Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Galeeren In Der Ostsee Konteradmiral Bolitho Vor Kopenhagen " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Galeeren in der Ostsee: Konteradmiral Bolitho vor Kopenhagen Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #15
1800 - Der Krieg England gegen Napoleon droht auf Danemark uberzugreifen. Konteradmiral Richard Bolitho operiert deshalb mit seinem Geschwader in der Ostsee, und zwar zugleich gegen Danen, Russen und Franzosen. Besonders die Befreiung englischer Handelsschiffe bei Gotland und der Angriff auf Kopenhagen sind Bewahrungsproben fur das Flaggschiff «Benbow» und seinen jungen Admiral, der hier auch nach vielen Schicksalsschlagen wieder ein privates Gluck findet.

        Alexander Kent
        Galeeren in der Ostsee
        Konteradmiral Bolitho vor Kopenhagen

        Fur Winifred in Liebe

        Ein nebliger Morgen im fruhen April; gespenstisch gleiten die Schiffe voran. Da schlagt eine Glocke vier Glasen an. Auf einmal ist's rundherum totenstill, und auch der Kuhnste halt einen Augenblick den Atem an.

    The Battle of the Ballic von Thomas Campbell



        I Die Auserwahlten

        Admiral Sir George Beauchamp streckte seine durren Hande dem prasselnden Kaminfeuer entgegen und rieb die Innenflachen langsam gegeneinander, um die Blutzirkulation zu beleben.
        Seine kleine, etwas gebuckte Gestalt wirkte in dem schweren Uniformrock mit den gro?en goldenen Epauletten zerbrechlich, aber in seinem Wesen und dem Ausdruck seiner Augen war keine Schwache zu entdecken.
        Die Fahrt von London nach Portsmouth im Herbstregen und auf tief ausgefahrenen Stra?en war lang und ermudend gewesen. Und die eine Nacht, die Beauchamp sich im George Inn am Portsmouth Point ausruhen wollte, war durch einen heftigen Sturm gestort worden, der selbst den Solent mit wei?en Wellenkopfen bedeckt hatte und alle Schiffe - mit Ausnahme der gro?ten - irgendwo unter Land Schutz suchen lie?.
        Beauchamp wandte dem Feuer den Rucken zu und musterte seinen Privatraum, denselben, den er immer bezog, wenn er nach Portsmouth kam, wie viele bedeutende Admirale vor ihm. Der Sturm hatte nachgelassen, und die dicken Glasfenster glanzten wie Metall im warmen Sonnenlicht, eine Tauschung, denn auf der anderen Seite der soliden Wande war es kalt und nahezu schon winterlich.
        Der kleine Admiral stie? einen tiefen Seufzer aus, was er sich nie erlaubt hatte, wenn jemand bei ihm gewesen ware. Es war Ende September des Jahres 1800 und England im siebten Kriegsjahr mit Frankreich und dessen Verbundeten.
        Manchmal schon hatte Beauchamp seine Altersgenossen beneidet, die sich auf allen Weltmeeren mit ihren Flotten, Geschwadern, Flottillen herumtrieben. Aber bei einem Wetter wie diesem war er mehr als zufrieden mit seinem Posten in der Admiralitat, wo sein scharfer Verstand ihm viel Anerkennung als Planer und Stratege eingebracht hatte. Beauchamp hatte mehr als einen Flaggoffizier seines Postens enthoben und anderen, jungen Leuten, deren Fahigkeiten und Erfahrungen bisher ubersehen worden waren, sein Vertrauen geschenkt.
        Sieben Jahre Krieg. Er wendete den Gedanken im Geiste noch einmal hin und her. Es hatte Siege und Niederlagen gegeben, tapfere Manner und Narren, Meutereien und Triumphe. Gute Schiffe hatte man nahezu verschrotten lassen, bis der Feind unmittelbar vor den Toren stand. Beauchamp hatte es alles miterlebt. Und er hatte neue Fuhrergestalten emporsteigen gesehen, die die Stelle der Versager und Tyrannen einnahmen: Collingwood und Troubridge, Hardy und Sau-marez, und Horatio Nelson naturlich, der Liebling des Volkes.
        Beauchamp gedachte seiner mit einem dunnen Lacheln. Nelson - das war ein Mann, wie das Land ihn brauchte, die Personifikation des Sieges. Aber er konnte sich nicht vorstellen, da? der Held vom Nil es am Schreibtisch in der Admiralitat aushalten wurde, so wie er: bei endlosen Sitzungen, die Angste des Konigs und der Parlamentarier zerstreuend, die Zaghaften zu entschlossenem Handeln antreibend. Nein, entschied er, Nelson wurde keinen Monat in Whitehall durchhalten, nicht langer jedenfalls als er, Beauchamp, an Bord eines Flaggschiffs. Beauchamp war uber sechzig und sah auch so aus. Manchmal fuhlte er sich noch viel alter.
        Es klopfte diskret an die Tur, und sein Sekretar schaute vorsichtig herein.»Sind Sie bereit, Sir George?»

«Ja. «Es klang wie >selbstverstandlich<.»Er soll heraufkommen.»
        Beauchamp horte nie auf zu arbeiten, und von Zeit zu Zeit freute es ihn zu beobachten, wie seine Planungen Fruchte trugen, wie die von ihm zu Fuhrerschaft und Befehlsgewalt Auserwahlten sich entwickelten und seinen eigenen strengen Ma?staben gerecht wurden.
        Wie sein Besucher zum Beispiel. Beauchamp sah zur polierten Tur hinuber, die das Sonnenlicht auf eine Karaffe mit Rotwein und zwei schon geschliffene Glaser zuruckwarf.
        Richard Bolitho, manchmal halsstarrig, andererseits aber unorthodox, war einer von Beauchamps Erfolgen. Erst vor drei Jahren hatte er ihn zum Kommodore einer Handvoll Schiffe ernannt und ins Mittelmeer geschickt, um die Absichten der Franzosen auszukundschaften. Das Ergebnis war inzwischen schon Geschichte: Bolithos entschlossenes Handeln und das spatere Erscheinen von Nelson mit einer ganzen Flotte hatte zur» Battle of the Nile«{Seeschlacht von Abukir (Anm. d. Ubers.)} gefuhrt, bei der die franzosischen Geschwader und Napoleons Hoffnungen auf eine Eroberung Agyptens und Indiens zerstort worden waren.
        Jetzt war Bolitho hier, als frisch beforderter Konteradmiral, ein Flaggoffizier mit gro?er Verantwortung, aber auch mit vielen Zweifeln belastet.
        Der Sekretar offnete die Tur.

«Konteradmiral Richard Bolitho, Sir.»
        Beauchamp streckte die Hand aus und lachelte. Dabei empfand er wieder die ubliche Mischung von Freude und Neid. Bolitho sah blendend aus in seinem neuen goldbestickten Rock, dachte er, doch der schnelle Aufstieg hatte den Menschen Bolitho nicht verandert. Das gleiche schwarze Haar mit der rebellischen Locke uber dem rechten Auge, der gerade Blick und gesammelte Gesichtsausdruck, der den Abenteurer verbarg und die Bescheidenheit des Mannes, die Beau-champ erkannt hatte.
        Bolitho bemerkte den prufenden Blick und lachelte.

«Schon, Sie wiederzusehen, Sir.»
        Beauchamp machte eine Geste zum Tisch hin.

«Schenken Sie uns bitte ein Glas ein. Ich bin etwas zu steif dazu.»
        Bolitho beobachtete seine Hand, als er die Karaffe uber die Glaser hielt. Sie war ruhig und fest, obwohl sie angesichts der inneren Erregung, die er im Augenblick spurte, hatte zittern konnen. Als er sich vor kurzem im Spiegel betrachtet hatte, war es ihm geradezu unwahrscheinlich vorgekommen, da? er den gro?en und entscheidenden Schritt vom Stabs- zum Flaggoffizier getan hatte. Jetzt war er Konteradmiral, einer der jungsten, die es je gegeben hatte, aber abgesehen von der Uniform mit ihren glitzernden Schulterstucken und dem einen Stern darauf, fuhlte er sich nicht anders als bisher. Hatte nicht etwas Besonderes mit ihm geschehen mussen? Er hatte immer angenommen, da? schon der Aufstieg von der Offiziersmesse zur Kommandantenkajute einen Mann veranderte. Wieviel mehr noch der Schritt von dort bis zu dem Anrecht, seine eigene Flagge setzen zu konnen. Dazwischen lagen doch Welten!
        Aber nur im Verhalten anderer hatte er eine Veranderung bemerkt. John Allday, sein Bootssteurer, horte gar nicht mehr auf, vor Freude zu strahlen. Und wenn er fruher bei Besuchen in der Admiralitat die Belustigung seiner Vorgesetzten gesehen hatte, sobald er seine Plane entwickelte, so horten sie jetzt aufmerksam zu, anstatt ihm - wie fruher - brusk uber den Mund zu fahren. Sie stimmten zwar nicht immer mit ihm uberein, aber sie lie?en ihn ausreden. Das war wirklich eine Veranderung.
        Beauchamp schaute ihn uber das Glas hinweg an.»Nun, Bolitho, Sie haben erreicht, was Sie wollten, und ich auch. «Er warf einen fluchtigen Blick auf das nachstliegende Fenster, das sich durch die Warme im Raum beschlagen hatte.»Ein eigenes Geschwader. Vier Linienschiffe, zwei Fregatten und eine Korvette. Sie werden Ihre Befehle von Ihrem vorgesetzten Admiral bekommen, aber es wird Ihre Sache sein, wie Sie diese Befehle in die Tat umsetzen.»
        Sie stie?en mit ihren Glasern an, jeder plotzlich in Gedanken versunken.
        Fur Beauchamp war es ein neues Geschwader, eine Waffe, die sich in das Gesamtkonzept der Kriegsfuhrung einfugen lie?. Fur Bolitho bedeutete es unendlich viel mehr. Beauchamp hatte alles getan, um ihm zu helfen; selbst bei der Auswahl seiner Kommandanten. Mit einer Ausnahme kannte er sie alle, die meisten hatten schon mit ihm zusammen oder unter ihm gedient. Mit einigen war er seit Jahren befreundet.
        Bolitho schaute sich fluchtig im Raum um. Es war dasselbe Zimmer, in dem er vor neunzehn Jahren sein erstes selbstandiges Kommando erhalten hatte, und in mancher Beziehung war das der Tag in seinem Leben, an den er sich am besten erinnern konnte. Hier hatte er Thomas Herrick kennengelernt, der sein Erster Offizier und getreuer Freund geworden war. Auf demselben Schiff hatte er John Neale angetroffen, damals ein zwolf Jahre alter Seekadett. Neale gehorte jetzt seinem Geschwader an, als Kommandant einer Fregatte.

«Erinnerungen, Bolitho?»

«Aye, Sir. An Schiffe und Gesichter.»
        Das enthielt alles. Bolitho war - wie Neale - als Zwolfjahriger zur See gegangen. Nun war er Konteradmiral - ein Traum hatte sich erfullt. Zu oft hatte er dem Tod ins Auge geschaut, zu oft waren andere neben ihm gefallen, da gewohnte man es sich ab, uber den nachsten Monat, das nachste Jahr hinaus Plane zu schmieden.

«Ihre Schiffe sind alle versammelt, Bolitho. «Es war eine Feststellung.»Also wollen wir keine Zeit verlieren. Gehen Sie in See mit ihnen, exerzieren Sie, wie Sie es gelernt haben, und so lange, bis die Leute Sie zum Teufel wunschen. Aber eisenhart mussen die Kerle dabei geworden sein.»
        Bolitho lachelte zustimmend. Er ware lieber heute als morgen ausgelaufen. An Land hielt ihn nichts mehr. Er war in Falmouth gewesen, hatte sein Haus und sein Gut besucht. Es hatte ihn - wie jedesmal - innerlich bewegt, da? das Haus auf irgend etwas zu warten schien. Mehrmals hatte er im Schlafzimmer vor ihrem Portrat gestanden. Er hatte ihre Stimme vernommen, ihr Lachen gehort. Und er hatte sich nach dem Madchen gesehnt, das er geheiratet und kurz darauf durch einen tragischen Unfall verloren hatte: Cheney. Er hatte ihren Namen ausgesprochen, als ob er ihr Bild damit lebendig machen konnte. Und als er weggegangen war, um nach London zu fahren, hatte er sich in der Tur noch einmal umgedreht, um ein letztes Mal ihr Gesicht zu sehen: ihre meergrunen Augen, die der See unterhalb von Pendennis Castle glichen, ihr wehendes Haar, das die Farbe junger Kastanien hatte. Und es war, als hatte auch sie ihm nachgeschaut.
        Er schuttelte die wehmutigen Gedanken ab und erinnerte sich des einzigen erfreulichen Erlebnisses wahrend dieser Tage, als Herrick mit seiner alten Lysander nach England zuruckgekehrt war. Herrick hatte, ohne lange zu zogern, die Witwe Dulcie Boswell geheiratet, die er am Mittelmeer kennengelernt hatte.
        Bolitho hatte die Reise zu der kleinen normannischen Kirche am Wege nach Canterbury bereitwillig unternommen. Die Kirchenbanke waren mit Herricks Freunden und Nachbarn gefullt gewesen, dazwischen leuchtete viel Blau und Wei? von den Uniformen seiner Marinekameraden.
        Bolitho hatte sich irgendwie ausgeschlossen gefuhlt; dies Gefuhl lastete noch schwerer auf ihm, als er sich seiner eigenen Hochzeit in Falmouth erinnerte, bei der Herrick sein Trauzeuge gewesen war.
        Als die Kirchenglocken zu lauten begannen, als Herrick sich vom Altar abwandte und - die Hand seiner Braut auf dem goldbestickten Armelaufschlag - dem Ausgang zuschritt, war er bei Bolitho kurz stehengeblieben und hatte schlicht gesagt:»Da? Sie hier sind, hat diesen Tag fur mich vollkommen gemacht.»
        Nun drangte sich Beauchamps Stimme wieder dazwischen.»Ich hatte gerne noch mit Ihnen gegessen, aber ich mu? mit dem Hafenad-miral reden. Au?erdem haben auch Sie sicher noch viel zu tun. Ich bin Ihnen aus vielen Grunden zu Dank verpflichtet, Bolitho. «Dabei zog ein scheues Lacheln uber sein Gesicht.

«Nicht zuletzt dafur, da? Sie meinen Vorschlag fur Ihren Flaggleutnant angenommen haben. Ich bin seiner hier in London etwas uberdrussig.»
        Bolitho dachte, da? es wohl noch einige Grunde mehr fur diese Bitte gegeben hatte, aber er au?erte sich nicht dazu. Statt dessen sagte er:»Ich verabschiede mich also, Sir. Und vielen Dank, da? Sie mich gerufen haben. «Beauchamp antwortete nur mit einem Achselzucken. Es schien, als koste ihn schon das eine physische Anstrengung.»Es war das mindeste, was ich fur Sie tun konnte. Sie kennen Ihre Befehle. Wir haben Ihnen keine bequeme Seereise ausgesucht, aber dafur hatten Sie sich auch kaum bedankt, eh?«Er lachte in sich hinein.»Halten Sie die Augen offen, es konnte Verdru? geben. «Damit sah er Bolitho fest an.»Mehr sage ich nicht. Aber Ihre Taten, Ihre Auszeichnungen, so wohlverdient sie waren, haben Ihnen auch einige Feinde gemacht. Ich warne Sie. «Er streckte die Hand aus.»Nun hinaus mit Ihnen, und beherzigen Sie, was ich gesagt habe.»
        Bolitho verlie? den Raum und ging an einer ganzen Reihe Leute vorbei, die daraufwarteten, bei dem grimmigen kleinen Admiral vorgelassen zu werden, um sich Rat zu holen, Unterstutzung zu erbitten oder auch nur, um neue Hoffnung zu schopfen.
        Am Fu? der Treppe, nahe einer uberfullten Kaffeestube, wartete Allday auf ihn. Wie immer. Er wurde sich nie andern. Mit demselben breiten Grinsen auf dem biederen Gesicht, wie stets, wenn er vergnugt war. Er hatte etwas zugenommen in letzter Zeit, dachte Bolitho, aber er stand wie ein Fels. Bolitho lachte in sich hinein. In jedem anderen Fall hatte der Hausdiener einen einfachen Bootssteurer nach hinten in die Kuche oder - wahrscheinlicher noch - in die Kalte hinausgeschickt. Nicht jedoch Allday. Der sah in seinem blauen Rock mit den vergoldeten Knopfen, den neuen Kniebundhosen und blanken Lederstiefeln Zoll fur Zoll wie der Bootssteurer eines Admirals aus.
        Allday hatte drei Jahre gebraucht, um sich an die Anrede >Sir< zu gewohnen. Vorher hatte er Bolitho einfach mit >Captain< angeredet. Nun mu?te er sich an einen Konteradmiral gewohnen. Erst am Morgen, als sie vom Hause eines Freundes, bei dem Bolitho ein paar Tage zu Besuch gewesen war, nach Portsmouth aufgebrochen waren, hatte Allday frohlich gesagt:»Macht nichts, Sir. Bald werden Sie >Sir Ri-chard< sein, und auch daran werde ich mich gewohnen!»
        Nun half ihm Allday in seinen langen Bootsmantel und sah zu, wie er sich den Dreispitz fest auf das schwarze Haar druckte.

«Dies ist ein gro?er Augenblick, nicht wahr, Sir?«Er wiegte den Kopf.»Wir haben einen langen Weg zuruckgelegt.»
        Bolitho sah ihn mit Warme an. Allday fand stets das treffende Wort. Wann und wo auch immer, bei Sturm oder Flaute. In schwierigen Lagen und Todesgefahr: Allday war immer da. Bereit zu helfen, seinen Witz ebenso wie seinen Mut einzusetzen. Er war ein wirklicher Freund, wenn er es auch manchmal darauf anlegte, Bolitho zu reizen.

«Aye. Irgendwie kommt es mir vor, als beginne alles noch einmal von vorne.»
        Bolitho betrachtete sich kurz im Wandspiegel neben dem Eingang, genau wie damals, als er als frisch gebackener Kommandant der Fregatte Phalarope hier herausgekommen war. Damals war er junger gewesen als der jungste Kommandant seines jetzigen Geschwaders.
        Er dachte plotzlich an das Landhaus, in dem er zu Besuch gewesen war, und erinnerte sich an eines der Dienstmadchen, ein hubsches Madchen mit flachsblonden Haaren und schmucker Figur. Er hatte Allday mehrmals mit ihr zusammen gesehen, und der Gedanke beunruhigte ihn. Allday hatte sein Leben oft genug riskiert und Bolithos mehr als einmal gerettet. Nun ging es wieder hinaus, und Allday mu?te wegen seiner hartnackigen Anhanglichkeit mit.
        Bolitho spielte mit dem Gedanken, ihm eine Chance zu geben, ihn nach Falmouth zu schicken, wo er in Frieden leben, am Ufer Spazierengehen und mit anderen ehemaligen Seeleuten sein Bier trinken konnte. Allday hatte mehr als seine Pflicht fur England getan. Es gab unzahlige andere, die nie ihr Leben riskiert hatten, die nie bei Sturm oben in einem Mast herumgeklettert waren oder an den Kanonen gestanden hatten, wenn die Luft voll Eisen war.
        Er schaute in Alldays Gesicht und entschied sich anders. Es wurde ihn verletzen und argern. Er selber hatte genauso empfunden. Bolitho sagte:»Manche Vater werden auf den Seemann scharf sein, der ihren Tochtern zu nahegetreten ist, nicht wahr, Allday?«Ihre Blicke trafen sich. Es war ein Spiel, das beide sehr gut beherrschten.
        Allday grinste.»Ganz meine Meinung, Sir. Es wird Zeit fur eine kleine Veranderung.

        Kapitan Thomas Herrick trat unter dem Uberhang der Hutte hervor und blieb - die Hande auf dem Rucken verschrankt - stehen, um sich in dem feuchten kalten Wind, der die Decks uberspruhte, wieder seelisch und korperlich an das Schiff zu gewohnen.
        Der Vormittag war fast voruber, und mit geubtem Blick sah Herrick, da? die Seeleute, die an Deck, auf den Laufbrucken oder oben auf den Rahen bei der Arbeit waren, sich langsamer als sonst bewegten. Sicher waren sie in Gedanken schon beim Mittagessen, bei ihrer Rum-Ration, bei der kurzen Erholungspause, die sie mit ihren Kameraden in den vollgefullten unteren Decks verbringen wurden.
        Herrick lie? seinen Blick uber das breite Achterdeck schweifen, uber den stocksteif dastehenden Midshipman der Wache, der sich der Anwesenheit seines Kommandanten offenbar bewu?t war, uber die sauber ausgerichteten Kanonen, uberall hin. Er hatte sich noch immer nicht an das neue Schiff gewohnt. Sein altes Schiff, die Lysander, 74 Kanonen, hatte er nach vielen Monaten ununterbrochenen Dienstes heimgebracht. Die Jahre, Sturmschaden und schwere Wunden aus vielen Gefechten hatten ihre tiefen Spuren in dem alten Schiff hinterlassen. Herrick war nicht uberrascht gewesen, als er den Befehl erhielt, seine Besatzung auszuzahlen und seine Lysander bei der Marinewerft abzuliefern. Er hatte viel erlebt und durchgemacht auf diesem Schiff, und bei vielen Gelegenheiten hatte er auch etwas uber sich selber dabei gelernt, uber seine Moglichkeiten und seine Grenzen. Als Flaggkapitan von Kommodore Richard Bolitho hatte er mehr Arten der Pflichterfullung kennengelernt, als er fur moglich gehalten hatte.
        Die Lysander wurde nie wieder in einer Schlachtlinie stehen. Zu viele Beschadigungen hatten ihren Tribut gefordert, aber ihre vielen Dienstjahre wurden wahrscheinlich ohne Lohn bleiben. Sie mochte ihre Tage als Vorratsschiff oder - schlimmer noch - als schwimmendes Gefangnis beenden.
        Ihre Besatzung war nun uber die ganze Flotte verteilt und stillte den nie endenden Bedarf an guten Leuten. Herrick hatte es vorausgesehen und sich mehr als einmal gefragt, wie seine eigene Zukunft wohl aussehen werde. Zu seiner Uberraschung hatte man ihm dieses Schiff gegeben: Seiner Britischen Majestat Linienschiff Benbow, 74 Kanonen, funkelnagelneu aus der Hauptmarinewerft in Devonport. Es war das erstemal, da? Herrick auf einem Neubau Dienst tat, ihn sogar befehligte.
        Seit Monaten war er nun schon an Bord, arbeitend und sich sorgend, wahrend die Werft ihren Teil tat, und die Benbow wuchs und wuchs, bis sie schlie?lich ihren gegenwartigen Zustand erreicht hatte.
        Alles war noch neu und unerprobt: dies galt nicht zuletzt fur die Manner, die sich in ihrem Achtzehnhundert-Tonnen-Rumpf zusammengefunden hatten. Herrick hatte jede Unze Erfahrung gesegnet, die er seinem langsamen Emporklettern auf der Leiter des Erfolges und der Beforderung verdankte.
        Glucklicherweise war es ihm moglich gewesen, einige seiner alten Recken von der Lysander bei sich zu behalten, einige vom Stamm der erfahrenen Maate und Deckoffiziere, die man sogar jetzt, nach der gerade hinter ihnen liegenden Sturmnacht, auf dem Oberdeck herumbrullen horen konnte, weil sie sich - genau wie der Kommandant - ihrer Verantwortung und dessen, was die nachste Stunde bringen wurde, bewu?t waren.
        Herrick schaute zur Spitze des Besanmastes empor und fuhlte, wie ihm dabei der Gischt ins Gesicht spruhte. Sogar vor Anker konnte es in Spithead sehr bewegt sein. Bald wurde die Flagge eines Konteradmirals vom Besan wehen. Sie wurden wieder zusammen sein. Mit anderen Aufgaben, mit gro?erer Verantwortung, aber sie hatten sich bestimmt nicht verandert.
        Herrick trat an die Finknetze {Netzkasten beiderseits uber der Bordwand zur Aufnahme der Hangematten als Splitterschutz im Gefecht} und schaute zur verschwommenen Uferlinie hinuber. Sogar ohne Fernglas konnte er den Portsmouth Point sehen, seine Gebaude, die so eng zusammengeruckt waren, als furchteten sie, uber die Felskante in die See zu sturzen. Da war die Kirche von Thomas a Beckett, und irgendwo weiter links der alte George Inn.
        Er kletterte auf einen Poller und schaute hinab auf das gurgelnde Wasser, das an der kraftigen, schwarz und gelb gemusterten Bordwand vorbeistromte. Boote tanzten auf und nieder, Ladegeschirr hob und senkte sich, um in letzter Minute noch Vorrate an Bord zu hieven, Brandy fur den Schiffsarzt, Wein fur die Offiziere der Seesoldaten - kleine Annehmlichkeiten, von denen man nicht wu?te, wie lange sie vorhalten mu?ten.
        Die letzten Monate hatten Herrick nicht nur viel abgefordert, sondern ihn auch vielfaltig belohnt. Von einem kleinen Seeoffizier ohne Beziehung oder Vermogen hatte er sich zu einem Mann entwickelt, der Wurzeln geschlagen hatte. Mit Dulcie hatte er Geborgenheit und ein Gluck gefunden, wie er es sich nicht einmal ertraumt hatte, und zu seiner gro?ten Uberraschung - das war typisch fur ihn - hatte er eines Tages entdeckt, da? er mit einer Frau lebte, die, wenn auch nicht gerade reich, so doch recht wohlhabend war.
        Dulcie hatte in der Nahe des Schiffes gewohnt, so lange die letzten Ausrustungsarbeiten noch dauerten: Rahen aufbringen, das stehende Gut teeren und durchsetzen, Segel anschlagen, Kanonen an Bord hieven, vierundsiebzig Stuck, und viele Meilen langes Tauwerk, Hunderte von Blocken und Taljen, von Korben, Fassern und sonstigen Gegenstanden, die einen nackten Schiffsleib in die modernste, am meisten begehrte und wahrscheinlich schonste Schopfung des Menschen verwandelte. Die Benbow war jetzt ein Kriegsschiff, ja mehr als das, sie war das Flaggschiff dieses kleinen Geschwaders, das hier auf Spithead-Reede lag.»Ihr Glas, bitte, Mr. Aggett!«rief er scharf.
        Herrick hatte sich Namen schon immer gut merken konnen. Den Charakter ihrer Trager kennenzulernen, dazu brauchte er langer.
        Der Midshipman der Wache flitzte uber das Achterdeck und uberreichte ihm das gro?e Teleskop des Signaloffiziers. Herrick richtete es durch die Steuerbordnetze und uber die anderen Schiffe hinweg auf die nebligen Buckel der Insel Wight. Dann studierte er mit fachkundigem Blick sorgsam jedes Schiff. Die anderen drei Zweidecker glanzten fast im truben Licht, und ihre geschlossenen Stuckpforten hoben sich wie Schachbrettmuster von der kabbeligen See ab. Indomitable, Kapitan Charles Keverne. Bei jedem Schiffsnamen trat sein Kommandant vor Herricks geistiges Auge. Keverne war Bolithos Erster Offizier auf der gro?en Prise Euryalus gewesen. Nicator, Kapitan Valentine Keen. Sie hatten zusammen auf einem Schiff irgendwo auf den Weltmeeren gedient.
        Die Odin, ein kleinerer Zweidecker mit nur vierundsechzig Kanonen. Herrick lachelte trotz seiner vielen Sorgen. Ihr Kommandant war Francis Inch. Er hatte nie geglaubt, da? der eifrige Inch mit seinem Pferdegesicht es so weit bringen wurde. Noch weniger, als er das fur sich selber erwartet hatte.
        Die beiden Fregatten, Relentless und Styx, ankerten weiter achteraus, und die kleine Korvette Lookout zeigte ihre kupferbeschlagene Unterseite, als sie vor ihrer Ankertrosse heftig hin- und herdumpelte.
        Insgesamt war es ein gutes Geschwader. Den meisten Offizieren und Mannschaften fehlte zwar Erfahrung, aber ihr jugendlicher Eifer wurde das bald wettmachen. Herrick seufzte. Er war dreiundvierzig und alt fur seinen Dienstgrad, aber er war zufrieden, wenn er auch gerne ein paar Jahre von seinem Lebensalter abgestrichen hatte.
        Fu?e stampften uber das Achterdeck, und er sah Henry Wolfe, den Ersten Offizier, mit gro?en Schritten auf sich zukommen. Herrick konnte sich nicht vorstellen, wie er in den letzten Monaten der Ausrustung der Benbow ohne Wolfe hatte zurechtkommen sollen. Wolfe sah au?ergewohnlich aus: sehr gro?, uber sechs Fu?, schien er Schwierigkeiten zu haben, seine langen Arme und Beine unter Kontrolle zu halten. Sie waren genauso lebhaft in Bewegung wie der ganze Mann. Er hatte Fauste wie Schmiedehammer und Fu?e so gro? wie Drehbassen. Das Ganze wurde gekront von einem leuchtend roten Haarschopf, der unter seinem Dreispitz wie zwei Vogelschwingen hervorflatterte.
        Wolfe bremste ab und beruhrte kurz seinen Hut. Er holte mehrmals tief Luft, als konne er seine Energie, die nicht unbetrachtlich war, nur auf diese Weise zugeln.

«Alles klar, Sir!«Er hatte eine rauhe, tonlose Stimme, die den nahe dabeistehenden Midshipman zusammenzucken lie?.»Ich habe alles an seinen Ort gebracht und fur alles auch einen Platz gefunden. Geben Sie uns noch ein paar Leute, und wir werden mit jedem Wetter fertig.»

«Wieviel mehr?«fragte Herrick.

«Zwanzig gute Seeleute oder funfzig Idioten!»
        Herrick hakte da ein.»Sind die Leute, die gestern von den Pre?kommandos gebracht wurden, brauchbar?»
        Wolfe rieb sich das Kinn und beobachtete einen Matrosen, der an einem Backstag herunterglitt.

«Das ubliche, Sir. Ein paar Lummel und ein paar Galgenvogel, aber auch einige gute Leute. Sie werden hineinpassen, wenn der Bootsmann sie sich erst vorgenommen hat.»
        Eine Talje quietschte, und einige in Segeltuch eingeschlagene Kisten wurden angehievt und uber die Laufbrucke an Deck geschwenkt. Herrick sah, wie Ozzard, Bolithos Diener, die Kisten in Empfang nahm und mit Hilfe einiger Seeleute nach achtern brachte.
        Wolfe folgte seinem Blick und bemerkte:»Keine Bange, Sir. Die Benbow wird Sie nicht enttauschen. «In seiner unverblumten Art setzte er hinzu:»Es ist fur mich was Neues, unter einer Admiralsflagge zu fahren, Sir. Ich nehme gern jeden Rat an, den Sie fur angebracht halten.»
        Herrick musterte ihn ruhig und sagte nur:»Admiral Bolitho duldet keine Nachlassigkeiten, Mr. Wolfe, genausowenig wie ich. Aber ein anstandigerer Mann ist mir nie begegnet, und auch kein tapferer. «Er ging wieder nach achtern und fugte in anderem Ton hinzu:»Rufen Sie mich bitte, sowie Sie das Admiralsboot sichten.»
        Wolfe blickte ihm nach und bemerkte zu sich selber:»Und es gibt auch keinen besseren Freund fur dich, mochte ich wetten.»
        Herrick begab sich in seine Kajute und registrierte auf dem Weg dahin viele geschaftige Gestalten, wie auch Essensdufte und den starken Geruch nach jungem Holz, Teer, frischen Farben und neuem Tauwerk. Alles war neu auf diesem Schiff, vom Kiel bis zu den Mastspitzen. Und es war seines.
        Vor dem Turvorhang hielt er kurz an und beobachtete seine Frau, die am Tisch in der Kajute sa?. Sie hatte ein angenehmes, ebenma?iges Gesicht und Haare im gleichen Braun wie er selber. Sie war Mitte Drei?ig, aber Herrick hatte ihr sein Herz geschenkt wie ein Jungling einem Engel.
        Der Offizier, mit dem sie gerade gesprochen hatte, stand auf und schaute zur Tur.
        Herrick nickte ihm zu.»Keine Eile, Adam, Sie werden jetzt noch nicht an Deck benotigt.»
        Adam Pascoe, Dritter Offizier der Benbow, war froh uber die Unterbrechung. Nicht, da? es ihm unangenehm gewesen ware, mit der Frau seines Kommandanten zu plaudern, ganz und gar nicht. Aber er war sich, genau wie Herrick, an diesem Tage besonders bewu?t, was es fur ihn und sie alle heute und in Zukunft bedeutete, wenn die Flagge seines Onkels hier an Bord gesetzt wurde.
        Pascoe hatte schon auf der Lysander unter Herrick gedient. Er hatte als Unterleutnant angefangen und war dann, durch Beforderung oder Tod seiner Vorgesetzten, zum Vierten Offizier aufgestiegen. Jetzt, als Dritter Offizier der Benbow, war er immer noch sehr jung, gerade zwanzig. Innerlich war er hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, bei Richard Bolitho zu bleiben oder sich auf ein kleineres, unabhangiges Schiff, eine Fregatte oder Korvette, versetzen zu lassen.
        Herrick beobachtete ihn und erriet, was Pascoe dachte.
        Ein gutaussehender Junge, dachte er selbst, schlank und sehr dunkel, Bolitho ahnlich, mit der Unruhe eines noch nicht eingerittenen Jungpferdes. Sein Vater, wenn er noch lebte, ware stolz auf ihn gewesen.
        Pascoe sagte:»Ich gehe jetzt lieber zu meiner Division, Sir. Ich mochte nicht, da? heute was schieflauft. «Er verbeugte sich leicht zu der Dame hin.»Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, Ma'am.»
        Allein mit seiner Frau, sagte Herrick nachdenklich:»Ich mache mir manchmal Sorgen um ihn. Er ist noch ein Knabe und hat doch schon mehr Blutvergie?en und Scheu?lichkeiten gesehen als die meisten in diesem Geschwader.»
        Sie antwortete:»Wir sprachen gerade uber seinen Onkel. Er halt sehr viel von ihm.»
        Herrick ging hinter ihrem Stuhl vorbei und legte ihr die Hand auf die Schulter.
>Gro?er Gott, ich mu? dich bald verlassen<, dachte er. Laut sagte er:»Die Wertschatzung ist gegenseitig, Liebste. Aber im Krieg hat ein Offizier des Konigs seine Pflichten.»
        Sie griff nach seiner Hand und druckte sie gegen ihre Wange.

«Unsinn, Thomas! Du sprichst mit mir und nicht mit einem deiner Seeleute!»
        Er beugte sich uber sie und fuhlte sich zur gleichen Zeit unbeholfen und als ihr Beschutzer.»Du wirst gut auf dich aufpassen, wenn wir fort sind, nicht wahr, Dulcie?»
        Sie nickte kraftig.»Ich gebe auf alles acht. Und ich sehe auch darauf, da? deine Schwester bis zu ihrer Hochzeit mit allem versorgt ist. Wir werden bis zu deiner Ruckkehr eine Menge zu besprechen haben. «Sie stockte.»Wann mag das sein?»
        Durch sein neues Kommando und seine unerwartete Heirat hatte Herrick den Kopf so voll gehabt, da? er kaum weiter uber den Tag hinaus gedacht hatte, an dem er sein Schiff von Plymouth nach Spithead zum Treffpunkt mit dem ubrigen Geschwader bringen sollte.

«Es geht nordwarts, glaube ich. Mag ein paar Monate dauern. «Liebevoll druckte er ihre Hand.»Keine Angst, Dulcie, mit der Flagge unseres Dick im Masttopp sind wir in guter Hut.»
        Eine Stimme gellte uber ihnen:»Klar Deck uberall! Ehrenwache antreten!»
        Pfiffe und Kommandolaute schrillten durch die Decks, und Fu?e stampften uber Holzplanken, als die Seesoldaten nach oben sturzten und sich an der Fallreepspforte aufstellten.
        Es klopfte kraftig an die Tur, und Midshipman Aggett meldete atemlos, wahrend seine vom Wind geroteten Augen sich auf das halb aufgegessene Stuck Kuchen auf dem Tisch richteten:»Meldung vom Ersten Offizier, Sir: Das Admiralsboot hat eben von der Pier abgelegt.»

«Sehr gut, ich komme.»
        Herrick wartete, bis der Junge gegangen war.»Gleich werden wir mehr wissen, Liebste.»
        Er nahm seinen Sabel aus der Wandhalterung und befestigte ihn am Gurtel. Dann stand er auf und marschierte durch die Kajute, wobei er das Halstuch und seinen Rock mit den wei?en Aufschlagen zurecht-zupfte.

«Thomas, Liebster, ich bin stolz auf dich.»
        Herrick war kein gro?er Mann, aber als er jetzt die Kajute verlie?, um seinen Admiral zu empfangen, fuhlte er sich wie ein Gigant.
        Richard Bolitho sa? kerzengerade auf dem Hecksitz seines Ad-miralsbootes und beobachtete die vor Anker liegenden Schiffe, die mit jedem Schlag der Riemen naher kamen, ohne da? er sich bewu?t wurde, was jetzt auf seinem Flaggschiff oder gar auf dem ubrigen Geschwader vorging.
        Als er in das Boot eingestiegen war, hatte er unter den Kuttergasten einige seiner alten Leute von der Lysander wiedererkannt. Fur sie ging es jetzt abermals hinaus, wahrscheinlich hatten sie in der Zwischenzeit nicht einmal Familie und Heimat gesehen.
        Allday sa? dicht neben Bolitho und beobachtete aufmerksam, wie die wei? gemalten Riemen sich hoben und senkten wie blankpolierte Spinnenbeine. Ein Leutnant fuhrte das Kommando im Boot, der jungste Offizier der Benbow, und er fuhlte sich unter Alldays kritischem Blick ebenso unbehaglich wie wegen der Anwesenheit des Admirals.
        Bolitho war fest in seinen Bootsmantel eingewickelt, der sogar noch seinen Hut umhullte, damit er nicht uber Bord geweht wurde.
        Er musterte den an der Spitze liegenden Zweidecker; als das Schiff langsam im uberkommenden Gischt Umri? und Gestalt annahm, rief er sich in Erinnerung, was er von ihm wu?te.
        Ein Linienschiff dritter Klasse, {Linienschiffe wurden nach Gro?e und Kanonenzahl in vier Klassen eingeteilt; die schwerste erste Klasse waren Dreidecker von ca.
2800 Tonnen mit uber 100 Kanonen (Anm. d. Ubers.)} etwas gro?er als die Lysander. Sieht blendend aus, dachte er und schatzte, da? Herrick ebenso beeindruckt hatte sein mussen. Er sah die Galionsfigur aus dem Schiffsleib ragen; es schien, als wolle sie mit ihrem erhobenen Sabel seinem Boot ein Zeichen geben. Sie trug den Namen von Vizeadmiral Sir John Benbow, gestorben 1702, nachdem er sein Bein durch ein Kettengescho? verloren hatte, aber nicht eher, bis er der Hinrichtung seiner Kommandanten beigewohnt hatte, die in der Schlacht feige gekniffen hatten. Es war eine schone Galionsfigur, dem toten Admiral sicher ahnlich. Wurdevoll blickend, mit wehendem Haar und einem schimmernden Brustharnisch, wie man ihn zu jener Zeit getragen hatte. Der alte Izod Lambe aus Plymouth, einer der Besten seines Faches, hatte sie geschnitzt, obwohl er - wie es hie? - blind war.
        Wie viele Male hatte es Bolitho in dieser Zeit gereizt, schnell einmal von Falmouth heruberzukommen, um Herrick bei den letzten Arbeiten zuzuschauen. Aber Herrick hatte das vielleicht als einen Mangel an Vertrauen gedeutet. Mehr als einmal hatte Bolitho jetzt schon zur Kenntnis nehmen mussen, da? das einzelne Schiff ihn direkt nichts mehr anging. Er schwebte daruber wie seine Flagge. Ein freudiger Schauer lief ihm uber den Rucken, als er die ubrigen Einheiten seines Geschwaders musterte; vier Linienschiffe, zwei Fregatten und eine Korvette. Ingesamt fast dreitausend Offiziere, Seeleute und Soldaten, und alles, was darin inbegriffen war.
        Das Geschwader mochte neu sein, aber von den Gesichtern waren ihm viele altvertraut. Er dachte an Keverne und Inch, an Neale und Keen, und an den jungen Kommandanten der Korvette, Matthew Veitch. Er war Herricks Erster Offizier gewesen. Admiral Sir George Beauchamp hatte sein Versprechen gehalten. Jetzt war es an ihm, sich zu bewahren.
        Mit Mannern, die er kannte und denen er vertraute, mit denen er so viel erlebt und geteilt hatte.
        Trotz der augenblicklichen Erregung lachelte er bei dem Gedanken an die Reaktion seines neuen Flaggleutnants, als er versucht hatte, ihm seine Gefuhle deutlich zu machen.
        Der Leutnant hatte gesagt:»Aus Ihrem Mund klingt es sehr bedeutend. Wie schon der Dichter sagt: >Wir Auserwahlten<.»
        Vielleicht war er damit der Wahrheit naher gewesen, als er ahnte.
        Das Admiralsboot drehte auf, fiel in ein Wellental hinab und wurde wieder hochgehoben, als der Leutnant auf die glitzernde Bordwand des Flaggschiffs zuhielt.
        Dann waren sie langsseits. Rote Uniformrocke und wei?e Kreuzbander, das Blau und Wei? der Offiziersrocke, die Menge der Seeleute dahinter. Und uber ihnen, wie um sie zu beschutzen und einzuhullen, die drei gro?en Masten und die Rahen, die Masse der Wanten, Stage und des laufenden Guts, ein unfa?bares Gewirr fur jede Landratte, aber Burge der Geschwindigkeit und Beweglichkeit eines Schiffes. Mit der Benbow war jedenfalls zu rechnen.
        Die Riemen federten wie auf einen Schlag in die Senkrechte, und der Bugmann hakte in die Kette des Rusteisens ein.
        Bolitho ubergab Allday seinen Mantel und druckte den Hut fest in die Stirn.
        Alles ging ganz ruhig vonstatten; abgesehen von dem Tidenstrom zwischen dem Schiff und dem dumpelnden Boot wirkte die Szene fast friedlich.
        Auch Allday war aufgestanden und hatte seinen Hut abgenommen. Nun stand er wartend da, bereit Bolitho zu helfen, wenn er den Absprung aufs Fallreep verpassen sollte.
        Bolitho fa?te Fu? und zog sich zur Einla?pforte hoch.
        In diesem Augenblick nahm er laute Befehle war, die Gerausche prasentierter Waffen und den Einsatz der Spielleute, die das >Heart of Oak< intonierten.
        Wie durch einen Schleier sah er Gesichter, die auftauchten und sich naherten, als er das Deck betrat. Und wahrend die Bootsmannsmaatenpfeifen und die Kommandorufe verstummten, nahm Bolitho seinen Hut ab und salutierte nach achtern, zur Flagge hin, und dann vor dem Kommandanten des Schiffes, als er auf ihn zuschritt, um ihn zu begru?en.
        Herrick nahm ebenfalls seinen Hut ab und schluckte heftig.»Willkommen an Bord, Sir!»
        Beide schauten nach oben, als die Flaggleine vom Signalgasten straff geholt wurde.
        Da war es, Symbol und Aussage: Bolithos eigene Flagge wehte nun vom Besanmast wie ein Banner.
        Die Nachststehenden hatten gern ein besonderes Zeichen gesehen, als der jungendliche Admiral seinen Hut wieder aufsetzte und ihrem Kommandanten die Hand reichte.
        Aber das war alles, was sie zu sehen bekamen. Denn was Bolitho und Herrick in diesem Augenblick miteinander verband, war fur jeden anderen unsichtbar.



        II Das Flaggschiff

        Bei Anbruch des nachsten Tages hatte der Wind abermals betrachtlich zugenommen, und der Solent war wieder mit zornigen Wellenkammen bedeckt. An Bord des Flaggschiffes, wie auch auf den ubrigen Schiffen von Bolithos kleinem Geschwader, war es recht ungemutlich, denn die Fahrzeuge dumpelten stark und zerrten an ihren Ankertrossen, als waren sie entschlossen, auf Grund zu treiben.
        Als das erste schwache Licht den glitzernden Schiffsleibern Farbe verlieh, sa? Bolitho in seinem Arbeitsraum im Heck der Benbow und las noch einmal seine sorgfaltig formulierten Instruktionen durch. Gleichzeitig versuchte er, die Gedanken von den bei Tagesanbruch an Deck ublichen Gerauschen loszurei?en. Er wu?te, da? Herrick seit Beginn der Dammerung oben war und da? es die Vorbereitungen zum Ankerlichten auf der Benbow und den anderen Schiffen nur durcheinandergebracht hatte, wenn er hinaufgegangen und sich zu ihnen gesellt hatte.
        Die Lage konnte sich jeden Augenblick verschlechtern. Der Krieg hatte schlimme Lucken unter Schiffen, Material und erfahrenen Leuten hinterlassen. Am meisten aber fehlte es an geubten Mannschaften. Auf einem neuen Schiff, in einem neugebildeten Geschwader, war dieser Mangel fur Bolithos Kommandanten und Offiziere besonders schlimm.
        Bolitho mu?te einfach an Deck gehen. Um einen klaren Kopf zu bekommen, um das Fluidum seiner Schiffe zu spuren, um ein Teil des Ganzen zu sein.
        Ozzard schaute nach ihm und glitt leise uber den mit schwarz-wei? gewurfeltem Segeltuch bespannten Fu?boden, um ihm Kaffee nachzu-schenken.
        Bolitho wu?te noch immer nicht viel mehr uber seinen Diener als damals, da er ihn auf Herricks Lysander kennengelernt hatte. Selbst in seiner adretten blauen Jacke und der gestreiften Hose ahnelte er eher dem Sekretar eines Anwaltburos als einem Seefahrer. Es hie?, er sei nur dadurch dem Galgen entronnen, da? er sich zur Flotte gemeldet hatte, aber hier hatte er sich durch Zuverlassigkeit und seine zuruckhaltende Intelligenz vielfach bewahrt.
        Die andere Seite seiner Fahigkeiten war zutage getreten, als Bolitho ihn mit auf seinen Besitz in Falmouth genommen hatte. Die Fulle der Gesetze und Steuervorschriften war mit jedem Kriegsjahr komplizierter geworden, und Ferguson, Bolithos einarmiger Verwalter, hatte zugeben mussen, da? die Bucher nie besser in Ordnung gewesen waren, als nachdem Ozzard sich ihrer angenommen hatte.
        Der Ehrenposten vor dem Kajutvorhang stie? seine Muskete kurz aufs Deck und meldete:»Ihr Schreiber, Sir!»
        Ozzard flitzte zur Tur, um Bolithos Neuerwerbung, Daniel Yovell, einzulassen. Ein munterer Mann mit einem roten Gesicht und dem breiten Dialekt der Leute von Devon, ahnelte er mehr einem Bauern als einem Schiffsschreiber, aber seine Handschrift, rund wie der ganze Mann, war gut; au?erdem war er unermudlich gewesen, als Bolitho ihm seine Befehle bei der Ubernahme des Geschwaders diktiert hatte.
        Der Schreiber legte seine Papiere auf den Tisch und schaute unauffallig auf die beiden Heckfenster. Sie waren mit Wasserspritzern und angetrocknetem Salz bedeckt und lie?en die anderen Schiffe wie Schemen erscheinen, unwirklich und verzerrt.
        Bolitho blatterte in den Papieren. Schiffe und Manner, Kanonen und Pulver, Lebensmittel und sonstige Vorrate, die fur Wochen, vielleicht fur Monate reichen mu?ten.
        Yovell sagte bedachtig:»Ihr Flaggleutnant ist an Bord gekommen, Sir, in der kleinen Jolle. «Er verbarg ein Grinsen.»Nun mu? er sich erst etwas Trockenes anziehen, bevor er nach achtern kommt. «Das schien ihn zu amusieren.
        Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und starrte zu den Decksbalken auf. Es kostete viel Papier, ein Geschwader in Marsch zu bringen. Taljen knarrten auf dem Huttendeck uber ihm, und Blocke quietschten im Gleichklang mit trampelnden Fu?en. Verzweifelte Maate drohten und fluchten im Flusterton, wohl wissend, da? das Oberlicht der Ad-miralskajute offenstand.
        Die andere Tur zur Kajute offnete sich lautlos, und Bolithos Flaggleutnant trat leichtfu?ig uber das Sull. Nur ein feuchter Schimmer auf seinem braunen Haar zeugte noch von seiner bewegten Uberfahrt, ansonsten war er - wie stets - untadelig gekleidet.
        Er war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte trugerisch sanfte Augen und einen Gesichtsausdruck, der zwischen Leere und leichter Verwirrung wechselte.
        Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne, den ihm abzunehmen Admiral Beauchamp Bolitho gebeten hatte, besa? das Aussehen eines Aristokraten, der eine gehobene Lebensart gewohnt war. Er war nicht der Typ eines Offiziers, den man an Bord eines Kriegsschiffes erwartet hatte.
        Yovell machte ein fluchtige Verbeugung.»Guten Morgen, Sir. Ich habe Ihren Namen schon auf die Liste der Offiziersmesse gesetzt.»
        Der Flaggleutnant warf einen kurzen Blick auf das Abrechnungsbuch und sagte ruhig: Aber Browne mit einem >e< hinten. «Bolitho lachelte.»Mogen Sie eine Tasse Kaffee? Er beobachtete, wie Browne seine Kuriertasche auf den Tisch legte, und setzte hinzu:»Was Neues?»

«Nein, Sir. Sie konnen in See gehen, sobald Sie soweit sind. Keine weiteren Befehle von der Admiralitat. «Er setzte sich vorsichtig hin.»Ich wunschte, wir kamen in warmeres Klima.»
        Bolitho nickte. Seine Befehle lauteten, da? er sein Geschwader einige funfhundert Seemeilen nordwarts an die Westkuste Danemarks fuhren und sich dort mit jenem Teil der Kanalflotte treffen sollte, der vor dem Eingang zur Ostsee patrouillierte, und das bei jedem Wetter und unter allen Bedingungen. Sobald er mit dem Admiral dieses Verbandes Verbindung aufgenommen hatte, wurde er weitere Befehle erhalten. Er hoffte, genugend Zeit zu haben, um sein Geschwader in Form zu bringen, bevor er seinen neuen Vorgesetzten traf.
        Gerne hatte er gewu?t, wie seine Offiziere daruber dachten. Sicherlich ahnlich wie Browne, nur da? sie mehr Grund hatten zu murren. Die meisten von ihnen waren seit Jahren im Mittelmeer oder angrenzenden Gewassern gewesen. Fur sie mu?te Danemark und die Ostsee im Winter ein schlimmer Tausch sein.
        Yovell schob Bolitho die Papiere mit der Geduld eines Dorfschulmeisters zur Unterschrift hin. Dazu sagte er:»Die anderen Abschriften werde ich bis zum Auslaufen fertig haben, Sir. «Dann ging er, wobei sich seine rundliche Gestalt den Schiffsbewegungen wie eine gro?e Kugel anpa?te.

«Ich denke, damit lauft alles. «Bolitho schaute in Brownes ausdrucksloses Gesicht. Oder?«Er war es noch nicht gewohnt, Gedanken wie Zuversicht oder Zweifel mit anderen zu teilen.
        Browne lachelte hoflich.»Wir haben heute vormittag Kommandantensitzung, Sir. Wenn der Wind so bleibt, konnen wir danach jederzeit auslaufen, hat mir der Master versichert.»
        Bolitho stand auf und lehnte sich auf die Brustung der hohen Fenster. Es war beruhigend, da? sie den alten Grubb an Bord hatten. Als Sailing Master der Lysander war er so etwas wie eine legendare Figur gewesen. Allein mit Signalen aus seiner Batteriepfeife hatte er - wahrend um ihn herum Blut uber das Deck stromte - das Schiff so dirigiert, da? es die feindliche Schlachtlinie durchbrach. Ein Brocken von einem Mann, so breit wie drei andere, mit ziegelrotem, vom Wind wie vom Alkohol gegerbtem Gesicht. Was er nicht von seemannischen Erfahrungen in tropischen Orkanen oder im Eismeer wu?te, das brauchte man nicht zu wissen.
        Herrick war begluckt gewesen, als er Grubb wieder als Navigator bekam. Er hatte gesagt:»Ich bezweifle jedoch, da? er davon Notiz genommen hatte, wenn die Entscheidung anders ausgefallen ware.»

«Gut«, sagte Bolitho nun.»Machen Sie ein entsprechendes Signal fur das Geschwader. Bei vier Glasen zur mir an Bord. «Er lachelte.»Sie warten sowieso darauf.»
        Browne raffte seine Sammlung verschiedener Papiere und Signale zusammen und zogerte, als Bolitho ihn plotzlich fragte:»Dieser Ad-miral, mit dem wir zusammentreffen sollen. Kennen Sie ihn?»
        Er war erstaunt, wie leicht ihm das von den Lippen ging. Fruher hatte er eher nackend einen Tanz auf der Hutte aufgefuhrt, als einen Untergebenen nach dessen Ansichten uber einen Vorgesetzten zu fragen. Aber man hatte ihm gesagt, er musse einen Flaggleutnant haben, der in der Marine-Diplomatie bewandert war, also wollte er das nutzen.

«Admiral Sir Samuel Damerum ist lange Jahre als Flaggoffizier in Indien gewesen und zuletzt in Westindien, Sir. Man hatte erwartet, da? er in ein hoheres Amt in Whitehall berufen wurde, sogar Sir George Beauchamps Posten wurde genannt.»
        Bolitho sah ihn mit gro?en Augen an. Das war eine andere Welt als die seinige.

«Und das hat Ihnen Sir George Beauchamp alles erzahlt!»
        Doch Sarkasmus war an Browne verschwendet.»Naturlich, Sir. Als Flaggleutnant mu? ich solche Dinge wissen. «Er machte eine wegwerfende Gebarde.»Statt dessen bekam Admiral Damerum sein jetziges Kommando. Er ist gut beschlagen in Angelegenheiten des Handels und seines Schutzes. Ich wei? allerdings nicht, was diese Kenntnisse mit Danemark zu tun haben.»

«Machen Sie bitte weiter.»
        Bolitho setzte sich wieder und wartete, da? Browne den Raum verlie?. Er bewegte sich leicht und elegant wie ein Tanzer. Oder mehr noch: wie ein Fechter, ein Duellant, dachte Bolitho grimmig. Es war ganz Beauchamp, ihm einen erfahrenen Adjutanten zu geben und diesen Mann damit gleichzeitig vor unerfreulichen Nachforschungen zu retten.
        Er dachte uber Damerum nach. Den Namen hatte er langsam auf der jahrlichen Beforderungsliste der Marine aufsteigen sehen; ein einflu?reicher Mann, aber offenbar immer am Rande der Ereignisse, nie da, wo gekampft und gesiegt wurde.
        Vielleicht waren seine Kenntnisse des Handels der Grund fur sein jetziges Kommando. Seit Beginn dieses Jahres hatte es unerwartete Spannungen zwischen Britannien und Danemark gegeben.
        Sechs danische Handelsschiffe, begleitet von der Freya, einer Fregatte mit vierzig Kanonen, hatten es abgelehnt, sich von einem britischen Geschwader anhalten und nach Konterbande durchsuchen zu lassen.
        Danemark war in einer schwierigen Lage. Nach au?en hin galt es als neutral, aber es hing nichtsdestoweniger von seinem Handel ab. Vom Handel mit seinen machtigen Nachbarn, Ru?land und Schweden, ebenso wie mit Britanniens Feinden.
        Das Ergebnis dieses Zusammentreffens war hart und argerlich gewesen. Die danische Fregatte hatte Warnschusse auf die britischen Schiffe abgefeuert, aber nach einer halben Stunde harten Kampfes hatte sie die Flagge streichen mussen. Die Freya und ihre sechs Schutzlinge waren in die Downs eingebracht worden, aber nach eiligen diplomatischen Verhandlungen hatten die Briten sich der demutigenden Aufgabe gegenubergesehen, die Freya auf ihre Kosten ausbessern zu lassen und mit ihrem Konvoi nach Danemark zuruckzuschik-ken.
        Der Friede zwischen Britannien und Danemark, zwei seit jeher befreundeten Nationen, war bewahrt worden.
        Vielleicht hatte Damerum seine Hand bei der ursprunglichen Konfrontation im Spiel gehabt und wurde nun mit seinem Geschwader zur Strafe in See gehalten. Oder vielleicht glaubte die Admiralitat auch, da? die standige Anwesenheit ihrer Schiffe vor den Ostseezugangen, Bonapartes Hintertur, wie die Gazette sie genannt hatte, weitere Pannen verhindern wurde.
        Es klopfte kurz an die Tur, und Herrick trat, seinen Hut unter den Arm geklemmt, in die Kajute.»Setzen Sie sich, Thomas.»
        Bolitho betrachtete seinen Freund mit Warme. Dasselbe derbe, runde Gesicht, dieselben klaren blauen Augen wie damals, als sie hier in Spithead einander auf ihrem ersten Schiff begegnet waren. Es gab wohl schon ein paar graue Tupfer auf seinem Haar, die aussahen wie Rauhreif auf einem Gebusch, aber sonst war es immer noch der alte Herrick.
        Herrick seufzte tief.»Die brauchen anscheinend immer langer, um fertig zu werden, Sir. «Er schuttelte den Kopf.»Einige haben offenbar zwei linke Hande. Da wird mit viel zu vielen Verordnungen und Verboten vor den Pre?kommandos herumgewedelt. Wir brauchen gute Seeleute, aber dann hei?t es: >Hande weg von Indienfahrern, Kustenschiffern und Bootsleuten<. Verdammt noch mal, Sir, es ist doch auch deren Krieg.»
        Bolitho lachelte.»Das haben wir schon ein paarmal festgestellt, Thomas. «Er deutete mit weit ausholender Gebarde auf den Raum mit seinen grunen Lederstuhlen und dem soliden Mobiliar.»Hier ist alles sehr behaglich. Sie haben an der Benbow ein schones Schiff.»
        Herrick war storrisch wie immer.»Es sind die Manner, die Schlachten gewinnen, Sir. Nicht die Schiffe. «Verbindlicher fugte er hinzu:»Aber es ist ein stolzer Augenblick, das mu? ich zugeben. Die Ben-bow ist ein gutes Schiff und schnell fur ihre Gro?e. Wenn wir das nachste Mal in See gehen, werde ich mehr Munition nach achtern stauen lassen und damit vielleicht noch einen Knoten mehr herausholen.
«Seine Blicke schweiften weit weg, verloren in die standigen Uberlegungen eines Kommandanten, wie er sein Schiff am besten trimmen konnte.

«Was macht Ihre Frau? Wird sie direkt nach Kent fahren?»
        Herrick sah ihn an.»Aye, Sir. Sobald wir au?er Sicht sind, sagt sie. «Ein Lacheln huschte uber sein Gesicht.»Bei Gott, ich bin ein Gluckspilz.»
        Bolitho nickte.»Ich auch, Thomas, da? ich Sie wieder als Flaggkapitan habe. «Er beobachtete eine Unsicherheit auf Herricks Gesicht und erriet, was kam.

«Es mag ungebuhrlich klingen, Sir, aber haben Sie nie daran gedacht… Ich meine, wollen Sie nicht uberlegen…»
        Bolitho hielt seinem Blick stand und antwortete ruhig:»Wenn ich
        Cheney zuruckholen konnte, mein Lieber, wurde ich den rechten Arm dafur geben. Aber eine andere heiraten?«Er schaute zur Seite, denn es gab ihm einen schmerzhaften Stich, als er sich an Herricks Gesicht erinnerte, wie der ihm damals die Nachricht von Cheneys Tod uberbracht hatte.»Ich dachte, ich wurde daruber hinwegkommen, mich von ihr losen. Der Himmel wei?, Thomas, da? Sie alles getan haben, mir zu helfen. Manchmal bin ich nahezu daran, zu verzweifeln…«Er unterbrach sich. Was war mit ihm los? Aber als er Herrick anschaute, sah er nur Verstandnis in dessen Zugen. Und Stolz, etwas mit ihm teilen zu konnen, das er wahrscheinlich langer als jeder andere gewu?t hatte.
        Herrick stand auf und stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch.»Ich gehe jetzt besser wieder an Deck. Mr. Wolfe ist ein guter Seemann, aber es fehlt ihm die leichte Hand im Umgang mit den neuen Leuten. «Er zog eine Grimasse.»Wei? Gott, er jagt sogar mir manchmal Angst ein.»

«Wir sehen uns bei vier Glasen wieder, Thomas. «Bolitho drehte sich um und sah eine Mowe pfeilschnell am Fenster vorbeistreichen.»Was ist mit Adam? Ich habe ihn nur kurz gesprochen, als ich an Bord kam. Uberhaupt gibt es noch viele Fragen.»
        Herrick nickte.»Aye, Sir. Hoher Rang stellte hohere Anforderungen. Wenn Sie den jungen Adam gestern eingeladen hatten, hatten die anderen in der Masse etwas uber Bevorzugung gemunkelt, was Sie selber nicht mogen. Aber er hat Sie vermi?t. Ich glaube, er sehnt sich nach einer Fregatte, doch furchtet er, uns beide damit zu kranken. Sie besonders.»

«Ich werde ihn bald zu mir rufen. Wenn alle an Bord so beschaftigt sind, da? sie keine Zeit mehr zum Tratschen haben.»
        Herrick grinste.»Das ist bestimmt sehr bald der Fall. Nach der ersten richtigen Nordsee-Brise sind sie dazu viel zu erschopft.»
        Noch lange, nachdem Herrick gegangen war, sa? Bolitho still auf der grunen Lederbank unter dem Heckfenster. So machte er sich mit dem Schiff vertraut, obwohl er nicht direkt an dem teilnehmen konnte, was uber ihm und vor der Tur geschah.
        Fu?e stampften und Blocke quietschten. Er wurde unruhig, sobald er die Gerausche als das Aufhei?en eines Bootes, sein Einschwenken uber die Laufbrucke und Abfieren auf das Bootsrack neben den anderen Booten erkannte.
        Viele Leute waren an der Arbeit, von ihren Deckoffizieren und Maaten angeleitet und vorangetrieben. Es fehlte an erfahrenen Matrosen. Auf jede Wache und auf den Gefechtsstationen waren nur einige davon verteilt. Sie konnten allenfalls dafur sorgen, da? die neuen und unerfahrenen Leute keine allzugro?en Gefahren heraufbeschworen.
        Freiwillige waren in Devonport an Bord gekommen und einige sogar hier in Portsmouth: ehemalige Seeleute, die genug vom Leben an Land hatten, Manner, die vor dem Gericht, vor Glaubigern oder gar vor dem Galgen davongelaufen waren.
        Der Rest, von den Pre?kommandos an Bord geschleppt, war noch verstort, deprimiert, zu plotzlich eingefangen in eine Welt, die sie kaum kannten, allenfalls aus der Entfernung. Dies also war es, was sie sich unter einem Schiff des Konigs, das unter vollen Segeln stolz aufs weite Me er hinausfuhr, vorgestellt hatten. Und das war die harte Wirklichkeit: uberfullte Wohndecks und der Stock des Bootsmanns.
        Es war Herricks Aufgabe, sie mit seinen eigenen Methoden zu einer Mannschaft zusammenzuschwei?en. Zu einer Besatzung, die tapfer ihren Mann stand und sich - wenn notig - mit einem Hurra auf den Feind sturzte.
        Bolitho sah sein Spiegelbild in den nassen Scheiben. >Und meine Aufgabe ist es, das Geschwader zu fuhren.<
        Allday trat ein und betrachtete ihn nachdenklich.»Ich habe Ozzard gesagt, da? er Ihren besten Uniformrock bereitlegt, Sir. «Er lehnte sich nach Luv, als das Deck sich plotzlich schief legte.

«Endlich >mal< 'ne Abwechslung, anstatt immer mit Franzmannern zu kampfen. Ich denke, es werden demnachst die Russen oder Schweden sein.»
        Bolitho sah ihn zornig an.»>Mal 'ne Abwechslung         Allday strahlte.»Politik ist naturlich wichtig, Sir. Fur die Admirale, fur das Parlament und so weiter. Aber fur den armen Seemann?«Er schuttelte den Kopf. Alles, was er sieht, sind die Mundungen der feindlichen Kanonen, die ihm ihr Feuer entgegenspeien, ihm mit eisernem Kamm einen Scheitel ziehen. Es kummert ihn nicht gro?, welche Flagge sie fuhren.»
        Bolitho mu?te erst einmal tief Luft holen.»Kein Wunder, da? die Madchen auf Ihre Uberredungskunste hereinfallen, Allday. Fast hatten Sie mich uberzeugt.»
        Allday lachte in sich hinein.»Ich bringe Ihre Frisur noch einmal in Ordnung, Sir. Wir werden uns uberhaupt kunftig etwas zusammennehmen mussen, mit einem Mr. Browne an Bord.»
        Bolitho lehnte sich zuruck und wartete. Er wurde nicht nur mit Browne zurechtkommen mussen. Allday erriet sicher, wie viele Sorgen er sich machte, bis sie alle in See waren. Und er wurde dafur sorgen, da? er nicht allein blieb, bis die Kommandanten kamen, ihm ihre Aufwartung zu machen. Gegen Allday gewann man nur schwer.
        Von der Schiffsglocke vorn auf dem Backsdeck erklangen zwei Schlage. Funf Uhr nachmittags, und die Kommandantensitzung lag hinter ihnen. Sekunden spater kam Herrick abermals in Bolithos Kajute.
        Bolitho streckte die Arme nach seinem Uniformrock aus und erlaubte Ozzard, ihn noch einmal zurechtzuzupfen und dafur zu sorgen, da? der Zopf korrekt auf dem goldbestickten Kragen lag.
        Allday stand am Schott und nahm - nach einem Augenblick des Uberlegens - einen der Sabel von seinem Stander.
        Er glitzerte trotz des nur matten Lichts, war schon geformt und verziert und zeigte, wenn man ihn aus der Scheide zog, eine ebenso vollkommene Klinge. Es war ein Ehrensabel, gestiftet von der Bevolkerung Falmouths. Ein Geschenk in Anerkennung dessen, was Bolitho im Mittelmeer geleistet hatte.
        Herrick beobachtete die kleine Szene. Einen Augenblick verga? er den Kummer, da? er Dulcie so schnell hatte verlassen mussen, und die hundert Dinge, die seine Aufmerksamkeit an Deck verlangten. Er wu?te, was Allday dachte, und war gespannt, wie er es aussprechen wurde.
        Der Bootssteurer fragte etwas linkisch:»Dieser, Sir?«Er lie? den Blick zum zweiten Sabel wandern. Der war altmodisch und gerade, aber ein Teil Bolithos und seiner Vorfahren.
        Bolitho lachelte.»Lieber nicht. Es wird gleich regnen, und ich mochte nicht, da? die schone neue Waffe Schaden nimmt. «Er wartete, wahrend Allday den anderen Sabel holte, und hakte ihn in seinen Gurt ein.»Und au?erdem«, er blickte von Allday zu Herrick,»mochte ich heute alle alten Freunde um mich haben.»
        Dann tippte er Herrick auf die Schulter:»Wir gehen zusammen an Deck, nicht wahr, Thomas? Wie fruher.»
        Ozzard sah den beiden Offizieren nach und flusterte bedauernd:»Ich wei? nicht, warum er diesen alten Sabel nicht wegwirft oder wenigstens zu Hause la?t.»
        Allday machte sich nicht die Muhe, ihm zu antworten, sondern schlenderte hinter Bolitho her, um seinen vorschriftsma?igen Platz auf dem Achterdeck einzunehmen.
        Aber er dachte dabei uber Ozzards Bemerkung nach. Wenn Richard Bolitho sich jemals von diesem alten Sabel trennte, dann hatte seine Hand bestimmt nicht mehr die Kraft, ihn zu fassen.
        Bolitho marschierte hinaus, hielt vor dem Steuerruder und lie? seinen Blick uber die angetretenen Offiziere und Mannschaften schweifen. Er spurte den Wind schmerzhaft in den Augen und die kalte Luft an seinen Beinen.
        Wolfe schaute zu Herrick hinuber, tippte an seinen Hut, unter dem die roten Haare flatterten, als wollten sie davonfliegen.

«Alle Ankertrossen sind kurzgeholt, Sir«, sagte er mit seiner rauhen, tonlosen Stimme.
        Herrick meldete Bolitho ebenso formlich:»Das Geschwader ist bereit, Sir.»
        Bolitho nickte. Er war sich des Augenblicks bewu?t, der Gesichter um ihn herum, die ihm zumeist unbekannt waren, und des Schiffes, dessen Decksplanken sie alle trugen.

«Dann setzen Sie das Signal fur alle, bitte. «Er zogerte, wandte sich um und schaute uber die Netze hinweg auf den nachstliegenden Zweidecker, die Odin. Dem armen Inch hatte es fast die Sprache verschlagen vor Freude, ihn wiederzusehen.
        Er setzte abrupt hinzu:»Anker lichten!»
        Browne war schon mit den Signalgasten an der Arbeit und trieb einen verdattert dastehenden Midshipman an, der ihm eigentlich hatte behilflich sein sollen.
        Ein paar spannungsgeladene Augenblicke noch, die rauhen Befehle vom Vorschiff, als das Gangspill immer mehr von der tropfnassen Ankertrosse einholte.

«Anker ist los, Sir!»
        Bolitho mu?te die Hande wie mit Schraubstocken auf dem Rucken festhalten, um seine Erregung zu zugeln, als eines der Schiffe nach dem anderen loskam und unter Massen von wild schlagender, dann sich fullender Leinwand heftig uberholend Fahrt aufnahm.
        Die Benbow bildete keine Ausnahme. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das erste Durcheinander behoben war. Als ihre Rahen dann gebra?t waren, ihre Untersegel und die Marssegel sich bauschten und schlie?lich wie metallene Brustharnische vom Mast abstanden, steuerte sie sich auf ihren ersten Schlag ein, der vom Land wegfuhrte.
        Spritzwasser fegte uber die Luv-Laufbrucke und hinter der wild blickenden Galionsfigur empor. Manner legten auf den Rahen aus oder zerrten in Gruppen an Brassen, Fallen oder Schoten, wobei sie ihr Korpergewicht voll einsetzen mu?ten. Wolfe hatte seine Flustertute ununterbrochen am Mund.»Mister Pascoe, jagen Sie Ihre Anfanger gefalligst noch einmal rauf! Es ist eine einzige Schweinerei da oben!»
        Einen Augenblick sah Bolitho seinen Neffen sich umdrehen und nach achtern schauen. Als Dritter Offizier hatte er das Kommando uber den Fockmast und war damit so weit vom Achterdeck entfernt, wie es nur ging.
        Bolitho nickte ihm kurz zu und sah, da? Pascoe genauso antwortete, wobei ihm das schwarze Haar ins Gesicht wehte. Es kam Bolitho vor, als sahe er sich selber im gleichen Alter.

«Mr. Browne, signalisieren Sie dem Geschwader, es soll dem Flaggschiff in Kiellinie folgen. «Er sah, da? Herrick ihn beobachtete, und fugte hinzu:»Die Fregatten und unsere Korvette werden wissen, was sie zu tun haben, ohne da? ich es ihnen ausdrucklich befehle.»
        Herricks salzuberkrustetes Gesicht verzog sich zu einem Lacheln.»Das werden sie, Sir.»
        Hart am Wind liegend und gischtuberspruht, bemuhten sich die Fregatten, ihre vorgeschriebenen Positionen vor dem Verband zu erreichen, von wo aus sie uber ihre schwerfalligeren Gefahrten wachen konnten.
        Bolitho ging zur Backbordseite und schaute zum Land zuruck. Da lag es, grau und formlos; Einzelheiten lie?en sich in dem schlechter werdenden Wetter kaum noch erkennen.
        Wie viele Leute mochten das Auslaufen des Geschwaders wohl beobachten? Herricks Frau, Admiral Beauchamp, all die alten verkruppelten Seeleute, die als Strandgut des Krieges an Land geworfen waren? Einst hatten sie die Marine verflucht, aber manchem von ihnen mochte nun ein Klo? im Halse stecken, als sie die Schiffe davonsegeln sahen.
        Bolitho horte Wolfe spottisch sagen:»Mein Gott, schauen Sie sich den Menschen an! Nur Haut und Knochen. Sein Rock sieht aus wie das Hemd des Zahlmeisters auf einer Handspake.»
        Bolitho drehte sich um und sah eine dunne, schlotternde Gestalt zum Niedergang eilen und nach unten verschwinden. Sein Gesicht war kalkwei? wie ein Totenschadel.
        Herrick senkte die Stimme.»Das ist Mr. Lovey, der Schiffsarzt, Sir. Ich hoffe, da? ich nicht einmal auf dem Operationstisch liegen und zu diesem Gesicht aufschauen mu?.»
        Bolitho sagte:»Da stimme ich Ihnen zu.»
        Er nahm ein Fernrohr von einem der Midshipmen und richtete es auf die anderen Schiffe. Sie arbeiteten sich auf ihre Positionen in der Linie, wobei ihre Segel teilweise killten oder gar backschlugen, wenn sie zu stark anluvten.
        Bis zu ihrem Rendezvous mu?ten sie noch viel hinzulernen, an Segeln und Kanonen. Doch falls sie schon vorher auf ein feindliches Geschwader stie?en - soweit Bolitho wu?te, war eine ganze franzosische Flotte in See - , dann wurde von ihm erwartet, da? er sein Geschwader so, wie es war, in den Kampf fuhrte.
        Er warf einen Blick zum Niedergang, als erwarte er, da? der Totenschadel des Schiffsarztes ihn beobachte. Hoffentlich blieb Lovey noch eine Zeitlang unbeschaftigt.
        Auf dem Oberdeck war wieder Ordnung eingekehrt. Das Tauwerk war sauber aufgeschossen oder uber Belegnagel gehangt. Die Seeleute versammelten sich am Fu? ihrer Masten, wurden gemustert und gezahlt. Und uber ihnen, beweglich wie Eichhornchen in einem vom Winde geschuttelten Wald, arbeiteten die Toppsgasten und sorgten dafur, da? alle Leinen klarliefen und alle Segel vollstanden.
        Es war Zeit, hineinzugehen und Herrick das Kommando zu uberlassen.

«Ich gehe nach achtern, Captain Herrick.»
        Herrick schien seine Gedanken erraten zu haben.»Aye, Sir. Und ich werde mit den Oberdecksbatterien noch bis zur Dunkelheit exerzieren.»
        Eine ganze Woche lang kampfte sich das Geschwader bei einem Wetter durch die Nordsee, das selbst Ben Grubb als eines der schlimmsten, die er je erlebt hatte, bezeichnete. Wahrend der Nachte drehten die wild hin- und hergeworfenen
        Schiffe unter Sturmsegeln bei, und jeden Morgen wiederholte sich beim Hellwerden die Suche nach den uber Nacht weit auseinandergetriebenen Gefahrten. Wenn sie sich schlie?lich wieder einigerma?en formiert hatten, wurde der Nordost-Kurs wieder aufgenommen und dabei - soweit das Wetter es erlaubte - an den Geschutzen exerziert und Reparaturen ausgefuhrt.
        Im Geschwader hatte es einige Tote und Verletzte gegeben. Die Todesfalle wurden meist durch Sturze von oben verursacht, wenn die verstorten und vom uberkommenden Salzwasser halbblinden Manner beim Reffen oder Segelbergen mit der wild schlagenden Leinwand kampften oder Schaden am stehenden Gut ausbesserten.
        Auf der Benbow hatten sich mehrere Neulinge durch Unaufmerksamkeit die Handflachen verbrannt. Auf dem dunklen Deck konnte es leicht passieren, da? man mit Armen oder Beinen in eine ausrauschende Leine geriet. Wer da mit den Handen zupacken wollte, verbrannte sich, als hatte er hei?es Eisen angefa?t.
        Ein Mann verschwand, ohne da? jemand etwas davon bemerkt hatte. Uber Bord gespult, hatte er vielleicht noch ein paar Augenblicke im Wasser strampelnd zugesehen, wie der Zweidecker in der Finsternis verschwand.
        An Bord war es uberall feucht und scheu?lich kalt. Die einzige Warme kam vom Kochherd in der Kombuse, aber bei dem Seegang war es unmoglich, Kleidungsstucke zu trocknen, solange das Schiff derart hin- und hergeworfen wurde.
        Sobald er an Deck kam, spurte Bolitho die schlechte Stimmung fast physisch. Er kannte Herrick gut genug, um zu wissen, da? er nichts weiter tun konnte, um die Leiden seiner Leute zu mildern.
        Manche Kommandanten hatten sich gar nicht darum gekummert, sondern ihren Bootsmannsmaaten befohlen, auch den letzten Mann zum Dienst zu prugeln. Nicht so Herrick. Seit seiner Leutnantszeit war er immer bemuht gewesen, zu fuhren, anstatt anzutreiben, seine Leute zu verstehen, anstatt sie in Furcht vor seiner Befehlsgewalt zu halten.
        Trotzdem war es notig gewesen, da? drei Leute ausgepeitscht wurden, nachdem Herrick die entsprechenden Kriegsartikel verlesen hatte, wahrend das Schiff sich durch Wellentaler und gegen uberkommende Brecher nordwarts vorkampfte.
        Bolitho war der Bestrafung ferngeblieben. Sogar das zahlte nicht mehr zu seinen Angelegenheiten. Er marschierte in seiner Kajute auf und ab und horte dabei das gleichma?ige Klatschen der» Neun-schwanzigen «auf nacktem Rucken, begleitet vom dumpfen Trommelschlag des Spielmanns, der zur Prozedur dazugehorte.
        Aber dann, ganz plotzlich, flaute der Wind leicht ab, und kleine blaue Flecken tauchten zwischen den Wolkenbergen auf.
        Seeleute und Soldaten hielten inne, um nach oben zu schauen und tief Luft zu holen. Warmes Essen wurde durch die Decks getragen, als hatten sie eine kurze Gefechtspause oder als wolle der Smutje es nicht glauben, da? er seine Kombuse langere Zeit benutzen konnte.
        Bolitho ging kurz vor Mittag an Deck und spurte den Unterschied. Die Midshipmen zeigten angemessen ausdruckslose Gesichter, als der Master und seine Steuermannsmaate ihre Bemuhungen uberwachten, mit Hilfe des Sextanten die Mittagsbreite zu bestimmen. Die Manner hoch oben uber Deck klammerten sich nicht mehr so krampfhaft an bebende Stengen oder Wanten, sondern bewegten sich bei ihren verschiedenen Arbeiten leicht und sicher. Der Erste Offizier fuhrte eine kleine Prozession von Fachleuten an, die den Backbord-Laufgang herunterkamen und nach allem schauten, was eine Reparatur, einen Schlag Farbe oder einen Splei? benotigte. In seinem Gefolge befanden sich Drodge, der Stuckmeister, Big Tom Swale, der fast zahnlose Oberbootsmann, Tregoye, der Schiffszimmermann, und einige ihrer Maate.
        Am vorderen Niedergang stand Purvis Spreat, der Zahlmeister der Benbow, im vertraulichen Gesprach mit Manley, dem Funften Offizier. Ging es um mehr Lebensmittel fur die Offiziersmesse? War zuviel Madeira verbraucht worden? Irgend so etwas wurde es sein. Spreat sah wie ein typischer Zahlmeister aus, dachte Bolitho. Verschlagen, mi?trauisch, gerade ehrlich genug, um nirgendwo anzusto?en. Er hatte jeden Mann an Bord zu ernahren, zu kleiden und mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, ungeachtet, ob das Wetter schlecht oder die Navigation mangelhaft war.
        Die Seesoldaten standen in zwei scharlachroten Reihen, die - den Schiffsbewegungen folgend - hin und her pendelten. Bolitho beobachtete sie, versuchte, Namen mit Gesichtern in Ubereinstimmung zu bringen, das Plus oder Minus ihrer Fahigkeiten zu beurteilen. Major Clinton schritt mit Leutnant Marston, seinem Gehilfen, langsam die Front ab und horte sich dabei an, was Sergeant Rombilow ihm uber jeden Mann und seine Funktion an Bord zu sagen hatte.
        Seesoldaten waren eine seltsame Rasse, dachte Bolitho. Sie waren genauso eng in den dicken Bauch der Benbow hineingepfercht wie die Seeleute, aber doch ganz anders in ihrer Haltung. Bolitho hatte sie in Amerika wahrend der Revolution erlebt. Damals war er noch ein junger Leutnant gewesen, der die ersten Schritte auf ein eigenes Kommando hin wagte. Ob dort oder im Mittelmeer, in der Karibik oder in Ostindien, uberall hatten sich die Seesoldaten durch ihre Zuverlassigkeit bewahrt.
        Bolitho sah, wie die Nachmittagswache sich vor dem Achterdeck versammelte und auf die Ubernahme des Schiffes fur die nachsten vier Stunden vorbereitete. Hier und da kaute noch einer an der ersten guten, warmen Mahlzeit seit Tagen. Einige Augenpaare musterten den Himmel mit prufendem Blick oder - soweit es neue Leute waren - mit offensichtlicher Erleichterung.
        Die meisten aber warfen ihrem Admiral verstohlene Blicke zu, der ruhelos auf der Luvseite des Achterdecks auf und ab ging. Wenn Bo-litho sich ihnen zuwandte, schauten sie schnell weg. Es war das ubliche: Neugier, Interesse, Ablehnung. Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? er es sich erst verdienen mu?te, wenn er mehr von ihnen erwartete.
        Er horte Pascoes Stimme, als er nach achtern kam und seinen Hut vor Speke, dem Zweiten Offizier, den er ablosen wollte, luftete.

«Die Wache ist angetreten, Sir.»
        Druben, auf den anderen Schiffen, spielte sich jetzt das gleiche ab. Routine und Tradition. Wie ein gut eingeubtes Theaterstuck, in dem jeder bei vielen Gelegenheiten jede Rolle gespielt hatte und jedes Wort auswendig wu?te.
        Die beiden Offiziere pruften den Kompa?, das Logbuch, den Stand der Segel, wahrend die anderen Mitspieler sich zu ihren Platzen bewegten: die Ruderganger, der Quartermaster, der Midshipman der Wache. Bolitho runzelte die Stirn. Wie hie? er doch noch? Penels, ja, das war der Name. Der Jungste an Bord. Gerade zwolf Jahre alt und aus Cornwall. Ein Cornishman. Er lachelte. Kaum schon ein Mann.

«Ubergeben Sie das Ruder, bitte!»
        Acht Glockenschlage klangen vom Vorschiff heruber, und die Manner von der Vormittagswache eilten in ihre Wohnraume zu einer guten Mahlzeit und einem kraftigen Schluck.
        Bolitho kam uber das Achterdeck und sagte:»Du siehst gut aus, Adam.»
        Sie entfernten sich vom Doppelrad und den drei Rudergangern und gingen Seite an Seite zu den Luv-Netzen.

«Danke, Sir. «Pascoe warf ihm einen Seitenblick zu.»Du auch, Onkel.»
        Als Bolitho schlie?lich seine Taschenuhr herausholte, stellte er fest, da? er sich eine volle Stunde mit seinem Neffen unterhalten hatte. Es schienen nur Minuten gewesen zu sein. Und doch hatten sie ein Bild heraufbeschworen, das sich betrachtlich von dem unterschied, das sie umgab. Nicht Meer und Himmel, Gischt und pralle Segel, sondern Landwege, niedrige Bauernhauser und der graue Klotz von Pendennis Castle.
        Pascoe war sehr gebraunt, fast so dunkel wie ein Zigeuner.
        Bolitho sagte:»Unser Geschwader wird sich bald zerstreuen. Aber vielleicht konnen wir hier auch mal den Fu? an Land setzen. Deswegen konnte ich den Blockadedienst in der Biskaya nicht ausstehen. Unsere Landsleute bekommen feuchte Augen, wenn sie von >unserem holzernen Schutzwall< sprechen, von den sturmerprobten Schiffern, die Frankreichs Flotte in ihre Hafen eingeschlossen haben. Sie wurden sich weniger enthusiastisch au?ern, wenn sie wu?ten, welche Holle da an Bord sein kann.»
        Midshipman Penels rief aufgeregt:»Signal von Styx, Sir. «Er blickte Pascoe auffordernd an.»Mann uber Bord, Sir.»

«Verstanden. Ich werde es sofort dem Kommandanten melden.»
        Bolitho beobachtete, wie sich der Umri? der Fregatte verkurzte, als sie in den Wind drehte, wobei ihre Segel killten oder backschlugen. Hoffentlich bekam sie ihr Boot am Heck schnell genug zu Wasser, um den Unglucklichen zu retten.
        Er beobachtete Pascoes Gesicht, der das schnelle Manover der Fregatte verfolgte. Au?erdem dachte er an John Neale, ihren Kommandanten. Er war in Penels Alter gewesen, als die Meuterei an Bord seiner Phalarope ausbrach, damals wahrend der amerikanischen Revolution. Ein kleiner, rundlicher Junge, er sah ihn deutlich vor sich. Heute konnte er sogar daruber lachen, wie er und Herrick den nackten Midshipman mit ranziger Butter eingeschmiert hatten, um ihn durch das Luftungsrohr schieben zu konnen. Die Meuterer hatten sie eingesperrt, und er sollte Hilfe herbeiholen. Es war ein hartes Stuck Arbeit gewesen.
        Jetzt diente Neale als Kommandant, und es war klar, was Pascoe dachte, als er durch das Glas beobachtete, wie jener sein Schiff handhabte. Bolitho sagte ruhig: Sobald es geht, Adam. Ich tue, was ich kann. Du hast es verdient.»
        Pascoe sah ihn erstaunt an.»Du hast es erraten, Onkel?»
        Bolitho lachelte.»Ich war auch mal Kommandant einer Fregatte, Adam. Das vergi?t man nie.»
        Er schaute zu seiner Konteradmiralsflagge empor, die vom Besan-mast kraftig auswehte.»Auch wenn es einem weggenommen ist.»

«Vielen Dank«, rief Pascoe aus.»Ich mochte zwar gern bei dir bleiben, das wei?t du. Aber ich verliere zu viel Zeit auf einem Linienschiff.»
        Bolitho sah Ozzard auf dem Achterdeck herankommen, die dunne Gestalt gegen den feuchten Wind zusammengekrummt. Es war Zeit zum Essen.
        Er schmunzelte.»Ich glaube, damals habe ich das gleiche gesagt.»
        Nachdem Bolitho im Achterschiff verschwunden war, ging Pascoe langsam auf der Luvseite auf und ab, die Hande genauso auf dem Rucken verschrankt, wie er es oft bei Bolitho gesehen hatte.
        Pascoe hatte nie etwas von seinen Wunschen gegenuber Herrick oder gar Bolitho geau?ert. Aber er hatte wissen sollen, da? er nichts vor ihnen verbergen konnte.
        Er beschleunigte die Schritte, wahrend seine Gedanken ihm weit vorauseilten in eine Zukunft, die nicht langer ein eitler Traum zu sein schien.



        III Der Brief

        Es verging noch ein ganzer Tag, bevor Bolithos Ausguck Admiral Damerums Geschwader sichtete, und da es bereits kurz vor Dunkelheit war, mu?ten sie auch noch die Nacht verstreichen lassen, bevor sie den Kontakt herstellen konnten.
        Wahrend sein Schiff am folgenden Morgen Kurs auf die gro?ere Gruppe nahm, beobachtete Bolitho das Geschwader des Admirals durch ein starkes Fernrohr und fragte sich, welchen Sinn es habe, eine solch gewaltige Streitmacht in dieser Art zu beschaftigen. Von den britischen Flotten wurde erwartet, da? sie Sommers wie Winters die hollandischen Kriegsschiffe vor der niederlandischen Kuste, die spanischen in Cadiz und - selbstverstandlich - die starken franzosischen Stutzpunkte Brest und Toulon blockierten. Abgesehen davon hatte man ihnen den Schutz der lebenswichtigen Handelswege nach Ost-und Westindien vor Angriffen der Feindmachte, vor Kaperfahrern und gewohnlichen Piraten ubertragen. Eine fast unlosbare Aufgabe.
        Hier an den Ostseeeingangen wurden nun andernorts dringend benotigte Geschwader nutzlos festgehalten, nur weil Zar Paul von Ru?land wenig fur Britannien und desto mehr fur Napoleon ubrig hatte und vielleicht seine Neutralitat aufgeben wollte.
        Herrick trat zu Bolitho und sagte:»Das dritte Schiff, Sir, mu? das von Sir Samuel Damerum sein.»
        Bolitho richtete sein Fernglas auf das Schiff, das den Union Jack an seiner Gro?marsstenge fuhrte. Er war sich des Unterschieds zwischen den nur langsam segelnden Schiffen Damerums und seinem eigenen kleinen Geschwader bewu?t. Mit ihren vielfach geflickten Segeln, ihren von Wind und Wetter mitgenommenen Schiffsrumpfen, auf denen quadratmeterweise die Farbe weggewaschen war, bildeten sie einen starken Gegensatz zu Bolithos neu ausgerusteten Zweideckern.
        Weit hinter den schwereren Schiffen machte Bolitho die Bramsegel einer Fregatte aus, die dort als >Auge des Admirals< patrouillierte. Deren Ausgucks konnten wahrscheinlich die danische Kuste sehen.

«Lassen Sie bitte mein Boot klarmachen, Thomas. Wir werden in spatestens einer Stunde bei ihnen sein. Und sorgen Sie dafur, da? gleichzeitig die Vorrate fur den Admiral mit einem anderen Boot hinubergeschickt werden.»
        Es war immer ein seltsames Gefuhl, wenn Schiffe einander bege gneten. Die einen, schon lange in See, waren immer erpicht auf Neuigkeiten von zu Hause. Die Neuankommlinge dagegen waren voller Unruhe, da sie nicht wu?ten, was sie erwartete.
        Sein Flaggleutnant kam mit langen Schritten uber das Achterdeck, das Gesicht verkniffen wegen der Kalte.
        Bolitho sagte:»Da ist das Flaggschiff des Admirals. Ein Linienschiff zweiter Klasse.»
        Browne nickte.»Die Tantalus, Sir. Captain Walten. «Es klang, als ginge es ihn nichts an.

«Sie werden mit mir hinuberfahren. «Bolitho lachelte grimmig.»Um sicherzustellen, da? ich nicht etwas Unbesonnenes tue.»
        Herrick sagte:»Es mag alles schnell vorbeigehen. Vielleicht sind wir eher wieder in Spithead, als Sie ahnen.»
        Bolitho war in seiner Kajute dabei, seine Depeschen aus dem Safe zu holen, als das Geklapper von Blocken und das Knattern schlagender Leinwand ihm sagten, da? die Benbow in den Wind drehte und Segel wegnahm, damit das Admiralsboot sicher zu Wasser gebracht und langsseit geholt werden konnte.
        Als er an Deck kam, hatte das Bild sich erheblich verandert. Die Schiffe des Admirals bewegten sich unter backgebra?ten Marssegeln nur ganz langsam vorwarts, und es schien, als wolle die Benbow ihre Linie wie in der Schlacht durchbrechen. Man konnte es sich jedenfalls leicht so vorstellen, und wenn auch viele Leute auf der Benbow noch nie einen im Ernst abgefeuerten Schu? gehort hatten, so doch Bolitho, Herrick und einige andere um so ofter.

«Boot langsseit, Sir. «Herrick eilte zu ihm, das Gesicht gezeichnet von der Verantwortung, die er fur sein Schiff und - wahrend der Abwesenheit Bolithos - fur das ganze Geschwader trug.

«Ich mache so schnell ich kann, Thomas. «Bolitho druckte sich den Hut fest auf den Kopf und sah dabei die Seesoldaten der Ehrenwache antreten und die Bootsmannsmaaten ihre Trillerpfeifen an die Lippen fuhren, bereit, ihn vorschriftsma?ig zu verabschieden.»Der Admiral wird mich wohl kaum als unfreiwilligen Gast bei sich behalten wollen, wenn der Seegang wieder zunimmt, nicht wahr?»
        Ein Midshipman, ungewohnlich sauber und ordentlich angezogen, stand im heftig dumpelnden Boot; neben ihm, auf seinem angestammten Platz an der Pinne, Allday. Er mu?te sich mit seiner Ansicht durchgesetzt haben, da? der Konteradmiral lieber seinen Bootssteurer am Ruder sah als einen Schiffsleutnant. Wenn es nach Allday ginge, ware das nachstemal auch kein Midshipman mehr dabei, dachte Bo-litho. Leutnant Browne allerdings war mit im Boot. Er hatte es wieder geschafft, nahezu elegant auszusehen.»Boot Achtung!»
        Wahrend die Bootsmannsmaatenpfeifen noch trillerten, sprang Bo-litho in dem Augenblick vom Fallreep auf die Hecksitze des Bootes hinuber, als dieses gerade von einer Welle an der glanzenden Bordwand der Benbow hochgehoben wurde.

«Absetzen vorn! Riemen bei! Rudert an!»
        Als das Boot aus dem Windschutz des Zweideckers herauskam, begann es wie ein Delphin heftig auf- und niederzuhupfen. Bolitho warf einen Blick auf den Midshipman, dessen Gesicht aschfarben geworden war. Er hie? Graham und war siebzehn, einer der alteren >jungen Herren<. Seine Chancen auf Beforderung zum Leutnant konnten sich verringern, wenn er in dem Boot seines Admirals seekrank wurde.

«Setzen Sie sich, Mr. Graham. «Bolitho sah, da? der Junge ihn verwirrt anstarrte, weil er von einem so hohen Dienstgrad angesprochen wurde.»Es ist etwas bewegt heute.»

«D-d-danke, Sir. «Graham lie? sich erleichtert nieder.»Ich bin gleich wieder in Ordnung.»
        Uber die Schultern grinste Allday dem Schlagmann zu. Nur jemand wie Bolitho machte sich Gedanken uber einen kleinen Midshipman. Das Komische an der Sache war, da? der ungluckliche Graham - was Allday wu?te - nur kurz vorher von einer Pastete gekostet hatte, die er seit England aufbewahrte. Die Pastete war zweifellos schon leicht angeschimmelt gewesen, als er sie an Bord brachte. Nach Tagen auf See, in der feuchten, schlecht gelufteten Kadettenunterkunft, mu?te sie sich nahezu in Gift verwandelt haben.
        Bolithos Ankunft auf Damerums Flaggschiff verlief nicht weniger gerauschvoll als die Abfahrt von seinem eigenen.
        Er sah fluchtig: blitzende Bajonette, unbewegte Offiziersgesichter, aber vor allem den Admiral selber, der vortrat, um ihn zu begru?en.

«Kommen Sie mit nach achtern, Bolitho. Mein Gott, diese Kalte la?t einem das Mark in den Knochen gefrieren.»
        Die Tantalus war ein gutes Stuck gro?er als die Benbow und Damerums Quartier deshalb uppiger eingerichtet, als Bolitho es je auf einem Kriegsschiff gesehen hatte. Waren die Schiffsbewegungen und die gedampften Gerausche nicht gewesen, so hatte man sich in einer luxuriosen Landwohnung fuhlen konnen. Was aber wurde passieren, wenn das Schiff einmal eilends gefechtsklar gemacht werden mu?te? Dann mu?ten die schonen Vorhange und die kostbaren franzosischen Mobel gro?en Schaden nehmen.
        Damerum wies auf einen Stuhl, wahrend ein Diener Bolitho Hut und Mantel abnahm.
        Bolitho setzte sich. Sir Samuel Damerum, Ritter des Bath-Ordens, Admiral der Nordseeflotte, stand schatzungsweise im funfzigsten Jahr. Er hatte eine frische, lebhafte Art zu sprechen und sich zu bewegen, aber sein graumeliertes Haar und die leichte Rundung in Taillenhohe, die auch eine makellos geschneiderte Weste nicht kaschieren konnte, machten ihn alter.
        Er sagte:»So, Sie sind also Richard Bolitho. «Sein Blick haftete kurz auf der Goldmedaille, die Bolitho fur diesen offiziellen Besuch um den Hals trug.»Die Medaille fur den Sieg am Nil, nicht wahr?«Er schuttelte den Kopf.»Manche Leute haben das Gluck gepachtet. «Er hatte eine sprunghafte Art, das Thema zu wechseln. Wie steht's mit Ihrem Geschwader?«Er wartete nicht auf Antwort, sondern fuhr fort: Sie haben langer gebraucht, als ich dachte, aber es ging wohl nicht anders, wie?»

«Tut mir leid, Sir. Schlechtes Wetter, ungeubte Leute, das ubliche. «Damerum rieb sich die Hande, und wie herbeigezaubert erschien ein Diener.

«Brandy, Mann. Aber nicht die miese Sorte, die wir den Kommandanten anbieten!«Er lachte in sich hinein.»Mein Gott, was fur ein Krieg, Bolitho. Immer weiter und weiter. Und kein Ende abzusehen.»
        Bolitho wartete. Er war sich noch nicht klar uber diesen seltsam sprunghaften Mann, der eine Menge redete, aber bis jetzt eigentlich noch nichts gesagt hatte.
        Bolitho sagte:»Mein Flaggkapitan schickt Ihnen ein paar Vorrate heruber, Sir.»

«Vorrate?«Die Augen des Admirals folgten dem Brandy und den beiden Glasern, die der Diener auf den Tisch gestellt hatte.»O ja, Mr. Fortnum, mein Lebensmittelhandler in London, tut sein Bestes, um mich nicht verhungern zu lassen, wissen Sie. Das ist nicht ganz einfach heutzutage.»
        Bolitho wu?te nicht, wer Mr. Fortnum war, hatte aber irgendwie das Gefuhl, da? er es eigentlich hatte wissen mussen.
        Der Brandy war mild und erwarmend und machte schlafrig, wenn man nicht aufpa?te.

«Nun, Bolitho, Sie werden wissen, da? Sie die Aufgabe meines Geschwaders ubernehmen sollen. Die danische Affare scheint sich zur Zeit abgekuhlt zu haben, aber meine Informationen gehen dahin, da? der Zar sich mit den Franzosen gegen uns verbunden will. Sie wissen von dem Vertrag, den er mit den Schweden zu schlie?en versuchte?«Wieder wartete er nicht auf Antwort, sondern fuhr schnell fort:»Er hangt noch immer an dieser Idee. Zusatzlich wird er darin von Preu?en unterstutzt. Gemeinsam konnten die beiden Danemark zwingen, sich gegen uns zu entscheiden. Es ist eben nicht einfach, in Frieden neben einem wutenden Lowen zu leben.»
        Bolitho versuchte sich vorzustellen, wie sein kleines Geschwader das Vordringen der vereinigten baltischen Flotten verhindern sollte. Beauchamp hatte ja gesagt, da? seine Aufgabe nicht leicht sein wurde.

«Sollen wir in die Ostsee einlaufen Sir?»
        Damerum machte seinem Diener ein Zeichen, die Glaser neu zu fullen.

«Ja und nein. Es ware falsch, demonstrativ Starke zu zeigen. Der Zar wurde das zum Anla? nehmen, das Feuer zu schuren. In einer Woche waren wir im Krieg. Aber eine kleine Streitmacht wie Ihre kann mit friedlichen Absichten hineinfahren. Meine Schiffe sind allen Spionen gut bekannt. Bald wird man wissen, da? ein neues Geschwader hier ist. Da es kleiner ist als meines, werden Spannung und Mi?trauen nachlassen. «Er lachelte und zeigte dabei sehr ebenma?ige Zahne.»Abgesehen davon, Bolitho: Wenn wirklich Schwierigkeiten auftreten sollten, sind wir bis zum nachsten Jahr hilflos. Bis Marz mindestens. Da wir die Schiffe des Zaren nicht in ihren Hafen packen konnen, mussen wir warten, bis das Eis geschmolzen ist. Bis dahin«, er schaute Bolitho fest an,»werden Sie die Dinge aus moglichst naher Entfernung beobachten. «Dann lachte er in sich hinein.»Aus sehr naher Entfernung, um es ganz deutlich zu sagen. Sie haben den Auftrag, nach Kopenhagen zu segeln und sich dort mit einem Beauftragten der britischen Regierung zu treffen.
        Bolitho war erstaunt.»Waren Sie als ranghoherer Offizier nicht sehr viel besser fur diese Mission geeignet, Sir?»

«Ihr Einwand ehrt Sie. Aber wir mussen behutsam vorgehen. Wenn ein zu junger Offizier kommt, mussen die Danen sich geringschatzig behandelt fuhlen. Kommt ein zu hoher Offizier, wittern sie bestimmt eine finstere Absicht oder gar eine Drohung. «Damerum zeigte mit dem Finger auf Bolitho.»Aber ein junger Konteradmiral ist genau der richtige Mann. Die Admiralitat glaubt es jedenfalls, und ich habe meine Unterstutzung zugesagt.»

«Nun gut, und ich danke Ihnen, Sir. «Bolitho wu?te nicht recht, was er sagen sollte. Es kam alles so schnell: ein Geschwader, eine neue Station, und unmittelbar darauf war er schon wieder mit einem ganz anderen Auftrag unterwegs. Er hatte das Gefuhl, da? er bald feststellen wurde, wie au?erordentlich nutzlich ihm Browne noch werden konnte.
        Damerum setzte plotzlich hinzu:»Wenn irgendwelche Zweifel auftreten, dann schicken Sie ein schnelles Schiff zu mir. Die Halfte me ines Geschwaders geht zur Uberholung nach England, die ubrigen Schiffe werden die Blockadekrafte vor Holland verstarken. Es steht alles in den Anweisungen, die mein Flaggleutnant dem Ihrigen gerade aushandigt. Die beiden konnen sich glucklich schatzen: haben das Schicksal einer ganzen Flotte in Handen, ohne dafur die Last der Verantwortung mit uns zu teilen, verdammt noch mal!»
        Wasserspritzer prasselten gegen die Heckfenster wie Schrotkugeln. Es hatte angefangen zu regnen oder zu hageln.
        Bolitho stand auf.»Ich werde meine neuen Instruktionen aufmerksam lesen, Sir Samuel. «Er streckte die Hand aus.»Vielen Dank fur das Vertrauen, das Sie in mich gesetzt haben.»
        Als er es sagte, kam ihm die wahre Bedeutung seiner Worte zu Bewu?tsein, als hatte er eine Grenzlinie uberschritten. Er mu?te die Anweisungen so befolgen, wie er es vermochte. Niemand war in der Nahe, den er um Weisung oder Rat bitten konnte. Ob er nun richtig oder falsch handelte - es war einzig seine Entscheidung.

«Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht am Fallreep verabschiede, Bolitho. Ich mu? noch Briefe schreiben, die mit der Kurierbrigg nach England gehen sollen. «An der Tur, hinter der Browne mit einem sehr jung aussehenden Leutnant sprach, sagte Damerum noch:»Also viel Gluck in Kopenhagen. Es soll eine sehr schone Stadt sein, hat man mir erzahlt.»
        Nach einem halsbrecherischen Abstieg an der Bordwand des Flaggschiffs zwangten sich Bolitho und Browne in die Hecksitze des Admi-ralsbootes und hullten sich in ihre Mantel.
        Mit klappernden Zahnen fragte Browne:»Alles klar, Sir? Ich wollte bei Ihnen bleiben, aber der Adjutant des Admirals wartete schon darauf, mich wegzulotsen. Man hat mir nicht einmal ein Glaschen angeboten. «Es klang ziemlich emport.

«Wir segeln nach Kopenhagen, Mr. Browne. «Bolitho sah ein Licht in des Leutnants Augen aufleuchten.»Gefallt Ihnen das?»

«Und ob, Sir.»
        Es war gut, wieder an Bord der Benbow zu sein. Sie mochte noch neu und bis jetzt unerprobt sein, aber sie hatte schon etwas Personliches und eine Warme, die man auf dem Schiff, das sie eben besucht hatten, vermi?te. Vielleicht war es Herricks Einflu? zuzuschreiben. Die Atmosphare auf den Schiffen, dachte Bolitho, wurde immer einen Rest Unerklarliches behalten.
        Herrick kam zu ihm in die Kajute und wartete geduldig, wahrend Bolitho sich von seinem nassen Hut und Mantel befreite.

«Nach Kopenhagen, Thomas. Wir mussen gleich Kurs um Skagen absetzen. Ich werde das Geschwader informieren, was uns bevorsteht. «Er lachelte, als er Herricks ernstes Gesicht sah.»Soweit ich es selber wei?, naturlich.»
        Mindestens einhundert Meilen waren es bis Skagen, dem nordlichsten Punkt Danemarks. Bis dahin blieb Bolitho genugend Zeit, seine Anweisungen zu studieren und vielleicht zwischen den Zeilen zu lesen, was nicht darin stand.
        Bolitho lag zuruckgelehnt in einem Stuhl, wahrend Allday ihn rasierte. Es war fruher Morgen und jenseits der salzverkrusteten Fenster noch kaum hell, aber Bolitho war schon seit einer Stunde wach und dabei, sich auf einen entscheidenden Tag vorzubereiten, indem er noch einmal seine Instruktionen durchging und prufte, ob er bisher irgend etwas ubersehen hatte.
        Es uberraschte Bolitho, da? er innerlich so ruhig war. Er doste sogar etwas vor sich hin, wahrend das Rasiermesser sanft uber seine Kehle glitt, und horte dem Platschen von Wasser und den taktma?igen Schritten nackter Fu?e uber seinem Kopf zu. Die Mannschaft war beim morgendlichen Deckswaschen.
        Er glaubte, die Stimme des Bootsmanns zu horen: Swale - Big
        Tom, wie er genannt wurde - sprach seltsam, fast lispelnd. Das kam dadurch, da? er die meisten seiner Vorderzahne eingebu?t hatte, im Gefecht oder bei einer Prugelei. Herrick hielt Swale fur einen guten Bootsmann. Jetzt inspizierte er offenbar einmal wieder das Achterdeck. Die ersten Wochen in See waren fur ein neu gebautes Schiff immer kritisch. Das Bauholz war nicht so gut abgelagert gewesen, wie es hatte sein sollen, und so konnten bei den starken Schlingerbewegungen seltsame Dinge passieren.
        Die Benbow war ein guter Segler, dachte Bolitho. Mehrmals schon hatten die anderen Zweidecker mehr Leinwand setzen mussen, um mitzukommen. Ein feines Schiff. Der bessere Teil eines ganzen Waldes hatte wohl dran glauben mussen, als sie gebaut wurde.
        Bolitho fuhr so plotzlich im Stuhl hoch, da? Allday erschreckt ausrief:»Langsam, Sir! Fast hatte ich Sie geschnitten. «Dann sagte er:»Ich habe es auch gehort: Kanonendonner!»
        Bolitho wollte zunachst aufstehen, lehnte sich dann aber wieder zuruck.»Rasieren Sie mich fertig, bitte. «Er unterdruckte seine plotzliche Erregung.»Es gehort sich nicht, da? ich gleich an Deck sturze.»
        Trotzdem fiel es ihm schwer. Bisher war er gewohnt gewesen, bei solchen Gelegenheiten sofort aufs Achterdeck zu gehen und sich selber ein Bild von der Lage zu machen. Er erinnerte sich an einen seiner ersten Kommandanten, dem er als junger Midshipman eine wichtige Meldung nach achtern in seine furstliche Einsamkeit hatte bringen mussen.
        Der Kommandant hatte ruhig, ein Glas Wein trinkend, in seiner Kajute gesessen. Bolitho sah ihn noch deutlich vor sich: Als er seine Meldung herausgestammelt hatte, wandte der Kommandant sich lediglich um, nickte, und sagte:»Meine Empfehlung an den Ersten Offizier, Mr. Bolitho, ich kame in Kurze hinauf. Das hei?t, wenn Sie noch ausreichend Puste fur diese Meldung habe.»
        Dabei hatte er es vielleicht, wie Bolitho jetzt, kaum ausgehalten, selber nach dem Rechten zu sehen.
        Es gab ein Gerausch am Turvorhang, und Herrick trat ein.

«Guten Morgen, Thomas. «Bolitho lachelte. Es hatte keinen Zweck, vor Herrick Theater zu spielen, darum fugte er hinzu:»Ich horte Schie?en.»
        Herrick nickte.»Der Peilung nach mu?te es die Lookout sein, Sir, es kam von Nordosten.»
        Bolitho wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und stand auf. Das Deck unter seinen Fu?en zitterte, als das Ruder in ein Wellental tauchte. Lookout war die kleine Korvette, und ihr Kommandant war Commander Veitch, Herricks ehemaliger Erster Offizier. Ein strenger Mann, aus Tynemouth geburtig, au?erst zuverlassig, der seine Beforderung auf dem harten Wege erreicht hatte. Wenn er jetzt einen Gegner auf eigene Faust stellte, dann war er sicher unbedeutend. Jedenfalls hielt es Veitch offensichtlich nicht fur notwendig, sein Flaggschiff zu informieren oder gar um Hilfe zu bitten. Das ware ohnehin nicht seine Art gewesen.
        Herrick meinte:»Vermutlich ein Blockadebrecher, Sir.»
        Ozzard eilte mit Bolithos Mantel herbei und hielt ihn wie ein Tore-ro, der einen Stier zum Angriff reizt.
        Bolitho fragte:»Ist irgendeine unserer Fregatten in Sicht?«Der Klang weiterer Explosionen drohnte uber das Meer, kurz und scharf: die leichten Buggeschutze der Lookout.
        Herrick antwortete:»Nicht, so lange ich an Deck war, Sir. Die Re-lentless mu?te im Sudwesten stehen und Styx auf unserer Leeseite, wie befohlen.»

«Gut. «Er schlupfte in seinen Mantel, der sich feucht anfuhlte.»Wir wollen selber nachschauen.»
        Der Himmel hatte sich aufgehellt, als sie aus der Hutte traten. Wolfe eilte auf sie zu.

«Mastkorb meldet: Lookout in Sicht<, Sir. Sie wird von einem kleineren Fahrzeug begleitet, entweder einer Brigg oder einem gro?eren Schiff, dem ein Mast weggeschossen wurde. «Grinsend fletschte er die Zahne.
        Bolitho konnte Wolfes Gedanken lesen: Eine fruhzeitige Eroberung bedeutete Prisengeld und ein Kommando fur irgendeinen. Selbst ein vorubergehender Einsatz als Prisenkapitan war etwas, das man sich in Krisenzeiten wunschte. Und Gluck dazu. Bolitho hatte beides gehabt und auf diese Weise sein erstes Kommando bekommen.
        Leute huschten uber das Achterdeck und raumten Putzen und Schrubber weg. Ihre Gesichter waren im schwachen Licht noch nicht zu erkennen. Aber allen war bewu?t, da? ihr Admiral auf etwas wartete; was bedeutete es fur sie? Ein Seegefecht? Tod oder Verstummelung? Auf jeden Fall stand eine Unterbrechung im Einerlei ihrer taglichen Routine bevor.
        Bolitho bemerkte einige Offiziere auf der Leeseite des Achterdecks: Byrd und Manley, den Vierten und Funften Offizier, und Courtenay, den noch jungeren Sechsten, den Allday aus dem Admiralsboot verdrangt hatte.
        Er mu?te sich einmal Zeit nehmen, sie naher kennenzulernen. Jetzt war er schon froh, da? er die Denkweise der Offiziere kannte, die die Schiffe seines Geschwaders befehligten; aber wenn die Benbow in einen harten Kampf verwickelt wurde, konnte es geschehen, da? ein junger Leutnant nach einer vernichtenden Breitseite das Kommando ubernehmen mu?te.
        Wolfe hatte ein Fernrohr vor dem Auge.»Da kommt die Relentless, Sir. Ich kann ihre Obersegel erkennen. Sie wittert wohl Pulvergeruch.»
        Bolitho konnte sich vorstellen, was jetzt an Bord der Sechsund-drei?ig-Kanonen-Fregatte vorging. Er war mit ihrem jungen Kommandanten Rowley Peel nur zweimal zusammengetroffen. Er war der Au?enseiter im Geschwader, aber schnell da, wenn es hie?, seine schwerfalligeren Gefahrten zu schutzen oder einen Feind zu vertreiben.
        Der alte Grubb brummelte:»Besseres Wetter heut. Schon und klar. «Er versank wieder in Schweigen, die Hande tief in seinem schabigen Wachmantel vergraben.
        Wolfe entdeckte Pascoe auf der Backbord-Laufbrucke und rief barsch:»Wurden Sie mal aufentern, Mr. Pascoe? Nehmen Sie ein Glas mit, und melden Sie, was Sie ausmachen konnen!»
        Pascoe warf einem Matrosen seinen Hut zu und lief an die Luvwanten. Er war in dem dunklen Gewirr der Takelage uber der Gro?rah schon verschwunden, bevor Bolitho seine Enterkunste verfolgen konnte. Bolitho dachte an seinen eigenen Abscheu vor solchen Hohen, und welche Uberwindung sie ihn in Pascoes Alter gekostet hatten. Er fuhlte, wie sein Mund sich zu einem Lacheln verzog. Es wurde albern klingen, wenn er jemand erzahlte, da? er es als einen der gro?ten Vorteile seiner Beforderung empfunden hatte, nicht mehr in die schwi n-delnden Hohen der Masten aufentern zu mussen.
        Pascoe meldete sich von oben, und seine Stimme ubertonte klar das drohnende Schlagen von Leinen und Leinwand.

«Lookout hat sie geschnappt. Es ist eine Brigg. Sie fuhrt keine Flagge, aber jetzt setzen sie unsere.»
        Mehrere der auf der Laufbrucke und dem Batteriedeck Herumstehenden jubelten, und Herrick rief:»So schnell? Gut gemacht, gut gemacht!»
        Bolitho nickte.»Sie haben Ihrem Ersten Offizier viel beigebracht, Thomas.»
        Leutnant Browne erschien am achteren Niedergang und fragte, wahrend er seinen Mantel zuknopfte:»Ich horte Larm. Was gibt's?»
        Wolfe sagte zum Master:»Der wird uns nicht viel nutzen.»
        Herrick antwortete:»Wir haben eine Prise erobert, Mr. Browne. Ich furchte, Sie haben das verpa?t.»
        Einige der nahestehenden Seeleute stie?en einander grinsend an. Bolitho spurte die Veranderung. Die Stimmung an Bord war schon besser.

«An Deck! Land in Sicht, Steuerbord voraus!»
        Herrick und der Master eilten geschaftig in den Kartenraum unter der Hutte, um diese Entdeckung mit der Seekarte zu vergleichen.
        Es mu?te Skagen sein. Was die fremde Brigg betraf, so hatten sie Gluck gehabt. Eine Stunde fruher ware sie unbemerkt vorbeigeschlupft.
        Bolitho sagte:»Ich gehe jetzt fruhstucken. Melden Sie mir, wenn die Lookout nahe genug ist, um Signale austauschen zu konnen.»
        Herrick stand am Schott zum Kartenraum und schaute nach den anderen Schiffen aus.

«Mr. Grubb meint, wir sind gegen Mittag bei Skagen, wenn der Wind uns treu bleibt.


«Das nehme auch ich an. Wenn wir da sind, konnen Sie dem Geschwader signalisieren, da? es in Kiellinie ankern soll. «Bolitho nickte den Offizieren zu und ging nach achtern.
        Herrick stie? einen Seufzer aus. Er neigte dazu, sich Sorgen zu machen, wenn Bolitho in der Nahe war, aber noch mehr Sorgen machte er sich, wenn er gegangen war.
        Pascoe glitt herunter an Deck und holte sich seinen Hut zuruck. Er wollte gerade nach achtern gehen, als eine kleine Gestalt zwischen zwei Achtzehnpfundern hervortrat und ihn ansprach.»Verzeihung, Sir. «Es war Midshipman Penels.

«Ja?«Pascoe blieb stehen und betrachtete den Jungen. >War auch ich jemals so?< dachte er.

«Ich - ich wei? nicht, wie ich es erklaren soll, Sir…»
        Es klang so verzweifelt, da? Pascoe sagte:»Sprechen Sie sich ruhig aus.»
        An Bord eines Kriegsschiffes war es praktisch unmoglich, sich zu einem vertraulichen Gesprach zuruckzuziehen. Au?er in der Kommandantenkajute und moglicherweise in der Arrestzelle, befand man sich immer in einer Menge.
        Pascoe wu?te sehr wenig von dem neuesten Midshipman. Er kam aus Cornwall, und da hakte er ein.
        Er sagte:»Sie sind aus Bodmin, glaube ich?»

«Ja, Sir. «Penels schaute sich um wie ein gefangenes Tier.»Da ist einer in Ihrer Division, Sir, mit dem ich zusammen aufgewachsen bin, zu Hause in England.»
        Pascoe trat zur Seite, als eine Gruppe von Seesoldaten bei ihren komplizierten Einzelubungen vorbeistampfte.
        Penels erklarte:»Er hei?t John Babbage, Sir, und wurde in Ply-mouth von einem Pre?kommando eingefangen. Ich wu?te es nicht, bevor wir in See waren. Er hat fur meine Mutter gearbeitet, nachdem mein Vater gestorben war, Sir. Er war gut zu mir, mein bester Freund.»
        Pascoe schaute weg. Da konnte er sich nicht einmischen. Penels hatte zum Ersten Offizier oder zum Master gehen sollen. Aber er erinnerte sich an seine eigene Anfangszeit, an den langen, hungrigen Fu?marsch von Pensance nach Falmouth.

«Warum haben Sie sich an mich gewandt, Mr. Penels? Die Wahrheit!»

«Mein Freund sagt, Sie seien ein guter Offizier, Sir. Nicht so hart wie die anderen.»
        Pascoe versuchte, sich ein Bild von dem unglucklichen Babbage zu machen: ein Junge mit einem scheuem Blick, eher in seinem als in Penels Alter.

«Nun, Mr. Penels, wir sind jetzt mit dem Geschwader in See. Waren Sie im Hafen zu mir gekommen, hatte ich vielleicht etwas tun konnen. «Er dachte an Wolfe und wu?te, es hatte auch dann kaum einen Unterschied gemacht. Ein Schiff brauchte so viele Manner, wie es bekommen konnte.
        Wolfe war in mancher Hinsicht ein guter Offizier, aber es mangelte ihm an Verstandnis und Sympathie fur die Opfer der Pre?kommandos.
        Es war hart fur Penels und seinen Freund aus Kindheitstagen. Da waren sie nun auf dem gleichen Schiff, ohne voneinander gewu?t zu haben, bevor sie sich auf See befanden, getrennt nicht nur durch Rang und Position, sondern auch durch des Schiffes eigene Geographie. Penels gehorte bei Segelmanovern zum achteren Mast, und seine Gefechtsstation war an den Neunpfundern auf der Schanz. Babbage gehorte zu seiner Mannschaft am Vormast. Er war jung und flink und wurde es bald lernen, wie die Toppsgasten aufzuentern; dann gehorte er - mit etwas Gluck - zur Aristokratie der Seeleute.
        Pascoe horte sich selber sagen:»Ich werde sehen, was sich tun la?t. Aber ich kann nichts versprechen.»
        Er wandte sich ab, da er die Dankbarkeit in Penels Augen nicht ertragen konnte.
        Commander Matthew Veitch kam in Bolithos Kajute und sah sich neugierig um. Die eine Epaulette auf seiner linken Schulter, die er seinem Rang entsprechend trug, glitzerte fremd auf seinem abgetragenen Wachmantel. Veitch hatte fruher schon unter Bolitho gedient und wu?te, da? er keinen Dank dafur geerntet hatte, wenn er sich vor seinem Besuch auf dem Flaggschiff Zeit zum Umkleiden genommen hatte.
        Bolitho sagte:»Setzen Sie sich, und erzahlen Sie mir alles.»
        Es war ein sonderbares Gefuhl, wieder zu ankern. Die vier Linienschiffe lagen in enger Formation, die danische Kuste in Sichtweite achteraus. Die Fregatten patrouillierten noch, wie Wachhunde ruhten sie nur selten.
        Auch die Korvette und ihre Prise lagen bei Skagen vor Anker. Diese Bucht war in den vergangenen Monaten zum allgemeinen Treffpunkt und Rastplatz der englischen Flotte geworden.
        Veitch streckte die langen Beine von sich.»Unsere Prise ist ein Handelsschiff, Sir, die Echo aus Cherbourg. Letzte Woche schlupfte sie bei Sturm durch unsere Bewachungslinie, sagt ihr Kapitan. Sie versuchte, uns davonzulaufen, daher durchsuchte ich sie schnell.»
        Bolitho warf einen Blick zum Achterschott. Dahinter war Browne, der gut franzosisch sprach, eifrig dabei, die Schiffspapiere der Echo, die Veitch mitgebracht hatte, durchzusehen: eine franzosische Brigg ohne auffallende Ladung oder Passagiere. Dennoch hatte sie beim Durchbrechen der Blockade einiges riskiert und mehr noch, als sie versuchte, der Lookout davonzusegeln.

«Wohin ist sie bestimmt?»
        Veitch zuckte mit den Achseln.»Ihr Kapitan hat falsche Papiere, vermute ich. Aber die Karten wurden von einem Midshipman des Prisenkommandos im Lazarett gefunden, wo sie offenbar versteckt worden waren. «Er grinste.»Der Junge hat sicher nach etwas E?barem gesucht, aber ich will sein Verdienst deswegen nicht schmalern. «Er wurde wieder ernst.»Zwei Orte sind unterstrichen: Kopenhagen und Stockholm.»
        Herrick wandte sich beunruhigt von den Heckfenstern ab und sagte:»Hier stinkt etwas, Sir!»
        Bolitho sah ihn an.»Denken Sie das gleiche wie ich, Thomas? Da? die Franzosen bei der Unzufriedenheit des Zaren ihre Hand im Spiel haben?»
        Herrick erwiderte:»Da bin ich ganz sicher, Sir. Je mehr sie unter ihren Hut bekommen konnen, desto lieber ist es ihnen. Wir haben die ganze Welt gegen uns, wenn sie Erfolg haben.»
        Die Tur ging auf, und Browne kam herein. Er hielt einen Brief in der Hand, das aufgebrochene Siegel schimmerte matt wie Blut. Er hob fragend die Augenbrauen.

«Was steht drin?«Bolitho wu?te, da? Browne niemals eine Information in Gegenwart anderer ohne seine Erlaubnis preisgegeben hatte.

«Er ist an einen Abgesandten der franzosischen Regierung in Kopenhagen gerichtet, Sir.»
        Sie sahen einander an. Das roch nach verabredeter Zusammenkunft von Freunden und Feinden.
        Browne fuhr in seinem unbewegten Ton fort:»Der Brief kommt vom Militarbefehlshaber in Toulon und ist uber Paris und Cherbourg gelaufen.»
        Herrick konnte seine Ungeduld nicht mehr zugeln.»Machen Sie es doch nicht so spannend, Mann!»
        Browne warf ihm nur einen kurzen Blick zu.»Die franzosischen Besatzungstruppen in Malta haben sich dem britischen Blockadegeschwader ergeben, Sir. Schon im vorigen Monat.»
        Herrick schien verblufft.»Also eine gute Neuigkeit. Malta in unserer Hand, das hei?t, da? die Franzmanner im Mittelmeer kunftig vorsichtiger auftreten mussen.»
        Browne verzog keine Miene.»Es durfte bekannt sein, Sir, da? Zar Paul von Ru?land sogenannter Gro?meister der Ordensritter von Malta ist. Als die Franzosen Malta seinerzeit eroberten, war er wutend. Der Brief erklart, da? die Franzosen dem Zar die Herrschaft auf Malta angeboten hatten; selbstverstandlich wu?ten sie genau, da? die Insel fruher oder spater in britische Hande fallen wurde.»
        Herrick machte eine hilflose Geste.»Ich sehe noch immer nicht, wie wir da hineinpassen.»
        Bolitho sagte ruhig:»Die Briten werden Malta nicht wieder aufgeben, Thomas. Die Insel ist zu wichtig fur uns, wie Sie selber eben feststellten. Die Franzosen haben also einen schlauen Zug getan. Was gabe eine bessere Gelegenheit, den Zaren und seine Freunde endgultig gegen uns aufzuhetzen? Wir und nicht die Franzosen stehen jetzt zwischen ihm und Malta. «Browne sagte:»Das ist genau der Sachverhalt, Sir.«»Offenbar wu?te Sir Samuel Damerum nichts davon. Wegen des schlechten Wetters ist die Neuigkeit nicht zu ihm gelangt. «Veitch rausperte sich.»Aber Sie haben den Brief, Sir. «Bolitho lachelte fluchtig.»Ich habe ihn, dank Ihnen.«»Werden Sie dementsprechend handeln, Sir?«Browne beobachtete ihn unbewegt.
        Bolitho ging an die Fenster und starrte auf die vor Anker liegenden Schiffe.»Es ist niemand sonst hier. Ich glaube, je eher wir handeln, desto besser.»
        Herrick sagte:»Das geht uber mein Verstandnis, Sir. «Bolitho kam zu einer ganzen Reihe von Entschlussen. Wahrscheinlich kam alles schon zu spat, denn Kuriere konnten Kopenhagen langst auf dem Landweg erreicht haben. Aber im gegenteiligen Falle wurde er von der Admiralitat keinen Dank fur langsames Vorgehen ernten.

«Rufen Sie meinen Schreiber. Ich werde Befehle fur die Brigg aufsetzen. Commander Veitch, Sie konnen ein Prisenkommando fur sie auswahlen. Ich mochte, da? sie schleunigst nach Great Yarmouth segelt. Wahlen Sie einen intelligenten Prisenkapitan, denn er mu? meinen Bericht auf dem schnellsten Weg nach London bringen. «Er sah Herrick an.»Ich werde meine Flagge auf Styx setzen. Machen Sie ein entsprechendes Signal. «Er bemerkte, wie sich auf Herricks rundem Gesicht Gegenargumente und Protest sammelten, und fugte daher ruhig hinzu:»Ich mochte nicht, da? Sie die Benbow und mich vor die Kanonenrohre von Helsingor segeln mussen, falls wir schon im Kriege sind. Falls wir aber noch Frieden haben, wird eine Fregatte weniger bedrohlich wirken.»
        Der Schreiber Yovell war bereits in der Kajute und offnete seinen kleinen Schreibtisch, der fur solche Gelegenheiten bereitstand.
        Bolitho sah Veitch an.»Sie werden hier so lange die Aufgaben von Styx ubernehmen.»
        Aus dem Augenwinkel sah er, da? Yovell Schreibfedern und Tinte bereitgelegt hatte, um die neuen Befehle fur die Brigg, den Bericht an die Admiralitat und - falls es verlangt worden ware - auch ein Todesurteil niederzuschreiben.
        Zu Herrick gewandt, sagte Bolitho:»Sie werden das Geschwader bis zu meiner Ruckkehr fuhren. Wenn ich langer als eine Woche fortbleibe, ohne von mir horen zu lassen, werden Sie entsprechend selbstandig handeln.»
        Herrick sah ein, da? er geschlagen war.»Und wann werden Sie starten?»

«Ich hoffe, noch vor Anbrach der Dunkelheit an Bord der Styx und unterwegs zu sein.»
        Nachdem Herrick und Veitch gegangen waren, um ihren Anweisungen entsprechend zu handeln, sagte Bolitho den Leutnant:»Glauben Sie, da? ich unklug handle?«Er sah in Brownes Gesicht den seltenen Ausdruck von Unsicherheit und fugte hinzu:»Los, Mann, Sie sollten mich nach einer Woche zusammen auf See gut genug kennen, um zu wissen, da? ich Ihnen nicht den Kopf abrei?e, wenn ich dem nicht zustimme, was Sie sagen. Aber es mag sein, da? ich es nicht beachte.»
        Browne zuckte mit den Achseln.»Einerseits teile ich die Besorgnis des Flaggkapitans, Sir. Ich kenne Ihren Werdegang und habe von vielen Ihrer fruheren Unternehmungen mit Bewunderung gelesen. «Er sah Bolitho gerade ins Auge.»Genau wie Kapitan Herrick kenne auch ich Sie als kampfenden Seemann, nicht als Diplomaten.»
        Bolitho erinnerte sich an seinen Besuch auf Damerums Flaggschiff. Er hatte es eigenartig gefunden, da? Damerum nicht selber die Initiative ergriff. Er war ein angesehener alterer Flaggoffizier. Viele Leute hatten es von ihm erwartet, ja gefordert.
        Browne setzte ruhig hinzu:»Aber man hat Ihnen jetzt wenig Spielraum gelassen, Sir. Ich wurde Ihnen nur raten, und zwar aus meiner Kenntnis von Sir George Beauchamp heraus, recht behutsam vorzugehen. Sieger zu sein, ist leicht, aber ein Sundenbock ist oft noch leichter gefunden.»
        Herrick kam zuruck und massierte sein Hande. Er sah verfroren aus.

«Styx hat Ihr Signal bestatigt, Sir. Darf ich empfehlen, ein paar Leute zusatzlich mitzunehmen?«Er grinste reuig.»Ich habe eingesehen, da? mein Einspruch nichts mehr nutzt. So habe ich mir erlaubt, Mr. Wolfe zu sagen, da? er drei?ig Seeleute und ein paar jungere Offiziere abstellt. Zusatzlich einen Offizier und vielleicht einen Fahnrich fur Botschaften und so weiter.»
        Bolitho nickte.»Das war sehr aufmerksam, Thomas. Ich denke, auch Kapitan Neale wird dem zustimmen.»
        Herrick seufzte.»Kapitan Neale. «Er schuttelte den Kopf.»Ich sehe ihn immer noch als fettbeschmierten Cherubim, den wir durch das Luftrohr schoben.»
        Bolitho sammelte seine Gedanken. Sie waren zu oft davonge-schossen wie ausrauschende Leinen, die sich dann plotzlich in ihren Blocken verhedderten. Was Browne gesagt hatte, war vernunftig.

«Schon, Yovell, schreiben Sie, was ich diktiere!»
        Herrick fragte im Fortgehen:»Welcher Leutnant, Sir?»

«Mr. Pascoe. «Er lachelte.»Aber ich glaube auch, das haben Sie bereits vorgesehen.

        IV Die Ajax

        Allday und Ozzard trugen eine kleine Seekiste mit Bolithos Kleidern und Privatsachen und setzten sie in der Kajute der Styx ab.
        Kapitan Neale beobachtete Bolitho, der sich im Raum umschaute, und sagte:»Ich hoffe, Sie fuhlen sich wohl hier, Sir.»
        Neale hatte sich nicht allzusehr verandert. Er war nun lediglich eine etwas gro?ere Ausgabe des pausbackigen Seekadetten, wie Herrick ihn beschrieben hatte. Aber er besa? seinen Rang und seinen Posten zu Recht, weil er seine fruhen Erfahrungen gut anzuwenden gewu?t hatte.
        Bolitho antwortete:»Es weckt Erinnerungen, Captain Neale. Einige schlechte, aber noch mehr gute.»
        Er sah, da? Neale verlegen von einem Fu? auf den anderen trat, weil er wieder an Deck wollte.

«Machen Sie ruhig weiter, Captain. Bringen Sie Ihr Schiff in Marsch, und sehen Sie zu, da? wir so weit vorankommen wie moglich. Der Master der Benbow hat mich gewarnt, da? wir Nebel bekommen wurden.»
        Neale zog eine Grimasse.»Das konnte in dem engen Fahrwasser gefahrlich we rden, Sir. Und wenn der alte Grubb Nebel voraussagt, dann wird es auch welchen geben.
«Er verlie? die Kajute, nicht ohne Allday zuzunicken, der voller Bewunderung murmelte:»Der ist nicht verdorben, Sir. Hab' ihn immer gemocht.»
        Bolitho verbarg ein Lacheln.»Verdorben? Captain Neale ist ein Offizier des Konigs und kein Stuck Salzfleisch!»
        Vom Achterdeck horte Bolitho laute Kommandos.»Setzen Sie sich in Bewegung, Mr. Pickthorn! Schicken Sie Leute an die Brassen, und zwar schnell, wenn's recht ist! Und wenn wir vom Ankerplatz weg sind, mochte ich, da? die Bramsegel gesetzt werden!»
        Fu?e trampelten uber das Deck, und Bolitho fuhlte, wie der Boden der Kajute sich neigte, als die Styx auf den plotzlichen Druck in den Segeln reagierte. Er setzte sich auf die Heckbank und musterte den Raum. Drei Fregatten hatte er wahrend seiner Dienstzeit befehligt, die letzte, die sechsunddrei?ig Kanonen zahlende Tempest, im sudlichen Pazifik. Damals war es, als sie zum erstenmal von der blutigen Revolution in Frankreich gehort hatten. Kurz danach war der Krieg ausgebrochen und hatte seither angedauert.
        Bolitho hatte gern gewu?t, ob Pascoe das Schiff schon genau untersuchte, in Erinnerung an seines Onkels Versprechen, ihm bald zu einem Wechsel zu verhelfen. Es wurde schmerzlich sein, ihn so schnell wieder zu verlieren. Aber alles andere ware selbstsuchtig gewesen, mu?te Bolitho sich eingestehen.
        Allday murmelte:»Wir sind querab von der Benbow, Sir. «Er lachelte.»Sieht gewaltig aus von hier unten.»
        Bolitho beobachtete sein Schiff, als es durch sein Blickfeld glitt: schwarz-gelb gemustert, glitzernd in Gischt und Nieselregen. Ihre oberen Rahen mit den lose zusammengerollten Segeln verschwammen im Dunst, also traf Grubbs Voraussage wohl jetzt schon ein. Bestimmt ein weiterer Anla? fur Herrick, sich Sorgen zu machen.
        Schlie?lich kam Browne in die Kajute und meldete, da? die Styx frei vom Ankerplatz sei und Pascoe dafur gesorgt habe, da? die zusatzlich mitgebrachten Leute im Schiff untergebracht wurden. Fast nebenbei sagte er:»Der Kommandant meint, da? wir noch flott um Skagen herumkommen, aber danach, glaubt er, wird der Nebel dick werden.»
        Bolitho nickte.»Dann ankern wir eben. Wenn der Nebel schlecht fur uns ist, wird er auch andere daran hindern, sich zu bewegen.»
        Um diese Jahreszeit war Nebel so haufig wie eisige Winde. Beide brachten Gefahren, und beide wurden von den Seeleuten gleicherma?en gefurchtet.
        Auch als die Fregatte Skagen gerundet und mit einer Halse auf sudlichen Kurs gedreht hatte, um nun an der Ostkuste Jutlands hinunter-zusegeln, konnte Neale melden, da? der erwartete Nebel nicht mehr war, als etwas dickerer Dunst. Die dickste Suppe hing unter Land und hatte sich offenbar in der Bucht gefangen, die sie gerade hinter sich gelassen hatten.
        Herrick wurde damit leicht fertigwerden, doch wenn man ihm ein ernstgemeintes Kompliment dafur machte, hatte es ihm die Sprache verschlagen.
        Sie sichteten nur wenige Fahrzeuge, und auch das waren nur kleine Kustensegler und Fischer, die sich dicht unter Land hielten und gewi? auf der Hut waren, als die schlanke Fregatte durch das Kattegatt gegen den engen Sund zwischen Danemark und Schweden vorstie?: den Eingang zur Ostsee, eine Zuflucht oder eine Falle, je nachdem, mit welchen Absichten man kam.
        Sobald es dunkel war, bat Neale um Erlaubnis zum Ankern. Als die Styx dann langsam vor ihrer Ankertrosse schwojte und die Dunstschwaden in der Takelage sie wie ein Phantomschiff erscheinen lie?en, ging Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab und beobachtete die blassen Sterne und das gelegentliche Aufblitzen eines Lichtes an Land.
        Styx hatte nur eine einzige Ankerlaterne, und die Wachtposten, die auf der Back und den Laufbrucken standen, waren voll bewaffnet. Mr. Pickthorn, der Erste Offizier, hatte sogar Enternetze ausgebracht.
        Um ganz sicherzugehen, hatte Neale gesagt.
        Pascoe tauchte aus der Dunkelheit auf und wartete auf einen gunstigen Augenblick, um etwas melden zu konnen.
        Bolitho nickte ihm zu.»Komm, la? uns ein Weilchen auf- und abgehen. Wenn man langere Zeit stehenbleibt, fuhlt sich das Blut wie Gletscherwasser an.»
        Sie gingen vorbei an den Mannern der Wache und einigen Offizieren, die sich in der kalten Luft ebenfalls etwas Bewegung machten.

«Unsere Leute sind untergebracht, Sir. «Pascoe warf Bolitho einen schnellen Blick zu.»Ich habe Midshipman Penels als Boten mitgenommen. Ich meinte, er sei dazu noch etwas jung, aber Mr. Wolfe sagte, irgendwann musse er mal anfangen. «Er lachte in sich hinein.»Er hat recht, denke ich.»

«Morgen werden wir in Kopenhagen einlaufen, Adam. Dort soll ich einen hohen britischen Beamten treffen.»
        Er blickte hinuber zu den schwachen Lichtern an Land. Die Nachricht mu?te schon weitergeleitet sein: ein britisches Kriegsschiff, eines von dem neuen Geschwader. Was bedeutete das? Warum kam es?

«Es gibt da einige Fragen, auf die ich zu meiner Beruhigung Antwort brauche.»
        Pascoe drangte sich nicht in Bolithos Gedanken, auch wenn er sie laut aussprach. Er dache an Midshipman Penels und seinen Freund Babbage. Durch einen Zufall oder durch die Gleichgultigkeit eines Unteroffiziers war auch Babbage mit auf der Styx.
        Plotzlich fragte Bolitho:»Wie kommst du mit meinem Flaggleutnant aus, dem ehrenwerten Oliver Browne?»
        Pascoe lachelte, seine Zahne blitzten dabei in der Dunkelheit.»Mit einem >e< am Schlu?, Sir. Sehr gut. Er ist ein seltsamer Kerl, ganz anders als die meisten Seeoffiziere. Das hei?t: als die meisten, die ich bisher kennengelernt habe. Er ist immer so ruhig und beherrscht. Ich glaube, wenn die Franzosen in diesem Augenblick an Bord gesturzt kamen, wurde er erst seine Mahlzeit beenden, bevor er zum Kampf zu uns stie?e.»
        Kapitan Neale kam an Deck, und Pascoe verabschiedete sich.
        Bolitho sagte:»Es scheint alles ruhig zu sein, Captain.»

«Das glaube ich auch. «Neale spahte durch die herunterhangenden Netze.»Aber ich bin vorsichtig. Kapitan Herrick wurde mich aufspie?en, wenn ich seinen Admiral auflaufen lie?e.»
        Bolitho sagte ihm gute Nacht und ging in seine Kajute. Er hatte nicht gewu?t, wie bekannt Herricks Ergebenheit ihm gegenuber war.

«Lassen Sie das Gro?segel bergen, Mr. Pickthorn. «Kapitan Neale stand sehr ruhig mit verschrankten Armen da, als die Fregatte nur noch unter Marssegeln, Fock und Kluver vorwartsglitt.
        Die kalte Luft, die eisigen Tropfen, die wie Regen von den Schlechtwettersegeln herunterfielen, waren vergessen, als die Styx sich langsam auf die Einfahrt in den Ore-Sund zubewegte. Zwei starke Festungen, Helsingborg auf dem schwedischen, Kronborg auf dem danischen Ufer, konnten selbst dem abgebruhtesten Mann an Bord
        Respekt einflo?en. Bolitho nahm ein Fernrohr und richtete es auf die danische Festung. Man brauchte eine ganze Armee und au?erdem eine monatelange Belagerung, um sie einzunehmen, dachte er ingrimmig.
        Es war fast Mittag, und je naher die Fregatte der Einfahrt und den beiderseits drohenden Batterien gekommen war, desto mehr wurden sie sich der Aufregung bewu?t, die das Erscheinen der Styx hervorrufen mu?te. Keine Spur eines Willkommensgru?es war zu sehen, aber auch nichts, was auf Feindseligkeit schlie?en lie?.
        Bolithos Blick schweifte uber die Oberdecks. Neale hatte alles gut vorbereitet, sein Schiff sah so tadellos aus wie moglich. Die Seesoldaten in ihren auffallenden roten Rocken standen in Korporalschaften auf der Schanz angetreten. Keiner von ihnen war in den Marsen, und auch keins der leichten Geschutze war dort oben aufgestellt. Seeleute versahen ruhig ihren Dienst, wahrend andere bereitstanden, um mehr Segel fur eine eventuelle Flucht zu setzen oder um die restlichen einzuholen und zu ankern.
        Neale sah Bolitho fragend an.»Soll ich mit dem Salut anfangen?»

«Bitte sehr.»
        Neale befahl energisch:»Mundungspfropfen entfernen! Stuckpforten offnen!»
        Dabei dachte er wahrscheinlich daran, da? seine Geschutze ungeladen dastehen wurden, sobald der volle Landessalut erst abgeschossen war. Aber wenn er die Breitseite mit mehr Leuten bemannt hatte, als fur das Ritual unbedingt erforderlich, hatte das vielleicht wie ein kriegerischer Akt ausgesehen.

«Kanonen ausrennen!«Polternd und achzend steckten die Geschutze der Styx ihre schwarzen Mundungen ins grelle Licht.

«Klar zum Flaggedippen!»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Noch immer kein Zeichen von Land. Er musterte die ausgedehnten Artillerieanlagen. Der Wind hatte erheblich nachgelassen. Wenn die Danen jetzt das Feuer eroffneten, wurde es fur die Styx schwer sein, zu wenden und sich freizusegeln. Unter diesen Bedingungen konnten sie in Minuten zusammengeschossen sein.

«Fangen Sie an mit dem Salut, Mr. Pickthorn!«»Erstes Geschutz: feuern!»
        Der Abschu?knall rollte uber das kabbelige Wasser, und unmittelbar darauf antwortete eine Batterie unterhalb der Festung. Schu? auf
        Schu?. Gleichzeitig wurde die danische Flagge, die wie eine Metallplatte an einer hohen Stange in den Himmel ragte, langsam zum Salut gedippt.
        Allday wischte sich den Mund mit dem Handrucken.»Puh, das hat Nerven gekostet!»
        Bolitho sah, wie der Stuckmeister der Styx von Geschutz zu Geschutz eilte und jedem mit der Faust das Zeichen zum Feuern im richtigen Zeitabstand gab.
        Man erkannte jetzt auch Leute an Land. Einige liefen mit und winkten. Was sie riefen, konnte man aber auf die Entfernung nicht verstehen.
        Die letzten Geschutze gaben ihren Schu? ab, und der Pulverqualm trieb uber die Galionsfigur der Fregatte nach vorne.
        Kapitan Neale machte eine Ehrenbezeigung zu Bolitho hin und sagte:»Ich glaube, wir sind gnadig aufgenommen, Sir.»

«Ein Wachboot kommt langsseit, Sir!»

«Nehmen Sie die Fock weg, Mr. Pickthorn und machen Sie alles klar zum Empfang unserer Besucher!»
        Manner legten auf der Fockrah aus, schlugen fluchend auf das steife Segeltuch ein, wahrend sie sich bemuhten, es angesichts der Zuschauermenge an Land besonders fix aufzuholen und festzumachen.
        Das Wachboot war ein interessantes Fahrzeug. Langer als ein normales Schiffsboot, wurde es mit den langsten Riemen gerudert, die Bolitho je - au?er bei einer Schebecke - gesehen hatte. An jedem Riemen sa?en zwei Mann, und direkt hinter dem gefahrlich aussehenden Vorsteven stand ein einzelnes schweres Geschutz. Dieses Miniatur-Kanonenboot konnte mit seinen Riemen jedes Fahrzeug, das gro?er als eine Fregatte war, ausmanovrieren und ihm von achtern schwere Kanonenkugeln ins ungeschutzte Heck jagen, ohne dabei selber in Gefahr zu geraten. Selbst eine Fregatte war gefahrdet, wenn plotzlich der Wind aussetzte.
        Bolitho sah sich die Gestalten im reich verzierten Cockpit des Bootes an: zwei danische Seeoffiziere und zwei Zivilisten, einer davon - wenn nicht beide - offenbar Englander. Sie waren eher fur einen Spaziergang im Hydepark angezogen als fur eine Fahrt uber offenes Wasser im Oktober.

«Fallreepsgaste Achtung! Seesoldaten antreten»
        Mr. Charles Inskip, der hohe Regierungsbeamte, den in jeder Weise zu unterstutzen Bolitho angewiesen worden war, sa? steif in einem von Kapitan Neales Stuhlen und prufte die erbeuteten franzosischen Papiere. Er hielt sie auf Armeslange von sich ab, und Bolitho schlo? daraus, da? seine Augen nicht mehr so gut waren, wie sie sein sollten. Sein Begleiter, Mr. Alfred Green, offenbar weniger wichtig, stand neben dem Stuhl und las mit, bei jeder gewendeten Seite den Mund spitzend.
        Bolitho horte die danischen Seeoffiziere hinter dem Schott lachend erzahlen und nahm an, da? sie - wie es Tradition war - von Neale und einigen seiner Offiziere gastlich bewi rtet wurden. Regierungen konnten aus fast jeder Situation Kriege machen, aber Seeleute, die einander in vertrauter Umgebung trafen, zerstritten sich selten.
        Browne blinzelte Bolitho zu, als Inskip den Brief mit dem aufgebrochenen Siegel noch einmal las.
        Bolitho fiel auf, da? Inskip nicht mit der Wimper zuckte, wenn uber ihnen Seeleute trampelten, ein schwerer Block oder eine Talje auf die Decksplanken fiel. Er war offenbar ein vielgereister Mann und an Schiffe aller Art gewohnt.
        Inskip mu?te etwa funfzig sein, schatzte er. Er war elegant, aber nicht auffallend, in einen grunen Rock mit gleichfarbiger Kniehose gekleidet. Sein Kopf war fast kahl, sein restliches Haar und der unmoderne Zopf hingen wie ein ausgefranstes Tauende uber den Kragen.
        Er blickte plotzlich auf.»Das sind schlimme Neuigkeiten, Admi-ral. «Seine Stimme war scharf, ahnlich der von Beauchamp.»Ich danke Gott, da? Sie es fertiggebracht haben, sie abzufangen.»

«Pures Gluck, Sir.»
        Ein fluchtiges Lacheln lie? die Zuge des Mannes junger erscheinen.»Wo waren wir ohne dem?»
        Der Begleiter sagte:»Sie hatten einen hei?eren Empfang gehabt, Admiral, wenn die Brigg Echo vor Ihnen angekommen ware.»
        Inskip runzelte die Stirn uber die Unterbrechung.»Ich habe einige Fortschritte bei der danischen Regierung erzielt. Sie mochte nicht in die vom russischen Zaren vorgeschlagene Allianz eintreten, aber der Druck nimmt zu. Sie mogen gerade zur rechten Zeit gekommen sein. Ich danke Gott, da? Sie so klug waren, mit einem kleinen Kriegsschiff zu kommen und nicht mit einem Dreidecker oder dergleichen. Das ist hier ein Pulverfa?, obgleich die Danen, wie Danen nun einmal sind, es zu ignorieren versuchen. Ich wurde sehr gern einmal in besseren Zeiten hierherkommen.

        Bolitho fragte:»Wunschen Sie, da? ich an Land komme?»

«Ja. Ich werde Ihnen Nachricht geben. Das Wachboot wird Sie zum vorgesehenen Ankerplatz lotsen. «Er warf einen schnellen Blick zur Tur.»Es liegt schon eine franzosische Fregatte im Hafen. Weisen Sie Ihre Leute an, jeden Kontakt mit ihr zu vermeiden.»
        Bolitho sah Browne an. Eine weitere Komplikation, und sie hatten noch kaum begonnen.
        Inskip tippte auf den Brief.»Jetzt, da ich dies hier gelesen habe, glaube ich den Grund ihrer Anwesenheit zu verstehen. Ich wurde von Seiner Majestat Regierung hergeschickt, um zu verhindern, da? die Danen in die Sache verwickelt werden. Und die Franzosen sind sicher hier, um das Gegenteil zu bewirken. Aber unser kleines Geschwader kann - wenn das Schlimmste eintritt - die Flut nicht aufhalten, bis wir eine ganze Flotte versammelt haben. Und selbst dann: Die Russen und Schweden sollen zusammen sechzig Linienschiffe besitzen, und die Danen haben weitere drei?ig in Bereitschaft.»
        Bolitho erwarmte sich allmahlich fur diesen seltsamen Mann. Er wu?te offenbar alles, selbst die Gro?e seines Geschwaders. Die Tatsache, da? er Inskip einige Informationen geliefert hatte, lie? ihn eher bescheiden als uberlegen auftreten.
        Inskip stand auf, wobei er Ozzard, der mit einem vollen Tablett kam, abwinkte. Nicht jetzt, danke. Wir brauchen klare Kopfe. «Er lachelte.»Zum Beispiel schlage ich vor, da? Sie Ihrem Kapitan befehlen, den Ankerplatz aufzusuchen. Sie haben schon genug Neugier und Ratselraten ausgelost. Wenn man Sie nun tatsachlich an Land gehen sieht, wurde das dem Klatsch bestimmt neue Nahrung liefern, nicht wahr? Er ergriff seinen Hut und fugte hinzu:»Tut mir leid, da? Sie ein Zusammentreffen mit einem anderen Reisenden aus England verpa?t haben.»
        Bolitho erlaubte Allday, ihm fur diesen offiziellen Anla? seinen glitzernden Ehrensabel anzuschnallen, bemerkte aber den Widerwillen in seinem Blick.

«Oh, wer war das?»

«Rupert Seton. Soviel ich wei?, ist er der Bruder Ihrer verstorbenen Frau.»
        Bolitho starrte Allday an, innerlich plotzlich wie erstarrt. Seton - er sah ihn wieder als jungen Midshipman vor sich, bei dem unglucklichen Versuch, Toulon fur die franzosischen Royalisten zuruckzuerobern. Ein schmachtiger Junge, der stotterte. Und er hatte eine Schwester gehabt, so schon, da? Bolitho ihr Bild standig vor Augen stand.

«Seton hat mir naturlich von der Tragodie erzahlt. «Inskip bemerkte den Sturm nicht, den er in Bolithos Seele ausgelost hatte.»Ein vortrefflicher und intelligenter junger Mann. Er hat einen guten Posten bei der Ostindischen Handelsgesellschaft - wo auch ich ware, wenn ich ein bi?chen Verstand besa?e. Bei der Regierung Pitts bekommt man mehr Fu?tritte als Geld.»
        Bolitho fragte ruhig:»Sie haben ihn hier gesehen?»

«Ja. Er war auf der Durchreise nach England. Ich riet ihm zur Eile, sonst ware er noch hier. Aber der Krieg kann sich jeden Tag ausweiten, und ich wollte nicht, da? ein Vertreter der Handelsgesellschaft hier interniert wurde.»
        Bolitho sagte:»Geleiten Sie bitte die Herren zu Kapitan Neale, Mr. Browne. Meine Empfehlung an den Kommandanten, und sagen Sie ihm, unsere Besprechung sei zu Ende; wir konnten weitersegeln. «Er sah die beiden Herren unbewegt an.»Ich bin sicher, Sie wollen gern noch vor mir an Land.»
        Inskip schuttelte ihm herzlich die Hand.»Wir werden uns wiedersehen. «Er senkte seine Stimme.»Tut mir leid, da? ich schmerzliche Erinnerungen wachrief. Ich hatte es gut gemeint.»
        Als die Tur sich hinter Browne und den anderen geschlossen hatte, rief Allday verzweifelt aus:»Verdammt noch mal, Sir! Und das nach so langer Zeit. Das ist nicht richtig!«Er zugelte seinen Ausbruch und fugte hinzu:»Soll ich Mr. Pascoe holen, Sir?»
        Bolitho setzte sich hin und nahm seinen Sabel ab.»Nein, aber ich wurde es gern sehen, wenn Sie hierblieben. «Er schaute hoch, seine Augen flehten: Wird es denn niemals nachlassen? Ich habe toricht gehandelt, habe sogar Freunde beschamt, immer in der Hoffnung, Frieden zu finden.
        Allday ging zum Tisch hinuber und ri? Ozzard fast den Becher aus der Hand.»Hier, Sir, trinken Sie das. Und Tod und Verdammnis dem Krieg und allen, die ihn schuren!

        Bolitho kippte den Brandy hinunter und ware fast erstickt, so brannte er ihm in der Kehle.
        Er sah sie wieder, von der Kirchentur umrahmt, eine Hand auf dem
        Arm ihres Bruders, gerade so wie Herricks Braut, als sie zum Altar gefuhrt wurde.
        Fast zu sich selber sagte er:»Vielleicht war es sogar gut, da? wir einander nicht getroffen haben. Vielleicht gibt Rupert mir die Schuld an Cheneys Tod. Sie war allein, als sie mich brauchte. Seeleute sollten nie heiraten, Allday. Es ist grausam denen gegenuber, die sie zurucklassen.»
        Allday machte eine heftige Kopfbewegung zu Ozzard hin, der die Kajute wie hypnotisiert verlie?.»Fur einige mag das richtig sein, Sir. Aber nicht fur die Besonderen.»
        Bolitho stand auf und befestigte den Sabel wieder an seiner Hufte.»Und sie war etwas Besonderes!«Er nickte Allday kurz zu.»Vielen Dank. Jetzt bin ich soweit.»
        Allday sah ihn sich straffen und dann automatisch bucken, um nicht an den Decksbalken zu sto?en, als er schnellen Schrittes zum Achterdeck hinausging.
        Es war schlimm heute, dachte Allday, schlimmer als seit langer Zeit. Der Schmerz war noch da, in Deckung wie ein wildes Tier, aber bereit, hervorzubrechen und ihn zu vernichten.
        Er folgte Bolitho an die kalte Luft, beobachtete, wie er den beiden Danen die Hande schuttelte, bevor er sie zum Fallreep begleitete und zusah, wie sie in ihr Boot kletterten. Dann ein Lacheln zu Neale und noch ein Handschlag mit dem danischen Lotsen, der dem Master auf ihrem letzten Stuck des Wegs beistehen sollte.
        Pascoe ging mit einigen Seeleuten vorbei, um das Beiboot der Fregatte zum Aussetzen klarzumachen, falls es verlangt wurde.
        Wieder sah Allday ihren kurzen Austausch von Blicken, wie zwischen Brudern. Worte waren dabei uberflussig.
        Aber diesmal ware Allday gern ohne das Privileg ausgekommen, diese Beziehung zu kennen und zu teilen. Er kannte Bolitho zu gut, als da? er sich durch seine au?erliche Ruhe tauschen lie?. Es war kein leichtes Geheimnis, da? er fur sich behalten mu?te.
        In einer schonen Stadt wie Kopenhagen an Land zu gehen, war ein besonderes Erlebnis fur Bolitho. Er ware gern auf den Platzen herumgestreift, die von eindrucksvollen Bauten und hohen, mit gruner Patina bedeckten Turmen gesaumt waren und aussahen, als ob sie schon seit Ewigkeiten stunden. Dazwischen gab es einladende kleine Gassen, die Bolitho nur kurz aus dem Fenster des Wagens sah, den Inskip ihm zum Hafen geschickt hatte.
        Genau wie die danischen Behorden wollte Inskip zu jeder Tageszeit wissen, wo sich ein britischer Admiral, der die Stadt besuchte, aufhielt. Bolitho fragte sich, was der Kutscher wohl getan hatte, wenn er ihm befahl, einen anderen Weg einzuschlagen.
        Als er sich an Bord fur seinen Besuch in Inskips Buro vorbereitet hatte, waren Neale und seine Offiziere gerade dabeigewesen, den Hafen und nicht zuletzt die franzosische Fregatte, die so weit entfernt wie uberhaupt moglich ankerte, eingehend zu studieren. Der Ankerplatz war voll danischer Kriegsschiffe, aber trotz ihrer eindrucksvollen Gro?e und Zahl konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf diese beiden Fregatten. Sie versinnbildlichten - lediglich getrennt durch einen Streifen Wasser und ein aufmerksames Wachboot - den Krieg und alles, was damit zusammenhing; den Krieg, der - wenn es nach den Russen ging - auch die Danen mit verschlingen wurde.
        Die franzosische Fregatte hie? Ajax und war ein machtiges Schiff mit achtunddrei?ig Kanonen. Genau wie auf Neales Schiff gingen die Seeleute druben ihrer taglichen Arbeit nach und schienen von ihrem Feind und seinen Absichten keine Notiz zu nehmen.
        Die Wagenrader rumpelten gerauschvoll uber das Kopfsteinpflaster. Bolitho bemerkte, da? viele Leute trotz der Kalte stehenblieben und ihm nachschauten. Gut aussehendes Volk, dachte er. Vielleicht weil sein Land so lange von Krieg und Not verschont geblieben war.
        Browne, der das an ihnen vorbeiziehende Panorama entzuckt beobachtet hatte, sagte auf einmal:»Wir sind da, Sir!»
        Der Wagen rasselte durch einen niedrigen Torweg in einen schmuk-ken Privathof. Die Gebaude ringsum sahen irgendwie amtlich aus. Zwei Lakaien eilten einige Stufen herab, um Bolitho zu empfangen.
        Es war kalter geworden, Neales Master hatte Schnee vorausgesagt. Erst Nebel, danach Schnee - es war, als hore er den alten Grubb.
        Inskip erwartete ihn vor einem prasselnden Kaminfeuer. Er trug eine Perucke, aber sie machte ihn alter statt junger, was erstaunlich war.
        Er sagte:»Gut, da? Sie so schnell gekommen sind. Ich habe weitere Informationen uber den Franzosen eingeholt. Es hei?t offiziell, er liege hier, um Sturmschaden auszubessern. Danemark will Frankreich nicht provozieren, indem es der Ajax die Erlaubnis dazu verweigert. Ich nehme an, sie wartet auf den Brief oder sonstige wichtige Nachrichten uber Malta. Ihr plotzliches Auftauchen hat sie vollig verwirrt. «Er zwinkerte ihm zu.
        Bolitho sagte:»Wenn die Ajax auslauft, wird Kapitan Neale sie mit Freuden zum Kampf stellen.»
        Inskip schuttelte entschlossen den Kopf. »Ajax ist als erste gekommen und in Frieden. Man mu? ihr einen Tag Vorsprung geben, bevor Sie ihr folgen.»
        Browne hustelte taktvoll.» Das ist ein ungeschriebenes Gesetz, Sir.»

«Ich verstehe. «Bolitho schaute ins Feuer.»Dann kann ich nichts anderes tun als warten und mu?ig herumsitzen, wahrend der Franzmann bestimmt? Jeden Tag, jeden Augenblick kann ein anderer Kurier ankommen. Konnen Sie nicht einen schnellen Boten zu meinem Geschwader senden? Wenn drau?en eine andere britische Fregatte lage, konnten die Plane des franzosischen Kommandanten ein schnelles Ende finden.»
        Inskip lachelte.»Sie sind wirklich ein Mann der Tat. Aber ich furchte, die Danen wurden das als Mi?brauch der Gastfreundschaft ansehen und Ihr Schiff als Gegenma?nahme beschlagnahmen.»
        Bolitho erinnerte sich an Brownes Bemerkung auf der Benbow: >Ich sehe Sie als kampfenden Seemann, nicht als Diplomaten!< In seinem Unvermogen, ruhig dazusitzen und zu warten, wie sich die Dinge ohne sein Zutun entwickelten, hatte er Brownes Meinung schon bestatigt.

«Das sollten die erst mal versuchen!»

«Machen Sie keinen Fehler. Die Danen konnten und wurden es tun. Ich habe aus meinen eigenen Informationsquellen gehort, da? es Plane gibt, notfalls den Hafen zu sperren und alle Bojen und Seezeichen, die den Weg hineinweisen, zu entfernen. Die Danen haben hier eine ansehnliche Flotte zusammengezogen und werden sie einzusetzen wissen. «Er hammerte mit der Faust in die andere Handflache.»Wenn die Franzosen blo? nicht Malta aufgegeben hatten, oder - genauer gesagt - wenn doch unsere Flotte diesmal etwas weniger erfolgreich gewesen ware!»
        Browne sagte ruhig:»Dann hatten sie anderen Zundstoff fur ihr Feuer gefunden, Sir. Mit Beschwichtigungen kann man sich Zeit erkaufen, aber nicht mehr.»
        Inskip hob die Augenbrauen.»Ihr Adjutant ist sehr scharfsinnig,
        Bolitho. Ein Jammer, da? er des Konigs Rock tragt. Ich konnte ihm einen Posten in Whitehall verschaffen.»
        Bolitho seufzte.»Was raten Sie mir also, Sir?»
        Inskip antwortete uberzeugt:»Abwarten. Ich treffe ubermorgen den danischen Minister und werde versuchen, seine Stimmung zu ergrunden. Mag sein, da? ich Sie dabei benotige, daher schlage ich vor, da? Sie heute in diesem Hause ubernachten. Es erspart uns Zeit und erregt weniger Verdacht. Wenn der franzosische Kommandant sich entschlie?t, abzusegeln, wird er wahrscheinlich mit Ihrem Geschwader zusammensto?en, sobald er Skagen gerundet hat. Wenn er aber in die Ostsee einlauft, wird er sich mit den Schweden oder vielleicht sogar mit der russischen Flotte treffen wollen, falls das Eis ihm nicht zu gefahrlich ist.»
        Ein Lakai mit Perucke trat leise durch eine reich verzierte Flugeltur ein.

«Verzeihung, Sir, aber da unten sind zwei, hm, Personen, die verlangen, vor den Admiral gefuhrt zu werden. «Inskip fragte sanft:»Wer sind sie?»
        Im gleichen zuruckhaltenden Ton erwiderte der Lakai:»Seeleute, glaube ich, Sir. Der eine sagte, er sei ein Bootssteurer, der andere ist so etwas wie ein Diener.»
        Bolitho grinste: Allday und Ozzard.

«Gut, da? Sie nicht versucht haben, meinen Bootssteurer wegzuschicken. Das hatte schlimmer ausgehen konnen als ein Zusammentreffen mit den Franzosen.»
        Inskip befahl dem Lakai, Allday und seinen Gefahrten in einen geheizten Raum zu fuhren. Dann sagte er:»Die Angelegenheit brachte wenigstens ein Lacheln auf Ihr Gesicht, Bolitho. Das steht Ihnen besser.»
        Bolitho wandte sich an Browne.»Sie kehren zum Schiff zuruck und berichten Kapitan Neale. Sagen Sie ihm, er soll auf jedes Boot achten, das langsseits der Ajax geht, und auf alles, was nach ungewohnlichen Vorbereitungen aussieht.»
        Doch war es unwahrscheinlich, da? Neale diesen Hinweis brauchte.
        Als Bolitho mit Inskip allein war, fragte er:»Nehmen wir an, der Zar erfahrt vom Schicksal Maltas, bevor Sie eine feste Neutralitatserklarung der Danen in der Tasche haben, was dann?»
        Inskip betrachtete ihn ernst.»Der Zar mag seine Idee einer bewaffneten
>Neutralitat des Nordens< wieder aufleben lassen. Er hat schon fruher gedroht, alle britischen Schiffe in seinen Hafen zu beschlagnahmen. Das ware ein kriegerischer Akt und wurde Danemark in die vorderste Kampflinie rucken.»
        Bolitho nickte.»Danke, da? Sie mir das ohne Beschonigung erklart haben. Dies sind Tatsachen, an die ich mich halten kann. Napoleon wird sicher dafur gesorgt haben, da? dem Zaren mehrere Kuriere gesandt worden sind. Da? wir das Gluck hatten, einen davon zu schnappen, wird noch nicht bekannt sein.»
        Inskip sah ihn nachdenklich an.»Moglicherweise haben Sie recht. Aber das ist dann Ihre Angelegenheit, nicht meine, dem Himmel sei Dank.»
        Drei Stunden spater kam Browne vom Schiff zuruck. Die Ajax lag immer noch vor Anker und tat nichts, was Verdacht erregt hatte. Ihr Kommandant war an Land gegangen, wahrscheinlich um dem Hafen-admiral seinen Abschiedsbesuch zu machen. Ebensogut konnte er sich aber aufgemacht haben, um Informationen uber Bolitho einzuholen.
        In dieser Nacht, in der Bolitho versuchte, sich an die Gro?e seines Bettes und die ungewohnte Stille zu gewohnen, dachte er noch einmal uber das nach, was Inskip gesagt hatte. Was die Russen betraf, so hing sehr viel vom Wetter ab. Er lauschte auf den Wind, der um den Dachfirst pfiff, und spielte mit dem Gedanken, das Haus zu verlassen, ohne jemandem etwas zu sagen. Er konnte eine der gerauschvollen Kneipen aufsuchen, die er auf der Herfahrt gesehen hatte, und in der Menge fur eine kostbare Stunde oder mehr untertauchen.
        Er mu?te eingeschlafen sein, denn als nachstes kam ihm zu Bewu?tsein, da? Inskip, mit einer langen Zipfelmutze wie ein Kobold aussehend, ihn am Arm schuttelte, wahrend aus einem offenbar mit Menschen gefullten Korridor Licht hereinfiel.

«Was ist los?»
        Er sah Allday, grimmig und wachsam, als erwarte er einen Uberraschungsangriff, und Ozzard, der seine Seekiste uber den Fu?boden zog wie ein Strandrauber seine Beute.
        Inskip stie? hervor:»Ich habe es gerade erfahren: Der Franzose ist Anker auf gegangen, obgleich nur Gott wei?, wie weit er kommen wird. Es schneit verteufelt stark.»
        Bolitho war im Nu auf den Fu?en und griff schon nach seinem Hemd, als Inskip nuchtern hinzusetzte:»Ein Schoner brachte noch schlimmere Neuigkeiten: Mehrere britische Schiffe sind von den Russen beschlagnahmt worden. Jetzt werden die Danen, ob sie wollen oder nicht, in den Krieg hineingezwungen.»
        Browne drangte sich durch die Gruppe der Diener und Lakaien. Er war uberraschenderweise komplett angezogen.
        Bolitho rief ihm zu:»Holen Sie einen Wagen!»
        Browne antwortete ruhig:»Ich habe die Neuigkeiten gehort, Sir, und schon einen besorgt. Er wartet unten.»
        Inskip stand zwischen Bolitho und dem aufgeregten Ozzard.»Sie kennen die Spielregeln. Sie durfen erst segeln, wenn ein Tag vergangen ist!»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Wo werden die britischen Handelsschiffe festgehalten, Sir?»
        Inskip war einen Augenblick nicht auf der Hut.»Bei der Insel Got-land, soviel ich wei?.»
        Bolitho sa? auf der Bettkante und zwangte seine Fu?e in die Stiefel.

«Ich werde dahin segeln, nicht zuruck zu meinem Geschwader. Und was Spielregeln angeht: Ich habe oft erfahren, da? sie Befehlen gleichen. «Er packte Inskips Arm. Sie mussen den augenblicklichen Gegebenheiten angepa?t werden.»
        Als sie zusammengequetscht im Wagen sa?en und die Rader lautlos uber den immer dicker werdenden Schneeteppich rollten, sagte Browne:»Ich gehe jede Wette ein, da? auch der Franzose uber die britischen Schiffe Bescheid wei?, Sir. Er wird sie sich holen wollen, ohne da? jemand den Finger ruhrt, ihn daran zu hindern.»
        Bolitho lehnte sich im Sitz zuruck und sammelte seine Gedanken.»Au?er uns, Mr. Browne. Au?er der Styx.»



        V Zuversicht

        Bolitho packte die Achterdecksreling und schaute nach vorn uber das Oberdeck der Fregatte, wobei er wegen des eiskalten Windes und des Schnees die Augen zukneifen mu?te.
        Es war ein geisterhaftes, fast unwirkliches Schauspiel, als die Matrosen bei ihren verschiedenen Tatigkeiten wie trunken vor der Kulisse der schneebedeckten Takelage und Kanonen herumschlitterten.
        Er versuchte, nuchtern zu planen, seine Gedanken auf das zu konzentrieren, was kommen konnte. Aber von dem Augenblick an, als sie Anker gelichtet und sich in einer Schneebo aus dem Hafen hinausgestohlen hatten, hatte das Wetter jedem vorausschauenden Denken Einhalt geboten.
        Sie waren jetzt zwolf Stunden unterwegs, und von Rechts wegen hatte Tageslicht herrschen sollen. Auf ihren Kurs nach Sudosten, auf dem sie sich - von einem scharfen schwedischen Wind ubel gezaust - muhsam vorwartsgekampft hatten, waren ihre Bewegungen immer krampfhafter, ihre Manover bei jedem Wachwechsel langsamer geworden. Und wahrend der ganzen Zeit waren die Schneemassen auf stehendem und laufendem Gut angewachsen.
        Bolitho hatte Muhe zu verhindern, da? seine Zahne klapperten. Trotz seines dicken Wachmantels fror er bis ins Mark. Dabei dachte er an die unglucklichen Ausguckposten im Mastkorb, die zwar nach weniger als einer Stunde abgelost wurden, aber dann gro?e Muhe hatten, herunterzuklettern und sich unter Deck wieder aufzuwarmen.
        Angenommen, es war alles umsonst? Sein Zweifel wuchs mit jeder muhsam zuruckgelegten Meile. Bolitho nahm an, da? - je mehr der Tag sich in die Lange zog - jeder Mann an Bord seinen Namen verfluchte. Angenommen, der Franzose war ganz woanders hingefahren? Er konnte schon langst vor Herricks Kanonen geraten sein.
        Kapitan Neale kam muhsam ubers Achterdeck zu ihm, das pausbak-kige Gesicht knallrot vor Kalte.»Darf ich vorschlagen, da? Sie nach unten gehen, Sir? Die Leute wissen doch, da? Sie an Bord sind und an ihrer Seite, was auch geschehen mag.»
        Bolitho beobachtete schaudernd, wie der Gischt, der am Bug hochgeschleudert wurde, auf den Netzen zu Tausenden glitzernder Edelsteine gefror. Neale hatte die Stuckpforten des Oberdecks an der Leeseite offnen lassen, denn wenn das uberkommende Wasser nicht sofort abflo?, sondern sich vor den Speigatten staute und dort gefror, konnte es gefahrlich werden. Schon manches Schiff, auch gro?er als eine Fregatte, war unter einer durch Eis entstandenen Schlagseite gekentert.
        Er fragte:»Wo stehen wir jetzt?»

«Der Master versicherte mir, da? wir die Insel Bornholm in Lee haben, etwa funf Meilen entfernt. «Neale wischte sich mit den Fingern die Nasse aus dem Gesicht. Ich mu? mich auf ihn verlassen, Sir, denn wir konnten auch sonstwo sein, wenn Sie mich fragen.»
        Neale ging auf seinen Ersten Offizier zu, der sich zu ihm vorkampfte, und Bolitho rief ihm nach:»Machen Sie sich meinetwegen keine Gedanken, Captain Neale. Der kalte Wind verschafft mir wenigstens einen klaren Kopf.»
        Er dachte an ihren schnellen Aufbruch von Kopenhagen und hatte gern gewu?t, ob jemand ihr Auslaufen beobachtet hatte. Er bezweifelte es. Aber bei Tagesanbruch hatte Mr. Inskip sicher ein paar peinliche Fragen beantworten mussen.
        Browne hatte sich so unverblumt geau?ert, wie er sich traute:»Ich glaube, es ist falsch, da? Sie selber den Franzosen jagen. Sie konnen die Styx schicken, das genugt. Kapitan Neale kennt das Risiko, und Sie konnen ihn decken, wenn die Dinge schieflaufen. Aber wenn Sie mit dabei sind: wer deckt Sie?»
        Einige Zeit spater, als die Styx sich muhsam von der schwedischen Kuste freigesegelt hatte, horte Bolitho, wie Pascoe in argerlichem Ton mit dem Flaggleutnant flusterte.

«Sie verstehen das nicht! Der Admiral ist schon in sehr viel schlimmeren Lagen gewesen. Er hat es immer geschafft, sich aus einer Falle freizukampfen.»
        Browne hatte betrubt geantwortet:»Damals war er Kommandant. Verantwortung ist zweischneidig: Sie kann nach beiden Seiten verletzen. «Man horte, wie er die Hand auf Pascoes Schulter legte.»Aber ich bewundere Sie fur Ihre Treue, glauben Sie mir.»
        Pascoe eilte nach vorn, um die Blocke des Fockmastes mit einigen Leuten nachzusehen. Wenn sie einfroren oder das Tauwerk, das durch den Schnee aufgequollen war, war die Styx gelahmt. Wie ein Geisterschiff wurde sie auf diesem Kurs weitersegeln mussen, immer tiefer und tiefer in die Ostsee hinein.
        Allday kam uber das Deck geschlittert.

«Ozzard hat hei?e Suppe fur Sie, Sir. «Er warf einen Blick in die mit Wei? uberzogenen Segel und fugte hinzu:»Ich lage lieber in einer Flaute!»
        Bolitho sah die nachste Gruppe Matrosen aus dem Mast herabklettern. Es war zu hoffen, da? auch sie etwas Warmes in den Magen bekamen, wenn sie unter Deck gingen. Er kannte Neale und war sicher, da? er fur seine Manner sorgte.
        Er folgte Alldays Blicken und schaute zu der bauchig stehenden Leinwand empor. Sie war eisenhart und ein Alptraum fur die Matrosen, die sie zu bedienen hatten. Und doch hatten die Segel auch jetzt ihre eigene Schonheit. Diese Feststellung half ihm, seine Sorgen zu verdrangen.

«Dann gehe ich hinunter. Etwas Suppe lasse ich mir gefallen, obwohl ich bezweifle, da? ich viel davon im Magen behalten kann!»
        Allday grinste und trat beiseite, um Bolitho den Weg zum Niedergang freizumachen.
        In den vielen Jahren, in denen er Bolitho gedient hatte, hatte er ihn nicht einmal seekrank gesehen. Aber es hie? ja, es gabe ein erstes Mal fur jeden.
        Achtern in der Kajute, wo es bei der schrag von achtern kommenden See munter auf und nieder ging, glich die Szene eher einer dusteren Grotte als einem Admiralsraum. Die Heckfenster hatten einen Spitzenvorhang aus Eiskristallen aufgezogen, und das wenige Licht, das durchkam, lie? alles noch kalter erscheinen.
        Bolitho sa? am Tisch und loffelte Ozzards Suppe, erstaunt, da? sein Appetit dabei zuruckkehrte. Das pa?te mehr zu einem Midshipman als zu einem Admiral, dachte er.
        Neale kam spater hinzu und legte die Seekarte vor Bolitho auf den Tisch.

«Wenn die britischen Handelsschiffe tatsachlich bei Gotland sind, Sir«, dabei hantierte er mit dem Stechzirkel auf der Karte,»dann mussen sie hier an der Nordwestkuste liegen. «Er schaute in Bolithos gespanntes Gesicht.»Unter den Kanonen der Festung Visby, zweifellos.»
        Bolitho rieb sich das Kinn und versuchte, die Linien und Zahlen der Karte in Land und See, Wind und Strom umzusetzen.

«Wenn die Schiffe nicht da liegen, Captain Neale, sind wir umsonst gekommen. Aber Mr. Inskip ist ein Mann, der sehr genau und vorsichtig mit seinen Informationen umgeht. Theoretisch werden sich die Schiffe in schwedischen Hoheitsgewassern befinden, aber da die Russen sie beschlagnahmt haben und die Franzosen an ihnen interessiert sind, habe ich kaum eine andere Wahl, als sie herauszuholen. Wenn die Schiffe befreit sind, ist der Anla? fur einen Krieg beseitigt, und alle Hoffnungen des Zaren auf eine erfolgreiche Landung in England werden wie der Schnee dahinschmelzen. «Neale machte ein skeptisches Gesicht.
        Bolitho beobachtete ihn.»Sprechen Sie ruhig aus, was Sie denken, Captain. Ich kenne Kapitan Herricks Art, Sie am Reden zu hindern.»

«Ich bezweifle, da? der Franzose mit uns rechnet, vorausgesetzt, die Ajax ist uberhaupt auf dem gleichen Kurs wie wir. Ich bin sehr begierig, mit ihm handgemein zu werden, Sir, denn mein Schiff schuldet ihm noch ein paar Hiebe. Aber offen gesagt: Ich glaube, Sie haben eher Aussicht, einen Krieg auszulosen, als ihn zu verhindern. «Er hob die Hande mit einer hilflosen Geste und sah dabei wieder wie ein Seekadett aus.»Es will mir nicht in den Kopf, warum unser Admiral versaumt hat, dieser Entwicklung rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben.»
        Bolitho blickte zur Seite und rief sich Brownes Worte und Admiral Beauchamps Warnung in Erinnerung. War Admiral Damerum der Anla? fur die Warnung gewesen? Wenn ja, warum? Es gab einfach keinen Sinn.

«Wie ist das Wetter?»
        Neale lachelte, da er wu?te, da? Bolitho mit der Frage nur Zeit zum Nachdenken gewinnen wollte.

«Es schneit noch, Sir, aber nicht mehr so schlimm. Der Master meint, gegen Morgen wurde es aufklaren.»
        Beide schauten tiefsinnig auf die Karte. Bis dahin konnen sich die Dinge bereits fur sie entschieden haben.
        Mit dichtgeholten Brassen und Schoten segelte die Styx mit Backbord Halsen stetig nach Norden, wobei immer wieder einzelne Brecher uber das Schanzkleid schlugen und sich zur Leeseite uber das Deck ergossen. Manner, die durch die Nasse und Kalte zu erstarrt waren, um sich zu unterhalten, beobachteten wachsam Tauwerk und Trimm der Rahen, vollig auf die akuten Muhen und Gefahren konzentriert.
        Querab an der Backbordseite mu?te die schwedische Kuste liegen.
        Als die Fregatte die Sudspitze von Gotland passierte, wurde der Seegang niedriger, aber unregelma?iger. Der letzte Teil ihrer Reise begann.
        Bolitho war vor dem ersten Tageslicht auf und angezogen und so unruhig, da? Allday es noch schlimmer als sonst hatte, ihn zu rasieren. Noch immer waren die Heckfenster eisbedeckt, aber als die Dammerung endlich durchbrach, war es heller als sonst; der Tag versprach sogar etwas Sonnenschein.
        Bolitho ergriff seinen Hut und sah Allday an.»Mein Gott, Sie brauchen ja heute endlos, Mann!»
        Allday wischte das Rasiermesser sorgfaltig ab.»>Endlos< war damals, als Admirale noch Geduld hatten, Sir.»
        Bolitho schenkte ihm ein Lacheln und eilte an Deck, wo ihm der schneidende Wind sofort den Atem verschlug.
        Gestalten eilten uberall geschaftig umher, und als Bolitho ein Fernglas aus der Halterung nahm, sah er an Steuerbord - verschwommen noch und unregelma?ig im schwachen Licht - die Kuste der Insel Gotland. Sie sah aus wie ein schlafendes Seeungeheuer. Angeblich war sie auch eine seltsame Insel, ein ehemaliges Seeraubernest und in Jahrhunderten immer wieder erobert und zuruckerobert. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, wie die Langboote der Wikinger und die Koggen eines Klaus Stortebecker gegen diese unwirtliche Kuste vorstie?en, dachte er.
        Neale kam uber das Deck und tippte an seinen Hut.»Darf ich >Klar Schiff zum Gefecht< anordnen, Sir? Die Leute haben gefruhstuckt, aber der Nutzen einer warmen Mahlzeit wird bald verflogen sein, wenn sie nicht beschaftigt werden.»

«Machen Sie es, wie Sie es fur richtig halten. Sie befehlen hier. Ich bin nur ein Passagier.»
        Neale marschierte weg und verbarg dabei ein Lacheln.

«Mr. Pickthorn! Lassen Sie >Klar Schiff zum Gefecht< und >Alle Mann auf Gefechtsstationen< anschlagen. «Er drehte sich um und fing Bolithos Blick auf, der Erinnerungen wachrief.»Und ich mochte, da? es zwei Minuten schneller geht als das letzte Mal, verstanden?»
        Die Sonne machte zaghafte Versuche, das Schneegestober zu durchdringen, und uberzog die steifen Segel mit dem Glanz von altem Zinn. Alles glitzerte; selbst das Haar der Matrosen, die auf ihre Gefechtsstationen rannten, war mit Tropfen von schmelzendem Eis bedeckt, als seien sie eben vom Meeresgrund aufgetaucht.
        Pascoe ging vorbei, schnallte dabei seinen Krummsabel um und rief die Namen der Leute von der Benbow auf. Bolitho fiel auf, da? er sich kurz unterbrach, als er den Namen Babbage rief, den Mann ernst anschaute und ihn nach kurzer Prufung von den anderen trennte.
        War er Kandidat fur eine Beforderung? Oder sollte er wegen einer Nachlassigkeit verwarnt werden? Bolitho fing Pascoes Blick auf und nickte ihm zu.»Nun, da hast du also eine Fregatte, Adam. Wie kommst du dir vor?»
        Pascoes Gesicht uberzog ein breites Lacheln.»Wie der Wind, Sir!»
        Der Erste Offizier, schnaufend vor Anstrengung und mit vom scharfen Wind geroteten Backen, meldete:»Schiff ist gefechtsklar, Sir!»
        Neale klappte den Deckel seiner Uhr zu.»Gut gemacht, Mr. Pickthorn.»
        Dann drehte er sich um und machte eine Ehrenbezeigung zu Bo-litho:»Wir folgen Ihrem Befehl, Sir.»
        Browne, der die Vorbereitungen beobachtet hatte und nun die Ruhe auf dem Batteriedeck registrierte, sagte halb zu sich selber:»Aber wohin, mochte ich wissen?»
        Bolitho fuhrte das Teleskop langsam die graue Kustenlinie entlang. Wenn doch blo? das Schneetreiben aufhoren wollte! Aber im stillen wu?te er, da? der Schnee ihr einziger Verbundeter war, ihr Schutz gegen vorzeitige Entdeckung.
        Gestalten bewegten sich rastlos um ihn herum. Gelegentliches Klirren von Metall oder das Schrammen einer Handspake drangen in die kleine, kreisrunde Welt seines Blickfeldes und beunruhigten ihn. Er versuchte, sich alles in Erinnerung zu rufen, was er auf der Seekarte und in Neales Notizen gelesen hatte. Ein felsiger Landvorsprung mu?te irgendwo da vorne an ihrer Leeseite in Sicht kommen, und dahinter sollten die Schiffe liegen. Bolitho bi? sich auf die Lippen, um seine jagenden Gedanken und Zweifel im Zaum zu halten. Er horte Neale fragen:»Soll ich die Flagge hissen, Sir?»

«Ja, bitte. Und ich empfehle, Kriegsflaggen am Fockmast und am Gro?mast zu setzen. Wenn unsere gekaperten Handelsschiffe da druben sind, brauchen sie so viele Hinweise, wie wir ihnen gegen konnen.»
        Er blickte zur Besanstenge empor, wo seine eigene Flagge wehte, seit er von der Benbow ubergestiegen war. Sie konnte bei den Franzosen - oder wer sie auch angreifen wurde - den Eindruck erwecken, als waren weitere britische Schiffe zur Unterstutzung im Anmarsch. Selbst sehr junge Admirale pflegten nicht auf einer einzelnen Fregatte herumzustreifen. Bolitho fragte:»Wie ist der Wind?»
        Der Master antwortete sofort:»Hat einen Strich gedreht, Sir. Kommt aus Nordwesten.

        Bolitho nickte. Er war viel zu sehr von seinen Gedanken in Anspruch genommen, um zu merken, da? ein scharfer Ton in seine Stimme gekommen war.

«Lassen Sie drei Strich abfallen. Wir wollen die Landzunge so dicht wie moglich umfahren.»
        Der Master sagte:»Jawohl, aber ich…«, fing jedoch Neales Blick auf und lie? seinen Einspruch ungesagt.
        Das gro?e Steuerrad drehte sich knarrend, drei Mann standen breitbeinig daran, um auf den vereisten Decksplanken das Gleichgewicht zu halten, und beobachteten Segel und Kompa? wie Habichte.
        Schlie?lich meldete der Master:»Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir.»
        Bolitho achtete nicht auf die Seeleute, die umherrannten, um Segel und Rahen zu trimmen, noch auf das Getrampel der Leute auf dem Achterdeck, die das gleiche fur den Besanmast taten. Neale hatte eine Menge gelernt. Allein unter Marssegeln, Fock und Kluver reagierte die Styx gut und drangte unter ihrer vereisten Leinwand vorwarts, als wolle sie sich aus eigenem Antrieb in die Schlacht sturzen.
        Er blickte auf die Geschutzbedienungen, die - um sich gegenseitig warmzuhalten - zusammengeruckt, aber jederzeit sprungbereit waren. Der Sand, der um die langen Zwolfpfunder aufs Deck gestreut worden war, damit die Leute nicht ausrutschten, hatte sich in flussiges Gold verwandelt.
        Wie leuchteten die roten Rocke der Seesoldaten in dem eigenartigen Licht! Unter der Schneekappe, die sich auf ihren Huten gesammelt hatte, sahen sie aus wie weihnachtliches Kinderspielzeug.
        Er sah Pascoe bei den vorderen Geschutzen, eine Hand am Sabel, die schlanke Gestalt leicht im regelma?igen Auf und Ab des Vorstevens mitschwingend. Er sprach mit einem anderen jungeren Offizier, wahrscheinlich uber ihre Chancen. So war es immer. Man versuchte, ruhig zu scheinen, nuchtern zu bleiben, auch wenn das Herz wie in einen Schraubstock gepre?t war und man sich einbildete, jeder Matrose in der Nahe mu?te horen, wie heftig es schlug.

«Land in Sicht uber den Lee-Bug, Sir!«Eine kurze Pause, dann:»Fast recht voraus!»
        Neale rief scharf:»Schicken Sie einen Mann in die vorderen Rusten, Mr. Pickthorn. Er soll in funfzehn Minuten anfangen zu loten.»
        Wenn er furchtete, da? sein Schiff auf Grund laufen konnte, so verbarg er es recht gut, dachte Bolitho.
        Bolitho richtete sein Glas wieder aufs Ufer. Das Land schien sehr nahe zu sein. Eine Sinnestauschung, er wu?te es, aber wenn der Wind plotzlich drehte oder einschlief, mu?te es ihnen schwerfallen, sich vom Ufer freizusegeln.
        Neale sagte:»Bergen Sie die Fock. «Und dann, indem er naher heranruckte, zu Bolitho:»Kann ich einen Strich hoher an den Wind gehen, Sir?»
        Bolitho lie? das Glas sinken und sah ihn an.»Gut.»
        Er blickte hinauf zu den prachtigen Flaggen an Mastspitzen und Gaffel und fuhlte dabei, wie Schneeflocken in seinen Augen schmolzen und seine Lippen netzten. Das beruhigte ihn.
        Die gro?e Breitfock wurde muhsam an den Gleitauen zu ihrer Rah hochgezogen, Matrosen legten auf den Fu?pferden aus und schlugen mit den Fausten wie wild gewordene Affen auf die hartgefrorene Leinwand ein. Eisstucke fielen wie Glassplitter durch die Schutznetze auf die Geschutzbedienungen. Bolitho sah einen Unteroffizier sich bucken, ein Stuck aufheben und in den Mund stecken.
        Ein vertrautes Anzeichen: der Mund war wie ausgetrocknet und verlangte nach Bier oder Wasser, irgend etwas Trinkbarem.
        Wenn die Leute in England sie doch so hatten sehen konnen, dachte Bolitho grimmig. Diese Sorte Manner lebte in der ganzen Flotte im Schmutz, kampfte aber gro?artig und unglaublich tapfer. Einige von ihnen waren sicher der Auswurf der Gefangnisse, mi?braucht an Land und auf See, aber nur sie allein standen zwischen England und Napoleon - oder wer sonst Englands Feinde waren. Er hatte beinahe gelachelt, als er sich erinnerte, was sein Vater einmal gesagt hatte:»England mu? Feinde lieben, Richard. Wir machen uns so viele.»
        Der Erste Offizier rief:»Erlaubnis zum Laden, Sir?»
        Neale warf einen Blick auf Bolitho und erwiderte:»Ja. Aber keine doppelte Ladung. Die Bodenstucke sind durchgefroren, da konnte es mehr Schaden bei uns als bei den Franzosen geben!»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken. Sie vertrauten ihm so sehr, da? sie den Feind im Geist schon vor sich sahen. Wenn die Bucht nun leer war, wurde dieses Vertrauen einen argen Sto? bekommen.
        Der Arm des Lotgasten beschrieb eine ausholende Kreisbewegung, dann lie? er Lot und Leine in der Vorwartsbewegung los und beugte sich vor, um sie weit voraus ins Wasser platschen zu sehen. Wenn der Lotkorper den Boden beruhrte, wurde die Leine bei ihm auf und nieder, also senkrecht, stehen.

«Gerade zehn!«{Zehn Faden = 18,39 Meter}
        Bolitho spurte, wie der Master unruhig ums Steuerrad ging und sicher an den felsigen Grund unter ihrem kupferbeschlagenen Schiffsboden dachte.
        Das Lot klatschte wieder ins Wasser.

«Einhalb uber neun!»
        Bolitho bi? die Zahne zusammen. Sie mu?ten so nahe wie moglich heran. Er sah die gro?e Steinplatte der Landzunge drohend uber Bugspriet und Kluverbaum emporsteigen.

«Gerade sieben!»
        Der Leutnant der Seesoldaten rausperte sich nervos, und einer der Seeleute von der Achterdecksmannschaft sprang entsetzt auf.»Gerade funf!»
        Bolitho bemerkte, wie der Master seinem Kommandanten etwas zuflusterte. Drei?ig Fu? {30 Fu? = 9,15 Meter} Wasser unter dem Kiel, das war nicht viel angesichts der Nahe des abschussigen Ufers.

«Vier Faden!«rief der Lotgast ungeruhrt aus. Als ware er uberzeugt, da? er sowieso sterben musse, ohne etwas dagegen tun zu konnen.
        Bolitho hob wieder das Glas. Zwei einzelne Wohnhauser standen wie Haufen heller Ziegelsteine am Abhang. Daruber abziehender Rauch - oder was sonst? Das Schneetreiben verhinderte, da? er es klarer erkennen konnte. Rauch von einem Herdfeuer am fruhen Morgen? Oder eine Batterie, die gewarnt war und ihre Kanonenkugeln gluhend machte, um der unverschamten Styx einen hei?en Empfang zu bereiten?
        Er sah die Brandung gegen die Felsen schlagen und sich an der scharf gezackten Eiskante gefahrlich aufturmen.»Luven Sie zwei Strich an, Captain Neale. «Er schob das Teleskop mit einem Klicken zusammen und ubergab es einem Midshipman.
        Die Matrosen hatten den Befehl erwartet wie Sprinter den Startschu?, und als die Rahen im Gleichklang mit dem Ruder herumschwangen, drehte die Fregatte stetig nach Luv, wahrend die Felszunge wie eine gro?e steinerne Tur zuruckfiel. Der Lotgast rief:»Gerade zehn!«Von irgendwoher horte man ein ironisches» Bravo«.»Kurs Nordost liegt an, Sir! Segel voll und dichtgeholt!«Bolitho packte wieder die Reling des Achterdecks, wie er es so oft und auf so vielen Schiffen getan hatte.
        Jetzt war es soweit. Der Wind stand gunstig, das Schiff lag so hoch an, wie es konnte und die Leinwand noch zog. Wenn sie um die Felsspitze herum waren, mu?te alles schnell und wirkungsvoll ablaufen, mu?te der Uberraschungseffekt wie kaltes Wasser auf einen schlafenden Matrosen wirken.»Rennen Sie die Kanonen aus, wenn's beliebt!«Bolitho vermied es, die kleine Gruppe von Offizieren anzuschauen. Wenn die Bucht leer war, wurden sie uber seine lappischen Vorbereitungen lachen. Aber wenn er kostbare Minuten opferte, um sein Ansehen zu retten, mu?ten sie ihn mit Recht verfluchen.
        Als der Zweite Offizier ein Handzeichen gab, rumpelten die Geschutze auf ihren quietschenden Lafettenwagen an die Lee-Pforten und wurden in ihrer Abwartsbewegung mit Taljen und Handspaken gebremst. Es war keine leichte Arbeit auf dem tuckisch glatten Deck.
        Fast gleichzeitg steckten die Zwolfpfunder ihre schwarzen Mauler aus den Stuckpforten, wahrend hier und da ein Richtschutze den Schnee von seinem Schutzling wischte.»Steuerbord-Batterie ist ausgerannt, Sir!»

«An Deck!«Die spannungsvolle Erwartung ging plotzlich zu Ende, als der Ausguck im Mastkorb aufgeregt herunterrief:»Schiffe vor Anker hinter der Spitze, Sir!»
        Bolitho schaute Neale und Allday an, der hinter ihm stand und mit seinem Entermesser Locher in die Luft schlug, als kampfe er mit einem Feind. Sein Blick schweifte weiter nach vorn, wo sein Neffe auf einen Geschutzwagen geklettert war, um besser uber die Netze sehen zu konnen. Wenn alle anderen an ihm gezweifelt hatten - diese drei bestimmt nicht.

«Klar zum Abfallen!»

«An die Brassen, Schoten und Halsen!»
        Wahrend Toppsgasten und Decksleute auf Posten rannten, blieben die Geschutzbedienungen ruhig an ihrem Platz, jeder Geschutzfuhrer auf Ordnung in seiner kleinen Welt bedacht, die von der Stuckpforte wie ein Bild eingerahmt wurde.
        Neale hob die Hand.»Ruhig, Leute! Ganz ruhig bleiben!»
        Bolitho horte ihn. Es klang, als besanftige jemand ein nervoses
        Pferd.
        Er starrte gebannt uber die Netze und konnte seine Gefuhle kaum noch beherrschen. Da lag es vor ihnen: ein halbes Dutzend Handelsschiffe, eng beieinander geankert. In ihren wei?en Schneemanteln, den kreuz und quer gebra?ten Rahen und ihrer Leblosigkeit machten sie einen ziemlich niedergeschlagenen Eindruck.
        Allday hatte sich hinter ihn geschoben, wie immer, um ihm nahe zu sein. Und bereit. Bolitho konnte ihn aufatmen horen, als er sagte:»Englische Schiffe, ohne Zweifel, Sir. «Sein kraftiger Arm scho? vor.»Und schauen Sie da: der verdammte Franzmann!»
        Bolitho griff wieder nach dem Glas und suchte sich zwischen Masten und Takelage ein Blickfeld. Da war sie, die Ajax, wie er sie in der Erinnerung hatte. Naher zum Ufer hin lag ein weiteres Kriegsschiff, gro?er und wuchtiger. Wahrscheinlich ein ehemaliger Zweidecker: der Begleiter der beschlagnahmten Handelsschiffe, hier vor Anker, um besseres Wetter oder neue Befehle abzuwarten.
        Die blassen Umrisse der Festungswalle verloren sich fast hinter den herabrieselnden Schneeflocken, aber irgendwo schmetterte ein Trompetensignal, und Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie die aufgeschreckten und fluchenden Soldaten umherrannten, um ihre Verteidigungsstellungen zu bemannen. Niemand war begeistert, wenn er aus seinem warmen Nest in ein solches Wetter gejagt wurde.

«Jetzt, Captain Neale! Andern Sie Kurs, und fahren Sie knapp hinter den Handelsschiffen vorbei.»
        Weit weg ein Kanonenschu?, der Knall wurde vom Schnee gedampft. War es ein Probeschu?? Ein Alarmsignal? Bolitho fuhlte Erregung in sich aufsteigen wie Fieber. Was auch kam, jetzt war es fur ein Ausweichen zu spat.
        Er packte wieder das Gelander, um sich zu beruhigen, wahrend Ruder gelegt wurde und die Styx Kurs auf den Ankerplatz nahm. Er beruhrte den prachtigen, vergoldeten Griff seines Ehrensabels und erschrak, als ihm einfiel, da? er seinen alten Degen auf der Benbow gelassen hatte. Allday bemerkte diesen Augenblick der Unsicherheit und fuhlte mit ihm.
        Bolitho drehte sich um und sah ihn an. Er wu?te, da? Allday ihn verstand und sich selber die Schuld zuschob.

«Keine Sorge, Allday, wir konnten nicht wissen, da? unser Besuch bei den Danen hier enden wurde.»
        Beide lachelten, aber keiner machte dem anderen etwas vor. Es war wie ein Omen.

«Die Ajax hat ihre Ankertrosse gekappt, Sir!«Ein Midshipman hupfte vor Aufregung. Sie sind vollig durcheinander!»
        Bolitho sah das erste Stuck Leinwand an den Rahen der gegnerischen Fregatte erscheinen und beobachtete den steilen Winkel ihrer Masten, als Wind und Stromung sie zum Ufer trieben.
        Neale hatte sein Schwert gezogen und hielt es uber die Kopfe der nachsten Geschutzbedienung, als wolle er sie zuruckhalten. Das franzosische Schiff trat nun deutlicher aus dem Schneetreiben hervor und gewann Umri? und Personlichkeit. Weitere Segel waren gesetzt, und uber das Getose von Wellen und schlagender Leinwand hinweg horten sie das Gepolter der Geschutzwagen und den eindringlichen Ton einer
        Pfeife.
        Uber die Schulter rief Neale:»Nicht zu stark abfallen! Wir wollen den Franzosen zwischen uns und der Landbatterie halten!»
        Bolitho beobachtete die feindliche Fregatte, als sie nach achtern auswanderte. Neale hatte nichts vergessen. Aus dem Augenwinkel sah er, als die Styx ihre leichte Kursanderung vollendet hatte, wie das Schwert des Kommandanten niederfuhr.

«Ziel aufgefa?t! Feuern!»



        VI Schnell geschafft

        Bolithos Augen brannten von dem Pulverqualm, den eine launische Bo uber das Achterdeck geweht hatte. Er beobachtete, wie die Kanonen beim Abschu? zuruckrollten und der wirbelnde Schneevorhang jedesmal wie von feurigen Zungen aufgerissen wurde. Seine Ohren waren durch den Larm fast taub. Jetzt fielen auch die Sechspfunder auf dem Achterdeck mit ihren grelleren Tonen in das Konzert ein. Die Kugeln schlugen kurz vor oder hinter dem anderen Schiff ins Wasser, einige trafen sogar.
        Sofort nach dem Schu? sprangen die Geschutzbedienungen wie die Verruckten hinzu, wischten die Rohre aus, luden sie aufs neue mit Kartuschen und Kugeln und warfen dann ihr Korpergewicht in die Taljen, um die Lafetten wieder in Abschu?stellung zu ziehen.
        Und noch immer hatte der franzosische Kommandant nicht einen einzigen Schu? als Antwort gefeuert.
        Immer wieder hoben sich die Fauste der Geschutzfuhrer zur Klarmeldung, immer wieder brullte der Erste Offizier:»Salve! Feuern!»
        Bolitho hielt die Hand uber die Augen und versuchte, den Pulverqualm zu durchdringen, der leewarts zum anderen Schiff hinubergetrieben wurde. Sie liefen jetzt aufeinander zu. Die etwas schwerere Ajax setzte auch noch ihre Bramsegel, um sich den Weg ins offene Wasser zu erkampfen.
        Ein Hurra erklang, als eine Salve der Styx durch die Marssegel der Ajax fegte und der Wind die Locher, die die Kanonenkugeln geschlagen hatten, weiter aufri?. Auch das Gro?segel war getroffen und zerri? wie ein alter Sack.
        Dann antwortete der Feind. Auf eine Entfernung von etwas einer Kabellange {185 Meter} kam die Breitseite schlecht gezielt heraus, aber Bolitho fuhlte, wie die Eisenkugeln in die holzernen Planken der Styx einschlugen. Ein verirrtes Gescho? traf sogar etwas weiter achtern unterhalb seines Standorts. Das Deck federte wie nach einem heftigen Hammerschlag zuruck, aber Neales Geschutzbedienungen schienen es gar nicht zu bemerken.»Stopft die Zundlocher! Wischt die Rohre aus! Laden!«Die taglichen Ubungen, der harte Drill, die vielen Fluche - jetzt zahlten sie sich aus.

«Kanonen ausrennen!»
        Der Pulverqualm lag mit immer wieder rot und orange aufleuchtendem Kern zwischen den beiden Schiffen, als ob er ein eigenes Leben besa?e. Dann schlugen abermals Kugeln in die Bordwand der Styx ein, gerade als sie selber eine Breitseite abfeuern wollte.
        Bolitho sah, da? eine Kanone umgesturzt war, da? ihre Bedienung sich auf dem Deck walzte und scharlachrote Spuren als Zeichen ihres Todeskampfes hinterlie?. Auch in den Segeln der Styx erschienen jetzt Locher, und Bolitho horte eine Kugel uber das Achterdeck fegen, nur wenige Fu?breit von dem Platz entfernt, an dem er stand.
        Neale eilte hierhin und dorthin, beobachtete das Steuer, die Segel, die Geschutzbedienungen, alles.

«Feuern!»
        Mit wildem Kampfgeschrei warfen sich die Manner wieder an ihre Kanonen und schenkten sich vor dem Nachladen kaum einen Atemzug Zeit, um nachzuschauen, wo ihr Schu? eingeschlagen war.
        Bolitho ging nach achtern und schlidderte dabei uber Schneematsch, als er das Teleskop hob, um nachzuschauen, was das andere fremde Kriegsschiff machte. Es lag noch vor Anker. Seine Decks waren gedrangt voller Matrosen, jedoch wurden keine Segel losgemacht oder Kanonen ausgerannt. Als er sein Glas weiter nach achtern schwenkte, sah er die wei?-blaue Flagge Ru?lands. Mochte der Zar sich auch sehnlichst wunschen, ein anerkannter Freund und Verbundeter Napoleons zu werden, sein Kapitan dachte daruber offenbar anders. Vielleicht hatte auch die Verbluffung uber den kuhnen Angriff der Styx dazu beigetragen.
        Eine Kugel schlug durch die Finknetze hinter Bolitho. Er horte einen vielstimmigen Aufschrei. Die Reihe der Marinesoldaten, die ihre geladenen Musketen auf dem Wall der Hangematten aufgelegt hatten und den Befehl zum Feuern erwartete, war in ein blutiges Durcheinander verwandelt. Manner taumelten und krochen durch den Qualm, zwei von ihnen lagen zu einer blutigen Masse zerschmettert auf der anderen Seite.
        Ihr Sergeant brullte:»Auf eure Platze, Soldaten! Ziel aufgefa?t!»
        Der Leutnant der Seesoldaten sa?, sein Gesicht in den Handen, mit dem Rucken ans Schanzkleid gelehnt; seine Finger hatten die gleiche rote Farbe wie sein Uniformrock.
        Neale rief:»Der Franzmann hat sich vom ersten Schrecken erholt, Sir. Er wird jetzt sicher mit Kettenkugeln schie?en.»
        Bolitho warf einen schnellen Blick in die Runde. Es waren erst zehn Minuten vergangen, aber ihm schien es wie eine Ewigkeit. Die Gruppe der britischen Frachter lag wie zuvor, doch konnte man kleine Gestalten erkennen, die auf den Rahen oder dem Oberdeck ihrem Kampf zusahen, ihnen zujubelten oder um Hilfe riefen - es lie? sich nicht ausmachen.
        Neale folgte seinem Blick und schlug vor:»Ich werde ein Boot hinuberschicken, Sir. Die armen Teufel haben vielleicht keine Offiziere, die sie anleiten und ihnen beim Entkommen helfen.»
        Bolitho nickte, und als Matrosen nach achtern eilten, um das Boot auszusetzen, sagte er zu Browne:»Fahren Sie mit?«Er klopfte ihm auf die Schulter und rechnete damit, da? sie so entspannt ware, wie der ganze Mann wirkte. Doch die Schulter war gespannt wie eine Wagenfeder, darum setzte er beruhigend hinzu:»Kapitan Neale hat zu viel anderes um die Ohren.»
        Browne bi? sich auf die Unterlippe und zuckte zusammen, als weitere feindliche Geschosse in die Bordwand krachten, wobei sie schreckliche Splitter abschlugen. Einer drang einem Mann in den Arm und warf ihn zu Boden.
        Dann sagte er:»Jawohl, Sir. «Er zwang sich zu einem Lacheln.»Ich werde einen wunderbaren Ausblick haben.»
        Augenblicke spater pullte das Boot mit kraftigen Schlagen den Handelsschiffen entgegen. Irgend jemand hatte sogar noch die Ge i-stesgegenwart gehabt, eine britische Flagge am Heck zu setzen.
        Die Ajax kam naher, und ihre Stuckpforten spien in regelma?igen Abstanden Feuer. Aber da der Wind das Schiff auf die andere Seite druckte, zischten viele Kugeln uber Deck und Laufbrucken der Styx hinweg, holten dabei jedoch allerlei Tauwerk herunter und schnitten Blocke ab wie faule Fruchte.
        Bolitho blickte das Batteriedeck entlang und entdeckte - wenn auch nur undeutlich im Gemisch von Pulverqualm und Schnee - die wei?en Kniehosen von Pascoe, der die vorderen Geschutze kommandierte.
        Die Breitseiten fielen jetzt unregelma?iger. Die Manner waren vom Getose der Schlacht zu benommen, um noch das ursprungliche Tempo einhalten zu konnen.
        Einige lagen tot oder schwer verwundet, andere versuchten, sie aus dem Bereich die zuruckrollenden Kanonen wegzuziehen. In ihren Gesichtern mischten sich Entschlossenheit und Entsetzen.
        Vom Vorschiff horte man einen wilden Jubelschrei. Bolitho sah den Fockmast des Franzosen wie eine abgeschlagene Kautabakrolle zusammenklappen, wobei die oberen Rahen und Stengen mit samtlichem Tauwerk und der wild flatternden Leinwand, dazu auch mit einigen Leuten, aufs Vorschiff sturzten. Es klang selbst durch den Schlachtenlarm, als sturze ein abgeloster Felsbrocken ins Meer. Die Wirkung trat augenblicklich ein: Da der gro?te Teil des Mastes uber die Bordwand fiel und dabei Wanten und sonstiges Tauwerk wie schwarzen Seetang hinter sich herzog, drehte die Fregatte in den Wind, wobei das au?enbord hangende Zeug als gro?er Treibanker wirkte.
        Neale formte mit den Handen ein Sprachrohr, so da? sein Sabel am Handgelenk herunterbaumelte, und schrie:»Eine volle Breitseite, Mr. Pickthorn! Mit doppelter Kartatschenladung! Gebt's ihm!»
        Hilflos hin- und herschwankend, wahrend ihre Matrosen die ubergegangenen Trummer abzuschlagen versuchten, trieb die Ajax - Bug voran - direkt auf Neales Batterie zu. Jetzt gab es keine Bedenken mehr, da? eine doppelte Ladung die kalten Rohre sprengen konnte, dachte Bolitho. Die Kanonen waren inzwischen so hei?, da? sie die nachststehenden Leute wie offenes Herdfeuer warmten.
        Er beobachtete, wie ein alterer Geschutzfuhrer eine Kugel liebevoll in den Armen wiegte, bevor er zulie?, da? sie in das Rohr gesteckt wurde. Das mu?te ein Treffer werden.
        Neale kletterte in die Lee-Wanten, griff sich das Sprachrohr seines Ersten Offiziers und rief:»Streicht die Flagge! Ergebt euch!«Es klang fast flehentlich. Doch die einzige Antwort war eine Salve Musketenschusse, von denen eine Kugel Neales Sabel traf und einen Ton wie Glockenschlag hervorrief.
        Neale kletterte zuruck an Deck. Seine Augen blickten traurig, als er die erhobenen Fauste seiner Geschutzfuhrer sah.

«So sei es denn!«Er schaute seinen Ersten Offizier an und nickte ihm zu.
        Der Erfolg der Breitseite, die - Kanone fur Kanone - vom Bug bis zum Heck hinausdonnerte, war schrecklich anzusehen. Druben flogen Trummer hoch in die Luft, und der Gro?mast sturzte mit gewaltigem Krach uber die Bordwand, dorthin, wo schon die anderen Mastteile trieben. Bolitho schien es, als wolle das Vorschiff des Gegners unter der gewaltigen Last abbrechen. Er sah einen Midshipman, der sich vor
        Entsetzen in den Rockarmel bi?, als er lange Rinnsale Blut aus den Speigatten der Ajax flie?en sah, als sturbe sie und nicht ihre Besatzung.
        Ein Steuermannsmaat rief:»Die Handelsschiffe gehen Anker auf, Sir!«Es horte sich unglaubig an.
        Bolitho nickte und beobachtete weiter die ubel zugerichtete Fregatte. Sie war besiegt, aber ihr Flagge wehte immer noch, und er wu?te aus bitterer Erfahrung, da? sie weiterkampfen wurde, so lange noch Leben in ihr war.
        Er nahm an, da? Neale und viele seiner Leute die Ajax gern geentert und als Prise nach Hause gebracht hatten. Aber es reichte, und sie hatten bereits mehr geleistet, als er zu hoffen gewagt hatte. Jetzt noch weiterzukampfen, hie?, die Autoritat des schwedischen Festungskommandanten wie auch die extravagante Neutralitatsauffassung des russischen Kriegsschiffes allzusehr auf die Probe zu stellen.
        Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit statt dessen auf die Frachter. Es waren sechs im ganzen, und ihre Matrosen waren eifrig dabei, mehr Segel zu setzen und Zusammensto?e untereinander zu vermeiden, als sie alle zur gleichen Zeit auf die Styx zuhielten, die - deutlich sichtbar - vier Flaggen fuhrte.
        Neale wischte sich das ru?verschmierte Gesicht und sagte:»Ihr Flaggleutnant wird nicht mehr derselbe sein wie bisher, schatze ich, Sir. «Er seufzte, als ein Verwundeter an ihm vorbeigetragen wurde.»Wir anderen auch nicht, was das anbelangt.»
        Er drehte sich um und beobachtete einen der Frachter, der nahe an ihnen vorbeisegelte. Auf seiner Backbord-Laufbrucke wimmelte es von Mannern, die ihnen freudig zuwinkten.
        Trocken fugte er hinzu:»Wir haben erledigt, wofur wir gekommen sind. Ich hielt es fur angemessen, wenn wir ein paar der besseren Seeleute bei ihnen ausliehen. Auf diese Weise konnten sie ihre Dankbarkeit beweisen.»
        Pascoe kam nach achtern und tippte an seinen Hut. Er wartete, bis Neale wegging, um sich der zahllosen Probleme anzunehmen, die nach dem Kampf seiner harrten. Dann sagte er:»Das war schnell geschafft, Sir!»
        Bolitho legte ihm die Hand auf die Schulter.»In knapp zwanzig Minuten. Ich kann es kaum glauben. Neale ist ein gro?artiger Seemann. «Pascoe sah ihn nicht an, aber um seinen Mund zuckte ein Lacheln.

«Ich glaube, er hat eine Menge auf seinem fruheren Schiff gelernt, Onkel.»
        Mr. Charles Inskip ging im Saal auf und ab, als ware er nicht gro? genug fur ihn. Selbst die Perucke, die er aufgesetzt hatte, um sich mit Wurde zu wappnen, war durch seine Erregung verrutscht.

«Verdammt, Bolitho, was soll ich blo? mit Ihnen machen?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Sie mi?brauchen die danische Neutralitat, indem Sie sich bei Nacht davonschleichen, und nun kommen Sie mit einer Rauberpistole von >Befreiungsaktion< zuruck nach Kopenhagen! Sie haben offenbar keinen Sinn dafur, da? Sie besser weggeblieben waren!»
        Bolitho wartete, da? der Sturm sich legte. Er hatte Mitgefuhl fur Inskips schwierige Rolle, bedauerte aber keinen Augenblick, da? er die Schiffe befreit hatte. In diesem Augenblick mu?ten sie gerade um Skagen in die Nordsee hinaussegeln. Unausdenkbar, was geschehen ware, wenn er sie in den Handen des Zaren gelassen und der sie den Franzosen als Geschenk oder zur Bestechung ausgeliefert hatte. Noch grausamer ware es gewesen, ihm die unglucklichen Besatzungen zu uberlassen. Die Manner waren in irgendeinem Gefangenenlager verfault oder im feindlichen Klima umgekommen.
        Er sagte leidenschaftslos:»Es war das mindeste, was ich tun konnte, Sir. Die Handelsschiffe brauchen keinen Angriff von seiten der Danen zu befurchten. Sie waren rechtswidrig beschlagnahmt worden, zumindest ebenso rechtswidrig wie die danischen Schiffe Anfang des Jahres durch uns. Aber wenn ich hier nicht wieder geankert, sondern mich an den Kanonen des Ore-Sunds vorbeigeschlichen hatte, ware eine Katastrophe heraufbeschworen worden.»
        Er mu?te plotzlich an ihre Ruckfahrt denken. Obwohl niemand sie uberholt hatte, waren ihnen die Geruchte vorweggeeilt. Als sie in Kopenhagen ankamen, war das Ufer trotz der Kalte vollbesetzt mit schweigend dastehenden Menschen, und spater, als der Hafenadmiral erlaubt hatte, da? sie ihr Schiff ausbesserten und ihre Toten zur Beisetzung an Land brachten, war etwas wie ein gro?er Seufzer von den Zuschauern aufgestiegen.
        Inskip schien Bolitho nicht zu horen.»Ich hatte derartiges Handeln von einem Ihrer Kommandanten in Kauf genommen, aber nicht vom
        Befehlshaber des Geschwaders, gewi? nicht. Allein schon durch Ihre Gegenwart reprasentieren Sie Konig und Parlament.»

«Sie wollen damit sagen, ein einfacher Kapitan konnte entlassen oder vor ein Kriegsgericht gestellt werden, wenn die Dinge sich gegen ihn wenden, Sir?»
        Inskip unterbrach sein erregtes Auf- und Abgehen.»Schon. Sie kennen also das Risiko eines selbstandigen Entschlusses ebenso wie seinen moglichen Lohn.»
        Bolitho wu?te, da? sie auf diese Weise nicht weiterkamen. Er sagte:»Wie dem auch sei, ich wurde meinem Flaggkapitan gern eine Nachricht schicken, wenn das moglich ist. Ich habe ihm angekundigt, hochstens eine Woche auszubleiben. Die ist jetzt um.»
        Inskip starrte ihn an.»Verdammt, Bolitho! Ich habe ja nicht gesagt, da? Sie nicht erreichen, was Sie sich vorgenommen haben. Es sind Ihre Methoden, gegen die ich Bedenken habe. «Er zeigte ein schwaches Lacheln.»Ich habe Ihrem Geschwader schon Nachricht zukommen lassen. «Dann schuttelte er den Kopf.»Ich wei? nicht, was Sie im Parlament oder hier im Schlo? erzahlen werden, aber ich hatte eine Menge darum gegeben, zusehen zu konnen, wie Sie unsere Handelsschiffe befreiten! Mein Adjutant hat schon mit Ihrem Captain Neale gesprochen. Dieser junge Mann erzahlte ihm, da? die Styx den Feind in weniger als zwanzig Minuten besiegt hatte.»
        Bolitho erinnerte sich an Herricks Bemerkung: >Manner, nicht Schiffe gewinnen Schlachten!< Er sagte:»Das ist wahr, Sir. Es war das schnellste Gefecht einer Fregatte, dem ich je als Zeuge beiwohnte.»
        Inskip sah ihn ruhig an.»Ich nehme an, Sie waren nicht nur >als Zeuge< dabei. «Er ging ans Fenster und schaute auf den Platz hinunter.»Das Schneetreiben hat aufgehort. «Wie nebenbei fugte er hinzu:»Sie mussen sich fur ein Treffen mit dem Generaladjutanten bereithalten. Vielleicht schon heute abend. Bis dahin we rden Sie mein Gast sein.»

«Und das Schiff, Sir?»

«Man hat mir versichert, da? es den Hafen verlassen kann, wenn die Reparaturen ausgefuhrt sind, aber…«Das Wort hing in der Luft, als er sich umdrehte und Bolitho direkt ins Gesicht schaute.»Sie werden sich wohl auf einen langeren Aufenthalt einrichten mussen, falls die Danen mich auffordern, Sie ihnen auszuliefern. «Er rieb sich die Hande, als ein elegant gekleideter Lakai mit einem Tablett hereinkam, und sagte:»Aber im Augenblick wollen wir lieber erst einmal auf Ihren, ah, Sieg ansto?en!»
        Spater, als Leutnant Browne hinzugekommen war, diktierte Bolitho einen ausfuhrlichen Bericht uber seine Entdeckung und seine Unternehmung gegen die franzosische Fregatte. Er uberlie? es hoheren Stellen, die Schlu?folgerungen uber Recht oder Unrecht seiner Handlung zu ziehen.
        Sollte man es gestatten, da? ein franzosisches Schiff in schwedischen Gewassern und in Anwesenheit eines russischen Kriegsschiffes von diesem beschlagnahmte britische Handelsschiffe kaperte? Dieser volkerrechtliche Knoten lie? sich nicht so leicht losen, dachte er.
        Er lehnte sich zuruck und beobachtete Brownes Miene.»Habe ich irgend etwas vergessen?»
        Browne sah ihn einige Sekunden lang an.»Ich glaube, Sir, je weniger Sie daruber zu Papier bringen, desto besser. Ich hatte an Bord des Frachters Zeit zum Nachdenken. Da befand ich mich in der Lage, selber handeln zu mussen, anstatt nur Ratschlage zu geben. Sie haben ein Gefecht gewonnen, nichts Gewaltiges, was das Antlitz der Erde verandern wird, aber es ist genau das, was unseren Leuten zu Hause Auftrieb geben kann. Sie hassen es, wenn einfache Leute wie sie von einer fremden Macht bruskiert und gedemutigt werden. Aber es gibt sicher auch Leute, die nicht so freundlich uber Sie denken.»
        Bolitho lachelte nachdenklich.»Weiter, Browne, ich bin ganz Ohr.»
        Browne sagte:»Admiral Sir Samuel Damerum zum Beispiel, Sir, wird nicht begeistert sein. Er konnte dadurch in den Augen anderer als Narr erscheinen, als Mann, dem es an Mut fehlt, sich fur kleine Dinge - wie auch fur gro?e - einzusetzen. «Browne lachte etwas verlegen, als ob er zu weit gegangen ware.»Wie ich sagte, Sir, ich hatte Gelegenheit, meine Einstellung zu den Machtigen zu andern, wahrend ich weg war. Ehrlich gesagt: Ich bin froh, Leutnant zu sein, und dazu ein solch bevorzugter.»
        Bolitho rieb sich das Kinn und streifte seinen Ehrensabel auf dem Stuhl mit einem Blick. Auch dieses Omen war falsch gewesen. Er hatte recht getan zu handeln, und obwohl Neale zehn Tote dabei zu beklagen hatte, war es den Einsatz wert gewesen. Keine weltverandernde Schlacht, wie Browne es ausgedruckt hatte, doch sie wurde ihr Selbstbewu?tsein starken und der Welt zeigen, da? England - auch wenn es allein stand - nicht zogerte, sich fur seine Landsleute einzusetzen, wenn es darauf ankam.
        Eine Stunde spater befand er sich mit Inskip in einem Wagen auf dem Weg zum Schlo?.
        Es war schon spat und die Stra?e fast leer. Die Szenerie ahnelte mehr einem Mordkomplott als einer einfachen Befragung, dachte er. Allday hatte mitkommen wollen, aber Inskip war hart geblieben.

«Nur Sie, Bolitho. Das ist ein Befehl!»
        Der Wagen fuhr durch einige Tore und hielt dann vor einem schmalen Seiteneingang.
        Nachdem sie den Schnee von den Fu?en getrampelt hatten, wurden sie durch mehrere Turen in eine andere Welt geleitet, in ein Marchenland von glitzernden Kronleuchtern und gro?en Gemalden. Man horte von irgendwoher Musik und weibliche Stimmen und spurte Macht und hochsten Komfort.
        Aber weiter drangen sie nicht vor. Man wies sie in einen kleinen, aber sehr schon ausgestatteten Raum mit bucherbedeckten Wanden und prasselndem Kaminfeuer.
        Ein Mann erwartete sie. In seiner blauen Samtrobe wirkte er elegant wie der ganze Raum. Seine schweren, goldbestickten Armelaufschlage reichten bis an die Ellenbogen. Er machte den Eindruck, als wurde er nie ubereilt und ohne Wurde handeln.
        Er musterte Bolitho nachdenklich, wobei sein Gesicht im Schatten blieb.»Der Generaladjutant konnte nicht kommen. Er mu?te aufs Festland hinuber. «Er sprach ohne Akzent und in einem Ton, der den warmen Raum zu streicheln schien.
        Dann fuhr er fort:»Ich werde mich mit dieser Sache befassen, Konteradmiral Bolitho. Als sein Gehilfe bin ich mit der ganzen Angelegenheit sowieso gut vertraut.»
        Inskip begann zu sprechen.»Tatsache ist, Sir, da?…»
        Eine Hand wurde gehoben wie von einem Priester, der den Segen erteilen will, und Inskip verstummte.

«Lassen Sie mich zunachst dies sagen: Sie haben die sechs englischen Schiffe durch Ihre Aktion gerettet. Sie Ihrerseits retteten sich dadurch, da? Sie Kopenhagen anliefen. Hatten Sie ein franzosisches Schiff, gleichgultig, unter welchem Vorwand, in danischen Gewassern angegriffen, dann hatten weder Sie noch Ihr Schiff jemals wieder England erreicht, seien Sie dessen sicher. Sie haben Krieg mit Frankreich, nicht mit uns. Aber wir mussen in einer Welt bestehen, die von
        London und Paris auf den Kopf gestellt ist, und wir werden keinen Augenblick zogern, unser Schwert zu ziehen, um das zu schutzen, was uns heilig ist. «Seine Stimme wurde weicher.»Das hei?t nicht, da? ich Sie nicht verstehe, Admiral. Ich tue es, besser vielleicht, als Sie glauben.»
        Bolitho sagte:»Ich danke Ihnen fur Ihr Verstandnis, Sir. Wir sind ein Inselvolk. Seit tausend Jahren mussen wir uns gegen Angreifer zur Wehr setzen. Menschen im Krieg vergessen zu leicht die ubrige Welt, und dafur bitte ich um Entschuldigung, Sir.»
        Der Mann wandte sich zum Fenster und sagte ruhig:»Soviel ich wei?, sind meine Landsleute in der Vergangenheit einige Male in Ihr Land eingefallen?»
        Bolitho lachelte.»Aye, Sir. Es hei?t heute noch, da? die Madchen an der Nordostkuste Englands ihre blonden Haare den Wikingern verdanken.»
        Inskip rausperte sich nervos.»Darf ich also Admiral Bolitho wieder mitnehmen, Sir?


«Bitte sehr. «Er bot ihnen nicht die Hand.»Ich wollte Sie gern kennenlernen, wollte sehen, was fur ein Mann Sie sind. «Er nickte kurz.»Ich hoffe, wenn wir uns einmal wiedersehen, wird es unter glucklicheren Umstanden sein als jetzt.»
        Bolitho folgte Inskip und zwei Lakaien denselben Weg zuruck, wobei ihm noch immer der Kopf schwindelte.
        Er sagte:»Ich glaube, bei seinem Vorgesetzten ware ich schlechter weggekommen. Dieser wollte mich wohl moglichst schnell au?er Landes haben.»
        Inskip nahm seinen Mantel von einem Diener in Empfang und sog die frische Luft ein, die durch die offene Tur drang.

«Moglich, Bolitho. «Er warf ihm einen Seitenblick zu.»Es war der Kronprinz selber! Er schuttelte den Kopf und marschierte auf den Wagen zu.»Wirklich, Bolitho, Sie mussen noch eine Menge lernen.»
        Seinen Hut unter den Arm geklemmt, betrat Kapitan Neale die Kajute.

«Es wird Sie interessieren, da? wir aus dem Sund raus sind und nun im Kattegatt stehen, Sir. «Er sah mude, aber gleichzeitig froh aus, als er hinzufugte:»Unsere ungebetenen Begleiter haben abgedreht und sind verschwunden.»
        Bolitho stand auf und ging an die Heckfenster. Das Schneetreiben hatte aufgehort, aber das Wasser sah grau und unfreundlich aus. Die Danen hatten es nicht darauf ankommen lassen. Zwei Fregatten waren der Styx vorn Augenblick des Ankerlichtens an gefolgt, und als Bo-litho zum Landungssteg hinuntergefahren war, hatte er Soldaten beobachtet, die an die Geschutze der Hafenbatterie eilten. Nicht als Drohung, aber vielleicht zur Warnung.»Vielen Dank.»
        Bolitho horchte auf das traurige Quietschen der Pumpen, auf den dumpfen Klang der Hammer und Sagen, die bewiesen, da? die Besatzung noch alle Hande voll zu tun hatte, die Schaden ihrer kurzen, aber heftigen Auseinandersetzung zu beseitigen.
        Man wurde die Styx heim nach England schicken mussen, wo sie fachmannisch und grundlich uberholt werden konnte. Sie hatte es verdient, ebenso ihre Besatzung.
        Er sagte:»Ich werde mir auf meinem Flaggschiff ganz verloren vorkommen. Wie ein Pferd in einem gro?eren Stall. «Er wurde wieder ernst.»Ich habe einen ausfuhrlichen Bericht geschrieben, den Sie nach England bringen sollen. Was darin Sie betrifft, wird die richtige Stelle erreichen.»
        Neale lachelte.»Danke, Sir.»

«Und wenn Sie mich so schnell wie moglich zu meinem Geschwader bringen, werde ich Sie kunftig in Ruhe Ihre Entscheidungen selbst treffen lassen.»
        Neale wollte schon gehen, sagte dann aber noch:»Mein Erster Offizier ist sehr begeistert uber die Neuen, die er von den Handelsschiffen geholt hat. Alles prima Seeleute, obwohl sie noch nicht genau wissen, wie ihnen geschah, und ob sie nur eine Holle mit einer anderen vertauscht haben.»
        Am nachsten Morgen, als Bolitho sein Fruhstuck verzehrte, das nach Ozzards Meinung besser zu einem Kriegsgefangenen gepa?t hatte, kam Neale herunter und meldete, da? seine Ausguckleute ein Segel gesichtet hatten. Gleich darauf sei es als der Fregatte Relentless gehorig erkannt worden.
        Fast noch unter dem Horizont hatte die Relentless Signale gesetzt, die von der Lookout erkannt und fur das ubrige Geschwader wiederholt wurden.
        Bolitho konnte sich in ihre Empfindungen hineinversetzen. Herricks Aufklarer mu?te die befreiten Handelsschiffe getroffen haben, und was er von ihnen nicht erfahren hatte, konnte er sich selber zusammenreimen.
        Die erste Bewahrung des neuen Geschwaders. Etwas, dessen man sich ruhmen konnte, wenn das Wetter einen entmutigte oder das Essen zu schlecht war, um es uberhaupt noch zu diskutieren.
        Als Bolitho spater an Deck ging, bemerkte er, da? Allday ihm mit seiner Seekiste schon zuvorgekommen war. Auch er schien mehr als erpicht darauf, wieder auf die Benbow zuruckzukehren.
        Er sah Pascoe und den kleinen Midshipman Penels auf der Backbord-Laufbrucke stehen und zu den Schiffen hinuberschauen. Als das vor Anker liegende Geschwader hoher herauskam, sah er Pascoe sich umdrehen und mit fragendem Ausdruck nach achtern schauen.
        Neale sagte:»Gebt mir mal ein Glas!» Er schaute an der anderen Fregatte vorbei, die elegant wendete und zum Geschwader zurucksteuerte.»Captain Herrick ist klar zum Ankeraufgehen, scheint es. «Er ubergab Bolitho das Glas und beobachtete seine Reaktion.
        Bolitho richtete das Glas auf den feucht schimmernden Rumpf der Benbow, die vor kurzgeholter Ankertrosse dumpelte. Die Segel waren lose aufgeholt und nicht so sauber festgezurrt, wie man erwartet hatte. Die Ankertrosse zeigte fast auf und nieder, genau wie bei den anderen Zweideckern. Er fuhlte sich plotzlich unbehaglich, sagte aber so ruhig er konnte:»Wir mussen noch etwas Geduld haben.»
        Neale schuttelte bedenklich den Kopf. Dann rief er:»Setzen Sie die Bramsegel, Mr. Pickthorn! Wir haben es eilig!»
        Der Signalfahnrich der Benbow lie? sein Teleskop sinken und meldete:»Das Geschwader ist Anker auf, Sir!»
        Bolitho griff in die Hangemattsnetze und beobachtete erst eines, dann das nachste Schiff, dessen Segel sich fullten oder wieder killten, und das sich dann durch den Winddruck auf die Seite legte, bis sie ihr Manover beendet hatten. Wolfe, der Erste Offizier, fuhrte das Kommando auf dem Achterdeck, aber offenbar nicht ganz im Sinne Herricks, was dessen Nervositat erklarte.
        Es war erst knapp funfzehn Minuten her, seit Bolitho durch die Einla?pforte geklettert war, funfzehn Minuten, die mit vielerlei Tatigkeiten und scheinbarem Durcheinander erfullt gewesen waren. Die Seeleute hatten unmittelbar nach seinem Anbordkommen auf den Rahen ausgelegt oder an Fallen und Brassen geholt, als hatten sie es wie ein
        Startsignal erwartet.
        Zwischen den vielerlei Dingen, die Herrick erledigen mu?te, hatte er berichtet: Ein Kurierschiff ist von Sheerness gekommen, Sir. Der Kommandant hatte Depeschen fur Admiral Damerum, aber dessen Geschwader war inzwischen schon mit verschiedenen Zielen fortgesegelt. «Einige Sorgenfalten auf seinem Gesicht hatten sich bereits geglattet, als er dankbar hinzusetzte:»Bei Gott, es ist gut, da? Sie zuruck sind, Sir. Ich wu?te wirklich nicht, was ich tun sollte.»
        In den kurzen Pausen zwischen Kommandos, die Herrick fur Kursanderungen oder Segelkommandos gab, und wahrend sich das Geschwader zur Kiellinie formierte, erfuhr Bolitho stuckweise, was geschehen war. Er unterbrach oder drangte Herrick kein einziges Mal, denn er wollte es in dessen eigenen Worten horen und nicht in sorgsam fur seine Ohren praparierter Rede.
        Die wichtigsten Tatsachen: Ein franzosisches Geschwader war aus Brest ausgebrochen und in der Weite des Meeres verschwunden. Es wurde von Vizeadmiral Alfred Ropars befehligt, einem erfahrenen und wagemutigen Offizier. Er hatte das schreckliche Wetter ausgenutzt, aber mehr noch: zwei seiner Fregatten hatten im Schutz der Dunkelheit das britische Vorpostenschiff nahe an der Kuste uberfallen und erobert. Bolitho mu?te an Inskips Ansichten uber Autoritat und Verantwortung eines Kommandanten denken. Der Kommandant der gekaperten Fregatte wurde alles verlieren. Seine fruheren Verdienste, seine ganze makellose Karriere wurden nicht ausreichen, diese Panne ungeschehen zu machen.
        Aber Bolitho wu?te auch, wie leicht so etwas passieren konnte. Hin und her, auf und ab, bei jedem Wetter und jedem Seegang, da wurden die windzerzausten Schiffe des Blockadegeschwaders oft zu sicher, zu uberzeugt davon, da? die Franzosen vernunftig genug sein wurden, im Hafen zu bleiben, statt einen Kampf zu riskieren.
        Ropars mu?te den richtigen Zeitpunkt gewahlt haben. Nachdem er das Patrouillenschiff aufgebracht hatte, waren seine schweren Schiffe im Morgengrauen ausgelaufen und verschwunden.
        Die Information des Kurierschiffes war durftig bis auf einen Punkt: Ropars war nach Norden gesegelt. Nicht nach Westen, Richtung Karibische See, oder nach Suden, zum Mittelmeer, sondern nach Norden.
        Herrick sagte verzweifelt:»Ich war hin- und hergerissen. Wir mit unserem kleinen Geschwader hier anstelle von Admiral Damerum und
        Sie - wie ich vermutete - in Kopenhagen. Die Admiralitat nimmt an, da? Ropars eine Landung mit gleichzeitiger Volkserhebung in Irland unterstutzen will. Da unsere Flotte so weit verstreut ist, scheint der Augenblick fur einen derartigen Versuch gut gewahlt.»
        Bolitho nickte, sein Geist arbeitete.»Vor funf Jahren, als ich Flaggkapitan von Sir Charles Thellwall auf der Euryalus war, habe ich in Irland viel Elend gesehen. Die Franzosen haben es schon damals versucht. Gut moglich, da? sie einen neuen Versuch unternehmen, Thomas.»
        Herrick beschattete seine Augen, um nach den Bramrahen hinaufzuschauen, wo einige Matrosen sich mit Handen und Fu?en festklammerten, als der Wind voll in die Segel einfiel.
        Er sagte:»Ich entschied, da? ich nichts erreichen wurde, wenn ich nach Irland segelte, Sir. Wir haben zu wenig Schiffe. «Er schaute Bolitho gerade in die Augen. Und au?erdem, Sir, sind Sie mein Befehlshaber.»
        Bolitho lachelte. Es mu?te eine schwere Entscheidung fur Herrick gewesen sein. Wenn er das Falsche getan hatte, wahre - Treue hin, Treue her - sein Kopf zusammen mit dem seines Admirals gefallen.
        Doch er sprach mit Warme:»Das haben Sie gut gesagt, Thomas. Ich sehe Sie schon bald Ihren eigenen Kommandostander fuhren, denken Sie an meine Worte!»
        Herrick zog eine Grimasse.»Dafur wurde ich mich nicht einmal bedanken, Sir.»
        Er kam aufs Thema zuruck.»Der franzosische Admiral hat nur ein Geschwader, nicht mehr. Das wissen wir genau. Und ich wette, jedes Schiff unserer Kanalflotte pa?t jetzt hollisch vor den feindlichen Hafen auf, falls irgendein Schiff versuchen sollte, Ropars Geschwader zu verstarken.»
        Bolitho loste seinen Griff von den Netzen. Es dauerte nicht lange, bis man sich an die anderen Schiffsbewegungen gewohnt hatte: nach dem heftigen Schlingern einer Fregatte nun das schwerfallige Uberholen eines Linienschiffes.

«Nun, Thomas? Weiter.»
        Herrick bi? sich auf die Lippen, als wunschte er, er hatte geschwiegen.

«Ich habe von Ihren Taten in der Ostsee gehort. Der Kapitan eines der Handelsschiffe, die Sie befreit haben, hat es mir berichtet. Es war saubere Arbeit, Sir, und das allein mit der Styx.»
        Bolitho schaute auf die graue See ringsum, bereit, Herrick weiterreden zu lassen, ohne seinen Gedankenflu? zu unterbrechen.

«Es sieht den Franzmannern nicht ahnlich, lediglich eine einzige Fregatte fur solch eine Aufgabe zu entsenden, Sir. Sie wissen ganz bestimmt, da? Ihr Geschwader jeden Versuch, die Handelsschiffe nach Frankreich zu entfuhren, verhindern wurde.
«Er streckte seine Hande aus.»Um alles in der Welt: Ich kann aber keinen anderen Grund fur ihre Unternehmung entdecken.»
        Bolitho starrte ihn an.»Es pa?t alles zu gut zusammen, Thomas. Ist es das?«Herrick nickte.»Ja, Sir. Ich glaube, da? die Franzosen beabsichtigen, unser Geschwader nach Westen zu locken, damit es die Kanalflotte verstarkt und Ropars' Ruckzugslinie von Irland bedroht, wenn er dort keinen Erfolg hat.»
        Bolitho packte ihn am Arm.»Aber in Wirklichkeit segelt Ropars weiter nach Norden, moglicherweise um Schottland herum und dann an der norwegischen Kuste herunter - nehmen Sie das an?»
        Herrick leckte sich die Lippen.»Nun ja, Sir. Sie werden von Norden kommen. «Er blickte auf die verschwommene Linie der danischen Kuste.»Hierher.»

«Wo sie hoffen, da? die Tur zur Ostsee fur sie offensteht, nicht wahr?«Es ware zu schon, um wahr zu sein.
        Bolitho sagte:»Signalisieren Sie dem Verband: >Kurs West         Herrick schaute ihn - jetzt weniger sicher - an.

«Ich mag mit meiner Annahme vollig falsch liegen, Sir. Ist es das Risiko wert?»

«Wenn wir hier kampfen mussen, liegen wir auf Legerwall. {Legerwall = eine Kuste, auf die der Wind steht, was fur Segelschiffe gefahrlich ist} Nein, wir wollen auf freier See mit ihnen zusammentreffen, wenn uberhaupt. Wir wollen ein paar von ihnen zusammenschie?en und den Rest in die Flucht schlagen. Ich habe von Admiral Ropars gehort, Thomas. Was wir vermuten, ist genau das, was er versuchen wird.»
        Herrick sagte betreten:»Er ahnelt Ihnen wohl ein bi?chen, Sir.»

«Nicht ganz, hoffe ich. Sonst wurde er unseren Plan durchkreuzen.»
        Bolitho ging nach achtern in seine Raume, vorbei am steif dastehenden Posten der Seesoldaten, und zog am Schott so automatisch den Kopf ein, als ware er noch auf der Fregatte.
        Einige Zeit ging er ruhelos in der Kajute auf und ab und uberdachte noch einmal, was sich in so kurzer Zeit ereignet hatte: den seltenen Glucksfall, als Lookout die franzosische Brigg Echo aufgebracht hatte. Ihre Ankunft in Kopenhagen. Den Angriff im Schneesturm. An die Manner, die sterben mu?ten, und die anderen, die ihm zugejubelt hatten.
        Auch jetzt horte er Jubelrufe, als waren seine Gedanken laut geworden, aber als er durch das Heckfenster schaute, sah er die Fregatte Styx unter der vollen Pyramide ihrer dichtgeholten Segel stolz hinter den langsameren Zweideckern vorbeigleiten. Das Geschwader jubelte diesmal einem Kameraden zu, dem narbenbedeckten Sieger, der zur Ausbesserung und vielleicht zu einem glorreichen Empfang nach Hause fuhr.
        Allday kam in die Kajute und hangte den Ehrensabel wieder in seine Halterung unter dem anderen. Er sagte:»Ich war doch etwas in Sorgen neulich, Sir. Einen Augenblick jedenfalls.»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Mit dem Aberglauben ist das so eine Sache.»
        Allday grinste erleichtert.»Die Leute in Falmouth waren ganz schon entsetzt gewesen, wenn Sie ihn zerbrochen hatten. Darauf konnen Sie sich verlassen, Sir.»
        Bolitho setzte sich, er fuhlte sich plotzlich mude.»Holen Sie mir was zu trinken, bitte. «Dann lachelte er.»Und wir wollen aufhoren, uns gegenseitig etwas vorzumachen.»



        VII Klar Schiff zum Gefecht

        Am Morgen war es sehr kalt, und als Bolitho zu seinem gewohnten Spaziergang an Deck kam, empfand er die eisige Luft als genauso unangenehm wie kurzlich vor Gotland.
        Er schaute hinauf zum Himmel, der zwar wolkenlos war, aber grau wie die See, bleiern grau.
        Durch das Fernrohr beobachtete er die anderen Schiffe, verfolgte ihre morgendlichen Routinearbeiten, zu denen das Setzen und Trimmen der Segel gehorte, um wieder den vorgeschriebenen Platz in der sich langsam vorwartsbewegenden Linie einzunehmen. Von der Loo-kout war noch nichts zu sehen, aber vom Mastkorb aus konnte man sie vielleicht schon ausmachen.
        Der Erste Offizier marschierte auf der Leeseite auf und ab. Sein rotes Haar, das unter seinem Hut im Winde flatterte, bildete den einzigen lebhaften Farbfleck an Deck.
        An ihm war nichts herumzuratseln oder zu kritisieren. Wolfe war Erster Offizier und wurde uber kurz oder lang, wenn er Gluck hatte, sein eigenes Schiff fuhren. Hier auf der Benbow war es seine einzige Aufgabe, das Schiff wie ein gut gestimmtes Instrument zu handhaben und fur seinen Kommandanten in hochstmogliche Gefechtsbereitschaft zu bringen.
        Bolitho lie? die Gedanken von der taglichen Routine zur eigenen Lage schweifen. Zwei Tage lang waren sie zuerst nach Westen, dann nach Norden gesegelt: zwei Tage, in denen sie ihre Patrouille vor den Ostseeeingangen vernachlassigt hatten. Angenommen, seine Uberlegungen waren falsch? Angenommen, er hatte im Bemuhen, den Erfolg seines Geschwaders auszuweiten - ungeachtet von Inskips Zweifeln und Warnungen - das Nachstliegende versaumt?
        Die Begeisterung in England angesichts der Styx und ihrer Kampfesspuren konnte nicht ewig anhalten. Sehr bald schon wurde er sich zu entscheiden haben: weiter durchzuhalten oder auf seine kustennahe Station zuruckzukehren. Wenn er es andererseits unterlie?, seine Schiffe - oder wenigstens einige davon - in die irischen Gewasser zu fuhren, und wenn er einer fixen Idee zuliebe keinen Kontakt mit dem franzosischen Geschwader bekam, wurde das Damerum und der Admiralitat kaum schmecke n.
        Wolfes rauhe Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken:»Also, Mr. Pas-coe, was hore ich da uber Ihre Bitte, die Landratte Babbage zu versetzen? Zur Achterdecksmannschaft, sagen Sie?«Er beugte sich vor und wirkte dabei wie ein ungeschlachter Riese, der auf den schmachtigen Leutnant herabsah.
        Pascoe antwortete:»Ja, Sir, er wurde in Plymouth gepre?t. Es kommt aus Bodmin, und.»
        Wolfe brummte ungeduldig:»Und ich komme aus dem verdammten Bristol, aber was hat das damit zu tun, he?»
        Pascoe versuchte es noch einmal:»Midshipman Penels bat um die Versetzung, Sir. Sie sind zusammen aufgewachsen. Babbage arbeitete fur Penels Mutter, seit sein Vater gestorben war.»

«Ist das alles?«Wolfe nickte zufrieden.»Gut, das wu?te ich bereits. Deshalb habe ich sie ja getrennt, als ich von ihrer Beziehung zueinander horte.»

«Ich verstehe, Sir.»

«O nein, Mr. Pascoe, Sie verstehen nicht. Aber lassen wir das. Sie haben gefragt, und ich habe nein gesagt. Nun nehmen Sie ein paar Leute mit zum Vorschiff, und schauen Sie mal nach dem Schanzkleid. Mr. Swale meldet, da? es Risse bekommen hat. Die Teufel haben wahrscheinlich ungeeignetes Holz beim Bau verwendet.»
        Pascoe tippte an seinen Hut und marschierte zur Laufbrucke.
        Als er au?er Horweite war, rief Bolitho:»Mr. Wolfe, einen Augenblick bitte!»
        Bolitho war schon ziemlich gro?, aber Wolfe gegenuber kam er sich wie ein Zwerg vor.

«Sir?»

«Ich habe eben unfreiwillig Ihre Gesprach mit angehort. Vielleicht sind Sie bereit, Ihr Wissen mit mir zu teilen?»
        Wolfe grinste ohne einen Anflug von Verlegenheit.

«Gewi?, Sir. Ich sprach den Offizier, der das Pre?kommando in Plymouth fuhrte, als er uns einige Leute an Bord brachte. Er erzahlte mir alles uber Babbage. Da? er mit einer Nachricht fur einen Lagerverwalter nach Plymouth geschickt worden war.»

«Ein langer Weg von Bodmin, nicht wahr, Mr. Wolfe?»

«Aye, Sir. So ist es. Jemand wollte ihn aus dem Weg haben. So schickte man ihn dorthin, wo sich niemand mit der Tatsache, da? er von einem Pre?kommando eingefangen wurde, lange aufhalten wurde. Wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir?»
        Bolitho schaute finster drein.»Penels Mutter?»

«Das nehme ich an, Sir. Ihr Mann tot, ihr Sohn auf See - da hat sie sich wohl nach einem neuen, hm, Ehemann umgesehen. Babbage war ihr lastig, er lebte mit im Haus, sah und horte alles. Sie konnte nicht wissen, da? Babbages Ankertau sich ausgerechnet in dem unseres jungen Herrn Penels verfangen wurde.»

«Vielen Dank, da? Sie mich informiert haben.»
        Bolitho dachte an den unglucklichen Babbage. Da? sie einen unbequemen oder unerwunschten Bedienten auf diese Weise loswerden konnten, war Unternehmern und Landbesitzern nicht unbekannt. Man schickte ihn mit einen Auftrag weg und benachrichtigte gleichzeitig einen Werber oder das Pre?kommando. Das weitere ergab sich dann von selbst.
        Wolfe fugte hinzu:»Mr. Pascoe wird ein guter Offizier werden, Sir. Und das sage ich nicht, um mich bei Ihnen beliebt zu machen. Auch er wird die Ranke von Frauen noch kennenlernen. Warum soll man ihn schon jetzt mit solchen Dingen belasten.»
        Er machte eine kurze Ehrenbezeigung und ging mit langen Schritten davon.
        Bolitho nahm seinen Marsch wieder auf. Dieser linkische Erste Offizier hatte also noch eine andere Seite, dachte er. >Nicht um mich bei Ihnen beliebt zu machen
«An Deck! Lookout in Sicht. Uber den Luv-Bug!»
        Bolitho sah, da? der Wachoffizier eine Eintragung uber die erste Sichtmeldung des Tages in das Logbuch machte. Weit hinter der Korvette wurde Kapitan Rowley Peel auf seiner Relentless eifrig den sich langsam aufhellenden Horizont absuchen. Sooft er an den hart errungenen Sieg der Styx dachte, wunschte er bestimmt fur sich und sein Schiff eine ahnliche Chance herbei. Er war sechsundzwanzig, und das war auch schon alles, was Bolitho uber ihn wu?te. Bis jetzt.
        Auf der Lee-Laufbrucke horte man Fu?getrampel. Ein bulliger Bootsmannsmaat bewegte sich schwerfallig nach achtern und beugte sich zu dem Offizier hinab, der gerade dabei war, das Logbuch wieder in seine Segeltuchhulle einzuschlagen.

«Verzeihung, Mr. Speke, Sir. Im unteren Batteriedeck hat es eine Keilerei gegeben. Ein Mann hat einen Unteroffizier mit einem Schemel niedergeschlagen.»
        Speke, der Zweite Offizier, war laut Herrick ein tuchtiger Offizier, aber mit der Neigung, zu rasche Entschlusse zu fassen.
        Jetzt erwiderte er scharf:»Gut, Jones. Melden Sie es dem Wachtmeister,
{»master-at-arms«= der (meist recht unbeliebte) Bordpolizist im Range eines Deckoffiziers (Anm. d. Ubers.)} ich werde es fur den Ersten Offizier ins Logbuch eintragen. Wer ist es ubrigens?»
        Irgendwie - es gab dafur keine vernunftige Begrundung - wu?te Bolitho schon, wer es war.

«Babbage, Sir. Von Mr. Pascoes Division. «Und als ware es ihm eben noch eingefallen, fugte er grob hinzu:»Er hat den Unteroffizier krankenhausreif geschlagen, Sir. Den Schadel gespalten hat er ihm!»
        Speke nickte bedeutungsvoll.»Das war's, Jones. Gehen Sie zu Mr. Swale. Melden Sie ihm, da? wir eine Strafgrating auftakeln mussen.»
        Bolitho wandte sich zum Niedergang. Der Appetit auf ein Fruhstuck war ihm vergangen.
        Es war schon schlimm genug, hier auf der Suche nach dem Feind herumzukreuzen, zu kampfen und - falls notig - zu sterben. Nun au?erdem eine Prugelstrafe zu vollziehen, wurde ihnen kein bi?chen weiterhelfen.

«Haben Sie neue Befehle fur mich, Sir?«Herrick stand, den Hut unter den Arm geklemmt, im Turrahmen. Sein abgetragener Bordmantel pa?te nicht recht in die neu moblierte Kajute.
        Bolitho lauschte in die gro?e Stille, die das Schiff und seine sechshundertundzwanzig Manner und Knaben umfangen hielt. Es war fast Mittag. Der Himmel war immer noch frei von Regenwolken, aber in den unteren Decks war die Luft feucht und muffig wie im Winter. Weder von der Fregatte noch von der Korvette war bisher irgend etwas gemeldet worden, mit Ausnahme eines schnellen Schoners, der sich eilends davongemacht hatte. Ein Seerauber, Schmuggler oder nur ein harmloser Frachter, der moglichen Schwierigkeiten aus dem Wege gehen wollte?
        Bolitho sah seinen Freund an und wu?te genau, was ihn bedruckte. Herrick hatte das nicht verdient, dachte er. Es war seine Idee gewesen, den Ratschlag zu mi?achten, den die Brigg uberbracht hatte. Sein Plan war es, ihren Platz zu wechseln, damit sie dem Feind auf offener See begegneten. Es war ungerecht, da? er nun auch noch diese neue Sorge auf der Seele hatte.
        Mit sanfter Stimme fragte Bolitho:»Kann ich helfen, Thomas? Es ist diese Bestrafung, die Sie bedruckt, habe ich recht?»
        Herrick starrte ihn an.»Aye, Sir. Der junge Adam war Babbage wegen bei mir. Er nimmt die Schuld auf sich und wird mich fur einen blutdurstigen Tyrannen halten, wenn ich nicht eingreife.»

«Sie wissen uber Babbage Bescheid?»
        Herrick nickte.»Ich wei? es jetzt, Mr. Wolfe hat es mir erzahlt. «Er schaute zur Decke und fugte hinzu:»Ich mache ihm naturlich keinen Vorwurf. Er halt es fur seine selbstverstandliche Pflicht, solche Dinge von seinem Kommandanten fernzuhalten. «Er versuchte ein Lacheln.»Wie ich es fruher auch bei Ihnen tat.»

«Das habe ich mir gedacht.»
        Herrick sagte:»Ich habe den ganzen Vorfall uberpruft. Der Unteroffizier hat Babbage provoziert, wahrscheinlich ohne es zu wissen. Bab-bage ist ein Waisenkind, was die Sache noch schlimmer macht.»
        Bolitho nickte. Kein Wunder, da? sein Neffe erregt war. Er selbst war auch Waise.

«Wir sind in die Sache mit hineingezogen, Thomas.»

«Aye, Sir. Das ist das Ungluck. Bei jedem anderen Mann wurde ich keinen Augenblick zogern. Aber Schuld oder nicht Schuld: Ich kann nicht zulassen, da? meine Unteroffiziere niedergeschlagen und fast getotet werden. Ich hasse die Prugelstrafe, wie Sie genau wissen, Sir, aber solche Dinge konnen nicht geduldet werden.»
        Bolitho stand auf.»Mochten Sie, da? ich an Deck komme? Meine Anwesenheit konnte beweisen, da? es nicht einfach eine Laune, sondern eine dienstliche Notwendigkeit ist.»
        Herricks blaue Augen blickten fest geradeaus.»Nein, Sir, dies ist mein Schiff. Wenn etwas falsch gemacht wurde, hatte ich selber es sehen mussen.»

«Was, in aller Welt, sagen Sie da?«Bolitho lachelte leicht.»Es ehrt Sie, da? Sie sich in einem Augenblick wie diesem Sorgen um einen einzelnen machen.»
        Herrick ging zur Tur.»Werden Sie mit Adam sprechen, Sir?»

«Er ist mein Neffe, Thomas, und steht mir sehr nahe. Aber wie Sie mir damals sagten, als ich meinen Kommodore-Stander auf Ihrer alten Lysander setzte: er ist einer von Ihren Offizieren.»
        Herrick seufzte.»In Zukunft werde ich es mir zweimal uberlegen, bevor ich solch eine Bemerkung vom Stapel lasse.»
        Die Tur schlo? sich, und durch eine andere trat Yovell, der Schreiber, mit einem seiner Aktendecke l ein.
        Als die Bootsmannsmaatenpfeifen durch die Decks schrillten, und die Maate» Alle Mann! Alle Mann nach achtern zu einem Strafakt «riefen, sah Yovell zum Skylight empor und murmelte:»Soll ich das Oberlicht schlie?en, Sir?»

«Nein!»
        Sie hielten alle zusammen, wollten ihn abschirmen von einer Welt, die ihm seit seinem zwolften Lebensjahr vertraut war.

«Bereiten Sie sich auf neue Befehle fur das Geschwader vor. Wir werden heute nachmittag Kurs andern und auf unsere Station zuruckkehren.»
        Er horte Herricks Stimme wie durch Watte, aber langsam und klar, wie der Mann selber.
        Er merkte, da? sich seine Bauchmuskeln spannten, und wu?te, da? Yovell ihn beobachtete.
        Ein Trommelwirbel, und dann horte man den ersten Schlag wie einen Pistolenschu? auf den nackten Rucken des Mannes klatschen. Bolitho sah die Szene so deutlich vor sich, als ware er mit an Deck: die finsteren Gesichter ringsum und das Schiff, das sie immer weitertrug, wahrend die Bestrafung fortgesetzt wurde.
        Beim dritten Schlag der Peitsche horte er Babbage schreien, wild und schrecklich wie eine Frau in Todesqual.
        Ein neuer Schlag.
        Yovel stammelte:»Gott sei uns gnadig, Sir, er halt es nicht aus.»
        Zwei Dutzend Schlage war das mindeste fur Babbages Vergehen. Viele Kommandanten hatten hundert oder noch mehr verhangt. Herrick war an der unteren Grenze geblieben, um das Opfer zu schonen, aber ohne die Autoritat des Unteroffiziers zu untergraben, wenn er wieder zum Dienst kam.
        Ein neuer Schlag.
        Bolitho stand abrupt auf, die schrecklichen Schreie drangen ihm wie Messer in die Ohren.
        Die Trommel schlug jetzt unregelma?ig, und irgend jemand rief Befehle, welche die Ordnung wiederherstellen sollten.
        Und dann horte Bolitho einen anderen Schrei, von weit weg, aus schwindelnder Masthohe.

«Lookout setzt Signal, Sir!»
        Bolitho nahm wieder Platz, aber sein Herz schlug gegen die Rippen, und seine Finger krampften sich um die Armlehne. Das Schreien ging weiter, obwohl die Schlage aufgehort hatten.
        Es kostete ihn physische Anstrengung, ruhig sitzenzubleiben. Er sagte:»Nun erklaren Sie mir kurz, welche Schriftstucke ich unterschreiben soll.»
        Yovell schluckte.»Hier, Sir. «Er legte die Segeltuchhulle mit den sorgfaltig geschriebenen Briefen auf den Tisch.
        Bolithos Augen wanderten uber die runden Buchstaben, sahen aber nur die kleine Korvette, die ihre Signalflaggen hi?te, mit denen sie zweifellos eine Meldung von der Relentless wiederholte.
        Es klopfte, und Browne trat vorsichtig ein.

«Signal von der Relentless, Sir: funf Segel im Nordwesten.»
        Bolitho erhob sich.»Vielen Dank. Halten Sie mich auf dem laufenden. «Als der Flaggleutnant sich zum Gehen wandte, fragte er:»Was ging an Deck vor?»
        Browne sah ihm direkt ins Gesicht.»Der Delinquent konnte den Schmerz nicht ertragen, Sir. Nach funf Schlagen bat der Schiffsarzt den Bootsmannsmaaten, so lange einzuhalten, bis er ihn untersucht hatte. «Er lachelte kurz. Babbage kann sich beim Ausguck bedanken, da? der seine Augen offenhielt. Er ist ein Gluckspilz.


«So kann man es auch sehen. «Bolitho fa?te einen Entschlu?.»Ich werde mit Ihnen an Deck gehen. «Er schaute sich nach seinem Hut um, als Ozzard auch schon damit erschien.
        Zusammen traten sie unter der Hutte hervor in den schneidend kalten Wind.
        Die Grating, an der Babbage wahrend des Strafaktes gehangen hatte, war noch an der Laufbrucke festgelascht. Ein Mann der Wache wischte gerade dunkle Blutstropfen weg.
        Herrick schritt auf sie zu, das runde Gesicht eine einzige Frage.
        Bolitho lachelte.»Ich komme nur hoch, um mehr uber die funf Segel zu erfahren. «Er sah, da? die Spannung aus Herricks Zugen wich.»War es schlimm?»

«Ziemlich. Ich hatte es ohnehin abgebrochen. «Herrick wandte sich ab, um das Wiederholungssignal zu beobachten, das fur die anderen Schiffe an der Besanrah gehi?t wurde. Die Flaggen wehten nach Steuerbord voraus aus.
        Er sagte:»Die funf Schiffe, wer sie auch sein mogen, haben die
        Luvposition, Sir.»
        Bolitho nickte beruhigt. Herricks nuchterner Verstand, seine berufsma?ige Registrierung aller Einzelheiten hatte wieder die Oberhand.
        Er sagte:»Es wird fast zwei Stunden dauern, bis wir Naheres ausmachen konnen. Lassen Sie die Leute essen, bevor wir >Klar Schiff zum Gefecht< anschlagen.»
        Herrick sah ihn grimmig an.»Sie glauben tatsachlich, da? es Ro-pars' Geschwader ist, Sir?»
        Loveys, der bleichgesichtige Schiffsarzt, kam nach achtern, um uber Babbages Zustand zu berichten. Er sah selber wie der wandelnde Tod aus.
        Bolitho fragte:»Glauben Sie's nicht, Thomas?»
        Herrick zog eine Grimasse.»Ich hatte nie gedacht, da? ich einmal das Insichtkommen eines Feindes begru?en wurde. Aber nach diesem Auftritt mache ich eine Ausnahme.»
        Bolitho horchte auf das Getrappel eiliger Fu?e und vermutete, da? Herricks Ausguckposten endlich die anderen Schiffe gesichtet hatte. Er schluckte eine weitere Tasse starken Kaffees hinunter und warf Allday einen vorwurfsvollen Blick zu, als er Brandy darin schmeckte.

«Sie wissen doch, da? ich in solchen Augenblicken nie Alkohol trinke!»
        Allday blieb unbewegt.»Bisher waren wir auch in warmeren Zonen, Sir. Dies gibt Ihnen Kraft.»
        Der Posten rief durch die Tur:»Fahnrich der Wache, Sir!»
        Es war Aggett, der alteste >junge Herr< der Benbow.
        Bolitho sah ihn so ruhig an, wie es ihm moglich war.

«Meldung von Mr. Browne, Sir. Wir haben soeben ein weiteres Signal von der Relentless bekommen.»
        Bolitho sagte geduldig:»Schon, Mr. Aggett, aber ich kann leider keine Gedanken lesen!»
        Der Junge errotete.»Acht fremde Segel im Nordwesten, Sir.»
        Bolitho verdaute diese neue Nachricht. Es waren also acht. Ihre Chancen verschlechterten sich.
        Er sagte:»Empfehlung an den Flaggleutnant, er mochte ein Signal an Lookout zur Weitergabe an Relentless machen: >Erkunden Sie weiteres uber die gesichteten Schiffe, und machen Sie Meldung an den Admiral         Allday nahm den alten Sabel herunter und wartete, da? Bolitho den Arm hob, damit er ihn am Koppel einhaken konnte.

«Der pa?t besser zu Ihnen, Sir.»
        Bolitho reichte Ozzard die leere Tasse.»Sie sind sentimental, All-day. «Nachdem er noch einen schnellen Blick durch die Heckfenster geworfen und sich vergewissert hatte, da? Wind und Beleuchtung unverandert waren, ging er an Deck.
        Die Signalgasten schufteten wie die Teufel, Flaggen jagten zur Rah hoch und wieder herunter, Wiederholungen, Verstanden-Meldungen, Fragen. Er stellte abermals fest, da? diese Fachleute den au?erlich unbeteiligten Browne offenbar mochten und anerkannten.
        Browne ubersah nichts. Vielleicht hatte Inskip recht, da? er einen Platz in Whitehall oder im Parlament verdiente.
        Ein Steuermannsmaat gab ein hoflich warnendes Rauspern von sich, und Herrick wandte sich um, seinen Vorgesetzten zu begru?en.

«Haben Sie es gehort, Sir? Ich habe den Sechsten Offizier mit seinem Fernglas auf die Gro?bramsaling geschickt. Die anderen Schiffe sind in Sicht. Acht, soweit wir bisher wissen, aber noch nicht auszumachen, wie gro? sie sind.»
        Browne rief:»Von Lookout, Sir: Feind in Sicht!»
        Bolitho sah ihn unbeweglich an.»Machen Sie >Verstanden<. Danach: >Befehl an alle: Klar Schiff zum Gefecht         Er achtete nicht auf die plotzliche Erregung ringsum, auf das geschaftige Quietschen der Flaggleinenblocke, sondern sagte zu Herrick:»Sie hatten recht, Thomas.»
        Herrick grinste.»Nur wei? ich nicht, ob ich mich daruber freuen soll.»
        Wolfe tippte an seinen Hut und fragte drangend:»Darf >Klar Schifft angeschlagen werden, Sir?«»Aye. Fangen wir damit an.»
        Sobald die Trommeln alle Mann auf ihre Klarschiffstationen riefen, quollen Matrosen und Seesoldaten wie eine Flutwelle aus den Luken und Niedergangen hervor. Sie hatten schon darauf gewartet, und die meisten merkten nichts von den bangen Ahnungen ihres Kommandanten oder den Zweifeln ihres Admirals.
        Bolitho horte, wie die Vorhange im Achterschiff abgenommen und alle Hindernisse, seien es Seekisten oder Mobelstucke, nach unten in die Raume unter der Wasserlinie getragen wurden. Das gehorte dazu, um das Schiff in volle Gefechtsbereitschaft zu versetzen. Das untere Batteriedeck war jetzt ein einziger gro?er Raum, vom Bug bis zum Heck an jeder Seite mit Kanonen bestuckt. Die Zweiunddrei?iger waren schon bemannt, ihre Zurrings gelost, wahrend die Schiffsjungen rundherum, auch um die Beine der Bedienungsmannschaften, Sand ausstreuten. Auf dem oberen Batteriedeck, wo die Achtundzwanzig-pfunder standen, zur Halfte von den Laufbrucken abgedeckt, die Vor-und Achterschiff an beiden Seiten miteinander verbanden, war man ebenso geschaftig.
        Bolitho beobachtete die Geschutzbedienungen auf dem Achterschiff, die sich wie bei ihrem taglichen Exerzieren bewegten. Sie uberholten die Taljen der Neunpfunder und legten sich ihre Werkzeuge so sorgsam zurecht wie Chirurgen vor der Operation, wahrend die Seesoldaten sich wie eine feuerrote Raupe zwischen ihnen hindurch zur Hutte und Back wanden. Von den Seesoldaten wurden die Gefechtsstande in den Masten und die weniger beliebten Posten vor den Luken besetzt, wo sie zu verhindern hatten, da? Verangstigte sich nach unten verdruckten.
        Solche Vorkehrungen waren notwendig, denn es kam vor, da? Neulinge durch das furchterliche Krachen der Artillerie und die schrecklichen Kampfszenen den Verstand verloren und versuchten, in den Tiefen des Schiffsleibes Zuflucht zu finden.
        Er horte Wolfe argerlich ausrufen:»Verdammt, Mr. Speke. Die In-domitable war schneller als letztes Mal. Sie hat uns geschlagen!»
        Browne meldete:»Von Relentless, Sir. «Er schielte auf die Merktafel des Fahnrichs. Funf Linienschiffe, zwei Fregatten und ein Transporter.»
        Bolitho lie? sich ein Teleskop von einem Steuermannsmaaten geben und kletterte in die Wanten. Dabei war er sich bewu?t, da? die nachststehenden Geschutzbedienungen ihn genau beobachteten. Von einem Mann in feinem Mantel mit glitzernden Epauletten erwarteten sie mehr als von ihresgleichen.
        Er wartete und stutzte sein Glas gegen die vibrierenden Webeleinen, bis die Benbow sich trage auf einer langen See, die diagonal unter ihrem Kiel hindurchlief, erhob, bevor sie wieder in das nachste Wellental hinabsank.
        In diesen Sekunden sah Bolitho den Feind zum ersten Mal. Nicht nur als ein paar dunkle Segel vor einem truben Himmel, sondern als Schiffe. Er zweifelte nicht, da? der franzosische Befehlshaber ihn ebenfalls beobachtete.
        Sechs gro?e Schiffe in zwei Kolonnen. Das zweite der Luvkolonne fuhrte die Flagge eines Vizeadmirals. Wenn es fur Bolitho noch irgendwelche Zweifel gegeben hatte, jetzt waren sie verflogen.
        Hinter den beiden Kolonnen standen die Fregatten. Wahrscheinlich warteten sie dort - frei vom Geschwader abgesetzt - , bis sie Bolithos Starke, vor allem an Fregatten, erkannt hatten.
        Er rief:»Ich schatze, da? sie Kurs Sudost steuern, Captain Herrick.»
        Herrick antwortete ebenso formlich:»Das ist auch meine Ansicht,
        Sir.»
        Bolitho wartete, bis der nachste Roller den machtigen Leib der Ben-bow anhob, und suchte dann nach dem Transporter. Es war wohl das letzte Schiff in der Lee-Kolonne, entschied er. Das war der beste Platz, um sich abzusetzen oder in den Schutz der Fregatten zu begeben, wenn es befohlen wurde. Was mochte er wohl geladen haben? Gewi? keine Vorrate, eher einige von Napoleons Elitetruppen, Manner, die das Wort Niederlage kaum kannten. Der Zar von Ru?land wurde sicherlich einige ihrer Ratschlage gebrauchen konnen, bevor er sich in die allgemeine Kriegsarena wagte. Moglicherweise waren es auch Truppen, die die gekaperten britischen Handelsschiffe bewachen sollten. Gut, dachte Bolitho grimmig, wie der Tag auch ausgehen mochte: diese Schiffe waren vor Ropars nun in Sicherheit. Au?erdem hatte die Tat der Styx vielleicht die Schweden und Preu?en weniger geneigt gemacht, die Ziele des Zaren zu unterstutzen.
        Er kletterte hinunter an Deck und sah Midshipman Penels zu sich hinuberschielen wie jemand, uber den ein Todesurteil gefallt worden war.

«Na, Penels, kommen Sie mal her!»
        Der Junge eilte gehorsam herbei, begleitet vom Lacheln einiger Seeleute, als er in seinem Eifer uber einen Ringbolzen stolperte.

«Heute war ein schlechter Tag fur Sie, scheint es. «Bolitho sah den Jungen unter seinem scharfen Blick zuruckweichen. Zwolf Jahre alt, kein Vater, auf See geschickt, um ein Offizier des Konigs zu werden.
        Die Sache mit seinem Freund Babbage ging ihm bestimmt zu Herzen.
        Penels kampfte mit den Tranen.»Er war mir ein guter Freund, Sir. Nun wei? ich nicht, was ich sagen soll, wenn ich ihn das nachste Mal sehe.»
        Bolitho dachte an Wolfes gleichgultige Feststellung der Tatsachen. An Penels' Mutter, die sich einem anderen Mann zugewandt hatte. Wei? Gott, Seemannsfrauen hatten viel zu ertragen. Aber Penels war nur gekleidet wie ein angehender Offizier. Er war noch ein Junge, ein
        Kind.
        Bolitho sagte beruhigend:»Mr. Pascoe hat getan, was er konnte. Vielleicht braucht Babbage Ihre Hilfe jetzt mehr denn je. Ich nehme an, in der Vergangenheit war es umgekehrt?»
        Penels starrte ihn sprachlos an. Da? sein Admiral sich um ihn kummerte, mu?te ihm unglaubhaft vorkommen. Da? er au?erdem mit seiner Annahme uber Babbage recht hatte, war noch erstaunlicher.
        Er stammelte:»Ich - ich werde es versuchen, Sir.»
        Wolfe tippte ungeduldig mit einem gro?en Fu? aufs Deck, und als Penels wieder auf seinen Posten an Steuerbord eilte, bellte er:»Helfen Sie dem Flaggleutnant, Mr. Penels. Obwohl ich mich sicherer mit einem Franzosen fuhlen wurde als mit Ihnen, Gott verdammmich!«Dabei zwinkerte er Leutnant Speke zu.
        Der alte Ben Grubb schneuzte sich gerauschvoll und brummte:»Stetiger Wind, Sir. Westlich mit kaum einer Abweichung. «Er guckte nach dem Halbstundenglas im Kompa?haus und fugte hinzu:»Nicht mehr lange, wurde ich sagen.»
        Bolitho sah Herrick an und hob die Schultern. >Nicht mehr lange bis wann?< fragte er sich. Fruhe Dunkelheit, Sieg oder Tod? Dem Master machte es anscheinend Spa?, solch kryptische Bemerkungen fallenzulassen. Eine seiner machtigen Fauste steckte in der Tasche seines abgetragenen Wachmantels, und Bolitho dachte, da? er darin wohl seine Batteriepfeife hielt, mit der er sie bis in die Holle pfeifen wurde, falls erforderlich.
        Herrick war nicht so wohlmeinend.»Grubb wird alt, Sir. Er sollte irgendwo an Land sitzen mit einer guten Frau, die fur ihn sorgt.»
        Bolitho schmunzelte.»Thomas, seit Sie verheiratet sind, konnen Sie es wohl nicht lassen, Plane fur das Leben anderer zu schmieden?»
        Allday, der an der Nagelbank des Gro?mastes lehnte, fuhlte sich erleichtert. In solchen Augenblicken, in denen er Bolitho beobachtete, wog er immer seine eigenen Chancen ab. Jetzt beobachtete er uber die Luv-Laufbrucke hinweg die anderen Schiffe, den Feind. Beide Geschwader bewegten sich wie die Flugel einer gro?en Pfeilspitze aufeinander zu, wobei der Wind in der Richtung des zugehorigen Pfeilschaftes wehte. Aber die Franzosen hatten die Luvposition und waren zahlreicher. Er wandte sich um und beobachtete die Manner um sich herum. Die alten Hasen uberpruften noch einmal ihr Gerat: Steinschlosser und Pulverhorner, Schwamme und Ansetzer, Schraubenspindel und Pricker, obwohl sie das bereits mehrmals getan hatten. Und wenn sie fertig waren, wurden sie noch einmal damit anfangen. Sie hatten das alles schon oft erlebt. Die langsame, drohende Annaherung, das Gewirr von Segeln und Masten, das sich allmahlich zu Formationen und einzelnen Schiffen aufloste. Es kostete Nerven, dazustehen und auf das unvermeidliche Ende zu warten.
        Die neuen Leute sahen es mit anderen Augen. Aufregung war bei ihnen mit Furcht gemischt. Und dann die Erwartung, endlich zu kampfen, statt endlos und knochenbrechend zu exerzieren.
        Etwas abgesetzt von den Geschutzbedienungen und von den Matrosen, die fur die Segelmanover wahrend des Gefechtes bereitstanden, gingen die Unteroffiziere noch einmal ihre Namenslisten durch und uberpruften ihren eigenen Aufgabenbereich. Hier und da sah man zwischen den Reinen der Geschutze wie blauwei?e Farbtupfer die Uniformen der Offiziere, Deckoffiziere und Midshipmen. Im unteren Batteriedeck, wiederholte sich das Bild, aber dort war es hinter den noch geschlossenen Stuckpforten unheimlich dunkel.
        Leutnant Marston von den Seesoldaten war vorn und sprach mit den Bedienungen der beiden gro?en Karronaden. {Gro?kalibrige Kartatsche mit geringer Reichweite, aber verheerender Wirkung auf die gegnerische Besatzung} Allday sah noch den Leutnant der Seesoldaten von der Styx vor sich, wie er mit dem Kopf in den blutenden Handen dagesessen hatte, weil er von herumfliegenden Splittern in die Augen getroffen worden war.
        Major Clinton stand mit Sergeant Rombilow ganz achtern und zeigte mit seinem schwarzen Stock auf das schwenkbare Geschutz im Besantopp. Allday hielt alle Seesoldaten fur ein wenig verruckt. Clinton bildete keine Ausnahme. Immer wenn das Schiff gefechtsbereit gemacht wurde, fuhrte er seinen Stock mit sich, wahrend eine Ordon-
        nanz seinen Sabel wie ein Schildknappe sorgsam hinter ihm hertrug.
        Allday beobachtete Pascoe, der im Vorschiff langsam hinter seinen Kanonen auf und ab ging. Wenn die Schiffe auf dem gleichen Kurs weiterliefen, wurden seine Geschutze als erste den Feind unter Feuer nehmen. Wie er doch Bolitho ahnelte. Er dachte plotzlich an Babbage, an das widerliche Schauspiel, als er sich unter den Peitschenhieben gekrummt und geschrien hatte. Sogar der Bootsmannsmaat, der die
>neunschwanzige Katze< schwang, war durch diesen Ausbruch geschockt gewesen.
        Nach Bolitho hatte Allday fur Pascoe alles getan. Sie hatten zusammen gelebt, gekampft und gelitten, und wenn Babbage die Ursache fur Pascoes besorgte Miene war, dann war das fur Allday Grund genug, ihn zu hassen.
        Das Schiff war bereit zur Schlacht. Allday kummerte sich nicht darum, ob sie recht oder unrecht hatten oder was der Anla? war, der die ganze Welt in den Krieg zog. Man kampfte fur die, um die man sich sorgte, fur das Schiff, auf dem man stand, und fur wenig mehr.
        Die Gro?en und Machtigen sollten ihren Portwein trinken und ihre Vermogen verspielen, dachte Allday, aber dies hier war seine Welt, so lange sie bestand. Und wenn Pascoes Gedanken auch nur zum Teil durch die Probleme eines Narren abgelenkt wurden, so befand er sich in gro?erer Gefahr als alle ubrigen.
        Bolitho beobachtete seinen Bootssteurer und fragte Herrick leise:»Sehen Sie ihn, Thomas? Ich kann von hier aus fast seine Gedanken lesen.»
        Herrick folgte Bolithos Blickrichtung und antwortete.»Aye, Sir. Er ist ein guter Mann, obwohl er sich eher in die Zunge bei?en, als Ihnen zustimmen wurde.»
        Die Luft hallte von plotzlichem Kanonendonner wieder. Wolfe sagte:»Die Franzmanner probieren ein paar Schusse gegen die Relent-less, scheint mir, Sir.»
        Herrick sah Bolitho an.»Ich werde sie und die Lookout auf unsere Leeseite zuruckholen, Sir. Sie haben ihre Aufgabe erfullt.»
        Bolitho sah ihn mit Browne sprechen, wahrend die Signale an die Flaggleinen angesteckt wurden. Herrick hatte viel hinzugelernt, seit er damals zum Flaggkapitan der Lysander ernannt worden war. Er war selten unschlussig, und wenn er sich zu etwas entschlossen hatte, dann stand dahinter das ganze Gewicht seiner Uberzeugung.
        Browne rief:»Sie haben >verstanden< gezeigt, Sir.»
        Herrick fragte:»Was, meinen Sie, werden die Franzosen tun, Sir?»

«Wenn wir die Fregatten einstweilen aus dem Spiel lassen, wird Ropars sich mit seinem ganzen Gewicht auf uns werfen. Wenn ich Ropars ware, wurde ich eine einzige Linie bilden, anderenfalls sind wir beim ersten Zusammensto? vier gegen drei. In einer einzigen Schlachtlinie aber waren die Chancen funf zu vier gegen uns.»
        Herrick sah ihn hoffnungsvoll an.»Sie haben doch nicht vor, ihm diesen Ratschlag zu geben, Sir?»

«Nein.»
        Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Selbst wenn er es so macht, werden wir die feindliche Linie an zwei Stellen durchbrechen.»
        Wolfe sagte:»Die Franzmanner gehen in Kiellinie, Sir. «Er grinste voll Bewunderung.»Und es scheint, da? sich der Transporter hinter das Geschwader zuruckfallen la?t.»
        Bolitho vernahm ihn kaum.»Wir werden in zwei Kolonnen angreifen. Benbow und Indomitable bilden die erste, Nicator und Odin die zweite, beide jeweils in Kiellinie. Sagen Sie Brownes Leuten, da? sie die entsprechenden Signalflaggen bereithalten.»
        Er wandte sich ab und richtete sein Fernglas auf die franzosische Linie. Sie war noch ungeordnet, aber er stellte sogleich fest, da? das Flaggschiff auch in der Kiellinie den zweiten Platz hielt: Vielleicht, um Bolithos Taktik zu studieren, bevor er selber handelte. Oder vielleicht uberlie? er es einem seiner Kommandanten, den ersten Anprall der Schlacht aufzufangen.
        Er ging nach achtern um die Ruderganger herum und schaute in Grubbs Karte, die auf einem kleinen Tisch unterhalb des Huttenuberhangs befestigt war. Damit ersparte sich Grubb die Muhe, seine Korpermasse bis in den Kartenraum zu bewegen.
        Wie es schien, befanden sich die beiden Geschwader in einem uferlosen Ozean, und doch lag keine funfzig Meilen entfernt im Nordosten die norwegische und noch etwas weiter weg im Sudosten die danische Kuste, dazwischen eingebettet das Skagerrak.
        Bolitho fragte sich plotzlich, was Inskip jetzt wohl machte und ob es wirklich der Kronprinz war, den er getroffen hatte.
        Dann verbannte er alle diese Gedanken.

«Wir wollen Kurs andern, Captain Herrick. Das Geschwader geht auf Nordost zu Ost.»
        Er stellte sich hinter die geschaftige Achterdeckswache und beobachtete die Relentless, die Segel wegnahm, um sich auf Parallelkurs und in gleicher Hohe mit dem Geschwader zu halten, hinter ihr Loo-kout wie ein Junges.
        Die franzosischen Schiffe anderten weder Kurs noch ein einziges
        Segel.
        Herrick musterte die eigene Leinwand, sobald die Rahen zur Ruhe gekommen waren, und bemerkte:»Das wird ihnen einige Ratsel aufgeben, Sir.»
        Bolitho beobachtete das fuhrende franzosische Schiff. Es war fast genauso gro? wie die Benbow und jetzt schon dabei, seine Kanonen auszutrennen. Fur die franzosischen Seeleute mu?ten die Chancen schlecht aussehen, dachte er. Sie hatten zu lange im Hafen gelegen, um die Nerve nbelastung dieser langsamen Annaherung zu ertragen. Ihre Offiziere wurden sie beschaftigen mussen, und so gaben sie vielleicht ein paar Schusse ins Blaue ab, um in rechte Kampfstimmung zu geraten.
        Grubb sagte trocken:»Zwei Meilen, Sir. Wir machen sie in einer halben Stunde fertig. «Dann klopfte er mit einem seiner dicken Finger an die Sanduhr.
        Plotzlich ein dumpfer Knall, und Sekunden spater scho? Backbord voraus, aber weit entfernt eine dunne Wassersaule hoch.
        Ein paar Matrosen lachten hohnisch, und einige der alteren Leute schauten fragend nach achtern, ob es nun auch ihrerseits losging.

«Lassen Sie bitte laden und ausrennen. Sagen Sie Ihren Geschutzbedienungen, da? wir heute mit beiden Seiten ins Gefecht kommen, aber die Steuerbord-Pforten bleiben geschlossen, bis wir mitten im Feind sind.»
        Bolitho begab sich auf die andere Seite des Achterdecks. Obwohl er zwischen Geschutzbedienungen und Seesoldaten, Offizieren und Laufern stand, war er doch vollig allein.
        Das franzosische Geschwader war starker, aber er hatte schon schlechtere Krafteverhaltnisse erlebt. Was seinen Schiffen an Kanonen und Mannern fehlte, machten sie an Erfahrung gut. Die beiden Linien bewegten sich auf einen imaginaren Punkt im grauen Wasser zu, als ob sie von unsichtbaren Faden dorthin gezogen wurden.
        Bolitho fa?te den Griff seines abgenutzten Sabels.
        Fast zu sich selber sagte er:»Wir wollen uns auf das franzosische Flaggschiff werfen. Sie sind alle weit weg von zu Hause. Wenn Ro-pars' Flagge sinkt, werden die ubrigen sich schnell zerstreuen.»
        Das franzosische Spitzenschiff, ein Vierundsiebziger, verschwand fur einen Augenblick hinter einer wogenden Mauer von Pulverqualm. Grubb sagte zu seinem Steuermannsmaaten:»Notieren Sie im Logbuch, Mr. Daws: >Feind hat das Feuer eroffnet<.»



        VIII Ausgetrickst

        Bolitho beobachtete den Abschu? der Breitseite des franzosischen Spitzenschiffes. Es hatte auf viel zu gro?e Entfernung gefeuert, daher vermutete er, da? der Kommandant diese Salve mehr zur Eingewohnung benutzte. Sicherlich hatten seine Geschutzbedienungen bisher wenig Gelegenheit gehabt, auf einen Feind zu zielen.
        Fur die britischen Seeleute - mochten sie sonst schimpfen und fluchen, was das Zeug hielt - sprach, wenn es zum Kampf kam, die gro?ere seemannische Erfahrung; sie zahlte sogar mehr als die Anzahl der Geschutze.
        Er konnte sich nicht erinnern, jemals gesehen zu haben, wie eine gesamte Breitseite vor ihm ins Wasser schlug. Es war wie ein unterseeischer Vulkanausbruch, der eine breite und unregelma?ige Wand aus Gischt und Rauch emporschleuderte. Selbst als die letzte Kugel langst verschwunden war, kochte die See noch und zeigte auf ihrer Oberflache gro?e wei?e Placken zischenden Salzes.
        Herrick bemerkte trocken:»Was fur eine Verschwendung von Pulver und Blei!»
        Einige Herumstehende nickten. Wolfe meldete:»Sie verkurzen Segel, Sir!»
        Herrick befahl:»Machen Sie es ebenso, Mr. Wolfe.»
        Bolitho entfernte sich von ihnen. Es war das ubliche Manover, wenn feindliche Flotten auf Angriffskurs gingen. Da brauchte man nur genug Segelflache, da? man gerade noch Fahrt voraus machte und manovrieren konnte, aber nicht so viel, da? ein Feuer uberflussige Nahrung fand. Ein gluhendhei?er Ladepfropfen, eine durch einen Treffer umgesturzte Lampe, jeder beliebige Funke konnte diese herrliche Pyramide von Segeln in ein brullendes Inferno verwandeln.
        Bolitho beobachtete die plotzliche Bewegung auf dem Oberdeck, als die Befehle ausgefuhrt und die Gro?segel aufgegeit wurden. Im langsam vorankommenden britischen Geschwader folgten alle Schiffe dem Beispiel und machten sich kampfbereit.
        Und immer noch bewegten sich die beiden Linien erbarmungslos aufeinander zu. Das zweite franzosische Schiff, das Ropars' Flagge im Fockmast fuhrte, feuerte einige Probeschusse von den verschiedenen Decks. Sie lagen erheblich naher als die erste eindrucksvolle Breitseite. Bolitho verfolgte den Weg einer Kugel, die flach durch die Wellenkamme strich und dabei eine Spur von aufspritzendem Gischt zog, bis sie schlie?lich voll ins Wasser einschlug und verschwand.
        Bolitho sagte zu Browne:»Wenn wir den Kampf beginnen, geben Sie ein Signal fur die Relentless: >Greifen Sie die feindliche Nachhut an.< Die Lookout werde ich bei uns behalten, damit die Franzosen etwas zum Nachdenken haben.»
        Irgend jemand lachte mit kurzen nervosem Ton. Wahrscheinlich einer von den neuen Leuten. Der plotzliche Feuersto? der Breitseite, die uberwaltigende Masse Eisen, die das Meer aufgewuhlt hatte, war zwar weniger gefahrlich gewesen als die sorgfaltig gezielten Schusse von Ropars' Flaggschiff, aber fur das Auge eines Unerfahrenen schien es umgekehrt.
        Leutnant Speke hatte das Achterdeck verlassen und wanderte, Hande auf dem Rucken, zwischen den beiden Reihen der Acht-zehnpfunder nach vorn, bis er Pascoe beim Fockmast traf.
        Einige Geschutzfuhrer beobachteten sie besorgt, wahrend hier und da ein Geschutz mit einer Handspake noch genauer auf den Feind gerichtet oder mit einem Keil eine kleine Hohenberichtigung vorgenommen wurde. Es schien, als stunde das ganze Schiff unter Hochspannung; als das hart angebra?te Vormarssegel zwei scharfe, ungeduldige Flugelschlage von sich gab, fuhr ein Schiffsjunge erschreckt zusammen.
        Bolitho wandte sich um, als das fuhrende franzosische Schiff abermals feuerte. Diesmal lagen die Einschlage viel besser, und der Gischt fiel so nahe bei ihnen nieder, da? es sich wie ein tropischer Regengu? anhorte.
        Bolitho richtete sein Glas auf die franzosische Linie. Die funf Schiffe, alles Vierundsiebziger, arbeiteten mit ihren Segeln, geiten auf, refften ein oder wieder aus, je nachdem, was die Kommandanten unternehmen mu?ten, um ihren Platz in der Linie zu halten und gleichzeitig bereit zu sein, den Feind zu empfangen.
        Er sagte:»Andern Sie Kurs zwei Strich nach Steuerbord, Kapitan Herrick. Das Geschwader soll folgen.»
        Manner eilten an die Schoten und Brassen, und das Steuerrad wurde eilig gedreht, als hatten der Ruderganger und seine Gehilfen nur auf den Befehl gelauert.
        Grubb meldete:»Kurs liegt an, Sir. Ost zu Nord.»
        Die britische Linie hatte sich durch ihre Schwenkung leicht von dem anderen Geschwader entfernt, so da? es einen Augenblick schien, als fielen die Franzosen zuruck. Die Rahen quietschten unter dem Zug der Brassen, und der Wimpel an der Mastspitze zeigte nun fast direkt nach vorn.
        Bolitho konnte es fuhlen, wie das Schiff reagierte und mit dem Wind >unter seinen Rockscho?en< eifrig vorwartsdrangte.

«Die Franzosen haben weitere Segel gesetzt, Sir. «Herrick sah ihn fragend an.»Soll ich die Gro?segel wieder setzen?»

«Nein. «Bolitho ging drei Schritte zum nachsten Geschutz und wieder zuruck.»Sie sollen glauben, wir wollten lieber ihren Vormarsch storen als auf Schu?entfernung herankommen.»
        Er bemerkte, wie sich die Richtung der franzosischen Bramrahen veranderte, als die Schiffe weitere Segel setzten und ihre Geschwindigkeit entsprechend vergro?erten. Sie standen jetzt weniger als eine Meile auseinander.

«Halten Sie sich bereit, Mr. Browne.»
        Er versetzte sich in die Lage der Kommandanten, die im Kielwasser der Benbow folgten. Er hatte ihnen seine Taktik genau erklart, als er sie das erste Mal zur Geschwaderbesprechung versammelt hatte: ein Minimum an Signalen, ein Maximum an Initiative. Jetzt sah er sie vor sich: Keverne, Keen, den guten alten Inch. In Erwartung der einzelnen Flagge, die bereits angesteckt war. Die Franzosen konnten ihre Signale lesen, warum sollten sie also ihr Wissen mit ihnen teilen?

«Ich denke, wir sollten das Feuer eroffnen, Kapitan Herrick.»
        Bolitho sah, da? seine Worte das Batteriedeck entlang mit Gesten und von Mund zu Mund blitzschnell nach vorn weitergegeben wurden.»Keine Breitseite. Sagen Sie Ihren Geschutzfuhrern, da? sie im Hochkommen des Schiffes und nur dann schie?en sollen, wenn sie das Ziel voll im Visier haben.»
        Herrick nickte.»Aye, Sir. Das wird die Frosche {Spitzname fur Franzosen, nach der franzosischen Vorliebe fur Froschschenkel} springen lassen.
        Und sie werden keinen Wert darauflegen, in diesem Stadium von einem Zufallstreffer entmastet zu werden. Sie haben die Wahl, nach beiden Seiten auszuweichen.»
        Es war schwer zu sagen, welches Geschutz als erstes scho? und mit welchem Erfolg. Auf der feuernden Seite rollten die Kanonen mit gro?em Krach binnenbords, bis die Brocktaue sie zum Stehen brachten und die Bedienungen hinzuspringen konnten, um die noch rauchenden Rohre auszuwischen und neu zu laden. Geschutzfuhrer spahten gebuckt durch die Pforten und sahen die Segel des fuhrenden franzosischen Schiffes wie in einem Wirbelwind schlagen.
        Ein Midshipman brachte den Befehl nach unten, und Sekunden spater horte man von dort eine schrille Pfeife.
        Die Zweiunddrei?igpfunder im unteren Batteriedeck lie?en beim Rucklauf die Holzplanken erzittern, wahrend der Pulverqualm aus ihren Mundungen nach vorn trieb und sich beiderseits des Vorstevens wie eine Nebelbank ausbreitete.»Bei Gott, wir haben getroffen!»
        Eine andere Stimme schrie:»Das waren wir, Jungs! Los, rennt wieder aus, damit sie noch eine Prise zu schmecken bekommen!»
        Auch die ubrigen Schiffe der englischen Linie feuerten nun. Die Kugeln strichen flach uber die Wellen, einige fielen kurz vorm Ziel ins Wasser, andere trafen Segel oder Bordwande in einem Gemisch von Gischt und Rauch.

«Die Franzosen haben wieder Kurs geandert, Sir!«Herrick konnte seine Aufregung kaum noch verbergen.»Sie kommen auf uns zu.»
        Er zuckte zusammen, als das zweite Schiff in einer Rauchwand verschwand, aus der orangerote Zungen hervorloderten, denen ein Donnergetose folgte.
        Wasser flutete uber das Vorschiff, und unter seinen Fu?en spurte Bolitho, wie sich der massive Schiffsleib unter dem Einschlag der feindlichen Kugeln schuttelte. Funf, moglicherweise sechs Treffer, aber kein Stag, kein Want war durchschlagen.

«Wisch aus, Mann!«Ein Geschutzfuhrer mu?te einem seiner Leute einen Schubs geben, damit er seine Schrecksekunde uberwand.»Nun laden, du Rindvieh!»
        Die ganze schon gemalte Bordwand der Benbow entlang brullten die
        Kanonen und rollten nach jedem Abschu? in ihren Lafetten zuruck. Einzeln, paarweise oder in ganzen Gruppen schossen die Geschutzfuhrer, unbehindert durch den Zwang zur geschlossenen Salve.
        Jubelrufe von vorn, als die Gro?bramstenge des franzosischen Spitzenschiffes im Rauch versank. Schwarze Punkte trieben hinter den Schiffen: Trummerstucke, verbrannte Hangematten aus den Finknetzen oder vielleicht auch Leichen, die kurzerhand uber Bord geworfen wurden, damit die Kanonen weiterfeuern konnten.

«Weiter, Jungs. Gebt's ihnen!«Herrick schrie es durch die hohlen Hande. Was fur ein anderer Mann war das jetzt als der beherrschte Hochzeiter vor dem Altar in Kent!
        Die ganze franzosische Linie feuerte nun, und jedes britische Schiff kassierte Treffer oder war derart von Wassersaulen uberflutet, da? es wenigstens so aussah.
        Eine Kugel fegte durch ihr Gro?marssegel, und auch im Vormarssegel erschienen Locher. Ein paar durchgeschlagene Leinen schwangen wie abgestorbene Schlingpflanzen uber den Kanonen, wahrend Swale, der Bootsmann, seine Stimme dem Getose anpa?te und seine Manner nach oben schickte, um zu knoten und zu splei?en, bevor irgendwelche wichtigen Teile davongeweht wurden.
        Bolitho wich einen Schritt zuruck, als Metall klirrend an einem Geschutz der Steuerbordseite zerbarst und die Splitter rund um ihn einschlugen. Ein Matrose fiel der Lange nach hin, und Bolitho sah, da? die Halswirbel unter seinem Zopf blo?gelegt waren. Daneben war ein Unteroffizier auf die Knie gesunken und versuchte, den Mund zu einem tonlosen Schrei aufgerissen, mit blo?en Handen seine Eingeweide festzuhalten.

«Ruhig, Jungs! Ziel auffassen! Feuern!»
        Die Neunpfunder auf dem Achterdeck schossen gemeinsam. Ihr scharfer Knall lie? einige Leute schmerzlich zusammenzucken.»Dasselbe noch einmal!»
        Bolitho mu?te heftig schlucken, als weitere feindliche Geschosse das Schiff trafen. Eines davon sah er in eine offene Stuckpforte des unteren Batteriedecks einschlagen, und er konnte sich die schreckliche Szene dort unten vorstellen, wie die schwere Kugel durch die von Pulverqualm und Abschussen schon fast blinden und tauben Manner pflugte.

«Feuern!»
        Trotz ihrer fehlenden Bramstenge uberlappte das franzosische Spitzenschiff nun die Benbow. Es feuerte wutend, doch undiszipliniert, aber einige ihrer Kugeln trafen. Bolitho schaute das obere Batteriedeck entlang, wo die Manner in standiger Bewegung waren, beiseite sprangen, wenn ihr Geschutz beim Abschu? achzend zuruckrollte, neu luden und es anschlie?end wieder in Schu?position brachten.
        Einige lagen verwundet in den Ecken und warteten auf Hilfe. Andere wurden sich nie mehr bewegen. Pascoe stand hinter seinen Mannern, schrie etwas und schwenkte dann seinen Hut. Einer seiner Geschutzfuhrer drehte sich um, lachte ihm zu und fiel im selben Augenblick tot um. Auf der anderen Seite donnerte die Kugel in die Bordwand und totete einen weiteren Seemann, obwohl er sich geduckt hatte.

«Feuer!»
        Bolitho rausperte sich.»Es ist soweit, glaube ich. «Er blickte mit vom Rauch geroteten Augen zum lose herabhangenden Wimpel empor.»Fertig, Mr. Browne!»
        Er horte Herrick rufen:»Klar zum Anluven, Mr. Grubb! Mr. Spe-ke!«Er mu?te sich Wolfes Sprachrohr holen, um sich in dem allgemeinen Larm verstandlich zu machen. Wir werden gleich mit beiden Batterien schie?en. Klar zum Offnen der Steuerbord-Pfortendeckel!«Er wartete, bis sichergestellt war, da? seine Befehle auch ins untere Batteriedeck weitergegeben wurden, drehte sich dann zu Bolitho um und sagte:»Unsere Leute halten sich gro?artig, Sir!»
        Bolitho nahm ihn am Arm.»Gehen Sie herum, Thomas. Wenn wir die feindliche Linie durchbrechen, werden uns ihre Scharfschutzen in den Maststanden aufs Korn nehmen.»
        Irgendwo im Qualm schrie ein Mann entsetzlich auf. Blut lief in einem endlosen Rinnsal in den Backbord-Wassergang.
        Bolitho prufte noch einmal die Entfernung. Es war Zeit. Etwas spater, und die Franzosen konnten sie lahmschie?en oder versuchen, sie voneinander zu trennen.

«Setzen Sie das Signal, Mr. Browne!»
        Die einzelne Flagge stieg hoch und wehte an der Rah aus, so da? sie von allen erkannt werden konnte.
        Browne wischte sich den Mund mit dem Handrucken. Sein Hut sa? schief, und auf seinen wei?en Kniehosen waren Blutflecken.

«Nahe dran, Sir!»
        Bolitho schaute auf die Manner, die an den Brassen, Schoten und Halsen bereitstanden, und auf die Leute am doppelten Steuerrad, die schon in die Speichen gegriffen hatten und versuchten, sich trotz des Krachens und Donnerns der Kanonen auf Grubb zu konzentrieren.
        Ein Seesoldat sturzte vom Gro?mast, fiel auf das Schutznetz und rollte von dort uber die Bordwand ins Wasser. Ein Munitionstrager, der zu den Backbordgeschutzen lief, drehte sich plotzlich wie ein Tanzer auf Zehenspitzen und fiel zuckend aufs Deck. Bevor Bolitho wegschaute, sah er noch, da? ihm die Augen aus dem Kopf geschossen worden waren.

«Jetzt!»
        Wie straff gespannte Bogen schwangen die Rahen gleichzeitig herum, und als das Ruder in Hartlage gelegt wurde, sah Bolitho die franzosischen Schiffe plotzlich an Backbord uber dem Vorsteven erscheinen. Dann, als die Rahen der Benbow fast in Langsrichtung des Schiffes angeholt waren, standen sie direkt vor dem Bug.
        Mit Segeln, die aus Protest wild schlugen, hielt die Benbow ihren neuen Kurs. Ihr Kluverbaum zeigte direkt auf die vergoldete Galerie des franzosischen Flaggschiffs. Er konnte das plotzliche Erschrecken auf Hutte und Achterdeck des Gegners sehen. Hektisch gesetzte Flaggensignale erschienen uber den Rauchschwaden und riefen offenbar nach Unterstutzung.

«Setzen Sie das andere Signal fur die Relentless.»
        Bolitho verfolgte genau, wie sich das Deck unter den dichtgeholten Segeln nach Steuerbord neigte. Wurden sie es schaffen, knapp hinter dem Heck des Flaggschiffs durchzubrechen und seine Hutte mit einer vollen Breitseite zu zerschmettern? Oder wurde die Benbow sie mit ihrem Bugspriet wie mit einer Lanze aufspie?en?
        Von irgendwoher aus dem Pulverqualm horte er weitere Hurrarufe, die das Stohnen und Schreien der Verwundeten ubertonten. Die Indo-mitable folgte achtern dichtauf, und ein ganzes Stuck weiter weg machte die Nicator, mit der kleineren Odin von Kapitan Inch im Kielwasser, Anstalten, ebenfalls die feindliche Linie zu durchbrechen. Mit etwas Gluck wurde Kapitan Keen zwischen dem vierten und dem letzten Schiff des franzosischen Geschwaders durchsto?en. Wenn er das Schlu?schiff abschneiden und ausschalten konnte, war ihm der gro?e Transporter ausgeliefert.

«Offnet die Pforten! Rennt die Steuerbordbatterie aus!
        Quietschend rumpelten alle Kanonen gleichzeitig an die Stuckpforten, als konnten sie es nicht erwarten, ihre bisherige Zuschauerrolle aufzugeben.
        Herrick sagte durch die Zahne:»Vorsicht, Mr. Grubb. Sie konnen jetzt einen Strich abfallen. «Er schlug sich mit einer Faust in die andere Handflache und rief:»Wir haben sie!»
        Sie waren so nahe am feindlichen Flaggschiff, da? der Kluverbaum und die zerfetzten Vorsegel schwache Schatten auf dessen Heckfenster warfen.
        Bolitho horte Speke kommandieren:»Ziel auffassen! Fertig!»
        Vorn auf der Back sah Bolitho die beiden Karronaden ihre ha?lichen Mauler vorstrecken. Die Karronade an der Steuerbordseite konnte kaum, vorbeischie?en.
        Musketenschusse peitschten durch das Getose, und Bolitho sah, da? die Hangematten in den Finknetzen hochgeschleudert wurden, als die franzosischen Scharfschutzen sich einschossen. Die Seesoldaten in den Masten der Benbow feuerten zuruck und zeigten sich gegenseitig Scharfschutzen oder sonstige lohnende Ziele.
        Der ungeheure Larm des Geschutzfeuers der verstreut kampfenden Schiffe steigerte sich zu einem schrecklichen Crescendo. Bolitho sah die Steuerbordkarronade feuern, aber das Ergebnis der todbringenden Kartatschenladung war im Gischt und Pulverqualm nicht zu erkennen. Trotzdem jubelten und schrien die Manner der Benbow wie die Verruckten. Ihre Korper waren vom Rauch geschwarzt, doch Augapfel und Zahne leuchteten, als sie sich wieder an ihre Kanonen warfen oder an die Brassen rannten, um die Rahen nach Wolfes Kommandos, die er vom Achterdeck durchs Sprachrohr brullte, zu trimmen.
        Bolitho wischte sich die brennenden Augen und spahte nach dem Heck des Franzosen, das nun Steuerbord voraus sichtbar wurde. Nur undeutlich konnte er den Namen erkennen: La Loire. Die schonen Goldbuchstaben waren von den Kartatschenkugeln zersplittert, die Heckfenster daruber ein einziger Trummerhaufen.
        Da horte er, da? Browne ihm etwas zuschrie und wild gestikulierend auf die andere Seite zeigte.
        Das dritte Schiff der franzosischen Linie, das Bolitho eigentlich von der Loire trennen wollte, hatte plotzlich eine Admiralsflagge im Vortopp gesetzt, und im selben Augenblick, als die Flagge auswehte, hatte es gedreht und war der Bewegung der Benbow gefolgt, als waren beide Schiffe miteinander verbunden.
        Browne schrie, als konne er es selber nicht glauben:»Die Loire hat die Admiralsflagge runtergeholt!»
        Bolitho drangte sich an ihm vorbei und fuhlte, wie sich plotzlich Hoffnungslosigkeit als Dampfer uber die wilden Schlachtszenen legte. Der franzosische Admiral hatte vorzuglich geplant. Durch die List mit der falschen Flagge hatte er erreicht, da? nun das britische Geschwader und nicht sein eigenes versprengt war.
        Herrick schwang seinen Sabel.»Auf sie, Jungs! Schie?en Sie wieder nach Backbord, Mr. Speke!»
        Die unerwartete Kursanderung des Feindes hatte die Nicator und die Odin derart verwirrt, da? sie einen Augenblick fast bewegungslos mit killenden Segeln dalagen, bevor sie sich bemuhten, wieder eine Linie zu formieren.
        Ropars' Schiff kam machtig bei der Benbow auf, seine vorderen Geschutze feuerten in schneller Folge uber einen immer kleineren Streifen Wasser. Fur die verstorten Seeleute um Bolitho herum hatte es den Anschein, als fande jede Kugel ihr Ziel.
        Niemand jubelte, als der Fockmast des falschen franzosischen Flaggschiffs in einer gro?en Wuling aus zerfetzter Leinwand, gebrochenen Spieren und losem Tauwerk uber Bord fiel. La Loire war schwer mitgenommen, aber es sah ganz danach aus, als hatte ihr Opfer dazu gedient, die Schlacht in eine totale Niederlage fur Bolithos Geschwader zu wenden.
        Bei schlechter werdender Sicht, die durch Rauchschwaden zusatzlich beeintrachtigt wurde, torkelten die Schiffe wie trunken gegeneinander, wahrend ihre Kanonen auf nachste Entfernung mitleidlos aufeinander einhammerten. Ringsum ein Wald von Masten und flatternden Fahnen - es war ein Bild wie in der Holle.
        Herrick schien uberall zu sein, anfeuernd, befehlend, Mut zusprechend und immer wieder neue Anstrengungen fordernd.
        Der junge Sechste Offizier, Courtenay - jener, den Allday aus seinem Boot verdrangt hatte - , lag ausgestreckt auf dem Bauch, und seine Fu?e schlugen auf das Deck, als ein Seesoldat ihn zum Niedergang zog. Er war von einem franzosischen Scharfschutzen getroffen worden, sein ganzer Unterkiefer war weggeschossen.
        Browne rief: «Relentless greift den Transporter an, Sir!«Er senkte sein Glas.»Die beiden franzosischen Fregatten sind hinter ihr her.
        Lookout bittet um Erlaubnis zum Eingreifen.»

«Abgelehnt!«Bolitho wischte sich uber das Gesicht.»Wir konnen sie hier noch brauchen.»
        Wozu? Um Uberlebende aufzufischen? Oder um die Nachricht von einer vernichtenden Niederlage nach England zu bringen?
        Er sagte:»Signal an alle: > Auf geeignete Positionen zur gegenseitigen Unterstutzung gehen. Einen Gegner nach dem anderen angrei-fen         Flaggen schleiften uber das Deck, als eine Kanonenkugel durch die Gruppe der eifrig tatigen Signalgasten fegte, doch trotz des Schrek-kens und der Schmerzensschreie stiegen die Signale ohne Verzogerung hoch bis unter die Rah. Bolitho war zwar sicher, da? sie kaum notig waren. Seine Kommandanten wu?ten von selber, was in dieser Lage zu tun war, und wurden ihr Bestes geben. Doch wenn die Flaggen uber dem alles umhullenden Pulverqualm auswehten, war das ein Zeichen, da? sie immer noch ein Verband waren, mit einem Kopf, der sie fuhrte.
        Bolitho sah traurig auf einen schluchzenden Matrosen, der an ihm vorbeihumpelte.
        Herrick meldete: «Indomitable ist in Schwierigkeiten, Sir. Ihr Be-sanmast ging gerade uber Bord.»
        Grubb sagte:»Aye, aber die alte Nicator setzt mehr Segel, um ihr zu helfen.»

«Alle haben >verstanden< gezeigt, Sir. «Browne schaute auf die Blutflecken an seiner Hose, die er erst jetzt bemerkte.»Zum Teufel auch!»
        Bolitho sah gebannt auf Ropars' Flaggschiff. Es war jetzt weniger als eine halbe Kabellange entfernt, nahm Segel weg, und auf seiner Laufbrucke sammelten sich Bewaffnete, wahrend die Steuerbordgeschutze mit verminderter Geschwindigkeit weiterfeuerten.
        Herrick schrie:»Sie wollen uns entern, Sir!»
        Bolitho blickte zu den schlaff hangenden Segeln der Benbow empor. Ropars' Kommandant war ein gewiefter Seemann. Er nahm ihnen den Wind aus den Segeln und damit jede Manovrierfahigkeit, bevor er zum endgultigen Knockout ausholte.
        Wolfe brullte:»Klar zur Abwehr von Enterkommandos!»
        Uber ihnen der scharfe Abschu?knall einer Drehbasse, und dann ein Hagel von Kartatschenkugeln, der eine blutige Schneise durch die dicht gedrangt stehenden franzosischen Seeleute und Soldaten schlug.
        Die gespannten Gesichter der sich duckenden Geschutzbedienungen leuchteten plotzlich grellrot auf, und Sekunden spater schuttelte eine gewaltige Explosion die ineinander verbissenen Schiffe wie Spielzeugboote im Sturm.
        Rauchende Trummerstucke fielen zischend rundherum vom Himmel. Bolitho wu?te sofort, da? es die Loire war, auf der wahrend des Gefechts unbemerkt Feuer ausgebrochen war. Jetzt war ihr Pulvermagazin explodiert.
        Manner rannten mit Wassereimern achteraus, um - vom Bootsmann angetrieben - die auf ihr Schiff herabfallenden Funken und brennenden Holzteile zu loschen.

«VonIndomitable, Sir: >Bitte um Unterstutzung         Bolitho blickte seinen Flaggleutnant an, sah aber nur Kapitan Ke-verne - den Kommandanten der Indomitable - vor sich. Er schuttelte den Kopf.»Geht nicht. Wir mussen zusammenbleiben.»
        Browne beobachtete ihn neugierig und nickte dann seinem Signalgasten zu.

«Zeigen Sie >Verstanden         Die Indomitable wurde von den beiden Schiffen angegriffen, die am Ende des gegnerischen Geschwaders gestanden hatten. Behindert durch einen gebrochenen Mast und die uber Bord hangende Takelage, fiel sie langsam zuruck, wahrend Nicator und Odin ihrem Flaggschiff hinterherjagten, mehr Segel s etzten und aus allen Rohren schossen.
        Auch Ropars' Flaggschiff setzte eine Menge Signale, und Bolitho nahm an, da? die meisten davon fur die beiden Fregatten und den Transporter bestimmt waren. Er wollte sicher alles tun, um zu verhindern, da? der Transporter schwer beschadigt wurde oder seine Ladung - seien es Truppen oder was auch immer - in die Hande des Feindes fiel.
        Bolitho brullte heiser:»Haltet durch, Jungs! Gleich geht's ums Ganze!«Er packte Herricks Arm.»Feuern Sie unsere Leute an, Thomas! Schicken Sie welche auf die Laufbrucke, als ob Sie den Feind entern wollten!»
        Herrick starrte ihn an.»Ich werd's versuchen, Sir.»
        Bolitho ri? seinen goldverbramten Hut herunter und schwenkte ihn uber dem Kopf. Ein Hurra, Leute!«Mit langen Schritten lief er die Backbordlaufbrucke entlang, uber die gluhendhei?en Kanonen hinweg, vorbei an den zerfetzten Hangematten und Schutznetzen.»Hurra, Jungs! Zeigt ihnen, was wir noch draufhaben!»
        Auch der Dummste an Bord der Benbow hatte wohl erkannt, da? sie vom franzosischen Admiral ausgetrickst und ausmanovriert worden waren. Wenn sie jetzt den Kopf verloren, waren sie erledigt. Die Ben-bow wurde in die Hande des Feindes fallen und eines Tages in einer franzosischen Schlachtlinie segeln.
        Der Gedanke war zu schrecklich, um ihn auszuspinnen. Bolitho achtete weder auf Herricks Entsetzen noch auf Alldays besorgte Miene, mit der er ihm auf die ungeschutzte Laufbrucke folgte.
        Aber die Manner der Benbow reagierten. Obwohl weitere Treffer in die Bordwand einschlugen oder Teile der Takelage wie mit einer unsichtbaren Sichel abmahten, traten sie von ihren Kanonen zuruck, riefen Hurra, umarmten einander und kletterten zu Bolitho auf die Laufbrucke hinauf.
        Die verminderten Geschutzbedienungen aber beeilten sich, neu zu laden, angetrieben durch Spekes ungebrochene Energie, der laut kommandierte:»Volle Breitseite! Fertig!»
        Bolitho griff in die Netze und starrte auf das Wasser, das neben ihm hochspritzte. Es mu?te bald zu Ende sein.
        Das starre Lacheln auf seinen Zugen tat ihm beinahe weh; nur undeutlich und verzerrt horte er die Stimmen der Matrosen um sich herum, die dem Feind Fluche und Beschimpfungen entgegenschrien: wie bedrangte Bluthunde, die nur noch toten wollten, und koste es ihr eigenes Leben.

«Breitseite: Feuer!»
        Der Rucksto? der gemeinsam feuernden Batterie warf Bolitho beinahe um, und als er sich umschaute, meinte er auf einem einsamen Steg zu stehen, denn der Pulverqualm, der vom Batteriedeck und an der Bordwand aus allen Stuckpforten hochgestiegen war, hatte das Schiff vollig eingehullt.
        Irgendwo schmetterte plotzlich eine Trompete mit dringlichem Ton, und Bolitho mochte seinen Augen kaum trauen, als er bemerkte, da? Ropars' Schiff abdrehte. Seine Besanstange war verschwunden, und aus ihren Geschutzpforten und sonstigen Lochern in der Bordwand drang Rauch. Er sah auch Flammen und Leute, die mit Wassereimern herbeieilten, um das Feuer, ihren schlimmsten Feind, zu bekampfen.
        Allday schrie begeistert:»Die Frosche kneifen, Sir! Wir haben's ihnen gegeben!»
        Manner jubelten trotz der Kugeln, die noch uber ihre Kopfe hinwegpfiffen.
        Bolitho registrierte das alles im Unterbewu?tsein, aber die Wirklichkeit war starker. Bald wurde es zu dunkel sein, um den Feind zu verfolgen, wenn seine hart mitgenommenen Schiffe dazu uberhaupt noch imstande waren. Ropars wurde ebenfalls nicht in der Lage sein, sich erneut zu einem geordneten Kampf zu stellen. Ihm war bestimmt am meisten daran gelegen, so vollzahlig wie moglich davonzukommen.
        Pascoe kam eilig die Laufbrucke entlang. In seinem Gesicht standen noch die Spuren der Uberanstrengung, irgendwie wirkte es wehrlos.
        Bolitho wandte sich zu ihm um - und zuckte im selben Augenblick schmerzhaft zusammen. Irgend etwas war hart gegen seinen Oberschenkel geschlagen. Einen Augenblick glaubte er, jemand hatte ihn getreten oder ihn in der Begeisterung uber ihren Sieg mit einer Muskete oder einem Spie? gesto?en. Als er dann aber den gro?en Blutfleck erblickte, der sich schnell uber das ganze Bein ausbreitete, uberfiel ihn gleichzeitig ein wilder Schmerz, als habe ihn gluhend hei?es Eisen gebrannt.
        Bolitho konnte nicht mehr klar denken. Er horte sich selber aufschreien, als sein Gesicht die Decksplanken beruhrte, und ihm war, als fiele er in grenzenlose Tiefen, obwohl sein Korper bewegungslos auf der Laufbrucke lag.
        Dann meinte er, Herrick von weither schreien zu horen, und auch Allday, der seinen Namen rief. Pascoe war bei ihm, schaute auf ihn herab und strich ihm die Haare aus dem Gesicht, bevor ihn vollige Dunkelheit umfing und ihm zeitweises Vergessen bescherte.
        Bolitho drehte den Kopf nach rechts und links, doch das einzige, was er wahrnahm, waren schreckliche Schreie, von denen er einen Augenblick glaubte, sie kamen aus seiner eigenen Kehle. Alles war dunkel, bis auf einige schwankende Lichtpunkte und verwischte Farben.
        Eine Stimme sagte dringlich:»Er ist bei Bewu?tsein. Helfen Sie mir, ihn hinuberzuheben.»
        Irgend etwas Rotes verschwand uber ihm, er erkannte es als Major Clintons Uniformrock. Er und einige seiner Leute mu?ten ihn unter Deck getragen haben. Kalter Schwei? lief ihm uber die Brust. Nach unten getragen! Er war tief unten im Orlopdeck, und der Schrei kam von jemandem unter dem Messer des Chirurgen.
        Er horte Allday, seine Stimme war kaum zu erkennen, als er sagte:»Wir sollten ihn nach achtern bringen, Herr Major.»
        Eine andere Stimme flehte in wahnsinniger Angst:»O nein, o nein! Bitte nicht!»
        Bolitho fuhlte, da? sein Kopf von einer hilfreichen Hand leicht angehoben wurde. Wasser tropfelte zwischen seine Lippen, und wahrend er zu schlucken versuchte, bemuhten sich seine Augen, die halbe Finsternis des Orlopdecks zu durchdringen. Ein Bild wie in der Unterwelt: Manner, die gegen die soliden Planken der Benbow lehnten. Leblose Gestalten und andere, die sich in schrecklichen Schmerzen wanden.
        Unter einer Traube von Laternen arbeitete Loveys, der Schiffsarzt, uber den provisorischen Operationstisch gebeugt, seine Schurze blutbespritzt wie die eines Metzgers.
        Der Mann, der geschrien hatte, lag ausgestreckt auf dem Tisch und hatte jetzt einen Lederknebel zwischen den zusammengepre?ten Zahnen, wodurch das Schreien aufgehort hatte. Er war nackt und wurde von Loveys Gehilfen energisch festgehalten. Nur seine Augen rollten wie Murmeln, als er den Arzt flehentlich anstarrte.
        Bolitho sah, da? der Arm des Mannes zerschmettert war. Eine feindliche Kugel oder ein gro?er Eisensplitter hatte ihn aufgeschlitzt.
        Das Messer in Loveys Hand schimmerte, als er die Scheide einen Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam, uber das wei?e Fleisch oberhalb der Wunde hielt, wenige Zentimeter unterhalb der Schulter. Er nickte seinen Gesellen kurz zu, schnitt dann mit steinernem Gesicht hinein und einmal rundherum. Ein anderer Gehilfe reichte ihm eine Sage, und in wenigen Minuten war es geschafft, das abgetrennte Glied in einen bereitstehenden Eimer unter den kreisenden Laternen geworfen.
        Jemand murmelte:»Gott sei Dank, er ist ohnmachtig geworden, der arme Kerl.»
        Allday stand hinter Bolithos Kopf.»Lassen Sie sich von uns nach achtern tragen, Sir. Bitte, dies ist kein Ort fur Sie!»
        Bolitho muhte sich, den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Er wollte ihn trosten, ihm erklaren, da? er hierbleiben musse, und sei es nur, um Anteil an den Schmerzen der Manner ringsum zu nehmen,
        Schmerzen, die er verursacht hatte. Doch er brachte keine Worte heraus, sah nur mit Schrecken, wie Tranen uber Alldays Backen liefen.
        Kaum horbar brachte Bolitho hervor:»Wo ist Kapitan Herrick?»
        Browne kniete neben ihm.»Er mu? sich um das Geschwader kummern, Sir. Er wird gleich wieder unten sein.»
        Wieder? Obwohl so viel an Deck zu tun war? Da waren die Toten beizusetzen, Reparaturen auszufuhren, bevor ein Sturm sie uberfiel, und doch war Herrick schon einmal hier gewesen, um nach ihm zu sehen!
        Loveys schaute auf ihn herab, sein strahniges Haar glanzte im Lampenschein.»Nun, Sir, lassen Sie mich mal sehen. «Er kniete nieder, sein Totenschadelgesicht zeigte kein Zeichen von Ermudung oder Entsetzen. Eben hatte er den Arm eines Mannes amputiert, und Gott wei? wie viele davor. So schwach er aussah, schien er doch mehr Kraft zu besitzen als viele andere.
        Bolitho schlo? die Augen. Der Schmerz war schon so stark, da? er weder die tastenden Finger spurte noch das Messer, das seine Hose aufschlitzte.
        Loveys sagte:»Eine Gewehrkugel, aber sie mu? irgendwie abgelenkt worden sein.
«Langsam stand er auf.»Ich werde tun, was ich kann, Sir.»
        Browne flusterte:»Ihr Neffe kommt, Sir. Soll ich ihn wegschik-ken?«»Nein.»
        Selbst dieses Wort bereitete ihm Pein. Das war es also, was er immer befurchtet hatte. Diesmal war es keine Schramme, keine Kugel von weither, welche die Schulter nur angekratzt hatte. Dies hier sa? tief im Schenkel. Sein Bein und sein Fu? brannten. Er versuchte, nicht an den Mann zu denken, den er gerade auf dem Tisch gesehen hatte.

«Lassen Sie ihn zu mir.»
        Pascoe kniete neben ihm. Sein Gesicht wirkte sehr beherrscht, unbewegt wie eines der alten Portrats in Falmouth.

«Ich bin hier, Onkel. «Er nahm Bolithos Hand.»Wie geht's?»
        Bolitho schaute zu den Decksbalken hoch. Oben schwiegen die Kanonen. Er sprach muhsam:»Es ging mir schon besser, Adam. «Er fuhlte, da? Pascoes Griff fester wurde.»Ist beim Geschwader alles in Ordnung?»
        Er sah, wie Pascoe sich bemu hte, einen Mann zu verdecken, der den
        Eimer mit amputierten Gliedma?en hinaustrug.
        Pascoe nickte.»Du hast sie besiegt, Onkel. Hast es ihnen gezeigt!»
        Bolitho versuchte, die Schmerzen zu unterdrucken und abzuschatzen, welchen Schaden er seinem Korper zugefugt hatte.
        Loveys kam zuruck.»Ich mu? Sie ausziehen, Sir.»
        Allday sagte:»Das mache ich!«Er konnte Bolitho kaum anschauen, als er sich ungeschickt mit dem Hemd und der aufgeschlitzten Hose abmuhte.
        Loveys sah geduldig zu.»Den Rest uberlassen Sie besser meinen Sanitatsgasten. «Er winkte seinen Gehilfen.»Los, Leute!»
        Gerade jetzt hatte Bolitho seinem Neffen gern vieles gesagt. Uber seinen Vater, und was wirklich mit ihm geschehen war. Aber schon hoben ihn fremde Hande uber ein paar leblose Gestalten hinweg. Sie hatten - vollgepumpt mit Rum und gegen Infektionen verbunden - immerhin eine Chance zu uberleben. Plotzlich packten ihn Angst und Entsetzen.
        Er rief:»Du sollst das Haus in Falmouth haben, Adam. Alles. Da ist ein Brief..»
        Pascoe schaute verzweifelt Allday an.»O Gott, ich kann's kaum noch ertragen.»
        Allday sagte gebrochen:»Er wird doch wieder gesund werden, oder?»
        Seine Worte machten Pascoe hellwach. Wie schon oft war es der kraftige Bootssteurer, bei dem Pascoe sich Zuversicht holte.
        Er packte Allday am Armel.»Ganz bestimmt!»
        Bolitho lag auf dem Tisch und blickte in den schwingenden Lichtkreis der Laternen. Er hatte immer vorausgesetzt, da? es schnell gehen wurde, wenn es ihn einmal traf. Heute rot, morgen tot. Aber nicht so etwas: ein nutzloser Kruppel, bemitleidet oder verlacht.
        Loveys sagte ruhig:»Ich will Ihnen nichts vormachen, Sir. Sie sind in gro?ter Gefahr, das Bein zu verlieren. Aber ich will mein Bestes tun. «Eine Hand steckte Bolitho einen Lederballen zwischen die Zahne. Er war mit Brandy getrankt.
        Loveys sagte:»Bei?en Sie kraftig zu, Sir.»
        Bolitho fuhlte Entsetzen in sich hochsteigen. Der Augenblick war da, an dem er vor all diesen unsichtbaren Zuschauern seine Angst zeigen wurde.
        Hande packten seine Arme und Beine wie Schraubstocke. Er sah
        Loveys rechte Schulter zuruckweichen und sich dann plotzlich herabsenken, und in diesem Augenblick steigerte sich der Schmerz in seinem Schenkel, als ware flussiges Blei hineingegossen worden.
        Er versuchte, den Kopf seitwarts zu drehen, aber Loveys Leute verstanden ihr Geschaft. Weiter und weiter ging es, sondierend und schneidend, mit kleinen Pausen, wenn das Schiff uberholte, und der schreckliche Schmerz breitete sich immer weiter aus.
        Durch den Schleier von Furcht und halber Bewu?tlosigkeit horte er eine Stimme rufen:»Halte durch, Dick! Es ist gleich vorbei!»
        Der Zuruf des unbekannten Matrosen oder Soldaten gab Loveys die Sekunden, die er noch brauchte.
        Mit einer letzten Drehung seines dunnen Handgelenks beforderte er die platte Musketenkugel aus dem geschwarzten Fleisch und lie? sie in eine Schale fallen.
        Sein Sanitatsmaat murmelte:»Er ist ohnmachtig geworden, Sir.»

«Gut. «Loveys stach noch einmal und tiefer hinein.»Da ist noch ein Stuck!«Er wartete, bis der Maat das Blut weggewischt hatte.»Haltet ihn jetzt fest.»
        Herrick naherte sich langsam dem Tisch, und seine Leute traten beiseite, um ihn durchzulassen. Es war nicht richtig, Bolitho so zu sehen, nackt und hilflos. Aber im tiefsten Innern wu?te er, da? Bolitho es nicht anders gewollt hatte. Er mu?te erst den Klo? aus seiner Kehle wegrauspern, bevor er etwas sagen konnte.

«Ist es geschafft?»
        Loveys Finger schnippten nach der nachsten Binde.»Aye, Sir. Fur den Augenblick.
«Er wies auf die Schale.»Die Kugel hat einen seiner Knopfe getroffen und die Splitter mit einigen Stoffetzen tief ins Fleisch hineingetrieben. «Er begegnete Herricks besorgtem Blick.»Sie und ich stehen seit langem im Dienst des Konigs, Sir, und wissen, was ihm passieren kann. Vielleicht werde ich es spater bereuen, da? ich das Bein nicht gleich amputiert habe.»
        Herrick sah, da? Bolitho sich bewegte und leise stohnte, als ihm ein Mann den Knebel aus dem Mund nahm.
        Er fragte:»Konnen wir ihn hinauftragen?»
        Loveys wies seine Leute an:»In mein Krankenrevier. Einen langeren Weg konnen wir nicht riskieren.»
        Als sie ihn in den dunklen Teil des Orlopdecks trugen, schien Loveys Bolitho aus seinen Gedanken zu streichen. Er wies auf einen
        Mann, dessen Kopf dick eingewickelt war.»Jetzt der!«Dann fugte er, zu Herrick gewandt, hinzu:»Dieser Raum, diese Bedingungen hier sind alles, was mir zur Verfugung steht, Sir. Was erwartet die Admiralitat da von mir?»
        Herrick stellte sich hinter den Mann, der als nachster dran war. Zu Pascoe sagte er:»Sie taten mir einen Gefallen, wenn Sie bei ihm blieben. «Er wahlte seine Worte mit Rucksicht auf Pascoes aufsteigende Angst sehr sorgsam, als er hinzufugte:»Wenn sich sein Befinden verschlechtert, mochte ich es sofort wissen. «Er sah Pascoe ernst an.»Und er wird wissen wollen, ob Sie bei ihm sind.»
        Er machte auf dem Absatz kehrt und winkte Browne.»Kommen Sie. Wir wollen durch die Batteriedecks gehen und mit unseren Leuten sprechen. Sie haben es heute gut gemacht, der Himmel segne sie.»
        Browne folgte ihm zum Niedergang, in die frische Luft der oberen Decks. Zu sich selber sagte er: >Und Sie auch, Captain Herrick. Ich wei?, was dieser Augenblick fur Sie bedeutet<.
        Als Herrick schlie?lich aufs Achterdeck zuruckkam, waren die Ausbesserungsarbeiten noch im Gange. In den Masten und an Deck waren Manner dabei, unter Wolfes wachsamen Augen Taue zu splei?en und Holzer als Ersatzstucke zurechtzuschneiden.
        Spike, der die Wache ubernommen hatte, tippte an seinen Hut und meldete:
«Indomitable hat einen Behelfsmast anstelle ihres Besans aufgetakelt. Das Geschwader folgt Ihrem Kommando.»
        Seltsam, dachte Herrick, er hatte noch keinen Augenblick uber seine plotzliche Autoritat nachgedacht und da? ihm nun die Verantwortung allein zugefallen war. Es schien ihm auch jetzt nicht von Bedeutung zu sein. Er bi? die Zahne zusammen, als ein Mann aus dem unteren Batteriedeck mitleiderregend schrie. Dann nahm er sein Teleskop und richtete es auf die anderen Schiffe. Ihre Kiellinie war unregelma?ig, und die Segel bestanden fast mehr aus Lochern als aus Leinwand, aber Herrick wu?te: wenn man ihnen etwas Zeit lie?, wurden die Schiffe ihre Schaden ausbessern und alles wieder ins Lot bringen. Er mu?te an die Menschen im Orlopdeck denken. Bei ihnen war es nicht so einfach.
        Herrick wandte sich an Browne. Bald wurde es zu dunkel sein, um noch Signale zu erkennen. Er hatte bereits befohlen, da? in bestmoglicher Formation Kurs Sudost gesteuert werden sollte.

«Ich mochte Meldung uber samtliche Verluste und Beschadigungen haben, Mr. Browne. Mr. Speke wird Ihnen bei der Aufstellung helfen. Bei Tagesanbruch holen Sie die gleiche Meldung von allen Schiffen des Geschwaders ein. «Er schluckte und wandte sich ab.»Unser Ad-miral wird danach als erstes fragen, wenn er wieder auf den Beinen ist.»
        Speke war ein phantasieloser Mann.»Wird er denn genesen, Sir?»
        Herrick drehte sich brusk zu ihm um und sagte mit spruhenden Augen:»Was sagen Sie da, Mann? Kummern Sie sich gefalligst um Ihren Dienst!»
        Als die beiden Leutnants davoneilten, trat Major Clinton aus dem Halbdunkel hervor und sagte:»Nehmen Sie's leicht, Sir. Er hat es nicht bose gemeint.»
        Herrick nickte.»Sie haben wohl recht. «Dann ging er auf die Luvseite und begann, dort auf und ab zu marschieren.
        Der alte Grubb schneuzte sich gerauschvoll und ging schwerfallig zum Major hinuber.»Mit allem Respekt: Lassen Sie ihn in Ruhe, Sir. Dies ist ein schwarzer Tag fur den Kapt'n, seien Sie dessen sicher, und fur viele andere auch.»
        Clinton lachelte traurig und kletterte auf das Huttendeck, wo einige seiner Leute am Nachmittag gefallen waren.
        Er hatte viele erstaunliche Geschichten uber das Gespann Bolitho und Herrick gehort. Da? sie offensichtlich auf Wahrheit beruhten, war noch erstaunlicher, dachte er.



        IX Banges Warten

        Kapitan Thomas Herrick sa? mit aufgestutzten Ellenbogen am Schreibtisch und blatterte mi?mutig im Tagesbericht des Zahlmeisters. Die viele Arbeit und mancherlei Sorgen druckten auf Leib und Gemut, und die unangenehmen Bewegungen der Benbow trugen nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Immer wieder sackte das Schiff jah in ein Wellental ab, und jedesmal endete diese Bewegung mit einem anhaltenden Zittern, das durch alle Decks und Aufbauten lief.
        Zusammen mit den anderen Linienschiffen lag die Benbow unter dem Schutz der Landspitze von Skagen vor Anker. Nach dem langsamen Marsch hierher von der Stelle, an der sie mit Ropars Geschwader gekampft hatten, und nach einem Tag vor Anker waren sie immer noch bei den notwendigsten Ausbesserungsarbeiten: beim Auswechseln oder Flicken von Segeln, Splei?en von laufendem und Teeren von stehendem Gut und dergleichen mehr. Es war beinahe, als lagen sie sicher im Dock und nicht drau?en in der unfreundlichen Nordsee.
        Ein kurzes Klopfen ri? Herrick aus seinen Gedanken.»Herein!»
        Loveys, der Schiffsarzt, schlo? die Tur hinter sich und nahm auf einem angebotenen Stuhl Platz. Er war wie immer: totenbleich und doch unermudlich.
        Loveys sagte:»Sie sehen erschopft aus, Kapt'n.»
        Herrick wischte alle Angelegenheiten des Geschwaders und seines Schiffes beiseite wie welke Blatter. Obwohl er gezwungen gewesen war, seine taglichen Arbeiten ohne Erholungspause zu erledigen, hatte er seinen Freund in der Kajute keinen Augenblick vergessen.
        Manner waren zu befordern gewesen, um Lucken zu schlie?en, die ihre toten oder verwundeten Kameraden hinterlassen hatten. Mids-hipman Aggett war zum diensttuenden Leutnant anstelle des jungen Courtenay ernannt worden. Es war ein Wunder, da? Courtenay, dem der Unterkiefer weggeschossen worden war und der auch geistig verwirrt schien, uberhaupt noch lebte. Die Wach- und Klarschiff-Rollen mu?ten neu aufgestellt und erfahrene Leute entsprechend verteilt werden. Der Zahlmeister hatte uber die Rationen gejammert: Einige Fasser mit Salzfleisch waren durch eine verirrte Kanonenkugel vernichtet worden. Dann das harte Geschaft der Seebestattungen, und schlie?lich die vielen Anfragen der anderen Kommandanten, die beantwortet werden mu?ten. Alles hatte an seinen Kraften gezehrt.

«Machen Sie sich um mich keine Sorgen. «Herrick bemuhte sich, gelassen zu sprechen.»Wie geht's ihm heute?»
        Loveys schaute auf seine kraftigen Hande.»Die Wunde ist stark entzundet, Sir. Ich habe den Verband mehrmals gewechselt und versuche es nun mit einer trockenen Krauterauflage. «Er schuttelte bedenklich den Kopf.»Ich bin mir nicht ganz sicher, Kapt'n. Noch riecht es nicht nach Wundbrand, aber die Wunde selbst ist schlimm genug.»
        Loveys Finger machten eine Scherenbewegung.»Die Kugel wurde beim Aufprall auf den Knopf abgeflacht, das ist normal. Aber der Knopf ist zersplittert, und ich furchte, Teile davon stecken noch in der Wunde, moglicherweise auch Stoffetzen, die einen Faulnisproze? begunstigen.»

«Wie tragt er es?»
        Uber Loveys Gesicht huschte ein Lacheln.»Das wissen Sie wohl besser als ich. «Das Lacheln verschwand.»Er braucht sorgsame Pflege an Land. Jeder Sto? an seine Koje bereitet ihm Schmerz, jede Bewegung konnte den Wundbrand auslosen. Fur die Nacht gebe ich ihm Schlafmittel, aber ich darf ihn nicht weiter schwachen. «Er sah Herrick in die Augen.»Ich kann wohl noch etwas warten, aber wenn es sich verschlechtert, mu? ich das Bein abnehmen. Das aber kann den Starksten umbringen und auf jeden Fall einen Mann, der darauf brennt, sich in der Schlacht zu bewahren.»
        Herrick nickte.»Ich danke Ihnen. «Es war wie befurchtet, obwohl er noch immer nach einem Hoffnungsschimmer Ausschau hielt und auf Bolithos Gluck vertraute.
        Loveys machte Anstalten zu gehen.»Ich schlage vor, da? Sie Mr. Pascoe wieder zu seinem normalen Dienst schicken, Sir. «Mit einer Handbewegung stoppte er Herricks Protest.»Mag sein, da? unser Admiral stirbt, aber der junge Mr. Pascoe wird weiterkampfen mussen. Da mu? es ihn nur unnutz belasten, wenn er dableibt und dem allen zusieht.»

«Sie haben recht. Sagen Sie Mr. Wolfe, er moge das fur mich regeln.»
        Als Herrick wieder allein war, uberlegte er, was er tun sollte. Da die Styx schon fehlte, konnte er unmoglich auch noch die Relentless abstellen, um Bolitho nach England zu bringen. Die Relentless hatte in der Schlacht alle uberrascht. Gro?artig, wie sie den Transporter gejagt hatte, der - wie Kapitan Peel annahm - voll franzosischer Soldaten steckte. Damit hatte sie Ropars' Fregatten vom eigentlichen Kampfplatz abgezogen, und das - neben dem unerwarteten Einsatz der Benbow - brachte die Wendung zum Guten. Und dabei hatte die Relentless kaum Beschadigungen davongetragen.
        Herrick hatte schon uberlegt, ob er die Lookout schicken sollte. Nach Loveys' entmutigendem Bericht schien es nun keine andere Moglichkeit zu geben. Doch wurde er dafur von Bolitho kaum Dank ernten. Bei ihm rangierten die dienstlichen Notwendigkeiten stets vor den privaten Bedurfnissen, ohne Rucksicht auf irgendwelche Gefuhle. Aber in diesem Fall…
        Herrick fuhr auf, als jemand an die Tur klopfte und Lyb, der den Posten als dienstaltester Midshipman von Aggett ubernommen hatte, hereinspahte.

«Meldung von Mr. Byrd, Sir: Lookout hat ein Segel in westlicher Richtung gesichtet.»
        Herrick stand zogernd auf.»Melden Sie dem Vierten Offizier, da? ich in Kurze an Deck komme. Und informieren Sie das Geschwader. Ist die Relentless in Sichtweite?»
        Lyb stockte bei der unerwarteten Frage. Er war ein nett aussehender Junge, sechzehn Jahre alt, und sein Haar hatte die gleiche rote Farbe wie das von Wolfe. Deswegen hatte er sicher schon manche spitze Bemerkung einstecken mussen, dachte Herrick.

«Aye, Sir. Sie steht immer noch nordwestlich von uns.»

«Dann melden Sie Mr. Byrd, er soll das Signal fur die Relentless wiederholen. Nur zur Sicherheit.»
        Lyb kapierte nicht.»Zur Sicherheit, Sir?»

«Verdammt noch mal, Mr. Lyb, mu? ich denn jeden Satz wiederholen?»
        Er packte die Stuhllehne und zwang sich damit zur Ruhe. Nur zur Sicherheit. Er konnte doch unmoglich seine Besorgnis laut aussprechen. Der Satz war ein Zeichen seiner inneren Spannung, die ihn wie ein Schraubstock umfangen hielt.
        Er rief:»Mr. Lyb!»
        Der Junge kam zuruck und bemuhte sich offensichtlich, nicht angstlich zu erscheinen.

«Ich hatte eben keinen Grund, Sie anzuschnauzen. Also gehen Sie schon und melden Sie dem Vierten Offizier, was ich gesagt habe.»
        Lyb zog sich leicht verwirrt zuruck. Erst der Anschnauzer, der gar nicht die Art des Kommandanten war, und dann die unerwartete Entschuldigung. Herrick griff nach seinem Hut und machte sich auf den Weg nach achtern. Tag fur Tag hatte er sich bemuht, im Interesse Bolithos so zu tun, als sei alles wie zuvor. So hatte er Bolitho taglich Bericht erstattet und seine Meldungen uber das Schiff und das Wetter abgegeben, selbst dann, wenn er Bolitho im Halbschlaf oder kaum aufnahmefahig angetroffen hatte. Indem er ihn fur die Alltaglichkeiten des Lebens zu interessieren versuchte, hoffte er, die Seelenqual seines Freundes zu lindern.
        Er fand Allday in einem Stuhl sitzend und Ozzard, der einige blutdurchtrankte Binden in der Schlafkammer auflas. Herrick winkte Allday ab, der aufspringen wollte.»Bleiben Sie, Mann. Dies sind schwere Zeiten fur uns alle. Wie schaut's mit ihm aus?»
        Allday fand nichts Ungewohnliches darin, von einem Kapitan um seine Meinung befragt zu werden. Herrick war anders als die meisten und ein wirklicher Freund. Hilflos streckte Allday die Hande aus.»Er ist so furchtbar schwach, Sir. Suppe hat er nicht bei sich behalten. Ich hab's mit Brandy versucht und dann Ozzard gebeten, der ja ein gebildeter Mensch ist, ihm etwas vorzulesen.»
        Herrick nickte. Alldays schlichte Fursorge ruhrte ihn.»Ich werde ihm jetzt berichten.»
        Er trat in die kleine Schlafkammer und naherte sich zogernd der mit den Schiffsbewegungen schwingenden Koje. Es war immer dasselbe: die schreckliche Angst vor dem Wundbrand und was er aus einem machen konnte.
        Er sagte:»Guten Morgen, Sir. Lookout hat eben ein Segel im Westen gesichtet, wahrscheinlich ein Dane oder ein anderer glucklicher Neutraler. Ich habe der Relentless befohlen, naher heranzugehen und ihn zu erkunden.»
        Herrick beobachtete Bolithos zerqualtes Gesicht. Er schwitzte stark, und die schwarze Haarlocke, die gewohnlich die schreckliche Narbe auf seiner Stirn verdeckte, klebte an der Seite. Herrick betrachtete die Narbe. Auch das mu?te knapp gewesen sein. Aber Bolitho war damals ein junger Leutnant gewesen, junger noch als Pascoe heute oder der ungluckliche Leutnant Courtenay.
        Plotzlich bemerkte er, da? Bolitho die Augen geoffnet hatte. Sie waren fast das einzig Lebendige an dem ganzen Mann.

«Ein Segel, sagen Sie?»
        Herrick antwortete sehr bedachtsam:»Aye. Wahrscheinlich nichts von Bedeutung.»

«Wir mussen dem Admiral Meldung machen, Thomas. «Das Sprechen bereitete ihm offenbar Schmerzen.»Melden Sie ihm alles uber Ropars und den gro?en Transporter. Sobald wir eine Aufklarungsfregatte der Flotte sichten, mussen Sie.»
        Herrick beugte sich uber die Koje. Er spurte die Verzweiflung des Freundes, und wie er litt.»Keine Sorge, ich werde mich um alles kummern.»
        Bolitho machte einen Versuch, ihm zuzulacheln.»Ich bin wie in der Holle, Thomas. Zeitweise brenne ich, aber manchmal fuhle ich uberhaupt nichts.»
        Herrick wischte Bolithos Gesicht und Nacken mit einem Tuch ab.»Ruhen Sie sich jetzt aus.»
        Bolitho ergriff sein Handgelenk.»Ausruhen? Sehen Sie sich doch selber an. Sie sehen schlechter aus als ich. «Er hustete und stohnte danach, weil die Bewegung ihm Schmerzen bereitete. Dann fragte er:»Was macht das Schiff? Wie viele Leute haben wir verloren?»

«Drei?ig Tote, Sir, und vier weitere werden ihnen wohl folgen, furchte ich. Im gesamten Geschwader hatten wir rund einhundert Tote und Schwerverwundete.»

«Zu viele, Thomas. «Er sprach jetzt ganz ruhig.»Wo ist Adam?»

«Ich habe ihn zum Dienst geschickt. Er grubelt sonst zu viel.»
        Herrick bemerkte erstaunt, da? Bolitho sich ein Lacheln abrang.»Gut, da? Sie daran gedacht haben.»

«Es war die Idee des Schiffsarztes, um ehrlich zu sein.»

«Der?«Bolitho versuchte, den Arm zu bewegen.»Er kommt mir vor wie der Sensenmann. Immer in Wartestellung.»

«Aber ein besserer Arzt als mancher andere, Sir. «Herrick stand auf.»Ich mu? jetzt nach oben gehen und mich um den Neuankommling kummern. Ich komme bald zuruck.»
        In einer Gefuhlsaufwallung beruhrte er Bolithos Schulter, aber der war schon wieder ins Dosen zuruckgesunken. Sehr vorsichtig zog Herrick die Decke herunter und legte nach einem Augenblick des Zauderns die Hand auf Loveys' sorgfaltig angebrachten Krauterumschlag. Er zog sie schnell wieder zuruck und verlie? die Kammer. Selbst durch den Verband hindurch hatte sich Bolithos Schenkel angefuhlt wie Feuer, als ob sein Korper sich von innen verzehre. Allday bemerkte seinen Gesichtsausdruck.»Soll ich zu ihm gehen, Sir?»

«Lassen Sie ihn schlafen. «Herrick sah ihn traurig an.»Er hat ganz klar mit mir gesprochen, aber…«Er beendete den Satz nicht, sondern ging schnurstracks hinaus.
        Im truben Licht des Vormittags bemerkte er, da? die Offiziere, die auf dem Achterdeck uber das fremde Segel diskutierten, seinen Blick mieden. Er horte Wolfe sagen:»Ich verstehe, was Sie empfinden, Mr. Pascoe, aber Dienst ist Dienst. Ich bin zu knapp an Leuten, wenn auch Sie sich noch von Ihrer Division fernhalten.»
        Wolfe machte eine fluchtige Ehrenbezeigung zu Herrick und meldete:»Erledigt, Sir. Besser, er hort es von mir. Mich kann er in die Holle wunschen, so viel er will, vorausgesetzt, er macht seine Arbeit.»
        Midshipman Lyb rief:»Signal von Lookout, Sir. Das andere Schiff ist. «Er reckte sich, um uber den Arm eines anderen Kadetten in die Liste der Schiffsnummern blicken zu konnen.»Es ist die Brigg Mar-guerit, Sir.»
        Wolfe atmete erleichtert auf.»Mit Neuigkeiten, hoffentlich. «Dann warf er Lyb einen scharfen Blick zu und donnerte:»Himmel und Holle, Sir! Beantworten Sie das Signal der Lookout, wenn's recht ist!»
        Herrick wandte sich ab. Man hatte es leichter, wenn man so war wie Wolfe: innerlich unberuhrt und dadurch nicht so verletzlich. Doch im selben Augenblick, als er das dachte, wu?te er, da? es eine Tauschung war.
        Die Besatzung ging zum Mittagessen, und als sie wieder zum Dienst antrat, lag die muntere kleine Brigg Marguerite schon nahe bei ihnen im Wind und war dabei, ein Boot zu Wasser zu lassen.
        Herrick sagte matt:»Lassen Sie die Fallreepsgaste aufziehen, Mr. Wolfe. Der befehlshabende Offizier der Brigg scheint heruberzukommen.»
        Achtern qualte sich Bolitho ab, der die vertrauten Gerausche vom Achterdeck horte, um sich in seiner Koje in Seitenlage zu walzen. Oben traf man also Vorbereitungen zum Empfang des Kommandanten eines anderen Schiffes. Allday hatte ihm den Namen der Brigg gesagt, und Bolitho hatte ihn an Deck geschickt, um zu erkunden, was sie brachte.
        Der Schmerz schien sein Bein zu packen wie ein wildes Tier. Schwitzend und stohnend zog sich Bolitho weiter an den Rand der Koje. In seinem fiebrigen Hirn war es jetzt plotzlich lebenswichtig, da? er wieder Wasser und die anderen Schiffe sah. An diese Idee klammerte er sich wie an eine Rettungsleine.
        Es war wie damals auf der Laufbrucke: Eben noch stand er da, und in der nachsten Sekunde fuhlte er, wie sein Gesicht das Deck beruhrte, ohne Erinnerung an die Zeitspanne dazwischen.
        Auf der anderen Seite des Turvorhangs rief der aufgeschreckte Posten:»Sir, Sir! Allday sturzte herbei, stie? den Posten beiseite und rannte entgeistert zu Bolitho, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Die schwarz-wei? karierte Bodenbespannung unter ihm war mit dunklem Blut getrankt, das sich weiter ausbreitete. Allday schrie:»Holt den Doktor!«Er nahm Bolitho in die Arme und hielt ihn fest.
        Als Herrick und Loveys eintraten, gefolgt von dem erschreckten Kommandanten der Brigg, hatten sich weder Allday noch Bolitho bewegt.
        Loveys kniete neben ihnen nieder und sagte kurz:»Die Wunde wird aufgebrochen sein.
«Er schaute zu Herrick empor:»Bitte lassen Sie meine Instrumente holen. «Er schien laut zu denken.
        Herrick starrte ihn entsetzt an, als Ozzard losrannte, um Loveys Assistenten zu holen.»Doch nicht amputieren.?»
        Allday klagte» Es ist meine Schuld. Er hat mich weggeschickt. Ich hatte es wissen mussen.»
        Loveys sah ihn scharf an.»Was hatten Sie wissen mussen?»
        Manner drangten sich in die Kajute, und Befehle gingen von Mund zu Mund wie beim Gewehrexerzieren.
        Allday machte eine Kopfbewegung zu den Heckfenstern hin.»Er wollte zum Wasser. Es ist sein Leben, verstehen Sie?»
        Loveys schnitt den Verband weg, und der Offizier von der Margue-rite fuhr bei dem Anblick der Wunde zuruck.»Mein Gott, er mu? furchtbare Schmerzen gehabt haben«, sagte er.
        Loveys bedachte ihn mit einem eiskalten Blick.»Hinaus mit Ihnen, Sir, wenn Sie nichts anderes als Gemeinplatze zu bieten haben!»
        Milder meinte er zu Allday:»Gehen Sie auch, es ist besser. Glauben Sie mir.»
        Allday loste nur zogernd seinen Griff um Bolithos schlaffen Korper, als die Manner des Schiffsarztes einen Ring um ihn bildeten.
        In der danebenliegenden Kajute sagte Herrick sehr beherrscht:»Nun, was haben Sie mir zu melden, Herr Leutnant?»
        Der Leutnant, der noch immer unter dem Eindruck des Hinauswurfs durch den Arzt stand, antwortete:»Ich habe eine Depesche fur Ihren Admiral, Sir. Das franzosische Geschwader ist nicht nach Irland gesegelt. Es ist so gut wie sicher, da? es versuchen wird, in die Ostsee einzudringen. Kommodore Rice vom Geschwader in den Downs wird zu Ihnen sto?en und Sie verstarken.»
        Herrick gab sich Muhe, nicht auf die Gerausche hinter der verschlossenen Tur zu achten. Dann antwortete er schlicht:»Wir sind vor drei Tagen mit Vizeadmiral Ropars zusammengetroffen. Der Mann, den Sie eben gesehen haben und der vielleicht innerhalb der nachsten Stunde stirbt, hat das feindliche Geschwader auseinandergetrieben und einen seiner Vierundsiebziger vernichtet. «In der totenstillen Kajute klangen seine Worte wie Pistolenschusse.
        Der Leutnant sagte mit etwas zittriger Stimme:»Das war eine tapfere Tat, Sir. Haben Sie Befehle fur mich?»
        Herrick schaute zur Tur.»Nachher.»
        Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne beobachtete, wie der Schatten von Herricks gedrungenem Korper im Licht der Deckslaternen schwankte.
        Die Schiffsbewegungen waren im Lauf des Tages noch schlimmer geworden, und Browne konnte nur ahnen, welche Schwierigkeiten der Schiffsarzt unter diesen Bedingungen hatte. Es war inzwischen fast dunkel geworden. Herrick schien kurz vor dem Zusammenbruch, wenn er nicht endlich ausruhte. Browne wu?te wohl, warum er sich all die Arbeit auflud, die - zum Teil wenigstens - auch andere erledigen konnten; aber er wu?te nicht, wie er Herrick davon abhalten sollte.
        Die Ausguckposten im Masttopp hatten ein Signal von der Relent-less gemeldet, die auf ihrer Sicherungslinie im Nordwesten der vor Anker liegenden Schiffe patrouillierte. Sie hatte das aus den Downs kommende Geschwader von Commodore Rice gesichtet. Aber kaum war das Signal abgelesen und fur die anderen Schiffe wiederholt worden, hatten Dammerung und eine plotzliche Regenbo jede weitere Beobachtung unmoglich gemacht.
        Herrick sagte:»Ich werde Kommodore Rice uber unsere Lage unterrichten. Wir sind zwar kampffahig, aber einige Schaden an unserem Schiffsrumpf bedurfen sorgfaltigerer Reparatur. Ich werde um Erlaubnis bitten, dieses Gebiet zu verlassen und einen Hafen anzulaufen.»
        Browne nickte. Die Benbow hatte bei dem Gefecht zweifellos am meisten abbekommen und mehr als ein Drittel der Verluste des ganzen Geschwaders. Weitere zwei Manner waren erst an diesem Tag beigesetzt worden, und gerade sie hatte man schon au?er Lebensgefahr geglaubt.
        Herrick warf seine Papiere auf den Tisch und fragte verzweifelt:»Was tut dieser verdammte Schlachter eigentlich?»

«Sein Bestes, Sir!«Das klang abgedroschen und so ganz anders, als Browne es gemeint hatte, da? er einen heftigen Anranzer von Herrick erwartete.
        Statt dessen sagte Herrick nur:»Ich habe mich noch nie so um einen Mann gesorgt, verstehen Sie das? Wir haben auf allen Meeren von hier bis in die Sudsee zusammen gekampft. Ich konnte Ihnen Dinge von ihm erzahlen, die Sie allein beim Zuhoren vor Angst und Stolz zittern lie?en. «Herrick schaute Browne bei diesen Worten an, aber seine blauen Augen schienen weit weg und bei Erinnerungen, an denen Browne, wie er wohl wu?te, niemals teilhaben wurde.
        Herrick fuhr fort:»Ich war es auch, der ihm die Nachricht vom Tode seiner jungen Frau uberbringen mu?te. Man sagte, es ware besser, wenn er es von mir horte, aber wie konnen solch schrecklichen Dinge jemals besser klingen?«Herrick sa?, zum Leutnant hingeneigt, auf der Kante des Kajuttisches, als konne er seinen Worten so mehr Nachdruck verleihen.»Da unten im Orlopdeck hat ihm einer eine Ermunterung zugerufen und ihn dabei >Dick< genannt. «Ein Lacheln huschte uber sein Gesicht. Auf seiner Fregatte Phalarope nannten sie ihn so. >Der gerechte Dick<. Er sorgt sich um alle, das ist es. Verstehen Sie?»
        Herrick blickte uber Brownes Kopf hinweg, als die Kajuttur aufging, wobei die ublichen Schiffsgerausche wie ungewohnter Larm zu ihnen hereindrangen.
        Allday stand da mit steinernem Gesicht. Sein Korper fullte den Eingang vollig aus.
        Herrick sprang auf.»Was ist, Mann?»
        Browne kam mit langen Schritten durch die Kajute und ergriff All-days Arm.»Nun reden Sie schon, um Gottes willen!»
        Allday sagte mit schwacher Stimme:»Ich konnte ein Glas Schnaps vertragen, Sir.»
        Er wirkte wie betaubt, als ob er nur halb mitbekame, was um ihn herum vorging. Die drei Manner standen eng beieinander und folgten den Schiffsbewegungen, als die Benbow wieder in ein tiefes Wellental sackte. Jeder von ihnen war mit seinen Gedanken beschaftigt.

«Erzahlen Sie!«Herrick ging ruckwarts durch die Kajute, als wurde alles zunichte, wenn er die Augen von Allday abwandte, und tastete nach einer Flasche und Glasern.
        Allday nahm den Brandy und schluckte ihn nahezu geistesabwesend hinunter.
        Herrick sagte vorsichtig:»Ich dachte, der Doktor hatte Sie aufgefordert, den Raum zu verlassen?»

«Sie wissen, da? ich das nicht konnte, Sir. «Allday hielt das Glas zu neuer Fullung hin.»Aber es war nicht leicht. All das Blut. Sogar der alte Loveys. «Er schuttelte sich.»Bei allem Respekt, Sir, aber auch ihn hat's fast umgehauen.»
        Herrick horte ihm gebannt und gleichzeitig erleichtert zu.
        Allday fuhr fort:»Der Doktor sagt, wenn er nicht aus der Koje gefallen ware, hatte er das Bein verloren. So aber ist die Wunde aufgebrochen, und Mr. Loveys fand mit seiner Pinzette noch einen Metallsplitter und einige Stoffetzen.»
        Herrick lie? sich in einen Stuhl fallen.»Gott sei Dank!«Bis zu diesem Augenblick hatte er geglaubt, Bolitho lebe zwar, habe aber sein Bein eingebu?t.
        Allday schaute sich immer noch benommen in der Kajute um.»Ich. Tut mir leid, Sir, ich hatte hier nicht so hereinplatzen sollen, ohne Sie um Erlaubnis zu fragen.»
        Herrick ubergab ihm die Flasche.»Nehmen Sie die mit in Ihr Quartier, und trinken Sie den Rest aus. Sie haben es verdient.»
        Allday nickte und ging langsam zur Tur. Doch er drehte sich noch einmal um und murmelte:»Er hat plotzlich die Augen aufgemacht, Sir. «Wie zur Bekraftigung rieb er sich das Kinn.»Und wissen Sie, was er als erstes zu mir sagte?»
        Herrick antwortete nicht, als er die Tranen sah, die uber Alldays stoppelige Backen liefen.

>»Du hast dich heute nicht rasiert, du Lummel!< Das hat er gesagt,
        Sir.»
        Browne schlo? vorsichtig die Tur, die Allday in Gedanken offengelassen hatte, setzte sich wieder und schaute zu Boden.»Jetzt verstehe ich Sie, Sir.»
        Als Herrick nicht antwortete, bemerkte er, da? der Kapitan in seinem Stuhl eingeschlafen war.
        Sehr vorsichtig verlie? Browne die Kajute und ging zum Niedergang. Dort stie? er fast mit dem Schiffsarzt zusammen, der einen Augenblick abwartete, in dem das Schiff wieder auf ebenem Kiel lag. Browne bemerkte Loveys Hande, die aussahen, als truge er rote Handschuhe.
        Er sagte:»Kommen Sie mit in die Messe. Ich mache eine Flasche auf. Die haben Sie mehr als verdient!»
        Loveys betrachtete ihn mi?trauisch.»Ich bin kein Zauberer, wie Sie wissen. Konteradmiral Bolitho kann noch einen Ruckfall bekommen, und selbst wenn alles gutgeht, wird er bis an sein Lebensende leicht humpeln und Schmerzen haben.
«Vollig unerwartet lachelte er, und dabei war besonders deutlich zu erkennen, wie erschopft er war.»Glauben Sie mir, Mr. Browne, ich bin selber uberrascht.»
        Herrick kam aus seinem Stuhl hoch und ertastete sich den Weg aus der Kajute. Seine Erschopfung war ein guter Grund dafur gewesen, da? er eingeschlafen war. Wenn er sich noch langer mit Browne unterhalten hatte, ware es ihm - genau wie Allday - unmoglich gewesen, seine Gefuhle zu verbergen.
        Er tapste hinauf aufs Achterdeck, wobei seine Augen in der Dunkelheit doch noch die schemenhaften Kanonen erkennen konnten, wahrend die Finknetze sich klar wie Schattenrisse gegen den Abendhimmel abzeichneten.
        Der Steuermannsmaat der Wache stand beim Aufgang zur Hutte, einer der Midshipmen schrieb etwas auf seine Tafel, die er dazu ans Kompa?licht hielt. Das Schiff achzte und quietschte bei seiner heftigen Dumpelei vor der Ankertrosse. Die Decks glanzten na? vom Regen, und die Luft war eiskalt. An der entgegengesetzten Ecke des Achterdecks entdeckte Herrick den wachhabenden Offizier. Er rief:»Mr. Pascoe!»
        Pascoe eilte herbei, seine Schritte waren auf dem nassen Deck kaum zu horen. Er blieb vor seinem Kommandanten stehen und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Sie haben mich gerufen, Sir?»

«Es ist voruber, Adam. Er wird uberleben, und zwar mit beiden Beinen!«Herrick wandte sich ab und sagte nur noch im Gehen:»Ich bin in meiner Kajute, wenn etwas sein sollte.»

«Aye, aye, Sir!«Pascoe wartete, bis er verschwunden war, und schlug dann glucklich die Hande zusammen.
        Der Midshipman fragte angstlich:»Ist etwas nicht in Ordnung, Sir?»
        Pascoe mu?te seine Freude teilen, jemandem berichten.»Nicht mehr. Ich habe mich nie besser gefuhlt.»
        Er stakste davon und lie? den Midshipman so ratlos stehen wie zuvor. Auch dieser machte sich selbstverstandlich Sorgen um den Admi-ral. Aber im Leben eines Midshipman gab es viele Dinge, uber die er sich Sorgen machen konnte. Diese Rechenaufgabe zum Beispiel. Der alte Grubb wollte sie noch vor Tagesanbruch haben. Da gab es keinerlei Entschuldigung.
        Die Tafel zitterte, als der Junge sich an den schrecklichen, aber gro?artigen Augenblick erinnerte. An den Konteradmiral, der seinen Hut schwenkte und die Kanonen des Feindes mi?achtete. An die jubelnden oder sterbenden Manner. Und er, Midshipman Edward Graham aus der Grafschaft Hampshire, hatte uberlebt.
        Der dreizehn Jahre alte Midshipman konnte nicht wissen, da? Richard Bolitho fast genau dasselbe dachte.



        X Traumgebilde

        Nach einer der sturmischsten Uberfahrten, an die Bolitho sich erinnern konnte, hatte die Benbow schlie?lich in Spithead geankert. Fast drei Monate waren sie fort gewesen, eine kurze Zeit nur fur einen erfahrenen Seeoffizier, doch Bolitho hatte nicht erwartet, da? sie Spithead oder einen anderen heimatlichen Hafen jemals wiedersehen wurden.
        Die schmutzig gelben Wellenkamme schienen ihm beinahe schon, und die klamme Luft in der Kajute war ihm nicht langer lastig. Bo-litho trat vorsichtig von den Heckfenstern zuruck; obwohl er sich bemuhte, sein verwundetes Bein nicht zu belasten, hatte er vor Schmerz fast aufgeschrien. Jeden Tag hatte er sich gezwungen, von Allday und Ozzard gestutzt, ein paar Schritte zu gehen.
        Stolz oder Zorn - er war sich noch nicht sicher, was von beiden uberwog - hatte ihn auf den Weg der Genesung getrieben. Er hegte den Verdacht, da? Kommodore Rice vom Downs-Geschwader vielleicht ungewollt einiges damit zu tun gehabt hatte.
        Herrick hatte darum gebeten, da? Rice das Kommando uber die vereinten Geschwader ubernahm, wahrend er selber die Benbow zur Inspektion und Reparatur ins Dock brachte. Rice hatte Herrick zunachst abgewiesen, weil er wohl darauf aus war, baldmoglichst auf seine eigene, weniger schwierige Station zuruckzukehren. Es konnte aber auch sein, da? er Bolitho schon abgeschrieben hatte und Herrick fur zu jung hielt, um ihm Anweisungen zu geben. Was es auch gewesen sein mochte: Bolitho hatte nach Yovell gerufen und ihm eine kurze Anweisung fur den Kommodore diktiert. Rice sollte danach bis auf weiteres das Kommando uber das vereinte Geschwader ubernehmen. Wenn Ropars' oder andere feindliche Schiffe den Versuch machen sollten, in die Ostsee einzudringen, wurden sie auf eine sehr viel starkere Streitmacht als bisher sto?en und ein weit gro?eres Risiko eingehen.
        Herrick klopfte an die Tur und trat ein.»Wir haben geankert, Sir. «Er schaute Bolitho prufend an und fugte hinzu:»Sie sollten sich schonen.»

«Wollen Sie mich vielleicht im Bootsmannsstuhl in mein Boot ab-fieren, Thomas? Wie den Arzt, den wir einmal hatten, oder wie ein Stuck uberzahliger Ladung?«Er zuckte zusammen, als das Deck sich plotzlich seitwarts neigte.»Aber ich werde vorsichtig sein.»
        Herrick lachelte.» Aye, Sir. Sobald die Tide wechselt, beabsichtige ich, in Portsmouth ins Dock zu gehen. Ich habe dem Hafenadmiral entsprechende Nachricht geschickt. «Dann setzte er ernst hinzu:»Der Sechste Offizier ist eben gestorben. So nahe am Zuhause.»
        Bolitho nickte. Es war besser so. Ein junger Offizier, dem das halbe Gesicht weggeschossen und der auch geistesgestort war, ware an Land eine Tragodie gewesen. Jetzt konnte wenigstens die Erinnerung an ihn von seiner Familie hochgehalten werden.
        Er sagte:»So viele gute Leute, Thomas. Ich hoffe, sie sind nicht umsonst gestorben.»
        Herrick lachelte.»Werfen Sie es hinter sich, Sir. Das haben wir doch schon oft genug tun mussen.»

«Und was wollen Sie machen?»

«Wenn wir eingedockt sind, werde ich die Midships und einige der Verheirateten nach Hause schicken.»
        Bolitho verstand. Mit Verheirateten meinte Herrick Offiziere und Deckoffiziere. Gemeine Seeleute, so loyal sie auch sein mochten, hatten sich wahrscheinlich verdruckt, wenn sie erst einmal wieder die Annehmlichkeiten ihres Zuhauses kennenlernten.
        Herrick sagte:»Ich bleibe naturlich an Bord. Wenn's Gott gefallt, wird meine Frau mich hier besuchen.»
        Bolitho setzte sich sehr vorsichtig hin.»Sie machen das beste daraus, Thomas, recht so.»

«Das ist wahr. Und ich bin glucklich. «Es klang etwas weniger glucklich, als er fragte:»Werden Sie die Admiralitat aufsuchen, Sir?»
        Bolitho zog eine Grimasse.»Ja, aber ich wurde lieber zehn solche Uberfahrten auf Ihrem Schiff machen als eine Reise im Dienstwagen nach London.»
        Allday schaute herein. Er war schick angezogen, mit Goldknopfen am Rock und Schnallenschuhen.»Ich habe die Bootsbesatzung zusammengerufen, Sir.»
        Herrick starrte Bolitho entsetzt an.»Sie haben doch nicht etwa die Absicht, sich an Land rudern zu lassen, Sir? Wir werden noch heute nacht im Dock sein. Sie konnen dann leicht morgen fruh den Wagen am >George< erreichen.»
        Bolitho lachelte uber seine Aufregung.»Ich mu? wieder lernen zu gehen, Thomas. Und irgend etwas sagt mir, da? ich nicht langer hier an Deck herumschlurfen soll.»
        Herrick seufzte.»Wenn Sie entschlossen sind.»
        Allday grinste.»Wir wissen beide, was das hei?t, nicht wahr, Sir?»
        Uber der Kajute horte Bolitho Fu?getrampel und das Quietschen von Taljen. Die Benbow war wieder zu Hause, aber fur die Beobachter am Ufer war sie einfach irgendein Schiff, das besser etwas in der Ferne blieb. Man las lieber daruber in der Gazette, als da? man es von nahem betrachtete. Ein Schiff war fur Unbeteiligte eben nur ein Schiff, und nicht Fleisch und Blut, Angst und Heldenmut.
        Bolitho erlaubte Ozzard, ihm in den Mantel zu helfen. Er zwang sich zu einem unbewegten Gesichtsausdruck, nahm aber an, da? weder Herrick noch Allday sich tauschen lie?en. Der Schmerz trieb ihm Schwei?perlen auf die Stirn, und jede kleinste Anstrengung kostete ihn fast mehr Kraft, als er besa?. Jetzt noch Sabel und Gurt, dann der Hut, wahrend Ozzard den Zopf uber den goldbestickten Kragen legte.
        Allday zupfte den Gurt zurecht und murmelte:»Wenn Sie noch etwas dunner werden, Sir, konnen wir Ihnen ein Hundehalsband umlegen.»
        Browne, schon im Bootsumhang, erschien am Eingang.»Boot liegt langsseit, Sir. «Er lie? die Blicke uber Bolithos Erscheinung wandern und nickte billigend. Mit Herrick an der Spitze, marschierten sie von der Hutte auf das nasse Achterdeck.
        Bolitho gewahrte erstaunt die gro?e Zahl von Seeleuten, die in den Wanten hingen oder auf den Laufbrucken standen. Herrick sagte schnell:»Ich habe keineswegs Befehle dazu gegeben, Sir.»
        Bolitho nahm den Hut ab und ging langsam in Richtung Fallreep. Die Einstiegspforte schien eine Meile weg zu sein, und jedes langsame Neigen des Decks drohte ihn umzuwerfen. Zum erstenmal seit dem Augenblick, als ihn die Musketenkugel niedergestreckt hatte, war er an Deck. Er brauchte nicht an die Schmerzen und den Blutverlust erinnert zu werden. Noch fuhlte er sich innerlich leicht und wie betaubt von der Gewi?heit, da? er lebte.
        Browne flusterte:»Stutzen Sie sich auf mich, Sir.» Selbst er hatte seine ubliche Ruhe verloren.»Bitte.»
        Auf einmal rief einer der Manner:»Bravo!«, was ein allgemeines Beifallsgebrull ausloste, das wie eine Flutwelle durch das Schiff lief.
        Pascoe schwenkte mit allen anderen den Hut, und sein lachendes Gesicht sagte alles. Da war Grubb in seinem verschlissenen Mantel, dann die machtige Gestalt von Leutnant Wolfe, dazu all die anderen Gesichter, die zu Namen geworden waren. Personlichkeiten.

«Gehen Sie schon vor, Mr. Browne. «Bolitho streckte Herrick die Hand hin.»Ich werde Sie auf dem laufenden halten, Thomas. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau. «Er sprach mit zusammengepre?ten Zahnen, um den Schmerz zu unterdrucken.
        Dann schaute er hinunter auf das stark dumpelnde Boot, musterte die Kuttergaste in ihren sauberen karierten Hemden und geteerten Huten und die Riemen, die sich gegen das dunkle Wasser sehr wei? abhoben.
        Jetzt oder nie! Bolitho schwang sich nach au?en aufs Fallreep und konzentrierte sich vollig auf das Boot und auf Allday, der - den Hut in der Hand - bereitstand, ihm beim Hinunterklettern zu helfen.
        Die Triller der Bootsmannsmaatenpfeife und die Hochrufe der Matrosen halfen ihm, seine Muhe bei jedem Schritt abwarts zu verbergen, bis er mit einer letzten Anstrengung das Boot erreichte.
        Als der Kutter sich von der Benbow entfernte, sah Bolitho hinauf zu dem Durcheinander an Deck, zu den provisorischen Abdichtungen der Einschu?locher in der Bordwand, und zu den vielen Schrammen und Kratzern von Kartatschenkugeln.
        Als die Kuttergaste kraftig durchholten und das Boot am Bug vorbeirauschte, schaute Bolitho zuruck auf die hervorstechende Galionsfigur. Vizeadmiral Benbow hatte sein Bein verloren. Fast hatte er es ihm gleichgetan.
        Sie hatten ein langes und hartes Stuck zu rudern, doch irgendwie half es Bolitho, seine Krafte zu erneuern. Die lebhaften Bewegungen des Kutters, die Spritzer, die sein Gesicht netzten, waren doch besser als sein feuchtes Gefangnis an Bord des Linienschiffes.
        Ein paar Wachtposten der Seesoldaten bahnten Bolitho einen Weg durch die Menge von Neugierigen, die bei seiner Ankunft zuschauen wollten.
        In Falmouth und sogar in Plymouth hatte man ihn gleich erkannt. Hier dagegen sahen die Leute fast jeden Tag Admirale kommen und gehen, oft weit ranghohere als Bolitho.
        Eine Frau hielt ihr Kind hoch und rief:»Ist es Nelson?»
        Eine andere sagte:»Er ist in der Schlacht gewesen, wer's auch sein mag.»
        Bolitho sah erstaunt eine elegante Kutsche, die im Schutz einer Mauer auf sie wartete.
        Browne erklarte fast entschuldigend:»Ich habe sie bestellt, als wir ankerten. Sie gehort einem Freund meiner Familie, und ich bin froh, da? sie rechtzeitig kam.»
        Bolitho lachelte. Die Kutsche war wunderbar gefedert und wurde sich angenehm von dem Dienstwagen Portsmouth-London unterscheiden.

«Sie uberraschen mich immer wieder.»
        Ein junger Leutnant trat vor und zog den Hut.»Ich habe Befehl, Ihnen diese Schreiben zu ubergeben, Sir. «Er beobachtete Bolitho mit so unverhohlener Neugier, als wolle er sich jede Einzelheit genau einpragen.»Vom Hafenadmiral und aus Whitehall, Sir.»
        Browne nahm die Papiere an und ubergab sie Allday.»Legen Sie sie in den Wagen, und dann sagen Sie dem zweiten Bootssteurer, da? er mit dem Kutter zur Benbow zuruckfahren kann. «Trocken setzte er hinzu:»Ich nehme an, Sie beabsichtigen, mit uns zu kommen?»
        Allday grinste.»Ich habe eine kleine Tasche gepackt, Sir. «Browne seufzte. Allday strahlte seit Bolithos Genesung wie die Tropensonne.

«Meine Empfehlung an den Hafenadmiral. «Bolitho stellte sich vor, wie Herrick jetzt seinen Bericht fur die Werft diktierte, eine Arbeit, die er ha?te, wie die meisten Kommandanten.»Richten Sie ihm bitte Gru?e von mir aus.»
        Browne warf dem Leutnant, dem Boten des Hafenadmirals, einen vernichtenden Blick nach, als er in der Menge untertauchte. Allday kam zuruck und kletterte zu dem dicht vermummten Kutscher auf den
        Bock.
        Bolitho zogerte noch. Er drehte sich um und warf einen Blick durch das Hafentor auf die Reede hinaus. Viele Schiffe lagen drau?en vor Anker, aber er suchte die Benbow. In zwei Wochen begann ein neues Jahr: 1802. Was mochte es der Benbow und allen, die sie auf ihren machtigen Planken trug, bringen?
        Endlich kletterte er in die Kutsche und lie? sich erleichtert in die weichen Kissen sinken.

«Haben Sie Schmerzen, Sir? Wir konnen hier eine Zeitlang stehenbleiben, wenn Sie es wunschen. Wagen und Pferde stehen zu Ihrer Verfugung, so lange Sie es wunschen.

        Bolitho bewegte sein Bein probeweise.»Das mu? aber ein sehr guter Freund sein.»

«Ihm gehort die halbe Grafschaft, Sir.»
        Bolitho zwang seine Glieder, sich Zentimeter um Zentimeter zu entspannen.»Fahren Sie los. Die Arbeit des Doktors scheint zu halten. «Er lehnte sich zuruck und schlo? die Augen. Dabei kehrten noch einmal all die fluchtigen Erinnerungen zuruck: Alldays Gesicht, die Gehilfen des Schiffarztes rundum, die Schmerzen, seine eigene Stimme, achzend und flehend wie die eines Fremden. Und dann dieser Morgen. Die Seeleute, die ihm zujubelten. Er hatte sie an die Schwelle des Todes gefuhrt, und sie wunschten ihm trotzdem noch Gutes.
        Die Bewegungen der Kutsche glichen denen eines Bootes in kabbeligem Wasser, und als das Geklapper der Hufe und Knarren der Rader auf Kopfsteinpflaster in das dumpfe Gerausch einer schlammigen Landstra?e uberging, ubermannte Bolitho der Schlaf.

«Brrr, Ned! Halt, Blazer!»
        Bolitho schreckte aus seinem Schlaf hoch und bemerkte gleich mehrere Dinge auf einmal: da? es viel kalter geworden war und da? sich Graupelkorner in den Ecken der Wagenfenster gesammelt hatten. Au?erdem schaukelte sein Sitz heftig. Das lag daran, da? Browne mit aller Gewalt versuchte, das Fenster zu offnen. Er hielt dabei eine gespannte Pistole in der anderen Hand.
        Browne fluchte:»Gottverdammich, es ist festgeklemmt!«Er bemerkte, da? Bolitho aufgewacht war, und setzte unnotigerweise hinzu:

«Drau?en gibt's Schwierigkeiten, Sir. Stra?enrauber, oder so ahnlich.»
        Das Fenster fiel so plotzlich herunter wie das Messer einer Guillotine, die kalte Luft stromte herein und fullte in Sekunden das Wageninnere.
        Bolitho horte, da? die Pferde unter Kontrolle waren und ihre Hufe nur auf sumpfigem Untergrund schlitterten. Es war der recht Ort fur einen Raububerfall, weit und breit kein Haus zu sehen.
        Der Wagen hielt, und ein Mann mit wei?en Augenbrauen schaute zu ihnen herein.
        Bolitho schob Brownes Pistole zur Seite. Es war Allday, Gesicht und Brust mit Schnee und Graupelkornern bedeckt.
        Allday sagte:»Ein Unfall, Sir. Der andere Wagen ist von der Stra?e abgekommen. Jemand scheint verletzt zu sein.»
        Browne kletterte aus dem Wagen und protestierte, als Bolitho ihm folgte.
        Drau?en blies ein starker, stetiger Wind, und als die beiden Offiziere sich hinter Allday vorwartskampften, wehten ihre schweren Bootsumhange wie Banner aus. Der Kutscher war auf seinem Bock geblieben und beruhigte die Pferde, die mit dampfenden Leibern nervos stampften.
        Die andere Kutsche, kleiner als ihre, lag im Graben neben der Stra?e. Ein Pferd stand in der Nahe und schien vollig unbeteiligt am Geschehen. Neben dem Hinterrad hob sich ein Blutflecken deutlich vom Schneematsch ab.
        Allday sagte:»Hier unten, Sir!«Er arbeitete sich muhsam den Abhang hoch und schleppte dabei einen Mann hinter sich her. Dessen eines Bein stand in einem unnaturlichen Winkel ab, offensichtlich war es gebrochen.

«Vorsichtig!«Browne kniete schon neben ihm.»Bewu?tlos, der arme Teufel.»
        Allday sagte:»Sieht aus, als habe er wegkriechen wollen. Um Hilfe zu holen, nehme ich an.»
        Sie sahen einander an, und Bolitho befahl:»Schauen Sie in der Kutsche nach. Hier, ziehen Sie mich hoch!»
        Mit einigen Schwierigkeiten bekamen sie die Tur auf und schlugen sie wie den Deckel einer Stuckpforte zuruck. Die andere Seite des Wagens lag tief im Matsch.
        Bolitho sagte:»Es ist eine Frau. Und ganz allein. «Er packte den Turrahmen so fest, da? das zersplitterte Holz seine Haut ritzte. Das konnte doch nicht sein! Er schlief noch, und dies war nur ein qualendes Traumgebilde.
        Er spurte Allday neben sich.»Alles in Ordnung, Sir?»

«Schauen Sie hinein!«Kaum konnte er seine Stimme beherrschen.
        Allday zwangte ein Bein durch den Turspalt und schlupfte dann vorsichtig hinein. Drinnen schien es ohne den bei?enden Wind und die Nasse fast warm. Er streckte die Hand aus und beruhrte die Frau, fuhr aber erschreckt zuruck, als ihr Kopf ihm langsam entgegensank.

«O mein Gott!»
        Bolitho sagte:»Helfen Sie mir hinein!»
        Er fuhlte nicht einmal, da? sein bandagiertes Bein gegen die Tur stie?. Alles, was er sah, war der Korper der Frau. Ihr Samtmantel war ihr durch den Sturz auf die Fu?e gerutscht. Das gleiche lange, kastanienbraune Haar, fast das gleiche Gesicht, ahnliche Zuge. Sie mu?te sogar in Cheneys Alter sein, dachte er verzweifelt.
        Vorsichtig, fast ohne zu atmen, umfa?te er ihre Schultern und fuhlte zogern nach ihrem Herzen. Nichts. Er konzentrierte sich, dachte an die Kraft, die von Allday ausging. Sie mu?te leben!
        Da, ein schwacher Herzschlag unter seinen Fingern.
        Allday sagte heiser:»Nichts gebrochen, Sir. Nur eine ha?liche Beule an der Schlafe.«Uberraschend zart wischte er ein paar Haarstrahnen aus ihrem Gesicht.»Ich wurde es einfach nicht glauben, wenn Sie nicht hier waren.»
        Bolitho hielt sie vorsichtig in den Armen, spurte ihren schwachen Atem und fuhlte, wie sich ihr Korper an seinem erwarmte.
        Er horte Browne von der Stra?e rufen:»Was ist los, Sir?«Von seinem Platz bei dem verletzten Kutscher konnte er wahrscheinlich nichts sehen. Was war denn los? Bolitho uberlegte. Ein Madchen, das wie Cheney aussah, aber nicht Cheney war. Eine Kapriole des Schicksals, die sie hier auf der leeren Stra?e zusammengefuhrt hatte, sicher nur fur einen Augenblick.
        Allday sagte:»Wir tragen sie am besten in unseren Wagen, Sir. «Er sah Bolitho besorgt an.»Wenn wir nicht gekommen waren, hatten sie bei dieser Kalte kaum uberlebt.»
        Bolitho kletterte verwirrt aus dem Wagen. Die ganze Szene war so, wie er sie sich immer vorgestellt hatte: der zerschmetterte, umgesturzte Wagen und darin wie in einer Falle Cheney mit dem Kind unter ihrem Herzen. Der Kutscher todlich verletzt, aber Ferguson, sein einarmiger Verwalter, bei ihr. Irgendwie hatte Ferguson es geschafft, Cheney auf der Suche nach Hilfe zwei Meilen weit zu tragen, aber ohne Erfolg. Bolitho hatte sich das Bild so oft vorgestellt. Wenn diese Fremden hier Schauspieler gewesen waren, hatten sie es nicht wahrhaftiger, nicht grausamer nachstellen konnen.
        Browne sagte:»Ich habe sein Bein provisorisch geschient. Er ist noch etwas benommen. «Unsicher spahte er durch den Schneeregen, sein Dreispitz glitzerte wie Glas.»Lord Swinburnes Landsitz liegt hier in der Nahe. «Er rief ihrem Kutscher zu: Kennen Sie ihn?»
        Der Kutscher nickte, offenbar nicht gewillt, weiter in die Sache hineingezogen zu werden.»Ja, Sir.»
        In diesem Augenblick schien Browne zu bemerken, da? da noch etwas anderes vorsichging. Er beobachtete Allday, der die bewu?tlose Frau zum Wagen trug, und wandte sich an Bolitho, um ihn zu befragen. Aber Bolitho kletterte schon in ihren Wagen, das Gesicht so verschlossen, wie Browne es noch nie gesehen hatte.
        Allday kam zuruck und sah sich den verletzten Kutscher an.
        Browne flusterte ihm wutend zu:»Was ist eigentlich los, Mann?»
        Allday blieb ruhig, obwohl er innerlich kochte.»Mr. Browne, Sir - wenn Sie dem Amiral helfen wollen, dann schlage ich vor, da? Sie in dem anderen Wagen mit nach Gepackstucken suchen. Hier werden sich bald Diebe einfinden wie Krahen um den Galgen. Dann konnten Sie vielleicht das Pferd hinten an unseren Wagen binden. Ich kann mit Pferden nicht umgehen.»
        Als Browne sich gehorsam zur umgesturzten Kutsche begab, fugte Allday hinzu:»Der Admiral wird es Ihnen spater erklaren, Sir. Das ist keine Mi?achtung Ihrer Person, nichts fur ungut.»
        Er sagte es so geradeheraus, da? Browne wu?te, es hie?:»Geh' zur Holle, wenn du willst!«Doch dann dammerte ihm etwas.

«Sie sieht seiner toten Frau ahnlich, ist es das?»
        Allday seufzte.»Es ist kaum zu glauben. Ich kannte Mrs. Bolitho gut und meinte vorhin, ich konnte meinen Augen nicht trauen. «Er starrte zu dem anderen Wagen hinuber, dessen Umri? in dem anhaltenden Schneeregen gerade noch zu erkennen war. Als ob er nicht schon genug zu verkraften hatte!«Das sagte er derart bitter, da? Browne beschlo?, es dabei bewenden zu lassen.
        Spater, als ihre Kutsche behutsam in die andere Stra?e einbog, das dritte Pferd gehorsam hinter ihnen hertrottend, beobachtete Browne, wie sorgsam Bolitho und Allday sich bemuhten, die Frau gegen jeden plotzlichen Ruck des Wagens abzuschirmen.
        Unter der durch ihre Ohnmacht verursachten Blasse sah man, da? ihre Haut mehr als nur fluchtig erworbene Sonnenbraune aufwies. Sie war offensichtlich erst kurzlich in Ubersee gewesen. Browne schatzte ihr Alter auf etwa drei?ig Jahre. Sie war liebreizend, ein anderer Ausdruck fiel ihm nicht ein. Die zarten Linien ihres Mundes hatten auch Schock und Schmerz nicht entstellen konnen.
        Und dann ihr Haar. Er hatte noch nie eine derart warme Brauntonung gesehen.
        Eine ihrer Hande fiel herunter, und Browne sah, wie Bolitho sie vorsichtig zurucklegte. Er bemerkte, da? Bolitho dabei zogerte, was er noch nie bei ihm bemerkt hatte. Vielleicht war es der Ring an ihrem Finger, der Ring eines anderen. Das war zu erwarten, dachte Browne. Er sah den traurigen Ausdruck in Bolithos Augen und fuhlte sich davon seltsam bewegt. Selbst im Traum sollten solche Dinge nicht passieren.
        Allday sagte:»Wir fahren gerade an einem Pfortnerhaus vorbei, Sir. «Er spitzte die Ohren, um mitzubekommen, was ihr Kutscher dem Pfortner zurief. Wie zu sich selber sagte er bitter:»Ich wunschte, wir hatten auf Kapitan Herrick gehort und noch eine Jacht an Bord ve r-bracht. Dann hatte er von ihrer Existenz nie erfahren.»
        Die Kutsche hielt an, und der Klang weiblicher Stimmen drang zu ihnen herein.

«Gott steh' uns bei: Marineoffiziere! Helfen Sie mir. Und Sie bestellen Andy, da? er sein Pferd satteln und den Doktor holen soll!«Browne sagte:»Ein Gluck, da? ich mich an dieses Gut erinnerte,
        Sir.»
        Aber Bolitho horte ihn nicht. Er folgte bereits den anderen zum Eingang des Herrenhauses. Lord Swinburne schien viel zu klein fur einen Mann, der so viel Autoritat und ein derart gro?artiges Haus besa?. Er stand mit seinem Allerwertesten gefahrlich nahe am prasselnden Kaminfeuer und blickte mit der wachen Neugier einer Winterdrossel abwechselnd Bolitho und Browne an.

«Donnerwetter, was fur eine Geschichte, Sir! Gut, da? wir Sie bei uns haben, Bolitho. Offiziere des Konigs kommen selten hierher. Und
        Armee und Flotte haben uns alle jungen Leute weggeholt. Wie mein Verwalter zurechtkommt, wage ich gar nicht zu fragen.»
        Ein Dienstmadchen trat durch die hohe, zweiflugelige Tur und machte einen Knicks. Verzeihung, Mylord, aber der Doktor ist gekommen.»

«Dann bring' ihn doch nach oben, Madchen. Und sag' ihm, da? ich etwas zum Aufwarmen habe, wenn er nachher fertig ist.»
        Das Madchen knickste wieder und verschwand. Swinburne lachte in sich hinein.»Sie sind also auf dem Weg nach London, sagen Sie? Gut, aber warum wollen Sie nicht bei uns ubernachten? Mein Stallmeister meint, das Unwetter verzieht sich bis zum Morgen. Sie sind hier sehr viel besser aufgehoben als in einem flohinfizierten Gasthof, das darf ich wohl sagen. «Er geno? den unerwarteten Besuch.
        Bolitho streckte das verwundete Bein aus und fuhlte, da? die Warme des Feuers ihm wohltat und den pochenden Schmerz linderte.
        Swinburne sagte plotzlich sehr ernst:»Gut zu wissen, da? wir noch junge Manner haben, die unsere Flotten befehligen. Gott wei?, da? wir sie dringend brauchen. Wie ich hore, ist Nelson aus dem Mittelmeer zuruck und bereits bei der Kanalflotte. Gro?e Dinge bereiten sich vor.»
        Bolitho nahm ein Glas von einem anderen Diener. Der Wein war kuhl und klar, hochstwahrscheinlich auf dem Gut nach einem alten Rezept selbst hergestellt, wie sie es oft in Cornwall machten und in allen anderen Grafschaften, die von ihren eigenen Erzeugnissen leben mu?ten.
        Lord Swinburne wu?te mehr als er, aber Bolitho war nicht in der Stimmung, Informationen einzuholen. Seine Gedanken kreisten allein um das Madchen oben. Diese Ausstrahlung! Dieser Duft ihres Haares, als er sie im Wagen gehalten hatte! Es war narrisch, ja verruckt, sie mit Cheney zu vergleichen. Denn das war vorbei. Fruher oder spater, auf diese oder jene Weise, wurde er sich davon befreien mussen.
        Browne sagte:»Ich wurde gern hierbleiben, Mylord. Mein Vater hat oft von Ihnen gesprochen. «Er sah Bolitho an.»Ware es Ihnen recht,
        Sir?»
        Bolitho wollte ablehnen, notfalls unhoflich werden, um nur dem allen zu entfliehen und seine Verzweiflung zu verbergen. Aber in diesem Augenblick sah er einen kleinen, rundlichen Mann mit Brille eintreten und wu?te, da? es der Arzt war.

«Nun, wie geht es ihr?»
        Der Doktor nahm ein Schwenkglas mit Brandy entgegen und hielt es voller Bewunderung gegen das Feuer.

«Nichts gebrochen, aber sie benotigt Ruhe. Es war ein boser Sturz, und sie hat Prellungen wie ein Preisboxer.»
        Browne bemuhte sich, uninteressiert zu erscheinen, aber er stellte sich vor, wie das reizende Madchen nackt und hilflos vor den Augen des Arztes gelegen hatte.
        Der Doktor setzte hinzu:»Sie ist jetzt bei Bewu?tsein, Gott sei Dank. Ihre Gattin kummert sich um sie, Mylord, also ist sie in guten Handen. «Er hielt das Glas zu neuer Fullung hin.»Bei Gott, ich hatte keine Ahnung, da? die Schmuggler ihre Ware bis hierher liefern.»
        Lord Swinburne grinste verschmitzt.»Sie unverschamter Teufel! Wenn es im Umkreis von funf Meilen einen anderen Arzt gabe, wurden Sie den Fu? nicht mehr uber meine Schwelle setzen.»
        Sie waren offenbar sehr gute Freunde.
        Der Doktor stellte sein Glas vorsichtig ab und kam zu Bolitho heruber.»Bitte, halten Sie einen Augenblick still, Sir.»
        Bolitho wollte protestieren, sah dann aber das Blut auf seinem Bein im Feuerschein wie ein grausames Auge schimmern. Der Arzt knopfte sich den Rock auf.

«Erlauben Sie mir, da? ich Sie in einen anderen Raum fuhre?»
        Browne beobachtete fasziniert, wie Bolithos Widerstand sich in Verlegenheit verwandelte, als der Arzt ruhig hinzusetzte:»Ich habe genugend tapfere Manner kennengelernt und wei? mit Wunden umzugehen, Sir.»
        Als sie den Raum verlie?en, der hochgewachsene Offizier auf den rundlichen Doktor gestutzt, sagte Swinburne:»Sie dienen unter einem bemerkenswerten Mann, Oliver. Welch ein Gluck fur Sie!»

«Wenn der Konteradmiral morgen nicht in der Lage ist, weiterzufahren, werde ich ohne ihn abreisen, Mylord. «Browne dachte uber die Konsequenzen seines Entschlusses nach. Es mu?te sich lohnen, Admi-ral Beauchamps Gesicht zu sehen, wenn er mit Bolithos Berichten in der Admiralitat aufkreuzte.

«Ich furchte, er wurde sich sonst Sorgen machen.»

«Gute Idee, mein Junge. Die Stra?en sind nicht so, wie sie sein sollten.»
        Der Arzt kehrte zuruck und knopfte seinen Rock zu, womit er andeutete, da? er nun nicht langer arbeitete. Er senkte die Stimme.»Er hat eine schreckliche Wunde, Leutnant, aber sie ist gut versorgt worden. Allerdings verlangt sie sehr viel mehr Geduld, als Ihr Vorgesetzter wohl aufbringt. «Er hielt die Hande ans Feuer.»Er hatte Gluck, da? ein so guter Arzt an Bord war. Ich habe von ihm schon gehort und gelesen.»
        Swinburne sagte:»Und was gedenken Sie, mit dem Admiral zu tun?»

«Ich werde ihn hierbehalten, wenn ich darf. Ich glaube, er ist ein einsamer Mann. Der schnelle Wechsel zum stillen Landleben konnte ihm mehr schaden als guttun. «Er machte eine ausholende Bewegung, die den gro?en, mit Saulen geschmuckten Raum umfa?te.»Doch in dieser bescheidenen Hutte und mit dem Weihnachtsfest vor der Tur konnte er schnell genesen.»
        Swinburne zwinkerte Browne zu.»Also erledigt. Sie fahren zu diesen Eierkopfen von der Admiralitat, wenn Sie mussen. Aber seien Sie rechtzeitig zum Fest wieder hier.
«Er rieb sich die Hande.»Es wird wieder ganz wie in alten Zeiten. «Als Bolitho zuruckkam, wu?te er, da? es zwecklos war, zu protestieren oder zu streiten. Manchmal war Nachgeben besser. Schicksal? Herricks beruhmte Fortune. Wie man es auch nennen wollte: irgend etwas hatte entschieden, da? er die Ben-bow so fruh wie moglich verlassen sollte. Irgend etwas hatte Browne eingegeben, die bequeme Kutsche auszuleihen, statt den Dienstwagen nach London zu nehmen. Wenn er auf letzterem bestanden hatte, waren sie eine andere, starker benutzte Stra?e gefahren.
        Er versuchte, seine lacherliche Hoffnung zu unterdrucken, bevor sie ihn vernichtete.
        Swinburne sagte laut:»Verdammt noch eins, naturlich: Bolitho! Mir ist bis jetzt nicht eingefallen, da? Sie es sind! Ich habe von Ihnen in der Gazette und in der Times gelesen. «Er drohte Browne mit der Faust.»Sie sind ein noch gro?erer Dummkopf als Ihr Vater, Oliver. Mir nichts zu sagen! Gottverdammmich, Mann!«Er war au?er sich vor Vergnugen. Browne sagte sanft:»Sie haben mir kaum Gelegenheit dazu gelassen, Mylord.»
        Ein Diener ri? die Tur auf, und Lady Swinburne rauschte mit der imposanten Wurde eines Linienschiffs herein, um ihre Gaste zu begru?en. Sie nickte Browne zu.»Ah, Oliver!«war alles, was sie sagte, doch Bolitho vermutete, da? es viel mehr bedeutete. Dann nahm sie Bolithos Hand und musterte ihn neugierig. Sie war eine sehr gro?e Dame, gut einen Kopf gro?er als ihr Mann.

«Konteradmiral Bolitho, Sie sind herzlich willkommen. Sie sehen so aus, wie mein Sohn jetzt wohl ausgesehen hatte. Er fiel bei der Schlacht in der Chesapeake-Bucht.»
        Swinburne sagte:»Qual' dich nicht damit, Mildred. Es ist lange her.»
        Bolitho druckte ihre Hand.»Nicht fur mich, Mylady. Ich war dabei.»
        Sie nickte.»Das dachte ich mir, da Sie gleichaltrig sind. «Ein Lacheln wischte ihre plotzliche Trauer beiseite. Sie sagte:»Oben liegt ein junge Dame, die Sie zu sehen wunscht. Um Ihnen zu danken. «Lady Mildred sah, da? der Arzt kurz den Kopf schuttelte, und bemerkte den Blutfleck auf Bolithos Hose, den auch der Alkohol des Arztes nicht ganz beseitigt hatte.»Na schon, dann eben spater. «Sie warf den anderen einen strahlenden Blick zu.»Ein verwundeter Seeheld und eine Dame in Not, kann es bessere Voraussetzungen fur ein schones Weihnachtsfest geben?»



        XI Eine alte Rechnung

        Bolitho stand unentschlossen am frisch entfachten Kaminfeuer und lauschte auf das Prasseln des Graupelregens gegen die Fenster. Es war Abend und er, soweit er wu?te, fast allein in dem gro?en Haus. Sie hatten ihm ein kleines Zimmer im Erdgescho? eingeraumt und ihn nicht einmal zum Mittagessen geweckt.
        Als er schlie?lich aufgewacht war, hatte er seine Kleider sauber zurechtgelegt gefunden und seine Kniehosen wie neu und ohne eine Spur der Blutflecken.
        Das Haus mu?te sehr alt sein, stellte er fest, und viele Generationen von Swinburnes hatten immer wieder daran gebaut. Sein Zimmer war mit hohen Regalen ausgestattet, in denen offenbar vielbenutzte Bucher standen. Es erinnerte ihn an den Raum in Kopenhagen, in dem ihn der Kronprinz empfangen hatte. Auch das schien jetzt Teil eines Traumes zu sein. Nur die schmerzhafte Erinnerung an seine Wunde burgte fur die Realitat.
        Er versuchte, die Frau aus der Kutsche als vollig Fremde zu sehen, wie es selbstverstandlich gewesen ware, wenn sie anders ausgesehen hatte. Ihm war, als trate er von einem Gemalde zuruck, dessen Einzelheiten ihn fasziniert hatten, um es nun als Ganzes zu betrachten.
        Die Tur offnete sich leise, und er wandte sich um und dachte, es sei Browne oder einer von Swinburnes aufmerksamen Dienstboten.
        Sie stand da - umrahmt vom Licht aus dem Nebenraum - , Gesicht und Arme vom Feuerschein des Kamins angeleuchtet.
        Bolitho wollte ihr entgegengehen, aber sie sagte:»Nein, bitte bleiben Sie, wo Sie sind. Ich habe von Ihrer Verwundung gehort. Sie haben Ihr Leben riskiert, als Sie auf der Stra?e halfen, meines zu retten.»
        Sie naherte sich dem vollen Licht des Kaminfeuers, und ihr Kleid schleifte dabei uber den Fu?boden. Es war wei? mit gelbem Blumenmuster. Ihr langes, kastanienbraunes Haar war mit einem Band der gleichen Farbe zuruckgebunden. Sie bemerkte, da? er sie anstarrte, und erklarte:»Das Kleid gehort mir nicht. Lady Swinburnes Tochter hat es mir geliehen. Mein Gepack habe ich schon nach London geschickt. «Sie zogerte und streckte dann die Hand aus.»Ich bin in Ihrer und Ihrer Freunde Schuld.»
        Bolitho nahm ihre Hand und suchte hilflos nach den rechten Worten.»Gut, da? wir zur rechten Zeit kamen.»
        Behutsam machte sie ihre Hand frei und setzte sich.»Sie sind Konteradmiral Bolitho. «Sie lachelte leicht.»Und ich bin Mrs. Belinda Laidlaw.»
        Bolitho sa? ihr gegenuber. Ihre Augen glichen Cheneys uberhaupt nicht. Sie waren dunkelbraun.
        Er sagte:»Wir waren auf dem Weg nach London zur Admiralitat. Wir kamen gerade von See. «Er bemuhte sich, nicht auf sein Bein zu schauen.»Ich hatte das Pech, mich in einem Augenblick aufzurichten, in dem ich mich besser gebuckt hatte.»
        Sie ging auf seinen mageren Witz nicht ein.

«Auch ich bin gerade nach England zuruckgekommen. Aus Indien. Mir scheint hier alles ganz anders. «Sie schuttelte sich.»Nicht nur das Klima, alles. Der Krieg ist so nahe, da? ich den Feind fast sehe, der auf der anderen Seite des Kanals wartet, um bei uns zu landen.»

«Ich wu?te einige gute Grunde, warum die Franzosen nie kommen werden. «Er lachelte verlegen.»Obwohl sie es versuchen.»

«Das nehme auch ich an. «Sie sah gedankenverloren aus.
        Bolitho vermutete, da? die Erschutterungen und Prellungen doch schlimmer gewesen waren, als der Arzt festgestellt hatte. Er fragte vorsichtig:»Kam Ihr Gatte mit Ihnen?»
        Ihre Augen verdunkelten sich, wahrend sie zur geschlossenen Tur sah.»Mein Mann ist tot.»
        Bolitho sah sie an.»Das tut mir leid. Es war taktlos von mir, so neugierig zu fragen. Bitte verzeihen Sie.»
        Ihr Blick war prufend.

«Sie meinen es ehrlich. Aber ich bin schon uber das Schlimmste hinweg. Er war bei der Ostindischen Handelsgesellschaft und beschaftigte sich mit kaufmannischen Angelegenheiten, um den sich ausweitenden Handel auszubauen. Ursprunglich war er Soldat, aber er war zu weich dafur und froh, als er wieder Zivilist werden konnte.

        Sie zuckte kurz mit der Schulter, und diese Bewegung beruhrte Bo-litho tief.

«Dann wurde er krank. Auf einer Mission ins Landesinnere hatte er sich ein Fieber geholt. «Ihre Augen waren traumerisch wie ihr Ton, als riefe sie sich jeden Augenblick in die Erinnerung zuruck.»Es wurde schlimmer und schlimmer, bis er schlie?lich das Bett nicht mehr verlassen konnte. Ich habe ihn drei Jahre lang gepflegt. Es war Teil meines Lebens geworden, etwas, das ich tragen mu?te, ohne Mitleid oder Hoffnung. Dann, eines Morgens, starb er. Ich wu?te nicht, da? er auch einige Geschafte auf eigene Rechnung gemacht hatte, schlechte Geschafte. Wenige Stunden nach seinem Tod stellte ich fest, da? ich ohne Geld und vollig allein dastand.»
        Bolitho versuchte sich vorzustellen, wie es fur sie gewesen sein mu?te. Und doch sprach sie ohne Bitterkeit oder Groll. Vielleicht hatte sie wahrend der langen Krankheit ihres Mannes gelernt, die Dinge so zu nehmen, wie sie waren.
        Er sagte:»Wenn ich irgend etwas tun kann…»
        Sie hob die Hand, lachelnd uber seinen Eifer.»Sie haben genug getan. Sobald die Stra?e wieder befahrbar ist, werde ich in London ein neues Leben beginnen.»

«Darf ich fragen, was Sie vorhaben?»

«In Bombay hatte ich ein einziges Mal gro?es Gluck. Ich traf zufallig einen leitenden Herrn der Handelsgesellschaft, und zu unser beider Erstaunen stellten wir fest, da? wir verwandt sind. «Sie lachelte bei der Erinnerung.»Sehr entfernt nur, aber es war wie eine rettende Hand, die sich einem Ertrinkenden entgegenstreckte.»
        Bolitho blickte auf den Teppich, aber sein Verstand rotierte.»Rupert Seton.»

«Wie, um alles in der Welt, konnten Sie das wissen?»
        Er erwiderte:»Ich war kurzlich in Kopenhagen. Dort horte ich, da? er wenige Tage zuvor auf der Durchreise nach England da gewesen war.»
        Sie beobachtete besorgt sein Gesicht.»Was bedruckt Sie?»

«Ich war mit seiner Schwester verheiratet. «Er sprach duster und hoffnungslos.»Sie starb bei einem Wagenunfall, als ich auf See war. Als ich Sie in der Kutsche sah, Ihr Haar - da dachte ich…Ich stellte mir vor…«Es dauerte einige Sekunden, bevor er den Satz vollendete.»Sie sind ihr sehr ahnlich.»
        In dem langen Schweigen horte er eine Uhr ticken, den Schlag seines eigenen Herzens, und weit weg einen Hund aufgeregt bellen. Sie sagte sanft:»So habe ich mir also doch nicht alles nur eingebildet. Die Art, wie Sie mich hielten. Sie gab mir irgendwie die Gewi?heit, da? ich geborgen war.»
        Die Tur offnete sich, und Browne trat ein.»Verzeihung, Sir, aber ich dachte, Sie waren allein.»
        Belinda Laidlaw sagte:»Bitte kommen Sie herein, Leutnant. In diesem Haus fuhlt man sich wie ein Fluchtling.»
        Browne rieb sich die Hande am Feuer.»Sie sehen besser aus nach der Ruhepause, Sir. Ich habe mit Lord Swinburnes Stallmeister gesprochen. Er sagt, die Stra?e wird bei Tagesanbruch wieder benutzbar sein. Das Schneetreiben geht in Regen uber. «Als Bolitho nichts sagte, fuhr er eifrig fort:»Wenn Sie erlauben, werde ich Ihre Berichte nach London bringen.»

«Einverstanden. «Bolitho blickte auf die Bugelfalte seiner Kniehose nieder und verfluchte seine Wunde.»Ich werde hier auf Ihre Ruckkehr warten.»
        Ihr Kleid raschelte uber den Boden, als sie fragte:»Darf ich in Ihrem Wagen mitfahren, Leutnant? Ich furchte, man wird in London beunruhigt sein, wenn ich noch spater komme.»
        Browne blickte von einem zum anderen und war ungewohnlich verwirrt.»Gut, gnadige Frau - wollte sagen: gerne, ich bin entzuckt, wenn ich Ihnen dienlich sein kann.»
        Sie drehte sich zu Bolitho um und wartete, als er aufstand.»Ich hatte unser Gesprach gern fortgesetzt. «Sie legte ihm die Hand auf den Arm.»Aber ich furchte, es hatte uns beiden Schmerz bereitet. Darum mochte ich Ihnen nur noch einmal fur Ihre Freundlichkeit danken, und dann fruh schlafen gehen, um fur einen fruhzeitigen Aufbruch bereit zu sein. Es war ein sehr anstrengender Tag, in jeder Hinsicht.»
        Bolitho starrte auf ihre Hand, die sie von seinem Arm zuruckzog. Der kurze Kontakt war unterbrochen.
        Browne schaute hilflos drein, als die Tur sich hinter Mrs. Laidlaw schlo?.»Ich bin wirklich sehr traurig, Sir.»

«Traurig? Warum?«Bolitho wandte sich zum Feuer.»Sie haben es fertiggebracht, da? ich eine alte Regel durchbrach. Ich hatte kein Recht, Sie in meine Angelegenheiten hineinzuziehen. «Er wu?te, Browne wollte etwas sagen, und fuhr dann schnell fort: Sie sind ein guter Kerl, Browne. Zuerst war es mir gar nicht recht, einen Flaggleutnant zu haben und mit ihm vertrauliche Kenntnisse zu teilen. Aber inzwischen habe ich Sie kennen und schatzen gelernt.»

«Dafur danke ich Ihnen, Sir. «Browne schien erstaunt.

«Sprechen wir nicht mehr davon. Ich habe mich lacherlich gemacht und die Dame unnotig beunruhigt. Ich bin wohl schon zu lange Seemann, um mich noch zu andern. Mein Platz ist auf See, Browne, und wenn ich dazu nicht mehr tauge, lebte ich besser nicht mehr.»
        Browne verlie? leise den Raum und schlo? die Tur. Wenn blo? Pas-coe oder Herrick da waren, dachte er. Selbst Allday hatte es bisher nicht geschafft, das Reglement des Swinburnschen Haushalts zu durchbrechen und zu seinem Herrn zu gelangen. Aber Bolitho brauchte jemanden.
        Browne dachte an die Berichte, an die nagenden Zweifel, die er anfangs bei Bolithos Kommandierung zum Ostseegeschwader gehabt hatte. Nun warf er einen Blick zuruck auf die geschlossene Tur und rief sich Bolithos Worte in Erinnerung: >Ich habe Sie schatzen gelernt/ In Brownes Kreisen sagte man solche Sachen nicht, daher hatte es ihn tief bewegt.
        Er sah einen Diener, der mit einem silbernen Tablett unter dem Arm zur Treppe strebte. Er winkte ihn heran.»Wurden Sie meinem Admi-ral wohl einen Schluck zu trinken bringen?»
        Der Diener sah ihn ausdruckslos an.»Franzosischen Brandy, Sir?»

«Nein, das nicht. Mein Admiral fuhrt seit vielen Jahren Krieg gegen die Franzosen.
«Er sah, da? seine Worte keinen Eindruck auf das Froschgesicht machten, und fuhr fort:»Etwas kuhlen Landwein. Er scheint ihn zu mogen.»
        Als der Diener sich entfernte, sah Browne Lord Swinburne die gro?e Treppe herunterkommen.
        Swinburne fragte:»Alles in Ordnung, Oliver?»

«Ich habe eine Bitte, Mylord.»

«Das uberrascht mich nicht. Ganz wie dein Vater. «Er schuttelte sich.»Also?»

«Lie?e es sich ermoglichen, da? der Bootssteurer des Admirals seinem Herrn etwas Gesellschaft leistet?»

«Sein Bootssteurer? Hier?«Die Vogelaugen blitzten.»Aber sicher, er hat gar keinen Diener mitgebracht! Ich werde gleich mit dem Butler sprechen. Hat er speziell seinen Bootssteurer verlangt?»
        Browne schuttelte den Kopf.»Das nicht, Mylord, aber ich habe das Gefuhl, da? es ihm wohltate.»
        Seine Lordschaft schlurfte kopfschuttelnd davon.»Vollig verruckt, ganz wie sein Vater.»
        Spater, als der Diener mit dem Tablett zuruckkam und gerade in Bo-lithos Zimmer gehen wollte, hielt Allday ihn am Arm fest und sagte brusk:»Halt, Kamerad, das mache ich!»
        Der Diener sah Allday hochmutig an, bemerkte dann aber dessen Gesichtsausdruck und die Gro?e seiner Fauste.
        Allday balancierte das Tablett in einer Hand und offnete mit der anderen die Tur. Das wird zunachst eine Bo geben, ein paar Fluche und Ausbruche, dachte er. Aber danach… Nun, wir werden sehen.
        Wahrend Allday ihm Halstuch und Kragen zurechtruckte, uberlegte Bolitho ungeduldig, wie er diesen Abend uberstehen sollte. Es war Erster Weihnachtstag, ein Tag mit vielem Kommen und Gehen in diesem gro?en Haus: Bauern, Nachbarn und Lieferanten mit Nachbestellungen in letzter Minute fur das festliche Dinner, auf das Swinbur-nes Kuche sich schon seit Wochen vorbereitete.
        Er horte muntere Geigenklange von unten und spielte mit dem Gedanken, unter dem Vorwand der Erschopfung Lord Swinburne und seine Gaste zu meiden. Aber eine derartige Luge ware ungezogen und nach all der Fursorge unverzeihlich gewesen.
        Drau?en schneite es, aber schwacher, so da? die Fahrwege und Dacher das Licht der Laternen, die Besuchern den Weg zum Eingang wiesen, in einem Dutzend schimmernder Farben widerspiegelten.
        Bolitho war vom Erdgescho? in diesen Raum umgezogen, aber auch die bessere Aussicht hatte wenig zu seiner Zerstreuung beigetragen. Er wunschte nun, er ware gleich mit nach London gefahren, ohne Rucksicht auf die Folgen fur seine Wunde.
        Allday trat einen Schritt zuruck.»Nun sehen Sie wieder aus wie Sie selber, Sir.»
        Bolitho bemerkte, da? Allday gedampft sprach und da? sein prufender Blick aus halb geschlossenen Augen kam, um ihn keinesfalls zu reizen.
        Bolitho schamte sich. Allday mu?te es in letzter Zeit nicht leicht mit ihm gehabt haben.
        Er sagte:»Ich wunschte, Sie konnten meinen Platz am Tisch einnehmen. «Dabei warf er einen Blick auf Alldays Spiegelbild.»Sie verdienten es, und noch viel mehr.»
        Allday fing seinen Blick im Spiegel auf und grinste. Seine Zuruckhaltung wich, als er antwortete:»Bei all den feinen Damen, Sir? Da wurde ich schon in Verlegenheit kommen, ehrlich.»
        Irgendwo wurde ein schwerer Gong angeschlagen. Allday nahm Bo-lithos besten Rock auf.»Ich hab' au?erdem ein reizendes kleines
        Madchen aufgetan, Sir. Mal sehen, ob ich es zum Dienst fur Sie pressen kann.»
        Bolitho fuhr in die Armel.»Sie werden sich hoffentlich fur ihr Entgegenkommen revanchieren.»
        Allday folgte ihm zur Tur.»Ganz gewi?, Sir.»
        Bolitho hielt noch einmal an.»Ich bin Ihnen noch eine Erklarung schuldig, Allday. Es scheint, ich habe alle schlecht behandelt, die mir in diesen Tagen zu helfen versuchten. «Er drehte sich um und lauschte auf die Stimmen und Klange, welche die Freitreppe heraufbrandeten.
        Allday sagte ruhig:»Da mussen Sie durch, Sir. Aber Sie schaffen es nicht, wenn Sie Ihre Marssegel backbrassen!»
        Bolitho nickte und ging langsam die Treppe hinunter; dabei fuhlte er sich ohne Hut und Sabel seltsam unsicher.
        Er erkannte die Halle kaum wieder. Sie war voll farbenprachtiger Kleider, halbnackter Schultern und Busen, voll roter Uniformrocke und einem solch bunten Gemisch von Leuten, da? er sich fragte, wo sie alle hergekommen sein mochten.
        Ein Diener sah ihn kommen und kundigte ihn an:»Konteradmiral Richard Bolitho!»
        Einige Kopfe wandten sich ihm zu, aber die meisten Gaste hatten die Ankundigung in dem Stimmengewirr nicht einmal gehort.
        Swinburne loste sich aus der Menge.»Ah, Bolitho, alter Junge!«Er lenkte ihn durch die weniger wichtigen Gruppen am Rande der Versammlung und murmelte:»Ich mochte Sie mit meinen Freunden bekanntmachen. Die meisten von ihnen haben noch nie im Leben einen aktiven Seeoffizier gesehen. «Er senkte die Stimme, als sie an einem Major mit scharlachrotem Gesicht vorbeikamen, der so alt aussah, als habe er schon an den vergangenen beiden Kriegen teilgenommen.»Er, zum Beispiel, soll Rekruten anwerben. Aber wenn unsere Bauernjungen ihn zu Gesicht bekommen, laufen sie weg und melden sich bei den Franzosen, wurde mich nicht wundern.»
        Bolitho hielt plotzlich ein Glas in der Hand. Innerhalb von Sekunden fand er sich in einer Ecke, umgeben von lachelnden und neugierigen Gesichtern. Fragen prasselten von allen Seiten auf ihn nieder, und zum erstenmal empfand er ein Unbehagen, das auch die weihnachtliche Hochstimmung nicht verdrangen konnte.
        Manchmal wahrend seiner Dienstzeit war Bolitho uber solche privilegierten Leute entrustet gewesen und hatte sogar Verachtung fur sie empfunden. Auf See starben jeden Tag Manner aus diesem oder jenem Grund, und auch die Soldaten an Land hatten es nicht viel besser. Aber dank der gro?en Anstrengung der Marine und ungezahlter Vorposten und Garnisonen der Rotrocke wuchs der britische Handel und sein Einflu? in Ubersee standig, ungeachtet mancherlei Schwierigkeiten und vieler Feinde.
        Als er jetzt ihre Fragen horte und diese Unkenntnis spurte, wenn man von der Verteidigung des Landes sprach und uber deren Schwache, die den Franzosen eine Invasion ermoglichen wurde, war Bolitho dem Verstandnis fur die hilflose Zivilbevolkerung naher denn je.
        Lady Swinburne rauschte durch die Menge und sagte:»Zeit zum Essen. «Sie bot Bolitho ihren Arm.»Wir wollen vorangehen.»
        Als sie durch die Reihen animierter Gesichter und knicksender Damen gingen, sagte sie:»Das ist eine Strafe fur Sie, nehme ich an. Aber es sind alles Freunde. Sie mochten verstehen, mochten wissen, was ihnen bevorsteht. Was fur Sie ein zufalliger Zufluchtsort ist, ist fur diese Leute ein Ort der Hoffnung auf ihr Uberleben.»
        Als sie die lange, glitzernde Tafel erreichten, gab es in der Halle etwas Unruhe. Bolitho horte Swinburne einem seiner Diener zurufen:»Legen Sie noch ein Gedeck fur den Leutnant auf, Arthur!«Browne war zuruckgekommen. Wahrend die Gaste sich langsam zu den ihnen zugedachten Platzen an der schwer beladenen Tafel begaben, schaffte es Browne, sich zu Bolitho hindurchzuarbeiten und ihm zu melden:»Die Berichte sind abgeliefert, Sir. Sir George Beauchamp brennt darauf, Sie zu sprechen, sobald Sie reisefahig sind. «Er senkte die Stimme, als er wahrnahm, da? einige Gaste, die von seinem unerwarteten Auftauchen uberrascht waren, die Halse reckten und zu lauschen versuchten. Es war wie eine Szene im Theater: der zerzauste junge Offizier, der von der Front zuruckgeeilt kommt, um seinem General zu melden: >Die Franzosen sind erledigt. Unsere Kavallerie greift an.< Browne fuhr fort:»Die Dinge in der Ostsee spitzen sich zu, wie Sie befurchtet hatten, Sir.»
        Es gab ein gro?es Rascheln von Gewandern und Rucken von Stuhlen, als die Gaste Platz nahmen und bewundernd die Speisen musterten, die so hoch aufgeturmt waren, da? sie die Kopfe der Gegenubersitzenden verbargen.
        Bolitho wandte sich zur Seite und blickte in die Augen einer jungen, attraktiven Dame. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten und lie? der Phantasie wenig Spielraum. Sie fing seinen Blick auf:»Sie starren mich an, Sir?«Lachelnd fuhr sie sich mit der Zunge uber die Lippen.»Gefallt Ihnen, was Sie sehen?»
        Ein breites Gesicht hinter ihrer Schulter sagte mit heiserer Stimme:»Vorsichtig, lieber Freund. Das ist eine Wildkatze, wenn nicht Schlimmeres.»
        Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern schaute Bolitho weiter an.»Mein Herr Gemahl. Ein Flegel.»
        Bolitho war fast dankbar, als das Mahl endlich begann. Und was fur ein Mahl das war! Es hatte samtliche Midshipmen seines Geschwaders fur eine Woche gesattigt, und doch ware noch genug ubriggeblieben.
        Die Gange wurden von geschulten Dienern angeboten und die leeren Teller und Schusseln mit gleicher Prazision abgeraumt. Bolitho war erstaunt, da? wirklich die meisten Schusseln leergegessen waren, wahrend er sich bereits unangenehm satt vorkam.
        Es gab verschiedene Sorten Fisch. Einen erkannte Bolitho als Steinbutt, einen anderen hielt er, obwohl er von einer dicken Sauce bedeckt war, fur Wei?fisch.
        Weiter und weiter ging es, und jeder neue Gang war gro?er und prachtiger dekoriert als der vorherige: ein riesiger Ochsenrucken, uber kleinem Feuer gegrillt, gebackener Schinken und gedunsteter Puter, und alles wurde mit einer reichen Auswahl von Lord Swinburnes Weinen hinuntergespult.
        Bolitho fuhlte das Knie seiner Tischdame, und als er sich leicht bewegte, druckte sie starker zu, beharrlich und sinnlich erregend. Aber als er sie anschaute, war sie anscheinend vollig aufs Essen konzentriert und griff sich zielsicher die genu?reichsten Speisen heraus.
        Er sah, da? Browne ihn vom anderen Ende der Tafel beobachtete. Der hatte sich offenbar immer nur vom Besten auf den Teller gepackt. Seine Erfahrungen mit dem Londoner Leben zahlten sich aus.
        Die Dame neben ihm fragte:»Sind Sie mit geheimem Auftrag hier?«Ihre Augen blickten jetzt unruhig und unverhullt.
        Er lachelte.»Nein, ich ruhe mich nur ein paar Tage aus.»
        Ihr Hand verschwand unter dem Tisch, und er fuhlte ihre Finger behutsam uber seinen Schenkel streichen.

«Ach ja, Sie sind verwundet worden, horte ich.»
        Bolitho sah den Diener auf der anderen Seite des Tisches. Sein Gesicht war ausdruckslos, aber seine Augen sprachen Bande.

«Langsam, Madame! Oder wollen Sie, da? Ihr Gatte mich vor die Tur bittet?»
        Sie warf den Kopf zuruck und lachte.»Der? Bevor die Damen sich zuruckziehen, wird er stockbetrunken sein und bald darauf umfallen. «Ihr Ton wurde flehentlich:»Das ist der Grund, warum man mich neben Sie gesetzt hat: Unser Gastgeber halt mich fur ein Flittchen. Fur ihn bin ich nur ein mehr oder weniger nutzliches Haustier, das man verkuppelt.»

«Und nun. «Lord Swinburne stand auf, ein volles Glas in der Hand.»Bevor die Damen sich zuruckziehen, mochte ich den Trinkspruch aufs Herrscherhaus ausbringen.»
        Stuhle wurden zuruckgesto?en, und Diener eilten herbei, um Seidenkleider vor herunterfallenden Essensresten und umgesturzten Glasern zu bewahren.
        Bolitho muhte sich etwas zu spat hoch, da es in der Marine Brauch war, beim Toast auf den Konig sitzenzubleiben.

«Auf seine Majestat, Konig Georg!»
        Wie feierlich sie plotzlich alle waren, dachte Bolitho. Danach wechselte die Stimmung wieder, und die Damen verabschiedeten sich. Bolithos Tischdame strich mit dem Facher uber seinen Arm und raunte verhei?ungsvoll:»Spater.»
        In einem Punkt hatte sie recht, dachte Bolitho: Ihr Mann lag mit dem Kopf auf den Armen zwischen den Tellern, das Haar mit einer Mischung aus Pastete und hollandischem Flammeri verschmiert.
        Lange Pfeifen wurden hereingebracht, und die Portweinflasche kreiste langsam um den Tisch. Die Luft war schnell voll Tabaksqualm, der sich mit dem Rauch aus dem Kamin vermischte und schmerzhaft in die Augen stach.
        Bolitho tat, als dose er - wie viele andere - vor sich hin, und lie? die Unterhaltung an seinem Ohr vorbeiplatschern. Es ging um landwirtschaftliche Fragen, um Preise, ausgebliebene Lieferungen und fehlende Arbeitskrafte. Das war ihr Anteil am Krieg, aber Bolitho so fremd, wie ihnen ein Batteriedeck an Bord gewesen ware.
        Er versuchte, an seinen kommenden Besuch bei der Admiralitat zu denken. Wie lange wurde Herrick fur die Ausbesserung des Schiffes benotigen? Was machten inzwischen die Franzosen? Die Danen? Die Russen?
        Aber zwischen ihm und seinen Gedanken tauchte immer wieder Belindas Gesicht auf. Die Art, wie sie ihn angeschaut hatte, bevor sie zu Bett gegangen war. Wie sie vor seinen lacherlichen Hirngespinsten fluchtete. Inzwischen war sie wahrscheinlich langst in einem schonen Haus in London heimisch geworden und so von ihren neuen Aufgaben erfullt, da? sie sich an ihn kaum noch erinnerte.
        Browne lie? sich in dem Stuhl neben ihm nieder.»Ein tolles Essen, nicht wahr, Sir?


«Berichten Sie mir von London. Wie war die Fahrt?»

«Passabel, Sir. Je naher wir London kamen, desto besser wurde die Stra?e. Wir machten naturlich mehrmals Pausen und hatten! Gluck mit unseren Gasthofen.»
        Bei den Worten >wir< und >unseren< mu?te Bolitho gegen auf- steigende Eifersucht ankampfen.
        Browne berichtete weiter:»Sir George war kurz angebunden wie immer, Sir. Ich glaube, Admiral Damerum hatte ihn besucht. Einiges, was Sir George sagte, uberraschte mich.»

«Was hat er gesagt?»

«Nicht viel. «Browne wurde unter Bolithos forschenden Blicken etwas unruhig.»Aber in der Admiralitat hei?t es, der Zar behindere weiter unsere Handelsschiffahrt in der Ostsee. Ich glaube, die Schiffe, die Sie der franzosischen Fregatte abgejagt haben, werden die letzten gewesen sein, die herauskamen.»
        Bolitho nickte.»Ich hatte gehofft, es kame anders, aber eigentlich furchtete ich das immer. Danemark wird keine Wahl haben. Und wir auch nicht.»
        Browne griff mit langem Arm nach einem verlassenen Glas mit Brandy. Er zogerte einen Augenblick und kippte es dann entschlossen hinunter. Seine Augen verschleierten sich, als es ihn innerlich durchgluhte. Dann fragte er sehr formlich:»Darf ich offen sprechen, Sir?»

«Ich habe Ihnen schon oft gesagt. «Bolitho hielt inne, als er die Unsicherheit des Leutnants bemerkte.»Was es auch sei, erzahlen Sie.»

«Ich habe nie viel mit dem aktiven Marinedienst im Sinn gehabt, Sir. Mein Vater bestand aber darauf, da? ich die Uniform anzog, und gebrauchte seinen Einflu?, damit ich ein Offizierspatent bekam. «Er lachelte trube.»Ich wurde Kurier, ein Botenjunge, ein bevorzugter Zuschauer oder was mein Admiral sonst von mir verlangte. Erst seit ich Ihnen diene, und das ist ehrlich gemeint, Sir, bin ich manchmal ein wenig stolz auf mich. «Ein verlegenes Lacheln huschte uber sein Gesicht.»Aber wenn da nicht eine gewisse Dame gewesen ware, hatte ich Sir Georges Dienst kaum verlassen.»
        Browne hatte seine Worte und den Brandy wie einen Schutzschild benutzt. Als er wieder sprach, horte es sich an, als kame es von einem ganz anderen Menschen.

«Ich war uber Ihre Ernennung beunruhigt, Sir, und noch mehr daruber, wie Admiral Damerum das Ostseegeschwader verlie?, ohne Ihnen samtliche Informationen zu geben, die seine Patrouillen gesammelt hatten. «Er schaute Bolitho an, als erwartete er, wegen Mi?brauchs ihrer jungen Freundschaft zum Schweigen gebracht zu werden.»Ihr verstorbener Bruder, Sir. «Er leckte sich verlegen die Lippen.»Ich wei? nicht, ob ich fortfahren soll?»
        Bolitho blickte zu Boden. Da war es also wieder, noch immer nicht begraben, und wurde es wohl auch niemals sein. Er sagte sehr ruhig:»Mein Bruder war ein Uberlaufer, ein Verrater, wenn Sie es genau wissen wollen. «Er sah, da? seine Worte trafen.»Er war ein hemmungsloser Spieler und besa? schon als Junge ein aufbrausendes Temperament. Er forderte einen Kameraden zum Duell, und der Offizier starb. Mein Bruder floh nach Amerika und stieg wahrend der Revolution zum Kapitan eines Kaperschiffes auf. Nach dem Krieg kam er ums Leben, als er ein ausgebrochenes Pferd einfangen wollte. «Der letzte Teil war eine Luge, aber er hatte sich so an sie gewohnt, da? es nicht mehr darauf ankam. Er sah Browne ruhig an.»Ist es das, was Sie mir sagen wollten?»
        Browne starrte in sein Glas, aber es war leer.

«Vielen Dank, Sir, da? Sie mich ins Vertrauen gezogen haben.»
        Er heftete den Blick auf einen Punkt uber Bolithos Schulter.

«Kannten Sie den Offizier, der getotet wurde?»

«Nein, zu der Zeit war ich in der Karibik. Als ich heimkam, erfuhr ich es von meinem Vater. Der Schock hat ihn fast umgebracht. «Etwas in Brownes Ton lie? Bolitho aufmerken.»Warum?»

«Sein Name war Damerum, Sir. Sir Samuels Bruder.»
        Bolitho rief sich sein erstes Zusammentreffen mit dem Admiral an Bord seines Flaggschiffes Tantalus in Erinnerung: keine Andeutung, kein einziger Hinweis auf Vergangenes, auf eine gespannte Beziehung.
        In den wenigen Minuten schien Browne ziemlich betrunken geworden zu sein.
        In schleppendem, vertraulichem Ton murmelte er:»Und, ah, wenn Sie annehmen, da? er seine privaten Empfindungen niemals vor dienstliche Belange stellen wurde, Sir, dann irren Sie.»
        Bolitho stand auf.»Ich glaube, es ware klug, wenn wir uns jetzt zuruckzogen. «Er nickte Swinburne zu, aber der nahm kaum noch wahr, was um ihn herum vorging.
        Als sie gemeinsam die Treppe hinaufgingen, schwankte Browne bei jedem Schritt.
        Vor der Tur zu Bolithos Zimmer sa? Allday auf einem zierlichen Stuhl, der aussah, als wurde er jeden Augenblick unter ihm zusammenbrechen. Er bemerkte Browne und grinste.»Bi?chen viel fur einen kleinen Leutnant, wie, Sir?»

«Bringen Sie ihn ins Bett, Allday. «Bolitho strich sich den Rock glatt, als Allday einen Arm um Brownes Taille legte, gerade noch rechtzeitig, sonst ware er vornubergefallen.»Ich gehe wieder hinunter in die Halle. «Er rang sich ein Lacheln fur Allday ab.»Als einziger noch vorhandener Vertreter der Koniglichen Marine kann ich die Gastgeber nicht enttauschen.»
        Allday stie? die Tur auf und schleppte die willenlose Gestalt zum Bett.»Soll er denn hier schlafen, Sir?»
        Bolitho blickte zur Uhr.»Ja. Aber ich habe den Verdacht, da? er nicht lange alleinbleiben wird. Mag sein, da? bald eine junge Dame aufkreuzt. Also stehen Sie hier nicht im Wege.»
        Allday starrte ihn an.»Sie denkt, es ist Ihr Schlafzimmer?»
        Bolitho wandte sich zur Treppe.»Ich nehme an, da? es beiden ziemlich gleichgultig sein wird und da? sie sich morgen fruh an nichts mehr erinnern. Dessen bin ich mir sogar ziemlich sicher.»
        Allday sah Bolitho nach, bis dieser auf der Treppe verschwunden war, und seufzte neidvoll. Kurz spielte er mit dem Gedanken, den Leutnant in einen anderen Raum zu tragen und sich selber in das Bett zu legen. Dann aber dachte er an das niedliche Dienstmadchen, das am anderen Ende des Hauses auf ihn wartete. Er verbeugte sich zur Tur hin und sagte:»Schlafen Sie wohl, Mr. Browne mit >e< am Schlu?. Sie sind ein Gluckspilz, auch wenn Sie es selber nicht merken.»



        XII Liebe und Ha?

        Admiral Sir George Beauchamp stand mit dem Rucken zum hohen Raum am Fenster und blickte verdrie?lich auf den weiten Platz von Whitehall hinaus.
        Es war ein na?kalter Tag, aber viele Kutschen und Lastwagen waren unterwegs. Es wimmelte von geschaftigen, dick vermummten Gestalten und dampfenden Pferden. Fur Beauchamps ausgepragten Ordnungssinn wirkte das alles chaotisch.
        Bolitho sa? sehr gerade auf einem Stuhl und zwang sich, nicht an das schmerzende Bein zu fassen.
        Es war eine lange Fahrt von Swinburnes schonem Landsitz bis hierher gewesen. Browne hatte ausnahmsweise einen traurigen Gesellschafter abgegeben. Jedesmal, wenn eines der Wagenrader in eine Furche rutschte, hatte er gestohnt und gegen Erbrechen gekampft. Als sie an einem Gasthof Pause machten, hatte Allday schadenfroh geau?ert:»Ihr kleiner Trick scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein, Sir. Mr. Browne sieht aus wie ein lebender Leichnam.»
        Bolitho war sofort nach seiner Ankunft in diesen Raum gebeten worden, und als er die obersten Treppenstufen nahm, sah er, da? ein unglucklicher Offizier, der offenbar gerade hineingehen wollte, ihm den Vortritt lassen mu?te.
        Beauchamp hatte Bolitho ohne Warme die Hand geschuttelt und ihn dabei gemustert wie ein Pferdekenner ein abgehetztes Ro?. Dann sa? er, die durren Finger zusammengepre?t, wie verloren in seinem gro?en Stuhl, wahrend Bolitho den Angriff auf die franzosische Fregatte und das spatere Zusammentreffen mit Ropars' Geschwader schilderte. Gelegentlich beugte Beauchamp sich vor, die Ausfuhrungen mit Bo-lithos schriftlichem Bericht zu vergleichen, aber er unterbrach ihn nicht.
        Bolitho schlo? mit den Worten:»Ich mochte betonen, da? der Erfolg der Initiative und dem Konnen meiner Kommandanten zu verdanken war.»
        Als Bolitho verstummte, war Beauchamp zum Fenster hinubergegangen, als wolle er damit andeuten, da? er Zeit brauche, sich ein Urteil zu bilden. Jetzt wandte er sich um und sagte:»Ich habe inzwischen von Ihrem Freund Inskip gehort. Ihre Aktion scheint nicht ganz in sein diplomatisches Konzept gepa?t zu haben. «Er lachelte fluchtig.»Zur Zeit laufen mehr Geruchte durch die Korridore der Admiralitat und von St. James als damals, als die Franzosen ihren Konig kopften.»
        Er spitzte den Mund.»Einige behaupten, Ihr Angriff auf die Ajax sei eine Provokation in neutralen Gewassern gewesen. Zar Paul von Ru?land hat dieses Argument bestimmt benutzt, um weiteren Ruckhalt fur seinen Plan, an Napoleons Seite zu treten, zu gewinnen. Hatten die danischen Batterien auf die Styx geschossen, als Sie in Kopenhagen einliefen, so hatte das unverzuglich zu einem Krieg gefuhrt, den durchzustehen, geschweige denn zu gewinnen, wir angesichts unserer anderen Verpflichtungen wenig Aussicht gehabt hatten. Nein, Bolitho, es gibt hier einige Leute, die behaupten, meine Entscheidung fur Sie als Befehlshaber des Ostsee-Geschwaders sei ubereilt, ja falsch gewesen.»
        Bolitho blickte zum Fenster, an dem lange Bache von Regenwasser herunterrannen. Seine Gedanken schweiften zuruck zu dem Leutnant der Seesoldaten, der die blutuberstromten Hande vor das Gesicht geschlagen hatte. Zu dem jungsten Leutnant der Benbow, dem der Unterkiefer weggeschossen worden war. Andere Gesichter, in der Hitze der Schlacht von Leidenschaft und Ha? verzerrt, marterten sein Hirn. Das alles sollte vergeblich gewesen sein? Zar Paul hatte sechs Prisen verloren, die er unrechtma?ig beschlagnahmt hatte, aber die schnelle Aktion der Styx hatte ihm den Vorwand geliefert, den er benotigte.

«Wenden wir uns nun einen Augenblick Ihrer Begegnung mit Ro-pars' Geschwader zu.
«Beauchamps bestimmter Ton brachte Bolitho zuruck in die Gegenwart.»Unsere Informanten berichten, da? der franzosische Transporter tatsachlich Soldaten an Bord hatte, die als Ausbilder fur die Armee des Zaren vorgesehen waren. Ihre Aktion, Bolitho, insbesondere die Vernichtung des feindlichen Vierundsiebzigers, zerstreute Ropars' Schiffe. Er verlor dann au?erdem eine Fregatte beim Blockadegeschwader im Kanal.»

«Das also wurde anerkannt, Sir?«Bolitho konnte seine Verbitterung nicht verbergen.
        Beauchamp antwortete scharf:»Reagieren Sie nicht wie der jungste Leutnant, Bolitho. Ich mu? Geruchte ebenso berucksichtigen wie Tatsachen. Als Flaggoffizier taten Sie gut daran, meinem Beispiel zu folgen!«Er beruhigte sich wieder. Selbstverstandlich wurde es anerkannt, verdammt noch mal. Die Geschichte lief entsprechend ubertrieben und verzerrt wie ein Lauffeuer durch London. Wenn Ropars in die Ostsee gelangt ware, hatten wir ihn nur mit Gottes Hilfe wieder hinausbefordern konnen. Mit franzosischen Ausbildern und all diesen
        Schiffen hatte uns Zar Pauls >Unheilige Allianz< an der Kehle packen konnen. Man hat mir mit gleicher Sicherheit gesagt, da? eine Invasion von den franzosischen Kanalhafen aus gleichzeitig mit einem gro?en Ausfall aus der Ostsee geplant war. Nun, was uns die Zukunft auch bringen mag: fur den Augenblick haben wir durch Ihren Sieg Zeit gewonnen. Aber bevor das Eis in den russischen Hafen schmilzt, mussen wir bereit sein.»
        Bolitho uberlegte, was geschehen ware, wenn ihm ein anderer Ad-miral gegenubergesessen hatte. Beauchamp war unbarmherzig, wenn es sein mu?te, aber auch bekannt fur seine Fairne?.
        Der kleine Admiral fuhr fort:»Dessen ungeachtet gibt es Kritiker, die fragen, warum Ihr Flaggkapitan nicht auf die Meldung der Brigg, da? Ropars nach Irland unterwegs sei, reagiert habe. Ein derartiges Ziel schien vielen einleuchtend. Der Konig hat erst kurzlich einer Anderung unserer Flagge zugestimmt, durch die Irland dem Vereinigten Konigreich auch au?erlich angegliedert wird. Vom l. Januar an, also ab nachster Woche, wird es Fremden weniger einfach erscheinen, dort einen Aufstand auszulosen.»

«Kapitan Herrick hat - wie sich zeigte - richtig gehandelt, Sir. Hatte er das getan, was Sie andeuten, ware niemand mehr dagewesen, um Ropars aufzuhalten.»

«Moglicherweise. Aber ich hatte Sie gewarnt, als Sie die Ernennung annahmen. Neider sind nie weit weg.»
        Hinter der hohen Tur hustelte jemand diskret, und Beauchamp schaute auf die Uhr. Sie werden nach der Reise mude sein.»
        Die Besprechung war beendet.
        Bolitho stand auf und belastete vorsichtig sein Bein. Es fuhlte sich wie abgestorben, vollig leblos an. Er wartete auf das erste prickelnde Stechen, das die Wiederkehr der Blutzirkulation ankundigte, und fragte:»Werden Sie mich noch einmal benotigen, Sir?»

«Moglicherweise. Ich habe mir erlaubt, eine angenehme Unterkunft fur Sie reservieren zu lassen. Mein Sekretar wird Ihrem Flaggleutnant die Adresse geben. Wie macht sich Browne ubrigens?»
        Bolitho ging zur Tur, von Beauchamp begleitet. Er war sich immer noch nicht klar, ob der Admiral seine Handlung billigte oder sich erst noch eine Meinung daruber bilden wollte.

«Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich ohne ihn ausgekommen ware, Sir. «Er sah ihm in die Augen.»Er ist au?erordentlich tuchtig.»
        Beauchamp zog eine Grimasse.»Und unverschamt, wenn es ihn uberkommt. «Eine Hand auf der Turklinke, sagte er:»Die nachsten Monate werden sehr aufreibend, vielleicht sogar kritisch werden. Wir brauchen jeden guten Offizier, jeden loyalen Mann, wenn wir uberleben oder gar siegen wollen. «Er studierte Bolithos unbewegliches Gesicht und setzte hinzu:»Sie wissen uber Sir Samuel Damerum Bescheid? Naturlich, ich sehe es Ihnen an. Meine Agenten haben berichtet, da? Browne hier uberall nach Informationen herumschnuffelte. Das Ubrige ist leicht zu erraten.»

«Ich habe nicht die Absicht, Sie oder meinen Auftrag irgendwie in mein Privatleben hineinzuziehen, Sir. «Er kam nicht weiter.
        Beauchamp sagte:»Ich mag Sie, Bolitho, und bewundere Ihre Kuhnheit ebenso wie Ihre Menschlichkeit. Aber wenn Sie irgendwen mit hineinziehen, wird es keinen Auftrag geben. Habe ich mich klar ausgedruckt? Sie stehen jetzt daruber. Bleiben Sie so.»
        Er offnete die Tur, und etwa sechs Offiziere, die drau?en gewartet hatten, sprangen hoffnungsvoll auf.
        Browne erhob sich muhsam von einer Bank, das Gesicht aschfarben.»Ich habe die Adresse, Sir. «Er beschleunigte seinen Schritt, um mit Bolitho mitzukommen.»War es zufriedenstellend, Sir?»

«Wenn Sie es zufriedenstellend nennen, sich wie ein Schuljunge abkanzeln zu lassen, dann kann ich sagen: ja. Und wenn es Sie befriedigt, jeden schriftlichen Befehl zu befolgen, selbst wenn er von einem Esel mit verbundenen Augen ausgestellt wurde, dann mu? ich noch einmal bejahen.»
        Browne sagte:»Dann war es also kein Erfolg, Sir?»

«Nein. «Bolitho wandte sich ihm am Fu? der Treppe zu.»Wollen Sie noch immer bei mir bleiben?»
        Vor Brownes bedrucktem Gesicht konnte Bolitho ein Lacheln nicht unterdrucken. Seine Tischdame mu?te ihn bis zur Erschopfung beansprucht haben.
        Browne ri? sich zusammen.»Das will ich, Sir. «Er schielte auf ein Stuck Papier. Unser Quartier ist nicht allzuweit weg, Sir. Ich kenne mich am Cavendish Square ziemlich gut aus. «Gequalt setzte er hinzu:»Wir wohnen nicht auf der vornehmen Seite, furchte ich.»
        Allday wartete drau?en am Wagen, klopfte den Pferden die Halse und schwatzte mit dem Kutscher.
        Bolitho kletterte hinein und zog seinen Umhang aus. Dabei erinnerte er sich an die Frau, die er in seinen Armen gehalten hatte, als sie zu Lord Swinburne fuhren.
        Die Kutsche schwang in ihrer guten Federung, als Browne neben ihm Platz nahm.

«Erinnern Sie sich an die junge Dame, Browne?»
        Browne sah ihn direkt an.»An Mrs. Laidlaw, Sir?»

«Ja. «Fast hatte er >naturlich< gesagt.»Haben Sie herausgefunden, wo sie wohnt?»

«Das Haus gehort einem alten Richter, Sir. Er hat, soweit ich erfuhr, eine ebenso alte Frau, die au?erdem ziemlich unangenehm sein soll.«»Und weiter?»
        Browne fand offenbar zu sich selbst zuruck. Er spreizte die Hande.»Das ist alles, Sir. Der Richter ist oft im Gericht und auch sonst viel von zu Hause weg. «Er schluckte unter Bolithos fragendem Blick.»Mrs. Laidlaw ist Gesellschafterin der Richtersgattin, Sir.»

«Gro?er Gott!»
        Browne fuhr zuruck.»Ich… Tut mit leid, Sir. Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan?»
        Bolitho horte ihn nicht. Also Gesellschafterin. Viele Witwen waren in dieser Zeit genotigt, derartige Stellen anzunehmen, aber sie doch nicht? So jung, so vital und begehrenswert? In seinen Gedanken mischten sich Arger und Besorgnis. Rupert Seton hatte ihr Hilfe angeboten und fur ihre Heimfahrt gesorgt. Seton war reich und hatte muhelos auch fur ihren Unterhalt und Schutz Sorge tragen konnen. Was Bolitho jetzt erfuhr, klang so gar nicht nach dem Seton, den er kannte, dessen Schwester er geliebt hatte. Er konnte es kaum glauben. Aber was sollte er tun? Eines war sicher: Er wurde die Dinge nicht auf sich beruhen lassen, und wenn er sich in den Augen anderer damit wieder zum Narren machte.
        Der Wagen hielt vor einem eleganten Gebaude mit breitem, saulenumrahmten Eingang: Wieder ein nur vorubergehender Wohnsitz. Wenn er auch, laut Browne, nicht auf der
>vornehmen< Seite des Platzes lag, so war er doch recht eindrucksvoll.
        Browne nickte mude zwei Dienern zu, die herbeieilten, um ihnen zu helfen. Zu Bolitho sagte er:»Benotigen Sie mich noch, Sir?»

«Ruhen Sie sich aus. Wenn Sie erfrischt und nach Ihrer Orgie einigerma?en wiederhergestellt sind, mochte ich Sie bitten, einen Brief fur mich zu besorgen.
»Einen Brief?«Brownes Augen blickten ins Leere.»Ja. Ins Haus des Richters, das Sie erwahnten. «Browne schluckte.»Ist das klug, Sir?»

«Wahrscheinlich nicht. Aber im Augenblick scheint Klugheit sowieso wenig gefragt zu sein.»
        Allday beobachtete von der Tur aus, wie die Diener ihre Seekisten in die warme Diele trugen. So gefiel ihm Bolitho schon besser. Sie wollten Zunder haben, also gab er ihnen welchen. Er wandte sich um, als eine Frau fragte:»Mochten Sie etwas essen, Sir?»
        Allday lie? seinen Blick wohlgefallig auf ihr ruhen. Sie hatte eine vollschlanke Figur, und ihre drallen, runden Arme waren zur Halfte wei? von Mehl. Aber ihr Gesicht war freundlich und klar. Lassig erwiderte er:»Nennen Sie mich einfach John, meine Liebe. «Ihre nackten Arme streichelnd, fugte er hinzu:»Ich helfe Ihnen auch gern dabei, wenn Sie wollen. Sie wissen doch, was man uber Seeleute sagt.»
        Die Kuchentur schlug hinter den beiden zu.
        Kapitan Herrick nippte an einem Krug Starkbier und lie? den Blick uber die restlichen Abrechnungen und Akten schweifen, die seiner Beachtung harrten.
        Es war ungewohnlich, die Benbow so ruhig zu erleben, und das - zusammen mit der vielen Arbeit und dem starken Bier - machte ihn ziemlich schlafrig.
        Im geschutzten inneren Hafenbecken von Portsmouth zu liegen war doch etwas anderes, als im lebhaften Solent oder in der rauhen Bucht unterhalb von Skagen zu ankern.
        Er ging die Liste der erforderlichen Reparaturen und Ersatzlieferungen wohl zum hundertstenmal durch, immer in der Erwartung, doch noch einen Fehler, einen vergessenen Posten zu entdecken.
        Herrick war mit Recht stolz auf das, was er und seine Besatzung geschafft hatten. Fur die meisten war es bestimmt nicht leicht gewesen, fast ununterbrochen zu arbeiten und dabei zu wissen, da? in der Stadt und rundum im Lande andere mit gro?em Aufwand Weihnachten feierten.
        Aus eigener Tasche hatte Herrick so etwas wie ein Festmahl fur seine Seeleute und Soldaten spendiert. Einige hatten sich dabei derart betrunken, da? man sie mit Gewalt an Bord festhalten mu?te. Aber es hatte sich trotzdem gelohnt, denn als sie dann wieder zur Arbeit kamen, hatte er eine Veranderung bei den Leuten gespurt, die wie ein munterer Shanty durch das Schiff lief.
        Er dachte an seine Frau, die darauf wartete, da? er an Land kam, wenn er seine Arbeit fur diesen Tag erledigt hatte. Es war alles so neu und wunderbar: der nette kleine Gasthof, der von einem freundlichen Wirt und seiner Frau geleitet wurde; ihr eigenes Zimmer, in dem er mit Dulcie Plane schmieden und gemeinsam traumen konnte.
        Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich wieder seinen Listen und Buchern zu: dem Arbeitsbuch, der Personalliste, der Vorratsliste mit Angaben uber Munition, Ersatzsegel und all die anderen Dinge, die auf einem vollgetakelten Linienschiff vorhanden sein mu?ten.
        Herrick hatte viel an Bolitho gedacht und sich gefragt, wie dieser wohl in London zurechtkam. Er wu?te, da? Bolitho sich in der Hauptstadt noch nie wohl gefuhlt hatte. Stra?en voller Pferdemist, ein Ort, der sich mit seinem eigenen Gestank vergiftet, hatte er einmal gesagt. London war inzwischen derart mit Fahrzeugen aller Art uberfullt, da? die vermogenden Leute Stroh auf das Kopfsteinpflaster vor ihren Turen streuen lie?en, um den Larm der eisenbeschlagenen Rader zu dampfen.
        Mehr als einmal versuchte Herrick, sich seiner Gefuhle wahrend des Kampfes mit dem franzosischen Admiral Ropars zu erinnern. An der Seite Bolithos hatte er dem Tod mehr als einmal ins Auge geschaut, aber jedesmal schienen sie naher daran zu sein als zuvor. Er sah Bo-litho wieder auf der Laufbrucke der Benbow stehen und - die feindlichen Scharfschutzen mi?achtend - seinen Hut schwenken, um seinen Leuten fur den aussichtslos scheinenden Kampf Mut zu machen.
        Viele Manner waren an jenem Tag gefallen oder verwundet worden. Herricks Offiziere hatten schon die Gassen von Portsmouth und die umliegenden Dorfer der Grafschaft Hampshire nach Ersatzleuten abgegrast. Herrick hatte sogar Flugblatter drucken und auf die Gasthofe und Rathauser verteilen lassen, wo sie des Lesens unkundigen Leuten vorgelesen werden sollten, in der Hoffnung, da? der eine oder andere daraufhin zu den Fahnen eilte.
        An diesem Vormittag hatte auch die Relentless im Hafen geankert. Sie war auf ihrem Posten von der schnell reparierten Styx abgelost worden. Nachrichten waren ausgetauscht worden, neue Leute verpflichtet. Die Marine erlaubte nur wenig Zeit fur eine Erholung. Herrick betrachtete die gro?e neue Landesflagge, die der Bootsmann nach achtern gebracht hatte, die Flagge mit dem zusatzlichen St. Patricks-Kreuz. Fur Herricks praktischen Sinn schien es verschwendete Muhe, eine Flagge zu andern, wenn die ganze Welt darauf aus war, sich selber zu vernichten.
        Yovell, Bolithos Schreiber, kam mit weiteren Papieren, die unterschrieben werden mu?ten, in die Kajute. Unterstutzt von Herricks eigenem Schreiber, war Yovell ein Turm im Papierkrieg der letzten Tage gewesen. Er hatte geholfen, Formulierungen zu finden, an denen kein Verpflegungsamt und kein Schiffslieferant herumdeuteln konnten. Herrick war diese Arbeit wie nichts sonst verha?t, darum fragte er verzweifelt:»Noch mehr?»
        Yovell lachelte.»Ein paar, Sir. Und ein Brief ist dabei fur den Kurier nach London.»
        Herrick warf einen gequalten Blick darauf. Er konnte sich nur schwer daran gewohnen, auch fur die anderen Schiffe mitdenken zu mussen. Sein eigenes Schiff in Gang zu halten, war schon schwer genug. Aber als Flaggkapitan mu?te er sich um das gesamte Geschwader kummern, die Relentless eingeschlossen.
        Kapitan Peel hatte gemeldet, da? seinem Dritten Offizier, der im Gefecht mit dem feindlichen Geschwader verwundet worden war, das Bein amputiert werden mu?te, und da? er nun im Marinehospital von Haslar lag. Peel forderte unverzuglichen Ersatz an, da noch keiner seiner eigenen Fahnriche das Alter und die Eignung zur Beforderung besa?. Er hoffte, ohne unnotige Verzogerung wieder Anker lichten und zum Geschwader zuruckkehren zu konnen. Herrick dachte sofort an Pascoe, lie? den Gedanken aber gleich wieder fallen. Es konnte Tage, ja Wochen dauern, bis Bolitho zuruckkam. Da ware es unfair gewesen, den Jungen inzwischen wegzuschicken.
        Yovell beobachtete ihn ungeduldig.»Soll ich einen Brief an den Ha-fenadmiral vorbereiten, Sir?»
        Herrick rieb sich das Kinn. Es lagen mehrere Kriegsschiffe zur Reparatur im Hafen. Sicher hatte eines von ihnen einen Ersatzmann, einen jungen Offizier, der mit Begeisterung zu Kapitan Peel gehen wurde.

«Ich denke daruber nach.»
        Er wu?te, da? Yovell mi?billigend den Kopf schuttelte, aber er wollte erst einmal mit Peel sprechen. Am besten lud er ihn zum Essen mit Dulcie ein. Herrick strahlte plotzlich uber diese blendende Idee. Dulcie wu?te sicher, was er tun sollte. Sie hatte ihm schon so viel Selbstvertrauen gegeben, da? er es kaum glauben konnte.
        Herrick stand auf und ging ans seitliche Kajutfenster. Er wischte den feuchten Niederschlag von der Scheibe und blickte auf den Hafen hinaus. Es war Nachmittag, aber schon fast dunkel. Er konnte kaum die beiden machtigen Dreidecker ausmachen, die querab von ihnen vor Anker lagen, aber auf dem Wasser entdeckte er zahlreiche auf-und abhupfende Lichter: Laternen von Booten, die wie Kafer zwischen Schiffen und Ufer hin- und herfuhren.
        Nur noch ein Tag, und dann wurde er den wichtigsten aller Satze unter seinen letzten Bericht schreiben:»Melde gehorsamst: Schiff ist seeklar!»
        Nach dieser Liegezeit im Hafen wurde es sie hart ankommen. Es klopfte, und Speke, der Zweite Offizier, trat uber das Sull. Seine Augen schimmerten im Lampenlicht. Was ist?»
        Speke warf einen schnellen Blick auf den Schreiber; Herrick verstand und sagte: Wir machen spater weiter, Yovell. «Spekes Gesichtsausdruck lie? auf schlimme Neuigkeiten schlie?en.

«Ich glaube, Mr. Pascoe ist in Schwierigkeiten, Sir.»

«Was fur Schwierigkeiten?«Herrick starrte ihn an.»Spucken Sie es aus, Mann!»

«Er war wachhabender Offizier, Sir. Ich loste ihn ab, als er um Erlaubnis bat, an Land gehen zu durfen. Er sagte, es sei dringend. «Spe-ke zuckte die Achseln.»Mr. Pascoe ist zwar jung, aber erfahrener als mancher Altere. Ich habe ihn nicht nach seinen Grunden gefragt.»

«Fahren Sie fort. «Herrick zwang sich, sich hinzusetzen und so ruhig zu erscheinen, wie er es oft von Bolitho gesehen hatte.

«Wir hatten fast den ganzen Tag einen Frischwasserprahm langsseit, Sir. Nachdem er abgelegt hatte, bemerkten wir, da? ein Mann des Arbeitskommandos mitgefahren sein mu?te: desertiert. Midshipman Penels hatte das Kommando bei der Gruppe. Es waren alles zum Dienst gepre?te Landratten. Als ich sie antreten lie?, entdeckte ich,
        da? der fehlende Mann Babbage war, dessen Bestrafung Sie kurzlich unterbrochen haben, Sir.»
        Herrick sah ihn finster an.»Und Sie glauben, da? Midshipman Pe-nels diesem Babbage bei der Flucht geholfen hat?»
        Speke sah ihm selbstgefallig ins Auge.»Ja, Sir. Mr. Penels hat es zugegeben, aber erst, nachdem Mr. Pascoe an Land gegangen war. Er hat sich uber seine Tat derart geschamt, da? er glaubte, sie Mr. Pascoe gestehen zu mussen, der junge Narr. Babbage wird sowieso eingefangen und an der Gro?rah aufgeknupft, aber wie die Dinge liegen…»

«Wie die Dinge liegen, ist der Dritte Offizier an Land gegangen, Mr. Speke, um den Deserteur zu suchen und an Bord zuruckzubringen, bevor jemand entdeckte, da? er fehlt?»

«Richtig, Sir. Aber was Penels betrifft.»

«Holen Sie ihn.»
        Herrick ruckte unbehaglich in seinem Stuhl hin und her, wahrend seine Gedanken sich ubersturzten. Das war echt Pascoe, dachte er. Und genau das, was Bolitho getan hatte. Was ich auch getan hatte. Fruher, dachte er.
        Speke schob den verschreckten Jungen durch die Tur und sagte argerlich:»Sie konnen Ihren miesen Sternen danken, da? ich es war und nicht der Erste Offizier, der die Sache entdeckt hat. Mr. Wolfe hatte Sie in Stucke gerissen.»

«Langsam!«Herricks Ton brachte Speke zum Schweigen.

«Was haben Sie mit diesem Babbage vereinbart?»

«Ich - ich hatte nur den einen Gedanken, ihm zu helfen, Sir. Nach allem, was er zu Hause fur mich getan hat. «Penels war den Tranen nahe.»Er hatte solche Angst, noch einmal ausgepeitscht zu werden. Ich mu?te ihm helfen, Sir.»

«Wohin wollte er, hat er das gesagt?«Herrick fuhlte seine Geduld schwinden.»Los, Junge, Mr. Pascoe ist vielleicht in Gefahr. Und er wollte Ihnen helfen, denken Sie daran!»
        Herrick ha?te es, die Schmach und Verzweiflung des Jungen zu nutzen, aber er wu?te, da? es noch schlimmer kommen wurde.
        Mit unsicherer Stimme flusterte Penels:»Er wollte ein Lokal suchen, da? >The Grapes< hei?t. Einer der alteren Leute hat das erzahlt.»
        Speke grunzte.»Ein sehr ubles Lokal, Sir. Selbst das Pre?kommando geht da nicht ohne ausreichenden Schutz hin.»
        Penels - nur noch ein Haufchen Ungluck - fuhr fort:»Er wollte dort warten, bis ich Geld aufgetrieben hatte. Damit hoffte er, nach Corn-wall zuruckkehren zu konnen.»
        Herrick blickte auf die Karaffe. Sie war leer und seine Kehle so trocken wie ein Sandhaufen.

«Meine Empfehlung an Mr. Clinton, und bitten Sie ihn zu mir.»
        Speke eilte davon, und Herrick sagte:»Nun, Mr. Penels, wenigstens waren Sie so klug, Mr. Speke zu berichten, was Sie getan haben. Es ist zwar nicht viel, aber es mag helfen.»
        Der Major trat ein und fragte:»Kann ich behilflich sein, Sir?»
        Clinton verschwendete nicht den kleinsten Blick auf den zusammengesackten Midshipman, und Herrick entnahm daraus, da? Speke ihn schon informiert hatte. Wahrscheinlich wu?te das ganze Schiff Bescheid.

«Mr. Pascoe ist zu den >Grapes< unterwegs, Major. Sagt Ihnen das etwas?»
        Clinton nickte.»Eine Menge, Sir. «Er fuhr fort:»Wenn Sie erlauben, gehe ich sofort an Land. Ich nehme Mr. Marston und einige meiner Jungs mit.»

«Vielen Dank, Major Clinton, ich bin Ihnen sehr verbunden.»
        Augenblicke spater horte Herrick Pfiffe und Kommandorufe und anschlie?end das Knarren von Taljen, als ein Boot ausgeschwenkt wurde. Dann Getrappel von Stiefeln, als einige ausgesuchte Seesoldaten Clintons unerwarteter Aufforderung folgten.
        Herrick beobachtete den schnuffelnden Midshipman einige Sekunden lang und sagte dann:»Ich habe Sie auf Bitten eines alten Freundes an Bord genommen. Ich wei? nicht, wie er oder gar Ihre Mutter diese Geschichte aufnehmen werden. Nun begeben Sie sich nach unten, und melden Sie sich beim altesten Wachtmeistersmaaten.»
        Als Penels tranenblind nach der Tur tastete, sagte Herrick sehr ruhig:»Wenn Sie in Ihrer Koje liegen, denken Sie einmal uber folgendes nach: Eines Tages hatten Sie Leute unter sich gehabt, deren Leben von Ihrer Entscheidung abhing. Fragen Sie sich selber, ob das richtig ware.»
        Yovell kam herein, als der Midshipman verschwand.»Schlimm,
        Sir.»
        Herrick blickte auf die runden Schriftzuge nieder und den Platz, wo er unterschreiben sollte.

«Ich mochte meiner Frau eine Nachricht schicken, denn ich glaube kaum, da? ich heute an Land gehen kann.»
        Er lauschte auf die Gerausche des Bootes, aber es hatte schon von der Benbow abgelegt.
        Pascoe schritt durch die so- und sovielte Gasse. Ein steifer Wind blahte seinen Bootsumhang. Er kannte Portsmouth nicht besonders gut, aber der Offizier der Hafenwache hatte ihm erklart, wo das Lokal >The Grapes< lag. Er hatte ihm au?erdem geraten, diesem Hollenloch besser fernzubleiben. Pascoe hatte ihm gesagt, da? er sich mit einer Abteilung bewaffneter Seesoldaten in der Nahe des Lokals treffen wolle und hoffte, ein paar Rekruten einzufangen. Er war selber uberrascht gewesen, wie leicht ihm die Luge uber die Lippen kam. Der Offizier der Wache schien auch nicht weiter interessiert zu sein. Wer toricht genug war anzunehmen, da? er in Portsmouth noch Leute pressen konnte, mu?te schon mehr als ein Riesengluck haben.
        Eine Gasse sah aus wie die andere: eng, schmutzig, aber nie ohne Leben. In Durchgangen und unter Torbogen, aus Fenstern oder unsichtbar horte man vielerlei Gerausche, Gelachter von Betrunkenen, Schreie und schreckliche Fluche. Als ob die elenden Hauser und nicht die Bewohner ihrem Herzen Luft machten.
        Einmal streckte ein Madchen den Arm aus und beruhrte Pascoes Schulter, als er vorbeiging. Selbst in dem Halbdunkel konnte er erkennen, da? sie nicht alter als vierzehn oder funfzehn war. Pascoe stie? sie weg und horte darauf ihre schrille Stimme, die ihn noch um die nachste Ecke verfolgte.»Verdammter Mistkerl! Hoffentlich schie?en sie dir die Gedarme aus deinem dreckigen Leib!»
        Auf einmal war er am Ziel: ein wuchtiges, dusteres Gebaude, beid-seits von kleineren Hausern flankiert, die Stra?e davor voller Dreck und wie eine Kloake stinkend.
        Pascoe war von zu Hause Armut gewohnt, und auch als Midship-man hatte er genug Not und Elend erlebt. Aber dieser widerliche Unrat mu?te nicht sein und war abscheulich, dachte er. Er schaute zu einem halb abgeblatterten Schild uber dem Haupteingang empor und fuhlte dabei, wie der Regen auf sein Gesicht prasselte:
>The Grapes.<
        Er lockerte seinen Marinedolch unter dem Umhang und pochte dann mit der Faust an die Tur. Eine Klappe offnete sich so schnell, da? es schien, der Mann dahinter habe auf ihn gewartet.

«Wer ist da?«Zwei wei?e Augapfel blickten suchend uber Pascoes Schultern und senkten sich erst, als sie dahinter weder bewaffnete Seeleute noch Seesoldaten entdeckten.»Ein junger Herr und allein?»
        Schon der naselnde Tonfall des Mannes verursachte Pascoe Ubelkeit.

«Sie sind wohl stumm, he? Na schon, wir werden schon was Passendes fur Sie finden.

        Die Klappe wurde zugeschlagen, aber Sekunden spater offnete sich die gro?e Tur, und Pascoe trat ein. Es war, als wurde er hineingezogen und erstickt.
        Fruher mu?te es ein schones Haus gewesen sein, dachte er. Eine breite Treppe, jetzt bruchig und verstaubt, fuhrte nach oben. Uberall Teppiche, die einmal dick und farbenprachtig gewesen sein mochten, jetzt aber abgewetzt und voller Flecken und Locher waren. Wahrscheinlich hatte das Haus einem wohlhabenden Kaufmann gehort, als Portsmouth noch ein lebhafter Handelsplatz gewesen war und noch nicht von Franzosen und Kaperschiffen geplagt wurde.
        Ein machtiges Frauenzimmer trat aus einem Nebenraum. Sie war nicht nur gro?, sondern auch muskulos und bar jeder Weiblichkeit. Selbst ihr hochgeturmtes Haar und der feuerrot geschminkte Mund lie?en sie eher wie einen Ackerknecht wirken, der sich zur Kirmes herausgeputzt hatte.
        Der Portier sagte unterwurfig:»Ein Offizier, Ma'am!»
        Ihre tiefliegenden Augen musterten Pascoes Gesicht und schienen ihn - wie das Haus - zu verschlingen. Er sah die Haut auf ihrem halbentblo?ten Busen und fuhlte ihre Macht. Er konnte sie sogar riechen: eine Mischung aus Gin und Schwei?.

«Sind Sie von einem Pre?kommando, junger Freund?«Sie fa?te ihn unter das Kinn und sah ihn forschend an.»Bist ein hubscher Junge. Nein, du willst dich selber ein wenig vergnugen, stimmt's?»
        Pascoe sagte vorsichtig:»Ich glaube, ein Mann von unserem Schiff verbirgt sich hier. «Er sah ihre Augen gefahrlich aufblitzen und fugte schnell hinzu:»Ich mochte kein Aufsehen. Wenn ich ihn zum Schiff zuruckbringen kann, hat er nichts zu befurchten.»
        Sie schuttelte sich vor Lachen, bis es schlie?lich wie Gebrull aus ihr herausbrach.

«Nichts zu befurchten! Das ist verdammt gut! Ist 's das nicht, Charlie?»
        Der Portier kicherte unsicher.»Ja, Ma'am. «Pascoe stand ganz still, als die Frau seinen Umhang loste und ihm von den Schultern nahm.

«Ich habe zwei nette Madchen fur Sie, Leutnant. «Aber es klang unsicher, als ob sie beeindruckt sei.
        Pascoe legte die Linke auf seinen Dolch und zog ihn langsam aus der Scheide. Ihre Augen blieben dabei fest auf seine gerichtet, und er wu?te, da? es rundherum Zuschauer gab, bereit, ihn niederzuschlagen, wenn er seinen Dolch zu benutzen versuchte.
        Er drehte ihn in der Hand und hielt ihn ihr mit dem Griff nach vorn entgegen.

«Sehen Sie, ich bin jetzt unbewaffnet.»
        Sie warf die Klinge achtlos dem glotzaugigen Portier zu und sagte:»Komm mit, Liebling, und trink ein Glas Genever, wahrend ich nachdenke. Dieser Mann, dem du zu helfen versuchst, «sie konnte ein Lacheln nicht unterdrucken,»wie hei?t er?»

«Babbage.»

«Und Sie sind Mr.?»
        Eine schmutzige Madchenhand tauchte aus dem Dunkel auf und reicht Pascoe ein Glas Gin. Er sagte:»Pascoe, Ma'am.«»Verdammt, ich glaube Ihnen sogar.»
        Sie ging aus dem Raum.»Bleib hier, Liebling. Ich sage nicht, da? ich den Mann kenne. Aber wenn er hier ist, ohne da? ich davon wu?te, werde ich ihm selbstverstandlich Ihr Anliegen vortragen. «Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn gerade an.»Keine Angst, hubscher Junge. Er wird nicht wegrennen, wenn ich es ihm nicht befehle.»
        Es war warm in dem muffig riechenden Raum, und doch empfand Pascoe den Schwei? auf seinem Rucken als eiskalt. War das Ganze nicht nur eine dumme, verruckte Geste? Und wofur eigentlich? Um Penels zu helfen, oder um sich selber etwas zu beweisen? Sein Dolch war futsch, und jeden Augenblick konnte er uberwaltigt und allein schon seiner Kleider wegen getotet werden.
        Wahrend er wartete, wurde er das ubrige Haus gewahr. Er horte unterdruckte Gerausche und gedampfte Stimmen. Jeder Raum schien besetzt zu sein.
        Er musterte das Madchen, da? immer noch die irdene Ginflasche an die Brust gepre?t hielt. Es hatte dunkel umrandete Augen und war spindeldurr und abgeharmt, wahrscheinlich zu allem Elend auch noch krank. Die Kleine fing seinen Blick auf und lachelte, wobei sie ihr schabiges Kleid von einer Schulter rutschen lie?. Dadurch sah sie eher mitleiderregend als herausfordernd aus.
        Eine Tur im oberen Stockwerk sprang auf, und verargerte Mannerstimmen erklangen.
        Pascoe verlie? den Raum und schaute die Treppe hinauf. Oben standen drei Manner, und an der Mauer kauerte ein vierter: Babbage.
        Der Gro?te der drei zeigte auf Pascoe und bellte:»Ist er das?»
        Pascoe bemerkte, da? der Gro?e die wei?e Kniehose und das Hemd eines Marineoffiziers trug. Wahrscheinlich war er gerade bei seinem Vergnugen gestort worden. Wie auch immer: es beruhigte ihn zu wissen, da? er hier nicht vollig allein war.
        Babbage sagte:»Ja, Sir. Das ist Mr. Pascoe.»
        Der Mann kam langsam die Treppe herunter. Er war kraftig gebaut und mochte Mitte Zwanzig sein, hatte dickes lockiges Haar und ein hartes, herausforderndes Gesicht.

«Na schon. «Er hielt am Fu? der Treppe an und schaukelte auf den Absatzen vor und zuruck.»Ich wollte Sie schon immer mal kennenlernen, Mr. Pascoe, aber da? Sie derart vom Himmel fallen wurden, hatte ich nicht gedacht.»

«Ich verstehe nicht.»
        Der gro?e Mann drehte sich zu seinen Gefahrten um und sagte hamisch:»Obwohl man annehmen sollte, da? Mr. Pascoe sich an einem Ort wie diesem zu Hause fuhlt, nicht wahr, Jungs?«Sie lachten, und einer buckte sich, um Babbage festzuhalten, der davonzukriechen versuchte. Er hatte einen blutverschmierten Mund und war offenbar geschlagen worden.

«Ich befehle Ihnen, mir diesen Mann auszuhandigen, wer Sie auch sind!»

«Er befiehlt! Dieses Jungelchen, das sich als Offizier verkleidet hat, befiehlt mir!»
        Die Hausbesitzerin zwangte sich durch die Zuschauer hindurch und stellte sich zwischen die drei und Pascoe. Argerlich sagte sie:»La?t ihn in Ruhe, verdammt noch mal. Er hat nichts Boses im Sinn.»

«Oh, ganz sicher, Ruby! Mr. Pascoes Mutter war ja auch eine Hure und sein verdammter Vater ein Landesverrater. Was konnte er also Boses tun?»
        Pascoe war von den beleidigenden Worten des Mannes wie betaubt. Wut und Ha?t packten ihn derart, da? er zitterte. Das konnte nicht sein, das gab es doch nicht! Nicht nach so langer
        Zeit und nach allem, was geschehen war.
        Die Frau sah ihn angstlich an.»Sie hauen besser ab, und zwar schnell. Ich will hier keinen Arger. Davon hatte ich schon genug.»
        Pascoe zwangt sich an ihr vorbei und sah nur das uber ihm stehende, grinsende Gesicht auf der Treppe.

«Nun, Mr. Pascoe!?«Der Kerl geno? die Szene.»Deckt Ihr Onkel immer noch den Fehltritt seines Bruders?»
        Pascoe machte einen Sprung vorwarts und schlug in das Gesicht des Mannes. Er sah Uberraschung darin und fuhlte, da? seine Faust von dem Schlag schmerzte, aber das Gesicht war immer noch da, wenn sich auch etwas Blut auf der Lippe zeigte.

«Sie haben mich geschlagen!«Der Gro?e tupfte das Blut von seinem Mund, seine Augen lagen im Dunkeln.»Wenn man von Leuten wie Ihnen beruhrt wird, ist es, als bekame man die Pest. Aber die Angelegenheit la?t sich regeln, das hei?t, wenn Sie gelernt haben, so zu tun wie ein Ehrenmann.»
        Pascoe akzeptierte die Drohung mit plotzlicher Gelassenheit - oder war es Resignation?
        Er horte sich selber sagen:»Auf Sabel?»

«Wohl kaum. «Der andere Mann betupfte immer noch seine Lippe und beobachtete Pascoe.»Pistolen waren besser. Doch bevor wir auseinandergehen.«, er schnippte mit dem Finger, und im selben Augenblick fuhlte Pascoe, da? seine Arme festgehalten wurden,». erteile ich Ihnen eine Lektion in guten Manieren.»
        Pascoe fuhr herum, als er bemerkte, da? Babbage den Augenblick nutzte und - den Kopf mit den Handen schutzend - an ihnen vorbeischo? und zur Tur rannte. Mit einer verzweifelten Anstrengung ri? er sie auf und war drau?en.
        Der gro?e Mann hob die Faust.»Den sehen wir nie wieder.»
        Pascoe straffte sich, um den Schlag, der auf seine Magengrube zielte, aufzufangen.
        Nur schwach horte er etwas wie Rennen, ein scharfes Kommando und den plotzlichen Knall einer Muskete.
        Major Clinton stand im Eingang und schwang lassig sein schwarzes Stockchen, als er sagte:»Das war Babbage. Meine Leute riefen ihn an, aber er wollte fliehen. «Er wartete, bis die Kerle Pascoes Arme freigegeben hatten.»Sie kamen wohl zu spat, Mr. Pascoe. «Er nickte dem Mann mit der gespaltenen Lippe zu.»Aber Sie waren rechtzeitig da,
        Mr. Roche, nehme ich an?»
        Der Mann, den Clinton mit >Roche< angesprochen hatte, zuckte die Achseln.»Hohere Eingebung, Major. Es ist uns nicht verboten, hierher zu kommen.»
        Clinton antwortete scharf:»Sie verschwinden jetzt! Und es ist mir gleich, ob Sie zum Stab des Admirals gehoren. Ich habe den Verdacht, da? Ihr Mut kaum fur ein Gefecht auf See ausreichen wurde.»
        Die drei Manner holten ihre Rocke und verlie?en das Haus. Pascoe bemerkte, da? Roche wie die beiden anderen die Leutnantsuniform der Marine trugen.

«Tut mit leid, da? ich Sie da hineingezogen habe, Sir. «Pascoe folgte dem Major auf die regennasse Stra?e. Marston, Clintons Leutnant, und eine Gruppe von Seesoldaten standen um einem am Boden liegenden Korper. Fur Babbage war alles voruber.

«Ich kann dazu jetzt nichts weiter sagen. «Clinton schaute auf seine Manner.»Seht zu, da? ihr den Leichnam loswerdet. «Dann fiel er neben Pascoe in Schritt und sagte:»Roche gehort zum Stab des Ha-fenadmirals. Er wird nie befordert werden, denn er taugt zu nichts. Aber er ist ein gefahrlicher Mann. Hat er Sie beleidigt?»

«Daruber kann ich nicht sprechen, Sir.»
        Clinton erinnerte sich an Herricks Gesichtsausdruck und dachte sich sein Teil.



        XIII Noch drei Minuten zu leben

        Bolitho stand unschlussig auf dem hubschen kleinen Platz und studierte das Haus. Er war von seiner derzeitigen Unterkunft zu Fu? hierhergekommen, aus verschiedenen Grunden: einmal, um sein ladiertes Bein zu trainieren, zum anderen, um sich in Ruhe auf das vorzubereiten, was er sagen wollte.
        Er hatte Browne gefragt, ob dieser Belinda Laidlaw gesehen hatte, als er den Brief abgab, aber Browne hatte den Kopf geschuttelt.»Nur einen Diener, Sir. Es war so finster wie in einem Grab.»
        Bolitho konnte Brownes kurze Beschreibung jetzt verstehen. Das Haus war au?erlich ein Ebenbild seines Nachbarn: gro?, elegant und wohlproportioniert. Aber das war auch die einzige Ahnlichkeit. Es sah kalt und abweisend aus und machte den Eindruck, als beobachtete es ihn, wie auch der ganze Platz den Atem anzuhalten schien, um zu beobachten, was ein Besucher hier wolle. Nach seinem Spaziergang, vorbei am geschaftigen und lauten Treiben der vielen Laden und Weinhandlungen, fuhlte sich Bolitho weniger selbstsicher.
        Aber das war lachhaft. Er ging die wenigen Stufen hinauf und griff nach dem Glockenzug, aber die Tur offnete sich vor ihm wie durch Zauberei. Ein griesgramig aussehender Diener musterte ihn neugierig.

«Sir?»
        Bolitho war nicht in der Stimmung fur langere Erklarungen. Er loste seinen Umhang am Hals und ubergab ihn dem Diener, anschlie?end auch den Hut.

«Mein Name ist Richard Bolitho. Mrs. Laidlaw erwartet mich.»
        Als er seine Erscheinung in einem gro?en gerahmten Spiegel uberprufte, sah Bolitho, da? der Diener sich in einen Seitengang der Eingangshalle zuruckzog und dabei ehrfurchtig uber Hut und Mantel zum Besucher zuruckschaute. Bolitho schlo? daraus, da? sich nur selten ein Gast hierher verirrte, und ganz gewi? kein Flaggoffizier. Er strich seinen Uniformrock glatt und wandte sich dem Raum zu. Alles darin sah alt und gediegen aus. Es mu?te Leuten gehort haben, die schon lange tot waren, dachte er.
        Der Diener kam mit leeren Handen zuruck. Bolitho bemuhte sich, gleichmutig zu bleiben und seine Erleichterung zu verbergen. Er hatte befurchtet, Belinda wurde ablehnen, ihn zu empfangen, und sei es nur, um neue Verwirrung zu vermeiden.
        Der Diener sagte klaglich:»Hier entlang, Sir.»
        Sie kamen zu einer Doppeltur aus schonem, eingelegtem Holz. Der Diener offnete feierlich beide Flugel und schlo? sie, nachdem Bolitho eingetreten war, lautlos hinter ihm.
        Der Raum war ebenfalls sehr gro? und mit schweren Mobeln ausgestattet. An den Wanden hingen imposante Gemalde, durchweg Portrats hoher Richter.
        In einem vergoldeten Sessel neben dem Kamin sa? die Frau des Richters. Sie mu?te es wohl sein, dachte Bolitho grimmig, denn sie war so imposant und gut gepolstert wie ihre Mobel. Ihr blasses Gesicht druckte deutlich Mi?fallen aus.
        In ihrer Nahe, mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Scho?, sa? Mrs. Belinda Laidlaw. Sie trug ein schlichtes taubenblaues Kleid, das einer Uniform ahnelte, und sah ihn so ruhig an, als ob ein Zeichen von Gemutsbewegung oder gar Freude das Haus erschuttern wurde.
        Bolitho sagte:»Ich bin vorubergehend in London, Ma'am. «Er sah die Richtersgattin an, seine Worte waren aber an die junge Frau gerichtet.»Ich bat darum, Sie aufsuchen zu durfen, denn in meinem Beruf wei? man nie, wann man das nachste Mal wieder an Land kommt.»
        Es klang schwerfallig und hochtrabend, ganz dem Raum entsprechend. Vielleicht hatte er diese Wirkung auf Besucher, uberlegte Bo-litho.
        Der Arm der alten Dame tauchte aus ihren Gewandfalten auf und dirigierte Bolitho auf einen unbequem aussehenden Stuhl ihr gegenuber. Sie bediente sich dazu eines dunnen schwarzes Stockes ahnlich dem, den Major Clinton immer trug.
        Von seinem Platz aus blickte Bolitho durch ein paar Fenster, hinter denen weder Hauser noch Baume zu sehen waren. Vor diesem hellen Hintergrund konnte er die junge Frau nur wie eine Silhouette wahrnehmen, ohne ihr Gesicht oder gar seinen Ausdruck zu erkennen.
        Die Frau des Richters sagte:»Wir werden gleich Tee bekommen, Herr.«, sie schaute auf Bolithos Schulterstucke,»Kapitan, ist das richtig?»
        Die junge Frau sagte schnell:»Konteradmiral, Ma'am!»
        Bolitho bemerkte eine gewisse Gereiztheit in ihrem Tonfall, was ihm verriet, da? sie der Richtersgattin schon von ihm erzahlt hatte.

«Ich furchte, die Details kann ich einfach nicht mehr behalten. «Sie nickte langsam.»Aber ich habe gehort, da? Sie sich auf dem Besitz von Lord Swinburne in Hampshire aufgehalten haben. «Es klang wie eine Anschuldigung.
        Bolitho sagte:»Er war sehr hilfsbereit. «Dann versuchte er es noch einmal:»Es sieht so aus, als ob ich bald zum Geschwader zuruckkehren konne. «Er wandte sich an ihre Silhouette.»Hoffentlich haben Sie sich hier schon eingelebt.»

«Es geht mir gut, danke.»
        Und so platscherte die Unterhaltung weiter. Jeder Vorsto? Bolithos wurde sofort und formlich pariert. Wenn er von fernen Landern sprach, die er besucht hatte, oder von Tieren, Schiffen, Eingeborenen, wurde das Thema mit einem Nicken oder einem geduldigen Lacheln beendet.

«Der Richter wird so oft gerufen, um Recht zu sprechen, da? wir selber keine Zeit zum Reisen finden.»
        Bolitho veranderte vorsichtig die Lage seines Beins. Die Frau des Hauses sprach immer nur vom >Richter<, nie sagte sie >mein Mann< oder nannte ihn mit Namen. Was sie zum Thema Reisen vorbrachte, lie? Bolithos Leben an Bord wie die reinste Vergnugungsfahrt erscheinen.
        Trocken fuhr sie fort:»Durch den Krieg gibt es viele Ungesetzlichkeiten. Den Richter kommt seine Aufgabe hart an. Aber er hat sich ihr verschworen, und der Erfolg ist ihm Lohn genug.»
        Bolitho empfand Mitleid fur jeden armen Sunder, der vor diesem Richter erscheinen mu?te. Wenn er seiner Frau ahnelte, konnte niemand Mitgefuhl oder gar Erbarmen erwarten.
        Die Hausglocke schellte, und das Echo kroch wie Wehklagen durch die Korridore.
        Die alte Dame schob mit ihrem Stock ein Holzscheit ins Feuer und fragte kuhl:»Noch mehr Besucher, Mrs. Laidlaw? Wir scheinen popular zu werden.»
        Der Diener kam gerauschlos herein und sagte:»Ich bitte um Vergebung, Ma'am, da? ich store. «Es klang, als sei er gewohnt, angefahren zu werden.»Da ist noch ein Herr von der Marine. «Er verlagerte seinen Blick auf Bolitho.»Er mochte Sie sprechen, Sir.»
        Bolitho erhob sich. Dabei fuhlte er, da? die junge Frau sein Bemuhen, locker und schmerzfrei zu erscheinen, durchschaute.

«Tut mir leid, aber es mu? wohl wichtig sein.»
        Als er das Zimmer verlie?, horte er noch die alte Dame sagen:»Ich glaube nicht, da? wir den Tee jetzt benotigen, Simkins.»
        Browne stand in regennassem Umhang in der Halle.
        Bolitho fragte:»Was ist los? Sind die Franzosen da?»
        Browne warf einen schnellen Blick hinter sich.»Es betrifft Ihren Neffen, Sir. «Er hob die Hand, um Bolitho zu beruhigen.»Er ist in Sicherheit, aber es war haarscharf. Kapitan Herrick hat einen reitenden Eilboten geschickt, um Sie sofort ins Bild zu setzen. «In kurzen Satzen berichtete Browne von Pascoes Zusammensto? mit Leutnant Ro-che:»Als ich Kapitan Herricks Nachricht las, war ich zunachst entsetzt, Sir. Roche ist ein Rupel und berufsma?iger Duellant. Pascoe stie? auf ihn, als er wegen irgendeiner Privatangelegenheit an Land war. Roche machte ihm gegenuber eine Bemerkung, und Pascoe schlug deswegen zu. «Browne zuckte die Achseln.»Kapitan Herrick hat nicht weiter nachgeforscht, bat mich aber, Ihnen mitzuteilen, da? er die Angelegenheit erledigt habe. «Er zwang sich ein Lacheln ab.»Die Relentless brauchte gerade einen Dritten Offizier. Jetzt hat sie einen.»
        Bolitho schaute sich nach dem Diener um.

«Das verstehen Sie nicht. Die Angelegenheit ist weder erledigt noch wird sie es jemals sein, bevor nicht. «Er hielt ein, als er die junge Frau aus dem dunklen Hintergrund auf sich zukommen sah.»Tut mir leid, aber ich mu? gehen.»
        Browne sagte beharrlich:»Er ist doch jetzt in Sicherheit, Sir.»

«In Sicherheit? Haben Sie schon vergessen, was Sie uber meine Familie herausfanden? Es wird nicht eher vorbei sein, bevor die Wahrheit heraus ist.
«Ruhiger fuhr er fort:»Ich bitte Sie wegen all dieser Aufregung um Entschuldigung, Ma'am. Ich kam in der Erwartung, da? wir miteinander reden konnten. Und ich hatte sogar gehofft.»
        Er studierte ihr Gesicht, als wolle er sich jede Einzelheit einpragen: die braunen Augen, den vollkommen geformten Mund, ihre Lippen die - betroffen von seinem Wunsch - leicht geoffnet waren.
        Sie sagte:»Auch mir tut es leid. Nach allem, was Sie fur mich getan haben, mu?ten Sie dasitzen wie ein Handelsvertreter. Ich habe mich geschamt.»
        Bolitho ergriff impulsiv ihre Hande.»Wir hatten noch nie genug Zeit fureinander.»
        Sie zog ihre Hande nicht zuruck, sagte aber in dem gleichen ruhigen Ton:»Wozu? Was mochten Sie mir sagen? Da? ich Ihrer verstorbenen Frau ungeheuer ahnlich sehe und ihren Platz einnehmen soll?«Sie schuttelte langsam den Kopf.»Sie wissen, da? das falsch ware. Ich mochte um meiner selbst willen begehrt werden und nicht in Erinnerung an eine andere.»
        Browne sagte verlegen:»Ich warte drau?en, Sir.»
        Bolitho sah ihm voll ins Gesicht.»Ich brauche ein schnelles Pferd und eine Liste der Poststationen auf der Stra?e nach Portsmouth. Sagen Sie Allday, da? er mit unserem Gepack im Wagen folgen soll.»
        Browne starrte ihn unglaubig an.»Pferde, Sir?»

«Ich kann reiten, Browne!»
        Browne lie? sich nicht einschuchtern.»Mit allem Respekt, Sir, aber Ihre Wunde ist kaum verheilt, und au?erdem kann jederzeit eine Konferenz in der Admiralitat einberufen werden, bei der Ihre Anwesenheit verlangt wird.»

«Ich pfeife auf die Admiralitat, Browne, und die Politik soll mir gestohlen bleiben!«Er versuchte zu lacheln, was nicht recht gelang.»Aber wenn Sie sich die Muhe machen wollen, zwei Pferde zu beschaffen, werde ich Ihnen zeigen, ob mich meine Verletzung daran hindert, Sie auf dieser Strecke abzuhangen.»
        Browne eilte davon und lie? in seiner Verwirrung die Haustur offen.
        Bolitho sagte:»Entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise, ich verga?, wo ich bin. «Er betrachtete Belinda forschend.»Ich will Sie nicht belugen: die Ahnlichkeit uberwaltigte mich. Ich habe zu lange gehofft und dann zu lange keine Hoffnung mehr gehabt. Aber ich hatte gern genug Zeit, damit Sie mich kennen und schatzen lernten. Au?erdem konnte ich den Gedanken nicht ertragen, da? Sie hier leben. Jetzt, da ich dieses Haus gesehen habe, bin ich noch mehr davon uberzeugt, da? es nicht das Richtige fur Sie ist, auch nicht als vorubergehende Losung.»

«Ich mu? auf eigenen Fu?en stehen. «Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. Rupert Seton wollte mir Geld geben, andere Manner machten mir verschiedene Angebote. In dem Ma?e, wie sich meine Verhaltnisse verschlechterten, wurden die Angebote immer taktloser.»
        Er nahm ihre Hand und fuhrte sie an seine Lippen.»Bitte vergessen Sie mich nicht. Ich werde immer an Sie denken!»
        Sie trat zuruck, als der Diener mit Bolithos Hut und Umhang erschien.

«Ihr Adjutant war besorgt, weil Sie nach Portsmouth reiten wollen.
        Mu? es denn sein?»

«Es geht um etwas, da? mich seit Jahren verfolgt. Darum mu? es einmal ein Ende finden. «Er sah sie ernst an.»Ich wunsche Ihnen alles Gute dieser Welt. Und da? Sie glucklich werden!»
        Er erinnerte sich nicht, wie er das Haus verlassen hatte, aber als er zuruckschaute, war die Eingangstur geschlossen, als hatte er sich alles nur eingebildet. Als stande er noch immer da und uberlegte, was er sagen sollte, wenn er ihr begegnete.
        Als Bolitho das Haus am Cavendish Square erreichte, sah er davor zwei kraftige Pferde. Browne hatte offenbar eine Menge Freunde und galt viel bei ihnen.
        In der Eingangshalle traf er auf ein gro?es Durcheinander. Browne war dabei, Allday zu beruhigen, und im Hintergrund heulte die Kochin, obwohl sie kaum wissen konnte, was das alles bedeutete.
        Allday bat Bolitho flehentlich:»Sie konnen nicht ohne mich weg! Das ist nicht fair! Sie wissen, da? ich nicht reiten kann, Sir!«Er schaute verzweifelt zu Boden. Es ist einfach nicht richtig. Mr. Browne ist ein guter Mann, Sir, aber er kennt Sie nicht so wie ich!»
        Bolitho war von Alldays Verzweiflung tief bewegt.

«Ich mu? reiten, denn es geht so viel schneller. Sie folgen im Wagen.»
        Allday hatte gar nicht zugehort. Er wandte sich flehentlich an Browne:»Halten Sie ihn davon ab, Sir. Ich kenne ihn schon so lange, er wird mit diesem Lumpen kampfen. «Er blickte wieder verzweifelt Bolitho an.»Mit Pistolen!»
        Bolitho sagte:»Sie hatten ihm nichts erzahlen sollen.»
        Browne antwortete ruhig:»Es schien mir notwendig, Sir.»
        Allday trat zwischen sie.»Sie sind ein guter Sabelfechter, Sir, einer der besten, die ich je gesehen habe. «Er fa?te Bolithos Armel.»Aber Sie sind kein Pistolenschutze. Sie wurden kaum einen Mann auf drei?ig Schritt treffen und wissen das!»
        Browne schaute bedeutungsvoll auf die Uhr.»Wenn wir unsere Pferde in Guildford wechseln wollen, Sir, mussen wir jetzt aufbrechen.»
        Bolitho nickte.»Warten Sie auf mich.»
        Er konnte Allday nicht einfach so zurucklassen. Dafur waren sie schon zu lange Zeit miteinander marschiert. Er sagte:»Hor zu, mein Freund. Wenn es eine andere Moglichkeit gabe, wurde ich sie wahrnehmen. Aber Adam wurde nur gekrankt, um durch ihn mich zu beleidigen. Wenn es nicht jetzt in England geschieht, dann woanders zu anderer Zeit. Das konnen wir nicht zulassen, oder?»

«Es ist nicht fair, Sir. Ich sollte wenigstens bei Ihnen sein.»
        Bolitho beruhrte seinen Arm.»Das werden Sie immer sein. «Er ging hinaus in den Nieselregen, der zugenommen hatte, und kletterte in den Sattel.
        Browne warf ihm einen fragenden Blick zu.»Alles klar, Sir?«»Aye. Wie weit ist es?»
        Browne bemuhte sich, seine Besorgnis zu verbergen.»Etwas uber sechzig Meilen, Sir.


«Dann wollen wir uns auf den Weg machen.»
        Bolitho nickte dem Stallburschen zu, der darauf die Pferde freigab, und dachte an Alldays Worte: >Kein Pistolenschutze<. Aber welche Chance hatte Adam gegen einen versierten Killer gehabt?
        Der Gedanke schien ihm zusatzliche Krafte zu verleihen, und er sagte bissig:»Wenn man ein feindliches Schiff bekampft, wei? man wenigstens, woher die Schusse kommen. Aber unter zivilisierten Menschen wei? man das nie so genau!»
        Als das Wachboot energisch durch das kabbelige Wasser des Hafens von Portsmouth ruderte, mu?te Bolitho die Zahne zusammenbei?en, damit sie nicht vor Kalte klapperten. Der Ritt von London war wie ein Alptraum und scheinbar endlos gewesen. In kleinen Gasthofen hatten sie gerade so lange gerastet, um ein hei?es Getrank herunterzusturzen, wahrend mude Stallburschen die erschopften Pferde wegfuhrten und neue fur die nachste Wegstrecke sattelten.
        Weiter ging es dann auf gewundenen Stra?en, beiderseits von Buschen gesaumt, wie von Gruppen geduckter Stra?enrauber. Kalter Wind und stechender Regen hatten die Sinne wachgehalten.
        Jetzt war es fast Morgen, und in dem truben Dammerlicht sah Portsmouth unwirklich und wie ein Spukgebilde aus.
        Der Bootssteurer legte Ruder und lenkte das Boot auf ein Ankerlicht zu, von dem Bolitho wu?te, da? es seinem Flaggschiff gehorte.
        Browne hatte wahrend des anstrengenden Rittes sehr wenig gesagt und sich wortlos neben ihm auf den Hecksitz sinken lassen, als sei er zu mude zum Sprechen oder knoble an einem eigenen Plan herum.
        Der Bootsoffizier befahl:»Zeigt die Laterne!«Es war ein Leutnant mit schrecklich entstelltem Gesicht, wohl dem Andenken von einem Seegefecht.
        Der Bugmann drehte die Laterne auf und hielt sie uber seinen Kopf.
        Bolitho stellte sich die schlafrigen Wachhabenden auf der Benbow vor, die Seesoldaten, die auf Vor- und Achterschiff Posten standen, und den Hollenlarm, der gleich ausbrechen wurde, wenn sie erkannten, da? er zuruckkam.
        Uber das Wasser erscholl der uralte Anruf:»Boot ahoi?»
        Der Bootssteurer fuhrte seine Hande als Sprachrohr an den Mund und geno? die Vorfreude auf das Chaos, das er gleich auslosen wurde.

«Flaggoffizier! Benbow!»
        Bolitho sagte:»Ich hoffe zu Gott, da? Kapitan Herrick an Bord ist. «Er schamte sich gleich darauf, da? er daran gezweifelt hatte. Selbstverstandlich war Herrick da.
        Wie ein steiler Berg erhob sich die Bordwand der Benbow uber ihnen, und daruber, wie mit Tusche auf den truben Himmel gezeichnet, ihre Masten und Rahen.

«Riemen hoch!»
        Das Boot trieb die letzten Meter bis zur Kette der Gro?rusten; als Bolitho sich von seinem Platz erheben wollte, schrie er vor Schmerzen fast auf.
        Browne flusterte ihm eifrig zu:»Lassen Sie mich Ihnen helfen, Sir.»
        Bolitho schaute zur Einla?pforte hoch, wobei ihm der Schmerz den Blick zu vernebeln schien. Was hatte er anderes erwartet? Ein solcher Ritt reichte, um jede Wunde aufbrechen zu lassen. Doch die Uberzeugung, da? Eile dringend erforderlich war, hatte ihn Browne etwas vorlugen lassen. Er hatte seit mehreren Jahren nicht im Sattel gesessen, jedenfalls nicht solch lange Strecke.
        Er sagte:»Nein, ich mu? das schaffen.»
        Der Leutnant lupfte seinen Hut, und die Ruderer sa?en keuchend vor Erschopfung auf ihren Duchten und sahen zu, wie Bolitho langsam das Fallreep der Benbow hochkletterte.
        Herrick war da, nur etwas zerzaust, als er eilends und voller Sorge nach vorn geeilt kam, um ihn zu empfangen.
        Bolitho sagte heiser:»Spater, Thomas. Kommen Sie mit nach achtern!»
        Aufgeregte Gestalten liefen umher und verschwanden wieder im
        Halbdunkel. Leutnant Aggett hatte die verha?te Morgenwache. Vielleicht bedauerte er schon seine unerwartete Beforderung nach dem Tod des Sechsten Offiziers.
        Andere waren da, aber Bolitho hatte nur den einen Gedanken, in seine Kajute zu gelangen und dort Zeit zum Nachdenken zu finden.
        Der Posten vor seinen Raumen ging stampfend in >Hab-acht-Stellung<. Sein Uniformrock glanzte feuerrot im Licht der einsamen Laterne.
        Bolitho humpelte an ihm vorbei.»Guten Morgen, Williams. «Er sah nicht mehr die Freude auf dem Gesicht des Mannes, da? er seinen Namen behalten hatte.
        Ozzard war in der Kajute geschaftig dabei, Lampen anzuzunden, die Leben auf das grune Leder der Bezuge und die schweren Decksbalken zauberten.
        Herrick starrte Bolitho an, als er in einen Stuhl sank, und keuchte:»Ziehen Sie mir die Stiefel aus, Ozzard!«Browne warnte ihn:»Vorsicht, Mann!»
        Herrick gewahrte die breite Blutspur auf Bolithos Schenkel.»Allmachtiger Gott!»
        Bolitho unterdruckte den Schmerz.»Schie?en Sie los, Thomas. Erzahlen Sie mir alles uber dieses verdammte Duell.»
        Herrick sagte:»Alles, was ich wei?, habe ich Browne geschrieben. Ich war nicht sicher, wo Sie sich zur Zeit aufhielten. Aber die Relentless segelt mit der Morgentide. Pascoe wird dann au?er Gefahr sein.»
        Er zuckte zusammen, als Bolitho plotzlich aufschrie.

«Ich lasse den Schiffsarzt kommen.»

«Spater. «Bolitho wandte sich an Ozzard.»Etwas zu trinken, bitte. Irgendwas, aber so schnell Sie konnen. «Dann wieder zu Herrick:»Wie hat Adam es aufgenommen?»

«Schlecht, Sir. Er redete von Ehrensache und von Ihrem Vertrauen, und da? er Ihnen wegen seines toten Vaters nur Schwierigkeiten bereite. «Herrick blickte finster drein, weil er die Sache nun leider aufruhren mu?te.»Ich habe schlie?lich meine Autoritat ausspielen mussen. Das war fast der schwerste Teil der ganzen Angelegenheit.»
        Bolitho nickte.»Adam hat immer davon getraumt, eines Tages auf eine Fregatte kommandiert zu werden. Da? ihm nun die Freude daran auf diese Weise vergallt wurde, ist schade, aber Sie haben richtig gehandelt, Thomas. Kapitan Rowley Peel ist jung und ehrgeizig und hat sich als Soldat bewahrt. Au?erdem ist er fur mich ein Fremder, also wird er Adam nicht meinetwegen bevorzugen. Der liebe Inch wurde behaupten, Wei? sei Schwarz, wenn er glaubte, mir damit einen Gefallen zu tun. Und Sie ubrigens auch.»
        Er nahm ein Glas von Ozzard entgegen und trank mit tiefen Zugen. Es war eiskalter Rheinwein, den Ozzard an einem geheimen Platz in der Bilge versteckt hielt.
        Bolitho sank in seinem Stuhl zuruck und sagte:»Noch eins. Und holen Sie Glaser fur Kapitan Herrick und den Flaggleutnant. «Er sah sie nacheinander an.»Ich bin Ihnen beiden aus mehr Grunden, als ich aufzahlen kann, zu Dank verpflichtet.»
        Browne platzte heraus:»Haben Sie die Absicht, Roche entgegenzutreten?»
        Herrick verschluckte sich fast an seinem Wein.»Was?»
        Bolitho fragte:»Fur wann ist das Duell vereinbart?»

«Fur heute fruh um acht, Sir. Auf der Seite von Gosport. Aber es ist nicht mehr notig, ich kann den Hafenadmiral informieren und dafur sorgen, da? Roche ermahnt wird.»

«Glauben Sie, da? derjenige, der durch Adam mich verletzen wollte, es nicht noch einmal versuchen wird? Das Ganze ist kein Zufall. «Er sah den nachdenklichen Ausdruck in Herricks Gesicht.»Ihnen fallt etwas ein?»
        Herrick fuhr sich mit der Zunge uber die Lippen.»Ihr Neffe machte eine eigenartige Bemerkung, Sir. Leutnant Roche habe geau?ert, er hatte ihn erwartet. >Ich wollte Sie schon immer mal treffen<, oder so ahnlich.»

«Das bestatigt meine Vermutung.»
        Bolitho sah plotzlich ihr Gesicht vor sich. Aber wessen, Cheneys oder das der jungen Frau, die er in dem dusteren Haus in London zuruckgelassen hatte?
        Browne sagte:»Und nun ist er nicht mehr zu halten.»
        Bolitho lachelte.»Jetzt konnen Sie den Arzt holen. Ich brauche einen neuen Verband, eine andere Hose und Schuhe.»
        Browne erwiderte:»Und ein frisches Hemd. «Er zogerte.»Fur alle Falle, Sir.»
        Als er die Kajute verlassen hatte, sagte Herrick:»Ich werde Sie begleiten.»

«Major Clinton kennt sich in derlei Dingen besser aus. Sie stehen mir zu nahe, Thomas. «Er dachte an Allday.»Es ist besser so.»
        Browne kam vollig au?er Atem zuruck.»Der Arzt ist auf dem Wege, Sir.»

«Gut. Sorgen Sie fur ein Boot und - falls erforderlich - fur einen Wagen. «Er schlo? die Augen, als der Schmerz ihn wieder packte. Ware Herricks Botschaft nicht gewesen, sa?e er jetzt noch in London. Und wenn es unterwegs irgendwelchen Aufenthalt gegeben hatte, ware der Termin fur das Duell verstrichen. Falls wirklich Damerum dahinterstand, hatte er sich dann an Roches Sieg weiden konnen. Er sagte sehr beherrscht:»In meiner Kassette liegt ein Brief, Thomas. «Er sah, wie Herricks Augen sich weiteten.»Ich bin ein Feigling. Ich hatte Adam uber den Tod seines Vaters aufklaren sollen. Es steht alles in dem Brief. Geben Sie ihn Adam, wenn ich heute falle.»
        Herrick schrie beinahe:»Sie durften es ihm nicht sagen, Sir! Sonst hatten Sie zugeben mussen, da? Sie einen Verrater verbargen. Ihr Bruder ware verhaftet worden, und Pascoe hatte ihn eines Tages hangen gesehen.»

«Das habe ich mir auch gesagt, Thomas. Vielleicht war aber auch das eine Luge. Ich hatte wahrscheinlich Angst, da? Pascoe mich wegen des Betruges hassen wurde. Denn das war es wohl in Wirklichkeit.»
        Der Arzt trat ein und starrte Bolitho an wie ein erzurnter Faun.»Bei allem Respekt, Sir, aber wollen Sie unbedingt sterben?«Herrick sagte finster:»Halten Sie den Mund, und tun Sie das Notwendige. «Auf dem Wege zum Turvorhang setzte er noch hinzu:»Sie konnten ebensogut versuchen, einen angreifenden Bullen aufzuhalten.»
        Aber in seiner Stimme war kein Humor, und noch lange, nachdem er den Raum verlassen hatte, hingen seine Worte in der Luft.
        Major Clinton sagte:»Es ist wohl das beste, wenn wir hier halten, Sir. «Er schaute durch das schmale Wagenfenster.»Wie rucksichtslos, diese Dinge an solch einem Ort auszutragen!»
        Bolitho kletterte aus dem Wagen und spahte zum Himmel. Es war fast acht Uhr, aber das Licht immer noch ma?ig.

«Ich schaue mich nach dem Sekundanten des Burschen um, Sir. Es wird nicht lange dauern. «Aber Clinton zogerte.»Wenn Sie wirklich entschlossen sind, Sir?»

«Das bin ich. Und denken Sie daran: Beschranken Sie Ihre Bemerkungen zu Roches Sekundanten auf ein Minimum.»
        Clinton nickte.»Ich werde es nicht vergessen, Sir. Genau wie Sie befohlen haben, obwohl…«Er beendete den Satz nicht.
        Bolitho legte seinen Hut auf den Wagensitz und zog den Umhang fester um sich. Einzelheiten fielen ihm auf: Spatzen, die nach Futter suchten; der dick eingemummelte Kutscher, der bei seinen Pferde stand und ihre Kopfe hielt, um sie zu beruhigen, wenn die ersten Pistolenschusse fielen; und da? seine Hande feucht waren.
        So ahnlich mu?te einem zum Tode Verurteilten zumute sein, dachte er fluchtig. Als ob er die Zeit anhalten konne, wenn er sich auf die kleinen, alltaglichen Dinge konzentrierte.
        Clinton kam mit grimmiger Miene zuruck.»Sie erwarten uns, Sir.»
        Bolitho schritt neben ihm durch das nasse Gras zu einer kleinen Lichtung, hinter der - wie Clinton erklarte - ein Sumpf lag.
        Clinton sagte:»Die Pistolen sind gepruft und akzeptiert.»

«Was hat er gesagt, das Sie so verargert hat, Major?»

«Verdammte Frechheit! Als ich ihm sagte, da? Mr. Pascoe in See gehen mu?te und ein anderer Marineoffizier der Familie an seine Stelle treten wurde, lachte er und sagte: >Das wird weder sein Leben noch seine Ehre retten<.
        Bolitho sah zwei Wagen, die diskret unter einigen Baumen standen. Der eine war der seines Gegners, der andere zweifellos der eines vertrauenswurdigen Arztes. Er beobachtete, wie Roche und sein Sekundant zielbewu?t auf sie zuschritten. Roche war ein imponierend aussehender Mann, der selbstgefallig und zuversichtlich einherstolzierte.
        Sie standen einander gegenuber, und Roches Sekundant sagte scharf:»Sie machen jeder funfzehn Schritte, drehen sich um und feuern. Wenn keiner fallt, tritt jeder funf Schritte vor und feuert wieder.»
        Roche entblo?te grinsend die Zahne.»Lassen Sie uns endlich anfangen. Ich brauche einen Drink.»
        Bolitho musterte die beiden offenen Kasten der Duellpistolen und hatte lediglich den einen Gedanken, da? es fur einen geubten Schutzen leichter war, seinen Gegner zu toten, wenn er beide Pistolen auf einmal benutzte.
        Er sagte:»Nehmen Sie meinen Umhang, Major«, und bemuhte sich, nicht in Roches Gesicht zu schauen, als er den Umhang von den Schultern warf. Im grauen Morgenlicht, vor den kahlen, triefenden Baumen, hob sich seine Uniform malerisch ab: die blitzenden Epauletten, der Goldstreifen auf seinem Armel, die Knopfe, von denen einer - auf seinem anderen Rock - ihn fast das Bein gekostet hatte.
        Schlie?lich wandte sich Bolitho um und sah Roche ins Gesicht. Das hatte sich vollig verandert. Statt der hohnischen Vorfreude auf einen weiteren Erfolg stand jetzt darin Verbluffung.

«Nun, Mr. Roche?»

«Aber - aber ich kann doch nicht…»

«Mit einem Konteradmiral kampfen? Entscheidet der Dienstgrad, wer leben oder sterben soll, Mr. Roche?»
        Bolitho nickte Clinton zu, dankbar dafur, da? er - wenigstens nach au?en - seine Gefuhle beherrschte.

«Lassen Sie uns endlich weitermachen.»
        Er horte Roche stammeln:»Sag' ihm, John, da? ich zuruckziehe.»
        Bolitho nahm zwei langlaufige Pistolen aus dem Kasten und spannte sie. Sein Herz schlug so stark, da? er meinte, Roche und die anderen mu?ten es horen. Er sagte: Ich aber nicht. «Damit drehte er sich um und wartete, die Mundungen zum Himmel gerichtet. Wenn Roche sich entschied, die Sache durchzusetzen, war er in etwa drei Minuten tot.
        Der Sekundant rausperte sich. Sonst war jetzt kein Ton zu horen, selbst die Spatzen verhielten sich still.

«Funfzehn Schritte! Los!»
        Bolitho nahm sich eine Ulme als Richtpunkt und ging Schritt vor Schritt langsam auf sie zu.
        Adam hatte in diesem Augenblick das Gleiche getan. Und hatte Ro-che ihn durch Zufall beim ersten Schu?wechsel verfehlt, hatte ihn die zweite Kugel bestimmt getotet. Diese paar Schritte vorwarts, nachdem ein berufsma?iger Duellant ihn verfehlt hatte, hatten sein restliches Selbstvertrauen vernichtet.»Dreizehn. vierzehn. funfzehn!»
        Bolithos Schuhe quietschten im Gras, als er sich umdrehte und den rechten Arm senkte. Uber den glatten Lauf sah er deutlich Roches Hand und erkannte, da? seine Arme herunterhingen und die Pistolenmundungen auf die Erde zeigten.
        Roche rief heiser:»Ich kann nicht auf Sie schie?en, Sir! Bitte!»
        Sein Sekundant, der es gewohnt war, da? umgekehrt das Opfer Ro-che anflehte, bevor er es niederscho?, wandte sich erstaunt zu ihm um.
        Bolitho hielt die Pistole weiter auf ihn gerichtet, obwohl sie ihm so schwer wie ein Kanonenrohr vorkam.
        Er sagte:»Wenn Sie mich erledigen, Mr. Roche, glauben Sie, da? dann derjenige, der Sie dafur bezahlte, meinen Neffen zu toten, zu Ihnen halten wird? Bestenfalls wird man Sie auf Lebenszeit deportieren. Aber ich schatze, da? viele alles darum gaben, Sie am Galgen baumeln zu sehen, wohin ein gemeiner Verbrecher wie Sie auch gehort.

        Die Pistole in Bolithos Hand wurde so schwer, da? er sich wunderte, wie ruhig er sie trotzdem hielt. Er rief:»Wenn ich andererseits Sie tote, ist die Sache erledigt, denn Ihr Auftraggeber wird kaum zugeben, da? er daran beteiligt war.»
        Der Sekundant rief unsicher:»Ich mu? doch bitten, meine Herren!«Ein Taschentuch erschien uber seinem Kopf.»Wenn ich dieses Tuch senke, feuern Sie!»
        Bolitho nickte.»Ich bin bereit.»
        Roches Umri? wurde schmaler, da er Bolitho jetzt die rechte Seite zuwandte. Er hob die Pistole, die nun genau auf Bolitho zeigte.
        Es hatte nicht gewirkt. Wie lange noch? dachte er. Drei Sekunden?
        Das Taschentuch bewegte sich, und im gleichen Augenblick fiel Roche auf die Knie und warf beide Pistolen ins Gras.

«Bitte! Bitte, haben Sie Erbarmen!»
        Bolitho ging langsam auf ihn zu, wobei ihm jeder Schritt durch seine schmerzende Wunde Qualen bereitete. Aber der Schmerz stachelte ihn eher an, als da? er ihn lahmte. Er lie? den Blick nicht von dem knienden, wimmernden Leutnant, bis er weniger als einen Meter von ihm entfernt stand.
        Roche hatte aufgehort zu stammeln und blickte starr in die schwarzen Mundungen.
        Bolitho sagte eiskalt:»Ich habe bessere Manner als Sie aus geringerem Anla? sterben gesehen. Mein Neffe, den Sie beleidigten und ohne Grund verhohnten, hat Taten vollbracht, die Leute Ihres Schlages nicht einmal in der Zeitung zu lesen sich die Muhe machen. Sie widern mich an, und ich wu?te keinen zwingenden Grund, warum ich Sie noch einen Augenblick langer leben lassen sollte.»
        Sein Finger straffte sich am Abzug, doch da horte er Clinton ruhig sagen:»Wenn es Ihnen recht ist, Sir, lege ich die Waffen jetzt zuruck. «Er nahm Bolitho die Pistolen aus den Handen und setzte hinzu:»Mr. Roches Heldentat wird bis zum Mittag in ganz Portsmouth bekannt sein. Und niemand kann sagen, wo die Geschichte morgen erzahlt wird«, er drehte sich zu dem vollig niedergeschmetterten Roche um,»und zwar mit Genu?, worauf Sie Gift nehmen konnen!»
        Bolitho nickte dem Sekundanten zu und begab sich dann zu seinem Wagen.
        Clinton marschierte neben ihm, und sein Atem hing wie Dampf in der kalten Luft.

«Gesindel, Sir! Ich habe trotzdem Blut und Wasser geschwitzt.»
        Bolitho sah hinunter auf die Blutspur auf seiner Kniehose. In dem truben Licht wirkte sie wie ein Farbfleck.

«Ja, Major. Gesindel. Aber das Schlimme war: Ich wollte ihn toten. Wenn Sie nicht gewesen waren. «Er schuttelte den Kopf.»Nun werde ich nie wissen, ob ich es getan hatte.»
        Clinton lachelte erleichtert.»Er auch nicht, Sir.»



        XIV Belinda

        Edmund Loveys, Schiffsarzt der Benbow, straffte die schmalen Schultern und betrachtete Bolitho so vorwurfsvoll, wie seine Dienststellung es erlaubte.

«Sie haben all meine Muhe fast zunichte gemacht, Sir. «Er buckte sich und tupfte die offene Wunde mit einem Lappen ab, wobei er seinen Arger kaum verbergen konnte. Es grenzt an ein Wunder, da? Sie bei Ihrem Ritt keinen Wundbrand bekommen haben; von dem, was beim Duell passieren konnte, ganz zu schweigen.»
        Bolitho legte sich auf der Sitzbank unter den Heckfenstern zuruck und blickte durch die salzverkrusteten Scheiben. In dem Ma?e, wie er seine Gefuhle wieder unter Kontrolle brachte, erkannte er die Torheit seiner Tat. Er hatte London verlassen, ohne die Admiralitat zu informieren. Sogar jetzt noch konnte eine Konferenz zusammengerufen werden, um die kunftige Strategie zu besprechen. Au?erdem hatte er sein Beauchamp gegebenes Versprechen gebrochen, als er Roche zum offenen Kampf stellte. Doch selbst das war ihm im Augenblick unwichtig erschienen.
        Er sagte:»Ich bitte um Entschuldigung, aber es war wichtig.»
        Loveys schmollte.»Das habe ich langst gehort, Sir. Die Geschichte von Ihrem Duell mit Leutnant Roche ist in ganz Portsmouth bekannt.»
        Bolitho setzte sich langsam auf. Das war zu erwarten gewesen. Derlei Dinge blieben in der Marine nicht lange geheim.
        Er sah auf seinen Schenkel nieder, auf das fahle Fleisch um den dikken Verband, den Loveys wieder einmal anlegte. Seltsam, dachte er, als junger Leutnant hatte er es nie fur moglich gehalten, da? ein Kapitan oder gar ein Flaggoffizier auch sterblich war; nun sa? er hier, nackt wie am Tag seiner Geburt, nur mit einer Decke uber den Schultern. Herrick hatte ofter nach ihm gesehen als notig, und das wohl vor allem, um ihn bei guter Stimmung zu halten. Die Benbow war fast wieder einsatzbereit. Ihre Lasten, Magazine und Wassertanks waren bis oben gefullt, aber Herrick hatte noch eine Menge zu tun. Neue Leute mu?ten verpflichtet und vereidigt werden, ein Leutnant namens Oughton war eingetroffen, der Pascoe ersetzen sollte - all diese Dinge gingen eigentlich nur Herrick an, er trug sie aber Bolitho vor, um ihn vom Grubeln abzuhalten.
        Bolitho fragte sich, wie Pascoe wohl auf der Relentless zurechtkommen mochte. Die Fregatte mu?te jetzt gerade aus dem Kanal in die Nordsee segeln. Es war eine andere Welt auf solch einem Schiff, aber Pascoe wurde bald dazugehoren. Schade, da? er ihn vor dem Auslaufen nicht mehr hatte sehen konnen. Er hatte es sogar verpa?t, die Fregatte Segel setzen zu sehen, weil er gerade zu der Zeit seinen Plan schmiedete, wie er Roche bluffen oder - seiner heroischen Geste wegen - sterben wurde.
        Loveys sagte:»Versuchen Sie, jetzt etwas zu ruhen, Sir, sonst werden Sie zeitlebens hinken, wenn nicht noch Schlimmeres eintritt.»

«Verstehe. Vielen Dank.»
        Bolitho kam stohnend auf die Fu?e. Ozzard stand mit dampfendem Kaffee bereit und verzog keine Miene - das hatte er inzwischen gelernt - , als Bolitho einige Schritte zum Tisch taumelte. Die Wunde brannte wie Feuer, als ware er doch bei dem Duell getroffen worden.
        Er fragte sich, was Allday jetzt wohl machte. Er hatte inzwischen mit dem geborgten Wagen in Portsmouth sein mussen. Wieder sah er sein flehendes Gesicht vor sich und fuhlte, da? er ihn hier brauchte, und sei es nur, um ihn aufzuheitern und ihm zu beweisen, da? er wirklich noch lebte.
        Herrick trat ein und registrierte Bolithos Nacktheit, ohne sich etwas anmerken zu lassen.

«Ich mochte unseren Ankerplatz morgen nach Spithead verlegen, Sir, sobald wir die Proviantubernahme beendet haben. Der Wind ist gunstig, und ich mag nicht langer im Innenhafen liegen.»

«Dann benachrichtigen Sie den Hafenadmiral, Thomas. Ich wurde gern moglichst bald zum Geschwader zuruckkehren. Hier halt mich nichts mehr. «Er besann sich im gleichen Augenblick.»Verzeihen Sie, ich habe nur an mich selber gedacht. «Er zuckte die Achseln.»Wieder einmal.»
        Herrick lachelte.»Verstehe. Ich habe zwar noch nie im Leben ein solches Gluck erlebt wie mit Dulcie, aber ich will es nicht konservieren, indem ich hierbleibe. Ein neues Jahr ist angebrochen, vielleicht bringt es den Frieden. Zwar deuten alle Anzeichen darauf hin, da? der Feind sich wieder in den Kanalhafen sammelt, aber Ihre Gefechte mit Ropars und der Ajax haben einen gleichzeitigen Angriff aus der Ostsee zumindest verzogert, wenn nicht vereitelt. Selbst die undankbaren Tolpel in der Admiralitat mu?ten das erkennen.»
        Bolitho nippte an seinem Kaffe und bedachte, was ihre Freundschaft schon alles uberdauert hatte.

«Fur uns wird es wieder Blockade- und Patrouillendienst geben, Thomas. Zumindest bis das Eis schmilzt und der Zar entscheidet, auf welche Seite er sich schlagen will.»
        Als Bolitho horte, wie jemand von der Hutte aus ein Boot anrief, trat er - unbekleidet wie er war - auf die Heckgalerie hinaus.
        Es war der Kutter der Benbow mit einigen undefinierbaren Sacken, ein paar kleinen Fassern, zwei verschreckt aussehenden Mannern, die ihnen die ortliche Obrigkeit wohl zuschieben wollte, anstatt sie zu hangen oder zu deportieren, und schlie?lich, auf dem Hecksitz, All-day.
        Bolitho atmete auf. Er hatte sich - die umgesturzte Kutsche noch immer vor Augen - Sorgen um ihn gemacht.
        Von Browne indessen keine Spur. Er war den ganzen Vormittag in der Werft unterwegs gewesen, um den Stab des Hafenadmirals nach moglichen Befehlen aus London auszuquetschen.
        Herrick trat heran und sagte:»Allday wei? bestimmt schon Bescheid, er grinst ja ubers ganze Gesicht. «Etwas ernster setzte er hinzu:»Hoffentlich gibt es keine weiteren Attacken gegen Sie, Sir.»

«Die werden kommen, Thomas. Aber jetzt gegen mich, nicht gegen Adam. «Seine Hand zitterte.»Wenn ich mir vorstelle, was geschehen ware, wenn Sie nicht so prompt gehandelt hatten, konnte mir ubel werden vor Zorn. Es geht nicht mehr um diesen Killer, ich habe jetzt Damerum selber herausgefordert, wei? Gott!»
        Man horte Fu?getrappel auf dem Gang, und nach kurzem Anklopfen trat Allday in die Kajute, das Gesicht vom Wind und Spritzwasser gerotet.

«Sie sind unversehrt, Sir! Ich wu?te doch, da? Sie einen Trick in der Hinterhand hatten!»

«Sie sind ein Lugner, Allday, aber ich danke Ihnen«, er streckte impulsiv die Hand aus,»von Herzen.»
        Herrick lachelte und dabei glatteten sich die Sorgenfalten in seinem Gesicht. Haben Sie den Wagen heil zuruckgegeben? Mr. Browne wird Ihnen einiges erzahlen, falls Sie ihn zuschanden gefahren haben.»
        Der Posten meldete von drau?en:»Fahnrich der Wache, Sir!»
        Midshipman Lyb trat ein und sagte:»Der Erste Offizier la?t fragen, Sir, ob er alle Boote au?er den Verkehrsbooten einsetzen kann?«Dabei bemuhte er sich, seine Augen von Bolithos Nacktheit fernzuhalten.
        Bolitho dachte an seine eigene Kommandantenzeit. Es war erst zwei Jahre her, und er konnte sich gut an die internen Auseinandersetzungen auf seinen verschiedenen Schiffen erinnern. Wie hier um den armen Lyb, zum Beispiel. Er war zur gleichen Zeit wie Aggett in die Marine eingetreten und sogar etwas alter, und doch war Aggett vor ihm beforde rt worden und nahm nun den Platz des toten Leutnant Courtenay ein. Das war zwar nur ein winziges Problem im Vergleich zur Gesamtstrategie einer Flotte im Krieg, aber Lybs niedergeschlagenes Gesicht sprach Bande.
        Herrick sagte zogernd:»Es ist noch ein bi?chen zu fruh, Mr. Lyb. Ich komme besser nach oben und schaue mir an, wie weit Mr. Wolfe ist. «Er griff nach seinem Hut. Ich lasse Sie also in den Handen dieses Schurken, Sir.»
        Die Tur schlo? sich hinter ihm, und Allday sagte:»Ich furchte, Mr. Lyb hatte die Frage des Ersten Offiziers falsch verstanden.»
        Bolitho nahm das saubere Hemd, das Ozzard ihm reichte, und zog es uber den Kopf. Warum meinen Sie das?»

«Weil ich sie veranla?t habe. «Allday sah einen Augenblick unsicher aus.»Ich wollte Ihnen etwas unter vier Augen sagen. «Er warf Ozzard einen Blick zu, der diesen zusammenschrumpfen lie?, bevor er den Raum verlie?.
        Bolitho befurchtete das Schlimmste.»Sie haben den Wagen doch kaputtgefahren?»

«Nein, Sir. «Allday spielte mit seinen vergoldeten Knopfen.»Die
        Sache ist aber die: Kaum waren Sie und Mr. Browne weggeritten, erschien die Dame.
«Auf Bolithos unglaubigen Blick hin bestatigte er:»Aye, Sir, die Dame.»
        Bolitho schaute beiseite.»Erzahlen Sie. Was hat sie gesagt?»
        Allday antwortete:»Ich war durch Ihr Fortreiten so durcheinander, da? ich mich nicht mehr genau erinnere, Sir. Jedenfalls war sie sehr aufgeregt. Vor allem, weil Sie sie fur herzlos halten mu?ten, wo Sie doch so viel wegen Ihres Neffen auf der Seele hatten. Als sie herausgefunden hatte, da? ich schon lange in Ihrem Dienst stehe, bombardierte sie mich mit derart vielen Fragen, da? ich kaum dazu kam, unsere Kisten zu packen.»

«Was haben Sie erzahlt?»

«Zu viel, nehme ich an. «Allday wirkte plotzlich sehr entschlossen.»Am besten sage ich gleich alles, Sir: Ich habe sie mitgebracht. Zufallig trafen wir Mr. Browne, und der hat sie im >George< untergebracht. «Er holte tief Luft.»Sie wartet dort auf Sie. Jetzt.»
        Bolitho lie? sich auf einen Stuhl fallen und blickte auf seine Hande nieder.»Wei? sie uber das Duell Bescheid?»
        Allday strahlte:»O ja, Sir. Wir horten schon einige Meilen vor Portsmouth davon. Mr. Roche mu? eine Menge Feinde haben.»
        Bolitho wu?te nicht, was er sagen sollte. Belinda wartete hier in Portsmouth, um ihn zu sehen. Als sie gehort hatte, da? er unversehrt war, hatte sie umdrehen und nach London zuruckfahren konnen, ohne ihn zu sehen. Wenn es nur Mitgefuhl gewesen ware oder normale Hoflichkeit, hatte sie ihm wahrscheinlich eine kurze Nachricht geschickt, nicht mehr.
        Er sagte:»Ich gehe an Land.»

«Du meine Gute, Sir, nicht so, wie Sie sind!«Allday grinste uber das ganze Gesicht.»Sie ziehen besser vorher eine Hose an.»
        Ozzard erschien auf Bolithos Ruf etwas zu schnell fur jemanden, der sich angeblich au?er Horweite aufgehalten hatte. Aber Bolitho war zu durcheinander, zu besessen von der Angst vor einer moglichen Enttauschung, da? er keine Notiz davon nahm.
        Allday marschierte in der Kajute umher und gab Anweisungen.

«Den besten Uniformrock! Holen Sie den Hut mit den schwarzen Tressen, nicht den goldbestickten!«Bolitho unterbrach seine Bemuhungen, sich ordentlich anzuziehen.

«Warum das?»
        Allday betrachtete ihn ruhig.»Frauen sollen auf den Mann achten, nicht auf die Uniform.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich mu? mich immer wieder uber Sie wundern, Allday.»
        Allday musterte ihn sorgsam.»So mag's gehen, Sir. Wenn Sie mir jetzt erlauben, hole ich die Bootsgaste. «Er trat beiseite, als Herrick zuruckkam.
        Herrick sagte:»Lyb hat alles mi?verstanden, wie ublich. «Er erstarrte, als er Bolithos veranderte Erscheinung bemerkte.»Zum Teufel, Sir, Sie sehen ja richtig schick aus, wenn nur. «Er brach ab, und in seinen blauen Augen zeigte sich Verstandnis.»Allday! Er hat mich weggelockt. Und ich wei? auch, warum!»
        Bolitho nahm seinen Hut von Ozzard entgegen. Wie von Allday angeordnet, war es der einfache mit der schwarzen Kokarde und der schlichten Randeinfassung.

«Ich gehe jetzt zu ihr, Thomas. «Er sah Herrick forschend an.»Wahrscheinlich werde ich wieder einen Narren aus mir machen.»
        Herrick sagte:»Das glaube ich nicht. «Er folgte ihm durch den Turvorhang.»Ich hatte so eine Vorahnung. Und das, obwohl ich die Dame noch gar nicht kenne. Aber ich kenne Sie und wei? jetzt auch, was Allday vorhatte. Der Rest war leicht zu kombinieren. «Er packte Bo-lithos Hand.»Viel Gluck, Sir.»
        Sie gingen hinaus auf das nasse Deck, Bolitho sehr vorsichtig, damit der Verband nicht verrutschte. Es schien ihm, als ob Loveys ihn vom Niedergang aus beobachtete und wahrscheinlich verfluchte, weil er seine Warnung nicht beachtete.
        An der Fallreepspforte, wo die Wache angetreten war, um ihn beim Vonbordgehen gebuhrend zu ehren, wahrend die Admirals-Gig der Benbow ungeduldig in der auflaufenden Tide schaukelte, sagte Herrick ruhig:»Ich wurde fur Sie beten, wenn ich das konnte. Aber ich werde das Zweitbeste tun.»
        Sie standen etwas entfernt voneinander und Bolitho luftete seinen Hut vorschriftsma?ig zum Achterdeck mit der Flagge. Als er nach unten griff, um sicherzustellen, da? ihm sein Sabel beim Hinunterklettern nicht zwischen die Beine geriet, bemerkte er, da? Allday ihm sein altes Familienschwert an den Gurt gehangt hatte. Wenn es auf ein wenig Gluck ankam, sollte man dem wohl ruhig nachhelfen.
        Das Zimmer war sehr klein und lag im obersten Stockwerk des alten Gasthofes. Als Bolitho vor der Tur anhielt, um nach dem eiligen Aufstieg uber drei Treppen Atem zu holen, uberlegte er, da? Browne wohl seinen ganzen Einflu? und einige Bestechungsgelder benotigt hatte, um dieses Zimmer in der von Marine- und Heeresoffizieren uberfullten Stadt zu bekommen.
        Er klopfte an die Tur und fuhlte sich dabei vollig leer an Worten und ublichen Hoflichkeitsfloskeln.
        Die Tur offnete sich, und da stand sie, bewegungslos, eine Hand an der Turkante, als sei sie noch unschlussig, ob sie ihn einlassen oder die Tur wieder schlie?en solle.

«Kommen Sie herein. «Sie beobachtete ihn, wie er an ihr vorbeiging, und ihr Blick wanderte zu seinem Bein, als er zu dem kleinen Fenster hinuberhumpelte und auf die gegenuberliegenden Dacher schaute.»Ich habe schon Tee bestellt. Sie waren sehr schnell. Dabei war ich nicht sicher, ob Sie uberhaupt kommen wurden. Ob Sie kommen wollten.»
        Bolitho sah sie forschend an, als sie ihm Hut und Mantel abnahm.»Es ist schon, Sie zu sehen. Ich habe viel uber Sie nachgedacht. Mein Besuch in dem dusteren Haus in London tut mir heute noch leid. Aber ich wunschte so sehr, da? Sie mich besser kennenlernen. «Er versuchte zu lacheln.»Das war, wie wenn man in einem Sturm zu viele Segel setzt. Man kann alles dabei verlieren.»
        Sie schob ihn zu einem Sessel am Kamin.»Ihr Mr. Allday hat mir eine Menge von Ihnen erzahlt. Wenn es das gibt, da? ein Mann seinen Herrn liebt, so ist Allday ein Beispiel dafur. Auf dem ganzen Weg hierher hat er erzahlt. Ich habe den Verdacht, da? er damit ebenso seine eigenen Angste beruhigen wollte wie meine.»

«Warum sind Sie gekommen?«Bolitho streckte die Hand aus, als wolle er sie besanftigen.»Verzeihung, das war ungeschickt. Entschuldigen Sie bitte meine Grobheit. Ich gabe so viel darum, Ihnen zu gefallen, in jeder Hinsicht.»
        Sie sah ihn ernst an.»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Sie haben nichts falsch gemacht, ich habe es nur nicht richtig verstanden. Vielleicht war ich zu stolz und zu sicher, da? ich meinen Weg ohne Hilfe anderer gehen konne. Jedes Lacheln, das man mir schenkte, erschien mir wie ein verstecktes Grinsen, jede Andeutung wie ein
        Handel. Und ich war sehr allein. «Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. Die kleine Geste war ebenso trotzig wie hilflos.
        Sie sagte:»Erzahlen Sie mir von Ihrem Neffen.»
        Bolitho schaute in die lodernden Flammen.»Sein Vater wurde Verrater genannt, als er von der Marine weg und nach Amerika ging. Dort schlug er sich zu den Freibeutern, und ein grausames Schicksal wollte es, da? ich spater von seinem Schiff gefangengenommen wurde. Hughs Fahnenflucht und sein Kampf gegen England haben meinen Vater umgebracht. Als ich dann horte, da? mein Bruder bei einem Unfall in Boston ums Leben gekommen sei, empfand ich das nicht als Verlust. Und eines Tages erschien Adam, mein Neffe, aus dem Nirgendwoher, nur mit einem Brief seiner toten Mutter in der Hand. Er wollte einen Platz in seiner Familie. Meiner Familie. Er hat seinen Vater nie gesehen, und Hugh hat nichts von Adams Existenz gewu?t.»
        Ohne sich dessen bewu?t zu werden, war Bolitho wieder an das schmale Fenster getreten und schaute auf den vom Wind gepeitschten Hafen und die vor Anker liegenden Schiffe hinaus.

«Aber mein Bruder war nicht tot. Er war gefluchtet und hielt sich lange verborgen, bis er zufallig mit einem Gefangenenschiff aufgebracht und ausgerechnet zu mir an Bord geschafft wurde. Er hatte sich mit dem Namen und der Uniform eines Toten getarnt, und damit hatte er in Australien ein neues Leben beginnen konnen.»
        Er fuhlte, da? sie ihn unverwandt ansah. Sie hielt die Hande im Scho? zusammengepre?t, als hatte sie Angst, etwas zu sagen und den Zauber dieser Stunde zu storen.

«Aber es war mein Schiff, auf das er kam. Und sein Sohn diente darauf als Midshipman.»

«Ihr Neffe wu?te nichts von alledem?»

«Nichts. Sein Vater fiel dann in einem Seegefecht. Er wurde getotet, als er sich zwischen Adam und eine franzosische Kugel warf. Das werde ich nie vergessen. Niemals.»

«Etwas davon hatte ich vermutet. «Belinda stand auf und fa?te seinen Arm.»Bitte setzen Sie sich wieder. Sie mussen mude und erschopft sein.»
        Bolitho fuhlte ihre Nahe, die Warme ihres Korpers.
        Er sagte:»Wenn ich nicht nach Portsmouth geritten ware, lebte Adam jetzt nicht mehr. Mein Bruder totete einen Mann, der beim Kartenspiel betrogen hatte. Der Bruder dieses Mannes will sich nun an mir rachen, mich vernichten, indem er die alten Geschichten wieder aufruhrt und jene angreift, die mir am nachsten stehen.»

«Ich danke Ihnen, da? Sie mir das alles erzahlt haben. Es ist Ihnen sicher nicht leichtgefallen.»
        Bolitho lachelte.»Uberraschenderweise war es leichter, als ich dachte. Wahrscheinlich mu?te ich es einmal loswerden, mit jemandem teilen.»
        Sie schaute auf ihre Hande nieder. Dabei fiel ihr langes Haar ganz langsam auf ihre Schultern, wie in einem Traum.
        Sie fragte sehr ruhig:»Werden Sie es ihm nun erzahlen?»

«Ja. Ich mu? es tun. Obgleich.»

«Sie glauben, da? Sie seine Zuneigung verlieren?»

«Es mag sein, da? er mich fur selbstsuchtig halt. Aber damals ware es gefahrlich gewesen. Wenn man Hugh erkannt hatte, ware er gehangt worden. Aber erst wenn ich es Adam gesagt habe, werde ich wissen, warum ich das Geheimnis wirklich wahrte.»
        Es klopfte leise, und ein Dienstmadchen trat mit einem Tablett ein.»Ihr Tee, Ma'am. «Sie warf einen schnellen Blick auf Bolitho und knickste.»Du meine Gute, Sir! Sie sah ihn genauer an.»Sind Sie nicht Kapitan Bolitho?»
        Bolitho stand auf.»So ist es. Was kann ich fur Sie tun?»

«Sie werden sich nicht erinnern, naturlich nicht, Sir. «Ihre Augen flehten.»Ich bin Mrs. Huxley.»
        Bolitho wu?te, da? es wichtig war, konnte sich aber nicht erinnern, warum. Dann, als ob ein Vorhang weggezogen wurde, sah er wieder das Gesicht eines Mannes: bewegunglos, wie auf einem Gemalde.
        Ganz ruhig sagte er:»Naturlich erinnere ich mich: Ihr Mann war Quartermaster auf meinem Schiff, der Hyperion.»
        Sie schlug die verarbeiteten Hande zusammen und sah ihn mehrere Sekunden lang an.

«Aye, Sir. Tom sprach oft von Ihnen. Sie haben mir nachher Geld geschickt. Das war sehr gutig von Ihnen. Da ich nicht schreiben kann, wu?te ich nicht, wie ich Ihnen danken sollte. Sie sehen noch ganz genauso aus wie damals, als Sie die Hyperion nach Plymouth zuruckbrachten.»
        Bolitho ergriff ihre Hande.»Er war ein tapferer Mann. Wir haben damals eine Menge guter Seeleute verloren. Kommen Sie zurecht hier in Portsmouth?»

«Aye, Sir. «Sie schaute mit verschleiertem Blick ins Feuer.»Ich habe es in Plymouth nicht mehr ausgehalten. Immer schaute ich auf die See und wartete auf Tom, obwohl ich wu?te, da? er tot war. «Sie raffte sich zum Gehen auf.»Ich mu?te Sie einfach ansprechen, Sir, denn ich habe nie vergessen, was Tom uber Sie erzahlte. Durch diese Begegnung ist er mir jetzt wieder nahe.»
        Bolitho blickte ihr noch nach, nachdem die Tur sich hinter ihr geschlossen hatte.

«Arme Frau. «Er sagte es mit Bitterkeit in der Stimme und wandte sich wieder zum Kamin.»Wie all die anderen, die allein zuruckblieben. «Er brach ab, als er Belindas Gesicht im Feuerschein sah. Tranen rannen ihr die Wangen hinunter. Aber sie lachelte ihm zu und sagte mit Warme:»Als ich hier sa? und auf Sie wartete, uberlegte ich, wie Sie wohl wirklich sind. Allday hat zwar eine Menge erzahlt, aber ich glaube, diese Seemannsfrau hat mir mehr verraten.»
        Bolitho ging hinuber zu ihrem Sessel und sah auf sie herab.

«Ich begehre Sie sehr. Wenn ich meine innersten Gedanken aussprache, wurde ich Sie sicher erschrecken. Wenn ich dagegen stumm bliebe, konnten Sie ahnungslos weggehen. «Er richtete sich straff auf, wie um seine nachsten Worte zu ma?igen. Ich spreche nicht so zu Ihnen, weil Sie in Not sind, sondern weil ich Sie brauche, Belinda. Auch wenn Sie mich nicht lieben konnen: meine Liebe ist stark genug fur uns beide. «Er fiel auf ein Knie nieder.»Bitte…»
        Sie fuhr erschreckt auf.»Ihre Wunde! Was machen Sie da?«Er strich ihr mit einer Hand ubers Gesicht und spurte ihre Tranen.

«Die kann warten. Im Augenblick fuhle ich mich verletzbarer als auf meinem Achterdeck.»
        Er sah, wie sie die Augen hob und ihre bisherige Abwehr fiel, als ob sie sich vor ihm entblo?e.
        Leise sagte sie:»Ich kann Sie lieben. «Dann legte sie den Kopf an seine Schulter und verbarg ihr Gesicht.»Es gibt einfach keine Rivalen, keine bosen Erinnerungen mehr. «Sie nahm seine Hand und offnete sie in ihrer.»Ich bin nicht haltlos, aber meine Empfindungen beunruhigen mich selber. «Damit pre?te sie seine Hand auf ihre Brust und hielt sie dort fest, wahrend sie langsam den Blick zu ihm hob.

«Spurst du es klopfen? Das ist meine Antwort.»
        Unten im Gastzimmer sa? Browne mit einem Glas Portwein vor sich auf dem Tisch und einem Packen Schriftstucke neben sich. Es wurde langsam dunkel. Angestellte entzundeten Kerzen oder trafen Vorbereitungen fur die abendlichen Besucher, die mit dem Postwagen aus London kommen wurden, und den ublichen Schub von Offizieren auf der Werft.
        Browne schaute hin und wieder auf die hohe, wurdevolle Uhr und lachelte in sich hinein.
        Er sa? hier schon seit Stunden. Aber was ihn betraf, wie auch die Schriftstucke, die Benbow und sogar den ganzen Krieg: Sie konnten alle noch eine Weile warten, bevor er das Paar oben storen ging.



        XV Gebannte Geister

        Seiner Majestat Linienschiff Benbow zerrte und stampfte heftig an der Ankertrosse, Gischt spruhte uber seine Decks und Laufbrucken. Der Solent war mit wei?en Wellenkammen uberzogen, und der Wind pfiff durch die Takelage und muhte sich, die festgezurrten Segel loszurei?en.
        Bolitho unterschrieb den letzten Brief und sah zu, wie sein Schreiber ihn zu den ubrigen legte. Um ihn herum achzten und stohnten die holzernen Spanten und Planken, als ob sie spurten, was die Verlegung ihres Ankerplatzes aus dem sicheren Hafen hinaus auf die Reede von Spithead bedeutete.
        Yovell sagte:»Ich werde diesen Packen mit dem Boot an Land bringen lassen, Sir.
«Er musterte Bolitho neugierig von der Seite, als ob er von dessen verandertem Benehmen beunruhigt sei.
        Yovell war nicht so beschrankt, da? er den Grund nicht erahnte. Zuerst hatte er geglaubt, es sei die Erleichterung uber den Ausgang des Duells. Denn wenn Roche nicht gekniffen hatte, ware Bolitho jetzt vielleicht tot gewesen, und das hatte Folgerungen fur alle an Bord gehabt, auch fur einen untergeordneten Schreiber.
        Bolitho sagte:»Gut. Der Dienst auf See mag hart sein, aber er hat seine Vorzuge fur Menschen, die es hassen, Berichte abzufassen, besonders solche, die nachher doch niemand liest.»
        Es klopfte an die Tur, und Herrick trat ein. Seine Uniform schimmerte feucht vom Spritzwasser.

«Wir sind klar zum Ankerlichten, Sir. Sobald auch Sie soweit sind?»
        Bolitho machte Yovell ein Zeichen, der daraufhin die Schriftstucke in eine Segeltuchtasche stopfte und eilends den Raum verlie?.

«Sehr schon, Thomas. Wir werden zum Geschwader sto?en und wieder unsere alte Aufgabe ubernehmen. «Bolitho tippte auf die Schublade seines Tisches:»Ich habe einen Haufen Instruktionen von Admiral Beauchamp erhalten. Er ist offenbar so sehr darauf bedacht, uns wieder hinaus auf See zu bekommen, da? er sich nicht einmal die Zeit nimmt, mich noch einmal zu sich zu bestellen. «Er lachelte etwas schief. Aber ich darf mich nicht beklagen. Er ist mehr als geduldig gewesen.»
        Herrick rief:»Geduldig, Sir? Nach all dem, was Sie geleistet haben? Das war doch das mindeste, was man erwarten konnte, meine ich.»
        Bolitho rief nach Ozzard und sagte:»Ich freue mich uber Ihre Loyalitat, Thomas. Aber ohne unsere Erfolge und die Informationen uber die danischen Ruderkanonenboote, die ich in meinem Bericht geben konnte, hatte mich auch Beauchamps Einflu? nicht retten konnen.»

«Also zuruck zum Geschwader!«Herrick beobachtete, wie Ozzard zwei Glaser Madeira einschenkte.»Es wird fur Sie diesmal anders als sonst sein.»
        Bolitho nickte.»Es war sehr nett von Ihrer Frau, da? sie so hilfreich einsprang.»

«Nett?«Herrick grinste.»Sie liebt es, arme Seefahrer und deren Angehorige zu bemuttern. So ist sie auch geradezu erpicht darauf, die Hochzeit meiner Schwester auszurichten. «Er wurde wieder ernst.»Die kunftige Mrs. Bolitho ist wunderschon, Sir. Sie werden glanzend zueinander passen.»
        Bolitho lie? seine Gedanken schweifen. Diese wenigen Tage hatten sein ganzes Leben verandert. Belinda hatte ihre Stellung bei der Richtersgattin aufgegeben und das Angebot von Mrs. Herrick angenommen, einstweilen zu ihr zu ziehen.»Aber nur wenn Sie erlauben, da? ich Ihnen als Gegenleistung im Haushalt helfe«, hatte sie gesagt.
        Dulcie Herrick hatte gelacht.»Du meine Gute, Liebste, meine Einfalle und Launen werden Sie bald murbe machen.»
        Aber beide schienen von der Vereinbarung begluckt zu sein.
        Bolitho hatte nur eine Sorge, die er aber unterdruckte: da? Belinda, wenn er erst einmal wochenlang, ja vielleicht monatelang in See war, ihre Entscheidung bedauern und wegziehen konne. Denn, wie Herrick gesagt hatte: sie war wunderschon und begehrenswert.
        Als diese Befurchtung wieder in ihm aufstieg, sagte er, um sich abzulenken:»Ich bin dankbar und stolz, Thomas. Ich habe versucht, ihr das alles zu schreiben, aber es brauchte zwei Anlaufe, bevor ich die rechten Worte fand. Trotzdem sind sie nichts im Vergleich zu dem, was ich fur sie empfinde. «Er sah seinen Freund an. Ich rede wie ein verliebter Seekadett, aber es hat mich eben gepackt.»
        Herrick trank sein Glas aus.»Man sieht es Ihnen an, Sir, aber es steht Ihnen gut.
«Er erhob sich.»Sobald das Boot zuruckkommt, konnen wir ankerauf gehen. «Am Schott blieb er noch einmal stehen.»Es beruhigt mich irgendwie, da? die beiden einander Gesellschaft leisten, wahrend wir bei diesem verdammten Blockadedienst sind.»
        Bolitho sa? noch lange gedankenverloren da. Es gab eine Menge, von dem Herrick nichts wu?te. Zum Beispiel, da? Damerum wieder das Oberkommando auf ihrer Station hatte, und da? bei ihm die Entscheidung lag, wo Bolithos Geschwader postiert wurde. Nein, es war besser fur Herrick, wenn er so lange wie moglich davon verschont blieb. Wer sich stets nach einem feindseligen Vorgesetzten umschauen mu?te, statt seine volle Aufmerksamkeit dem Feind zu widmen, begab sich in Lebensgefahr.
        Zwei Stunden spater, als ihr gro?er Anker vom Grund loskam, trieb die Benbow zunachst mit flatternden Segeln leewarts, bis sich die Leinwand fullte und das Ruder Wirkung zeigte. Danach pflugte sie mit dichtgeholten Brassen und Schoten verachtlich durch das erste tiefe Wellental.
        Bolitho stand in Lee auf dem Achterdeck und achtete weder auf die uberkommenden Spritzer noch auf die eifrig hin und her rennenden Matrosen. Er lie? sich ein Teleskop vom Midshipman der Wache geben und suchte damit langsam die Befestigungsanlagen von Ports-mouth ab. Sie schimmerten, als waren sie aus Metall und nicht aus Stein, und lagen schon weit zuruck, au?er Reichweite ihrer Kanonen.
        Etwas bewegte sich am Rande des Objektives, und er stellte die Sehscharfe genau darauf ein.
        Sie war es, aber zu weit weg, als da? er ihr Gesicht erkennen konnte. Doch sie trug denselben blauen Umhang wie in der umgesturzten Kutsche und winkte mit ihrem Kopftuch; ihr Haar wehte frei im Wind,
        Bolitho ging ein paar Schritte weiter nach achtern, als eine vorspringende Mauer des Forts sie seinen Blicken zu entziehen drohte. Er kletterte sogar die Treppe zum Huttendeck hinauf und winkte - das Glas immer noch vor dem Auge - mit seinem Hut, obwohl es unwahrscheinlich war, da? sie ihn sehen konnte.
        Als er wieder an die Finknetze trat, war der Abstand zum Ufer schon so gro? geworden, da? der kleine blaue Punkt mit dem kastanienbraunen, wehenden Haar daruber nicht mehr zu erkennen war. Die Erinnerung an ihr letztes Beisammensein, an ihren willigen Korper in seinen Armen, uberkam ihn.»Belinda…»
        Leutnant Speke wandte sich ihm beflissen zu.»Verzeihung, Sir?»
        Bolitho hatte nicht bemerkt, da? er ihren Namen laut ausgesprochen hatte.»Nichts, Mr. Speke.»
        Herrick, der ihn ebenfalls gehort hatte, wandte sich ab, um ein Lacheln zu verbergen und dem Schicksal zu danken, das Bolitho ein so unerwartetes Gluck geschenkt hatte.
        Der alte Grubb bemerkte indessen nichts von alledem. Er schnaubte sich gerauschvoll die Nase und brummte:»Schoner Wind. Wie ich's vorausgesagt habe. Lauft alles bestens.»
        Druben, auf dem gischtuberspruhten Festungswall, rief Dulcie Herrick:»Kommen Sie herunter, meine Liebe, Sie erkalten sich sonst noch auf den Tod!»
        Sie hatte selber das heftige Verlangen gehabt, dem Schiff zuzuwinken, als es Segel setzte und majestatisch Fahrt aufnahm, aber aus ihrer erst kurzen Erfahrung wu?te sie, da? die Manner an Bord in diesem Augenblick alle Hande voll zu tun hatten und nur wenig Mu?e, an die Zuruckbleibenden zu denken.
        Die junge Frau drehte sich um und schaute zu ihr herunter. In ihren braunen Augen standen Tranen.»Haben Sie die Matrosen singen gehort?»

«Ja, einen Shanty. Das ruhrt auch mich immer, und heute ganz besonders.»
        Belinda stieg die Steinstufen herunter und hakte sich bei Dulcie ein.

«Es gibt noch so vieles, was ich wissen mochte, uber ihn und seine Welt. «Sie druckte den Arm ihrer Begleiterin und setzte hinzu:»Ich war ja so dumm, Dulcie. Beinahe hatte ich ihn verloren.»
        Die Tage, die der Ruckkehr der Benbow zum Geschwader folgten, waren lediglich durch ihre Ereignislosigkeit und Eintonigkeit bemerkenswert. Als die Tage sich zu Wochen dehnten und Bolithos von Wind und Wetter mitgenommenen Schiffe immer wieder ihre endlosen Patrouillenkurse segelten, schien es vielen von ihnen, als waren sie die einzigen Lebewesen weit und breit und von der ubrigen Welt vollig vergessen.
        Sogar die Korvette und die flinke Fregatte fanden wenig Meldens-wertes. Nichts bewegte sich am Eingang zur Ostsee, weder hinein noch heraus, und nur indem sie ihre Besatzungen standig beschaftigten und mit Wettbewerben anspornten, konnten die Kommandanten die Disziplin an Bord aufrechterhalten.
        Bolitho entlie? jeweils ein Schiff zu einem kurzen Besuch im Heimathafen. Wenn wieder eines das kleine Geschwader verlie?, begannen die ubrigen, die Tage bis zu seiner Ruckkehr und ihrer eigenen Ablosung zu zahlen.
        Relentless hatte als die gro?ere der beiden Fregatten um Skagen herum und ins Kattegatt hinein aufzuklaren. Sobald sie Kontakt mit dem Flaggschiff hatte, was selten genug und meist nur uber die Styx oder die Korvette Lookout moglich war, fragte sich Bolitho, wie es wohl seinem Neffen ging, und ob er noch immer uber das Duell und den Anla? dazu nachgrubelte.
        Das letzte Schiff, das von seiner kurzen Ruhepause in einem englischen Hafen zuruckkehrte, war Kapitan Inchs Vierundsechziger Odin. Als Bolitho vom Achterdeck beobachtete, wie der Zweidecker sich dem Geschwader naherte, hatte er das unbestimmte Gefuhl, da? dies einstweilen der letzte Urlauber gewesen war. Es uberraschte ihn daher nicht, als er Oughton, den neu ernannten Leutnant, rufen horte:»Signal von Odin, Sir. Kommandant bittet, zu Ihnen an Bord kommen zu durfen.

        Herrick trat an Bolithos Seite.»Da bin ich aber neugierig, was er uns fur Neuigkeiten bringt, Sir!»
        Bolitho betrachtete einige wachfreie Matrosen auf der LuvLaufbrucke. Sie waren inzwischen so abgehartet, da? die meisten mit nackten Armen und einige sogar barfu? dastanden. Auch sie waren begierig auf Neuigkeiten: ob die Blockade abgeblasen wurde, ob der Krieg zu Ende war, ob die Franzosen gelandet waren.
        Bolitho sagte:»Was er uns auch bringt, Thomas, Inch kann offenbar kaum abwarten, es uns mitzuteilen. Wenn er noch mehr Tuch gesetzt hatte, wurde er sich die Masten absegeln.»
        Beide lachelten. Inch hatte noch nie einen besonderen Ruf als Seemann gehabt. Aber sein Mut und seine unbedingte Treue machten das - und vieles mehr - wieder weit.
        Die Odin hatte inzwischen bereits in den Wind gedreht, und ihre
        Stagsegel schlugen wild, als Inch durch Backbrassen des Vortopps die Fahrt aus dem Schiff nahm.
        Wolfe sagte:»Ein Boot ist zu Wasser, Sir. «Er warf dem nachststehenden Bootsmannsmaaten einen Blick zu.»Fallreepsgaste auf Station!»
        Herrick murmelte:»Hoffentlich bringt er was Vernunftiges. Wir haben jetzt Marz und sind einer Losung nicht naher als im letzten September, als wir Spithead verlie?en. «Er lie? den Blick uber sein Schiff schweifen und setzte hinzu:»Aber wir haben uns immerhin einen Namen gemacht.»
        Inch kletterte durch die Fallreepspforte. Sein Hut sa? schief, und sein Pferdegesicht war zunachst den Fallreepsgasten und den salutierenden Seesoldaten zugewandt. Dann sah er Bolitho und Herrick und lief fast auf sie zu. Bolitho lachelte.»Sachte, die Leute denken sonst, wir mussen fluchten.»
        Inch lie? es zu, da? er erst nach achtern in die Kajute gefuhrt wurde, bevor er berichten konnte.»Wir ziehen eine gro?e Flotte zusammen, Sir. Den Oberbefehl hat Admiral Sir Hyde Parker. Er soll in den Ore-Sund vorsto?en und Kopenhagen angreifen.»
        Bolitho nickte. So etwas Ahnliches hatte Beauchamp angedeutet. Nach der Atempause, die das Eis in der Ostsee den zerstreuten Kraften der Marine gewahrt hatte, wurde es jetzt bald Zeit zum Handeln. Bevor Zar Paul die Streitkrafte der Schweden, Danen und Preu?en mit seinen eigenen zu einem Generalangriff gegen England vereinigen konnte, war es dringend erforderlich, die schwachste Macht, und das war zweifellos Danemark, durch einen kraftigen Schlag zu beeindruk-ken.
        Bolitho empfand deswegen keinerlei Genugtuung. Er erinnerte sich an die mit gruner Patina bedeckten Kirchturme, die freundlichen Menschen und die eleganten Gebaude der Stadt.
        Herrick fragte:»Wer ist Hyde Parkers Unterbefehlshaber?»
        Inch schien verwirrt.»Das verstehe ich nicht: Vizeadmiral Nelson.»
        Herrick schlug die Hande zusammen.»Typisch! Nelson, dem seine Leute bis in die Holle folgen wurden, wenn er es verlangte, mu? unter Hyde Parker dienen.»
        Bolitho sagte nichts dazu, wu?te aber, was Herrick meinte. Man hatte also den Volkshelden Nelson nahezu dafur bestraft, da? er gesiegt hatte. Hyde Parker war zwanzig Jahre alter als Nelson und sehr reich.
        Das war aber auch schon alles, was Bolitho uber ihn wu?te. Und da? er eine junge Frau hatte, die gut seine Tochter hatte sein konnen und in der Flotte ziemlich respektlos >Batter-Pudding< genannt wurde.
        Inch zog einen langlichen Umschlag aus der Innentasche seines Uniformrocks und ubergab ihn Bolitho.

«Die Befehle, Sir. «Er schluckte ein paarmal, und seine Blicke schienen das schutzende Siegel durchdringen zu wollen.»Jedenfalls der Teil, der uns betrifft.»
        Herrick nahm das Stichwort auf.»Kommen Sie mit in meine Kajute, Francis. Wir wollen zusammen ein Glaschen trinken, und dabei konnen Sie mir den neuesten Klatsch erzahlen.»
        Bolitho setzte sich langsam und schlitzte den Umschlag auf.
        Alles war sauber und peinlich genau dargelegt, und er horte fast Beauchamps trockenen Tonfall, als er die von ihm diktierte Liste der beteiligten Schiffe durchlas, darunter einige beruhmte Namen und viele, mit denen er schon mehrmals zusammengetroffen war. Wie auch mit ihren Kommandanten. Als Seekadetten, als Leutnants, spater als erfahrene Kapitane. Es war eine gewaltige Flotte, aber wenn man dem Feind Gelegenheit gab, seine Streitkrafte zu sammeln, wurde Hyde Parkers Linienschiffen - einschlie?lich des Geschwaders unter Bolitho - dennoch eine dreifache Ubermacht entgegenstehen.
        Er versuchte sich zu erinnern, was er in Kopenhagen gesehen und gehort hatte: von Sperrschiffen und schwimmenden Batterien; von kleinen, mit Morsern oder Kanonen bestuckten Ruder- und Segelfahrzeugen. Ihm war klar, da? dies kein harmloser Scharmutzel werden wurde, keine blo?e Demonstration der Starke, um einen moglichen Angreifer abzuschrecken. Diesmal wurde es bitterer Ernst werden, und die Danen wurden mit gleicher Entschlossenheit antworten.
        Er rief nach Ozzard, aber an seiner Stelle kam Allday.

«Es geht los, Allday!«Seltsam, wie leicht es fiel, sich mit ihm zu verstandigen. Wurden Sie wohl Kapitan Herrick bitten, wieder nach achtern zu kommen?»
        Allday nickte mit grimmigem Gesicht.»Aye, Sir. «Er warf einen Blick auf die beiden Sabel in ihren Halterungen an der Wand.»Und ich dachte, wir wurden diesmal ungeschoren bleiben, Sir. Wir haben doch schon unseren Teil getan. «Bolitho lachelte.»Hier gibt es keine Teile.»
        Dann erklarte er Herrick und Inch den wesentlichen Inhalt der Befehle. Der Platz, den sie selber beim Angriff einnehmen wurden, stand noch nicht fest. Admiral Damerum hatte das Kommando uber das die Aktion deckende Geschwader und damit die Aufgabe, Schiffe mit Nachschub zu beschutzen und das Eingreifen von franzosischen Schiffen zu verhindern, die vielleicht versuchten, den Blockadering zu durchbrechen und ihren Verbundeten zu Hilfe zu kommen. Es hatte nicht den Anschein, als kame der fur sie vorgesehenen Rolle gro?e Bedeutung zu.
        Herrick sagte nach einer Pause.»Wir werden das Beste daraus machen.»
        Inch war bestimmter.»Ein Jammer, da? Nelson nicht vorweg marschiert und unser Konteradmiral direkt dahinter.»
        Herrick nickte ihm finster zu.»Auf dieses Worte trinke ich einen, Francis!»
        Bolitho bemuhte sich, ein Lacheln zu verbergen. Inchs Vertrauen in seine Fahigkeiten war umwerfend.»Die Flotte wird sich gegen Ende des Monats vor dem Nordausgang des Ore-Sunds versammeln. «Er versuchte, nicht an Belindas Gesicht zu denken und an das, was sie durchmachen mu?te, wenn sich die Neuigkeit erst in England herumsprach. Ende des Monats hatte er gesagt. Das war in knapp zwei Wochen.»Was danach geschieht, hangt von Sir Hyde Parker ab.»
        Bolitho stellte sich das enge Fahrwasser durch den Sund vor, mit der starken Batterie von Helsingor querab auf der danischen Westseite. Wenn auch die schwedischen Batterien am Ostufer das Feuer eroffneten, mu?ten sie in diesem Kreuzfeuer augenblicklich in Stucke gerissen werden.
        Inch sagte:»Ich wurde gern auf mein Schiff zuruckkehren, Sir. «Er sah plotzlich beunruhigt aus.»Ich habe noch ein paar Briefe fur das Geschwader.»
        Als die beiden Kommandanten gingen, horte Bolitho Herrick fragen:»Wie geht es Ihrer Frau?»

«Hannah geht es gut, danke. Wir erwarten unser erstes Kind. «Der Rest wurde durch die sich schlie?ende Tur erstickt.
        Bolitho stand auf und ging ruhelos in der Kajute auf und ab. Fruher hatte sich niemand von ihnen viele Gedanken uber die nachs ten ein, zwei Tage hinaus gemacht, aber jetzt waren sowohl Herrick wie Inch verheiratet und bedachtsamer. Bolitho hielt vor den Heckfenstern an.
        Unter sich spurte er, wie sich das Rudergeschirr bewegte. Offenbar drehte Herrick das Schiff, um fur die Gig der Odin Windschutz zu geben. Das war es, was eine Admiralsflagge ausmachte, und was auch fur seine Flagge am Kreuzmast galt: nicht da? er ein Geschwader ins Gefecht fuhrte oder zu irgendeiner Aufgabe, die Gehorsam und Mut verlangte. Es ging um die Menschen. Um Manner mit Familie wie Herrick und Inch, die jedesmal ihren eigenen inneren Kampf auszu-fechten hatten, wenn ein Kriegsschiff Anker auf ging. Manner, die ihre Hoffnungen und Wunsche hatten und doch keine andere Wahl, als ihrem Befehlshaber zu vertrauen.
        Er erinnerte sich plotzlich ganz deutlich an Belindas Worte, als sie einander das letzte Mal umarmt hatten:»Komm' gesund zu mir zuruck, Richard. Mehr verlange ich nicht.»
        Nun, diese Verantwortung trug er jetzt auch.
        Er beobachtete, wie die Silhouette der Odin langer wurde, als die Fregatte wendete. Ihre Segel wirkten vor dem dusteren Hintergrund einer Wolkenbank und verzerrt durch die dicken Glasscheiben wie ein Paar Flugel.
        Eine Stunde spater, als das Geschwader wieder in eng aufgeschlossener Kiellinie segelte, kam Herrick wieder zu ihm. Bolitho stand noch immer am Heckfenster, die Hande auf das Sull gestutzt, um sein schmerzendes Bein zu entlasten.
        Bolitho erkannte Herricks Spiegelbild in der salzverkrusteten Glasscheibe und sagte:»Wir werden alle Kommandanten zusammenrufen, sobald wir wissen, was von uns erwartet wird. Ich mochte sie gern sehen, bevor wir ins Gefecht gehen. Machen Sie ein Signal an Loo-kout, da? sie die Relentless von ihrer Patrouille zuruckruft.»
        Herrick nickte.»Gleich als erstes, bevor es zu dunkel wird. «Er bemerkte Bolithos Unsicherheit.»Werden Sie es ihm sagen, Sir?»
        Bolitho brauchte nicht zu fragen, wen er meinte.»Er hat ein Recht darauf. Adam trifft keine Schuld.»
        Herrick sah ihn betrubt an.»Und Sie auch nicht, Sir.»

«Vielleicht nicht. «Er drehte sich um und sah ihn direkt an.»Nun verschwinden Sie aber, und setzen Sie das Signal. Hinterher essen wir zusammen zu Abend, ja?»
        Als er wieder allein war, lauschte Bolitho an seinem Tisch auf die Stimmen des Schiffes. Spieren und Rahen, Spanten und Planken flusterten miteinander in ihrer Sprache.
        Dann zog er einen Bogen Papier aus der Schublade und nahm eine Feder aus dem Stander, den Tregoye, der Schiffszimmermann, ein wortkarger Landsmann aus Cornwall, ihm geschenkt hatte. Bolitho erinnerte sich, wie sie ihn umarmt hatte und wie sie - wenn sie still bei ihm sa? - die Hande im Scho? gefaltet hatte. Dann begann er zu schreiben:

>Meine liebste Belinda… <
        Wenn die Kurierbrigg noch vor dem Kampf bei ihnen vorbeischor, konnte Belinda den Brief bald lesen. Zu dem Zeitpunkt mu?te fur das Geschwader aber schon alles voruber sein. Zumindest wurde sie erfahren, was er in dem Augenblick gedacht hatte, als die Benbow an der Spitze des kleinen Geschwaders der abendlichen Dammerung entgegensegelte.
        Bolitho horte die gedampften Kommandos der Ehrenwache und wu?te, da? ein weiterer seiner Kommandanten zur Besprechung an Bord gekommen war. Die Besprechung mu?te kurz sein, denn angesichts so vieler Linienschiffe in ihrer Nahe, dazu zahlreicher Fregatten, Versorgungsschiffe und was sonst noch dazugehorte, konnten sie unmoglich irgendwo ankern.
        Die letzte Woche war arbeitsreich, aber wenig aufregend gewesen. Nachdem sie einmal auf einen Schlachtplan festgelegt waren, so unklar er dem einfachen Matrosen oder Seesoldaten auch vorkommen mochte, machten sich die Leute doch entschlossen an die Vorbereitungen. Da galt es vor allem, durch Umstauen von Vorraten und Munition die Schiffe neu zu trimmen. Zu lange hatten sie darauf nicht mehr geachtet.
        So lange Tageslicht herrschte, meldeten die Ausguckposten in den Masten immer neue Schiffe von Hyde Parkers Flotte, die sich fur den ersten gefahrvollen Vorsto? in den Sund versammelte.
        Es klopfte, und Bolitho horte vor der Tur das Gescharre vieler Fu?e wie von Schauspielern, die hinter der Buhne auf ihren Auftritt warteten. Browne schaute herein und sagte:»Alle zur Stelle, Sir. «Dann fiel ihm noch ein:»Der Wind ist gleichgeblieben. Mr. Grubb meint, er wird auch kaum umspringen.»

«Lassen Sie die Herren herein. «Bolitho ging zur Tur, um jeden seiner jungen Kommandanten mit Handschlag zu begru?en: Veitch von der Lookout und Keverne von der Indomitable. Letzterer hatte sich trotz seiner neuen Wurde kaum verandert. Noch immer hatte er das zigeunerhaft gute Aussehen wie damals, als er Erster Offizier auf Bolithos Euryalus gewesen war. Inch war da und naturlich auch Neale von der Styx, dem Kapitan Peel von der Relentless auf dem Fu?e folgte. Als letzter kam, zusammen mit Herrick, Kapitan Valentine Keen von der Nicator. Mit ihm hatte Bolitho vor dem Kriege in Ostindien und spater in der Sudsee, wo er beinahe am Fieber gestorben ware, vieles gemeinsam erlebt.
        Bolitho schuttelte ihm herzlich die Hand.»Wie geht's?»
        Keen wu?te, da? Bolithos Frage einen Hintersinn hatte. Der vorige Kommandant der Nicator war ein Feigling und Lugner gewesen, und es wurde behauptet, da? die Kugel, die ihn im Gefecht getotet hatte, von einem seiner eigenen Leute abgefeuert worden sei. Die Nicator war damals ein Unglucksschiff gewesen, aber unter Keens Kommando hatte sie sich uberraschend schnell zum Besseren verandert.

«Gut, Sir. Alles klar. «Ein Lacheln uberzog Keens Gesicht.»Sie konnen sich auf mich verlassen.»
        Herrick klopfte ihm auf die Schulter.» Genug geschwatzt, Val. Nach der Besprechung werden wir uns zu einem Glaschen zusammensetzen.»
        Bolitho stand hinter dem Tisch und fing die Bewegungen des leicht schlingernden Decks mit den Knien auf.»Meine Herren, ich habe unsere endgultigen Direktiven bekommen. «Er sah, da? sie ihn beobachteten, aufmerksam, willig, bemuht, ihre Empfindungen zu verbergen.

«Unser Nachrichtendienst hat weitere Informationen uber die Ruderkanonenboote oder Galeeren geliefert, die Kapitan Neale und ich schon bei unserem kurzen Ausflug in die Ostsee beobachteten. «Er sah einige lacheln.»Die Danen haben mehr von diesen Schiffen, als wir ursprunglich annahmen, und zwar sudlich von Kopenhagen. Sie sind fur jedes Schlachtschiff, das langsamer ist und allein segelt, eine gro?e Gefahr. Im ubrigen fuhrt Vizeadmiral Nelson den Hauptangriff auf die Verteidigungsstellungen, die verankerten Kriegsschiffe und alles, was die Danen sonst noch fur uns vorbereitet haben.»
        Hyde Parker mu?te ganz schon in Verlegenheit gewesen sein, als er zustimmte, da? sein Stellvertretender Befehlshaber den hartesten Teil der bevorstehenden Schlacht ubernahm. Bolitho sah Neale seinen Freund Inch mit dem Ellenbogen ansto?en und schlo? daraus, da? sie das gleiche dachten.

«Es steht fest, da? die danischen Batterien bei Helsingor das Feuer eroffnen werden, sobald wir versuchen, in den Sund hineinzusto?en. Der schwedische Kommandeur der gegenuberliegenden Batterie hat sich nicht geau?ert, aber wir mussen von der Voraussetzung ausgehen, da? er dem Beispiel folgt. Als ich in Kopenhagen war, horte ich geruchtweise, da? die Danen planten, Bojen und sonstige Fahrwasserbezeichnungen wegzunehmen oder falsch auszulegen.»
        Nun lachten sie nicht mehr. Ohne genaue Kenntnisse des Fahrwassers mu?ten sie sehr vorsichtig vorgehen. Wenn auch nur zwei Schiffe auf Grund gerieten, konnte ihr geordneter Vormarsch in einem Schlamassel enden, und das lange bevor sie uberhaupt ihr Ziel erreichten.
        Bolitho machte eine Pause und schaute noch einmal in die sauber geschriebenen Instruktionen.»Unser Geschwader wird im Schutz der Dunkelheit in die Enge einlaufen, die Befestigungen passieren und die Galeeren angreifen, bevor sie sich an unsere Hauptflotte heranmachen konnen.»
        Er sprach betont langsam, um seine Erregung zu verbergen.

«Die Beiboote unseres Geschwaders werden unter der Fuhrung je eines erfahrenen Offiziers oder Deckoffiziers vorwegrudern und das Fahrwasser ausloten. Wir werden die ganze Zeit engsten Kontakt halten und mit einem Minimum an Signalen auskommen. Es scheint mir sicher, da? wi r in der Durchfahrt entdeckt werden, uns aber auf der schwedischen Seite des Fahrwassers halten und es den danischen Geschutzfuhrern damit so schwer wie moglich machen. Bin ich verstanden worden?»
        Die meisten nickten, nur Peel stand abrupt auf und fragte:»Wenn aber unsere Hauptflotte spater von den danischen Forts am weiteren Vormarsch gehindert wird, was wird dann aus uns?»
        Bolitho sagte:»Fragen Sie mich das, wenn es passiert.»
        Er mochte Kapitan Rowley Peel: erst sechsundzwanzig Jahre alt, hatte er schon einen guten Ruf als Kommandant einer Fregatte, obwohl er mehr wie ein Landwirt aussah als wie ein Seeoffizier. Das war auch keineswegs uberraschend, dachte Bolitho, denn Peel stammte aus einer alten Grundbesitzerfamilie und hatte sich bei seinen Tieren und Gewachsen ebenso zu Hause gefuhlt wie auf dem Achterdeck seiner Fregatte.
        Peel grinste.»Aye, Sir. Mit Nelson am einen Ende der Linie und Ihnen am anderen sollten wir wohl uberleben!»
        Bolitho stutzte den Kopf in die Hande und schaute nacheinander jedem ins Gesicht. Jetzt unsere Gefechtsaufstellung: Relentless ubernimmt als die gro?ere unserer Fregatten die Spitze, mit Lookout dichtauf.»
        Er wandte sich an Neale, dessen enttauschten Gesichtsausdruck er ubersah, und fuhr fort:»Sie folgen dem Geschwader, um Signale von der Flotte fur uns und umgekehrt zu ubermitteln.»
        Wenn er Neale soeben kriegsgerichtlich verurteilt hatte, statt ihn vor den ersten gefahrlichen Salven zu bewahren, hatte die Wirkung seiner Worte auf ihn nicht schlimmer sein konnen.
        Einen Augenblick schweiften seine Gedanken ab: Die Aufgabe der Relentless war lebenswichtig fur sie alle und kein anderes Schiff besser dafur geeignet. Aber als Damerum seine Vorschlage Admiral Hy-de Parker unterbreitet hatte, war es ihm sicher schwergefallen, seine heimliche Genugtuung zu verbergen. Denn er hatte gewi? langst von der Kommandierung Pascoes auf die Relentless erfahren und wu?te genau, wie gefahrdet Bolithos Neffe auf diesem Posten sein wurde.
        Ein paar Fragen wurden noch gestellt und von Herrick oder Browne beantwortet. Dann erschien Ozzard mit einem Tablett voller Glaser, und sie brachten den Toast auf den Konig aus.
        Abschlie?end sagte Bolitho:»Die meisten von uns kennen einander seit vielen Jahren. Im Krieg ist das eine gluckliche Fugung, denn in dem Kampf, der uns bevorsteht, zahlt gegenseitiges Verstandnis ebenso wie Schie?kunst und Seemannschaft. Fur mich ist es eine gro?e Ermunterung zu wissen, da? ich unter Freunden bin.»
        Herrick erhob sein Glas.»Auf uns!»
        Danach verabschiedeten sie sich, jeder mit seinen Gedanken schon bei der Uberlegung, wie er seiner Besatzung am besten erklaren sollte, was von ihr erwartet wurde.
        Herrick und Browne verlie?en die Kajute, um die Kommandanten am Fallreep zu verabschieden. Nur Peel von der Relentless blieb verlegen zuruck.

«Was ist, Kapitan Peel?»

«Sir, ich habe eigentlich kein Recht, daruber zu sprechen, aber Ihr Streit mit Admiral Damerum ist im Geschwader allgemein bekannt. Ich kann verstehen, warum dieses gefahrliche Verfahren befolgt we r-den mu?, und bin personlich stolz, an der Spitze zu stehen, wenn wir angreifen. Da Sir Hyde Parker all seine Kanonen-Briggs und Bomber-Ketschen fur den Angriff auf den Hafen von Kopenhagen braucht, mussen wir unseren Teil der Aufgabe erfullen und die danischen Galeeren vernichten.»
        Bolitho nickte.»Das ist eine klare Zusammenfassung, Kapitan Peel.»
        Peel sagte unbeirrt:»Es besteht aber nicht die Notwendigkeit, da? Ihr Neffe auf meinem Schiff bleibt, Sir. Nach allem, was vorgegangen ist, kann ich ihn austauschen.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Ich danke Ihnen. Mir das zu sagen, mu? Ihnen nicht leichtgefallen sein.»
        Peel schluckte.»Mr. Pascoe ist fur alle Falle schon mit mir an Bord gekommen, Sir, um mit dem Flaggkapitan zu sprechen. Ich habe noch eine Verabredung mit Ihrem Obersteuermann wegen einiger neuer Seekarten. «Er hob die Augenbrauen.»Soll ich Mr. Pascoe zu Ihnen schicken?»

«Ja, und danke fur Ihre Anteilnahme.»
        Es schien Ewigkeiten zu dauern, bevor Pascoe in die Kajute kam. Er sah so bla? aus, als ware er krank. Bolitho sagte:»Setz dich, Adam.»
        Pascoe fragte leise:»Sie werden mich doch nicht von der Relentless herunternehmen, Sir?»

«Nein. Ich verstehe dich besser, als du denkst. Ich bedaure nur, da? ich es so lange hinausgeschoben habe, dir wichtige Dinge zu sagen. Dieser Schurke Roche hat mir Klarheit daruber verschafft, was ich zu tun habe. «Pascoe sagte:»Ich habe von dem Risiko gehort, da? Sie eingingen. Er hatte Sie toten konnen.»

«Oder dich, Adam. Hast du auch daran gedacht?»
        Bolitho ging an die Heckfenster und schaute auf die graue Linie der Kimm hinaus, die sich hob und senkte, als wolle sie das Schiff uber ihren Rand ins Nichts hinabsto?en.

«Ich will meine Gefuhle nicht vor dir verbergen, Adam. Du bedeutest mir sehr viel, mehr, als ich in Worten ausdrucken kann. Ich hoffte, da? du eines Tages meinen Familiennamen annehmen wurdest, wie du es verdienst.»
        Er sah, da? Pascoes Spiegelbild im Fensterglas eine Bewegung machte, als wolle er protestieren.»Nein, hore mich an. Du hast den Makel der Taten deines Vaters schon viel zu lange getragen. «Er fuhlte, wie sein Herz im Takt mit dem pulsierenden Schmerz in seiner Wunde schlug.»Ich will es nicht langer hinausschieben, selbst auf die Gefahr hin, da? ich deine Freundschaft verliere. Dein Vater, mein Bruder, totete einen Mann in einem sinnlosen Duell. Dieser Mann war Admiral Damerums Bruder. Du siehst also, woher der Ha? gegen uns stammt.«»Ich verstehe, Sir.»

«Das kannst du noch nicht. Du glaubst, dein Vater sei ein Verrater gewesen und in Schande gestorben. «Er drehte sich, den plotzlichen Schmerz mi?achtend, abrupt um und sagte sehr deutlich:»Der Steuermannsmaat auf der Hyperion, der angebliche Mr. Selby, der sein Leben verlor, als er deines rettete, war Hugh, dein Vater.»
        Pascoe prallte zuruck, als hatte Bolitho ihn geschlagen. Doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr dieser umbarmherzig fort:»Ich glaubte, damit sei alles begraben und vergessen. Hugh hatte bis dahin nichts von deiner Existenz gewu?t, aber als er es erfuhr, war er sehr stolz, das kann ich dir versichern. Ich nahm ihm das Versprechen ab, dir gegenuber das Geheimnis zu wahren. Sonst hatte es ihn das Leben gekostet, und ich wei? nicht, ob du damit fertig geworden warst. Als es dann geschah, starb er tapfer und fur einen guten Zweck.»
        Bolitho bemerkte, da? Pascoe aufgestanden war und sich gegen die Bewegungen des Schiffes stemmte, als hatte er die Selbstbeherrschung verloren.
        Pascoe sagte leise:»Daruber mu? ich erst nachdenken. «Er sah sich so verzweifelt in der Kajute um wie ein gefangenes Tier.»Ich - ich wei? nicht, was ich sagen soll. Mr. Selby… Ihn mochte ich sehr gerne. Wenn ich gewu?t hatte…»

«Ja.»
        Bolitho sah, wie verwirrt und verzweifelt sein Neffe war, und fuhlte seine Hoffnung wie Sand in einem Stundenglas verrinnen. Er schaute zum Oberlicht auf, als er uber sich Schritte horte. Das Geschwader machte sich zum Treffpunkt vor der Einfahrt zum Sund auf.
        Pascoe sagte plotzlich:»Ich sollte jetzt besser auf mein Schiff zuruckfahren, Sir. Ich kam an Bord, um Kapitan Herrick wegen dieses Babbage und des Fahnrichs Penels zu sprechen. «Er sah zu Boden.

«Und um Sie zu besuchen, naturlich.»

«Dafur danke ich dir, Adam.»
        Pascoe zogerte, die Hand an der Turklinke.

«Werden Sie mir eines Tages noch mehr von meinem Vater erzahlen? Da ich jetzt die Wahrheit wei??»
        Bolitho durchquerte den Raum und packte Pascoe fest bei den Schultern. Selbstverstandlich werde ich das tun, hast du daran gezweifelt?»
        Pascoe stand ganz still und blickte Bolitho gerade in die Augen, als er antwortete:»Und du, Onkel, hast du an meinen Gefuhlen gezweifelt? Glaubst du nach allem, was du fur mich getan hast, und was wir an Gefahren und Freuden geteilt haben, da? ich keine Liebe mehr fur dich empfinden wurde?»
        Sie traten beide etwas zuruck, und keiner wu?te, was er noch sagen sollte. Schlie?lich brach Bolitho das Schweigen.»Gib acht auf dich, Adam. Ich werde an dich denken.»
        Pascoe strich sich eine Haarstrahne aus der Stirn und druckte dann seinen Hut auf. Und ich werde deiner Flagge Ehre machen, Onkel. «Dann drehte er sich abrupt um und stie? dabei fast mit Allday zusammen, der vor der Tur gewartet hatte.
        Allday fragte direkt:»Wei? er's endlich, Sir?»

«Aye. Er wei? es.»
        Allday suchte hinter Bolithos Rucken nach einem sauberen Glas. Dann sagte er:»Er platzte ja beinahe, platzte vor Freude, meine ich. «Er nickte zur Bekraftigung. Immerhin, sein Gluck, da? er anerkannt hat, was Sie fur ihn getan haben. Hatte er anders reagiert, hatte ich den jungen Teufel - ob Leutnant oder nicht - personlich ubers Knie gelegt.»
        Bolitho nippte an dem Getrank, ohne zu bemerken, was es war. In zwei oder drei Tagen wurden sie um ihr Leben kampfen. Aber die bosen Geister waren nun gebannt. Ein fur allemal.



        XVI» Alle anderen sind tot!»

        Leutnant Oliver Browne lie? sein Fernglas sinken und meldete:»Signal von Elephant:
>Ostsee-Geschwader nach eigenem Ermessen ankern<.»
        Bolitho hatte ebenfalls ein Glas am Auge, aber er richtete es auf die langen, einander uberlappenden Vorsprunge der Kuste. Sie schienen uberhaupt nicht naher zu kommen, bargen aber eine stumme Drohung, als ob das ganze Land auf ihre erste Bewegung in Richtung Einfahrt zum Sund lauerte.
        Die Verantwortung lastete in diesen engen Gewassern besonders schwer auf den einzelnen Kommandanten, aber bei einem Befehlshaber wie Nelson war ihnen etwas von der Sorge abgenommen. Es wurde keine unnotigen Signale geben und keine Zeitvergeudung. Bolitho nahm an, da? der Held von Abukir Admiral Hyde Parker erheblich bearbeitet hatte, bevor dieser sich zu einem derart schnellen Angriff entschlo?. Wahrend des ganzen Tages, als die Geschwader und ihre vorausgeschickten Aufklarer durch das Kattegatt sudwarts segelten, war Bolitho sich der Endgultigkeit dieser Entscheidung bewu?t. Querab lagen die Kusten von Danemark und Schweden, und wenn sie auch zeitweise au?er Sichtweite kamen, so wurde man doch nie das Gefuhl los, man fuhre in den Sack eines riesigen Treibnetzes.
        Selbst jetzt, da Briggs und Schiffskutter unter Segel zwischen den massigen Leibern der Zweidecker herumflitzten, gab es unsichtbare Augen, die jede ihrer Bewegungen verfolgten. Nelson hatte die ganze Flotte ankern lassen, obwohl er wu?te, da? Bolithos Geschwader sich bei anbrechender Dunkelheit schon wieder auf den Weg machen mu?te. Er verga? selten etwas. So hatte er auch seine Flagge auf der Elephant gesetzt, weil sie kleiner war als sein machtiges, achtundneunzig Kanonen tragendes Flaggschiff St. George und einen geringeren Tiefgang hatte, so da? sie naher ans Ufer herankonnte, ohne auf Grund zu laufen.
        Bolitho lie? sein Glas sinken und schaute in die vertrauten Gesichter der Deckswache.
        Der alte Grubb machte sich mit seinen Steuermannsmaaten am Peilkompa? zu schaffen. Wolfe schaute zum Gro?topp hinauf, wo einige Seesoldaten hinter dem Schutzschild auf der Marssaling mit dem leichten Schwenkgeschutz, der Drehbasse, exerzierten. Und Browne stand bis zu den Knien in bunten Flaggen, da sein Midshipman und dessen Gasten gerade eine Reihe langerer Signale von der Rah niedergeholt hatten.
        Schlie?lich Herrick, der uberall zu sein schien, wie immer.
        Bolitho sagte:»Ankern Sie, wie es Ihnen pa?t. «Er warf einen Blick zum Wimpel am Gro?topp hinauf.»Der Wind hat etwas abgeflaut. Fur unser Vorhaben scheint er hervorragend zu sein.»
        Herrick nickte und ging zum Steuermann hinuber, der sich nahe am Ruderrad aufhielt.»Klar zum Ankern im Verband, Mr. Grubb. «Wolfe rief er zu:»Nehmen Sie Fahrt aus dem Schiff. Lassen Sie Bram- und Gro?segel bergen!»
        Pfeifen zwitscherten, Kommandos drohnten, und Manner eilten auf ihre Stationen, um die Segelflache der Benbow zu verringern.
        Bolitho beobachtete, wie sie zu den Bramrahen aufenterten oder Schlage von Belegnageln losten, wahrend sie auf den nachsten Befehl vom Achterdeck warteten. Es gab kaum noch Unsicherheiten, auch nicht unter den jungsten Matrosen und den gepre?ten Leuten. >Man-ner, nicht Schiffe kampften.< Herricks Ausspruch von vor sechs Monaten ging Bolitho nicht mehr aus dem Sinn.
        Er bemerkte Midshipman Penels an den Kreuzwanten, fast hinter einem Bootsmannsmaaten und einigen Matrosen versteckt. Er bewe gte sich wie eine Marionette und zeigte wenig Interesse an den Vorgangen rundum. Herrick hatte Bolitho uber den Inhalt seines Gespraches mit Pascoe unterrichtet, der versucht hatte, Penels zu verteidigen. Was dabei richtig oder falsch war, schien unwichtig im Vergleich zu dem, was ihnen in den nachsten Tagen bevorstand. Nur der ungluckliche Tod von Babbage war eine nicht wegzudiskutierende Tatsache.
        Herrick war in der Angelegenheit Penels ungewohnlich hart gewesen.»Ungeeignet als kunftiger Offizier. Ein Muttersohnchen. Ich hatte ihn nie einstellen sollen.»
        Bolitho verstand Herricks Haltung ebenso wie Pascoes impulsiven Entschlu?, den Deserteur zuruckzuholen. Herrick hatte es nicht leicht gehabt im Leben. Er kam aus einer unbemittelten Familie und hatte sich seinen Aufstieg ohne Protektion selber erkampfen mussen. Weil er es geschafft hatte, liebte er die Marine, aber er war unerbittlich gegen andere, die nicht so zielbewu?t und hart gegen sich selbst waren.
        Als Bolitho Entschuldigungsgrunde fur Penels' Verhalten zu bedenken gab, hatte Herrick scharf erwidert:»Sehen Sie da druben die Styx, Sir? Ihr Kommandant war in Penels' Alter, als wir gemeinsam die blutige Meuterei niederschlugen. Ich habe ihn dabei nicht nach seiner
        Mama rufen gehort!»
        Aber wie die Angelegenheit Penels auch ausgehen mochte, erst einmal wurde der Junge die Anforderungen und Schrecken der bevorstehenden Schlacht durchstehen mussen wie jeder in der Flotte.
        Bolitho kam zu einem Entschlu? und winkte seinen Flaggleutnant heran.

«Sir?»
        Mehr als alle anderen schien Browne durch das harte Leben auf See gewonnen zu haben. Der Kontrast zwischen Admiralitat und der Offiziersmesse eines Kriegsschiffes war immerhin beachtlich.

«Es geht um den jungen Penels. Konnen Sie ihn in Ihrer Gruppe gebrauchen?»
        Browne schien zunachst ablehnen zu wollen, besann sich dann aber.»Wenn es befohlen wird: ja. «Er lachelte milde.»Selbstverstandlich konnte ich zu bedenken geben, da? ohne sein Zutun Babbage noch am Leben oder bestenfalls auf der Flucht ware. Ihr Neffe ware nicht gefordert worden, und Sie schlie?lich.»

«Was ist mit mir?»

«Ich nehme Penels, Sir. Mir ist gerade etwas eingefallen: Ohne die Herausforderung Ihres Neffen waren Sie nicht wie verruckt mit mir nach Portsmouth geritten. Und dann ware Ihnen nicht eine gewisse Dame Hals uber Kopf nachgereist.»
        Bolitho mu?te sich abwenden.»Zur Holle mit Ihnen, Sie Frechdachs! Sie sind genauso schlimm wie mein Bootssteurer. Kein Wunder, da? Sir George Beauchamp froh war, Sie los zu sein!»
        Browne lachelte hinter seinem Rucken.»Sir George liebt schone Frauen, Sir. Er hat mich als Rivalen gefurchtet. Vollig zu unrecht, naturlich.»

«Naturlich. «Bolitho lachelte.»Es hatte mich auch gewundert.»
        In schwerfalliger Prozession drehten die vier Linienschiffe in den Wind, um Anker zu werfen, wahrend ihre kleineren Begleiter noch etwas weiter nach Luv segelten, bevor sie es ihnen nachtaten. Selbst hier, wo so viele Schiffe versammelt waren, durfte man nie die Wachsamkeit vernachlassigen.
        Herrick lie? schlie?lich zufrieden sein Fernglas sinken.»Alle haben geankert, Sir.


«Sehr schon, Thomas. «Sie entfernten sich etwas von moglichen
        Zuhorern, bevor Bolitho fortfuhr:»Wenn es dammert, lassen Sie Vorbereitungen zum Gefecht treffen, die Rahen mit Ketten sichern und Schutznetze uber dem oberen Batteriedeck spannen. Nach Einbruch der Dunkelheit wird sich in der Meerenge sicher kaum etwas bewegen, aber ein einziges Fahrzeug konnte Alarm auslosen. Wir mussen auf alles gefa?t sein. Wenn das Schlimmste passiert und wir auf Grund laufen, mussen wir sehr fix mit dem Ausfahren des Warpankers und sonstigen Ma?nahmen sein, um ohne Verzug wieder flott zu werden.»
        Herrick nickte. Er war froh, da? er seine Ansichten und Sorgen besprechen konnte. Der Boden der Benbow ist mit dem besten Kupfer beschlagen und halt viel aus, aber ich wurde es doch nicht gern darauf ankommen lassen.»
        Er hielt inne, als einige Manner mit Eimern voll Fett und Wagenschmiere an ihnen vorbeiliefen. Jeder Block, jede Talje, alle beweglichen Metallteile, vom Ankerspill bis zum Rudergeschirr, wurden damit eingeschmiert. Nachts an Deck eines Schiffes scheinen nur der Wind und die Segel Gerauschquellen zu sein, aber in Wirklichkeit sind es die quietschenden Blocke oder sonstige schleifende Metallteile, deren Gerausch weit uber das Wasser getragen wird.
        Herrick sagte:»Sobald wir uns in Bewegung gesetzt haben, werden die Beiboote mit dem Loten beginnen. Wenn wir durch die Enge hindurch sind oder vorher angegriffen werden, werden sie zu ihren Schiffen zuruckkehren, sofern sie dabei unseren weiteren Vormarsch nicht behindern. Anderenfalls kann die Styx sie spater aufnehmen.»
        Bolitho sah ihn forschend an. Selbst in dem schwachen Abendlicht waren Herricks Augen ungewohnlich blau.»Ich glaube, wir haben an alles gedacht, Thomas. Fur das Weitere wird uns Ihr sprichwortliches Gluck beistehen mussen.»
        Herrick grinste.»Ich habe schon eine Wette darauf abgeschlossen.»
        Eine Gestalt huschte wie ein Schatten an ihnen vorbei: Loveys, der Schiffsarzt. Bolitho fuhlte einen kalten Schauer uber seinen Rucken laufen, als er sich erinnerte, wie Loveys damals mit starrem Blick in seiner offenen Wunde herumgestochert hatte.
        Die Schiffsarzte des Geschwaders wurden in wenigen Stunden sehr gefragt sein, dachte er grimmig. Er sagte:»Ich gehe in meine Kajute. Vielleicht konnen Sie bald dazukommen?»
        Herrick nickte.»Sobald die Leute gegessen haben, lasse ich >Klar Schiff zum Gefecht< anschlagen, Sir.»
        Bolitho war einverstanden. Er hatte es den Kommandanten uberlassen, wann sie ihr Schiff gefechtsbereit machten. Nichtsdestoweniger wu?te er, da? Herrick es kaum zulassen wurde, da? ein anderes Schiff dem Flaggschiff zuvorkam.
        Die Kajute wirkte gro?er als sonst, denn Ozzard hatte schon die meisten Mobelstucke in die Stauraume unterhalb der Wasserlinie getragen. In dem leeren Raum fuhlte sich Bolitho immer unbehaglich. Es sah so verpflichtend, so endgultig aus.
        Allday hatte den prachtigen Ehrensabel heruntergenommen und war gerade dabei, den anderen mit einem weichen Tuch zu putzen.»Ich habe etwas zum Abendessen fur Sie bestellt, Sir. Nichts Schweres.»
        Bolitho setzte sich und streckte die Beine aus.»Beunruhigt Sie die Aussicht auf eine neue Schlacht nicht?»

«Doch, Sir. «Allday peilte an der Klinge entlang und nickte zufrieden.»Denn wo Ihre Flagge weht, ist es immer am dicksten, und daruber mu? man sich mehr Sorgen machen als uber ein paar blutige Nasen.»
        Bolitho lie? Allday mit seinen kleinen Vorbereitungen fortfahren. Jetzt mu?te die Kurierbrigg, wenn sie Gluck gehabt hatte, in England angekommen sein. Noch ein Tag auf der Landstra?e, und dann wurde sein Brief endlich Herricks Haus in Kent erreichen, wo Belinda sich aufhielt.
        Ozzard trat mit einem Tablett ein, uber das ein Tuch gedeckt war. Er sagte:»Sie wollen gleich >Klar Schifft anschlagen, Sir. «Es klang argerlich wegen der Storung.»Aber Mr. Wolfe hat mir zugesichert, da? Ihre Kajute so bleibt, wie sie ist, bis Sie fertig gegessen haben. «Er setzte das Tablett auf den Tisch.»Ich furchte, es ist wieder Salzfleisch, Sir.»
        Bolitho erinnerte sich lachelnd an Damerums Erwahnung seines Lebensmittellieferanten in London, eines Mr. Fortnum. Vielleicht wurde er eines Tages mit Belinda zu dem Handler gehen.
        So weit weg wie auf einem anderen Schiff horte er den Ruf, der lauter und lauter wurde, als die Bootsmannsmaaten und Unteroffiziere der Seesoldaten durch das Schiff eilten:»Alle Mann auf! Alle Mann auf! Klar Schiff zum Gefecht!»
        Als Hunderte von Fu?en uber die Decks rannten, schien die Benbow zu zittern. Bolitho sah auf das zahe Fleischstuck nieder, das Ozzard mit einigen Kunstgriffen schmackhaft zu machen versucht hatte.»Sieht gut aus, Ozzard. Ich werde dazu ein Glas Madeira trinken.»
        Allday verlie? die Kajute mit seinem gro?en alten Entermesser unter dem Arm. Er wollte damit zum Stuckmeister, um es auf dessen Schleifstein zu scharfen, eine Arbeit, die er keinem Matrosen oder gar Schiffsjungen anvertraute, weil das gute Stuck sonst hinterher - behauptete er - wie eine Sage aussah.
        Im Weggehen horte er noch Bolithos Bemerkung, die ihm typisch schien. In einem solchen Augenblick wurgte er lieber das steinharte Fleisch herunter, als da? er Ozzards Gefuhle verletzte.
        Allday schlenderte zwischen den beiden Reihen der Kanonen und den vielen eilfertigen Gestalten und Befehle donnernden Maaten nach vorne. Das Gehetze hatte er schon oft erlebt, hatte es oft selbst mitgemacht. Als Bolithos Bootssteurer stand er nun daruber und hatte seinen Sonderstatus an Bord wie an Land.
        Tom Swale, der Oberbootsmann, grinste Allday mit seinem luk-kenhaften Gebi? an, als er an ihm vorbeikam.»Viel zu tun, John?»
        Allday nickte umganglich.»Aye, Smatting, wie immer!»
        Es war ein Spielchen, das beiden Spa? machte und das sie starkte fur den Augenblick, wenn die Kanonen sprachen.
        Sobald es dunkel geworden war, ging ein Schiff Bolithos nach dem anderen ankerauf und entfernte sich langsam von der ubrigen Flotte.
        Bolitho stutzte sich mit beiden Handen auf die Querreling und schaute angestrengt nach vorn. Er sah den blassen Umri? der Masten und das dichte Gewebe der Takelage sich vor dem Nachthimmel abzeichnen, aber wenig mehr. Relentless und Lookout waren unsichtbar, ebenso die meisten Ruderboote, die sich wie wachsame Jagdhunde vor und neben ihren gro?en Schutzlingen tummelten.
        Auf beiden Laufbrucken der Benbow stand eine Kette von Mannern, die jede Meldung der Lotgasten im Vorschiff an Grubb und seine Leute durchgeben sollten.
        Der Wind fullte spielerisch die gerefften Marssegel, und nur die sanften Schlage der Wellen gegen den Schiffsrumpf lie?en ahnen, da? die Benbow Fahrt voraus machte.
        An Backbord war ein kompakterer Schatten: die schwedische Kuste.
        Es hatte den Anschein, als ob sie und nicht die Schiffe sich bewegten.

«Gerade zehn, Sir!«kam die erste Lotmeldung.
        Bolitho horte, da? Herrick mit Grubb flusterte und irgendwo ein Griffel kratzte, um die gelotete Zahl zu notieren.
        Bolitho wagte nicht, aufs Huttendeck zu klettern und nach der In-domitable zu sehen, die sehr nahe achteraus stand. Er furchtete, etwas zu verpassen, wenn er sich auch nur einen Augenblick abwandte.
        Ob die danischen Batterien ihren Vorsto? erwarteten? Hochst unwahrscheinlich, dachte er. Kein Admiral mit normalen funf Sinnen hatte es gewagt, eine Flotte durch diese Enge und an solch machtigen Kanonen vorbeizufuhren, geschweige denn eine solche Handvoll Schiffe wie die Bolithos.
        Bei der Besprechung in der Kajute hatte sich alles so einfach angehort, aber als die unheildrohende Kuste an Backbord immer deutlicher hervortrat, war die Wirklichkeit weniger einfach zu verkraften. Bo-litho dachte an das fuhrende Boot, das ein Stuck vor den Schiffen vorwegpullte. Es war vollauf damit beschaftigt zu loten, nach patrouillierenden Wachbooten Ausschau zu halten und auf jedes verdachtige Gerausch zu achten. Und das in stockdunkler Nacht. Bolitho uberlegte, welcher Offizier dort wohl das Kommando hatte. Er hatte nicht danach gefragt, denn er mu?te ihnen vertrauen, wenn er auch auf ihr Vertrauen zahlen wollte.
        Die Boote hatten sich eine Stunde vor dem Einlaufen in die Enge von den Schiffen abgesetzt. Die Ruderer wurden jetzt schon ermudet sein und trotz nachlassender Krafte wissen, da? es gerade jetzt auf gro?te Wachsamkeit ankam.
        Er trat von der Reling zuruck und schalt sich selber wegen seiner Sorgen. Jetzt gab es kein Zuruck mehr.
        Herrick kam aus der Dunkelheit.»Scheint alles ganz ruhig zu sein,
        Sir.»

«Ja. Ich vermute, da? die Danen solch umfassende Vorbereitungen fur einen direkten Angriff auf den Hafen getroffen haben, da? sie genausowenig Lust verspuren wie wir, sich in der Dunkelheit zu bewegen.»
        In ein paar Stunden wurden Nelsons Schiffe ankerauf gehen und auf der gleichen Route durch die Enge folgen. Vor dem endgultigen Angriff auf die danischen Forts und verankerten Schiffe wollten sie bei der Insel Hven ankern und ihre moglicherweise bei dem Durchbruch erlittenen Schaden beheben.
        Die Kopfe auf der Backbord-Laufbrucke stie?en fast aneinander, als der Ruf durch die Kette von vorn nach achtern durchgegeben wurde:»Land Backbord voraus, Sir!»
        Herrick reagierte sofort.»Luven Sie einen Strich an, Mr. Grubb.»
        Bolitho widerstand der Versuchung, sich zu den Geschutzbedienungen der Neunpfunder zu gesellen, die an den Finknetzen standen und in die Finsternis hinausstarrten. Es mu?te der zweite Kutter der Ben-bow gewesen sein, der die Gefahr erkannt und gemeldet hatte.
        Segel rauschten, als die Brassen angeholt wurden. Bolitho schaute auf die andere Seite, ob irgendein schlafriger Wachposten die abgeblendete Laterne des Kutters bemerkt hatte, als er dem Flaggschiff seine Warnung signalisierte. Doch er bezweifelte, da? die Danen anders waren als Englander. Da mu?te schon allerlei passieren, bevor ein Posten sich entschlo?, seinen Offizier oder gar die ganze Wache zu alarmieren, weil er >glaubte<, er hatte >etwas< gesehen. Ganze Kriege, von einzelnen Gefechten zu schweigen, waren verloren beziehungsweise gewonnen worden, weil sich jemand zu genau an die militarischen Vorschriften gehalten hatte. Bolitho nahm an, da? Wolfe irgendwo auf der Back steckte. Der Erste Offizier hatte im Augenblick keine spezielle Aufgabe. Seine Gewandtheit und sein Vorrat an Erfahrungen, die er auf allen Weltmeeren gesammelt hatte, waren unerschopflich. Moglich, da? er etwas sah oder spurte. Vielleicht ahnte er eine gefahrliche Untiefe, die selbst den Lotgasten entgangen war.
        Herrick flusterte:»Was meinen Sie, wie viele von diesen Ruderkanonenbooten oder Galeeren wir antreffen werden, Sir?»

«Die genaue Zahl ist unbekannt, Thomas. Aber mehr als zwanzig bestimmt, und das sind zu viele. Vizeadmiral Nelson beabsichtigt, uber Nacht am Sudrand des Mittelgrundes zu ankern, bevor er sich am nachsten Tag an die vor dem Ufer in Kiellinie verankerten danischen Schiffe heranmacht. Er wird bei diesem Plan bleiben, egal, was wir entdecken. Aber wenn die Galeeren sich zu seinen Schiffen durchschlagen, konnte das verheerende Folgen haben.»

«Gerade zwolf!»
        Grubb atmete auf.»Gefallt mir schon besser. «Er erlaubte sich ein Lacheln.
        Als die Stunden sich hinzogen, kam es Bolitho vor, als ob Zentnergewichte auf ihm lasteten. Jeder Muskel schien ihm weh zu tun, und er wu?te, da? es allen so ging, vom Kapitan bis zum jungsten Schiffsjungen.
        Man horte einige erschreckte Rufe, als ein Boot an ihrer Steuerbordseite vorbeitrieb, aber es gehorte zum Geschwader. Die Kuttergaste sa?en uber ihre gekreuzten Riemen gebeugt und konnten vor Erschopfung kaum noch atmen. Ein Leutnant, dessen wei?e Rockaufschlage sehr deutlich in der Dunkelheit zu erkennen waren, winkte zum Flaggschiff hinauf, und ein Seesoldat meldete mit heiserer Stimme:»Wir sind durch, Sir, hat er gerufen!»
        Bolitho pre?te die Hande zusammen, um seine Nerven zu beruhigen. Kein Schu? war gefallen, kein Mann verloren. Bei Tage, wenn die Hauptflotte ihren Vormarsch antrat, wurde es anders sein.

«Drehen Sie die Sanduhr noch einmal um, Thomas. Danach konnen wir die Boote zuruckrufen.»
        Grubb sagte:»In zwei Stunden wird es hell, Sir. «Er rieb sich die roten Hande.»Ich bin ganz schon ausgedorrt nach diesem kleinen Ausflug.»
        Herrick lachte.»Verstehe, Mr. Grubb. Sagen Sie dem Zahlmeister, da? er fur jeden Mann eine doppelte Portion Rum ausschenken soll, und da? ich ihm das Fell uber die Ohren ziehe, wenn er dagegen mek-kert.»
        Bolitho fuhlte, wie die Spannung sich rundherum legte, obwohl der Kampf noch vor ihnen lag. Die Benbow war durchgebrochen, und das verstand jeder Mann. Wie Allday gesagt hatte: Jeder kampfte fur jeden, aber nicht fur einen Plan von hochster Stelle.
        Das Halbstundenglas neben dem Kompa? kippte wieder um, und Grubb sagte:»Es ist soweit, Sir.»
        Herrick rief:»Sagen Sie dem Kutter zur Weitergabe an Indomitable: Wir rufen die Boote zuruck.»
        Bolitho konnte sich die Erleichterung in den Booten vorstellen, als der Befehl durch die Linie lief. Von dieser Nacht wurden viele Blasen in den Handen und schmerzende Rucken zuruckbleiben.
        Jemand druckte ihm einen Becher in die Hand, und er horte Browne sagten: Erschrecken Sie nicht, Sir, es ist Brandy und kein Rum. Ich wei?, da? Sie den nicht mogen. «Bolitho wollte gerade antworten, als er spurte, da? etwas Schnaps
        uber seine Finger spritzte. Browne zitterte also.»Was ist los?»
        Browne blickte in Richtung der verborgenen Kuste.»Sie fragen noch, Sir?«Er versuchte, es wegzulachen.»Ich bin zwar gut in Fragen des Protokolls und im Verkehr mit der hohen Admiralitat. Ich kann mit Sabel oder Pistole besser umgehen als mancher andere und stehe auch am Spieltisch meinen Mann. «Er schuttelte sich. Aber dieses schreckliche, lang hingezogene Schleichen in den Rachen der Holle geht mir auf die Nerven, Sir.»

«Das vergeht wieder. «Bolitho war erschrocken, Browne so nervos zu sehen.
        Browne antwortete ruhiger:»Ich habe gerade uberlegt: Morgen ist der erste April, und am Ende des zweiten konnte ich mich schon in ein Nichts verwandelt haben.»

«Dann stehen Sie nicht allein da. Jeder auf diesem Schiff, mit. Ausnahme weniger ganz Sturer, hat ahnliche Gedanken.»

«Sie auch, Sir?»

«Aye. Ich denke auch daran und furchte es. «Bolitho versuchte ein geringschatziges Achselzucken.»Aber ich habe gelernt, damit fertig zu werden.»
        Er sah, da? Browne in das Dunkel zurucktrat und offenbar uber seine Worte nachdachte.
        Der erste April. In Cornwall mu?te es jetzt schon grun sein.
        Schnee und Nebel waren fur ein Jahr voruber. Er roch fast die bluhenden Hecken und die kraftigen Dufte der Bauernhofe. Und das Haus wartete, wie so oft in den letzten hundertfunfzig Jahren, auf die Heimkehr eines Bolithos.
        Halt, es war nutzlos, sich in falschen Hoffnungen und Selbstmitleid zu ergehen. Er blickte zum Besammast empor, doch seine Flagge hob sich noch nicht von den dunklen Wolken ab.
        Wie niederdruckend zu wissen, da? diese kleine Gruppe von Schiffen die einzigen beiden Nachkommen der Seefahrerfamilie Bolitho an Bord hatte.
        Leutnant Wolfe trat mit gespitzten Ohren an die Finknetze, als das Rumpeln von Geschutzfeuer wie ferner Donner heruberklang.

«Du lieber Himmel, horen Sie sich das an!»
        Auf dem Batteriedeck traten viele Seeleute von ihren langen Acht-zehnpfundern zuruck und blickten nach achtern zu den Offizieren, als ob diese wu?ten, was los war.
        Bolitho schirmte die Augen ab und schaute zum Ausguck im Vortopp hinauf. Im ersten Tageslicht hatte er seine Abneigung gegen Hohen uberwunden und war selber bis zur Gro?saling aufgeentert, um sich die danische Kuste und die noch im morgendlichen Dunst liegenden Kirchturme anzusehen. Mit Hilfe des Teleskops hatte er, von den oben stationierten Scharfschutzen neugierig verfolgt, die ausgedehnten Verteidigungsanlagen von Kopenhagen studiert.
        Sein eigenes kleines Geschwader hatte nicht die Absicht, sich in die Reichweite der zahlreichen Kustenbatterien zu begeben. Seine Aufgabe war es, die Galeeren zu finden und so viele wie moglich zu vernichten, bevor sie in den Kampf um Kopenhagen eingreifen konnten.
        Aus seinen schriftlichen Instruktionen wu?te er, welche Krafte Nelson gegenuberstanden: mindestens achtzehn hintereinander verankerte Linienschiffe, die eine undurchdringliche Reihe stationarer Batterien darstellten, und die gewaltige Tre-Kroner-Batterie auf der Insel Amager, die Sechsundsechzig schwere Kanonen aufwies. Dazu kamen andere Kriegsfahrzeuge, Bombenschiffe und Heeresartillerie, die langs des Ufers aufgefahren war.
        Gegen diese gewaltige Streitmacht konnte Nelson gerade zwolf Vierundsiebziger einsetzen, vorausgesetzt, sie hatten den letzten Teil der Meerenge unbeschadigt passiert.
        Als Bolitho jetzt auf das fortwahrende Grollen des Geschutzfeuers lauschte, kam ihm die Kuhnheit und vielleicht sogar Tollkuhnheit des ganzen Unternehmens zu Bewu?tsein. Aber ebenso auch die Kaltblutigkeit des Mannes, dessen Flagge auf der Elephant wehte, nur wenige Meilen von ihm entfernt.
        Herrick trat besorgt herzu.

«Ich wunschte, wir waren bei der Flotte, Sir. Es war wohl falsch, sie zu verlassen. Jetzt wird dort jede zusatzliche Kanone dringend gebraucht.»
        Bolitho antwortete nicht gleich. Er beobachtete die Relentless, eine schon ferne Pyramide leicht schlagender Leinwand, als sie gerade den Kurs nach Backbord anderte. Ein Stuck achteraus von ihr stand die Lookout, die sicher stets ein Auge auf das Flaggschiff hatte.
        Bolitho sagte:»Die Danen werden nicht eher handeln, als bis Nelson sich selbst engagiert. Wenn seine Flotte morgen ankerauf geht und den Mittelgrund umrundet, ist der Augenblick gekommen, den ich an ihrer Stelle wahlen wurde. Nelsons Schiffe geraten dann in ein Kreuzfeuer aus drei verschiedenen Richtungen.»
        Er beobachtete den Pulverqualm, der sich ausbreitete und die fernen Schiffe und auch die Stadt ihren Blicken entzog. Manner kampften und starben dort, doch auf dem Achterdeck der Benbow spurte man noch nichts von einer Gefahr.
        Browne lie? sein Glas sinken und meldete:»Signal von Relentless uber Lookout, Sir:
>Fremdes Segel in Peilung Sudost<. «Nach einem neuerlichen Blick durchs Glas setzte er hinzu: «Relentless setzt schon mehr Segel, Sir.»
        Bolitho nickte und bemuhte sich, die anderen nichts von seinen aufsteigenden Zweifeln merken zu lassen. Kapitan Peel handelte gema? seinen Instruktionen und verlor keine Zeit damit, weitere unbestimmte Sichtmeldungen abzugeben.
        Gewi? war die gesamte danische Flotte zur Abwehr des bevorstehenden Angriffs aufgeboten. Da wurde kein einzelnes Handelsschiff so verruckt sein und zwischen den beiden machtigen Flotten herumsegeln.
        Die Relentless entfernte sich schnell von ihrem kleineren Gefahrten. Bolitho war sicher, da? Peel seine Ausguckposten im Mast sorgfaltig ausgesucht hatte, um moglichst schnell zuverlassige Meldungen abgeben zu konnen.

«Das Geschutzfeuer im Norden la?t nach, Sir. «Wolfe ging zum Logbuch, um eine kurze Notiz hineinzuschreiben.»Nelson scheint durchgebrochen zu sein.»
        Wie um das zu bekraftigen, rief Browne:»Von Indomitable, Sir. Styx meldet, da? unsere Flotte in Sicht ist und schon Kurs geandert hat.»
        Herrick wischte sich die Stirn mit dem Taschentuch.»Das ist eine Erleichterung. Zumindest wissen wir jetzt, da? wir fur den Ruckweg nicht allein sind.»

«An Deck!«Ihr vergessener Ausguck im Vortopp bewirkte, da? alle zu ihm emporschauten.»Geschutzfeuer in sudlicher Richtung!»
        Herrick fluchte.»Was, zum Teufel! Peel scheint im Gefecht zu sein.»

«Signal von Lookout, Sir. Sie bittet um Erlaubnis zur Hilfeleistung. «Herrick schuttelte den Kopf und schaute fragend Bolitho an. Dieser sagte ruhig:»Abgelehnt! Die Lookout benotigt zwei Stunden, bis sie die Fregatte erreicht. Wenn wir inzwischen auf die Galeeren sto?en, brauchen wir sie aber dringend zur Abwehr.»
        Browne beobachtete, wie das Flaggensignal zur Rah hochstieg und dort auswehte. Seine eigenen Sorgen waren vergessen, als er den schnellen Austausch von Blicken zwischen Bolitho und Herrick gesehen hatte. Er wu?te, was sie dachten. Es mu?te immer wieder ein schwerer Entschlu? sein, einen Freund oder Verwandten einer Ungewissen Gefahr auszusetzen.
        Das Geschutzfeuer war nun auch auf dem Achterdeck zu horen. Es klang heftig, aber unregelma?ig und sehr ausgepragt, was darauf schlie?en lie?, da? die Schiffe einander auf sehr nahe Entfernung beschossen.
        Herrick sagte:»Mr. Speke! Hinauf mit Ihnen, und melden Sie mir, was Sie davon halten.»
        Der Leutnant enterte in den Wanten auf, und seine Rockscho?e flatterten dabei im Wind.
        Wolfe fragte nach kurzem Gru?:»Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben, Sir?


«Nein, dazu ist noch kein Anla?.»
        Seltsam, in Sekundenschnelle war die kommende Schlacht, war Kopenhagen, ja der Grund ihres Hierseins wie weggewischt. Irgendwo hinter dem verschwommenen Horizont stand einer von ihnen im Kampf. Es horte sich an, als ob nur zwei Schiffe beteiligt waren. Ob der Gegner ein Russe, Schwede oder Dane war, machte in diesem Augenblick keinen Unterschied.
        Bolitho vertraute auf Peels Fahigkeiten und wu?te, da? er keinesfalls unuberlegt handeln wurde. Er erinnerte sich an den Gesichtsausdruck von Pascoe, als er die Kajute verlie?, kurz nachdem er die Wahrheit uber seinen Vater erfahren hatte.

«Rauch, Sir!«Spekes Stimme klang schrill.»Da brennt ein Schiff!»
        Bolitho bi? sich auf die Lippe.»Signal ans Geschwader, Mr. Browne: >Mehr Segel setzen! <»
        Herrick handelte sofort:»Mr. Wolfe! Schicken Sie Toppsgasten nach oben, die die Bramsegel losmachen. Und lassen Sie den Besan setzen!»
        Wolfe eilte mit wehenden roten Haaren uber das Deck und schwang sein Sprachrohr, als er die Leute vom Achterdeck zum Ausholen des Gaffelsegels am hinteren Mast kommandierte und die Toppsgasten anfeuerte, die zu den obersten Rahen aufenterten.
        Die Benbow gehorchte sofort und legte sich unter dem Druck der vergro?erten Segelflache stark uber. Achteraus folgten die anderen Schiffe ihrem Beispiel. Das Auge eines Laien an Land mochte die schweren Schiffe jetzt fur Fregatten halten, in Wirklichkeit aber wu?te Bolitho, da? sie bei diesem leichten Wind nur knapp funf Meilen durchs Wasser machten.
        Plotzlich schien der Horizont zu beben und dann in einem riesigen Rauchpilz zu detonieren. Keiner auf dem Achterdeck sagte etwas. Das konnte nur die explodierende Pulverkammer eines Schiffes gewesen sein.
        Browne rausperte sich.»Von Lookout, Sir: >Segel voraus in Sicht<.»
        Herrick starrte gebannt auf die lose flappenden Marssegel.»Aber welches von beiden ist es, in Gottes Namen?»
        Speke rief:»Ein Schiff ist gesunken, das andere schwer beschadigt.»
        Der Wimpel am Gro?mast wehte wieder aus, und Bolitho spurte ein Zittern im Deck, als ein kraftiger Windhauch uber das Achterschiff blies und die Segel fullte.
        Er versuchte, mit dem Te leskop durch die Fallen und Wanten hindurch voraus zu blicken, fing aber zunachst nur das Gesicht eines Mannes auf der Back ein, bevor er uber die dort stehenden Karronaden hinweg eine Lucke fand, die ihm freies Blickfeld nach vorne gab.
        Er sah Rauch wie ein Leichentuch auf dem Wasser liegen, dahinter zwei Masten mit Rahen und stark durchlocherten Segeln als stumme Zeugen des vorangegangenen Kampfes.
        Dann horte er den Ruf des Ausgucks:»Es ist ein Franzose, Sir!»
        Bolitho sah Browne an.»Die Ajax.»
        Allday kam von der Schanz herunter und gesellte sich zu den anderen.»Sie wird ihre Schaden ausgebessert und nun die Absicht gehabt haben, nach Frankreich zuruckzukehren, schatz' ich.»

«Vermutlich.»
        Bolitho druckte den Griff seines Sabels, bis der Schmerz ihn klarer denken lie?. Allday hatte recht, so mu?te es gewesen sein. Nachdem die Styx sie so ubel zugerichtet hatte, hatte der franzosische Kommandant mindestens funf Monate fur die Reparaturen benotigt. Wahrscheinlich hatte er dazu einen Hafen aufgesucht, der wahrend der Zeit vom Eis eingeschlossen war. Und nun war er also wieder da und nahm schreckliche Rache.
        Mit rauher Stimme sagte er:»Geben Sie an Lookout, da? sie nach Uberlebenden sucht, aber sie soll sich nicht in ein Gefecht verwickeln lassen. «Er drehte sich um und sah in das verwitterte Gesicht des Obersteuermanns.»Geben Sie uns einen Kurs, der uns in Lee von dem da bringt, Mr. Grubb.»
        Herrick lie? sein Teleskop sinken.»Die Ajax bewegt sich nicht. Sie hat ihren Kreuzmast verloren, und ihr Ruder scheint unklar zu sein.»
        Die Folter des Wartens und Beobachtens, wahrend die arg mitgenommene Fregatte gro?er und gro?er wurde und die Lookout aufmerksam herumsuchte wie ein Jager, der eine verwundete Lowin verfolgt, wurde durch die vollige Stille ringsum noch verschlimmert.
        Wolfe brach das Schweigen. »Lookout hat ihre Boote ausgesetzt, um Uberlebende aufzunehmen, obwohl nach solch einer Explosion…«Er verstummte, als Herrick ihm einen zornigen Blick zuwarf.
        Major Clinton hatte seine Seesoldaten auf der Schanz verlassen und sich zu Herrick auf dem Achterdeck gesellt. Plotzlich zeigte er mit seinem Stock:»Ich glaube, der Franzose kommt wieder in Fahrt.»
        Wolfe nickte.»Er hat die uber Bord hangenden Trummer abgeschlagen und ein zweites Marssegel gesetzt.»
        Sie sahen Bolitho an, als dieser befahl:»Lassen Sie die untere Batterie ausrennen, Mr. Wolfe.»
        Der Befehl wurde blitzschnell weitergegeben. Kurz darauf bebte das Deck, als die schweren Zweiunddrei?igpfunder gerauschvoll in ihre geoffneten Stuckpforten rumpelten.

«Kanonen sind ausgerannt, Sir!»
        Geschwarzte Holzteile und verschlungenes Tauwerk trieben an der Bordwand der Benbow vorbei. Auch Menschenleiber, oder was davon ubriggeblieben war.

«Feuern Sie einen Warnschu?, Mr. Wolfe!»
        Das vorderste Geschutz loste einen Donnerschlag aus, und als der Pulverqualm sich uber das Wasser ausbreitete, sah Bolitho die gro?e Kugel fast genau vor der Galionsfigur der Ajax ins Wasser schlagen.
        Aber die Trikolore, die nach dem Verlust des Kreuzmastes neu am Gro?mast gesetzt worden war, machte keine Anstalten zum Niedergehen; statt dessen wurde der Umri? der Fregatte kleiner, da sie abzudrehen begann.
        Wolfe fragte:»Eine Breitseite, Sir?»
        Bolitho schaute gebannt uber ihn hinweg auf das franzosische Schiff, das vor seinen Augen zu verschwimmen schien, als betrachte er es durch dickes Fensterglas.
        Auf die Entfernung von gut einer Meile mu?te eine Breitseite der gro?kalibrigen Geschutze die bereits stark beschadigte Fregatte in Stucke rei?en. Die Lecks, die ihr schon vorher von der Relentless geschlagen worden waren und das Gewicht ihrer eigenen Artillerie wurden ihr den Rest geben.
        Er horte Clinton sagen:»Der Kommandant druben mu? verruckt sein.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sagen Sie den Geschutzfuhrern, da? sie einzeln nacheinander feuern sollen.»
        Die zweite Kugel schlug ins Achterschiff der Ajax ein und warf Holzplanken und zerbrochene Stengen wie Strohhalme hoch in die
        Luft.
        Bolitho beobachtete, wie die Trikolore langsam niedergeholt wurde. Ruhig sagte er: Er ist ein tapferer Mann, Major.»
        Eine Steuermannsmaat meldete:»Die Boote der Lookout haben ein paar Mann aufgefischt, Sir.»
        Bolitho erkannte seine Stimme fast selbst nicht mehr, als er befahl:»Andern Sie Kurs auf die Lookout. Signal an Indomitable, sie soll die Ajax entern und die Besatzung gefangennehmen. «Seine Stimme wurde harter.»Anschlie?end soll sie das Schiff versenken.»
        Von seinem luftigen Hochsitz auf der Saling rief Speke:»Sie haben sechs Leute, Sir, funf Matrosen und einen Seesoldaten.»
        Bolitho stand hinter den aufgerollten Enternetzen auf der Laufbrukke und beobachtete die sich langsam bewegenden Boote und die herumschwimmenden Reste von Peels Schiff: Treibgut, verbranntes Holz, vom Feuer geschwarzte Leinwand. Und Menschen, die so zerrissen und unkenntlich waren, da? sie augenblicklich tot gewesen sein mu?ten.
        Er griff in die Wanten und hatte fast laut aufgeschrien, als sein wundes Bein gegen das eisenharte Stag stie?.
        Eine Hand streckte sich ihm entgegen, und er erkannte Midshipman Penels, der ihn beobachtet hatte.»Lassen Sie mich, Sir.»

«Danke. «Bolitho stutzte seinen Ellenbogen auf die Schulter des Jungen und wartete, da? der Schmerz abklang.
        So hatte Damerum also doch noch, ohne es zu wissen, einen Racher gefunden.
        Er zwang sich, die auf und ab tanzenden Trummer zu prufen, die sich unter der starr vorausschauenden Galionsfigur teilten und beiderseits der Bordwande vorbeitrieben.
        Hinter sich horte er freudige Rufe der Seeleute, die einander gratulierten, da? sie die Flucht der Ajax verhindert hatten.
        Penels sagte plotzlich schuchtern:»Sir, ich glaube, da hat sich etwas bewegt.»
        Bolitho nahm sein Glas und folgte der Richtung, die Penels wies. Er sah die Trummer eines gekenterten Bootes und eine lange Stenge, die an einem Ende wie ein Kreidestift abgebrochen war.
        Daneben trieben einige Leichen, und einen Augenblick dachte er, Penels hatte sich etwas eingebildet oder ihm nur etwas Ermutigendes sagen wollen. Doch dann rief er: Ich sehe es!«Es war nur ein Arm, der uber die Stenge herumlangte. Aber er bewegte sich. Jemand, der uberlebt hatte. Aber wer?
        Er wurde nahezu von Panik ergriffen. Und in diesem kurzen Augenblick hatte das Schiff sich schon wieder um einige funfzig Yards vorwartsbewegt.»Kapitan Herrick! Ein Mann im Wasser, an Steuerbord. Die Jolle, schnell!»
        Er fiel fast hin, als Penels unter seinem Ellenbogen davonscho?. Er sah nur noch das erschreckte Gesicht des Jungen, das aber auch einen plotzlichen Entschlu? ausdruckte, bevor er auf das Schanzkleid geklettert und ins Wasser gesprungen war. Ehe Herrick verstand, was vorging, war Penels wieder aufgetaucht und schwamm mit schnellen Sto?en auf die Stenge zu.
        Bolitho sah, da? die Jolle ums Heck herumkam und der Boots-steurer fragend zu den Offizieren hochschaute.
        Herrick machte ein Sprachrohr mit seinen Handen und rief:»Folgen Sie dem Jungen, Winslade. So schnell Sie konnen.»
        Bolitho kehrte aufs Achterdeck zuruck und wurde von Browne mit der Meldung empfangen: «Indomitable hat signalisiert, da? die Ajax versenkt wird, sobald wir aus dem Gefahrenbereich sind. Tut mir leid,
        Sir.»
        Loveys, der Schiffsarzt, huschte uber das Achterdeck. Sein Gesicht hob sich kalkwei? von den Kanonen und ihren Bedienungsleuten ab.
        Er sagte ruhig:»Das Boot kommt zuruck, Sir. Ich nahm mir die Freiheit, ein Fernglas zu borgen. Es sind zwei Uberlebende. «Sein Ton wurde weicher.»Der eine ist Mr. Pascoe.»
        Bolitho druckte seinen Arm und eilte dann an ihm vorbei an die Reling, als das Boot vorsichtig langsseit kam.
        Winslade, der Bootssteurer, wartete, bis einige Matrosen das Seefallreep herunterkamen und halfen. Er meldete:»Nur die beiden, Sir. «Er schluckte mehrmals, bevor er hinzusetzte:»Ich furchte, wir haben den jungen Mr. Penels verloren, Sir. Ihn verlie?en die Krafte, bevor er das Boot erreichte.»
        Bolitho kam gerade in dem Augenblick an die Fallreepspforte, als zwei schlaffe Gestalten hindurchgereicht wurden. Den ersten erkannte er nicht, einen bezopften Matrosen, dessen einer Arm so ubel verbrannt war, da? er nicht mehr mens chlich aussah.
        Loveys war auf den Knien und tastete Pascoes Korper ab, wahrend seine Gehilfen hinter ihm warteten. Mit ihren gro?en Schurzen sahen sie wie Schlachter aus.
        Bolitho beobachtete, wie sich der Brustkorb seines Neffen muhsam hob und senkte, wahrend ihm Seewasser unter den geschlossenen Wimpern hervorlief, als seien es Tranen. Seine Kleider waren ihm bei der Explosion vom Leibe gerissen worden, den der Arzt nun nach inneren Verletzungen abtastete.
        Schlie?lich sagte Loveys:»Er ist jung und kraftig und scheint gesund. Jedenfalls ist nichts gebrochen. Er hat Gluck gehabt. «Dann wandte er sich dem Matrosen zu und sagte:»Nun lassen Sie sich mal anschauen.»
        Der Matrose murmelte undeutlich:»Ich hab' nichts gehort. Plotzlich schrie der Kapt'n was von Feuer. «Er schuttelte den Kopf und zuckte zusammen, als Loveys seinen verbrannten Arm beruhrte.»Plotzlich war ich tief unter Wasser. Im Untergehen. Ich kann nicht schwimmen, wissen Sie?«Er bemerkte Bolitho und Herrick und stammelte:»Verzeihung, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Macht nichts. Was geschah dann?»

«Unser Dritter Offizier, Sir, Mr. Pascoe, war auf einmal da und zog mich auf irgendein Stuck Treibholz. Dann versuchte er das gleiche mit meinem Kumpel, dem Arthur. Aber der starb, bevor uns das Boot erreichte. Es waren nur noch Mr. Pascoe und ich, Sir. Alle anderen sind tot!»
        Als der Matrose ins Schiffslazarett getragen wurde, offnete Pascoe die Augen. Uberraschenderweise lachelte er, als er mit schwacher Stimme sagte:»Ich bin doch zuruckgekommen, Onkel. «Dann verlor er wieder die Besinnung.



        XVII Das Hauptziel

        Bolitho sa? mit gezuckter Feder an einem kleinen Tisch in der Kajute vor seinem Bericht. Irgend jemand wurde ihn lesen, dachte er grimmig; Logbucher und schriftliche Berichte schienen immer zu uberleben, was auch geschah.
        Ihm war so seltsam zumute, als ob er in einem verlassenen Haus sa?e. Das gesamte Mobiliar war in Raume unterhalb der Wasserlinie gebracht worden, und ohne da? er vom Tisch aufblickte, wu?te er, da? die Bedienungen der nachststehenden Neunpfunder den Raum mit ihm teilten. Samtliche Vorhange waren abgenommen und das Schiff vom Bug bis zum Heck in Gefechtsbereitschaft versetzt worden, wahrend es sich langsam wieder der danischen Kuste naherte.
        Anders als Nelsons Flotte war Bolithos Geschwader wahrend der Nacht unterwegs gewesen. Er hatte seine kleine Streitmacht in Kolonnen geteilt, weil sie auf diese Weise mehr sahen, als wenn sie in Kiellinie gesegelt waren. Matrosen und Seesoldaten hatten im standigen Vierstundenwechsel Kriegswache geschoben und dazwischen ein paar Stunden neben ihren Kanonen ausgeruht, mit unverdunntem Rum und trockenem Hartbrot als einziger Ernahrung. Das Kombusenfeuer war aus Sicherheitsgrunden schon lange geloscht worden, denn innerhalb von Minuten mu?te jedes Schiff des Geschwaders gefechtsbereit sein.
        Bolitho las noch einmal durch, was er uber Midshipman Penels, zwolf Jahre und neun Monate alt, geschrieben hatte, der am Tag zuvor in verzweifeltem Heldentum sein Leben geopfert hatte. Woran mochte der Junge zuletzt gedacht haben? An Pascoe, den er in die Affare Babbage hineingezogen hatte? Oder an seinen Admiral, der sich seiner angenommen und ihn Browne zugeteilt hatte, als alle anderen nichts mehr von ihm wissen wollten?
        Bolithos sorgfaltig abgefa?ter Bericht wurde vielleicht der Mutter des Jungen helfen, wenn sie schlie?lich die Nachricht in Cornwall erhielt. Bolitho zweifelte nicht daran, da? auch Herrick es vermeiden wurde, irgend etwas von Babbage zu erwahnen, um sie damit nicht zu belasten.
        Allday trat an eine der offenen Stuckpforten und lehnte sich hinaus, um aufs Wasser zu schauen, das kalt und grau im Licht des fruhen Morgens dalag. Die Nicator, der Inchs Odin dichtauf folgte, stand in zwei Kabellangen Entfernung querab und brachte etwas Leben in die trube Szene.
        Er sagte:»Nicht mehr lange, Sir.»
        Bolitho wartete, da? Yovell den Umschlag versiegelte, und erwiderte:»Nelsons Angriff wird in zwei Stunden beginnen, wenn alles programmgema? verlauft. «Er blickte das Deck entlang, und da es keinen Vorhang mehr gab, konnte er vom Dunkel unter der Hutte bis zum Achterdeck hindurchschauen, auf dem lebhafte Tatigkeit herrschte.

«Unser Teil der Aufgabe kann jederzeit losgehen. «Er stand auf und belastete vorsichtig sein Bein.»Holen Sie meinen Sabel, bitte.»
        Wie still es im Schiff war, dachte er. Die Aufregung uber die Eroberung der Ajax war durch den Verlust von Peels Relentless und ihr schreckliches Ende durch die Entzundung ihrer Pulverkammer gedampft. Lookout hatte insgesamt zehn Uberlebende aufgefischt. Hinzu kamen Pascoe und der Seemann mit dem verbrannten Arm, die sie selber gerettet hatten. Das hie?, da? uber zweihundert Matrosen und Seesoldaten ihr Leben verloren hatten, ein viel zu hoher Preis fur diesen Erfolg.
        Bolitho hatte seinen Neffen mehrmals wahrend der Nacht besucht. Jedesmal war Pascoe hellwach, entgegen Loveys Vorhaltungen, da? er schlafen und seine Krafte schonen solle. Vielleicht standen ihm die Augenblicke im Wasser noch zu lebhaft vor Augen, da? er furchtete, nie wieder aufzuwachen, wenn er einschlief, und da? sein Uberleben nur ein Teil eines Alptraumes ware.
        Pascoes Bericht, so knapp er war, rundete das Bild vom Verlust der Relentless auf schreckliche Weise ab.
        Besonders tragisch daran war, da? Peel eigentlich schon gesiegt hatte. Aber in letzter Verzweiflung hatte die Ajax auf ihren Gegner zugedreht, und so waren die beiden Fregatten - Bugspriet gegen Bugspriet - zusammengesto?en. Durch die Gewalt des Aufpralls war der Kreuzmast des Franzosen von oben gekommen und hatte viele Manner von den Fu?en gerissen.
        Pascoe erinnerte sich dunkel, da? Peel etwas von Rauch geschrien hatte, als die Manner der Relentless sich schon mit Hurrageschrei daranmachten, den Feind zu entern.
        Er selber war auf dem Achterdeck gewesen, weil der Zweite Offizier schon bei einer der ersten Breitseiten todlich getroffen worden war. Im nachsten Augenblick fuhlte er, wie er durch die Luft flog und dann ins Wasser geschleudert wurde, in das er zunachst tief eintauchte.
        Pascoe hatte sich nach oben gearbeitet und war auf eines der herumtreibenden Boote zugeschwommen, als im selben Augenblick eine der Maststengen der Relentless wie die Lanze eines Riesen vom Himmel fiel und das Boot und die darin Rettung Suchenden zerschlug.
        Was eigentlich explodiert war, hatte Pascoe nicht mitbekommen. Es hatte die Sechsunddrei?ig-Kanonen-Fregatte zwar in Stucke zerrissen, doch er hatte nichts gehort.
        Wahrscheinlich hatte der Zusammensto? der beiden Schiffe einige Manner unter Deck von den Fu?en gebracht. Eine Lampe war dabei umgefallen, Pulver, das von den Munitionstragern unwissentlich verstreut worden war, hatte sich entzundet und die Pulverkammer selber in Brand gesetzt. Vielleicht war auch ein brennender Rohrpfropf des Feindes schuld gewesen - es gab viele Moglichkeiten, wie es zur Explosion der Pulverkammer gekommen sein konnte.
        Bolitho trat langsam unter der Hutte hervor und duckte sich automatisch, um nicht an die Decksbalken zu sto?en. Gesichter wandten sich ihm im Vorbeigehen zu, die ihm nach fast sieben Monaten gemeins amen Lebens an Bord nicht mehr fremd waren.
        Die Gestalten auf dem Achterdeck gewannen Leben, als er in das Morgenlicht hinaustrat. Er sah Herrick, der sein Teleskop uber die Netze auf die Lookout gerichtet hielt, die Backbord voraus in dem befohlenen Abstand vor ihnen segelte.
        Die See hob und senkte sich in langsamem Rhythmus, ohne da? sich die Wellenkamme uberschlugen. Um sie herum lag noch leichter Dunst, weiter vor ihnen war er leicht grun getont: eine optische Tauschung. Der Dunst war echt, aber die grune Schicht voraus war Land: Danemark.
        Herrick bemerkte Bolitho und beruhrte seinen Hut.

«Der Wind hat um weitere zwei Strich geraumt, Sir. Mehr, als ich gehofft hatte. Ich werde auf diesem Nordnordost-Kurs durchhalten, bis ich eine klare Landpeilung habe. «Etwas vom alten, unsicheren Herrick kam wieder hervor, als er hinzufugte: Wenn Sie einverstan-
        den sind, naturlich.«»Aye, Thomas. Das ist genau richtig.»
        Bolitho schlenderte zu den Finknetzen und schaute in die entgegengesetzte Richtung. Da, etwas achteraus, segelte die Styx, allein und wachsam, bereit, heranzubrausen und zu helfen, wenn es erforderlich wurde.
        Der Kommandant der Ajax hatte die Relentless wahrscheinlich fur die Styx gehalten, dachte Bolitho, und das hatte ihn zu gro?ter Leistung angespornt, um sich fur den Uberfall bei Gotland zu rachen.
        Midshipman Keys, der Browne half, rief aufgeregt:»Signal von Lookout, Sir: >Zwei fremde Segel in Nordwest<.»
        Manner wuhlten geschaftig in einem Wirrwarr von Flaggen, als das Signal durch die Linie bis zur entfernter stehenden Styx wiederholt wurde.

«Zwei Segel? Hm. «Herrick rieb sich das Kinn.
        Bolitho sagte» Signal fur alle, bitte: >Klar Schiff zum Gefecht         Wolfe kicherte und zeigte zur querabstehenden Nicator hinuber.»Horen Sie, Sir? Die brullen vor Begeisterung.»
        Browne meldete:»Signal ist durch!»
        Bolitho fing seinen Blick auf.»Alles in Ordnung?»
        Der Flaggleutnant lachelte etwas gequalt.»Besser, Sir. Ein bi?chen besser.»

«An Deck! Feind in Sicht! Zwei Linienschiffe!»
        Wolfe marschierte auf und ab, wobei seine gro?en Fu?e wunderbarerweise weder an Ringbolzen im Deck noch an die mit Ansetzern und Handspaken hinter ihren Kanonen hockenden Geschutzbedienungen stie?en.

«Ohne Fregatten also? Das ist seltsam!»
        Herrick straffte sich und richtete sein Teleskop nach Backbord voraus.»Hab' sie!»
        Bolitho hob sein eigenes Glas und sah, wie die beiden turmhohen Leinwandpyramiden aus dem Dunst hervortraten, als die Schiffe sich ihnen auf konvergierendem Kurs naherten.
        Es waren Zweidecker, jeder an der Gaffel mit einer gro?en, sich im Winde blahenden Flagge, rot mit wei?em Kreuz, der Flagge Danemarks.
        Die Breitfock der Benbow wolbte sich wie ein gewaltiger Busen, als eine frische Brise uber das trage Wasser fegte.
        Bolitho sagte:»Die halten ihren Kurs durch, Thomas. Seltsam, da sie uns doch stark unterlegen sind.»
        Herrick grinste.»Mal was anderes, Sir. Sonst sind immer wir in der Minderzahl gewesen.»
        Bolitho dachte an den Mann in dem buchergefullten Raum im Schlo? von Kopenhagen. Was er jetzt wohl tat? Ob er sich noch an ihr kurzes Zusammentreffen mit Inskip im Hintergrund erinnerte?
        Irgend jemand kicherte, und dieser Laut wirkte vollig unangebracht in der allgemeinen Spannung, die uber dem Achterdeck lag. Als Bo-litho sich umdrehte, sah er Pascoe aus der Hutte kommen, sehr bla?, aber entschlossen, sich keine Unsicherheit anmerken zu lassen. Er trug eine geliehene Uniform, die ihm viel zu gro? war.
        Er tippte an seinen Hut und sagte mit schwacher Stimme:»Melde mich zum Dienst, Sir.»
        Herrick starrte ihn an.»Mein Gott, Mr. Pascoe, was fallt Ihnen ein?»
        Aber Bolitho sagte:»Schon, da? du wieder da bist.»
        Pascoe gab den grinsenden Matrosen ein Lacheln zuruck.»Der Rock gehort Mr. Oughton, Sir. Er ist etwas gro?er als ich.»
        Bolitho nickte.»Wenn dir schwach wird, sage es.»
        Er konnte Pascoes Drang, an Deck zu kommen, verstehen. Nach seinem Erlebnis auf der Relentless wurde er es kaum unten im Orlop-deck aushalten konnen.
        Pascoes sagte bescheiden:»Ich habe von Penels gehort, Sir. Ich fuhle mich mitschuldig. Als er das erste Mal zu mir kam…»
        Herrick unterbrach ihn.»Sie hatten nichts verhindern konnen. Wenn etwas falsch gemacht wurde, dann trifft mich genausoviel Schuld. Penels brauchte Rat und Fuhrung, und ich habe ihn wegen seiner einen unbedachten Handlung verurteilt.»

«An Deck!«Der Ausguck stockte, als traue er sich nicht zu melden, was er sah. Galeeren! Zwischen den beiden Linienschiffen!«Seine Stimme uberschlug sich vor unglaubigem Staunen.»So viele, da? ich sie nicht zahlen kann!»
        Bolitho senkte sein Glas in dem Augenblick, als an den Rahen der Lookout eine neue Reihe von Signalen hochging. Er brauchte sie nicht abzulesen. Zwischen den beiden auf sie zukommenden Schiffen war eine ansehnliche Flottille von rudergetriebenen Fahrzeugen zu erkennen. Wie rote Flugel hoben und senkten sich die Blatter der Riemen in gleichma?igem Takt, und uber die verdeckt sitzenden Ruderer und die schwere Kanone, die jedes Fahrzeug am Bug trug, wehte bei dem achterlichen Wind eine riesige Flagge nach vorn aus.

«Lassen Sie laden und ausrennen, Kapitan Herrick!«Bolithos betonte Formlichkeit beendete das plotzliche Nachlassen der allgemeinen Spannung.»Das obere Batteriedeck mit Schrapnells und Stangenkugeln laden!»
        Er wandte sich an die Offiziere der Seesoldaten.»Major Clinton, es gibt heute Arbeit fur Ihre Scharfschutzen.»
        Die beiden Offiziere machten eine knappe Ehrenbezeigung und eilten zu ihren Mannern.
        Bolitho sprach seine Gedanken laut aus.»Sie werden versuchen, uns voneinander zu trennen. Signalisieren Sie Styx und Lookout, da? sie den Feind im Rucken angreifen, sobald wir im Gefecht stehen.»
        Der junge Midshipman, der den Platz des toten Penels eingenommen hatte, schrieb kratzend auf seiner Schiefertafel und wartete dann mit halboffenem Mund, als bekame er nicht genug Luft.
        Bolitho sah ihn gedankenverloren an und erfa?te in diesen wenigen Sekunden, wie jung, wie voller Hoffnung und Vertrauen er war.

«Jetzt konnen Sie Signal Nummer sechzehn setzen, Mr. Keys! Und sorgen Sie dafur, da? es wehen bleibt.»
        Ein Ruck ging durch den Jungen, und dann rannte er zuruck zu seinen Signalgasten. Los, Steward!«horte man ihn brullen,»Setzen Sie das Signal >Ran an den Feind         Keys war schatzungsweise vierzehn. Wenn er den heutigen Tag uberlebte, wurde er sich dieses Augenblicks zeitlebens erinnern, dachte Bolitho.
        Langsam und unerbittlich kamen sich die beiden Formationen naher. Es war, als wurden sie von irgendeiner ubermachtigen Kraft gezogen, und als seien ihre Befehlshaber der wachsenden Gefahr gegenuber blind oder ahnungslos.
        Herrick fragte:»Sollen wir die Schlachtlinie bilden, Sir?»
        Bolitho antwortete nicht sofort. Er richtete sein Glas nacheinander sorgsam auf jedes seiner Schiffe und registrierte, da? alle ihre Geschutze ausgefahren hatten, die nun wie drohende Gebisse aussahen, wahrend ihre Rahen und Segel unverandert standen.
        Die Nacht uber hatte sich Bolithos Geschwader genau an den sorgfaltig bedachten Plan gehalten. Nachdem sie sich von Kopenhagen abgesetzt hatten, hatte das Geschwader langsam Kurs geandert und dabei von der Windanderung profitiert, die es ihnen erlaubte, wieder naher an die Kuste heranzugehen. Wie es schien, hatte sich ihr Plan glanzend bewahrt. Hier waren die Galeeren, die mit nordlichem Kurs auf Kopenhagen zuhielten, um ihre machtige Unterstutzung anzubieten, sobald der britische Admiral Anstalten zum Angriff machte. Bo-litho konnte sich jetzt entweder in einen Nahkampf mit ihnen einlassen, oder er konnte in gebuhrendem Abstand folgen und ihnen auf dem Weg zu ihrem eigentlichen Ziel moglichst gro?en Schaden zufugen.
        Die Anwesenheit der beiden Linienschiffe dritten Ranges irritierte ihn. Gro?ere Kriegsschiffe waren im Zusammenwirken mit schnellen Ruderbooten meist nutzlos. Ihre unterschiedliche Beweglichkeit und Feuerkraft hatten sich bisher eher als hinderlich denn als nutzlich erwiesen.
        Vielleicht wollten die Danen diese Schiffe auch nur als Verstarkung nach Kopenhagen schicken und benutzten den Schwarm der Galeeren als Begleitschutz dorthin.
        Er sagte:»Nein. Wir bleiben in zwei Kolonnen. Ich bin mir uber die Absichten des Feindes noch nicht sicher. In einer festen Schlachtlinie waren wir noch gefahrdeter.»
        Herrick schien uberrascht.»Sie werden doch nicht wagen, uns anzugreifen, Sir! Ich wurde es mit der Benbow allein gegen diesen Haufen aufnehmen.»
        Bolitho senkte sein Fernrohr und wi schte sich das Auge.»Haben Sie jemals erlebt, wie Galeeren angreifen?»

«Nein, ich selber habe damit keine Erfahrung, aber. «Bolitho nickte.»Aye, Thomas, aber.»
        Er dachte an das Bild, das er gerade durch sein Fernrohr gesehen hatte: zwei, moglicherweise drei Reihen von Galeeren, die zwischen den beiden gro?en Kriegsschiffen vorwarts marschierten. Es hatte etwas Entnervendes, dieses unaufhaltsame Vordringen. So ahnlich mu?te es in alten Zeiten bei Actium und Salamis gewesen sein.
        Er sagte:»Wir wollen ihre Reichweite prufen. Die vordersten vier Geschutze der unteren Batterie feuern mit gro?ter Erhohung, Thomas. Mal sehen, ob sie das abschreckt.»
        Herrick winkte einen Midshipman heran.»Meine Empfehlung an Mr. Byrd, und sagen Sie ihm, er solle das Feuer mit vier Probeschussen eroffnen. Geschutz fur Geschutz, so da? ich beobachten kann, wie die Aufschlage liegen.»
        Der Midshipman verschwand nach unten, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie sich die Manner von ihren geladenen Zweiunddrei?ig-pfundern umdrehten, als sie ihn zu dem befehlshabenden Offizier eilen sahen. Das untere Batteriedeck war seit eh und je ein unheimlicher Ort. Wegen der Feuergefahr waren samtliche Laternen geloscht, und das einzige Licht fiel durch die Stuckpforten ein, die aber mit den Kanonen fast ausgefullt waren. Von den Gerauschen und Ereignissen oben an Deck waren die Manner hier unten so gut wie ausgeschlossen. Die Wande ihrer Raume waren rot gestrichen, um der Schlacht etwas von ihrem Schrecken zu nehmen, wenn auch nicht den Verwundeten ihre Schmerzen.
        Einige Leute an Oberdeck jubelten, als die erste Kanone unter der Back Feuer und Rauch ausspie. Herrick kommentierte:»Ziemlich nahe.»
        Bolitho beobachtete, wie die zweite Kugel von der Wasseroberflache abprallte und schlie?lich vor dem Schiff, das am weitesten rechts stand, ins Wasser plumpste.
        Grubb knurrte ungemutlich:»Die lassen sich nicht beirren, die Kerle.»

«Weiter feuern, Sir?«Herrick beobachtete die breiter werdende Linie der Angreifer und erwartete immer noch, da? sie ihren Kurs anderten.

«Nein.»
        Bolitho richtete sein Glas auf die Galeeren. Sie waren immer noch zu weit weg, als da? er Einzelheiten hatte genau unterscheiden konnen, au?er der Genauigkeit ihres Ruderschlags, der so leicht und muhelos erschien, als ob es nicht Menschenhande waren, die ihn ausfuhrten. Und dann erkannte er uber jedem Bug die Kanone, die wie ein Elefantenrussel hervorragte, das einzig Ha?liche an dem sonst schonen Bild.
        Er zuckte zusammen, obwohl er darauf vorbereitet war, als die fuhrenden Galeeren einen Augenblick in wirbelndem Rauch verschwanden. Dann kam der Ton, ein kreischendes Geheul, anschwellend und unheildrohend, wahrend die gro?en Kanonen auf ihren Schlitten zuruckrutschten.
        In den wenigen verbleibenden Sekunden horte Bolitho den argerlichen Schrei der Mowen, die sich nach den Schussen der Benbow gerade erst wieder auf dem Wasser niedergelassen hatten.

«Verflucht und zugenaht!«Wolfe trat vor Erstaunen einen Schritt zuruckt, als die See vor ihnen in einem vulkanartigen Ausbruch von Gischt und Raum emporstieg.»Hast du das gesehen, um alles in der
        Welt?»
        Herrick rief:»Das war verdammt nahe, Sir. Es mussen Zweiund-drei?igpfunder sein, wenn nicht noch gro?ere.»
        Browne meldete:»Die danischen Linienschiffe andern Kurs, Sir.»
        Bolitho beobachtete sie. Wie schwerfallige Ballettanzerinnen drehten die danischen Schiffe langsam nach Backbord und zeigten nun auf nordostlichem Kurs ihre Breitseiten. Vor, zwischen und hinter ihnen schwarmten die Galeeren in Gruppen zu dreien oder vieren aus.

«Verringern Sie den Abstand, Thomas. Luven Sie zwei Strich an, wenn Sie konnen.»
        Danach schwieg er und wartete ab. Als die danischen Kanonen wieder feuerten, zahlte er die Sekunden und fuhlte, wie der Schiffsrumpf zitterte, als die Kugeln dicht neben der Bordwand einschlugen und Kaskaden von Spritzwasser aufwarfen, die hoch uber die Laufbrucke und bis an die hart angebra?ten Rahen schlugen.
        Bolitho rief sich Alldays Worte in Erinnerung. Die Feinde konzentrierten ihr Feuer offensichtlich auf das Flaggschiff. Er sagte:»Mr. Browne, geben Sie an Nicator.
>Die Leekolonne greift noch nicht ein         Er warf einen Blick auf die Segel, die heftig flatternd gegen die Kursanderung protestierten. Die Benbow lag so hoch am Wind, wie Grubb es ermoglichen konnte, aber die Danen waren noch immer im Vorteil, ihre Leinwand stand prall und wurde ausgezeichnet bedient.
        Herrick beobachtete eine Gruppe von Galeeren, die in keilformiger Aufstellung hinter dem fuhrenden Linienschiff hervorpreschten.
        Er sagte:»Diese Teufel wollen uns von vorn angreifen, wenn wir es dazu kommen lassen.»
        Bolitho nickte.»Dagegen konnen wir im Augenblick nichts tun. Wenn wir Kurs nach Lee andern, um beweglicher zu werden, beharken die danischen Linienschiffe unser Heck. Selbst auf diese Entfernung wurde uns das schwer schaden, bevor wir selber zuruckschlagen konnten.»
        Wahrend er sprach, erkannte er die Absicht des danischen Befehlshabers. Wie Haifische um einen hilflosen Wal konnten die Galeeren die Benbow bis auf die Knochen abnagen, ohne einen einzigen Mann zu riskieren.
        Mit rauher Stimme befahl er:»Signal an Lookout: >Angreifen! <»
        Herrick wandte sich Wolfe zu, der gerade weitere Leute an die Leebrassen schickte.
        Er wei?, was dieser Befehl bedeutet, dachte Bolitho bitter. Lookout war schnell und beweglich, aber ihr schnittiger Rumpf war schweren Geschossen nicht gewachsen.
        Browne rief:»Sie hat das Signal bestatigt, Sir.»
        Bolitho beobachtete, wie die Korvette ihre Bramsegel setzte und herumschwenkte, wobei ihre Stuckpforten auf der Leeseite fast unter Wasser gerieten. Er erinnerte sich an sein erstes selbstandiges Kommando, und mit welchen Hoffnungen er es angetreten hatte. Nun sah er Veitch, den Kommandanten dieser Korvette, vor sich und betete im stillen, da? er all seine Erfahrungen nutzen und das Schicksal der Relentless aus seinen Gedanken verbannen wurde.
        Das Geschutzfeuer nahm zu und breitete sich aus, als die Indomita-ble ihre erste gut gezielte Breitseite auf den Feind loslie?. Eine weitere purpurrote Kolonne von Galeeren ruderte hinter dem Geschwader herum, aber offensichtlich mit weniger Zuversicht, als die Styx Kurs anderte und sich ihr entgegenstellte.
        Die Wasseroberflache war nun mit dahinziehenden Wolken von Pulverqualm bedeckt, und die Luft drohnte von dem fast unaufhorlichen Geheul und anschlie?endem Einschlag der schweren Eisenkugeln.
        Wahrend einer kurzen Feuerpause horte Bolitho ein tieferes, gewaltigeres Gerausch, das unter der Wasseroberflache entlangzulaufen und den Kiel seines Schiffes anzuheben schien.
        Grubb ging zur Logkladde.»Schatze, da? die Flotte jetzt angreift,
        Sir.»
        Wolfe wandte sich um und lachelte grimmig.»Wird auch verdammt Zeit, Mr. Grubb! Ich habe es satt, immer das Hauptziel zu sein.»
        Ein Ruck lief durch den Schiffsrumpf, als eine Kugel tief unten in der Bilge einschlug. Bolitho horte, wie der Bootsmann einige seiner Reserveleute zur Hilfeleistung hinunterschickte.

«Lookout ist in Schwierigkeiten, Sir!»
        Bolitho schaute hinuber zur Korvette und erstarrte, als er ihren
        Fockmast umsinken sah, wahrend allerlei Trummer an ihrer Gefechtsseite au?enbords herumhingen. Die Galeeren kamen ihr immer naher und hammerten so schnell sie nachladen konnten mit ihren Kanonen auf sie ein. Eine war zu waghalsig gewesen und wurde wie ein Jagdhund vom verfolgten Eber hochgeworfen. Menschen und Riemen fielen aus ihrem zertrummerten Rumpf ins Wasser, bevor er selber versank.
        Irgend jemand rief: «Styx hat zwei von ihnen geknackt!»
        Schreie und Fluche kamen von unten, als eine weitere schwere Kugel wie ein Rammbock die Bordwand durchschlug.
        Bolitho horte Wolfe durch sein Sprachrohr kommandieren:»Geschutzfuhrer in der Aufwartsbewegung feuern!»
        Die Manner der oberen Batterie warteten in Hockstellung wie Statuen, blind und taub gegen alles au?er dem Befehl zum Feuern.
        Wolfe schrie:»Feuer!»
        Bolitho beobachtete den fuhrenden danischen Zweidecker. Der Mund wurde ihm trocken, als die gesammelte Ladung von Schrapnells und Stangenkugeln durch die Takelage des Gegners fegte. Erst kamen Segel und allerlei Tauwerk, dann die Stenge des Gro?mastes selber wie eine alles vernichtende Lawine von oben. Mit den Stangenkugeln - Massen von halbkugeligen Eisenstucken, die durch kurze Stangen miteinander verbunden waren - lie? es sich schlecht zielen, aber wenn sie trafen, dann konnten sie die Takelage eines feindlichen Schiffes in Sekunden zu Fetzen zerrei?en.
        Der Erfolg der Breitseite ermutigte die Geschutzbedienungen, die von der uberlegenen Taktik und Beweglichkeit der Danen etwas eingeschuchtert waren. Sie wischten ihre Kanonenrohre aus, schufteten und fluchten in dem undurchdringlichen Pulverqualm wie die Damonen, wahrend ihnen der Schwei? trotz der Kalte an Armen und Ruk-ken herunterrann.

«Feuer!»
        Bolitho ging weiter nach achtern - die Augen fest auf das fuhrende Schiff gerichtet, das unter dem morderischen Feuer der Benbow nach Lee abtrieb.
        Jetzt zahlten sich die Wochen und Monate harten Drills seiner Geschutzbedienungen aus. Nur ein paar ferne Wassersaulen zeugten von Fehlschussen, die meisten aber - ob Kugeln oder Stangen - fanden ihr Ziel. Die vordere Bramstenge des Danen fiel und drehte sich dabei wie betrunken, als sie mit dem Zug der Wanten und Stage kampfte, bevor sie mit Donnergetose und in einem riesigen Wasserschwall uber die Seite fiel.
        Die Benbow steckte einen weiteren Treffer ein, der von irgendwoher voraus kam, und Bolitho bemerkte zwei Galeeren, die auf das Schiff zuhielten und dabei, so schnell sie konnten, feuerten. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er die Lookout jenseits des wogenden Qualms sah. Ihr Kreuzmast war verschwunden, und sie trieb dahin, hilflos dem Bombardement der Galeeren ausgesetzt; nur noch einige ihrer Kanonen antworteten.

«Versuchen Sie, diese Galeeren mit den Buggeschutzen zu erwischen!»
        Bolitho fuhlte, wie ihn der gro?e Zorn packte: kein Zorn aus Verzweiflung oder Enttauschung, sondern etwas viel Schlimmeres, das sein Inneres wie ein Schraubstock packte, als er auf die kampfenden Schiffe ringsum sah.
        Plotzlich war ihm alles klar: die Bemuhungen Admiral Damerums, ihn und sein Geschwader hierher zu schicken. Sein Versuch, Pascoe durch einen bezahlten Duellanten toten zu lassen. Und nun dies. Doch die plotzliche Drohung einer Niederlage hatte eher anspornende als umgekehrte Wirkung.

«Signal an Nicator: Sie soll das andere Linienschiff angreifen!«Er fuhlte, wie Metall uber seinen Kopf hinwegpfiff und krachend in die Hutte einschlug. »Styx soll Nicator und Odin unterstutzen!»
        Er wandte sich nach den nachststehenden Galeeren um, wahrend der danische Zweidecker hilflos achteraus trieb und von der Indomitable, die ihre Position hinter dem Flaggschiff hielt, behammert wurde.

«Volle Breitseite, Thomas. Wir andern Kurs nach Steuerbord und schie?en nach beiden Seiten. «Er beobachtete, wie die Nicator und dann die Odin sein Signal bestatigten, und befahl dann:»Neuer Kurs Ostnordost!»
        Manner rannten von der einen auf die andere Seite, als beide Batterien sich auf die nachste Salve vorbereiteten.
        Bolitho rief:»Wir mussen uns sehr beeilen, sonst sind die Galeeren aus unserem Bestreichungswinkel heraus, bevor wir sie richtig ins Visier bekommen haben.»
        Durch die Drehung nach Lee und damit weg von dem ubriggebliebenen feindlichen Zweidecker schien es, als wolle die Benbow sich aus dem Kampf zuruckziehen. Indem er Keen und Inch befohlen hatte, den Rest der feindlichen Formation anzugreifen, ging er das Risiko ein, sie und alle von ihnen Befehligten zu opfern.
        Aber er mu?te unbedingt die beiden Galeeren vernichten und das Selbstvertrauen der ubrigen untergraben, sonst wurde sein ganzes Geschwader von ihnen uberwaltigt. Auf Damerum wurde dadurch kein schlechtes Licht fallen, denn das Ostsee-Geschwader hatte dann eben seine Aufgabe in der Selbstaufopferung erfullt. Nelson stand vor den Toren Kopenhagens, und weder die Galeeren noch sonst jemand konnte das noch verhindern.
        Bolitho sah Pascoe zwischen den Kanonen auf und ab gehen. Sein geborgter Hut war verschwunden, und das schwarze Haar fiel ihm ins Gesicht, als er mit einigen Matrosen sprach. Er hatte den Schock seines Erlebnisses offenbar noch nicht uberwunden, denn selbst auf die Entfernung einer ganzen Deckslange fiel Bolitho auf, wie unnaturlich steif sich sein Neffe hielt.
        Er horte Herrick Wolfe und Grubb seine Absicht erklaren, sah Matrosen an die Brassen eilen und zu den durchlocherten Segeln aufschauen.

«Achterdecksmannschaft, Achtung!»
        Weitere Treffer erschutterten das Schiff, aber in der allgemeinen Spannung schrie niemand auf.
        Die Geschutzbedienungen standen an ihren Vorholtaljen bereit, die Stuckmeister hielten die Abzugsleinen in der Hand und ihr Ziel im Auge.

«Jetzt! Ruder hart Steuerbord! Hol' die Backbord, fier die Steuerbordbrassen! Fiert rund, Jungs!»
        Bolitho spurte, wie das Deck sich seitlich neigte, sah eine umgesturzte Putz ihr Wasser uber das Deck ergie?en, als die Benbow wieder einmal gehorsam den Befehlen ihrer Herren folgte.

«Die Galeeren formieren sich neu, Sir!«Browne hatte es geschafft, sich durch den Pulverqualm der unaufhorlich feuernden Oberdecksgeschutze verstandlich zu machen.
        Bolitho trat an die Finknetze und sah, wie die Nicator und Odin sich dem zweiten danischen Schiff naherten. Galeeren umschwarmten sie und wurden mit gleichma?igen Ruderschlagen mit Vorwarts- oder Ruckwartsfahrt so vorzuglich gefuhrt, als ob sie mit ihren Kanonen zu einer Einheit zusammengewachsen waren.
        Rauch drang seitlich aus der Hutte der Odin, aber Keens Nicator feuerte unbeirrt auf Kernschu?weite auf ihren Widersacher. Als wieder eine volle Breitseite in das danische Schiff einschlug, schien es, als wurde es wie von einer gewaltigen Welle umgeworfen.
        Die Kursanderung hatte die Benbow nicht nur von ihrem Geschwader entfernt, sondern hatte sie auch zwischen den Galeeren isoliert. Ihre erste geschlossene Breitseite nach dem Abdrehen hatte die Galeeren total uberrascht. Sieben von ihnen waren gesunken oder bis zur Unkenntlichkeit zerstort. Menschen strampelten zwischen treibenden Holzplanken und zerbrochenen Spieren. Bolitho nahm an, da? einige davon Uberlebende der Lookout waren, die untergegangen war, ohne da? jemand es beobachtet hatte.
        Bolithos Blick schweifte uber das Oberdeck und uber die Matrosen und Soldaten, die seit Beginn des Gefechtes unaufhorlich schufteten, Tote und Verwundete beiseite zogen und immer wieder Rohre auswischten, luden und schossen. Wieder und wieder wurde der Schiffsrumpf getroffen, und trotz des Getoses war hin und wieder das Klik-ken der Pumpen zu horen.

«Signal von Odin, Sir! >Brauche Unterstutzung         Bolitho warf Herrick einen Blick zu und sagte:»Inch mu? aushallen, Thomas.»
        Er wandte sich ab, als neben ihm ein Mann, von einem Eisensplitter getroffen, zu Boden fiel und an seinem eigenen Blut zu ersticken schien.
        Irgend jemand hatte noch Luft fur einen Hurraruf, als eine weitere Galeere von einer vollen Ladung Kugeln und Schrapnelle getroffen wurde und kenterte.
        Die Indomitable war weit hinter ihr Flaggschiff zuruckgefallen und wehrte sich gegen Angriffe von Galeeren, die von vorn und achtern kamen, wobei die schweren Geschosse in Langsrichtung durch die Decks sausten, Geschutze umwarfen und die Bedienungen zwangen, irgendwo Schutz zu suchen.
        Herrick blinzelte, barhauptig und eine Pistole in der Hand, durch den Qualm und brullte:»Zwei von ihnen nahern sich von achtern!»
        Es gab einen Schlag, und Grubb schrie:»Ruder ist ausgefallen, Sir!»
        Ein wild schlagender Schatten schwebte herab, und Bolitho fuhlte sich energisch zur Seite gezogen, als die Besanstenge mit allem Drum und Dran an Rundholzern und stehendem wie laufendem Gut von oben kam und krachend uber die Backbordseite fiel. Es kam ihm jetzt vor, als waren sie nackt. Kanonen donnerten und rollten zuruck wie bisher, aber als die Benbow steuerlos herumdrehte, verloren die Geschutzfuhrer ihr Ziel aus den Augen. Viele Manner lagen unter dem gro?en Haufen von heruntergefallenem Tauwerk begraben, andere krochen wie erschreckte Hunde auf Handen und Fu?en herum. Dazwischen lagen viele Tote, unter ihnen auch Marston, der Leutnant der Seesoldaten. Eine umgekippte Kanone hatte ihm Brust und Magen zu blutigem Brei zerschmettert.
        Swale, der Bootsmann, war schon mit seinen Mannern bei der Arbeit. Axte blitzten, als sie sich bemuhten, ihr Schiff von dem langsseits hangenden und wie ein Treibanker wirkenden Gestrupp zu befreien.
        Herrick half Bolitho auf die Fu?e und rief gleichzeitig mit wildem Blick seinem Ersten Offizier zu:»Schicken Sie einen Steuermannsmaaten nach unten, Mr. Wolfe. Er soll das Reserve - Rudergeschirr anschlagen!»
        Bolitho nickte Allday zu, der ihn weggezogen hatte, als die Maststenge herunterfiel.
        Major Clinton eilte an der Spitze einiger Seesoldaten nach achtern, um seine dort postierten Leute zu verstarken, da sich vier oder funf Galeeren dem ungeschutzten Heck der Benbow naherten. Wieder und wieder zitterte und bebte das Deck, als Kugel auf Kugel in Heckgalerie und Achterschiff einschlugen. Dagegen klangen die Schusse von Clintons Musketen kummerlich und nutzlos.
        Eine Drehbasse spuckte Kartatschenladungen vom Gro?topp, und Bolitho bemerkte, da? das erste danische Linienschiff, das von den Breitseiten der Benbow au?er Gefecht gesetzt worden war, auf sie zutrieb und kaum noch funfzig Yards entfernt war. Schusse wurden uber den immer kleiner werdenden Wasserstreifen ausgetauscht; die Scharfschutzen auf beiden Seiten bemuhten sich, die Offiziere des Gegners zu treffen und damit zum allgemeinen Durcheinander und Untergang beizutragen.
        Midshipman Keys stolperte und fiel zur Seite, aber Allday fing ihn auf, bevor er das Deck beruhrte. Er schaute starr uber Bolitho und Allday hinweg, und seine Augen wurden glasig, als er mit letzter Kraft herausbrachte:»Nummer… Sechzehn… weht… noch… Sir!«Dann starb er.
        Bolitho ri? sich von dem Anblick los und schaute nach oben, wo ein anderer Midshipman, der eine Konteradmiralsflagge wie ein Banner hinter sich her zog, aufenterte, um sie an der Bramstenge des Gro?mastes zu befestigen.
        Wolfe sprang zuruck, als der Rest der abgeschlagenen Takelage des Besanmastes uber das Achterdeck schleifte und uber die Seite verschwand. Aber er drehte sich wieder schnell um, als Major Clinton rief:»Sie entern uns, Sir!»
        Herrick fuchtelte mit seiner Pistole herum, aber Bolitho rief:»Kummern Sie sich um Ihr Schiff, Thomas!«Dann winkte er den Geschutzbedienungen der Feuerleeseite zu und rief:»Mir nach, Manner!»
        Keuchend und brullend wie die Wahnsinnigen sturmten sie durch das Huttendeck und den halb zerschossenen Niedergang hinunter. Stahl traf im Halbdunkel auf Stahl, bald uberzogen Sabel und Enterbeile Deck und Bordwande mit schimmernden Mustern von Blut.
        Eine Pistole knallte, und durch die zertrummerten Heckfenster der Offiziersmesse sah Bolitho, wie immer mehr Manner aus den Galeeren, die sich am Heck der Benbow eingehakt hatten, hochkletterten und sich ihren Weg nach binnenbords erkampften. Viele fielen Major Clintons Musketen zum Opfer, aber immer neue erschienen schreiend und fluchend, als sie mit den Mannern der Benbow handgemein wurden. Denn auch in diesem grausigen Chaos waren sie sich der Tatsache bewu?t, da? ihre einzige Uberlebenschance darin bestand, zu siegen.
        Leutnant Oughton richtete seine Pistole auf einen danischen Offizier, zog den Abzugshebel und starrte entgeistert auf die Waffe, als sich kein Schu? loste.
        Der danische Offizier schlug das Entermesser eines Matrosen beiseite und stie? seine Klinge einmal und dann blitzschnell noch einmal in Oughtons Magen, bevor der uberhaupt aufschreien konnte. Als Oughton fiel, sah der danische Offizier dahinter Bolitho, und seine Augen weiteten sich, als er in diesem kurzen Moment dessen Rang und Stellung erkannte.
        Bolitho fuhlte, wie die Klinge des Danen an seiner entlangstrich, und sah die Entschlossenheit im Blick des Mannes Verzweiflung Platz machen, als er, wie er es so oft getan hatte, seine Waffe mit einer kurzen Drehung des Handgelenks zum entscheidenden Sto? loste.
        Aber als er sein Korpergewicht auf das verwundete Bein verlagerte, schien es unter ihm nachzugeben. Heftiger Schmerz durchfuhr ihn, und sein augenblicklicher Vorteil war dahin. Keuchend fiel er gegen die Manner, die von hinten drangten, zuruck.
        Alldays gro?es Entermesser blitzte vor seinen Augen auf und schlug in die Stirn des Offiziers ein wie die Axt in einen Holzblock. Allday ri? es mit einem Ruck zuruck und schwang es gegen einen Mann, der sich an ihm vorbeizudrucken versuchte. Der Mann schrie auf und fiel unmittelbar unter die Fu?e der kampf enden und keuchenden Manner, die mit wildem Eifer ihre Stellung zu halten versuchten.»Wir sind fast langsseits beim Feind, Sir!»
        Er sah die Hand eines Mannes aus dem Dunkel hervorlangen und nach einer heruntergefallenen Pistole angeln. Ein gro?er Fu? nagelte das Handgelenk des Mannes an Deck fest, und mit fast geringschatziger Gelassenheit hieb Wolfe mit seinem Sabel nach unten und schnitt den Schrei des Mannes ab, bevor er uberhaupt begonnen hatte.
        Bolitho keuchte:»Lassen Sie ein paar Leute hier!»
        Er horte Allday hinter sich, als er den Niedergang hochsturmte, sah, wie ein Schatten auf die Bedienungen der vorderen Geschutze fiel, als das steuerlose feindliche Schiff langsam auf sie zutrieb. Aber sie fuhren fort zu feuern, zu schreien und zu fluchen und hatten nichts anderes vor Augen als die durchlocherte feindliche Bordwand. Um die Geschutze herum lagen Tote und Sterbende, aber fur die Lebenden zahlte nur das Schiff. Taub, halbblind und im Rausch des Totens hatten sie nicht einmal bemerkt, da? ihr Schiff beinahe von achtern geentert worden ware.
        Bolitho ging uber das zerschossene Achterdeck, den Blick fest auf den Feind gerichtet. Manner feuerten mit Musketen, Drehbassen und Pistolen, wahrend andere ihre Entermesser und Spie?e drohend gegen die Danen schuttelten. Herrick hielt eine Hand im Rockausschnitt, und Blut tropfte von seinem Gelenk.
        Browne lag auf den Knien und verband das Bein des diensttuenden Leutnants Aggett, das von einem Holzsplitter aufgerissen worden war.

«Auf die Enterer!»
        Mit knirschendem Gerausch stie?en die beiden Schiffsrumpfe wie zu einer letzten Umarmung zusammen. Rahen und Tauwerk verstrickten sich, und die Mundungen der Kanonen zeigten aneinander vorbei, als die beiden Schiffe, hilflos ineinander verschlungen, nach Lee abtrieben.
        Clinton schwang seinen Stock.»Auf sie, Soldaten!»
        Die rotrockigen Seesoldaten schritten zum Angriff, stachen mit ihren aufgepflanzten Bajonetten in die Enternetze, in die danische Seeleute von der anderen Seite Locher zu schlagen versuchten.
        Manner fielen aufschreiend zwischen die beiden Bordwande und wurden - menschliche Fender - von den in der Dunung gegeneinan-dersto?enden Schiffskorpern zerquetscht. Andere versuchten zu entkommen und wurden von ihren Kameraden zertreten oder - kurz bevor sie sich in Sicherheit wahnten - in den Rucken geschossen. Eine Pike stie? durch das Netz und verfehlte nur knapp Alldays Brust. Browne hatte sie zur Seite gesto?en und schlug nun dem Angreifer mit dem Degen quer uber das Gesicht, bevor er ihm mit einem kraftigen Sto? den Rest gab. Wie gerettete Schiffbruchige auf einem Felsen standen Grubb und seine Manner um das nutzlos gewordene Steuerrad, feuerten mit Pistolen auf die Gestalten auf der feindlichen Laufbrucke und Hutte, wahrend ihre verwundeten Genossen, so schnell sie konnten, ihre Waffen nachluden.
        Pascoe kam mit den Bedienungen der Karronaden nach achtern gerannt, sein Sabel blinkte matt im Pulverqualm.
        Schliddernd hielt er an, wobei Blut an seinen Fu?en hochspritzte, und schrie:»Sir, die Indomitable hat ein Signal gesetzt!»
        Herrick fluchte und feuerte seine Pistole auf den Kopf eines Mannes ab, der gerade uber die Hangemattsnetze klettern wollte.

«Signale? Gottverdammmich, dafur haben wir jetzt keine Zeit.»
        Browne wischte sich mit dem Handrucken die Augen und senkte seinen Degen.»Die Indomitable wiederholt ein Signal von der Flotte, Sir. Es ist Nummer neununddrei?ig und hei?t: >Gefecht abbrechen         Bolitho schaute uber den schwer mitgenommenen Rumpf und die nachgeschleppten Wanten der Indomitable hinweg. Eine Fregatte, eine von Nelsons Flotte, stand au?erhalb der auf dem Wasser liegenden Wolken von Pulverqualm, als wolle sie ihnen zu Hilfe kommen, aber an ihren Rahen flatterten die Signalflaggen: >Feuer einstellend
        Wolfe wies mit seinem Sabel auf das langsseits liegende Schiff, als die danischen Seeleute nacheinander ihre Waffen fallen lie?en und mit gebeugten Kopfen dastanden wie Kreaturen, fur die alles zu Ende ist.
        Herrick befahl:»Nehmen Sie unsere Prise in Besitz, Mr. Wolfe!«Er wandte sich um und suchte nach dem anderen Linienschiff und den ubriggebliebenen Galeeren, die gerade im Rauch verschwanden, um in ihrem Hafen Schutz zu suchen.
        Die See war bedeckt mit Treibgut aller Art. Freund und Feind arbeiteten Hand in Hand, um einander zu helfen und Uberlebende zu retten, ohne sich darum zu scheren, wer nun eigentlich gewonnen hatte. Es gab auch viele Leichen, und Inchs Odin lag so tief im Wasser, da? es schien, als wurde sie jeden Augenblick kentern. Nur die Styx machte den Eindruck, als sei sie unbeschadigt, aber es war wohl nur die Entfernung, die ihre Wunden verbarg. Auch sie nahm nun Segel weg, um zwischen dem Treibgut nach Uberlebenden zu suchen.
        Bolitho legte den Arm um die Schulter seines Neffen und fragte:»Mochtest du noch immer eine Fregatte kommandieren, Adam?»
        Aber die Antwort ging in dem Jubelgeschrei unter, das immer lauter und wilder von Schiff zu Schiff ubersprang und in das selbst die Verwundeten mit krachzenden Stimmen einfielen, dankbar, da? sie noch lebten, da? sie wieder einmal - oder auch das erste schreckliche Mal - davongekommen waren.
        Herrick sammelte seinen Hut auf und schlug ihn uber dem Knie aus. Dann setzte er ihn auf und sagte:»Die Benbow ist ein gutes Schiff. Ich bin stolz auf sie.»
        Bolitho lachelte seinem Freund zu. Er spurte die Mudigkeit und Erschopfung der Manner mit den rauchgeschwarzten, grinsenden Gesichtern, die ihn umstanden.

«Manner, nicht Schiffe entscheiden, sagten Sie einmal, Thomas. Erinnern Sie sich?»
        Grubb schneuzte sich gerauschvoll und sagte dann:»Wir haben wieder Steuerwirkung, Sir.»
        Bolitho schaute Browne an. Es war nahe dran gewesen, und er war nicht sicher, wie die Sache geendet hatte, wenn die Fregatte nicht erschienen ware. Vielleicht waren die Englander und die Danen einander ahnlich, wenn sie kampften. Wenn es so war, dann ware bei Anbruch der Dunkelheit wohl niemand mehr am Leben gewesen.
        Browne fragte mit heiserer Stimme:»Ein Signal, Sir?»

«Aye. Signal an alle: >Geschwader Linie bilden vor oder hinter Flaggschiff, wie es kommt<.»
        Die Flagge >Ran an den Feind< sank von der Rah herunter, und als sie von der Flaggleine abgesteckt war, nahm Allday sie und deckte sie uber den toten Midshipman.
        Bolitho beobachtete das; er sagte ruhig:»Wir kehren zur Flotte zuruck, Kapitan Herrick.»
        Sie sahen einander an: Bolitho, Herrick, Pascoe und Allday. Jeder hatte jedem wahrend der Schlacht Kraft gegeben. Und diesmal gab es auch fur die Zukunft einiges zu erhoffen.
        Selbst wenn das Wetter dem zerzausten und ausgebluteten Geschwader freundlich gesonnen blieb, war viel zu tun. Kontakte von Schiff zu Schiff mu?ten hergestellt, Tote bestattet und wichtigste Reparaturen vor der Heimfahrt ausgefuhrt werden.
        Aber fur diesen einen kostbaren Augenblick lohnte es sich, mit neuer Hoffnung nach vorn zu schauen.



        Epilog

        Der offene Kutschwagen machte auf dem Scheitelpunkt der Anhohe eine Pause, wahrend der die Pferde wieder zu Atem kamen und der
        Staub sich ringsum niederschlug.
        Bolitho nahm seinen Dreispitz ab und erlaubte der Junisonne, sein Gesicht zu bescheinen. Er horte das Summen der Insekten in der Hek-ke und das ferne Muhen der Kuhe - landliche Gerausche, die er lange entbehrt hatte.
        Adam Pascoe, der neben ihm sa?, schaute nach vorn auf die Dacher von Falmouth und daruber hinweg auf das glitzernde Wasser von Carrick Roads. Auf dem gegenuberliegenden Sitz, die Fu?e fest auf verschiedene Seekisten gestellt, schaute Allday zufrieden in die Runde. In diesem friedlichen Augenblick nach der seit Plymouth anhaltenden Durchruttelei war er in seine Gedanken versunken.
        Die Fahrt uber das Moor und an einsamen Bauernhofen und winzigen Dorfern vorbei war wie eine innere Reinigung gewesen, dachte Bolitho. Nach all den Wochen und Monaten auf See und schlie?lich nach diesem morderischen Kampf, bevor Nelson die Feuereinstellung befohlen und einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte, wurden Bolitho und seine Gefahrten von der friedlichen Landschaft Cornwalls aufs tiefste beruhrt.
        Die Benbow lag jetzt, zusammen mit den anderen Veteranen des Ostseegeschwaders, in Plymouth vor Anker. Mit Ausnahme von Inchs Odin, die es wegen ihrer schweren Unterwasserschaden nur bis zur Nore geschafft hatte.
        Es war erst zwei Monate her, seit sie die feuerroten Galeeren wie ertappte Attentater in ihre Hafen zuruckgejagt hatten, und schon jetzt war es schwer zu glauben, was sich da ereignet hatte. Die grunen Hugel, die wei?en Punkte der Schafe auf ihren Hangen, das Kommen und Gehen von Bauernkarren und Erntewagen waren so vollig verschieden vom leidvollen und disziplinierten Leben an Bord eines Kriegsschiffes.
        Nur das auffallende Fehlen von jungen Mannern in den Dorfern und auf den Feldern gab einen Hinweis darauf, da? Krieg war; sonst schien alles so, wie Bolitho es in fernen Landern und auf fremden Meeren vor Augen gehabt hatte.
        Die Schlacht von Kopenhagen, wie sie jetzt genannt wurde, wurde als gro?er Sieg gepriesen. Durch ihre entschlossene Aktion hatten die britischen Geschwader Danemark vollig handlungsunfahig gemacht. Zar Pauls Hoffnungen auf eine machtvolle Allianz waren dahin.
        Der Preis, den sie dafur hatten zahlen mussen, war allerdings hoch, obwohl er in der Presse und im Parlament kaum erwahnt wurde. Die Briten hatten mehr Tote und Verwundete verloren als in der Schlacht von Abukir. Die Verluste der Danen an Toten, Verwundeten und Gefangenen war - abgesehen vom Verlust ihrer zerstorten oder gekaperten Schiffe - jedoch dreimal so hoch.
        Bolitho dachte an die Gesichter, die er nie wieder sehen wurde, an Veitch, der mit seiner Korvette Lookout untergegangen war, an Kaverne, gefallen im letzten Stadium des Gefechts an Bord seiner Indomitable, an Peel von der Relentless und an die vielen anderen.
        Und jetzt, wahrend Herrick sich um die Ausbesserung seines Schiffes kummerte und hoffte, da? seine Frau ihm dabei Gesellschaft leisten wurde, waren Bolitho und sein Neffe heimgekommen.
        Die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung, bergab diesmal, und die Pferde nickten im Takt mit den Kopfen, als ob sie wu?ten, da? Futter und Stallruhe mit jeder Umdrehung der Rader naherruckten.
        Bolitho dachte an Leutnant Browne. Nachdem er noch diese Kutsche fur ihre Reise nach Falmouth organisiert hatte, war er allein nach London gefahren. Bolitho hatte ihm ganz klar gesagt: Wenn er auf seinen Posten zuruckkehren wollte, wurde er - sobald die Benbow wieder fahrbereit war - mehr als willkommen sein. Aber wenn er lieber in London blieb und seine Begabung mit Aussicht auf besseren Erfolg nutzen wollte, wurde Bolitho das vollig verstehen. Bolitho bezweifelte allerdings, da? Brownes Lebensauffassung nach solch einer Feuertaufe mit Blut und Tod noch die gleiche war wie fruher.
        Zwei Landarbeiter, Spaten uber der Schulter, lufteten ihre Hute, als die Kutsche an ihnen vorbeifuhr.
        Ein Lacheln zog uber Bolithos ernstes Gesicht. Die Nachricht von seiner Ankunft wurde schnell verbreitet sein, wenn das graue Haus auf der Landspitze heute nacht Licht in den Fenstern zeigte.
        Ein Bolitho war wieder daheim.
        Pascoe sagte plotzlich:»Ich hatte nie gedacht, da? ich das alles wiedersehen wurde, Onkel. «Es klang so uberzeugt, da? Bolitho geruhrt war.
        Er antwortete:»Das Gefuhl kenne ich, Adam. «Er beruhrte seinen Arm.»Wir wollen das Beste aus unserem Aufenthalt machen.»
        Auf dem letzten Stuck ihrer Fahrt sprachen sie wenig. Bolitho war unruhig und irgendwie besorgt, als die Rader uber das harte Kopfsteinpflaster der Stadt klapperten.
        Er sah sich nach bekannten Gesichtern um, als die Leute sich ihnen zuwandten und beobachteten, wie der Wagen mit den beiden Seeoffizieren uber ihren Marktplatz rollte, der eine so jung, der andere mit den blitzenden Epauletten auf den Schultern.
        Ein Madchen, das in der Tur einer Wirtschaft das Tischtuch ausschuttelte, sah Allday und winkte ihm zu. Bolitho lachelte. Allday zumindest war erkannt und willkommen gehei?en.
        Die Stra?e verengte sich zu einem Weg, der an jeder Seite von vermoosten Steinmauern gesaumt war. Blumen bewegten sich kaum in der warmen Luft, und das graue Haus schien aus dem Boden emporzusteigen, als die Pferde das letzte Stuck Wegs bis zum offenen Tor hinaufstampften.
        Bolitho befeuchtete seine Lippen, als er Ferguson, den einarmigen Verwalter, auf den Wagen zurennen sah, seine Frau, der die Freudentranen herunterrannen, dicht hinter sich.
        Er straffte sich. Der erste Augenblick war immer der schwerste, trotz der warmherzigen Begru?ung und des bezeigten guten Willens.

«Zu Hause, Adam. Du ebenso wie ich.»
        Der Junge sah ihn mit gro?en Augen forschend an.»Daruber mochte ich mit dir sprechen, Onkel. Uber alles. Nach dem Untergang der Relentless glaube ich nicht, da? ich jemals wieder so viel Angst haben werde.»
        Allday winkte ein paar Leuten am Torhauschen zu, und sein Gesicht war zu einem breiten Grinsen verzogen. Aber es klang ernst, als er sagte:»Ich finde es immer noch falsch und verdammt unfair, Sir, und niemand wird mich vom Gegenteil uberzeugen.»
        Bolitho sah ihn mit mudem Blick an.»Warum?«Er wu?te zwar, was kam, aber es war besser, Allday sich aussprechen zu lassen. So konnte er die Heimkehr auf seine Weise genie?en.
        Allday packte den Turgriff, als die Kutsche sich im Bogen der Steintreppe naherte.

«All die anderen, Sir, haben Lob und Ruhm eingeheimst, aber fur Sie haben sie sich lange genug in Schweigen gehullt. Sie hatten einen Adelstitel verdient, wenn es nach mir ginge!«Er schaute Zustimmung heischend Pascoe an.»Hab' ich nicht recht?»
        Dann bemerkte er Pascoes eigenartigen Gesichtsausdruck und wandte den Kopf zur Tur oberhalb der Stufen.
        Bolitho hielt den Atem an, als traue er seinen Sinnen nicht.
        Sie stand regungslos da, ihre schlanke Figur, ihr kastanienbraunes Haar vor dem dunklen Hintergrund des Hausinnern wie in einem Bilderrahmen. Sie streckte ihm eine Hand entgegen, als konne sie damit die letzten wenigen Meter uberbrucken.
        Bolitho sagte ganz ruhig:»Danke, Allday, alter Freund, aber jetzt wei? ich, da? ich eine weit gro?ere Belohnung bekommen habe.»
        Er kletterte aus der Kutsche und nahm sie in die Arme. Dann gingen sie, von Pascoes und Alldays freudigen Blicken begleitet, ins Haus hinein. Zusammen.


 
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