein Kopf kam ihm vor wie ein Ambo?, auf dem eifrig herumgehammert wurde, au?erdem hatte er einen scheu?lichen Geschmack im Mund.
        Fruher Morgen, hatte Yeames gesagt. Also hatte er nur zwei Stunden in seiner Koje gelegen.
        In der Nachbarkammer horte er Rhodes achzen und stohnen und dann aufschreien, als ein unbekannter Matrose etwas Schweres auf das Achterdeck uber seinem Kopf fallenlie?. Yeames drangte Bolitho:»Sie sollten sich beeilen, Sir!«Bolitho zog die Kniehose an und griff nach seinem Hemd, das irgendwo in einer Ecke des kleinen Raumes lag.»Gibt's Arger?»
        Yeames zuckte die Schultern.»Hangt davon ab, was Sie als Arger bezeichnen, Sir.»
        Fur ihn war Bolitho immer noch eine unbekannte Gro?e. Sein Wissen mit ihm zu teilen, nur weil Bolitho beunruhigt war, mu?te ihm toricht vorkommen.
        Bolitho fand seinen Hut und eilte, wahrend er noch seinen Rock anzog, durch die Messe nach achtern zur Kapitanskajute.
        Der Posten davor rief:»Der Dritte Offizier, Sir!«Macmillan, der Kommandantensteward, ri? die Lamellentur auf, als ob er dahinter schon gewartet hatte.
        Bolitho ging zum achteren Teil der Kajute durch und sah Dumaresq an den Heckfenstern stehen: das Haar wirr und seine Kleider so unordentlich, als hatte er keine Zeit gehabt, sich nach der Ruckkehr aus
        Egmonts Haus umzuziehen. In einer Ecke neben den Seitenfenstern kratzte Spillane, der neuernannte Schreiber, mit seiner Feder und tat, als wundere es ihn nicht, zu so fruher Stunde gerufen worden zu sein. Die beiden anderen Anwesenden waren Gulliver, der Master, und Midshipman Jury.
        Dumaresq warf Bolitho einen Blick zu.»Sie sollten sofort kommen. Ich verlange nicht, da? meine Offiziere sich wie fur einen Ball herausputzen, wenn ich sie brauche!»
        Bolitho schaute auf sein zerknautschtes Hemd und die verdrehten Strumpfe hinunter. Da er den Hut unter den Arm geklemmt trug, hingen ihm die Haare so ins Gesicht, wie sie zuvor auf dem Kopfkissen gelegen hatten. Er sah wohl kaum aus wie fur einen Ball herausgeputzt.
        Dumaresq sagte:»Wahrend meiner Abwesenheit an Land ist Ihr Matrose Murray desertiert. Er war nicht in seiner Zelle, sondern auf dem Weg zum Krankenrevier, weil er uber starke Magenschmerzen klagte. «Er verlagerte seinen Zorn auf den Master.»Gott verdamm-mich, Mr. Gulliver, es war doch klar, was Murray vorhatte!»
        Gulliver feuchtete seine Lippen an.»Ich hatte das Kommando uber das Schiff, Sir, und sah keinen Grund, Murray leiden zu lassen, zumal der Mann noch nicht schuldig befunden war.»
        Midshipman Jury sagte:»Die Meldung ist von mir nach achtern gebracht worden, Sir. Es war meine Schuld.»
        Dumaresq fuhr ihm brusk uber den Mund:»Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden! Sie hatten keine Schuld, denn Kadetten tragen noch keine Verantwortung. Dazu besitzen Sie weder den Verstand noch die Erfahrung. «Sein Blick kehrte zu Gulliver zuruck. Erzahlen Sie Mr. Bolitho den Rest.»
        Gullivers Stimme klang belegt.»Der Schiffskorporal begleitete Murray und wurde von ihm niedergeschlagen. Murray sprang uber Bord und schwamm an Land, bevor Alarm geschlagen werden konnte. «Er schien beleidigt, weil er seine Erklarung fur einen so jungen Leutnant wiederholen mu?te.
        Dumaresq sagte:»So ist das also. Ihr Vertrauen in den Mann war ungerechtfertigt. Er floh vor der Prugelstrafe. Aber wenn wir ihn jetzt fangen, mu? er hangen. «Er schaute Spillane an.»Schreiben Sie ins Logbuch: >Desertiert         Bolitho bemerkte Jurys bekummerte Miene. Es gab nur drei Moglichkeiten fur einen Mann, die Marine zu verlassen: R, D oder DD im Logbuch. R bedeutete Run (desertiert), D stand fur Discharged (gestrichen wegen Untauglichkeit), DD fur Discharged-Dead (gestrichen - tot). Murrays nachste Eintragung wurde die letzte fur ihn sein: DD, also gestrichen - tot.
        Und alles wegen einer Uhr. Aber trotz seiner Enttauschung uber Murray war Bolitho seltsam erleichtert. Es drohte keine Auspeitschung des Mannes mehr, den er mochte und der Jury das Leben gerettet hatte. Und auch was hinterherkam, dieses Nachspiel von Bitterkeit und Mi?trauen, war vermieden, wenn die Flucht gelang.
        Dumaresq sagte langsam:»Genug davon. Mr. Bolitho, Sie bleiben bitte noch. Die anderen konnen weitermachen.»
        Macmillan schlo? die Tur hinter Jury und Gulliver. Die steifen Schultern des Masters druckten seine Emporung aus.
        Dumaresq fragte:»Sie meinen, ich sei zu hart? Aber nur so kann verhangnisvolle Weichheit spater vermieden werden. «Er hatte sich so schnell beruhigt, wie nur er es konnte. Ohne sichtbare Anstrengung schuttelte er den Zorn von sich ab.»Ich bin erfreut, da? Sie gestern abend eine gute Figur gemacht haben, Mr. Bolitho. Ich hoffe, Sie haben Augen und Ohren offengehalten.»
        In diesem Augenblick stampfte die Muskete des Kajutpostens drau?en wieder auf.»Der Erste Offizier, Sir!»
        Bolitho beobachtete, wie Palliser die Kajute betrat, den Tagesdienstplan unter dem Arm. Er sah hagerer aus als sonst, als er sagte:»Die Wasserprahme sollen heute endlich kommen, Sir. Ich werde Mr. Timbrell sagen, da? er sich entsprechend vorbereitet. Ferner stehen zwei Leute zur Beforderung an, und dann ist da noch die Frage, wie der Korporal bestraft werden soll, der Murray entkommen lie?. «Sein Blick wanderte zu Bolitho, dem er ein kurzes Nicken gonnte.
        Bolitho fragte sich, ob es Zufall war, da? Palliser sich immer in der Nahe aufhielt, wenn er selbst mit dem Kommandanten sprach.

«Sehr gut, Mr. Palliser, obwohl ich erst an diese Wasserprahme glaube, wenn ich sie sehe. «Dumaresq schaute Bolitho an.»Bringen Sie Ihren Aufzug in Ordnung und fahren Sie dann an Land. Ich glaube, Mr. Egmont hat einen Brief fur mich.»
        Er lachelte fluchtig.

«Halten Sie sich nicht zu lange auf, denn ich wei?, da? es viele Ablenkungen in Rio gibt.»
        Bolitho spurte, wie er rot anlief.»Aye, Sir. Ich werde mich sofort auf den Weg machen. «Er eilte aus der Kajute und horte noch Duma-resq» junger Teufel «sagen, aber ohne Bosheit in der Stimme.
        Zwanzig Minuten spater sa? Bolitho in der Jolle und wurde an Land gepullt. Er sah, da? Stockdale als Bootssteurer fungierte, befragte ihn aber nicht deswegen. Stockdale schien schnell Freunde zu gewinnen, obwohl sicher auch seine furchterregende Erscheinung damit zu tun hatte, da? man ihm so viel Bewegungsfreiheit lie?.
        Stockdale befahl plotzlich:»Auf Riemen!»
        Die Riemen ruhten tropfend in den Rundsein, und Bolitho bemerkte, da? die Jolle Fahrt verlor und damit vermied, da? sie von einem anderen Schiff uber den Haufen gesegelt wurde. Es war eine Brigg, ein kraftiges, aber offenbar nicht mehr neues Schiff mit geflickten Segeln und manchen Schrammen am Rumpf, die auf harte Kampfe mit We l-len und Wind hinwiesen.
        Die Brigg hatte schon Marssegel gesetzt, und Leute kletterten gerade an den Stagen herunter, um auch die Breitfock loszumachen, noch bevor sie frei waren von den vor Anker liegenden Schiffen.
        Langsam glitt sie zwischen der Jolle der Destiny und einigen einlaufenden Fischerbooten hindurch, dabei fiel ihr Schatten auf die Ruderer, die vor sich hintraumten und darauf warteten, da? es weiterging.
        Bolitho las den Namen uber ihrem Heck: Rosario. Eines von Hunderten ahnlicher Fahrzeuge, die taglich Sturmen und anderen Gefahren trotzten, um Handel zu treiben und die Grenzen des wachsenden Kolonialreiches weiter vorzuschieben.
        Stockdale befahl:»Rudert an!»
        Bolitho wollte seine Aufmerksamkeit gerade auf das Ufer richten, als er eine Bewegung am Heckfenster der Rosario bemerkte. Im ersten Augenblick dachte er, es sei ein Irrtum, aber das war es nicht: Das schwarze Haar und ovale Gesicht waren unverkennbar. Sie war zu weit weg, als da? er das Violett ihrer Augen erkennen konnte, doch sah er, da? sie zu ihm heruberschaute, bevor die Brigg Kurs anderte und das Sonnenlicht die Heckfenster in feurige Spiegel verwandelte.


        Mit bangem Herzen erreichte Bolitho das Haus hinter der uralten Mauer. Egmonts Diener erklarte ihm kuhl, da? die Herrschaften abgereist seien. Er wu?te nicht, wohin.
        Bolitho kehrte an Bord zuruck, um Dumaresq zu berichten. Er erwartete einen neuerlichen Zornesausbruch wegen des abermaligen Ruckschlags.
        Palliser stand dabei, als Bolitho mit dem herausplatzte, was er erfahren hatte, obwohl er nicht erwahnte, da? er Egmonts Frau auf der Rosario gesehen hatte. Das war auch nicht notig, denn Dumaresq sagte:»Das einzige Schiff, das inzwischen ausgelaufen ist, war die Brigg. Er mu? an Bord sein. Wer einmal ein verdammter Verrater war, der bleibt es auch. Schon, er soll uns diesmal nicht entwischen, bei Gott nicht!»
        Palliser sagte ernst:»Das also war der Grund fur all die Verzogerungen. Kein Trinkwasser, keine Audienz beim Vizekonig. Sie wollten uns hier festhalten. «Sein Ton klang plotzlich bitter.»Wir haben keine Bewegungsfreiheit, und sie wissen das.

        Uberraschenderweise zeigte Dumaresq ein breites Lacheln. Dann rief er:»Macmillan, ich mochte eine Rasur und ein Bad! Spillane, halten Sie sich bereit, einige Befehle fur Mr. Palliser niederzuschreiben. «Er ging zu den Heckfenstern und beugte sich uber das Sull, den Kopf zum Ruder gesenkt.»Suchen Sie sich ein paar gute Leute aus, Mr. Palliser, und schiffen Sie sich mit ihnen auf der Heloise ein. Treiben Sie moglichst wenig Aufwand, damit das Wachboot nicht aufmerksam wird. Nehmen Sie deshalb auch keine Seesoldaten mit. Gehen Sie Anker auf, und jagen Sie der verdammten Brigg nach. Verlieren Sie sie nicht aus den Augen!»
        Bolitho beobachtete die Veranderung, die in Dumaresq vorging. Nun wurde auch klar, warum er Slade daran gehindert hatte, bis in die Innenreede zu segeln. Er hatte eine ahnliche Entwicklung vorausgesehen und nun einen Trumpf in der Hand - wie immer.
        Pallisers Hirn arbeitet bereits auf vollen Touren.»Und Sie, Sir?»
        Dumaresq beobachtete seinen Steward, der Seifennapf und Rasiermesser neben seinem Lieblingsstuhl bereitlegte.

«Mit oder ohne Trinkwasser, Mr. Palliser, ich werde heute nacht Anker lichten und Ihnen folgen.»
        Palliser sah ihn zweifelnd an.»Die Batterie konnte das Feuer eroffnen, Sir!»

«Bei Tageslicht vielleicht. Aber es geht hier um sehr viel, auch um das, was man
>Ehre< nennen konnte. Ich beabsichtige, das auszuloten. «Er wandte sich ab und entlie? sie damit, fugte dann aber noch hinzu:»Nehmen Sie den Dritten Offizier hier mit. Rhodes brauche ich, auch wenn sein Kopf von der Sauferei zu platzen droht, damit er Ihre Aufgaben hier an Bord ubernimmt.»
        Zu anderer Zeit hatte Bolitho den Auftrag freudig begru?t, aber er hatte den Ausdruck in Pallisers Augen bemerkt und erinnerte sich an das Gesicht hinter den Kajutfenstern der Brigg. Aurora wurde ihn nun verachten. Es war vorbei, genau wie sein schoner Traum von ihr.



        VIII Verfolgungsjagd

        Leutnant Charles Palliser ging mit langen Schritten zum Kompa? der Heloise und schaute dann zum Wimpel an der Mastspitze hinauf.
        Wie um seine Befurchtungen zu bekraftigen, sagte Slade, der amtierende Master:»Der Wind hat etwas gekrimpt und flaut au?erdem ab.»
        Bolitho beobachtete Pallisers Reaktion und verglich sie mit der von Dumaresq. Ihr Kommandant lag mit der Destiny noch in Rio und beschaftigte sich zum Schein mit Routineangelegenheiten; so hatte er sogar zwei Matrosen zur Beforderungszeremonie vor versammelter Mannschaft auf dem Achterdeck empfangen. Den meisten Leuten der Besatzung war es vollig gleichgultig, ob die Trinkwasserprahme kamen oder ihr Kommandant vom Vizekonig empfangen wurde. Doch Bolitho wu?te, was in Dumaresqs Uberlegungen an vorderster Stelle stand: Egmonts Weigerung nachzugeben und seine plotzliche Abreise mit der Brigg Rosario. Ohne Egmonts Mitwirkung hatte Dumaresq keine andere Wahl, als weitere Weisungen von vorgesetzter Stelle abzuwarten. Inzwischen mu?te sich die hei?e Spur zu Garrick verlieren.
        Slade hatte beobachtet, da? die Brigg auf Nordnordost-Kurs gegangen war. Egmont versuchte also, an der Kuste entlang in die Karibik zu segeln. Auf einem solch kleinen Handelsschiff konnte es fur seine junge Frau sicher recht ungemutlich werden.
        Palliser kam zu Bolitho heruber. Auf dem beengten Deck der Brigantine wirkte er wie ein Riese, war jedoch ungewohnlich zufrieden, stellte Bolitho fest. Palliser konnte hier als sein eigener Herr handeln, wie es ihm richtig schien. Immer vorausgesetzt, da? er die Fuhlung zur Rosario nicht verlor. Aber da der Wind nun so rapide nachlie?, bestand immerhin die Gefahr.

«Sie erwarten nicht, da? sie verfolgt werden. Das ist unser einziger Vorteil.
«Palliser schaute beunruhigt auf, als die Breitfock kraftlos hin- und herflappte, weil der Wind sie nicht mehr fullte. Jetzt fiel auch kein Schatten mehr auf die an Deck schwitzenden Manner.»Verdammt!«Dann:»Mr. Slade behauptet, die Brigg wurde unter Land bleiben. Wenn der Wind nicht umschlagt, kann er recht behalten. Wir laufen daher weiter auf diesem Kurs. Wechseln Sie die Ausguckposten so oft, wie Sie es fur erforderlich halten, und lassen Sie alle Waffen an Bord uberholen. «Er verschrankte die Hande auf dem Rucken.»Strengen Sie die Leute nicht zu sehr an!«Er sah Bolithos Uberraschung und beantwortete sie mit leichtem Lacheln.»Sie werden bald zu den Riemen greifen mussen. Ich beabsichtige, die Heloise von ihren Beibooten schleppen zu lassen. Da werden die Manner noch alle Kraft brauchen.»
        Bolitho tippte an seinen Hut und ging nach vorn. Das hatte er sich denken konnen. Aber er mu?te sich eingestehen, da? er Pallisers Entscheidung bewunderte. Der Mann dachte an alles.
        Er sah Jury und Midshipman Ingrave am Fockmast auf ihn warten.
        Jury wirkte sehr ernst, wahrend Ingrave, der ein Jahr alter war, kaum seine Freude daruber verbergen konnte, da? er vom Posten des stellvertretenden Schreibers beim Kommandanten abgelost war.
        Hinter ihnen entdeckte Bolitho unter den in aller Eile ausgewahlten Leuten weitere Bekannte: Josh Little, den Feuerwerksmaat, dessen Bauch fett wie eh und je uber den Hosengurt hing; Ellis Pearse, der Bootsmannsmaat, ein Mann mit buschigen Augenbrauen, der die gleiche Genugtuung uber Murrays Flucht verraten hatte wie Bolitho. Pearses Aufgabe ware es gewesen, Murray - den er immer gemocht hatte - auszupeitschen. Und selbstverstandlich war auch Stockdale dabei. Er stand da, die kraftigen Arme vor der Brust verschrankt, und musterte das Deck der Brigantine. Vielleicht erinnerte er sich an den wilden, verzweifelten Kampf, den Bolitho mit dem jetzt toten Kapitan des Schiffes ausgetragen hatte. Da war auch Dutchy Vorbink, ein Hollander vom Vortoppp, der den geregelten und bezahlten Dienst bei der Ostindischen Handelsgesellschaft einem Kriegsschiff zuliebe verlassen hatte. Er sprach schlecht englisch und auch das nur, wenn er Lust hatte. So kannte bisher noch niemand den Grund, warum er sich freiwillig zur britischen Marine gemeldet hatte.
        Es gab noch andere Gesichter, die Bolitho inzwischen vertraut waren, einige grob und seelenlos, andere aggressiv. Die Leute stritten sich gern mit ihren Kameraden, solidarisierten sich aber ebenso schnell wieder, wenn ein Angriff von dritter Seite kam.
        Bolitho sagte:»Mr. Spillane, inspizieren Sie die Waffenkiste und machen Sie eine Bestandsliste. Mr. Little, Sie sollten sich die Pulverkammer anschauen. «Er warf einen Blick auf ihre wenigen Drehbassen, von denen zwei sogar noch von der Destiny stammten.»Etwas wenig fur einen Krieg.»
        Das brachte ihm einige Lacher ein; Stockdale murmelte:»Unten sind immer noch ein paar Gefangene eingeschlossen, Sir.»
        Bolitho sah Little an. Er hatte ganz vergessen, da? es ja noch die Originalbesatzung der Heloise gab. Wer nicht getotet oder verwundet worden war, war unten eingesperrt. An sich waren sie dort gut verwahrt, aber wenn es zum Kampf kam, mu?ten sie bewacht werden.
        Little grinste mit seinen luckenreichen Zahnen.»Fur die ist gesorgt, Sir. Ich habe Olsson als Posten eingeteilt, vor ihm haben sie solche Angst, da? sie ihn bestimmt nicht angreifen.»
        Bolitho stimmte ihm zu. Olsson war Schwede und - wie es hie? - halb verruckt. Seine Augen, die wie blaues Milchglas aussahen, bestatigten das. Aber er war ein guter Seemann, der Segel reffen, das Ruder bedienen und jede andere Handarbeit erledigen konnte. Nur - als sie diese Brigantine geentert hatten, war es Bolitho kalt uber den Rucken gelaufen, als Olsson sich mit schrillen Schreien und dem Beil einen Weg durch seine Gegner bahnte.
        Er zwang sich zu einem Lacheln.»Bei dem wurde auch ich es mir zweimal uberlegen.»
        Pearse brummte, als die Segel immer wieder schlaff gegen Tauwerk und Rahen schlugen.»Weg ist er, der verdammte Wind!»
        Bolitho beugte sich uber das Schanzkleid und schaute ins tiefblaue Wasser. Er sah weit vor dem Bug leichte Krauselspuren wie von einem Fischschwarm, mit denen sich der letzte Windhauch verabschiedete.
        Die Brigantine hob und senkte sich in der Dunung, Blocke und Segel quietschten in gemeinsamem Protest, als der Segeldruck ausblieb.

«In die Boote!«Palliser stand neben den Rudergangern.
        Nackte Fu?e trappelten uber die vor Hitze weichen Decksfugen, als die Besatzungen von Bord hasteten und das Beiboot der Heloise und den Kutter der Destiny, die sie am Heck nachgezogen hatten, bemannten.
        Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die Schleppleinen klariert und von der Back an die Boote hinuntergereicht waren. Dann endlich begann das muhsame, langwierige Pullern, ohne da? das Schiff dadurch viel Fahrt machte. Aber es bewirkte wenigstens, da? die Heloise nicht vollig steuerlos herumdumpelte und gleich auf dem richtigen Kurs liegen wurde, wenn wieder Wind aufkam.
        Bolitho stand uber dem Backbordanker und beobachtete die Schleppleinen, die abwechselnd steifkamen und dann wieder bis unter die glitzernde Wasseroberflache durchhingen, je nachdem, wie die Ruderer sich einsetzten.
        Little schuttelte den Kopf,»Mr. Jury taugt fur so etwas nicht, Sir. Er mu?te seine Crew mit der Peitsche antreiben.»
        Bolitho sah den Unterschied zwischen den beiden schleppenden Booten. Jurys Boot schlingerte heftig, und nur einige Ruderblatter tauchten ins Wasser. Das andere Boot unter Midshipman Ingraves Kommando hatte mehr Erfolg, und Bolitho wu?te, warum. Ingrave war kein Leuteschinder, wu?te aber, da? seine Vorgesetzten ihn von der Brigantine aus beobachteten. Er schwang ein Tauende und lie? es auf die Rucken jener Leute niedersausen, die sich nicht gehorig in die Riemen legten.
        Bolitho ging nach achtern und meldete Palliser:»Ich werde die Bootsbesatzungen in einer Stunde ablosen, Sir.»

«Gut. «Palliser beobachtete abwechselnd Segel und Kompa?.»Wir haben wenigstens wieder Ruderwirkung. Aber das verdanken wir nicht dem Boot an Backbord.»
        Bolitho sagte nichts. Er wu?te nur zu gut, was es fur einen Mids-hipman bedeutete, plotzlich vor eine solch unpopulare Aufgabe gestellt zu sein. Immerhin ritt Palliser nicht langer auf der Angelegenheit herum. Bolitho dachte daran, wie er selber sich in seine neue Rolle gefugt hatte. Er hatte Palliser nicht gefragt, ob er die Bootsmannschaften ablosen lassen sollte, sondern hatte ihm seine Absicht einfach gemeldet, und der Erste Offizier hatte sie ohne Gegenfrage akzeptiert. Palliser war genauso klug wie Dumaresq. Jeder verstand es auf seine Weise, das Notige aus seinen Untergebenen herauszuholen.
        Die unbarmherzige Plackerei ging den ganzen Tag weiter, weil auch nicht die kleinste Brise aufkam, um die Segel zu fullen. Sie hingen schlaff und nutzlos von den Rahen, so schlapp wie die Manner, die nach der Ablosung aus den Booten taumelten. Sie waren so erschopft, da? sie gerade noch eine doppelte Ration Wein, den Slade in der Last entdeckt hatte, heruntersturzen konnten, bevor sie wie tot hinfielen und einschliefen.
        Achtern in der Kajute, die zwar klein war, aber ausreichend, wenn man sie mit den ubrigen Raumen unter Deck verglich, versuchten die abgelosten Kadetten und ihre Offiziere, der Hitze und dem gefahrlichen Durst zu entfliehen. Wahrend Palliser schlief und Slade die Wache hatte, sa? Bolitho an dem kleinen Tisch und versuchte, wach zu bleiben, obwohl sein Kopf immer wieder auf die Tischplatte zu sinken drohte. Im gegenuber starrte Jury ins Leere, die Lippen von der Sonnenglut aufgesprungen. Ingrave sa? wieder in einem der Boote, doch sein Eifer wirkte sich auf Jury eher lahmend aus.
        Bolitho fragte:»Wie fuhlen Sie sich?»
        Jury grinste schmerzlich.»Scheu?lich, Sir. «Er versuchte, sich gerade aufzurichten, und zupfte sich sein durchschwitztes Hemd von der Brust.
        Bolitho schob ihm eine Flasche zu.»Trinken Sie. «Er sah, da? der Junge zogerte. Ich kann Ihren Job im Boot ubernehmen, wenn Sie wollen. Das ist immer noch besser, als hier zu sitzen und zu warten.»
        Der Junge go? sich ein Glas Wein ein.»Nein, Sir, aber vielen Dank. Ich gehe, wenn man mich ruft.»
        Bolitho lachelte. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Stockdale mit dem Kadetten ins Boot zu schicken. Sein Anblick wurde Faulheit und Ungehorsam sofort unterbinden. Aber Jury hatte recht. Es ihm leichtzumachen, obwohl er doch Selbstvertrauen nur durch Erfahrung gewinnen konnte, hatte ihm fur seine weitere Laufbahn hochstens geschadet.

«Ich - hm - ich denke gerade nach, Sir. «Jury schaute sich vorsichtig um.»Uber Murray. Glauben Sie, da? er durchkommt?»
        Bolitho dachte daruber nach; schon das war eine Anstrengung.»Kann sein. Vorausgesetzt, er halt sich von der See fern. Ich kannte Leute, die aus der Marine desertiert waren und unter einem anderen Namen auf einem anderen Schiff Unterschlupf fanden. Aber das kann gefahrlich werden. Die Marine ist wie eine gro?e Familie:
        Immer ist jemand da, der sich an ein Gesicht erinnert. «Er dachte an Dumaresq und Egmont, miteinander verbunden durch Dumaresqs Vater, genau wie er jetzt mit ihnen verbunden war, was sie auch unternahmen.
        Jury sagte:»Ich denke oft uber Murray nach und uber das, was hier geschah. «Er blickte zu den niedrigen Decksbalken hoch, als erwarte er, das Geklirr aufeinandertreffenden Stahls und den verzweifelten Tanz von Mannern zu horen, die einander vor dem todlichen Sto? umkreisten. Dann sah er Bolitho an.»Tut mir leid, Sir. Sie haben mir geraten, nicht mehr daran zu denken.»
        Eine Pfeife schrillte, und eine Stimme schrie:»Ablosung fur die Boote antreten! Lebhaft, Leute!»
        Jury stand auf, sein blondes Haar streifte die Decke.
        Bolitho sagte ruhig:»Mir hat man fast das gleiche geraten, als ich auf die Destiny kam. Und ich habe genau wie Sie noch immer die gleichen Schwierigkeiten mit dem Vergessen.»
        Er blieb am Tisch sitzen, lauschte auf die Boote, die langsseits kamen, das Klappern der Riemen, als die Besatzungen bei der Ablosung daruber hinwegkletterten.
        Die Tur ging auf. Palliser, tief gebuckt wie einer der erschopften Matrosen, tastete nach einem Sessel und lie? sich erleichtert nieder. Sie horten beide, wie die Boote von der Bordwand absetzten und das Rudergeschirr der Brigantine unter ihnen auf das neu einsetzende Schleppen reagierte.
        Dann sagte Palliser nuchtern:»Mir scheint, da? ich diese verteufelte Brigg verliere. Nachdem ich immerhin so weit gekommen bin, wird mir nun das Heft aus der Hand geschlagen.»
        Bolitho konnte Pallisers Enttauschung wie einen korperlichen Schmerz mitempfinden: die Tatsache, da? dieser seine Verzweiflung nicht verbarg, machte die Sache doppelt schlimm.
        Er schob Flasche und Glas uber den Tisch.»Warum trinken Sie nicht einen Schluck, Sir?»
        Palliser fuhr aus seinen Gedanken hoch, und seine Augen leuchteten kurz auf. Matt lachelnd nahm er das Glas und go? den Wein achtlos ein, bis er uber den Rand lief. Ja, warum eigentlich nicht?»
        Wahrend die Sonne sich langsam dem Horizont naherte, sa?en die beiden Offiziere einander schweigend gegenuber. Gelegentlich nahmen sie einen Schluck Wein, der inzwischen warm wie frisch gemolkene Milch geworden war.
        Schlie?lich zog Bolitho seine Uhr heraus.»Noch eine Stunde im Schlepp, dann sollten wir alles fur die Nacht festzurren, Sir.»
        Palliser war tief in Gedanken gewesen, es dauerte einige Sekunden, ehe er antwortete:»Wir konnen nichts anderes tun.»
        Bolitho war uber die Veranderung in Palliser betroffen, aber er wu?te, da? ihre augenblickliche Vertrautheit erschuttert worden ware, wenn er den Versuch gemacht hatte, ihn aufzuheitern.
        Vom Hauptdeck naherten sich Schritte, und Littles gro?er Kopf schaute herein. Verzeihung, Sir, aber Mr. Slade hort Kanonendonner in nordlicher Richtung!»
        Eine leere Flasche fiel zu Boden, rollte vor die Fu?e der Offiziere und dann gegen die Bordwand, als der Kajutboden sich plotzlich schraglegte.
        Palliser starrte auf die Flasche. Er sa? immer noch, aber sein Kopf beruhrte fast den Decksbalken uber ihm.

«Wind!«rief er schlie?lich.»Verdammter, wunderbarer Wind!«Er hangelte sich zur Tur.»Und nicht einen Augenblick zu fruh!»
        Bolitho fuhlte, wie das Schiff zitterte, als erwache es aus tiefem Schlaf. Dann eilte er mit einem Sprung hinter dem langen Palliser her und schrie vor Schmerz auf, als sein Schadel Bekanntschaft mit einem vorstehenden Bolzen machte.
        An Deck schauten die Manner unglaubig auf die gro?e Breitfock, die sich unter ihrer Rah mit lautem Knall fullte.
        Palliser schrie:»Ruft die Boote zuruck! Klar zum Abfallen!«Er schaute abwechselnd auf den Kompa? und auf den Wimpel im Masttopp, der vor den ersten Sternen gerade noch zu erkennen war.
        Slade meldete:»Der Wind hat gedreht, Sir, kommt jetzt aus Sudwest.»
        Palliser rieb sich das Kinn.»Kanonendonner, sagten Sie?»
        Slade nickte.»Unzweifelhaft. Kleines Kaliber vermutlich.»

«Gut. Sobald die Boote festgemacht sind, nehmen wir Fahrt uber Steuerbordbug auf und steuern Nordwest zu Nord. «Er trat beiseite, als die Manner durch die langer werdenden Schatten auf ihre Stationen rannten.
        Bolitho testete sein neues Verhaltnis zum Ersten Offizier.»Wollen Sie nicht auf die Destiny warten, Sir?»
        Palliser hob Schweigen gebietend die Hand. Beide horten jetzt gedampft Kanonendonner. Dann sagte er entschlossen:»Nein, Mr. Bo-litho, das will ich nicht. Selbst wenn unser Kommandant gut aus dem Hafen gekommen ist und gunstigeren Wind angetroffen hat als wir, wird er es mir nicht danken, wenn ich zulasse, da? die Beweise, die er so dringend braucht, vernichtet werden.»
        Pearse rief:»Boote achtern festgemacht, Sir!»

«An die Schoten und Brassen! Abfallen!»
        Eine Bo zischte uber das Wasser heran, warf sich mit Kraft in die Segel und schob die Brigantine so heftig voran, da? sich wei?er Gischt uber ihren Vorsteven ergo?.
        Palliser befahl:»Verdunkeln Sie das Schiff, Pearse! Ich mochte, da? nichts unsere Gegenwart verrat.»
        Slade sagte:»Das Gefecht kann noch vor Morgengrauen vorbei sein, Sir.»
        Aber Palliser fuhr ihn an:»Unsinn! Das Schiff, das wir verfolgen, wird angegriffen, wahrscheinlich von Seeraubern. Die werden in der Dunkelheit nicht eine Kollision riskieren. «Er wandte sich nach Bo-litho um.»Im Gegensatz zu uns, wie?»
        Little schuttelte den Kopf und atmete gerauschvoll aus. Bolitho roch Alkohol in dem Luftzug, der so stark war, als kame er aus einer offenen Kellertur.

«Tja, Mr. Bolitho, nun ist er endlich wieder zufrieden.»
        Bolitho dachte plotzlich an ihr Gesicht auf dem Schiff, das jetzt angegriffen wurde.»Bitten Sie Gott, da? wir noch rechtzeitig kommen.»
        Little, der ihn nicht verstand, schlenderte fur ein neues Schluck-chen zu seinem Freund Pearse. Der neue Dritte Offizier war also genauso scharf auf Prisengeld wie der Kommandant, dachte er. Immerhin ein Vorteil fur sie alle.
        Palliser marschierte auf dem Achterdeck auf und ab wie ein eingesperrtes Raubtier.

«Nehmen Sie Segel weg, Mr. Bolitho, und zwar Bram- und Stagsegeln zuerst. Etwas munter, bitte!»
        Manner bahnten sich ihren Weg zu Fallen und Belegnageln, wahrend andere flink die Webeleinen hinaufkletterten und auf der Bram-rah auslegten.
        Bolitho staunte immer wieder, wie schnell die Matrosen sich auf einem fremden Schiff selbst bei Dunkelheit zurechtfanden. Bald wurde der Morgen dammern, aber er spurte noch die Anstrengungen des vergangenen Tages und die vielen schlaflosen Stunden, die an seiner Widerstandskraft zerrten. Palliser hatte die kleine Besatzung uber Nacht in Trab gehalten: mit Kursanderungen, Segelmanovern und neuen Versuchen, den Standort der anderen Schiffe zu peilen und anzusteuern. Mehr als einmal hatten sie kurzes Kanonenfeuer gehort, doch Palliser meinte, es deute mehr auf Verhinderung eines Fluchtversuches als auf ein Nachtgefecht hin. Eines aber ging klar aus dem gelegentlichen Kanonendonner hervor: Da vorn waren mindestens drei Schiffe. Zwei davon umkreisten offenbar das dritte wie Wolfe ein verwundetes Stuck Wild und warteten darauf, da? es einen verhangnisvollen Fehler machte.
        Little rief:»Alle Kanonen geladen, Sir!»

«Sehr gut!«Mit geringerer Lautstarke fugte Palliser fur Bolitho hinzu:»Alle Kanonen? Ein paar Drehbassen und gerade genug Kartuschen, um einen Schwarm Krahen zu verjagen!»
        Midshipman Ingrave fragte:»Erlaubnis, die Flagge zu setzen, Sir?»
        Palliser nickte.»Ja. Dies ist zur Zeit ein Schiff des Konigs. Und es besteht wenig Aussicht, da? wir noch ein zweites treffen.»
        Bolitho erinnerte sich an einige Gesprachsfetzen, die er wahrend der Nacht aufgeschnappt hatte. Es gab Leute, welche die Aussicht beunruhigte, mit Piraten bei solch klaglicher eigener Bewaffnung ins Gefecht zu kommen.
        Bolitho warf einen schnellen Blick nach Steuerbord. Hellte sich der Horizont dort schon leicht auf? Sie hatten einen guten Ausguck im Mastkorb, und er war ihre einzige Hoffnung, das andere Schiff zu uberraschen. Denn es war kaum anzunehmen, da? Seerauber, die kurz davor standen, ein Handelsschiff zu kapern, sich die Muhe machten, auch in andere Richtungen Ausschau zu halten.
        Er horte Slade Palliser etwas zuflustern. Slade war einer von denen, die sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung nicht gerade freuten.
        Palliser sagte zornig:»Achten Sie auf den Kurs, und halten Sie sich fur ein Segelmanover bereit, wenn wir auf den Feind sto?en. Den Rest uberlassen Sie mir, verstanden?»
        Bolitho fuhlte, da? seine Glieder zitterten.»Der Feind«… Palliser zweifelte also nicht daran.
        Stockdale trat aus dem Dunkel hervor. Seine kraftige Gestalt war gegen das Deck geneigt, das durch den Wind in Schraglage gehalten wurde.

«Die Schurken schie?en mit Kettenkugeln,[Zwei durch eine kurze Kette verbundene Halbkugeln, die verschossen wurden, um vor allem die Takelage des Gegners zu beschadigen.] Sir. Als ich oben war, habe ich es zwei- oder dreimal gehort.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Sie wollten also die Rosario entmasten, um sie dann mit geringerem Risiko zur Ubergabe zu zwingen. Wenn sie erkannten, da? die Heloise auf sie zuhielt, wurde ihnen das einen Schock versetzen, aber sicher nur fur einen Augenblick.
        Er sagte:»Vielleicht eilt die Destiny schon hinter uns her.»

«Mag sein.»
        Bolitho wandte sich Jury zu, der an ihn herantrat. Stockdale glaubte also nicht an das rechtzeitige Auftauchen des Mutterschiffs, jedenfalls nicht mehr als er selber.
        Jury fragte:»Dauert es noch lange, Sir?»

«Es wird schnell heller. Wir mu?ten ihre Marssegel oder die obersten Stengen jeden Augenblick sichten. Wenn eines der Schiffe wieder feuert, konnen wir den Standort peilen.»
        Jury beobachtete ihn im Dammerlicht.»Beunruhigt es Sie gar nicht,
        Sir?»
        Bolitho zuckte die Schultern.»Noch nicht. Vielleicht spater. Wir tun unsere Pflicht, darauf kommt es an. «Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Merken Sie sich eines: Mr. Palliser hat fur diese Aufgabe sehr erfahrene Leute ausgesucht. Nur seine Offiziere sind noch ziemlich jung. «Jury nickte.»Also rei?en Sie sich zusammen, und bleiben Sie, wo man Sie sehen kann. Die Wundertaten uberlassen Sie Mr. Palliser.»
        Jury lachelte, zuckte aber zusammen, als seine aufgesprungenen Lippen ihn an die Schinderei vom Vortag erinnerte.»Ich werde in Ihrer Nahe bleiben.»
        Stockdale kicherte.»Verzeihung, junger Herr, aber kommen Sie mir dabei nicht in die Quere. «Er schwang sein langes Entermesser durch die Luft.»Ich mochte nicht, da? Sie den Kopf einbu?en.»
        Palliser rief:»Klar zum Bergen der Breitfock! Aber leise!»
        Der Bootsmannsmaat zeigte nach Steuerbord.»Morgendammerung,
        Sir.»
        Palliser fuhr ihn an:»Verdammt noch mal, Pearse, wir sind weder blind, noch schwerhorig.»
        Pearse grinste hinter Pallisers Rucken, war aber sehr darauf bedacht, da? dieser ihn nicht dabei ertappte.

«An Deck! Segel an Steuerbord voraus! Und noch eins an Backbord!»
        Palliser klatschte in die Hande.»Wir haben's geschafft! Verflucht, wir haben sie!»
        In diesem Augenblick feuerte druben ein Geschutz und warf einen orangefarbenen Lichtblitz auf das dunkle Wasser.
        Slade sagte beklommen:»Drittes Schiff in Luv, Sir!»
        Bolitho packte seinen Sabel und druckte die Scheide gegen seine Hufte, um sich zu beruhigen. Also drei Schiffe, und das in der Mitte war zweifellos die Rosario. Ihre beiden Angreifer hielten etwas ab und bildeten mit ihr ein gro?es Dreieck. Er horte ein Pfeifen uber sich und dann einen Krach wie von splitterndem Holz. In der Dunkelheit sah er Gischt querab aufspritzen, als Teile von Stengen und Tauwerk aufs Wasser schlugen.
        Stockdale nickte.»Kettenkugeln, wie ich schon sagte. Die Banditen!»

«Geschutze, Achtung! Zundet die Lunten!»
        Jetzt bestand keine Notwendigkeit mehr, heimlich zu tun. Bolitho horte einen schrillen Pfiff vom nachststehenden Schiff und dann den Knall einer abgefeuerten Pistole. Sie war entweder aus Versehen losgegangen oder sollte die Gefahrten warnen.
        Die Matrosen der Heloise starrten mit schu?bereiten Musketen, die Entermesser und Enterhaken in greifbarer Nahe, nach vorn in die Dunkelheit.

«Gei auf die Breitfock!»
        Manner rannten, den Befehl auszufuhren; als das gro?e Segel zur Rah aufgeholt war, enthullte es wie ein Theatervorhang die im zunehmenden Licht hinter ihren leichten Kanonen kauernden Matrosen.
        Es folgte eine Reihe von Schussen, und Bolitho horte uber sich das Kreischen einer Kettenkugel, das ihm wie Geschrei gequalter Seelen vorkam.
        Little sagte durch die Zahne:»Zu hoch - Gott sei Dank.»
        Das todliche Kettengescho? klatschte weit achteraus mit einer Gischtfontane ins Wasser, aber genau in Verlangerung ihrer beiden Masten.

«Anluven!«Palliser hatte ein Backstag gepackt und studierte den Umri? des Gegners. So hoch an den Wind wie moglich!«»An die Schoten, Halsen und Brassen!»
        Die Brigantine luvte an, bis die verbliebenen Segel protestierend zu killen begannen.»Kurs Nordwest zu West. Voll und bei!»
        Das andere Schiff feuerte wieder, und eine Kugel schlug zwanzig Fu? vor dem Bug der Heloise ein; sie warf Spritzwasser hoch uber ihre Back.
        Dann begann die ernsthafte Beschie?ung, aber die Kugeln lagen zu weit und ungenau, weil die feindlichen Geschutzbedienungen erst zu erraten versuchten, was das Manover des Neuankommlings bedeutete.
        Eine weitere Kugel durchschlug das Besansegel und hinterlie? ein Loch, gro? genug, um den Kopf hindurchzustecken.
        Palliser explodierte:»Diese idiotische Brigg schie?t auf uns!»
        Little grinste.»Halt uns wohl auch fur Piraten.»

«Ich werde ihnen Piraten geben!«Palliser zeigte auf das Schiff, das an Backbord aus der Dunkelheit auftauchte und seine Silhouette verkurzte, als es Kurs anderte, um die intervenierende Heloise zuruckzuschlagen.

«Zuerst auf den Schoner!»


        Little legte die Hande um den Mund.»In der Aufwartsbewegung,[Da zwischen Feuerbefehl und Zundung immer einige Sekunden verstrichen, bewirkte das Abfeuern bei Aufwartsbewegung des Schiffes, da? die Kugel oberhalb der Wasserlinie Deck oder Takelage des Feindes traf.] Jungs - klar zum Feuern!»
        Einige Leute waren noch dabei, eine Drehbasse auf die hoher liegende Luvseite zu schleppen, und schimpften auf Little, er solle ihnen mehr Zeit lassen.
        Aber Little verstand sein Handwerk.

«Ruhig, Jungs!«Es klang, als sprache ein Dompteur mit seinen Raubkatzen. »Feuer!»
        Die Lunten flogen wie Gluhwurmchen nach unten, und die Drehbassen bellten giftig das auf sie zukommende Schiff an. Ein morderischer Hagel aus dicht gestopfter Kartatsche ergo? sich uber das gegnerische Vorschiff, und Bolitho meinte, vielstimmiges Geschrei zu horen, als die Ladung druben einschlug.

«Klar zur Wende!«Pallisers Stimme drang auch ohne Megaphon durch.»An die Brassen, Schoten und Halsen!»
        Palliser hangelte sich auf dem schrag liegenden Deck zu Slade am Ruder hinunter. Wir nehmen einen neuen Anlauf. Legen Sie Ruder.»
        Stark uberliegend, bis die Matrosen die Rahen rundgeholt hatten, lief die Brigantine nach Lee ab. Das zweite Schiff schien unter ihrem Kluverbaum vorbeizuwandern, bis es an Backbord querab lag und der angreifenden Heloise sein Heck zeigte.
        Palliser schrie:»Schie?en Sie auf das Achterschiff, Little!«Er drehte sich abrupt zu Slade und seinen keuchenden Rudergangern um.»Stutz! Stutzruder, Idiot!»
        Bolitho fand Zeit, Slade zu bedauern. Die Heloise brauste auf das Heck des anderen Schiffes zu, als wolle sie wie ein Beil hineinfahren.

«Feuer!»
        Die Decks beider Schiffe wurden blitzartig hell, als ihre Kanonen orangefarbene Zungen vorstreckten, denen kurz darauf der Krach einschlagenden Eisens folgte. Die Kartatschenladungen der Heloise mu?ten das Achterschiff des Gegners leergefegt haben. Ruderganger und Geschutzbedienungen fanden keine Deckung vor der flach kommenden Ladung dicht gepackter Eisenstucke. Das Schiff begann, aus dem Ruder zu laufen, und wurde erneut von Littles Drehbassen beharkt.

«Breitfock setzen!«Pallisers Augen waren uberall.
        Bolitho sah ihn jetzt deutlich auf dem Achterdeck, seine drahtige Gestalt hob sich wie ein Racheengel vom heller werdenden Hintergrund ab.

«Feuer!»
        Weitere Kugeln sausten uber sie hinweg, und Bolitho bemerkte, da? das erste Schiff offenbar Mut gefa?t hatte und herankam, um seinem Gefahrten zu helfen.
        Zum erstenmal sah er jetzt auch klar die Rosario, und bei dem Anblick tat ihm das Herz weh. Ihr vorderer Mast war vollig verschwunden, und vom Gro?mast stand nur noch die Halfte. Trummer und heruntergefallene Takelage trieben um ihren Rumpf, und als die Sonne uber den Horizont stieg, sah Bolitho, da? dunne rote Rinnsale aus den Speigatten flossen. Es schien, als blute das Schiff selbst.

«Klar zur Halse!»
        Bolitho gab einem Matrosen einen Sto? und schrie:»Zu den anderen!«Der Mann machte einen erschrockenen Satz und lief dann eifrig los, um sich mit vollem Gewicht an die Brassen zu hangen. Er hatte wohl geglaubt, es sei hei?es Eisen und nicht eine Hand, die ihn stie?.
        In dem Augenblick gab es einen furchterlichen Krach. Bolitho fiel fast auf die Knie, als zwei Volltreffer in die Bordwand der Heloise schlugen. Er bemerkte, da? Ingrave mit weit aufgerissenen Augen und wie gelahmt das nachstliegende Schiff anstarrte.
        Er rief:»Gehen Sie nach unten und kummern Sie sich um die Schaden!«Er lief zu dem Midshipman hinuber, packte ihn am Arm und schuttelte ihn wie eine Puppe. »Los, Mr. Ingrave! Bringen Sie die Pumpen in Gang!»
        Ingrave starrte ihn zunachst mit leerem Blick an, dann rannte er mit unerwarteter Entschlu?kraft zum Niedergang.
        Stockdale ri? Bolitho plotzlich respektlos zur Seite, als ein schwerer Block von oben kam und allerlei Tauwerk hinter sich herzog. Der Block prallte aufs Schanzkleid und schlug dann ins Wasser.
        Palliser schrie:»Achtung!«Er hatte seinen Degen gezogen.»An die Backbordgeschutze!

        Gegen die relativ leichten Kanonen des Schoners wirkten ihre
        Drehbassen zwar harmlos. Aber Bolitho sah, wie ihre Kartatschenladungen das Vorsegel druben durchsiebten und zwei Manner als blutige Bundel vom Mast fegten, bevor weitere Kugeln ins Unterwasserschiff der Heloise schlugen. Er horte Holz krachen und Stutzbalken zwischen den Decks brechen und wu?te, da? sie schwer getroffen waren.
        Jemand hatte es geschafft, die Pumpen in Gang zu bringen, doch Bolitho sah zwei Leute stark blutend zusammenbrechen und einen dritten von der Marsrah muhsam herabklettern. Sein eines Bein baumelte kraftlos und wohl nur noch durch einen Muskel gehalten herunter.
        Palliser rief:»Kommen Sie nach achtern!«Als Bolitho zu ihm eilte, sagte er:»Es steht nicht gut mit uns. Gehen Sie selber nach unten und melden Sie mir, wie schwer die Schaden sind. «Er zuckte zusammen, als weitere Treffer den bereits schwer mitgenommenen Schiffsrumpf erschutterten. Irgendwo schrie ein Mann verzweifelt:»Wir sinken!»
        Bolitho starrte Palliser an. Er hatte recht. Die Beweglichkeit der He-loise war plumper Reaktion auf Wind und Ruder gewichen. Unglaublich, da? sie die Rollen mit der Rosario so plotzlich getauscht hatten. Und nirgends war Hilfe in Sicht. Ihre Feinde wurden ihnen keinen leichten Tod gonnen.
        Palliser ruttelte ihn auf.»Ich halte auf die Rosario zu. Mit unseren Leuten und ihren Kanonen haben wir noch eine Chance. «Er sah Bolitho ruhig an.»Seien Sie ein braver Junge und gehen Sie nach unten.»
        Bolitho eilte zum Niedergang. Mit einem schnellen Blick nahm er die Schaden auf dem zersplitterten Deck und die alten Blutspuren wahr. Hier hatten sie schon einmal gekampft. War das nicht genug gewesen? Wollte es das Schicksal, da? sie so endeten?
        Er rief Jury zu:»Kommen Sie mit!«Er blickte in die Finsternis hinunter. Der Gedanke, dort unten eingeschlossen zu sein, wenn das Schiff unterging, bedruckte ihn. Zogernd sagte er, um seine Besorgnis zu verbergen:»Wir wollen die Schaden gemeinsam feststellen. Denn wenn mir etwas passiert…«Er sah Jury nach Luft schnappen; der hatte also noch nicht an das Ende gedacht.»Wenn mir etwas zusto?t, konnen Sie Mr. Palliser Einzelheiten berichten.»
        Unter Deck zundete er eine Laterne an und ging vorneweg, wobei er den gefahrlichen Spitzen der gesplitterten Holzbacken auszuweichen versuchte. Die Gerausche vom Oberdeck klangen nur gedampft herunter, es horte sich aber bedrohlich an, als das Schiff sich unter den Einschlagen immer wieder aufbaumte und schuttelte.
        Die beiden Angreifer standen nun an Backbord und Steuerbord querab von der Heloise und feuerten ohne Rucksicht darauf, da? sie in ihrem Eifer, das kleine Schiff mit der roten Nationalflagge Englands zu vernichten, sich gegenseitig treffen konnten.
        Bolitho zog ein Luk auf und sagte:»Ich hore eindringendes Wasser.»
        Jury wisperte:»Gro?er Gott, wir sinken!»
        Bolitho legte sich auf den Bauch und hielt die Laterne durch das Luk in den Raum. Er sah nur Chaos. Zerbrochene Fasser und Leinwandfetzen schwammen zwischen zersplitterten Holzern, und selbst wahrend er noch hinsah, schien das Wasser zu steigen.
        Er sagte:»Melden Sie dem Ersten Offizier, da? keine Hoffnung besteht. «Er beruhigte Jury, der furchtsam zusammengezuckt war, weil weitere Kugeln in den Schiffsrumpf schlugen.»Gehen Sie und erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen gesagt habe: Alle sehen auf Sie!«Er versuchte zu lacheln, als ob alles nicht so wichtig sei.»In Ordnung?»
        Jury wich schrittweise zuruck, wahrend sein Blick zwischen Bolitho und dem offenen Luk hin- und herwanderte.»Und was tun Sie?»
        Bolitho wandte den Kopf, als ein neuer Laut wie Hammerschlage durch das stark krangende Schiff drohnte. Einer der Anker hatte sich aus seiner Zurring gerissen und schlug nun bei jedem Uberholen der Brigantine gegen die Bordwand. Das wurde ihr Ende beschleunigen.

«Ich gehe zu Olsson. Wir mussen die Gefangenen freilassen.»
        Endlich war Bolitho allein. Er atmete tief durch und bemuhte sich, das Zittern seiner Glieder zu unterdrucken. Dann arbeitete er sich langsam weiter nach achtern, wobei die regelma?igen Ankerschlage ihm wie Trommelschlag bei einer Hinrichtung folgten.
        Eine neue Erschutterung der Bordwand, der unmittelbar lautes Krachen folgte. Einer der Masten - oder Teile davon - kam von oben. Bolitho wappnete sich fur den endgultigen Aufprall.
        Im nachsten Augenblick lag er ausgestreckt in der Dunkelheit. Die Laterne war seinen Handen entglitten, und obwohl er uberhaupt nichts fuhlte, konnte er sich nicht an den Augenblick des Falls erinnern.
        Er wu?te nur, da? er unter einem Trummerhaufen wie festgenagelt lag und sich nicht bewegen konnte.
        Er pre?te ein Ohr an eine Luftungsgrating und horte das Wasser aus der Bilge in die unteren Raume dringen. Am Rande der Panik begriff er, da? er in Sekunden sinnlos schreiend um sich treten wurde.
        Viele Gedanken schossen durch sein Gehirn. Er sah seine Mutter, wie sie von ihm Abschied nahm. Sah die See unter dem Vorland von Falmouth, wo er mit seinem Bruder Hugh in einem Fischerboot das erste Abenteuer erlebt hatte, und horte den Zornausbruch ihres Vaters daruber.
        Seine Augen brannten. Doch als er versuchte, die Hand zum Gesicht zu heben, hielten die heruntergefallenen Trummer sie in einer grausamen Falle fest.
        Der Anker schlug nicht mehr gegen die Bordwand, was wohl bedeutete, da? er jetzt schon unter Wasser war.
        Bolitho schlo? die Augen und wartete. Er stie? ein Sto?gebet aus, da? er vor dem Ende nicht die Nerven verlieren moge.



        IX Pallisers List

        Bolitho fuhlte, da? der Druck auf sein Ruckgrat zunahm, da sich das Gewicht der Trummer durch die Schiffsbewegung verlagert hatte. Irgendwo oben horte er Metall uber Holz scheuern, als hatte sich eine Kanone losgerissen und rutsche auf dem Deck herum. Die Schlagseite hatte zugenommen, und das Wasser schlug immer hoher gegen die Bordwand, weil das Schiff tiefer und tiefer sackte.
        Oben fielen nur noch gelegentlich Schusse; es schien, als hielten die Gegner sich fern und warteten ab, bis die See ihr Werk vollendet hatte.
        Langsam, aber mit wachsender Verzweiflung versuchte Bolitho, sich aus dem Trummerhaufen zu befreien. Er horte sich achzen und stohnen und sinnlose Worte aussto?en, als er mit allen Gliedma?en zerrte und strampelte, um der Falle zu entkommen.
        Es war nutzlos. Er erreichte nur, da? die abgebrochenen Spieren verrutschten und eine fast seinen Kopf aufgespie?t hatte. Panik ergriff ihn, als er au?er weiteren Musketenschussen horte, wie ein Boot bemannt und heisere Befehle gegeben wurden. Er ballte die Fauste und druckte das Gesicht gegen die Decksbalken, um zu verhindern, da? er verzweifelte Schreie ausstie?. Das Schiff sank nun schnell, und Palliser hatte offenbar befohlen, es zu verlassen.
        Bolitho versuchte, klar zu denken und sich damit abzufinden, da? seine Kameraden nur taten, was getan werden mu?te. Jetzt blieb keine Zeit mehr fur Gefuhle oder eine nutzlose Geste. Er war ebenso tot wie die anderen, die in der Hitze des Gefechts gefallen waren.
        Doch plotzlich horte er Stimmen. Jemand rief seinen Namen. Schmale Lichtkegel drangen durch das Gewirr der Trummer, und als es einen neuen Ruck darin gab, schrie Bolitho:»Zuruck! Rettet euch lieber!»
        Er war uber seine Worte und die Kraft seiner Stimme selber erschrocken. Mehr als alles andere hatte er uberleben wollen - bis zu dem Augenblick, da jemand anderer sein Leben fur ihn riskierte. Stockdales heisere Stimme befahl:»Hier, hebt diese Spiere an!«Jemand anderer sagte zweifelnd:»Zu spat, wie's scheint, Kamerad. Wir gehen am besten zuruck.»
        Stockdale krachzte:»Hebt an, wie ich's gesagt habe! Nun zusammen, Jungs, zu - gleich!»
        Bolitho schrie auf, als der Schmerz in seinem Rucken starker wurde. Er erkannte Fu?e, die sich auf der anderen Seite des Trummerbergs bewegten, und sah Jury auf dem Boden knien und durch eine Lucke nach ihm ausspahen.

«Nicht mehr lange, Sir. «Jury zitterte vor Angst, versuchte aber, gleichzeitig zu lacheln.»Halten Sie aus!»
        So plotzlich, wie sie ihn niedergeschlagen hatte, wurde die ganze Last aus zerbrochenen Stengen und gesplitterten Decksbalken angehoben. Ein Mann ergriff Bolithos Fu?knochel und zog ihn energisch das schrage Deck hinauf. Stockdale schien mittlerweile den ganzen Berg von Trummern allein hochzuhalten.
        Jury keuchte:»Schnell!«Er ware gesturzt, wenn ein Matrose ihn nicht mit schnellem Zugriff gehalten hatte. Dann schwankten sie alle wie Betrunkene zum nachsten Luk und nach oben.
        Als sie schlie?lich das Oberdeck erreichten, verga? Bolitho seine Schmerzen und die Augenblicke nackter Verzweiflung. Im zunehmenden Tageslicht sah er, da? die Heloise ein hilfloses Wrack war; ihr vorderer Mast war verschwunden, der hintere nur noch ein gezackter Stumpf. Gebrochene Stengen, zerrissene Segel und ein wirres Durcheinander herabgefallenen Tauwerks vervollstandigten die totale Verwustung.
        Und wie zur Bestatigung bemerkte Bolitho, da? beide Boote schon bemannt waren und sich von dem sinkenden Schiff freihielten. Das nahere lag schon hoher als die Leeseite der Heloise.
        Palliser stand im Kutter und wies einige seiner Leute an, ihre Musketen auf einen der beiden Schoner zu richten. Die sinkende Brigantine wirkte als Barrikade, sie stand als einziger Schutz zwischen ihnen und dem Feind und verhinderte, da? er direkt auf sie losfuhr und den einseitigen Kampf beendete.
        Stockdale grunzte:»Uber Bord, Jungs!»
        Noch leicht benommen sah Bolitho, da? unter den Leuten, die zuruckgekommen waren, um ihn zu retten, auch Olsson war, der verruckte Schwede, und einer der Landarbeiter, die sich bei seinem Rekrutierungskommando in Plymouth freiwillig gemeldet hatten.
        Jury zog sich die Schuhe aus und steckte sie unter sein Hemd. Er schaute ins Wasser, das schon uber das Schanzkleid schlug, und sagte:»Wir haben ein schones Stuck zu schwimmen.»
        Bolitho zuckte zusammen, als eine Musketenkugel neben ihm ins Deck schlug und einen Splitter von der Gro?e eines Federkiels abloste.

«Jetzt oder nie!«Er sah, wie die See in einen Niedergang schlug und einen der Leichname in wildem Tanz herumwirbelte. Der Vorsteven war bereits unter die Wasseroberflache gesackt. Den schnaufenden und taumelnden Stockdale zwischen sich, sprangen Bolitho und Jury ins Wasser. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis sie das nachste Boot erreichten; dort durften sie sich neben einigen anderen Leuten ans Dollbord hangen, da das Boot voll besetzt war. Dabei mu?ten sie versuchen, die Manner an den Riemen nicht zu behindern, die zur entmasteten Rosario pullten.
        Die meisten Leute um ihn herum waren Bolitho fremd; er nahm an, da? es freigelassene Gefangene waren. Ein Wunder, da? Olsson, der so brutal aussah, sie nicht ihrem Schicksal auf dem sinkenden Schiff uberlassen hatte.
        Dann plotzlich erhob sich die Bordwand der Brigg uber ihnen. Es war nur ein kleines Schiff, aber vom Wasser aus schien sie Bolitho, der sich an eine ihm zugeworfene Leine klammerte, so gro? wie eine Fregatte.
        Schlie?lich waren sie alle an Deck geklettert, gezogen oder geschoben und standen der Besatzung der Brigg gegenuber, die sie anstarrte, als seien sie dem Meer selbst entstiegen.
        Palliser lie? niemanden im Zweifel, wer das Kommando fuhrte:»Little, bringen Sie die Gefangen nach unten und schlie?en Sie sie ein. Pearse, Sie schauen nach, ob sich ein Notmast aufriggen la?t, jedenfalls irgend etwas, das uns wieder Ruderwirkung geben kann. «Er ging an einigen verschreckten und blutenden Leuten entlang und fuhr sie an:»Ladet sofort die Kanonen, hort ihr! Ihr kommt mir vor wie ein Haufen alter Weiber, verdammt noch mal!»
        Ein Mann, der offenbar etwas zu sagen hatte, drangte sich durch die Seeleute und sagte:»Ich bin Kapitan John Mason. Ich wei?, warum Sie hier sind, aber ich danke Gott fur Ihr Kommen, Sir, obwohl ich befurchte, da? wir den Piraten auch jetzt nicht gewachsen sind.»
        Palliser betrachtete ihn kuhl.»Das werden wir sehen. Aber jetzt tun Sie, was ich befehle. Wie Sie und Ihre Leute sich heute auffuhren, wird daruber entscheiden, was mit Ihnen geschieht.»
        Der Mann schnappte nach Luft.»Ich verstehe nicht, Sir.»

«Haben Sie einen Passagier namens Jonathan Egmont?»
        Bolitho lehnte am Schanzkleid und holte in tiefen Atemzugen Luft, wahrend Wasser aus seiner Kleidung rann und sich mit Blut unter der nachsten Kanone mischte.

«Aye, Sir, aber.»

«Lebt er?»

«Ja. Wenigstens lebte er noch, als ich ihn zuletzt sah. Ich habe meine Passagiere nach unten geschickt, als der Angriff begann.»
        Palliser lachelte grimmig.»Ihr Gluck. Und auch meines, denke ich. «Er sah Bolitho und setzte scharf hinzu:»Sorgen Sie fur die Sicherheit Egmonts. Aber sagen Sie ihm nichts. «Er wollte sich einem der beiden Schoner zuwenden, bemerkte aber gerade den letzten Augenblick der Heloise. Mit Gischtfontanen aus ihren Luken sackte sie unter die Wasseroberflache. Palliser sagte:»Bin froh, da? Sie uns erhalten blieben, Mr. Bolitho. Ich hatte schon befohlen, das Schiff zu verlassen.»
        Sein Blick ruhte einen Augenblick auf Jury und Stockdale.»Indessen.»
        Bolitho wankte einem offenen Luk zu. Seine benommenen Sinne waren noch immer von dem Anblick der hilflos in der Dunung rollenden Rosario gefangen. Die Brigg war schrecklich zugerichtet. Umgesturzte Kanonen, Leichen und Gliedma?en lagen mit den ubrigen Trummern in wildem Durcheinander herum und zeugten von den verzweifelten Anstrengungen, die Angreifer vom Entern abzuhalten.
        Ein Matrose - in der einen Hand eine Pistole, um die andere einen behelfsma?igen Verband - rief:»Hier geht's runter, Sir!»
        Bolitho kletterte eine Leiter hinab. Sein Magen rebellierte beim Anblick von so viel Leid und Schmerz. Drei Manner lagen besinnungslos oder tot vor ihm, ein vierter kroch, so gut er konnte, an seine Gefechtstation zuruck.
        Egmont stand an einem Tisch und trocknete sich die Hande an einem Fetzen Stoff, wahrend ein Matrose eine Lampe fur ihn putzte.
        Er erkannte Bolitho und bedachte ihn mit mudem Schulterzucken.»Ein unerwartetes Zusammentreffen, Leutnant.»
        Bolitho fragte:»Haben Sie die Verwundeten versorgt?»

«Sie kennen die Marine, Leutnant. Es ist sehr lange her, seit ich unter dem Vater Ihres Kommandanten diente, aber was man einmal gelernt hat, vergi?t man nie.»
        Bolitho horte das eifrige Schnaufen der Pumpen und das Scharren von Blocken und Taljen, die geschaftig uber das Oberdeck gezogen wurden. Die Matrosen der Destiny waren wieder an der Arbeit, und er wurde gebraucht, um Palliser zu helfen und die Leute - notfalls mit Gewalt - anzutreiben.
        Sie waren in einem wilden Gefecht gewesen, und einige hatten dabei ihr Leben verloren. Nun mu?ten sie abermals heran. Lie? man sie verschnaufen, wurden sie sich fallen lassen. Erlaubte man ihnen, den Verlust eines guten Freundes zu beklagen, wurden sie ihren Kampfgeist verlieren.
        Bolitho fragte:»Ihre Frau - ist sie in Sicherheit?»
        Egmont wies auf ein Schott.»Da drin.»
        Bolitho warf sich mit der Schulter dagegen, wobei ihn die Angst, wieder unter Deck eingeklemmt zu werden, packte. Im schwachen Lampenlicht sah er drei Frauen in einer fenster- und luftlosen Kammer: Aurora Egmont, ihre Zofe und eine fullige Dame, in der er die Frau des Kapitans vermutete. Er sagte:»Gott sei Dank, Sie sind unversehrt. «Aurora kam auf ihn zu, und da ihre Fu?e in dem Dammerlicht der Kammer unsichtbar waren, schien es, als ob sie auf ihn zuschwebe. Sie hob eine Hand, strich ihm uber das Gesicht und sein nasses Haar und sagte leise:»Ich dachte, Sie waren noch in Rio. «Ihre Hande beruhrten seine Brust und seine herabhangenden Arme.»Mein armer Leutnant, was hat man Ihnen angetan?«Bolitho meinte, den Verstand zu verlieren. Selbst hier, in den Ausdunstungen der Bilge und des Todes, roch er ihr Parfum; er spurte den leichten Druck ihrer Finger auf seinem Gesicht und hatte sie gern umarmt, ihren Korper an sich gepre?t wie in seinem Traum, die Sorgen mit ihr geteilt, ihr sein Verlangen offenbart.»Bitte. «Er versuchte, zuruckzutreten. Ich bin na? und schmutzig. Ich wollte mich nur vergewissern,
da? Sie unverletzt sind. «Sie wischte seinen Protest beiseite und legte ihm die Hande auf die Schultern.»Mein tapferer Leutnant!«Dann wandte sie sich zu ihrer Zofe um und sagte scharf:»Hor auf zu heulen, du dummes Madchen. Wo ist dein Stolz?»
        In diesen Sekunden fuhlte Bolitho, da? sich ihre Brust gegen sein nasses Hemd pre?te, als sei kein Stoff mehr zwischen ihren Korpern. Er murmelte:»Ich mu? gehen!»
        Sie sah ihn so eindringlich an, als suche sie sich jeden Zug einzupragen.»Wollen Sie wieder kampfen? Mussen Sie?»
        Bolitho fuhlte neue Kraft in seinen Korper stromen. Er vermochte sogar zu lacheln, als er sagte:»Ich habe jetzt jemanden, fur den ich kampfe, Aurora.«»Sie wissen noch meinen Namen?»
        Dann zog sie seinen Kopf herunter und ku?te ihn fest auf den Mund. Dabei zitterte sie genau wie er. Die Beschimpfung der Zofe war nur eine Ablenkung gewesen. Sie flusterte:»Nimm dich in acht, Richard.»
        Als Bolitho zuruckeilte und die Leiter hochkletterte, horte er schon von fern Pallisers Stimme. Palliser beobachtete die beiden gro?en Schoner durch ein Fernrohr; ohne es zu senken, sagte er trocken:»Darf ich annehmen, da? unten alles wohlauf ist?»
        Bolitho wollte an seinen Hut tippen, erinnerte sich aber, da? er ihn schon vor langer Zeit verloren hatte.

«Aye, Sir. Egmont hilft den Verwundeten.»

«Tatsachlich?«Palliser schob das Teleskop mit einem Knall zusammen.»Horen Sie gut zu: Die Teufel werden versuchen, unsere Krafte zu zersplittern. Einer wird etwas abhalten, wahrend der andere anlauft, um uns zu entern. «Er dachte laut.»Wir haben einen Kampf uberlebt, nun wollen sie den volligen Sieg. Sie werden kein Pardon geben.»
        Bolitho nickte.»Wir konnten sie uns vom Leibe halten, wenn jede Kanone voll bemannt ware, Sir.»
        Palliser schuttelte den Kopf.»Nein. Wir treiben steuerlos und konnen nicht verhindern, da? einer oder beide hinter uns vorbeisegeln und unser wehrloses Heck unter Feuer nehmen. «Er beobachtete einige Matrosen der Brigg, die vorbeischlurften.»Diese Leute sind erledigt, haben keinen Kampfgeist mehr. Alles hangt von uns ab. «Er nickte kraftig, sein Entschlu? stand fest.»Wir werden einen der Schurken herankommen lassen und sie voneinander trennen. Mal sehen, wie ihnen das gefallt.»
        Bolitho musterte die abgebrochenen Masten und herumliegenden Toten, zwischen denen die Manner der Destiny sich wie Leichenfledderer auf einem Schlachtfeld bewegten. Er strich sich mit seinen Fingern uber den Mund, als konne er die Stelle spuren, wo sie ihn mit solcher Leidenschaft geku?t hatte. Er sagte:»Ich werde es den anderen ausrichten, Sir. «Palliser sah ihn duster an.»Ja, tun Sie das. Erklarungen konnen spater gegeben werden, wenn wir gewonnen haben. Wenn nicht, kommt's darauf auch nicht mehr an.»
        Palliser senkte sein Teleskop und sagte bitter:»Sie haben mehr Leute, als ich dachte.»
        Bolitho beschattete seine Augen und beobachtete die beiden Schoner. Ihre gro?en Gaffelsegel am vorderen und achteren Mast standen wie Vogelschwingen vor dem hellen Himmel. Langsam arbeiteten sie sich nach Luv von der hilflosen Brigg. Das gro?ere der beiden Schiffe, dessen Segel von den Kartatschenladungen wahrend des abenteuerlichen Gefechts wie mit Pockennarben ubersat waren, war ein Toppsegelschoner.[Zweimaster, beide Masten mit Gaffelsegeln, am vorderen daruber auch Rahsegel und eine Breitfock, die bei Ruckenwind gesetzt werden konnte.] Er rief eine Erinnerung in Bolitho wach.»Ich glaube, dies ist das Fahrzeug, das den Hafen verlie?, als wir bei Eg-mont zu Besuch waren, Sir. Ich erinnere mich an das Rigg.»

«Stimmt wahrscheinlich. Es gibt nur wenige davon in diesen Gewassern.»
        Palliser beobachtete die methodische Annaherung der Schoner. Einer hielt sich weit in Luv, der andere manovrierte von Backbord aus auf den Bug der Rosario zu, wo er von deren ubriggebliebenen Kanonen am schlechtesten zu bestreichen war. Immerhin waren es solide Sechspfunder, die unter Littles erfahrener Leitung jedem gefahrlich werden konnten, der ihnen zu nahe kam.
        Palliser reichte Bolitho das Glas.»Sehen Sie selbst. «Er ging zum Kompa? hinuber und sprach mit Slade und dem Kapitan der Brigg.
        Bolitho richtete das Glas mit angehaltenem Atem auf den naherstehenden Schoner. Er wirkte von Wind und Wetter zerzaust und wenig gepflegt. Viele Manner schauten zur trotzigen, wenn auch machtlosen Brigg heruber. Ihre herausfordernden und hohnischen Rufe waren auf die Entfernung schwach zu horen.
        Bolitho dachte an die Frau in der Kammer und an das, was diese Kerle mit ihr machen wurden, und packte seinen Sabel so fest, da? ihm die Handflache wehtat. Er horte den Kapitan der Brigg sagen:»Ich will nicht mit einem Offizier des Konigs streiten, aber machen Sie mich nicht fur das verantwortlich, was kommt.»
        Slade fugte leise hinzu:»Sie konnen es nicht mit ihnen aufnehmen, Sir. Es ist nicht richtig, es darauf ankommen zu lassen.»
        Pallisers Stimme war hart und kompromi?los:»Was empfehlen Sie? Da? wir auf ein Wunder warten? Beten, da? die Destiny aus der Weite des Meeres auftaucht und unsere armen Seelen rettet?«Er gab sich keine Muhe, Sarkasmus und Verachtung zu verbergen.»Verdammt, Slade, ich hatte mehr von Ihnen erwartet.»
        Er wandte sich um und sah, da? Bolitho die diskutierende kleine Gruppe beobachtete.»In etwa funfzehn Minuten wird der Halsabschneider versuchen, uns zu entern. Wenn wir ihn zuruckschlagen, wird er wieder auf Abstand gehen; beide werden uns dann eine Weile beschie?en. Dann werden sie es wieder versuchen. Und spater noch einmal. «Er wies mit einer weitausholenden Armbewegung auf das zerfurchte Deck und die muden Matrosen.»Glauben Sie, da? die Leute das durchstehen werden?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nein, Sir. «Palliser wandte sich ab.»Gut.»
        Aber Bolitho hatte den Ausdruck in seinem Gesicht gesehen. Er verriet trotz ihrer schrecklichen Lage Erleichterung oder auch Uberraschung, da? jemand ihm zustimmte.
        Palliser sagte:»Ich gehe nach unten; mu? mit den Gefangenen von der Heloise sprechen.»
        Little sagte leise zu seinem Freund, dem Bootsmannsmaaten:»Die bloden Hunde wissen nicht, auf welcher Seite sie eigentlich stehen, was, Ellis?«Beide brullten vor Lachen, als ob es ein prachtiger Witz ware.
        Jury fragte:»Was werden wir als nachstes tun?»
        Ingrave schlug unsicher vor:»Verhandeln, Sir?»
        Bolitho beobachtete den naherkommenden Schoner und die geschickte Art, wie er sein Gro?segel bediente, um im gewunschten Winkel auf die Brigg zu sto?en.

«Wenn sie zu entern versuchen, werden wir sie warm empfangen!»
        Da? seine Worte auf dem trummerubersaten Deck von Mund zu Mund weitergegeben wurden, erkannte er an der Art, wie die Matrosen Entermesser und Beile fester fa?ten und ihre Muskeln spielen lie?en, als stunden sie schon im Kampf. Die Manner der Brigg waren keine disziplinierten Berufsseeleute wie die von der Destiny, aber letztere waren erschopft und viel zu wenige im Vergleich zu der Meute an Bord des Schoners. Bolitho konnte sie jetzt horen: Ihre Schimpfworte und hohnischen Schreie klangen zusammen wie das Gebrull wilder Tiere.
        Wenn es ein einzelnes Schiff gewesen ware, hatten sie es schaffen konnen. Vielleicht ware es besser gewesen, mit der Heloise unterzugehen, als den Todeskampf noch einmal hinauszuschieben.
        Palliser kam zuruck und sagte:»Little, bleiben Sie an den vorderen Geschutzen. Wenn ich >Feuer< befehle, feuern Sie nach Gutdunken, aber so, da? die Kugeln keinen gro?en Schaden anrichten. «Er ubersah Littles unglaubige Miene.»Danach laden Sie die Kanonen mit einer doppelten Kartatschenfullung. In dem Augenblick, wenn die Bastarde langsseits kommen, mochte ich, da? sie damit weggefegt werden.
«Er wartete, bis seine Worte einwirkten.»Und wenn Sie alle Leute dabei verlieren: Diese Kanonen mussen abgefeuert werden!»
        Little klopfte sich bestatigend an die Stirn, und uber seine groben Zuge ging ein begreifendes Lacheln. Das Schanzkleid der Brigg bot wenig Schutz; wenn das andere Schiff langsseits kam und sich an seinen Enterhaken heranzog, konnten die Geschutzbedienungen wie Schilfrohr umgemaht werden.
        Palliser loste seine Sabelscheide und warf sie beiseite. Er machte mit dem Sabel ein paar Schlage durch die Luft und beobachtete, wie das Sonnenlicht die Klinge aufblitzen lie?, als sei sie aus purem Gold.

«Uns wird heute warm werden.»
        Bolitho schluckte, sein Mund war schrecklich trocken. Er zog ebenfalls seinen Sabel und entfernte die lederne Scheide, wie er es von Palliser gesehen hatte. Einen Kampf zu verlieren, war schlimm, aber zu sterben, weil man uber seine eigene Sabelscheide stolperte, war unausdenkbar.
        Musketen feuerten uber den schmaler werdenden Wasserstreifen zwischen den beiden Schiffen, und verschiedene Leute duckten sich, als die Kugeln ins Holz des Schanzkleids schlugen oder uber ihre Kopfe hinwegzischten.
        Palliser lie? seine Waffe auf einen unsichtbaren Gegner niedersausen und befahl laut:»Feuer!»
        Die vorderen Geschutze rollten nach dem Abschu? binnenbords, soweit es die Brocktaue zulie?en, der Pulverqualm quoll durch die Stuckpforten zuruck und hullte die Manner ein, die nun Littles Befehle ausfuhrten, so gut es ging.
        Im gro?en Vorsegel des Schoners erschien ein Loch, aber die anderen Geschosse fielen zu weit und warfen Wasserfontanen auf, die naher beim zweiten Schiff lagen als bei dem, das auf sie zukam.
        Bolitho horte wildes Hohngeschrei und weitere Schusse. Er bi? sich auf die Lippen, als ein Matrose mit zerschmettertem Kiefer vom Schanzkleid zuruckgeschleudert wurde.
        Palliser rief:»Achtung! Bereithalten zur Abwehr von Enterern!»
        Plotzlich lag ihnen der Schoner Seite an Seite gegenuber, und Bo-litho konnte seinen und seiner Kameraden Schatten auf dessen Bordwand sehen. Musketenkugeln peitschten ihm um die Ohren. Er horte einen seiner Leute aufschreien, als eine Kugel ihn voll traf, und sah, wie Ingrave sein Gesicht mit den Handen bedeckte, als konne er so einem gleichen Schicksal entgehen.
        Die Gaffelsegel druben fielen. Als die erste Welle der Enterer uber das Deck des Schoners eilte, flogen Enterhaken an Leinen heruber und bissen sich mit eisernen Zahnen im Schanzkleid der Rosario fest.
        Doch irgend jemand an Bord des Schoners mu?te geahnt haben, da? von Mannern, die wie diese kampften, noch eine letzte Kriegslist zu erwarten war. Mehrere gezielte Schusse trafen die hinter ihren Kanonen kauernden Englander, von denen zwei schreiend und zuckend zusammenbrachen, wahrend ihr Blut das Deck rot farbte.
        Bolitho warf einen Blick auf Jury. Er hielt seinen Dolch in der einen Hand, eine Pistole in der anderen.
        Durch die Zahne sagte Bolitho:»Bleiben Sie bei mir. Verlieren Sie nicht den Halt, und tun Sie, was Sie mir unlangst geraten haben. «Er sah den wilden Ausdruck in Jurys Augen und fugte hinzu:»Halten Sie sich fest!»
        Es gab einen heftigen Ruck, als der Schoner - von den Enterhaken herangezogen - breitseits gegen die Bordwand der Brigg stie?.»Jetzt!«Palliser schwenkte seinen Sabel.»Feuer!«Eine Kanone spuckte Flammen und Rauch, und ihre volle Ladung explodierte genau in der Mitte der zum Entern bereitstehenden Ge g-ner. Blut spritzte auf, Gliedma?en flogen in gra?lichem Reigen durch die Luft. Doch das kurze Erschrecken verwandelte sich in wildes Wutgeheul, als die Angreifer sich erneut formierten und auf breiter Front aufs Deck der Brigg sprangen.
        Stahl traf auf Stahl. Wahrend einige Manner versuchten, ihre Musketen neu zu laden und abzufeuern, stie?en andere mit Bajonetten und Pieken nach laut aufschreienden Gegnern im Augenblick ihres Absprungs, soda? sie als blutige Fender zwischen die beiden Bordwande fielen.
        Palliser schrie:»Noch eine Ladung!»
        Aber Little und seine Manner waren auf der Back von den anderen Kanonen durch eine wilde Horde Kampfender abgeschnitten. Die eigene Bedienung lag tot oder sterbend an Deck. Und ohne die letzte Salve aus Schrapnells und Eisenstucken waren sie verloren.
        Ein Matrose kroch zur Kanone, eine brennende Lunte in der Faust, aber er sackte sterbend auf das Gesicht, als ein Angreifer uber das Schanzkleid sprang und ihm sein Enterbeil in den Nacken schlug. Durch die Wucht seines Schlags verlor er selber das Gleichgewicht und rutschte im Blut seines Opfers aus. Dutchy Verbink schob Jury mit der Schulter zur Seite und sturzte - einen tonlosen Fluch auf dem weit aufgerissenen Mund - nach vorn und schlug dem sich muhsam aufrichtenden Gegner sein Entermesser uber den Kopf. Die Klinge glitt vom Schadelknochen ab und durchtrennte ein Ohr, wahrend Ver-bink schon mit einem zweiten, sorgsam gezielten Schlag den Mann erledigte.
        Als Bolitho wieder hochschaute, stand Stockdale an der verlassenen Kanone. Seine Schulter blutete aus einer tiefen Wunde, aber ohne darauf zu achten, schwenkte er die Lunte und hielt sie ans Zundloch.
        Die Explosion war so gewaltig, da? Bolitho glaubte, das Rohr sei geplatzt. Ein breites Stuck vom Schanzkleid des Schoners war verschwunden, und inmitten der zertrummerten Holzplanken und abgerissenen Takelage wanden sich Manner, die auf die nachste Gelegenheit zum Sprung gewartet hatten, in einem unentwirrbaren, blutigen Knauel.
        Palliser schrie:»Auf sie, Jungs!«Er schlug einen ansturmenden Kerl nieder und feuerte seine Pistole in die Menge derer, die schon auf dem Deck der Rosario waren und denen sich nun die dunne Linie der Verteidiger mit neuem Mut entgegenstellte.
        Bolitho wurde mitgerissen, sein Sabel traf auf ein Entermesser, er parierte einen Schlag und traf einen wild blickenden Mann mit einem Hieb quer uber die Brust. Eine Pistole explodierte fast an seinem Ohr, und er horte Jury jemandem zurufen, er solle ihnen den Rucken dek-ken, wo zwei um sich schlagende und schie?ende Enterer durch die erschopften Matrosen drangten.
        Eine Pieke stie? an Bolithos Hufte vorbei und spie?te einen Mann auf, der versucht hatte, seinen beiden Kameraden durch die Gasse zu folgen. Er schrie auf und versuchte, sich die Pieke mit blutenden Fingern aus dem Leib zu ziehen, bis Stockdale aus dem Gedrange auftauchte und ihm mit seinem Entermesser den Garaus machte.
        Midshipman Ingrave war zu Boden gegangen und hielt sich mit beiden Handen den Kopf, wahrend die kampfbesessenen Manner ha?erfullt uber ihn hinwegtorkelten.
        Uber allem Kampfeslarm horte Bolitho Pallisers Stimme:»Zu mir, Jungs!«Dem folgte wildes Geschrei, und mit Staunen sah Bolitho eine dichte Menge den Niedergang und das vordere Luk hochquellen,
        um mittschiffs zu Palliser zu sto?en. Auf dem Weg dorthin klatschten ihre nackten Klingen bereits auf die uberraschten Enterer nieder.

«Treibt sie zuruck!«Palliser bahnte sich einen Weg durch seine Leute und schien sie zu neuer Anstrengung zu beflugeln.
        Bolitho sah schattenhaft eine Gestalt auf sich zuspringen und schlug mit aller Kraft zu. Der Mann stohnte auf, als die Sabelklinge ihn quer uber dem Leib traf. Er fiel auf die Knie und pre?te beide Hande auf die schreckliche Wunde, wahrend jubelnde Matrosen uber ihn hinwegstolperten.
        Es konnte nicht wahr sein und stimmte doch: Aus der sicheren Niederlage war ein Gegenangriff geworden, und die Feinde zogen sich bereits unter den Schlagen von Pallisers Leuten in wilder Flucht zuruck.
        Bolitho hatte erkannt, da? es die Gefangenen waren, die ursprungliche Besatzung der Heloise, die Palliser freigelassen und fur seine Ziele gewonnen hatte. In seinem Kopf wirbelte es jedoch wild durcheinander, als er mit den ubrigen weiterkampfte, mit schmerzender Schulter und einem bleischweren sabelfuhrenden Arm. Palliser mu?te ihnen eine Gegenleistung fur ihre Hilfe versprochen haben. Einige von ihnen waren schon gefallen, aber ihr plotzliches Eingreifen hatte die Manner von der Destiny mit neuem Mut erfullt. Au?erdem bemerkte Bolitho, da? einige Piraten auf ihr Schiff zuruckgeklettert waren. Als er sich zum erstenmal wieder umschauen konnte, sah er, da? die Leinen mit den Enterhaken durchtrennt waren und der Schoner sich bereits von ihnen gelost hatte. Bolitho lie? den Arm sinken und blickte zum zweiten Schoner, der seine Segel dichtholte und den Wind nutzte, um sich von der entmasteten, blutuberstromten, aber siegreichen Brigg freizuhalten. Manner jubelten und klopften einander auf die Schultern. Andere halfen ihren verwundeten Kameraden oder rannten herum und riefen die Namen von Freunden,
die nicht mehr antworten konnten.
        Ein Pirat, der sich totgestellt hatte, rannte plotzlich zum Schanzkleid, als er begriff, da? sein eigenes Schiff den Kampf abgebrochen hatte. Das war Olssons Augenblick: Sorgsam zog er ein Messer aus dem Gurtel und warf es. Es zuckte auf wie ein Lichtblitz. Bolitho sah den Mann sich in vollem Lauf um seine Achse drehen, die Augen staunend aufgerissen, wahrend das Heft des Messers zwischen seinen Schultern hervorragte.
        Little zog das Messer heraus und warf es dem Schweden wieder zu:»Fang!«Dann hob er den Leichnam auf und warf ihn uber Bord.
        Palliser schritt die ganze Lange des Decks entlang, den Sabel uber der Schulter, von dem es rot auf seinen Rock heruntertropfte.
        Bolitho fing seinen Blick auf und sagte heiser:»Wir haben's geschafft, Sir. Ich hatte nie geglaubt, da? es klappt.»
        Palliser beobachtete, wie die freigelassenen Gefangenen ihre Waffen zuruckgaben und dann einander anstarrten, als seien sie von dem, was sie getan hatten, selbst uberwaltigt.

«Ich auch nicht, ehrlich gesagt.»
        Bolitho wandte sich um und sah, wie Jury sich bemuhte, Ingraves Kopf zu verbinden. Beide hatten also uberlebt.
        Er fragte:»Glauben Sie, da? sie nochmals angreifen?»
        Palliser lachelte.»Wir haben zwar keine Masten mehr, aber sie haben noch welche. Ihre Ausguckposten konnen weiter sehen als wir. Ich bezweifle, da? wir den Sieg nur einer Kriegslist verdanken.»
        Palliser hatte recht wie immer. Innerhalb einer Stunde zeichnete sich die vertraute, sonnenbeschienene Segelpyramide der Destiny am Horizont ab. Sie waren nicht mehr allein.



        X Eines Mannes Verlangen

        Die Kajute der Destiny kam Bolitho nach der Enge auf der Brigg Ro-sario unnaturlich gro? und leer vor. Ungeachtet dessen, was er durchgemacht hatte, fuhlte er sich hellwach und fragte sich selber, woher diese frische Energie kam.
        Den ganzen Tag uber hatte die Fregatte in Luv der Rosario beigedreht gelegen. Wahrend der Rest von Pallisers Gruppe und die Verwundeten zur Destiny gebracht wurden, hatten andere Boote frische Leute und allerlei Material zur Brigg gepullt, um deren Besatzung beim Aufrichten eines Notmastes und den notwendigsten Ausbesserungsarbeiten zu helfen, damit sie den nachsten Hafen erreichen konnte.
        Dumaresq sa? am Tisch, vor sich einen unordentlichen Haufen Se e-karten und Papiere, die Palliser von der Rosario mitgebracht hatte. Er war ohne Uniformrock, und wie er so in Hemdsarmeln und mit lose geschlungenem Halstuch dasa?, sah er keineswegs aus wie der Kommandant einer Fregatte.
        Er sagte:»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Mr. Palliser. «Er schaute hoch, der Blick seiner weit auseinanderstehenden Augen wanderte zu Bolitho.»Und Sie auch.»
        Bolitho dachte an ihr letztes Beisammensein, als er und Palliser von Dumaresq scharf zurechtgewiesen worden waren.
        Dumaresq schob die Papiere beiseite und lehnte sich in seinem Sessel zuruck.»Zu viele Tote. Und die Heloise auch verloren. «Er wischte den Gedanken weg.»Aber Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, Mr. Palliser, und haben sie tapfer ausgefuhrt. «Er schenkte ihm ein Lacheln.»Ich werde die Leute der Heloise mit der Rosario zuruckschicken. Soweit wir erfuhren, scheint ihr Anteil an den Geschehnissen gering gewesen zu sein. Sie waren von der Brigg angeheuert oder sogar gepre?t worden, und als sie erkannten, da? es nicht um eine kurze Fahrt entlang der Kuste ging, waren sie schon zu weit drau?en auf dem Atlantik. Ihr Kapitan Triscott und seine Maaten sorgten dafur, da? sie in Unwissenheit blieben. Darum werden wir sie alle der Fursorge der Rosario uberlassen. «Er deutete auf seinen Ersten Offizier.»Aber erst, nachdem Sie einige gute Leute, die Sie brauchen, um unsere Verluste zu ersetzen, ausgewahlt und verpflichtet haben. Der Dienst des Konigs wird eine eindrucksvolle Abwechslung fur sie sein.»
        Palliser fischte sich mit langem Arm ein Glas Wein vom Tablett des Kommandantenstewards, der sich diskret hinter ihnen bewegte.»Was geschieht mit Egmont, Sir?»
        Dumaresq seufzte.»Ich habe befohlen, ihn und seine Frau noch vor Sonnenuntergang an Bord zu bringen. Sie befinden sich unter Aufsicht von Leutnant Colpoys. Ich wollte, da? Egmont bis zum letzten Agenblick druben bleibt, damit er sieht, was er mit seiner Habgier und Verraterei sowohl der Besatzung der Brigg wie meiner eigenen angetan hat. «Dumaresq sah Bolitho an.»Unser Arzt hat mir bereits von dem Schiff berichtet, das Sie beide in solcher Heimlichkeit aus Rio auslaufen sahen. Egmont war in Sicherheit, so lange er unentdeckt blieb. Aber wer die Rosario kapern lie?, der wollte auch, da? Egmont getotet wurde. Aus den Seekarten der Brigg ist zu schlie?en, da? ihr Ziel die Insel Saint Christopher war. Egmont war bereit, dem Kapitan jede Summe zu zahlen, damit er ihn hinbrachte, und zwar unverzuglich, ohne unterwegs andere Hafen anzulaufen. «Ein Lacheln uberzog langsam sein Gesicht.»Also ist das der Ort, an dem sich Sir Garrick aufhalt.»
        Er nickte, um seine Behauptung zu bekraftigen.»Die Jagd ist also fast beendet. Mit Egmonts beschworener Aussage - und er hat jetzt keine andere Wahl - werden wir das Piratennest ein fur allemal dem Erdboden gleichmachen. «Er bemerkte Bolithos fragenden Blick und fugte hinzu:»Die Karibik hat schon viele marchenhafte Reichtumer entstehen sehen, namlich die von Piraten, ehrlichen Kaufleuten, Sklavenhandlern und Glucksrittern aller Art. Und wo gabe es einen geeigneteren Platz, an dem alte Feinde ungestort ihr Suppchen kochen konnten?»
        Er wurde wieder sachlich.»Beenden Sie dieses Kommen und Gehen so bald wie moglich, Mr. Palliser. Ich habe der Rosario geraten, nach Rio zuruckzusegeln. Ihr Kapitan wird seine Version der Geschichte dem Vizekonig mitteilen konnen, wahrend es mir nicht moglich ist, ihm meine Version zu erzahlen. Er wei? jetzt, da? er den Anschein der Neutralitat in Zukunft nicht so einseitig auslegen kann. «Als Palliser und Bolitho aufstanden, sagte er:»Ich furchte, wir sind durch unser plotzliches Auslaufen mit dem Trinkwasser knapp dran. Mr. Codd konnte zwar Gemuse, Yamwurzeln und Fleisch in Mengen kaufen, aber Wasser mussen wir woanders finden.»
        Au?erhalb der Kajute sagte Palliser:»Sie sind vorubergehend vom Dienst befreit, Mr. Bolitho. Auch was junge Menschen aushallen konnen, hat seine Grenzen. Gehen Sie in Ihre Kammer, und ruhen Sie sich aus, so gut Sie konnen. «Er sah, da? Bolitho zogerte.»Nun?»

«Ich - ich uberlege. Was wird aus Egmont?«Bolitho versuchte, seiner Stimme nichts anmerken zu lassen.»Und aus seiner Frau?»

«Egmont war ein Narr. Durch sein Schweigen unterstutzte er Garrick. Garrick versuchte, den Franzosen auf Martinique gegen uns zu helfen, und dadurch wird Egmonts Schweigen noch belastender. Wenn er einen Rest Verstand hat, wird er dem Kommandanten alles sagen, was er wei?. Ohne unser Dazwischentreten ware er jetzt tot. Auch das wird er sich hoffentlich uberlegen.»
        Palliser wandte sich zum Gehen, und seinen Bewegungen war wenig von den Strapazen anzumerken, denen auch er ausgesetzt gewesen war. Er trug noch immer sein altes Bordjackett, das jetzt durch einige Blutflecken auf der rechten Schulter dort, wo sein Sabel geruht hatte, zusatzlich gezeichnet war. Bolitho sagte:»Ich mochte Stockdale zur Beforderung vorschlagen,
        Sir.»
        Palliser kam zuruck und zog den Kopf unter einem Decksbalken ein, um Bolitho ins Gesicht zu sehen.»So, das mochten Sie wohl?»
        Bolitho holte tief Luft. Das klang wieder nach dem alten sarkastischen Palliser. Doch der sagte:»Da bin ich Ihnen bereits zuvorgekommen. Wirklich, Mr. Bolitho, Sie sollten etwas schneller schalten.»
        Bolitho lachelte trotz der Schmerzen in seinen Gliedern und des Durcheinanders in seinem Herzen, das eine Dame namens Aurora mit einem Ku? verursacht hatte. Er begab sich zur Messe, wo Poad ihn wie einen Helden begru?te.»Nehmen Sie Platz, Sir. Ich hole Ihnen etwas zu essen und zu trinken. «Er trat zuruck und sah ihn strahlend an.»Wir sind froh, Sie wiederzusehen, Sir, und das ist die reine Wahrheit.»
        Bolitho lehnte sich im Sessel zuruck und erlaubte es, da? ihn die Mudigkeit nun ubermannte. Uber ihm und um ihn herum lief das Bordleben auf vollen Touren, er horte geschaftig eilende Fu?e und das Knarren durchgeholter Taljen.
        Eine Aufgabe war erledigt, die nachste stand bevor. Matrosen und Seesoldaten waren es gewohnt, Befehle auszufuhren und ihre Gedanken fur sich zu behalten. Druben, einige Kabellangen auf dem dunkler werdenden Wasser entfernt, waren auf der Brigg ebenfalls Seeleute eifrig bei der Arbeit. Morgen sollte die Rosario einen sicheren Hafen ansteuern, wo ihre Geschichte von Mund zu Mund gehen wurde. Man wurde auch uber den schweigsamen Englander und seine schone junge Frau reden, die so viele Jahre unauffallig unter ihnen gelebt hatten und nach au?en hin mit ihrem selbstgewahlten Exil zufrieden schienen. Auch von der Fregatte mit ihrem wunderlichen Kommandanten, der nach Rio gekommen war und sich bei Nacht wie ein Meuchelmorder davongeschlichen hatte, wurde die Rede gehen.
        Bolitho blickte zu den Decksbalken empor und horchte auf die Gerausche des Schiffes und der See, die gegen die Bordwand klatschte. Er fuhlte sich vom Schicksal begunstigt, denn er hatte Kampf, Verschworung und Verrat uberlebt, und bald wurde auch sie an Bord sein.
        Als Poad mit einem Teller Fleisch und einem Krug Madeirawein zuruckkam, fand er den Leutnant fest eingeschlafen. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt, Kniehose und Strumpfe wiesen Locher auf und dunkle Flecken, die wie geronnenes Blut aussahen. Die Haare hingen ihm wirr in die Stirn, und die Hand, mit der er am Morgen den Sabel so fest gepackt hatte, war wund.
        Im Schlaf wirkte der Dritte Offizier noch junger, dachte Poad. Jung und - in diesem friedvollen Augenblick - wehrlos.


        Bolitho ging ruhelos auf dem Achterdeck auf und ab, wobei er aufgeschossenem Tauwerk und Belegklampen ohne sonderliche Muhe auswich. Es war kurz vor Sonnenuntergang und nun einen vollen Tag her, seit sie sich von der schwer mitgenommenen Rosario getrennt hatten. Jetzt lag sie schon weit achteraus und wirkte mit ihrem muhsam aufgerichteten Notmast erbarmlich und mi?gestaltet wie ein Kruppel. Mit diesem armlichen Aufgebot an Segeln wurde sie einige Tage bis zum nachsten Hafen benotigen.
        Bolitho warf einen Blick auf das Skylight der Kajute und sah den Widerschein des von unten kommenden Lichtes auf dem Besanbaum. Er versuchte, sich den Speiseraum der Kajute mit Aurora vorzustellen, und wie der Kommandant den Tisch mit seinen beiden Gasten teilte. Wie fuhlte sie sich jetzt? Wieviel mochte sie von Anfang an gewu?t haben?
        Bolitho hatte sie nur kurz gesehen, als sie mit ihrem Mann und einigen Gepackstucken von der Brigg herubergebracht worden war. Sie hatte bemerkt, da? er von der Laufbrucke aus zusah, und hatte ihm wohl mit ihrer behandschuhten Rechten zuwinken wollen, doch die Geste war in einem kurzen Zucken erstorben: ein Zeichen der Ergebung, ja der Verzweiflung.
        Er schaute zu den angebra?ten Rahen hinauf. Die obersten Segel standen schon dunkler als die unteren gegen die hellen Schafchenwolken, die sie den ganzen Tag begleitet hatten. Sie steuerten Nordnordost-Kurs und hielten sich gut frei vom Land, um neugierige Blicke oder einen weiteren Verfolger zu meiden.
        Die Deckswache erledigte ihre ublichen Aufgaben, prufte den Trimm der Rahen und ob stehendes und laufendes Gut richtig durchgesetzt war. Von unten horte er das klagliche Kratzen der Fidel des
        Shantyvorsangers und die Stimmen der Manner, die auf ihr Abendessen warteten.
        Bolitho hielt in seinem ruhelosen Spaziergang inne und griff in die Hangemattsnetze, um sich gegen die Schlinger- und Stampfbewegungen des Schiffes zu wappnen. An Backbord war die See schon viel schwarzer, und die Dunung, die von schrag achtern anrollte, sie hob und dann unter ihrem Kiel weiterlief, lag schon im Halbdunkel.
        Er blickte das Oberdeck entlang, auf die in regelma?igen Abstanden festgezurrten Kanonen hinter ihren geschlossenen Stuckpforten, durch die schwarzen Wanten und das sonstige Tauwerk bis hin zur bleichen Schulter ihrer Galionsfigur. Er zitterte, als er sich vorstellte, da? es Aurora sei, die so in die Ferne griff; aber nach ihm und nicht nach dem Horizont.
        Irgendwo lachte jemand, und er horte Midshipman Lovelace einen Mann der Wache anfahren, der alt genug war, um sein Vater zu sein. Weil Lovelace eine sehr hohe Stimme hatte, klang es besonders komisch. Lovelace hatte von Palliser Strafdienst zudiktiert bekommen, weil er wahrend der Hundewachen allerlei Unsinn angestellt hatte, statt sich mit seinen navigatorischen Aufgaben zu beschaftigen.
        Bolitho erinnerte sich an seine eigenen fruhen Versuche, all das zu lernen, was der Steuermann ihm in muhsamen Lektionen eingetrichtert hatte. Das lag nun alles weit zuruck: die Dunkelheit im muffigen Orlopdeck und der Versuch, die Zahlen und Berechnungen beim flak-kernden Licht eines Kerzenstummels, der in einer alten Austernschale stand, zu lesen.
        Und doch war seitdem erst wenig Zeit vergangen. Er warf einen Blick auf die vibrierende Leinwand, und dabei wurde ihm wieder einmal bewu?t, wie schnell er diesen gro?en Schritt getan hatte. Wie lange war es her, da? er noch fast vor Angst erstarrt war, weil man ihm das erstemal die Wache anvertraut hatte? Jetzt fuhlte er sich vollig sicher, aber er wu?te auch, wann es an der Zeit war, den Kommandanten zu rufen. Aber niemanden sonst. Er konnte sich nicht mehr einem Wachfuhrer oder treuen Steuermannsmaaten zuwenden und ihn um Rat oder Hilfe bitten. Diese Zeiten waren voruber, es sei denn, er machte etwas furchterlich falsch. Das wurde ihn aber all den Respekt kosten, den er seither errungen hatte.
        Bolitho fuhr fort, seine Gefuhle einer genaueren Prufung zu unterziehen. Er hatte Angst gehabt, als er glaubte, eingeklemmt unter Deck mit der Heloise untergehen zu mussen. Noch nie war er so kurz vor dem Verzweifeln gewesen. Und doch hatte er auch schon davor Kampfe mitgemacht, sogar viele Male; bereits als zwolfjahriger Kadett hatte er auf seinem ersten Schiff die Zahne zusammenbei?en mussen, als der Donner einer vollen Breitseite der Manxman uber das Wasser rollte.
        In seiner Koje, nur durch die dunne Tur seiner Kammer von der ubrigen Welt getrennt, hatte er uber seine Angst nachgedacht und sich gefragt, wie seine Kameraden ihn wohl sahen und beurteilten.
        Sie selber schienen sich kaum uber den Augenblick hinaus Gedanken zu machen: Colpoys wirkte hochmutig und gelangwe ilt, Palliser unerschutterlich und immer auf dem Sprung, Rhodes recht sorglos. Aber vielleicht hatte Bolithos Erlebnisse auf der Heloise und dann auf der Brigg doch einen starkeren Eindruck auf ihn gemacht, als er geglaubt hatte. Er hatte mehrere Menschen getotet oder verwundet und mit angesehen, wie andere ihre Feinde mit offensichtlicher Wollust niedergehauen hatten. Ob er sich jemals daran wurde gewohnen konnen? An den Geruch des fremden Atems dicht vor dem eigenen, an die Ausstrahlung seiner Korperwarme, wenn er versuchte, einen im Nahkampf zu uberlisten. An seine Freude, wenn er glaubte, da? man fiel, und an sein Entsetzen, wenn die eigene Klinge in sein Fleisch und auf sein Knochengerust stie?…
        Einer der beiden Ruderganger meldete:»Kurs Nordnordost liegt an,
        Sir.»
        Als Bolitho sich umdrehte, sah er die untersetzte Gestalt des Kommandanten aus dem Niedergang auftauchen.
        Dumaresq war ein schwergewichtiger Mann, aber er bewegte sich so geschmeidig wie eine Katze.

«Alles ruhig, Mr. Bolitho?»

«Aye, Sir. «Er roch nach Brandy, und Bolitho schlo? daraus, da? der Kommandant gerade seine Abendmahlzeit beendet hatte.

«Ein tuchtiges Stuck haben wir da vor uns. «Dumaresq wippte auf seinen Fersen und sah hoch, um den Stand der Segel und die ersten blassen Sterne zu beobachten. Er wechselte das Thema.»Haben Sie sich von Ihrer kleinen Schlacht erholt?»
        Bolitho kam sich entblo?t vor. Es war, als hatte Dumaresq seine geheimsten Gedanken erraten.»Ich glaube schon, Sir.»
        Dumaresq blieb beharrlich dabei.»Haben Sie Angst gehabt?»

«Zeitweise. «Er nickte in Erinnerung an das Gewicht der Trummer auf seinem Rucken und an das Gurgeln des steigenden Wassers.

«Gutes Zeichen. «Dumaresq nickte.»Werden Sie nie zu hart - wie schlechter Stahl. Sonst wurden Sie eines Tages brechen.»
        Bolitho fragte vorsichtig:»Nehmen wir die Passagiere die ganze Strecke mit, Sir?»

«Zumindest bis nach Saint Christopher. Dort werde ich die Hilfe des Gouverneurs in Anspruch nehmen, um eine Nachricht an unseren Befehlshaber dort oder auf Antigua zu schicken.»

«Und der Schatz, Sir? Besteht noch Aussicht, ihn wiederzufinden?»

«Einige Aussicht, ja. Aber ich vermute, da? wir ihn auf ganz andere Weise entdecken, als ursprunglich vorgesehen. Der Geruch von Aufruhr hangt in der Luft. Er schmort seit dem Ende des Krieges und breitet sich immer weiter aus. Fruher oder spater werden unsere alten Feinde wieder zuschlagen. «Dumaresq wandte sich um und sah Bo-litho an, als ringe er um einen Entschlu?.»Als wir noch in Plymouth waren, habe ich von den jungsten Erfolgen Ihres Bruders gelesen. Er stellte und totete einen Rebell, der nach Amerika fliehen wollte, einen Mann von hohem Ansehen, der sich aber als ebenso verderbt erwies wie der gemeinste Verrater.
[Siehe Kent: Strandwolfe]
        Bolitho erwiderte ruhig:»Aye, Sir. Ich war dabei.»

«Tatsachlich?«Dumaresq kicherte in sich hinein.»Davon war in der Gazette aber nichts erwahnt. Ihr Bruder wollte wohl den ganzen Ruhm fur sich allein?»
        Er wandte sich ab, bevor Bolitho fragen konnte, was fur eine Verbindung - wenn uberhaupt - es gab zwischen ihrem Scharmutzel im englischen Kanal und dem mysteriosen Piers Garrick.
        Dumaresq verkundete:»Ich werde jetzt mit Mr. Egmont Karten spielen. Der Doktor hat ihn als seinen Partner akzeptiert, und ich werde unseren tapferen Mr. Colpoys als meinen wahlen. «Er schuttelte sich vor Lachen.»Wir konnten ja eine von Egmonts Geldkassetten leeren, bevor wir vor Basseterre ankern.»
        Bolitho seufzte und ging langsam an die Querreling. In einer halben Stunde war Wachwechsel: ein paar Worte mit Rhodes und dann hinunter in die Messe.
        Er horte Yeames, den Steuermannsmaat der Wache, ungewohnlich hoflich murmeln: Hallo, guten Abend, meine Damen!»
        Bolitho fuhr herum, und sein Herz begann zu pochen, als er Aurora vorsichtig und bei ihrer Zofe eingehakt an die Leereling des Achterdecks treten sah.
        Er bemerkte, da? sie zogerte, und wu?te nicht, was er tun sollte.

«Lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte er schlie?lich, uberquerte das Deck und ergriff ihre ausgestreckte Hand. Durch den Handschuh fuhlte er die Warme ihrer Finger, das zarte Gelenk.

«Kommen Sie auf die Luvseite, Madam. Da spritzt es nicht so, und der Ausblick ist besser.»
        Sie leistete keinen Widerstand, als er sie das schrage Deck hinauf zur anderen Seite geleitete. Dann zog er sein Taschentuch und wickelte es um das Hangemattsnetz. So gelassen wie moglich erklarte er ihr, da? dies zum Schutz ihres Handschuhs vor Teer und anderen Verunreinigungen geschehe.
        Sie stand nahe an den Netzen und blickte uber das dunkle Wasser in die Ferne. Bolitho roch ihr Parfum und spurte ihre verwirrende Nahe.
        Schlie?lich sagte sie:»Eine lange Reise bis zur Insel Saint Christopher, nicht wahr?«Sie wandte sich um und schaute ihn an, aber ihre Augen lagen im Dunkeln.

«Wir werden uber zwei Wochen brauchen, meint Mr. Gulliver, Madam. Es sind gut dreitausend Meilen.»
        Er sah ihre Zahne in der Dunkelheit leuchten, wu?te aber nicht, ob das Lacheln Besturzung oder Ungeduld mit einschlo?.

«Uber dreitausend Meilen, Leutnant?«Dann nickte sie.»Ich verstehe.»
        Durch das offene Skylight horte Bolitho Dumaresqs kehliges Lachen und Colpoys Erwiderung. Sie waren zweifellos beim Kartenausteilen. Auch Aurora hatte es gehort und sagte schnell zu ihrer Zofe:»Du kannst uns verlassen. Das war ein schwerer Tag fur dich.»
        Sie folgte dem Madchen mit den Blicken, als es sich zum Niedergang tastete, und fugte fur Bolitho hinzu:»Sie war ihr Leben lang nur auf festem Boden. Das Schiff mu? ihr sehr fremd sein.»
        Bolitho fragte:»Was haben Sie vor? Wo werden Sie nach allem, was geschah, Sicherheit finden?»
        Sie neigte den Kopf, als Dumaresq wieder laut lachte.»Das hangt von ihm ab. «Sie sah an Bolitho vorbei, und ihre Augen schimmerten wie die Gischt, als sie fragte: Ist es Ihnen denn so wichtig?»

«Das wissen Sie doch. Ich mache mir schreckliche Sorgen.»

«Wirklich?«Mit der freien Hand ergriff sie seinen Arm.»Sie sind ein lieber Junge.
«Als sie fuhlte, da? er erstarrte, setzte sie sanft hinzu:»Ich bitte um Entschuldigung. Sie sind kein Junge, sondern ein Mann, das haben Ihre Taten bewiesen, als ich dachte, da? ich sterben mu?te.»
        Bolitho lachelte.»Ich bin es, der um Entschuldigung bitten mu?. Weil ich so gern mochte, da? Sie mich mogen, benehme ich mich wie ein Narr.»
        Sie drehte sich um und trat naher, um ihn anzuschauen.»Sie meinen es ehrlich, das wei? ich.»

«Waren Sie nur in Rio geblieben!«Bolitho marterte sich das Hirn, wie er ihr helfen konnte.»Mr. Egmont hatte Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen durfen.»
        Sie schuttelte den Kopf, und die Bewegung ihrer tanzenden Haare stach Bolitho wie ein Dolch ins Herz.

«Er war immer gut zu mir. Ohne ihn ware ich schon vor langer Zeit verloren gewesen. Ich habe spanisches Blut. Als meine Eltern starben, wollte man mich einem portugiesischen Handler als Ehefrau verkaufen. «Sie schuttelte sich.»Ich war erst dreizehn. Und er war ein fettes Schwein.»
        Bolitho fuhlte sich seltsamerweise enttauscht.»Haben Sie Mr. Eg-mont denn nicht aus Liebe geheiratet?»

«Aus Liebe?«Sie schuttelte den Kopf.»Ich finde Manner nicht sehr anziehend, mussen Sie wissen. Darum war ich mit allem, was er fur mich arrangierte, einverstanden. Ich glaube, er braucht mich ebenso als Dekoration wie seine anderen schonen Besitztumer. «Sie offnete den Schal, den sie an Deck trug.»Wie diesen Vogel, verstehen Sie?»
        Bolitho sah den zweikopfigen Vogel mit den rubinbesetzten Schwanzfedern, den sie bei dem Fest in Rio getragen hatte.
        Leidenschaftlich und unvermittelt stie? er hervor:»Ich liebe Sie!»
        Sie versuchte zu lachen, aber es gelang ihr nicht. Stattdessen seufzte sie:»Ich habe den Verdacht, da? Sie sogar noch weniger uber die
        Liebe wissen als ich. «Sie hob die Hand und strich uber sein Gesicht.»Aber Sie meinen es ernst. Tut mir leid, wenn ich Sie verletzt habe.»
        Bolitho ergriff ihre Hand und pre?te sie fest an seine Wange. Sie hatte ihn nicht verlacht ode r wegen seines plumpen Gestandnisses verhohnt. Er sagte:»Man wird Sie bald in Frieden lassen.»
        Wieder seufzte sie.»Damit Sie als wackerer Ritter auf Ihrem Schlachtro? kommen und mich retten konnen? Solche Dinge traumte ich als Kind. Aber nun denke ich als Frau. «Sie zog seine Hand hinab und druckte sie gegen ihre Brust, soda? ihm die Warme des edelsteinbesetzten Vogels vorkam wie ein Stuck von ihr selbst.»Fuhlen Sie etwas?«Sie beobachtete ihn gespannt. Er spurte den heftigen Schlag ihres Herzens, der dem seinen gleichkam, fuhlte ihre weiche Haut und die feste Wolbung ihrer Brust.

«Ich bin kein Kind mehr. «Sie wollte sich abwenden, doch als er sie festhielt, sagte sie:»Was soll daraus werden? Wir sind nicht allein auf der Welt. Wenn mein Mann argwohnt, da? ich ihn betruge, wird er sich weigern, Ihrem Kommandanten zu helfen. «Sie legte die Fingerspitzen auf seine Lippen.»Horen Sie mir gut zu, Richard. Wissen Sie, was das bedeutet? Mein Mann wurde in ein englisches Gefangnis geworfen und abgeurteilt, wenn nicht gar hingerichtet. Ich als seine Frau wurde vielleicht ebenfalls eingesperrt oder mittellos mir selber uberlassen, um auf einen weiteren portugiesischen Handler oder auf Schlimmeres zu warten. «Sie zogerte, bis er sie loslie?, und flusterte dann:»Aber glauben Sie nicht, ich wollte oder konnte Sie nicht lieben!»
        Stimmen waren an Deck zu horen, ein Bootsmannsmaat verlas die Namen der neuen Wache, die gleich nach achtern kommen und Bo-lithos Leute ablosen wurde.
        In diesen wenigen Sekunden ha?te Bolitho seinen Dienst aus vollem Herzen. Er stie? hervor:»Ich mu? Sie wiedersehen!»
        Sie ging schon zur anderen Seite, ihre schlanke Gestalt hob sich wie ein Geist von dem dunklen Wasser ab.

«Dreitausend Meilen sagten Sie, Leutnant? Das ist eine sehr lange Fahrt. Jeder Tag wird eine Qual werden. «Sie zogerte und schaute zu ihm zuruck.»Fur uns beide.»
        Rhodes kam den Niedergang herauf und trat beiseite, um Mrs. Eg-mont vorbeizulassen. Er nickte Bolitho zu und sagte:»Eine wirkliche
        Schonheit. «Er bemerkte Bolithos Stimmung und ahnte, da? es eine scharfe Erwiderung geben wurde, wenn er weitere Bemerkungen uber sie machte. Entschuldigend sagte er:»Das war blod von mir.»
        Bolitho zog ihn zur Seite, ungeachtet der Wache, die an der Achterdecksreling antrat.

«Ich bin verzweifelt, Stephen, und kann es sonst niemandem sagen. Es macht mich noch verruckt.»
        Rhodes war von Bolithos Offenheit und der Tatsache, da? er sein Geheimnis mit ihm teilte, tief bewegt.
        Er sagte:»Wir werden uns etwas ausdenken. «Das klang angesichts der Verzweiflung seines Freundes so wenig uberzeugend, da? er hinzufugte:»Bevor wir Saint Christopher erreichen, kann eine Menge passieren.»
        Der Steuermannsmaat tippte an seinen Hut:»Wache hat gewechselt,
        Sir.»
        Bolitho ging zum Niedergang. Auf der ersten Stufe hielt er an. Au-roras Parfum hing noch in der Luft. Oder haftete es an seinem Uniformrock? Laut sagte er vor sich hin:»Was kann ich blo? tun?»
        Doch die einzige Antwort kam von der See und dem Rumpeln des Ruders unter Dumaresqs Kajute.
        Die erste Woche Fahrt verging recht schnell mit einigen heftigen Boen, welche die Manner in Bewegung hielten und die brennende Hitze vertrieben.
        Es ging hinauf zum Kap Branco und dann mit Kurs Nordwest zu den Westindischen Inseln. Langere Perioden leichter Winde wechselten mit Flauten, in denen die Boote ausgesetzt wurden und das anstrengende Pullen des Schiffes begann.
        Trinkwasser wurde immer knapper, und da keine Aussicht auf Regen oder baldige Landberuhrung bestand, wurde es rationiert. Nach einer weiteren Woche wurden die Rationen sogar auf einen knappen Liter pro Mann und Tag verringert.
        Wahrend seiner Tageswachen unter der brennenden Sonne sah Bo-litho sehr wenig von Egmonts Frau. Er sagte sich, da? dies nur zu ihrem und auch seinem Besten sei. Es gab ohnedies Aufregungen genug: Ausbruche von Ungehorsam, die von den Maaten mit Faustschlagen und Tritten oder dem Gebrauch des Tauendes unterdruckt wurden. Aber Dumaresq verzichtete auf Auspeitschungen, und Bolitho fragte sich nach dem Grund: War er nur darauf aus, moglichst Frieden zu wahren, oder geschah es der Passagiere wegen?
        Auch Bulkley zeigte sich besorgt: Drei Mann waren mit Skorbut zusammengebrochen. Trotz seiner Vorsorge und der taglichen Ausgabe von Fruchtsaft hatte er es nicht verhindern konnen.
        Einmal, als sich Bolitho im Schatten des gro?en Besansegels aufhielt, hatte er Dumaresqs Stimme durch das Skylight der Kajute gehort. Er wies Bulkleys dringende Bitte zuruck und beschuldigte ihn, keine besseren Vorsichtsma?nahmen fur seine kranken Matrosen getroffen zu haben.
        Bulkley hatte offensichtlich die Seekarte studiert, denn er protestierte:»Warum laufen wir nicht Barbados an, Sir? Wir konnten drau?en vor Bridgetown ankern und dafur sorgen, da? uns Trinkwasser gebracht wird. Was wir jetzt noch haben, ist voll ekligem Getier, und wenn Sie darauf bestehen, so weiterzusegeln, kann ich die Verantwortung fur die Gesundheit der Manner nicht langer tragen.»

«Verflucht noch mal, Sir! Ich werde Ihnen sagen, wer hier Verantwortung tragt: ich! Und ich werde nicht nach Barbados segeln und vor aller Welt ausposaunen, was wir vorhaben. Halten Sie sich an Ihre Aufgabe, ich halte mich an meine!»
        Damit war die Unterredung beendet.
        Siebzehn Tage, nachdem sie sich von der Rosario getrennt hatten, fand der Wind sie wieder. Unter vollen Segeln - sogar die Leesegel wurden ausgebracht - kam die Destiny wieder so in Fahrt, wie es sich fur das Vollschiff, das sie war, gehorte.
        Aber vielleicht war es schon zu spat, um eine Explosion an Bord zu verhindern. Slade, der Steuermannsmaat, der immer noch spurte, da? Palliser ihn verachtete, und wu?te, da? der Erste Offizier ihm bei jeder Aussicht auf Beforderung im Wege stehen, wenn nicht gar sie zunichte machen wurde, beschimpfte Midshipman Merrett, weil er die Mittagsposition des Schiffes falsch berechnet hatte. Merrett hatte seine anfangliche Angstlichkeit uberwunden, aber er war erst zwolf Jahre alt; vor allen Leuten, die beiden Ruderganger eingeschlossen, derart heruntergeputzt zu werden, war zu viel fur ihn. Er brach in Tranen aus.
        Rhodes war wachhabender Offizier und hatte eingreifen konnen. Statt dessen blieb er auf der Luvseite des Achterdecks, den Hut gegen die Sonne schief auf dem Kopf und taub gegen Merretts Ausbruch. Bolitho beaufsichtigte unten am Gro?mast seine Toppsgasten, die einen neuen Block an der Obermarsrah einschoren. Er horte das meiste mit an.
        Stockdale neben ihm murmelte:»Es ist wie in einem uberfullten Wagen, Sir. Irgendwas mu? passieren.»
        Merrett lie? den Hut fallen und wischte sich die Augen mit dem Handrucken. Ein Matrose hob den Hut auf und gab ihn zuruck, wobei er Slade einen wutenden Blick zuwarf.
        Slade schrie ihn an:»Wie konnen Sie es wagen, sich in eine Angelegenheit zwischen Vorgesetzten einzumischen?»
        Der Matrose, ein Mann der Wache auf dem Achterdeck, erwiderte heftig:»Ve rdammt, Mr. Slade, er tut sein Bestes. Es ist schon schlimm genug fur die Alteren von uns, erst recht fur ihn.»
        Slade lief dunkelrot an und brullte:»Wachtmeister! Nehmen Sie den Mann fest!«Er wandte sich an das gesamte Achterdeck:»Ich will ihn auf der Strafgrating sehen!»
        Poynter und der Schiffskorporal ergriffen den beschuldigten Matrosen. Dieser zeigte keine Spur von Angst.»Wie bei Murray, wie? Ein guter und loyaler Kamerad, den wolltet ihr ebenfalls auspeitschen!»
        Bolitho horte ein Gemurmel der Zustimmung.
        Rhodes raffte sich endlich aus seiner Teilnahmslosigkeit auf und rief:»Ruhe da! Was ist denn los?»
        Slade sagte:»Dieser Mann forderte mich heraus und beschimpfte mich. «Gefahrlich ruhig schaute er den Matrosen an, als wolle er ihn totschlagen.
        Rhodes sagte unsicher:»In dem Fall.»

«In dem Fall, Mr. Rhodes, lassen Sie den Mann in Eisen legen. Ich dulde keine Unbotma?igkeiten auf meinem Schiff.»
        Dumaresq war wie durch Zauberei erschienen.
        Slade schluckte und sagte:»Dieser Mann hat sich eingemischt, Sir.»

«Ich habe Sie gehort!«Dumaresq verschrankte die Hande auf dem Rucken.»Wie das ganze Schiff, mochte ich annehmen. «Er warf einen Blick auf Merret und fuhr ihn an:»Hor auf zu flennen, Junge!»
        Der Midshipman horte wie eine angehaltene Uhr auf und sah sich entgeistert um.
        Dumaresq fa?te den Matrosen ins Auge und sagte:»Das war eine kostspielige Geste, Adams. Ein Dutzend gibt's dafur!»
        Bolitho wu?te, da? Dumaresq nicht anders handeln konnte, um die Autoritat seiner Unterfuhrer zu stutzen; aber ob zu Recht oder zu Unrecht: zwolf Schlage waren die Mindeststrafe. Ein kleines Kopfweh, wurden die alteren Seeleute dazu sagen.
        Aber eine Stunde spater, als die Peitsche sich hob und mit schrecklicher Gewalt auf den nackten Rucken des Matrosen niederklatschte, erkannte Bolitho, wie schwach ihre Position gegenuber der Schiffsbesatzung war.
        Die Grating war weggestaut, der Mann namens Adams stohnend vor Schmerzen nach unten getragen, wo er mit einem Gu? Salzwasser und einer gro?en Portion Rum wieder auf die Beine gebracht wurde. Die Blutflecken an Deck waren weggewaschen, und allem Anschein nach lief alles wieder wie zuvor.
        Bolitho hatte Rhodes als Wachhabenden abgelost und horte Duma-resq zum Steuermannsmaaten sagen:»Der Disziplin ist Genuge getan, in unser aller Interesse.
«Er sah Slade mit durchdringendem Blick an.»Zu Ihrem eigenen Besten rate ich Ihnen aber, mir moglichst aus dem Weg zu gehen.»
        Bolitho wandte sich ab, damit Slade nicht sehen konnte, da? er die Szene beobachtet hatte. Aber er hatte Slades Gesicht bemerkt. Sein Ausdruck war der eines Mannes, der eine Begnadigung erwartet hatte und nun feststellte, da? seine Arme vom Henker gebunden wurden.
        Die ganze Nacht dachte Bolitho an Aurora. Es war unmoglich, sich ihr zu nahern. Dumaresq hatte ihr den hinteren Teil der Kajute uberlassen, wahrend Egmont sich mit einer Notkoje im vorderen Teil, dem E?raum, begnugen mu?te. Dumaresq selber schlief im Kartenraum nebenan. Und dann gab es noch den Steward und den Posten Kajute, die jedem ungebetenen Besucher den Eintritt verwehren konnten.
        Als Bolitho nackt und trotzdem schwei?triefend in der stickigen Luft auf seiner Koje lag, malte er sich aus, wie er Auroras Kajute betreten und sie in seine Arme schlie?en wurde. Er stohnte vor Qual und versuchte, seinen Durst zu vergessen, obwohl sein Mund vollig ausgedorrt war. Das Trinkwasser war faulig und knapp. Aber statt dessen Wein zu trinken hie?, eine Katastrophe heraufbeschworen.
        Er horte unsichere Schritte in der Messe und dann ein leichtes Klopfen an seiner Tur.
        Bolitho rollte sich von der Koje, hielt sich sein Hemd vor und fragte:»Wer ist da?

        Es war Spillane, der neue Schreiber des Kommandanten. Trotz der spaten Stunde sah er sauber und adrett aus; sogar sein Hemd schien frisch gewaschen zu sein.
        Spillane sagte hoflich:»Ich habe eine Botschaft fur Sie, Sir. «Er musterte Bolithos wirres Haar und seine halbe Nacktheit, bevor er fortfuhr:»Von der Dame.»
        Bolitho warf einen schnellen Blick in die Messe. Nur das regelma?ige Knarren von Holz und das gelegentliche Schlagen der Segel oben durchbrach die Stille.
        Er flusterte:»Geben Sie her!»
        Spillane antwortete:»Nur mundlich, Sir. Sie hat nichts aufgeschrieben.»
        Bolitho schaute starr vor sich hin. Spillane war nun ein Mitwisser, ob ihm das pa?te oder nicht.»Also?»
        Spillane senkte die Stimme noch mehr.»Sie ubernehmen doch die Morgenwache um vier Uhr, Sir.»

«Aye.»

«Die Dame wird versuchen, an Deck zu kommen. Um frische Luft zu schnappen, falls jemand nach dem Grund fragen sollte.«»Ist das alles?»

«Alles, Sir. «Spillane beobachtete ihn im truben Licht einer mit einer kleinen Flamme brennenden Laterne.»Hatten Sie mehr erwartet?»
        Bolitho sah ihn prufend an. War die letzte Bemerkung ein Zeichen plumper Vertraulichkeit? Aber vielleicht war Spillane auch nur nervos und wollte seinen Auftrag schnell hinter sich bringen.
        Er sagte:»Nein. Vielen Dank fur die Nachricht.»
        Danach stand er noch lange vor seiner Koje, wobei er die Schiffsbewegungen ausbalancierte und uber das nachdachte, was Spillane gesagt hatte.
        Spater sa? er in der Messe, lie? das Hemd unschlussig von einem Finger baumeln und starrte in die Dunkelheit.
        Ein Bootsmannsmaat fand ihn so und flusterte:»Also brauche ich Sie nicht erst zu wecken, Sir. Die Wache wird gerade gemustert. Es weht eine frische Brise, aber der nachste Tag wird wieder hei?, nehme ich an.»
        Er trat zuruck, als Bolitho seine Kniehose anzog und nach einem neuen Hemd suchte. Der Leutnant war offenbar noch halb im Schlaf, entschied der Maat. Es war doch glatte Verschwendung, wenn jemand saubere Wasche fur die Morgenwache anzog. Sie wurde bis sechs Glasen[sieben Uhr] zum Auswringen na? sein.
        Bolitho folgte dem Mann an Deck und loste Midshipman Henderson mit der geringstmoglichen Verzogerung ab. Henderson stand als nachster zur Offiziersprufung an. Palliser hatte ihm erstmals erlaubt, die Mittelwache allein zu gehen.
        Der Midshipman rannte fast unter Deck; Bolitho konnte sich gut an seine Stelle versetzen und wu?te, mit welcher Genugtuung er sich jetzt in seine Hangematte im Orlopdeck schwingen wurde.
        Seine erste Wache allein lag hinter ihm. Es ware fast schiefgegangen, weil er drauf und dran gewesen war, Palliser oder den Master zu wecken.
        Dann das Triumphgefuhl, als Bolitho erschien und er begriff, da? die Wache ohne Zwischenfall voruber war.
        Bolithos Leute lie?en sich im Dunkeln an Deck nieder; nachdem er Kompa? und Segelstand uberpruft hatte, schlenderte er zum Niedergang.
        Midshipman Jury ging auf die Luvseite und fragte sich, wann er wohl die Chance fur eine selbstandige Wache bekame. Er wandte sich um und sah Bolitho weiter nach achtern zum Besanmast gehen - und dann den Schimmer einer zweiten Gestalt, die lautlos heranglitt.
        Er horte die Ruderganger miteinander flustern und bemerkte, da? der Bootsmannsmaat der Wache sich diskret auf die Luv-Laufbrucke begeben hatte.

«Achtung auf das Ruder!«Jury sah, da? die Matrosen an dem gro?en Doppelrad sich strafften. Die beiden Gestalten hinter ihnen schienen zu einer einzigen verschmolzen zu sein.
        Jury schlenderte zur Querreling und packte sie mit beiden Handen. Allem Anschein nach ging er jetzt doch seine erste Wache allein, dachte er glucklich.



        XI Mit knapper Not

        Nur unter Kluver, Breitfock und Marssegeln steuerte die Destiny die Insel mit dem grunen Buckel an. Es wehte eine so leichte Brise, da? sie nur im Schneckentempo vorankamen - ein Eindruck, der sich noch verstarkte, als sie sich dem schmalen Vorland naherten.
        Der Ausguck hatte die Insel am Abend vorher bei Anbruch der Dunkelheit entdeckt; bis zur Morgendammerung uberschlugen sich auf den nachtlichen Wachen, in der Messe wie in den Quartieren der Mannschaften die Vermutungen.
        Jetzt lag das Inselchen im hellen Licht des Vormittags genau vor ihrem Bug und flimmerte im leichten Dunst, als konne es jeden Augenblick wieder wie ein Trugbild verschwinden. Zur Mitte hin stieg das Terrain an und war mit Palmenwald und sonstigem Grun bedeckt, wahrend die Abhange und der kleine, halbmondformige Strand keinerlei Deckung boten.

«Gerade sechs Faden!»
        Der Ruf des Lotgasten in den Rusten machte Bolitho auf die nahen Untiefen aufmerksam. An Steuerbord gab es offenbar ein vorgelagertes Riff. Einige Seevogel schaukelten auf dem Wasser oder umkreisten neugierig die Mastspitzen. Bolitho sah Dumaresq mit Palliser und dem Master beraten. Die Insel war auf der Seekarte eingetragen, aber ohne Hinweis auf den Besitzanspruch einer Nation. Die nautischen Angaben waren nur sparlich, und Dumaresq bedauerte wohl schon seinen impulsiven Entschlu?, sie anzusteuern, um nach Wasser suchen zu lassen. Aber sie waren bei den allerletzten Wasserfassern angekommen, und auch deren Inhalt war so ekelhaft, da? Bulkley und der Zahlmeister sich zu einem gemeinsamen Vorsto? beim Kommandanten entschlossen hatten; er moge fur baldigen Ersatz sorgen, und sei es auch nur so viel, da? es gerade bis zu ihrem Bestimmungsort reichte.

«Sieben Faden!»
        Gulliver erlaubte sich ein leichtes Aufatmen, da der Kiel wieder uber tieferes Wasser glitt. Doch das Schiff stand immer noch zwei Kabellangen vom Strand entfernt. Wenn der Wind zunahm und gleichzeitig die Richtung anderte, konnte die Destiny bei dieser geringen Wassertiefe und bei so wenig Platz fur ein Freisegeln von dem ausgedehnten Riff noch immer in Schwierigkeiten geraten.

«Funf Faden!»
        Dumaresq gab Palliser ein Zeichen.»Aufschie?en und klar zum Ankern!»
        Mit Segeln, die in der gro?en Hitze kaum killten, drehte die Destiny trage im tiefblauen Wasser, bis der Befehl:»Fallen Anker!«uber Deck gellte. Das Eisen klatschte hinab, und um seine Einschlagstelle im glatten Wasser bildeten sich Wellenkreise, die immer weiter vom Bug wegliefen, wahrend heller Sand vom Grund aufwirbelte.
        Vom Augenblick des Ankerns an schien die Hitze noch zuzunehmen; als Bolitho aufs Achterdeck ging, sah er Egmont und seine Frau nahe der Heckreling unter einem Sonnensegel stehen, das George Durham, der Segelmacher, fur sie aufgeriggt hatte.
        Dumaresq studierte die Insel sorgfaltig durch das gro?e Fernrohr des Signalfahnrichs.»Kein Rauch oder Zeichen von menschlichem Leben«, stellte er fest. Auch am Strand kann ich keine Spuren entdecken, zumindest auf dieser Seite der Insel gibt es keine Boote. «Er reichte Palliser das Glas.»Der Hugel sieht vielversprechend aus, eh?»
        Gulliver meinte vorsichtig:»Da konnte es Wasser geben, Sir.»
        Dumaresq beachtete ihn nicht, sondern wandte sich an seine beiden Passagiere.»Das ware vielleicht eine Gelegenheit, sich die Beine an Land zu vertreten, bis wir wieder ankerauf gehen. «Er hatte beide angesprochen, doch Bolitho spurte, da? seine Worte an die Frau gerichtet waren.
        Er dachte an den Augenblick, als sie zu ihm an Deck gekommen war. Er war so kurz, aber kostbar gewesen. Und gefahrlich, aber gerade darum besonders erregend.
        Sie hatten nur wenige Worte gewechselt. Den ganzen folgenden Tag hatte Bolitho daran gedacht, es noch einmal durchlebt und sich jeden Augenblick in Erinnerung gerufen, um nichts davon zu vergessen.
        Er hatte sie an sich gezogen, wahrend das Schiff ins erste matte Licht des fruhen Tages hineinpflugte, hatte ihr Herz an dem seinen schlagen gespurt und sie noch enger an sich pressen wollen, aber gleichzeitig befurchtet, da? seine Kuhnheit alles zerstoren konnte. Sie hatte sich aus seinen Armen befreit und ihn leicht auf den Mund geku?t, bevor sie mit den letzten Schatten auf dem Achterdeck verschmolz und ihn allein lie?.
        Als Dumaresq jetzt so vertraulich von» Beine vertreten «mit ihr sprach, durchscho? es Bolitho wie ein Pfeil der Eifersucht, die er bisher nicht gekannt hatte.
        Dumaresq weckte ihn aus seinen Gedanken auf.»Sie werden ein Landekommando fuhren, Mr. Bolitho. Stellen Sie fest, ob es einen Bach oder brauchbaren Tumpel in den Felsen gibt. Ich warte auf Ihr Signal.»
        Er ging nach achtern, und Bolitho horte ihn wieder mit Egmont und Aurora sprechen.
        Bolitho zitterte. Er merkte, da? Jury ihn beobachtete, und glaubte einen Augenblick, er habe Auroras Namen wieder laut vor sich hin gesprochen.
        Palliser fuhr ihn an:»Setzen Sie sich endlich in Bewegung! Wenn es kein Wasser gibt, wu?ten wir es gern moglichst bald.»
        Colpoys lehnte lassig am Besanmast.»Ich kann ein paar meiner Leute zum Schutz mitschicken, wenn Sie wollen.»
        Aber Palliser bellte:»Zum Teufel, wir bereiten uns auf keine Feldschlacht vor!»
        Der Kutter wurde ausgeschwungen und langsseits zu Wasser gebracht. Stockdale, der zum Geschutzfuhrer befordert worden war, hatte bereits einige Leute abgeteilt, wahrend der Bootssteurer ein paar Taljen zur Ubernahme der Wasserfasser verstauen lie?.
        Bolitho wartete, bis alle Leute im Boot waren, und meldete es Palli-ser. Er sah, da? Aurora ihn beobachtete. Die Art, wie ihre Hand auf dem Halsschmuck ruhte, sollte ihn vielleicht daran erinnern, da? seine Hand vor gar nicht langer Zeit dort geruht hatte.
        Palliser sagte:»Nehmen Sie eine Pistole mit und feuern Sie einen Schu? ab, wenn Sie Wasser finden. «Er kniff die Augen gegen das starke Sonnenlicht zusammen.»Und wenn die Fasser endlich gefullt sind, konnen sich die Leute etwas anderes zum Norgeln suchen!»
        Der Kutter stie? von der Bordwand ab. Als sie den Schatten der De-stiny verlie?en, spurte Bolitho die stechende Sonne im Nacken.»Rudert an!»
        Bolitho lie? einen Arm au?enbords hangen, fuhlte die angenehme Kuhle des Wassers und bildete sich ein, Aurora ware bei ihm, schwamme neben ihm und laufe dann Hand in Hand mit ihm den wei?en Strand hinauf, um einander das erstemal zu entdecken. Als er uber das Dollbord schaute, sah er unter sich ganz klar den
        Meeresgrund: wei?e Steine oder Muscheln, dazwischen einzelne Korallenstocke, die in dem schimmernden Licht trugerisch harmlos aussahen.
        Stockdale sagte zum Bootssteurer:»Sieht aus, als ware hier noch nie jemand gewesen, Jim.»
        Der Mann lie? die Pinne los und nickte ihm zu, und diese Bewegung genugte, um ein Rinnsal von Schwei? unter seinem geteerten Hut herabflie?en zu lassen.

«Auf Riemen! Bugmann, Riemen ein!»
        Bolitho beobachtete, wie der Schatten des Kutters unter ihnen anstieg und mit dem Rumpf zusammenflo?, als der Bugmann uber Bord sprang und das Boot auf den Sand zog. Die Kuttergaste holten ihre Riemen ein und hockten einige Zeit keuchend wie alte Manner auf ihren Duchten.
        Dann herrschte vollige Stille. Weit weg schlug leichte Brandung gegen ein Riff, und um den Kutter gurgelte das Wasser in stetem Auf und Ab. Kein Vogel stieg von den Palmenhainen auf, nicht einmal ein Insekt.
        Bolitho kletterte uber das Dollbord und watete zum Strand. Er trug offenes Hemd und Kniehose, aber ihm war, als sei er in einen dicken Pelz gehullt. Der Wunsch, seine ramponierte Kleidung abzuwerfen und sich nackt in die See zu sturzen, mischte sich mit seinen Phantasien uber Aurora. Er fragte sich, ob sie ihn wohl vom Schiff aus durch ein Fernrohr beobachtete.
        Doch dann fiel Bolitho plotzlich ein, da? die Manner auf einen Befehl von ihm warteten.
        Er sagte zum Bootssteurer:»Sie bleiben mit den Kuttergasten beim Boot. Vielleicht mussen Sie noch mehrmals hin und zuruck pullen. «Und zu Stockdale sagte er:»Wir klettern mit den ubrigen Mannern den Hang hinauf. Das ist der kurzeste Weg und wohl auch der kuhlste.»
        Er lie? den Blick uber das kleine Landekommando wandern. Zwei Leute stammten von der Besatzung der Heloise und hatten inzwischen ihren Eid fur den Dienst in der Marine Seiner Majestat geleistet. Noch etwas benommen von dem plotzlichen Wechsel in ihrem Leben, waren sie doch so gute Seeleute, da? sie bisher nicht mit den harteren Seiten des Bootsmanns Bekanntschaft geschlossen hatten.
        Au?er Stockdale war kein Mann von Bolithos eigener Division in der Gruppe, und er schlo? daraus, da? an Bord wenig Begeisterung fur den Ausflug auf eine unbewohnte Insel vorhanden gewesen war. Falls sie Wasser fanden, wurde sich das schnell andern.
        Stockdale befahl:»Mir nach!»
        Bolitho arbeitete sich den Hang hinauf. Seine Fu?e versanken in losem Sand, die Pistole im Gurtel brannte ihm auf der Haut wie gluhendes Eisen. Seltsam, dachte er, wie sie hier auf diesem unbekannten Stuckchen Erde herummarschierten. Sie konnten auf alles mogliche sto?en, auch auf die Knochen von schiffbruchigen Seeleuten oder von Piraten Ausgesetzten, die ohne Hoffnung auf Rettung umgekommen waren.
        Wie einladend ihnen die Palmwedel zuwinkten! Sie bewegten sich ganz leicht, und beim Naherkommen konnte man sie rauschen horen. Einmal hielt Bolitho an und schaute zum Schiff zuruck. Es schien sich sehr weit weg uber seinem Spiegelbild zu wiegen. Auf diese Entfernung hatte es seine kuhnen Linien verloren. Seine Rahen und lose aufgebundenen Segel schwangen leicht hin und her und schienen im Dunst zu verschmelzen.
        Die kleine Gruppe Seeleute war dankbar, als sie endlich in den Schatten einiger Palmen gelangte. Allerlei Laubwerk hakte sich mit scharfen Randern in ihre zerlumpten Hosen, und sie atmeten den intensiven Duft von faulendem Unterholz und grell gefarbten Bluten.
        Bolitho sah hoch uber sich einen Fregattvogel kreisen. Seine wie Turkensabel geschwungenen Flugel machten keine Bewegung, da er vom hei?en Aufwind uber der Insel getragen wurde. Also waren sie doch nicht vollig allein hier.
        Ein Mann rief plotzlich aufgeregt:»Sehen Sie da druben, Sir! Wasser!»
        Jetzt drangten sie vorwarts, alle Mudigkeit war vergessen.
        Bolitho starrte unglaubig in den Tumpel. Er schien leicht bewegt, also mu?te es irgendwo einen unterirdischen Zuflu? geben. Palmen spiegelten sich in seiner Oberflache, und Bolitho sah auch seine Manner, die auf das Wasser hinunterblickten, nur als Spiegelbilder.
        Er sagte:»Ich werd's mal probieren.»
        Er kletterte das sandige Ufer hinunter und tauchte eine Hand ins Wasser. Sicher tauschte ihn der Eindruck, aber es fuhlte sich an wie ein kuhler Gebirgsbach. Er fuhrte etwas in der hohlen Hand an die Lippen und probierte nach kurzem Zogern einen Schluck. Dann sagte er erleichtert:»Es ist trinkbar!»
        Bolitho sah, wie seine Seeleute sich niederwarfen, das Wasser uber Gesichter und Schultern schopften und immer wieder gierig davon tranken. Auch Stockdale wischte sich befriedigt den Mund.

«Wir wollen uns einen Augenblick ausruhen und dann dem Schiff Signal geben«, entschied Bolitho.
        Die Seeleute zogen ihre breiten Entermesser aus dem Gurtel und steckten sie in den Sand, bevor sie sich unter den Palmen ausstreckten oder sich erneut uber das schimmernde Wasser beugten.
        Bolitho hielt sich etwas abseits; als er seine Pistole untersuchte, ob auch kein Sand oder Wasser hineingeraten war, dachte er an den Augenblick, als Aurora zu ihm aufs Achterdeck gekommen war. Es durfte damit nicht zu Ende sein!

«Stimmt etwas nicht, Sir?«Stockdale kam schwerfallig den Abhang hoch.
        Bolitho nahm an, da? er recht finster vor sich hingeblickt hatte.»Alles in Ordnung.»
        Es war unheimlich, wie Stockdale immer zu wissen schien, wann er gebraucht wurde. Bolitho sprach gern mit dem riesigen rauhen Preisboxer, und dem ging es ebenso, aber es geschah ohne jeden Anflug von Unterwurfigkeit oder um sich Vorteile zu verschaffen.
        Bolitho sagte:»Gehen Sie zum Boot und geben Sie Signal. «Er sah die Pistole fast in Stockdales gro?er Faust verschwinden.»Ich mu? noch uber etwas nachdenken.»
        Stockdale sah ihn ruhig an.»Sie sind noch jung, Sir. Ich bitte um Vergebung, aber Sie sollten so lange jung bleiben, wie Sie konnen.»
        Bolitho wu?te nie so ganz, was Stockdale mit seinen kurzen, zogernden Satzen meinte. Wollte er andeuten, da? er sich von einer Frau fernhalten solle, die zehn Jahre alter war? Daruber wollte Bolitho nicht nachdenken. Sie lebten heute und verlangten nach einander. Uber die Konsequenzen konnten sie sich spater Sorgen machen.
        Er sagte:»Nun machen Sie, da? Sie wegkommen. Ich wunschte, es ware alles so einfach, wie Sie glauben.»


        Stockdale zuckte die Schultern und machte sich auf den Weg zum Strand hinunter, doch an seiner Haltung konnte Bolitho ablesen, da? der Fall fur ihn noch nicht erledigt war.
        Seufzend ging Bolitho zuruck zum Tumpel, um seine Leute auf Stockdales Signalschu? vorzubereiten. Seeleute, die gewohnt waren, an Bord an allem teilzuhaben, wurden an Land bei solchen Gelegenheiten leicht nervos.
        Ein Matrose, der vornubergebeugt mit dem Gesicht halb unter Wasser am Ufer lag, stand auf, als Bolitho sich naherte. Er lachte frohlich, als ihm kleine Rinnsale uber den Hals rannen.
        Bolitho sagte:»Macht euch fertig, Leute…«Aber mitten im Satz brach er ab, als jemand einen schrecklichen Schrei ausstie? und der Matrose, der ihn eben noch angelacht hatte, vornuber in den Tumpel sturzte.
        Urplotzlich war die Holle los. Die meisten Seeleute krochen im Sand und suchten ihre Waffen, wahrend andere entsetzt auf den im Tumpel Treibenden starrten, um den sich das Wasser rot farbte. Zwischen seinen Schulterblattern stak ein Speer.
        Bolitho fuhr herum und sah, geblendet vom Sonnenlicht, schattenhafte Gestalten mit blitzenden Waffen auf sich zusturmen, horte furchteinflo?endes Geschrei aus vielen Kehlen, bis sich ihm vor Entsetzen die Nackenhaare straubten.

«Manner - Achtung!»
        Er griff nach seinem Sabel, zuckte aber zusammen, als ein weiterer Matrose Blut spuckend den Abhang hinunterrutschte und dabei versuchte, sich einen primitiv gefertigten Pfeil aus dem Leib zu ziehen.

«O Gott!«Bolitho mu?te die Augen vor der Sonne beschatten. Ihre Angreifer hatten sie im Rucken. Sie kamen den in wilder Flucht da-vonrennenden Matrosen immer naher, wobei ihr schrecklicher Kriegsruf es ihm unmoglich machte, klar zu denken oder zu handeln.
        Bolitho erkannte, da? es Neger waren. Ihre Augen und Munder waren im Triumph weit aufgerissen, als sie einen weiteren Matrosen niederschlugen und sein Gesicht mit einem Korallenbrocken zu blutigem Brei zerstampften.
        Bolitho warf sich den Angreifern entgegen, wobei ihm mehr im Unterbewu?tsein klar wurde, da? sich weitere Eingeborene hinter ihn drangten, um ihn von seinen Leuten zu trennen. Er horte jemand aufschreien und um Gnade flehen, dann das widerliche Gerausch, mit dem ein Schadel gespalten wurde wie eine Kokosnu?.
        Mit dem Rucken an einen Baum gelehnt, schlug er verzweifelt um sich, vergeudete dabei seine Krafte und vernachlassigte die Deckung gegen diese im Feuer geharteten Wurfspeere.
        Drei seiner Leute, von denen einer am Bein verwundet war, hielten noch stand, waren von heulenden, erbarmungslos auf sie einschlagenden Gestalten umzingelt.
        Er stie? sich vom Baum ab, hackte in eine schwarze Schulter und rannte uber den zerstampften Sand, um zu den Eingekreisten zu sto?en.
        Einer schrie ihm zu:»Hat keinen Zweck! Wir konnen die Schurken nicht aufhalten!»
        Bolitho fuhlte, da? ihm der Sabel aus der Hand geschlagen wurde, und merkte mit Schrecken, da? er die Halteschnur nicht um sein Handgelenk geschlungen hatte.
        Verzweifelt suchte er nach einer anderen Waffe, wobei er aus dem Augenwinkel sah, da? seine Leute das ungleiche Gefecht abbrachen und zum Strand rannten. Der Verwundete humpelte einige Schritte hinter ihnen her, bevor er eingeholt und niedergemacht wurde.
        Bolitho hatte den schrecklichen Eindruck zweier starrer Augen und gefletschter Zahne, die einem der Wilden gehorten, die auf ihn eindrangen; er schwang ein Entermesser, das er aufgehoben hatte.
        Bolitho duckte sich und versuchte, seitwarts auszuweichen. Dann kam der Schlag - zu stark, um zu schmerzen, zu machtig, um seine Wirkung abzuschatzen.
        Er wu?te nur noch, da? er fiel, seine Stirn schien in Flammen zu stehen, und wie aus einer anderen Welt horte er sich verzweifelt aufschreien. Und dann, gnadigerweise, fuhlte er gar nichts mehr.
        Als sein Bewu?tsein schlie?lich zuruckkehrte, war der Schmerz, der sich gleichzeitig einstellte, kaum zu ertragen.
        Bolitho bemuhte sich, die Augen zu offnen, als konne er damit die Qual vertreiben, aber sie war so stark, da? sich sein ganzer Korper krummte. Stimmen murmelten uber seinem Kopf, doch durch seine halb zugequollenen Augen konnte er nur sehr wenig sehen: ein paar nebelhafte Gestalten und dunkle Decksbalken uber ihm.
        Ihm war, als wurde sein Kopf langsam und methodisch zwischen zwei hei?e Eisen gepre?t und sein murbes Hirn mit spitzen Nadeln und Lichtblitzen gemartert.
        Jemand wischte ihm Gesicht, Nacken und Korper mit kuhlen Tuchern ab. Er war nackt, nicht gefesselt, wurde aber von Handen, die seine Hand- und Fu?gelenke umspannten, festgehalten, damit er sich nicht bewegte.
        Ein schrecklicher Gedanke lie? ihn plotzlich entsetzt aufschreien: au?er am Kopf war er vielleicht noch an anderer Stelle verwundet, und sie trafen jetzt Vorbereitungen zur Amputation. Er hatte so etwas schon einmal mit angesehen: das Messer, das im schwachen Licht der Hangelampe aufblitzte und zu einem schnellen Rundumschnitt niederfuhr. Und dann die Sage.

«Ruhig, Junge!»
        Das war Bulkley, und die Tatsache, da? er da war, beruhigte Bolitho irgendwie. Bolitho bildete sich ein, den Arzt zu riechen: seinen typischen Duft nach Branntwein und Tabak.
        Er versuchte zu sprechen, doch seine Stimme war nur ein heiseres Wispern.»Was ist passiert?»
        Bulkley schaute uber die Schulter, wobei sein eulenhaftes Gesicht mit den kleinen Brillenglasern wie eine Blase in der Luft zu hangen schien.

«Sparen Sie Ihre Krafte. Atmen Sie ruhig. «Bulkley nickte.»Schon besser.»
        Bolitho knirschte mit den Zahnen, als sich der Schmerz erneut verstarkte. Am schlimmsten war es uber dem rechten Auge, wo ein Verband sa?. Seine Haare lagen fest an, waren wohl blutverklebt. Ein Bild formte sich undeutlich in seiner Erinnerung: zwei starre Augen, ein Entermesser, das auf ihn niedersauste. Versinken.

«Meine Manner - sind sie gerettet?«stammelte er.
        Er spurte Uniformstoff an seinem nackten Arm und sah Dumaresq auf sich herabschauen, der aus diesem Blickwinkel noch grotesker wirkte. Seine Augen waren nicht mehr zwingend, sondern ernst.

«Die Bootscrew ist in Sicherheit. Zwei Leute aus Ihrer Gruppe haben sie gerade noch erreicht.»
        Bolitho versuchte, den Kopf zu bewegen, doch irgend jemand hielt ihn fest.

«Und Stockdale, ist er.?»
        Dumaresq lachelte.»Er hat Sie zum Strand getragen. Ohne ihn waren alle verloren gewesen. Das alles erzahle ich Ihnen aber spater. Jetzt mussen Sie ruhen. Sie haben eine Menge Blut verloren.»
        Bolitho fuhlte, wie sich die Dunkelheit wieder uber ihm schlo?. Er hatte den kurzen Blickaustausch zwischen Dumaresq und dem Arzt bemerkt. Also war es noch nicht geschafft. Er konnte noch sterben. Diese Erkenntnis war fast zuviel fur ihn, und er spurte, wie sich seine Augen mit Tranen fullten. Er stohnte:»Ich mochte… Destiny… nicht… verlassen. So… nicht.»
        Dumaresq sagte:»Sie werden wieder gesund. «Er legte die Hand auf Bolithos Schulter, als wolle er etwas von seiner Kraft auf ihn hinuberflie?en lassen.
        Dann ging er, und Bolitho bemerkte zum erstenmal, da? er sich in der Heckkajute befand und da? es hinter den hohen Fenstern stockdunkel war.
        Bulkley beobachtete ihn.»Sie waren den ganzen Tag ohne Bewu?tsein, Richard. «Dann drohte er ihm mit dem Finger.»Sie haben mir Sorgen gemacht, das mu? ich schon sagen.»

«Dann sind Sie jetzt nicht langer in Sorge um mich?«Wieder versuchte er, sich zu bewegen, und wurde abermals von den Handen daran gehindert.
        Bulkley machte sich noch einmal an dem Verband zu schaffen.»Ein Hieb mit dem Entermesser auf den Kopf ist kein Spa?. Ich habe getan, was ich konnte, alles ubrige mussen wir der Zeit und guter Pflege uberlassen. Es war ein Kampf auf Biegen und Brechen. Ohne Stock-dales Mut und seine Entschlossenheit, Sie zu retten, waren Sie tot. «Er schaute sich um, ob der Kommandant gegangen war. Stockdale sammelte die restlichen Seeleute um sich, die mit dem Boot fluchten wollten. Er war wie ein wilder Stier, aber als er Sie an Bord trug, machte er das so zart wie eine Frau. «Er seufzte.»Dies war wohl die kostspieligste Trinkwassererganzung in der Geschichte der Seefahrt.»
        Bolitho fuhlte, wie ihn Schlafrigkeit uberkam, die selbst den Schmerz in seinem Schadel verdrangte. Bulkley hatte ihm wohl etwas eingegeben.
        Er flusterte:»Sie wurden es mir sagen, wenn.»
        Bulkley wischte sich die Hande ab.»Sicherlich. «Er blickte auf und fugte hinzu: Sie sind in guten Handen. Wir werden gleich ankerauf gehen, also bemuhen Sie sich zu schlafen.»
        Bolitho versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Gleich ankerauf gehen? Dann waren sie den ganzen Tag hier gewesen. Und sie mu?ten Wasser bekommen haben. Dafur waren Manner gefallen. Auch hinterher, als Colpoys Seesoldaten die erschlagenen Matrosen geracht hatten, dachte er.
        Er sprach sehr langsam, da er wu?te, da? die Worte nur undeutlich aus seinem Mund kamen.»Sagen Sie Auro. Sagen Sie Mrs. Egmont, da?.»
        Bulkley beugte sich uber ihn und zog seine Augenlider hoch.»Sagen Sie es ihr doch selber. Sie ist bei Ihnen, seit Sie an Bord gebracht wurden. Ich sage doch: Sie sind in guten Handen.»
        Bolitho begriff endlich, da? sie neben ihm stand. Ihr schwarzes Haar hing ihr uber die Schultern und glanzte im Lampenlicht.
        Sie beruhrte sein Gesicht und streichelte seine Lippen, als sie mit weicher Stimme sagte:»Sie konnen jetzt schlafen, Leutnant. Ich bin hier.»
        Bolitho fuhlte, da? die Hande nachgaben, die seine Hand- und Fu?gelenke gehalten hatten, und schlo? daraus, da? der Arzt und seine Helfer sich zuruckziehen wollten.
        Er flusterte matt:»Ich. wollte nicht, da? Sie mich so sehen, Aurora.»
        Sie lachelte und sah dabei doch unendlich traurig aus.»Sie sind schon«, sagte sie.
        Bolitho schlo? die Augen; seine Krafte schienen ihn endgultig zu verlassen.
        Bulkley drehte sich an der Tur noch einmal um. Er hatte eigentlich geglaubt, an Schmerz oder Freude am Krankenbett gewohnt zu sein, doch er war es offenbar noch nicht. Denn was er hier sah, bewegte ihn. Es glich einer Allegorie zum Thema >Die liebliche Frau beweint ihren gefallenen Helden<, dachte er. Er hatte Bolitho nicht belogen. Es war sehr knapp gewesen, denn das Entermesser hatte nicht nur eine tiefe Wunde uber dem Auge in die Kopfhaut geschlagen, sondern auch die Schadeldecke darunter eingekerbt. Ware Bolitho ein alter Mann gewesen oder das Enterme sser von einer geubten Hand gefuhrt worden, hatte es das Ende bedeutet.
        Aurora sagte:»Er ist eingeschlafen. «Aber sie sprach nicht zu Bulkley, sondern zu sich selbst. Sie nahm ihren wei?en Schal ab und deckte ihn uber Bolitho, als ob seine Nacktheit ebenso wie ihre Worte ihr ganz personlicher Besitz waren.
        In der anderen und wie gewohnt disziplinierten Welt der Destiny brullte eine Stimme:»Anker ist los, Sir!»
        Bulkley streckte eine Hand aus, um sich festzuhalten, als sich das Deck unter dem plotzlichen Druck von Wind und Ruder schrag legte. Er wollte in sein Krankenrevier gehen und einige Drinks zu sich nehmen. Er hatte keine Lust, die Insel in der Dunkelheit zuruckbleiben zu sehen. Sie hatte ihnen frisches Wasser gewahrt, aber als Gegenleistung einige Menschenleben genommen. Bolithos Gruppe am Tumpel war bis auf Stockdale und zwei andere Leute niedergemetzelt worden. Colpoys hatte gemeldet, da? die Wilden, die sie uberfallen hatten, ehemalige Sklaven waren, die wahrscheinlich beim Transport gefluchtet waren.
        Als sie Bolitho und seine Manner kommen sahen, hatten sie sicher geglaubt, er wolle Jagd auf sie machen. Sobald die Boote der Destiny auf den Pistolenschu? und die plotzliche Panik der Kutterbesatzung hin ans Ufer kamen, waren die Sklaven auch auf sie losgegangen. Colpoys hatte die Schwenkgeschutze und die Musketen auf sie gerichtet. Als der Pulverqualm sich verzogen hatte, war niemand mehr am Leben.
        Bulkley machte auf der obersten Stufe des Niedergangs halt und lauschte dem Quietschen der Blocke und dem Getrappel der nackten Fu?e, als die Matrosen an Schoten und Brassen holten, um ihr Schiff auf den richtigen Kurs zu bringen.
        Fur ein Kriegsschiff war dies nur ein kleines Zwischenspiel. Etwas, das man im Logbuch eintrug - bis zur nachsten Herausforderung, dem nachsten Kampf. Er warf einen Blick auf die hin und her pendelnde Hangelaterne und den rotrockigen Posten darunter.
        Und doch, entschied er, gab es einige Dinge, fur die es sich zu leben lohnte.



        XII Geheimnisse

        Die Tage von Bolithos Genesung vergingen ihm wie ein Traum. Von seinem zwolften Lebensjahr an, seit er als Kadett zur See gegangen war, war er an die standigen Anforderungen des Bordlebens gewohnt. Bei Tag und bei Nacht, jederzeit und unter allen Bedingungen, war er bereit gewesen, mit seinen Kameraden zusammen jeden Befehl zu erfullen, und war sich gleichzeitig stets der Folgen bewu?t gewesen, wenn er seine Pflichten vernachlassigte.
        Als aber die Destiny jetzt langsam durch die Karibik nordwarts segelte, war er gezwungen, sich mit seiner Tatenlosigkeit abzufinden, stillzuliegen und auf die vertrauten Gerausche vor der Kajute oder uber seinem Kopf zu lauschen.
        Dieser Traum wurde ihm ertraglich durch die Gegenwart Auroras. Selbst die schrecklichen Schmerzen, die ihn plotzlich und erbarmungslos uberfielen, wurden durch sie irgendwie gemildert, gerade weil sie seine kummerlichen Versuche, sie vor ihr zu verbergen, durchschaute.
        Sie hielt dann seine Hand oder legte ihm ein feuchtes Tuch auf die Augen. Manchmal, wenn der Schmerz seinen Schadel wie ein gluhendes Eisen zu durchbohren schien, umschlang sie seine Schultern und druckte das Gesicht an seine Brust, wobei sie leise Worte murmelte, als konne sie damit den Anfall besanftigen.
        Wenn er sie von seinem Lager aus sehen konnte, beobachtete er jede ihrer Bewegungen. So lange seine Krafte reichten, erklarte er ihr die Schiffsgerausche, nannte ihr die Namen der Seeleute, soweit er sie selber kannte, und machte ihr deutlich, wie sie alle Hand in Hand arbeiten mu?ten, um das Schiff in Bewegung zu halten. Er erzahlte ihr von seinem Zuhause in Falmouth, von seinem Bruder, den beiden Schwestern und der langen Reihe seiner Vorfahren, die zu einem Teil der See selber geworden waren.
        Aurora war immer sorgsam darauf bedacht, ihn nicht mit Fragen zu beunruhigen, und lie? ihn erzahlen, so lange ihm danach war. Sie futterte ihn auch, aber so, da? er sich nicht gedemutigt oder wie ein hilfloses Kind vorkam.
        Nur wenn es ums Rasieren ging, war es ihr unmoglich, ernst zu bleiben.

«Aber lieber Richard, Sie brauchen doch noch gar keine Rasur!»
        Bolitho bekam einen roten Kopf, weil er wu?te, da? sie recht hatte. Er rasierte sich ja auch sonst nur einmal in der Woche.
        Schlie?lich sagte sie:»Ich tue es nur Ihnen zuliebe.»
        Sie fuhrte das Rasiermesser mit gro?ter Vorsicht, achtete auf jeden Strich und warf gelegentlich einen Blick aus dem Heckfenster, um abzuwarten, bis das Schiff wieder auf ebenem Kiel lag.
        Bolitho versuchte, sich zu entspannen, und war froh daruber, da? sie seine Verkrampfung der Angst vor dem Messer zuschrieb. In Wirklichkeit war ihre aufregende Nahe daran schuld, die Beruhrung ihrer Brust, als sie sich uber ihn neigte, und ihrer Hande auf seinem Gesicht und Hals.

«Fertig. «Sie trat zuruck und musterte ihn beifallig.»Sie sehen sehr. «Sie suchte nach einem passenden Wort ihres Vokabulars,». sehr vornehm aus.»
        Bolitho fragte:»Darf ich sehen?«Er bemerkte ihr Zogern.»Bitte.»
        Sie nahm einen Handspiegel vom Kajutbord und sagte:»Sie sind sehr kraftig. Sie werden wieder ganz gesund.»
        Er starrte das Gesicht im Spiegel an. Es schien einem Fremden zu gehoren. Der Arzt hatte das Haar uber der rechten Schlafe wegrasiert und zwischen Haaransatz und Augenbrauen war seine Stirn rot und schwarz angelaufen. Bulkley schien zwar zufrieden, als er den Verband abgenommen hatte, aber fur Bolithos Augen wirkte die noch nicht verheilte Wunde, die noch durch die kreuz und quer laufenden Stiche der zusammenziehenden Naht vergro?ert war, absto?end.
        Er sagte leise:»Ich mu? dich anwidern.»
        Sie legte den Spiegel weg und sagte:»Nein, ich bin stolz auf dich. Nichts kann dich aus meinem Herzen vertreiben. Seit dem Augenblick, als du hereingetragen wurdest, war ich bei dir. Ich habe uber dich gewacht und kenne deinen Korper wie meinen eigenen. «Sie begegnete seinem fragenden Blick.»Diese Narbe wird bleiben, aber sie ist ein Ehrenzeichen und keine Schande.»
        Etwas spater verlie? sie ihn, da Dumaresq sie zu sich gebeten hatte.
        Der Kommandantensteward Macmillan erzahlte Bolitho, da? die Destiny am kommenden Tag die Insel Saint Christopher sichten wurde. Es war daher wahrscheinlich, da? der Kommandant die Angaben
        Egmonts noch einmal uberprufen und sich vergewissern wollte, da? er auch jetzt dabei blieb.
        Die Jagd nach dem verschwundenen Gold war Bolitho unwichtig. Wahrend der Schmerzanfalle und als er dann in Auroras Armen der Genesung entgegenging, hatte er viel Zeit gehabt, uber seine Zukunft nachzudenken. Vielleicht zu viel Zeit.
        Der Fortschritt in seinem Befinden zeigte sich auch darin, da? verschiedene Besucher kamen. Rhodes, der vor Freude, ihn wiederzusehen, uber das ganze Gesicht strahlte, war unverfroren wie immer, als er meinte:»Jetzt sehen Sie wirklich wie ein Schreckgespenst aus, Richard. Da werden samtliche Dirnen Rei?aus nehmen, wenn wir in den nachsten Hafen einlaufen. «Im ubrigen war Rhodes sorgsam darauf bedacht, Aurora nicht zu erwahnen.
        Auch Palliser erschien, und seine Worte kamen fast einer Entschuldigung nahe:»Wenn ich - wie Colpoys vorschlug - Seesoldaten mitgeschickt hatte, ware das Ganze nicht passiert. «Er zuckte mit den Schultern und sah sich in der Kajute um. Sein Blick blieb auf den weiblichen Kleidungsstucken ruhen, die von der Zofe vor den Heckfenstern zum Trocknen aufgehangt waren.»Aber offenbar hat Ihr Krankenlager auch angenehme Seiten.»
        Bulkley und der Schreiber des Kommandanten beaufsichtigten Bo-lithos erste Schritte aus der Kajute. Bolitho geno? es, wie das Schiff unter seinen nackten Fu?en lebte, aber er wu?te auch, da? er noch sehr schwach und schwindlig war, so sehr er das auch zu verbergen suchte.

«Durfte eine schwere Fraktur sein«, sagte Spillane, und Bulkley wunschte ihn und seine medizinischen Kenntnisse dafur zum Teufel. Er antwortete barsch:»Unsinn! Aber immerhin ist es erst ein paar Tage her.»
        Bolitho hatte mit dem Tod gerechnet; je weiter seine Genesung fortschritt, desto undenkbarer schien es ihm, einen anderen Weg einschlagen zu mussen: da? er mit dem nachsten Schiff nach Hause geschickt, aus der Marine entlassen und nicht einmal auf Halbsold» zur spateren Verwendung «gesetzt werden wurde.
        Gerne hatte er sich bei Stockdale bedankt, aber dem war es trotz seiner guten Beziehungen an Bord bisher nicht gelungen, am Posten Kajute vorbeizukommen. Alle Midshipmen mit der bemerkenswerten Ausnahme von Coldroy hatten ihn besucht und seine schreckliche Narbe mit einem Gemisch aus Mitleid und Ehrfurcht angestarrt. Jury war es unmoglich gewesen, seine Gefuhle zuruckzuhalten.»Und ich habe wegen eines Nadelstichs geheult wie ein Baby!«rief er aus.
        Es war schon spater Abend, als Aurora in die Kajute zuruckkehrte. Er spurte eine Veranderung an ihr, bemerkte die Geistesabwesenheit, mit der sie sein Kopfkissen glattstrich und nachschaute, ob seine Wasserkaraffe gefullt war.
        Sie sagte leise:»Morgen mu? ich dich verlassen, Richard. Mein Mann hat die Dokumente unterschrieben, damit ist alles erledigt. Der Kommandant hat versprochen, da? er uns gehen la?t, wohin wir wollen, sobald er den Gouverneur von Saint Christopher gesprochen hat. Was danach kommt, wei? ich nicht.»
        Bolitho ergriff ihre Hand und versuchte, nicht an das andere Versprechen zu denken, das Dumaresq dem Kapitan der Heloise gegeben hatte, kurz bevor er starb. An einem Hieb von Bolithos Klinge.
        Er sagte:»Auch ich werde das Schiff vielleicht verlassen mussen.»
        Sie schien ihre eigenen Sorgen zu vergessen und beugte sich bekummert uber ihn. Was hei?t das? Wer hat gesagt, da? du gehen mu?t?»
        Er griff vorsichtig nach oben und beruhrte ihr Haar. Es fuhlte sich an wie Seide. Das ist jetzt nicht mehr wichtig, Aurora.»
        Sie zeichnete mit ihrem Finger ein Muster auf seine Schulter.»Wie kannst du so etwas sagen? Naturlich ist es wichtig. Die See ist dein Leben. Du hast zwar schon viel erlebt und noch mehr geleistet, aber dein wirkliches Leben liegt immer noch vor dir.»
        Er spurte ihr Haar an seinem Kinn und zitterte innerlich.»Ich habe beschlossen, die Marine zu verlassen.»

«Nach allem, was du mir uber die Tradition deiner Familie erzahlt hast? Das willst du alles wegwerfen?»

«Fur dich, ja.»
        Sie schuttelte den Kopf, wobei ihn ihr langes schwarzes Haar streichelte.»So etwas darfst du nicht sagen!»

«Mein alterer Bruder ist der Lieblingssohn meines Vaters, ist es immer gewesen.
«Es war eigenartig, da? er dies jetzt ohne jede Bitterkeit sagen konnte.»Er kann die Tradition aufrechterhalten. Ich wunsche mir nur dich, weil ich dich liebe.»
        Er sagte es so heftig, da? sie sichtlich erschrak. Sie griff sich an die Brust, und ihr heftiger Atem strafte ihre au?ere Gelassenheit Lugen.

«Das ist doch Wahnsinn! Ich wei? alles uber dich, aber du wei?t uberhaupt nichts von mir. Was ware das fur ein Leben fur dich, zuzusehen, wie ich immer alter werde und du dich zurucksehnst nach der See, nach den Chancen, auf die du meinetwegen so unuberlegt verzichtet hattest. «Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn.»Es ist wie ein Fieber, Richard. Kampfe dagegen an, sonst verzehrt es uns beide.»
        Bolitho wandte das Gesicht ab; seine Augen brannten, als er sagte:»Ich konnte dich glucklich machen, Aurora!»
        Sie streichelte seine Arme in dem Versuch, seine Verzweiflung zu lindern.

«Daran habe ich nie gezweifelt. Aber zum Leben gehort mehr als das, glaub mir.
«Sie ruckte etwas von ihm ab, und ihr Korper wiegte sich dabei im Einklang mit den sanften Bewegungen des Schiffes.»Ich habe dir schon einmal gesagt, da? ich dich lieben konnte. In den vergangenen Tagen und Nachten habe ich dich beobachtet, dich beruhrt. Meine Gedanken waren oft sundhaft, mein Verlangen war gro?er, als ich zuzugeben wage. «Sie schuttelte den Kopf.»Bitte schau mich nicht so an. Vielleicht war diese Reise nach allem, was geschehen ist, zu lang, und die Trennung morgen kommt zu spat. Ich wei? selber nicht mehr aus noch ein.»
        Sie wandte sich ab; ihr Gesicht lag im Schatten, als sie, von den salzuberkrusteten Heckfenstern umrahmt, mit hangenden Armen dastand.

«Ich werde dich nie vergessen, Richard, und mir spater wahrscheinlich Vorwurfe machen, da? ich dein Angebot ausschlug. Aber ich bitte dich um deine Hilfe dabei, allein schaffe ich es nicht.»
        Macmillan brachte das Abendessen fur Bolitho; er sagte:»Verzeihung, Madam, aber der Kommandant und seine Offiziere lassen hoflich sagen, ob Sie ihnen die Ehre geben wurden, mit ihnen zu speisen. Es ware heute das letzte Mal, sozusagen.»
        Macmillan war eigentlich schon zu alt fur seine Arbeit. Er diente seinem Kapitan wie ein angesehenes Faktotum der Familie. Von der Spannung im Raum schien er nichts zu merken, auch nicht die Gezwungenheit, mit der sie heiser erwiderte:»Es wird mir eine Ehre sein. «Noch sah er die Verzweiflung im Gesicht des Leutnants, als Aurora zum abgetrennten Teil der Kajute ging, in dem sich ihre Zofe die meiste Zeit des Tages aufhielt.
        Unterwegs sagte sie:»Dem Leutnant geht es schon besser. Er wird es schaffen. «Sie wandte sich endgultig ab, und ihre Worte waren kaum noch zu verstehen:»Aus eigener Kraft.»
        Mit Hilfe von Bulkley, der ihn am Ellbogen stutzte, wagte sich Bo-litho aufs Achterdeck und schaute von dort uber die ganze Lange des Schiffes nach vorn zum Land.
        Die brennende Mittagssonne brachte ihm zu Bewu?tsein, wie schwach er noch war. Er sah die Matrosen mit nacktem Oberkorper geschaftig an Deck hin und her eilen; andere standen breitbeinig auf den Fu?pferden der Rahen und machten Segel fest, die kurz vor dem Ankern nicht mehr benotigt wurden. Er fuhlte sich verloren, nicht mehr dazugehorig in einer Weise, wie er es noch nie erlebt hatte.
        Bulkley sagte:»Ich bin schon einmal in Saint Christopher gewesen. «Er zeigte auf die nachstgelegene Landzunge mit ihrem weiten wei?en Strandbogen.»Das ist Bluff Point. Dahinter liegt Basseterre mit dem Hauptankerplatz, dort wird es eine Menge englischer Kriegsschiffe geben. Und bestimmt irgendeinen unbedarften Flaggoffizier, der darauf bestehen wird, unserem Kommandanten zu sagen, was er tun soll.»
        Einige Seesoldaten marschierten heftig schnaufend nach achtern.
        Bolitho hielt sich an den Netzen fest und betrachtete das Land. Es war nur eine kleine Insel, aber ein wichtiges Glied in der Kette des britischen Herrschaftsbereichs. Zu anderer Zeit ware er uber seinen ersten Besuch hier begeistert gewesen, aber jetzt starrte er auf die nickenden Palmen, auf die Eingeborenenboote, und sah nur das darin, was es fur ihn bedeutete: da? sie sich hier trennen mu?ten. Was ihm die Zukunft auch bringen wurde, hier endete die Beziehung zwischen Aurora und ihm. An der Art, wie Rhodes und die anderen das Thema gemieden hatten, erkannte er, da? sie meinten, er habe dankbar zu sein. Dankbar dafur, da? er den morderischen Angriff uberlebt hatte und danach von einer so schonen Frau gepflegt worden war. Mehr durfe ein Mann nicht verlangen. Aber er tat es dennoch.
        Dumaresq kam an Deck und warf einen kurzen Blick auf Kompa? und Segelstand.
        Gulliver gru?te durch Handbewegung zum Hut.»Befohlener Kurs Nordnordost liegt an, Sir.»

«Gut. Mr. Palliser, bereiten Sie den Salut vor. Wir werden in einer Stunde querab von Fort Londonderry stehen. «Er bemerkte Bolitho und hob die Hand.»Bleiben Sie da, wenn Sie mogen. «Er uberquerte das Deck und trat zu ihm. Mit einem Blick erfa?te er den schmerzgetrubten Ausdruck von Bolithos Augen und sagte:»Sie leben. Seien Sie dankbar.»
        Er nickte dem Fahnrich der Wache zu.»Entern Sie auf, Mr. Lovela-ce, und kundschaften Sie Fleet Anchorage aus. Melden Sie mir die Anzahl der Schiffe. «Er beobachtete den Jungen, wie er die Webeleinen hinaufkletterte, und sagte:»Er ist erwachsener geworden auf dieser Reise, wie auch unsere ubrigen jungen Herren. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Auf Sie trifft das noch mehr zu als auf alle anderen.

        Bolitho sagte:»Ich komme mir vor, als ware ich hundert Jahre, Sir.»

«Das kann ich mir denken. «Dumaresq grinste.»Wenn Sie erst selbst ein Schiff fuhren, werden Sie sich auch der Ruckschlage erinnern, hoffe ich. Aber ich bezweifle, da? Sie Ihre jungen Leutnants mehr bemitleiden werden, als ich es tue.»
        Der Kommandant wandte den Kopf nach achtern, und Bolitho sah seine Augen interessiert aufleuchten. Ohne hinzuschauen, wu?te er, da? sie an Deck gekommen war, um das Eiland zu betrachten. Als was sah sie es an - als zeitweisen Zufluchtsort oder als Gefangnis?
        Egmont schien trotz seiner Niederlage unverandert. Er trat an die Reling und bemerkte:»Die Insel hat sich wenig verandert.»
        Dumaresq fragte sachlich:»Sind Sie sicher, da? Garrick hier sein wird?»

«So sicher, wie man nur sein kann. «Er bemerkte Bolitho und nickte ihm kurz zu. Ich sehe, Sie sind wieder genesen, Leutnant.»
        Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Vielen Dank, Sir. Es tut zwar noch weh, aber ich bin ganz geblieben.»
        Aurora trat zu ihrem Mann und sagte ruhig:»Wir beide danken Ihnen, Leutnant. Sie haben uns das Leben gerettet, und das ist mehr, als wir Ihnen vergelten konnen.»
        Dumaresq beobachtete beide abwechselnd wie ein Jager.»Das ist unsere Aufgabe. Aber einige Dienstleistungen sind lohnender als andere. «Er wandte sich ab.»Ich erwarte, da? Garrick gefangengesetzt wird. Zu viele Manner sind seiner Habgier wegen gestorben, zu viele Frauen sind fur seine ehrgeizigen Ziele zu Witwen geworden.»
        Palliser formte einen Trichter mit seinen Handen:»Breitfock bergen!»
        Dumaresqs Ruhe war plotzlich verflogen, als er rief:»Verdammt noch eins, Mr. Palliser, was macht Lovelace da oben?»
        Palliser blinzelte zur Saling des Gro?masts hinauf, wo Midshipman Lovelace wie ein Affe auf einem Baumast schaukelte.
        Egmont verga? Bolitho und seine Frau, als er Dumaresqs Stimmungsumschlag auszunutzen suchte.»Was beunruhigt Sie?»
        Dumaresq verschrankte die kraftigen Finger hinter den Rockscho?en und offnete sie wieder.

«Ich bin nicht beunruhigt, Sir. Nur interessiert.»
        Midshipman Lovelace glitt an einem Backstag hinunter und landete mit einem Plumps an Deck. Unter ihren vereinten Blicken schrumpfte er sichtlich zusammen und schluckte heftig.
        Dumaresq fragte milde:»Mussen wir noch lange warten, Mr. Love-lace? Oder ist es so ungeheuerlich, was Sie sahen, da? Sie es nicht herunterrufen konnten?»
        Lovelace stotterte:»Aber, Sir, Sie hatten mir befohlen, die Schiffe dort druben zu zahlen. «Er versuchte es noch einmal.»Da… da ist nur ein Kriegsschiff, Sir, eine gro?e Fregatte.»
        Dumaresq ging ein paar Schritte auf und ab, um nachzudenken.»Nur eines, sagen Sie? Er blickte Palliser an.»Das Geschwader mu? anderswohin gerufen worden sein. Ostwarts nach Antigua vielleicht, als Verstarkung fur den Admiral.»
        Palliser sagte:»Es konnte ein hoherer Offizier hier sein, Sir. Auf der Fregatte vielleicht. «Sein Gesicht blieb unbewegt. Dumaresq war bestimmt nicht entzuckt, wenn es hier einen ranghoheren Offizier gab.
        Bolitho war es gleichgultig. Er naherte sich der Achterdecksreling und sah, da? sie die Hand daraufgelegt hatte.
        Dumaresq schimpfte:»Wo ist dieser verdammte Federfuchser? Lassen Sie Spillane holen. Sofort!»
        Zu Egmont sagte er:»Bevor wir ankern, mu? ich noch einige weniger wichtige Dinge mit Ihnen besprechen. Bitte kommen Sie mit hinunter.»
        Bolitho stand neben Aurora und beruhrte kurz ihre Hand. Er spurte ihre innere Spannung und sagte leise:»Meine Geliebte. Es ist die Holle fur uns.»
        Sie wandte sich nicht um, sah ihn auch nicht an, sagte aber:»Sie haben versprochen, mir zu helfen. Bitte… Ich werde uns beiden noch Schande machen, wenn Sie weiterhin so reden. «Dann sah sie ihn gerade, aber mit verschwimmendem Blick an.»Was soll das alles? Sie werden unglucklich werden und zerstoren Ihr Leben fur etwas, das wir beide hochschatzen.»
        Palliser schrie:»Mr. Vallance! Klar zum Salutschie?en!»
        Manner rannten auf ihre Stationen, wahrend das Schiff ungeruhrt seine Fahrt in die Bucht fortsetzte.
        Bolitho nahm ihren Arm und geleitete sie zum Niedergang.»Hier gibt es gleich eine Menge Qualm und Dreck. Sie gehen besser nach unten, bis wir naher am Land sind.
«Wie war es moglich, da? er so ruhig uber banale Dinge sprechen konnte? Er fugte hinzu:»Ich mu? Sie unbedingt noch sprechen.»
        Aber sie war schon gegangen.
        Bolitho wandte sich ab und sah, da? Stockdale ihn von der Steuerbord-Laufbrucke aus beobachtete. Seine Kanone wurde fur den Salut nicht gebraucht, aber er war wachsam wie stets.
        Bolitho sagte:»Ich bin immer etwas ungeschickt, wenn es darauf ankommt, das richtige Wort zu finden, Stockdale. Wie kann ich Ihnen fur das danken, was Sie fur mich getan haben? Wenn ich Ihnen eine Belohnung anbiete, furchte ich, Sie zu kranken. Aber Worte allein konnen nun einmal nicht ausdrucken, was ich empfinde.»
        Stockdale lachelte.»Sie wieder an Deck zu sehen, ist uns allen eine Freude. Eines Tages we rden Sie selbst Kommandant sein, Sir, und einen guten Bootssteurer brauchen. Fur den Posten ware ich dankbar. «Er machte eine Kopfbewegung zu Johns, dem Bootssteurer ihres Kommandanten, der sich in seinem blauen Jackett mit den blanken Knopfen und der gestreiften Hose von allen anderen deutlich abhob.»Wie der alte Dick da druben: ein Mann mit viel Freizeit. «Stockdale schien sich kostlich zu amusieren, aber seine ubrigen Worte gingen im Krachen der Salutschusse unter.
        Palliser wartete, bis das Fort ihren Salut erwidert hatte, und sagte dann:»Mr. Lovelace hatte recht: nur eine Fregatte. «Er setzte sein Teleskop ab und sah Bolitho grimmig an.»Aber er ubersah, da? sie die spanische Flagge fuhrt. Ich befurchte, daruber wird der Kommandant wenig entzuckt sein.»
        Bulkley mahnte fursorglich:»Sie sollten sich ausruhen, Richard. Schon seit Stunden sind Sie an Deck. Wollen Sie sich umbringen?»
        Bolitho beobachtete die um den Ankerplatz verstreuten Gebaude und die Forts, beiderseits der Einfahrt wie stammige Wachter postiert.

«Verzeihung, aber ich habe nachgedacht. «Er hob die Hand und beruhrte seine Wunde. Vielleicht wurde sie vollig zugeheilt oder wenigstens zum Teil von Haar bedeckt sein, bevor seine Mutter ihn wiedersah. Zuerst war ihr Mann mit nur einem Arm zuruckgekommen und dann ihr Sohn derart verunstaltet. Daran hatte sie mehr als genug zu tragen.
        Er sagte:»Auch Sie haben viel fur mich getan.«»Auch?«Die Augen des Arztes zwinkerten hinter den Glasern.»Ich verstehe.»

«Mr. Bolitho!«Palliser tauchte im Niedergang auf.»Sind Sie kraftig genug fur einen Landgang?»

«Da mu? ich Einspruch erheben!«Bulkley schob sich vor.»Er kann sich kaum aufrecht halten.»
        Palliser stand, die Hande in die Huften gestemmt, vor ihm. Seit sie vor Anker lagen und die Boote ausgesetzt waren, hatte es fur ihn keine ruhige Minute gegeben. Immer wieder war er hierhin und dorthin gerufen worden, um schwierige Situationen zu klaren. Und immer wieder in die Kajute, Dumaresq war, der Lautstarke seiner Stimme nach zu urteilen, sehr ubler Laune. Palliser war daher nicht in der Stimmung fur Diskussionen.

«Lassen Sie ihn selber entscheiden, verdammt noch mal!«Er sah Bolitho an.»Ich bin zwar knapp an Leuten, aber aus irgendeinem Grund will der Kommandant, da? Sie ihn an Land begleiten. Erinnern Sie sich an unser erstes Gesprach? Ich erwarte, da? jeder Offizier und jeder Mann sich auf meinem Schiff voll einsetzt. Egal, wie Sie sich fuhlen: Bleiben Sie in Bewegung. Bis Sie umfallen oder sich nicht mehr ruhren konnen, sind Sie einer meiner Offiziere. Ist das klar?»
        Bolitho nickte, irgendwie froh uber Pallisers Ausbruch.»Ich bin bereit!»

«Gut. Dann ziehen Sie sich um. «Ihm fiel noch etwas ein:»Sie konnen Ihren Hut ja unter dem Arm tragen.»
        Bulkley sah ihm nach und explodierte:»Den soll einer verstehen! Bei Gott, Richard, falls Sie sich noch nicht kraftig genug dafur fuhlen, werde ich verlangen, da? Sie an Bord bleiben. Der junge Stephen kann an Ihrer Stelle gehen.»
        Bolitho wollte mit einem Kopfschutteln antworten, doch bei der Bewegung durchzuckte ihn Schmerz.

«Es geht schon. Aber vielen Dank. «Er ging zum Niedergang und setzte noch hinzu: Es gibt wohl einen besonderen Grund, weshalb er gerade mich mitnehmen will.»
        Bulkley nickte.»Sie lernen unseren Kommandanten langsam kennen, Richard. Er tut nie etwas absichtslos, bietet nie eine Guinee, wenn sie ihm nicht zwei wieder einbringt. «Er seufzte.»Aber der Gedanke, den Dienst unter ihm zu quittieren, ist noch schlimmer, als seine Absonderlichkeiten zu ertragen. Das Leben wird einen langweilig anmuten, nachdem man unter Dumaresq gedient hat.»
        Es wurde fast Abend, bevor Dumaresq beschlo?, an Land zu gehen. Er hatte Colpoys mit einem Brief, der seinen Besuch ankundigte, ins Haus des Gouverneurs geschickt, doch als der Leutnant der Seesoldaten zuruckkam, hatte er gemeldet, da? nur der stellvertretende Gouverneur anwesend sei.

«Hoffentlich wird das nicht ein zweites Rio«, hatte Dumaresq argerlich bemerkt.
        Jetzt sa? er in der Kommandantengig, den Blick fest aufs Ufer gerichtet, den Sabel zwischen die Knie geklemmt. Die kuhlere Abendluft machte die Fahrt einigerma?en ertraglich.
        Bolitho sa? neben ihm. Sein Bemuhen, Schmerz und Schwindelanfalle zu unterdrucken, trieb ihm den Schwei? aus den Poren. Er konzentrierte sich auf die vor Anker liegenden Schiffe und das Kommen und Gehen der Boote der Destiny, die Verwundete und Kranke an Land brachten und mit Vorraten fur den Zahlmeister beladen zuruckkehrten.
        Plotzlich sagte Dumaresq:»Etwas mehr nach Steuerbord, Johns.»
        Der Bootssteurer blinzelte nicht einmal, sondern legte die Pinne in die entsprechende Richtung. Aus dem Mundwinkel murmelte er:»Jetzt sehen Sie ihn besser, Sir.»
        Dumaresq stie? Bolitho mit dem Ellenbogen an.»Er ist ein Schelm, nicht wahr? Kennt meine Gedanken fruher als ich.»
        Bolitho beobachtete den vor Anker liegenden Spanier, der sich turmhoch uber ihnen erhob. Er sah mehr nach einem Linienschiff vierten Grades aus als nach einer Fregatte: zwar alt, mit sorgsam geschnitztem und vergoldetem Zierrat um Heck und Kajutfenster, aber gut in Schu? und gefechtsklar gehalten, was selten war bei einem spanischen Schiff. Dumaresq dachte wohl ebenso; er murmelte:»Die San Augustin. Das ist kein Lokalheiliger von La Guaira oder Porto Bello. Sie kommt aus Cadiz oder Algeciras, vermute ich.»

«Macht das einen Unterschied, Sir?»
        Dumaresq drehte sich argerlich zu Bolitho um, unterdruckte die Aufwallung aber ebenso schnell wieder.

«Ich bin kein guter Kamerad. Nach dem, was Sie gelitten haben, schulde ich Ihnen zumindest Hoflichkeit. «Er betrachtete das fremde Schiff mit so fachlichem Interesse, wie Stockdale seine Geschutzbedienungen studiert hatte.»Vierundvierzig Kanonen, mindestens. «Dann schien er sich an Bolithos Frage zu erinnern.»Konnte moglich sein. Vor einigen Monaten gab es noch ein Geheimnis; die Dons hatten lediglich einen Verdacht, da? Spuren vom verlorenen Schatz der Asturias aufgetaucht seien. Jetzt scheinen sie mehr als nur einen Verdacht zu haben. Die San Augustin ist hier, um die Destiny zu bespitzeln und zu verhuten, da? Seine Katholische Majestat ungnadig wird, weil wir unsere Erkenntnisse nicht teilen. «Er lachelte grimmig.»Aber genau dafur werden wir sorgen. Ich bezweifle nicht, da? wir von einem Dutzend Teleskopen beobachtet werden, schauen Sie also nicht mehr hin. Sollen sie sich doch uber uns die Kopfe zerbrechen.»
        Als der Landungssteg nur noch funfzig Yards entfernt war, sagte Dumaresq:»Ich habe Sie mitgenommen, damit der Gouverneur Ihre Verwundung sieht. Sie beweist am besten, da? wir uns fur die Lords der Admiralitat voll einsetzen. Niemand hier braucht zu wissen, da? Sie eine solch ehrenvolle Wunde davontrugen, als Sie nach Wasser suchten.»
        Eine kleine Gruppe, darunter einige Rotrocke, erwartete das Boot, um es an den Landesteg zu dirigieren. Es war immer das gleiche: Alle warteten auf Neuigkeiten aus England, auf ein Wort aus dem Land, das sie so weit in die Ferne geschickt hatte, damit sie den kostbaren Kontakt zur Heimat aufrechterhalten konnten.
        Bolitho fragte:»Werden die Egmonts Erlaubnis bekommen, an Land zu gehen, Sir?«Er hob das Kinn, selber uberrascht von seiner Kuhnheit.»Ich wu?te es gern, Sir.»
        Dumaresq betrachtete ihn einige Sekunden ernst.»Es ist Ihnen wichtig, wie ich sehe. «Er klarierte sein Degengehange, damit es ihm nicht beim Aussteigen zwischen die Beine geriet. Dann sagte er unverblumt:»Sie ist eine sehr begehrenswerte Frau. Das will ich nicht bestreiten. «Er stand auf und glattete seinen Hut mit besonderer Sorgfalt.»Sie brauchen mich nicht so anzustarren. Ich bin weder blind noch unempfanglich gegenuber weiblichen Vorzugen. Hochstens bin ich eifersuchtig.
«Er klopfte ihm auf die Schulter.»Nun wollen wir uns mit dem Stellvertretenden Gouverneur, Sir Jason Fitzpatrick, in seinem Herrschaftssitz befassen. Danach werden wir uber Ihr Problem nachdenken.»
        Den Hut in der einen, den Degen in der anderen Hand, stieg Bolitho hinter dem Kommandanten aus dem Boot. Dumaresqs beilaufige Billigung seiner Gefuhle fur die Frau eines anderen hatte ihm vollig den Wind aus den Segeln genommen. Kein Wunder, da? der Schiffsarzt wenig Wert darauf legte, diesen Vorgesetzten mit einem ruhigeren und leichter durchschaubaren zu vertauschen.
        Ein jugendlich wirkender Hauptmann der Garnison gru?te durch Handanlegen an den Hut und rief dann:»Mein Gott, Sir, ist das eine bose Wunde!»
        Dumaresq weidete sich an Bolithos Unbehagen und hatte ihm beinahe zugezwinkert. Der Preis fur Pflichterfullung. «Er stie? einen wurdevollen Seufzer aus.»Sie au?ert sich auf verschiedene Weise.»



        XIII An sicherem Ort

        Sir Jason Fitzpatrick, der Stellvertretende Gouverneur von St. Christopher, sah aus wie ein Mann, der das Leben bis zum Uberma? no?. Er war etwa vierzig, ungewohnlich dick, und sein Gesicht, das der Sonne uber viele Jahre Trotz geboten hatte, leuchtete ziegelrot.
        Als Bolitho seinem Kommandanten durch eine wunderschon gekachelte Eingangshalle in einen Raum mit niedrigerer Decke folgte, sah er viele Zeugen von Fitzpatricks Lieblingsbeschaftigung: uberall standen Tabletts mit Flaschen und schon geschliffenen Glasern, damit der Stellvertretende Gouverneur seinen Durst stets ohne Verzug stillen konnte.
        Fitzpatrick sagte:»Nehmen Sie Platz, meine Herren. Wir wollen erst einmal meinen Rotwein kosten. Er mu?te jetzt richtig sein, obwohl man in diesem schrecklichen Klima nie wei?.»
        Er hatte eine kehlige Stimme und unglaublich kleine Augen, die zwischen Falten fast verschwanden.
        Bolitho fielen diese winzigen Augen mehr auf als alles andere. Sie bewegten sich so flink, als waren sie unabhangig von dem schweren Fleisch, das sie umgab. Dumaresq hatte ihm unterwegs erzahlt, da? Fitzpatrick ein reicher Plantagenbesitzer war, der auch auf der Nachbarinsel Nevis Guter besa?.»Bitte, Master!»
        Bolitho wandte sich um und spurte, da? sich sein Magen zusammenzog: Ein gro?er Neger in roter Jacke und wei?er, weiter Hose hielt ihm ein Tablett hin. Bolitho sah weder das Tablett noch die Glaser, sondern in seiner Phantasie nur das andere schwarze Gesicht, horte wieder den schrecklichen Triumphschrei, als das Entermesser zuschlug. Endlich nahm er ein Glas und nickte dem Diener zu, wahrend sein Puls sich wieder beruhigte.
        Dumersq sagte:»Kraft der mir ubertragenen Vollmacht habe ich die Untersuchung ohne Verzug zu fuhren, Sir Jason. Ich habe die erforderlichen Zeugenerklarungen und ware Ihnen dankbar, wenn Sie mir mitteilten, wo Garrick sich aufhalt.»
        Fitzpatrick spielte mit dem Stiel des Glases, wahrend seine Blicke durch den Raum huschten.»Aha, Kapitan, Sie sind also in gro?er Eile. Aber sehen Sie, der
        Gouverneur ist abwesend. Er wurde vor ein paar Monaten vom Fieber gepackt und kehrte auf einem Handelsschiff nach England zuruck. Jetzt mag er schon auf dem Ruckweg sein. Unsere Nachrichtenverbindung ist sehr schlecht. Wir haben angesichts der uberall herumstreunenden Piraten gro?e Muhe, unsere Post rechtzeitig zu bekommen. Anstandige Schiffer bangen bei jeder Fahrt um ihr Leben. Es ist ein Jammer, Ihre Lordschaften sollten sich endlich einmal darum kummern.»
        Dumaresq blieb unbeeindruckt.»Ich hatte gehofft, da? ein Flaggoffizier hier ware.»

«Wie ich schon sagte, Kapitan, der Gouverneur ist abwesend. Andernfalls.»

«Andernfalls wurde hier kein verdammter Spanier vor Anker liegen, da bin ich ganz sicher.»
        Fitzpatrick zwang sich zu einem Lacheln.»Wir sind nicht im Krieg mit Spanien. Die San Augustin kam in friedlicher Absicht. Sie wird befehligt von Capitan de Navio Don Carlos Quintana: ein alterer und sehr angesehener Offizier, ebenfalls mit Vollmachten von seiner Regierung. «Er lehnte sich offenbar zufrieden zuruck. Au?erdem: Welche Beweise haben Sie wirklich? Die Erklarung eines Mannes, der starb, bevor er vor Gericht gebracht werden konnte; ferner die beschworene Aussage eines Rene gaten, der so darauf bedacht ist, seine Haut zu retten, da? er alles beschworen wurde.»
        Dumaresq bemuhte sich, seine Verbitterung zu unterdrucken, als er antwortete:»Mein Schreiber hatte weitere schriftliche Beweise bei sich, als er auf Madeira ermordet wurde.»

«Daruber bin ich wirklich sehr betrubt, Kapitan. Aber es ware kriminell, einen Mann von der Bedeutung Sir Piers Garricks ohne eindeutige Beweise derart zu verunglimpfen. «Fitzpatrick lachelte selbstgefallig.»Darf ich vorschlagen, da? wir auf Anweisung aus London warten? Wir konnen Ihren Bericht mit dem nachsten Schiff expedieren, das - wahrscheinlich von Barbados aus - nach Hause segelt. Sie konnten dort warten und sofort handeln, wenn die Anweisung eintrifft. In der Zwischenzeit werden auch der Gouverneur und das Geschwader zuruckgekehrt sein, so da? Sie dann hohere Instanzen hatten, die Ihre Ma?nahmen autorisieren konnten.»
        Dumaresq erwiderte argerlich:»Das kann Monate dauern. Bis dahin ist der Vogel ausgeflogen.»

«Entschuldigen Sie meinen Mangel an Begeisterung. Wie ich schon Don Carlos gesagt habe, geschah das alles vor drei?g Jahren. Woher auf einmal dieses Interesse?»

«Garrick war ein Schurke und Verrater. Sie klagen uber Piraten, die diese Gewasser verunsichern, Stadte plundern und Schiffe reicher Handelsherren kapern. Aber haben Sie sich noch nie gefragt, woher die Piraten ihre Schiffe bekommen? Schiffe wie die Heloise, die funkelnagelneu aus einer britischen Werft kam und von einer Besatzung uberfuhrt wurde, die nur fur diese eine Fahrt angeheuert worden war.
        Also?»
        Bolitho horte fasziniert zu. Er hatte erwartet, da? Fitzpatrick aufspringen und den Kommandeur der Garnison rufen lassen wurde, um dann gemeinsam mit Dumaresq zu uberlegen, wie sie Garrick aufspuren und verhaften konnten.
        Aber Fitzpatrick spreizte entschuldigend die roten Hande.»Es liegt nicht in meiner Macht, Gegenma?nahmen zu befehlen, Kapitan. Ich habe nur vorubergehende Kommandogewalt und wurde wenig Dank ernten, wenn ich die Lunte ans Pulverpa? legte. Sie mussen selbstverstandlich tun, wozu Sie sich in der Lage fuhlen. Sie sagten, Sie hatten hier einen Flaggoffizier erwartet. Sicherlich, damit er Ihnen die Last der Verantwortung von den Schultern nimmt?«Als Dumaresq schwieg, fuhr er leise fort:»Darum verachten Sie mich nicht, wenn auch ich nicht ohne Ruckendeckung handeln mochte.»
        Bolitho wunderte sich. Die Admiralitat in London, eine ganze Reihe hoherer Offiziere der Flotte, sogar die Regierung Konig Georgs hatten sich darum bemuht, die Destiny hierherzuschicken. Dumaresq hatte von dem Augenblick an, als er den Auftrag erhalten hatte, ohne Ruhepause dafur gearbeitet und viele Stunden in der Einsamkeit seiner Kajute uber die Schlu?folgerungen aus der durftigen Beweiskette nachgegrubelt. Und jetzt sollte er, da keine hohere Autoritat der Marine da war, sich gedulden und warten, bis weitere Befehle von irgendwoher einliefen - oder alles auf seine eigene Kappe nehmen. Mit seinen achtundzwanzig Jahren war Dumaresq der dienstalteste Seeoffizier in St.Christopher. Bolitho konnte sich nicht vorstellen, wie er weitermachen sollte, ohne seine Karriere zu gefahrden.
        Dumaresq sagte matt:»Erzahlen Sie mir, was Sie von Garrick wissen.»

«Im Grunde nichts. Es stimmt, da? er an der Schiffahrt interessiert ist und mehrere kleine Schiffe im Lauf der letzten Monate erhielt. Er ist sehr reich. Soviel ich wei?, beabsichtigt er, den Handel mit den Franzosen in Martinique auszudehnen.»
        Dumaresq stand auf.»Ich mu? zuruck an Bord. «Er sah Bolitho nicht an.»Ich wurde es dankbar begru?en, wenn Sie meinen Dritten Offizier, der verwundet wurde - und zwar, wie es jetzt scheint, vollig umsonst - bei sich aufnehmen wurden.»
        Fitzpatrick erhob muhsam seine Fleischmassen.»Daruber wurde ich mich glucklich schatzen. «Er versuchte, seine Erleichterung zu verbergen. Also wollte Dumaresq offenbar den leichteren Weg einschlagen.
        Der Kommandant brachte Bolithos unausgesprochenen Protest zum Schweigen.»Ich schicke ein paar Leute zu Ihrer Bedienung. «Er nickte dem Stellvertretenden Gouverneur zu.»Ich komme zuruck, wenn ich mit dem Kommandanten der San Augustin gesprochen habe.»
        Im Dunkeln, au?erhalb des Gebaudes, gab Dumaresq seinen wahren Gefuhlen Ausdruck: Dieser verdammte Hund steckt selber bis zum Hals mit drin! Und denkt, ich bleibe hier wie ein braver Junge vor Anker liegen. Gott strafe sein pockennarbiges Gesicht, bevor er in die
        Holle fahrt!»

«Mu? ich wirklich bleiben, Sir?»

«Einstweilen. Ich werde ein paar kraftige Leute abstellen, scheinbar als Ihre Burschen. Ich traue diesem Fitzpatrick nicht. Er ist ortsansassiger Grundbesitzer und wahrscheinlich gut Freund mit allen Schmugglern und Sklavenhandlern der Karibik. Wollte mir den Unschuldsengel vorspielen! Bei Gott, er wei? bestimmt, wie viele neue Schiffe hier versammelt sind, um Garricks Befehle zu erwarten.»
        Bolitho fragte:»Ist Garrick denn immer noch ein Pirat, Sir?»
        Dumaresq grinste in der Dunkelheit.»Schlimmeres. Ich glaube, da? er bei den Waffenlieferungen in die amerikanischen Kolonien mitmischt - Waffen, die dort gegen uns eingesetzt werden.»

«Von den Rebellen, Sir?»

«Ja, und noch von anderen, wenn es nach diesem verdammten Renegaten ginge. Glauben Sie, da? die Franzosen ruhen werden? Wir haben sie immerhin aus Kanada und aus ihren karibischen Besitzungen hinausgeworfen. Glauben Sie, da? sie die Worte
>vergeben und vergessen< an die Spitze ihrer politischen Vorhaben setzen?»
        Bolitho hatte oft von Unruhen in den amerikanischen Kolonien nach dem Siebenjahrigen Krieg gehort. Es hatte mehrere ernste Zwischenfalle gegeben, aber die Moglichkeit eines offenen Aufstands war selbst von der einflu?reichsten Zeitung als Ubertreibung beurteilt worden.

«In all diesen Jahren hat Garrick ungestort gewirkt und Plane geschmiedet und dabei die gestohlene Beute zu seinem Vorteil verwendet. Er sieht sich selber als Fuhrer in einem kommenden Aufstand, und diejenigen, die jetzt an der Spitze sind und das nicht wahrhaben wollen, belugen sich nur selber. Ich habe viel Zeit gehabt, uber Garrick und das grausame Unrecht nachzudenken, das ihn reich und machtig machte - und meinen Vater zu einem verarmten Kruppel.»
        Bolitho beobachtete, wie die Gig, von der zunachst nur die wei?en Ruderblatter zu sehen waren, in der Dunkelheit naher kam. Dumaresq hatte sich also entschieden. Das hatte er sich denken konnen nach allem, was er von dem Mann gesehen und erlebt hatte.
        Dumaresq sagte plotzlich:»Auch Egmont und seine Frau werden in Kurze ausgeschifft werden. Sie stehen offiziell unter Fitzpatricks Schutz, aber stellen Sie zu Ihrer eigenen Beruhigung einen Posten auf. Ich mochte Fitzpatrick begreiflich machen, da? er in die Angelegenheit direkt verwickelt ist, wenn es zu irgendeiner Verraterei kommen sollte.»

«Sie glauben, da? Egmont noch in Gefahr ist, Sir?»
        Dumaresq machte eine Handbewegung zu der kleinen Residenz.»Hier ist er an sicherem Ort. Ich mochte aber nicht, da? er wieder davonrennt. Es gibt zu viele Leute, die ihn lieber tot wu?ten. Sobald ich mit Garrick abgerechnet habe, kann er tun und lassen, was ihm gefallt. Je eher, desto besser.»

«Ich verstehe, Sir.»
        Duaresq gab seinem Bootssteurer ein Zeichen und kicherte dann.»Das bezweifle ich. Aber halten Sie Augen und Ohren offen. Ich nehme an, da? die Dinge sehr bald in Flu? kommen werden.»
        Bolitho sah zu, wie Dumaresq in die Gig kletterte, und lenkte seine Schritte dann zuruck zur Residenz.
        Machte sich Dumaresq uberhaupt Sorgen, was aus Egmont und seiner Frau wurde? Oder benutzte er sie nur als Lockvogel fur seine
        Falle?
        Abseits der Residenz gab es zwei oder drei kleine Bungalows, die normalerweise hoheren Beamten oder Offizieren, die zur Inspektion herkamen, zur Verfugung standen.
        Bolitho nahm an, da? solche Besucher selten waren; wenn sie kamen, brachten sie sicher alles zu ihrer Bequemlichkeit Erforderliche selbst mit. Das Haus, das ihm zugewiesen worden war, bestand praktisch nur aus einem Raum. Die Moskitofenster waren voller Locher, die eine nie ermudende Armee von Insekten gebohrt hatte. Palmenwedel streiften Dach und Wande, und er vermutete, da? bei einem heftigen Gewitter das Wasser wie durch ein Sieb eindringen wurde.
        Er hatte sich vorsichtig auf das gro?e, handgeschnitzte Bett gesetzt und putzte eine Lampe. Insekten schwirrten herbei und flogen gegen das hei?e Glas. Ihm taten die weniger begunstigten Menschen auf der Insel leid, wenn selbst der Gouverneur vom Fieber gepackt werden konnte.
        Vor der nur lose schlie?enden Tur knarrten die Bodenbretter, und Stockdale schaute herein. Er war mit sechs weiteren Mannern an Land gekommen, um ein» wachsames Auge auf Wind und Wetter «zu haben, wie er es ausdruckte.
        Mit seiner keuchenden Stimme meldete er:»Alles eingeteilt, Sir. Wir gehen abwechselnd Wache. Josh Little ubernimmt die erste. «Er lehnte sich gegen den Turrahmen, und Bolitho horte, wie das Holz protestierend knarrte.»Ich habe zwei Leute an dem anderen Haus postiert. Es ist ganz ruhig dort.»
        Bolitho dachte daran, wie Aurora ihn angesehen hatte, als sie und ihr Mann von Bedienten des Gouverneurs eilig in den Nachbarbungalow geleitet wurden. Sie schien beunruhigt, verangstigt durch den plotzlichen Wechsel der Ereignisse. Es hatte gehei?en, Egmont besa?e Freunde in Basseterre, aber man hatte ihm nicht erlaubt, sich zu ihnen zu begeben; statt dessen war er immer noch ihr Gast. Oder besser: ihr Gefangener.
        Bolitho sagte:»Gehen Sie schlafen. «Er beruhrte seine Narbe und zog eine Grimasse. Mir ist, als ware das erst heute geschehen.»
        Stockdale grinste.»Saubere Arbeit, Sir. Ein Gluck, da? wir den alten Knochensager hatten.»
        Er trollte sich nach drau?en, und Bolitho horte ihn leise vor sich hin pfeifen, als er einen Platz fand, an dem er sich ausstrecken konnte. Seeleute vermochten uberall zu schlafen.
        Bolitho legte sich zuruck, die Hande hinter dem Kopf verschrankt, und starrte in die Schatten jenseits der nur schwach brennenden Flamme.
        Es war alles vergebens gewesen. Garrick hatte die Insel bestimmt schon verlassen. Er mu?te besser unterrichtet gewesen sein, als Duma-resq vermutete. Nun konnte er sich ins Faustchen lachen, wenn er an die britische Fregatte und ihre spanische Begleiterin dachte, die da unschlussig vor Anker lagen, wahrend er.
        Bolitho fuhr mit einem Ruck hoch und griff nach seiner Pistole, als die Planken vor der Tur wieder knarrten. Er beobachtete, wie sich der Turgriff senkte, und fuhlte sein Herz gegen die Rippen schlagen, als er die Entfernung schatzte und uberlegte, ob er schnell genug auf die Fu?e kommen konnte, um sich zu verteidigen.
        Die Tur offnete sich einige Zentimeter, und er sah ihre schmale Hand am Rand.
        In Sekunden war er aus dem Bett. Als er die Tur ganz aufzog, horte er sie flustern:»Bitte, mach das Licht aus!»
        Einen verwirrenden Augenblick lang hielten sie einander hinter der wieder geschlossenen Tur umschlungen. Au?er Auroras heftigen Atemzugen gab es keinen Laut. Bolitho wagte nichts zu sagen, aus Angst, damit den unglaublichen Traum zu vertreiben.
        Sie flusterte:»Ich mu?te kommen. Es war schon schlimm genug auf dem Schiff. Aber zu wissen, da? du hier bist, wahrend…«Mit leuchtenden Augen schaute sie zu ihm auf.»Verachte mich nicht, weil ich schwach geworden bin.»
        Bolitho hielt sie fest an sich gedruckt, fuhlte ihren Korper durch das lange dunne Gewand und wu?te, da? sie verloren waren. Mochte die Welt jetzt in Stucke fallen - nichts konnte ihnen diesen Augenblick nehmen.
        Wie Aurora an den Posten vorbeigekommen war, schien ihm unbegreiflich, aber es kummerte ihn nicht. Doch dann fiel ihm Stockdale ein. Daran hatte er gleich denken sollen.
        Seine Hande zitterten heftig, als er sie an den Schultern hielt und ihr Haar, ihr Gesicht, ihren Hals ku?te.

«Ich helfe dir. «Sie loste sich etwas von ihm und lie? ihr Gewand zu Boden fallen. Nimm mich in deine Arme.»
        In der Dunkelheit zwischen den beiden kleinen Bungalows lehnte Stockdale sein Entermesser gegen einen Baum und setzte sich daneben. Er beobachtete, wie das Mondlicht die Schwelle der Tur beleuchtete, die er vor einer Stunde sich hatte offnen und wieder schlie?en gesehen, und dachte an die beiden, die jetzt beisammen waren. Fur den Leutnant war es wahrscheinlich das erstemal, dachte Stockdale wohlwollend. Er hatte keine bessere Lehrerin finden konnen, das war gewi?.
        Lange vor Anbruch der Morgendammerung schlupfte Aurora leise aus dem Bett und zog sich an. Einen Augenblick noch schaute sie auf die blasse, in tiefem Schlaf liegende Gestalt nieder und strich dabei uber ihre Brust, wie er es getan hatte. Dann buckte sie sich und ku?te ihn leicht auf den Mund. Seine Lippen schmeckten salzig, vielleicht von ihren Tranen. Ohne noch einmal zuruckzublicken, verlie? sie den Raum und lief an Stockdale vorbei, ohne ihn zu sehen.
        Bolitho trat langsam aus der Tur und auf den sonnengeharteten Weg hinunter. Es kam ihm vor, als schritte er uber dunnes Glas. Obwohl er seine Uniform trug, fuhlte ersieh immer noch nackt, glaubte nach wie vor, ihre Umarmung zu spuren, ihr atemberaubendes Verlangen, das ihn vollig erschopft hatte.
        Im fruhen Sonnenlicht erkannte er einen der Wachposten, der ihn, auf seine Muskete gestutzt, neugierig betrachtete.
        Wenn er nur wach gewesen ware, als sie ihn verlie?! Dann hatten sie sich nie mehr getrennt. Stockdale kam auf ihn zu und meldete:»Keine Vorkommnisse,
        Sir.»
        Befriedigt registrierte er Bolithos Unsicherheit. Der Leutnant war verandert: verwirrt, aber wohlauf. Noch etwas durcheinander, aber mit der Zeit wurde er die neue Kraft spuren, die sie ihm geschenkt hatte.
        Bolitho nickte.»Lassen Sie die Leute antreten!«Er hob den Arm, um seinen Hut aufzusetzen, erinnerte sich aber noch rechtzeitig an die Wunde, die bei der leisesten Beruhrung pochte und brannte. Aurora hatte ihn sogar das vergessen lassen.
        Stockdale buckte sich und hob ein kleines Stuck Papier auf, das aus dem Hut gefallen war. Er ubergab es mit ausdruckslosem Gesicht.»Ich kann nicht lesen, Sir.

        Bolitho entfaltete den Zettel und las mit verschwimmendem Blick ihre wenigen Worte:»Liebster, ich konnte nicht warten. Denke manchmal an mich und daran, wie schon es war.»
        Darunter hatte sie geschrieben:»Der Ort, den dein Kommandant sucht, ist die Insel Fougeaux.»
        Sie hatte nicht mit Namen unterzeichnet, aber er konnte beinahe ihre Stimme horen.

«Fuhlen Sie sich nicht wohl, Sir?»

«Doch.»
        Noch einmal las er die kurze Botschaft. Aurora mu?te sie schon mitgebracht und vorher gewu?t haben, da? sie sich ihm hingeben wurde. Und da? es damit enden wurde.
        Er horte Schritte auf dem Sand knirschen und sah Palliser den Weg heraufkommen, hinter sich Midshipman Merrett, dem es schwerfiel, mit dem langen Leutnant Schritt zu halten.
        Palliser sagte barsch zu Bolitho:»Alles erledigt. «Er wartete mit lauerndem Blick.
        Bolitho fragte:»Mit Egmont und seiner Frau? Was ist geschehen?»

«Ach, wu?ten Sie das noch nicht? Sie sind gerade an Bord gegangen. Wir haben ihr Gepack in der Nacht auf eines der kleinen, hier ankernden Schiffe geschafft. Ich hatte angenommen, Sie waren besser informiert.»
        Bolitho zogerte. Dann faltete er den Zettel, ri? den unteren Teil mit dem Namen der Insel vorsichtig ab und reichte ihn Palliser.
        Palliser las und sagte:»Das kann stimmen.»
        Er ubergab den gefalteten Zettel an Merrett.»Zuruck damit zum Schiff, Kleiner, und bringen Sie dies mit ergebenstem Gru? dem Kommandanten. Wenn Sie's verlieren, prophezeie ich Ihnen einen qualvollen Tod.»
        Der Junge eilte davon, wahrend Palliser fortfuhr:»Der Kommandant hat mal wieder recht gehabt. «Er lachelte uber Bolithos ernstes Gesicht.»Kommen Sie, wir gehen zusammen zuruck.»

«Sie sagten, die Egmonts hatten sich bereits eingeschifft, Sir?«Er wollte es noch nicht wahrhaben.»Wohin?»

«Habe ich vergessen. Ist es wichtig?»
        Bolitho nahm gleichen Schritt mit ihm auf. Aurora hatte ihm die Information als Dank zukommen lassen, vielleicht weil er ihr das Leben gerettet hatte, vielleicht um ihrer Liebe willen. Dumaresq hatte sie also beide fur seine Zwecke benutzt. Bolitho fuhlte, wie Zorn daruber in ihm hochstieg. Einen» sicheren Ort «hatte er den Platz genannt. Aber es war eher ein Ort der Tauschung gewesen.
        Als Bolitho das Schiff erreichte, fand er die Besatzung klar zum Ankermanover und die Segel schon so weit losgemacht, da? sie kurzfristig gesetzt werden konnten. Wie befohlen meldete er sich in der Kajute, wo Dumaresq und Gulliver Seekarten studierten. Dumaresq bat den Master, drau?en zu warten, und sagte dann barsch: Damit ich Sie nicht wegen Insubordination bestrafen mu?, lassen Sie mich als ersten sprechen. Unsere Mission in diesen Gewassern ist fur eine so leichte Fregatte wie die Destiny ein Wagnis. Ich habe das immer geahnt, aber dank dieser kleinen Information wei? ich jetzt, wo Garrick sein Hauptquartier hat, sein Lager fur Waffen und sonstige ungesetzliche Handelswaren, und auch, wo die Schiffe liegen, mit denen er das alles verteilt. Das war sehr wichtig.»
        Bolitho hielt seinem Blick stand.»Man hatte es mir sagen sollen,
        Sir.»

«Sie haben es aber genossen, oder?«Dumaresqs Ton wurde weicher.»Ich wei?, wie es ist, wenn man sich in einen Traum verrennt. Mehr konnte es nicht sein. Sie sind Offizier des Konigs und mogen sich sogar zu einem guten Offizier entwickeln, wenn mit der Zeit etwas Verstand hinzukommt.»
        Bolitho schaute uber Dumaresq hinweg auf die drau?en vor Anker liegenden Schiffe; er uberlegte, auf welchem Aurora sein mochte.
        Er fragte:»Ist das alles, Sir?»

«Ja. Ubernehmen Sie wieder Ihre Division. Ich will Anker lichten, sobald dieser Federfuchser Kopien meines Berichts fur die ortlichen Autoritaten und fur London fertiggestellt hat. «In Gedanken war er schon wieder bei den hundert anderen Dingen, die er noch erledigen mu?te.
        Bolitho stolperte aus der Kajute in die Messe. Es war ihm zu schmerzlich, sich vorzustellen, wie diese Kajute noch vor kurzem ausgesehen hatte: mit ihren Kleidern, die ordentlich zum Trocknen aufgehangt waren, mit der jungen Zofe, die sich immer in der Nahe hielt fur den Fall, da? sie gebraucht wurde. Vielleicht war die Methode, die Dumaresq anwandte, richtig, aber mu?te er so brutal und gefuhllos sein?
        Rhodes und Colpoys erhoben sich, umihnzu begru?en, und sie schuttelten einander feierlich die Hande.
        Bolitho beruhrte das Stuckchen Papier in seiner Tasche und fuhlte sich starker. Was Dumaresq und die anderen auch denken mochten, sie konnten nicht wissen, wie schon es wirklich gewesen war.
        Bulkley trat in die Messe, sah Bolitho und wollte ihn gerade fragen, welche Fortschritte seine Wunde machte; doch Rhodes schuttelte leicht den Kopf, und so rief der Arzt nur nach Poad und bat um eine Tasse Kaffee.
        Bolitho wurde daruber hinwegkommen. Aber es mochte einige Zeit dauern.»Anker ist los, Sir!»
        Dumaresq trat an die Reling und schaute hinuber zum Spanier, wahrend die Destiny mit von der frischen Brise geblahten Segeln der offenen See zustrebte.
        Er sagte:»Das wird den Don argern. Seine halbe Besatzung ist an Land, um Vorrate zu erganzen, also kann er uns erst in einigen Stunden folgen. «Er warf den Kopf zuruck und lachte.»Hol dich der Teufel, Garrick! Genie?e noch dein bi?chen Freiheit!»
        Bolitho beobachtete, wie seine Leute das Bro?bramsegel setzten und einander derbe Scherzworte zuriefen, als waren auch sie von Dumaresqs Erregung angesteckt. Aussicht auf Tod, Prisengeld, ein neues Land - alles war fur sie Anla? zur Frohlichkeit.
        Palliser rief vom Achterdeck:»Bringen Sie die Leute auf Trab, Mr. Bolitho, die haben heute ja Blei in den Knoche n.»
        Bolitho wandte sich nach achtern und hatte schon eine argerliche Antwort auf der Zunge. Aber dann zuckte er die Schultern. Palliser wollte ihm auf die einzige Art helfen, die er beherrschte.
        Nachdem sie die gefahrlichen Untiefen von Bluff Point umfahren hatten, setzte die Destiny weitere Segel und nahm Kurs nach Westen. Spater, als Bolitho die Nachmittagswache ubernahm, studierte er die Karte und Gullivers sorgfaltig eingetragene Berechnungen.
        Fougeaux Island war sehr klein und gehorte zu einer weitverstreuten
        Inselgruppe, gut 150 Meilen westnordwestlich von St. Christopher. Es war nacheinander von Frankreich, Spanien und England beansprucht worden, selbst die Hollander hatten sich eine Zeitlang dafur interessiert.
        Jetzt war es keinem Land Untertan, denn allem Anschein nach gab es da nichts zu holen. Es fehlte an Baumen fur Bau- und Brennholz, und es mangelte laut Seehandbuch sogar an Trinkwasser. Ein kahles, feindliches Stuck Land mit einer sichelformigen Lagune als einzigem Vorzug. Sie konnte Schutz bei Sturm bieten, aber kaum mehr. Doch, wie Dumaresq bemerkt hatte, was verlangte Garrick auch sonst?
        Bolitho beobachtete den Kommandanten, der so ruhelos an Deck auf und ab ging, als hielte er es in seinen Raumen nicht mehr aus, seit das Ziel so nahe lag. Gegenwind erschwerte ihr Vorwartskommen und zwang das Schiff zu langen Kreuzschlagen, bei denen sie der Insel nur wenig naher kamen.
        Aber die Aussicht, zumindest einen Teil des verlorenen Goldes zu finden, lie? sie die knochenbrechende Arbeit bei den dauernden Wendemanovern, das Durchholen der Brassen und das immer wieder neue Trimmen der Segel vergessen.
        Wenn die Insel nun leer war oder gar nicht die richtige? Bolitho glaubte es nicht. Aurora mu?te gewu?t haben, da? nur Garricks Gefangennahme sie und ihren Mann vor seiner Rache schutzen konnte. Und auch, da? Dumaresq sie ohne diese Information nie freigelassen hatte.
        Am nachsten Tag dumpelte die Destiny mit schlappen Segeln bewegungslos in einer Flaute.
        Weit weg an Steuerbord sah man den vagen Umri? einer Insel, aber sonst hatten sie den Ozean allein fur sich. Es war so hei?, da? die Fu?e an den Decksnahten klebenblieben und die Kanonenrohre sich anfuhlten, als hatten sie eine Schlacht hinter sich.
        Gulliver sagte:»Bei einem nordlicheren Kurs hatten wir mehr Gluck mit dem Wind gehabt, Sir.»

«Das wei? ich selbst, verdammt noch mal. «Dumaresq wandte sich ihm erbost zu.»Aber wir waren vielleicht auf ein Korallenriff gelaufen. Wollten Sie das riskieren? Wir sind eine Fregatte und kein flaches Fischerboot.»
        Den ganzen Tag uber und auch noch den halben nachsten rollte das
        Schiff unbehaglich in der schwachen Dunung. Ein Haifisch glitt vorsichtig um ihr Heck, und einige Matrosen versuchten ihr Gluck mit einem gro?en Angelhaken.
        Dumaresq schien das Deck uberhaupt nicht mehr verlassen zu wollen. Als er an Bolitho wahrend dessen Wache vorbeiging, sah er, da? sein Hemd schwei?getrankt war; auf seiner Stirn hatte sich eine Blase gebildet, die er aber nicht zu bemerken schien.
        Als die Nachmittagswache zur Halfte um war, tastete der Wind sich wieder uber die glitzernde Wasserflache an sie heran, aber mit ihm kam eine Uberraschung.

«Schiff, Sir! An Backbord achteraus!»
        Dumaresq und Palliser beobachteten, wie die braunliche Segelpyramide uber den Horizont stieg. Das gro?e rote Kreuz auf der Breit-fock hob sich deutlich ab und beseitigte alle Zweifel.
        Palliser rief erbittert:»Der Don, Gott strafe ihn!»
        Dumaresq lie? mit versteinertem Blick das Glas sinken.»Fitzpa-trick! Er mu? es ihnen verraten haben. Sie sind auf Blut aus. «Er sah seinen Ersten Offizier an. Wenn Don Carlos Quintana sich jetzt einmischt, wird es aber sein eigenes Blut kosten!»

«An die Brassen und Schoten!»
        Die Destiny erbebte und legte sich kraftig vor die auffrischende Brise. Mit neuerwachter Kraft warf sie Wolken von Gischt an ihrer wei?en Galionsfigur hoch.
        Dumaresq sagte:»Lassen Sie die Leute an den Geschutzen exerzieren, Mr. Palliser.
«Er starrte achteraus auf das andere Schiff. Es schien schon viel naher gekommen zu sein.

«Und setzen Sie bitte unsere Flagge. Ich will nicht, da? uns der verdammte Spanier in die Quere kommt.»
        Rhodes dampfte seine Stimme.»Und das meint er ernst, Richard. Dies ist sein gro?er Augenblick. Er wird lieber sterben, als ihn zu teilen.»
        Einige Leute auf dem Achterdeck sahen einander an und machten angstliche Bemerkungen. Die eingefleischte Verachtung, mit der sie jede andere Marine au?er der eigenen beurteilten, war nach dem langen Aufenthalt in Basseterre etwas erschuttert. Die San Augustin besa? mindestens vierundvierzig Kanonen, die Destiny dagegen nur achtundzwanzig.
        Dumaresq schimpfte:»Bringen Sie diese Tolpel auf Trab, Mr. Palli-ser! Unser Schiff entwickelt sich langsam zu einem Saustall!»
        Einer von Bolithos Geschutzfuhrern flusterte:»Ich dachte, wir waren nur hinter einem Piraten her?»
        Stockdale zeigte grinsend die Zahne.»Feind ist Feind, Tom. Seit wann macht die Flagge einen Unterschied?»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Was jetzt kam, war ein Musterbeispiel fur die schwere Verantwortung eines Kommandanten. Wenn Dumaresq nichts unternahm, konnte er wegen Unfahigkeit oder Feigheit vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Wenn er mit dem Spanier ins Gefecht kam, konnte man ihn beschuldigen, einen Krieg provoziert zu haben.
        Er sagte:»Macht euch bereit, Leute. Lost die Zurrings. «Stockdale hatte recht: Ihre einzige Sorge sollte es sein, zu gewinnen.
        Bevor die Sonne am nachsten Morgen uber den Horizont gestiegen war, wurden die Leute zum Fruhstuck und dann zum Deckwaschen geschickt.
        Der Wind war leicht, aber stetig und hatte uber Nacht auf Sudwest gedreht.
        Dumaresq war ebenso fruh an Deck wie alle. Bolitho bemerkte die Ungeduld, mit der er immer wieder uber das Achterdeck wanderte, einen Blick auf den Kompa? oder die Schiefertafel mit den Eintragungen des Steuermanns warf. Wahrscheinlich nahm er nichts davon wahr; aus der Art, wie Palliser und Gulliver ihm freie Bahn lie?en, entnahm Bolitho, da? sie ihre Erfahrungen mit dieser Stimmung ihres Kommandanten hatten.
        Zusammen mit Rhodes beobachtete Bolitho, wie der Oberbootsmann seine Arbeitsgruppen einteilte. Die Tatsache, da? ein weit uberlegenes Kriegsschiff ihnen achteraus folgte und da? eine wenig bekannte Insel vor ihnen lag, anderte nichts an Mr. Timbrells Routine.
        Pallisers rauhe Stimme schreckte Bolitho auf.»Lassen Sie die Rahen durch Ketten sichern, Mr. Timbrell!»
        Einige Matrosen schauten zu den Rahen auf. Palliser gab keine weiteren Erklarungen, was fur die dienstalteren Leute auch nicht erforderlich war. Die Ketten wurden jede Rahe fester mit dem Mast verbinden als das Tauwerk, das sie normalerweise hielt, in einem Gefecht aber leicht zerschossen werden konnte. Au?erdem mu?ten Netze uber das
        Oberdeck gespannt werden. Ketten und Netze waren der einzige Schutz vor herunterfallenden Spieren und Takelageteilen.
        Vielleicht trafen sie auf dem Spanier jetzt genau die gleichen Vorbereitungen, obwohl nichts darauf hinzudeuten schien. Bisher hatte es lediglich den Anschein, als sei die San Augustin, seit sie zu ihnen aufgeschlossen hatte, gewillt, ihnen zu folgen und die Entwicklung zu beobachten.
        Rhodes drehte sich abrupt um und eilte auf den ihm zugewiesenen Platz, wobei er leise hervorstie?:»Der >Herr und Meister         Als Bolitho sich umwandte, stand er seinem Kommandanten gegenuber. Es war ungewohnlich, ihm so weit weg von Achterdeck und Hutte zu begegnen, und die Seeleute, die in der Nahe arbeiteten, schienen sich vorsichtig zuruckzuziehen, als waren sie durch Duma-resqs Gegenwart eingeschuchtert.
        Bolitho gru?te durch eine Handbewegung zum Hut und wartete. Dumaresqs Augen wanderten langsam und ohne Ausdruck uber sein Gesicht.
        Dann sagte er:»Kommen Sie mit. Aber holen Sie sich vorher ein Fernglas. «Er warf dem Bootssteurer seinen Hut zu und erganzte:»Eine kleine Kletterpartie gibt klaren Kopf.»
        Bolitho sah mit Uberraschung, wie Dumaresq sich nach au?en in die Wanten schwang. Seine untersetzte Gestalt hing ungelenk in den Webeleinen, als er zu der turmhohen Mastspitze aufsah.
        Bolitho ha?te Hohen. Von allen Motiven, die ihn getrieben hatten, sich um eine baldige Beforderung zum Offizier zu bemuhen, war dies eines der wichtigsten gewesen: nicht mehr mit den anderen in den Mast zu mussen, wo Wind und Kalte den Griff um die vereisten Webeleinen losen oder den Mann von der Rah in die See unten schleudern konnten.
        Vielleicht wollte Dumaresq ihn herausfordern, und sei es nur, um die eigene Spannung zu losen.

«Kommen Sie, Mr. Bolitho! Sie sind heute an einem Wendepunkt Ihrer Karriere.»
        Bolitho folgte ihm die zitternden Wanten hinauf, Hand uber Hand, Fu? uber Fu?. Er befahl sich, nicht nach unten zu schauen, obwohl er sich nur zu gut vorstellen konnte, wie das helle Deck der Destiny unter ihnen krangte, als sich das Schiff in eine weitere Woge wuhlte.
        Dumaresq mi?achtete das Soldatenloch und kletterte au?en an den Puttingswanten hoch, wobei sein mi?gestalteter Rucken fast parallel zur Wasserflache hing. Dann ging es uber die Marssaling, ohne auf einige verschreckte Seesoldaten zu achten, die an einer der hier oben postierten Drehbassen exerzierten, und weiter hinauf zur Bramsaling.
        Dumaresqs Vertrauen verlieh Bolitho den Willen, schneller als je zuvor zu klettern. Er achtete kaum auf die Hohe und schaute bereits noch weiter hinauf, als Dumaresq anhielt und - ein Bein frei im Raum pendelnd - bemerkte:»Man bekommt das richtige Gefuhl furs Schiff nur von hier oben.»
        Bolitho hielt sich mit beiden Handen fest und blickte zu seinem Kommandanten hoch, wobei ihm die Augen im starken Sonnenlicht tranten. Dumaresq sprach mit so viel Uberzeugung und mit einer Warme, die fast an Liebe erinnerte.

«Fuhlen Sie es?«Dumaresq packte ein Stag und zog fest daran.»Straff und fest, gleicher Zug auf allen Teilen. Wie es sein mu?. Wie jedes Schiff sein sollte, wenn es ordentlich gepflegt wird. «Erschaute in Bolithos ihm zugewandtes Gesicht.»Kopf wieder in Ordnung?»
        Bolitho nickte. In dem Durcheinander seiner Gefuhle, vor Emporung und Kummer hatte er die Wunde ganz vergessen.

«Gut, dann kommen Sie.»
        Sie erreichten die Bramsaling, wo der Ausguck fur seine Vorgesetzten Platz machte.

«Ah!«Dumaresq nahm sein Teleskop und richtete es, nachdem er die Linse mit seinem Halstuch abgewischt hatte, nach Steuerbord voraus.
        Bolitho folgte seinem Beispiel und fuhlte plotzlich, wie es ihm trotz der Sonne und des Windes eiskalt uber den Rucken lief.
        So etwas hatte er noch nie gesehen. Die Insel schien nur aus Korallen oder Felsen zu bestehen und wirkte fast ansto?ig nackt - wie etwas, das nicht mehr lebte. In der Mitte gab es eine Erhohung, die aussah wie ein Berg, dem man die Spitze abgeschnitten hatte. Im Dunst war nichts genauer zu erkennen, es konnte also auch eine gigantische Festung sein.
        Er versuchte, den Anblick mit den sparlichen Eintragungen in der Seekarte zu vergleichen, und schlo? aus der Peilung, da? die geschutzte Lagune direkt unter dem Hugel liegen mu?te.
        Dumaresq sagte heiser:»Da sind sie.»
        Bolitho versuchte es noch einmal. Die Insel schien verlassen, wie durch eine Naturkatastrophe niedergewalzt.
        Doch dann entdeckte er etwas, das dunkler als die Umgebung aussah, aber kurz darauf wieder im Dunst verschwand: ein Mast, vielleicht auch mehrere Masten. Die zugehorigen Schiffsrumpfe waren allerdings hinter dem schutzenden Wall aus Korallen verborgen.
        Er warf Dumaresq einen schnellen Blick zu und fragte sich, wie er das wohl beurteilte.

«Steinchen fur ein Puzzlespiel. «Dumaresq hob die Stimme nur wenig uber das Summen in Takelage und Leinwand.»Das sind Garricks Schiffe, seine kleine Armada. Keine Schlachtlinie, Mr. Bolitho, kein Flaggschiff mit dem stolzen Kommandozeichen eines Admirals, aber genauso todlich.»
        Bolitho schaute abermals durchs Fernglas. Kein Wunder, da? Garrick sich sicher fuhlte. Er hatte von ihrer Ankunft in Rio erfahren und davor schon von der in Madeira. Und nun hatte er die Oberhand. Er konnte seine Schiffe entweder bei Nacht hinausschicken oder wie ein Einsiedlerkrebs in seinem Gehause liegenbleiben und abwarten.
        Dumaresq schien mit sich selbst zu sprechen.»Die Dons interessiert allein der verlorengegangene Goldschatz. Garrick kann ungestraft davonkommen, was sie betrifft. Quintana glaubt, da? er diese sorgfaltig ausgewahlten Schiffe und alles, was von dem Gold noch ubrig ist, ohne einen Schu? vereinnahmen kann.»
        Bolitho fragte:»Vielleicht wei? Garrick weniger, als wir annehmen, Sir, und versucht nur zu bluffen?»
        Dumaresq sah ihn eigenartig an.»Das glaube ich nicht. Jetzt zahlen keine Bluffs mehr. Ich habe in Basseterre versucht, dem Spanier Garricks Absichten zu erklaren. Aber er wollte nicht horen. Garrick hat den Franzosen geholfen, und in einem kunftigen Krieg wird Spanien einen Verbundeten wie Frankreich brauchen. Seien Sie sicher, da? Don Carlos Quintana auch das im Auge haben wird.»

«Sir!«Der Ausguck unter ihnen rief besorgt:»Die Dons setzen mehr Segel!»
        Dumaresq sagte:»Es wird Zeit, da? wir absteigen. «Er warf noch einen Blick auf jeden einzelnen Mast druben und schaute dann nach unten.
        Bolitho stellte fest, da? er es ihm nachzumachen vermochte, ohne zu zittern. Er sah die von oben stark verkurzt wirkenden Gestalten der Offiziere und Midshipmen auf dem Achterdeck und die wechselnden Gruppen, die sich um die doppelte Reihe der schwarzen Kanonen scharten.
        In diesen Augenblicken bestand eine stillschweigende Ubereinstimmung zwischen Bolitho und diesem ungewohnlichen, ganz seiner Aufgabe verschworenen Mann. Es war sein Schiff, jedes Teil davon, jedes Stuck Holz, jeder Zentimeter Tauwerk. Schlie?lich sagte Duma-resq:»Der Spanier will vielleicht vor mir in die Lagune eindringen. Das ware eine gefahrliche Dummheit, denn die Einfahrt ist eng und das Fahrwasser unbekannt. Da er keine Hoffnung auf den Uberraschungseffekt hat, wird es auf die Glaubwurdigkeit seiner Friedfertigkeit ankommen; wenn das fehlschlagt, auf eine Demonstration seiner Starke.»
        Uberraschend geschwind kletterte Dumaresq hinunter, und als Bo-litho schlie?lich das Achterdeck erreichte, sprach der Kommandant schon mit Palliser und dem Master. Bolitho horte Palliser sagen:»Der Don halt aufs Land zu, Sir.»
        Dumaresq hantierte mit seinem Fernrohr.»Und auf die Gefahr. Signalisieren Sie ihm, er soll abdrehen.»
        Bolitho blickte in die Gesichter ringsum, die er inzwischen so gut kannte. In wenigen Augenblicken konnte alles entschieden sein, denn Dumaresq hatte keine Wahl.
        Palliser rief:»Er beachtet unsere Warnung nicht, Sir.»

«Gut so. Schlagen Sie >Alle Mann< und >Klar Schiff zum Gefecht< an!«Dumaresq verschrankte die Hande hinter dem Rucken.»Mal sehen, wie ihm das gefallt.»
        Rhodes packte Bolitho am Arm.»Er mu? wahnsinnig sein! Er kann doch nicht mit Garrick und den Dons kampfen!»
        Die Trommelbuben in Seesoldatenuniform begannen mit ihren dumpfen Schlagen. Der Augenblick der Ungewi?heit war voruber.



        XIV Die letzte Chance


«Der Don nimmt Segel weg, Sir!»

«Das werden auch wir tun. «Dumaresq stand wie ein Fels mitten auf dem Achterdeck, direkt vor dem Besanmast.»Bramsegel bergen!»
        Bolitho beschattete seine Augen und sah durch das Gewirr der Takelage und Netze, wie seine Leute die widerspenstige Leinwand aufholten und festbanden. In weniger als einer Stunde war die Spannung an Bord ebenso gestiegen wie die Sonne; jetzt, da die San Augustin sich an Steuerbord voraus postiert hatte, merkte er, da? jeder Mann in seiner Nahe davon betroffen war. Die Destiny hatte zwar noch die Luvposition, aber der spanische Kapitan hatte sich zwischen sie und die Einfahrt zur Lagune geschoben.
        Rhodes kam nach achtern geschlendert und traf zwischen zwei Zwolfpfundern auf Bolitho.

«Der Kommandant la?t dem Spanier den Vortritt. «Er zog eine Grimasse.»Ich mu? sagen, da stimme ich ihm zu. Ich mag keinen einseitigen Kampf, es sei denn, die Vorteile waren auf meiner Seite. «Er warf einen schnellen Blick zum Achterdeck und senkte die Stimme.»Was halten Sie jetzt von unserem >Herrn und Meister         Bolitho zuckte die Schultern.»Ich schwanke zwischen Bewunderung und Verachtung. Ich verachte die Art, wie er mich benutzt hat. Er mu? gewu?t haben, da? Egmont selbst Garricks Insel niemals verraten hatte.»
        Rhodes spitzte die Lippen.»Also war es seine Frau. «Er stockte.»Sind Sie uber die Affare hinweg, Dick?»
        Bolitho schaute hinuber zur San Augustin, auf ihre weit auswehenden Wimpel und die wei?e Kriegsflagge Spaniens, und schwieg.
        Rhodes blieb hartnackig.»Bei all diesem Wahnsinn, in dem wir wahrscheinlich wegen einer weit zuruckliegenden Sache aufgerieben werden, konnen Sie sich noch in Liebe zu einer Frau verzehren?»
        Bolitho sah ihn an.»Daruber we rde ich nie hinwegkommen. Wenn Sie Aurora so gesehen hatten…»
        Rhodes lachelte resignierend:»Mein Gott, Dick, ich verschwende meine Zeit. Wenn wir nach England zuruckkehren, werde ich sehen, was ich anstellen kann, um Sie aufzumuntern.»
        Beide fuhren herum, als ein Schu? uber das Wasser drohnte. Die
        Kugel warf eine dunne Wassersaule in direkter Verlangerung des Bugspriets des Spaniers auf.
        Dumaresq schimpfte:»Gott im Himmel, die Lumpen schie?en als erste!»
        Mehrere Teleskope richteten sich auf die Insel, aber niemand entdeckte die versteckte Kanone.
        Palliser sagte sauerlich:»Das war nur eine Warnung. Ich hoffe, der Don hat genug Verstand, um sie zu beachten. Diese Angelegenheit verlangt listiges Vorgehen und schnelles Handeln, keinen direkten Angriff.»
        Dumaresq lachelte.»So, tut sie das? Sie fangen an, wie ein Admiral zu reden, Mr. Palliser. Ich mu? mich wohl in acht nehmen.»
        Bolitho beobachtete scharf das spanische Schiff. Es verhielt sich, als ware nichts geschehen, und steuerte immer noch auf die nachste Landspitze zu, wo die Lagune begann.
        Einige Kormorane erhoben sich von der See, als die beiden Schiffe an ihnen vorbeisegelten, und kreisten dann uber ihnen. Wie Adler, dachte Bolitho.

«An Deck: Rauch uber dem Hugel, Sir!»
        Die Teleskope schwenkten herum wie leichte Geschutzrohre.
        Bolitho horte Clow, einen der Stuckmeistersmaaten, sagen:»Der kommt von einem verdammten Ofen. Die Teufel wollen den Dons mit gluhenden Kanonenkugeln einheizen.

        Bolitho feuchtete sich die Lippen an. Sein Vater hatte ihn oft gewarnt, wie toricht es sei, ein Schiff gegen eine befestigte Landbatterie anrennen zu lassen. Wenn die an Land gluhende Kugeln benutzten, konnten sie jedes Schiff binnen kurzem in einen Scheiterhaufen verwandeln. Von der Sonne ausgetrocknetes Holz, Teer, Farbe und Leinwand fingen schnell Feuer, und wenn nicht sofort geloscht werden konnte, tat der Wind das ubrige.
        Etwas wie ein Seufzer lief das Deck entlang, als sich die Stuckpforten der San Augustin gleichzeitig offneten und ihre Kanonen auf ein Trompetensignal hin ausgerannt wurden. Auf die Entfernung sahen sie aus wie schwarze Zahne im makellosen Gebi? ihrer Bordwand: schwarz und todlich.
        Der Schiffsarzt trat zu Bolitho an den Zwolfpfunder; seine Brillenglaser glitzerten im Sonnenlicht. Mit Rucksicht auf die Manner, die vielleicht schon bald seine Dienste benotigten, hatte er darauf verzichtet, seine Schurze anzulegen.

«Es macht mich nervos wie eine Katze, wenn sich dies weiter so in die Lange zieht.

        Bolitho verstand ihn. Unten im Orlopdeck, wo es nur kunstliches Licht gab und keine frische Luft, wirkten alle Gerausche vom Oberdeck verzerrt. Er sagte:»Ich glaube, der Spanier will sich die Einfahrt mit Gewalt erzwingen.»
        Wahrend er noch sprach, setzte das andere Schiff Bramsegel und fiel etwas ab, um den sudwestlichen Wind voll zu nutzen. Sein vergoldetes Schnitzwerk leuchtete prachtvoll im Sonnenlicht, majestatisch blahten sich die stolzen Wimpel und die roten Kreuze auf Fock und Gro?segel. So sahen Kriegsschiffe auf alten Bildern aus, dachte Bolitho. Im Vergleich dazu wirkte die schlanke und anmutige Destiny spartanisch.
        Bolitho ging nach hinten, bis er direkt unter der Querreling des Ac h-terdecks stand. Er horte Dumaresq sagen:»Noch eine halbe Kabellange, und dann werden wir's wissen.»
        Danach Pallisers Stimme, weniger sicher:»Er kann die Einfahrt erzwingen, Sir. Wenn er erst drinnen ist, wird er halsen, die dort vor Anker liegenden Schiffe zusammenschie?en und sie sogar noch als Deckung gegen Beschu? von Land benutzen. Ohne Schiff sitzt Garrick in der Falle.»
        Dumaresq schien es zu erwagen.»Letzteres stimmt. Ich habe bisher nur von einem einzigen Menschen gehort, der uber das Meer wandeln konnte; aber wir brauchen heute eine andere Art Wunder.»
        Einige der neben ihren Neunpfundern knienden Matrosen stie?en sich lachend gegenseitig an.
        Bolitho staunte, da? es Dumaresq so leicht fiel. Er wu?te genau, was notig war, um seine Leute bei guter Laune und kampfesmutig zu halten.
        Gulliver sagte, ohne jemanden direkt anzusprechen:»Wenn der Don Erfolg hat, dann ade Prisengeld!»
        Dumaresq sah ihn grimmig lachelnd an.»Gott, sind Sie ein armseliger Gefahrte, Mr. Gulliver. Wie Sie sich mit solcher Hoffnungslosigkeit auf dem Ozean zurechtfinden, kann ich gar nicht begreifen.»
        Midshipman Henderson rief:»Der Spanier hat die Landspitze passiert, Sir!»
        Dumaresq brummte:»Sie haben gute Augen. «Fur Palliser fugte er hinzu:»Er steht vor einer Leekuste. Jetzt oder nie mu? etwas geschehen.»
        Bolitho pre?te die Hande fester zusammen, um sich zu beruhigen. Er sah reflektierte Blitze aus den abgewandten Stuckpforten der San Augustin schie?en und aus den Geschutzmundungen Rauchpilze aufsteigen und horte Sekunden spater auch das donnernde Krachen der Breitseite. Am Hang des Hugels stiegen Staubwolken wie Federbusche empor, und einige eindrucksvolle Steinlawinen polterten zum Wasser hinunter.
        Palliser sagte argerlich:»Wir mussen bald wenden, Sir.»
        Bolitho schaute zu ihm hinauf. Palliser hoffte, da? er nach der Destiny ein eigenes Kommando bekommen wurde, und machte auch kein Geheimnis daraus. Aber so lange Hunderte von Seeoffizieren bei halbem Lohn an Land warteten, bedurfte es schon mehr als nur einer freien Stelle, um ihm diese Beforderung zu bringen. Die Heloise hatte fur ihn ein Schritt in diese Richtung sein konnen. Aber Beforderungsausschusse hatten ein kurzes Gedachtnis, und die Heloise befand sich jetzt auf dem Meeresgrund und nicht in der Hand des Prisengerichts.
        Wenn Don Carlos Quintana Garricks Verteidigungsanlagen bezwang, wurde ihm der ganze Ruhm zufallen und die Admiralitat eine Beforderung Pallisers sicher nicht befurworten.
        Ein einzelner Knall war zu horen, und wieder stieg eine Wassersaule in einiger Entfernung vom Rumpf des Spaniers auf.
        Palliser sagte:»Garricks angebliche Starke war also nur ein Bluff. Die Dons werden sich uber uns totlachen. Wir haben den Schatz fur sie aufgespurt und durfen nun zusehen, wie sie ihn zuruckholen.»
        Bolitho sah die Rahen des Spaniers langsam und schwerfallig herumschwingen; gleichzeitig wurde sein Gro?segel aufgegeit, als er hinter einer weiteren Korallenbank vorbeiglitt. Fur die in der Lagune vor Anker liegenden Schiffe mu?te es ein bedrohlicher Anblick sein.
        Er horte jemanden murmeln:»Sie setzen Boote aus.»
        Bolitho sah, wie zwei Boote vom Oberdeck der San Augustin ausgeschwenkt und dann langsseit zu Wasser gebracht wurden. Das wurde nicht besonders geschickt gemacht, und als die Manner in die Boote kletterten und vom Schiff absetzten, begriff Bolitho, da? ihr Kommandant es nicht wagen durfte, vor einer Leekuste und angesichts der zusatzlichen Bedrohung durch schwere Kanonen beizudrehen.
        Die Boote nahmen weder Kurs auf die Korallenbank noch auf das Vorland der Kuste, sondern setzten sich vor ihr gro?es Mutterschiff und kamen damit schnell au?er Sicht. Aber nicht fur den Ausguck im Mast, der kurz darauf meldete, da? die Boote das Fahrwasser mit Blei und Schnur ausloteten, um zu verhuten, da? die San Augustin auf Grund lief.
        Bolitho beschlo?, die bitteren Bemerkungen Pallisers zu ignorieren und statt dessen die Geschicklichkeit und Kuhnheit des Spaniers zu bewundern. Don Carlos hatte sicherlich schon gegen Briten gekampft und lie? sich die Gelegenheit, sie zu beschamen, nicht entgehen.
        Als er aber einen Blick nach achtern warf, sah er, da? Dumaresq das andere Schiff eher wie ein uninteressierter Zuschauer betrachtete.
        Er wartete ab. Die Erkenntnis traf Bolitho wie ein Faustschlag. Du-maresq hatte ihnen allen etwas vorgemacht; er hatte den Spanier angestachelt - nicht umgekehrt.
        Auch Bulkley sah Dumaresqs Gesichtsausdruck und sagte heiser:»Ich glaube, jetzt begreife ich!»
        Der Spanier feuerte wieder nach Steuerbord, und der Pulverqualm trieb in einer dichten Bank nach Lee. Weitere Felsbrocken und Staubwolken wurden von den Kugeln emporgejagt, aber keine erschreckten Gestalten rannten aus ihrer Deckung; auch feuerte keine einzige Kanone auf das prachtig beflaggte Schiff.
        Dumaresq befahl:»Lassen Sie zwei Strich nach Steuerbord abfallen.»

«An die Leebrassen!»
        Die Rahen quietschten unter dem Gewicht der Manner an den Brassen, und der Kluverbaum der Destiny zeigte nun, leicht schrag geneigt, auf den flachen Hugel.
        Bolitho wartete, bis seine Leute auf ihre Stationen zuruckkamen. Er mu?te sich geirrt haben. Dumaresq holte wahrscheinlich aus, um anschlie?end zu wenden und - nachdem er einen gro?en Kreis geschlagen hatte - auf ihren ursprunglichen Kurs zuruckzukehren.
        In diesem Augenblick horte er eine doppelte Explosion, als schluge ein Fels durch eine Hauswand. Als er auf die andere Seite rannte und uber das Wasser blickte, sah er vor dem spanischen Schiff etwas in die Luft fliegen und dann ebenso schnell herabfallen und au?er Sicht kommen.
        Der Ausguck schrie von oben:»Eines der Boote ist getroffen, Sir! Glatt mittendurch gehauen!»
        Bevor sich die Manner an Deck von ihrer Uberraschung erholt hatten, spie die ganze Hugelkuppe aus vielen Kratern Feuer. Da oben mu?ten sieben oder acht gro?kalibrige Kanonen stehen.
        Bolitho sah das Wasser um den Spanier wie kochend aufwallen, in seinem backgebra?ten Gro?marssegel zeigte sich ein gezacktes Loch.
        Auch ohne Teleskop sah das recht gefahrlich aus; au?erdem schrie Palliser:»Das Segel glimmt! Gluhende Kugeln!»
        Die anderen Kugeln waren auf der abgewandten Seite des Spaniers eingeschlagen. Bolitho sah einen kurzen Sonnenreflex auf einem Fernglas blitzen, als einer der spanischen Offiziere den Hugel nach der verborgenen Batterie absuchte.
        Als dann die San Augustin abermals feuerte, antwortete sofort die geschickt postierte Landbatterie. Im Gegensatz zur geschlossenen Breitseite des Spaniers scho? die Landbatterie geschutzweise, und jede Kugel war sorgfaltig gezielt.
        Rauch stieg vom Oberdeck des Schiffes auf; Bolitho beobachtete, da? Gegenstande uber Bord geworfen wurden und da? aus der Hutte starker Qualm drang, da sich dort die Flammen festgefressen hatten.
        Dumaresq sagte:»Garrick hat den richtigen Augenblick abgewartet, Mr. Palliser. Er ist kein solcher Narr, da? er sich sein Fahrwasser durch ein versenktes Schiff versperren wurde. «Mit ausgestrecktem Arm zeigte er hinuber, als Fockbramstenge und - rah des Spaniers herunterflogen und ins Wasser fielen.»Schauen Sie gut hin. Da ware die Destiny jetzt, wenn ich der Versuchung nachgegeben hatte: Futter fur ihre Kanonen.»
        Das Geschutzfeuer des Spaniers wurde jetzt unregelma?ig und unkontrolliert; die Kugeln schlugen harmlos in soliden Fels oder riko-schettierten uber das Wasser wie fliegende Fische. Vom Deck der Destiny sah es aus, als sei die San Augustin uberall von Korallenbanken eingeschlossen, als sie mit durchlocherten Segeln, Qualm hinter sich herziehend, langsam in die Lagune hineintrieb.
        Palliser sagte:»Warum macht er jetzt nicht kehrt?»
        Sein Zorn auf den Spanier war offenbar der Sorge um das schwer mitgenommene Schiff gewichen. Es hatte so stolz und majestatisch ausgesehen. Jetzt trieb es, von dem gnadenlosen Bombardement gezeichnet, hilflos der Unterwerfung entgegen.
        Bolitho wandte sich um, als er den Arzt murmeln horte:»Ein Anblick, den ich nie vergessen werde. «Bulkley nahm seinen Kneifer ab und putzte ihn grundlich.»Wie die Verse, die ich einmal lernen mu?te: >Dort, wo das Meer in den Himmel verrinnt'/ zieht majestatisch ein Schiff seine Bahn./ Ein Freibrief des Konigs treibt es voran,/ kuhn flattern die Wimpel im Wind.<«Er lachelte traurig.»Nun klingt es wie eine Grabinschrift.»
        Eine neue Explosion drohnte uber das Wasser und brach sich an der Bordwand der Destiny. Sie sahen schwarze Rauchwolken uber die Lagune treiben und die vor Anker liegenden Schiffe ihren Blicken entziehen.
        Dumaresq sagte leise:»Er mu? kapitulieren. «Pallisers Einspruch ignorierend, setzte er hinzu:»Der Kommandant hat gar keine andere Wahl. «Er schaute uber sein eigenes Schiff und sah, da? Bolitho ihn beobachtete.»Was wurden Sie tun? Die Flagge streichen oder Ihre Leute verbrennen lassen?»
        Bolitho horte weitere Explosionen, die entweder von der Landbatterie oder aus dem Rumpf des Spaniers kamen. Solch ein herrliches Schiff, so schon anzusehen in all seiner hochmutigen Pracht, und jetzt lediglich Kanonenfutter! Er konnte es wie Bulkley kaum glauben. Wenn das ihnen passiert ware, dachte er, ihm und seinen Kameraden auf der Destiny! Der Gefahr sahen sie mutig ins Auge, das gehorte zu ihrem Beruf. Aber im Nu aus einer disziplinierten Einheit in einen hilflosen Menschenhaufen verwandelt zu werden, umzingelt von Renegaten und Piraten, die einen Mann auch fur einen Schnaps getotet hatten - das war ein Alptraum.

«Klar zum Wenden, Mr. Palliser. Wir wollen auf Kurs Ost gehen.»
        Palliser sagte nichts. Er malte sich wahrscheinlich aus, und das mit gro?erer Sachkenntnis als Bolitho, welche Verzweiflung jetzt an Bord des Spaniers Platz gegriffen hatte. Sie wurden sehen, wie sich die Masten der Destiny nach der Wende von der Insel entfernten, und damit ihre Niederlage als besiegelt betrachten.
        Dumaresq fugte hinzu:»Nachher will ich Ihnen meine weiteren Absichten erklaren.»
        Bolitho und Rhodes sahen einander an. Ihre Aufgabe war also noch nicht beendet. Sie hatte noch nicht einmal angefangen.
        Palliser schlo? schnell die Lamellentur, als befurchte er, da? ein Feind mithoren konnte.

«Alle versammelt, Sir. Das Schiff ist - wie befohlen - vollig verdunkelt.»
        Bolitho wartete mit den anderen Offizieren und Deckoffizieren in Dumaresqs Kajute; er fuhlte ihre Zweifel und Sorgen und teilte ihre Erregung.
        Den ganzen Tag hatte die Destiny in der sengenden Sonnenglut auf-und abgestanden, die Insel Fougeaux immer nahe querab, wenn auch nicht so nahe, da? sie von den Landbatterien erreicht werden konnte. Einige Stunden hatten sie noch gewartet, und einige von ihnen hatten sogar noch bis zuletzt gehofft, da? die San Augustin wieder auftauchen wurde, da? sie sich irgendwie aus der Lagune freigesegelt hatte, um zu ihnen zu sto?en. Aber es geschah nichts dergleichen. Doch hatte es auch keine schreckliche Explosion mit herumfliegenden Wrackteilen gegeben, die von der endgultigen Vernichtung des Spaniers gekundet hatte. Ware er in die Luft geflogen, so hatten die me i-sten der vor Anker liegenden Schiffe in Mitleidenschaft gezogen oder gar vernichtet werden konnen. Da? alles still blieb, wirkte also noch bedruckender.
        Dumaresq schaute in die gespannten Gesichter. Es war sehr hei? in der geschlossenen Kajute, und die Manner trugen alle nur Hemd und Hose. So sahen sie eher wie Verschworer aus als wie Offiziere des Konigs, dachte Bolitho.
        Dumaresq sagte:»Wir haben einen ganzen Tag abgewartet, meine Herren. Damit hat Garrick sicherlich gerechnet. Er hat jede unserer Bewegungen vorausgesehen, glauben Sie mir.»
        Midshipman Merrett schnuffelte und wischte sich die Nase mit dem Armel, aber Dumaresqs Blick lie? ihn erstarren.

«Garrick wird seine Plane sorgfaltig abgewogen haben. Er sollte wissen, da? ich in Antigua um Hilfe nachgesucht habe. Welche Chance wir auch hatten, ihn in seinem Schlupfwinkel festzunageln, bis Unterstutzung eintraf, sie zerrann, als die San Augustin ihre Vorstellung gab. «Er beugte sich uber den Tisch und legte beide Hande auf die Karte vor sich.»Nichts steht zwischen Garrick und seinen Zielen als dieses unser Schiff. «Er lie? seine Worte eine Zeitlang einwirken.»Ich hatte in dieser Hinsicht bislang keine Befurchtungen, meine Herren. Wir konnen es mit Garricks Flottille aufnehmen, wenn sie ausbricht, konnen alle Schiffe auf einmal bekampfen oder eins nach dem anderen uberwaltigen. Aber die Lage hat sich geandert. Diese Stille heute beweist es.»
        Palliser fragte:»Sie meinen, er wird die San Augustin gegen uns einsetzen, Sir?»
        Dumaresq funkelte ihn wegen der Unterbrechung argerlich an, doch sagte er fast milde:»Wie es jetzt aussieht, ja.»
        Fu?e scharrten, und Bolitho horte mehrere Stimmen in plotzlicher Erregung miteinander flustern.
        Dumaresq sagte:»Don Carlos Quintana wird sich ergeben haben, falls er nicht vorher gefallen ist. Fur ihn erhoffe ich letzteres. Denn er hatte von dieser Morderbande kaum Gnade erwarten konnen. Was bitte auch Sie nicht aus den Augen verlieren sollten. Habe ich mich klar genug ausgedruckt?»
        Bolitho bemerkte, da? er unbewu?t die Hande zusammenpre?te und wieder lockerte. Seine Wunde begann wieder zu pochen, und er mu?te zu Boden schauen, bis sein Kopf endlich klar wurde.
        Dumaresq sagte:»Sie werden sich an die ersten Schusse auf den Spanier erinnern - aus einer einzelnen Kanone auf der Westseite des Hugels. Die Schusse waren absichtlich schlecht gezielt, um die Eindringlinge in die Falle hineinzulocken. Als der Spanier dann an dem entscheidenden Punkt vorbei war, setzten sie ihre versteckte Batterie auf dem Hugel ein und verwendeten gluhende Kugeln, um Panik und anschlie?ende Kapitulation zu erzwingen. Dies gibt Ihnen eine Vorstellung von Garricks Schlaue. Er riskierte lieber, das Schiff in Brand zu schie?en, als es in seine sorgfaltig zusammengekaufte Flottille einbrechen zu lassen. Don Carlos ware bei einer normalen Beschie?ung wirklich weiter vorgedrungen, wenn ich auch bezweifle, da? er am Ende siegreich geblieben ware.»
        Uber ihren Kopfen waren Schritte zu horen, und Bolitho konnte sich denken, da? sich die von ihren Offizieren alleingelassenen Leute der Wache neugierig fragten, welche Plane dort unten ausgeheckt wurden und wer dafur spater mit seinem Leben bezahlen mu?te. Au?erdem sah Bolitho das abgedunkelte Schiff vor sich, wie es unter wenigen Segeln durch die finstere Nacht geisterte.

«Morgen wird Garrick uns immer noch beobachten und uberlegen, was wir vorhaben. Wir werden tagsuber weiter auf- und abpatrouillieren und nichts sonst. Das wird zweierlei bewirken: Garrick zeigt es, da? wir Verstarkung erwarten und au?erdem nicht die Absicht haben zu verschwinden. Er wird wissen, da? seine Uhr ablauft, und daher versuchen, die Entscheidung voranzutreiben.»
        Gulliver fragte besorgt:»Ware das nicht der falsche Weg, Sir? Warum lassen wir ihn nicht in Ruhe und warten auf das Geschwader?»

«Weil ich nicht glaube, da? das Geschwader kommt. «Dumaresq hielt dem erstaunten Blick des Masters gelassen stand.»Es ist gut moglich, da? Fitzpatrick, der stellvertretende Gouverneur, meinen Bericht zuruckhalt, bis er seiner Verantwortung enthoben ist. Dann aber ware es zu spat. «Er schenkte ihm ein kleines Lacheln.»Es hat keinen Zweck, Mr. Gulliver, Sie mussen Ihr Schicksal auf sich nehmen, wie auch ich es tue.»
        Palliser fragte:»Wir gegen einen Vierundvierziger, Sir? Und ich zweifle nicht, da? auch Garricks ubrige Fahrzeuge gut armiert und in Gefechtstaktik erfahren sind.»
        Dumaresq schien der Diskussion mehr und mehr uberdrussig zu werden.»Morgen nacht werde ich dicht an die Insel herangehen und vier Boote aussetzen. Ich kann es nicht wagen, selber die Einfahrt zu erzwingen, und das wei? Garrick. Seine Kanonen sind auf das Fahrwasser gerichtet, soda? ich aufjeden Fall im Nachteil ware.»
        Bolitho fuhlte, da? sich sein Magen zusammenzog. Eine Landeaktion also. So etwas war immer schwierig und weitgehend Gluckssache, selbst mit den erfahrensten Leuten.
        Dumaresq fuhr fort:»Einzelheiten werde ich mit Ihnen besprechen, wenn wir sehen, wie der Wind uns unterstutzt. Vorweg kann ich schon sagen: Mr. Palliser ubernimmt den Kutter und die Jolle und landet an der Sudostspitze der Insel. Das ist der am besten geschutzte Teil, und niemand wird hier einen Angriff erwarten. Mr. Palliser wird unterstutzt von Mr. Rhodes, Fahnrich Henderson und…«Seine Augen wanderten langsam zu Slade,»… von unserem altesten Steuermannsmaaten.»
        Bolitho sah mit schnellem Blick, da? Rhodes bla? geworden war. Auf seiner Stirn standen kleine Schwei?tropfen.
        Der alteste Fahnrich, Henderson, sah im Vergleich dazu ruhig und unternehmungslustig aus. Es war seine erste Bewahrungsprobe, und bald wurde er sich wie Palliser um eine Beforderung bemuhen wollen. Das stand in seinen Uberlegungen obenan, wenigstens so lange, bis es zur tatsachlichen Begegnung kam.

«Wir erwarten eine mondlose Nacht, und soweit ich aus den Anzeichen schlie?en kann, wird die See uns freundlich gesonnen sein. «Dumaresqs Gestalt schien mit seinen Ideen zu wachsen.»Als nachste wird die Pinasse ausgesetzt und auf die Riffe am nordostlichen Ende der Insel zuhalten.»
        Bolitho bemuhte sich, nicht den Atem anzuhalten. Er wu?te schon, was kommen wurde.
        So war es fast eine Erlosung, als Dumaresq sagte:»Mr. Bolitho, Sie ubernehmen das Kommando auf der Pinasse. Sie werden unterstutzt von den Midshipmen Cowdroy und Jury, au?erdem von einem erfahrenen Geschutzfuhrer mit vollstandiger Crew. Sie werden diese einzelne Kanone am Hugelabhang aufspuren, erobern und anschlie?end selber benutzen. «Er lachelte, aber in seinen Augen war keine Warme.»Leutnant Colpoys kann eine Korporalschaft ausgesuchter Scharfschutzen einteilen und mit ihnen Mr. Bolithos Aktion decken. Sie werden bitte dafur sorgen, da? Ihre Seesoldaten die Uniformrocke ablegen und sich so lassig kleiden wie Matrosen.»
        Colpoys war sichtlich entsetzt - nicht uber die Aussicht, da? er sein Leben verlieren konnte, sondern uber den Gedanken, seine Seesoldaten in etwas anderes gekleidet zu wissen als in ihre roten Waffenrok-
        ke.
        Dumaresq musterte prufend ihre Gesichter. Vielleicht um die Erleichterung bei denen abzulesen, die an Bord bleiben wurden, und die Sorgen bei denen, die fur den gewagten Angriffsplan eingeteilt waren.
        Er sagte langsam:»In der Zwischenzeit werde ich das Schiff gefechtsklar machen. Denn Garrick wird herauskommen, meine Herren. Er hat zu viel zu verlieren, wenn er drinnen bleibt, und da die Destiny der einzige Zeuge gegen ihn ist, wird er alles daransetzen, uns zu vernichten.»
        Sie waren jetzt ganz Ohr.

«Und dazu ware er gezwungen, weil ich ihn keinesfalls freiwillig vorbeilasse.
«Palliser stand auf.»Wir sind entlassen.»
        Sie bewegten sich in Richtung Tur, grubelten uber Dumaresqs Worte nach und hatten vielleicht noch ein Funkchen Hoffnung, da? der offene Kampf vermieden werden konnte.
        Rhodes sagte leise:»Nun, Dick, ich glaube, ich brauche einen tuchtigen Schluck, bevor ich heute nacht die Wache ubernehme. Mir liegt es nicht, uber Kommendem lange zu bruten.»
        Bolitho warf einen Blick auf die Midshipmen, als sie an ihnen vorbeigingen. Fur sie mu?te es noch viel schlimmer sein. Er sagte:»Solch eine Unternehmung habe ich schon mitgemacht. Ich nehme an, da? Sie und der Erste Offizier eines der vor Anker liegenden Schiffe herausholen sollen. «Er zitterte trotz aller Selbstbeherrschung. Ich bin nicht begeistert von der Aussicht, da? ich ihnen diese Kanone unter der Nase wegnehmen soll.»
        Sie sahen einander an, und schlie?lich sagte Rhodes:»Wer als erster von uns zuruckkommt, spendiert Wein fur die ganze Messe.»
        Bolitho wu?te darauf nichts zu antworten. Er tastete sich seinen Weg zum Niedergang und hinauf aufs Achterdeck, um seine Wache wieder zu ubernehmen.
        Ein gro?er Schatten loste sich vom Fu? des Besanmastes; Stockdale sagte in heiserem Flusterton:»Morgen nacht also, Sir?«Er wartete nicht auf eine Antwort. Das fuhle ich in meinen Knochen. «Er rieb sich die Hande in der Dunkelheit.»Sie beabsichtigen doch wohl nicht, jemand anderen als Geschutzfuhrer mitzunehmen?»
        Sein schlichtes Vertrauen half Bolitho mehr, seine Sorgen zu zerstreuen, als er fur moglich gehalten hatte.

«Wir bleiben beisammen. «Impulsiv beruhrte er Stockdales Arm.»Aber danach werden Sie den Tag verfluchen, an dem Sie zur See gegangen sind.»
        Stockdale schuttelte sich vor unterdrucktem Gelachter.»Niemals. Hier hat ein Mann Platz zum Atmen.»
        Yeames, der Steuermannsmaat der Wache, grinste.»Ich vermute, dieser verdammte Pirat wei? nicht, was ihm bevorsteht. Der alte Stockdale wird ihm schon den Bart stutzen.»
        Bolitho wechselte auf die Luvseite und marschierte dort langsam auf und ab. Wo mochte Aurora jetzt sein? Auf irgendeinem Schiff mit Kurs auf ein fremdes Land und ein Leben, das er nie mit ihr teilen konnte?
        Wenn sie jetzt nur hatte zu ihm kommen konnen wie in jener unverge?lichen Nacht. Sie hatte ihn verstanden, hatte ihn umarmt und die Furcht vertrieben, die ihn zu zerrei?en drohte. Und es war noch ein ganzer langer Tag zu uberstehen, bevor der nachste Akt begann. Eigentlich konnte er nicht noch einmal uberleben. Er nahm an, das Schicksal habe es nie anders vorgesehen.
        Midshipman Jury hielt die Hande uber das Kompa?licht, um die schwankende Scheibe abzulesen, und schaute dann hinuber auf die langsam dahinschreitende Gestalt. So wie Bolitho zu werden, war der einzige Lohn, den er sich jemals wunschte. So fest und zuversichtlich und nie ungeduldig oder schnell mit einem Anschnauzer bei der Hand wie Palliser oder mit einer bissigen Bemerkung wie Slade. Vielleicht war sein Vater in dem Alter so gewesen wie Richard Bolitho, dachte er. Er hoffte es wenigstens.
        Yeames rausperte sich und sagte:»Sie sollten jetzt besser die Morgenwache herauspfeifen, Sir, obwohl ich furchte, da? es heute noch ein langer Tag wird.»
        Jury eilte davon, dachte dabei an das, was vor ihm lag, und uberlegte, warum er sich eigentlich nicht mehr furchtete. Er begleitete den Dritten Offizier, und das war fur Jan Jury, vierzehn Jahre alt, eine Auszeichnung.
        Bolitho hatte vorausgesehen, da? das Warten schlimm werden wurde, aber als die Besatzung der Destiny im Lauf des Tages Ausrustung und Waffen fur die Landekommandos bereitlegte, merkte er, da? er mit seinen Nerven an einem kritischen Punkt angelangt war. Sooft er von seiner Arbeit aufblickte oder aus der kuhlen Dunkelheit einer Last an Deck kam, lag die kahle, feindselige Insel vor ihm. Obwohl er wu?te, da? die Destiny wahrend des Tages immer wieder auf Gegenkurs ging, schien es, als hatten sie sich uberhaupt nicht bewegt und als ob die Insel mit ihrem Festungshugel auf etwas wartete. Auf ihn wartete.
        Gegen Abend legte Gulliver das Schiff auf einen neuen Kurs, der es gut frei von der Insel hielt. Die Ausgucks im Mast hatten keinerlei Bewegung in der Lagune beobachtet, doch Dumaresq bezweifelte nicht, da? Garrick jede ihrer Bewegungen beobachtete. Die Tatsache, da? die Destiny nie naher herangekommen war, mochte seine Zuversicht erschuttern und ihn in der Annahme bestarken, da? Hilfe fur die einsame Fregatte unterwegs war.
        Schlie?lich rief Dumaresq seine Offiziere nach achtern und in die Kajute. Es war beinahe so hei? und stickig wie das letztemal, jeder Luftzug wurde durch die geschlossenen Fenster unterbunden, so da? sie alle binnen kurzem in Schwei? gebadet waren.
        Sie gingen alle Punkte wieder und wieder durch. Von daher konnte eigentlich nichts schiefgehen. Sogar der Wind begunstigte sie. Er kam weiter aus Sudwesten, und obwohl er etwas frischer als bisher wehte, gab es keine Anzeichen, da? er gegen sie drehen konnte.
        Dumaresq beugte sich uber den Tisch und sagte sehr ernst:»Es ist soweit, meine Herren. Wenn wir jetzt auseinandergehen, werden Sie Ihre Boote klarmachen. Ich kann Ihnen nur den verdienten Erfolg wunschen. Ihnen lediglich Gluck zu wunschen, kame einer Beleidigung nahe.»
        Bolitho versuchte, sich Glied fur Glied zu entspannen, denn er konnte die Unternehmung nicht so verkrampft wie jetzt beginnen. Jeder kleinste Fehler wurde ihn sonst zerbrechen, das wu?te er.
        Er zupfte an seinem na?geschwitzten Hemd und dachte daran, wie er damals ein neues Hemd angezogen hatte, nur weil er sich mit Aurora an Deck treffen wollte. Vielleicht war dies jetzt eine ebenso sinnlose Geste. Anders als der Brauch, vor einem Gefecht auf See saubere Wasche anzuziehen, damit bei einer Verwundung eine Infektion vermieden wurde. Aber auf der schrecklichen Insel wurde es keinen Bulkley geben.
        Dumaresq sagte:»Ich beabsichtige, den Kutter und die Jolle in einer Stunde auszusetzen. Um Mitternacht sollten wir dann auf der richtigen Position sein, um auch Pinasse und Barkasse zu fieren. «Sein Blick ruhte auf Bolitho.»Ihre Leute werden hart zu pullen haben, aber dafur wird die Deckung besser sein. «Er zahlte die einzelnen Punkte noch einmal an den Fingern ab.»Vergewissern Sie sich, da? Musketen und Pistolen ungeladen bleiben, bis keine Panne mehr passieren kann. Prufen Sie alle Gerate, die Sie brauchen, bevor Sie ins Boot steigen. Und sprechen Sie mit Ihren Leuten. «Er sagte es freundlich, beinahe herzlich.»Sprechen Sie mit ihnen. Die Leute sind Ihre Starke und werden Sie beobachten, ob Sie allem gerecht werden.»
        Fu?e trampelten uber ihren Kopfen, und Taljen wurden gerauschvoll uber Deck geschleift. Die Destiny drehte bei.
        Dumaresq schlo? seine Ansprache:»Morgen ist Ihr schwerster Tag, Mr. Bolitho. Sie liegen im Versteck und tun gar nichts. Wenn Sie entdeckt werden, kann ich Ihnen nicht helfen.»
        Midshipman Merrett klopfte an und rief:»Meldung von Mr. Yeames, Sir: wir haben beigedreht.»
        Die Meldung schien uberflussig, da sie es langst an den unruhigen Bewegungen der Kajute gemerkt hatten; darum grinsten einige der Anwesenden und stie?en einander an. Sogar Rhodes, von dem Bolitho wu?te, da? er sich vor dem Kommenden schrecklich furchtete, lachelte breit. Die gleiche verruckte Stimmung schien zuruckzukehren. Vielleicht war es besser so.
        Sie verlie?en die Kajute und waren bald darauf in ihren jeweiligen Gruppen untergetaucht.
        Bootsmann Timbrells Hei?kommando hatte schon die Jolle ausgesetzt, und kurz darauf folgte ihr der Kutter uber die Hangemattsnetze in das gegen die Bordwand klatschende Wasser. Plotzlich war fur nichts anderes mehr Zeit. In der alle umhullenden Dunkelheit stie?en ein paar Hande vor fur einen kurzen Klaps auf die Schulter, und einige Stimmen flusterten Freunden oder Kameraden» viel Gluck «oder» zeigt es ihnen «zu. Und dann lag auch das hinter ihnen, und die Boote, die bis dahin langsseits in der Dunung gedumpelt hatten, machten sich auf den Weg zur Insel.

«Bringen Sie das Schiff wieder in Fahrt, Mr. Gulliver. «Dumaresq drehte der See den Rucken zu, als hatte er sich Palliser und die beiden Boote schon aus dem Kopf geschlagen.
        Bolitho sah Jury mit dem jungen Merrett sprechen und fragte sich, ob Merrett froh war, da? er an Bord bleiben durfte. Es war unglaublich, wieviel sich in diesen wenigen Monaten ereignet hatte, seit sie als Besatzung erstmals zusammengekommen waren.
        Dumaresq trat leise heran.»Sie mussen noch warten, Mr. Bolitho. Ich wollte, ich konnte das Schiff fur Sie beschleunigen. «Er lachte in sich hinein.»Aber es gab noch nie einen bequemen Weg zum Erfolg.»
        Bolitho beruhrte seine Narbe mit einem Finger. Bulkley hatte die
        Nahte entfernt, und trotzdem war er noch immer nicht sicher, ob ihn nicht wieder die heftigen Schmerzen packen wurden und das gleiche Gefuhl der Verzweiflung, das ihn ergriffen hatte, als er niedergehauen worden war.
        Dumaresq sagte plotzlich:»Mr. Palliser und seine wackeren Leute sind jetzt auf halbem Wege. Aber ich darf nicht langer an sie denken, weder an sie als Untergebene, noch als Freunde, bis alles voruber ist. «Er wandte sich ab und setzte nur noch kurz hinzu:»Eines Tages werden Sie mich verstehen.»



        XV Mut im rechten Augenblick

        Bolitho versuchte, sich in der auf und ab tanzenden Pinasse zu erheben, und griff als Halt nach Stockdales Schulter. Trotz der nachtlichen Kuhle und der Spritzer, die bei dem Seegang unaufhorlich uber das Setzbord schlugen, war ihm hei? wie im Fieber. Je naher das Boot der kaum sichtbaren Insel kam, desto schwieriger wurde es. Und dabei hatten die Manner geglaubt, der erste Teil ihrer Fahrt, als sie vom Mutterschiff abgesetzt hatten und mit Einsatz aller Krafte dem Ufer entgegengepullt waren, ware der schlimmere Teil gewesen. Jetzt wu?ten sie es besser, nicht zuletzt der Dritte Offizier.
        Anfangs nur gelegentlich, dann immer haufiger, rauschten sie an gischtuberspruhten, gezackten Felsspitzen oder Korallenbanken vorbei, wobei es oft den Anschein hatte, als ob diese und nicht das Boot sich bewegten.
        Keuchend und fluchend muhten sich die Ruderer, gleichen Schlag zu halten, aber das wurde immer wieder unmoglich gemacht, wenn einer von ihnen seinen Riemen aus der Rundsei ziehen mu?te, um zu verhindern, da? das Blatt an einer Felsspitze zersplitterte.
        Das standige Herumgeschleudertwerden machte das Nachdenken schwierig; Bolitho mu?te sich sehr anstrengen, um sich Dumaresqs Anweisungen und Gullivers dustere Voraussagen fur ihre letzte Wegstrecke in Erinnerung zu rufen. Kein Wunder, da? Garrick sich hier sicher fuhlte. Kein gro?eres Schiff konnte es wagen, sich durch diesen Irrgarten von Korallen- und Felsblocken der Insel zu nahern. Fur die Pinasse war es schon schwierig genug. Bolitho wagte gar nicht, an die vierunddrei?ig Fu?[ca. 10 m] lange Barkasse der Destiny zu denken, die ihnen irgendwo achteraus folgte. In dem Boot befanden sich Colpoys und seine Scharfschutzen, ferner eine zusatzliche Ladung Schie?pulver. Wie mochte es jetzt Pallisers gro?er Gruppe gehen, die an der Sudwestseite der Insel abgesetzt worden war? Und was machten Bolithos eigene Manner an Bord? Dumaresq war nun knapp an Leuten. Wenn er angegriffen wurde, mu?te er ausweichen. Der Gedanke, Dumaresq auf der Flucht zu wissen, war so absurd, da? er Bolitho irgendwie Kraft gab.

«Wahrschau! Direkt voraus!«Das war Bootsmannsmaat Ellis Pearse im Bug. Er war ein erfahrener Seemann und hatte den letzten Teil ihres Weges immer wieder mit Bleigewicht und Leine gelotet. Jetzt betatigte er sich auch als Ausguck, weil immer neue Felsen aus der Finsternis vor ihnen auftauchten.
        Der Larm, den sie im Boot machten, schien so gro? zu sein, da? man sie vom Ufer aus horen mu?te. Doch Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? das Getose der Brandung das Geklapper der Riemen und ihre verzweifelten Anstrengungen, sich mit Bootshaken und Fausten einen Weg durch die morderischen Felsen zu erkampfen, ubertonte. Bei Mondlicht, und wenn es noch so schwach gewesen ware, hatte es anders ausgesehen. Seltsamerweise hob sich fur einen aufmerksamen Wachter an Land ein kleines Boot besser ab als ein vollgetakeltes Schiff. Das hatte schon mancher Schmuggler an der Kuste von Corn-wall zu seinem Leidwesen erfahren.
        Pearse rief heiser:»Land voraus!»
        Bolitho hob eine Hand zum Zeichen, da? er verstanden hatte, und fiel fast der Lange nach hin.
        Noch sah es so aus, als wolle der mahlende Strom zwischen den Felsen niemals enden. Doch dann sah auch er es: die schwache Andeutung von Land, das sich uber der wehenden Gischt erhob. Und es kam schnell naher.
        Er grub die Finger in Stockdales Schulter. Sie fuhlte sich unter dem durchna?ten Hemd an wie Eichenholz.

«Vorsicht jetzt, Stockdale! Etwas mehr nach Steuerbord!»
        Josh Little, der Stuckmeistersmaat, knurrte:»Zwei Mann fertigmachen zum Au?enbordsgehen!»
        Bolitho sah zwei Matrosen uber dem schaumenden Wasser hocken und hoffte, da? er die Tiefe nicht falsch eingeschatzt hatte.
        Irgendwo hinter sich horte er ein Knirschen und dann das heftige Schlagen von Riemen, die sich muhten, die Barkasse wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie hatte wohl den letzten gro?en Felsbrocken gestreift, dachte Bolitho.
        Little lachte in sich hinein.»Ich wette, da haben die Ochsen vor Angst gezittert.
«Dann stie? er den ihm am nachsten hockenden Mann an.»Los!»
        Der Matrose glitt nackt, wie er auf die Welt gekommen war, uber das Rundselbord, hing einen Augenblick strampelnd und Wasser spuckend daran und keuchte dann: Sandiger Grund!»

«Auf Riemen!«Stockdale legte hart Ruder.»Streich Steuerbord, Ruder an Backbord!»
        Es gelang ihnen, die Pinasse zu drehen und mit Hilfe der beiden ins Wasser gesprungenen Manner mit dem Heck voran auf den Strand zu setzen.
        Stockdale hatte das Ruder ausgehakt und hob es so muhelos ins Boot wie jemand, der einen Stock von der Stra?e aufsammelt. Eine Welle hob die Pinasse noch einmal an und setzte sie gerauschvoll hoher auf den Sand.

«Ausladen!»
        Bolitho kampfte sich gegen die zuruckflutenden Wellen, die ihm die Beine wegziehen wollten, den Strand hinauf. Hinter ihm stolperten Manner, die ihre Waffen an Land trugen, wahrend andere ins tiefere Wasser wateten, um die Barkasse auf einen sicheren Streifen Sand zu lenken.
        Der erste Matrose, der abgeteilt worden war, ins Wasser zu gehen, zog muhsam Hose und Hemd wieder uber den nassen Korper, aber Little sagte:»Spater, Kamerad! Jetzt enter erst mal selber auf!»
        Jemand lachte, als der triefende Matrose vorbeihupfte, und wieder einmal staunte Bolitho, da? die Manner auch in dieser Lage noch Sinn fur Humor hatten.

«Hier kommt die Barkasse!»
        Little stohnte:»Himmel und Holle, die sehen aus wie ein Haufen verdammter Kirchendiener!«Er gab seinem Bauch einen Schwung nach oben, stampfte wieder hinunter in die Brandung und lie? seine
        Stimme wie einen Peitschenhieb auf das Durcheinander von Mannern und Riemen niedersausen.
        Midshipman Cowdroy kletterte bereits mit einigen Mannern einen steilen Abhang an der linken Seite des Strandes hinauf. Jury war beim Boot geblieben und uberwachte das Ausladen der letzten Waffen, des Pulvers und der Kanonenkugeln sowie ihres knappen Proviants; von Hand zu Hand wurden sie bis zu einem geschutzten Platz den Hugel hinaufgereicht.
        Leutnant Colpoys kam durch den Sand gestapft und rief verzweifelt:»Mein Gott, Richard, gibt es denn keine einfachere Art, eine Schlacht zu schlagen?«Er hielt an und beobachtete seine Seesoldaten, die vorbeischlurften und dabei ihre langen Musketen uber die Kopfe hielten, um sie vor Gischt und Sandkornern zu schutzen. Zehn ausgesuchte Scharfschutzen«, bemerkte er mehr zu sich selber,»und verdammt uberflussig, wenn Sie mich fragen.»
        Bolitho blickte den Hugel hinauf. Es war knapp zu erkennen, wo sich sein Gipfel vom Himmel abhob. Sie mu?ten ohne Verzug hinuber und in ein Versteck kommen. Knapp vier Stunden hatten sie dafur noch.

«Los!«Er wandte sich um und winkte den beiden Booten zu.»Sie konnen zuruckfahren. Viel Gluck.»
        Er hatte sich bemuht, seine Stimme zu dampfen, aber trotzdem hielten die nachststehenden Leute an, um noch einen Blick zuruck auf die Boote zu werfen. In ein oder zwei Stunden wurden diese Boote wieder sicher auf ihren Klampen an Bord stehen, ihre Besatzungen konnten sich ausruhen und die Spannung und Gefahr vergessen, in der sie sich befunden hatten.
        Wie schnell sie sich entfernten, dachte Bolitho. Ohne das Gewicht von Passagieren und Waffen verschwanden sie binnen kurzem in der Dunkelheit und waren nur noch einen Augenblick an den Spritzern zu erkennen, die ihre Riemenblatter aufwarfen.
        Colpoys sagte leise:»Weg sind sie. «Er musterte sein Seeoffiziershemd und die flauschige Kniehose.»Dieses Rauberzivil werde ich nie verwinden. «Doch dann grinste er plotzlich.»Andererseits, wenn der Oberst mich bei unserer nachsten Begegnung so sieht, wird er wenigstens mal Notiz von mir nehmen. Meinen Sie nicht auch?»
        Midshipman Cowdroy kam den Abhang hinuntergeschliddert.»Soll ich Spaher vorschicken, Sir?»
        Colpoys sah ihn kuhl an.»Ich schicke zwei meiner Leute. «Er gab einen knappen Befehl, und schon verschmolzen zwei Seesoldaten wie Geister mit der Finsternis.
        Bolitho sagte:»Diese Aufgabe pa?t besser zu Ihnen, John. «Er wischte sich die Stirn mit dem Hemdsarmel.»Sagen Sie's mir, wenn ich etwas falsch mache.»
        Colpoys zuckte die Schultern.»Ich ziehe meine Aufgabe auch der Ihrigen vor. «Er klopfte Bolitho auf den Arm.»Aber wir stehen oder fallen zusammen. «Er schaute sich nach seinem Burschen um.»Laden Sie meine Pistolen und halten Sie sich in meiner Nahe, Thomas.»
        Bolitho schaute nach Jury aus, aber der stand bereits neben ihm.»Fertig?»
        Jury nickte entschlossen.»Aye, Sir, fertig.»
        Bolitho zogerte noch und blickte hinunter auf den schmalen Sandstreifen, auf dem sie gelandet waren. Die Brandung schaumte wie eh und je zwischen den Riffen, und die Spuren der Bootskiele im Sand waren bereits fortgespult. Kaum zu glauben, da? dies die gleiche kleine Insel war. Vier Meilen lang und knapp zwei Meilen von Nord nach Sud breit. Jetzt sah sie aus wie Festland, aber bei Tage wurde man ihre engen Grenzen merken.
        Colpoys verstand sein Metier. Bulkley hatte erwahnt, da? der adrette Seesoldat fruher in einem Linienregiment gedient hatte, und das zeigte sich jetzt. Er wahlte seine Wachtposten gut aus, schickte seine besten Spaher vorweg und uberlie? den weniger leichtfu?igen Matrosen den Transport von Proviant, Pulver und Eisenkugeln. Insgesamt waren sie drei?ig Mann, und Palliser hatte etwa die gleiche Zahl. Dumaresq wurde dankbar sein, da? er wenigstens die Bootsbesatzungen zuruckbekam, dachte Bolitho.
        Und doch: Trotz der sicheren Art, wie Colpoys die Manner in kleine Gruppen einteilte und sonstige Anordnungen traf, hatte Bolitho der Tatsache ins Auge zu sehen, da? er die Verantwortung trug. Als die Manner zu beiden Seiten ausschwarmten, uber lose Steine stolperten oder im Sand ausrutschten, war er zufrieden, da? er die Sorge um ihre Sicherheit zunachst Colpoys scharfaugigen Spahern uberlassen konnte.
        Bolitho zwang sich, eine plotzliche Unruhe zu unterdrucken. Es war genau wie damals, als er seine erste selbststandige Wache angetreten hatte, als das Schiff durch die finstere Nacht brauste und er der einzige war, der durch einen Befehl oder einen Schrei um Hilfe etwas daran hatte andern konnen.
        Er horte schwere Schritte neben sich und sah Stockdale vorbeigehen, sein breites Entermesser uber der Schulter. Es fiel Bolitho leicht, sich vorzustellen, wie Stockdale ihn damals zum Boot getragen hatte. Ohne diesen seltsamen Mann mit der rauhen Stimme ware er jetzt tot gewesen. Es war beruhigend, ihn wieder neben sich zu haben.
        Colpoys sagte:»Nicht mehr weit«, und spuckte Sandkorner aus.»Wenn dieser Narr Gulliver sich geirrt hat, spalte ich ihn wie ein Schwein in zwei Halften. «Er lachte leise.»Aber wenn er wirklich unrecht hatte, wird mir dieses Vergnugen kaum noch gegonnt sein.»
        Ein Mann rutschte in der Dunkelheit aus und fiel hin, wobei sein Entermesser und die Kartatschenkugel, die er trug, heftig klapperten. Einen Augenblick erstarrten sie, bis ein Seesoldat rief:»Alles ruhig,
        Sir.»
        Bolitho horte ein lautes Klatschen und wu?te, da? Cowdroy den unaufmerksamen Seemann mit der flachen Seite seines Sabels geschlagen hatte. Falls Cowdroy den Leuten im Gefecht je den Rucken wandte, wurde er seine Beforderung zum Leutnant kaum erleben, so unbeliebt war er.
        Bolitho schickte Jury voraus; als dieser keuchend und au?er Atem zuruckkam, meldete er:»Wir sind da, Sir. «Er machte eine Handbewegung zur Kuppe des Hugels. Ich konnte die See horen.»
        Colpoys schickte seinen Burschen aus, die Spaher anzuhalten.»Soweit ging's gut. Wir mussen jetzt in der Mitte der Insel sein. Wenn es hell genug ist, werde ich unsere genaue Position bestimmen.»
        Seesoldaten und Matrosen, die beide den scharfen Marsch uber unebenen Boden nicht gewohnt waren, hockten sich zusammen unter eine uberhangende Felsnase. Es war dort kuhl und roch faulig, als seien Hohlen in der Nahe.
        In wenigen Stunden mu?te es hier sein wie in einem Ofen.

«Stellen Sie Posten auf. Dann wollen wir Lebensmittel und Wasser ausgeben. Es kann lange dauern, bis wir dazu wieder Gelegenheit haben. «Bolitho schnallte seinen Sabel ab und lehnte sich mit dem
        Rucken an den nackten Fels. Er dachte an seine Kletterpartie mit dem Kommandanten, bei der er vom Gro?mast aus diese kahle, bedrohliche Insel zum erstenmal gesehen hatte. Nun war er hier.
        Jury beugte sich uber ihn.»Ich wei? nicht recht, wo ich die Posten auf dem Steilhang aufstellen soll, Sir.»
        Bolitho schaffte es irgendwie, auf die Fu?e zu kommen.

«Kommen Sie, ich zeige es Ihnen. Das nachste Mal wissen Sie's dann.»
        Colpoys, der gerade eine Feldflasche mit warmem Wein an die Lippen hielt, setzte sie ab und beobachtete, wie sie in der Dunkelheit verschwanden. Der Dritte Offizier hatte sich seit Plymouth sehr herausgemacht, dachte er. Er mochte noch sehr jung sein, aber er handelte mit der Autoritat eines Veteranen.
        Bolitho wischte den Staub von seinem Fernrohr und versuchte, seinen bauchlings ausgestreckten Korper in eine einigerma?en bequeme Lage zu bringen. Es war noch fruher Morgen, aber der Sand und die Felsen waren schon hei?, und seine Haut juckte so, da? er gern sein Hemd heruntergerissen und sich uberall gekratzt hatte. Colpoys rutschte heran und hielt ihm eine Handvoll trockenes Gras hin.»Beschatten Sie die Linse damit. Es braucht nur ein Sonnenstrahl reflektiert zu werden, und schon wird Alarm geschlagen.»
        Bolitho nickte nur, um Stimme und Atem zu schonen. Er hob das Fernglas sehr vorsichtig und schwenkte es langsam von der einen Seite zur anderen. Es gab mehrere kleine Kuppen wie die, hinter der sie sich vor dem Feind und der Sonne versteckt hatten, aber alle wurden uberragt von dem kahlen Hugel. Er verbarg die offene See, die direkt dahinter liegen mu?te, aber an seiner rechten Seite sah Bolitho das Ende der Lagune und einige der sechs dort ankernden Schiffe. Alles Schoner, soweit er erkennen konnte, und alle wie festgenagelt im blendenden Sonnenlicht. Nur ein kleines Beiboot zeichnete Muster auf die glitzernde Wasserflache. Dahinter und sie umfassend lief der gebogene Arm aus Fels und Korallen nach links weiter, doch die schmale Fahrrinne zur offenen See war ebenfalls durch den Hugel verdeckt.
        Bolitho schwenkte das Glas abermals und konzentrierte sich auf das Land am entfernten Ende der Lagune. Nichts bewegte sich, und doch mu?ten Palliser und seine Leute dort, wo sie gelandet waren, im Versteck liegen, mit der See im Rucken. Er schatzte, da? die San Augustin, wenn sie noch schwamm, auf der anderen Seite des Hugels unterhalb der Batterie lag, von der sie bezwungen worden war.
        Colpoys hatte sein Teleskop auf das Westende der Insel gerichtet.»Da, Richard - Hutten. Eine ganze Reihe.»
        Bolitho stellte sein Fernglas darauf ein und setzte es kurz ab, um sich den Schwei? aus den Augen zu wischen. Die Hutten waren klein, roh gebaut und besa?en keine Fenster. Wahrscheinlich dienten sie nur als Lager fur Waffen und Beutegut, dachte er. Das Glas beschlug, und als es wieder klar war, sah er eine kleine Gestalt auf der Spitze einer niedrigen Kuppe erscheinen: ein Mann in wei?em Hemd, der seine Arme reckte und anscheinend gahnte. Erwanderte gemutlich zum Abhang, und was Bolitho fur eine Muskete gehalten hatte, erwies sich als langes Fernrohr. Dies zog er ohne Hast auseinander und begann damit die See abzusuchen, von links nach rechts und vom Ufer bis zur harten blauen Linie des Horizonts. Mehrmals kehrte sein prufender Blick auf einen Punkt zuruck, der fur Bolitho durch den Hugel ve r-deckt war. Aber er nahm an, da? der Ausguck die Destiny gesichtet hatte, die - scheinbar wartend wie bisher - vor der Insel kreuzte. Der Gedanke an das Schiff erfullte sein Herz mit Sehnsucht und Verlassenheit.
        Colpoys sagte leise:»Das ist der Platz, wo die Kanone stehen mu?. Unsere Kanone«, setzte er betont hinzu.
        Bolitho versuchte es noch einmal, doch im zunehmenden Dunst schienen die Kuppen vor seinen Augen abwechselnd zu ve rschmelzen und sich dann wieder zu trennen. Aber der Seesoldat hatte recht. Direkt hinter dem einsamen Ausguck erhob sich ein mit Segeltuch zugedeckter Hocker. Die einzelne Kanone, die den Spanier durch ihre schlechte Schie?leistung uber den entscheidenden Punkt hinausgelockt hatte, war wahrscheinlich darunter versteckt.
        Colpoys flusterte:»Die haben sie sicher dort aufgestellt, um die unten ankernden Prisenschiffe zu decken.»
        Sie sahen einander an, denn auf einmal war ihnen die Bedeutung ihrer Aufgabe klargeworden. Die Kanone mu?te genommen werden, bevor Palliser es wagen konnte, aus seinem Versteck zu kommen. Wenn er vorher entdeckt wurde, konnte ihn die geschickt postierte Kanone an seinem Platz festnageln und in Ruhe abschlachten. Wie um diesen Gedanken zu unterstreichen, kamen einige Leute uber die Seite des Hugels und marschierten auf die Hutten zu.
        Colpoys sagte:»Gro?er Gott, schauen Sie sich das an! Es mussen mindestens hundert Mann sein!»
        Und es waren bestimmt keine Gefangenen. Sie gingen zu zweien oder zu dreien und wirbelten Staub auf wie eine ganze Armee. Auf der Lagune zeigten sich einige Boote, und an ihrem Ufer waren weitere Leute mit langen Stangen und Taurollen zu sehen. Es hatte den Anschein, als richteten sie einen Behelfskran auf, um Lasten in die Boote hinunterzulassen.
        Dumaresq hatte recht gehabt, wieder einmal: Garricks Manner bereiteten alles zum Verlassen der Insel vor.
        Bolitho sah Colpoys an.»Nehmen wir mal an, wir hatten uns geirrt, was die San Augustin betrifft. Aber da? wir sie nicht sehen, hei?t noch nicht, da? sie unbenutzbar ist.»
        Colpoys schaute immer zu den Mannern bei den Hutten hinuber.»Ich stimme Ihnen zu. Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden. «Er drehte den Kopf, als Jury atemlos den Hang hochkam.»Bleiben Sie in Deckung!»
        Jury bekam einen roten Kopf und warf sich neben Bolitho zu Boden.»Mr. Cowdroy mochte wissen, ob er noch Wasser ausgeben darf, Sir. «Sein Blick wanderte uber Bolitho hinweg zu dem geschaftigen Treiben am Ufer.

«Noch nicht. Sagen Sie ihm, er soll die Leute gut versteckt halten. Wenn sich einer sehen oder horen la?t, sind wir alle erledigt. «Er machte eine Kopfbewegung zur Lagune hin.»Danach kommen Sie zuruck. Haben Sie Lust auf einen kleinen Spaziergang?«Er sah, da? die Augen des Jungen sich weiteten und gleich wieder zusammenzogen.»Ja, Sir.»
        Als Jury au?er Sicht war, fragte Colpoys:»Warum Jury? Er ist doch noch ein Junge!»
        Bolitho hob sein Glas wieder ans Auge.»Morgen im ersten Tageslicht wird die Destiny einen Scheinangriff auf die Einfahrt machen. Das ist schon Wagnis genug. Aber wenn sie au?er von der Batterie auf dem Hugel auch noch von der Artillerie der San Augustin aufs Korn genommen wird, konnte sie schwer beschadigt, ja zum Wrack geschossen werden. Wir mussen also wissen, was uns bevorsteht. «Er machte eine Kopfbewegung zum anderen Ende der Lagune.»Der Erste Offizier hat seine Befehle. Er wird in dem Augenblick angreifen, in dem die Verteidiger der Insel durch die Destiny abgelenkt sind. «Er begegnete dem beunruhigten Blick des Seesoldaten und hoffte, da? er uberzeugender wirkte, als ihm zumute war.»Und wir mussen Palliser helfen. Wenn ich die Lage nuchtern betrachte, komme ich zu dem Schlu?, da? Sie bei dieser Unternehmung der wichtigere von uns beiden sind. Darum werde ich gehen und Mr. Jury als Melder mitnehmen. «Er sah zur Seite.»Wenn ich heute falle…»
        Colpoys druckte seinen Arm.»Sie - fallen? Dann werden wir Ihnen so schnell folgen, da? Petrus Muhe bei der Einla?kontrolle hat.»
        Gemeinsam schatzten sie die Entfernung zum niedrigen Nachbarhugel. Jemand hatte ein Stuck des Segeltuchs hochgerollt, und darunter war jetzt deutlich ein Rad zu erkennen, das Rad einer Landkanone.
        Colpoys sagte bitter:»Franzosisches Fabrikat, darauf halte ich jede Wette.»
        Jury kam zuruck und wartete, da? Bolitho ihn ansprach. Bolitho loste seinen Sabelgurt und gab ihn dem Seesoldaten. Dann sagte er zu Jury:»Lassen Sie alles hier, au?er Ihrem Dolch. «Er versuchte ein Lacheln.»Wir wandern wie Landstreicher mit leichtem Gepack.»
        Colpoys schuttelte den Kopf.»Sie werden auffallen wie wei?e Meilensteine!«Er hielt ihnen seine Feldflasche hin.»Begie?en Sie sich damit, und walzen Sie sich anschlie?end im Staub. Das nutzt, wenn auch nicht viel.»
        Schlie?lich waren sie - schmutzig und zerknittert - fertig zum Gehen.
        Colpoys sagte:»Vergessen Sie nicht: kein Pardon! Es ist besser zu sterben, als von diesen Barbaren gefangen zu werden.»
        Einen steilen Abhang hinab und dann in eine enge Schlucht. Bolitho hatte den Eindruck, da? jeder fallende Stein so viel Larm machte wie ein Felsrutsch. Und doch war es hier seltsam friedlich. Wie Colpoys schon festgestellt hatte, gab es keine Vogelexkremente, woraus zu schlie?en war, da? Vogel nur selten in diese ode Gegend kamen. Nichts hatte ihren heimlichen Vormarsch eher verraten als der kreischende Protest von aus ihren Nestern aufgescheuchten Seevogeln.
        Die Sonne stieg hoher, und die Felsen gluhten vor Hitze. Sie zogen sich die Hemden aus und wickelten sie wie Turbane um ihre Kopfe; da jeder seine blanke Waffe in der Faust trug, sahen sie mindestens so sehr nach Piraten aus wie die Manner, auf die sie Jagd machten. Jury packte Bolithos Arm.»Da oben! Ein Posten!«Bolitho ri? Jury mit sich zu Boden. Er fuhlte, wie die Spannung des Kadetten nacktem Entsetzen wich, denn der» Posten «war einer von Don Carlos' Offizieren. Seine Leiche war an einen in der Sonne stehenden Pfahl genagelt, und seine einst schmucke Uniform war blutdurchtrankt.
        Jury flusterte:»Seine Augen! Sie haben ihm die Augen ausgestochen!»
        Bolitho schluckte krampfhaft.»Kommen Sie, wir haben noch ein langes Stuck vor uns.

        Schlie?lich erreichten sie einen Haufen loser Steinblocke, von denen einige frische Bruchkanten und auch Schwarzungen aufwiesen. Bolitho schlo? daraus, da? sie von der einleitenden Breitseite der San Augustin weiter oben ausgebrochen worden und heruntergerollt waren.
        Er warf sich zwischen zwei Blocke, fuhlte ihre Hitze auf seiner Haut brennen und gleichzeitig ein schmerzendes Pochen in der Narbe uberm Auge, als er sich tiefer in einen Spalt pre?te, wo man ihn nicht sehen konnte. Jury quetschte sich daneben, und Bolithos Schwei? tropfte auf ihn, als er langsam den Kopf hob und auf die Lagune hinunterschaute.
        Er hatte erwartet, da? der eroberte Spanier auf Grund lag oder von den siegreichen Piraten abgetakelt und ausgeplundert wurde, doch was er sah, war ein Bild bester Effektivitat und Disziplin. Die San Augustin lag sauber vor Anker, auf ihrem Oberdeck und auf den Masten und Rahen wimmelte es von Menschen. Sie hammerten, sagten, splei?ten und schoren neues Tauwerk ein. Es war das gleiche Bild wie aufjedem Kriegsschiff der Welt.
        Die vordere Bramstenge, die in dem kurzen Gefecht weggeschossen worden war, war bereits durch eine fachmannisch aufgeriggte Reservestenge ersetzt. Aus der Art, wie die Leute arbeiteten, entnahm Bo-litho, da? sie zur ursprunglichen Besatzung gehorten. Hier und da standen Gestalten an Deck, die sich nicht an der rastlosen Arbeit beteiligten. Sie hockten hinter leichten Schwenkgeschutzen oder hielten schu?bereite Musketen. Bolitho mu?te an die gemarterte, augenlose Leiche auf dem Abhang denken und spurte einen Klo? im Hals. Kein Wunder, da? die Spanier fur die Sieger arbeiteten. Man hatte ihnen eine schreckliche Lehre erteilt und sicher noch Schrecklicheres vor Augen gefuhrt, um jeden Gedanken an Widerstand zu brechen, bevor er aufkam.
        Boote legten am verankerten Schiff an, Hei?takel wurden zu ihnen hinuntergelassen und mit gro?en Netzen, die mit allerlei Kisten und Kasten gefullt waren, wieder gehei?t, uber das Schanzkleid geschwenkt und an Deck abgesetzt.
        Ein Boot pullte, von den ubrigen getrennt, langsam um das Heck der San Augustin herum. Ein kleiner Mann mit sorgfaltig ge stutztem Bart, der sich sehr gerade hielt, stand im Heck und zeigte mit einem schwarzen Stock mal hierhin, mal dorthin. Sogar auf die Entfernung wirkte der Mann selbstbewu?t und so arrogant wie jemand, der sich durch Untaten Macht und Respekt errungen hatte. Es mu?te Sir Piers Garrick sein.
        Jetzt beugte er sich uber das Dollbord des Bootes und zeigte mit seinem Stock wieder auf irgend etwas. Bolitho folgte der Richtung und sah, da? der Schiffsboden zum Teil aus dem Wasser ragte. Garrick ordnete sicherlich an, da? Teile der Ladung oder Munition umgestaut wurden, um seiner neuen Prise besseren Trimm und damit bessere Segeleigenschaften zu geben.
        Jury flusterte:»Was tun sie, Sir?»

«Die San Augustin macht klar zum Auslaufen. «Er rollte sich trotz der spitzen Steine auf den Rucken, um nachzudenken.»Die Destiny kann es nicht mit allen gleichzeitig aufnehmen. Wir mussen sofort handeln.»
        Er sah Entschlossenheit auf Jurys Gesicht. Dieser hatte offenbar das gleiche gedacht, mit einer vertrauensvollen Siegesgewi?heit, die auch Bolitho einmal gekannt hatte.
        Er sagte:»Sehen Sie? Da legen weitere Boote an der San Augustin an, mit Garricks Schatz. Um ihn allein geht es. Deshalb die eigene Flottille. Und nun hat er auch noch ein Vierundvierzig-Kanonen-Schiff, mit dem er machen kann, was er will. Kapitan Dumaresq hatte recht: Nichts kann ihn mehr aufhalten. «Er lachelte matt. Au?er der Destiny.»
        Bolitho sah es vor sich, als ware es schon geschehen: die Destiny dicht unter Land, um eine Ablenkung zugunsten Pallisers zu inszenieren, wahrend die gekaperte San Augustin dalag wie ein zum Sprung bereiter Tiger. In diesen begrenzten Gewassern wurde die Destiny keine Chance haben.

«Wir mussen zuruck.»
        Bolitho kroch zwischen den Felsblocken davon, wahrend er sich innerlich noch gegen das straubte, was getan werden mu?te.
        Colpoys konnte seine Erleichterung kaum verbergen, als sie den Abhang zu ihm hochkletterten. Er berichtete:»Sie haben die ganze Zeit geschuftet und die Hutten ausgeraumt. Mit Sklaven, lauter armen Teufeln. Ich sah mehr als einen, der mit einer Kette niedergeschlagen wurde.»
        Danach schwieg Colpoys, bis Bolitho mit seinem Bericht fertig war. Schlie?lich sagte er:»Ich wei?, was Sie denken. Weil dies eine verdammt nutzlose und verrottete Insel ist, fur die sich niemand interessiert und von der verflucht wenige Menschen bisher uberhaupt gehort haben, fuhlen Sie sich betrogen und sind nicht bereit, Menschenleben - Ihr eigenes eingeschlossen - dafur aufs Spiel zu setzen. Aber die gro?en Seeschlachten unter wehenden Fahnen sind eben selten. Dies wird einmal als Scharmutzel, als >Zwischenfall<, bezeichnet werden. Wichtig ist allein, was wir davon halten. «Er legte sich zuruck und betrachtete Bolitho ruhig. Ich sage daher: zum Teufel mit aller ubertriebenen Vorsicht. Wir werden uns zu ihrer Kanone aufmachen, ohne auf die morgige Dammerung zu warten. Sie haben keine weitere Kanone, welche die Lagune bestreicht. Alle anderen sind auf dem Hugel mit einer anderen Zielrichtung eingegraben. Es wird Stunden dauern, sie herumzuschwenken. «Er grinste.»In der Zeit kann eine ganze Schlacht gewonnen oder verloren werden.»
        Bolitho nahm wieder das Fernrohr. Seine Hande bebten, als er es auf die Hugelkuppe mit der teilweise verdeckten Kanone richtete. Es war sogar noch derselbe Ausguck wie vorhin.
        Jury sagte heiser vor Erregung:»Sie haben die Arbeit eingestellt.»

«Kein Wunder. «Colpoys beschattete seine Augen.»Schauen Sie mal etwas weiter hinaus, junger Freund. Ist das nicht Anla? genug?»
        Langsam kam die Destiny in Sicht. Ihre Mars- und Bramsegel hoben sich sehr hell von dem tiefblauen Himmel ab.
        Bolitho hing gebannt an dem Bild, meinte, die Schiffsgerausche zu horen, die vertrauten Dufte zu riechen, die Geborgenheit des Bordlebens zu spuren. Er kam sich vor wie ein Mann, der in der Wuste vor Durst umkommt und dem ein Krug Wein als Fata Morgana vorschwebt. Oder wie jemand, der auf dem Weg zum Galgen stehenbleibt, um einem Sperling zuzuhoren. Beide wissen, da? es fur sie morgen keinen Wein mehr geben wird und auch nicht mehr den Laut der Vogel.
        Er sagte entschlossen:»Auf denn! Ich sage es den anderen. Wenn wir nur eine Moglichkeit hatten, Palliser zu unterrichten!»
        Colpoys rutschte den Abhang hinunter, dabei blickte er Bolitho an. Seine Augen wirkten gelb im Sonnenlicht.

«Er wird's schon merken, Richard. Die ganze verdammte Insel wird's merken.»
        Colpoys wischte sich Gesicht und Nacken mit dem Taschentuch. Es war Nachmittag, und die gluhende Hitze, die von den Felsen abgestrahlt wurde, war eine Qual.
        Aber das Warten hatte sich gelohnt. Um die Hutten herum hatte alle Tatigkeit aufgehort. Von mehreren Feuern trieb Rauch zu den versteckten Matrosen und Seesoldaten heruber und bescherte ihnen den Duft von gerostetem Fleisch als zusatzliche Tortur.
        Colpoys sagte:»Nach dem werden sie sich ausruhen. «Er warf einen Blick auf seinen Korporal.»Geben Sie die Essensrationen und Wasser aus, Dyer. «Fur Bolitho setzte er leise hinzu:»Ich schatze, da? die Kanone noch eine Kabellange entfernt ist. «Er kniff die Augen zusammen, als er den Abhang und den steilen Aufstieg zur nachsten Kuppe abschatzte.»Wenn wir loslaufen, gibt es kein Halten mehr. Ich denke, es werden einige Leute bei der Kanone sein, wahrscheinlich in einer unterirdischen Munitionskammer. «Er nahm einen Becher Wasser von seinem Burschen und trank ihn langsam aus.»Nun?»
        Bolitho senkte das Fernrohr und legte die Stirn auf die Arme.»Wir mussen es wagen.

        Er versuchte, nicht lange daruber nachzudenken. Zweihundert Yards uber offenes Gelande, und was dann?
        Entschlossen sagte er:»Little und seine Mannschaft kummern sich um die Kanone. Wir greifen die Kuppe von beiden Seiten an. Mr. Cowdroy ubernimmt die zweite Gruppe.
«Er sah Colpoys eine Grimasse ziehen und fugte hinzu:»Er ist der altere von beiden und hat Erfahrung.»
        Colpoys nickte.»Ich postiere meine Scharfschutzen dort, wo sie am wirkungsvollsten sind. Wenn Sie die Kuppe genommen haben, helfe ich Ihnen bei ihrer Verteidigung.
«Er streckte die Hand aus.»Und wenn Sie keinen Erfolg haben, fuhre ich den kurzesten Bajonettangriff in der Geschichte der Seesoldaten.»
        Und dann war es auf einmal soweit. Die anfangliche Ungewi?heit und Aufregung waren wie weggewischt, die Manner sammelten sich in den Gruppen, zu denen sie eingeteilt waren, mit ernsten, aber entschlossenen Gesichtern, unter ihnen auch Josh Little mit seiner Geschutzbedienung, die mit dem notwendigen Gerat und zusatzlich mit Pulver und einigen Kanonenkugeln bepackt war.
        Midshipman Cowdroy hatte schon den Sabel gezogen und uberprufte seine Pistole. Sein verdrie?liches Gesicht wirkte noch finsterer als sonst. Bootsmannsmaat Ellis Pearse trug seine Privatwaffe, ein furchterregendes, doppelseitig geschliffenes Entermesser, das er sich von einem Schmied hatte anfertigen lassen. Die Seesoldaten hatten sich zwischen den Felsbrocken verteilt und ihre langen Musketen auf das offene Gelande vor sich und die flache Hugelkuppe dahinter gerichtet.
        Bolitho stand auf und musterte die Manner seiner eigenen Gruppe. Dutchy Vorbink war dabei, Olsson, der verruckte Schwede, Bill Bun-ce, ein ehemaliger Wilderer, Kennedy, ein Mann, der dem Gefangnis nur durch seine Meldung zur Marine entgangen war, und einige andere, die Bolitho inzwischen gut kannte.
        Stockdale schnaufte:»Ich komme mit Ihnen, Sir.»
        Ihre Blicke trafen sich.

«Diesmal nicht. Sie gehen mit Little. Diese Kanone mu? erobert werden, Stockdale. Ohne sie konnten wir ebensogut gleich hier sterben. «Er beruhrte Stockdales kraftigen Arm.»Glauben Sie mir: heute hangt alles von Ihnen ab.»
        Er wandte sich ab, da er die Enttauschung des riesigen Mannes nicht mit ansehen konnte. Zu Jury sagte er:»Sie konnen bei Leutnant Col-poys bleiben.»

«Ist das ein Befehl, Sir?»
        Bolitho sah, wie sich das Kinn des Jungen trotzig hob. Was wurden sie wohl mit ihm machen? Er antwortete:»Nein.»
        Ein Mann flusterte:»Der Ausguck ist hinuntergeklettert, ich sehe ihn nicht mehr.»
        Little kicherte.»Wohl auf einen Schluck verschwunden?»
        Bolitho schritt schon uber den Abhang, sein gezogener Sabel blitzte im Sonnenlicht, als er auf die gegenuberliegende Kuppe zeigte.

«Los denn! Auf sie, Jungs!»
        Ohne auf Larm oder Deckung zu achten, sturmten sie den Abhang hinunter, wirbelten Staub und Steine auf und hielten den Blick fest auf den Nachbarhugel gerichtet. Sie erreichten die Talsohle und rannten keuchend uber das freie Gelande, blind gegen alles au?er der verborgenen Kanone.
        Irgendwo, eine Million Meilen weg, schrie jemand, und ein Schu? pfiff den Hugel herab. Stimmen schwollen an und verklangen wieder. Sie kamen von den Mannern an der Lagune, die zu ihren Waffen eilten, weil sie annahmen, sie wurden von See aus angegriffen.
        Drei Kopfe erschienen plotzlich auf dem Hugelkamm, als der erste von Bolithos Mannern gerade seinen Fu? erreicht hatte. Colpoys Musketen schienen ziemlich wirkungslos zu knallen, aber zwei der Manner verschwanden immerhin, und der dritte machte einen Satz, bevor er den Hang hinunter mitten zwischen die britischen Matrosen rollte.

«Weiter!«Bolitho schwang seinen Sabel.»Schneller!»
        Von der einen Seite scho? eine Muskete, ein Seeman fiel, umfa?te mit beiden Handen seinen Schenkel und blieb dann stohnend liegen, wahrend seine Kameraden weitersturmten.
        Bolitho kam es vor, als ob seine Lunge hei?en Sand eingeatmet hatte, wahrend er uber eine roh aus Steinen aufgeturmte Brustwehr sprang. Weitere Schusse fielen, und er begriff, da? noch einige seiner Leute getroffen waren.
        Er sah Metall schimmern, neben einem Rad der Kanone unter ihrer Persenning, und schrie:»Achtung!»
        Aus der Deckung unter der Leinwand scho? jemand ein Stutzrohr[alte Handfeuerwaffe] auf die vorsturmenden Seeleute ab. Einen von ihnen warf es auf den Rucken, sein Gesicht und der gro?te Teil des Schadels waren wegge-scho?en. Drei weitere Manner lagen zuckend in ihrem Blut.
        Mit einem Gebrull wie ein wutendes Raubtier warf sich Pearse von der anderen Seite des Geschutzstandes auf die Persenning und schlug sie mit seiner doppelseitig geschliffenen Klinge in Stucke. Eine Gestalt rannte, die Hande uber dem Kopf, aus der Deckung und schrie:»Pardon! Pardon!»
        Pearse holte aus und schrie:»Pardon, du Lump? Nein - das!«Die breite Klinge traf den Mann quer im Nacken, so da? sein Kopf nach vorn auf die Brust kippte.
        Midshipman Cowdroys Gruppe erschien von der anderen Seite der Kuppe, und als Pearse seine Leute in die Stellung schickte, um den blutigen Sieg zu vollenden, machten sich Little und Stockdale an der Kanone zu schaffen, wahrend andere nachschauten, ob noch Glut in der nahen Feuerstelle war.
        Die Seeleute fuhrten sich auf wie Verruckte. Sie unterbrachen ihr Jubelgeschrei nur, um ihre verwundeten Gefahrten in Deckung zu ziehen, larmten dann aber um so lauter, als Pearse mit einer gro?en Kanne Wein aus der Geschutzstellung auftauchte.
        Bolitho rief:»Zu den Musketen! Die Seesoldaten kommen, gebt ihnen Deckung!«Wieder einmal warfen sich seine Leute zu Boden und richteten ihre Waffen auf die Lagune. Colpoys und seine zehn Scharfschutzen, die trotz ihrer schlecht sitzenden geborgten Kleidung irgendwie flott aussahen, eilten schu?bereit den Abhang herauf; aber es schien, als sei der Angriff so blitzschnell und wild gewesen, da? die ganze Insel wie gelahmt war.
        Colpoys erschien und wartete, bis seine Manner in Stellung gegangen waren. Dann sagte er:»Es scheint, da? wir nur funf Mann verloren haben. Sehr befriedigend. «Er wandte sich verachtlich ab, als einige blutuberstromte Leiber aus der Geschutzstellung hochgereicht und uber die Brustwehr den Abhang hinuntergeworfen wurden.»Tiere!»
        Little kletterte aus der Grube und wischte sich die Hande an seinem Bauch ab. Reichlich Kugeln, Sir, aber nicht genug Pulver. Gut, da? wir eigenes mitgebracht haben.»
        Bolitho war von ihrem Taumel angesteckt, aber er wu?te, da? er klaren Kopf behalten mu?te. Jeden Augenblick war der Gegenangriff auf ihre Stellung zu erwarten. Aber sie hatten sich prachtig gehalten; besser, als man erwarten durfte. Er sagte:»Geben Sie Wein aus.»
        Colpoys setzte scharf hinzu:»Aber behaltet klaren Kopf und ein scharfes Auge, Leute. Die Kanone wird bald feuern mussen. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Habe ich recht?«Bolitho stieg Rauch in die Nase: seine Leute hatten Feuer angefacht. Sie waren im rechten Augenblick ungeheuer mutig gewesen, einige Minuten lang wie von einer tollkuhnen Raserei besessen. Er nahm eine Becher Wein von Jury an und trank. Es war ein Augenblick gewesen, den er bis zu seinem Tode nicht vergessen wurde.
        Sogar der Wein, warm und trube, wie er war, schmeckte ihm fast wie Bordeaux.»Da kommen sie, Sir! Da kommen die Lumpen!«Bolitho warf den Becher beiseite und hob seinen Sabel auf.»Alle Mann - Achtung!»
        Er warf einen Blick nach hinten, ob Little und seine Leute zurechtkamen. Die Kanone hatte sich noch nicht bewegt. Wenn sie die gewunschte Panik hervorrufen sollte, mu?te sie recht bald feuern.
        Auf einmal horte er vielstimmiges Geschrei, und als er an die Brustwehr trat, sah er eine Menge Manner den Hugel heraufsturmen. Die Sonne spiegelte sich in ihren Sabeln und Entermessern, und die Luft hallte wider vom Peitschenknall zahlreicher Musketen- und Pistolenschusse.
        Bolitho schaute zu Colpoys hinuber.»Seid ihr bereit, Seesoldaten?«»Feuer!»



        XVI Nur ein Traum


«Feuer einstellen!»
        Bolitho ubergab seine Pistole einem Verwundeten zum Nachladen. Es kam ihm vor, als ob jede Faser seines Korpers unkontrollierbar zitterte, und er konnte es kaum glauben, da? der erste Angriff zuruckgeschlagen war. Einige Gegner, welche die Spitze des Hugels fast erreicht hatten, lagen da, wo sie gefallen waren; andere versuchten noch, sich unter Schmerzen nach unten in Sicherheit zu bringen.
        Colpoys kam zu ihm heruber, sein Hemd klebte ihm wie eine zweite Haut am Korper. Gro?er Gott!«Er wischte sich den Schwei? aus den Augen.»Da hort die Gemutlichkeit auf!»
        Drei weitere Matrosen hatte es erwischt, aber sie lebten noch. Pearse war schon dabei, sie mit uberzahligen Musketen und Pulverhornern zu versorgen, damit sie bei einem neuen Angriff Schnellfeuer geben konnten. Und danach.? Bolitho musterte seine keuchend beieinandersitzenden Leute. Die Luft war schwer von atzendem Pulverqualm und dem su?lichen Geruch nach Blut.
        Little rief:»Noch funf Minuten, Sir!»
        Der Angriff war so heftig gewesen, da? Bolitho Leute von der Geschutzbedienung hatte zu Hilfe holen mussen, um die schreiend ansturmenden Feinde zuruckzuschlagen. Jetzt warfen Little und Stock-dale mit ausgesuchten Mannern ihr ganzes Gewicht auf die holzernen Spaken, um die Kanone so weit herumzudrehen, da? sie auf den Ankerplatz gerichtet war.
        Bolitho hob das Teleskop und studierte die sechs bewegungslos daliegenden Schiffe. Das eine, ein Toppsegelschoner, sah sehr ahnlich aus wie der, mit dem die Heloise Bekanntschaft gemacht hatte. Keines traf Anstalten zum Ankerlichten. Er schlo? daraus, da? ihre Kapitane damit rechneten, die Hugelbatterie wurde die unverschamten Eindringlinge zerschmettern, bevor sie weiteres Unheil anrichten konnten.
        Er nahm einen Becher Wein von Pearse entgegen, ohne zu sehen, was er tat. Wo, zum Teufel, blieb Palliser? Er mu?te doch bemerkt haben, was sie vorhatten. Verzweiflung wollte Bolitho packen. Angenommen, der Erste Offizier glaubte, das Geschutzfeuer und der ganze Hollenlarm bedeuteten, da? Bolithos Gruppe entdeckt und systematisch vernichtet worden war? Er rief sich Dumaresqs eigene Worte in Erinnerung, bevor sie das Schiff verlassen hatten:»Dann kann ich Ihnen nicht helfen. «Es war anzunehmen, da? Palliser den gleichen Standpunkt vertrat.
        Bolitho wandte sich um und versuchte, seine plotzliche Verzagtheit zu verbergen, wahrend er fragte:»Wie lange noch, Little?«Es fiel ihm ein, da? der Stuckmeistersmaat ihm das gerade zugerufen hatte und da? Colpoys und Cowdroy ihn besorgt beobachteten.
        Little richtete sich auf.»Fertig!«Er buckte sich wieder und schielte am langen schwarzen Geschutzrohr entlang.»Jetzt das Pulver, Jungs! Rammt die Ladung ein!«Er kroch wie eine riesige Spinne um das Bodenstuck der Kanone, man sah nur noch Arme und Beine von ihm.

«Dies mu? behutsam und genau erledigt werden!»
        Bolitho leckte sich die Lippen. Er sah zwei Seeleute mit einer Trage zur Feuerstelle gehen, wo ein anderer mit einer Zange in den Fausten darauf wartete, ihnen die gluhend hei?e Kugel zu ube rgeben. Was dann kam, hing stets vom guten Timing und vom Gluck ab. Die Kugel mu?te in die Rohrmundung eingefuhrt und fest auf den doppelten Ladepropfen uber dem Pulver gesto?en werden. Wenn die Kanone losging, bevor der Mann mit dem Ansetzer fertig war, wurde er von der Kugel zerfetzt. Andererseits konnte es passieren, da? das Geschutzrohr platzte. Kein Wunder, da? Schiffsfuhrer sich furchteten, an Bord gluhende Kugeln zu verwenden. Stockdale nickte beifallig.
        Colpoys sagte plotzlich:»Ich sehe Leute druben auf dem Hugel. Sie nehmen uns gleich unter Feuer. «Ein Mann rief:»Sie sammeln sich zu einem neuen Angriff! Bolitho lief an die Brustwehr und lie? sich auf ein Knie nieder. Er konnte kleine Gestalten sehen, die sich zwischen den Felsbrocken bewegten, und andere, die Stellungen am Abhang bezogen. Das war kein ungeordneter Pobelhaufen. Garrick hatte seine Leute wie eine Privatarmee gedrillt.»Legt an!»
        Die Musketenlaufe wurden gehoben und flimmerten im blendenden Sonnenlicht, als jeder Mann sich ein Ziel zwischen den Felsbrocken suchte. Die erste Salve rollte uber die Brustwehr, aber Bolitho wu?te, da? weitere Angreifer sich unter dem Schutz des eigenen Deckungsfeuers zur anderen Seite des Abhangs vorarbeiteten.
        Er warf einen kurzen Blick auf Little, der die Hande wie zum Segen ausgebreitet hielt.»Jetzt die Kugel!»
        Bolitho ri? den Blick von ihm los und feuerte seine Pistole auf drei Manner ab, die fast den Gipfel erreicht hatten. Andere schwarmten seitlich aus und boten ein schlechtes Ziel. Die Luft vibrierte von markerschutterndem Geschrei und von Fluchen, viele davon in Englisch.
        Zwei Gestalten sprangen uber die Brustwehr und warfen sich auf einen Matrosen, der sich verzweifelt bemuhte, seine Muskete neu zu laden. Bolitho sah, wie sich sein Mund zu einem lautlosen Schrei offnete, als der eine Angreifer ihn mit seinem Sabel aufspie?te und sein Gefahrte ihn mit einem schrecklichen Schlag fur immer zum Schweigen brachte.
        Bolitho machte einen Ausfall, schlug eine Klinge beiseite und hieb den Fechtarm des Mannes mit einer schnellen Bewegung nieder, bevor der wu?te, was ihm geschah. Er spurte es im Handgelenk, wie sein Sabel Fleisch und Knochen durchschnitt, verga? aber den schreienden Mann, als er mit einer Wildheit, die er bisher nicht gekannt hatte, auf dessen Gefahrten eindrang.
        Ihre Klingen schlugen zusammen, aber Bolitho stand auf losem Gestein und konnte das Gleichgewicht kaum halten.
        Der ohrenbetaubende Knall von Littles Kanone lie? den anderen Mann stolpern, und als er die Folgen begriff, stieg plotzliches Entsetzen in seine Augen. Bolitho stie? zu und war schneller uber die Brustwehr zuruckgesprungen, als der entseelte Korper seines Gegners zu Boden sinken konnte. Little schrie:»Seht euch das an!»
        Bolitho sah eine in sich zusammenfallende, mit Dampf gemischte Wassersaule an der Stelle, wo die Kugel zwischen zwei Schiffen eingeschlagen hatte. Kein Treffer, aber die Wirkung wurde zweifellos Panik auslosen.

«Auswischen, Jungs!«Little hupfte vor Begeisterung auf dem Rand des Geschutzstandes, wahrend die Manner mit der Trage zur Feuerstelle rannten, um eine neue Kugel zu holen.»Mehr Pulver hinein!»
        Colpoys kam uber den blutbespritzten Felsgrund heran und meldete:»Wir haben drei weitere Manner verloren. Auch einer von meinen Scharfschutzen ist dabei. «Er wischte sich die Stirn mit dem Arm, wobei ihm der goldverzierte Sabel vom Handgelenk baumelte. Bolitho sah, da? die gebogene Klinge fast schwarz war von geronnenem Blut.
        Noch einem Angriff wie dem letzten konnten sie nicht standhalten. Obwohl der Abhang und der Rand der Brustwehr mit Leichen bedeckt war, wu?te Bolitho, da? da unten noch viele Leute warteten, die sich zu einem neuen Angriff sammeln konnten. Und sie hatten mehr Angst vor Garrick als vor der Handvoll zerlumpter Seeleute, die sie oben erwarteten.

«Jetzt!«Little senkte die Lunte zum Zundloch, und die Kanone rollte abermals mit einem gleichzeitigen Donnerschlag zuruck. Bolitho sah blitzartig, wie die Kugel stieg und dann im Bogen auf die unbeweglichen Schiffe herabfiel. Er bemerkte eine kleine Rauchwolke und da? sich etwas Kompaktes von dem nachstliegenden Schoner loste und durch die Luft segelte, bevor es seitlich ins Wasser platschte.

«Treffer! Ein Treffer!«Die Manner der Geschutzbedienung sprangen schwei?triefend und mit geschwarzten Gesichtern wie Verruckte um ihre Kanone herum.
        Stockdale nutzte schon seine Krafte, um die Mundung mit einer Handspake ein kleines Stuck zu verschieben.

«Er brennt!«Pearse hielt die Hande als Sonnenschutz uber die Augen.»Gott strafe sie! Sie versuchen, das Feuer zu loschen.»
        Aber Bolitho beobachtete den Schoner am fernen Ende der Lagune. Er hatte von allen Schiffen den sichersten Ankerplatz; noch wahrend er ihn beobachtete, sah er, wie sein Kluver gesetzt wurde und ein Mann dabei war, die Ankertrosse zu kappen.
        Bolitho streckte den Arm aus, da er nicht wagte, den Blick von dem Schoner abzuwenden, und rief:»Ein Glas! Schnell!»
        Jury eilte herbei und legte ihm ein Fernglas in die Hand.
        Dann trat er etwas zuruck und beobachtete ihn gebannt.
        Bolitho spurte den Luftzug einer Musketenkugel, die dicht an seinem Kopf vorbeistrich, zuckte aber nicht mit der Wimper. Er durfte das kleine Bild nicht aus den Augen verlieren, selbst wenn er sich dabei der Gefahr aussetzte, erschossen zu werden.
        Was er sah, war fur andere auf diese Entfernung kaum zu erkennen; doch fur ihn sprach es eine deutliche Sprache, weil er die Akteure kannte: Pallisers lange Gestalt, den Sabel in der Hand. Slade und ein paar Matrosen an der Pinne und Rhodes, der mit den ubrigen Leuten Fallen und Schoten bediente, als der Schoner sich von seinem Ankerplatz loste und zunachst schwerfallig vor den Wind drehte. Dabei spritzte an seiner Bordwand Wasser hoch, und einen Augenblick glaubte Bolitho, Palliser wurde beschossen. Doch dann erkannte er, da? seine Leute die Schiffsbesatzung einfach uber Bord warfen, statt kostbare Zeit mit ihrer Bewachung zu verschwenden.
        Colpoys rief aufgeregt:»Sie mussen zum Schiff hinausgeschwommen sein! Ein schlauer Fuchs, dieser Palliser! Hat unseren Angriff als Ablenkung genutzt.»
        Bolitho nickte. Seine Ohren drohnten vom standigen Krachen des
        Musketenfeuers und dem gelegentlichen Bellen der Schwenkgeschutze. Statt die Mitte der Lagune anzusteuern, hielt Palliser direkt auf den Schoner zu, der von Littles gluhender Kugel getroffen worden war.
        Als er dem brennenden Schiff naherkam, sah Bolitho Mundungsfeuer und schlo? daraus, da? Palliser auf die Manner zielen lie?, die sich bemuhten, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Immer starkere Rauchwolken stiegen vom Rumpf des Getroffenen auf und trieben aufs Ufer und die verlassenen Hutten zu.
        Bolitho rief:»Little! Zielwechsel auf den nachsten Schoner!»
        Minuten spater donnerte die gluhende Kugel durch die dunne Bordwand eines weiteren Schoners und loste mehrere Explosionen im Schiffsinnern aus, worauf ein Mast von oben kam und der Gro?teil der Takelage in Brand geriet.
        Als sie sahen, da? zwei ihrer Schiffe lichterloh brannten, bedurfte es fur die ubrigen Besatzungen keiner Uberlegung mehr, die Ankertrossen zu kappen, um der Feuerholle zu entrinnen. Pallisers Schoner war nun unter Kontrolle, seine gro?en Segel blahten sich und ragten uber den dicken Qualm wie die Flugel eines Racheengels.
        Bolitho sagte plotzlich: «Zeit, da? wir aufbrechen. «Er wu?te nicht, woher ihm der Gedanke kam. Er spurte es einfach.
        Colpoys schwang seinen Sabel.»Hebt die Verwundeten auf! Korporal, legen Sie einen Zunder an das Pulvermagazin!»
        Littles Lunte senkte sich wieder zum Zundloch, und eine weitere Feuerkugel sauste uber das Wasser und traf das Schiff, das schon in Flammen stand. Man sah Leute uber Bord springen und im Wasser strampeln wie sterbende Fische, bis die gro?e Rauchwolke sie erreichte und vor allen Blicken verbarg.
        Pearse warf sich einen verwundeten Seesoldaten uber die Schulter, behielt aber sein gro?es Entermesser in der anderen Hand.
        Er sagte:»Der Wind halt sich, Sir. Der Qualm wird der verdammten Batterie die Sicht nehmen.»
        Keuchend wie Tiere kletterten Matrosen und Seesoldaten den Abhang hinunter, wobei sie sich bemuhten, die Bodenwelle zwischen sich und der Hugelbatterie zu halten.
        Colpoys wies aufs Wasser:»Das ist am nachsten!«Plotzlich brach er in die Knie und pre?te die Hande an die Brust.»O Gott, jetzt hat's mich erwischt!»
        Bolitho befahl zwei Seesoldaten, ihn vorsichtig aufzuheben. Trotz des Krachens der Musketen und des Prasselns der Flammen, die hinter der Rauchwolke ein Schiff verzehrten, arbeiteten seine Gedanken fieberhaft. Er horte auch Geschrei von Besatzungsmitgliedern der Schoner, die an Land gewesen waren, als der Angriff begann, und nun zum Hugel rannten in der Hoffnung, da? sie im Bereich der Batterie Schutz finden konnten.
        Bolitho hielt erst an, als seine Fu?e fast im Wasser standen. Er konnte kaum atmen, und seine Augen tranten so stark, da? er nicht ubers Ufer hinaussehen konnte.
        Sie hatten das scheinbar Unmogliche geschafft, aber wahrend Palli-ser ihren Angriff zur Ablenkung genutzt hatte, gab es fur ihn selbst jetzt kein Weiterkommen mehr.
        Er kniete hin, um seine Pistole neu zu laden, und seine Hande zitterten, als er sie fur einen letzten Schu? spannte.
        Jury war bei ihm, auch Stockdale. Aber sonst war es wohl nur noch die Halfte der Truppe, die den Hugel ersturmt und die Kanone erobert hatte.
        Bolitho sah Stockdales Augen aufleuchten, als das Magazin explodierte und dabei die Kanone herausri?, die mit einer Lawine von Leichen und zerborstenen Felsen den Abhang hinunterrollte.
        Fahnrich Cowdroy wies plotzlich mit seinem Sabel in den Qualm.»Ein Boot! Schauen Sie!»
        Pearse lie? den verletzten Seesoldaten zu Boden gleiten und watete ins Wasser, wobei er sein schreckliches Entermesser uber dem Kopf schwang.

«Wir nehmen es ihnen ab, Jungs!»
        Bolitho spurte ihre verzweifelte Entschlossenheit wie eine lebenspendende Kraft. Seeleute waren sich in einem Punkt alle gleich: Man gebe ihnen ein Boot, auch noch so klein, und sie waren ihrer Sache sicher.
        Little zog sein Entermesser heraus und fletschte die Zahne.»Schlagt sie nieder, bevor sie uns entwischen!»
        Jury lehnte sich an Bolitho, der einen Augenblick annahm, er sei von einer Kugel getroffen, doch der Junge deutete nur unglaubig in den Qualm und auf das schattenhaft hervorkommende Boot.
        Bolitho nickte nur, denn er konnte es selbst nicht fassen.
        Er sah Rhodes im Bug des Langbootes stehen und dahinter die karierten Hemden der Matrosen von der Destiny an den Riemen.

«Nun aber lebhaft!«Rhodes reichte herunter und fa?te Bolitho am Handgelenk.»Noch ganz?«Er sah den verwundeten Colpoys und rief:»Fa?t mal mit an!»
        Das Boot war binnen kurzem so voll mit zum Teil verwundeten Menschen, da? es nur noch knapp funf Zoll Freibord hatte, als es wie trunken ruckwarts rudernd im Qualm untertauchte.
        Hustend und fluchend erklarte Rhodes:»Wir wu?ten, da? ihr versuchen wurdet, uns zu erreichen. Einzige Chance. Mein Gott, habt ihr ein Tohuwabohu angerichtet, ihr Halunken!»
        Ein brennender Schoner trieb querab vorbei. Bolitho spurte die Hitze wie Hollenfeuer im Gesicht. Explosionen drohnten durch den Rauch, und er nahm an, da? ein weiteres Pulvermagazin in die Luft flog oder da? die Batterie auf dem Hugel blindlings uber die Lagune feuerte.

«Was jetzt?»
        Rhodes stand auf und gestikulierte heftig zum Bootssteurer.»Hart Steuerbord!»
        Bolitho sah die Zwillingsmasten eines Schoners direkt uber sich, und schon griffen die Manner nach den Leinen, die ihnen aus dem Qualm wie Schlangen entgegenflogen.
        Stohnend und manchmal vor Schmerzen schreiend, wurden die Verwundeten die Bordwand hinaufgezogen oder - geschoben, und als sie das Boot mit einem Kameraden darin, der noch angesichts der sicheren Rettung gestorben war, treiben lie?en, horte Bolitho Pallisers vertraute Stimme.
        Bolitho tastete sich durch den Rauch zu Palliser und Slade an der Pinne.
        Palliser rief:»Mann, Sie sehen aus wie ein entsprungener Strafling!«Er schenkte ihm ein kurzes Lacheln, und Bolitho erkannte darin ebenso Erschopfung wie Erleichterung.
        Rhodes kniete neben dem Offizier der Seesoldaten.»Er wird uberleben, wenn wir ihn bald zum alten Bulkley schaffen.»
        Palliser hob eine Hand, und das Ruder wurde leicht gelegt. Ein anderer Schoner stand unter vollen Segeln genau querab von ihnen und hielt von den brennenden Wracks weg auf die Einfahrt zu.
        Er sagte:»Bis sie entdeckt haben, da? wir eines ihrer Schiffe geschnappt haben, sind wir klar von ihnen.»
        Er wandte sich abrupt um, als die gewaltigen Masten der San Augustin plotzlich uber dem Rauch emporstiegen. Sie lag noch vor Anker, und sicherlich stand jeder Mann an Bord bereit, die treibenden Branderschiffe fernzuhalten und jeden uberspringenden Funken zu erstik-ken.
        Palliser setzte hinzu:»Was danach kommt, ist zum Gluck nicht mehr mein Problem.»
        Eine Kugel platschte neben dem Backbordbug ins Wasser. Bolitho schlo? daraus, da? Garricks Kanoniere endlich erkannt hatten, was vor sich ging. Doch als der Qualm dunner wurde und Teile der Insel bleich, aber klar im Sonnenlicht hervortraten, waren sie schon hinter dem kritischen Punkt.
        Pearse flusterte:»Schau, Bob, da ist sie!«Er hob den Kopf eines verwundeten Matrosen so an, da? er die hart angebra?ten Marssegel der Destiny sehen konnte, die von Dumaresq so nahe an die Riffe herangefuhrt worden war, wie er es wagen konnte. Dann sagte Bootsmannsmaat Pearse, der wie ein Teufel gekampft hatte und auf Befehl seines Kommandanten den Rucken manches Delinquenten mit der neunschwanzigen Meerkatze blutig geschlagen hatte, leise zu Palliser:»Der arme Bob ist tot, Sir. «Er schlo? die Augen des jungen Matrosen mit seinen teerigen Handen und setzte hinzu:»Noch ein paar Minuten, und er ware gerettet worden.»
        Bolitho beobachtete, wie die Fregatte Segel wegnahm und viele Leute auf ihren Laufbrucken hin und her rannten, als beide Schiffe einander naherkamen. Die Galionsfigur der Destiny hob, unverandert nackt und bleich, den Siegeskranz wie zum Hohn der rauchgeschwarzten Insel entgegen.
        Bolitho dachte an den toten Seemann namens Bob und an den einsamen Leichnam, der im Langboot zuruckgelassen worden war. Er dachte auch an Stockdales Sorge, da? er abkommandiert werden konnte, als er gebraucht wurde. Und er dachte an Colpoys, an den Korporal mit dem Spitznamen >Dipper<, an Jury und Cowdroy und an die vielen, die sie tot hatten zurucklassen mussen.

«Vorsegel bergen!«Palliser beobachtete die langsame Annaherung der Destiny mit grimmiger Genugtuung.»Es gab Augenblicke, in denen ich dachte, ich wurde diese Lady nie wiedersehen.»
        Josh Little trat an Pearses Seite und brummte:»Darauf genehmigen wir uns einen Schluck, wenn wir wieder an Bord sind, eh?»
        Pearse schaute noch immer auf den Toten nieder.»Aye, Josh. Und einen auf ihn.»
        Rhodes sagte:»Der >Herr und Meisten wird auf seinem Willen bestehen: Kampf bis zur Entscheidung. «Er duckte sich, als eine Wurfleine neben ihm landete.»Ich fur meine Person wunschte, die Chancen waren ausgeglichener. «Er blickte hinuber auf den gro?en Mantel aus Rauch, der den abgeflachten Hugel einhullte, als wolle er ihn wegtragen.»Sie waren gro?artig, Dick. Wirklich.»
        Sie sahen einander so prufend an wie zwei Fremde. Dann sagte Bo-litho:»Ich furchtete, ihr wurdet euch zuruckhalten in der Annahme, da? wir gefangen wurden.»
        Rhodes winkte einem Mann auf der Laufbrucke der Destiny zu.»Oh, habe ich das noch nicht erzahlt? Wir wu?ten, wo Sie waren und was Sie machten, alles.»
        Bolitho starrte ihn unglaubig an.»Wieso?»

«Erinnern Sie sich an Ihren Toppsgasten Murray, den Deserteur? Er war Garricks Ausguck. Er sah Sie und den jungen Jury, wie Sie aus der Deckung kamen. «Rhodes packte den Arm seines Freundes.»Es ist die Wahrheit. Er liegt jetzt unter Deck, mit einem Splitter im Bein. Hat eine tolle Geschichte zu erzahlen. Gluck fur Sie und den jungen Jury, nicht wahr?»
        Bolitho schuttelte den Kopf und schaute, gegen das Schanzkleid des Schoners gelehnt, der Annaherung der beiden Schiffe in der langen Dunung zu.
        Der Tod war ihnen so nahe gewesen, und er hatte nichts davon bemerkt. Murray mu?te mit dem ersten verfugbaren Schiff Rio verlassen haben, und das hatte ihn zu Garricks Insel gebracht. Er hatte Alarm schlagen oder sie beide niederschie?en konnen, dann ware er von Garricks Leuten als Held gefeiert worden. Statt dessen hatte ihn irgend etwas, das sie eins t verbunden hatte, zuruckgehalten und ihm klargemacht, wohin er gehorte.
        Dumaresqs Stimme drohnte durch ein Megaphon zu ihnen:»Etwas
        Bewegung da druben! Ich sitze gleich auf Grund, wenn ihr nicht an Bord kommt!»
        Rhodes grinste.»Endlich wieder zu Hause!»
        Kapitan Dumaresq stand, die Hande auf dem Rucken, an den Heckfenstern seiner Kajute und lauschte Pallisers Bericht uber die regelrechte Schlacht und ihre Flucht aus der Lagune.
        Er gab Macmillan ein Zeichen, seinen arg mitgenommenen und todmuden Offizieren noch ein Glas einzuschenken, und sagte dann:»Ich hatte ein Landungskorps ausgesetzt, um Garrick ein wenig am Bart zu zupfen. Ich hatte nicht erwartet, da? Sie gleich eine ganze Invasion auf eigene Faust unternehmen wurden!«Er lachelte dabei, sah dadurch aber erst recht traurig und ubermudet aus.»Ich werde morgen bei Sonnenaufgang zu Ihnen und Ihren Leuten sprechen. Ohne Ihre Tat ware die Destiny auf so starken Widerstand gesto?en, da? ich bezweifle, ob ich sie heil wieder herausbekommen hatte. Die Dinge stehen noch immer schlecht, meine Herren, aber zumindest wissen wir jetzt, woran wir sind.»
        Palliser fragte:»Haben Sie immer noch die Absicht, den Schoner nach Antigua zu schicken, Sir?»
        Dumaresq sah ihn nachdenklich an.»Ihren Schoner, meinen Sie?«Er ging zu den Fenstern und starrte in das Spiegelbild der untergehenden Sonne auf dem Wasser. Es war wie rotes Gold.»Ja. Tut mir leid, da? ich Ihnen abermals eine Prise wegnehmen mu?.»
        Bolitho beobachtete sie, alle Sinne trotz der Anspannung und der bitteren Erinnerungen dieses Tages hellwach. Er erkannte, da? es zwischen dem Kommandanten und seinem Ersten Offizier ein Band gab, das unzerrei?bar war.
        Dumaresq fugte hinzu:»Wenn die San Augustin nur wenig beschadigt ist, mussen wir sie schnellstens besiegen. Sobald Garricks Ausguckposten melden, da? der Schoner uns verla?t, wird er wissen, da? die Zeit gegen ihn arbeitet. Da? ich Hilfe herbeirufe. «Er nickte grimmig.»Morgen wird er herauskommen, ganz sicher.»
        Palliser blieb hartnackig.»Er wird dabei von den restlichen Schonern unterstutzt werden. Zwei konnten das Feuer uberstanden haben.»

«Ich wei?. Aber besser so, als daraufwarten, bis Garrick uns mit einem vollig uberholten Kriegsschiff entgegentritt. Auch ich hatte gern bessere Bedingungen, aber nur wenige Kommandanten haben das Gluck, sich ihre Bedingungen selbst aussuchen zu konnen.»
        Bolitho dachte an die Manner, die auf den Schoner geschickt worden waren. Mit ganz wenigen Ausnahmen waren sie alle verwundet, aber dennoch so stolz und herausfordernd gewe sen, da? sie beim Ablegen mit Hochrufen von der Destiny verabschiedet worden waren.
        Aus Grunden, die nur er selber kannte, hatte Dumaresq dem Steuermannsmaaten Yeames das Kommando uber die Prise gegeben. Das mu?te ein harter Schlag fur Slade gewesen sein.
        Bolitho war sehr bewegt, als Yeames vorm Ablegen des letzten Bootes an ihn herangetreten war. Er hatte den Steuermannsmaaten immer gemocht, aber nie uber ihn nachgedacht.
        Yeames streckte ihm die Hand hin.»Sie werden morgen siegen, Sir, ich zweifle nicht daran. Aber es konnte sein, da? wir einander nicht wieder begegnen. Wenn es aber doch der Fall sein sollte, mochte ich, da? Sie sich an mich erinnern. Ich ware froh, unter Ihnen dienen zu durfen, wenn Sie einmal ein eigenes Schiff bekommen.»
        Er war gegangen und hatte Bolitho verwirrt und ein wenig stolz zuruckgelassen.
        Dumaresqs sonore Stimme unterbrach seine Gedanken.»Wir werden morgen bei Anbruch der Dammerung das Schiff klar zum Gefecht machen. Ich werde mit den Mannern sprechen, bevor wir auf den Feind sto?en, aber Ihnen mochte ich schon jetzt meinen besonderen Dank sagen.»
        Macmillan druckte sich an der Lamellentur herum, bis das Auge des Kommandanten auf ihn fiel.

«Mr. Timbrell la?t gehorsamst fragen, Sir, ob Sie das Schiff abdunkeln wollen?»
        Dumaresq schuttelte langsam den Kopf.»Diesmal nicht. Ich mochte, da? Garrick uns sieht. Seine gro?e Schwache ist - abgesehen von seiner Habgier - sein Jahzorn. Ich habe vor, ihn noch zorniger zu machen, bevor es tagt.»
        Macmillan offnete die Tur, und die Offiziere und Fahnriche zogen sich dankbar zuruck. Nur Palliser blieb; Bolitho nahm an, da? er die technischen Einzelheiten lieber allein und ohne Storung mit dem Kommandanten besprechen wollte.
        Als die Tur sich schlo?, wandte Dumaresq sich seinem Ersten Offizier zu und wies auf einen Sessel.»Es gibt noch etwas, habe ich recht?»
        Palliser setzte sich und streckte die langen Beine aus. Einen Augenblick rieb er sich die Augen mit den Handknocheln, ehe er sagte:»Sie hatten recht, was Egmont betrifft, Sir. Selbst als Sie ihn auf ein Schiff mit Kurs Basseterre gesetzt hatten, versuchte er noch, Garrick zu warnen oder mit ihm in Verbindung zu treten. Wie das geschah, werden wir wohl nie erfahren. Er wechselte offenbar auf ein kleines, schnelleres Schiff uber und nahm nordlichen Kurs durch die Inselgruppe, um vor uns da zu sein. Doch wie es auch war, seine Warnung an Garrick war verschwendet.»
        Er fa?te in seine Tasche und zog einen goldenen Halsschmuck mit dem doppelkopfigen Vogel und den rubinschimmernden Schwanzfedern heraus.

«Garrick hat beide Egmonts ermorden lassen. Diesen Schmuck habe ich einem unserer Gefangenen abgenommen. Der Matrose, von dem ich Ihnen berichtete, erzahlte mir den Rest.»
        Dumaresq nahm das schwere Schmuckstuck in die Hand und betrachtete es traurig.

«Murray hat es gesehen?»
        Palliser nickte.»Er ist verwundet worden. Ich habe ihn auf den Schoner geschickt, bevor er mit Mr. Bolitho sprechen konnte.»
        Dumaresq trat wieder an die Heckfenster und sah zu, wie der Schoner abdrehte und ihnen das Heck zeigte. Seine Segel schimmerten so golden wie der Halsschmuck in seiner Hand.

«Das war sehr uberlegt gehandelt. Fur das, was er gesagt und getan hat, wird Murray in England aus der Marine entlassen werden.
        Ich bezweifle, da? sein Weg sich jemals wieder mit dem Bolithos kreuzen wird.»

«Dann wollen Sie ihm also nichts davon sagen, Sir? Ihn nicht wissen lassen, da? Aurora Egmont tot ist?»
        Dumaresq beobachtete die Schatten, die den Rumpf des davonse-gelnden Schoners bereits verhullten.

«Von mir wird er nichts erfahren. Morgen mussen wir kampfen, und da mu? jeder Offizier und jeder Mann alles geben, was er hat. Richard Bolitho hat bewiesen, da? er ein guter Offizier ist. Wenn er den morgigen Tag uberlebt, wird er ein noch besserer sein. «Dumaresq klappte ein Fenster auf und warf den Schmuck ohne Zogern ins Kielwasser der Destiny. »Ich lasse ihm seinen Traum. Es ist das mindeste, was ich fur ihn tun kann.»
        In der Messe sa? Bolitho in einem Sessel und lie? die Arme hangen, wahrend die Spannung in ihm wie feiner Sand in einem Stundenglas verrann. Rhodes sa? ihm gegenuber und starrte in ein leeres Weinglas, ohne etwas zu erkennen.
        Immer wieder stand ein neuer Morgen mit seinen Anforderungen vor ihnen. Es war wie der Horizont: sie erreichten ihn nie.
        Bulkley trat ein und lie? sich schwerfallig zwischen ihnen nieder.»Ich habe mich gerade mit unserem starrkopfigen Seesoldaten abgegeben.»
        Bolitho nickte trubsinnig. Colpoys hatte darauf bestanden, bei seinen Leuten auf der Fregatte zu bleiben. Gut versorgt und so bandagiert, da? er nur einen Arm bewegen konnte, hatte er kaum Kraft genug, sich auf den Beinen zu halten.
        Palliser trat ein und warf seinen Hut auf eine Kanone. Kurz schaute er sie an und sah dabei wahrscheinlich den Raum schon so vor sich, wie er morgen fruh aussehen wurde: ohne Mobel, die leichten Wande herausgenommen, die kleinen personlichen Dinge vor Rauch und Feuer in Sicherheit gebracht.
        Dann sagte er scharf:»Es ist Ihre Wache, scheint mir, Mr. Rhodes. Der Master sollte nicht alles allein machen mussen, wie Sie wissen.»
        Rhodes erhob sich muhsam und grinste.»Aye, aye, Sir. «Wie ein Schlafwandler wankte er aus der Messe.
        Bolitho hatte nichts davon gehort. Er dachte an Aurora. Er benutzte die Erinnerung an sie wie ein Schild, mit dem er die Bilder und Ereignisse dieses Tages von seinem Innern fernhielt.
        Dann stand er abrupt auf und entschuldigte sich bei den anderen, als er sich in die private Sphare seiner Kammer zuruckzog. Er wollte nicht, da? sie seine Niedergeschlagenheit bemerkten. Denn als er sich bemuht hatte, im Geiste Auroras Gesicht zu sehen, war nur ein verschwommenes Trugbild erschienen. Nicht mehr.
        Bulkley schob eine Flasche uber den Tisch.»War's schlimm?»
        Palliser uberlegte.»Es wird noch schlimmer. «Aber eigentlich dachte er an den juwelenbesetzten Halsschmuck, der jetzt achteraus auf dem Meeresgrund lag: eine private Beisetzung.
        Der Arzt stie? nach:»Ich freue mich uber Murray. Das ist ein kleiner Lichtblick in all dem Elend. Gut zu wissen, da? er frei von Schuld ist.»
        Palliser schaute weg.»Ich mache jetzt meine Runde und lege mich dann ein paar Stunden aufs Ohr.»
        Bulkley seufzte.»Ich auch. Ich wollte aber darum bitten, da? ich Spillane, den provisorischen Schreiber, ausgeliehen bekomme. Auch ich bin knapp an Leuten.»
        Palliser hielt an der Tur inne und sah Bulkley mit leerem Blick an.»Da mussen Sie sich aber beeilen. Morgen fruh wird er vielleicht schon hangen, um Garricks Zorn weiter anzuheizen. Er war namlich sein Spion. Murray hat gesehen, wie Spillane den Leichnam des alten Lockyer durchsuchte, als er an Bord gebracht wurde. «Die Mudigkeit verwischte Pallisers Worte.»Spillane versuchte, Murray mit Jurys Uhr zu kompromittieren und einen Keil zwischen Vor- und Achterdeck zu treiben. So etwas hat es schon ofter gegeben. «Mit plotzlich aufsteigender Bitterkeit setzte er hinzu:»Spillane ist genauso ein Morder wie Garrick.»
        Ohne ein weiteres Wort marschierte er aus der Messe; als Bulkley sich umwandte, sah er, da? Pallisers Hut noch immer auf der Kanone lag.
        Was morgen auch geschah, nichts wurde je wieder so sein wie bisher, dachte der Arzt, und diese Einsicht machte ihn sehr traurig.
        Als die Dunkelheit schlie?lich den Horizont verwischte und der flache Hugel uber der Insel Fougeaux verschwunden war, spiegelten sich die Lichter der Destiny immer noch wie wachsame Augen im Wasser.



        XVII Die Schlacht

        Uber Nacht schien die Insel Fougeaux geschrumpft zu sein, denn als das erste schwache Licht den Horizont erhellte, sah sie nicht viel gro?er aus als eine Sandbank, Steuerbord voraus von der Destiny.
        Bolitho setzte sein Fernglas ab und lie? damit die Insel in den Schatten zurucksinken. Binnen einer Stunde wurde er strahlendem Sonnenschein weichen. Er wandte dem Land den Rucken und marschierte langsam auf und ab. Das Schiff hatten sie schon wahrend der Nachtwachen fast gefechtsklar gemacht. Die Seeleute kannten sich an Deck und rund um die Masten so gut aus, da? wenig ubrigblieb, was sie erst bei Tageslicht erledigen konnten. Dumaresq hatte das mit der gleichen peinlichen Genauigkeit geplant wie alles, was er anpackte. Seine Manner sollten einsehen, da? der Kampf ebenso unvermeidbar war wie die Tatsache, da? einige von ihnen, wenn nicht gar alle, niemals wieder eine Fahrt mit der Destiny antreten wurden. Es gab nur einen anderen Weg, und der war auf der Seekarte des Masters mit zweitausend Faden[ca. 3700 m] eingezeichnet und fuhrte senkrecht nach unten.
        Dumaresq sorgte aber auch dafur, da? seine Leute so ausgeruht wie moglich waren, wenn sich der Feind zeigte, und nicht erschopft von aufreibenden Gefechtsvorbereitungen.
        Palliser erschien auf dem Achterdeck und sagte nach einem fluchtigen Blick auf Kompa? und Segel:»Ich hoffe, die Freiwache ist gleich fertig mit dem Fruhstuck?»
        Bolitho antwortete:»Aye, Sir. Ich habe befohlen, da? die Koche das Kombusenfeuer loschen, sobald sie fertig sind.»
        Palliser lie? sich von Fahnrich Henderson ein Fernglas geben und unterzog die Insel einer sorgfaltigen Prufung.»Schreckliche Gegend!«Dann gab er Henderson das Glas zuruck und sagte:»Hinauf mit Ihnen! Ich mochte unverzuglich Meldung, wenn Garrick sich anschickt, die Lagune zu verlassen.»
        Bolitho sah zu, wie der Fahnrich die Webeleinen hochkletterte. Es wurde sehr schnell heller. Er konnte sogar schon die Ketten erkennen, mit denen der Bootsmann die Rahen gesichert hatte, und auch die Taljen und zusatzlichen Tampen, die an den Masten angeschlagen oder durch Blocke geschoren waren, um spater notwendige Reparaturen zu erleichtern.
        Er fragte:»Glauben Sie, da? es heute zur Schlacht kommt, Sir?»
        Palliser lachelte grimmig.»Der Kommandant ist sich dessen sicher, das genugt mir. Und Garrick wird wissen, da? er kampfen und siegen mu?, um dann zu verschwinden, bevor das Geschwader Verstarkung schickt.»
        Undeutlich bewegten sich Gestalten auf dem Oberdeck und zwischen den Kanonen. Die schwarzen Rohre, die jetzt feucht von
        Spritzwasser und nachtlichem Dunst waren, wurden bald zu hei? zum Anfassen sein.
        Unteroffiziere besprachen letzte Anderungen mit ihren Geschutzbedienungen, die durch Abkommandierungen auf den eroberten Schoner oder durch Tod dezimiert waren.
        Leutnant Colpoys stand mit seinem Sergeanten achtern an der Heckreling, wahrend Matrosen uber die Laufbrucken eilten und ihre Hangematten in den Finknetzen verstauten, als Kugelfang fur diejenigen, die sich wahrend des Gefechts auf dem Achterdeck aufhalten mu?ten. Das war ein besonders exponierter und gefahrlicher Platz, aber lebenswichtig fur jedes Schiff.
        Midshipman Jury kam aufs Achterdeck und meldete:»Kombusenfeuer ist geloscht, Sir.»
        Er sieht sehr jung und adrett aus, dachte Bolitho, als ob er sich extra fein gemacht hatte. Er lachelte.»Ein schoner Tag.»
        Jury schaute den Mast hinauf und suchte Henderson.»Wir haben wenigstens den Vorteil der gro?eren Beweglichkeit, Sir.»
        Bolitho warf ihm einen Blick zu und sah sich selber, wie er noch vor einem Jahr gewesen war.»Das ist richtig. «Es lohnte nicht hinzusetzen, da? der Wind nur noch eine schwache Brise war. Um wenden und halsen zu konnen, mu?ten die Segel gut ziehen. Wind und Leinwand waren das Lebenselement einer Fregatte.
        Rhodes kam zum Achterdeck hoch und studierte neugierig den schmutzigen kleinen Fleck Land vor ihrem Steuerbordbug. Er trug seinen besten Sabel, den er von seinem Vater geerbt hatte. Bolitho dachte an den alten Sabel, den sein Vater immer trug. Er war auf allen Familienportrats in Falmouth zu sehen und wurde eines Tages seinem Bruder Hugh gehoren, sogar sehr bald schon, wenn sein Vater endgultig heimkehren wurde.
        Er wandte Jury und Rhodes den Rucken zu. Irgendwie hatte er das Gefuhl, da? er Falmouth nie wiedersehen wurde. Und zu seiner Verwunderung stellte er fest, da? er es widerspruchslos hinnahm.
        Palliser kam zuruck und befahl:»Sagen Sie Mr. Timbrell, da? er ein Jolltau an der Nock der Gro?rah anschlagen soll, Mr. Bolitho. «Er fing ihre erstaunten Blicke auf.»Nun?»
        Rhodes zuckte verlegen mit den Schultern.»Tut mir leid, Sir, aber ich dachte, in einem Augenblick wie diesem…»
        Palliser konterte:»In einem Augenblick wie diesem, meinen Sie wohl, kommt es auf eine Leiche mehr oder weniger auch nicht an?»
        Bolitho schickte Jury zum Bootsmann und dachte an Spillanes Verrat. Er hatte reichlich Gelegenheit gehabt, Informationen zu sammeln und sie in Rio oder Basseterre an Land zu bringen. Der Schreiber des Kommandanten geno? - wie auch dessen Bootssteurer - mehr Bewegungsfreiheit als alle anderen Leute an Bord. Garrick mu?te uberall Agenten und Spione gehabt haben, sogar in der Admiralitat, wo jemand jeden Schritt, um die Destiny auf den Weg zu bringen, verfolgt hatte. Als das Schiff klar zum Auslaufen in Plymouth lag, war Spilla-ne erschienen. Er hatte es leicht gehabt, die Wege von Dumaresqs Rekrutierungskommandos zu verfolgen. Er brauchte nur ihre Plakate zu lesen.
        Jetzt liefen alle Faden wie die Linien auf der Seekarte hier zusammen, als ob Gulliver diesen Platz eigens dafur markiert hatte. Es schien mehr vorherbestimmt als geplant zu sein.
        Die meisten Manner an Deck schauten zur Bootsmannsgruppe auf, die eine Henkersschlinge von der Rahnock zur Laufbrucke fierten. Wie Rhodes hatten sie wenig Verstandnis fur eine Hinrichtung im Schnellverfahren. Das lag au?erhalb ihres Begriffs von Gerechtigkeit.
        Bolitho horte einen der Ruderganger leise sagen:»Der Kommandant kommt, Sir.»
        Bolitho wandte sich dem Niedergang zu, als Dumaresq, der ein frisches Hemd trug und seinen goldverbramten Hut fest auf den Kopf gedruckt hatte, zum Achterdeck hochstieg.
        Er nickte jedem seiner Offiziere und den Mannern der Wache zu und sagte zu Colpoys, der sich bemuhte, trotz seiner Wunde Haltung anzunehmen:»Schonen Sie Ihre Krafte.»
        Gulliver beruhrte seinen Hut:»Kurs Nord zu Ost, Sir. Wind ist noch immer ziemlich schwach.»
        Dumaresq schaute ihn geistesabwesend an.»Das sehe ich. «Er wandte sich an Bolitho: Lassen Sie die Leute bei sechs Glasen[sieben Uhr] zur Teilnahme an einem Strafakt achteraus kommen. «Er beobachtete, wie Bolitho sich bemuhte, seine Gefuhle zu verbergen.»Sie haben offenbar immer noch nicht gelernt, mich zu tauschen. Was bedruckt Sie - die Hinrichtung?»

«Ja, Sir. Es ist wie eine Vorahnung, ein Aberglaube. Ich - ich kann es nicht genauer ausdrucken.»

«Offensichtlich. «Dumaresq ging an die Querreling und schaute uber das Oberdeck. Dieser Mann versuchte, uns zu verraten, genau wie er sich bemuhte, Murray zu vernichten. Murray war ein guter Mann, wahrend. «Er brach ab, um einige Seesoldaten zu beobachten, die sich anschickten, im Vor- und Gro?mast aufzuentern.

«Ich hatte Murray gern noch einmal gesehen, bevor er uns verlie?,
        Sir.»
        Dumaresq fragte scharf:»Warum?»
        Bolitho war uber Dumaresqs Reaktion erstaunt.»Ich hatte ihm gern gedankt.«»Oh, deswegen.»
        Ein Ruf von Henderson lie? alle nach oben schauen.»An Deck! Ein Schiff lauft von der Insel aus, Sir!»
        Dumaresq senkte das Kinn auf sein Halstuch.»Endlich. «Er sah Midshipman Merrett am Besanmast.»Laufen Sie hinunter und holen Sie die Kriegsartikel von meinem Steward. Wir wollen diese Angelegenheit hinter uns bringen und uns dann zum Gefecht bereitmachen.»
        Er klopfte auf seine scharlachrote Weste und gab einen leisen Rulpser von sich. Das war ein hubsches Stuck Schweinefleisch. Und auch das Glas Wein wird helfen, den Tag richtig zu beginnen. «Er bemerkte Bolithos Unentschlossenheit.»Lassen Sie den Gefangenen holen. Ich mochte, da? er das Schiff seines Brotgebers sieht, bevor er an der Rah baumelt. Gott lasse ihn da verfaulen.»
        Sergeant Barmouth stellte eine Reihe Seesoldaten quer auf der Hutte auf, und als die Bootsmannsmaaten» Alle Mann achteraus zum Strafakt «durch die Decks pfiffen, erschien Spillane, begleitet vom Wachtmeister und von Korporal Dyer.
        Die Seeleute, die ihre Oberkorper schon zum Gefecht entblo?t hatten, machten Platz, um die kleine Gruppe durchzulassen.
        Unter der Querreling hielten sie an, und Poynter meldete:»Der Gefangene, Sir!»
        Bolitho zwang sich, in Spillanes nach oben gerichtetes Gesicht zu schauen. Es war so vollig leer, als sei der gewohnlich aufmerksame und gefa?te Mann nicht imstande, das Geschehen zu begreifen.
        Bolitho erinnerte sich, wie Spillane mit Auroras Botschaft in seine
        Kammer gekommen war, und fragte sich, wieviel davon er wohl Garrick berichtet hatte.
        Dumaresq wartete, bis seine Offiziere die Hute abnahmen, und sagte dann mit seiner volltonenden Stimme:»Sie wissen, warum Sie hier stehen, Spillane. Wenn Sie ein gepre?ter Mann waren, den man gegen seinen Willen zum Dienst fur den Krieg gezwungen hatte, ware es anders. Aber Sie haben sich freiwillig gemeldet in der klaren Absicht, Ihren Diensteid zu brechen und alles zu tun, Ihr Schiff und Ihre Kameraden ins Verderben zu fuhren. Es war Verschworung zum Mord. Schauen Sie da hinuber, Mann.»
        Als Spillane sich nicht ruhrte und ihn nur anstarrte, sagte Dumaresq: Wachtmeister!»
        Poynter fa?te das Kinn des Delinquenten und druckte es zum Bug.

«Das Schiff da druben wird von Ihrem Herrn, Piers Garrick, befehligt. Schauen Sie es sich genau an, und fragen Sie sich selber, ob es den Verrat wert war.»
        Doch Spillanes Blick blieb auf die im Wind schwingende Schlinge gerichtet. Es war zweifelhaft, da? er irgend etwas anderes sah.

«An Deck!«Hendersons normalerweise kraftige Stimme klang unsicher, als furchte er sich, in das Drama unter ihm einzugreifen.
        Dumaresq schaute auf.»Sprechen Sie, Mann!»

«Auf der San Augustin hangen Leichen an den Rahen, Sir!»
        Dumaresq schnappte sich Jurys Fernglas und machte einen Sprung in die Wanten.
        Langsam kam er wieder herunter an Deck und sagte:»Es sind die spanischen Offiziere des Schiffes. «Er warf einen kurzen Blick auf Bolitho.»Zur Warnung erhangt, zweifellos.»
        Doch Bolitho hatte etwas anderes in Dumaresqs Augen gelesen, nur ganz kurz. Etwas wie Erleichterung, aber woruber? Was hatte er zu sehen erwartet?
        Dumaresq kehrte an die Querreling zuruck und setzte seinen Hut wieder auf. Dann sagte er:»Entfernen Sie das Jolltau von der Gro?rah, Mr. Timbrell. Wachtmeister, bringen Sie den Delinquenten nach unten. Er soll auf die gemeinsame Hinrichtung mit den anderen warten.»
        Spillanes Beine schienen unter ihm nachzugeben. Er legte die Handflachen zusammen und sagte zerknirscht:»Ich danke Ihnen, Sir! Gott segne Sie fur Ihre Gute!»

«Steh auf, verdammter Kerl!«Dumaresq sah mit Verachtung auf ihn hinab. Erstaunlich, da? Manner wie Garrick andere Menschen so leicht korrumpieren konnen. Wenn ich Sie hange, bin ich nicht viel besser als er. Aber horen Sie zu: Sie werden heute erleben, wie wir siegen, und das wird eine sehr viel hartere Strafe fur Sie sein.»
        Als Spillane weggeschleppt wurde, sagte Palliser sarkastisch:»Und wenn wir sinken, geht der Lump als erster auf den Meeresgrund.»
        Dumaresq tippte ihm auf die Schulter:»Sehr wahr. Aber nun treffen Sie die letzten Vorbereitungen zum Gefecht, und zwar zwei Minuten schneller als ublich!»

«Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!«Palliser fa?te gru?end an seinen Hut, und seine Augen glanzten.»In genau acht Minuten.»
        Dumaresq senkte sein Teleskop und warf ihm einen Blick zu.»Wir mogen knapp an Leuten sein, aber dafur setzt sich jeder doppelt ein.»
        Bolitho stand unterhalb des Achterdecks und beobachtete scheinbar gelassen seine Geschutzbedienungen an ihren Vorholtaljen. Das Warten war noch lange nicht voruber.
        Das noch fernab stehende Schiff hatte weitere Segel gesetzt und hob sich klar von der Insel ab; aber wahrend die Destiny von der leichten Dunung sanft gewiegt wurde, schien die San Augustin bewegungslos dazuliegen wie ein Klotz. Wurde sie abdrehen und fluchten? Dann bestand immerhin eine Chance fur ihre Heckgeschutze, die sie verfolgende Destiny mit einem Gluckstreffer au?er Gefecht zu setzen.
        Fahnrich Henderson, von den Vorbereitungen tief unter seinem Ausgucksitz unberuhrt, hatte gemeldet, da? zwei weitere Segel aus der Lagune gekommen waren. Das eine war der Toppsegelschoner, und Bolitho fragte sich, warum Dumaresq so sicher war, da? Garrick sich auf dem gro?en Kriegsschiff befand und nicht auf dem Schoner. Vielleicht waren er und Dumaresq am Ende einander doch sehr ahnlich. Keiner wollte nur Zuschauer sein, jeder war darauf aus, einen schnellen und eindeutigen Sieg zu erringen.
        Little ging langsam hinter der Steuerbordbatterie von Zwolfpfun-dern entlang, hielt gelegentlich an, um eine Talje zu kontrollieren oder um sicherzustellen, da? die Schiffsjungen die Decks ausreichend mit
        Sand bestreut hatten, damit die Bedienungen spater, wenn es hei? herging, nicht ausrutschten.
        Stockdale stand an seiner Kanone und streichelte eine Zwolfpfundkugel, bevor er sie in das Kugelrack zurucklegte und eine andere herausnahm. Gegen seine machtige Gestalt wirkten seine Manner wie Zwerge. Er macht das, als ob es ihm angeboren ist, dachte Bolitho, der diese Geste oft bei alten Geschutzfuhrern gesehen hatte. Sie wollten damit sicherstellen, da? die ersten Schusse genau sa?en. Nach den einleitenden Breitseiten kampfte gewohnlich jede Kanone fur sich, und der Teufel sollte die letzten holen.
        Er horte Gulliver sagen:»Wir haben die Luvposition, Sir. Wir konnen immer noch Segel wegnehmen, wenn der Feind herankommt.»
        Er redete wahrscheinlich nur, um seine innere Unruhe zu verbergen oder um einen Tip von seinem Komandanten zu bekommen. Aber Dumaresq blieb stumm, beobachtete seinen Gegner, blickte gelegentlich zum Wimpel im Masttopp auf oder musterte die trage Welle, die vom Bug der Destiny aufgeworfen wurde.
        Bolitho schaute nach vorn, wo Rhodes mit Cowdroy und einigen seiner Geschutzfuhrer sprach. Das Warten nahm kein Ende. Es war so wie immer, aber er wurde sich nie daran gewohnen.

«Die Schoner haben angeluvt, Sir!»
        Dumaresq grunzte:»Hangen sich an wie Schakale.»
        Bolitho kletterte hoch, um uber die Laufbrucke, die Vor- und Achterschiff uber die Steuerbordbatterie hinweg miteinander verband, spahen zu konnen. Selbst hinter den vollgepackten Hangemattskasten und unter den waagrecht uber das Batteriedeck gespannten Fangnetzen gab es nur wenig Schutz fur die Seeleute, dachte er.
        Beinahe am gefahrlichsten war es auf den jetzt leeren Bootsstanden. Bis auf Gig und Barkasse, die sie hinter sich herschleppten, hatten sie alle Boote treiben lassen. Im Gefecht waren herumfliegende Holzsplitter eine der gro?ten Gefahren, und die Boote gaben ein verlockendes Ziel ab. Doch sie treiben zu lassen, druckte dem, was ihnen bevorstand, das Siegel der Endgultigkeit auf.
        Henderson rief:»Die Leichen sind herunterholt worden, Sir. «Seine Stimme klang vor Anstrengung rauh.
        Dumaresq sagte zu Palliser:»Gott strafe ihn.»
        Palliser antwortete ruhig:»Vielleicht will er Sie nur wutend machen, Sir?»

«Mich provozieren?«Dumaresqs Arger verflog.»Sie konnten recht haben. Himmel und Holle, Mr. Palliser, Sie gehoren ins Parlament und nicht in die Marine.»
        Seekadett Jury stand, die Hande auf dem Rucken, und beobachtete das ferne Schiff. Den Hut hatte er so schief uber die Augen gezogen, wie er es bei Bolitho gesehen hatte.
        Er fragte plotzlich:»Werden sie versuchen, uns anzugreifen, Sir?»

«Wahrscheinlich. Sie sind uns zahlenma?ig uberlegen. Nach dem, was wir auf der Insel gesehen haben, schatze ich, da? es zehn zu eins fur sie steht. «Er sah Jurys Besturzung und setzte leichthin hinzu:»Aber der Kommandant wird sie sich vom Leibe halten und sie langsam zermurben.»
        Jury wandte ein:»Die beiden anderen Schiffe konnten gefahrlich werden.»

«Der Toppsegelschoner vielleicht. Der andere ist zu leicht gebaut, um ein Nahgefecht mit uns zu riskieren.»
        Bolitho uberlegte, wie es jetzt ohne ihre verzweifelte Aktion auf der Insel um sie stunde. War das erst gestern gewesen? Es waren sechs Schoner gewesen statt zwei, und die vierundvierzig Kanonen tragende San Augustin hatte Zeit gehabt, noch zusatzliche Kanonen an Bord zu montieren, zum Beispiel die von der Hugelbatterie. Aber wie es auch ausging, der gekaperte Schoner wurde Dumaresqs Bericht zum Admi-ral nach Antigua bringen. Fur sie vielleicht zu spat, aber Garrick wurde fur den Rest seines Lebens ein gejagter Mann bleiben. Wie klar der Himmel war. Und es war noch nicht zu hei?. Die See sah sanft und einladend aus. Bolitho versuchte, nicht an damals zu denken, als er sich ausgemalt hatte, wie er mit Aurora im Wasser herumtollen und sie beide fur immer glucklich miteinander leben wurden.
        Dumaresq sagte sehr laut:»Sie werden versuchen, uns zu entmasten und uns dann zu entern. Au?erdem ist anzunehmen, da? der gro?te Schoner mit einigen schweren Kanonen bestuckt ist. Darum mu? jede unserer Kugeln sitzen. Denkt daran, da? druben viele Kanoniere und Matrosen gefangene Spanier sind. Sie sind zwar von Garrick eingeschuchtert, werden aber kaum Lust haben, von uns zu Brei zerstampft zu werden.»
        Seine Worte riefen zustimmendes Gemurmel bei den halbnackten Geschutzbedienungen hervor.
        Plotzlich horten sie abgehacktes Geschutzfeuer. Als Bolitho sich umwandte, sah er, wie die Steuerbordkanonen der San Augustin lange, orangefarbene Zungen ausspien, wahrend Pulverqualm uber das Schiff hinwegzog und die Insel dahinter teilweise verdeckte.
        Die See schaumte und scho? himmelwarts, als ob sie vulkanisch aus der Tiefe hochgetrieben wurde und nicht durch die Kanonenkugeln des stolzen Schiffes mit den roten Kreuzen auf seinen Gro?segeln.
        Stockdale sagte:»Ungenau.»
        Einige Seeleute drohten dem Feind mit den Fausten, obwohl das niemand auf die weite Entfernung sehen konnte.
        Rhodes schlenderte nach achtern. Sein schoner Sabel pa?te schlecht zu seiner abgetragenen Borduniform. Er meinte:»Er will sie wohl nur beschaftigen, was, Dick?

        Bolitho nickte. Rhodes hatte sicher recht, aber trotzdem ging von dem spanischen Schiff etwas sehr Bedrohliches aus, vielleicht wegen seiner ausgefallenen Schonheit, der Pracht seines vergoldeten Schnitzwerks, das selbst auf diese Entfernung zu erkennen war.
        Er sagte:»Wenn blo? Wind aufkommen wollte!»
        Rhodes zuckte die Achseln.»Wenn wir blo? in Plymouth waren!»
        Der spanische Kolo? spie eine weitere Breitseite aus, und einige Kugeln sprangen - scheinbar endlos lange - uber die Wasseroberflache.
        Das Hohngeschrei war diesmal noch lauter, aber Bolitho bemerkte, da? einige der alteren Geschutzfuhrer besorgt dreinschauten. Das Eisen des Feindes fiel kurz und war auch seitlich nicht gut gerichtet, aber da beide Schiffe sich auf konvergierenden Kursen langsam aufeinander zubewegten, wurde jede Salve gefahrlicher werden.
        Er dachte an Bulkley und seine Gehilfen, wie sie im halbdunklen Orlopdeck standen, die blanken Instrumente vor sich, dazu die Branntweinflasche, die den Schmerz betauben, und den Lederknebel, der verhindern sollte, da? der Patient sich die Zunge durchbi?, wenn die Sage des Chirurgen ihre Arbeit tat.
        Und er dachte an Spillane in der Arrestzelle unterhalb der Wasserlinie. Was mochte er empfinden, wenn der Geschutzdonner gegen die Bordwande anrollte?

«Batteriedeck, Achtung!«Palliser blickte auf die doppelte Reihe Kanonen herab. Zuruckholen und laden!»
        Das war der gro?e Augenblick. Mit au?erster Konzentration wachte jeder Geschutzfuhrer daruber, da? seine Manner ihr volles Gewicht an die Taljen hangten und ihre Kanone von der Bordwand zuruckzogen.
        Massige Kartuschen wurden schnell an die Mundung gereicht, von der Ladenummer eingefuhrt und anschlie?end vom Ansetzer weiter hineingeschoben.
        Bolitho beobachtete den ihm am nachsten stehenden Mann, wie er der Kartusche noch zwei Extrasto?e nachschickte, um sie ganz fest gegen das Bodenstuck zu pressen. Sein Gesicht war dabei so gespannt, so vollig seiner Aufgabe hingegeben, als wolle er den Feind ganz allein besiegen. Dann kam der Ladepfropfen, gefolgt von einer glanzend schwarzen Kugel, die mit einem weiteren Ladepfropfen festgerammt wurde, damit sie nicht bei einer unerwarteten Schlingerbewegung des Schiffes harmlos wieder vorn heraus und ins Wasser rollte. Schlie?lich waren sie fertig.
        Als Bolitho wieder hochschaute, schien das andere Schiff sehr viel naher gekommen zu sein.

«Fertig an Deck?»
        Jeder Geschutzfuhrer zeigte mit einer Hand: klar.
        Palliser rief:»Stuckpforten offnen!«Er wartete und zahlte die Sekunden, als die Pfortendeckel sich an beiden Schiffsseiten wie Augenlider hoben.»Ausrennen!»
        Die San Augustin feuerte schon wieder, aber da ihr Steuermann wohl gerade etwas abgefallen war, schlug die ganze Breitseite eine gute halbe Meile vor dem Bug der Destiny ins Wasser.
        Rhodes marschierte hinter seinen Kanonen entlang, gab Anweisungen oder scherzte auch nur mit seinen Leuten; Bolitho konnte es nicht erkennen.
        Die San Augustin stand nun an Backbord voraus, und ihr Kurs lief mit dem der Destiny in einem spitzen Winkel zusammen. Es war schwer, die Geschutzbedienungen an ihrem Platz zu halten und zu verhindern, da? sie auf die andere Seite liefen, um nachzuschauen, was druben los war.
        Palliser rief:»Mr. Bolitho! Halten Sie sich bereit, Leute von Ihrer Batterie auf die andere Seite zu Hilfe zu schicken. Nach zwei Breitseiten werden wir nach Backbord halten und auch Ihren Kanonen eine Chance geben. «Bolitho hob die Hand. Aye, Sir!»
        Dumaresq befahl:»Kursanderung drei Strich nach Steuerbord.»

«An die Schoten und Brassen! Ruder nach Luv!»
        Die Rahen schwangen herum, die Destiny folgte gehorsam dem Ruder; die San Augustin schien achteraus auszuwandern, als sie den geduckt hinter ihren Stuckpforten wartenden Geschutzfuhrern ins Visier kam.

«Volle Erhohung! Feuer!»
        Die Zwolfpfunder rumpelten binnenbords und wurden von Brocktauen abgestoppt. Der Pulverqualm trieb leewarts in einer dichten Wolke auf den Feind zu.

«Stopft die Zundlocher!«Rhodes bewegte sich jetzt viel schneller.»Wischt aus und ladet neu!»
        Die Geschutzfuhrer mu?ten doppelt hart arbeiten, und mancher benutzte beide Fauste, um die Nervositat seiner Leute zu bandigen. Wenn eine Kartusche in ein unausgewischtes Rohr gesteckt wurde, in dem noch gluhende Reste der vorigen Kartusche steckten, bedeutete das einen schnellen und gra?lichen Tod.
        Stockdale schlug auf den Verstarkungsring seiner Kanone.»Los, Jungs! Beeilung!»

«Rennt die Kanonen aus!«Palliser hielt sein Teleskop auf die Hangemattsnetze gestutzt und beobachtete das andere Schiff.»Ziel auffassen! Geschutzweise nach Sicht feuern!»
        Diesmal kam die Breitseite unregelma?ig heraus, da jeder Geschutzfuhrer den fur ihn gunstigen Augenblick zum Abschu? abwartete. Aber bevor er den Einschlag seiner Kugel beobachten konnte, rannten schon wieder Matrosen an die Schoten und Brassen, da Gulliver seine Ruderganger zu neuer Kursanderung antrieb. Die Destiny lag jetzt so hoch am Wind, wie es ihr moglich war, ohne die Manovrierfahigkeit zu verlieren.
        Bolitho hatte einen ganz trockenen Mund. Ohne es zu bemerken, hatte er seinen Sabel gezogen und gegen die Hufte gedruckt. Das Deck der Destiny hatte sich schrag gelegt, und die Geschutzfuhrer sahen den goldverzierten Bugspriet der San Augustin jetzt langsam, aber stetig ins Blickfeld ihrer Stuckpforten einwandern.

«In der Aufwartsbewegung schie?en!»
        Aber vor ihnen spie die Bordwand der San Augustin erneut Feuer und Eisen mit orangefarbenen Zungen. Bolitho horte das wilde Kreischen der Ketten- und Stangengeschosse, die uber sie hinwegflogen. Er fand noch Zeit, Fahnrich Henderson zu bemitleiden, der oben auf der Bramsaling hockte und sein Fernrohr auf den Feind gerichtet hielt, wahrend die morderische Verbindung von Ketten und Eisenstangen an ihm vorbeirauschte. »Feuer!»
        Bolitho beobachtete, wie die See um das andere Schiff aufbrauste und sein Gro?segel flatterte, als ob es von mehr als einer Kugel durchschlagen worden sei.
        Wahrend seine Manner sich auf Handspaken und Ansetzer sturzten und nach Pulver und Kugeln schrien, und wahrend das Getose noch von Pallisers Stimme auf dem Achterdeck ubertont wurde, warf Bo-litho einen Blick auf den Kommandanten.
        Er stand mit Gulliver und Slade neben dem Kompa? und zeigte auf den Feind, auf seine Segel und den davontreibenden Qualm, als ob das alles von ihm dirigiert wurde. »Feuer!»
        Kanone fur Kanone rollten die Zwolfpfunder an der Steuerbordseite der Destiny binnenbords, und die Rader ihrer Lafetten quietschten dabei wie gequalte Schweine.

«Klar zur Kursanderung! Achtung, Mr. Rhodes! Backbordbatterie mit Doppelkugeln laden!»
        Bolitho sprang beiseite, um vorbeirennenden Matrosen und Kommandos schreienden Maaten Platz zu machen. Der standige kraftezehrende Drill auf der langen Uberfahrt von Plymouth zahlte sich jetzt aus. Unabhangig davon, was die Kanonen machten, das Schiff mu?te gehandhabt und manovrierfahig gehalten werden.
        Wieder brullten die Kanonen auf, diesmal mit einem anderen Ton, der durch Mark und Bein ging, denn die Rohre spien mit doppelter Treibladung je zwei Kanonenkugeln aus.
        Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Handrucken. Ihm war, als hatte er stundenlang in der Sonne gestanden. Tatsachlich war es aber kaum acht Uhr fruh; erst eine Stunde, nachdem Spillane unter Deck geschickt worden war.
        Dumaresq war mit der doppelten Ladung ein Risiko eingegangen, aber Bolitho hatte gesehen, da? sich die beiden Schoner nach Luv vorarbeiteten, um von achtern an die Destiny heranzukommen. Sie mu?ten schnellstens Treffer auf der San Augustin erzielen, und zwar entscheidende Treffer, um zumindest deren Bewegungsfahigkeit herabzusetzen.
        Dumaresq rief:»Holt den Feuerwerker! Aber schnell!»
        Bolitho zuckte zusammen, als Wassersaulen uber der BackbordLaufbrucke zusammenschlugen und er einen heftigen Sto? gegen den Schiffsrumpf spurte. Mindestens zwei Treffer, vielleicht sogar an der Wasserlinie.
        Aber der Bootsmann rief schon Befehle, und seine Leute rannten am Posten der Seesoldaten, der den Weg nach unten versperrte, vorbei, um den Schiffsrumpf zu untersuchen und jede Schadenstelle abzudichten.
        Er sah den Feuerwerker wie eine Eule ins Tageslicht blinzeln und argerlich dreinschauen, da? man ihn aus seiner Pulverkammer geholt hatte, wenn auch auf Befehl des Kommandanten.

«Mr. Vallance!«Dumaresq grinste verschworerisch.»Sie waren einmal der beste Geschutzfuhrer der Kanalflotte. Habe ich recht?»
        Vallance rutschte in seinen Filzpantoffeln, die er in der feuerempfindlichen Pulverkammer tragen mu?te, um beim Gehen keinen Funken zu erzeugen, hin und her.

«Das ist richtig, Sir. «Trotz des Larms war er offenbar erfreut, daran erinnert zu werden.

«Gut. Ich mochte, da? Sie personlich das Kommando uber die beiden Buggeschutze ubernehmen und es dem Toppsegelschoner richtig geben. Ich werde das Schiff auf den entsprechenden Kurs legen. «Leiser fugte er hinzu:»Sie mussen sich beeilen.»
        Vallance schlurfte davon und zeigte im Vorbeigehen mit dem Daumen auf zwei Geschutzfuhrer in Bolithos Batterie. Vallance war tatsachlich der Beste in seiner Zunft der Feuerwerker und Stuckmeister, auch wenn er gewohnlich ein schweigsamer Mann war. Er brauchte keine weiteren Erklarungen von Dumaresq. Denn wenn die Destiny wendete, um die Schoner anzugreifen, bot sie ihre ganze Lange der feindlichen Breitseite.
        Die Buggeschutze der Destiny waren Neunpfunder. Obwohl sie nicht so machtig waren wie andere Marinegeschutze, hatten die Neun-pfunder den Ruf, am genauesten zu treffen.

«Feuer!»
        Die Manner von Rhodes' Batterie wischten schon wieder die Rohre aus und glanzten vor Schwei?, der in schmalen Streifen uber ihre von Pulverqualm geschwarzten Rucken rann.
        Die Entfernung betrug weniger als zwei Meilen, und als Bolitho hochschaute, sah er mehrere Locher im Gro?marssegel und einige Matrosen, die schon dabei waren, durchschossenes Tauwerk zu ersetzen, wahrend die Schlacht auf immer kleinerem Abstand weitertobte.
        Vallance stand nun auf der Back, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie sein ergrautes Haupt sich uber den Neunpfunder an Backbord neigte.
        Dumaresqs Stimme schnitt durch eine kurze Pause im Kanonendonner.»Wenn Sie soweit sind, Mr. Vallance, gehen wir funf Strich nach Backbord. «Er ballte die Fauste. Wenn blo? mehr Wind aufkame!«Um seine Unruhe zu bezwingen, verschrankte er die Hande wieder hinter dem Rucken.»Bramsegelschoten los!»
        Augenblicke spater drehte die Destiny, so gut es ihr bei den mude killenden Segeln moglich war, nach Backbord durch den Wind, und Sekunden darauf - so schien es wenigstens -, lagen die Schoner quer vor ihrem Bug.
        Bolitho horte den Abschu? des Backbord-Neunpfunders und dann den der anderen Seite, als Vallance feuerte.
        Der Toppsegelschoner schien zu taumeln, als ob er vierkant auf ein Riff aufgelaufen ware. Der vordere Mast brach mit Rahen, Segeln und Tauwerk zusammen und sturzte auf das Vorschiff und zum Teil uber Bord. Unkontrolliert drehte der Schoner ab und schlug quer.
        Dumaresq schrie:»Aktion abbrechen! Drehen Sie zuruck auf den alten Kurs, Mr. Palliser!»
        Bolitho wu?te, da? der zweite Schoner es kaum riskieren wurde, das gleiche Schicksal wie sein Gefahrte zu erleiden. Es war ein artilleristisches Meisterstuck gewesen. Er sah seine Manner an den Stagen heruntergleiten, nachdem sie zusatzliche Segel gesetzt hatten, und fragte sich, welchen Eindruck die Destiny wohl auf die gegnerischen Geschutzbedienungen machen mu?te, die nun durch den Pulverqualm erkannten, da? einer der Ihren so leicht erledigt worden war.
        Das machte aber kaum den Unterschied in der Bestuckung der beiden Schiffe wett. Dagegen konnte es die britischen Seeleute in einem Augenblick ermutigen, in dem sie diese moralische Stutze am dringendsten brauchten.

«Recht so! Kurs Nord zu Ost, Sir.»
        Bolitho rief:»Jetzt kommen wir dran!«Er sah, da? einige Matrosen ihm zulachelten, mit Gesichtern wie Masken und glasigen Augen von dem dauernden Geschutzfeuer.
        Plotzlich schien sich das Deck unter Bolithos Fu?en aufzubaumen. Erschreckt sah er einen Zwolfpfunder der Backbord-Batterie umsturzen und zwei schreiende Manner unter sich begraben, wahrend die ubrigen sich duckten oder von herumfliegenden Holzsplittern getroffen zu Boden sturzten.
        Er horte Rhodes Befehle geben, die die Ordnung wiederherstellten, und die Antwort mehrerer Kanonen, die erneut feuerten. Doch der Schaden war gro?, und als Timbrells Manner herbeieilten, um die umgesturzte Kanone und das zersplitterte Holz wegzuraumen, feuerte der Feind abermals.
        Bolitho wu?te nicht, wie viele Kugeln der San Augustin diesmal ihr Ziel getroffen hatten, aber das Deck bebte so heftig, da? es eine ganze Masse Eisen gewesen sein mu?te. Holzteile flogen ihm um die Ohren, und er schutzte sein Gesicht mit den Armen, als ein gro?er Schatten auf das Batteriedeck fiel.
        Stockdale ri? ihn zu Boden und krachzte:»Der Besan! Sie haben ihn umgeschossen.»
        Dann gab es ein Donnergetose, als der Besanmast mit Stengen und Rahen auf das Achterdeck und die Steuerbord-Laufbrucke herabsturzte, Tauwerk, Segel und Menschen mit sich rei?end und unter sich begrabend.
        Bolitho rappelte sich wieder auf und spahte nach dem Feind aus. Der schien seine Position verandert zu haben. Nur seine oberen Rahen ragten aus dem Qualm, doch er fuhr fort zu schie?en. Die Destiny hatte Schlagseite, und die uber die Bordwand hangenden Teile der Takelage zogen sie herum, wahrend uberall Manner sich aus dem Gewirr von Tauwerk und Leinwand zu befreien suchten. Bei dem ohrenbetaubenden Larm waren alle ihnen zugerufenen Befehle vergeblich.
        Dumaresq kam an die Querreling und lie? sich seinen Hut von seinem Bootssteurer reichen. Er warf einen schnellen Blick uber das Oberdeck und befahl dann:»Mehr Leute nach achtern! Kappt den ganzen Plunder!»
        Palliser tauchte aus dem Chaos auf wie ein Gespenst. Er hielt seinen Arm, der gebrochen schien, und es sah aus, als ob er jeden Augenblick zusammensinken wurde.
        Dumaresq brullte:»Bewegt euch! Und eine neue Flagge an den Gro?mast, Mr. Lovelace!

        Aber es war ein Bootsmannsmaat, der aufenterte, um die Flagge zu ersetzen, die mit dem Besanmast weggeschossen worden war. Mids-hipman Lovelace, der in zwei Wochen vierzehn Jahre alt geworden ware, lag - von einem durch die Luft gesausten Backstag fast mittendurch geschnitten - an den Hangemattsnetzen.
        Bolitho stand bewegungslos an seinem Platz, wahrend das Schiff um ihn herum unter den Sto?en des Geschutzfeuers schwankte und bebte. Dann packte er Jury an der Schulter und sagte:»Nehmen Sie zehn Manner, und helfen Sie dem Bootsmann. «Er schuttelte ihn leicht.»Alles in Ordnung?»
        Jury lachelte.»Jawohl, Sir. «Er lief in den Qualm und rief dabei mehrere Namen.
        Stockdale murmelte:»Wir haben nur noch sechs Kanonen auf dieser Seite, die zahlen.

        Bolitho wu?te, da? die Destiny so lange au?er Kontrolle war, bis der Besan gekappt war. Als er uber die Bordwand blickte, sah er unten einen Seesoldaten, der sich noch an der Besanstenge festhielt, und einen anderen, der von dem Gewirr der Takelage unter Wasser gezogen wurde und ertrank. Er wandte sich ab zu Dumaresq, der wie ein Fels dastand und den Feind beobachtete, wobei er offensichtlich darauf bedacht blieb, da? seine Besatzung ihn sah.
        Bolitho zwang sich, woanders hinzublicken. Er fuhlte sich plotzlich bedruckt und schuldig, da er zufallig Dumaresqs Geheimnis entdeckt hatte. Das also war der Grund, warum er die scharlachrote Weste trug! Damit keiner seiner Leute etwas merken konnte, wenn er verwundet wurde.
        Aber Bolitho hatte die frischen nassen Flecken erkannt, von denen Blut auf seine kraftigen Hande getropft war, als sein Bootssteurer John ihn stutzend an die Reling gefuhrt hatte.
        Midshipman Cowdroy kletterte uber die Trummer und rief:»Ich brauche Hilfe auf dem Vorschiff, Sir!«Er sah aus, als ware er kurz vorm Durchdrehen.
        Bolitho sagte:»Sehen Sie zu, wie Sie allein damit fertig werden. «Das gleiche hatte Dumaresq anla?lich des Uhrendiebstahls zu ihm gesagt.
        Er horte Axtschlage aus dem Rauch und spurte, wie das Schiff sich aufrichtete, als der gebrochene Mast mit seiner Takelage von ihrer Bordwand freikam.
        Wie nackt sie aussahen ohne den Besanmast und seine vollstehenden Segel!
        Auf einmal bemerkte Bolitho, da? die San Augustin quer vor ihrem Bug lag. Sie feuerte immer noch, aber die Kurswechsel der Destiny, die von der uberhangenden Takelage verursacht worden waren, machten ihr das Zielen im Qualm schwierig. Mehrere Kugeln schlugen dicht vor der Bordwand ein oder klatschten querab zu beiden Seiten ins Wasser. Aber die Kanonen der Destiny waren ebenfalls blind, mit Ausnahme der Buggeschutze. Bolitho horte ihre scharfen Abschusse, als sie das Feuer mit todlicher Entschlossenheit erwiderten.
        Doch eine weitere schwere Kugel schlug unter ihrer BackbordLaufbrucke ein, warf zwei Kanonen um und farbte das Deck blutrot, als sie eine Gruppe von Mannern niedermahte, von denen viele bereits verwundet gewesen waren.
        Bolitho sah, da? Rhodes hinfiel und versuchte, sich wieder aufzuraffen, aber dann endgultig niedersank.
        Er lief hinuber, um ihm zu helfen, ihn vor dem bei?enden Pulverqualm zu schutzen, wahrend die Welt um ihn herum verruckt zu spielen schien.
        Rhodes sah ihm direkt ins Gesicht, und seine Augen waren klar, als er flusterte: Der >Herr und Meister< hat seinen Willen, sehen Sie, Dick?«Er schaute am Gro?mast vorbei in den Himmel.»Der Wind - endlich ist er da. Aber zu spat. «Er hob den Arm, um Bolithos Schulter zu beruhren.»Passen Sie auf sich auf, Dick. Ich habe es immer gewu?t…«Sein Blick wurde plotzlich starr und leblos.
        Bolitho erhob sich muhsam und starrte in das Chaos und Elend ringsum. Stephen Rhodes war tot. Rhodes, der ihn als erster an Bord willkommen gehei?en und das Leben immer auf die leichte Schulter genommen hatte.
        Dann sah er durch die zerrissenen Netze und zerfetzten Hangematten die See. Die vorher so trage Dunung war lebhaft geworden. Er schaute hinauf zu den Segeln. Durchlochert, wie sie waren, standen sie jetzt doch prall wie Brustharnische und trieben die Fregatte vorwarts in den Kampf. Sie waren noch nicht geschlagen! Rhodes hatte es gesehen.»Der Wind«, hatte er gesagt. Es war das letzte, was er auf Erden erkannt hatte.
        Bolitho rannte an die Bordwand und sah die San Augustin an Steuerbord voraus erschreckend nahe. Manner schossen von druben auf ihn, und uberall war Qualm und Larm, aber er spurte nichts. Aus der Nahe sah das feindliche Schiff nicht mehr so stolz und unverletzbar aus. Er konnte erkennen, wo die Kugeln der Destiny Spuren hinterlassen hatten.
        Er horte Dumaresqs Stimme, die ihm das Deck entlang folgte und trotz seiner unvermeidlichen Schmerzen immer noch kraftig und beherrschend klang.»An die Steuerbordbatterie, Mr. Bolitho!«Bolitho hob Rhodes schonen Sabel auf und schwenkte ihn wild.»An die Kanonen, Jungs! Doppelte Ladung!«Musketenkugeln prasselten wie Kieselsteine an Deck, und hier und da fiel ein Mann um. Aber die ubrigen, die sich aus den Trummern befreit hatten, uberlie?en die Kanonen an der Backbordseite sich selber und gehorchten taumelnd Bolithos Ruf. Sie luden die verbliebenen Zwolfpfunder, kauerten dahinter wie verschreckte Raubtiere und warteten, bis das hohe Achterschiff der San Augustin sich Meter fur Meter wie ein vergoldeter Fels vor ihnen aufturmte.»Ziel auffassen!»
        Wer gab die Befehle? Dumaresq, Palliser, oder war er so mitgerissen von der Wildheit der Schlacht, da? er sie selber ausgesto?en hatte?

«Feuer!»
        Er sah die Kanonen im Rucksto? binnenbords rollen und ihre Bedienungen durch die Stuckpforten schauen, um den Erfolg ihrer Schusse zu uberprufen. Denn jede der morderischen Kugeln pflugte jetzt vom Heck bis zum Bug durch das spanische Schiff und verbreitete uberall Tod und Verderben.
        Kein Geschutzfuhrer, auch Stockdale nicht, machte Anstalten, neu zu laden. Es war, als wisse jeder Bescheid.
        Die San Augustin trieb nach Lee ab. Vielleicht war ihr Ruder zerschossen oder samtliche Offiziere waren in der letzten feurigen Umarmung getotet worden.
        Bolitho ging langsam nach achtern und stieg den Niedergang hoch aufs Achterdeck. Holzsplitter lagen uberall herum, und an den Sechs-pfundern waren nur noch wenige Manner ubrig, die Hurra rufen konnten, als ein Teil der Takelage des Feindes in die Qualmwolken sturzte.
        Dumaresq wandte sich muhsam um:»Ich glaube, sie brennt.»
        Bolitho sah Gulliver tot neben seinen Rudergangern liegen; Slade stand an seinem Platz, als ob er von Anfang an zum Master bestimmt gewesen sei. Colpoys, der seinen roten Rock wie ein Cape um die bandagierte Brust gehangt hatte, musterte seine Manner, die von ihren Waffen zuruckgetreten waren. Palliser sa? auf einem Fa?, wahrend einer von Bulkleys Leuten seinen Arm untersuchte.
        Bolitho horte sich sagen:»Wir werden den Schatz verlieren, Sir.»
        Eine Explosion schuttelte die schwer mitgenommene San Augustin. Man sah Gestalten uber Bord springen und jeden niedertrampeln, der sie aufzuhalten versuchte.
        Dumaresq blickte auf seine rote Weste herunter.»Sie verlieren ihn aber auch.»
        Bolitho beobachtete das andere Schiff und sah, wie der Qualm dik-ker wurde und erste Flammen unterhalb des Gro?masts hervorbrachen. Wenn Garrick noch lebte, wurde er nicht mehr weit kommen.
        Bulkley lief ubers Achterdeck.»Sie mussen nach unten gehen, Sir, ich mu? Sie untersuchen.»

«Mussen?«Dumaresq lachelte grimmig.»Das ist kein Wort, das ich. «Dann fiel er ohnmachtig in die Arme seines Bootssteurers.
        Trotz allem, was schon geschehen war, schien Bolitho dieser Anblick unertraglich. Er sah zu, wie Dumaresq aufgehoben und vorsichtig zum Niedergang getragen wurde.
        Palliser trat an die Querreling, aschfahl im Gesicht, aber er sagte:»Wir werden uns in sicherer Entfernung halten, bis das verdammte Schiff entweder gesunken oder in die Luft geflogen ist.»

«Was soll ich jetzt tun, Sir?«Das war Midshipman Henderson, der wunderbarerweise oben im Gro?mast uberlebt hatte.
        Palliser sah ihn an.»Sie ubernehmen Mr. Bolithos Aufgaben. «Er stockte, den Blick auf Rhodes' Leiche am Fockmast gerichtet.»Mr. Bolitho ist jetzt Zweiter Offizier.»
        Eine heftigere Explosion als alle bisherigen erschutterte die San Augustin so stark, da? ihre Fock- und Gro?marsstengen in den Qualm hinabsturzten, das ganze Schiff sich schwer auf die Seite legte und schlie?lich kenterte.
        Jury kam den Niedergang hoch und stellte sich an Bolithos Seite, um die letzten Augenblicke des einst so schonen Schiffes mit anzusehen.»War es das alles wert, Sir?»
        Bolitho sah ihn an und schaute sich an Deck um. Schon waren Leute dabei, die Schaden auszubessern und das Schiff wieder flott zu machen. Tausenderlei Dinge gab es zu tun: die Verwundeten mu?ten betreut werden. Der ubriggebliebene Schoner war zu jagen und zu erobern. Uberlebende mu?ten aus dem Wasser gefischt und als Gefangene von den spanischen Seeleuten getrennt werden. Eine Menge Arbeit fur eine kleine Fregatte mit reduzierter Besatzung.
        Er erwog Jurys Frage und uberlegte auch, was Dumaresq sagen wurde, wenn er zuruckkam. Eigenartig, dieser Dumaresq: Tod war fur ihn gleich Niederlage, und beides gab es fur ihn nicht.
        Bolitho sagte leise:»So durfen Sie nicht fragen. Ich habe einiges gelernt und lerne immer noch dazu. Das Schiff kommt zuerst. Aber lassen Sie uns an die Arbeit gehen, anderenfalls wird unser >Herr und Meisten einige unfreundliche Worte fur uns alle finden.»
        Uberrascht schaute er auf den Sabel, den er immer noch in der Hand hielt.
        Vielleicht hatte da Rhodes Jurys Frage fur ihn beantwortet?



        Epilog

        Bolitho druckte seinen Hut fester und blickte zu dem gro?en grauen Haus empor. Von See blies ein kraftiger Wind, und der Regen, der ihm ins Gesicht klatschte, fuhlte sich an wie Eisnadeln. So viele Monate, so langes Warten, und nun war er wieder zu Hause. Die Fahrt nach Falmouth, nachdem die Destiny in Plymouth geankert hatte, war lang und beschwerlich gewesen. Die Stra?en waren ausgefahren, und der hochspritzende Matsch hatte die Fenster der Kutsche so verdreckt, da? es Bolitho schwergefallen war, einzelne Orte, die ihm seit seiner Kindheit vertraut waren, wiederzuerkennen.
        Und nun, am Ziel, schien ihm alles unwirklich und - aus Grunden, die er selbst nicht erklaren konnte - fur ihn verloren.
        Nur das Haus war unverandert und sah aus wie vor einem Jahr.
        Stockdale, der ihn von Plymouth begleitet hatte, trat unruhig von einem Fu? auf den anderen.

«Sind Sie sicher, da? es richtig war, mich mitzunehmen, Sir?»
        Bolitho sah ihn an. Es war Dumaresqs letzte Geste gewesen, bevor er die Destiny der Schiffswerft zur grundlichen Uberholung ubergeben hatte und von Bord gegangen war:»Nehmen Sie Stockdale mit. Sie werden bald ein neues Kommando bekommen. Behalten Sie ihn bei sich, er ist ein brauchbarer Kerl.»
        Bolitho antwortete ruhig:»Sie sind hier willkommen und werden es bald merken.»
        Er schritt die ausgetretenen Stufen hinauf und sah, wie die zweiflug-lige Tur sich nach innen offnete. Es uberraschte ihn nicht, denn er hatte schon gespurte, da? das ganze Haus ihn wahrend der letzten Augenblicke schweigend beobachtet hatte.
        Aber es war nicht die alte Mrs. Tremayne, ihre langjahrige Haushalterin, die ihn begru?te, sondern ein junges Hausmadchen, das er nicht kannte.
        Sie knickste und errotete dabei:»Willkommen, Sir. «Fast im gleichen Atemzug setzte sie hinzu:»Kapt'n James erwartet Sie, Sir.»
        Bolitho trat den Schmutz von seinen Schuhen und ubergab dem Madchen Hut und Bootsmantel.
        Er schritt durch die getafelte Eingangshalle in den gro?en Raum, den er so gut kannte. Da war das Kaminfeuer, munter prasselnd, als wolle es den Winter bezwingen; auf dem Sims schimmerte Zinngeschirr, und uber allem hing ein Geruch, der - vermischt mit leichten Kuchenduften - Geborgenheit ausstrahlte.
        Kapitan James Bolitho loste sich vom Kamin und legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter.»Mein Gott, Richard, ich habe dich zuletzt als mageres Burschchen in Kadettenuniform gesehen, und nun bist du als Mann zuruckgekehrt.»
        Bolitho war besturzt uber das schlechte Aussehen seines Vaters. Er war zwar darauf vorbereitet, da? ihm ein Arm fehlte, aber sein Vater hatte sich unglaublich verandert. Sein Haar war grau, die Augen lagen tief in den Hohlen. Wegen seines hochgesteckten leeren Armels hielt er sich eigenartig. Bolitho hatte diese Haltung auch bei anderen verkruppelten Seeleuten gesehen. Vielleicht furchteten sie, da? jemand gegen die Stelle sto?en konnte, wo einmal der Arm gewesen war.

«Setz dich, mein Junge. «Er betrachtete Bolitho so genau, als befurchte er, etwas zu ubersehen.»Das ist aber eine schreckliche Narbe da auf deiner Stirn. Du mu?t mir davon erzahlen. «Aber es lag keine Bewegung in seiner Stimme.»Wer ist der Riese, mit dem ich dich kommen sah?»
        Bolitho packte die Armlehnen seines Stuhls.»Ein Mann namens Stockdale. «Er wurde sich plotzlich der Stille im Haus bewu?t und fragte:»Vater, ist etwas nicht in Ordnung?»
        Sein Vater ging zu einem Fenster und starrte blicklos durch das regennasse Glas.

«Ich habe es dir selbstverstandlich geschrieben. Die Briefe werden dich eines Tages erreichen. «Er wandte sich heftig um.»Deine Mutter ist vor einem Monat gestorben, Richard.»
        Bolitho sah ihn entsetzt an, unfahig, sich zu bewegen, es zu begreifen.»Gestorben?


«Sie war nur kurze Zeit krank. Ein heftiges Fieber. Wir taten alles, was wir konnten.»
        Bolitho sagte leise:»Ich glaube, ich habe es geahnt. Gerade eben, vor dem Haus. Sie hat ihm immer das Licht gegeben.»
        Tot. Er hatte sich uberlegt, was er ihr sagen wollte, wie er ihre Sorgen wegen seiner Verwundung zerstreuen konnte.
        Wie aus weiter Ferne sagte sein Vater:»Dein Schiff wurde uns schon vor einigen Tagen gemeldet.»

«Ja. Aber dann kam Nebel auf. Wir mu?ten drau?en ankern.»
        Er sah plotzlich die Gesichter der Destiny vor sich, die er verlassen hatte. Wie sehr er sie in diesem Augenblick gebraucht hatte: Duma-resq, der zur Admiralitat gefahren war, um den Verlust des Schatzes zu erklaren oder dafur begluckwunscht zu werden, da? er ihn dem Feind entzogen hatte. Palliser, der das Kommando uber eine in Spithead liegende Brigg bekommen hatte. Der junge Jury, dessen Stimme ubergekippt war, als sie einander zum letztenmal die Hande geschuttelt hatten.

«Ich habe von euren Unternehmungen gehort. Dumaresq scheint sich einen Namen gemacht zu haben. Ich hoffe wenigstens, da? die Admiralitat es so sieht. Dein Bruder ist auf See.»
        Bolitho versuchte, seine Gefuhle zu beherrschen. Worte, nur Worte. Er wu?te, da? sein Vater so war:»Haltung. «Es war immer eine Frage der» Haltung «fur ihn, zuerst und vor allem.

«Ist Nancy zu Hause?»
        Sein Vater sah ihn kuhl an.»Auch das kannst du nicht wissen: Deine Schwester hat den jungen Lewis Roxby, den Sohn des Squires, geheiratet. Deine Mutter sagte, das sei die beste Losung nach der anderen Geschichte. «Er seufzte:»So ist das also.»
        Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und pre?te die Schultern gegen das geschnitzte Eichenholz, um seinen Schmerz zu bandigen.
        Sein Vater hatte die See verloren, und jetzt war er auch noch allein in diesem gro?en Haus mit der Aussicht auf die Hange von Pendennis Castle und auf das Kommen und Gehen auf der Reede von Car-rick. Alles eine standige Erinnerung an das, was er verloren hatte, was ihm genommen worden war.
        Er sagte vorsichtig:»Die Destiny ist au?er Dienst gestellt, Vater. Ich kann bleiben.»
        Es war, als hatte er einen furchtbaren Fluch ausgesto?en. Captain James marschierte vom Fenster auf ihn zu und blickte auf ihn herab.

«Das will ich nicht horen! Du bist mein Sohn und ein Offizier des Konigs. Seit Generationen sind wir von diesem Hause ausgezogen, und einige sind niemals zuruckgekommen. Es liegt Krieg in der Luft, da werden alle unsere Sohne gebraucht.
«Er machte eine Pause und setzte dann sanft hinzu:»Vor zwei Tagen kam ein Bote: Ein neues Kommando wartet auf dich.»
        Bolitho stand auf und ging durch den Raum, beruhrte dabei vertraute Dinge, ohne es zu spuren.
        Sein Vater fuhr fort:»Auf der Trojan, einem Linienschiff mit achtzig Kanonen. Wenn sie das Schiff in Dienst stellen, mu? Krieg vor der Tur stehen.»

«Sicherlich.»
        Keine schlanke Fregatte, sondern ein dickes Linienschiff. Eine neue Welt, die zu erkunden und zu meistern war. Vielleicht war es ganz gut so. Etwas, das ihn ausfullte, ihn in Bewegung hielt, bis er alles verarbeitet hatte, was geschehen war.

«Nun sollten wir ein Glas zusammen trinken, Richard. Klingle nach dem Madchen. Du mu?t mir alles berichten. Vom Schiff, von den Menschen, alles. Das ist das einzige, was ich noch habe: Erinnerungen.»
        Bolitho sagte:»Gut, Vater. Es ist ein Jahr her, da? ich nach Plymouth auf die Destiny unter Kapitan Dumaresq kam…»
        Als das Hausmadchen mit Glasern und Wein aus dem Keller kam, sah sie den graukopfigen Captain James seinem jungsten Sohn gegenubersitzen. Sie sprachen uber Schiffe und ferne Lander und lie?en sich weder Kummer noch Verzweiflung anmerken.
        Aber sie wu?te es nicht besser. Es war eben alles nur eine Frage der Haltung.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Dipper = (Ein-)Taucher

2

        Ochsen = Spitzname der Matrosen fur die Seesoldaten an Bord

3

        Guinee = 21 Shilling

4

        Traditionelle Ehrenbezeigung zur Ragge beim Anbordkommen

5

        siehe Kent. Strandwolfe

6

        Ausdruck fur ein hoch am Wind segelndes Schiff, dessen Segel trotzdem vollstehen.

7

        Im Englischen:»Helm a'lee!«-»Hart nach Lee!«, weil zu der Zeit Ruderkommandos noch auf eine Pinne bezogen wurden, die nach Lee gelegt werden mu?te, wenn das Ruderblatt nach Luv weisen sollte (indirektes Ruderkommando). Um den deutschen Leser nicht zu verwirren, ist hier stets das» direkte «Ruderkommando angegeben (Anm. d. Ubers.).

8

        Zwei durch eine kurze Kette verbundene Halbkugeln, die verschossen wurden, um vor allem die Takelage des Gegners zu beschadigen.

9

        Da zwischen Feuerbefehl und Zundung immer einige Sekunden verstrichen, bewirkte das Abfeuern bei Aufwartsbewegung des Schiffes, da? die Kugel oberhalb der Wasserlinie Deck oder Takelage des Feindes traf.

10

        Zweimaster, beide Masten mit Gaffelsegeln, am vorderen daruber auch Rahsegel und eine Breitfock, die bei Ruckenwind gesetzt werden konnte.

11

        Siehe Kent: Strandwolfe

12

        sieben Uhr

13

        ca. 10 m

14

        alte Handfeuerwaffe

15

        ca. 3700 m

16

        sieben Uhr


 
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