Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Fieber An Bord Fregattenkapitan Bolitho In Polynesien " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Fieber an Bord: Fregattenkapitan Bolitho in Polynesien Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #9
1789 - Auf Befehl des Gouverneurs der jungen britischen Kolonie Neusudwales lauft Kapitan Richard Bolitho mit seiner Fregatte Tempest in den Sudpazifik aus. Ganz auf sich allein gestellt, soll er mit seinem Schiff in Polynesien patrouillieren und die bedrohten Versorgungsrouten zwischen den einsamen Handelsposten sichern. Doch in dem scheinbaren Inselparadies grassieren Fieberseuchen, unter der Mannschaft kommt es zu einer Meuterei, und von Piraten aufgewiegelte Eingeborene bilden eine weitere Bedrohung. Richard Bolitho ist in jeder Hinsicht gefordert …

        Fieber an Bord: Fregattenkapitan Bolitho in Polynesien

        Fur Winifred in Liebe

        Wo liegt das Land, nach dem sie Segel hissen? Weit, weit voraus, ist alles, was sie wissen. Und wo das Land, woher ihr Schiff gekommen? Weit, weit zuruck, mehr hat man nicht vernommen.

    Arthur Hugh Clough



        I Erinnerungen

        Es war nahezu Mittag, und die Sonne brannte mit erbarmungsloser Intensitat auf den Hafen von Sydney herab. Der Himmel uber der jungen Kolonie hatte strahlend blau sein mussen, aber er war von Schleiern durchzogen, wie durch roh gegossenes Glas betrachtet, und die Luft um die Gebaude an der Kaimauer und dem Ankerplatz war gleichzeitig staubig und feucht.
        Abseits der Ansammlung ortlicher Kustenfahrzeuge und gro?erer Kauffahrteifahrer lag fur sich ein Kriegsschiff uber seinem Spiegelbild, als ob es dort festgewachsen ware und sich nie wieder fortbewegen wurde. Seine Nationalflagge uber dem hohen Achterdeck flatterte nur gelegentlich, und der breite Stander des Kommodore im Gro?topp zeigte nur wenig mehr Leben.
        Doch trotz der Hitze und des Unbehagens waren die Decks schon seit einiger Zeit von beobachtenden Gestalten bevolkert, da ein anderes britisches Kriegsschiff gemeldet worden war, das sich dem Hafen naherte. Der Kommodore stutzte sich auf die Fensterbank seiner Kajute, zog die Hande aber hastig wieder zuruck. Das trockene Holz fuhlte sich an wie ein hei?geschossener Kanonenlauf. Aber er beobachtete weiter, war sich der ungewohnlichen Stille auf seinem Schiff bewu?t, wahrend der Neuankommling uber das schimmernde Wasser langsam naherkroch und seine Masten und Rahen, dann auch der geschwungene Bug mit der Galionsfigur im Dunst klarere Formen annahmen.
        Das Flaggschiff des Kommodore war die alte Hebrus, ein kleiner Zweidecker mit vierundsechzig Geschutzen, die nach annahernd drei?ig Jahren Dienst zur Ausmusterung bereit gewesen ware. Doch dem Schiff und seinem Kommodore war eine weitere Mission aufgetragen worden, und jetzt, an einem Oktobertag des Jahres
1789, ankerte es als ranghochstes britisches Kriegsschiff im Hafen von Sydney; man erwartete von ihm, da? es sich mit gewohnter Tuchtigkeit und altem Elan nach wie vor bewahren wurde, obwohl viele seiner Offiziere insgeheim daran zweifelten, da? es England je wieder erreichen wurde. Das naherkommende Schiff war eine Fregatte, nichts Ungewohnliches in Kriegszeiten und an jedem anderen Ort, wo der Einsatz ihrer Beweglichkeit und Schnelligkeit kurzfristig erforderlich sein konnte. Doch hier drau?en, Tausende Meilen von der Heimat, von bekannten Gesichtern und vertrauten Sitten entfernt, war ein Schiff des Konigs selten und um so willkommener.
        Seine Anwesenheit war der Grund fur die Stille an Bord der Hebrus. Jeder beobachtete ihr muhseliges Einlaufen bei schwachster Brise, und jeder sah in ihr etwas anderes: eine Stadt in England; eine Stimme; Kinder, an die man sich kaum erinnerte…
        Seufzend richtete der Kommodore sich auf, und die Muhe verursachte einen neuen Schwei?ausbruch. Eigentlich absurd, das Ganze: Der Ankommling war die Fregatte Tempest,[Sturm] sechsunddrei?ig Geschutze, und sie hatte England noch nie gesehen.
        Er wartete, wahrend sein Diener mit Galauniform und Degen, den Abzeichen seines Dienstranges, um ihn herumtappte; er erinnerte sich an das, was er von der Tempest gehort hatte.
        Sechs Jahre zuvor, als der Krieg mit den amerikanischen Kolonien und der franzosisch-spanischen Allianz zu Ende ging, wurden Schiffe, die im Kampf ihr Gewicht in Gold wert gewesen waren, wie auch die meisten ihrer Besatzungen nicht langer benotigt. Ein Land verga? schnell, wer fur es gekampft hatte und gestorben war. Da wog der Weiterbestand eines Schiffes noch weniger. Doch der Friede zwischen den gro?en Machten schien nie sehr dauerhaft, wenigstens nicht fur jene, die an dem Preis fur jeden blutigen Sieg beteiligt gewesen waren. Und nun bestanden neue Spannungen mit Spanien, die leicht zu Schlimmerem ausarten konnten. Es ging um rivalisierende Anspruche auf verschiedene Territorien, die jeder durch Handel und Besiedlung auszubeuten hoffte. Wieder einmal war die Admiralitat angewiesen worden, mehr Fregatten einzusetzen, diese Lebensnerven jeder
        Flotte.
        Die Tempest war auf der Werft der Honourable East India Company in Bombay erst vor vier Jahren gebaut worden. Wie bei den meisten Schiffen der ostindischen Handelsgesellschaft waren beim Bau das beste Teakholz aus Malabar und die besten verfugbaren Plane verwendet worden. Im Gegensatz zur Navy baute die Gesellschaft ihre Schiffe fur langjahrige Verwendung und mit einiger Rucksicht auf jene, die sie bemannen sollten.
        Die Vertreter der Admiralitat in Bombay hatten das Schiff dann fur den Dienst des Konigs gekauft, bevor es unter der Flagge der Handelsgesellschaft eingesetzt worden war. Es hatte sie achtzehntausend Pfund gekostet. Die Admiralitat mu?te in einer verzweifelten Lage gewesen sein, um einen so furstlichen Preis zu bezahlen, uberlegte der Kommodore; oder - und das war ebensogut moglich - ein paar zusatzliche Goldstucke hatten in anderer Richtung den Besitzer gewechselt.
        Er winkte seinem Diener, ihm das Fernrohr zu reichen, und richtete das Glas auf das langsam manovrierende Schiff. Wie die meisten Marineoffiziere war er vom Anblick einer Fregatte immer wieder beeindruckt. Diese hier war schwerer als ublich, verfugte aber dennoch uber die anmutigen Proportionen, bot das gleiche Bild latenter Schnelligkeit und Manovrierfahigkeit, die diese Schiffe zum Wunschtraum jedes jungen Seeoffiziers machten. Trotz des Dunstes konnte der Kommodore auf dem Vorschiff der Fregatte eine Ansammlung von Gestalten ausmachen. Ein Anker war gekattet und zum Fallenlassen bereit, wahrend das Schiff zielstrebig uber seinem Spiegelbild dahinglitt, wobei sein Bug kaum die blaue Wasserflache riffelte. Nur unter Marssegeln und Kluver fahrend, ging sie uber Stag, um die schwache Brise zu nutzen; er konnte beinahe die Erregung jenseits des Wassers spuren. Der Anblick eines Hafens, jedes Hafens, verwischte immer die Erinnerung an die Muhsal und mitunter brutalen Bedingungen der Fahrt.
        Der Kommodore hatte die Tempest schon vor zwei Wochen oder fruher aus Madras erwartet. Depeschen, die er bereits durch eine Kurierbrigg erhalten hatte, hatten ihn nicht daran zweifeln lassen, da? die Tempest punktlich eintreffen wurde. Als sich ihr Einlaufen verzogerte, war er nicht beunruhigt, wie er es bei einem anderen Schiff gewesen ware. Die Tempest stand unter dem Befehl von Kapitan Richard Bolitho, nicht gerade einem personlichen Freund, aber doch einem Landsmann aus Cornwall, und das war unter den ublen Verhaltnissen dieser Strafkolonie beinahe genausoviel wert.
        Er hob das Glas wieder ans Auge. Jetzt konnte er die Ga-lionsfigur der Fregatte erkennen, eine Frauengestalt mit wilden Augen, wehendem Haar und vorspringenden Brusten, die ein gro?es Muschelhorn an die Lippen hielt. Haar und Korper waren blank vergoldet, nur die Augen leuchteten in einem intensiven Blau und blickten weit in die Ferne, als folgten sie dem Weg ihrer Kinder, der Sturme. Die Vergoldungen der Galionsfigur und der Verzierungen rings um den Kajutaufbau mu?ten Bolitho ein kleines Vermogen gekostet haben. Aber in diesen Gewassern gab es wenig, wofur man sonst sein Geld verwenden konnte. Er zuckte unwillkurlich zusammen, als er seine Marinesoldaten zur Schanzpforte stampfen horte. Schon ihre Stiefeltritte schienen ihm schwer genug, die alte Hebrus zu zertrampeln. Ein Leutnant blickte respektvoll durch den Turvorhang. Der Kommodore nickte knapp. Er wollte seinen Untergebenen nicht erkennen lassen, da? er sich so sehr fur das andere Schiff interessierte.»Ja, ja, ich wei?. Ich komme hinauf.»
        Noch als er nach seinem Hut griff, hallte der erste Salutschu? uber den Hafen und scheuchte die dosenden Vogel vom Wasser auf, die kreischend durcheinanderflatterten, wie um den Neuankommling dafur zu beschimpfen, da? er ihre Ruhe storte. Auf dem Achterdeck war es trotz des ausgespannten Sonnensegels hei? wie in einem Backofen. Der Flaggkapitan legte die Hand an seinen Hut und versuchte, die Stimmung seines Vorgesetzten zu ergrunden. Er meldete: «Tempest, sechsunddrei?ig Geschutze, Kommandant Fregattenkapitan Richard Bolitho. «Geschutz um Geschutz feuerte weiter Salut; der dunkle Qualm sank auf das Wasser hinab, als ob er eine schwere Masse ware.
        Der Kommodore legte die Hande auf dem Rucken zusammen.

«Signalisieren Sie, sobald sie Anker geworfen hat: Kommandant zu mir an Bord!»
        Der Flaggkapitan unterdruckte ein Lacheln. Die Laune war also gut. Er hatte schon erlebt, da? er mitten in die letzten Manover anderer Schiffe ein Dutzend Signale hatte geben mussen; als ob der Kommodore Vergnugen an der Verwirrung fande, die er damit stiftete. Dies mu? ein Sonderfall sein, dachte er.
        Mit Marssegeln, die noch unter dem fur einen Kommodore vorgeschriebenen Salut von elf Schussen vibrierten, setzte Seiner Britannischen Majestat Fregatte Tempest ihre langsame Fahrt durch den Hafen fort. Die Wasseroberflache glei?te so grell, da? es schmerzhaft war, uber Takelage oder Gangway[Laufgang an beiden Seiten zwischen Vor- und Achterschiff] hinauszusehen.
        Richard Bolitho stand an der Reling des Achterdecks, die Hande lose auf dem Rucken zusammengelegt, und versuchte, trotz der ublichen Spannung beim Anlaufen eines unbekannten Ankergrunds gelassen zu erscheinen. Wie still es war. Er musterte sein Schiff und fragte sich, wie wohl der Kommodore es beurteilen wurde. Er hatte das Kommando uber die Tempest vor zwei Jahren in Bombay ubernommen, als sie von der Marine in Dienst gestellt worden war.
        Beim Gedanken an dieses Datum lachelte er, und sein ernstes Gesicht wirkte dadurch jugendlicher. Wie heute, war auch damals sein Geburtstag gewesen. Denn an diesem
7. Oktober 1789, der ihm ein weiteres Einlaufen unter vielen, langst vergessenen brachte, wurde Richard Bolitho aus Falmouth im County Cornwall dreiunddrei?ig Jahre alt. Schnell warf er einen Blick zur anderen Seite hinuber, wo Thomas Herrick, der Erste Offizier der Tempest und sein bester Freund, mit einer Hand die Augen beschattend, die Stellung der Rahen und die perspektivisch verkurzten, halbnackten Seeleute im Topp kontrollierte. Er fragte sich, ob Herrick an seinen Geburtstag denken wurde. Hoffentlich nicht. In diesen Gewassern, wo Woche auf Woche feindseliges Klima und hartnackige Windstillen einander folgten, war man sich der Verganglichkeit der Zeit nur zu bewu?t.

«Noch funf Minuten, Sir.«»Gut, Mr. Lakey.»
        Bolitho brauchte sich nicht umzusehen. In den zwei Jahren seines Kommandos auf der Tempest hatte er die Stimmen und das Temperament aller langer unter ihm Dienenden kennengelernt. Tobias Lakey war der hagere, schweigsame Steuermann, geboren und aufgewachsen auf den rauhen Scilly-Inseln, die seiner eigenen Heimat Cornwall vorgelagert waren. Im Alter von acht Jahren war Lakey zur See gegangen; jetzt war er etwa vierzig. Nach all diesen Jahren auf Schiffen jedes Typs, vom Fischerboot bis zum Linienschiff, hatte die See ihm nur noch wenig Neues beizubringen.
        Bolitho versuchte, sich an die anderen Gesichter zu erinnern, die in den zwei Jahren von Bord verschwunden waren: durch Tod oder Verletzung, Krankheit oder Desertation; die Manner waren gekommen und gegangen wie die Gezeiten. Die jetzige Besatzung der Tempest glich der anderer Schiffe, die nie einen britischen Hafen angelaufen hatten, und war so vielfaltig wie die Kusten, die sie auf ihren Reisen sahen. Manche darunter waren Manner, die bei der Marine wirklich ihren Beruf gesucht hatten. Meist hatten sie auf Schiffen in England angeheuert und waren dann auf ein beliebiges anderes versetzt worden. Besser als die meisten anderen kannten sie die Verhaltnisse in England, wo die sechs Jahre seit dem Krieg in manchem schlimmer gewesen waren als das Leben an Bord. Unter einem fairen Kommandanten und mit einer gro?en Portion Gluck konnten sie ihren Weg machen. In ihrer Heimat dagegen, fur die viele so lange und hart gekampft hatten, gab es kaum Arbeit, und die Hafen waren nur zu oft von. Kriegsversehrten und menschlichem Strandgut uberfullt.
        Aber im ubrigen war die Besatzung der Tempest ein Schmelztiegel, der Franzosen und Danen, mehrere Neger, einen Amerikaner und viele andere vereinte. Wahrend Bolitho die Manner an Brassen und Fallen musterte, die Bootsbesatzung, die darauf wartete, seine Gig zu Wasser zu lassen, die Reihe der schwitzenden Marinesoldaten, die auf dem Huttendeck eingetreten waren, sagte er sich, da? er zufrieden sein sollte. Ware er in England gewesen, hatte er sich gegramt und bemuht, wieder auf See zu kommen, ein neues Schiff zu erhalten, irgendein Schiff. So war die Situation nach dem Krieg gewesen. Seither hatte er bereits zwei Kommandos innegehabt, eine Korvette und seine geliebte Fregatte Phalarope. Als ihm die Undine uberantwortet und er nach Madras am anderen Ende der Welt geschickt worden war, empfand er Dankbarkeit, da? ihm das Schicksal der vielen Kapitane erspart blieb, die sich taglich in den Gangen der Admiralitat drangten oder in den Cafes warteten, in der Hoffnung auf eben die Chance, die er bekommen hatte. Das lag funf Jahre zuruck; von einem kurzen Besuch in England abgesehen, war er seitdem den
heimischen Gewassern fern geblieben. Als er das Kommando uber die Tempest erhielt, hatte er erwartet, zum Befehlsempfang nach England gerufen zu werden. Vielleicht wurde er nach Westindien geschickt, zur Kanalflotte oder in die Gebiete, um die man sich mit Spanien stritt?
        Wieder blickte er zu Herrick hinuber und uberlegte. Herrick au?erte seine Ansichten jetzt kaum noch, obwohl er sie einmal deutlich genug ausgesprochen hatte. Bis auf seinen Bootsfuhrer John Allday kannte Bolitho sonst niemanden, der es wagte, durch offene Worte seinen Zorn herauszufordern.
        Alte Erinnerungen wurden wach, als die Tempest vor zwei Monaten in Madras geankert hatte. Wahrend seine Bootsmannschaft sich verzweifelt bemuhte, ihren Kommandanten durch die wilde Brandung zu rudern, ohne da? er bis auf die Haut durchna?t wurde, hatte er sich an seinen ersten Besuch erinnert. Damals hatte er Viola Raymond, die Frau des Beraters der Britischen Regierung bei der Hast India Company, als Passagier an Bord gehabt.[Siehe DER PIRATENFURST] Herrick hatte ihn damals offen vor den Gefahren einer Affare gewarnt, vor dem Risiko fur seinen guten Namen und seine Karriere in einem Beruf, den er liebte. Automatisch tastete er nach der Uhr in seiner Tasche: Viola hatte sie ihm als Ersatz fur jene geschenkt, die in einem Gefecht zerschossen worden war. Wo mochte Viola jetzt sein?
        Bei seinem kurzen Aufenthalt in England war er auch nach London gefahren. Zwar hatte er sich gesagt, er wolle nicht wirklich versuchen, sie wiederzusehen, wolle nur an ihrem Haus vorbeigehen und sehen, wo sie lebte. Doch er hatte genau gewu?t, da? das Selbstbetrug war. Dabei hatte er sich ebensogut mit der Erinnerung begnugen konnen. Denn das Haus war, von der Dienerschaft abgesehen, leer. James Raymond und seine Frau weilten im Auftrag der Regierung im Ausland, wie ihm Raymonds Hauswart, abweisend bis zur Beleidigung, verkundete. An Bord mochte ein Kommandant zwar gleich nach Gott kommen, doch in den Stra?en von St. James hatte er gar keine Bedeutung. Bolitho horte Herrick rufen:»Klar zum Ankern, Mr. Jury? Jury, der Bootsmann mit der breiten Brust, brauchte keinen Hinweis auf seine Pflichten bei den Ankergasten; folglich mu?te Herrick Bolithos Stimmung erraten haben und versuchte nun, ihn herauszurei?en.
        Bolitho lachelte wehmutig. Herrick kannte er schon, seit er das Kommando der Phalarope ubernommen hatte, und seither waren sie selten getrennt gewesen. Herrick hatte sich nicht sehr verandert. Vielleicht war er nun etwas breiter, aber das runde, offene Gesicht mit diesen leuchtend blauen Augen, die so vieles mit ihm gemeinsam gesehen hatten, war sich gleichgeblieben. Wenn, wie Bolitho jetzt vermutete, seine kurze Affare mit Viola Raymond hoheren Orts aufgefallen war, dann mu?te auch Herrick darunter leiden, und das ohne jeden Grund. Dieser Gedanke wurmte Bolitho und stimmte ihn traurig. Vielleicht wurde der Kommodore etwas Licht in die Dinge bringen. Aber diesmal wollte er nicht hoffen; er wagte es nicht. Bolitho dachte an seine Depeschen, an die zusatzlichen Nachrichten, die er Kommodore James Sayer uberbrachte. An Sayer erinnerte er sich gut, er war ihm ein- oder zweimal in Cornwall begegnet. Vorher hatten sie im selben Geschwader in Amerika gedient, beide als Leutnants. Wahrend der letzte Salutschu? noch in der Luft widerhallte, glitt die Tempest die letzte halbe Kabellange[l Kabellange =
185,2 m] zu ihrem Ankerplatz.
        Bolitho sagte knapp:»Wenn Sie soweit sind, Mr. Herrick?«Herrick hob das Sprachrohr, seine Antwort war ebenso formlich.»Aye, aye, Sir. «Dann rief er:»An die Leebrassen! Klar zum Aufschie?en!«Die reglosen Matrosen erwachten zum Leben. Marsbrassen los!»
        Bolitho sah Thomas Gwyther, den Schiffsarzt, die Backbordgangway entlangkommen, wobei er versuchte, den geschaftigen Matrosen auszuweichen. Wie wenig war er mit dem letzten Arzt zu vergleichen, den Bolitho an Bord gehabt hatte. Das war ein gewalttatiger, herrschsuchtiger Trunkenbold gewesen, der es zugelassen hatte, da? seine Leidenschaft fur den Alkohol, aber auch die Erinnerungen, die er damit hatte ausloschen wollen, ihn vollig zerstorten. Gwyther nun war ein gebeugter, ausgemergelter, kleiner Mann mit zottigem, grauem Haar, dessen gebrechliche Erscheinung seiner offenkundigen Zahigkeit und Ausdauer keineswegs entsprach. Er erfullte bereitwillig seine Pflichten, zeigte aber an Land jedesmal weit mehr Interesse fur die Vegetation als fur die Menschen.»Gei auf die Marssegel!»
        Der Steuermann befahl mit seiner trockenen, nuchternen Stimme:»Ruder hart Backbord!»
        Die Tempest gehorchte dem Ruder und der abflauenden Brise, drehte sich langsam uber ihrem Spiegelbild und verlor an Fahrt. Auf den Decks wurde es noch hei?er als zuvor, als auch das letzte Segeltuch aufgegeit und festgezurrt wurde.»Fallen Anker!»
        Bolitho horte das vertraute Klatschen am Bug und hatte dabei vor Augen, wie der schwere Anker durch das stille, einladende Wasser brach. Doch als er sich an die beiden Haie erinnerte, die das Schiff mehrere Tage und fast bis in den Hafen hinein verfolgt hatten, mu?te er ein Schaudern unterdrucken.

«Signal vom Flaggschiff, Sir: >Bitten Kommandant an Bord<.»
        Bolitho wandte sich Midshipman[Seekadett bzw. Fahnrich zur See] Swift zu. Dem Siebzehnjahrigen unterstanden die Signalgasten, und zweifellos wartete er voller Ungeduld und Hoffnung auf eine Chance, befordert zu werden. Sein Blick wanderte weiter zu Keen, dem Dritten Offizier, und er fragte sich fluchtig, ob dieser sich noch an die Zeit erinnerte, als er selbst Swifts jetzigen Rang auf der Undine innehatte. Keen war zweiundzwanzig, braun wie eine Nu? und so adrett und hubsch, da? ihm die Madchenherzen zufliegen mu?ten. Er hatte auf seinem ersten Schiff angemustert, we il sein Vater wunschte, da? er» sich selbst finde«, ehe er in das Londoner Familienunternehmen eintrat; doch dann war er bei der Marine geblieben, weil er dieses Leben liebte. Und das trotz eines fu?langen Holzsplitters, der bei einem Gefecht aus den Decksplanken gerissen worden war und seinen Korper in der Leistengegend durchbohrt hatte. Selbst jetzt noch verzog er das Gesicht, wenn der Vorfall nur erwahnt wurde. Allday, der jedem Schiffsarzt - und dem der Undine besonders - mi?traute, hatte den Splitter aus dem Korper des Jungen
entfernt und Bolitho wieder einmal mit einem unerwarteten Talent uberrascht.

«Gig zu Wasser!«rief Herrick durch die trichterformig gehaltenen Hande.»Mr. Jury, mehr Leute an die Taljen, aber mit Beeilung!»
        Allday verfolgte das hastige Manover mit kritischen Blicken, als das Boot uber die Finknetze gehievt wurde. In der blauen Jacke und der weiten wei?en Hose, das Haar in seinem kraftigen Nacken sauber zusammengebunden, wirkte er so solide und zuverlassig wie immer. Gelassen sagte er:»Ein neuer Ort, Captain, und zweifellos eine neue Aufgabe. «Dann schnauzte er:»Da? mir der Lack keinen Kratzer abkriegt, ihr Tolpel! Das Boot gehort dem Captain, nicht dem Koch!»
        Manche der Altgedienten grinsten bei dem Ausbruch; jungere oder jene, die sich mit diesem Umgangston noch nicht abgefunden hatten, duckten sich unwillkurlich. Allday murrte:»Bei Gott, wenn wir nicht bald richtig zu tun kriegen, dann wei? ich nicht, was aus den Leuten wird!«Er schuttelte den Kopf.»Das sollen Seeleute sein?«Was Allday unter» richtig zu tun «verstand, wu?te Bolitho nicht.
        Sie unternahmen regelma?ige Patrouillen zwischen den sich ausbreitenden Handelsniederlassungen, die in dem Gebiet zwischen Sumatra und Neuguinea verstreut lagen. Auch waren sie viele hundert Meilen westwarts gesegelt, um wertvollen Handelsschiffen auf der Fahrt von Europa Begleitschutz zu bieten. Die Tempest war standig im Einsatz gewesen. Denn mit der Ausbreitung des Handels, der Ausweitung von Niederlassungen zu Kolonien, kamen auch jene, die davon profitieren wollten: Piraten, selbsternannte Herrscher oder alte Gegner, die jetzt unter dem Schutz von Kaperbriefen segelten. Das Leben war auch ohne die zusatzliche Bedrohung durch feindselige Eingeborene und Tropensturme gefahrlich genug.
        Vielleicht meinte er damit, wie Herrick, der Hitze und dem Durst zu entkommen, der taglichen Gefahr durch nicht kartographierte Riffe oder Uberfalle kriegerischer Wilder. Die Entdecker und gro?en Seefahrer hatten viel getan, um die Geheimnisse und Gefahren dieser Gewasser zu mildern, aber jene, die in ihrem Kielwasser kamen, hatten weniger edle Motive. Fur eine Handvoll Nagel, ein paar Axte und Perlenschnure konnte ein Kapitan beinahe alles und jeden kaufen.
        Zum Nutzen ihres Handels und ihrer Besitzungen ubernahmen Gro?britannien, Frankreich und Holland den Schutz weiter Seegebiete, damit die gefahrdeten Handelsschiffe ihre Auftrage erfullen konnten. Unglucklicherweise waren die Ozeane zu gro? und die eingesetzten Krafte zu gering, als da? dies mehr hatte darstellen konnen als eine Geste. Auch trauten die Lander, die das meiste in Indien und der Sudsee investiert hatten, einander nicht; zudem hatten sie alte Kriege und unbezahlte Schulden nicht vergessen.
        Bolitho horte die Bootsmannschaft in die Gig klettern und sah, da? das Spalier der Marinesoldaten und die Bootsmannsmaaten fur die Zeremonie seines Vonbord-gehens bereitstanden.
        Er blickte zu dem schlaffen Wimpel im Masttopp auf und dann uber das schimmernde Wasser zu den beiden gro?en Transportern hinuber, die ein gutes Stuck vom Land entfernt ankerten.
        Hier lag eine zusatzliche Verantwortung: die wachsende Kolonie Neusudwales. Er suchte auf den gro?en Transportern nach Lebenszeichen. Wie viele bedauernswerte Existenzen waren auf diesen Straflingsschiffen hierhergebracht worden, um Arbeitskrafte fur die Erschlie?ung des Landes und die Grundung einer Nation zu stellen? Er versuchte, sich auszumalen, wie es auf einem solchen Schiff aussehen mochte, wenn es sich um das Kap der Guten Hoffnung oder, schlimmer noch, um das gefurchtete Kap Horn kampfte, mit Mannern, Frauen und Kindern an Bord.
        Herrick griff an seinen Hut.»Boot ist klar, Sir. «Bolitho nickte ernst und blickte zu den rotrockigen Marinesoldaten und ihrem Hauptmann Jasper Prideaux hinuber. Geruchte wollten wissen, Prideaux diene nur bei den Marinesoldaten, weil er im Duell zwei Manner getotet habe und fliehen mu?te. Bolitho hatte mehr Anla? als mancher andere, das zu verstehen.
        Zwei Jahre lang hatte er versucht, seine Antipathie gegen Prideaux zu unterdrucken. Trotz Sonne und Seeluft war der Hauptmann der Marinesoldaten bla? geblieben und sah ungesund aus. Er hatte scharfe, fast spitze Zuge - wie ein Fuchs. Wie einer, der sich mit Freunden duellierte und dabei gewann. Bolitho war es nicht gelungen, seine Abneigung zu uberwinden.»Achtung im Boot!»
        Allday stand an der Pinne, mit einem Auge auf Bolithos Degen, wahrend sein Kapitan, begleitet vom Klang der
        Bootsmannsmaatenpfeifen und prasentierten Musketen, ins
        Boot hinunterkletterte.

«Absetzen! Riemen bei! Rudert an!»
        Bolitho schutzte mit der Hand die Augen, als das Boot schnell um den Bug und unter der blauaugigen Galionsfigur hindurchglitt.
        Die Tempest war ein gutgebautes Schiff, aber wie Lakey oft genug gesagt hatte, eben ein Schiff der Company, gleichgultig, welche Flagge von ihrer Gaffel wehte. Mit sechsunddrei?ig Geschutzen, darunter achtundzwanzig Zwolfpfundern, war sie starker als jedes andere Schiff, das er bisher befehligt hatte. Aber sie war aus Teakholz und so schwer gebaut, mit entsprechend massiven Stengen und Spieren, da? ihr die schnelle Beweglichkeit fehlte, die von einem Schiff des Konigs im Gefecht auf kurze Distanz gefordert wurde. Sie war gebaut worden, um schwerfallige Indienfahrer vor Piraten zu schutzen und in deren Schlupfwinkeln Furcht zu verbreiten. Gleich zu Anfang hatte Herrick bemerkt, falls sie von einem wirklich kriegstuchtigen Schiff angegriffen werden sollten, mu?ten sie auf kurze Distanz bedacht sein und sie halten. Tauschungs- oder Uberraschungsmanover in letzter Minute kamen nicht in Betracht.
        Auf der anderen Seite mu?ten selbst die gro?ten Zweifler einraumen, da? die Tempest unter gunstigen Bedingungen ein guter Segler war. Schon mit ihrer Grundausstattung an Segeln, und sie verfugte uber siebzehntausend Quadratfu?, schaffte sie funfzehn Knoten, also funfzehn Seemeilen in der Stunde. Aber Lakey, nuchtern wie immer, hatte gesagt:»Das Argerliche ist, da? man nicht immer gunstige Bedingungen hat.»
        Bolitho vergewisserte sich, da? seine Depeschen und sein eigener Bericht unter der Ducht sicher verstaut waren, und wandte dann seine Aufmerksamkeit der Hebrus zu. Auch so ein halbes Wrack. Vielleicht ging in Europa alles so schnell, da? man sie daruber vergessen hatte. Rings um die Erde kreuzten einzelne, verlassene Schiffe wie seines und das des Kommodore in volliger Unkenntnis dessen, was in den Landern geschah, wo uber ihr Schicksal entschieden wurde.

«La? laufen!«Allday legte Ruder und kniff in der grellen Sonne die Augen zusammen, bis sie in den Schatten des Flaggschiffs glitten.»Anhaken, Buggast!»
        Bolitho stand auf und atmete tief ein. Bei solchen Gelegenheiten mu?te er stets an einen Kapitan denken, unter dem er einmal gedient hatte. Als jener zum ersten Mal an Bord seines Schiffes ging, hatte er sich mit den Beinen im Degengehange verfangen und war der Lange nach zu Fu?en seiner verblufften Marinesoldaten hingeschlagen. An der Schanzpforte nahm er seinen Hut ab und wartete, bis der Larm der Befehle und das Klatschen der Musketen beim Prasentieren verklungen war.
        Mit ausgestreckter Hand kam der Kommodore ihm entgegen, um ihn zu begru?en. Fur den Bruchteil einer Sekunde glaubte Bolitho, sich geirrt zu haben. Das war nicht Leutnant James Sayer aus den amerikanischen Kolonien oder auch nur aus Cornwall. Das war ein ganz anderer Mann.
        Der Kommodore sagte:»Freut mich sehr, Sie wiederzusehen, Richard. Kommen Sie nach achtern und berichten Sie.»
        Erschuttert erwiderte Bolitho den Handedruck. Sayer war ein gutgebauter, lebhafter Mann gewesen. Jetzt hatte er Hange-schultern und ein von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht; das Schlimmste aber war seine Haut: wie altes, unbrauchbares Pergament. Und doch zahlte er nur zwei oder drei Jahre mehr als Bolitho.
        In der verhaltnisma?igen Kuhle der Kommandantenkajute warf Sayer den schweren Rock seiner Paradeuniform ab und lie? sich in einen Sessel sinken.

«Ich habe nach Wein geschickt. Mein Diener lagert ihn an einer besonders kuhlen Stelle in der Bilge. Nur Rheinwein, aber man hat ja schon Gluck, wenn man hier drau?en so etwas bekommt. «Er schlo? die Augen und stohnte.»Was fur ein Land! Eine Insel der Verbrecher in einem Meer von Korruption.»
        Er wurde erst munterer, als der Diener mit Flaschen und
        Glasern eintrat.

«Nun zu Ihren Depeschen, Richard. «Er sah Bolithos Gesicht.»Was gibt es?»
        Bolitho wartete, bis der Diener eingeschenkt und die Kajute wieder verlassen hatte.

«Ich wurde auf dem Weg hierher aufgehalten, Sir. Drei Tage nach Madras gerieten wir in Schlechtwetter, und zwei meiner Leute wurden schwer verletzt, als sie von oben kamen. Zwei weitere gingen uber Bord. «Von der Erinnerung bedruckt, senkte er den Blick. Mitten in der Nacht war blitzschnell Sturm aufgekommen und ebenso schnell wieder abgeflaut.
        Das Resultat: zwei Tote und zwei permanent Verkruppelte.»Ich entschlo? mich, Timor anzulaufen und die Verletzten dort an Land zu setzen. Mit dem hollandischen Gouverneur in Coupang hatte ich bereits zu tun gehabt, und er war immer sehr hilfsbereit gewesen.»
        Der Kommodore beobachtete ihn uber den Rand seines Pokals.»Ja. Sie haben sich in diesem Gebiet gegen Piraten und Kaperer erfolgreich behauptet.»
        Bolitho fuhr fort:»Ohne diesen unvorhergesehenen Besuch hatte ich folgendes nicht erfahren: Auf einem Schiff, einem Kriegsschiff, hat es eine Meuterei gegeben. Vor sechs Monaten, dem Gouverneur zufolge, auf der Ruckfahrt von Tahiti. Ich bin mir uber die Grunde nicht im klaren, aber eines steht fest: die Meuterer setzten die Offiziere und die loyal gebliebene Mannschaft in einem Boot aus. Ohne ihren Kommandanten - wie ich horte, hei?t er Bligh - waren sie umgekommen. Aber er schaffte es bis Timor, uber dreitausendsechshundert Meilen weit, wo er Hilfe fand. Das Schiff war ein bewaffneter Transporter, die Bounty.«Sayer blickte ihn ernst an.»Davon wu?te ich nichts. «Er trat an die breiten Heckfenster.»Jetzt werden die Meuterer vermutlich ein Piratenschiff aus ihr machen. Au?er dem Strick haben sie keine andere Wahl. «Bolitho nickte, er fuhlte sich beunruhigt. Meuterei… Schon das Wort war wie der Kontakt mit einer schrecklichen Krankheit. Ahnliches hatte er an Bord seiner ersten Fregatte Phalarope erlebt, und die Erinnerung war fest haften geblieben.[Siehe BRUDERKAMPF]
        Als der Kommodore nur schwieg und weiter aus dem Fenster blickte, fuhr Bolitho fort:»Ich lichtete Anker, nahm Kurs nach Sudwesten und dann an der Sudkuste der Kolonie entlang. Ich lief die Adventure Bay von Van Diemen's Land an, weil ich glaubte, die Meuterer hatten sich dorthin fluchten konnen, ehe die Nachricht von ihrem Verbrechen bekannt wurde. «Er hob die Schultern.»Aber sie waren verschwunden. Jetzt glaube ich, da? sie gar nicht die Absicht haben, in ein zivilisiertes Land zuruckzukehren, wo sie belangt werden konnten. Sie werden in der Gro?en Sudsee bleiben wie so viele Abtrunnige und Morder, die auf Kosten unseres Handels und der Eingeborenen leben. Aber ein Schiff des Konigs? Der Gedanke ist unertraglich. «Sayer drehte sich mit einem truben Lacheln zu ihm um. Sie haben ja auch Grund, das Wort Meuterei zu hassen. Aber ich bin froh uber Ihre Entdeckung. Hohere Stellen als wir werden jedoch daruber entscheiden, was als nachstes geschehen soll, zweifeln Sie nicht daran. «Er trank aus seinem Pokal. Bligh, haben Sie gesagt?«Er schuttelte den Kopf.»Er mu? ein sehr willensstarker Mann sein, wenn
er eine solche Fahrt uberlebt hat.»
        Bolitho spurte, wie er sich entspannte. Seit er mit dem hollandischen Gouverneur gesprochen hatte, war ihm diese Meuterei nicht aus dem Kopf gegangen, aber unter Sayers Einflu? sah er sie jetzt in der richtigen Perspektive. Er hatte wie die meisten Kapitane reagiert: sich selbst in der gleichen verzweifelten Situation vorgestellt. Doch ohne das Schiff, die Mannschaft oder die Umstande zu kennen, war es das gleiche, wie den Mond anzubellen, er solle heller scheinen. Mit plotzlichem Mitgefuhl beobachtete er Sayer. Seine wenig beneidenswerte Aufgabe hatte ihn erschopft, ein uber-standenes Fieber hatte ihn ausgelaugt, aber er war nichtsdestoweniger der ihm vorgesetzte Offizier. Genauso war Bolitho der einzige Reprasentant der gro?ten Seemacht der Welt gewesen, als er auf der Suche nach Piraten und Eingeborenenhauptlingen, die ihnen Schutz boten, viele hundert Meilen zuruckgelegt hatte. Eines Tages wurde vielleicht auch sein Schiff den breiten Stander des Kommodore fuhren, aber er bezweifelte, da? ihn die gleiche Selbstsicherheit wie Sayers auszeichnen wurde. Der Kommodore sagte:»Ich werde unverzuglich
den Gouverneur aufsuchen. Und Ihnen empfehle ich, auf Ihr Schiff zuruckzukehren und Wasser und sonstige Vorrate zu ubernehmen. «Er musterte ihn gelassen.»Ich furchte, ich werde Sie bald wieder auf See schicken mussen. Das hatte ich ohnehin getan, aber Ihre Nachrichten beschleunigen es noch. «Als Bolitho sich erhob, fugte er hinzu:»Falls Sie zusatzliche Leute brauchen, la?t sich das wahrscheinlich regeln. Nach zwei Jahren in der Botany Bay ist nur schwer festzustellen, wo ein abgeschobener Strafling aufhort und der ehrliche Mann anfangt. «Er zwinkerte.»Ich werde an Land mit dem Einburgerungsoffizier sprechen.
«An der Schanzkleidpforte blieb Sayers neben Bolitho stehen und blickte zur Tempest hinuber. In dem grellen Licht wirkte ihr laufendes Gut wie aus schwarzem Glas.»Ein schones Schiff. «Es klang sehnsuchtig.»Ich nehme an, da? Sie bald nach England zuruckkehren werden, Sir«, trostete Bolitho.
        Der Kommodore hob die Schultern.»Ich wurde Cornwall gern wiedersehen. «Er streckte die Hand aus und beruhrte die abgegriffene Reling.»Aber wahrscheinlich werde ich hier drau?en sterben wie meine gute alte Hebrus.«Das sagte er ohne Groll oder Bitterkeit. Bolitho trat zuruck und gru?te die Flagge. Wahrend die Marinesoldaten wieder vor ihm prasentierten und er zu seiner Gig hinunterkletterte, ertappte er sich dabei, da? er an die schonen Hauser in St. James dachte. Wurde es dort jemanden treffen, wenn man las, da? Sayer tot war? Er glaubte, die Antwort zu kennen; sein Gesicht war finster, als Allday den Befehl zum Ablegen gab. Als er schweigend im Boot sa?, das aus dem Schatten des Flaggschiffs in die sengende Hitze hinausglitt, betrachtete er die Gesichter der rudernden Matrosen. Was wu?te er schon von diesen Mannern? Da war es im Krieg ganz anders. Der Feind war klar definiert, und die Sache, um die es ging, immer gerecht, denn es war ja die eigene. Zusammenhalten,
        Hurra rufen und zuruckschlagen, das kennzeichnete jene desperate Welt. Doch hier, meilenweit von jeder Zivilisation entfernt, was wurden Manner wie sie empfinden, wenn man sie zu weit trieb?
        Allday blickte auf Bolithos hochgezogene Schultern hinab, auf das schwarze Haar, das uber dem goldbestickten Kragen ordentlich zusammengebunden war. Der Kommandant grubelte wieder einmal, wie ublich, machte sich Sorgen um andere. Er wu?te genau, was Bolitho in erster Linie beschaftigte, denn er war wahrend der Meuterei auf Bolithos Schiff gewesen, ein zum Dienst gepre?ter Mann. Auch er konnte es nicht vergessen. Wie der Rest der Crew hatten auch die von ihm ausgesuchten und ausgebildeten Rudergasten von der Meuterei auf der Bounty erfahren; bis Sonnenuntergang wurde auch jeder Bewohner und Strafling der Kolonie Bescheid wissen.
        Allday hatte seine Eltern nie gekannt und konnte sich nicht erinnern, in welchem Alter er zum erstenmal auf ein Schiff gekommen war. Er hatte sein ganzes Leben auf See verbracht, von einer kurzen Unterbrechung in Falmouth abgesehen, wo er von einem Pre?kommando auf Bolithos Schiff entfuhrt worden war.[Siehe BRUDERKAMPF]
        Vor jener Zeit hatte er mehrere Kapitane kennengelernt, unter denen eine Meuterei gerechtfertigt gewesen ware: grausame, brutale Manner, die offenbar Freude daran hatten, ihre Leute leiden zu sehen. Selbst die geringste freundliche Geste von Mannern dieser Art konnte in der uberfullten Welt zwischen den Decks wie ein Wunder wirken. Das war wie Hohn, solange es andere wie Bolitho gab, die ihre Verantwortung ernst nahmen.

«Wenn Sie nicht auf Ihre Arbeit achten, Allday«, schnauzte Bolitho,»kommen wir noch durch eine Stuckpforte an Bord.»
        Allday legte Ruder und grinste Bolithos Rucken an. So gefiel er ihm schon besser.
        Wie ein verfuhrerischer Samtvorhang hullte die Dammerung schnell den Hafen ein. Sie half, die Hitze des Tages zu vergessen und die Anstrengungen bei der Erganzung des
        Proviants, den Benjamin Bynoe, der Zahlmeister mit den harten Augen, zu gunstigsten Bedingungen eingehandelt hatte.
        Bolitho lehnte sich auf der Bank unter dem geoffneten Heckfenster zuruck und sah die Lichter der Stadt heruberwinken. Es war der zweite Abend, an dem sie in Sydney vor Anker lagen, aber sein erster an Bord. Kommodore Sayer hatte ihn vollig in Anspruch genommen, vorwiegend an Land, wo er dem stellvertretenden Gouverneur begegnet war, dessen Vorgesetzter sich irgendwo in der Kolonie mit einer Eingabe
>dieser verdammten Farmer<, wie er sie nannte, beschaftigte. Bolitho war auch mit den Offizieren der Garnison zusammengekommen. Dabei hatte er den deutlichen Eindruck gewonnen, da? sie ihre Angelegenheiten nicht gern mit Fremden besprachen. In diesem Sinne hatte er sich auch Sayer gegenuber geau?ert, der uber seine Vermutung gelachelt hatte.

«Sie haben ganz recht, Bolitho«, hatte der Kommodore gesagt.»Zuerst lie? der Gouverneur von Marinesoldaten die offentliche Ordnung sichern und die deportierten Straflinge bewachen. Aber dann wurden sie in England gebraucht und zuruckgeschickt. Diese >Soldaten<, mit denen Sie jetzt gesprochen haben, gehoren dem New South Wales Corps an. Sie wurden mit hohen Kosten eigens angeworben, und in vielen Fallen sind sie noch unehrlicher als jene, die sie bewachen sollen. Auch fur einen Sack voll Gold mochte ich nicht in den Schuhen des Gouverneurs stecken.
«Bolithos Eindrucke von Sydney waren ebenso gemischt. Die Gebaude waren primitiv, aber gunstig gelegen, mit leichtem Zugang zum Wasser. Manche standen - wie die riesigen Windmuhlen hinter der Stadt - gleich hageren Zaungasten auf den Anhohen und verrieten den hollandischen Einflu?, praktisch und gut entworfen.
        Bolitho war von den Hafen vieler Lander an Roheit und Trunksucht gewohnt, aber Sydneys Uberflu? an Hafenkneipen und Schlimmerem lie? manches, was er gesehen hatte, als zahm erscheinen. Sayer hatte ihm erzahlt, da? viele Wirte sogar im Sold der Offiziere standen, die den Verkehr ihrer Leute mit den deportierten Schankmadchen offen forderten. Dabei hatte er die Manner, die nur aus Habgier ins Corps eingetreten waren, voller Verachtung als Schwindler und Halunken bezeichnet.
        Wieder an Bord, gelang es Bolitho, sich von dem hektischen Treiben an Land zu losen und etwas Ruhe zu finden. Sayer hatte uber neue Aufgaben fur die Tempest noch nichts in Erfahrung gebracht; das wurde sich erst ergeben, wenn der Gouverneur zuruckkehrte.
        Bolitho gegenuber lehnte Herrick in einem Sessel. Sie hatten eine ausgezeichnete Hammelpastete gegessen, die Noddall, der Kabinensteward, aus unbekannten Quellen an Land beschafft hatte: seit Monaten das erste Fleisch, das nicht aus einem Pokelfa? kam.

«Was halten Sie von einem Glas Rotwein, Thomas?«meinte Bolitho.
        Herrick grinste; seine Zahne schimmerten schwach im Licht der einzigen Lampe. Sie hatten schnell entdeckt, da? mehr Beleuchtung nur Schwarme summender Insekten anzog, die die Wohltat der kuhleren Luft sofort zunichte machten.»Nicht viel, Sir«, antwortete er und winkte Noddall aus dem Schatten.»Ich habe mir erlaubt, beim Quartiermeister der Kaserne guten franzosischen Wein zu beschaffen. «Er lachte verhalten.»Als Soldaten mogen sie nicht viel wert sein, aber sie verstehen zu leben.»
        Noddall machte sich am Tisch mit seinem Weinkuhler zu schaffen.
        Bolitho beobachtete ihn; er kannte jede seiner Bewegungen. Noddall war klein und flink wie ein Wiesel, hielt sogar die Hande, wenn sie nicht beschaftigt waren, wie Pfoten vor seinen Korper. Ein guter und williger Diener, war er wie mancher andere von Bolithos Undine mit auf dieses Schiff gekommen.
        Herrick stand auf. Sein Kopf reichte nicht bis an die Decksbalken der Kajute, was ein Beweis fur die gro?zugigen Abmessungen der Tempest war. Er hob sein Glas.

«Auf Ihr Wohl, Sir, und auf Ihren Geburtstag. «Er grinste.»Ich wei?, da? er eigentlich gestern war, aber ich brauchte einen Tag, um den Wein zu entdecken.
«Wortkarg sa?en sie zusammen, rauchten ihre langen Pfeifen, und ihre Glaser wurden von dem aufmerksamen Noddall bereitwillig nachgefullt.
        Durch das Oberlicht konnten sie die Sterne sehen, sehr gro? und nahe, und die regelma?igen Schritte des Steuermannsmaaten der Wache horen, dazwischen das gelegentliche Scharren der Stiefel des Marinesoldaten, der jenseits des Schotts Posten stand.
        Bolitho sagte:»In Cornwall ist es jetzt Spatherbst. «Er wu?te nicht, warum er das sagte, vielleicht hatte er an Sayer gedacht. Sofort sah er es vor sich: goldenes und braunes Laub, jede Morgendammerung eine Spur kalter, aber immer noch frisch und klar. Das hielt den Winter auf. Er versuchte, sich an die ublichen Gerausche zu erinnern: den Ton der klingenden Hammer, wenn die Landarbeiter die Zeit nutzten, um die typischen Stein- und Schieferwalle zu bauen oder zu reparieren, die ihre Felder und Hauser voneinander trennten. Das Bloken der Schafe und Stampfen der Fischer, die am Abend von Falmouth zu ihren kleinen Weilern herauf-wanderten.
        Er dachte an sein eigenes Haus unterhalb von Pendennis Castle: kantig und grau, seit Generationen das Heim der Bolithos. Jetzt wohnte dort niemand - von Ferguson, dem Verwalter, und der Dienerschaft abgesehen. Alle waren entweder tot oder fortgezogen wie seine beiden verheirateten Schwestern, die ihr eigenes Leben fuhrten. Er erinnerte sich seiner ersten Begegnung mit dem Hauptmann der Marineinfantrie, Prideaux. Dessen Ruf als Duellant hatte ihn an seinen Bruder Hugh erinnert. Hugh hatte wegen einer Spielschuld einen Offizierskameraden im Duell getotet und war nach Amerika geflohen. Da? er von seinem Schiff desertierte, war fur ihren Vater schon ein schwerer Schock gewesen, doch als Hugh in die Marine der amerikanischen Revolutionare eintrat und ein Kaperschiff gegen seine alten Freunde und Waffenbruder fuhrte, hatte das den Tod des alten Mannes vollends beschleunigt. Nun lebte auch Hugh nicht mehr, war angeblich von einem durchgehenden Pferd in Boston getotet worden.
        Herrick spurte die Veranderung in Bolithos Stimmung.»Ich glaube, es wird Zeit fur mich, Sir. Ich ahne, da? uns morgen einiges bevorsteht. Zwei Tage im Hafen? >Aber, aber!< wird oben bestimmt jemand sagen, >dazu ist die Tempest nicht da.< Und das stimmt auch. «Er grinste breit.»Ich glaube wirklich, wenn wir alle Leute hatten an Land gehen lassen, dann hatten wir sie nie zuruckbekommen. Nicht in diesem Hafen.»
        Bolitho blieb noch lange am Heckfenster sitzen, nachdem Herrick zu seiner Koje gegangen war - oder wahrscheinlicher in die Messe zu einem letzten Drink mit den anderen Offizieren.
        Herrick schien immer zu ahnen, wann sein Kommandant allein sein wollte, um nachzudenken; wie er auch verstand, da? die Bindung zwischen ihnen dadurch nur starker wurde. Bolitho beobachtete den Rauch, der von seiner Pfeife aufstieg und langsam hinaus uber das schwarze Wasser zog. Es tat nicht gut, zu oft an zu Hause zu denken. Doch er war jetzt schon so lange fort, und wenn er hier verbannt bleiben sollte, dann mu?te er etwas dagegen unternehmen. Er horte seltsam trauriges Geigenspiel vom Vordeck: vermutlich Owston, der Seiler, der fur die Ankerwache aufspielte und auch die anderen Leute der Hundewachen unterhielt.
        Die Tempest mu?te vom Ufer her einen schonen Anblick bieten: Die offenen Stuckpforten, von innen beleuchtet, wirkten wie gelbe Augen. Dazu das Ankerlicht und eine Laterne an der Steuerbordgangway, damit sich der Wachoffizier an Bord bewegen konnte, ohne in der Dunkelheit zu straucheln.
        Bolitho dachte an einige der Deportierten, die er gesehen hatte. Gewi? war keiner von ihnen wegen schwerer Vergehen hier, sonst hatte man sie gehenkt. Es beschamte ihn, da? er eben noch finster uber seine eigene Trennung von der Heimat gebrutet hatte. Was mu?ten dagegen diese Verbannten leiden, wenn sie sein Schiff sahen, das schlie?lich Anker lichten und vielleicht nach England segeln wurde. Wogegen sie…
        Er blickte uberrascht auf, als an die Au?entur geklopft wurde. Es war Borlase, der Zweite Offizier. Als Wachfuhrer war er zweifellos der einzige Offizier an Bord in voller Uniform. Er war sechsundzwanzig Jahre alt, gro? und kraftig gebaut, und doch waren seine Zuge weich, sogar sanft, und sein Gesicht wirkte im allgemeinen leicht uberrascht. Bolitho vermutete, da? das ursprunglich eine Tarnung fur seine Empfindungen gewesen, jetzt aber zur standigen Gewohnheit geworden war. Borlase war Erster Offizier auf einer kleinen Fregatte gewesen, die in der Nahe der Philippinen auf Grund gelaufen und verloren gegangen war. Zum Gluck hatte sich ein Ostindienfahrer in der Nahe befunden und die gesamte Besatzung bis auf drei Mann gerettet. Von einem hastig eingesetzten Kriegsgericht wurde der Kommandant der Fregatte wegen Nachlassigkeit im Dienst unehrenhaft entlassen. Borlase war zu der Zeit wachhabender Offizier gewesen, und seine Aussage hatte dazu beigetragen, da? sein Kommandant in der Versenkung verschwand. Bolitho fragte:»Was gibt es, Mr. Borlase?«Der Leutnant trat in den Lichtschein der Lampe.»Das
Wachboot hat diese Depesche fur Sie gebracht, Sir. «Er leckte sich die Lippen, eine weitere kindliche Angewohnheit.»Vom Gouverneur.»
        Hastig tauchte Noddall mit einer weiteren Lampe aus der Pantry auf. Sein kleiner Schatten tanzte gigantisch uber die wei?getunchte Zwischenwand.
        Bolitho schlitzte den Leinwandumschlag auf und fragte sich dabei, ob Borlase vor dem Kriegsgericht sich nicht ebensosehr hatte entlasten wie seinen Kapitan zu Fall bringen wollen.
        Doch als er hastig das sauber geschriebene Papier uberflog, verbla?ten mit einem Mal die Strapazen und Sorgen der vergangenen Monate, und selbst Borlase, der ihn mit einem sanften Lacheln beobachtete, schien zu verschwinden. Scharf sagte er: Kompliment an den Ersten Offizier, Mr. Borlase, und ich mochte ihn sofort sprechen. «Der Leutnant offnete den Mund, um eine Frage zu stellen, schlo? ihn aber wieder.
        Bolitho ging zum Heckfenster, beugte sich so weit hinaus, wie er konnte, und lie? sich die Seeluft uber Kehle und Brust streichen. Jetzt wunschte er, er hatte nicht so viel getrunken und gegessen.
        Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen, sich auf die Depesche zu konzentrieren. Die Tempest sollte bei erster Gelegenheit Anker lichten und auslaufen. Er spurte, wie die Luft ihm Kopf und Gesicht kuhlte, und fuhlte sich kraftiger; noch wahrend er seine rasenden Gedanken sammelte, betrat Herrick die Kabine.

«Sir?»

«Wir haben Befehl zum Auslaufen, Thomas. Ein Transporter ist uberfallig, obwohl von einem Postschiff gemeldet wurde, da? er vor drei Wochen noch sicher unterwegs war. Der Kapitan des Postschiffs hatte sudostlich von Tongatapu Signalkontakt mit ihm gehabt. «Herrick schob sich das Hemd in die Hose und sagte nachdenklich:»Aber das ist uber zweitausend Meilen entfernt, Sir.»
        Bolitho nickte.»Andererseits war das Schiff, die Eurotas, hier ein regelma?iger Besucher. Sie belieferte die Kolonie und einige Inseln, ihr Kapitan ist mit diesen Gewassern gut vertraut. Es hat keinen Sinn, sich etwas vorzumachen. Sie hatten schon vor Tagen eintreffen mussen. «Er dachte an die Kneipen und die Madchen mit den frechen Augen.»Der Gouverneur hielt die Verspatung geheim, selbst vor seinen Untergebenen, denn die Eurotas hat Kanonen, Pulver und Nachschub geladen. Und sie bringt den Sold fur Militar und Beamte.»

«Glauben Sie, da? sich die Meuterer der Bounty in diesem Gebiet aufhalten konnten, Sir?»
        Bolitho dachte an die dringlichen Anweisungen des Gouverneurs, an seinen Zorn. Am starksten hatte ihn der letzte Absatz betroffen: neben ihrer wertvollen Ladung brachte die Eurotas weitere Deportierte, und vor allem - er konnte es fast vor Augen sehen - den neuernannten Berater und amtierenden Gouverneur fur eine weitere Kolonie, James Raymond, mit seiner Frau.
        Bolitho wandte sich von den schimmernden Lichtern ab; ihr Glanz war trube geworden.

«Wecken Sie den Steuermann, Thomas, und stellen Sie den fruhest moglichen Augenblick zum Auslaufen fest; notfalls lasse ich das Schiff mit Booten freiwarpen. Andererseits - vielleicht ist es ein blinder Alarm. Die Eurotas kann eine Insel angelaufen haben, um Wasser oder Holz zu ubernehmen. Oder sie kann in eine Flaute geraten sein, wie es uns oft genug passiert ist.»
        Herrick studierte ihn mit sehr stillen Augen.»Unwahrscheinlich«, sagte er.
        Bolitho ging an ihm vorbei, beruhrte die Stuhle, ohne sie zu spuren, und den alten Degen an der Schottwand, den Allday wie ein Gralshuter bewachte.
        Er fuhr fort:»Sayer wird die Kurierbrigg ausschicken, wenn sie erst wieder da ist, und der Gouverneur will zwei kleine Schoner nach Norden und Osten abkommandieren.
»Wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, Sir. «Bolitho drehte sich auf dem Absatz um.»Das wei? ich, verdammt noch mal! Aber wir mussen etwas tun. «Er bemerkte Herricks uberraschten und gekrankten Ausdruck und fugte hinzu:»Tut mir leid. Der Wein ist schuld. «Bolitho schob die Papiere uber den Tisch, denn Herrick mu?te es fruher oder spater erfahren.»Lesen Sie selbst. «Damit ging er zur Tur und sagte zu dem Wachtposten:»Benachrichtigen Sie den Midshipman der Wache, ich wunsche alle Offiziere unverzuglich zu sprechen. «Er merkte, da? Herrick ihn beobachtete, und sagte nuchtern:»Ich wei?, Thomas, ich wei?, was Sie denken. Aber das liegt funf Jahre zuruck. Eine lange Zeit fur Erinnerungen.»
        Herrick sah ihn grimmig an.»Jawohl, Sir - wenn Sie meinen? Ich sammle die Offiziere drau?en und bringe sie zusammen herein. «Damit verlie? er die Kabine. Bolitho setzte sich und zog nach kurzem Zogern seine Uhr aus der Tasche. Sie hatte ein sehr gutes Werk von Mudge and Dutton und ein festes, luftdichtes Gehause. Geistesabwesend klappte er den Deckel auf, um die Widmung auf der Innenseite zu lesen:

        Conquered, on a couch allone I lie,
        Once in dreams deceit you came to me,
        All dreams outstripped, if only thou were nigh![Nicht Herr mehr meiner selbst, ruh' ich allein / auf einem Lager, dem einst du dich nahtest / obgleich als Trugbild eines Traumes nur. / Verblassen wurde jeder Traum, warst du mir nah'!]
        Er schlo? den Deckel und steckte die Uhr wieder in die Tasche. Sein Kopf war jetzt ganz klar, und als seine Offiziere eintraten, fiel ihnen keine Veranderung an ihm auf. Au?er Herrick, und der konnte nichts dagegen unternehmen.



        II Isolation

        Bolitho hielt im Niedergang inne und lie? seinen Augen
        Zeit, sich an den grellen Glanz zu gewohnen.
        Es war beinahe acht Glasen,[Ende der Wache, in diesem Fall acht Uhr morgens] und die Manner der
        Vormittagswache hatten sich zur Ablosung bereits lustlos unter der Achterdecksreling versammelt.
        Bolitho war schon vor zwei Stunden an Deck gewesen, wie es seine Gewohnheit war. Trotz der Gewi?heit, da? ein weiterer sengend hei?er Tag bevorstand, war ihm zu dieser
        Stunde alles frisch und lebendig erschienen. Der Tau auf
        Segeln und Leinen hatte diese Illusion noch verstarkt. Doch jetzt stand die Sonne bereits hoch, und als Bolitho zum
        Achterdeck hinaufstieg, fragte er sich unwillkurlich, wie lange sie noch nach der Eurotas suchen mu?ten.
        Seit Sydney hatten sie gut zweitausendfunfhundert Meilen gesegelt - oder eher dreitausend, alle Kreuzschlage[Distanz zwischen zwei Wenden] und
        Launen des Windes mitgerechnet. Herrick hatte bemerkt,
        ihm kame es zwanzigmal langer vor.
        Drei Wochen sengender Hitze und grenzenloser, leerer See.
        Bolitho kniff die Augen zusammen und versuchte, uber den leicht dippenden Bugsprit hinauszuspahen, aber das Licht war schon so grell, da? die See wie poliertes Silber blendete;
        ubergangslos verschmolz sie mit dem Himmel.
        Nach und nach prufte er die Stellung der Segel. Sie zogen noch, aber nur schwach; die leicht angebra?ten Rahen hielten das Schiff auf Steuerbordbug.
        Er horte den Steuermannsmaat Leutnant Borlase melden:

«Die Wache ist angetreten, Sir.»
        Dann quietschten Borlases Schritte auf Deck, seine Sohlen klebten wohl an dem hei?en Pech fest.
        Er, wie auch Keen, der ihn abloste, waren sich der
        Anwesenheit ihres Kommandanten bewu?t, kannten ihn aber auch gut genug, um zu wissen, da? er in die Routine eines Wachwechsels nicht eingreifen wurde.
        Bolitho horte Keen sagen:»Aye, Sir. Kurs Ostnordost…
        Liegt an.»
        Darauf Borlase, kurz und ungeduldig:»Wie ublich keine besonderen Vorkommnisse. Nur Peterson wurde wegen Unbotma?igkeit ins Logbuch eingetragen. Der Erste Offizier kann sich spater mit ihm befassen. «Er wischte sich das schwei?nasse Gesicht und den Nacken.»Losen Sie die Ruderganger ab, bitte. «Dann verschwand er mit einem Nicken im Niedergang.
        Die Leute nahmen den Dienst auf, vier lange Stunden einer weiteren Wache.
        Bolitho hatte Herrick mit dem Bootsmann und einigen Helfern auf dem Vorschiff gesehen. Die Arbeit nahm kein Ende. Wie jedes Schiff glich auch die Tempest einem feingestimmten Instrument, bei dem jeder Zoll der Takelage so entworfen und angeordnet war, da? er eine bestimmte Aufgabe erfullte. Splei?en und Nahen, Malen und Kalfatern verlangten auf der Tempest viel Schwei? und knochenbrechende Muhe.
        Herrick sah ihn und kam uber die Gangway nach achtern. Seine untersetzte Gestalt bewegte sich fast senkrecht auf den ausgedorrten Planken. Das war kaum uberraschend, denn obgleich alle Segel gesetzt waren, wies das Deck kaum Krangung auf.
        Herrick bemerkte:»Das wird wieder ein harter Tag, Sir. «Er sah prufend zu den Masten auf.»Ich habe die Leute fruhzeitig rangenommen, das erspart ihnen das Schlimmste, Mr. Jury plant fur heute nachmittag ein paar schwerere Arbeiten im Orlopdeck.»
        Bolitho nickte. Er beobachtete Keen, der rastlos um Ruder und Kompa? wanderte. Wie die anderen Offiziere war er nur mit Hemd und Breecheshose bekleidet, und sein blondes
        Haar klebte ihm schwei?na? an der Stirn.»Gut, Thomas«, sagte Bolitho.»Die Leute werden uns zwar wegen der schweren Arbeit verfluchen, aber das erspart ihnen anderen Arger.»
        Wie jeder andere Offizier wu?te Herrick, da? zuviel Freizeit bei den herrschenden Verhaltnissen zu Streitigkeiten und Schlimmerem fuhren konnte. In der Messe und den Offizierskammern war es schon schlimm genug. Aber im uberfullten Mannschaftslogis des Unterdecks mu?te es die Holle sein.
        Herrick beobachtete ihn und wartete auf den richtigen Augenblick.

«Wie lange noch, Sir?«Bolitho drehte sich zu ihm um, aber Herrick hielt seinem scharfen Blick stand.»Ich meine, wir haben doch die volle Distanz zuruckgelegt. Das Postschiff hat die Eurotas wohlbehalten und auf Kurs in diesen Gewassern gesichtet. Sie mu? danach in Schwierigkeiten geraten sein. Und bei diesem Schneckentempo konnen wir sie kaum verpa?t haben.»
        Bolitho packte die Reling mit beiden Handen. Das hei?e Holz half ihm, seine Gedanken zu sammeln, seine Nervositat zu verbergen.
        Unter sich sah er Jacob Twig, den Koch, im Schatten eines Laufgangs zielbewu?t davoneilen, zweifellos zum Zahlmeister. Die frischen Lebensmittel und Sondervorrate, die sie in Sydney ubernommen hatten, mu?ten mit dem ublichen Pokelfleisch gestreckt werden: mit gesalzenem Rind- oder Schweinefleisch, das manchmal so hart war wie das Teakholz der Schiffsplanken. Twig war sehr dunkel und ungewohnlich gro?. In seiner ubelriechenden Kombuse stand er meist uber seine Topfe und Kasserollen gebeugt wie ein Zauberer, der magische Tranke braute. Bolitho sagte langsam:»Zugegeben, wir haben die volle Strecke zuruckgelegt. «Er versuchte, sich das vermi?te Schiff vorzustellen, zu erraten, was ihm zugesto?en sein mochte.
        Wahrend der ganzen drei Wochen hatten sie nur zwei andere Schiffe in Rufweite passiert, zwei kleine hollandische Schoner. Die Begegnungen hatten eine Woche auseinandergelegen, aber keiner der beiden Kapitane hatte etwas anderes gesehen als die ublichen Eingeborenenflottillen zwischen den vielen Inseln. Und es war immer klug, um sie einen weiten Bogen zu machen.
        Bolitho fugte hinzu:»Unsere Position ist wieder im Suden von Tongatapu. Wenn wir wenden und der Wind so gunstig bleibt, konnten wir morgen fruh Land sichten.
«Herrick wartete, er erriet seine Gedanken. Bolitho sagte:»Ich will das Schiff nicht mitten zwischen die Riffe setzen, aber wir konnen Boote an Land schicken. Der Hauptling dort ist uns angeblich freundlich gesonnen. Unsere Schiffe sind ihm nicht unbekannt, wie Mr. Lakey sagt.»
        Herrick schnitt eine Grimasse.»Ich nehme trotzdem ein paar geladene Pistolen mit, Sir! Zu viele brave Seeleute sind schon hinterrucks niedergemacht worden. «Bolitho drehte sich nach einer Bewegung im Wasser um: ein Hai, der einen kleineren Fisch uberfiel. In Sekunden war die Wasseroberflache wieder glatt, und nur das gelegentliche Auftauchen der Schwanzflosse verriet, da? sie einen geduldigen Begleiter hatten.

«Manche Eingeborene haben guten Grund, uns zu hassen«, erwiderte er und beruhrte unwillkurlich die Haarstrahne, die sein rechtes Auge halb verdeckte.
        Herrick bemerkte die Bewegung, sie war ihm so vertraut wie Bolithos ruhige graue Augen. Die Strahne verbarg eine tiefe, grausame Narbe an der Stirn. Als junger Leutnant war Bolitho von einem Eingeborenen niedergeschlagen und beinahe getotet worden, als er mit einer Gruppe Matrosen auf einer Insel Frischwasser beschaffen wollte. Herrick blieb ungeruhrt.»Trotzdem werde ich zuerst schie?en, Sir! Ich bin zu weit herumgekommen, um mir mit einer Keule den Schadel einschlagen zu lassen.
«Bolitho wurde plotzlich ungeduldig. Der Gedanke, da? die Eurotas von kriegerischen Eingeborenen uberwaltigt worden sein konnte, entsetzte ihn.

«Rufen Sie den Steuermann, Thomas. Wir werden einen neuen Kurs abstecken und beschlie?en, was wir unternehmen sollen.»
        Herrick sah ihm nach, wie er mit versonnenem Gesicht zur Kampanje schritt. Er sagte zu Keen:»Achten Sie auf Ihre Wache. Spatestens in einer Stunde brauchen wir alle Mann. «Keen antwortete nicht. Auch er erinnerte sich an Viola Raymond, sie hatte ihn gepflegt, nachdem er verwundet an Land gebracht worden war. Wie manchem anderen war ihm ihre Beziehung zum Kommandanten bekannt und auch, was Herrick davon hielt. Keen mochte sie beide, besonders aber Bolitho. Wenn der Viola Raymond suchen und damit neue Gefahren heraufbeschworen wollte, so war das seine Angelegenheit. Er beobachtete Herricks besorgtes Gesicht. Oder etwa nicht?
        In dem kleinen Kartenraum unter der Kampanje, neben der Steuermannskajute, beugte Bolitho sich uber den Tisch und sah zu, wie Lakey sich mit Zirkel und Lineal zu schaffen machte.

«Wenn der Wind anhalt, morgen Mittag. «Lakey blickte auf, sein hageres Gesicht hob sich nur als Silhouette vor einem offenen Bullauge ab.
        Dahinter schimmerte das Meer schmerzhaft in den Augen. Wieviel schlimmer mu?te es auf einem gro?en, mit Deportierten uberladenen Frachter sein. Wenn die Eurotas irgendwo auf Grund sa?, konnte ihre Lage schnell wirklich kritisch werden. Der Wunsch zu entkommen, fur die geringste Uberlebenschance frei zu sein, konnte Menschen zum Au?ersten treiben.

>Wenn der Wind anhalt.< Das mu? sich jedem Seeoffizier mit der Zeit ins Herz eingraben, dachte Bolitho. Er sah Lakey nachdenklich an.»Dann bleibt es dabei. Hundertvierzig Meilen bis Tongatapu. Wenn wir nach der Kursanderung funf Knoten schaffen, halte ich Ihre Schatzung fur angemessen.»
        Lakey hob die Schultern. Lob oder Kritik beruhrten ihn nur selten.»Mir wird wohler sein, wenn ich das Mittagsbesteck gesehen habe, Sir. «Bolitho lachelte.»Also gut.»
        Er drehte sich auf dem Absatz um und eilte aufs Achterdeck zuruck, denn er wu?te, Lakey wurde bereit sein, sobald er benotigt wurde.

«Also, Thomas, wir wenden zur halben Stunde und gehen auf Nordwestkurs. Das gibt uns Seeraum, wenn wir uns den Riffen nahern. Au?erdem sind wir dann in besserer Position, um eine andere Insel anzulaufen, sollte der Wind umspringen.»
        Als ein Schiffsjunge das Halbstundenglas neben dem Kompa? umdrehte, hatten die Matrosen schon die Brassen besetzt und holten keuchend die gro?en Rahen der Fregatte herum.
        Die Tempest gehorchte dem Ruder und walzte sich schwerfallig auf den anderen Bug. Bolitho verfolgte genau, wie lange das Manover dauerte. Trotz des schwachen Windes hatte er jeden verfugbaren Mann an Deck und in der Takelage eingesetzt, denn er hielt es fur toricht, bei Routinemanovern Nachlassigkeiten und Fluchtigkeit zuzulassen. In der Schlacht, wenn der gro?te Teil der Besatzung an den Geschutzen und mit Reparaturen beschaftigt war, mu?te das Schiff von viel weniger Leuten bedient werden. Dennoch hatte die Tempest soeben eher mit der gelassenen Wurde eines Linienschiffs als mit der Behendigkeit einer Fregatte reagiert. Stets war die Gefahr gro?, selbstzufrieden zu werden und den knochenbrechenden und undankbaren Geschutz- und Segel-drill unter Gefechtsbedingungen zu verschieben. Hier drau?en, wo man manchmal monatelang kein anderes Kriegsschiff zu Gesicht bekam, fiel der notige Exerziereifer schwer, besonders wenn man selbst ihn nur zu gern verga?. Bolitho verfugte uber eigene bittere Erfahrung. Als Kommandant der Undine war er seinerzeit zum offenen Kampf mit einer starken franzosischen
Fregatte gezwungen worden, der Argus unter dem Befehl von Le Chaumareys, einem der erfahrensten und fahigsten Kommandanten des Admirals Suffren. Le Chaumareys verfugte uber einen Kaperbrief des Eingeborenenherrschers Muljadi, war aber im besten Sinn des Wortes franzosischer Offizier geblieben. Er hatte Bolitho sogar davor gewarnt, es zur gleichen Zeit mit der Argus, mit Muljadis Piratenflotte und der lahmenden Inkompetenz der Regierungen am anderen Ende der Welt aufzunehmen. Doch konnte gerade die Machtprobe zwischen ihren beiden Schiffen uber das Geschick eines gro?en Teils Indiens entscheiden.
        Wie jetzt auf der Tempest, war Bolitho mit einer bunt zusammengewurfelten Besatzung gesegnet, und alles, was er dem Franzosen und seiner gutgedrillten Mannschaft entgegenzusetzen hatte, waren Jugend und frische Ideen. Le Chaumareys hatte seine Heimat schon vor Jahren verlassen. Sein jetziges Kommando unter einer fremden Flagge sollte sein letztes sein, ehe er sich ehrenvoll nach seinem geliebten Frankreich zuruckzog. Doch es waren gerade seine Vorliebe fur Routine, sein Vertrauen zu bewahrten Methoden und Manovern gewesen, die ihn den Sieg und das Leben gekostet hatten.[Siehe DER PIRATENFURST]
        Bolitho fragte sich, wie lange es dauern wurde, bis er zu selbstzufrieden oder zu erschopft sein wurde, einer wirklichen Herausforderung entgegenzutreten. Oder ob er auch kunftig die Schwachen wurde erkennen konnen, wenn kein anderer da war, um ihn darauf hinzuweisen.»Kurs Nordwest, Sir. Voll und bei. «Herrick wischte sich mit dem Handgelenk uber die Stirn.»Und auf diesem Bug ist es auch nicht kuhler.»
        Bolitho nahm das Teleskop von Midshipman Swift entgegen und richtete es nach vorn. Er blickte durch die straffen Wanten und Stage, uber die goldene Schulter der Galionsfigur hinweg, und weiter ins Nichts.»Gut. Schicken Sie die Freiwache unter Deck. «Er hielt Herrick zuruck, der schon davoneilen wollte.»Wie ich horte, wunscht Mr. Borlase, da? Sie heute einen Seemann bestrafen?»
        Herrick sah ihn ernst an.»Ja, Sir: Peterson. Wegen Unbotma?igkeit. Er beschimpfte einen Bootsmannsmaat.«»Verstehe. Dann verwarnen Sie den Mann selbst, Thomas. Ihn fur eine solche Geringfugigkeit auszupeitschen, wurde nichts besser machen. Und dann sprechen Sie mit Mr. Borlase. Ich dulde nicht da? er oder ein anderer Offizier in dieser Weise seine Verantwortung von sich schiebt. Er war Wachfuhrer und hatte den Fall sofort bereinigen mussen. «Herrick sah Bolitho nach, der das Deck verlie?, und verfluchte sich, da? er die Sache nicht fruher bereinigt hatte. Da? er es Borlase hatte durchgehen lassen, wie schon so oft. Wenn man mude und von der Sonne ausgedorrt war, schien es oft einfacher, etwas selbst zu tun, als den ublichen Dienstweg einzuhalten.
        Das ist auch der Grund, weshalb ich es nie weiter als bis zum Leutnant bringen werde, dachte er. Wahrend Herrick in Luv auf und ab ging, wurde er fast, standig von Keen und Midshipman Swift beobachtet. Vom Midshipman auf der Undine zum Dritten Offizier der Tempest: Als Keen befordert worden war und die Offiziersprufung bestanden hatte, war er uberzeugt gewesen, da? nichts ihn je stolzer machen wurde. Doch nun beobachtete er Herrick und fragte sich nicht zum erstenmal, wann der nachste Schritt in seiner Karriere kommen wurde. Mancher Leutnant schien automatisch zum Kapitan zu avancieren und unaufhaltsam hoher zu steigen - wie ein Komet. Andere blieben Jahr fur Jahr auf der gleichen Stufe, bis die Marine sie ausstie? wie Strandgut. Wenn er doch im Krieg schon alt genug gewesen ware, um unter Mannern wie Bolitho und Herrick voll zu dienen! Er horte Lakeys leichten Schritt neben sich.»Ich dachte gerade…»
        Der Steuermann lachelte grimmig.»Mein Alter in Tresco sagte immer, uberla? das Denken den Pferden, Tobias, sie haben gro?ere Kopfe als du. «Das schien ihn zu amusieren.»Wir haben einem Kurs zu folgen, Mr. Keen. Und kein Bruten oder Bohren wird die Absichten des Kommandanten andern, um keinen Deut.»
        Keen grinste. Er mochte Lakey, obwohl ihre Welten so weit auseinander lagen.»Ich will's mir merken.»
        Bolitho sa? an seinem Schreibtisch und arbeitete sich langsam durch das tagliche Pensum. Wie meistens wahrend der Vormittagswache empfing er einen regelma?igen Strom von Besuchern.
        Bynoe, der Zahlmeister, verlangte eine Unterschrift fur seine Liste frisch geoffneter Fleischfasser. Er hatte harte Augen und ein noch harteres Herz, war aber besser als viele seines
        Berufes, denen Bolitho begegnet war. Er gab faire Rationen aus und zweigte nichts von dem mageren Sold der Matrosen fur Artikel ab, die sie nicht erhalten hatten, woran sie sich aber nicht mehr erinnern konnten, wenn sie schlie?lich abmusterten.
        Der Schiffsarzt kam mit den taglichen Krankmeldungen. Die Besatzung blieb bemerkenswert verschont von Verletzungen und Erkrankungen, wie Bolitho dankbar feststellte. Doch wenn dann ein Ungluck geschah, geschah es meist ohne Vorwarnung und erbarmungslos. Wie bei den Mannern, die uber Bord gegangen waren, und den beiden Verletzten, die er der Obhut der hollandischen Arzte in Coupang uberlassen hatte.
        Wahrend Bolitho jedes Buch und jede Abrechnung studierte, die ihm Cheadle, sein Schreiber, vorlegte, war er sich des Treibens an Bord und um sich herum bewu?t. Das alles waren Lebenszeichen des Schiffes selbst. Wenn einer starb oder von Bord ging, mu?te er ersetzt werden, damit das Schiff weiterlebte.
        Er horte das Poltern der Lafetten, als alle Kanonen - von den langen Zwolfpfundern des Hauptdecks bis zu den leichten Sechspfundern achtern - innenbords geholt und vom Stuckmeister Jack Brass inspiziert wurden. Einmal in der Woche uberprufte er routinema?ig jedes Geschutz, und mochte Gott dem Stuckfuhrer helfen, dessen Gruppe den Anforderungen dann nicht genugte.
        Mit seinen Deckoffizieren und Veteranen hatte Bolitho Gluck gehabt, und dafur war er dankbar. Selbst seine vier Midshipmen, ursprunglich von Eltern geschickt, die ihnen Erfahrung und Chancen verschaffen wollten, welche in Friedenszeiten sonst rar waren, konnten nach zweijahrigem Dienst fast als Unterleutnants gelten. Swift und Pyper waren siebzehn und dachten schon an ihre Offiziersprufung. Fitzmaurice, ein mopsgesichtiger Junge von sechzehn, hatte seine ursprungliche Arroganz fast abgelegt. Er kam aus einer reichen Familie und hatte sich anscheinend eingebildet, auf der Tempest erwarte ihn eine Art Vergnugungsreise. Herrick und Lakey hatten ihn eines Besseren belehrt.
        Der jungste Kadett, Evelyn Romney, war funfzehn. Sie alle unterschieden sich von den Zwolf- und Dreizehnjahrigen, die man auf vielen anderen Schiffen fand, dachte Bolitho. Romney hatte sich am wenigsten entwickelt. Er war von Natur aus schuchtern, und ihm fehlte das Durchsetzungsvermogen, das er im Umgang mit viel alteren Mannern brauchte. Doch wahrend Fitzmaurice seine Familie verfluchte, weil sie ihn auf See geschickt hatte, schien der weit weniger talentierte Romney verzweifelt entschlossen, sich zu bewahren. Offensichtlich liebte er die Marine, und sein Kampf gegen die Schuchternheit verdiente Mitgefuhl. Bolitho horte den Marschtritt der Marinesoldaten, die von ihrem taglichen Drill auf dem Vorschiff und in den Masten zuruckkehrten. Prideaux war bestimmt nicht dabei; Schwei? und Muhe uberlie? er dem Sergeanten. Spater wurde er dann auftauchen und kritisieren. Bolitho hatte ihn nie ein Wort der Ermutigung oder des Lobes au?ern horen, nicht einmal, wenn einer seiner Soldaten befordert worden war. Isaac Toby war der Schiffszimmermann: beleibt, langsam und recht stoisch, erinnerte er an eine
raudige Eule. Aber er war ein Meister seiner Zunft und fuhrte mit seiner kleinen Arbeitsgruppe alle Reparaturarbeiten prompt aus, obwohl er bei einem aus Teakholz gebauten Schiff gewohnlich andere Sorgen hatte. Im Augenblick war er mit dem Bau einer zusatzlichen Jolle beschaftigt. Das Ganze hatte als eine Art Witz begonnen, mit einer beilaufigen Bemerkung von Brass, dem Stuckmeister, uber die Vergeudung, als ein Matrose dabei ertappt wurde, wie er Holzabfalle uber Bord warf. Toby hatte das als personliche Herausforderung angesehen und versichert, er wurde eigenhandig aus allen Abfallen, die Brass auftrieb, ein Boot bauen. Nun war das Boot fast fertig, und selbst Brass mu?te zugeben, da? es die alte Jolle der Tempest ubertraf.
        Bolitho lehnte sich zuruck und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.
        Cheadle nahm die letzten Dokumente auf und vergewisserte sich, da? die Unterschriften trocken waren. Der Schreiber war wie viele seiner Art ein seltsamer, in sich gekehrter Mann mit tiefliegenden Augen und so gro?en, ungleichma?igen Zahnen, da? er standig zu lacheln schien. Als Bolitho etwas von ihm uber seine Vergangenheit erfahren wollte, hatte er jedes Wort einzeln aus ihm herausholen mussen. Cheadle war von einem anderen Schiff, das in Bombay umgerustet worden war, zur Tempest versetzt worden. Der Kapitan hatte Bolitho versichert, er sei ein guter Schreiber, nur etwas schweigsam, und hatte fruher in einem Kramerladen in Canterbury gearbeitet, wo er seinen Stolz dareinsetzte, die
>besseren Herrschaften< zu bedienen. Doch in zwei Jahren des taglichen Kontakts hatte Bolitho daruber noch nichts von Cheadle zu horen bekommen.
        Noddall trat ein, nachdem der Schreiber gegangen war, und stellte ein Glas Wein auf den Schreibtisch. Da frisches Wasser knapp und der Nachschub eine standige Sorge war, wich Bolitho im allgemeinen auf Wein aus. Er erinnerte sich, wie er zu der beruhmten Weinhandlung in St. James begleitet worden war, wo er vor seiner Reise mit der Undine ans andere Ende der Welt reichlich eingekauft hatte. Im Kampf mit der Argus war aus dem Wein eine Pfutze voller Glassplitter geworden, aber die Erinnerung war ihm geblieben. Er beruhrte die Uhr in seiner Tasche. Wie an so vieles andere.
        Allday kam aus der Schlafkabine heruber und musterte ihn ernst.»Glauben Sie, da? wir sie noch finden, Captain?«Er hielt die Arme uber der breiten Brust verschrankt, benahm sich ganz entspannt. Allday war eben mehr ein Gefahrte als ein Untergebener. Wieviel hatten sie schon gemeinsam durchgestanden! Bolitho fragte sich oft, ob Allday England vermi?te. Doch ganz bestimmt vermi?te er die englischen Madchen. Allday hatte immer Gluck bei ihnen gehabt und war mehr als einmal froh, wenn nicht gar versessen darauf gewesen, aus Furcht vor einem Ehemann oder erzurnten Vater schleunigst davonsegeln zu konnen.»Hoffentlich.»
        Bolitho schlurfte Wein: billig und schal. Nicht wie der franzosische, den Herrick fur ihn besorgt hatte. Die Garnison in Sydney hatte diesen Vorrat wahrscheinlich von einem franzosischen Schiff oder einem ehrgeizigen Handler angekauft. Wer bereit war, Vermogen und Leben gegen wilde Eingeborene, Piraten und die standige Gefahr des Schirrbruchs zu riskieren, der konnte hier alles an den Mann bringen.
        Im Kielwasser von Seefahrern und Forschern wie Cook waren andere gekommen. Mancher Insel, auf der die Eingeborenen zuvor primitiv, aber idyllisch gelebt hatten, brachten die Schiffe Krankheit und Tod. Diese Handel treibenden Abenteurer hatten die Stamme durch ihr Angebot von schabigen Waren und billigen Stoffen gegeneinander-gehetzt und dafur sichere Ankerplatze eingehandelt. Und nun bezahlte jeder dafur. Bald wurde ein habgieriger Handler anfangen, Eingeborene mit Musketen zu beliefern. Bolitho hatte es in Amerika erlebt, wo die Franzosen Indianer zum Kampf gegen die Briten ausgebildet hatten, und die Briten hatten mit Gleichem erwidert. Spater, als die Unabhangigkeit gewonnen und Briten wie Franzosen aus dem Land verschwunden waren, hatten die Amerikaner eine neue Armee in ihrer Mitte vorgefunden: indianische Krieger, die - wenn sie sich zusammenschlossen - die Siedler ins Meer zurucktreiben und die neuen Hafen und Stadte isolieren konnten.

«Ich bezweifle sehr, da? wir an der Eurotas vorubergesegelt sind, ohne sie zu sichten«, fuhr Bolitho fort.»Wir hatten den Ausguck doppelt besetzt und bei Nacht so viele Lichter gesetzt, da? uns selbst ein Blinder hatte sehen mussen. Ihr Kapitan mu? wissen, da? man sich seiner Verspatung wegen Sorgen macht; er wurde versuchen, mit jedem Schiff Kontakt aufzunehmen.»
        Alldays Augen waren nachdenklich in die Ferne gerichtet, durchs Heckfenster auf die See hinaus. Da der Wind von Backbord kam, krangte das Schiff leicht nach Steuerbord, so da? der Horizont schrag zu liegen schien. Wie die meisten Seeleute konnte Allday ohne zu blinzeln aufs Meer hinaussehen, obwohl es grell funkelte wie eine Wuste voller Edelsteine.

«Ich nehme an, da? sie Land anliefen, um Frischwasser zu ubernehmen. Ihre Vorrate konnen verdorben sein, wie es auch uns mal passiert ist. «Er schnitt eine Grimasse.»Mit einem Schiff voll Deportierter kann der Kapitan sich nicht noch mehr Sorgen aufladen.«»Das ist richtig.»
        Bolitho senkte den Blick; er erinnerte sich daran, wie Viola ausgesehen hatte. An ihre Sorglosigkeit gegenuber einer Entdeckung und dem Risiko, in Madras oder spater in dieser elenden, fieberverseuchten Kolonie, wo Bolithos Schiff einem weiteren von diesen Gouverneuren hatte Respekt verschaffen sollen. Oft war ihm beim Gedanken an die Gefahr der Schwei? ausgebrochen. Jederzeit konnte die Tur aufgesto?en werden, dann mu?te er ihr Gesicht und ihre Schultern zu verbergen versuchen. Aber niemand war gekommen, sie in ihrer Leidenschaft zu storen; nun war der Schmerz uber ihren Verlust nur noch schwerer zu ertragen. Aber auch der Zorn. Was dachte James Raymond sich dabei, Viola wieder hierher zu bringen? Fur europaische Frauen war dieses Klima verheerend, au?erdem bestand dazu keine Notwendigkeit. Raymonds gro?es Haus, seine Stellung, alles, was er auf Kosten anderer erworben hatte, hatten es ihm leicht ermoglicht, Viola sicher und behaglich unter wohlwollenden Menschen und in vertrauter Umgebung zuruckzulassen.
        Es klopfte, und Borlase spahte herein, das Gesicht etwas weniger sanft als ublich.

«Ich wollte nur sehen, ob ich Sie sprechen kann, Sir. «Er warf einen schnellen Blick auf Allday.»Aber wenn ich ungelegen komme…»
        Bolitho winkte, und nachdem Allday die Kajute verlassen hatte, sagte er:»Fassen Sie sich kurz, Mr. Borlase, ich mochte noch vor Mittag mit den Zwolfpfundern exerzieren. «Er wu?te, weshalb der Leutnant gekommen war, und auch das deprimierte ihn.
        Borlase leckte sich die Lippen.»Ich hatte Anla?, einen Matrosen ins Logbuch eintragen zu lassen, Sir.«»Peterson, ich wei?.»
        Leutnant Borlase verriet kurz seine Uberraschung, ehe er hastig fortfuhr: Verstehe, Sir. Aber ich erwarte, da? Mr. Herrick eine angemessene Strafe verhangte. Peterson war herausfordernd und unbotma?ig gegenuber einem
        Vorgesetzten gewesen, und zwolf Peitschenhiebe sind das mindeste, was er verdient!

        Beim Sprechen hatten sich seine Wangen gerotet. Wie ein reizbares, aber triumphierendes Kind, das bei seinem Erzieher eine Schwache entdeckt hat, dachte Bolitho. Er entgegnete ruhig:»Der beleidigte Bootsmannsmaat war Schultz. Stimmt das?«Er wartete nicht auf Antwort, sondern fuhr im gleichen sachlichen Ton fort: Er ist ein ausgezeichneter Seemann, und wir sind froh, ihn zu haben. Aber noch vor zwei Jahren konnte er kein einziges Wort sprechen, au?er in seiner Muttersprache Deutsch. Der Wortschatz, den er nun beherrscht, besteht aus Redensarten und dem Slang der Seeleute, aus den Kommandos, die er braucht, um zu gehorchen oder zu befehlen. «Borlase blickte Bolitho verstandnislos an.»Ich verstehe nicht..»

«Sie hatten sich die Muhe machen sollen, der Sache nachzugehen. «Bolitho spurte, wie der Zorn in ihm aufstieg; warum nur waren Leute wie Borlase niemals in der Lage, aus ihren Fehlern zu lernen?» Dann hatten Sie es mit einem Minimum an Aufwand geregelt. Ich horte, da? Peterson einen Befehl nur langsam befolgte und da? Schultz ihn anschrie, er gehore eher an den Galgen als auf eine Gro?rah. «Er wartete und beobachtete, wie sich Borlases Finger wie Klauen offneten und schlossen.»Nun, war es so?»

«Ja, Sir. Etwa so. Darauf nannte Peterson Schultz ein Schwein und einen hartherzigen Teufel. «Borlase nickte nachdrucklich.»Deshalb habe ich befohlen, ihn unter Deck zu bringen.»
        Bolitho verschrankte die Hande hinter dem Kopf. Er spurte, wie ihm der Schwei? uber die Brust rann; das Hemd, heute frisch angezogen, klebte wie ein nasser Fetzen an ihm. Vielleicht hatte es sich auf der verschwundenen Bounty oder an Bord der Eurotas ahnlich zugetragen. Vom Klima und der nie enden wollenden Arbeit gefoltert, waren die Manner durch eine unbedachte, dumme Bemerkung aus dem Gleichgewicht gebracht worden. Die ubrigen explodierten dann wie ein Pulverfa?.
        Er sagte:»Petersons Vater wurde seinerzeit in Exeter wegen Mordes und Diebstahls gehenkt. Aber er war zu unrecht beschuldigt worden; der wahre Morder wurde ein Jahr spater gefa?t und hingerichtet. «Sein Ton wurde harter.»Doch Petersons Familie war bereits von den Freunden des Toten aus ihrem Heim vertrieben worden. Sie wurden zwar rehabilitiert, aber zu spat. «Er sah Borlase bla? werden und fugte hinzu:»Ich mache Schultz keinen Vorwurf daraus, da? sein Wortschatz begrenzt ist, aber ich kann auch Peterson keinen Vorwurf machen. Schon die Erwahnung eines Galgens, wie beilaufig sie auch erfolgte, wurde selbst mich an seiner Stelle in Wut versetzen.»
        Borlase murmelte stockend:»Tut mir leid, Sir, das wu?te ich nicht.»

«Und das mache ich Ihnen zum Vorwurf. Dieser Mann gehort zu Ihrer Division, und es war Ihre Wache. Ich wu?te es, und der Erste Offizier wei? es auch. Ich erwarte, da? Sie etwas unternehmen werden, und zwar bald, um seinen Respekt wiederzugewinnen. Respekt mu? man sich verdienen, Mr. Borlase, er wird nicht mit dem Rock des Konigs geliefert.»
        Borlase drehte sich um und verlie? die Kabine, und einige Augenblicke verharrte Bolitho ganz still in seinem Sessel, lie? die Gerausche des Meeres das wilde Schlagen seines Herzens ubertonen.
        Allday sagte:»Eine schone Standpauke, Captain.«»Ich hatte Ihnen befohlen, den Raum zu verlassen!«Er erhob sich, wutend uber sich selbst, weil sein Temperament mit ihm durchgegangen war, und uber Allday, weil der es so gelassen hinnahm.

«Das habe ich, Captain!«Allday machte ein undurchdringliches Gesicht.»Ich dachte, Sie hatten mich wieder gerufen.»
        Bolitho lenkte ein.»War es denn so laut?»
        Allday grinste.»Ich habe Schlimmeres erlebt. Aber ich nahm an, Sie hatten noch dringende Dinge zu erledigen und wollten vielleicht daran erinnert werden.»

«Danke. «Er spurte, da? sich sein Mund zu einem Lacheln verzog.»Aber Sie sind verdammt unverschamt.»
        Der Bootsfuhrer nahm Bolithos alten Degen von der Schottwand herunter und rieb mit seinem Hemd daran.»Ich werde ihn mal wieder polieren, Captain. Es konnte uns Gluck bringen.»
        Bolitho blickte zum offenstehenden Skylight empor, als nackte Fu?e hastig uber Deck klatschten und er das plotzliche Knarren von Blocken und Rauschen der Leinwand horte. Die Wache an Deck trimmte Segel und Rahen. Kam mehr Wind auf? Sprang er um? Bolitho erhob sich schnell und ging an Deck.
        Keen hatte noch die Wache, und er war so kompetent und zuverlassig, wie ein junger Offizier nur sein konnte. Doch Bolitho kannte seine gro?e Schwache: Keen wurde eher sterben, als seinen Kommandanten zu Hilfe rufen, wenn der Wind umsprang oder auffrischte.
        Bolitho erreichte das Achterdeck und sah die Matrosen an den Brassen die Rahen so trimmen, da? die Segel wieder voll zogen.
        Starling, Steuermannsmaat der Wache, legte die Hand an die Stirn und meldete:»Der Wind raumt, Sir. Und frischt auch auf.»
        Seine Stimme war besonders laut, wohl um seinen Leutnant zu warnen, da? der Kommandant in der Nahe war. Bolitho blickte auf den Kompa? und uberprufte die Stellung der Segel. Sie waren straff und prall gefullt. Mit etwas Gluck konnten sie ein paar Stunden lang einen Knoten schneller fahren.
        Keen kam von der Achterdeckreling herbeigeeilt, das Gesicht besorgt.
        Bolitho nickte gelassen.»Geschutzexerzieren in einer Stunde, Mr. Keen. «Er sah die Uberraschung und die Erleichterung auf Keens Gesicht.»Stimmt etwas nicht?«Keen schluckte hart.»N-nein, Sir. Alles klar. Ich dachte nur… «Er brach ab.
        Bolitho wandte sich wieder dem Heck zu. Aus Keen wurde nie ein guter Lugner werden.
        Keen sah ihm nach, dann flusterte er eindringlich:»Hat er etwas gesagt, Mr. Starling?»
        Der Steuermannsmaat musterte ihn vergnugt. Wie die meisten an Bord mochte er Keen. Viele junge Offiziere waren, wenn sie erst einmal den Rang eines Leutnants hatten, zu arrogant, um noch mit einfachen Seeleuten zu sprechen.
        Er antwortete:»Er wollte Ihnen wohl nur zeigen, da? er da ist, Sir. Fur den Fall, da? Sie ihn brauchen. «Er grinste.»Aber selbstverstandlich brauchen wir ihn nicht, Sir, oder?«Vor sich hinlachend ging er fort, um das Klarieren einer Wuling[Entwirren eines Tauknauels] zu uberwachen.
        Keen verschrankte die Hande auf dem Rucken, wie er es bei Bolitho so oft gesehen hatte und begann, an Deck auf- und abzugehen. Er ignorierte die Hitze und den Durst, der ihm den Mund ausdorrte. Manchmal war es schwierig, den Kommandanten zu verstehen, zu erkennen, ob er etwas mit einem teilte, oder ob er es zu seinem stillen Vergnugen fur sich allein behielt.
        Keen hatte Bolithos Stimme durch das Skylight gehort, aber nicht verstanden, was gesagt wurde. Doch Bolithos Ton und Borlases Gesicht, als er an Deck erschien, hatten ihm sehr viel verraten.
        Fur einen Kommandanten horte der Dienst nie auf. Niemals. Keen sah Allday mit einem Degen unterm Arm uber das Batteriedeck gehen und beneidete den Mann beinahe wegen seiner vertrauten Stellung zum Kommandanten. Mehr noch als selbst Herrick, schien Allday derjenige zu sein, mit dem Bolitho wirklich alles teilte.
        Erschrocken fuhr Keen herum, als Bolitho ihn von der Reling her anrief:»Mr. Keen, ich wei? Ihre Absicht, sich durch Bewegung korperlich fit zu halten, durchaus zu wurdigen, aber wurden Sie bitte auch Ihren Verstand bemuhen und ein paar Leute an die Fockmarsbrassen schicken? Sie bedurfen dringend Ihrer Aufmerksamkeit. «Keen nickte und eilte an die Reling. Gleichgultig, welche Probleme den Kommandanten auch beschaftigten, seine scharfen Augen wurden dadurch nicht beeintrachtigt.



        III Eine seltsame Nachricht

        Bolitho hob das Teleskop ans Auge und zuckte zuruck, als das hei?e Metall seine Haut beruhrte. Seit dem ersten Morgenlicht, als der Ausguck» Land in Sicht
«gemeldet hatte, hatte die Tempest sich langsam, aber stetig dem Land genahert; an die Stelle der ersten Erregung trat Ungewi?heit.
        Methodisch und aufmerksam studierte Bolitho die Inseln, bemerkte die verschiedenen Anhohen; die auf der nachsten Hauptinsel sah aus wie ein gebuckter Monch, der sich die Kapuze uber den Kopf gezogen hatte. Durch das starke Fernglas wirkte alles sehr nah, aber er wu?te, da? das nachste Land noch gut drei Meilen entfernt war. Dahinter uberschnitten sich in der Ferne zahllose weitere Inseln oder blo?e Erhebungen aus nacktem Fels, die den Eindruck einer unuberwindlichen Landbarriere machten. Kopf und Schultern eines Seemanns tauchten kurz in dem Glas auf, als Bolitho es auf den Kutter der Tempest richtete, der bald nach der Morgendammerung zu Wasser gelassen worden war. Unter einem winzigen Segel fuhr er der Fregatte voraus; gelegentlich konnte Bolitho ein Aufspritzen vor dem Bug der Kutters wahrnehmen, wenn der Lotgast regelma?ig die Leine auswarf, um ihre Annaherung ans Ufer zu sichern.
        Das Meer wirkte zwar ruhig und einladend, aber Bolitho wu?te, da? sie nie au?er Gefahr waren. Dicht bei der nachsten Hauptinsel, wo das Wasser eher grun als blau schien, hatte er unter der Oberflache einen dunkleren Streifen wahrgenommen: wie ein Feld Seegras, aber hier gab es auch sehr viele Riffe. Jedenfalls durfte er kein Risiko eingehen.
        Ohne das Glas zu senken, sagte er:»Lassen Sie einen Strich abfallen, Mr. Lakey.»

«Aye, aye, Sir. «Der Steuermann schien angespannt. Bolitho erforschte weiter die nachste Insel. War sie unbewohnt, oder verbargen die reich bewachsenen Hugel spahende Augen? Er erinnerte sich, wie er einmal an einem solchen Strand gelandet war. Eingelullt vom schweren Duft der Palmen und der unbekannten Vegetation, eine Weile dem spartanischen Leben an Bord entkommen, waren sie vollig unvorbereitet gewesen auf den plotzlichen Uberfall durch schreiende, Speere schwingende Wilde. Diese Erinnerung tauchte gerade in solchen Augenblicken immer wieder auf.

«Nordwest zu Nord, Sir! Kurs liegt an.»

«Sehr gut. «Bolitho wandte sich Herrick zu.»Nichts zu sehen, Thomas. Nicht einmal Rauch.»
        Herrick erwiderte:»Mir gefallt das nicht.»
        Auch er hielt ein Fernglas auf die Insel gerichtet.»Bei dem
        Schneckentempo mu?te jeder Ausguck uns schon lange ausgemacht haben.»
        Wie zur Bestatigung seiner Worte klangen vom Vorschiff sechs Glasen heruber: elf Uhr vormittags. Eine lange Zeit seit der Morgendammerung.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Er kannte die Eurotas nicht, aber sie war ein erprobtes Schiff und kein Fremdling in diesen Gewassern. Ihr Kapitan James Lloyd hatte einen guten Ruf. Selbst wenn das Schiff auf ein Riff gelaufen ware, hatten sich die Uberlebenden doch zweifellos in den Booten retten konnen?
        Er senkte das Glas und sah kurz einen Hai auftauchen, der seinen Rucken in ganzer Lange dem Sonnenlicht zeigte, kaum eine Riemenlange von der Bordwand entfernt. Midshipman Swift sagte:»Der Kutter signalisiert, Sir. «Selbst seine Stimme klang gedampft. Bolitho hob wieder das Glas und sah Starling, einen der Steuermannsmaaten, aufrecht mit ausgestreckten Armen im Heck des Bootes stehen.

«Beachten Sie das, Mr. Lakey. «Bolitho schob das Teleskop mit einem Schnappen zusammen.»Das Boot hat in Nordwest Untiefen gesichtet.»
        Seine Augen mit dem Unterarm beschattend, blickte er auf. Unter Marssegeln und Kluver machte die Tempest nur wenig Fahrt. Aber sie mu?ten wachsam bleiben, bereit sein, unverzuglich uber Stag zu gehen, um sich notfalls von diesen drohenden Riffen freisegeln zu konnen. Er beobachtete die Segel, die kaum zogen, und die perspektivisch verkurzten Gestalten der Manner im Ausguck. Schon vom Beobachten wurde ihm schwindlig. Einer hielt sich nicht einmal in der Saling fest, und Bolitho konnte sein Bein auf- und abzucken sehen, wahrscheinlich im Takt zu einem Lied, das nur der Seemann selbst horen konnte.
        Lakey verlie? das Ruder, an dem zwei Ruderganger im sengenden Sonnenglast standen, und kam zur Achterdeckreling.
        Bolitho wandte sich ihm zu. Er mu?te seine Schuhe gewaltsam vom Deck losen, an dessen Fugen sie klebten. Lakey sagte ruhig:»Ich habe nachgedacht, Sir. Hier gibt es noch eine Insel, im Nordosten. Auf der Karte ist kein Name fur sie eingetragen, aber Seeleute nannten sie die >Insel der funf Hugel<. «Er hob die Schultern.»Au?er den Hugeln gibt es dort weiter nichts. Ich ging vor Jahren einmal an Land, als ich auf der alten Fowey diente. Die Hugel bilden einen geschutzten Ankerplatz, und auch ein Strand ist da. Wir legten auf der Suche nach Wasser dort an. «Er seufzte bei der Erinnerung.»Aber von Tumpeln im Fels abgesehen, fanden wir nichts.»
        Herrick meinte:»Nun, dort wird die Eurotas wohl kaum sein, oder?«Er konnte seine Ungeduld kaum verhehlen, wie die meisten anderen spurte er die Spannung. Lakey blieb ungeruhrt.»So einfach ist das nicht, Sir. Wenn das Schiff Schaden erlitten hat, ein Leck vielleicht, kann es dort sicher auf Strand gesetzt werden; das Risiko eines Eingeborenenuberfalls ist geringer als bei den anderen, gro?eren Inseln. «Er runzelte die Stirn.»Ich hatte fruher daran denken sollen.»
        Bolitho sah ihn an und uberlegte.»Wie dem auch sei, es klingt einleuchtend. Da wir doch zwischen den Inseln hindurch mussen, verlieren wir nichts, wenn wir unsere Suche etwas ausdehnen.»

«Mr. Starling signalisiert wieder, Sir. «Swifts sonnenbraunes Gesicht verriet seine Konzentration, wahrend er den Kutter durch sein starkes Teleskop beobachtete.»Riffe an Steuerbord, aber immer noch kein Grund. «Lakey atmete langsam aus.»Darin stimmt die Karte jedenfalls.»
        Bolitho zupfte das Hemd etwas von der Brust ab. Es war triefend na?.

«Trotzdem wollen wir selbst anfangen zu loten. Geben Sie den Befehl.»
        Bald darauf horten sie den Ruf des Lotgasten vom vorderen Rusteisen:»Kein Grund, Sir.»
        Da unten mu?te es wie in einer gro?en, zackenbewehrten Hohle aussehen, dachte Bolitho. Er konnte sich den Rumpf der Tempest vorstellen, wie ein Fisch oder eine Meerjungfer ihn wohl sah. Stumpf hob er sich von der schimmernden Oberflache ab, glitt trage zwischen den Riffen hindurch, wahrend unter dem Kiel die See in tiefe Schwarze absank, in eine stumme Welt.
        Jemand mu?te das Schiff doch gesichtet haben! Selbst wenn die Manner im Ausguck kein Lebenszeichen entdecken konnten, mu?te es hier andere Augen geben. Die Nachricht wurde sich schneller uber die Inseln verbreiten als jedes bekannte Signal: ein Schiff in der Nahe, ein Kriegsschiff! Erst wenn die Tempest vorbeigezogen war, wurden die Menschen wieder auftauchen und ihr gewohntes Leben fortsetzen: Beute machen, jagen, fischen. Toten.»Kein Grund, Sir!»
        Bolitho beobachtete den Kutter aufmerksam.»Lassen Sie das Beiboot aussetzen, Mr. Borlase. Kommandieren Sie es selbst, und halten Sie sich dicht unter Land, sobald wir durch den Riffgurtel sind. Aber riskieren Sie nichts, sondern achten Sie nur scharf auf eventuell angetriebene Wrackteile. Bewaffnen Sie die Leute, und lassen Sie eine Drehbasse im Bug montieren.»
        Borlase, der wie der gro?te Teil der Schiffsbesatzung bisher nur Zuschauer gewesen war, zwang seinen von der Sonne benommenen Verstand zur Arbeit.

«Aye, Sir. «Er legte die Hande um den Mund.»Beibootbesatzung nach achtern!»
        Die Tempest bewegte sich so langsam, da? sie nicht einmal beidrehen mu?te, wahrend die Besatzung ins Boot ging und ablegte.
        Bolitho beobachtete das Manover, bis Borlases Mannschaft das Boot unter Kontrolle und Segel gesetzt hatte. Jede Arbeit war besser, als nur herumzustehen und zu bruten. Sie mochte auch dazu beitragen, feindselige Augen an Land zu verwirren. Boote im Wasser konnten alles Mogliche bedeuten und wurden die Weiterleitung der Meldung aufhalten, bis der Zweck klar geworden war.»Zwanzig Faden,[knapp 37 m] Sir!«Eine Pause, bis der Matrose das Lot Hand uber Hand eingeholt hatte. Dann: Felsiger Grund. «Bolitho sah Herrick an. Wenn der Talg am Boden des Lotbleis keinen Sand enthielt, befanden sie sich vermutlich gerade an der sichersten Stelle uber dem Riff. Zwanzig Faden waren so gut wie hundert.
        Starling hatte im Kutter wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, wie tief es hier war, denn das Boot hatte ein Lot von nur der halben Lange; so war ihm wohl kaum bewu?t, da? er das Schlimmste hinter sich hatte. Aber seine Lotwerte waren immer noch wichtig. Ein plotzliches Ansteigen des Meeresbodens, eine auf der Karte nicht erfa?te Felsspitze, gleichgultig, wie klein sie sein mochte, konnte den Boden der Tempest aufrei?en wie eine Axt eine Hangematte. Bolitho beobachtete, wie die Brandung eine andere Insel gischtspruhend anlief. Kein Wunder, da? alte Seeleute ihre Zuhorer mit Geschichten von Sirenen und Meerjungfrauen, die ihre Schiffe hier in den Untergang lockten, in Spannung hielten. Es sah alles so friedlich, so einladend aus.»Kein Grund, Sir!»
        Bolitho ging ruhelos nach Steuerbord hinuber und versuchte, nicht an frisches, kuhles Trinkwasser zu denken, wie man es in den Flussen und Bachen Cornwalls fand. So klar und erfrischend wie Wein.
        Er bemerkte, da? Keen ihn mit nachdenklich gespanntem Gesicht beobachtete. Wahrscheinlich halt er mich fur verruckt, da? ich noch weitersuche, dachte er. Er horte das Schlagen der Segel und Knarren der Blocke, als eine schwache Bo wieder die Segel fullte und den Wimpel im Masttopp wie eine lange Zunge flattern lie?. Nur wenige der Matrosen und Marinesoldaten sprachen oder zeigten Interesse an den vorbeiziehenden Inseln. Das Gurgeln der
        Wellen am Rumpf und das Knarren des Ruders waren die lautesten Gerausche.

«Neunzehn Faden!«Es klang wie ein Klagelied, als der Mann das Lot wieder einholte.
        Lakey sagte plotzlich:»Da ist die Insel, Sir! Genau Steuerbord voraus. Die Hugel uberschneiden sich von hier aus, aber es sind funf, und der Ankerplatz liegt unterhalb des zweiten, soweit ich mich erinnere. «Bolitho nahm das Glas von Midshipman Romney entgegen, der sich mit dem Sextanten bereithielt, um unter den kritischen Blicken von Lakey das Mittagsbesteck zu nehmen. Der arme Romney konnte nicht einmal das richtig. Die drei anderen Midshipmen waren darin so tuchtig wie Leutnants oder sogar besser.
        Bolitho sah die Hugel, deren Gipfel bar jeder Vegetation waren. Ohne Lakeys Erfahrung hatte er nie erkannt, da? es funf Anhohen in einer Reihe waren. Was fur ein entsetzlicher Ort fur Schiffbruchige. Kein Schiff wurde hier vorbeikommen, es sei denn, es wurde von einem Sturm abgetrieben oder verfolgte unredliche Absichten. Hier konnte man ebensogut an Wahnsinn sterben wie verdursten.»Funfzehn Faden!»
        Bolitho beruhrte Romney an der Schulter und spurte durch das rauhe Hemd, wie der Midshipman zusammenzuckte.»Behalten Sie Mr. Borlases Boot im Auge. Wenn es von einer Landzunge verdeckt wird oder sonstwie au?er Sicht gerat, informieren Sie sofort Mr. Herrick. «Er sah, wie der Junge zu ihm aufblickte. Wie immer gab er sich verzweifelt Muhe, furchtete aber jetzt schon, wieder einen Fehler zu begehen.
        Bolitho fugte ruhig hinzu:»Das Mittagsbesteck wird Ihnen heute erlassen, Mr. Romney. Ich kenne unsere Position schon genau genug. Aber ich mochte nicht ein Boot samt Besatzung verlieren.»
        Romney legte gru?end die Hand an die Stirn und eilte zu den Wanten. Das gro?e Teleskop, das er mitschleppte, lie? ihn noch klaglicher erscheinen.

«Der wird nie Offizier«, knurrte Lakey.»In seinem ganzen Leben nicht.»

«Zwolf Faden Tiefe!»
        Bolitho blickte zur Seite. Er bezweifelte, da? es jetzt noch flacher werden wurde, aber die regelma?igen Ausrufe des
        Lotgasten halfen ihm, sich zu sammeln.
        Ohne sich umzuwenden, wu?te er, da? Allday hinter ihm stand. Trotz seines kraftigen Korperbaus konnte Allday so gerauschlos wie eine Katze auftreten.
        Jetzt fragte er:»Soll ich Ihnen etwas zu trinken bringen,
        Cap-tain?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Spater.»
        Allday trat an die Reling, den Kopf leicht schrag geneigt.

«Kanonenfeuer.»
        Wenn er irgendeine schreckliche Verunglimpfung von Konig und Vaterland von sich gegeben hatte, er hatte keine uberraschendere Wirkung erzielen konnen. Ross, der Steuermannsmaat vom Dienst, sagte verachtlich:»Eher mein leerer Magen!»
        Dann horten es alle: einen dumpfen, hallenden Knall, wie ein Paukenschlag in einer Hohle.
        Lakey nickte nachdrucklich.»Das kommt von dem Ankerplatz. Es mu? so sein. Das Echo rollt auf die See hinaus.»
        Bolitho sah, da? alle Gesichter auf dem Batteriedeck sich ihm zugewandt hatten und beobachteten, was er tun wurde. Wo er anfangen wurde.
        Er befahl:»Signalisieren Sie Mr. Starling, den Abstand beizubehalten, und rufen Sie dann Mr. Borlase zuruck. «Verzweifelt rief Romney:»Ich sehe das andere Boot nicht mehr, Sir!«Alle starrten ihn an.
        Herrick rief schroff: «Was sehen Sie nicht?«Romney war von dem fernen Geschutzfeuer und der plotzlichen Aufregung abgelenkt worden. Wie jeder andere hatte er nach vorn geblickt und nicht dorthin, wo ihm befohlen war.
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken. Das Geschutzfeuer erfolgte sehr unregelma?ig und kam offenkundig von nur einer Kanone. Keinesfalls scho? da jemand, der sich zu verstecken suchte.
        Er sah an dem Midshipman vorbei auf eine Landzunge. Borlase mu?te genau dahinter auf den Strand zugehalten haben. Es war mi?lich, da? Romney in diesem Augenblick woanders hingesehen hatte, aber jetzt nicht mehr zu andern. Borlase wu?te selbst, wie er sich seiner Haut zu wehren hatte.
        Bolitho sagte scharf:»Lassen Sie die Fock setzen, Mr.
        Herrick! Kurs zwei Strich nach Steuerbord!»
        Herrick hob sein Sprachrohr.»Alle Mann an die Brassen!
        Beeilung!»
        Die Tempest schwang pompos auf ihren neuen Kurs ein, und die Seeleute setzten hastig das gro?e Vorsegel. Bolitho spurte die geringe Steigerung der Geschwindigkeit. Mit dem jetzt fast achterlichen Wind und dem zusatzlichen Segel gewann das Schiff an Fahrt und begann, den Kutter einzuholen.
        Wieder hob Bolitho das Glas. Er sah den Abhang des ersten Hugels, der an der Luvseite zum Bug hinunter verlief, so da? es durch das Glas so wirkte, als beruhre er die linke Schulter der Galionsfigur.

«An Deck!«Aller Augen wandten sich nach oben zum Ausguck im Vormast.»Schiff vor Anker hinter der Landzunge!»
        Wieder rollte Kanonendonner uber das blaue Wasser, und Bolitho sah Hunderte von Seevogeln wie winzige wei?e Federn uber der nachstgelegenen Anhohe kreisen. Er wartete, bis die Matrosen die Luvbrassen belegt hatten, dann machte er kehrt und ging zum Ruder zuruck. Er spurte, wie die Ruderganger und auch Keen und Lakey jeder seiner Bewegungen folgten.
        Der dienstaltere Ruderganger sagte rauh:»Kurs Nord zu West liegt an, Sir.»
        Bolitho blickte auf den Kompa? und uberprufte die Stellung der Rahen. Dann sah er Herrick an und erinnerte sich fluchtig all der fruheren, ahnlichen Gelegenheiten.

«Also gut. Sie konnen alle Mann auf Station rufen und das
        Schiff gefechtsklar machen lassen.»
        Herrick nickte mit unbewegtem Gesicht.
        Die beiden Trommler kamen nach achtern gestampft, zogen ihre Schlegel und ruckten ihre Trommeln zurecht, ehe sie mit ihrem wilden Wirbel begannen, wahrend die Bootsmanns-maaten von Luke zu Luke rannten und brullten:»Alle Mann! Alle Mann! Klar Schiff zum Gefecht!«Bolitho wurde sich bewu?t, da? Midshipman Romney immer noch neben den aufmerksamen Rudergangern stand, und fragte:»Was halt Sie auf?»
        Der Junge, eine kleine, reglose Gestalt in dem scheinbar wilden Durcheinander, stammelte benommen:»Es - es tut mir leid, Sir, ich dachte…«Er brach ab. Herrick befahl scharf:»Ins Vorschiff mit Ihnen! Melden Sie sich bei Mr. Jury. Ihm fehlen an Steuerbord einige Leute. «Er hob seine Stimme:»Nun gehen Sie schon, Mr. Romney! Er sah dem davoneilenden Midshipman nach und murmelte:»Gott sei ihm gnadig.»
        Der Lotgast, den fast alle vergessen hatten, rief aus:»Zehn Faden, Sir!»
        Bolitho beobachtete den Kutter, der hinter ihnen zuruckblieb. Starling im Heck winkte gru?end, als sie vorbeizogen. Ungeduldig zog er seine Uhr. Das dauerte alles viel zu lange. Aber er wagte nicht, mehr Segel zu setzen. Wenn die Tempest hier ohne Grundberuhrung davonkommen wollte, durfte sie nicht zu schnell sein. Herrick rief:»Gefechtsklar, Sir!«Sein Blick fiel auf Bolithos Uhr, und er fugte hinzu:»Ich bedaure, da? es funfzehn Minuten dauerte, Sir.»
        Bolitho schob die Uhr in die Tasche zuruck. Dieses eine Mal hatte er ausnahmsweise nicht an seine Standardforderung gedacht, da? Gefechtsbereitschaft in zehn Minuten oder schneller erreicht werden mu?te.

«Schon gut. Wir mussen eben versuchen, die funf Minuten wieder aufzuholen.»
        Besser fur Herrick, sich daruber den Kopf zu zerbrechen, als zu horen, da? sein Kommandant neue Sorgen hatte. Er blickte uber die Querreling auf die nackten Rucken der Matrosen an den Zwolfpfundern nieder und zum Vorschiff, wo die langen Buggeschutze und die plumpen Karronaden feuerbereit warteten. Es war die buntest gemischte Besatzung, die er je gesehen hatte.
        Und ganz gleich, was hinter der Landzunge oder dem nachsten Horizont auf sie warten mochte, sie waren alles, was er hatte.
        Langsam sagte er:»Gut denn, Mr. Herrick. Setzen Sie die Flagge.»
        Mit abwechselnd vollen und wieder killenden Segeln, als ob sie atme, steuerte die Tempest zielstrebig auf die Insel der funf Hugel zu. Bolitho konnte sich an eine ahnlich frustrierende Annaherung nicht erinnern und war sich der Spannung ringsum bewu?t.
        Wieder hob er das Glas an die Augen: die Klippen am Fu? des Vorlandes wirkten wie abgebrochene Zahne; er konnte das zwischen ihnen aufgefangene Wasser auf- und abschwappen sehen und dahinter ein kurzes Stuck Sandstrand. Zu steil, um dort an Land zu gehen, entschied er, selbst wenn es gelang, ein Boot zwischen den Felsen durchzumanovrieren.
        Da - der Knall der einzelnen Kanone hallte erneut uber die nachste Halbinsel heruber, wo das Steilufer direkt ins Meer abzufallen schien.
        Er hielt das Glas still und musterte die Masten und Rahen des ankernden Schiffes, das leichte Flattern der aufgegeiten Segel. Es befand sich so dicht unter Land, da? es zeitweise trockengefallen sein mu?te. Moglicherweise, um einen Schaden zu beheben, wie Lakey vermutet hatte. Bolitho sagte:»Andern Sie den Kurs, um diesen Felsen auszuweichen, Mr. Lakey. Wir uberqueren die Bucht und zeigen uns, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, auf was sie schie?en. «Damit sprach er aus, was Herrick und manch anderer dachte, seit sie den ersten Schu? vernommen hatten. Die Eurotas - und es s chien kein Zweifel daran moglich, da? sie es war - war gut bewaffnet, wie ein Handelsschiff es in diesen Gewassern sein mu?te. Aber da kein Anzeichen fur ein anderes Schiff zu entdecken war, wurde sie entweder von Eingeborenenkanus oder vom Ufer selbst bedroht. Ihre Kanone konnte jede solche Gefahr abwehren, und da sie keine schweren Waffen erwidern horten, wurde das Geheimnis immer gro?er.»An die Brassen!»
        Die Manner bewegten sich langsam in dem sengenden Sonnenglast - und dann plotzlich eilig, als die Maate dazwischenfuhren.»Hart Steuerbord!»
        Bolitho beobachtete, wie die dunnen Schatten der Masten uber die ausgedorrten Planken glitten, als die Tempest auf Ruder und Wind reagierte. Sie drehte weiter und weiter herum, wobei das bucklige Vorland an Backbord voruberzog und endlich den Blick auf die Bucht unter dem zweiten Hugel freigab.»Recht so!»

«Nordost zu Nord, Sir!»
        Die Tempest schien von sich aus Fahrt aufzunehmen, als sie vor dem Wind, der fast in ihrem Kielwasser folgte, dahinzog, wahrend jetzt das Vorschiff und die an den Karronaden geduckten Manner von Gischt uberspruht wurden.
        Herrick rief aus:»Ich sehe sie, Sir! Ein Dutzend oder mehr Kanus. Gro?e, mit Auslegern!»
        Eine Kanone auf der ihnen abgekehrten Seite des Schiffes feuerte, und man sah die Fontane bei einem der nachsten Kanus aufspruhen.
        Bolitho studierte die niedrigen, schnellen Bootsrumpfe, die gestikulierenden Gestalten, welche die heftig arbeitenden Paddler antrieben.

«Lassen Sie ein Buggeschutz feuern, Mr. Herrick. Und zwar mitten zwischen die Kanus. Der Abstand ist noch zu gro? fur Schrapnells.»
        Herrick blickte ihn an.»Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben, Sir?»

«Nein. Das ware, als ob man mit einer Axt auf Ameisen losginge. «Er lachelte, wobei ihm seine ausgedorrten Lippen aufplatzten. Das erinnerte ihn daran, da? er nun schon Stunden ohne Unterbrechung in dieser erbarmungslosen Sonne zubrachte. Sie hi?t ein Signal, Sir!»
        Bolitho hielt in seinem rastlosen Auf und Ab inne und wartete, bis Midshipman Swift erganzte: «Welches Schiff?«Bolitho beschattete seine Augen, als ein Teil der Kanus kehrt machte und mit voller Kraft zuruckpaddelte. Endlich hatten sie erkannt, da? die Tempest in die Bucht einlief. Er ignorierte die leuchtend bunten Flaggen, die Swifts Signalgasten zu den Rahen hinauf schickten. Das alles konnte er anderen uberlassen. Er mu?te nachdenken, denn irgend etwas stimmte nicht. Wie bei einem Bild, auf dem der Maler vergessen hatte, ein Gesicht oder einen Schatten auszumalen.
        Von vorn horte er den Ruf:»Backbord-Buggeschutz feuerklar, Sir!»

«Gut. «Er hob die Hand.»Feuer!»
        Der Knall des langen Neunpfunders kam zwar erwartet, schreckte aber dennoch die meisten auf. So war es immer. Bolitho verfolgte die Bahn des Geschosses, das erst zwei Wogenkamme beruhrte, die von den Felsen zuruckfluteten, und dann inmitten der Kanuflotte einschlug. Paddel fuhren wild ins Wasser, und wie auf Befehl drehten alle schlanken Rumpfe ab und strebten der Landzunge zu, welche die Tempest gerade gerundet hatte.»Noch einen Schu?, Sir?»

«Nein. Das bringt nichts, selbst wenn wir ein Kanu treffen. Die anderen konnen sich durchs Riff davonmachen, ehe wir auch nur gewendet haben, um ihnen zu folgen.
«Er schuttelte den Kopf.»Die Eurotas hat Schwierigkeiten.«»Entschuldigung, Sir.
«Lakey machte ein besorgtes Gesicht.»Aber der Wind frischt auf. Noch nicht stark.
«Er deutete mit einer Hand, so braun wie Mahagoni.»Sehen Sie nach achtern. Tongatapu liegt schon fast ganzlich im Dunst. Das Glas wird uns nicht viel verraten, aber ich bin fur Vorsicht. «Bolitho nickte. Die Hauptinsel, die sie als erste gesichtet hatten, war nur mehr ein grunvioletter Schimmer. Doch der neuesten Karte zufolge war die Kustenlinie zehn Meilen lang. Da? sie jetzt, obwohl nur wenige Meilen weit entfernt, in dichtem Dunst lag, warnte sie, da? Schlimmeres bevorstand.

«Richtig. Ich mochte zwischen den Riffen nicht vom Sturm uberrascht werden. Wir wurden den Anker ausbrechen und im Nu auf Grund laufen.»
        Er blickte zur offenen See hinaus; offen bis auf gelegentliche Schaumkronen, die verstreute Korallenriffe anzeigten.
        Plotzlich fa?te er einen Entschlu?.»Drehen Sie bei, bitte, und lassen Sie die Barkasse klar machen. Ich mochte auf der Stelle ein Kommando hinuberschicken. «Er sah, da? Herrick sich auf die Taschen klopfte, und fugte hinzu:»Sie nicht, Thomas.
«Er blickte sich nach Keens schlanker Gestalt auf dem Batteriedeck um.»Schicken Sie den Dritten Offizier. Es soll ganz normal aussehen. Wenn ich meinen Ersten Leutnant schickte oder-«, er zogerte -,»tate, was mir mein Herz gebietet und selbst ginge, konnte es ungewohnlich wirken. «Er nickte.»Ubernehmen Sie. «Wahrend die Fregatte zogernd beidrehte und die Barkasse zu Wasser gebracht wurde, lie? Bolitho Hauptmann Prideaux rufen. Er erklarte ihm dasselbe wie Herrick und wu?te, da? Prideaux genauso verblufft war.

«Schicken Sie einfach Ihren Sergeanten und eine Gruppe Seesoldaten. «Er versuchte, Prideaux in sein Fuchsgesicht zu lacheln.»Die roten Uniformen sind bei dieser Hitze zwar unbequem, aber ich will dem Kapitan der Eurolas die Gewi?heit geben, da? wir keine Piraten sind. «Prideaux legte gru?end die Hand an den Hut.»Jawohl, Sir!«Er eilte davon und rief nach seinem stammigen Sergeanten. Keen, wieder auf dem Achterdeck, blickte gespannt zu dem vor Anker liegenden Schiff hinuber.»Eine Empfehlung an die Eurotas, Mr. Keen. «Bolitho wartete, da? der Leutnant sich umdrehte.»Und fragen Sie, ob wir ihr behilflich sein konnen, obwohl es von hier so aussieht, als ware das Schiff in guter Verfassung. «Er wu?te, da? Herrick neben ihm stand und zuhorte.»An Bord sind einige Passagiere. Ich ware Ihnen dankbar, wenn Sie sich nach ihnen erkundigten. «Er bemerkte das plotzliche Begreifen auf Keens Gesicht.»Und nun fahren Sie los. «Mit Herrick beobachtete er, wie die Barkasse abstie? und die Riemen sich wie Flugel hoben und senkten, als sie in die ersten hohen Wogen vor den Felsen hineinhielt. Sogar an Bord der Tempest war
die starke Unterstromung zu spuren. Bolitho spreizte die Beine und verfolgte die Barkasse mit dem Teleskop. Sie hatte schon ruhigeres Wasser erreicht und naherte sich flott der Eurotas. An der Schanzpforte nahm er Bewegung wahr und einen Flecken aus Blau und Wei?; also erwartete wenigstens ein Offizier das Boot der
        Tempest.
        Gleichgultig, aus welchem Grund die Eurotas sich hier aufhielt - und ein Schaden am Rumpf erschien das Wahrscheinlichste zu sein -, es mu?te die Laune jedes einzelnen an Bord heben, da? unerwartet ein Schiff des Konigs erschienen war.
        Herrick sagte:»Ich bin nicht sicher, ob Mr. Keen wei?, wonach er suchen soll. «Es klang besorgt. Bolitho setzte das Glas ab.»Suchen, Thomas?«Herrick grinste verlegen.»Ich kenne Sie zu gut, Sir. Erst laufen Sie mit geschlossenen Stuckpforten ein und nur einem feuerbereiten Buggeschutz als Zeichen Ihrer Autoritat. Und dann schicken Sie Mr. Keen, statt mich oder Mr. Borlase, sobald er wieder an Bord ist. «Bolitho lachelte.»Die Wetterzeichen stehen nicht sehr gunstig, ich mochte die Dinge beschleunigen. Ferner mochte ich wissen, warum die Eurotas nicht mit allen Geschutzen auf diese Kanus gefeuert hat. Eine gestreute Breitseite hatte sie zu Kleinholz gemacht. «Er drehte sich wieder um und beobachtete, wie die Barkasse an der Kette vom achteren Rusteisen der Eurotas festmachte.»Aber das kann uns nur ihr Kapitan erlautern.»

«Beiboot in Sicht, Sir!«Ein Bootsmannsmaat deutete aufs offene Meer hinaus.»Mr. Borlase halt sich in sicherem
        Abstand von den Klippen.»
        Bolitho nickte.»Rufen Sie ihn an Bord.»
        Der Mann legte die Hand an die Stirn.»Und der Kutter kehrt auch zuruck, Sir.»
        Bolithos Gesicht blieb unbeweglich, wahrend er uber sein weiteres Vorgehen nachdachte.

«Mr. Starling bleibt am besten, wo er ist. Wir brauchen vielleicht weitere Lotungen. «Er sah zu Swift hinuber.»Signalisieren Sie das dem Kutter. «Prideauxs Marinesoldaten standen jetzt auf dem Oberdeck der Eurotas und wirkten dort wie Blutstropfen. Bolitho richtete sein Glas aus, wahrend das Deck in der Dunung stark krangte. Dann verga? er Herrick und alle anderen, als er druben an der Kampanje einige Frauen erkannte. Darunter besonders eine mit langem, rotblondem Haar, die ihren breitrandigen Strohhut mit den Handen festhielt: Viola. Beinahe hatte er ihren Namen laut gerufen. Sie war dort, jenseits dieses Streifens unruhigen Wassers, stand in einem wei?en Kleid da und beobachtete, wie Keen mit dem Kapitan sprach, wahrend Midshipman Fitzmaurice, selbst auf diese Entfernung Arroganz ausstrahlend, etwas hinter ihm wartete.
        Er horte Herrick sagen:»Jetzt merke auch ich den Wetterumschwung.»

«Ja, uns steht noch vor der Morgendammerung starker Sturm bevor«, antwortete Lakey.
        Bolitho sah die Marinesoldaten wieder in die Barkasse steigen. Sie kamen zuruck.
        Er kletterte auf einen der Sechspfunder auf dem Achterdeck, um besser zu sehen, wahrend die Tempest seitwarts wie ein Krebs von Land abtrieb. Er hob das Glas noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Keen und der Kommandant der Eurotas sich die Hande reichten; dann sah er Viola Raymond sich einige Schritte von den anderen Passagieren losen. Es war wie eine Pantomime: Der junge Leutnant blieb mit einem Fu? auf der Schwelle stehen, die Gestalt mit dem breitkrempigen Strohhut und dem hellen Kleid hob eine Hand, wie um ihn aufzuhalten. Dazwischen stand der Kapitan der Eurotas und blickte von einem zum anderen. Dann war der Kontakt unterbrochen und Keen folgte seinen Leuten in die Barkasse; das Boot legte ab und machte sich auf den langen Weg zu ihrem eigenen Schiff zuruck. Lakey fluchte, als Ross, einer seiner Maaten, rief:»Der Wind raumt weiter, Sir. Weht fast direkt aus Suden. Wenn er noch mehr dreht, werden wir…»

«Ich wei?!«schnitt Lakey ihm das Wort ab.»Wir werden uns nur mit Muhe von der Leekuste freihalten konnen. «Bolitho wu?te, da? diese Bemerkungen fur ihn bestimmt waren. Er war ebenso beunruhigt wie Lakey uber den Wind und die gefahrliche Nahe der Riffe. Aber er war auch wegen der Eurotas besorgt. Violas Mann sollte eine ihm neu ubertragene Position antreten, ihre Wege konnten sich wieder kreuzen. Davor empfand er eine gewisse Angst. Er hatte selbst im Boot hinuberfahren und seine dumme Vorsicht vergessen sollen. Alles hatte sich genauso zugetragen, wie Lakey vorausgesagt hatte, und auch wenn der Gouverneur in Sydney die Suche nicht befohlen hatte, ware die Eurotas am Ende heil und sicher dort eingetroffen. Es war nicht ungewohnlich, da? Schiffe nach der strapaziosen und oft gefahrvollen Umrundung von Kap Horn Verzogerungen hatten; Bolitho vermutete, da? man dem Schiff nur seiner wertvollen Ladung wegen so gro?e Aufmerksamkeit widmete.
        Borlase schaukelte hinter dem Achterschiff in seinem Boot, als Keen mit seiner Barkasse an den Rusten festmachte. Die Seeleute keuchten und schwitzten vom angestrengten Rudern.
        Keen kam an Bord.

«Nun?«Bolitho sah ihn erwartungsvoll an. Keen atmete tief ein.»Es war wie vermutet, Sir. Sie wurde vor einiger Zeit leckgeschlagen und lief diese Bucht fur Reparaturen an. Ich sprach mit Captain Lloyd, und er versicherte mir, da? jetzt alles unter Kontrolle sei. Er dankt Ihnen herzlich fur Ihre Unterstutzung, besonders bei dem Eingeborenenuberfall. «Auf Bolithos unausgesprochene Frage erklarte Keen:»Er hat den gro?ten Teil seiner Artillerie an Land gebracht, um das Schiff furs Trockenlegen leichter zu machen. «Herrick nickte.»Das leuchtet ein.
«Keen runzelte angestrengt die Stirn, um nichts auszulassen.»Er sagte noch: Falls Sie nach Sydney zuruckkehren, ware er Ihnen verbunden, wenn Sie dem Gouverneur versicherten, da? Ladung und Deportierte sicher unterwegs sind. «Deportierte… Sie hatte Bolitho fast vergessen. Wieder wurde er an ihre jammerliche Lage in den Zwischendecks erinnert. Abtransportiert, um vielleicht nie wieder die Heimat zu sehen, und nach Wochen auf See dann auf eine Insel verbannt, deren Namen sie vielleicht nicht einmal kannten.
        Langsam erwiderte er:»Danke, Mr. Keen. Lassen Sie die
        Barkasse an Bord holen und bereiten Sie alles vor, um auszulaufen. «Er blickte zum Steuermann hinuber, ohne ihn zu sehen.»Setzen Sie den Kurs so ab, da? er uns klar von der nordlichen Hauptinsel fuhrt und uns den Weg zur offenen See freila?t, aus welcher Richtung der Wind auch wehen sollte.»
        Er wandte sich wieder Keen zu, wahrend seine Ideen von anderen in Befehle und Aktionen umgewandelt wurden.»War das alles?»
        Keen blickte zu Herrick hinuber, der aber bereits die Leute an die Taljen wies, um das Boot einzusetzen, und an die Brassen, um wieder Fahrt in das treibende Schiff zu bringen. Leise sagte er:»Als ich das Schiff bereits verlie?, Sir, hat die Dame, die Gattin von…»

«Ja, Mr. Keen, ich wei? Bescheid. Fahren Sie bitte fort.«»Sie rief mich zuruck. Den Passagieren war gesagt worden, wer die Tempest kommandierte. Ich soll Sie von ihr gru?en. Vielleicht hatte sie noch mehr gesagt, aber ich war schon dabei, das Schiff zu verlassen. «Sein Ton klang entschuldigend.
        Bolitho lachelte ernst.»War sie wohlauf?«Keen nickte.»Sehr, Sir. «Er runzelte die Stirn.»Aber sie erwahnte etwas, das ich nicht ganz verstand. Auch unterbrach Kapitan Lloyd sie und bat mich um weitere Informationen uber die Bounty.»
        Bolitho hatte die ferne Szene wieder vor Augen, die drei Gestalten auf dem Deck der Eurotas. »Versuchen Sie, sich genau zu erinnern.«»Ja, Sir. «Keen blickte zu dem anderen Schiri hinuber.»Ich war an der Schanzpforte, als sie mir zurief: >Ich hoffe, Ihr Kapitan konnte seine Uhr reparieren lassen.««Er hob ratlos die Schultern.»Dann brachte mich Kapitan Lloyd zum Seefallreep, Sir. Tut mir leid, da? ich Ihnen nicht mehr sagen kann.»
        Bolitho starrte ihn mehrere Sekunden lang an.»Sie haben mir eine Menge gesagt.»
        Er zog die Uhr aus seiner Tasche und drehte sie zwischen den Fingern. Viola hatte an den einen Umstand gedacht, der ihn argwohnisch machen wurde. Trotz der Sonnenhitze lief es ihm kalt uber den Rucken, als ihm die Wahrheit bewu?t wurde. Als seine alte Uhr damals eine Musketenkugel aufgefangen hatte, hatte sie ihn vor einer schweren Oberschenkelverletzung bewahrt. Aber sie war vollig zerschmettert worden. Viola hatte das gewu?t und ihm als Ersatz sogar eine andere geschenkt. Beide wurden diesen Umstand nie vergessen.
        Bolitho fragte scharf:»War Mr. Raymond anwesend?«»Ja, Sir. Aber er stand mit den anderen weiter achtern.«»Verstehe.»
        Herrick kam dazu.»Wir sind bereit, Fahrt aufzunehmen. Ich habe Mr. Starling von Ihrer Absicht verstandigt, und er wird uns alsbald vorausfahren. «Er spurte Bolithos Stimmung.»Ist etwas nicht in Ordnung?»

«Nichts ist in Ordnung. «Bolitho schob die Uhr in die Tasche zuruck. Er war wutend, doch gleichzeitig war ihm ubel. Zu denken, da? sie dort jenseits des Wassers Gott wei? welchen Qualen ausgesetzt war und trotzdem versucht hatte, ihn durch Keen zu warnen…
        In Gegenwart ihres Mannes hatte sie sonst die Uhr niemals erwahnt; sie war ihrer beider Geheimnis. Und auf keinen Fall konnte sie vergessen haben, wie es sich in Wahrheit damit verhielt.
        Er sagte:»Dann lassen Sie uns auslaufen, Mr. Herrick. «Er blickte zum Wimpel im Gro?topp hinauf.»Der Wind hat um einen weiteren Strich gedreht. Wir wollen von den Inseln klar kommen, ehe er noch starker wird. «Er blickte den Leutnant an und sagte einfach:»Die Eurotas ist von Meuterern ubernommen worden. Wir mussen mit unseren Leuten an Land gehen und angreifen, bevor sie merken, was wir beabsichtigen.»
        Seine Offiziere starrten ihn an, als sei er plotzlich verruckt geworden.

«Aber - aber…«Herrick rang nach Worten.»Ich habe das meiste gehort, was Mr. Keen berichtet hat, Sir, und konnte darin keinen Hinweis auf eine Notlage entdecken, jedenfalls nicht, nachdem wir die Angreifer vertrieben hatten.«»Der wahre Feind befindet sich im Schiff selbst. «Er lie? alle Formlichkeit fallen und trat zwischen die beiden.»Sie wissen uber meine Uhr Bescheid, auch wenn Sie bisher sorgfaltig vermieden haben, davon zu sprechen. Sie wissen es beide genau, vor allem Mr. Keen, der nach seiner schweren Verletzung von Viola Raymond gepflegt wurde. Sie war sehr gutig zu Ihnen. «Er sah beide der Reihe nach an.»Glauben Sie wirklich, da? sie eine Tatsache verfalschen und die andere uberhaupt nicht erwahnen wurde?«Keen antwortete:»Nein, Sir, das glaube ich nicht.«»Thomas?«Bolitho sah seinen Freund prufend an, beobachtete den Ausdruck auf seinem offenen Gesicht. Ich mu? es wissen.»
        Herrick bi? sich auf die Lippen.»Wahrscheinlich nicht. Aber anzunehmen, da? das Schiff sich in falschen Handen befindet…»
        Bolitho wandte sich ab.»Kennt denn einer von uns Kapitan Lloyd? Haben wir mit der Eurotas jemals Kontakt gehabt?«Er drehte sich so unvermittelt um, da? Keen zusammenzuckte.»Es kann keinen anderen Grund fur eine derart wohldurchdachte Tauschung geben!«Herrick rieb sich das Kinn.»Falls das so ist, Sir, dann mussen wir uns beeilen. «Er seufzte.»Aber wenn Sie sich tauschen…»

«Und wenn nicht?«Er sah Herrick ernst an.»Was dann, Thomas?»
        Lakey rief:»Achtern alles klar, Sir!«Seine Stimme brach den Bann.

«Sobald wir die nachste Hauptinsel hinter uns haben«, sagte Bolitho,»lassen Sie die Bramsegel setzen, Mr. Herrick. Schicken Sie Ihre Leute schon jetzt nach oben. Halten wir uns dran.»
        Schwerfallig zunachst, bis die Rahen optimal fur den auffrischenden Wind gebra?t waren, krangte die Tempest unter dem Druck und begann, ihren Kluverbaum auf die nachste gro?e Insel zu richten. Hoch uber Deck arbeiteten die Matrosen eifrig und sachgerecht, unberuhrt von der drohenden Gefahr, die Viola Raymonds verschlusselte Botschaft uber sie alle gebracht hatte. Am fruhen Abend lag die Insel der funf Hugel in Backbord weit zuruck. Ihr Umri? verlor sich in Dunst und reflektiertem Sonnenglast.
        Bolitho sa? in seiner Kajute am Tisch, den unberuhrten Teller zur Seite geschoben.
        Der Wind hatte noch weiter geschralt, deshalb wurde es einige Zeit dauern, ehe sie die nordliche Spitze der kleinen Insel umschiffen konnten, die sie verlassen hatten. Aber dieser Wind wurde auch die Eurotas am Auslaufen hindern. Er dachte an die angreifenden Kriegskanus. Ein zufalliger Zusammensto? oder der Versuch, eine alte Rechnung zu begleichen? Doch ohne ihr Auftauchen hatten sie den Ankerplatz der Eurotas vielleicht nie entdeckt. Ihr Kapitan - wer er auch war - hatte an Land Ausgucks postiert, denen die geduldige und hartnackige Suche der Tempest zwischen den Inseln nicht entgangen ware. Wenn er nicht mit Kanonen auf die Kanus geschossen hatte, sondern stumm geblieben ware, hatte die Tempest die kleine Insel moglicherweise vollig ubersehen.
        Aber es gab zu viele >Wenn<. Bolitho ging ruhelos zum Fenster und suchte nach der Ruckenflosse dicht unter dem Heck. Zwischen den beiden Schiffen bestand insgeheim ein enger Kontakt, von dem der fremde Kapitan keinesfalls wissen konnte. Bolitho tastete nach der Uhr in seiner Tasche. Er befurchtete, da? Violas tapfere Geste sie schon das Leben gekostet hatte.



        IV Nach dem Sturm

        Ganz so, wie der Steuermann vorausgesagt hatte, begann sich das Wetter bald nach Mitternacht schnell zu verschlechtern. Der Wind nahm an Starke zu, blieb aber hei? und feucht, und als Mond und Sterne hinter tiefhangenden, schnell vor dem Wind treibenden Wolken verschwanden, bereitete sich die Tempest auf ihren Kampf mit dem Sturm vor.
        Selbst Bolitho fand das Erlebnis gespenstisch. Nach Hitze und glei?ender Sonne, nach langsamem und geduldigem Kreuzen gegen wenig Wind, wirkten nun diese gewaltsamen Bewegungen und das uberlaute Drohnen von Sturm und Wellen unnaturlich. Ihre Welt war wieder geschrumpft, beschrankte sich auf vertraute Gegenstande und Haltepunkte an Deck, wahrend das Wasser jenseits des Schanzkleides brodelte wie in einem riesigen Kessel, ehe es in der alles einhullenden Dunkelheit verschwand. Bolitho fand reichlich Zeit, die Manner zu bedauern, die hoch oben auf den bebenden Rahen und in den Wanten arbeiteten. Gelegentlich, bei einem kurzen Nachlassen des schauerlich stohnenden Windes, horte er die Manner sich schreiend und mit verzerrten Geisterstimmen verstandigen. Herrick taumelte auf dem schragliegenden Achterdeck heran und rief:»Alles dicht, Sir!«Er winkte mit einem Arm, was im fliegenden Gischt aber kaum zu erkennen war.»Wenn alles halt, sollten wir das Wetter gut uberstehen. «Er duckte sich fluchend, als eine schaumende See sich in Luv uber den Finknetzen brach und alles in Reichweite durchna?te.»Bei allem
Respekt vor dem toten Captain Cook, Sir, aber ich finde, es war ein Irrtum von ihm, diesen Archipel >freundlich< zu nennen. Gott verdamme diese Inseln, wurde ich sagen.»
        Bolitho kampfte sich nach achtern zu Lakey, seinen Maaten und den drei Rudergangern, die sich an das Rad gebunden hatten und in einer dichten, keuchenden Gruppe auf und nieder schwankten. Er blickte auf den Kompa?, der im Licht seiner kleinen Lampe unnaturlich hell erschien, und versuchte, nicht daran zu denken, was diese Verzogerung bedeuten konnte. Er hielt sich sein stampfendes und rollendes Schiff vor Augen, dessen Spieren und Tauwerk starkstem Druck ausgesetzt waren. Er hatte vor dem Sturm herlaufen und damit selbst jetzt noch dem Schlimmsten ausweichen konnen. Doch wenn der Wind weiter an Starke zunahm, konnte die Tempest viele Meilen nach Norden verschlagen werden; dann bestand nur noch wenig Hoffnung, die Insel rechtzeitig wieder zu erreichen. Auf diese heftigen Tropensturme folgten haufig anhaltende Windstillen, und dann hatten sie keine Aussicht auf eine schnelle Ruckkehr. Im Augenblick lag das Schiff jedenfalls so gut am Wind, wie erwartet werden durfte: nur unter dem gerefften und standig beobachteten Gro?segel beigedreht, trieb sie wie ein schwankender, glanzender Wal im Wasser.
        Er horte das gelegentliche Rasseln der Pumpen, wu?te aber, da? sie nur ubergenommenes Spritzwasser lenzten, das in Luv uber Deck fegte und wie Brandung das Batteriedeck entlangdonnerte, ehe ein Teil davon seinen Weg unter Deck fand. Jede andere Fregatte, die Bolitho kannte, hatte bei dieser See schwer zu kampfen gehabt, und ihre Pumpen waren doppelt bemannt und wahrend jeder knochenzermurbenden Minute in Betrieb gewesen. Die Tempest aber war bei all ihrer Schwerfalligkeit so dicht wie ein Pulverfa?, und ihre starken Teakholzplanken lie?en kaum einen Tropfen durchsickern.
        Bolitho beobachtete, wie das Wasser nach Lee davongurgelte, sich an jedem festgezurrten Geschutz brach, bereit, jeden spuckenden, halbblinden Seemann zu packen und bewu?tlos in die Speigatten zu schleudern. Er packte das Netzwerk und versuchte nachzudenken, obwohl er von Seegang und Wind halb benommen war. Die Eurotas mu?te sicher an ihrem geschutzten Ankerplatz liegen. Nur wenn ihr Anker nicht hielt, konnte sie abtreiben und selbst dort zerschellen.
        Aber angenommen, da? er sich doch irrte? Da? Keen Viola mi?verstanden hatte, oder da? er es erfunden hatte, nur um ihm eine Freude zu machen? Vielleicht hatte sie ihre Nachricht sarkastisch gemeint, was nur er verstehen konnte, damit er sich bei einer Wiederbegegnung zuruckhalten und ihr nicht nahertreten sollte.
        Oder vielleicht wollte sie ihn auch nur sehen und glaubte, eine solche Botschaft wurde ihn zu ihr zuruckbringen? Er schob sich das Haar aus den Augen, in die der spruhende Gischt wie Pfeile durch die Webeleinen der Besanwanten scho?.
        Nur wenn er sich in Viola nicht tauschte, war auch sein
        Urteil uber die Eurotas richtig.
        Er bemerkte, da? Herrick neben ihm auftauchte.

«Mr. Lakey verpfandet sein Wort, da? es bis Mittag so bleiben wird, Sir!«Herrick wartete und blinzelte in die
        Dunkelheit.»Aber wenigstens konnen wir dann sehen, wo wir sind. Ich habe den Ausguck verdreifacht, denn wir treiben weiter ab, als hier ratsam ist. «Er war heiser vom
        Schreien der Befehle.»Vielleicht hatten wir an die Eurotas herangehen und sie entern sollen, und zum Teufel mit dem Wetter!«Er dachte nur laut, aber es klang nach Kritik.»Jetzt erscheint mir nichts mehr sicher.»
        Bolitho entgegnete:»Wenn ich recht habe, Thomas, dann waren beide Schiffe in Gefahr gewesen. Die Passagiere, die Deportierten, und wer wei?, wer noch - sie waren bei dem Angriff getotet worden.»
        Herrick wischte sich mit dem Armel uber den Mund.»Ja, das stimmt wohl. Ich vermute, da? die Deportierten jede Beherrschung verloren, als das Schiff auflief, und dann die Macht an sich rissen. «Er drehte sich um und wartete auf Bolithos Meinung.

«Falls das Schiff uberhaupt auflief. An dem allen stimmt etwas nicht, Thomas.»
        Starling, einer der Steuermannsmaaten am Kompa?, rief:»Oben ist was weggeflogen, Sir!»
        Als Bestatigung fur seine Warnung polterten zwei Blocke und etwa funfzig Fu? Tauwerk wie eine zweikopfige Schlange auf das Achterdeck herab. Starling rief schon nach zusatzlichen Leuten, um in die trugerischen Wanten zu klettern und den Schaden zu beheben. Er war zwar geringfugig, aber wenn er unbeachtet blieb, konnte daraus Schlimmeres entstehen. Bolitho horte dem Steuermannsmaat anerkennend zu. Starling war mit seinem Kutter im letztmoglichen Augenblick an Bord genommen worden, damit sein Lotgast dem Schiff half, so schnell wie moglich von den Riffen klarzukommen. Ein Fehlgriff oder einer, der die Nerven verlor, und der Kutter ware vielleicht zuruckgeblieben. Und diesen Seegang hatte er unmoglich abwettern konnen. Dennoch hatte Starling, der als Trommeljunge bei einem Infantrieregiment angefangen hatte, ehe er dort davonlief, weil er lieber auf einem Schiff des Konigs dienen wollte, wenig Aufregung verraten, als er auf dem Achterdeck seine Meldung machte.

«Gerade noch rechtzeitig, Sir«, war alles, was er gesagt hatte. Und jetzt war er dabei, die Wache auf dem Achterdeck einzuweisen, als ob nichts Ungewohnliches geschehen ware.
        Bolitho sah die Beine und die ausgefranste Hose eines Seemannes hastig auf entern. Seine nackten Fu?e bewegten sich schnell wie Paddel. Er erkannte in dem Mann Jenner, ehe er im Gewirr der Takelage verschwand. Ein weiteres Beispiel fur menschliches Treibgut: Jenner war Amerikaner, der in der revolutionaren Marine gegen die Briten gekampft hatte. Ein guter Seemann, wenn auch ein Traumer, der sich seinen alten Feinden angeschlossen hatte, als langweile ihn bereits die Unabhangigkeit, die zu erringen er mitgeholfen hatte.
        Unmittelbar vor dem Achterdeck war ein weiteres Ratsel: ein riesiger Neger, der sich vor den Seen duckte oder geschickt beiseite sprang, wenn sie die Zwolfpfunder uberfluteten. Man hatte ihn halbtot in einem treibenden Langboot aufgefunden, kurz nachdem Bolitho das Kommando ubernommen hatte. Er war nackt und von Sonne und Durst bose zugerichtet. Schlimmer noch: als man ihn nach unten zum Schiffsarzt gebracht hatte, hatte Gwyther in seiner prazisen Art gemeldet:»Der Mann hat keine Zunge. Sie ist ihm abgeschnitten worden.»
        In dem Langboot hatte man sonst nur noch eine Metallscheibe gefunden, mit dem eingraviertan Namen >Orlando<. Der Name eines Schiffes, eines Menschen, eines Stucks der Ladung? Niemand wu?te es. Bolitho hatte den Verdacht, da? das Boot von einem Sklavenschiff stammte und der gro?e Neger entweder zu fliehen versucht hatte oder als Warnung fur andere ausgesetzt worden war.
        Doch als die Tempest Land erreichte, wollte der Schiffbruchige nicht von Bord, trotz allem, was ihm in jeder denkbaren Sprache gesagt wurde. So war er unter seinem neuen Namen Orlando in die Musterrolle eingetragen und unter die Besatzung aufgenommen worden. Da der Amerikaner Jenner besser als die meisten anderen mit Orlando zurechtkam, hatte Herrick die beiden der Achterwache zugeteilt. Der Besanmast war mit seiner Takelage der bei weitem unkomplizierteste auf einem Rahsegler, und Orlandos Stummheit und Jenners
        Vertraumtheit, die selbst die Beruhrung mit dem Tampen des Bootsmanns nicht hatte heilen konnen, richteten dort noch am wenigsten Schaden an.
        Auch das war wieder typisch fur Herrick. Er war stets um seine Leute besorgt, und seine Ideale, das eigensinnige Festhalten an seinem Rechtsgefuhl, hatten ihn mehr als einmal in wirkliche Gefahr gebracht. Bolitho wunschte Herrick schon lange die Beforderung, die er in so hohem Ma? verdiente. Doch der Friede, die vielen arbeitslosen Seeleute, hatten fur ihn jede Chance blockiert. Herrick hatte Gluck, da? er uberhaupt wieder eingesetzt worden war. Im Gegensatz zu Bolitho stammte er aus einer armen Familie. Fur das, was er heute besa?, hatte er schwer gearbeitet. Da? er die See liebte, war ein muhsam erworbener Bonus.

«Sir! Das Fockbramsegel rei?t sich los!»
        Bolitho wischte sich das Salz aus den Augen und versuchte,
        in die Takelage hinaufzublicken. Dann horte er es, das unregelma?ige Knattern und Schlagen von Segeltuch, das sich von der Rah loste, sich mit Wind fullte und die
        Trimmung des Schiffes zu gefahrden drohte.
        Herrick legte die Hande als Trichter um den Mund.»Mr.
        Bor- lase! Schicken Sie Ihre Leute hinauf! Mr. Jury, klar zum Stagsegel setzen!»
        Keuchend drehte er sich um.»Wenn das Bramsegel nicht in Fetzen davonfliegt, sondern sich fullt, brauchen wir das Stagsegel, um die Balance zu behalten. «Er grinste.»Mein Gott, wie schnell man denken kann, wenn es drauf ankommt.»
        Bolitho nickte. Herrick hatte prompt und richtig reagiert, ohne erst auf einen Befehl zu warten. Wenn das Segel vollig lose kam, was immer noch geschehen konnte, ehe sich die Matrosen zum Vortopp hinaufgekampft hatten, wurde der Bug herumgezogen werden, und damit konnte sich ihre Lage in dem noch zunehmenden Sturm dramatisch verschlechtern.
        Er sah, wie der Bootsmann seine Leute unter dem Gro?mast versammelte und wie andere durch hufttiefes Wasser auf ihre Stationen wateten. Strenge Ausbildung und eine scharfe, manchmal brutale Disziplin hatten es sie gelehrt. Noch bei totaler Finsternis und tobendem Sturm fanden sie sich zurecht wie Blinde in der vertrauten Enge ihrer Hutte. Auch Borlase war aktiv. Seine Stimme ubertonte das Brausen des Windes, als er seine Manner am Vormast zur Eile trieb. Wenn er die Stimme hob, klang sie schrill und durchdringend, und Bolitho wu?te, da? die Midshipmen hinter seinem Rucken daruber wenig schmeichelhafte Bemerkungen machten. Merkwurdig, wie wenige je an das Skylight auf dem Achterdeck dachten. Die Stimmen der wachhabenden Offiziere waren fur den Kapitan leicht zu verstehen. Bolitho hatte seine Lektion als Midshipman fruhzeitig gelernt, als ihm sein damaliger Kapitan durch das Skylight zurief:»Noch mal! Ich habe nicht genau verstanden. Wo, sagten Sie, hatten Sie dieses Madchen kennengelernt?»
        Dies alles und vieles mehr hatte er versucht, Viola Raymond zu schildern, als sie Passagier auf seinem Schiff gewesen war. Vielleicht ruhrte daher seine qualende Sorge um sie, die mit jeder Stunde, die verstrich, starker wurde.»Anscheinend gibt es Probleme, Sir. «Herrick beugte sich uber die Reling. Uber seinen Rucken und an seinen Beinen lief das Wasser hinunter. Er schrie:»Was ist los?«Borlase kam nach achtern. Muhsam hielt er sich trotz der starken Schraglage aufrecht.

«Es geht um Mr. Romney, Sir! Er ist oben auf der Bramrah. «Noch im Tosen des Windes klang seine Stimme gereizt.»Die Lage ist auch ohne ihn schon riskant genug…
«Bolitho schnitt ihm das Wort ab.»Schicken Sie einen zuverlassigen Mann hinauf, dem er vertraut!«Er sah Herrick an, sein Ton war bitter.»Midshipman Romney wird es wohl nie zum Leutnant bringen, aber er gibt sich Muhe fur zehn. Ich will nicht, da? er absturzt, nur weil Mr. Borlase nicht fahig war, die Gefahr vorauszusehen.
«Er wandte sich abrupt um und versuchte, sich ein Bild von der Insel zu machen, ihrer Position und der Entfernung, die noch vor ihnen lag. Was er tun und was er vermeiden sollte, wenn es soweit war. Doch er hatte nur den Jungen vor Augen, der sich mehr als drei?ig Meter uber Deck verzweifelt an die Rah klammerte, die riesige Masse des vom Wind steifen Segels vor sich, das ihn hinunter in den sicheren Tod zu schleudern drohte. Ein schnelles Ende, wenn er auf Deck aufschlug; etwas langsamer, wenn er in die See fallen sollte. Dann mochte er noch lange genug leben, um das Schiff in der Finsternis verschwinden zu sehen. Denn jetzt konnte kein Boot zu Wasser gelassen werden, und die Geschwindigkeit der Tempest war zu hoch fur jeden Schwimmer.
        Und Bolitho dachte auch an den Hai, der sie an jedem neu anbrechenden Tag begru?te.
        Midshipman Swift platzte heraus:»Lassen Sie mich nach oben, Sir. «Er wurde unsicher, als sich Bolitho und Herrick ihm zuwandten.»Mir wird er vertrauen. Und au?erdem. «Er zogerte.»Ich habe ihm versprochen, ich wurde auf ihn aufpassen.»
        Sie alle blickten nach vorn, als jemand schrie:»Jetzt fallt er!»
        Ein fahler Schatten sturzte durch das Tauwerk und schlug an der Leeseite dicht neben einem Geschutz mit einem Ubelkeit erregenden Klatschen auf. Bolitho sah, wie der Korper von einer ubers Vorschiff brechenden See nach achtern geschwemmt wurde.
        Ein paar Sekunden sagte niemand ein Wort. Nur das Brausen des Sturmes fegte wie eine brutale Fanfare des Triumphs uber sie hinweg.
        Midshipman Swift sagte mit belegter Stimme:»Es… Es tut mir leid, Sir. Ich hatte… Dann deutete er erregt nach vorn. Wie eine Marionette schwankend, wurde Midshipman Romney an einer Gording schnell vom Vormast abgefiert. Mehrere Matrosen liefen herbei, um ihn aufzufangen, und legten ihn aufs Deck. Schultz, der Bootsmann, der hinaufgeschickt worden war, um ihm oben auf der Rah zu helfen, kam nach achtern geeilt und blieb mit aufwarts gewandtem Gesicht unter dem Achterdeck stehen. Mit seiner rauhen, gutturalen Stimme meldete er:»Mr. Romney ist in Sicherheit, Sir.
«Wie von Schmerz gepeinigt, bleckte er die Zahne, als wieder eine See uber die Netze hereinbrach und ihn von Kopf bis Fu? durchna?te.»Er hatte versucht, einen Mann vor dem Absturzen zu bewahren. «Benommen schuttelte er den gro?en Kopf.»Er war zu schwer fur ihn. Beinahe waren beide von oben gekommen.«»Die Morgendammerung, Sir!«Lakey streifte Wasser von seinem Wettermantel.»Der junge Mr. Romney hat Gluck, da? er sie miterlebt.»
        Bolitho nickte.»Wer war der Abgesturzte?»

«Tait, Sir«, antwortete der Bootsmann. Er hob die Schultern.

«Ein guter Mann.»
        Bis die Matrosen oben auf dem Mast schlie?lich Herr des zerfetzten Segels geworden und wieder an Deck waren, konnte man die See zu beiden Seiten des Schiffes als wild tobendes Panorama brechender Wellenkamme und dunkler Taler erkennen.
        Herrick seufzte.»Und man hofft immer, da? man durchkommt, ohne einen Mann zu verlieren«, sagte er. Bolitho sah Allday durch den Niedergang heraufkommen.»Nur zu wahr«, stimmte er zu.

«Ich bringe Ihnen etwas zur Aufmunterung«, sagte Allday. Es war Brandy, und Bolitho spurte, wie dessen Feuer in ihm brannte.
        Ein Matrose bemerkte:»Der Hai ist immer noch hinter uns her, dieses verfluchte Biest.»
        Ein anderer antwortete:»Der alte Jini Tait war ein fetter Brok-ken fur ihn.»
        Bolitho blickte zu Herrick hinuber. Es bedurfte keiner Worte. Das Leben auf See war hart, zu hart vielleicht, um Zeichen der Schwache zuzulassen, selbst wenn ein guter Freund umgekommen war.
        Lakey schob sein Teleskop mit einem Schnappen zusammen.

«Ich wei? jetzt, wo wir sind, Sir. «Es klang zufrieden, unberuhrt von dem Drama, das sie gerade erlebt hatten.»Bald kann ich Ihnen unsere Position angeben. «Er zog seine Uhr, die neben der Bolithos wie ein unformiger Chronometer ausgesehen hatte. Ja, das ist zu schaffen. «Bolitho wandte sich ab und suchte nach der winzigen Insel, die Lakey als Landmarke bezeichnet hatte. Dann sah er Romney nach achtern kommen; bla? und benommen, begriff er anscheinend nicht, warum die durchna?ten und unrasierten Manner ihm grinsend zunickten. Bolitho blickte zu ihm hinunter.»Das haben Sie gut gemacht, Mr. Romney.»
        Der Midshipman ware gefallen, wenn Orlandos hochragende Gestalt, vor Nasse wie Kohle glanzend, ihn nicht aufgefangen und unter Deck getragen hatte. Sobald er sich erholt hatte, uberlegte Bolitho, mochte sich der Junge an seinem verzweifelten Rettungsversuch innerlich aufrichten. Er konnte fur ihn von entscheidender Bedeutung sein.
        Herrick beobachtete Bolitho verstohlen. Jeder an Bord hatte seine Aufgabe zu erfullen, je nach Rang oder Station mehr oder minder beschwerlich, doch alles wurde auf dem Achterdeck entschieden, von dem einen Mann, der jetzt, einen verbeulten Becher in der Hand, mit der anderen an den Finknetzen Halt suchte. Bolithos schwarzes Haar war vom Salzwasser durchna?t und klebrig, sein Hemd mit Teer- und Olflecken ubersat, dennoch stand er dort, als truge er seine Paradeuniform.
        Unvermittelt sagte Bolitho:»Der Koch wird Stunden brauchen, bis er das Feuer in Gang bringt, Mr. Herrick. «Er mu?te die Stimme heben, denn das Brausen des Windes war mit zunehmender Helligkeit lauter geworden.»Veranlassen Sie Mr. Bynoe, eine Portion Rum oder Gin an die Leute auszugeben. «Er begegnete Herricks Blick, und seine grauen Augen leuchteten plotzlich.»Dann werden wir entscheiden, was zu tun ist.»
        Die Hitze in der Kajute war uberwaltigend, und Bolitho brauchte seine ganze Kraft, um die aufsteigende Ubelkeit zu beherrschen.
        Den ganzen Tag uber, wahrend die Tempest langsam und behutsam gegen Wind und Wellen ankreuzte und sich ihren Weg zwischen Inseln, Riffen und Untiefen suchte, hatte er seine Uberlegungen und Plane wieder und wieder uberpruft. Gegen Mittag hatte er erkannt, da? sie den Kampf gegen das Wetter gewannen, und den Gesichtern und Stimmen seiner Leute entnommen, da? sie stolz auf ihre Leistung waren. Merkwurdig, wie schnell Menschen sich wandeln konnten.
        Monatelang, manchmal jahrelang zusammengepfercht, belauerten sie sich gegenseitig, prangerten ihre Mangel und Versager unbarmherzig an. Diese Auseinandersetzungen konnten bis zu Blutvergie?en ausarten und harte Strafen nach sich ziehen. Doch wenn sie ein gemeinsames Ziel vor Augen hatten, konnten sie auch so geschlossen wie ein einziger Organismus handeln.
        Noch wahrend der Wind Gischt von den brechenden Wellenkammen fegte, brach die Sonne wieder durch und strahlte mit vertrauter Intensitat auf sie herab. Es hatte den Anschein, als sei das Schiff in Brand geraten und wolle fur sie alle zum Scheiterhaufen werden. Denn aus jeder Planke und Bohle, jeder Spiere und Rah stieg Dampf in gro?en Schwaden auf, selbst von den nackten Oberkorpern der Matrosen, die sich abmuhten, die Sturmschaden zu beheben. Dann wurde es wieder Nacht, aber diese war ganz anders. Der Mond breitete vor den gro?en Kajutfenstern eine Bahn aus Licht auf das Meer, das sich unter dem schwachen Wind nur noch leicht krauselte. Uberall sonst schimmerte die See dunkel wie schwarzes, flussiges Glas. Aber es war hei?, und in der uberfullten Kajute konnte man nur schwer den Gedanken an kuhles frisches Wasser unterdrucken, den Wunsch, Krug um Krug in sich hineinzuschutten.
        Bolitho behielt die Flasche mit dem schalen Wein im Auge, als sie die Runde machte. Herrick, Keen, Lakey und Captain Prideaux fullten ihre Glaser, blickten auf die ausgebreitete Karte nieder, stellten sich im stillen Fragen, sagten wenig. Ein schwerer Sturm zehrte an den Kraften wie ein korperlicher Kampf, dachte Bolitho. Wenn er vorbei war, wollte man nur noch in eine Ecke kriechen und seine Ruhe haben. Er sagte:»Wir stehen jetzt vor der Nordwestkuste der Insel. Ich wollte keine fruhere Annaherung, weil ich Beobachter auf den Bergen befurchte. Die Insel ist an dieser Stelle nur eine Meile breit. Unsere Annaherung ware leicht zu beobachten. «Er machte eine Pause und lauschte den Schritten Borlases oben an Deck, der so dicht an das Skylight herankam, wie er nur wagte. Bolitho wu?te, da? Herrick ihn beobachtete, wu?te sogar,
        was er dachte, was er sagen wollte.
        Gelassen fuhr er fort:»Mr. Lakey ist sicher, da? wir ohne gro?e Schwierigkeiten eine kleine Bucht erreichen konnen. Der Mond wird uns dabei helfen, und sobald wir dicht unter Land sind, wird es uns einen gewissen Schutz vor dem Wind bieten. «Er sah sich am Tisch um.»Ich beabsichtige, eine kleine, aber gut bewaffnete Gruppe an Land zu setzen. Es ist bereits alles angeordnet. «Er sah Herrick nicken.»Das Wichtigste kommt danach.»
        Prideaux sagte schroff:»Ich halte es fur besser, alle Seesoldaten uberzusetzen, Sir. Eine Demonstration der Starke bewirkt gewohnlich Wunder. «Bolitho sah ihn an. Prideaux war sehr entspannt und geno? die Situation. Offenkundig hielt er diese ganze Diskussion fur uberflussig und unsinnig, schien zu meinen, da? der Kommandant weder seinen Plan noch dessen Ausfuhrung uberblickte.
        Bolitho erwiderte, ohne sich gezielt an jemanden zu wenden:»Wir nehmen drei?ig Mann, und die ausgesuchten Marineinfanteristen sollten Ihre besten Scharfschutzen sein, Captain Prideaux. Einer davon wird der Sergeant sein, der sechs weitere bestimmt. Ich will unsere Starke nicht demonstrieren. Wenn meine Befurchtungen zutreffen, werden wir schnell handeln mussen - und verstohlen. «Es klopfte, und der Midshipman der Wache trat ins Lampenlicht.

«Mr. Borlase meldet mit Respekt, Sir, da? die Boote bereit sind, zu Wasser gelassen zu werden. «Seine Augen wanderten uber die Versammelten, wahrend er sprach. Midshipman Pyper war siebzehn und sah sich vermutlich schon als Kapitan.

«Ist gut. «Bolitho beugte sich uber die Karte, wohl wissend, da? der Kreis jede seiner Bewegungen beobachtete.»Sobald das Landekommando abgesetzt ist, kehren die Boote zum Schiff zuruck. Hier sind mehr Spaher zu erwarten, als mir lieb sind, und ich mochte keine Hinweise auf unser Vorhaben geben. Die Tempest segelt dann nach Suden und um die sudliche Hauptinsel herum. Mr. Herrick wei?, was dort von Ihnen erwartet wird, und wird zur gegebenen Zeit seine Befehle erteilen. Der Landetrupp teilt sich; die eine Halfte untersteht Mr. Keen, die andere folgt mir. Wir werden die Insel in Richtung der Bucht uberqueren. «Er zog seine Uhr und klappte den Deckel auf: zwei Uhr morgens. Die Dammerung brach in diesen Gewassern fruh und schnell herein. Jetzt blieb ihm keine Zeit mehr fur Zweifel.»Danach, meine Herren, werden wir die weiteren Schritte bedenken.»
        Alle erhoben sich, und Bolitho fugte hinzu:»Und erklaren Sie den Leuten genau, was wir unternehmen. Scharfen Sie ihnen ein, da? der Schutz von Menschenleben ebensosehr Aufgabe der Marine ist, wie in der Schlacht zu toten!«Sie gingen zur Tur, in Gedanken schon bei ihren eigenen Aufgaben in dem Unternehmen. Nur Herrick blieb zuruck und ergriff das Wort, wie Bolitho es von ihm erwartet hatte.»Meiner Ansicht nach sollte ich das Kommando an Land ubernehmen, Sir. «Es klang sehr ruhig, aber auch entschlossen.»Es ist mein Recht, und uberdies… «»Uberdies halten Sie es fur tollkuhn, da? ich selbst gehe, Thomas, wie?«Bolitho lachelte ernst, als Allday aus dem Schatten trat und den alten Degen von dem Balken uber der Tur herunternahm.»Es ist aber meine Entscheidung. Viele von Ihnen halten sie wahrscheinlich fur falsch, bei manchem habe selbst ich meine Zweifel. «Er wartete, bis Allday ihm den Degen umgegurtet hatte.»Aber ich werde ruhiger sein, wenn ich selbst in dem von mir angeordneten Chaos stehe, als mich hier an Bord zu sorgen, da? Sie durch meine Schuld fallen konnten. «Er hob die Hand.»Es ist
entschieden, Thomas. Ich wei?, da? Sie leidenschaftlich gern diskutieren, aber warten wir damit, bis ich zuruckkomme. «Er klopfte Herrick auf die Schulter.»Und jetzt verabschieden wir uns.»
        An Deck war die Luft etwas frischer. Bolitho ging zur Steuerbordreling und sah auf die Leute nieder, die unten eingeteilt wurden und deren Bewaffnung und magere Verpflegung Bootsmann Jury uberprufte. Bolitho bemuhte sich um Gelassenheit, versuchte, jeden einzelnen dieser schweigsamen Manner zu erkennen. Sobald die Boote vom Strand abgelegt hatten, waren sie vollig sich selbst uberlassen. Auf der Insel gab es kein Wasser, wie Lakey bereits festgestellt hatte. Und sie waren nur eine Handvoll bescheiden ausgerusteter Manner, die einem unbekannten Feind gegenuberstanden. Er horte ein Flustern:»Donnerwetter, der Kapt'n geht selbst mit. Da mu? es wichtig sein!»
        Ein anderer entgegnete rauh:»Wird sich nur mal die Beine vertreten wollen.»

«Ruhe an Deck!«Das war Jury.
        Borlase griff gru?end an seinen Hut, im Mondlicht wirkte er riesig.»Alles klar, Sir.»
        Bolitho blickte Herrick an.»Lassen Sie beidrehen. Und dann die Boote zu Wasser.
«Er beruhrte den Degen an seiner Seite.
        Mit laut schlagenden Segeln glitt die Tempest uber den Silberpfad aus Mondlicht, wahrend die drei Boote gefiert wurden und die Seeleute und Marineinfanteristen an Bord kletterten.
        Unter normalen Umstanden hatten zwei Boote genugt, aber da zusatzliche Leute erforderlich waren, um sie zum Schiff zuruckzurudern, hatten zwei uberbesetzte Boote eine volle Stunde langer gebraucht.
        Bolitho ging in Gedanken alles noch ein letztes Mal durch. Leutnant Keen, zweiundzwanzig Jahre alt, war nach ihm der Ranghochste. Steuermannsmaat James Ross, ein kraftig gebauter, untersetzter Schotte mit dunkelrotem Haar, brachte fur das Unternehmen nicht nur seine gewichtige Gestalt, sondern auch viel Erfahrung mit. Sergeant Quare von den Seesoldaten und seine sechs Scharfschutzen, die alle ohne ihre roten Uniformrocke merkwurdig fremd wirkten, pre?ten ihre langen Musketen wie Hinterwaldler fest an sich. Mid-shipmen Swift und Miller und ein Bootmannsmaat waren die weiteren fuhrenden Krafte der Truppe. Bolitho atmete tief ein.»Lassen Sie ablegen, Mr. Ross. «Der Steuermannsmaat hob die Faust, und der Kutter begann, sich langsam vom Schiff zu entfernen. Von Deck aus wirkte er uberladen. Danach folgte die Barkasse, das gro?te Langboot, das sich langsam vom Rumpf loste, bis die Stromung es aus dem Sog des Schiffes trieb. Bolitho sah
        Keen hochaufgerichtet im Heck stehen, sein Hemd reflektierte das Mondlicht. Allday befand sich bereits in der Kommandantengig, wie auch Midshipman Swift und der Rest der letzten Gruppe.
        Bolitho griff nach Herricks Arm.»Wenn wir das hinter uns haben, bringen Sie vielleicht mehr Verstandnis fur Kapitan Cooks Bezeichnung der Inseln auf. «Er lachelte grimmig.»Seien Sie auf der Hut, Thomas. «Dann lie? er sich an der Bordwand hinunter und sprang in die Gig. Allday befahl:»Ablegen! Riemen bei! Rudert an!«Die Gig stampfte heftig in der Dunung, und sobald sie sich vom Schiff entfernt hatten, konnte Bolitho das Brausen der Brandung horen.
        Er blickte nach vorn und beobachtete das regelma?ige Heben und Senken der Riemen. Bei dem Gewirr von Armen und Beinen fiel gleichma?iges Rudern nicht leicht. Er bemerkte, da? seine Besatzung ihre karierten Hemden trug, wie normalerweise bei seinen Dienstfahrten. Aber dies hier war keineswegs normal, und er fuhlte sich gedrangt, ihnen zu danken. Doch niemand sprach. Das einzige Gerausch neben der See war das stetige Knarren der Riemen.
        Als er zuruckblickte, war die Tempest nur mehr ein hoher Schatten, dessen killende Marssegel im Silberlicht glanzten. Sobald die Boote wieder sicher an Bord waren, wurde das Schiff jeden Fetzen Segel setzen, um sich so schnell wie moglich von der Kuste zu entfernen. Eine abgeblendete Laterne blinkte von dem fuhrenden Boot heruber: Ross hatte die ersten Felsen ausgemacht. Sie mu?ten ihm durch diese Durchfahrt folgen und dann noch durch eine zweite. Von da an war es hoffentlich nur noch eine Kabellange bis zum Strand.

«Bleiben Sie genau auf Kurs, Allday. Jetzt kommt das schlimmste Stuck. «Bolitho spurte, wie Bewegung die Leute im Boot durchlief. Aber es war am besten, wenn jeder das ganze Risiko kannte, und nicht nur ein paar ausgesuchte Leute.
        Die Gerausche der See anderten sich wieder. Die starke Brandung am au?eren Riff rauschte etwas gedampfter, als die drei Boote sich ihren Weg zwischen den hoch aufragenden, vor Nasse glanzenden Felszacken suchten. Kleine Wasserfalle wuchsen zu rei?enden Kaskaden an, wenn das ablaufende Wasser durch die Barriere zuruckflutete, Tumpel und Teiche bildete und sie ebenso schnell wieder leerte.
        Der Buggast meldete:»Strand direkt voraus. «Und nach einer Pause:»Der Kutter ist bereits dort. «Als Allday die Gig durch die letzten verstreuten Felsblocke manovriert hatte und das schmale Stuck Strand vor ihnen ansteuerte, hatte der Kutter schon wieder abgelegt und passierte sie auf seiner Ruckfahrt.
        Der Bugmann sprang ins Wasser und lenkte das Boot uber die seichte Strecke vor dem Strand, dann sprangen weitere Leute uber Bord und bremsten watend die Fahrt, um zu verhindern, da? das Boot auf dem Strand querschlug. Bolitho fuhlte, wie Allday ihn stutzte, als er uber den nassen Sand schritt und dann uber verstreute Felsbrocken weiter das Ufer hinaufkletterte. Jetzt waren sie von allem abgeschnitten. Und er hatte die Leute hierhergebracht.»Ich ubernehme mit meiner Gruppe die Spitze, Mr. Keen. Sie marschieren erst mit uns nach Suden und wenden sich dann nach Westen, sobald wir den Strand hinter uns haben. Viel Gluck.»
        Mit Allday und Midshipman Swift marschbereit hinter sich, drehte er sich um und blickte den steilen, von der Sonne ausgedorrten Abhang hinauf. Wenn er jemals auf sein Selbstvertrauen angewiesen war, dann jetzt.



        V Jetzt oder nie


«Hier rasten wir. «Bolitho lie? sich auf ein Knie nieder und streifte den Riemen des Fernrohrs von seiner Schulter.»Sergeant Quares Kundschafter mussen gleich zuruckkehren.»
        Die keuchenden, schwitzenden Seeleute kletterten uber den Rand der engen Schlucht und suchten so gut wie moglich Deckung zwischen dem dichten, dornigen Gestrupp. Die Sonne stand jetzt hoher, und die Hitze, die von Hang und
        Felsen zuruckgestrahlt wurde, war starker als je zuvor. Bolitho richtete sein Teleskop auf den nachstgelegenen Gipfel der funf Hugel. Er war abgerundeter als die anderen, so da? er wie ein riesiger Buckel wirkte, der sich von ihm abwandte, der jenseitigen Bucht zu. Bolitho sah ein kurzes Aufblitzen, wahrscheinlich die Reflektion von der Waffe eines Kundschafters, der eine der engen Schluchten durchsuchte.
        Sonst regte sich nichts. Alles war wie ausgestorben. Es fiel schwer, zu glauben, da? die Eurotas hinter dem gro?en Hugel ankerte. Da? sie je dort gewesen war. Midshipman Swift kroch uber loses Geroll in seine Nahe, das sonnengebraunte Gesicht glanzend vor Schwei?. Er mochte Swift. Besonders, seit er sich bereiterklart hatte, im Sturm aufzuentern, um Romney zu helfen. Er hatte angenehme, regelma?ige Gesichtszuge, und sein Haar war von Sonne und Salz so gebleicht, da? seine Mutter ihn bestimmt nicht wiedererkannt hatte. Swift war kaum funfzehn gewesen, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Beim nachstenmal wurde er mit einigem Gluck Leutnant sein.
        Bolitho sagte:»Geben Sie durch nach hinten: jeder soll nur einen Schluck Wasser trinken. Achten Sie darauf, da? sie nicht ihre ganze Ration auf einmal verbrauchen. «Unter dem windzerzausten Haar richtete er sein Glas auf die See hinaus. Kaum zu glauben, da? sie gerade einen Sturm hinter sich gebracht hatten. Wie blau das Wasser leuchtete, auf dem nur Reihen wei?er Schaumkopfe den Wind ahnen lie?en, der die Tempest jetzt unter Vollzeug nach Suden entfuhrte. Leer erstreckte sich das Meer bis zu den gro?eren Inseln und schaumte uber die langen Barrieren der Riffe, den Tidenstand und einen weiteren Wechsel der Windrichtung anzeigend.
        Sergeant Quare drangte sich durch die staubigen Busche, die Stiefel salz- und sandbedeckt. Der gro?e, kraftvolle Mann war immens stolz auf seine Seesoldaten und das, was sie leisten konnten.
        Bolitho nickte ihm zu.»Alles scheint ruhig.»
        Quare setzte seine Muskete ab und kniff in der grellen
        Sonne die Augen zusammen.

«Noch zwei Stunden, Sir, dann sollten wir etwas sehen. «Er sprach den weichen Dialekt von Devonshire, fur Bolitho ein heimatlicher Klang. Quare zogerte. Naturlich konnte das Schiff auch schon Anker gelichtet haben, Sir.«»Ja.»
        Bolitho nahm die Flasche von Allday entgegen und lie? etwas Wasser uber seine Zunge rinnen. Abgestanden, wie es aus den Fassern des Schiffes kam, schmeckte es jetzt doch kostlicher als der beste Wein von St. James. Quare richtete sich auf, den Blick auf den gegenuberliegenden Abhang gerichtet.»Dort kommt Blissett, Sir.
«Der Kundschafter rannte in Sprungen den Abhang herunter, scheinbar muhelos. Seine Muskete hatte er hoch erhoben, um zu vermeiden, da? sie irgendwo anstie?. Bolitho wu?te einiges uber Blissetts Vergangenheit und auch, weshalb Quare ihn zum Kundschafter bestimmt hatte. Der Seesoldat hatte fruher auf einem gro?en Gut in Norfolk als Wildhuter und Meisterschutze ein recht behagliches Leben gefuhrt. Bis er ein Auge auf eine Nichte seines Herrn geworfen hatte. Bolitho vermutete, da? die Angelegenheit wahrscheinlich verwickelter lag, als Quare wu?te, aber als Endergebnis war Blissett davongejagt worden und in die Stadt gegangen, um seinen Kummer in Alkohol zu ertranken. Ein Pre?kommando sa? ebenfalls in dem Gasthaus, und alles weitere geschah mit verzweifelter Zwangslaufigkeit, war aber jetzt Vergangenheit.
        Blissett erreichte sie.»Es geht ganz gut weiter, sobald wir erst diesen Hang hinter ans haben, Sir. Die See liegt gleich dahinter, und die Bucht unterhalb dieser Felskuppe. «Dankbar nahm er eine Wasserflasche entgegen. Quare nickte.»Mr. Keens Gruppe wird etwa eine Stunde spater eintreffen als wir. Die andere Route ist langer. Trotzdem sollten wir gegen drei Uhr zu ihm sto?en. Was meinst du, Tom?»
        Blissett hob die Schultern.»Anzunehmen, Sergeant. In den Schluchten bin ich auf ein paar Feuerstellen gesto?en, aber es waren keine neuen dabei. «Die letzten Worte fugte er hastig hinzu, weil sich einige Matrosen in Horweite plotzlich beunruhigt aufrichteten.»Hier waren seit langem keine Eingeborenen mehr.»
        Bolitho hangte sein Fernrohr wieder um und winkte Swift.»Setzen Sie die Leute in Marsch, gleicher Abstand wie bisher. Sie ubernehmen mit zwei Mann die Nachhut und vergewissern sich, da? wir nicht verfolgt werden. «Auf dem von der Sonne ausgedorrten Abhang gab es keine Deckung. Fur einen Hinterhalt war diese Stelle ideal. Er spurte die Blicke der Manner auf seinem Rucken. Atemlos und von dem ungewohnten, rauhen Gelande schon mude, wurden sie ihn nie wieder respektieren, wenn sich herausstellte, da? er sie zu einer sinnlosen Jagd fuhrte. Er schnallte seinen Gurtel enger. Doch lieber er als Herrick; Herrick hatte um seinetwillen schon genug einstecken mussen.
        Bolitho konzentrierte sich auf das Gelande vor ihm. Er ging stetig vor und versuchte dabei, sich die andere Seite des Berges vorzustellen.
        Morgen wurde die Tempest, wenn der Wind gunstig war, wieder die sudlichste Landzunge umrunden. Falls dort Wachtposten standen, mu?ten sie das Schiff sofort sehen. Wichtiger war, da? Bolithos Kundschafter diese Posten entdeckten. Alles sollte ganz naturlich erscheinen. Schlie?lich verstand sich nicht nur der Anfuhrer der Meuterer aufs Tauschen.
        Nach einem so schweren Sturm mochte von einem Schiff des Konigs erwartet werden, da? es in die Bucht zuruckkehrte, und sei es nur, um sich zu vergewissern, da? die Eurotas unbeschadigt geblieben war. Allday unterbrach seine Gedanken.»Ein Kundschafter gibt Signal, Captain. Ich glaube, er hat die andere Gruppe entdeckt.
«Er grinste ungeruhrt.»Mein Gott, Mr. Keens Leute werden fluchen, wenn sie den Berg sehen, den sie noch erklettern mussen.»
        Sergeant Quare verschwand schnell uber den Rand einer weiteren Schlucht. Gleich darauf tauchte er an einem gerollbedeckten Abhang wieder auf, wahrend uber ihm ein Seesoldat wie ein Taubstummer gestikulierte. Heftig atmend kehrte Quare zuruck. Wir sollen warten, Sir.
        Ein Mann von Mr. Keen sto?t gleich zu uns. «Er wischte sich uber Gesicht und Nacken.»In dem Gelande wird er seine Zeit brauchen.»
        Bolithos Gruppe kauerte sich dankbar wieder zwischen das Gestrupp und wartete auf den Melder. Es dauerte eine ganze Stunde, bis er schlie?lich aus einer Schlucht auftauchte, offenbar am Rande der Erschopfung. Es war Bootsmannsmaat Miller, der zwar gewandt bei Sturm an Deck arbeitete oder mit seinen Leuten auf die schwankenden Rahen hinauskletterte, aber den Anforderungen dieser Insel kaum gewachsen war.»Lassen Sie sich Zeit. «Bolitho unterdruckte seine Ungeduld, fragte sich aber besorgt, weshalb Keen ihn geschickt hatte und sie damit auf der schwersten Etappe aufhielt.
        Miller schnaufte laut.»Mr. Keens Empfehlung, Sir, und er…«Er schnappte nach Luft wie ein gestrandeter Fisch.»Wir haben Leichen gefunden. «Er deutete in die Richtung.»In einer kleinen Hohle, mit durchschnittenen Kehlen. «Plotzlich sah er aus, als wurde ihm bei der Erinnerung ubel.»Ich glaube, es waren Offiziere.»
        Bolitho beobachtete ihn. Er wollte ihn nicht unterbrechen. Aber Quare fragte schroff:»Du glaubst?«Miller blickte an ihm vorbei.»Ja, George. So was sieht man immer noch. «Ein Schauder uberlief ihn.»Mr. Ross meint, da? sie schon seit Tagen tot sind. Sie waren voller Fliegen. Sind es noch.»
        Bolitho nickte. Trotz ihres Entsetzens hatten entweder Keen oder Ross klaren Kopf behalten und nicht getan, wozu es jeden gesitteten Menschen trieb: die unbekannten Toten zu bestatten. Aber es waren gar keine Unbekannten. Vermutlich handelte es sich um die Offiziere der Eurotas, die ermordet worden waren, nachdem man sie in die abgelegene Hohle verschleppt hatte. Bolitho fragte sich, ob Keen der gleiche Gedanke gekommen war. Als er dem Mann, den er fur den Kapitan des Schiffes gehalten hatte, die Hand schuttelte, war er einem Morder in der Uniform seines Opfers gegen-ubergestanden.
        Die Erkenntnis uberfiel ihn mit Macht: Viola hatte versucht, ihn zu warnen, sie konnte deswegen ebenso grauenhaft ums Leben gekommen sein.

«Gehen Sie zu Mr. Keen zuruck«, befahl er,»so schnell Sie konnen. Wir treffen uns wie vereinbart, mussen aber doppelt vorsichtig sein. «Er beobachtete, wie Miller seine Worte aufnahm.»Niemand darf uns bemerken. Wenn wir entdeckt werden, ehe wir losschlagen konnen, Miller, lichtet das Schiff Anker, dann hat Mr. Herrick keine Chance mehr, es aufzuhalten.»
        Er fugte nicht hinzu, da? das Kommando an Land vorher noch ermordet werden wurde; doch Millers Gesicht verriet, da? er diese Uberlegung bereits selbst angestellt hatte. Bolitho sah Quare und die anderen an.»Auf! Es geht weiter. «Wieder stieg er den steilen Abhang hinauf, und jetzt waren Hitze und Strapazen vergessen.»Bleiben Sie in Deckung, Sir. «Quare flusterte es, als Bolitho neben ihm zwischen zwei Felsblocke kroch. Der Stein war gluhend hei?, und Bolitho wurde sich schmerzhaft der Schrammen und Prellungen bewu?t, die er sich wahrend der letzten Etappe zugezogen hatte. Das Terrain unterschied sich stark von dem auf der anderen Seite und war auch ganz anders, als es sich von See aus gezeigt hatte. Auf halber Hohe befand sich eine breite Kluft, und danach folgte ein Abhang, der sich bis zur Bucht hinunter erstreckte.
        Und dort, flimmernd im Sonnenglast, lag die Eurotas immer noch vor Anker; mehrere Boote waren langsseits gegangen, und zwei weitere lagen oberhalb der Brandung auf dem Strand.
        Auf dem Achterdeck und mittschiffs waren ein paar
        Gestalten wahrzunehmen, aber nichts deutete darauf hin,
        da? am Rumpf oder sonstwo gearbeitet wurde.
        Bolitho hatte gern sein Fernrohr benutzt und das Schiff genauer inspiziert. Aber die Sonne stand in einem solchen
        Winkel, da? er es nicht wagte, einen plotzlichen Reflex zu riskieren und sich damit zu verraten.
        Quare hatte schon Blissett und einen anderen Kundschafter ausgesandt, aber was an Bord vorging, konnte Bolitho nur erraten.
        Quare zischte:»Dort, Sir!»
        Mehrere Manner erschienen am Fu? des Abhangs. Sie bewegten sich nur langsam und schienen unbesorgt. Aber alle waren bis an die Zahne bewaffnet. Einer trank ofter aus einer Flasche, und ihm mu?te uber das Dollbord eines kleinen Bootes geholfen werden, ehe es in tieferes Wasser geschoben werden konnte und auf das Schiff zuhielt. Danach blieb nur noch ein Boot am Strand. Doch wie viele Manner?
        Swift kam von hinten herangekrochen.»Mr. Keens Gruppe kommt, Sir.»
        Bolitho sah sich um.»Sie soll sich verteilen. Und keinen Laut. Vergewissern Sie sich, da? alle Waffen entladen sind. Ich will nicht, da? aus Versehen eine Muskete losgeht. «Er blickte zu dem ankernden Schiff hinunter und uberlegte, was er tun sollte. Die Eurotas lag eine Kabellange vom Ufer entfernt, und das Boot hatte kaum den halben Weg zuruckgelegt. Es war ungeschutzt.
        Doch wo waren die Kanonen, die angeblich an Land geschafft worden waren, um das Schiff zu erleichtern? Zweifellos standen keine hinter den leeren Geschutzpforten auf der dem Land zugekehrten Seite, noch befanden sich welche am Strand. Ganz gewi? waren sie auch nicht uber Bord geworfen worden.
        Es sei denn… Bolitho blickte zu der sudlichen Landzunge hinuber, die sich beinahe schwarz von der funkelnden See abhob. Vielleicht war da noch ein Schiff, das Kanonen von der Eurotas ubernommen hatte? Er schlo? die Augen. Das alles ergab keinen Sinn.
        Blissett erschien lautlos hinter einem gro?en Felsblock.»Was gibt es, Tom?«fragte Quare.
        Der Kundschafter wischte sich den Mund und starrte zum Schiff hinunter.»Wir haben dort unten eine tote Frau gefunden. Sie mu? sich bis zuletzt gewehrt haben, das arme Ding. Aber sie wurde trotzdem umgebracht, nachdem die ihren Spa? mit ihr gehabt hatten.»
        Bolitho sah zu ihm auf, seine Gedanken rasten.»Was fur eine Frau?«Kaum erkannte er seine eigene Stimme wieder. Blissett runzelte die Stirn.»Noch jung. Englanderin, wurde ich sagen. Wahrscheinlich sollte sie nach Botany Bay deportiert werden, Sir.
«Weiter sagte er nichts, aber seine Augen verrieten Erbitterung und Zorn.»Schon gut, Tom. «Quare wandte sich an Bolitho.»Sie hatten also recht, Sir.»

«Ich wunschte bei Gott, ich hatte mich geirrt. Das Schiff ist also gekapert worden, aber nicht von den Straflingen. «Und in Beantwortung der stummen Fragen auf Quares Gesicht:»Die wurden sich weder die Zeit noch die Muhe nehmen, gro?e Geschutze von Bord zu schaffen. Sie waren schwach und verangstigt nach allem, was sie durchgemacht haben. Ich glaube, unser Feind ist viel gefahrlicher und ohne jedes Erbarmen.»
        Er walzte sich auf den Rucken und zog seine Uhr. Fast verachtete er sich wegen der Erleichterung, die er empfand. Aber er hatte gefurchtet, es konne Viola sein, die dort unten lag.
        Erst in einigen Stunden wurde es dunkel sein. Er sagte:»Stellen Sie zuverlassige Wachen auf, Sergeant. Danach kommen Sie zu mir.»
        Eilig kroch er den Abhang hinunter und in das Gewirr durrer Busche hinein. Die ganze Umgebung schien von der Sonne ausgedorrt zu sein und war vom Kot zahlloser Seevogel bedeckt.
        Keen und andere drangten sich um ihn.
        Er sagte:»Ich glaube, da? sich eine ganze Bootsladung
        Manner an Land befindet, wahrscheinlich druben im
        Zentrum der Insel. Es ist zu gefahrlich, im Boot zwischen diesen Klippen hindurchzufahren. Deshalb sind sie auch von den Kanus uberrascht worden. Ich vermute, da? sie dort
        Wachen postiert haben, die auf fremde Schiffe und
        Eingeborenen-kanus achten.»
        Keen nickte.»Und ihr Boot ist unbewacht.»
        Ross fuhr sich mit dicken Fingern durch sein rotes Haar.

«Einstweilen noch, Mr. Keen. Bei Dunkelheit kann sich das aber schnell andern.»

«Wir bleiben in Deckung«, ordnete Bolitho an.»Sobald es dunkel wird, gehen wir zum Strand hinunter. «Er sah Keen an.»Als Sie auf der Eurotas waren, haben Sie da viele Leute der Besatzung gesehen?»
        Keen blickte uberrascht auf.»Eigentlich nicht, Sir. Ich nahm an, da? sie unter Deck bei der Arbeit waren. «Wahrend ein Kriegsschiff in die Bucht einlief und schreiende Wilde in Kanus angriffen, wurde bestimmt kein Matrose unter Deck bei seiner Arbeit bleiben. Merkwurdig, da? ihm das nicht fruher aufgefallen war. Es mu?te also ein zweites Schiff, vielleicht sogar ein drittes geben. Er drehte sich um, kroch ein Stuck zuruck und drangte sich zwischen die beobachtenden Seesoldaten. Mehrere Minuten lang musterte er aufmerksam das Schiff. Ohne Zweifel hatte die Eurotas ein hoheres Freibord als normal. Kein Wunder, da? so wenige Leute an Deck zu bemerken waren. Gerade genug, um das Schiff und die unten eingekerkerten Straflinge zu bewachen. Bolitho versuchte, nicht an die ermordete Frau zu denken.

«Es wird ein riskantes Unternehmen«, sagte Bolitho und bemerkte, da? Alldays Hand nach dem Entermesser griff.»Trotzdem will ich das Schiff angreifen, sobald es dunkel ist. Wenn wir es genommen haben, konnen wir es besetzt halten, bis die Tempest eintrifft.»
        Ross sagte nuchtern:»Der Wind hilft Mr. Herrick nicht gerade, Sir. Er ist ganz schon umgesprungen, seit wir an Land sind. «Er blickte zu dem klaren Himmel auf. Ja, wir werden wohl lange auf die Tempest warten mussen, furchte ich.»
        Keen fragte:»Warum gonnen Sie sich nicht eine Ruhepause,
        Sir? Ich ubernehme die erste Wache.»
        Aber Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich mu? noch einmal hinauf, um mir das Schiff anzusehen.»
        Keen sah ihm nach, wahrend er wieder zu den Felsen hinaufkroch.»Er sollte sich ausruhen, Mr. Ross. Heute nacht werden wir seine ganze Kraft brauchen.»
        Allday horte ihn und starrte zu den Felsen hinauf. Bolitho wurde weder ruhen noch ein Auge schlie?en, ehe er es geschafft hatte. Nicht, ehe er es zuverlassig wu?te. Allday zog sein Entermesser und scharrte mit der schweren Klinge im Sand. Er empfand fur Viola Raymond eine tiefe
        Zuneigung. Sie war seinem Kapitan eine Hilfe gewesen, als er sie am dringendsten gebraucht hatte. Aber im stillen hatte er es erleichtert begru?t, als sie nach England abreiste. Sie brachte Gefahr mit sich, war eine Bedrohung fur die Zukunft seines Kommandanten.
        Das Schicksal oder die Dame Fortuna, wie Leutnant Herrick es genannt hatte, wollte es anders. Gleichgultig, wie alles begonnen hatte, jetzt sah es so aus, als ob es ein blutiges Ende nehmen wurde, noch ehe der nachste Tag anbrach.
        Bolitho leckte sich uber die Lippen und spurte den Sand zwischen seinen Zahnen knirschen. Das Warten auf die Dunkelheit hatte sie alle auf eine harte Probe gestellt. Von der Sonne verbrannt, von fliegenden und kriechenden Insekten gepeinigt, war es fur alle eine Qual gewesen. Er horte das Klatschen von Riemen im fast undurchdringlichen Dammerlicht und erkannte, da? sich ein Boot dem Strand naherte. Den ganzen Nachmittag und sinkenden Abend uber, wahrend seine Leute ihre mageren Rationen an Wasser und Schiffszwieback so langsam wie moglich verzehrten, hatte Bolitho das gelegentliche Hin und Her zwischen Schiff und Ufer beobachtet. Das Boot war mehrmals zum Schiff und wieder zuruckgefahren, aber nicht ein einziges Mal war es voll besetzt gewesen. Dem Anschein nach hielten sich im Zentrum der Insel standig Beobachter auf, und fur das Boot standen nur wenige Leute zur Verfugung. Die Fahrten erfolgten offenbar nach keinem bestimmten Plan, jedenfalls lie? sich keinerlei Routine erkennen. Eines stand allerdings fest: nach Einbruch der Dunkelheit wurde das Boot jedesmal wachsam aufgefordert, sich zu
erkennen zu geben.
        An Bord des Schiffes selbst war kaum eine Bewegung wahrzunehmen. Doch das wenige erregte den Zorn und den
        Unwillen der beobachtenden Seeleute.
        Nachmittags hatten sie eine Frau an Deck gesehen, mit dunklem, offenem Haar und blo?en Schultern; ihre Schreie schrillten uber das Wasser, als sie erst gehetzt und dann gepackt und in einen Niedergang gezerrt wurde.
        Spater wurde die Leiche eines Mannes zur Reling geschleppt und ins Wasser geworfen. Reglos trieb sie ab.
        Anscheinend war es an Bord zu einem weiteren Mord gekommen.
        Das Boot stie? knirschend ans Ufer, die Besatzung holte die Riemen ein, und dann wurde ein kleiner Anker im harten Sand ausgebracht. Aus dem Larmen der Manner und dem Klirren von Flaschen lie? sich schlie?en, da? alle ziemlich betrunken waren. Einer stolperte im nassen Sand und stutzte sich auf das Dollbord des Bootes, wahrend seine Gefahrten davontrotteten.
        Bolitho packte Keens Arm. Es war soweit. Die Manner mochten innerhalb einer Stunde zuruckkommen, um sich mehr zu trinken zu holen oder um die Platze mit ihren Spie?gesellen an Bord der Eurotas zu tauschen.»Geben Sie Sergeant Quare das Zeichen zum Einsatz»,
        befahl Bolitho.
        Er blickte zum Himmel: bewolkt, aber nicht genug, um den Mond zu verbergen. Ein frischer Wind wehte, und das Zischen der Brandung und das Rauschen der Brecher am fernen Riff ermoglichten es ihnen, sich ungehort dem Schiff zu nahern.
        Bolitho spahte in die Dunkelheit, aber die vielfaltigen Schatten tauschten sein Wahrnehmungsvermogen. Er horte seine Leute schwer atmen, als sie sich durch eine Rinne den Abhang hinuntertasteten. Blissett kroch schon auf das Boot zu, zur Tarnung ganz mit Sand bedeckt, den sie ihm mit kostbarem Wasser an den Korper geklebt hatten. Nur die unendliche Reihe schaumender Wellen trennte das Land vom Meer, vor dem sich das Langboot wie ein gestrandeter Walkadaver abhob.
        Bolitho starrte zu dem Schiff hinuber. Es hatte keine Ankerlichter gesetzt, aber er nahm einen schwachen Schimmer hinter einigen Stuckpforten wahr und wu?te, da? dort die noch vorhandenen Geschutze standen. Mit Schrapnell geladen, wurden sie mit jedem unvorsichtigen Angreifer kurzen Proze? machen. Aber es waren keine Enternetze ausgespannt. Wenn sie erst langsseit waren, mochten ihre Chancen besser stehen. Er erstarrte, als er etwas wie ein trockenes Husten horte. Dann sagte Quare heiser:»Geschafft, Sir. «Es klang befriedigt.
        Bolitho zog seinen Degen und stand auf. Die zweihundert Schritte das letzte Stuck Abhang hinunter wurden sie unsichtbar sein. Er fuhrte seine Gruppe auf den Strand zu, unter seinen Schuhen knirschten lose Steine. Die Seeleute bildeten eine offene Linie hinter ihm, die meisten hielten sich geduckt, als ob sie mit einer plotzlichen Musketensalve rechneten.
        Das war bisher der schlimmste Teil. Bolitho versuchte, nicht an die Musketen und Pistolen zu denken, die jetzt alle geladen und gespannt waren, nicht an das Klirren von Axten und Entermessern.
        Uberrascht drehte er sich um, als er hinter sich einen Mann gelassen vor sich hinsummen horte. Es war der Amerikaner Jenner, der in seinem gewohnten ausgreifenden Schritt vorging und dem das Haar in die Augen hing. Er bemerkte Bolithos Blicke und nickte zuversichtlich.»Eine Nacht wie fur uns geschaffen, Sir.

        Hinter Jenner folgte der Neger Orlando; das Enterbeil auf seiner Schulter nahm sich wie ein Kinderspielzeug aus. Plotzlich stand Bolitho neben dem Boot, wahrend die Matrosen sich eng um ihn scharten, wie es ihnen befohlen worden war.
        Blissett, der Kundschafter, nahm von Quare seine Muskete entgegen und sah Bolitho an.»ich habe ihn liegen lassen, Sir. «Er stie? den im Sand liegenden Toten mit dem Fu? an.»Er hatte nichts bei sich au?er seinen Waffen. Nicht zu erkennen, wer er ist.»
        Bolitho sah auf den Toten hinab. Neben Kopf und Schultern war der Sand schwarz, wo das Blut versickert war. Er zwang sich, neben dem Toten niederzuknien, um ihn zu durchsuchen. Der Mond trat kurz hinter den Wolken hervor, und in seinem Licht funkelten die Augen des Mannes, als ob sie ihn zuruckweisen wollten. Seine Kleidung war durftig und abgetragen, aber der Gurtel mit Pistole und Entermesser war in gutem Zustand.
        Bolitho tastete Handgelenk und Arm ab. Die Haut war noch warm, der Arm muskulos, ohne uberflussiges Fett. Also ein Matrose. Langsam stand Bolitho auf. Keen flusterte atemlos:

«Ich habe meine Gruppe um das Boot versammelt.«»Bringt es zu Wasser.»
        Bolitho trat zuruck und blickte zu dem Schiff hinuber, wahrend zwei Gruppen seiner Leute das Boot ins seichte Wasser schoben. Vorher waren meistens funf Mann in dem Boot gewesen, nie mehr als sechs. Er beobachtete, wie die ausgewahlten Matrosen uber die Bordwand kletterten und die Riemen auslegten, die sie mit alten Verpflegungssacken und Stoffetzen umwickelten, um den Larm zu dampfen. Er sah, wie Miller dem Getoteten das Hemd herunterri?, wobei er sich mit einem Fu? gegen die Leiche stemmte, um besseren Halt zu finden.
        Miller war wahrscheinlich mehr als jeder andere in seinem Element. Er hatte den Krieg und gefahrliche Nahkampfunternehmen, Geschutzfeuer und manchen riskanten Einsatz uberstanden, ohne auch nur einen Kratzer davonzutragen. Als Bootsmannsmaat uberragte er den Durchschnitt weit. Doch im Kampf von Mann zu Mann zeigte er sich von einer anderen Seite: als Killer.
        Allday sagte:»Ich ubernehme die Ruderpinne. «Er sah Bolitho an.»Sind Sie bereit, Captain?«Seine Stimme klang so unbeteiligt, als ginge es zu einer Spazierfahrt. Bolitho kannte ihn gut genug, um zu wissen, was sich hinter der Gelassenheit verbarg. Wie bei ihm selbst waren Alldays Nerven scharf angespannt. Erst wenn es um die endgultige Entscheidung ging, wurde er seine wahre Natur zeigen. Das Boot hob und senkte sich auf den Wellen, die Manner schoben es in tieferes Wasser, wahrend weitere Leute hineinkletterten und sich flach auf dem Boden ausstreckten. Genug«, befahl Bolitho und sah sich nach Quare und Midshipman Swift um.»Bleiben Sie mit den ubrigen Mannern au?er Sicht, wenn Sie konnen. Falls noch weitere Piraten von Land her auftauchen, dann wissen Sie, was Sie zu tun haben.»
        Er nickte dem Sergeanten zu. Die Arbeit der Marinesoldaten war getan, und wenn der Angriff fehlschlug, sollten Quare und seine kleine Gruppe sich versteckt halten und warten, bis Herrick sie abholte.
        Als letzter kletterte er selbst in das Boot, den blanken Degen gegen die Brust gepre?t.
        Allday beugte sich vor.»Ablegen«, befahl er.»Nicht so laut, ihr Mistkerle!»
        Die Wolkendecke war inzwischen dichter geworden. Das mochte einen tropischen Regengu? ankundigen, aber bis dahin wurde noch einige Zeit vergehen. Bolitho verdrangte seine Zweifel. Wenn er auf Regen warten wollte, um ihre Annaherung besser zu tarnen, konnte es womoglich ewig dauern. Er musterte die keuchenden Manner an den Riemen. Das Boot hatte erst wenige Meter zuruckgelegt, und schon fanden sie es muhsam, die reglose Last ihrer Passagiere zu befordern. Wenn er den Angriff jetzt abgebrochen hatte, waren sie nicht wieder fur den Kampf zu begeistern gewesen.
        Keen fragte flusternd:»Soll ich die Schwimmer jetzt losschicken, Sir?»
        Bolitho nickte; zwei Gestalten, deren nackte Korper in dem stark gedampften Mondlicht nur schwach schimmerten, erhoben sich und glitten uber die Bordwand, fast ohne ein Platschern zu verursachen.
        Bei der Lagebesprechung auf der Insel hatte alles gefahrlich und schwer ausfuhrbar geklungen. Aber jetzt schien es unmoglich zu sein. Bolitho ri? seinen Blick von den Schwimmern los und konzentrierte sich auf das Schiff. Nun wirkte es massig und schien schon dicht vor ihnen zu liegen. Ganz bestimmt wurde sie bald jemand anrufen. Vielleicht waren sie auch schon gesehen und erkannt worden, und die Geschutze wurden in aller Stille auf sie gerichtet. Bolitho horte einen der Ruderer fluchen und gleich darauf erschreckt keuchen, als sich im Wasser etwas zwischen Bootswand und seinen Riemen walzte. Es war eine Leiche, die sich auf den Rucken drehte, wie es ein Schlafer im Bett tun mochte: der Tote, der uber Bord geworfen worden war und den die Stromung dem Ufer zutrieb, statt aus der Bucht hinaus.

«Langsamer, Allday.»
        Bolitho griff nach der Pistole in seinem Gurtel. Sie mu?ten den Schwimmern Zeit lassen, das Ankertau zu erreichen und unentdeckt an Bord zu klettern. Es ging alles viel zu glatt.
        Aber warum auch nicht? Die Piraten - oder was sie sonst waren - hatten ein ganzes Kriegsschiff geblufft und sogar einen britischen Offizier, der zu ihnen an Bord gekommen war, von ihrer Legalitat uberzeugen konnen. Nun lagen sie sicher in einer Bucht verankert, mit ausgestellten Wachtposten an Land - warum sollten sie sich nicht unangreifbar fuhlen?
        Als der Anruf kam, war er laut und uberraschend.»Boot ahoi?«Eine englische Stimme. Allday nahm die zwei leeren Flaschen zwischen seinen Fu?en und zerschmetterte sie in der Bilge, warf den Kopf zuruck und brach in ein drohnendes Gelachter aus. Bolitho vernahm mehr Stimmen auf dem Schiff, aber keinen weiteren Anruf. Das Flaschengeklirr war uberzeugender gewesen als jede Parole.

«Ich habe einen von uns im Vorschiff gesehen, Sir. «Miller hatte den Kopf vorsichtig uber die Bordwand des Bootes gehoben.»Bei Gott, sie sind oben. Sie haben es geschafft!«Das Boot war jetzt fast langsseit, und Bolitho erkannte die Schanzkleidpforte und daneben zwei dunkle Gestalten, die ihre Annaherung beobachteten. Er konnte das Schiff auch riechen, diese vertraute Mischung aus Teer und Hanf. Einer der beiden Beobachter wandte sich dem Vorschiff zu, als dort in einem kurzen Aufleuchten des Mondes eine Gestalt sichtbar wurde; sie schwankte nach beiden Seiten und griff haltsuchend in die Wanten.
        Allday flusterte:»Das ist Haggard, Captain. Als Schauspieler besser als auf dem Mast, wie es scheint. «Haggard zog jetzt die Aufmerksamkeit der Wache voll auf sich. Wurdevoll richtete er sich plotzlich auf und sturzte dann mit einem lauten Klatschen ins Wasser. Zweierlei ereignete sich jetzt fast gleichzeitig: Die Wachtposten verlie?en die Pforte und verschwanden in Richtung Vorschiff - in der Annahme, da? da einer der Ihren uber Bord gegangen war. Und dann scholl aus der Dunkelheit heftiges Spritzen, als ob etwas mit gro?er Geschwindigkeit durchs Wasser geschleppt wurde. Alle horten Haggards Aufschrei: «Mein Bein!«Sein nachster Schrei brach unvermittelt ab, als er unter Wasser gerissen wurde.
        Bolitho nahm dies alles wahr, als er in den Bug des Bootes sturmte, wo schon Enterhaken uber die Reling der Eurotas geworfen wurden. An Haie hatte er nicht gedacht und nie geglaubt, da? sie in die Bucht eindringen wurden. Doch die treibende Leiche mochte einen angelockt haben, der Haggard jetzt zwischen diesen gra?lichen Kiefern zermalmte.
        Er horte sich selbst brullen:»Vorwarts, Leute! Drauf!«Das brach den Bann. Die eben noch schreckstarren Matrosen sprangen alle gleichzeitig auf und kampften wie die Wilden, um die Sprossen des Seefallreeps zu erreichen. Auf der Gangway ging eine Pistole los, und eine Kugel fuhr singend an Bolithos Gesicht vorbei, als er sich an Deck schwang. Die beiden Wachtposten standen erstarrt im gedampften Mondlicht, einer blickte Bolitho entgegen, und der andere stierte immer noch zum Vorschiff, als erwarte er, da? der gra?liche Hilfeschrei sich wiederholte. Matrosen drangten an Deck, stie?en sich gegenseitig beiseite in ihrer Gier, die beiden Posten zu erreichen. Entermesser zischten durch die Luft, und die beiden fielen ohne einen Laut.
        Von der Kampanje her ertonten weitere Schreie; mehr Piraten schienen durch die Vorderluke aufs Vorschiff zu klettern.
        Aber Keen und seine Leute sturmten schon auf den Laufgangen nach vorn, feuerten auf die Luke und den Steuerbord-Kranbalken, wo ein Mann kauerte, sei es, um nach dem Hai auszuspahen oder um sich zu verbergen. Bolitho sturmte blindlings zur Kampanje, sturzte beinahe uber eine Gestalt, die hinter einem Niedergang hervor ihm in den Weg trat. Er duckte ab und stie? mit dem Degen zu, spurte, wie er gegen Metall traf, als der Mann seinen Angriff parierte. Degengriff an Degengriff, drangten sie auf das Ruder zu. Matrosen sturmten an ihnen vorbei, wahrend andere innehielten, um hastig nachzuladen. Aus der Ferne vernahm Bolitho Musketenfeuer und wu?te, da? Quare mit den Wachtposten an Land zusammengesto?en war. Doch er fuhlte nur eines: kalten Ha? gegen den
        Mann, der ihm den Weg versperrte. Der Atem des Mannes, sein Schnapsgestank, die Warme seines Korpers, das alles schien unwirklich.
        Bolitho spurte den heftigen Druck seines Gegners und wich aus; der andere kam aus dem Gleichgewicht und fiel gegen das Schanzkleid. Etwas flirrte an Bolithos Augen vorbei, und er horte das widerliche Knirschen von Stahl auf Knochen. Dann stie? Allday den Toten eine Leiter hinunter. Sofort fuhr er wieder herum und holte mit dem Entermesser aus, als eine Gestalt von der Kampanje fortrannte. Allday traf den Mann an der Schulter, und als dieser aufschreiend sturzte, erledigte er ihn mit einem harten Schlag in den Nacken.
        Ein anderer lag schluchzend auf den Knien und flehte in einer fremden Sprache, aber der Sinn seiner Worte war nur zu klar. Miller packte ihn am Haar und stie? ihn uber die Reling. Der wilde Aufruhr im Wasser verriet, da? weitere Haie sich auf ihre unerwartete Beute sturzten. Licht stromte aus der Kampanje, und Bolitho sah in der Tur einen Mann kauern und in den Hollenlarm hinausspahen. Bolitho ri? seine Pistole aus dem Gurtel und druckte ab. Da nichts geschah, schleuderte er sie gegen die Tur und rannte hinterher. Die Wucht seines Angriffs ri? ihm beinahe den Degengriff aus der Hand, als er dem Aufspringenden die Klinge in den Leib stie?.
        Seitlich horte er Schreie und Schusse, die anscheinend vom Wasser her kamen. Jemand versuchte wohl, in einem Boot zu entkommen. Doch das konnte er Keen uberlassen. Mit dem Fu? stie? er die Tur ganz auf, schob den Sterbenden vom Sull und drang in die Hutte der Eurotas ein. Ihm bot sich ein schauerliches Bild. Die Turen der Kajuten waren aus den Angeln gerissen oder eingeschlagen. Kleidungsstucke, Waffen und anderer Privatbesitz lagen uberall verstreut.
        Auf dem Huttendeck uber sich horte er eine vor Entsetzen schrille Stimme, und dann Miller laut drohend:»Bleib stehen, du elender Schuft!«Es endete damit, da? etwas uber die Decksplanken geschleift wurde, dann folgte ein letztes Rocheln.
        Langsam ging Bolitho weiter nach achtern, den Degen sto?bereit. Vorsichtig setzte er die Fu?e, um nicht in dem Chaos auf dem Boden zu stolpern.»Vorsicht, Capt'n! Das war Jenners Stimme. Geduckt huschte er an Bolitho vorbei, ein Schatten, dem zwei Matrosen folgten. Jenners Gesicht leuchtete kurz auf, als in der Kajute nebenan eine Pistole abgefeuert wurde; der Mann neben ihm sturzte und pre?te dabei die Hande vor den Leib, wahrend ihm bereits Blut aus dem Mund stromte. Jenner ri? den rechten Arm hoch, und ein kleiner Dolch schwirrte wie ein blitzender Pfeil in die offene Tur. Als Bolitho sie erreichte, hatte Jenner die Klinge bereits aus der Brust seines Opfers gezogen und wischte sie an dessen Hosenbein ab.
        Wieder stampften Schritte uber das Hauptdeck; Keen drang in die Kampanje ein, einen Krummsabel in der einen Hand, in der anderen eine leergeschossene Pistole wie eine Keule haltend.

«Vorschiff und Oberdeck sind unser, Sir. «Er atmete sehr schnell; im Licht der Laterne funkelten seine Augen noch vor Kampfeslust.»Einige sind im Boot entkommen«, fugte er hinzu.»Aber Quares Scharfschutzen werden sie wohl erledigen.
«Er blickte auf die Toten nieder.»Es ist uns gelungen, zwei Gefangene zu machen.
«Bolitho nickte kurz.»Offnet die Achterluke, macht euch aber auf Uberraschungen gefa?t. Mr. Ross ubernimmt den Befehl auf dem Oberdeck. Pa?t auf, da? keiner das Ankertau kappt.»
        Er ging an der letzten Offizierkammer vorbei auf die gro?e Achterkajute zu. Wieder das wilde Durcheinander von Kleidungsstucken und ausgeleerten Seekisten. Auf dem Tisch des Kapitans standen die Reste einer nicht beendeten Mahlzeit. Daneben lag das Kleid einer Frau: blutbefleckt. Plotzlich war es sehr still, als ob das ganze Schiff vor Entsetzen lausche.

«Weiter!«Er verlie? die Kajute. Allday blieb ihm auf den Fersen, wandte den Kopf nach rechts und links, als wolle er Bolitho vor einem plotzlichen Angriff schutzen. Als die Luke nicht ohne Schwierigkeiten geoffnet worden war, denn sie war wie auf einem Sklavenschiff mit Balken verkeilt und mit Ketten gesichert, wurde es Bolitho fast ubel von dem Gestank nach Exkrementen und Angst, der ihm entgegenschlug.
        Doch kein Laut war zu vernehmen, nur das gewohnte Knarren der Takelage. Hatten die Meuterer alle Menschen an Bord der Eurotas umgebracht?
        Allday flusterte:»Wenn jemand dort unten ist, Captain, mu? er glauben, auf dem Schiff sei die Holle ausgebrochen. «Bolitho starrte ihn betroffen an. Warum hatte er selbst nicht daran gedacht? Erst das Grauen, der brutale Terror der vergangenen Wochen, und jetzt der ohrenbetaubende Kampfeslarm. Kein Wunder, da? sie sich still verhielten. Er verharrte am Lukensull, Alldays plotzliche Befurchtungen und die Tatsache ignorierend, da? er sich vor dem Mondlicht deutlich abhob.

«Ahoi da unten!«Er wartete, horte aber nur den Widerhall seiner Stimme.»Wir sind von Ihrer Majestat Schiff
        Tempest!»
        Es schien endlos lange zu dauern und seine schlimmsten Befurchtungen zu bestatigen, bis ihm dann endlich aus dem Bauch des Schiffes ein wachsender Chor von Schreien und Schluchzern antwortete.»Schnell hinunter, Leute!»
        Bolitho wartete, bis weitere Matrosen mit Laternen zur Luke geeilt waren, und kletterte dann mit ihnen in das nachste Deck hinunter. Neben einer weiteren verschlossenen Luke stand ein Stuhl aus der Offiziersmesse, mit einem Trinkgefa? in Reichweite, und kennzeichnete die Stelle, wo bis zum Augenblick ihres Angriffs ein Wachtposten gesessen hatte.
        Wieder schoben sie schwere Balken beiseite und hoben den Lukendeckel: ein kleiner Laderaum, wohl fur Vorrate des Kapitans und der Offiziere des Schiffes benutzt. Unbeleuchtet und schlecht beluftet, war er von Wand zu Wand mit Menschen vollgepfercht. Bolitho schien auf einen dichten Teppich menschlicher Gesichter zu blicken, die sich entsetzt und verstort nach oben wandten: Manner und Frauen, verdreckt und heruntergekommen, im letzten
        Stadium des Vegetierens.
        Bolitho sprach so gelassen er konnte:»Furchten Sie sich nicht. Meine Leute werden fur Sie sorgen. «Sein kleines Kommando? Er wu?te nicht, wie viele gefallen oder verwundet waren. Bewaffnet oder nicht, wenn diese Menschenmasse sie angriff, hatten sie nur wenig Chancen. Dort unten mu?ten annahernd zweihundert Personen sein. Miller trat an die Luke, schien sich wieder gefa?t zu haben. Seine Stimme klang fest, als er einige Leute anwies, in den Laderaum hinunterzusteigen. Gedampft sagte er:»Mr. Ross hat drei Drehbassen mit Schrapnell laden und auf die Luke richten lassen. Bei der geringsten Aufsassigkeit werden sie von Deck gefegt, ehe sie wissen, was sie trifft. «Er hatte seinen Kampfrausch also noch nicht uberwunden. Die Menschen, die aus dem vollgepferchten Laderaum langsam auftauchten, boten jedoch einen schrecklichen Anblick. Manche stutzten sich gegenseitig aus Schwache oder Furcht. Einer von ihnen, mit einer Schnittwunde uber dem Auge und einem Gesicht, das vor Prellungen fast schwarz war, trug eine Matrosenjacke.»Wer sind Sie?«fragte Bolitho.
        Der Mann starrte ihn verstandnislos an. Allday fuhrte ihn am Arm beiseite, fort von dem Zug langsam auftauchender Jammergestalten.
        Dann antwortete der Mann endlich:»Archer, Sir. Bottcher auf der Eurotas.»
        Bolitho fragte leise:»Und die Passagiere? Wo befinden sie sich?»

«Passagiere?«Das Nachdenken schien ihm schwer zu fallen.»Ich - ich glaube, sie sind noch im Orlop, Sir. «Er deutete hinter sich.»Die meisten hier sind Deportierte. Wir stecken seit Tagen da unten. «Er starrte wild um sich.»Wasser! Ich mu? Wasser haben.»
        Bolitho befahl:»Offnen Sie jedes Wasserfa?, das Sie finden, Miller, und teilen Sie Rationen aus. Sie wissen, was Sie zu tun haben. «Er schob seinen Degen in die Scheide.»Mr. Ross soll ein Boot zu Sergeant Quare und seinen Leuten schicken.
«Sein Verstand weigerte sich noch, an die notwendigen Details zu denken. Zu Allday gewandt, fugte er hinzu:»Zum Orlop! Schnell.»
        Eine weitere Luke, eine weitere Leiter, fuhrten unter die Wasserlinie. Selbst auf einem so gro?en Schiff wie der Eurotas war nicht Platz genug, um unter Deck aufrecht zu stehen.
        Laternen schwankten wie zum Gru?, als vorn weitere Matrosen durch eine andere Luke das Orlopdeck erreichten. Winzige Kabinen, eigentlich nur Locher, saumten den Mittelgang, fast wie jene auf einem Kriegsschiff, in denen die Funktionare ohne Tageslicht hausten: Segelmacher und Bottcher wie dieser Archer, Zimmerleute und Proviantmeister.»Offnet die Turen!»
        Er horte eine Frau hysterisch schluchzen; ein Mann weiter vorn sprach ihr trostend zu.
        Allday rief:»Hier, Captain!«, und hob seine Laterne, um Bolitho zu leuchten.
        Sie sa? auf einer umgesturzten Kiste, den Arm um ein Madchen mit langem, schwarzem Haar gelegt, wahrscheinlich das Madchen, das oben an Deck gehetzt worden war.
        Das Madchen stohnte, das Gesicht gegen Viola Raymonds Schulter gepre?t, und ihre Finger krallten sich wie kleine, gierige Krallen in das mattwei?e Kleid. Bolitho konnte nicht sprechen. Hinter sich horte er ein wildes Durcheinander von Weinen und Schluchzen: Menschen, die wieder vereint waren, und andere, die erfolglos nach Verwandten oder Freunden suchten. Doch das alles geschah wie auf einem anderen Stern. Viola erhob sich langsam, zog das Madchen mit hoch.»Geh mit ihm. «Sie druckte es fester an sich, als das Madchen vor Furcht zitterte.»Allday ist ein guter Mann und wird dir nichts tun.»
        Das Madchen loste sich von ihr, eine Hand noch nach ihr ausgestreckt. Als ob sie ausgesto?en wurde, dachte Bolitho. Allday stellte die Laterne ab und schlo? die Tur hinter sich. Bolitho streckte die Arme aus und umfa?te Violas Schultern, spurte, wie die Fassung sie verlie?, als sie seinen Nacken umschlang und die Lippen fest an seine Wange pre?te.

«Endlich!«Sie umklammerte ihn noch fester.»Oh, mein Geliebter, endlich bist du zuruckgekommen, um uns zu retten.»

«Ich bringe dich zur Kajute«, sagte er.

«Nein! Nicht dorthin. «Sie blickte zu ihm auf, immer noch unglaubig staunend. Bring mich an Deck.»
        Sie tasteten sich durch das Gewimmel von Mannern und
        Frauen, Matrosen und neu angekommenen Marinesoldaten,
        bis sie das hohe Achterdeck erreichten. Dann stand sie im frischen Wind, strich sich wiederholt mit den Fingern durch das Haar und holte so tief Luft, als ob jeder Atemzug ihr letzter ware.
        Bolitho konnte sie nur ansehen. Er furchtete um sie, hatte ihr gern geholfen. Er zwang sich zu der Frage:»Und dein Mann? Ist er in Sicherheit?»
        Sie nickte langsam und wandte sich ihm zu.»Aber wo ist dein Schiff?»

«Das Risiko war zu gro?«, erklarte er.»Sie hatten euch alle umgebracht, ehe die Tempest in die Bucht eingelaufen ware.»
        Sie kam quer uber das Deck auf ihn zu, der Saum ihres Kleides schleifte uber die ausgetretenen Planken. Sie sprach nicht, aber ihr Blick blieb auf ihn gerichtet, bis sich ihre Korper beruhrten.
        Dann erst brach sie zusammen, schluchzte an seiner Brust und verga? das Schiff und alles um sie herum. Keen blieb mit einem Fu? auf der obersten Sprosse zum Achterdeck stehen. Er hatte ein Dutzend Fragen an seinen Kommandanten. Doch als er die beiden sah, verzichtete er darauf und kehrte zum Hauptdeck zuruck. Seine Stimme klang plotzlich wieder fest.

«Bleiben Sie auf Station, Mr. Ross. Mr. Swift, kummern Sie sich um die Verletzten, und berichten Sie mir dann. «Allday beobachtete ihn und erinnerte sich an den jungen Midshipman, den er einst vor einem qualvollen Tod bewahrt hatte. Jetzt war Keen ein Mann, ein Offizier des Konigs. Dann wandte Allday sich um und blickte zum Achterdeck. Nun, Keen sollte eigentlich ein guter Offizier werden, dachte er. Schlie?lich hatte er das beste Vorbild.



        VI Revanche

        Bolitho legte die Feder hin und reckte die Arme. Es war fruher Abend, zu fruh fur eine Lampe, aber nicht mehr hell genug zum Schreiben. Er sah sich in der gro?en Kajute der Eurotas um. Jetzt, nachdem die geplunderten Kisten und verstreuten Kleidungsstucke weggeraumt waren, wirkte sie nahezu normal.
        Er stand auf und ging zu dem hohen Heckfenster. In einiger Entfernung an Steuerbord segelte sein eigenes Schiff, die Tempest: ein bildschoner Anblick. Bram- und Marssegel schimmerten rosig im Sonnenlicht, ihr Bug spruhte Gischt, wahrend sie stetig eine Welle nach der anderen durchpflugte.
        Herrick hielt die Tempest weit in Luv fur den Fall, da? doch jemand auf der Eurotas einen Handstreich versuchen sollte. Ware wirklich jemand toricht genug dafur, konnte er die Fregatte sofort unter vollen Segeln heranbringen und das andere Gesicht zeigen, das Bolitho erst vor drei Tagen an ihm gesehen hatte.
        Als er die Eurotas vorsichtig aus der Bucht manovriert hatte, war die Tempest gerade um die Landzunge gekreuzt, genau wie er und Herrick geplant hatten. Zum erstenmal hatte Bolitho sein gefechtsbereites Schiff von au?en gesehen. Mit ausgerannten Geschutzen, Gro?segel und Fock zu den Rahen aufgegeit, mit den in den Masten und unter den Schutznetzen kauernden Seesoldaten, die ihre Musketen schu?bereit auf das langsamere Handelsschiff gerichtet hielten, bot die Tempest einen bedrohlichen Anblick. Wie Herrick spater erklarte, hatte er keinerlei Risiko eingehen wollen. Selbst die hastig gehi?te Flagge der Eurotas und Swifts Signale hatten ihn nicht uberzeugt. Seine besten Geschutzfuhrer setzten zwei Zwolfpfunderkugeln neben den Rumpf des Handelsschiffes, wahrend die Tempest ihnen signalisierte, beizudrehen und ein Enterkommando an Bord zu nehmen.
        Nachdem Herrick Bolithos Bericht gehort und das Chaos selbst gesehen hatte, reagierte er weitgehend so, wie Bolitho es erwartet hatte. Er verbarg seine Erleichterung daruber, Bolitho lebend anzutreffen und die Aktion erfolgreich beendet zu sehen, hinter Vorwurfen.»Sie hatten auf uns warten sollen, Sir. Was hatte nicht alles geschehen konnen? Sie hatten von diesen Schurken getotet oder gefangen werden konnen.»
        Selbst als Bolitho ihm erklarte, da? der Amerikaner Jenner einen der Meuterer mit brennender Lunte im Pulvermagazin aufgestobert hatte, dem befohlen worden war, das Schiff mit allem in die Luft zu sprengen, hatte Herrick eigensinnig auf seiner Kritik beharrt.
        Bolitho erinnerte sich mit einem verhaltenen Lacheln der Versuche Herricks, seine Mi?billigung zu bewahren. Er hatte es nie lange geschafft.
        In den drei Tagen, die sie brauchten, um die Inseln hinter sich zu lassen und wieder Kurs auf Sydney zu nehmen, hatte Bolitho viel nachgedacht. Er hatte ihre Lage analysiert und einen Bericht fur den Gouve rneur und Kommodore Sayer aufgesetzt.
        Die Rebellion auf der Eurotas war ausgebrochen, als Feuer aus einer der vorderen Luken gemeldet wurde. In dem anschlie?enden wilden Durcheinander, das bei einem mit Zivilisten und Deportierten uberfullten Schiff nicht uberraschen konnte, war das Achterdeck der Eurotas von einigen» Passagieren «gesturmt und besetzt worden, die in Santa Cruz an Bord gekommen waren, wo man Obst und Wein fur die lange Fahrt um Kap Horn ubernommen hatte. Offenbar war der Kurs der Eurotas monatelang beobachtet worden.
        Bis die Besatzung festgestellt hatte, da? das Feuer nur auf ein paar olige Lumpen in einem gro?en Eisentopf zuruckzufuhren war, befand sich das Schiff schon in anderen Handen. Einige Gefangene waren sofort zu den Meuterern ubergegangen. Manche hatten versucht, ihre Frauen zu schutzen, und waren auf der Stelle umgebracht worden. Kapitan Lloyd war mit vorgehaltener Pistole zur Kursanderung auf die Inselgruppe gezwungen worden. Anscheinend hatten die Piraten eine kritische Situation vorausgesehen, als sie von einem kleinen Postschiff, das auf dem Weg nach Sydney war, gesichtet wurden und ihr Erkennungssignal setzen mu?ten.
        Sobald sie erst in Sichtweite der Inseln war, wurde jede Hoffnung der Besatzung, das Schiff wieder in ihre Gewalt zu bekommen oder auch nur den geringsten Widerstand zu leisten, zunichte. Denn ein gro?er, schwer bewaffneter Schoner eskortierte die Eurotas in die Bucht, und zwei Bootsladungen Manner kamen an Bord. Einer der loyal gebliebenen Seeleute hatte ausgerufen:»Die ubelsten Schurken, die Sie sich vorstellen konnen, Sir!«Dann hatten die Schrecken wirklich begonnen. Plunderungen und trunkene Exzesse waren an der Tagesordnung. Ein Teil der Piraten hatte das Umladen der Ladung und Waffen, des Geldes und der Vorrate uberwacht und die verstorten und eingeschuchterten Straflinge dabei wie Sklaven eingesetzt, wahrend die ubrigen wie die Wilden auf dem Schiff hausten. Menschen waren totgeprugelt oder buchstablich zerhackt, Frauen und Madchen wieder und wieder in einem Taumel von Grausamkeit geschandet worden.
        Kapitan Lloyd, ohne jeden Zweifel tief betroffen, da? es durch seinen Mangel an Wachsamkeit zur Katastrophe gekommen war, unternahm einen letzten Versuch, seine Wachter zu uberwinden und die zuverlassigen um sich zu scharen. Vergeblich. Am nachsten Tag war keine Spur mehr von Kapitan Lloyd und seinen Offizieren oder auch nur dienstalteren Besatzungsangehorigen zu entdecken. Bolitho schritt rastlos in der Kajute auf und ab. Er erinnerte sich an Violas Augen, als sie ihm diesen Alptraum geschildert hatte. Jede Stunde brachte Entsetzen und Verzweiflung. Die Piraten kamen und gingen, mi?handelten Manner und Frauen, prugelten sich mitunter sogar untereinander, von Brandy und Rum berauscht. Obwohl Viola Raymond standig unten im Orlopdeck festgehalten wurde, hatte sie wahrgenommen, da? Geschutze von der Eurotas auf ein anderes, langsseit liegendes Schiff verladen wurden. Sie hatte den Eindruck gehabt, da? dieses Schiff niedriger als die Eurotas und vielleicht ebenso gro? wie der Schoner gewesen war. Die kleine Orlopkajute teilte sie mit einem Madchen, das wegen Diebstahls zur Deportation verurteilt war.
Jeden Tag wurde das Madchen schreiend aus ihrem Verlies geschleppt; die Piraten lie?en Viola uber das schlimme Los, das ihm bestimmt war, nicht im Zweifel.
        Nur einmal hatte Viola bei ihrer Schilderung die Fassung verloren. Das war, als sie ihre Gefuhle beim Erscheinen der Tempest beschrieb.
        Die Eurotas war von feindseligen Eingeborenen angegriffen worden, weil der Schoner, wie sie gehort hatte, eine andere Insel uberfallen und verwustet und viele Bewohner getotet hatte.
        Schluchzend hatte sie gesagt:»Ich wu?te, da? du in diesem Teil der Welt warst, Richard. Ich habe deine Karriere verfolgt, die Gazette auf jede Ernennung und Versetzung studiert. Als ich den jungen Valentin Keen an Bord kommen sah, wu?te ich, da? dein Schiff eingetroffen war. «Sie berichtete auch, da? der Anfuhrer der Piraten damit gedroht hatte, da? beim geringsten Versuch, die Besatzung des fremden Bootes zu alarmieren, das Pulvermagazin auf der Stelle in die Luft gesprengt und alle getotet wurden.»Ich konnte nicht untatig danebenstehen, Richard. Dieser Schuft lie? einfach eine Handvoll Passagiere an Deck bringen, damit alles normal aussah. Er und einige andere hatten Uniformen der Handelsgesellschaft angezogen. Es war so viel gemordet worden, so viel Schreckliches geschehen. «Sie hatte das Kinn gehoben; das Leuchten in ihren Augen uberglanzte ihren spontanen Trotz.»Wenn es ein anderes Schiff als deines gewesen ware, Richard, hatte ich nichts tun konnen. Aber die Uhr - ich wu?te, da? du dich daran erinnern wurdest.«»Es war ein schreckliches Risiko. «Da hatte sie gelachelt. Aber es hat sich
gelohnt. «Bolitho sah sich in der Kajute um. Hierher war Viola gebracht worden, um dem eigentlichen Anfuhrer der Piraten gegenubergestellt zu werden. Ihre Beschreibung des Mannes war sehr treffend: ein Riese mit brustlangem Bart, der Tuke hie? und Englander war. Jedenfalls hatte es diesen
        Anschein.
        Viola hatte gesagt:»Ein Mann ohne Barmherzigkeit und ohne die geringsten Skrupel. Seine Sprache war so ordinar wie er selbst. Er demutigte mich, vergewaltigte mich mit Worten. Er weidete sich an meiner Hilflosigkeit und meiner volligen Abhangigkeit von ihm, ob ich am Leben bleiben oder sterben wurde. Aber wegen der Bedeutung meines Mannes als ihre Geisel blieb ich vor dem Los der anderen bewahrt.

        Unwillkurlich beschleunigten sich Bolithos Schritte, und sein Magen zog sich zusammen, als stunde er bereits im Nahkampf mit diesem Piraten.
        Der Schoner und sein Begleitschiff, falls er eines hatte, hielten sich wohl irgendwo versteckt. Sicher genossen sie hamisch ihren Erfolg und die Frauen, die sie bei ihrer ersten Fahrt verschleppt hatten. Eine nicht allzuweit entfernte Insel oder Inselgruppe kam dafur in Frage. Die Karte hatte Bolito nichts verraten, und die gefangenen Piraten kaum mehr. Sie waren typisch fur ihr Gewerbe, durch Mord und ein hartes Leben brutalisiert. Ihre Anfuhrer mochten Beute machen und reich werden, aber Manner wie sie lebten von der Hand in den Mund und wie die Wilden, die sie waren. Selbst Drohungen lie?en sie unberuhrt. Sie wu?ten, da? sie auf jeden Fall am Galgen sterben mu?ten. Gefoltert werden wurden sie nicht, und ihre Angst vor Tuke war sogar im Schatten des Henkers gro?er als vor allem anderen. Einschlie?lich des ungluckseligen Haggard, der dem Hai zum Opfer gefallen war, hatte Bolitho drei Leute verloren. Wenn man die Dunkelheit und die unbekannten Verhaltnisse auf dem Schiff in Betracht zog, war dies ein Wunder. Und es sah so aus, als ob die Verletzten sich in wenigen Wochen erholen wurden. Das Risiko
war gerechtfertigt gewesen. Die Au?entur der Kajute wurde geoffnet, und James Raymond trat ein. Er trug ein frischgewaschenes, sauberes Hemd und einen anstandigen grunen Rock und zeigte kaum Spuren des Durchlittenen. Einige Sekunden lang blieb er stehen und blickte Bolitho ausdruckslos an. Er war etwa im gleichen Alter wie der Kommandant, aber sein Gesicht, fruher einmal gut geschnitten, wurde durch ein standiges Stirnrunzeln entstellt. Ubellaunigkeit, Mi?mut, Anma?ung, alles verriet sich darin.
        Raymond trat auf, als ob das Schiff ihm gehorte, seit er aus seinem winzigen Gela? befreit worden war. Funf lange Jahre war Bolitho ihm nicht mehr begegnet. Die ganze Zeit uber hatte er angenommen, Raymonds Weg nach oben sei durch dessen Tatigkeit in Indien gefordert worden, durch seinen Verrat an dem Gouverneur, den zu beraten sein Auftrag gewesen war.
        Jetzt erschien alles in einem anderen Licht. Wahrend Bolitho auf See gewesen war, unzufrieden, weil er den Schauplatzen gro?er Ereignisse ferngehalten wurde, war Raymond schmahlich zur Bedeutungslosigkeit abgeglitten. Die Position, die er jetzt ubernehmen sollte, schien sogar noch geringfugiger zu sein als jene, die er vor funf Jahren innegehabt hatte. Doch eine Reaktion auf diesen Sachverhalt lie? sich nicht erkennen.
        Raymond bemerkte kuhl:»Sie schreiben wohl noch an Ihren Berichten, Captain?»

«Ja, Sir. «Bolitho sah ihn fest an und versuchte, den Zorn zu verbergen, den er gegen diesen Mann empfand.»Hinter der Sache steckt mehr, als ich zunachst vermutet habe.«»Tatsachlich?«Raymond ging zum Fenster und blickte zu der Fregatte hinuber.

«Dieser Tuke. «Bolitho hielt inne; schon einmal hatte er Raymond zuviel anvertraut. Er sagte:»Schon allein mit der Beute aus diesem Schiff kann er sich koniglich ausstatten.«»Soso. «Raymond drehte sich um, sein Gesicht lag im Schatten.»Ein Jammer, da? Sie ihn und seine verdammte Bande nicht stellen und vernichten konnten.«»Das stimmt.»
        Bolitho beobachtete, wie Raymond die Hande an seinen Seiten offnete und schlo?. Er war weniger gelassen, als er scheinen wollte. Was wurde geschehen, wenn sie erst den Hafen erreichten, welche Darstellung der Ereignisse wurde Raymond geben? Nach allem, was Bolitho bisher erfahren hatte, hatte Raymond klaglich um sein Leben gefleht, als Tukes Leute die Eurotas in Besitz nahmen. Man mu?te hoffen, da? Raymond um seiner personlichen
        Sicherheit willen keine Geheimnisse preisgegeben hatte. Die Sudsee zog die Flaggen von einem Dutzend Landern an, die immer auf der Suche nach mehr Handel, mehr Einflu?, mehr Territorien waren.
        Vielleicht wu?ten die Verantwortlichen in Sydney mehr, als sie gesagt hatten. Bolitho hoffte es, denn solange nur die Tempest und die uberalterte Hebrus die Autoritat des Konigs reprasentierten, konnte jede zusatzliche Bedrohung in diesen ausgedehnten Gewassern verhangnisvoll sein. Raymond sagte klagend:»Ich habe sehr viel Geld eingebu?t. Diese verdammten Schurken…«Er brach ab, seine Enthullungen brachten ihn offenbar selbst aus der Fassung.»Ich werde dafur sorgen, da? sie alle hangen!«Viola Raymond offnete die Tur und stutzte sich mit einer Hand am Rahmen, als das Schiff stark uberholte. Bolitho bemerkte die steife Haltung ihrer Schultern und spurte wieder den Zorn in sich aufwallen. Tuke hatte die Spitze eines erhitzten Messers gegen ihre nackte Haut gedruckt: sein Brandmal. Es mu?te ein gra?licher Schmerz gewesen sein.
        Viola fragte:»Wen willst du an den Galgen bringen, James?«Und ihre Verachtung offen zeigend:»Als Mann der Tat kann ich mir dich nicht vorstellen. «Raymond entgegnete schroff:»Hor auf. Deine Dummheit hatte uns alle das Leben kosten konnen. Wenn du… «»Wenn sie nicht so klug reagiert hatte, waren die meisten Gefangenen und alle loyalen Manner bei lebendigem Leib mit diesem Schiff verbrannt. «Bolitho wandte sich Raymond zu.»Vielleicht hatte man Sie ja verschont, das kann ich nicht sagen. Aber den Tod so vieler gegen Geld und privaten Plunder abzuwagen, erscheint mir hochst unangemessen. «Er blickte fort, spurte Raymonds Ha? und Violas Mitgefuhl.»Auch ich habe ein paar gute Leute verloren. Haben Sie schon an die gedacht? Wissen Sie, ob der junge Haggard, der einem Hai zum Opfer fiel, nicht eine Familie oder eine Witwe in England hinterla?t?«Er hob die Schultern.»Vermutlich sollte ich diese Gleichgultigkeit allmahlich gewohnt sein, aber sie druckt mir immer wieder die Kehle zu.»
        Rauh sagte Raymond:»Eines Tages, Bolitho, werde ich dafur sorgen, da? Sie Ihre Unverschamtheiten bedauern. Ich bin nicht blind und auch kein Narr. «Viola fragte: Begleiten Sie mich an Deck, Captain?«Und zu ihrem Mann:»Fur einen Tag habe ich genug ertragen. «Als sie hinausgingen, schlug Raymond die Tur mit solcher Gewalt zu, als wolle er sie aus den Angeln rei?en. Im Dammerlicht des Ganges blieb Bolitho stehen und fa?te nach Violas Handgelenk.

«Schon drei Tage! Ich kann es nicht ertragen, dich mit ihm zusammenzusehen. Vielleicht hatte ich auf mein Schiff zuruckkehren und einen Leutnant hier mit dem Kommando betrauen sollen. Es wird noch drei Wochen dauern, ehe wir Land sehen.»
        Ihre Haut unter seinem Griff war weich und warm. Sie sah zu ihm auf, ihr Blick war fest.»Und ich habe funf Jahre lang gewartet und gehofft. Wir haben es falsch gemacht. Wir hatten es wagen, mit den Konventionen brechen sollen. «Sie hob die Hand zu seinem Gesicht.»Ich habe nichts vergessen, nicht einmal den besonderen Geruch, den du an dir hast: nach Schiffen und Salz. Ich hatte mich eher zu den Haifischen, die deinen armen Matrosen umgebracht haben, ins Wasser gesturzt, als mich diesem Ungeheuer Tuke zu unterwerfen.»
        Bolitho horte das Schlagen einer Glocke, anschlie?end das Klatschen von nackten Fu?en, als die Wache wechselte. Ross oder Keen konnten jeden Augenblick kommen. Er sagte:»Sei vorsichtig, Viola. Du hast dir deinen Mann zum erbitterten Feind gemacht.»
        Sie hob die Schultern.»Dazu hat er sich selbst gemacht. Er ruhrte keinen Finger, um mich zu beschutzen. «Allday kam laut polternd die Treppe herunter und warf ihnen einen kurzen Blick zu.
        Viola fragte ruhig:»Und was sehen Sie voraus, Allday?«Sie lachelte ihm zu.»Auch noch mehr Probleme?«Allday kratzte sich am Kopf. Viola Raymond war Teil einer Welt, der er nie angehort und nur selten getraut hatte.»Sturmboen, Ma'am. Ich sehe sehr viele kommen. Aber ich habe keinen Zweifel, da? wir es schaffen.»
        Bolitho blickte ihm prufend nach.»Jetzt hat es ihm die Sprache verschlagen. Das passiert wirklich selten. «Sie gingen nach vorn, an dem gro?en Doppelrad des Ruders vorbei, hinaus auf das breite Deck.
        Nach der stickigen Kajute schmeckte die Luft frisch, und am Stand der Marssegel erkannte Bolitho, da? sie gute Fahrt machten. Er uberlegte, ob Herrick ihn wohl durch sein Glas beobachtete und sich die gleichen Sorgen wie Allday machte.
        Viola schob die Hand unter seinen Arm und sagte zur Begrundung:»An Deck geht es sich sehr schwer, nicht?«Dann sah sie zu ihm auf, ihr Blick war herausfordernd, bittend.
        Etwas leiser fragte sie:»Drei Wochen, sagst du?»
        Er spurte, wie ihre Finger seinen Arm druckten.

«Nach so langem Warten konnte ich es nicht ertragen«, fuhr sie fort.
        Keen stand mit Ross auf der Leeseite und beobachtete die beiden verstohlen.
        Der Steuermannsmaat fragte:»Was halten Sie davon, Mr. Keen? Der Kapt'n scheint hier ebensoviel zu riskieren wie in der Schlacht. «Er lachte verhalten.»Mann, er ist ihr ganz schon verfallen, daran besteht kein Zweifel. «Keen rausperte sich. Ja. Gewi?.»
        Der gro?e Schotte blickte ihn verwundert an.»Mr. Keen, Sir, Sie werden ja rot!«Er ging davon, amusiert uber seine Entdeckung, und lie? den Leutnant verwirrt zuruck. Midshipman Swift, der sich in der Nahe aufhielt, fragte:»Kann ich etwas fur Sie tun, Sir?»
        Keen funkelte ihn an.»Ja: Kummern Sie sich um Ihren Dienst, verdammt noch mal.»
        Die beiden an der Luvreling horten davon nichts. Die Wildheit des Nahkampfes und alles, was vorher geschehen war, versank angesichts der dunkler werdenden blauen See. Und die Zukunft lag weiterhin in Ungewisser Ferne. Vielleicht war von Anfang an alles hoffnungslos gewesen; dennoch fuhlte Bolitho sich wie erlost.
        Kommodore James Sayer trat erschopft von den hohen Heckfenstern zuruck, um der grellen Sonne zu entgehen, die in die Kajute strahlte, als sein Flaggschiff vor Anker stark schwojte.
        Er war gerade aus der Residenz des Gouverneurs zuruckgekehrt und trug noch seine Paradeuniform. Unter dem Hemd war seine Haut kalt und klamm, selbst nach der Fahrt im offenen Boot.
        Durch die Heckfenster konnte er gerade die Fregatte Tempest sehen; das dicke Glas verzerrte ihre Umrisse, als lage sie im Dunst. Im ersten Morgenlicht hatte sie Anker geworfen, und auf Sayers Signal war Kapitan Bolitho an Bord des Flaggschiffes gekommen und hatte seinen schriftlichen Bericht vorgelegt, aber auch eine mundliche Darstellung der Plunderung und Morde auf der Eurotas gegeben.
        Der wichtigste Passagier, James Raymond, hatte das Flaggschiff nicht besucht, sondern sich direkt zum Sitz des Gouverneurs begeben.
        Sayer atmete langsam aus, als er daran dachte, wie er dort empfangen worden war. Im allgemeinen kam er mit dem Gouverneur gut aus, wenn man die ubliche Distanz zwischen Regierung und Marine berucksichtigte. Deshalb war er uberrascht, als er ihn diesmal siedend vor Zorn antraf.»Als ob nicht alles schon schlimm genug ware! Jetzt haben wir auch noch diese Bestie Tuke auf dem Hals. Er hat die Eurotas ausgeplundert, und Gott allein wei?, was er mit ihrer Artillerie unternehmen wird. Ich schicke die Brigg Quail mit meinen Depeschen sofort nach England. Wir brauchen hier Verstarkung. Man kann von mir nicht verlangen, da? ich alle diese deportierten Straflinge aufnehme, fur ihre Unterkunfte sorge, ihren Schutz ubernehme und au?erdem auch noch unsere Handelsrouten uberwache.»
        Kommodore Sayer war Raymond nie begegnet und wu?te nicht, was er zu erwarten hatte. Er hatte gehort, da? Raymond, bisher Regierungsberater bei der East India Company, auf seinen gegenwartigen Posten hier drau?en versetzt worden war. Nach Sayers Meinung konnte eine
        Versetzung in die Sudsee niemals als Beforderung angesehen werden. Eher als Strafversetzung. Aber Tuke kannte er. Mathias Tuke hatte wie viele seines Gewerbes seine Laufbahn auf See als englischer Kaperkapitan begonnen. Fur ihn mu?te es nur naturlich gewesen sein, den nachsten Schritt zu tun und auf eigene Rechnung zu handeln - gegen jede Flagge und mit allen Mitteln, uber die er verfugte. Dem Galgen war er oft nur um Haaresbreite entgangen, und die Geschichten von seinen gra?lichen Untaten kannte man auf beiden Ozeanen. Er hatte diese Gewasser schon fruher heimgesucht und sich dann eine Basis naher bei den ergiebigeren Routen in der Karibik und den spanischen Hafen auf dem amerikanischen Kontinent geschaffen.
        Grausam, erbarmungslos, selbst von Seinesgleichen gefurchtet, hatte er schon viele Admirale vor die problematische Frage gestellt, wo er als nachstes zuschlagen wurde. Und jetzt war er hier.
        Sayer hatte gesagt:»Ich habe einen umfassenden Bericht uber die Ereignisse auf der Eurotas, Sir. Ohne Kapitan Bolithos sofortiges Eingreifen, mit keinem geringen Risiko fur seine eigene Person und seine Gruppe, furchte ich, ware alles verlorengegangen und alle Menschen an Bord waren kaltblutig hingemetzelt worden.»

«Gewi?. «Der Gouverneur hatte in den Papieren auf seinem gro?en Schreibtisch gekramt.»Ich bin au?er mir uber die Dummheit des Kapitans der Eurotas. Bei so vielen Straflingen und zu wenigen Wachen an Bord in Santa Cruz noch zusatzliche Passagiere aufzunehmen!«Verzweifelt hob er die Hande uber den Kopf.»Nun, er hat dafur bu?en mussen, der arme Teufel.»
        Sayer hatte nichts dazu gesagt. Schon seit einiger Zeit wu?te er, da? die Kapitane von Handelsschiffen im Dienst der Regierung zusatzlich Passagiere aufnahmen, um ihre Einkunfte zu verbessern. Sie brachten gutes Geld, und mancher Handelskapitan konnte sich reich zur Ruhe setzen. Diese Aussicht hatte Kapitan Lloyd nun nicht mehr.»Es versetzt mich in eine teuflische Situation. «Der Gouverneur ging trotz der druckenden Hitze heftig auf und ab.»Mr. Raymond hat eine wichtige Aufgabe auf den Levu-Inseln zu erfullen. Es ist alles arrangiert. Jetzt, da die Eurotas praktisch vollig waffenlos ist und fahige Offiziere und eine neue Besatzung braucht, kann ich ihn nicht ohne eine Eskorte dorthin reisen lassen. «Sayer hatte weiter geschwiegen. Die Levu-Inseln, nahe bei den Freundschaftsinseln gelegen, wo Tuke die Eurotas versteckt hatte, standen schon seit vielen Monaten zur Diskussion, fast schon seit der Zeit, als die Kolonie in Neusudwales gegrundet worden war. Die meisten Hauptlinge der Inselgruppe waren freundlich gesonnen und zum Handel bereit.
        Die Eingeborenenstamme ha?ten sich gegenseitig, das trug zur Sicherheit der Briten bei. Die Hauptinsel bot einen guten Ankerplatz, frisches Wasser und reichlich Holz. Immer wieder war die Inselgruppe von Kapitanen auf der Suche nach Wasser und frischen Lebensmitteln beansprucht worden, indem sie dort die Flagge mit ihren Landesfarben hi?ten.
        Jetzt aber, da sich die Spannungen zwischen Gro?britannien und Spanien verscharften, bedeutete die Insel mehr als nur eine Erweiterung des britischen Einflu?gebietes. Sydney und der Rest der gro?en Kolonie wuchsen und breiteten sich jeden Monat weiter aus. Die neueroffneten Handels- und Versorgungsrouten und die Flanken der Kolonie mu?ten geschutzt werden. Die Levu-Inseln konnten leicht Kriegsschiffen als Stutzpunkt dienen, die von Sudamerika her und um Kap Horn patrouillierten. Sayer konnte sich nicht vorstellen, wie ausgerechnet Raymond dort eine wichtige Position ausfullen sollte. Dazu wirkte er durch ein angenehmes Leben zu verweichlicht. Gewi? verfugte er uber eine gewisse Harte, aber das war eher Hartherzigkeit als Charakterstarke. Raymond hatte bestatigt:»Ja, ich mu? eine Eskorte haben. «Er hatte Sayer angesehen.»Sie befehligen doch das Geschwader hier.
«Es klang wie eine Beschuldigung. Daran war Sayer gewohnt, aber es argerte ihn trotzdem.»Das werden Sie wohl arrangieren konnen, oder?«»Ich verfuge uber ein paar Schoner, einige bewaffnete
        Kutter und die Brigg Quail.«Er hatte aus dem Fenster gedeutet.»Jetzt habe ich auch die Tempest, Gott sei Dank, unter einem Kommandanten, der die Erfahrung und die Energie besitzt, sie gut und wirkungsvoll einzusetzen. «Der schnelle Blickwechsel zwischen den beiden war Sayer nicht entgangen. Sie hatten also uber Bolitho gesprochen. Merkwurdig war nur die gespannte Stimmung. Vielleicht beruhte sie auf der Befurchtung, da? der Kommodore ihm etwas weitersagen wurde, was nicht fur Bolithos Ohren bestimmt war.
        Dann fuhr der Gouverneur fort:»Sie werden eben die Tempest abstellen. Ich bin schon dabei, die entsprechenden Befehle aufzusetzen. Ich habe auch Anweisung gegeben, die Eurotas wieder mit allem auszurusten, uber das wir verfugen. Mit Geld und Kanonen sieht es allerdings schlecht aus«, hatte er erbittert hinzugefugt.
        Raymond hatte sich entschuldigt und war in einen anderen Teil der Residenz gegangen, wo er und seine Frau wohnten. Sayer hatte erwartet, da? Raymond Zeichen der Dankbarkeit zeigen wurde, da? er uberlebt hatte, und Mitgefuhl fur die weniger Glucklichen. Aber es war, als ob er die Erinnerung an die Ereignisse aus seinem Gedachtnis getilgt hatte. Sobald Sayer mit dem Gouverneur allein war, erlebte er seine zweite Uberraschung.

«Ich kann Ihnen versichern, Sayer, wenn Bolitho das Schiff nicht wiedererobert hatte, wenn seine Tapferkeit nicht so offenkundig ware und er nicht so viele Menschen gerettet hatte, wurde ich Ihnen befehlen, ihn vor ein Kriegsgericht zu stellen.»
        Sayer war vollig verblufft.»Dagegen mu? ich protestieren, Sir! Ich kenne Bolithos Laufbahn. Er ist in jeder Hinsicht ein hervorragender Offizier, wie es sein Vater schon war.«»Und sein Bruder?«Der Gouverneur hatte den Kommodore eisig angesehen. Mr. Raymond sagte mir, da? Bolithos Bruder ein Verrater war, ein verdammter Uberlaufer im Krieg!«Darauf hatte er eine Hand erhoben.»Das war unfair von mir, Sayer, aber es entspricht meinen Empfindungen. Ich bin uberarbeitet, uberfordert durch die Zwiste in der Kolonie und die Unfahigkeit meines Verwaltungspersonals.
        Und nun noch dieses. James Raymond, ein wichtiger Mann aus London, der das Ohr des Premierministers und wahrscheinlich auch das des Konigs hat, beschuldigt Bolitho einer Liaison mit seiner Frau.»
        Das war es also. Irgendwo in Sayers Gedachtnis lebte etwas wieder auf: Vor vier oder funf Jahren hatte Bolitho die Fregatte Undine kommandiert und mit ihr eine andere neue Handelsmission unterstutzt. In Borneo, das war es. Der Gouverneur dieses gottverlassenen Orts war ein Admiral im Ruhestand gewesen. Es hatte Gerede uber ein Verhaltnis zwischen der Frau eines Regierungsbeamten und einem jungen Fregattenkapitan gegeben.
        Der Gouverneur sagte knapp:»Ich sehe Ihrem Gesicht an, Sayer, da? Sie schon davon gehort haben.«»Nein, Sir. Das war vor langer Zeit. Und nur Geruchte.«»Mag sein. Aber durch eine unerfreuliche Fugung des Schicksals wurden sie hier wieder zusammengefuhrt. Und es ist nicht dasselbe wie fruher. Bolitho ist nach wie vor Fregattenkapitan, wahrend Raymond an Einflu? gewonnen hat, kaum aber an Nachsicht. Versuchen Sie, es von meinem Standpunkt aus zu sehen. Ich kann mir keine zusatzlichen Probleme leisten. Mit meinen Depeschen werde ich einen Antrag nach London schicken, da? die Tempest hier abgelost wird. Ich bin kein solcher Tyrann, da? ich gleich die Absetzung ihres Kommandanten verlange. «Der Gouverneur hatte mehr oder minder deutlich eingeraumt, da? er von Raymond keinen guten Eindruck gewonnen hatte. Doch was anderte das schon, uberlegte Sayer.
        Als er jetzt wieder in seiner Kajute stand, war er unsicher, wie er Bolitho gegenubertreten sollte. Der war ein ausgezeichneter Offizier, wichtiger noch, ein guter Mann. Doch Sayer hatte seine Verantwortung. Es ging wieder einmal um die Hierarchie.
        Sein Kapitan blickte in die Kajute.»Die Gig der Tempest legt an, Sir.»

«Gut. Empfangen Sie Kapitan Bolitho und bringen Sie ihn nach achtern.»
        Er wandte sich wieder den Fenstern zu. Mrs. Raymond war eine sehr schone Frau, hatte er gehort. Er nahm an, da? sie lediglich als Begleitung ihres Mannes mitgekommen war. Sie wurde kaum in die Gesellschaft von Sydney passen: Beamte, Milizionare, deren Ehefrauen und Matressen. In Cornwall hatte Sayer mehr gesellschaftliche Veranstaltungen erlebt als hier drau?en. Nicht ganz das Richtige fur eine Dame aus guter Familie. Er horte das Stampfen von Fu?en, das Trillern der Bootsmannspfeifen, als Seite gepfiffen wurde, um den besuchenden Kapitan gebuhrend zu empfangen. Sayer wandte sich der Tur zu und ri? sich zusammen. Als Bolitho eintrat, sah er genauso aus wie am Vormittag. In seiner Paradeuniform, den goldbetre?ten Hut unter dem einen Arm, war er ein Mann nach dem Herzen jeder Frau. Er war stark von der Sonne gebraunt, und sein schwarzes Haar mit der rebellischen Locke uber dem einen Auge schimmerte im gedampften Sonnenlicht wie Rabenflugel. Er wirkte gelassen und zeigte nicht mehr die verhaltene Spannung, die Sayer an ihm bemerkt hatte, als er zum erstenmal in den Hafen eingelaufen war.»Setzen Sie
sich, Richard. «Sayer sah ihn unsicher an.»Ich bin gerade vom Gouverneur zuruckgekommen. Es dauerte Stunden, und ich bin halbtot vor Erschopfung.«»Tut mir leid, Sir. Aber ich hoffe, der Besuch hat sich gelohnt.»

«Gelohnt?«Der Kommodore sah ihn grimmig an.»Ich dachte, er wurde einen Anfall bekommen!«Ungeduldig offnete er einen hangenden Weinkuhler und nahm Flasche und Glaser heraus.»Verdammt, Richard, stimmt das mit Ihnen und Raymonds Frau?«Er drehte sich schnell um und verschuttete dabei Wein.»Denn wenn es so ist, dann fordern Sie Arger heraus!»
        Bolitho nahm das angebotene Glas und lie? sich Zeit. Es war vorauszusehen gewesen. Nach allem, was geschehen war, hatte es kommen mussen. Warum also die Uberraschung?
        Er erwiderte:»Ich wei? nicht, was man Ihnen hinterbracht hat, Sir.»

«Um Himmels willen, Richard, spielen Sie doch nicht mit
        Worten! Wir sind beide Seeleute, wir wissen, wie solche Dinge geschehen. Mein Gott, nach Ihrem tollkuhnen Rettungsunternehmen wurde sich Ihnen heute abend in Sydney jede Frau hingeben!»
        Bolitho stellte sein Glas ab.»Viola Raymond ist kein billiges Flittchen, Sir. Ich habe sie vor funf Jahren kennengelernt. Dann glaubte ich, es sei alles voruber, obwohl es in Wahrheit erst begonnen hatte. Sie ist mit dem falschen Mann verheiratet. Er ist ordinar, arrogant und gefahrlich. «Bolitho horte seine gelassene Stimme, wie ein zufalliger Zeuge.»Ich habe nichts anderes zu bedauern als die verlorenen Jahre. Wenn Viola nach England zuruckkommt, wird sie ihre Londoner Wohnung verlassen und auf meine Ruckkehr warten. «Er blickte auf, seine Stimme war ganz ruhig.»Ich liebe sie sehr. «Sayer sah ihn ernst an. Er war uber diese Enthullung betroffen, aber Bolithos Aufrichtigkeit und seine Bereitschaft, seine Hoffnungen mit ihm zu teilen, ruhrten ihn.
        Er sagte:»Der Gouverneur schickt heute abend mit der Quail seine Berichte nach England. Dabei wird sich auch ein Antrag befinden, die Tempest in heimische Gewasser zuruckzuverlegen. Das entspricht Ihren Wunschen, wenn auch nicht Ihren Grunden. Aber es wird Monate dauern, bis diese Berichte angekommen sind und beantwortet werden. Inzwischen kann alles mogliche geschehen.«»Ich wei?, Sir. Danke, da? Sie mich daruber unterrichten. «Durch die Enthullung der Plane des Gouverneurs hatte Sayer seine Sorge zu erkennen gegeben. Wenn Bolitho wollte, konnte er jetzt seine eigenen Berichte und Briefe mit demselben Schiff absenden. Auch wenn er keinen Einflu? besa?, hatte er doch zahlreiche Freunde. Es ruhrte ihn, da? Sayer sich in seinem Interesse so offen zeigte. Nachdenklich sagte der Kommodore:»Ich wei? wenig von James Raymond, aber was ich von ihm gesehen habe, halte ich fur unerfreulich.»

«Wir haben beide unsere festen Positionen bezogen, Sir. «Bolitho konnte ihre Augen vor sich sehen, ihre Haut fuhlen, die Beruhrung ihres langen, rotgoldenen Haares spuren.

«Viola wird auf meine Ruckkehr nach England warten.«»Sie wird nicht nach England fahren, Richard. «Sayer war bei den eigenen Worten elend zumute.»Sie wird Raymond zu seinem neuen Amtssitz auf den Levu-Inseln begleiten mussen. «Er stand schnell auf.»Glauben Sie mir, sie hat keine andere Wahl. Der Gouverneur ist verpflichtet, Raymond zu unterstutzen, und was Sie auch an Uberedungskraft oder Geldmitteln aufwenden, es kann nicht dazu fuhren, da? Viola Raymond an Bord der Quail nach England fahrt.»
        Bolitho blickte ihn fest an.»Dann wird sie in Sydney bleiben, bis…»

«Mochten Sie das wirklich?«Sayer wandte sich ab.»Mit welchem hamischen Vergnugen wird man sie hier demutigen. Skandale sind bei uns gefragt, die kleinen und neidischen Geister hier leben vom Klatsch. «Bolitho wollte es nicht glauben, aber er wu?te dennoch, da? Raymond fur einen Skandal sorgen wurde. Wenn er sie schon nicht auseinanderbringen konnte, wurde er dafur sorgen, da? sie in Bedrangnis gerieten.»Aber in der Sudsee, Sir?«gab Bolitho zu bedenken.»Wie lange kann eine Frau das aushallen? Hier ist es schon schlimm genug, aber Sydney ist geradezu luxurios im Vergleich zu den abgelegenen Inseln. Viola hat das alles schon einmal durchgemacht. Kein Mann, kein anstandiger Mann, konnte so viel von einer Frau verlangen, und schon gar nicht von ihr.»

«Ich wei?. «Sayer sah ihn bedruckt an.»Aber Raymond steht unter Erfolgszwang. Er wird auch Deportierte mitnehmen und den Anschein einer ordnungsgema?en Besiedlung bieten.»
        Bolitho lehnte sich zuruck. Seine Augen nahmen nichts mehr wahr.
        An jenem dritten Abend an Bord der Eurotas war er zu ihr in die gro?e Kajute gegangen. Sie teilte sie nur mit dem jungen Madchen, das sie unter ihre Fittiche genommen hatte. Das bedauernswerte Geschopf sprach kaum ein Wort, stand noch unter Schockeinwirkung und wurde von Entsetzen gepackt, wenn ein Mann nur in seine Nahe kam.
        Aber fur Vi ola tat sie alles.
        Auch Raymond war eine eigene Kajute zugeteilt worden, genau wie damals, als er auf Bolithos Schiff Passagier gewesen war. Doch diesmal bestand ein Unterschied. Verzweiflung, Sehnsucht und die uberwaltigende Erlosung, sich wiedergefunden zu haben, lie? sie beide alle Vorsicht vergessen.
        Er konnte wieder Violas Stimme horen, als ob er mit ihr zusammen sei und nicht mit Sayer.

«Wir sind auf einem Geisterschiff, mein Geliebter. Ganz allein. Ich sehne mich so sehr nach dir, da? ich mich schame. Und ich brauche dich so sehr, da? du dich vielleicht meiner schamst.»
        Er kehrte in die Wirklichkeit zuruck, als Sayer sagte:»Sie erhalten Befehl, die Eurotas zur Levu-Gruppe zu begleiten. «Sayer sah das Erschrecken in Bolithos Augen, versuchte, sich vorzustellen, was er unter ahnlichen Umstanden empfunden hatte: gezwungen, die Frau, die er liebte, zu beobachten, aber unfahig, sich ihr zu nahern.»Dem Gouverneur stehen keine anderen Streitkrafte zur Verfugung, und Tuke konnte einen weiteren Uberfall planen.»

«Ich werde ihn umbringen«, sagte Bolitho leise.
        Sayer blickte zur Seite. Wen meinte er - Tuke oder
        Raymond?
        Als Bolitho wieder sprach, klang seine Stimme gefa?t. Zu gefa?t.»Wieviel Zeit haben wir, Sir?«»Einige Tage. Da die Jahreszeit sturmischer wird und die Verzogerung bereits betrachtlich ist, mu? alles nur noch schneller gehen. «Er versuchte, nuchtern zu sprechen.»Noch eines, Richard: Sie werden hier in Sydney nicht mit ihr zusammenkommen. «Er sah, wie Bolitho auffuhr.»Und als personlichen Gefallen fur mich mochte ich Sie bitten, an Bord zu bleiben, bis Sie Anker lichten. Au?er in dienstlichen Angelegenheiten und Dingen, die Ihr Schiff betreffen, sollten Sie nicht an Land gehen. «Bolitho stand auf.»Verstehe.»

«Gut. Ich habe zu viel Respekt vor Ihnen, um Ihnen eine Predigt zu halten. Aber die Zeit vergeht, altes Leid wird vergessen. Sie werden Ihren ganzen Elan brauchen, Tuke ist ein bosartiger Pirat und kein Held, wie manche Legenden von ihm behaupten. Ich glaube, da? er seine speziellen Dienste hier irgend jemandem verkaufen will. Darum rustet er sich auf unsere Kosten aus. Vielleicht sucht er durch einen Kaperbrief den Anschein der Legalitat zu erwerben, als Soldner zu gelten, statt als gejagter Pirat. Das ist durchaus ublich. «Er senkte die Stimme. Und dann haben Sie noch Raymond gegen sich, der Sie belauert und nur darauf wartet, da? Sie einen Fehler machen.«»Die Franzosen und Spanier sind schon lange an diesen Gewassern interessiert, wenn auch bisher ohne nennenswerten Erfolg«, sagte Bolitho. Er empfand nichts. Die Aussicht auf eine neue Mission, die Moglichkeit, Tuke zu stellen und zu vernichten, versetzte ihn nicht in Erregung. Sayer nickte.»In den letzten Depeschen war von Hungersnot und Aufruhr in Frankreich die Rede, sogar in Paris. Der Konig ist also zu beschaftigt, um sich mit uns zu befassen.
Aber Spanien?«Er hob die Schultern.»Doch gleichgultig, welche Flagge dieser Teufel zeigt, ich wunsche, da? er gefangen und gehangt wird, ehe sich der Brand ausweitet. Eine gute Nachricht gibt es allerdings: Die Bounty ist verschwunden, vermutlich untergegangen. Es wurde mich nicht wundern. Eine Sorge weniger.«»Sir?«Bolitho sah ihn verstandnislos an. Sayer kam durch die Kajute und packte ihn am Arm.»Lassen Sie nur, Sie waren eben meilenweit entfernt. Aber fassen Sie Mut und tun Sie Ihre Pflicht. Alles andere wird sich von selbst losen.
«Bolitho erwiderte:»Jawohl, Sir.»
        Er hatte an Cornwall gedacht, an das gro?e graue Haus in Falmouth. Ihr wurde es dort gefallen, und alle wurden sie lieben, wie sie seine Mutter geliebt hatten und die anderen Kapitansfrauen, die auf der Bastion uber der Steilkuste spazierengingen und Ausschau nach den Schiffen ihrer Manner hielten; manche vergeblich. Doch weil er die gebotene Vorsicht au?er acht gelassen hatte, hatte er die einzige Person verraten, die er wirklich liebte. Dadurch hatte er den Ha? und den Neid Raymonds geschurt, der jetzt alles aufs Spiel setzen wurde, selbst das Leben von Viola.

«Ich wurde gern auf mein Schiff zuruckkehren, Sir. «Sayer musterte ihn.»Ja. Ich gebe Ihnen Nachricht, wenn ich etwas erfahre. Man sucht noch nach Leuten fur die Eurotas, und Sie werden einen Offizier stellen mussen, der das Kommando ubernimmt.
«Nachdrucklich wiederholte er:»Einen Offizier, Richard. Sie mussen auf Ihrem Schiff bleiben. Sobald auf den Levu-Inseln alles eingerichtet ist, wird die Eurotas als Versorgungsschiff dienen. Sie kann ruhig einem jungeren Offizier uberlassen werden, bis ich weiteren Ersatz schicken kann. Doch Sie werden tun, was Sie fur richtig halten, sobald der Handelsplatz gesichert ist. «Bolitho streckte die Hand aus.»Danke, Sir, fur etwas, das Sie gewi? ungern getan haben. Ich kenne viele, die es knapp und schroff erledigt hatten.»
        Sayer lachelte.»Das ist wohl wahr. Aber merken Sie sich, was ich gesagt habe. Ich kann Sie nicht retten, wenn Sie Raymond herausfordern. Er ist der Typ, der schon nach einem Sundenbock sucht, noch ehe er etwas unternimmt. Ich habe nicht die Absicht, mir diese Rolle zuschanzen zu lassen, und wunsche auch nicht, Sie in ihr zu sehen. «Bolitho ging an Deck und salutierte vor der Flagge und dem Kommandanten der Hebrus.
        Ein Kanonenschu? drohnte dumpf in der Ferne, und der andere Kapitan sagte:»Das war fur Ihre beiden Gefangenen. Hier drau?en vergeudet man nicht viel Zeit an Prozesse. «Noch hallte das Echo des Kanonenschusses uber den Hafen, als Bolitho in die Gig hinunterkletterte, wo Allday ihn mit erwartungsvollem Gesicht empfing. Bolitho sah an ihm vorbei zu der sich drangenden Menschenmenge, die gekommen war, um zwei Manner hangen zu sehen. Irgendwo dort war sie.»Zur Pier, Captain?«»Nein, Allday. An Bord.»

«Ablegen«, bellte Allday. Etwas mu?te schiefgegangen sein.»Riemen bei! Rudert an!»
        Er schutzte die Augen mit der Hand und sah zu dem vor
        Anker liegenden Handelsschiff hinuber, dachte an das wilde Geschrei des Handgemenges und das hemmungslose Toten. Dann blickte er auf Bolithos Schultern hinab, bemerkte, wie er den Griff seines alten Degens umklammerte. Allday hatte es einmal dankbar begru?t, als Viola Raymond und Bolitho voneinander getrennt wurden. Er hatte geahnt, da? Boses geschehen konnte. Doch Allday glaubte auch daran, da? man eine einmal begonnene Sache bis zum Ende durchstehen mu?te. Er wollte daruber nachdenken, hier und dort ein gutes Wort einlegen, wenn er die Chance bekam. Bolitho beobachtete das Heben und Senken der Riemen, die starren, nichtssagenden Gesichter der bezopften Matrosen. Sie alle schienen Bescheid zu wissen. Manche wurden hamisch reagieren, andere mitfuhlend. Alle aber wurde interessieren, was als nachstes geschah. Er horte das Knarren der Pinne, als Allday hinter dem Heck eines hollandischen Handelsschoners vorbeisteuerte. Vor allem er, dachte er. Er konnte Alldays Verstand beinahe arbeiten horen. Seine ganze Anhanglichkeit, sein Mut und seine Unverfrorenheit, konnten ihm diesmal nicht helfen. Er sah
das Begru?ungskommando bei der Einstiegspforte der Tempest antreten: das Blau und Wei? der Offiziere, das Scharlach der Seesoldaten Prudeauxs, angetreten zum Empfang des Kommandanten.
        Er reckte die Schultern und blickte zu dem Schiff auf. Begleitschutz. Das war kein besonderer Auftrag, aber besser als nichts. Und ihm blieb immer noch die Hoffnung. Seine Entschlossenheit war starker als je - ganz wie die Alldays.



        VII Die Narval

        Leutnant Thomas Herrick schlurfte siedend hei?en, bitteren Kaffee und sah Bolitho zu, der sich neben einer Seekarte Notizen machte.
        Vor einer Woche waren sie wieder ausgelaufen, und Herrick war froh, wieder auf See zu sein und etwas zu tun, worauf er sich verstand. Sechs Tage lang hatten sie vor Anker gelegen, und es war schmerzlich gewesen zu beobachten, wie Bolitho sich bemuhte, seine Sorgen zu verbergen, seinen Kummer fur sich zu behalten, wenn er zu der verankerten Eurotas und der dahinterliegenden Stadt hinuberblickte. Selbst jetzt war Herrick nicht sicher, was Bolitho wirklich dachte. Fur jeden, der ihn nicht so gut kannte, schien der Kommandant wie immer der aufmerksame, an seiner Umwelt interessierte Offizier zu sein. Sorgfaltig studierte er die Karte, verglich seine Aufzeichnungen mit denen von Lakey, dem Steuermann.
        Herrick wu?te nicht viel von den Levu-Inseln, nur da? sie etwa zweihundert Meilen im Norden des Archipels lagen, wo sie die Eurotas zuruckerobert hatten. Jetzt schleppten sie sich vorwarts, behindert durch das langsamere Handelsschiff, das die Tempest in Luv aufmerksam uberwachte.
        Bolitho blickte auf.»Erinnern Sie sich an den alten Mudge, Thomas?»

«Gewi?. «Herrick schmunzelte. Mudge war Steuermann auf der Undine gewesen.»Er mu? der alteste Mann im Dienst des Konigs gewesen sein, vielleicht uberhaupt der alteste auf See. Sechzig Jahre hat er zugegeben, aber er ist nie daruber hinausgegangen. Schade, da? er nie Mr. Lakey kennengelernt hat. Wenn die beiden sich eines Tages im Himmel treffen, haben sie einander viel zu erzahlen. «Bolitho war nachdenklich.»Er wu?te eine Menge uber diese Gewasser. Wie er mich zurechtwies, wenn ich befahl, alle Segel zu setzen… Aber auch wie er knurrte, wenn wir so wie jetzt dahinkrochen!»
        Herrick blickte auf, als er Keens Schritte uber sich auf dem Achterdeck horte. Borlase hatte das Kommando uber die Eurotas erhalten. In gewisser Weise war das bedauerlich, dachte Herrick, denn Borlase mochte Raymond zuviel anvertrauen. Andererseits war Herrick froh, hier bei Bolitho zu sein. An Borlases Stelle ware er vielleicht gegenuber diesem Lump Raymond zu deutlich geworden. Er fragte:»Was erwarten Sie, auf den Levu-Inseln vorzufinden, Sir?»
        Bolitho ging zu den Heckfenstern und starrte zum schwankenden, dunstigen Horizont hinaus; die glitzernde See sah aus wie ein riesiger, siedender Kessel.

«Einen Flaggenmast, Thomas, und ein paar angestrengt arbeitende britische Beamte. Weitgehend das, was wir schon kennen.»
        Noddall tappte in die Kajute, eine Kaffeekanne in seinen Pfotchen.»Hier ist noch ein Rest drin, Sir.«»Gut. «Bolitho hielt ihm seinen Becher hin.»Ich komme zwar davon ins Schwitzen, aber Kaffee ist wenigstens etwas, das nicht schimmelig oder ranzig schmeckt. «Ein neuer Tag, die gleiche leere See. Er hatte sich angewohnt, jedesmal, wenn er an Deck den Kompa? und ihren Standort uberprufte, die Sekunden zu zahlen. Die Sekunden, ehe er sich gestattete, zu dem bauchigen Rumpf der Eurotas hinuberzublicken. Sie schien stets in der gleichen Position zu bleiben, in den Wanten der Tempest wie in einem riesigen Netz gefangen. In Wirklichkeit hielt sie sich ein ganzes Stuck in Lee, zu weit entfernt, um sie ohne Glas zu uberprufen. Und auch diese Gelegenheiten mu?ten bemessen, rationiert werden. Er horte einige gedampfte Schusse und wu?te, da? die Marineinfanteristen wieder ubten, aus den Masten auf bewegliche Ziele schossen, die Sergeant Quare warf. Plotzlich sagte Herrick:»Es hat keinen Zweck, Sir. Ich mu? daruber sprechen.»

«Gut. «Bolitho wandte sich ihm zu.»Ich habe so etwas erwartet. Bringen wir es also hinter uns. «Herrick stellte seinen Kaffeebecher vorsichtig auf den Tisch.»Das alles ist Ihnen nicht neu, aber ich bin deshalb nicht weniger besorgt. Ich… Auf mich kommt es nicht an. Ich werde nie uber die Offiziersmesse hinauskommen und bin daruber auch ganz froh, seit ich gesehen habe, wie sehr ein Kommando einen Mann aushohlen kann. Aber Sie haben eine Familientradition zu wahren, Sir. Als ich Ihr Haus in Falmouth mit all diesen Portrats sah, wu?te ich, da? es mein Gluck war, unter Ihnen dienen zu konnen. Ich wei?, was dazu gehort, Kommandant zu sein. Es ist nicht gerecht, da? Sie wegen dieser Affare in Gefahr kommen. «Bolitho lachelte ernst, obwohl ihm das Herz wehtat.»Mit >dieser Affare< meinen Sie wohl meine Unvorsichtigkeit, ebenso der Liebe zu verfallen wie jeder andere?»
        Er schuttelte den Kopf.»Nein, Thomas. Ich werde niemandem erlauben, dieser Frau zu nahe zu treten, nur um mich zu treffen. Eher schicke ich Raymond zur Holle!«Er wandte sich ab.»Jetzt haben Sie es geschafft, da? ich die Beherrschung verloren habe.»
        Herrick entgegnete muhsam:»Auf die Gefahr hin, Sie noch mehr zu verletzen: Ich glaube auch, da? Kommodore Sayer richtig gehandelt hat, als - «, er hob verlegen die Schultern,»als er Sie hier an Bord hielt.»

«Vielleicht. «Bolitho setzte sich wieder und rieb sich mit den Handballen die Augen.»Wenn nur…«Er blickte scharf auf.»Was war das?»

«Ein Ruf vom Ausguck, Sir. «Auch Herrick war bereits auf den Beinen, als der Ruf noch einmal herunterschallte.»An Deck! Segel in Lee voraus.»
        Sie eilten beide aus der Kajute und stie?en mit Midshipman Romney zusammen, der auf dem Weg nach unten war.»Sir, eine Empfehlung von Mr. Keen und. «Herrick sturmte an ihm vorbei.»Ja, wir wissen schon. «Bolitho ging am Ruder vorbei, wobei er die Sonne auf seinen Schultern spurte, als ob sie nackt waren. Ein Blick auf Kompa? und Segel verriet ihm alles, was er wissen mu?te: Die Eurotas lag nach wie vor auf ihrer Position, Fock, Gro?- und Besansegel fielen immer wieder ein und beraubten sie jeder Schonheit.»Liegt noch mehr vor?«»Noch nicht, Sir. «Keen hob sein Teleskop.»Hm. «Bolitho zog seine Uhr.»Schicken Sie einen weiteren Mann in den Ausguck. «Er blickte sich nach Midshipman Swift um.»Und Sie geben ein Signal an die Eurotas: >Segel in Nordost<. «Er sah Herrick an.»Obwohl sie das bei Gott inzwischen selbst entdeckt haben sollten. «Herrick blieb gelassen. Handelsschiffe hatten nur selten einen guten Mann im Ausguck, besonders dann nicht, wenn sie unter dem Schutz eines Kriegsschiffes segelten. Aber es hatte keinen Sinn, Bolitho darauf hinzuweisen. Er wu?te, da? dieser seine Befurchtungen nur muhsam
unter Kontrolle hielt. Ein Funke, und…

«Herrgott, sind die da oben blind geworden?«schnauzte
        Bolitho.

«An Deck!«Das war der neue Mann im Ausguck.»Es ist ein Kriegsschiff, Sir.»
        Bolitho wandte sich wieder an Herrick.»Was kann das vorhaben, Thomas?»

«Vielleicht ist es eines von unseren.»

«Gott segne Sie, Thomas!«Er klopfte ihm auf die Schulter.

«Wir sind das einzige britische Kriegsschiff auf dem ganzen weiten Ozean. Sogar der Gouverneur von Neusudwales mu?
        um Schiffe betteln.»
        Herrick war fasziniert. Die Aussicht auf Aktivitat wirkte auf Bolitho belebend, ganz gleich, was er privat durchmachte.»Wir haben nicht die geringste Ahnung, Sir, was in der Welt geschieht«, sagte er.»Wir konnen im Krieg mit Spanien sein, mit Frankreich oder sonst jemandem. «Bolitho ging zum Ruder zuruck und prufte den Kompa?. Kurs Ost-Nordost, und nach wie vor beruhigender rauher Wind von Steuerbord. Der Kurs des Fremden verlief konvergierend zu ihrem eigenen, aber es wurden Stunden vergehen, ehe sie sich trafen. Was sollte er tun, wenn der Neuankommling abdrehte und vor ihnen floh? Er konnte die Eurotas nicht sich selbst uberlassen. Doch nach einer Stunde verrieten die Meldungen aus dem Mast, da? das andere Schiff keine Vorkehrungen fur ein Ausweichmanover traf.

«Setzen Sie die Fock, Mr. Herrick. «Bolitho uberquerte das Achterdeck und kletterte in die Besanwanten.»Mir ist wohler, wenn wir naher bei unserem Schutzling liegen. «Die Matrosen eilten auf Stationen, und wenige Minuten spater fullte sich das gro?e Focksegel mit Wind und sandte ein Vibrieren durch die Wanten und die gesamte Takelage. Bolitho wartete mit dem Glas vor Augen, da? die lange Dunung das andere Schiff hob, damit er es genau betrachten konnte. Als dank einer Laune des Ozeans gleichzeitig auch die Tempest hoher lag, hatte er es einige Augenblicke scharf im Blickfeld, dann verwischten es Dunst und Entfernung, und er lie? sich wieder an Deck hinab.»Eine Fregatte. Den Linien nach franzosisch. «Er blickte zum Wimpel im Masttopp auf.»Wenn der Wind bleibt, sind wir in zwei Stunden bei ihr. In Schu?weite kommen wir entsprechend fruher.»
        Lakey erinnerte sachlich:»Wir sind nicht im Krieg mit Frankreich.»

«Wahrscheinlich nicht, Mr. Lakey. Aber wir wollen trotzdem nichts riskieren. «Vor seinem geistigen Auge hullte sich sein Schiff in Kugelhagel und Pulverqualm. Doch diesmal wurde es nicht dazu kommen. Der Franzose lie? sich Zeit und kreuzte nicht auf, um den Windvorteil zu bekommen.

«Schicken Sie die Mannschaft rechtzeitig auf Gefechtsstationen, und sorgen Sie dafur, da? erfahrene Leute im Ausguck beobachten, ob der Franzose das gleiche tut.
«Wieder griff er nach dem Glas und richtete es diesmal auf die Eurotas. Er sah ihr Kleid aufleuchten, als sie uber das Achterdeck ging, mit einer Hand den Hut im Wind festhaltend. Mein Gott… Momentan uberwaltigt, senkte er das Glas, und Viola verschwand in der Ferne; nur das Schiff blieb zuruck.

«An Deck! Sie hissen die Flagge!«Eine Pause.»Tatsachlich ein Franzmann, Sir.»
        Auch mit blo?em Auge konnte Bolitho den winzigen Flecken Wei? erkennen, welcher plotzlich vom Masttopp des anderen auswehte, der nun scharf an den Wind ging, die Rahen so gebra?t, da? sie fast mitschiffs standen. Ein seltsames Gefuhl. Wie viele an Bord war Bolitho einem franzosischen Schiff selten anders begegnet als mit schu?bereiten, ausgerannten Geschutzen. Mit Bedauern dachte er an Le Chaumareys und sein vergeudetes Leben. An Bord war der Kommandant Konig, doch fur die Macht, die ihn einsetzte und benutzte, blieb er der entbehrliche Bauer im Spiel.
        Bolitho zwang sich, das Deck zu verlassen, fast geblendet vom Starren uber das schimmernde blaue Wasser. Allday kam in die Kajute.»Ich sage Noddall, er soll Ihren Rock und Hut bereitlegen, Captain. «Und grinsend:»Die Breeches sind fur einen Franzmann noch gut genug. «Bolitho nickte. Wenn der franzosische Kommandant ein Neuling in diesen Gewassern war, wurde er jeden Kontakt suchen. Wurde er auf die Tempest kommen oder Bolitho zu sich bitten?
        Noddall huschte aus der Schlafkabine, uber dem Arm Bolithos Rock. Der hatte sich gerade umgezogen, als er die Pfeifen horte:»Alle Mann auf Stationen! Klarschiff zum Gefecht!»
        Trommeln wirbelten, und er spurte den Rumpf unter dem hastigen Getrappel der Besatzung beben. Als er das Achterdeck betrat, war der Befehl ausgefuhrt, selbst die Planken rund um die Geschutze waren schon mit Sand bestreut. Sie wurden ihn nicht brauchen, dessen war er vollig sicher. Aber Sand war reichlich vorhanden, und die Mannschaft gewann mit jeder Ubung mehr Erfahrung.»Laden und ausrennen, Sir?»

«Nein, Mr. Herrick. «Er sprach ebenso formell. Uber die schwarzen Kanonen und nackten Rucken der Manner blickte er nach vorn und wunschte sich, es ware der Pirat Tuke, der ihm dort entgegensegelte.
        Midshipman Fitzmaurice kam zum Achterdeck gerannt und rief hinauf:»Verzeihung, Sir, aber Mr. Jury meldet mit Respekt, es ist die Fregatte Narval, sechsunddrei?ig Geschutze, und er hat sie schon in Bombay gesehen. «Bolitho lachelte.»Meinen Dank an den Bootsmann. «Er sah Herrick an. Immer war es das Gleiche; immer war einer da, der auf dem anderen Schiff gedient oder es schon einmal gesehen hatte. Zweifellos erhielt der Kommandant der Narval die gleiche Meldung uber die Tempest: sechsunddrei?ig Kanonen, die gleiche Bewaffnung wie seine.
        Mit Sachkunde beobachtete er, wie das andere Schiff Segel kurzte: ein schlankerer Rumpf als die Tempest und wettergegerbt, als ware es schon lange Zeit im Einsatz. Die Segelmanover klappten ausgezeichnet, ein weiteres Zeichen fur lange Dienstzeit.
        Bolitho beschattete die Augen und blickte zum eigenen Masttopp auf. Hier drau?en segelte die Tempest unter der wei?en Nationalflagge, und er fragte sich, ob der franzosische Kommandant ebenfalls erinnerungsschwer zu ihr hinaufsah.

«Sie hat beigedreht!«Keen spahte auf dem Batteriedeck uber einen Zwolfpfunder.»Und sie setzt ein Boot zu Wasser.»
        Herrick grinste.»Nur ein Leutnant, Sir. Wahrscheinlich will er von uns den richtigen Kurs nach Paris wissen.»
        Doch als der junge Leutnant schlie?lich an Bord geklettert war, schien er keineswegs ratlos zu sein. Er salutierte zum
        Achterdeck und stellte sich Bolitho vor.

«Ich uberbringe die Empfehlungen meines capitaine, m'sieu,
        und seine Einladung, ihn an Bord zu besuchen. «Die dunklen Augen wanderten schnell uber die bemannten
        Geschutze, die lange Linie der angetretenen Seesoldaten.

«Gewi?.»
        Bolitho trat zur Pforte und sah auf das franzosische
        Langboot hinunter. Die Matrosen waren sauber in gestreifte
        Hemden und wei?e Hosen gekleidet. Aber es war kein
        Leben in ihnen; sie wirkten verschreckt.

«Und wer ist Ihr Kapitan?»
        Der Leutnant schien um einen Zoll zu wachsen.

«Es ist Jean Michel Comte de Barras, m'sieu.»
        Bolitho hatte noch nie von ihm gehort.

«Danke.»
        Leise sagte er zu Herrick:»Gehen Sie in Luv-Position und sorgen Sie dafur, da? sich die Eurotas in Deckung halt, bis ich zuruckkomme.»
        Dann folgte er mit einem Nicken fur die salutierende Seitenwache dem Leutnant ins Boot. Die Matrosen zogen die Riemen gleichma?ig durchs Wasser, nahmen und uberwanden jeden Wellenkamm mit geubter Leichtigkeit. Bolitho spurte, wie ihm Gischt erfrischend ins Gesicht spruhte. Der Gischt des endlos weiten Ozeans, auf dem sich durch Zufall zwei Schiffe an einem Punkt trafen: das eines franzosischen Grafen und eines englischen Kapitans.
        Der Offizier bellte einen Befehl, und die Riemen hoben sich in zwei triefenden Reihen aus dem Wasser, wahrend der Buggast das Boot mit einer schwungvollen Bewegung an der Hauptkette der Narval festhakte. Eine vorzugliche Leistung, aber Bolitho hatte das Gefuhl, da? ebensoviel
        Angst wie Ubung dahintersteckte.
        Er hielt seinen Degen fest und zog sich unter den beobachtenden Augen oben an Bord zur Schanzkleidpforte hinauf.
        Die gro?e Kajute der Narval unterschied sich drastisch von Bolithos eigener. Bolitho war von dem franzosischen Kapitan mit kaum einem Wort an Bord empfangen worden; die Eile, mit der die Begru?ungszeremonie durch die Seitenwache erfolgte, grenzte schon an Unhoflichkeit. Jetzt sa? Bolitho in einem prunkvollen, vergoldeten Sessel, die Augen vom grellen Sonnenlicht noch halb geblendet, und musterte seinen Gastgeber zum erstenmal genauer. Der Comte de Barras war sehr schlank und wirkte beinahe madchenhaft. Sein Uniformrock war leicht ausgestellt und erstklassig geschnitten; jetzt wunschte Bolitho, er hatte sich von Allday nicht zu seinen Alltagsbreeches verleiten lassen. Der einzig weitere Anwesende war ein junger Inder oder Ma-laye, der geschaftig Glaser und ein schon geschnitztes Weinkabinett auf einem der beiden Tische bereitstellte. Die Kajute war atemberaubend. Zwar hatten auch die Erbauer der Tempest ihr ganzes Konnen eingesetzt, um die Unterkunft des Kommandanten mit Schnitzarbeiten und den besten Holzern auszustatten, doch die der Narval konnte man dagegen nur als luxurios bezeichnen. Schwere
Portieren verhullten die Turen, und die Bodenplanken waren von mehreren gro?en Teppichen bedeckt, die ein Vermogen gekostet haben mu?ten.
        Bolitho bemerkte, da? Barras auf seine Reaktion wartete. Er sagte:»Sie leben nicht schlecht, capitaine.«De Barras runzelte die Stirn. Vielleicht hatte es seinen Stolz verletzt, da? Bolitho ihn nicht mit seinem Adelspradikat ansprach, sondern ihm eher wie einem Gleichrangigen gegenubertrat. Doch der Unmut wich schnell, und er setzte sich sehr behutsam in einen zweiten vergoldeten Sessel, ein Gegenstuck zu dem, auf dem Bolitho sa?.»Ich lebe so gut, wie es unter den frugalen Verhaltnissen hier geht. «Er sprach perfekt englisch, nur mit leichtem Lispeln. Aber nehmen Sie doch ein Glas Wein, ah, Captain. «Scharf beobachtete er den jungen Inder, ob er auch nur einen Tropfen auf den Teppich verschuttete. Das lie? Bolitho mehr Zeit, de Barras zu studieren, nachdem sich seine Augen an das Licht in der Kajute gewohnt hatten. Er mochte zwischen funfundzwanzig und funfunddrei?ig sein. Mit der feingemei?elten Nase und dem schmalen Kinn sah er eher wie ein eleganter Hofling als wie ein Schiffsfuhrer aus. Er trug eine Perucke, und auch das war ungewohnlich und verstarkte den Eindruck des Unwirklichen.
        Aber der Wein war gut. Mehr als das: ausgezeichnet. Das Kompliment schien de Barras zu behagen.»Mein Vater besitzt viele Weingarten. Dieser Jahrgang vertragt die Reise recht gut. «Wieder das kurze, gereizte Stirnrunzeln - wie Borlase, dachte Bolitho.»Und das mu? er auch. Dieses Schiff ist jetzt seit drei Jahren ununterbrochen im Dienst, und seit zwei Jahren bin ich sein Kommandant.«»Verstehe.
«Bolitho fragte sich, was dieser Mann in Wirklichkeit von ihm wollte. Er bemerkte, wie sich der junge Diener an de Barras' Seite bereithielt. Er war nicht nur aufmerksam, er war verangstigt.
        De Barras fragte beilaufig:»Und was ist Ihr Bestimmungsort?»
        Mit Geheimnistuerei war nichts zu gewinnen.»Die Levu-Inseln.»

«Rechnen Sie, ah, mit Schwierigkeiten?«Beilaufig deutete er mit spitzengesaumter Hand hinaus.»Weil Sie im Verband segeln?»

«Wir hatten Schwierigkeiten.»
        Bolitho hatte gern gewu?t, ob Raymond ein Fernglas auf die Narval gerichtet hielt. Hoffentlich. Hoffentlich kochte Raymond vor Zorn, weil er ausgeschlossen blieb. Piraten?»
        Bolitho lachelte leise.»Wie ich sehe, uberrascht Sie das nicht.»
        Darauf war der franzosische Kapitan nicht gefa?t gewesen.»Ich bin nur neugierig.
«Er boxte den jungen Diener scharf gegen die Schulter.»Mehr Wein!»

«Und Sie sind auf dem Weg nach Neusudwales?«fragte Bolitho.

«Ja. «De Barras stand auf, trat schnell ans Querschott und zog einen Vorhang zurecht.»Ungeschicktes Pack! Sie leben wie die Schweine und haben keinen Sinn fur das Schone. «Doch dann unterdruckte er seine plotzliche Gereiztheit und setzte sich wieder.»Ich mochte - Ihrem Gouverneur meine Aufwartung machen und dort Vorrate erganzen. «Bolitho bewahrte ein Pokergesicht. Der Gouverneur wurde bestimmt in die Luft gehen, wenn er eine franzosische Fregatte in seinem Hafen sah.
        De Barras fuhr ruhig fort:»Ich bin auf der Suche nach einem gewissen Piraten, schon seit Monaten. Er ist Englander, aber nichtsdestoweniger ein Pirat. Wir haben beide die gleiche Aufgabe: ihn zu vernichten, wie, m'sieu?«Das schien ihn zu amusieren.»Er machte die Karibische See von La Guaira bis Martinique unsicher. Ich verfolgte ihn nach Port of Spain und verlor ihn aus den Augen, nachdem er dort in der Nahe ein Dorf uberfallen und gebrandschatzt hatte. «Seine Brust hob sich erregt.
        Wie ein verzogenes Kind, dachte Bolitho. Au?erlich mochte er gebrechlich scheinen, aber unter der Haut war er gefahrlich wie eine Schlange.

«Fur einen einzelnen ist das schwierige Arbeit«, antwortete Bolitho. Er suchte nach einem Hinweis auf den Grund fur de Barras' Vertraulichkeit.

«Er zieht eben andere an. «De Barras schlurfte genu?lich Wein.»Er selbst ist ohne jede Loyalitat, kann sie aber in anderen wecken. Ich wollte das dem Gouverneur von Neusudwales erklaren, aber offenbar ister besser informiert, als mir bewu?t war.
«Er kam zu einem Entschlu?.»Dieser Pirat hei?t Tuke. Und er hat einen Mann bei sich, der von Martinique nach Frankreich deportiert werden sollte. Das war eine meiner Aufgaben. «Er spie die Worte formlich aus.»Dieser cochon Tuke verhalf ihm zur Flucht, und jetzt dient er in dessen ubler Mannschaft.«»Darf ich fragen, wer dieser Mann ist?«»Spielt keine Rolle. «De Barras hob die Schultern.»Ein Verrater Frankreichs, ein Agitator. Er mu? dingfest gemacht und bestraft werden, ehe er weiteres Unheil anrichten kann. «Als Bolitho dazu schwieg, fugte de Barras heftig hinzu:

«Das liegt auch im Interesse Englands. Dieser Verrater wird mit Tukes Hilfe den Aufruhr schuren und immer mehr Schiffe und Inseln uberfallen und ausrauben, je gro?er seine Macht wird. «Er tupfte sich ein Schwei?tropfchen vom Kinn.»Es ist einfach Ihre Pflicht!»
        Ein Schatten fiel in die Kajute, und als Bolitho sich nach den Fenstern umdrehte, glaubte er, eine Geistererscheinung aus einem Alptraum vor sich zu sehen. Drau?en hing ein Mann, oder vielmehr das, was von ihm ubrig war. Er baumelte an seinen Handgelenken, die Fu?e waren mit einem Strick gefesselt, der zum Ruder hinunterfuhrte. Der Korper war ubersat mit blutigen Rissen und tiefen, klaffenden Wunden. Ein Auge war aus der Hohle gerissen, das andere starrte blicklos in die Fenster, wahrend der Mund wie ein schwarzes Loch gahnte.
        De Barras war nahezu au?er sich vor Wut. »Mon Dieu!«Er stie? den verstorten Diener auf die Tur zu und schickte ihm wutende Drohungen nach.
        Von oben erklangen Stimmen, und der verstummelte Korper verschwand schnell aus dem Blickfeld. Bolitho sa? erstarrt in seinem Sessel. Er wu?te, was da vorgegangen war: der barbarische alte Brauch des Kielholens. Einen Mann auf diese Weise zu bestrafen, hie?, ihn zu einem gra?lichen Tode verdammen. Das Opfer wurde am Bug zu Wasser gelassen und unter Wasser den Kiel entlanggezogen. Jetzt, nach dreijahrigem Einsatz, mu?ten Kiel und Unterwasserschiff der Narval, ob kupferbeschlagen oder nicht, mit messerscharfen Muscheln bewachsen sein, die einen Menschen zerfleischen konnten, falls er nicht den Mut besa?, sich selbst zu ertranken.
        Bolitho stand auf.»Ich verlasse Sie jetzt, m'sieu le Comte«, sagte er.»Wie Sie soeben ausfuhrten, habe ich Pflichten zu erfullen. Wenn Sie mich also entschuldigen wollen?«Angeekelt und emport, wandte er sich zur Tur. De Barras starrte ihn an.»Der Mann war ein Unruhestifter. Unverschamtheiten dulde ich nicht. Ein dreckiges, primitives Schwein!»
        Bolitho trat ins Sonnenlicht hinaus. Er dachte an Le Chaumareys, dessen unerschutterlicher Mut die Besatzung inspiriert und zusammengehalten hatte. Im Vergleich zu ihm war de Barras ein Ungeheuer, ein bosartiger Tyrann, der das Kommando uber die Narval vermutlich nur erhalten hatte, damit er Frankreich fernblieb.
        An der Pforte sagte de Barras scharf:»Sparen Sie Ihren Zorn fur den Feind auf!«Und sowie Bolitho den ersten Schritt von Bord machte, drehte er sich auf dem Absatz um und stelzte zur Kampanje zuruck.
        Derselbe Leutnant begleitete Bolitho zuruck. Als sie beinahe langsseit der Tempest waren, fragte Bolitho ihn:»Wird Ihr Schiff so befehligt - durch Terror?«Der junge Offizier starrte ihn nur an, aber sein Gesicht war unter der Sonnenbraune bla?.
        Bolitho erhob sich, es drangte ihn, auf sein Schiff zuruckzukommen. Doch er fugte noch hinzu:»Denn wenn dem so ist, dann sehen Sie sich vor, da? der Terror nicht auch Sie verschlingt.»
        Nur Minuten nach seiner Ruckkehr erhielt Bolitho ein Signal von Raymond: die Aufforderung, ihn unverzuglich aufzusuchen.
        Obwohl Bolitho noch aufgewuhlt war von den Ereignissen an Bord der franzosischen Fregatte, erfullte ihn das dennoch mit einer gewissen Befriedigung. Wie er vorausgesehen hatte, bestand Raymond darauf, da? er an Bord des Frachters kam, auch wenn er dabei Viola begegnen konnte. Raymond mu?te demonstrieren, da? er und nicht Bolitho die Befehlsgewalt in Handen hielt, und seine Neugier tat ein ubriges.
        Herrick beobachtete ihn besorgt, als er sich abermals fur eine Uberfahrt vorbereitete, diesmal in seiner eigenen Gig. Bolitho zog sich saubere Breeches an und schilderte dabei de Barras und die Tyrannei an Bord der Narval. Er nahm an, da? Herrick de Barras mit dem Kapitan der Phalarope verglich, auf der sie sich kennengelernt hatten. War das erst vor sieben Jahren gewesen? Es schien kaum moglich. Sie hatten so vieles zusammen gesehen und erlebt. Herrick sagte schlie?lich:»Abscheulich, auch nur davon zu horen. Ich jedenfalls werde mich sehr viel wohler fuhlen, wenn seine Obersegel unter dem Horizont verschwinden.»

«Ich mochte wetten, da? Sie diesbezuglich enttauscht werden, Thomas.»
        Bolitho nahm von Noddall ein Glas Wein entgegen. Er wollte damit ebensosehr den Nachgeschmack des Franzosen herunterspulen wie das Salz, das ihm in der Kehle sa?. Herrick sah ihn uberrascht an.»Aber Sie sagten doch, die Narval wolle nach Neusudwales segeln. «Bolitho schob sein Halstuch zurecht und lachelte grimmig.»Sie wollte. Ich vermute, da? de Barras auf gluhenden Kohlen sitzt, bis er diesen geheimnisvollen Franzosen wieder eingefangen hat. Dafur sieht er in uns einen Bundesgenossen. Vielleicht hat er recht. «Er griff nach seinem Hut.»Nun?»
        Herrick seufzte.»Schon gut, Sir. «Weitere Warnungen schienen keinen Sinn zu haben, denn Bolithos Augen leuchteten heller als seit langer Zeit. Er folgte Bolitho zur Einstiegspforte und stand neben ihm uber der dumpelnden Gig. Ein schneller Blick nach achtern verriet Herrick, da? Keen und Lakey und selbst der junge Midshipman Swift auf der Lauer lagen und wie eingeweihte Verschworer grinsten. Es deprimierte ihn. Sie verstanden nicht, da? es hier nicht nur um ein Wiedersehen ging, sondern auch um eine Karriere.
        Borlase stand an der Pforte der Eurotas, um Bolitho zu begru?en; seine kindlichen Gesichtszuge waren bemuht ausdruckslos.
        Bolitho blickte sich auf dem Hauptdeck um und bemerkte dankbar, da? unter dem Ersatz fur die Getoteten oder Verletzten eine ganze Anzahl fahiger und erfahrener Seeleute war. In jedem abgelegenen Hafen, selbst einem so jungen wie Sydney, schien es immer einige zuruckgebliebene Matrosen zu geben, die bereit waren, es noch einmal mit einem unbekannten Schiff zu versuchen. Nur dieses eine Mal noch. Alle Seeleute sagten das.»Wie geht es den Gefangenen, Mr. Borlase?«»Ich habe sie entsprechend Ihrer Anregung in kleinen Gruppen zur Arbeit eingesetzt, Sir. «Da schwang Mi?billigung mit.»Gut.»
        Vielleicht druckte Borlase die Verantwortung fur die Sicherheit. Oder vielleicht meinte er, die Straflinge sollten eingepfercht werden wie bisher. Doch sobald sie an Land kamen, benotigten sie ihre volle Gesundheit und Beweglichkeit, um am Leben zu bleiben. Sie traten in den Schatten des Huttendecks und gingen nach achtern zur Kapitanskajute.
        Raymond wartete am Schreibtisch, seine Gestalt hob sich nur als Silhouette vor dem Sonnenglast ab, der durch die hohen Fenster hereinstromte.
        Er sagte schroff:»Sie bleiben anwesend, Mr. Borlase. «Bolitho wartete unbewegt. Raymond hielt den Leutnant als Schutz oder als Zeugen zuruck - oder als beides. Nun, Captain?«Raymond lehnte sich zuruck, die Fingerspitzen gegeneinander gepre?t. Vielleicht sind Sie jetzt so freundlich, mich uber Ihre Zusammenkunft mit dem Kapitan der Narval zu unterrichten.«»Ich hatte Ihnen einen schriftlichen Bericht vorgelegt.«»Davon bin ich uberzeugt. «Es klang sarkastisch.»Aber schildern Sie mir jetzt schon das Wichtigste. «Borlase schien seinem Kommandanten einen Sessel bereitstellen zu wollen, aber nach einem Blick auf Raymond gab er diese Absicht auf.
        Merkwurdigerweise fuhlte Bolitho sich durch Raymonds Verhalten erleichtert. Da blieb kein Raum fur Vorspiegelungen, fur eine Anderung ihrer Beziehungen. Er lauschte seiner eigenen Stimme, als er kurz darlegte, was zwischen ihm und dem Franzosen vorgegangen war: nuchtern, ohne Emotion, wie eine Aussage vor dem Kriegsgericht.
        Raymond schob das Kielholen beiseite als» eine Angelegenheit, uber die jedes Land selbst entscheiden mu?».
        Bolitho sagte ruhig:»Frankreich hat daruber schon lange entschieden. Aber hier drau?en verkorpert de Barras sein Land.»

«Das betrifft mich nicht. «Raymonds Fingerspitzen trommelten in einem lautlosen Wirbel gegeneinander.»Aber die Narval geht mich ganz gewi? etwas an.»

«Er wird es nicht wagen…«Bolitho kam nicht weiter, denn Raymond fuhr dazwischen.

«Also wirklich, ihr Seeoffiziere seid einer wie der andere. Wir befinden uns nicht mehr im Krieg mit Frankreich. Sie mussen sich an Ihre neue Rolle gewohnen - oder sie gegen eine andere tauschen. «Seine Stimme wurde lauter und scharfer. Es war, als hatte er fur einen solchen Augenblick geprobt.»Mit franzosischer Hilfe konnen wir alle Moglichkeiten fur den Ostindienhandel und dessen gemeinsame Verteidigung sondieren. Die Beseitigung der Piraterie, zum Beispiel. Die Uberwachung gro?erer Seegebiete im gemeinsamen Interesse. Wenn wir eines Tages gezwungen sein sollten, wieder gegen Frankreich zu kampfen, dann sind wir aufgrund dieser Kooperation in einer besseren Situation. Man mu? die Konkurrenz kennen, jeder Kaufmann wei? das. Ein Jammer, da? die Leute, die mit unserem Schutz betraut sind, sich nicht auch dazu verstehen konnen.»
        In der plotzlich eintretenden Stille konnte Bolitho seinen Herzschlag spuren, aber er hielt sich zuruck. An der Art, wie Borlase zwischen ihm und Raymond hin und her blickte, erkannte er, da? der Leutnant seinen Konterschlag erwartete. Das war eine bewu?te Beleidigung gewesen, doppelt schwerwiegend, da Bolithos Leute mit nicht geringem Risiko Raymond das Leben gerettet und ihm seine Freiheit zuruckgewonnen hatten.
        Raymond runzelte die Stirn.»Haben Sie nichts zu erwidern?»

«Von Kaufleuten verstehe ich nur wenig, Sir. Aber ich kann einen Freund von einem Feind unterscheiden.»
        Borlase wechselte horbar seinen Stand.
        Raymond sagte:»Jedenfalls haben Sie die Narval mit frischen Aversionen gegen uns weiterfahren lassen.»

«Ich erwarte, da? de Barras sich in unserer Nahe halten wird, Sir. Er ist entschlossen, seinen Gefangenen zuruckzuholen, und falls wir auf den Piraten Tuke sto?en,
        bekommt er eine gute Chance dafur.»

«Richtig. Wenn Tuke gehenkt und dieser Renegat wieder in
        Ketten ist, mag dadurch einiges wieder gutgemacht werden. «Er legte eine Pause ein, um abzuwarten, ob Bolitho den Koder aufnehmen wurde. Doch als Bolitho ungeruhrt schwieg, fragte Raymond schroff:»Wann erwarten Sie, Land zu sichten?»

«Wenn der Wind so bleibt, dauert es keine drei Wochen. Andernfalls kann es zwei Monate dauern. «Es war sinnlos, die unterschiedliche Geschwindigkeit der beiden Schiffe hervorzuheben. Aber er durfte auch nicht zu optimistisch sein. Raymond wartete nur auf eine schwache Stelle, einen Fehler.
        Raymond zog seine Uhr und sagte zu Borlase:»Sagen Sie meinem Diener, er soll Wein bringen. «Und kuhl zu Bolitho:»Ich bin sicher, da? meine Frau uns gern Gesellschaft leisten will. «Er sah sich in der Kajute um.»Hier ganz bestimmt.
«Bolitho wandte sich ab. Er hatte damit rechnen mussen: Raymonds Trumpfkarte war ausgespielt. Fur Borlase mochte es wie eine selbstverstandliche, formale Einladung geklungen haben, auf gutem Brauch oder Hoflichkeit beruhend: der hohe Beamte, der den Kommandanten seiner Eskorte mit Wein bewirtete. Aber die Art, wie Raymond das Wort >hier< hervorgehoben hatte… Bolitho brauchte keinen weiteren Hinweis. Denn hier in der Kajute war Bolitho mit Raymonds Frau zusammengekommen, hatte sie umarmt, um das Entsetzen und die Verzweiflung ihrer Gefangenschaft auf der Eurotas zu lindern; hatte die Brandnarbe auf ihrer Schulter geku?t. Es war der Ort, wo sie sich mit aller Leidenschaft und Einfalt geliebt hatten.
        Die Tur ging auf, und Viola trat in die Kajute. Trotz ihrer taglichen Spaziergange an Deck war sie bla? und hatte Ringe unter den Augen, was Bolitho schmerzlich beruhrte.»Ein Gast, meine Liebe. «Raymond erhob sich halb, lie? sich aber gleich wieder zurucksinken. Auch ein rotrockiger Hauptmann der Miliz, der mit seinem Kommando die Straflinge an Bord bewachte, folgte Borlase in die Kajute. Ohne die geringste Ahnung von der dramatischen Situation strahlte er Bolitho und den Wein an: noch ein Zeuge.
        Bolitho ging durch die Kajute und ergriff Violas Hand. Als er sie an die Lippen hob, blickte er ihr ins Gesicht. Leise sagte sie:»Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Captain. «Sie warf den Kopf zuruck.»Es ist lange her.«»Auf das Wohl des Konigs!«Borlases Stimme klang, als wurge seine Halsbinde ihn. Er wenigstens erriet, was hier vorging.

«Auf den Konig!«Raymond nippte an seinem Glas.»Wenn ich meinen Auftrag hier erfullt habe, wird man im Palast von St. James vielleicht bereit sein, mir eine angemessene Position in London anzubieten.»
        Bolitho beobachtete ihn. Wieder ein Hinweis fur Borlase und den Hauptmann, da? Raymond ein einflu?reicher Mann war und keiner, den man gegen sich aufbringen sollte. Uberraschenderweise dachte Bolitho plotzlich an seinen toten Bruder Hugh, der immer hastig in seinen Reaktionen gewesen war, immer vorprellte. In dieser Situation hatte er hochstwahrscheinlich nach einem» Ehrengrund «gesucht, der es ihm ermoglichte, Raymond zum Duell zu fordern. Er hatte sich nicht damit aufgehalten, die Konsequenzen zu bedenken.
        Bolitho bemerkte, da? Viola quer durch den Raum gegangen war und Raymond absichtlich den Rucken kehrte. Sie fragte:»Kennen Sie diese Inseln, Captain?«Aber ihre Blicke erforschten sein Gesicht, seinen Ausdruck; verzehrten ihn.»Ein wenig. Mein Steuermann ist besser informiert. «Er senkte die Stimme.»Bitte schonen Sie sich, wenn Sie an Land sind. Das Klima ist grausam, selbst fur jemanden wie Sie, der weite Reisen gewohnt ist.»

«Pardon, das habe ich nicht verstanden. «Raymond stand auf und stie? gegen den Schreibtisch, als das Schiff krangte. Dann fugte er hinzu:»Ich glaube, der Wind frischt auf, Captain.»
        Bolitho sah ihn kalt an.»Ja. Mr. Borlase, wurden Sie bitte nach meiner Gig signalisieren?»
        Unter der Tur zogerte er. Er wu?te, da? er geschlagen war, noch ehe der Kampf richtig begonnen hatte. Raymond nickte kurz.»Ich hoffe, da? der Wind gunstig bleibt. «Und dann lachelnd:»Warum begleitest du den tapferen Kapitan nicht zu seinem Boot, meine Liebe?»
        An Deck herrschte druckende Hitze, und der Seegang war starker geworden. Die Tempest stand in Luv, ihre Segel killten unordentlich, als sie beigedreht auf seine Ruckkehr wartete. Das franzosische Schiff war bereits weit entfernt, mit prall gefullten Segeln offensichtlich unterwegs zu seinem ursprunglichen Ziel.
        Bolitho sah das alles und nahm doch nichts davon wahr. Er stand vor dem Schanzkleid, blickte ihr in die Augen und sah, wie sich ihr Haar loste und wie flussige Bronze im Wind wehte.

«Ich ertrage es nicht, Viola. Ich komme mir vor wie ein Verrater. Ein Possenrei?er.»
        Sie legte ihm eine Hand auf den Arm.»Er reizt dich nur. Aber du bist so viel starker. «Sie hob die Hand zu seinem Gesicht, lie? sie aber vorher sinken.»Mein geliebter Richard. Ich kann es nicht ertragen, dich so traurig zu sehen, so verzweifelt. Ich bin noch voller Gluck uber unser Wiedersehen. Nun konnen wir gewi? nicht wieder getrennt werden. Nie wieder. «Sie hob das Kinn.»Lieber wollte ich sterben.»

«Boot langsseit, Sir!»
        Raymonds Schritte scharrten uber Deck, und Bolitho sah, da? er sie von der Kampanje her beobachtete. Sie jetzt einfach in die Arme rei?en zu konnen, und zur Holle mit Raymond und allen anderen! Noch als er das dachte, versagte Bolitho sich diesen Traum. Raymond wurde alle Macht einsetzen, um sie hier drau?en festzuhalten. Wie eine schone Gefangene, ein Stuck Besitz. Bolitho luftete den Hut, das Haar wurde ihm in die Stirn geweht.»Hab' Geduld, Liebste. Noch bin ich nicht soweit, da? ich zuruckschlagen kann.»
        Dann kletterte er mit einem Kopfnicken fur Borlase in das schwankende Boot hinab.



        VIII Kurzer Aufschub

        Bolithos Schatzung, wann die gro?te Insel der Levu-Gruppe in Sicht kommen wurde, war zutreffender gewesen, als er selbst erwartet hatte. Die Uberfahrt von Sydney hatte sechsundzwanzig Tage gedauert. Die ersten Stunden in der Bucht waren fur jeden an Bord der Tempest sehr arbeitsreich, denn abgesehen von der Aufgabe, einen sicheren Ankerplatz zu wahlen, wurde die Besatzung auch noch durch einen wachsenden Schwarm von Eingeborenenbooten behindert.
        Die Eingeborenen unterschieden sich von den anderen, denen die Tempest bisher begegnet war. Ihre Haut war heller, ihre Nasen waren weniger platt, und die meisten wiesen nicht die reichen Tatowierungen oder Schmucknarben anderer Eingeborener auf. Die Madchen in den Kanus oder im Wasser losten viele beifallige Bemerkungen der Seeleute aus und waren sich offenkundig des Interesses, das sie erregten, wohl bewu?t. Scollay, der Schiffsprofo?, stellte murrisch fest:»Durch die werden wir noch viel Arger kriegen, verla?t euch drauf. «Aber er war genauso bereit, den Madchen zuzuzwinken und zuzulacheln wie die anderen.
        Sobald der Anker gefa?t hatte, kam Herrick nach achtern und machte Bolitho Meldung.
        Bolitho richtete sein Glas an der jetzt ebenfalls verankerten Eurotas vorbei auf das Ufer und den wei?en Strand. Eine flache Brandung, uppige grune Baume, die ihre Schatten bis auf die ersten Wellen warfen, und leuchtend blaues Wasser. Dahinter, durch Dunst oder tiefhangende Wolken teilweise verdeckt, glanzte die hochste Erhebung der Insel wie polierter Schiefer, uberragte die anderen Berge und die Walder wie eine vollkommene Pyramide. Es war paradiesisch.
        Dies, und wahrscheinlich nichts anderes, mochte die Besatzung der Bounty zur Meuterei veranla?t haben. Anders als in den Slums und Hafenstadten, aus denen so viele Matrosen kamen, gab es hier Warme, freundliche, gastfreie Eingeborene und Nahrungsmittel in Fulle. Bolitho richtete sein Glas auf die Siedlung. Hier ging es weniger paradiesisch zu.
        Auch Herrick hatte die wuchtigen Palisaden und soliden Blockhauser im Blickfeld, das Hauptgebaude hinter dem au?eren Befestigungsring und die wehende Flagge daruber.
        Anlagen wie diese befanden sich uberall im Pazifik, in Ost-und Westindien und angeblich so weit nordlich wie China.»Gut gelegen. «Das war alles, womit Herrick seinen Eindruck beschrieb. Wahrscheinlich dachte er wie Bolitho an Viola, die nur mit ihrer Zofe, ohne Freundinnen, in diesem abgelegenen Handelsplatz allein gelassen werden sollte.
        An einer gebrechlich wirkenden Pier lag ein kleiner Schoner, in dessen Nahe mehrere Langboote festgemacht hatten. Zweifellos wurde er fur Besuche auf defr Nachbarinseln eingesetzt. Neben ihm mu?ten die Eurotas und die Tempest wie Giganten erscheinen. Keen kam nach achtern, er schien besorgt.»Was soll ich mit den Eingeborenen anfangen, Sir? Sie wollen an Bord. Aber sie werden uns uberrennen.»
        Herrick suchte mit einem Blick Bolithos Zustimmung und sagte ungeruhrt:»Lassen Sie sie in kontrollierbaren Gruppen herauf, Mr. Keen. Hindern Sie sie daran, sich unter Deck zu schleichen, und achten Sie darauf, da? keine einheimischen Getranke an Bord geschmuggelt werden. «Er grinste uber Keens Verwirrung.»Und haben Sie auch ein wachsames Auge auf unsere eigenen Leute. Denken Sie daran, da? sie schon lange keine Madchen mehr gesehen haben. «Die ersten Eingeborenen kamen bereitwillig, und innerhalb weniger Minuten fullten das Deck leuchtend bunte Kleidungsstucke, Berge von Fruchten und Kokosnussen und zu Keens Verwunderung sogar ein quiekendes Ferkel. Sie sind wie die Kinder, dachte Bolitho, als ein paar seiner Matrosen die Sprachbarriere zu uberwinden versuchten; die kichernden Madchen mit langem schwarzem Haar und kaum verhullten Korpern deuteten auf die Messer und Tatowierungen der Matrosen, stie?en sich gegenseitig an und kreischten in hemmungslosem Gelachter. Lakey sagte duster:»Wie lange wird es dauern, bis auch dieses Idyll verdorben ist?«Doch niemand beachtete ihn. Es war nicht leicht, die
Besucher wieder loszuwerden und Platz fur die nachste Gruppe zu schaffen; einige Matrosen unterstutzten Keen in seinen Bemuhungen, indem sie die Madchen packten und uber Bord ins Wasser fallen lie?en, wo sie munter und vergnugt versanken und wieder auftauchten.
        Schlie?lich sagte Bolitho:»Ich mu? an Land, Thomas. Stellen Sie eine verla?liche Ankerwache ab und lassen Sie ein Wachtboot zu Wasser. Zwar sieht alles sehr friedlich aus, aber…»
        Herrick nickte.»Jawohl, Sir. das Wort >aber< scheint immer alles zu verderben.»
        Er folgte Bolitho nach achtern in den Salon, wo Noddall und Allday durch die schragen Heckfenster spahten und einigen unsichtbaren Schwimmern unten zuwinkten. Auch Mr. Bynoe wird zweifellos an Land wollen, um Fruchte und andere frische Lebensmittel zu beschaffen«, sagte Bolitho.
        Herrick verstand.»Ich werde auch den Zahlmeister bewachen lassen, Sir. Keine Sorge. «Im Stillen wunderte er sich daruber, da? Bolitho nie etwas zu vergessen schien, selbst wenn er mit seinem Herz woanders war.»Und Mr. Toby. Ich bin uberzeugt, da? auch der Zimmermann sich so schnell wie moglich aufmachen will, um nach brauchbaren Holzvorraten zu suchen.«»Auch daran werde ich denken, Sir.
«Herrick wartete, bis Bolitho ihn ansah.»Gehen Sie ruhig an Land und tun Sie, was Sie dort tun mussen. Wenn Sie wieder an Bord kommen, werden Sie ein sicheres Schiff vorfinden. «Bolitho griff nach seinem Hut und erwiderte einfach:»Ich habe nie daran gezweifelt, Thomas. «Dann, etwas scharfer:»Allday, falls Sie sich von der Betrachtung Ihrer Lustobjekte losrei?en konnen, ware ich Ihnen verbunden, wenn Sie mich an Land brachten. «Allday sprang zur Tur.»So schnell wie noch nie, Captain!«Als Bolitho mit Herrick allein war, sagte er leise:»Die Narval …»

«Ja, Sir?«Herrick wartete. Sie hatten das Schiff mehrmals ausgemacht, nicht mehr als ein winziger Fleck uber dem Horizont. Der Franzose folgte ihnen. Lag auf der Lauer wie ein alter Jager.
        Bolitho sagte:»Sie wird nicht hier ankern. Aber sobald ich genau wei?, was von uns erwartet wird, mochte ich gern erfahren, wo sie steckt.»
        Herrick hob die Schultern.»Manche wurden sagen, es ware nur gerecht, wenn dieser de Barras Tuke vor uns erwischte, Sir. Ich bin der Meinung, da? wir mit Piraten dieser Sorte zu sanft umgehen.»
        Bolitho sah ihn ernst an. Nach de Barras' Vorstellung war Hangen fur Tuke sicher zu sanft.

«Haben Sie je an die andere Seite der Medaille gedacht, Thomas? Tuke konnte die gleichen Absichten gegenuber der Narval haben. «Er ging auf den Niedergang zu. Tuke hatte die Eurotas beinahe erobert und besitzt jetzt schwere Geschutze, die ihn zu einer Macht machen, mit der man rechnen mu?.»
        Herrick eilte ihm nach, von Bolithos Worten tief betroffen. Eine Meuterei auf einem Schiff des Konigs war schon schlimm genug; aber da? ein gewohnlicher Pirat ein Kriegsschiff angreifen und erobern konne, den Gedanken konnte er unmoglich hinnehmen.
        Widerstrebend raumte er ein:»Nun ja, die Narval ist naturlich ein Franzose.»
        Bolitho lachelte.»Macht das fur Sie einen Unterschied?«»Ja. «Herrick grinste verlegen.»In gewisser Weise. «Auf dem Batteriedeck waren jetzt noch mehr Fruchte ausgebreitet, die Netze und Laufgange hingen voller Flechtmatten und fremdartiger Gewander, voll langer, schmaler Wimpel in leuchtenden Farben.»Was wurde der Admiral zu all dem sagen?«fragte Herrick. Bolitho trat zur Pforte. Die Aufmerksamkeit und das Interesse, das er erregte, entging ihm nicht. Mehrere Madchen umdrangten ihn und versuchten, ihm eine Blumengirlande um den Hals zu hangen, wahrend andere nach seinem goldbestickten Rock tasteten und ihn frohlich anstrahlten.
        Ein alter Mann nickte standig und wiederholte mehrmals:»Ka-pi-tan Cook«, wie ein Papagei. Es war denkbar, da? Cook diese Inseln angelaufen hatte; vielleicht hatte der alte Mann aber auch nur von seinen Schiffen und bezopften, fluchenden Matrosen, von ihrem rauhen Humor und Rum gehort.
        Bolitho horte Allday seiner Bootsmannschaft zurufen:»Hier gibt's ein paar kleine Madchen, die mir gefallen wurden, Jungs!»
        Bolitho lie? sich in das Boot hinab, wahrend die Pfeifen schrillten, was weiteres Jubeln und Gelachter ausloste. So war es auf der ganzen Fahrt zu der kleinen Pier: Madchen und junge Manner umschwammen das Boot, beruhrten die Riemen und brachten Alldays Schlagrhythmus durcheinander. Selbst seine Drohungen bewirkten nichts; Bolitho war seinetwegen erleichtert, als sie das Ufer sicher erreicht hatten.
        Er blieb in der brennenden Sonne stehen, prufte die verschiedenen Geruche des dichten Unterholzes und der Palmen, der Holzfeuer und des trocknenden Fischs. Allday sagte:»Sieht reichlich primitiv aus, Captain. «Er deutete auf die Palisade aus unbehauenen Stammen, welche die Siedlung umschlo?.

«Ja. «Bolitho schob seinen Degen zurecht und schritt uber die Pier auf eine Gruppe uniformierter Milizen zu, offenbar seine Eskorte. Aus der Nahe wirkten ihre gelb abgesetzten, roten Uniformen abgetragen und liederlich geflickt. Die Manner waren von der Sonne tief gebraunt und schienen hart wie Stahl. Wie die Manner des Corps in Neusudwales waren sie Abenteurer. Nicht gewillt, sich der Disziplin und dem reglementierten Leben in der Armee oder an Bord eines Schiffes zu unterwerfen, aber auch ohne die Ausbildung oder die Intelligenz, sich ganz auf eigene Fu?e zu stellen. Einer, dem zottiges Haar unter seinem zerbeulten Tschako hervorragte, hob seinen Sabel zu einem Salut, bei dem Sergeant Quare in Ohnmacht gefallen ware. Willkommen, Captain. «Er zeigte grinsend die Zahne, was ihn nur noch wilder erscheinen lie?.»Ich soll Sie zu dem Residenten, Mr. Hardacre, geleiten. Wir haben Ihr Schiff den ganzen Tag beobachtet, ein schones Bild, Sir. Das kann ich Ihnen versichern. «Er fiel neben Bolitho in Gleichschritt, wahrend seine Gruppe hinterherschlenderte. Auf dem kurzen Marsch zur Siedlung entdeckte Bolitho,
da? Hardacre die Anlage mit sehr wenig Unterstutzung errichtet hatte, doch da? es ihm irgendwie gelungen war, sich im
        Umkreis von einigen Meilen Respekt zu verschaffen. Unwahrscheinlich, da? Raymond ihm sehr willkommen sein kann, dachte Bolitho.
        Die Milizen waren vorwiegend in Sydney angeworben worden, und ihre Zahl war im Lauf der vergangenen zwei Jahre auf drei?ig Mann und zwei Offiziere geschrumpft. Die ubrigen waren entweder desertiert, hatten die Inseln mit Eingeborenenbooten oder einem der gelegentlich aufkreuzenden Handelsschoner verlassen oder hatten sich einem Eingeborenenstamm angeschlossen, um das Leben mit Frauen, reichlicher Nahrung und ohne jede Arbeit zu genie?en. Und einige waren verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.
        Der redselige Leutnant, er hie? Finney, vertraute ihm an:»Ich bin gekommen, um hier mein Gluck zu machen. «Er grinste.»Aber noch ist davon nichts zu entdecken, furchte ich.»
        Vor dem Tor der Siedlung, das durch kleine Wachthauser oberhalb und zu beiden Seiten geschutzt wurde, blieb Bolitho stehen und sah zu seinem Schiff zuruck. Herrick hatte sich nicht getauscht. Die Siedlung war gut gelegen, und eine Handvoll Manner mit Musketen, selbst diese Raufbolde, konnten sie gegen eine zwanzigfache Ubermacht halten. Er runzelte die Stirn. Vorausgesetzt, der Angreifer war nicht mit schweren Waffen ausgerustet. Hinter dem Tor blieb Bolitho wieder stehen und starrte auf einen rohgezimmerten Galgen. Ein Strick hing noch daran, war aber mit einem Messer sauber abgeschnitten worden. Finney saugte an seinen Zahnen und sagte:»Das war wirklich peinlich, Captain. Wir waren nicht vorgewarnt worden, verstehen Sie?«Er entschuldigte sich ehrlich.»Wir haben ihn auf der Stelle abgeschnitten, aber sie hat den armen Teufel trotzdem noch gesehen«. Bolitho beschleunigte seine Schritte, Ha? gegen Raymond schuttelte ihn.»Was hatte er verbrochen?»

«Mr. Hardacre sagt, er war hinter der Tochter eines Hauptlings auf der anderen Seite der Insel her. Er verbietet jedem, dort hinzugehen, denn der Hauptling sei der wichtigste Freund, den wir bei den Stammen haben.»
        Sie hatten den Schatten des Haupteingangs erreicht.»Und dafur hat er den Mann hangen lassen?»
        Finneys Antwort klang unterwurfig.»Sie konnen das nicht verstehen, Captain. Mr. Hardacre ist hier drau?en wie ein
        Konig.»
        Bolitho nickte.»Aha. «Es wurde nur immer schlimmer statt besser.»Dann bin ich sehr gespannt darauf, ihn kennenzulernen.»
        John Hardacre bot einen imponierenden Anblick. Weit uber mittelgro?, war er wie eine menschliche Festung gebaut, breit und mit gewolbter Brust und entsprechend volltonender Stimme. Als ob das alles nicht genug ware, um seine Besucher zu beeindrucken, war seine gesamte Erscheinung das Abbild eines selbsternannten Konigs, wie sein Leutnant ihn bezeichnet hatte. Er hatte buschiges Haar und einen gro?en, spatenformigen Bart, beides fruher wohl dunkel, jetzt aber grau wie Holzasche. Irgendwo dazwischen blickten seine Augen unter pechschwarzen Brauen wie zwei Leuchtfeuer hervor.
        Er trug eine wei?e, lose hangende Kutte, die seine kraftigen Beine blo? lie?; die gro?en Fu?e staken nur in Sandalen. Er stand breitbeinig da, nickte Bolitho zu und betrachtete ihn nachdenklich.»Fregattenkapitan, wie? Gut, gut. Die Regierung seiner Majestat scheint also endlich zu denken, da? wir Schutz brauchen. «Sein verhaltenes Lachen klang wie das Rauschen eines unterirdischen Stroms.»Sie werden mit uns eine Erfrischung nehmen. «Es klang nicht wie ein Angebot, sondern wie ein Befehl.
        Raymond, der neben einem offenen Fenster stand und sich das Gesicht mit einem durchna?ten Taschentuch abwischte, klagte:»Es ist hei?er, als ich fur moglich gehalten habe. «Hardacre grinste und entblo?te zwei Reihen fleckiger Zahnstummel.

«Ihr werdet zu weich in England. Das hier ist ein Land fur Manner. Reif zum Pflucken wie eine gute Frau, was?«Er lachte uber Raymonds Pikiertheit.»Sie werden es erleben. «Zwei Eingeborenenmadchen kamen leise uber die Binsenmatten und stellten Glaser und Kruge auf einen schweren Tisch.
        Bolitho sah zu, wie Hardacre eine farblose Flussigkeit in die Glaser schenkte. Wahrscheinlich etwas wie Feuerwasser, dachte er, obwohl Hardacre durchaus bereit schien, auch selbst davon zu trinken.

«Nun, also, Gentlemen, willkommen auf den Levu-Inseln. «Bolitho packte die Armlehne seines Sessels und blinzelte, damit seine Augen nicht tranten.
        Hardacre stand mit dem Krug neben ihm und fullte sein Glas nach.»Verdammt gut, was?»
        Bolitho mu?te erst schlucken, ehe er antworten konnte.»Stark.»
        Raymond stellte sein Glas ab.»Meine Anweisungen lauten, diese und andere naheliegende Inseln in Besitz zu nehmen, soweit sie von anderen Nationen noch nicht beansprucht worden sind. «Er sprach so schnell, als ob er furchtete, da? Hardacre in einen Wutanfall ausbrechen konnte.»Ich habe detaillierte Anweisungen auch fur Sie. Aus London.«»Aus London. «Hardacre beobachtete ihn, schwenkte den Schnaps in seinem Glas.»Und was, glaubt man in London, konnten Sie tun und ich nicht, bitte?«Raymond zogerte.»Verschiedene Aspekte sind etwas unbefriedigend, und au?erdem haben Sie nicht die Streitkrafte zur Verfugung, um fur Frieden zu sorgen.
»Quatsch!«Hardacre wandte sich dem Fenster zu.»Ich konnte eine Armee aufstellen, wenn ich wollte. Jeder Mann ist ein Krieger und bereit, mir zu gehorchen. Mir! Bolitho beobachtete ihn, durchschaute seine Befurchtungen, die er zu verbergen suchte, und seinen offensichtlichen Stolz auf das, was er aus eigener Kraft geschaffen hatte. Hardacre wandte sich plotzlich ihm zu.»Bolitho! Selbstverstandlich, jetzt erinnere ich mich. Ihr Bruder - wahrend des Krieges. «Er seufzte.»Der Krieg hat fur viele vieles verandert.»
        Bolitho sagte nichts, bemerkte in Hardacres Augen die erwachenden Erinnerungen, wu?te, da? Raymond zuhorte und hoffte, da? ihm nicht wohl in seiner Haut war. Die gro?e, bartige Gestalt wandte sich wieder dem Fenster zu.»Ja, damals war ich Farmer. Habe alles verloren, weil ich ein Anhanger des Konigs war, als es darum ging, sich zu einer Seite zu bekennen. Darum habe ich meine Zelte abgebrochen und mich hier drau?en an die Arbeit gemacht. «Bitter fugte er hinzu:»Diesmal scheint es also der Konig zu sein, der mich berauben will.»

«Unsinn!«Raymond schluckte seinen Drink und keuchte.»So ist es nicht gedacht. Vielleicht werden Sie noch gebraucht. Ich mu? erst…»
        Hardacre unterbrach.»Erst mussen Sie mir zuhoren. «Heftig schob er die geflochtene Sonnenblende beiseite und deutete auf die dunkelgrunen Baume.»Ich brauche geschulte Manner als Hilfe oder solche, die ich noch schulen kann, ehe ich zu alt werde. Ich will keine Beamten wie die in Sydney oder London, noch, mit allem Respekt, Captain, brauche ich Uniformen und die Disziplin der Marine. «Bolitho sagte ruhig:»Ihre Disziplin scheint mir um einiges harter zu sein als unsere.»

«Oh, das. «Hardacre zuckte mit den Schultern.»Gerechtigkeit mu? der Umgebung angepa?t werden. So sind nun einmal die Brauche hier.»

«Ihre Brauche. «Bolitho behielt seinen gema?igten Ton bei. Hardacre blickte ihn fest an. Dann lachelte er.»Wenn Sie so wollen, ja. «Barsch fuhr er fort:»Sie haben gesehen, was auf den Inseln passieren kann, Captain. Die Menschen sind primitiv, unberuhrt, den Pocken und jeder Krankheit ausgeliefert, die ein Schiff nur einschleppen mag. Wenn sie gedeihen und uberleben wollen, mussen sie sich schutzen und durfen sich nicht auf andere verlassen.«»Unmoglich!«Raymond wurde wutend.»Die Eurotas ist gekapert worden und wurde erst durch die Tempest zuruckgewonnen. Jeden Tag horen wir schlimmere Nachrichten von Marodeuren, Piraten und Mordern. Selbst die Franzosen sind schon so beunruhigt, da? sie eine Fregatte geschickt haben.»

«Die Narval.«Hardacre hob wieder die Schultern.»O ja, Mr. Raymond, auch ich habe mein Nachrichtensystem.«»Wirklich? Nun, jedenfalls werden Sie diese Piraten nicht mit einem Handelsschoner und einer Handvoll bemalter Wilder aufspuren und vernichten. «Raymond funkelte ihn wutend an.»Ich werde das zu meiner ersten Aufgabe machen. Danach konnen wir uber Handel reden. Meine Leute werden morgen damit beginnen, die Straflinge an Land zu bringen und weiteres Land in der Nahe der Siedlung zu roden, damit Hutten gebaut werden konnen. «Es klang triumphierend. Vielleicht werden Sie also dafur gebraucht, Mr. Hardacre.»
        Hardacre blickte ihn kuhl an.»Nun gut. Aber Ihre Frau - ich nehme doch an, da? sie nur solange hierbleibt wie unbedingt notwendig?»

«Ihre Besorgnis ruhrt mich.»
        Hardacre entgegnete leise:»Verschonen Sie mich bitte mit Sarkasmus. Und lassen Sie sich sagen, da? wei?e Frauen, besonders solche gehobener Herkunft, dem Leben auf unseren Inseln nicht gewachsen sind.«»Haben Ihre Leute denn keine Frauen?«Hardacre blickte zur Seite.»Eingeborene Madchen. «Raymond sah zu den beiden am Tisch hinuber: sehr jung, sehr zuruckhaltend. Bolitho konnte seine Gedanken beinahe arbeiten sehen.
        Hardacre erklarte unverblumt:»Zwei Madchen aus guter Familie. Ihr Vater ist Hauptling, ein guter Mann.«»Hm. «Raymond zog seine Uhr, Schwei? lief ihm in Stromen uber das Gesicht.»Lassen Sie mich in mein Quartier bringen. Ich brauche Zeit, um nachzudenken. «Spater, als sie allein waren, sagte Hardacre zu Bolitho: Ihr Mr. Raymond ist ein Narr. Er hat weder eine Ahnung von diesen Inseln, noch will er etwas uber sie lernen.«»Was ist mit der franzosischen Fregatte?«fragte Bolitho.»Wo haben Sie die gesichtet?»

«Das wollen Sie also unbedingt wissen, wie? Die Frage ist Ihnen standig im Kopf rumgegangen. «Hardacre lachelte.»Handler bringen mir Neuigkeiten mit. Tauschhandel und gegenseitiges Vertrauen sind unser bester Schutz. O ja, ich habe von der Narval und ihrem verruckten Kapitan gehort, genauso wie ich uber den Piraten Tuke Bescheid wei?. Er liegt mit seinen verfluchten Schonern oft vor diesen Inseln. Bisher hat er es sich noch immer besser uberlegt, als unsere Siedlung zu uberfallen, der verdammte Schuft. «Er sah
        Bolitho an.»Aber Ihre Fregatte wird er uberlisten, mein Freund. Sie brauchen kleine Fahrzeuge, kraftige Beine und Fuhrer, die Sie zu seinen Verstecken bringen konnen; er hat deren mehrere.»

«Konnten Sie die fur mich ausfindig machen?»

«Lieber nicht, Captain. Bisher sind wir ohne offenen Kampf davongekommen.»
        Bolitho dachte an die Eurotas, die uberlegene Planung, die zu ihrer Eroberung gefuhrt hatte. Das und die erbarmungslose Brutalitat dahinter waren Leutnant Finneys Milizen mehr als uberlegen.
        Hardacre schien seine Gedanken zu lesen.»Ich habe auf den Inseln stabile Verhaltnisse geschaffen. Ehe ich kam, haben die Hauptlinge sich seit Generationen bekriegt, Frauen geraubt, Kopfjagd betrieben, so barbarische Brauche geubt, da? ich selbst jetzt noch ins Schwitzen komme, wenn ich daran denke. Sie sind Seemann, Sie kennen diese Dinge. Aber ich brachte die Inselbevolkerung dazu, sich nach mir zu richten, zwang sie, mir zu vertrauen, und schuf aus kleinen Anfangen den ersten Frieden, den sie je gekannt hatten. Wenn ihn also jemand bricht, mu? ich ihn bestrafen. Auf der Stelle und unerbittlich. Das ist die einzige Moglichkeit. Und wenn ich ihr Vertrauen ausnutzen wollte, um Verwustungen uber sie zu bringen, indem ich zulasse, da? Ihre Kanonen oder die der Franzosen ihre primitive Welt zerschlagen, wurden diese Inseln wieder in Blut und Ha? versinken.»
        Bolitho dachte an die lachenden, geschmeidigen Madchen, das Gefuhl der Freiheit und Einfachheit. Wie der Schatten eines Riffs verhullte es, was dicht unter der Oberflache lauerte.
        Gedankenvoll bemerkte Hardacre:»Sie wissen selbstverstandlich, da? dem Kapitan der Narval mehr daran gelegen ist, diesen franzosischen Gefangenen in seine Gewalt zu bekommen, als Tuke zu vernichten. «Er nickte.»Ich sehe Ihrem Gesicht an, da? auch Sie daran gedacht haben. Sie sollten sich einen Bart stehen lassen, um Ihre Gefuhle zu verbergen, Captain.«»Was sagten Sie vorhin uber wei?e Frauen?»
        Hardacre lachte vor sich hin.»Auch das konnen Sie nicht verbergen. Die Dame bedeutet Ihnen etwas, wie?«Er hob die Hand.»Sagen Sie nichts, mich beruhren solche Probleme nicht. Aber wenn Sie wollen, da? sie gesund bleibt, schicken Sie sie bald nach England zuruck. «Er lachelte.»Wohin sie gehort.»
        Stimmengewirr und hastige Schritte waren im Hof unter dem Fenster zu horen, und Augenblicke spater sturmte Herrick mit Leutnant Finney auf den Fersen in den Raum. Das Wachtboot hat ein kleines Auslegerkanu aufgebracht, Sir«, begann er, ohne auf Hardacre und dessen Offiziere zu achten.»An Bord befand sich ein junger Eingeborener, er blutete stark. Der Arzt sagt, er hat Gluck, da? er noch lebt.
«Zum erstenmal sah er Hardacre an.»Es hat den Anschein, Sir, da? die Nordinsel der Gruppe von Tuke mit zwei Schonern angegriffen wurde und sich jetzt in seiner Hand befindet. Diesem jungen Mann ist die Flucht nur gelungen, weil er wu?te, wo das Kanu versteckt lag. Tuke verbrannte alle anderen Boote, als er angriff.»
        Hardacre schlug wie zum Gebet die Hande zusammen.

«Mein Gott, die Boote sind ihr Lebensunterhalt. «Er wandte sich an Herrick.»Und wer sind Sie?»
        Herrick sah ihn kuhl an.»Erster Offizier auf Seiner
        Britannischen Majestat Fregatte Tempest.»

«Nun scheint es so, als ob Sie uns doch brauchen«, sagte
        Bolitho gelassen.

«Die Nordinsel ist am schwersten zu verteidigen, ihr Hauptling am wenigsten bereit, aus fruheren Fehlern zu lernen. «Hardacre dachte laut.»Aber ich wei?, wie ich an ihn herankomme. «Er sah Finney an.»Alarmieren Sie die Leute und bemannen Sie den Schoner. Wir segeln auf der Stelle.»
        Bolitho widersprach behutsam:»Nein, Sie bleiben hier. Ich nehme den Schoner, zusammen mit meinem Schiff und einigen Ihrer Leute - mit Ihrer Erlaubnis - und ein paar zuverlassige Fuhrer. «Er fugte hinzu:»Sie nutzen Ihren Insulanern mehr, wenn Sie hierbleiben. «Er sah, da? seine Worte ankamen.
        Hardacre nickte mit dem gewaltigen Kopf.»Sie meinen
        Raymond. «Er runzelte die Stirn.»Macht nichts. Ich verstehe schon, auch wenn Sie es nicht aussprechen konnen.»
        Zu Herrick sagte Bolitho:»Rufen Sie alle an Land gegangenen Leute zuruck, Thomas. Neuigkeiten verbreiten sich auf diesen Inseln offenbar schnell. Wir mussen noch schneller sein. Der Wind steht gunstig fur uns, so da? wir die Riffe noch vor Einbruch der Dammerung hinter uns haben konnen.»
        Herrick eilte davon, und Bolitho horte ihn nach seiner Bootsmannschaft rufen.

«Ein tuchtiger Offizier, Captain. «Hardacre sah ihn grimmig an.»Der ware hier gut zu gebrauchen.»

«Thomas Herrick gebrauchen?«Bolitho griff nach seinem
        Degen.»Ich habe noch niemanden gesehen, einschlie?lich seines Kapitans, der das gekonnt hatte.»
        Er ging und uberlie? den bartigen Riesen und die beiden schweigsamen Madchen ihren Gedanken.
        Doch dann erstarrte er plotzlich, weil er ihre Stimme gehort hatte.»Richard!»
        Er drehte sich um und sah sie die schmale Holztreppe herunterlaufen. Sie fuhlte sich hei? an und zitterte unter ihrem Kleid. Verzweifelt fragte sie:»Gehst du schon wieder? Wann kommst du zuruck?«Er hielt sie sanft umfangen, schob ihre drangenden Bitten und Fragen beiseite.

«Eine Insel ist uberfallen worden, von Tuke. «Er spurte, wie ihre Schultern erstarrten.»Vielleicht kann ich ihn stellen. «Im Hof horte er Finnley Befehle bellen, das Klappern von Stiefeln und Musketen.»Je schneller es mir gelingt, um so eher wirst du von diesem Ort befreit. «Sie studierte ihn, strich ihm mit der Hand uber das Gesicht, als ob sie es fur ihr Gedachtnis modellieren wollte.»Sei vorsichtig, Richard. Fur mich. Fur uns. «Er fuhrte sie in den Schatten zuruck und trat wieder in den Sonnenglast hinaus. Im Hof begegnete er Raymond. Er mu?te aus seinem Zimmer gelaufen sein, um selbst herauszufinden, was geschehen war.
        Er bellte:»Sie wollten mich hoffentlich informieren,
        Captain?»
        Bolitho blickte ihn ernst an.»Ja.»
        Er beruhrte seinen Hut. Die Bewegung erforderte seine ganze Selbstbeherrschung. Und jetzt erlauben Sie mir, an Bord meines Schiffes zu gehen. «Er drehte sich und sah fluchtig das Aufschimmern ihres Kleides auf der Treppe, von wo sie ihm nachsah.
        Allday hatte die Gig schon bereit, die Matrosen sa?en an den Riemen.
        Wahrend der Uberfahrt versuchte Bolitho zu uberlegen.
        Tuke, de Barras, Raymond, sie schienen umeinander zu kreisen, zu einem einzigen Feind zu verschmelzen. Das letzte Hindernis zwischen ihm und Viola.
        Borlase empfing ihn an der Einstiegspforte.

«Ich melde mich an Bord zuruck, Sir.»

«Danke.»
        Bolitho blickte an ihm vorbei auf das Gewuhl der braunen Gestalten, auf die vertrauten Gesichter seiner Matrosen und Seesoldaten.

«Raumen Sie das Schiff, Mr. Borlase. Und lassen Sie mich dann wissen, wann der Schoner segelbereit ist. «Er bemerkte die Uberraschung in Borlases Augen.»Machen Sie schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. «Herrick kam auf ihn zugeeilt. Entschuldigen Sie, da? ich nicht hier war, um Sie zu begru?en, Sir. Ihre Gig mu? Ruckenwind gehabt haben.»
        Bolitho nickte fluchtig.»Ich mochte, da? Sie das Kommando uber den Schoner ubernehmen. Thomas. Setzen Sie die einheimische Besatzung und Hardacres Milizen ein, aber nehmen Sie auch Prideaux und zwanzig Soldaten mit. «Er klopfte ihm auf die Schulter.»Aktion, Thomas. Die richtige Art, das neue Jahr anzufangen, wie? Herrick starrte ihn an, als sei er verruckt geworden. Doch dann nickte er. Richtig, Sir, morgen ist ja der 1. Januar 1790! Jeden Tag habe ich das Logbuch gefuhrt und jetzt doch nicht darauf geachtet. «Er ging auf den Niedergang zu und rief nach dem Bootsmann.
        Bei der Heckreling blieb Bolitho stehen, um ein Mindestma? an Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Ein neues Jahr… Er hatte gehofft, es wurde anders beginnen. Die schone Umgebung, der stille Strand, das alles machte es ihm nur noch schwerer, hinzunehmen, da? auch Viola hier war, aber ihm versagt blieb. Er seufzte tief auf. Und morgen mu?ten sie, wenn die Umstande es verlangten, schon wieder um ihr Leben kampfen.
        Er beobachtete die Boote, die aus verschiedenen Richtungen auf das Schiff zustrebten. Die Mannschaft des Zimmermanns und des Zahlmeisters, das Wachtboot und der Arzt, der wahrscheinlich an Land gegangen war, um die Flora zu studieren.
        Einige seiner Leute hatten andere Ablenkungen im Sinn gehabt, und jeder hatte damit gerechnet, da? sie wenigstens ein paar Tage und Nachte vor Anker blieben. Er beschattete seine Augen mit der Hand und blickte zum Mast hinauf. Der Wimpel wehte unverandert im kraftigen
        Wind.
        Er ging auf den Niedergang zu. Als Kommandant eines Kriegsschiffs mu?te man sich Respekt verschaffen. Aber beliebt zu sein und zu bleiben, war manchmal viel schwerer. Bolitho schritt gemachlich an der Luvseite des Achterdecks auf und ab. In Gedanken ging er noch einmal die Plane durch, wahrend sein Blick zu den nachsten Inseln wanderte, die querab langsam vorbeizogen. Ihre Gipfel und Klippen leuchteten in dem prachtvollen Sonnenuntergang wie von mattem Kupfer uberzogen.
        In Lee direkt voraus lag Hardacres kleiner Schoner, und dahinter kundigten dunkle Schatten den bevorstehenden Einbruch der Nacht an.
        Auf der anderen Seite des Decks unterhielten sich seine Offiziere leise miteinander. Sie bewunderten den Anblick und diskutierten daruber, was ihnen wohl bevorstand. Es war ungewohnt, Herrick nicht an Deck zu sehen und seine vertraute Stimme nicht zu horen. Doch in gewisser Weise war seine Abwesenheit auch eine Wohltat, denn sie erlaubte Bolitho, fur sich zu bleiben, sich starker auf seine Uberlegungen zu konzentrieren.
        Er horte Lakey mit seinen zwei Maaten murmeln und vermutete, da? er seine schon geau?erten Zweifel und
        Sorgen wiederholte. Die hiesige Gegend, die verstreuten Inseln und Erhebungen der Levu-Gruppe waren auf Karten kaum erfa?t, Wassertiefen und Entfernungen nur ungenau angegeben und wahrscheinlich nur aufgrund von Vermutungen.
        Aber die Besatzung des Schoners kannte sich gut aus, und Herrick wurde sie zweifellos zu gro?er Vorsicht mahnen und an den viel gro?eren Tiefgang der Fregatte erinnern. Die Nordinsel war sehr klein, mit hohen Bergen und einer tief eingeschnittenen, engen Bucht im Nordosten, die wie mit der Axt herausgehackt wirkte. Die Bevolkerung lebte in einem einzigen Dorf und war laut Hardacre fur ihren Lebensunterhalt vollig auf das Meer angewiesen. Vielleicht hatte Tuke sich dort eine neue Basis geschaffen oder suchte Vorrate und Wasser fur seine Schiffe. Er verfugte also uber mindestens zwei Schoner. Viola hatte sich darin nicht getauscht.
        Bolitho stellte fest, da? er schon wieder an Raymond dachte, sich fragte, welche Hoffnungen er wirklich hegen mochte. Vermutlich wurde er auf den Inseln bleiben, bis mehr Unterstutzung eintraf: die ubliche Karawane von Sekretaren und Aufsehern. Der gro?te Teil seiner ursprunglichen Mitarbeiter war entweder von Tukes Piraten ermordet worden oder in Sydney zuruckgeblieben, um ihre Verletzungen auszuheilen oder die Angelegenheiten von Verwandten und Freunden zu ordnen, die ebenfalls ums Leben gekommen oder von Tuke verschleppt worden waren. Raymond hatte Gluck gehabt - oder war dieser Tuke gerissener, als jeder ihm zugestehen wollte? Raymond als Geisel herauszugreifen, schon vor dem Angriff zu wissen, da? er an Bord sein wurde, bewies einen weit scharferen Verstand, als er sonst bei Piraten ublich war. Borlase uberquerte das Deck.»Haben wir Erlaubnis, Segel wegzunehmen, Sir? Wir sind kurz vor dem Wachwechsel. «Er wartete, ungewi?, in welcher Stimmung sein Kapitan sein mochte.»Sie hatten es befohlen, Sir.«»Ja. «Bolitho nickte.»Schicken Sie die Leute auf Station. «Es hatte keinen Sinn, die Schiffe in
pechschwarzer Nacht zwischen den Inseln hindurchzuhetzen. Bolitho glaubte,
        Lakey erleichtert aufatmen zu horen, als die Bootsmannsmaaten die Wache an Deck pfiffen, um die Obersegel zu bergen.
        Der Angriff mu?te schnell und zielstrebig erfolgen. Bolitho ging nach achtern, um den auf Station rennenden Matrosen auszuweichen. Die Tempest wurde die Bucht uberqueren, notfalls sogar einlaufen, wahrend das Landekommando des Schoners das Dorf von hinten angriff. Tuke mu?te sich sehr sicher fuhlen Er wurde nicht damit rechnen, da? ein Mann entkommen war und den Mut aufbrachte, allein ein Kanu zu nehmen und die Hauptinsel zu alarmieren. Hoch uber Deck horte Bolitho die Zurufe der Matrosen, die sich uber die Rahen beugten, um die widerspenstige Leinwand zu bezwingen.
        Zwei Leute waren nicht mit ihren Arbeitskommandos auf das Schiff zuruckgekehrt.
        Bolitho hatte Borlase befohlen, sie nicht im Logbuch als entlaufen einzutragen, denn auf Desertion stand nur eine Strafe: der Tod. Er hatte erfahren, da? Hardacres Dorf eine heiva - ein Fest - zur Begru?ung der beiden Schiffe geplant hatte, mit Tanzen und zweifellos Mengen von dem Getrank, das ihm den Atem benommen und wie Feuer in seiner Kehle gebrannt hatte.
        Zwei Fluchtige unter der gesamten Besatzung, das war bei den verfuhrerischen Verhaltnissen kein schlechtes Ergebnis. Wenn die Leute freiwillig zuruckkehrten, wurde er noch einmal daruber nachdenken. Wenn nicht, endeten sie wahrscheinlich als unfreiwillige» Freiwillige «in Hardacres Miliz, sobald die Fregatte endgultig abgesegelt war. Er dachte uber Hardacre nach und konnte nicht anders, als widerwillige Bewunderung fur ihn zu empfinden. Seine Motive wurden zwar durch seine Machtgier etwas verschleiert, aber seine Zuneigung fur die Eingeborenen und ihre Inselwelt war zweifellos aufrichtig. Doch er wurde gegen Raymond verlieren. Das ging Idealisten gegenuber Leuten dieser Sorte immer so.
        Bolitho trat zum Steuerrad und blickte auf den Kompa?: Nord zu West. Er nickte dem Ruderganger zu.»Recht so.»

«Aye aye, Sir. «Die Augen des Mannes schimmerten schwach in den letzten Strahlen des Sonnenuntergangs. Bolitho horte Borlase mit seiner schrillen Stimme Befehle geben.
        Als kommissarischer Erster Offizier wurde er keinerlei Fehler durchgehen lassen. Nach seinen jungsten Erfahrungen und dem sich anschlie?enden Verfahren vor dem Kriegsgericht konnte er sich das nicht erlauben. Bolitho wollte versuchen, ein paar Stunden Schlaf zu finden. Noch einmal lie? er den Blick uber sein Schiff schweifen, spurte den leichten Druck von Wind und Ruder, lauschte auf die vertrauten Gerausche des Riggs und der Segel. Sie waren so sehr Bestandteil seines Daseins geworden, da? er bewu?t hinhoren mu?te, um sie wahrzunehmen. Allday sah in der Kajute Noddall zu, der einen Krug mit frischem Trinkwasser fullte und ihn neben zwei Zwiebacke stellte.
        Bolitho dankte ihm und lie? sich von seinem Bootsfuhrer Rock und Hut, die Wahrzeichen seiner Kommandogewalt, abnehmen. Er musterte die Mahlzeit auf seinem Tisch: Wasser und Zwieback. Genau die gleiche Kost wie im Gefangnis der Flotte, dachte er.
        Allday fragte:»Soll ich Ihre Koje bereitmachen, Captain?«»Nein. Ich lege mich hier hin.»
        Bolitho lie? sich auf der Heckbank nieder und verschrankte die Hande hinter dem Kopf. Durch die Heckfenster konnte er die ersten Sterne wahrnehmen. Ihr Licht wurde von dem dicken Glas gebrochen, so da? es wie winzige Lanzen herabstach.
        Er dachte an Viola, stellte sich vor, wie sie in ihrem fremden Bett lag, auf das Grollen und Kreischen vom Wald her lauschte. Immerhin wurde ihre Zofe bei ihr sein und ihre neue Herrin auf ihre stille, verstorte Weise beschutzen. Sein Kopf sank zur Seite, und er war auf der Stelle eingeschlafen.
        Allday streifte ihm die Schuhe ab und hob die Laterne vom Decksbalken.»Schlafen Sie gut, Captain. «Bedruckt schuttelte er den Kopf.»Sie machen sich genug Sorgen fur ein ganzes Geschwader.»



        IX Hinterhalt


«Mein Gott, Mr. Pyper, warum dauert das so lange?«Herrick wischte sich mit dem Armel uber das Gesicht und blickte zum heller werdenden Himmel auf. Zum Teil hufttief in der schaumenden Brandung, kampfte sich unter ihm der Rest seiner Gruppe an Land, wahrend andere, vorwiegend Finneys Milizmanner, schon hoch auf dem steilen, felsigen Abhang vorgingen; die beiden Boote des Schoners hatten sie hierher gebracht.
        Herrick beobachtete, wie Midshipman Pyper im Wasser schwankte. Mehrere braunhautige Insulaner bemuhten sich, das Boot davor zu bewahren, da? es an den Felsen zerschmettert wurde. Es war Herrick zuwider, da? Unternehmen schiefgingen, weil sie schlecht geplant waren, oder, wie in diesem Fall, uberhaupt kein Plan vorlag. Finney und der andere Leutnant der Miliz, ein trubseliger Mann namens Hogg, waren uberzeugt gewesen, da? sie an der richtigen Stelle an Land gingen. Herrick sah zu dem stampfenden Schoner zuruck, der fast eine Kabellange[ca. 185 m] vom Ufer entfernt hatte ankern mussen. Das bewies schlagend, wie wenig die beiden uber den Landeplatz hier Bescheid wu?ten.
        Das Ergebnis waren mehrere ermudende Bootsfahrten, und jetzt war der Zeitpunkt, zu dem sie sich auf dem Marsch landeinwarts hatten befinden sollen, schon lange verstrichen. Pyper kletterte den Abhang empor, Wasser rann ihm von Hemd und Breeches. Wie Swift war er siebzehn und hoffte auf eine Beforderung, wenn und falls die Chance dazu kam. Deshalb wollte er seinen Ersten Offizier nicht reizen. Alles klar, Sir.»
        Von der Hohe der Steilkuste rief Hauptmann Prideaux herab:»Das will ich, verdammt noch mal, auch hoffen!«Trotz aller Muhseligkeiten sah er untadelig wie immer aus. Herrick unterdruckte einen Fluch.»Schicken Sie Ihre Kundschafter vor.»

«Schon geschehen. «Prideauxs Fuchsgesicht lachelte verschlagen.»Ich habe auch diese verdammten Fuhrer veranla?t, ihre fetten Arsche in Bewegung zu setzen. «Er zog den Degen und kopfte damit eine Pflanze.»Und nun?«Herrick knirschte mit den Zahnen.»Dann also vorwarts!«Er hob signalisierend die Hand uber den Kopf, und nach einer weiteren Verzogerung machte sich sein gemischtes Kommando auf den Weg landeinwarts. Finney erlauterte vergnugt:»Das Dorf liegt unmittelbar uber der Bucht. Die meisten Hutten stehen auf Pfahlen, mit der Ruckseite zum Abhang. Falls Tukes Leute drin sind, stecken sie wie Ratten in einem Fa?, wenn Ihr Schiff die Ausfahrt blockiert. «Die Aussicht auf einen Kampf schien ihm zu gefallen.
        Von der schwankenden Reihe einheimischer Fuhrer und britischer Kundschafter lief eine Meldung zuruck: Sie hatten Rauch wahrgenommen, dazu starken Brandgeruch. Prideaux sagte:»Anscheinend vernichten sie das Dorf. «Es klang unberuhrt.
        Herrick schlug klatschend nach einem Insekt und versuchte, die Situation zu durchschauen. Tuke hatte also die Insel uberfallen und verbreitete den ublichen Schrecken. Aber warum? Wenn er Nachschub brauchte, was angesichts seiner reichen Beute auf der Eurotas unwahrscheinlich schien, warum uberfiel und verwustete er dann eine Insel wie diese? Und ferner, wenn er sich ein neues Versteck zulegen wollte, warum brannte er es dann erst nieder? Das alles ergab keinen Sinn. Er uberlegte, ob er mit Prideaux daruber sprechen sollte, unterlie? es aber. Der Hauptmann schien jeden zu verhohnen, dessen Position er fur unterlegen hielt. Viel zu sehr von sich eingenommen. Herrick sah zu den beiden Milizleuten hinuber, die gelassen mit ihren zerlumpten Mannschaften vorgingen. Auch sie wurden ihm nichts sagen konnen. Anscheinend hatten sie alles Nachdenken und Uberlegen Hardacre uberlassen. Was hatte Bolitho hier oben und in diesem Augenblick getan? Herrick grinste trotz seiner Unsicherheit. Bolitho war aber nicht hier, sondern hatte seinen Ersten Offizier geschickt.
        In der Luft hing wirklich unverkennbar Rauch. Er quoll uber einer niedrigen Anhohe empor, bildete Wolken am Himmel.
        Prideaux sagte heiser:»Bei Gott, hier ist schwer vorwartskommen.»
        Midshipman Pyper wandte sich an Herrick.»Ich sollte vielleicht mit einem der Fuhrer vorgehen, Sir. «Er war ein recht ernsthafter junger Mensch, aber nicht uneben. Herrick blieb stehen, denn er begriff uberrascht: Genau das hatte Bolitho jetzt getan.

«Daran habe ich auch schon gedacht, Mr. Pyper. Aber ich gehe besser selbst. «Er winkte Finney heran.»Lassen Sie die Leute ausruhen, aber stellen Sie Wachen auf. Der beste Fuhrer auf der Stelle zu mir!«Es uberraschte ihn, wie leicht ihm jetzt alles fiel.»Gut, Mr. Pyper, Sie konnen mitkommen. «Er klopfte ihm auf die Schulter. Pyper starrte ihn an. Er verstand nicht, was seinen Leutnant so plotzlich animierte.»Jawohl, Sir.»
        Prideaux sagte gelangweilt:»Ein Angriff von ruckwarts, funf oder sechs Salven mit Kartatschen, und sie rennen wie die Hasen. Direkt vor die Geschutze der Tempest. Herrick sah ihn an und versuchte, seinen Arger zu unterdrucken. Prideaux fegte immer die Plane anderer mit ein paar abfalligen Bemerkungen beiseite. Das Argerlichste war dabei sein selbstherrlicher Ton.»Wir werden sehen«, entgegnete Herrick steif.»Inzwischen…»
        Er drehte sich um und ging zu dem wartenden Fuhrer, einem untersetzten, fast nackten Eingeborenen, dessen Ohrlappchen von spitzen Knochenstucken durchbohrt waren. Pyper schnitt eine Grimasse.»Er stinkt ziemlich, Sir. «Der Fuhrer zeigte grinsend die Zahne; sie waren spitz wie die eines Hais gefeilt.

«Mein Gott!«Herrick uberprufte seine Pistole und lockerte den Degen.»Gehen wir also.»
        Die Insel war winzig, doch nach ihrem Stolpern und Kriechen uber Stock und Stein, ihrem Vordringen durch dicht verschlungene Farne hatte Herrick sie fur doppelt so gro? wie Kent gehalten.
        Der Fuhrer hupfte uber einige verrottete Baumstumpfe vor ihnen und wedelte mit den Handen zum dichter werdenden
        Rauch hin. Er war sichtlich aufgeregt.
        Herrick sagte beklommen:»Sehen wir selbst.»
        Er lie? sich wieder auf die Knie sinken und kroch dem narbigen und staubigen Fuhrer nach durch ein dichtes
        Gewirr stachliger Busche.
        Pyper rief aus:»Masten und Rahen, Sir. Sie ankern unmittelbar unterhalb des Dorfes, aus dem der Rauch kommt!»
        Herrick schuttelte den Kopf.»Freche Schurken! Sie fuhlen sich also absolut sicher bei ihrem blutigen Geschaft. «Er rieb sich die Hande.»So kann sich die Tempest wenigstens Zeit lassen und sie nach Belieben beharken. «Er drehte sich muhsam um. Wir wollen die anderen benachrichtigen. «Er sah den Midshipman an.»Was gibt's? Pyper errotete.»Ich meine - also, mir wurde einmal gesagt…»

«Was? Heraus mit der Sprache!»
        Pyper sagte fest:»Sollten wir diese Schiffe nicht erst beobachten?
        Eines davon konnte besser bewaffnet sein. Vielleicht sollten wir unsere Scharfschutzen in eine Position bringen, aus der sie die Besatzung ausschalten konnen, falls sie Anstalten treffen, Anker zu lichten. «Lahm fugte er hinzu:»Ich meine nur, Sir… Pardon.»
        Herrick seufzte.»Sie haben vollig recht. «Es mu?te an der Hitze liegen.»Ich hatte selbst daran denken sollen. «Sie lie?en den verblufften Fuhrer im Gebusch versteckt zuruck und robbten nach vorn zu einer Gelandefalte im Hang. Von dort aus sahen sie die Bucht und auf dem gegenuberliegenden Ufer eine Reihe wie Fackeln brennender Hutten. Rauch verhullte das Wasser unter ihnen. Nach links erstreckte sich keilformig eine Landzunge; naher am Hang und fur Herrick deshalb teilweise verdeckt, lagen weitere Hutten. Doch er konnte den Blick nicht von der Landzunge und dem Strand wenden.»Das sind Ihre >Schiffe<, Mr. Pyper. «Er konnte es immer noch nicht fassen. Die Masten und Rahen wirkten durchaus echt, aber sie standen direkt auf dem kleinen Strand, wurden durch Streben und
        Lianengeflecht aufrecht gehalten. Von einem Mast flatterte sogar ein Wimpel, doch die lose aufgegeiten Segel waren in Wirklichkeit nichts anderes als grobgeflochtene Matten. Die Wahrheit ernuchterte ihn wie Eiswasser. Wenn diese Masten ihm aus kurzer Entfernung schon echt erschienen waren, mu?ten sie den Ausguck der Tempest vollig tauschen und ihm zwei ankernde Schiffe vorgaukeln, deren Besatzungen vom Morden und Plundern an Land vollig absorbiert waren.
        Pyper starrte ihn verwirrt an.»Was tun wir, Sir?«Herrick spurte, wie ihm die Kehle trocken wurde. Knapp oberhalb der Landzunge hatte er eine Bewegung wahrgenommen: Die Tempest war also bereits da. Er sah sie so deutlich vor sich, als ware sie fur ihn nicht mehr verdeckt: die Geschutze bemannt, die Offiziere auf Gefechtsstation, Bolitho und Lakey auf dem Achterdeck. Panik uberkam ihn. Was stand dem Schiff bevor? Wo waren die Piraten? Er konnte vereinzelte Musketen und Pistolenschusse horen, und inzwischen war auch der Rauch sehr viel starker geworden.
        Hinter den brennenden Hutten glanzte etwas, und Pyper sagte mit belegter Stimme: Eine Batterie mit mehreren schweren Geschutzen, Sir.»
        Das war es also. Herrick wurde das Ganze plotzlich erschreckend klar. Die Nachricht, die falschen Masten, das brennende Dorf, waren alles Teile eines perfekten Plans: die Tetnpest in die Bucht hineinzulocken. Herrick richtete sich auf, ohne der Gefahr zu achten. Wegen dieses elenden Schoners, wegen allem, was sich seit ihrer Ankunft auf der Insel zugetragen hatte, war Bolitho ahnungslos und unvorbereitet.
        Er horte sich sagen:»Laufen Sie zuruck. Sagen Sie Hauptmann Prideaux, ich wunsche auf der Stelle einen Sturmangriff!«Er bemerkte Pypers Schock.»Ich wei?, wir haben keine Chance. Aber wir retten damit das Schiff. Denken Sie daran!»
        Und wahrend Pyper nach hinten stolperte und der nackte Eingeborenenfuhrer ihn fasziniert beobachtete, spannte er seine Pistole und zog den Degen.

«Sieben Faden!»
        Bolitho blickte in Lakeys angespanntes Gesicht, als die Stimme des Lotgasten nach achtern schallte. Doch er versagte es sich, schon wieder nach dem Teleskop zu greifen und blieb, die Hande in die Huften gestutzt, stehen. So versuchte er, sich sein Schiff vorzustellen, das enger werdende Fahrwasser und das aufragende Land - ein geschlossenes Panorama. Da er noch vor der Morgendammerung mit Lakey und seinen beiden Offizieren die Seekarten und ihre Berechnungen uberpruft hatte, war Bolitho so gut vorbereitet, wie ein Kapitan nur sein konnte, der sich einer unbekannten Insel naherte. Insel? Sie war nicht mehr als der Kamm eines versunkenen Berges, dachte er.
        Er beobachtete die Stromung, ihren Sog um die nachstgelegene Klippe, wenn das Wasser hell aufschaumend zurucklief. Obwohl sie so dicht unter Land waren, blieb der Wind stetig. Bolitho sah zu dem langen Wimpel im Masttopp empor, der jetzt nach Steuerbord voraus flatterte.»Acht Faden!»
        Lakey sagte schroff:»Schon besser. «Bolitho trat zur Querreling und sah auf die Geschutze hinunter. Hier und da bewegte sich ein Mann nervos oder zog an einer Talje. Nackte Fu?e scharrten auf dem sandbestreuten Deck, und hoch oben im Gro?mast schwenkten Marinesoldaten eine Drehbasse wi e in lautlosem Bombardement hin und her. Er sah Leutnant Keen zwischen den Zwolfpfundern sich vorbeugen, um durch eine offene Stuckpforte zu spahen.
        Zwei Midshipmen unterstutzten Keen bei den Geschutzen, der pausbackige Fitzmaurice und der schlanke junge Romney. Swift stand mit seinen Signalgasten auf dem Achterdeck, wahrend Borlase, wie ein unzufriedenes Baby lautlos pustend, an Steuerbord rastlos auf- und abging. Alle waren bereit, warteten darauf, da? etwas geschah. Bolitho sah nach dem Halbstundenglas neben dem Kompa?. Er wollte seine Uhr aus der Tasche ziehen, um sich zu vergewissern, aber er wu?te, das wurde als Nervositat, als
        Unsicherheit angesehen werden. Die Manner in seiner Nahe sahen rasch zur Seite, als seine Blicke sie streiften. Doch es dauerte viel zu lange. Wenn sie jetzt uber Stag gehen mu?ten, wurden sie erst nach einer Ewigkeit wieder Kurs auf die Bucht nehmen konnen. Er studierte die weit vorspringende Landzunge, das einzige, was er nach den durftigen Seekarten identifizieren konnte. Das helle, vermutlich felsige Gestein stand in seltsamem Gegensatz zu dem uppigen Grun im Hintergrund. Dahinter wurden jetzt glitzernd die ersten Anzeichen einer Bucht erkennbar. Bolitho bi? sich auf die Lippen. Wenn Herrick sich weiterhin nicht ruhrte, mu?te er an der Bucht vorbeilaufen und dadurch kostbare Zeit verlieren. Falls dort noch Schiffe lagen, konnten sie vielleicht klammheimlich auslaufen, ehe er mehr Segel zu setzen vermochte. Er sah nach oben, kniff die Augen in dem grellen Licht zusammen: Marssegel und Kluver standen, die gro?e Fock war so stark gerefft, da? sie kaum Wind aufnahm. Aber mehr Fahrt ware gefahrlich gewesen.
        Er sah Allday ihn vom Niedergang her beobachten, das schwere Entermesser uber die Schulter gehangt. Allday wartete auf den richtigen Augenblick. Er kannte seinen Kapitan so gut, da? er wu?te, wenn er jetzt den Mund aufmachte, wurde er nur scharf zurechtgewiesen. Diese Erkenntnis ruhrte Bolitho. Er sagte leise:»Ich kann die Insel beinahe fuhlen.»
        Allday kam zu ihm.»Der Rauch wird dunner, Captain.»

«Nein, er wird nur starker landeinwarts geweht.»

«Mag sein. Mir scheint, der Erste Offizier hat nichts gefunden. Die Piraten sind fort, und wie ich Mr. Herrick kenne, sucht er bestimmt nach zuruckgelassenen Toten und
        Verwundeten.»

«An Deck!«Bei dem alarmierenden Ruf blickte alles nach oben.»Schiffe vor Anker hinter der Landzunge! Zwei Schiffe!«Eine Pause.»Schoner mit Rahbesegelung.
«Bolitho wandte sich Allday zu, seine Augen funkelten.»Nun?»
        Allday war verlegen.»Na ja, ich habe mich geirrt.«»Offenbar. «Bolitho ging zur Reling.»Raus mit den Reffs,
        Mr. Borlase! Dieses Parchen wollen wir uns nicht entgehen lassen. «Er lachelte uber die Besorgnis des Offiziers.»Vielleicht konnen wir sie als Prisen nehmen, wenn sie es wagen sollten, sich mit uns einzulassen. «Er wandte sich ab; Herrick und sein Kommando mu?ten sich verirrt haben, oder sollten die Schoner auf Grund geraten sein?
        Das gro?e Segel am Vormast entfaltete sich und blahte sich gewichtig unter der Rah. Sofort glitt das Land schneller vorbei, und Gischt spruhte uber den Bug und die dort kauernden Matrosen.
        Keen rief:»Steuerbordbatterie feuert divisionsweise! Erst auf Befehl, Stuckfuhrer, verstanden?»
        Bolitho sah zu Keen hinuber. Er hatte sich gut entwickelt,
        viel Selbstvertrauen und Autoritat gewonnen, ohne dabei zum Tyrannen geworden zu sein, und das war sogar noch wichtiger.
        Bolitho kam nicht auf den Gedanken, da? Keens Kommandant etwas damit zu tun haben konnte. Er sagte:»Halten Sie sich bereit zur Kursanderung, Mr. Borlase. Pfeifen Sie die Leute an die Brassen. Wir werden Nordost steuern.»
        Wie oft hatten sie wahrend der langen Nacht den Kurs gewechselt. Das war fur die Leute nicht ungewohnlich, doch jetzt war es anders. Sie hatten Land in Sicht bekommen und wurden tun, was ihnen befohlen wurde.
        Er horte die gebellten Kommandos, das Schlagen der Fallen und Blocke, als die Belegnagel gelost wurden und die
        Matrosen sich bereitmachten, die Rahen zu trimmen.
        Die Landzunge lag schon beinahe hinter ihnen, so da?
        Brande und Dampfwolken auf der anderen Seite der schmalen Bucht sichtbar wurden.

«Funf Faden!»
        Lakey meldete:»Alles klar, Sir.»

«Sehr gut. «Wahrend die Matrosen die Brassen dichtholten und das gro?e Doppelrad von Lakeys besten Rudergangern stetig gedreht wurde, legte Bolitho die hohlen Hande um den Mund und rief:»An Mastkorb! Was ist mit den Schiffen?«Der Ausguck mu?te von seiner Aussicht so gefesselt sein, da? er der ersten Meldung nichts weiter hinzuzufugen hatte.»Noch vor Anker, Sir!«Der Mann war in dem blendenden Sonnenlicht nicht auszumachen.
        Bolitho spurte, wie sich das Schiff aufrichtete, als es in den Schutz des Landes kam.
        Borlase schrie:»Notieren Sie diesen Mann, Mr. Jury. Dort an der Nagelbank!»
        Bolitho hatte keine Ahnung, wer der Schuldige war, noch kummerte es ihn. Er starrte auf die Feuerreflexe im Wasser, die trotz der grellen Sonne stumpfrot gluhten, so da? die Bucht vor ihrem Bug wie eine riesige, brennende Pfeilspitze wirkte.

«Bergen Sie die Fock, Mr. Borlase. «Als das Segel an der Rah aufgegeit war, konnte Bolitho das brennende Dorf und die verkohlten Boote mit steigendem Zorn studieren. Was hatte das fur einen Sinn? Auf welchen Gewinn konnte ein Pirat wie Tuke hoffen, wenn er diese einfachen Menschen vernichtete?

«Sechs Faden!«Der Lotgast war ganz von seiner Aufgabe absorbiert.
        Neunzig Fu? uber Deck hielt der Marinesoldat Blissett, ehemals Wildhuter und jetzt einer der besten Scharfschutzen der Tempest, mit seinen Kameraden ein kleines Schwenkgeschutz besetzt und studierte die stockdunnen Masten uber dem Landrucken.
        Sobald er umschifft war, wurde ihre Steuerbordbatterie das Feuer eroffnen, langsam und todlich. Die ersten Schusse waren immer sorgfaltig gezielt. Blissett blickte hinunter auf die gespannt wartenden Gestalten zwischen den schwarzen Geschutzen, die Offiziere und Deckoffiziere, die wachsam auf- und abgingen und hin und wieder einen Blick nach achtern zum Kommandanten warfen. Bolitho stand fast genau unter ihm, hielt den Hut unterm Arm, und sein schwarzes Haar wehte in der hei?en Brise. Blissett erinnerte sich an die andere Insel, an das Madchen, das er nackt und ermordet aufgefunden hatte. Blissett wunderte sich immer wieder uber seine Mitmenschen. Die gleichen Manner, die au?erlich gefa?t einer Breitseite entgegensahen oder an der Auspeitschung eines Kameraden fast ohne Gefuhlsregung teilnahmen, rasten vor Wut, wenn ein Hund getreten oder, wie in diesem Fall, ein unbekanntes Madchen umgebracht wurde, das vermutlich ohnehin eine Schlampe gewesen war. Blissett war nicht so, er dachte uber die Dinge nach. Schlie?lich wollte er wie Quare Sergeant werden. Verbittert fragte er sich, warum er nicht dem
Kommando angehorte, das mit diesem Schwein Prideaux an Land geschickt worden war.
        Der fur den Gro?topp verantwortliche Unteroffizier, der sich mit gespreizten Beinen gegen die schweren Blocke der Marswanten lehnte, fragte herausfordernd: Wovon traumst du wieder, Blissett?«Er war ein vierschrotiger Mann namens Wayth und sich seiner Verantwortung in dem Gewirr von Tauwerk, Spieren und Segeln wohl bewu?t. Und er hegte einen tiefen Ha? gegen die Marinesoldaten, ohne zu wissen, warum.
        Blissett hob die Schultern.»Wir haben doch gar keine Chance, diese Schufte zu fassen. Sie werden bis zum letzten Augenblick kampfen und ihre verdammten Schiffe mit auf den Grund nehmen. Kein Prisengeld, nichts!«Der Gro?topp bebte, und Wayth verga? den Marinesoldaten und blickte zu seinen Toppsgasten weiter oben hinauf. Blissett sagte zu seinem Kameraden:»Jetzt geht es bald los, Dick.»

«Ja. «Der Kanonier schwenkte sein Geschutz auf das Land zu.»Aber mit der lahmen Kuh hier werden wir die dort druben nie rechtzeitig erreichen. «Er grinste.»Wenn wir aber nach Backbord schie?en, konnten wir ein paar fette
        Schweine furs Abendessen erwischen.»
        Blissett ging auf den Scherz ein. Er wandte sich von der felsigen Kuste und den fremden Masten ab und richtete seine Muskete spielerisch nach der anderen Seite aus.

«Eins fur den Kochtopf, Dick. «Er erstarrte.»Mein Gott- da druben steht eine Kanone!»
        Wayth schnarrte:»Das reicht mir jetzt…»
        Der Rest seines Wutausbruchs ging unter im Krachen eines schweren Geschutzes und dem Pfeifen einer die Takelage der Tempest durchschlagenden Kugel.
        Blissett ging mit sausenden Ohren und keuchendem Atem in die Knie. Benommen starrte er auf die baumelnden Enden des zerfetzten Riggs und erbrach sich dann konvulsivisch, als er die zerstuckelten Uberreste des Unteroffiziers gewahrte. Das Gescho? hatte Wayth buchstablich in zwei Teile gerissen und wie Pfannkuchen gegen den Mast geklatscht.
        Irgendwie gelang es Blissett zu schreien:»An Deck! Kustenbatterie backbord voraus!

        Erst jetzt bemerkte er, da? er - abgesehen von dem Toten - allein war. Sein Freund Dick und der andere Marinesoldat mu?ten aufs Deck hinabgeschleudert worden sein. Blissett lehnte seine Muskete gegen den Handlauf und richtete sein Schwenkgeschutz auf das Ufer. Dem ersten Schu? folgte augenblicklich ein zweiter. Es loste Alarmschreie auf dem Hauptdeck der Tempest aus, als das Gescho? zwischen den Masten hindurchflog und den Strand auf der entgegengesetzten Seite aufwuhlte. Bolitho schrie:»Beide Batterien Feuer frei, Mr. Keen!«Er wandte sich ab, als Blut und Fleischfetzen durch die Schutznetze fielen. Im Gro?topp war jemand getroffen und getotet worden, und zwei Marinesoldaten waren uber Bord gegangen. Ob tot oder lebendig, wu?te er nicht. Hurrarufe erschollen von der Steuerbordbatterie, aber die Stimmen hatten einen seltsam wilden Klang. Wahrscheinlich versuchten die Leute, ihr Erschrecken uber das plotzliche Bombardement zu ubertonen. Doch gleich wurden sie zuruckschlagen, es heimzahlen. Der Larm stockte und verstummte vollends, als die versteckten Geschutze wieder feuerten und ein schweres
Gescho? kurz vor die Bordwand setzten. Bolitho sah Spritzwasser uber die Netze spruhen. Einer der Matrosen blickte auf, als ob er erwarte, einen Enterer zu sehen. Es uberlief ihn kalt, seine Gedanken hielten mit der schnellen Folge der Ereignisse noch nicht Schritt. Wieder ein Schu?, zweifellos aus einem dritten Geschutz, vielleicht auf halber Hohe des Abhangs oberhalb der brennenden Hutten. Das Gescho? ging zu weit und warf dicht bei den Felsen eine hohe Wasserfontane auf.
        Keen hob den Degen hoch uber den Kopf.»Fertig, Leute! Fertig!»
        Da sah Bolitho den Degen sinken und furchtete schon, Keen sei von einem versteckten Scharfschutzen getroffen worden. Aber Keen kam nach achtern gerannt, von den Blicken aller verfolgt, an denen er vorbeikam.

«Zum Teufel, Mr. Keen, was soll das?«Borlases Stimme klang schriller denn je.
        Aber Keen sprang schon halb die Leiter herauf und schrie Bolitho zu:»Sir, die Masten sind Attrappen! Dort ankern keine Schiffe!»
        Wie um seine Worte noch zu unterstreichen, schlug eine Kugel in eine Stuckpforte und warf einen Zwolfpfunder um, der zwei Mann unter sich begrub. Die Luft hallte wider von Schreien und Stohnen, als die Kugel an einem Geschutz auf der anderen Deckseite zu Splittern zerbarst. Manner sturzten um sich schlagend oder in ihre Wunden verkrallt. Schleifspuren aus dunklem Blut markierten ihren Todeskampf.

«Backbordbatterie feuern!«Bolitho trat schnell zum
        Kompa?.»Breitseite, und dann Schrapnell laden!»
        In seinem gemarterten Hirn glomm die Hoffnung auf, da?
        sie einige der so gut plazierten Geschutze treffen und damit
        Zeit gewinnen konnten, aus der Bucht zu kreuzen.

«Feuer!»
        Das Schiff bockte und vibrierte, als ob es auf eine Sandbank gelaufen sei. Qualm der unregelma?igen Breitseite walzte sich in dichten Schwaden nach Lee. Wie wahnsinnig trieben die Geschutzfuhrer ihre Leute an, mit Schrapnell neu zu laden, wahrend die Schiffsjungen mit neuem Pulver herbeirannten, wie blind gegenuber den verstummelten Leichen und fortkriechenden Verwundeten.»Fertig!»
        Einer nach dem anderen sahen die Stuckfuhrer zu Keen hinuber, die Abzugsleinen schon fast gespannt.»Auf dem Scheitelpunkt - Feuer!»
        Diesmal klappte es besser, und Bolitho glaubte zu sehen, wie die Baume und brennenden Hutten erbebten, als die geballten Schrapnelladungen einschlugen.
        Die Antwort erfolgte ebenso schnell: zwei Einschlage, beinahe gleichzeitig. Einer traf das Vorschiff, und Bolitho horte Holz krachen und Splitter pfeifen, sah Manner wie von einem entsetzlichen Windsto? niedergemaht werden. Er spurte den Luftdruck uber seinem Kopf und zuckte zusammen, als das Gescho? uber ihm die Takelage zerri? und einen weiteren Matrosen zerschmetterte, der nach oben geklettert war, um einen Schaden zu reparieren. Der Mann fiel mit einem dumpfen Aufschlag auf ein Achter-decksgeschutz und zuckte noch ein paarmal wie eine obszone, in Blut getauchte Kreatur, ehe er starb und von der abgestumpften Bedienung beiseitegezerrt wurde.»Klar zur Wende, Mr. Lakey!»
        Bolitho taumelte, als sich das Deck unter einer weiteren, langsamen Breitseite aufbaumte. Gott sei Dank trieb der Qualm auf die versteckten Geschutze an Land zu. Das war ihre einzige Deckung.
        Lakey nickte ruckartig.»Sofort, Sir. «Er hob die Hande als Trichter an den Mund: An die Brassen, Mr. Borlase!«Borlase blickte mit vorquellenden Augen nach achtern. Wieder heulte ein Gescho? dicht uber die Netze, und das schien den Leutnant aus seiner Erstarrung zu rei?en.»An die Brassen! Raumt die Steuerbordbatterie, wenn es sein mu?, aber Bewegung!»
        Bolitho beobachtete kalt. Kein Platz zum Halsen, um den Wind voll auszunutzen. Aber sie mu?ten durch und fast auf der Stelle wenden, ohne vom Gegner mehr zu sehen als den Schimpf dieser vier falschen Masten. Er spurte, wie die Wut ihn blendete und ihm die Kehle zusammenpre?te. Es war alles seine Schuld. Er hatte die schwache Stelle erkennen, die Gerissenheit seines Feindes erahnen mussen. Nein, seine Geschicklichkeit!» Zugleich!»
        Mehrere Manner lie?en ihre Brasse los, als eine Kanonenkugel vor ihnen das Schanzkleid durchschlug und drei Leute zermalmte.
        Bolitho sah das alles, spurte alles. Eben noch trugen zwei Matrosen einen verwundeten Gefahrten zu einer Luke und in Sicherheit, im nachsten Augenblick brullten sie selbst in einem grausig verstummelten Menschenhaufen.

«Ruder Steuerbord, funfzehn Grad!»
        Bolitho rannte nach Lee, um eine Spur des Feindes zu entdecken. Doch von verstreuten Branden auf einem
        Abhang abgesehen, zweifellos durch Keens Schrapnells verursacht, war alles wie vorher.
        Er beobachtete die Manner an den Brassen, ihre grimmigen, vor Schwei? glanzenden Gesichter. Hier und da packte auch ein Deckoffizier mit an, sogar einige Verwundete halfen, die gro?en Rahen herumzuholen, wahrend uber der stolzen Galionsfigur der zerfetzte Kluver mit schier unentwirrbarem Geschirr im Wind schlug.»Ruder hart Steuerbord!»
        Der Steuermannsmaat mu?te es wiederholen, da die Geschutze gerade innenbords rollten, wobei eines durch die Uberreste eines Gefallenen eine rote Spur zog. Halsen und Schoten los!«Borlases Stimme kam wie ein Schrei durch das Sprachrohr. Hol die Steuerbord-Brassen!«Bolitho wagte kaum zu atmen, wahrend das Land langsam nach Backbord davonglitt, als das Schiff auf Ruder und Segel reagierte.
        Ein Knall loste neue Schreckensschreie aus: eine Kanonenkugel hatte ein weiteres Geschutz umgeworfen. Aus dem Gro?topp kamen Teile der Takelage in schwarzen, glitzernden Duchten herunter, und schwere Blocke tanzten auf den straffen Netzen, als waren sie lebendig. Und zwischen allem Keen und seine Leute, in Blutlachen ausgleitend oder mit hievenden Mannern zusammensto?end, die unerbittlich Verstarkung zu der noch nicht eingesetzten Steuerbordbatterie schickten.
        Das alles verzeichnete Bolithos Gehirn wie auf Pergament. Keen behielt also klaren Kopf, wu?te, da? sie gleich nach der Wende eine bescheidene Chance hatten, ihre Angreifer zu entdecken und zu treffen, ehe sie wieder offenes Wasser erreichten.
        Ein neues Krachen… Lakey schrie:»Die Gro?bramstenge! Wahrschau an Deck!»
        Mit dem Donnern einer Lawine kam die ganze Gro?bramstenge mit Rah, Segel und Rigg von oben. Sie schlug an Backbord auf, zerri? die Schutznetze und fegte die Menschen wie Marionetten beiseite. Bolitho spurte, wie das Schiff unter dem Aufschlag bebte, bemerkte, da? die im Wasser schleppenden Wrackteile die Fahrt wie Treibanker hemmten.
        Jury brullte:»Axte her! Kappt das Zeug! Schafft die Verwundeten nach unten!»
        Seine laute Stimme schien die benommenen Backbordgeschutzbedienungen zum Leben zu erwecken. Weitere Fallen und Webeleinen, gefolgt vom Wimpel, gingen uber Bord und kreisten zwischen treibenden Toten und verzweifelten Schwimmern, als wollten sie alle mit ihrem Sog unter Wasser ziehen.
        Irgendwie bemerkte Bolitho in dem Getose und Qualm, da? das Vormarssegel sich fullte, und sah das Land gefahrlich dicht bei, wahrend die Tempest weiter herumschwang. Die Planken unter ihm baumten sich auf, schleuderten Splitter wie scharfe Pfeile empor, als ein Gescho? die Kampanje durchschlug und im Halbdunkel zwischen den Decks eine Schneise der Zerstorung und des Entsetzens hinterlie?.
        Dann sah Bolitho staunend Sonne auf ungetrubtem Wasser schimmern, von fern eine grune Insel leuchten. In der Gegenrichtung trieb der Qualm von seinem Schiff ab, mischte sich mit dem Rauch der in Brand gesetzten Hutten. Eine letzte Kugel traf das Schiff mit einem gewaltigen Schlag unmittelbar am Heck, wie um die Niederlage endgultig zu besiegeln.
        Bolitho lauschte auf Stimmen, die Ruhe und Ordnung herzustellen suchten, auf die Schreie der Verwundeten, die jetzt schwacher wurden, da manche starben und andere zum Orlopdeck hinuntergebracht wurden, wo Gwyther und seine Helfer sich ihrer annahmen, so gut sie eben konnten. Die von oben gekommene Bramstenge trieb mit ihren Spieren noch hinter dem Heck, und Bolitho sah einen Mann auf der Saling reiten und dem Schiff nachstarren, zu benommen, um zu begreifen, was sich ereignete. Borlase taumelte auf ihn zu.»Wir sind au?er Schu?weite, Sir.
«Anscheinend drangte es ihn zu sprechen, obwohl seine
        Stimme belegt und schwankend klang. Midshipman Swift kniete neben einem seiner Leute.»Nur Mut, Fisher.»
        Er blickte sich verzweifelt nach Hilfe um, das von Pulverqualm geschwarzte Gesicht von Schwei?spuren gestreift. Oder waren es Tranen? dachte Bolitho. Der verletzte Matrose war einer der alteren Leute und als Signalgast eingeteilt worden, weil er nicht mehr aufentern konnte wie fruher. Zwei bose Sturze hatten ihn beinahe zum Kruppel gemacht; von Rechts wegen hatte er an Land sein mussen, bei seiner Familie, falls er eine hatte. Jetzt lag er da, starrte mit aschgrauem Gesicht in die zerfetzte Takelage hinauf, wahrend er Swifts Hand wie im Gebet umklammert hielt.
        Er fragte mit seltsam kraftiger Stimme:»Hat's mich erwischt, Sir?»
        Ohne etwas zu sehen, starrte Swift zu Bolitho auf. Dann schien er eigene Kraftreserven zu finden, zog eine Signalflagge naher und bedeckte damit die Huften des Verwundeten. Eine Kanonenkugel, die ein umgesturztes Geschutz getroffen hatte und dabei in zwei Halften zersplittert war, hatte eines seiner Beine nahezu vom Korper getrennt und einen tiefen Schnitt wie mit einem Hackbeil in seiner Leiste hinterlassen.
        Swift sagte behutsam:»Es wird schon wieder werden, Fisher. Nur Geduld.»
        Fisher versuchte zu grinsen.»Aber mir ist gar nicht gut. «Und damit starb er.
        Swift erhob sich und ubergab sich auf das Deck.
        Bolitho sah Allday an.»Kummern Sie sich um ihn. Heute war er so viel wert wie sechs andere.»

«Aye, Sir. «Allday schob sein Entermesser in die Scheide und trat neben den Midshipman.
        Swift sah ihn nicht an.»Alle diese Toten - wir hatten uberhaupt keine Chance.»

«Denken Sie an Fisher, Mr. Swift. «Alldays Stimme war leise, aber fest.»Es hatte jeden von uns treffen konnen. «Er wartete, bis der junge Mann ihn ansah.»Oder uns alle. Er hat sein Bestes gegeben, aber da sind noch ein paar arme
        Kerle, die Hilfe brauchen. «Er wandte sich ab, als der Midshipman schnell zur Achterdeckreling ging. Dann sagte er:»Er wird sich fangen, Captain. Geben Sie ihm nur etwas, in das er sich verbei?en kann.»
        Er blickte Bolitho ins Gesicht und bemerkte, da? die
        Anspannung es wie Schmerz verzerrte. Er hatte nicht eines seiner Worte aufgenommen.
        Lakey fragte:»Was befehlen Sie, Sir?»
        Bolitho sah an Allday vorbei zur Insel zuruck, uber der
        Rauch wie ein Leichentuch hing.»Wir konnten wieder und wieder in diese Bucht einlaufen, ohne am Resultat etwas zu
        andern. Bis…«Er legte die Hande auf den Rucken und pre?te die Finger zusammen, bis der Schmerz ihm die
        Fassung wiedergab.»… Bis die Schaden unreparabel waren.
        Dann wurden wir auflaufen oder sinken, mu?ten uns ergeben oder alle umgebracht werden.»
        Er zwang sich, zu den Matrosen aufzusehen, die in den
        Wanten bereits zu der Lucke auf enterten, die die verlorene
        Stenge hinterlassen hatte. Sie bewegten sich langsam, hatten
        Selbstvertrauen und Willenskraft verloren.
        Fast zu sich selbst sagte er:»Der Feind hat die Oberhand.»
        In seinem Hirn wiederholte eine Stimme hartnackig: >Du bist geschlagen… geschlagen…<, bis er glaubte, sein Kopf wurde bersten.

«Wir kehren zu dem Schoner zuruck und ankern, Mr. Lakey. «Er wandte sich an Borlase.»Ich wunsche eine Liste der Toten und Verletzten. So schnell wie moglich.
«Alle sahen ihn an. Beschuldigend, mitfuhlend, ha?erfullt? Er wu?te es nicht mehr.
        Lakey murmelte:»Zu Befehl, Sir. «Dann mit lauterer Stimme:»Achtet auf das Ruder, ihr verdammten Kerle!«Bolitho ging zur Luvgangway hinuber und holte ein paarmal tief Luft. In einigen Augenblicken wurde er wieder in seiner alten Rolle erscheinen: einen geeigneten Plan entwickeln, sein von Narben bedecktes Schiff auf den richtigen Kurs bringen, um sich mit der geringsten Verzogerung wieder mit Herrick zu vereinen. Die Toten bestatten, die Verwundeten versorgen. Sich um die Reparaturen kummern, den Grund fur den Fehlschlag erforschen, gleichgultig, wie schmerzhaft er war.
        Aber erst… Er lie? den Blick uber die stille Kuste schweifen. Die Hutten waren jetzt ebenso verdeckt wie die falschen Masten. Es war eine grausame Lehre. Was er als seine letzten Augenblicke auf dieser Welt angesehen hatte, mochte jetzt als eine letzte Chance betrachtet werden, einen schrecklichen Fehler auszumerzen. Er zwang sich, den Blick vom Land zu wenden und sein Schiff zu uberprufen, wie um sich selbst noch mehr zu bestrafen. Borlase fragte:»Sollen die Geschutze festgezurrt werden, Sir?»
        Er nickte.»Lassen Sie dann in der Kombuse Feuer machen, und sorgen Sie dafur, da? die Leute sofort verpflegt werden.»
        Er sah zu den baumelnden Enden der Takelage auf, auf die verschmierten Blutspuren auf den Planken der Decks, die in der Sonne schon braun geworden waren.»Es gibt viel zu tun.»
        Allday sagte linkisch:»Ich hole Ihnen etwas zu trinken, Captain.»
        Etwas in Alldays Ton ri? Bolitho aus seiner Depression. Der bullige Bootsfuhrer fugte hinzu:»Dieser letzte Treffer, Captain. Dabei hat's den armen Noddall erwischt. «Er wandte den Blick ab, unfahig, Bolitho in die Augen zu sehen.»Ich hole Ihnen etwas.»
        Bolitho machte ein paar Schritte, zogernd erst und dann plotzlich bedrangt. Der arme wehrlose Noddall. Ergeben und sich nie beklagend, war er trotz seines Entsetzens vor dem Larm des Kampfes immer bereit gewesen zu dienen, uber ihn zu wachen. Es erschien ihm unmoglich, da? er jetzt nicht mehr unten war - mit Handen wie Pfotchen, den Kopf schuttelnd und emsig.
        Lakey beobachtete Bolitho grimmig, wahrend Jury, der Bootsmann, in der Nahe seine Arbeit mit den erschopften, verschmutzten Matrosen unterbrach, um Bolitho prufend anzusehen. Er hatte Alldays Worte gehort und staunte verwundert, da? der Kapitan trotz dieser Holle es fertigbrachte, um einen bestimmten Mann zu trauern. Bolitho hob plotzlich den Kopf, und sein Blick fiel auf ihn.

«Ihre Leute halten sich gut, Mr. Jury. Aber doch nicht gut genug, um zu faulenzen, finde ich. «Jury seufzte auf. Fur ihn war es eine Erleichterung, da? Bolitho sich von seinem inneren Schmerz freimachte, gleichgultig, welche Folgen es haben mochte.



        X Zuviel Mut


«Bajonett pflanzt auf!»
        Herrick knirschte mit den Zahnen, um seine Ungeduld zu unterdrucken, als Prideaux seine Marinesoldaten in einer Reihe antreten lie?. Ein Stuck entfernt auf dem unebenen Abhang folgte Finneys Miliz diesem Beispiel mit angespannten Gesichtern.
        Die Luft wurde plotzlich von dumpfem Kanonendonner erschuttert, und Herrick wu?te, da? die versteckte Batterie das Feuer eroffnet hatte. Die Kanoniere mu?ten die Tempest jenseits der Landzunge sehen konnen, die sie jetzt noch fur Herrick bis auf ihre Mastspitzen verdeckte. Prideaux befahl schneidig:»Vorwarts!«Sein schlanker Degen glanzte in der Sonne, fuhr von Seite zu Seite wie eine stahlerne Zunge, als er durch das Gestrupp und uber das von der Sonne gedorrte Gestein vorging. Weitere Schusse, und ehe er dem Hauptteil seiner Leute in Richtung auf die brennenden Hutten folgte, drehte Herrick sich noch einmal um und sah Wasserfontanen wie Gespenster im Schatten der Fregatte aufsteigen, die weiter in die Bucht vordrang.
        In Gedanken wiederholte er Warnungen und Befurchtungen, so da? er kostbare Sekunden lang nur stehenbleiben und sich durch das, was er sah, selbst bestrafen konnte. Die Bucht war zu schmal. Das Schiff wurde auflaufen. Es konnte bis zur Unterwerfung zerschlagen werden, ohne seine Henker auch nur zu sehen.
        Er fluchte wild. Er war hier, nicht auf dem Achterdeck, wo er hingehorte.
        Er schrie:»Vorwarts, so schnell ihr konnt!»
        Dann rannte er mit den anderen, stolperte den Abhang hinab. Die Seesoldaten jubelten wie die Wilden, wahrend sie in treibendem Rauch und Funkenregen vordrangen.
        Wenn sie nur eines dieser Geschutze eroberten, konnten sie es auf die anderen richten. Der Schock uber den Angriff von hinten mochte genug Verwirrung auslosen, um Bolithp die
        Ablenkung zu bringen, die er verzweifelt brauchte.
        Ein Matrose sturzte zuckend, pre?te die Hande an den Kopf,
        Blut stromte uber sein Haar und seine Schultern. Herrick starrte ihn an, wahrend die Matrosen und Marinesoldaten zogerten oder in dem erstickenden Rauch gegeneinander taumelten.
        Dann, wie auf Signal, wurde die Luft von fliegenden Felsbrocken und scharfkantigen Steinen erfullt. Herrick horte, wie sie auf Fleisch und Knochen trafen. Die Manner fluchten und stolperten und versuchten, ihre Angreifer zu entdecken.
        Prideaux rief:»Dort druben! Hinter der Lichtung!«Er hob seine Pistole und feuerte. Die Eingeborenen!»
        Mehr Steine kamen durch den Rauch geflogen, und zwei
        Manner fielen besinnungslos zu Boden.
        Midshipman Pyper kauerte mit gebleckten Zahnen neben
        Herrick.»Weshalb greifen sie uns an? Wir sind doch hier,
        um ihnen zu helfen!«Es klang eher wutend als verangstigt.
        Herrick hob seine Pistole und druckte ab. Er empfand nichts,
        als eine dunkle Gestalt kopfuber den Abhang hinunterrollte und die verkohlte Wand einer Hutte durchschlug.

«Sie halten uns alle fur das gleiche!»
        Er fluchte gotteslasterlich, als ein Stein seine Schulter traf,
        seinen Arm lahmte, so da? er die Pistole verlor.

«Kommen Sie, Prideaux!»
        Der Hauptmann der Marinesoldaten spahte mit brennenden Augen durch den wirbelnden Rauch. Schemenhafte, nackte Gestalten wurden drohende Wirklichkeit, wahrend sie den Abhang heraufgesturmt kamen.

«Achtung!«Sein Degen schwankte nicht, als ein Seesoldat stohnend neben ihm zusammenbrach. Ein Stein hatte ihm den Kiefer zerschmettert.»Zielen!«Herrick wischte sich den Schwei? aus den Augen, ergriff seinen Degen mit der linken Hand. Er konnte die Angreifer jetzt horen. Wie bellende Hunde, Laute, die sich zu einem
        Crescendo des Hasses und der Verzweiflung steigerten. Besser zu sterben, als ihnen in die Hande zu fallen, dachte er.

«Feuer!»
        Die Musketen krachten gleichzeitig. Ihr Mundungsfeuer trieben Rauch uber den grimmigen Gesichtern der Marinesoldaten nach oben.»Laden! Takt einhalten!»
        Etwas oberhalb am Abhang begannen nun auch Finneys
        Milizen zu schie?en, ohne Ordnung, ohne Vorbereitung.
        Herrick horte die Geschosse in Baume einschlagen und auf
        Steine treffen. Wilde Aufschreie sprachen fur sich selbst.
        Aber sie sturmten weiter.
        Herrick rausperte sich. Seine Kehle war rauh.

«Auf, Leute!«Ein Speer flog uber seinen Kopf. Er sah es,
        war aber so sehr mit seinen rasenden Gedanken beschaftigt,
        da? es ihm nichts bedeutete. Muhsam bewahrte er das
        Gleichgewicht auf den lockeren Steinen.»Haltet euch zusammen!»
        Er nahm wahr, wie die Marinesoldaten mit eingeubten, ruckartigen Bewegungen ihre Musketen luden. Wie rote Marionetten rissen sie gleichzeitig die Arme hoch, und wie ein Mann stie?en sie sie herunter, als sie mit dem Ladestock die Ladung fur die nachste Salve feststampften.»Ziel nehmen!»
        Einer der Soldaten schrie auf und fiel, versuchte mit blutigen Handen, einen Speer aus seinem Leib zu ziehen.»Feuer!»
        Wieder fegte die todliche Welle der Musketenkugeln in die geduckt ansturmenden Reihen. Gezielt, aber weniger wirksam, da zwei weitere Seesoldaten unter dem ununterbrochenen Bombardement von Steinen und Speeren gefallen waren.
        Wilde und laute Schreie der Milizen lie? Prideaux seine au?erliche Ruhe verlieren. Er sah zu Herrick hinuber.»Finney wird von der anderen Seite angegriffen. «Der Degen sank an seiner Seite herab, und mit enttauschter Erbitterung fugte er hinzu: Mein Gott, die Feiglinge rei?en aus!»
        Herrick ri? die Muskete eines gefallenen Seesoldaten an sich, spannte sie und, ohne auf die Schmerzen in seiner Schulter zu achten, uberzeugte er sich, da? sie schu?bereit war.
        Zwischen den Zahnen sagte er:»Schicken Sie noch einmal jemanden auf den Gipfel. Er soll feststellen, ob das Schiff in Sicherheit ist. So schnell es geht.»
        Prideaux nickte.»Mr. Pyper, gehen Sie. «Er duckte sich, als ein Speer zwischen ihnen hindurchflog. Von seiner Ordonnanz nahm er eine frischgeladene Pistole entgegen.»Da kommen sie wieder.»
        Er lachelte verkrampft.»Geben Sie mir eine Kugel, ehe Sie mich zurucklassen, ja? Er kehrte zu seinen Leuten zuruck.»Ich werde das gleiche fur Sie tun. «Herrick sah ihm nach. Ein paar Sekunden lang war der Mann ihm beinahe sympathisch.
        Dann schossen sie wieder, luden und hasteten weiter, schossen und drangten sich zusammen wie die letzten Menschen auf der Welt. Herrick horte regellose Schusse aus einiger Entfernung und vermutete, da? sie von Finneys Leuten kamen, die sich auf den Schoner zuruckzogen und jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben hatten. Er druckte ab. Ein Versager. Er stand mit gespreizten Beinen da und benutzte die Muskete als Keule, spurte Schmerzen in den Handgelenken, als er einen kreischenden Wilden niederschlug und nach zwei anderen ausholte. Ringsum tobte larmend der Kampf. Die Musketen wurden nur noch mit den Bajonetten eingesetzt oder als Krucken von den Verwundeten.
        Herrick schleuderte die Muskete einem Mann ins Gesicht,
        nahm fluchtig wahr, da? dessen Augen beinahe rot vor Wut und Mordlust waren. Dann zog er wieder seinen Degen,
        parierte damit einen Speer und hackte mit der gleichen
        Bewegung tief in eine braune Schulter.
        Von oben vernahm er uber all dem Getose Pyper, der seinen
        Namen rief, und dann:»Das Schiff hat gewendet! Es verla?t jetzt die Einfahrt!«Dann verstummte er entsetzt, vielleicht sogar fur immer, Herrick wu?te es nicht.
        Er rief:»Zuruck! Nehmt die Verwundeten mit!»
        Mit dem Degen stie? Herrick nach einer Gestalt, die irgendwie zwischen den keuchenden Marinesoldaten hindurchgelangt war. Er glitt aus und fiel beinahe, tastete wild nach seinem Degen, wu?te, da? er den Mann damit aufgehalten hatte, der sich jetzt gegen ihn wandte, die Stimme in einem schrecklichen Wutschrei erhoben. Eine andere Gestalt rannte durch den Rauch heran, hielt in beiden Handen eine Pistole hoch erhoben, als ob sie dazu ihre ganze Kraft brauche.
        Das schwere Gescho? ri? dem Eingeborenen die ganze Stirn fort und schleuderte ihn blutuberstromt und mit zuckenden Gliedern auf Herrick. Er hatte ein langes Messer getragen, das Herrick jetzt auf den Fu? fiel und nur durch sein Gewicht ihm den Schuh aufschlitzte. Herrick hob es auf und fand auch seinen Degen wieder.»Danke, Mr. Pyper.»
        Er winkte mit beiden Armen, entdeckte, da? die Angreifer sich in den Rauch zuruckzogen und ihre Toten und Verletzten samt ihren Waffen zuruckgelassen hatten. Prideaux sagte besorgt:»Verdammt, sie werden versuchen, uns den Ruckweg abzuschneiden. «Er uberwachte seine Marinesoldaten, die ihre Musketen und die ihrer toten und verletzten Kameraden neu luden. Herrick nickte.»Dadurch gewinnen wir etwas Zeit. «Prideaux musterte ihn kuhl.»Fur was? Zum Beten?«Er drehte sich argerlich um.»Pa? auf, du Tolpel. Beinahe hattest du sie fallen lassen!«Seine Ordonnanz hatte ihm seine Pistole neugeladen und zitterte so heftig, da? er kaum aufrecht stehen konnte.»Geh und hilf den Verwundeten, Mann. In deinem Zustand bist du eher eine Gefahr als eine
        Hilfe.»
        Herrick wischte sich uber das Gesicht und blickte zum Himmel auf. So klar uber dem ziehenden Rauch, spottete er uber ihr Ameisendurcheinander.
        Ein Matrose meldete:»Vier Mann von Steinen verwundet oder betaubt, Sir. Funf getotet. Ich wei? nicht, wie viele von der Miliz noch bei uns sind, aber auf dem Berg kann ich mehrere Tote erkennen.»
        Prideaux fuhr wutend auf:»Zum Teufel mit ihnen, sage ich.
        Wenn ich diesem Mr. Finney jemals wieder begegne, wird er es bedauern, da? er am Leben geblieben ist. «Herrick fragte:»Sind wir marschbereit?«Er hatte es schon fruher erlebt: Die Wildheit des Kampfes verschwand mit der Plotzlichkeit einer Sturmbo, lie? Kampfer wie gefallte Baume zuruck. Nutzlos. Zerschlagen.»Ja.
«Prideaux winkte mit seinem Degen.»Zwei Kundschafter an die Spitze!«Er sah Pyper an.»Sie kummern sich um die Verwundeten. «Sein Kopf scho? vor.»Ist das klar?«Pyper nickte mit glasigen Augen. Wahrscheinlich dachte er daran, wie er beinahe abgeschnitten worden ware. Wie er die schwere Pistole hochgehoben hatte, spurte, wie sie mit jeder Sekunde schwerer wurde, wahrend er versuchte, trotz Schwei? und Furcht klar zu sehen, wie der nackte, gellende Wilde auf den Ersten Offizier losgesturmt war.»Ja, Sir.»

«Welch eine Erleichterung.»
        Prideaux schritt davon. Seine Hacken wirbelten Staub auf, als er seinen Seesoldaten nacheilte. Herrick sah sich auf der Lichtung um. Es war ungerecht, die toten Seesoldaten zuruckzulassen, aber was konnte er tun? Er mu?te die Uberlebenden zusammenhalten und fuhren. Auch die Piraten konnten sie noch angreifen, obwohl es unwahrscheinlich schien, da? sie sich mit Eingeborenen in einen Kampf einlassen wurden, deren Dorf sie gerade erst niedergebrannt hatten.
        Er wartete, bis Pyper und die schwankende Gruppe der Verletzten an ihm vorbeigezogen war, und folgte ihnen dann auf die gleiche runde Anhohe zu, die er vor Stunden zu Gesicht bekommen hatte. Und er hatte aus eigener Initiative gehandelt. Der Gedanke beunruhigte ihn, und er suchte nach einer Bestatigung und Rechtfertigung fur sein Handeln. Die Tempest war entkommen, wenn sie auch durch diese schweren Geschutze starke Beschadigungen erlitten haben mu?te. Sein Angriff, um die Geschutzbedienungen abzulenken, mochte kaum eine Wirkung gehabt haben, obwohl die Piraten den Larm ihres Kampfes mit den Insulanern gehort haben mu?ten.
        Aber Bolitho konnte es nicht wissen: da? sie versucht hatten zu helfen, die Zerstorung des Schiffes unter Einsatz des einzigen Mittels zu verhindern, das sie besa?en: ihres Lebens.
        Ein Seesoldat drehte sich um und sah zu seinem Kameraden zuruck, der von einem Speer ins Bein getroffen worden war. Er stutzte sich auf Pypers Schulter, mit fiebrig glanzenden Augen starrte er den anderen Mannern nach. Der Marinesoldat rief:»Komm weiter, Billy! Es ist nicht mehr weit. Du bekommst bestimmt eine Doppelration Rum, da bin ich ganz sicher.»
        Herrick schluckte hart. Sie waren noch nicht am Ende. Nicht mit diesen Mannern.
        Als Prideauxs Kundschafter schlie?lich signalisierten, da? der Landeplatz in Sicht kam, mu?te Herrick sich eingestehen, da? auch seine letzte schwache Hoffnung zunichte gemacht worden war.
        Als sie sich, so gut es ging Deckung suchend, zusammenkauerten und die Augen mit der Hand gegen den grellen Glanz von der See her schutzten, sah Herrick, da? Finneys Leute jetzt sogar von noch mehr Eingeborenen umzingelt waren, als sie ursprunglich bei dem Dorf angegriffen hatten. Die herrschende Stille verschlimmerte alles noch, die hilflose Haltung der Milizmanner, die einem Kranz feindseliger Gesichter entgegenstarrten. Finney hatte seinen Degen fortgeworfen, wahrscheinlich, weil er schon fruher hier gewesen oder manchem dieser Eingeborenen wahrend seines Dienstes bei Hardacre begegnet war. Der andere Leutnant stand weit zuruck bei seinen Mannern; sein Entsetzen war selbst aus dieser weiten Entfernung zu erkennen.
        Und hinter diesem Bild unertraglicher Spannung segelte sich der Schoner von den Felsen frei, das Gro?segel war schon gesetzt und blahte sich, wahrend das Schiff sich vom Ufer entfernte. Die kleine Besatzung aus Eingeborenen mu?te annehmen, da? der Angriff vollig gescheitert war und warum auch nicht? Sie wurden versuchen, sich zu retten. Nach Hause segeln.
        Ein Matrose murmelte:»Eins der Boote ist noch da, Sir. «Herrick gab keine Antwort. Er hatte es bereits gesehen und wu?te, da? sein Rumpf eingeschlagen war. Ob von den Felsen oder den Eingeborenen, spielte keine Rolle. Dann sturzten sich unten am Strand die stummen Gestalten wie eine geschlossene nackte Wand auf die Milizen. Geschwungene und zuschlagende Waffen blitzten im scharfen Licht auf, drangen unerbittlich auf Finneys zusammengedrangte Manner ein, und Herrick und seine Leute lauschten dem aufsteigenden Jubelgebrull. Sie konnten nichts tun. Sie waren zu weit fort, und wahrscheinlich hatten die Manner sich geweigert, vorzugehen, wenn man es ihnen befohlen hatte. Jetzt, am Ende, wollten sie zusammenbleiben. Nicht weil sie sich furchteten. Daruber waren sie hinaus. Auch nicht, weil sie sich irgendwie dafur an den Mannern, die jetzt dort unten zu Stucken zerhackt wurden, rachen wollten, weil sie von ihnen im Stich gelassen worden waren.
        Seeleute waren nun einmal so, ob an Land oder auf See. Sie kannten einfach nichts anderes.
        Die Menge auf dem zerwuhlten Strand begann sich aufzulosen. Nur Finney war ubrig geblieben. Ihm wurde die Kleidung vom Korper gerissen, und er wurde an einen Pfahl gefesselt. Aufbewahrt fur etwas, das noch grausiger war. Einer der Marinesoldaten sagte heiser:»Mit einem Weitschu? konnte ich ihn treffen, Sir.«»Nein.»
        Herrick wandte sich ab. Alle diese Leute, um einen zu retten. Er wurde das nicht einmal fur sich selbst erwarten. Aber es fiel ihm schwer, das Wort auszusprechen. Er sagte:»Dazu ist noch Zeit, wenn sie entdecken, was aus uns ubrigen geworden ist.»
        Er walzte sich auf den Rucken und blickte zum Himmel. Er erinnerte sich mit aller Klarheit an die Zeit, als er ein kleiner Junge gewesen war und mit einem Freund am Ufer des Medway gespielt hatte. Er hatte einen Stein durch die Binsen geworfen. Es war als Scherz gemeint, wie sie es schon oft getan hatten, aber er hatte seinen Freund ins Auge getroffen und ihn beinahe geblendet. Herrick hatte das Gesicht in die Hande gepre?t, gewunscht, da? es nur ein Traum ware. Wenn er wieder hinsehen wurde, wurde alles in Ordnung und so wie vorher sein. Doch damals wie jetzt blieb es Wirklichkeit. Wenn er wieder hinunterblickte, wurden die verstummelten Leichen und die zerhackten Gliedma?en nach wie vor da sein. Und der Schoner ware verschwunden.
        Prideaux sagte zu seinem Korporal:»Holen Sie alle Musketen zusammen, und inspizieren Sie das Pulver und die Ladung. Die Verwundeten konnen das Laden ubernehmen.
        Klar?»

«Jawohl, Sir. «Selbst jetzt noch respektvoll.
        Pyper fragte leise:»Wird es bald sein, Sir?»
        Herrick sah ihn nicht an, sondern beobachtete einen Vogel mit sabelschmalen Schwingen in der Ferne kreisen, weit oben vor dem verblichenen, blauen Himmel.

«Ich rechne damit. «Er fugte hinzu:»Aber keine
        Kapitulation. Wir ergeben uns nicht.»

«Ich verstehe.»
        Dann wendete Herrick den Kopf, um den Midshipman anzusehen. Du verstehst? Der Junge fing an, ein Mann zu werden. Er fragte nicht, warum er sterben sollte, ausgerechnet hier.
        Jemand sagte:»Die Schufte suchen die andere Seite des Berges ab, Sir.»
        Prideauxs Antwort klang gereizt.»Ja. Aber man braucht keine Bluthunde, um unsere Spur zu finden, oder?«Herrick erhob sich vorsichtig aus dem stachligen Gestrupp und sah auf die See hinaus. Der Schoner zeigte jetzt sein Heck und stand bereits weit ab vom Ankerplatz. Wir konnten ein Feuer anzunden, eine Explosion machen, aber das wurde die Wilden nur noch schneller zu uns fuhren. In jedem Fall wurde der Schoner nicht wagen, zur Kuste zuruckzukommen.
        Er sah wieder zu dem Schoner hinaus, sein Kopf war plotzlich klar. Der Wind. Er hatte sich gedreht. Ziemlich stark sogar. Er blickte uber die Busche und das Gestrupp den Abhang hinunter, versuchte, seine Richtung zu erkennen. Prideaux fragte:»Was gibt es?»
        Er versuchte, so uninteressiert wie immer zu klingen, und die Tatsache, da? es ihm nicht gelang, gab Herrick plotzlich eine verzweifelte neue Hoffnung.
        Er antwortete ruhig:»Der Kapitan wird kommen und nach uns suchen. Der Wind konnte entscheidend sein, ihm einen Tag Vorsprung geben. «Er sah in Pypers angespanntes Gesicht.»Einen ganzen Tag. Wenn wir uns hier so lange halten konnen.»
        Der Marinesoldat, der von einem Speer ins Bein getroffen worden war, sagte mit belegter Stimme:»Das ware prima,
        Sir.»
        Sein Freund grinste.»Was habe ich dir gesagt, Billyboy?«Prideaux knurrte ungehalten:»Machen Sie den Leuten keine falschen Hoffnungen. Der Wind, was bedeutet das schon? Entscheidend ist die Zeit, und woher sollen wir das erfahren?»
        Herrick blickte ihn an.»Er wird kommen. Glauben Sie mir, Prideaux. «Erblickte zur Seite.»Er mu?.»
        Bolitho sa? in seiner Kajute und uberlas noch einmal sein Logbuch, wahrend uber ihm eine Laterne hin und her schwankte.
        Gestern den ganzen Tag uber und wahrend der langen Nacht waren sie unter so viel Leinwand gesegelt, wie sie setzen konnten. Niemand hatte diesmal von Risiko oder Vorsicht gesprochen, und er hatte Manner bemerkt, die zur Seite sahen, wenn sein Blick sie streifte.
        Er sah zu den Heckfenstern und erkannte verwundert, da? hinter ihnen bereits der Morgen zu dammern begann. Plotzlich fuhlte er sich leer und entmutigt. Noddall hatte ihn aufmerksam gemacht. Ware um ihn herum geschaftig gewesen.
        Er dachte an die gesichtslosen Bundel, in Hangematten eingenaht, die im Meer versenkt worden waren, wahrend er zugesehen hatte. Es hatte zehnmal schlimmer sein konnen, aber es half ihm nichts, sich daran zu erinnern. Wayth, der fur den Gro?mast zustandige Deckoffizier, Sloper, einer der Zimmerleute, der mehr als jeder andere dazu beigetragen hatte, da? die selbstgebaute Jolle so gut gelungen war. Marinesoldat Kisbee vom Gro?mast. Der alte
        Vollmatrose Fisher. William Goalen, zweiter Steuermannsmaat, Noddall, Kajutensteward, und au?erdem zu viele andere. Im ganzen waren funfzehn getotet worden und ebenso viele verwundet. Und wozu? Tod fur manche, Entlassung fur andere, und Beforderung fur die Glucklichen, die ihre Posten ubernahmen.
        Er rieb sich wieder die Augen und versuchte, seine Trauer zu uberwinden.
        Es klopfte an der Tur, und Midshipman Swift trat in die Kajute.

«Mit Mr. Keens Hochachtung, Sir, wir haben gerade im Norden ein Licht gesichtet.»

«Ein Schiff?«Er fluchte im stillen auf sich selbst, da? er die Meldung als Frage zuruckgab. Er stand auf und brachte das dicke Buch in seinem Schreibtisch unter. Ich komme hinauf.»
        Er hatte sich dem Anschein nach auch in Herrick geirrt. Das Licht mu?te der Schoner sein. Trotz des Umspringens des Windes war es merkwurdig, da? er schon so weit gekommen sein sollte. Er dachte an den Wind, und wie oft sie ihn in der Vergangenheit schon verwunscht hatten. Als Lakey ihm die plotzliche Richtungsanderung gemeldet hatte, war es ihm schwergefallen, seine Gefuhle zu verbergen. Auf dem Achterdeck war die Luft beinahe kuhl nach der Hitze des Tages und der muffigen Enge unten. Ein rascher Blick auf den Kompa?, das flatternde Gro?segel und den Besan zeigte ihm, da? der Wind unverandert anhielt und das Schiff nach Norden lief. Die Insel lag irgendwo querab an Backbord. Wenn dieser Wind nicht gewesen ware, hatten sie vielleicht zwei Tage oder noch langer gebraucht, hin- und herkreuzend, um das Sudende der Insel zu umfahren, ehe sie die Suche nach dem Landeplatz des Schoners aufnehmen konnten.
        Er nahm von Swift ein Glas entgegen und war sich bewu?t, da? mehr Leute als die diensthabende Wache an Deck waren, beobachteten und warteten.
        Er fand das Fahrzeug auf der Stelle, und schon in den wenigen Augenblicken, seit Swift ihm das Schiff gemeldet hatte, war das Licht so viel starker geworden, da? er den dunkleren Flecken wahrnehmen konnte, welcher der Gro?mast des Schoners sein mu?te.»Wie schnell die Dammerung kommt. «Das war Mackay, der Erste Steuermannsmaat. Es klang vollig gelassen. Vielleicht war er froh, da? sein Maat Goalen und nicht er selbst in eine Hangematte eingenaht, an den Fu?en mit einer Kanonen-kugel beschwert, ein paar hundert Faden in die Tiefe gesunken war.

«Ja. «Lakeys Mantel knisterte am Kompa?gehause, als er sich im Dammerlicht wie ein unruhiger Hund schuttelte.»Und in zehn Minuten wird dir die Heiligheit die Augen blenden.»
        Ganz wie der Steuermann vorausgesagt hatte, fegte das Tageslicht bald uber die Inseln wie beim Offnen eines Vorhangs.
        Bolitho beobachtete den Schoner, spurte dessen Unsicherheit, als er uber Stag ging, dann zogerte, als ob er abdrehen wollte.
        Midshipman Swift rief vom Mastkorb, wohin Keen ihn geschickt hatte:»Keine Rotrocke an Bord zu entdecken,
        Sir.»

«Zum Teufel!«Borlase war aufgetaucht.»Sie mussen sie zuruckgelassen haben. Oder… Er beendete den Satz nicht.»Signalisieren Sie ihm, beizudrehen. «Bolithos Stimme schnitt alle Spekulationen wie mit einem Beil ab.»Machen Sie das Boot klar, Mr. Borlase.»
        Bolitho beobachtete, wie die Wellentaler sich von Schwarz zu Tiefblau veranderten, von finsterer Bedrohung zu freundlicher Tauschung.
        Er spurte, wie seine Besorgnis einer unvernunftigen Ungeduld wich.»Und alarmieren Sie Mr. Brass. Er soll einen Schu? vor den Bug sofort vorbereiten. Wenn der Schoner nicht reagiert, wunsche ich einen Treffer dicht an der Wasserlinie.»
        Beim Niedergang stand Allday, die starken Arme untergeschlagen, und beobachtete die Wirkung von Bolithos Worten. Er sah Jack Brass, den Stuckmeister der Tempest, mit seinen Leuten nach vorn sturmen und wu?te, da? auch ihm Bolithos Stimmung nur zu bekannt war.

«Sie drehen bei, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho uberlie? sich seinen Gedanken.»Wir laufen bis auf Rufweite heran. Das spart Zeit. «Er sah Allday an.»Wahrscheinlich brauchen wir die Barkasse. Suchen Sie die besten Leute aus, die wir haben. «Er kniff die Augen zusammen, um den rollenden Schoner zu beobachten, dem die Fregatte immer naher kam. Leer, oder so gut wie leer. Vielleicht hatten sie keine Zeit mehr. Das wurde die Niederlage noch vollstandiger machen, ein Abfinden damit unmoglich. Er sah zur Reling des Achterdecks hinuber, dachte an Herrick. Schroff befahl er:»Sorgen Sie dafur, da? die Leute gut bewaffnet sind. Sergeant Quare soll zwei Drehbassen auf die Barkasse bringen, und setzen Sie auch auf dem anderen Boot ein paar gute Schutzen ein.»
        Wie verlangerte Arme folgten sie ihm, verwirklichten seine Wunsche, seine Ideen.
        Der Schoner war jetzt sehr viel naher. Er setzte das Fernrohr ab und sagte:»Rufen Sie sie an, Mr. Keen. «Er hatte den Skipper des Schoners erkannt, einen gro?en, kraftigen Mann, ein Mischling, der vermutlich hier auf den Inseln zur Welt gekommen war.
        Keens Stimme hallte uber das Wasser, verzerrt durch das Sprachrohr.
        Bolitho horte die zogernd kommenden Antworten, manche kaum zu verstehen. Aber ihr Inhalt war unmi?verstandlich genug. Der Schoner war ohne Herricks Landekommando abgesegelt. Sie mochten alle tot sein, ebenso die Milizen. Abgeschlachtet.
        Bolitho sah die Manner um sich der Reihe nach an. Die Besatzung war schon durch die Toten und Verwundeten geschwacht, nach dem Verlust durch Herricks Landekommando und die Marinesoldaten wurden ihr noch mehr Krafte fehlen.
        Er fa?te einen Entschlu?. Es war unabanderlich. Er sagte:»Befehlen Sie dem Schoner, beigedreht zu bleiben und ein Prisenkommando an Bord zu nehmen. «Er sah Borlase an.»Sie ubernehmen den Befehl bis zu unserer Ruck-kehr. «Er schnauzte: Also los! Warten wir nicht langer!»
        Midshipman Pyper sagte heiser:»Ich glaube, wir sind sicher, Sir.»
        Die Sonne brannte auf die flache, tellerformige Mulde herunter, in der Herrick seine Truppe aus Matrosen und Marinesoldaten gesammelt hatte. Er fuhlte sich ebenso ausgedorrt wie der Sand und das felsige Gestein, die wie erhitztes Metall durch den Stoff seiner Uniform brannten, und er mu?te sich gewaltsam dazu zwingen, nicht standig an Wasser zu denken. Es war jammerlich wenig ubrig geblieben, und dieses wenige wurde fur die Verwundeten gebraucht. Besonders fur Watt, einen der Seesoldaten. Er war entweder durch einen Pfeil oder einen Speer an der Schulter getroffen worden, keiner wu?te es genau, keiner konnte sich daran erinnern.
        Er lag mit dem Kopf auf den Knien des Korporals der
        Marinesoldaten, keuchte und zog in schmerzvollen
        Krampfen die Beine an den Korper.
        Herrick antwortete Pyper:»Es ist noch zu fruh, um das zu sagen.»
        Er lauschte auf das Stohnen des Marinesoldaten. Er lag im Todeskampf. Vielleicht war seine Wunde vergiftet; er hatte davon gehort, da? es vergiftete Waffen gab. Pfeile, die Menschen oder Tiere einem grauenhaften Tod auslieferten. Der Korporal hatte einmal versucht, den primitiven Verband zurechtzurucken, und Herrick hatte den Blick von der Wunde abwenden mussen, trotz allem, was er in seinen Jahren auf See schon gesehen hatte. Sie sah aus wie eine uberreife, obszone Frucht.
        Prideaux sa? mit ausgestreckten Beinen da und zog einen von der Sonne gebleichten Grashalm durch seine Zahne. Sein Blick war in eine unbestimmte Ferne gerichtet, als er sagte:»Wir mussen dafur sorgen, da? Watt ruhig bleibt. Diese Teufel sind nicht weit von uns. Das spure ich in den Knochen. Watt wird sie heranlocken.
«Herrick wandte sich von ihm ab. Prideaux versuchte es schon wieder: legte einen Gedanken nahe, wie einen Wink. Uberlie? ihm die Entscheidung.
        Herrick sagte:»Korporal Morrison, geben Sie dem Mann etwas Wasser.»
        Der Korporal schuttelte den Kopf.»Nicht mehr viel in der Flasche, Sir. «Er hob die Schultern und hielt die Flasche Watt an die Lippen.»Trotzdem, ich nehme an… «Einer der Matrosen, die Wache hielten, rief:»Da kommen jetzt welche, Sir.»
        Die stumpfe Lethargie und die Tragheit verschwanden, als sich jeder an seinen ihm vorausbestimmten Platz begab, mit angespanntem Gesicht seine Waffe bereithielt. Herrick beobachtete die Eingeborenen, die im Gansemarsch, einer hinter dem anderen, durch eine schmale Rinne auf der anderen Seite des Berges schnell zum Wasser hinunterstapften. Sie verschwendeten nicht einen Blick an ihre verstummelten Opfer, die in der gluhenden Sonne verrotteten, sondern eilten weiter in das seichte Wasser bei den Felsen, wo Herrick mit seinen Leuten ans Land gekommen war.
        Pyper sagte:»Sie suchen nach dem Boot.»
        Herrick nickte. Pyper hatte recht. Er erinnerte sich an den
        Anblick der verbrannten Boote des Dorfes, ihre einzige
        Moglichkeit, andere Inseln zu erreichen, Handel zu treiben.
        Sich zu rachen. Oder um zu entkommen.

«Sie mussen wieder in ihrem Dorf gewesen sein. Das bedeutet, da? die Piraten fort sind. Wahrscheinlich lag die ganze Zeit uber ein Boot fur sie vor der Kuste.»
        Herrick konnte seine Erbitterung nicht verbergen. Wahrend die Tempest um die Landzunge gekreuzt und in die Falle gegangen war und er und seine Leute um ihr Leben gekampft hatten, fuhrten die Piraten ihren wohldurchdachten
        Plan aus. Zwar war es ihnen nicht gelungen, die Fregatte zu versenken, aber sie hatten gezeigt, was sie mit nur einer
        Handvoll Manner ausrichten konnten.
        Er sah, wie sich das Langboot in der Brandung trage hob und senkte, wie das Wasser seine Bodenbretter uberflutete,
        wahrend die Eingeborenen es in das seichte Wasser zogen und schoben.
        Herrick versuchte nicht hinzuhoren, wie einem anderen Mann Wasser gegeben wurde. Er beobachtete die Eingeborenen, wu?te, da? er etwas unternehmen mu?te, und zwar bald. Die Nacht war, von den Insekten abgesehen, ertraglich verlaufen. Nach den Schrecken des Tages, dem hemmungslosen Abschlachten von Finneys Mannern, ihrer eigenen verzweifelten Lage, war der einzige, alles beherrschende Wunsch, in einen erschopften Schlaf zu versinken.
        Aber wie die Erinnerung an den Freund aus seiner Kindheit am Ufer des Medway kamen Bedrohung und Gefahr mit der Morgendammerung wieder. Sie hatten keine Verpflegung mehr und nicht genug Wasser fur einen weiteren Tag. Wenn sie die Mulde verlie?en, um nach einem Tumpel zu suchen, wurden sie entdeckt werden.
        Im Verlauf der Nacht hatte Prideaux bemerkt:»Die Tempest wird nicht kommen. Der Kapitan wird glauben, da? wir tot sind. Und wir werden sterben.»
        Herrick hatte sich so heftig von ihm abgewendet, da? sie seither kaum noch miteinander gesprochen hatten. Und als sich ihre Blicke im ersten Morgenlicht begegneten, nachdem sie die leere See abgesucht hatten, fand Herrick bei Prideaux den gleichen Vorwurf, die gleiche Verachtung. Er horte den Korporal sagen:»Es ist alle, Kamerad. Siehst du? Leer!»

«Barmherzige Mutter Gottes! Die Schmerzen! Helft mir!«Herrick verdrangte die Worte aus seinem Bewu?tsein und beobachtete die geschaftigen Gestalten um das auf den Strand gezogene Langboot. Er glaubte, durch die Bordwand Wasser zu sehen. Das war nicht allzu schlimm. Nicht so, wie wenn der Boden eingedruckt ware. Er walzte sich herum und stutzte sich auf einen Ellbogen, ignorierte seine ausgedorrte Kehle, seine aufgesprungenen Lippen. Gestern morgen war er von diesem Strand mit neunundzwanzig anderen, ohne Finneys Leute zu zahlen, abmarschiert. Funf waren tot, vier schwer verwundet. Kaum einer hatte ohne eine Schramme oder Prellung, die an den Kampf erinnerte, den Tag uberlebt.
        Er nahm sich der Reihe nach jeden einzelnen vor. Manche waren fast am Ende, kaum noch fahig, eine Muskete zu halten. Andere lagen hohlaugig und verzweifelt an ihren Platzen, betrachteten den Himmel uber dem Rand ihres hei?en Gefangnisses. Pyper sah erschopft aus. Aber er war jung, kraftig wie ein Lowe. Prideaux schien als einziger von allen unberuhrt zu sein.
        Herrick seufzte und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Boot. Bis dorthin war es eine halbe Kabellange uber offenes Gelande. Wenn sie bis zur Nacht warteten, war das Boot wahrscheinlich fort, besonders wenn die Eingeborenen beabsichtigten, die anderen Inseln zu alarmieren. Er stellte sich vor, wie sie den Abhang hinuntersturmten, den Vorteil ihrer gunstigeren Position nutzten und sich den Weg zum Boot freischossen und freischlugen. Dann dachte er an die anderen, die zu geschwacht oder zu schwer verletzt waren, um sich aus eigener Kraft zu bewegen. Prideaux sagte sehr leise:»Wir konnten zum Boot sturmen und dafur sorgen, da? keiner dieser Wilden lebend davonkommt. Wie viele sind es? Hochstens zehn. «Er schlug die Augen nicht nieder, als Herrick ihn ansah.»Der Rest des Dorfes wird meinen, wir waren entkommen. Sobald wir in Sicherheit sind, konnten wir den Verwundeten Hilfe schicken.»
        Herrick musterte ihn, verabscheute ihn, weil er seine Gedanken gelesen hatte und wegen der Gleichgultigkeit, mit der er die zuruckgelassenen Sterbenden preisgab. Und weil er fahig war, klar und ohne Sentimentalitat zu denken. Hitzig entgegnete er:»Oder wir konnten sie gleich selbst umbringen, was? Wurde alles leichter machen.«»Ach, um Gottes willen«, erwiderte Prideaux. Herricks Kopf wurde plotzlich leicht. Er fuhlte sich verwegen. Er wandte sich den anderen zu.»Mal herhoren, Leute. Ich beabsichtige Folgendes. «Sobald er angefangen hatte, stellte er fest, da? er nicht mehr aufhoren konnte.»Wir warten noch kurze Zeit, bis sie das Boot repariert haben. Unser Boot. «Er spurte einen Klo? in der Kehle, als der Marinesoldat mit der Schulterwunde versuchte, uber seinen durftigen Scherz zu grinsen.»Dann brechen wir auf. Alle zusammen. «Seine letzten Worten schienen uber allen hangen zu bleiben.
        Er fuhr fort:»Die eine Halfte von uns wird kampfen, die andere wird den Verwundeten helfen.»
        Er versuchte, nicht an den langen kahlen Abhang zu denken. Eine halbe Kabellange. Uber hundert lange, verzweifelte Schritte.

«Und was dann, Sir?«Das war der Korporal.

«Wir suchen nach der nachstgelegenen Insel, wo wir uns ausruhen konnen. Wo wir -
«, er versuchte, sich nicht uber die ausgedorrten Lippen zu lecken -,»Wasser finden.»
        Pyper warf ein:»Sie versuchen wieder, das Boot zu bewegen.»
        Sie spahten wieder uber den Rand der Mulde, und Herrick sah das Boot auf den Brandungswellen tanzen. Drei der Eingeborenen arbeiteten innen, wahrend die ubrigen es, so gut sie konnten, ruhig hielten und die Suche nach weiteren Lecks weiterging.
        Sie mussen das Boot dringender brauchen, als ich angenommen habe, dachte Herrick.
        Nachdem er jetzt eine Entscheidung getroffen hatte, fuhlte Herrick sich besser. Er hatte keine Vorstellung davon, wie vielen von ihnen es gelingen wurde, zu entkommen, aber man konnte alles wagen, solange die einzige Alternative darin bestand, zusammengetrieben und wie wilde Tiere abgeschlachtet zu werden.

«In Deckung!«Prideaux kroch hinauf zu einem seiner Leute, der landeinwarts deutete. Eine weitere Gruppe Eingeborener kam aus der Richtung vom Dorf, und diesmal waren es sehr viele mehr.
        Prideaux sah Herrick an. Er sagte nichts, aber in seinen Augen stand es so deutlich, als ob er es ausgesprochen hatte: Jetzt haben wir unsere letzte Chance. Herrick stand auf.»Nehmt eure Waffen auf. Ganz ruhig, Leute. «Er uberprufte seine Pistolen und lockerte seinen Degen. Dachte an Bolitho, an all die vielen ahnlichen Male.»Korporal, wahlen Sie die besten Schutzen aus. «Er sah Pyper an.»Sie bleiben bei Korporal Morrison und sorgen dafur, da? er geeignete Manner zuruckla?t, um die Verwundeten zu tragen. «Er griff nach seinem Handgelenk.»Wir haben nicht viel Zeit.»
        Herrick schwirrte der Kopf von der raschen Folge der Ereignisse. Er versuchte, sich auf das Boot zu konzentrieren, auf die Entfernung bis dorthin. Wenn sie die Neuankommenden aufhielten, wurden die Verwundeten und ihre Helfer von den Eingeborenen am Strand unten getotet werden. Wenn sie nach unten sturmten, mu?ten sie die Verwundeten zurucklassen.
        Er blickte in die schmalen Gesichtszuge Prideauxs.»Nun?
        Sie sind der Marinesoldat. Was soll ich tun?»
        Prideaux sah ihn uberrascht an.»Jetzt angreifen. Lassen Sie zwei Scharfschutzen bei den Verwundeten. Wenn wir das
        Boot genommen haben, kann der Rest von uns den Ruckzug der Verwundeten decken. Die Angreifer vom Dorf bieten ideale Ziele, wenn sie den Abhang herunterkommen. «Seine
        Lippen verzogen sich zu einem knappen Lacheln.»So wurde es ein Marinesoldat machen.»
        Herrick rieb sich das Kinn.»Das ist einleuchtend. «Er sah
        Pyper an. Sie alle.»Fertig, Leute.»
        Er musterte die blinkenden Bajonette, die gekreuzten
        Brustriemen mit dem Pulver und den Geschossen; die zusatzlichen Musketen, die geladen an jeder Schulter hingen, die noch eine tragen konnte.
        Er zog seinen Degen und sah den getrockneten Blutflecken auf der Klinge.

«Mir nach!»
        In dem Augenblick, als zwei Manner den verwundeten Marinesoldaten Watt aufhoben, stie? er einen entsetzlichen Schmerzensschrei aus, der alle regungslos erstarren lie?. Selbst die Eingeborenen bei dem Boot standen stocksteif und zeigten das Wei?e ihrer Augen, als sie den Abhang heraufstarrten.
        Einer rief:»Mein Gott, die Wunde ist aufgebrochen. «Watt schrie wieder gellend und trat von Schmerz gepeinigt wild um sich.
        Dann war ein kurzer Aufschlag zu horen, und Watts Kopf wurden von der Faust des Korporals nach hinten gerissen. Morrison keuchte:»Tut mir leid, Kamerad, aber wir haben Wichtiges zu tun.»
        Prideaux rief:»Vorwarts!«Und die Handvoll Marinesoldaten sturmte den Abhang hinab und schrie dabei so laut wie ein ganzer Zug. Herrick, Pyper und zwei
        Matrosen sturmten mit ihnen, blind fur alles au?er dem Boot und den uberrascht auseinanderfluchtenden Gestalten der Eingeborenen.
        Speere wurden gepackt und blindlings geschleudert, und einer der Matrosen brach keuchend auf dem Sand zusammen. Der abgebrochene Schaft eines Speers ragte aus seiner Brust.
        Dann hatten sie den Strand erreicht, und ihre wilde Angriffswut trieb sie bis in die Brandung hinaus. Pistolen knallten und Bajonette stie?en in ungehemmter Mordlust durch den Pulverqualm. Drei der Eingeborenen rannten den Strand entlang, aber einer fiel einem Musketenschu? zum Opfer. Die anderen lagen tot oder verletzt um das Boot. Herrick schrie:»Hier kommen sie, Jungs!«Er deutete mit dem Degen auf die schwankende Gruppe mit den Verwundeten und den beiden Marinesoldaten, die etwas zuruckblieben, um sie zu decken. Prideauxs Manner begannen, uber Kopfe hinweg auf die anrollende Welle der Angreifer auf der Hohe des Abhangs zu schie?en. Und wieder ein Hagel von Steinen und Speeren und rasendes Gebrull.
        Herrick, Pyper und die ubriggebliebenen Matrosen drangten sich um den Vordersteven des Boots und schoben mit aller Kraft, spurten den Widerstand, der ihnen mit jedem um die vorgelagerten Felsen anrollenden Brecher entgegendrangte.»Es ist zwecklos.
«Pyper schluchzte beinahe.»Wir schaffen es nicht. Es ist zu schwer.»
        Herrick knurrte:»Schieben! Starker, verdammt noch mal. «Er schrie zu Prideaux hinuber:»Noch zwei Mann her!«Er drehte sich um, das Wasser wirbelte und zerrte an seiner Uniform, und sah die kleine Prozession an der Leiche des von dem Speer getroffenen Matrosen vorbeischwanken. Sie kamen zu langsam, die nachsten Eingeborenen waren schon weniger als funfzig Schritte an sie heran. Prideaux rief: Bemannen Sie das Boot! Das ist unsere einzige Chance. Wir sterben alle, wenn wir langer warten!«Herrick watete auf den Strand, den Degen uber dem Kopf erhoben. Er war halb wahnsinnig vor Wut und Enttauschung, aber er wollte diese Manner nicht zurucklassen.

«Gehen Sie zum Teufel!»
        Er rannte dem Korporal entgegen, der Watt wie einen Sack auf den Schultern trug. Die anderen, auch der Mann mit dem verletzten Bein, stolperten und hoppelten hinter Morrison her. Herrick sah, da? ein Stuck entfernt schon zwei Manner gemeinsam gesturzt waren, und noch ehe sie sich wieder aufrichten konnten, wurden sie niedergeschlagen und brutal in Stucke gehackt, trotz des sporadischen Musketenfeuers vom Strand her.
        Herrick rannte an den taumelnden Mannern vorbei, ohne zu wissen, worauf er noch hoffte.
        Die beiden Marinesoldaten der Nachhut sahen ihn und riefen ihm zu:»Es hat keinen Zweck. Zu spat!»
        Der eine warf seinen leeren Munitionsbeutel fort und hob seine Muskete mit dem aufgepflanzten Bajonett.

«Kommt nur, ihr Schweinehunde! Ich werd's euch zeigen!»
        Der andere fiel und spuckte Blut, als ihn ein Speer traf, der aus der blendenden Sonne gekommen war.
        Herrick sah und horte sie, erkannte sogar ihre Gesichter, als sie auf ihn zusturmten.
        Das Boot konnte er jetzt nicht sehen, aber das war gleichgultig. Keiner wurde entkommen. Langsam bewegte er seinen Degen, sah die geduckten Gestalten, die nach beiden Seiten ausschwarmten. Er spurte ihre Ubermacht, konnte sie riechen.
        Die Sonne schien ihm beinahe in die Augen. Ihm und dem einsamen Marinesoldaten bot sich nirgends Schatten. Es war, als ob sie bereits tot waren.
        Auf der einen Seite der jetzt langsam vordringenden Menge bemerkte er einen Speer, der sorgfaltig Ziel nehmend gehoben wurde. Jetzt!
        Der Knall, der die plotzlich herrschende, schreckliche Stille durchbrach, war ohrenbetaubend.
        Herrick horte uberraschte Ausrufe hinter sich und dann ein einzelnes wurgendes Hurra, als ob der Mann, der es ausbrachte, es sich vom Herzen rei?en mu?te.
        Herrick sagte rauh:»Bleiben Sie stehen, Mann! Nicht umdrehen!»
        Der Marinesoldat, von Schwei? geblendet, die Muskete mit dem aufgepflanzten Bajonett starr vor sich gerichtet, antwortete aus dem Mundwinkel:»Verlassen Sie sich auf mich, Sir.»
        Zogernd, unsicher zuerst, begann die vorderste Reihe der Eingeborenen zuruckzuweichen. Als ein weiterer Knall die Luft erschutterte, machten alle kehrt und rannten anscheinend muhelos den Abhang hinauf. Erst dann drehte Herrick sich um.
        Dicht bei den vorgelagerten Felsen lag die Barkasse der Tempest mit einer rauchenden Drehbasse in ihrem Bug. Wo die Kartatschenladung eingeschlagen hatte, wu?te Herrick nicht, aber es war ihm auch gleichgultig. Sie mu?te in die Luft abgefeuert worden sein, denn hatten sie auf den Abhang gezielt, waren mehr von seinen Leuten als von den Angreifern getroffen worden. Vielleicht hatten der Knall und der Anblick der Barkasse, in deren Kielwasser das gro?e Boot der Tempest folgte, genugt. Herrick ging zu dem Marinesoldaten und klopfte ihm auf die Schulter.»Das war sehr tapfer.»
        Zusammen liefen sie zum Wasser hinunter, wo Leute aus den Booten sprangen, um die anderen zu stutzen und ihnen durch das seichte Wasser zu helfen. Bolitho stand ganz ruhig am Strand, die Hande an den Seiten, und wartete, bis sein Freund ihn erreichte. Doch im Innern sah er Herrick noch wie Augenblicke zuvor, als die Barkasse um die Felsen gebogen war, nachdem der Schoner sie mit gro?ter Geschwindigkeit hierher geschleppt hatte: Herrick, den Degen in der Hand, den Rucken der See zugekehrt, einen einzelnen Marinesoldaten an seiner Seite, so stand er und blickte dem Mob und dem sicheren Tod entgegen.
        Das war etwas, das er nie vergessen wurde. Und nie vergessen wollte.
        Er packte Herricks Arm und sagte einfach:»Sie haben zu viel Mut, Thomas.»
        Herrick versuchte zu grinsen, aber seine Erschopfung verhinderte es.»Sie sind gekommen, Sir. Ich habe es gewu?t. «Er lie? den Kopf sinken.»Ich habe es ihnen gesagt.»
        Bolitho blickte ihn an, fuhlte sich unfahig, ihm zu helfen, war schockiert, als er sah, da? Herricks Schultern bebten. Das habe ich ihm angetan. Er sah sich auf dem Strand um, der jetzt, von den Toten abgesehen, leer war. Fur nichts und wieder nichts.
        Pyper kam den Strand herauf. Er zogerte.»Alle in den Booten, Sir«, meldete er.
        Bolitho sagte zu Herrick:»Kommen Sie, Thomas. Hier konnen wir nichts mehr tun.»
        Sie fuhren an dem verlassenen Langboot vorbei, und nun endlich schien Herrick aus seinem Schock zu erwachen. Das Boot fing wieder an zu sinken. Die primitiven Reparaturen waren von den rauhen Wellen schon wieder zerschlagen. Heiser sagte er: Das verdammte Ding ware ohnehin gesunken. «Er sah Bolitho fest an.»Das ware dem verdammten Prideaux nur recht geschehen. «Bolitho war der letzte, der in die Barkasse kletterte. Er hielt inne, die Wellen umspulten seine Huften, klatschten den alten Degen gegen seinen Schenkel. Eines Tages wurde er Tuke stellen. Kein Trick, keine Hinterlist konnten ihn dann retten.
        Er lie? es zu, da? Allday ihn an Bord zog. Aber diesmal war es eine Niederlage gewesen.



        XI» Macht das Beste daraus!»

        James Raymond ignorierte die Matrosen, die uber dem Achterdeck Sonnensegel ausspannten, wahrend andere Boote zu Wasser lie?en. Innerhalb weniger Minuten, nachdem die Tempest in der Bucht geankert hatte, war er an Bord gekommen, nahezu au?er sich vor Wut. Bolitho beobachtete ihn grimmig, erkannte seine Bemuhungen, sich selbst ein Bild von dem zu machen, was sich zugetragen hatte. Das war nicht schwierig, besonders nicht fur jemanden, der so weit und oft gereist war wie Raymond.»Ich kann das einfach nicht hinnehmen. Ich will nicht glauben, da? ein Schiff des Konigs, noch dazu eine Fregatte mit sechsunddrei?ig Geschutzen, von einem verdammten
        Piraten getauscht und beinahe versenkt worden ist. «Es hat keinen Sinn, mit ihm zu argumentieren, dachte Bolitho mude. Es gab genug zu tun, auch ohne den Versuch, Raymonds Ansicht zu andern. Eine Ansicht, die er sich schon seit einiger Zeit gebildet hatte und an der er festhielt. Wahrscheinlich seit sein Ausguck das zuruckkehrende Schiff wahrgenommen hatte. Der kleine Schoner war vorausgefahren, um ihn vorzubereiten. Dann hatte die Silhouette der Tempest, in der die fehlende Maststenge eine unubersehbare Lucke geschaffen hatte, die ihre Schonheit beeintrachtigte, dem Feuer zusatzlich Nahrung gegeben. Er sah Isaac Toby, den Zimmermann, dessen eulenhaftes Gesicht fast ebenso rot war wie die Weste, die er immer trug, inmitten seiner verringerten Mannschaft auf Beschadigungen zeigen, angesplitterte Holzteile mit seinem Messer markieren oder auf Mangel hinweisen, die sofort behoben werden mu?ten. Er wurde seinen Maat Sloper vermissen. Einige der schwerer Verletzten waren an Land gebracht worden. Die ubrigen mu?ten umso harter arbeiten. Ganz besonders jetzt. Er sah uber das schimmernde Wasser, wohl
wissend, da? Raymond seine Tirade unterbrochen hatte, um auf seine Reaktion zu warten. Hoch uber ihr Spiegelbild aufragend, schwang die franzosische Fregatte Narval leicht an ihrer Ankertrosse. Ihre Sonnensegel waren ausgespannt, und sie hatte Boote im Wasser, wahrend ein Kutter sie standig wachsam umkreiste.
        Raymond fing wieder an:»Sie konnen ruhig hinuberblicken, Kapitan. Sie rumpfen die Nase uber den Franzosen, weil seine Vorstellungen anders sind als Ihre. Was glauben Sie wohl, wie mir zumute ist? Ein Reprasentant von Konig Georg und einem Land, das angeblich die beste Flotte der Welt unterhalt, ist genotigt, ein fremdes Kriegsschiff um Unterstutzung zu bitten. Gott verdammt, Bolitho, wenn der Kaiser von China mir ein Schiff anbieten wurde, ich wurde es annehmen, und zwar auf der Stelle. Das konnen Sie mir glauben. «Er ging auf Deck hin und her. Sein Schuh blieb an einem Splitter hangen.»Es ist immer das gleiche. Von mir wird erwartet, da? ich Wunder vollbringe - gegen den Widerstand von ausgemachten Narren und engstirnigen
        Militars!«Er funkelte Bolitho wutend an, schien die Hitze zu vergessen.»Und anscheinend auch von Seeleuten. «Herrick kam nach achtern und beruhrte seinen Hut. Alle Verwundeten, die vom Arzt auf die Liste gesetzt wurden, sind an Land gebracht, Sir. Ich habe dem Bootsmann befohlen, mit der Arbeit an der Maststenge…
«Raymond unterbrach scharf:»Sehr richtig. Macht sie nur wieder schon, damit Mathias Tuke noch einmal sein Spiel mit ihr treiben kann.»
        Bolitho warf den Kopf zuruck, und Herrick wandte sich ab.»Mr. Herrick verdient diese Behandlung nicht, Sir. Er ist ein tapferer Mann und ein ausgezeichneter Offizier. Einige gute Leute haben ihr Leben verloren. Einer erst heute morgen.
«Das war der beklagenswerte Watt gewesen. Gwyther hatte gesagt, es hatte ihn uberrascht, da? der Mann mit dieser Verletzung so lange uberlebt hatte.»Ich befehlige dieses Schiff, und ich habe die Verantwortung. «Er sah Raymond scharf an.»Tuke ist gerissener, als ich dachte. Vielleicht habe ich nur das gesehen, was ich sehen wollte. Doch wie dem auch sei, es war meine Entscheidung. «Er senkte die Stimme, als Keen eilig vorbeikam.»Es wird alles nur noch schlimmer, wenn wir zulassen, da? unsere personlichen Gefuhle mitspielen.»
        Raymond entgegnete:»Ich habe nicht vergessen, wer die Tempest befehligt. Darauf werde ich deutlich hinweisen, wenn ich meine Berichte nach London schicke. Und Sie brauchen mir nicht zu sagen, wie ich mich benehmen soll. Ich habe meine Gefuhle Ihnen gegenuber klar zu erkennen gegeben, denke ich. Es ist also nutzlos, von mir jetzt, da Ihre Sterne weniger gunstig stehen, Gefalligkeiten zu erbitten.«»Ist das alles, Sir?»
        Bolitho ballte die Fauste hinter seinem Rucken. Er erkannte, wie geschickt er in eine Falle gelockt worden war. Vielleicht war er nur zu mude, oder er verlor wie Le Chaumareys die Wirklichkeit aus dem Griff.

«Im Augenblick, ja. «Raymond wischte sich uber das Gesicht.»Ich werde in Balde eine Konferenz einberufen, um einen Feldzug gegen Tuke und alle seine Helfershelfer zu planen. Wenn wir dabei fur de Barras den franzosischen
        Gefangenen dingfest machen konnen, dann ist alles schon und gut. «Es klang weniger selbstsicher, als er hinzufugte:»De Barras hat Vollmachten von seinem Land und besitzt die Mittel, seine Befehle auszufuhren. Wir befinden uns nicht im Krieg, und er zumindest scheint zu wissen, was er will.»
        Bolitho dachte an die Kajute, die reichen Teppiche und den eingeschuchterten Jungen mit dem Wein. Vor allem aber an de Barras' Gleichgultigkeit gegenuber der brutalen und sadistischen Behandlung seiner eigenen Leute. Er zwang sich zu der Frage:»Wie hat Hardacre die Nachricht aufgenommen?»
        Raymond hob die Schultern.»Ich bin nicht ganz sicher, woruber er am meisten trauert. Seine kostbaren Eingeborenen, die sowohl seine Leute als auch einige der Ihren umgebracht haben, oder aber da? er nicht mehr uber eine eigene Armee verfugt, mit der er sich brusten kann. Ich werde mich erst zufrieden geben, wenn ich richtige Soldaten hier habe. Ich habe mich noch nirgendwo mit Dilletanten abfinden konnen.»
        Raymond ging zur Gangway, blieb dort stehen und sah in sein Boot hinunter.

«In Kurze wird eine Brigg aus England kommen. Auf der Fahrt nach Neusudwales wird sie auch diesen Hafen anlaufen. Sie kann die Wachen wieder nach Sydney mitnehmen, wo sie herkommen. Dann haben sie keine Ausrede mehr dafur, da? sie mir keine Truppen schicken. «Trotz seines Hasses gegen den Mann, trotz seines Kummers uber das, was geschehen war, spurte Bolitho eine innere Warnung.
        Das brennende Dorf und das, was Herrick ihm uber die Eingeborenen der Nordinsel berichtet hatte, machten Hardacres Hoffnungen zum Gespott. Rache fur das, was Tukes Leute ihnen angetan hatten, hatte Finneys Leuten das Leben gekostet und beinahe auch Herrick. Der alte Ha? konnte bald wieder aufflammen und Insel gegen Insel, Stamm gegen Stamm aufbringen.
        Eines der auffallendsten Dinge, die er bemerkt hatte, als die Tempest in die Bucht einlief, war das Fehlen der Kanus und der eingeborenen Schwimmer. Doch dieselben jungen Manner und Madchen waren noch da, auf den Stranden und hinter der dichten grunen Laubwand. Aber sie hielten sich zuruck, als ob sie furchteten, wenn sie zu nahe kamen, wurden sie sich infizieren und ihre Einfachheit und Sicherheit verlieren, die ihnen zu einem selbstverstandlichen Besitz geworden war.

«Und bis zu ihrer Ankunft, Sir?«Er wu?te die Antwort im voraus.

«Die Verantwortung liegt bei Ihnen, Kapitan. Hardacre hat noch genugend Leute, um sich um die Siedlung zu kummern. Den Schutz ihres Aufbaus ubertrage ich Ihnen und werde das auch in meinem Bericht festhalten. Es ist eine schwere Verantwortung.
«Er blickte sich um, seine Augen waren beinahe im Schatten verborgen.»Es wird mich interessieren, Ihren, ah, Erfolg zu beobachten. «Mit einem kurzen Nicken fur die Seitenwache lie? er sich in sein Boot hinunter.
        Herrick kam uber das Achterdeck und sagte unverblumt:»Ich konnte sehr gut ohne diesen Burschen auskommen. «Bolitho beschattete seine Augen, um zu der Siedlung mit ihren Palisaden und Blockhausern hinuberzublicken. Vielleicht beobachtete sie das Schiff, denn sie wu?te, da? ihr Mann ungeduldig darauf wartete, auf die Tempest zu kommen, und sei es auch nur, um die Burde ihres Kapitans zu vergro?ern.
        Von dem Fehlen der lachenden Insulaner abgesehen, schien alles so wie zuvor. Der kleine Schoner wurde schon mit Ballen und Korben beladen, und er nahm an, er wurde bald zu einer der benachbarten Inseln auslaufen. Um den Handel aufrechtzuerhalten. Um Vertrauen wiederzugewinnen. Hardacre ging ein gro?es Risiko ein, aber das hatte er schon seit langer Zeit getan.
        Bolitho sagte:»Ich wunsche, da? das Schiff so bald wie moglich wieder zum Auslaufen bereit ist. Halten Sie die Leute bei der Arbeit, so lange es hell ist, und vergessen Sie nicht, eine Wache mitzugeben, wenn Sie jemanden nach Fruchten oder Wasser an Land schicken. «Herrick nickte.»Ich konnte nicht verhindern zu horen, was er zuletzt sagte, Sir. Ich finde es verdammt unfair, Ihnen die zusatzliche Aufgabe anzuhangen, uber die Straflinge zu wachen.»
        Bolitho lachelte ernst.»Die Straflinge werden keine Schwierigkeiten machen. Ich bezweifle, da? sie sich wunschen, die Siedlung zu verlassen. «Er drehte sich um, um zu beobachten, wie neues Tauwerk nach oben gehievt wurde.»Jedenfalls tun wir das, wofur wir bezahlt werden. «Er ging auf den Niedergang zu.»Sagen Sie Noddall… Er brach ab.
        Herrick ging langsam zu den ausgespannten Netzen und blickte zu dem einladenden Strand hinuber. Einladend? Er dachte an die gro?e blutige Flache im Sand, an die menschlichen Fragmente, die in der Sonne verrotteten, und schauderte. Nur das Licht von St. Anthony im Armelkanal noch einmal sehen, am Ufer des Medway Spazierengehen, die Obstbaume und die Bauernhofe riechen. Er wurde nicht zu lange an Land bleiben wollen. Aber wissen, da? er es wiedersehen konnte.
        Borlase trat neben ihn.»Nun, Sir, wie steht es mit dem Posten des Steuermannsmaaten? Ich habe einen guten Mann in meiner Gruppe.»
        Herrick reckte die Schultern unter seinem Rock, als wolle er wieder Kontakt mit der Wirklichkeit gewinnen. Manner mu?ten neu eingeteilt werden, ein Mangel an Kraften in einer Wache mu?te durch Versetzungen aus einer anderen behoben werden. Die ganze Wacheinteilung mu?te neu geordnet werden, wobei die behinderten Manner zu Arbeiten herangezogen wurden, denen sie gewachsen waren und die sie gut verrichten konnten.
        Jemand mu?te gefunden werden, der die Stelle des armen Noddall ubernahm.
        Er drehte sich um, als der Posten von der Gangway rief:»Die Jolle kommt zuruck.»
        Borlase sagte schroff:»Die Streife bringt die beiden Deserteure zuruck. Sie sollten bis zur Bewu?tlosigkeit ausgepeitscht werden, nach dem, was wir durchgemacht haben!»

«Das meine ich nicht. «Herrick beobachtete das naherkommende Boot, die beiden bedruckten Gestalten zwischen den Marinesoldaten.»Wir brauchen jeden gesunden Mann, und, bei Gott, die beiden werden arbeiten!«Er sah Jury mit einem seiner Unteroffiziere auf sich zukommen, und aus der entgegengesetzten Richtung tauchte die rote Weste des Zimmermanns auf. Fragen, Dinge, die gesucht wurden, Dinge, die kaputtgegangen waren. Er lachelte. Das alles gehorte zur taglichen Arbeit eines jeden Ersten Offiziers.
        Es war eine gemischte Gesellschaft. Raymond, sehr beherrscht und streng, sa? an einem langen, mit Schnitzereien verzierten Tisch. John Hardacre, mit buschigem Haar und Bart und in seiner lose fallenden, fremdartigen Robe, unterschied sich sehr von Raymonds gepflegter Eleganz.
        Auf der anderen Seite des Raums sa?, ein Bein lassig uber das andere geschlagen, der Kommandant der Narval, Comte de Barras, mit seinem dienstaltesten Offizier, Leutnant Vicariot. Beide waren in leuchtend blauen und wei?en Uniformen, und de Barras' Perucke fugte dem Bild noch einen zusatzlichen Akzent des Unwirklichen hinzu. Die Franzosen boten so elegante Erscheinungen, da? Bolitho sich daneben schabig vorkam, und ein Blick auf Herrick uberzeugte ihn, da? sein Erster Offizier weitgehend das Gleiche empfand.
        Ein pockennarbiger Aufseher von der Siedlung, ein Mischling namens Kimura, der mehr als alles andere wie ein Henkersknecht wirkte, vervollstandigte die Versammlung. Bolitho versuchte, in seinem Rohrstuhl bequem zu sitzen. Er fragte sich, wie der Ort hier wohl in einem Jahr aussehen mochte. Ein gro?es, gut gebautes Haus und eine gedeihende Gemeinschaft von Handlern und Verwaltungsbeamten? Schreiber und Vorarbeiter, Fachleute fur dieses und jenes aus England? Oder wurde es so sein, wie er es schon an anderen Orten in der Sudsee gesehen hatte? Vom Dschungel wieder uberwuchert, selbst von den Eingeborenen verlassen, die in die Abhangigkeit von Au?enposten dieser Art geraten waren?
        Durch ein hohes Fenster, gegen die strahlende Sonne durch geflochtene Matten gut geschutzt, konnte er das Ende der Bucht sehen, eine dunkelgrune Landzunge, hinter der sich die See wie ein durch einen Deich eingedammtes Wasser erstreckte.
        Die Tempest lag seit funf Tagen vor Anker, Tage endloser Arbeit und aufflammender Temperamente. Drei Leute waren ausgepeitscht worden aus so trivialen Anlassen, da? man zu anderen Zeiten daruber hinweggegangen ware. Bolitho verabscheute uberflussige Bestrafungen genausosehr wie die Leute, die darin das beste Mittel sahen, Versto?e zu ahnden.
        Die enge Nachbarschaft des franzosischen Schiffes hatte alles noch verschlimmert, die Gesichter, die seine Reling saumten, um das bittere Ritual der Bestrafung mit der Peitsche zu beobachten.
        Bolitho war mehrmals an Land gewesen, um Raymond uber die Fortschritte bei der Arbeit zu berichten, um mit den Wachen des Corps, die mit den Straflingen aus Sydney gekommen waren, uber Sicherheitsfragen zu beraten. Er hatte auch eine Fulle von Moglichkeiten gehabt, mit Deportierten zusammenzukommen. Selbst nach den langen Monaten, die sie auf ihre Prozesse gewartet und die weite Reise ans andere Ende der Welt zuruckgelegt hatten, schienen sie immer noch gelahmt zu sein. Aber sie wirkten durchaus gesund und waren auch nicht mehr so verstort wie damals, als Bolitho einige an Bord der Eurotas gesehen hatte.
        Die Eurotas stellte ihn vor ein Ratsel. Warum konnte man sie entbehren und hier in der Bucht nutzlos vor Anker liegen lassen? Versorgungsschiff war sie nicht, und von ihrer unterbesetzten Mannschaft abgesehen, schien sie nichts anderes zu bieten als eine Fluchtmoglichkeit, wenn die Siedlung in Gefahr geriet. Bolitho wu?te, da? Herrick zweimal druben auf dem Schiff gewesen war und versucht hatte, Manner fur die Tempest anzuwerben. Durch Mittel, uber die Bolitho nur Vermutungen anstellen konnte, hatte er sechs neue Leute angeworben, alle ausgebildete Matrosen. Was es Herrick auch an Geduld und Humor gekostet haben mochte, die Leute waren ihr Gewicht in Gold wert. Zweifellos war nach allen Andeutungen und Versprechungen aus Sydney damit zu rechnen, da? schlie?lich jemand mit einer neuen Vollmacht erscheinen wurde, um die Eurotas wieder fur die Regierung zu ubernehmen, und dann wurde sie fortsegeln.
        Er versuchte, sich auf die im Raum Anwesenden zu konzentrieren, den Platz zu finden, den sie in dem Puzzlespiel einnahmen. Aber es war nur zu leicht, statt dessen an Viola Raymond zu denken. Er hatte sie nur einmal nach seiner Ruckkehr gesehen, wahrend ihr Mann an Bord der franzosischen Fregatte die Gastfreundschaft von de Barras geno?. Fur gerade eine Stunde war er mit ihr zusammen gewesen. Aber nicht allein. Um sie so gut er konnte vor weiterem Klatsch zu schutzen, hatte Bolitho sie zu der neugeschaffenen Lichtung begleitet, wo eine Gruppe Straflinge eine Reihe Hutten fur ihren eigenen Bedarf errichteten.
        Ihre schweigsame Zofe, die einzige weibliche Deportierte auf den Levu-Inseln, war ihnen gefolgt. Sie hatte weder nach rechts noch nach links geblickt, als sie an den Hutten vorbeikamen.
        Bolitho hatte gesagt:»Bald kommt eine Brigg aus England. «Er hatte Viola angesehen, die Art, wie sie den Kopf hielt, ihr volles, schimmerndes Haar unter dem breiten Strohhut. Sie erschien ihm bezaubernder als je zuvor.»Wenn du darauf bestehst, mit ihr nach Sydney zu fahren, kann ihr Kapitan es dir nicht verweigern. Und dein Mann kann es auch nicht. Du hast seinen Wunschen entsprochen. Die Geste ist gemacht. Nichts kann dadurch gewonnen werden, da? du hier bleibst, und ich will nicht, da? er einfach nur zusieht, wie du deine Gesundheit aufs Spiel setzt.»
        Darauf war sie stehengeblieben, hatte seine Hande ergriffen und ihn herumgezogen, so da? er sie ansah.»Du verstehst mich uberhaupt nicht, Richard. «Mit leuchtenden Augen hatte sie zu ihm aufgelachelt.»Was ware, wenn ich tate, was du vorschlagst? Namlich das nachste erreichbare Schiff nach England nehmen, meine sieben Sachen zusammenpacken und in dein Haus in
        Falmouth einziehen?«Sie hatte den Kopf geschuttelt, noch ehe er protestieren konnte.»Ich liebe dich so sehr, und deshalb will ich hierbleiben. Ich mu? hier sein. Hunderte und Aberhunderte Meilen von dir entfernt mir bange Fragen stellen, mich um dich angstigen und darauf warten, da? dein Schiff Anker wirft - das wurde meine Qualen nur vergro?ern. Hier kann ich dich wenigstens sehen. Dich beruhren. Dir nahe sein. Ich wei?, wenn ich zulasse, da? wir wieder voneinander getrennt werden, wird es fur immer sein. Wenn du nach Neusudwales, nach Indien, ans Ende der Welt befohlen wirst, dann werde ich nach Falmouth gehen und zwar gern. «Sie hatte wieder den Kopf geschuttelt.»Aber dich James auszuliefern? Niemals!«Daran dachte Bolitho, als er beobachtete, wie Raymonds Finger in seinen amtlichen Papieren blatterten. Sie hatte recht. Er hatte es nicht verstanden. Er hatte nur an ihre Sicherheit gedacht, daran, da? sie von Raymond frei sein wurde. Aber Liebe kannte eben keine Vorsicht und machte aus Weisen Narren.»Und jetzt, meine Herren… Raymond blickte auf.»Folgendes ist meiner Ansicht nach unser nachstes
Ziel. Fur mich selbst ist der Ausbau und der Schutz dieser Siedlung und ihrer Handelswege wichtig. «Er lachelte in de Barras' delikat geschnittenes Gesicht.»Und Sie, M'sieu le Comte, wunschen diesen Renegaten wieder zu fassen und in Ihre Heimat zuruckzukehren, wie es Ihre ursprungliche Absicht war.»
        De Barras nickte leicht, die Lippen etwas vorgeschoben, vorsichtig, nicht gewillt, zu fruh seine Karten aufzudecken. Raymond sah Hardacre an.»Ich wei?, welche Empfindungen die jungsten Ereignisse bei Ihnen ausgelost haben, aber ich furchte, sie sind schon seit Monaten zu erwarten gewesen. Diejenigen, die mit einem Problem leben, sind oft die letzten, die es wahrnehmen. «Ein freundliches Lacheln.»Wir sind jedoch jetzt hier, und ob es ihnen pa?t oder nicht, ein paar Eingeborene werden sich mit uns abfinden mussen. Wir sind nicht eine x-beliebige Gesellschaft mit einer Konzession oder ein privates Unternehmen. Die Krone erhebt Anspruch auf diese Inseln und ist berechtigt, ihren Anspruch zu schutzen. «Bolitho beobachtete de Barras, der bei den letzten Worten seinem Leutnant rasch einen Blick zugeworfen hatte. Raymond hatte seine Position sehr klar dargelegt, wohl in der Annahme, da? auch die Franzosen ein Auge auf die Levu-Inseln geworfen hatten.
        Dann sah er Herrick an, der mit gekreuzten Armen dasa?, die blauen Augen auf die gegenuberliegende Wand gerichtet. Er fuhlte sich fehl am Platz, ihm war unbehaglich. Wahrscheinlich dachte er an sein Schiff. An notwendige Reparaturen und alles andere, das seine Aufmerksamkeit erforderte.
        Einen Augenblick sah er Herrick wieder auf diesem schrecklichen Strand, den Degen in der Hand, das Gesicht einer rasenden Bande blutrunstiger Eingeborener zugewendet. Eine Minute - nein, nur Sekunden langer, und sein Stuhl ware jetzt unbesetzt.
        Raymond fuhr geschmeidig fort:»Mit der Unterstutzung der Narval und ihrer ausgezeichneten Besatzung werden wir, davon bin ich uberzeugt, alle unsere Ziele erreichen konnen. Es liegt in unserem Interesse, da? der Pirat Mathias Tuke und seine Bande ohne weitere Verluste fur uns vernichtet und bestraft werden.»
        Bolitho wu?te, da? de Barras zu ihm heruberblickte, um ihn an ihre erste Begegnung zu erinnern. Es waren beinahe genau seine Worte.
        Raymond fuhr fort:»Als Gegenleistung werden wir alles tun, was in unseren Kraften steht, um den Gefangenen des Comte wieder zu ergreifen. «Er sah den franzosischen Kapitan direkt an.»Ich bin sicher, wenn ich meine Berichte nach London schicke, um unsere Erfolge zu melden, werden sie in Paris ebenso gunstig aufgenommen werden. Was meinen Sie, M'sieu le Comte?»
        De Barras streckte die Beine aus und lachelte.»Ich verstehe.»
        Und ich auch! Bolitho hatte es nicht geglaubt, wenn er nicht selbst anwesend gewesen ware. De Barras mu?te Raymond sehr reich bewirtet haben. Durch franzosische Matrosen war sogar noch bei Bolithos Ankunft eine reichliche Lieferung
        Wein in die Siedlung geschafft worden. Und dennoch, wie alle Tyrannen war auch de Barras fur Komplimente empfanglich, bereit, Raymonds Wink zu akzeptieren, da? er hoherenorts ein lobendes Wort anbringen wolle, was ihm letzten Endes auch in Frankreich nutzen konnte. Wenn, wie Bolitho argwohnte, de Barras sein einsames Kommando erhalten hatte, um ihn au?er Landes zu halten, bis in Frankreich uber irgendeine peinliche Affare Gras gewachsen war, konnte Raymonds beilaufiges Angebot dem Grafen sogar noch mehr als nur eine Schmeichelei bedeuten. Die Tur offnete sich einen Spalt weit, und eine von Hardacres Dienerinnen spahte in den Raum, offenkundig eingeschuchtert vom Anblick so vieler bedeutender Gaste. Raymond fragte ungeduldig:»Was will sie?«Der Mischling Kimura flusterte mit ihr und erklarte dann:»Der Hauptling ist da. «Er deutete auf ein Fenster.»Er wartet drau?en im Hof.»

«Dann soll er warten. «Raymond schien uber die Storung ungehalten zu sein.
        Hardacre sagte:»Tinah ist ein gro?er Hauptling, Mr. Raymond. Ein guter Freund. Es ware falsch, ihn in dieser Weise zu behandeln.»

«Also gut. Dann gehen Sie zu ihm hinaus, wenn es sein mu?. «Raymond betrachtete ihn kalt.»Aber keine Ihrer
        Versprechungen. Haben Sie gehort?»
        Hardacre schritt hinaus, seine gro?en Sandalen klatschten auf den Binsenmatten. Ich habe gehort.»

«Also gut. «Raymond bemerkte, da? der Aufseher noch anwesend war.»Auch Sie konnen gehen. «Er lachelte.»Es fallt den Leuten hier schwer, sich mit dem Fortschritt abzufinden. «Das Lacheln verschwand.»Der junge Bursche,
        der mit der Nachricht von dem Uberfall auf die Nordinsel kam, ist nicht wiedergefunden worden?»
        Bolitho sagte:»Vermutlich furchtete er, als Verrater angesehen zu werden, Sir. Aber das beweist, da? es selbst auf der Nordinsel Leute gibt, die Hardacre genug vertrauen,
        um bei ihm Hilfe zu suchen.»

«Mag sein. Aber der Schaden ist angerichtet. Tuke hat Ihr Schiff angegriffen, das war die Tat eines Verbrechers und
        Morders. Diese >freundlichen< Eingeborenen haben versucht, Ihre Leute zu toten und den gro?ten Teil von Hardacres Milizen hingeschlachtet. In Anbetracht dessen, was Sie versucht haben, ist das unverzeihlich.«»Sie haben nicht erkannt, da? zwischen Tukes Leuten und meinen ein gro?er Unterschied besteht. Wie sollten sie auch?«Doch Bolitho wu?te, da? es sinnlos war.»Verdammt, jetzt werden sie es aber!«Raymond drehte sich auf seinem Sessel heftig um, als Hardacre wieder hereinkam.»Was gibt es?»
        Hardacre sagte:»Der Hauptling hat erklart, da? sein Volk sich daruber schamt, was meinen Leuten widerfahren ist. «Er sah Bolitho an.»Und Ihren. Aber der Hauptling der Nordinsel ist bei dem ersten Angriff getotet worden. Jetzt haben dort weniger gefestigte Kopfe die Macht. Sie war nie eine der freundlichsten Inseln, und nachdem ihre Boote verbrannt worden sind, stehen ihnen harte Zeiten bevor. Unsere Leute hier furchten sich, sie aufzusuchen. «Raymond schnuffelte.»Das uberrascht mich nicht. Und was haben Sie ihnen versprochen? Ein Schiff voller Schweine und neue Boote?«De Barras lachte leise.

«Ich habe versprochen, da? Sie ihnen helfen wurden, Sir. Und sie nicht bestrafen.
»Was haben Sie getan?»
        Hardacre fuhr unbeirrt fort:»Als Gegenleistung wollen sie Nachrichten uber Tuke liefern. Alles tun, was sie konnen, um bei seiner Ergreifung zu helfen. Sie haben keinen Grund, ihn zu lieben, aber allen Grund, Ihre Vergeltung zu furchten.»
        Raymond betupfte seinen Mund.»Bei seiner Ergreifung helfen, sagen Sie?«Er sah de Barras an.»Soso. «Er kam zu einem Entschlu?.»Kapitan Bolitho, gehen Sie hinaus und sprechen Sie mit diesem Hauptling. Sagen Sie ihm, Sie waren ein sehr enger personlicher Freund von Kapitan Cook, oder was Sie wollen. Aber bringen Sie ihn dazu, da? er mit Ihnen verhandelt.»
        Hardacre folgte Bolitho aus dem Raum und blieb neben der Tur schwer atmend stehen. Die Dielen knarrten unter seinem
        Gewicht.

«Er ist ein gro?er Hauptling! Kein unwissender Wilder!«Er wandte sich Bolitho zu. Ich konnte diesen Lackaffen mit weniger Hemmungen umbringen als einen Mistkafer.
«Bolitho ging die Holzstufen hinunter und trat in das strahlende Sonnenlicht hinaus. In der Mitte des gro?en, umzaunten Hofes sa? auf einem verzierten Hocker sehr aufrecht und ruhig der Hauptling, die dunklen Augen fest auf den leeren Galgen gerichtet. Er war junger, als Bolitho erwartet hatte, mit dichtem, buschigem Haar und einem kleinen Bart. Sein Gewand bestand aus grunem, mit farbigen Perlen besticktem Stoff, und um den Hals trug er einen schlichten Schmuck aus Golddraht. Seine Augen wanderten zu Bolitho, als Hardacre sagte:»Tinah, dies ist der englische Kapitan des Schiffes. «Er zogerte, ehe er hinzusetzte:»Ein guter Mann. «Tinahs Blick war nicht von Bolithos Gesicht gewichen, noch hatte er wahrend Hardacres Vorstellung geblinzelt; doch jetzt lachelte er, unvermittelt und entwaffnend. Bolitho sagte:»Was haben Sie Mr. Hardacre uber die Piraten gesagt? Ist es moglich, da? Sie fur uns ihren Aufenthaltsort ausfindig machen konnen?
»Alles ist moglich. «Seine Stimme war tief, er sprach mit einem schleppenden Akzent, aber Bolitho bezweifelte, da? jemand mehr wie ein Hauptling aussehen konnte als er.»Wir haben jetzt Frieden, Kapitan. Wir wollen ihn bewahren. Ihre Manner sind angegriffen worden. Aber was wurde Ihr Herz sagen, wenn vor Ihren Augen Ihre Frauen mi?braucht und getotet und Ihre Hauser niedergebrannt wurden? Wurden Sie innehalten, um zu sagen, diese Manner sind gut, jene sind schlecht?«Er hob einen schweren, kunstvoll geschnitzten Stab und stie? ihn fest auf den Boden. Nein. Sie wurden sagen, totet!«Herrick kam aus dem Gebaude und sah den sitzenden Hauptling und sein kleines Gefolge, das beim Tor wartete. Er sagte:»Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Sir, aber Mr. Hardacre wird drinnen gewunscht. «Er lachelte.»Beinahe hatte ich >an Deck< gesagt, Sir. Es hat den Anschein, da? der tapfere franzosische Kapitan sich nach
        Wasser und Lebensmitteln auf den umliegenden Inseln erkundigen will.»
        Hardacre nickte grimmig.»Ich werde gehen. Es ist lebenswichtig, da? sein Schiff jeden Ankerplatz friedlich anlauft. Ich mochte nicht, da? die Menschen hier ihn als Feind betrachten. «Er fugte hinzu:»Gleichgultig, was ich personlich daruber denke.»
        Herrick sah den Hauptling scharf an.»Ein Mann wurde gefangengenommen. Sein Name ist Finney.»

«Ich kannte Finney. «Tinah sah auf das Gebaude.»Ich habe meinem Freund nicht gesagt, wie er starb. Nur, da? er starb.»
        Herrick fragte schroff:»Konnen Sie es mir sagen?«»Wenn Ihr Kapitan das wunscht.
«Der Hauptling seufzte.»Die Nordinsel ist anders als unsere. Finney wurde an einen Pfahl gefesselt und mit Lehm aus dem Bach bedeckt. Damit er atmen konnte, gab man ihm durch den Lehm ein Stuck Rohr. «Seine Augen waren fest auf die Herricks gerichtet.»Dann wurde sein Korper uber ein sehr niedriges Feuer gehalten.»
        Herrick wandte sich voller Abscheu ab.»Mein Gott, lebendig gebacken!»
        Tinah hob die Schultern.»Mein Vater hat mir von solchen Dingen erzahlt. Aber auf der Nordinsel…«Herrick nickte.»Ich wei?. Die Menschen dort sind anders als Ihr Volk.»
        Der Hauptling blickte Herrick nach, der in das Haus zuruckging.»Das mu? der starke Kampfer sein. Der Mann, der allein stehenblieb. «Er nickte.»Ja, ich habe von ihm gehort.»
        Hardacre kam wieder und sagte:»Es ist vorbei. «Er sah Bolitho an.»Wenn das alles ist, Captain?«Bolitho griff an seinen Hut.»Ja.»
        Offensichtlich hatten Hardacre und der Hauptling uber Probleme zu diskutieren; eine Kluft zu uberbrucken, ehe sie fur beide todlich wurde.
        In Raymonds Arbeitsraum traf er die anderen beim Wein an. Eine Tur wurde geoffnet, und ein Diener wich zur Seite, um Viola Raymond eintreten zu lassen.
        Raymond stellte sie de Barras vor, der sich aus der Hufte verbeugte, ihr die Hand ku?te und sagte:»Teure Lady, ich war so enttauscht, da? Sie nicht mit Ihrem Gatten, dem Residenten, in mein bescheidenes Quartier gekommen sind.»
        Sie erwiderte:»Danke, M'sieu le Comte. Vielleicht ein andermal.»
        Der franzosische Leutnant verneigte sich steif und murmelte etwas in sehr gebrochenem Englisch. Viola sah Herrick an und streckte die Hand aus.»Ach, Leutnant, es freut mich sehr, Sie wiederzusehen. «Herricks Sonnenbraune lie? sein Erroten nicht erkennen.»Ah, vielen Dank, Ma'am. Auch ich freue mich, Sie zu sehen. Freue mich wirklich.»
        Sie ging weiter zu Bolitho und reichte ihm die Hand.»Cap-tain…»
        Bolitho beruhrte ihre Finger mit den Lippen.»Mrs. Raymond.»
        Ihre Blicke begegneten sich, und er spurte den schwachen Druck ihrer Finger.
        Als sie weiterging, um mit dem Diener zu sprechen, trat de Barras an Bolithos Seite und sagte mit gedampfter Stimme:»Ah, jetzt wei? ich, warum Madame nicht auf mein Schiff wollte, oui?»
        Er kehrte zu seinem Leutnant zuruck und lachte leise vor sich hin.
        Herrick flusterte:»Haben Sie das gehort, Sir? Der unverschamte Hund!«Er drehte den anderen den Rucken zu.»Aber Sie sehen, wie es geht, Sir. Sie mussen vorsichtig sein.»
        Bolitho blickte an ihm vorbei und bewunderte Violas Haar, das ihr auf die Schultern fiel. Vorsichtig sein… Herrick ahnte nicht, wie es war, ergeben danebenzustehen und zuzusehen, wie die so innig geliebte Frau um Armeslange von ihm ferngehalten wurde.
        Die einzige erfreuliche Nachricht, die er erhalten hatte, hatte der junge Hauptling Tinah gebracht. Wenn sie die Piraten stellen und ein fur allemal vernichten konnten, bestand eine reale Moglichkeit, da? die Tempest nach Hause zuruckbeordert wurde, nach England. Und dann?
        Herrick beobachtete traurig seinen Kapitan. Es war hoffnungslos. Als wolle man einem Stier befehlen, nicht anzugreifen, einer Katze, nicht zu mausen.
        Er bemerkte, da? im Nebenraum eine Tafel vorbereitet wurde, und zahlte die Stuhle. Nun gut, beschlo? er, machen wir das Beste daraus.



        XII Der schlimmste Feind

        Zwei Tage nach der Besprechung in Raymonds spartanischem Hauptquartier lichtete die franzosische Fregatte Anker und lief aus.
        Sogleich schien ein Teil der freigiebig gebotenen Gastfreundlichkeit der Eingeborenen zuruckzukehren, und es kam selten vor, da? nicht welche an Bord der Tempest zu finden waren oder langsseit in ihren schnellen Kanus. Sie tauschten, brachten Geschenke oder sahen lediglich den Matrosen bei der Arbeit an den stetig weniger werdenden Reparaturen zu. Das trug viel dazu bei, die Spannung zu mildern.
        Die Insulaner hatten keinen Grund, die franzosischen Seeleute zu furchten oder sie nicht zu mogen. Tatsachlich hatten sie gar keine Gelegenheit gehabt, mit vielen von ihnen zusammenzutreffen. Nur in kleinen Gruppen waren sie an Land gekommen, um Brennholz oder Lebensmittel zu holen, jedesmal von schwerbewaffneten Wachen begleitet. Bolitho war der Meinung, da? die Insulaner trotz oder wegen ihrer schlichten Natur die Unterdruckung an Bord der Narval ebenso gespurt hatten wie er und davon abgesto?en wurden, weil sie sie nicht verstanden. Das Leben an Bord der Tempest war hart genug, besonders vor Anker in einer geschutzten Bucht, wo die Sonne mit jeder Stunde hei?er zu brennen schien, um das Unbehagen noch zu steigern. Aber wahrend der Hundewachen kam es selten vor, da? man nicht die krachzende Fidel eines Musikanten oder das Klatschen nackter Fu?e horte, wenn die Manner der Freiwache an einem der uralten Matrosentanze teilnahmen.
        Mit den Franzosen hatten sie keinen Kontakt gehabt, nur das Lauten der Wachglocke gehort und gelegentlich Befehle, die zwischen den Decks gepfiffen wurden. Unterdruckt, gedemutigt, war der Besatzung die Fahigkeit, auch nur die geringste Freude zu empfinden, ausgeprugelt worden. Nachdem die Narval die Bucht verlassen hatte, mu?te Bolitho feststellen, da? Raymond in der Frage der Verantwortung sein Wort zu halten beabsichtigte. Wenn die Spezialisten der Tempest, wie die Zimmerleute und Bottcher, die Segelmacher und Bootsmanner, nicht an Bord beschaftigt waren, wurden sie an Land beordert und mu?ten ihr Konnen einsetzen, um bei dem bescheidenen, aber unerla?lich notwendigen Bauprogramm zu helfen, sowohl bei den Wohnhutten als auch bei den Blockhausern zu deren Schutz.
        Der Schiffsarzt war mehr an Land als auf seiner Krankenstation und kummerte sich um die Verwundeten und die seltenen Krankheitsfalle bei den Dorfbewohnern. Dieses Arrangement kam Gwyther sehr gelegen, wie Bolitho wohl wu?te, und wenn der Arzt auf das Schiff zuruckkehrte, erschien er selten ohne einen neuen tropischen Fund, sei es eine leuchtend farbige Pflanze oder eine seltsam anmutende Frucht.
        Hauptmann Prideaux bestimmte die Position der neuen Blockhauser, trotz der offenkundigen Verargerung der beiden Offiziere des Corps.
        Als sie bei ihm protestierten, entgegnete er scharf:»Dauernd sagen Sie mir, dies oder jenes gehore nicht zu Ihren Aufgaben. Da? der Gouverneur von Neusudwales Sie uberhaupt nicht hatte hierherschicken sollen, und das habe ich grundlich satt. Auf einem Schiff des Konigs mussen Sie bereit sein, alles und jedes zu ubernehmen, gleichgultig, was Sie davon halten.»
        Der eine der beiden hatte hitzig erwidert:»Sie beleidigen uns, Sir.»
        Prideaux hatte ihn beinahe frohlich angesehen.»Dann will ich Ihnen gern Genugtuung leisten, Ihnen beiden, wenn es notwendig ist.»
        Zu seiner Enttauschung hatten sie sich mit einer gewissen
        Hast zuruckgezogen.
        Wahrend Bolitho durch das Dorf streifte oder an dem leuchtenden Strand entlangwanderte, fragte er sich, was die Narval wohl unternehmen mochte. De Barras hatte versprochen, eine Patrouille um die Nordinsel und weiter zum nachsten Archipel zu machen. Um zu sehen und gesehen zu werden. Wenn er das Gluck hatte, eines oder mehrere der Schiffe Tukes zu stellen, wurde er bestimmt den Sieg ausnutzen und die Suche fortsetzen. Bolitho hatte so viel zu tun, da? er wahrend der meisten Stunden des Tages voll beschaftigt war. In der zunehmenden Hitze ging er in teilnahmsloser Verbissenheit seinem Dienst nach, denn er wu?te, Raymond wartete nur darauf, sich zu beschweren, zu kritisieren, wenn er nicht auf der Hut war. Fur einen Marineoffizier war es nicht ungewohnlich, das zu tun, was er tat. Selbst der Kommandant einer bescheidenen Schaluppe oder eines Schoners war verpflichtet, die Autoritat des Konigs zu demonstrieren, wenn es notwendig war. Ganz wie Prideaux gesagt hatte: gleichgultig, was man davon hielt.
        Aber er fuhlte sich verletzlich, wu?te, da? Viola nicht fern von ihm war, und doch hatte er nur selten Gelegenheit, sie zu sehen, ohne da? Raymond anwesend war. Versuchte Raymond vorzugeben, da? alles wieder so sei wie vorher, was sie betraf? Oder weidete er sich lediglich an Bolithos Qual, wenn sie sich begegneten?
        Und obwohl Bolitho sich selbst sagte, da? er in seiner Sorge zu weit gehe, machte er sich Gedanken um ihre Gesundheit. Einen Teil ihrer Zeit verbrachte sie damit, den Schiffsarzt bei seinen Visiten zu begleiten, und sie schonte sich dabei weder, noch teilte sie die Einstellung der Eingeborenen: Wenn es zu anstrengend wird, hore auf zu arbeiten. Leutnant Keen war der Befehl uber die Landkommandos ubertragen worden, und Bolitho hatte ihn mehr als einmal mit einem Eingeborenenmadchen zusammengesehen, einer schlanken Schonheit, die ihn fur einen Gott zu halten schien. Keen seinerseits betrachtete sie mit dem Ausdruck eines hoffnungslos Verliebten. Ihre selig zur Schau getragene Zuneigung deprimierte Bolitho und erfullte ihn gleichzeitig mit Neid.
        Am Ende des Monats begleitete Herrick ihn auf einem Inspektionsgang durch das Schiff, und Bolitho teilte dessen gerechtfertigte Befriedigung. Dank der Arbeit der Spezialisten, der sachkundigen Verwendung von Holz und Teer, Farbe und Hanf, zeigte die Tempest kaum noch Spuren der schrecklichen Minuten, in denen sie in Tukes raffiniert gelegter Falle gelitten hatte.
        Spater berichtete er Raymond, der ausnahmsweise keine Beschwerden vorzubringen hatte und auch auf seinen ublichen Hinweis auf die Tuchtigkeit de Barras' verzichtete. Statt dessen sagte er:»Ich bin in Sorge wegen der Brigg aus England.»

«Es ist nicht ungewohnlich, wenn sie sich verspatet, Sir. Die Passage um Kap Horn ist sehr schwierig. «Raymond schien ihn nicht zu horen.»Ich komme mir hier blind und taub vor. Ich erhalte keine Nachricht aus Sydney, und niemand bringt mir die Verstarkung, die ich brauche, wenn ich hier aus diesem Ort etwas machen soll.
«Bolitho beobachtete ihn verstohlen. Das war es also. Raymond fuhlte sich ubergangen, ausgeschaltet, ganz wie er selbst es in den vergangenen Jahren mehr als einmal empfunden hatte.
        Raymond fuhr fort:»Ich wunsche nicht, da? sich ein Vorfall wie mit der Eurotas wiederholt. Ich wunsche uberhaupt keine weitere Storung, bis ich hier fertig bin. Es ist genauso gekommen, wie ich befurchtet habe. Immer wieder mu? ich erfahren, wie falsch es ist, anderen zu trauen. Dieser verdammte Hauptling, Hardacres Freund, zum Beispiel. Wo sind die Nachrichten, die er versprochen hat? Tukes Kopf als Preis fur meine Nachsicht? Meine Schwache, wird er wahrscheinlich denken. Und Hardacre? Der jault mir auch nur die Ohren voll!«Er sank in seinen Sessel zuruck und starrte auf eine halbvolle Weinflasche. Bolitho sagte:»Wenn ich richtig unterrichtet bin, handelt es sich bei der erwarteten Brigg um die Pigeon, Sir.
»Ja. «Raymond sah ihn mi?trauisch an.»Und was ist mit ihr?»

«Ich kenne ihren Kapitan, oder kannte ihn vielmehr, als ich ihr zum letztenmal begegnete: William Tremayne. Er kommt aus meiner Vaterstadt. War lange Kommandant des Postschiffs von Falmouth. Er ware der letzte, der sich von Tuke tauschen lie?e. Als Kommandant eines Postschiffs mu? man allein uber alle Meere dieser Erde bis ans Ende der Welt segeln und lernen, mit jeder Situation fertigzuwerden, wenn man am Leben bleiben will.»
        Raymond richtete sich mi?trauisch auf.»Hoffentlich tauschen Sie sich nicht in dem Mann.»

«Ich mochte mit meinem Schiff auf eine Patrouille im
        Sudosten unserer Inselgruppe, Sir.»

«Nein. «Raymond sah ihn argerlich an.»Ich brauche Sie hier. Wenn ich Nachricht von de Barras oder der Brigg habe,
        wei? ich, was ich zu tun habe. Bis dahin mussen Sie sich die
        Muhe machen, Ihre Arbeit hier fortzusetzen.»
        Das sagte er so heftig, da? Bolitho sich fragte, was ihn sonst noch beunruhigte.

«Angenommen zum Beispiel, da? der Konig von Spanien seine Anspruche auf den Besitz und die Handelsrechte hier nicht aufgegeben hat? Was dann? Woher sollen wir wissen, da? nicht gerade jetzt sechs spanische Linienschiffe in diesen Gewassern kreuzen?«Er schuttelte den Kopf.»Nein, Sie bleiben hier vor Anker.»
        Bolitho verlie? den Raum. Wenn er nur die Moglichkeit hatte, Kommodore Sayer in Sydney zu benachrichtigen, obwohl auch er nicht viel tun konnte. Es war merkwurdig, wenn man daruber nachdachte. Drei Schiffe: die Hebrus, ein veralteter Zweidecker mit vierundsechzig Geschutzen, die Tempest, und jetzt noch die uberfallige Brigg Pigeon. Schiffe, die so wenig zueinander pa?ten, wie man sich nur vorstellen konnte, aber alle drei standen unter dem Kommando von Kapitanen aus Cornwall, und jeder kannte die anderen.
        Als er die Pier erreichte, sah er Hardacre von seinem Schoner kommen.

«Gut«, begru?te er Bolitho.»Am besten kommen Sie gleich mit. «Es klang beunruhigt, wutend.»Tinah hat Nachricht uber die Piraten und diesen anderen Verruckten, de Barras. «Als sie bei Raymond eintraten, explodierte Hardacre.

«Haben Sie gewu?t, da? de Barras sich zwischen den Inseln im Norden wie Dschingis Khan auffuhrt? Kanus wurden unter Feuer genommen, und in dem ganzen Bereich herrscht eine Stimmung wie in einem Pulverfa?. Was, um Himmels willen, haben Sie sich dabei gedacht, ihm da oben freie Hand zu lassen?»

«Ma?igen Sie sich!«Aber Raymond war nichtsdestoweniger betroffen.»Woher wollen Sie das alles wissen?«»Mir trauen wenigstens noch ein paar Leute hier. «Die breite Brust hob und senkte sich schwer atmend.»Der Hauptling hat mich benachrichtigt: Tuke hat vor Rutara geankert. «Er warf den Kopf zuruck.»Vor der heiligen Insel.
«Er sah Bolitho an.»Wissen Sie von ihr?«»Nur sehr wenig.»

«Ja. «Hardacre ging rastlos hin und her, die Hande wie im Gebet zusammengelegt. Ein wenig einladender Ort mit kaum Wasser, von ein paar Regentumpeln abgesehen. Tuke kann sich dort eine Weile aufhalten. «Es klang sehr besorgt.»Kein Eingeborener wurde wagen, dort an Land zu gehen. «Raymond leckte sich die Lippen. Nun, das ist eine gute Nachricht, falls wir uns darauf verlassen konnen.«»Darauf verlassen?«Hardacre sah Raymond mit unverhullter Verachtung an.»Sie hat Tinah mehrere seiner Leute gekostet, und wahrscheinlich werden dafur verschiedene andere Inseln sich gegen ihn erheben. Weil er Ihnen geholfen hat.»
        Raymond blickte vor sich auf den Tisch, seine Finger trommelten auf der Platte, laut horbar in der plotzlichen
        Stille.

«De Barras wird vor der Nordinsel ankern, nachdem er seine Suche beendet hat. Sie werden unverzuglich den Schoner zu ihm schicken. Ich setze sofort eine Nachricht fur ihn auf.«»Der Schoner ist das einzige Fahrzeug, das ich hier zur Verfugung habe.»

«Das interessiert mich nicht. Es geht um Wichtigeres. «Raymond mustert ihn kalt. Wie Sie wissen, kann ich uber den Schoner verfugen.»
        Hardacre wandte sich geschlagen der Tur zu.»Ich spreche mit dem Kapitan. «Er schlug die Tur hinter sich zu.
        Raymond atmete sehr langsam aus.»Gut, gut, Captain. Vor wenigen Augenblicken tappten wir noch im dunkeln. Jetzt sieht die Lage besser aus, wenn man der Nachricht glauben kann. Sehr viel besser. «Er lachelte dunn.»Vielleicht ist es ganz gut, da? den Franzosen die Aufgabe zufallt, Tuke zu vernichten. Falls es Kritik von oben gibt, befinden wir uns dann in einer besseren Situation.»

«Ich mochte auch dorthin, Sir. Wenn nicht anstelle von de Barras, dann mit ihm.»

«Sie halten ihn nicht fur fahig, mit Tuke fertigzuwerden? Weil Sie selbst eine Abfuhr bekommen haben? Ist das der Grund?«Sein Lacheln wurde breiter.»Wirklich, Sie enttauschen mich, da? Sie Ihre Rachsucht so offen zeigen.«»Das hat damit uberhaupt nichts zu tun, Sir. «Bolitho wandte sich ab, sah wieder den verstummelten Leichnam vor dem Heckfenster der Narval hangen.»Zwei Schiffe waren besser als eins. Ich furchte Tukes Hinterlist ebenso sehr, wie ich de Barras' Fahigkeit mi?traue, seine Brutalitat im Zaum zu halten. Er konnte die Inseln hier zum Schlachtfeld machen.»

«Sie haben Ihre Chance gehabt, Captain Bolitho. Die Ziele sind jetzt klarer umrissen, und ich denke, de Barras wird meine Forderungen sehr bereitwillig erfullen, wenn er erst die Nachricht gelesen hat, die ich ihm schicken werde.
»Noch mehr Versprechungen?»
        Raymond ignorierte seinen Einwurf.»Sorgen Sie dafur, da? Sie jederzeit bereit sind, Anker zu lichten, wenn ich Sie brauche. Die Falle fur den Piraten ist aufgestellt, aber wir haben hier weiter unsere Arbeit. Wenn nur endlich diese verdammte Brigg kame!»
        Als Bolitho sich abwandte, um zu gehen, fragte Raymond beilaufig:»Und die Eurotas? Was haben Sie mir uber sie zu berichten?»
        Bolitho lie? eine Pause eintreten.»Sie wird von ihrer eigenen Besatzung bewacht, und nach Einbruch der Dunkelheit patroullieren meine Boote um sie herum.«»Es hatte mir auch sehr mi?fallen, Gegenteiliges zu horen. «Er trommelte wieder auf die Tischplatte.»Nein, ich bezog mich auf ihre Einsatzbereitschaft auf See.»

«Wie befohlen. «Bolitho musterte ihn, versuchte die gekunstelte Strenge zu durchschauen.»Sie ist ebenso einsatzbereit wie mein eigenes Schiff.«»Gut. Das hilft mir bei meiner Planung. «Bolitho kehrte zur Pier zuruck und sah seiner Gig entgegen, die auf ihn zuruderte. Raymonds Frage nach dem Transporter war ihm ein Ratsel. Die Eurotas hatte keinen Kapitan und eine nur unvollzahlige Besatzung. Wenn Raymond sich einbildete, er konne sie au?er in einem au?ersten Notfall einsetzen, wurde er herb enttauscht werden. Es sei denn… Nachdenklich strich Bolitho sich uber das Kinn. Es sei denn, Raymond beabsichtigte, sich mit seinen Papieren und Planen an Bord zuruckzuziehen und die Siedlung Hardacre zu uberlassen. Konnte es sein, da? er im Stillen nicht vorauszusehende Ereignisse furchtete? >Ich komme mir hier blind und taub vor<, hatte er gesagt. Seeleute waren daran gewohnt, sich auf ihre eigenen, bescheidenen Hilfsmittel zu verlassen, aber Leute wie Raymond, die im Umgang mit dem Parlament und Regierungsstellen geschult und ausgebildet worden waren, konnten ohne Nachrichten und Anweisungen vielleicht nicht
existieren.
        Bolitho fuhr aus tiefem Schlaf auf und stie? das Bettlaken beiseite, wahrend er zu erkennen versuchte, was ihn aufgestort hatte. Dann sah er ein Paar Augen im Dustern wie schwache Lampen glimmen und erinnerte sich, da? Orlando, der riesige Neger, jetzt die Aufgaben seines Stewards wahrnahm. Anscheinend war Allday bald nach Noddalls Tod auf diesen Gedanken gekommen, und da Orlando weiter seinen neuen Pflichten nachging, nahm Bolitho an, da? Allday mit ihm zufrieden war, obwohl in Anbetracht der vielen Fluche und Schimpfworte, die er mit anhoren mu?te, das Gegenteil erwartet werden konnte.»Was gibt es, Mann?»
        Er richtete sich in eine sitzende Stellung auf und bemerkte, da? seine Koje unbewegt blieb und von au?en nur die normalen Gerausche eines vor Anker liegenden Schiffes in die Kajute drangen. Es war stickig, und bei der Anstrengung lief ihm der Schwei? uber die nackte Haut.
        Orlando nickte und zog Bolithos Laken von der Koje,
        buckte sich dann und tastete nach Bolithos Schuhen.
        Allday tauchte in der Dunkelheit auf.»Ein Boot liegt langsseit, Captain. Mr. Raymond wunscht, Sie an Land zu sprechen. Der Kapitan der Pigeon ist bei ihm, wie es scheint.»
        Bolitho stellte die Fu?e auf die Planken, versuchte, die Neuigkeit zu verdauen. Gestern hatte der Ausguck auf dem Berggipfel Segel in Sudost gemeldet. Nach wenigen Stunden war die uberfallige Brigg Pigeon ausgemacht worden, und wieder einmal hatte Bolitho gespurt, da? die Erregung wie eine frische Brise durch das ganze Schiff lief: Nachrichten aus der Heimat! Erinnerungen wurden lebendig, bei allen.
        Auch in der Siedlung selbst war Interesse wach geworden. Feuer wurden angezundet, und der schwere Geruch nach Holz und gebratenem Fleisch strich uber die abgelegene Bucht.
        Und dann flaute der Wind ab; als sich die Dunkelheit uber die Inseln senkte, hatte die Brigg geankert, um das Licht der Morgendammerung fur eine sichere Passage zwischen den Riffen abzuwarten.
        Er horte Fu?e an Deck und das Knarren von Blocken, als ein Boot zu Wasser gebracht wurde. Das mu?te Herrick veranla?t haben, der dafur sorgen wollte, da? der Kapitan uber seine eigene Gig verfugte und nicht auf eines von Hardacres alten Langbooten angewiesen war. Er fragte:»Wie spat ist es?»

«Die Morgenwache ist gerade angetreten, Captain. «Allday rieb sich das Kinn.»Der Kapitan der Pigeon mu? im Boot an Land gekommen sein.»
        Bolitho sah ihn an. Wie schnell Allday auf den Kern der Dinge kam. Es mu?te etwas sehr Dringendes sein, was den Kapitan einer Brigg nach der langen und anstrengenden Reise von England so schnell an Land trieb. War es Krieg mit Spanien? Wurde die Tempest nach Hause beordert? Er dachte angestrengt nach, stellte seine eigenen Wunsche den Forderungen des Dienstes gegenuber. Viola wurde in
        Cornwall sicher sein, wahrend er… Er fluchte, als Orlando ihm versehentlich mit seinem kraftigen Ellbogen gegen den Leib stie?.
        Allday zundete eine Lampe an und grinste.»Das ist das Gute daran, wenn man stumm ist, Captain. Man braucht sich nie zu entschuldigen.»
        Bolitho blickte kritisch in den Spiegel. Halbnackt und verschlafen, mit in die Stirn hangendem Haar, sah er eher wie ein Vagabund aus als wie ein Kapitan des Konigs. Aber Orlando war geschaftig um ihn herum, hatte warmes Wasser aus der Kombuse geholt, und wahrend Allday sich mit Seife und Rasiermesser zu schaffen machte, legte er, wie befohlen, Bolithos Uniform zurecht. Er konnte das viel besser, als nach so kurzer Ubung zu erwarten war. Bolitho nahm an, da? der Neger fruher auf einem gro?en Besitz gedient oder andere uberwacht hatte, wenn sie ihre Herren bedienten.
        Herrick kam nach achtern und klopfte an die Tur.»Die Gig ist klar, Sir. «Er musterte die kleine Szene in der Kajute.»Wie ich sehe, brauche ich mir keine Sorgen zu machen. «Bolitho streifte das frische Hemd uber und lie? sich von Allday die Halsbinde knupfen.»Keine weiteren Neuigkeiten?»

«Nein. «Herrick sah mude aus.»Aber ich glaube, da? die Pigeon schlechte Nachrichten mitgebracht hat. Gute lassen sich immer viel Zeit.»
        Bolitho griff nach seinem Hut.»Wir werden sehen. «Er zogerte und gab Allday damit Gelegenheit, zur Pforte vorauszulaufen.»Halten Sie alles bereit, Thomas. Vielleicht mussen wir bei Morgengrauen Anker lichten.«»Jawohl. «Offensichtlich hatte er sonst an nichts anderes gedacht.»Nur das Landekommando konnte nicht alarmiert werden. Der junge Valentin Keen wird damit fertig werden mussen.»
        Leichtfu?ig lief Bolitho die Stufen hinauf und spurte die kuhlere Luft im Gesicht. Es war kurz nach vier Uhr morgens, und die Planken unter seinen Schuhen waren feucht. Er blickte zu den Rahen auf und fand, da? die Sterne bereits verbla?ten.
        Manner traten beiseite und andere zogen ihre Hute, als er sich in das Boot hinablie?. Durch die offenen Stuckpforten nahm er verschwommene Gesichter wahr: Die Wache unter Deck versuchte zu erraten, was vorging, wohin er in solcher Eile wohl fuhr.
        Als die Gig uber das glatte Wasser scho?, sa? er schweigend im Heck und beobachtete das Meeresleuchten um die eintauchenden Riemen. Er sah die Eurotas hoch uber ihnen aufragen, horte den scharfen Anruf:»Boot ahoi!«und Alldays prompte Antwort:»Wir passieren. «Bei den vielen Geruchten uber Unruhe und Aufruhr auf den Inseln waren die Wachen aufmerksamer als ublich, und ein Boot, das auf Anruf nicht antwortete, setzte sich der Gefahr aus, von einer Kartatschenladung uberschuttet zu werden. Bolitho erkannte Lichter hinter der Pier und wu?te, da? die gesamte Siedlung auf den Beinen war.»Riemen ein!»
        Bolitho sah den Steg uber sich aufragen und horte das Klicken von Metall, als der Buggast den Ringbolzen mit dem Bootshaken fa?te.
        Dann war er oben und schritt uber die Pier, verwundert, wie vertraut der Ort ihm in so kurzer Zeit geworden war.
        Er kam an einem Wachtposten Prideauxs vorbei. Die gekreuzten Brustriemen des Marinesoldaten schimmerten hell in der Dunkelheit. Dann durch das breite Tor und an dem Galgen voruber, wo der Aufseher Kimura auf ihn wartete.

«Nun?«Er konnte den Mann riechen: Schwei? und das farblose Getrank, das wie Rum schmeckte und einen umbrachte, wenn man zuviel davon trank.
        Kimura sagte mit seiner fremdartigen Stimme:»Sie warten oben, Sir. Mir haben sie nichts gesagt.»
        Nach der Fahrt in der Gig und dem Weg von der Pier herauf schien Raymonds Raum in blendendes Licht getaucht zu sein.
        Raymond stand in einem knochellangen Hausmantel aus rotem Satin mit zerwuhltem Haar neben dem Schreibtisch und blickte ungehalten auf die offene Tur. Hardacre sa? in einem Sessel, sein Gesicht war sehr grimmig, die Finger hatte er vor dem Bauch ineinander verschlungen. Und neben einem der verhangten Fenster bildete der Kapitan der Pigeon dazu einen krassen Gegensatz, brachte die Weite des Ozeans in den Raum.
        William Tremayne hatte sich kaum verandert, fand Bolitho, der auf ihn zuging und seine Hand ergriff. Breit und untersetzt, mit borstigem, grauem Haar und so dunklen Augen, da? sie im Lampenlicht wie nasse Kohlen schimmerten.
        Tremayne grinste.»Dick Bolitho!«Er druckte ihm die Hand mit einer Handflache, so rauh wie ungehobeltes Holz.»Wie geht's denn, mein Alter? Immer noch Kapitan?«Er lachte verhalten mit Lauten, die aus der Tiefe kamen und bei Bolitho sofort Erinnerungen auslosten.»Ich hatte damit gerechnet, da? du jetzt mindestens Chef der Marine des Konigs bist.»
        Raymond unterbrach schroff:»Ja, ja, schon gut. Setzen Sie sich bitte alle beide. Die herzliche Begru?ung kann warten. «Tremayne spahte mit unschuldigen dunklen Augen unter seinen Sessel.

«Was gibt es denn noch?«Raymond schien am Rand einer Explosion zu stehen.
        Tremayne sah ihn bekummert an.»Tut mir leid, Sir. Ich dachte, Sie sprechen mit einem Hund, und ich hab' nur nach ihm gesucht.»
        Raymond rausperte sich heftig, und Bolitho sah, da? seine Hande stark zitterten.
        Raymond sagte:»Die Lage ist ernst, Bolitho. «Tremayne fuhr unbekummert dazwischen: Ja, das ist sie, Dick. Ganz Europa ist in Aufruhr und droht zu explodieren.»
        Bolitho beobachtete Raymonds Hande.»Spanien?«»Schlimmer. «Raymond schien Schwierigkeiten zu haben, die richtigen Worte zu finden.»In Frankreich hat es eine blutige Revolution gegeben. Der Pobel hat die Herrschaft an sich gerissen, den Konig und die Konigin ins Gefangnis geworfen. Sie mogen vielleicht jetzt schon tot sein, wahrend wir noch hier sitzen. Den Berichten zufolge wurden Tausende gejagt und offentlich gekopft. Jeder von adliger
        Abstammung oder mit der geringsten Autoritat wurde ergriffen und abgeschlachtet. Unsere Kanalhafen sind mit Fluchtlingen uberfullt.»
        Bolitho spurte, da? ihm der Mund trocken wurde. Revolution in Frankreich? Das erschien ihm nicht moglich. Es war zu Aufruhr wegen der Lebensmittelversorgung und zu Unruhen gekommen, aber das hatte man nach dem Krieg auch in England erlebt. Er konnte sich gut vorstellen, wie diese Nachrichten zu Hause wirkten. Bei den Torichten und jenen, die nicht nachdachten, wurde es kurze Zeit Begeisterung daruber geben, da? ein alter Feind zusammengebrochen war. Und dann wurde kalte Logik und Verstandnis einsetzen. Frankreich war nur durch den Kanal von England getrennt, und es wurde vom Terror beherrscht. Wahrend er sich um die Aufgaben der Tempest gesorgt und die Nachricht von der Meuterei auf der Bounty von Timor nach Sydney gebracht hatte, war in der Welt, die zahlte, eine Brandfackel entflammt worden.
        Raymond sagte:»Das bedeutet Krieg. «Er starrte auf die Wand, als ob er erwarte, dort den Feind zu sehen.»Und der letzte wird im Vergleich dazu wie ein Scharmutzel erscheinen.»
        Tremayne betrachtete ihn neugierig und sagte dann zu Bolitho:»Es hat im vergangenen Juli angefangen. Inzwischen kann alles noch viel schlimmer geworden sein. Trotzdem wird es fur diesen Franzosen Genin eine gute Nachricht sein, nehme ich an. «Bolitho sah Raymond an.»Genin?«»Ja, Yves Genin, einer der fuhrenden Kopfe der Revolution. Gestern war auf ihn noch ein Preis ausgesetzt. Heute…«Bolitho starrte ihn an.»Ist das der Mann, den de Barras fangen will?«Er beobachtete, wie Schuldbewu?tsein an die Stelle von Unsicherheit trat.»Sie haben es gewu?t! Die ganze Zeit haben Sie gewu?t, da? Genin kein Krimineller ist, sondern aus politischen Grunden gesucht wird!«»De Barras hat es mir anvertraut, gewi?.
«Raymond versuchte, seine Haltung wiederzugewinnen.»Ich mu? meine Untergebenen nicht in alles einweihen. Und uberhaupt, was interessiert Sie das? Wenn es de Barras gelingt, Genin lebend zu fassen, ist das seine AAngelegenheit. Er wird eben den neuen Herren dienen, wenn er nach Frankreich zuruckkommt.»
        Tremayne sagte barsch:»Er ware ein Narr, wenn er das tate. Sein Kopf landete in einem Korb, noch ehe er >Beil< sagen konnte. Wenn nur die Halfte von dem stimmt, was ich gehort habe, mu? in Paris die Holle los sein. «Zum ersten Mal nahm Hardacre das Wort. Er sprach sehr leise und beherrscht.»Sie haben nicht ein Wort begriffen, Mr. Raymond, wie?«Er stand auf, ging zum nachsten Fenster und zog den Vorhang beiseite.»Kapitan Bolitho hat es verstanden, selbst ich, ein Mann vom Lande, habe es verstanden, aber Sie?«Seine Stimme hob sich etwas.»Sie sind von Ihrer Gier und Ihrer eigenen Bedeutung so erfullt, da? Sie nichts begreifen. In Frankreich hat eine Revolution stattgefunden. Sie kann sich sogar auf England ausdehnen, und Gott wei?, es gibt genug, die ohne sie nie Gerechtigkeit erfahren werden. Aber hier drau?en, auf diesen Inseln, die Sie nur als Sprungbrett fur Ihre verdammte Zukunft ansehen, was bedeutet sie hier wirklich?«Er schritt an den Tisch und hob aggressiv den Kopf.»Nun? Sagen Sie es doch, verdammt noch mal!»
        Bolitho beschwichtigte:»Langsam, Mr. Hardacre. «Er wandte sich dem Tisch zu.»Wenn Sie mir gesagt hatten, da? Genin der Mann ist, der bei Tuke Zuflucht gefunden hat, hatte ich vielleicht einiges vorausgesehen. Jetzt kann es zu spat sein. Wenn Tuke von der Revolution erfahrt, wird er in Genin nicht lediglich eine wertvolle Geisel sehen, sondern auch ein Mittel zum Zweck. Genin ist nicht langer ein gejagter Fluchtling, er vertritt sein Land, ebenso wie Sie oder ich das unsere vertreten.»
        Raymond blickte zu ihm auf, seine Augen waren glasig.»Die Narval ? Geht es um sie?

        Angewidert wandte Bolitho sich ab.»Wenn die Besatzung der Narval von dem Umsturz in Frankreich erfahrt, wird sie de Barras und seine Offiziere in Stucke rei?en.
«Tremayne sagte nuchtern:»Ich nehme an, er wei? Bescheid. Ich horte, da? wenige Tage vor mir zwei franzosische Postschiffe Kap Horn gerundet haben. Wenn man mich fragt, ist die Nachricht schon uber den ganzen Ozean verbreitet.»
        Bolitho versuchte zu denken, ohne sich von seinen Gefuhlen beeinflussen zu lassen. Die vielen Seegefechte, die Namen der Kapitane, franzosische und englische in gleicher Weise, die zu Teilen der Geschichte geworden waren. Der Geschichte, die er mitgestaltet hatte. Wie auch Le Chaumareys.
        Dieser weite Ozean wurde von Schiffen aller Art bevolkert, von stattlichen Indienfahrern bis zu Briggs und Schonern, bis zu winzigen Kanus in Fulle. Ja, die Nachricht wurde sich sehr schnell verbreiten.
        In den sieben Monaten seit dem Ausbruch der Revolution konnte sich schon die ganze Welt verandert haben. Nur eines war klar erkennbar wie ein Wrack auf einem Riff: Tuke wurde die Narval nehmen. Es war so unausweichlich, da? er den Wunsch unterdrucken mu?te, in die Dunkelheit hinaus zu rennen. Die Besatzung von de Barras wurde sich der neuen Flagge bereitwillig unterwerfen. Nach der barbarischen Weise, wie sie unter de Barras hatte leben und dienen mussen, wurde sie ihn wie eine Flutwelle hinwegschwemmen.
        Und dann konnte Tuke in seiner neuen Rolle auftreten, nicht mehr als gefahrlicher und lastiger Pirat, sondern als eine reale Kraft, mit der man rechnen mu?te. In einem hatte Raymond recht: Es bedeutete Krieg. England konnte nicht tatenlos zusehen, da? sich ein neues Frankreich auf seine Kosten ausbreitete. Jedes Schiff wurde dringend benotigt werden. Sie waren nicht einmal auf einen Zusammensto? mit Spanien vorbereitet. Was sollten sie tun, wenn ihnen ein frisch belebtes Frankreich gegenubertrat? Tuke konnte mit seiner kleinen, aber durch nichts bedrohten Flottille tun, was ihm gefiel, nehmen, was er wollte. Ein Imperium grunden, wenn das sein Wunsch war. Bolitho sah Raymond wieder an. Dieser hatte die ganze Zeit uber Genin Bescheid gewu?t.
        Tremayne sagte:»Ich gehe morgen wieder in See. «Er grinste.»Das hei?t, heute.»
        Ausdruckslos sagte Raymond:»Die Pigeon fuhrt Depeschen fur den Gouverneur von Neusudwales mit. «Tremayne nickte.»Und fur Kommodore Sayer. Fur dich wird er schleunigst neue Befehle ausschreiben, Dick«. Hardacre beugte sich aus dem Fenster und prufte die frische Luft.»Bald wird es hell. «Ohne sich umzudrehen, fuhr er fort:»Und mein Schoner sucht nach de Barras. Wenn Tuke das alles schon wei?, kommt er aus seinem Versteck heraus. Den Angriff durch eine Fregatte wird er nicht riskieren. Die Narval wurde aus seinen kleinen Schiffen Feuerholz machen, ehe er auch nur in ihre Nahe kommt. «Bolitho dachte an die schweren Geschutze, welche die Tempest verkruppelt hatten. Wie zu sich selbst sagte er:»Tuke braucht nur abzuwarten. Wenn de Barras die Neuigkeiten erfahrt, wird er nur noch verzweifelter versuchen, seinen Gefangenen wiederzubekommen. Sein Schiff ist alles, was er jetzt noch hat. Ohne die Fregatte ware er so gut wie tot.»
        Tremayne stand auf, seine Seestiefel knarrten.»Ich segle sofort, Dick. Falls du Depeschen fur mich hast, ware ich dankbar, wenn ich sie vor Mittag bekomme. «Er versuchte zu grinsen.»Aber ihr sitzt hier alle schon sicher. Deine Fregatte und der gro?e Transporter in der Bucht konnten eine Armee zuruckschlagen, was?»
        Raymond sagte scharf:»De Barras ist nicht langer unsere Sorge. Es ist diese Siedlung hier. Ich werde bald mehr Leute und Nachschub bekommen. Sobald sie eintreffen, werden Tuke und sein Anhang verschwinden und sich andere Jagdgrunde suchen.»
        Tremayne musterte ihn ruhig.»Wenn Sie das glauben… «Er wandte sich ab.»Ich werde ein Boot zur Tempest schicken, eine Stunde, ehe ich Anker lichte. Senden Sie Ihre Depeschen dorthin. «Er ergriff Bolithos Hand.»Ich werde ihnen von dir erzahlen, Dick, wenn ich in Carrick Road wieder vor Anker gehe. Deine Schwester sehe ich oft. Ich werde sie gru?en.»

«Danke, William. Aber vielleicht bin ich schon vor dir dort.»
        Als Kapitan Tremayne den Raum verlie?, legte sich auf Bolitho plotzlich eine schwere Last. Wie ein boser Traum, in dem niemand zuhoren will oder versteht, was man sagt. Wenn Tuke ungehindert wuten konnte und die Ordnungskrafte unfahig oder nicht willens waren, ihm Einhalt zu gebieten, mu?ten die Inselbewohner wie in der Vergangenheit wieder ubereinander herfallen. Speer und Kriegskeule wurden Handlern und Piraten den Weg offnen, die Inseln nach Belieben auszuplundern. Er bemerkte, da? Hardacre ihn beobachtete. Er wu?te Bescheid: Verrat - es gab kein anderes Wort dafur. Aber wurden die franzosischen Seeleute sich gegen ihre Offiziere erheben? Ungeachtet dessen, was Tuke und Genin ihnen versprechen mochten, wurden sie wirklich meutern und die Ordnung zerschlagen, der widerspruchslos zu gehorchen eine strenge Disziplin sie gelehrt hatte? Wenn ein Volk sich gegen seinen Konig erhob und Morder auf den Stra?en loslie?, war ihm alles zuzutrauen, mu?te Bolitho grimmig eingestehen.
        Er sagte:»Ich fordere hiermit die Genehmigung, in See zu gehen, Sir. Ich werde de Barras finden und ihm berichten, was wir wissen. Es ware weit besser, ihn und sein Schiff fortzuschicken, als durch Schweigen uberlegene Streitkrafte auf uns zu ziehen.»

«Nein. «Es war nur dies eine Wort, aber es hallte wie ein Schu? durch den Raum.
        Hardacre sagte:»Dann werde ich jetzt ins Dorf gehen und mit Tinah sprechen. Wir mussen Vorkehrungen treffen. «Er sah Bolitho an.»Zweifellos haben auch Sie noch einiges zu klaren.»
        Als die Tur sich hinter ihm schlo?, sagte Raymond:»Ich habe meine Ve rantwortung, und Sie sind hier, um mich nach Kraften zu unterstutzen.»

«Ich kenne meine Befehle, Sir. «War es moglich, da? er so ruhig sprach, obwohl er nichts anderes wunschte, als Raymond bei den Revers seiner kostbaren Robe zu packen und ihn zu schutteln, bis er blau im Gesicht wurde?» Gut. Meiner Meinung nach wird de Barras Tuke entweder uberwinden oder nach Frankreich zuruckkehren, wenn er erfahrt, was sich ereignet hat. So oder so braucht er uns nicht mehr zu interessieren. Es wird zum Krieg kommen, wenn er nicht schon begonnen hat, und wir mussen die Levu-Inseln unseren Anweisungen entsprechend vorbereiten. «Sein Mund wurde hart.»Und ich mochte doch annehmen, da? Sie in der Lage sind, Tukes Schoner zu vertreiben, falls er uns zu nahe kommen sollte.«»Wissen Sie, was ich denke, Sir?«Bolitho beugte sich aus dem Fenster und packte mit beiden Handen das Sims, um zu verhindern, da? sie zitterten.»Ich glaube, da? es hier keine Niederlassung geben wird, weder jetzt noch irgendwann. Krieg, wie wir ihn kennen, war nichts als Blechmusik. Der Krieg, der kommt, wird von Giganten ausgefochten. Fur Inseln und die Gouverneure, die sie regieren, wird kein Bedarf bestehen, noch
wird man Zeit fur sie haben. «Langsam atmete er tief ein, roch die See und spurte, wie sie ihn anzog.»Und hierher wird weder Nachschub noch Verstarkung kommen.»

«Sind Sie verruckt?«platzte Raymond heraus.»Was glauben Sie denn, weshalb man mich hergeschickt hat?«Bolitho sah ihn nicht an.»Denken Sie daruber nach. Ich wurde Ihretwegen hier drau?en festgehalten, weil ich vor funf Jahren Ihre Autoritat in Frage gestellt und zwischen Ihnen und dem Mann stand, dem Sie Unrecht getan und dessen Karriere Sie vernichtet haben. Aus anderen, personlichen Grunden benutzten Sie Ihren Einflu?, mich hier stranden zu lassen. De Barras ist ein anderer Fall. Er wurde zu spat aus Frankreich verbannt. Inzwischen haben seines-gleichen Wut und Ha? geschurt, die sich auch gegen uns wenden und unsere Welt zu zerstoren versuchen werden. Und Sie? Finden Sie es nicht merkwurdig, da? es Sie in unsere kleine Welt verschlagen hat?«Da er keine Antwort erhielt, drehte er sich um. Raymond starrte vor sich auf den Tisch, die geoffneten Depeschen lagen zwischen seinen Armen ausgebreitet. Schlie?lich sagte er heiser:»Sie irren sich. Selbstverstandlich werde ich Unterstutzung bekommen. Ich habe mein ganzes Leben gearbeitet, um angemessene Anerkennung zu finden. Ich werde nicht untatig bleiben und
zusehen, da? alles… «Muhsam stand er auf, seine Augen funkelten.»Ich bin hier Gouverneur. Sie werden tun, was ich sage.»
        Regungslos standen sie einander gegenuber wie zwei Fremde.
        Als Bolitho sich dann abwandte, um zu gehen, horte er
        Stimmen drau?en auf dem Hof und Schritte auf der Treppe.
        Es war weder Hardacre noch sein Aufseher, sondern
        Leutnant Keen. Er trug nur Hemd und Breeches und schien au?er sich vor Sorge zu sein.

«Tut mir leid, da? ich Sie store, Sir.»
        Er wirkte so elend, da? Bolitho ihn am Arm fa?te und auf die Treppe hinausfuhrte.

«Was gibt es?»

«Ich habe eine Freundin, Sir. Sie, sie…»

«Ja, ich habe sie gesehen. «Bolitho hatte keine Ahnung, um was es ging.»Sprechen Sie weiter.»

«Ich war mit ihr zusammen. Ich hatte meinen Dienst beim Arbeitskommando beendet und die Leute zu ihrem Quartier gebracht, und dann…«Schwei? rann ihm uber das Gesicht, als er herausplatzte:»Um Gottes willen, Sir, ich furchte, bei uns ist Fieber ausgebrochen!«Er wandte sich ab, seine Schultern bebten.»Sie liegt nur einfach da, kann nicht sprechen. «Er brach vollig zusammen. Bolitho blickte an Keen vorbei auf die Baume und das schimmernde Wasser dahinter. Eine neue Morgendammerung? Es war eher wie der letzte Tag. Nachdenken.

«Ich komme gleich mit Ihnen. «Er kehrte in den Raum zu Raymond zuruck und kramte in Papieren, bis er ein Blatt fand, auf das er schreiben konnte.»Ich mu? eine Nachricht an Allday schicken. «Raymond fragte dumpf:»Was murmeln Sie da vor sich hin?«Bolitho antwortete:»Ich wurde Ihnen empfehlen, das Tor zu verschlie?en. Auf der Insel scheint Fieber ausgebrochen zu sein. «Raymond blieb der Mund offenstehen.»Unmoglich! Sie versuchen nur, meinen Befehl zu umgehen. «Er bemerkte Bolithos Gesichtsausdruck und fugte hinzu:»Ihr Leutnant irrt sich. Er mu? sich irren!»
        Bolitho verlie? den Raum. Revolution auf der anderen Seite der Welt, die Inseln hier warteten nur darauf, da? ihre
        Herren sich untereinander bekampften, und jetzt war, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, der schlimmste Schlag erfolgt. Durch einen Feind, der von innen kam und gegen den es keine Abwehr gab.



        XIII Freiwillige

        Bolitho kniete auf der Binsenmatte und blickte auf das junge Madchen hinab. In der Hutte, die erst vor wenigen Tagen gebaut worden war, herrschte fast vollige Stille, als ob die umstehenden Baume, sogar die Inseln selbst lauschten. Uber seinem Kopf horte er das gedampfte Surren von Insekten, die gegen Keens Laterne schwirrten, und das unregelma?ige Atmen des jungen Leutnants, der ihm uber die Schulter sah. Er hielt das Handgelenk des Madchens, konnte aber so gut wie nichts fuhlen. Ihre glatte Haut war feucht, und ihr Herz schlug schnell und gehetzt.
        Hardacre drangte sich zwischen einem Marinesoldaten und zwei Eingeborenen vorbei in den Lichtschein der Laterne. Mit seinen gro?en Handen tastete er den Korper des Madchens ab und sah dann in Keens verangstigtes Gesicht auf.

«Sie hat das Fieber. Wie sehr hangen Sie an ihr?»
        Keen antwortete gebrochen:»Mit allem, was ich habe! Sie mu? leben, sie mu?!»
        Hardacre stand auf.»Decken Sie sie gut zu. Auch wenn sie versucht, die Decken abzuwerfen, halten Sie sie warm. «Er sah Bolitho an und ging mit ihm aus der Hutte. Der Himmel war jetzt viel heller, und einige Vogel hatten schon angefangen zu zwitschern.

«Schon fruher ist Fieber auf den Inseln aufgetreten. Im vergangenen Jahr, fruhzeitig. Viele starben. Sie haben wenig Widerstandskraft. «Er blickte auf die Tur der Hutte.»Ich furchte, Ihr Leutnant wird seine Freundin verlieren. «Seine grimmigen Zuge wurden sanfter.»Sie verstehen kaum ein Wort von der Sprache des anderen. Ich habe sie zusammen beobachtet. Sie ist Malua, Tinahs Schwester, und wird sehr vermi?t werden. «Er blickte Bolitho ernst an.»Ich werde ins Dorf gehen, dort gibt es gewisse Wurzeln und Krauter.
        Vielleicht besteht eine Chance. «Er hob die Schultern.»Aber wer wei?, was kommen wird?«Bolitho horte Schritte auf dem Sand und sah Allday eilig auf sich zukommen.

«Sie sollten Mr. Herrick meine Nachricht bringen!«Allday sah ihn sehr ruhig an. Ja, Captain. Aber ich habe den zweiten Bootsfuhrer mit der Gig zuruckgeschickt; ein zuverlassiger Mann. «Er reckte die Schultern.»Ich kenne mich mit dem Fieber aus und wei?, was zu tun ist. Mein Platz ist hier bei Ihnen.»
        Bolitho wandte sich ab, tief geruhrt von Alldays unerschutterlicher Loyalitat, aber auch verzweifelt uber das, was sie wirklich bedeutete. Fur sie beide. Keen kam aus der Hutte, seine Augen leuchteten wieder.»Es scheint ihr besser zu gehen, Sir. «Bolitho nickte. Wie wir uns doch selbst tauschen, wenn das Schlimmste bevorsteht.»Hardacre holt Hilfe. Er ist meine gro?te Hoffnung.»
        Keen schien benommen.»Ich dachte, da? der Arzt kommen wurde, Sir.»
        Bolitho blickte zum Himmel auf.»Sie mussen wissen, was geschehen kann, Mr. Keen, uns allen. Vielleicht ist das Fieber ortlich beschrankt und kann unter Kontrolle gehalten werden. Andererseits sind viele Seuchen fur diese Inseln neu - und ihre Behandlung ist unbekannt -, da sie von Au?enstehenden eingeschleppt werden. Von Leuten wie uns. Aber - «, er bemerkte die Angst, die sich auf Keens Gesicht widerspiegelte -,»wir mussen an das Schiff und unsere Aufgabe denken. Falls wir Mr. Gwyther an Land rufen, berauben wir das Schiff seiner Hilfe, wenn es ihn braucht. Denn ich konnte ihm nicht erlauben, wieder an Bord zu gehen.»
        Keen nickte ruckartig.»Ja, Sir. Ja, ich verstehe jetzt. «Bolitho begriff seine Empfindungen, seine Angste. Beinahe schroff sagte er:»Wir mussen also klare Verhaltnisse schaffen. Sie fungieren hier als mein Stellvertreter. Meines Wissens ist Mr. Pyper ebenfalls an Land, und von heute an gilt er als Leutnant. Geben Sie das bekannt. Ich habe Mr. Herrick schon angewiesen, Mr. Swift und Mr. Starling, den
        Steuermannsmaat, im gleichen Rang einzusetzen. Wir werden unser ganzes Konnen brauchen, und es ist besser, wenn wir so viele wie moglich in den Schlusselpositionen haben. Allerdings wurde ich nach dem, was ich in den letzten Monaten von meinen Leuten gesehen habe, jeden einzelnen befordern, wenn mir das moglich ware.«»Hier kommt noch einer, Captain«, sagte Allday und fugte hastig hinzu:»Fassen Sie ihn nicht zu hart an. Er glaubt, er tut sein Bestes.»
        Orlandos gro?e Gestalt tauchte im Morgenlicht auf. Er glanzte vor Nasse, und das Wasser lief noch an ihm herunter, als er auf die Hutten zukam. Bolitho sah uber die Bucht hinaus, aber die Schiffe waren im Dammerlicht noch nicht auszumachen. Orlando war auf eigene Faust an Land geschwommen. Er mu?te gehort haben, wie Herrick seine Befehle gab, oder jemand hatte die Nachricht von dem Fieber verbreitet. So oder so, er war gekommen. Da er nicht sprechen und auch nichts fragen konnte, blieb er nur vor Bolitho stehen und sah ihn an, als erwarte er einen Schlag ins Gesicht. Ruhig sagte Bolitho:»Ich furchte, eine Kajute, in der du dir zu schaffen machen konntest, gibt es hier nicht, und fur einige Zeit auch sonst sehr wenig zu tun. «Ungeduldig streckte er die Hand aus, wie Allday es oft an ihm gesehen hatte, und packte Orlandos Arm.»Deshalb ubertrage ich dir also die Aufsicht uber die Lebensmittelbestande. «Dankbar lie? der Neger sich auf die Knie sinken. Bolitho wandte sich ab, und Allday stie? den Neger mit dem Fu? an.»Steh auf, du Dummkopf!«Er grinste, um seine Ruhrung zu verbergen.»Siehst du denn
nicht, was du dem Captain antust, Mann?»
        Als die ersten Sonnenstrahlen auf die Gipfel der Berge und durch das Laub der Baume auf die Bucht fielen, hatte Bolitho festgestellt, uber wen alles er verfugen konnte. Neben Keen und Pyper standen ihm noch Sergeant Quare und der Bootsmannsmaat Jack Miller zur Seite. Von den Arbeits-kommandos waren nur zwei Marinesoldaten und sechs Matrosen an Land geblieben.
        Die meisten Ve rwundeten hatten sich soweit erholt, da? sie schon wieder auf dem Schiff dienten, nur der Marinesoldat mit der Speerwunde im Bein und zwei Matrosen waren noch an Land. Wenn es noch schlimmer kam, konnte man auch sie wieder zur Arbeit heranziehen.
        Keen kehrte zuruck und sah zur Hutte hinuber.»Ich habe die Leute antreten lassen, Sir. Sie scheinen zu verstehen, was von ihnen erwartet wird.»
        Zum Gluck waren die meisten Manner wegen ihrer Fahigkeiten und ihrer Zuverlassigkeit fur die Arbeit an Land ausgesucht worden. Manner wie Miller, der sich als erstklassig erwiesen hatte, auch wenn er sich in der Schlacht in einen hemmungslosen Killer verwandelte. Penneck, der Kalfaterer des Schiffes, der bei den Hutten letzte Hand angelegt hatte. Der gro?e Bottcher, Tom Frazer, vertrauenswurdig, wenn er nicht trank. Jenner, der vertraumte Amerikaner, und ein weiterer Weltenbummler, der in Frankreich geborene Lenoir; dazu der ehemalige Wildhuter Blissett. Der letztere sah in dieser neuen Isolierung hochstwahrscheinlich eine Chance, sich die Korporalstreifen zu verdienen.

«Danke. «Bolitho lachelte.»Bleiben Sie bei Ihrer Malua. Ich brauche Sie einstweilen nicht. «Er winkte Allday.»Wir gehen jetzt zur Siedlung und sprechen mit Mr. Raymond. Die Straflinge mussen vom Dorf und von uns abgesondert werden. So konnen die Wachen vom Corps sie beaufsichtigen und gleichzeitig zur Verteidigung der Einfriedung und des Ankerplatzes eingesetzt werden. «Er war selbst verwundert daruber, wie schnell seine Ideen sich in Aktionen umsetzen lie?en. Es war der reine Wahnsinn. Was konnten er und eine Handvoll Manner hier ausrichten? Sobald die Eingeborenen vom Fieber dahingerafft wurden, mu?te die Lage schnell unhaltbar werden. Zu einer langen Belagerung wurde es gar nicht erst kommen, sondern gleich zum Massaker. In der langgestreckten Hutte, die Gwyther als Lazarett benutzt hatte, sa?en der Billyboy genannte Marinesoldat und die beiden verwundeten Matrosen. Er spurte ihre Unsicherheit, ihre neue Angst.

«Keine Sorge«, sagte Bolitho aufmunternd.»Ihr seid nicht vergessen.»

«Geht es wieder los, Sir?«fragte Billyboy.»Konnen Sie eine Muskete halten?»
        Der Marinesoldat nickte nachdrucklich.»Bestimmt, Sir. Mir geht's jeden Tag besser. Nur das Bein…«Bolitho lachelte.»Gut. Sie werden sofort bewaffnet, und ich ernenne Sie zum Waffenmeister.»
        Er ging weiter, Allday an seiner Seite. Waffen? Im Fort gab es Drehbassen und einige Sechspfunder. Kaum eine nennenswerte Artillerie, aber sie konnte jeden Angreifer von der Pier fegen wie Kies von der Stra?e. Auf einer Anhohe blieb er stehen und sah auf die Bucht hinaus. Die Tempest lag wie zuvor gelassen uber ihrem Spiegelbild. Die Aufregung, die seine Nachricht an Bord geschaffen haben mu?te, war aus der Ferne nicht wahrzunehmen. Der arme Thomas. Ohne sein Pflichtgefuhl ware auch er hier gewesen.
        Bolitho sah zur Eurotas hinuber. Das Beste ware, die Straflinge dorthin zu verlegen, statt sie an Land zu behalten und die Gefahr einer Ansteckung noch zu vergro?ern. Er versuchte angestrengt, Schwachen oder Mangel in seinen rasch gefa?ten Planen zu entdecken. Vor wenigen Stunden erst hatte alles angefangen. Das Leben konnte blitzschnell eine neue Wendung nehmen, ohne die geringste Andeutung einer Warnung.
        Die Pier lag verlassen da, und Hardacres Langboote dumpelten leicht an ihren Tauen, die Dollborde von der Sonne so versengt, da? kaum noch Spuren von Lack oder Farbe zu entdecken waren.
        Sie kamen an das gro?e Tor, und Bolitho sah zwei Soldaten des Corps ihn von einem der kleinen Blockhauser her beobachten.
        Allday rief:»Offnet das Tor fur Kapitan Bolitho!»
        Ein Offizier erschien auf der Brustwehr, den Waffenrock in der Sonne so rot wie Blut.

«Tut mir leid, Captain. Aber der Gouverneur hat befohlen, das Tor fur jedermann verschlossen zu halten! Zur Sicherheit meiner Leute und aller, die im Fort Dienst tun, aber auch der gesamten Siedlung wird diese Vorkehrung fur das beste gehalten.

        Bolitho starrte ihn an; sein Verstand blieb kuhl, trotz der Ungeheuerlichkeit von Raymonds Verrat. Er rief:»Wir mussen zusammenhalten! Die Schiffe sind ein Teil, die Inseln der andere. Wenn wir der Bedrohung durch einen Angriff oder der Krankheit entgegentreten wollen…«Angewidert brach er ab. Seine Worte hatten wie eine flehende Bitte geklungen.
        Allday sagte heiser:»Ich nehme mir diesen Schuft vor, Captain! Ich schlitze ihn auf wie einen Hering!«»Nein.»
        Bolitho wandte sich ab. Raymond konnte tun, was er wollte. Durch das Fort flo? ein unterirdischer Bach, brachte jede Menge Trinkwasser. Hardacre hatte die Lage sehr klug bestimmt. Sie mu?ten reichlich Lebensmittel haben, weit mehr, als sie brauchten, da sie nach den Verlusten der Miliz weniger Personen zu verpflegen hatten. Wenn au?erhalb der Palisaden alle starben und die Eingeborenen dezimiert wurden, konnte Raymonds Entscheidung, das zu retten, was noch zu retten war, als brillanter Plan hingestellt werden. Besonders fur jemanden hinter einem prachtigen Schreibtisch auf der anderen Seite des Globus.»Wir gehen zu den Hutten zuruck. «Er warf Allday einen raschen Blick zu, als sie den Abhang wieder hinunter und auf die Baume zugingen. Woran erkannte man die ersten Anzeichen fur Fieber? Es war die geheime Furcht jedes Seemanns. Bolitho konnte das Verhalten der Soldaten im Fort verstehen. Aber es war eine torichte Schutzma?nahme, denn Gelbfieber uberwand schnell jeden Wall.
        Er traf Pyper dabei an, eine Liste der vorhandenen Vorrate aufzustellen, und sagte:»Schicken Sie einen Mann auf die Pier, um die Schiffe zu beobachten. «Er sagte es nuchtern, um Pyper nicht auf irgendwelche Gedanken zu bringen, falls er nicht schon von selbst darauf gekommen war. Die Schiffe bedeuteten Sicherheit unter den eigenen Leuten. Wahrend hier…
        Pyper nickte.»Ja, Sir.»
        Ungeachtet dessen, da? er provisorisch zum Leutnant ernannt worden war, sah Pyper sehr jung und verletzbar aus. Wie Keen fruher, als er unter Bolithos Kommando gekommen war.
        Im Innern der Hutte war es kuhl. Bolitho blickte auf das Madchen hinab und erschrak, als er sah, wie sehr es sich in kurzer Zeit verandert hatte. Das Gesicht war verzerrt, der Mund zuckte wie in Trance.
        Hardacre wischte ihr mit einem Tuch uber die Stirn. Er stand auf und sagte:»Ich habe von Raymonds Entscheidung gehort. Ich hatte mir denken konnen, da? er nichts taugt. Ein Regierungsspitzel, ein Lakai.»
        Bolitho erwiderte:»Haben Sie ein paar Minuten Zeit?«Drau?en zog Hardacre eine flache Flasche aus seinem Gewand und bot sie Bolitho an.

«Gesunder als Wasser. Macht es einem auch leichter, ruhig zu bleiben.»
        Bolitho lie? sich die Flussigkeit uber die Zunge rinnen. Sie brannte, stillte aber den Durst.
        Er sagte:»Ich denke an das, was Sie uber die Insel Rutara gesagt haben. Da? sie Tuke ein gutes Versteck bieten wurde.»
        Hardacre lachelte.»Wie konnen Sie noch an diese Dinge denken? Das liegt doch jetzt hinter uns.»

«Sie bezeichneten sie als heilige Insel.»

«Das stimmt. Es ist ein rauher, felsiger Ort, nicht geeignet,
        bewohnt zu werden. Aberglaube und Angst sind aus ihr entstanden. Die Eingeborenen wollen dort nicht an Land gehen. Halten es fur ein Sakrileg, ein Vorzeichen fur Krieg.
        Tuke wird das wissen.»

«Und de Barras?»

«Der wohl nicht.»
        Bolitho dachte an die falschen Masten, an die Qual und den Schock der Beschie?ung. Er hatte gewu?t, da? Tuke einen Plan verfolgte. Vielleicht war alles nur eine Probe fur das Bevorstehende gewesen. De Barras wurde mit feuernden Geschutzen in die Bucht einlaufen, ob er nun uber Genin und die Revolution Bescheid wu?te oder nicht. Die Wildheit des Kampfes konnte auf seinem Schiff schnell wieder Ordnung und Disziplin schaffen und die Vernichtung
        Tukes fur kurze Zeit Sicherheit bringen.
        Doch von all dem wurden die Insulaner nichts wissen und sich auch nicht dafur interessieren. Fur sie waren Tuke, de
        Barras und die englischen Matrosen alle gleich: feindselig,
        fremd, gefurchtet. Doch sobald sie von seinem Ubergriff auf ihre heilige Insel erfuhren, wurden die letzten Schranken fallen.
        Tuke wurde sich zuruckhalten und auf seine Chance warten, wie er es bisher schon getan hatte. In der Zwischenzeit die Eurotas erobern, Dorfer plundern und niederbrennen, Menschen erbarmungslos ermorden. Da es ihm auch gelungen war, ein Schiff des Konigs durch einen simplen Trick zu ubertolpeln, hatte de Barras wahrscheinlich keine Chance gegen ihn.
        Bolitho blickte auf die Palmwedel, die in der sanften Brise leicht schwankten. Hardacres Schoner war ein flinkes Schiff, aber die Tempest verfugte uber die gro?ere Segelflache. Er kam zu einem Entschlu?.»Allday, stellen Sie eine Bootsbesatzung fur einen Kutter Hardacres zusammen. Ich will zu meinem Schiff. «Er bemerkte Alldays unglaubiges Gesicht und fugte hinzu:»Schon gut. Nur in seine Nahe.»
        Spater, als das Boot in der leichten Dunung stampfte, erfuhr Bolitho, was es bedeutete, von seinem Schiff getrennt zu sein.
        Das Boot hielt sich unter dem Heck der Tempest, und Bolitho nahm die vielen Gestalten auf dem Achterdeck und in den Wanten wahr, die stumm beobachteten, wie die Riemen das Boot in Position hielten. Aus den Fenstern der Kajute starrten Herrick und Borlase zu ihm herunter, und es kostete ihn alle Kraft, au?erlich ruhig, sogar formlich zu bleiben.

«Sagen Sie Mr. Lakey, er soll den Kurs zur Insel Rutara absetzen. Ich wunsche, da? Sie sofort Anker lichten und mit jedem Faden Tuch dort hinsegeln. «Weiter hinten in der Kajute konnte er Cheadle, seinen Schreiber, erkennen. Der wurde alles festhalten. Bolitho ubertrug niemals seine Kommandogewalt, ohne das schriftlich niederzulegen. Und wenn diesmal seine
        Unterschrift auch nicht darunter erscheinen wurde, so genugte es doch, um Herrick zu decken, wenn etwas schiefging. Zwei Drittel der Besatzung horten zu, die besten Zeugen, die es gab.
        Er fuhr fort:»Rutara ist den Insulanern hier heilig. Ich befehle Ihnen, in der Lagune dort zu ankern, aber lassen Sie keinen einzigen Mann an Land! Haben Sie mich verstanden?»
        Herrick nickte.»Aye, aye, Sir.»

«Wenn Tukes Schoner dort sind, dann zerstoren Sie sie. Ihre Aktionen werden beobachtet werden. Die Eingeborenen sollen begreifen, da? wir nicht hier sind, um ihren Glauben zu mi?achten und Krieg unter ihnen anzuzetteln.«»Und wenn ich de Barras begegne, Sir?«Bolitho sah zu ihm auf und versuchte, seine Empfindungen zu erraten.»Befolgen Sie meine Befehle. Wenn de Barras noch Kommandant ist, mussen Sie ihn uber die Vorgange in seinem Land informieren. Wenn die Narval eine andere Flagge zeigt, dann drehen Sie ab.«»Ohne Kampf, Sir?»

«Ob es Ihnen gefallt oder nicht, Mr. Herrick, wir konnen nicht wissen, ob wir uns mit Frankreich im Krieg befinden.«»Kann ich sonst noch etwas tun, Sir?«Herricks Stimme klang unglucklich.

«Schicken Sie einen kurzen Bericht zurPigeon. Formulieren Sie ihn selbst. Jemand mu? erfahren, was wir vorhaben. «Es hatte keinen Sinn zu erwahnen, da? Raymond sie aus der Siedlung ausgesperrt hatte. Selbst Herrick konnte sich weigern, seinen Befehl zu befolgen, wenn er davon erfuhr.»Noch etwas, Mr. Herrick. «Bolitho machte eine Pause und sah seinen Ersten Offizier fest an.»Thomas, Sie bleiben bei Rutara vor Anker, bis Sie weitere Befehle bekommen. Wir sind hier in Sicherheit. Die Verteidigungsanlagen und die noch vorhandenen Geschutze der Eurotas beherrschen die Einfahrt.»
        Ruhig befahl er Allday:»Lassen Sie wenden. Das hier ist fur keinen leicht.»
        Als das Boot die Pier wieder erreicht hatte, war die Besatzung der Tempest bereits in die Wanten und auf die breiten Rahen ausgeschwarmt. Gut, dachte Bolitho. Es wurde Herrick ausreichend in Anspruch nehmen und ihm keine Zeit lassen, um uber jene nachzudenken, die er zurucklie?.
        Er sah Keen an Land warten. Sein Hemd stand bis zum Gurtel offen, die Arme hingen an seinen Seiten herab. Als Bolitho ihn erreicht hatte, sagte er mit belegter Stimme:»Sie ist tot, Sir. «Er blickte zur Sonne auf.»Sie starb gerade eben.»
        Allday sagte:»Ich werde mich darum kummern, Sir.«»Nein!«Keen fuhr heftig zu ihm herum.»Das tue ich selbst. «In sanfterem Ton fugte er hinzu:»Aber ich danke Ihnen.

        Bolitho blickte Keen nach. Naturlich war es ein Traum gewesen und von Anfang an hoffnungslos. Er lie? den Blick uber den Strand schweifen, uber die nickenden Palmen und das tiefblaue Wasser. Die beiden hatten nie eine wirkliche Chance gehabt, der junge Marineoffizier und das eingeborene Madchen von einer kaum bekannten Insel. Er beschleunigte seine Schritte. Aber das war ihr Traum gewesen. Niemand hatte das Recht, ihn zu storen.»Richard!»
        Rasch drehte er sich auf dem Absatz um. Viola kam von dem provisorischen Lazarett her auf ihn zugelaufen. Er fing sie auf und druckte sie an sich.»Aber Viola, warum hast du das Fort verlassen?»
        Sie klammerte sich an ihn, lachte und weinte zugleich.»Was soll ich dort? Verstehst du nicht, Richard, mein Liebling? Gleichgultig, was geschieht, zum erstenmal sind wir zusammen.»
        Leutnant Francis Pyper sah ihnen nach, als sie zur Krankenbaracke gingen. Er hatte den Mut verloren, besonders nachdem er das rege Treiben an Bord der Tempest beobachtet hatte. Jetzt waren sie schon dabei, den Anker einzuholen, und innerhalb einer Stunde mochte das Schiff hinter der Landzunge verschwunden sein. Aber nun furchtete er sich nicht mehr. Sergeant Quare kam uber knirschenden Kies auf ihn zu.»Sir, eine Meldung fur den Kommandanten. Zwei
        Eingeborene im Dorf sind erkrankt.»
        Pyper nickte mit trockenem Mund.»Ich werde es ihm sagen.»
        Quare nahm seinen Hut ab und wischte uber das Schwei?leder. Die armen kleinen Kerle, dachte er. Es wird bei ihnen nicht lange dauern. Sie sterben weg wie die Fliegen. Er hatte es gesehen: in der Karibik, in Indien; uberall auf dieser verdammten Welt. Er bemerkte Blissett, der auf die Pier kam, und schnauzte: Knopfen Sie Ihren Waffenrock zu! Was glauben Sie, wo wir sind, Mann?»
        Danach fuhlte er sich etwas besser.

«Halt! Wer da?»
        Bolitho trat in den wei?en Fleck Mondlicht und zeigte sich.

«Pardon, Sir. «Sergeant Quare setzte seine Muskete ab.»Ich hatte Sie noch nicht zuruckerwartet.»

«Alles ruhig?«Bolitho lehnte sich an einen Baum und lauschte auf das Rauschen der Brecher drau?en. Zeitlos.
        Unerschutterlich.

«Ja, Sir. «Der Sergeant seufzte.»Im Dorf haben sie ein paar der armen Teufel verbrannt. Ich horte die Trauernden klagen und singen.«»Ja.»
        Bolitho unterdruckte den Wunsch, sich auf den Boden zu setzen. Er war todmude, fuhlte sich krank und erschopft. Acht Tage waren vergangen, seit die Tempest Segel gesetzt hatte, und noch immer war von nirgendwo Nachricht gekommen. Mit Hilfe aus dem Dorf hatte er nicht gerechnet. Dort hatte es mehrere Todesfalle gegeben; von Hardacre hatte er erfahren, da? auf der anderen Seite der Insel in einem Kanu mehrere sterbende Eingeborene aufgefunden worden waren. Sie waren Fremde gewesen und hatten die Seuche wahrscheinlich eingeschleppt. Das Fieber wurde» Itak
«genannt. Es raffte seine Opfer in kurzester Frist dahin, lie? sie verzweifelt nach Luft ringen, wahrend sie innerlich verbrannten.
        Jeden Tag inspizierte Bolitho seine Leute, suchte nach Anzeichen fur die Krankheit, doch abgesehen von der Erschopfung hielten sie sich gut. Das war mehr, als man von den Leuten im Fort sagen konnte. Bolitho hatte durch Keen verlangen lassen, da? Lebensmittel und Getranke uber die Palisade zu ihnen herabgelassen wurden. Wirklich wurde dann beides heruntergeworfen, aber Keen horte betrunkenes Gelachter, als ob sich die Siedlung in ein Irrenhaus verwandelt hatte.
        Am nachsten Tag war Bolitho selbst ans Tor gegangen. Nachdem er lange in der Sonne gewartet hatte, vermutlich dabei von den beiden Wachen im Blockhaus standig beobachtet und bewacht, war Raymond oben auf der Palisade erschienen.
        Bolitho hatte gesagt:»Wir brauchen Hilfe, Sir. Wenn die Leute im Dorf sich selbst uberlassen bleiben, werden sie womoglich zu schwach, um ihre Toten zu verbrennen…
«Weiter war er nicht gekommen.

«Jetzt sind Sie also gekommen, um zu betteln, wie? Sie haben geglaubt, Sie konnten mich ubergehen, als Sie Ihr Schiff fortschickten. Jetzt haben Sie Ihr neues Kommando: eine Eingeborenenhutte und eine Handvoll Raufbolde, denen Sie Befehle geben konnen. Auch meine kostbare Gattin wird bald genug wieder angelaufen kommen, wenn sie sieht, was sie weggeworfen hat!«Seine Stimme klang wild, sogar jubilierend.
        Bolitho hatte es noch einmal versucht.»Wenn ich die Wache von der Eurotas abziehen konnte, hatte ich genug Leute, um durchzuhalten, bis das Fieber abgeklungen ist.
»Ihre Leute sollen meinem Schiff fernbleiben!«Raymonds Stimme hatte sich beinahe zu einem Schreien gesteigert.»Meine Leute haben Befehl, sofort Feuer zu eroffnen, wenn sich ihm ein einziges Boot nahert! Sie haben Ihr Schiff verloren, Kapitan, und ich will nicht, da? Sie an meines Hand legen.»
        Keen und die anderen hatten ihn mit der Nachricht von einem weiteren Todesfall erwartet. Es war erbarmungswurdig, wie die Eingeborenen sich damit abfanden. Die Gotter zurnten. Tinah war uber Tuke und die heilige Insel unterrichtet. Wenn sein ganzes Volk die Wahrheit erfuhr, wurde es in seinen Leiden die unmittelbare Folge des Sakrilegs sehen.
        Bolitho blickte zu den Sternen auf und schauderte. Wenn er fruher gehandelt hatte, ware es ihm vielleicht moglich gewesen, die Eurotas im Schutz der Nacht zu besetzen. Aber dazu war es zu spat. Raymonds Drohungen und die Furcht vor dem Fieber wurden fur einen hei?en Empfang durch die geladenen Drehbassen sorgen. Wenn er Herrick nicht benachrichtigen konnte und der Schoner nicht bald zuruckkehrte, mu?te er annehmen, da? die Narval erobert worden war. Ob im Namen der Revolution oder durch eine offene Meuterei, spielte jetzt keine Rolle mehr. Tuke wurde fur die Unterstutzung der Sache Genins seinen Preis fordern, und der Franzose konnte ihn kaum verweigern. Aber worin wurde er bestehen? Eine legalisierte Stellung unter dem neuen Regime, ein Schiff, ein Kaperbrief oder ein Versprechen auf eine Belohnung in Gold, sobald Genin schlie?lich Paris erreicht hatte? Was die Wunde noch starker brennen lie?, war Bolithos Erkenntnis, da?, sobald die Narval endgultig fort war und Tuke den gewunschten Preis erhalten hatte, vermutlich aus London die Nachricht eintreffen wurde, da? England und Frankreich sich seit
Monaten im Krieg befanden. Dies mu?te das Ende von Bolithos Karriere bedeuten. In Raymond hatte er einen Todfeind. Und in London wurde man nach einem Sundenbock suchen, um den Arger daruber zu lindern, da? nicht nur die franzosische Fregatte verlorengegangen, sondern auch ein Pirat entkommen war, der nun von Kriegsschiffen gejagt werden mu?te, die man auf den eigentlichen Kriegsschauplatzen dringend brauchte. Er dachte an die Worte, die Raymond heruntergeschrien hatte. Sie waren sein einziger Trost. Viola hatte unermudlich an seiner Seite gearbeitet, aus ihrem provisorischen Lazarett Ermutigung ins Dorf getragen und dort geholfen, die Kranken zu pflegen und die zuruckgebliebenen Kinder zu versorgen.
        Sie schlief in der Hutte, wo er sie zuruckgelassen hatte. Er hatte neben ihr gekniet, auf ihren regelma?igen Atem gelauscht, sorgsam vermieden, sie zu beruhren, um ihren Schlaf nicht zu storen.
        Der Sergeant fragte:»Verzeihen Sie, Sir, aber was werden wir tun?»

«Tun?«Bolitho strich sich mit den Fingern durch das Haar.»Warten. Wenn der Schoner kommt, spreche ich mit seinem Kapitan. Zumindest wird er wissen, ob die Narval sich noch hier aufhalt.»

«Diese Insel, Sir, von der Sie gesprochen haben - wie weit ist es bis dorthin?»

«Rutara liegt etwas uber funfhundert Meilen entfernt im Norden.»
        Bolitho uberlegte, wahrend er antwortete. Der Wind war schwach, aber gunstig gewesen. Herrick mu?te seine Position erreicht haben, selbst wenn es ihm nicht moglich gewesen war, Tukes Schoner zu vernichten. Ganz gewi? wurde er nicht in eine Falle gehen, wie sie ihnen schon einmal gestellt worden war.
        Er beobachtete, wie die Sterne kleiner und blasser wurden. Bald war es wieder Zeit, Rationen auszugeben, sich zu vergewissern, da? die Leute sich sauberten, zu versuchen, sie bei Laune zu halten. Wenigstens war dieses Fieber nicht wie die Pocken, die zwei Drittel einer Schiffsbesatzung innerhalb weniger Wochen dahinraffen konnten. Er sagte:»Kommen Sie mit zur Pier. Es wird bald hell. «Wie still es im Dorf war. Es fiel ihm schwer zu glauben, da? der Strand und die seichten Wellen voll lachender Madchen und junger Manner gewesen waren, unter ihnen Keens schone Malua.

«Sir!«Quares Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.»Ich habe Segel gesehen.»
        Bolitho sprang auf einen Felsen und spahte angestrengt in die Dammerung hinaus. Doch alles, was er zwischen
        Himmel und Wasser ausmachen konnte, waren die Brecher auf den vorgelagerten Riffen jenseits der Lagune.
        Es wurde schnell heller, und er konnte bereits den stattlichen
        Umri? der Eurotas ausmachen, auf der noch ein Ankerlicht flackerte.
        Bolitho sah sich nach der Siedlung um, doch dort regte sich noch kein Leben.
        Quare wiederholte hartnackig:»Dort, Sir.»
        Diesmal nahm er es wahr, eine bleiche Finne uber den fernen Brechern, von Gischt verwischt, aber auf das Land zustrebend.
        Ein Schoner, klein und gut gefuhrt.
        Er sagte:»Wecken Sie Mr. Keen. Er soll Mr. Hardacre benachrichtigen, da? sein Schoner kommt.»
        Der Kapitan dort drau?en wurde eher auf Hardacre als auf
        Raymond horen. Er horte Quares knirschende Schritte auf dem Abhang, und irgendwo weinte ein Kind. Es klang bedruckend.
        Und dann sagte sie hinter ihm:»Ich bin aufgewacht, aber du warst fort.»
        Sie kam an seine Seite, und er legte ihr den Arm um die Schultern und spurte ihre Warme.

«Es ist der Schoner. «Er versuchte, ruhig zu sprechen.»Ich bin neugierig, was er fur Nachrichten bringt.»
        Die Rahen waren fast mittschiffs geholt, bogen sich beinahe unter dem Winddruck. Es mu?te drau?en starker wehen als in der geschutzten Bucht, dachte er wehmutig.
        Er druckte ihre Schulter.»Gro?er Gott, la? es bitte gute
        Nachricht sein«, sagte sie.
        Dunstiges Licht stieg uber den Horizont wie dampfende Flussigkeit, die am Rand der Erde uberlief. Es flo? um die beiden Masten mit Hardacres zerfetztem Wimpel. Das Schiff naherte sich den Riffen, ging in einer Wolke von Gischt und Spruhwasser meisterlich uber Stag. Keen kam den Pfad herab, schob sich dabei das Hemd in den Hosenbund. Er sah Viola Raymond und sagte:»Guten Morgen, Ma'am.»

«Hallo, Val. «Sie lachelte, entdeckte dann die dunklen Schatten unter seinen Augen und teilte seinen Kummer. Bolitho sagte:»Hardacre wird bald hier sein, nehme ich an. «Er sah zu der Palisade. Er wurde warten, bis der Schoner festgemacht hatte, und dann an Bord gehen. Niemand aus der Siedlung konnte ihn daran hindern, denn sie hatten zuviel Angst, den Schutz des Forts zu verlassen. Die Bucht lag nach beiden Seiten offen, und sie standen schweigend da, beobachteten, wie aus der Dunkelheit Farben wuchsen, die stillen, drohenden Schatten von Bewegung und schlichter Schonheit belebt wurden.
        Keen dachte zweifellos an Malua, wie sie mit ihm lachend den Strand hinunter und ins Meer gelaufen war.»Er ist also zuruck. «Hardacre stand auf dem festen Sand, die Hande in die Huften gestemmt, und beobachtete, wie der Schoner immer klarer erkennbar wurde.»Wird auch Zeit. «Bolitho beschattete seine Augen und spahte nach irgendeinem Signal von der Eurotas oder von den Palisaden aus. Falls Raymond dem Schoner befahl zu ankern und auf weitere Anweisungen zu warten, wurde er eine Uberraschung erleben.
        Plotzlich bemerkte Hardacre:»Das ist ungewohnlich. «Bolitho sah ihn fragend an. Was?«»Der Kapitan kennt die Bucht wie die eigene Tasche. Gewohnlich beginnt er an diesem Punkt zu halsen, wenn der Wind so steht wie heute.»
        Bolitho wandte sich wieder dem kleinen Schoner zu. Plotzlich lief eiskalt ein warnender Schauer durch sein Gehirn.

«Mr. Keen, gehen Sie zum Tor und alarmieren Sie die Posten. Sagen Sie den Narren, sie sollen den Schoner auffordern, sich zu erkennen zu geben. «Er beobachtete das kleine Fahrzeug, dann horte er Keen oben am Tor rufen. Er erstarrte. Der Schoner wechselte schon wieder den Kurs, steuerte auf die Eurotas zu. Hardacre sagte:»Was, in Gottes Namen, macht dieser Wahnsinnige?»
        Bolitho rief:»Gebt mir eine Muskete!«Er sah Quare auf dem Hang.»Schnell! Schie?en Sie Ihre ab!«Aber durch Feuchtigkeit oder Ubereifer versagte die Muskete, und Bolitho horte Quare wutend knurren, als er sie neu lud.
        Von der Palisade ertonte eine belegte, undeutliche Stimme, verschlafen und protestierend. Keen kam zuruck und sagte wutend:»Diesen Kerl sollte man…«Er bemerkte Bolithos Ausdruck und drehte sich schnell nach dem Schoner um. Selbst der Knall der Muskete lenkte ihre konzentrierte Aufmerksamkeit nicht ab, wenn auch der Chor der aufgeweckten Vogel genugte, die gesamte Insel zu alarmieren.
        Langsam, zuerst schwach, doch gleich darauf mit einer schrecklichen Endgultigkeit, stieg vom Deck des Schoners eine Rauchsaule auf. Dann eine Flamme, die wie eine orange Zunge aus einer Luke aufscho? und den Kluver zu
        Asche verwandelte.
        Keuchend sagte Keen:»Ein Brander!»

«Alarmieren Sie die Leute!»
        Bolitho sah den Schoner schwanken, als ein Teil seines Hauptdecks mit einem gro?en Ausbruch von Flammen und Funken einbrach. Wie der Holle entsprungene Ungeheuer breiteten sich die Flammen uber Segel und das geteerte Rigg aus, verwandelten das kleine Schiff in eine riesige Fackel. Bolitho nahm sogar den Widerschein der Flammen auf den festgemachten Segeln und den Wanten der Eurotas wahr, wahrend der Wind den Schoner unausweichlich gegen das verankerte Schiff trieb.

«Ein Boot hat abgelegt, Sir!«Quare lud in wilder Hast abermals.»Die Schufte entkommen!«Er unterbrach das Laden, als der Schoner drohnend gegen den Rumpf der Eurotas stie? und ein weiterer Ausbruch von Rauch und wirbelnden Funken bis hoch uber ihre Mastspitzen aufstieg.
        Bolitho konnte jetzt horen, wie das Feuer ubergriff, sich vorstellen, wie das zundertrockene Holz, das Tauwerk in einer einzigen Riesenfackel aufloderten. Er glaubte, einige Manner ins Meer springen zu sehen, und konnte das Entsetzen zwischen den Decks mitempfinden, als die Manner der Freiwache zu ihrem grauenhaften Flammentod erwachten.
        Er spurte Violas Zittern und horte sie leise an seiner Schulter schluchzen.

«Wir konnen gar nichts tun, Viola«, sagte er gepre?t.»Manche werden den Strand erreichen, aber ich furchte, da? die meisten umkommen.»
        Damit war die Eurotas direkt vor Raymonds Augen ausgeschaltet worden. Sein Schiff, seine Rettung, sein Fluchtweg fur den Fall, da? alles andere fehlschlug, stand knisternd in Flammen. Der Rauch rollte in einer dichten, erstickenden Woge vor dem Wind daher. Masten und
        Spieren wurden von den Flammen verzehrt und sturzten funkenspruhend herab, innere Explosionen schleuderten Bruchstucke in die Luft, die die umliegende Wasserflache wie mit wei?schaumenden Pockennarben ubersaten. Ein lauter Knall erschutterte den Rumpf und rollte als Echo donnernd um die Bucht. Als der Larm schlie?lich verklang, begann die Eurotas zu sinken. Dampf wallte zischend auf und verdeckte ihren letzten Todeskampf, ehe sie auf Grund sank und nur noch das verkohlte Achterdeck uber der Wasseroberflache sichtbar blieb. Keen fragte leise:»Warum, Sir?»

«Das war eine Nachricht fur uns, Mr. Keen. «Bolitho wandte sich vom Wasser ab. Seine Augen schmerzten vom Rauch oder der Bitterkeit seiner Entdeckung.»Tuke hat seinen Preis genannt. «Er sah Hardacre an und fugte hinzu:»Namlich diese Siedlung. Ohne den Schutz der Eurotas konnen wir sie nicht halten. Wenn er sich erst hier festgesetzt hat, ist ein Regiment Marinesoldaten notwendig, um ihn wieder zu vertreiben.»
        Bedruckt fragte Keen:»Und wir haben keine Hilfe zu erwarten, Sir?»
        Wie um diese Worte zu unterstreichen, brach der Bug des Schoners durch die Wasseroberflache und trieb von dem gro?en, schaumenden Wirbel der Trummer und verkohlten Uberreste weg.
        Abrupt sagte Bolitho:»Folgen Sie mir.»
        Er fand Pyper und die ubrigen Leute in der Nahe der
        Lazaretthutte. Auch die Rekonvaleszenten befanden sich dort.
        Bolitho sah der Reihe nach jeden einzelnen an, ehe er begann:»Es ist meine Uberzeugung, da? Tuke sich in den Besitz der Mittel gesetzt hat, um diese Insel und alle anderen zu erobern. Sonst wurde er nicht einen Schoner als Brander vergeuden. Er ware fur seine Flottille zu wertvoll. «Er sah, da? er von allen verstanden wurde.»Tuke wird jeden Eingeborenen toten, der sich ihm widersetzt, und seine Methoden haben Sie ja kennengelernt, sowohl an Bord der Eurotas als auch an Land.»
        Er wu?te, da? Viola ihn genau beobachtete, sich ihrer eigenen Leiden erinnerte, als das Transportschiff gekapert worden war. Sie griff sich sogar an die Schulter, an die Stelle, wo ihr Kleid die rote Brandnarbe verbarg, die Tuke ihr beigebracht hatte.
        Er fuhr fort:»Keiner von uns ist vom Fieber befallen worden, obwohl rings um uns viele daran gestorben sind. Vielleicht sind wir also davor sicher. Mag sein, da? wir zu schlecht sind, um schon erlost zu werden. «Bolitho sah Miller und Quare grinsen, wie er es von ihnen erwartet hatte. Von der anderen Seite der kleinen Lichtung her beobachtete Allday ihn gelassen. Er hatte derlei schon fruher gehort.
        Bolitho sagte:»Nur ein einziges Schiff kann den Kampf mit Tuke aufnehmen, gleichgultig, uber welche Krafte er jetzt verfugt: die Tempest ist ihm mehr als gewachsen. «Blissett nickte, und Lenoir, der Franzose, bekreuzigte sich. Orlando stand abseits von den anderen, die Arme vor der Brust gekreuzt, einen Fu? auf der letzten Kiste Schiffszwieback. Er sah kraftvoll aus und irgendwie majestatisch.
        Langsam fugte Bolitho hinzu:»Doch zwischen uns und der Tempest liegen funfhundert Meilen, Jungs. «Er konnte ihre Zweifel erkennen. Funfhundert? Es konnten ebensogut funftausend sein.
        Bolitho blickte in ihre angespannten Gesichter, wunschte, er konne es ihnen ersparen.

«Ich beabsichtige, ein Langboot zu nehmen und so viele Freiwillige, wie sich bereitfinden, um unsere Tempest zu suchen.»
        Es folgte ein langes, benommenes Schweigen. Als Pyper dann mit einer provisorischen Kladde vortrat, meinte Allday:»Ware es nicht besser, beide Langboote zu nehmen, Captain?«Er lachelte trage.»Gro?ere Chancen, denke ich.
«Pyper rief:»Freiwillige heben die Hand!«Der Bootsmannsmaat Miller erwiderte: Nicht notig. Wir kommen alle mit. «Er grinste mit seinem Raubtiergebi?.»Zwei Langboote, was, Jungs?»
        Alle drangten nach vorn, klatschten sich gegenseitig auf den Rucken und grinsten, als ob ihnen etwas Kostbares angeboten worden ware.
        Bolitho sah auf seine Hande und erwartete, da? sie zitterten. Er horte Viola sagen:»Du kannst mich nicht zurucklassen, Richard.»
        Er blickte sie an. Sein Widerspruch verstummte, als sie seine Hande nahm. Da nickte er.»Besser gemeinsam, Liebste.»
        Allday rausperte sich.»Verzeihung, Ma'am, aber ein offenes Boot voller Matrosen ist kein Platz fur eine Dame. «Es klang schockiert.»Ich meine, Captain, es ware nicht recht. «Viola sah ihn von oben bis unten an.»Ich kenne das alles schon. Und ich glaube, da? Sie mich brauchen, damit ich Ihre Unverschamtheit in Grenzen halte, Allday. «Sie lachelte.»Wann fahren wir?»
        Bolitho zog seine Uhr und bemerkte, da? Viola zusah, als er den Deckel aufspringen lie?.

«In der Dammerung. Wenn wir fruher losfahren, konnten die Wachen in Panik geraten und auf uns schie?en, um uns zuruckzuhalten.»
        Er fuhrte sie von den anderen und ihrer merkwurdigen, befreiten Erregung fort.

«Ich wei? nicht, Viola, ob ich es schaffe. Funfhundert Meilen… Und selbst dann…»
        Sie nahm seinen Arm und drehte ihn sanft den Hutten zu.»Sieh dir den Marinesoldaten an, Richard, diesen Billyboy. Er war schwer verwundet, aber jetzt ist er wieder auf den Beinen. Und auch den beiden anderen geht es viel besser. Mit solchen Mannern wirst du es selbstverstandlich schaffen. «Sie wollte sich abwenden, sagte aber noch:»Und bitte nicht Hardacre, sich um mich zu kummern, bis du zuruckkommst. Wir bleiben zusammen. «Sie sah ihn fest an.»Das ist unser Gelubde. «Er nickte.»Wenn du entschlossen bist?«Sie warf den Kopf zuruck, und er sah sie so wie beim erstenmal vor funf Jahren. Ihre ganze Energie und das, was er damals fur Arroganz gehalten hatte. Trotz ihres zerrissenen Kleides und ihrer abgetretenen Schuhe war diese Frau unverkennbar im Vollbesitz ihrer Kraft.»Noch nie war ich so fest entschlossen, Liebster. Zu allem!»



        XIV Wenn, nicht falls

        Bolitho lockerte den Griff an der Pinne und sagte:»Wir wollen eine Weile treiben, Mr. Pyper. Rufen Sie das andere Boot an.»
        Dankbar holten die Ruderer die Riemen ein und lie?en sich wie Betende darubersinken. Die Boote ungesehen und unangefochten von der Pier fortzubringen, war ein
        Kinderspiel gewesen im Vergleich dazu, einen sicheren
        Kurs zwischen den Riffen zu finden. Die Stromung war sehr stark, und wie um ihren muhsamen Anstrengungen zu spotten, hatte sie hinter der Landzunge ein unerwartet heftiger Wind angegriffen; es bedurfte der ganzen Krafte jedes einzelnen, um offenes Wasser zu erreichen.
        Jetzt stand die Sonne schon hoch am leeren Himmel, und es war schwer, es sich noch einmal vorzustellen.
        Bolitho sah forschend uber das Boot, beobachtete, wie jeder einzelne reagierte, sich der Situation anpa?te.
        Dicht hinter ihrem Heck holte das andere Boot auf, und
        Bolitho sah Keen an der Pinne, der auf einen Ruderer deutete oder jemandem Ratschlage erteilte, wie er mit seinem Schlag mehr Wirkung erzielen konnte.
        Bolitho wu?te aus seinem eigenen Boot nur zu gut, mit welchen Problemen Keen fertig werden mu?te. Die beiden
        Besatzungen waren so gleichwertig wie moglich eingeteilt,
        die paar Matrosen zwischen den ubrigen, den Seesoldaten und den Verwundeten, eingesetzt.
        Er blickte auf Violas Hand auf dem Dollbord. Wahrend der heftig sto?enden Fahrt durch das unruhige Wasser hatte sie kaum ein Wort gesagt, doch als er seine Hand nach ihr ausstreckte, hatte sie zu ihm aufgeblickt und gelachelt. Mehr nicht. Und dennoch hatte es ihm in diesem Augenblick mehr Zutrauen gegeben, mehr Frieden, als er je erlebt hatte. Er richtete seine Gedanken auf seine Aufgabe. Funfhundert Meilen. Im allergunstigsten Fall, wenn alles nach Wunsch verlief und keiner krank wurde, wurden sie uber eine Woche brauchen. Die Boote hatten keine Segel, aber Miller hatte ein paar Fetzen Leinwand entdeckt und versprochen, er wolle ein Behelfsrigg basteln, um das Boot ruhiger zu halten und den Ruderern einen Teil der knochenbrechenden Arbeit abzunehmen.
        Was fur eine Mischung, dachte er, als er in jedes der erschopften, bartigen Gesichter sah. Miller und der Marinesoldat Blissett. Jenner und Orlando und die beiden Verletzten, der Marinesoldat Billyboy und Evans, der Maler des Schiffes.
        Er begegnete Alldays Blick und nickte. Wenn Allday sich zuruckgesetzt fuhlte, weil er als Ruderer mit im Boot sa?, statt es als Bootsfuhrer zu steuern, so zeigte er es nicht.»Zu jeder anderen Zeit ware es ein schoner Anblick, Captain.»
        Bolitho blickte zuruck. Die Inseln sahen alle gleich aus, blau und dunstig in der Morgensonne.
        Er fragte sich, ob Hardacre vielleicht in diesem Augenblick am Tor Raymond seine Mitteilung zurief, ihn unterrichtete, was er und seine Leute versuchten, um ihn und seine feigen Wachtposten zu retten.
        Er dachte auch an den Augenblick, als der Kutter an den noch glimmenden Uberresten der Eurotas vorbeigeglitten war. Nur das geschwarzte Achterdeck und die Heckreling ragten noch aus dem Wasser auf, aber es hatte Viola veranla?t, nach seiner Hand zu greifen und sie in der Dunkelheit an sich zu drucken. Der Anblick der dunklen Silhouette, umgeben von spruhender Gischt und treibenden Wrackstucken, mu?te ihr augenblicklich alles in Erinnerung gerufen haben. Es war in dieser Kajute gewesen, wo Tuke sie verhohnt und gedemutigt hatte.

«Riemen ein!«Keen beugte sich ubers Dollbord, als sein Boot sich langsseit legte. Der Wind hat nachgelassen, Sir«, sagte er. Er lachelte Viola an.»Hoffentlich konnten Sie schlafen, Ma'am.»
        Dieses Lacheln macht ihn nur trauriger, dachte Bolitho.»Ich hoffe, da? es so bleibt. «Bolitho bemuhte sich, sachlich und gelassen zu sprechen.
        Anders als auf seinem Schiff, konnte er sich hier nirgendwo vor jenen verbergen, die von ihm abhingen. Funfhundert Meilen, und weder eine Karte noch einen Sextanten. Alles, was er besa?, war ein kleiner Bootskompa? und die bescheidensten Vorrate an Nahrungsmitteln und Wasser. Hardacre war es gelungen, ihn mit etwas Wein und einer Flasche Rum zu versehen, und beides wollte er fur diejenigen aufbewahren, die unter der qualenden Hitze und der enormen Belastung zu versagen drohten. Sie besa?en sechs Musketen, die auf die beiden Boote aufgeteilt waren, und au?er den Pistolen der Offiziere waren mehrere Entermesser vorhanden sowie ein Enterbeil, das Miller standig am Gurtel trug. Das war nicht viel, aber wenn sie sich auf die fur jeden Tag eingeteilten Rationen beschrankten, hatten sie eine Chance. Sollte allerdings ein Tropensturm oder Fieber ausbrechen, war ihre Lage aussichtslos.
        Um alle daran zu erinnern, wie notwendig Vorsicht und Wachsamkeit waren, hatte sich ihnen in der Morgendammerung ein Hai angeschlossen, der jetzt etwa eine Kabellange hinter ihnen kreuzte.
        Bolitho hatte die Lage der Inseln auf der Karte vor Augen. Die Levu-Gruppe und von dort dem Kompa? nach genau nach Norden zu den Navigator Islands, in deren nachster Nahe Rutara lag und, wenn sie Gluck hatten, die Tempest. »Wir wollen auf beiden Booten die gleiche Wasserration ausgeben, Mr. Keen«, sagte Bolitho.»Morgen beabsichtige ich, die am meisten versprechende Bucht anzulaufen, um unsere Vorrate durch Kokosnusse zu erganzen. Vielleicht finden wir zwischen den Felsen auch Muscheln. «Er wunschte fur seine Leute eine warme Mahlzeit, wie frugal und karglich sie auch sein mochte, denn nichts war besser, um die Manner bei guter Gesundheit und Laune zu erhalten. Sobald sie auf einer der Inseln an Land gingen, wollte er es Keen sagen. Es jetzt uber den gesenkten Kopfen seiner Leute laut auszusprechen, konnte wie das vorzeitige Eingestandnis eines Fehlschlags klingen. Miller sah von seinen Bemuhungen mit Nadel und Palmfasern auf.»Ich habe noch ein Stuck Leinwand ubrig, Sir. «Er hielt ein ausgefranstes Stuck in der Gro?e einer Hangematte hoch.»Es wird fur Sie ein brauchbarer Sonnenschutz sein, Ma'am.»
        Sie lachelte.»So viel Freundlichkeit kann ich nicht ablehnen. «Sie fuhr sich mit dem Finger uber den Halsausschnitt ihres Kleides.»Merkwurdig, da? es auf dem Wasser so viel hei?er ist als an Land. «Miller lachte verhalten.»Gott beschutze Sie, Ma'am, aber wir werden aus Ihnen noch einen Matrosen machen. «Ein paar Manner im anderen Boot nickten grinsend wie unrasierte Galeerensklaven. Bolitho beobachtete sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. Leise sagte er:»Du bist mehr wert als jede Menge Muskelkraft. Du bringst sie zum Lacheln, wenn sie eigentlich an nichts anderes als Rettung und Schlaf denken sollten.»
        Er blickte zur Sonne auf.»Ubernehmen Sie das Ruder, Mr. Pyper. Jetzt bin ich an den Riemen dran. «Zu dem Marinesoldaten sagte er:»Gehen Sie nach achtern und sehen Sie nach den Verwundeten. «Er wartete, bis der Mann zu ihm aufblickte.»Dann uberprufen Sie die Waffen und vergewissern Sie sich, da? das Pulver sicher untergebracht ist.»
        Die beiden Boote losten sich wieder voneinander, plotzlich sehr klein und gebrechlich auf der gro?en Weite.
        Uber Alldays breiten Rucken hinweg bemerkte er, da? Viola ihn beobachtete. Ihre Augen im Schatten ihres Strohhuts sprachen zu ihm so deutlich wie mit Worten.
        Pyper rausperte sich nervos, denn ihm stand nichts
        Geringeres bevor, als seinem Kapitan Befehle zu geben.

«Riemen bei!«Er blickte auf den kleinen Kompa?.»Rudert an!»
        Mit dem Rucken gegen die Bordwand gelehnt, sa? der verwundete Marinesoldat auf dem Boden des Bootes und blinzelte zu Viola Raymond auf. Wie alle anderen nannte er sie in Gedanken nur» Die Lady des Kapitans«, und das hatte einen guten und respektvollen Klang. Sie war gut zu ihm, hatte uber sein verletztes Bein gewacht, besser als jeder Schiffsarzt, und war sanft wie ein Engel. Die Sonne strahlte so hell um die Krempe ihres Hutes, da? er ihr Gesicht nicht erkennen konnte, aber er sah die Schmutzflecken auf ihrem Kleid und an ihren Schuhen, die sie sich beim Einsteigen zugezogen hatte. Wieder scho? der Schmerz durch sein Bein, und er suchte muhevoll eine andere Stellung.

«Wie geht's, Billyboy?«fragte sie.
        Er schnitt eine Grimasse.»La?t sich aushallen, Ma'am. Nur ein Krampf.»
        Der andere Verwundete, Evans, sagte nichts. Er betrachtete die Knochel der Frau unter dem Saum ihres Kleides und stellte sich das glatte Bein daruber vor. Dann dachte er an seine Frau in Cardiff und fragte sich, wie sie ohne ihn wohl zurechtkam. Sie war eine gute Frau und hatte ihm vier hubsche Tochter geboren. Er schlo? die Augen und lie? sich in Schlaf sinken.
        Zu Pypers Fu?en vergewisserte Blissett sich, da? Pulver und Geschosse trocken untergebracht waren, und sah dann den schlafenden Evans an. Plotzlich erkannte er so klar, als ob eine Stimme es ihm ins Ohr geschrieen hatte: Evans lag im Sterben. Die Erkenntnis erschreckte ihn, und er wu?te nicht, warum. Blissett hatte viele sterben sehen. In Schlachten, in Schlagereien oder einfach, weil sie von der einen oder anderen Krankheit befallen worden waren. Doch das Gesicht von Evans sehen und wissen, was mit ihm geschah, war wie das Geheimnis eines anderen aufzudecken, und das beunruhigte ihn zutiefst.
        Hinter Bolitho sa? der Amerikaner Jenner und hob und senkte muhelos seinen Riemen. In Gedanken befand er sich auf einer seiner vielen eingebildeten Reisen. Wenn er abgemustert hatte, wollte er sich eine Farm in Neuengland kaufen, meilenweit von allen anderen entfernt. Und sich dort mit einem Madchen niederlassen. Er versuchte, sich ein Bild von ihm zu machen, und begann, sich in seiner Vorstellung eine vollkommene Gefahrtin zu schaffen. Der nachste war Orlando, der seinen Riemen unbeholfen, aber genau bediente, indem er den Takt von den anderen ubernahm. Er duckte sich, als Miller uber ihn hinwegstieg, um seinen Platz im Bug einzunehmen. Seine Arbeit am Segel hatte Miller bis zur nachsten Ruhepause aufgeschoben. Denn da nur funf Riemen eingesetzt waren, wurde ihre ganze Kraft gebraucht. Miller legte sich ins Zeug und grinste zum Himmel auf. Es war wie ein Kampf, und fur Jack Miller war das Speise und Trank in einem. Und so ging es weiter. Unter erbarmungslosem Glanz oder teilweise durch niedrigen Dunst verhullt, krochen die beiden Boote wie unansehnliche Kafer uber das Wasser. Die Manner an den
Riemen wechselten sich ab, die Ration Schiffszwieback und ein Brocken Salzfleisch wurden ausgegeben und mit einem Becher Wasser hinuntergespult. Die Nacht brachte Erleichterung von der qualenden Hitze; ihre Bemuhungen, stetig vorwarts zu kommen, wurden unverandert fortgesetzt.
        Mit schmerzendem Rucken von dem ungewohnten Rudern und mit von Blasen bedeckten Handen sa? Bolitho an der Pinne. Violas Kopf ruhte auf seinen Knien. Einmal griff sie nach ihm und stohnte leise im Schlaf, als Bolitho ihr das Haar vom Mund fortstrich.
        Pyper hatte einen der Riemen ubernommen, und Miller schopfte Wasser aus dem Boot. Sie wirkten ausgelaugt, schon jetzt halb geschlagen. Bolitho pre?te die Kiefer aufeinander. Und das war erst der erste volle Tag.
        Nach den sto?enden Bewegungen des Kutters hatte man auf dem festen Strand das Gefuhl, als ob auch er schwanke. Bolitho beobachtete Keen und Miller, die sich vergewisserten, da? die Boote gut gesichert waren, und er horte, wie Sergeant Quare Wachtposten fur die kleine Bucht einteilte. Wieder bezauberte ihn das Idyllische des Ortes: uppiges Grun und das regelma?ige Platschern und Gurgeln der anlaufenden Wellen auf dem hellen Sand. Aber er wu?te, wie tauschend das sein konnte, wu?te nur zu gut, da? Wachsamkeit fur sie lebensentscheidend war. Pyper kam zu ihm, das Gesicht von der Sonne versengt.»Sollen wir die Boote entladen, Sir?«»Noch nicht. «Bolitho richtete plotzlich beunruhigt sein kleines Teleskop auf die weiter entfernte Seite der Bucht. Doch was er fur eine Rauchwolke gehalten hatte, erwies sich als nichts Bedrohlicheres als ein Schwarm schwirrender Insekten.»Wir wollen eine Weile warten und erst feststellen, da? wir nicht bemerkt worden sind. «Er wollte die Boote ausladen lassen, wenn auch nur, um sie zu erleichtern und zu verhindern, da? sie von der Brandung unnotig hin und her gesto?en
wurden. Er war besorgt. Er versuchte, sich selbst zu uberzeugen, da? er ubertrieben vorsichtig, da? die dringend notwendige Ruhepause vor der Weiterfahrt nach Rutara wichtiger war. Er sah Evans und den Matrosen Colter unter einigen Schatten spendenden Palmen liegen. Der andere Verwundete, der Marinesoldat Billyboy, sa? mit dem Rucken gegen eine Palme gelehnt und half Viola beim Wechseln seines Verbandes. Die ubrigen Angehorigen seiner kleinen Truppe bewegten sich ruhelos auf dem Strand, versuchten, die Benommenheit nach der anstrengenden Arbeit abzuschutteln. Er sah, wie sie Evans lachelnd die Stirn abwischte und ihn zu trosten versuchte. Mit tiefer Ruhrung dachte er an die vergangenen, bei Tag und Nacht im offenen Boot verbrachten Stunden zuruck. Nicht einmal hatte sie sich beklagt oder die geringste Bevorzugung verlangt. Und jetzt war sie mit auf dem Strand und nahm sich der Verwundeten an. Wenn sie wu?te, da? Evans starb, dann verbarg sie ihre Besturzung sehr gut. Quare kam auf ihn zu.»Alles klar, Sir. «Er deutete auf die geschwungene Wand aus dichtem Laub.»Ich schicke die Leute zum Nussesammeln.
«Er zwang sich zu einem schiefen Lacheln.»Ich konnte auf der Stelle eine ganze Gallone Bier austrinken.»
        Keen trat zu ihnen.»Sollen wir ein Feuer machen, Sir?«Er rieb sich die Hande und gahnte herzhaft.»Vielleicht konnen wir einen oder zwei Vogel treffen. Frazer war so gescheit, einen Kochtopf mitzubringen.»
        Bolitho nickte.»Das machen wir gleich. Muscheln und ein paar Brocken Salzfleisch und dazu, was wir an Vogeln erlegen konnen. Auf der Tafel eines Admirals wurde es sich nicht besonders gut ausnehmen, aber etwas Warmes wird uns allen sehr guttun.»
        Er setzte sich und stutzte den Kopf in die Hande, plagte sich mit den Problemen ihrer weiteren Fahrt, der steigenden Belastung, der sie alle ausgesetzt waren. Er blickte wieder zu ihr hinuber. Besonders eine Frau. Doch in gewisser Weise besa? sie mehr innere Reserven und Mut als jeder andere.
        Er horte einen Mann lachen und einen anderen darauf mit einer Flut obszoner Fluche reagieren, als ihm eine Kokosnu? auf den Kopf fiel. Der Getroffene drehte sich aber gleich hastig um und keuchte:»Bitte um Entschuldigung, Ma'am. «Sie lachte uber seine Verlegenheit.»Mein Vater war Soldat. Von ihm habe ich Schlimmeres gehort. «Ihre Worte losten bei Bolitho einen neuen Gedanken aus. Wie wenig wu?te er doch von ihr. Sie hatte durch die Lekture der Gazette und Gesprache mit seinen Vorgesetzten uber ihn viel mehr erfahren, und dennoch war in den funf Jahren ihrer Trennung seine Liebe zu ihr starker geworden, statt zu verblassen.
        Allday schleppte ein Netz voll Kokosnusse zu den Booten. Er blieb bei Bolitho stehen, zog sein Entermesser und wahlte sorgfaltig eine der Nusse aus.

«Hier, Captain. «Die Klinge blitzte in der Sonne und trennte die Spitze der Nu? sauber wie einen Skalp ab.»Hiesiges Gebrau. «Es schien ihn zu amusieren. Bolitho hob die Nu? an die Lippen und trank die Milch.»Danke. Das ist wie…«Er setzte die Nu? zwischen seinen Beinen auf den Sand, seine Gedanken rasten.»Allday!«Bolithos Ton lie? ihn erstarren.»Nicht umdrehen. Auf der anderen Seite der Bucht, unmittelbar beim Wasser, habe ich ein Gesicht gesehen.»
        Allday nickte und rief Frazer an.»Big Tom, bring das Zeug hier ins Boot. «Er drehte sich um und ging wieder den Strand hinauf, blieb nur bei Viola Raymond stehen, um ihr kurz etwas zu sagen.
        Bolitho erhob sich langsam und streckte die Arme. Da war es wieder: eine schnelle Bewegung zwischen den dichten Zweigen, das Aufglitzern von etwas Blankem in der Sonne. Es dauerte zu lange. Die Manner gingen mit steifen Beinen zum Wasser hinunter, wie schlechte Darsteller einer reisenden Truppe von Komodianten. Quare kam eilig auf Bolitho zu, die Muskete uber der
        Schulter.»Wo, Sir?»
        Wie auf Signal erschienen mehrere Gestalten aus dem dichten Grun, grimmig wirkende Wilde, ganz anders als jene, denen Bolitho in der Umgebung der Siedlung begegnet war. Ob sie von der Nordinsel oder woanders her kamen, war kaum von Bedeutung. Wahrscheinlich hatten sie sich schon vorher hier verborgen, noch ehe die Boote am Strand gelandet waren. Er zahlte sie. Uber zwanzig, und alle mit Speeren und kurzen Messern bewaffnet. Einer, offensichtlich eine Art Anfuhrer, hatte sich mit mehreren Ketten aus Glasperlen geschmuckt. Das von ihnen reflektierte Sonnenlicht hatte sein Versteck verraten. Bolitho schatzte die Entfernungen vom oberen Rand des Strandes bis zu den Booten, von den schweigend beobachtenden Eingeborenen bis zu seinen Leuten. Ruhig sagte er:»Bleibt ruhig, Jungs. Sie wollen herausbekommen, was wir vorhaben. Wenn sie glauben, da? wir von einem in der Nahe liegenden Schiff sind, gehen sie vielleicht wieder. Wenn nicht, kann uns ein Kampf bevorstehen.»
        Pyper sagte verzweifelt:»Dort druben sind noch mehr, Sir. Bei den roten Bluten.»
        Kein Wunder, da? Quares Wachtposten sie nicht gesehen hatten. Sie mu?ten durch das seichte Wasser und die Brandung nahergekommen sein, um die Wachen zu umgehen.
        Der eine mit den Perlenketten hob die Hand und rief etwas mit dunner Stimme. Dann deutete er auf Bolitho, in dem auch er den Anfuhrer erkannt hatte, und senkte sehr langsam den Arm in Richtung auf Viola Raymond. Er wackelte mit dem Kopf und schnitt eine Grimasse, dann griff er sich in sein krauses Haar, und alle in seiner Nahe taten das Gleiche und grinsten. Die Farbe ihres Haars faszinierte ihn wohl, aber seine einfache Pantomime war bedrohlicher als ein offener Angriff.
        Bolitho hob eine Hand.»Freunde!«rief er. Ein paar Eingeborene naherten sich wie zufallig in der Brandung, und Bolitho durchschaute sofort ihren Plan.»Zieht euch auf die Boote zuruck, aber langsam«, befahl er. Das anscheinend ziellose Vorgehen war der Versuch, zwischen die Seeleute und ihre Boote zu kommen oder sie von der kleinen Gruppe unter den Baumen abzuschneiden. Plotzlich dachte er an Herrick. Diesmal gab es keine Rettung im letzten Augenblick durch Schwenkgeschutze, die unter den stummen Gestalten am Ufer Entsetzen verbreiteten. Er sagte:»Mr. Keen, wir nehmen nur ein Boot. Ubernehmen Sie das Kommando, und bringen Sie es zu Wasser. Sergeant Quare, lassen Sie den Verwundeten durch ein paar Leute helfen.
«Er bemerkte, da? Allday und Miller ihn beobachteten.»Wir bleiben hier stehen. Keine weitere Bewegung.»
        Bolitho horte den Kutter uber Sand knirschen, das angestrengte Keuchen der Manner, die sich bemuhten, das Boot in tieferes Wasser zu schieben. Ein Versuch, mit beiden Booten zu entkommen, ware Wahnsinn gewesen. Wahrscheinlich hatten die Eingeborenen Kanus in der Nahe und wurden die langsam geruderten Boote bald uberholen und einzeln angreifen. Mit einer so schwachen Besatzung konnte man nicht gleichzeitig die Riemen bedienen und kampfen.
        Die Eingeborenen kamen jetzt naher, und er horte sie miteinander murmeln, mit merkwurdig menschenunahnlichen Lauten wie das Zwitschern von Vogeln.
        Allday sagte:»Etwas nach links, Captain, sind noch mehr dieser Kerle. Die hier mussen auf Verstarkung gewartet haben, um ganz sicherzugehen. «Bolitho rief scharf:»Schnell jetzt, Jungs!«Er drehte sich um, als sich mehrere von der Hauptgruppe losten und durch den tiefen Sand auf Viola und den hilflosen Evans zuliefen. Der verwundete Marinesoldat ri? seine Muskete hoch und feuerte. Das Gescho? traf den ersten Eingeborenen in den Leib und schleuderte ihn blutuberstromt auf den hellen Sand.
        Die plotzliche Bewegung und der Knall der Muskete wirkten wie ein Trompetensignal. Mit lautem Wut- und Ha?geschrei sturmten die Eingeborenen auf die Boote zu. Augenblicklich war die Luft von Speeren und Steinen erfullt.
        Sergeant Quare lie? sich auf ein Knie sinken und scho?. Die anderen folgten auf der Stelle. Die Wirkung trat sofort ein, und die Angreifer zogen sich schreiend und jaulend in das dichte Laub zuruck und lie?en drei der Ihren tot oder sterbend zuruck.
        Bolitho zog seine Pistole und schrie Pyper zu:»Schaffen Sie die Leute an Bord!»
        Ein Speer sauste durch sein Blickfeld und schlug bebend in den nassen Sand ein.
        Die zweite Angriffswelle mu?te jeden Augenblick kommen. Er sah Blissett und einen anderen Seesoldaten neben Quare ihre Musketen neu laden. Ihr verwundeter Kamerad kam den Strand herab zu den Booten gehumpelt, mit von Schmerz und Anstrengung verzerrtem Gesicht. Orlando trug den stohnenden und sich schwach wehrenden Evans auf den Armen, wahrend der andere verletzte Seemann von Frazer und Lenoir in den Kutter gehoben wurde.»Da kommen sie wieder!»
        Diesmal waren sie entschlossener. Felsbrocken und Steine regneten auf die schwankenden und benommenen Matrosen und Marinesoldaten herab, und Speere flogen gleichzeitig aus beiden Richtungen.
        Bolitho warf seine Pistole weg und zog seinen Degen.»Schnell!»
        Er drehte sich wie betaubt um, als der Marinesoldat neben Blissett mit einem gra?lichen Schrei, einen Speer tief in der Brust, auf die Seite fiel.»Hierher, Sir!»
        Keen stand im Bug des Kutters, feuerte und winkte den anderen zu, ins Boot zu klettern. Bolitho sah Violas Haar uber das Dollbord wehen und entdeckte, da? er und die Marinesoldaten als einzige noch auf dem Strand waren. Blissett versuchte, seinen Kameraden zum Wasser zu schleppen, aber Quare stie? ihn gegen die Schulter und schrie:»La? ihn liegen. Mit ihm ist es vorbei. Nimm seine Muskete und pack dich, Junge!«Er scho?, wahrend er das rief, und eine weitere dunkle Gestalt brach zusammen. Die nachsten Minuten erfullte ein Durcheinander verzweifelter Muhen, fortzukommen, und tiefer Abscheu, als ihre Angreifer sich gegen den toten Marinesoldaten wendeten und auf ihn einhackten, bis nur noch ein unkenntliches Bundel ubrigblieb.
        Dann waren die Riemen ausgebracht, und der Kutter glitt schnell in tieferes Wasser. Das Schlagtempo zeigte deutlich ihren Horror und ihre Furcht.»Keine Kanus in Sicht, Sir.»
        Bolitho nickte. Er war nicht fahig zu antworten, als er tief Luft einsog. Zu seinen Fu?en bemerkte er das Netz mit Kokosnussen, aber da sie den anderen Kutter hatten aufgeben mussen, hatten sie die Halfte ihrer Lebensmittel-und Wasservorrate eingebu?t. Sergeant Quare sagte heiser:»Der Soldat Corneck war ein guter Mann, Sir. Er stammte aus meinem Nachbardorf.»
        Blissett hing uber einem Riemen. Die Augen brannten ihm. Er hatte fur den toten Kameraden nie viel ubrig gehabt, aber zuzusehen, wie er wie ein Stuck geschlachtetes Vieh zerhackt wurde, erfullte ihn mit brennendem Zorn und Abscheu.
        Bolitho beobachtete die verschiedenen Reaktionen der einzelnen und verglich sie mit seinen eigenen. Eine geringfugige Warnung hatte sie davor bewahrt, da? sie alle wie Corneck endeten. Wenige Minuten spater mochte er den Befehl zum Entladen der Boote, ein Feuer anzuzunden gegeben haben. Uber die ganze Lange des Bootes begegnete er ihrem Blick. Sie wickelte eine Binde um Jenners Kopf. Durch einen Felsbrocken hatte er eine bose Verletzung davongetragen. Sie wirkte sehr ruhig, aber ihre Augen waren feucht von unterdruckten Gefuhlen. Wenn der verwundete Marinesoldat nicht so schnell gehandelt hatte, ware sie vielleicht von den Eingeborenen gepackt und fortgezerrt worden, ehe es jemand verhindern konnte. Schon bei dem Gedanken uberkam ihn Ubelkeit.
        Der einzige Vorteil war, da? sie jetzt mehr Leute im Boot hatten, um die Riemen zu bedienen und dadurch den anderen ofter eine kleine Ruhepause zu gonnen. Dagegen… Er sah Evans an, der kaum noch bei Bewu?tsein war, und Penneck, den Kalfaterer der Tempest, der eine tiefe Halswunde von einem Speer davongetragen hatte. Er nahm die Rumflasche heraus, spurte, wie sich aller Augen auf sie richteten, sah, wie Big Tom Frazer sich abwandte, um seine Gier zu verbergen.

«Je einen Schluck fur Evans und Penneck. «Und uber die
        Kopfe der Leute hinweg sah er sie an.»Und, glaube ich, fur die Lady.»
        Keen sagte heiser:»Aye, Sir. Sie vor allem.»
        Doch sie schuttelte den Kopf.»Nein. Fur Rum habe ich mich noch nie erwarmen konnen.»
        Verschiedene Manner lachten, zunachst unterdruckt, doch dann in einer schier unbeherrschbar aufbrausenden Woge, der niemand Herr zu werden in der Lage schien. Bolitho beruhrte Keens Schulter.»Sie sollen es sich ruhig von der Seele schaffen. Es steht ihnen noch genug bevor. «Er sah, wie Pyper mit den anderen einstimmte, wie sich sein Gelachter in hilflose Tranen verwandelte, die ihm unbeachtet wie Regen ubers Gesicht rannen. Nach einer Weile rissen sie sich zusammen, manche uberrascht, andere beschamt, aber keiner machte eine Bemerkung uber ihr Verhalten. Die Riemen begannen sich wieder zu heben und zu senken, und nach einer weiteren Stunde war die kleine Bucht im Dunst versunken, der die hinter ihnen liegenden Inseln wie mit einem Schleier verhullte.
        Dann ruhten sie sich aus, verteilten Verpflegung, tranken Wasser, blickten das Meer ringsum und einander in dumpfer Ergebenheit an.
        Voraus und zu beiden Seiten wurden die Inseln seltener und kleiner. Sie wurden wieder landen mussen, um Wasser zu finden und Nahrungsmittel zu sammeln. Und die ganze Zeit uber begleitete die Sonne sie, strahlte sengend auf sie herab, verbrannte ihre Entschlossenheit, ihren Willen zu uberleben. Und als die Nacht schlie?lich kam, brachte sie keine Linderung. Denn nach dem Schock ihres Erlebnisses auf der Insel und der Hitze des langen Tages schien die Luft kalt wie Eis, so da? die nicht an den Riemen Eingesetzten sich schaudernd vor Kalte eng zusammendrangten. Am nachsten Tag zeigte sich trotz aller Vorsicht wieder die gleiche Gefahr. Hinter der uppigen Vegetation einer Insel verfolgten wachsame Augen ihre behutsame Annaherung. Als sie sich bereitmachten, das Boot auf den Strand zu ziehen, wurden sie wieder angegriffen, zuruckgetrieben und fast bewu?tlos geschlagen von einem Hagel fliegender
        Felsbrocken und Steine, bis sie gezwungen waren, sich in tieferes Wasser zuruckzuziehen.
        Bolitho beobachtete Keen und Pyper bei der Verteilung der Verpflegung und suchte auf den Gesichtern der anderen nach Anzeichen von Unmut oder Mi?trauen. Die Rationen mu?ten genau gleich gro? sein. Nur eine Spur von Gier oder Begunstigung, und diese loyalen und disziplinierten Manner konnten wie blutgierige Wolfe ubereinander herfallen. Wenn es ihnen nur gelungen ware, sich vor ihrer Abfahrt mehr Lebensmittel zu beschaffen. Doch falls Raymond erfahren hatte, was sie beabsichtigten, sei es von seinen Wachen oder aus dem Dorf, waren sie nicht einmal bis zur Pier gekommen.
        Blissett griff nach seiner Muskete.»Bitte um Feuererlaubnis, Sir. «Er beobachtete einen kreisenden Seevogel. Seine Augen waren plotzlich lebendig vor Jagdeifer.
        Bolitho nickte.»Aber warten Sie, bis wir naher sind. Sonst bekommt unser Freund die Beute. «Er sah sich nach der verraterischen Ruckenflosse um. Jetzt konnte er sich ohne Furcht oder Neugier mit ihr abfinden. Sie war nur ein Teil des Ganzen, ein Risiko mehr.
        Der Vogel fiel sauber beim ersten Schu?. Es war ein Tolpel, fast von der Gro?e einer Ente.
        Sie standen oder kauerten um den Vogel herum, bis Bolitho sagte:»Wir werden ihn aufteilen. Aber das Blut mussen die Schwachsten bekommen.»
        Zuerst angeekelt, nahmen die Manner ihre kleinen Portionen entgegen und verschlangen sie dann plotzlich verzweifelt. Das Blut wurde vorsichtig durch das schwankende Boot gebracht und Evans, dem verletzten Matrosen Colter und schlie?lich Penneck gegeben.
        Unmittelbar vor Sonnenuntergang und dem Einbruch einer weiteren bitteren Nacht sichteten sie in Nordost einige schnelle Kanus. Wie hetzende Hunde, dachte Bolitho. Treiben ihre Beute bis zur Erschopfung, bis sie sie ungefahrdet umbringen konnten. Vielleicht glaubten sie von ihnen, sie gehorten zu Tukes Leuten und suchten schreckliche Rache zu uben. Oder sie konnten auch in Tukes
        Auftrag handeln, der sie durch Drohungen oder versprochene Belohnungen fur sich gewonnen hatte. Aus den letzten Leinwandfetzen hatte Miller einen Treibanker konstruiert, und Bolitho entschied, allen die Moglichkeit einer kurzen Ruhepause zu geben, die nicht durch das Knarren und Klappern der Riemen gestort wurde. Das Boot rollte durch eine Reihe von Wellentalern. Bolitho sa? auf der Achterducht, neben sich Viola, der er seinen Uniformrock umgelegt hatte. Er druckte sie mit einem Arm an sich, um sie vor den sto?enden Bewegungen des Bootes zu schutzen.
        Einmal sagte sie:»Ich schlafe nicht. Ich sehe die Sterne an. «Er druckte sie fest an sich; er brauchte sie, er furchtete fur sie.
        Dann sagte sie:»Hor auf, dir Vorwurfe zu machen, Richard. Ich wollte bei dir sein. Nichts hat sich geandert. «Als er ihr endlich antworten konnte, war sie eingeschlafen. Sobald die Morgendammerung sich wieder uber den Himmel ausbreitete, sahen sie noch weniger Inseln als zuvor, und der Ozean erschien viel gro?er und unuberwindlicher. Sie stellten fest, da? Evans in der Nacht gestorben war.
        Bolitho richtete sein kleines Fernrohr auf die nachste Insel. Sie war sehr grun, zeigte aber keine Spur von Strand. Doch mochte sie ihnen die letzte Chance bieten. Er blickte auf den toten Evans hinab, der wie schlafend auf den Bodenbrettern des Bootes lag. Hier konnten sie ihn begraben. Dadurch konnten sie verhindern, da? er eine Beute der Haifische wurde, und ihnen allen blieb dieser Anblick erspart. Sie wurden diesmal nicht angegriffen, als sie das Ufer erreichten. Quares Kundschafter fanden ein paar alte Feuerstellen, doch sie sahen aus, als ob sie seit Jahren nicht mehr benutzt worden waren. Es war so schwierig, das Boot an Land zu bringen, ohne da? es gegen die Felsen geworfen wurde, da? vielleicht deshalb die Eingeborenen dieser Insel fernblieben, weil das Risiko fur ihre gebrechlichen Kanus zu gro? war.
        Sie fanden einen Tumpel mit Su?wasser. Es stammte von einem Regengu? und reichte kaum aus, um Frazers
        Kochtopf zu fullen. Aber einige Stucke ihres schwindenden Vorrats an Salzfleisch, ein paar Handvoll kleiner Austern, die Pyper zwischen den Felsen entdeckt hatte, und Schiffszwieback waren die Zutaten fur ihre erste warme Mahlzeit, die Allday und Miller zubereiteten. Trockenes Holz war reichlich vorhanden, und mit Alldays Zunderbuchse und einem kleinen Vergro?erungsglas, das sie bei dem toten Evans gefunden hatten, gelang es schnell, ein Feuer zu entfachen.
        Der kleine Waliser wurde auf einem Abhang unter ein paar
        Baumen begraben und der niedrige Grabhugel mit flachen
        Steinen bedeckt. Es war eine seltsame Ruhestatte fur den
        Maler der Tempest, dachte Bolitho. Er sa? mit dem Rucken an eine Palme gelehnt und schrieb gewissenhaft in ein kleines Notizbuch, das jetzt sein Logbuch war. Er fragte sich, wie er die Insel bezeichnen sollte, obwohl kaum jemand seine Aufzeichnungen lesen wurde.
        Viola lag im Schatten neben ihm und hatte sich das Gesicht mit ihrem Hut bedeckt.

«Nenne sie doch Evans-Insel, Richard.»
        Er lachelte.»Ja. Schlie?lich ist er der einzige, der hierbleibt.»
        Keens Stimme kam von den Felsen heruber, wo das Boot bewacht wurde.»Wir haben wieder Kanus gesichtet, Sir. «Bolitho schob das kleine Notizbuch unter sein Hemd. Gut. Loscht das Feuer und ruft die Leute zusammen. Im Boot sind wir sicherer als hier.»
        In grimmigem Schweigen ruderten sie von dem einzigen Ort fort, der sie freundlich empfangen hatte. Durch die warme Mahlzeit und die Ruhepause gestarkt, lenkten sie das Boot wieder nach Norden und uberlie?en Evans seiner letzten
        Ruhe.
        Wie ein sterbender Wasserkafer schwankte der Kutter mit teilweise eingezogenen, bewegungslosen Riemen auf der ungebrochenen Flache der Wogen, die sich so weit erstreckte, wie das Auge reichte.
        Bolitho dachte daran, etwas in sein kleines Buch einzutragen, aber er wu?te, da? es ihm jedesmal schwerer fiel, sich auf die unnutzen, leeren Worte zu konzentrieren.
        Die Ruderer hingen uber ihren Riemen, die Gesichter auf die Arme gepre?t, die anderen kauerten entweder an den Bordwanden und versuchten dort, Schatten oder Schlaf zu finden, oder schliefen wie Tote, wo sie sa?en. Viola Raymond sa? an seiner Seite etwas unterhalb von ihm. Sie trug seinen Uniformrock. Ihr zerrissenes, fleckiges Kleid hatte sie ausgezogen, um es im Meerwasser zu waschen. Als er auf sie hinunterblickte und ihr rotgoldenes Haar sah, das sie im Nacken zusammengebunden hatte, dachte er, da? sie ein Kapitan sein konnte.
        Sie schien seinen Blick zu fuhlen, denn sie streckte die Hand aus, um ihn zu beruhren. Aber sie blickte nicht auf. Wie ihre Gefahrten fand sie das blendende Licht zu unertraglich, zu krafteverzehrend fur den bescheidenen Rest Energie, den sie noch besa?.

«Wie lange willst du sie noch ausruhen lassen?«Ihre Stimme war gedampft, aber es spielte jetzt keine Rolle mehr. Keine Augen belauerten sie, wenn sie zusammen waren, und wenn sie sich beruhrten oder an den Handen hielten, wurde das hingenommen. Sie war ein Teil der Starke aller, wie sie ein Teil seiner Starke war. Er kniff die Augen zusammen und schatzte den Sonnenstand.»Nicht mehr lange. Wir kommen jeden Tag weniger schnell vorwarts.»
        Er wischte sich mit dem Armel uber die Stirn. Bei der Bewegung lief ihm der Schwei? uber Brust und Oberschenkel. Es war vier qualvolle Tage her, seit sie die kleine Insel verlassen hatten, auf der Evans begraben lag: Tage und Nachte unerbittlicher, krafteverzehrender Arbeit. Rudern und Wasserschopfen. Versuchen, fur ein paar Minuten Schlaf zu finden, und dann von neuem anfangen. Er dachte uber ihre gegenwartige Situation nach. Vor acht Tagen hatten sie die Pier verlassen. Es war nahezu unmoglich, an die qualenden Meilen, die sie langsam hinter sich gebracht hatten, auch nur zu denken. Ihr Wasservorrat war auf eine Gallone geschrumpft, falls es noch so viel war. Von dem Salzfleisch war noch knapp eine Handvoll steinharter Brocken vorhanden. Den gro?ten Teil des Weins hatte er in kleinen Schlucken ausgegeben, und vor zwei
        Tagen hatten sie das Gluck gehabt, einen Tolpel zu erlegen. Wie schon vorher war der Vogel geteilt worden, und das Blut bekamen die, die am schlechtesten dran waren. Zu ihnen gehorte jetzt auch ein Matrose namens Robinson, der sowohl unter der Sonne als auch unter Durst sehr litt, und Penneck, dessen Speerwunde bedrohlich entzundet war. Der Kalfaterer des Schiffs war der einzige, der nur selten schwieg. Tag und Nacht stohnte und schluchzte er, betastete den Verband um seinen Hals und verfiel gelegentlich in einen Zustand halber Bewu?tlosigkeit, in dem er aber weiter stohnte.
        Bolitho verstarkte seinen Druck auf ihre Finger. Seine Augen schmerzten, und er dachte an ihren Mann und seine gefuhllose Gleichgultigkeit, seine Weigerung, an irgend etwas anderes als sich selbst zu denken.»Wie fuhlst du dich?«Er wartete, weil er wu?te, da? sie sich ihre Antwort uberlegte, und fugte hinzu:»Sei aber ehrlich. «Sie erwiderte den Druck seiner Hand.»Ganz ertraglich, Cap-tain. «Sie beschattete ihre Augen und sah zu ihm auf.»Quale dich nicht so. Wir werden ankommen. Du wirst es sehen.»
        Allday richtete sich auf und schuttelte sich wie ein Hund.»Fertig, Jungs?»
        Penneck begann wieder zu stohnen, und Blissett fuhr ihn wutend an:»Beherrsch' dich endlich, Mann. Das ist ja nicht auszuhalten.»
        Quare zog seinen roten Uniformrock aus und legte ihn sorgfaltig zusammen, ehe er einen Riemen ubernahm.»Langsam, Blissett. Der arme Kerl kann nichts dafur.«»Riemen bei!»
        Bolitho beobachtete sie, erkannte die Hoffnungslosigkeit, mit der sie mit den langen Riemen kampften. Schon das Ausbringen der Riemen schien ihre Krafte zu erschopfen.»Rudert an!»
        Bolitho kontrollierte den Kompa?. Kurs Nord. Vielleicht wurden sie alle sterben und Tuke uber die Siedlung herfallen, wie er es immer geplant hatte. Bolitho hatte einmal ein Boot voll toter Seeleute gefunden. Er fragte sich oft, wer wohl als letzter starb, wie es gewesen sein mu?te, hilflos mit Mannern zu treiben, die man kannte und die man einen nach dem anderen dahingehen sah, wahrend man darauf wartete, da? man selbst an die Reihe kam. Er versuchte, seine Depression abzuschutteln, und konzentrierte sich auf Millers Behelfssegel. Es trug nur wenig zu ihrem Tempo bei, half aber, das Boot ruhiger zu halten und den Ruderern die Arbeit etwas zu erleichtern. Bolitho griff nach seinem Glas und richtete es nach Steuerbord. Unmittelbar am Horizont entdeckte er einen violetten Schimmer: eine lange, flache Insel. Er spurte, da? sein Herz schneller schlug. Sie waren nicht von ihrem Kurs abgekommen. Er erinnerte sich, da? er sie auf der Karte gesehen hatte.
        Sie regte sich neben ihm.»Was gibt es?«Seine Stimme klang gelassen.»Eine Insel, viele Meilen entfernt, fur uns zu weit. Aber sie zeigt, da? wir vorwartskommen. Ein- oder zweimal habe ich schon gedacht…«Er lachelte zu ihr hinab.»Ich hatte mich auf dein Urteil verlassen sollen.»
        Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Leute. Pyper war in schlechter Verfassung, gab sich aber gro?e Muhe, es nicht zu zeigen. Durch einen Ri? in seinem Hemd war seine Schulter von der Sonne verbrannt und sah aus wie rohes Fleisch. Er schien kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Keiner hatte noch viel Feuchtigkeit in seinem Korper. Vielleicht war Evans doch der Glucklichste von allen.
        Leise sagte er:»Wir mussen Wasser haben. Ich kann von den Leuten nicht verlangen, weiterzumachen, bis sie umfallen.»
        Sie nickte langsam.»Ich werde beten.»
        Sie senkte den Kopf. Der hei?e Wind wehte ihr Haar uber seinen blauen Uniformrock, und er war selbst einem
        Zusammenbruch nahe. Er allein hatte sie alle in diese Lage gebracht. Viola insbesondere mu?te fur ihre Liebe zu ihm leiden. Die anderen wurden sterben, weil er es befohlen hatte.

«So. «Sie sah zu ihm auf.»Vielleicht hilft's. Jetzt werde ich mich um die Verbande kummern. «Sie griff nach ihrem
        Kleid, das zum Trocknen uber der Ruderbank lag.»Von morgen an werde ich einen Teil davon dazu verwenden. Der arme Penneck hat fast die letzten Binden verbraucht.
«Sie stand auf und schwankte im Boot, bis Keen ihr die Hand entgegenstreckte, um sie zu stutzen. Sie lachelte ihn an.»Danke, Val.»
        Das war ihr besonderer Name fur ihn, und Bolitho sah den dankbaren Blick, den sie dafur empfing. Nach ihm hatte Keen mehr Grund als jeder andere, ihre Freundlichkeit nicht zu vergessen.
        Sergeant Quare mu?te sich zweimal rauspern, ehe er sprechen konnte.»Soll ich anfangen, die Rationen einzuteilen, Sir?«Sogar er wirkte deprimiert, beinahe geschlagen.
        Bolitho uberkam plotzlich Verzweiflung.»Ja. Fur jeden einen Becher, halb Wasser, halb Wein. «Er nickte bedruckt.»Ich wei?, Sergeant, es ist der letzte Rest. «Als Viola zu den Kranken und Verwundeten kam, packte Penneck den geliehenen Uniformrock und stammelte wild:»Lassen Sie mich nicht sterben, bitte, lassen Sie mich nicht sterben!«Er flehte sie an, seine Stimme steigerte sich zu einem dunnen Schrei.
        Colter, der verwundete Matrose, knurrte:»Ich wunschte bei Gott, er wurde sterben. Der treibt uns alle noch zum Wahnsinn.»

«Das genugt!«fuhr Bolitho ihn an. Er stand auf, mit pochenden Schmerzen im Kopf. Orlando, halten Sie den Mann fest, wahrend der Verband gewechselt wird.«Uber die langsam bewegten Riemen hinweg beobachtete er sie. In dem Kapitansrock, wie die Matrosen mit nackten Beinen, wirkte sie noch schoner als sonst. Sie unterbrach ihre Arbeit, wahrend Orlando Penneck gegen die Bootswand druckte, und schuttelte sich eine lose Haarstrahne aus dem Gesicht. Wieder begegneten sich ihre Blicke, und sie lachelte ihm zu.
        Blissett schob seinen Riemen quer uber das Boot und griff nach seiner Muskete. Wieder ein Vogel, Sir. «Er scho?, aber der Vogel kreiste wie vorher.
        Quare warf ihm eine andere Muskete zu, und fast ohne
        Pause scho? Blissett wieder. Der Vogel fiel dicht neben dem Boot ins Wasser und war innerhalb von zehn Minuten verteilt und gegessen.
        Als sie ihren wa?rigen Wein schlurften und versuchten, ihn nicht in einem Zug hinunterzusturzen, sagte Pyper sto?weise:»Wenn ich wieder auf dem Schiff bin, werde ich mich nie mehr beklagen.»
        Besorgt stellte Bolitho fest, da? der Midshipman dicht vor dem Zusammenbruch stand.
        Beinahe sanft sagte er:»Keine Sorge, Mr. Pyper. Es wird schon werden. Sie haben wenn gesagt, nichtfalls. Halten Sie daran mit aller Kraft fest, und das gilt auch fur uns andere. «Allday sah von seinem Riemen auf und lachelte bedruckt. Innerlich war ihm zum Weinen zumute. Uber die Lady im Uniformrock seines Kapitans, um den jungen Pyper, um Billyboy, der sich so verzweifelt bemuhte, seine Befurchtungen um sein verletztes Bein nicht zu verraten. Doch am meisten um den Kapitan. Er hatte ihn nicht aus dem Auge gelassen, an keinem dieser elenden Tage, beobachtet, wie er jeden Trick anwendete, alles, was er gelernt und an Erfahrungen gesammelt hatte, seit er im Alter von zwolf Jahren zur See gegangen war, um sie zusammenzuhalten.
        Wahrend einer Schlacht war es entsetzlich, aber die Leiden und Muhsale hatten fur die Uberlebenden einen gewissen Sinn. Doch jetzt erlebten sie die Marine von einer Seite, von der Landratten nie etwas erfuhren und fur die sie sich nicht im geringsten interessierten.
        Bolitho sah ihn an, vielleicht erriet er Alldays Gedanken.

«Zum Wechsel bereit, Allday?»
        Allday lachelte und beteiligte sich an dem Spiel.

«Aye, Captain, wenn Sie wirklich mit uns Teerjacken mithalten wollen.»
        Jenner gelang ein krachzendes Lachen, und Miller sagte:»Ist schon recht, Sir. Sie tragen ja auch keine Kapitansuniform mehr, oder?»
        Bolitho setzte sich neben Allday auf die Ducht, wahrend
        Pyper die Pinne ubernahm.
        Er mu?te fragen:»Was meinen Sie, Allday?»
        Die breiten Schultern hoben sich kurz.»Es hei?t, der Teufel sorgt fur die Seinen. Jedenfalls haben wir eine Chance, das steht fest.»
        Bolitho legte sich in den Riemen, verschlo? die Augen vor der erbarmungslosen Sonne. Kein Wasser mehr, nur noch ein paar Kokosnusse und Schiffszwieback. Und dennoch vertrauten sie ihm noch. Es war unverstandlich. Er dachte an Pypers ruhrenden Mut und zwang sich zu sagen: Wenn, nicht falls.
        Sein Riemen stie? mit einem anderen zusammen, und er bemerkte, da? er beinahe eingeschlafen oder in Betaubung gefallen war. Die Erkenntnis verhalf ihm, wieder klar zu denken, und er bediente den Riemen mit unerwarteter Kraft. Als er das nachste Mal ubers Dollbord blickte, bemerkte er, da? ein deutlich sichtbares Kielwasser den Erfolg ihrer Anstrengungen erkennen lie?. Er schlo? fest die Augen und legte sich wieder in seinen Riemen. Wenn, nicht falls.



        XV Eine Quelle der Kraft

        Zwei Nachte, nachdem Bolitho die letzten Reste Wein und Wasser ausgegeben hatte, fiel ein Sturm mit solcher Wildheit uber sie her, da? sie glaubten, nun ware alles zu Ende. Er traf den Kutter kurz nach Anbruch der Nacht und verwandelte die See zu einem Aufruhr wahnwitziger, schaumender Wellen mit Brechern, die gewaltig genug waren, um nahezu alles zu uberschwemmen. Stunde um Stunde wurden sie im wirbelnden Wasser hin-und hergeworfen, kampften sie darum, das Boot vor dem Umschlagen zu bewahren. Millers Segel wurde samt Rigg in die gischterfullte Finsternis gerissen, und loses Zeug, Kleidungsstucke und ein Riemen folgten bald. Es war ein rasender, unnachgiebiger Kampf um das Uberleben. Keine Befehle wurden gegeben, und keine wurden erwartet. Die erschopften, zerschlagenen Manner schopften Wasser oder sa?en an den Riemen, von spruhendem Wasser geblendet, fast taub vom Drohnen der brechenden Wellen und dem jubilierenden Heulen des
        Windes.
        Und dann, als Bolitho ein leichtes Nachlassen in der Gewalt des Sturmes wahrnahm, kam der Regen. Langsam zuerst schlugen ihnen die schweren Tropfen wie Hagelkorner auf Kopfe und Korper, doch dann mit lautem Zischen, und schienen allein durch ihr Gewicht den hohen Wellengang zu dampfen.
        Heiser schrie er:»Schnell, Leute! Auffangen!»
        Mit Stoffetzen, Bechern, allem, was ihnen zur Verfugung stand, versuchten sie, in dem vom Meerwasser
        uberschwemmten Boot das kostbare Na? aufzufangen. Die
        Kranken und Verletzten und die Handvoll Manner an den
        Riemen hielten ihre Gesichter in den Gu?, die Augen fest zugepre?t, die Munder weit geoffnet, um das aufzunehmen,
        was ihnen wie ein Wunder erscheinen mu?te.
        Bolitho wischte sich das Wasser aus Gesicht und Haar und wandte sich an Viola: Dein Gebet ist erhort worden, Viola.
        Siehst du!»
        Blindlings tasteten sie nacheinander, ergriffen sich bei den
        Handen, dankbar fur den niederrauschenden Regen.
        Wenn er nur fruher gekommen ware und ihnen den letzten qualvollen Tag erspart hatte. Sie hatten die letzten
        Kokosnusse verteilt und versucht, jeden Tropfen
        Feuchtigkeit aus dem Fruchtfleisch zu saugen.
        Am Nachmittag, als das Boot quer zum Seegang dahintrieb,
        wurden sie durch einen wilden Aufschrei von Penneck aus ihrem benommenen Zustand gerissen.

«Wasser! Um Gottes willen, Wasser!»
        Und noch ehe jemand sich bewegen konnte, hatte er sich am
        Dollbord hochgezogen und war um sich schlagend und laut schreiend ins Meer gesturzt, wahrend das Boot schnell von ihm abtrieb.
        Woher er dazu die Kraft gefunden hatte, war Bolitho unerklarlich, aber er hatte die Pinne herumgerissen und die Ruderer aus ihrer Lethargie aufgestort. Orlando hatte sich im Bug aufgerichtet und war kopfuber ins Wasser gesprungen.
        Penneck war ohne Rucksicht auf seine Verletzung hastig ins Boot zuruckgezerrt worden. Doch seine von wahnsinnigem
        Durst verursachte Tat hatte weit mehr als nur Kraft und Zeit gekostet. Denn als Orlando den tobenden Penneck schwimmend zum Boot schleppte, hatte der Hai mit der Wucht eines Rammbocks zugeschlagen. Hilflos hatten sie zusehen mussen, wie sich das Wasser um Orlando plotzlich rot farbte, hatten Orlandos schmerzverzerrtes Gesicht gesehen, seinen in einem unhorbaren Aufschrei aufgerissenen Mund. Dann war er hinabgezogen worden, noch als Blisset eine Kugel auf die verraterische Finne abfeuerte.
        Allday rief:»Der Wind la?t nach, Captain. «Wie alle anderen war er vollig durchna?t, und das Haar klebte ihm an der Stirn, das Hemd wie eine zweite Haut am Korper.»Ja.»
        Bolitho erwachte widerwillig aus seinen Gedanken. Penneck lag auf dem Boden des Bootes. Sie hatten ihm die Arme gefesselt, aber er zuckte unkontrolliert mit den Beinen, sah keuchend zu den Wolken auf und war schutzlos dem Regen ausgesetzt.
        Orlando war fort, fast so gegangen, wie er damals zu ihnen gekommen war. Von der See her und wieder zu ihr zuruck. Niemand hatte mehr uber ihn erfahren als damals, als sie ihn gerettet hatten. Nur da? er dankbar war, bei ihnen sein zu durfen.
        Treffend hatte sein Freund Jenner gesagt:»Wenigstens ist der arme Teufel glucklich gewesen, solange er bei uns war,
        Sir. Er ist vor Stolz fast geplatzt, als er den Posten als Diener bei Ihnen bekam. Gott segne ihn.»
        Unwillkurlich sagte Bolitho laut:»Ja, Gott segne ihn.»
        Allday blickte uberrascht auf.»Captain?»

«Ich habe nur laut gedacht. Einen weiteren Namen auf meine Liste gesetzt.»
        Als die Morgendammerung mit atemberaubender Plotzlichkeit anbrach, war es, als ob sich uber Nacht wenig geandert hatte. Die Wolken waren verschwunden, die See wogte unverandert in gleichma?iger Dunung. Als die Sonne aufstieg und ihre Strahlen das Boot erfa?ten, dampften das Holz und die Insassen, als ob sie gleich in Flammen aufgehen wurden. Sie sahen sich in ihrer winzigen Welt um, betrachteten einander prufend, suchten nach Zeichen neuer Hoffnung oder des Gegenteils.
        Sie hatten uber zehn Gallonen Regenwasser aufgefangen, und noch war fur jene, die ihn am notigsten hatten, ein kleiner Rest Rum vorhanden. Die Nahrungsmittel waren verbraucht, und wenn Blissett nicht wieder einen Vogel erlegen konnte, wurde sich ihre Situation schnell verschlimmern.
        Die einzig bemerkenswerte Veranderung gegenuber gestern war, da? der Hai sie nicht mehr verfolgte. Auch das war merkwurdig und lie? manchem einen kalten Schauer uber den Rucken laufen. Es war, als hatte er darauf gewartet, Orlando in den Ozean zuruckzuholen, dem er nur fur eine kurze Weile vorbehalten geblieben war. Wahrend einer ihrer kurzen Ruhepausen kam Keen zu Bolitho. Der Leutnant wirkte kraftiger als die meisten anderen, obwohl seine Arme von der Sonne verbrannt und durch vom Salzwasser verursachte Entzundungen fleckig waren.

«Wir haben den Kompa? gerettet, Sir.»
        Bolitho erwiderte mit gedampfter Stimme:»Haben Sie das
        Treibholz bemerkt?»
        Keen schutzte seine Augen gegen den glei?enden Horizont. In kleinen Brocken wurde dem Boot Treibgut entgegengeschwemmt, das sich in dem grellen Licht schwarz vom Wasser abhob. Auch Vogel waren zu sehen, aber zu weit entfernt selbst fur einen glucklichen Schu?. Mit unglaubigem Gesicht sah Keen ihn an.»Land, Sir?«Bolitho wollte es fur sich behalten fur den Fall, da? er sich irrte. Er sah sich im Boot um und wu?te, da? sie einen weiteren Tag nicht uberstehen wurden. Bei einer guten Nachricht mochten sie durchhalten. Er nickte.»In der Nahe. Ja, das glaube ich.
«Viola stand auf und legte eine Hand Bolitho auf die Schulter, die andere Keen. Sie sagte nichts, sondern blickte unver-wandt zum Horizont. Ihr Haar hob und senkte sich uber Bolithos Uniformrock.
        Bolitho blickte sie an, liebte sie, war fasziniert von ihrer inneren Kraft. Trotz der Sonne und allem, was sie ertragen hatte, wirkte sie neben Keen und den anderen bla?. Seit sie die Insel verlassen hatten, hatte er nur einmal gesehen, da? sie ihre Haltung verlor, und das war gewesen, als Orlando ums Leben kam.

«Er konnte nicht sprechen«, hatte sie geklagt.»Er konnte nicht einmal schreien, und trotzdem glaube ich, mich an seine Stimme zu erinnern.»
        Dann hatte sie nichts mehr gesagt, bis der Sturm uber sie hereinbrach.
        Jetzt sahen alle Bolitho an. Selbst Penneck war verstummt. Der Marinesoldat Billyboy sa? mit Pyper zusammen an einem Riemen, sein verletztes Bein stutzte er mit einer Muskete. Der andere Verwundete, der Matrose Colter, war durch seine Ration Wasser so weit gestarkt, da? er helfen konnte, sich um Penneck und den anderen Verwundeten, Robinson, der in sehr schlechter Verfassung war, zu kummern. Doch auch sie waren nicht zu krank, um nicht zu spuren, da? etwas bevorstand.
        Bolitho sagte:»Ich glaube, wir sind in der Nahe von Land. Ich bin nicht sicher, da? es die Insel Rutara ist, denn nach dem Sturm und bei dieser Abdrift, und da wir nicht einmal einen Sextanten haben, tappen wir so gut wie im dunkeln. Doch was fur eine Insel es auch sein mag, wir werden dort landen und uns Lebensmittel verschaffen. Nach dem, was wir gemeinsam erlitten haben, gehort wohl mehr als Feindseligkeit dazu, um uns zu vertreiben. «Big Tom Frazer, die Augen vor Erschopfung gerotet, stand auf und brullte laut:»Ein Hurra fur den Kap'n, Jungs. Hurra!»
        Bolitho konnte ihn nur fassungslos anstarren. Es war ein schrecklicher Anblick. Diese ausgemergelten, sonnenverbrannten, unrasierten Manner standen an ihren Riemen auf, um ihm zuzujubeln.
        Er hob seine Stimme.»Genug! Spart eure Krafte!«Er mu?te sich abwenden.»Aber ich danke euch.»
        Keen rausperte sich und befahl:»Riemen bei!«Er begegnete
        Violas Blick und lachelte wie ein Verschworer.»Rudert an!»
        Am spaten Nachmittag hatten Blissett und dann auch
        Sergeant Quare Gluck mit ihrer Schie?kunst. Ein Tolpel und ein Seerabe wurden Beute ihrer Musketen, und obwohl es diesmal langer dauerte, sie zu erreichen, wurden sie geborgen und mit einer vollen Ration Wasser verzehrt. Als die Sonne dann den Horizont beruhrte, schrie Miller:»Land, Sir! An Steuerbord voraus!»
        Jeder Gedanke an Ordnung und Disziplin schwand dahin.
        Sie sprangen in dem schwankenden Boot auf, als ob sie das
        Land dadurch deutlicher erkennen konnten.
        Bolitho stutzte Viola und suchte wie die anderen. Ja, es war
        Land.

«Morgen erreichen wir es. «Er nickte nachdrucklich.»Dann werden wir weitersehen.»
        Sie erwiderte nur:»Ich habe nie daran gezweifelt, da? du es schaffen wurdest.»
        Wahrend Keen wieder Ordnung schuf und die Leute an die Riemen zuruckbrachte, sa? Bolitho neben ihr in der Flicht wie seit Beginn ihrer Fahrt.
        Sie lehnte sich an ihn, seinen Uniformrock fest um sich gezogen. Ihr Kleid war wie die meisten anderen Dinge bei dem Sturm uber Bord gegangen.»Halte mich fest. Mir ist kalt, Richard. «Er legte den Arm um sie. In der Nacht wurde es noch viel kalter werden, und ob sie protestierte oder nicht, er wurde sie zwingen, einen Schluck Rum zu trinken. Doch als er sie an sich druckte, spurte er die Hitze in ihrem Korper wie Feuer.

«Es dauert nicht mehr lange«, sagte er.»Dann zunden wir ein Feuer an. Und dann werden wir das Schiff finden.«»Ich wei?. «Sie ruckte naher an ihn heran und legte den Kopf an seine Brust.»Ein gro?es Feuer…«Das Boot bereitete sich auf eine weitere Nacht vor. Quare und Blissett kontrollierten ihre Musketen und das Pulver. Keen vergewisserte sich, da? Penneck in Sicherheit war, fur den Fall, da? er noch einmal aus dem Boot springen wollte. Aber die Atmosphare an Bord hatte sich geandert. Nicht mehr Angst und Furcht vor dem nachsten Morgen herrschten, sondern eine seltsame Zuversicht daruber, was er bringen wurde.
        Leutnant Thomas Herrick ging auf dem Achterdeck der Tempest ruhelos auf und ab. Das Schiff lag vor Anker, und trotz der ausgespannten Sonnensegel herrschte eine Hitze wie in einem Backofen, und nur tief unten im Orlop und in den Lastraumen konnte man Erleichterung finden. Seit funfzehn Tagen stand die Fregatte unter seinem Befehl, und er hatte mit sich zufrieden sein konnen, wie er das Schiff gefuhrt hatte und da? nichts Ungunstiges eingetreten war. Doch da er Herrick war, fuhlte er sich nur als halber Mann, und selbst jetzt noch erwartete er beinahe jedesmal, wenn er Schritte auf dem Niedergang horte, Bolitho an Deck erscheinen und dessen Blicke automatisch vom einen Ende des Schiffs zum anderen schweifen zu sehen. Er trat an die Reling und sah mit so etwas wie Ha? zu der Insel hinuber. Den meisten wurde sie weitgehend wie jeder beliebige andere kleine Flecken Land in der Sudsee erscheinen. Fur ihn stellte sie eine hohnische Herausforderung dar. Ein Muhlstein, der ihn hilflos machte. Er sah das Beiboot der Tempest, das trage zwischen Schiff und Ufer dahinglitt, die Waffen im Boot in der Sonne
glanzend. Zwar hatten sie von der franzosischen Fregatte und Tukes Schonern keine Spur entdecken konnen, aber sie hatten trotzdem Gesellschaft. Gro?e Kriegskanus, dicht besetzt mit dunklen Gestalten, hatten sich, soweit sie es wagten, dem Schiff genahert, wachten und beobachteten, ob die Besatzung der Tempest es wagen wurde, die Heiligkeit der Insel durch eine Landung zu storen. In Gedanken kehrte Herrick haufig zu der Siedlung zuruck und fragte sich besorgt, was dort wohl geschah. An Bord hatten sich keine Anzeichen des Fiebers gezeigt, so da? es wahrscheinlich erschien, da? es ortlich begrenzt blieb und nur Personen befiel, die sich seiner unmittelbaren Nahe aussetzten und nicht die Widerstandskraft eines Matrosen besa?en.
        Er hatte mehrmals mit dem Schiffsarzt daruber gesprochen, doch das hatte ihm wenig geholfen. Gwyther hatte dem ungeduldigen Herrick auseinandergesetzt, da? ein» leichter Schnupfen«, der einem Landpfarrer in England nicht schadete, auf einer der Inseln Mann fur Mann, Frau um Frau und Kind um Kind umbringen konnte, wenn die entsprechenden Vorbedingungen herrschten, andererseits aber kein Europaer die schrecklichen Qualen mancher Weihezeremonien uberstehen wurde, die hier vollzogen und widerspruchslos hingenommen wurden.»Das ist alles eine Frage des Ausgewogenseins, verstehen Sie?«hatte der Arzt gesagt.
        Herrick wischte sich uber das Gesicht. Es war wirklich eine Frage des Ausgewogenseins.
        Borlase erschien an Deck und beobachtete ihn verstohlen.»Haben Sie eine Entscheidung getroffen, Mr. Herrick?«»Noch nicht.»
        Herrick versuchte, die Frage in Gedanken beiseite zu schieben. Vor funfzehn Tagen hatte er die Levu-Inseln verlassen und beobachtet, wie Bolitho an Land gerudert wurde. Inzwischen hatte er etwas von ihm horen mussen. Er fragte sich, was Bolitho sagen wurde, wenn er von seinem Brief erfuhr. In seiner runden Handschrift hatte Herrick einen privaten Bericht an Kommodore Sayer in Sydney aufgesetzt und ihn zu der Brigg Pigeon geschickt, ehe sie Anker gelichtet hatte.
        Herrick war uber Kriegsgerichte und Untersuchungsausschusse ausreichend informiert. Er wu?te, da? ein Dokument, das zur Zeit der Vorgange, die untersucht wurden, aufgesetzt worden war, weit mehr Gewicht besa? als ein sehr viel spater niedergeschriebener, sorgfaltig formulierter Bericht, wenn der Betroffene bereits wu?te, welchen Weg die Dinge nehmen wurden. Allerdings war schwer vorauszusehen, welche Beachtung die Ansicht eines gewohnlichen Leutnants finden wurde. Doch der Gedanke an dieses Schwein Raymond, der seinen Einflu? und seine Arglist benutzen wurde, um Bolitho zu vernichten, konnte ihn nicht tatenlos beiseitestehen und zusehen lassen. Er sah Borlase an, der mit seinem kindlichen Lacheln wartete.

«Ich habe die Befehle des Kapitans ausgefuhrt. Doch von der Narval oder den Piraten haben wir nicht das Geringste erfahren. Wenn es zu einem Seegefecht gekommen ware,
        hatten wir doch bestimmt etwas entdeckt. Treibholz, Tote, irgend etwas.»
        Herrick zwang sich, zuruckzudenken. Er hatte Hardacres kleinen Schoner vor der Nordinsel entdeckt, aber der Kapitan hatte ihm nichts zu berichten. Er war sehr froh, da? er Herrick begegnete, und noch glucklicher daruber, da? er zu der Siedlung zuruckbeordert wurde. Fur seinen Geschmack gab es in dieser Gegend zur Zeit zu viele Kriegskanus. Es war mehr als wahrscheinlich, da? Bolitho den Schoner mit neuen Anweisungen hierher nach Rutara zuruckschicken wurde. Argerlich schuttelte er den Kopf. Nein, er tat es schon wieder. Schlo? die Augen. Wich der Verantwortung aus.
        Er dachte ruhiger daruber nach. Auf einem Kriegsschiff konnte es jederzeit geschehen. Durch Zufall, in der Schlacht, durch Krankheit konnte ein Kapitan sterben. Dann ubernahm sein ranghochster Untergebener das Kommando. Und so weiter. Etwas anderes gab es nicht. Und hier, Tausende von Meilen von aller Welt entfernt, lag die Burde nun auf ihm.
        Unvermittelt sagte er:»Ich werde morgen Anker lichten lassen. «Er sah Borlases Augen aufblitzen.»Der Schoner hatte uns Nachricht bringen mussen. «Borlase schlug die Augen nieder.»Das ist ein schwerer Entschlu? fur Sie.»

«Verdammt noch mal, glauben Sie, das wu?te ich nicht selbst, Sie Narr!»
        Borlase errotete.»Ich bedauere, da? Sie diese Haltung einnehmen, Sir.»

«Gut.»
        Herrick sah den als Leutnant agierenden Swift trage die Steuerbordgangway entlangkommen. Er hatte die Wache. Es ist, als hatte man eine Messe voller Kinder und alter Manner, dachte Herrick wutend.

«Mr. Swift!«Der junge Mann fuhr zusammen.»Rufen Sie das Boot zuruck und wechseln Sie die Mannschaft aus. Es gehort zu Ihren Aufgaben, daran zu denken!«Ross, der gro?e Steuermannsmaat, der auf Bolithos Befehl gleichfalls provisorisch zum Leutnant ernannt worden war,
        kam zu ihm geschlendert.
        Grollend sagte Herrick:»Und fragen Sie mich jetzt nicht auch, was ich tun werde.»
        Ross' Gesicht blieb unbeweglich.»Das war gar nicht meine Absicht, Sir.»
        Bei der Pforte war das Scharren von Fu?en zu horen, und Swift kam nach achtern gerannt, sein sonnenverbranntes Gesicht zuckte vor Aufregung.

«Sir! Der Wachtposten hat auf der Insel zwei Manner entdeckt. Als ich das Wachtboot anrief, schienen sie aus dem Nichts aufzutauchen.»
        Herrick griff rasch nach einem Glas und richtete es auf das Ufer. Einen Augenblick konnte er wegen des tanzenden Dunsts, in dem die niedrigen Hugel wie Gelee zitterten, nichts ausmachen. Dann sah er sie: zwei schwankende, hilflose Gestalten, die sich gegenseitig stutzten, manchmal fielen, sich wieder aufrichteten und weiter zum Ufer taumelten. Wie zwei betrunkene Vogelscheuchen, dachte er. Ross meldete laut:»Die Kanus haben sie auch entdeckt,
        Sir.»
        Herrick schwang das Teleskop herum. Masten, Wanten und dann offenes Wasser fegten durch das Blickfeld der starken Linsen, die sich dann auf das nachste Kanu richteten. Der Abstand betrug eine Meile, aber an seinen Absichten bestanden keine Zweifel. Die Eingeborenen mu?ten die beiden Manner auf der Insel auch entdeckt haben. Das nachstgelegene Kanu war ein imposantes Fahrzeug mit einem gro?en, burgahnlichen Aufbau am Heck, mit Kriegsschmuck aus Vogelfedern verziert und reich geschnitzt. Es mu? mindestens vierzig Fu? lang sein, dachte er mit fachmannischem Interesse.
        Er bellte:»Alarmieren Sie die Besatzung, aber schicken Sie sie nicht auf Gefechtsstation. Mr. Brass soll die
        Zwolfpfunder feuerbereit machen. Ich werde nicht dulden,
        da? diese Burschen unverschamt werden.»
        Pfeifen trillerten unter den Decks, und aus allen Richtungen erschienen Seeleute und Marinesoldaten.
        Borlase bemerkte:»Aufjeden Fall sind sie beide Wei?e.»
        Das Wachtboot, dessen Besatzung die beiden Manner am
        Ufer noch nicht wahrgenommen hatte, erreichte dankbar den Schatten der Tempest. Herrick lief zur Gangway, und als er sich aus dem Schatten der Sonnensegel hinaus uber die Reling beugte, spurte er die Sonne wie ein Brandeisen im Nacken. Schultz, der deutsche Bootsmannsmaat, blickte zu ihm auf.
        Herrick schrie ihm zu:»Fahren Sie zuruck zum Ufer. Sagen Sie den beiden Mannern, sie sollen zu Ihnen herausschwimmen. Schicken Sie ihnen einen Mann entgegen, wenn es sein mu?. Aber bleiben Sie mit dem Boot vom Strand fort.»
        Die Kopfe im Boot wandten sich zwischen der Insel und den Kanus hin und her.
        Herrick fugte hinzu:»Noch was, Schultz! Uberlassen Sie das Anrufen einem anderen.
»Ja, Sir. Ich verstehe. «Er grinste.

«Mein Gott!«Herrick zog sich wieder in den Schatten zuruck.»Diese verdammte Hitze!

        Er sah zu den lose aufgegeiten Segeln hinauf, die innerhalb von Minuten gesetzt werden konnten. Die Tempest war jammerlich unterbemannt, aber so einsatzbereit fur einen Kampf, wie ein Schiff es nur sein konnte. Eine Stuckpforte wurde geoffnet und einer der Zwolfpfunder knarrend ins Sonnenlicht ausgefahren. Mr. Brass, der Stuckmeister, stand, die Hande in die Huften gestutzt, und beobachtete die von ihm bestimmte Mannschaft beim Laden und Einrammen der glanzenden, schwarzen Kugel. Neben dem Stuckmeister versuchte Midshipman Romney, klein und zierlich neben den robusten Matrosen, keinem im Weg zu stehen.»Feuerbereit, Sir.»
        Herrick nickte. Die Kanus waren jetzt viel naher, die Paddel hoben und senkten sich in vollkommenem Gleichma?. Er schauderte trotz der Hitze. Er dachte an andere Gelegenheiten, als er sie ohne den Schutz der soliden Schiffsplanken beobachtet hatte.

«Darf ich sprechen, Sir?«Es war ein junger Matrose namens Gwynne, den Herrick von der Eurotas angeworben hatte. Er hatte sich gut eingefugt und schien mit seiner merklich rauheren Umgebung recht zufrieden zu sein.»Ja, Gwynne.»
        Der Matrose trat verlegen von einem nackten Fu? auf den anderen, als sich die Offiziere um ihn scharten. Selbst Prideaux war jetzt dabei, obwohl sein Fuchsgesicht Mi?billigung verriet.

«Diese zwei Leute, Sir. Ich kenne sie. Sie sind von der Eurotas. Genau wie ich.»
        Herrick fixierte ihn.»Sind Sie sicher, Mann? Nehmen Sie das Glas und sehen Sie noch mal hin.»
        Prideaux sagte gedampft:»Wenn das stimmt, mussen sie
        ubergelaufen sein, als Tuke das Schiff uberfiel.»

«Das wei? ich auch. «Herrick beherrschte muhsam seinen
        Arger.»Bringt sie nach achtern, sobald sie an Bord sind.»
        Gwynne nickte nachdrucklich.»Aye, Sir. Sie sind es bestimmt. Der Gro?e hei?t Latimer, gehorte zur
        Vormastcrew. Ziemlich dummer Kerl. Der andere ist
        Mossel, Vollmatrose. «Er schnitt eine Grimasse.»Ein richtiger Galgenvogel.»
        Borlase blahte die Wangen auf.»Und genau als das wird er enden.»
        Herrick nickte Gwynne zu.»Danke. Das ist eine wertvolle
        Hilfe.»
        Er sah zu den beiden Gestalten auf der Insel, die jetzt im Wasser wateten und dann plotzlich auf das Boot zuschwammen.
        Der Meeresgrund fiel schnell steil ab, wie Herrick festgestellt hatte, als er ankerte. Aber Schultz hatte die beiden Schwimmer schon erreicht.»Die Kanus drehen ab, Sir.»
        Herrick spahte zu den schlanken Kanus mit ihren eifrigen Paddlern hinaus. Vielleicht hatten sie darauf gelauert, diese beiden Vogelscheuchen selbst zu fassen. Herrick dachte an das, was Tinah von dem Leutnant der Miliz berichtet hatte: bei lebendigem Leib in Lehm gebacken. Es war zu grausig, auch nur daran zu denken.
        Er rief:»Entladen Sie das Geschutz. Es hat keinen Sinn, eine gute Kugel zu vergeuden.»
        Brass legte die Hand an die Stirn. Er sah enttauscht aus, fand
        Herrick.
        Er sah den Arzt und einen seiner Gehilfen bei der Einstiegspforte warten.

«Schaffen Sie sie zu mir, wenn Sie sie untersucht haben. «Gwyther sah ihn uberrascht an.»Aber sie konnten sehr krank sein, Sir. Sie haben selbst gesagt, da? es auf der Insel kein Wasser gibt.»

«Ich sagte >untersucht<, Mr. Gwyther. «Er war nicht bereit, sich noch einmal mit der Frage des» Ausgewogenseins «zu befassen.»Und ich meinte, nicht erst, nachdem sie sich einen Monat lang erholt haben.»
        In der Kajute sa? er an Bolithos Schreibtisch, wahrend
        Cheadle, der Schreiber, vor einer kleinen Truhe kniete und wie besessen in Papieren wuhlte.
        Prideaux klopfte an die Tur.»Es ist soweit, Mr. Herrick.»
        Die beiden Manner kamen in die Kajute. Sie blinzelten benommen und wurden von Pearse, dem Schiffskorporal,
        und Scollay, dem Schiffsprofo?, halb gestutzt.
        Gwyther benahm sich wie ein aufgescheuchter Vogel.»Ich schlage vor, da? sie sich setzen durfen, Sir«, sagte er.
        Herrick musterte die beiden Manner kalt.»Wann ich es fur richtig halte.»
        Sie waren in schlechter Verfassung. Ausgemergelt und mit wilden Augen, die Munder und einen gro?en Teil der Haut von Schwaren bedeckt, die Lippen aufgesprungen vom Durst.
        Er erinnerte sich an das, was Gwynne von Mossel gesagt hatte, und wollte es gern glauben. Untersetzt und mit niedriger Stirn wie er war, konnte es nicht viel gekostet haben, um aus ihm einen Piraten zu machen. Herrick sagte:»Ihr seid von der Eurotas.«Er beobachtete den uberraschten Blickwechsel.»Ihr konnt mir also das Marchen ersparen, da? ihr Schiffbruchige wart und als einzige uberlebt hattet. Das haben schon klugere und glaubwurdigere Schurken als ihr versucht. «Der gro?e, schlacksige Matrose namens Latimer versuchte, naher an den Schreibtisch zu treten, aber Scollay knurrte:»Bleib stehen, Kerl.»
        Latimer sagte mit heiserer, verangstigter Stimme:»Es war nicht meine Schuld, Sir.»
        Prideaux fixierte ihn scharf. Seine Finger strichen uber den Griff seines Degens. Das ist es nie. «Der Mann fuhr gebrochen fort:»Sie haben das Schiff genommen, ehe wir etwas unternehmen konnten. Ich wollte helfen, den Kapitan zu retten, aber…
«Der andere namens Mossel knurrte:»Halt's Maul, du Narr. «Herrick musterte ihn nachdenklich. Sie mu?ten sich tagelang auf der Insel versteckt gehalten haben, voller Angst vor den wachsamen Kanus und gegen jede Hoffnung hoffend, da? ein Schiff nahe genug vorbeikam, um sie zu retten. Doch nicht ein Schiff des Konigs. Nur der Durst und die grimmige Erkenntnis, da? sie nicht viel langer uberleben wurden, hatten sie gezwungen, sich zu zeigen. Herrick sagte ruhig:»Schicken Sie nach dem Bootsmann. «Er sah Midshipman Fitzmaurice unter der Tur.»Mein Kompliment an Mr. Jury, und er soll an der Gro?rah Stricke anbringen lassen.»
        Die Wirkung zeigte sich sofort. Latimer fiel schluchzend auf die Knie.»Das ist nicht gerecht, Sir. Bitte hangen Sie mich nicht. Die anderen haben uns dazu gezwungen. Wir hatten keine Wahl.»

«Es gibt viele, die sich den Piraten nicht angeschlossen haben und noch leben, um es zu bezeugen«, entgegnete Herrick.
        Fitzmaurice fragte hoflich:»Soll ich den Bootsmann benachrichtigen, Sir?»

«Lassen Sie mich uberlegen. «Herrick sah zu, wie Latimer vom Boden hochgezogen wurde.
        Mossel sagte:»Wir werden sowieso gehangt. Was soll's, zum Teufel?«Er krummte sich, als der Schiffskorporal ihm die Faust in die Rippen stie?.
        Herrick stand auf. Latimers Jaulen und seine eigene Rolle ekelten ihn an. Aber die Zeit drangte. Es stand mehr auf dem
        Spiel als der Hals eines verdammten Meuterers.
        Schroff befahl er:»Bringt ihn hinaus. «Zu Latimer fugte er hinzu:»Und Sie setzen sich auf diese Kiste. Ich will nicht,
        da? Ihr Schmutz die Mobel des Kapitans verdirbt.»
        Als sich die Tur hinter Mossel geschlossen hatte, fragte
        Latimer:»Sind Sie nicht der Kapitan, Sir?«»Nein. Verstehen Sie also: was mein Kapitan nicht wei?, braucht er nicht zu berucksichtigen. Ich kann Sie auf der Stelle hangen, und niemand wird je danach fragen. Ich kann Sie zuruck an Land bringen und sagen, da? Sie mir bei meinen Nachforschungen geholfen hatten, und man wird es glauben. Der Kapitan ist an bestimmte Regeln gebunden, ich bin das nicht.
«Er beobachtete, wie die Luge von dem Mann Besitz ergriff, dann schrie er ihn an: Reden Sie also schon, oder Sie werden noch vor acht Glasen baumeln. «Die Geschichte, die Latimer vorbrachte, war ebenso phantastisch wie erschreckend.
        Mit bruchiger, heiserer Stimme berichtete der Mann, der unter Kapitan Lloyd zur Mannschaft des Vormastes gehort hatte, von seinem Dienst an Bord eines Piratenschoners; es war der unter dem Kommando von Mathias Tuke. Gefurchtet, und das mit gutem Grund, verschaffte sich Tuke dennoch eine Art Respekt bei seinen Leuten. Latimer berichtete von seinem Angriff auf die Nordinsel, wie sie Geschutze an Land gebracht und das Dorf in Brand gesetzt hatten. Er beschrieb Mordtaten und bestialische Grausamkeiten, die sich nach Tukes Vorbild bei seiner Gefolgschaft breitmachten, so da? der Tod zu alltaglich wurde, um daruber zu reden.
        Er berichtete, da? auch der Franzose Yves Genin an Bord des Schoners gewesen war, sich aber an den Morden und Plunderungen nicht beteiligt hatte. Er schien eine Art Ubereinkommen mit seinem brutalen Geschaftspartner zu haben.
        Latimer hatte in einer Nacht eine Auseinandersetzung gehort, nachdem sie den ganzen Tag getrunken hatten. Tuke hatte getobt, da? er Genin uberhaupt nicht brauche, da? schon das Gerucht, er sei bei ihm an Bord, genuge, um diesen Wahnsinnigen de Barras in eine Falle zu locken. Genin hatte ebenso erregt erwidert, da? seine Leute an Bord der Narval ohne Nachricht von ihm nicht handeln wurden. Herrick horte gebannt zu. So war es also, beinahe genauso, wie Bolitho gesagt hatte. Genin war ein Koder, aber er hatte einige seiner Anhanger bereits in die Besatzung der franzosischen Fregatte eingeschmuggelt. Vermutlich hatten sie angemustert, als de Barras hinter seinem entkommenen Gefangenen herjagte.
        Das Schlimmste sparte Latimer sich fur den Schlu? auf. Mit seiner bruchigen Stimme berichtete er:»Ehe Tuke uns aussetzte, uberfiel er den Schoner der Siedlung. Er folterte den Kapitan und warf ihn den Haien zum Fra? vor. Doch erst, als er alles uber Ihr Schiff und Ihren Aufenthalt erfahren hatte. Er lachte wie wahnsinnig und qualte die ganze Zeit uber den Kapitan des Schoners mit einer gluhenden Messerklinge.»
        Herrick starrte ihn an. Der Schoner hatte die Siedlung also uberhaupt nicht mehr erreicht. Die Tempest war hier oben, und es war bekannt, da? sie hier war. Er fragte:»Sonst noch etwas?»
        Latimer betrachtete seine teerigen Hande.»Wir nahmen ein kleines Handelsschiff, hollandisch war es, glaube ich. Es hatte Briefe an Bord, Nachrichten uber den Aufruhr in Frankreich.»

«Allmachtiger Gott!«Das war Ol ins Feuer.»Und dann?«»Ich und Mossel wurden erwischt, als wir von der Beute stahlen, Sir. Kapitan Tuke setzte uns aus. Er wu?te, da? es hier kein Wasser gab und da? die schwarzen Teufel uns umbringen wurden, wenn wir versuchten zu entkommen. «Herrick nickte.»Ihr Kapitan Tuke ist ein schlauer Mann. Er wu?te, da? wir kommen, da? wir denken wurden, diese Kanus wurden uns bewachen, und da? wir hier vor Anker liegen blieben. «Er sah Prideaux an.»Und als er Genins Leute an Bord der Narval verstandigte, kam es dort zur Meuterei, was ich in mancher Hinsicht verstehen kann. Aber das andert nichts an der Tatsache, da? er ein Pirat ist und bleiben wird.»
        Prideaux schuttelte den Kopf.»Das glaube ich nicht. Wenn er die Narval einsetzen kann, um einen gro?en Coup durchzufuhren, konnte er sich um Legalitat und Anerkennung bemuhen und dabei Genins Hilfe finden. «Herrick bi? sich auf die Lippe.»Das mag alles so sein, aber wir leben nicht mehr in den Zeiten eines Henry Morgan. «Latimer horte ihnen angstlich zu.»Ich habe was von
        Versorgungsschiffen gehort, Sir«, sagte er.»Der Hollander hat Tuke so was erzahlt. Sie kamen um Kap Horn auf dem Weg nach Neusudwales.»
        Herrick wandte sich wieder an Prideaux.»Da haben Sie es. Er wird nach einer neuen Basis suchen, seine erbeuteten Geschutze montieren und sich auf den gro?ten Schlag seines Lebens vorbereiten. «Er blickte aus dem Heckfenster und sah die violetten Schatten, die sich vom Land her ausbreiteten. Er kam zu einem Entschlu?.»Verdammt, morgen fruh lichten wir Anker und kehren zur Siedlung zuruck. Bei Dunkelheit wage ich es nicht, hier durch die Klippen zu fahren. Es war schlimm genug, hierher zu kommen.«»Und wir, Sir?»
        Herrick fixierte Latimer ein paar Sekunden lang.»Ihr Kumpan wird gehangt, allerdings nicht von mir. Ich will sehen, was ich fur Sie tun kan. Es kann sein, da? Sie vielen das Leben gerettet haben. Das konnte Ihnen helfen. «Er wandte sich ab, als der Mann schluchzend aus der Kajute geschafft wurde.
        Prideaux sagte erbittert:»Menschen das Leben gerettet? Mein Gott! Wir sind gar nicht in der Lage, irgendwo rechtzeitig hinzukommen. Ich meine, Sie sollten nach Sydney zuruckfahren. Soll doch der Kommodore die Verantwortung ubernehmen.»
        Herrick fuhlte sich wohler, nachdem er einen Entschlu? gefa?t htte. Ohne den Schoner konnte Bolitho ihn nicht benachrichtigen. Die Tempest mu?te wieder unter das Kommando ihres verantwortlichen Kapitans, ohne Rucksicht auf das Fieber.

«Benachrichtigen Sie Mr. Lakey«, sagte er.»Ich mochte den Kurs fur morgen mit ihm besprechen. Danach treffen wir uns hier zu einer Konferenz.»
        Als Herrick allein in der Kajute war, ging er an das Heckfenster und starrte auf das unruhige Wasser. Ein leichter Wind wehte; in der vergangenen Nacht hatte Sturm geherrscht, wenn auch in einiger Entfernung, doch auch hier war die See kabbelig. Man konnte nie sicher sein, was das Wetter brachte.
        Lakey trat in die Kajute.

«Wir gehen den Kapitan holen, Mr. Lakey«, begru?te Herrick ihn.
        Der Steuermann sah ihn forschend an.»Es wird auch Zeit«, antwortete er trocken.
        Halb kauernd, halb stehend, hielt Blissett im Bug des Bootes Wache. Mit beiden Handen umklammerte er den Vordersteven, um sich im Gleichgewicht zu halten. Er war verzweifelt mude, vor Hunger schmerzte ihn der Magen so sehr, da? er sich gleichzeitig ubel und benommen fuhlte. Hinter seinem Rucken hoben und senkten sich die Riemen sehr langsam, und ihr Schlag war unregelma?ig und unsicher.
        Vor Kalte knirschte er mit den Zahnen. In einer Stunde etwa wurde die Sonne wieder aufgehen, und dann… Er bemuhte sich, nicht daran zu denken, sich auf etwas zu konzentrieren, das seinen Kopf davon abhielt, hin und her zu schwanken. Gelegentlich horte er die Pinne knarren und stellte sich Leutnant Keen vor, der dort sa? und sich nach den Sternen richtete, um das Boot einigerma?en auf Kurs zu halten. Bei dem schweren Sturm hatten sie die Laterne fur den Kompa? verloren, und es verlangte gro?es Konnen, das Boot vor dem Abtreiben zu bewahren, da die Ruderer zu erschopft waren, um es zu bemerken.
        Deshalb war Blissett im Bug eingesetzt. Abgesehen davon, da? er einer der kraftigsten Manner im Boot war, hatte sein fruheres Leben als Wildhuter seine Sehkraft ganz besonders gescharft. Er hatte keine Ahnung, ob die Insel, die sie vor Einbruch der Nacht gesichtet hatten, die von ihnen gesuchte war, aber das interessierte ihn auch nicht sonderlich. Doch bei dem hohen Grad ihrer Erschopfung war es mehr als nur moglich, da? sie in der Dunkelheit an ihr vorbeifuhren. Er gahnte und versuchte, die Kalteschauer zu unterdrucken. Er ahnte, da? Penneck ihn vom Boden des Bootes aus beobachtete. Mit wilden Wahnsinnsaugen. Wenn du wieder anfangst zu toben, ramme ich dir meine Muskete ins Maul, dachte er. Als sich etwas Wei?es durch die Dunkelheit bewegte, erstarrte er. Aber es war kein Vogel. Nur ein
        Schaumspritzer von einem brechenden Wellenkamm. Die See schien schon heller zu werden, stellte er mit Unbehagen fest. Bald kam die Sonne. Die Qual. Jemand kletterte uber die Ducht hinter ihm und fragte heiser:»Nichts?«Es war der Sergeant, der sich bereitmachte, seine Tour an einem Riemen zu ubernehmen. Blissett schuttelte den Kopf.»Es fangt an zu dammern.«»Ja. «Quare wirkte sehr bedruckt.

«Macht nichts, Sergeant. «Plotzlich war es fur Blissett lebenswichtig, da? Quare so war wie immer: zuversichtlich, hart.»Wir werden es schaffen.»
        Quare lachelte mude, verzog schmerzlich das Gesicht, weil ihm die aufgesprungenen Lippen weh taten.»Wenn du meinst?»
        Blissett wandte sich von ihm ab. Wenn Quare wirklich glaubte… Er erstarrte, blinzelte heftig, weil etwas das gleichma?ige Gefuge der Wogen zu unterbrechen schien. Mit unsicherer Stimme sagte er:»Sergeant! Da vor uns ist Land. «Er packte Quares Arm.»Mein Gott, sagen Sie, da? ich recht habe.»
        Quare schluckte hart und nickte.»Ja, Junge, du hast recht. Ich sehe es auch.
«Heftig drehte er sich nach achtern um.»Land voraus!»
        Die Riemen gerieten augenblicklich au?er Kontrolle, als die Ruderer aufsprangen.
        Bolitho konnte sich nicht bewegen, da er, einen Arm um Violas Schultern gelegt, eingeschlafen war.»Mr. Keen! Was sehen Sie?«fragte er hastig. Aber die Antwort kam von Allday.»Das ist sie, Captain. Ich bin sicher. «Er sah sich im Boot um.»Da sind so viele verdammte Inseln, aber wir haben die richtige gefunden. «Ein paar wollten jubeln, andere weinen, aber selbst dazu waren sie zu ausgedorrt.
        Ruhig sagte Bolitho:»Viola, wach auf. Du hast recht gehabt. Das mu? Rutara sein, obwohl es fast schon ein Wunder ist. «Allday horte ihn, seufzte auf und rieb sich die schmerzenden Hande an seiner Hose. Er wollte in diesem Augenblick etwas Besonderes sagen. Etwas, das sie zusammenhielt, lange nachdem das Boot, die Qualen dieser Fahrt in ihrer
        Erinnerung verbla?t waren.
        Er sah Bolitho an und dann Viola Raymond. Bolitho hielt sie an sich gedruckt, wie er es den gro?ten Teil der Nacht uber getan hatte. Doch als er sie jetzt zu wecken versuchte, entglitt ihr Arm seinem Griff, hing an ihrer Seite herab und schwankte mit dem Stampfen des Bootes. Allday fuhr auf. Mit heiserer Stimme rief er:»Mr. Keen! Kummern Sie sich um den Captain!«Er drangte sich nach hinten, stie? die Manner achtlos beiseite und fugte eindringlich hinzu:»Tun Sie, was ich sage, Sir.
«Dann war er bei der Pinne, umfing sie beide mit den Armen und rief:»Fassung, Captain. Es ist sinnlos. Uberlassen Sie sie mir, bitte!«Und als Bolitho anfing, sich zu wehren, rief er:»Haltet ihn!«Er drehte den Kopf, flehte mit brechender Stimme:»Um Gottes willen, Mr. Keen!«Erst jetzt hatte Keen begriffen. Er packte Bolitho um die Schultern, und Jenner umfa?te den Kapitan von der anderen Seite. Der Amerikaner entschuldigte sich stammelnd:»Ich mu? das tun, Sir. Ich darf Sie nicht loslassen. «Allday hob Viola auf, nahm sie in die Arme, trug sie zur Mitte des Bootes und spurte, wie der Wind ihm ihr Haar ins Gesicht wehte. Ihr Korper war noch warm, aber ihr Gesicht lag eiskalt an seinem Hals.
        Mit unterdruckter Stimme sagte er zu Miller:»Der Anker, Jack.»
        Miller nickte. Wie alle anderen war er fast betaubt von dem, was geschehen war. Ihre uberstandenen Leiden, der Anblick der Insel, es bedeutete alles nichts.
        Bolitho schrie auf:»Nein!«Allday horte seine Schuhe auf den nassen Bodenplanken scharren, wahrend Keen und Jenner ihn zuruckhielten.
        Behutsam streifte Allday Bolithos Uniformrock von Violas Korper und hob sie uber die Bordwand, wahrend Miller eine Leine um ihren Korper schlang und den Anker des Kutters daran befestigte. Kein Hai oder Aasfresser sollte ihr nahe kommen.
        Sie war so leicht, da? sich die Oberflache kaum bewegte, als er sie ins Wasser gleiten lie?. Er blickte der hellen Gestalt nach, die langsam in der Tiefe verschwand, bis nichts mehr von ihr zu erkennen war.
        Dann ging Allday nach achtern und blieb vor Bolitho stehen. Sein kraftiger Korper hob sich vor dem bleicher werdenden Himmel ab. Elend sagte er:»Machen Sie jetzt mit mir, was Sie wollen, Captain, aber es war das Beste so. «Er legte den Uniformrock neben Bolitho.»Sie hat ihre Ruhe gefunden. «Bolitho beugte sich vor und packte seine Hand.»Ich wei?. «Seine Stimme war kaum vernehmbar.»Ich wei?.
«Keen befahl schwerfallig:»An die Riemen!«Das Boot setzte sich wieder in Bewegung. Langsam breitete sich das Tageslicht uber dem Wasser aus. Bolitho blickte zuruck. Fast unhorbar sagte er:»Es ist meine Schuld. Ohne mich ware sie nie hierher gekommen. «Ruhig hielt ihm Keen entgegen:»Doch ohne sie hatte keiner von uns uberlebt, Sir.»
        Eine halbe Stunde spater war die Insel im wachsenden Licht klar sichtbar, und dicht unter Land hob sich mit ausgespannten Sonnensegeln deutlich die Tempest ab. Doch diesmal gab es keinen Jubel, und wahrend sie naherkamen, die plotzliche Aufregung an Bord der Fregatte wahrnahmen, die schrillen Pfeifen und lauten Befehle horten und beobachteten, wie ein Boot zu Wasser gelassen wurde, war ihnen der grausame Verlust starker bewu?t als ihre Rettung.
        Das Boot der Tempest erreichte sie in wenigen Minuten, nahm sie in Schlepp. Die bedruckte Stille hatte sich unvermittelt auch auf dessen Besatzung ubertragen. Als Bolitho an der Bordwand hinaufkletterte und durch die Pforte trat, nahm er die sich herandrangenden Manner nur verschwommen wahr.
        Nur ein Gesicht hob sich ab, und er packte Herricks Hand, war aber unfahig zu sprechen und die Hand wieder loszulassen.
        Herrick sah ihn besorgt an.»Sie haben diesen weiten Weg zuruckgelegt, Sir? Was…»
        Er drehte sich um, als Keen hinter ihm sagte:»Die Lady ist heute nacht gestorben, Sir. In Sichtweite dieser verfluchten Insel. «Dann eilte er davon.
        Herrick sagte:»Kommen Sie, Sir. Wir sprechen spater daruber.»
        Er winkte dem Bootsmann, aber den erschopften und bedruckten Mannern wurde bereits an Bord geholfen. Bolitho nickte jedem einzelnen zu, als sie an ihm vorbeikamen. Der diensttuende Leutnant Pyper wurde von zwei Matrosen getragen, Billyboy humpelte, einen Arm um den Nacken eines anderen gelegt. Jenner und Miller, Sergeant Quare und der unerschutterliche Blissett. Der Franzose Lenoir und Big Tom Frazer.
        Allday legte die Hand an die Stirn.»Alle an Bord, Captain. «Er beobachtete ihn, suchte nach einem Zeichen. Dann fugte er hinzu:»Sie konnen stolz auf das sein, was Sie getan haben, Captain. Da gibt's gar keine Frage. «Dann ging auch er langsam auf den Niedergang zu.
        Herrick folgte Bolitho nach achtern, vorbei an den stummen, beobachtenden Gesichtern. Ihm fiel auf, wie Bolitho seinen Uniformrock trug. Als ob er sein konstbarster Besitz auf der Welt ware.
        Zogernd fragte er:»Haben Sie Befehle, Sir?«Er blieb zuruck, als Bolitho ihn anblickte.»Selbstverstandlich kann es warten, aber…»

«Es kann nicht warten, Mr. Herrick. «Wieder der ungestume Griff nach seinem Arm. Thomas, wir bekommen Arbeit. Bringen Sie das Schiff in Fahrt, bitte. Wir segeln zuruck zu den Levu-Inseln.»
        Als Bolitho den Niedergang hinabstieg, sagte Lakey in erregtem Flusterton: Funfhundert Meilen, Mr. Herrick, in diesem Boot! Und mit kaum etwas, wovon sie sich ernahren konnten. «Er schuttelte den Kopf.»Sie mussen eine verborgene Kraftreserve gehabt haben.»
        Herrick nickte bedruckt.»Ja, Mr. Lakey, das hatten sie.
        Doch jetzt ist sie tot. Ich konnte mich umbringen fur manches, was ich gedacht oder gesagt habe.»
        Er bemerkte den Bootsmann, der vom Niedergang zu ihm herubersah.

«Mr. Jury, seien Sie so gut, den Kutter zu versenken, ehe wir Anker lichten.»

«Aber Sir, ein Boot! Jedes Boot ist hier drau?en wertvoll. «Jury war schockiert.

«In diesem Fall halte ich es fur besser, ihn zu vernichten. «Herrick sah zum Skylight der Kapitanskajute hinuber.»Ich wunsche bei Gott, ich konnte auch die Erinnerungen daran ausloschen.»



        XVI Kein Ruckzug

        Am Morgen des ersten vollen Tages auf See sprang der Wind stark um, und mit diesem plotzlichen Wechsel kam ein kraftiger Regengu?.
        Bolitho beugte sich uber die Heckbank, starrte mit leerem Blick durch die dicken Scheiben. Der Regen tanzte wirbelnd uber die Wellen und schlug laut klatschend auf Deck auf. Von den verschiedensten Teilen des Schiffes her horte er eilende Fu?e, Manner, die das von der Sonne ausgedorrte Tauwerk uberpruften, um sicherzustellen, da? kein aufquellendes laufendes Gut in den Blocken klemmte. Andere fingen das Regenwasser ein, um die Bestande zu erganzen.
        Erschopft lehnte er sich zuruck, lie? seinen Korper widerstandslos den Bewegungen des Schiffes folgen. In dem abgeschirmten Schlafabteil konnte er Hugoe, den Kajutensteward horen, der dort aufraumte, Kleidungsstucke zum Waschen heraussuchte.
        Herrick hatte verschiedene Leute vorgeschlagen, die bereit und geeignet waren, Orlando zu ersetzen. Aber Bolitho mochte sich mit dem Gedanken an einen neuen Anfang nicht abfinden. Noch nicht. Hugoe wurde hauptsachlich in der Offiziersmesse gebraucht und war dankbar, wenn er von der Kajute und ihrem finster brutenden Kapitan, der ihm unheimlich war, befreit wurde.
        Der Regen flo? gurgelnd durch die Speigatten oder platscherte vergnugt auf dem dichtgemachten Skylight. Wasser. Ohne Wasser war man weniger als nichts. Er dachte an die vor Durst Wahnsinnigen, die uber Bord sprangen, um sich den Magen aus dem Meer zu fullen. An Orlandos schrecklichen Tod, als der Hai ihn zu einer blutigen Masse zermalmt hatte.
        Er zwang sich, seine Uhr aus der Tasche zu ziehen, zogerte aber, ehe er den Deckel aufspringen lie?. Sogar die
        Gravierung schien sich jetzt scharfer abzuheben.
        Hugoe stand unter der Tur zur Schlafkammer.»Ich bin fertig, Sir. Falls nicht hier noch etwas zu tun ist.»

«Nein. Sie konnen gehen. «Er bemerkte die Neugier in den
        Augen des Stewards.»Danke.»
        Der Marinesoldat vor der au?eren Tur rief:»Midshipman der Wache, Sir.»

«Herein.»
        Es war der junge Romney, der ihm sehr nervos eine Liste mit den Tagesarbeiten von seinem Ersten Leutnant vorlegte. Bald wurden die Besucher kommen mit Fragen und Forderungen.
        Er uberflog die Liste in Herricks runder Handschrift.»Sehr gut.»
        Romney zogerte, scharrte verlegen mit einem Fu?.»Darf ich etwas sagen, Sir?»

«Ja. «Bolitho kehrte ihm den Rucken zu, als ob er das an den hohen Fenstern herunterrinnende Regenwasser beobachte.

«Ich - ich - das hei?t, wir wollten Ihnen sagen, wie sehr wir…»
        Bolitho pre?te die Hande an seinen Seiten zu Fausten zusammen, bis er sich umwenden konnte.

«Vielen Dank, Mr. Romney. «Er erkannte seine eigene
        Stimme kaum.»Das ist sehr aufmerksam von Ihnen.»
        Romney sah ihn an, seine Augen waren voller Anteilnahme.
        Wie die eines Hundes, dachte Bolitho gequalt.
        Der Schiffsarzt blickte durch die halbgeoffnete Tur, und
        Bolitho rief ihm zu:»Kommen Sie nur.»
        Er konnte sich in seine Pflichten vergraben und in das, was vorausgeplant werden mu?te. Aber die kleinen Anzeichen des Mitgefuhls, die ohne vorherige Warnung auf ihn zukamen, durchschlugen seine Deckung wie ein
        Entermesser die eines schlecht gefuhrten Degens.
        Bolitho horte sich Gwythers Krankenbericht an.

«Dem Marinesoldaten geht es gut, Sir. «Gwythers walisischer Akzent war sehr deutlich, wie immer, wenn er sich zwang, seine ubliche Zuruckhaltung aufzugeben. Aber
        Sie scheinen nicht geschlafen zu haben, Sir. Das ist schlecht,
        wenn es mir erlaubt ist, das auszusprechen.»

«Das ist es nicht. «Rasch ging Bolitho die Liste mit den
        Namen durch.»Wie geht es Penneck?»
        Der Schiffsarzt seufzte.»Ich furchte, da? sein Verstand gelitten hat, Sir. Und Mr. Pyper leidet noch sehr an den
        Strapazen und am Sonnenbrand. Aber«-, wieder folgte ein
        Seufzer -,»aber er ist jung.»
        Herrick war der nachste Besucher. Seine Darlegungen beschrankten sich auf technische Probleme und Fragen, die fur die Einsatzbereitschaft eines Kriegsschiffs von Belang waren. Zwar erwahnte er Viola mit keinem Wort, aber seine Augen waren unfahig, seine Anteilnahme zu verbergen. Bolitho stand auf und trat ans Heckfenster. Vogel schwirrten und kreisten hinter dem Schiff, warteten auf Abfallbissen, lauerten auf unvorsichtige Fische. Er dachte an Blissett, seine meisterhafte Schie?kunst trotz seiner Leiden.»Haben Sie Prideaux gesagt, ich erwarte, da? er Blissett sofort befordert?«fragte er.

«Aye, Sir. «Herrick wechselte seinen Stand, als Bolitho sich nach ihm umdrehte. Fur den Fall, da? er Einwendungen haben sollte, habe ich ihm erklart, das sei weder ein Vorschlag noch eine Empfehlung, sondern ein Befehl, Sir. Ich hoffe, das war richtig.»

«Ja. «Bolitho sah auf, als uber ihm wieder polternde Schritte zu horen waren.
        Herrick erklarte:»Ich habe Mr. Lakey gesagt, Sie wunschten, da? er so viel Leinwand setzt, wie er kann. Dabei werden beide Wachen eingesetzt. «Er versuchte zu lacheln, Bolithos Kummer zu durchbrechen.»Als Steuermann gefallt ihm das bei diesem Regen verstandlicherweise nicht.»
        Er wartete, uberlegte, wie er fortfahren sollte.»Ich werde gut allein fertig, Sir. Wir brauchen Sie nicht zu behelligen, bis wir die Inseln in Sicht bekommen.
«Bolitho setzte sich auf die Heckbank und starrte auf den mit Leinwand bespannten Fu?boden.

«Sobald die Segel getrimmt sind, konnen wir mit den Zwolf-pfundern exerzieren. Wir sind so schwach besetzt, da? wir die Mannschaften wieder neu einteilen mussen. «Er schlug sich mit der rechten Faust in die linke Hand.»Ich will, da? das Schiff kampfbereit ist, verstehen Sie?«»Gewi?, Sir. «Aber Herrick gab nicht nach.»Ich habe fur die Froschfresser wenig ubrig, wie Sie wissen. Aber sie haben zu lange im Dienst ihres Konigs gestanden, um plotzlich mit einem Piraten gemeinsame Sache zu machen, oder?»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Angenommen, ich wurde an Deck gehen, Thomas, jetzt sofort, und die ganze Besatzung vor dem Achterdeck antreten lassen und den Leuten sagen, da? wir bereits Krieg mit Frankreich haben, da? England auf ihren Mut und ihre Zahigkeit angewiesen ist, glauben Sie ernstlich, da? auch nur einer, Sie selbst eingeschlossen, wagen wurde, das in Frage zu stellen?«Er schuttelte den Kopf.»Versuchen Sie nicht, es zu bestreiten. Es steht Ihnen im Gesicht geschrieben.»
        Herrick sah ihn bewundernd an. Wie konnte er das durchhalten? Standig planen und neuplanen, immer nur seine Aufgabe vor Augen?

«Wenn dieser Franzose Genin die Besatzung gegen ihren tyrannischen Kapitan aufwiegeln kann«, sagte er,»kann ihn auch nichts daran hindern, das Gleiche von uns zu behaupten. «Nachdenklich schob er die Unterlippe vor.»Aber ich sehe nicht ein, warum.»

«Das ist sein Handel mit Tuke. Die Herrschaft uber das Schiff und Genins sichere Passage stehen gegen Tukes Belohnung. Nachschubschiffe, Gold, Protektion, gleichgultig, was es ist. Was fur Tuke zahlt, ist die Notwendigkeit, sich einen sicheren und starken Stutzpunkt zu schaffen.»
        Herrick nickte duster.»Und es gibt nichts, was ihn daran hindern kann. Au?er uns.»

«Ja, Thomas. Eine Fregatte gegen eine Flottille. Unsere geschwachte Besatzung gegen erfahrene, schlecht behandelte Veteranen.»
        Von oben waren ein Ruf zu horen und ungeduldiges Scharren. Herrick wurde gebraucht, war aber unfahig, den Bann zu brechen, der von Bolithos eisiger Entschlossenheit ausging, als er hinzufugte:»Aber wir werden es verhindern. Wir werden alles einsetzen, was wir haben, um diesen Piraten zu vernichten und jeden, der zu ihm halt. In wenigen Monaten, vielleicht schon jetzt, konnen wir uns im Krieg mit Frankreich befinden, und ich habe nicht die Absicht, zuzulassen, da? die Narval das Vergnugen hat, in Zukunft gegen uns zu kampfen. «Er wandte sich ab.»Ich hatte es fruher sehen sollen, viel fruher. Aber mir ging es wie Le Chaumareys. Ich war meiner eigenen Fahigkeiten zu sicher. «Er lachelte, doch in seinen Augen war keine Warme zu erkennen.»Gehen Sie zu Ihren Leuten, Thomas. Ich komme hinauf, wenn Sie mit dem Exerzieren anfangen.«»Ich habe bisher nichts gesagt, Sir«, erwiderte Herrick schlicht,»aber ich bin es Ihnen schuldig, und mehr denn je auch der Dame. Meine Kritik war unberechtigt. Es stand mir nicht zu, so zu denken. Mir ist jetzt klar, wie sehr Sie einander brauchten, denn ich sehe, was ihr
Verlust fur Sie bedeutet. Es tut mir leid, nicht nur als einem loyalen Untergebenen, sondern auch, wie ich hoffe, als einem treuen Freund.»
        Bolitho nickte. Die Haarstrahne fiel ihm uber die Augen.»Ich habe gro?eres Unrecht begangen. Ich hatte Ihren Rat damals vor funf Jahren befolgen sollen, und jetzt vor einigen Monaten wieder. Wegen meiner Wunsche habe ich ihr Leben in Gefahr gebracht, und weil sie mir vertraut hat, ist sie jetzt tot. «Er wandte sich ab. Lassen Sie mich bitte allein.»
        Herrick offnete den Mund und schlo? ihn wieder. Noch nie hatte er Bolitho so gesehen: bleich trotz der sonnengebraunten Haut, die Augen von dunklen Ringen umrandet wie bei einem Besessenen.
        Selbst im Dienst bei der Neueinteilung der Besatzung, um die vorhandenen Mangel auszugleichen, konnte Herrick keine Ruhe und Sicherheit finden.
        Er sah Blissett mit den Marinesoldaten bei den ausgespannten Netzen stehen, die Muskete an seiner Seite. Abgesehen davon, da? er dunner wirkte, war ihm von den uberstandenen Strapazen wenig anzumerken. Er sagte:»Ich freue mich, Sie wohlauf zu sehen, Korporal
        Blissett.»
        Blissett strahlte.»Sir!«Fur ihn bot das Leben plotzlich neue Aussichten. Ein Schritt weiter.
        Herrick ging zur Achterdecksreling. Die letzten schweren Regentropfen fielen auf Besatzung und Segel. Bald wurde es wieder hollisch hei? werden. Er sah auf die nach oben gewendeten Gesichter im Geschutzdeck hinab, auf die nackten Rucken der Toppsgasten, die in beiden Gangways bereitstanden, aufzuentern und die Bramsegel zu setzen, sobald der Befehl kam. Eine gute Mannschaft, dachte er. Eine so gemischte Gesellschaft wie das Publikum bei einem Wettkampf, aber deswegen in keiner Weise schlecht. Irgendwie hatten sie sich zusammengefunden. Gelernt, ihren Dienst hinzunehmen, wenn nicht damit einverstanden zu sein. Er hatte das Gefuhl, da? er etwas sagen sollte, ihnen erklaren, wieviel sie zu geben und ertragen hatten, wenn Bolitho recht behielt.
        Hinter sich horte er Schritte an Deck, und dann sagte Bolitho:»Anscheinend hat es eine Verzogerung gegeben, Mr. Herrick.»
        Herrick sah ihm in die Augen, grau und fest, aber auch etwas anderes. Herausfordernd, oder war es bittend? Er griff an seinen Hut.»Ich dachte, Sie wurden eine Weile unten bleiben, Sir.»
        Bolitho lie? seinen Blick langsam uber die schweigenden Manner schweifen und das Schiff selbst, das sich leicht nach Backbord legte.»Mein Platz ist hier.»
        Er stutzte seine Hande auf die Reling, spurte durch sie das Vibrieren des Schiffes, die nicht endende Botschaft, die es damit an jeden weitergab, der horen wollte. Er erinnerte sich an Violas Ausdruck, als er ihr erklart hatte, wie ein Schiff sich verhielt und reagierte. Zunachst war er beinahe scheu gewesen wie ein Junge, als er ihr beschrieb, was fur ihn der Alltag war. Und es hatte sie nicht gelangweilt, und sie hatte auch nicht nur hofliches Interesse gezeigt. Mit der Zeit hatte sie es mit ihm teilen konnen, fest verwachsen und so ausdauernd wie das alte Haus in Falmouth. Aber jetzt… Abrupt sagte er:»Machen Sie weiter, Mr. Herrick. Nach oben mit den Leuten und Bramsegel setzen, bitte.»
        Die Wanten und Webeleinen wurden von hetzenden
        Gestalten belebt, und die antreibenden Rufe der
        Unteroffiziere zerstorten die Stille und lie?en die Seevogel kreischend uber dem schaumenden Kielwasser der Tempest kreisen.
        Bolitho begann in Luv auf- und abzugehen. Seine Anwesenheit war lebenswichtig, und fur alle au?er jenen, die ihn genau kannten, wirkte er au?erlich so ruhig wie immer.
        Doch jeder Schritt war qualvoll, und obwohl rings um ihn seine Leute umherhasteten oder an den Pardunen herunterglitten, um andere Aufgaben zu erfullen, wahrend die Leinwand sich im Wind blahte und steif wurde, war Kapitan Richard Bolitho vollig fur sich allein. Die Tempest machte rasche Fahrt nach Suden zu den Levu-Inseln, und obwohl sie keinem gro?eren Fahrzeug als gelegentlich einem Kanu begegneten, hatte Bolitho aufjeder Meile das Gefuhl, da? sie beobachtet wurden. Er wu?te, da? die meisten der Schiffsbesatzung versuchten, Distanz zu wahren und seinem Blick auszuweichen. In vieler Hinsicht kam ihm diese Isolierung in einer dicht bevolkerten Welt gelegen, dennoch war ihm seine Verantwortung fur sie bewu?t. Besonders durch das, was vor ihnen lag. Morgen. Nachste Woche. Von den Mannern, deren Leben er in den Handen hielt, gefurchtet zu werden, war fur ihn zutiefst absto?end. Er bemerkte die Blicke, die taglich nach seiner Reaktion auf ihre Bedurfnisse forschten. Segel- und Geschutzexerzieren. Arbeit in der Takelage oder an Deck, er wu?te, da? sie ihm nachblickten, wenn er an ihnen vorbeigegangen
war. Besorgt oder auch nur neugierig. Trotz seines Kummers neidisch auf die Privilegien, uber die er im Vergleich zu ihrem spartanischen Dasein verfugte. Am letzten Tag, als die Tempest sich langsam der pilzformigen Bucht naherte, Fock, Gro?- und Besansegel aufgegeit und zwei Lotgasten in den Rusten, beobachtete er, wie die Insel im fruhen Licht Form annahm, und war sich seiner gemischten Gefuhle deutlich bewu?t.
        Der Ausguck im Mast hatte bald nach Anbruch der Dammerung Rauch gemeldet, und als das Licht uber den buckligen Hugeln starker wurde und auf dem Wasser Reflexe hervorrief, sah er wie eine tiefliegende, niedrige Regenwolke Qualm uber die Bucht ziehen. Herrick sagte:»Von der Siedlung her, so wie es aussieht,
        Sir.»

«Es hat den Anschein«, erwiderte Bolitho. Wieder prufte er seine Gefuhle. Wunschte er, Raymond schon tot aufzufinden? Oder sah er in dem Rauch lediglich einen Beweis dafur, da? er recht hatte? In Bezug auf Tuke und die Narval, vor allem aber bezuglich seiner eigenen Rolle, die ihm noch bevorstand.
        Abrupt sagte er:»Geben Sie mir ein Glas. «Er nahm es von Midshipman Romney entgegen und richtete es auf das Land. Als er mit dem Teleskop die Bucht absuchte, sah er die Uberreste der Eurotas, die wie verrottende Zahne uber der Wasseroberflache glanzten. Er hatte sie fast schon vergessen, und ihr Anblick traf ihn wie ein Dolchsto?. Er brachte zu viele Erinnerungen zuruck: an die Nacht, in der sie die Bucht verlassen hatten und sich mehr davor furchteten, auf Raymonds Befehl hin be schossen zu werden, als vor der Bewahrungsprobe, die ihnen bevorstand, zu der sie gerade erst angetreten waren.
        Er bewegte das Glas weiter, bis er die Siedlung fand. Der Rauch kam von den au?en liegenden Bauten, wahrscheinlich jenen, die sie fur die Straflinge errichtet hatten. Auch in den Palisaden entdeckte er mehrere Lucken, das Werk schwerer Geschutze.
        Aber die Flagge wehte noch. Er schob das Teleskop zusammen, wutend daruber, da? er sich gefugt hatte. Nie wieder.

«Rufen Sie die Besatzung auf Gefechtstation, Mr. Herrick. Wir werden zwei Kabellangen vor der Pier ankern. Ich mu? in aller Eile auslaufen konnen.»
        Er verschlo? seine Ohren vor den larmenden Befehlen, dem sofort einsetzenden Klatschen von Fu?en auf den Gangways und den Decks. Auf der Back stand Borlase mit den Ankergasten bereit und spahte uber den Bug. Uberrascht drehte er sich bei dem plotzlichen Alarm um, und Bolitho fragte sich fluchtig, ob der Leutnant wohl glaube, sein Kapitan ware verruckt geworden oder hatte in dem offenen Boot so sehr gelitten, da? er keine vernunftige Entscheidung mehr treffen konnte.
        Herrick kam eilig uber das Achterdeck und beruhrte seinen Hut.»Mannschaft auf Gefechtstation, Sir. «Er fragte:»Sollen wir Klarschiff befehlen?«»Noch nicht.»
        Bolitho hob das Glas wieder und entdeckte mehrere halbnackte Gestalten, die sich zwischen den Buschen auf dem nachstliegenden Strand duckten. Tinahs Dorf war also nicht vollig vernichtet worden, registrierte er voller Dankbarkeit.
        Er senkte das Glas und sah Keen auf dem Batteriedeck, der seine Augen beschattete und zum Strand hinuberblickte. Er dachte wohl an seine schone Malua. Erinnerte sich an seinen Traum.
        Lakey rausperte sich gerauschvoll.»Wir sind aus dem Wind,
        Sir.»
        Bolitho wandte sich um und sah, da? sie in den Schutz des Landes glitten, und horte die Bramsegel uber sich unruhig killen.

«Sehr gut. Dann wollen wir jetzt ankern.»
        Ein weiter Weg fur die Manner in den Booten. Andererseits sicherte es den Geschutzen der Tempest die Herrschaft uber die gesamte Bucht.

«An die Leebrassen! Hol rund!»
        Bolitho trat ein paar Schritte zuruck, um seine Leute zu beobachten. Jetzt waren es sogar noch weniger, da der gro?te Teil der Besatzung gefechtsbereit bei den Geschutzen stand, fur den Fall, da? sie gebraucht werden sollten. In zwei Jahren hatten sie vieles gelernt. Die Zeit auf der Fregatte mochte schwer fur sie gewesen sein, aber sie war gut fur sie gewesen.
        Matrosen arbeiteten fieberhaft mit Leinwand und Geitauen, wahrend andere an den Brassen zogen, um die Rahen beizuholen.

«Ruder hart Backbord!»
        Bolitho uberquerte das Deck, damit er das Ufer und den Pier unter der Siedlung standig beobachten konnte.»La? fallen Anker!»
        Kaum horte er den Anker fallen, als er sagte:»Ich brauche meine Gig. Ferner die Barkasse und ein vollstandiges Landkommando Marinesoldaten. Hauptmann Prideaux soll personlich die Fuhrung ubernehmen. «Er winkte Allday.»Sorgen Sie dafur, da? die Besatzung der Gig ordnungsgema? gekleidet ist. «Er bemerkte die Uberraschung, oder war es Gekranktsein, auf Alldays Gesicht.»Ich wei?. Sie haben es schon befohlen, aber es mu? alles richtig aussehen.»
        Er sah die Marinesoldaten von ihren Stationen auf dem Achterdeck und in den Masten zusammenstromen. Sergeant Quare rief Befehle, sein von der Fahrt im offenen Boot sonnenverbranntes Gesicht war fast so rot wie sein Rock. Herrick beobachtete, wie die Boote uber den Netzen ausgeschwenkt wurden. Jury, der Bootsmann, trieb die Leute mit der Lautstarke eines wutenden Bullen an.»Sieht ganz so aus, als ob die Siedlung angegriffen worden ware, Sir.»

«Ja. «Bolitho hob die Arme, als Allday ihm den Degen umgurtete.»Es beweist, da? wir recht hatten. Tuke will die
        Siedlung fur sich. Er mu? die eroberten Geschutze eingesetzt haben, um Raymond zu warnen.»
        Herrick leckte sich die Lippen.»Anscheinend ist er uns jedesmal einen Schritt voraus, Sir.»
        Bolitho ging zur Gangway und sah zu den Booten hinunter.

«Bis auf eines. Er eroberte Hardacres Schoner und ist uber
        Ihre Meldung genau unterrichtet.»

«Das bedaure ich sehr, Sir. Ich dachte…»
        Bolitho ergriff seinen Arm.»Nein, Thomas. Das ist unser einziges Plus. Tuke wird glauben, da? Sie noch vor Rutara liegen, da? Sie nicht wagen, gegen Ihren Befehl zu handeln und da? Sie befurchten, das Fieber hatte auch auf die
        Siedlung ubergegriffen. Daruber hinaus wei? er auch, da?
        ohne den Schoner keine Moglichkeit besteht, zwischen dem
        Schiff und der Siedlung Nachrichten auszutauschen.»
        Herrick verstand.»An seiner Stelle hatte ich die gleichen
        Uberlegungen angestellt. «Dann schuttelte er den Kopf.»In einem offenen Boot, fur nur wenige Tage Wasser und Verpflegung und dann auch noch zwischen feindlichen Inseln hindurch - ja, ich kann seine Uberlegungen verstehen.»

«Das andert alles nichts. «Bolitho beobachtete, wie die mit Marinesoldaten dicht besetzte Barkasse vom Schiff ablegte und darauf wartete, da? die Gig langsseit kam.»Es gibt uns allerdings Zeit. Andernfalls, furchte ich, ware die Insel bereits gefallen. «Borlase rief:»Alles klar, Sir.»

«Welche Instruktionen haben Sie fur mich, Sir?«Herrick begleitete Bolitho zur Einstiegspforte.»Die ublichen. Einen guten Ausguck und etwa sechs Kanonen standig bemannt. Wenn an Land alles sicher ist, wunsche ich, da? auf dem Berg ein Ausguck postiert wird. «Er stieg in das Boot hinab, wahrend noch das schrille Pfeifen des Bootsmannsmaaten in der feuchten Luft hing. Borlase fragte gereizt:»Warum diese ganze Demonstration von Starke? Die Seesoldaten, die Gig mit den Ruderern in ihren besten Hemden? Das ist doch eher wie ein Hoflichkeitsbesuch als wie die Vorbereitung einer Evakuierung.»
        Herrick musterte ihn kalt.»Evakuierung? Niemals. Auf diese Weise zeigt der Kommandant, da? - gleichgultig, was andere denken oder furchten mogen - die Tempest dasselbe ist wie fruher: ein Kriegsschiff, Mr. Borlase, kein alter Kahn voll angstlicher alter Weiber.»
        Keen kam zu ihnen und fragte:»Wer ist mit dem Kapitan gefahren?»
        Herrick antwortete knapp:»Mr. Swift. Eine gunstige Gelegenheit fur ihn, etwas zu lernen, wenn er sich in dem Dienstrang bewahren soll, den er vorubergehend innehat. «Er wandte sich ab und dachte an die Worte, die Bolitho in seiner Kajute vor der Morgendammerung gesprochen hatte.»Nicht Mr. Keen, Thomas. Es ist noch zu fruh. Bei jedem Baum wird er seine Malua sehen und ihre Stimme horen. Nein, er braucht Zeit. Ich nehme den jungen Swift. «Herrick seufzte. Typisch, dachte er. Er beobachtete, wie die
        Boote in Kiellinie gingen und sich der Pier zuwendeten. Aber um wie vieles schlimmer mu?te es fur ihn sein.
        Bolitho stand neben einem der hohen Fenster in Raymonds Arbeitsraum und lauschte auf das irre Kreischen der Vogel im dichten Unterholz.
        Seine Ruhe uberraschte ihn selbst, sein Unvermogen, weder Abscheu noch Ha? zu empfinden, als er Raymond an seinem geschnitzten Tisch sitzen sah.
        Unter dem Fenster horte er einige Marinesoldaten durch den weiten Hof stampfen. Ihre Stimmen und ihre Stiefel waren unnaturlich laut. Wahrend seiner Abwesenheit, in den Tagen, an denen er und seine Bootsbesatzung sich qualvoll vorwarts gekampft hatten, war die Siedlung erschreckend verfallen.
        Vorrate waren vergeudet worden, uberall lagen leere Flaschen und Fasser herum. Sogar Raymond hatte sich verandert, war hohlaugig und ungepflegt, und sein besudeltes Hemd machte seinen Anblick nur noch schlimmer. Von allen hatte er sich am meisten verandert. Bolitho hatte fast damit gerechnet, da? ihm die Tore verschlossen bleiben wurden. Ware das der Fall gewesen, dann hatte er weder seine eigenen Gefuhle noch die seiner Leute beherrschen konnen, das wu?te er. Raymond hatte so wie jetzt an seinem Tisch gesessen und auf die Tur gestarrt. Vielleicht hatte er sich, seit die beiden Boote im Schutz der Dunkelheit aufgebrochen waren, nicht von seinem Platz geruhrt.
        Er hatte gesagt:»Sie haben also uberlebt? Und was werden Sie jetzt tun?»
        Hardacre hatte die Boote der Tempest an der Pier empfangen, und wahrend sie zusammen zu den Palisaden hinaufgingen, hatte er in allen grimmigen Einzelheiten geschildert, was geschehen war. Uber ein Drittel der Insulaner war am Fieber gestorben, und wahrend die Wachtruppe sich im Schutz der Palisaden verschanzte und ein trunkenes Gelage nach dem anderen veranstaltete, hatte Hardacre sein Moglichstes getan, bei den anderen den Willen zum Uberleben zu erhalten.
        Raymond hatte sogar die Straflinge aus der Siedlung vertrieben und ihnen befohlen, in ihren Hutten zu bleiben und sich aus eigener Kraft so gut es ging zu ernahren. Hardacre hatte auch ihnen geholfen und war durch ihre Bereitschaft belohnt worden, Raymonds unsinnigen Befehl zu ignorieren und ihn im Dorf zu unterstutzen. Und dann, vor zwei Tagen, war die Insel von dem gewaltigen Drohnen von Geschutzen, dem Splittern von Baumstammen, in die Geschosse von der Landzunge jenseits der Bucht einschlugen, jah aus dem Schlaf gerissen worden. Vor der Insel ankerte ein Schoner, und wahrend der Nacht hatten Tukes Leute zwei Kanonen an Land geschafft und feuerbereit gemacht, sobald es hell genug war, um die Entfernung zu bestimmen.
        Anscheinend hatte Raymond versaumt, Posten aufstellen zu lassen, und da auch seine Offiziere des Corps nicht nuchtern genug waren, sich um den Stand der Dinge in der Siedlung zu kummern, erfolgte der Uberfall schnell und vollig unerwartet.
        Erbittert sagte Hardacre:»Es dauerte zwei Stunden. Einige der Leute Tinahs wurden verletzt und zwei getotet. Auch die Siedlung ist getroffen worden, aber es war eher eine Drohung als die Absicht, Schaden anzurichten. Danach zogen sie sich wieder zuruck. Es konnte sein, da? sie vor der Ruckkehr der Tempest gewarnt wurden. Aber sie haben fur Raymond eine Nachricht hinterlassen. «Die» Nachricht
«hatten sie an die verstummelte Leiche des franzosischen Offiziers Vicariot geheftet, der der ranghochste Leutnant von de Barras gewesen war. Sie besagte, falls Raymond und seine Verteidiger sich aus der Siedlung zuruckzogen, wurden sie sicheres Geleit zu einer anderen Insel erhalten, wo sie auf ihre Rettung warten konnten. Andernfalls wurden sie das gleiche Schicksal wie Vicariot erleiden, und auch alle anderen, die sich widersetzten.
        Bolitho stand schweigend neben dem Fenster, uberlegte und erinnerte sich. Wenn Tuke uber die Ruckkehr der Tempest informiert gewesen ware, hatte er fruher zugeschlagen, ohne Zeit fur dramatische Gesten zu vergeuden. Doch das schien im gleichen Ma? wie seine Gerissenheit ein Teil dieses Mannes zu sein: die Fahigkeit, durch ungezugelte Brutalitat Widerstand zu brechen, noch ehe er eingesetzt hatte. In einem Punkt gab es jedoch keinen Zweifel mehr. Die Narval war gefallen, und unter welcher Flagge sie jetzt segelte, war belanglos. Ihre sechsunddrei?ig Geschutze, unterstutzt von den Kraften, die Tuke daruber hinaus aufbieten konnte, waren mehr als genug, um jeden Widerstand hinwegzufegen.
        Ruhig fragte er Raymond:»Wurden Sie uber das Dorf unterrichtet, die Zahl der Todesopfer dort?«Es war unglaublich und es war entnervend, aber nicht einmal hatte Raymond nach Viola gefragt. Etwas bei ihm schnappte ein.»Und Ihre Frau. Sie starb auf See. «Es nur laut auszusprechen, war wie Verrat. Die Erinnerung an sie mit diesem selbstsuchtigen, bosartigen Mann zu teilen, war mehr, als er ertragen konnte. Schroff erganzte er:»Sie besa? gro?en Mut.»
        Raymond drehte sich langsam auf seinem Sessel um. Seine Augen lagen im Schatten, als er antwortete:»Das habe ich vermutet. Sie ist lieber bei Ihnen gestorben, als mit mir zu leben.»
        Er erhob sich ungestum, und eine leere Flasche rollte unter einem Stapel von Dokumenten hervor.»Haben Sie von Vicariot gehort? Von dem Uberfall?«Raymond sprach so hastig, als ob er eine Unterbrechung befurchte.»Sie werden wiederkommen. Ich habe den Franzosen gesehen. Sie verstummelten alles an ihm, au?er seinem Gesicht. Damit ich ihn erkannte, keine Zweifel hatte. «Er fuhr heftig herum, sein Gesicht zuckte wild.»Ich habe fur Hardacre Befehle aufgesetzt. Er ubernimmt die Siedlung bis…«Er wuhlte in Dokumenten, suchte nach dem einen, das Hardacre alles zuruckgab, was er verloren hatte. Nur da? es jetzt fur eine sehr kurz bemessene Frist sein wurde.»Meine Wachen werden die Straflinge noch heute an Bord Ihres Schiffes bringen. Jetzt. In Sydney mogen neue Instruktionen vorliegen.»
        Hardacre hatte bis zu diesem Augenblick geschwiegen.»Sie wollen fort? Die Siedlung aufgeben und uns einem Massaker ausliefern? Keine Milizen, nicht einmal einen Schoner, durch Ihre Schuld. «Bolitho blickte ihn an, sein Kopf war plotzlich klar. Wir werden nicht fortfahren. Auch ich habe ein Dokument. «Er wandte sich wieder Raymond zu.»Erinnern Sie sich, Sir? Ihre Befehle an mich bezuglich meiner Pflichten hier?«Er ging zum Fenster zuruck und sah auf die im Wind schwankenden Palmwipfel hinaus.»Wir laufen nicht fort. Mir ist es gleichgultig, welche Krafte gegen uns antreten. Ich habe mir viel zu lange das Gerede uber die Dummheit von Marineoffizieren, die Unwissenheit gewohnlicher Seeleute angehort. Doch wenn es dann schlecht steht, sind sie es, die plotzlich wichtig scheinen. Ich habe Sie von Krieg sprechen horen, als ob er ein Spiel ware. Von einem gerechten Krieg oder einem sinnlosen. Mir scheint, fur Sie ist ein gerechter Krieg einer, wenn insbesondere Sie in Gefahr sind, Mr. Raymond, und das habe ich herzlich satt.»
        Raymond starrte ihn mit wa?rigen Augen an.»Sie sind wahnsinnig! Ich habe es gewu?t!«Er wedelte mit einem Arm in Richtung der Wand.»Sie werfen Ihr Leben fort, Ihr Schiff, alles, fur diesen Misthaufen hier?«Bolitho lachelte fluchtig.»Vor einem Augenblick waren Sie noch der Gouverneur hier. Da lagen die Dinge anders.
«Seine Stimme wurde harter.»Nun, fur mich nicht. «Die Tur wurde aufgesto?en, und Hauptmann Prideaux kam hereinmarschiert, seine Stiefel stampften so laut auf den Binsenmatten, da? es klang, als kame ein ganzer Trupp.»Ich habe die au?ere Umfriedung inspiziert, Sir. «Er ignorierte Raymond.»Meine Leute ziehen die Straflinge zur Arbeit heran. Die Lucke in der nordlichen Palisade ist die schlimmste. Sergeant Quare befa?t sich mit ihr. «Hardacre sagte:»Ich werde mit Tinah sprechen. Vielleicht kann er helfen.»

«Nein. «Bolitho wandte sich Hardacre zu, plotzlich froh uber dessen Anwesenheit, dessen Kraft.»Wenn wir verlieren, was durchaus moglich ist, wunsche ich, da? sein Volk verschont bleibt. Wenn bekannt wird, da? die
        Insulaner uns geholfen haben, sind ihre Chancen geringer als jetzt.»
        Hardacre sah ihn ernst an.»Das war sehr tapfer, Captain.«»Ich habe es ja gesagt, Sie sind wahnsinnig. «Raymond schuttelte seine Fauste uber dem Kopf, und Speichel rann ihm zum Kinn hinunter, als er schrie:»Wenn das voruber ist, werde ich…»
        Hardacre fuhr scharf dazwischen:»Sie haben den franzosischen Offizier gesehen, Sie verdammter Narr. Es bleibt nichts ubrig, was Sie noch hassen oder vernichten konnen, wenn Kapitan Bolitho uns nicht verteidigen kann. «Er schritt zur Tur.»Ich will sehen, was ich zur Unterstutzung der Marinesoldaten tun kann. «Swift hustelte neben der offenen Tur:»Bitte um Vergebung, Sir, aber ich mochte Anweisung fur die Plazierung der Drehbassen.«»Sofort, Mr. Swift.»
        Bolitho machte auf dem Absatz kehrt. Er fragte sich, ob Prideaux und Swift sich nicht auf Vereinbarung in der Nahe gehalten hatten, weil sie befurchteten, da? er uber Raymond herfallen und ihn umbringen wurde. Er stellte fest, da? sein Ha? auf den Mann verflogen war. Raymond schien Substanz und Realitat verloren zu haben.
        In der dunkelsten Ecke der Treppe bemerkte er eine schnelle Bewegung, und eine Madchenhand griff nach seinem Arm. Als Prideaux sich fluchend dazwischendrangte, glitt die Hand ab, umschlang aber Bolithos Bein und dann seinen
        Schuh.

«Lassen Sie das Ding in Ruhe«, sagte er. Er buckte sich und half dem Madchen auf die Beine. Das arme, geistesgestorte Geschopf sah ihn mit tranenerfullten Augen an. Bolitho sagte freundlich:»Ich habe sie auch geliebt. «Er brauchte seine ganze Kraft, seine Stimme stetig zu halten.»Genau wie du.»
        Aber sie schuttelte den Kopf und pre?te ihr Gesicht in seine
        Hand.
        Allday wartete am Fu? der Treppe.»Sie kann es nicht fassen, Captain. «Er winkte einen Marinesoldaten herbei.»Bring sie in Sicherheit, aber ruhr' sie nicht an.»
        Bolitho stand in der grellen Sonne, die Augen schmerzten ihn in dem Glast. Fluchtig fiel ihm auf, da? Allday ein blankes Entermesser in der Hand hielt. Er mu?te es aus der Scheide gezogen haben, als das Madchen sich aus dem Schatten auf ihn warf. Um ihn zu verteidigen. Bedruckt fragte er:»Und wer wird fur sie sorgen?
»Ich wei? nicht, Captain. «Er fiel in Gleichschritt mit Bolitho.»Es sollte fur jeden Menschen einen Platz geben. «Er blickte zur Seite, seine Stimme klang plotzlich belegt.»Diese verdammte Welt ist doch wirklich gro? genug.«Argerlich schob er sein Entermesser in die Scheide.»Ich bitte um Entschuldigung, Captain. Ich habe mich vergessen.»
        Bolitho sagte nichts. Anders wollte ich es gar nicht haben, dachte er.
        Dann griff er nach seiner Uhr, zog sie heraus und fand, da? er es ohne Hemmung tun konnte. Ihre Kraft war noch bei ihm.

«Kommen Sie«, sagte er.»Wir wollen uns den Zustand der
        Verteidigungsanlagen selbst ansehen.»
        Allday grinste erleichtert und war seltsam bewegt.»Aye,
        Captain.»
        Sie gingen auf das Tor zu. Der dort postierte Marinesoldat salutierte zackig.

«Ach du lieber Himmel!«entfuhr es Prideaux unwillkurlich.»Man konnte meinen, wir waren hier in Plymouth, Mr. Swift. Was sagen Sie dazu?»
        Der junge Mann nickte. Ihm war bewu?t, da? er etwas Eindrucksvolles sah, wenn er es auch nicht benennen konnte.
        Prideaux starrte ihn fassungslos an.»Sie etwa auch? Gehen Sie an Ihre Arbeit, oder - ob diensttuender Leutnant oder Midshipman -, ich mache Ihnen Beine!«Den Rest des Tages und wahrend des ganzen folgenden fuhren geschaftig Boote zwischen der Tempest und dem Ufer hin und her. Bolitho schien uberall zu sein, horte sich Ideen an, die zuerst nur zogernd kamen, dann wuchsen und bei der geringsten Ermutigung immer abenteuerlicher wurden.
        Allday blieb die ganze Zeit an seiner Seite, wachte und sorgte sich, sah, wie Anspannung und Entschlossenheit von seinem Kapitan Besitz ergriffen. Es war ihm gleichgultig, da? selbst die beschamten Angehorigen des Corps ihren Dienst wieder aufnahmen und Prideauxs Befehlen widerspruchslos gehorchten. Es trostete ihn auch nicht, da? selbst die faulsten und unzuverlassigsten Matrosen jede Wache ohne Pause durcharbeiteten und kaum daruber murrten. Er wu?te besser als die meisten, da? ohne Bolitho kaum einer ihrer Plane mehr wert gewesen ware als eine nasse Zundschnur.
        Wahrend Bolitho auf dem Abhang stand und beobachtete, wie Matrosen durres Gras und verdorrte Palmwedel sammelten und bundelten, wartete Allday ab. Er sah, da? sein Kommandant mit jeder neuen Aufgabe, die sich stellte, zufriedener wurde. Es war, als ob er jemandem gefallen wollte, den niemand sehen konnte. Und Allday wu?te sehr gut, wer das war.
        Unmittelbar, ehe die Dunkelheit Schatten uber die Bucht legte, meldeten die Ausgucks ein Segel im Osten. Bolitho kehrte auf sein Schiff zuruck, merkwurdig ruhig und ohne jede Mudigkeit.
        Die Zeit war abgelaufen, und daruber war er froh. Auf die eine oder andere Weise wurde es jetzt hier enden.



        XVII Ein eigensinniger Mann

        Herrick zogerte unter der Tur und beobachtete Bolitho ein paar Sekunden lang. Er mu?te an seinem Schreibtisch eingeschlafen sein. Er hatte das Gesicht auf die Arme gelegt, und sein Schatten schwankte hin und her, als ob er und nicht das Schiff sich bewege.»Es ist Zeit, Sir.»
        Herrick legte die Hand auf Bolithos Schulter. Durch das Hemd fuhlte sich die Haut hei? an. Brennend. Es widerstrebte ihm, Bolitho zu storen, aber an diesem Morgen konnte es nicht einmal Herrick wagen, sein Mi?fallen herauszufordern.
        Bolitho blickte langsam auf und rieb sich die Augen.

«Danke. «Er sah sich in der Kajute um und wandte sich dann den Fenstern zu. Auch sie waren schwarz und zeigten nur das Spiegelbild der Kajute.

«In einer halben Stunde beginnt die Dammerung, Sir. Ich habe die Besatzung fruhstucken geschickt, wie Sie befahlen. Eine warme Mahlzeit und einen guten Schluck, um sie hinunterzuspulen. Der Koch wird das Feuer in der Kombuse loschen, sobald ich den Befehl gebe. «Er unterbrach sich, ungehalten uber die Storung, als Allday mit einem Topf dampfendem Kaffee in die Kajute kam. Bolitho reckte sich und wartete, bis der Kaffee ihm den Magen warmte. Stark und bitter. Er stellte sich seine Leute vor, die ihre Sonderration an gepokeltem Schweine- oder Rindfleisch a?en und uber den unerwartet ausgegebenen Rum ihre Scherze machten. Und er hatte wie ein Toter geschlafen und nichts davon gehort, als das Schiff zu einem neuen Tag erwachte. Fur manche, wenn nicht fur alle, konnte es gut ihr letzter sein. Soll ich Hugoe holen, Captain?»
        Allday schenkte Kaffee nach. Er war schon lange aus seiner Hangematte heraus und nach unten zur Kombuse gegangen, um hei?es Rasierwasser fur Bolitho zu holen, zeigte aber kaum Anzeichen von Mudigkeit.

«Nein. «Bolitho rieb sich kraftig die Arme. Ihm war kalt, aber sein Verstand war so kristallklar, als ob er die ganze Nacht uber in seinem Bett in Falmouth geschlafen hatte.»Er wird sicher dringend in der Offiziersmesse gebraucht. «Allday zeigte die Zahne. Er wu?te, da? das keineswegs der Grund war.»Gut, gut. Ich hole also Fruhstuck fur Sie. «Bolitho stand auf und ging zu den Fenstern.»Ich konnte nichts essen. Heute nicht.»

«Sie mussen, Sir. «Herrick winkte Allday, der die Kajute verlie?.»Es kann eine Weile dauern, bis Sie wieder die Moglichkeit dazu bekommen.«»Das ist wahr.»
        Bolitho sah zum Wasser hinunter. Doch da war nur ein ganz schwacher Schimmer, der die Richtung der Stromung anzeigte. Und wieder uberraschte ihn, mit welcher Schnelligkeit die Dammerung heraufzog. Viele im Schiff mochten wunschen, da? sie nie kame. Er begann ruhig:»Wenn wir heute versagen, Thomas…«Er brach ab, unsicher, wie er fortfahren sollte. Er wollte nicht, da? Herrick sich mit der Moglichkeit einer Niederlage abfand, aber er mu?te ihn wissen lassen, wieviel seine Freundschaft ihm bedeutete, wie sehr sie ihn stutzte. Herrick protestierte:»Lieber Himmel, Sir, so sollten Sie nicht reden.»
        Bolitho wandte sich ihm zu.»In der Kassette befindet sich ein Brief fur Sie. «Er hob die Hand.»Wenn ich falle, sollen Sie wissen, da? ich einige Vorsorge fur Sie getroffen habe. «Herrick trat auf ihn zu und rief aus:»Ich will nichts davon horen, Sir! Ich - ich will nichts haben!«Bolitho lachelte.»Sei's drum. «Er ging in der Kajute auf und ab.»Ich wollte, es ware den ganzen Tag uber so kalt wie jetzt. Eine Seeschlacht ist auch ohne die sengende Sonne hei? genug.»
        Herrick senkte den Blick. Bolitho zitterte stark. Mangel an Schlaf, vollige Erschopfung nach der Fahrt im offenen Boot, das alles fing an, sich zu zeigen. Er sagte:»Ich gehe jetzt,
        Sir.»

«Ja. Wir gehen auf Gefechtsstation, sobald die Leute gegessen haben.»
        Herrick schien zufrieden zu sein, und Bolitho wartete, bis er gegangen war. Dann setzte er sich und ging noch einmal seine Plane durch, suchte nach Mangeln oder Moglichkeiten zur Verbesserung.
        Er schenkte sich noch einen Becher Kaffee ein, hielt sich sein Schiff vor Augen, das noch im Dunkeln lag. Zwei Wachboote umkreisten es standig, und an Land hatte Prideaux Streifen eingesetzt, die am Strand entlang und auf der Halbinsel patrouillierten. Sie mu?ten zuruckgezogen werden, sobald es hell war. Die Tempest war so schwach bemannt, wahrend der Feind… Ihn schauderte, und er trank den Rest seines Kaffees. Feind… Wie leicht kam dieses Wort. Er erinnerte sich der franzosischen Matrosen, die er bei seinem Besuch auf der Narval gesehen hatte. Bei dieser grausamen Behandlung hatten sie vermutlich ohnehin gemeutert, sich gegen de Barras und seinen Sadismus erhoben. Der Aufstand in Frankreich bot ihnen fur ihre Rache einen noch weiteren Spielraum. Eine Schlacht mu?te ihnen als ein kleiner Preis fur ihre Erlosung erscheinen. Bolitho versuchte, sich ein Bild von Tuke zu machen, aber die Erinnerung an das Brandmal auf Violas Schulter zwang ihn, Tuke aus seinen Gedanken zu verdrangen. Statt dessen dachte er an Viola, klammerte sich an jedes Detail, furchtete, etwas konne in seiner Erinnerung
verlorengehen. Allday brachte ihm sein Fruhstuck, sagte aber nichts, als Bolitho es achtlos beiseite schob. Schweigend rasierte er ihn und holte ein frisches Hemd aus der Truhe, wie er es so oft von Noddall gesehen hatte.
        Auf dem Schiff war es sehr ruhig, nur ein trages Schwanken und das Knarren von Holz durchbrach die Stille. Licht fiel durch die Fensterscheiben auf die karierte Leinwand auf dem Kajutboden.
        Bolitho streifte seinen Uniformrock uber und schnitt im Spiegel eine Grimasse. Im schwachen Licht sah er bla? aus, so da? sich Rock und Breeches und Goldstickerei scharf abhoben.
        Allday sagte ruhig:»So haben wir schon einige Male nebeneinander gestanden, Captain. «Er hob den Blick zum
        Skylight, als oben rastlose Schritte zu horen waren.»Ich werde mich nie daran gewohnen konnen.»
        Bolitho betastete seinen Rock, diesmal froh uber ihn, weil er die Kalte abhielt, bis die Sonne uber den Inseln aufgegangen war.

«Ich auch nicht.»
        Die Tur offnete sich etwas, und Midshipman Fitzmaurice schob sein Mopsgesicht in die Kajute.»Eine Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und er wunscht Gefechtsbereitschaft zu befehlen, wenn es Ihnen recht ist. «Bolitho nickte. Die Formlichkeit des jungen Mannes war ihm bewu?t.»Mein Kompliment an Mr. Herrick. Sagen Sie ihm, ich sei bereit.»
        Augenblicke spater wurde die Stille durch das Schrillen der Pfeifen, das Stampfen laufender Fu?e und die Vorbereitungen fur eine Schlacht gebrochen, die eine Landratte nur fur ein sinnloses Chaos halten konnte.
        Das Stakkato der beiden Trommeln auf dem Achterdeck hallte uber die Bucht, erreichte die Siedlung und noch weiter entfernt das Dorf, die muden Wachtposten auf der Halbinsel und den verwundeten Marinesoldaten Billyboy, dem eine besondere Aufgabe an Land ubertragen worden war. Aber auch ein Madchen mit irren Augen, das allein in einer Hutte lag, dessen Geist gestort war, das sich in seinen Erinnerungen aber an die eine Person klammerte, die ihr geholfen und sie beschutzt hatte.
        Als die Sonne den Gro?topp der Tempest fand und die Farbe des flatternden Wimpels von Wei? in Kupfer verwandelte, griff Herrick an seinen Hut und meldete: Gefechtsbereit, Sir. «Er sagte es stolz, denn trotz der bestehenden Mangel war das Manover in weniger als funfzehn Minuten erfolgt. Bolitho ging zur Achterdecksreling und sah auf die stummen Gestalten hinunter. Er erinnerte sich an Alldays Bemerkung: So haben wir schon einige Male nebeneinander gestanden. Und an seine eigene Erwiderung.
        Wurden die schattenhaften Gestalten und jene, die um das Achterdeck kauerten, es verstehen, wenn der Ruf kam? Er fragte sich, ob de Barras noch am Leben war, wie es fur ihn gewesen sein mu?te, als der aufgestaute Ha? in einer Meuterei explodierte.»An Deck! Schiff im Osten vor Anker, Sir. «Bolitho ging zu den Finknetzen, die Hande auf dem Rucken verschrankt. Immer noch nur das eine. Ein Koder vielleicht, um ihn wieder in eine Falle zu locken. Ein Wachhund, wahrend andere sich vielleicht auf eine andere Form des Angriffs vorbereiteten. Es war zu fruh, um es zu erraten. Er sah Fitzmaurice mit seinen Signalgasten sprechen und dachte uber die Veranderungen nach, die sich bei allen zeigten. Swift befand sich jetzt mit Borlase auf dem Batteriedeck, und Keen wachte uber die Sechspfunder auf dem Achterdeck. Er sah auch Pyper, schmerzgequalt von seinem Sonnenbrand und den Salzveratzungen, bei den Karronaden auf der Back stehen.
        Er horte den Amerikaner Jenner, der etwas zu einem anderen Matrosen sagte, und erwartete halb, Orlando neben ihm zu sehen. Ihn schauderte. Aus Jungen wurden Manner, und Manner fielen der Vergessenheit anheim. Wieder der Ausguck im Mast: Ein Schoner, Sir!«Er mu?te oben klare Sicht haben. Die Helligkeit hinter dem anderen Schiff nahm zu, wahrend die Tempest noch in tiefem Schatten lag.
        Bolitho sagte:»Bald werden wir wissen, was wir zu erwarten haben.»

«Aye, Sir. «Herrick stand auf der anderen Seite des Achterdecks und hob seine Stimme, um besser verstanden zu werden.»Lohnt sich fur uns kaum. Was meinen Sie,
        Sir?»
        Das loste ein paar Lacher aus, wie sie beide im voraus gewu?t hatten.
        Bolitho drehte sich um und bemerkte Ross, der ihn scharf beobachtete.»Entern Sie mit einem Glas auf, Mr. Ross. Lassen Sie sich ruhig Zeit. Nehmen Sie den Schoner unter die Lupe, wie Sie es noch nie getan haben. «Er sah Ross nach, als er sich durch das Schutznetz zwangte und gewandt in den Gro?mast aufenterte. Das Teleskop baumelte von seiner Schulter wie der Stutzen eines Wilddiebs'.
        Dann sah er zum Wimpel an der Mastspitze auf. Der Wind hatte wahrend der Nacht gedreht und wehte jetzt gleichma?ig aus Nordwest. In der Bucht waren sie gut geschutzt, der Schoner wurde sich aber nicht zwischen die Riffe wagen und riskieren, aufzulaufen, denn er mu?te vor dem Wind ankern.
        Alles mu?te hier geschehen. Hardacre hatte seine Kenntnisse mit Lakey geteilt, und es war vollig unmoglich, von der anderen Seite der Insel her einen Angriff uber Land zu fuhren. Es gab keinen sicheren Platz, um an Land zu gehen, und die Bedrohung durch feindselige Eingeborene, gleichgultig, was Tinah versprochen hatte, verlangte eine dreimal so gro?e Kampfkraft wie die, uber die Tuke und seine Leute verfugten.
        Sonnenlicht strich sanft uber die oberen Rahen und Segel, und die Hugel oberhalb der Siedlung hoben sich aus dem Schatten, als ob sie von allem anderen losgelost seien. Ross, der fruhere Steuermannsmaat und jetzige diensttuende
        Leutnant, rief mit scharfer Stimme von seinem hohen Sitz:»Sie bringen ein Boot zu Wasser, Sir. «Mehrere Minuten schleppten sich dahin, dann:»Das Boot nimmt Richtung auf die Riffe. «Seine schottische Stimme klang emport, als er erganzte:»Eine Parlamentarsflagge,
        Sir.»
        Bolitho sah Herrick an. Der erste Zug stand bevor. Das Boot setzte einen kleinen Fetzen Segel, sobald es von dem Schoner abgelegt hatte, und als es Fahrt gewann, erkannte Bolitho seine Absicht, zwischen den Riffen durchzufahren und in die Bucht einzulaufen.»Gig, Allday!«Bolitho sah Herrick an, wahrend die Besatzung der Gig von ihren verschiedenen Gefechtsstationen zusammenstromte.»Ich will nicht, da? sie sehen, wie schwach wir besetzt sind. Signalisieren Sie dem Landkommando. Sie mussen schneller sein, als ich geplant hatte.»
        Er wu?te, da? Herrick protestieren wollte, aber er schob ihn beiseite und fiel beinahe in die Gig in seiner Hast, mit dem Boot wegzukommen.

«So schnell ihr konnt!«Er packte das Dollbord, als die Riemen sich ins Wasser gruben und das Boot wie einen Delphin durch die Wellen hetzten.

«Mein Gott, seht euch die an«, sagte Allday und lachte verhalten.»Sie haben gerade die Tempest gesichtet. «Das Boot hatte zweifellos sein Tempo verringert, doch nach einer kurzen Pause bewegte es sich weiter auf die schaumenden Brecher bei den Riffen zu. Als es naherkam, erkannte Bolitho, da? die Besatzung ein wild zusammengewurfelter Haufe war, meist bartige Manner, aber alle ebenso schmutzig wie ihr Boot. Doch sie waren gut bewaffnet, und die zerfetzte wei?e Flagge am Mast lie? den Gegensatz nur noch scharfer hervortreten. Bolitho befahl kurz:»Sagen Sie ihnen, sie sollen beidrehen. Sie sind nahe genug.»
        Alldays Anruf und die Tatsache, da? die Mannschaft der Gig ihre Riemen ruhen lie?, verursachte, da? das Boot in dem starken Seegang heftig schlingerte und quer auf die nachste Klippe zutrieb.
        Eine kraftvolle, bartige Gestalt mit zwei gekreuzten
        Pistolengurten uber der Brust richtete sich auf und legte die
        Hande trichterformig um den Mund. Sein Akzent war englisch, aber es war ganz bestimmt nicht Tuke.
        Bolitho wunschte, er hatte ein Teleskop mitgebracht, aber es war zweifelhaft, ob er es hatte benutzen konnen. Das heftige
        Stampfen der Gig hatte es ebenso wie die aus seinem Magen aufsteigende Ubelkeit unmoglich gemacht.
        Die Stimme rief rauh:»Sie sind also hier, Cap'n.»
        Beinahe dasselbe, was Raymond gesagt hatte. Bolitho hob die Hand. Seine Augen tranten im Sonnenlicht.
        Der Mann fuhr fort:»Die Nachricht gilt nach wie vor.
        Schaffen Sie Ihre Leute fort, und fahren Sie zur Holle. Wir nehmen die Insel und Sie auch, wenn Sie Widerstand leisten.»
        Seine Worte losten bei der Besatzung der Gig wutendes Knurren aus.
        Bolitho stand langsam auf, mit einer Hand auf Alldays Schulter gestutzt.
        Dann rief er:»Unter welcher Flagge? Zieht ihr euren eigenen feigen Fetzen auf, oder versteckt ihr euch hinter den franzosischen Farben?»
        Trotz der drohnenden Brecher horte er das Durcheinander der Stimmen in dem anderen Boot.
        Dann rief der Mann zuruck:»Wir haben die Narval, und Ihre verdammte Arroganz werden Sie noch bereuen, Cap'n. «Er schuttelte die Faust, und eine andere Gestalt wurde vom Boden des Bootes hochgezerrt.
        Einen Augenblick glaubte Bolitho, es sei de Barras. Doch dann erkannte er, da? es ein junger Leutnant war. Sein Gesicht war fast schwarz von Prellungen, die Arme waren ihm auf dem Rucken gefesselt.
        Ein weiterer sichtbarer Beweis fur ihren Sieg. Bolitho warf einen kurzen Blick auf seine Besatzung. Ihre Gesichter zeigten eine Mischung von Unglauben und Entsetzen. Bolitho schrie:»Gebt ihn frei! Er ist nicht verantwortlich, das wi?t ihr genau.»
        Der Mann lachte nur, der Laut kam vom Wind verzerrt heruber.»Wissen Sie nichts von der Revolution, Cap'n?«Er deutete auf die Leute in seinem Boot.»Die Jungs hier haben allen Grund, daruber froh zu sein.»
        Tuke hatte also auf jedes seiner Schiffe einen Teil der Franzosen verteilt. Das war sicherer. Wenn die franzosischen Offiziere tot waren oder in Eisen lagen, mu?te Tuke das Kommando uber die Narval selbst ubernommen haben. Dazu hatte es bestimmt keiner besonderen Ermunterung bedurft, und seine Erfahrungen als Kaperkapitan hatten ihn zweifellos ebensoviel gelehrt wie jeden Seeoffizier im Dienst des Konigs. Allday sagte heiser:»Die bringen ihn um, Captain. «Noch wahrend er sprach, packte einer der Manner im anderen Boot den Leutnant bei den Haaren und ri? ihm den Kopf zuruck, so da? das Wei?e seiner Augen und sein vor Schmerz und Angst verzerrtes Gesicht sichtbar wurden. Ein Messer wurde erhoben und fuhr mit solcher Schnelligkeit durch die Kehle des Franzosen, da? er weder einen Schrei aussto?en noch sich wehren konnte. Dann wurde die Leiche uber Bord gesturzt. An der Bordwand blieb nur eine grellrote Spur zuruck.
        Bolitho schrie:»Eine Pistole! Das ist keine Parlamentarsflagge!»
        Aber der Schu? ging weit daneben, und bis sie nachgeladen war, fuhr das Boot des Schoners schon schnell auf die Passage zwischen den Riffen zu.
        Von See her ertonte plotzlich ein lauter Knall, und Sekunden spater stieg zwischen den Riffen und der Halbinsel von einem schweren Gescho? eine hohe Fontane auf, die in weitgezogenem Kreis als Spruhregen ins Wasser zuruckfiel.»Zum Schiff!»
        Bolitho packte das Dollbord und versuchte, seinen aufwallenden Ha? zu beherrschen. Das mu?te ihre Absicht gewesen sein: Ihn aus der Bucht zu locken, ehe er die genaue Starke des Feindes kannte.
        Wahrend die Gig schnell zur Tempest zuruckruderte, sah Bolitho zur Siedlung hinuber und hielt sich ihre Verteidigungsanlagen vor Augen, die ihm jetzt durftig erschienen, wenn er daran dachte, was er gerade erlebt hatte. In der Siedlung waren Feuer angezundet worden, um den
        Eindruck zu erwecken, da? sich dort sehr viel mehr Manner befanden als die schwache Streitmacht, die tatsachlich vorhanden war. Uber der Palisade waren rote Waffenrocke verteilt, um aus der Ferne den Eindruck zu erwecken, da? dort aufmerksame Posten auf Wache standen. Eine Tauschung, mehr war es wirklich nicht. Er duckte sich, als ein weiteres Gescho? uber sie hinwegflog und auf dem Felsbrocken unterhalb der Halbinsel einschlug. Als er das Achterdeck der Tempest erreichte, traf er Herrick mit einem Teleskop bewaffnet an, der das andere Schiff beobachtete. Es war au?er Reichweite der Zwolfpfunder der Tempest, traf aber mit seinen Geschutzen muhelos das Land. Wenn die Schatten endgultig vom Strand und der Siedlung gewichen waren, wurde die Beschie?ung ernstlich beginnen. Herrick bemerkte:»Vierundzwanzigpfunder, Sir, mindestens. Die mussen sie von der Eurotas haben. «Er sah Bolitho besorgt an.»Ich war in Unruhe wegen der Teufel in diesem Boot. Sie hatten das Feuer auf Sie eroffnen konnen. «Wrrumm! Bolitho horte das Gescho? durch die Baume auf der anderen Seite der Bucht pflugen und sah aufgescheuchte
Vogel wie Splitter uber ihren Wipfeln aufschwirren. Herrick fuhr eindringlich fort:»Wir werden Anker lichten mussen. Wenn sie uns aufs Korn nehmen, konnen sie das Schiff entmasten und uns bewegungsunfahig machen. Dann sind wir nicht mehr als eine schwimmende Batterie. «Bolitho nahm den Hut ab und wischte sich uber die Stirn. Das war die Absicht des Feindes. Ihn herauszulocken, die Bucht schutzlos zuruckzulassen.
        Der Schoner mochte nicht schnell genug sein, um der Tempest davonzusegeln, aber in dem Gewirr der Inselchen und Riffe konnte er sie muhelos abschutteln. Er blickte zum Wimpel auf. Stetig wie bisher wehte der Wind aus Nordwest. Er nahm ein Teleskop und ging zum ausgespannten Netz. In Gedanken setzte er sich mit der Gefahr auseinander, mit dem, was er von seinen Leuten verlangte.
        Uber die Schulter sagte er:»Benachrichtigen Sie das Land. Wenn wir Signal geben, mussen sie das Feuer in Gang bringen. «Er horte Herrick seufzen.»Ich wei?, es war als letzter Ausweg gedacht. Wir mussen aber alles umdrehen. «Bolitho stutzte sein Glas an dem Netz und richtete es auf den verankerten Schoner, rechtzeitig, um auf dessen Back eine Rauchwolke erscheinen zu sehen, als sie dort einen weiteren Schu? losten.
        Der Schoner lag auf einer Linie mit der Halbinsel. Und dem
        Wind.
        Er horte ein Boot zum Ufer ablegen und dann ein heftig splitterndes Gerausch. Ein weiteres Gescho? hatte die kleine Pier getroffen und ihr au?eres Ende zu einem wirren Haufen zerschmetterter Balken und Verstrebungen zertrummert. Das war Gluck, denn kein Geschutzfuhrer konnte durch Schatten hindurchsehen. Doch es zeigte sehr deutlich, was bald geschehen wurde, wenn sie nichts taten, um die Beschie?ung zu beenden.
        Bolitho sagte:»Ein Enterkommando, Mr. Herrick, fur Barkasse und Kutter. Wenn der Wind anhalt, zunden wir wie geplant die Feuer an Land an. Der Qualm wird auf den Schoner zutreiben, und wenn er ihn erreicht, mu? der Angriff erfolgen.»
        Bolitho dachte an die weite Strecke und stellte sich den verwundeten Marinesoldaten auf dem Abhang bei den gesammelten Haufen von trockenem Gras und durrem Unterholz vor, die mit Kokosnu?schalen und Fett angereichert waren. Wenn sie Gluck hatten, wurden die Kanoniere des Feindes denken, einer ihrer Schusse hatte das Feuer an Land entfacht. Wenn es fehlschlug, wurden die Besatzungen beider Boote abgeschlachtet, noch ehe sie eine Hand an den Rumpf des Schoners legen konnten. Einen Augenblick spater meldete Fitzmaurice:»Das Boot hat das Land erreicht, Sir.»
        Bolitho nickte.»Bemannen Sie Ihre Boote, Mr. Herrick. Bleiben Sie mit ihnen auf der abgewandten Bordseite, bis das Feuer brennt.»
        Er zwang sich, ein paar Schritte auf- und abzugehen. Seine Fu?e stiegen ohne bewu?te Anstrengung uber Beschlage und Poller hinweg. Es wurde zehn Minuten dauern, bis die Nachricht die behelfsma?ige Signalstation erreichte. Er horte die Manner larmend in die Boote steigen, das
        Klirren ihrer Waffen.

«Bereiten Sie das Signal vor, Mr. Fitzmaurice.»
        Bolitho wischte sich uber das Gesicht. Er schwitzte stark,
        aber ohne da? ihm warm war.

«Das Boot hat wieder abgelegt, Sir.»
        Die Nachricht war weitergegeben.
        Bolitho befahl:»Hissen Sie das Signal.»
        Die Flagge entfaltete sich unter der Gro?rah, zufallig im gleichen Augenblick, als das schwere Geschutz des
        Schoners den nachsten Schu? abfeuerte.
        Bolitho richtete sein Glas auf die Halbinsel und die dahinter aufragenden Hugel. Zunachst dunn begann an einer Stelle,
        die noch im Schatten lag, Qualm zum Himmel aufzusteigen,
        dann fing eine Rauchwolke an, vor dem Wind bergab zu rollen. Das schmutzige Gemisch aus Fett, altem Werg und
        Abfallen, das sie auf das zundertrockene Gras und Reisig gehauft hatten, druckte den entstehenden Rauch, der sich wie ein undurchdringliches, erstickendes Leichentuch ausbreitete, nach unten aufs Wasser.
        Der Marinesoldat Billyboy ubertraf selbst die verwegensten
        Hoffnungen; eine scharfe Explosion, die vom Abhang heruberhallte, trug zu der Tauschung noch bei. Sie wurde auch auf dem Schoner gehort werden, und dort mochte man glauben, es sei ein explodierendes Magazin.
        Herrick fragte ruhig:»Kann ich ablegen, Sir?»
        Bolitho sah auf die beiden langsseit liegenden Boote hinunter, deren Besatzungen wie Fremde zu ihm heraufspahten. Jeder einzelne war ausgesucht, und mancher zahlte zu den besten Leuten der Besatzung. Wenn das
        Schlimmste eintrat, wurde die Tempest so vieler guter Krafte beraubt, da? ihr Gefechtswert halbiert war.
        Er hielt Herricks Blick fest. Dieser war der Beste von allen,
        dachte Bolitho. Aber er konnte keinem anderen das
        Kommando uber den Angriff anvertrauen. Jetzt brauchten sie jede Unze an Selbstvertrauen, jedes Kornchen an
        Erfahrung, und fur die Besatzung des Schiffes besa? Herrick das in hohem Ma?.
        Kam heute der Tag, vor dem er sich schon so lange furchtete? Einmal mu?te er kommen. Aber doch nicht hier, in diesem gottverlassenen Winkel der Welt, wo schon so viel Leid ertragen worden war.
        Doch als er das dachte, wu?te er auch, da? es uberall eintreten konnte.

«Seien Sie vorsichtig, Thomas«, sagte er.»Halten Sie die Drehbassen schu?bereit. Ziehen Sie sich zuruck, wenn Sie entdeckt werden, ehe Sie entern konnten. «Herrick zog seinen Uniformrock aus, nahm seinen Hut ab und reichte beides einem Marinesoldaten. Auch in den Booten waren keine Rangabzeichen zu finden. So hatten sie es geplant.
        Herrick drehte sich um, um die sich ausbreitende Rauchwolke zu beobachten. Sie hatte bereits das Riff erreicht, und die Umrisse des Schoners verschwanden plotzlich in der kunstlich geschaffenen Deckung. Dieser Schutzschirm hatte erst spater eingesetzt werden sollen. Falls die Narval sich die Einfahrt in die Bucht erzwang, sollte der Rauchschleier ihre Kanoniere so behindern, da? die Tempest zum Nahkampf an die franzosische Fregatte herankommen konnte, so lange sie sich in der Nahe der Riffe befand. Doch das war der Plan gewesen, ehe der Schoner erschien. Allerdings hatte der Wind die Richtung andern und damit diesen Vorteil ins Gegenteil verkehren konnen. Herrick sagte:»Fortuna ist mit uns, Sir. «Nach einem Gru? zum Achterdeck kletterte er in die gro?e Barkasse hinab. Die beiden Boote legten sofort ab, und der Schlag der Riemen zeigte an, da? die Zeit drangte und es ums Uberleben ging.
        Im Kutter kauerte Bootsmannsmaat Jack Miller an der
        Pinne. In seinem Gurtel steckte ein Enterbeil.

«Gott helfe den Kerlen, die an den geraten«, sagte Allday.
        Die beiden Boote wurden eine halbe Stunde brauchen, um in die Nahe des Schoners zu gelangen. Bis dahin mu?te der
        Qualm unverandert dicht bleiben. Auch durfte die Besatzung des verankerten Schiffes nicht argwohnen, da? irgend etwas
        Unvorhergesehenes eintreten konnte.
        Bolitho sagte:»Mr. Borlase, wir beginnen mit der
        Steuerbordbatterie zu feuern. Lassen Sie laden und ausrennen, bitte.»
        Borlase musterte ihn besorgt. An seinem Hals zuckte ein Nerv.»Auf welches Ziel, Sir?»

«Auf den Schoner. Sie sollen sehen, da? unsere Schusse zu kurz liegen. Das wird sie in Sicherheit wiegen und uberzeugen, da? wir nicht Anker lichten und den Rauch selbst ausnutzen werden.»
        Minuten spater krachten die Steuerbord-Zwolfpfunder einer nach dem anderen in einer rollenden Salve. Der Pulverqualm walzte sich mit dem Wind zu dem anderen Rauch. Der Schoner war jetzt vollig dahinter verschwunden, und als Bolitho nach den beiden Booten ausschaute, entdeckte er nur noch das Kielwasser des letzten. Ihre Rumpfe waren wie die Halbinsel vollig verborgen. Er zog seine Uhr. Die Sonne stand jetzt hoch, und sie konnten sich nicht langer darauf verlassen, da? Schatten die Siedlung schutzen wurden. Er fragte sich fluchtig, was Raymond wohl machte. Ob er an Viola dachte?» Signal vom Ausguck auf dem Berg. «Fitzmaurice hatte sein Teleskop vor dem Auge.
        Bolitho trat unter die Wanten des Besanmasts und beschattete sein Gesicht gegen den zunehmenden Sonnenglast. Der Gestank von den Feuern auf dem Abhang war hier schon schlimm; wie er in den Booten sein mochte, konnte man sich nur schwer vorstellen. Er fuhlte sich ubel und plotzlich schwindlig und wunschte, er hatte das von Allday angebotene Fruhstuck doch angenommen. Er war wutend auf sich selbst. Nun, jetzt war es zu spat. Nahe am Berggipfel sah er ein Licht aufblitzen, den von einem Spiegel zuruckgeworfenen Reflex der Sonne, wie er es bei den Infanteriesoldaten in Amerika beobachtet hatte. Das Verfahren hatte seine Grenzen, war aber schnell, vorausgesetzt, da? man vorher genugend einfache Signale vereinbart hatte.
        Fitzmaurice sagte in seinem hochmutigen Ton:»Segel in Nord, Sir.»
        Bolitho nickte. Das war der Beginn des gro?en Dramas, in dem sich keiner seiner Rolle sicher war. Die Segel mu?ten zur Narval gehoren, die aus ihrem Versteck irgendwo im
        Norden herbeieilte, wahrscheinlich in der Erwartung, den Schoner allein und im Besitz der Bucht oder ihrer Zugange zu finden.
        Er versuchte sich zu erinnern, wie spat es auf seiner Uhr gewesen war. Wo mochten die beiden Boote sein? Wie lange wurde es dauern, bis das andere Schiff um die Landzunge herum in Sicht kam?
        Er trat an die Reling uber dem Geschutzdeck und sah zu,
        wie die Zwolfpfunder wieder ausgerannt wurden.
        Swift blickte zu ihm auf.»Noch einmal, Sir?»
        Bolitho horte Lakey sagen:»Jetzt kann ich von dem Schoner nichts mehr sehen, auch von den Riffen nicht. Mein Gott,
        was fur ein Qualm!»
        Allday stand beim Niedergang und beobachtete die untatigen Bedienungen der Achterdeckgeschutze. Er wandte sich wieder seinem Kapitan zu und sah ihn schwanken und beinahe fallen. Alle anderen starrten in den Qualm hinaus oder beobachteten die Bedienungen der Zwolfpfunder. Mit drei Schritten war er an Bolithos Seite.»Ich bin hier, Captain. Immer mit der Ruhe. «Er sah Bolitho ins Gesicht. Es glanzte vor Schwei?, und die Augen waren halb geschlossen wie in schrecklichen Schmerzen. Bolitho keuchte:»Die Leute durfen mich in diesem Zustand nicht sehen. «Er schluckte hart, seine Arme und Beine zitterten stark unter einem heftigen Kalteschauer. Als ware er bei einer Kreuzfahrt im Nordatlantik an Deck. Allday murmelte verzweifelt:»Das Fieber! Es mu? das Fieber sein. Ich gehe den Arzt holen.
«Er bemerkte einen Matrosen, der heraufstarrte, und schnauzte:»Kummere dich um deinen Dienst, verdammt noch mal.»
        Bolitho packte Alldays Arm und richtete sich langsam auf.»Nein. Mu? durchhalten. Jetzt kommt der schlimmste Teil. Das wissen Sie doch!»

«Aber, Captain!«Allday sprach eindringlich auf ihn ein.»Es wird Sie umbringen. Ich kann das nicht zulassen. «Bolitho atmete tief ein und machte sich von Allday frei. Zwischen den Zahnen sagte er betont:»Sie… tun… was… ich… sage!»
        Er zwang sich, langsam zu den Netzen zu gehen, klammerte sich daran fest und versuchte, die Kontrolle uber seinen bebenden Korper zu gewinnen.

«Sie sollen das Feuer fortsetzen. «Der Larm mochte helfen, und wenn er sie nur von ihm ablenkte. Das Krachen der Breitseite donnerte uber das Wasser, die Geschosse verloren sich in der Dunstwand. Er horte sich selbst sagen:»Gott, la? Thomas Erfolg haben. Mit so wenigen Leuten konnen wir uns nicht bewegen. «Die Worte stromten aus ihm heraus, ohne da? er es verhindern konnte.»Nicht so sterben. «Er lie? seinen Halt an den Netzen fahren und ging mit behutsamen Schritten zum Kompa?.»Wir mussen hier liegen bleiben und kampfen. «Eine verschwommene Gestalt hastete an ihm vorbei. Sie hielt inne und wendete sich ihm zu. Es war Jenner, der Amerikaner.

«Konnt's nicht verhindern, da? ich Sie gehort habe, Cap'n. «Vor Bolithos Augen schien er unter Wasser zu schwimmen.»Im Krieg hab' ich mal eine Geschichte gehort. Von einem englischen Kapitan, der eine so schwache Besatzung hatte, da? er mit seiner Schaluppe beinahe aufgelaufen und den Franzosen in die Hande gefallen ware. Ich hab' auch gehort, da? Sie der Kapitan waren, Sir. «Er ignorierte Alldays drohenden Blick und fugte hinzu:»Damals haben Sie Verwundete eingesetzt, stimmt's, Sir?«Bolitho bemuhte sich, ihn deutlich zu erkennen.»Ich erinnere mich. Auf der Sparrow.«Er wurde verruckt, das mu?te es sein. Jetzt von der Vergangenheit zu sprechen!» Also, ich hab' nur gedacht, warum nicht diese Straflinge holen?»

«Was?«Bolitho trat einen Schritt vor und ware gefallen, wenn Allday nicht dagewesen ware.»Ich dachte nur…»
        Bolitho packte Alldays Handgelenk.»Holen Sie Mr. Keen.«»Hier bin ich, Sir«, sagte Keen an seiner Seite. Seine Stimme klang beunruhigt.

«Schicken Sie die restlichen Boote sofort an Land und fahren Sie mit. Sie haben in der Siedlung gearbeitet, die Leute kennen Sie besser als jeden anderen von uns.
«Er beugte sich vor und fugte eindringlich hinzu:»Ich brauche mehr Leute, Val. «Er bemerkte Keens Ausdruck und erkannte, da? er unwillkurlich Violas Namen fur ihn benutzt hatte.»Tun Sie, was Sie konnen.»
        Keen entgegnete verzweifelt:»Sie sind krank, Sir. «Er blickte in Alldays grimmiges Gesicht.»Sie mussen sich angesteckt…»

«Sie vergeuden Zeit. «Er schob ihn fort.»Holen Sie die Leute. Sagen Sie ihnen, ich will versuchen, ihnen dafur eine Passage nach England zu besorgen. Aber lugen Sie sie nicht an.»
        Die Geschutze donnerten wieder, ihre Lafetten wurden innenbords geschleudert und von den Taljen aufgefangen.

«Genug!«Bolitho zerrte an seinem Halstuch.»Feuer einstellen. Auswischen und neu laden.»
        Er sah den Arzt, der direkt in seinem Weg stand und mit ernstem Gesicht streng sagte:»Sie gehen sofort nach unten,
        Sir. Als Schiffsarzt ist es meine Aufgabe…»

«Ihre Aufgabe ist im Orlop. «Er lie? die Stimme sinken.

«Bringen Sie mir ein paar Tropfen, irgend etwas, das mir den Kopf klar halt. Nur noch ein paar Stunden.»

«Das wird Sie bestimmt umbringen. «Gwyther hob ratlos die Schultern.»Sie sind ein eigensinniger Mann.»
        Ohne Hilfe ging Bolitho zur Luvs eite hinuber und starrte auf das nahegelegene Land.

«Mir ist so kalt, Allday. Ein Schluck Brandy, dann werde ich schon zu mir kommen.»

«Aye, Captain. «Allday sah ihn hilflos an.»Sofort.»
        Lakey hatte mit seinem Steuermannsmaaten beim Ruder gestanden und Keens Besorgnis und das hastige Eintreffen des Schiffsarztes beobachtet. Als Allday den Niedergang hinabeilte, offnete er den Mund, um zu fragen, was es gab.
        Allday wu?te immer Bescheid. Statt dessen wandte er sich ab, unfahig, seinen Augen zu trauen.
        Mackay, sein Steuermannsmaat, sprach es aber laut aus:

«Mein Gott, Mr. Lakey, Allday hatte Tranen in den Augen.»

«Langsam, Mr. Herrick. Ich kann die Kerle horen. «Herrick hob den Arm, und die gedampften Riemen tauchten zu beiden Seiten der Barkasse triefend aus dem Wasser. Er hoffte, da? Miller, der ihm dichtauf folgte, die Augen offenhielt und nicht mit ihm zusammenstie?. In einigem Abstand horte er Stimmengemurmel und das Klirren von Metall. Er schluckte schwer und beschrieb mit seinem Degen eine kreisformige Bewegung uber seinem Kopf. Sie mu?ten dicht beim Schoner sein, konnten aber wegen des Rauchs nichts sehen. Vorher hatte er die beiden Masten aus dem treibenden Qualm aufragen sehen und dankbar bemerkt, da? niemand auf den Gedanken gekommen war, einen Ausguck nach oben zu schicken. Die Manner im Boot wechselten unruhig ihre Haltung und beobachteten sein Gesicht. Ihre Augen waren rotgerandert vom Rauch, und von dem fettigen Ru? waren sie verdreckt und stanken.
        Herrick sah die an, die ihm am nachsten waren: Grant, ein altgedienter Geschutzmaat, der aus Canterbury, nicht weit entfernt von seiner eigenen Heimat, stammte. Nielsen, der blonde Dane, der einen Riemen mit Gwynne teilte, dem jungen Rekruten, den er auf der Eurotas angeworben hatte. Er kannte sie alle, wie auch die Manner in dem anderen Boot.
        Etwas Hohes und Dunkles ragte uber ihnen auf, und als sie unter dem langen Kluverbaum hindurchtrieben, verfingen sie sich beinahe in der Ankertrosse des Schoners. Er durfte keine Sekunde zogern.»Festmachen!«befahl Herrick scharf. Aufentern!»
        Dann kampfte er sich, von seinen Leuten geschoben und gesto?en, nach oben und uber das Schanzkleid, sah Gesichter uber sich und horte, wie plotzlich aus den gedampften Stimmen laute Schreie und Fluche wurden. Pistolen knallten, und ein Matrose fiel in das Boot zuruck und ri? einen anderen mit.
        Herrick sa? rittlings auf dem Schanzkleid und sah alles durch den treibenden Rauch: das schwere Geschutz, die zusatzlichen Taljen, die gebraucht wurden, um es auf dem schmalen Deck festzuhalten. Ein Mann sturzte sich mit einem Entermesser auf ihn, aber Herrick parierte mit seinem Degen und schleuderte es scheppernd ins Speigatt. Jetzt war er mit beiden Beinen an Bord und schlug dem Mann quer uber Gesicht und Hals, ehe er seinem Angriff ausweichen konnte.
        Sie waren in der Minderzahl. Aber mit unerbittlicher Entschlossenheit bildeten die Manner der Tempest einen Keil, das Schanzkleid im Rucken. Ihre Fu?e glitten bereits auf Blut aus, als sie mit dem Feind zusammenstie?en. Das Klirren von Stahl auf Stahl, die wilden Kampfschreie der Manner wurden vom Stohnen der Verletzten und Sterbenden begleitet.
        Von hinten war jetzt das dumpfe Aufschlagen eines zweiten Wurfankers zu horen, und Millers Leute schwarmten brullend und fluchend uber die Heckreling. Stahl gegen Stahl, aufgestaute Angst und Ha? brachen in einer Woge ungehemmter Mordlust aus. Manner walzten sich ubereinander, kampften mit Dolchen, Entermessern, Axten und allem anderen, womit man einen Gegner niedermachen konnte.
        Herrick parierte einen Degenhieb und erkannte, da? er dem bartigen Mann gegenuberstand, dem Bolitho unter der
        Parlamentarsflagge begegnet war. In der Nahe erschien er noch gro?er, aber Herrick hatte genug hingenommen.
        Er hatte niemals Zeit gehabt fur die eleganten Fechtkunste von Leuten wie Prideaux oder, wie er gehort hatte, Bolithos
        Bruder Hugh. Er war ein Kampfer und verlie? sich darauf,
        sich durch Kraft und Ausdauer durchzusetzen.
        Er fing den schweren Degen seines Gegners sechs Zoll uber dem Griff auf und zwang ihn herum, beide Klingen noch gekreuzt.
        Der bartige Riese schrie:»Verdammter Bastard, diesmal stirbst du!»
        Herrick nahm fluchtig eine Blutlache an Deck wahr und stie? sich mit seinem Degengriff mit aller Kraft ab. Er sah das grausame Triumphlacheln seines Gegners, der einen Schritt zuruckmachen konnte, um die volle Lange seiner Waffe einzusetzen. Doch das Lacheln verschwand plotzlich, als er mit dem Absatz in dem frischen Blut ausrutschte und eine einzige Sekunde das Gleichgewicht verlor. Herrick dachte unwillkurlich an die kleine Szene, die er durch das Teleskop beobachtet hatte. Der von Entsetzen gepackte franzosische Offizier, dem blitzschnell die Kehle durchschnitten worden war. Geschlachtet wie ein Schwein. Nein! Du stirbst!»
        Sein kurzer Kampfdegen fuhr quer uber den Leib seines Gegners, dicht uber dem Gurtel, und als dieser seine Waffe fallen lie? und beide Hande auf die klaffende Wunde pre?te, versetzte Herrick ihm einen kurzen, hackenden Schlag in den Hals.
        Wilder Jubel brandete auf, und Miller, das Beil rot in seiner schmutzigen Faust, rief gellend:»Sie gehort uns, Jungs!«Es war geschafft.
        Aus dem Jubel wurden Alarmrufe, als das Deck unter ihnen plotzlich heftig bebte und mehrere Leute wild um sich schlagend zwischen die Toten und Verwundeten sturzten. Herrick rief:»Das Riff! Sie haben die Trosse gekappt. «Wieder gab es einen schweren Sto?, und ein Teil des Gro?mastes sturzte krachend an Deck und erschlug Gwynne, dessen Mund vom Jubeln noch offen stand. Herrick winkte mit dem Degen.»Zuruck! In die Boote. «Er horte Wasser in die Luken gurgeln und das Krachen von losen Frachtstucken und Vorraten, die gegen die Schotten schlugen. Das Riff wurde mit dem Schoner kurzen Proze? machen, und mit jedem, der dumm genug war, an Bord zu bleiben.
        Die Matrosen halfen ihren Verwundeten, warfen die Waffen der Piraten uber Bord und stiegen wieder in ihre Boote. Halb wahnsinnig uber ihre unerwartete Niederlage, fielen einige der ubriggebliebenen Piraten uber andere her, die Herrick fur Franzosen von der Narval hielt, wahrend der Schoner mit jedem heftigen Uberholen noch hoher auf das Riff geworfen wurde.
        Um das Ma? voll zu machen, feuerte Millers Kutter die
        Drehbasse auf das Wrack ab.
        Herrick schrie ihm zu:»Zum Schiff! Rudert an!»
        Ihm stockte der Atem, als sich fast unter dem Bug der
        Barkasse eine breite, von Muscheln dicht bewachsene
        Schulter des Riffs aus dem Wasser hob. Er wartete auf den Zusammenprall, das einstromende Wasser, doch als das Boot dann klarkam, wandte er sich seinen Leuten zu. Der arme Gwynne. Ein Freiwilliger, aber nur fur so kurze Zeit. Er sah zu Nielsen, dem jungen Danen, hinuber, der hin und her schwankte, das Gesicht aschfarben vor qualenden Schmerzen. Er hatte sein Entermesser fallenlassen, und einer der Piraten hatte ihn mit dem Degen bedroht. Nielsen hatte die Klinge mit beiden Handen gepackt und auch noch dann festgehalten, als der Angreifer die rasiermesserscharfe Waffe durch seine Handflachen und Finger zuruckri?. Grant, der alte Geschutzmaat, zeigte in einem muden Grinsen seine tabakfleckigen Zahne.»Wir haben es geschafft, Sir. Einer weniger. «Er drehte sich zu dem Schoner um, der in einem Schauer Spruhwasser kenterte.»Jetzt kommt der nachste.»

«Aye. «Herrick blickte uber das Boot hinweg, teilte den Schmerz und den Stolz seiner Leute.»Gut gemacht. «Er dachte an Bolitho und das, was er sagen wurde. Es war erst der Anfang, aber sie hatten gezeigt, was sie leisten konnten.



        XVIII Das ist der Tag

        Bolitho bemuhte sich, vollig ruhig dazustehen, als Herrick nach achtern auf ihn zugeeilt kam. Die Ubelkeit kam und ging, und mehrmals hatte er geglaubt, er wurde zusammenbrechen. Dennoch war ihm klar bewu?t, was um ihn herum geschah, als konne er sehen, ohne selbst gesehen zu werden. Als ware er bereits tot.
        Selbst seine Stimme schien ihm aus weiter Ferne zu kommen.»Gott sei Dank, Sie sind in Sicherheit, Thomas. «Er sah zur Gangway hinuber, wo das Kommando des Bootsmanns den verwundeten und erschopften Seeleuten aus den Booten half.
        Herrick berichtete:»Sie haben sich sehr gut gehalten. Sobald der Rauch sich verzogen hat, werden Sie nichts als ein paar Sparren auf dem Riff sehen. Aber ich habe drei gute Leute verloren…«Er brach ab, weil er bemerkte, da? Lakey versuchte, ihm ein Zeichen zu geben. Doch erst, als er die Erschopfung und Wut des Kampfes uberwunden hatte, konnte er Bolitho genauer ansehen. Er sagte:»Ich - ich bedaure sehr, Sir. Ich dachte nur an mich selbst. «Er wu?te nicht, wie er fortfahren sollte.»Sie mussen nach unten, auf der Stelle. «Er bemerkte Bolithos entschlossenes Kinn. Wie bei einem Mann, der sich darauf vorbereitet, da? der Chirurg sein Messer ansetzt. Von der Back kamen laute Rufe. Uberrascht und verwirrt drehte Herrick sich danach um und sah ihre anderen Boote vom Ufer langsam naherkommen. Sie waren bis an die Grenze ihrer Tragfahigkeit mit Menschen beladen, hatten nur noch wenige Zoll Freibord, und uber den Riemen und den Dollborden hingen die Leute wie Getreidesacke.»Was hat das zu bedeuten?»
        Borlase erwiderte mit heiserer Stimme:»Straflinge. Er la?t sie rekrutieren.»

«Ja. «Bolitho ging langsam zur Reling, um zu beobachten, wie das erste Boot anlegte.
        Die Tropfen, die der Arzt ihm gegeben hatte, hatten ihm eine gewisse Erleichterung gebracht, und Alldays Brandy brannte ihm wie Feuer in der Kehle. Er mu?te ein paarmal blinzeln, um klar zu sehen, wie die Straflinge unbeholfen durch die Netze kletterten. Sie unterschieden sich nur wenig von seinen eigenen Leuten, fand er. Plotzlich packte ihn unwiderstehlich der Drang zu handeln. Er mu?te mit den Leuten sprechen, es ihnen sagen. Er sah Keen auf sich zukommen und wartete, um ihn zuerst sprechen zu lassen. Er mu?te mit jedem Atemzug sparsam umgehen. Bei jeder kleinen Anstrengung brach ihm am ganzen Korper der Schwei? in Stromen aus.
        Keen meldete:»Die Posten der Marinesoldaten glauben, da? der Schoner in der Nacht Spione an Land gesetzt hat, Sir. «Er blickte hilflos zu Herrick hinuber.»Sie sind nicht sicher, aber es ist moglich.»
        Bolitho wartete, bis der nachste Schwindelanfall voruber war.»Das habe ich befurchtet. Sie konnen sich stundenlang verstecken, tagelang. «Bitterkeit schlich sich in seine Stimme.»Sie werden unsere klagliche Tarnung bald durchschauen. «Er ging zur Reling und sah auf das Batteriedeck, die sich dort drangenden Gestalten hinunter. Herrick sagte schnell:»Uberlassen Sie das mir, Sir. Ich werde ihnen erklaren, was sie tun mussen.«»Nein. «Die Verzweiflung auf Herricks Gesicht bemerkte er nicht.»Ich verlange schon zu viel von ihnen, auch ohne da?… «Er schwankte und fugte hinzu:»Thomas, wenn der Feind unsere Schwache erkennt, sind wir erledigt. Sie schlagen uns in Stucke, wahrend wir vor Anker liegen. Wir mussen ihm auf offener See begegnen. Dazu brauchen wir Leute. Egal, woher.»
        Er sah zum Himmel hinauf, zu dem flatternden Wimpel hoch uber dem Deck.

«Wir haben we nig Zeit. Wenn ich mit diesen Leuten gesprochen habe, ziehen Sie die restlichen Posten von der Insel ab. «Er sprach langsam und sehr sorgfaltig.»Alle von diesen Leuten, die wieder an Land wollen, bringen Sie auf die Insel zuruck, ehe wir Anker lichten. Bei diesem Wind wird die Narval noch vor Mittag die Halbinsel runden. Bis dahin beabsichtige ich, in der besten Position zu sein, die ich erreichen kann.»
        Er drehte sich rasch um und hob die Stimme:»Horen Sie mich an, Sie alle! Eine franzosische Fregatte ist auf dem Weg hierher, um gegen die Tempest zu kampfen, und sehr wahrscheinlich wird sie durch ein weiteres Schiff unterstutzt. Mir fehlen Manner, jetzt noch mehr infolge der Verluste beim Kampf gegen den Schoner der Piraten. Sie haben keinen Grund, die Autoritat zu lieben, die Sie hierhergeschafft hat. Ich kann Ihnen auch nicht fest versprechen, da? ich Ihnen die Ruckfahrt nach England beschaffen kann, wenn Sie das wunschen. «Er wandte sich etwas der Sonne zu, damit sie glaubten, er schlie?e die Augen vor dem grellen Licht und nicht, um die aufsteigende Ubelkeit zu unterdrucken.»Aber Sie haben gesehen, was Tuke und seine Leute getan haben, und wissen, was sie noch tun werden, wenn sie dieses Schiff uberwaltigen. Ihre Unterstutzung mag vielleicht nicht mehr bewirken, als die Niederlage hinauszuzogern. Aber ohne Ihre Hilfe waren wir jetzt schon so gut wie tot.»
        Er machte eine Pause und konnte ihre widerstreitenden Gefuhle beinahe korperlich spuren.
        Dann rief eine Stimme:»Alles, was ich verbrochen habe, war, ein Schwein zu stehlen, Sir. Deswegen haben sie mich nach Botany Bay verbannt. Meine Familie war am Verhungern. Was konnte ein Mann da anderes tun?«Ein anderer rief voller Ha?: Meine Frau wurde von dieser Bestie Tuke abgeschlachtet, nachdem er und seine Teufel ihr Spiel mit ihr getrieben hatten. «Seine Stimme uberschlug sich.»England hat mir nichts mehr zu bieten, Cap'n. Aber bei Gott, das schwore ich Ihnen, ich werde fur Sie kampfen, wenn Sie mir sagen, was ich tun soll. «Auf dem Geschutzdeck brach ein wilder Tumult aus. Matrosen und Marinesoldaten sahen gebannt zu, wie sich bei den Straflingen Parteien bildeten, die wutend argumentierten.
        Bolitho sagte schwerfallig:»Es hat nicht geklappt, Thomas. Und ehrlich gesagt, ich kann den Leuten keinen Vorwurf machen.»
        Herrick befahl erbittert:»Halten Sie die Boote bereit, Mr. Keen. Mr. Fitzmaurice, geben Sie das letzte Signal an die Siedlung.»
        Sie drehten sich wieder um, als ein Mann laut alle ubertonte:»Wir wissen, was Sie fur uns getan haben, Cap'n, und was Sie versucht haben. Wenn man nichts als Tritte und Fluche kennt, lernt man schnell erkennen, wer einem wohl will. Ja, Cap'n, ich werde fur Sie kampfen, und wenn ich morgen zur Holle fahre.»
        Ein paar Stimmen schrien noch protestierend, setzten sich aber nicht durch gegen die Welle zustimmenden Jubels, den selbst Jury mit seiner drohnenden Stimme nicht unterdrucken konnte.
        Als der Larm langsam verklang, sagte Bolitho ruhig:»Stellt sie an die Geschutze und die Brassen. Ihre Krafte und unser Konnen sind alles, was wir haben. Wir mussen beides gut nutzen. «Heftig wurgend wandte er sich ab.»Fangen Sie schon an, Thomas«, drangte er.
        Herrick ri? sich zusammen.»Bemannt die Boote!«Einige Straflinge kletterten sofort hinab, ironische Zurufe ihrer
        Gefahrten begleiteten sie.»Mr. Keen, das ist die letzte Fahrt.
        Machen Sie so schnell Sie konnen.»
        Er sah die kleinen roten Figuren auf der zerstorten Pier. Eine humpelte auf Krucken. Kranke und Verwundete, Straflinge,
        jeder, der noch Luft schnappen konnte, wurde heute gebraucht.
        Bolitho ruhrte sich nicht von der Stelle und sagte kein Wort, bis auch die letzten Boote langsseit gekommen und die letzten Marinesoldaten eingeschifft waren. Er hatte damit gerechnet, auch Raymond an Bord kommen zu sehen, obwohl er keinen Grund dafur finden konnte. Aber offenbar hatte dieser die Absicht, bis zum Ende in seiner kummerlichen Verteidigungsposition auszuharren. Um bei einem Sieg das Verdienst fur sich zu beanspruchen oder, was wahrscheinlicher war, wieder mit dem Angreifer um sein Leben zu feilschen.
        Er sah Herrick an der Querreling warten. Sein Gesicht verriet seine Besorgnis.

«Werfen Sie hier eine Boje aus, und lassen Sie samtliche Boote au?er der Barkasse daran festmachen, bitte. «Herrick verstand.»Aye, Sir. «Heute war ein Tag, an dem sie keine Boote brauchen wurden, und wenn alles fehlschlug, konnten sie Hardacre und einigen anderen zur Flucht verhelfen.

«Sehr gut. «Bolitho sah sich auf dem uberfullten Achterdeck um.»Wir lichten sofort Anker. Lassen Sie das Ankerspill bemannen. «Er nickte Lakey zu.»Legen Sie einen Kurs fest, der uns so dicht wie moglich an der Landzunge und den Riffen vorbeifuhrt.»
        Er drehte sich um und sah Midshipman Romney darauf warten, Fitzmaurice beizustehen.

«Hissen Sie die Flagge und sagen Sie Sergeant Quare, er soll aufspielen lassen.»
        Wahrend die Tempest wieder einmal den Anker einholte und sich widerstrebend vor den Wind legte, tauchten unter den Baumen am Strand zogernd Gestalten auf und kamen dann zum Wasser gelaufen, um das Schauspiel anzusehen. Sie sahen, wie sich die Segel unter den gro?en Rahen entfalteten, die winzigen Figuren, die dichtgedrangt wie
        Affchen uber das Deck huschten, sahen den zunehmenden Gischt unter der vergoldeten Galionsfigur, und wenn die meisten auch nicht verstanden, was hier vor sich ging, waren viele bei dem Anblick tief bewegt.
        Der junge Hauptling Tinah stand neben Hardacres massiger Gestalt und hob eine Hand zum Ohr, als er, zunachst nur dunn, dann kraftiger, die Tone einer Melodie vernahm. Fragend sah er den gro?en Mann an seiner Seite an. Hardacre sagte ergriffen:»Das ist die >Portsmouth Lass<. Ich hatte nie geglaubt, es hier drau?en auf den Inseln zu horen. «Hardacre, der die Wahrzeichen der Autoritat und der sich ausbreitenden Macht eines Landes, das er fast vergessen hatte, ha?te, der nur Sicherheit und Frieden bei den Menschen gesucht hatte, die gelernt hatten, ihm zu vertrauen, war unfahig, seine Stimme zu beherrschen, als er hinzufugte:»Gott schutze sie. Manner wie sie werden wir nie wiedersehen.»
        Sobald die Tempest den Schutz des Landes hinter sich gelassen hatte, legte sich der Nordwest in ihre Segel und hielt das Schiff stark krangend auf Steuerbordbug. Ostnordost, Sir. Kurs liegt an!»
        Bolitho nickte und ging uber das schrage Deck zur Luvseite. Das anschwellende Rauschen von Tauwerk und Leinwand, das Klappern der Blocke und das Zischen der See verschmolz in seinem Bewu?tsein zu einem einzigen gro?en Getose. Er spurte, wie das Deck vom Wind vibrierte, und wenn er uber die Zwolfpfunder an Backbord spahte, sah er sie an straffen Taljen hangen, wenn das Schiff unter dem Druck starker und starker krangte.
        Gischt spruhte uber die ausgespannten Netze und traf stechend sein Gesicht, aber er zuckte kaum mit den Wimpern. Er sah Gesichter, die er nicht kannte, die zu den verschiedenen Stationen des Schiffes dirigiert wurden; manche blickten zu ihm auf, als sie an ihm vorbeihasteten. Er sah sie nicht mehr als Straflinge, sondern fragte sich, was sie fruher einmal gewesen sein mochten. Wieder fand er sie seinen Leuten sehr ahnlich: unter Zwang aus der Heimat geflohen oder durch unerfullbare Traume zur See gelockt. Wenn ihr Geschick eine andere Wendung genommen hatte, hatte auch jeder der Haftlinge auf einem Schiff des Konigs enden konnen, sei es durch die unbeteiligte Harte eines Pre?kommandos oder einen Zwang zur Flucht wie bei Jenner oder Starling.»Noch einen Brandy, Captain?»
        Bolitho drehte sich um, klammerte sich fest an das Netz und bemerkte Allday.

«Spater. «Er zwang sich zu einem Lacheln.»Ich komme sonst zu sehr in Fahrt.»
        Allday erwiderte das Lacheln nicht.»Gott helfe mir, Captain, aber ich wei? nicht, was ich tun soll. Ich kann Sie nicht aufhalten, und helfen kann ich Ihnen auch nicht. «Bolitho griff nach seinem Arm.»Sie helfen mir aber. Wie immer. «Im Augenblick sah er Alldays Gesicht nur verschwommen, wie durch einen Nebel.»Schon durch Ihre Gegenwart.»

«An Deck! Segel querab an Backbord. «Herrick fluchte.»Verdammt, sie haben die Luvposition. «Bolitho winkte Romney und nahm das Teleskop entgegen. Sein Herz schlug wie ein Schmiedehammer, und er brauchte Zeit und Muhe, um das Glas ruhig zu halten. Er sah die verschwommenen Umrisse der Halbinsel, die schnell zuruckblieb. Ihre Silhouette wurde durch die wilden Grundseen uber dem Riff noch mehr verwischt. Da war sie. So wie er sich an sie erinnerte, sturmte sie vor dem Wind auf ihn zu, bis auf die Royals alle Segel gesetzt. Ihr Vorschiff verschwand wieder und wieder hinter hohen Wellen, und er konnte sich vorstellen, wie die See uber ihre Geschutze brach.
        Er horte Lakey sagen:»Schade, da? der Wind nicht umspringt und den Schuft entmastet. «Bolitho achtete nicht auf die Stimmen um ihn herum, sondern konzentrierte sich auf ein schmales Segel, das beinahe im Kielwasser der franzosischen Fregatte auftauchte: der zweite Schoner. Er senkte das Glas und bi? sich auf die Lippe, um seine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Viola hatte ihm von diesem Schoner berichtet, als sie Tukes Gefangene gewesen war. Wahrscheinlich hatte auch er eines der schweren Geschutze an Bord. Einige mochten auch auf der Narval montiert worden sein.
        Er zog sich uber die gischtnassen Planken am Schanzkleid bis zur Querreling uber den nachsten Zwolfpfundern vor. Borlase und Swift patrouillierten dort unter ihm, und er rief ihnen zu:»Ich wunsche doppelte Ladung in den Kanonen. «Er hob die Hand, um Borlases Protest abzuwehren.»Nach der ersten Breitseite haben wir dazu keine Zeit mehr. Dann steht Geschutz gegen Geschutz. «Er spurte, da? seine Lippen sich zu einem Grinsen verzogen.»Was meint ihr, Jungs? Denen wollen wir gleich richtig einheizen. «Irgendeiner rief Hurra, und er sah Blissett, dessen Korporalswinkel sich deutlich von seiner roten Uniform abhob, mit seinem Hut winken.
        Im Gro?topp kauerte der Marinesoldat Billyboy, uberprufte seine lange Muskete und brachte dann sein verwundetes Bein in eine andere Stellung.
        Der Maat hinter ihm fragte mi?mutig:»Was haltst du davon?»
        Billyboy zuckte mit den Schultern.»Zwei gegen einen. Hab' schon Schlimmeres mitgemacht. Auf jeden Fall bin ich lieber hier als auf einer dieser verdammten Inseln. «Der Maat blickte am Mast empor, der unter dem Druck seiner Spieren und Stage bebte. Er dachte an den Mann, dessen Posten er ubernommen hatte. Eine Kugel hatte ihn zu einer blutigen Masse zermalmt.
        Bolitho sagte:»Klar zum Segelbergen, Mr. Herrick. Wir nehmen gleich die Bramsegel weg. «Er hatte das andere Schiff vor Augen, das ihnen vor dem Wind entgegenflog. Tuke mu?te versuchen, sie ins Gefecht zu verwickeln, so lange der Wind so gunstig fur ihn stand. Die Tempest dagegen wurde durch ihren schwereren Bau an Geschwindigkeit verlieren, wenn sie uber Stag ging. Das war nur vorubergehend von Vorteil. An Beweglichkeit konnte sie mit dem franzosischen Schiff nie mithalten. Er wu?te, da? Herrick das gleiche dachte. Herrick hob sein Sprachrohr:»Aufentern! Bramsegel bergen!»
        Romney spahte zu den angebra?ten Rahen auf. Heute war die Arbeit da oben nicht leicht. Der Wind pre?te gegen die geblahten Segel, drohte, die Matrosen um ihren Halt zu bringen.
        Bolitho spurte, wie sich das Deck unter seinen Fu?en aufrichtete, als die Segel muhsam eingeholt und festgelascht wurden.
        Er wandte sich wieder der Narval zu. Sie war jetzt schon viel naher, kaum mehr als eine Meile entfernt. Er sah eine Rauchwolke auf der Fregatte aufsteigen und zuckte unwillkurlich, als ein Gescho? uber sie hinwegjaulte und auf der entgegengesetzten Seite eine Gischtfontane aufwirbelte.»Sie mussen einen der Vierundzwanzigpfunder der Eurotas als Buggeschutz montiert haben«, sagte Keen. Niemand antwortete ihm.
        Bolitho konzentrierte sich auf das andere Schiff, erwartete, da? es seinem Beispiel folgen und gleichfalls Segel kurzen wurde. Auf seinen oberen Rahen war Bewegung zu erkennen, aber nicht genug, um den ungestumen Ansturm abzubremsen. Wenn Tuke einen plotzlichen Kurswechsel versuchen sollte, um der Tempest zu folgen oder sie aus einer ganz neuen Richtung anzugreifen, wurde er, wie Lakey bemerkt hatte, das Schiff entmasten.

«Klar zum Wenden!«Bolitho mu?te durch die hohlen Hande schreien, um das Heulen des Windes zu ubertonen.»Mr. Borlase, ist die Steuerbordbatterie feuerbereit?«Er sah ihn nicken, zweifellos verwirrt durch die Tatsache, da? der Feind sich auf der entgegengesetzten Seite befand. Bolitho fugte hinzu:»Dann melden Sie mir das in Zukunft. Ich bin kein Hellseher.»
        Er ging zu den Netzen zuruck, rang um Luft, war wutend auf sich selbst, weil er seine Krafte vergeudete, und auf
        Borlase, weil er so schwerfallig war.
        Herrick blickte uber das schragliegende Deck, die Augen sehr klar im hellen Licht. Fertig, Sir«, meldete er. Er sah
        uberrascht auf, als eine Kugel zwischen Gro?mast und
        Besan hindurchfuhr, ohne auch nur ein Fall zu streifen. Er hatte nicht einmal den Abschu? gehort.
        Bolitho sah sich schnell nach dem Ruder und der Gruppe
        Manner um, die dort bereitstand. Keen war bei den
        Bedienungen der Achterdeckgeschutze, und die Marinesoldaten befanden sich in Stellung hinter ihm, ihre Musketen lagen schon schu?bereit auf den fest zusammengerollten Hangematten.
        Er wandte sich dem Vorschiff zu und sah die neuen Leute an den Brassen, ihre grimmigen Gesichter; mancher von ihnen fragte sich zweifellos, ob ihr spontaner Heroismus das Ganze wohl wert war.
        Die alteren Seeleute warteten darauf, die Vorsegelschoten loszuwerfen, damit die Tempest unbehindert durch den Wind gehen konnte, und in ihrer Nahe sah er Pyper und die Bedienungen der beiden Karronaden auf ihre Chance warten, die morderischen Ladungen in das Heck des Feindes zu feuern.»Rhe!»
        Langsam und gerauschvoll begann die Tempest in den Wind zu drehen, wahrend Wanten, Stage und Spieren unter dem Ansturm vibrierten. Er sah die Manner an den Brassen hieven, einer verlor den Halt und fiel, nur um von Schultz, dem Bootsmannsmaaten, hochgehetzt und angetrieben zu werden.
        Weiter und weiter drehte sich das schwankende Panorama brechender Wellen und glasiger Troge vor dem Kluverbaum, wahrend jeder Fetzen Leinwand lautstark protestierte.
        Und dort, wie ein bisher ungesehenes Fahrzeug, wuchs die Narval jetzt an Steuerbord empor, die Pyramide ihrer Segel leuchtend wei? in der strahlenden Sonne. Bolitho sah die Schatten auf ihrer Fock und den Vorsegeln sich vertiefen und erkannte, da? sie Kurs andern wollte. Doch dann fullten sich die Segel wieder, als Tuke vermutlich begriff, da? es unmoglich war, dem Manover seines Gegners zu folgen.
        Bolitho ignorierte das Durcheinander an Deck, das Jaulen der Blocke und das betaubende Knarren der Spieren, als die Rahen herumgeholt wurden, um die Tempest auf den neuen Bug zu bringen. Er beobachtete angespannt, wie das andere Schiff ihm in spitzem Winkel entgegenstrebte. Die Entfernung betrug noch gut eine Meile, dennoch sah es vom
        Achterdeck so aus, als wurden sich beide Bugspriets wie Sto?zahne ineinander verfangen.»Feuer frei, Mr. Borlase.»
        Borlase durchschnitt mit seinem Degen die Luft. »Feuer!«Mit doppelter Ladung krachten die Steuerbordgeschutze in einer ungeheuren Breitseite, die Lafetten wurden zuruckgeschleudert, und dichter Qualm drang als erstickende Wolke aus den Geschutzpforten. Uber dem verklingenden Widerhall der Breitseite horte Bolitho einen gra?lichen Schrei und sah, wie in der Nahe von Borlase Blut uber das Deck spritzte. Einer der Straflinge hatte im Augenblick des Rucksto?es seinen Platz gewechselt und war von dem zuruckgeschleuderten Geschutz gegen die Brust getroffen worden.
        Borlase ri? seinen Blick von dem Blut los, das auf seine Beine gespritzt war, und brullte:»Auswischen! Nachladen!«Seine Stimme klang so schrill wie die einer verangstigten Frau. Angestrengt spahte er durch den wirbelnden Pulverqualm.
        Bolitho sah von der franzosischen Fregatte Rauch aufsteigen, als sie zuruckscho?. Eisen hammerte in den unteren Rumpf, und er vernahm das Jaulen der Geschosse, die uber das Deck hinwegflogen. Der plotzliche Richtungswechsel der Tempest hatte die Zielsicherheit des Gegners beeintrachtigt.
        Der Qualm wurde dunner und verzog sich mit dem Wind, und Bolitho atmete tief ein, als er den Feind wieder erblickte. Seine Segel waren an vielen Stellen durchlochert, und mindestens zwei Stuckpforten blieben leer. Herrick rief anfeuernd:»Gut gemacht, Jungs!«»Ein zweites Mal werden wir den aber nicht uberraschen«, konstatierte Prideaux.
        Bolitho ging zum Kompa?, achtete nicht auf die vom Pulverdampf fleckigen Gesichter der Manner, die ihn beobachteten. Beim Kompa? kontrollierte er den Stand der Segel, die Position des anderen Schiffes, das vor dem Wind lief, wahrend Matrosen auf den Rahen Segel kurzten. Er versuchte, seine Ubelkeit zu unterdrucken, aber sie zehrte an ihm, zog ihn mit unerbittlicher Harte hinab.
        Plotzlich war ihm alles ganz klar: Er wurde sterben. Heute,
        auf diesem Deck. Es war nur eine Frage der Zeit.
        Er wischte sich den Schwei? aus den Augen und blickte auf den Kompa?: Sudwest. Und vor dem Bug uberlappten sich zwei Inseln, verschwammen im Dunst, lockten wie in einem
        Traum.

«Lassen Sie um zwei Strich abfallen, Mr. Lakey. Wir folgen der Narval bei der Drehung.«»Sudsudwest liegt an, Sir!»
        Wieder drohnendes Kanonenfeuer, und die Manner duckten sich uberascht, als die nachste Breitseite der Narval uber das Wasser fegte. Diesmal hatte sie einen anderen Klang: Kettenkugeln, welche die Takelage der Tempest zerfetzen sollten.
        Die Netze uber dem Batteriedeck bogen sich durch und schnellten zuruck unter dem Aufschlag von Takelageteilen, Blocken und einem Mann, der beide Beine verloren hatte und dennoch versuchte, sich in Sicherheit zu bringen.»Feuer!»
        Die Tempest bockte heftig, die Geschutze spieen ihre langen, orangegelben Zungen aus, grell und todlich in dem erstickenden Rauch.
        Die Fregatten trennte jetzt kaum eine halbe Meile, der Bugspriet der Tempest war auf gleicher Hohe mit dem Gro?mast der Narval. Wieder und wieder donnerten die Kanonen uber das Wasser, glimmende Ladepfropfen und die Spuren des Luftdrucks auf dem Wasser kennzeichneten die Gescho?bahnen.
        Fock und Gro?segel der Tempest waren an mehreren Stellen durchlochert, und uber den schwitzenden Geschutzbedienungen flatterte abgerissenes Tauwerk im Wind, doch nur wenige Manner konnten fur Reparaturen abgestellt werden.
        Ein starker Feuerschein blitzte in der Kampanje der Tempest auf, als explodiere ein Magazin tief unten im Rumpf. Bolitho glitt aus und fiel, als Planken splitterten, Geschutze umsturzten und Menschen und Gliedma?en auf ihn geschleudert wurden. Stimmen riefen und schrieen. Als er sich muhsam wieder aufgerichtet hatte, sah er, da? das gro?e
        Rad halb zerschmettert war, der Steuermannsmaat und die Rudergasten wie blutige Fetzen darum verstreut lagen. Lakey war unverletzt geblieben, obwohl er nur wenige Zoll davon entfernt gestanden hatte. Wahrend andere herbeieilten, um ihm zu helfen, rief er:»Der Schoner! Der Schuft hat uns einen Treffer ins Heck gesetzt.
«Herrick deutete auf den Rauch, der durch das zerschlagene Skylight und den Niedergang aufstieg.»Das mu? eine Doppelladung mit Schrappnell gewesen sein. «Er rannte nach achtern, als Jury, dessen Beine und Schuhe blutbespritzt waren, ausrief:»Das Ruder ist ausgefallen!«Er hatte nur zu recht. Steuerlos fiel die Tempest bereits ab und bot der anderen Fregatte das verwundbare Heck dar. Weitere Geschosse schlugen in den Rumpf, andere schleuderten Fontanen Spruhwasser hoch. Bolitho rief:»Wir brauchen ein Ersatzruder!«Er wandte sich ab, wieder von Ubelkeit gepackt, als ein Gescho? durch eine Stuckpforte fuhr und dem dahinterkauernden Geschutzfuhrer den Kopf abri?, wahrend der Korper fur einige grausige Sekunden aufgerichtet blieb. Herrick rief Bolitho zu:»Was sollen wir tun, Sir?«Bolitho blinzelte durch den Rauch und beobachtete, wie die Rahen der Narval herumschwangen. Sie stellte das Feuer ein, wahrend sie scharf drehte, um die Verfolgung aufzunehmen. Er sah den Schoner auf der anderen Seite naherkommen und wieder mit seinem Beutegeschutz feuern. Das Gescho? schlug durch die Takelage und knickte die
Gro?marsrah wie ein Streichholz. Die gro?e Spiere sturzte mit dem ganzen Gewicht ihres laufenden Guts und des Segels durch den Qualm aufs Batteriedeck und zerfetzte im Fallen das Marssegel zu flatternden Streifen. Die durch Trummer festgeklemmten und eingefangenen Manner schrien vor Entsetzen, suchten nach Freunden oder bemuhten sich, ihre Geschutze wieder zu klarieren und auf den Feind zu richten.
        Swift, psychisch und physisch von Grauen geschuttelt, starrte Borlase an, der von der sturzenden Rah getroffen und zerschmettert worden war, obwohl sein einer Arm noch krampfhaft zuckte. Noch wahrend Swift dagegen ankampfte, davonzurennen und sich zu verstecken, bemerkte er etwas Helles an Backbord und schrie verzweifelt: Der Schoner! Achtung!«Er hob den Arm und sah verwundert, da? er zwei Finger verloren, aber nichts davon gespurt hatte.»Feuer!«Eine regellose, schlecht gezielte Breitseite scho? aus der Tempest, wo nur weniger als die Halfte der Zwolfpfunder noch feuerbereit war.
        Der Vormast des Schoners schwankte mit schlagenden Segeln, glitt in den Rauch hinab, ri? das Schiff herum und machte es hilflos.
        Bolitho sah das und vieles andere, obwohl Gesichter und Ereignisse in seinem Kopf irgendwie durcheinanderflossen. Der Schoner war au?er Gefecht. Wenn er nicht eingegriffen hatte, ware es moglich gewesen, Bord an Bord zu kampfen. Aber jetzt… Er starrte auf das Chaos, die kampfenden Gestalten, die verzweifelt versuchten, das Deck von Trummern zu klarieren. Uberall lagen Tote und Sterbende, und am Vormast rann Blut herunter, von der zerfetzten Leiche eines Matrosen, die sich hoch oben verfangen hatte und im Wind schwankte.

«Hat keinen Zweck, Sir. «Lakeys hageres Gesicht schwamm in sein Blickfeld.»Wir schaffen es nie, das Ruder zu reparieren, ehe der Schuft uns einholt. «Bolitho sah Herrick an.»Wissen Sie noch, was Sie immer von diesem Schiff gesagt haben?«Er zog seinen Degen und schlang sich die Halteschleife ums Handgelenk.»Aye. «Fasziniert und entsetzt sah Herrick ihn an.»Da? sie stark genug ist, den schwersten Beschu? auszuhalten. Sie hat noch keinen Tropfen Wasser genommen, trotz…«Er duckte sich, als wieder Geschosse durch die Netze fuhren. Bolitho nickte zahneknirschend. Der Anblick der Manner in seiner Nahe, von Midshipman Fitzmaurice, der auf der Seite lag und mit aufgerissenen Augen auf das Blut starrte, das aus ihm sickerte und sich um ihn auf den Planken ausbreitete, hatte ihn zu einer Entscheidung gebracht. Befehlen Sie den Leuten, nachzuladen und abzuwarten. «Er schuttelte Herrick am Arm.»Das ist unsere einzige Chance. Die Narval kann sich hinter uns legen und uns in Stucke schie?en. Ohne Ruder kann ich nichts dagegen tun.
        Bewaffnen Sie die Leute. Machen Sie sich fertig!«Herrick starrte ihn an, sah die Qual und die fiebrige Wildheit in seinen Augen. Aber er konnte ihn nicht zuruckhalten. Er wandte sich an Allday.»Bleiben Sie bei ihm. «Dann schien Stille das treibende Schiff zu umfangen, dessen zerfetzte Segel wirkungslos schlugen, nachdem das erbarmungslose Bombardement von achtern aufgehort hatte. An seiner Stelle wehte vom Feind Gebrull heruber, das nach und nach die Schmerzensschreie der Verwundeten und Sterbenden ubertonte, bis es zu einem lauten und wilden Triumphgeheul anschwoll.
        Ohne sich ihrer eigenen Starke oder Zahl bewu?t zu werden, kauerte oder lag die Besatzung der Tempest unter den Trummern oder verbarg sich neben den Geschutzen, die vom Feuern noch hei? waren. Jetzt kam es auf Piken und Entermesser, Axte und Belegnagel an. Die Manner, vom Kanonendonner betaubt, fast von Sinnen durch das Grauen ringsum, starrten auf die wuchtigen Bohlen nieder, die sie beschutzt hatten, und warteten darauf, da? der Alptraum ein Ende nehme.
        Noch hammerten vereinzelt Musketen, und Bolitho konnte Billyboy laut fluchen horen, der wieder und wieder auf den Feind scho?. An seiner Stimme erkannte er, da? der Marinesoldat schwer verwundet war, vielleicht im Sterben lag und dennoch weiterscho?.
        Langsam, dann mit erschreckender Plotzlichkeit, wuchsen Segel und Rahen der Narval an Steuerbord empor. Bolitho stand an der Reling, den Degen vom Handgelenk baumelnd. Der Schrecken war noch nicht zu Ende. Er sah, wie sich der Kluverbaum des anderen Schiffs hoch uber ihre Netze schob, uber die Trummer der Rah und die Leichenhaufen. Am Bugspriet baumelte, den Bewegungen des Schiffes folgend, als lebe er noch, der abgetrennte Kopf von de Barras.
        Bolitho spurte, wie neue Energie ihn durchlief. Er schrie gellend:»Feuer frei!»
        Wie Ratten aus ihren Lochern hetzten seine rauchgeschwarzten Matrosen aus ihren Verstecken, und in der von Einschlagen zernarbten Bordwand der Tempest feuerte jedes Geschutz, das noch ein Ziel finden konnte, mit ohrenbetaubendem Crescendo. Der Larm wurde noch gesteigert durch die doppelten Ladungen und die Nahe der beiden Schiffe.
        Das Deck unter seinen Fu?en baumte sich auf, als der Kluverbaum der Narval die Wanten des Vormasts durchstie?. Der knirschende Zusammenprall beider Rumpfe wurde ubertont vom schrecklichen Schreien jener, die von der morderischen Breitseite getroffen worden waren.»Enterkommando vorwarts!»
        Brullend und jubelnd wie Wahnsinnige, hackten sich die Reste seiner Besatzung den Weg auf das andere Schiff hinuber frei. Manche fielen, noch ehe sie einen Halt gefunden hatten, andere klammerten sich fest und wurden zwischen den beiden Schiffsrumpfen zermalmt. Bolitho fand sich auf der Gangway der Narval wieder, wahrend auf allen Seiten Stahl klirrte. Er glitt auf einer frischen Blutlache aus und wu?te, da? nur Allday ihn davor bewahrt hatte, uber Bord zu sturzen.
        Marinesoldaten rannten an ihm vorbei, gefuhrt von Prideaux.
        Sergeant Quare schwenkte seine Muskete.»Auf sie, Leute!«Dann traf ihn eine Kartatschenladung voll in Brust und Leib und zerfetzte ihn.
        Blissett sah die Seesoldaten zogern. Wie versteinert starrten sie auf Quares Leiche. Er brullte:»Vorwarts!«Wahnsinn, Begeisterung und Trauer um Quare erfullten ihn fur eine kurze Sekunde, dann war er mitten unter den Verteidigern der Back, sein Bajonett stie? zu, und seine Kameraden schlossen sich um ihn zu einem festen, unerbittlichen Sto?keil zusammen.
        Bolitho erreichte das Achterdeck der Fregatte. Sein Kopf war wieder klar, als er sein eigenes Schiff durch den treibenden Qualm erblickte.
        Rings um ihn schwankten und taumelten Manner, fochten mit Entermessern oder Fausten oder mit was sonst sie fanden. Er sah Miller sich mit dem Beil einen Weg nach achtern bahnen, sah ihn plotzlich fallen, von einer Pike durchbohrt, und seinen Morder gleich darauf uber ihn sturzen, als ein britischer Matrose ihn niedermachte. Und dann sah er Mathias Tuke. Mit gespreizten Beinen stand er uber zwei sterbenden Seeleuten, neben dem verlassenen Steuerrad. Es verwirrte Bolitho, da? er keine Uberraschung empfand. Tuke war genauso, wie er ihn sich vorgestellt, wie Viola ihn geschildert hatte. Jetzt starrte Tuke ihm schweratmend entgegen, die rechte Faust hellrot von Blut, das von seinem Degen rann, die Augen flammend vor Ha?.
        Rauh stie? er hervor:»Sieh da, Captain, endlich begegnen wir uns. Hat sie Ihnen erzahlt, wie ich ihre weiche Haut gebrandmarkt habe?«In dem dichten Bart offnete sich sein Mund zu einem obszonen Loch, und er lachte mit zuruckgeworfenem Kopf, hielt den Blick aber scharf auf Bolitho gerichtet.
        Von der anderen Seite des Decks beobachtete Herrick alles, selbst als er einen schreienden Piraten niederschlug und auf seine Gruppe wartete, die ihre Stellung uber dem Batteriedeck sichern sollte.
        Die beiden gegnerischen Mannschaften hatten sich in zwei Gruppen gespalten, dann in kleine Trupps, und jetzt in Einzelkampfer, die sich noch verteidigten oder angriffen. Herrick sah, wie Bolitho auf Tuke losging, wie die beiden einander mit erhobenen Klingen vorsichtig umkreisten, konnte ihre Spannung fuhlen.
        Er rief laut:»Holt die Flagge nieder! Mir nach!«Degenschwingend griff Herrick an.
        Bolitho bemerkte nichts von alledem, er sah nur Tuke. Und dieser schien zu wachsen, gro?er und gewaltiger zu werden, sich immer mehr in schwarzen Nebel zu hullen. Tuke holte tief Luft, offenbar uberrascht von Bolithos mangelnder Reaktion. Dann brullte er auf:»Da!«Und stie? mit wildem Schrei zu.
        Bolitho sah die Klinge auf sich zukommen und wu?te, da? er sie nicht abwehren konnte. Die Kraft hatte seinen Arm verlassen, das Deck schwankte unter ihm, er taumelte und brach in die Knie. Weiter vorn horte er Manner jubeln und wu?te, da? die Flagge, die dort geschwenkt und dann uber Bord geworfen wurde, die des Feindes war. Aber er konnte nichts spuren oder tun.
        In seinem Blickfeld erschien ein wei?gekleidetes Bein, und er horte Allday erstickt keuchen:»Weg von ihm!«Dann klirrte Stahl.»Weg, sag' ich!«Weiteres Klirren, und Bolitho begriff, da? Allday Tuke zurucktrieb. Allday fuhrte sein Entermesser wie einen Beidhander, etwas, das Bolitho nie zuvor gesehen hatte. Er wollte ihn zuruckrufen, seinen wutenden Angriff aufhalten, ehe er niedergestochen wurde. Allday war fast von Sinnen vor Wut und Gram, blind und taub gegenuber einer Schulterverletzung und allem anderen au?er dem Hunen, den er vor sich hatte. Zwischen den Schlagen keuchte er:»Du verfluchter, raudiger, feiger Schuft!«Er sah, da? Tuke zum erstenmal Furcht verriet, und schmetterte das schwere Entermesser mit aller Kraft gegen Tukes Degen, worauf dieser die Balance verlor und sturzte. Alldays Schatten fiel uber Tukes Kopf und Hals, wahrend er aufschluchzte:»Ich wunschte bei Gott, es ginge bei dir nicht so schnell!«Das Entermesser hieb einmal, dann ein zweites Mal zu.
        Als Herrick und andere hinzusturzten, um ihn zuruckzurei?en, schleuderte Allday sein Entermesser uber die Netze und eilte zu Bolitho.
        Bolitho packte seinen Arm, wollte ihn vor allem beruhigen. Aber er zitterte heftig und konnte kaum flustern. Allday sagte eindringlich:»Sie werden wieder gesund, Captain. «Trostsuchend sah er zu Herrick auf.»Nicht wahr,
        Sir?»
        Herrick erwiderte:»Helfen Sie ihm auf. Wir mussen ihn auf die Tempest bringen. «Er sah Keen auf sich zukommen.»Ubernehmen Sie hier das Kommando. «Von Herrick und Allday halb getragen, kehrte Bolitho auf sein Schiff zuruck.
        Der Jubel war verstummt, und wahrend seine Leute auseinandertraten, um Bolitho durchzulassen, sahen sie ihn aus erschopften Augen fragend an.
        Bolitho erkannte den zerschlagenen Niedergang und wu?te, da? er die Tempest irgendwie erreicht hatte. Aber die Kajute, wo er seine letzte gro?e Schwache vor den Leuten verbergen konnte, schien noch meilenweit entfernt.
        Er horte sich murmeln:»Kummern Sie sich um die Leute,
        Thomas. Anschlie?end werden wir…»
        Herrick sah ihn verzweifelt an, wahrend der Schiffsarzt, die gro?e Schurze blutgetrankt, auf sie zugeeilt kam.

«Anschlie?end, Sir, fahren wir nach Hause.»
        Gwyther sah zu, wie Allday den Kapitan auf seine Koje sinken lie?.»Er hort Sie nicht, Mr. Herrick. «Er kniete nieder und loste Bolithos Halsbinde.
        Allday sah Herrick an.»Gehen Sie, Sir. Das ist auch in seinem Sinne. Sie haben jetzt die Verantwortung. Ich sage
        Ihnen Bescheid, wenn es dem Captain besser geht.»
        Das sagte er so eindringlich, da? Herrick nur entgegnen konnte:»Darauf verlasse ich mich.»
        Oben setzte schlie?lich doch der Jubel ein, als die beiden treibenden Schiffe unter Kontrolle gebracht worden waren und Manner, die schon mit dem Tod gerechnet hatten, sich daruber klar wurden, da? sie einen Sieg errungen hatten.
        Doch Herrick, der in dem Rechteck von Sonnenlicht unter dem Niedergang stehenblieb, konnte diesen Jubel nicht teilen und empfand nur Trauer und Fassungslosigkeit.
        Gwyther sagte:»Da kann ich wenig tun.»
        Er wurde gleichzeitig an einem Dutzend anderer Orte benotigt und hatte bereits mehr Manner operiert, als er in so kurzer Zeit fur moglich gehalten hatte. Dennoch konnte er sich nicht von der Stelle ruhren, sondern wurde durch
        Alldays schlichten Glauben festgehalten.
        Leise fugte er hinzu:»Wir konnen nur warten und hoffen.
        Kein anderer Mann in seinem Zustand hatte das tun sollen,
        was er heute getan hat.»
        Allday sah ihn an und erwiderte fest:»Er ist eben kein Mann wie andere. «Er nickte.»Ich bleibe bei ihm. «Schweigend drehte Gwyther sich um und ging wieder ins Orlopdeck hinunter. Der Schiffsarzt hatte unter Bolitho einige Jahre gedient, ihn aber nie richtig kennengelernt. Doch jetzt wu?te er, da? er ihn zeit seines Lebens nicht vergessen wurde.



        Epilog

        An einem hellen Sommertag des Jahres 1791, fast achtzehn Monate, seitdem er mehr tot als lebendig von der eroberten Narval auf sein Schiff zuruckgetragen worden war, wu?te Kapitan Richard Bolitho, da? er den schwersten Kampf gewonnen hatte.
        Nur jene, die ihn bei seinem taglichen Ringen mit dem Fieber bewacht hatten, kannten die ganze Geschichte. Ihm selbst erschien es wie ein einziger Wachtraum. Er erinnerte sich nur schwach an die Ruckfahrt nach Neusudwales und seinen Aufenthalt im Hause des Gouverneurs. Oder an seinen Abschied von Herrick und den anderen, die ihn vor dem Auslaufen der Tempest nach England besucht hatten. Langsamer und weniger anstrengend hatte Bolitho mit Allday an seiner Seite die Reise auf einem Indienfahrer zuruckgelegt. Manche Erinnerungen waren verschwommen und qualvoll. Wie die an seine verheiratete Schwester Nancy, die ihn in dem alten Haus unterhalb von Pedennis Castle empfing, tapfer ihren Schreck uber seine ausgemergelte Erscheinung verbergend und uber seine Unfahigkeit, mehr als nur wenige Worte mit ihr zu wechseln. An Mrs. Ferguson, seine Haushalterin, mit rotgeranderten Augen und zwischen Weinkrampfen geschaftig um ihn besorgt. An Ferguson, seinen einarmigen Hausmeister, der Allday half, Bolitho in dem gro?en Bett unterzubringen: dem Bett, von dem aus man im Sitzen die blaue Linie der Kimm und eine
Ecke der Festung auf dem Vorland sehen konnte. Allerdings hatte niemand geglaubt, da? er das Bett jemals wieder verlassen wurde. Das hei?t, niemand au?er Allday. Doch als die Monate verstrichen, Tage und Wochen der Leere und Ubelkeit sich aneinanderreihten, erkannte er, da? er allmahlich neue Krafte gewann. Er war in der Lage, nach Menschen zu fragen, nach Ereignissen au?erhalb seines Schlafzimmers.
        Bei den ersten Anzeichen fur besseres Wetter machte er kurze Spaziergange, wobei er sich meistens auf Allday stutzte.
        Und er hatte einen Besucher. Kapitan William Tremayne von der Brigg Pigeon kam bereits eine Stunde, nachdem er in den Carrick Roads Anker geworfen hatte, ins Haus. Da war es, als waren die Monate dazwischen nie gewesen. Bolitho sa? in einem hochlehnigen Sessel beim Fenster, Tremayne mit einem Becher Wein in seiner gro?en Faust daneben.
        Die Pigeon war mit Depeschen gekommen, und Tremayne hatte es alles in Erinnerung gerufen: die Inseln, die nickenden Palmen und die lachenden Madchen. Anscheinend war Hardacre von der Regierung die standige Aufsicht uber die Levu-Inseln ubertragen worden. In diesem Punkt hatte man kaum eine Wahl gehabt, denn Raymond war tot aufgefunden worden, dem Anschein nach durch eigene Hand gestorben.
        Doch die uberraschendste Nachricht betraf Yves Genin. Er war mit den ubrigen gefangen worden, als die Tempest ihren blutigen Kampf gegen die Narval gewann. Die Fregatte war zwar einem Prisengericht ubergeben worden, Genin aber hatte man erlaubt, nach Frankreich zuruckzukehren, mehr weil man ihn als Belastung empfand, denn als Beweis guten Willens gegenuber der neuen Regierung. Genin, der so vieles getan hatte, um der Revolution den Weg zu ebnen, wurde dafur mit einem schnellen Ende auf der Guillotine entlohnt. Die neue Regierung war der Ansicht, da? ein Mann, der einen gro?en Aufstand planen konnte, es auch ein zweites Mal tun mochte.
        An diesem Tag nun stand Bolitho am offenen Fenster und bewunderte die verschiedenen Gruntone und wogenden Felder, die sich zur See hinab erstreckten. Er dachte viel an die Tempest und fragte sich, wo sie sein mochte. Wie er gehort hatte, war sie in Plymouth neu ausgerustet und mit einer neuen Besatzung wieder in Dienst gestellt worden. Sein einziger Wunsch war, da? er hatte auf dem Schiff sein konnen, als die Besatzung abmusterte. Ein paar der alten Leute blieben an Bord, und ihr neuer Kapitan sollte dankbar sein, da? er sie hatte: Lakey, den schweigsamen Steuermann, Toby, den Zimmermann, Jury, den Oberbootsmann und noch ein paar andere. Die ubrigen waren, den Bedurfnissen der wachsenden Flotte entsprechend, auf Schiffe verteilt worden, die dringend benotigt wurden, wenn der Sturm aus den uber dem Kanal drauenden Wolken der Politik endlich losbrach. Selbst der kleine Romney hatte ein neues Schiff gefunden, und Bolitho wunschte ihm diesmal mehr Gluck. Keen, Swift und so viele, die er gekannt hatte, sie alle standen vor einem neuen Beginn.
        Er seufzte. Und Thomas Herrick? Er hatte nur gehort, da? er auf See sei.
        Die Glocke im Turm der Kirche von Falmouth schlug; Bolitho zog seine Uhr und betrachtete sie im Sonnenlicht. Hinter ihm offnete Allday die Tur und balancierte eine Flasche Wein auf einem Tablett. Er benotigte keine Worte, um zu wissen, an was Bolitho dachte. Woran er sich erinnerte.
        Bolitho drehte sich um und sah ihn. Er lachelte und steckte die Uhr in die Tasche zuruck.

«Ich dachte, wir konnten heute einen langeren Spaziergang machen. Eine Fregatte lauft in die Roads ein. Wir konnten ein Fernglas mitnehmen, wie?»
        Allday antwortete skeptisch:»Wir wollen sehen, Captain. Bis zur alten Batterie drau?en ist es ziemlich weit. Hatte keinen Sinn, Sie zu uberanstrengen. «Bolitho sah ihn geruhrt an.»Danke fur Ihre Fursorge. Und fur vieles andere.»

«Keine Ursache, Captain. «Allday sah auf die See hinaus.»Alles braucht seine Zeit. Aber Sie kriegen wieder ein Schiff unter die Fu?e, das ist gar keine Frage. «Er grinste und fugte hinzu:»Kommen Sie also. Ich hole Ihren Mantel und das Teleskop.»
        Bolitho ging langsam zur Tur und lie? dabei den Blick durch den Raum wandern. Sie ware hier glucklich gewesen. Dann sagte er:»Also los. Und auf dem Ruckweg trinken wir ein Bier.»
        DIE SCHLACHT WAR GEWONNEN.


        notes

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1

        Sturm

2

        Laufgang an beiden Seiten zwischen Vor- und Achterschiff

3

        Siehe DER PIRATENFURST

4

        l Kabellange = 185,2 m

5

        Seekadett bzw. Fahnrich zur See

6

        Siehe BRUDERKAMPF

7

        Siehe BRUDERKAMPF

8

        Nicht Herr mehr meiner selbst, ruh' ich allein / auf einem Lager, dem einst du dich nahtest / obgleich als Trugbild eines Traumes nur. / Verblassen wurde jeder Traum, warst du mir nah'!

9

        Ende der Wache, in diesem Fall acht Uhr morgens

10

        Distanz zwischen zwei Wenden

11

        Siehe DER PIRATENFURST

12

        Entwirren eines Tauknauels

13

        knapp 37 m

14

        ca. 185 m


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê