Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Feind In Sicht Kommandant Bolithos Zweikampf Im Atlantik " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Feind in Sicht: Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #12
1795 - in der Biskaya: Kurz nach seiner Hochzeit mit Cheney mu? Richard Bolitho mit seiner «Hyperion» und einer noch unerprobten Mannschaft auslaufen, um die britische Blockade der Seehafe Frankreichs zu verstarken. Ein grausames Verbrechen, dem Kapitan Bolitho untatig zusehen mu?, macht ihn zum Todfeind des franzosischen Admirals Lequiller; uber Tausende von Seemeilen jagt er ihn bis nach Westindien und wieder zuruck in spanische Gewasser, ehe er ihn endlich in der Biskaya stellen und in einem morderischen Seegefecht bezwingen kann.

        Alexander Kent
        Feind in Sicht
        Kommandant Bolithos Zweikampf im Atlantik

        Kein Kommandant geht fehl, wenn er sein Schiff neben das des Feindes legt.

    Horatio Nelson



        I Abschied

        Die hohen Fenster des Golden Lion Inn, die nach Suden auf den Plymouth Sound gingen, zitterten heftig in den Rahmen, als in einer starken Bo der Regen wieder gegen die Scheiben prasselte.
        Kapitan Richard Bolitho stand vor einem lodernden Holzfeuer, die Hande auf dem Rucken zusammengelegt, und blickte, ohne etwas zu sehen, vor sich auf den Teppich. Der plotzliche Windsto? lie? ihn aufsehen. Auf ihm lastete ein Ungewisser Druck, daneben aber auch eine ihm neue, befremdliche Furcht, das Land zu verlassen.
        Schnell ging er zum Fenster und sah auf die verlassenen Stra?en hinaus, das vor Nasse glanzende Pflaster und die kabbelige, graue See dahinter. Es war acht Uhr morgens, doch an diesem 1. November war es um diese Zeit fast noch zu dunkel, um durch die fleckigen Scheiben mehr als ein verschwommenes, graues Panorama zu erkennen. Er vernahm Stimmen vor seiner Tur, vom Hof drang das Klappern von Hufen und das Knarren von Radern herauf, und ihm wurde bewu?t, da? der Augenblick des Abschieds kurz bevorstand. Er beugte sich uber das lange Messingteleskop, das auf einem Dreibein neben dem Fenster stand, zweifellos als Dienstleistung fur die Gaste des Gasthofs gedacht oder zur Unterhaltung jener, fur die der Anblick eines voruberziehenden Kriegsschiffs nicht mehr als ein schones Bild oder eine fluchtige Ablenkung bedeutete.
        Es war merkwurdig, wenn man sich vor Augen hielt, da? das Jahr 1794 seinem Ende entgegenging und England seit annahernd zwei Jahren mit dem revolutionaren Frankreich Krieg fuhrte, es aber immer noch viele Leute gab, die der Gefahr, in der sie sich befanden, vollig gleichgultig gegenuberstanden oder sie uberhaupt noch nicht erkannt hatten. Vielleicht waren die Nachrichten zu gunstig, uberlegte er. Denn zweifellos war der Seekrieg in diesem Jahr erfolgreich verlaufen. Howes Seesieg, der» glorreiche 1. Juni«, wie er jetzt genannt wurde, die Besetzung der franzosischen Inseln in Westindien durch Jarvis und auch die Einnahme von Korsika im Mittelmeer mu?ten doch ankundigen, da? der Weg zum Gesamtsieg offenstand. Aber Bolitho wu?te zu gut Bescheid, um ein derart vorschnelles Urteil zu ubernehmen. Der Krieg weitete sich nach allen Richtungen aus, und es hatte den Anschein, als wurde er schlie?lich die ganze Welt erfassen. Und trotz seiner Flotte wurde England gezwungen, sich mehr und mehr auf seine eigenen Hilfsquellen zu beschranken.
        Vorsichtig schwenkte Bolitho das Fernrohr nach einer Seite, betrachtete die Reihen der Schaumkronen, die den Sund uberquerten, die keilformige Halbinsel, die rasch vorbeiziehenden, bleigrauen Wolkenbanke. Der Wind frischte aus Nordwest auf, und es lag ein Hauch von Schnee in der Luft.
        Er hielt den Atem an und richtete das Glas auf ein weit drau?en liegendes, vereinzeltes Schiff, das anscheinend bewegungslos lag und den einzigen Farbfleck vor der dusteren See bildete.
        Die Hyperion, sein Schiff, wartete dort auf ihn. Es war schwer, eigentlich unmoglich, sich den zerschlagenen, von Einschlagen zer-narbten Zweidecker vorzustellen, den er vor sechs Monaten nach Plymouth gebracht hatte, nach dem verzweifelten Kampf im Mittelmeer, nach Hoods vergeblichem Bemuhen, Toulon zu besetzen und zu halten. Sechs Monate hatte er betteln und bestechen, Dockarbeiter einschuchtern und jede Phase der Reparatur und Neuausstattung des alten Schiffs uberwachen mussen. Und die Hyperion war wirklich alt. Zweiundzwanzig Jahre waren vergangen, seit ihr solides Eichenholz aus Kent zum erstenmal Salzwasser geschmeckt hatte, und fast die ganze Zeit uber war sie standig im Einsatz gewesen: von der bei?enden Eiseskalte des Nordatlantik bis zu den qualenden Flauten im Indischen Ozean; von den Gefechten im Mittelmeer bis zum geduldigen Blockadedienst vor dem einen oder anderen feindlichen Hafen.
        Als das Schiff im Dock lag, hatte Bolitho gesehen, wie fast sechs Fu? langes Seegras von seinem bauchigen Rumpf gekratzt wurde. Kein Wunder, da? die Hyperion so langsam gewesen war. Jetzt sah sie zumindest au?erlich wie ein neues Schiff aus.
        Das seltsam silbrige Licht spielte auf der hohen Bordwand, als das Schiff vor Anker stark schwojte. Selbst aus dieser Entfernung konnte er das straffe schwarze Spinnennetz der Takelage erkennen, die Doppelreihe der Stuckpforten, das kleine, scharlachrote Viereck der Flagge, die steif im auffrischenden Wind stand.
        Einmal hatte es fast schon so ausgesehen, als ob die Wiederherstellung, die Arbeiten und die Verzogerungen nie ein Ende nehmen wurden. In den letzten Wochen war die Hyperion dann der wartenden See zuruckgegeben worden, das Rigg wurde aufgerichtet, die vierundsiebzig Geschutze wurden ersetzt, der tiefliegende Rumpf mit Vorraten, Lebensmitteln, Pulver und Geschossen gefullt. Und mit Menschen.
        Bolitho richtete sich auf. Sechs Monate fern von seinem naturlichen Element waren fur das Schiff eine lange Zeit. Dieses Mal lief es nicht mit einer erfahrenen, wohldisziplinierten Besatzung aus, uber die er vor sechzehn Monaten das Kommando ubernommen hatte und von der die meisten schon seit vier Jahren an Bord gewesen waren. Innerhalb dieser Zeit konnte man auch von der stursten Landratte erwarten, da? sie ihren Platz gefunden und sich eingeordnet hatte. Aber diese Leute waren abgemustert worden, nicht fur eine wohlverdiente Ruhepause, sondern um - den Bedurfnissen der standig wachsenden Flotte entsprechend - anders verteilt zu werden. Und ihm waren nur einige Altgediente geblieben, die gebraucht wurden, um sich der schwierigen Reparaturarbeiten anzunehmen. In den vergangenen Wochen war die neue Besatzung aus jeder denkbaren Quelle zusammengestellt worden: von anderen Schiffen, dem Hafenadmiral und selbst den ortlichen Gerichtsgefangnissen. Auf eigene Kosten, wenn auch mit wenig Hoffnung, hatte Bolitho Handzettel verteilen lassen und zwei Rekrutierungskommandos auf die Suche nach neuen Leuten
ausgeschickt. Und zu seiner gro?en Verwunderung waren uber vierzig Manner aus Cornwall an Bord gekommen, meist Leute vom Land, von Bauernhofen und aus Bergwerken, aber alle freiwillig.
        Der Leutnant, der sie auf das Schiff brachte, war voller Komplimente und fast schon Ehrfurcht gewesen, denn es war wirklich selten, da? jemand das Leben an Land aufgab, um es gegen die strenge Disziplin und die Gefahren auf einem Kriegsschiff einzutauschen. Bolitho konnte es noch nicht glauben, da? diese Manner tatsachlich unter ihm dienen wollten, einem Landsmann aus Corn-wall, dessen Name in ihrer heimatlichen Umgebung bekannt war und bewundert wurde. Es hatte ihn verblufft und nicht wenig geruhrt.
        Jetzt war dies alles schon Vergangenheit. Seine neue Besatzung, eingepfercht in den hundertachtzig Fu? langen Rumpf, wartete auf ihn, den Mann, der - gleich nach Gott - uber ihr Leben bestimmen wurde. Sein Urteil und sein Konnen, seine Tapferkeit und was sonst immer wurden daruber entscheiden, ob sie lebten oder starben. Der Hyperion fehlten zu ihrer vollstandigen Besatzung von sechshundert Mann immer noch funfzig, aber das war in diesen schweren Zeiten nicht sehr viel. Die wirkliche Schwierigkeit stand in unmit-tellbarer Zukunft bevor, wenn er jeden einzelnen antreiben mu?te, um sie alle zu einer disziplinierten Einheit zu verschmelzen.
        Er wurde aus seinem Bruten aufgestort, weil die Tur hinter ihm aufging. Als er sich umdrehte, sah er seine Frau im Turrahmen stehen. Sie trug einen langen grunen Samtmantel, dessen Kapuze das volle, kastanienbraune Haar unverhullt lie?, und ihre Augen glanzten so hell, da? er befurchtete, sie halte ihre Tranen gerade noch zuruck.
        Er ging auf sie zu und fa?te sie bei den Handen. Es fiel ihm immer noch schwer, die gluckliche Fugung zu fassen, die Cheney zu seiner Frau gemacht hatte. Sie war schon und zehn Jahre junger als er, und als er jetzt auf sie niedersah, war ihm bewu?t, da? der Abschied von ihr das Schwerste war, was ihm je bevorgestanden hatte. Bolitho war siebenunddrei?ig Jahre alt und fuhr seit seinem zwolften Lebensjahr zur See. In dieser Zeit hatte er sowohl Strapazen als auch Gefahren uberlebt, und er empfand eine gewisse Verachtung fur jene, die lieber sicher zu Hause blieben, statt auf einem Schiff des Konigs zur See zu fahren. Seit funf Monaten war er mit Cheney verheiratet, aber jetzt erst begriff er, wie schmerzlich ein solcher Abschied war.
        Wahrend der langwierigen Uberholung seines Schiffes war Cheney nie weit von ihm entfernt gewesen. Das war fur ihn neu und eine uberwaltigend gluckliche Zeit gewesen, trotz der Sorge um das Schiff und der Arbeit, die ihn taglich in die Werft fuhrte. Meistens hatte er die Nachte mit ihr im Gasthaus verbracht, und manchmal hatten sie weite Spaziergange auf der Steilkuste unternommen oder waren mit gemieteten Pferden bis tief ins Land nach Dartmoor geritten. Das ging so, bis sie ihm sagte, da? sie ein Kind erwarte; sie hatte uber seine sofort bekundete, ritterliche Fursorge gelacht.

«Deine Hande sind eiskalt«, sagte er.
        Sie lachelte.»Ich war unten am Hafen und habe Allday gesagt, er soll die Sachen abladen, die ich fur dich besorgt habe. «Wieder zitterten ihre Lippen leicht.»Denk daran, da? du jetzt verheiratet bist, Richard. Ich will nicht, da? mein Kapitan zur Bohnenstange abmagert, weil er nichts Gutes zu essen bekommt.»
        Von der Treppe her horte Bolitho Alldays diskretes Husteln. Wenigstens er wurde bei ihm sein: sein Bootsfuhrer, der Mann, der ihn besser als jeder andere kannte, ausgenommen sein Freund Herrick.
        Schnell sagte er:»Und wirst auch du vorsichtig sein und auf dich aufpassen, Cheney?«Er druckte fest ihre Hande.»Wenn du nach Falmouth zuruckkommst, wirst du dort viele Freunde haben, falls du etwas brauchst.»
        Sie nickte, streckte die Hande aus und beruhrte die wei?en Aufschlage seines Uniformrocks, lie? dann die Finger auf dem Knauf seines Sabels ruhen.»Ich warte auf dich, mein lieber Richard. «Sie schlug die Augen nieder.»Und auch falls du auf See bist, wenn unser Kind geboren wird, wirst du trotzdem bei mir sein.»
        Alldays stammige Gestalt erschien neben der Turoffnung.»Das Boot wartet, Captain. Ich habe alles so verstaut, wie Ma'am befohlen hat. «Er blickte sie bewundernd an. Und machen Sie sich keine Sorgen, Ma'am. Ich werde gut auf ihn aufpassen.»
        Sie klammerte sich an Bolithos Arm und flusterte:»Tue du das auch; ich bete zu Gott, da? er euch beide beschutzt.»
        Bolitho loste ihre Finger von seinem Arm und ku?te sie sanft. Er fuhlte sich elend und hatte gern Worte gefunden, die den Abschied leichter machten. Aber er wu?te auch, da? es diese Worte nicht gab und nie gegeben hatte.
        Er griff nach seinem goldbetre?ten Hut und druckte ihn sich in die Stirn. Dann hielt er Cheney noch einmal fur einige Sekunden mit seinem Blick fest, spurte ihren Schmerz, begriff ihren Verlust, und wandte sich dann ohne ein weiteres Wort ab und schritt zur Treppe.
        Der Wirt verneigte sich, als Bolitho zur Haustur ging, sein rundes Gesicht war feierlich, als er intonierte:»Viel Gluck, Captain, und bringen Sie ein paar Froschfresser fur uns um.»
        Bolitho nickte nur knapp und lie? sich von Allday den schweren Bootsmantel um die Schultern legen. Die Worte des Wirts waren bedeutungslos; wahrscheinlich sagte er dasselbe zu der endlosen Prozession der Kommandanten und Offiziere, die sich kurz unter seinem Dach aufhielten, ehe sie auf ihre Schiffe zuruckkehrten, manche von ihnen zum letzten Mal.
        Er erblickte sich in dem Wandspiegel neben der Glocke fur den Hausdiener und sah, da? er die Stirn runzelte. Doch welch ein Unterschied zu dem Bild von vor sechs Monaten! Diese Erkenntnis veranla?te ihn, sich ein paar Augenblicke zu betrachten. Die tiefen Falten um seinen Mund waren verschwunden, und seine gro?e Gestalt wirkte entspannter, als er es in Erinnerung hatte. Sein schwarzes Haar war ohne eine Spur von Grau, trotz des Fiebers, das ihn zwischen den Kriegen beinahe umgebracht hatte, und die eine Locke, die ihm rebellisch uber das rechte Auge hing, lie? ihn junger erscheinen, als er war. Er bemerkte, da? Allday ihn beobachtete, und zwang sich zu einem Lacheln.
        Allday stie? die Tur auf und griff gru?end an seinen Hut.»Mir kommt es sehr lange vor, seit wir auf See waren, Captain. «Er grinste.»Aber mir tut es nicht leid, da? wir auslaufen. Die Madchen in Plymouth sind auch nicht mehr das, was sie mal waren.»
        Bolitho ging an ihm vorbei und spurte, da? der Regen ihm wie Eiskorner ins Gesicht schlug. Er beschleunigte seinen Schritt, wahrend Allday ihm unbekummert folgte. Das Schiff lag gut zwei Meilen vom Ufer entfernt, sowohl um den gunstigen Wind und die Tide auszunutzen, aber auch um jeden, der Neigung dazu verspurte, vom Desertieren abzuhalten. Der Bootsbesatzung stand eine muhsame Arbeit bevor.
        Oben an der Ufertreppe blieb Bolitho stehen, spurte den Wind, den festen Boden unter den Fu?en, und wu?te wie jedesmal, da? er vielleicht nie wieder Land betreten wurde. Oder - schlimmer noch - , da? er auch als hilfloser Kruppel zuruckkehren konnte wie so viele, die man in den Kneipen der Kustenstriche antraf, Mahner an einen Krieg, der standig weiterging, auch wenn man nichts davon sah.
        Bolitho drehte sich um und sah zu dem Gasthaus zuruck, bildete sich ein, er konne Cheney hinter einem Fenster erkennen.
        Dann sagte er:»Nun gut, Allday, rufen Sie das Boot langsseit.»
        Sobald das Boot sich von der Pier gelost hatte, schienen die Manner an den Riemen ihr Bestes zu geben, um die flach anlaufenden, schaumgekronten Wellen rasch zu uberwinden; Bolitho, fest in seinen Mantel gehullt, wunschte sich, die gesamte Besatzung seines Schiffes sei so gut wie die Rudergasten in diesem Boot. Denn es war Bolithos ursprungliche Bootsbesatzung; und in ihren wei?en
        Hosen und karierten Hemden, mit ihren sauber geflochtenen Zopfen und gebraunten Gesichtern entsprachen sie ganz der Vorstellung, die sich eine Landratte von britischen Seeleuten machte.
        Das Boot arbeitete starker im Seegang, je weiter es sich vom Land entfernte; Bolitho lehnte sich zuruck, um sein Schiff zu beobachten, das langsam hinter spruhender Gischt und Nieselregen auftauchte, bis es mit aufragenden Masten und Rahen und den sauber festgemachten Segeln fast den Horizont verdeckte. Es war ein normaler Anblick, aber immer wieder wurde Bolitho davon beeindruckt.
        Fruher einmal, als er - fast noch ein Kind - auf sein erstes Schiff kam, das etwa ebenso gro? gewesen war wie die Hyperion, hatte es ihm weit mehr als nur gelinde Furcht eingeflo?t. Jetzt mu?te es den neu angemusterten Mannern so erscheinen, dachte er, sowohl den Freiwilligen wie auch den aus einem gesicherten Leben an Land zur Marine gepre?ten.
        Allday schwang die Ruderpinne herum und steuerte das Boot unter dem hohen Bug des Schiffes durch, so da? die vergoldete Gali-onsfigur, der Sonnengott, seinen Dreizack unmittelbar uber ihre Kopfe zu strecken schien.
        Bolitho horte das Trillern der Pfeifen und sah die bei der Schanzpforte bereits angetretenen Marinesoldaten in ihren scharlachroten Rocken, das Blau und Wei? der Offiziere und dahinter das Gedrange ihm noch unbekannter Gestalten.
        Er fragte sich, was Inch, sein Erster Offizier, uber diesen Augenblick vor dem Auslaufen denken mochte. Er fragte sich auch, was ihn veranla?t haben mochte, diesen jungen Offizier zu behalten, da doch zahlreiche dienstaltere Leutnants bereit waren, ein so begehrtes Kommando zu ubernehmen. Der nach dem Kommandanten ranghochste Offizier hatte immer eine Chance, konnte sogar hoffen, nach dem plotzlichen Tod seines Kommandanten oder dessen Aufstieg befordert zu werden.
        Als Bolitho das Kommando uber sein altes, mit vierundsiebzig Kanonen bestucktes Schiff ubernommen hatte, fand er Inch als Funften und jungsten Offizier vor. Der Dienst auf See, fern vom Land und oft auch fern von der Flotte, hatte den jungen Leutnant Sprosse um Sprosse die Karriereleiter hinaufgefuhrt, als ein Offizier nach dem anderen gefallen war. Als der Erste Offizier sich das
        Leben nahm, hatte Bolithos Freund Herrick bereitgestanden, dessen Posten zu ubernehmen; doch dann hatte Thomas Herrick im Rang eines Kapitans das Schiff verlassen und ein eigenes Kommando bekommen. Damit hatte sich Leutnant Francis Inch - schlaksig, mit einem Pferdegesicht und immer einsatzwillig - , eine Chance geboten. Aus Grunden, die Bolitho selbst nicht richtig durchschaute, war es ihm ermoglicht worden, sie wahrzunehmen. Doch bei dem Gedanken, zum erstenmal als Stellvertreter des Kommandanten das Schiff in Fahrt zu bringen, mochte ihn sein neuer Status mit Unbehagen und nicht geringer Besorgnis erfullen.

«Boot ahoi?«Der ubliche Anruf klang von der Bordwand des Schiffes herab.
        Allday legte die Hande an den Mund. »Hyperion.»
        Als die Riemen gehoben waren und der Buggast das Boot an der Kette anhakte, schuttelte Bolitho den Mantel ab, pre?te seinen Sabel an die Hufte und sprang schnell zur Schanzpforte hinauf. Ihm wurde nicht einmal die Luft knapp, und er fand sogar Zeit, bewundernd daran zu denken, was gute Ernahrung und regelma?iger korperlicher Einsatz fur jemanden bewirken konnten, der sich an das bewegungsarme, beengte Bordleben gewohnt hatte.
        Als sein Kopf uber dem Schanzkleid auftauchte, brachen die Pfeifen in ein schrilles Trillern aus, und er sah die zackige Bewegung der Musketen, als die angetretenen Marinesoldaten prasentierten.
        Inch salutierte nervos. Seine Uniform war vom Regen durchna?t, so da? Bolitho annahm, er hatte das Achterdeck seit Tagesanbruch nicht mehr verlassen.
        Der Larm verebbte, und Inch sagte:»Willkommen an Bord, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Danke, Mr. Inch. «Er sah sich nach den zuschauenden Mannern um. Sie sind flei?ig gewesen.»
        Inch blickte zu der Bootsbesatzung hinunter und wollte sie schon anrufen, als Bolitho gedampft sagte:»Nein, Mr. Inch. Das ist nicht mehr Ihre Aufgabe. «Er bemerkte, da? Inch ihn uberrascht ansah.»Uberlassen Sie das Ihren Untergebenen. Wenn Sie Vertrauen zu ihnen haben, werden sie auch Ihnen vertrauen.»
        Er horte hinter sich schwere Schritte auf den feuchten Planken und drehte sich um. Gossett, der Steuermann, trat auf ihn zu. Gott sei Dank diente wenigstens der schon seit einigen Jahren an Bord.
        Gossett war riesig und wuchtig wie eine Tonne und besa? ein Paar der hellsten Augen, die Bolitho je gesehen hatte, obwohl sie meist in seinem gefurchten und wettergegerbten Gesicht halb verborgen blieben.

«Keine Klagen, Mr. Gossett?»
        Der Steuermann schuttelte den Kopf.»Keine, Sir. Ich habe immer gesagt, da? die alte Lady fliegen kann, wenn sie erst mal den Bewuchs los ist. «Er rieb die kraftigen roten Pranken aneinander.»Und fliegen wird sie, wenn ich was zu sagen habe.»
        Die versammelte Besatzung drangte sich noch auf den Gangways und dem freien Raum an Deck. Die Gesichter waren bla? im Vergleich zu Gossett und Allday.
        Dies hatte der Augenblick zu einer anfeuernden Ansprache sein sollen, die Gelegenheit, diese Manner, die ihm und untereinander noch fremd waren, zu einem Hurraruf zu bringen. Er hob die Stimme, um den Wind zu ubertonen.»Wir wollen weiter keine Zeit verlieren. Unsere Befehle besagen, da? wir uns unverzuglich dem Blockadegeschwader vor Lorient anschlie?en sollen. Wir haben ein gutausgerustetes Schiff mit einer ehrenvollen Geschichte und einer gro?en Tradition, und gemeinsam werden wir unser Bestes tun, um den Feind in seinen Hafen einzuschlie?en oder ihn zu vernichten, wenn er so verwegen sein sollte, sich herauszuwagen.»
        Bolitho beugte sich vor und stutzte die Hande auf die Achterdecksreling, als das Schiff sich schwerfallig hob. Es uberraschte ihn, da? einige Manner sich einander tatsachlich bei seinen abgenutzten Worten grinsend in die Rippen stie?en. In wenigen Monaten wurden sie das wahre Elend des Blockadedienstes kennenlernen: Schutzlos und ohne frische Lebensmittel jedes Wetter durchzustehen, wahrend die Franzosen es sich in ihren Hafen wohl sein lie?en und gelassen auf eine Lucke in der Kette britischer Schiffe warteten, durch die sie ausbrechen, hart zuschlagen und sich wieder zuruckziehen konnten, ehe es zu einem Gegenschlag kam.
        Gelegentlich wurde ein Schiff abgelost, um mit neuem Proviant versorgt zu werden oder wichtige Reparaturen vornehmen zu lassen; dann wurde sein Platz von einem anderen ubernommen, wie jetzt durch die Hyperion.
        In forschem Ton fugte Bolitho hinzu:»Es gilt, vieles zu vollbringen, und ich erwarte von jedem, da? er sein Bestes gibt, jede Aufgabe erfolgreich erfullt, vor die er gestellt wird. «Hier schnitt ein Teil der alteren Leute Grimassen. Sie wu?ten, das bedeutete Geschutzexerzieren und Segeldrill unter Aufsicht eines Offiziers mit der Uhr in der Hand, bis der Kommandant zufrieden war. Bei dieser Art Wetter keine angenehme Aufgabe, besonders nicht fur Manner, die noch nie zur See gefahren waren.
        Bolitho lie? den Blick zur anderen Seite des Achterdecks schweifen, wo Inch und die anderen vier Leutnants in einer Reihe an der Reling standen. In den hektischen Tagen bis zur Wiederindienststellung der Hyperion und danach hatte er zuwenig Zeit gefunden, seine neuen Offiziere kennenzulernen. Die drei jungeren erschienen durchaus willig, sie waren aber noch sehr jung und besa?en wenig Erfahrung. Ihre Uniformen strahlten vor Neuheit, und ihre Gesichter waren so rosig wie die von Midshipmen.[Midshipman = Seekadett bzw. Fahnrich zur See] Der Zweite Offizier jedoch, ein Mann namens Stepkyne, hatte sich als Steuermannsmaat an Bord eines Ostindienfahrers bewahrt und den Weg in den Dienst des Konigs gefunden, als er einem schwerfalligen Versorgungsschiff zugeteilt worden war. Es mu?te ihn angestrengte Arbeit und viele bittere Erfahrungen gekostet haben, sein Offizierspatent zu erwerben; als er jetzt, gelassen mit dem Schiff schwankend, auf dem Achterdeck der Hyperion stand, konnte Bolitho die scharfen Linien um seinen Mund erkennen und einen Ausdruck, der an Mi?gunst grenzte, als er den jungen Inch von
der Seite ansah.
        Hinter den Leutnants standen die sechs Midshipmen des Schiffes, auch alle sehr jung und offensichtlich aufgeregt uber die Aussicht auf eine Reise, die fur die meisten ihre erste war.
        Hauptmann Dawson stand bei seinen Marinesoldaten, ein Mann mit wuchtigem Kinn und ohne Lacheln. An seiner Seite Leutnant Hicks, ein wendiger, aber ausdruckslos wirkender junger Mann. Bolitho bi? sich auf die Lippen. Die Marinesoldaten waren ausgezeichnet bei Vorsto?en an Land oder wenn es um Hauen und Stechen im Nahkampf ging, boten jedoch nur geringe Hilfe bei der Aufgabe, ein Linienschiff unter vollen Segeln in Fahrt zu halten.
        Er spurte den Wind, der ihm um die Beine wehte, und fugte knapp hinzu:»Das ist einstweilen alles. «Er nickte Inch zu.»Treffen Sie Vorbereitungen zum Auslaufen.»
        Bolitho entdeckte neben der Schanzpforte Joshua Tomlin, den
        Bootsmann, dessen scharfe Augen schnell die Manner in seiner Nahe musterten. Auch Tomlin gehorte zur ursprunglichen Besatzung: ein untersetzter, kraftig gebauter Mann, fast so breit wie gro? und ungewohnlich stark behaart. Wenn er lachelte, was er oft tat, zeigte er ein furchterregendes, fast irrsinniges Grinsen, da ihm die Vorderzahne vor vielen Jahren von einem herabsturzenden Block ausgeschlagen worden waren. Er war bekannt fur seine Geduld und seine derbe gute Laune, selten bei Leuten in seiner Position. Aber es mu?te selbst seine Duldsamkeit uberfordern, bei dieser zusammengewurfelten neuen Besatzung die Ruhe zu bewahren, dachte Bolitho grimmig.
        Wieder schrillten die Pfeifen, und die Decks erbebten unter stampfenden Fu?en, als die Manner auf ihre Stationen rannten, angetrieben von den Tritten und Fluchen der ungeduldigen Unteroffiziere, die noch nicht einmal Zeit gefunden hatten, die Namen der Manner in ihren eigenen Gruppen zu lernen.
        Bolitho griff nach Inchs Arm und zog ihn beiseite.»Der Wind hat um einen Strich gedreht. «Er sah vielsagend zum Wimpel im Masttopp auf.»Lassen Sie sofort Anker lichten, und schicken Sie Leute nach oben. «Seine Worte losten auf Inchs Gesicht Erschrek-ken aus, deshalb fugte er ruhig hinzu:»Es ist besser, die neuen Leute jetzt nach oben zu schicken und auf den Rahen zu verteilen, ehe Sie weitere Befehle geben. Wir wollen doch nicht, da? die Halfte von oben kommt, so lange der Hafenadmiral uns noch durchs Fernrohr beobachtet, oder?«Er lachelte uber Inchs Nicken.
        Bolitho wandte sich ab, wahrend Inch zur Achterdecksreling eilte und sein Sprachrohr schwenkte. Er hatte Inch gern geholfen, wu?te aber, wenn dieser nicht von einem weiten und gefahrlosen Ankerplatz auslaufen konnte, wurde er spater nie das Selbstvertrauen aufbringen, selbstandig zu handeln.

«Ankerspill bemannen!»
        Gossett trat an Bolithos Seite und sagte gelassen:»Wir bekommen Schnee, ehe die Woche vorbei ist, Sir. «Er knurrte ungehalten, als einer der Manner im Vorschiff ausglitt und mit Armen und Beinen um sich schlagend hinsturzte. Ein Unteroffizier schlug mit seinem Tampen zu, und Bolitho sah, da? der verantwortliche Leutnant sich verlegen abwandte.
        Er legte die Hande an den Mund.»Mr. Beauclerk! Die Leute halten viel besser Takt, wenn Sie ihnen einen Shanty vorspielen lassen.»
        Gossett unterdruckte ein Grinsen.»Arme Kerle. Das mu? ihnen alles sehr fremd sein, Sir.»
        Bolitho atmete gepre?t aus. Inch hatte fruher daran denken sollen. Bei den rund sechzehnhundert Tonnen der Hyperion, die am Ankerkabel zerrten, gehorte mehr als nur Muskelkraft dazu, das Ankerspill zu drehen. Die klagenden Tone der Fidel gingen im Wind fast verloren, doch als die Sperrklinke am Spill klickend fa?te, rief Tomlin drohnend:»Recht so, Leute! Wir wollen den Schlappschwanzen in Plymouth mal was zeigen, das sie so bald nicht vergessen sollen!»
        Er warf den Kopf zuruck und offnete den Mund so weit, da? einer der dabeistehenden Midshipmen vor Schreck verstort keuchte, und stimmte dann ein wohlerprobtes Shanty an.
        Bolitho blickte nach oben, um die Manner zu beobachten, die sich auf den dicken Rahen verteilten und sich schwarz und winzig wie Affchen vom Himmel abhoben.
        Er nahm von Gascoigne, dem fur die Signale zustandigen Mids-hipman, ein Glas entgegen und richtete es aufs Ufer. Er spurte einen Klo? in der Kehle, als er in der Ferne ihren grunen Mantel erkannte und einen Flecken Wei?, mit dem sie dem Schiff zuwinkte. In Gedanken hatte er das Bild vor Augen, das Cheney sah: der Zweidecker, der an der bereits kurzer werdenden Ankertrosse schwojte, die Gestalten, die sich an die Rahen klammerten, die rege Tatigkeit auf dem Vorschiff, wo schon weitere Leute bei den Vorsegeln bereitstanden.

«Anker kurzstag, Sir.»
        Bolitho fing Inchs Blick auf und nickte. Inch hob sein Sprachrohr.»Vorsegel setzen!»
        Ein schneller Blick zu Gossett, aber dort gab es keinen Grund zur Sorge. Der Steuermann stand bei dem gro?en Doppelrad. Seine Augen wanderten zwischen den Rudergangern und den ersten Streifen Leinwand, die bereits im Wind knatterten, hin und her.

«Setzen Sie einen Kurs unter der Landzunge ab, Mr. Gossett. Wir wollen so hoch am Wind bleiben, wie es geht - fur den Fall, da? er wieder umspringt.»

«Auf und nieder, Sir. «Der Zuruf ging im Wind beinahe unter.
        Inch nickte und murmelte vor sich hin, wahrend er auf dem Achterdeck hin und her ging.»Marssegel setzen!«rief er gellend.
        Die gro?en Segel blahten sich und donnerten wild, als vom Vorschiff der Ruf kam: Anker ist los, Sir.»
        Bolitho suchte Halt an einer Drehbasse, als die Hyperion, vom Land befreit, wie trunken durch ein tiefes Wellental glitt. Von oben ertonten angstliche Schreie, aber keiner fiel herab.

«Achtung bei Leebrassen!«Das war Stepkynes Stimme, die muhelos das Brausen des Windes und Rauschen der Segel ubertonte.»Der Mann da, halten Sie sich ran!«Er deutete wutend.»Notieren Sie seinen Namen.»
        Klank, klank, klank ging das Ankerspill. Der noch unsichtbare Anker mu?te unter der Wasseroberflache wie ein Pendel hin und her schwingen. Aber die Hyperion schien das Durcheinander und die wilden Bemuhungen an Deck und in den Rahen nicht zu beachten. Sie zeigte einen Streifen blankes Kupfer, als sie im rauhen Seegang stark krangte, und schleuderte Gischt so hoch ubers Vordeck, da? der funkelnde Titan aus der See selbst aufzutauchen schien.
        Inch kam nach achtern und wischte sich das Gesicht.»Sir?»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Bringen Sie das Schiff auf Kurs. «Er blickte zu dem Wimpel auf, der steif wie eine Lanze fast querab wehte.»Wir werden die Bramsegel voll setzen, sobald wir Rame Head hinter uns haben.»
        Der Ruderganger intonierte:»Sudwest zu Sud, voll und bei, Sir!»
        Bolitho spurte, wie das Deck sich stark neigte, als das alte Schiff den Wind voll aufnahm. Jetzt mu? die Hyperion einen schonen Anblick bieten, ging es ihm fluchtig durch den Kopf: Marssegel und Gro?segel prall gefullt im truben Licht, die Rahen rundgebra?t, um den Wind, der das verschwommene Grun der Halbinsel aufwuhlte, mit gro?tmoglichem Vorteil zu nutzen. Der Anker war jetzt aus dem Wasser und wurde bereits zum Kranbalken gehievt. Die Manner am Spill sangen noch immer; manche blickten uber die Schulter zum Land zuruck, das jetzt schnell im Dunst verschwand.
        Wie viele Seeleute hatten schon so gesungen, wahrend ihre Schiffe in den Kanal hinausglitten, wie viele an Land hatten ihnen nachgesehen, mit feuchten Augen oder hoffnungsvoll oder einfach nur dankbar, da? ihnen ein gleiches Geschick erspart geblieben war.
        Als Bolitho sein Glas wieder aufs Land richtete, hatte es jede Individualitat verloren. Wie Erinnerung und Hoffnung, die ihm galten, war es jetzt fern, so gut wie unerreichbar. Er sah einige der jungeren Leute zum Ufer zuruckstarren, einer winkte sogar, obwohl das Schiff von Land aus jetzt nahezu unsichtbar sein mu?te.
        Plotzlich dachte er an Herrick, der sein Erster Offizier auf der kleinen Fregatte Phalarope gewesen war. Bolitho runzelte die Stirn. Wann war das gewesen? Vor zehn, nein vor zwolf Jahren. Langsam schritt er an der Luvseite entlang, wahrend seine Gedanken uber die Jahre zuruckwanderten. Thomas Herrick, der beste Untergebene, den er je gehabt hatte, und der beste Freund. Damals hatte er sich mehr als alles andere ein eigenes Kommando erhofft - bis es Wirklichkeit geworden war. Bolitho lachelte bei der Erinnerung, und zwei Midshipmen, die ihn beobachteten, tauschten einen erstaunten Blick, weil ihr Kommandant anscheinend achtlos oder gleichgultig gegenuber Larm und Hast auf- und abschritt.
        Jetzt kommandierte Herrick sein eigenes Schiff. Besser spat als nie, und mehr als reichlich verdient, obwohl es nur die alte Impulsive mit vierundsechzig Geschutzen war. Auch Herrick sollte zu dem Geschwader sto?en, sobald sein Schiff in Portsmouth uberholt worden war.
        Bolitho horte Inch schimpfen, als ein neuer Mann mit dem Fu? an einem Lukensull hangenblieb, gegen einen Steuermannsmaat taumelte und krachend auf das schwankende Deck sturzte.
        Es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, da? alles anders sein wurde, wenn er Herrick wiedertraf. Dann waren sie zwei Kapitane mit eigenen Problemen und ohne die verbindende Aufgabe, ein Schiff gemeinsam am Leben zu erhalten. Herrick hatte immer einen forschenden Verstand und ein intuitives Verstandnis fur Bolitho besessen.
        Dieser schob die Gedanken nun von sich. Es war pure Selbstsucht, zu wunschen, da? Herrick bei ihm ware. Er sah Inch an und fragte mild:»Sind Sie zufrieden?»
        Inch blickte besorgt.»Ich - ich glaube schon, Sir.»

«Gut. Nun setzen Sie mehr Leute ein, um die Boote festzuzurren.
        Ich will verhindern, da? sie sich jammernd am Schanzkleid herumdrucken, so lange England noch in Sicht ist.»
        Inch nickte und grinste verlegen.»Es hat doch nicht schlecht geklappt, Sir, oder? Unter Bolithos Blick schlug er die Augen nieder.»Ich - ich meine…»

«Sie wollen also wissen, was ich von Ihrer Leistung halte, Mr. Inch?«Bolitho bemerkte Gossetts zur Maske erstarrtes Gesicht.»Gut: In Anbetracht der Tatsachen, da? nur die Halfte der Toppsgasten sich in Todesangst an die Rahen geklammert hat und da? die Masten im Funf-Minuten-Abstand fertig wurden, wurde ich sagen, fur den Anfang mag es hingehen. «Er runzelte die Stirn.»Konnen Sie dem zustimmen, Mr. Inch?»
        Inch nickte ergeben.»Aye, Sir.»
        Bolitho grinste.»Nun, das ist schon etwas, Mr. Inch.»
        Gossett rief:»Klar zur Kursanderung, Sir.»
        Die Landzunge und auch der gro?te Teil der Kuste war bereits im grauen Dunst verschwunden; der Wind wehte so stetig wie zuvor, fegte die Schaumkronen von den Wellen und uberschuttete das Luv-Schanzkleid mit Spruhwasser.

«Bringen Sie das Schiff einen Strich hoher an den Wind, Mr. Gossett. In vier Stunden wollen wir abfallen und mit achterlichem Wind segeln. «Er sah Gossetts Gesicht und nickte gutgelaunt.»Wir werden bald wohl reffen mussen, aber ich nehme an, Sie wollen erst sehen, wie das Schiff unter Vollzeug lauft.»
        Bolitho drehte sich zu Inch um.»Ich gehe in meine Kajute. Ich bin sicher, da? Sie mich im Augenblick nicht brauchen, wie?«Er wendete sich ab und ging schnell auf die Kampanje zu, ehe sein Erster Offizier antworten konnte. Inch hatte den ersten Teil recht gut hinter sich gebracht, und es war nur fair, ihm in offenem Wasser freie Hand zu lassen, ohne da? sein Kommandant uber jede seiner Ma?nahmen und Entscheidungen wachte. Und Gossett wurde schnell eingreifen, wenn sich etwas Ernsthaftes ereignen sollte.
        Er bemerkte, da? einige unbeschaftigte Matrosen ihn beobachteten, als er sich unter der Kampanje buckte und schnell zu seiner Kajute ging. Erste Eindrucke waren von entscheidender Bedeutung, und er mu?te vollig unbesorgt erscheinen, obwohl er seine Ohren anstrengte, um auf das Knarren der Wanten und Stage zu lauschen, wahrend das Schiff sich fast gegen den Wind seinen Weg durch die
        Wogen bahnte. Gedampft horte er Tomlin bellen:»Nicht diese Hand! Deine rechte Hand, habe ich gesagt. Die, mit der du dir das Futter in den Mund stopfst!«Eine Pause.»Komm, la? es dir zeigen, du ungeschickter Tolpel!«Bolitho lachelte schief. Der arme Tom-lin, fur ihn hatte es schon angefangen.
        Fur den Rest des Vormittags und weit bis in die Nachmittagswache hinein lief die Hyperion stetig in den Kanal hinaus, die Rahen durchgebogen von dem sturmischen Landwind, in dem sie stark krangte. Bolitho verbrachte mehr Zeit auf dem Achterdeck, als er zunachst beabsichtigt hatte, da eine kritische Situation nach der anderen ihn aus seiner Kabine rief. Inch war es gelungen, die Bramsegel zu setzen, und unter der hohen Pyramide der geblahten Segel lag das Schiff in einem fast standig gleichbleibenden Winkel, so da? die Arbeit in den Masten den Mannern auf der Leeseite noch gefahrlicher erscheinen mu?te als vorher. Von der schwindelerregenden Hohe aus gesehen, schien das Schiff geschrumpft zu sein, und unter ihnen befand sich nichts als die zornig schaumenden und Gischt spruhenden Bugwellen von dem stampfenden Rumpf. Ein Mann hatte sich an die Bramrahe des Vormastes geklammert und war nicht dazu zu bringen, sich von der Stelle zu ruhren. Oder richtiger, er konnte es nicht, denn seine Todesangst war gro?er als die Furcht vor dem wutenden Bootsmannsmaaten, der vom Mast her fluchte und drohte und nur
zu deutlich die Beschimpfungen seines ranggleichen Kameraden vom Hauptmast mitbekam, die der zum Entzucken seiner verwegen balancierende Toppsgasten uber ihn ergo?.
        Schlie?lich schickte Inch einen Midshipman nach oben, der schon mehrmals gro?e Behendigkeit im Mast bewiesen hatte, um den unglucklichen Neuling herunterzuholen, und Bolitho kam gerade aus seiner Kabine, als die beiden, vor Erschopfung keuchend, das Deck erreichten.
        Leutnant Stepkyne brullte wutend:»Dafur werde ich Sie auspeitschen lassen, Sie feiger Wicht!»
        Bolitho rief:»Bringen Sie den Mann nach achtern. «Dann zu Inch:»Ich lasse nicht zu, da? ein Mann sinn- und zwecklos terrorisiert wird. Bestimmen Sie einen erfahrenen Mann, der sofort wieder mit ihm hinaufgeht.»
        Als der Matrose unten an der Achterdecksleiter stand, fragte Bo-litho:»Wie hei?en Sie?»
        Mit heiserer Stimme antwortete der Mann:»Good, Sir.»
        Stepkyne hatte ungeduldig an seinem Gurtel gezerrt und schnell eingeworfen:»Das ist ein Tolpel, Sir.»
        Gelassen fuhr Bolitho fort:»Horen Sie zu, Good. Sie mussen sofort wieder hinauf in den Mast, verstehen Sie?»
        Verstort sah der Mann zu der Rahe am Vormast hinauf. Sie war mehr als drei?ig Meter uber Deck.
        Bolitho fuhr fort:»Es ist keine Schande, Angst zu haben, aber es ist gefahrlich, sie zu zeigen. «Er beobachtete die widerstreitenden Gefuhle auf dem Gesicht des Matrosen.»Und jetzt hinauf mit Ihnen.»
        Der Mann ging, und Inch sagte bewundernd:»Also, das war wirklich was, Sir.»
        Bolitho hatte sich abgewendet, als der verangstigte Matrose in die vibrierenden Wanten hinaufkletterte.»Man mu? Menschen fuhren, Mr. Inch. Es zahlt sich niemals aus, sie zu qualen. «Und zu Stepkyne hatte er hinzugefugt:»Uns fehlen immer noch Leute, und wir brauchen jeden einsatzfahigen Mann, den wir finden konnen. Diesen Mann bis zur Bewu?tlosigkeit auspeitschen zu lassen, ware doch sinnlos. Meinen Sie nicht auch?«Stepkyne hatte die Hand an den Hut gelegt und war wieder nach vorn gegangen, um seine Leute zu uberwachen. Zu Inch hatte Bolitho hinzugefugt:»Es gibt keinen leichten Weg, hat es nie gegeben.»
        Um sechs Glasen war es wieder an der Zeit zu halsen, und die ganze Geschichte begann von neuem. Benommen und zerschrammt, mit blutenden Fingern und von der Anstrengung gezeichneten Gesichtern wurden die neuen Leute auf die Rahen hinaus gefuhrt oder gezerrt, um Segel zu reffen, denn der Wind frischte mit jeder Minute mehr auf, und obwohl das Land nur zehn Meilen querab lag, war es in Dunst und Gischt verborgen.
        Bolitho zwang sich, schweigend an Deck zu stehen, wahrend er die krampfhaften Bemuhungen beobachtete, mit denen seine Befehle befolgt wurden. Immer wieder mu?te manchen der Leute gezeigt werden, was sie tun sollten, mu?ten ihnen Leinen und Brassen in die Hande gedruckt werden, wahrend Tomlin und seine Gehilfen von einem Durcheinander zum nachsten hasteten.
        Schlie?lich schien dann sogar Gossett zufrieden zu sein, und wahrend sich die Matrosen an den Brassen abmuhten, wendete die Hyperion den Bug nach Suden; der Wind fegte jetzt mit solcher Gewalt uber das Achterdeck, da? zwei zusatzliche Ruderganger eingesetzt werden mu?ten.
        Aber das Schiff schien es zu genie?en; obwohl nur noch die Marssegel gesetzt waren, neigte es sich, stie? seinen Bug in weit ausholenden Sto?en dem unsichtbaren Horizont entgegen, wahrend Woge um Woge gegen seine bauchigen Flanken anlief und sich hoch uber seinem schwankenden Deck in einem Schauer wirkungsloser Gischt brach.
        Bolitho griff in das ausgespannte Netz und blickte nach achtern, obwohl er wu?te, da? es dort nichts zu sehen gab. Doch irgendwo hinter ihnen lagen die rauhe Kuste von Cornwall und sein Heimatort Falmouth, knapp zwanzig Meilen entfernt im Westen. Das gro?e Haus unterhalb der massigen Pendennis Castle wurde auf Cheneys Ruckkehr warten. Auf die Geburt ihres ersten Kindes, das er nun lange Zeit nicht zu Gesicht bekommen wurde.
        Wieder zischte und drohnte eine Woge uber die Luvgangway, und er horte Gossett murmeln:»Bald werden wir ein zweites Reff brauchen, meine ich.»
        Pfeifen schrillten, als die Wache schlie?lich unter Deck entlassen wurde, und Bolitho sagte:»Halten Sie mich informiert. «Dann verlie? er selbst das Deck.
        Die gro?e Achterkajute wirkte warm und freundlich nach dem windgepeitschten Deck. Die Lampen schwangen im Takt hin und her und warfen fremdartige Schatten uber die grunen Ledersessel und die Sitzbank unter den Heckfenstern, den alten, polierten Schreibtisch und den Tisch, die im Lampenlicht wie neue Kastanien schimmerten. Er stand vor den breiten Fenstern und starrte hinaus auf das wildbewegte Panorama hochgehender Wellen und gespenstischer Gebilde aus Gischt. Dann setzte er sich seufzend an den Schreibtisch und blickte auf den Stapel Papiere, den ihm sein Schreiber zur Durchsicht vorgelegt hatte. Doch diesmal empfand er einen Widerwillen dagegen, und der Gedanke beunruhigte ihn.
        Leise offnete sich die Tur, und Allday kam in die Kajute, seine stammige Gestalt hielt sich in einem grotesken Winkel zum schragen Deck.
        Allday sah ihn bedruckt an.»Bitte um Entschuldigung, Captain, aber Petch, Ihr Diener, hat gesagt, Sie hatten noch nichts gegessen, seit Sie heute an Bord gekommen sind. «Er ignorierte Bolithos Stirnrunzeln.»Ich habe mir deshalb erlaubt, Ihnen etwas Wildpastete zu bringen. «Er hob eine Platte hoch, die mit einem silbernen Deckel bedeckt war.»Mrs. Bolitho hat sie mir extra fur Sie gegeben, Captain.»
        Bolitho protestierte nicht, als Allday die Platte auf den sich neigenden Schreibtisch stellte und sich um ein Besteck kummerte. Wildpastete. Cheney mu?te sie fur ihn verpackt haben, als er sich morgens anzog.
        Allday tat so, als ob er den Ausdruck auf Bolithos Gesicht nicht wahrnahme, und nutzte die Gelegenheit, Bolithos Sabel von einem Sessel zu nehmen und ihn an seinen Platz an der Schottwand zu hangen. Er schimmerte stumpf im Licht der schwankenden Lampen, und Allday sagte leise:»Ohne ihn ware es nicht mehr so wie fruher.»
        Aber Bolitho antwortete nicht. Der Sabel, die Waffe seines Vaters und fruher seines Gro?vaters, war so etwas wie ein Talisman und ein viel diskutiertes Thema unter den Decks, wenn dort das Gesprach auf Bolithos Taten gebracht wurde. Der Sabel war ein Teil seiner Person, seines Herkommens und seiner Tradition, doch in diesem Augenblick konnte er an nichts anderes denken als an das, was er hinter sich zurucklie?. Gerade jetzt wurden die Pferde uber die Stra?e nach Plymouth traben. Funfzig Meilen bis Fal-mouth, wo sein Hausmeister und Diener Ferguson, der einen Arm vor den Saintes verloren hatte, darauf warteten, sie zu begru?en. Uber dem Klatschen der Gischt gegen die Scheiben der Fenster, dem Knarren der Planken und Balken und dem alles ubertonenden Rauschen der Leinwand glaubte er, Cheneys Lachen zu horen. Vielleicht war es Einbildung, aber er spurte ihre Beruhrung, hatte den Geschmack ihrer Frische auf den Lippen.
        Ohne auf Allday zu achten, knopfte er sein Hemd auf und betrachtete das kleine Medaillon, das er um den Hals trug. Es enthielt eine Locke ihres Haars, war ein Talisman, besser als jede Waffe.
        Die Tur offnete sich, und ein durchna?ter Midshipman sagte atemlos:»Mr. Inchs Respekt, Sir, und er bittet um Erlaubnis, ein zweites Reff einzustecken.»
        Bolitho erhob sich. Sein Korper ubernahm das stetige Schwanken des Schiffs.»Ich komme sofort. «Dann sah er Allday an und lachelte fluchtig.»Wir haben wenig Zeit fur Traume, wie es scheint. «Er folgte dem begierigen Blick des Midshipman und fugte hinzu:»Und auch keine fur Wildpastete.»
        Allday blickte ihm nach und setzte dann den silbernen Deckel wieder auf die Platte. So wie jetzt hatte er den Kommandanten noch nie erlebt und war daruber beunruhigt. Er sah zu dem Sabel hinuber, der an seinem Haken pendelte, hatte wieder vor Augen, wie die Klinge im Sonnenlicht funkelte, als Bolitho die franzosische Batterie bei Cozar ersturmte, auf den blutbedeckten Planken eines feindlichen Schiffes angriff, so viele Taten so viele Male begangen hatte. Doch jetzt schien Bolitho verandert zu sein, und Allday verfluchte den Mann, der die Hyperion bei der Blockade eingesetzt und nicht an einen Ort geschickt hatte, wo gekampft wurde.
        Er dachte auch an die Frau, die Bolitho geheiratet hatte. Zum erstenmal waren die beiden sich an Bord dieses Schiffes begegnet. Er blickte sich um, und es fiel ihm schwer, es zu glauben. Vielleicht war es das, was fehlte. Cheney Seton war ein Teil des Schiffes gewesen, hatte die Gefahren und die Schrecken gekannt, wenn der alte Rumpf unter einer Breitseite erbebte und dem alles niedermahenden Wind des Todes. Auch Bolitho wurde daran denken, davon war er uberzeugt. Daran denken und sich daran erinnern, und das war schlecht.
        Allday schuttelte den Kopf und ging auf die Tur zu. Es war schlecht einfach deswegen, weil sie alle mehr denn je zuvor von ihm abhingen. Ein Kommandant hatte niemanden, mit dem er seinen Kummer teilen konnte, und niemanden, der ihm seine Schuld abnahm, wenn er versagte. Er ging an dem Wachtposten vorbei und kletterte durch eine enge Luke. Eine Plauderei und ein Glas mit dem Segelmacher konnte ihm uber seine Befurchtungen hinweghelfen, hoffte er. Aber er war sich dessen nicht sicher.



        II Unter dem Kommodorestander

        Richard Bolitho beendete die Eintragung ins Logbuch und lehnte sich mude in seinem Sessel zuruck. Selbst in der geschutzten Kajute war die Luft kalt und feucht, und der Lederbezug seines Schreibtischstuhls fuhlte sich klamm an. Das Schiff hob sich, hielt inne und taumelte dann in einer ungestumen, korkenzieherartigen Bewegung vorwarts, bei der selbst Nachdenken zu einer bewu?ten Willensanstrengung wurde. Er wu?te aber, wenn er wieder auf das vom Wind uberfegte Achterdeck zuruckging, wurde er fur nicht mehr als nur wenige Minuten Frieden finden.
        Er starrte durch die dicken Scheiben der Heckfenster. Sie waren aber so von Salz verkrustet und mit herabrinnendem Spruhwasser bedeckt, da? man nur gerade noch den Tag von der Nacht unterscheiden konnte. Es war kurz vor der Mittagsstunde, aber es konnte jede andere Tageszeit sein. Der Himmel war entweder schwarz und zeigte keine Sterne oder war schiefergrau wie jetzt. Und so war es Tag fur Tag gewesen, wahrend die Hyperion weiter und weiter nach Sudosten segelte und tiefer in die Biskaya vorstie?.
        Er war auf die Beschwerlichkeiten und die Langeweile des Blok-kadedienstes durchaus vorbereitet, und als am zweiten Tag nach dem Auslaufen von Plymouth der Ausguck im Mast die Schiffe des Geschwaders gesichtet hatte, war er bereits entschlossen, aus allem das Beste zu machen. Aber wie er nach fast funfundzwanzig Dienstjahren auf See hatte wissen mussen: bei der Marine konnte man sich auf nichts mit Sicherheit verlassen.
        Seine Befehle besagten, da? er sich dem Kommando von Vizeadmiral Sir Manley Cavendish unterstellen und seinen Platz mit all den anderen wettererprobten Schiffen bei der standigen Bewachung einnehmen sollte, die uber das Geschick von England und damit der gesamten Welt entscheiden konnte. Vor jedem franzosischen Hafen uberstanden diese Schiffe Sturme oder kreuzten unermudlich in ihrer kein Ende nehmenden Patrouille auf und ab, wahrend dichter unter der Kuste und manchmal sogar in Reichweite feindlicher Batterien schlanke Fregatten, die Augen der Flotte, jede Schiffsbewegung meldeten. Sie sammelten Informationen von aufgebrachten Kustenfahrzeugen oder segelten bei ihrer unaufhorlichen Suche nach Nachrichten verwegen fast in die franzosischen Hafen selbst hinein.
        Seit Howes Sieg an jenem glorreichen l. Juni hatten die Franzosen wenig Neigung zu einem weiteren gro?en Zusammensto? gezeigt, aber wie jeder andere denkende Offizier hatte Bolitho erkannt, da? diese bedruckende Tatenlosigkeit nicht ewig dauern konnte. Nur der Kanal trennte den Feind von einer Invasion Englands, doch bis die Franzosen eine starke Invasionsflotte aufgestellt hatten, war dieser Wasserstreifen so gut wie ein Ozean.
        In den gro?en Kriegshafen Brest und Lorient konnten sich die franzosischen Linienschiffe nicht regen, ohne von den kreuzenden Fregatten beobachtet und gemeldet zu werden, wahrend in jedem anderen Hafen an der Westkuste bis hinunter nach Bordeaux andere Schiffe warteten und auf eine Chance lauerten, sich davonzuschleichen und sich schnell den anderen Streitkraften im Norden anzuschlie?en. Bald wurde es soweit sein, da? sie einen Ausbruch versuchten. Wenn das geschah, war es lebenswichtig, da? die Nachrichten uber die Bewegungen des Feindes schnell die schweren Geschwader erreichten und, wichtiger noch, richtig gedeutet wurden, damit Ma?nahmen ergriffen wurden, sie zu stellen und zu vernichten.
        Schweigend hatte Bolitho in Lee des Flaggschiffes verharrt und beobachtet, wie die Flaggen zur Rah des machtigen Dreideckers aufstiegen und Midshipman Gascoigne mit seinen Signalgasten sich verzweifelt abmuhte, mit den Bestatigungen nachzukommen. Bei dieser Gelegenheit hatte er den ersten Hinweis darauf erhalten, da? nicht alles so war wie erwartet.
        Gascoigne hatte geschrien:»Flaggschiff an Hyperion: Halten Sie sich bereit, Befehle und Depeschen zu ubernehmen!»
        Inch schien eine Frage stellen zu wollen, zog es aber dann vor, zu schweigen. Die beiden ersten Tage nach dem Auslaufen von Ply-mouth waren schwer fur ihn gewesen. Innerhalb weniger Stunden, nach dem sie nach Suden abgedreht hatten, war der Wind zu annahernd Sturmstarke angewachsen. Unter gerefften Marssegeln und bei einer wilden, achterlich anlaufenden See, die das Schiff schwanken und wie betrunken von einem Wellental ins nachste taumeln lie?, war Inch einem Chaos von Fragen und Forderungen von allen Seiten ausgesetzt gewesen. Viele der neuen Leute waren seekrank und fast hilflos, und die meisten anderen waren standig bei der Arbeit, Tauwerk zu splei?en, das wie alles neue Tauwerk die erste wirkliche Belastungsprobe nur schlecht bestand, und die ubrigen wurden standig hin und her gefuhrt oder getrieben, entweder zum Trimmen der Segel oder zu der knochenbrechenden Arbeit an den Lenzpumpen.
        Mehr als einmal hatte es Bolithos ganze Selbstbeherrschung erfordert, nicht in Inchs Tatigkeit einzugreifen, aber es war ihm auch nur zu klar bewu?t, da? die Schuld allein bei ihm selbst zu suchen war. Fur diese Arbeit war Inch noch zu unerfahren, das war jetzt ganz unverkennbar, doch wenn Bolitho jetzt sein Mi?fallen zeigte, mochte es Inch vollig fertigmachen. Nicht, da? Bolitho auch nur ein Wort zu sagen brauchte. Inchs ungluckliches Gesicht verriet, da? er sich seiner Unzulanglichkeit selbst nur zu bewu?t war.
        Das nachste Signal vom Flaggschiff war kurz gewesen:»Halten Sie sich bereit, den Flaggkapitan zu empfangen.»
        Das Ubliche war, da? Kommandanten sich personlich meldeten, um neue Befehle zu empfangen, wenn sie zu einem Geschwader stie?en, obwohl in Fallen von wirklich schlechtem Wetter es vorkam, da? der wasserdicht versiegelte Beutel an einer Wurfleine von Schiff zu Schiff befordert wurde. Doch diesmal schickte der Admi-ral seinen Kapitan. Das Boot, das den Kommandanten des Flaggschiffs uber das kabbelige Wasser brachte, war beinahe vollgelaufen, als es schlie?lich an den Ketten festmachte. Der untersetzte Offizier in seinem durchna?ten Bootsmantel gonnte dem Empfangskommando und den salutierenden Marinesoldaten kaum einen Blick, als er Bolithos ausgestreckte Hand ergriff und grollend sagte:»Gehen wir um Gottes willen unter Deck.»
        Sobald der Besuch die gro?e Kajute betreten hatte, kam er sofort zur Sache.

«Ich bringe Ihnen neue Befehle, Bolitho. Sie werden weiter nach Sudost segeln und sich dem vor der Kuste operierenden Geschwader von Kommodore Mathias Pelham-Martin anschlie?en. Der Admiral hat ihn mit seinen Schiffen vor einigen Wochen zum Dienst vor der Gironde-Mundung detachiert. In Ihren neuen Befehlen werden Sie eine vollstandige Liste der Schiffe und ihrer Aufgaben finden.»
        Er hatte schnell, beinahe beilaufig gesprochen, aber Bolitho fuhlte sich instinktiv gewarnt. Pelham-Martin. Der Name war ihm zwar durchaus vertraut, dennoch vermochte er sich an keinen Marineoffizier zu erinnern, sei es ein Kommodore oder ein anderer Rang, der sich so sehr ausgezeichnet oder auch blamiert hatte, um diesen besonderen Besuch des Flaggkapitans zu rechtfertigen.
        Unvermittelt sagte der Besucher:»Ich tausche nicht gern jemanden, schon gar nicht einen Kameraden im gleichen Rang. Das Verhaltnis zwischen dem Admiral und dem Kommodore ist sehr gespannt. Wie Sie feststellen werden, ist Pelham-Martin ein Mann, unter dem zu dienen in gewisser Weise schwierig ist.»

«Und wie ist es zu diesen Spannungen gekommen?»

«Das liegt wirklich alles schon sehr lange zuruck. Wahrend der Amerikanischen Revolution…»
        Bolitho hatte es plotzlich alles klar vor Augen.»Jetzt erinnere ich mich. Ein britischer Infanterieoberst ergab sich mit all seinen Leuten den Amerikanern, und als einige unserer Schiffe mit Verstarkung eintrafen, liefen sie direkt in eine Falle.»
        Der Flaggkapitan schnitt eine Grimasse.»Dieser Oberst war der Bruder von Pelham-Martin. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wer der Offizier war, der die Schiffe befehligte, oder?»
        In diesem Augenblick erschien ein Midshipman.»Signal vom Flaggschiff, Sir: Kommandant sofort zuruck an Bord.»
        Bolitho verstand in diesem Augenblick vollkommen, was dieser Besuch fur ihn und sein Schiff bedeutete. Kein Admiral konnte gegenuber einem Kommandanten, der seinem Geschwader neu zugeteilt worden war, sein Mi?trauen laut werden lassen. Aber durch einen gleichrangigen Kameraden konnte er Unbehagen und Unsicherheit zu erkennen geben.
        Der Flaggkapitan blieb unter der Kajutentur stehen. Sein Blick war forschend.

«Ich kenne Ihre Karriere, Bolitho, und Sir Manley Cavendish kennt sie auch. Als die Nachricht eintraf, da? Sie zu dem Geschwader sto?en wurden, sagte er zu mir, da? Sie in den Abschnitt von Pelham-Martin im Sudosten geschickt werden sollten. Die Rolle, die Sie im vergangenen Jahr bei der Invasion von St. Clar gespielt haben, ist in guter Erinnerung, wenn Sie dafur auch nur denkbar wenig Anerkennung gefunden haben. Das Geschwader des Kommodore ist klein, aber seine Leistungen und seine Wachsamkeit konnten sich als lebenswichtig erweisen. Ihre Einsicht und Ihre Anwesenheit konnten dazu beitragen, da? diese dumme Fehde ein Ende findet. «Er hob zweifelnd die Schultern.»Das bleibt selbstverstandlich unter uns. Falls mir auch nur ein Wort zu Ohren kommen sollte, da? eine Andeutung von Mi?trauen oder Unfahigkeit erfolgt sei, werde ich das naturlich mit allem Nachdruck bestreiten.
«Und dann verlie? er nach einem weiteren kurzen Handedruck das Schiff.
        Als Bolitho spater an seinem von Papieren bedeckten Schreibtisch sa?, fiel es ihm schwer zu glauben, da? durch diese personlichen Spannungen die Leistungsfahigkeit der hart bedrangten Schiffe und ihrer erschopften Besatzungen Gefahr lief, beeintrachtigt zu werden. Diese Begegnung mit dem Flaggschiff lag nun vier Tage zuruck, und wahrend die Hyperion weiter nach Sudosten vordrang und ihre Besatzung halbherzig gegen Seekrankheit und schlechtes Wetter ankampfte, hatte Bolitho seine Befehle sorgfaltig studiert und bei seinen einsamen Gangen auf dem Achterdeck versucht, ihre wahre Bedeutung zu ergrunden.
        Offenbar standen drei Linienschiffe und drei Fregatten unter Pelham-Martins Kommando, sowie zwei kleine Schaluppen. Eins der Linienschiffe sollte zur Uberholung und Reparatur nach England geschickt werden, sobald die Hyperion seinen Platz ubernehmen konnte. Es war wirklich eine sehr kleine Streitmacht.
        Doch wenn sie in der richtigen Position eingesetzt wurde, konnte sie sehr gut jede plotzlich erfolgende Bewegung feindlicher Fahrzeuge uberwachen. Es war bekannt, da? mehrere gro?e franzosische Schiffe Gibraltar unbemerkt passiert und bereits den Weg in die Biskaya gefunden hatten. Ebenso war bekannt, da? Spanien gegenwartig zwar ein Verbundeter Englands war, es aber mehr dem Zwang der Notwendigkeit als echter Freundschaft oder Bereitschaft zur Kooperation folgte. Viele dieser Schiffe mu?ten dicht unter der Kuste Spanien umsegelt und manche mochten sich sogar in spanischen Hafen verborgen haben, um dem Angriff durch britische Patrouillen zu entgehen. Um sich dem Gros der franzosischen Flotte anzuschlie?en, wurden diese Schiffe wahrscheinlich versuchen, die Gironde oder La Rochelle zu erreichen, um dort ihre Befehle auf dem Landweg zu erhalten, und dann die erste Gelegenheit wahrnehmen, um dicht unter der Kuste nach Lorient oder Brest zu gelangen.
        An die Tur wurde geklopft, und Midshipman Gascoigne trat uber die Schwelle.»Mr. Stepkynes Respekt, Sir, und wir haben gerade ostwarts ein Segel gesichtet.»

«Sehr gut. Ich komme sofort.»
        Bolitho sah, wie die Tur sich wieder schlo?, und rieb sich nachdenklich das Kinn. Wie immer die Dinge auch liegen mochten, er wurde jetzt nicht mehr lange auf eine Aufklarung zu warten haben.
        Langsam stand er auf und griff nach seinem Hut. Er spurte das Amulett unter dem Hemd an seiner Brust, und plotzlich dachte er an Cheney. Er hatte ihr einen Brief geschrieben und ihn dem Flaggkapitan mitgegeben, zur Weiterleitung mit dem nachsten Schiff, das einen Heimathafen anlief. Er hatte keine Zeit mehr gehabt, irgend etwas darin zu andern, und sie wurde glauben, da? er unverandert vor Lorient kreuzte. Aber zweihundert Meilen mehr oder weniger spielten auch keine Rolle, ging ihm fluchtig durch den Kopf.
        Als er auf das Achterdeck hinaustrat, bemerkte er, da? die Offiziere in steifer Verlegenheit Haltung annahmen, und vermutete, da? sie vor seinem Erscheinen wahrscheinlich in eine heftige Diskussion uber das ferne Schiff vertieft gewesen waren.
        Bolitho blickte zu den straff geblahten Sege ln und der flatternden Zunge des Wimpels an der Mastspitze hinauf. Das Leinen war steif vor Nasse und Salz, und einen Augenblick empfand er Mitleid mit den Mannern, die hoch oben uber dem schwankenden Rumpf arbeiteten. Der Wind kam beinahe unmittelbar von achtern, und die See hatte sich zu einem zornigen Panorama kurzer steiler Wogen verandert, deren Schaumkopfe in dem grellen Licht wie gierig gebleckte Raubtierfange wirkten. Der Horizont war kaum auszumachen, und obwohl sie sich nach seiner Schatzung etwa zwanzig Meilen vor der Kuste befanden, war von ihr nichts zu sehen.
        Von einem Midshipman nahm er ein Glas entgegen und stutzte es gelassen auf das ausgespannte Netzwerk. Er wu?te, da? die anderen ihn genau beobachteten, um seine Reaktionen zu erkennen und daraus vielleicht ihr eigenes Geschick zu erraten, aber sein Gesicht blieb ausdruckslos, als er die erste verschwommene Segelpyramide ins Blickfeld bekam. Er bewegte das Glas ein wenig und wartete, als die Hyperion in ein tiefes Wellental glitt und gleich darauf unbeeindruckt in eine weitere anrollende, schaumgekronte Woge stie?. Dort war ein zweites Schiff und womoglich ein drittes.
        Mit einem Schnappen schob er das Glas zusammen.»Legen Sie das Schiff auf Steuerbordbug und machen Sie sich zum Segelreffen bereit, Mr. Stepkyne.»
        Stepkyne griff an seinen Hut.»Aye, aye, Sir. «Er sagte selten viel, es sei denn, er konnte einen ungeschickten oder unaufmerksamen Matrosen heruntermachen. Er schien nicht willens oder unfahig zu sein, ein vertrauliches oder beilaufiges Gesprach mit seinen Offizierskameraden zu fuhren, doch Bolitho wu?te jetzt ebensowenig von ihm wie bei ihrer ersten Begegnung. Trotz allem war er ein sehr fahiger Seemann, und Bolitho war es nicht moglich gewesen, bei irgendeiner Arbeit, die er ausgefuhrt hatte, einen Mangel festzustellen.
        Selbst jetzt, als er mit lauter Stimme Befehle austeilte und mit in die Huften gestemmten Handen beobachtete, wie die Leute wieder einmal angetrieben wurden, die Brassen und Fallen zu bemannen.
        Bolitho vertrieb Stepkynes kalte Tuchtigkeit und Inchs krampfhafte Bemuhungen aus seinen Gedanken. Sobald das Wetter besser wurde, wenn auch nur fur wenige Tage, wurde Inch die Chance bekommen, die Leute zu drillen, um bessere Ergebnisse zu erzielen.
        Er sagte knapp:»Kurs Ost zu Sud, Mr. Gossett.»
        Die Stimme des Ausgucks im Mast drang schwach uber das Rauschen der Leinwand.»Drei Linienschiffe unter Vollzeug, Sir. «Es folgte eine Pause, wahrend der jeder nicht Beschaftigte zu der winzigen Gestalt hinaufspahte, die sich vor den ziehenden Wolken abhob.»Das vorderste Schiff fuhrt einen Kommodorestander, Sir.»
        Ein Schuh scharrte auf dem Deck, und Bolitho sah Inch auf sich zueilen, dem ein paar Zwiebackkrumel auf dem Rock hingen.
        Inch griff an seinen Hut.»Tut mir leid, da? ich so spat komme, Sir. «Er blickte sich besorgt nach allen Seiten um.»Ich mu? einen Augenblick eingeschlafen sein.»
        Bolitho betrachtete ihn ernst. Wegen Inch mu?te er etwas unternehmen, dachte er. Er sah vollig ubermudet aus und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
        Ruhig sagte er:»Rufen Sie alle Mann an Deck, Mr. Inch. Wir werden gleich das Geschwader erreichen und mussen vielleicht wenden oder beidrehen. «Er lachelte. Ein Kommodore ist nicht anders als ein Admiral, wenn es um seemannisches Konnen geht.»
        Aber Inch nickte nur duster.»Aye, aye, Sir.»
        Langsam, aber unaufhaltsam tauchten die Schiffe aus dem wogenden Dunkel auf, bis sie in einer Reihe sichtbar waren. Die Rumpfe glanzten vor Nasse, die gerefften Marssegel schimmerten wie Stahl in dem boigen Wind. Sie waren alle Vierundsiebziger wie die Hyperion, und in den Augen einer Landratte mochten sie sich wie ein Ei dem anderen gleichen. Aber Bolitho wu?te aus muhsam erworbener Erfahrung, da? selbst Schiffe, die nebeneinander auf derselben Werft von Stapel gelaufen waren, einander so unahnlich sein konnten wie Wasser und Wein, ganz wie es ihren jeweiligen Kommandanten in den Sinn kam.
        Gossett, der den fuhrenden Zweidecker prufend betrachtete, sagte nachdenklich:»Das Schiff des Kommodore kenne ich, Sir. Es ist die Indomitable unter Kapitan Winstanley. Anno 1881 habe ich neben ihr gekampft. «Er blickte Midshipman Gascoigne streng an.

«Sie hatten sie fruher entdecken und melden mussen, junger Mann.»
        Mit zusammengekniffenen Augen studierte Bolitho das fuhrende Schiff, wahrend sich unter dessen Signalrahe weitere Flaggen entfalteten; anscheinend nur Sekunden spater setzte die ganze Formation zu einer Wende an, bis die Indomitable beinahe parallel, mit kaum zwei Kabellangen Abstand, neben der Hyperion herlief. Selbst ohne Glas waren die breiten Streifen von verkrustetem Salz und abgelagertem Schlick an Vorschiff und Bug zu erkennen, als sich das Schiff gewichtig in ein flaches Wellental senkte, wobei die unteren Geschutzpforten einen Augenblick uberspult wurden. Hinter sich horte Bolitho Gossett vor sich hin murmeln:»Kapt'n Win-stanley hat die alte Dame gut im Griff, das mu? man ihm lassen. «Aus seinem Mund war das ein Lob hochster Ordnung.
        Diesmal war Gascoigne auf der Hut. Als weitere Signale zur Rah der Indomitable aufstiegen und sich im Wind entfalteten, schrie er gleich:»Flaggschiff an Hyperion: Kommandant ohne Verzug an Bord melden.»
        Bolitho lachelte grimmig. Zweifellos wartete der Kommodore ungeduldig darauf, was sein alter Widersacher zu sagen hatte.

«Bewegung bitte! Mein Boot klarmachen!«Er starrte auf die brechenden Wogenkamme und konnte sich vorstellen, wie seine Bootsbesatzung den Kommodore wegen seines so schnell erteilten Befehls verfluchte.
        Wahrend die Matrosen sich an den Brassen abmuhten, drehte die Hyperion langsam und widerstrebend, mit knatternden, wie Kanonenschusse knallenden Segeln in den Wind. Tomlin trieb mit lauten Rufen die Leute an, die Bolithos Boot zu Wasser lie?en. Eine Leine verfing sich dabei am Hals eines jungen Matrosen, der dadurch gegen einige Leute an den Brassen des Gro?bramsegels gerissen wurde. Einen Augenblick entstand ein wildes Durcheinander. Kreischend lief das gequollene Tau durch seinen Block. Die Manner sturzten taumelnd wie Marionetten ubereinander, bis ein Bootsmannsmaat selbst zwischen die brullenden und fluchenden Manner sprang und Ordnung schuf.
        Stepkyne, der den Befehl auf dem Hauptdeck fuhrte, packte den unglucklichen Matrosen und schrie ihn, das Gesicht nur wenige Zoll vom Gesicht des anderen entfernt, an:»Du elender Tolpel! Dir werd ich's noch beibringen!»
        Der Matrose griff sich an die wundgescheuerte Kehle.»Aber, Sir, ich kann doch nichts dafur«, krachzte er, dem Weinen nahe.»Es war nicht meine Schuld, Sir!»
        Stepkyne schien au?er sich zu sein. Wenn der Bootsmannsmaat nicht eingegriffen hatte, hatte das Durcheinander zu einer Katastrophe fuhren konnen, besonders fur die Manner, die oben auf der Rah arbeiteten. Bei dem Gewicht des Boots am einen Ende der Leine und dem Krafteinsatz mehrerer Bootsgasten am anderen, konnte der Mann von Gluck sagen, da? ihm nicht der Kopf abgerissen worden war.
        Inch packte die Achterdeckreling und brullte gegen den Wind an:»Macht das Boot klar! Und diesen Mann konnen Sie zum Arzt hinunterschicken, Mr. Stepkyne!»
        Der verletzte Matrose wollte zur Luke, aber Stepkyne trat ihm entgegen, wahrend er mit funkelnden Augen zum Achterdeck hinaufstarrte.»Das hatte nicht passieren mussen. Wenn die Leute richtig gedrillt worden waren, hatte der Idiot die Gefahr rechtzeitig erkannt!»
        Allday rief:»Boot ist langsseit, Captain!«Aber seine Blicke waren auf Inch und Stepkyne gerichtet.
        Bolitho stieg schnell die Achterdecksleiter hinab und sagte kalt:»Sobald ich zuruck bin, wunsche ich Sie in meiner Kabine zu sehen, Mr. Stepkyne. Wenn ein Befehl erteilt ist, haben Sie ihn zu befolgen, ohne Fragen zu stellen. Haben Sie verstanden?»
        Er hatte seine Stimme gedampft, wu?te aber, da? der Schaden angerichtet war. Stepkyne hatte Unrecht gehabt, gegen Inch zu opponieren, und erst recht damit, dessen Handlungen zu kritisieren.
        Bolitho wu?te aber auch, da? Stepkynes Arger gerechtfertigt war. Inch hatte jeden Mann erst uberprufen mussen, ehe er ihm seinen Platz zuteilte; ganz besonders die neuen und unerfahrenen Leute.
        Mehr als jedem anderen gab er aber sich selbst die Schuld, weil er zulie?, da? Inch weiter sein Erster Offizier blieb.
        Er beruhrte kurz seinen Hut und lie? sich durch die Schanzpforte hinab, und nachdem er einige Sekunden gewartet hatte, sprang er in das stampfende Boot.
        Als das Boot ablegte, blickte Bolitho nicht zuruck. Das alles wurde auf ihn warten, bis er zuruckkam, inzwischen mu?te er sich aber entscheiden, welche Ma?nahmen er ergreifen sollte.
        Kapitan Amelius Winstanley stand bereit, um Bolitho an der Schanzpforte der Indomitable zu empfangen, und noch ehe die schrillenden Pfeifen verstummt waren, trat er vor und ergriff dessen Hand, die er mit offenkundiger Erleichterung herzlich druckte.

«Ein Mann nach meinem Herzen, Bolitho!«Er grinste, wahrend Bolitho sich bemuhte, seinen verrutschten Hut und seinen Sabel geradezurucken.»Auch ich hab's nie fertiggebracht, mich mit dem Bootsmannsstuhl an Bord eines fremden Schiffes hieven zu lassen.»
        Bolitho war wieder zu Atem gekommen und versuchte, die Rinnsale zu ignorieren, die ihm uber Brust und Beine liefen. Die Uberfahrt zum Flaggschiff war rauh gewesen, das letzte Stuck allerdings am schlimmsten. Wahrend die noch aufragende Bordwand der Indomitable sich uber ihnen hob und senkte, stand er schwankend im Heck des Bootes und versuchte zahneknirschend, Ungeduld und Befurchtungen zu unterdrucken, wahrend der Buggast verzweifelt immer wieder versuchte, das heftig stampfende Boot an den Hauptketten des Schiffs anzuhaken. Einmal, als der besorgte Allday die Hand ausstreckte, um ihn am Arm zu stutzen, hatte er wutend geknurrt:»Ich werde allein fertig, verdammt noch mal!«Es war vielleicht der offenkundige Mangel an Vertrauen seines Bootsfuhrers gewesen, weshalb er den weiten Abstand bis zur Bordwand mit einem Sprung hatte uberwinden konnen, und den angebotenen Bootsmannsstuhl abgelehnt hatte. Das ware viel sicherer gewesen, aber Bolitho war es immer unwurdig erschienen, wenn Kapitane strampelnd an Bord gehievt wurden, wobei Matrosen so eifrig mit Sicherungsleinen hantierten, als ob sie ein Stuck
Frachtgut verluden. Doch diesmal war es sehr knapp gewesen. Sein Sabel hatte sich zwischen seinen Beinen verklemmt, und einen Augenblick, als das Boot unter ihm wegsank, hatte er das Wasser an der Bordwand aufwirbeln sehen, das ihn fortzuschwemmen drohte, und hatte Alldays Alarmruf gehort. Doch durchna?t und wutend gelang es Bolitho, die sichere Schanzpforte zu erreichen, und als die Pfeifen zu seiner Begru?ung gellten und das Seitenkommando stramm stand, musterte er schnell ihre holzernen Gesichter in der Erwartung, Spott oder Enttauschung zu bemerken, da? er nicht tatsachlich gefallen war, wenn auch nur, um den Leuten in den unteren Decks ein willkommenes Thema zum Klatsch zu bieten.
        Winstanley geleitete ihn zum Achterdeck. Offenbar war er bemuht, seine drohnende Stimme zu dampfen. Er war ein Riese von Mann, gelenkig und au?erlich wenig anziehend, machte aber schon im ersten Augenblick den Eindruck eines sehr fahigen Seemannes. Sein Gesicht war von unzahligen Reisen gegerbt und verwittert, doch die zahllosen Krahenfu?e, die seine kleinen, blinzelnden Augen umrahmten, lie?en auch seinen gut entwickelten, gesunden Humor erkennen.
        Der Kommandant eines Flaggschiffs, auch wenn es nur das eines gewohnlichen Kommodore war, brauchte das alles und mehr, dachte Bolitho grimmig, als er sich die Leiter hinaufzwangte und den Schutz der Kampanje erreichte.
        Winstanley sagte mit rauher Stimme:»Ich habe mir Ihr Schiff durchs Glas angesehen. Hat sich machtig verandert, seit ich es das letztemal sah. Sieht aus wie neu. «Er blickte zu dem breiten Stander des Kommodore hinauf, der im Wind steif an der Mastspitze stand.»Die Vectis wird jetzt nach Plymouth segeln, nachdem Sie gekommen sind, um sie abzulosen. Und danach bin ich an der Reihe. «Er packte Bolitho am Arm, als sie sich der Admiralskajute naherten.»Nach mir sind Sie der dienstalteste Kommandant, darum zweifle ich nicht, da? die Hyperion zu gegebener Zeit seinen Stander fuhren wird.»
        Er mu?te die Frage auf Bolithos Gesicht bemerkt haben, denn er fugte schnell hinzu:»Ich spreche spater mit Ihnen. Pelham-Martin ist kein Mann, der warten kann.

        Er offnete die Tur, und Bolitho folgte ihm in die Kajute. Er hatte seinen Hut unter den Arm geklemmt und war sich der nassen Fu?spuren bewu?t, die er auf dem dicken, hellen Teppich hinterlie?, als er auf den mit Papieren dichtbedeckten Schreibtisch zuging, der auf der einen Seite bei den Heckfenstern stand.
        Der Kommodore sa? bequem in einem hochlehnigen Sessel, anscheinend unberuhrt von dem langsamen, Ubelkeit erregenden Schwanken um ihn herum. Er war unvorstellbar breit, doch als er langsam aufstand, empfand Bolitho einen gewissen Schock, denn er entdeckte, da? Pelham-Martin ungewohnlich klein und stehend kaum gro?er als im Sitzen war. Seine gesamte Korpermasse schien sich in die Breite zu erstrecken, wie bei Tomlin, dem Bootsmann der Hyperion, aber da endete auch schon jede Ahnlichkeit. Er hatte ein rundes, auffallend blasses Gesicht, und sein blondes Haar war nach der neuesten Mode kurz geschnitten. Das mochte bei den jungeren Offizieren der Marine angemessen sein, doch es lie? den Kopf des Kommodore uber seinem breiten, massigen Korper noch kleiner erscheinen.

«Willkommen, Kapitan. «Seine Stimme klang weich, sogar sanft.»Sie mussen schnelle Fahrt gemacht haben. «Seine Blicke musterten ruhig Bolithos durchna?te Erscheinung, aber er machte keine Bemerkung daruber. Dann deutete er auf einige Sessel und einen schwankenden, silbernen Weinbehalter.»Einen Drink vielleicht?»
        Hinter seinen massigen Schultern deutete Winstanley ein Kopfschutteln an, und Bolitho erwiderte:»Nein danke, Sir. Im Augenblick nicht.»
        Er bemerkte Winstanleys Erleichterung und sah, da? PelhamMartin lachelte. Er war Winstanley fur seine Warnung dankbar, doch gleichzeitig reizte es ihn, da? der Kommodore ihn aus unerfindlichen Grunden einem privaten Test unterworfen hatte.

«Nun, ich nehme an, da? Sie alle verfugbaren Berichte gelesen haben, Bolitho. Unsere Pflicht ist es, hier alle Zufahrten zur Giron-de-Mundung zu uberwachen und alle einlaufenden oder ausfahrenden Schiffe anzuhalten. Ich habe der Vectis Befehl gegeben, zu Reparaturen nach Plymouth zuruckzusegeln. Sie hat vor etwa zwei Wochen bei einem starken Sturm den Besan verloren, und Ersatz dafur ist hier nicht vorhanden. In einigen Monaten schlie?en sich uns zwei weitere Linienschiffe an, und inzwischen werden wir wissen, was die Froschfresser beabsichtigen, wie?«Er lehnte sich behaglich zuruck und lachelte. Er sieht eher wie ein reicher Kaufmann aus als wie ein Marineoffizier, dachte Bolitho fluchtig.

«Die Franzosen werden fruher auslaufen, Sir«, horte er sich sagen.
        Das Lacheln um Pelham-Martins kleinen Mund blieb.»So, meinen Sie? Woher haben Sie Ihre Informationen?«Er beugte sich etwas vor.»Hat der Admiral mir etwas vorenthalten?»
        Bolitho lachelte.»Nein, Sir. Aber ich habe alle verfugbaren Berichte gelesen und bin der Ansicht, da? die Franzosen bald ausbrechen mussen, wenn sie ihrer Sache dienen wollen.»
        Pelham-Martin nickte langsam.»Das ist ein Meisterstuck der Selbsttauschung, Bolitho. «Er deutete mit einer Hand auf die Heckfenster, durch das von Salz fleckige Glas konnte Bolitho das nachste Schiff erkennen, uber dessen Bug sich Spruhwasser ergo?, das dennoch den Eindruck unuberwindlicher Starke machte.
        Der Kommodore fugte ruhig hinzu:»Diese Schiffe werden jede derartige Torheit verhindern. «Er schien ungeduldig zu werden und zog unter einigen in Leder gebundenen Buchern eine Karte hervor.»Wir stehen hier. «Er deutete mit einem rosa Finger auf die Karte.»Und ich habe die beiden Fregatten Spartan und Abdiel vor dem sudlichen Fahrwasser stationiert, um uns vor jedem Versuch des Feindes zu warnen, aus spanischen Gewassern in dieses Gebiet vorzusto?en. «Sein Finger bewegte sich zu der langgestreckten Kustenlinie um die Gironde.»Hier habe ich meine dritte Fregatte, die Ithuriel, eingesetzt, um jeden Versuch der Franzosen zu beobachten und zu melden, Bordeaux nach Norden zu verlassen.»
        Bolitho blickte auf.»Und die Schaluppen, Sir?«Wieder ein angedeutetes Kopfschutteln von Kapitan Winstanley, aber Bolithos Arger uber Pelham-Martins unbekummertes Beiseiteschieben seiner Gedanken lie? ihn jede Vorsicht vergessen.

«Die Schaluppen?«Pelham-Martin nickte ernst.»Sie haben Ihre Berichte in der Tat gelesen, Bolitho. «Das Lacheln verschwand.»Ich habe sie nach Vigo geschickt, um - nun - um zusatzliche Vorrate zu holen.»
        Bolitho blickte beiseite. Das war unglaublich! Vigo an der Nordwestkuste Spaniens lag uber vierhundert Meilen entfernt. Von der Gironde-Mundung noch weiter entfernt als selbst Plymouth!
        Die Hand des Kommodore begann, einen lautlosen Wirbel auf der Tischkante zu schlagen. Wie zwei glatte rosa Krabben. Er fragte ruhig:»Sie scheinen das zu mi?billigen?»
        Bolithos Stimme blieb beherrscht.»Die Fregatte Ithuriel steht ganz allein zu dicht unter Land, Sir. Und die beiden anderen Fregatten sind zu weit entfernt im Suden, um sie zu unterstutzen, wenn sie angegriffen wird.»
        Pelham-Martin musterte ihn ein paar Sekunden.»Der Kommandant der Ithuriel hat Befehl, meinen Befehl, verstehen Sie, zum Geschwader zuruckzukehren, sobald er Anzeichen feindlicher Aktivitat wahrnimmt. «Ein leichtes Lacheln erschien wieder. Soviel ich wei?, sind Sie Kommandant einer Fregatte gewesen. Sicher werden Sie dem Kommandanten der Ithuriel die Moglichkeit nicht streitig machen wollen, zu beweisen, was er wert ist, oder?»
        Bolitho entgegnete nuchtern:»Er hatte uberhaupt keine Chance,
        Sir.»
        Kapitan Winstanley regte sich in seinem Sessel.»Was Captain Bolitho sagen will, ist.»
        Pelham-Martin hob eine Hand.»Ich wei?, was er sagen will, Winstanley! Fur ihn ist Blockadedienst nichts, meine Gute, nein, er will geradewegs auf die Kuste lossegeln, um irgendein erbarmliches Schiff aufzubringen. Wegen des Prisengeldes, zweifellos.»

«Nein, Sir!«Bolitho packte die Armlehnen seines Sessels. Er hatte einen schlechten Anfang gemacht. Seine Sorgen wegen Inch und Stepkyne, sein beinahe erfolgter Sturz ins Wasser unter den Augen des Geschwaders hatten seine normale Zuruckhaltung im Umgang mit Vorgesetzten beeintrachtigt.»Aber ich glaube, so lange wir nicht genau wissen, gegen wen und was sich unsere Blockade richtet, konnen wir niemals Schritte gegen irgendeine List unternehmen, zu der die Franzosen greifen.»
        Der Kommodore fixierte ihn.»Meine Befehle lauten, in diesem Gebiet zu kreuzen und es zu uberwachen. Und genau das tue ich. Also wirklich, Bolitho, ich wei? nicht, was Ihnen an Bord des Flaggschiffs von Vizeadmiral Cavendish gesagt wurde, aber ich kann Ihnen versichern, da? wir uns der Aufgabe, die uns hier anvertraut wurde, wohl bewu?t sind.»

«Ich war nicht an Bord des Flaggschiffs, Sir. «Bolitho bemerkte das kurze Aufflackern der Uberraschung in den Augen des Kommodore, ehe der Vorhang wieder fiel. Ruhig fugte er hinzu:»Meine
        Befehle wurden mir an Bord geschickt. «Das war eine Luge, aber nur eine halbe.
        Doch die Wirkung zeigte sich augenblicklich, und sie war mehr als uberraschend. Pelham-Martin zog eine goldene Uhr aus der Tasche seiner eng anliegenden Weste und sagte:»Tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie an Deck, Winstanley. Vergewissern Sie sich, da? alle meine Depeschen zur Vectis hinubergeschickt worden sind, ehe sie das Geschwader verlassen hat, ja?«Sobald sich die Tur hinter dem Flaggkapitan geschlossen hatte, fuhr er ruhig fort:»Es tut mir leid, wenn es den Eindruck machte, da? ich nicht gewillt ware, mir Ihre Einschatzung unserer Situation anzuhoren, Bolitho. «Er lachelte und nahm eine Karaffe aus dem silbernen Weinbehalter.»Ein Schluck Brandy? Ich habe ihn vor einer Woche einem franzosischen Kustenfahrer abgenommen. «Er wartete nicht auf Antwort, sondern schenkte freigiebig in Glaser ein, die verborgen unter der Tischplatte gestanden hatten. Tatsache ist, da? ich nicht immer mit Sir Manley einer Meinung bin, verstehen Sie? Er beobachtete Bolitho uber den Rand seines Glases hinweg.»Es ist eine Familienangelegenheit, inzwischen eine tiefwurzelnde Auseinandersetzung von einigem Gewicht.
«Er schwenkte sein Glas.»Auch in Ihrer Familie nichts Unbekanntes, glaube ich.»
        Bolitho spurte den Brandy auf seinen Lippen brennen. Es schien, da? die Erinnerung an seinen Bruder, die Schande fur den Namen seiner Familie, niemals in Vergessenheit geraten sollte. Jetzt benutzte Pelham-Martin sie zum Vergleich mit einer dummen Fehde, welche die Feigheit seines eigenen Bruders ausgelost hatte. Oder was es sonst gewesen sein mochte, was den Oberst veranla?t hatte, sich zu ergeben, ohne erst die Schiffe zu warnen, die gekommen waren, um ihn und seine Soldaten zu retten.
        Der Kommodore nickte ernst.»Selbstverstandlich hat mein Bruder sein Land nicht im Stich gelassen, aber das Endergebnis war das gleiche. Er versuchte, seine Leute vor einem sinnlosen Tod zu bewahren. «Er seufzte tief auf.»Aber die Geschichte urteilt nur uber Ergebnisse, nicht uber Absichten.»
        Bolitho erwiderte nuchtern:»Ich bin sicher, da? weder der Vizeadmiral noch Sie deswegen den Einsatz der Flotte gefahrden wurden.»

«Ganz richtig. «Pelham-Martin lachelte wieder.»Aber als sein
        Untergebener mu? ich doppelt vorsichtig sein, verstehen Sie?«Sein Ton wurde harter.»Und deshalb befolge ich meine Befehle, sonst nichts. «Er machte eine Pause, ehe er hinzufugte:»Und das werden auch Sie tun.»
        Das Gesprach war zu Ende, doch als Bolitho aufstand, sagte Pelham-Martin leichthin:»Auf jeden Fall wird dieser langweilige Dienst Ihnen reichlich Gelegenheit geben, Ihre Leute zu drillen, damit sie in Form kommen. «Er schuttelte den Kopf.»Die Seemannschaft war, um es hoflich zu sagen, wirklich sehr kummerlich.

        Bolitho verlie? die Kabine und atmete drau?en sehr langsam aus. So sollte es also werden: nach au?en hin alles vollkommen in Ordnung, aber sobald es um Initiative und Feindberuhrung ging, sollten ihnen die Hande fest gebunden sein.
        Auf dem Achterdeck empfing ihn Winstanley mit einem erleichterten Lacheln.»Es tut mir leid wegen der Warnung, Bolitho. Ich hatte es Ihnen fruher sagen sollen. Der Kommodore hat es gern, wenn seine Offiziere einen in der Krone haben, ehe er seine Gesprache mit ihnen beginnt. Eine ha?liche Gewohnheit, die mehr als einem eine schnelle Heimreise eingebracht hat. «Er grinste.»Mir naturlich nicht. Er braucht einen alten Fuchs, der ihm sein Schiff fuhrt. «Er packte Bolithos Arm.»Genau wie er Sie noch brauchen wird, ehe wir hier fertig sind, mein Freund.»
        Bolitho lachelte.»Leider brauche ich nicht erst etwas zu trinken, um ihn zu reizen.»
        Winstanley folgte ihm zur Achterdecksreling, und gemeinsam blickten sie zur Hyperion hinuber, die in der steilen Dunung stark rollte.
        Winstanley sagte:»Ich stimme mit Ihnen in allem uberein, was Sie uber die Fregatten gesagt haben. Ich habe ihm meine Ansicht wiederholt dargelegt, aber er glaubt immer noch, da? die wirkliche Bedrohung aus dem Suden kommt. «Er schuttelte den Kopf.»Wenn er sich irrt, wird er es mit mehr zu tun bekommen als nur einem wutenden Admiral. «Grimmig fugte er hinzu:»Und das gilt auch fur uns.»
        Der Wind hatte wahrend der Unterredung nachgelassen, und Bo-litho hatte kaum Schwierigkeiten, in sein Boot zu steigen. Wahrend der Ruckfahrt zu seinem Schiff dachte Bolitho uber jedes Wort nach, da? Pelham-Martin gesagt hatte, und auch uber das, was er nicht ausgesprochen hatte.
        Als er durch die Schanzpforte kletterte, fand er Inch vor, der auf ihn wartete; uberrascht stellte er fest, da? seine Uberlegungen uber die Strategie des Kommodore das kleine Drama zwischen Inch und Stepkyne aus seinen Gedanken vollig verdrangt hatte.
        Knapp sagte er:»Lassen Sie das Boot einsetzen, und machen Sie das Schiff klar zur Fahrtaufnahme, Mr. Inch. «Er schnallte seinen Sabel ab und reichte ihn Petch, seinem Diener. Gedampft fugte er hinzu:»Ich wurde Ihnen empfehlen, auf dem Oberdeck selbst die Runde zu machen, wenn Sie dazu Zeit haben. «Er hielt Inchs Blick fest.»Es ist besser, sich gleich zu uberzeugen, als sich spater zu entschuldigen.»
        Inch nickte. Sein Gesicht war so voll Dankbarkeit, da? Bolitho sich fur ihn schamte. Und auch fur sich selbst. Er hatte fest beabsichtigt, den scharfsten Tadel zu erteilen, den er aufbringen konnte, und wu?te im Innersten, da? er Inch wahrscheinlich keinen Gefallen erwies, wenn er es unterlie?. Doch angesichts der Haltung, die der Kommodore gegenuber seinem Vorgesetzten eingenommen hatte, und der Gefahren, die sich daraus fur sie alle ergeben mochten, konnte er sich nicht dazu uberwinden, Inch um den letzten Rest seines Selbstvertrauens zu bringen.
        Noch wahrend das Boot uber die Backbordgangway gehievt wurde, rief Gascoigne aus: Flaggschiff an Hyperion: Beziehen Sie Position am Ende der Formation.»

«Bestatigen. «Bolitho legte die Hande auf dem Rucken zusammen. Am Ende der Formation, dachte er erbittert. Die Vectis war bereits im Dunst verschwunden, und jetzt waren hier nur noch diese drei Schiffe, zu weit vom Gegner entfernt, um von sonderlichem Nutzen zu sein. Und irgendwo weit hinter dem Flaggschiff befand sich eine einsame Fregatte. Er konnte ihren Kommandanten nur bemitleiden.
        Die Pfeifen schrillten, und die Besatzung schwarmte auf Stationen aus, als ob sich jeder einzelne der Nahe des Flaggschiffs bewu?t ware, um so eifriger, als sie auch die Unzufriedenheit ihres eigenen Kommandanten spurten.
        Doch trotz der Ungeschicklichkeit und des erwarteten Durcheinanders bei manchen Leuten wurden die Manover ohne weitere
        Zwischenfalle beendet. Die Hyperion wendete und zeigte ihr kupfernes Unterwasserschiff, als sie hoch an den Wind ging, um ihre Position hinter dem anderen Vierundsiebzig-Kanonen-Schiff, der Hermes, einzunehmen, so da? einem fremden Zuschauer, falls einer dagewesen ware, nichts verriet, da? ein neuer Wachtposten eingetroffen war, und auch nicht, da? ein anderer bereits alle Segel gesetzt hatte, um fur eine vorubergehende Ruhepause vom Blockadedienst nach England zu segeln.
        Schlie?lich uberquerte Inch das Achterdeck und legte die Hand an seinen Hut.»Bitte um Erlaubnis, die Wache unter Deck zu entlassen, Sir.»
        Bolitho nickte. Dann sagte er:»In Zukunft, Mr. Inch, seien Sie fest, wenn Sie Befehle erteilen. Ob Leuten gegenuber, die es besser wissen, oder solchen, die nur meinen, da? sie es besser wissen. Dann werden die Leute Vertrauen zu Ihnen haben.
«Die Worte stockten ihm im Hals, als er hinzufugte:»Genau wie ich Vertrauen zu Ihnen habe. «Er machte auf dem Absatz kehrt und ging nach Luv hinuber, unfahig, die ruhrende Entschlossenheit auf Inchs Gesicht mitanzusehen.
        Inch packte die Achterdecksreling und starrte blind auf das Gewuhl der Matrosen um den Fu? des Fockmastes, die vom Dienst entlassen worden waren. Er hatte sich vor Bolithos Ruckkehr gefurchtet, nicht, weil ihm sein Versagen vorgehalten werden sollte, sondern weil er sich dessen besser als jeder andere bewu?t war. Da? er Bolithos Mi?fallen erregt und ihn enttauscht hatte, konnte er nicht ertragen. Fur Inchs simples Gemut war Bolitho eher ein Gott als ein Kommandant. Wenn Heldenverehrung eine treibende Kraft war, dann besa? Inch davon mehr als Lebenswillen.
        Plotzlich streckte er die Hand aus und rief:»He, der Mann da! Los, Sie konnen mehr, als Sie da bieten!»
        Der angerufene Matrose blickte schuldbewu?t auf und wendete sich dann wieder seiner Arbeit zu. Er wu?te nicht, was er falsch gemacht hatte, und verrichtete in jedem Fall seine Arbeit so gut, wie er es gelernt hatte. Er konnte auch unmoglich erraten, da? er fur den Ersten Offizier nicht mehr als ein nebelhafter Schatten war, ein Fleck unter vielen, als Inch uber das stampfende Schiff starrte und seine Zukunft noch einmal zum Leben erwachen sah.
        Gossett, der neben dem Ruderganger stand und auf seine Tafel schrieb, blickte zu Inch hinuber, dann zum Kommandanten, der, den Kopf in Gedanken gesenkt, die Hande auf dem Rucken, auf und ab ging, und nickte langsam, verstandnisvoll. Der arme Inch, dachte er. Mancher Kommandant, den er kannte, hatte auf einen Offizier wie ihn niemals Rucksicht genommen. Aber Bolitho schien sich um jeden Gedanken zu machen. Wenn einer ihn enttauschte, schien er darin ein personliches Versagen zu sehen; aber wenn einer Erfolg hatte, schien er immer den Lohn mit ihm zu teilen. Der alte Steuermann lachelte insgeheim. Gerecht, das war das treffende Wort. Es pa?te sehr gut auf Bolitho: Dick der Gerechte. Ein breites Grinsen zog uber sein Gesicht.
        Bolitho hielt im Hin- und Hermarschieren unvermittelt inne und sagte scharf:»Mr. Gossett, an Bord dieses Schiffes befinden sich sechs Midshipmen, deren Unterricht in Navigation nach meiner Berechnung vor funfzehn Minuten beginnen sollte.»
        Gossett griff an seinen abgenutzten alten Hut, konnte sein Grinsen aber nicht unterdrucken.»Aye, Aye, Sir. Ich werde sofort damit beginnen. «Bolitho blickte ihm finster nach. Es behagte ihm nicht, wenn Gossett anfing, am hellen Tag zu traumen. Er nahm seinen Spaziergang wieder auf und kehrte zu seinen Gedanken zuruck. Ohne Zweifel wurden sie alle genugend Zeit haben, unter PelhamMartins Stander bei hellem Tag zu traumen.



        III Tauschungsmanover

        Als aus Tagen Wochen wurden, schien es Bolitho, als kenne die erbarmungslose Grausamkeit von Wind und Meer keine Grenzen und die ganze Welt sei zu der bedruckenden Enge des Schiffsrumpfs und dem von Wellen uberspulten Oberdeck geschrumpft. Auch in den Befehlen des Kommodore schien es keine Abweichungen zu geben. Tag fur Tag kreuzten die Schiffe bei jedem nur vorstellbaren Wetter, das die Biskaya zu bieten hatte. Boiger Wind frischte innerhalb von Minuten zu voller Sturmstarke auf, und fur die Matrosen, die sich wieder und wieder in die Takelage hinaufqualen mu?ten, um gegen die eisige, froststarre Leinwand anzukampfen, wurde das Ausharren auf Station zu einem einzigen Alptraum. Mit gerefften Segeln mu?ten die drei Schiffe tagelange Sturme uberstehen; sobald wieder bessere Sicht herrschte, wurden sie von der Indomitable mit einer Flut dringender Signale uberschuttet, die befohlene Formation wiederherzustellen.
        An Bord der Hyperion gab es zwar keine Seekrankheit mehr, aber wenn die Seeleute fur eine kurze Ruhepause unter Deck entlassen wurden, sanken sie wie Tote in ihre engen Hangematten, dankbar fur die Warme der anderen Korper, die um sie herum schwankten, wenn das Schiff bei heulendem Wind weiter durch die starke Kustenstromung stampfte.
        Doch kaum eine Stunde schien zu vergehen, bis die Pfeifen wieder schrillten und von Luke zu Luke der Ruf erschallte:»Alle Mann! Alle Mann an Deck! Aufentern zum Marssegelreffen!»
        Damit die Besatzung nicht vollig verzweifelte, nutzte Bolitho jede Gelegenheit, um sie zu beschaftigen. So oft es moglich war, setzte er Geschutzexerzieren an und lie? die Steuerbordbatterie mit der auf Backbord konkurrieren. Die Bedienungen der unteren Geschutze mu?ten sich mit denen auf dem Hauptdeck abwechseln, da das schlechte Wetter es nicht erlaubte, die unteren Stuckpforten zu offnen. Bei seinen wochentlichen Inspektionen bedruckten Bolitho die elenden Bedingungen auf dem unteren Batteriedeck, wo die Leute neben und zwischen den drei?ig Vierundzwanzigpfundern leben mu?ten, die sie im Gefecht bedienten. Bei festverschlossenen Pforten und starkem Seegang bot sich ein Anblick wie aus Dantes Inferno. Etwa dreihundert Leute lebten, a?en und schliefen dort, und selbst wenn eine Wache an Deck war, stank die Luft ekelerregend. Der faulige Bilgendunst, vermischt mit menschlicher Ausdunstung und dem Mief der Kleidungsstucke, die nie richtig trok-ken wurden, war auch fur den abgeharteten Seemann mehr als genug.
        Drei Wochen nach ihrer Unterstellung unter Pelham-Martins Kommando ging ein Mann uber Bord, ein junger Matrose, der in Devon zum Dienst gepre?t worden war. Er hatte auf dem Vorschiff mit der Gruppe des Bootsmanns gearbeitet, als eine gro?e Welle den Kluverbaum uberflutete und den Mann wie einen Fetzen Leinwand uber die Reling wusch. Einen Augenblick noch hatte er sich angeklammert, mit den Fu?en nach dem Netz geangelt, ehe ein weiterer Brecher ihn packte und an der Bordwand entlang nach achtern ri?.
        Zu dieser Zeit herrschte starker Sturm, und es war unmoglich zu wenden, ohne das Schiff zu entmasten. Es hatte auch keinen Sinn gehabt. Bis ein Boot vom Schiff freigekommen ware, hatte keine Moglichkeit mehr bestanden, den Mann im wilden Seegang wiederzufinden. Aber der Vorfall beeindruckte das ganze Schiff tief, und selbst die Harte, mit der die alteren, erfahrenen Seeleute ihn hinnahmen, konnte die Wirkung nicht mildern.
        Es war der erste Todesfall, seit das Schiff Plymouth verlassen hatte, und er schien wie eine finstere Drohung uber den uberfullten Decks zu hangen, je langer das Schiff unter dem anhaltenden Druck des Wetters auf sich selbst gestellt war. Eine ganz ahnliche Stimmung hatte nach dem ersten Auspeitschen geherrscht. Irgendwie war es einem Matrosen gelungen, Zugang zu den Schnapsvorraten zu finden, und ohne einem Kameraden etwas zu sagen, hatte er sich einen stillen Winkel gesucht und sich sinnlos betrunken.
        Wahrend der ersten Wache war er splitternackt aufgetaucht und hatte sich auf dem verdunkelten Deck wie ein Wahnsinniger aufgefuhrt, hatte jedem, der ihn zu packen versuchte, wilde Verwunschungen und Fluche entgegengebrullt. Es war ihm sogar gelungen, einen Unteroffizier niederzuschlagen, ehe er uberwaltigt werden konnte.
        Am nachsten Tag, als das Schiff schwer in einer Regenbo kampfte, hatte Bolitho die Besatzung antreten lassen, damit sie an der Bestrafung teilnahm. Nachdem er die Kriegsartikel verlesen hatte, befahl er den Bootsmannmaaten, die Strafe von drei?ig Peitschenhieben zu vollstrecken. Das war in Anbetracht der sehr strengen Disziplinarvorschriften bei der Marine eine milde Strafe. In das Getrankelager einzubrechen, war schlimm, aber einen Unteroffizier niederzuschlagen, darauf standen eigentlich Kriegsgericht und der Galgen, wie jeder nur zu gut wu?te.
        Bolitho hatte keinen Trost darin gefunden, da? er nur die Mindeststrafe verhangte. Selbst die Tatsache, da? der Unteroffizier damit einverstanden war, auszusagen, er sei gar nicht geschlagen worden, war fur das Auspeitschen kein Ausgleich. Zu jeder anderen Zeit war eine Bestrafung notwendig, doch als er mit den Offizieren an der Reling des Achterdecks stand und der Trommeljunge zwischen jedem Schlag der neunschwanzigen Katze einen langsamen Wirbel schlug, hatte es ihm geschienen, da? das ganze Schiff auch ohne dieses zusatzliche Leiden genug zu ertragen hatte. Irgendwie war es durch den Regen noch schlimmer gewesen. Der Kalte wegen hatte die Mannschaft sich eng zusammengedrangt, wie die scharlachrote Reihe der Marinesoldaten mit dem ungleichma?igen Rollen des Schiffs geschwankt, wie die zuckende, mit gespreizten Gliedern auf den Rost gefesselte Gestalt, keuchend und schluchzend, wahrend die Peitsche im Takt mit den Trommelschlagen sich hob und fiel.
        Gelegentlich erschien eine Schaluppe bei dem kleinen Geschwader, mit Depeschen von der Flotte oder Vorraten aus Vigo. Und wenn das Wetter es zulie?, befahl der Kommodore seine Kapitane an Bord des Flaggschiffs, um ihnen seine formellen Berichte vorzulesen, ehe er sie in ihrer Gegenwart unterzeichnete, und dann, zu Bolithos Erstaunen, jeden einzelnen der drei Kommandanten der Reihe nach aufforderte, ebenfalls zu unterschreiben.
        Er hatte von diesem Brauch noch nie gehort, konnte aber den holzernen Gesichtern seiner beiden Kameraden entnehmen, da? sie an diese seltsame Laune von Pelham-Martin gewohnt waren. Es wurde in zunehmendem Ma? offensichtlich, da? der Kommodore nicht beabsichtigte, auch nur im geringsten von seinem Plan abzuweichen, der Kritik oder der moglichen Unzufriedenheit des Vizeadmirals dadurch zuvorzukommen, da? er bei allem, was er tat, seine drei Kommandanten mitverantwortlich machte. Bisher hatte er selbstverstandlich nichts anderes getan, au?er seine Befehle buchstabengetreu zu befolgen: Patrouille und Blockade, sonst nichts.
        Jedesmal, wenn Bolitho an Bord der Indomitable gerufen wurde, stellte er fest, da? Pelham-Martin ein freigebiger Gastgeber war. Die Schaluppen, die nach Vigo segelten und zuruckkamen, versorgten ihn dem Anschein nach reichlich mit erlesenen Weinen und stellten, Bolithos Ansicht nach noch wichtiger, eine gewisse Verbindung zur Au?enwelt her.
        Zum letztenmal besuchte Bolitho das Flaggschiff am Weihnachtstag. Seltsamerweise hatte sich das Wetter beruhigt; es wehte ein ma?iger Nordwest, und an die Stelle der anlaufenden, brechenden Wellen war eine lange flache Dunung getreten. Das Oberdeck der Hyperion war dicht von Gestalten bedeckt, die auf das graue, wogende Wasser und die anderen Schiffe starrten, als sahen sie sie zum erstenmal. Das konnte durchaus so sein, denn wahrend der vergangenen acht Wochen, seit sie zu Pelham-Martins Geschwader gesto?en waren, hatte das Wetter sich nie langer als fur eine Stunde beruhigt.
        Bolitho argerte sich daruber, da? er das Flaggschiff besuchen mu?te. Unter den herrschenden Verhaltnissen wurde Weihnachten fur seine Besatzung karglich genug ausfallen, auch ohne da? er von Bord ging, scheinbar um die Freuden der reich gedeckten Tafel des Kommodore zu genie?en. Die Vorrate an frischen Lebensmitteln waren auf der Hyperion schon lange aufgebraucht, und das Weihnachtsessen fur die Mannschaft war ein befremdliches Gemisch aus warmem, mit Rum kraftig gewurzten Rinderhaschee und einem Brei von zweifelhaftem Geschmack, von dem Gilpin, der einarmige, bosartig aussehende Koch Bolitho versicherte, da? es» ihre Herzen in Flammen setzen «wurde.
        Bolitho wu?te jedoch, da? es bei seinem Besuch auf dem Flaggschiff nicht nur um ein Festmahl ging. Beim ersten Tageslicht war eine Korvette aufgetaucht und hatte die leichte Brise genutzt, um uber die langsamen Zweidecker wie ein Terrier uber drei gemachliche Ochsen herzufallen. Es war keine von Pelham-Martins Schaluppen, sondern sie kam von dem Hauptgeschwader vor Lorient, und als Bolitho seinen Paraderock ubergeworfen und sein Boot befohlen hatte, sah er die Gig der Korvette schon langsseit am Flaggschiff liegen.
        Bei der Ankunft an Bord der Indomitable traf er Pelham-Martin in sehr gehobener Laune an. Winstanley dagegen erschien vollig ausdruckslos und Kapitan Fitzmaurice von der Hermes war unverhohlen besturzt.
        Die Nachrichten von Lorient waren beunruhigend. Vizeadmiral Cavendish hatte zwei Fregatten beauftragt, dicht unter der Kuste zu patrouillieren und nachzuforschen, ob irgendwelche Anzeichen fur Veranderungen oder Bewegungen bei den im Hafen ankernden Schiffen festzustellen waren. Es war eine Routineaufgabe und eine, die den beiden Kommandanten der Fregatten wohlvertraut war.
        Doch als sie dicht an die Kuste kamen, hatten die Ausgucks die uberraschende Beobachtung gemeldet, da?, statt des gewohnten Anblicks, die franzosischen Linienschiffe die Rahen vierkant gebra?t hatten und allem Anschein nach weniger geworden waren.
        Einige mu?ten also die Blockadekette durchbrochen haben und entkommen sein.
        Der Kommandant der Korvette war nicht bereit gewesen, zu diesen Nachrichten viel hinzuzufugen, bis Pelham-Martin darauf bestand, er solle sich mit etwas Brandy starken. Die Zunge des jungen Offiziers wurde dadurch gelockert, und er berichtete dem Kommodore, da? daruber hinaus die beiden Fregatten gerade noch dem Schicksal entgangen waren, von vier franzosischen Schiffen uberwaltigt zu werden, die anscheinend im Schutz von Belle Ile gelauert hatten und die beiden Aufklarer beinahe vor einer Leekuste gestellt hatten.
        In Pelham-Martins Augen glanzten Tranen. Lachend sagte er:»Sehen Sie, Bolitho! Ich habe Ihnen doch gesagt, da? das passieren wurde. Die Uberraschungsvorsto?e haben keinen Wert bei einer Blockade. Geduld und die Demonstration unserer Starke ist alles, was wir brauchen.»
        Bolitho fragte ruhig:»Hat die Korvette neue Befehle gebracht, Sir?»
        Pelham-Martin lachte immer noch vor sich hin. Es schien, als hatte es ihm keine gro?ere Freude machen konnen, wenn die Flotte einen gro?en Sieg errungen hatte. Statt dessen hatte sein alter Feind jedoch zugelassen, da? franzosische Schiffe unbemerkt die offene See erreichten.
        Immer noch lachend sagte er:»Sir Manley Cavendish verlangt einen vollstandigen Bericht uber die franzosischen Kriegsschiffe in diesem Gebiet, ihre Einsatzbereitschaft und so weiter. «Er lie? das so trivial klingen, da? Bolitho einen Augenblick befurchtete, ihm sei etwas entgangen. Doch das grimmige Gesicht von Fitzmaurice belehrte ihn eines Besseren.
        Pelham-Martin legte eine Hand auf Bolithos Arm.»Keine Sorge. Wir werden zu gegebener Zeit einen Bericht schicken. «Er legte den kleinen Kopf schrag und lachelte mild.»Sie konnen morgen zur Kuste segeln und Kontakt mit der Ithuriel aufnehmen. Wie gefallt Ihnen das?»
        Der Kommodore hatte dann in seiner Kajute fur die drei Kapitane ein Festmahl angeordnet, nachdem er erst eine kurze schriftliche Bestatigung aufgesetzt hatte, welche die Korvette zu Vizeadmiral Cavendish zuruckbringen sollte. Offensichtlich war er stark versucht gewesen, sarkastische Beileidsbekundungen hinzuzufugen, doch selbst er wu?te, da? dies genau als das aufgefa?t werden wurde, was es war: als offener Hohn fur Cavendishs Mi?geschick.
        Wahrend der ganzen Mahlzeit kochte Bolitho innerlich uber die Verzogerung. Vor der Gironde-Mundung mochten ein paar Schiffe sein, und es bestand auch die Moglichkeit, etwas gegen sie zu unternehmen. Wenn es dort nichts von Wert gab, konnte er seine kurze Freiheit von Pelham-Martins Schurzenbandern vielleicht nutzen, um ein Stuck weiter an der Kuste entlangzulaufen, um Informationen zu bekommen, wenn nichts Besseres zu finden war.
        Offensichtlich verfugte Pelham-Martin uber gute Beziehungen, dachte er. Wahrend der Mahlzeit warf er mit Namen und Titeln von Personen um sich, die er kannte, sprach uber Affaren bei Hof und im Parlament, und wenn auch nur die Halfte stimmte, war es fur Bolitho kein Wunder, da? er in der Lage war, die Feindschaft seines Admirals zu uberstehen.
        Er hatte eine Art, die Gefahr, die von der Ansammlung der franzosischen Schiffe drohte, zu verniedlichen oder sie zu ignorieren, die einen rasend machen konnte; aber gleichzeitig hatte er auch etwas beinahe Liebenswertes an sich. Aus eigener Tasche hatte er frisches Obst bezahlt, das von Vigo herbeigeschafft wurde, genug fur jeden einzelnen an Bord der drei Schiffe, die seinem unmittelbaren Befehl unterstanden.
        Wahrend Bolitho eine Orange schalte und zuhorte, wie Fitzmaurice zum x-ten Mal ausfuhrlich die letzten Augenblicke von Howes Sieg am 1. Juni schilderte, dachte er an Falmouth; ob auch Cheney jetzt wohl an ihn dachte, ob das alte graue Haus jetzt von Schnee bedeckt war, ob sein Kind ein Junge oder ein Madchen sein wurde? Ihm war es gleichgultig, wenn nur Cheney glucklich wurde.
        Schlie?lich war das Essen zu Ende, und Bolitho, der dafur dankbar war, kehrte ohne jede weitere Verzogerung auf sein Schiff zuruck. Zu seiner Uberraschung erschien es ihm sehr still zu sein; von der diensthabenden Wache abgesehen, lag das Hauptdeck vollig verlassen da. Nur von der Offiziersmesse her waren melodische Tone zu horen, und sie beschrankten sich auf eine tiefe Ba?stimme, die ein bei Seeleuten beliebtes, sentimentales Lied vortrug, offenkundig die Stimme von Gossett.
        Inch erwartete ihn und erklarte auf seine Frage:»Die meisten liegen schon in ihren Hangematten, Sir.»
        Bolitho nickte. Nach wochenlangen Strapazen in Wind und Wetter hatten die reichliche warme Verpflegung und die zusatzliche Ration Rum keine Stimmung fur weiteres Feiern aufkommen lassen.

«Gut. Wir lassen sie in Ruhe, Mr. Inch, bis es Zeit ist, die Wache an Deck zu rufen. «Plotzlich fiel ihm Inchs erschopftes Gesicht auf.»Haben Sie gut gegessen?»
        Inch scharrte verlegen.»Ich hatte sehr viel zu tun, Sir.»
        Bolitho musterte ihn verstandnisvoll. Selbstverstandlich wurde sich Inch niemals den anderen anschlie?en, solange sein Kommandant abwesend und auf dem Flaggschiff war. Unvermittelt trat ihm das Bild von Inch vor Augen, wie er diensteifrig und besorgt durch die Decks hetzte, um sich zu vergewissern, da? alles in Ordnung war, sich bemuhte, sein Bestes zu geben.
        Einer Eingebung folgend, sagte er:»Kommen Sie mit nach achtern, Mr. Inch. «Sie gingen zur Kampanje.»Wir werden morgen bei Tagesanbruch das Geschwader verlassen und Sichtkontakt mit der Ithuriel suchen. «Er nickte dem auf Wache stehenden Marinesoldaten zu und trat in seine Kajute, wo Petch zu einer Kugel zusammengerollt fest schlief.
        Bolitho grinste und schnallte seinen Sabel ab.»Trinken Sie ein Glas mit mir, Mr. Inch.»
        Inch nahm seinen Hut ab und drehte ihn zwischen den Handen. Er blickte sich in der Kajute um und dachte vermutlich an andere Tage, als er nur Funfter Offizier gewesen und Bolitho an Bord gekommen war, um das Kommando zu ubernehmen und sie von einem Gefecht in das nachste zu fuhren.
        Plotzlich platzte er heraus:»Ich - ich habe mich verlobt, Sir, und will heiraten, wenn wir wieder in Plymouth sind.»
        Bolitho schenkte Rotwein in zwei Glaser.»Dann freut es mich, auf Ihr besonderes Wohl zu trinken, Mr. Inch.»
        Inch wischte sich den Mund und hob sein Glas gegen eine der Lampen.»Die Tochter eines Arztes, Sir. Ein sehr hubsches Madchen. «Er nickte nachdrucklich.»Ich hoffe, da? wir bald nach England zuruckkommen.»
        Bolitho wendete sich ab. Plotzlich wurde ihm bewu?t, welche
        Rolle Inch in seinem Leben gespielt hatte, seit er das Kommando auf der alten Hyperion ubernommen hatte. Inch war sogar in die Kirche gekommen, um Zeuge zu sein, als er und Cheney heirateten.
        Er drehte sich wieder zu Inch um und sagte leise:»Ich wunsche Ihnen allen Erfolg. Das ist fur Sie ein Grund mehr, Gutes zu leisten und vorwartszukommen. «Er grinste.»Ein eigenes Kommando vielleicht, was meinen Sie?»
        Inch blickte auf seine Fu?e.»Das - das hoffe ich sehr, Sir.»
        Bolitho hatte bereits an Bord des Flaggschiffs genug getrunken und gegessen, aber der Gedanke, jetzt allein zu sein, von dem ubrigen Schiff durch die Schottwand und den Wachtposten vor seiner Tur getrennt, war mehr, als er ertragen konnte. Jedenfalls in dieser Nacht. Er ging durch die Kajute und ruttelte seinen Diener an der Schulter. Als Petch sich verstort aufrappelte, sagte Bolitho:»Wir brauchen Rotwein. Und etwas von dem ausgezeichneten Kase, den meine Frau mir mit an Bord gegeben hat.»

«Sie wird heute abend an uns denken, Sir«, sagte Inch.
        Bolitho blickte ihn ein paar Sekunden lang wortlos an. An uns, hatte Inch gesagt, und er hatte damit recht. Er vor allen anderen mu?te wissen, was sie fur die Hyperion bedeutet hatte, als sie als Passagier an Bord gewesen war. Als sie die Verwundeten betreut hatte, wahrend uber ihr die Decksbalken unter der Wucht der Breitseiten gebebt hatten.

«Davon bin ich uberzeugt«, stimmte er leise zu.
        Wahrend Petch geschaftig den Tisch herrichtete, beobachtete Inch Bolitho, wagte kaum zu blinzeln aus Furcht, es konne ihm etwas entgehen. Er konnte sich nicht erinnern, Bolitho jemals so gesehen zu haben. Er sa? auf der Bank unter den Heckfenstern und zupfte gedankenverloren an der schwarzen Haarstrahne, von der Inch wu?te, da? sie eine grellrote Narbe verdeckte, und obwohl Bolithos Blicke auf Petch gerichtet waren, nahmen seine Augen nichts wahr, schienen in die Ferne gerichtet und wirkten irgendwie wehrlos. Inch empfand es wie eine Entblo?ung oder eine Indiskretion; er wu?te, da? er niemals daruber sprechen, es immer fur sich behalten wurde.
        Noch ehe der erste graue Schimmer am Himmel erschien, wurde» Alle Mann!«befohlen, und mit ma?igem Wind verlie? die Hyperion ihre beiden abgedunkelten Begleiter; wahrend die Mannschaft eifrig an Fallen und Brassen zerrte, stand Bolitho auf dem Achterdeck und spurte deutlich die veranderte Stimmung, die die kurze Befreiung von der Uberwachung durch Pelham-Martin mit sich brachte. Zum erstenmal in den zwei Monaten, seit sie Plymouth verlassen hatten, horte er die Toppsgasten miteinander schwatzen und scherzen, wahrend sie auf den vibrierenden Rahen arbeiteten, und vernahm die schrillen Stimmen der Midshipmen, die ihre Leute in einen privaten und gefahrlichen Wettbewerb trieben.
        Nur wenige blieben lustlos und schweigsam, und Bolitho fuhrte das eher auf die eisige Morgenluft und die reichlich mit Rum gewurzte Verpflegung des vergangenen Tages als auf eine latente Mi?stimmung zuruck.
        Es schauderte ihn, und er ging schnell zum Kompa?. Im schwachen Licht der Lampe sah er die Nadel zwar beben, aber stetig Nordnordost anzeigen. Mit etwas Gluck konnten sie die Ithuriel gegen Mittag treffen. Wenn es nichts zu berichten gab, mochte die Zeit reichen, diese seltene Freiheit zu nutzen, um weiter nach Norden uber die Gironde-Mundung hinaus zu segeln. Denn trotz des Selbstvertrauens des Kommodore und seiner offensichtlichen Uberzeugung, da? eine mogliche Prise oder ein Blockadebrecher nur von Suden zu erwarten waren, wo er seine beiden anderen Fregatten eingesetzt hatte, wu?te Bolitho aus Erfahrung, da? die Franzosen nur selten Entgegenkommen zeigten, wenn es darum ging, zu ihrer eigenen Niederlage beizutragen.
        Inch kam heran und griff an seinen Hut.»Soll ich die Bramsegel setzen lassen, Sir? Auch er wirkte munterer und lebhafter als sonst.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie konnen die Leute zum Fruhstuck entlassen, Mr. Inch. Sie haben hart gearbeitet und in der frischen Luft sicher einen gesunden Appetit entwickelt. «Er uberlegte fluchtig, ob gepokeltes Schweinefleisch und eisenharte Schiffszwiebacke bei der Halfte der Leute nicht Ubelkeit verursachen wurde, fugte aber hinzu:»Wir wollen mehr Leinwand setzen, sobald es hell wird. «Er nickte Inch zu und ging dann in seine Kajute.
        Unten warf er den abgetragenen Uniformrock auf einen Stuhl und setzte sich an den Schreibtisch. Petch hatte ihm einen Teller und dampfend hei?en Kaffee hingestellt und war dabei, in der Pantry das Fruhstuck fur seinen Herrn zuzubereiten. Selbst Petch schien sich mit der Gewohnheit seines Herrn abgefunden zu haben, die Mahlzeiten am Schreibtisch statt am E?tisch einzunehmen.
        Aber Bolitho sa? gern in der Kajute mit nichts als den gro?en Heckfenstern zwischen sich und der offenen See. Manchmal konnte er das Schiff mit seiner rastlosen Besatzung aus den Gedanken verbannen und einfach hinaus in die Ferne blicken. Es war reiner Trug, bot ihm aber einen gewissen Trost, wenn er ihn am meisten brauchte.
        Heute war es noch zu dunkel, um mehr als das wei?e, schaumende Kielwasser zu sehen. Aber im Augenblick war er zufrieden. Etwas zu unternehmen, was es auch war, war besser, als nichts zu tun. Er lauschte auf die Gerausche um sich herum: das vibrierende Knarren der Ruderanlage, das Gurgeln und Klatschen des Wassers, das Seufzen und Brausen des Windes in der Takelage, wahrend das Schiff Fahrt vermehrte und dem unsichtbaren Land entgegensegelte.
        Petch stellte das Fruhstuck auf den Schreibtisch und trat zuruck, um Bolithos Reaktion zu beobachten. Eine Scheibe fettes Schweinefleisch, in Zwiebackmehl braun gerostet, zwei Scheiben Schiffszwieback, mit schwarzem Sirup dick bestrichen, und Kaffee. Reichlich spartanisch fur einen Kommandanten, aber willkommener und ermutigender als Pelham-Martins uppige Tafel.
        Das war alles viel zu gut, um lange anzuhalten. Spater ging Bo-litho auf das Achterdeck und beobachtete die Leute, die mit Scheuersteinen und Schrubbern flei?ig arbeiteten, und die Marinesoldaten bei ihrem Drill. Bolitho hatte das Gefuhl, da? alles anders geworden ware.
        Gossett rief plotzlich aus:»Der Wind schralt, Sir.»
        Bolitho spahte zum Wimpel am Masttopp hinauf. Unberechenbar wie immer, wandte das Wetter in der Biskaya sich gegen ihn, und schon begannen die Marssegel nervos zu killen.

«Wir wollen um zwei Strich abfallen«, sagte er.»Steuern Sie Nordost zu Ost.»
        Stepkyne hatte Dienst als Offizier der Wache und sah aus, als hatte er am Tag vorher stark getrunken.»Midshipman der Wache!
        Lassen Sie die Leute an die Brassen pfeifen, und Beeilung dabei!«Noch wahrend das Schiff schwerfallig auf seinen neuen Kurs einschwenkte, erkannte Bolitho, da? es nicht ausreichte. Der Wind sprang noch weiter um und verlor an Kraft. Der Wimpel am Masttopp zuckte und knallte wie die Peitsche eines Fuhrmann, statt steifzustehen.
        Gossett trat an Bolithos Seite und murmelte:»Wir mussen uber Stag gehen, Sir. «Er wischte sich mit seiner rauhen Hand uber das Kinn.»Ich nehme an, da? wir den Wind direkt vom Land her haben, ehe die Wache wechselt.»
        Bolitho blickte ihn ernst an. Gossett irrte sich selten bei seinen Voraussagen. Also gut. Legen Sie sie auf Backbordbug. Wir mussen noch weit nach Norden, wenn wir die Ithuriel heute finden wollen.»
        Er lachelte Gossett zu, aber innerlich war er wutend und enttauscht. Doch da der Wind noch weiter umsprang, wu?te er, da? er nichts anderes tun konnte. Gegen zwei Glasen der Vormittagswache wehte der Wind stetig aus Nordost und wich damit etwa um neunzig Grad von seiner ursprunglichen Richtung ab. Statt also muhelos einen Punkt zu erreichen, von dem aus sie die Fregatte sichten und Signalkontakt mit ihr aufnehmen konnten, mu?ten sie bis weit in den Norden der Flu?mundung aufkreuzen und den abflauenden Wind so gut wie moglich nutzen.
        Inch kam uber das Deck und sagte:»Es wird Stunden dauern, ehe wir wieder wenden konnen, Sir. «Auch er schien enttauscht.
        Bolitho beobachtete, wie die Rahen knarrend herumschwenkten, und spurte, da? das Schiff fast zum Stehen kam, als es mit schlagenden Segeln durch den Wind ging, ehe sie sich wieder fullten und die Hyperion dadurch stark krangte, bis sie sich aufrichtete und den endlosen Reihen kleiner, hupfender Schaumkronen folgte.

«Wir werden es spater wieder aufholen. «Er beherrschte seinen Unmut und fugte knapp hinzu:»Das bietet uns ausgezeichnete Gelegenheit, mit der unteren Batterie zu exerzieren, Mr. Inch.»
        Er ging nach achtern und blickte auf den Kompa?. Nordnordwest. Nun, wenigstens konnten die Bedienung auf dem unteren Batteriedeck exerzieren, ohne durch die geoffneten Stuckpforten uberschwemmt zu werden. Auch eine gewisse Ventilierung war willkommen, um die Feuchtigkeit und die abgestandene Luft aus dem tiefen Rumpf zu vertreiben.
        Es dauerte sechs Stunden, die erzwungene Kursanderung wettzumachen; nun lief die Hyperion wieder nach Suden und hatte jeden Fetzen Leinwand gesetzt, um den ma?igen Landwind zu nutzen. Das Tageslicht begann bereits nachzulassen.
        Bolitho ging in Luv auf und ab, als ihn der Ruf des Ausgucks aus seinen brutenden Gedanken schreckte.»An Deck! Segel Backbord voraus!»
        Bolitho sah zum Masttopp auf. Es hatte keinen Sinn, den Kurs zu andern, das wurde sie uber eine kostbare Stunde kosten, und bis dahin war es dunkel. Sie wurden die Fregatte in einem Abstand von zwei Meilen passieren, und das sollte genugen, um ihre Signale zu erkennen. Er hob sein Glas und blickte uber das Netz. Er konnte das ferne Schiff nicht ausmachen, denn seine Formen verschwammen vor dem stumpfen grauen Streifen, der die franzosische Kuste war. Er blickte wieder nach oben und bi? auf die Lippe. Auf seinem schwindelerregenden Posten behaglich schwankend, konnte der Ausguck die Fregatte sicher deutlich sehen und - wichtiger noch - ihren Abstand bis zu dem hinter ihr liegenden Land erkennen.
        Er gab sich einen Ruck.»Ich entere auf, Mr. Inch. «Er ignorierte den schnellen Blickwechsel zwischen den Umstehenden und konzentrierte alle Willenskraft darauf, in die Luvwanten zu klettern und langsam Sprosse um Sprosse der vibrierenden Webeleinen hinaufzusteigen. Schon als Midshipman hatte er Hohen geha?t, und jedesmal, wenn er aufentern mu?te, hatte er erwartet, da? er seine dumme Angst uberwunden hatte. Doch dem war nicht so; mit knirschenden Zahnen, die Augen fest auf den schwankenden Mast gerichtet, kletterte er hoher und hoher. Bis in die Marsstenge hinauf und darum herum, wo zwei uberraschte Marinesoldaten die Drehbasse reinigten; die auf steigende Ubelkeit unterdruckend, spurte er, wie sein Gewicht an seinen Handen zog, wahrend sein Korper an den Puttingswanten nach au?en hing. Doch da jetzt mehr Augen auf ihn als auf die naherkommende Fregatte gerichtet waren, konnte er nicht den leichteren Weg durch das Loch fur Anfanger nehmen.
        Als er schlie?lich die Saling erreichte, fand er dort einen ergrauten, bezopften Seemann, der bereits zur Seite ruckte, um ihm Platz zum Sitzen zu machen. Bolitho nickte dankbar, mu?te aber erst wieder zu Atem kommen. Einige Augenblicke lehnte er sich an die zitternde Stenge, wahrend er nach dem umgehangten Teleskop tastete und versuchte, nicht zu dem weit unter ihm liegenden Deck hinunterzusehen.
        Er horte Midshipman Gascoigne rufen:»Sie hat Erkennungssignal gehi?t, Sir!«Inch mu?te etwas gesagt haben, denn Sekunden spater entfaltete sich das vorbereitete Bestatigungssignal als helles Rechteck an der Marsrah des Hauptmasts.
        Bolitho stellte sein Glas ein und sah die schlanke Fregatte in seinem Blickfeld tanzen. Spruhwasser stieg wie ein Vorhang uber ihren Bug auf. Er verga? seine Angste, als er sich an seine Dienstzeit auf Fregatten erinnerte: immer in Fahrt, mit dem Schwung und der Spannung, die sich auf einem Schiff dieses Typs ubertrug. Er empfand Mitgefuhl mit dem Kommandanten auf einsamem Wachdienst: Tag fur Tag hin und her patrouillieren, ohne da? man etwas vorweisen konnte. Unter diesen Umstanden war es auf einem Linienschiff schon schlimm genug, aber im ranken Rumpf einer Fregatte mu?te es ein einziger Alptraum sein.
        Er ri? den Blick von dem anderen Schiff los und richtete ihn auf die im wachsenden Dunkel verschwindende Landzunge im Norden der Flu?mundung. Ein paar helle Flecken, wahrscheinlich Unterkunfte der Kustenwache. So dicht unter Land schienen sie sich in der Stromung zu bewegen und die See stillzustehen. Bolitho setzte das Glas ab und wischte sich mit dem Armel uber die Augen.
        Er horte Inchs Stimme, die der Wind herauftrug:»Captain, Sir! Die Ithuriel hat nichts Neues zu berichten.»
        Er wartete, bis das Besansegel einen Augenblick im unsteten Wind flatterte, und konnte dann die perspektivisch verkurzten Gestalten auf dem Achterdeck sehen. Ihre Gesichter hoben sich bleich von den ausgelaugten Planken ab: Gascoigne - die Seiten seines Signalbuchs flatterten im Wind. Und Stepkyne, das Glas auf die Fregatte gerichtet, die sie, auf dem entgegengesetzten Bug liegend, passierte. Selbst sein eigenes Schiff wirkte klein und gedrungen, und es war kaum vorstellbar, da? sechshundert menschliche Wesen ihr Leben in dem kompakten Rumpf verbrachten.
        Er dachte auch an die beengten Verhaltnisse auf der Fregatte. Sie war nur eine von vielen, wettererprobt und auf sich selbst angewiesen, aber unentbehrlich, wenn der Feind in seinen Hafen eingeschlossen bleiben sollte. Bolitho schluckte schwer und griff nach einer Pardune. Eine weitere lange Kletterpartie wagte er nicht, nicht einmal abwarts. Also schwang er sich vor den verblufften Augen des Ausgucks von der Saling und legte mit angehaltenem Atem den Weg zum Achterdeck auf eine schnellere, wenn auch weniger wurdevolle Weise zuruck. Keuchend erreichte er das Deck, war sich der grinsenden Seeleute ringsum bewu?t, aber auch des Schmerzes in seinem Bein, wo ihm das dicke Stag bei der raschen Abfahrt die Haut versengt hatte.
        Steif sagte er:»Ehe das Licht vollig schwindet, will ich der Ithu-riel noch ein Signal geben. «Er winkte Gascoigne zu sich.»Ich habe den Namen ihres Kommandanten vergessen.»
        Gascoigne stand immer noch verwundert der Mund offen, als konne er nicht glauben, da? ein Kommandant sich so merkwurdig verhielt. Er klappte sein Buch auf und stammelte: «Ithuriel, 32 Geschutze, Kommandant ist Kapitan Curry, Sir!»
        Es wurde banal klingen, wenn er ihm ein gutes neues Jahr wunschte, dachte Bolitho, aber es war besser als nichts.
        Stepkyne sagte:»Sie haben sie gut in Schu? gehalten, trotz des verdammten Wetters.

        Bolitho nahm Gascoignes gro?es Signalteleskop und hob es uber die Netze. Die Fregatte lag jetzt in Hohe des Achterdecks der Hyperion, und er konnte die gedrangten Gestalten auf dem Achterdeck unter dem zerfetzten Rest der Nationalflagge sehen. Er blinzelte ein paar Mal hastig, um klarer sehen zu konnen, aber… Er irrte sich! Er mu?te sich irren. Seine Stimme klang immer noch gefa?t, als er kurz befahl:»Setzen Sie folgendes Signal, Mr. Gascoigne: Hermes an Ithuriel. Viel Gluck.»
        Er ignorierte die Uberraschung auf dem blassen Gesicht des Midshipman und schnauzte:»Ganz richtig. Ich habe >Hermes< gesagt!«Dann fugte er hinzu:»Vielen Dank, Mr. Stepkyne.»
        Niemand au?erte etwas. Die unmittelbar neben Bolitho Stehenden wandten sogar die Augen von ihm ab, als ob sie nicht Zeugen dieses Wahnsinns werden wollten.
        Gascoigne meldete leise:»Sie hat bestatigt, Sir.»

«Legen Sie das Schiff auf Backbordbug, Mr. Gossett«, befahl Bolitho, ohne den Steuermann anzusehen.»Wir drehen nach Westen ab. «Als dann die Pfeifen schrillten und die Matrosen zu den Brassen liefen, erklarte er schroff:»Die Ithuriel ist eine Fregatte mit 32 Geschutzen, meine Herren. Dieses Schiff hat aber 36 Kanonen. Und nur ein Franzose wurde uns fur die Hermes halten.»
        Jetzt starrten ihn alle an.»Mr. Stepkyne beobachtete genau, erkannte aber nicht die volle Bedeutung: Sie ist zu gut in Schu?, zu sauber und gepflegt fur die Ithuriel nach vielen Wochen Blockade.»

«Aber was hat das zu bedeuten, Sir?«fragte Inch vollig ratlos.
        Bolitho beobachtete das Herumholen der Rahen und wie die Segel sich wieder mit Wind fullten.

«Es bedeutet, meine Herren, da? die Ithuriel erobert worden ist. Nur so konnten diese Leute unser Erkennungssignal setzen.«Uberraschend, wie ruhig und gefa?t es klang. Er begriff, da? sie es noch nicht durchschauten, wahrend jede Faser seines Korpers danach schrie, da? sie es genauso verstehen sollten wie er. Er bemerkte Allday, der sich auf einen Neunpfunder stutzte und zu der Fregatte zuruckblickte, die nach und nach in Gischt und sinkende Dunkelheit glitt. Allday mu?te wissen, was Bolitho empfand. Er war an Bord seines Schiffes gewesen, der Phalarope, als es von einem amerikanischen Kaperschiff angegriffen worden war. Auch dieses Schiff war eine ehemalige britische Fregatte gewesen, die in die Hande der Feinde gefallen war.
        Bohrend fragte Bolitho:»Warum geben die Franzosen sich solche Muhe, uns zu tauschen? Sie haben eine gute Fregatte erobert. Warum wollen sie das geheimhalten?

        Gossett sagte:»Mir scheint, sie haben was zu verheimlichen.»
        Bolitho lachelte bose.»Genau das glaube ich, Mr. Gossett. «Er blickte zu dem flatternden Wimpel hinauf. «Wir haben keine Zeit, das Geschwader zu informieren, selbst wenn wir es finden konnten. «Seine Stimme klang harter.»Sobald es ganz dunkel ist, wenden wir und versuchen, wieder eine Position im Norden der Flu?mundung zu gewinnen. Ich habe keinen Zweifel, da? der Kommandant der Fregatte, wer das auch ist, uber Nacht vor Anker gehen wird. Er wird wissen, da? viele Tage, vielleicht sogar Wochen, vergehen werden, ehe wieder ein Schiff von unserem Geschwader hier erscheint.»
        Er versuchte, die Erbitterung in seiner Stimme zu unterdrucken. Wenn Pelham-Martin seine drei Fregatten und moglichst auch die
        Schaluppen in einem engen Bogen und in Sichtweite voneinander um das zu uberwachende Gebiet konzentriert hatte, ware es nie dazu gekommen. Im gleichen nuchternen Ton fuhr er fort:»Wir werden so nahe an das Ufer heranlaufen, wie es uns moglich ist. Sobald sich das erste Tageslicht zeigt, will ich den Wind im Ruk-ken haben. «Er warf einen kalten Blick auf die nachsten Kanonen.»Diesmal werde ich als erster reden, und zwar nachdrucklich.»
        Als sich die Wolkenbanke auf den Horizont legten und das Meer in vollige Dunkelheit hullten, schritt Bolitho immer noch auf dem Achterdeck hin und her. Er war vom Spruhwasser bis auf die Haut durchna?t, spurte aber nichts davon. Er hatte die Fregatte wieder vor Augen, empfand die Arroganz ihres Kommandanten, als er auf die Signale des Zweideckers antwortete. Es war um Haaresbreite gegangen. Wenige Minuten spater hatten sich die beiden Schiffe getrennt. Dann hatte die Hyperion dem Kommodore gemeldet, da? es nichts Ungewohnliches zu berichten gab, und Pelham-Martin ware nur allzu bereit gewesen, diese Meldung zu akzeptieren.
        Und die Fregatte? Er blieb unvermittelt stehen, und der Ruderganger blinzelte beunruhigt im Licht der Kompa?lampe, als Bolitho durch ihn hindurchstarrte. Sie konnte ihren Vorgesetzten melden, da? die Englander getauscht worden waren. Er runzelte die Stirn. Aber in welcher Absicht? Er nahm sein ruheloses Hin und Her wieder auf, war vollig von seinen Gedanken in Anspruch genommen und von der Frage, was das alles fur ihn und sein Schiff bedeuten konnte.
        Selbst mit einer schlecht gezielten Breitseite hatte die Hyperion die Fregatte entmasten konnen, als sie an ihr vorbeilief. Angenommen, sie befand sich nicht mehr auf ihrer Position, wenn die Morgendammerung kam? Pelham-Martin bekam dann nicht einmal die Befriedigung zu wissen, da? ein feindliches Schiff vernichtet worden war, wenn er in seinem Bericht an Cavendish den Verlust der Ithuriel eingestand. Und der Kommodore wurde nicht geneigt sein, die Schuld allein auf sich zu nehmen, war Bolithos ergrimmte Schlu?folgerung.
        Aber was konnte den Franzosen zu seinem Verhalten veranla?t haben? Dafur mu?te es einen Grund geben.
        Schlie?lich fuhlte Bolitho sich ausgelaugt; ihm wurde plotzlich eiskalt, und er sagte erschopft:»Ich gehe schlafen, Mr. Stepkyne.
        Lassen Sie mich bitte eine halbe Stunde vor Beginn der Morgenwache wecken.»
        Als er in die Dunkelheit der Hutte trat, horte er eine Stimme bewundernd murmeln: Der hat vielleicht Nerven! Hat so einen verdammten Froschfresser im Visier und krummt ihm kein Haar. «Darauf Gossetts tiefer Ba?:»Halt deine verdammte Klappe! Du kannst sie noch weit genug aufrei?en, wenn die Kanonen donnern. »
        Bolitho trat in seine Kajute und schlug die Tur hinter sich zu. Ein paar Augenblicke blieb er vollig ruhig stehen, die Schulter gegen die Schottwand gestutzt, wahrend er mit leeren Blicken auf die schwankenden Lampen starrte.
        Gossett wu?te Bescheid. Weniger als ein Viertel der Besatzung hatte schon einmal den Fu? an Bord eines Schiffes gesetzt, ehe sie auf die Hyperion kamen, gar nicht davon zu reden, da? sie je das Grauen einer feindlichen Breitseite erlebt hatten.
        Er pre?te die Augen zu und versuchte, sich von seinen Zweifeln freizumachen. Es gab gar keine Wahl; schon seit dem Augenblick nicht mehr, als er das kaltblutige Tauschungsmanover des franzosischen Kommandanten durchschaut hatte.
        Beinahe hatte es geklappt, und das war das schlimmste. Trotz seiner gro?en Erfahrung und seiner Ausbildung hatte er nur das gesehen, was man von ihm erwartete. Der Kommandant der Fregatte hatte zwar darauf gesetzt, aber auch die Folgen eines Fehlschlags mu?ten ihm bewu?t gewesen sein. Jede Minute mu?te ihm wie eine Stunde erschienen sein, als die Hyperion mit zwei Meilen Abstand an ihm vorbeigelaufen war.
        Aber was die Franzosen auch verbergen wollten, es mu?te ihnen das Risiko wert sein. Zu seiner Uberraschung gab ihm diese Erkenntnis Sicherheit, und als etwas spater Petch mit Kaffee in die Kajute kam, fand er Bolitho mit entspanntem Gesicht fest schlafend auf der Bank unter dem Heckfenster ausgestreckt.
        Petch war eine schlichte Seele, und als er seinen Kumpanen erzahlte, ihr Kommandant sei seiner Sache so sicher, da? er ihn bald fest schlafend angetroffen habe, fand seine Geschichte manche Ausschmuckung.
        Allday horte sie und hatte nichts dazu zu sagen. Er kannte Bo-litho besser als jeder andere und vermutete, da? der Captain ganz wie er selbst an jene andere Begegnung vor vielen Jahren gedacht hatte, als ein ahnliches Tauschungsmanover ihn um ein Haar Leben und Schiff gekostet hatte.
        Allday prufte im gedampften Licht einer abgeschirmten Laterne sein schweres Entermesser. Wenn es zu einem Gefecht kommen sollte, brauchte die unerfahrene Besatzung der Hyperion mehr als Selbstvertrauen. Eine ganze Menge mehr.



        IV Ein Schandname


«Captain, Sir!»
        Bolitho schlug die Augen auf und starrte ein paar Sekunden lang in Inchs besorgtes Gesicht. Er hatte getraumt. Von einem grunen Feld und einem endlosen, von bluhenden Hecken gesaumten Weg, und uber diesen Weg kam ihm Cheney entgegen, um ihn zu begru?en. Er war ihr entgegengelaufen, genau wie sie ihm, aber sie schienen einander nicht naherzukommen.

«Was ist?«Er sah, wie Inch nervos zuruckzuckte, und fugte hinzu:»Entschuldigung. Wird es schon Zeit?»
        Inch nickte, das Gesicht im Halbschatten.»Von der Kuste kommt Nebel auf, Sir. Er ist nicht sehr dicht, aber Mr. Gossett sagt, er konne die endgultige Annaherung erschweren. «Er sprang beiseite, als Bolitho die Beine zu Boden schwang und nach seinem Uniformrock griff.
        Bolithos Kopf war jetzt klar.»Wie ist unsere Position?«Inch zogerte.»Wir sind zehn Meilen nordnordwestlich von der Halbinsel, Sir.»

«Ich bin bereit. «Bolitho warf einen letzten Blick rundum durch die Kajute und loschte die Lampe.
        Auf dem Achterdeck war es noch dunkel; erst als Bolitho nach oben blickte, erkannte er die Dichte des Nebels. Er trieb recht schnell davon, so da? die Segel noch gut zogen, doch oberhalb der Gro?rah konnte er nichts mehr erkennen, ganz so, als ob eine Riesenhand die ubrigen Segel und die Maststengen weggesabelt hatte.
        Aus dem Dunkel meldete Stepkyne:»Kombusenfeuer geloscht,
        Sir.»
        Auf allen Seiten herrschte nervose Spannung, aber Bolitho zwang sich, nicht auf die anderen zu achten, als er zum Kompa? ging.

«Fallen Sie zwei Strich ab auf Kurs Sudost!«Er hob die Hand.»Und machen Sie sowenig Gerausch wie moglich.»
        Er ging nach Luv hinuber und sah zum nachsten Segel auf. Zu argerlich, da? wir nicht Segel kurzen konnen, dachte er. Die Hyperion glitt sehr langsam an der feindlichen Kuste entlang, und im ersten Tageslicht mochte ein wachsamer Posten die Bramsegel des Schiffes wahrnehmen und Alarm schlagen, ehe Bolitho das letzte Stuck zuruckgelegt und sich in die gunstigste Position gebracht hatte, um die Fregatte zu stellen. Wenn er genugend Geschwindigkeit und Manovrierfahigkeit erhalten wollte, um die Fregatte zu uberraschen, ehe sie ihm ihr Heck zeigen konnte, mu?te er wachsam bleiben.
        Er kam zu einem Entschlu?.»Alle Mann auf Station, Mr. Inch. Aber ohne Pfeifen oder Larm. Geben Sie den Befehl mundlich weiter, und dann: Klarschiff zum Gefecht.»
        Durch diese Vorsichtsma?nahme wurde die Aufgabe, das abgedunkelte Schiff gefechtsbereit zu machen, zu einer noch schwereren Nervenprobe. Schatten glitten hin und her, wahrend von den Decks gedampftes Poltern und Schlagen heraufklang, als die Zwischenwande entfernt, die Geschutze von ihren Zurringen gelost wurden und die Offiziere mit scharfem Flustern ihre Leute zusammentrieben und antreten lie?en. Und wahrend der ganzen Zeit glitt die Hyperion wie ein Geisterschiff durch langgestreckte Nebelschwaden, die Segel na? von Gischt und Spruhwasser, mit knarrender Takelage, als der Rumpf in die starke Stromung geriet und die Manner im Ausguck die Augen anstrengten, um die Dunkelheit zu durchdringen.
        Bolitho griff in die Netze und sah den Nebel wie eine milchige Flussigkeit durch die Gro?wanten streichen, ehe der nachste Windsto? ihn hob und auf die offene See hinaustrieb. Hinter sich horte er Hauptmann Dawson zu seinen Marinesoldaten sprechen, gelegentlich klirrte Stahl oder klapperte ein Ausrustungsstuck, wenn sie in dem befohlenen, engen Karree auf dem Achterdeck gegeneinander-stie?en. Im Nebel wirkten ihre Uniformen schwarz, wahrend die wei?en, gekreuzten Brustriemen uberraschend deutlich zu erkennen waren.
        Inch erschien keuchend und schwitzend.»Schiff klar zum Gefecht, Sir.»
        Bolitho grunzte. Wie wurde er sich blamieren, wenn die See bei Tagesanbruch leer vor ihnen lag! Jedes Vertrauen, da? er bei der kaum ausgebildeten Mannschaft hatte gewinnen konnen, war wieder verloren, wenn es sich herumsprach, da? der Kommandant sich vor seinem eigenen Schatten gefurchtet hatte.
        Bei jeder anderen Gelegenheit hatte er gewartet. Erfahrene Leute konnten laden und ausrennen, wieder laden und weiter feuern, wenn alles um sie herum in einem Inferno ohrenbetaubender Explosionen und schreiender Menschen unterging; wenn es sein mu?te, schafften sie das auch bei volliger Dunkelheit. Jetzt dachte er an diese Leute, die, hinter geschlossene Stuckpforten geduckt, mit gespitzten Ohren auf jedes Gerausch lauschten, mit klopfenden Herzen und dankbar fur die Dunkelheit, die ihre Furcht vor den Kameraden verbarg. Bei ihnen ware das Risiko zu gro? gewesen. Da er sich nun einmal hatte entscheiden mussen, war es ihm lieber, da? seine Leute hinter seinem Rucken uber ihn lachten, als da? sie seiner Eitelkeit wegen starben.

«Sehr gut, Mr. Inch. Sie konnen Befehl zum Laden geben.»
        Als Inch heftig einem Midshipman winkte, erinnerte Bolitho sich der anderen Gelegenheiten, bei denen er ins Gefecht gesegelt war. Jedes Geschutz mit doppelter Ladung und zusatzlich mit Schrapnell geladen, um damit die erste verheerende Salve voll zur Wirkung zu bringen. Jetzt, mit nur halb ausgebildeten Leuten, die sich in der Finsternis des Zwischendecks zurechttasteten, konnte das eine Katastrophe herausfordern. Solche Methoden anzuwenden, verlangte Erfahrung. Eine falsche Ladung, und eine Kanone konnte explodieren und wenigstens ihre Bedienung toten.
        Der Wind lie? ein wenig nach; in der plotzlich eintretenden Stille horte er hastige Schritte auf den mit Sand bestreuten Decks: die Pulveraffchen, die von Geschutz zu Geschutz rannten und die Ladung verteilten, die sie gerade vom Magazin empfangen hatten, wo Johns, der Stuckmeister, in funkensicheren Filzpantoffeln an dem einzigen Ort stand, von dem es kein Entkommen gab, wenn das Schiff im Gefecht in Brand geriet. Gott sei Dank war er ein erfahrener Veteran, der sich nicht blind auf das Konnen jener verlassen wurde, die er mit Pulver aus seinem Magazin versorgte.
        Gossett rief:»Nach meiner Berechnung liegt die Landzunge jetzt drei Meilen querab, Sir. «Er hustete.»Selbstverstandlich ist es bei der Stromung und dem Nebel schwer, Genaueres zu sagen.«»Alle Geschutze feuerbereit, Sir.»
        Bolitho hielt seine Uhr in das Licht der Kompa?laterne. Jetzt mu?te es bald hell werden. Er sah sich schnell nach allen Richtungen um. Lichtete sich das Dunkel tatsachlich schon, oder hatten sich seine Augen so sehr an die Finsternis gewohnt, da? er die Neunpfunder in Lee schwarz und scharf umrissen vor dem Schanzkleid wahrnahm?
        Gern hatte er noch einmal einen Blick auf die Karte geworfen, aber dazu blieb keine Zeit mehr. Er versuchte, sich genau zu erinnern, was er vor Augen gehabt hatte: die Landzunge und das geschutzte Wasser dahinter, die unterschiedlichen Wassertiefen, der Verlauf des Fahrwassers und die Starke der Stromung, in der jede unvorsichtige Annaherung zu einer Katastrophe fuhren konnte.

«Etwa mehr Steuerbord!«Er stand neben Inch an der Achterdecksreling, das Teleskop nach Luv gerichtet, wahrend sich das Ruder knarrend drehte.

«Recht so!«Er konnte Inchs lautes Atmen horen und nahm einen der Achterdeckskanoniere wahr, der neben einem Neunpfunder kniete. Der Mann war trotz der eisigen Luft bis zu den Huften nackt und hatte sein Entermesser achtlos hinten in den Gurtel geschoben, wo der Griff sich nun dunkel von dem blo?en Rucken abhob. Die Lange seines Zopfes verriet Bolitho, da? er kein Neuling war, und er hoffte, da? au?er dem befehligenden Deckoffizier noch ein paar seinesgleichen fur Ruhe und Ordnung sorgen wurden, wenn es zum Gefecht kam.
        Auf dem Hauptdeck lie? jemand eine Spake fallen, und als Bo-litho wutend nach vorn blickte, stellte er uberrascht fest, da? er Vorschiff und Kluverbaum erkennen konnte. Doch je mehr das Schiff in der weichenden Dunkelheit an Gestalt gewann, desto dichter schien der Nebel zu werden, bis die Hyperion schlie?lich hilflos seitwarts abzutreiben schien, ein Eindruck, der noch durch die Geschwindigkeit, mit der der Nebel durch die Wanten und um sie herum strich, verstarkt wurde.
        Plotzlich sagte Bolitho:»Entern Sie auf, Mr. Gascoigne. Sie haben scharfe Augen.»
        Der Midshipman kletterte behende in die Webeleinen, und Inch sagte:»Wir konnten die Fregatte verfehlen, Sir.»
        Bolitho sah das Gro?bramsegel in einer Fallbo killen und entdeckte in diesen Sekunden einen schwachen blauen Fleck: Uber dem Nebel klarte der Himmel bereits auf, leuchtete hell und kalt, und das war gut so.
        Blocke und Taljen klapperten nervos, und Gossett bemerkte:»Der Wind frischt auf, Sir.»
        Es war nur wenig, genugte aber. Mit einem Mal ri? der Nebel auf und verfluchtigte sich zu einem tiefliegenden Dunst; als Gascoignes schriller Ruf noch nach unten drang, erkannte Bolitho schon die Umrisse des anderen Schiffes.

«Fregatte Steuerbord voraus!«schrie Gascoigne aufgeregt.»Vor Anker, Sir.»
        Inch wandte den Blick von dem anderen Schiff ab und starrte Bo-litho an, als ob er es nicht glauben konne.
        Bolitho beobachtete die Fregatte unbewegt, deren Umrisse immer klarer wurden, wahrend der Nebel an ihr vorbei auf die offene See hinaustrieb. Dort lag die Landzunge, blaugrau im Dammerlicht, und obwohl es noch nicht moglich war, den anderen Landarm der Flu?mundung auszumachen, wu?te er, da? er richtig gerechnet hatte, und empfand beinahe Mitleid mit dem Mann an Bord der Fregatte, der jetzt als erster die naherkommende Hyperion sehen mu?te. Sie mu?te auf ihn wie ein Bote der Holle wirken, als sie sich vor seinen Fluchtweg schob, mit leicht killenden Bram- und Marssegeln, ihre Gro?segel zum Gefecht aufgegeit, mit dieser goldschimmernden, starr blickenden Galionsfigur, die den Dreizack hob, als ob sie das Schiff geradewegs auf sein Opfer lenken wolle.
        Uber den Streifen Wasser horte Bolitho plotzlich das Schmettern einer Trompete. Noch eine Meile trennte die Fregatte von dem Zweidecker, doch selbst wenn sie ihr Ankerkabel kappte, brauchte es Zeit, um die Besatzung auf Gefechtsstationen zu treiben und genug Segel zu setzen, um zu entkommen. Oben horte Bolitho die Marssegel sich mit einem gedampften Donnern fullen, als sein Schiff aus dem Windschutz der Landzunge glitt. Die Fregatte hatte keine Zeit mehr.
        Er packte die Reling und rief:»Alles herhoren!«Die Leute an Geschutzen und Brassen rissen die Blicke von der Fregatte los und starrten wie ein Mann nach achtern.»Das da druben ist ein franzosisches Schiff, und ich beabsichtige, es anzugreifen.
«Einer rief Hurra, verstummte aber unter dem strengen Blick des Kommandanten.»Wenn wir es als Prise nehmen konnen, schon. Aber wenn nicht, dann werden wir es vernichten. «Er lie? seine Worte wirken und fugte hinzu:»Doch lassen Sie sich durch ihren Anblick nicht tauschen. Sie kann sich als tapferer Gegner erweisen, und ich habe schon ebensoviele aus Selbstuberschatzung fallen sehen wie durch die Treffsicherheit des Feindes. «Dann lachelte er trotz des eisenharten Drucks in seiner Magengegend.»Tut euer Bestes, Jungs. Fur das Schiff und fur England.»
        Er wendete sich wieder den Netzen zu, als Hurrarufe erklangen, die von den Mannern im unteren Deck aufgenommen wurden, bis aus dem ganzen Schiff erregtes Schreien und Jubeln aufstieg.
        Bolitho sagte ruhig:»Lassen Sie die Leute larmen, Mr. Inch. Vielleicht geht es den Froschfressern auf die Nerven.»
        Naher und naher kamen sie, und die ganze Zeit uber beobachtete Bolitho das Durcheinander an Bord der jah aufgeschreckten Fregatte. Zuerst erschien das flatternde Kluversegel und dann das Vormarssegel, ehe ein Ausguck herunterrief: Sie hi?t die Flagge!»
        Bolitho sah die Trikolore sich an der Gaffel entfalten. Diesmal also die rechtma?ige Flagge. Jedenfalls war jetzt offenkundig, da? sie sich nicht kampflos ergeben wurden.

«Geschutze ausrennen, Mr. Inch!»
        Eine Pfeife schrillte, und als sich die Geschutzpforten offneten, schossen die Rohre um die Wette aus der Bordwand, bis die Hyperion dem franzosischen Schiff wie eine Doppelreihe schwarzer Zahne ihre volle Breitseite zeigte.
        Stepkyne stand mit gezogenem Degen am Fu? des Fockmasts, den Blick zum Achterdeck gerichtet.
        Noch weiter vorn wartete Leutnant Hicks von den Marinesoldaten neben den beiden gedrungenen Karronaden, wahrend das Gros der Rotrocke ihr sauberes Karree auf dem Achterdeck aufgelost hatten und uber Hutte und Achterdeck ausgeschwarmt waren, um die langen Musketen schu?bereit auf das naherkommende Schiff zu richten.

«Hart Backbord!«Bolitho hob die Hand, als ob er das Schiff steuern wolle.»Ruhig, Jungs!«Er beobachtete, wie der Kluverbaum auf den Fockmast der Fregatte zuschwang, bis es schien, als sei das andere Schiff bereits auf einem riesigen Sto?zahn aufgespie?t.

«Ruhig!«Das Herz pochte ihm gegen die Rippen, und er spurte die salzige Trockenheit seiner Lippen.»Aufgepa?t, Mr. Gossett.»
        Der feindliche Kommandant hatte wahrscheinlich abdrehen und das Weite suchen wollen. Denn es war ihm kaum moglich, der starken Artillerie der Hyperion unversehrt zu entkommen, aber wenn er offenes Wasser erreichte, konnte er ihr innerhalb von Minuten davonsegeln.
        Bolitho wu?te, da? die wahren Feinde jedes Kommandanten die» Wenn «und» Aber
«waren.
        Warum hatte der Ausguck die Hyperion nicht fruher gesichtet? Oder wenn der Nebel nicht verhindert hatte, da? sie gesehen wurde, wenn Bolitho sich bei seiner blinden Annaherung geirrt hatte, und wenn die Segel ein paar Minuten schneller hatten gesetzt werden konnen. All das und vieles mehr mu?te dem Franzosen durch den Kopf gehen, als er jetzt auf den glanzenden Zweidecker starrte, der direkt auf das Herz seines Schiffes lossteuerte.
        Es blieb keine Zeit mehr zur Flucht. Sein ungeschutztes Heck diesen Vierundzwanzigpfundern zu prasentieren, hatte das Ende bedeutet, ohne auch nur einen Schu? zu erwidern.
        Fast verzagt schwangen die Rahen der Fregatte herum, ihre Backbordbatterie wurde bereits ausgerannt, als sie sich bereit machte, die Herausforderung anzunehmen.
        Bolitho rief:»Jetzt!»
        Gossett bellte:»Ruder nach Lee!»
        Als das Doppelrad herumwirbelte, schwenkten auch die Rahen schon knarrend herum, und wahrend Bolitho nach der Reling griff, sah er, da? der Bugspriet sich weiter und weiter drehte und das alte Schiff unter der Wirkung von Ruder und Wind jetzt beinahe auf gleicher Hohe mit dem Feind lief.

«Klar zum Feuern!»
        Er sah, wie Stepkyne zum vordersten Zwolfpfunder lief, sich neben den Geschutzfuhrer kauerte und durch die offene Stuckpforte spahte, wahrend das Schiff sich schwerfallig herumwalzte und die franzosische Fregatte vor den Mundungen vorbeizog.

«Feuer!«Bolitho durchschnitt die Luft mit seinem Sabel. Auf der ganzen Lange des Hauptdecks ri? Geschutzfuhrer nach Geschutzfuhrer die Abzugsleine zuruck, die See verschwand hinter einer dichten Wand aus wallendem, braunem Rauch, und die Luft wurde von Detonationen zerrissen.
        Bolitho schrie:»Noch mal, Jungs!«Er wischte sich die tranenden Augen und spurte das Deck beben, als die ersten Geschutze ausgewischt, neu geladen und wieder ausgerannt wurden.

«Feuer!«Das Krac hen der Abschusse erschutterte den Rumpf wie ein Erdbeben, und als die Neunpfunder des Achterdecks beim Rucksto? von ihren Taljen aufgefangen wurden, sah Bolitho den Fockmast der Fregatte zittern und dann wie trunken durch den Pulverqualm taumeln.
        Er schrie:»Neu laden, verdammt noch mal!«Denn einige Kanoniere hatten ihre Posten verlassen, tanzten herum und jubelten uber die Wirkung ihres Bombardements.

«Hart Backbord!«Er sah Rauch aufsteigen, von langen, gelben Zungen durchsto?en, als die Franzosen jetzt zum ersten Mal zuruckfeuerten.
        Die Wirkung der Geschosse war relativ kummerlich, aber Bolitho spurte, wie sie in den Rumpf einschlugen, und schrie:»Dicht ran, Mr. Gossett!»
        Die Kanoniere des Oberdecks hatten ihr Jubeln eingestellt; als Stepkyne seinen Degen senkte, feuerten ihre Geschutze wieder. Es mu?te viele uberraschen, da? eine bescheidene Fregatte einen derartigen Beschu? uberstehen und auch noch zuruckschlagen konnte.
        Eine Kugel schlug in die Steuerbordgangway ein, und ein Mann schrie gellend auf. Wie ein Pfeil war ihm ein langer Holzsplitter in den Rucken gedrungen. Kameraden sprangen hinzu und wollten ihn zur Luke und nach unten schaffen, aber Bolitho schrie sie an:»Zuruck an eure Platze!«Ein weiteres Gescho? fuhr durch eine Geschutzpforte und traf die zogernden Matrosen wie eine riesige Axt. Vor einem Augenblick waren sie noch eine Gruppe benommener, ratloser Manner gewesen, jetzt zuckten sie in einem wirren Durcheinander von Gliedma?en und blutbedeckten Leibern.
        Bolitho ri? den Blick davon los und stellte fest, da? auch die Gro?marsstenge der Fregatte verschwunden war; als ein Windsto? den Qualm vertrieb, sah er, was seine Breitseiten angerichtet hatten. Die Segel waren zerfetzt, und der tiefliegende Rumpf war fast bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen. Hier und dort feuerte noch eine Kanone, doch als die untere Batterie der Hyperion uber den schmalen Streifen Wasser hinweg noch einmal aufbrullte, sah er Blut aus den Speigatten der Fregatte rinnen. Eiskalt beobachtete er, wie Getroffene von den zersplitterten Masten und Rahen sturzten und zwischen den treibenden Wrackteilen versanken.
        Gro?e Stucke des Schanzkleids und der Gangways des franzosischen Schiffs wurden in die Luft geschleudert; selbst ohne Glas konnte Bolitho zerfetzte Leichen auf dem verwusteten Deck liegen sehen.
        Scharf befahl er:»Feuer einstellen!«Als sich Stille uber die gra?liche Szene senkte, packte Bolitho beim Anblick der Fregatte verspatetes Entsetzen. Er hob die Hande als Trichter an den Mund und schrie hinuber:»Flagge streichen! Ergeben Sie sich!»
        Vielleicht konnte die Fregatte noch repariert und als Ersatz fur die Ithuriel eingesetzt werden. Ein Prisenkommando konnte sie nach Plymouth oder Cadiz bringen, und eine Prufung ihrer Papiere und Dokumente mochte weitere Einzelheiten uber sie offenbaren.
        Unter seinen Fu?en spurte er das Deck vibrieren, als die Geschutze nach dem Laden wieder ausgerannt und auf eine Distanz von kaum siebzig Metern wieder gegen den Feind gerichtet wurden.
        Auf der Fregatte scho? kein Geschutz mehr, aber plotzlich knatterten Musketen auf ihrer Hutte los, und der Marinesoldat neben Bolitho schlug die Hande vors Gesicht und brullte wie ein Tier, wahrend ihm Blut zwischen den Fingern hervorstromte. Er schrie immer noch, als er gepackt und zum Arzt ins Orlopdeck geschleppt wurde. Gossett nahm seinen Hut ab und starrte den Blutfleck an, der darauf wie ein Kokarde leuchtete.»Dieser Froschfresser glaubt wohl immer noch, da? er uns entkommen kann, Sir.»
        Bolitho sah uber die Rucken der kauernden Kanoniere hinweg nach vorn. Es stimmte. Die Hyperion war der Fregatte in einem weiten Bogen gefolgt und lief jetzt geradewegs auf die gegenuberliegende Landzunge zu. Sie mu?ten bald wenden, und das mochte dem franzosischen Schiff das Entkommen ermoglichen.
        Immer noch flatterte die Trikolore an ihrer Gaffel; das Musketenfeuer war eine klare Absage auf sein Angebot, den ungleichen Kampf zu beenden.
        Doch er konnte den Befehl zum Feuern nicht geben. Auch ohne da? er sich uber das Schanzkleid beugte, sah er die Doppelreihe der Geschutzrohre vor sich, die wachsamen Augen und die drohende Mundung in jeder Stuckpforte. Dagegen war jede Kanone der Fregatte, die zum Einsatz gekommen war, entweder umgesturzt oder zerschmettert, und ihr Rumpf lag bereits so tief, da? sie sich nicht mehr lange halten konnte, wenn sie keine Hilfe bekam. Er durfte sie nicht entkommen lassen, aber er durfte auch nicht das Leben seiner Leute beim Versuch, sie zu entern, aufs Spiel setzen. Der franzosische Kommandant mu?te ein Fanatiker sein. Kaum konnte Bolitho ein Lacheln unterdrucken, und der halbnackte Seemann an seiner Seite schuttelte verwundert den bezopften Kopf. Aber Bo-litho lachelte aus Mitgefuhl und Trauer. Er dachte daran, wie er selbst als junger Fregattenkapitan gegen ein Linienschiff gekampft hatte. Die Umstande hatten an diesem Tag zu seinen Gunsten entschieden, aber vielleicht hatte er auch nur Gluck gehabt.
        Fu?e klatschten laut aufs Deck, und einen Augenblick furchtete Bolitho, ein Verwundeter ware von einer Rahe gesturzt. Es war aber Gascoigne. Bolitho hatte den jungen Midshipman bis zu diesem Augenblick vollig vergessen.

«Nun, junger Mann, warum verlassen Sie Ihren Posten auf dem Mast?«Das war eine dumme Frage, aber sie gab ihm ein paar Sekunden Zeit, zu uberlegen und zu entscheiden, was er tun sollte.
        Gascoigne rieb sich die brennenden Hande.»Niemand hat mich gehort, Sir. «Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf die Flu?mundung. Hinter den Schwemmsandbanken und den letzten Nebelschwaden sah Bolitho die dunklen Umrisse des Landes und das fruher viel benutzte Fahrwasser nach Bordeaux.
        Gascoigne platzte heraus:»Masten, Sir! Der Nebel ist oben noch so dicht, da? ich nicht viel erkennen konnte, aber es sind viele Masten!«Errotend ri? er sich zusammen.»Drei oder vier Schiffe, Sir. Und sie segeln in unsere Richtung.»
        Bolitho blickte uber die Schulter des Jungen.»Jetzt wissen wir Bescheid, Mr. Inch.
«Er trat an die Reling und deutete auf Leutnant Stepkyne.»Gehen Sie zu jedem Geschutz. Ich wunsche, da? jetzt jeder Schu? trifft. «Starr musterte er die langsam abtreibende Fregatte. Hinter ihr lagen Sandbanke, und die Hyperion befand sich schon fast in der Mitte des Fahrwassers.»Ich wunsche, da? sie auf der Stelle genau dort versenkt wird, Mr. Stepkyne. «Er nahm seinen Hut ab und blinzelte noch einmal, als eine Musketenkugel einen Neunpfunder traf und jaulend uber die Hutte flog.
        Stepkyne ging zum ersten Geschutz. Ein Midshipman stand an der Hauptluke bereit, um die Befehle an die untere Batterie weiterzugeben, damit beim letzten Akt jede Kanone einen Partner hatte.

«Feuer!«Bolitho wandte den Blick ab, als der Besanmast der Fregatte in einem Wirrwarr zerschmetterter Spieren und zerrissener Stage verschwand.

«Feuer!«Ein gro?es Stuck des Hauptdecks barst in einer Splitterfontane, von der Tote und Sterbende wie blutige Marionetten we g-geschleudert wurden.
        Zwischen den paarweise erfolgenden Abschussen horte Bolitho Schreien und Schluchzen, als flehe das Schiff selbst um Erbarmen. Er packte die Reling, wollte mit aller Kraft, da? die Fregatte endlich sank und das Schlachten ein Ende fand.

«Feuer!»
        Blasen wuhlten das von Blut durchzogene Wasser um das Schiff auf; hier und dort sprang ein Uberlebender verzweifelt uber Bord, doch nur, um von der starken Stromung mitgerissen zu werden.
        Gossett sagte mit belegter Stimme:»Sie sinkt, Sir. «Er sah Bo-litho an, als hatte er einen Fremden vor sich.
        Zwei letzte Schusse bellten aus der Bordwand der Hyperion; als der Befehl zum Feuereinstellen auch die untere Batterie erreicht hatte, sagte Bolitho rauh:»Wir wollen halsen, Mr. Gossett.»
        Er ri? den Blick von dem zerschlagenen, sinkenden Wrack los und sah Gascoigne an seiner Seite an.»Gut gemacht, mein Junge.»
        Er versuchte zu lacheln, aber seine Lippen waren wie erstarrt. Selbst Gossett schien zu glauben, da? er hilflose Menschen ohne jeden Sinn abgeschlachtet hatte. Weitermachen!«schnauzte er.
        Segel klatschten und knallten, als das Schiff mit dem Heck langsam durch den auffrischenden Wind ging. Bolitho wartete und zahlte die Sekunden, ehe er befahl: Kurs Nordnordwest!»
        Gossett wurde unter Bolithos Blick unsicher.»Verzeihung, Sir, aber wir mussen uns weiter westlich halten, wenn wir von der Landzunge freikommen wollen.»
        Bolitho ignorierte ihn.»Lassen Sie Segel wegnehmen, Mr. Inch. Wir werfen gleich Anker.»
        Wenn er die grobste Obszonitat geau?ert hatte, hatte er keine gro?ere Besturzung auslosen konnen.
        Er wartete nicht darauf, da? jemand etwas sagte.»Mr. Gascoigne hat gesehen, was die Fregatte vor uns verbergen sollte. Und warum es notwendig war, die Ithuriel zu erobern, ehe sie uns warnen konnte. «Er deutete achteraus.»Dort kommen feindliche Schiffe, meine Herren, mit Kurs auf die offene See. Und wir verfugen uber keine Fregatte mehr, die wir zum Kommodore um Hilfe schicken konnten. Wir selbst sind fur diese Aufgabe nicht schnell genug. «Er blickte der Reihe nach in ihre gespannten und schockierten Gesichter.»Wir ankern in der Mitte des Fahrwassers.
«Er wandte den Kopf ab und sah, wie die Fregatte sich in einem Strudel aufsteigender Luftblasen und wirbelnder Wrackteile auf die Seite walzte.»Jedes gro?e Schiff mu? erst an uns vorbei. Und das andere Fahrwasser wird durch das Wrack blockiert.»
        Inch wandte leise ein:»Wir sind ganz allein, Sir.»

«Das wei? ich. «Er milderte seinen Ton.»Aber Pelham-Martin schickt vielleicht jemanden, um zu sehen, wo wir bleiben. «Er drehte sich um.»Inzwischen mussen wir so viele Schiffe wie moglich aufhalten oder beschadigen.»
        Er trat wieder an die Reling und beobachtete schweigend, wie sein Schiff zielstrebig der Landspitze entgegenglitt. Nun empfand er keinen Arger mehr uber Pelham-Martins torichten Optimismus oder die Hoffnungslosigkeit der bevorstehenden Stunden. Unter Deck jubelten wieder einige Matrosen, als hatten sie gerade einen gro?en Sieg errungen. Das Schiff hatte fast keine Spuren des Gefechts davongetragen, und ohne den hellen Blutfleck unter den Netzen hatten sie aus einem Manover kommen konnen.
        Inch fragte beklommen:»Soll ich Ruhe befehlen, Sir?»
        Doch Bolitho erstarrte, als der Ausguck laut aussang:»Zwei Schiffe Steuerbord achteraus, Sir.»
        Inch musterte gebannt die Marssegel des fuhrenden Schiffs. Sie bewegten sich uber einer niederen Nebelbank, losgelost und unpersonlich und darum um so bedrohlicher.
        Schlie?lich antwortete Bolitho:»Lassen Sie die Leute jubeln. «Er hob die Stimme, um den Larm zu ubertonen:»Hart Steuerbord!»
        Langsam drehte die Hyperion in den Wind.

«Marssegel aufgeien!»
        Ihr Bugspriet war wieder auf das Land gerichtet. Bolitho ve r-krampfte die Hande auf dem Rucken, um seine aufsteigende Verzweiflung zu beherrschen.

«Fallen Anker!»
        Der letzte Rest Nebel verzog sich, als ob endlich ein Vorhang von der See gehoben worden ware, und ein Strahl wa?rigen Sonnenlichts beleuchtete den Fockmast des vorderen Schiffs wie ein goldenes Kruzifix.
        Der Jubel an Bord der Hyperion erstarb, und uber das ganze Schiff legte sich eine Stille, die man beinahe greifen konnte.
        Bolitho hob das Glas und studierte die naherkommenden Schiffe. Das erste war ein Zweidecker, das zweite auch. Dann kam das dritte um eine vorspringende Landzunge herum, sein Rumpf glanzte, als es in der Stromung leicht krangte: ein Dreidecker mit der Kommandoflagge eines Vizeadmirals am Fockmast. Bolitho versuchte, sich nicht nervos die Lippen zu lecken. Es war hoffnungslos. Nein, noch schlimmer.
        Er fragte sich, was der Kommandant des fuhrenden Schiffes in diesem Augenblick denken mu?te. Jedenfalls hatte er den Befehl zum Auslaufen bekommen. Die auf der Lauer liegende englische Fregatte war uberwaltigt worden, ehe sie Alarm schlagen konnte, und nach Monaten des Wartens wurden die Franzosen wieder aktiv.
        Dort winkte die offene See und lockte mit dem hellen, wenn auch verschwommenen Horizont.
        Doch mitten im Fahrwasser lag ein einzelnes Schiff vor Anker, bereit, bis zum Ende zu kampfen.
        Allday uberquerte das Deck und hielt Bolitho seinen Sabel entgegen. Als er ihn Bolitho umgurtete, sagte er ruhig:»Dafur ist heute ein schoner Tag, Captain. «Als sich ihre Blicke begegneten, fugte er hinzu:»Das erste wirklich gute Wetter, seit wir England verlassen haben.»
        Im ganzen waren es vier Schiffe, und wahrend die Minuten verstrichen, schien es den beobachtenden britischen Seeleuten so, als ob sich das ganze Fahrwasser mit Segeln und Masten fullte.
        Bolitho zwang sich, zum Niedergang zur Hutte zuruckzugehen, wo Roth, der Vierte Offizier der Hyperion, wie hypnotisiert neben seinen Neunpfundern stand. Roth hatte sich als fahiger Offizier erwiesen, der schnell die Anforderungen seines ersten Kommandos auf einem Linienschiff begriff. Doch als er jetzt auf die naherkommenden Schiffe starrte, hatte seine Haut die Farbe von Pergament angenommen.
        Bolitho sagte beherrscht:»Wenn ich falle, Mr. Roth, werden Sie den Ersten Offizier nach besten Kraften auf dem Achterdeck unterstutzen, verstehen Sie?«Roth blickte ihm voll ins Gesicht.»Bleiben Sie bei Ihren Geschutzen, und ermutigen Sie die Leute in jeder Weise, selbst wenn…»
        Er drehte sich schnell um, als Inch heiser ausrief:»Das fuhrende Schiff hat Anker geworfen, Sir! Gott helfe mir, da? zweite auch.»
        Bolitho rannte an ihm vorbei und kletterte in die Besanwanten hinauf. Unglaublich, aber es stimmte. Er beobachtete, wie vor dem Bug des stattlichen Dreideckers eine kleine Wolke Gischt wei? aufspruhte, und wu?te, da? auch dieser das gleiche getan hatte. Das letzte Schiff wurde von den anderen fast verdeckt, aber er konnte die lebhaften Bewegungen auf seinen Rahen ausmachen, bis erst ein Segel und dann ein weiteres verschwand. Die Franzosen hatten sich den letzten und einzigen Platz ausgesucht, wo sie noch sicher ankern konnten: die breiteste Stelle des Fahrwassers vor den trugerischen Sandbanken, die das letzte Stuck vor dem Zugang in die offene See bewachten. Bolitho sprang wieder an Deck zuruck und horte nur halb die aufgeregten Stimmen und unglaubigen Ausrufe, als die Nachricht durch das ganze Schiff lief, da? die Franzosen Anker geworfen hatten, statt den Kampf anzunehmen.

«Was halten Sie davon, Sir?«Inch sah Bolitho an, als erwarte er eine sofortige Erklarung.»Die konnen sich doch unmoglich vor einem einzelnen Schiff furchten?»

«Das meine ich auch, Mr. Inch.»
        Bolitho sah zu den Mannern auf den Rahen der Hyperion hinauf, die erst vor wenigen Minuten die Segel festgemacht und sich darauf vorbereitet hatten, dem Tod in einem letzten hoffnungslosen Kampf ins Auge zu sehen. Jetzt jubelten sie, und manche schuttelten die Faust gegen die ankernden franzosischen Schiffe, schrieen Schimpfworte und Verhohnungen; aus ihren Stimmen sprach Verachtung, aber auch Erleichterung uber diesen unerwarteten Aufschub. Das war alles sehr seltsam. Bolitho wandte sich von seinen diskutierenden Offizieren ab und sah zur nachsten Landzunge hinuber. Vielleicht holten die Franzosen schon von anderswo Hilfe herbei, etwa schwere Artillerie aus Tochefort? Diesen Gedanken gab er sofort wieder auf. Bis dahin waren es annahernd drei?ig Meilen uber Land, und ehe die Geschutze an einem Ort in Stellung gebracht worden waren, von wo aus sie die vor Anker liegende Hyperion hatten treffen konnen, hatte alles mogliche geschehen konnen. Der Wind mochte drehen, auch konnte der franzosische Admiral nicht wissen, welche Krafte bereits unterwegs sein mochten, um dem einzelnen Schiff zu helfen, das
seinen Fluchtweg blockierte. Nein, was er auch unternehmen wollte, er mu?te es schnell tun.
        Bolitho sagte:»Schicken Sie zusatzliche Leute in den Ausguck, Mr. Inch. Vielleicht konnen sie seewarts Segel ausmachen. Ob fremde oder eigene, ich will es sofort wissen. «Er hielt kurz inne.»Und befehlen Sie unseren Leuten, leise zu sein. Was hier vorgeht, durchschaue ich nicht, aber die Situation gefallt mir nicht. Das Schiff mu? jederzeit gefechtsbereit sein.»
        Eine halbe Stunde verstrich, die ankernden Schiffe schwojten sanft in der Dunung, durch eine uber zwei Meilen breite Wasserflache voneinander getrennt, die im grellen Licht wie zerknittertes Silber glanzte.

«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks lie? alle zusammenzuk-ken.»Ein Boot legt vom franzosischen Flaggschiff ab.»
        Bolitho beobachtete das Boot prufend durchs Glas und sagte dann:»Ein Parlamentar, Mr. Inch. Halten Sie sich bereit, das Boot zu empfangen, wenn es langsseit kommt, aber seien Sie auf Tricks gefa?t. «Es war nur eine kleine Gig, und als sie sich schnell der Hyperion naherte, horte Bolitho uberraschte Ausrufe von der Bugwache und einigen Marinesoldaten, die das Boot im Visier einer mit Schrapnell geladenen Drehbasse hielten.
        Inch kam nach achtern gelaufen.»Sir, in dem Boot sitzt ein britischer Offizier, und auch die Rudergasten sind unsere Leute.»
        Bolitho bi? die Zahne zusammen, um seine Beunruhigung zu verbergen.»Gut. Seien Sie auf der Hut.»
        Die Gig hakte an der Kette an, und die Matrosen an der Schanzkleidpforte traten zuruck, als ein Leutnant in zerrissener, von Pulverqualm geschwarzten Uniform an Deck kletterte und ohne einen Blick nach rechts oder links zum Achterdeck ging. Er erblickte Bolitho und legte die letzten Schritte mit schleppenden Fu?en zuruck, als konnten seine Beine kaum noch das Gewicht seines Korpers tragen. Als er sprach, klang seine Stimme stumpf und leblos.»Leutnant Roberts, Sir. «Er versuchte, die Schultern zu recken, als er erganzte:»Von seiner Britannischen Majestat Fregatte Ithuriel.»
        Bolitho antwortete ruhig:»Kommen Sie in meine Kajute, Mr. Roberts, wenn Sie eine Nachricht fur mich haben.»
        Aber der Leutnant schuttelte den Kopf.»Tut mir leid, Sir, dazu haben wir keine Zeit. Ich wurde auf Ehrenwort beurlaubt, um mit Ihnen zu sprechen und dann unverzuglich zuruckzukehren. «Er schwankte und war nahe daran, zusammenzubrechen. Die Ithuriel wurde von der Fregatte gekapert, die Sie eben versenkt haben. Wir untersuchten gerade ein paar Kustenlugger, als sie uns von See her uberraschte. Es war eine raffinierte Falle, denn auch die Lugger waren voll Bewaffneter. Wir wurden entmastet und innerhalb einer Stunde geentert. Unser Kommandant fiel. «Er hob die Schultern.»Ich gab Befehl, die Flagge zu streichen. Mir schien, ich hatte keine andere Wahl. «Seine Augen verrieten plotzlich Verzweiflung und Zorn.»Wenn ich geahnt hatte, was dann kommen sollte, hatte ich meine Leute lieber im Kampf sterben lassen. «Er zitterte heftig, Tranen rannen ihm uber das schmutzbedeckte Gesicht, als er mit fast versagender Stimme hinzufugte:»Der franzosische Admiral verlangt von mir, da? ich Ihnen mitteile, falls Sie nicht unverzuglich Anker lichten und verschwinden. «Er brach ab, wurde sich plotzlich der beobachtenden
Gesichter bewu?t.»Er la?t jeden einzelnen von der Besatzung der Ithuriel auf der Stelle aufhangen.»
        Inch stohnte:»Mein Gott, das ist doch nicht moglich!»
        Der Leutnant starrte ihn mit vor Erschopfung und Schock truben Augen an.»Aber es stimmt, Sir. Der Admiral hei?t Lequiller, und er tut, was er sagt. Glauben Sie mir.»
        Ein Kanonenschu? drohnte dumpf uber die Flu?mundung; als sofort darauf zwei zuckende, verzweifelt strampelnde Gestalten zur Gro?rah des franzosischen Flaggschiffs hinaufgezogen wurden, schien der Rumpf der Hyperion unter einem einzigen lauten entsetzten Aufstohnen der Matrosen und Marinesoldaten zu erbeben.
        Der Leutnant schrie verzweifelt:»Er la?t alle zehn Minuten zwei Mann hangen, Sir! Schluchzend packte er Bolithos Arm.»Um Gottes willen, Sir, Lequiller hat zweihundert britische Gefangene in seiner Gewalt!»
        Bolitho befreite seinen Arm und versuchte noch einmal, seine Gefuhle vor den Umstehenden zu verbergen. Die eiskalte Unmenschlichkeit, das furchtbare Ultimatum des Admirals erfullten ihn mit ohnmachtigem Zorn und ratloser Verzweiflung. Er blickte auf das dichtgefullte Oberdeck hinab, wo seine Leute von den Geschutzen zuruckgetreten waren und gebannt zu ihm hinaufsahen oder sich gegenseitig anstarrten, als waren sie zu benommen, um sich zu bewegen. Sie waren darauf vorbereitet gewesen, kampfend zu sterben, aber dazustehen und der langsamen, unbarmherzigen Hinrichtung wehrloser Gefangener zuzusehen, das hatte ihren Kampfgeist weit wirksamer gebrochen, als es die schwerste Breitseite vermocht hatte.

«Und wenn ich seiner Forderung nachkomme?«Bolitho zwang sich, die Jammergestalt des Leutnants anzusehen.

«Dann will er die Leute von der Ithuriel an Land setzen und unter Bewachung nach Bordeaux bringen lassen, Sir.»
        Wieder hallte ein Schu? uber das Wasser, wurde vom Echo zuruckgeworfen, und Bolitho drehte sich um, um das Bild aufzunehmen und im Gedachtnis zu bewahren, damit er es nie vergessen wurde: zwei kleine, zappelnde Gestalten. Was mu?ten diese Manner empfunden haben, als sie mit dem Strick um den Hals warteten? Die Hyperion war das letzte, was sie auf dieser Welt sahen.
        Bolitho packte den Leutnant am Arm und schob ihn auf den Niedergang zu.»Fahren Sie zum Flaggschiff zuruck, Mr. Roberts.»
        Der Leutnant starrte ihn mit tranenblinden Augen an.»Hei?t das, Sie ziehen ab, Sir?«Anscheinend glaubte er, nicht richtig verstanden zu haben, denn er versuchte, die Hand zu heben, als er im gleichen gebrochenen Ton fortfuhr:»Sie wollen sich um unserer Leute willen zuruckziehen?»
        Bolitho wandte sich ab.»Bringen Sie ihn zu seiner Gig, Mr. Inch. Und lassen Sie das Ankerspill besetzen und das Schiff zum Segelsetzen fertig machen.»
        Er bemerkte Gossett, dessen Gesicht Anteilnahme und Verstandnis verriet.»Legen Sie bitte einen Kurs fest, der uns von der Landzunge fortfuhrt. «Bolitho konnte ihn nicht ansehen, noch konnte er Inch ins Gesicht blicken, als er sich rasch wieder seinem Platz an der Reling zuwendete.
        Die Manner mu?ten auf ihre Stationen getrieben werden, als waren sie von dem Geschehen betaubt worden. Die Alteren und Erfahreneren konnten nur nach achtern auf die schlanke Gestalt ihres Kommandanten starren, der zwar von anderen umgeben, aber dennoch allein dastand und die franzosischen Schiffe beobachtete; denn sie verstanden die Ungeheuerlichkeit seiner Entscheidung und ihre Tragweite. Doch Bolitho nahm keinen von ihnen wahr und war sich kaum des Durcheinanders und der gebellten Befehle bewu?t, als Matrosen das Gangspill besetzten und uber die Webeleinen aufenterten. Manche trugen noch die Entermesser im Gurtel, mit denen sie bereit gewesen waren, zu kampfen und zu sterben.
        Die Gig ruderte zu den franzosischen Schiffen zuruck, so schnell sie gegen die starke Stromung ankommen konnte. Bolitho ballte die Fauste, da? ihm die Nagel ins Fleisch bissen, als das Geschutz wieder feuerte und zwei weitere Ungluckliche zappelnd zur Gro?rah des Flaggschiffs aufstiegen.
        Der franzosische Admiral hatte nicht einmal die Ruckkehr der Gig abgewartet. Er hielt sich an die gesetzte Frist. Hielt seine Drohung ein.
        Die Gig verschwand hinter den ankernden Schiffen, und dann murmelte Gossett:»Eins holt schon die Ankertrosse ein, Sir.»
        Vom Bug kam der Ruf:»Anker kurzstag, Sir.»
        Inch trat vor, aber er sah Gossetts grimmiges Gesicht und dessen kurzes Kopfschutteln. Deshalb machte er auf dem Absatz kehrt und befahl laut: Weitermachen! Marssegel setzen!«Selbst als er sein Sprachrohr senkte, verriet Bolitho mit keinem Zeichen, da? er etwas gehort hatte, noch wendete er die Augen von den feindlichen Schiffen ab.

«An die Brassen! Beeilung!«Ein Tampen schlug einem Mann klatschend uber die Schultern, und vom Bug her kam der Ruf:»Anker ist los!»
        Langsam, sogar widerstrebend, fiel die Hyperion ab und gewann Fahrt. Das wa?rige Sonnenlicht fiel wie Silber auf ihre sich blahenden Segel, als sie mit dem ablandigen Wind davonsegelte.
        Bolitho ging nach Luv, den Blick immer noch auf die franzosischen Schiffe gerichtet. Lequiller. Den Namen wurde er sich merken. Lequiller - ein Schandname!
        Ein Steuermannsmaat legte gru?end die Hand an die Stirn.»Verzeihung, Sir?»
        Bolitho starrte ihn an. Er mu?te laut gesprochen haben. Er sagte:»Der Tag wird kommen. Verlassen Sie sich darauf!»
        Dann kletterte er die Leiter zur Hutte hinauf und sagte knapp:»Sie konnen Ihre Leute wegtreten lassen, Hauptmann Dawson.»
        Sobald der letzte Marinesoldat an ihm vorbeigepoltert war, begann er auf dem verlassenen Huttendeck auf- und abzugehen. Sein Kopf war vollig leer. Bis auf einen Namen.
        Das war alles, was er hatte. Doch eines Tages wurde er ihn stellen, und wenn dieser Tag kam, wurde er weder Mitleid kennen noch Pardon gewahren, bis die Erinnerung an jene elenden, zuk-kenden Gestalten getilgt war.



        V Die Jagd beginnt

        Funf Tage nach der Ruckkehr der Hyperion zu den beiden anderen Schiffen sa? Bolitho in seiner Kajute, das Fruhstuck unangetastet vor sich, und blickte teilnahmslos durch ein Heckfenster auf den leeren Horizont. Er konnte sich an keine Tage erinnern, die so lang oder so inhaltslos gewesen waren, und wu?te, da? das ganze Schiff seine dunkle Vorahnung teilte.
        Als er wenige Minuten, nachdem sein Schiff im Kielwasser der anderen wieder seine Position eingenommen hatte, an Bord der Indomitable gekommen war, hatte er nichts anderes als das Gefuhl volligen Versagens empfunden; als man ihn in die gro?e Kajute des Kommodore gefuhrt hatte, hatte er wie ein au?enstehender Zuschauer seiner Stimme gelauscht, wahrend er seine Meldung machte.
        Pelham-Martin hatte ihn wortlos und ohne Unterbrechung angehort. Tatsachlich konnte Bolitho sich nicht an einen Ausdruck oder irgendeine Reaktion erinnern, die entweder auf Verargerung oder Besorgnis hinwies. Er hatte lediglich gesagt:»Kehren Sie auf Ihr Schiff zuruck, Bolitho. Ich werde sofort einen Bericht fur Sir Man-ley Cavendish aufsetzen.»
        Und wieder war Bolitho wie ein unbeteiligter Zuschauer auf seinem Achterdeck hin und her gewandert, wahrend an den Rahen des Flaggschiffs aufflatternde Signalflaggen wenigstens fur ein paar Stunden Anzeichen der Dringlichkeit und Zielstrebigkeit verraten hatten. Zum Gluck waren wahrend der kurzen Abwesenheit der
        Hyperion die beiden Schaluppen zu dem kleinen Geschwader zuruckgekehrt, und wahrend die eine nordwarts jagte, um die Schiffe des Vizeadmirals zu suchen, wendete die andere und schlug die entgegengesetzte Richtung ein, um die beiden ubriggebliebenen Fregatten zu holen.
        Doch als Tag um Tag verging und nichts das Warten und die Ungewi?heit unterbrach, wu?te Bolitho, da? eine neue Demonstration der Starke sinnlos war. Das Ausfalltor stand weit offen, doch war es unwahrscheinlich, da? noch mehr gro?e Schiffe darauf warteten, die Wachsamkeit des Kommodore auf die Probe zu stellen.
        Wieder und wieder stellte sich Bolitho die Frage, was er hatte tun konnen. Wenn er vor der Kuste geblieben ware, um die franzosischen Schiffe zu beobachten, ware Pelham-Martin nicht informiert worden. Doch durch seine sofortige Ruckkehr zum Geschwader hatte er dem Feind die Flucht erlaubt, ihm ermoglicht, sich in Luft aufzulosen, als hatte er nie existiert.
        Die dritte Moglichkeit hatte er ohne zu zogern verworfen. Doch wahrend er in seiner erzwungenen Isolation sich gramte und brutete, konnte er nicht langer den wahren Wert dieser einen Tat beurteilen. Menschlichkeit und Ehre wurden in der kalten und strengen Atmosphare einer Kriegsgerichtsverhandlung anders gewertet. Es war wie eine finstere Drohung, da? Pelham-Martin dieses Mal von keinem verlangte, seinen Bericht mit zu unterschreiben.
        Verschiedentlich hatte er angesetzt, Cheney wieder einen Brief zu schreiben, sie auf Nachrichten vorzubereiten, die jederzeit kommen und ihr nur Verzweiflung bringen konnten. Wenn PelhamMartin seinen Bericht so abgefa?t hatte, da? er damit die volle Verantwortung dem Kommandanten der Hyperion aufburdete, dann wurde es nicht lange dauern, bis man in Falmouth von Bolithos Schande erfuhr - mit allen schrecklichen Konsequenzen.
        Er setzte sich auf, als eine Stimme rief:»An Deck! Segel in Luv voraus.»
        Er zwang sich, am Schreibtisch sitzenzubleiben, bis ein Mid-shipman ihm in aller Form meldete, da? ein Schiff in Nordwest gesichtet worden war. Dann zog Bolitho trotz seiner wachsenden Ungeduld erst seinen Uniformrock an und begab sich gemessenen Schritts auf das Achterdeck.
        Inch kam eilig auf ihn zu.»Eine Fregatte, Sir. «Besorgt beobachtete er Bolithos Gesicht.»Wird sie Depeschen bringen, Sir?»

«Vielleicht. «Bolitho spurte Inchs Befurchtungen und fugte ruhig hinzu:»Haben Sie keine Sorge. Ihre Rolle ist in meinem Logbuch eindeutig festgehalten.»
        Inch trat einen Schritt vor.»Daruber mache ich mir keine Sorgen, Sir. Es geht nur darum, da?…»
        Bolitho musterte ihn ruhig.»Um was geht es?»
        Inch reckte seine schmalen Schultern.»Es ist so verdammt unfair, Sir. Wir denken alle gleich.»
        Bolitho beobachtete die Mowen, die in Lee uber die Laufbrucke schwebten und dann herunterschossen. Die Vogel waren toricht genug gewesen, den weiten Weg von Land her zuruckzulegen, obwohl die Verpflegung sogar fur die Besatzung selbst knapp genug bemessen war.
        Dann sagte er:»Sie werden uber Dinge, die Sie in diesem Zusammenhang vermuten, in der Offiziersmesse nicht mehr diskutieren, Mr. Inch. Es kann jederzeit erforderlich werden, da? Sie das Kommando ubernehmen mussen. Falls Sie Ihr Herz zu freimutig offenbaren, konnten Sie sich dadurch verwundbar machen, wenn Sie es sich am wenigsten leisten durfen. «Er bemerkte Inchs niedergeschlagenes Gesicht und fugte hinzu:»Trotzdem danke ich Ihnen.»
        Als die Fregatte naherkam, wurde schnell offenkundig, da? sie mehr als nur Depeschen an Bord hatte. Als sie die Segel kurzte und direkt auf die langsamen Zweidecker zulief, erkannte Bolitho, da? sie am Fockmast die Flagge eines Vizeadmirals trug, und die Fulle der aufflatternden Signale sagte ihm, da? Sir Manley Cavendish personlich gekommen war, um mit moglichst geringer Verzogerung Urteil und Strafe zu verkunden.
        Midshipman Gascoigne schrie:»An alle! Beidrehen!»
        Als Offiziere und Mannschaften auf Stationen eilten, fugte er atemlos hinzu: Flaggschiff an Hyperion! Kommandant in drei?ig Minuten zum Rapport.»

«Bestatigen. «Bolitho sah Inch an.»Lassen Sie beidrehen und mein Boot aussetzen.
«Vor den Augen seiner Umgebung bemuhte er sich, gelassen zu erscheinen.»Ich habe noch Zeit, meine Galauniform anzuziehen.»
        Wahrend das Schiff im leichten Wind dumpelte und Petch ein sauberes Hemd und die beste Uniform bereitlegte, sah Bolitho sich in seiner Kajute um, dachte an die vielen dramatischen und hoffnungsvollen Szenen, die sich hier abgespielt hatten und in Zukunft noch abspielen mochten. Von hier waren die Kommandanten an Deck gegangen, um im Kampf zu fallen oder uber einen der Dutzend Feinde zu triumphieren, die England hatte. Waren gegangen, um befordert zu werden oder Zeuge beim Vollzug einer Auspeitschung zu sein, um einem Schiff in Not beizustehen oder lediglich, um die voruberziehende Schonheit einer Wolkenformation oder eines Kustenstrichs zu bewundern. Es war merkwurdig, da? dasselbe Schiff, das dem einen Ruhm und Vermogen brachte, fur einen anderen Schande und Untergang bedeutete.
        Er zog seine Halsbinde fest und bemerkte, da? Petch ihn besorgt ansah. Wahrscheinlich fragte er sich, ob er am nachsten Tag um diese Zeit nicht schon einem neuen Herrn dienen wurde.
        Inch trat ein.»Ihr Boot ist klar, Sir«, meldete er. Nach einer Pause fugte er hinzu:»Der Kommodore hat sich bereits auf die Fregatte ubersetzen lassen.»
        Bolitho streckte die Arme aus, um sich in seinen schweren, goldbestickten Uniformrock mit den wei?en Aufschlagen helfen zu lassen: den Rock, den Cheney so bewundert hatte. Es kam wie erwartet. Die beiden vorgesetzten Offiziere wollten sich zuerst ungestort unter vier Augen besprechen, dachte er grimmig.

«Sehr gut, Mr. Inch. Ich bin bereit.»
        Er wartete, bis der umstandliche Petch ihm den Sabel umgegurtet hatte, und ging dann schnell zur Tur.
        Tiefe Stille lastete uber dem Hauptdeck, als er auf die Schanzpforte zuschritt. Es beruhrte ihn merkwurdig, da? er immer noch so viele Gesichter unter der Besatzung sah, die er nicht kannte oder an die er sich nicht erinnerte. Mit der Zeit hatte er das andern konnen. Er blickte zum Rigg und zu den lose schlagenden Segeln auf. Mit der Zeit hatte noch sehr vieles anders werden konnen.
        Die Pfeifen trillerten, und die Marinesoldaten prasentierten ihre Musketen, als er sich von Deck schwang und in das Boot hinunterstieg.
        Er sa? steif auf der Heckbank, als die Riemen den Schlag aufnahmen und das Boot zur fernen Fregatte ruderten. Erst jetzt bemerkte er, da? jeder Rudergast sein bestes kariertes Hemd angezogen hatte und da? Allday einen blauen Rock mit Messingknopfen trug, den er noch nicht an ihm gesehen hatte.
        Allday hielt die Augen auf die Fregatte gerichtet und sagte mit gedampfter Stimme: Nur um es ihnen zu zeigen, Captain. Sie sollen alle wissen, was wir empfinden.»
        Bolitho packte den Griff seines Sabels und starrte uber die Kopfe der Matrosen hinweg. Er konnte keine Worte finden, wagte nicht, auf Alldays schlichte Demonstration seiner Loyalitat zu antworten.
        Der Buggast machte an der Kette fest, und ohne zu warten, bis Allday aufgestanden war, zog Bolitho sich zum Deck der Fregatte hinauf und hob gru?end den Hut zum Achterdeck.
        Einen Augenblick blickte er zu dem Schiff hinuber, das er gerade verlassen hatte. Dann reckte er die Schultern und nickte dem jungen Kommandanten der Fregatte fluchtig zu.»Gehen Sie bitte voran.»
        Die Achterkajute der Fregatte war niedrig und spartanisch im Vergleich zu der eines Linienschiffes, aber Bolitho fuhlte sich augenblicklich zu Hause. Als er das erste Mal das Kommando einer Fregatte ubernahm, fand er das Quartier, verglichen mit einer kleinen Schaluppe, furstlich, doch als er jetzt unter den niedrigen Decksbalken den Kopf einzog, wurde ihm die Enge wieder bewu?t, die durch die drei Anwesenden noch spurbarer wurde.
        Vizeadmiral Sir Manley Cavendish war dunn und grauhaarig, und obwohl seine Haut sonnengebraunt und wettergegerbt war, wirkten seine Wangen eingefallen; unter dem prunkvollen Galarock schien sein Atem schnell und flach zu gehen. Bolitho wu?te, da? er uber sechzig war; die Tatsache, da? Sir Manley in den vergangenen zwei Jahren nur fur wenige Stunden den Fu? auf festes Land gesetzt hatte, konnte kaum zur Starkung seiner offenbar angeschlagenen Gesundheit beigetragen haben. Aber seine Stimme lie? keine Schwache erkennen, und die eng uber einer herrischen Nase stehenden Augen waren so klar und forschend wie die eines Leutnants.

«Zumindest punktlich, Bolitho. «Er lie? sich muhsam in einen Sessel sinken.»Es ist besser, Sie setzen sich alle. Es kann eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen, obwohl ich es nicht gewohnt bin, mich zu wiederholen.»
        Bolitho nahm einen Sessel und war sich standig der Anwesenheit von Pelham-Martins massiger Erscheinung bewu?t, der an der gegenuberliegenden Wand sa?. Er hielt die rosigen Hande vor seiner Weste gefaltet, als ob er sich in Gegenwart seines Feindes selbst festhalten wolle.
        Der dritte Anwesende war ein Flaggleutnant, ein ausdrucksloser junger Mann, der starr in das aufgeschlagen vor ihm liegende Logbuch sah, die Feder wie einen kampfbereiten Degen uber einer leeren Seite erhoben.
        Cavendish sagte:»Ich habe die Berichte gelesen und erwogen, was getan werden kann, was getan werden mu?.»
        Bolitho sah auf die Feder. Sie verharrte regungslos.

«Ich habe mit Ihrem Kommodore gesprochen und alles gehort, was geschehen ist, sowohl vor als auch nach dem Verlust der Ithuriel.«Er lehnte sich zuruck und sah Bolitho mit steinernem Blick an.»Alles in allem ist es ebenso beklagenswert wie bedrohlich, doch ehe ich mich endgultig entscheide, will ich horen, ob Sie noch irgend etwas zu Ihrer, ah, Einschatzung der Lage hinzuzufugen haben.»
        Bolitho wu?te, da? Pelham-Martin ihn scharf fixierte, aber er sah unverwandt Cavendish an.»Nichts, Sir.»
        Der Flaggleutnant blickte zum erstenmal auf. Cavendish fragte ruhig:»Keine Entschuldigungen? Keine Schuld, die bei anderen zu suchen ware?»
        Bolitho unterdruckte den aufwallenden Arger.»Ich habe gehandelt, wie ich es fur richtig hielt, Sir. Ich trug die Verantwortung, und ich entschied mich fur. «Er hob das Kinn.»Fur das, was ich fur das einzig Mogliche hielt.»
        Die Feder kratzte eifrig uber das Papier.
        Der Admiral nickte bedachtig.»Wenn Sie geblieben waren und den Kampf aufgenommen hatten, hatten Sie Ihr Schiff und vielleicht sechshundert Menschenleben geopfert. Sie sagen, Sie waren dazu bereit gewesen?«Er verschrankte die Finger und beobachtete Bolitho ein paar Sekunden.»Sie waren aber nicht bereit, das Leben anderer aufs Spiel zu setzen, die fur uns bereits verloren waren, sei es nun durch Versagen oder Nachlassigkeit?»
        Bolitho erwiderte:»Dazu war ich nicht bereit, Sir. «Er horte das geschaftige Kratzen der Feder und spurte, wie sich sein Korper zum erstenmal entspannte. Er belastete sich selbst, konnte aber nichts dagegen tun. Nicht, wenn er nicht bereit war, Pelham-Martin zu beschuldigen oder eine Handlung anzuprangern, die jener immer noch fur richtig hielt.
        Cavendish seufzte.»Damit ist alles gesagt, was dazu zu sagen war. «Er wendete scharf den Kopf und fixierte Pelham-Martin.»Wunschen Sie, noch eine Erklarung abzugeben?»

«Kapitan Bolitho war aus meinem Befehlsbereich abkommandiert, Sir. «Der Kommodore sprach schnell; in dem grellen Licht, da? durch die Heckfenster fiel, glanzte sein schwei?bedecktes, rundes Gesicht.»Doch ich bin uberzeugt. Das hei?t, ich meine, da? er unter den herrschenden Umstanden so handelte, wie er es fur richtig hielt.»
        Cavendish sah seinen Flaggleutnant an. Es war nur ein kurzer Blick, aber Bolitho glaubte, darin Verachtung aufleuchten zu sehen.
        Dann begann er:»Ich habe Ihrem Kommodore bereits gesagt, was ich beabsichtige. Aber da Sie unmittelbar betroffen sind, will ich Sie uber den Kern meiner Entschlusse unterrichten. «Er blatterte in den Papieren vor sich und fugte knapp hinzu:»Vier Schiffe sind vor Lorient meinem Geschwader entkommen, wie Ihnen zweifellos bekannt ist. Nun konnen weitere unserer Wachsamkeit entgangen sein. Glauben Sie, da? zwischen ihnen kein Zusammenhang besteht?«Er klopfte mit seiner kleinen, welken Hand auf die Papiere.»Ich habe jede verfugbare Fregatte alarmiert, jeden denkbaren Informanten befragt, doch nirgends war auch nur eine Spur von diesen Schiffen zu entdecken. «Er schlug mit beiden Handen flach auf die Tischplatte.»Keine einzige Spur!»
        Bolitho verhielt sich abwartend. Es war schwer zu erraten, wohin das fuhren sollte. Wollte Cavendish die ganze Schuld Pelham-Martin zuschieben - und damit auch ihm?
        Schroff sprach der Admiral weiter.»Sagen Sie, Bolitho, haben Sie in den Tagen, die seit dem Debakel verstrichen sind, daruber nachgedacht, was den franzosischen Admiral zu dieser Brutalitat veranla?t haben kann?»
        Bolitho antwortete:»Er hatte den Kampf mit meinem Schiff aufnehmen konnen. Wir hatten uns tapfer geschlagen, aber der Ausgang ware unvermeidlich gewesen. Es stand vier gegen eins, und der gro?te Teil meiner Besatzung hatte keinerlei Gefechtserfahrung.»
        Cavendish nickte ungeduldig mit dem grauen Kopf.»Schon gut, erzahlen Sie mir keine langen Geschichten, sondern sagen Sie mir, was Sie denken, verdammt noch mal.»

«Eine Niederlage konnte er nicht befurchten, Sir. «Bolitho holte tief Luft. Deshalb mu? er sich vor Beschadigungen der Takelage gefurchtet haben. «Er blickte dem Admiral fest in die Augen.»Ich glaube, da? er zu einer weiten Reise auslaufen wollte, nicht nur zu einem raschen Uberfall.»
        Cavendish sah ihn mit funkelnden Augen an.»Danke. Die einzig nutzliche Information, die wir aus der ganzen Sache gewonnen haben, ist der Name des franzosischen Admirals. Lequiller ist kein einfaltiger Bauerntolpel, den die Revolution nach oben geschwemmt hatte. Er hat sich in vielen Einsatzen hervorragend geschlagen. In Westindien befehligte er eine Fregatte und hat oft gegen uns gekampft. «Er heftete den Blick auf Bolitho.»Lequiller hat bei der Aufstellung und Ausbildung der amerikanischen Kaperschiffer mitgewirkt, von denen wenigstens Sie wissen werden, wie erfolgreich sie gegen uns gekampft haben.»
        Bolitho fuhlte sich benommen. Noch immer waren Disziplinar-ma?nahmen mit keinem Wort erwahnt worden, und Pelham-Martin war deutlich anzusehen, da? Cavendishs scharfe Zunge ihn nicht geschont hatte.
        Cavendish sagte:»Fruher einmal genugte es, eine Flagge zu sehen, um einen Feind zu erkennen. Doch jetzt haben wir eine neue Form des Kriegs, und wir mussen uns den neuen Methoden anpassen. Jetzt mussen wir den Mann unter der Flagge kennenlernen, sein Herkommen und seine Motive studieren, wenn wir uberleben wollen, und erst recht, wenn wir einen Sieg erringen wollen, der Bestand hat. Admiral de Villaret Joyeuse befehligt die franzosische Flotte in Brest. Schon jetzt mustert er Schiffe und Mannschaften fur einen endgultigen Vorsto? an, um unsere Flotte und unser Land zu unterwerfen. Er ist ein engagierter und intelligenter Mann, und wenn er diesem Lequiller eine besondere Aufgabe anvertraut hat, dann mu? sie von einiger Bedeutung und Lequiller ihr gewachsen sein.»
        Bolitho mu?te plotzlich an die Kanonenschusse denken, an die
        Manner, die vor seinen Augen wie Verbrecher am Galgen gestorben waren.
        Cavendish musterte ihn leidenschaftslos.»Vielleicht bedient sich auch Lequiller neuer Methoden. «In plotzlicher Ungeduld hob er die Schultern.»Aber wichtiger sind mir seine Absichten. Ich vermute, da? er sich inzwischen mit den anderen Schiffen vereinigt hat und uber den Atlantik nach Westen segelt. Das ware die einzige Erklarung, weshalb meine Patrouillen ihn nicht gesichtet haben.»

«In die Karibik?«warf Bolitho ein.

«Das halte ich fur sein wahrscheinlichstes Ziel. «Der Vizeadmiral wandte sich Pelham-Martin zu.»Und was ist Ihre Ansicht, falls Sie eine haben?»
        Pelham-Martin schreckte mit einem Ruck aus seinen Gedanken auf.»Vielleicht will er die Inseln angreifen, die Sir John Jarvis den Franzosen abgenommen hat, Sir.
«Unter Cavendishs scharfem Blick schlug er die Augen nieder.

«Um das zu schaffen, mu?te er eine dreimal so starke Streitmacht haben. «Cavendish lehnte sich zuruck und schlo? die Augen.»Wahrend der Amerikanischen Revolution wurde Lequiller oft in der sudlichen Karibik gesichtet. Er wird seine Zeit genutzt haben, um sich dort Freunde zu erwerben und Dinge zu erfahren, die ihm spater von Nutzen sein konnten.»
        Bolitho sagte langsam:»Die meisten Inseln sind entweder spanisch oder niederlandisch, Sir. Selbstverstandlich sind beide Lander unsere Verbundeten, aber in einem Krieg wie dem gegenwartigen gehort nicht viel dazu, um die Seiten zu wechseln.»
        Cavendish offnete die Augen wieder und sah ihn duster an.»Richtig. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, da? die Niederlander noch auf unserer Seite bleiben, wenn ihre Heimat von unserem gemeinsamen Feind endgultig uberrannt ist. «Er hob die Schultern.»Und was die Spanier angeht, nun, sie sind eine geringe Hilfe fur unsere Sache. Vielleicht gramen sie sich immer noch um Gibraltar oder traumen von vergangenem Ruhm.»

«Dann wurde ich meinen, Sir, da? Lequiller ein anderes Ziel verfolgt. «Bolitho versuchte, sich die weitverstreute Inselkette vor Augen zu halten, die sich vor der Landmasse Sudamerikas erstreckte. Es war beinahe, als denke er laut.»Wenn Spanien unser Alliierter bleiben soll, mu? es reich bleiben. Und ein gro?er Teil seines
        Reichtums kommt aus Amerika. Ein Gold- und Silbertransport reicht aus, um das Land ein Jahr lang zu unterhalten, vielleicht langer.»
        Cavendishs kalte Augen funkelten.»Genau das! Aber wenn der Transport in feindliche Hande fiele, ware er mehr wert als zehn Regimenter, wie Lequiller besser wissen mu? als die meisten.»
        Pelham-Martin rausperte sich unsicher.»Es kann Monate dauern, bis man Lequiller findet und zum Kampf stellt, Sir.»
        Er kam nicht weiter. Diesmal schien Cavendish nicht mehr in der Lage zu sein, seine Abneigung vor seinen Untergebenen zu verbergen.

«Sehen Sie denn niemals uber die Grenzen Ihres Achterdecks hinaus? Wenn Lequiller die spanischen und niederlandischen Handels- und Nachschubrouten blockiert, werden viele darin ein Signal fur die Zukunft sehen. Gott wei? es, unsere Krafte sind jetzt schon weit genug verzettelt. Wie lange, meinen Sie, werden wir unsere Vormachtstellung auf den Meeren halten konnen, wenn die ganze Welt gegen uns ist?»
        Der Arger schien ihn zu ermuden, und er fugte erschopft hinzu:»Ihr Schiff ist das schnellste, das zur Verfugung steht, Bolitho, bis die anderen von der Uberholung zuruckkehren. Ich habe Ihrem Kommodore schon gesagt, da? er sofort auf die Hyperion umsteigen soll. Zusammen mit den beiden Fregatten werden Sie mit hochster Geschwindigkeit in die Karibik segeln. Indomitable und Hermes werden Ihnen mit den Schaluppen folgen, aber ich will, da? Sie so schnell wie moglich dort sind. Ist das klar?»
        Pelham-Martin stemmte sich von seinem Sessel hoch.»Ich mochte zuruck auf mein Schiff, Sir. Ich habe eine Menge zu ordnen.»
        Cavendish blieb sitzen.»Die franzosische Flotte wird bald auslaufen, und ich kann Ihnen keine weitere Fregatte uberlassen. «In scharferem Ton fugte er hinzu:»Aus dem gleichen Grund kann ich auch nicht personlich mit Ihnen kommen. Ich wunsche, da? Lequil-ler gestellt und seine Schiffe erobert oder vernichtet werden. Meine schriftlichen Befehle schicke ich in einer Stunde auf die Hyperion; Sie mussen bis dahin klar zum Aufbruch sein. Zuerst werden Sie die niederlandische Insel St. Kruis anlaufen. Sie hat einen guten Hafen und liegt so gunstig, da? Sie von dort aus die benachbarten
        Inseln uberwachen konnen. Sie ist weniger als hundert Meilen vom Festland und von Caracas entfernt, wo der gro?te Teil des Silbers und des Goldes nach Spanien verladen wird.»
        Mit einem knappen Nicken entlie? er den Kommodore. Dann sagte er fast zu sich selbst:»Das ist eine beachtliche Aufgabe, die ich ihm ubertragen habe, Bolitho. Eine, die von jedem Kommandanten verlangt, da? er selbstandig denkt, aber im Team handelt. Blockade ist nur eine halbe Losung. Sie schiebt eher auf, als da? sie eine Entscheidung bringt, genauso, wie sie die Schwachen und die Schuldlosen mit den Schuldigen belastet. Aber wir konnen diesen Krieg nur gewinnen, indem wir dem Feind Schiff gegen Schiff, Kanone gegen Kanone, Mann gegen Mann gegenubertreten.»
        Er seufzte und schien sich etwas zu entspannen.

«Ist Ihr Schiff segelklar, Bolitho? Wei? Gott, nach sechs Monaten Uberholung sollte es das sein.»

«Mir fehlten funfzig Leute zur vollstandigen Besatzung, als es in Dienst gestellt wurde, Sir, und ich habe im Gefecht mit der Fregatte zehn Mann verloren.»
        Die Augen des Vizeadmirals umwolkten sich.»Ah ja, die Fregatte. Ich bin froh, da? Sie die Ithuriel rachen konnten. «Sein Ton wurde harter.»Aber ich kann keinen Mann fur Sie entbehren. Sie mussen selbst sehen, wie Sie sich Leute beschaffen. «Dann erhob er sich aus seinem Sessel und blickte Bolitho forschend an.»Ich kannte Ihren Vater, und Ihre Laufbahn ist mir vertraut. Wenn das nicht ware, und die Tatsache, da? Sie schon Anker geworfen hatten, ehe Lequiller sein Ultimatum stellte, hatte ich Sie der Feigheit vor dem Feind fur schuldig gehalten. «Er hob die Schultern, lie? sie wieder fallen.»In jedem Fall und gleichgultig, was ich geglaubt hatte, die Kriegsartikel stellen vergangene Verdienste oder privates Vertrauen nicht in Rechnung. Vor vierzig Jahren wurde Admiral Byng erschossen, weil er einen Fehler beging. Das Kriegsgericht wurde nur wenig zogern, einen einfachen Kapitan zu hangen, wenn dies als Ansporn fur andere dienen konnte.
        Uberraschend lachelte er und streckte die Hand aus.»Gehen Sie auf Ihr Schiff, und viel Gluck. Wir schreiben jetzt 1795. Das Jahr kann fur unsere Sache gewinnbringend sein - oder eine Katastrophe werden. Sie gehoren zu der Generation von Marineoffizieren, die im richtigen Alter und zur richtigen Zeit da ist, um letzteres abzuwenden.»
        Bolitho fand keine andere Antwort als:»Vielen Dank, Sir.»
        Cavendish wurde plotzlich ernst und streng.» Wie ich hore, haben Sie geheiratet.
«Er blickte auf den alten Sabel an Bolithos Hufte.»Ich erinnere mich, da? schon Ihr Vater diese Waffe getragen hat. Vielleicht wird Ihr Sohn sie eines Tages tragen. «Er folgte Bolitho zur Tur und fugte gedampft hinzu:»Sorgen Sie dafur, da? er sie ebenso ehrenvoll ubernimmt wie Sie.»
        Bolitho trat auf das Achterdeck hinaus. In seinem Kopf schwirrte es. Die Szene war die gleiche wie die, als er an Bord gekommen war, und doch so vollig verschieden. Selbst die Luft schmeckte sauberer, und er konnte sich gerade noch beherrschen, um nicht zu seinem Boot zu rennen.
        Der Kommandant der Fregatte wartete neben der Schanzpforte.»Haben Sie Post, die ich fur Sie mitnehmen kann, Sir?»
        Bolitho sah ihn an.»Ja, ich schicke sie Ihnen sofort heruber.»
        Die unerwartete Frage brachte ihn in die Wirklichkeit zuruck. Er hatte sich gegramt, da? er von Cheney so weit entfernt war. Jetzt wurde er auf die andere Seite des Atlantik segeln. Bis zu jenem Teil der Karibik waren es annahernd funftausend Meilen. Es konnten Monate vergehen, sogar Jahre, ehe er zuruckkehrte. Falls uberhaupt.
        Er griff an seinen Hut und kletterte ins Boot hinunter. Allday studierte sein ernstes Gesicht.»Zum Schiff zuruck, Sir?«Bolitho sah ihn an und lachelte dann: Sonst kann man hier nirgendwo hin.»
        Als das Boot, von kraftigen Riemenschlagen getrieben, der Hyperion entgegenfuhr, versuchte Bolitho, seine Gedanken auf die zahllosen Einzelheiten und Anderungen zu richten, die er in seinen Planen und der taglichen Routine vornehmen mu?te. Es gab Probleme und viele Mangel, und nicht die geringste seiner Sorge wurde es sein, Pelham-Martin standig als Gesellschafter zu haben.
        Doch immer wieder kehrten seine Gedanken zu dem Haus in Falmouth zuruck; das Gefuhl der gro?en Ferne wurde immer starker, bis es Teil einer anderen Welt zu sein schien.
        Allday lie? seine Hand auf der Ruderpinne ruhen und behielt den Schlagmann im Auge. Wahrend Bolithos Aufenthalt beim Vizeadmiral war Allday nicht untatig geblieben. Eine Fregatte war zu klein und beengt, als da? ein wichtiges Geheimnis lange verborgen blieb, und im Unterdeck erfuhr man von einer Anderung der Plane fast ebenso schnell wie in der Offiziersmesse.
        Wieder die Karibik, dachte er. Und alles nur wegen dieses blutrunstigen Froschfressers, der wehrlose Gefangene aufhangen lie?. Es bedeutete Sonne und Schwei?, brackiges Wasser und die standige Bedrohung durch Krankheiten. Und es konnte noch sehr viel Schlimmeres bedeuten.
        Dann studierte er die Haltung von Bolithos Schultern und lachelte fluchtig. Wenigstens hatten sie ihren Kommandanten behalten. Und fur Allday war das alles, worauf es wirklich ankam.
        Leutnant Inch sa? unbeholfen auf der Stuhlkante, den Hut zwischen die Knie geklemmt, als er aufmerksam Bolithos Neuigkeiten zuhorte.
        Bolitho sagte:»Sie sehen also, es scheint, da? Sie Ihre Heirat noch eine Weile aufschieben mussen.»
        Inch nickte, das Gesicht zu einer aufmerksamen Maske verzogen, als ob er jedes Wort im Gedachtnis behalten wollte.

«Sie konnen die Offiziere uber das Ziel und die voraussichtlichen Absichten informieren, aber unseren Leuten will ich es selbst sagen, sobald ich die Zeit erubrigen kann.»
        Bolitho horte laute Befehle und das Scharren von Fu?en auf der Gangway und nahm an, da? der Rest von Pelham-Martins personlichem Besitz an Bord gehievt wurde.
        Er fugte hinzu:»Der Kommodore ist an ein sauber gepflegtes Schiff gewohnt, Mr. Inch. Mit Recht wird er auch die ihm zustehende Ehrenbezeigung erwarten.»
        Ruckartig fuhr Inch aus seinen Gedanken auf.»Ich habe Hauptmann Dawson unterrichtet, Sir. Die Wache und die Trommler sind bereits angetreten.»

«Gut. «Bolitho sah sich in der Kajute um. Er hatte seinen personlichen Besitz bereits in den Kartenraum schaffen lassen, und nun wurde Pelham-Martin in den Genu? dieses Quartiers kommen. Und auch den Ausblick durch die Heckfenster haben, dachte er bedauernd.

«Sobald wir unterwegs sind«, fuhr er fort,»will ich den Zahlmeister sprechen. Eine vollstandige und detaillierte Aufstellung uber die Bestande an Frischwasser und Limonensaft ist erforderlich. Es kann Monate dauern, bis wir unsere Vorrate durch frische Lebensmittel und Obst erganzen konnen, und mancher wird auch ohne Skorbut oder Schlimmeres schwer genug mitgenommen werden.»
        Inch stand auf, seine schlanke Gestalt pa?te sich einer unerwarteten Schwankung des Schiffes muhelos an.»Tut mir leid, Sir, ich habe versaumt Sie zu unterrichten: Wir haben einen neuen Mids-hipman an Bord.»
        Bolitho, der in seinen sauber geschriebenen Befehlen geblattert hatte, hielt inne und blickte auf.»Ist er vom Himmel gefallen, Mr.
        Inch?»
        Der Erste Offizier errotete.»Nun, Sir, als Sie bei dem Admiral an Bord der Fregatte waren, war ich so beunruhigt, da? ich es vollig verga?. Er wurde mit der Post und Sanitatsmaterial von der Fregatte geschickt und kommt direkt aus Plymouth; er war noch nie auf einem Schiff des Konigs.»
        Bolitho lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zuruck.»Also ein Midshipman mehr, kann spater sehr nutzlich sein, ganz gleich, uber welche Erfahrung er verfugt.»
        Vom Hauptdeck her war ein lautes Poltern zu horen, und die Luft drohnte von Tomlins laut gebrullten Verwunschungen.

«Gut, Mr. Inch, schicken Sie mir den jungen Mann herein, und kummern Sie sich dann um den Besitz des Kommodore. «Er lachelte schief.»Der Anfang konnte noch schlechter werden, wenn etwas beschadigt wird.»
        Er wendete sich wieder seinen Befehlen zu, dachte an das, was vor ihnen lag, und an die Bemerkungen, die Vizeadmiral Cavendish ihm gegenuber privat geau?ert hatte. Neue Methoden und ein neuer Typ Marineoffizier. Es war merkwurdig, aber zutreffend, da? Manner wie Rodney und Howe, Namen, die fruher in der ganzen Marine mit Respekt und Ehrfurcht ausgesprochen wurden, jetzt von jungeren und ehrgeizigen Offizieren offen kritisiert wurden. Wie von dem jungen Kapitan Nelson, dem Bolitho vor uber einem Jahr in Toulon begegnet war und durch dessen personliche Initiative und Wagemut Bastia unmittelbar vor der Nase der franzosischen Armee erobert worden war. Im richtigen Alter und zur richtigen Zeit, hatte Cavendish gesagt. Bolitho schob die Schreibtischschublade zu und schlo? sie ab. Wir werden sehen, dachte er.
        Es wurde zogernd an die Tur geklopft, und als Bolitho sich auf seinem Sessel umdrehte, sah er den neuen Midshipman unsicher auf der anderen Seite der Kajute stehen.

«Treten Sie naher, damit ich Sie sehen kann. «Bolitho hatte kaum die Zeit, den Neuling zu begru?en, aber aus eigener bitterer Erfahrung wu?te er, wie es war, neu auf ein Schiff zu kommen, ohne ein vertrautes Gesicht, das die ersten Knuffe und Reibungen milderte.
        Der Junge kam naher und blieb kurz vor dem Schreibtisch stehen. Fur sein Alter war er gro?, schlank, mit dunklen Augen und ebenso schwarzem Haar wie dem Bolithos. Er wirkte wild und ruhelos und erinnerte Bolitho an ein noch nicht eingerittenes Fohlen.
        Wortlos nahm er den dicken Umschlag aus der Hand des Mids-hipman entgegen und schlitzte ihn auf; vom Hafenadmiral in Ply-mouth kommend, bestatigte er in durren Worten die Abkommandierung auf die Hyperion. Der Name des Jungen war Adam Pascoe.
        Bolitho blickte lachelnd auf.»Ein Landsmann aus Cornwall, also. Wie alt sind Sie, Mr. Pascoe?»

«Vierzehn, Sir. «Es klang angespannt und wachsam.
        Bolitho betrachtete ihn. Pascoe hatte etwas Seltsames an sich, aber er vermochte es nicht einzuordnen. Er bemerkte die billige Qualitat seiner Uniform, die minderwertige Vergoldung an seinem
        Dolch.
        Pascoe verriet unter dem prufenden Blick keine Unsicherheit, sondern griff in seine Innentasche und zog einen weiteren Brief heraus. Schnell sagte er:»Dieser Brief ist fur Sie, Sir. Mir wurde gesagt, ich soll ihn niemand anderem geben.»
        Bolitho schlitzte ihn auf und wendete sich etwas ab. Es war durchaus ublich, unter diesen Umstanden einen privaten Brief zu erhalten: Ein unerwunschter Sohn wurde zur See geschickt, um bevorzugte Behandlung wurde gebeten oder auch nur die eindringliche Bitte einer besorgten Mutter geau?ert, uber ihren Sohn zu wachen.
        Das Papier knisterte zwischen seinen Fingern, als er es plotzlich fester packte. Denn der Brief kam von seinem Schwager Lewis Roxby, Grundherr und Friedensrichter in Falmouth und Ehemann von Bolithos jungerer Schwester. Die ausladende Handschrift schien zu verschwimmen, als er den mittleren Absatz zum zweiten Mal las:
        Als der Junge zu mir kam und um meine Unterstutzung bat, war es naturlich notwendig, den Wert der Dokumente, die er mitbrachte, zu uberprufen. Es besteht kein Zweifel, da? die Forderungen, die seinethalben gestellt werden, berechtigt sind. Er ist der Sohn Deines verstorbenen Bruders Hugh. Es gibt Briefe von ihm an die Mutter des Jungen, die er anscheinend zu heiraten beabsichtigte, ehe er England verlie?. Selbstverstandlich hat der Junge seinen Vater nie gesehen und lebte bis vor kurzem bei seiner Mutter, die im Grunde kaum etwas anderes als eine gewohnliche Hure gewesen ist.
        In dem Brief stand noch sehr viel mehr, doch waren das alles Ausfluchte und Grunde, weshalb Roxby den Jungen unverzuglich von Falmouth fortschaffen wollte.
        Bolitho schluckte schwer. Er konnte sich die peinliche Besturzung, die das plotzliche Auftauchen des Jungen verursacht haben mu?te, gut vorstellen. Zwar mochte er Roxby nicht besonders gut leiden und hatte seine Schwester nie recht verstanden, da? sie sich ihn zum Ehemann gewahlt hatte. Roxby liebte ein gutes, uppiges Leben und kannte nichts anderes, als seine Tage mit Schie?en und Hetzjagden in Gesellschaft anderer, die er wohl als seinesgleichen ansah, auszufullen. Der Gedanke, in einen ortlichen Skandal hineingezogen zu werden, war fur ihn Grund genug gewesen, diesen Brief zu schreiben und den Jungen stehenden Fu?es zur See zu schicken.
        Bolitho drehte sich wieder um und sah den jungen Midshipman an, beweiskraftige Dokumente hatte Roxby geschrieben. Doch ein einziger Blick auf den Jungen hatte genugen mussen. Kein Wunder, da? er ihm merkwurdig erschienen war: Es war, als ob er eine jungere Ausgabe seiner selbst sehe.
        Pascoe hielt dem Blick mit einer Mischung aus Trotz und Beklemmung stand.
        Bolitho fragte leise:»Was wei?t du von deinem Vater, mein Junge?»

«Er war Offizier und wurde in Amerika von einem durchgehenden Pferd getotet. Mutter hat ihn mir oft beschrieben. «Er zogerte, ehe er hinzufugte:»Als sie starb, sagte sie, ich solle nach Falmouth gehen und Ihre Familie aufsuchen, Sir. Ich - ich wu?te, da? meine
        Mutter nicht mit ihm verheiratet gewesen war, Sir, habe es immer gewu?t, aber…«Er verstummte.
        Bolitho nickte.»Ich verstehe. «So vieles blieb ungesagt: Wie es der Mutter gelungen war, dem Jungen Unterhalt und Kleidung zu beschaffen, ihn vor der Wahrheit zu bewahren, da? sein Vater von der Marine desertiert war und gegen sein eigenes Land gekampft hatte. Es veranla?te Bolitho zu sagen:»Wie du wissen mu?t, war dein Vater mein Bruder. «Er blickte zur Seite und fuhr schnell fort:»Und du hast in Penzance gewohnt?»

«Ja, Sir. Meine Mutter arbeitete manchmal als Haushalterin beim Squire. Als sie starb, bin ich nach Falmouth gewandert.»
        Bolitho studierte nachdenklich das Gesicht des Jungen. Zwanzig Meilen weit zu Fu?, allein und ohne zu wissen, was in der fremden Stadt auf ihn wartete.
        Plotzlich sagte der Junge:»Tante Nancy war sehr gro?zugig zu mir, Sir. Sie hat gut fur mich gesorgt. «Er senkte den Blick.»Als sie alles nachgepruft hatten.»

«Ja, das war von ihr zu erwarten. «Plotzlich sah Bolitho seine Schwester deutlich vor sich, wie sie ihn selbst gepflegt und bemuttert hatte, als er nach seiner Ruckkehr aus der Sudsee fast am Fieber gestorben ware. Sie wird fur den Jungen besser gesorgt haben als jeder andere, dachte er.
        Merkwurdig, sich vorzustellen, da? der Junge all diese Jahre knapp zwanzig Meilen von Falmouth und Bolithos Haus entfernt gelebt hatte, das eines Tages sein Eigentum geworden ware, wenn das Schicksal nicht diese grausame Wendung genommen hatte.
        Pascoe sagte leise:»Als ich in Falmouth war, Sir, bin ich in die Kirche gegangen und sah dort die Gedenkplatte fur meinen Vater. Neben all den anderen. «Er schluckte schwer.»Das hat mir gefallen, Sir.»
        Es klopfte, und Midshipman Gascoigne trat behutsam ein. Gas-coigne war siebzehn und der dienstalteste Fahnrich auf dem Schiff. Als Inhaber des begehrten Postens des Signalfahnrichs war er als nachster an der Reihe, zum diensttuenden Leutnant ernannt zu werden. Er war auch der einzige, der schon vorher auf einem Kriegsschiff auf See gedient hatte.
        Formlich meldete er:»Empfehlung von Mr. Inch, Sir, und das Boot mit dem Kommodore an Bord legt von der Indomitable ab.»
        Sein Blick schweifte zu dem neuen Midshipman hinuber, aber er zuckte mit keiner Wimper.
        Bolitho stand auf und griff nach seinem Sabel.»Gut, ich komme. «Scharfer fugte er hinzu:»Mr. Gascoigne, ich unterstelle Mr. Pascoe Ihrer Obhut. Sorgen Sie dafur, da? er einer Station zugewiesen wird, und uberwachen Sie sorgfaltig seine Fortschritte.»

«Sir?«Gascoignes Gesicht war undurchdringlich.
        Bolitho ha?te Begunstigungen jeder Art und verabscheute alle, die Beziehungen aktiv oder passiv nutzten, um dadurch Beforderung oder eine besondere Behandlung zu erreichen. Doch das schien im Augenblick ohne Belang zu sein. Dieser arme, beklagenswerte Junge, der fur die Chance, sich zu bewahren, dankbar und vollig unschuldig an seinem Schicksal war, das ihm einen Vater und sogar seinen richtigen Namen vorenthalten hatte, befand sich jetzt auf seinem Schiff; und laut Roxbys Brief gab es auch keinen anderen Platz auf der Welt, wohin er gehen konnte.
        Ruhig sagte er:»Mr. Pascoe ist mein Neffe.»
        Als er dem Jungen wieder in die Augen sah, wu?te er, da? er richtig gehandelt hatte. Unfahig, die Qual in den dunklen Augen auch nur einen Augenblick langer zu ertragen, fugte er schroff hinzu:»Und nun fort mit Ihnen! Wir haben mehr als genug zu tun.»
        Wenige Minuten spater, als Bolitho bei der Schanzpforte stand, um den Kommodore zu empfangen, uberraschte er sich bei dem Gedanken, was die Ankunft des Jungen noch alles bedeuten mochte. Fluchtig streifte er seine Offiziere mit einem Blick und fragte sich, wieviel sie wu?ten und was sie von dem Makel in der Familiengeschichte ihres Kommandanten hielten.
        Ihre Gesichter druckten die unterschiedlichsten Empfindungen aus: gespannte Erwartung wegen der bevorstehenden weiten Fahrt, Besorgnis bei dem Gedanken, einem geliebten Menschen noch ferner zu sein, vielleicht auch Erleichterung, da? ihnen die Langeweile der Blockade erspart blieb; noch erkannten sie nicht die Ungeheuerlichkeit ihres Auftrags. Die plotzliche Anderung der Befehle hatte den Horror uber die Hinrichtungen, den wilden Zusammensto? mit der Fregatte aus ihrem Gedachtnis verdrangt. Selbst die Erinnerung an die Kameraden, die bei dem einseitigen Kampf ums Leben gekommen waren und ein Seemannsgrab gefunden hatten, fast ehe noch ihr Blut von den Planken gescheuert war, schien verbla?t zu sein. Das war auch ganz gut so, dachte Bolitho grimmig.
        Als Pelham-Martins Hut an der Schanzpforte auftauchte, als die Trillerpfeifen schrillten und die Trommeln und Querfloten der Marinesoldaten Heart of Oak anstimmten, schob Bolitho seine personlichen Hoffnungen und Befurchtungen zunachst beiseite.
        Er trat vor, nahm seinen Hut ab, erkannte an dem nach oben gerichteten Blick eines Schiffsjungen, da? sich der Kommodorestander im Masttopp genau im richtigen Moment entfaltete, und sagte formlich:»Willkommen an Bord, Sir.»
        Pelham-Martin stulpte seinen Hut auf und musterte die angetretene Besatzung der Hyperion. Er schwitzte stark, und Bolitho glaubte, eine Brandyfahne wahrzunehmen. Was Cavendish dem Kommodore unter vier Augen auch gesagt haben mochte, zweifellos hatte es ihn veranla?t, sich fur das Ubersetzen auf sein neues Flaggschiff grundlich zu starken.
        Er sagte kurz angebunden:»Lassen Sie weitermachen, Bolitho. «Dann watschelte er, gefolgt von Petch, zum Niedergang des Ac h-terdecks.
        Bolitho sah Inch an.»Bringen Sie das Schiff in Fahrt. «Er blickte zu dem Doppelstander hinauf.»Der Wind hat etwas ruckgedreht, scheint mir. Setzen Sie Signal fur die Fregatten Spartan und Abdiel, die befohlenen Positionen einzunehmen. «Er beobachtete Gascoi-gne, der auf seiner Tafel kritzelte, und die Flaggen, die zur Gaffel aufstiegen. Er bemerkte auch Pascoe neben Gascoigne, der aufmerksam den Kopf senkte, um alles mitzubekommen, was sein Vorgesetzter ihm erklarte. In diesem Augenblick sah der Junge auf, und uber die Rucken der arbeitenden Seeleute hinweg und durch die zitternden Fallen begegneten sich ihre Blicke.
        Bolitho nickte mit einem knappen Lacheln. Als er wieder hinsah, war der Junge von der Achterwache verdeckt, die sich an die Be-sanbrassen drangte.
        Er sagte:»Kurs Westsudwest, Mr. Gossett.»
        Spater, als die Hyperion sich kraftig in den Wind legte und immer mehr Leinwand sich knatternd unter ihren rundgebra?ten Rahen blahte, ging Bolitho auf die Hutte und spahte nach achtern. Die beiden anderen Zweidecker und die Fregatte des Admirals waren bereits im Dunst verschwunden, und von der franzosischen Kuste war keine Spur mehr zu entdecken.
        Inch kam nach achtern und griff an seinen Hut.»Das wird eine lange Jagd, Sir.»
        Bolitho nickte.»Hoffen wir, da? sie auch erfolgreich wird. «Damit ging er nach Luv hinuber und gab sich wieder seinen Gedanken hin.



        VI Ein Offizier des Konigs

        Drei Wochen lang, nachdem die Hyperion und die beiden Fregatten das Geschwader verlassen hatten, liefen sie nach Sudwesten; spater, als der Wind launisch umsprang und sich zu voller Sturmstarke steigerte, wandte sie sich unter soviel Besegelung, wie die Sicherheit des Schiffes noch gerade erlaubte, nach Suden.
        Als sich der Januar dann seinem Ende naherte, nahmen sie den Nordostpassat auf und hatten damit die langste und letzte Teilstrek-ke ihrer Reise erreicht. Mit dreitausend Meilen Ozean vor sich, waren sie auf nichts als die eigenen bescheidenen Hilfsmittel und Vorrate angewiesen.
        Doch nach Bolithos Ansicht war das Wetter auf dem ersten Teil der Atlantikuberquerung ein willkommener Verbundeter gewesen. Kaum eine Stunde war vergangen, ohne da? die Besatzung alarmiert wurde, um Segel zu reffen oder zu trimmen; dadurch hatte sie wenig Zeit gefunden, uber ihre unerwartete Einsamkeit oder die gro?e Weite des Atlantik, die jeden Morgen ihre muden Augen begru?te, zu bruten.
        Trotz der Muhsal und Entbehrungen war Bolitho zufrieden, wie sich die Leute entwickelten. Wenn er an der Achterdecksreling stand und die Matrosen beobachtete, die sich mit Scheuersteinen und Schwappern plagten, konstatierteer offenkundige Veranderungen. Verschwunden waren blasse Hautfarbe und verharmte Gesichter. Die Korper waren nach wie vor mager, aber zah als Ergebnis harter Arbeit und der Seeluft, und sie verrichteten ihre taglichen Aufgaben, ohne da? sie standig bewacht oder angetrieben werden mu?ten. Selbstverstandlich spielte das Wetter dabei eine wichtige Rolle. Alle Farben waren anders. Der Himmel leuchtete blau statt des truben Graus, und die seltenen Wolken glitten duftig einem
        Horizont zu, der so hart und funkelnd wie eine Degenklinge schien. Die Hyperion nutzte den gunstigen Passat zum gro?ten Vorteil und hatte ihm ihre au?ere Erscheinung angepa?t. Sie war jetzt mit hellen leichten Segeln getakelt anstelle der schweren Schlechtwetterleinwand und schien sich dem endlosen Panorama schimmernder Schaumkronen entgegenzuneigen, als ob es sie beglucke, die dustere Monotonie des Blockadedienstes hinter sich zu lassen.
        Bolitho hob das Teleskop und bewegte es langsam oberhalb der Netze, bis er die winzige Segelpyramide fand, weit voraus an Steuerbord: ein kleiner Fleck am Horizont, der zeigte, da? die Fregatte Abdiel sich in der richtigen Position befand. Die andere Fregatte, die Spartan, stand zwanzig Meilen vor ihr und war vollig unsichtbar. Er schob das Glas zusammen und gab es dem Midshipman der Wache.
        In solchen Augenblicken fiel es ihm schwer zu glauben, da? er nicht allein das Kommando hatte. Pelham-Martin schien nur selten an Deck zu kommen. Er hielt auf Distanz und blieb die meiste Zeit unerreichbar in der Achterkajute. Jeden Morgen gewahrte er Boli-tho eine kurze Audienz, horte sich dessen Erlauterungen und Uberlegungen an und beschrankte seine Au?erungen auf:»Das scheint ein recht guter Plan zu sein«, oder auf:»Wenn das Ihrer Ansicht nach das Beste ist, Bolitho?«Es war, als ob er sich selbst fur die wirkliche Aufgabe aufsparte, die zu losen noch bevorstand, und sich damit zufriedengab, den taglichen Kram dem Kommandanten zu uberlassen.
        Bis zu einem gewissen Punkt kam das Bolitho gelegen, doch soweit es um die wahre Bedeutung und den Sinn von Pelham-Martins Befehlen ging, tappte er vollig im Dunkeln.
        Der Kommodore schien nicht bereit, der Betreuung der einzelnen Kapitane mit bestimmten Aufgaben eine besondere Bedeutung beizumessen und uberlie? das vollig dem personlichen Urteil Bo-lithos, obwohl der noch ein Neuling im Geschwader war. Bolitho dachte uber die weit voraus segelnde Spartan nach und da? es Pelham-Martin beinahe zu uberraschen schien, da? er den jungen Kommandanten der Fregatte schon kannte. Doch es war nur eine milde Uberraschung, weiter nichts. Personliche Beziehungen schien er auf Armeslange von sich fernzuhalten, als ob sie uberhaupt keine Bedeutung hatten.
        Bolitho begann langsam auf- und abzugehen, dachte uber die vergangenen Jahre nach, an die vielen Gesichter und Erlebnisse wahrend seiner Dienstzeit auf See. Da war der Kommandant der Spartan. Charles Farquhar war unter ihm Midshipman gewesen, und Bolitho war der erste gewesen, der seinen Wert erkannte und ihn zum diensttuenden Leutnant ernannte. Mit neunundzwanzig Jahren war er jetzt Kapitan, und bei seiner Abkunft aus einer adligen Familie und seinen weitreichenden Verbindungen in der Marine wurde er seine Karriere wahrscheinlich als Admiral und sehr reicher Mann beenden. Merkwurdigerweise hatte Bolitho ihn nie so recht leiden konnen, hatte aber dessenungeachtet von Anfang an erkannt, da? Farquhar scharfsinnig und einfallsreich war, wenn ihm jetzt auch nachgesagt wurde, da? er bei der Fuhrung seines Schiffes ein Tyrann sei.
        Doch die Spartan war jetzt das fuhrende Schiff, und von dem raschen Urteil seines Kommandanten konnte Erfolg oder Fehlschlag dessen abhangen, was Pelham-Martin beabsichtigte.
        Als Bolitho Pelham-Martin gegenuber einmal erwahnt hatte, da? Farquhar sein Mitgefangener an Bord eines amerikanischen Kaperschiffs gewesen war, hatte der Kommodore lediglich gesagt:»Sehr interessant. Sie mussen es mir gelegentlich erzahlen. «Und wahrend Bolitho jetzt in Gedanken versunken hin- und herschritt, fragte er sich unwillkurlich, wie Pelham-Martin reagieren mochte, wenn er je entdeckte, da? der Mann, in dessen Gefangenschaft Bolitho geraten war, sein eigener Bruder gewesen war.
        Inch kam in seine Nahe und versuchte, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen.

«Nun?«Bolitho wendete sich Inch abrupt zu und verdrangte das seltsame Verhalten seines Kommodore aus seinen Gedanken.»Was kann ich fur Sie tun?»

«Geschutzexerzieren, Sir?«fragte Inch. Er zog seine Uhr.»Ich hoffe, da? wir heute besser abschneiden.»
        Bolitho unterdruckte ein Lacheln. Inch war gegenwartig so ernsthaft, hatte sich aber als Erster Offizier erheblich verbessert.

«Sehr gut«, erwiderte Bolitho.»Es dauert immer noch zu lange, bis das Schiff gefechtsklar ist. Ich wunsche, da? es in zehn Minuten geschafft wird und keine Sekunde langer dauert. Es gibt auch zu viele Verzogerungen beim Laden und Ausrennen.»
        Inch nickte duster.»Ich wei?, Sir.»
        Bolitho drehte sich halb um, als aus den Wanten des Gro?mastes plotzlich Gelachter zu horen war. Er sah drei Midshipmen um die Wette zum Masttopp aufentern und erkannte in einem seinen Neffen. Merkwurdig, da? sie sich auf dem dichtbesetzten Schiff so selten begegneten, und es war kaum moglich, sich nach Pascoes Wohlergehen zu erkundigen, ohne den Anschein der Begunstigung oder, schlimmer noch, des Mi?trauens zu wecken.
        Er sagte kuhl:»Sie kennen meinen Standard: Gefechtsklar in zehn Minuten oder schneller. Dann alle zwei Minuten drei Breitseiten. «Er blickte Inch ruhig an.»Ich schlage vor, da? Sie heute morgen ein Geschutz den Midshipmen uberlassen. Es wird sie vor Dummheiten bewahren und, was wichtiger ist, unseren Leuten einen Ansporn geben. Es wird ihnen guttun, wenn sie wissen, da? sie eine Bedienung aus Offizieren in Schnelligkeit und Genauigkeit schlagen konnen.»
        Inch nickte.»Ich werde es sofort veranlassen, Sir. «Er errotete verlegen.»Ich - ich meine, auf der Stelle, Sir.»
        Bolitho nahm sein Auf-und-ab-Gehen wieder auf. Die Wangenmuskeln schmerzten ihn, weil er zu verhindern versuchte, da? sich sein Grinsen uber sein ganzes Gesicht ausbreitete. Es sah ganz so aus, als ob Inch versuche, in allem seinem Kommandanten nachzueifern, sogar in seiner Sprechweise.
        Genau bei zwei Glasen verlie? Bolitho das Achterdeck und machte sich auf den Weg zur Achterkajute. Er traf Pelham-Martin am Tisch sitzend an, eine seidene Serviette unter dem Kinn und als Abschlu? seines spaten Fruhstucks eine letzte Tasse Kaffee trinkend.
        Er sagte:»Ich habe fur die Mannschaft Geschutzexerzieren befohlen, Sir.»
        Pelham-Martin betupfte seinen kleinen Mund mit dem Zipfel seiner Serviette und runzelte die Stirn, als das Deck vom Rumpeln der Geschutzlafetten und dem Stampfen von Fu?en erbebte.

«So hat es den Anschein. «Er brachte seine schwere Gestalt in eine andere Stellung in seinem Sessel.»Gibt es sonst etwas zu melden?»
        Bolitho betrachtete ihn unbewegt. Es war immer das gleiche.»Wir steuern Westsudwest, Sir, und der Wind ist stetig wie bisher.
        Ich habe die Bramsegel setzen lassen, und mit etwas Gluck sollten wir St. Kruis in drei Wochen erreichen.»
        Pelham-Martin schnitt eine Grimasse.»Das klingt sehr zuversichtlich. Aber selbstverstandlich kennen Sie diese Gewasser. «Er blickte auf den Sto? Papiere und Seekarten auf dem Schreibtisch.»Ich hoffe zu Gott, da? uns in St. Kruis neue Nachrichten erwarten. «Er runzelte die Stirn.»Naturlich kann man bei den Hollandern nie genau wissen.»
        Bolitho sah zur Seite.»Es ist fur keinen leicht, wenn sein Vaterland erobert wird, Sir.»
        Der Kommodore grunzte.»Das interessiert mich nicht. Der entscheidende Punkt ist, werden sie uns helfen?»

«Ich glaube schon, Sir. Die Hollander sind immer gute Freunde gewesen. Genauso, wie sie ehrenhafte und mutige Gegner waren.»

«Mag sein. «Pelham-Martin erhob sich auf seine kurzen Beine und bewegte sich langsam uber das krangende Deck. Am Schreibtisch blatterte er unschlussig in den Papieren und sagte dann bitter:»Meine Befehle geben mir keinen wirklichen Hinweis darauf, was ich zu erwarten habe. Keinerlei Richtlinien. «Er brach ab und drehte sich heftig um, als ob er auf Kritik gefa?t ware.»Nun? Was meinen Sie?»
        Langsam entgegnete Bolitho:»Ich finde, wir sollten uns etwas zutrauen. Versuchen, Lequiller und seinen Schiffen immer einen Schritt voraus zu sein und vorherzusehen, was er beabsichtigt. Er wird andere zwingen, ihm zu helfen und ihn mit Nachschub zu versorgen. Aber ihm mu? auch standig bewu?t sein, da? sein Geschwader verletzlich ist. Darum mu? er bemuht sein, es ohne Verzogerung und mit der gro?tmoglichen Wirkung einzusetzen. «Er trat an die Seekarte heran.»Ihm mu? bewu?t sein, da? er gejagt wird, und das gibt ihm einen Vorteil.»
        Pelham-Martin stutzte sich schwer auf den Schreibtisch.»Das wei? ich selbst, verdammt noch mal.»

«Es ist notwendig, da? wir ihn stellen und daran hindern, seine Absichten zu verwirklichen, ehe er handeln kann.»

«Du lieber Himmel, Mann, wissen Sie, was Sie damit sagen?«Sein Ton war schockiert. Sie schlagen vor, da? ich an irgendeinen Punkt auf der Karte segeln und mich da festsetzen und auf ihn warten soll.»
        Ruhig erwiderte Bolitho:»Eine Jagd bleibt eine Jagd, Sir. Selten kann eine Formation Schiffe eine andere uberholen, ohne ungewohnlich viel Gluck zu haben. Um einen Haifisch zu fangen, braucht man einen geeigneten Koder; einen, der so verlockend ist, da? auch der abgefeimteste Hai nicht widerstehen kann.»
        Pelham-Martin strich sich uber das Kinn.»Schatzschiffe. Denken Sie daran, Bolitho? Mit unsicheren Schritten durchquerte er die Kajute.»Wenn Lequiller beabsichtigt, anderswo anzugreifen, und wir am entgegengesetzten Ende der Karibik auf der Lauer liegen…«Er schauderte unwillkurlich.»Ich wurde dafur verantwortlich gemacht.»
        Vielleicht begann der Kommodore erst jetzt, die volle Bedeutung seiner Aufgabe zu erkennen, dachte Bolitho. St. Kruis ohne jede Verzogerung zu erreichen, war noch nicht einmal der Anfang. Es gab zahllose Inseln, manche nur den Piraten und Abtrunnigen jeder Art bekannt. Und Lequiller hatte bei seinen fruheren Unternehmungen vermutlich viele davon kennengelernt: Verstecke fur seine Schiffe, wo er Frischwasser ubernehmen, wo er Informationen sammeln und Unrast saen konnte; immer standen ihm ausgedehnte Seegebiete zur Verfugung, um unverzuglich und unauffindbar zu verschwinden.
        In seinem Dilemma tat Pelham-Martin Bolitho beinahe leid. Vermutlich war Cavendish bereits getadelt worden, weil es ihm nicht gelungen war, die franzosischen Schiffe in ihren Hafen festzuhalten. Noch wahrscheinlicher war sogar, da? er Pelham-Martin als Sundenbock benutzen wurde, falls noch einmal etwas schiefging.
        Andererseits raumten die klar formulierten Befehle dem Kommodore gro?en Spielraum ein. Und Bolitho wu?te, wenn ihm die gleiche Chance geboten worden ware, hatte er die Gelegenheit gierig wahrgenommen, Lequiller unter seinen Bedingungen zu stellen und zu schlagen.
        Es klopfte, und Inch trat, den Hut unter dem Arm, uber die Schwelle.

«Was gibt's?«Noch eine Minute langer, und es ware moglich gewesen, da? Pelham-Martin ihm mehr anvertraut hatte.
        Inch schluckte.»Bitte um Entschuldigung, da? ich store, Sir. «Er sah Pelham-Martin an.
        Der Kommodore lie? sich in einen Sessel sinken und winkte ab.»Sprechen Sie bitte, Mr. Inch. «Er schien uber die Unterbrechung beinahe erleichtert zu sein.
        Inch sagte:»Mr. Stepkyne wunscht eine Bestrafung zu verhangen, Sir. Aber die Umstande. «Er blickte auf seine Fu?e.»Es handelt sich um Mr. Pascoe, Sir.»
        Pelham-Martin antwortete milde:»Kaum eine Affare fur den Kommandanten, mochte ich meinen.»
        Bolitho wu?te, da? hinter Inchs Worten viel mehr stand.»Schik-ken Sie Mr. Stepkyne bitte nach achtern.»
        Pelham-Martin murmelte:»Wenn Sie Ihr Urteil lieber woanders verkunden wollen, habe ich dafur gewi? Verstandnis, Bolitho. Es ist immer mi?lich, wenn man einen Verwandten an Bord hat. Da kommt man manchmal nicht umhin, voreingenommen zu sein, oder?»
        Bolitho sah auf ihn hinab, aber die Augen des Kommodore waren undurchsichtig und ohne Ausdruck.

«Ich habe nichts zu verbergen. Vielen Dank, Sir,»
        Stepkyne kam in die Kajute, das dunkle Gesicht sehr beherrscht.
        Inch sagte:»Es war wirklich nichts Besonderes, Sir. «Fest fugte er hinzu:»Beim Geschutzexerzieren wurde einem Kanonier der Fu? gequetscht, als sie einen Zwolfpfunder ausrannten. Die Mids-hipmen wechselten sich als Geschutzfuhrer ab, und Mr. Pascoe weigerte sich, sein Geschutz auszurennen, solange der Mann von der Konkurrenz nicht ersetzt war. Er sagte, das ware ein unfairer Vorteil, Sir.»
        Stepkyne hielt den Blick auf einen Punkt uber Bolithos Schulter gerichtet.»Ich befahl ihm, mit dem Exerzieren fortzufahren, Sir. Beim Artillerieschie?en ist kein Platz fur so kindische Spielereien. «Er hob die Schultern, als sei die Angelegenheit zu trivial, um daruber zu reden.»Doch er war nicht bereit, meinen Befehl zu befolgen. Darum loste ich ihn ab. «Er pre?te die Lippen zusammen.»Er mu? bestraft werden, Sir.»
        Bolitho spurte, da? der Kommodore ihn beobachtete, fuhlte sogar, wie amusiert er war.

«War das alles?»
        Stepkyne nickte.»Ja, Sir.»
        Inch trat einen Schritt vor.»Der Junge wurde provoziert, Sir. Ich bin uberzeugt, er wollte nichts Unrechtes tun.»
        Stepkyne zuckte mit keiner Wimper.»Er ist kein Junge, Sir. Er gilt als Offizier, und ich dulde keine Unverschamtheiten, weder von ihm noch von jemand anderem, der im Rang unter mir steht.»
        Bolitho sah Inch an.»Hat Mr. Pascoe Ihrer Ansicht nach in irgendeiner Form Insubordination gezeigt?«Sein Ton wurde scharfer.»Die Wahrheit, Mr. Inch!»
        Inch machte ein ungluckliches Gesicht.»Nun ja, Sir. Er nannte den Zweiten Offizier einen verdammten Lugner.»

«Verstehe. «Bolitho verschrankte die Finger hinter dem Rucken.»Wer hat es au?er Ihnen gehort?»
        Inch antwortete:»Mr. Gascoigne und Ihr Bootsfuhrer, glaube ich,
        Sir.»
        Bolitho nickte kalt.»Sehr gut, Mr. Inch. Sie konnen eine Strafe verhangen.»
        Die Tur schlo? sich hinter den beiden Offizieren, und PelhamMartin sagte vergnugt: Nun, da drohte doch keine Meuterei, oder? Jedenfalls haben ein paar Schlage mit dem Rohrstock noch keinem geschadet. Ich mochte wetten, da? auch Sie in Ihrer Jugend die Bekanntschaft mit der Zuchtrute gemacht haben.»

«Mehrmals, Sir. «Bolitho sah ihn kalt an.»Aber ich erinnere mich nicht daran, da? es mir gutgetan hatte.»
        Pelham-Martin zuckte mit den Schultern und erhob sich.»Dem sei, wie es mag. Jetzt werde ich mich eine Weile hinlegen. Ich habe uber vieles nachzudenken.»
        Bolitho blickte ihm nach, verargert uber sich selbst, weil er seine Sorge gezeigt hatte, und uber Pelham-Martins Mangel an Verstandnis.
        Als Bolitho spater in dem kleinen Kartenraum sa? und in seinem Mittagsmahl stocherte, versuchte er, sich auf die franzosischen Schiffe zu konzentrieren, zu uberdenken, was er aus des Kommodore kurzem Anfall von Vertraulichkeit erraten konnte, und sich dann in die Lage des feindlichen Befehlshabers zu versetzen.
        Es klopfte, und er horte den Wachtposten der Marinesoldaten rufen:»Midshipman der Wache, Sir.»

«Herein. «Ohne sich umzudrehen, wu?te Bolitho, da? es Pascoe war. In der kleinen Kabine konnte er sein schnelles Atmen horen und nahm, als er sprach, den Schmerz in seiner Stimme wahr.

«Mr. Roths Respekt, Sir, und ob er mit den Neunpfundern auf dem Achterdeck exerzieren darf?»
        Bolitho drehte sich um und betrachtete den Jungen ernst. Sechs Schlage mit dem Rohrstock des Bootsmanns waren immer schwer zu ertragen. Tomlins Arm war wie ein Baumast, und Pascoes schlanker Korper bestand mehr aus Knochen denn aus Fleisch. Und obwohl Bolitho es besser gewu?t hatte, war er nicht in der Lage gewesen, sich von dem Skylight fernzuhalten, als die kurze Bestrafung vollzogen wurde; bei jedem zischenden Schlag hatte er unwillkurlich mit den Zahnen geknirscht und doch Stolz empfunden, als nicht ein einziger Schmerzensschrei oder Protestruf Pascoes zu horen gewesen war.
        Jetzt sah er bla? aus und kniff die Lippen zusammen, und als ihre Blicke sich uber dem Kartentisch begegneten, konnte Bolitho Pas-coes Schmerzen fast wie seine eigenen fuhlen.
        Als Kommandant hatte er sich von seinen Offizieren fernzuhalten, aber es wurde von ihm erwartet, da? er alles bemerkte und alles uber sie wu?te. Sie mu?ten ihm vertrauen und ihm folgen, aber er sollte sich in keiner Weise einmischen, wenn es um Fragen der Disziplin ging. Falls nicht. Die Worte klangen wie ein Vorwurf in ihm nach.

«Sie mussen verstehen, Mr. Pascoe, da? Disziplin auf einem Kriegsschiff von allergro?ter Bedeutung ist. Ohne sie gibt es keine Ordnung und Schlagkraft, wenn es wirklich darauf ankommt. Noch stehen Sie am Fu? einer hohen, gefahrlichen Leiter. Eines Tages, vielleicht fruher als erwartet, werden Sie an der Reihe sein, Strafen zu verhangen, vielleicht sogar uber das Leben eines Mannes zu entscheiden.

        Pascoe schwieg, den Blick auf Bolithos Mund gerichtet.

«Mr. Stepkyne hatte recht. Geschutzexerzieren ist zwar ein Wettkampf, aber kein Spiel. Das Uberleben dieses Schiffes und jedes einzelnen an Bord hangt von seiner Kampfkraft ab. Sie konnen ein Schiff von Plymouth bis ans Ende der Welt fuhren, und manche mogen dann sagen, Sie hatten Ihre Sache gut gemacht. Doch so lange Sie es nicht neben ein feindliches Schiff gelegt haben und die
        Kanonen sprechen lassen, wissen Sie nicht, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Untergang ist.»
        Pascoe erwiderte leise:»Er hat gesagt, mein Vater ware ein Verrater und Rebell, und er wurde keinen Widerspruch von einem Bastard dulden. «Sein Mund bebte, Tranen des Zorns traten ihm in die Augen.»Ich - ich habe erwidert, da? mein Vater ein Offizier des Konigs war, aber - aber er hat mich nur ausgelacht. «Er schlug die Augen nieder.»Da nannte ich ihn einen Lugner.»
        Bolitho packte die Tischkante. Es war eingetreten, und er hatte selbst schuld. Er hatte damit rechnen mussen, daran denken sollen, da? auch Stepkyne aus Falmouth stammte und ganz bestimmt von seinem Bruder gehort hatte. Aber sein Wissen zu nutzen, um einen Untergebenen zu demutigen, der zu jung und unerfahren war, um die Bedeutung des Exerzierens zu erkennen, das war jammerlich.
        Langsam sagte er:»Sie haben Ihre Bestrafung tapfer hingenommen, Mr. Pascoe.»

«Darf ich etwas fragen, Sir?«Pascoe sah ihn wieder an, sein Gesicht bestand nur aus Augen.»Stimmt das, was er gesagt hat?»
        Bolitho stand auf und ging zu den Regalen mit zusammengerollten Seekarten.»Nur teilweise. «Er horte den Jungen hinter sich aufschluchzen und fugte hinzu:»Hugh hatte seine Grunde dafur, da? er so gehandelt hat, aber eines kann ich Ihnen versichern: Er war ein tapferer Mann. Einer, auf den Sie stolz gewesen waren, wenn Sie ihn gekannt hatten. «Er drehte sich zu dem Jungen um.»Und ich wei?, da? er auch auf Sie stolz gewesen ware.»
        Pascoe ballte die Fauste.»Man hat mir gesagt…«Seine Stimme schwankte. Er suchte nach Worten.»Man hat mir immer gesagt…«Er fand die Worte nicht.

«Solange man klein ist, wird einem vieles erzahlt. Wie Mr. Step-kyne gesagt hat, sind Sie jetzt Offizier und mussen lernen, mit der Wirklichkeit fertigzuwerden, in welcher Form sie sich auch zeigt.»
        Pascoes Stimme kam wie aus weiter Ferne.»Ein Verrater? Mein Vater war ein Verrater?»
        Bolitho sagte traurig:»Eines Tages werden Sie verstehen, genau wie ich gelernt habe, ihn zu verstehen. Ich werde Ihnen spater mehr von ihm erzahlen; vielleicht sind Sie dann nicht mehr ganz so verbittert.»
        Pascoe schuttelte so heftig den Kopf, da? ihm das Haar uber die
        Augen fiel.»Nein, Sir. Weiter will ich nichts wissen. Ich will nie wieder von ihm horen.»
        Bolitho wandte sich ab.»Machen Sie weiter, Mr. Pascoe. Mein Kompliment an Mr. Roth, und er kann eine Stunde lang mit den Geschutzen exerzieren.»
        Nachdem der Midshipman schnell die Kajute verlassen hatte, starrte Bolitho auf die geschlossene Tur. Er hatte versagt. Im Lauf der Zeit konnte ein Teil des Schadens vielleicht repariert werden. Argerlich setzte er sich wieder. War das wirklich moglich? Unwahrscheinlich, und es ware dumm, sich etwas vorzumachen. Doch als er an Stepkynes kaltherzige Anschuldigung und das gequalte Gesicht des Jungen dachte, wurde ihm bewu?t, da? er etwas tun mu?te.
        Als er an Deck ging, um das Geschutzexerzieren zu beobachten, bemerkte er, da? Gascoigne neben Pascoe trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. Doch der Junge schuttelte sie ab und wendete sich ab. Es hatte ihn noch tiefer getroffen, als Bolitho befurchtet hatte.
        Inch kam heran.»Es tut mir leid, Sir. «Er machte ein tief bedrucktes Gesicht.
        Bolitho wu?te nicht, ob er von dem Jungen sprach oder von der fur ihn neuen Entdeckung uber Bolithos Bruder. Mit unbewegtem Gesicht erwiderte er:»Dann lassen Sie uns mit den Achterdecksgeschutzen exerzieren, Mr. Inch. Sonst konnte uns allen noch sehr vieles leid tun.»
        Als das Schrillen der Pfeifen den Beginn des Exerzierens ankundigte, ging Bolitho nach Luv und blickte zum Wimpel auf. Wohin er auch ging, was er auch tat, immer schien die Erinnerung an seinen Bruder uber ihm zu hangen. Und jetzt war auch ein anderer betroffen, einer, der noch weniger in der Lage war als er, mit Ereignissen fertig zu werden, die langst hatten vergessen sein sollen.
        Manche Kanoniere, die seinen Gesichtsausdruck bemerkten, bemuhten sich, schneller zu sein als sonst. Und Inch, der mit den Handen auf dem Rucken dabeistand, wie er es oft an Bolitho gesehen hatte, beobachtete ihn ratlos. Mit seiner eigenen Unzulanglichkeit konnte er es jetzt aufnehmen, denn er kannte seine Mangel. Doch als er Bolithos finsteres Gesicht sah, war ihm unbehaglich, und vage Befurchtungen uberkamen ihn.
        Vielleicht sollte man besser nicht die schutzende Aura durchdringen, die einen Kommandanten umgab, dachte er. Ein Kommandant mu?te den alltaglichen Umgang meiden, denn ohne Distanz hatte man einen gewohnlichen Menschen in ihm sehen konnen.
        Bolithos Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken auf.»Mr. Inch, wenn Sie jetzt soweit sind, dann treten Sie von den Geschutzen zuruck.»
        Inch fuhr auf und grinste mit einer gewissen Erleichterung. Das war der Bolitho, den er verstand, und er fuhlte sich nicht mehr ganz so verletzlich.
        Vier Wochen spater, als die Hyperion sich muhsam in einem leichten Nordost voranarbeitete, signalisierte die Abdiel, da? ihr Ausguck endlich die Insel St. Kruis gesichtet hatte. Bolitho nahm die Meldung mit gemischten Gefuhlen entgegen. Es bot ihm nur geringen Trost, da? er nach mehreren tausend Meilen Ozean und ohne einem einzigen Schiff zu begegnen, eine perfekte Landung machen wurde. Er wu?te, da? sie ihr Ziel um Tage, sogar eine Woche fruher hatten erreichen konnen, wenn nicht Pelham-Martins enervierende Unfahigkeit gewesen ware, sich an einen festgelegten Plan zu halten, und seine offenkundig nicht vorhandene Bereitschaft, bereits beschlossene Entscheidungen auszufuhren. Vor Trinidad zum Beispiel hatte die Abdiel einen einzelnen Segler am Horizont gesichtet, und nachdem an die Spartan Signal gegeben worden war, sich den anderen Schiffen anzuschlie?en, hatte Pelham-Martin eine Kursanderung befohlen, um den Unbekannten zu stellen. Das war kurz vor Einbruch der Abenddammerung gewesen; Bolitho war der Ansicht, da? es sich um ein lokales Handelsschiff handelte, denn ihm schien es unwahrscheinlich,
da? Lequiller sich so nahe bei einem spanischen Stutzpunkt aufhalten wurde.
        Als sie wieder ihren alten Kurs aufnahmen, weil sie das fremde Schiff nicht gefunden hatten, war durch Pelham-Martins Saumseligkeit und Unentschlossenheit eine weitere lange Verzogerung entstanden, weil er eine Depesche aufgesetzt hatte, die durch die Spartan uberbracht werden sollte. Aber nicht nach St. Kruis, sondern weit nach Sudwesten an den spanischen Generalbevollmachtigten in Caracas.
        Bolitho hatte neben dem Schreibtisch gestanden, wahrend Pelham-Martin den dicken Umschlag versiegelte, und bis zum letzten Augenblick gehofft, da? er den Kommodore von seiner Absicht abbringen konne.
        Die Spartan war nutzlicher, wenn sie vor den beiden anderen Schiffen als Kundschafter eingesetzt wurde, statt dem spanischen Gouverneur eine wortreiche und uberflussige Nachricht zu uberbringen. Nach Bolithos Erfahrungen hatten die Spanier nie im Ruf gro?er Schweiger gestanden, und bald wurde sich weit und breit die Nachricht verbreiten, da? englische Schiffe aufgetaucht waren; es gab immer genug Spione, die solche Neuigkeiten an die Stellen weitergaben, fur die sie von Bedeutung waren.
        Und obwohl Pelham-Martin nicht bereit war zu kampfen, obwohl der gro?ere Teil seiner Streitkrafte noch Tage oder gar Wochen weit entfernt war, gab er Informationen preis, die ihm nur schaden konnten.
        Doch Pelham-Martin blieb eisern.»Das ist eine Frage der Hoflichkeit, Bolitho. Ich wei?, wie wenig Vertrauen Sie in die Spanier setzen, aber zufallig wei? ich auch, da? der Generalgouverneur ein Mann von hoher Herkunft ist. Ein Gentleman erster Ordnung. «Er sah Bolitho mit einem gewissen Mitleid an.»Kriege werden nicht nur mit Pulver und Kanonen gewonnen. Vertrauen und Diplomatie spielen eine wichtige Rolle. «Er hob den Umschlag.»Lassen Sie das hier zur Spartan bringen, und nehmen Sie dann den alten Kurs wieder auf. Signalisieren Sie der Abdiel, ihre gegenwartige Position beizubehalten.»
        Kapitan Farquhar mu?te uber seinen neuen Auftrag erleichtert gewesen sein. Fast noch ehe das Boot von der Spartan abgelegt hatte, um zur Hyperion zuruckzukehren, blahten sich die Segel der Fregatte; ihr Rumpf wurde von plotzlicher Aktivitat erfullt, als sie wendete und sich von den anderen Schiffen entfernte.
        Doch jetzt hatten sie endlich St. Kruis erreicht. Das grelle Licht der Mittagssonne wich langsam dem milden, orangefarbenen Abendgluhen, als die Ausgucks der Hyperion meldeten, da? sie einen Hohenzug sichteten, der die kleine Insel in Ost-WestRichtung halbierte.
        Bolitho stand an der Achterdecksreling und hob sein Glas, um den verschwommenen, violetten Umri? zu studieren, der langsam uber den dunkler werdenden Horizont aufstieg. Uber St. Kruis war nicht viel bekannt, aber das wenige hatte er sich deutlich eingepragt.
        Die Insel ma? zwanzig mal funfzehn Meilen und wies eine geraumige Bucht an der Sudwestecke auf. Dieser gro?e Naturhafen war der Hauptgrund fur die Hollander gewesen, die Insel in Besitz zu nehmen. Standig war er von Piraten und Kaperschiffen benutzt worden, um einem arglosen Westindienfahrer oder einer Galeone aufzulauern; die Hollander hatten diese Insel eher aus Notwendigkeit besetzt als aus dem Bedurfnis, ihren Kolonialbesitz zu erweitern.
        Nach Bolithos Informationen gab es auf St. Kruis einen Gouverneur und gewisse Verteidigungsanlagen, welche die gemischte Bevolkerung aus hollandischen Aufsehern und importierten Sklaven vor fremder Einmischung schutzen sollten.
        Er stutzte die Hande auf die Reling und sah auf das Hauptdeck hinunter. Beide Gangways waren von Matrosen und Marinesoldaten dicht besetzt, die alle uber den Bug hinweg auf den verwischten Flecken Land blickten. Wie fremd mu?te er den meisten ersche inen, dachte er, diesen Mannern, die an grune Felder oder stadtische Slums gewohnt waren, an die Menschenfulle in den unteren Decks. Auch denen, die durch unerbittliche Pre?kommandos von ihren Lieben fortgerissen worden waren, mu?te er wie ein fremder Planet erscheinen. Nach Monaten auf See, bei schlechter Verpflegung und jedem Wetter, kamen sie jetzt an einen Ort, an dem ihre Sorgen unbekannt waren. Die Veteranen an Bord hatten ihnen oft genug von solchen Inseln erzahlt, nun waren sie ein sichtbarer Teil der Welt geworden, in die sie freiwillig oder gezwungen eingetreten waren.
        Rucken und Schultern der Matrosen waren sonnengebraunt, wenn auch manche schlimme Blasen von der Arbeit in der unbarmherzigen Sonne aufwiesen. Bolitho war dankbar, da? nichts Schlimmeres als Blasen sie zeichnete. Bei einer neuen Besatzung hatten unter diesen Umstanden die Rucken vieler Manner von den grausamen Narben der neunschwanzigen Katze entstellt sein konnen. Neben sich horte er schwere Schritte, und als er sich umdrehte, sah er den Kommodore, der auf das Hauptdeck hinabblickte. Seine Augen waren halb verdeckt, weil er gegen die untergehende Sonne blinzelte.
        Bolitho sagte:»Wenn der Wind nicht nachla?t, konnen wir morgen fruh Anker werfen. Auf der Ostseite der Bucht befinden sich breite Riffe, deshalb mussen wir von Suden her einlaufen, um ihnen auszuweichen.»
        Pelham-Martin antwortete nicht sofort. Er war ruhiger und entspannter, als Bolitho ihn je gesehen hatte, und schien guter Laune zu sein.
        Plotzlich sagte er:»Seit einiger Zeit denke ich, da? dieser ganze Aufwand womoglich vollig ungerechtfertigt ist, Bolitho. «Er nickte gewichtig.»Ja, ich habe kurzlich sehr viel nachgedacht.»
        Bolitho hielt die Lippen zusammengepre?t. Pelham-Martin hatte wahrend der Uberfahrt mehr Zeit in seiner Koje als an Deck verbracht, ob nun nachdenkend oder nicht, Bolitho hatte jedenfalls oft sein Schnarchen durch die dunne Trennwand zum Kartenraum gehort.
        Pelham-Martin fuhr fort:»Lequillers Auftrag kann lediglich ein Ablenkungsmanover sein. Um mehr Schiffe von der Blockade fortzulocken, von Oussant und Lorient, damit die ganze Flotte ausbrechen und in den Kanal einlaufen kann. «Er sah Bolitho vergnugt an.»Das ware eine schone Ohrfeige fur Sir Manley, wie? Die Enttauschung konnte er nie verwinden.»
        Bolitho hob die Schultern.»Ich halte es fur unwahrscheinlich,
        Sir.»
        Das Lacheln verschwand.»Ach, Sie sehen die Dinge nie richtig. Dazu braucht man Phantasie, Bolitho. Phantasie und das Wissen, wie der Verstand des Menschen funktioniert.»

«Jawohl, Sir.»
        Pelham-Martin funkelte ihn an.»Wenn ich auf Sie gehort hatte, waren wir inzwischen in Gott wei? was verwickelt worden.»

«An Deck! Abdiel setzt zur Wende an, Sir.»
        Pelham-Martin bellte:»Wenn er um Erlaubnis bittet, noch heute abend in den Hafen einzulaufen, teilen Sie ihm mit: abgelehnt!«Mit schweren Schritten ging er auf den Niedergang zu.»Wir werden gemeinsam einlaufen, und meine Flagge wird an der Spitze sein.«Uber die Schulter fugte er gereizt hinzu:»Fregattenkapitane! Verdammte junge Schnosel wurde ich sie nennen.»
        Bolitho lachelte grimmig. Kapitan Pring von der Abdiel konnte gerade noch trotz des schwindenden Tageslichts einen Ankerplatz erreichen. Wenn die Vorrate an Verpflegung und Wasser schon auf der Hyperion gering waren, dann mu?ten seine fast vollig erschopft sein. Und er mu?te wissen, da? der Zweidecker nach dem Ankern erst einmal seinen eigenen Bedarf decken wurde. Ohne Muhe konnte Bolitho sich an Gelegenheiten erinnern, als er mit einer Fregatte von zweiunddrei?ig Geschutzen untatig vor dem Hafen hatte warten mussen, wahrend drei ankernde Linienschiffe die lokalen Handler und Lieferanten leergekauft hatten, ehe er seinen Bedarf aus den sparlichen Resten decken durfte.
        Midshipman Gascoigne war bereits in die Besanwanten aufgeentert und hatte sein Glas auf die ferne Fregatte gerichtet. Als sie anmutig durch den Wind drehte, fing ihre Takelage die letzten Sonnenstrahlen auf, so da? die geblahten Rahsegel wie rosa Muscheln schimmerten.
        Manche der Matrosen auf dem Achterdeck hatten die letzten Worte des Kommodore gehort und grinsten, als die Signalflaggen an der Gaffel der Abdiel auswehten.
        Ein alter Stuckfuhrer, dessen Zopf bis zur Hufte reichte, brummte:»Geschieht ihnen recht, finde ich. Die sollen sich Zeit lassen und uns die erste Chance bei den braunen Schonen geben.»

«Abdiel an Hyperion: Geschutzfeuer in West zu Nord!»
        Gascoignes Stimme erreichte viele der Manner auf den Gangways, und ihr uberraschtes Murmeln lie? den Kommodore oben am Niedergang innehalten, als ob er vom Schlag getroffen ware.
        Bolitho befahl knapp:»Bestatigen!«Pelham-Martin rief er zu:»Das mu? ein Angriff auf den Hafen sein, Sir.»

«Abdiel bittet um Erlaubnis, mehr Segel zu setzen, Sir. «Gas-coignes Blicke zuckten zwischen seinem Kommandanten und der gewichtigen Gestalt des Kommodore hin und her.
        Pelham-Martin schuttelte den Kopf.»Abgelehnt. «Vor Hast, an Bolithos Seite zu kommen, stolperte er fast bei den zwei letzten Schritten.»Abgelehnt!«Er schrie das Wort, offenbar au?er sich vor
        Wut.
        Bolitho sagte:»Ich stimme Ihnen zu, Sir. Schiffe, die stark genug sind, einen befestigten Hafen anzugreifen, wurden mit seinen schwachen Planken kurzen Proze? machen. «Was er wirklich dachte, behielt er fur sich. Da? die Situation namlich vollig anders hatte sein konnen, wenn die Sparten noch bei ihnen gewesen ware. Zwe i schnelle Fregatten, die von der offenen See her ansturmten, konnten einiges an Wirkung erzielen, ehe sie sich den Vorteil der sinkenden Dunkelheit zunutze machten. Aber vom Kommandanten der Abdiel allein ware es zuviel verlangt gewesen; au?erdem mu?ten Stunden vergehen, bis die Hyperion eine vorteilhafte Position erreichen konnte. Inzwischen war es dann dunkel und zu gefahrlich, zu dicht unter Land zu gehen.
        Pelham-Martin sagte rasch:»Signalisieren Sie an Abdiel, Position in Luv einzunehmen. «Er beobachtete, wie die Signalflaggen zur Rah aufstiegen.»Ich mu? nachdenken.»

«Abdiel hat bestatigt, Sir.»
        Bolitho sah, da? die Rahen der Fregatte rundgebra?t wurden, als sie begann, sich in Richtung des Hecks der Hyperion zu drehen. Er vermochte sich die Enttaus chung ihres Kommandanten vorzustellen.»Wir konnen nach Sudwest steuern, Sir. Beim ersten Tageslicht sind wir dann in einer besseren Position, um die Angreifer zu uberraschen.»
        Pelham-Martin schien sich bewu?t zu werden, da? auf dem dichtbesetzten Hauptdeck zahllose Augen auf ihn gerichtet waren.»Schicken Sie diese Maulaffen an die Arbeit. Ich will nicht von einer Bande verdammter Faulenzer angestarrt werden.»
        Bolitho horte die plotzlich uberall einsetzende Aktivitat und die gebrullten Befehle. Pelham-Martin wollte nur Zeit gewinnen. Sein rasch wechselnder Gesichtsausdruck verriet deutlich seine Ratlosigkeit.
        In etwas beherrschterem Ton sagte er: «Indomitable und Hermes konnen in wenigen Tagen hier sein. Mit ihrer Unterstutzung werde ich mehr erreichen, ode r?»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Sie konnen ebensogut noch Wochen aufgehalten werden, Sir. Auf diese Chance konnen wir uns nicht einlassen. Und auch nicht auf das Risiko.»

«Chance? Risiko?«Pelham-Martin sprach in einem wilden Flustern.»Es geht dabei um meinen Kopf. Wenn ich angreife, den Kampf aufnehme, und wir uberwaltigt werden, was dann?»
        Bolithos Ton wurde harter.»Wenn wir es nicht tun, konnen wir die Insel verlieren. Unsere Schiffe brauchen nicht erst in der Schlacht geschlagen zu werden. Sie konnen auch durch Hunger und Durst bezwungen werden.»
        Pelham-Martin suchte in Bolithos Gesicht, sein Ausdruck war gleichzeitig verzweifelt und flehend.»Wir konnten nach Caracas segeln. Die Spanier haben vielleicht Schiffe, die uns unterstutzen.»

«Das wurde zu lange dauern, Sir, selbst wenn die Dons dort Schiffe hatten und bereit waren, uns zu helfen. In der Zwischenzeit hat Lequiller dann St. Kruis genommen, und wir mu?ten eine Flotte aufbieten, um ihn zu vertreiben, und das unter hohen Kosten.»
        Der Kommodore wandte sich wutend ab.»Lequiller! Das ist alles, woran Sie denken konnen. Vielleicht ist er gar nicht hier.»
        Kalt entgegnete Bolitho:»Ich glaube nicht, da? daran ein Zweifel bestehen kann, Sir.»

«Also, wenn Sie ihn nicht hatten entkommen lassen, wenn Sie die Stellung gehalten hatten, statt Anker zu lichten, ware es zu all dem hier gar nicht gekommen.»

«Und die zweihundert Gefangenen hatte ich hangen lassen sollen, Sir?«Bolitho bemerkte, da? sich die breiten Schultern des Kommodore spannten.»Hatte ich das tun sollen?»
        Pelham-Martin wendete sich ihm wieder zu.»Entschuldigen Sie, aber ich bin uberarbeitet. «Er spreizte die Hande.»Aber was soll ich tun mit nur einem Linienschiff?»

«Sie haben keine Wahl, Sir. «Bolitho bemuhte sich, ruhig zu sprechen, konnte seinen Zorn aber nicht verbergen.»Sie konnen kampfen, oder Sie konnen Zuschauer bleiben. Wenn Sie sich fur das Letztere entscheiden, wei? der Feind, da? er tun kann, was er will. Und unsere Freunde hier werden es auch wissen.»
        Pelham-Martin sah ihn an. Sein Gesicht lag jetzt im Schatten, nachdem die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hinter dem Horizont verschwunden waren.»Also gut.
«Er wartete, als ob er auf seine eigenen Worte lausche.»Ich werde tun, was Sie vorschlagen. Doch wenn wir versagen, Bolitho, werde nicht ich allein die Konsequenzen tragen. «Er drehte sich um und ging in seine Kajute.
        Bolitho starrte ihm mit gerunzelter Stirn nach. Wenn wir versagen, wird keiner mehr ubrig sein, um daruber zu streiten, ob wir richtig oder falsch gehandelt haben, dachte er bitter.
        Dann sah er sich nach Inchs hagerer Gestalt an der Reling um.»Mr. Inch, lassen Sie fur die Abdiel eine abgeschirmte Hecklampe setzen. Dann konnen Sie die Gro?segel fur die Nacht bergen. «Er horte, wie Inch seine Befehle weitergab, hob dann sein Glas und blickte durch das dunkle Netz des Riggs.
        Die Insel war in der Dunkelheit verschwunden, ebenso jeder Widerschein von Geschutzfeuer. Der Feind mu?te jetzt auf die Morgendammerung warten.
        Inch kam nach achtern getrabt.»Sonst noch etwas, Sir?«Es klang atemlos.

«Sorgen Sie dafur, da? die Leute gut verpflegt werden. Vielleicht mussen wir morgen auf das Fruhstuck verzichten.»



        VII Ungleicher Kampf

        Bolitho schlo? die Tur zum Kartenraum hinter sich und ging schnell zum Achterdeck. Nur neben dem schwach beleuchteten Kompa? hielt er kurz inne, um sich zu uberzeugen, da? der Bug immer noch genau nach Norden wies. Den gro?ten Teil der Nacht uber waren die Vorbereitung zur Gefechtsbereitschaft ohne Unterbrechung weitergegangen, bis Bolitho, so zufrieden, wie er sein durfte, Halt geboten hatte und die gespannten, aber erschopften Matrosen sich fur wenige Stunden Ruhe neben ihren Geschutzen hingelegt hatten.
        Als Bolitho das Achterdeck uberquerte, spurte er die leichte Brise kalt und feucht durch sein offenes Hemd und fragte sich, wie lange das anhalten wurde, sobald die Sonne erst uber den Horizont gestiegen war.
        Inch begru?te ihn mit:»Guten Morgen, Sir.»
        Bolitho starrte auf seine blasse Gestalt und nickte.»Sie konnen jetzt laden und ausrennen lassen, aber mit sowenig Larm wie moglich.»
        Als Inch sich uber die Reling beugte, um den Befehl weiterzugeben, sah Bolitho zum Himmel auf. Er war jetzt viel heller als vor einer halben Stunde. Jetzt konnte er die straff gespannten Netze erkennen, die Tomlin und seine Leute wahrend der Nacht uber dem Deck ausgespannt hatten, um die Kanoniere vor herabsturzenden Rahen und Stengen zu schutzen. Vorher hatten sie sich vom dunklen Himmel nicht abgehoben. Am ostlichen Horizont waren die letzten Sterne verbla?t, und ein paar kleine, vereinzelte Wolken waren auf der Unterseite von einem Hauch Lachsrosa uberzogen.
        Bolitho atmete ein paarmal tief ein, versuchte, das Knarren der Lafetten zu ignorieren und das dumpfe Poltern der Geschutze, deren Rohre durch die geoffneten Stuckpforten ausgerannt wurden. Im Gegensatz zu seinen Leuten hatte er nicht geschlafen und die letzte halbe Stunde damit verbracht, sich im Licht einer kleinen Laterne zu rasieren. Zweimal hatte er sich dabei geschnitten, so stark war seine innere Spannung. Aber wenn er sich nicht intensiv mit etwas beschaftigte, gerieten seine Nerven in noch schlechtere Verfassung. Es war immer das gleiche. Die Zweifel und Angste, die Furcht vor dem Versagen, die Angst vor einer schweren Verletzung und das Grauen vor dem Skalpell des Chirurgen, all das geisterte bedrohlich durch seine Gedanken.
        Jetzt war das Warten nahezu voruber. Dort vorn, schwarz und nach beiden Seiten ausladend, lag die Insel; jetzt brauchte er kein Glas mehr, um die gedampft schimmernde, wei?liche Brandung auszumachen, wo sich die anlaufende See uber den Riffen brach.
        Die Hyperion lag auf Backbordbug hart am Wind, die Marssegel und Bramsegel dichtgeholt, um den schwachen Wind mit gro?tmoglichem Vorteil zu nutzen. Alle unteren Segel waren aufgegeit, denn diese gro?en Leinwandflachen bedeuteten immer Brandgefahr, wenn der Kampf begann.
        Inch richtete sich auf, als eine Stimme vom Hauptdeck rief:»Alle Geschutze ausgerannt.»
        Wie Bolitho und die anderen Offiziere trug er nur Hemd und Hose; seine Stimme bebte leicht, entweder vor Aufregung oder wegen der Kalte.

«Sehr gut. Schicken Sie einen Midshipman zum Kommodore.»
        Wahrend Bolitho sich rasierte, hatte er mehrmals eine Pause gemacht und gelauscht. Doch dieses Mal hatte er kein sanftes Schnarchen durch die Zwischenwand wahrgenommen. Pelham-Martin mu?te ruhelos grubelnd in seiner Koje liegen; er konnte sich nicht einmal mit Kampfvorbereitungen ablenken.
        Gossett schneuzte sich in ein gro?es rotes Taschentuch. Das Gerausch erschutterte die allgemeine Stille wie ein Musketenschu?. Verlegen murmelte er:»Verzeihung, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Langsam! Vielleicht brauchen wir spater Ihren ganzen Wind noch fur die Segel.»
        Ein paar Marinesoldaten lachten unterdruckt, und Bolitho war froh, da? sie sein Gesicht nicht sehen konnten.
        Inch fragte:»Was mogen die Froschfresser vorhaben?»

«Im Augenblick verhalten sie sich sehr still. «Bolitho beobachtete die kleinen Wellen mit ihren Schaumkopfen, die in Luv langsam am Schiff vorbeiliefen. Jetzt konnte er sie schon auf viel gro?ere Distanz erkennen, und als er den Blick nach vorn richtete, sah er, da? das Land viel klarere Umrisse angenommen hatte und jetzt unmittelbar vor dem Bug aufzuragen schien. Das war eine normale Erscheinung im ersten Tageslicht, aber trotzdem mu?ten sie jetzt bald mehr sichten. Der Kurs der Hyperion verlief so dicht an den Riffen vorbei, wie sie nur wagten, um die gunstigste Position zu gewinnen, wenn der Zeitpunkt zur Wende kam, um entweder an der Bucht vorbei oder in sie einzulaufen.
        Sehr viel hing von den Verteidigungsanlagen der Insel ab. Kein Schiff war einer gutpostierten Kustenbatterie gewachsen, aber man konnte ihrer Schlagkraft nie sicher sein. Bolitho erinnerte sich daran, wie er und Tomlin die Klippen bezwangen, als sie auf Cozar im Mittelmeer erfolgreich die franzosische Batterie uberwunden hatten. Wenn man fest genug entschlossen war, konnte man alles schaffen.
        Inch rief:»Guten Morgen, Sir!»
        Der Kommodore kam auf steifen Beinen an die Reling und schnuffelte in der Luft. Bolitho studierte ihn in dem ungewohnten Halblicht. Er trug einen Bootsmantel, der ihm fast bis zu den Knocheln reichte, und war ohne Hut und ohne jedes Rangabzeichen.
        Er wurde stark ins Schwitzen geraten, sobald er in die Sonne kam, dachte Bolitho und empfand einen Anflug von Mitgefuhl, als er an den Grund fur diesen seltsamen Aufzug dachte. PelhamMartin war ein sehr breiter Mann, ein verlockendes Ziel fur einen franzosischen Scharfschutzen, auch ohne da? er sich in seiner richtigen Uniform zeigte.
        Ruhig sagte er:»Bald ist es soweit, Sir. Der Wind kommt stetig von Nordost, und bis wir ganz dicht unter die Kuste gelangen, haben wir genug Zug in den Segeln.»
        Pelham-Martin zog seinen kleinen Kopf tief in den Kragen ein.»Vielleicht. Ich wei? es nicht. Dessen bin ich sicher. «Er trat etwas zur Seite und versank wieder in Schweigen.
        Bolitho wollte Inch gerade ansprechen, als er sah, da? die Augen des Leutnants wie Zwillingsfeuer aufloderten. Noch als er sich hastig umdrehte, horte er eine gewaltige Explosion uber das offene Wasser hallen und sah eine hohe Flammensaule zum Himmel aufsteigen, Funken nach allen Seiten spruhen und viele hundert Fu? hoch fliegen.
        Inch keuchte:»Ein Schiff, das brennt!»
        Bolitho kniff die Augen zusammen und versuchte zum hundertsten Mal, sich ein Bild von der Bucht zu machen. Das Schiff, das jetzt wie eine Fackel uber seinem flammenden Spiegelbild loderte, war nur klein und befand sich irgendwo Steuerbord voraus.
        Vereinzelte Schusse waren zu horen, und Bolitho vermutete, da? der Feind Boote einsetzte, um noch im Schutz der Dammerung das Ufer zu erreichen. Vielleicht war das Schiff durch einen Unglucksfall in Brand geraten, oder vielleicht hatten die Angreifer nur so viel Schaden wie moglich anrichten wollen, ehe sie sich wieder zuruckzogen.
        Wieder drohnte eine dumpfe Explosion uber das Wasser, doch diesmal gab es keinen Feuerschein; auch war weder die Richtung, aus der sie kam, noch ihre Entfernung zu schatzen.

«Ah, da ist sie!«Gossett hob einen Arm, als die Sonne uber den Horizont stieg, die Schatten vertrieb und das endlose Muster der Wellenkamme mit blassem Gold uberzog.

«An Deck! Zwei Schiffe in Lee voraus. «Dann ein uberraschter Aufschrei:»Halt! Da ist noch eins, dicht am Ufer, Sir.»
        Doch Bolitho konnte sie schon selbst sehen. In der Karibik war der Ubergang von der Nacht zum Tag nur kurz. Die Sonne hatte den dunklen Schattenumri? der Insel bereits in ein Panorama aus Violett und Grun verwandelt; goldene Rander hoben die Anhohen auf der anderen Seite der Bucht hervor.
        Die beiden ersten waren Linienschiffe, die langsam in entgegengesetzter Richtung segelten, fast im rechten Winkel zum Kurs der Hyperion und kaum zwei Meilen entfernt. Das dritte sah wie eine Fregatte aus; ein kurzer Blick auf ihre Segel verriet Bolitho, da? sie dicht unter der westlichen Landzunge vor Anker lag.
        Vor Anker? Er schob alle Zweifel und Befurchtungen beiseite, als er die Wahrheit erkannte: Der Feind mu?te das verankerte Schiff als Ablenkungsmanover in Brand gesetzt haben.
        Auf der gegenuberliegenden Seite des Ankergrunds, wo angeblich die Hauptbatterie ihre Stellung haben sollte, hatten die Eindringlinge zu einem Gro?angriff angesetzt und die Verteidiger im entscheidenden Augenblick abgelenkt und uberrascht. In der fruhen Morgendammerung konnte das nicht schwer gewesen sein, dachte Bolitho grimmig. Es war nur menschlich, sich am Ungluck anderer zu weiden, selbst wenn es die eigenen Kameraden waren, solange man selbst verschont blieb.
        Wahrend die aufgeschreckten Kanoniere in ihren Geschutzstellungen das brennende Schiff beobachtet hatten, waren die Angreifer mit ihren Booten heimlich gelandet und hatten die Landzunge von der anderen Seite her uberwunden.
        Pelham-Martin sagte mit gepre?ter Stimme:»Sie haben uns gesichtet.»
        Das fuhrende franzosische Schiff gab bereits ein Signal an seinen Begleiter, doch als das erste Sonnenlicht auf das geschutzte Wasser der Bucht und die wei?getunchten Hauser am Ufer fiel, verriet keines der beiden Schiffe Anzeichen dafur, da? es Richtung oder Absicht andern wolle. Der erste Schock beim Anblick der Hyperion mu?te schnell uberwunden worden sein, als der Feind erkannte, da? sie nur von einer einzelnen Fregatte begleitet wurde.
        Bolitho spurte die Sonne warm auf dem Gesicht. Er konnte vor dem Bug der Feinde in die Bucht einlaufen, doch wenn die Franzosen die Batterie besetzt hatten, konnten ihre Schiffe unbesorgt hinter ihm hersegeln. Wenn er sich aber zuruckhielt, wurden sie sich in die Bucht zuruckziehen und konnten dann selbst eine gro?ere Streitmacht daran hindern, ihnen zu folgen.
        Er sah zu dem Kommodore hinuber, der, das Gesicht voller Unentschlossenheit, unverwandt zu den franzosischen Schiffen hinuberstarrte.
        Inch murmelte:»Zwei Vierundsiebziger, Sir. «Auch er blickte Pelham-Martin an, ehe er hinzufugte:»Wenn sie die andere Seite der Bucht erreichen, sind sie uns gegenuber im Vorteil, Sir.»
        Bolitho bemerkte, da? mehrere Matrosen an den Brassen die Halse reckten, um zu den Franzosen hinuberzustarren. Die Schiffe sahen vollig intakt aus, zeigten keine Beschadigungen durch die Geschutze der Kustenbatterie und wirkten wegen ihrer langsamen Annaherung nur noch gefahrlicher. Im Sonnenlicht schimmerten
        Teleskope, die vom Achterdeck des fuhrenden Schiffs auf die Hyperion gerichtet waren. Hier und da bewegte sich eine Gestalt, und im Gro?topp flatterte ein Wimpel, als bewege er sich aus eigener
        Kraft.
        Aber sonst glitten die Schiffe langsam und behabig uber das leicht bewegte Wasser, bis es schien, als ramme der Kluverbaum die Hyperion den des fuhrenden Franzosen wie die Sto?zahne zweier Mammuts, die gegeneinander kampften.
        Auf dem Hauptdeck war die Spannung inzwischen fast physisch greifbar. Hinter jeder offenen Stuckpforte kauerten die Kanoniere, die nackten Rucken glanzend vor Schwei?, wahrend sie darauf warteten, zum erstenmal an der Abzugsleine zu rei?en. Jeder Niedergang wurde von einem Marinesoldaten bewacht, und die Scharfschutzen und Bedienungen der Drehbassen in den Masten leckten sich die Lippen und spahten mit zusammengekniffenen Augen nach ihren Gegnern aus.
        Pelham-Martin rausperte sich.»Was beabsichtigen Sie zu tun?»
        Bolitho entspannte sich etwas. Er fuhlte, wie ihm der Schwei? uber die Brust rann, und spurte seinen Herzschlag an den Rippen. Die Frage wirkte wie ein Dammbruch, befreite ihn von einer schweren Last. Einen Augenblick lang hatte er befurchtet, da? Pelham-Martins Nerven versagen und er den sofortigen Ruckzug befehlen wurde. Oder schlimmer noch: da? er in voller Fahrt in den Hafen einlaufen wolle, wo der Feind ihr Schiff in aller Ruhe zum Wrack schie?en konnte.

«Wir werden vorm Bug des Feindes vorbeilaufen, Sir. «Er hielt den Blick auf das fuhrende Schiff gerichtet. Wenn jetzt Anzeichen erkennbar wurden, da? der Feind mehr Segel setzte, dann mu?te es fur die Hyperion zu spat sein. Es bedeutete entweder eine Kollision, oder er mu?te halsen und sein ungeschutztes Heck der Breitseite der Franzosen aussetzen.
        Pelham-Martin nickte.»Und dann in die Bucht?»

«Nein, Sir. «Er drehte sich heftig um.»Einen Strich nach Steuerbord, Mr. Gossett! Ruhiger fuhr er fort:»Wir werden halsen, sobald wir an dem fuhrenden Schiff vorbei sind, und gegen seine Backbordseite Feuer eroffnen. «Er beobachtete die verheerende Wirkung, die seine Worte auf dem Gesicht des Kommodore auslosten.»Wenn wir Gluck haben, konnen wir dann an seinem Heck vorbei und zwischen beiden Schiffen durchsto?en. Das bedeutet zwar, da? wir die Luvposition verlieren, aber wir konnen dabei beiden eine Lektion erteilen. «Er grinste und spurte, da? ihm die Lippen trocken wurden. Aber Pelham-Martin mu?te doch begreifen! Wenn er versuchte, das Manover mitten in der Ausfuhrung abzubrechen, wurde das katastrophale Folgen haben.
        Wieder sah er zu den franzosischen Schiffen hinuber. Jetzt trennte nur noch eine halbe Meile das fuhrende von seinen Geschutzen. Es mu?te in jedem Fall eine Katastrophe werden, wenn der Feind ihn mit seiner ersten Salve entmasten sollte.
        Die franzosische Fregatte lag noch vor Anker; im Glas konnte Bolitho beobachten, wie ihre Boote zwischen Schiff und Landzunge hin und her jagten, und als er auf dem Gipfel der Anhohe Rauch aufsteigen sah, wu?te er, da? die zweite Explosion von einer Art Mine hergeruhrt hatte, als die Batteriestellung oder ein Magazin gesprengt worden waren.
        Er spurte Pelham-Martins Hand auf seinem Arm.»Sir?»
        Der Kommodore sagte:»Signal an Abdiel. Die Fregatte soll angreifen!«Er schuttelte sich unter seinem schweren Mantel.»Nun?»

«Ich schlage vor, da? sie in Luv bleibt, Sir, bis wir mit dem Angriff beginnen. Wenn sie nur einen Moment den Verdacht haben, da? wir nicht im Hafen Schutz suchen wollen, werden sie uns ausmanovrieren.»

«Ja. «Pelham-Martin fixierte einen Punkt uber der Landzunge.»Ganz richtig.»
        Bolitho ri? sich los und eilte auf die andere Seite, um das fuhrende Schiff zu beobachten. Plotzlich dachte er an etwas, das Winstan-ley ihm gesagt hatte, als er zum erstenmal an Bord der Indomitable gegangen war, um sich bei dem Kommodore zu melden.»Er wird Sie brauchen, ehe wir fertig sind. «Als Pelham-Martins dienstaltester Kapitan mu?te er dessen Schwachen besser kennen als jeder andere. Zweifellos verdankte der Kommodore seinen jetzigen Rang guten Beziehungen; oder vielleicht hatte er auch nur das Pech gehabt, fur den Posten im rechten Moment verfugbar zu sein, obwohl er nicht die Erfahrung besa?, welche die Aufgabe erforderte.
        Ein dumpfer Knall hallte uber das Wasser, und Bolitho sah nach oben, wo plotzlich ein rundes Loch im Vormarssegel klaffte. Der Franzose hatte ein Buggeschutz abgefeuert, um sich auf die Entfernung einzuschie?en. Bolitho drehte sich um und beobachtete, wie weit drau?en in Luv eine dunne Fontane aus der See stieg.
        Er sagte:»Unterrichten Sie das untere Geschutzdeck von meinen Absichten, Mr. Inch.
«Als ein Midshipman zum Niedergang rannte, schnauzte er:»Langsam gehen, Mr. Penrose!«Der Junge drehte sich um und wurde rot.»Vielleicht beobachtet ein Franzose im Teleskop, was Sie tun. Lassen Sie sich also Zeit.»
        Wieder ertonte ein Knall, und diesmal schlug das Gescho? an Backbord ein und schleuderte Spruhwasser hoch uber die Netze, so da? sich einige Leute bei den Vorsegelschoten erschreckt duckten.
        Bolitho rief:»Sorgen Sie dafur, da? die Manner auf dem Hauptdeck au?er Sicht bleiben, Mr. Stepkyne. Wir werden gleich halsen, aber ich will nicht, da? auch nur ein einziger Mann eine Hand ruhrt, ehe ich den Befehl gebe.»
        Er sah Stepkyne nicken und wendete seine Aufmerksamkeit wieder dem Feind zu. Er fragte sich, was Pascoe wohl auf seiner Station im unteren Geschutzdeck tat, und wurde hin- und hergerissen von dem Wunsch, ihn in der Nahe zu haben, ihn andererseits aber unten, hinter dem zusatzlichen Schutz der dicken Planken zu lassen.
        Merkwurdigerweise waren es im allgemeinen die alteren Leute, denen das Warten besonders schwerfiel, dachte er. Die jungeren oder die Neulinge waren zu beeindruckt oder zu verangstigt, um noch klar zu denken. Erst wenn alles voruber und der Larm und der Anblick aus dem Gedachtnis verdrangt waren, dachten sie an den nachsten Einsatz und den, der darauf folgen wurde.
        Das nachste Gescho? des Franzosen traf das Bootsdeck, hob die Barkasse formlich aus ihrer Halterung und fullte die Luft mit Splittern. Hinter dem Steuerbord-Schanzkleid sturzten drei Leute um sich schlagend und schreiend auf das Deck. Einer von ihnen war von einem langen Holzsplitter beinahe durchbohrt.
        Bolitho rief:»Mehr Leute an die Luvbrassen, Mr. Stepkyne!«Er sah, wie der Leutnant den Mund offnete, um zu erwidern, doch dann wendete er sich mit wutendem Gesicht ab und gab den Befehl weiter.
        Bis ein weiteres Gescho? in die Bordwand einschlug, fand Bo-litho Zeit fur Verstandnis und Mitgefuhl mit Stepkynes Verargerung. Diese sorgfaltig gezielten Schusse hinzunehmen, ohne das
        Feuer zu erwidern, war fast mehr, als jemand ertragen konnte. Doch wenn er Gegenwehr zulie?, mochte der franzosische Kommandant seine wahren Absichten sofort durchschauen und hatte noch Zeit, seinen Kurs zu andern.
        Gossett knurrte:»Die Froschfresser segeln so dicht am Wind, wie sie nur konnen, Sir. «Er fluchte, als ein Gescho? uber die Netze jaulte und weit querab einschlug. Wenn er versucht, uber Stag zu gehen, gerat er bald in die Klemme.»
        Bolitho sah, wie die verwundeten Matrosen zum Hauptniedergang geschafft wurden; eine Blutspur markierte jeden Fu? des Wegs. An den Geschutzen drehten sich ein paar Kanoniere mit erstarrten Gesichtern nach ihnen um.
        Naher und naher kamen sich die Schiffe, bis der fuhrende feindliche Zweidecker nur noch eine Kabellange vom Backbordbug der Hyperion entfernt war.
        Bolitho pre?te die Hande hinter dem Rucken zusammen, bis der Schmerz wieder Ordnung in seine rasenden Gedanken brachte. Jetzt konnte er nicht langer warten. Jeder Augenblick mochte ein gutgezieltes Gescho? oder ein Zufallstreffer einen entscheidenden Schaden im Rigg anrichten oder sein Schiff manovrierunfahig machen, ehe er seine Drehung ausfuhren konnte.
        Ohne Gossett anzusehen, befahl er scharf:»Ruder hart Backbord!«Als das Rad sich knarrend zu drehen begann, legte er die Hande als Trichter an den Mund und schrie: Klar zur Halse! Alle Mann an die Schoten, Halsen und Brassen!»
        Er sah die gro?en Schatten der Segel uber die kauernden Kanoniere streichen, horte das Winseln der Blocke und das wilde Stampfen nackter Fu?e, als die Matrosen sich in die Taue warfen und sich das Schiff dann langsam dem Franzosen zuzuwenden begann.
        Ein, zwei Sekunden dachte Bolitho, er hatte zu fruh gehandelt und beide Schiffe wurden vierkant zusammensto?en. Doch als die Rahen zur Ruhe kamen, die Leinwand oben sich wieder fullte, sah er den anderen Zweidecker an Backbord voruberziehen. Seine Masten befanden sich fast in einer Linie. Wie Gossett schon bemerkt hatte, konnte der Feind nicht wieder in die bessere Position kommen, ohne direkt in den Wind zu drehen, aber er konnte auch nicht abfallen, falls der Kommandant sein ungeschutztes Heck nicht der Breitseite der Hyperion aussetzen wollte.
        Bolitho brullte:»Volle Breitseite, Mr. Stepkyne!»
        Er sah die Stuckfuhrer sich an ihren Geschutzen ducken, die Abzugsleinen gespannt, wahrend sie durch die offenen Pforten spahten und ihre Bedienungen bereitstanden, die Rohre mit Handspaken zu schwenken oder zu heben, wenn es erforderlich war.
        Ein Gescho? schlug durch die Backbordgangway, und ein Mann schrie wie ein gepeinigtes Tier auf. Doch Bolitho horte es kaum. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er das naherkommende Schiff. Die Leute um ihn herum und der Kommodore waren vergessen, als er sah, wie die Bramsegel seiner Hyperion ein verzerrtes Schattenmuster uber den Bug des Franzosen warfen.
        Er hob die Hand.»Auf dem Hohepunkt…«Er machte eine Pause, seine Kehle war trocken wie hei?er Sand.»Feuer!»
        Die Breitseite der Hyperion krachte laut wie hundert Donnerschlage, und wahrend das ganze Schiff bebte, als ob es aufgelaufen ware, wurde der Rumpf des Feindes von aufwallendem Pulverqualm vollig verhullt.
        Jenseits des nur funfzig Meter breiten Wasserstreifens mu?te die Breitseite wie eine Lawine gewirkt haben. Bolitho konnte sehen, da? Manner den Mund aufrissen und brullten, aber horen konnte er noch nichts. Das scharfere, ohrenbetaubende Krachen der Neun-pfunder auf dem Achterdeck hatte Denken und Horen fast unertraglich schmerzhaft gemacht. Dann sah er uber dem aufsteigenden Pulverrauch, da? die Rahen des franzosischen Schiffs unkontrolliert uberkamen und die Obersegel im entgegenstehenden Wind wild schlugen.
        Als er wieder horen konnte, vernahm er das Triumphgeschrei seiner Stuckfuhrer. Dann sah er Dawsons Marinesoldaten zu den Finknetzen gehen, die langen Musketen wie bei der Parade geschultert. Als Dawsons den Degen senkte, feuerten die Musketen wie eine einzige, und die Kugeln flogen durch den Rauch, um zur allgemeinen Verwirrung an Bord des Feindes beizutragen.
        Stepkyne kam auf dem Hauptdeck nach achtern und fuchtelte mit den Handen, als ob er seine Leute zuruckhalten wolle.»Zundlocher verschlie?en! Auswischen!«Er blieb stehen und schlug den Arm eines Mannes zuruck.»Auswischen, habe ich befohlen, verdammter Kerl!«Er packte einen Matrosen am Handgelenk.»Soll dir das
        Ding vor der Nase explodieren?«Dann schritt er weiter.»Beeilung! Laden und ausrennen!»
        An jeder Kanone arbeiteten die Leute wie in Trance. Ihnen war nur noch der Drill im Bewu?tsein, den sie unter den wachsamen Augen ihrer Geschutzfuhrer gelernt hatten.
        Bolitho rief:»Einzelfeuer!«Wurgend und hustend trat er zuruck, als die Geschutze wieder aufbrullten, Qualm und Flammen spieen und das Wasser zwischen den beiden Fahrzeugen zu nachtlicher Finsternis verdunkelten.
        Dann feuerte das franzosische Schiff. Das Mundungsfeuer seiner Breitseite lief vom Bug bis zum Heck wie eine Doppelreihe gelbroter Flammenzungen.
        Bolitho spurte, wie die Kugeln heulend durch Wanten, Tauwerk und Segel fuhren, und nahm den harteren, polternden Schlag wahr, mit dem einige sich tief in den Rumpf selbst gruben.
        Ein Matrose fiel, anscheinend unverletzt, durch den Rauch aus dem Gro?mast und prallte zweimal von den ausgespannten Netzen ab, ehe er leblos uber Bord sturzte.
        Das Brullen eines Geschutzfuhrers hinter Bolitho ubertonte das donnernde Kanonenfeuer und das gelegentliche Knattern der Musketen. Seine Augen funkelten wei? in dem vom Pulverdampf geschwarzten Gesicht, als er seine Leute an den Taljen antrieb.

«Ausrennen, ihr lahmen Kruppel! Wir werden's denen schon beibringen.»
        Dann ri? er an der Abzugsleine, und der Neunpfunder, vom Rucksto? binnenbords geschleudert, spuckte Rauch aus seiner schwarzen Mundung; schon sturzten die Kanoniere sich wieder auf ihn, um auszuwischen und neu zu laden.
        Durch den treibenden Rauchvorhang rannten die Pulveraffchen, lie?en ihre Ladungen fallen und taumelten, fast ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen, zur Luke zuruck.
        Pelham-Martin stand nach wie vor an der Reling. Sein schwerer Mantel war fleckig von Pulverasche und abgesplitterter Farbe. Er starrte zu den Masten des franzosischen Schiffs hinauf, von der Nahe des Todes anscheinend hypnotisiert, wahrend Musketenkugeln um ihn herum auf das Deck hammerten und ein Matrose, dessen Schreie das ihm aus dem Mund schie?ende Blut erstickten, den Niedergang hinabgeschleudert wurde.
        Inch rief:»Wir sind bald vorbei, Sir!«Seine Augen tranten, wahrend er durch den Qualm spahte und nach dem zweiten franzosischen Schiff suchte. Dann deutete er mit wilden Gesten, seine Zahne leuchteten wei? in dem schmutzigen Gesicht.»Ihr Besan fallt!«Er drehte sich nach Gossett um, ob der ihn auch gehort hatte.»Jetzt fallt er!»
        Tatsachlich begann der Besanmast des Franzosen zu fallen. Ein Gluckstreffer mu?te etwa zehn Fu? uber dem Deck eingeschlagen sein, denn noch als Bolitho sich am Netz festklammerte, um besser zu sehen, rissen Wanten und Pardunen wie Bindfaden, Spieren und wild flatternde Leinwand schwankten, pendelten einen Augenblick in einem unentwirrbaren Knauel, ehe sie in den Rauch hinabsturzten.
        Doch der Feind scho? nach wie vor, und als Bolitho angespannt nach oben spahte, stellte er fest, da? von den Marssegeln der Hyperion kaum Fetzen vorhanden waren. Noch wahrend er hinaufsah, beobachtete er, wie das Gro?bramstag mit einem Knall ri?, und als Matrosen auf enterten, um ein anderes an seiner Stelle anzusplei-?en, fielen sie tot oder verwundet auf die Netze herab, da die versteckten franzosischen Scharfschutzen ihr morderisches Feuer auch durch den Qualm aufrechterhielten.
        Der zerschossene Besanmast mu?te dicht neben dem Achterschiff des Feindes ins Wasser gefallen sein, denn obwohl die langen, orangefarbenen Zungen weiter durch den Rauch stie?en und einer von Bolithos Zwolfpfundern wie trunken schwankte, ehe er im Sturz zwei Manner seiner Bedienung erschlug, verkurzte sich der verschwommene Umri? des franzosischen Schiffs; langsam, aber unaufhaltsam begann es abzudrehen.
        Gossett schrie mit rauher Stimme:»Der Besan mu? als Treibanker wirken. «Er schlug einem seiner Ruderganger auf die Schulter.»Wei? Gott, wir konnen noch hoffen.»
        Bolitho verstand, was er sagen wollte. Er rannte zur Reling und suchte nach der scharlachroten Uniform von Leutnant Hicks auf dem Vorschiff. Er wu?te: Sobald der Feind den nachschleppenden Besanmast gekappt hatte, war er wieder kampffahig.
        Er ri? Inchs Sprachrohr an sich und schrie:»Die Backbordkarronade - Feuer!»
        Er glaubte zu sehen, da? der Leutnant der Marinesoldaten mit dem Hut winkte, doch in diesem Augenblick feuerte der Feind eine weitere ungeregelte Breitseite ab; manche Kugeln schlugen durch offene Stuckpforten, andere hammerten in den Rumpf oder flogen wie heulende Damonen uber das Deck hinweg.
        Durch das Leichentuch des Rauchs horte er eine drohnende Detonation und spurte ihr Nachbeben vom Bug bis zum Heck, als die niedrige, schwere Karronade ihre gewaltige Ladung von achtundsechzig Pfund gegen das Heck des Feindes schleuderte.
        Als ein leichter Windsto? den Rauch beiseite schob, sah Bolitho die schwere Kugel druben explodieren. Hicks war zu eifrig gewesen oder zu aufgeregt, denn statt durch die Heckfenster des Feindes und die ganze Lange seines unteren Geschutzdecks zu fliegen, hatte sie das Achterdeck dicht unterhalb der Netze getroffen. Es folgte ein greller Blitz, als die Kugel barst und ihre enggepackte Schrapnell-Ladung freigab; er horte entsetztes Gebrull, wahrend zugleich ein gro?er Teil des Schanzkleids fortgerissen wurde.
        Gossett brummte:»Das zeigt es ihnen. Der alte Kracher nimmt ihnen die Luft!»
        Bolitho sagte:»Die Ruderanlage ist getroffen, oder der Schu? hat den gro?ten Teil ihrer Offiziere erwischt. «Er spurte, da? eine Musketenkugel an seinem Hemd zupfte, aber nicht mehr Wirkung erzielte als die Beruhrung eines Kindes. Doch ein Matrose hinter ihm stie? einen Todesschrei aus und walzte sich von seinem Geschutz fort, die Hande gegen den Leib gepre?t, wahrend sein Blut uber die Planken und seine umstehenden Kameraden spritzte.
        Das ganze Schiff schien von morderischem Wahnsinn gepackt zu sein. Die Kanoniere arbeiteten wildblickend und so benommen vom Schlachtenlarm und den grauenvollen Schreien der Verletzten, da? die meisten jeden Sinn fur Zeit oder Vernunft verloren hatten. Manche Stuckfuhrer mu?ten mit den Fausten zuschlagen, um ihre Leute durch die endlose Routine des Ladens, Ausrennens und Ab-feuerns zu treiben, weil sie sonst auf das leere Meer geschossen oder ihre Kanone ungeladen durch die Pforte geschoben hatten.

«Feuer einstellen!«Bolitho packte die Reling und wartete, als die letzten Schusse von der unteren Batterie heraufdrohnten. Das franzosische Schiff war im wallenden Qualm fast verschwunden. Nur seine Bramsegel ragten noch uber den Rauchvorhang auf.
        Inch sagte zwischen zusammengebissenen Zahnen:»Der zweite Franzose fallt ab, Sir.»
        Bolitho nickte. Er beobachtete, wie die Rahen des Zweideckers herumschwangen und das Schiff langsam nach Steuerbord abdrehte. Die Hyperion hatte bereits zu ihrer zweiten Drehung angesetzt, doch statt zwischen den beiden Schiffen hindurchzusto?en, wurde sie jetzt - wenn der Franzose seinen neuen Kurs beibehielt - mit dem Feind parallel laufen. Uber Bolitho hoben sich die zerrissenen Segel und knatterten in einem plotzlichen Windsto?, und mit muder Wurde legte die Hyperion sich auf die Seite und nahm dann ihren neuen Kurs auf, vom Lande fort.
        Bolitho rief:»Steuerbordbatterie klar zum Feuern!«Er sah Step-kyne einigen Leuten auf der anderen Seite heftig zuwinken und sie an die Steuerbordgeschutze befehlen.
        Pelham-Martin hob eine Hand zum Gesicht und starrte dann seine Finger an, als ob es ihn uberrasche, da? er noch lebte. Zu Bo-litho sagte er mit gepre?tem Murmeln: Die werden nicht so lange warten, ehe sie das Feuer erwidern.»
        Bolitho sah ihn fest an.»Abwarten, Sir.»
        Dann fuhr er herum, als von neuem Geschutzdonner durch die Rauchschwaden drang; vermutlich hatte die Abdiel den Kampf mit der feindlichen Fregatte aufgenommen.
        Inch rief:»Wir uberholen sie, Sir.»
        Trotz ihrer zerfetzten Segel schaffte es die alte Hyperion. Vielleicht hatte der franzosische Kommandant zu lange gewartet, bis er die Segel auffierte, oder vielleicht hatte er sich auch nicht vorstellen konnen, da? sich ein einzelner Zweidecker nach diesem ersten harten Gefecht noch einmal zum Kampf stellte. Der Kluverbaum passierte bereits das Achterschiff des Franzosen in kaum drei?ig Meter Abstand. Uber der vertrauten Hufeisenform des Heckfensters mit seinen vergoldeten Verzierungen und dem Namen Emeraude konnte Bolitho das Sonnenlicht auf gerichteten Waffen funkeln sehen und gelegentlich einen Musketenschu? horen. Doch unter ihrem Heck entstand zunehmend Gischt, und er sah, wie sich das Schiff etwas auf die Seite legte, den Wind in den geblahten Segeln fing und mit zunehmender Geschwindigkeit davonglitt.
        Inch knurrte:»Die holen wir nicht ein, Sir. Wenn sie wieder in
        Luvposition kommen, konnen sie sich gegen uns wenden und das andere Schiff decken, bis es wieder gefechtsbereit ist.»
        Bolitho ignorierte ihn.»Mr. Gossett - Backbordruder!«Er hob die Hand.»Still jetzt! Achtung!«Er sah, da? der Bugspriet der Hyperion sich ganz leicht windwarts drehte, so da? sie fur wenige Augenblicke dem Heck des franzosischen Schiffs ihre volle Breitseite zeigte.

«Feuer frei, Mr. Stepkyne!«Er ri? die Faust scharf nach unten.»Jetzt!»
        Stepkyne hastete das Hauptdeck entlang und verharrte bei jedem Geschutzfuhrer gerade lange genug, um den Feind durch die Stuckpforte zu beobachten.
        Aus der Bordwand der Hyperion feuerten die Geschutze, immer zwei und zwei, schmetterten die Kugeln in einem gelassenen und erbarmungslosen Bombardement in das Heck und die Wasserlinie des Feindes.
        Doch jemand an Bord der Emeraude behielt offenbar klaren Kopf, denn sie luvte bereits an, drehte sich, um gegen den Angreifer in Position zu kommen, und lief dann wieder parallel zu ihm.
        Dann scho? sie, und auf der Steuerbordseite der Hyperion schlug die eiserne Faust ein, donnerte in die schweren Planken oder fuhr jaulend durch die Geschutzpforten und brachte Tod und Chaos uber die zusammengedrangten Manner unter Deck.
        Durch den Rauch konnte Bolitho die Maststengen des ersten Schiffs wahrnehmen, den hell zungelnden Wimpel im Masttopp, als sie uber Stag ging und sich wieder dem Gegner zuwandte. Ihre Buggeschutze bellten bereits bosartig, obwohl es unmoglich zu erkennen war, ob die Schusse trafen oder uber ihr Ziel hinausflogen und auf ihrem Verbundeten einschlugen.
        Pelham-Martin schrie:»Wenn sie dichter herankommt, dann schlagen sie von beiden Seiten auf uns ein!«Er fuhr mit wilden Augen herum.»Warum, bei allen Heiligen, habe ich nur auf Sie gehort?»
        Bolitho fing einen Matrosen auf, der vom Netz zurucktaumelte und dem das Blut bereits aus der Brust stromte. Er fuhr einen bleichen Midshipman an:»Hier, Mr. Penrose, helfen Sie diesem Mann aufs Hauptdeck!»
        Inch war wieder an seiner Seite.»Der hier halt sich nur zuruck, bis auch sein Kampfgefahrte da ist. «Er zuckte zusammen, als eine Kugel eine tiefe Furche in die Steuerbordgangway ri? und einen bereits verstummelten Toten zur Seite schleuderte.

«Falls wir es ihm erlauben, Mr. Inch. «Bolitho deutete auf den Bug des anderen Schiffs.»Steuerbordruder! Wir werden ihn zwingen, an uns heranzukommen.»
        Sehr langsam, denn ihre Segel bestanden fast nur noch aus Fetzen, reagierte die Hyperion auf den Druck des Ruders. Weiter und weiter schwang sie herum, bis ihr Bugspriet hoch uber das Deck des Feindes zu ragen schien, als ob sie geradewegs durch seine Fockwanten fahren wollten.
        Stumm beobachtete Inch, wie die Kanonen auf dem Hauptdeck an ihren Taljen wieder binnenbords geschleudert wurden. Die Gestalten um sie herum hasteten durch den dichten Rauch, die nackten Korper schwarz vom Pulver und glanzend vor Schwei?, wahrend sie sich bemuhten, ihren Offizieren zu gehorchen.
        Doch die Salven fielen unregelma?iger und weniger gut gezielt, und der Abstand zwischen den einzelnen Schussen wurde langer. Im Vergleich dazu schien der Feind schneller und genauer zu schie?en; die Netze uber Bolithos Kanonieren schwankten wild unter abgerissenem Tauwerk und zerfetzter Leinwand. Und auch mehr als ein Dutzend Korper waren uber die Netze verstreut. Manche schlaff und kraftlos, andere zuckend und aufschreiend wie gefangene Vogel, wahrend sie ungehort und unbeachtet starben.
        Hauptmann Dawson winkte mit seinem Degen und schrie zu seinen Leuten in den Masten hinauf. Die Marinesoldaten feuerten so schnell wie bisher, und hier und dort sturzte ein Mann aus der Takelage des Feindes, als Beweis fur ihre Treffsicherheit. Wenn einer der britischen Marinesoldaten tot oder verwundet ausfiel, trat ein anderer an seine Stelle, und Munro, der riesige Sergeant, gab brullend den Takt beim Laden und Zielen an, fuchtelte dazu mit seinem Sabel, wie Bolitho es beim taglichen Drill an ihm gesehen hatte, seit sie aus Plymouth ausgelaufen waren.
        Der franzosische Kommandant schien nicht bereit zu sein, diese neuerliche Herausforderung anzunehmen; er steuerte sein Schiff mit herumschwingenden Rahen wieder fort, bis er den Wind genau von achtern hatte.
        Hicks hatte seine andere Karronade abgefeuert, doch wieder war es ein klaglicher Schu?. Er traf die Bordwand des Feindes, die Kugel barst unter den Stuckpforten des Hauptdecks und hinterlie? ein gezacktes Loch in Form eines riesigen Sterns.
        Bolitho blickte zu seinen eigenen Leuten hinunter und bi? sich auf die Lippe, bis sie beinahe blutete. Der Mut begann sie zu verlassen. Sie hatten sich besser gehalten und besser gekampft, als er zu hoffen gewagt hatte, aber es konnte nicht mehr lange so weitergehen.
        Ein Chor lauter Stimmen veranla?te ihn, aufzublicken; starr vor Entsetzen, sah er die Gro?bramstenge mit Rah und Segel schwanken und sich dann wie trunken nach Backbord neigen, ehe sie, Segel und Manner wegfegend, auf Deck sturzte.
        Uber dem Larm horte er Tomlins laute Stimme, sah Axte in der Sonne blinken und beobachtete wie im Traum einen nackten Matrosen, der, nur einen Streifen Leinwand um die Huften, irren Blicks auf die Gro?wanten zuraste und wie ein Affe in die Webeleinen auf enterte. Pelham-Martins Stander flatterte hinter ihm her, als er auf den Mast hinaufkletterte, um den gefallenen Wimpel zu ersetzen.
        Der Kommodore murmelte mit belegter Stimme:»Mein Gott, o du barmherziger Gott.»
        Schwerfallig glitt die zersplitterte Spiere uber die Gangway und sturzte neben der Bordwand hinab. Ein toter Toppgast hatte sich in den Resten des Riggs verfangen, den Mund in einem letzten Fluch oder Protestschrei noch weit geoffnet.
        Midshipman Gascoigne band sich einen Fetzen ums Handgelenk. Sein Gesicht war bla?, aber entschlossen, wahrend er beobachtete, wie ihm das Blut uber die Finger rann. Mitten zwischen Qualm und Tod, Blutlachen und winselnden Verwundeten schien nur PelhamMartin unverletzt und unberuhrt zu sein. In seinem schweren Mantel wirkte er mehr wie ein Felsbrocken als wie ein menschliches Wesen, und sein Gesicht war eine Maske, die wenig uber den Mann selbst verriet.
        Vielleicht war er uber Angst oder Resignation schon hinaus, dachte Bolitho dumpf. Unfahig, sich zu ruhren, stand er nur da und wartete auf das Ende seiner Hoffnungen, die Vernichtung seiner selbst und aller um ihn herum.
        Bolitho erstarrte, als aus dem Achterdecksniedergang eine Gestalt auftauchte und uber einen ausgestreckten Marinesoldaten wegstieg. Es war Midshipman Pascoe mit bis zum Gurtel offenstehendem Hemd. Das Haar klebte ihm in der Stirn, und er sah sich um, wohl benommen von den blutigen Opfern und dem Durcheinander. Dann hob er entschlossen das Kinn und kam zur Achterdecksleiter.
        Inch sah ihn und schrie ihm entgegen:»Was gibt's?»
        Pascoe antwortete:»Mr. Beauclerks Respekt, Sir, und er la?t Ihnen mitteilen, da? Mr. Lang verwundet worden ist.»
        Beauclerk war der Funfte und jungste Offizier. Es ware zuviel von ihm verlangt gewesen, die drei?ig Vierundzwanzigpfunder zu kommandieren.
        Bolitho befahl laut:»Mr. Roth! Sie ubernehmen unten das Kommando!»
        Als der Leutnant zum Niedergang lief, winkte Bolitho den Mids-hipman heran.»Alles in Ordnung, Junge?»
        Pascoe sah ihn mit leerem Blick an und strich sich das Haar aus den Augen.»Aye, Sir. «Er schauderte, als ob ihm plotzlich eiskalt ware.»Ich glaube, ja.»
        Eine Musketenkugel, die ihre Kraft verbraucht hatte, fiel vor seinen Fu?en aufs Deck, und er ware gesturzt, wenn Bolitho nicht zugegriffen hatte.

«Bleib hier, Junge. «Bolitho hielt seinen Arm, spurte seine Magerkeit und die klamme Kalte der Angst.
        Pascoe sah sich um, seine Augen leuchteten sehr hell.»Ist es fast voruber, Sir?»
        Oben ri? wieder ein Fall, und ein schwerer Block fiel klappernd auf den Verschlu? eines Geschutzes. Ein Seemann schrie im dichten Rauch auf, fluchte und stammelte sinnlose Worter, bis das Geschutz feuerte und er sich wieder in seine Umgebung einfugte.
        Bolitho zog den Jungen zu den Netzen.»Noch nicht, mein Sohn, noch nicht. «Grinsend zeigte er die Zahne, um seine Verzweiflung zu verbergen. In wenigen Augenblicken wurden sie den beiden Schiffen wieder auf kurze Entfernung gegenuberstehen. Gleichgultig, welchen Schaden sie ihnen zufugen konnten, das Ende war unausweichlich.

«Captain, Sir!«Inch kam durch den Qualm auf ihn zu.»Der
        Feind dreht ab!«Er deutete aufgeregt hinuber.»Sehen Sie doch, Sir, sie setzen beide mehr Segel!»
        Bolitho kletterte in die Besanwanten, seine Glieder waren schwer wie Blei. Aber es stimmte: Beide Schiffe drehten ab und nahmen bei dem achterlichen Wind schnell Fahrt auf. Der Rauch wirbelte hinter ihnen hoch wie aus dem Wasser aufsteigender Dunst.
        In einem Streifen Sonnenlicht sah er, da? auch die franzosische Fregatte mit rundgebra?ten Rahen ablief. Ihre durchlocherten und geschwarzten Segel zeugten vom Einsatz der Abdiel.
        Er packte ein Glas und richtete es uber das Achterdeck auf die Abdiel, die zogernd durch den Rauchvorhang stie?. Ihre Masten waren alle unversehrt, aber ihr Rumpf war an mehreren Stellen beschadigt.
        Bolitho schwenkte mit dem Glas von der kleinen Fregatte ab, und als er uber eine geschwungene, grune Halbinsel hinausblickte, glaubte er einen Augenblick, er habe den Verstand verloren.
        Dort kam ein weiteres Schiff um die Landzunge. Seine Segel schimmerten wei? in der Morgensonne, seine hohe Bordwand warf die tanzenden Reflexe der Wellen zuruck, als es majestatisch durch den Wind ging und Kurs auf die Hyperion nahm.
        Pelham-Martins Stimme zitterte.»Wer ist das?»
        Die Kanoniere der Hyperion verlie?en bereits ihre hei?geschossenen Geschutze, standen auf den Gangways und starrten zu dem stattlichen Neuankommling hinuber. Als dann die Besatzung der Abdiel zu jubeln begann, stimmten die Matrosen der Hyperion so laut ein, da? sogar die Schreie der Verwundeten ubertont wurden.
        Bolitho beobachtete das Schiff. Er konnte die lange, dreifarbige Flagge an ihrer Gaffel auswehen sehen, die schmucken, vergoldeten Schnitzereien an der Hutte. Er sagte sich, da? die Hyperion zwar alt war, da? dies aber das alteste Schiff war, das ihm je vor Augen gekommen war.
        Langsam antwortete er:»Das ist ein Hollander. «Er setzte das Glas ab und fugte hinzu:»Was befehlen Sie, Sir?»
        Pelham-Martin beobachtete das hollandische Schiff, als es noch einmal uber Stag ging und dann gemachlich in Lee hinter der Hyperion vorbeisegelte.

«Befehlen?«Er schien sich zusammenzurei?en.»In den Hafen einlaufen!»

«Signal an Abdiel, Mr. Gascoigne: In die Bucht einlaufen und unverzuglich ankern«, befahl Bolitho. Er ging auf die andere Seite des Achterdecks. Der Jubel hallte ihm in die Ohren, aber sein Kopf war noch benommen von der Nahe des Todes.
        Inch sah Midshipman Pascoe an und schuttelte den Kopf.»Merken Sie sich diesen Morgen gut. Was Sie auch spater tun oder erreichen werden, einem Mann wie ihm werden Sie nie wieder begegnen. «Dann trat er an die Reling, um die ubriggebliebenen Toppsgasten zusammenzurufen.
        Bolitho horte Inchs Worte nicht, er sah auch nicht den Ausdruck in den Augen des Jungen. Er beobachtete das fremde, veraltete Linienschiff, das wieder uber Stag ging, um sie in die Bucht zu geleiten. Wenn es nicht gekommen ware… Er hielt inne und blickte auf seine Uhr. Einen Augenblick glaubte er, sie ware stehengeblieben, doch nach einem weiteren Blick aufs Zifferblatt schob er sie wieder in die Tasche. Eine Stunde, langer hatte es nicht gedauert. Doch ihm kam es vor, als waren Sie zehnmal so lang im Gefecht gewesen. Er zwang sich, zum Hauptdeck hinunterzublicken, wo der Arzt mit seinen blutbefleckten Helfern die noch nicht betreuten Verwundeten einsammelte. Wie lange mu?te es erst seinen Leuten vorgekommen sein?
        Mit einem Seufzer schob er seinen erschopften Korper von der Reling fort und wandte sich der Hutte zu. Er bemerkte den Jungen, der ihn beobachtete, in den Augen tiefe Verwunderung.

«Wie Sie sehen, Mr. Pascoe, kann man des Ausgangs nie sicher sein. «Lachelnd ging er nach achtern, um mit dem Kommodore zu sprechen.
        Als er an den Neunpfundern in Luv vorbeikam, traten die Kanoniere grinsend zuruck und winkten ihm. Er spurte das starre Lacheln auf seinen Lippen und lauschte auf die eigene Stimme, die ihren erregten Ausrufen antwortete, wie jemand, der neben sich selbst steht; ein Zuschauer.
        Doch als er die Hutte erreicht hatte und sein Schiff in seiner ganzen Lange uberblickte, spurte er noch etwas. Es mochte vom Kampf zernarbt und blutig sein, aber es war unbesiegt. Trotz aller Beschadigungen und Verstummelungen, trotz des schrecklichen Larms und der nervenzerfetzenden Einschlage, war ihm etwas Gutes geschehen.
        Es war nicht mehr nur ein Schiff mit zusammengewurfelter Mannschaft. Zum Guten oder Bosen war es eins mit den Menschen geworden, die auf ihm dienten. Als hatte die kurze wilde Schlacht alle zu einer Einheit zusammengeschwei?t, die ein einziges Ziel verfolgten: zu uberleben.
        Er sah den Arzt auf sich zukommen und stahlte sich fur das, was vor ihm lag. Menschen waren im Sonnenlicht dieses Morgens gestorben. Wie viele, das wu?te er noch nicht.
        Als er zu den zerfetzten Segeln und gesplitterten Spieren aufblickte, empfand er diesen unbekannten Toten gegenuber eine seltsame Dankbarkeit. Seine Aufgabe wurde es sein, dafur zu sorgen, da? ihr Opfer nicht vergeblich gebracht worden war.



        VIII Neuigkeiten fur den Kommodore

        Der Marinesoldat salutierte stramm, als Bolitho in die Achterkajute trat und die Tur hinter sich schlo?. Alle Fenster waren weit geoffnet, und Decke und Wande waren mit Reflexen des bewegten Wassers drau?en bedeckt. Die Hyperion rollte geruhsam vor Anker, und wenn er durch eines der Heckfenster blickte, sah er die nahe Halbinsel in der hei?en Luft flimmern: grun, friedlich und ein starker Kontrast zu dem Anblick, den er auf dem Oberdeck gerade hinter sich gelassen hatte.
        Durch die offene Tur zum Schlafraum horte er Pelham-Martin rufen:»Nun, was haben Sie mir zu melden?»
        Bolitho stutzte sich auf den Schreibtisch und starrte mit leerem Blick auf das klare Wasser unterm Heck.»Zwanzig Tote, Sir. Zwanzig weitere schwerverwundet. «Es schien ihm wenig sinnvoll, die anderen zu erwahnen: die mit Fleisch wunden und Verbrennungen, oder jene, die taub geworden waren, vielleicht fur immer.

«Verstehe. «Es war zu horen, wie Kisten uber den Boden der Kajute geschleift wurden, und dann trat Pelham-Martin mit schweren Schritten in die Reflexe des Sonnenlichts.»Was ist mit den Verwundeten? Werden sie sich erholen?»
        Bolitho konnte ihn nur stumm anstarren. Die Hyperion hatte vor weniger als drei?ig Minuten Anker geworfen, und wahrend er das Zuwasserlassen der Boote uberwacht und das Ausma? der Schaden am Rumpf und in der Takelage abgeschatzt hatte, hatte sich der
        Kommodore anscheinend mit mehr personlichen Problemen befa?t. Er trug seinen Paraderock, und sein wei?es Hemd und seine wei?en Breecheshosen sahen aus, als ob sie gerade vom Schneider gekommen waren.
        Schlie?lich sagte Bolitho:»Meist sind es Splitterverletzungen, Sir, aber funf haben Arme oder Hande verloren.»
        Pelham-Martin betrachtete ihn ernst.»Nun, ich mu? an Land und den Gouverneur dieser, ah, dieser Siedlung aufsuchen. «Er zupfte die Manschette seines Hemdes unter dem goldbestickten Armel hervor.»Notwendig, aber trotzdem verdammt lastig.
«Er sah sich in der Kajute um.»Sie bleiben besser hier und tun das Erforderliche, damit das Schiff wieder einsatzfahig wird. «Er lie? den Blick auf Bolithos zerrissenem Hemd ruhen.»Und ich wurde vorschlagen, da? Sie auch etwas fur Ihr Au?eres tun.»
        Bolitho sah ihn kalt an.»Ich war der Ansicht, da? es zunachst Wichtigeres fur mich zu tun gab, Sir.»
        Der Kommodore hatte dafur nur ein Achselzucken ubrig.»Diese Haltung fuhrt zu nichts. Sie kannten das ungleiche Krafteverhaltnis, und dennoch haben Sie das Gefecht herausgefordert.»

«Waren wir eine Woche fruher hier gewesen, Sir, ware es gar nicht zu einem Gefecht gekommen, es sei denn, zu unseren Bedingungen.»
        Der Kommodore betrachtete sich im Spiegel an der Schottwand.»Mag sein. «Heftig drehte er sich nach Bolitho um.»Es ist uns jedoch gelungen, die Franzosen zu vertreiben, und ich werde dafur sorgen, da? Ihr Anteil daran in meinem Bericht berucksichtigt wird. Doch jetzt mu? ich Sie verlassen. Wenn ich gebraucht werden sollte, schicken Sie ein Boot zur Stadt. «Er ging an ein Heckfenster und beugte sich hinaus.»Ich mu? sagen, es lief nicht alles so, wie ich erwartet hatte.»
        Bolitho sah ihn angewidert an. Es war uberraschend, wie sehr Pelham-Martin sich seit Beendigung des Kampfes verandert hatte. Von dem verzweifelten, bleichen Mann in schwerem Bootsmantel war nichts ubriggeblieben. Er wirkte kalt und unberuhrt und verriet sogar schon eine gewisse Erwartung, was die ferne Stadt ihm wohl bieten mochte.
        Bolitho spurte, da? der Arger in ihm brannte wie scharfer Schnaps. Wie konnte Pelham-Martin sich gerade jetzt so kalt und gleichgultig zeigen, obwohl das kleinste Zeichen von Mitgefuhl und Verstandnis von gro?tem Wert fur die Leute gewesen ware, die gegen eine so starke Ubermacht gekampft hatten? Auch wenn das hollandische Schiff im richtigen Augenblick gekommen war, die Matrosen und Marinesoldaten der Hyperion hatten ihren Wert bereits bewiesen.
        Er sagte:»Ich werde die Barkasse fur Sie rufen lassen, Sir.»
        Pelham-Martin nickte.»Gut. Ein Gluck, da? sie unbeschadigt geblieben ist. Ich war uberrascht, da? Sie wahrend der Kampfhandlung alle Boote an Bord lie?en.»
        Bolitho starrte wutend den breiten Rucken des Kommodore an.»Der Wind war schon schwach genug, Sir. Wenn wir auch noch die Boote hatten schleppen mussen, ware das zuviel gewesen. Und sie abtreiben zu lassen…«Er kam nicht weiter.
        Pelham-Martin richtete sich hoch auf und wandte sich ihm schroff zu.»Ich bin an Entschuldigungen nicht interessiert, Bolitho. Jetzt rufen Sie bitte mein Boot.»
        Auf dem Achterdeck brannte die Sonne scharf, aber in seiner Verargerung bemerkte Bolitho es kaum.
        Inch meldete:»Alle Boote liegen langsseit, Sir. Mr. Tomlin la?t bereits Sonnensegel uber den Niedergangen spannen, und ich habe alle Stuckpforten offnen lassen. «Er zogerte, als er Bolithos grimmiges Gesicht wahrnahm.»Sir?»
        Bolitho blickte an ihm vorbei. Das hollandische Schiff wurde bereits von kleinen Fahrzeugen vom Ufer her umschwarmt. Andere in allen Formen und Gro?en naherten sich zogernd der Hyperion. Offensichtlich waren die Insassen sich nicht im klaren, ob sie langsseit gehen oder sich in diskretem Abstand halten sollten. Die Hyperion mu?te ein erschreckendes Bild bieten, dachte er grimmig. Von Einschlagen zernarbt und rauchgeschwarzt, die meisten ihrer Segel zu durchlochert und zerfetzt, um sie festzumachen.
        Er sagte:»Setzen Sie alle Leute ein, um die Schaden zu beseitigen, Mr. Inch. Aber zuerst mussen sie verpflegt werden. Schicken Sie einen Offizier mit zwei Booten an Land, sobald der Kommodore abgelegt hat; er soll so viel frisches Obst beschaffen, wie er bekommt. Um Fleisch und Frischwasser werde ich mich bemuhen, sobald ich kann.»
        Inch fragte:»Darf ich etwas sagen, Sir?»
        Bolitho sah ihn zum erstenmal an.»Nun?»

«Wir sind alle glucklich, da? wir noch leben, Sir. Ohne Sie.»
        Bolitho drehte sich um, um Perks, den Segelmacher, und seine Gehilfen zu beobachten, die ihrer grausigen Aufgabe nachgingen, die letzten Toten einzunahen und fur ihre Beisetzung fertigzumachen.

«Einige haben nicht das Gluck gehabt, Mr. Inch.»
        Inch trat von einem Fu? auf den anderen.»Ich hatte aber nie geglaubt, da? sich neue, unausgebildete Manner so verhalten wurden, wie unsere Leute es getan haben, Sir.»
        Bolitho spurte, da? sein Zorn nachlie?. Inch war so ernst, so unverkennbar aufrichtig, da? es ihm schwerfiel, von seiner Anteilnahme unberuhrt zu bleiben.

«Ich stimme Ihnen zu. Sie haben sich gut gehalten. «Er machte eine Pause.»Und Sie auch. «Er beschattete seine Augen, um zur Stadt hinuberzublicken.»Und jetzt lassen Sie die Seitenwache fur den Kommodore antreten.»
        Als Inch davoneilte, trat Bolitho an die Netze und sah mit leerem Blick auf die ferne Ansammlung wei?er Gebaude hinuber. Deutlich hoben sie sich von dem Abhang dahinter ab und sahen aus wie ein Teil von Holland, dachte er. Die erste hollandische Garnison oder die ersten Siedler mu?ten in Erinnerung an ihre Heimat gebaut haben; selbst durch den Hitzeglast waren die hochgezogenen, spitzen Dacher der gro?eren Hauser und die flachen Fassaden der niedrigeren Bauten zu erkennen, die alle ein Teil von Rotterdam oder einer anderen hollandischen Hafenstadt hatten sein konnen.
        Midshipman Gascoigne zog Bolithos Blick auf sich.»Signal von der Abdiel, Sir. Sie hat funf Tote. Keine ernsten Beschadigungen.»
        Bolitho nickte. Die starkere franzosische Fregatte war mehr darauf bedacht gewesen, ihr Landekommando zuruckzuholen und ihre Boote in Sicherheit zu bringen; die Abdiel hatte sich zwar wacker gehalten, aber auch eine gehorige Portion Gluck gehabt.
        Er sagte:»Ubermitteln Sie Captain Pring bitte meine besten Wunsche.»
        Die erschopften und schmutzigen Matrosen zogen sich zuruck, als die Marinesoldaten an der Schanzpforte neben den Bootsmannsmaaten und Pfeifern Aufstellung nahmen. Bolitho sah an seiner eigenen verwahrlosten Erscheinung hinunter. Die Marinesoldaten waren eine merkwurdige Brut, dachte er fluchtig. Vor zwei Stunden noch waren sie auf ihren Gefechtsstationen gewesen, hatten so wild und verzweifelt wie alle anderen gebrullt und gekampft. Doch jetzt, als Leutnant Hicks vor dem vorderen Glied stand und ihre Uniformen inspizierte, war es kaum zu glauben, da? sie uberhaupt im Einsatz gewesen waren. Er horte Gossett hinter sich zu jemand anderem sagen:»Die Bullen* uberleben immer, solange sie ihre Tonpfeifen und verdammten Stiefel behalten. «Aber es lag echte Bewunderung darin.
        Pelham-Martin kam langsam ins Sonnenlicht und ruckte seinen Hut zurecht. Bolitho beobachtete ihn ohne jede Empfindung. Der Kommodore schien niemanden in seiner Nahe wahrzunehmen, und als er uber eine gro?e getrocknete Blutlache ging, wo wenige Schritte entfernt ein Mann gestorben war, zuckte er nicht einmal zuruck.
        Pelham-Martin fragte:»Wann werden Sie die neue Gro?maststenge aufgeriggt haben?»
        Bolitho erwiderte:»Mr. Tomlin ist bereits dabei, Sir. Wir hatten in Plymouth reichlich Ersatzmaterial geladen.»

«Welch ein Gluck, Bolitho.»
        Ein Matrose rief:»Von dem Hollander kommt ein Boot heruber!»
        Pelham-Martin verzog das Gesicht.»Verdammt! Dann mu? ich wohl noch eine Weile an Bord bleiben.»
        Inch eilte zur Schanzpforte, dankbar fur diese unerwartete Storung. Er hatte bemerkt, da? Bolithos Augen wieder hart geworden waren, und verfluchte innerlich Pelham-Martins Dummheit und Ignoranz. Dachte der denn nicht, wieviel Muhe und Schwei? es Bolitho gekostet hatte, dieses Ersatzmaterial einer Werft abzupressen, die gro?e Ubung darin besa?, einem Schiff gerade nur die durftigste Ausrustung zuzugestehen?
        Er rief:»Das Boot hat einen Kapitan an Bord!«Er blinzelte.»Nein, Sir: zwei Kapitane!»
        Der Kommodore knurrte:»Die kommen doch nur, um mit ihrem Anteil an der ganzen Angelegenheit zu prahlen. Sollte mich jedenfalls nicht wundern.»
        Das Boot legte an den Ketten an, und als die Pfeifen schrillten * Spitzname fur Seesoldaten und die Marinesoldaten ihre Musketen mit aufgepflanzten Bajonetten prasentierten, erschien der erste Besucher in der Schanzpforte.
        Er nahm seinen Hut ab und sah sich langsam auf dem von Menschen wimmelnden Hauptdeck um. Sein Blick blieb auf der Reihe eingenahter Leichen haften, auf den zersplitterten Planken, dem abgerissenen, herumliegenden Tauwerk. Er war ein alterer Mann, wahrscheinlich schon uber sechzig, und sein linker Armel war leer und unter einem strahlenden goldenen Orden an die linke Brustseite geheftet. Sein Haar war beinahe wei?, aber sein Gesicht war von der Sonne wie Mahagoni gebraunt und sein Schritt so sicher und leicht wie der einer Katze.
        Dann sah er Pelham-Martin und trat vor, um ihn zu begru?en.»Ich darf Sie und Ihre Schiffe in St. Kruis willkommen hei?en, Sir. Ich bin Pieter de Block, Gouverneur meines Landes und Ihr Verbundeter. «Sein Englisch kam zogernd, war aber ausgezeichnet.»Ich besuchte eine andere Insel und kehrte gerade rechtzeitig zuruck, um Zeuge Ihres tapferen Kampfes zu werden. «Seine innere Anteilnahme war offensichtlich.»Ich kann nachempfinden, was diese Entscheidung Sie gekostet haben mu?, und habe mit eigenen Augen einige Ihrer Opfer gesehen. Es ist unglaublich. Und jetzt«, mit ausholender Geste schwenkte er seinen Hut vor den Anwesenden, jetzt haben Sie noch die Kraft und das Pflichtgefuhl, mir diesen wurdigen Empfang zu bereiten.»
        Pelham-Martin schluckte schwer und errotete.»Ich hei?e Sie willkommen, Sir, und ubermittle Ihnen die Gru?e Konig Georgs. «Nach einem raschen Blick auf Bolitho fugte er hinzu:»Unsere Pflicht war klar, und ich bin wirklich glucklich, da? ich die Absichten des Feindes zunichte machen konnte.»
        De Block nickte ernst.»Und dies ist Kapitan Willem Mulder von der Telamon. Er ist ebenso kampfbegierig wie Ihre Leute, doch halte ich es fur kluger, da? Sie Ihre Schiffe erst wieder einsatzfahig machen. Ist es nicht so?»
        Der Kommandant der Telamon war schlank und drahtig und ebenso sonnengebraunt wie sein Gouverneur. Auch er studierte die Beschadigungen der Hyperion, beherrschte aber seinen Gesichtsausdruck etwas besser als sein Vorgesetzter.
        Pelham-Martin antwortete:»Und dies ist mein Kommandant, Kapitan Richard Bolitho.»
        Bolitho trat vor. Der beobachtenden Augen ringsum war er sich bewu?t, auch Inchs offenkundiger Wut uber die Gro?spurigkeit, mit der Pelham-Martin alles Verdienst fur sich in Anspruch nahm, vor allem aber fuhlte er den festen Handedruck des Hollanders.
        De Block sah ihn ein paar Augenblicke forschend an, ohne seine Hand loszulassen. Er schien in Bolithos angespannten Gesichtszugen eine Antwort zu finden, denn er sagte unvermittelt:»Ganz, wie ich mir's gedacht habe, Kapitan!«Und nach einer Pause:»Meinen tiefempfundenen Dank.»
        Pelham-Martin sagte abrupt:»Sie sprechen sehr gut englisch.»

«Nun, wir haben viele Kriege gegeneinander gefuhrt. «De Block zuckte vielsagend mit den Achseln.»Seit ich meinen Arm verlor, hatte ich reichlich Gelegenheit, mit Ihren Landsleuten zusammenzukommen und ihre Lebensweise und Sprache kennenzulernen.»
        Der Kommodore musterte ihn nachdenklich.»Waren Sie vielleicht unser Gefangener? Nachsichtig schuttelte er den Kopf.»Das konnte im Krieg schon passieren.»
        Der Hollander lachelte.»Nachdem ich den Arm verloren hatte, wurden mir unsere englischen Kriegsgefangenen unterstellt.»
        Bolitho hustelte diskret.»Der Gouverneur wurde vielleicht gern in die Kajute gehen, Sir.»
        Pelham-Martin erholte sich schnell von seiner Verwirrung, warf Bolitho aber einen wutenden Blick zu.»Ganz richtig!»
        Doch der Hollander schuttelte den Kopf.»Davon will ich nichts horen. Kommen Sie bitte an Land und als Gast in mein Haus. Kapitan Mulder wird Ihnen hier an Bord jede Hilfe leisten, die wir bieten konnen. «Er sah Bolitho forschend und mit dem gleichen Verstandnis in den tiefliegenden Augen an.»Wir sind gut versorgt und, wie ich glaube, auch in der Lage, alle Ihre Bedurfnisse zu befriedigen. «Wieder streckte er die Hand aus.»Wir stehen in Ihrer Schuld und werden unser Bestes tun, um uns fur Ihre Tapferkeit zu bedanken.»
        Wahrend die Pfeifen schrillten, folgte er Pelham-Martin in das langsseit liegende Boot hinunter.
        Bolitho stand an der Schanzpforte und beobachtete, wie das Boot, von kraftigen Schlagen getrieben, dem Ufer zustrebte. Die meisten der Rudergasten waren entweder Farbige oder Mischlinge, aber sie boten keinen Anla?, an ihrer Haltung oder Disziplin zu zweifeln.
        Mulder sagte leise:»Sie sehen erschopft aus. Es kann nicht leicht sein, unter einem Mann zu dienen, dem es so an Verstandnis mangelt.»
        Bolitho blickte ihn scharf an, aber der andere Kapitan sah nach oben in die Takelage, wo mehrere Matrosen bereits Leinen einscheren, um die neue Maststenge hinaufzuhieven.
        Knapp erwiderte er:»Ihr Gouverneur ist sicher schon sehr lange hier?»
        Mulder nickte. Mit gegen den Sonnenglast zusammengekniffenen Augen und professionellem Interesse beobachtete er die hoch uber Deck arbeitenden Toppsgasten.»Drei?ig Jahre, um genau zu sein. Zunachst als aktiver Offizier und spater als Gouverneur. St. Kruis ist jetzt seine Heimat, genauso wie fur mich. «Er schien nicht bereit zu sein, dieses Gesprach fortzusetzen, sondern fugte knapp hinzu:»Und jetzt sagen Sie mir, was Sie brauchen.»
        Bolitho lachelte knapp. De Block mochte nicht durchschaut haben, da? das Gru?zeremoniell gar nicht ihm zugedacht gewesen war, doch offensichtlich hatte er begriffen, welche Rolle PelhamMartin wahrend des Gefechts gespielt hatte. Er war scharfsinnig und weise; Neid und Mi?gunst waren ihm an anderen nicht fremd. Bolitho hoffte, da? Pelham-Martin nicht so dumm war, den einarmigen Gouverneur von St. Kruis zu unterschatzen.
        Eine Stunde, nachdem Mulder mit seiner Anforderungsliste von Bord gegangen war, kamen die ersten Bootsladungen Lebensmittel langsseit. Die Bewohner von St. Kruis waren wie die Bootsbesatzung des Gouverneurs eine Mischung aus allen Rassen der Karibik. Lachend und schwatzend schwarmten sie uber die Decks, zeigten Mitgefuhl fur die Verwundeten, die in bequemere Quartiere an Land gebracht wurden, und Gutmutigkeit den Matrosen gegenuber, die sich um sie drangten, sie beruhrten und sich eigener Worter und Gesten bedienten, um die letzten Barrieren der Fremdheit zu uberwinden.

«Es ist wie eine andere Welt, Sir«, sagte Inch.
        Bolitho nickte. Er hatte das gleiche gedacht.
        Die hollandische Flagge wehte uber dem alten Schiff und der Stadt, aber die Bewohner der Insel hatten sich im Lauf der Jahre so vermischt, waren so sehr auf sich selbst gestellt gewesen, da? es ihnen schwerfallen wurde, sich fremder Herrschaft zu beugen. Gleichgultig, wer das sein mochte.
        Allday kam nach achtern und gru?te.»Befehle fur mich, Cap-tain?»
        Bolitho reckte die Arme und sah den Ri? in seinem Hemd, den die Musketenkugel im Armel hinterlassen hatte. War es moglich? Konnte er dem Tod so nahe gewesen sein?
        Er sagte:»Nehmen Sie die Gig, Allday, und gehen Sie an Land. Halten Sie Augen und Ohren offen, verstanden?»
        Alldays Gesicht blieb ausdruckslos.»Verstanden, Captain. «Dann grinste er.»In einer Stunde bin ich wieder an Bord.»
        Bolitho dachte plotzlich an frisches Wasser und ein sauberes Hemd. Er nickte Inch zu und ging nach achtern zum Kartenraum.
        Kommodore und Gouverneure mochten uber hohe Politik diskutieren, dachte er grimmig. Aber die Alldays dieser Welt erfa?ten oft den Kern der Dinge in der Halfte der Zeit.
        Fur die Besatzung der Hyperion waren die Tage nach ihrer Ankunft in St. Kruis mit nichts zu vergleichen, was sie je erlebt hatte. Vom anbrechenden Morgen bis in die sinkende Nacht hielten die Reparaturarbeiten fast ohne Pause an, doch dank der uppigen Umgebung und der freundlichen Atmosphare fanden sie dennoch Zeit fur andere, interessantere Dinge. Die Erinnerungen an das Gefecht, sogar an die Wunden, die es geschlagen hatte, waren fast vergessen, und wahrend Zimmerleute und Matrosen hoch uber Deck oder tief im Rumpf arbeiteten, verbrachten andere, Glucklichere oder Geschicktere, ihre Zeit an Land mit dem Herbeischaffen von Frischwasser und Obst und nahmen jede Moglichkeit wahr, ihre Beziehungen zum weiblichen Teil der Bevolkerung zu verbessern.
        Zu Beginn der dritten Woche warfen die Indomitable und die Hermes mit ihren zwei Begleitschaluppen in der Bucht Anker, und Bolitho fragte sich, wie lange Pelham-Martin noch brauchen wurde, um sich fur einen endgultigen Aktionsplan zu entscheiden. Bisher hatte der Kommodore wenig mehr getan, als die beiden Fregatten auf getrennte Patrouillenfahrten nach Sudwesten zu schicken, doch jetzt, da er gro?e Schiffe zur Verfugung hatte, mochte er endlich bereit sein, zu handeln.
        Fur Bolitho war es leicht gewesen, seine Leute zu beschaftigen.
        Die Reparaturen im Rigg und an Deck brachten Arbeit in Fulle, und der schon vorher bestehende Mangel an Leuten wurde durch die Verluste im Gefecht noch erhoht, so da? ihm jetzt ein Sechstel zu einer vollstandigen Besatzung fehlte. Doch selbst ihre Uberbeanspruchung reichte nicht aus, um seine Leute vor Schwierigkeiten zu bewahren. Er konnte und wollte nicht verbieten, da? sie in kleinen Gruppen an Land gingen, doch es hatte schon Reibereien, sogar Schlagereien mit einigen mannlichen Einwohnern gegeben, und der Grund dafur war leicht zu erraten.
        Die dunkelhautigen Frauen mit ihrem bereitwilligen Lacheln und ihren herausfordernden Blicken konnten das Herz jedes Seemanns entflammen; angesichts der strahlenden Sonne und des leicht erhaltlichen Rums war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem ernsthaften Zwischenfall kommen mu?te.
        Doch jetzt, da noch mehr Schiffe in der Bucht ankerten, drohte an Stelle der Gastfreundschaft Ablehnung, wenn nicht Schlimmeres zu treten.
        Als Bolitho mit dem Kommodore uber seine Befurchtungen sprach, hatte er keine befriedigende Antwort erhalten. PelhamMartin logierte nicht mehr an Bord der Hyperion, sondern hatte de Blocks Angebot, sein Quartier zeitweise in der Residenz des Gouverneurs aufzuschlagen, bereitwillig akzeptiert.
        Er hatte nur gesagt:»Wenn Sie Ihren Leuten nicht trauen konnen, Bolitho, dann mussen Sie verhindern, da? sie an Land gehen.»
        Bei anderer Gelegenheit hatte er angedeutet, da? er auf Nachrichten aus Caracas warte, die ihm einen neuen Hinweis geben wurden, wohin Lequiller sich zuruckgezogen haben konnte.
        Denn dies war das Merkwurdigste von allem: Lequillers Geschwader war verschwunden, als ob es nie existiert hatte.
        Als die Fregatte Spartan von Caracas zuruckkam, war es Bolitho gelungen, mit ihrem Kommandanten zusammenzutreffen, bevor er auf eine neue Patrouille ausgeschickt wurde. Kapitan Farquhar war sowohl verargert als auch ungeduldig gewesen.

«Der spanische Generalgouverneur ist hoflich, aber nicht mehr gewesen. Er gewahrte mir ganze zehn Minuten Audienz. Die Gru?botschaft unseres Kommodore schien ihn kaum zu interessieren. «Farquhars Lippen hatten sich zu einem verachtlichen Lacheln gekrauselt.»Er gab mir zu verstehen, da? die Englander die Kontrolle uber die karibische See schon so lange fur sich in Anspruch nahmen, da? es jetzt nur unsere Pflicht ware, zu beweisen, da? wir sie auch haben.»
        Bolitho konnte Farquhars Gereiztheit gut verstehen. Er hatte nie in dem Ruf gestanden, geduldig zu sein, und mit der Demutigung, in dieser Weise abgefertigt zu werden, konnte er sich nicht so leicht abfinden. Doch obwohl er wutend gewesen war, hatte er nicht versaumt, aus seinem Besuch Nutzen zu schlagen. In Caracas war nur ein einziges Kriegsschiff vorhanden gewesen, und offensichtlich wurde es als Begleitschutz zuruckgehalten, wahrscheinlich fur ein spanisches Schatzschiff. Eines stand jedoch fest: Niemand wu?te etwas von Lequillers Geschwader oder sagte nur ein Wort daruber. Und dennoch - Bolitho hatte es zahllose Male erwogen - , irgendwo mu?te es liegen, Schaden reparieren, auf den nachsten Zug lauern und sich darauf vorbereiten. Aber wo?
        Dann, nach einer weiteren Woche des Wartens und der Sorge, glitt ein kleiner, bewaffneter Schoner in die Bucht und ging dicht unter Land vor Anker. Es war die Fauna, de Blocks Verbindungsschiff zu den anderen hollandischen Inseln und fast so alt wie die Telamon.
        Innerhalb einer Stunde erhielt Bolitho den Befehl, sich in Pelham-Martins Hauptquartier einzufinden; als die Barkasse von der Hyperion wegpullte, sah er mit grimmiger Befriedigung, da? auch von den anderen Schiffen Boote ablegten und dem Ufer zufuhren. Es mu?te etwas Dringendes vorliegen, wenn der Kommodore seine Kapitane vor dem Mittagessen zusammenrief. Seit Pelham-Martin seinen Sitz in der Residenz des Gouverneurs aufgeschlagen hatte, hatte er auch eine gro?spurige und abweisende Lebensart angenommen. Wenn er einige seiner Offiziere zum Essen einlud, was nicht oft geschah, war danach das Gesprachsthema vieler Tage sein Konsum an Speisen und Wein.
        Bolitho traf ihn in dem niedrigen Raum an, der aufs Wasser hinausging, wo er hinter einem vergoldeten Tisch sa?, der vollig von Seekarten und anderen Papieren bedeckt war.
        Er blickte auf, als Bolitho eintrat, und deutete auf einen Sessel. Dann sagte er beilaufig:»Endlich Neuigkeiten, Bolitho. «Es schien ihm wirklich Muhe zu machen, seine Aufregung zu beherrschen.

«De Block hat mich uber Lequillers Aufenthalt unterrichtet. Wir konnen also endlich handeln.»
        Winstanley und Fitzmaurice kamen zusammen an, gefolgt von Kapitan Mulder von der Telamon.
        Pelham-Martin wartete, bis auch sie Platz genommen hatten, ehe er verkundete: Lequillers Schiffe sind gefunden worden, meine Herren. «Er beobachtete befriedigt die plotzlich erkennbare Spannung und fugte gro?spurig hinzu:»Ich wei?, da? es manchen gibt, der gern voreilig gehandelt hatte. «Er lie? den Blick kurz auf Bo-litho ruhen, ehe er fortfuhr:»Aber wie ich immer wieder betont habe, gibt es nur eine korrekte Methode, den Feind zum Kampf zu stellen und die eigene Starke zu zeigen. «Er erwarmte sich an seinem Thema; am Gesicht der beiden anderen britischen Offiziere las Bolitho ab, da? es ihnen wohlbekannt sein mu?te. Winstanley wirkte leicht amusiert, und Fitzmaurice schien hoflich gelangweilt zu sein.

«Wir sind eine Schutzmacht von Bedeutung, meine Herren, und der Aufmarsch und Einsatz der zu unserer Verfugung stehenden Krafte ist viel wichtiger als irgendein kurzes, verwegenes Gefecht.»
        In diesem Augenblick trat de Block mit einer Seekarte unterm Arm durch eine kleine Seitentur ein. Er nickte dem Kommodore zu und rollte seine Karte dann uber den anderen auf.
        Pelham-Martins Gesicht verfinsterte sich, und er betupfte sich die Stirn mit einem seidenen Taschentuch.»Ich habe gerade bekanntgegeben, da? Lequiller gefunden worden ist. Nicht wahr?»
        De Block stopfte sich mit seiner einen Hand eine lange Tonpfeife.

«So ist es. «Er klopfte mit dem Pfeifenstiel auf die Karte.»Mein Schonerkapitan sprach vor vier Tagen mit einem Westindienfahrer, der einen an Fieber erkrankten Offizier an Land setzen wollte, und zwar hier. «Der Pfeifenstiel deutete auf eine Stelle, und die um den Tisch sitzenden Offiziere reckten die Halse.»Das ist der Hafen Las Mercedes auf dem zu Spanien gehorenden Festland. Aber dem Schiff wurde das Einlaufen verweigert.»
        Pelham-Martin sagte:»Nur zweihundert Meilen westlich von Caracas, und dennoch hat der Generalgouverneur nichts davon gewu?t?»
        De Block warf ihm einen schiefen Blick zu.»Die Entfernung mag vielleicht zweihundert Meilen betragen, aber in dieser Gegend ist das ungefahr zehnmal so weit wie anderswo. «Er seufzte.»Aber wie dem auch sei, der Kapitan des Westindienfahrers berichtete auch, da? er dort mehrere Kriegsschiffe habe liegen sehen.»
        Kapitan Mulder sagte:»Dieser Lequiller hat sich eine gunstige Stelle ausgesucht. Dieser Hafen ist. «Er suchte nach dem richtigen Wort.»Er ist sehr abgelegen.»
        Bolitho war aufgestanden und beugte sich uber die Karte.»Ich habe davon gehort. Fruher war es ein Schlupfwinkel fur Piraten. Ein guter Ankergrund und gegen die See wie zum Land hin leicht zu verteidigen. «Er folgte mit dem Finger der zerklufteten Kustenlinie.»Die Buc ht dort gleicht der hiesigen, aber der Karte zufolge gibt es au?erdem einen breiten Flu?, der sie vor einem Angriff von Land her schutzt.»
        De Block lachelte.»Keinen Flu?. Fruher war es vielleicht mal einer, aber jetzt ist es kaum mehr als ein Sumpf. Niemand wei? genau, wie weit er ins Land reicht, denn kaum jemand hat ihn noch erforschen wollen. Er steckt voller Fieber und Tod. Kein Wunder, da? die Piraten sich dort sicher glaubten.»
        Pelham-Martin sah verargert hoch.»Wenn Sie jetzt fertig sind, meine Herren?«Er schob seinen massigen Korper an die Kante des Sessels vor.»Mich interessiert nicht, was Piraten getan oder nicht getan haben, und auch den Sumpf finde ich nicht wichtig. Tatsache ist, da? Lequiller in Las Mercedes Zuflucht und Unterstutzung gefunden hat, und ob es spanisches Gebiet ist oder nicht, ich habe die Absicht, ihn dort zu stellen.»
        Kapitan Fitzmaurice ruckte unbehaglich auf seinem Sessel hin und her.»Aber bestimmt wurde ein Angriff auf spanisches Gebiet von Spanien als feindlicher Akt angesehen werden, Sir.»
        Winstanley nickte.»Wir konnten damit genau das tun, was Le-quiller sich wunscht. Es wurde schneller als alles andere Spanien ins franzosische Lager treiben.»
        Pelham-Martin tupfte sich mit schnellen, heftigen Bewegungen die Stirn ab.»Darauf komme ich noch.»

«Vielleicht darf ich etwas dazu sagen?«De Block trat vor, seine Pfeife war immer noch nicht angezundet.»Der Kapitan meines Schoners hat auch berichtet, da? sich im Gefangnis von Las Mercedes den Geruchten nach englische Seeleute befinden sollen.
«Er hob die Schultern.»Vielleicht sind es Meuterer oder Deserteure von einem vorbeifahrenden Schiff. Das ist ohne Belang. «Seine Augen funkelten.»Aber ihre Anwesenheit in Las Mercedes konnte Ihnen als Begrundung fur eine genauere Uberprufung dienen, oder?»
        Der Kommodore sah ihn steinern an.»Ich war eben im Begriff, das zu sagen, de Block. «Er schnaufte.»Sie haben es jedoch so treffend formuliert, da? ich nur zustimmen kann.»
        Bolitho rieb sich das Kinn. Vor seinem geistigen Auge sah er den Naturhafen, dreihundert Meilen von St. Kruis entfernt. Er war ein ideales Versteck, und ein Mann wie Lequiller, der dieses Gebiet genau kannte, hatte ihn zweifellos sorgfaltig ausgewahlt. Wenn es Lequiller gelungen ware, auch St. Kruis zu nehmen, ware die Situation noch schlimmer gewesen.
        Nachdenklich sagte er:»Sie konnten eine Schaluppe nach Caracas schicken, um den Generalgouverneur zu informieren, Sir. Vielleicht mochte er seine Schatzschiffe zuruckhalten, bis wir das franzosische Geschwader gefunden und vernichtet haben.
«Er blickte auf und erkannte plotzlich Feindseligkeit in Pelham-Martins Augen.

«Ihn informieren? Nach seiner verdammten Unverschamtheit?«Pelham-Martin schwitzte stark.»Wahrscheinlich arbeitet er Hand in Hand mit dem Gouverneur von Las Mercedes. Den soll ich informieren?«Muhsam beherrschte er seinen Arger.»Das werde ich gern tun, aber erst, wenn ich ihm diesen verraterischen Spanier dabei ausliefern kann.»
        Bolitho sah auf die Karte. Er konnte es Pelham-Martin kaum verubeln, da? er als Erwiderung auf die Beleidigung das gesamte Verdienst fur sich in Anspruch nehmen wollte.
        Er sagte:»Nach meinen Erfahrungen, Sir, ist es nicht wahrscheinlich, da? der Generalgouverneur etwas davon wei?. Die spanischen Provinzgouverneure handeln im allgemeinen sehr selbstandig und sind nur dem Hof verantwortlich. Oft vergehen Monate, bis eine Entscheidung Zustimmung findet, folglich agieren viele auf eigene Faust, ohne andere zu Rate zu ziehen, auch nicht fur den Fall, da? es spater zu Mi?helligkeiten kommen sollte.»
        Winstanley rausperte sich.»Das ist richtig, Sir.»

«Um so mehr Grund, keinem zu trauen, oder?«Pelham-Martins gute Laune kehrte zuruck.»Diesmal warte ich nicht darauf, da? Lequiller die Initiative ergreift. Wir laufen sofort aus.»
        Bolitho trat vom Tisch zuruck.»Ich halte die Barkasse fur Sie bereit, Sir.»
        Pelham-Martin wandte sich ab.»Vielen Dank, aber das ist nicht notig. Ich setze meinen Stander auf der Indomitable.«Er nickte knapp.»Kehren Sie auf Ihre Schiffe zuruck, meine Herren. In zwei Stunden setzen wir Segel.»
        Spater, als Bolitho an der Achterdecksreling der Hyperion stand, fragte er sich, was Pelham-Martin dazu bestimmt haben konnte, das Flaggschiff zu wechseln. Als sich der Doppelstander im Masttopp der Indomitable entfaltete, hatten mehrere Matrosen auf der Gangway ihrer Emporung Luft gemacht. Wahrscheinlich glaubten sie, mehr als alle anderen im Geschwader dazu beigetragen zu haben, den Feind zum Kampf zu stellen; im Entschlu? des Kommodore mu?ten sie einen unausgesprochenen Tadel sehen, den sie nicht verstehen konnten.
        Auch Bolitho verstand es nicht; dennoch, als er spater seine Offiziere in der Messe versammelte, um ihnen kurz die Absicht des Kommodore zu erklaren, gab er sich alle Muhe, weder Arger noch Enttauschung zu zeigen. Zu jeder anderen Zeit ware er froh gewesen, von Pelham-Martins Anwesenheit befreit zu werden; doch jetzt, da die letzte und entscheidende Aktion bevorstand, ware es ihm anders lieber gewesen. Denn wahrend Pelham-Martin fruher seine Kapitane selbst bei den trivialsten Depeschen zu Rate gezogen hatte, hatte er diesmal seinem knappen Befehl nichts hinzugefugt.
        Inch rief:»Anker kurzstag, Sir.»
        Bolitho ri? sich aus seinen brutenden Gedanken und beschattete die Augen, um zur Indomitable hinuberzublicken. Winstanley verfluchte Pelham-Martin wahrscheinlich, weil er auf sein Schiff zuruckgekommen war. Er konnte die Matrosen auf den Rahen des Zweideckers sehen, die geduckten Gestalten anderer, die sich am Ankerspill muhten. Dahinter hob sich die Hermes von den fernen Bergen ab, und auch die stattliche Telamon kurzte bereits ihre Ankertrosse. Selbst ohne Glas konnte er erkennen, da? sich der gro?te Teil der Inselbewohner am Kai und auf der Landzunge drangten, wo Hauptmann Dawsons Marinesoldaten die Batteriestellung repariert und geholfen hatten, die Verteidigungsanlagen fur den Fall eines weiteren Angriffs zu verbessern.
        Trotz seines Unbehagens, weil Pelham-Martin es versaumt hatte, einen Schlachtplan zu entwickeln, fand Bolitho in dem Anblick einen gewissen Trost. Im hellen Sonnenschein, auf dem blauen schimmernden Wasser der Bucht und in dem steten leichten Nordostwind, der Straucher und Busche der Landzunge streichelte, boten die vier Schiffe einen prachtigen Anblick. Auch was er auf seinem eigenen Schiff sah, befriedigte ihn; seine Leute hatten gute Arbeit geleistet. Getreu seinem Wort, hatte de Block das Schiff mit allem versorgt, was ihm zur Verfugung stand. Dazu gehorte sogar neue Leinwand, um die in der Schlacht verlorenen Segel zu ersetzen. Und wie Perks, der Segelmacher, bemerkt hatte:»Das ist nicht der im Krieg ubliche Schund, Sir, das ist echtes Material.»
        Gascoigne rief:»Signal an alle! Anker lichten!»
        Bolitho nickte.»Bringen Sie das Schiff in Fahrt, Mr. Inch. «Er sah Gossett an.»Wir nehmen die Position hinter der Hermes ein.»
        Das war ein anderer Punkt. Welche Aktion der Kommodore auch planen mochte, die Hyperion war das letzte Schiff der Formation. Bei dem herrschenden Nordost war das eine vernunftige Position, denn die Hyperion konnte als schnellstes Schiff des Geschwaders an den anderen vorbei vorsto?en, falls die Indomitable in Schwierigkeiten kam und Unterstutzung brauchte. Doch fur die Besatzung, von der viele nichts von diesen Dingen verstanden, mu?te es wie eine Herabsetzung aussehen. Bolitho entschlo? sich, die Leute uber diesen Punkt aufzuklaren.
        Er horte Inch rufen:»Schaffen Sie die Trodler an die Besanbras-sen! Wecken Sie die Kerls auf, verdammt noch mal!»
        Hier und da klatschte ein Tampen auf einen blo?en Rucken, wahrend in die Matrosen Leben kam. Ein Monat vergleichsweiser Untatigkeit forderte seinen Preis, und es brauchte mehr als freundliche Worte, die Leute an die Brassen und Fallen zu treiben.

«Marssegel setzen!»
        Gascoigne rannte uber das Deck, als das Schiff sich gewichtig uberlegte und mit knatternden Segeln an den Wind ging, wahrend sich das Ankerspill, von einem atemlosen Shanty begleitet, noch drehte.

«Flaggschiff an Hyperion, Sir. «Seine Augen tranten, weil Sonnenlicht in sein Teleskop fiel.»Mehr Beeilung!»
        Bolitho lachelte.»Bestatigen Sie. «Pelham-Martin wollte keine Nachlassigkeit dulden, so lange sie von einem hollandischen Schiff begleitet wurden. Die Telamon bot einen prachtvollen Anblick: ihr vergoldetes Heck glanzte wie ein Tempelaltar, und auch die dunkle Haut ihrer auf den Rahen ausgeschwarmten Matrosen schimmerte, als ob sie lackiert und poliert waren.
        Doch auf Lequillers Schiffe wurde das wenig Eindruck machen, dachte er. Die Telamon war uber funfzig Jahre alt, und ihre Kanonen waren der Artillerie der Franzosen nicht gewachsen. Den gro?ten Teil ihres Daseins hatte sie hier drau?en verbracht. Ihre Planken waren wahrscheinlich verrottet, trotz der vergoldeten Schnitzerei und der stolzen Flaggen.
        Er wandte den Blick zur Hermes, die uber Stag ging, um ihre Position hinter dem Hollander einzunehmen. Sie dagegen sah Zoll fur Zoll wie ein kampferprobter Krieger aus: fleckig und zernarbt, mit mehr als nur einem Flicken in ihren ausgebleichten Segeln.
        Inch sagte:»Die Indomitable setzt Bramsegel, Sir.»

«Sehr gut. Tun Sie das gleiche, Mr. Inch. «Bolitho schwankte etwas, als sich das Deck leicht unter ihm hob. Genau wie er schien das Schiff froh zu sein, das Land hinter sich zu lassen.
        Er blickte nach oben, um zu sehen, wie die Segel von den Rahen fielen und die winzigen Silhouetten der Toppsgasten um die Wette aufenterten, um die Befehle vom Deck zu befolgen. Er sah Pascoe im Gro?mast, der geschickt dem Rollen des Schiffes folgte. Den Kopf in den Nacken geworfen, sah er den bezopften Matrosen nach, die an ihm vorbeischwarmten, wahrend weitere Leinwand ausgeschuttelt wurde und sich an den Rahen blahte. Sein Hemd stand bis zum Gurtel offen, und Bolitho konnte erkennen, da? seine Haut schon gebraunt war und seine Rippen weniger vorstanden als damals, als er an Bord gekommen war. Pascoe lernte schnell und gut, doch aus dem, was Bolitho in St. Kruis von ihm gesehen und gehort hatte, wu?te er, da? der Junge sich von den anderen Mids-hipmen fernhielt und seinen Kummer wie eine latente Krankheit nahrte.
        Gossett sang aus:»Kurs West zu Sud, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho ging nach Luv hinuber, um die Landzunge vorbeiziehen zu sehen. Winzige Gestalten liefen am Rand der bruchigen Felsen entlang, wo das franzosische Landekommando im Schutz der Dunkelheit gegen die Batteriestellung vorgegangen war.
        In weiter Ferne konnte er Backbord voraus einen winzigen wei?en Splitter am Horizont ausmachen: eine der Schaluppen, die vorausgeschickt worden waren, um mit einem Minimum an Verzogerung Kontakt mit den Fregatten aufzunehmen und ihnen PelhamMartins Befehle zu uberbringen.
        Zu Inch sagte er ruhig:»Setzen Sie vorlaufig nicht mehr Segel. Ich furchte, da? wir mit unserem sauberen Kupferbeschlag sonst die Hermes uberholen.»
        Inch grinste.»Aye, Aye, Sir.»
        Erst jetzt wurde es Bolitho bewu?t, da? Inch ohne den geringsten Fehler das Schiff in Fahrt gebracht hatte, wahrend er so in seine Gedanken vertieft gewesen war, da? er kaum darauf geachtet hatte.
        Er sah seinen Leutnant ernst an.»Aus Ihnen werden wir noch einmal einen Kommandanten machen, Mr. Inch.»
        Er lie? einen noch breiter grinsenden Inch zuruck und ging nach achtern in seine Kajute, wo er sich seinen Gedanken uberlassen konnte.



        IX Ruckzug

        Der dritte Tag nach dem Auslaufen von St. Kruis dammerte hell und klar. Der Himmel war wolkenlos und eisblau. Die See wurde von einem ungestumen Nordost gepeitscht und erstreckte sich als ein endloses Muster aus kleinen Schaumkronen, von der Sonne gelb uberhaucht, bis zum fernen Horizont.
        Wahrend der Nacht hatten die Schiffe sich trotz der eindringlichen Signale von Pelham-Martin zerstreut, und es brauchte viele nervenstrapazierende Stunden, bis die Formation zu seiner Zufriedenheit wiederhergestellt war. Jetzt liefen die Schiffe mit halbem Wind und in der steifer werdenden Brise stark nach Steuerbord krangend nach Sudosten der schattenhaften Kuste entgegen, wo nur die tiefer landeinwarts gelegenen, hochragenden Berge von der Sonne erreicht wurden. Die Bucht von Lac Mercedes lag noch im Dunst verborgen.
        Bolitho stand auf dem Achterdeck und hielt sich mit einer Hand an den Netzen. Trotz der schon herrschenden Warme war ihm kalt, und die Augen schmerzten ihn vom angestrengten Beobachten des Landes, das aus dem Schatten auftauchte und mit dem anbrechenden neuen Tag Umri? und Gestalt gewann. Seit sie Anker gelichtet hatten und ausgelaufen waren, hatte er kaum an etwas anderes gedacht als an diesen Augenblick. Wahrend die Schiffe nach Westen segelten, ehe sie im Schutz der Dunkelheit nach Suden abdrehten und einen Kurs auf das Land zu einschlugen, hatte er daruber nachgedacht, was Pelham-Martin tun wurde, falls die Franzosen die Bucht bereits geraumt hatten und meilenweit entfernt waren, so wenig fa?bar wie bisher. Oder, schlimmer noch, falls de Blocks Schoner falsch informiert worden war und Lequiller sich nie in dieser Gegend aufgehalten hatte.
        Falls das eine oder andere zutraf, konnte kaum jemand wissen, wo die Spur wiederaufgenommen werden sollte. Zwei Geschwader zum Gefecht zusammenzufuhren, hing mehr vom Gluck als von der Planung ab; auch konnte Lequiller sich entschlossen haben, nach Frankreich zuruckzukehren oder andere Plane am anderen Ende der Welt zu verfolgen.
        Um sich herum und unter sich spurte Bolitho das Beben und Knarren des Rumpfs, wahrend das Schiff unter gekurzten Segeln den anderen auf die Bank von blassem Dunst folgte. Sobald es hell genug zum Signalisieren gewesen war, hatte Pelham-Martin ihnen Gefechtsbereitschaft befohlen, und jetzt wartete die Besatzung der Hyperion wie die der anderen Schiffe in fast volliger Stille bei ihren Kanonen oder hoch uber Deck, oder wie Trudgeon, der Schiffsarzt, tief unten im Rumpf.
        Mehrere Teleskope hoben sich gleichzeitig wie auf einen lautlosen Befehl, und Bolitho sah das blasse Rechteck eines Segels Steuerbord weit voraus. Es war die Fregatte Abdiel, der Pelham-Martin befohlen hatte, sich von der entgegengesetzten Seite der Bucht zu nahern und jedes Lebenszeichen zwischen ihren schutzenden Landarmen zu melden.
        Leutnant Roth stand neben seinen Neunpfundern auf dem Achterdeck und meinte laut: Jetzt werden wir's ja bald wissen, wie?«Aber er verstummte sofort unter Bolithos finsterem Blick.
        Midshipman Gascoigne war mit seinem Teleskop bereits in den Luvwanten und nagte konzentriert an seiner Unterlippe. Wahrscheinlich war ihm die lebenswichtige Bedeutung des ersten Signals schon bewu?t.
        Stahl klirrte gegen Stahl, fast so laut wie ein Schu?. Als Bolitho den Kopf drehte, sah er Allday auf sich zukommen, der seinen alten Sabel wie einen Talisman vor sich hertrug.
        Trotz seiner Befurchtungen gelang es Bolitho zu lacheln, als All-day ihm den Sabel umgurtete. Er zumindest schien keinen Zweifel daran zu haben, was der Tag bringen wurde.

«Die Abdiel signalisiert, Sir!«Gascoignes Stimme krachzte vor Aufregung.»An Indomitable: Vier feindliche Schiffe vor Anker in der Bucht. «Lautlos bewegte er die Lippen, wahrend er weiter ablas.
        Dann schrie er:»Vier Linienschiffe!»
        Inch stie? einen tiefen Seufzer aus.»Bei Gott, wir haben sie!»
        Bolitho pre?te die Lippen zusammen und zwang sich, zweimal von der einen Seite des Schiffs auf die andere zu gehen. Vier Schiffe… Das war nur die Halfte von Lequillers Streitmacht. Wo waren die anderen?
        Hinter ihm knurrte Gossett:»Der Nebel wird sich bald heben. Dann sehen wir die Schufte vielleicht.»
        Wie ublich hatte er recht, und als der Dunst sich verzog, hob Bo-litho sein Glas, um die verankerten Schiffe zu studieren. Im Licht der Sonne, die erst knapp uber den Bergen stand, wirkten die vier schwarz und so solide, als ob sie nie und nimmer sich von ihrem Ankergrund losen konnten; als mehr Licht den dunner werdenden Dunst durchdrang, erkannte er auch den Grund dafur: Sie lagen an der schmalsten Stelle der Einfahrt, an Bug und Heck verankert. Nach Art und Weise, wie sich das Wasser zwischen den beiden nachsten hob und senkte, erkannte er, da? weitere verborgene Taue sie miteinander verbanden, so da? sie eine machtige Barriere bildeten. Auf allen Schiffen waren die Stuckpforten geschlossen und die Segel sauber festgemacht, doch als mehr Licht auf Rahen und Wanten fiel, sah er winzige Gestalten auf jeder Hutte und flatternde Trikoloren an jeder Gaffel. Es bestand kein Zweifel mehr: Ob die Franzosen die spanische Garnison nun uberwunden und unterworfen oder sie nur zu ohnmachtigem Schweigen gezwungen hatten, das Ergebnis war in beiden Fallen gleich. Sie waren kampfbereit und - noch
entscheidender - mu?ten gewu?t haben, da? Pelham-
        Martins Geschwader unterwegs zu ihnen war. Es mu?te viel Muhe und Uberlegung gekostet haben, die schweren Zweidecker in dieser Weise festzumachen; der franzosische Befehlshaber hatte beides bestimmt nicht nur auf gut Gluck getan.
        Inch sagte:»Gerade so, als ob sie gewollt hatten, da? wir kommen, Sir.»
        Bolitho schob mit einem Schnappen sein Glas zusammen.»Genau das. Ich habe mich schon gefragt, weshalb sie den Westindienfahrer in Ruhe gelassen haben, nachdem er sie entdeckt hatte. Le-quiller ist kein Dummkopf, Mr. Inch, und ich hoffe, da? der Kommodore das berucksichtigt.»
        Inch nickte zweifelnd.»Ich wu?te gern, was er beabsichtigt, Sir.»
        Bolitho studierte eine ganze Minute lang die verankerten Schiffe.
        Er war sich des Summens im Rigg bewu?t, des Rauschens des Wassers, das am Rumpf entlangstrich, und horte es dennoch nicht. Unheimlich, die Schiffe so liegen zu sehen. Sie standen fast im rechten Winkel zum Kurs des Geschwaders, Steuerbord voraus, das weitest entfernte dicht unter der fernen Landzunge noch vom Dunst verhullt. Wenn Pelham-Martin diesen Kurs beibehielt, wurden sie hinter dem letzten Schiff vorbeilaufen, oder er konnte abfallen und an der verankerten Formation entlangsegeln und einzeln den Kampf aufnehmen.
        Gossett sagte:»Auf dieser Seite der Einfahrt ist reichlich Wasser,
        Sir.»

«Ja. «Bolitho hatte es auch schon bemerkt, da? die verankerten Schiffe naher an der anderen Landzunge lagen, wogegen der nachste Zweidecker nur rund drei Kabellangen von den uberhangenden Klippen, die jetzt von Sonnenlicht gebadet wurden, entfernt war.
        Gascoigne rief: «Indomitable signalisiert an Abdiel, Sir. «Hastig kletterte er drei Webeleinen hoher und meldete dann:»Ich kann das Signal nicht erkennen, Sir. Die Hermes verdeckt mir die Sicht.»

«Wenn Abdiel bestatigt, werden wir es sehen, Sir«, sagte Inch.
        Bolitho blickte ihn ernst an. Merkwurdig, da? Manner uber Fragen der Taktik und uber Signale diskutieren konnten, wenn sie bei Einbruch der Nacht doch alle tot sein konnten.
        Das Bild der Abdiel verkurzte sich und verlangerte sich wieder, als sie mit flatternden Segeln wendete und Kurs auf das Ende der franzosischen Formation nahm.
        Ein paar Matrosen unter dem Achterdeck begannen ihr zuzujubeln, wahrscheinlich mehr, um die Spannung zu brechen, als in der Hoffnung, die Fregatte zu erreichen.
        Bolitho beobachtete schweigend. Pelham-Martin schickte also die Abdiel als erste vor.
        Vom Wind wurde schwach der Klang einer Trompete herubergetragen, und als er die Augen gegen das greller werdende Licht beschattete, sah er, da? die franzosischen Schiffe ihre Stuckpforten offneten. Es erfolgte ebenso gelassen wie gut aufeinander abgestimmt, denn als die Doppelreihen der Rohre hervorstie?en, schien es, als wurden sie von der Hand eines einzigen Mannes kontrolliert. Eine Rauchwolke stieg am Bug der Abdiel auf, der Sekunden spater der scharfe Knall des Abschusses folgte. Ob der Schu? die Entfernung messen sollte oder aus reinem Ubermut erfolgt war, lie? sich schwer sagen. Vielleicht hatte der Kommandant der Abdiel den Schu? nur abgegeben, um die Spannung zu brechen. Es war bedauerlich, da? das Los, als erster mit dem Feind in Gefechtsberuhrung zu kommen, Captain Pring und nicht Farquhar zugefallen war. Die Spartan war von den ausgesandten Schaluppen nicht gefunden worden, zumindest war sie noch nicht eingetroffen. Vielleicht befand Farquhar sich selbst in Schwierigkeiten, aber gerade jetzt hatte Bolitho lieber ihn an der Spitze gesehen als Pring. Nicht da? Pring keinen Ehrgeiz gehabt
hatte, aber ihm schien Farquhars kalte Selbstbeherrschung zu fehlen.
        Wieder Rauch, und diesmal war es eine unregelma?ige Breitseite. Die Kugeln warfen dunne Fontanen querab vom letzten franzosischen Schiff auf, in dem Bolitho jetzt das erkannte, das er vor St. Kruis schwer beschadigt hatte. Ohne Glas konnte er die klaffenden Lucken in seinem Schanzkleid erkennen und das rohe Behelfsrigg, das seinen verlorenen Besanmast ersetzte.
        Gascoigne rief:»Signal an alle, Sir: Der Kommodore beabsichtigt, achtern vom Feind zu passieren, um die Luvposition zu gewinnen.»

«Sie konnen laden und ausrennen lassen, Mr. Inch.»
        Bolitho wich vor dem plotzlich einsetzenden Gedrange um die Achterdecksgeschutze zum Niedergang zuruck. Wenige Sprossen uber dem Deck stehend, konnte er beobachten, wie sich die Indomi-table vor das hinterste franzosische Schiff schob. Zwei Kabellangen weiter wurde Pelham-Martin dessen Heck passieren, sein Geschwader herum und parallel an den verankerten Schiffen vorbeifuhren. Den franzosischen Kanonieren wurde dann nicht nur die Sonne in die Augen scheinen, sondern sie mu?ten auch durch den Pulverqualm behindert werden, sobald die Beschie?ung begann.
        Oben in den Masten knatterten die Marssegel laut und fullten sich dann wieder mit Wind. So dicht unter Land war es schwer, sie so zu halten, da? sie gut zogen; zufrieden stellte Bolitho fest, da? Tomlins Leute an den Brassen bereitstanden, den nachsten Befehl zu befolgen.
        Inch griff an seinen Hut.»Backbordbatterie geladen und ausgerannt, Sir. «Trotz der fernen Abschusse der Abdiel schien er entspannt und irgendwie vergnugt zu sein. Sie waren sogar ein paar Minuten schneller als sonst.»
        Bolitho sah die Hermes in einer unerwarteten Stromung uberholen und bemerkte, da? auch sie ihre Backbordgeschutze ausgerannt hatte.
        Bedachtig sagte er:»Und jetzt die Steuerbordgeschutze, Mr. Inch. «Er packte die Reling, wahrend er beobachtete, wie sich das Bild der Abdiel verkurzte, bis er nur noch ihr Heck sah. Der scharlachrote Wimpel stand so steif an ihrer Gaffel wie ein bemaltes Stuck Blech.
        Inch hatte lange genug unter Bolitho gedient, um keinen seiner Befehle in Frage zu stellen; als seine Leute uberrascht zogerten, legte er die Hande als Trichter an den Mund und schrie:»Laden und ausrennen, ihr Schlafmutzen! Unteroffizier, schreiben Sie diesen Mann auf.»
        Das hatte die gewunschte Wirkung. Mit knarrenden Lafetten polterten die Kanonen an die Stuckpforten. Die Kanoniere glitten auf den feuchten Planken aus, als die schweren Geschutze ihrem Eigengewicht folgten und uber das geneigte Deck rollten. Auf dem unteren Batteriedeck wusch die See beinahe uber die Stuckpforten, als sich das Schiff gehorsam neigte, aber Bolitho atmete unbeschwerter. Es klappte alles, vielleicht sogar zu gut.
        Er sah Inch an und hob die Schultern.»Es ist immer besser, vorbereitet zu sein.»
        An Bord der Hermes hatte anscheinend jemand Zeit gefunden, seinen Blick von den feindlichen Schiffen loszurei?en, denn Sekunden spater offneten sich auch ihre Stuckpforten an Steuerbord, und hier und dort erschien eine Geschutzmundung wie ein hastig gewecktes Tier, das Witterung nahm.
        Inch grinste.»Das hat sie aufgeschreckt, Sir.»
        Ein Buggeschutz der Indomitable feuerte. Das Mundungsfeuer wurde fur Bolitho durch die hinter ihr fahrenden Schiffe verdeckt, doch drehte er sich schnell um und verfolgte die Kugel, die von den Wellenkammen abprallte, ehe sie dicht vor dem hintersten Franzosen versank. Wieder erfolgten Jubelrufe, und von einem der Schiffe - Bolitho hielt es fur die Telamon -, waren Trommeln und Pfeifen zu horen.

«An Deck: Abdiel unter Feuer!»
        Der Ruf des Ausgucks wurde ubertont von unregelma?igem Geschutzfeuer, und als Bolitho zur Reling eilte und einem erschreckten Midshipman das Glas entri?, sah er, da? der Rumpf der Fregatte von aufspritzenden Wassersaulen eingerahmt wurde.
        Inch rief:»Die Franzosen mussen Heckgeschutze montiert haben!»
        Aber Bolitho zog ihn von den Netzen fort.»Sehen Sie doch, Mann! Die Schusse kommen von Land, da, an Steuerbord!«Er zuckte zusammen, als der Fockmast der Abdiel schwankte und an Deck sturzte; gleichzeitig beobachtete er, wie ihre Segel zitterten, als weitere Kugeln die Takelage durchschlugen und die See rings um das Schiff mit Holzsplittern und wirbelnden Wrackteilen ubersaten.
        Bolitho knirschte mit den Zahnen. Es war eine Falle, genau wie er es halb befurchtet und halb erwartet hatte. Abdiel wurde von mehreren Kugeln gleichzeitig getroffen. Die versteckten Kanoniere an Land wurden nicht durch die eigenen Schiffsbewegungen oder wechselnde Entfernungen behindert, sondern feuerten unbehelligt Schu? um Schu? auf das Schiff ab, das unter ihnen unmittelbar vor ihren Visieren liegen mu?te.

«Pring versucht zu wenden!«Inch weinte fast vor Wut, als der Besanmast der Abdiel schwankte und im Gewirr des Riggs hangenblieb, ehe er mit einem Aufschlag, der selbst das Geschutzfeuer ubertonte, quer uber das Achterdeck sturzte.
        Gascoigne schrie wild:»Signal an alle: Der Reihe nach wenden!»
        Die Indomitable drehte bereits sehr langsam nach Backbord. Ihr
        Kluverbaum richtete sich auf das Heck des hintersten franzosischen Schiffs, als sie sich durch den Wind walzte. Einen Augenblick schien sie sich ruckwarts zu bewegen, doch als zusatzlich Leute an die Brassen rannten, schwankte sie mit flatternden Marssegeln durch die kurzen, steilen Wellen.
        Bolitho rief:»Halten Sie sich bereit, Mr. Gossett!«Gequalt beobachtete er, wie der verankerte Franzose eine gezielte Breitseite abfeuerte. Zwei parallele Reihen orangeroter Flammen zungelten aus dem Rumpf und schleuderten die Salve doppelter Ladungen gegen die Seite der Indomitable, auf der die Stuckpforten noch geschlossen waren. Bolitho hob die Hand, seine Augen glitten schnell uber die kauernden Kanoniere. Er verschlo? seine Sinne vor dem Knirschen von splitterndem Holz und konzentrierte sich vollig auf die vor ihm liegenden Schiffe. Kein Wunder, da? der Feind so geduldig und zuversichtlich gewartet hatte. Statt einer geschlossenen Reihe von Schiffen hinter ihrem Heck hatten sie jetzt nahezu ein Chaos vor sich. Die Indomitable drehte schwerfallig durch den Wind. Ihre Kluver flatterte durchlochert, ihre Vormars- und Gro?-bramstenge baumelten im zerfetzten Rigg wie verstummelte Baume. Sie hatte ihre andere Batterie immer noch nicht ausgerannt, und Bolitho konnte sich die Metzelei vorstellen, die jene erste Salve angerichtet hatte. Jetzt feuerte das nachste Schiff, und die See um Pelham-Martins
Flaggschiff kochte vor wei?er Gischt und herabsturzenden Trummern.
        Eine Stimme schrie:»Mein Gott! Abdiel brennt!»
        Bolitho ri? den Blick vom hohen Heck der Hermes los und drehte sich gerade noch rechtzeitig, um die Fregatte querschlagen zu sehen. Ihre Segel und das vordere Rigg brannten wie Zunder. Die Flammen sprangen von Spiere zu Spiere, und kleine, erbarmliche Gestalten sturzten neben dem Schiff ins Wasser oder auf Deck.

«Signal an alle!«Gascoignes Stimme klang schrill vor Verzweiflung.»Um das Flaggschiff zusammenschlie?en.»

«Nicht bestatigen!«brullte Bolitho. Dann zu Gossett:»Jetzt! Leeruder!»
        Ein Laut wie ein Aufstohnen tonte uber das Wasser, und er vermutete, da? die Telamon mit dem Achterschiff der Indomitable kollidiert war. Bei dem dichten Qualm war kaum zu erkennen, was vorging.
        Vorn losten seine Leute schon die Vorsegelschoten, und als das Ruder herumschwang, begann sich ihr Bugspriet erst langsam, und dann schneller am Heck der Hermes vorbeizudrehen.

«Halse und Schoten los!«Es war uberraschend, da? Menschen jetzt noch denken konnten, von Handeln nicht zu reden; doch sie folgten, mehr aus Gewohnheit denn aus Verstandnis.
        Bolitho sah nach oben und hielt den Atem an, als die Rahen uberkamen, die Segel in Unordnung gerieten und der Bug langsam durch den Wind drehte.

«Laufen lassen und dichtholen!«schrie Inch durch sein Sprachrohr.»Hol dicht!»

«Bramsegel setzen, Mr. Inch!»
        Ein Gescho? zischte uber das Achterdeck, aber kaum einer blickte auf. Wahrscheinlich war es ein Fehlschu? von der Indomitable, aber aller Augen blieben auf die Hermes gerichtet, als die Hyperion mit den laut rauschenden, zusatzlichen Segeln und nach der entgegengesetzten Seite geneigtem Deck an ihr vorbeizog.
        Die Hermes feuerte an den beiden anderen Schiffen vorbei, die in hilfloser Verwirrung ineinander verkeilt waren. Der Kluverbaum des Hollanders war wie eine Lanze durch die Wanten der Indomi-table gefahren. Und wahrend Matrosen sich bemuhten, Tauwerk und zerrissene Netze zu kappen, setzte der Franzose sein verheerendes Feuer aus einer Distanz von etwas uber funfzig Yards fort. Bolitho konnte Manner absturzen oder wie Lumpenbundel beiseitefliegen sehen, die von Schrapnell- und Kartatschenladungen getroffen wurden.
        Wahrend die Hyperion an den drei anderen Schiffen des Geschwaders vorbeilief, glaubte Bolitho, Pelham-Martin auf seinem Achterdeck zu erkennen. Sein goldverzierter Hut glanzte in der Sonne, mit hastigen Schritten ging er auf und ab und gestikulierte wild mit den Armen, aber seine Stimme ging im Donnern der Geschutze unter.
        Der Qualm war dicht und stieg bis zu den Marsrahen auf; Bolitho versuchte, die Minuten zu zahlen, wahrend sein Schiff stetig an der Reihe verborgener Feinde entlangfuhr, die Rahen so dichtgebra?t, da? sie beinahe mittschiffs standen.
        Es mu?te soweit sein. Es mu?te einfach an der Zeit sein. Verzweifelt spahte er nach achtern und erkannte den Umri? der Indomitable, eingehullt in Rauch und Mundungsblitze. Rauch verdeckte auch die Hermes und den havarierten Hollander, doch das Trommeln der feindlichen Salven ging ohne Zogern oder Unterbrechung weiter. Er schrie:»Klar zur Wende!«Er sah, wie Inch die Reling packte und versuchte, durch den Qualm zu spahen.»Klar ist!»
        Bolitho rannte nach Steuerbord. Wenn er die Entfernung falsch eingeschatzt hatte oder der Wind ihn im Stich lie?, mu?te er mit dem nachsten feindlichen Schiff kollidieren und dann so hilflos wie die Telamon werden.

«Jetzt!»
        Als das Schiff begann, sich durch den Wind zu drehen, hob er die Hande an den Mund und rief den Kanonieren auf dem Hauptdeck zu:»Steuerbordbatterie - Feuer!»
        Es war wie ein doppeltes Donnerrollen, da das untere Batteriedeck auf den Befehl nicht vorbereitet gewesen war. Er spurte, wie das Schiff schwankte, als Geschutz um Geschutz an seinen Taljen zuruckgeworfen wurde. Die Abschu?flammen wurden augenblicklich vom erstickenden Pulverqualm verhullt, der durch die Pforten zuruckstromte und den Tag zur Nacht machte.
        Er horte die Aufschlage einiger Geschosse, die ihr Ziel trafen, und rief den Kanonieren an Backbord zu:»Klar zum Feuern, Jungs!«Er grinste wild, und es wurde ihm nur halb bewu?t, da? das Schiff unter ihm so hart wendete, als ob das Rigg sich losrei?en wollte. In fieberhafter Hast luden die Kanoniere der Steuerbordbatterie ihre Geschutze neu, wahrend die Hyperion weiter und weiter drehte, bis Bolitho plotzlich wie durch Zauber die Masttopps eines verankerten Schiffs kaum funfzig Yards voraus durch sein Blickfeld ziehen sah.
        Dann zerri? der Wind die Rauchwand, und er sah den Feind klar und deutlich: einen Zweidecker, auf dem ein Teil der Geschutze bereits zu feuern begann, als die Hyperion aus dem ziehenden Qualm auftauchte und an der franzosischen Formation entlang zurucksegelte. Es war das Fuhrungsschiff der Franzosen, und als Bolitho sich ins Netz lehnte, sah er mit kalter Befriedigung, da? das nachste dahinter aus einem Dutzend Lochern in Schanzkleid und Gangway qualmte, wo seine blindlings abgefeuerte Salve Treffer erzielt hatte.

«Geschutzweise feuern!«Die Steuerbordkanonen waren bereit, und als ein Stuckfuhrer nach dem anderen die Abzugsleine zuruckri?, kam der Qualm oben uber die Laufbrucke in einem geschlossenen Wall zuruckgestromt.

«An Deck: Ihr Gro?mast fallt. «Ein Hurra lief gedampft uber das rauchverhullte Deck, gequaltes Husten und Fluche waren zu horen, als die untere Batterie wieder feuerte.
        Ein Matrose kam nach achtern gerannt, taumelte plotzlich und sturzte Stepkyne tot vor die Fu?e. Der Leutnant ging weiter, hielt nur inne, um uber den Toten hinwegzusteigen, wahrend er seine Kanoniere einwies.
        Bolitho spurte eine Hand am Armel und sah, da? es Gascoigne war. Er mu?te ihn angerufen haben, aber in dem Larm war seine Stimme untergegangen.

«Sir! Signal von der Indomitable!«Er schnappte nach Luft, als ein Gescho? dicht uber ihnen wegfuhr und ein Stag wie einen Nahfaden zerri?.

«Weiter, Junge. «Bolitho spurte das Deck erbeben und wu?te, da? einige Schusse des Feindes getroffen hatten.

«Das Signal lautet: >Kampf einstellend Sir.»
        Inch kam nach achtern und wischte sich das Gesicht.»Wie war das? Kampf einstellen? Er wirkte ratlos.

«Bestatigen. «Bolitho begegnete seinem verzweifelten, starren Blick.»Das bedeutet Ruckzug, Mr. Inch. «Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zur gegenuberliegenden Seite, um zu beobachten, wie die Hermes aus dem Kampfgetummel heraus durch den Wind drehte. Ihre Heckgeschutze feuerten noch, und ihre Masten waren alle intakt.
        Das Geschutzfeuer brach so plotzlich ab, als ob jeder taub geworden ware. Dann schob der Wind den Rauch beiseite, und Bo-litho sah, da? sie von den verankerten Schiffen schon gut klargekommen waren. Die Telamon walzte sich herum, um der angeschlagenen Indomitable zu folgen, die Hermes bereitete sich schon darauf vor, wieder ihre Position dahinter einzunehmen.
        Die Indomitable bot einen jammerlichen Anblick. Sie hatte alle Maststengen verloren, und ihre Steuerbordseite war vom Bug bis zum Heck zersplittert und durchlochert.
        Von den Franzosen schollen aufgeregte Hurrarufe heruber, vermischt mit hohnischen und spottischen Schreien, die den Matrosen und Marinesoldaten der Hyperion wie die endgultige Verdammung in den Ohren klingen mu?ten.

«Signal an alle, Sir. «Gascoigne wirkte niedergeschmettert.»Kurs Sudwest. «Das war alles.
        Bolitho stieg die Poopleiter hinauf und sah an Backbord nach achtern. Hinter den jubelnden franzosischen Schiffen konnte er die rauchenden Uberreste der Abdiel ausmachen und ein paar verzweifelte Uberlebende, die wie verendende Fische im Wasser zappelten. Als sich dann die Landzunge vor dieses Bild des Elends schob, bemerkte er, da? er unkontrollierbar und wie im Fieber zitterte.
        Allday kletterte neben ihm herauf.»Sind Sie krank, Captain?»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Er furchtete sich, zu sprechen.»Nicht krank. Nur wutend!»
        Ohne etwas zu sehen, starrte er auf die endlose Kette der Berge und das uppige grune Unterholz uber der fernen Brandung. Ruckzug. Das stak in seinem Kopf wie mit Widerhaken. Ruckzug!
        Inch kam polternd die Leiter herauf und griff an seinen Hut.»Zwei Tote, Sir. Keine Verletzten.»
        Bolitho sah ihn an, bemerkte aber Inchs Qual nicht, der vor den kalten Augen seines Kommandanten zuruckscheute.

«Zwei Leute also. «Er wendete sich ab. Die Worter wurgten ihn in der Kehle. Sie waren uberlistet und zusammengeschossen, aber nicht geschlagen worden. Sie waren nicht im entferntesten geschlagen. Er blickte nach vorn auf die schweigenden Manner, die ihre Geschutze wieder festzurrten. Sie mu?ten sich davonschleichen, dank Pelham-Martins blinder, anma?ender Dummheit!
        Inch fragte leise:»Was tun wir jetzt, Sir?»

«Tun?«Bolitho sah ihn mit wilden Blicken an.»Einen verdammten Bericht aufsetzen, das tun wir jetzt. Wurde mich jedenfalls nicht wundern. Wollen nur hoffen, da? die Toten der Abdiel es zufrieden sind.»
        Einem plotzlichen Impuls folgend, legte er seinen Sabel ab und reichte ihn Allday. Wenn wir das nachstemal den Feind sichten, bringen Sie mir statt dessen besser eine we i?e Fahne.»
        Dann drehte er sich auf der Stelle um und ging.
        Inch sah Allday an.»Ich habe ihn noch nie so wutend gesehen.»
        Der Bootsfuhrer drehte den Sabel in Handen und fing mit dem abgegriffenen Knauf das Sonnenlicht auf.»Bitte um Vergebung, Sir, aber es wird Zeit, da? endlich jemand wutend wird, wenn Sie mich fragen.»
        Dann druckte er den Sabel gegen die Brust und folgte seinem Kommandanten.
        Regungslos sa? Bolitho in der Achterplicht der Barkasse, die schnell durch die kleinen Knuppelwellen fuhr, den Blick fest auf die vor Anker liegende Indomitable gerichtet. Nach dem Zusammenbruch von Pelham-Martins Angriff waren die Schiffe vier Stunden lang weiter nach Sudwesten gelaufen, folgten der geschwungenen Kustenlinie in einem Tempo, das auf ein qualvolles Kriechen reduziert war, da die verkruppelte Indomitable bemuht war, weiter die Fuhrung zu behalten.
        An einer Stelle, wo sich das Land wieder einbuchtete und der Meeresboden guten Ankergrund bot, hatte der Kommodore seinen Ruckzug angehalten. Jetzt lagen die Schiffe in einer langgezogenen, ungleichma?igen Reihe mit dem Bug zum Land, das knapp zwei Meilen entfernt war.
        Bolitho hob den Blick, um die Beschadigungen der Indomitable zu schatzen, und wu?te, da? seine Rudergasten ihn beobachteten.
        Von der zerschlagenen Bordwand des Zweideckers hob sich die Besatzung der Barkasse sauber und intakt ab, als sie auf ein scharfes Kommando hin die Riemen hoben und der Buggast an der Kette einhakte.
        Bolitho sagte:»Legen Sie ab und warten Sie auf meinen Ruf. «Er blickte nicht in Alldays besorgtes Gesicht, als er nach der Kette griff. Die Erbitterung war auch so schon gro? genug, ohne da? seine Besatzung sich mit den Leuten der Indomitable unterhalten und noch mehr Klatsch heraufbeschworen konnte, der sie in hohem Ma? demoralisieren mu?te.
        An der Schanzpforte wurde er von einem Leutnant empfangen, der den Arm in der Schlinge trug. Er sagte:»Wurden Sie bitte allein nach achtern gehen, Sir?«Er deutete mit dem Kopf auf die anderen Schiffe.»Captain Fitzmaurice und Captain Mulder werden auch jeden Augenblick an Bord kommen.»
        Bolitho nickte, antwortete aber nicht. Als er zum Achterdeck ging, nahm er den Gestank von verbranntem Holz und verkohlter
        Farbe, von hei?geschossenen Kanonen und den su?lichen, absto?enden Geruch von Blut wahr.
        Seit sie Las Mercedes hinter sich gelassen hatten, war die Besatzung der Indomitable unermudlich tatig gewesen, doch uberall waren die Spuren des Kampfes und der nahen Katastrophe zu sehen. Mehrere Geschutze waren umgesturzt, und uberall leuchtete Blut, als ob ein Wahnsinniger mit Pinsel und Farbe gehaust hatte; unter dem Stumpf des Fockmastes lagen die Toten wie Fleisch in einem Schlachthaus gestapelt, und als er oben auf der Hutte kurz innehielt, wurden weitere von unten heraufgeschafft und dem grausigen Bild hinzugefugt.
        Er stie? die Tur zur Kapitanskajute auf. Inmitten von Seekarten stutzte Pelham-Martin sich auf seinen Tisch und wurde dabei von einem Hauptmann der Marinesoldaten und einem Leutnant beobachtet, der nicht viel alter als neunzehn Jahre sein konnte.
        Der Kommodore blickte von den Karten auf. Seine Augen schimmerten im reflektierten Licht, das durch die zersplitterten Heckfenster fiel.
        Bolitho sagte tonlos:»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»

«Zu einer Konferenz. «Pelham-Martin sah sich in der verwusteten Kajute um.»Das ist eine bose Sache.»
        Irgendwo unter Deck schrie ein Mann auf. Der Laut brach so plotzlich ab, als ob eine Tur zugeschlagen worden ware.
        Bolitho fragte:»Was beabsichtigen Sie zu tun?»
        Der Kommodore starrte ihn an.»Wenn die anderen da sind, werde ich…»
        Er drehte sich heftig um, als die Tur geoffnet wurde und ein Steuermannsmaat hereinblickte.»Verzeihung, Sir, aber der Kommandant fragt nach Ihnen.»
        Pelham-Martin schien es bewu?t zu werden, da? Bolitho ihn beobachtete, und er sagte schwerfallig:»Winstanley wurde verwundet, als wir uns vom Feind losten. Er liegt unten im Orlop. «Mit einer gequalten und verzweifelten Bewegung hob er die Schultern.»Ich furchte, es ist aus mit ihm. «Dann deutete er auf die beiden Offiziere.»Vom Leutnant hier abgesehen, sind dies die einzigen Offiziere, die nicht tot oder verwundet sind.»
        Bolitho erwiderte:»Ich mochte Winstanley sehen. «Er ging zur
        Tur, dann blieb er stehen, als er bemerkte, da? Pelham-Martin sich nicht geruhrt hatte.»Kommen Sie mit, Sir?»
        Der Kommodore blickte vor sich auf die Karte nieder und strich ziellos mit dem Finger daruber hin.»Spater vielleicht.»
        Bolitho winkte die beiden Offiziere nach drau?en.»Warten Sie vor der Tur.»
        Der Hauptmann der Marinesoldaten schien protestieren zu wollen, aber dann bemerkte er Bolithos Augen.
        Nachdem die Tur sich hinter den beiden geschlossen hatte, sagte Bolitho ruhig:»Ich denke, da? Sie mitkommen sollten, Sir. «Er spurte den Zorn wie Feuer in sich aufflackern.»Das ist das wenigste, was Sie fur ihn tun konnen.»
        Pelham-Martin fuhr vom Tisch zuruck, als ob ihn ein Schlag getroffen hatte.»Wie konnen Sie es wagen, so mit mir zu sprechen.»

«Was Sie getan haben, gibt mir das Recht dazu. «Bolitho merkte, da? er seine Worte nicht mehr kontrollieren konnte. Er wollte es auch nicht.»Sie haben die Ehre, das Kommando uber diese Schiffe und diese Manner zu fuhren. Damit tragen Sie auch die Verantwortung. Sie haben jedoch beides fortgeworfen, ohne mehr Gedanken darauf zu verwenden als ein blinder Narr.»

«Ich warne Sie, Bolitho!«Pelham-Martins Hande offneten und schlossen sich wie zwei Klauen.»Ich bringe Sie vor ein Kriegsgericht. Ich werde nicht ruhen, bis Ihr Name ebenso mit Schande beladen ist wie der Ihres Bruders. «Er wurde bla?, als Bolitho einen Schritt auf ihn zutrat.»Es war eine Falle. Ich hatte nicht erwartet.»
        Bolitho krampfte die Hande hinter seinem Rucken ineinander, nahm die Worte des Kommodore auf, wu?te, da? sie die letzte verzweifelte Verteidigung dieses Mannes waren.
        Er sagte:»Vielleicht kommt es zur Verhandlung vor einem Kriegsgericht, Sir. Aber wir wissen beide, wem sie gelten wird. «Er sah, da? seine Worte getroffen hatten, und fugte langsamer hinzu:»Mir ist es so oder so gleichgultig, aber ich werde nicht untatig danebenstehen und zusehen, wie unsere Leute verunglimpft und unsere Sache entehrt wird. Nicht durch Sie, und nicht durch sonst jemanden, der mehr an seinen personlichen Vorteil als an seine Pflicht denkt.»
        Ohne ein weiteres Wort stie? er die Tur auf und ging schnell uber das in der Sonne liegende Achterdeck. Jeden Augenblick erwartete er, da? Pelham-Martin nach dem Hauptmann der Marinesoldaten rufen und ihn unter Arrest stellen wurde; falls das geschah, wu?te er nicht, wozu sein Zorn und seine Verachtung ihn noch verleiten mochten.
        Er konnte sich nicht erinnern, wie er den Weg zum Orlopdeck hinuntergefunden hatte, und er registrierte nur vage Bilder von Mannern, die mit Reparaturarbeiten beschaftigt waren, die Gesichter und Korper noch vom Pulverqualm geschwarzt, mit starren und wilden Augen.
        Das Orlopdeck lag im Dunkeln, abgesehen von den schwankenden Laternen unter der Decke, die alle uber dem zentralen Punkt aufgehangt waren, an dem Todeskampf und Horror herrschten. Ringsum an den bauchigen Wanden des Rumpfes warteten zuk-kende und schluchzende Verwundete, deren Gesichter und zerschmetterte Gliedma?en im Lampenlicht kurz sichtbar wurden, ehe das Schiff sich auf die andere Seite legte und sie wieder in barmherzigem Schatten verschwinden lie?.
        Kapitan Winstanley lag gegen einen der massiven Spanten gelehnt. Sein eines Auge war von einem dicken Verband bedeckt, in dessen Mitte ein roter Fleck leuchtete. Er war bis zu den Huften nackt, den Unterkorper nur mit einem Stuck Leinwand bedeckt. Sein gebogener Sabel, den er wahrend des Kampfes getragen hatte, lag neben ihm.
        Bolitho lie? sich auf ein Knie nieder, sah den Schwei?, der Win-stanley uber die breite Brust rann, sein langsames, muhsames Atmen, das mehr als genug verriet.
        Behutsam ergriff er die Hand des verwundeten Kapitans. Die Finger waren kalt wie Eis.»Hier bin ich, Winstanley. «Er sah, da? das nicht bedeckte Auge sich ihm zuwendete, dann das Erkennen, das so langsam kam wie der Atem des Mannes.
        Die Finger bewegten sich etwas.»Sie wollte ich sehen. «Er schlo? das Auge und verzerrte in plotzlichem Schmerz das Gesicht. Dann fugte er mit schwacher Stimme hinzu:»Ich - ich wollte Pelham-Martin sagen. wollte ihm sagen. «Das Auge wich von Bolitho ab und richtete sich auf einen dunnen Mann in langer, blutbefleckter Schurze. Der Arzt der Indomitable nickte kurz und ging zu den Laternen zuruck, wo seine Gehilfen einen schlaffen Korper vom Operationstisch zogen. Winstanleys Mund versuchte zu lacheln.»Mr. Tree ist ungeduldig, Bolitho. Aber an mir verschwendet er nur seine Zeit. «Er rollte den Kopf, um sich im Orlopdeck umzusehen.»Er soll sich um diese armen Kerle hier kummern. Mit mir ist es vorbei. «Dann schlossen sich seine Finger wie eine stahlerne Falle um Bolithos Hand.»Lassen Sie nicht zu, da? er Schande uber mein Schiff bringt! Im Namen Christi, dulden Sie das nicht.
«Das Auge war auf Bolithos Gesicht gerichtet, forderte eine Antwort.
        Nahebei wich ein junger Midshipman mit vor Angst geweiteten Augen gegen die Bordwand zuruck, als ein Lazarettmaat sagte:»Der ist der nachste. Sein Arm mu? abgenommen werden. «Der Junge walzte sich auf die Seite, wehrte sich weinend gegen die Gehilfen, die aus dem Dunkel auftauchten.
        Winstanley keuchte:»Sei tapfer, Junge, sei tapfer!«Aber seine Worte blieben ungehort.
        Bolitho wandte sich ab, ihm war elend zumute. Er dachte an Pas-coe. Was hatte geschehen konnen, wenn er Pelham-Martins Signal befolgt hatte, sich mit den anderen um die Indomitable zu scharen und auf die vollstandige Vernichtung zu warten?
        Er sagte:»Ich habe einen Plan, Winstanley. «Er verschlo? sein Gehor dem schrillen Aufschrei hinter seinem Rucken; er klang wie der einer gefolterten Frau.»Ich werde fur Ihr Schiff tun, was ich kann. «Er versuchte zu lacheln.»Fur uns alle.»
        Bolitho spurte, da? jemand seine Schulter beruhrte, und blickte auf. Der Arzt und seine Gehilfen standen neben ihm.
        Winstanley sagte leise:»Anscheinend kann ich nicht mehr bewegt werden, Bolitho.»
        Der Arzt brummte ungeduldig:»Tut mir leid, Captain Bolitho, aber Sie mussen jetzt gehen.»
        Bolitho zuckte zusammen, als das Stuck Leinwand weggezogen wurde. Selbst Winstanleys Verband konnte den entsetzlichen Anblick seines Beins und seiner Hufte nicht verdecken. Muhsam sagte er:»Ich kann nicht warten, Winstanley. Ich besuche Sie spater, um Ihnen meinen Plan zu erlautern, ja?»
        Winstanley nickte und lie? die Hand sinken. Er wu?te so gut wie Bolitho, da? es fur sie auf Erden kein Wiedersehen geben wurde. Und etwas in seinem einzigen Auge schien Bolitho zu danken, der in den Schatten zurucktrat. Zu danken fur das Versprechen eines Plans, von dem Bolitho selbst noch keine Vorstellung hatte. Und dafur, da? er nicht blieb, um Zeuge des letzten Elends und der Erniedrigung unter dem Messer zu werden, das schon im Licht der Laternen glanzte.
        Auf dem Achterdeck brannte die Sonne hei?er und heller als je, aber die Ubelkeit in Bolithos Magen blieb unverandert, und er fuhlte sich so kalt wie Winstanleys Hand.
        Manche Seeleute beobachteten ihn, als er vorbeiging. Ihr Ausdruck war beherrscht, aber in gewisser Weise wehrlos. Sie hatten ihren Kommandanten geliebt und ihm gut gedient. Dagegen war Bolitho ein Fremder.
        In der Achterkajute fand er Fitzmaurice und Mulder, die mit dem Kommodore warteten. Ihre Gesichter waren zur Tur gerichtet, als ob sie die schon seit einiger Zeit beobachteten.
        Bolitho sagte ruhig:»Ich bin bereit, Sir.»
        Pelham-Martin sah sie der Reihe nach an.»Dann, glaube ich, sollten wir daruber diskutieren.»
        Er blickte auf, als Fitzmaurice ihn schroff unterbrach:»Irgendwo auf See lauern die anderen Schiffe von Lequiller, wahrend wir hier herumstehen und reden. Wir konnen Las Mercedes nicht verlassen, ohne die zu zerstoren, gegen die wir gerade gekampft haben. «Er sah den Kommodore unbewegt an.»Doch wenn wir wieder angreifen, steht uns der gleiche Ruckschlag bevor, da sich das Krafteverhaltnis zu unseren Ungunsten verschoben hat.»
        Der Kommodore betupfte sich automatisch die Stirn.»Wir haben es versucht, meine Herren. Und ich kann nicht sagen, da? wir unser Bestes geboten haben.»
        Bolitho zerrte an seinem Halstuch. Diese Worte und die Hitze in der Kajute machten ihn schwindlig. Er sagte:»Es gibt noch eine Moglichkeit, den Feind zu uberraschen.
«Er beobachtete PelhamMartins Gesicht, der seine Verwirrung zu verbergen suchte. Die Zeit arbeitet nicht fur uns, und dieser Plan, jeder Plan, kann sich als besser erweisen als die vollige Niederlage.»
        Die anderen sahen ihn aufmerksam an, aber er wandte den Blick nicht vom Gesicht des Kommodore. Es war, als ob zwischen ihnen ein Seil gespannt ware, und auch nur ein Anzeichen des Zogerns oder der Unsicherheit konnte allem ein Ende machen.
        Wie von weit her horte er Pelham-Martin sagen:»Sehr gut. Dann seien Sie so freundlich und erlautern Sie ihn. «Als er sich in seinen Sessel sinken lie?, zitterten ihm die Hande stark, aber noch weniger zu ubersehen war der Ha? in seinen Augen.
        Bolitho erkannte diesen Ausdruck und ignorierte ihn. Er dachte an Winstanley unten im Orlop: mitten unter seinen Leuten war er den Todesqualen unter der Sage des Chirurgen ausgeliefert.



        X Ehrensache

        Die Leutnants und ranghoheren Deckoffiziere der Hyperion standen Schulter an Schulter um Bolithos Schreibtisch. Ihren Gesichtern konnte man die unterschiedliche Konzentration ansehen, mit der sie den Erlauterungen ihres Kommandanten anhand seiner Karte folgten und auf seine eindringliche Stimme lauschten.
        Die See hinter den Heckfenster lag vollig im Dunkeln, und wahrend das Schiff noch vor Anker schwojte, war es an Deck und auf den Gangways bereits lebendig von scharrenden Fu?en und dem Knarren der Taljen, als, begleitet von Befehlen und unterdruckten Fluchen, Boote zu Wasser gelassen wurden.
        Bolitho setzte sich auf die Fensterbank, damit er die Gesichter unter den Laternen sehen und beurteilen konnte, wieviel oder wie wenig sie von seinem Plan verstanden und akzeptierten.
        Als er ihn Pelham-Martin und den anderen Kommandanten erlautert hatte, war er uberrascht gewesen, wie klar er seine Gedanken formulieren konnte. Vielleicht hatten sein Zorn und seine Verachtung, sicher aber seine Trauer um Winstanley seinen Verstand besonders scharf arbeiten lassen, so da? der Plan, vage und verschwommen zunachst, sich mit jedem seiner Worte entwickelt, mit jeder Sekunde an Deutlichkeit gewonnen hatte.
        Er sagte:»Wir nehmen vier Kutter, zwei der unseren, die beiden anderen kommen von der Hermes. Captain Fitzmaurice stellt das Gros des Landekommandos, da sein Schiff gegenwartig am besten mit Leuten versehen ist. Die Einhaltung des Zeitplans und der Disziplin ist von uberragender Bedeutung, meine Herren. Ich erwarte auch, da? jeder Mann und jedes Boot sorgfaltig uberpruft wird, ehe wir aufbrechen. Nur ausreichend Rindfleisch und Zwieback und sonst nichts. Frischwasservorrat fur den gleichen Zeitraum, aber keine Reserve fur Notfalle oder Verzogerungen. «Der Reihe nach blickte er in jedes Gesicht.»Es ist eine sehr schwere Aufgabe, und um sie mit einiger Aussicht auf Erfolg zu losen, mussen wir uns so gering wie moglich belasten, gleichgultig, wie strapazios es wird.»
        Hauptmann Dawson sagte rauh:»Mir ware es lieber, Sie wurden meine Marinesoldaten nehmen, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Die werden ihre Chance spater bekommen. «Er neigte den Kopf und lauschte, als zusatzliches Poltern und Rufe die Ankunft von Booten ankundigten. Der Rest des Landekommandos mu?te schon eingetroffen sein.
        Schnell erklarte er:»Der Erste Offizier der Hermes wird mein Stellvertreter als Kommandeur. Das ist nur gerecht, da sein Schiff den Hauptteil der Gruppe stellt.
«Er sah, da? Inch nickte und damit das Argument anerkannte, wenn er auch zweifellos wu?te, da? seine eigenen Aussichten auf eine Beforderung oder einen plotzlichen Tod dementsprechend verringert wurden. Bolitho fugte hinzu:»Als weiterer Offizier geht Mr. Lang mit uns.»
        Lang war der Dritte Offizier und in dem Gefecht bei St. Kruis leicht verwundet worden. Seine Verletzung war inzwischen geheilt, aber anscheinend hatte sie seine Nerven sehr belastet, so da? jetzt auf seinem Gesicht fast standig ein ratloses Stirnrunzeln stand.
        Er nickte eifrig.»Danke, Sir.»
        Stepkyne sagte abrupt:»Als Zweiter Offizier ist es aber mein Recht, mitzugehen, Sir.»
        Bolitho hatte diesen Protest erwartet und konnte Stepkyne keinen Vorwurf machen. Eine Beforderung war zu allen Zeiten nur schwer zu erlangen, und fur einen Mann wie ihn war es doppelt schwierig. Er sagte:»Dieses Schiff ist unterbesetzt, Mr. Stepkyne. Sie sind sehr erfahren und konnen nicht entbehrt werden.»

«Es ist mein Recht, Sir. «Stepkyne schien seine Umgebung vergessen zu haben.
        Bolitho verdrangte Stepkynes Privatproblem aus seinen Gedanken.»Hier steht mehr auf dem Spiel als Ihre Beforderung oder mein Begrabnis. Und ich mochte Sie darauf hinweisen, da? das, was Sie als Ihr Recht betrachten, in Wirklichkeit ein Privileg ist. Belassen wir es also dabei.»
        Die Kajutentur wurde geoffnet, und Captain Fitzmaurice trat, gefolgt von seinem Ersten Offizier, ins Licht der Lampen. Er hob die
        Hand.»Entschuldigen Sie die Storung, Bolitho. Ich wollte aber noch mit Ihnen sprechen, ehe Sie aufbrechen. «Er nickte den anderen kurz zu.»Dies ist Mr. Quince, mein Erster.»
        Quince war ein gro?er magerer Mann mit hartem Mund und ungewohnlich hellen Augen. Bolitho hatte von Fitzmaurice bereits erfahren, da? Quince fur eine Beforderung geeignet und befahigt war, wenn sich die Chance dazu bot.
        Bolitho sagte:»Im Interesse unserer Gaste, meine Herren, will ich den Plan noch einmal kurz erlautern. «Er strich die Karte auf seinem Schreibtisch glatt.»Das Landekommando besteht aus vier Kuttern mit achtzig Mann, Offizieren und Mannschaften. Sie werden sehr eng beieinandersitzen, aber der Einsatz von mehr Booten wurde dem Geschwader die Moglichkeit nehmen, an anderer Stelle ein Ablenkungsmanover zu starten.»
        Es geschah nicht ausschlie?lich zur Unterrichtung Fitzmaurices, da? er seine Instruktionen wiederholte. Worte brauchten Zeit, um sich im Bewu?tsein festzusetzen, sie in Moglichkeiten oder harte Tatsachen zu ubertragen. Bei einem schnellen Blick auf die Manner erkannte Bolitho, da? er recht hatte. Sie blickten auf die Karte, aber ihre Augen waren jetzt aufnahmefahiger, nachdenklicher, denn jeder sah den Ablauf von seinem eigenen Standpunkt aus.

«Wie Sie gesehen haben, ist die Mundung des Flusses, der Las Mercedes von der Ruckseite aus schutzt, etwa eine Meile breit. Sie mogen ferner beobachtet haben, da? sie kaum mehr als ein Sumpf ist, voller Binsen und Sandbanke und deshalb fur gro?ere Fahrzeuge ungeeignet. Tiefer im Land wird es noch schlimmer, deshalb mussen unsere vier Boote so leicht wie moglich sein. «Er lie? seine Worte wirken. Die Landegruppe mu? drei?ig Meilen in drei Tagen zurucklegen. Das ist vergleichsweise wenig, wenn Sie uber das Bodmin-Moor wandern, um Ihre Freundin zu besuchen. «Manche lachelten uber seine Worte.»Aber dieser Sumpf ist in keiner Karte verzeichnet und gefahrlich. Manche mogen ihn sogar fur unpassierbar halten. Aber wir werden es schaffen.»
        Fitzmaurice rausperte sich.»Drei Tage - das ist nicht viel Zeit.»
        Bolitho lachelte ernst.»Morgen unternimmt das Geschwader einen Scheinangriff gegen Las Mercedes. Die Franzosen werden von uns erwarten, da? wir etwas tun, und wenn wir nichts starten, konnten sie erraten, was wir beabsichtigen. Die Schaluppe Dasher patrouilliert zur Zeit vor der Einfahrt zur Bucht. Daraus werden Le-quillers Leute ablesen, da? wir es noch einmal versuchen wollen.»
        Er sah Hauptmann Dawson an.»Die ubrigen Boote des Geschwaders werden fur eine Scheinlandung unterhalb der Landzunge eingesetzt. Jedes Schiff stellt dazu seine Marinesoldaten, und Sie ubernehmen den Oberbefehl. «Etwas von Dawsons Unwillen verschwand, als Bolitho hinzufugte:»Veranstalten Sie eine gute Schau, aber riskieren Sie nicht unnotige Verluste. Sie werden spater zu Ihrem Lohn kommen.»
        Er wendete sich wieder den anderen zu.»Dieses Ablenkungsmanover wird naturlich zeitlich begrenzt sein, aber inzwischen kann das Landekommando weit in die Sumpfe vordringen. Doch in drei Tagen, von der morgigen Dammerung an gerechnet, wird das Geschwader wirklich angreifen, meine Herren, und Sie konnen daraus ersehen, welche lebenswichtige Bedeutung die drei?ig Meilen haben, die wir zurucklegen mussen.»
        Inch fragte:»Was geschieht, wenn Sie dort nicht rechtzeitig eintreffen, Sir?»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an.»Das werden Sie entscheiden mussen, Mr. Inch. Denn wenn das eintritt, wird die Hyperion einen neuen Kommandanten haben.»
        Inch starrte ihn offenen Mundes an. Erst jetzt begriff er, warum Bolitho ihn zurucklie?.
        Bolitho fugte scharf hinzu:»Machen Sie weiter, meine Herren. Von unseren eigenen Leuten brauche ich je einen guten Feuerwerks- und Bootsmannsmaaten. Ferner zwei Midshipmen, aber nicht Gascoigne.»
        Inch fragte:»Darf ich fragen, warum?»

«Sie durfen. Mr. Gascoigne ist der dienstalteste Midshipman und sehr versiert im Signalwesen. Sie werden ihn hier dringender brauchen, wenn Sie Feindberuhrung bekommen.»
        Er sah ihnen nach, als einer nach dem anderen die Kajute verlie?, und sagte dann: Nun, Mr. Quince, ich hoffe, Sie haben sich Ihre Leute sorgfaltig ausgesucht.»
        Quince zeigte in einem langsamen Grinsen die Zahne.»Aye, Sir. Alles ausgebildete Leute. Ich habe sie selbst bestimmt. «Sein Grinsen wurde breiter.»Ich habe ihnen gesagt, ein Mann mu?te schon sehr viel Mut haben, wenn er sich unter Ihrem Befehl als Feigling erweisen wollte, Sir.»
        Fitzmaurice hustelte hoflich. Der plotzlich aufflammende Humor seines Untergebenen war ihm offensichtlich ungewohnt.»Warten Sie an Deck, Mr. Quince.»
        Captain Fitzmaurice enthullte den wahren Grund, weshalb er an Bord gekommen war, als er mit Bolitho allein war.»Sie haben gehort, da? Winstanley seinen Verletzungen erlegen ist?«Er hob die Schultern.»Der Arzt wird sein Ende zweifellos beschleunigt haben, aber trotzdem ist es schwer, sich mit seinem Verlust abzufinden.»

«Er war ein guter Kapitan. «Bolitho beobachtete Fitzmaurices erschopftes Gesicht, nahm die Gerausche hinter der geschlossenen Tur wahr und war sich der dringenden Notwendigkeit einer letzten Ausarbeitung seines skizzenhaften Plans bewu?t. Doch etwas an Fitzmaurices Ton verriet ihm, da? noch mehr kommen sollte.

«Unser Kommodore hat seine Befehle fur das Landungsunternehmen schriftlich niedergelegt, Bolitho. Ich nehme an, Sie haben sie ebenso sorgfaltig gelesen wie ich?»
        Bolitho nickte.»Sie sind weitgehend das, was ich erwartet habe.»

«Winstanley ist tot, und Sie sind jetzt der dienstalteste Kapitan. Fur alles, was an Land geschieht, tragen Sie die Verantwortung. «Er schien es plotzlich satt zu haben, seine Worte behutsam und diplomatisch zu wahlen.»In seinen Befehlen hat Pelham-Martin erklart, da? er in drei Tagen einen Angriff fuhren will, um Ihre Aktion an Land zu unterstutzen. «Er spreizte wutend die Hande.»Dieses eine Wort
>unterstutzen< andert die ganze Bedeutung des schriftlichen Befehls. Ich wei?, da? es falsch von mir ist, so offen meine Meinung zu sagen, aber ich kann nicht danebenstehen und zulassen, da? die ganze Verantwortung Ihnen zufallt. Sie unterstutzen den Kommodore, nicht umgekehrt.»
        Bolitho studierte ihn ernst. Fitzmaurice war ihm nie als ein Mann mit viel Phantasie erschienen. Diese plotzliche Anteilnahme und das Verstandnis ruhrten ihn, denn er wu?te, was es Fitzmaurice gekostet haben mu?te, seine Gefuhle so zu offenbaren. Schlie?lich kannte er Bolitho nicht, und es gab viele, die das Bekenntnis der Sorge dazu ausgenutzt hatten, ihre eigene Position beim Kommodore zu verbessern. Aber sogar anzudeuten, da? Pelham-Martin ein
        Tauschungsmanover plane, setzte Fitzmaurice der Gefahr aus, der Konspiration und der Insubordination beschuldigt zu werden.
        Bolitho erwiderte:»Ich danke Ihnen, da? Sie so offen sprechen. Ich werde es nicht vergessen. Aber ich glaube, da? wir nur an die Aufgabe denken sollten, die vor uns liegt. Und an die katastrophalen Folgen, die ein Fehlschlag haben wurde.»
        Fitzmaurice sah ihn bewundernd an.»Sie haben also erkannt, was es bedeutet, auch ohne da? ich es Ihnen gesagt habe?«Er lachelte.»Ein merkwurdiger Dienst, dem wir uns verschrieben haben. Wenn wir versagen, tragen allein wir die Schuld. Wenn wir Erfolg haben, sind immer schon irgendwelche da, die das Verdienst fur sich in Anspruch nehmen.»
        Bolitho streckte die Hand aus.»Ich hoffe, daran werden wir uns auch erinnern, wenn wir jemals den Rang von Flaggoffizieren erreichen.»
        Fitzmaurice folgte ihm auf das im Dunkeln liegende Achterdeck.»In meinem Fall bezweifle ich, da? es je soweit kommt. Ich habe immer gefunden, da? die Befriedigung, ein hochgestecktes Ziel zu erreichen, von der Muhe uberschattet wird, dorthin zu gelangen.»
        Aus der Dunkelheit sagte Allday:»Ihr Sabel, Captain.»
        Bolitho schnallte den Gurtel um, lie? seine Augen sich an das Dunkel gewohnen und spurte ringsum die beobachtenden Gesichter.
        Allday sagte ruhig:»Die wei?e Fahne habe ich diesmal nicht mitgenommen, Captain.
«Seine Zahne schimmerten beim Lacheln.»Hoffentlich habe ich es richtig gemacht.»
        Bolitho wendete sich ab.»Was soll nur aus Ihnen werden, wenn mir etwas zusto?t? Kein Kapitan von gesundem Verstand wurde Ihre Unverschamtheiten so geduldig hinnehmen wie ich.»
        Inch kam nach achtern und suchte unter den schweigenden Gestalten nach Bolitho.

«Boote liegen langsseit. «Er zogerte.»Viel Gluck, Sir, und Gott mit Ihnen.»
        Bolitho nickte. Plotzlich wurde ihm das Gewicht seiner Mission bewu?t. Er lie? nicht nur das Schiff zuruck, sondern er begab sich in eine Gegend, die kaum mehr als eine grobe Skizze auf seiner Karte war: eine andere We lt, ein anderer Kontinent, und der Him-
        mel mochte wissen, wie das Ende aussehen wurde. Er sagte:»Passen Sie gut auf, Inch.»
        Inch sah zu dem schwarzen Gewebe des Riggs hinauf, das vor den hellen Sternen leicht schwankte.»Das werde ich, Sir.»
        Bolitho stieg langsam die Leiter hinunter.»Und auch auf sich selbst. «Damit eilte er zur Schanzpforte, vorbei an anonymen Gestalten und wachsamen Gesichtern, und war sich der gro?en Stille uber dem ganzen Schiff sehr bewu?t.
        Stepkyne griff an seinen Hut, sein Ton war flach und ausdruckslos.»Alles in den Booten, Sir. Ich habe die Midshipmen Carlyon und Pascoe abgestellt. Sie sind die jungsten und werden fur die Fuhrung des Schiffs am wenigsten gebraucht.»
        Bolitho hielt seine Stimme gedampft.»Das war sehr aufmerksam von Ihnen, Mr. Stepkyne.»
        Ohne ein weiteres Wort folgte er Alldays breiten Schultern in den am nachsten liegenden Kutter hinab. Er hatte sorgfaltiger sein und sich weniger um seine eigene Rolle kummern sollen. Nun hatte Stepkyne die einzige Moglichkeit genutzt, um seinen Arger daruber zu zeigen, da? er zuruckbleiben mu?te. Und Bolitho konnte seine Wahl nicht umsto?en, ohne Pascoe zu begunstigen.
        Er setzte sich in der Achterplicht zurecht.»Ablegen, Allday. Wir ubernehmen die Fuhrung. «Er hob die Stimme, als die Leinen von den anderen Booten losgeworfen wurden.»Mr. Quince, Sie ubernehmen die Nachhut und sorgen dafur, da? die anderen den richtigen Abstand einhalten.»
        Die Riemen fielen in ihre Rundsein, und auf Alldays Befehl tauchten sie in das kabbelige Wasser.
        Bolitho konnte gerade noch den Umri? von Shambler im Bug ausmachen, einem erfahrenen Bootsmannsmaaten, der mit Lotblei und Leine bereit war, den Weg im ersten Teil des verschlammten Flusses auszuloten. Der Kutter bewegte sich schwerfallig und langsam in der Stromung; zwischen den Beinen der Manner konnte Bolitho die gestapelten Waffen und sparliche Verpflegung sehen.
        Als er nach achtern blickte, zog das erste Boot bereits in Kiellinie hinter ihnen her, doch sosehr er seine Augen anstrengte, das Schiff war schon im Dunkel verschwunden, und nicht einmal ein einziges Licht verriet seine Anwesenheit.
        Es war nicht wahrscheinlich, da? jemand sie vom Ufer aus beobachtete, dachte er grimmig. Dies war ein gottverlassenes Stuck Kuste, eine Einode, die der Natur und dem Menschen in gleicher Weise seit langem getrotzt hatte.
        Er legte die Hand auf den Griff seines Sabels und dachte plotzlich an Cheney: weiter und weiter entfernt war sie. Es schien, als ob die Trennung nie ein Ende finden und Teil jenes Traums wurde, der fur den Seemann Heim und Vaterland darstellte.
        Plotzlich schauderte er wie in einer kalten Bo. Der nachste Monat brachte fur die Hecken und Felder in Cornwall den Fruhling. Und in dem Haus unterhalb von Pendennis Castle wurde er ihm ein Kind bringen.
        Shambler rief rauh:»Brandung voraus, Sir. Etwa eine Kabellange entfernt.»
        Bolitho erwachte aus seinem kurzen Traum.»Das mu? die Flu?mundung sein. Beginnen Sie sofort mit dem Loten.»
        Ein Matrose streckte ein Bein, vielleicht weil er einen Krampf bekam, und eine Muskete fiel laut klappernd auf die Bodenbretter.

«Bringen Sie die Leute zur Ruhe!«Bolitho richtete sich etwas auf, um uber die dicht beieinander kauernden Matrosen hinweg nach der Flu?mundung auszuspahen, die jetzt auf beiden Seiten erkennbar wurde.

«Aye, aye, Sir.»
        Er erstarrte. Das war Pascoes Stimme; er hatte nicht gewu?t, da? er mit in diesem Boot war.
        Allday bewegte die Ruderpinne etwas und murmelte:»Hielt es fur das beste, den jungen Herrn an Bord zu nehmen, Captain. Um gewisserma?en ein Auge auf ihn zu halten.»
        Bolitho sah ihn an.»Kein Wunder, da? Sie nie geheiratet haben, Allday. Sie hatten Ihrer Frau ja nichts gelassen, wofur sie hatte sorgen konnen.»
        Allday grinste im Dunkeln vor sich hin. Bolithos grollender Ton war ihm so vertraut wie das Rauschen des Windes in den Wanten. Das war eben seine Art. Doch kaum einen Augenblick spater folgte die fallige Erganzung.
        Bolitho lie? sich auf seinen Platz zurucksinken.»Trotzdem Dank fur Ihre Fursorge, Allday.»
        Ohne auf seine Uhr zu sehen, wu?te Bolitho, da? es kurz vor Mittag war. Seit dem fruhen Morgen hatte die Sonne ihm ins Gesicht geschienen, jetzt brannte sie mit der sengenden Hitze eines offenen Schmelzofens direkt auf seinen Scheitel.
        Er griff nach Alldays Arm.»Hier wollen wir rasten. «Seine Lippen waren rauh und trocken, und selbst die wenigen Worte machten ihm Muhe.

«Achtung uberall! Riemen ein!»
        Die Matrosen zogen die langen Riemen binnenbords, und von vorn kam ein Aufplatschern, als der Buggast einen Schleppanker in den nachsten dichten Klumpen Schilf warf.
        Bolitho blickte auf seine Leute, die wie Tote auf ihren Duchten hockten und uber den Dollborden hingen, mit geschlossenen Augen, die Gesichter von der unbarmherzigen Sonne abgewendet.
        In der Morgendammerung waren die vier Boote gut vorwartsgekommen, trotz der salzverkrusteten Binsen und gelegentlicher Sandbanke. Die Zickzackfahrt zwischen den verschiedenen Hindernissen war zunachst nicht schwierig gewesen, und meistens blieben die Boote in Sichtkontakt. Als die Blaue des Himmels unter dem wachsenden Sonnenglast mehr und mehr verbla?te, wurde ihr Schlag jedoch langsamer, und immer wieder vergeudete das eine oder andere Boot wertvolle Kraft damit, einer verborgenen Sandbank auszuweichen oder das Durcheinander zu entwirren, wenn sich die Riemen in den dichten Wasserpflanzen verfingen.
        Als sich jetzt das nachste Boot durch die reglosen Gewachsklumpen heranschob und in der Nahe einen Schleppanker auswarf, mu?te Bolitho seine Verzweiflung gewaltsam unterdrucken. Es war wie eine Wanderung durch einen wahnwitzigen Irrgarten, und nur die Sonne und sein kleiner Kompa? konnten ihm helfen, den rettenden Ausgang zu finden. Das Schilf, das an der Flu?mundung leicht zu teilen und niederzubrechen gewesen war, stand jetzt dicht wie eine Mauer und uberragte meist den gro?ten seiner Manner. Falls drau?en Wind wehen sollte, so brachte er den schwitzenden und keuchenden Mannern doch keine Linderung, denn das hohe Schilf und die verfilzten Schlingpflanzen wirkten wie eine Schutzwand, so da? die Sonne ungemildert auf sie niederbrannte und jede Bewegung unertraglich machte.
        Leutnant Lang beugte sich uber das Dollbord seines Kutters und stutzte eine Hand auf das glatte Holz, aber nur sekundenlang, dann ri? er sie fluchend zuruck.

«Mein Gott, so hei? wie ein Musketenlauf. «Er ri? sich das Hemd uber der Brust auf und fragte:»Wie weit sind wir gekommen, Sir?»

«Etwa funf Meilen«, antwortete Bolitho.»Wir mussen weiter, wenn wir den Zeitplan einhalten wollen. Wir rasten nachts, sonst wurden sich die Boote zerstreuen und au?er Sicht geraten.»
        Er blickte uber Bord. Eine leichte Stromung schlangelte sich in zahllosen kleinen Rinnsalen zwischen den Binsen hindurch. Es war eine dunkle, geheimnisvolle Welt, und das trage Wasser war von kleinen Blaschen belebt, aufsteigende Gase versunkener Vegetation und faulender Wurzeln, schuf aber den Eindruck von unsichtbaren Lebewesen, die darauf warteten, da? die Eindringlinge weiterzogen.

«Von jetzt an sollen die Manner in kurzere Wachen eingeteilt werden. Sechs auf jeder Seite, hochstens eine halbe Stunde lang. «Er wischte sich mit dem Handrucken das Gesicht und starrte ein Insekt auf seiner Haut an.»Die Leute sollen sich nach vorn ausrichten und paddeln. Zum Pullen ist nicht genug Platz. «Er wartete, bis weiteres Platschern ihm verriet, da? die anderen Boote sich naherten.»Sagen Sie den Buggasten, sie sollen mit Bootshaken nach dem Fahrwasser tasten. Die tiefsten Stellen scheinen hier nur ungefahr acht Fu? tief zu sein, und ich zweifle nicht daran, da? es noch seichter wird.»
        Leutnant Quinces Kutter trieb quer gegen den Pflanzenwuchs, die Manner lie?en sich uber ihre Riemen sinken. Das langsame Vorwartskommen hatte auf dem Bootsrumpf seine Spuren hinterlassen.
        Quince wirkte noch recht frisch. Er hatte sich einen Streifen Leinwand uber den Nacken gelegt.»Ich schatze die Distanz auf funf Meilen, Sir. «Er richtete sich auf und versuchte, uber das Schilf zu blicken.»Nicht einmal ein Berg ist zu sehen. Es scheint nach allen Richtungen so weiterzugehen.»
        Bolitho sagte scharf:»Lassen Sie den Mann da nicht schlafen. «Er schuttelte den Kuttergast.»Aufwachen, Mann! Lassen Sie sich von den Insekten nicht auffressen, sonst sind Sie in ein paar Tagen tot. «Der angesprochene Matrose richtete sich auf und schlug halbherzig nach ein paar der zahllosen Fliegen, die sie seit Tagesanbruch standig begleiteten.
        Unvermittelt sagte Quince:»Darf ich vorschlagen, da? Sie in Ihrem Boot einen Riemen aufrecht stellen, Sir? Falls wir getrennt wurden, konnte er uns die Richtung weisen.»
        Bolitho nickte.»Sorgen Sie dafur, Allday. «Es war gut zu wissen, da? Quince nachdachte und nicht nur litt.
        Einer der Matrosen neigte sich uber das Dollbord und schopfte mit den Handen das trage flie?ende Wasser. Allday rief:»La? das!«Als der Mann die Hande zuruckzog, tauchte er sein Halstuch ein und probierte es mit der Zungenspitze. Dann spuckte er angewidert aus.»Dreck!«schimpfte er. Etwas leiser fugte er hinzu:»Schmeckt nach Salz und noch etwas, Captain. «Voller Ekel verzog er das Gesicht.»Als ob tausend Leichen drin liegen.»
        Bolitho hob die Stimme.»Habt ihr das gehort? Haltet also aus und wartet ab, bis Frischwasser ausgegeben wird. Der Gestank hier ist schon schlimm genug. Da konnt ihr euch wohl vorstellen, was das Wasser in euren Gedarmen anrichten wurde.»
        Hier und da nickte ein Mann, aber Bolitho wu?te, da? auf alle aufgepa?t werden mu?te. Er hatte Manner gesehen, die Salzwasser getrunken hatten und nach wenigen Stunden dem Wahnsinn verfielen. Trotz grundlicher Ausbildung und langer Erfahrung konnte der Durst sie dazu treiben, einen Schluck zu versuchen, selbst wenn sie soeben Zeuge des gra?lichen Todes eines Mannes geworden waren, welcher der Versuchung nicht widerstanden hatte.
        Mude sagte er:»Wir fahren weiter. Holt den Anker ein.»
        Stohnend erhob sich die Wache, und schob die Riemen wie Paddel uber die Bootswand. Es war eine unbequeme Art der Fortbewegung, aber weniger zeitraubend, als wenn das Boot alle paar Minuten aufgehalten wurde, weil die Riemen in Wasserpflanzen oder Schlamm staken und befreit werden mu?ten.
        Und was fur ein Schlamm! Als ein Mann seinen Riemen aus dem Wasser hob, sah Bolitho, da? stinkender, schwarzer Schleim abtropfte, der in der Sonne wie siedendes Pech glanzte. Besorgt beobachtete er, wie der Mann den Riemen wieder senkte und bald weniger muhsam atmete. Das Boot bewegte sich jetzt unbehinderter, und er wu?te, da? sie wieder tieferes Wasser erreicht hatten.
        Er sah Pascoe auf einem der Wasserbehalter kauern. Den Kopf in die Hande gestutzt, starrte er auf die vorbeiziehende grune Wand. Sein Hemd war an einer Schulter aufgerissen, und die frisch vernarbte Haut hob sich in stumpfem Rot von der Sonnenbraune ab. Er rief:»Kommen Sie nach achtern, Mr. Pascoe. «Er mu?te seine Aufforderung wiederholen, ehe der Junge den Kopf hob und dann langsam wie ein Schlafwandler uber die dosenden Matrosen stieg.
        Bolitho sagte leise:»Bedecke deine Schulter, Junge. Die wird so wund gebrannt wie rohes Fleisch, wenn du sie der Sonne aussetzt.»
        Er sah zu, wie Pascoe sein Hemd zurechtzog und bemerkte den frischen Schwei?, der ihm bei der Anstrengung auf die Stirn trat. Plotzlich dachte er an Stepkyne und verfluchte ihn.
        Er fuhr fort:»Es kann sein, da? du morgen an dem Riemen vorn im Bug hinaufklettern mu?t, um dich umzusehen. Du bist der leichteste an Bord, also ist es besser, wenn du deine Krafte schonst.»
        Pascoe drehte sich um und sah zu ihm auf, die Augen von seinem ungekammten Haar halb verdeckt.»Das schaffe ich schon, Sir. «Er nickte fluchtig.»Das schaffe ich bestimmt.»
        Bolitho wendete sich ab, war nicht fahig, die fieberhafte Entschlossenheit des Jungen anzusehen, die ihn zu keiner Stunde zu verlassen schien. Nie wurde er vor einer Aufgabe zuruckscheuen, selbst wenn sie normalerweise einem abgebruhten Seemann ubertragen wurde; Bolitho wu?te, der Junge wurde sich eher umbringen, als eine Niederlage eingestehen. Als ob er die Schande seines Vaters als standigen Ansporn sahe, als ob er glaube, sich bewahren zu mussen, um dadurch Hughs Makel zu tilgen.
        Als der Junge nach dem achtern folgenden Kutter ausspahte, warf Bolitho wieder einen verstohlenen Blick auf ihn. Was wurde er sagen, wenn er die ganze Wahrheit erfuhr? Da? sein Vater noch lebte und unter falschem Namen in New Holland eine Strafe verbu?te? Er wies den Gedanken sofort von sich. Die Ferne allein heilte nichts, das wu?te er jetzt. Es wurde die Qualen des Jungen nur verlangern, ihn mit neuen Zweifeln oder falschen Hoffnungen erfullen.
        Allday leckte sich die Lippen.»Wachwechsel! Die nachsten an die Riemen.»
        Bolitho beschattete die Augen, um zum leeren Himmel aufzusehen. Nur ein gelegentliches Platschern um den Steven lie? ahnen, da? sich das Boot bewegte. Das ruckweise, kummerliche Vorwartskommen schien kein Ende zu nehmen, als sie weiter in diese grune Unwirklichkeit vorstie?en.
        Er tastete nach seinem Kompa? und starrte eine volle Minute darauf. Ein Insekt kroch uber das Glas, in plotzlichem Arger wischte er es fort. Bestenfalls konnten sie bis zum Einbruch der Nacht die vollen zehn Meilen schaffen. Und dies war noch der leichteste Teil ihrer Fahrt. Am folgenden und am dritten Tag wurden ihnen gro?ere Strapazen bevorstehen, je weiter die Boote in den Sumpf vordrangen. Er warf einen schnellen Blick auf die Matrosen in seiner Nahe. Ihre Gesichter waren schmutzig und bedruckt, und sie schlugen die Augen nieder, als sie bemerkten, da? er sie beobachtete. Kampfen und notfalls sterben, das konnten sie verstehen. Von vertrauten Mannern und Dingen umgeben, waren sie auf den Kampf gefa?t und mit der strengen Disziplin und unanfechtbaren Autoritat einverstanden. Doch ihre Haltung beruhte auf Vertrauen, auf einem Ehrenkodex. Dem Vertrauen aufeinander und auf die Tuchtigkeit ihrer Offiziere, die ihr Leben bestimmten.
        Jetzt aber, unter dem Befehl eines Mannes, den sie nicht einmal kannten, und bei einer Aktion, die ihnen ebenso fragwurdig erscheinen mu?te wie ihre Umgebung, kamen ihnen die ersten Zweifel. Und aus dieser Unsicherheit konnte der Keim eines Fehlschlags erwachsen.
        Er sagte:»Geben Sie Befehl zum Ankern. Wir wollen Rationen verteilen und eine halbe Stunde rasten. «Er wartete, bis Allday das nachfolgende Boot benachrichtigt hatte, ehe er hinzufugte:»Pro Mann einen Becher Wasser, und sorgen Sie dafur, da? die Leute langsam trinken.»
        Plotzlich fragte Pascoe:»Wenn wir das Ende des Sumpfes erreichen, finden wir vielleicht frisches Wasser, Sir. «Seine dunklen Augen waren ernst und nachdenklich auf Bolitho gerichtet.»Aber ich nehme an, da? wir zuerst kampfen mussen.»
        Bolitho beobachtete den ersten Matrosen am Wasserbehalter. Er hob den Schopfbecher an die Lippen und legte den Kopf weit zuruck, damit er auch den letzten Tropfen bekam. Aber er hatte Pas-coes Worte im Ohr, die ihm in diesem Augenblick mehr Sicherheit gaben, als er fur moglich gehalten hatte.
        Er erwiderte:»Ich zweifle nicht daran, da? uns sowohl Wasser als auch Kampf erwartet. «Dann lachelte er trotz seiner ausgedorrten Lippen.»Aber trink jetzt deine Ration, mein Junge, und warte ab; alles zu seiner Zeit.»
        Gegen Abend wurde dann jedes Weiterkommen unmoglich. So sehr die Matrosen sich auch mit den Riemen muhten, das Boot steckte in einem Bett aus Schlamm und verrottenden Wasserpflanzen fest. Vergebens waren Shamblers Drohungen und Alldays Fluche. Die Manner stutzten sich auf die Riemen, starrten nur in die sinkende Sonne und reagierten kaum. Sie waren erschopft und dem Zusammenbruch nahe, und als Langs Boot sich naherte, wu?te Bolitho, da? er sofort handeln mu?te, wenn sie die letzte Tagesstunde noch nutzen wollten.

«Raus aus dem Boot! Bewegung!«Ohne auf die widerspenstigen Gesichter oder schwirrenden Insekten zu achten, stieg er nach vorn in den Bug, streifte sein Hemd ab und loste den Sabel, lie? sich dann zahneknirschend in das ekelerregende Wasser hinab und griff nach einer Schleppleine.
        Allday schrie:»Jetzt aber ran!«Auch er schwang sich uber das Dollbord, schlang sich eine weitere Leine uber die Schulter und watete hinter Bolitho her, ohne auch nur einen Blick zuruckzuwerfen, um zu sehen, wer ihm folgte.
        Bolitho stapfte langsam durch den klebrigen Schlamm, spurte, wie er sich um seine Oberschenkel schlo? und dann bis zu den Huften stieg, wahrend er sich vorwarts kampfte. Die Leine schnitt ihm unter der vollen Last des Bootes in die Schulter. Dann horte er Platschern hinter sich, gefolgt von Fluchen und Stohnen, als die Manner das Boot verlie?en und einer nach dem anderen ihre Platze an den beiden Schleppleinen einnahmen.

«Zugleich!«Bolitho zog noch starker, unterdruckte die aufsteigende Ubelkeit, die ihm die stinkenden Gase verursachten. »Zugleich!»
        Widerstrebend und sehr langsam glitt das Boot in eine Stelle mit tieferem Wasser. Dann folgte eine weitere Barriere, und mehr als ein Seemann glitt fluchend und prustend im Schlamm aus.
        Schlie?lich waren sie durch. Zitternd und achzend stemmten sie sich ins Boot zuruck, wo neuer Schrecken auf sie wartete.
        Den meisten sa?en gro?e Egel am Korper. Manche versuchten, die schleimigen Wurmer abzurei?en, aber Bolitho rief:»Mr. Shambler, reichen Sie die Lunte weiter. Einer nach dem anderen soll die Biester abbrennen. Sonst bekommt ihr die Kopfe nicht los.»
        Allday hielt die Lunte an sein Bein und fluchte, als der fette Egel auf die Bodenplanken fiel.»Mein Blut willst du saugen? Dafur sollst du braten!»
        Bolitho hatte sich aufgerichtet und beobachtete, wie die sinkende Sonne die Schilfspitzen mit rot-goldenem Schimmer uberzog und Drohung und Verzweiflung vorubergehend durch ihre fremdartige Schonheit vergessen lie?.
        Die anderen Boote folgten. Die Besatzungen wateten uber die seichten Stellen, ihre Gestalten verschwammen schon im schwindenden Licht.

«Wir wollen fur die Nacht ankern«, sagte Bolitho. Lang in dem anderen Boot nickte zustimmend.»Aber wir wollen noch vor der Morgendammerung aufbrechen und versuchen, den Zeitverlust wieder wettzumachen.»
        Er musterte seine Leute. Die Matrosen kauerten auf ihren Platzen, kaum fahig, sich zu ruhren.

«Teilen Sie immer einen Mann als Wache ein, Allday. Wir sind alle so erschopft, da? wir sonst bis Tagesanbruch und noch langer schlafen.»
        Er lie? sich langsam auf die Ducht zurucksinken. Pascoe schlief bereits, den Kopf gegen das Dollbord gelehnt, seine eine Hand hing beinahe bis ins Wasser. Behutsam hob er den Arm des Jungen ins Boot und lehnte sich dann gegen die Ruderpinne.
        Hoch oben erschienen bleich die ersten Sterne, und das Schilf ringsum rauschte leise in der plotzlichen Abendbrise. Einige Augenblicke wirkte sie nach der Hitze und dem Schmutz des Tages beinahe erfrischend, doch dieser Eindruck verging schnell.
        Bolitho sa? zuruckgelehnt und beobachtete die Sterne. Er versuchte, nicht an die Stunden und Tage zu denken, die vor ihnen lagen. Im Bug stohnte ein Mann im Schlaf auf; und ein anderer flusterte leidenschaftlich einen Frauennamen, um gleich darauf wieder zu verstummen.
        Bolitho zog die Knie ans Kinn, die getrocknete Schlammkruste zerkratzte ihm die Haut. Er blickte auf den schlaff vor ihm liegenden Pascoe hinunter. Ob auch er traumte? Von seinem Vater, den er nie gesehen hatte? Von einer Erinnerung, die fur ihn verha?t und beschamend geworden war?
        Er legte die Stirn auf die verschrankten Arme und war auf der Stelle eingeschlafen.



        XI Angriff im Morgengrauen

        Wahrend des ganzen nachsten Tages ging der alptraumartige Marsch durch den Sumpf weiter, und standig wurden ihre Qualen durch die unbarmherzige Sonne noch gesteigert. Ob sie die Boote stakten oder watend durch den zahen Schlamm zogen, war allen schon gleichgultig. Sie hatten jedes Zeitgefuhl verloren und zahlten auch nicht mehr, wie oft sie die Boote verlie?en und wieder an Bord kletterten. Ihre Korper und zerrissene Kleidung waren dick von Schmutz bedeckt, ihre Gesichter aufgequollen vor Erschopfung.
        Jetzt hatten sie im Sumpf eine offene Strecke erreicht, an der keine erkennbare Stromung die Oberflache krauselte. Sie war von einer dicken grunen Algenschicht bedeckt, Binsen und Schilf standen in vereinzelten Gruppen wie Geschopfe von einem anderen Planeten.
        Am spaten Nachmittag, als sie die Boote uber eine halb versunkene Insel aus weichem Sand schleppen mu?ten, lie? einer der Manner die Leine fahren und sturzte um sich schlagend und schreiend nieder. Da er vollig von Schlamm und Algen bedeckt war, konnte man zunachst nicht erkennen, was geschehen war. Ein Teil der Leute drangte sich unsicher und erschreckt um das Boot, wahrend Bolitho und Allday den keuchenden Mann hineinhievten. Mit einem in Frischwasser getauchten Lappen sauberte Bolitho eine Stelle tief unten am Bein des Verletzten und legte eine kleine blutende Wunde frei. Er mu?te auf eine Schlange getreten sein, der Bi? war klar zu erkennen. Allday blieb bei dem Verletzten an Bord, wahrend Bolitho die anderen wieder an die Schleppleinen befahl. Er wu?te, da? es gegen das Schlangengift keine Hilfe gab; die Leute danebenstehen und zusehen zu lassen, wie ihr Kamerad elend starb, konnte nur schaden.
        Wahrend sie sich weiter durch den Sumpf kampften, wurden sie von den grauenvollen Todesschreien des Mannes verfolgt; als Bo-litho sich einmal umsah, bemerkte er, da? die Matrosen ihn aus rotgeranderten Augen in schmutzbedeckten, unrasierten Gesichtern beobachteten und mehr Ha? auf ihn als Mitgefuhl mit ihrem Kameraden verrieten.
        Barmherzigerweise brauchte das Gift nur eine Stunde, um sein
        Werk zu vollenden; der leblose Korper wurde einfach uber Bord gesto?en, eine grimmige Warnung fur jene Boote, die dicht hinter ihnen folgten.
        Die meisten konnten ihre Rationen aus Rindfleisch und hartem Schiffszwieback nicht mehr zu sich nehmen und begnugten sich mit der karglichen Zuteilung an Trinkwasser. Bolitho hatte sie wahrend einer kurzen Rast beobachtet. Die hastigen Bewegungen und die truben Augen in den erschopften Gesichtern waren ihm nicht entgangen, ebensowenig die Art, wie sie uber jeden Schopfbecher Wasser wachten, mit einem Ausdruck, der eher tierisch als menschlich war.
        Doch trotz allem waren sie weitergekommen. Bolitho wu?te, da? aus ihrer fugsamen Geduld Ha? auf ihn geworden war, da? es nur eines geringfugigen Anlasses bedurfte, um aus dem Unternehmen eine blutige Meuterei zu machen.
        Wahrend der Nacht lie? er alle Leute schlafen und wechselte sich beim Wachen mit Allday und Shambler ab. Doch im zweiten Boot war die Wachsamkeit ungenugend. Vielleicht hatte Leutnant Lang auch seine Fahigkeiten uberschatzt, die Leute unter Kontrolle zu halten.
        Als Bolitho aus schwerem Schlaf erwachte, spurte er, da? Allday ihn an der Schulter ruttelte und ihm eine Pistole in die Hand druk-ken wollte.

«Was ist los?«Eine Sekunde glaubte er, er hatte verschlafen, doch als er uber das Dollbord spahte, sah er, da? im Osten nur eine Andeutung von Helligkeit wahrzunehmen war und die Manner im Boot noch in ihrer verkrampften Haltung schliefen.

«Mr. Lang hat gemeldet, da? sein Wasservorrat geplundert worden ist, Captain. Das kann bose Folgen bei seinen Leuten haben, wenn sie aufwachen.»
        Bolitho erhob sich taumelnd.»Behalten Sie die Pistole. «Er kletterte aus dem Boot und spurte, wie das schlammige Wasser seine Beine kuhl umfing, als seine Fu?e bei jedem Schritt auf das andere Boot zu einsanken. Lang erwartete ihn verstort.

«Wie schlimm ist e s?»
        Lang hob ratlos die Schultern.»Kaum ein Tropfen ubrig. Fur den Rest des Vormarsches und den Ruckweg ist gerade noch ein Kanister vorhanden.»
        Von einem der anderen Boote hallte eine Stimme uber den Sumpf:»Es wird Zeit zum Wecken, Sir!»
        Bolitho hievte sich ins Boot.»Gehen Sie sofort zu Mr. Quince und warnen Sie ihn. Dann informieren Sie auch Mr. Carlyon. «Er packte den Leutnant am Handgelenk.»Und keine Pistolen, verstanden?»
        Als die Manner in dem zweiten Kutter sich aus ihrem schweren Schlaf aufrichteten, starrten sie benommen Bolitho und dann einander an, als sie ihn sagen horten: Wahrend der Nacht hat sich einer uber den Wasserkanister hergemacht. Zuerst hat er sich grundlich sattgetrunken und dann in seiner Gier den Rest auslaufen lassen.
«Er deutete auf die schimmernde Pfutze im getrockneten Schlamm zu ihren Fu?en. Nachdrucklich fugte er hinzu:»Ich nehme an, ihr wi?t alle, was das bedeutet.»
        Im Bug schrie eine Stimme:»Das mu? Mr. Lang selbst gewesen sein. Der hat die letzte Wache gehabt!«Ein Knurren war die Antwort, als er bosartig hetzte:»Die Offiziere sorgen doch immer nur fur sich!»
        Bolitho stand vollig ruhig im Heck, die Hande in die Huften gestutzt. Eine plotzliche verzweifelte Wut packte ihn, weil er allein und unbewaffnet war. Doch noch starker war er sich der Scham bewu?t, die ihn uberkam, als ob wirklich er dafur verantwortlich ware.
        Mit fester Stimme sagte er:»Das ist falsch. Aber ich bin nicht gekommen, um mit euch zu streiten oder um euer Verstandnis zu bitten. Ihr habt euch bisher gut gehalten, besser als erwartet. Ihr habt bereits erreicht, was manche fur unmoglich gehalten haben, und wenn es sein mu?, werdet ihr noch Besseres leisten, selbst wenn uberhaupt kein Wasser mehr da ist und ich euch mit blo?en Handen vorantreiben mu?te.»
        Ein tastender Sonnenstrahl fiel spielerisch auf die gestapelten Waffen, und Bolitho bemerkte, da? mehr als einer einen Blick darauf warf.
        Scharf sagte er:»Wenn ihr glaubt, ihr konnt euren Durst stillen, indem ihr mich totet, dann nur zu! Andernfalls will ich jetzt die Anker lichten und weitermachen.

        Die Stimme schrie gellend:»Hort nicht auf ihn, Jungs! Er versucht nur, seinen Leutnant zu decken!»
        Bolitho stieg von der Ducht und schritt langsam auf die ihm am nachsten sitzenden Matrosen zu. Er konnte sehen, da? die anderen ihn uber den Sumpf stumm beobachteten. Allday stand mit einem Fu? auf dem Dollbord, um seinem Kapitan zu helfen. Er wurde zu spat kommen. Noch ehe er das andere Boot erreichte, konnte einer ein Entermesser packen und Bolitho niedermachen.
        Bolitho sagte ruhig:»Ich habe schon feststellen mussen, je lauter einer schreit, desto gro?er ist seine Schuld. «Er blieb vor einer Ducht stehen. Sechs Leute waren jetzt hinter seinem Rucken, als er auf einen kraftigen, untersetzten Matrosen hinunterstarrte.

«Gestern mu?te ich Frischwasser verwenden, um die Wunde eines Verletzten zu saubern. Um festzustellen, wo die Schlange ihn gebissen hatte.»
        Nicht ein Laut war zu horen, die Matrosen in seiner Nahe starrten zu ihm auf, als ob er plotzlich den Verstand verloren hatte.
        Er fuhr im gleichen gelassenen Ton fort:»Ich habe diesen Mann nicht gekannt, sowenig wie ich einen von euch hier kenne. Aber er tat seine Pflicht, er gab sein Bestes. «Er spurte die erste schwache Warme der Sonne im Gesicht, das wilde Klopfen seines Herzens, als er den Mann zu seinen Fu?en fixierte. Wenn er sich irrte, war es um ihn geschehen. Entscheidender noch, es wurde eine sinnlose und blutige Schlachterei entstehen, nach deren Ende es keine Sieger gab, nur ein paar elende, vom Durst zum Wahnsinn Getriebene.

«Als ich diesen Mann vom Schmutz reinigte, hob sich die Stelle hell von dem Dreck ab, der sich auf seiner Haut festgesetzt hatte. «Bolithos Hand scho? vor und packte den Mann beim Haar, ehe er ihm ausweichen konnte.»Seht euch seine Brust an. Seht, wo das Wasser hinuntergelaufen ist, euer Wasser, das er trank, bis er genug hatte, und dann vergeudete!»
        Der Mann protestierte heiser:»Das ist eine Luge, Jungs! Hort nicht auf ihn!»
        Bolitho lie? den Mann los und befahl:»Steh auf und offne dein Hemd!»

«Eher gehen Sie zum Teufel!«Der Matrose pre?te sich mit gebleckten Zahnen ans Dollbord.

«Das glaube ich nicht. «Bolitho kehrte ins Heck des Bootes zuruck und fugte hinzu: Du hast eine Minute Zeit.»
        Der Mann sah sich nach den anderen um.»Was sagt ihr, he?«Sollen wir die Kerls fertigmachen?»
        Ein hagerer Matrose mit einer grausamen Narbe auf der Wange sagte schroff:»Tu, was er sagt, Harry. Du hast nichts zu furchten, wenn du im Recht bist.»

«Mistkerl!«Der Beschuldigte blickte sich wild um.»Ihr elenden Feiglinge!«Damit ri? er sein Hemd auf.»Ich habe also getrunken. Na und?«Eine Flasche baumelte vor seiner Brust. Ihr Hals schimmerte noch feucht im Sonnenlicht.
        Von den Matrosen stieg etwas wie ein tiefer Seufzer auf, aber keiner ruhrte sich. Aller Augen blickten die Flasche an, als sei sie ein Symbol oder eine grauenhafte Enthullung, die noch keiner verstehen konnte.
        Bolitho sagte ruhig:»Holt Mr. Lang. Dieser Mann wird spater aufs Schiff zuruckgebracht und fur sein Verbrechen gerichtet.»
        Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, da? ein Matrose uber das Dollbord kletterte und zu dem anderen Boot hinuberwatete. Die Spannung brach, und an ihre Stelle trat eine Welle der Wut.

«Hangt den Schuft!«Verschiedene Matrosen sahen sich nach allen Seiten um, als ob sie einen Baum suchten.»Rei?t dem dreckigen Dieb die Gedarme raus!»
        Bolitho lie? sich uber die Bordwand hinunter und winkte Lang. Doch als er zu seinem Kutter zuruckwaten wollte, horte er einen warnenden Ruf und das plotzliche Klirren von Stahl. Als er sich umdrehte, sah er den Beschuldigten uber sich stehen, mit einem hocherhobenen Entermesser in der Faust.

«Jetzt, Kapt'n. Sie haben mich fertiggemacht, jetzt sind Sie an der Reihe. «Weiter kam er nicht.
        Ein dumpfer Schlag war zu horen, und wahrend sich der Ha? in seinen Augen in unglaubige Verwunderung verwandelte, sank er mit dem Gesicht vornan in das schleimige Grun neben dem Boot. Zwischen seinen Schulterblattern ragte der Beingriff eines Messers heraus.
        Der Matrose mit dem Narbengesicht stand am Dollbord und sah zu, wie das Blut des Toten dunne rote Rinnsale zwischen den Algen bildete.»Nein, Harry. Du warst an der Reihe.»
        Lang sah in die verstorten Gesichter seiner Leute und murmelte:»Tut mir leid, Sir. Es war meine Schuld. Ich mu? eingeschlafen sein. «Er lie? den Kopf hangen.»Es wird mir nicht wieder passieren, Sir.»
        Bolitho blickte zu dem fuhrenden Boot hinuber und sah Allday eine Pistole unter sein Hemd schieben. Er war bereit gewesen, aber bei der Entfernung hatte er ihm kaum das Leben retten konnen.
        Er sagte knapp:»Es wird nicht wieder vorkommen, denn sonst wurde ich personlich dafur sorgen, da? Sie vor ein Kriegsgericht kommen. «Er watete an Lang vorbei und fugte noch hinzu:»Lassen Sie das Entermesser des Toten bergen und brechen Sie auf.

        Allday streckte ihm den Arm entgegen, um ihm ins Boot zu helfen. Sein Gesicht verriet seine Besorgnis.»Bei Gott, Captain, das war ein gro?es Risiko.»
        Bolitho setzte sich und versuchte, den Schleim von seinen Beinen zu wischen.»Ich mu?te sichergehen. Es ist nicht notwendig, da? diese Manner mich mogen. Aber vertrauen mussen sie mir. «Er blickte in Pascoes besorgtes Gesicht.»Und ich mu? ihnen vertrauen. Ich glaube, wir alle haben heute morgen eine Lektion erhalten. Hoffentlich bleibt uns die Zeit, eine Lehre daraus zu ziehen.»
        Er richtete sich auf und blickte gelassen uber das Boot.»Bringen Sie die Schleppleinen wieder aus, Mr. Shambler. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.»
        Er beobachtete, wie die Leute aus dem Boot stiegen, fast bis zur Unkenntlichkeit mit getrocknetem Schlamm bedeckt, den Blick starr auf einen Punkt jenseits der nachsten Schilfinsel gerichtet. Mit muden Bewegungen folgte er ihnen und nahm seinen Platz an der Spitze der Schleppmannschaft ein. Allday hatte recht, es war Wahnsinn gewesen, sich zu dieser Geste verleiten zu lassen. Die meisten Kommandanten hatten den Mann ergreifen und trotz dieser Situation auspeitschen lassen, bis er keine Haut mehr auf den Rippen hatte. Und zwar mehr als Strafe fur die offene Herausforderung denn als Vergeltung dafur, da? er seine Kameraden um ihr Wasser bestohlen hatte.
        Die Leine wurde plotzlich schlaff, und beinahe ware er vornuber in den Schlamm gesturzt. Als er sich umdrehte, sah er die Leute das Boot mit solcher Kraft ziehen, da? es uber den Sumpf glitt und mit seinem Vordersteven Wasserpflanzen und Schlamm teilte, als wurde es von unsichtbaren Handen getrieben.
        Der ihm nachste Mann keuchte:»Wir kommen hin, Sir. Machen Sie sich blo? keine Sorgen.»
        Bolitho nickte. Er wandte sich wieder um und blickte auf die schwankenden Binsen vor ihnen. Schwankten sie wirklich? Er strich sich mit dem Handrucken uber die Augen, um den Dunst zu vertreiben, doch als er hinsah, war er immer noch da.
        Allday, der vorn an der anderen Leine zog, sah zu ihm hinuber und seufzte. Er hatte die Uberraschung in Bolithos Augen bemerkt, das plotzlich aufwallende Gefuhl, als der Kommandant erkannte, da? die Leute sich jetzt starker einsetzten, nicht fur irgendeine Sache, sondern allein fur ihn.
        Allday wu?te seit langem, da? die meisten Matrosen alles fur einen Offizier taten, der sie gerecht und menschlich behandelte. Merkwurdig, da? nur Bolitho diese Tatsache nicht bekannt sein sollte, obwohl er es besser hatte wissen konnen als jeder andere.
        Am fruhen Nachmittag gab Bolitho das Zeichen zum Halten, und die keuchenden Manner kletterten in das Boot zuruck, zu erschopft, um zu beobachten, wie die Kanister fur die Wasserausgabe bereitgemacht wurden.
        Bolitho inspizierte der Reihe nach jedes Boot. Sein Verstand rebellierte gegen das, was er sah. Sie waren beinahe am Ende ihrer Krafte, und keiner sah mehr uber das eigene Boot hinaus. Die meisten hockten mit hangenden Kopfen da, gefuhllos gegenuber den Insekten, die ihnen in die Augen und aufgesprungenen Lippen krochen, wahrend sie dumpf wie Tiere auf den nachsten Befehl warteten.
        Er winkte Pascoe zu sich.»Also, mein Sohn, dies ist der entscheidende Moment. «Er sprach gedampft, sah aber, wie das Gesicht des Jungen plotzlich aufleuchtete. Klettere an dem Riemen hinauf und schau dich nach allen Seiten um. La? dir Zeit und zeige keine Enttauschung, wenn nichts in Sicht ist. «Er legte ihm eine Hand auf die Schulter.»Alle werden dich beobachten. Denk daran.»
        Er lie? sich wieder gegen die Ruderpinne sinken, wahrend Pas-coe zwischen den erschopften Gestalten hindurch nach vorn kletterte und mit schief gelegtem Kopf zu dem Riemen hochblickte, der im Bug aufgerichtet worden war. Er kletterte am Schaft hinauf. Sein Korper hob sich scharf von dem verwachsenen Blau des
        Himmels ab, wahrend er sich reckte, um uber Schilf und Binsen in die Ferne zu spahen.
        Allday flusterte:»Bei Gott, ich hoffe, da? es etwas zu sehen gibt.»
        Bolitho ruhrte sich nicht; als ob er, wenn er den Jungen ablenkte, sie um ihre letzte Chance bringen konnte.»Nichts voraus, Sir.»
        Einige der Matrosen waren aufgestanden und starrten zu der schlanken Gestalt uber ihnen auf. Sie lie?en die Arme schlaff hangen wie zum Tod verurteilte Gefangene.

«Aber an Backbord, Sir. «Pascoe rutschte ab und klammerte sich mit den Beinen fester.» Eine Anhohe. Etwa zwei Meilen entfernt.»
        Bolitho senkte den Blick auf den Kompa?. An Backbord. Etwa nordwestlich von der Stelle, an der sie lagen.

«Ist sie spitz und hat einen Steilhang auf einer Seite?»

«Ja, Sir. «Die Stimme des Jungen klang plotzlich fest.»Ja, Sir. Ich kann es gerade erkennen.»
        Bolitho sah Allday an und schlo? den Kompa? mit einem Schnappen.»Dann haben wir's geschafft.»
        Pascoe rutschte am Riemen herab und ging mit unsicheren Schritten zwischen den krachzend jubelnden Matrosen nach achtern. Die Manner klopften ihm auf die mageren Schultern und nannten ihm beim Namen, als er an ihnen vorbeikam, als hatte er allein sie vor einer Katastrophe bewahrt. Als er das Heck erreichte, fragte er benommen:»War' s so in Ordnung, Sir?»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Ja, Mr. Pascoe. «Freude trat in das schmutzbedeckte Gesicht des Jungen.»Es ist alles in Ordnung.»
        Wie ein Blinder tastend, schob sich Bolitho auf den abgeflachten Felsblock hinauf, wartete, bis er wieder zu Atem kam, und lauschte in die Dunkelheit hinaus. Der weite Sternenhimmel uber ihm wurde bereits blasser, und als er sich der leichten Brise zuwendete, glaubte er, die Morgendammerung riechen zu konnen. Es war sehr kalt, und unter dem offenen Hemd fuhlte seine Haut sich kuhl und klamm an.
        Er studierte die welligen Hugel am fernen Horizont und fand Zeit, sich daruber zu wundern, da? seine kleine Streitmacht uberlebt hatte, um sie sehen zu konnen. Im Augenblick schien es ihm, als ob er der einzige lebende Mensch in dieser gottverlassenen
        Gegend ware. Doch hinter ihm, am Fu? des Steilhanges, waren die anderen bereits wach und bereiteten sich auf den Weitermarsch vor, tasteten nach ihren Waffen und warteten auf neue Befehle, gleichgultig, wie unuberwindlich die Hindernisse und wie vergeblich ihre Anstrengungen sein mochten.
        Bolitho reckte die Arme und spurte, wie seine Muskeln gegen die plotzliche Bewegung protestierten. Unwillkurlich mu?te er an seine Leute denken, wie sie am vergangenen Abend aus dem Sumpf getaumelt waren: verdreckt und dem Zusammenbruch nahe, mit Augen, die fast dankbar leuchteten, weil sie wieder festen Boden unter den Fu?en hatten. Viele hatten seit Monaten keinen Fu? mehr an Land gesetzt, und nach der morderischen Fahrt durch den Sumpf waren sie beinahe nicht mehr fahig zu stehen, so da? sie wie Betrunkene geschwankt oder sich gegenseitig gestutzt hatten. Er bi? sich auf die Lippen und verfluchte den Zeitmangel. Vielleicht waren sie noch zu erschopft, zu benommen, um die Aufgabe zu erfullen, fur die sie von so weit hergekommen waren. Und vielleicht hatte Pelham-Martin seine Plane geandert und wurde nicht einmal einen weiteren Angriff unternehmen, wie er versprochen hatte.
        Beinahe wild schuttelte er die nagenden Zweifel ab und stieg den Abhang wieder hinunter, wo Leutnant Lang auf ihn wartete.

«Alle Leute sind verpflegt, Sir. Ich habe ihnen doppelte Rationen Wasser gegeben, wie befohlen.»
        Bolitho nickte.»Gut. Niemand kann von ihnen erwarten, da? sie den Sumpf noch einmal uberqueren, also sollen sie lieber mit vollem Magen zum Kampf antreten.»
        Lang erwiderte nichts, und Bolitho konnte sich vorstellen, da? er wahrscheinlich an die einzige Alternative dachte: da? die Leute fur die nachste Verpflegung kampfen und gewinnen mu?ten. Oder sich ergeben.
        Bolitho war unruhig.»Mr. Quince sollte inzwischen zuruck sein. Wir mussen sofort abmarschieren, wenn wir unsere Position rechtzeitig einnehmen wollen.»
        Lang hob die Schultern.»Merkwurdig, wenn man sich vorstellt, da? direkt hinter diesen Bergen die See liegt. Hier kommt man sich vor wie in einer Einode.»
        Eine Stimme rief rauh:»Hier kommt Mr. Quince, Sir.»
        Die gro?e Gestalt des Leutnants tauchte wie ein Gespenst aus der
        Finsternis auf. Sein zerfetztes Hemd wehte in der Brise, als er mit den drei Matrosen, die er als Kundschafter mitgenommen hatte, den Abhang herunterkam.

«Nun?«Bolitho konnte seine Unruhe kaum unterdrucken.
        Quince setzte eine Flasche an die Lippen und trank gierig. Unbeachtet rann ihm Wasser uber die Brust.
        Er sagte:»Genau, wie Sie gedacht haben, Sir. Auf der anderen Seite liegen die Geschutze in Stellung. «Er rulpste laut.»Da ist ein Sattel zwischen den Hugeln, deshalb war die Batterie von See her nicht auszumachen.»
        Bolitho schauderte leicht.»Wie viele Geschutze?»
        Quince rieb sich das Kinn.»Sieben oder acht Feldgeschutze, Sir. Bei der Stellung selbst stehen Posten, und weitere wachen rechts von uns. Es ist eine Art Stra?e da, die an der Bucht entlang zur Stadt fuhrt, und an ihrer schmalsten Stelle haben wir eine Laterne gesehen. »

«Ich verstehe. «Bolitho spurte, wie die Erregung ihn packte.»Und zwischen diesen beiden Posten sind keine Wachen?»

«Keine«, versicherte Quince nachdrucklich.»Warum auch? Mit dem Sumpf im Rucken und der Bucht vor sich, mussen sie sich wirklich vollig sicher fuhlen.»

«Dann wollen wir aufbrechen.»
        Bolitho drehte sich um, um den Abhang hinunterzugehen, blieb aber stehen, als Quince hinzufugte:»Die Froschfresser fuhlen sich so sicher, da? sie sich nicht einmal verstecken, Sir. Bei den Geschutzen stehen ein paar Zelte, aber ich vermute, da? das Gros der Artilleristen in der Stadt untergebracht ist. Schlie?lich werden unsere Schiffe Stunden brauchen, um sich zu einem neuen Angriff zu formieren. Die Franzosen haben soviel Zeit wie sie wollen. «Er fiel neben Bolitho in Gleichschritt und meinte:»Das beweist auch, da? Las Mercedes sich in feindlicher Hand befindet.»

«Zum Gluck ist das nicht unsere Sorge. Fur uns zahlen nur die Schiffe.»
        Quince lachte vor sich hin.»Wir werden ihnen schon einheizen. In einem schnellen Ansturm sollte es zu schaffen sein. Dann die Kanonen uber die Klippen gesturzt, und wir konnen uns in den Sumpf zuruckziehen und warten, bis das Geschwader uns abholt.»
        Bolitho gab keine Antwort; er mu?te sich gewaltsam auf die unmittelbar bevorstehende Aufgabe konzentrieren, seine Leute in der Dunkelheit einzuteilen. Quince hatte einen neuen Gedankengang in ihm ausgelost. Die Franzosen waren zuversichtlich, denn auch ohne Unterstutzung der versteckten Batterie konnten sie dem angreifenden Geschwader noch gro?en Schaden zufugen. Dieser Angriff bot nicht des Ratsels Losung. Keines der franzosischen Schiffe zeigte Lequillers Kommandoflagge. Er war noch irgendwo drau?en, frei und unbehindert, wahrend Pelham-Martins kleine Streitmacht abgelenkt wurde.
        Er erreichte die schattenhaften Gestalten am Fu? des Abhangs und wunderte sich, wie sehr sie sich verandert hatten. Sogar in dem kummerlichen Licht konnte er wahrnehmen, wie selbstsicher und geduldig sie mit ihren Musketen warteten. Ihre Gesichter hoben sich bla? von Gestrupp und dichtem Laub ab, das jetzt den Sumpf verbarg.
        Fox, der Feuerwerksmaat, beruhrte gru?end seine Stirn.»Alles geladen, Sir. Ich habe jede Muskete selbst uberpruft.»
        Bolitho hob die Stimme.»Alles herhoren! Wir werden gleich in drei getrennten Gruppen diesen Abhang hinaufsteigen. Drangt euch nicht zusammen und vergewissert euch, da? keiner ausrutscht. Wenn auch nur eine Muskete aus Versehen losgeht, sind wir alle verloren. Wir mussen die Anhohe ungesehen erreichen, ehe die Dammerung einsetzt.»
        Mit fester Stimme setzte er hinzu:»Hinter der Anhohe erwartet uns die Bucht, und unter den Klippen liegen die Uberreste der Abdiel und ihrer gesamten Besatzung. Erinnert euch an ihr Schicksal, wenn es soweit ist, und gebt euer Bestes.»
        Er zog die Offiziere zur Seite.»Mr. Quince, Sie halten die Umgebung besetzt, wahrend ich die Geschutzstellung sturme. Mr. Lang wird die Stra?e zur Stadt sichern und verhindern, da? jemand kommt oder geht.»
        Lang fragte:»Und die Midshipmen, Sir?»

«Sie halten die Verbindung zwischen uns. «Er sah alle der Reihe nach an.»Wenn ich falle, ist es Mr. Quinces Pflicht, die Aufgabe zu Ende zu fuhren. Wenn wir beide getotet werden, ubernehmen Sie, Mr. Lang.»
        Allday erschien aus dem Dunkel.»Alles bereit, Captain.»

«Gut, meine Herren. Wir haben genug Zeit mit Worten verschwendet.»
        Quince uberprufte die Pistolen in seinem Gurtel und fragte:»Und was wird aus den Booten, Sir?»

«Wir lassen sie versteckt. Wenn wir die Batterie einnehmen, konnen wir sie vielleicht spater bergen. «Er wendete sich ab.»Wenn nicht, werden sie wie wir verrotten.»
        Ohne ein weiteres Wort begann er, den Abhang zu ersteigen, und wahrend Quinces Kundschafter im Dunkel verschwanden, folgten die Matrosen im Gansemarsch.
        Bolitho fragte sich, was die feindlichen Posten denken wurden, wenn sie die Matrosen auf sich lossturmen sahen. Wild, zerlumpt und schlammbedeckt, mu?ten sie auch die Tapfersten in Schrecken versetzen.
        Es hatte fast der Gewalt bedurft, um die Leute davon abzuhalten, sich als erstes zu waschen, nachdem sie sich von den morderischen Strapazen ihrer Fahrt durch den Sumpf etwas erholt hatten. Anders als manche Landbewohner, versuchten Matrosen immer, sich sauber zu halten, gleichgultig, wie sparlich ihre Wasservorrate oder wie primitiv die Bedingungen waren.
        Er blickte nach rechts und sah Quinces dunne Marschkolonne den Abhang hinaufsteigen. Schon konnte er einzelne Gestalten ausmachen, geschulterte Musketen und das gefahrliche Funkeln der aufgepflanzten Bajonette. Quince, der zu ihm herubersah, hob den Arm, um zu zeigen, da? auch er verstand, wie wichtig Eile war, da die Dammerung so dicht bevorstand.
        Einer der Kundschafter kam den Abhang herab. Die Muskete hoch uber den Kopf gehoben, hupfte er von Fels zu Fels, als ob er es sein Leben lang getan hatte.

«Alles klar, Sir«, meldete er. Er deutete auf die geschwungene Hohe, wo die ersten schwachen Sonnenstrahlen bereits die Schatten vertrieben und das rauhe Strauchwerk und den steinigen Boden mit Farbe uberhauchten.
        Bolitho erkannte in dem Kundschafter den Matrosen mit dem Narbengesicht, der ihm das Leben gerettet hatte.»Das haben Sie gut gemacht.»
        Er winkte Lang und sah, wie der seine Gruppe nach rechts den Berg hinauffuhrte. Zu Allday sagte er:»Lassen Sie die Leute hier warten. Ich gehe vor, um mich umzusehen. «Mit dem hageren Seemann an seiner Seite eilte er das letzte Stuck hinauf und lie? sich oben fallen. Er griff nach dem kleinen Teleskop und studierte die Bucht, die sich unten in atemberaubender Schonheit ausbreitete. Rechts ragte der spitze Berg auf, den Pascoe aus dem Sumpf gesichtet hatte. Der Steilhang und die Flanken schimmerten im blassen Sonnenlicht wie eine polierte Pfeilspitze. Die Stadt an seinem Fu? lag noch im Schatten, und Bolitho richtete das Glas auf die offene See und die Schiffe, die wie bisher vor der Einfahrt zur Bucht verankert lagen.
        Der Matrose hob den Arm.»Dort sind die Kanonen, Sir.»
        Bolitho senkte das Glas und stutzte es auf einen Fels. Die schweren Geschutze, sieben im ganzen, standen dicht am Rand der Klippen. Ihre Rohre hoben sich scharf von den weit unten anrollenden Schaumkopfen der Wellen ab. Es war tatsachlich ein gro?er, naturlicher Sattel, und wo der nachste Berg sich vor dem Ende der Landzunge erhob, konnte er eine Reihe blasser Zelte erkennen, vor der ein einzelner Posten patrouillierte. Die Stra?e zur fernen Stadt war von dieser Stelle aus nicht zu sehen, aber Bolitho vermutete, da? der Posten fur seinen Kameraden auf der anderen Seite gut sichtbar war.
        Steine klapperten laut, und Midshipman Carlyon kletterte neben ihm herauf.»Mr. Langs Respekt, Sir, und seine Leute sind oberhalb der Stra?e in Stellung gegangen.
«Er spahte zu den Kanonen hinunter und schauderte.»Auf seiner Seite befindet sich nur ein Wachtposten, Sir.»
        Bolitho richtete das Glas auf den Posten hinter der Reihe Zelte. Was, um Himmel willen, hielt Quince auf?
        Er blinzelte heftig und korrigierte die Einstellung seines Glases. Einen Augenblick glaubte er, Opfer einer optischen Tauschung zu sein. Eben noch schlenderte der Posten am Rand der Klippe entlang, die Hande tief in den Taschen, das Kinn nachdenklich auf der Brust. Dann verschwand er wie durch Zauber. Bolitho wartete noch ein paar Sekunden, dann sah er etwas Wei?es uber einem niedrigen Ginstergebusch: das Signal. Der ungluckliche Posten brauchte sich uber den kommenden Tag und auch uber spatere keine Gedanken mehr zu machen.
        Bolitho sagte knapp:»Melden Sie Mr. Lang, da? wir sofort angreifen. »
        Als der erschrockene Midshipman bergab rannte, drehte Bolitho sich nach Allday um und winkte:»Folgt, mir, Jungs. Keinen Laut und keinen Schu?, ehe ich's befehle.»
        Als die Sonne dann uber den fernen Bergen auftauchte, sturmte er zur Batterie hinunter, den Sabel in der Faust und den Blick fest auf die stillen Zelte gerichtet.
        Auf dieser Seite war der Berg viel steiler als erwartet, und als Bo-litho immer schneller rannte, hatte er das Gefuhl, vornuberzusturzen. Hinter ihm wurde es lauter. Angste und Spannung wichen einer wilden Erregung, die nicht einmal durch Drohungen unterdruckt werden konnte; aus dem Augenwinkel bemerkte er einen Matrosen, der ihn bereits einholte und der das gesenkte Bajonett wie eine Pike vor sich hielt, wahrend er in vollem Lauf an der Spitze seiner Kameraden vorsturmte.
        Irgendwo in der Ferne knallte eine Pistole. Der Knall war uber dem Stampfen und Keuchen nur schwach zu horen gewesen. Doch gerade, als Bolitho uber ein paar gezackte Felsbrocken sprang, tauchte aus einem Zelt ein Mann auf und blieb stocksteif stehen, wie zu Stein erstarrt.
        Dann machte er auf dem Absatz kehrt, ri? die Zeltklappe auf und brullte: «Aux armes! Aux armes!»
        Aus den anderen Zelten drangten sich Gestalten, manche mit ihren Waffen, die meisten aber unbewaffnet, rannten hierhin und dorthin. Vermutlich hatten sie noch nicht begriffen, was geschah.
        Weitere Schusse knatterten in der frischen Morgenluft, und mehrere Franzosen brachen neben den Zelten zusammen. Als Quince mit seiner lockeren Reihe Matrosen auf dem Abhang erschien, feuerte ein Franzose, wahrscheinlich ein Offizier, eine Pistole ab und trieb die aufgeschreckten Soldaten an die Geschutze. Und erst jetzt sahen die Artilleristen Bolitho und seine ansturmenden Matrosen.
        Hier und da knallte eine Muskete, und einmal spurte Bolitho, da? eine Kugel nur zollweit an ihm vorbeizischte. Doch der Widerstand war gebrochen, noch ehe er richtig einsetzen konnte. Einer nach dem anderen warfen die Soldaten ihre Waffen fort, und Bolitho horte Quince die Schreie und Rufe ubertonen:»Feuer einstellen! Ergebt euch!»
        Bolitho sah einen seiner Leute auf ein Knie sinken und mit seiner Muskete auf einen franzosischen Soldaten zielen, der nicht nur die Hande erhoben hatte, sondern nur wenige Schritte vor der Mundung stand, auf die er wie ein hypnotisiertes Kaninchen starrte. Mit der flachen Klinge schlug Bolitho dem Mann den Arm zur Seite, der die Muskete unglaubig fallen lie?.»Spar' deine Munition! schrie er ihn an. Und als der Matrose hinter den anderen herstolperte, deutete er auf den Offizier, der allein, mit dem Rucken zur See, am Rand der Klippe stand und seinen Degen fest in der Faust hielt.

«Die Waffen nieder!«Bolitho sah ihn kurz zogern, doch dann trat plotzlich Wut auf sein Gesicht, und mit einem Schrei sturzte er sich mit hocherhobener Klinge, die in der Sonne golden funkelte, Bo-litho entgegen.
        Das Klirren des Stahls schien den Angriff zum Halten zu bringen. Selbst die Matrosen senkten ihre Waffen, als ob sie von der verzweifelten Tapferkeit eines Einzelnen gebannt waren.
        Bolitho spurte den Atem seines Gegners im Gesicht. Griff an Griff verhakten sie ihre Waffen und taumelten gegen eins der schweren Geschutze. Ihre Fu?e wirbelten Staub auf, wahrend sie einander bedrangten und einen Vorteil zu gewinnen suchten. Er drehte die Schulter und stie? mit aller Kraft zu. Sein Gegner taumelte zuruck, doch er ri? gleichzeitig die Klinge hoch, um seinen Hals zu schutzen.
        Durch die Zahne keuchte Bolitho:»Ergeben Sie sich, verdammt noch mal!»
        Doch der Franzose schien nur noch wutender zu werden. Mit frischer Kraft sprang er in einem neuen Ausfall vor. Bolitho parierte und schlug die Klinge des Gegners zur Seite, hielt inne, doch als der andere gegen das machtige Rad der Kanone taumelte, sprang er vor und stie? zu. Er spurte, wie Stahl gegen Rippen traf, und dann folgte ein letzter Sto?, der seinem Gegner mit einem Aufschrei die Luft aus den Lungen trieb.
        Bolitho starrte einige Sekunden lang die leblose Gestalt an, die an dem Rad lehnte.»Narr!«Er blickte auf den Degen in seiner Hand, die gerotete Klinge. Tapferer Narr!»
        Allday kam an seine Seite. Das schwere Entermesser pendelte wie ein Spielzeug in seiner Hand.»Gut gemacht, Captain. «Er zog den Toten von dem Geschutz fort und stie? ihn uber die Klippe.»Einer weniger, der uns Arger machen kann.»
        Bolitho steckte den Sabel weg. Es uberraschte ihn, da? seine Hand so ruhig war, da doch jede Faser seines Korpers unkontrollierbar zu zittern schien.
        Schwerfallig sagte er:»Hoffentlich sterbe ich ebenso tapfer, wenn meine Zeit da ist.»
        Quince kam keuchend an den Gefangenen vorbei und grinste ihn an.»Nicht einen Mann verloren, Sir. Es sind nur zwanzig Gefangene, und die zu bewachen wird uns keine Schwierigkeiten machen. «Besorgt sah er Bolitho an.»Fuhlen Sie sich nicht wohl, Sir?»
        Bolitho blickte uberrascht auf.»Doch, danke. Aber mir ist ein Gedanke gekommen.»
        Quince leckte sich die Lippen, als von den verankerten Schiffen ein Trompetensignal heraufklang.»Wir haben nicht lange Zeit, Sir. Die Froschfresser werden Boote mit mehr Leuten an Land schik-ken, als wir abwehren konnen.»
        Bolitho horte nicht auf ihn.»Etwas, das Sie fruher gesagt haben, Mr. Quince…»

«Was ich gesagt habe, Sir?»

«Sie bemerkten, da? das Geschwader einen schweren Stand haben wurde, selbst wenn diese Batterie ausfiele.»
        Quince hob die Schultern.»Nun, Sir, wenn ich das gesagt habe, dann tut es mir leid, falls es Ihnen Sorgen machen sollte. «Er schuttelte bewundernd den Kopf.»So, wie Sie uns hierhergefuhrt und diese verdammten Geschutze genommen haben, werde ich dankbar sein, wenn wir uns damit begnugen.»
        Bolitho trat an den Rand der Klippen.»Es genugt nicht. Die Abdiel wurde beim ersten Angriff innerhalb von Minuten in Brand geschossen. «Er deutete auf eine rohe Schanze neben den Zelten.»Sie wurde mit gluhenden Kugeln aus dieser primitiven Esse beschossen.»
        Quince nickte grimmig.»Ich wei?, Sir. Schade, da? die Asche kalt ist. Wir konnten eins oder auch zwei von ihren Schiffen in Brand schie?en, ehe wir uns zuruckziehen.»
        Bolitho beobachtete die Schiffe, das Gesicht eine Maske der Konzentration.»Aber wenn Sie da unten franzosischer Kommandant waren, konnten Sie einen solchen Angriff erwarten. «Er nickte nachdrucklich.»Holen Sie Mr. Fox, er soll die Geschutze feuerbereit machen. «Als Allday forteilte, fugte er hinzu:»Setzen Sie ein Zelt in Brand und gie?en Sie Wasser in die Flammen, Mr. Quince. Wenn wir Gluck haben, glauben die Franzosen, da? wir Kugeln erhitzen. Das mu? im Augenblick genugen.»
        Shambler rief:»Boote legen von zwei Schiffen ab, Sir.»
        Bolitho nickte. Die Schiffe konnten Leute entbehren, wenn sie vor Anker lagen, und immer noch genugend Mannschaften fur ihre Geschutze behalten, wenn Pelham-Martin kam. Er legte die Hande auf dem Rucken zusammen. Falls Pelham-Martin kam.

«Schicken Sie einen Mann auf den Gipfel, er soll nach unseren Schiffen ausschauen.

        Shambler sah ihn an.»Aye, aye, Sir.»
        In diesem Augenblick erschien Fox, der Feuerwerksmaat, an seiner Seite. Es war ein drahtiger, kleiner Mann, der an sein Namenstier, den Fuchs, erinnerte.

«Nun, Mr. Fox. «Bolitho beobachtete gespannt, wie die ersten Boote auf das Ufer zusteuerten.»Machen Sie die Geschutze feuerbereit und nehmen Sie sich das zweite Schiff zum Ziel.»
        Fox salutierte und sagte dann rauh:»Ich kann auch die Esse in Gang bringen, Sir. Dauert nur eine halbe Stunde. «Er lachte verhalten.»Mein Vater war Schmied, bei dem habe ich gelernt, wie man eine Glut schnell anfacht, Sir.»
        Bolitho spurte, wie die Erregung in ihm wuchs. Ob PelhamMartin kam oder nicht, es sollte nicht alles vergeblich gewesen sein, wenn er es verhindern konnte.
        Er rief:»Sagen Sie Mr. Lang, er soll die Stra?e halten. Mit dem Abgrund auf der einen Seite und seinen Leuten auf der anderen durfte das nicht allzu schwer sein.»
        Er zwang sich, langsam zum Rand der Klippe vorzugehen, und blickte auf die Boote tief unten.
        Fox rief ihm zu:»Feuerbereit, Sir!«Angespannt und konzentriert kauerte er hinter dem nachststehenden Geschutz.
        Bolitho erwiderte:»Geben Sie einen Probeschu? ab!»
        Fox sprang zur Seite und hielt seine Lunte ans Zundloch. Die Detonation hallte von den Berghangen wider, scheuchte Hunderte von
        Vogeln auf, die flatternd und kreisend ein kreischendes Konzert auffuhrten.

«Zu kurz. «Fox grinste vergnugt. Verglichen mit dem schwankenden Batteriedeck eines Schiffs, war das hier ein Kinderspiel. Er trieb seine Leute an.»Handspaken ran. Rohr nach rechts. «Er tanzelte hinter dem Verschlu?, wahrend die anderen noch auswischten und neu luden.»Langsam! Das reicht. «Mit unverhohlener Ungeduld wartete er, da? die Ladungen festgerammt wurden.»Gut so. Jetzt volle Erhohung!«Er schuttelte vor dem schwitzenden Gesicht eines Matrosen die Faust.»Langsam, Junge, langsam!»
        Wieder senkte er die Lunte, und mit einem Auf brullen schlug das Geschutz im Rucksto? gegen den harten Fels. Uber der Klippe stieg Pulverqualm in braunen Wolken auf.

«Zu weit. «Fox rieb sich die Hande.»Der nachste sitzt.»
        Quince trat neben Bolitho. Sie beobachteten, wie erst das eine Boot und gleich darauf das zweite innehielt, kehrtmachte und zu den Schiffen zuruckruderte.»Die haben meinen Rauch entdeckt. «Er lachte zufrieden.»Und was jetzt, Sir?»
        Bolitho konnte sich den Schrecken an Bord der verankerten Schiffe gut vorstellen. In ihrer gegenwartigen Situation beschossen zu werden, war schon gefahrlich genug, aber ein Bombardement mit gluhenden Kugeln war zuviel; jeder Kommandant mu?te alles daran setzen, um so schnell wie moglich au?er Schu?weite zu kommen.
        Fox trat zuruck.»Feuer!«Er rannte zum Rand der Klippe und beschattete die Augen, um die Flugbahn zu verfolgen.
        Hoch aufspritzendes Wasser neben dem Heck des zweiten Schiffes zeigte den Aufschlag an; Bolitho vermutete, da? er dicht bei der Wasserlinie gelegen hatte.
        Fox schien uber ungeahnte Energie zu verfugen.»Alle Geschutze neu richten!«Er eilte von Kanone zu Kanone, blickte zu der ersten zuruck, um sich zu vergewissern, da? er eine gutgezielte Salve abgab.»Feuer!«Die Reihe der Geschutze rollte im selben Augenblick zuruck, und um das Ziel herum spritzten Fontanen auf.

«Captain, Sir!»
        Bolitho drehte sich um und sah Pascoe hinter sich, der heftig nach Luft rang. Er mu?te den ganzen Weg von der Stra?e herauf gerannt sein.

«Was gibt's, Junge?»

«Mr. Lang la?t melden, da? auf der Stra?e von der Stadt her Soldaten anmarschieren. Sie sind noch ungefahr zwei Meilen entfernt, kommen aber sehr schnell naher. «Er blickte zu den Schiffen hinunter, als ob er sie zum erstenmal sahe.

«Wie viele sind es, Mr. Pascoe?«fragte Quince.
        Der Junge hob die Schultern.»Mehrere Hundert, Sir.»
        Bolitho sah Quince an.»Ob Franzosen oder Spanier, kann uns gleichgultig sein. Sie wollen uns an den Kragen, und Mr. Lang kann nicht mehr tun, als ihren Angriff einige Minuten aufzuhalten. «Er zog seine Uhr.»Wo, zum Teufel, bleiben nur unsere Schiffe?»
        Pascoe blickte wieder zu ihm auf.»Haben Sie Befehle fur Mr. Lang, Sir?»
        Er sah sich nach Fox um, als der kleine Artilleriemaat sich aufrichtete und schrie:»Zwei Treffer, Jungs! Das wird die Froschfresser was lehren.»
        Bolitho sagte ruhig:»Er soll mich auf dem laufenden halten. «Er blickte Pascoe nach, der schon wieder zurucklief, und fugte hinzu:»Wenn der Kommodore nicht sehr bald mit seinem Angriff beginnt, Mr. Quince, furchte ich, da? er zu spat kommen wird. «Er deutete auf das nachstgelegene Schiff, wo Matrosen bereits aufenterten und auf die Rahen ausschwarmten.»Der da hat schon die Nerven verloren. Wenn der Kommodore erst in ein oder zwei Stunden eintrifft, wird er uns tot vorfinden und die Schiffe werden verschwunden sein.»
        Quince nickte duster.»Vielleicht ist er aufgehalten worden, Sir.»
        Bolitho beobachtete, wie der Qualm uber den Rand der Klippen abzog. Der Wind wehte frisch und stetig. Es gab keine Entschuldigung dafur, da? ihre Schiffe nicht wie versprochen angriffen.
        Er sagte knapp:»Lassen Sie weiter feuern. Und sagen Sie Mr. Fox, er soll sich mit dieser verdammten Esse beeilen. «Dann ging er angestrengt nachdenkend auf die Zelte zu.



        XII Mr. Selby

        Fox, der Artilleriemaat, hielt Wort: er bewirkte Wunder mit der primitiven Esse. Dank reichlich ausgestreutem Pulver und durrem Ginster brannte bald sein Feuer, er kauerte abwartend vor der eisernen Klappe und nickte befriedigt, ehe er zuruckrannte, um seine Leute zu uberwachen.
        Bolitho blinzelte in die Sonne, die jetzt blendend uber dem spitzen Berg stand. Dann ging er zum Rand der Klippe, um die unten verankerten Schiffe zu beobachten. An die Stelle der ersten Panik waren jetzt geordnete Vorbereitungen zum Auslaufen getreten, aber er vermutete, da? alle Schiffe so fest und grundlich miteinander vertaut waren, da? es mindestens noch eine halbe Stunde dauern wurde.

«Ich gehe zu Mr. Lang«, verkundete er knapp.»Melden Sie mir, wenn die Kugeln gluhen. «Von Allday begleitet, wendete er sich ab und ging hastig auf die Fahrspur zu. Er war von der grell leuchtenden leeren See benommen und spurte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg.
        Lang und seine Leute waren um die schmale Stra?e ausgeschwarmt, hinter Felsbrocken Deckung suchend, die Musketen auf die Biegung gerichtet, die hinter dem Berghang verschwand, von wo der Angriff zu erwarten war.
        Lang erblickte Bolitho und richtete sich hastig auf.»Wir haben die Soldaten aus der Sicht verloren, Sir. Aber sie mussen jetzt jeden Augenblick um die Biegung auftauchen.»
        Bolitho winkte Carlyon zu sich.»Sagen Sie Mr. Quince, er soll sofort zwanzig weitere Leute herschicken.»
        Zu Lang fuhr er fort:»Wir konnen die Stra?e eine Weile halten, vorausgesetzt, da? die Soldaten uns nicht in den Rucken fallen konnen. «Er dachte laut, versuchte, sich den Abhang und das Gelande dahinter so vorzustellen, wie erprobte Landkampfer es sehen wurden. Es erschien unglaublich, da? so viele Truppen an einen solchen Ort geschafft werden konnten; falls Lequiller sie hergebracht hatte, waren seine Absichten noch schwerer zu durchschauen.
        Als weitere bewaffnete Matrosen keuchend eintrafen, rief er laut:»Auf dem Abhang ausschwarmen! Nicht schie?en, ehe ich den Befehl gebe!»
        Lang trat unruhig von einem Bein auf das andere.»Schon etwas von dem Geschwader zu entdecken, Sir?«Bolitho schuttelte den Kopf.»Noch nicht. «Er beobachtete, wie die Matrosen sich auf dem Abhang uber der
        Stra?e verteilten, bemerkte ihre erschopften Gesichter und ihre beunruhigten Blicke, die sie auf das Meer richteten. Sie wurden ihre aussichtslose Lage begreifen, ohne da? sie ihnen erklart wurde. Sie hatten keine Verpflegung mehr, und bald mu?te die Sonne hoch uber ihnen stehen und ihnen die letzte Widerstandskraft und allen Kampfwillen rauben.
        Dann horte er ein neues Gerausch: das stetige Stampfen von Fu?en auf rauhem Boden, das wie ein Trommelwirbel klang.
        Die ersten Soldaten erschienen um die Biegung der Stra?e, und auf einen lauten Befehl hielten sie weniger als hundert Schritte von den nachsten Matrosen an.
        Ein Fu? rutschte auf Geroll aus, und Pascoe tauchte an Bolithos Seite auf. Keuchend stie? er aus:»Mr. Quince la?t melden, da? die erste Kugel gluht und feuerbereit ist, Sir.»
        Er sah auf die regungslos angetretenen Soldaten und fugte mit belegter Stimme hinzu:»Die Franzosen!»
        Bolitho hob sein Glas und studierte ein paar Sekunden lang die stumm wartenden Soldaten.»Nur die Uniformen sind franzosisch, Mr. Pascoe. «Durch sein kleines Glas konnte er erkennen, da? die Soldaten nach ihrem Gewaltmarsch vor Erschopfung schwankten, bemerkte ihre dunkle Hautfarbe und die Achtlosigkeit, mit der sie ihre Musketen hielten.»Franzosische Infanteristen wurden sich nicht so undiszipliniert verhalten. «Schroff fugte er hinzu:»Sagen Sie Mr. Quince, er soll sofort das Feuer auf das zweite Schiff eroffnen. Er wird wissen, was er zu tun hat.»
        Der Junge zogerte noch, den Blick auf die Soldaten gerichtet.»Wollen Sie denn hier bleiben, Sir?»
        Bolitho schob das Glas mit einer heftigen Bewegung in die Tasche.»Geh! Wir haben keine Zeit zum Schwatzen!«Als der Junge sich abwendete, fugte er hinzu:»Fur uns steht alles gut, vorausgesetzt, da? ihr das Schiff trefft.»
        Lang sagte beunruhigt:»Soldaten von der Nachhut klettern den Abhang herauf, Sir.»
        Bolitho nickte.»Befehlen Sie Feuerbereitschaft!«Er zog seinen Sabel und lehnte die Klinge gegen die Schulter.»Sie werden einen Sturmangriff versuchen, Mr. Lang. Behalten Sie also klaren Kopf.»
        Hinter der Biegung schrillte eine Pfeife, und die erste Reihe der Soldaten setzte sich zielstrebig auf die schmalste Stelle zu in Trab.
        Dort hatte ein Steinschlag eine tiefe Kluft in den Abhang gerissen, die steil zum Meer abfiel.

«Ziel nehmen!«Bolitho hob den Sabel hoch uber den Kopf. Er spurte, wie ihm der Schwei? uber die Brust rann und da? seine Lippen trocken wie Pergament waren. Feuer!»
        Vierzig Musketenschusse zerrissen in einer unregelma?igen Salve die Stille. Die Schusse kamen von uberallher, wo die Matrosen eine sparliche Deckung gefunden hatten. Als sich der Pulverrauch verzog, sah Bolitho fallende und taumelnde Soldaten, manche sturzten uber die Klippe au?er Sicht.

«Laden!«Er versuchte, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, weil er wu?te, da? das geringste Anzeichen von Furcht ihren schwachen Widerstand in wilde Flucht verwandeln wurde. Ein Teil der Soldaten ging weiter vor, doch als sie ihre gefallenen Kameraden erreichten, zogerten sie und hielten dann inne, um niederzuknien und blindlings in Richtung des Abhangs zu feuern. Kugeln schwirrten kreuz und quer; als weitere Soldaten um die Biegung auftauchten, rief Bolitho wieder:»Ziel nehmen! Feuer!»
        Die Salve erfolgte diesmal noch unregelma?iger, denn manchen war es in ihren verkrampften Stellungen noch nicht gelungen, neu zu laden. Doch als die Kugeln in die Reihen der dicht gedrangten Soldaten fegten, war das mehr als genug. Schie?end machten sie kehrt und liefen uber ein Dutzend Tote und Verwundete auf der Stra?e zuruck. Andere waren spurlos in der wartenden See unten verschwunden.
        Ein dumpfer Knall rollte uber den Berghang, und Bolitho sagte:»Hoffentlich wei? Fox noch die richtige Distanz, Mr. Lang.»
        Eine Musketenkugel schwirrte an seinem Gesicht vorbei, er warf sich hastig hinter einen Felsen in Deckung, als weitere Geschosse vorn Abhang fast unmittelbar uber der Stra?e rings um ihn einschlugen.

«Scharfschutzen!«Er beschattete die Augen gegen das grelle Licht und sah einzelne Gestalten uber den Kamm sturmen. Einige sturzten und blieben regungslos liegen, als die Matrosen das Feuer so schnell sie nachladen konnten erwiderten.
        Er packte den Leutnant an der Schulter.»Halten Sie hier die Stellung. Ich sehe nach, wie es bei den Geschutzen steht. «Er bemerkte Langs kraftloses Nicken.»Und lassen Sie Ihre Leute in Deckung, gleichgultig, was der Feind unternimmt. «Er drehte sich um und rannte uber den Abhang davon. Das Gewehrfeuer und die Schreie der Kampfenden drangen ihm in die Ohren, bis er die Anhohe erreicht hatte, die den Larm wie durch einen Vorhang abschnitt.
        Er traf Quince am Rand der Klippe und genau an der Stelle, wo er ihn zuruckgelassen hatte. Aufgeregt deutete er auf die Schiffe. Der nachstgelegene Zweidecker bemuhte sich vergeblich, freizukommen. Hilflos trieb er in den Wind, wurde am Heck durch die zusatzlichen Ankertaue festgehalten. Auf dem zweiten Schiff schien noch alles unverandert, doch als Bolitho das Glas vor die Augen hob, sah er eine verraterische, dunne Rauchsaule aufsteigen und den plotzlichen Ansturm von Mannern mit Eimern und Axten, als sich aus der Saule eine dicke Wolke entwickelte.
        Fox war vor Freude beinahe au?er sich.»Ein Treffer!«Er drehte sich nach den jubelnden Kanonieren um.»Die nachste Kugel, Jungs!«Er rannte zu der Esse, von der Leute mit dem nachsten hei?en Gescho? auf einer primitiven eisernen Trage ihm schon entgegenkamen.

«Mr. Lang kann sich nicht mehr sehr lange halten«, sagte Bo-litho. Er bemerkte, da? Quince an seiner Seite erstarrte.»Er wird von mindestens zweihundert Mann angegriffen, und in der Stadt befinden sich vermutlich noch mehr.»
        Quince blickte ihn uberrascht an.»Wieso, Sir? Wie kommt Las Mercedes zu einer so starken Garnison?»
        Bolitho sah, wie sich der Rauch uber dem franzosischen Schiff verzog. Offensichtlich konnte die Besatzung mit ihren Wassereimern den drohenden Brand ersticken.
        Fox schien sich der Gefahr nicht bewu?t zu sein, als er sich vergewisserte, da? der Pfropf vor der Pulverladung grundlich getrankt war, ehe er die gluhende Kugel ins Rohr schieben lie?.

«Daruber bin ich mir nicht klar, Mr. Quince«, antwortete Bolitho.»Noch nicht.»
        Die Kanone stie? zuruck, und im Bruchteil einer Sekunde sah Bolitho die Kugel auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn, ehe sie auf die verankerten Schiffe hinuntersturzte. Wie ein schwarzer Fleck vor der Sonne, dachte er.
        Sie traf das Schiff unmittelbar vor dem Achterdeck auf der Steuerbordseite, und ein paar Augenblick lang glaubte ein Teil der Kanoniere, sie sei danebengegangen. Doch als sich Rauch entwik-kelte und aufstieg, wu?te Bolitho, da? es ein todlicher Treffer gewesen war. Er sah die ersten zungelnden Flammen unter dem oberen Geschutzdeck, den so plotzlich aufquellenden Rauch, als ob er durch einen riesigen Blasbalg unter den zundertrockenen Planken angefacht wurde.

«Das vorderste Schiff hat jetzt Anker gelichtet, Sir. «Quince pre?te die Fauste gegeneinander, als die Gro?wanten des getroffenen Schiffs in einer hohen Flamme aufloderten und sich der mittlere Teil des Rumpfes im Augenblick zu einer schrecklichen Fackel verwandelte.

«Zielwechsel, Mr. Fox!«Bolitho drehte sich rasch um, als Car-lyon neben Quince erschien. Er hatte sich beide Knie aufgeschlagen und eine tiefe Schramme an der Stirn.

«Ich - ich bin gefallen, Sir. «Er zuckte zusammen, als hinter ihm die Kanone abgeschossen wurde.»Ich bin so schnell gelaufen, wie ich konnte…«Er brach ab. Sein Gesicht verzerrte sich erschopft und verzweifelt.
        Bolitho packte ihn am Arm und schuttelte ihn.»Was ist los?»

«Mr. Lang ist getroffen worden, Sir. Unsere Leute weichen zuruck. «Er taumelte und ware gefallen, wenn Bolitho ihn nicht gehalten hatte.»Die Soldaten sind uberall auf dem Berg, Sir. Wir konnen sie nicht mehr aufhalten.»
        Bolitho sah Quince an und schrie:»Richten Sie das Geschutz auf die Stra?e!«Als die Leute zogerten, fugte er scharf hinzu:»Bewegung, schnell!«Er deutete auf die Matrosen.»Setzt die Gefangenen mit ein und la?t sie die Kanonen uber die Klippe schieben. «Er blickte in Quinces grimmiges Gesicht.»Mit denen soll keiner mehr schie?en.»
        Als das erste Geschutz uber die scharfe Kante rollte, fugte er hinzu:»Ich mu? zu unseren Leuten an der Stra?e zuruck. Vergewissern Sie sich, da? das letzte Geschutz geladen und gerichtet wird. «Dann rannte er davon, ehe Quince ihm weitere Fragen stellen konnte. Als er die Reihe der Felsbrocken erreichte, von der er erst vor wenigen Stunden seine Leute zum Angriff gefuhrt hatte, sah er die Matrosen zuruckweichen. Manche schossen noch auf den gegenuberliegenden Abhang, andere schleppten sich verwundet zuruck oder stutzten sich gegenseitig in dem verzweifelten Bemuhen, irgendeine Deckung zu erreichen.

«Hierher!«Bolitho winkte mit seinem Sabel.»Geht in Deckung und ladet neu!«Einer versuchte, an ihm vorbeizulaufen. Er schrie ihn an:»Hiergeblieben, oder ich bringe dich, bei Gott, selbst um!»
        Allday fragte heiser:»Wo ist Mr. Pascoe?»
        In diesem Augenblick erblickte Bolitho ihn. Er kam uber die Stra?e gerannt, den wankenden Lang neben sich, der einen Arm fest um die Schultern des Jungen gelegt hatte. Lang war blutbedeckt und hatte die Augen notdurftig verbunden. Weitere Schusse fegten vom Hang herunter, wo der Feind Halt gemacht hatte, um aus seiner gunstigen Position sorgfaltiger zielen zu konnen. Ein Matrose sturzte uber den Felsen zusammen, und ein anderer verschwand au?er Sicht, ohne auch nur einen Schrei auszusto?en.
        Pascoe stolperte keuchend in Alldays Arme, wahrend andere den verwundeten Leutnant in den Schutz der Felsen zogen. Bolitho fragte:»Alles in Ordnung, Junge?«Er lehnte ihn an die von der Sonne erwarmten Felsen und fugte hinzu:»Das war sehr tapfer, was du da getan hast,»
        Lang wimmerte:»Meine Augen! Mein Gott, ich sehe nichts mehr!»
        Pascoe blickte ihn starr an:»Eine Musketenkugel traf neben seinem Gesicht einen Felsbrocken. «Er schauderte, aber blinzelte dabei nicht.»Die Splitter trafen ihn in beide Augen. «Er wandte sich heftig ab und ubergab sich.
        Bolitho loste den Blick von den bebenden Schultern des Jungen und sah auf, als ein Matrose plotzlich aufsprang und zum Rand der Klippe hinaufrannte. Einen Augenblick glaubte er, der Mann ware verruckt geworden oder mache einen letzten verzweifelten Fluchtversuch. Doch als die wilden Schreie auch die anderen aufblicken lie?en, erkannte er durch den Qualm des brennenden Schiffs eine schemenhafte Form und bildete sich ein, eine Hitzewelle zu spuren, als das Krachen einer Breitseite uber das Wasser und wie eine Lawine gegen die Steilwand donnerte.
        Der Matrose schwankte hin und her, die Hande wie im Gebet vor der Brust gefaltet. Wild schrie er:»Seht doch, Jungs! Es ist die alte Hermes!»
        Dann sturzte er kopfuber die Klippe hinunter. Sein Todesschrei wurde von Kanonendonner ubertont, als sich die Marssegel eines weiteren Schiffs durch den Qualm schoben. Der Anblick seines eigenen Schiffes, das ihm endlich zu Hilfe kam, mu?te das Letzte gewesen sein, was der Mann gesehen hatte.
        Bolitho richtete sich auf.»Zuruck, Leute«, rief er.»Wir ziehen uns auf die Landzunge zuruck. «Geschosse schwirrten um ihn herum, und noch ein paar Manner fielen, als sie geduckt uber die weite Strecke offenen Gelandes liefen.
        Allday hatte Lang auf die Schultern genommen, und Bolitho sah, da? Pascoe versuchte, nicht innezuhalten, als einem Matrosen neben ihm von einer Kugel der Hinterkopf zerschmettert wurde.
        Als die ersten feindlichen Soldaten die jetzt nicht mehr verteidigte Felsbarriere erreichten, hielt Fox seine Lunte sorgfaltig an das Zundloch der Kanone und sprang dann zur Seite, um zu beobachten, wie die Kugel die dichtgedrangten Manner niedermahte.
        Dieser letzte Schu? und der Anblick der langsam in die Bucht einlaufenden Schiffe war fur sie genug. Der Angriff brach zusammen, und trotz der schrillen Pfiffe und gebrullten Befehle machten die Soldaten kehrt und rannten zuruck. Vermutlich wurden sie weiterrennen bis in die Stadt, weil sie befurchten mu?ten, durch ein weiteres Landekommando der eintreffenden Schiffe abgeschnitten zu werden.
        Quince erschien neben Bolitho und sagte zwischen muhsamen Atemzugen:»Das war knapp, Sir.»
        Bolitho antwortete ihm nicht gleich. Er beobachtete sein eigenes Schiff, die alte Hyperion, die langsam an dem nachsten Franzosen vorbeikreuzte. Pulverqualm verhullte das Bild der Vernichtung, als ihre Geschutze der Reihe nach ihre Ladungen auf den hilflosen Feind spieen. Sie war zu weit entfernt, um Einzelheiten auszumachen, aber er konnte sich Inch vorstellen, der aufmerksam den richtigen Augenblick abwartete, um uber Stag zu gehen, und Gos-sett in seiner Nahe, unerschutterlich wie eine englische Eiche. Er sah sich um. Plotzlich widerte ihn das Land an, der Anblick der Toten und der eng zusammengedrangten, verangstigten Gefangenen.
        Drei?ig Meilen hatten sie zuruckgelegt, um das zu vollbringen: drei?ig Meilen Sumpf und unvorstellbarer Strapazen. Doch nur einmal ware die Moral beinahe zusammengebrochen. Er beobachtete die humpelnden Verwundeten und die anderen, die noch aufrecht stehen und kampfen konnten. Aber das waren nur noch sehr wenige.
        Quince fugte hinzu:»Mr. Fox meldet, da? die Schaluppe Dasher vor der Landzunge ankert und Boote zu Wasser la?t, um uns aufzunehmen.»

«Sehr gut. «Selbst sprechen war schon zuviel.»Lassen Sie die Verwundeten an den Strand bringen, sobald das letzte Geschutz in den Abgrund gesturzt ist. «Er drehte sich um, um zu beobachten, wie die schwere Kanone uber den Rand der Klippe geschoben wurde und mitten zwischen treibenden Leichen im tiefen Wasser versank.
        Als Quince zuruckkam, stand Bolitho allein am Rand und blickte auf die Schiffe in der Bucht hinunter.
        Der Leutnant sagte:»Die Hermes hat Boote ausgesetzt. Ich nehme an, da? sie ein Kommando an Land bringen, um den Franzosen zusatzlich einzuheizen.»
        Das nachstgelegene franzosische Schiff leistete keinen Widerstand mehr. Es lag bereits auf der Seite, und seine unteren Stuckpforten wurden schon vom Wasser uberspult. Das zweite stand so hoch in Flammen, da? Bolitho befurchtete, Inch hatte sein Schiff zu nahe an das wild lodernde Feuer gebracht. Doch als sich die Marssegel der Hyperion auf ihrem neuen Kurs wieder fullten, sah er die Funken weit hinter ihrem Heck vorbeifliegen.
        Von den beiden anderen franzosischen Schiffen war keine Spur mehr zu sehen. Er nahm an, da? es ihnen gelungen war, rechtzeitig Anker zu lichten und um die Landzunge zu entkommen, wahrend das angreifende Geschwader auf der gegenuberliegenden Seite in die Bucht einlief. Er sah Pascoe bei der verlassenen Esse stehen, den Dolch noch in der Hand.»Komm mit, Junge. Heute hast du fur zehn Manner genug gesehen und getan.»
        Pascoe sah ihn ernst an.»Danke, Sir«, war alles, was er antwortete. Der Leutnant, der die Boote der Schaluppe befehligte, sah den blutbedeckten und zerlumpten Uberlebenden von Bolithos Kampfgruppe mit kaum verhehltem Entsetzen entgegen.»Wo sind die anderen?«Er konnte nicht einmal einen Offizier unter den erschopften Gestalten erkennen, die zu den Booten wateten oder getragen wurden.
        Bolitho wartete, bis der letzte Mann an Bord war, ehe er folgte. Kalt wiederholte er:»Ja, wo sind die andern?«Schweigend sa? er da und betrachtete sein Kommando, das kaum noch zwei Boote fullte, aber nicht mehr die vier, die er weit hinten zuruckgelassen hatte.
        Er sah die Telamon uber Stag gehen. Ihre Rah hing voll wehender Signalflaggen, wahrend sie vor der frischen Landbrise herlief. Von cer Indomitable war nichts zu sehen, aber Bolitho war zu erschopft, um sich daruber Gedanken zu machen.

«Hier kommt der Befehl zum Ruckzug, Sir«, sagte Quince.»Der Kommodore mu? an Bord des Hollanders sein.»
        Bolitho blickte auf, unfahig, seine Erbitterung langer zu unterdrucken.»Dann kann ich im Interesse seiner eigenen Sicherheit nur hoffen, da? er auch dort bleibt.»
        Dann sah er wieder seine Leute an. Lang stohnte leise vor sich hin, und die anderen waren zu erschopft und ausgelaugt, um den Mannern zu antworten, die ihnen von der verankerten Schaluppe her zujubelten. Sie hatten getan, was von ihnen verlangt worden war, und mehr, doch mit dem letzten Schu? war der Funke in ihnen erloschen. Uberlebenswille und Hilfe hatten den Wahnsinn und die verzweifelte Kampfbereitschaft vertrieben. Jetzt lagen oder sa?en sie wie seelenlose Wesen herum, den Blick nach innen gekehrt, hatten vielleicht benommen noch die letzten Bilder vor Augen, an die sie sich im Lauf der Zeit mit Stolz oder Entsetzen erinnern wurden, trauernd um die Zuruckgebliebenen oder dankbar dafur, da? sie verschont worden waren.
        Der junge Kommandant der Schaluppe begru?te Bolitho aufgeregt.»Willkommen an Bord, Sir. Kann ich etwas fur Sie tun, ehe ich Anker lichte?»
        Bolitho blickte an ihm vorbei auf das brennende Schiff. Nur wenige geschwarzte Planken und Balken leisteten dem Feuer noch Widerstand, hielten es uber Wasser und gaben seinen Untergang neugierigen Blicken preis.
        Er antwortete:»Bringen Sie mich auf mein Schiff. «Er versuchte, Herr seiner selbst zu werden und die bleierne Erschopfung zu bezwingen, die ihn nahezu lahmte.»Und veranlassen Sie, da? diese Leute versorgt werden. Sie haben einen weiten Weg hinter sich und sollen nicht langer als notig leiden.»
        Der junge Offizier runzelte die Stirn. Er war nicht sicher, was Bolitho meinte. Dann eilte er davon, um seine Befehle zu geben, ganz erfullt von dem Anblick, dessen Zeuge er geworden war, und von dem Gedanken, wie er ihn eines Tages schildern wurde.
        Als die Schiffe spater die Bucht verlie?en und wieder ihre Formation einnahmen, wehte der Wind ihnen immer noch Rauch nach, Asche und den Geruch des Todes.
        Leutnant Inch trat in die Kajute und blinzelte in den grellen Widerschein des Wassers, der von der See unter den hohen Heckfenstern hereinfiel.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»
        Bolitho sa? bis zum Gurtel nackt am Schreibtisch und rasierte sich hastig vor dem Spiegel, der vor ihm stand.

«Ja. Sind von der Telamon noch keine Befehle gekommen?»
        Inch sah Bolitho mit gro?en Augen zu, der sich heftig das Gesicht abwischte und dann ein frisches Hemd uberstreifte. Bolitho war noch nicht einmal funf Stunden wieder auf seinem Schiff, hatte sich kaum Zeit zum Essen genommen, gar nicht zu reden von einer Ruhepause.

«Nichts, Sir«, antwortete Inch.
        Bolitho ging zu den Heckfenstern und starrte auf die in weiter Ferne liegende, verschwommene Kustenlinie hinaus. Auf Backbordbug liegend, kamen die Schiffe nur langsam vorwarts; als er nach der hinter ihnen segelnden Hermes ausblickte, sah er ihre schlappen, fast unbewegten Segel und ihren uberm schwankenden Spiegelbild schimmernden Rumpf.
        Er hatte erwartet, da? Pelham-Martin seine Kommandanten zu einer Besprechung auf die Telamon rufen oder einen Gluckwunsch an das erschopfte Landkommando schicken wurde. Statt dessen war nur das Signal >Anker lichten< gehi?t worden, und nach einer weiteren, an den Nerven zerrenden Verzogerung hatten von der Hermes Boote abgelegt. Sie waren bis zum Dollbord mit Menschen beladen und hatten sofort Kurs auf die Hyperion genommen.
        Mit den Booten kam Leutnant Quince, der berichtete, da? das Landkommando der Hermes das Gefangnis in Las Mercedes gefunden und daraus uber sechzig englische Seeleute befreit hatte. Kapitan Fitzmaurice schickte funfzig dieser Leute zu Bolitho, um seine Besatzung zu erganzen. Aber Quince war auch gekommen, um sich zu verabschieden. Pelham-Martin hatte ihn mit dem Kommando uber die schwer beschadigte Indomitable betraut: er sollte sie nach dem rund sechshundert Meilen entfernten Antigua bringen. Die Werftanlagen dort genugten, um das Schiff soweit zu reparieren, da? es zu der dringend erforderlichen grundlichen Uberholung nach England uberfuhrt werden konnte.
        Bolitho war an Deck gegangen, um zu beobachten, wie das tiefliegende Schiff sich langsam vom Geschwader entfernte. Der mit Einschussen ubersate Rumpf und das laute Klappern der Pumpen verrieten deutlich, welche Muhe es kostete, das Schiff uber Wasser zu halten. Kein Wunder, da? es beim letzten Angriff auf Las Mercedes nicht mitgewirkt hatte. Bei der nachsten Breitseite ware es wahrscheinlich gekentert und gesunken.
        Gut zu wissen, da? Quince fur seinen unermudlichen Einsatz den verdienten Lohn erhalten hatte. Als Bolitho der Indomitable nachblickte, die mit ihren zerfetzten Segeln und zersplitterten Maststengen die Leiden und Todesqualen symbolisierte, die sich in ihrem Rumpf abgespielt hatten, mu?te er unwillkurlich an Winstanley denken und wie glucklich es ihn gemacht hatte, sein Schiff in so guten Handen zu wissen. Jetzt aber segelten sie wieder nach Osten, ohne anscheinend einen Gedanken daran zu wenden, den beiden franzosischen Schiffen nachzujagen, die bei dem Angriff entkommen waren; und ohne den geringsten Hinweis darauf, was PelhamMartin als nachstes zu unternehmen beabsichtigte.
        Quince hatte bei seinem kurzen Besuch gesagt:»Es hat den Anschein, da? unser Kommodore mit dem Ergebnis sehr zufrieden ist, Sir. Zwei franzosische Linienschiffe wurden vernichtet und die anderen in die Flucht geschlagen.»
        Bolitho hatte kalt erwidert:»Wir hatten sie alle vernichten konnen.»
        Qunice hatte ihn nuchtern angesehen.»Sie haben getan, was Sie konnten, Sir. Ich glaube, das ganze Geschwader wei? das.»
        Bolitho hatte nur mit den Achseln gezuckt.»Ich kann mich nicht mit halben Ma?nahmen zufrieden geben.»
        Mit einem Seufzer legte er jetzt das Rasiermesser weg und fragte:»Haben Sie die neuen Leute vereidigt, Mr. Inch?»

«Aye, Sir. Ich habe auch einige vernommen, so wie Sie befohlen haben.»
        Ruhelos ging Bolitho wieder an die Fenster und beschattete die Augen, wahrend er nach dem leeren Horizont ausspahte. In der spaten Nachmittagssonne leuchtete er wie eine goldene Linie. Er hatte diese aus dem Gefangnis befreiten Leute selbst empfangen und ausfragen wollen, war aber noch nicht fahig gewesen, jemandem gegenuberzutreten. In dem Augenblick, als er mit den anderen aus dem Beiboot der Schaluppe an Bord zuruckgekommen war, den Jubel und die Willkommensrufe in den Ohren, war ihm seine vollige Erschopfung erst ganz bewu?t geworden.
        Inch sagte unvermittelt:»Es sind alles ausgebildete Seeleute, Sir. Uberlebende von einem Handelsschiff, der Bristol Queen, die vor einiger Zeit auf der Fahrt nach Caracas in einem Sturm Schiffbruch erlitt. Einem Teil der Besatzung gelang es, sich in die Boote zu retten und schlie?lich Las Mercedes zu erreichen, wo sie ins Gefangnis geworfen wurden. «Sein Gesicht wurde wutend.»Diese verdammten Spanier haben anscheinend kein Mitleid mit Schiffbruchigen.»
        Bolitho stutzte die Hande auf den Schreibtisch und starrte gedankenverloren auf die oberste Seekarte.»Ich nehme an, da? keiner der Offiziere gerettet wurde?»

«Keiner, Sir. «Inch schlug sich mit der Hand klatschend gegen den Oberschenkel. Aber ein unerwarteter Gluckstreffer ist doch dabei. Unter den Leuten befindet sich ein Steuermannsmaat. «Auf Bolithos unausgesprochene Frage nickte er vergnugt.»Aye, Sir. Ein Angehoriger der Marine.»

«Nun machen Sie es nicht so spannend, Mr. Inch.»

«Anscheinend ist er vor einigen Monaten mit einem anderen Mann zusammen aufgefischt worden. Sie wurden von der Cornelia, einem Vierundsiebzig-Kanonen-Schiff, uber Bord gewaschen und konnten sich an einem gekenterten Beiboot festklammern. Jedenfalls schaffte das der Steuermannsmaat. Der andere war bereits tot,
        Sir.»
        Bolitho nickte gedankenvoll.»Gerettet furs Gefangnis. Nun, er soll uns an Bord willkommen sein, Mr. Inch, und wird uns hoffentlich nutzen. Ich nehme an, Sie haben dafur gesorgt, da? alle diese
        Leute mit der Indomitable Nachricht nach Hause schicken konnten?»

«Leutnant Quince hat es mir versprochen, Sir. Au?er diesem Steuermannsmaaten, der weder einen Brief noch eine Nachricht mitgegeben hat. Er scheint keine lebende Seele an Land zu kennen.»
        Bolitho lauschte auf das Schrillen der Pfeifen und das Stampfen von Fu?en an Deck, als die Wache ihren Dienst antrat.»Wie hei?t der Mann!«»Selby, Sir.»

«Also gut. Schicken Sie Mr. Selby zu mir. Vielleicht hat er in Las Mercedes etwas gehort oder erfahren. Es beunruhigt mich, da? wir nicht einmal die Halfte von dem wissen, was hier vor sich geht. «Er runzelte nachdenklich die Stirn, ohne auf Inchs uberraschtes Gesicht zu achten.»All diese spanischen Soldaten in franzosischen Uniformen, die Kampfbereitschaft der Schiffe und diese sorgfaltig postierte Batterie an Land. «Er schuttelte nachdrucklich den Kopf.»Nein, Mr. Inch, unsere luckenhaften Informationen stimmen mich sehr unzufrieden.»
        Nachdem Inch ihn verlassen hatte, wandte er sich wieder dem Studium der Karte zu. Wo steckte Lequiller?
        Plotzlich mu?te er an Leutnant Lang denken, der sich jetzt mit den anderen Verletzten und Verwundeten an Bord der Indomitable auf dem Weg nach Antigua und von dort nach England befand. Was wurde aus ihm werden? Der Arzt hatte sich knapp und ohne jede Hoffnung geau?ert: Lang war erblindet. Da er weder Vermogen noch Einflu? besa?, wurde er nach Hause und damit unausweichlich in die Vergessenheit geschickt. Er wurde zu dem elenden Strandgut gehoren, das man in jedem Hafen fand, wo es standig an die Nutzlosigkeit und das Ausgesto?ensein der Veteranen mahnte.
        Doch dieser Steuermannsmaat kam jetzt sehr gelegen. Bolitho mu?te Gascoigne zum diensttuenden Leutnant ernennen, ob er genugend Erfahrung besa? oder nicht, und ein zusatzlicher Fah-rensmann war sein Gewicht in Gold wert.
        Es klopfte, und Inch trat in den Widerschein des Sonnenlichts.»Mr. Selby, Sir. «Er trat beiseite, um ihm den Vortritt zu lassen.»Die Telamon signalisiert, wir sollen Segel verringern und uns die Nacht uber in der Nahe halten.»
        Bolitho lehnte sich gegen den Schreibtisch. Seine Finger umklammerten die Tischplatte in dem Bemuhen, Haltung zu bewahren.»Danke, Mr. Inch. «Seine Stimme schien wie aus weiter Ferne zu kommen.»Gehen Sie bitte wieder an Ihren Dienst.»
        Inch offnete den Mund und schlo? ihn dann wieder. Nach einem kurzen Blick auf den Steuermannsmaaten verlie? er die Kajute und zog die Tur hinter sich zu.
        Bolitho konnte seinen eigenen Atem horen und spurte den harten Griff seiner Finger an der Schreibtischplatte.
        Die Gestalt auf der anderen Seite der Kajute war stark gebeugt, und das im Nacken fest zusammengebundene Haar war fast vollig grau. Doch unverkennbar waren das feste Kinn und die ruhigen Augen, die ihn jetzt mit einer gewissen Resignation ansahen.
        In Bolithos rasenden Gedanken kampften Unglauben mit Verzweiflung, doch es gelang ihm, sich mit den Umstanden, dem Zufall und dem Geschick abzufinden, die sie nun doch wieder zusammengefuhrt hatten. Wie im Traum erinnerte er sich an das vom Gram gezeichnete Gesicht seines Vaters, als er ihm von der Schande seines Bruders Hugh berichtete, von dessen Desertierung aus der Marine und endgultigem Untertauchen in Amerika.
        Er erinnerte sich auch an ihre Begegnung, als er Hughs Gefangener an Bord eines amerikanischen Kaperschiffs gewesen war, der Andiron, und an jene vor jetzt annahernd zwei Jahren, als der Feldzug von St. Clar und Cozar zusammenbrach und Hugh nur wenige Schritte von ihm entfernt gewesen war, ihn aber nicht gesehen hatte. Tonlos sagte er:»Wahrscheinlich war es unausweichlich, da? wir uns wieder begegneten. «Er deutete auf einen Sessel.»Setz dich, wenn du willst.»
        Sein Bruder lie? sich nieder, den Blick unverwandt auf Bolithos Gesicht gerichtet. Er sagte:»Ich wollte nicht kommen, Dick. Ich glaubte, man wurde mich auf der Hermes behalten. Ich wu?te nicht einmal, da? dein Schiff in der Karibik ist.»
        Bolitho streckte den Arm aus und schenkte ein Glas Rotwein ein.»Trink. Und dann erzahle mir, wieso du hier bist. «Er deutete auf die Uniform seines Bruders.»Wie es kommt, da? du wieder im Dienst des Konigs stehst.»
        Hugh Bolitho trank einen langen Schluck und strich sich mit der Hand ubers Haar. Vor zwei Jahren war ich als verurteilter Strafling auf dem Weg nach Neuholland, und du hast mir, ohne es zu wissen, noch einmal eine Chance gegeben. Nachdem wir St. Clar verlassen hatten, wurden die meisten Verurteilten nach Gibraltar zuruckgebracht, um dort auf den Abtransport zu warten. «Die tiefen Furchen um seinen Mund wurden etwas milder.»Ich wurde auf ein Kriegsschiff gebracht, das nach Botany Bay segeln sollte, aber wahrend eines Sturms entschlo? ich mich zu einem Fluchtversuch. Es gelang mir, die Gig zu erreichen, ich wurde aber von dem wachhabenden Steuermannsmaaten entdeckt, der mich verfolgte. Er kletterte hinter mir her. «Er hob die Schultern. Sein Blick wurde versonnen, als er sich an die Situation erinnerte.»Es kam zum Kampf, und das Boot trieb ab. Wir erkannten beide, da? das Schiff weitergesegelt war, ohne unser Verschwinden zu bemerken, und wir fanden uns, so gut es ging, mit unserer Lage ab. Der Sturm wurde starker, und das Boot kenterte. Wir hatten kein Wasser, nichts. Als wir aufgefischt wurden,
war Selby, so hie? der andere, tot. Und ich war nahe daran, ihm zu folgen.»
        Bolitho strich sich mit der Hand uber die Stirn. Die Strapazen der vergangenen Tage forderten ihren Preis, und er mu?te sich sorgfaltig jedes Wort uberlegen.

«Aber warum hast du die Identitat dieses anderen Mannes angenommen?«Er spurte, wie ihm der Schwei? uber die Brust rann.»Du mu?test doch wissen, da? du fruher oder spater wieder auf ein Schiff des Konigs kommen wurdest.»
        Hugh nickte. Die Geste war gleichzeitig vertraut und dennoch fremd.

«Stimmt. Aber ich hatte es satt zu fliehen, Dick. Dauernd einen anderen Namen anzunehmen und immer uber die Schulter zu blik-ken. Wo konnte ich mich besser verbergen als auf einem Schiff des Konigs?«Er lachelte erschopft.»Aber anscheinend habe ich mich getauscht.»
        An Deck ertonte eine Glocke, und Fu?e scharrten um das Skylight. Jeden Augenblick konnte jemand eintreten.
        Bolitho sagte schroff:»Du hattest doch wissen mussen, da? dir jemand aus der Vergangenheit begegnen wurde.»

«Ich suchte eine vertraute Umgebung, wo ich mich verstecken und warten konnte, bis das Schiff England erreichte. «Er nickte schwermutig.»Ich wollte nur noch einmal nach Hause. Sonst war mir nichts mehr wichtig. «Plotzlich stand er auf und stellte das Glas weg.»Das Ganze tut mir mehr leid, als ich sagen kann. Ich wei?, da? du deine Pflicht tun mu?t. Das Gluck hat mich verlassen. Ich kann dir keinen Vorwurf machen, wenn du mich jetzt bis zu meinem Proze? in Eisen legen la?t.»
        Er wich einen Schritt zuruck, als jemand an die Tur klopfte.
        Bolitho spurte den Blick seines Bruder, als er:»Herein!«rief.
        Midshipman Pascoe trat in die Kabine, ein Teleskop unter dem Arm.»Mr. Roths Respekt, Sir, und er bittet um Erlaubnis fur ein zweites Reff. Der Wind frischt von Nordost auf, Sir.»
        Bolitho wendete sich ab. Die Stimme des Jungen hallte in seinem Kopf wider wie ein anderer Teil seines Traums.

«Sehr gut, Mr. Pascoe. Ich komme sofort selbst. «Er hielt Pascoe zuruck, als der sich wieder zur Tur wendete.»Dies ist Mr. Selby, Steuermannsmaat. «Er sah seinen Bruder unbewegt an.»Mr. Pas-coe hat sich bei unserem jungsten Unternehmen in hohem Ma? ausgezeichnet.»
        Als die Tur sich hinter dem Midshipman geschlossen hatte, fugte er hinzu:»Dieser Junge hat in seinem Leben mehr erdulden mussen, als du ahnst. Sein Vater hat Schande uber ihn gebracht, und jetzt sucht er bei mir Stutze und Vertrauen, und ich bin stolz, da? ich ihm beides bieten kann.»

«Das verstehe ich nicht.»

«Ich will den Jungen nicht vollig verstoren, indem ich den Mann festsetze, den er fur tot halt. Dessen Namen neben dem meines Vaters in der Kirche in Falmouth steht. «Er sah seinen Bruder wanken, konnte aber seine Worte nicht zuruckhalten. Er ist quer durch ganz Cornwall gewandert, allein und ohne Hilfe, nur um diesen Namen zu lesen. Deinen Namen.»
        Hughs Stimme war heiser.»Das wu?te ich nicht. «Er sah auf, sein Blick war plotzlich verzweifelt.»Und seine Mutter?»

«Ist tot. Sie mu?te sich sogar irgendeinem verdammten Grundbesitzer hingeben, um ihren Sohn ernahren und kleiden zu konnen.»

«Das habe ich wirklich nicht gewu?t. «In seiner Stimme lag keine Kraft mehr.»Du mu?t es mir glauben.»
        Bolitho fuhr herum, seine Augen funkelten.»Es ist mir gleichgultig, was du wu?test oder nicht, verstehst du? Ich bin der Kommandant dieses Schiffes, und du bist Mr. Selby, Steuermannsmaat der
        Backbordwache!«Er sah, da? sein Bruder unter der Sonnenbraune bla? wurde.»Wenn du dir eingebildet hast, du konntest deiner Vergangenheit entfliehen, dann hast du dich geirrt. Der Mann, der die Fregatte Spartan befehligt, war fruher dein Gefangener. Mein Zweiter Offizier und mehrere Leute der Besatzung stammen auch aus Cornwall. «Er schuttelte den Kopf.»Du bist uberall von deiner Vergangenheit umgeben, genau wie ich.»

«Danke, da? du mir die Chance gibst, mich…«Er verstummte.
        Bolitho trat an die Heckfenster und blickte starr auf die langsam segelnde Hermes hinaus.

«Ich habe gar keine Wahl. Wenn wir beide England heil erreichen, will ich sehen, was getan werden kann, aber ich verspreche nichts. Denk daran. «Er machte eine Handbewegung zur Tur.»Gehe an deinen Dienst und melde dich beim Steuermann. «In der spiegelnden Scheibe des nachsten Fensters sah er die gebeugte Gestalt seines Bruders. Ruhig fugte er hinzu:»Und wenn du dem Jungen gegenuber auch nur die geringste Andeutung machen solltest, sorge ich personlich dafur, da? du gehangt wirst.»
        Die Tur schlo? sich, und Bolitho lie? sich schwer in einen Sessel fallen. Wie war das nur geschehen? Ihre Mission konnte noch viele Monate dauern, sogar Jahre. Es war ebenso unertraglich wie unfair.
        Die Tur offnete sich wieder, und Inch fragte besorgt:»Hat Mr. Pascoe Ihnen die Bitte um Erlaubnis, ein zweites Reff zu stecken, vorgetragen, Sir?»
        Bolitho stand auf. Er spurte, da? ihm Arme und Beine zitterten, trotz seiner angestrengten Bemuhungen, es zu unterdrucken.

«Ja, danke. Ich komme hinauf.»
        Inch ging neben ihm zum Achterdeck.»Hat Mr. Selby Ihnen brauchbare Informationen geben konnen, Sir?»
        Bolitho starrte ihn uberrascht und verstandnislos an.»Informationen? Was fur Informationen?»

«Verzeihung, Sir. Ich dachte nur. «Unter Bolithos scharfem Blick verstummte er.

«Ach so. Ich verstehe. «Bolitho ging nach Luv und blickte zu den prall stehenden Segeln auf.»Nur sehr wenige.»
        Als die Pfeifen schrillten und die neue Wache aufenterte, stand Bolitho immer noch ohne etwas zu sehen, und spielte mit dem kleinen Medaillon unter seinem Hemd.
        Als sich die Dunkelheit uber das Schiff senkte und die kleinen Hecklaternen sich wie Gluhwurmchen im bewegten Wasser spiegelten, stand er weiterhin an derselben Stelle und starrte mit umwolkten Augen in die Finsternis und noch weit uber sie hinaus.
        Erst als Gossett mit schweren Schritten und einer starken Rumfahne an Deck kam, um nach dem Kompa? zu sehen und mit den Rudergangern zu sprechen, schien sich der Bann zu losen. Wortlos ging Bolitho an allen vorbei und zog sich in seine Kajute zuruck.
        Gossett blickte ihm nach und rieb sich in plotzlich aufkommendem Unbehagen das kraftige Kinn. Dann sah er zu den gerefften Marssegeln hinauf und klopfte mit einem dicken Finger gegen das Stundenglas.
        Der neue Tag wurde die Erinnerung an den Kampf vertreiben, dachte er. Es gab kaum etwas, das ein Wechsel von Wind und Wetter nicht andern konnte.



        XIII Ruckkehr der Spartan

        Am Mittag des folgenden Tages stand das erschopfte Geschwader einhundertundzwanzig Meilen ostlich von Las Mercedes und segelte - au?er Sichtweite der Kuste - mit starker Schlagseite hart an einem frischen Nordostwind anliegend. Der Himmel war wolkenlos und die Hitze - trotz des Windes - kaum zu ertragen, so da? die Manner, die nicht gerade eine Arbeit zu erledigen hatten, unter Deck gingen oder sonstwo einen schattigen Platz zum Ausruhen suchten.
        Bolitho trat zur Leiter, die zur Schanz hinauffuhrte, kletterte ein paar Stufen hoch und beobachtete die Hermes, die sich etwa zwei Kabellangen hinter ihnen vorwarts walzte. Sie hatte ihre Rahen so hart angebra?t, wie es uberhaupt ging, und bei dem von Backbord vorn einfallenden Wind standen alle Segel voll und druckten das Schiff so stark auf die Steuerbordseite, da? die See fast uber ihre Bordwand schlug.
        Er hatte gerade die neu gewonnenen Seeleute begru?t und war ermudet und entmutigt nach achtern gekommen. Wahrend er zu ihnen sprach, hatte er versucht, ihre Reaktion auf seine Worte herauszuspuren, irgend etwas wie einen Funken der Begeisterung oder der Ablehnung. Wenn uberhaupt etwas, war es eher das letztere gewesen, was er spurte. Die erste Welle der Freude uber ihre Errettung aus ungerechter Einkerkerung hatte sich in Ungewi?heit, wenn nicht gar Furcht verwandelt. Ihnen stand jetzt der Dienst auf einem Schiff des Konigs bevor, vielleicht fur die Dauer von Jahren, und mancher von ihnen wurde vielleicht nie wieder im Leben etwas anderes kennenlernen.
        Die Annehmlichkeiten bequemer Unterkunfte und ma?vollen Dienstes, verbunden mit guter Bezahlung und der Aussicht, am Ende jeder Reise zu den Lieben daheim zuruckzukehren, war nun dahin. Ihr Groll stie? jedoch bei der Besatzung der Hyperion auf wenig Mitgefuhl, denn die allgemeine Ansicht in der Navy und beim durchschnittlichen Seemann war: Warum sollen andere es besser haben als wir?
        Bolitho aber bedruckte jede Art von Verstimmung, und so hatte er sich bemuht, die Leute zu beruhigen und ihre Vorurteile nach Moglichkeit zu zerstreuen. Da? ihm das mi?lungen war, hinterlie? bei ihm ein Gefuhl der Mudigkeit und Verstimmung, obwohl er wu?te, da? er durch seine personlichen Probleme vielleicht daran gehindert gewesen war, die letzten Register seiner Uberzeugungskraft zu ziehen.
        Er wandte sich um und beobachtete die Midshipmen, die sich auf der Leeseite des Achterdecks versammelt hatten und mit mehr oder weniger gro?er Aufmerksamkeit dabei waren, als Gossett ihnen in der taglichen Unterrichtsstunde die Geheimnisse und Vorzuge des Sextanten zu erklaren versuchte.

«Kommen Sie vor, Mr. Pascoe!«Die Stimme des Masters[Der Master - etwa: Obersteuermann oder Navigationsoffizier - gehort zu den Deckoffizieren, die mit in der Offiziersmesse speisten] klang rauh und leicht gereizt. Sicher dachte er schon an sein Mittagessen in der kuhlen Offiziersmesse und an ein Glaschen hinterher. Zeigen Sie uns, wie Sie damit umgehen.»
        Pascoe nahm den in der Sonne glitzernden Sextanten und schaute ihn nachdenklich an.
        Gossett seufzte.»Verlorene Zeit!«Er winkte mit einer seiner gro?en Hande.»Mr. Selby, kommen Sie nach achtern und zeigen Sie es dem jungen Herrn, ich bin total fertig!»
        Bolitho fa?te das Holzgelander der Leiter unbewu?t fester, als er sah, wie sein Bruder das Deck uberquerte und dem Jungen den
        Sextanten abnahm. Er war zu weit weg, um horen zu konnen, was er sagte, doch aus der aufmerksamen Miene Pascoes und seinem wiederholten Kopfnicken entnahm er, da? ihm die ruhig gegebenen Erklarungen eingingen.
        Leutnant Stepkyne hatte die Wache und war der Unterrichtsstunde mit offenkundiger Ungeduld gefolgt.»Halten Sie sich damit nicht so lange auf, Mr. Selby!«Sein rauher Ton bewirkte, da? der Junge ihn beinahe ha?erfullt ansah.»Der Unterricht an Bord ist allgemein. Wir geben hier keine Privatstunden!»

«Aye, aye, Sir. «Hugh schaute nicht auf.»Tut mir leid, Sir.»
        Bolitho blickte sich nach dem Master um, aber Gossett war schon in Richtung Messe verschwunden.
        Stepkyne schlenderte wie zufallig zu der Gruppe der zuschauenden Midshipmen hinuber.»Falls Sie uberhaupt etwas davon verstehen. «Er lehnte sich zuruck und musterte den Steuermannsmaaten Selby, wie ein Bauer auf dem Markt ein Stuck Vieh mustert.
        Pascoe sagte schnell:»Er hat es mir erklart, Sir. Wie ein Offizier damit umgehen mu?.»
        Stepkyne wandte sich zu ihm um und schaute ihn uberlegen an.»So, hat er das getan? Er lehnte sich wieder zuruck» Wie ein Offizier damit umgeht? Woher - in Gottes Namen - wollen Sie das wissen, Mr. Selby?»
        Bolitho sah die Midshipmen Blicke tauschen. Sie waren zu jung, um Stepkynes Bosheit ganz zu verstehen. Doch sie schamten sich seinetwegen, und das war schlimmer.
        Aber Bolitho ging es nur um seinen Bruder. Er bemerkte ein kurzes Aufblitzen von Zorn in seinen Augen, ein trotziges Heben seines Kinns, aber dann antwortete er ruhig:»Sie haben vollig recht, Sir, davon verstehe ich nichts.»
        Stepkynes Arger verwandelte sich in Sarkasmus.»Dann bin ich ja beruhigt. Wir konnen doch nicht zulassen, da? unsere Leute ihre Stellung vergessen, nicht wahr?»
        Bolitho trat aus dem Schatten hervor, seine Beine trugen ihn einfach vorwarts, bevor er wu?te, was er tat.

«Mr. Stepkyne, auch ich ware beruhigt, wenn Sie sich an Ihre Aufgaben hielten. Die Unterrichtsstunde ist beendet!»
        Stepkyne schluckte heftig.»Ich wollte nur sichergehen, da? sie ihre Zeit nicht verschwenden, Sir.»
        Bolitho sah ihn kuhl an.»Mir scheint es eher, als verschwendeten Sie Ihre Zeit, um sich einen Scherz zu erlauben. In Zukunft wu?te ich es gern, wenn Sie Zeit ubrig und nichts Besseres zu tun haben. Bestimmt kann ich Ihre Fahigkeiten dann fur dankbarere Aufgaben nutzen.»
        Er drehte sich um und ging zur Huttenleiter zuruck; bei jedem Schritt fuhlte er, wie sein Herz heftig schlug. In all den Jahren auf See hatte er - soweit er sich erinnerte - noch nie einen Offizier vor seinen Untergebenen abgekanzelt. Er verachtete jene, die das regelma?ig taten, ebenso wie er ihnen mi?traute. Aber Stepkyne war ein Grobian und verstand - wie die meisten dieses Typs - nur den gleichen Ton. Trotzdem fuhlte er sich in seiner Rolle unbehaglich und war wie die Midshipmen eher beschamt als befriedigt.
        Er begann, auf der Luvseite auf und ab zu marschieren, ohne auf die Sonnenhitze oder die Blicke der Wachhabenden zu achten. Mit dem Versuch, seinem Bruder zu helfen, mochte er gerade das Gegenteil erreicht haben. Wenn Stepkyne sich von seiner Uberraschung und seinem Zorn erholt hatte, wurde er nach einer Erklarung fur das sonderbare Verhalten seines Kommandanten suchen, und dann.
        Bolitho blieb plotzlich stehen und schaute nach oben, von wo der Ausguck herunterrief:»An Deck! Segel voraus in Luv!»
        Er griff sich ein Teleskop und kletterte in die Besanwanten. Einen Augenblick dachte er, der Ausguck habe die kleine Korvette Dasher fur ein fremdes Schiff angesehen, aber ein schneller Rundblick belehrte ihn eines besseren. Querab an Backbord und weit weg, die Bramsegel kaum uber dem diesigen Horizont, sah er die Korvette auf ihrem befohlenen Platz.
        Er wartete, bis die Hyperion aus einem langen Wellental auftauchte, und richtete sein Glas dann uber den Bug nach vorn. Durch die eigene Takelage hindurch und uber das farbenprachtige Heck der Telamon an der Spitze entdeckte er einen schwachen Schatten unter dem hellen Himmel. Das mu?te ein auf sie zulaufendes Schiff sein.
        Es kam platt vor dem Wind und unter allen Segeln, die es besa?, auf sie zu und gewann unheimlich schnell an Gestalt.

«An Deck! Es ist eine Fregatte, eine englische, dem Aussehen nach!»
        Bolitho kletterte aufs Achterdeck hinunter und ubergab das Teleskop dem Midshipman der Wache.
        Inch kam - noch kauend - aus der Messe hoch.
        Bolitho befahl kurz:»Rufen Sie >Alle Mann<, Mr. Inch, und treffen Sie Vorbereitungen zum Segelbergen. Die Fregatte halt genau auf uns zu und hat es offenbar eilig, uns etwas mitzuteilen.»
        Er horte die Bootsmannsmaatenpfeifen durch die Decks zwitschern und unmittelbar darauf das Getrappel von Fu?en. Aus Niedergangen und Luken stromten die Matrosen hervor, die Augen in der plotzlichen Helle zugekniffen, und sturzten auf ihre Stationen.
        Midshipman Carlyon stand - sich seiner Wurde als Verantwortlicher fur den Signalverkehr bewu?t - mit seinen Signalgasten an den Leinen, wahrend ein erfahrener Unteroffizier mit einem Fernglas im Besanwant hing, die Beine um die Webeleinen geschlungen und so die heftigen Bewegungen des Schiffes ausgleichend.
        Bolitho nahm das Glas noch einmal vors Auge und musterte die sich schnell nahernde Fregatte, die gischtuberspruht Anstalten zum In-den-Wind-Schie?en machte, wahrend an ihrer Rah schon die Signalflaggen emporstiegen.
        Ruhig sagte er:»Kapitan Farquhar ist also zum Geschwader zuruckgekehrt.»
        Inch wollte gerade etwas dazu au?ern, als Carlyon rief: «Spartan an Telamon: Habe dringende Nachrichten fur den Kommodore.»
        Er sprang formlich herum, als Inch bellte:»Passen Sie gefalligst auf das Flaggschiff auf, verdammt noch mal!»

«P-Pardon, Sir!«Carlyon schwenkte sein Glas herum auf die Te-lamon, von der ebenfalls Flaggen im blendenden Sonnenlicht auswehten. Er stotterte:»Befehl an alle: Beidrehen!»
        Bolitho nickte nur kurz.»Machen Sie das, Mr. Inch, oder die Hermes kommt uns zuvor.»
        Er ging durch die auseinanderspritzenden Reihen der Matrosen und Seesoldaten zur Reling, um das Manover der Spartan zu beobachten. Farquhar halste, bevor noch das
>Verstanden<-Signal auf der Telamon niedergeholt war.
        Wahrend die Hyperion heftig stampfend in den Wind drehte und die Bramsegel - von Drohungen und Fluchen an Deck begleitet - aufgeholt und festgemacht wurden, uberlegte Bolitho, welche Art Nachrichten Farquhar wohl uberbrachte. Es bedurfte sicher mehr als dieser Darbietung ausgezeichneter Seemannschaft, um den Kommodore zufriedenzustellen.
        Das Deck schaukelte heftig im Wind und Wellengang, und alle Wanten und Fallen vibrierten, als die Manner auf den schwankenden Rahen mit der wild um sich schlagenden Leinwand kampften und sie schlie?lich bandigten.
        Inch sagte verachtlich:»Die Spartan wird nicht gerade Dank ernten, da? sie beim Angriff auf Las Mercedes nicht dabei war.»
        Bolitho wischte sich das Spritzwasser aus den Augen, als weitere Signalflaggen uber dem stampfenden Rumpf der Telamon erschienen. Weil die Korvette ihn zum Gluck nicht gefunden hatte, lag Farquhar jetzt nicht mit seinem Schiff neben der Abdiel auf dem Meeresgrund.
        Der Signalmaat rief:»Ein Boot setzt von der Spartan ab, Sir.»
        Bolitho hielt sich an den Finknetzen fest und beobachtete die kleine Jolle, die im lebhaften Seegang auf- und niedertanzte, wobei ihre Riemen wie Mowenflugel nach oben und unten schlugen. Er erkannte die kerzengerade im Heck sitzende Gestalt Farquhars und seinen goldbestickten Dreispitz, der als zusatzlicher Ansporn uber den Kopfen der sich machtig ins Zeug legenden Ruderer schimmerte.
        Er horte, wie Leutnant Roth sagte:»Der bringt sicher schlechte Nachrichten.»
        Inch ma?regelte ihn.»Behalten Sie Ihre Meinung fur sich!»
        Bolitho beobachtete, wie die Jolle an den Rusteisen des Hollanders einhakte, wobei der leichte Bootskorper gegen die machtige Bordwand geschleudert wurde und die Manner alle Hande voll zu tun hatten, es vorm Kentern zu bewahren. Er hatte trotzdem die Bitterkeit in Inchs Stimme bemerkt. Es war der gleiche Ton wie kurzlich, als er erklart hatte, warum Pelham-Martin zum Angriff auf Las Mercedes zu spat gekommen war. Der Kommodore hatte offenbar nicht geglaubt, da? Bolithos Landungskorps imstande ware, den Sumpf zu durchqueren und die versteckte Batterie zu zerstoren. Bolitho hatte Entschuldigungsgrunde fur Pelham-Martins Bedenken, aber gleichzeitig konnte er sich auch die Enttauschung und den Arger auf den Schiffen vorstellen, als sie darauf warteten, was die Korvette Dasher uber den Ursprung des Geschutzfeuers meldete.
        Uber eines war sich Bolitho klar: Wenn er diese Geschutze lediglich zerstort hatte, ohne sie vorher gegen die vor Anker liegenden franzosischen Schiffe abzufeuern, hatte Pelham-Martin niemals diesen letzten und entscheidenden Angriff gewagt. Dann waren er und seine Leute elend umgekommen. Und au?erdem: die Verantwortung fur diesen Fehlschlag ware dann, wie Fitzmaurice schon vorher geau?ert hatte, in jede m Bericht nach Hause auf seine, Bo-lithos Schultern, abgewalzt worden.
        In wachsender Ungeduld knirschte er mit den Zahnen, bis Car-lyon schlie?lich rief: Befehl an alle: Kommandanten sofort zu mir an Bord!»
        Bolitho machte eine heftige Handbewegung.»Mein Boot, bitte!«Er sah sich nach Allday um, doch der stand schon mit seinem goldbetre?ten Hut und Rock da.
        Wahrend er seinen verschossenen Bordrock beiseite warf, sah er einige seiner Matrosen das geschaftige Treiben an Bord der Tela-mon mustern und fragte sich kurz, was sie jetzt wohl dachten. Nur die wenigsten an Bord wu?ten uberhaupt, wo ihr Schiff sich befand und wie das nachstgelegene Land hie?. Auf all solche Dinge hatten sie keinen Einflu?. Sie hatten zu gehorchen und ihren Dienst zu verrichten, und viele seiner Kollegen sagten, das genuge vollig. Bolitho dachte anders daruber, und eines Tages…
        Er blickte auf, als Inch meldete:»Boot liegt langsseit, Sir. «Er hatte nicht einmal bemerkt, wie es ausgeschwungen und zu Wasser gebracht worden war. Er war zu mude, zu erschopft, und das begann sich zu zeigen.
        Er nickte und eilte den Niedergang zur Fallreepspforte hinunter. Zwischen seinen Beinen konnte er die unteren Stuckpforten sehen, und im nachsten Augenblick, als das Schiff zur anderen Seite uberholte, die Kupferhaut des Unterwasserschiffs, die im Sonnenlicht aufleuchtete. Ein schnelles Atemholen und dann den richtigen Augenblick abgepa?t und gesprungen. Hande ergriffen seine Arme und Huften, und als er zum Hecksitz taumelte, sah er die Hyperion schon zu- ruckfallen, wahrend die Riemen in die Wellenberge einschlugen und Allday auf die Telamon zuhielt.
        Bolitho war kaum zu Atem gekommen, als es schon wieder Zeit war, an der Bordwand des Hollanders zur schon verzierten Einla?pforte hochzuklettern.
        Als er einem dunkelhautigen Leutnant zur Hutte folgte, bemerkte er, da? dort weitere Flaggen unter Aufsicht eines britischen Signalmaaten gehi?t wurden. Er nahm an, da? dem Verband befohlen wurde, Kurs und Formation wieder aufzunehmen. Es wurde also wieder eine lange Besprechung geben.
        Plotzlich horte er Kommandos und Rufe und sah, wie ein Bootsmannsstuhl, der von einem Takel uber dem Fallreep herabhing, uber die Laufbrucke eingeschwenkt wurde. Kapitan Fitzmaurice von der Hermes ging offenbar kein Risiko ein und zog es vor, sich wie ein Sack an Bord hieven zu lassen, statt sich der Gefahr auszusetzen, ins Wasser zu fallen und zu ertrinken oder zwischen Boot und Bordwand zerquetscht zu werden.
        In der Admiralskajute war es, im Vergleich zum blendenden Sonnenlicht drau?en, ziemlich dunkel, und Bolitho brauchte einige Minuten, bevor er Pelham-Martins massive, in einen Stuhl gequetschte Gestalt erkannte. Die Stuhlbeine waren fest an zwei Ringbolzen an Deck gelascht, um zu verhindern, da? der Stuhl samt Insassen bei heftigen Schiffsbewegungen quer durch den Raum rutschte. Farquhar stand in entspannter Haltung am Tisch, wahrend Mulder, der Kommandant der Telamon, vom Heckfenster umrahmt wurde. Er hielt den Kopf geneigt, als lausche er auf die Tatigkeiten seiner Leute oben an Deck.

«Ah, Bolitho!«Pelham-Martin nickte ihm kurz zu.»Wir wollen auf Fitzmaurice warten, bevor wir anfangen.»
        Bolitho hatte sich schon gefragt, was er wohl empfinden wurde, wenn er wieder mit dem Kommodore zusammentraf. Verachtung oder Zorn? Er war uberrascht, da? er gar nichts empfand. Man hatte erwarten konnen, da? der Kommodore etwas wie Freude uber die Vernichtung zweier feindlicher Schiffe au?ern wurde. Quince hatte Bolitho verraten, da? er mehr als nur Verwundete auf der zusammengeschossenen Indomitable mit nach Antigua genommen habe; namlich einen gluhenden Bericht fur den Admiral und ganz England uber ihren Sieg, aber nichts uber die Schiffe, die entkommen konnten. In dem Bericht stand auch nichts uber das Ratsel Lequil-ler, das noch immer ungelost war.
        Indessen sa? Pelham-Martin ganz gelassen und in volligem Schweigen da. Als Bolithos Augen sich an das Halbdunkel gewohnt hatten, bemerkte er, da? Farquhars Gesicht mude und uberanstrengt aussah und da? seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepre?t waren. Als er Bolithos Blick bemerkte, gab er nur ein knappes Zeichen mit der Schulter.
        Dann kam Fitzmaurice, und ehe er sich noch fur seine Verspatung entschuldigen konnte, sagte Pelham-Martin kurz:»Kapitan Farquhar brachte sehr ernste Nachrichten. «Er schaute den jungen Kapitan an und setzte bedeutungsvoll hinzu: Sie wiederholen es am besten mit Ihren eigenen Worten.»
        Farquhar schwankte vor Mudigkeit, aber seine Stimme war so frisch und unpersonlich wie je.»Vor vier Nachten patroullierte ich nordwestlich von Tortuga, als Kanonendonner in ostlicher Richtung gemeldet wurde. Beim ersten Tageslicht entdeckte ich zwei Fregatten, die im heftigen Kampf miteinander lagen. Die eine war spanisch, die andere die franzosische Thetis, mit vierzig Kanonen. «Er wu?te, da? alle an seinen Lippen hingen, zeigte aber weder Gemutsbewegung noch Stolz.»Ich bemerkte bald, da? die spanische Fregatte jene war, die ich in Caracas gesehen hatte und die als Begleitung fur das alljahrliche Schatzschiff bestimmt war. Sie sah schlimm aus und war fast vollig entmastet. «Er seufzte plotzlich, und dieser Ton wirkte bei einem sonst so beherrschten Mann ungewohnt menschlich.»Ich rief meine Leute auf Gefechtsstationen und griff die Thetis unverzuglich an. Wir kampften fast eine Stunde, und ich verlor dabei zehn Leute, aber der Gegner mu? die funffache Zahl eingebu?t haben. «Sein Ton wurde etwas harter.»Darauf brach der Franzose das Gefecht ab, und ich beeilte mich, die Uberlebenden des spanischen
Schiffes zu retten.»
        Fitzmaurice fragte:»Sie lie?en die Thetis entkommen?»
        Farquhar sah ihn kalt an.»Ich hielt die Informationen, die der Spanier mir geben konnte, fur wertvoller als eine Prise oder - «, fugte er hinzu - ,»als das Prisengeld.»
        Als Bolitho sich das erste Mal vernehmen lie?, wandte sich Far-quhar in der Annahme, da? noch jemand seine Handlungsweise kritisieren wolle, brusk um.
        Bolitho sagte aber nur:»Das war gute Arbeit. «Sie war auch gut fur Farquhar gewesen, denn indem er das feindliche Schiff aufgespurt und angegriffen hatte, hatte er sich von seiner befohlenen Position entfernt. Dadurch hatte ihn die zu ihm entsandte Korvette nicht finden und zu seinem Untergang fuhren konnen.
        Nach einer Weile fugte Bolitho hinzu:»Haben Sie etwas Wichtiges bei dem Spanier gefunden?»
        Farquhar schien erleichtert.»Es war nur noch ein Offizier am Leben. Er erzahlte mir, da? seine Fregatte das Schatzschiff San Leandro begleitet und Caracas vor sechs Tagen mit Ziel Teneriffa verlassen hatte. Auf der Hohe von Tortuga sturzten sich vier Linienschiffe und die Fregatte Thetis auf sie. Allem Anschein nach hatten die Dons[Spitzname fur die Spanier] sich kraftig zur Wehr gesetzt, aber ohne eine Chance. Die San Leandro strich die Flagge, und ein Prisenkommando ging zu ihr an Bord. Die spanische Fregatte konnte es angesichts ihrer Schaden weder verhindern, noch konnte sie den Verband verfolgen, und wahrend das Geschwader mit seiner Prise davonsegelte, drehte die Thetis bei und erwartete den kommenden Morgen, um ihr den Fangschu? zu versetzen. Den Rest kennen Sie, meine Herren.»
        Das Schweigen in der Kajute, das diesen Ausfuhrungen folgte, war bedruckt und voller Spannung, da jeder der Anwesenden erst einmal uber das Gehorte nachdachte.
        Farquhar sagte abschlie?end:»Obwohl ich den Spanier in Schlepp nahm, konnte ich ihn nicht retten. Er schnitt im aufkommenden Seegang unter und versank mitsamt den meisten Leuten, die das Gefecht uberlebt hatten.»
        Mulder kam quer durch die Kajute heruber und fragte, an den gro?en Tisch gelehnt: Was haben Sie noch aus dem spanischen Leutnant herausbekommen?»
        Farquhar zuckte die Achseln.»Mein Schiffsarzt mu?te ihm den rechten Fu? amputieren, und bis jetzt befindet er sich noch in sehr schlechter Verfassung. Ich glaube, er nimmt den Verlust der San Leondro schwerer als den seines Fu?es. Aber er hat noch einiges gesagt, von dem ich nicht wei?, ob es wichtig ist. Unmittelbar nach der Besetzung des Schatzschiffes wurde an dessen Gro?mast eine seltsame Flagge gehi?t: gelb mit einem schwarzen Adler drauf.»
        Kapitan Fitzmaurice, der bisher verdrie?lich auf den Fu?boden gestarrt hatte, fuhr ruckartig hoch.»Das war doch die Flagge, die uber Las Mercedes wehte! Meine Leute vom Landungskorps haben sie gesehen, als sie die Gefangenen befreiten. «Er starrte in Bolithos ernstes Gesicht.»Es ist die Standarte des dortigen Gouverneurs.»
        Pelham-Martins Hande hoben sich etwas von den Armlehnen und fielen gleich wieder kraftlos zuruck. Er sagte stockend:»Was steckt hinter all dem? Eine neue Falle, ein weiterer Trick, um uns auf eine falsche Spur zu locken? Es kann viel bedeuten - oder gar nichts.»
        Fitzmaurice blickte an ihm vorbei und kniff die Augen zusammen, da er sich sehr konzentrierte.»Wenn Lequiller das Schatzschiff gekapert hat, mu?te das doch seiner Sache schaden. Die Dons werden dadurch weniger geneigt sein, die Fronten zu wechseln, wie sie es in der Vergangenheit mehrmals getan haben.»
        Pelham-Martins Stimme klang gequalt.» Wenn es Lequiller war!»

«Daran ist nicht zu zweifeln, Sir. «Farquhar beobachtete ihn ausdruckslos.»Der spanische Leutnant hat das fuhrende Schiff ganz deutlich gesehen. Einen Dreidecker mit der Flagge des Vizeadmirals im Vortopp.»
        Der Kommodore sank tiefer in seinen Stuhl.»Alles, was wir zu unternehmen versuchten, jede unserer Bewegungen wurde von Lequiller vorausgesehen.»
        Farquhar blickte erstaunt auf.»Aber wenigstens haben wir es jetzt nur noch mit der Halfte seines Geschwaders zu tun, Sir.»
        Fitzmaurice unterbrach brusk:»Aber zwei Schiffe sind bei Las Mercedes entkommen.»

«Wenn ich nur mehr Schiffe hatte!«Pelham-Martin schien gar nicht zuzuhoren.»Sir Manley Cavendish wu?te genau, wem ich gegenuberstand, und doch gab er mir nur eine bescheidene Streitmacht, um damit fertigzuwerden.»
        Farquhar wandte sich an Bolitho.»Was meinen Sie, Sir?»
        Bolitho antwortete nicht sofort. Wahrend die anderen redeten und Pelham-Martin sein Gewissen nach Grunden und Entschuldigungen erforschte, hatte er versucht, irgendeinen Hinweis zur Losung des Ratsels zu entdecken, denn als solches erschien ihm das Verhalten des Franzosen von Anfang an.
        Er fragte:»Was wissen Sie uber den Gouverneur von Las Mercedes?»
        Mulder machte eine vage Handbewegung.»Er hei?t Don Jose Perez. Angeblich hat er seinen Posten in der Karibik zur Strafe und nicht als Auszeichnung bekommen. Er stammt aus einer reichen
        Adelsfamilie und soll den spanischen Hof gegen sich aufgebracht haben, weil er die Steuern fur seine Landereien anderweitig verbraucht hatte. Las Mercedes mu? ein Gefangnis fur solch einen Mann gewesen sein; nach den zwanzig Jahren, die er dort verbracht hat, dachte ich.»
        Bolitho fiel ihm ins Wort:»Zwanzig Jahre?«Er begann, in der Kajute auf und ab zu gehen, von den anderen erstaunt beobachtet.»Ich fange an zu begreifen. Lequiller diente hier schon wahrend der Amerikanischen Revolution und benutzte Las Mercedes mehrmals als zeitweilige Basis. Er mu?te alles uber Perez' Vergangenheit wissen, mag sein Vertrauen erworben und gemeinsam mit ihm Zukunftsplane geschmiedet haben.
«Er hielt inne und sah die Versammelten nacheinander an.»Ich glaube, ich wei? jetzt, was Le-quiller im Schilde fuhrt und wie seine Befehle lauteten, als er unsere Blockade durchbrach.»
        Fitzmaurice sagte:»Ein Angriff auf die spanische Flotte?»

«Noch etwas viel Kuhneres und Erfolgversprechenderes!«Bo-litho ging an die Heckfenster und schaute auf sein eigenes Schiff hinuber.»Jeder Angriff auf spanische Gebiete hier drau?en wurde die offentliche Meinung nur gegen ihn aufbringen. Aber bedenken Sie, welchen Eindruck es machen wurde, wenn er nach Spanien selber zuruckkehrte!»
        Pelham-Martin atmete schwer.»Aber das ist absurd! Der spanische Hof wurde diesen Perez hangen lassen, ob er nun Aristokrat ist oder nicht.»

«Wenn er allein und ohne Beistand kame, gewi?. «Bolitho sah ihm kuhl in die Augen. Aber mit Lequillers Geschwader hinter sich und im Besitz des Schatzschiffes, in dessen Laderaumen gewaltige Goldwerte liegen, sieht der Fall ganz anders aus. «Als er sah, da? die Unsicherheit auf Pelham-Martins rundem Gesicht sich in Panik verwandelte, wurde seine Stimme noch harter.»Lequiller hat alle Register gezogen. Seine Devise lautet: teile und siege, und er hat fast alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Wir sind gewarnt worden, da? er von seiner Sache besessen und rucksichtslos sei. Die Tatsache, da? er wehrlose Gefangene aufhangen lie?, sollte Beweis genug dafur sein, wie entschlossen er ist, sein Ziel zu erreichen.»
        Farquhar nickte.»Sie haben recht, wei? Gott. Das Vertrauen, das die spanische Regierung in unsere Fahigkeiten gesetzt haben mag, wird beim Auftauchen von Lequillers Geschwader untergraben. Und jeder Unwille, den der Hof noch gegen Perez hegen sollte, wird sich in Nichts auflosen, wenn ihm der Schatz unangetastet ubergeben wird.»

«Die Kirche wird das Ihre dazutun. «Fitzmaurice setzte sich erschopft hin.»Ein angemessener Teil des Schatzes wird zweifellos den Weg in ihre Kassen finden.
«Weniger heftig fugte er hinzu:»Sind denn alle unsere Anstrengungen vergeblich gewesen? Schon jetzt mogen Lequillers Schiffe auf dem Heimweg sein. «Er sah den bewegungslos dasitzenden Kommodore fest an.»Konnen wir nichts tun?»
        Bolitho sagte:»Die ganze Zeit habe ich versucht, die Lage mit Lequillers Augen zu betrachten, seine Taktik, seine Mi?achtung all dessen, was nicht seinem Ziel dient. Als ich diese spanischen Soldaten in franzosischen Uniformen sah, hatte ich erraten sollen, wie weit seine Absichten reichen. Sie mussen diese Leute monatelang ausgebildet haben, vielleicht noch langer, und die Uniformen dienten lediglich dazu, die wirkliche Absicht des Gouverneurs zu tarnen. Schlimmstenfalls konnte er sich immer damit rechtfertigen, da? seine Garnison vom Feind uberrannt worden sei. «Er machte eine kleine Pause, bevor er hinzusetzte:»Zumindest wird Perez eine gut ausgebildete Truppe hinter sich haben, wenn er in seine Heimat zuruckkehrt, wo sicher viele zu seiner Fahne sto?en we r-den.»
        Er sah, da? Fitzmaurice nickte, und fuhr unbeirrt fort:»Denken Sie nur an den Eindruck, den das in England machen wird! Spanien ist unser einziger Bruckenkopf in Europa, das einzige Land, das noch stark genug ist, dem franzosischen Feind mit Waffen in der Hand entgegenzutreten. Bei einem plotzlichen Umsturz ware alles in wenigen Wochen, vielleicht sogar schon in Tagen voruber; dann stunde nichts mehr zwischen England und einem verbundeten Europa. Nichts als ein Streifen Wasser und eine dunne Linie von Schiffen!»
        Bolitho warf einen schnellen Blick auf Mulder, dessen Miene Besorgnis zeigte. Vielleicht dachte Mulder zum ersten Mal als Hollander und nicht als Verantwortlicher fur St. Kruis. Kein Ozean war breit genug, um ihn die Sorge vergessen zu lassen, die er um seine Heimat empfand, die unter Napoleons Stiefel zertreten war. Vielleicht war Holland sogar schon gezwungen worden, England den Krieg zu erklaren? Dazu bedurfte es lediglich der formellen Unterschrift unter einen Vertrag, und damit wurde dieses uralte Schiff auf der Seite seiner bisherigen Feinde stehen und ihm nur eine einzige Entscheidung ubriglassen.
        Allein der Gedanke daran erfullte Bolitho schon mit unma?igem Zorn und Entsetzen. Wahrend all dieser ermudenden und nutzlosen Wochen, die sie hinter dem listigen Feind hergesegelt waren, hatte Lequiller die Partie nach seinen eigenen Regeln gespielt. Regeln, die sie erst jetzt zu durchschauen begannen, da es zu spat war. Nur ein entschlossener und sehr rucksichtsloser Admiral konnte es wagen, sein halbes Geschwader dem zu uberantworten, was seine Gegner im Schilde fuhrten, und dabei eventuell vier Schiffe abzuschreiben, wahrend er selbst dem gro?en Preis nachjagte: dem vollbeladenen Schatzschiff und all dem, was dessen Besitz fur seine Sache bedeutete. Er mu?te sicher gewesen sein, da? PelhamMartins Streitmacht selbst dann, wenn sie seine vier Schiffe zerstort hatte, so schwer von der versteckten Landbatterie mitgenommen sein wurde, da? sie ihn fur einige Zeit nicht mehr aufhalten konnte.
        Bolitho sagte:»Ich habe keine andere vernunftige Erklarung dafur, Sir.»
        Pelham-Martin zog ein Schnupftuch aus der Tasche und starrte es geistesabwesend an.»Wir wissen nichts Bestimmtes, Bolitho. Was Sie vorbringen, sind Vermutungen. Uberlegen Sie nur, was es bedeuten wurde, wenn ich das Geschwader irgendwohin zur Verfolgung ausschicke - wohin genau, ist noch ratselhaft - , und Lequiller inzwischen unsere hiesigen lebenswichtigen Verbindungen, die wir so muhsam aufgebaut haben, angreift und zerstort.»

«Es ware klug, die Alternativen ebenfalls in Betracht zu ziehen, Sir. Unser Befehl lautet, Lequillers Geschwader zu stellen und zu vernichten. Darin haben wir versagt. «Bolitho achtete darauf, da? seine Worte auf die verwirrten Kommandanten einwirken konnten, und fuhr dann fort:»Nun wurde die San Leandro in Gewassern genommen, die wir bewachen und sicher machen sollten. Wir konnen einfach nicht mehr Zeit damit vergeuden, Lequillers Schiffe zu suchen. Wir haben lediglich die Spartan fur Aufklarungszwecke.
        Die Korvetten sind zu schwach und eine leichte Beute fur den Feind.»

«Was schlagen Sie also vor?«Pelham-Martin versuchte, seine Haltung zuruckzugewinnen.»Eine Ruckkehr nach Las Mercedes?»

«Nein, Sir. Das wurde uns nur weitere wertvolle Zeit kosten, die wir nicht haben. Ich glaube, Lequiller hat St. Kruis bei seinem ersten Erscheinen in der Karibik nur angegriffen, weil er eine zweite Basis fur seine Schiffe suchte. Wegen unseres unerwarteten Erscheinens und der mutigen Gegenwehr der hollandischen Verteidiger wurde ihm das verwehrt. Daraus entnehme ich aber, da? Lequiller nicht herkam, um Uberfalle zu machen und zu plundern. Kaperschiffe und Fregatten waren fur solche Aufgaben viel geeigneter gewesen. Aber Sie konnen ein Schlachtschiffgeschwader nicht auf ewig verstecken. «Er warf einen schnellen Blick zu Far-quhar hinuber. Wie stark haben Sie die Fregatte Thetis beschadigt?»

«Der Fockmast und die gesamt Takelage haben viele Treffer abbekommen. Au?erdem gab es erhebliche Schaden auf dem Oberdeck.»
        Bolitho nickte.»Und eines der Schiffe, das bei Las Mercedes entkam, hatte ebenfalls ziemliche Schaden in der Takelage. Wenn es fur Lequiller seinerzeit wichtig war, hier mit einem intakten Geschwader aufzukreuzen, so gilt das auch fur seine kunftigen Operationen, insbesondere, da er inzwischen einiges von seiner Uberlegenheit verloren hat.»
        Wieder war es der schnell denkende Farquhar, der Bolithos Faden aufnahm.

«Dann mu? also noch eine Basis existieren?«Er rieb sich unschlussig das Kinn.»Aber hier gibt es zahllose Inseln. Man wurde eine ganze Flotte und viele Jahre brauchen, sie alle abzusuchen. «Dann nickte er heftig.»Aber Sie haben recht, er braucht einen Ankerplatz, wo er seine Schaden ausbessern und neue Plane ausarbeiten kann.»
        Fitzmaurice fragte:»Kennen Sie solch einen Platz?»

«Noch nicht. «Bolitho schaute Mulder an.»Aber Sie werden daruber sicher nachdenken.»
        Pelham-Martin erhob sich muhsam und stutzte sich auf seine Stuhllehne.»Wenn nur meine Verstarkungen kamen!«Dann atmete er tief aus.»Aber ach, ich hatte durch meine bisherigen Erfahrungen gewarnt sein sollen. «Er sah Bolitho an, und sein Gesicht spiegelte plotzliche Verzweiflung.»Sie sind mein altester Kommandant, und ich mu? Ihren Rat ernsthaft in Betracht ziehen, denn ich wei?, da? er sich auf langjahrige Erfahrung im Dienste des Konigs stutzt. Aber ich habe das Kommando, und die letzte Entscheidung treffe ich. Wir werden mit gro?ter Beschleunigung nach St. Kruis zuruckkehren, und von dort werde ich eine Korvette mit einem Bericht direkt nach England schicken.»
        Bolitho beobachtete ihn ungeduldig. Es uberraschte ihn immer wieder, wie schnell sich Pelham-Martin aus fast volliger Mutlosigkeit aufraffen konnte. Der Gedanke, da? immer noch Aussicht bestand, sein Ansehen zuruckzugewinnen, bevor Admiral Cave n-dish von seinem Versaumnis erfuhr, den Feind vollig zu vernichten, schien ihm neue Hoffnung und Selbstvertrauen zu geben. So blickte er jetzt auch mit einem Anflug seiner bisherigen Strenge auf Farqu-har.

«Ich hatte eigentlich vor, Ihnen einen Verweis dafur zu erteilen, da? Sie Ihr Aufklarungsgebiet selbstandig verlassen haben. Da Ihre Initiative uns indessen die einzige nutzliche Information gebracht hat, mu? ich Sie wohl mit Nachsicht behandeln und Ihre Aktion im Protokoll aufnehmen.»
        Farquhar betrachtete ihn mit dem Anflug eines Lachelns auf seinem hochmutigen Gesicht.»Als ich noch als Midshipman unter Kapitan Bolitho diente, hatte ich einen ausgezeichneten Lehrherrn, Sir. Da habe ich gelernt, da? Angriff und Kampf ohne vorherige Aufklarung ebenso toricht waren, wie einen Blinden mit einer Muskete ins Gefecht zu schicken.»
        Bolitho rausperte sich.»Werden Sie jetzt auf mein Schiff zuruckkehren, Sir?»
        Pelham-Martin schuttelte den Kopf.»Spater. Ich mu? erst grundlich nachdenken. Fahren Sie alle auf Ihre Schiffe zuruck, meine Herren!»
        Au?erhalb der Kajute standen die drei Kommandanten schweigend herum, wahrend Mulder davoneilte, um ihre Boote herbeizurufen.
        Fitzmaurice brach als erster das Schweigen.»Als ich Farquhars Bericht horte, schien mir alles ziemlich hoffnungslos zu sein. Es kam mir vor, als hatte man mich zum Narren gehalten und als sei alles, wofur ich bisher mein Leben eingesetzt habe, vergeblich gewe sen. «Er sah Bolitho ernst an.»Aber als ich Ihnen dann zuhorte, wie Sie Ihre Gedanken vortrugen, fuhlte ich neue Krafte in mir. «Er suchte nach den rechten Worten.»Mein Erster Offizier, Quince, hat es nach der Ruckkehr aus dem Sumpf ausgesprochen. Er sagte: Wenn Sie, Bolitho, das Kommando uber das Geschwader gehabt hatten, ware Lequiller gar nicht erst von der franzosischen Kuste weggekommen.»
        Farquhar lachelte.»Hoffen wir, da? es noch nicht zu spat fur einige Korrekturen ist.»
        Bolitho beobachtete, wie sein Boot von achtern heranruderte. Es war typisch fur Farquhars Freimut gewesen, wie er mit PelhamMartin gesprochen hatte. Doch er mu?te es ablehnen, wenn sich die anderen Kommandanten von Gefuhlen leiten lie?en.
        Farquhar brauchte allerdings keine Angst vor Pelham-Martins Einflussen au?erhalb der Marine zu haben. Seinem Vater gehorte halb Hampshire, und er stammte aus einer langen Reihe beruhmter Seeoffiziere, von denen einige sogar Admirale gewesen waren. Dennoch lag es Farquhar fern, Dreistigkeit zu demonstrieren, die ihm spater vielleicht als Komplott oder mangelhafte Unterstutzung seines Kommodore hatte ausgelegt werden konnen. So etwas ging ebenso gegen seine Natur, wie einen gewohnlichen Seemann als Gleichgestellten zu betrachten.
        Als Bolitho spater auf dem Achterdeck der Hyperion stand und beobachtete, wie die Spartan an ihren langsameren Gefahrten vorbeipreschte, fuhlte er etwas wie Neid in sich aufsteigen. Eine Fregatte war doch etwas ganz Besonderes: schnell, unabhangig und sehr personlich. Dort war einem das Gesicht und das Verhalten jedes einzelnen Mannes ebenso vertraut wie der Satz ihrer Segel. Auf einem Linienschiff dagegen lebte man in einer anderen Welt: hier die mehrere hundert Seelen zahlende in ihren engen Quartieren zusammengepferchte Besatzung, dort die Offiziere, und beide zusammengehalten durch eine strikte Disziplin.
        Die schwache Verbindung mit der anderen Welt, die er so sehr liebte, schien sich nun weiter zu lockern. Als er den Kameraden seinen skizzenhaften Plan erklart hatte, war ihm das plotzlich bewu?t geworden, und es erschreckte ihn. Es war der Schritt vom
        Gehorchen zum Befehlen, von einfachen Aufspuren eines Feindes, von Langsseitlegen, um zu siegen oder unterzugehen, zur Notwendigkeit taktischer Uberlegungen und Rucksichtnahme auf andere Schiffe oder auf ein weit verstreutes Geschwader. Erst als er seine Ansicht ausgesprochen hatte, war ihm blitzartig bewu?t geworden, was er tat. Indem er seine tiefsten Gedanken enthullte, die spater in Handlungen umgesetzt werden konnten, hatte er einen kaum noch umkehrbaren Schritt in seiner Karriere getan.
        Aber strategisches Denken konnte, wie Pelham-Martin und andere vor ihm erfahren hatten, noch mehr als den Tod seines Urhebers zur Folge haben. Es konnte den Ausgang einer Schlacht, ja die Existenz einer ganzen Nation bestimmen.
        Inch trat zu ihm und tippte an seinen Hut.»Haben Sie irgendwelche Befehle, Sir?»
        Bolitho schaute noch der Spartan nach, die sich heftig stampfend in die mit Schaumkronen bedeckte See warf.

«Ich gehe in den Kartenraum. «Er stockte, denn er wu?te, da? sein nachster Schritt zwar mehr personlich, aber nicht weniger lebenswichtig war.»Schicken Sie den neuen Steuermannsmaaten Selby zu mir.»
        Inch trat auf der Stelle, das Gesicht voll offenkundiger Neugier. Bolitho sah ihn an.»Und sorgen Sie dafur, da? ich nicht gestort werde.»
        In dem dunkel getafelten Kartenraum lehnte er sich im Bemuhen, seine Zweifel zu uberwinden, gegen das Schott. Die gewohnten Gerausche an Deck klangen hier nur gedampft herein, und der ferne Klang der Pumpe schien mit seinem Herzschlag den Takt zu halten.
        Es klopfte an die Tur, und er rief:»Herein!»
        Sein Bruder stand auf der anderen Seite des Kartentisches und schaute ihn aufmerksam und fragend an.»Sie haben mich rufen lassen, Sir?»
        Bolitho zupfte an einer Ecke der zuoberst liegenden Karte. Schweigen umgab sie, und es schien Bolitho, als halte das ganze Schiff den Atem an.
        Dann begann er stockend:»Ich brauche einige Informationen. «Er bemuhte sich um einen so distanzierten Ton, als ob der Mann ihm gegenuber tatsachlich nur irgendein Steuermannsmaat ware.»Als du damals in der Karibik warst. «Seine Zunge zogerte bei dem Wort >damals<. Wieviel Kummer und Ungewi?heit hatte Hugh damals ihrem Vater bereitet! Scharf fuhr er fort:»Als du das Kaperschiff Andiron fuhrtest, mu?test du dich doch in dieser Inselwelt gut ausgekannt haben. «Er zog mit dem Finger weite Kreise auf der Karte.»Du warst auf deine eigenen Hilfsquellen angewiesen. Um deine Leute verschnaufen zu lassen und Schaden auszubessern, mu?test du doch kleine oder gro?ere Buchen kennen.»
        Sein Bruder ruckte naher heran, und sein Gesicht wirkte unter der hin- und herschwankenden Lampe plotzlich zerfurcht und mude.

«Das ist lange her. Ja, ich kannte viele solcher Ankerplatze.»
        Bolitho ging um den Tisch herum und streifte dabei die Spinde und die hin- und herschwingende Hangematte, ohne es zu bemerken.

«Du kennst naturlich Lequiller und wei?t auch, was wir hier vorhaben. Ich glaube, da? er seine beschadigten Schiffe ausbessern wird, bevor er…»
        Er brach ab, als er sich bewu?t wurde, da? sein Bruder ihn nachdenklich betrachtete.

«Ich habe allerlei gehort. Da? Lequiller das Schatzschiff gekapert hat und du die Absicht hast, ihn zu verfolgen und abzufangen. «Er zuckte die Achseln.»Nachrichten verbreiten sich schnell in den unteren Decks, wie du wei?t.»

«Als du in Las Mercedes warst, hast du da gehort oder gesehen, was dort vor sich ging?»

«Nicht viel. Wir sahen, da? die Soldaten exerzierten, und als die franzosischen Schiffe in die Bucht einliefen, gab es gro?e Aufregung. Ich wu?te gleich, da? uns das Unannehmlichkeiten bringen wurde.»
        Bolitho konnte seine Bitterkeit nicht unterdrucken. »Uns? Das bedeutet wohl eine Sinnesanderung bei dir?»
        Sein Bruder sah ihn ernst an.»Moglicherweise. Denn schon bei meinem nur kurzen Aufenthalt auf deinem Schiff habe ich dich wieder achten gelernt. So wie damals in St. Clar, als die Strafgefangenen dir zujubelten. «Er lachelte etwas gequalt. Zwischen einem Strafgefangenen und einem Seemann auf einem Schiff des Konigs besteht nur ein geringer Unterschied, und ich habe gehort, was sie von dir denken.
«Er schaute auf die Karte.»Sie wurden dir uberallhin folgen. Frag mich nicht, warum. Und erwarte auch nicht, da? einer das ausspricht. Es ist eben etwas, das du an dir hast und auf sie ausstrahlst. «Er zuckte abermals mit der Schulter.»Aber macht nichts. Ich sage das nur, weil ich meine, du solltest das nicht beiseite schieben, nur um den guten Namen deines Kommodore zu retten.»
        Bolitho antwortete scharf:»Ich habe dich nicht hergerufen, um deine Meinung uber meine Motive zu horen. «Er klopfte auf die Karte.»Also?»

«Hier ist ein geeigneter Platz. «Hughs Finger wies auf eine Stelle der Karte.»Die Pascua-Inseln, etwa funfzig Meilen nordwestlich von St. Kruis. «Seine Augen bewiesen fachliches Interesse, als er sich uber die Karte beugte.»Zwei Inseln, die durch eine Kette kleiner und kleinster Eilande und ausgedehnter Riffe miteinander verbunden sind. Ein gefahrlicher Ankerplatz, eigentlich nur eine letzte Zuflucht.
«Er nickte nachdenklich.»Der Hauptvorteil ist, da? es zwischen den Riffen Durchlasse gibt. Mit deinem kleinen Geschwader konntest du gar nicht alle uberwachen. «Sein zerfurchtes Gesicht verzog sich zu einem Lacheln.»Ich selbst bin da Rodneys Fregatten mehrmals entwischst.»
        Bolitho fragte ruhig:»Was wurdest du an meiner Stelle tun?»
        Sein Bruder sah ihn lange an, und sein Ausdruck wechselte dabei von Uberraschung zu Mi?trauen. Schlie?lich antwortete er:»Eine Fregatte wurde zwischen den Riffen durchkommen. Ein Uberraschungsangriff auf diesem Wege wurde die vor Anker liegenden Schiffe sicherlich veranlassen, durch die Hauptpassage auszulaufen; davor konntest dann du stehen und sie in Empfang nehmen.»
        Bolitho betrachtete ihn ernst.»Nur ein sehr erfahrener Mann ware imstande, ein Schiff durch die Riffe zu steuern, nicht wahr? Jemand, der die genaue Lage aller unter Wasser liegenden Hindernisse kennt.»
        Hugh beobachtete ihn verstandnisvoll.»So ist es. Ohne solch einen Mann ware es Wahnsinn. Als ich die Durchfahrt das erste Mal benutzte, hatte ich einen alten Mulatten als Lotsen. Er kannte sich sehr gut aus und hat dann mir beigebracht, was er selber als Fischer in vielen Jahren muhsam gelernt hatte.»
        Bolitho richtete sich straff auf.»Willst du's tun?«E sah das Mi?trauen in den Augen seines Bruders weichen und fugte hinzu:»Ich wei?, das Risiko ist gro?. Der Kommandant unserer einzigen
        Fregatte ist Charles Farquhar. Er konnte sich an dich als seinen alten Gegner, der ihn einst gefangennahm, erinnern.»

«Ich erinnere mich noch gut an ihn: ein frecher junger Laffe.»

«Aber wenn alles klappt, konnte es dir fur eine spatere Begnadigung sehr viel nutzen. Es ist die letzte Chance fur dich.»
        Sein Bruder zeigte nur ein resigniertes Lacheln.»Es ist genau, wie die Leute sagen: Du denkst nie zuerst an dich selber. «Er legte eine Hand auf den Tisch.»Ich habe keinen Augenblick daran gedacht, meine eigene Haut zu retten. Kommt es dir denn nicht in den Sinn, da? es schlecht fur dich stunde, wenn Farquhar oder sonst wer uber mich Bescheid wu?te? Du hast einen Fluchtling versteckt, dich mit einem Hochverrater verbundet. Sie wurden dich kreuzigen.»
        Als Bolitho nicht antwortete, setzte Hugh eindringlich hinzu:»Denk an dich selber! Und hor' auf, dir Sorgen zu machen, uber deinen Kommodore, uber mich und uber den ganzen Rest. Sorge dich wenigstens dieses eine Mal um dich selber!»
        Bolitho schaute beiseite.»Es ist also abgemacht. Wenn wir in St. Kruis ankommen, werde ich den Kommodore informieren. Mag sein, da? wir auf dem von dir genannten Ankerplatz nichts finden. Aber wir werden sehen.»
        Sein Bruder ging zur Tur.»Es gab bisher nur einen einzigen Mann, der mir damals in der Karibik uberlegen war. So hoffe ich, da? dir das Gluck auch ein zweites Mal zur Seite steht.»

«Vielen Dank!«Aber als Bolitho den Kopf nach Hugh wandte, war der Kartenraum leer.



        XIV Fur die achtern die Ehre…

        Als sein Boot an den Holzpfahlen der Landungsbrucke festgemacht hatte, kletterte Bolitho vom Hecksitz hinauf und warf zunachst einen Blick zuruck auf die Bucht. Erst vor zwei Stunden hatte Pelham-Martins Geschwader hier geankert, doch in dieser kurzen Zeit hatte sich das Wetter bereits erheblich verandert. Der Himmel war mit einem dusteren Schleier uberzogen, der das nachmittagliche Sonnenlicht zu einem bosen Funkeln verzerrte und die unregelma?ig laufenden Wellenkamme braunlich verfarbte. Als er seine Augen mit der Hand beschattete und die Schiffe musterte, bemerkte er, da? sie unruhig an ihren Ankertrossen zerrten, als hatten sie Angst vor der Nahe des Ufers.
        Boote fuhren geschaftig zu den Schiffen hinaus und wieder zuruck zu den an Land wartenden Seeleuten, die frisch gefullte Wasserfasser und schnell eingekaufte Fruchte in Korben zu ihnen hinunterreichten und sich dann wieder landeinwarts entfernten, um weitere Ladung zu beschaffen.
        Inch und Gossett kletterten zu Bolitho hoch und standen in den vom Wind aufgewirbelten Staubwolken, die ihre Gesichter und Anzuge in Sekundenschnelle mit einer grauen Schicht bedeckten.
        Der Master sagte mit rauher Stimme:»Der Wind kommt immer noch aus Nordost und nimmt weiter zu, Sir. «Er schuttelte den Kopf.»Ich werde mich wohler fuhlen, wenn wir erst wieder in See sind.»
        Bolitho folgte seinem Blick und sah, wie sich die Wellen an der schutzenden Kette von Riffen ostlich der Bucht brachen.»Ich stimme Ihnen zu.»
        Er drehte sich um und marschierte uber die staubige Stra?e in Richtung des undeutlich an ihrem Ende sichtbaren Gouverneurssitzes. Er ging schnell, obwohl er sich bewu?t war, da? die anderen Muhe hatten, ihm zu folgen; die Dringlichkeit seiner Sache trieb ihn voran. Vierundzwanzig Stunden hatten die Schiffe trotz Einsatzes samtlicher Segel fur die Ruckfahrt nach St. Kruis gebraucht, und wahrend er fiebernd auf die endgultige Entscheidung des Kommodore gelauert hatte, war Pelham-Martin, nur von Kapitan Mulder von der Telamon begleitet, an Land gegangen, um sich mit de Block zu besprechen.
        Wahrend des Ankerns der Hyperion hatte Bolitho bemerkt, da? ihre vermi?te Korvette schon unterhalb der Landzunge vor Anker lag. Als ihr Kommandant keinen Erfolg bei seiner Suche nach der Spartan gehabt hatte, traf er wohl die einzig mogliche Entscheidung, nach St. Kruis zuruckzukehren. Aber inzwischen war einige Zeit verflossen, Zeit, die man hatte nutzen konnen, die Korvette eilends loszuschicken, um andere, starkere Krafte zu alarmieren und von Lequillers moglichen Absichten zu unterrichten.
        Kleine Gruppen Eingeborener standen in den Eingangen ihrer Hauser und Hutten, als sie vorbeieilten. Nur wenige Leute lachelten ihnen zu oder gru?ten, die meisten schienen die See hinter den
        Riffen zu beobachten. In einem Monat wurde die Hurrikansaison beginnen, und damit mu?ten diese Leute mehr zu schaffen haben als mit dem Krieg: einem Krieg, den andere angezettelt hatten und dessen Ziel sie nicht kannten, der ihnen aber nur weitere Angste und Sorgen bringen wurde.
        Schlie?lich erreichte Bolithos Trupp das gro?e Steintor, das ihnen Schutz vor den Staubwolken bot. Noch ganz au?er Atem fragte Inch:»Soll Mr. Selby hier drau?en warten, Sir?»
        Bolitho wandte sich zu ihnen um. Als die Nachricht endlich an Bord eingegangen war, da? der Kommodore alle Kommandanten, Ersten Offiziere und Master zu sich befahl, hatte er sofort gewu?t, da? eine Entscheidung gefallen sein mu?te. Und er hatte vorausgesehen, da? Pelham-Martin den einzigen Mann zu sehen wunschte, den Bolitho als Lotsen fur die Fregatte, die durch das Riff fahren sollte, empfohlen hatte. Trotzdem beunruhigte ihn dieser Befehl.
        Jetzt stand Hugh hier, drei Schritte hinter Inch und Gossett, und wartete mit unbeweglichem Gesicht auf Bolithos Antwort.

«Ja, er kann hier warten. «Doch er setzte hinzu:»Er wird sicher noch nicht gebraucht.»
        Er sah Fitzmaurice und seine beiden Begleiter von der Stra?e auf sie zueilen.

«Dann wollen wir uns nicht langer hier aufhalten.»
        Als er in den langgestreckten Raum uber dem Ufer eintrat, fuhlte er, da? seine Hande feucht waren, aber im Haus war es kuhl, verglichen mit der hei?en, staubigen Stra?e. Jeden Augenblick wurde sein Bruder den anderen gegenuberstehen. Die Aussicht, entdeckt zu werden, stieg dementsprechend.
        Er nickte den bereits Anwesenden zerstreut zu und nahm ihren Gru? oder ihre Bemerkungen nur halb wahr. Die Kommandanten der beiden Korvetten unterhielten sich leise vor dem Fenster, wahrend Farquhar und sein Erster Offizier die Karte auf dem Tisch studierten.
        Ein Eingeborenenmadchen kam mit einem vollen Tablett zu Bo-litho. Er nahm ein Glas und nippte daran. Es war irgendein Wein und eiskalt.
        Auch Inch nahm ein Glas und lachelte dem Madchen, das ihn mit unverhohlener Bewunderung ansah, schuchtern zu. Fitzmaurice trat ein und schuttelte den Staub von seiner Kleidung. Seine Stimme wirkte sehr laut in dem bisherigen Schweigen. Er hustete drohnend und nickte der Dienerin zu, die immer noch Inch anlachelte und nur zogernd mit ihrem Tablett heruberkam.
        Eine andere Tur offnete sich, und Pelham-Martin ging langsam und schwerfallig zum Tisch. De Block und Mulder begleiteten ihn, letzterer wirkte abgespannt und gereizt, als er darauf wartete, da? Pelham-Martin zu sprechen begann.
        Bolitho musterte ihn sorgenvoll. Die Bewegungen des Kommodore waren schleppend, aber seine Augen, die jetzt den Kommandanten der zweiten Korvette fixierten, flackerten nervos.

«Schon, Appleby. «Er zog einen dicken Umschlag aus seiner Rocktasche.»Hier sind meine Berichte. Sie gehen mit der Nisus sofort Anker auf und ubergeben sie dem ersten Flaggoffizier, dem Sie begegnen. «Als er den Umschlag Appleby entgegenstreckte, bemerkte Bolitho, da? seine Hand heftig zitterte.»Moglicherweise treffen sie ein Geschwader der Kanalflotte, wenn nicht, segeln Sie weiter nach Plymouth, und zwar so schnell Sie konnen.»
        Der Kommandant steckte den Umschlag in die Innentasche seines Uniformrocks und machte auf dem Absatz kehrt. Nur einen Augenblick schweifte sein Blick uber die Versammelten hinweg, als mustere er sie zum letzten Mal.
        Pelham-Martin sah ihm nach, bis er durch den Torweg verschwunden war. Bolitho fragte sich, ob er wohl uberlege, ihn jetzt noch zuruckzurufen und die Berichte zuruckzufordern, die so leicht seinen Ruin bedeuten konnten.

«Meine Herren, ich habe Sie zusammengerufen«, Pelham-Martin rausperte sich und trank erst einmal einen Schluck Wein,»zur letzten Konferenz, bevor wir lossegeln.»
        Er beendete das allgemeine Gemurmel, indem er fortfuhr:»Angesichts der sparlichen Informationen, die wir besitzen, sehe ich keine andere Losung, als den Plan anzunehmen, den Kapitan Bo-litho unterbreitet hat. «Er senkte den Blick, zwei Schwei?tropfen rannen an seinen Schlafen herunter.»Es sieht inzwischen so aus, als ware dieser Plan mehr wert, als es anfangs den Anschein hatte. «Er schaute zu de Block hinuber.»Der Gouverneur von St. Kruis hat mich uber das Verschwinden seines Schoners Fauna informiert. Er war mit Versorgungsgutern zu einigen Nachbarinseln unterwegs und ist nicht zuruckgekehrt. «Er sah Bolitho an, bevor er fortfuhr:»Eine seiner Stationen sollten die Pascua-Inseln sein.»
        Bolitho fragte ruhig:»Ich dachte, die seien unbewohnt?»
        De Block nickte.»Da gibt es nur eine Mission und ein paar Fischer. Sie pflegen hierher zuruckzukehren, wenn die Sturme einsetzen.»
        Pelham-Martin sagte:»Also fahren wir fort. Wir haben noch viel zu tun und nur wenig Zeit.»
        Bolitho war von der Scharfe seines Tons uberrascht. Es schien, als konne es Pelham-Martin nun, da er sich festgelegt hatte, nicht schnell genug gehen.

«Sowie die Konferenz beendet ist, wird Kapitan Farquhar Anker auf gehen und nach Nordwesten vorsto?en. Da er durch die Lucke in den Riffen eindringen soll, mu? die Spartan morgen bei Tagesanbruch auf ihrer Ausgangsposition stehen. «Pelham-Martin schaute wieder auf Bolitho.»Ich setze meine Flagge auf der Hyperion, und gemeinsam mit der Hermes werden wir uns auf eine Position nordostlich von den Inseln begeben. Das wird uns den Windvorteil sichern, falls und wenn der Feind ausbrechen will. «Er warf dem Kommandanten der Dasher einen Blick zu.»Ihre Korvette halt sich weiter sudlich. Wenn er flieht, werden Sie Fuhlung mit ihm halten, so gut Sie konnen.»
        Er machte eine Pause und nippte an seinem Glas.
        De Block fragte:»Sie haben die Telamon nicht erwahnt?»

«Richtig. «Pelham-Martin studierte die Karte, wahrend er antwortete.»Ich kann das Schiff nicht langer bei mir einreihen. Nach dem Verlust des Schoners ist die Telamon Ihre einzige Verbindung mit der Au?enwelt; Ihr einziger Schutz gegen Seerauber und Kaperschiffe. Au?erdem ist sie - bei allem Respekt - recht alt. Ihre Zeit in der Schlachtlinie ist vorbei.»
        Bolitho betrachtete die beiden Manner und fuhlte die Spannung ringsum.
        Es war schwierig, Pelham-Martins wahre Grunde zu erahnen. Er mochte noch immer nach einem Entschuldigungsgrund fur seine spatere Verteidigung suchen. Ohne die Telamon, altmodisch und unterarmiert wie sie war, konnte er spater einen moglichen Ruckzug angesichts gro?er Ubermacht rechtfertigen.
        De Block antwortete sanft:»Weder ich noch ihr Kommandant haben irgendwelche Bedenken, bei Ihnen mitzumachen. Als Sie St. Kruis vor Lequiller retteten, wu?ten wir alle, da? wir einmal eine Schuld zuruckzuzahlen haben wurden. Falls Lequiller entkommen und in seine Heimat zuruckgelangen sollte, sieht unsere Zukunft sowieso duster aus. Wenn er dort erst berichtet, wie wir ihm widerstanden haben, wer kann dann voraussagen, was aus uns wird?»
        Danach schaute er Bolitho traurig an.»Kapitan Mulder hat mir berichtet, was Sie gesagt haben. Es scheint so, als ob unsere beiden Lander bald im Krieg gegeneinander stehen werden. Es kommt, wie es mu?, aber ich hatte gern ein kleines bi?chen Ruhmenswertes, an das ich mich mit Stolz erinnern kann, wenn alles voruber ist.»
        Farquhar sagte:»Dann ist also alles geregelt, Sir. Vielleicht konnte ich jetzt diesen Steuermannsmaaten kennenlernen?»
        Seine Unterbrechung wirkte wie ein Kaltwassergu?, aber Bolitho war sie nichtsdestoweniger willkommen. Je schneller es vorbei war, desto eher konnten sie wieder in See gehen.
        Als sein Bruder den Raum betrat, pre?te Bolitho den Rucken gegen die Stuhllehne und bemuhte sich, woanders hinzusehen, sobald Hugh sich dem Tisch naherte.
        Der Kommodore fragte:»Man hat mir gesagt, Sie konnten die Spartan durch die Riffe auf der Westseite der Inseln lotsen?»

«Aye, Sir.»
        Farquhar beugte sich uber die Karte.»Es gibt hier aber nur wenige Anhaltspunkte, Mr. Selby. «Ausnahmsweise hatte er damit Gefuhle offenbart, die Gefuhle eines Kommandanten, der sein Schiff - und moglicherweise seine Karriere - in die Hande eines Mannes legen sollte, der ihm vollig unbekannt war.
        Alle schauten zu, als der Steuermannsmaat mit seinem Finger einen Kurs auf der Karte andeutete.

«Hier verlauft ein guter Kanal, Sir: tiefes Wasser in zwei engen Furchen zwischen den Riffs. Ich rate, die Boote auszusetzen, falls der Wind abflauen sollte. Sie konnten uns dann hindurchschleppen. «Er rieb sich das Kinn.»Und wir brauchen zwei gute Lotgasten in den vorderen Rusten. «Er brach ab, weil er bemerkte, da? Farquhar in anstarrte.»Sir?»
        Farquhar fragte:»Wissen Sie genau, da? Sie noch nie unter mir gefahren sind?»

«Ganz genau, Sir.»

«Also dann…«Farquhar beobachtete ihn immer noch nachdenklich.»Woher stammt Ihre gute Kenntnis dieser Gewasser?»
        Bolitho packte die Seitenarme seines Stuhls und fuhlte, wie sich Schwei? uber seinen Augenbrauen sammelte, als er darauf wartete, da? Farquhars Stutzen sich in plotzliches Erkennen verwandeln wurde.
        Aber Hughs Antwort war ruhig und selbstsicher:»Von der alten Pegasus, Sir. Wir haben hier vor ein paar Jahren Vermessungen ausgefuhrt.»
        Farquhars Miene entspannte sich.»Dann haben Sie Ihre Zeit damals nicht verschwendet, Mr. Selby. Dachten Sie nie daran, sich um ein Offizierspatent zu bemuhen?»

«Ich bin zufrieden, Sir. «Hugh beugte sich wieder uber die Karte.»Und Sie kennen die Redensart, Sir: >Fur die achtern die Ehre, fur die vorn den Respekt!»«
        Einen Augenblick dachte Bolitho, Hugh sei zu weit gegangen. Farquhar trat einen Schritt zuruck, weil ihm plotzlich bewu?t wurde, da? er sich zu nahe mit einem Untergebenen eingelassen hatte. Sein Mund verengte sich zu einer dunnen Linie.
        Dann machte er eine wegwerfende Bewegung.»So, sagt man das?»
        Pelham-Martin stand auf.»Wir haben alles besprochen, meine Herren. «Er holte tief Luft, als suche er nach einem kernigen Abschlu?wort, dessen sie sich spater erinnern wurden.»Falls wir Le-quiller finden, sorgen Sie dafur, da? Ihre Leute tapfer kampfen und da? der Gedanke an eine Niederlage nicht erst aufkommt. «Er setzte sein Glas ab und starrte mit leerem Blick darauf nieder.»Gehen Sie jetzt auf Ihre Schiffe, und rufen Sie auch alle Boote zuruck. Wenn wir klar vom Riff und auf die Luvseite von Pascua kommen wollen, durfen wir keine Zeit mehr verlieren.»
        Als die anderen den Raum verlassen hatten, kehrte Bolitho zum Tisch zuruck.»Das war eine gute Entscheidung, Sir. Und - wenn ich das sagen darf - auch eine tapfere.»
        Pelham-Martin blickte mit undurchschaubarem Ausdruck an ihm vorbei.»Der Teufel soll Sie holen, Bolitho!«Sein Ton blieb dabei ganz ruhig.»Wenn wir uns mit diesem Ort geirrt haben und dort nichts finden, konnen mich auch die allerbesten Absichten nicht retten. «Sein Blick irrte herum und blieb dann auf Bolithos Gesicht haften.»Das konnte aber auch fur Sie gelten. Wenn Sie - was ich sehr bezweifle - so lange am Leben bleiben, werden Sie eines Tages entdecken, da? Tapferkeit allein nicht immer genugt. Ich hoffe, da? Sie diesem Tag dann gewachsen sein werden.»
        Bolitho ergriff seinen Hut.»Danke, Sir.»
        Als er die Treppenstufen hinunterging, stand ihm noch immer Pelham-Martin vor Augen, und seine Worte erschienen ihm wie eine Grabinschrift.
        Vielleicht sollte man Pelham-Martin wegen seiner Befehlsbefugnisse eher bemitleiden als respektieren. Im Unterschied zu den anderen Fuhrern zur See war er ungeheuer angstlich. Es war nicht die Angst zu sterben oder einen Fehler zu machen, doch furchtete er, zu versagen und seine eigene Unentschlossenheit zu zeigen. Aber das waren Dinge, die Bolitho nur ahnte. Pelham-Martin hatte sicher seine Schwache schon immer gekannt, aber sich von einem System dennoch nach oben schieben lassen, das er weder verstand noch beherrschte.
        Noch nie in seinem Leben war es wahrscheinlich so darauf angekommen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, da die kleine Nisus Segel setzte und die Bucht hinter sich lie?, sah er nichts als Schande voraus und - noch schlimmer - die Verachtung jener, denen er bisher nachgeeifert hatte.
        Inch fragte:»Sind Sie soweit, Sir?»
        Bolitho warf einen Blick uber die Landungsbrucke und sah Far-quhar, der mit seinem Ersten Offizier sprach, wahrend sie auf ihr Boot warteten. Sein Bruder stand etwas abseits, die Arme verschrankt, den Blick auf die weit entfernte Fregatte gerichtet, die unruhig an ihrer Ankertrosse dumpelte. Dann bemerkte Hugh, da? Bolitho ihn beobachtete, und ging ihm langsam entgegen.
        Bolitho wartete, bis Inch und Gossett au?er Horweite waren, und sagte dann wutend: Du Narr! Beinahe hattest du alles verdorben!»

«Er hat mich geargert. Wenn er wu?te, wer ich bin, wurde dieser Narr sein Schiff lieber scheitern lassen, als mir das Ruder zu ubergeben. «Er lachelte traurig.»Du wirst dich um den Jungen kummern, wenn mir etwas zusto?t, nicht wahr?»
        Bolitho sah ihn einen Augenblick forschend an.»Du hast es gewu?t?»
        Er horte Farquhar schreien:»Bringen Sie das Boot endlich langs-seit, verdammt noch mal!«Plotzlich drangte die Zeit, und Bolitho mu?te an sich halten, da? er nicht den Arm seines Bruders druckte.»Pa? auf dich auf!»
        Dann drehte er sich um und ging zu den anderen zuruck.
        Inch sagte frohlich:»Der arme alte Selby! Immer von einem Schiff auf das nachste!»

«Konzentrieren Sie sich lieber darauf, den Kommodore an Bord zu empfangen, Mr. Inch!»
        Bolitho drehte ihm den Rucken zu und beobachtete das naherkommende Boot. So sah er nicht Inchs Verwirrung und Gossetts schadenfrohes Grinsen. Sein kurz aufflammender Zorn war nur ein Deckmantel fur seine Unsicherheit und fur die Tatsache, da? er sich um seinen Bruder sorgte, der vielleicht uber ihn und alle ihm bevorstehenden Gefahren lachte. So war es immer zwischen ihnen beiden gewesen. Nicht einmal die Drohung mit Gefangnis und dem Strick fur seinen Verrat hatte daran etwas geandert.
        Allday stand im Boot und nahm seinen Hut ab, als die Offiziere hineinkletterten.

«Wenn Sie uns an Bord abgesetzt haben, fahren Sie bitte gleich zuruck, um den Kommodore abzuholen.»
        Allday nickte.»Aye, aye, Kapt'n. «Er gab dem Bugmann ein Zeichen.»Absetzen! - Riemen bei!«Er studierte Bolithos Hinterkopf, als konne er dort dessen Stimmung ablesen.»Rudert an! - Zugleich!»
        Bolitho sa? steif im Heck und blickte starr auf die dunkle Silhouette der oberen Rahen seiner Hyperion. Er hatte die Blicke bemerkt, die sich die Ruderer bei seinen Anweisungen zugeworfen hatten - wie Vertrauenspersonen, denen eine ungeheure Information zuteil wurde. Wie sahen diese Manner eigentlich ihre Vorgesetzten? fragte er sich. Was ging hinter den verschlossenen Gesichtern beim Vollzug einer Prugelstrafe vor, oder wenn ein Mann zu ihm in seine bequeme Kajute kam, in diese Welt, die so fern und unberuhrt war von der Uberfullung in den unteren Decks? Und in der Schlacht, gab es da ein Gefuhl menschlichen Verbundenseins und Mitempfindens zu ihm, den sie nur als schemenhafte Gestalt auf dem Achterdeck sahen?
        Er rief sich in Erinnerung, wie diese gleichen Leute reagiert hatten, als Pelham-Martin seine Flagge auf der Hyperion niederholen lie?. Da waren sie emport und gekrankt gewesen, als ob sie selber oder ihr Schiff dadurch mi?achtet wurden. Jetzt wu?ten sie, da? die Flagge zuruckkam, und freuten sich. Was mochten sie uber den Mann unter dieser Kommandoflagge denken? Einen Mann, der so in seinen inneren Zweifeln und personlichen Sorgen befangen war, da? er beim nachsten Ruckschlag vielleicht zusammenbrach.
        Bolitho blickte auf und sah die steile Bordwand uber sich, die scharlachroten Rocke der Seesoldaten an der Einla?pforte, die im Sonnenlicht blitzenden Bootsmannsmaatenpfeifen.
        Als Allday ans Fallreep heransteuerte, erinnerte er sich plotzlich an das, was Hugh gesagt hatte: >Sie werden dir uberall hin folgen.< Aber Manner, die folgen, mussen richtig gefuhrt werden. Es hatte keinen Zweck, Mitleid mit Pelham-Martin zu haben, weil die Aufgabe uber seine Krafte ging. Diese Manner brauchten Fuhrung. Er runzelte die Stirn. Nein, sie hatten einen Anspruch darauf.
        Er kletterte das Fallreep hoch und dachte immer noch an PelhamMartin, selbst als er die Ehrenbezeigungen erwiderte und sich seinen Weg nach achtern zur Hutte bahnte.

«Kapt'n, Sir!»
        Bolitho offnete die Augen und starrte noch benommen auf die Karte, die unter seinem Arm lag. Die Hangelampe schaukelte in dem geschlossenen Kartenraum und warf geisterhafte Schatten hierhin und dorthin. Bolitho spurte sofort, da? die Bewegungen des Schiffes zugenommen hatten.
        Allday stand neben dem Tisch und druckte eine riesige Kaffeekanne an sich.

«Wieviel Uhr haben wir?»

«Sieben Glas, Kapt'n. «Allday nahm einen Becher vom Bord und go?, vorsichtig die Schiffsbewegungen ausbalancierend, schwarzen Kaffee ein.
        Drei Uhr fruh. Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und rieb sich die Augen. Er war fast ununterbrochen an Deck gewesen, seit die Schiffe die Bucht von St. Kruis verlassen und den Kampf mit einem standig zunehmenden Wind aufgenommen hatten. Dann hatte er fur zwei Stunden versucht, etwas zu ruhen, um seine uberanstrengten Nerven bis zum ersten Tageslicht wieder etwas zu beruhigen. Er achzte. Die Mittelwache dauerte noch eine knappe Stunde.
        Allday trat etwas zuruck und sah zu, wie er trank.»Meldung von Mr. Inch: Der Wind frischt auf.»

«Weiterhin von Nordosten?»

«Aye. «Er go? mehr Kaffee in den Becher.

«Schon, dafur sollten wir dankbar sein. «Wenn der Wind jetzt raumte,[nach achtern drehte] konnten sie weiter von den noch verborgenen Inseln abhalten. Ohne freien Spielraum mochten sie sonst vom Feind uberrascht werden. Und wenn der Wind schralte[mehr von vorn kam] oder gar ganz herumsprang, wurden sie beim ersten Tageslicht gesichtet werden; dann konnte Lequiller ausrei?en oder die Schlacht nach seinen eigenen Bedingungen und mit Ubermacht annehmen.
        Er setzte den Becher heftig auf den Tisch. Falls… wenn… Er fing schon an, wie der Kommodore zu denken.
        Allday half ihm in seinen Mantel.»Soll ich den Kommodore wecken, Kapt'n?»

«Nein. «Er verlie? den Kartenraum und stolperte fast uber den Kajutsteward, der zusammengekauert auf dem Gang hockte und schlief.
        Er sagte:»Lassen Sie ihm den restlichen Kaffee. «Er warf einen Blick auf die geschlossene Tur der Kajute, vor der der Ehrenposten im schwachen Laternenlicht wie ein Spielzeugsoldat hin und herschwankte.»Er kann ihn nachher dem Kommodore anbieten. «Er schlaft sicher nicht, dachte er. Wahrscheinlich liegt er nur da, starrt auf die Decksbalken uber sich und lauscht aufjeden Ton im Schiff.
        Das Achterdeck lag in volliger Dunkelheit. Die Gerausche von Wind und Wellen sagten ihm augenblicklich, da? die Krafte dahinter zunahmen.
        Inch tastete sich zu ihm.»Wir mussen wieder Segel kurzen, Sir.»
        Bolitho ging das schragliegende Deck hoch und hielt eine Hand uber das Kompa?gehause. Kurs Sud zu West. Er erinnerte sich ihrer verzweifelten Bemuhungen, seit sie St. Kruis verlassen hatten. Immer im Kampf mit dem Wind, der sich im Kreise drehte, und die meiste Zeit mit beiden Wachen an Deck. Nun segelten sie also wieder nach Suden, und die Inseln lagen irgendwo an Steuerbord voraus. Da sie den Wind jetzt von achtern hatten, wurden sie gegenuber einem Gegner, der aus seinem Versteck herauskam, den Vorteil der Luvposition haben. Es mu?te aber alles verderben, wenn sie uber ihre vorgesehene Position hinaussegelten.

«Schon, Mr. Inch, lassen Sie ein weiteres Reef einstecken. «Er fragte sich, ob die Spartan jetzt wohl schon vor der trugerischen Durchfahrt stand. Ob sein Bruder sich nach so langer Zeit noch erinnern konnte. Doch er besann sich, als Inch meldete:»Die Hermes ist noch auf ihrem Platz, Sir. Wir haben sie bei sechs Glasen noch dichtauf hinter uns gesehen. «Er mu?te schreien, um sich bei dem Wind verstandlich zu machen. Sein mit Wasserspritzern bedecktes Gesicht glitzerte im schwachen Kompa?licht.

«Und die Telamon?»

«Keine Spur, Sir. «Inch brach ab, um einige herumstehende Leute auf Trab zu bringen, die offenbar die Bootsmannsmaatenpfeifen uberhort hatten.
        Uber ihnen schlugen und knallten die Segel unerbittlich, wahrend die Matrosen heroisch kampften, um sie in der volligen Finsternis zu bandigen. Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie furchterlich es jetzt dort oben war. Doch sie hatten ausgezeichnetes Segelwetter. Wenn sie sich blo? von diesen elenden Inseln hatten freimachen konnen! Es war ein Jammer, gerade jetzt die Kraft aus den alten Segeln nehmen zu mussen, da sie solchen gewaltigen Vorwartsdrang zeigten.
        Inch schrie:»Was glauben Sie, wie Mr. Selby zurechtkommt, Sir?«Es war eine unschuldige Frage, und er bemuhte sich offenbar, etwas gutzumachen, was er wahrend ihres Wartens auf dem Boot falsch gemacht hatte.

«Der schafft das schon.»
        Inch nickte vage.»Er hat seinen eigenen Kopf. Genau wie Kapitan Farquhar, kam er auch mir zuerst bekannt vor.»
        Bolitho erstarrte. Inch konnte sich doch unmoglich an Hugh erinnern. In St. Clar war sein Bruder bei seinem endgultigen Abzug doch nur im Dunkeln an Inch vorbeigegangen und hatte ihm einen Ring gegeben, den Ring ihrer Mutter, den er Bolitho als heimliches Erkennungszeichen und Beweis, da? er noch lebte, bringen sollte.
        Inch sagte:»Der Mann mu? etwas Besonderes an sich haben, Sir. «Er grinste unsicher.»Auch der junge Mr. Pascoe ist ganz von ihm eingenommen und schien sehr besorgt, als er das Schiff verlie?. Eigenartig, wie so etwas kommt.»
        Eigenartiger als du glaubst, dachte Bolitho. Laut antwortete er:»Wenn Sie dann fertig sind, Mr. Inch, wurden Sie vielleicht so freundlich sein, den Kommodore zu wecken und ihn uber die Wetterlage zu unterrichten. Wenn der Wind weiter zunimmt, konnen wir vielleicht etwas anluven und noch mehr freien Seeraum gewinnen.»
        Inch hielt noch einmal an, als Bolitho kuhl hinzufugte:»Melden Sie dem Kommodore nur das Notwendigste, bitte. Ich bin sicher, er ist zu so fruher Stunde nicht in der Stimmung fur eine leichte Unterhaltung.»
        Er sah einen Schatten, der sich an der Leereling bewegte, und rief:»Mr. Gascoigne! Wie gefallt Ihnen Ihre erste Wache als frischgebackener Offizier?»
        Gascoigne arbeitete sich das schiefliegende Deck hoch und fiel beinahe hin, als das Schiff in ein tiefes Wellental sackte.

«Ganz gut, Sir. «Er schluckte heftig und fugte etwas lahm hinzu:»Allerdings nur, wenn Mr. Inch an Deck ist. Als er mich einen Augenblick allein lie?, bekam ich gro?e Angst, da? das Schiff mit mir und allen Seelen an Bord gegen eine unsichtbare Wand fahren wurde. «Er schuttelte sich.

«Das ist nur naturlich. «Bolitho packte die Reling. Sie war kuhl und na?.»Wenn Sie erst uber diesen Punkt hinweg sind, werden Sie anfangen zu lernen, wie Sie ein solches Schiff in die Hand bekommen, ohne darauf zu warten, was ein anderer befiehlt und fur Sie tut. Sie fangen an, es zu >fuhlen<, entdecken seine guten und schlechten Launen, lernen, ihm seinen Willen zu lassen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet.»
        Gascoigne grinste.»So habe ich das noch nie betrachtet.»
        Er entfernte sich, als Inch zuruckkam.

«Nun?»
        Inch antwortete:»Ich habe es ihm gesagt, Sir.«»Hat er geschlafen?»

«Nein, Sir. «Es klang verlegen.»Er sa? auf der Fensterbank. Das ist der unbequemste Platz im ganzen Raum, meiner Meinung nach. Und er ist in voller Uniform. Sir. Sitzt nur einfach so da. «Seine Stimme verlor sich.
        Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Das ist das Vorrecht des hoheren Dienstgrads, mein Junge!«Dann ging er hinuber zur Luvseite, bevor Inch seinen Gesichtsausdruck sehen konnte.
        Es war also noch schlimmer, als er befurchtet hatte. PelhamMartin brachte es nicht fertig, sich hinzulegen, geschweige denn, zu schlafen. Gestalten eilten uber das Hauptdeck, und einmal horte er einen Mann lachen - ein seltsamer Ton in dem Konzert, das der Wind und die unter hohem Druck stehende Takelage auffuhrten. Er ware gern auf und ab gegangen, um seine Unruhe zu meistern, aber die Schiffsbewegungen waren zu stark dafur. Hier, genau auf diesem Achterdeck, waren - wenige Fu? von ihm entfernt - zwei Admirale gefallen. Der eine war tapfer, aber dumm gewesen, der andere starb, ohne uber seine Wunden zu klagen. Er war ebenso mutig wie hartnackig bei der Ausfuhrung eines falschen Entschlusses gewesen, aber nie hatte es bei ihm ein Schwanken in dem gegeben, was er fur seine Pflicht hielt. Und vor diesen beiden waren hier vielleicht schon andere Flaggoffiziere gefallen. Die Glucklicheren, um gleich auf See beigesetzt oder in einem Fa? mit Alkohol heimgebracht zu werden, wo ihre weinenden Angehorigen sie in der Familiengruft beisetzen konnten. Die weniger Glucklichen aber hatten sich noch gequalt, um
dann unter dem Messer des Chirurgen doch zu sterben.
        Er schlug mit der Faust auf die Reling und starrte dabei in den an der Bordwand hochsteigenden Gischt. Aber keiner war bisher vor Angst gestorben, obwohl das die gro?te Gefahr in einer Schlacht war.
        Bolitho stand immer noch an der Reling, als zwei Stunden spater das Tageslicht seine ersten grauen Fuhler uber den Horizont ausstreckte und die Gesichter der Manner um ihn herum aufhellte.
        Allday erschien mit einer neuen Kanne.»Kaffee, Kapt'n?«Er hielt ihm den Becher entgegen, wobei sein kraftiger Korper einen Winkel zum schrag liegenden Deck bildete.
        Bolitho trank langsam und fuhlte, wie die hei?e Flussigkeit ihn belebte.
        Zu Gascoigne sagte er:»Sorgen Sie dafur, da? auch Ihre Leute ein hei?es Getrank in den Magen bekommen, bevor das Kombusenfeuer geloscht wird. «Und zu Inch gewandt, fugte er hinzu:»Wir werden in einer halben Stunde die Gefechtsstationen besetzen. Das wird die Leute munter machen und die Mudigkeit aus ihren Knochen treiben.«»An Deck! Land voraus in Lee!»
        Er warf Allday den Becher zu.»Hinauf mit Ihnen, Mr. Carlyon! Melden Sie, was Sie sehen, und etwas lebhaft, bitte!»
        Gossett tanzelte uber das Deck, die Hande tief in den Taschen seines unformigen Wachmantels.»Die Sichtmeldung kam zur rechten Zeit, Sir. «Es klang ziemlich selbstgefallig.»Abstand etwa funf Meilen, schatze ich.»
        Carlyon glitt an einem Backstag herunter und sprudelte hervor:»Mehrere Inseln, Sir, sudwestlich von uns.»
        Er bemerkte, da? Bolitho stumm geblieben war, und fuhr fort:»Sie uberlappen einander, aber auf der vorderen ist ein gro?er Hugel. «Er rieb sich die Nase und fugte etwas zogernd hinzu:»Sieht aus wie ein Stuck Kase, Sir.»
        Gossett zischte:»Allmachtiger Gott!»
        Bolitho machte ein grimmiges Gesicht.»Lassen Sie's gut sein, Mr. Gossett. Das war eine sehr einpragsame Beschreibung und entspricht der Karte. Ein >Stuck Kase<, das pa?t ausgezeichnet.»
        Er bemerkte, wie Inch Haltung annahm, und sah im Umdrehen die massige Gestalt des Kommodore hinter der Huttenleiter hervortreten.
        Er tippte an seinen Hut.»Wir haben die Inseln gesichtet, Sir. Ich wollte gerade die Leute auf Gefechtstationen schicken. «Er machte eine Pause und sah die tiefen Schatten um Pelham-Martins Augen.»Haben Sie schon Kaffee bekommen, Sir?»
        Pelham-Martin ging unsicher zur Reling und hielt sich an ihr fest.»Ich mochte keinen. «Er drehte den Kopf und schielte nach den niedrig hangenden Wolken.»Wo ist die Hermes?»

«Auf ihrem Platz, Sir. «Bolitho stellte sich so neben ihn, da? er sein Gesicht den anderen gegenuber verdeckte.»Sie kann Ihre Signale leicht erkennen.»

«Und der Hollander?»

«Noch nicht gesichtet, Sir.»
        Der kleine Kopf schien sich unabhangig von dem massiven Korper nach allen Richtungen zu drehen.

«Was?«Pelham-Martin schaute auf das schrage Hauptdeck hinab.»Wo ist er?«Er schrie benahe.»Er sollte doch hier sein!»
        Bolitho sagte:»Wir mu?ten wahrend der Mittelwache mehrmals uber Stag gehen. Die Stengen und Rahen der Telamon sind fur solche Belastungen bei diesem Wind vielleicht zu alt. Sie hat wahrscheinlich mit weniger Segeln ihren alten Kurs beibehalten. «Er sprach in Anbetracht der aufmerksamen Zuschauer ringsum leise. Aber Kapitan Farquhar wird sicher in seiner Ausgangsposition sein. Auf der Leeseite der Inseln hatte er ruhigeres Wasser.»
        Pelham-Martin schien ihn nicht zu horen. Er starrte aufs Wasser, das von dem zunehmenden Licht aufgehellt wurde. Der Horizont trat nun klar hervor und auch ein dunkler, unregelma?iger Streifen Land, der vom immer wieder in die Wellen eintauchenden Kluverbaum wie ein Stuck Seetang mitgeschleppt zu werden schien.

«Leer!«Er wuhlte in seiner Manteltasche, als wolle er sein seidenes Schnupftuch hervorholen.»Nichts!»
        Es gab ein leises Klicken, als der Schiffsjunge das Halbstundenglas neben dem Kompa? umkippte.
        Bolitho nickte Inch zu.»Schicken Sie die Leute auf Gefechtstationen!»
        Der Kommodore starrte ihn verzweifelt an.»Nur zwei Schiffe!«Er verstummte, als die Trommeln zu drohnen begannen und Matrosen und Seesoldaten an Deck stromten und auf ihre Platze rannten.
        Bolitho sagte:»Sie reichen vollig aus. Sir.»
        Er konnte die Angst des Mannes fast fuhlen. Es schien, als habe der Anblick der aufgewuhlten See und des Wirrwarrs von Inseln ihm die Last seiner Verantwortung erst richtig bewu?t gemacht. Im nachsten Augenblick mochte er den Rest seiner Selbstbeherrschung verlieren. Das war genauso, wie der junge Gascoigne es beschrieben hatte, als ihm bei seiner ersten Wache die Dinge uber den Kopf zu wachsen und au?erhalb jeder Kontrolle zu geraten schienen.
        Er sagte barsch:»Es ist ein guter Tag dafur, Sir. Und falls die Franzosen hier sind, werden sie wahrscheinlich noch schlafen, wenn die Spartan ihnen ihren Besuch abstattet.»
        Bolitho registrierte, da? die Schlage und Sto?e unter Deck aufgehort hatten, und als er uber die Querreling nach vorn schaute, sah er die Manner auf ihren Gefechtstationen sitzen. Als einzige bewegten sich die Schiffsjungen, die eifrig von Geschutz zu Geschutz liefen und Sand aufs Deck streuten. Die Kanoniere wurden einen festen Halt fur ihre Fu?e brauchen, wenn der Wind noch weiter zunahm.
        Pelham-Martin sagte tonlos:»Wurden Sie bitte jemanden schik-ken, der meinen Degen holt?«Er knopfte ungeschickt an seinem schweren Mantel herum und legte ihn schlie?lich ganz ab.
        Bolitho sah, da? er dieselbe goldbestickte Uniform trug, in der er an Bord gekommen war. In der er auch die Nacht verbracht hatte.
        Einer der Seeleute von der Backbordbatterie, der gerade dabei war, sich das Halstuch um die Ohren zu binden, sah den Kommodore und schwenkte es impulsiv uber dem Kopf.»Ein Hoch, Leute! Hurra!»
        Bolitho sagte ruhig:»Sehen Sie, Sir: Alle schauen heute auf Sie!»
        Dann wandte er sich ab, weil er nicht zusehen mochte, wie All-day den Gurt um die umfangreiche Taille des Kommodore schlang. Sein Gesicht schien bei dem einsamen Hochruf noch starker zusammengeschrumpft zu sein. Es war der Ausdruck eines Mannes unter dem Galgen.



        XV Hiobsbotschaft

        Bolitho stellte sich breitbeinig hin und wartete, bis das Deck nach einer heftigen Schlingerbewegung wieder zur Ruhe gekommen war, bevor er das Fernrohr ans Auge hob. Das Tageslicht hatte schnell zugenommen, und so konnte er den gezackten Hohenrucken der nachstgelegenen Insel ausmachen, der sich kaum von den niedrig hangenden Wolken abhob. Dahinter lag eine kleinere Insel, deren Spitze wie der Bug einer antiken Galeere die vordere Insel uberlappte. Vor ihr schlugen Brandungswellen hoch und schien die See zu kochen. Wahrscheinlich ein Riff, vermutete er, oder die unterseeische Fortsetzung der Insel, in Jahrtausenden von Wind und Wellen abgetragen und nun eine naturliche Barriere gegen ungebetene Gaste.
        Er senkte das Glas und wischte sich mit dem Armel uber die Augen. Um ihn herum warteten die Seeleute an ihren Kanonen, beobachteten ihn oder starrten nur auf die geschlossenen Stuckpforten, bereit, auf den nachsten Befehl sofort zu reagieren.
        Pelham-Martin sagte plotzlich:»Todsicher wird etwas passieren! Vielleicht ist die Spartan auf Grund gelaufen!«Er wandte den kleinen Kopf und sah Bolitho verdrie?lich an.

«Das werden wir bald wissen, Sir. «Er entfernte sich ein paar
        Schritte, da er nicht langer zuhoren mochte. Seine eigene Zuversicht war auch nicht allzu gro?.»Sir!«Carlyon hielt die Hande hinters Ohr.»Geschutzfeuer,
        Sir!»
        Bolitho sah ihn zweifelnd an, aber der Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen war unmi?verstandlich. Er war jung und noch nicht mit Dingen belastet, die uber seinen Dienst hinausgingen. So hatten seine Ohren das weit entfernte Gerausch trotz des Windes eher als alle anderen wahrgenommen.

«Mr. Inch! Lassen Sie die Geschutze laden! Aber nicht eher ausrennen, als ich es befehle!»
        Dann rief er Gossett zu:»Tragen Sie unseren Kurs genau ein. Die Riffe vor der entfernten Landspitze reichen weit hinaus.»
        Der Master nickte.»Ich habe mitgekoppelt,[Die Zickzacklinie des Kurses in der Karte jeweils mitgezeichnet] Sir. Wir stehen noch gut vier Meilen ab.»

«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks kam nur schwach gegen das Getose des Windes und das Knattern der Segel an.»Ein Schiff kommt aus der Durchfahrt!»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken, um seine wachsende Erregung zu bandigen.»Mr. Inch! Andern Sie Kurs um zwei Strich nach Lee! Schicken Sie die Leute an die Brassen!»
        Dann ergriff er das Teleskop von Carlyon und blickte auf die Inseln. Sie schienen wie Treibgut vor dem mit Spritzern bedeckten Glas herumzutanzen, aber als sein Auge schon zu tranen begann, entdeckte er das Ende der tafelformigen Insel, und wo noch vor kurzem nur Brandungswellen zu sehen gewesen waren, bewegte sich etwas: ein Schiff.
        Er horte Gossett rufen:»Kurs Sudwest zu Sud!»
        Inch starrte ihn fassungslos an.»Es ist eine Fregatte!«Ein kurzes Zucken ging uber sein Gesicht, als das dumpfe Grollen von Geschutzfeuer zu ihnen drang.»Bei Gott, die Franzmanner kommen tatsachlich!»
        Bolitho stellte sich hinter ihn.»Schutteln Sie alle Reefs wieder aus, und setzen Sie Fock und Bramsegel!»
        Er ging auf Pelham-Martins Seite hinuber, wahrend Inch mit seinem Sprachrohr an die Querreling eilte.»Nun, Sir, wenigstens einige werden wir heute erwischen!»
        Er beobachtete die Manner, die auf den Rahen auslegten, und spurte die unmittelbare Reaktion der Wanten und Stagen, als sich ein Bramsegel nach dem anderen mit Wind fullte. Der plotzliche Druck auf die Masten machte sich bis zum Kiel hinunter bemerkbar. Mit dem Wind nun fast genau von achtern, schien das Schiff sich nach vorne zu neigen, und als sich nun auch noch die gro?e Flache der Fock ausbauchte, meinte Bolitho, die See beiderseits des Bugs wie einen Muhlbach rauschen zu horen.

«Sie konnen jetzt die Kanonen ausrennen, Mr. Inch!«Er beobachtete, da? Pelham-Martin sich uber die Reling beugte und zuschaute, wie die langrohrigen Zwolfpfunder quietschend in die offenen Pforten gezogen wurden. Ihre Bedienungen feuerten sich dabei gegenseitig mit Zurufen an, als ware es ein Wettkampf.
        Inch rief:»Die Fregatte hat die Durchfahrt passiert, Sir!»
        Bolitho beobachtete das noch weit entfernte Schiff, dessen Silhouette sich verkurzte, als es langsam um die vorderste Landspitze herumdrehte. Bei dem jetzt nordostlichen Wind hatte es wenig Platz zum Kreuzen und konnte leicht in Schwierigkeiten geraten, wenn ein Wendemanover so dicht unter Land nicht klappte.
        Zumindest konnte es dann in die Durchfahrt zuruckgetrieben werden. Bolitho sah die Rahen wild herumschwingen und Gischt uber den schnittigen Steven zusammenschlagen, als das Schiff sich wieder fing und nun einen Kurs steuerte, der auf die Hyperion zulief.
        Ein schneller Blick achteraus bestatigte ihm, da? Fitzmaurice keine Anweisungen brauchte, sondern wu?te, was er zu tun hatte. Die Hermes hatte bereits ihre Bramsegel gesetzt, und er sah, da? sie unter dem Druck des Windes beangstigend krangte, als sie das Kielwasser der Hyperion kreuzte. Die beiden britischen Schiffe wurden wie die Backen einer Zange zuschnappen, und wenn die anderen Franzosen aus der Durchfahrt kamen, mu?ten sie zwischen den beiden darauf lauernden und entsprechend vorbereiteten Briten hindurch.
        Er befahl:»Noch einen Strich nach Steuerbord! Kurs Sudwest!«Er sah, da? Stepkyne vom Hauptdeck zu ihm herauf schaute und sich dann umwandte, um mit einem Feuerwerksmaaten zu sprechen. Und dann horte er Tomlin, der seine Leute mit einer Stimme, die selbst den Larm der Elemente ubertonte, wieder an die Brassen schickte. Man horte vermehrtes Geschutzfeuer, lauter als bisher, und Bolitho sah, wie mehrere Wassersaulen nahe am Heck der Fregatte hochstiegen.

«An Deck! Ein weiteres Schiff kommt heraus!«Pelham-Martin hielt die Reling fest umklammert. Seine Augen waren halb geschlossen, als er aufmerksam nach vorn spahte. Bolitho sagte:»Nun werden wir es ja gleich sehen!«Er eilte zur Leeseite, um zuzuschauen, wie sich das erste Schiff von der tuckischen Reihe der Riffe freisegelte und dabei stark krangte, als es auf Steuerbordbug hoch an den Wind ging. Es war ein gefahrliches Manover. Jeden Augenblick konnten die Segel backschlagen und das Schiff auf die Riffe getrieben werden, aber sein Kommandant hatte keine andere Wahl, um Seeraum zu gewinnen.
        Bolitho hob die Hand.»Recht so!«Seine Augen tranten wieder wegen Wind und uberkommender Spritzer, aber er behielt das andere Schiff im Blickfeld. Nur noch zwei Meilen trennten sie. Er horte das Knarren der Handspaken, als die Geschutzfuhrer die Erhohung ihrer Kanonenrohre vergro?erten, und fragte sich plotzlich, ob Fox sich wohl an die Batterie auf dem Hugel von St. Kruis erinnerte, wahrend er sich jetzt um seine Kanonen im unteren Batteriedeck kummerte.
        Inch schrie ihm plotzlich zu:»Sir! Das zweite Schiff ist die Spartan!«Es klang enttauscht.»Sie setzt ein Signal!»
        Bolitho wandte sich zu Pelham-Martin um. Wenn die Spartan dem Feind so dicht auf den Fersen war, dann bedeutete das nur eines: Es waren keine weiteren Schiffe da.
        Carlyon rief:»Von Spartan, Sir! Feindliches Schiff im Sudwesten!»
        Er wandte sich schnell um und hatte das Signal noch nicht ganz in sich aufgenommen, als der Ausguck rief:»Ein weiteres Schiff Backbord voraus, Sir!»
        Inch schielte zur Mastspitze hinauf.»Was, zum Teufel, erzahlt er da?»
        Aber Bolitho zeigte mit dem Teleskop in die Richtung.»Sie mussen eine andere Durchfahrt benutzt haben! Schauen Sie mal hin, Mann. Sie mussen seine Mastspitzen sehen!»
        Er spurte, da? jemand an seinem Armel zog, und als er sich umwandte, sah er in das vom Wind gerotete Gesicht des Kommodore.

«Sehen Sie nun, was Sie angerichtet haben? Er entkommt uns, und Sie konnen es nicht verhindern. «Er schrie beinahe.»Ich sorge dafur, da? Sie gehangt werden, hol' Sie der Teufel! Der Teufel soll Sie holen!»
        Bolitho befreite seinen Arm.»Kursanderung drei Strich nach Backbord! Neuer Kurs: Sud zu West!»
        Die Leute warfen sich wieder in die Schoten und Brassen, wahrend die Hyperion mit prall gefullten Segeln, die an den Rahen zerrten, auf die zweite Insel zubrauste, vor der sich die Masten des Franzosen wie Schemen abhoben.
        Als die feindliche Fregatte bemerkte, da? die Hyperion auf ihren ursprunglichen Kurs zuruckkehrte, drehte sie auf die offene See zu. Ihr Ausbruchsversuch mochte eine Kriegslist gewesen sein, um ihrem Begleiter die Moglichkeit zu geben, durch die andere Ausfahrt zu entwichen; oder ihr Kommandant mochte geglaubt haben, nur so bestunde auch fur sein eigenes Schiff eine Chance. Doch wahrend die Spartan noch vorsichtig um die Riffe herumsteuerte, machte die Hermes ein Halsemanover. Fur Leute, die Zeit hatten, einen Blick hinuberzuwerfen, war es ein eindrucksvoller Anblick, als sie ihre gischtuberspruhte Bordwand mit der doppelten Reihe von Kanonenrohren und die schneewei?en Segel vor der dunklen Wolkenwand der franzosischen Fregatte zudrehte. Und dann feuerte sie auf sehr gro?e Entfernung. Als Bolitho den Blick von dem anderen franzosischen Schiff hinuberschweifen lie?, sah er, da? Fitzmaurice uber schatzungsweise eine Meile bewegten Wassers geschossen hatte. Doch es hatte gereicht. Fockmast und Bugspriet der Fregatte brachen beim Einschlag der Salve zusammen, und als der Wind hineinfa?te, schlugen die
zerfetzte Leinwand und das durchschossene Rigg wie verruckt hin und her. Das Schiff, das Augenblicke vorher noch ein Urbild der Schonheit und Grazie geboten hatte, tauchte nun wie trunken in ein tiefes Wellental ein und drehte hilflos in den Wind.
        Bolitho wandte sich wieder dem anderen Schiff zu und fuhlte, da? Arger und Enttauschung ihm die Kehle zuschnurten, weil dessen Umri? wieder spitzer geworden war.
        Es war ein Zweidecker, wahrscheinlich der, den die Hyperion bei ihrem ersten vergeblichen Angriff auf Las Mercedes mit ihrer blindlings abgefeuerten Breitseite beschadigt hatte. Jetzt kam er frei von der Landspitze, und wenn er entkam, wie es jetzt moglich schien, wurde Lequiller bald uber das Mi?lingen ihres Uberfalls und uber die Schwache von Pelham-Martins Geschwader unterrichtet sein.
        Gossett sagte:»Wir konnen ihn immer noch fassen, Sir!«Aber es klang nicht sehr uberzeugend.

«An Deck!«Alle blickten nach oben. Es konnte doch nicht noch Schlimmeres kommen?» Ein Segel in Luv von der Landzunge!«Kurze Pause.»Es ist der Hollander, Sir!»
        Bolitho lief an die Finknetze und pre?te das Teleskop fest ans Auge.
        Das franzosische Schiff war jetzt frei von den Riffen, aber vor ihm und noch weiter weg sah er das andere Schiff, dessen Segel in dem eigenartigen Licht gelb schimmerten. Es war die Telamon, unverwechselbar mit ihren hohen Aufbauten vorn und achtern und der schimmernden Pracht ihrer Galionsfigur. Ihre Segel waren dicht angeholt, und sie segelte hoch im Wind. Durch das unruhig schwankende Fernrohr schien es, als streife sie das Land.
        Inch murmelte grimmig:»Um Himmels willen! Mulder wird auf Grund laufen, wenn er nicht aufpa?t.»
        Pelham-Martin nahm Inchs Glas.»Was geht da vor? Wird die Te-lamon angreifen?»
        Bolitho schob sein Glas mit einem Schlag zusammen. Er fuhlte, da? jeder Spant, jede Spiere seines Schiffes aufs Au?erste belastet war, und als er hochschaute, sah er die Segel hart wie Eisenplatten stehen, als das Schiff sich mit aller Kraft in das Verfolgungsrennen warf.
        Mulders altertumliches Schlachtschiff hatte uberhaupt keine Chance gegen den machtigen Zweidecker, und das mu?te er wissen. Wie er auch erkannt haben mu?te, da? der Franzose in einem der vielen hundert Verstecke der Inselwelt unterschlupfen wurde, wenn er seinen jetzigen Kurs beibehielt und die Landzunge erst gerundet hatte.
        Von achtern horte man wieder dumpfe Explosionen, und einer der Seesoldaten auf der Schanz rief:»Die Fregatte hat ihre Flagge gestrichen. Jungs! Sie hat sich der Spartan ergeben. «Ihre Jubelrufe verstarkten nur Bolithos wachsende Besorgnis. Fur die Leute war jeder Sieg ein Ereignis, aber gemessen an ihrem Gesamtplan, zahlte er fast gar nicht.
        Inch sagte besorgt:»Du lieber Himmel, sehen Sie mal den Hollander!»
        Die Telamon hatte Kurs geandert, und als Bolitho sein Glas wieder hob, sah er sie abrupt durch den Wind drehen, ihre Segel schlugen wild, und ihr Mastwimpel stand querab wie ein Metallstreifen.

«Der Franzose halst, Sir!«Inch war heiser vor Aufregung.
        So war es. Der feindliche Kommandant hatte auch kaum eine andere Moglichkeit. Mit den Riffen an Steuerbord und der vor seinen Bug drehenden Telamon mu?te er schnell handeln, wenn er ein Auflaufen auf der einen oder einen Zusammensto? auf der anderen Seite vermeiden wollte.
        Aber als das franzosische Schiff sich dicht hinter der Telamon vorbeischob, horte jeder auf dem Achterdeck der Hyperion das Krachen einer hintereinander abgefeuerten Breitseite, und alle sahen mit Schrecken, wie die Segel des Hollanders in einer himmelhohen Wolke dichten Qualms verschwanden.
        Bolitho hammerte auf die Reling, er wollte Mulder helfen und ihn aus der todlichen Umarmung heraushauen. Er horte, da? auch die altertumlichen Kanonen der Telamon jetzt feuerten, unzusammenhangend, aber trotzig. Der Pulverqualm trieb dabei binnenbords und nahm den Richtschutzen die Sicht, da Mulder weiter parallel zum Kurs des Gegners steuerte und sich in der Leeposition befand.
        Gossett sagte:»Gro?artig! Die Telamon hat uns die Chance verschafft, dem Burschen an den Kragen zu gehen.»

«Batteriedeck - Achtung!«Bolitho sah, da? Stepkyne an seinen Hut tippte. Steuerbordbatterie fertig!»
        Er horte Pelham-Martin ihm eifrig zuflustern:»Packen Sie ihn, Bolitho! In Gottes Namen: packen Sie ihn!»
        Der franzosische Zweidecker scho? immer noch fast pausenlos, und als der Wind einen Augenblick den Qualm wegblies, sah Bo-litho den Besanmast der Telamon in einer wirren Masse zerrissenen Tauwerks uber Bord gehen. Er meinte zu horen, wie die volle Wucht der feindlichen Eisenladung in den Rumpf des Hollanders schlug.
        Leutnant Roth murmelte mit zusammengebissenen Zahnen:»Da geht auch ihr Fockmast!»
        Als Spielball von Wind und Wellen war die Telamon schon hinter das Heck des Franzosen gesackt, und obwohl hier und da noch eins ihrer Geschutze feuerte, war sie bis fast zur Unkenntlichkeit zusammengeschossen.
        Bolitho brauchte kein Fernglas, um zu sehen, wie die Rahen des Feindes herumschwangen; wahrend er an dem zertrummerten Vorsteven der Telamon vorbeibrauste, waren einige Manner schon oben, um in hochster Eile die Gro?segel loszumachen, in die sofort der Wind einfiel und das Schiff auf die Seite druckte, wobei es seine kupferbeschlagene Unterseite zeigte.
        Jetzt oder nie!
        Bolitho rief:»Hart Steuerbord, das Ruder!»
        Wie trunken begann die Hyperion sich zu drehen, wobei samtliches stehende und laufende Gut wie zum Protest heftig achzte und stohnte. Gedampfte Schreie kamen von unten, und er erriet, da? die See bei der plotzlichen scharfen Drehung in die offenen Pforten des unteren Batteriedecks geschlagen war.
        Weiter gedreht und immer weiter, bis beide Schiffe fast auf gleicher Hohe und etwas mehr als zwei Kabellangen voneinander entfernt lagen. Eine schwierige Entfernung, aber da die Segel das Schiff stark auf die Seite druckten, hatten sie eine einmalige Gelegenheit.

«Feuer!»
        Er packte die Reling, als das Schiff durch die kontrolliert gefeuerte Breitseite erschuttert wurde. Der franzosische Zweidecker drehte zwar bereits ab, doch als er der Hyperion schon fast das Heck zeigte, schlug die volle Ladung der Briten mit Donnergepolter in sein Achterschiff ein.
        Seine Rahen schwangen wieder herum, und Bolitho war klar, da? der Kommandant seine mi?liche Lage erkannt hatte. Er hatte erst einmal den Kampf mit der ihn verfolgenden Hyperion aufnehmen sollen. Dabei hatte immer noch die Aussicht bestanden, da? er sie beschadigen oder gar versenken konnte. Aber als der Franzose sich jetzt muhsam zuruckwalzte, konnte Bolitho fast korperlich spuren, wie sich der wundgeschossene Schiffsleib qualte und die blanke See die Wunden noch weiter aufri?, die ihm von der vernichtenden
        Breitseite geschlagen worden waren. Dadurch, da? das Schiff unter dem Druck seiner Segel stark uberlag, hatte es einen Teil seiner Unterseite dem Gegner als Ziel geboten. Dort waren die vierund-zwanzigpfundigen Kugeln der unteren Batterie der Hyperion eingeschlagen und hatten die Bordwand derart durchlochert, da? die Pumpen beim Aufrichten des Schiffs mit dem eindringenden Wasser nicht mehr fertig wurden.
        Er horte Stepkynes bellende Stimme:»Kanonen ausrennen! Feuer!«Die Geschutzfuhrer stie?en ein wildes Kriegsgeschrei aus, als sie eine weitere Doppelladung in das schwer kampfende Schiff, das nun direkt vor ihren Visieren lag, hineinschossen. Der Franzose versuchte, zuruckzuschie?en, aber das Durcheinander bei ihm war so gro? und der Pulverqualm, der von der Hyperion herubertrieb, so dicht, da? nur einige wenige Kugeln in ihrer Nahe einschlugen; die meisten sausten mit wimmerndem Ton uber sie hinweg, vom hohnischen Geschrei der Marinesoldaten auf der Schanz begleitet. Diese Manner hatten sonst nichts zu tun, da die Entfernung fur ihre Musketen zu gro? war.
        Doch der Abstand verringerte sich, bis beide Schiffe nur noch zweihundert Yards auseinanderlagen. Die Segel des Feindes waren mit Lochern wie Pockennarben bedeckt, und uber sein zertrummertes Oberdeck hing nach der nachsten Breitseite das Tauwerk wie abgeschnittene Schlingpflanzen herunter.
        Inch rief:»Sehen Sie, Sir! Sie bricht das Gefecht ab!»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wir mussen ihr Steuerrad getroffen haben. «Er beobachtete kuhl, wie das feindliche Schiff abgetrieben und seine Bewegungen mit jeder Minute schwerfalliger und unkontrollierter wurden.
        Gossett sagte:»Die ist erledigt!«Als einige Leute sich zu ihm umdrehten, setzte er hinzu:»Das Riff! Sie kann sich nicht mehr davon freisegeln!»
        Bolitho nickte. Die Linie der wei?en Brecher, die uber die Landzunge hinausreichten, waren dem schwer getroffenen Schiff schon ganz nahe. Nur ein Wunder konnte sie noch davor retten.
        Die Geschutzbedienungen auf dem Achterdeck stimmten in die Jubelrufe der Seesoldaten ein, obwohl sie noch nicht dazu gekommen waren, ihre leichten Kanonen abzufeuern.
        Bolitho ging auf die andere Seite und blickte zur Telamon hinuber. Auch sie war schwer beschadigt und in Gefahr, auf die Klippen getrieben zu werden. Bis auf einen kleinen Stumpf ihres Gro?mastes war sie entmastet und ihre Bordwand an zahllosen Stellen durchlochert. Sie war fast ein volliges Wrack. Andere Schiffe ihrer Gro?e hatten die Schlage vielleicht eingesteckt und zuruckgeschlagen. Aber ihre Planken waren so alt und so fest miteinander verwachsen, da? bei einem Treffer nicht einzelne Planken brachen, sondern gleich gro?e Teile der Bordwand einsturzten und der See Einla? boten. Und wie zum Beweis ihrer heldenhaften Aufopferung flo? aus ihren Speigatten Blut in das Treibgut an ihrer Seite.
        Bolitho sagte:»Mr. Tomlin soll die Schlepptrosse bereitlegen. Machen Sie die Geschutze fest, und schicken Sie jeden entbehrlichen Mann nach achtern.»
        Einige Leute vom Hauptdeck kletterten auf die Gangways, von wo aus sie zum ersten Mal gewahr wurden, was ihr Sieg das hollandische Schiff und seine Besatzung gekostet hatte.
        Dann drehte sich Bolitho um, als Pelham-Martin krachzte:»Der Franzose hat noch nicht die Flagge gestrichen!«Seine Augen gluhten seltsam.»Er konnte seine Schaden immer noch ausbessern.»
        Bolitho starrte ihn an.»Und was wird aus der Telamon?»
        Pelham-Martin gestikulierte wutend.»Signalisieren Sie der Hermes, sie soll den Hollander in Schlepp nehmen. «Sein Blick war fest auf den treibenden Zweidecker gerichtet.»Ich will, da? dieses Schiff versenkt wird«!»
        Bolitho schaute zu Gossett hinuber.»Geben Sie einen Kurs an, der uns am Riff vorbeibringt!«An Inch gewandt, fuhr er im gleichen unbewegten Ton fort:»Eine Breitseite, wenn wir passieren. Es wird keine zweite Chance dazu geben, wenn wir erst mal frei vom Riff sind.»
        Er ging wieder hinuber auf die Seite des Kommodore.»Sie mussen jeden Augenblick auf Grund laufen, Sir. «Doch er wu?te, da? es vergeblich war, noch bevor er es aussprach. In Pelham-Martins Gesichtsausdruck war etwas Wildes, eine unmenschliche Gier, die Bolitho mit Abscheu erfullte.

«Tun Sie, was ich befohlen habe!«Pelham-Martin hielt sich an den Netzen fest, als das Schiff sich leicht auf die Seite legte und Gossett meldete:»Kurs Sudwest, Sir.

        Weit achteraus horte Bolitho frohes Geschrei von der Hermes, und als er uber die Netze hinwegschaute, sah er Leute auf den Laufbrucken der Telamon, die ihnen zujubelten und winkten. Irgend jemand hatte wieder eine Flagge an den gebrochenen Mast genagelt, und das war inmitten all der Trummer und Not eine ruhrende und ermutigende Geste.
        An Bord der Hyperion jubelte niemand, und selbst die Seesoldaten beobachteten schweigend, wie das feindliche Schiff auf die hohen Brecher zutrieb. Hier und da sah Bolitho gezackte Felsen wie schwarze Zahne aus dem Wasser ragen. Er schickte ein Sto?gebet zum Himmel, da? der Franzose die Flagge streichen moge, bevor es zu spat war. Bei diesen Wellen, die uber das Riff hinwe g-liefen, wurden die Uberlebenden es schwer haben, sich an Land zu retten, selbst wenn ihr Schiff nicht auseinanderbrach.
        Aber die Trikolore wehte immer noch uber dem Achterschiff, und obwohl der Rumpf tief im Wasser lag, sah Bolitho Leute an ihren Kanonen und eine Gestalt - wie bisher - auf dem Achterdeck.

«Ziel aufgefa?t!«Stepkynes rauhe Stimme durchbrach die Stille.
        Bolitho ballte die Fauste. Streicht die Flagge, verdammt noch mal! Streicht sie! Doch obwohl er so gern dem anderen Kommandanten seinen Willen aufgezwungen hatte, wu?te er, da? er selber in gleicher Lage genauso gehandelt hatte.
        Der Feind trieb jetzt mit dem Bug voran, so da? Bolitho die gro?en Locher in seinen achteren Aufbauten und das pendelnde Tauwerk uber seinem Heck sehen konnte. Er sah auch das Namensschild und las den Namen: Fortune. Es schien ihm, als schwenkte ein Offizier seinen Degen gegen die Hyperion, als sie vorbeizog, und dann feuerte der Feind seine letzte Salve mit den beiden Heckgeschutzen, die auf dem Deck unterhalb der zertrummerten Kajutenfenster standen.
        Bolitho fuhlte den Sto?, als die eine der beiden Kugeln in das Schanzkleid einschlug, und horte das Pfeifen der Holzsplitter, die um ihn herumflogen; aber all dies war vergessen, als die Hyperion unter dem Rucksto? ihrer eigenen Breitseite schwerfallig uberholte.
        Als der Qualm abgezogen war, sah er, wie der Gro?mast des Feindes krachend herunterkam, doch er verschwand nicht seitwarts in der See; denn im selben Augenblick ging ein Ruck durch das Schiff, dann noch einer, und dann schlug es in seiner ganzen Lange auf dem Felsen auf. Uber das Tosen des Windes hinweg konnten sie das Splittern von Holz und das Einstromen des Wassers horen. Die letzte Breitseite mu?te die meisten Leute auf dem Oberdeck getotet oder verwundet haben, denn nun wurde das Schiff unter seinen zerfetzten Segeln noch einmal hilflos angehoben und dann quer auf das Riff geworfen, wobei sein Fockmast brach und mitten zwischen die auf der Back umherirrenden Leute fiel.
        Bolitho wandte sich angeekelt ab. Er horte, wie der Franzose auseinanderbrach, und konnte sich vorstellen, welche Panik unter Deck herrschen mu?te, wenn die schweren Kanonen sich losrissen und von einer Seite auf die andere rollten, wahrend die eingeschlossenen Matrosen im vergeblichen Versuch, dieser Holle zu entfliehen, gegen das einbrechende Wasser ankampften.
        Aber die Trikolore war endlich verschwunden. Nicht gestrichen, sondern vom Geschutzfeuer der Hyperion weggeblasen.
        Er wandte sich langsam um.»Ihre weiteren Befehle, Sir?»
        Doch seine Augen wurden starr, als Pelham-Martin schwankte und aufs Deck hinuntersank. Sein Uniformrock hatte sich im Wind geoffnet, und unter seiner Achselhohle wurde ein heller Blutfleck sichtbar, der sich auf seiner wei?en Weste schnell ausbreitete.
        Bolitho rief laut:»Ein Mann zu Hilfe! Mr. Carlyon, holen Sie den Doktor!«Dann lie? er sich auf ein Knie nieder und schlang den Arm um die Schultern des Kommodore. Nur ruhig, Sir.»
        Pelham-Martin schien nicht imstande, etwas zu sagen. Seine Miene spiegelte eher Erstaunen als Schmerz.

«Tragen Sie den Kommodore in seine Kajute!»
        Bolitho trat zur Seite, als Trudgeon, der Schiffsarzt, begleitet von seinen Maaten, aufs Achterdeck eilte.
        Pelham-Martin keuchte:»Um Gottes willen! Seht euch vor, verdammt noch mal!»
        Inch fragte:»Ist es so schlimm, Sir?»
        Bolitho ging ans Schanzkleid und sah sich die aufgerissene Stelle uber der Stuckpforte an, wo die Kugel - wahrscheinlich ein Zwolf-pfunder - getroffen und wie mit einer Axt Teile aus dem Holz geschlagen hatte. Die Geschutzbedienung war wahrscheinlich gerade beiseite getreten, um das andere Schiff zu beobachten. Anderenfalls ware sie als Schutzschild fur den Kommodore gestorben.
        Er antwortete:»Holzsplitter verursachen die schlimmsten Wunden, wie Sie wissen. Ich staune, da? er es nicht starker fuhlte.»
        Dann ging er an die Reling hinuber und schaute Steuerbord achteraus zum feindlichen Zweidecker, der immer wieder von den Wellen angehoben und auf das Riff geschmettert wurde. Gemessen an dem Winkel, den sein Achterdeck mit dem ubrigen Schffskor-per bildete, mu?te ihm schon das Ruckgrat gebrochen sein. Es war doch seltsam, da? Pelham-Martin ohne seine hartnackige Forderung nach diesem letzten Angriff jetzt noch unverletzt gewesen ware.
        Inch meldete:»Die Hermes hat die Telamon in Schlepp genommen, Sir.»
        Gossett kam uber das Deck und beruhrte die Einschlagstelle mit Verwunderung.»Was mag die Froschfresser veranla?t haben, diesen letzten Schu? abzufeuern?»
        Bolitho merkte, da? ihn Mudigkeit ubermannte.»Hatten Sie das nicht auch getan?«Er wandte sich wieder zu Inch um.»Hat die Spartan ihre Prise gesichert?»

«Aye, Sir. «Inch betrachtete ihn besorgt.»Sie reicht ihrem Prisenkommando gerade eine Schlepptrosse hinuber.»

«Sehr gut. Schicken Sie Leute nach oben, und nehmen Sie einige Segel weg. Dann lassen Sie ein Signal fur Hermes und Spartan setzen. «Sein Gesicht verfinsterte sich und er bemuhte sich, nicht an die Gerausche des Schiffes zu denken, das auf dem Riff zerbrach und nicht an die Sinnlosigkeit seiner letzten Geste.»Wir fahren zuruck nach St. Kruis. Lassen Sie nur so viel Segel stehen, wie erforderlich sind, um mit den anderen Schritt zu halten, und melden Sie, wenn alle bereit zum Ruckmarsch sind.»
        Er sah sich um, als Trudgeon aus der Hutte trat, wobei er sich noch die Hande abtrocknete.»Nun?»
        Der Schiffsarzt war ein griesgramiger, verschlossener Mann, der kein uberflussiges Wort sagte.»In der Tat ein Holzsplitter, Sir. Ist seitlich unter der rechten Achselhohle eingedrungen. Ziemlich tief, wurde ich sagen.»

«Konnen Sie ihn entfernen?»

«Wenn es sich um einen einfachen Seemann handelte, wurde ich keinen Augenblick zogern, Sir. «Er zuckte die Achseln.»Aber der Kommodore schien nicht gewillt, sich von mir beruhren zu lassen.»

«Bleiben Sie bei ihm, bis ich Zeit habe, nach achtern zu kommen. «Als Trudgeon Anstalten machte, zu gehen, setzte er eisig hinzu:»Und wenn ich Sie jemals dabei erwische, da? Sie einen einfachem Seemann weniger sorgfaltig behandeln als einen meiner Offiziere, dann wird es Ihre letzte Behandlung gewesen sein.»
        Inch zogerte, bis der Schiffsarzt verschwunden war.»Mussen wir denn nach St. Kruis zuruck, Sir?»

«Die Telamon wird ohne Hilfe niemals durchkommen. «Er dachte an die Hochrufe, an die schrecklichen Verluste und an die unbestreitbare Tapferkeit der hollandischen Seeleute.»De Ruyter[Admiral Michiel A. de Ruyter, 1607 - 1676, Held der britischhollandischen Seekriege] ware stolz auf sie gewesen«, setzte er ruhig hinzu.»Und ich will sie jetzt nicht im Stich lassen.»
        Er ging zur Querreling, die Achterdeck und Hauptdeck voneinander trennte, und lehnte sich gegen sie. Dabei ubertrug sich das leichte Zittern des Schiffes auf seinen Korper, als waren sie fest miteinander verbunden. Unter ihm waren die Matrosen dabei, die Kanonen wieder festzuzurren und das Deck von Pulverresten zu saubern, wobei sie einander Scherzworte zuriefen. Wahrscheinlich wu?ten sie nicht, da? ihr Kommodore verwundet war. Ob sie die Ironie uberhaupt verstehen wurden, da? er ihr einziger Verwundeter an Bord war?
        Inch beobachtete die Toppsgasten, die sich an den Stagen herunterhangelten, und sagte:»Das hei?t, Sie befehligen jetzt das Geschwader, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Nicht, solange der Kommodorestander weht, Mr. Inch.»
        Er dachte plotzlich an all jene, die gefallen oder furs Leben ve r-stummelt worden waren, seit das Schiff Plymouth verlassen hatte.»Ich glaube nicht, da? der Kommodore lange liegen wird. Wenn wir in ruhigeres Wasser kommen, wird Mr. Trudgeon den Splitter herausziehen konnen.»
        Carlyon meldete:»Signal von Hermes, Sir: Beide Schleppzuge klar zur Weiterfahrt.»

«Verstanden. «Bolitho schaute Inch an.»Sie konnen jetzt halsen. Setzen Sie sich in Luv von den anderen. Aus dieser Position konnen wir sie besser schutzen. «Er warf noch einen Blick hinauf in die Segel.»Ich werde den Kommodore informieren.»
        Er fand Pelham-Martin in seiner Koje, den Korper mit vielen Kissen gegen die unbehaglichen Bewegungen des Schilfes abgestutzt und um Brust und Schultern dick verbunden. Seine Augen waren geschlossen, und in dem schwachen Licht, das durch das Skylight einfiel, sah seine Haut wachsern aus.
        Trudgeon kam heruber und sagte ernst:»Ich habe die Wunde noch einmal untersucht, Sir. «Er reagierte verlegen, als Bolitho ihn fest anschaute.»Die Fettschicht ist so dick, da? ich nicht feststellen kann, wie tief der Splitter eingedrungen ist.»
        Bolitho schaute auf den Kommodore hinab.»Verstehe. Vielen Dank, warten Sie bitte drau?en. «Als sich die Tur geschlossen hatte, beugte er sich uber die Koje und bemerkte sofort den scharfen Geruch von Brandy. Eine halbleere Karaffe lehnte an einem der Kissen.

«Sir?«Er horte die fernen Kommandos an Deck und das rumpelnde Gerausch der Steueranlage. Daraus entnahm er, da? Inch das Schiff auf den befohlenen Kurs drehte. Es wurde ein langsamer Ruckmarsch werden; auch wenn es unwahrscheinlich war, da? sie dabei auf einen Feind trafen, mu?ten sie doch jederzeit darauf vorbereitet sein, ihre zusammengeschossenen Schutzlinge gegen einen Uberraschungsangriff zu verteidigen. Er sagte mit besonderer Betonung:»Wir nehmen Kurs auf St. Kruis, Sir. Haben Sie weitere
        Befehle?»
        Pelham-Martin offnete die Augen und sah ihn einige Sekunden starr an. Dann sagte er mit kraftloser Stimme:»Lequiller war nicht da. Er ist Ihnen wieder entwischt.
«Er reckte den Hals und suchte nach seiner Karaffe.»Mu? mich ausruhen. Will nicht mehr sprechen. »
        Bolitho stand auf.»Ich schlage vor, da? wir unsere Prise de Block ubergeben, wenn wir in St, Kruis ankommen, Sir. Die Tela-mon hat ausgedient; mit der Fregatte werden sie wenigstens in der Lage sein, sich zu verteidigen.»

«Machen Sie, was Sie wollen. «Pelham-Martin schlo? die Augen und seufzte.»Mir geht es gar nicht gut.»

«Ich habe Trudgeon gesagt, was er tun soll, wenn wir die Bucht erreichen, Sir.»
        Die Wirkung dieser Worte war verbluffend. Pelham-Martin stutzte sich auf seine Ellenbogen, wobei ihm der Schwei? in kleinen Rinnsalen uber Gesicht und Nacken lief.

«Ich will nicht, da? er mich anruhrt, verstanden? Das hatten Sie wohl gern, da? dieser Tolpel an mir herumschneidet und Sie wahrenddessen mein Kommando ubernehmen?«Er sank schwer atmend zuruck.»Wir fahren zuruck nach St. Kruis. Noch entscheide ich, was zu tun ist.»
        Bolitho betrachtete ihn nachdenklich.»Wir wissen noch nicht, wo Lequiller steckt. Die San Leandro und die meisten Schiffe seines Geschwaders sind unbeschadigt. Ich meine, er ist drauf und dran, seinen alten Plan weiter zu verfolgen. «Seine Stimme wurde harter.»Wir konnen nicht langer warten, Sir.»
        Aber Pelham-Martin drehte den Kopf weg und blieb still.
        Bolitho ging zur Tur.»Ich werde Sie auf dem Laufenden halten, Sir. «Als er auf den Gang hinaustrat, horte er hinter sich das Klirren der Karaffe.
        Inch wartete auf dem Achterdeck und sah mit besorgtem Pferdegesicht zu, wie Bolitho erst den Kompa? und dann den Stand der Segel prufte.
        Er meldete:»Kurs Sud zu West, Sir.»
        Bolitho nickte geistesabwesend, denn seine Gedanken waren noch immer bei Pelham-Martins seltsamem Benehmen. Er hatte erwartet, da? der Kommodore Besturzung uber seine Verwundung au?ern wurde und uber das Unrecht, da? gerade er - als einziger der Besatzung - getroffen worden war. Stattdessen schien er endlich eine Rechtfertigung fur sein Verhalten gefunden zu haben, die niemand anzweifeln konnte. Er war verwundet worden. Anscheinend nicht schwe r genug, um von seinem Kommando abgelost zu werden, aber ausreichend, um ihn von jeder aktiven Mitwirkung bei den wichtigen Entscheidungen, denen sie sich jetzt gegenubersahen, auszuschlie?en.
        Inch sagte:»Ich war gespannt, welche Befehle wir als nachstes bekommen wurden.»
        Bolitho ging an ihm vorbei.»Seien wir auf der Hut, Mr. Inch.»

«Sir?»

«Bis jetzt haben wir keine brauchbaren Hinweise bekommen. «Er blickte zur eroberten Fregatte hinuber, die hinter der Spartan hin und her pendelte und den Union Jack im roten Feld uber der Trikolore gesetzt hatte.»Wir haben ja ein paar Gefangene gemacht. Vielleicht erfahren wir von ihnen etwas uber Lequillers Absichten. «Sein Blick wanderte hinauf zu Pelham-Martins Kommodorestander.»Und wenn wir die haben, Mr. Inch, dann befinden wir uns ihm gegenuber zur Abwechslung einmal im Vorteil.»
        Er ging auf die Leeseite und schaute nach Steuerbord achteraus. Die Sonne hatte sich ihren Weg durch die Wolkenschicht gebahnt, und er fuhlte die Warme in seinen ermudeten Korper zuruckkehren. Er warf einen Blick zuruck auf die kleinen Inseln, die im aufkommenden Dunst immer mehr verschwanden. Es gab so vieles zu tun; vielleicht hatte Farquhar inzwischen weitere Hinweise, die von Nutzen fur sie sein konnten. Aber zunachst war es notwendig, da? sie die Verwundeten und die beschadigten Schiffe nach St. Kruis zuruckbrachten.
        Dort wurde es viel Wehklagen geben, wenn sie die Telamon sahen, dachte er betrubt. Man konnte nur hoffen, da? ihr gro?es Opfer nicht umsonst gewesen war.
        Am Mittag des folgenden Tages war nur noch wenig von den bedrohlichen Wetterzeichen zu sehen, die ihre Abfahrt so beschleunigt hatten. Als die langsame Prozession der Schiffe in die Bucht einlief und die Anker fallen lie?, strahlte die Sonne auf eine spiegelglatte Wasserflache herab, als wolle sie dafur sorgen, da? den stummen Beobachtern an Land auch ja nichts verborgen blieb.
        Bolitho stand auf der Schanz und beschattete seine Augen gegen das blendende Licht. Er sah, wie die Telamon, die schon so tief abgesackt war, da? das Wasser ihre unteren Stuckpforten bedeckte, auf den Sandstrand unterhalb der Landzunge gezogen und auf Grund gesetzt wurde. Alle verfugbaren Boote waren ausgesetzt worden, um ihre Verwundeten an Land zu bringen. Dort warteten viele Leute, meist Frauen, die den ankommenden Booten im flachen Wasser entgegenwateten, um so fruh wie moglich hineinzuschauen. Ihr Schmerz wirkte auf die gro?e Entfernung keineswegs geringer.
        Auf der erbeuteten Fregatte, die unterhalb der Hugelbatterie geankert hatte, ruhrten sich viele Hande, um unter der Leitung von Farquhar Vorbereitungen zur Ausschiffung der Gefangenen zu treffen und gleichzeitig die Schaden aus dem Gefecht mit allen zur
        Verfugung stehenden Mitteln zu beseitigen. Hugh wurde bald zuruckkehren. Bolitho bi? sich auf die Lippe. Es war seltsam, wie er seine privaten Probleme wahrend der Jagd vergessen hatte. Und ihr Hauptproblem war immer noch, wie man den Kommodore aus seiner unerschutterlichen Stumpfheit rei?en konnte. Er drehte sich schnell um, als von der Hugelbatterie ein Schu?
        fiel.
        Inch kletterte zur Schanz hinauf.»Sie haben ein Schiff gesichtet,
        Sir.»
        Bolitho starrte uber den flachen Teil der Landzunge hinweg auf die offene See. Es mu?te schon um das Kap herum sein und Kurs auf die Bucht genommen haben. Ein einzelnes Schiff konnte kaum ein Feind sein. Er sah Inch an.»Sicherlich Verstarkung fur uns. «Er ging zur Reling.»Endlich!»
        Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis das einlaufende Schiff sich in voller Gro?e zeigte, und als es langsam in die Bucht hineinkreuzte, konnte sich Bolitho eines Gefuhls der Erleichterung und der Hoffnung kaum noch erwehren. Es war ein Zweidecker, aber kleiner als die Hyperion. Im hellen Sonnenlicht sah er die erst kurzlich gestrichenen Bordwande und die frisch vergoldete Galionsfigur glanzen.
        Signalflaggen wurden wie von Zauberhand an ihren Rahen hochgezogen, und er horte, wie Carlyon dem wachhabenden Offizier zurief:»Es ist die Impulsive, vierundsechzig Kanonen, Sir. Sie hat Depeschen fur den Kommodore.»
        Inch sagte:»Von England!«Es kam aus tiefstem Herzen.
        Bolitho sagte nichts. Die Impulsive war da, und mit ihr sein Freund Thomas Herrick. Er fuhlte, wie seine Glieder zitterten, als ob das alte Fieber wieder ausgebrochen ware, aber er achtete nicht darauf. Endlich jemand, dem er sich anvertrauen konnte. Der einzige Mann, mit dem er je Gedanken und Sorgen geteilt hatte, damals, als Herrick noch sein Erster Offizier war, und jetzt als Kommandant eines Linienschiffes. Er war da, und nichts konnte mehr so schlimm sein, wie es vor dem Krachen des Signalgeschutzes gewesen war.
        Er eilte die Leiter hinunter und sah seine Leute auf den Laufbrucken zu dem Neuankommling hinuberstarren. Genau wie fur ihn selber, war er ihnen mehr als nur eine Verstarkung. Die Impulsive kam aus England, und das bedeutete, da? sie fur jeden etwas Besonderes darstellte: die Erinnerung an ein Dorf, eine grune Wiese, an das Gesicht eines geliebten Menschen.
        Leutnant Roth stand schon an der Einla?pforte und musterte die angetretene Ehrenwache.
        Bolitho beobachtete, wie der Anker der Impulsive ins Wasser klatschte und wie flink die Segel an den Rahen festgemacht wurden. Herrick hatte sich nicht zugetraut, selber ein Schiff zu fuhren. Oft genug hatte Bolitho ihm gesagt, da? er grundlos an seinen Fahigkeiten zweifle. Was er soeben an perfekter Seemannschaft gezeigt hatte, bestatigte das vollig.
        Er horte, wie Inch Leutnant Roth erzahlte, da? der Kommandant, den sie gleich an Bord empfangen wurden, fruher einmal Erster Offizier auf der Hyperion gewesen war. Er war gespannt, ob Herrick bemerken wurde, welche Veranderungen mit Inch infolge seiner gro?eren Verantwortung und vieler harter Arbeit vorgegangen war. Es wurde ihm vielleicht wie ein kleines Wunder vorkommen. Bolitho mu?te bei dem Gedanken an ihr Zusammentreffen lacheln. Aus dem Augenwinkel sah er Hauptmann Dawson seinen Sabel ziehen und die angetretenen Seesoldaten Haltung annehmen, als das Boot der Impulsive in die Kette der Rusteisen einhakte.
        Als ein Dreispitz in der Einla?pforte auftauchte und die Bootsmannsmaatenpfeifen trillerten, trat Bolitho vor und streckte beide Hande zum Willkommensgru? aus.
        Kapitan Herrick kletterte durch die Pforte und nahm seinen Hut ab. Dann ergriff er Bolithos Hande und hielt sie einige Sekunden fest. Seine Augen, die so strahlend blau und klar waren wie am ersten Tag, als sie einander begegnet waren, musterten ihn mit offensichtlicher Bewegung.
        Bolitho sagte:»Es tut gut, Sie hier zu haben, Thomas. «Er nahm ihn am Arm und fuhrte ihn zur Achterdeckstreppe.»Der Kommodore leidet noch an einer Verwundung, aber ich werde Sie sofort zu ihm bringen. «Er machte eine Pause und sah ihn wiederum an.»Wie sieht's aus in England? Konnten Sie Cheney noch sehen, bevor Sie ausliefen?»

«Ich habe Plymouth angelaufen, um Vorrate zu erganzen, und bin auch aufs Land gefahren, um sie zu besuchen. «Herrick drehte sich um und ergriff seine Hande. Mein Gott, wie soll ich es Ihnen sagen?»
        Bolitho starrte ihn an, und es lief ihm eiskalt uber den Rucken.»Was ist los? Ist etwas passiert?»
        Herrick sah an ihm vorbei, und vor seinem Blick verwischte sich alles, als er noch einmal seinen Teil dieses schrecklichen Dramas durchlebte.

«Sie hatte Ihre Schwester besucht. Es sollte die letzte Reise sein, bevor das Kind geboren wurde. In der Nahe von St. Budock mu? irgend etwas die Pferde erschreckt haben, denn sie gingen plotzlich durch, die Kutsche kam von der Stra?e ab und sturzte um. «Er machte eine Pause, aber als Bolitho nichts sagte, fuhr er fort: Der Kutscher war sofort tot, und Ferguson, Ihr Verwalter, der mit im Wagen sa?, zunachst besinnungslos. Als er wieder zu sich gekommen war, trug er Cheney zwei Meilen weit. «Er mu?te heftig schlucken.»Fur einen Einarmigen war das gewi? wie hundert Meilen. «Er fa?te Bolithos Hande mit festem Griff.»Aber sie war tot. Ich habe den Doktor des Ortes und den Garnisonsarzt von Truro, der herubergeritten kam, gesprochen. Sie konnten nichts mehr fur sie tun. «Er senkte den Blick.»Und auch nicht fur das Kind.»

«Tot? «Bolitho zog die Hande zuruck und trat zur Reling. Hinter ihm gingen die Seesoldaten der Ehrenwache plaudernd auf dem Weg in ihr Wohndeck vorbei, und hoch uber ihm auf der Gro?rah sa? ein Matrose und pfiff bei seiner Arbeit munter vor sich hin. Wie durch einen Nebel erkannte er Allday, der ihn von der obersten Stufe der Achterdeckstreppe beobachtete. Aus diesem Blickwinkel wirkte er kleiner, und sein Gesicht lag im Schatten. Es konnte nicht sein. Im nachsten Augenblick wurde er aufwachen, dann war alles wieder wie zuvor.
        Herrick rief:»Allday, sorgen Sie fur Ihren Kommandanten!»
        Und als Inch mit uberraschtem und fragendem Gesicht auf ihn zutrat, gab er ihm einen Klapps auf die Schulter und sagte:»Melden Sie mich beim Kommodore, ob er verwundet ist oder nicht. «Er streckte den Arm aus, als Inch zu Bolitho hinubergehen wollte.»Und zwar sofort, Mr. Inch!»
        Allday schritt schweigend neben Bolitho her, bis sie den Kartenraum erreicht hatten. Als Bolitho gleich am Schott in einen Stuhl sank, fragte er leise:»Was ist passiert, Kapt'n?»

«Meine Frau, Allday! Cheney…»
        Doch ihren Namen auszusprechen, war zu viel. Er fiel nach vorn auf den Kartentisch und vergrub das Gesicht in den Armen, unfahig, seine Verzweiflung langer zu verbergen.
        Allday stand Stockstill, uberwaltigt von Bolithos Kummer und seiner eigenen Unfahigkeit, ihm zu helfen.

«Ruhen Sie sich aus, Kapt'n. Ich hole Ihnen einen Drink.»
        Er ging zur Tur, die Augen auf Bolithos Rucken gerichtet.»Wir werden wieder in Ordnung kommen, Kapt'n, passen Sie auf. «Dann rannte er aus dem Kartenraum, nur darauf bedacht, irgendwie zu helfen.
        Wieder allein, richtete Bolitho sich vom Tisch auf und lehnte sich gegen das Schott. Dann, ganz vorsichtig, knopfte er sein Hemd auf der Brust auf, nahm das Medaillon heraus und umschlo? es fest mit der Faust.



        XVI Eine Privatangelegenheit

        Allday betrat vorsichtig die Kajute und stellte die gro?e Kaffeekanne auf den Tisch. Das fruhe Licht der Morgensonne warf ein helles Muster flimmernder Reflexe auf die Decksbalken. Einen Augenblick konnte er nicht erkennen, wo Bolitho war. Was wollen Sie?»
        Er drehte sich um und sah, da? Bolitho auf der Heckbank unter einem der offenen Fenster lag. Sein Korper war gegen den schweren Rahmen gepre?t, und sein Gesicht erschien wie ein Schattenri? vor dem glitzernden Wasser unten. Sein Hemd war zerknittert und stand bis zur Taille offen. Das schwarze Haar hing ihm in die Stirn, wahrend er teilnahmslos auf die fernen Hugel starrte.
        Allday bi? sich auf die Unterlippe. Es war offenbar, da? Bolitho nicht geschlafen hatte. In dem hellen Licht konnte er die Schatten unter seinen Augen sehen und die tiefe Verzweiflung seiner Zuge.
        Er antwortete:»Hab' Ihnen Kaffee gebracht, Kapt'n. Und Petch serviert Ihr Fruhstuck, sobald Sie soweit sind. «Er ging langsam um den Tisch.»Sie hatten sich ins Bett legen sollen. Sie haben nicht geschlafen, seit…»

«Lassen Sie mich allein!«In Bolithos Stimme lag weder Arger noch Ungeduld.»Wenn Sie etwas fur mich tun wollen, dann holen Sie mir Brandy.»
        Allday warf einen schnellen Blick zum Tisch. Neben einem zerknullten Brief lag ein leeres Glas. Von der Karaffe war nichts zu sehen.»Es ist unklug, Kapt'n…«Er stockte, als Bolitho den Kopf wandte.»Lassen Sie mich erst Ihr Essen holen.»
        Bolitho schien ihn nicht zu horen.

«Erinnern Sie sich, was sie sagte, als wir Plymouth verlie?en, Allday? Sie sagte, wir sollten auf uns aufpassen. «Er pre?te die Schultern gegen den Rahmen.»Doch sie starb. «Er wischte die rebellische Locke mit einer Handbewegung aus der Stirn, und All-day sah dadurch die furchterliche Narbe uber dem Auge, die sich wie ein Brandmal von seiner Haut abhob. Die Geste war ihm wie alles an Bolitho so vertraut, da? ihn Ruhrung uberkam.

«Mrs. Bolitho hatte bestimmt nicht gewollt, da? Sie sich derart gramen, Kapt'n.
«Er kam ein paar Schritte naher.»Als sie an Bord der alten Hyperion im Mittelmeer war, bewies sie mehr Mut als mancher unserer Manner. Nie habe ich sie klagen horen, wenn es einmal schlecht um uns stand. Sie ware sehr unglucklich, Sie so niedergeschlagen zu sehen. Und dann denken Sie an die Zeit in Plymouth, als wir das Schiff ausrusteten. Das waren schone Tage. «Allday stutzte die Hande auf den Tisch, und seine Worten wurden plotzlich flehend.»Sie mussen versuchen, sich an die guten Zeiten zu erinnern, Kapt'n. Ihr zuliebe, aber auch in Ihrem eigenen Interesse.»
        Ein Seesoldat klopfte an die Kajutentur, und Allday fuhr mit einem gedampften Fluch herum.»Raus, verdammt noch mal! Ich habe doch angeordnet, da? der Kommandant alleingelassen wird!»
        Das Gesicht des Seesoldaten blieb unbewegt.»Verzeihung, aber ich soll dem Kommandanten melden, da? ein Boot von der Impulsive abgesetzt hat.»
        Allday ging zur Tur und warf sie zu.»Ich werde es ihm ausrichten. «Dann wischte er sich die Hande an den Schenkeln ab und uberlegte, was er tun solle.
        Ein schneller Blick zur verschlossenen Tur der Schlafkammer sagte ihm, da? der Kommodore noch schlief. Sein Mund verzog sich spottisch. Oder - was wahrscheinlicher war - noch im Rausch lag. Kapitan Herrick kam an Bord, und er war ein Freund. Und soweit Allday wu?te, war er der einzige, der Bolitho jetzt helfen konnte.
        Er machte ein entschlossenes Gesicht: nicht einmal Herrick sollte Bolitho in diesem Zustand zu Gesicht bekommen: in derangierter Uniform und unrasiert, und den Magen mit mehr Brandy gefullt, als er vertragen konnte.
        Fest sagte er:»Ich werde Sie jetzt rasieren, Kapt'n. Wahrend ich warmes Wasser aus der Kombuse hole, konnten Sie mit dem Kaffee beginnen. «Er zogerte, bevor er hinzusetzte:»Sie hat ihn uns mitgegeben, als wir Plymouth verlie?en.»
        Bevor Bolitho antworten konnte, eilte er aus der Kajute.
        Bolitho schwang die Fu?e an Deck und streckte die Hand aus, um sich festzuhalten, weil ihn Ubelkeit uberwaltigte. Er war durstig und so mude, da? er fast in sich zusammengesackt ware; aber All-days letzte Worte veranla?ten ihn, zum Tisch hinuberzugehen.
        Er mu?te die Zahne zusammenbei?en, als er etwas Kaffee in den Becher go?. Seine Hand zitterte so stark, da? er erst beim zweiten Versuch Erfolg hatte. Dabei rann ihm der Schwei? den Rucken hinunter, als ob er gerade aus einem Alptraum erwacht ware. Aber es war kein boser Traum, den man beiseite schieben konnte, weder jetzt noch jemals.
        Er dachte an Alldays verzweifelte Versuche, ihn aus seiner Lethargie aufzurutteln, an die Blicke, die ihm zugeworfen worden waren, wenn er sich nachts an Deck gezeigt hatte. Einige Blicke waren voller Mitgefuhl und Sympathie gewesen, als ob die Leute wie Allday seinen Schmerz mit ihm teilten. Andere hatten ihn nur neugierig und mit unverhohlener Uberraschung beobachtet. Meinten sie, weil er ihr Kommandant war, sei er erhaben uber jeden Kummer und privaten Schicksalsschlag? Stunde er uber allen menschlichen Regungen, wie er uber ihrer Welt stand?
        Wahrend der Nacht war er ruhelos auf dem Oberdeck herumgewandert, nur halb dessen bewu?t, was er tat und wohin ihn seine Fu?e trugen. Vom nachtlichen Himmel und dem Gewebe der Takelage uber sich hatte er etwas Ruhe zuruckgewonnen, und wahrend er ziellos uber die verlassenen Decks streifte, hatte er das Schiff um sich herum wie ein lebendes Wesen gespurt, das durch seinen Kummer ebenfalls verstummt war. Danach war er in die leere Kajute zuruckgekehrt und hatte sich an das offene Fenster gesetzt, hatte den unverdunnten Brandy getrunken, ohne ihn zu schmecken, und hatte gewu?t, da? auf dem Tisch ein Brief lag, den zu lesen er nicht den Mut hatte. Ihr letzter Brief. So voller Hoffnung und Zuversicht.
        Allday trat in die Kajute und legte das Rasierzeug auf den Tisch.»Fertig, Kapt'n? Er sah zu, wie Bolitho sich schwerfallig zu seinem Stuhl bewegte.»Der Kommandant der Impulsive wird in wenigen Augenblicken an Bord sein.»
        Bolitho nickte und lehnte sich im Stuhl zuruck. Seine totale Mudigkeit machte ihn wehrlos, als Allday ihm das Gesicht einseifte.
        Fu?e trampelten uber seinem Kopf, und er horte das regelma?ige Rauschen von Wasser, als die tagliche Routine des Deckwaschens begann. Normalerweise hatte er zugehort und eine seltsame Beruhigung bei diesem vertrauten Gerausch empfunden, wenn er sich dazu die Gesichter der Leute vorstellte, die sich allerlei zuriefen, aber seinen Blicken verborgen blieben. Er fuhlte, wie das Rasiermesser schnell uber seine Wangen glitt und spurte, da? Allday ihn beobachtete. Alles war anders als bisher. Im schien, als ob die verschlossene Kajutentur ihn nicht nur vom Schiff, sondern von der ganzen ubrigen Welt trennte.
        Das Rasiermesser verhielt mitten in der Luft, und er horte Inch vom Eingang rufen: Kapitan Herrick ist an Bord gekommen, Sir. Die anderen Kommandanten werden bei acht Glasen erscheinen.»
        Bolitho schluckte und schmeckte den Brandy wie Feuer auf seiner Zunge. Die anderen Kommandanten? Es bereitete ihm physische Anstrengung, sich zu erinnern: Herrick, der von seiner kurzen Besprechung mit dem Kommodore zuruckgekommen war. Inch, zwischen Trauer und Anteilnahme hin- und hergerissen, und viele andere, die in dem allgemeinen Durcheinander seiner Gefuhle wie Schemen aufgetaucht und verschwunden waren.
        Inch fugte hinzu:»Sie kommen zur nachsten Sitzung, Sir.»

«Ja, danke. Bitte sagen Sie Kapitan Herrick, er mochte eine Tasse Kaffee trinken, wahrend er warten mu?.»
        Die Tur schlo? sich wieder, und er horte Allday wutend murmeln:»Eine schone Konferenz wird das werden!»
        Er fragte:»Geht es dem Kommodore schon besser?»
        Allday nickte.»Aye, Kapt'n. Petch kummert sich um ihn.»Es gelang ihm nicht, die Bitterkeit in seinem Ton zu unterdrucken.

«Soll ich Kapitan Herrick fragen, ob er ihm alles erklaren will?«Er wischte Bolithos Gesicht mit einem feuchten Handtuch ab.»Pardon, aber ich glaube, Sie sollten an dieser Konferenz nicht teilnehmen.»
        Bolitho stand auf und erlaubte Allday, da? er ihm das zerknitterte Hemd auszog.

«Sie haben recht, sie ist freiwillig. Nun seien Sie so freundlich und beenden Sie Ihre Arbeit und lassen Sie mich dann in Frieden.»
        Petch kam aus der Schlafkammer, Pelham-Martins Galarock uber dem Arm.
        Allday nahm den Rock und hielt ihn gegen das reflektierte Sonnenlicht. Der eingetrocknete Blutfleck wirkte schwarz in dem strahlenden Glanz der Goldstickereien, und als er einen Finger durch das winzige Loch steckte, das der Splitter gerissen hatte, sagte er:»Nicht gro?er als von einer Florettspitze. «Er warf Petch den Rock mit offenkundigem Ekel zuruck.
        Bolitho zog das Halstuch fester und empfand das frische Hemd angenehm kuhl auf seiner Haut. Innerlich registrierte er all diese Dinge, aber er nahm keinen Anteil daran. Das kleine Loch im Stoff, Pelham-Martins deutliche Absicht, ein Invalide zu bleiben, sogar die Notwendigkeit, da? etwas unternommen wurde, alles schien au?erhalb seines Bewu?tseins zu liegen und so fern wie der Horizont.
        Die plotzliche Aussicht auf eine Zusammenkunft mit den anderen Kommandanten machte ihn nur nervos. Diese beobachtenden Blik-ke, ihr Beileid und ihr Mitgefuhl.
        Er fuhr Allday an:»Sagen Sie Kapitan Herrick, er soll nach achtern kommen. «Als Allday zur Tur ging, rief er ihm scharf nach:»Und ich mochte gleich eine neue Karaffe!»
        Er senkte den Blick, da er Alldays besorgten Ausdruck nicht ertragen konnte. Die Anteilnahme dieses einfachen Mannes und sein Wunsch, ihm zu helfen, waren beinahe schwerer auszuhalten als Verachtung. Allday hatte sich vielleicht weniger um ihn gesorgt, wenn er gesehen hatte, wie er am offenen Fenster geschluchzt hatte. Wenn er von seinem plotzlichen Impuls gewu?t hatte, der leeren Karaffe, die er in das Spiegelbild der Sterne hinter dem Heck des Schiffes geworfen hatte, nachzuspringen.
        Herrick kam, den Hut unter dem Arm, das Gesicht zu einem zuruckhaltenden Lacheln verzogen.

«Ich komme sicher ungelegen, aber ich dachte, es sei besser, wenn ich Sie vor den anderen spreche.»
        Bolitho schob ihm einen Stuhl zu.»Vielen Dank, Thomas. Sie kommen nie ungelegen.»
        Petch trat ein und stellte eine volle Karaffe auf den Tisch.
        Bolitho sah seinen Freund an.»Ein Glas, bevor wir anfangen?«Er versuchte zu lacheln, aber es wirkte wie erfroren.

«Aye, ich konnte einen brauchen. «Herrick beobachtete Bolithos Hand, als die Karaffe gegen das Glas stie?.
        Dann sagte er ruhig:»Bevor wir zum Kommodore gehen, gibt es einige Dinge, die ich Ihnen sagen sollte. «Er nippte an seinem Glas.»Die Neuigkeiten, die ich von England mitgebracht habe, sind nicht gut. Die Franzosen sind in den letzten Monaten mehrfach aus ihren Hafen ausgebrochen, selbst aus Toulon. Dort stie?en sie aber auf Vizeadmiral Hothams Geschwader, der sie zuruckwarf. «Er seufzte.»Der Krieg gewinnt an Dynamik, und einige unserer hohen Herren scheinen der Schnelligkeit des feindlichen Denkens nicht gewachsen zu sein. «Sein Blick folgte der Karaffe, als Bolitho ein neues Glas eingo?.»Lord Howe hat das Kommando uber die Kanalflotte an Viscount Bridport abgegeben, so mag es wenigstens dort einige Verbesserungen geben.»
        Bolitho hielt das Glas gegen das Licht.»Und was wird mit uns, Thomas? Wann kommen unsere weiteren Verstarkungen? Wohl gerade rechtzeitig genug, um von Lequillers Sieg uber uns zu erfahren?»
        Herrick betrachtete ihn ernst.»Es sind keine Schiffe mehr ubrig. Meines ist das einzige, das fur das Geschwader freigemacht werden konnte.»
        Bolitho starrte ihn an und schuttelte dann den Kopf.»Ich kann mir vorstellen, da? unser Kommodore sich fur diesen Teil Ihrer Neuigkeiten besonders interessiert hat.

        Er trank einen we iteren Schluck und lehnte sich im Stuhl zuruck, wahrend der Brandy wie gluhendes Eisen in seinen Magen rann.
        Herrick erwiderte:»Ich wei? uberhaupt nicht, woran ich bei ihm bin. «Er setzte sein Glas auf den Tisch und hielt die Hand daruber, als Bolitho es erneut fullen wollte.»Man mu?te ihn zum Handeln zwingen. Ich habe mit Fitzmaurice und dem jungen Farquhar gesprochen und von ihnen gehort, wie Sie uber Lequillers Absichten denken. Das scheint mir nur logisch zu sein, aber die Zeit arbeitet gegen uns. Wenn wir die Franzosen nicht zum Kampf stellen konnen, sind wir hier nutzlos und lie?en uns besser in die Heimatflotte einreihen.»

«So, Sie haben also daruber mit ihnen gesprochen?»
        Herrick sah auf den Tisch hinunter.

«Und was haben Sie noch herausbekommen?»

«Da? jeder Erfolg, den dieses Geschwader erzielt hat, auf Ihre Initiative zuruckging. «Herrick stand auf, und sein Gesichtsausdruck wurde plotzlich streng. Ich bin mit Ihnen manches Mal im Gefecht gewesen und habe in Situationen, die schlimmer waren, als manche Leute es fur moglich hielten, an Ihrer Seite gestanden. Sie wissen sehr gut, was mir unsere Freundschaft bedeutet und da? ich auf der Stelle fur Sie in den Tod gehen wurde, wenn ich uberzeugt ware, da? das helfen wurde. Darum und in Anbetracht dessen, was wir gemeinsam erlebt und geleistet haben, glaube ich, das Recht zu besitzen.»
        Er stockte, als Bolitho kuhl fragte:»Was fur ein Recht ware das?»

«Das Recht, meine Meinung zu sagen, selbst auf die Gefahr hin, damit eine alte Freundschaft zu zerstoren. «Bolitho blickte weg.»Also?»

«In all den Jahren habe ich Sie nie so gesehen wie jetzt. «Er machte eine Geste zur Karaffe hin.»Immer waren Sie bereit, anderen zu helfen und sie zu verstehen, ohne Rucksicht auf Ihre eigenen Empfindungen. Der Verlust Ihrer Frau ist schrecklich. Sie bedeutete auch mir sehr viel, wie Sie sicher wissen. Und es gibt keinen Mann der sie kannte hier an Bord, der jetzt nicht Ihren Schmerz teilt. «Er setzte entschlossen hinzu:»Aber gemessen an dem, was Sie glauben und was Sie andere hinzunehmen gelehrt haben, ist dies eine Privatangelegenheit. Und als solche kann sie nicht, nein, darf sie nicht Ihr Handeln in einem Augenblick beeinflussen, da Sie von uns allen dringend gebraucht werden.»
        Bolitho sah ihn kuhl an.»Sind Sie fertig?»

«Noch nicht ganz. Sie haben mir oft gesagt, Verantwortung und Befehlsbefugnis seien Vorrechte, aber kein Recht, das sich jederman nehmen kann. Als wir noch auf Fregatten Dienst taten und unser einziges Risiko der Verlust unseres eigenen Lebens war, lebten wir in einer anderen Welt. Hier aber konnten unsere Schiffe uber gro?ere Entwicklungen, die wir noch kaum verstehen, entscheiden. «Er schaute bose zur Tur des Schlafraums.»Und wenn wir ein Vorbild suchen, wen haben wir da? Einen Mann, der sich selber etwas vormacht und nur daran denkt, wie er seine Haut retten kann. «Er drehte sich um und sah Bolitho erneut mit gequaltem, aber festem Blick an.»Darum schauen wir auf Sie. Auf den Kommandanten der Hyperion und einen Mann, der nie seinen Vorteil vor Ehre und Pflicht gestellt hat. «Er holte tief Luft.»Auf den Mann, den Cheney Seton sich zum Ehemann ausersehen hatte.»
        Weit weg horte Bolitho Pfeifen und das Gerausch langsseit kommender Boote. Die ganze Kajute schien im Nebel zu schwimmen, und die Worte fur eine bei?ende Entgegnung wollten sich nicht einstellen.
        Als er neben dem Tisch stand, trat Herrick vor und ergriff seine Hande.»Glauben Sie mir, Richard, ich wei?, was Sie durchmachen. «Er sah ihm ins Gesicht.»Ich wei? es!»
        Bolitho sah ihn ebenfalls an, und ein Schauder uberlief ihn.»Vielen Dank, Thomas. Ich wu?te kaum etwas, das unsere Freundschaft jemals zerstoren konnte. Und da? Sie Ihre Meinung gesagt haben, gehort nicht dazu, da bin ich sicher.»
        Herrick nickte, loste aber nicht seinen Griff um Bolithos Hande. Er sagte:»Ich bin lange genug Seeoffizier, um zu wissen, da? es in unserem Leben nicht die Pelham-Martins sind, die zahlen. Sie und Manner wie Sie, welche Zeit gefunden haben, fur andere zu denken und vorauszuplanen, werden schlie?lich entscheiden, was an unserer Sache recht oder unrecht ist. Und eines Tages, vielleicht noch zu unseren Lebzeiten, werden wir dank eines solchen Beispiels eine bessere Marine haben als heute. Eine Marine, in die einzutreten Manner als Berufung ansehen, nicht als verha?ten Zwang. «Ein kurzes Lacheln huschte uber sein Gesicht.»Tyrannen und einflu?reiche Einfaltspinsel pflegen sich bei wirklicher Gefahr zu verziehen.»
        Bolitho schluckte heftig.»Manchmal glaube ich, da? ich Ihnen ein schlechtes Beispiel gegeben habe, Thomas. Sie waren schon immer ein Idealist, aber jetzt, da Sie ein Schiff zu kommandieren haben, mussen Sie diese Ideale ein wenig zuruckstecken und mit den Fortschritten, die Sie selber erreicht haben, zufrieden sein. «Dann lachelte er.»Nun wollen wir die anderen begru?en. «Er schaute auf die Karaffe hinunter und setzte leise hinzu:»Sie enthielt auch nur wenig Trost.»
        Aber spater, als er mit den anderen um Pelham-Martins Koje herumstand, wu?te er, da? ihnen Schlimmeres bevorstand, als er fur moglich gehalten hatte.
        In der kleinen Kammer war es druckend hei?. Das Oberlicht war fest geschlossen und nur eine kleine Stuckpforte einen Spalt offen, durch den etwas Seeluft hereindrang. Der Kommodore hatte offenbar ein opulentes Fruhstuck genossen, denn neben seiner Koje standen mehrere leere Teller. Es roch ubel nach Brandy und Schwei?.
        Pelham-Martin sah ganz wie fruher aus. Sein rundes Gesicht glanzte rosarot in der Warme, und sein machtiger Korper war bis zum Kinn mit einem Laken bedeckt. Die Gruppe wirkte eher wie Trauernde um einen Leichnam als wie Kommandanten, die auf ein Wort ihres Vorgesetzten warteten.
        Bolitho sagte:»Wir sind alle zur Stelle, Sir. «Er warf einen Blick auf die anderen, registrierte den unterschiedlichen Ausdruck ihrer Gesichter und empfand das vollige Fehlen eigenen Engagements. Er fuhlte sich wie ein unbeteiligter Zuschauer.
        Fitzmaurice blickte grimmig vor sich hin, wahrend Farquhar uber den Anblick des Kommodore eher zornig als besorgt schien. Lam-be, der junge Kommandant der Korvette Dasher, der neben Herrick stand, war vielleicht am meisten bewegt. Es schien ihm unmoglich, den Blick von Pelham-Martins Gesicht zu rei?en, und er schaute auf die Koje wie jemand, der Augenzeuge von etwas vollig Unverstandlichem wird.
        Pelham-Martin leckte sich die Unterlippe und sagte dann mit belegter Stimme:»Sie alle haben Kapitan Herricks Neuigkeiten gehort und werden zweifellos die Unmoglichkeit unserer jetzigen Lage erkannt haben. «Er seufzte tief.»Es war gut, da? ich die Nisus weggeschickt habe. Andere werden nun entscheiden, was zu geschehen hat, wenn Lequiller nach Frankreich zuruckkehrt oder wohin ihn seine Befehle sonst fuhren.»
        Fitzmaurice sagte:»Und welche Absichten haben Sie mit uns,
        Sir?»

«Was kann ich tun ohne mehr Schiffe?«Seine Lippen verzogen sich, so da? er fur einen Augenblick aussah wie ein schmollendes Kind.»Man hat mir eine unmogliche Aufgabe gestellt. Ich habe nicht die Absicht, die Chancen meiner Feinde dadurch zu fordern, da? ich zu einer unsinnigen Verfolgungsjagd aufbreche.»
        Herrick sprach langsam und bedacht:»Ich glaube, da? Kapitan Bolitho recht hat, Sir. Dieser Perez von Las Mercedes ist ein Trumpf-As in der Hand der Franzosen, das sie fur einen Aufstand benutzen konnen, um damit einen weiteren Keil zwischen uns und Spanien zu treiben.»
        Der Kommodore wandte ihm das Gesicht zu.»Wollen Sie damit sagen, ich solle dieses Geschwader auf irgendein dummes, unbegrundetes Gerucht hin funftausend Meilen uber den Ozean segeln lassen?«Sein Gesicht zuckte, und er lie? den Kopf auf das durchschwitzte Kissen sinken.»Wenn Sie das glauben, Herrick, sind Sie noch beschrankter, als ich Ihnen zugetraut hatte.»
        Fitzmaurice schaute zu Bolitho hinuber, als erwarte er von ihm Fuhrung und Beispiel. Dann sagte er nur kurz:»Ich meine, Sie sollten mehr Rucksicht auf Ihre Wunde nehmen, Sir. Es ist gefahrlich, sie unbehandelt zu lassen.»
        Pelham-Martin sah in finster an.»Diese Fursorge macht Ihnen Ehre. Es ist traurig, da? die anderen nur so sparliches Mitgefuhl gezeigt haben.»
        Bolitho ballte die Fauste und starrte auf das Wandschott jenseits der Koje. Die Hitze in der Kammer, der Brandy und die uberwaltigende Aussicht auf eine Niederlage machten ihn fast unempfanglich fur die Spannung ringsum. Wahrend er seinen Blick auf das Schott gerichtet hielt, scho? eine Erinnerung durch seinen Kopf, die ihn fast wieder in Verzweiflung warf. In dieser Kammer hatte Cheney wahrend ihrer Fahrt von Gibraltar nach Cozar geschlafen. In dieser Kammer und in dieser Koje, wahrend er in einiger Entfernung von ihr geblieben war, sich aber mit jeder Stunde ihr naher gefuhlt hatte.
        Die anderen sahen ihn an, als er mit einiger Scharfe sagte:»Es gibt keine andere Moglichkeit: Sie mussen die Jagd aufnehmen. «Sein Blick blieb weiter auf einen Punkt uber der Koje gerichtet.

«Kapitan Fitzmaurice hat Gefangene von der Prise an Bord, darunter den Kommandanten. Wir sollten aus ihnen einiges herausholen konnen.»
        Pelham-Martins aufsteigender Arger uber Bolithos Unterbrechung machte gleich darauf unverhohlenem Triumph Platz.»

«Wu?ten Sie's noch nicht? Farquhar hat keinerlei Dokumente oder versiegelte Befehle an Bord gefunden.»
        Farquhar wandte sich zu Bolitho um, als der ihn fragend ansah.

«Das stimmt. Sie haben jedes Beweisstuck uber Bord geworfen, als die Niederlage unvermeidlich wurde. Der Erste Offizier ist gefallen, und nur der Kommandant wei? etwas, das uns nutzen konnte, aber er bricht seinen Eid nicht. «Er zog bedauernd die Schultern hoch.»Es tut mir leid, aber ich konnte nichts weiter tun.»
        Pelham-Martin ruhrte sich unter seinem Laken.»Ich mochte einen neuen Verband. Schicken Sie sofort nach meinem Diener!«Er hob den Kopf.»Das ist alles, meine Herren. Ich habe dem im Augenblick nichts hinzuzufugen.»
        Sie gingen hintereinander hinaus und trafen sich in der Kajute. Schweigend blieben sie vor den offenen Fenstern stehen.
        Farquhar sagte schlie?lich bitter:»Das scheint den Fall zu beenden.»
        Aber keiner von ihnen ruhrte sich vom Fenster weg. Bolitho konnte ihre Unsicherheit, ihr Zaudern, als erster das entscheidende Wort zu sagen, fast spuren.
        Er begann ruhig:»Den Befehlen des Kommodore entgegen zu handeln ist Insubordination. «Er sah sie alle der Reihe nach an.»Eine Anderung seiner Taktik ist nur zu erzwingen, wenn man ihn seines Kommandos entbindet!«Seine Stimme blieb ruhig, aber jeder der Offiziere fuhlte sich angesprochen.»Ich will Sie nicht weiter mit hineinziehen, indem ich Sie frage, wie Sie unsere Erfolgschancen einschatzen. Der Kommodore ist verwundet, wie schwer, konnen wir nicht ohne genaue Untersuchung wissen, und die la?t er nicht zu. Um ihn zu suspendieren, mu? ich als der dienstalteste Kommandant ihm entgegentreten und seinen Stander herunterholen.
«Er ging zum Tisch und beruhrte die Tulle der Karaffe mit den Fingern.»Danach bin ich kompromitiert, und - ob zu recht oder unrecht - alle, die meinem Beispiel folgen, auch.»
        Herrick sagte mit fester Stimme:»Ich stehe hinter Ihnen, hier meine Hand darauf.»
        Bolitho lachelte.»Denken Sie erst nach, bevor Sie den Sprung wagen. Wenn der Kommodore gesund wird und unser Vorgehen anzeigt, kann es nur ein einziges Urteil geben. Selbst wenn er es nicht tut, wurde man es als Treulosigkeit, die an Meuterei grenzt, ansehen. Und das besonders, weil gro?e Aussicht auf einen eklatanten Fehlschlag besteht.»
        Fitzmaurice sah ihn finster an.»Es ist ein beunruhigender Vorschlag. Ich wurde lieber hundert Breitseiten entgegensehen als Ihrer Entscheidung.»
        Bolitho entfernte sich vom Tisch und hielt am Kajutschott inne, uber dem sein Sabel hing.

«Uberlegen Sie grundlich, welche Alternativen Sie haben. Falls Sie hier vor Anker warten, bis der Kommodore so weit wiederhergestellt ist, da? er seine Plane andern konnte, wird man Sie spater kritisieren; aber niemand kann Ihnen einen ernsten Vorwurf daraus machen, da? Sie nur seinen Befehl befolgt haben. Wahrend. «Das Wort hing in der Luft.»Wenn Sie mir folgen, konnten Sie in wenigen Wochen Schlimmeres erleiden.»
        Farquhar sagte ruhig:»Sie haben sich also schon entschieden?«Er durchquerte den Raum und schaute zu dem alten Sabel empor.»Der weckt die eine oder andere Erinnerung. «Dann sagte er:»Fur mich gibt es keinen Zweifel. «Er sah die anderen an.»Ich bin dafur, da? wir die Jagd fortsetzen.»
        Bolitho wandte sich ihm zu und betrachtete ihn ernst. Farquhar hatte unter allen Anwesenden vielleicht das meiste zu verlieren. Es war eigenartig, wenn er uberlegte, vor wie kurzer Zeit Farquhar noch sein Midshipman gewesen war und Herrick sein Erster Offizier. Jetzt war er Fregattenkapitan und jung und ehrgeizig genug, um einmal zu hoheren Ehren aufzusteigen. Herricks Reaktion auf seinen Vorschlag war spontan und voraussehbar gewesen. Fur ihn zahlte nur die unbedingte Treue. Keinen Augenblick hatte er die moglichen Folgen ihrer leichtfertigen Verschworung bedacht. Fitzmaurice wurde sich den ubrigen anschlie?en, wahrend der junge Lambe noch nicht ernsthaft mitzahlte, was auch kommen mochte.
        Er verschrankte die Hande hinter dem Rucken und versuchte, die immer wiederkehrenden Konzentrationsschwachen zu uberwinden.
        War er nur durch ihre Reaktionen angetrieben worden, oder hatte er alles von Anfang an so geplant gehabt?
        Er horte sich fragen:»Ist der franzosische Kommandant unter Bewachung an Land?»
        Farquhar schuttelte den Kopf, den Blick immer noch auf Bolithos Gesicht gerichtet. Nein, ihn und die restlichen Offiziere habe ich an Bord der Spartan behalten. Er hei?t Poulain und ist, wie ich glaube, ein sehr harter Mann.»
        Bolitho nahm den Sabel herunter und drehte ihn in den Handen. Wie viele Fahrten, wie viele Kampfe mit den Feinden seines Vaterlandes hatte er miterlebt? Auf fast allen Familienportrats in dem alten Haus in Falmouth war er zu sehen, getragen von Kapitanen und Admiralen, die ebenso vergessen waren wie ihre Schiffe und Kampfe. Beinahe hatte es auch einen Sohn gegeben, der ihn eines Tages hatte tragen konnen. Aber vielleicht war es besser so. Wenn diese Waffe mit Schande bedeckt wurde, war sie besser genauso vergessen wie er.
        Er sagte:»Bringen Sie Kapitan Poulain und seine ubrigen Offiziere auf die Hyperion.«Er machte eine Pause, als er die Betroffenheit auf Herricks Gesicht sah. Und au?erdem zehn von seinen Leuten.»
        Herricks Stimme klang heiser:»Dann sind wir uns also einig?»

«Es scheint so. «Bolitho nickte langsam.»Hoffentlich werden Sie Ihre Zustimmung nicht bereuen mussen.»
        Farquhar griff nach seinem Hut und betrachtete ihn nachdenklich.»Zumindest wissen wir eines: Lequiller hat keine Fregatte mehr, seit wir die Thetis genommen haben. Was uns an Starke fehlt, konnen wir durch gro?ere Beweglichkeit gutmachen. «Ein schnelles Lacheln huschte uber seine Lippen.»Poulain wird genauso neugierig sein wie ich, wenn er von seiner Vorladung erfahrt. Mir scheint, da? er sich mehr Gedanken um seinen Sohn macht, der als Leutnant unter ihm diente, als uber den Verlus t seines Schiffes. Lequiller hat in seinen Untergebenen gro?e Siegeszuversicht geweckt. «Er stulpte den Hut auf und fugte hinzu:»Ich wurde den Verlust meines Schiffes jedenfalls nicht so leichtnehmen.»
        Fitzmaurice sah ihm nach und fragte dann:»Wann werden Sie zum Kommodore gehen?«Er hatte beinahe geflustert, und Bolitho empfand Mitleid mit ihm. Fitzmaurice besa? nur seinen Rang und seine militarischen Verdienste. Die Gewi?heit, da? er im Augenblick der Entscheidung nicht allein dastand, konnte ihn nur wenig trosten.

«Gleich. Aber jetzt - wenn Sie so lange hierbleiben wollen - mochte ich erst an Deck gehen. Ich mu? mit Allday uber eine Angelegenheit sprechen, die sich nicht aufschieben la?t. «Er hangte den Sabel wieder an seinen Haken und ging zur Tur.
        Als sie sich hinter ihm schlo?, stie? Lambe hervor:»Mein Gott, wie kann er so ruhig bleiben, wenn sein Kopf auf dem Spiel steht?»
        Herrick sagte:»Das habe ich mich schon oft gefragt. «Er dachte an Bolithos Augen und das Leid, das dahinter verborgen lag, als er ihnen seine Gedanken entwickelt hatte.»Die Antwort wei? ich immer noch nicht.»
        Weniger als eine Stunde spater, als die Glocke auf der Back gerade zwei Glasen anschlug, ging Bolitho langsam aufs Achterdeck und lehnte sich einen Augenblick an die Reling. Die Sonne warf scharfe Schatten der Rahen und Wanten aufs Deck. Auf der anderen Seite der Bucht sah er ein leichtes Krauseln des Wassers, das sich ihnen naherte und eine frische Brise als Milderung der Nachmittagshitze versprach.
        Im Schiff war es seltsam ruhig, aber er blieb sich der ihn beobachtenden Seeleute auf der Laufbrucke und oben in der Takelage bewu?t, die dem kommenden Schauspiel gespannt entgegensahen.
        Mitten auf dem Hauptdeck standen, umgeben vom scharlachroten Karree der Seesoldaten, die ausgewahlten franzosischen Gefangenen. Ihre Gesichter druckten Neugier und Furcht aus, als sie auf die einsame Gestalt an der Querreling blickten.
        Hauptmann Dawson kam uber das Deck und fa?te zur Ehrenbezeigung kurz an seinen Hut. Sein gerotetes Gesicht war finster und druckte gleichzeitig Besorgnis aus.

«Fertig, Sir.»

«Sehr gut.»
        Bolitho hielt das Gesicht der aufkommenden Brise entgegen und holte tief Luft. Hinter sich horte er schwere Schritte, und als er sich umdrehte, sah er Farquhar, begleitet von einem Seesoldaten, und zwischen ihnen den franzosischen Kommandanten. Er war schon alt fur seinen Rang, machte aber den Eindruck, als ob er etwas konne und viel Selbstbeherrschung besitze. Vor allem schien er, wie Farquhar es beschrieben hatte, ein harter Mann zu sein.

«Sprechen Sie englisch, Kapitan?«Bolitho sah ihn an, seine Stimme war ruhig, aber er spurte Trockenheit in der Kehle angesichts der zahllosen stummen Zuschauer.

«Wie's beliebt. «Kapitan Poulain beobachtete ihn ebenfalls aufmerksam.»Aber dem, was ich Ihrem jungen Offizier gesagt habe, ist nichts hinzuzufugen.»
        Bolitho nickte.»Aha. Sie meinen den jungen Offizier, der Ihnen Ihr Schiff abnahm. Ja, ich verstehe.»
        Poulains Augen warfen argerliche Blitze.»Ich werde nichts mehr sagen. Ich kenne meine Rechte und den Ehrenkodex, den Sie in Ihren angekrankelten Seelen so hoch halten.»
        Bolitho sah, wie Dawson sich auf die Lippen bi?, fuhr aber ruhig fort:»Ich ziehe es vor, Fragen der Ehre nicht mit Ihnen zu diskutieren. Ich wurde unterrichtet, da? die Spartan beim Durchfahren der Riffe von Pascua die Reste des hollandischen Schoners Fauna entdeckte. Von Ihren Kanonen zerschossen, glaube ich, als er zu entkommen versuchte.»
        Poulain betrachtete ihn kuhl.»Es ist Krieg. Da bleibt keine Zeit fur Gefuhlsduseleien.»

«Aber die Fauna war unbewaffnet und hatte nur harmlose Fischer und ihre Familien an Bord. «Bolitho verschrankte die Finger hinter sich, um sich kein Zeichen der Gemutsbewegung zu gestatten.»Ich wiederhole also: es hat keinen Zweck, mit Ihnen uber Ehre zu diskutieren.»

«Dann mochte ich an Land gebracht werden. «Poulains Mund verzog sich zu einem uberlegenen Lacheln.»Zweifellos wird man mich gegen einige der vielen Gefangenen, die mein Land gemacht hat, austauschen.»
        Bolitho nickte.»Zweifellos, Kapitan. Aber zuvor ist da noch eine Kleinigkeit, die ich von Ihnen erklart haben mochte. «Er sah den Franzosen durchdringend an.»Ich mochte den Treffpunkt wissen, zu dem Sie nach Abschlu? Ihrer Reparaturen befohlen sind. Damit meine ich: wo plant Vizeadmiral Lequiller seinen nachsten Angriff?»
        Einen Moment sah er in den Augen des Franzosen Uberraschung aufblitzen. Dann fiel die Klappe, und sein Ausdruck wurde so beherrscht wie zuvor.

«Ich wei? gar nichts. Und wenn ich etwas wu?te, wurde ich es Ihnen nicht sagen.»

«Wir sind uns beide daruber klar, da? Sie lugen. «Bolitho spurte, wie ihm der Schwei? uber Brust und Rucken lief. Das Hemd klebte ihm auf der Haut, als er fortfuhr:»Lequiller verlie? die Gironde mit ganz bestimmten Befehlen. Er fuhrte den ersten Teil dieser Befehle bei Las Mercedes aus und als er die San Leandro kaperte. Nun mochte ich wissen: Wie lauten die ubrigen Befehle. Nichts weiter.»

«Sie sind ein Narr!»
        Bolitho horte Inch nach Luft schnappen und sah, wie einer der Seesoldaten argerlich mit seiner Muskete hantierte.
        Er ging auf die andere Seite des Achterdecks. Die Sonne brannte ihm auf die Schultern, er fuhlte sich schwach, und ihm war ubel nach dem Brandy auf leeren Magen, aber er zwang sich, langsam zu gehen, da er sich des Schweigens ringsum und der Zuschauer bewu?t war.

«Mr. Tomlin, raumen Sie die Backbord-Laufbrucke!«Er brauchte die Stimme nicht zu heben, denn die betroffenen Manner traten von allein auf die Back zuruck, als hatten sie Angst, das Schweigen zu brechen.
        Ohne den Kopf zu wenden, fuhr Bolitho fort:»Nun, Kapitan Poulain, ich werde jetzt einen Ihrer Leute erschie?en. Oder hinrichten, wenn Ihnen dieser Ausdruck genehmer ist. «Seine Stimme wurde harter.»Vielleicht erinnern Sie sich unserer Gefangenen, die auf dem Flaggschiff Ihres Admirals aufgehangt wurden. Das mag Ihnen helfen, eine Entscheidung zu fallen.»
        Zwei Seesoldaten kamen die Backbord-Laufbrucke entlang, und ihre Waffenrocke gluhten im strahlenden Sonnenlicht blutrot. Zwischen sich fuhrten sie einen Mann in der Uniform eines franzosischen Steuermannsmaaten. Ihm waren die Augen verbunden und die Hande auf dem Rucken gefesselt.
        Der Leutnant der Seesoldaten kam nach achtern und meldete formlich:»Gefangener vorgefuhrt, Sir.»

«Sehr schon, Mr. Hicks. «Bolitho streckte die Hand aus.»Eine Pistole, bitte!»
        Dann schritt er ruhig, die Pistole lose an der Seite, die Lauf brukke entlang, uber die Zwolfpfunder hinweg und an den aufgereihten Booten vorbei. Auf halbem Wege drehte er sich um und schaute zur Gruppe auf dem Achterdeck zuruck, doch wegen der unertraglichen Spannung, in der er sich befand, sah er sie nur verschwommen.»Nun, Kapitan Poulain?»

«Man wird Sie dafur eines Tages zur Rechenschaft ziehen!«Pou-lain wollte einen Schritt vorwarts machen, wurde aber von den Seesoldaten zuruckgehalten.»Und Sie wollen Kapitan sein? Sie sind es nicht wert, da? Sie leben!»
        Bolitho drehte sich schnell um, und wahrend die Seesoldaten beiseite traten, hob er die Pistole und feuerte. Der scharfe Knall lie? mehr als einen Seemann vor Schreck aufschreien. Der Mann mit den verbundenen Augen fiel gegen die Netze zuruck und sank dann schwer zu Boden. Seine Beine schlugen noch einmal kurz aus, dann lag er still.
        Bolitho wandte sich wieder dem Achterdeck zu. Der Qualm aus der Mundung der Pistole trieb an ihm vorbei, als er den franzosischen Kapitan einige Sekunden lang beobachtete.
        Poulains Stimme klang, als wurde er erwurgt.»Frankreich wird das nicht vergessen. Sie sind ein Schlachter. Aber Sie konnen mich und alle meine Leute erschie?en, es wird Ihnen nichts nutzen!«Er kampfte gegen den festen Griff der Seesoldaten.»Ich spucke auf Sie und Ihr Schiff!«Dann wandte er sich um, als zwei weitere Seesoldaten vorn auf der Laufbrucke erschienen.
        Bolitho beobachtete sein plotzliches Entsetzen und sagte:»Nicht alle Ihre Leute, Kapitan, sonder nur Ihren Sohn!»
        Er winkte Leutnant Hicks, als der junge Franzose, ebenfalls mit einer Binde vor den Augen, herangefuhrt wurde und die Gruppe bei der regungslos daliegenden Gestalt des anderen anhielt.

«Eine neue Pistole, Mr. Hicks!«Als sie ihm gereicht wurde, mu?te er sie mit aller Kraft packen, damit sie nicht zitterte.

«Sie haben eine Minute Bedenkzeit. «Er hob die Pistole und visierte uber den Lauf hinweg die Brust des franzosischen Leutants an, wahrend das ubrige Schiff und die reglos dastehenden Seeleute wie im Nebel vor ihm verschwanden. Sehr bedachtig spannte er den Hahn. Ein Seesoldat zuckte bei dem Gerausch zusammen, als ware er getroffen worden.

«Halt!«Poulain schrie es in hochster Not.»Schie?en Sie nicht! Haben Sie Mitleid, toten Sie nicht meinen Sohn!«Bolitho blieb, wo er war, senkte aber die Waffe etwas.»Ich warte, Kapitan!»
        Poulain schrie:»Ich trage schriftliche Befehle bei mir. Sie sind in meinen Rock eingenaht.»
        Bolitho schwankte und pre?te den Arm gegen die Stirn. Dann horte er Farquhars Stimme wie aus weiter Ferne:»Ich habe sie!»
        Bolitho reichte Hicks die Pistole zuruck und ging langsam zum Achterdeck.

«Vielen Dank, Kapitan. Ich bin nicht stolz auf das, was ich getan habe. Aber wie Sie vorhin sagten: es ist Krieg. Nun werden Sie an Land gebracht und dem hollandischen Gouverneur ubergeben.»
        Er sah zu, wie der franzosische Leutnant wieder nach unten gebracht wurde, und setzte kalt hinzu:»Wenn Sie das nachste Mal in Versuchung geraten, wehrlose Leute zu toten, erinnern Sie sich vielleicht der heutigen Lektion.»
        Poulain sah ihn mit unverhulltem Ha? an.»Sie sind ebenso ein Morder wie ich.»
        Bolitho antwortete erschopft:»Nicht ganz, Kapitan. «Er machte eine Handbewegung zur Laufbrucke.»Sie konnen jetzt aufstehen, Allday, die Vorstellung ist beendet.»
        Man horte ein gro?es Aufatmen bei den Seeleuten, als der» Leichnam «sich zwischen den beiden grinsenden Seesoldaten aufrappelte.

«Wie Sie sehen, Kapitan, hat er keinen Schaden genommen. «Dann wandte er sich ab, weil er die Besturzung und Scham auf Poulains Gesicht nicht mehr ertragen konnte.
        Herrick trat unter der Hutte hervor und war mit drei Schritten an seiner Seite. Das war knapp. «Er nahm Bolitho am Arm und fuhrte ihn an den erleichtert grinsenden Seeleuten vorbei.»Ich habe nichts geahnt, und die anderen auch nicht.»
        Bolitho horte Gelachter und frohliche Rufe hinter sich und dachte an das schwer gezeichnete Gesicht des anderen Kapitans.»Es hat mir keinen Spa? gemacht, Thomas.»
        Er hielt am Niedergang kurz an und schaute auf seine Hande. Er erwartete, da? sie heftig zitterten.
        Herrick fragte:»Hatten Sie den Leutnant tatsachlich erschossen, wenn Poulain stumm geblieben ware?«Er sah, wie die Gefangenen zu den wartenden Booten gebracht wurden.»Hatten Sie das tun konnen?»
        Bolitho schaute uber ihn hinweg.»Ich wei? es nicht, Thomas. «Er schuttelte den Kopf.»Bei Gott, ich wei? es nicht.»



        XVII Einer fur alle

        Kommodore Pelham-Martin lag ganz ruhig in seiner Koje und blickte fest auf einen Punkt daruber, als Bolitho ihm erklarte, was er Poulains schriftlichen Befehlen entnommen hatte. Die Kammer war, wenn uberhaupt moglich, noch hei?er als vier Stunden zuvor, und Bolitho fragte sich, wie der Kommodore diese zusatzliche Belastung ertragen konnte.
        Aber als er jetzt sprach, dachte er mehr an die anderen Kommandanten und ihre und seine Enttauschung, als sie die kurz gefa?ten Befehle des Franzosen gemeinsam immer wieder gelesen hatten. Kein Wunder, da? man Lequiller fur diese Aufgabe ausgewahlt hatte. Er war tatsachlich schlau wie ein Fuchs. In dem Schreiben war nichts von seinem endgultigen Ziel erwahnt, kein Hafen war genannt oder auch nur angedeutet. Poulain und der Kommandant des anderen beschadigten Schiffes sollten nur die allernotwendig-sten Reparaturen ausfuhren lassen und sich dann so schnell wie moglich wieder mit Admiral Lequillers Geschwader vereinen. Als Treffpunkt war eine Position einhundert Meilen nordwestlich von Kap Ortegal, der au?ersten Spitze Spaniens, angegeben. Beim weiteren Studium des schriftlichen Befehls hatte Bolitho keinerlei Bestatigung seiner eigenen Einschatzung und Deutung von Lequil-lers geheimem Plan gefunden.
        Wenn der franzosische Admiral beabsichtigte, einen spanischen Hafen anzulaufen und Perez bei einer dort organisierten Volkserhebung zu unterstutzen, dann mu?te gesichert sein, da? dieser Hafen dafur der geeignetste war, um den erforderlichen Widerhall bei der einheimischen Bevolkerung zu erzielen. Der Platz fur das Treffen der Schiffe lag aber so weit weg von der Kuste, da? von dort aus viele Hafen zur Auswahl standen, von La Coruna im Nordwesten bis Santander, nur knapp einhundert Meilen von der franzosischen Grenze entfernt.
        Pelham-Martin sagte plotzlich:»Sie haben sich also, insgesamt gesehen, geirrt, Bolitho. Sie kennen Lequillers Absichten immer noch nicht.»
        Bolitho sah ihn leidenschaftslos an.»Wir konnen ihn zum Handeln zwingen, wenn wir den Platz des Rendezvous rechtzeitig erreichen, Sir. Wir kennen seine Absicht, aber nicht das endgultige Reiseziel. Ich halte ersteres fur wichtiger. Wenn wir ihn erwischen, bevor er Verbindung mit dem Land aufgenommen hat, werden wir seine Chancen vollig vernichten.»
        Der Kommodore schlo? die Augen.»So schnell sind wir nicht. Aber selbst angenommen, wir hatten die Moglichkeit, das Rendezvous zu erreichen, so mag Lequiller langst weitergesegelt sein, ohne das Eintreffen der beschadigten Schiffe abzuwarten. Ich sehe keinen Sinn darin, hieruber weiter zu diskutieren.»

«Ich halte es fur eine Chance, die wir ergreifen sollten, Sir.»

«Ich mochte nichts mehr daruber horen, Bolitho!«PelhamMartins Augen weiteten sich, als Bootsmannsmaatenpfeifen durch die Decks tonten und Fu?e uber ihren Kopfen trampelten.

«Was bedeutet das?»
        Bolitho fuhlte sich seltsam leicht und frei von Erregung.»Ich habe >Alle Mann achteraus< befohlen, Sir. In Anbetracht dessen, was ich erfahren habe, und weil Eile not tut, mu? ich meine Befugnis als dienstaltester Kommandant ausnutzen.»
        Pelham-Martin starrte ihn unglaubig an.»Mussen Sie - was?»

«Sie sind verwundet, Sir, und wie ich schon festgestellt habe, mu?te Ihre Wunde unverzuglich behandelt werden. «Er beobachtete sein Gegenuber ruhig.»Unter den gegenwartigen Umstanden sehe ich indessen keine andere Moglichkeit, als Sie so lange von Ihrer Verantwortung zu entbinden, bis Sie wieder imstande sind, das Kommando des Geschwaders zu ubernehmen.»

«Wissen Sie, was Sie da eben gesagt haben?«Pelham-Martins Atem ging immer schneller.»Wenn Sie diesen Schritt tun, setzen Sie sich der Verhaftung und einem Strafverfahren aus. «Seine Augen zogen sich eng zusammen.»Und ich werde auch dafur sorgen, da? Sie die gerechte Strafe trifft, die Sie schon seit langem verdient haben.»
        Bolitho wartete schweigend. Aber Pelham-Martin schien sich mit dem kurzen Ausbruch bereits erschopft zu haben. Er lag vollig still unter dem Laken, nur seine Atemzuge kamen sto?weise.
        Bolitho machte auf den Hacken kehrt und verlie? die Kammer. Die anderen Kommandanten warteten vor den Heckfenstern auf ihn. Ihre Gesichter waren gegen das Licht nicht zu erkennen.
        Es war Herrick, der das Schweigen brach.»Geschafft?»

«Ich habe den Kommodore von meiner Absicht unterrichtet. «Bolitho nahm seinen Hut und ging hinuber zum Schott.»Ich kann Ihnen aber nicht verhehlen, da? er dagegen war. «Er sah, da? Fitzmaurice sich abwandte und die Schultern hangen lie?. Dann langte er nach oben, nahm den Sabel aus seiner Halterung und ging damit zur Tur. Dort hielt er an und schaute zu ihnen zuruck.

«Als Sie heute morgen meine Vorschlage annahmen, waren Ihnen die Schwierigkeiten, die vor uns liegen, noch nicht voll bewu?t. Ich habe die Absicht, in zwei Stunden zu segeln. Ich werde es keinem von Ihnen ubelnehmen, der sich dafur entscheidet, hier vor Anker liegenzubleiben. «Dann verlie? er die Kajute und trat hinaus ins Sonnenlicht.
        Drau?en beruhrte Inch seinen Hut zu einer Ehrenbezeigung und meldete mit dusterer Miene:»Besatzung ist angetreten, Sir.»
        Bolitho nickte und ging langsam zur Querreling hinuber. Unzahlige Male hatte er diesen kurzen Weg zuruckgelegt, um den Seeleuten beim Geschutzexerzieren zuzusehen oder um das Anschlagen und Festmachen der Segel an den Rahen zu uberwachen; um an einer Bestrafung vor versammelter Mannschaft teilzunehmen oder auch um einmal mit seinen Gedanken allein zu sein.
        Er sah seine Offiziere an der anderen Seite aufgereiht, sah die angetretenen Seesoldaten, die kleinen Trommelbuben, Hauptmann Dawson und Hicks daneben.
        Er nahm seinen Hut ab, klemmte ihn unter den Arm und musterte die Besatzung. Die Laufbrucken und das Hauptdeck waren voll von Leuten, die zu ihm aufschauten, wahrend andere in den Wanten hingen oder auf Lukendeckeln standen, um ihn sehen zu konnen.
        In dem Schweigen, als sein Blick uber die wartenden Manner wanderte, stachen einzelne ihm bekannte Gesichter nur fur Sekunden aus der Masse hervor. Leute, die gepre?t worden und eingeschuchtert an Bord gekommen waren und nun Schulter an Schulter mit den erfahrenen Leuten standen, ebenso gebraunt und zuversichtlich wie sie. Da war der ergraute Bergmann aus den Zinnminen von Cornwall, der mit fast vierzig Kumpels durch halb England marschiert war, um sich freiwillig zum Dienst auf der Hyperion zu melden. Nicht weil er Bolitho kannte, sondern allein im Vertrauen auf seinen Namen, der vielen von ihnen so bekannt war wie der des Hafens Falmouth selber.
        Er sah seinen Bruder, der neben Tomlin stand, das graue Haar leicht vom Wind bewegt, und fragte sich, was Hugh in diesem Augenblick wohl empfinden mochte. Ob er an seine Zukunft dachte, wenn das Schiff eines Tages nach England zuruckkehren sollte und die standig uber ihm schwebende Drohung des Galgens Wirklichkeit wurde? Vielleicht beobachtete er Bolitho auch nur mitleidig oder gleichgultig? Ihn, den jungeren Bruder, mit dem er ein ganzes Leben im Wettstreit gestanden hatte?
        Gossett rausperte sich umstandlich, und Bolitho merkte, da? er uber eine Minute schweigend dagestanden hatte.
        Er sagte:»Als wir herkamen, um den Feind zu suchen und zu vernichten, war vieles ungewi?, und was gewi? war, reichte aus, um jeden zu entmutigen. Aber wir haben keinen Tag nutzlos vertan. Jetzt kennen Sie mich alle, und ich kenne viele von Ihnen. «Er machte eine Pause, weil er Hoffnungslosigkeit in sich aufsteigen fuhlte.»Wir verlassen diese Insel noch heute und begeben uns wieder auf die Jagd.
«Er sah, wie einige Leute Blicke wechselten.»Diesmal nicht in Richtung Westen, sondern zuruck nach Osten, nach Spanien! Wir wollen Lequiller auf hoher See fassen und so schlagen, wie es nur englische Seeleute verstehen. «Irgend jemand rief Hurra, verstummte aber, als Bolitho mit rauher Stimme fortfuhr:»Wir haben sechs Wochen gebraucht, um von der Biskaya hierher zu gelangen. Sechs Wochen darum, weil wir auf diesem Weg suchend hin- und hergekreuzt sind. Aber auf unserem Ruckweg nach Spanien werden wir nur drei?ig Tage brauchen. «Er horte einige Leute erstaunt Luft holen.»Drei?ig Tage, und wenn wir uns die Masten absegeln mussen, um das zu schaffen!»
        Er verschrankte die Hande auf dem Rucken und fuhlte den Schwei? an den Gelenken.

«Der Kommodore ist noch zu krank, um uns zu fuhren. Darum ubernehme ich, kraft der Befugnis, die mir als dienstaltestem Kommandanten zusteht, das Kommando. «Er achtete nicht auf die
        Woge der Erregung, die wie ein Windsto? uber das Hauptdeck lief.»Fangen Sie an, Tomlin!»
        Als der Bootsmann die Flaggleine losmachte und die Seesoldaten strammstanden, horte er Schritte hinter sich. Als er sich umdrehte, sah er Herrick und die anderen Kommandanten, die sich in einer Reihe aufstellten und ihre Hute abnahmen, als Tomlin den Doppelstander des Kommodore langsam niederholte.
        Es war nicht moglich zu entscheiden, welcher Kommandant den Ansto? zu dieser Solidaritatsdemonstration gegeben hatte. Aber sie standen da, und zwar vor der ganzen Besatzung der Hyperion, wie auch jener der nachstliegenden Schiffe. Durch diesen Akt hatten sie sich offen zu Bolitho bekannt und sich selber jeder Moglichkeit zu einer Rechtfertigung beraubt, sollten sie spater einmal dafur zur Verantwortung gezogen werden.
        Tomlin kam nach achtern, den zusammengerollten Stander unter dem muskulosen Arm. Er reichte ihn Carlyon, der ihn mit gleicher Formlichkeit in Empfang nahm.
        Bolitho stutzte sich auf die Reling und beendete seine Ansprache:»Wenn wir Lequiller stellen, wird es einen schweren Kampf geben, das wissen Sie. Ich brauche Sie nicht erst zu bitten, Ihr Bestes zu geben, denn es ist klar, da? ich mich darauf verlassen mu?. «Er richtete sich auf und schlo?:»Sie durfen nicht zaudern. England wartet darauf, Sie zu belohnen…»
        Er brach ab, da es ihm unmoglich war, weitere Worte zu finden. Zu sehen, wie sie ihn beobachteten, wie sie auf seine leeren Hoffnungen und Versprechungen horten, Ehre und Ruhm vor sich sahen, obwohl sie besser daran denken sollten, da? die Wahrscheinlichkeit dagegen sprach. Das schnitt seine Entschlossenheit ab wie ein Messer.
        Eine Stimme durchbrach das Schweigen, so da? er sich erstaunt umsah.

«Ein Hoch auf den Kapt'n, Jungens! Und noch eins auf die Hyperion!»
        Bolitho konnte nicht verstehen, was der unbekannte Mann sonst noch sagte, denn in diesem Augenblick schien die Luft zu erbeben von wilden Hochrufen, die uber die wei?en Wellenkopfe hinweg zu den anderen Schiffen hinuberklangen und dort ein vielfaches Echo fanden.
        Er wandte sich von der Reling ab und sah Herrick, der ihm zulachte; sogar Fitzmaurice wirkte zuversichtlich und seltsam erregt. Es war zwar alles nur eine momentane Aufwallung, aber als die Zurufe von allen Seiten auf ihn einsturmten und Herrick aus der Gruppe der Offiziere vortrat und ihm die Hand schuttelte, konnte er Bewegung und Dankbarkeit nicht langer verbergen. Er war dankbar fur ihr schlichtes Vertrauen und fur so viele andere Dinge, die er fuhlte, aber nicht erklaren konnte.
        Farquhar ubertonte den Larm:»Wie es auch ausgehen mag, es war ein guter Anfang.»
        Herrick blieb optimistischer:»Wir werden es ihnen zeigen, wei? Gott!«In dem breiten Lachten, das sein Gesicht uberzog, waren seine Augen fast verschwunden. Mit Ihnen an unserer Spitze werden wir ihnen eine Lehre erteilen, an die sie sich erinnern sollen!»
        Bolitho sah sie der Reihe nach an.»Ich danke Ihnen, meine Herren. «Er versuchte es noch einmal.»Es wird eine harte Verfolgung mit wenig Ruhepausen. Ich bezweifle, da? wir Zeit haben werden, uns noch einmal zu sehen, bevor wir auf den Feind treffen. «Er machte eine Pause, denn er war sich der Bedeutung seiner letzten Worte bewu?t. Einige von ihnen wurden einander nie wiedersehen, wenn sie - gema? seinem Plan - schlie?lich mit Lequillers machtigen Geschwader zusammenstie?en.»Wir wissen jetzt, wie jeder sich verhalten mu? und auch, da? in einer Seeschlacht nicht viel mehr erforderlich ist, als beim Feind langsseit zu gehen und sich dort festzusetzen. Den Rest erledigen unsere Leute. Ich hoffe nur, da? wir nicht zu spat kommen.»
        Fitzmaurice sagte ruhig:»Ich sehe lieber den Franzosen ins Gesicht als einem Kriegsgericht. «Er zuckte die Achseln.»Aber ob die Hermes nun langsam ist oder nicht, sie wird Sie voll unterstutzen, wenn die Zeit kommt.»
        Bolitho schuttelte ihnen nacheinander die Hande.»Kehren Sie zu Ihren Leuten zuruck und sagen Sie ihnen, was wir vorhaben. Wir werden bei vier Glasen ankerauf gehen.
«Er begleitete sie den Niedergang hinunter zur Einla?pforte und zog den Hut, als einer nach dem anderen in sein wartendes Boot hinunterkletterte.
        Als Herrick ging, sagte er ruhig:»Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Thomas. Heute morgen war ich nahe am Wahnsinn. Und was wird morgen sein?«Er trat lachelnd beiseite, um Herrick vorbeizulassen.»Aber in diesem Augenblick bin ich Ihnen dankbar. »
        Herrick nickte ihm verschmitzt zu.»Seien Sie blo? vorsichtig, Sir. Aber schlie?lich haben Sie mir mein erstes selbstandiges Kommando verschafft. «Er grinste.»Nun bin ich erst zufrieden, wenn ich einen Adelstitel bekomme.»
        Die Bootsmannsmaatenpfeifen zwitscherten, und er war verschwunden.
        Inch sagte:»Ich hatte noch keine Gelegenheit, Ihnen zu sagen, wie sehr ich Ihren Verlust mitempfinde, Sir.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Dann sagen Sie nichts, Mr. Inch. In unser beider Interesse.»
        Inch sah ihm nach, als er zur Hutte ging, und wunderte sich.

«In drei?ig Tagen, wie?«Gossett kam gemachlich heruber.»Da wird es nur wenig Schlaf fur Sie geben, furchte ich!»
        Inch schuttelte seine Gedanken ab.»Ich meinerseits werde mich nicht an Deck begeben, ohne nach dem Master zu rufen, Mr. Gos-sett.»
        Zur halben Nachmittagswache kam Bolitho zuruck aufs Achterdeck. Er stand da und beobachtete das Land, wahrend seine Gedanken zu den vergangenen Wochen zuruckschweiften, zu den Hoffnungen und Enttauschungen, die seine standigen Gefahrten gewesen waren. Er fuhlte jetzt rings um sich herum, wie das Schiff lebendig wurde. Von der Back horte er das gleichma?ige Klicken des Ankerspills, begleitet von der Fidel des Shanty-Vorsangers, aber ubertont von Tomlins machtiger Stimme, der seine Leute auf ihre Stationen schickte. Es war ein sehr alter Shanty, der seinen Ursprung im westlichen England hatte, woher auch die meisten Besatzungsmitglieder der Hyperion stammten. Einige von ihnen waren jetzt sicher in Gedanken daheim, als sie sich geschaftig an Deck oder oben auf den Rahen bewegten, dachte Bolitho. Spanien war weit, weit weg von Devon oder Cornwall, aber lieber dort als auf der anderen Seite des Atlantik.
        Er wandte sich um, als Inch uber das Achterdeck kam und an seinen Hut tippte. Anker ist kurzgeholt, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho warf einen Blick hinuber zur Inpulsive und auf die Tatigkeit auf ihren Rahen. Hinter ihr lag das Wrack der Telamon, als stumme Erinnerung daran, was sie erlebt hatten, und als Warnung fur sie alle. Langs des Ufers sah er viele stumme Zuschauer ihres Aufbruchs und fragte sich, ob wohl auch de Block darunter war. Er war vor einer Stunde an Bord gewesen, um Bo-litho seine Aufwartung zu machen und sich fur die ihm uberlassene Fregatte zu bedanken. Keiner hatte die Moglichkeit erwahnt, da? - sollte Holland in den Krieg hineingezogen werden - das Schiff wieder gegen seinen Stifter eingesetzt werden konnte. Auch das war ein Teil dessen, was sie miteinander durchgemacht hatten.
        De Block hatte ihm das kleine, schon geschnitzte Modell eines hollandischen Kriegsschiffs ubergeben.»Als Erinnerung, Kapitan. Vielleicht geben Sie es eines Tages weiter an Ihren Sohn.»
        Bolitho hatte ihn am Fallreep verabschiedet und ihm nachgeschaut, als er zu seiner einsamen Residenz zuruckgerudert wurde, wo er sein Erdendasein wohl beenden wurde. Hoffentlich konnte er wenigstens die letzten Jahre in Frieden leben.
        Er straffte sich und sagte dann kurz:»Also los, Mr. Inch. Bringen Sie das Schiff in Bewegung, wenn's recht ist!»
        Mit dem Signal zum Ankerlichten, das von ihrer Rah auswehte, brach die Hyperion ihren Anker los und trieb unter dem Druck des frischen Windes zunachst ein Stuck achteraus. Bolitho hielt sich an den Netzen fest, als die Segel sich dann fullten und das Schiff sich auf die Seite legte. Er beobachtete die Seeleute an den Fallen, Gei-tauen, Schoten und Halsen, die Hand uber Hand arbeiteten, als sich nun weitere Segel entfalteten und blahten. Die Manner an den Brassen brauchten keinen Ansporn, und als dann der Anker aus dem Wasser kam und beigefangen wurde, hatte das Schiff schon Fahrt voraus aufgenommen und naherte sich der letzten Landspitze und dem blauen Horizont dahinter.
        Als die Hyperion sich an der Hugelbatterie vorbeischob, sah Bo-litho, wie die hollandische Flagge zum Gru? gedippt wurde. Dann drehte er sich um und beobachtete, wie seine anderen Schiffe ihre Marssegel setzten und sich - ihm folgend - vom Ankerplatz freisegelten: Hermes, Impulsive und die schlanke Spartan. Als letzte kam die kleine Korvette um die Landspitze herum. Ihr Vorschiff war vollig von Spritzern uberspruht, als sie hoch an den Wind ging, um ihre vorschriftsma?ige Position in Luv des in Kiellinie segelnden Geschwaders einzunehmen.
        Es war nur ein schwaches Geschwader, dachte Bolitho. Aber im selben Augenblick begriff er auch, da? er es nicht gegen eine ganze Flotte eingetauscht hatte.
        Der zweite Morgen auf See zog so schon und klar herauf wie die anderen davor, aber als Bolitho nach einem hastig eingenommenen Fruhstuck an Deck kam, konnte er den Unterschied fast korperlich spuren. Mit dichtgeholten Segeln uber Steuerbordbug segelnd, lag das Schiff weiterhin sehr schrag, aber die kurzen Wellen mit den wei?en Kopfen hatten uber Nacht einer langen Dunung mit geschlossenen Reihen schaumgekronter Wogen Platz gemacht, wodurch die Schiffsbewegungen heftiger und unangenehmer geworden waren. Wahrend der Nacht waren sie aus dem Landschutz von Trinidad herausgetreten und standen nun im Atlantik selber. Ringsum war am Horizont kein Land mehr zu sehen.
        Er warf einen Blick auf den in seinem Gehause pendelnden Kompa? und dann auf den Stand der Segel. Sie steuerten immer noch genau Kurs Ost, und als er sich uber die Reling lehnte und nach achtern schaute, sah er die Impulsive, die gerade in ein tiefes Wellental eintauchte und dann gischtuberspruht wieder hochkam. Sie hielt ihren Platz drei Kabellangen hinter der Hyperion. Ihre Segel verdeckten fast die Hermes, die etwas hinterherhinkte und bereits mehr als zwei Meilen Abstand haben mochte.
        Inch wartete, bis Bolitho seinen morgendlichen Rundblick beendet hatte. »Dasher steht auf Position in Luv, Sir.»
        Bolitho grunzte nur und arbeitete sich langsam das schrag liegende Deck hoch. Die Spartan war au?er Sichtweite, auf Erkundung weit vor ihnen. Wie ublich, empfand er Neid auf Farquhar und seine Bewegungsfreiheit.»Wir werden in funfzehn Minuten Kurs andern, Mr. Inch. Rufen Sie >alle Mann< auf Stationen!»
        Er hatte keine Lust zu einer langeren Unterhaltung, denn seine Gedanken waren noch ganz mit seinen Berechnungen und den Moglichkeiten, die er der Karte entnommen hatte, beschaftigt.
        Gossett fa?te an seinen verbeulten Hut.»Dreihundertfunfzig Meilen nach dem Log, Gerat zur Bestimmung der Schiffsgeschwindigkeit und damit der zuruckgelegten Strecke] Sir. Das ist schon ganz schon fur den Anfang.»
        Bolitho schaute ihn an.»Wollen mal sehen, was wir noch schaffen.»

«Wo, meinen Sie, konnte der Franzose jetzt sein, Sir?«Inch war wieder neben ihm. Er kniff die Augen zusammen, als er gegen den Wind beobachtete, wie die Manner auf ihre Manoverstationen liefen.

«Ich schatze, da? Lequiller nach Las Mercedes zurucksegelte, um Perez und seine Landsknechtstruppe abzuholen. Ich nehme an, da? er die Soldaten auf dem Schatzschiff untergebracht hat, als doppelte Sicherung. «Er schaute zum Wimpel an der Mastspitze hoch.»Er ist jetzt auch auf dem Weg zum Treffpunkt, aber wohl mit langsamerer Fahrt, we gen der San Leandro.»
        Er drehte sich ungeduldig um und machte Gossett ein Zeichen.»Wir andern Kurs um sieben Strich und gehen auf den anderen Bug. «Er spurte, wie Spritzer uber sein Gesicht geweht wurden, und schmeckte Salz auf der Zunge.
        Der Master nickte.»Aye, aye, Sir.»
        Fur Inch fugte Bolitho noch hinzu:»Wenn wir auf dem neuen Kurs sind, mochte ich Bramsegel setzen. «Er wartete, bis sich auf Inchs langem Gesicht ablesen lie?, da? er den Befehl verarbeitet hatte.»Und danach konnen Sie auch gleich noch die Leesegel[An den verlangerten Rahen ausgebrachte Zusatzsegel, die beidseits weit hinausragen und die Wirkung eines leichten, achterlichen Windes verstarken.] ausbringen. «Inch schluckte.»Bei so viel Leinwand, Sir, wird die Hermes kaum noch mithalten konnen.»

«Tun Sie wie befohlen, Mr. Inch. «Bolitho sah ihn kuhl an.»Wir haben diesmal keinen Passat, der uns unter die Rockscho?e blast, also mussen wir erst mal Norden halten, bevor wir mit den Westwinden Kurs auf Spanien nehmen konnen. «Etwas nachsichtiger fuhr er fort:»Aber bisher war uns der Passat noch gewogen, Mr. Inch. Haben Sie also Geduld.»
        Er wandte sich ab und rief:»Legen Sie Ruder zur Wende!»
        Als sich die beiden Ruderganger in die Speichen des doppelten Steuerrades stemmten, beobachtete Bolitho die Manner auf dem Vorschiff, wie sie die Schoten der Vorsegel loswarfen, wahrend andere die Brassen aufnahmen, bereit, die Rahen rundzuholen, wenn das Schiff den Wind von der anderen Seite bekam.

«Ruder liegt hart Backbord, Sir!«»Gei auf Gro?segel und Fock!»
        Schwer stampfend und gischtuberspruht, arbeitete sich das Schiff mit wild schlagenden Vorsegeln und dichtgeholtem Besan in den
        Wind.
        Bolitho packte die Reling und folgte mit seinem Korper den Schiffsbewegungen, als die Hyperion weiterdrehte und schlie?lich durch den Wind kam.
        Manner rannten in geordnetem Durcheinander uber Deck, die gebraunten Oberkorper vor Nasse triefend, als die See - nun von Steuerbord - uber das Vorschiff schlug und sie mit Spritzern uberschuttete.
        Bolitho hieb die Faust auf die Reling.»Jetzt, Mr. Inch!»

«Los die Steuerbordschoten und Brassen, hol Brassen und Schoten an Backbord!«Inchs Hut hing schief auf dem Kopf, aber er schaffte es, sich uber den Larm der schlagenden Segel und des wimmernden Riggs verstandlich zu machen.
        Bolitho beobachtete zufrieden, wie die Rahen herumschwangen, weil die Manner wie verruckt an den Brassen zogen, obwohl sie nur wenig Halt fur ihre nackten Fu?e auf dem nassen Deck fanden.
        Uber ihnen fullten sich die Segel wieder mit dem Wind, der nun von der anderen Seite einfiel. Blocke und Taljen quietschten, Wanten und Stage vibrierten, bis das Schiff sich auf seinem neuen Kurs eingependelt hatte.
        Bolitho nickte.»Und jetzt setzen Sie die Bramsegel!«Ein schneller Blick nach achtern sagte ihm, da? Herrick seinem Beispiel folgte. Sein Schiff drehte gerade an, wobei Bugspriet und Galionsfigur von einer uberkommenden See begraben wurden.
        Gossett rief:»Kurs Nord zu Ost, Sir. Voll und bei!»

«Sehr schon. «Bolitho fuhlte, da? das Deck zitterte, als sich noch mehr Segel an den Rahen blahten. Die kleinen Gestalten hoch oben auf den Bramrahen schienen au?er Reichweite und Gefahr, aber er wu?te, da? dies eine Tauschung war. Ein Ausrutscher dort oben bedeutete den unmittelbaren Tod - wenn der Mann noch Gluck hatte. Fiel er aber in die schaumende See, hatte er nur die Aussicht, achteraus zu treiben und - das davonziehende Schiff vor Augen - zu ertrinken. Denn der Versuch, die Hyperion unter solch einem Segeldruck zum Stehen zu bringen, hatte eine Katastrophe heraufbeschworen. Bei solch einem Manover konnte sie leicht samtliche Masten einbu?en.
        Auf dem Hauptdeck sah Bolitho den Segelmacher und seine Leute die Leesegel klarieren, die wie gro?e Flugel dem Schiff mit etwas Gluck einen zusatzlichen Knoten Geschwindigkeit geben wurden, wenn der Wind anhielt.
        In den Masten und Wanten wimmelte es bald von Leuten, die nach dem Kommando ihrer Unteroffiziere auf und nieder, vor und zuruck kletterten und die Leesegel an ihren Spieren ausbrachten.
        Plotzlich sah er Pascoe, der die Puttingswanten hochkletterte, wobei sein schlanker Korper zeitweise schrag nach unten hing. Bolitho hielt den Atem an, als er sah, da? Pascoes Fu? abrutschte und er den Schuh verlor, der gemachlich herunter und neben der Bordwand ins Wasser fiel. Der Junge fand aber gleich wieder Halt und kletterte hinter den anderen her, wobei ihm das schwarze Haar um den Kopf wehte. Als Bolitho wieder nach vorn schaute, bemerkte er seinen Bruder, der am Fockmast stand und die Augen beschattete, weil er ebenfalls nach dem Midshipman ausschaute. Als er bemerkte, da? Bolitho ihn beobachtete, machte er eine beruhigende Geste. Oder sollte sie Erleichterung ausdrucken?
        Leutnant Roth rief: «Hermes hat gewendet!«Er schuttelte sich vor Lachen.»Sie kommt nicht mehr mit!»
        Bolitho drehte sich zornig nach ihm um.»Seien Sie nicht so uberheblich! Wenn die Hermes zuruckfallt, werden Sie vierundsiebzig Kanonen weniger haben, wenn Sie sie am meisten brauchen.»
        Roth errotete.»Tut mir leid, Sir.»
        Bolitho ging auf die Luvseite und lehnte sich gegen die Finknetze. Er mu?te sich zusammennehmen. Sich uber solch eine harmlose Bemerkung zu argern, war sinnlos und dumm. Roth hatte eher Stolz auf sein eigenes Schiff ausdrucken wollen als Spott uber die unter der Wasserlinie mit hemmenden Muscheln und Pflanzen bewachsene Hermes. Er mu?te plotzlich an seine eigene Gereiztheit und Ungeduld damals im Mittelmeer denken, als die Hyperion, das Unterwasserschiff so voll Entenmuscheln und Seetang wie jetzt die Hermes, sich muhsam vorwartsschleppte und von einem verstandnislosen Admiral einfach zuruckgelassen wurde. Aber es war nutzlos, Vergleiche zu ziehen.

«Machen Sie ein Signal fur die Hermes, Mr. Carlyon. «Er runzelte die Stirn, als er sich an Fitzmaurices Versicherung, ihm beistehen zu wollen, erinnerte.»>Setzen Sie mehr Segel
«Sie hat verstanden gezeigt, Sir. «Carlyon schien uberrascht.
        Vom Hauptdeck scholl Schimpfen und Fluchen herauf, als das Backbord-Leesegel wogte und flatterte wie ein Seeungeheuer. Es wollte einfach nicht richtig stehen, war aber trotzdem nutzlich. Auf jeden Fall hielt es die Manner beschaftigt, denn sie hatten noch einen langen Weg vor sich.
        Inch sagte:»Hab' noch nie ein Segel gesehen, das so storrisch ist wie dieses, Sir.


«Es ist moglich, da? wir weiter im Norden noch ungunstigere Winde bekommen.
«Bolitho dachte laut.»Wir mussen das Schiff trotzdem mit allem vorwarts treiben, was wir an Segeln haben, und den Passat nutzen, so lange es geht.»
        Die Manner aus den Masten glitten schon wieder herunter an Deck. Sie waren bester Stimmung wegen des prachtigen Bildes voll entfalteter Antriebskraft, die sie freigemacht hatten.
        Bolitho sagte kurz:»Ich bin im Kartenraum, Mr. Inch. Sie konnen die Wache nach unten schicken.»
        In dem engen Raum sa? er am Tisch und schaute starr auf die Karte. Alles war getan, und es schien, als sei seinen sorgfaltigen Berechnungen nichts mehr hinzuzufugen. Er blatterte die Seiten des abgenutzten Logbuchs durch. Jede enthielt die Eintragung uber zuruckgelegte Meilen, gesichtete Schiffe. Uber Manner, die gestorben, gefallen, verletzt waren. Mit einem Knall schlo? er es und stand auf. Er mu?te aufhoren, sich zu erinnern, das fuhrte zu nichts.
        Es klopfte.»Herein!»
        Er drehte sich um und sah seinen Bruder, der ihn mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.
        Bolitho sagte:»Mach' die Tur zu!«Dann leiser:»Du kannst offen sprechen. Es ist niemand da, der uns zuhort.»

«Ich wollte gern. «Hugh begann zu stottern und fuhr dann entschlossen fort:»Ich horte vom Tod deiner Frau. Es tut mir sehr leid. Was konnte ich dir sonst noch sagen?«Bolitho seufzte.»Ja. Ich danke dir.»

«Als ich mit den anderen Strafgefangenen in Cozar war, habe ich Cheney haufig bei der alten Festung Spazierengehen gesehen. Ich glaube, ich habe mich damals auch in sie verliebt. «Er lachelte traurig.»Wirst du die Franzosen dieses Mal finden?»
        Bolitho sah ihn an.»Ja.»

«Wenn das Gluck dir hold ist, was hast du danach mit mir vor?»

«Ich habe mich noch nicht entschieden. «Bolitho setzte sich erschopft hin und rieb sich die Augen.»Falls wir Lequiller finden und schlagen…»
        Sein Bruder hob eine Augenbraue.»Ihn schlagen?»

«Ihn zu lahmen, wurde schon ausreichen. «Seltsam, wie Hugh Dinge voraussah, die andere nicht einmal vermuteten. Eine Seeschlacht in der Biskaya, vielleicht einige hundert Seemeilen vom nachsten Land entfernt, konnte fur den Sieger ebenso gefahrlich enden wie fur den Besiegten.
        Er fuhr abrupt fort:»Ich konnte dich den Behorden mit der dringenden Bitte um Begnadigung ubergeben. Angesichts dessen, was du auf der Spartan geleistet hast, sollte diese Bitte nicht abgeschlagen werden. «Er hob die Hand.»Hor' mich erst an, bevor du etwas sagst. Aber wenn du es vorziehst, schicke ich dich mit irgendeinem Auftrag an Land. «Er sah weg, als er weitersprach.»Du kannst dann verschwinden und weiter deiner Wege gehen.»

«Mit beidem setzt du dich der Kritik, moglicherweise sogar wirklicher Gefahr aus, Dick. Beim letzteren noch mehr, weil du dann mit dem Wissen weiterleben mu?t, da? du privaten Interessen zuliebe gegen deine Dienstauffassung versto?en hast.»
        Bolitho sah ihn ernst an.»Mein Gott, glaubst du, da? ich mir jetzt noch darum Sorgen mache?»

«Jedenfalls tue ich's. Und du gibst mir die Fluchtchance auch nicht nur deshalb, weil du im Grunde der Nachsicht des Kriegsgerichts mi?traust, sondern weil es auf meinen Sohn einen schrecklichen Eindruck machen mu?, wenn sein Vater als Hochverrater hingerichtet wurde. «Er lachelte wieder.»Ich kenne dich doch, Dick.»

«Also?«Bolitho stand auf und ging an das Kartenspind.

«Ich werde dein Angebot annehmen und abhauen. «Hughs Stimme klang plotzlich mude. Und zwar nicht nach Cornwall, wo man mich erkennen konnte. «Er machte eine Pause. Aber es wird England sein und nicht irgendein pockenverseuchtes Gefangnis am anderen Ende der Welt.»
        Bolitho sah ihn an.»Vielleicht sprechen wir spater daruber.»

«Kaum. «Sein alterer Bruder sah ihm in die Augen.»Ubrigens halte ich das, was du jetzt tust, fur verruckt. Du hattest PelhamMartin die Verantwortung tragen lassen und ruhig in St. Kruis vor Anker bleiben sollen. Jetzt wird er gewinnen, ganz gleich, wie die Sache ausgeht.»

«Mag sein.»
        Hugh nickte.»Aber vielleicht hatte ich genauso gehandelt. Die Manner aus Cornwall sind leicht verruckt, sagt man, und wir bilden anscheinend keine Ausnahme.»
        Man horte Fu?getrappel auf dem Gang, dann steckte Midshipman Pascoe den Kopf durch die Tur.»Frage von Mr. Roth, Sir, ob er ein Reff einstecken darf. Der Wind hat ziemlich aufgefrischt. «Seine Augen wanderten von Bolitho zu Hugh.»Sir?»
        Bolitho sagte:»Nein, das darf er nicht, Mr. Pascoe. Jetzt nicht und auch spater nicht, es sei denn, wir bekommen einen Hurrikan.»
        Pascoe nickte.»Aye, aye, Sir, ich richte es sofort aus. «Dann fragte er:»Ware es Ihnen recht, wenn Mr. Selby mir den Sextanten noch einmal erklarte, Sir? Es scheint, da? ich etwas langsamer bin als die anderen.»
        Bolitho sah ihn wohlwollend an.»Nicht langsamer, Mr. Pascoe, nur junger.»
        Dann schaute er auf seinen Bruder.»Wenn Sie es mit Ihrem ubrigen Dienst vereinbaren konnen, Mr. Selby, haben Sie meine Genehmigung. «Und mit Nachdruck: Was unsere Unterredung soeben betrifft - ich mochte hoffen, da? Sie die restliche Zeit gut nutzen.»
        Hugh nickte, und seine Augen strahlten plotzlich.»Die Zeit wird gut genutzt, Sir, darauf haben Sie mein Wort.»
        Als sie gegangen waren, stutzte Bolitho den Kopf in die Hande und starrte blind auf die Karte. Es hatte Zeiten gegeben, da ihm sein Bruder wegen der Aussichtslosigkeit seiner Zukunft leid tat. Jetzt war er eher neidisch auf ihn. Denn obwohl Pascoe uber die Identitat seines Lehrmeisters im unklaren blieb, wurde Hugh ihn schnell fur sich gewinnen; danach konnte er sich mit dem Gedanken trosten, da? sein Sohn frei von Schande das Leben weiterfuhren konnte, das er selber so leichtfertig weggeworfen hatte.
        Und was hatte er selbst? Nichts. Seine Finger beruhrten wie von selber das Medaillon. Nur Erinnerungen, die im Lauf der Jahre gewi? so ungreifbar werden wurden wie der Wind und keinen Trost mehr schenkten.
        Mit einem Ruck stand Bolitho auf und griff nach seinem Hut. Hier war ein schlechter Ort zum Alleinsein. An Deck hatte er wenigstens das Schiff und die Aufgabe, alles zu versuchen, was in seiner Macht stand.



        XVIII Endlich: das Signal

        Wie Bolitho vorausgesehen hatte, wich die erste allgemeine Begeisterung uber die Ruckkehr den Belastungen knochenbrechender Arbeit, die damit fur jeden Mann verbunden war. Als sie aus der friedlichen Zone des Passats in die Ro?breiten gelangten, wurden sie das Opfer von irritierenden und enttauschenden Verzogerungen. Denn in der Weite des Ozeans drehten die schwachen Winde unaufhorlich, manchmal zweimal wahrend einer Wache, so da? alle standig damit beschaftigt waren, die Segel neu nach dieser oder jener Seite zu trimmen, um auch nicht eine Mutze voll Wind zu vergeuden.
        Schlie?lich setzte der Wind ganz aus, und zum ersten Mal seit St. Kruis schaukelte die Hyperion flugellahm mit schlaff hangenden Segeln in einer unangenehmen Dunung. Die meisten Leute an Bord waren zunachst dankbar fur die Ruhepause. Doch ihre Hoffnung auf Ruhe verflog schnell, als Bolitho Inch befahl, sie anders zu beschaftigen und die Zeit zu nutzen, um die Schlechtwettersegel anzuschlagen, die sie bald brauchen wurden.
        Sechzehn Tage nach dem Ankerlichten erwischten sie eine steife Sudwestbrise, halsten unter einem bleifarbenen Himmel und nahmen Kurs Ost fur den letzten Abschnitt ihrer Fahrt.
        Bolitho wu?te, da? ihn viele Leute verfluchten, wenn wieder einmal der Ruf» Alle Mann! Alle Mann an Deck!«erscholl und ihre muden Leiber in die Wanten und auf die schaukelnden Rahen trieb. Ihre Welt bestand nur noch aus heulendem Wind und durchnassendem Gischt, wenn sie hoch uber Deck mit aufgerissenen und blutenden Fingern die nasse Leinwand hochholten und mit Fausten zusammenschlugen, bevor sie die Beschlagzeisinge herumschlingen konnten. Dabei hatten sie zu kampfen, da? sie nicht den Halt verloren und nach unten in den sicheren Tod sturzten. Doch Bolitho hatte jetzt nur wenig Zeit fur ihre Gefuhle, wenigstens nicht mehr, als er sich selber in einem Augenblick der Ruhe gonnte.
        Zu jeder anderen Zeit ware er stolz, ja begeistert uber die Art gewesen, wie das alte Schiff und seine Besatzung sich verhielten. Als die Meilen unter dem Kiel dahinrauschten und die Farbe des Ozeans in ein dumpfes Grau wechselte, wu?te er, da? ihn viele Kommandanten um die schnelle Reise beneiden wurden.
        Wie immer, wenn er aufs Achterdeck kam, stand die Impulsive nicht weit hinter ihnen. Ihre dunklen Schlechtwettersegel gaben ihr das Aussehen von Zielstrebigkeit und grimmiger Entschlossenheit. Von der Hermes dagegen war nichts mehr zu erblicken. Bolitho hatte sich schon gefragt, ob Fitzmaurice sich vielleicht entschlossen haben mochte, vorsatzlich zuruckzufallen und ihn sich selbst zu uberlassen. Aber es war fruchtlos und unfair, so etwas uberhaupt zu denken. Solche Gedanken entsprangen nur der Ungewi?heit und seinem alles andere zuruckdrangenden Willen, das Schiff wie nie zuvor anzutreiben.
        Jeden Tag hatte er den Kommodore in seiner Schlafkammer besucht, doch selbst das schien jetzt zwecklos. Pelham-Martin sprach selten mit ihm und starrte aus seiner Koje nur an die Decke, ohne sich die Muhe zu machen, seine Genugtuung uber Bolithos nichtssagende Berichte zu verbergen. Trotz Pelham-Martins stummer Feindseligkeit war Bolitho uber dessen Aussehen beunruhigt. Er a? wenig, trank zum Ausgleich aber eine Menge Brandy. Er schien niemandem in seiner Nahe zu trauen und hatte sogar Petch mit einer Flut von Drohungen weggejagt, als der Ungluckliche versucht hatte, ihm den Schwei? vom Gesicht zu wischen.
        Seltsamerweise hatte der Kommodore jedoch nach Sergeant Munro verlangt, einem alteren Seesoldaten, der vor seiner Dienstzeit einmal Diener in einem Gasthof gewesen war und etwas vom Umgang mit Hohergestellten verstand. Bolitho hatte allerdings den
        Verdacht, da? der Kommodore Munro mehr als Leibwachter gegen einen eingebildeten Feind denn als Diener ausgewahlt hatte.
        Pelham-Martins Stimme war offenbar fester, aber er hatte es abgelehnt, da? Trudgeon nach ihm sah oder da? sein Verband in letzter Zeit gewechselt wurde. Bolitho war uberzeugt, da? er sich nur verstellte und Zeit bis zu dem Augenblick gewinnen wollte, da er seinen Irrtum zugeben mu?te.
        Mit seinem Bruder hatte Bolitho nicht mehr gesprochen, aber eines Nachts, als der Wind unerwartet zu voller Sturmstarke auffrischte, hatte er ihn mit einigen Matrosen aufentern gesehen, um das Besanstagsegel zu bergen, das mit einem Knall, den man selbst im Tosen der See und dem Geheul der Takelage nicht uberhoren konnte, von oben bis unten zerrissen war. Pascoe war an seiner Seite gewesen, und als sie beide schlie?lich wieder an Deck standen, hatten sie einander so frohlich zugelacht wie Verschworene, die etwas Privates, Besonderes verband.
        Wahrend die Tage vergingen, hielt sich Bolitho moglichst von seinen Offizieren fern und beschrankte sich auf dienstliche Kontakte. Der Sudwestwind zeigte keine Ermudungserscheinungen, und wahrend das Schiff durch die endlose Weite der schaumgekronten See stampfte und rollte, ging Bolitho ruhelos auf dem Achterdeck auf und ab, ohne auf seine durchna?te Kleidung zu achten, bis Allday ihn schlie?lich uberreden konnte, zu einem Teller Suppe und einer kurzen Ruhepause nach achtern zu kommen. Uberall im Schiff troff es von Feuchtigkeit, und in den unteren Decks hockten die Manner der Freiwache zusammengekauert hinter den geschlossenen Stuckpforten, schliefen oder warteten auf die nachste karge Mahlzeit; alle hofften, da? ihre Reise endlich ein Ende finden moge.
        Die Koche hatten tatsachlich nur wenig anzubieten; in ihrer ewig schaukelnden Kombuse, zwischen dem Gewirr von Topfen und angebrochenen Fassern mit gesalzenem Schweine- oder Rindfleisch, konnten sie ohne Zauberei kaum etwas Besseres hervorbringen.
        Am Mittag des siebenundzwanzigsten Tages stand Bolitho an der Querreling und sah zu, wie Inch und Gossett eifrig mit ihren Sextanten hantierten. Es hatte etwas aufgeklart, und gerade uber ihnen waren die Wolken zu langen Fahnen ausgefranst, zwischen denen ein wassriges Sonnenlicht die Illusion von Warme verhie?. Gossett sagte bedachtig:»Ich hatte es nicht fur moglich gehalten,
        Sir!»
        Bolitho ubergab Carlyon seinen eigenen Sextanten und hielt sich mit einer Hand an der abgenutzten Reling fest. Siebenundzwanzig Tage, also drei weniger, als er sich in St. Kruis zum kaum erreichbaren Ziel gesetzt hatte.
        Inch trat an seine Seite und fragte vorsichtig:»Was nun, Sir?»

«Die Spartan klart dort schon seit ein paar Tagen auf, Mr. Inch. «Bolitho musterte den verschwommenen Horizont. In dem einheitlichen Metallgrau war kaum ein Unterschied zwischen Himmel und Wasser zu erkennen.»Wir bleiben bis zur Abenddammerung auf diesem Kurs. Vielleicht horen wir bis dahin etwas Neues von Kapitan Farquhar.»
        Aber nichts geschah, auch tauchte nirgendwo ein Segel auf und unterbrach die unendliche Monotonie der lang dahinrollenden Wogen. Bei aufkommender Dunkelheit wendeten sie und legten sich unter gerefften Marssegeln hoch an den Wind. Nichts in Sicht auch am nachsten Tag, noch am Tage darauf, und als die Ausguckposten im Mast einander immer wieder ablosten und ihr taglicher Trott sich uber Minuten und Stunden hinschleppte, wu?te Bolitho, da? es - au?er ihm - nur wenige an Bord gab, welche die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatten.
        Die Stimmung an Bord wurde gereizter, hier und da flammten unter den auf engem Raum zusammengepferchten Leuten alte Spannungen auf und endeten in Prugeleien. Drei Mann wurden ausgepeitscht, und ein sonst zuverlassiger Bootsmannsmaat mu?te in die Arrestzelle gesperrt werden, weil er sich geweigert hatte, zur Nachtwache aus seiner Hangematte zu kommen.
        Funf Tage, nachdem sie den vermutlichen Treffpunkt erreicht hatten, sichteten die Ausguckposten die Spartan, die sich aus sudwestlicher Richtung naherte. Fur kurze Zeit kehrte etwas von der alten Erregung zuruck. Manner kletterten in die Wanten und Masten und sahen zu, wie die Spartan wendete und sich in Lee der Hyperion legte.
        Midshipman Carlyon setzte sein Glas ab und blickte Bolitho an.

«Sie hat nichts zu melden, Sir. «Er senkte den Blick, als ob er daran schuld sei.
»Spartan bittet um Befehle.»
        Bolitho war sich bewu?t, da? Inch und die anderen ihn beobachteten, obwohl sie, wenn er sich umdrehte, alle mit anderen Dingen beschaftigt schienen.
        Langsam antwortete er:»Signalisieren Sie: Spartan soll Position in Luv von uns einnehmen, wie die Dasher.»
        Er sah zu, wie die Fregatte abfiel und ihre Rahen herumschwangen, als Farquhar sich erst einmal von der Hyperion freisegelte. Die Bordwand der Spartan trug Streifen vom Salzwasser, und in ihrer Takelage waren mehrere Leute dabei, Schaden auszubessern, die sie von den standigen Puffen des schlechten Wetters davongetragen hatte. Wie es auf der kleinen Korvette aussah, wagte Bolitho sich gar nicht vorzustellen. Trotzdem hatte die Dasher mit ihnen Schritt gehalten, hatte sich durch Sturme gekampft und in Flauten mit ihnen gelitten, und zu jeder Morgenwache hatten ihre Marssegel herubergegru?t.
        Bolitho sagte:»Ich gehe nach achtern, Mr. Inch.»
        Der Leutnant kam auf die Luvseite hinuber und fragte zogernd:»Werden Sie den Kommodore besuchen, Sir?«Er sah Bolithos Blick und fugte hinzu:»Noch ist Zeit, Sir. Wir konnen es gemeinsam ausbaden, wenn Sie wollen.»
        Bolitho lachelte.»Es besteht kein Anla?, diesen Augenblick beschleunigt herbeizufuhren. «Er sah ihn ernst an.»Aber trotzdem vielen Dank. Die letzten Tage waren ziemlich hart fur uns alle.»
        Als er wegging, horte er Inch sagen:»Diese verfluchten Froschfresser!»
        Vor der Schlafkammer hielt Bolitho kurz an und machte erst dann die Tur auf. Pelham-Martin sah ihn einige Sekunden schweigend an. Dann fragte er:»Nun, geben Sie sich endlich geschlagen?«Bolitho klemmte seinen Hut fester unter den Arm.»Es ist nichts in Sicht, Sir. Das Rendezvous ist uberfallig.»
        Pelham-Martins Augen blitzten kurz auf.»Holen Sie mir meinen Schreibblock!«Er beobachtete Bolitho, der an das eingebaute Spind ging.»Ich werde Sie augenblicklich Ihres Amtes entheben. Sie haben meine Befehle nicht befolgt und haben Vorteil aus meiner Verwundung gezogen. In diesem Sinne werde ich meinen Bericht abfassen.»
        Bolitho legte den Block auf die Koje und sah ihn unbewegt an. Seine Glieder fuhlten sich so leicht, als ob er Opium genommen hatte; nichts schien ihn zu beruhren, was hier vor sich ging.
        Der Kommodore befahl:»Holen Sie einen Zeugen!»
        In diesem Augenblick erschien Inch in der Tur und starrte sie neugierig an. Er sagte:»Der Ausguck im Vormars hat die Hermes gesichtet, Sir.»
        Pelham-Martin ruhrte sich unter seiner Decke.»Gut, dann wird das Geschwader geschlossen nach England zurucksegeln. «Sein Blick konzentrierte sich auf Inch. Sie werden dieses Dokument hier als Zeuge unterschreiben. Und wenn Sie sich entsprechend verhalten, werde ich Sie vor dem Kriegsgericht retten.»
        Inch sagte heiser:»Nichts von dem, was geschah, geschah ohne meine Zustim.. »
        Bolitho unterbrach ihn scharf:»Bezeugen Sie lediglich dieses Dokument, Mr. Inch, und seien Sie kein Narr!»

«Recht so!«Pelham-Martin schien sich in seine Decke verwik-kelt zu haben. Er rief: Munro, kommen Sie sofort!»
        Der Sergeant betrat die Kammer und stellte sich ans Kopfende der Koje.»Richten Sie mich auf, verdammt noch mal!»
        Als Munro ihn um die Schultern fa?te, stie? Pelham-Martin einen so gra?lichen Schrei aus, da? er ihn aufs Kissen zuruckfallen lie?.
        Bolitho befahl kurz:»Bleiben Sie dort stehen!«Er zog die Decke zuruck und starrte die Schulter an, die aus dem Verband herausragte.»Holen Sie sofort den Arzt!«Ihm wurde fast ubel vor Entsetzen: Der Oberarm des Kommodore und der sichtbare Teil der Schulter leuchteten hellgelb wie eine reife Melone, und als er die Haut vorsichtig beruhrte, fuhlte sie sich brennend hei? an.
        Pelham-Martin blickte zu ihm auf.»Was ist? Um Gotteswillen, warum starren Sie mich so an?»
        Inch murmelte:»Du lieber Himmel!»

«Die Wunde hat sich entzundet, Sir.»

«Sie lugen!«Der Kommodore versuchte, sich aufzurichten, fiel aber mit einem Schmerzenslaut zuruck.»Sie sagen das nur, um Ihren Kopf zu retten!»
        Trudgeon drangte sich an Inch vorbei und musterte schweigend die verfarbte Haut. Dann sagte er tonlos:»Der Splitter mu? entfernt werden, Sir. «Er sah Bolitho zweifelnd an.»Selbst dann bin ich nicht sicher…»
        Pelham-Martin schrie wild:»Ruhren Sie mich nicht an! Ich befehle Ihnen, sich fernzuhalten!»

«Es hat doch keinen Sinn, Sir!«Bolitho sah ihn ernst an.»Sie dachten, ein so kleiner Splitter konne kein Unheil anrichten. Dennoch haben Sie sich daran infiziert. «Sein Blick fiel auf die leere Karaffe.»Oder Ihr Blut ist infiziert.
«Er schaute weg, da er die angsterfullten Blicke des Mannes nicht mehr ertragen konnte.
        Der Narr. Der arme, angstliche Narr! Um einer Entscheidung aus dem Wege zu gehen, hatte er sich diese schreckliche Geschichte eingebrockt. Er dachte plotzlich an die Schiffe und all die Menschen, die von ihm abhangig gewesen waren, und setzte entschieden hinzu:»Es gibt keine andere Moglichkeit, Sir. «Er nickte Trud-geon zu. Sie haben meine Einwilligung.»
        Pelham-Martin schrie:»Ich befehle Ihnen. «Er wand sich hin und her, der Schwei? lief ihm uber die Brust, als er Inch ins Auge fa?te:»Ich habe Kapitan Bolitho bereits seines Kommandos enthoben!»
        Uber sich auf der Schanz horten sie plotzlich Getrappel und gedampfte Hochrufe. Sie sahen einander an und drehten sich wie auf Kommando zur Tur um, als Midshipman Carlyon hereinsturzte.

«Sir!«Er dampfte die Stimme, als er den leidenden Kommodore sah.»Signal von Hermes!«Er hob sein zerschlissenes Notizbuch naher an die Augen.»Unbekanntes Segel im Nordwesten.»
        Bolitho sah ihn an.»Vielen Dank, Mr. Carlyon. Nun aber schleunigst zuruck zu Ihren Flaggen!«Und zu Inch sagte er:»Ich komme gleich an Deck. «Er lachelte.»Und Dank fur Ihre Loyalitat.»
        Dann wandte er sich um und schaute auf den Kommodore hinunter.»Es mu? Lequillers Geschwader sein, Sir. Ich werde Sie auf dem laufenden halten, soweit es mir moglich ist. «Er ging zur Tur, gerade als Trudgeon seinen Leuten winkte, hereinzukommen.
        Die Luft an Deck war sauber und erfrischend. Ein leichter Spruhregen hatte eingesetzt, aber der Wind wehte noch immer bestandig aus Sudwesten, und der Wimpel an der Mastspitze stand fast bewegungslos vor dem truben Himmel.
        Gossett berichtete:»Kurs West zu Nord. Voll und bei, Sir.»
        Bolitho nickte und hob ein Teleskop ans Auge. Backbord voraus konnte er die Obersegel der Hermes wie gestochen erkennen.
        Carlyon rief:»Von Hermes, Sir! >Schatze auf funf Linien-schiffe         Bolitho senkte sein Glas und sah Inch an. All diese Tage und Wochen des Wartens, Hoffens und Planens hatten sie zur rechten Stunde an die richtige Stelle gebracht.
        Er befahl:»Gehen Sie einen Strich nach Steuerbord, Kurs Westnordwest. »
        Wahrend Inch nach seinem Sprachrohr suchte, winkte Bolitho Midshipman Carlyon zu sich heran und sah, wie Inch innehielt, um zuzuhoren.

«Mr. Carlyon, machen Sie ein Signal fur das ganze Geschwader. «Er zogerte, als er die Blicke der Leute rundherum auf sich gerichtet sah.

«Feind in Sicht!»
        Als die Signalflaggen hochstiegen und auswehten, fragte sich Bo-litho, was die anderen Kommandanten wohl empfinden wurden, wenn sie das Signal ablasen. Als sie noch in St. Kruis uber seine Gedanken und Vorschlage nachgedacht hatten, mu?ten sie Zweifel, viele Zweifel gehabt haben. Jetzt aber, angesichts dieses Signals, wurden sich ihre Zweifel verfluchtigen und ihre Gedanken sich nur noch auf den bevorstehenden Kampf richten. Auf einen Kampf, bei dem es um Leben oder Tod ging.
        Achteraus, auf der Impulsive, war das >Verstanden<-Zeichen bereits gehi?t. Er konnte sich vorstellen, mit welchen Augen Herrick jetzt sein Schiff ansah, sein erstes Kommando, das er vielleicht binnen weniger Stunden wieder verlieren wurde.
        Er zog seine Uhr aus der Tasche und lie? den Deckel aufschnappen. Genau zwei Uhr. Wie zur Bestatigung schlug die Schiffsglok-ke auf der Back viermal an.
        Als er sein Teleskop wieder hob, sah er, da? die Hermes gro?er und deutlicher geworden war. Er dankte Gott fur die guten Augen ihres Ausgucks. Wie leicht hatten die beiden Geschwader aneinander vorbeifahren konnen, ohne etwas vom anderen zu bemerken. Oder was ware gewesen, wenn sie einander gerade im Augenblick des Kontaktes in einer Regenbo wieder aus den Augen verloren hatten?
        Lequiller hatte sehr wahrscheinlich seinerseits die Hermes gesichtet und kaum eine andere Wahl, als sie anzugreifen. Denn die Hermes stand zwischen ihm und seinem Ziel, der Kuste, und da das Tageslicht noch mehrere Stunden anhielt, mu?te er diesen durftigen Gegner vor seinem Bug zum Kampf stellen und vernichten, wenn er nicht vom Jager zum Wild werden wollte.
        Bolitho befahl:»Signal an Hermes: Nehmen Sie Position hinter mir ein!«Er dachte wieder an Herrick. Ihn wurde dieses Signal sicher enttauschen, aber wenn sein Vierundsechzig-Kanonen-Schiff den ersten Zusammenprall uberstehen sollte, mu?te er den beiden starkeren Zweideckern den Vortritt mit einleitenden Breitseiten lassen. Er setzte hinzu:»Danach machen Sie Signal an alle: Vorbereiten zum Gefecht!»

«An Deck!«Der Ruf vom Mast lie? alle nach oben blicken.»Segel voraus in Lee.
«Kurze Pause.»Mehr als ein Schiff, Sir!»
        Bolitho nickte Inch zu.»Lassen Sie >Klar Schiff zum Gefecht< und > Alle Mann auf Gefechtsstationen< anschlagen.»
        Zwei Trommler der Seesoldaten eilten zum Niedergang und begannen mit ihrem eindringlichen Wirbel. Der schnelle Trommelschlag schien die Bestatigung all ihrer Hoffnungen zu sein, und als die Leute aus den unteren Decks hochkamen und auf ihre Platze rannten, jubelten die anderen, die schon auf Wache waren, und winkten mit ihren Haltstuchern zur Hermes hinuber, die sich mit einem eleganten Manover in die Mitte der Schlachtlinie einreihte. Bolitho sah Fitzmaurice mit seinen Offizieren und hob die Hand in Erwiderung seines Gru?es.
        Er horte, wie unter Deck Zwischenwande und Mobelstucke we g-geraumt wurden, und sah, wie eilige Fu?e in den Wanten aufenterten, um die Rahen mit Ketten zu sichern, wahrend wieder andere Tomlins Decksmannschaft halfen, die Schutznetze uber den Geschutzbedienungen auszubringen.
        Er sagte zu Inch:»Geben Sie Befehl, die Boote in Schlepp zu nehmen. «Er dachte an ihre Entfernung vom Land und an die sonst geringe Uberlebenschance, wenn das Schlimmste passieren sollte.
        Inch kam wenige Sekunden spater, bleich vor Anstrengung, zuruck.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir. «Er schaffte ein Grinsen.»In genau sechs Minuten!»

«Sehr gut!«Bolitho lachelte ebenfalls.»Sehr gut!»
        Er ging zuruck zur Querreling und schaute auf das menschengefullte Hauptdeck hinunter. Jede Kanone war besetzt und bereit. Die Geschutzfuhrer spahten - mit dem Gerat ihrer Zunft behangen - nach achtern. Die Decks waren mit Sand bestreut, und wenn die steife Brise anhielt, wurden die Manner beim Ausrennen ihrer Geschutze festen Halt unter den Fu?en wirklich brauchen konnen.
        Er sagte:»Signal an alle: >Segelflache reduzieren«. «Frostelnd schaute er zum Wimpel hinauf. Bald war es soweit. Sehr bald. Hoffentlich wurde der Feind seinen ersten Entschlu? nicht andern, wenn er sie in voller Starke sah.

«An Deck! Funf Linienschiffe und ein anderes, Sir!»
        Gossett brummte:»Das wird das spanische Schatzschiff sein.»
        Bolitho zwang sich, langsam zu gehen und die Hande auf dem Rucken zu behalten. Als er an den Neunpfundern des Achterdecks vorbeikam, drehten sich einige Leute um und beobachteten ihn, als konnten sie etwas von seiner scheinbaren Ruhe auf sich uberflie?en lassen und als Talisman bewahren.
        Hauptmann Dawson kletterte von der Schanz herunter. Uber ihm und rundherum standen die Seesoldaten in sauber ausgerichteten Reihen an den Netzen, die Musketen neben sich und die Uniformen so korrekt wie immer.
        Bolitho nickte ihm zu.»Gehen Sie nach vorn und sprechen Sie mit Ihrem Leutnant. Die Karronaden werden heute viel Arbeit bekommen. Ihre Scharfschutzen sollen den Bedienungen so viel Feuerschutz geben wie moglich.»
        Dawson zupfte an seinem Kragen.»Jawohl, Sir. «Er warf einen mi?mutigen Blick auf das graue Wasser.»Ein Bad wurde mir heute ganz und gar nicht schmecken.»
        Weitere Matrosen sprangen von den Wanten aufs Deck, nachdem das riesige Gro?segel endlich festgezurrt war und das Schiff in einem Zustand der Hochspannung zur Ruhe kam. Abgesehen vom Zischen des Spritzwassers und dem Summen der Takelage war es wieder ganz still.
        Inch fragte:»Werden wir die Luvposition einnehmen, Sir?»

«Das la?t sich jetzt noch nicht sagen. «Bolitho machte einen langen Arm und schnappte sich das Glas von Carlyon. Als er es gegen die Netze stutzte, sah er die feindlichen Schiffe zum ersten Mal. Es war schwierig, auf diese Entfernung ihre Formation zu erkennen.
        Die einander uberlappenden Marssegel und die flatternden Flaggen erweckten den Eindruck, als kame ein riesiges Ungeheuer uber die Kimm gekrochen, um ihnen Tod und Verderben zu bringen.
        Er gab das Glas zuruck. Uber das Schiff an der Spitze gab es keinen Zweifel. Es war Lequillers Flaggschiff, der gewaltige Dreidek-ker Tornade. Sie war erst zwei Jahre alt und mit einhundert Kanonen bewaffnet. Besser, sich an sie zu erinnern, wie sie damals vor Anker lag und die unglucklichen Gefangenen an ihrer Gro?rah baumelten, als jetzt uber die Verheerungen nachzudenken, die ihre gewaltige Artillerie anrichten konnten.
        Ohne dieses Schiff ware das Krafteverhaltnis annehmbar, wenn auch nicht ganz fair gewesen. Funf gegen drei. Aber die uberragende Feuerkraft der Tornade verschob das Krafteverhaltnis ganz gewaltig zu ihren Ungunsten.
        Er pre?te den Mund zu einer dunnen Linie zusammen.

«Der Wind flaut etwas ab, Sir«, meldete Gossett verdrie?lich.»Das ist die typische Bosheit der Biskaya.»
        Bolitho nickte. Wenn der Wind ganz aufhorte, wurde das ihr erstes Scharmutzel noch verheerender machen und ihre Aussichten, Lequillers Schiffe so zu beschadigen, da? er seinen Plan verschieben oder aufgeben mu?te, noch unwahrscheinlicher.
        Unterhalb der Reling horte Bolitho leise Stimmen, und als er hinunterschaute, sah er einige Seeleute, die sich an den Laufbrucken hochgezogen hatten und die naherkommenden Schiffe beobachteten, wobei sie wohl die Starke des Feindes erkannten.
        Das war schlecht. Auf die Annaherung des Feindes zu warten, war immer der schlimmste Teil des Gefechts. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, und wahrend der ganzen Zeit konnte man nichts anderes tun, als beobachten und uberlegen; dabei ging leicht die Zuversicht verloren und machte Verzweiflung Platz.
        Bolitho winkte einem der Spielleute.»Komm her, mein Junge. «Der Trommelbube schaute angstlich unter seinem Tschako zu ihm hoch.»Kannst du auch Querpfeife spielen?«Er bemuhte sich, ihm zuzulacheln, und spurte, wie sich dabei die Haut an seinen Mundwinkeln schmerzhaft verzog.

«Jawoll, Sir!«Der Knabe zuckte aufgeregt mit den Wimpern und zog die Pfeife aus seiner Bandeliere.
        In diesem Augenblick, als Bolitho versuchte, sich eine Melodie oder einen Shanty einfallen zu lassen, mit dem er die Aufmerksamkeit der Manner vom Feind ablenken konnte, ertonte aus dem Achterschiff ein schrecklicher Schrei. Er hielt auf gleicher Tonhohe immer noch an, als die Manner an den Kanonen auf den dunklen Gang hinter dem Steuerrad starrten, der zur Kajute fuhrte. Ein Ruderganger loste sogar den Griff um die Radspeichen und sah sich entsetzt um.
        Der schreckliche Schrei brach ab, sein Echo schien aber noch lange in der Luft zu hangen. Bolitho bi? die Zahne zusammen und versuchte, nicht an den fetten, nackten, auf dem Tisch festgehaltenen Leib zu denken, in den das Messer des Schiffsarztes den ersten tiefen Einschnitt getan hatte.
        Er fragte scharf:»Also?»
        Der Trommelbube hob die Pfeife, aber seine kleinen rauhen Hande zitterten, als er sie an die Lippen fuhrte.
        Gossett sagte barsch:»Wie war's mit dem Madel aus Ports-mouth«. Er warf den Kanonieren und den reglos dastehenden Seesoldaten einen drohenden Blick zu.»Los, singt, ihr Waschlappen, oder ich fahre gleich zwischen euch!»
        Als ein neuer schrecklicher Schrei die Luft zerri?, wurden die schwachen Pfeifentone von den Matrosen auf dem Achterdeck aufgenommen, dann - zunachst langsam - von den Bedienungen der Zwolfpfunder und sogar von einigen Leuten oben auf den Gefechtsstanden der Masten.
        Bolitho ging auf die Luvseite und hielt das Gesicht in den Wind. Die Stimmen der Manner, die lauter wurden und sich uber den Wind erhoben, das geistige Bild von Pelham-Martins Qualen, alles war Teil der Unwirklichkeit um ihn herum. Aber fast am schlimmsten waren die Worte des Liedes, das Gossett so eilig vorgeschlagen hatte, um die Schreie aus der Kajute zu ubertonen.

«Ich kannte ein Madel in Portsmouth Town.»
        Es war der gleiche Shanty, den sie gesungen hatten, als die Hyperion sich an jenem bitterkalten Wintermorgen aus dem Plymouth-Sund freigearbeitet hatte.
        Er wandte den Kopf, als einer von Trudgeons Gehilfen mit einem Leinenbundel aus der Hutte trat. Der Mann hielt einen Augenblick inne und lauscht dem Gesang, bevor er das blutbefleckte Bundel uber die Leereling warf.
        Bolitho fragte:»Wie ging es?»
        Der Sanitatsmaat zog eine Grimasse.»Ein kleiner Splitter, Sir, nicht gro?er als meine Fingerspitze. «Zornig zuckte er die Achseln.»Aber Eiter und Dreck fur zehn Manner!»

«Verstehe. «Es war sinnlos, weitere Fragen zu stellen. Der Maat war nur eine Verlangerung von Trudgeons Armen, mit denen ein Opfer festgehalten wurde; die Schrecken seines Berufs hatten ihn so abgehartet, da? er fur Gefuhle kein Organ mehr besa?.
        Bolitho lie? ihn stehen und hob wieder das Teleskop. Wie schnell die franzosischen Schiffe eine Kiellinie gebildet hatten und wie unzerstorbar sie aussahen! Unter gerefften Segeln, die Rumpfe in dem eigenartigen Licht matt glanzend, schienen sie sich wie an einer unsichtbaren Schnur zu bewegen, und zwar auf einem Kurs, der mit dem der drei englischen Schiffe zusammenlief. In weiter Ferne, und durch ihr hohes Achterschiff gerade noch hinter der drauenden Schlachtlinie erkennbar, sah er die San Leandro, auf der Perez und seine Ratgeber zweifellos warteten, da? ihm der Weg fur seine Heimkehr zu Macht und Reichtum geoffnet wurde.
        De Block hatte erzahlt, da? der Gouverneur von Las Mercedes schon uber siebzig Jahre alt sei. Es war unwahrscheinlich, da? er lange genug lebte, um sich seiner Heimat langere Zeit zu erfreuen, selbst wenn die Franzosen es ihm erlaubten.
        Er warf das Teleskop in seine Halterung. Nun war er schon so weit, da? er ihre Niederlage in seine Gedankenkette einbaute. Nein, Lequiller wurde nicht siegen, und Perez wurde die Vernichtung seiner Verbundeten noch erleben.
        Knapp drei Meilen trennten die beiden Geschwader, aber immer noch lie? sich nicht sagen, welche Schiffe die Luvposition einnehmen wurden. Es war besser, den augenblicklichen vorsichtigen Annaherungskurs beizubehalten, als die Schlachtordnung durch ein Manover in letzter Minute zu gefahrden.
        Das Singen hatte aufgehort, und als Bolitho das Schiff entlang blickte, sah er, da? die Manner an ihren Kanonen standen und nach achtern, auf ihn, schauten.
        Er nickte.»Sie konnen jetzt laden und ausrennen lassen, Mr. Inch. Es wird Zeit, da? wir ihnen die Zahne zeigen.»
        Inch grinste und eilte davon. Minuten spater klappten die Deckel der Stuckpforten hoch und rumpelten die Kanonen auf quietschenden Rollwagenlafetten an die Verschanzung. Die Geschutzfuhrer griffen nach den Abzugsleinen und gaben leise letzte Anweisungen.
        Midshipman Pascoe kam aus dem Hauptluk gerannt und meldete vom Fu? der Leiter zum Achterdeck:»Untere Batterie geladen und fertig, Sir!«Er drehte sich um und wollte zuruckrennen, als Bolitho ihn anhielt.»Kommen Sie her, Mr. Pascoe!»
        Der Junge stieg aufs Achterdeck und legte die Hand an den Hut. Seine Augen strahlten, und seine sonst bleichen Wangen hatten vor Eifer Farbe bekommen.
        Bolitho sagte ruhig:»Schauen Sie mal da hinuber!«Er wartete, bis der Junge auf einen Poller geklettert war, um uber die Hangemattsnetze hinwegsehen zu konnen.
        Pascoe starrte eine volle Minute auf die gro?e Ansammlung von Segeln, die sich von Steuerbord voraus bedrohlich auf sie zu bewegte. Dann sprang er wieder herunter und sagte:»Das sind 'ne ganze Menge, Sir. «Er hob das Kinn, und als er ihn ansah, meinte Bolitho, da? dieses Gesicht gut in die Ahnengalerie des nun leerstehenden Hauses in Falmouth passen wurde. Impulsiv streckte er die Hand aus und fa?te Pascoe am Arm.»Passen Sie auf sich auf, Mr. Pascoe. Keine Tollheiten heute, ja?«Er griff in seine Tasche und zog das kleine geschnitzte Schiff heraus, das de Block ihm geschenkt hatte.»Hier, nehmen Sie das als Erinnerung an Ihre erste Fahrt.»
        Der Junge drehte es in den Handen und sagte:»Es ist wunderschon. «Dann steckte er es in seine Jacke und machte wieder die Handbewegung zum Hut. Bolitho sah ihm nach, und das Herz wurde ihm plotzlich schwer.

«Er ist da unten sicher, Kapt'n.»
        Allday stand hinter ihm, das Sabelgehange und seinen besten Uniformrock uber dem Arm.
        Verschiedene Leute sahen zu, als Bolitho aus seinem abgetragenen Alltagsrock schlupfte und die Arme in jenen mit den wei?en Aufschlagen und Goldstickereien steckte: in den Rock, den Cheney so bewundert hatte.
        Allday zog den Gurt uber dem Bauch zurecht und trat dann zu einem kritischen Blick zuruck. Gelassen sagte er:»Es wird harte Arbeit geben, bevor wir heute Schlafengehen, Kapt'n. Und viele Leute werden nach achtern schauen, wenn die Dinge schlecht stehen. «Er nickte zufrieden.»Die wollen Sie dann sehen, um zu wi s-sen, da? Sie bei ihnen sind.»
        Bolitho zog den Sabel ein Stuck aus der Scheide und beruhrte die Schneide mit einem Finger. Er war schon alt, aber der Mann, der ihn geschmiedet hatte, hatte etwas von seinem Handwerk verstanden. Er war leichter als die meisten neueren Waffen, aber scharf wie ein Rasiermesser. Er schob ihn in die Scheide zuruck und verschrankte die Hande auf dem Rucken.»Wenn ich heute falle, sorgen Sie dafur, da? der Junge gerettet wird«, sagte er.
        Allday stand hinter ihm, ein schweres Entermesser ohne Hulle im Gurtel. >Wenn du fallst, dann nur, weil ich vorher zu Brei verwandelt worden bin<, dachte er. Laut erwiderte er:»Keine Sorge, Kapt'n. «Er zeigte lachend die Zahne.»Ich will ja noch Bootssteu-rer eines Admirals werden!»
        Man horte einen dumpfen Knall, und Sekunden spater stieg eine dunne Wassersaule an Backbord vor ihrem Bug hoch. Bolitho sah, da? brauner Qualm vom Vorschiff des Dreideckers wehte.
        Er stellte sich vor, da? Lequiller und sein Flaggkapitan jetzt ihre langsame Annaherung beobachteten, und fuhlte, wie sein Atem ruhiger und er geradezu gelassen wurde. Die letzte Ruhe, bevor der Wahnsinn begann. Der Augenblick, in dem kein Platz mehr war fur Mutma?ungen oder Reue.
        Eine weitere Kanonenkugel pflugte waagerecht durch die Wellenkamme und hupfte zum Horizont weiter.
        Er bemerkte, da? er starr lachelte. Du wirst schon naherkommen mussen, mein Freund, viel naher. Dann zog er den Sabel und legte ihn flach auf die Reling.
        Das Warten war voruber. Jetzt kam es darauf an.



        XIX Letztes Ringen

        Bolitho wandte den sich nahernden Schiffen den Rucken zu und beobachtete die Spartan. Mit der kleinen Korvette im Kielwasser segelte sie - im starken Seegang heftig stampfend - etwa eine Meile in Luv vorbei. Er bekam Farquhars elegante Figur kurz ins Blickfeld seines Fernglases. Der wandte ihm das Gesicht zu, sah ihn aber gewi? nicht.

«Setzen Sie Signal fur Spartan und Dasher.«Er bemerkte, da?
        Carlyons Hande zitterten, als er Bleistift und Notizblock aufnahm.»Greifen Sie die feindliche Nachhut an!»
        Die Geschwindigkeit, mit der Farquhar >verstanden< zeigte, und die geschaftige Tatigkeit an Deck und auf den Rahen der Spartan, die unmittelbar darauf einsetzte, sagten ihm, welche Erleichterung dieses Signal ausgelost haben mu?te. Zum Unterschied von den Linienschiffen brauchte Farquhar im Gefecht also nicht darauf zu warten, da? Salve auf Salve auf ihn abgefeuert wurde. Als sich die Segel der Spartan mit Wind fullten und weitere Leinwand an den Bramrahen gelost wurde, wu?te Bolitho, da? Farquhar sein Bestes geben wurde. Bei jeder anderen Gelegenheit ware es glatter Irrsinn gewesen, ein solch leichtes Schiff kopfuber in den Kampf zu schik-ken. Aber wie Farquhar schon hervorgehoben hatte, besa? der Feind keine Fregatten mehr. So konnte ein Scheinangriff in den Rucken der Franzosen zu einer zumindest momentanen Zersplitterung beitragen.
        Inch flusterte:»Auch die Dasher, Sir?»
        Bolitho warf ihm einen kurzen Blick zu.»Heute kann es keine unbeteiligten Zuschauer geben.»
        Sie horten Geschutzfeuer und sahen, wie aus der obersten Batterie der Tornade orangefarbene Zungen schlugen. Aber die Spartan war schon aus der Gefahrenzone und auch an der Hyperion vorbei. Ihre Flagge wehte steif von der Gaffel des Besans aus, als sie we i-tere Segel setzte und dem jenseitigen Ende der franzosischen Linie zustrebte. Einige Kanonenkugeln schlugen noch hinter ihr ein und warfen hohe Wassersaulen auf, aber sie bot ein schwieriges Ziel, und ihr plotzlicher Vorsto? war augenscheinlich unerwartet gekommen.
        Flaggen stiegen an der Rah der Tornade empor, und kurz darauf begannen die beiden letzten Zweidecker, sich von der Linie abzusetzen. Ihre Marssegel killten, als sie langsam und schwerfallig wendeten, um sich der ansturmenden Fregatte entgegenzustellen.
        Bolitho mu?te kurz lacheln. Das Schatzschiff war Lequiller also wichtiger als alles andere. Ohne dieses Schiff mit seiner Ladung an Mannern und Reichtumern war ein Sieg ohne jeden Nutzen fur ihn und sein Land.
        Auch einige der anderen Schiffe feuerten nun, und die Abschusse mischten sich miteinander und machten es den Geschutzfuhrern unmoglich, ihre eigenen Aufschlage zu beobachten und die beiden gischtuberspruhten Briten flugellahm zu schie?en, bevor sie an ihnen vorbei waren.
        Bolitho hielt den Atem an, als die Korvette plotzlich heftig schaukelte und ihr niedriger Rumpf vollig von hochaufsteigendem Wasser eingehullt wurde. Aber sie segelte weiter, obwohl ihre Gro?- und Gro?marssegel vielfach durchlochert waren. Ein einziger Volltreffer hatte ihre dunnen Planken zu Brennholz zerschlagen konnen.
        Ihr Kommandant brauchte daher auch keine Aufforderung, mehr Segel zu setzen. Er wu?te, da? sein Heil in der Geschwindigkeit lag.
        Bolitho wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem fuhrenden franzosischen Schiff zu. Sie lagen jetzt fast Bug gegen Bug, der Dreidecker weniger als eine halbe Kabellange entfernt und etwas an Steuerbord.
        Inch murmelte:»Wir gewinnen die Luvposition, scheint mir.»

«Und der Wind ist immer noch frisch, Mr. Inch. «Bolitho blickte hoch, als eine Kanone vom stattlichen Vorschiff der Tornade auf sie feuerte und die Kugel das Besanmarssegel direkt uber ihnen durchschlug.»Der Pulverqualm unserer Breitseiten wird ein noch besserer Schutz sein als unsere gro?ere Beweglichkeit.»
        Er druckte die Handflache auf die kuhle Klinge.»Batteriedeck - Achtung!«Er sah die Manner an den Kanonen niederkauern, sah ihre Zuge sich straffen, als sie durch die Stuckpforten schauten. Ihre Hande griffen nach Ansetzern und Vorholtaljen, als wollten sie sie nie wieder loslassen.
        Er horte, wie sein Befehl zum unteren Batteriedeck weitergegeben wurde, und versuchte, nicht daran zu denken, da? dort bald die Holle los sein wurde und sein Neffe mitten darin.
        Die Rahen des Dreideckers drehten sich ganz langsam: das Schiff fiel etwas ab. Lequillers Kommandant beabsichtigte offenbar, parallel an der englischen Linie zu passieren und beim Beschu? keine einzige Kugel zu vergeuden.
        Bolitho beobachtete den naherkommenden Giganten, dessen drei Geschutzreihen, die unterste aus machtigen Zweiunddrei?ig-pfundern bestehend, matt schimmerten.
        Langsam hob er die Linke und spurte, wie Gossett hinter ihm gespannt auf das Zeichen wartete. Er zwang sich selber zu warten, bis die Rahen der Tornade wieder zur Ruhe gekommen waren, und brullte dann:»Hart Steuerbord!«Er horte die Speichen des Steuerrades knarren und sah, wie der Bugspriet sich langsam zu drehen begann, bis er direkt auf die Galionsfigur des Feindes zeigte.»Stutz'!«Er schlug auf die Reling, aber seine Stimme war beherrscht, als er befahl:»Und nun, Mr. Gossett, bringen Sie sie zuruck auf den alten Kurs!«Die Steueranlage begann wieder zu quietschen, und auf dem Hauptdeck eilten Matrosen an die Brassen, wahrend die Rahen oben wegen des Hin und Hers knarrend protestierten. Bolitho eilte an die Netze und schaute zum franzosischen Flaggschiff hinuber. Es drehte ab. Sein Kommandant war offenbar durch das plotzliche Manover, das einen jahen Zusammensto? heraufzubeschworen schien, irritiert. Bolitho brullte:»Breitseite!»
        Stepkyne senkte den Degen, und seine Stimme uberschlug sich fast, als er:»Feuer! rief.
        Alle Kanonen schossen und wurden mit gro?er Gewalt nach innen geschleudert. Der Larm der Detonationen schien wie ein Gescho? in Bolithos Gehirn einzuschlagen. Er beobachtete, wie der dichte Qualm davonwogte, und horte seine Breitseite druben einschlagen.
        Plotzlich stieg der Qualm, wie von einem anderen Luftzug emporgeweht, nach oben und leuchtete dabei rot und orangefarben auf: Die Kanoniere der Tornade hatten sich besonnen und schossen zuruck.
        Bolitho taumelte und mu?te sich an der Reling festhalten, um nicht zu fallen, als eine Kugel durch das Schanzkleid schlug und voll einen Neunpfunder auf der anderen Seite traf. Er horte Stohnen und Geschrei, doch schon schlug die nachste Salve des Franzosen ein und schuttelte die Hyperion von Bug bis Heck kraftig durch.
        Uber dem wallendem Qualm sah er in den Masten des Franzosen die Musketen unsichtbarer Scharfschutzen aufblitzen. Er zahlte die Sekunden, bis die zweite Breitseite der Hyperion das Deck unter seinen Fu?en erschutterte, als seien sie aufgelaufen.
        Er brullte:»Lebhaft, Mr. Roth!«Seine ubrigen Worte gingen in dem Larm unter, den die eigenen Neunpfunder auf dem Achterdeck machten, als sie mit ihrem ohrenbetaubenden Gebell in das allgemeine Getose einfielen und beim Abschu? binnenbords rollten, bis sie von ihren Brocktauen abgebremst wurden.
        Musketenkugeln schlugen ins Deck, und Bolitho sah einen Seesoldaten wie betrunken hin- und herschwanken, bis er - die Hande auf den Leib gepre?t - gegen die Querreling taumelte und kopfuber in das Schutznetz darunter fiel.
        Aber die Stengen der Tornade peilten schon achterlicher als dwars,[dwas = quer, senkrecht zur Fahrtrichtung] und als die untere Batterie der Hyperion ihre nachste Salve feuerte, sah er, da? die Kugeln in das hohe Achterschiff des Drei-deckers einschlugen und Holzsplitter und gebrochene Wanten in verruckten Figuren hochschleuderten.
        Und da kam schon der nachste, ein Zweidecker, mit einem romischen Krieger als Galionsfigur. Sein Buggeschutz feuerte blind in den Pulverqualm hinein, wahrend er sich bemuhte, seinen Platz hinter dem Flaggschiff einzuhalten.
        Bolitho formte ein Sprachrohr mit den Handen.»Geschutzweise feuern, Mr. Stepkyne! Er sah, wie der Leutnant von Stuck zu Stuck rannte und den Geschutzfuhrern den Befehl in die Ohren schrie.
        Achteraus war verstarkter Kanonendonner zu horen, was Bolitho verriet, da? nun die Hermes mit dem Flaggschiff ins Gefecht gekommen war. Als er aber uber die Netze nach achtern schaute, sah er nur Mastspitzen, alles andere darunter war in dichten Rauch gehullt.

«Feuern!»
        Geschutz um Geschutz der oberen Batterie feuerte auf das zweite Schiff der franzosischen Linie. Fluchende und einander anspornende Manner machten sich nach jedem Schu? daran, die Rohre auszuwischen, die nachste Ladung einzurammen und dann die Kanonen an ihren Taljen wieder in Feuerstellung zu zerren. Ihre nackten Oberkorper waren vom Pulverqualm geschwarzt und schwei?uberstromt.
        Bolitho fuhlte, wie das Schiff unter ihm bebte, und zuckte zusammen, als weitere Kugeln in die Bordwand einschlugen, wobei sie gefahrliche Holzsplitter losrissen; oder sie fegten durch die offenen Stuckpforten in die dahinterstehenden Geschutzbedienungen. Er sah, wie eine ganze Kanone umkippte und einen zuckenden und schreienden Mann unter sich begrub. Aber seine Schreie gingen in dem Donnergetose der nachsten Breitseite unter, und Bolitho verga? ihn, als er im Umdrehen sah, wie der Fockmast des Zweideckers in den Pulverqualm sturzte.
        Er packte Inch am Arm, da? dieser zusammenzuckte, als hatte ihn eine Musketenkugel getroffen.»Die Karronaden!«Er brauchte nichts hinzuzusetzen, denn Inch winkte schon mit seinem Sprachrohr den auf dem Vorschiff kauernden Leuten zu. Die SteuerbordKarronade rohrte heiser auf, und ihr Pulverqualm trieb aufs Hauptdeck hinunter; aber dann sah Bolitho, wie das mit Kartatschenkugeln gefullte Gescho? genau vor der Hutte des Franzosen detonierte. Als der Wind das Blickfeld freigab, waren Steuerrad und Ruderganger verschwunden. Das ganze Achterdeck sah aus wie unter einem Erdrutsch begraben.
        Offenbar vollig au?er Kontrolle geraten, drehte das Schiff nach Lee und zeigte der Hyperion sein hohes Achterschiff, das wie eine verzierte Felswand aus dem Qualm emporragte, mit der schlaff herabhangenden Trikolore daruber.
        Die zweite Karronade rollte auf ihrem Schlitten zuruck, und Bo-litho horte jemanden jubeln, als das Gescho? gerade uber dem Namensschild Cato einschlug und innerhalb des Achterschiffs detonierte. Er konnte sich vorstellen, welch furchterliche Zerstorungen die Ladung anrichtete, als sie langsschiffs durch den Franzosen und seine dichtgedrangten Geschutzbedienungen fegte. Zumindest trug sie zum allgemeinen Durcheinander, das man schon an Oberdeck bemerkt hatte, bei. Doch noch schossen einzelne Scharfschutzen von den Masten des Franzosen auf die Bedienungen der Karronaden auf der Back.
        Undeutlich sah Bolitho, wie ein Seesoldat vom Vorschiff aus Zeichen machte und aufs Wasser wies, und als er auf die Luvseite hinuberging, sah er etwas Dunkles, mit Seetang Bedecktes, wie ein Seeungeheuer an der Bordwand vorbeitreiben.
        Inch rief heiser:»Allmachtiger Gott! Die Dasher!»
        Bolitho drangte sich an ihm vorbei, als die Marsstengen und angebra?ten Rahen des dritten Schiffes uber dem Qualm sichtbar wurden. Die Korvette mu?te eine volle Breitseite abbekommen haben oder zu nahe an das spanische Schatzschiff herangeraten sein. Ihr noch ubers Wasser ragender Kiel, ein paar daneben aufsteigende Luftblasen und allerlei Treibgut - das war alles, was von ihr ubriggeblieben war.
        Er trieb seine Leute wieder an und bi? die Zahne zusammen.
        Jemand schrie:»Schiff voraus in Luv!»
        Als der Qualm querab trieb, sah er de n anderen Zweidecker mit nahezu backgebra?ten Segeln an der Backbordseite auf sich zutreiben. Es war eines der beiden Schiffe, die zum Schutz der San Leandro abgeteilt worden waren. Als seine Geschutze feuerrote Zungen aus den Pforten bleckten, wu?te er, da? die Hyperion nun nach beiden Seiten gleichzeitig fechten mu?te.
        Die Salve schlug uber seinem Kopf ein und ri? Tauwerk und Blocke ab, die auf die Netze fielen. Ein Mann sturzte von der Be-sanstenge und schlug hart auf das Bodenstuck eines Neunpfunders auf. Bolitho horte, da? seine Rippen wie ein Weidenkorb, auf den man mit den Fu?en trat, zerbrachen. Sein Gesicht war schmerz verzerrt, als die Matrosen ihn aus dem Bereich der Kanone wegzogen.

«Backbordbatterie - Achtung!«Seine Stimme war heiser, und die Kehle brannte vom atzenden Pulverqualm wie rohes Fleisch.»Zeigt es ihnen, Jungs!«Er gab den Geschutzfuhrern das Zeichen mit geschwungenem Sabel und sah mehr als einen mit blitzenden Zahnen im ru?bedeckten Gesicht zu sich herauflachen.

«Feuern!»
        Die Backbordbatterie donnerte ihre erste Salve, und die doppelte Ladung krachte mit gewaltigem Getose in Bug und Seite des neu Hinzugekommenen. Bolitho beobachtete nuchtern, wie der Fockmast und die Gro?marsstenge des Feindes einknickten und dann langsam, wie zu einer hofischen Verbeugung, in den dick wallenden Qualm hinabsanken. Er schrie:»Mr. Stepkyne! Alle uberzahligen Leute auf die Backbord-Laufbrucke!«Er sah, da? Stepkyne verwirrt und hutlos zu ihm aufschaute.»Wir mussen ein Enterkommando zuruckschlagen!«Er gestikulierte dazu mit seinem Sabel, wahrend das franzosische Schiff sich langsam von Backbord an ihr Vorschiff heranschob.
        Auf der Steuerbordseite stand das dritte Schiff der franzosischen Linie jetzt querab von ihnen, hielt sich aber weiter entfernt als seine Vorderleute. Es war plotzlich aus dem Pulverqualm aufgetaucht, und als man gerade die Galionsfigur und den beigefangenen Anker erkennen konnte, feuerte es auch schon eine volle Breitseite, wobei der Mundungsdruck der doppelten Reihe von Geschutzen den Qualm mit der Gewalt einer Sturmbo auseinanderri?.
        Bolitho wurgte und spuckte, und das Deck unter ihm baumte sich auf und schwankte heftig. Manner schrien und jammerten um ihn herum, und er sah mit Entsetzen, da? Hauptmann Dawson auf den zersplitterten Decksplanken lag und Blut aus seinem Mund stromte.
        Nach einer Pause, in der er beinahe taub gewesen war, horte er, da? die Seesoldaten auf dem Achterdeck mit ihren Kameraden oben in den Masten um die Wette schossen, durchluden und wieder schossen, und sich gegenseitig auf die Scharfschutzen in den Masten des Gegners aufmerksam machten.
        Inch schrie:»Die Bastarde wollen uns entern!»
        Bolitho hielt sich an der Querreling fest, als das Schiff sich plotzlich unter dem Anprall des Zweideckers gegen die Back schrag legte.
        Die Geschutze der Backbordbatterie feuerten ohne Unterbrechung, und ihre Kugeln fanden auf diese nahe Entfernung von wenigen Metern alle ihr Ziel im gegnerischen Schiffsrumpf; aber uber den Bug hinweg sah er blankes Eisen aufblitzen und hier und da das Mundungsfeuer einer Pistole, als das feindliche Enterkommando mit seinen eigenen Leuten ins Handgemenge geriet.

«Seesoldaten nach vorn!«Er wurde fast umgerissen, als die Rotrocke an ihm vorbeisturzten. Ihre Bajonette blitzten im Mundungsfeuer der von der anderen Seite schie?enden Franzosen kurz auf.
        Inch brullte:»Vorsicht! Der Besan kommt runter!»
        Bolitho sah hoch und stie? Inch gegen die Netze, als die Besan-stenge, Bram- und Marsrah eingeschlossen, knirschend herabsturzte und auf die Backbordseite des Aufbaudecks knallte. Blut flo? uber das Deck, wahrend einige Leute noch in dem Gewirr von Holzteilen und Tauwerk gefangen waren und ihre Schreie sich in dem Gekrache der Kanonen verloren.
        Tomlin und seine Manner waren zur Stelle und kappten grimmig und entschlossen mit ihren Axten das au?enbords hangende Gewirr von Trummern und Tauen, ohne Rucksicht auf das jammerliche Bitten und Schreien derer, die darin verstrickt waren. Als der Rest ins Wasser sank, zeigte Tomlin mit der Axt klar, wahrend seine Manner noch die zerschmetterten Korper der Toten uber Bord warfen und andere die Verwundeten zum Niedergang zogen, um sie in die Holle des Gefechtsverbandsplatzes im Orlopdeck zu bringen.
        Bolitho starrte mit brennenden Augen nach oben. Es sah so nackt und ungeschutzt dort aus, ohne den Mast mit seinen Rahen und Stengen. Dann schuttelte er sich und rannte zur Backbord-Laufbrucke, um nach dem Schiff zu sehen, das noch immer in den Vorsteven der Hyperion verhakt war.
        Die Rotrocke waren dort jetzt im Vormarsch, und in dem aufgewuhlten Wasser zwischen den beiden Schiffsrumpfen schwammen viele Korper, ob tote oder lebende, war unmoglich zu sagen. Klingen wurden hinter und uber den Netzen gekreuzt, und hier und da sprang ein Mann tretend und um sich schlagend von oben in das Handgemenge oder wurde von den nachdrangenden ins Wasser gesto?en.
        Doch Stepkyne hielt dem Enterkommando stand, obwohl der franzosische Kommandant seine Kanonen von Mannern entblo?t haben mu?te, um den Feind mit zahlenma?iger Ubermacht zu erdrucken. Jetzt mu?te er dafur bu?en. Denn als die schweren Vier-undzwanzigpfunder der Hyperion Kugel auf Kugel in seine Wasserlinie feuerten, blieben die franzosischen Kanonen stumm. Aber das Musketenfeuer war stark und genau, und Bolitho sah, da? um mehr als eines seiner Oberdecksgeschutze zahlreiche Tote lagen.
        Er zog Roth am Armel.»Erledigen Sie diese Scharfschutzen, um Himmels willen!»
        Roth nickte, eilte auf der Backbord-Laufbrucke nach vorn, um den Leuten an der Drehbasse im Gro?topp etwas zuzurufen. Er hatte erst wenige Schritte gemacht, als ihn eine Kartatschenladung voll in die Brust traf. Sein Korper wurde wie ein blutiger Lappen hochgeschleudert und fiel auf die Schutznetze, wo er mit klaffender Wunde liegenblieb.
        Bolitho rief:»Mr. Gascoigne! Entern Sie auf!«Er beobachtete, wie der junge Leutnant an den Hangemattsnetzen entlang- und dann in den Wanten aufenterte. Das ist doch noch ein Knabe, dachte er halb benommen.
        Inch fuhr mit der Hand zum Kopf und grinste albern, als er bemerkte, da? es zu spat war und sein Hut uber die Reling geweht wurde.
        Auch Bolitho lachelte.»Bleiben Sie nicht stehen, Mr. Inch! Sie geben sonst ein leichtes Ziel ab.»

«Verdammt!«Fluchend sturmte Allday nach vorn und schwang sein Entermesser, als eine Handvoll franzosischer Matrosen, an ihrer Spitze ein junger Leutnant, der in der einen Hand einen Sabel schwang, in der anderen eine Pistole hielt, gegen das Achterdeck vordrang.
        Der scharfe Knall der Drehbasse im Gro?topp lie? einige Leute straucheln, aber durch die Lucken, die von den Kartatschenkugeln gerissen waren, drangten andere nach. Der Leutnant schwang seinen Degen und sturmte auf die Hutte zu. Als er Bolitho bemerkte, hielt er an und richtete seine Pistole mit erstaunlich ruhiger Hand auf ihn.
        Allday sturmte gegen ihn vor, verhielt aber, als Tomlin mit einem kraftigen Fluch seine Axt auf den Franzosen schleuderte. Die scharfe Klinge traf den Leutnant in die Brust. Als er nach hinten gegen seine Manner fiel, verdrehten sich seine Augen, wahrend die Leute entsetzt auf die Axt starrten, die feststak wie in einem Baumstamm. Sie wollten kehrtmachen und zu ihren Kameraden zurucklaufen, stie?en dabei aber auf entfesselte Seesoldaten, die nach ihrem Erfolg auf dem Vorschiff triumphierend nach achtern zuruckkamen.
        Bolitho ri? sich vom Anblick der blitzenden Bajonette und des Blutes los, da? sich von der Laufbrucke wie roter Regen auf die Geschutzbedienungen darunter ergo?.

«Eine neue Flagge, Mr. Carlyon!«Er drohte dem Jungen mit dem Finger, als der nach achtern rannte. »Gehen, Mr. Carlyon!«Er sah, da? der Midshipman ihn mit kalkwei?em Gesicht fragend ansah.»Wie es sich fur einen Offizier des Konigs gehort«, fugte er besanftigend hinzu.
        Erneutes Geschrei kam von vorn, und Bolitho sah, da? dort mehrere Axte blitzten und der franzosische Zweidecker sich langsam von ihnen loste und an der Bordwand der Hyperion entlang nach achtern sackte. Sein Rumpf war Meter fur Meter von den Kugeln der unteren Batterie durchlochert.
        Er ging zur Laufbrucke, schwang seinen Sabel und rief den Geschutzbedienungen auf dem Hauptdeck zu:»Los, Jungs! Gebt ihm den Rest!»
        Die Matrosen kehrten an ihre Kanonen zuruck, zogen die Leichen und die stohnenden Verwundeten zur Seite und warfen sich erneut in die Vorholtaljen.
        Bolitho wartete ruhig, bis ein Geschutzfuhrer nach dem anderen die Hand hob und klarzeigte. Mehr als die Halfte der Batterie war au?er Gefecht gesetzt, durch Beschadigung oder weil ihre Bedienung ausgefallen war. So mu?ten die restlichen Stucke besonders sorgfaltig zielen. Das schwer getroffene Schiff sackte weiter achteraus, wahrend die Hyperion von ihren durchlocherten Segeln langsam, aber unaufhaltsam auf den noch ubriggebliebenen Zweidecker, einen der beiden, die zum Schutz der San Leandro entsandt worden waren, zutrieb. Auf seinem Achterdeck sah er Tote und Verwundete in Haufen liegen, Bordwand und Aufbauten waren vielfach durchlochert, und an die reich geschnitzte Treppe zur Hutte klammerte sich ein Offizier, dessen eines Bein wie bei einer Puppe verdreht war. Es war wohl der Kommandant des Schiffes, dachte Bolitho geistesabwesend. Dann senkte er den Degen: Feuern!»
        Zufallig feuerten beide Decks im selben Augenblick. Als der Pulverqualm durch die Stuckpforten nach innen trieb und die Manner hustend und fluchend nach Wassereimern und Schwammen griffen, sah Bolitho, wie Gro?- und Fockmast des Feindes gemeinsam herunterkamen und in die See fielen.
        Inch rief:»Zwei zumindest schwer beschadigt, Sir! Und auch der andere Schurke wird den nachsten Tag nicht mehr erleben, wenn erst Seegang aufkommt!»
        Bolitho wischte mit dem Armel uber die brennenden Augen und beobachtete, wie der Umri? des letzten Schiffes im Qualm festere Formen annahm und es quer vor den Bug der Hyperion trieb, dabei aber aus mehreren Kanonen feuerte. Er schimpfte wutentbrannt. Kein einziges seiner Geschutze konnte den Franzosen jetzt erfassen, und wenn dessen Breitseiten auch schlecht gezielt waren, so konnten sie doch todlich werden. Er fuhr herum, als eine schwere Kugel durch das Schanzkleid brach und bei den Mannern an den Backbord-Neunpfundern einschlug.
        Die halbnackten, geduckten Gestalten mit ihren Zopfen und den entschlossenen Gesichtern hatten auf Bolitho noch kurz zuvor wie Statuen oder wie aus einem gro?en Schlachtengemalde herausgeschnitten gewirkt. Jetzt mu?te er mit Brechreiz kampfen, als er an derselben Stelle nur noch ein blutiges Gewirr von abgerissenen Gliedern, Fleischfetzen und wei?lich hervorstehenden Knochen sah.
        Trudgeons Leute waren flei?ig bei der Arbeit, die schreienden Verwundeten herauszuziehen und mit Fluchen zum Schweigen zu bringen. Er sah, wie Carlyon sich uber ein Speigatt erbrach.
        Allday sagte trocken:»Das war ein mieser Schu?, Kapt'n.»
        Und in dem Augenblick feuerte das franzosische Schiff ein zweites Mal. Sein Kommandant hatte nicht die Absicht, mit einem Gegner handgemein zu werden, der schon zwei seiner Gefahrten zusammengeschossen hatte, ohne selber - von dem einen Mast abgesehen - sichtbaren Schaden zu nehmen. Er wollte vor dem Winde ablaufen, vorher schnell noch diese eine Breitseite in das Vorschiff des englischen Vierundsiebzigers donnern und dann verschwinden.
        Die Luft schien plotzlich erfullt von kreischendem Metall und umhersausenden Holzsplittern. Manner wurden - wie von einem wilden Raubtier - hochgeworfen und zerrissen. Mit zusammengebissenen Zahnen beobachtete Bolitho, da? der Fockmast erzitterte wie ein junger Baum unter dem ersten Beilhieb, und dann zunachst gemachlich, dann mit gewaltigem Aufschlag auf das voll besetzte Vorschiff niedersturzte. Die Hyperion gierte stark, als der Wind in die verbliebene Leinwand fa?te. Er horte die schrillen Schreie der Leute, die unter dem schweren Gewicht der Rahen und des stehenden und laufenden Gutes begraben lagen. Matrosen und Soldaten, die Sekunden zuvor noch mit den Karronaden auf den Feind gezielt hatten, lagen zerquetscht unter den Trummern oder waren uber die Reling ins Wasser gefegt worden.
        Tomlin und seine Manner kletterten in das Gewirr, aber ihre Zahl war geringer als bisher, und ihre Bewegungen wirkten langsamer.
        Inch rief plotzlich:»Hier kommt die Hermes!»
        Bolitho schlitterte durch Blutlachen auf die Steuerbordseite, wo er sich hochzog, um uber die Hangemattsnetze hinwegschauen zu konnen. Die Hermes hatte ebenfalls den Besanmast verloren, aber ihre Kanonen feuerten noch fast vollzahlig auf den franzosischen Zweidecker, und die Kugeln schlugen akkurat langs der Wasserlinie des Feindes ein.
        Weiter achteraus war der Qualm so dick, da? man nicht erkennen konnte, wer Freund oder Feind war, aber man horte unaufhorlich
        Kanonendonner. Also war auch Herrick noch da. Und noch im Kampf.
        Inch zog Bolitho am Rock, und als er aufs Deck zurucksprang, sah er ihn aufgeregt gestikulieren.

«Sir, die Tornade hat gewendet! Sie uberholt die Hermes und halt auf uns zu!»
        Bolitho beobachtete, da? der Qualm erst dicker zu werden schien, dann plotzlich aufbrach und den vorgestreckten Kluverbaum und danach die Galionsfigur des gewaltigen Hundert-KanonenFlaggschiffs freigab. Trotz der dramatischen Situation empfand Bolitho kalte Bewunderung fur die seemannische Leistung des franzosischen Kommandanten, der - fast im Winde liegend - seine uberlegene Artillerie einsetzte und eine volle Breitseite in das ungeschutzte Heck der Hermes feuerte.
        Selbst auf die Entfernung von zwei Kabellangen konnte Bolitho horen, wie die todbringende Salve von achtern bis vorn durch das Schiff fegte und die Decks in ein Schlachthaus verwandelte.
        Die gro?en Zweiunddrei?ig-Pfund-Kugeln mu?ten den Gro?mast an seinem Fu? getroffen haben, denn er fiel, mit allen Stengen und Rahen und den Mannern, die sich vergeblich zu retten versuchten. Sein Wimpel zeigte dabei immer noch die Windrichtung an.
        Wie von einem gro?en Blasebalg hochgepre?t, stieg schwarzer Rauch uber dem Hauptdeck der Hermes auf, und als die Manner an den Kanonen der Hyperion erschreckt hinuberstarrten, wurde die Luft von einer ohrenbetaubenden Explosion erschuttert. Die Torna-de aber hatte sich schon wieder etwas abgesetzt und kam nun von Backbord achtern bei der Hyperion auf.
        Die Explosion - wahrscheinlich war es das Pulvermagazin - hatte die Hermes fast in zwei Teile zerrissen, in deren Mitte gewaltige Flammen zum Himmel hochschlugen und den Fockmast mit seinen restlichen Segeln verschlangen wie ein obszoner Drache eine Lanze.
        Noch eine Explosion, und dann noch eine, erschutterten das unselige Schiff, das sich - nur wenige Minuten nach dem Einschlagen der Breitseite - auf die Seite legte. Bolitho sah, wie das Wasser in seine offenen Stuckpforten stromte, wahrend die wenigen Uberlebenden kopflos auf dem immer steiler werdenden Deck herumrannten, einige brennend als lebende Fackeln. Die Pforten ihrer oberen
        Batterie gluhten noch wie feurige Augen, bis auch hier das Wasser hineinstromte und die Brande loschte. Hinter einer Wand von brodelndem Dampf verschwand die Hermes schlie?lich unter der mit Trummern bedeckten Wasseroberflache.
        Einer der Ruderganger hatte sich vom Steuerrad entfernt, um zuzuschauen. Er fiel auf die Knie, bekreuzigte sich und wimmerte:»Jesus! O su?er Herr Jesus!«Gossett, eine Hand in einer blutigen Binde, zog ihn hoch und schnauzte ihn an:»Dies ist kein schwimmendes Bethaus! Zuruck auf Ihre Station, oder ich nehme Sie aus wie einen verdammten Hering!»
        Bolitho wandte sich ab und befahl:»Klarieren Sie das Zeug am Vorsteven!«Er sah, da? Inch noch gebannt auf das sterbende Schiff blickte.»Gehen Sie selber nach vorn, und kummern Sie sich darum, der Franzose hat uns sonst gleich am Wickel.»
        Er wandte sich nach achtern, um die Tornade zu beobachten, die offenbar ihren neuen Kurs auf die Hyperion aufgenommen hatte. Immerhin waren auch ihre Vorsegel schon stark durchlochert. Aber diesmal hatte sie die Luvposition, und sicher hegte sie die Absicht, den schon schwer beschadigten Gegner zu uberholen und im Vorbeilaufen zur Ubergabe zu zwingen. Bolitho beobachtete ihr bedrohliches Naherkommen fast gelassen. Es war nun bald voruber. Sie hatten Lequillers Geschwader so gro?en Schaden zugefugt, da? er seinen Plan unmoglich noch in vollem Umfang verwirklichen konnte. Von weither horte er die scharfen Detonationen der Geschutze der Spartan und vermutete, da? Farquhar mit der San Leandro Katz und Maus spielte. Sie hatten eine gute Vorstellung gegeben. Er schaute auf sein Schiff hinunter, und der Anblick zerri? ihm fast das Herz. Uberall lagen Tote und Verwundete, und die verbliebenen Leute hatten alle Hande voll zu tun, die Trummer wegzuraumen und das am Vorsteven au?enbords hangende Tauwerk und Tuch wegzuschlagen. An den Kanonen befand sich kaum noch eine Seele. Dann schaute er zum Gro?topp
hinauf, von dem jetzt eine neue Flagge wehte. Lequiller sah sie sicher auch und erinnerte sich vielleicht daran, da? dies dasselbe Schiff war, das in der Gironde-Mundung vor Anker gelegen hatte und - allein gegen eine gro?e Ubermacht - seinen Ausbruch in die offene See verhindern wollte. Nun trafen sie sich also wieder. Zu einem letzten Ringen.
        Langsam ging er, das Kinn auf die Brust gesenkt, uber die zersplitterten Decksplanken. Diesmal war die Hyperion hier, um Le-quillers Ruckkehr an Land zu verhindern. Er blickte erstaunt auf, denn es war ihm, als hatte jemand seine Gedanken laut ausgesprochen.
        Er rief mit heiserer Stimme:»Macht schnell, Mr. Inch!«Dann fragte er Gossett:»Wird sie wieder auf das Ruder reagieren?»
        Der Master rieb sich das Kinn.»Mag sein, Sir.»
        Bolitho sah ihn streng an:»Kein: >mag sein<, Mr. Gossett. Ich mochte Steuerwirkung haben, nichts anderes.»
        Gossett nickte. Sein grobes Gesicht war durch die Anstrengungen und Sorgen gezeichnet.
        Bolitho eilte zum Niedergang und auf das Hauptdeck hinunter. Am Luk zum unteren Batteriedeck rief er:»Mr. Beauclerk!«Er war uberrascht, als das verschmutzte Gesicht eines Midshipman unter ihm erschien.

«Mr. Beauclerk ist tot, Sir. «Er zitterte, aber mit fester Stimme setzte er hinzu: Mr. Pascoe und ich haben hier das Kommando.»
        Bolitho schaute zum Gro?topp hinauf und suchte nach Gas-coigne. Aber es war jetzt keine Zeit mehr. Er versuchte, klaren Kopf zu behalten. Nicht auszudenken: zwei Knaben kommandierten eine Holle wie die da unten.
        Ruhig sagte er:»Schon, Mr. Penrose. Schicken Sie alle Bedienungen Ihrer Steuerbordbatterie nach oben an die Backbordgeschutze. «Er sah den Midshipman einen Augenblick prufend an und setzte dann hinzu:»Dann laden Sie Ihre Backbordgeschutze mit Doppelkugeln. «Er wartete etwas.»Glauben Sie, da? Sie das schaffen?»

«Aye, aye, Sir!»
        Inch kam hinzu.»Es dauert noch eine Viertelstunde, Sir.»

«Verstehe. «Bolitho blickte uber die zerfetzten Hangemattsnetze und sah Backbord achteraus die Fockbramstenge des Franzosen sich langsam, aber unaufhaltsam zur letzten Begegnung nahern.

«Wir haben nicht mehr viel Zeit, Mr. Inch. «Seltsam, wie ruhig er schien.»Holen Sie alle verfugbaren Leute nach achtern. Aber sie sollen hinter dem Schanzkleid verborgen bleiben. Schicken Sie funfzig von ihnen in die Kajute und den Rest in die Offiziersmesse.»
        Inchs Blick war auf den Vortopp des Feindes mit der dort auswehenden Vizeadmiralsflagge gerichtet.
        Bolitho fuhr im gleichen ausdruckslosen Ton fort:»Ich werde sie entern. «Er sah, wie Inch ihn anstarrte.»Es ist unsere einzige Chance. «Dann schlug er ihm auf die Schulter und lachelte.»Etwas mehr Begeisterung, wenn ich bitten darf!»
        Er machte kehrt und eilte zuruck auf das trummerubersate Achterdeck. Allday stand neben den Kanonen und lie? sein Entermesser am Handgelenk baumeln.
        Eine Kugel sauste mit kreischendem Ton uber sie hinweg, fuhr durch das Gro?marssegel und fegte einen Seemann von seinem Sitz auf der Rah. Er fiel hinunter auf das Schutznetz und blieb mit ausgestreckten Armen wie ein Gekreuzigter liegen.
        Bolitho befahl kurz:»Achtung, Mr. Gossett!«Er sah sich nicht um, als die eingeteilten Matrosen und Soldaten an ihm vorbei in das Dunkel der Hutte und andere in die Offiziersmesse darunter eilten.
        Gossett konnte ihren von achtern kommenden Feind wegen des Huttenaufbaus nicht sehen, aber er beobachtete gespannt Bolithos Gesicht.
        Inch hielt sich an der Leiter und sagte:»Da kommt sie!»
        Der Kluverbaum der Tornade passierte schon die Heckfenster, und als sie sich nun Meter um Meter vorschob, sah Bolitho die Manner in ihren Masten, die mit gezieltem Musketenfeuer die Offiziere der Hyperion ausschalten sollten. Die eigene Drehbasse im Gro?topp bellte wieder auf, und er horte Gascoigne jubeln, als ihre Kartatschenladung den holzernen Schutzschild um den feindlichen Stand auf der Vormarssaling zerri? und die Scharfschutzen dahinter wie Vogel vom Ast blies.
        Die drei vordersten Kanonen an der Steuerbordseite der Tornade spieen Flammenzungen, und Bolitho spurte die Kugeln in sein Schiff schlagen. Eine um die andere krachte in das alte Holz oder fuhr durch die Stuckpforten und trug Tod und Verderben in die untere Batterie. Bolitho knirschte mit den Zahnen und spurte die Wunden des Schiffes, als seien sie ihm selber zugefugt.
        Gossett sagte leise:»Viel kann sie nicht mehr einstecken, Sir.»
        Bolitho erwiderte rauh:»Sie mu?!«Er zuckte zusammen, als eine Kugel durch eine Gruppe von Mannern fuhr, die einen Verwundeten zum Hauptluk schleppten. Arme und Beine flogen durch die
        Luft, und er sah einen alten Seemann, der auf das De ck glotzte, wo seine Hande inmitten einer sich ausbreitenden Blutlache lagen - wie ein Paar weggeworfene Handschuhe.
        Er wurde von dem Anblick weggerissen, als die Tornade abermals feuerte und der gewaltige Donner ihrer Breitseite fast noch von dem Getose ubertroffen wurde, als das Eisen in die Bordwand und Decks der Hyperion schlug.
        Bolitho sagte:»Jetzt, Mr. Gossett! Hart Steuerbord!«Er sah, wie einer der Ruderganger gerade in diesem Augenblick zu Boden fiel, und warf sich selber mit seinem ganzen Korpergewicht in das Steuerrad. Ruckweise gaben die Speichen unter seinen Handen nach, Beweis dafur, da? das Schiff versuchte, sich gegen den Feind, der es zerstoren wollte, zu kehren. Er schrie:»Dreht weiter, Jungs!»
        Er sah das franzosische Schiff nun fast genau querab und keine drei?ig Fu? entfernt. Seine Kanonen feuerten, wurden ausgewischt, neu geladen und erneut ausgerannt, um - kaum da? der Qualm der letzten Salve fortgeweht war - erneut zu feuern. Die untere Batterie der Hyperion erwiderte das Feuer, aber die sporadischen Salven verloren sich in dem tiefen Gebrull der feindlichen Kanonen.
        Manner winkten von der Schanz der Tornade mit ihren Waffen und schrieen etwas heruber, andere machten die Scharfschutzen im hinteren Mast auf ihn aufmerksam.
        Inch murmelte gequalt:»O Gott, es hat mich erwischt…«Er brach ab und fa?te nach seiner Schulter. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
        Bolitho lehnte ihn gegen das Steuerrad.»Wo sind Sie getroffen?«Er ri? ihm den Rock auf und sah frisches Blut an seiner Brust hinunterlaufen.
        Bolitho schrie:»Mr. Carlyon!«Als der Junge herbeisturzte, befahl er kurz:»Kummern Sie sich um den Ersten Offizier!«Zu Inch gewandt sagte er:»Ruhen Sie sich aus, Inch.»
        Dann ri? er sich los und rief:»Ruder bleibt in Hartlage!«Fast taub vom Kampfgeschrei und dem mit schrecklichem Krachen zersplitternden Holz ringsum, lief er nach achtern in die Kajute, die voll kaum erkennbarer Gestalten und mit ihrer verbrannten Tafelung und den klaffenden Lochern in den Wanden nicht wiederzuerkennen war.
        Mit ihrem guten Dutzend Lecks unterhalb der Wasserlinie bewegte die Hyperion sich nur schwerfallig, aber sie folgte dem Ruder noch. Langsam, ganz langsam drehte der Bug von ihrem Angreifer weg, wahrend das Heck im Schwung der Drehung naher an das des Dreideckers herankam.
        Bolitho trat das nachstgelegene Fenster ein und fa?te seinen Sabel fester. Seine Augen blickten wild und plotzlich wutend. Dann sah er seinen Bruder und Pascoe mit den anderen, und fuhlte Verzweiflung in sich aufsteigen.
        Er horte sich selber rufen:»Jetzt, Jungs! Auf sie und dazwi-schengeschlagen!»
        Er fiel fast ins Wasser, als die beiden Schiffe knarrend zusammenstie?en, aber nach kurzer Besinnung sprang er auf das reich verzierte Heckgelander des Franzosen hinuber und hielt sich mit aller Kraft fest, wahrend die anderen sich - wie die Verruckten brullend - neben und uber ihm hinuberschwangen. Unter seinen Beinen sah er Stepkyne mit seiner Gruppe aus den Fenstern der Offiziersmesse hinuberklettern. Ein Mann rutschte aus und fiel ganz langsam ins Wasser zwischen den miteinander verhakten Achterschiffen.
        Vorne donnerten weiter die Kanonen und schrien Verwundete auf, wahrend Bolitho mit gezogenem Sabel durch ein Heckfenster in die verlassene Kajute sturmte. Weiter nach vorn! Ein Bootsmannsmaat trat eine Tur ein und wurde - bevor er zur Seite springen konnte - von einer Pistolenkugel getroffen. Der Fahnrich, der die Pistole abgefeuert hatte, schrie auf, als ein Entermesser ihn fallte. Und dann waren sie drau?en auf dem riesigen Achterdeck der Tornade. Uberraschte Gesichter und blinkender Stahl schienen Bolitho aufzuhalten, doch als weitere Leute seiner Gruppe aus der Hutte drangten und mit den Franzosen handgemein wurden, verga? er alles andere au?er dem Wunsch, zum vorderen Teil des Achterdecks vorzudringen. Denn dort sah er, inmitten einer Gruppe von Offizieren und umgeben von mehreren bewaffneten Matrosen, einen goldbestickten Hut: Admiral Lequiller.
        Als der Qualm einen Augenblick beiseitegeweht wurde, sah er sein eigenes Schiff, das jetzt in ganzer Lange langsseit lag und mit Enterhaken, die wohl von beiden Seiten geworfen worden waren, festgehalten wurde. Die Hyperion wirkte klein und fremd, und als er sich abwandte, um den Schlag eines Entermessers zu parieren, sah er, wie ihr Gro?mast sturzte und uber die Seite ging. Jetzt war sie ganz nackt und blo? wie eine in der Werft mit Schlagseite vergammelnde Hulk.[au?er Dienst gestellter Schiffsrumpf ohne Takelage]
        Er hatte den Mast nicht einmal fallen horen, denn seine Ohren waren taub von den Schreien und Fluchen und dem Klirren von Stahl auf Stahl, aber er sah die Gesichter und Blicke und die wilde Entschlossenheit, die seine Manner wie Wahnsinn gepackt hatte.
        Doch es war alles vergeblich. Schritt um Schritt wurden sie gegen die Hutte zuruckgedrangt, als weitere Leute von den Kanonen zur Unterstutzung herbeirannten und andere vom Besanmast mitten in sie hineinschossen, ohne Rucksicht darauf, ob sie Freund oder Feind trafen.
        Eine Gestalt scho? unter seinem erhobenen Arm hindurch: Pas-coe. Als er ihn aufhalten wollte, schlug ihm ein franzosischer Leutnant den Sabel aus der Hand und anschlie?end mit dem Griff so heftig gegen den Kopf, da? er auf die Knie ging. Wogende Korper, Stich- und Hiebwaffen im Kampf um ihn herum, und dann Pascoe, der ihm wieder auf die Beine helfen wollte; im selben Augenblick sah er einen franzosischen Unteroffizier, der ganz ruhig und deutlich vom Himmel abgehoben dastand und mit einer Pistole auf die Schultern des Jungen zielte.
        Eine andere Gestalt warf sich dazwischen und wurde einen Augenblick vom Mundungsfeuer der Pistole hell beleuchtet. Als der Korper zu Bolithos Fu?en niedersank, sah er, da? es sein Bruder war.
        Nach Atem ringend, fischte er seinen Sabel unter den stampfenden Fu?en heraus und rammte ihn im Hochkommen dem Unteroffizier ins Gesicht, so da? es vom Mund bis zum Ohr in ein klaffendes, blutrotes Loch verwandelt wurde. Als der Mann gurgelnd zuruckfiel, hieb er den franzosischen Leutnant nieder und stie? den fallenden Korper mit dem Fu? zur Seite.
        Er keuchte:»Sehen Sie nach ihm, Pascoe. Bringen Sie ihn nach achtern!»
        Allday kampfte neben ihm, sein schweres Entermesser sauste mit erbarmungsloser Prazision nach vorn und hinten, nach oben und unten. Manner schrien und starben, aber auf dem Achterdeck drangten sich nun so viele zusammen, da? es unmoglich war, die
        Ubersicht zu behalten. Pardon wurde nicht verlangt und nicht gegeben. Bolitho drangte noch einmal zum vorderen Teil des Decks, als er merkte, da? seine Leute wieder Boden gewannen. Er stach mit seinem Degen nach einem verzerrten Gesicht und anschlie?end zwischen die Schultern eines Offiziers, der gerade versuchte, sich zwischen seinen Leuten nach ruckwarts durchzudrangen.
        Langst hatte er seinen Hut verloren, und sein Korper kam ihm wie zerbrochen vor, als ob er hundertmal getroffen ware. Aber mitten im Getummel sah er nur seinen Bruder vor sich. Seine letzte heroische Geste, als er sich zum Schutz vor seinen Sohn - und vielleicht auch vor ihn - geworfen hatte.
        Ein Mann in Kapitansuniform, mit einer tiefen Wunde auf der Stirn, schrie ihm uber die Kopfe der kampfenden Leute etwas zu. Bolitho starrte ihn an und versuchte zu verstehen, was er rief.
        Der franzosische Kapitan schrie:»Ergebt euch! Ihr seid geschlagen!«Dann sank er zu Boden, weil ein Seesoldat ihm das Bajonett in die Rippen gesto?en hatte.

«Geschlagen?«Bolitho schimpfte.»Streicht eure Flagge!«Er sah einen seiner Leute zur Flaggleine rennen und sie durchhauen, aber im gleichen Augenblick fallte ihn eine Musketenkugel. Langsam senkte sich die Trikolore als Leichentuch auf ihn herab.
        Stepkyne arbeitete sich an die Seite von Allday vor. Sein Krummsabel kreuzte sich mit einem franzosischen Degen. Er hob einen Arm und schrie auf, als ein Mann, der sich unbemerkt herangemacht hatte, ihm einen Dolch in den Magen stie?. Der Mann lief weiter, offenbar selber benommen und ohne bestimmtes Ziel. Einer von Bolithos Matrosen sah ihn vorbeiflitzen und schlug ihm das Entermesser in den Nacken. Sein Gesicht blieb dabei so ausdruckslos wie das eines Wildhuters beim Toten eines Kaninchens.
        Bolitho taumelte gegen die Reling, der Schwei? rann ihm in die Augen, so da? er nichts mehr sehen konnte. Er war am Ende, es mu?te das Ende sein, denn uber dem Klirren aufeinandertreffenden Eisens und den schrecklichen Schreien glaubte er, Triumphrufe der Franzosen zu horen.
        Allday schrie ihm ins Gesicht:»Kapitan Herrick, Sir!»
        Bolitho sah ihn an. Allday hatte ihn noch nie, soweit er sich erinnerte, mir >Sir< angeredet.
        Er schleppte sich an den immer noch kampfenden und ineinander verbissenen Gestalten vorbei und blickte uber sein Schiff hinweg auf die angebra?ten Rahen und leicht getonten Segel eines anderen Schiffes, das gerade bei der Hyperion langsseit ging. Als dann Enterhaken in das zersplitterte Schanzkleid griffen, sah er Seeleute und Soldaten uber die Hyperion wie uber eine Brucke hinwegrennen, freudig begru?t von den Verwundeten und den wenigen Leuten, die an den Kanonen ihres entmasteten Schiffs zuruckgeblieben waren.
        Kanonen wurden nicht mehr abgefeuert, und als weitere Manner sich ihren Weg durch Trummer, Enternetze und Verteidiger bahnten, sah Bolitho die franzosische Admiralsflagge niedersinken und horte die heiseren Rufe von Herricks Offizieren, mit denen sie die Franzosen aufforderten, sich zu ergeben und die Waffen niederzulegen.
        Herrick selber kam nach achtern, den Degen in der Hand. Bolitho sah ihn stumm an. Das Kampfen hatte aufgehort, und als der Wind die Segel ein wenig zur Seite wehte, sah er die Spartan nahe vorbeisegeln. Ihre Manner brachten ihm ein Hoch aus, trotz Tod und Zerstorung ringsum.
        Herrick ergriff seine Hand.»Zwei weitere Schiffe haben sich ergeben. Und auch die San Leandro ist unser!»
        Bolitho nickte.»Und der Rest?»

«Zwei sind nach Norden gefluchtet. «Er druckte ihm begeistert die Hand.»Mein Gott, was fur ein Sieg!»
        Bolitho befreite seine Hand und wandte sich zur Hutte. Er sah Pascoe neben Hugh knien; mit Herrick an seiner Seite bahnte er sich einen Weg durch die erschopften und dennoch ausgelassen jubelnden Matrosen zu ihm. Bolitho kniete nieder, aber es war schon voruber. Hughs Gesicht schien junger, die tiefen Falten waren daraus verschwunden. Er druckte seinem Bruder die Augen zu und sagte:»Ein tapferer Mann.
«Pascoe sah ihn an, und seine Augen schimmerten.»Er hat mir das Leben gerettet, Sir.»

«Das hat er. «Bolitho stand langsam auf und fuhlte dabei, wie Schmerz und Erschopfung ihn zu uberwaltigen drohten.»Ich hoffe, Sie werden sich immer seiner erinnern. «Er machte eine Pause.»So wie ich.»
        Pascoe sah in forschend an, und ein paar Tranen rannen ihm dabei uber die schmutzbedeckten Backen. Aber er sprach mit fester Stimme:»Ich werde ihn nie vergessen. Niemals!»
        Allday meldete:»Man hat den franzosischen Admiral gefangen, Kapt'n.»
        Bolitho drehte sich um; Jammer und Verzweiflung uber die furchtbaren Verluste durchrannen ihn wie ein Feuerstrom. Erst die Jagd mit all ihren Enttauschungen, und nun die vielen Toten. Aber Lequiller hatte uberlebt!
        Er musterte den kleinen Mann, der zwischen Leutnant Hicks und Tomlin stand. Er hielt sich krumm und trug einen Bart, ein dunnes Mannchen, dessen beschmutzte Uniform ihm viel zu gro? schien.
        Bolitho mu?te wegschauen, da es ihm unmoglich war, den Ausdruck unglaubigen Staunens auf Lequillers Gesicht zu ertragen. Er fuhlte sich plotzlich beschamt. Im Kriege war es besser, wenn der Feind kein Gesicht hatte.

«Bringen Sie ihn unter Bewachung auf die Impulsive. «Er wandte sich zum Niedergang. Seine Leute jubelten ihm zu, Hande, manche davon blutbedeckt, streckten sich aus, um seine Schulter zu beruhren, als er wortlos an ihnen vorbeiging.
        Auf dem Achterdeck der Hyperion fand er Inch, der - einen Arm in der Schlinge und den zerschlitzten Rock wie ein Cape umgehangt - auf ihn wartete. Inchs Anblick trug mehr dazu bei, seine aufgewuhlten Gefuhle zu beruhigen, als er fur moglich gehalten hatte.
        Leise sagte er:»Ich hatte Ihnen doch wohl befohlen, nach unten zu gehen?»
        Inch zeigte seine Pferdezahne in einem muhsamen Grinsen.»Ich dachte, es wurde Sie interessieren, Sir: der Kommodore war wahrend der ganzen Schlacht ohne Besinnung. Aber jetzt ist er wieder hellwach und verlangt Brandy!»
        Bolitho ergriff Inchs heile Hand, aber dessen Gesicht verschwamm vor seinen Augen. Und er soll ihn haben, Mr. Inch!»
        Er ubersah Gossetts breites Grinsen und die ausgelassen herumspringenden Kanoniere. Das Schiff war ohne Masten und lag tief im Wasser. Er fuhlte sein Leid fast wie eigenes.
        Dann stulpte er seinen Hut uber die rebellische Haarlocke und sagte mit fester Stimme:»Wir sind einen langen Weg zusammen gesegelt, Mr. Inch.»
        Er schnallte seinen Sabel ab und gab ihn Allday.

«Wenn wir der Hyperion ein Behelfsrigg gegeben haben, konnen wir unsere Prisen nach Plymouth zuruckbringen. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.»
        Er fuhlte Ruhrung in sich aufsteigen, fuhr aber im gleichen brusken Ton fort. Worauf warten wir also noch?»
        Inch sah ihn mude an. Dann antwortete er:»Ich werde mich gleich darum kummern, Sir!»



        Epilog

        Die Fenster des Golden Lion Inn waren nicht mehr gegen Regen und eisige Winde verklebt, sondern standen weit offen, um eine sanfte Brise - mehr war es nicht - einzulassen. Auf dem Plymouth-Sund gab es keine wei?en Schaumkopfe mehr, und die helle Mittagssonne spiegelte sich in Millionen auf dem blauen Wasser tanzenden Strahlen und uberschuttete auch die Schaulustigen, die auf der Stra?e und der Pier flanierten, mit angenehmer Warme.
        Aber das Fernrohr auf seinem Dreifu? war noch da, und der Raum genauso eingerichtet, wie Bolitho ihn in Erinnerung hatte. Und doch gab es Unterschiede, war er sich der Stille hinter seinem Rucken bewu?t, einer abweisenden Leere, die nur darauf zu warten schien, da? er wieder ging. Gerade in dem Augenblick horte er den Wirt an der verschlossenen Tur vorbeischlurfen. Er wunderte sich bestimmt uber Bolithos seltsame Bitte und wartete voller Ungeduld, da? er auszog, damit neue Gaste das Zimmer beziehen konnten, wie er es einst getan hatte.
        Die meisten Leute am belebten Ufer waren nur aus einem Grunde gekommen: sie wollten die vor Anker liegenden Schiffe sehen und mit Stolz und Schaudern ihr vom Kampf gezeichnetes Au?eres betrachten, als ob sie dadurch an ihrem Sieg teilhaben konnten. In diesen Ungewissen Zeiten war jeder Erfolg willkommen, aber die Kriegsbeute zu sehen und den Geruch von Kampf und Tod einzuatmen, war fur manche Leute befriedigender als trockene Bericht in der >Gazette< oder die von reitenden Boten aufgeschnappten Neuigkeiten.
        Bolitho schwenkte das Teleskop und beobachtete das geschaftige Kommen und Gehen der kleinen Boote, die ihre zahlenden Fahrgaste um den sich turmhoch erhebenden Rumpf der Tornade, Lequil-lers Flaggschiff, ruderten. In wenigen Monaten wurde der Dreidek-ker wieder in See gehen, diesmal unter der Flagge seines alten Feindes: mit einem anderen Kommandanten und einer anderen Besatzung, und vielleicht wurde seine Herkunft auch unter einem anderen Namen verborgen sein.
        Bolitho war dankbar, da? nicht auch die Hyperion als groteskes Uberbleibsel der Schlacht und Schauobjekt fur alle Leute dort unten lag. Fast sofort, nachdem sie am gestrigen Morgen in den Ply-mouth-Sund eingelaufen waren, hatte man sie ins Dock verholt, und bis zu diesem Augenblick hatten ihre Pumpen einen tapferen Kampf gegen das Eindringen der rachsuchtigen See gefuhrt. Eines war sicher: die alte Hyperion wurde nie wieder in den Kampf ziehen. Nun, da unverwundet gebliebene Reste ihrer Besatzung ausbezahlt und auf die ubrige Flotte verteilt worden waren, lag sie leer und leblos in Erwartung ihres endgultigen Schicksals. Im besten Fall konnte sie als Ausbildungsschiff fur den Nachwuchs dienen. Im schlimmsten… Bolitho versuchte, nicht daran zu denken, da? sie ihre Tage auch als schwimmendes Gefangnis in irgendeiner Flu?mundung beenden konnte. Er hatte sie erst vor ein paar Stunden verlassen. Was er gesehen hatte, hatte ihn traurig gestimmt, denn er wu?te, da? er niemals lebend davongekommen ware, wenn es nicht dieses stillschweigende Einvernehmen zwischen ihm und dem Schiff gegeben hatte.
        Als er uber die zersplitterten Decks gegangen war, hatte er noch einmal an die Heimreise nach der Schlacht denken mussen. Sie hatte fast zwei Wochen gedauert, und wenn die Biskaya ihnen nicht ausnahmsweise freundlich gesonnen gewesen ware, wurde die Hyperion jetzt wohl in Frieden auf ihrem Grunde ausruhen. Am Ende der ersten Woche waren die Schiffe von einem heftigen Windsto? getroffen worden, durch den sich einer der franzosischen Zweidecker von seiner Schlepptrosse losri? und in wenigen Minuten kenterte. Wenn diese Bo nicht genauso schnell wieder abgeklungen ware, hatte die Hyperion es kaum bis nach Hause geschafft.
        Es hatte gro?er Anstrengungen und standiger Arbeit bedurft, vielen guten Zuredens und - nicht zuletzt - seemannischen Konnens, um sie durchzubringen. Die Tage erschienen ihnen wie Wochen, und immer wieder hatte es Seebestattungen gegeben, als weitere Verwundete ihren Kampf ums Uberleben verloren.
        Schlie?lich waren sie dann auf Sir Manley Cavendishs Geschwader gesto?en, und ihre Last hatte sich etwas verringert. Aber Bo-litho war von den vorangegangenen Anstrengungen zu erschopft gewesen, als da? er sich mehr als verschwommene Bilder von den Ereignissen und den Leiden, die diesen Augenblick ermoglicht hatten, in Erinnerung rufen mochte.
        Sympathieerklarungen und Gluckwunsche, Cavendish, der seine Hand ergriffen und Worte der Anerkennung und von moglicher Beforderung gemurmelt hatte - alles schien verlorene Zeit und ohne wirklichen Gehalt.
        Als er am Dock entlanggegangen war und sich die riesigen Locher im Schiffsrumpf und die Spuren von Pulverqualm und Blut angesehen hatte, hatte er sich gefragt, ob das Schiff selber es wohl irgendwie empfand, da? sein Leben voruber war. Aber als er am Bug angekommen war und zu der grimmigen Galionsfigur hinaufgeschaut hatte, war ihm einige Augenblicke lang so gewesen, als hatte er die Antwort gefunden. Der Blick des Sonnengottes war so fest wie immer, und der vorgestreckte Dreizack zeigte mit der gleichen Teilnahmslosigkeit und Arroganz auf unsichtbare Horizonte. Vielleicht war das Schiff nach dreiundzwanzig Jahren harten Dienstes reif fur den Ruhestand und er reagierte falsch, ihm etwas anderes zu wunschen.
        Den ganzen Weg vom Dock zuruck hatte er sich uberlegt, was wohl mit ihm selber geschehen wurde. Die ubrige Besatzung wurde - ob sie wollte oder nicht - bald wieder auf See sein. Sie hatte sich mit neuen Schiffen und einer anderen Umwelt vertraut zu machen, bevor sie uberhaupt Zeit gefunden hatte, Gott fur ihre Rettung zu danken. Es war schwer gewesen, sie gehen zu sehen, die rechten Worte zu finden, die einem so reichlich einfielen, wenn es zu spat und der richtige Augenblick verpa?t war. Gossett und Tomlin und alle die anderen, die so viel mit ihm erlebt und erduldet hatten. Und Inch naturlich, der auch jetzt wieder auf der Suche nach einem Madchen war, das er heiraten konnte, bevor er ebenfalls auf ein anderes Schiff versetzt wurde. Bolitho hoffte, da? auch der neue Kommandant sich die Zeit nehmen wurde, ihn und seine besondere Art zu verstehen und seine Loyalitat zu wurdigen.
        Viele Uberlebende der Hyperion hatten Gluck gehabt und waren gleich auf Kapitan Herricks Schiff geschickt worden, um die dortigen Verluste zu ersetzen. Auch sie wurden in ein paar Wochen wieder auf See sein, denn wenn auch die Verluste der Impulsive an Menschen gro? waren, so hatte sie doch nur geringe Materialschaden davongetragen.
        Sogar Pelham-Martin schien seltsam zufrieden zu sein. Vielleicht gedachte er, sich auf den Lorbeeren seiner Verwundung auszuruhen. Die zusatzliche Aussicht auf einen schonen Teil des Prisengeldes, das andere, weniger Gluckliche, mit ihrem Blut erkampft hatten, wurden seine Drohungen mit einer Anklage wegen Gehorsamsverweigerung zerstreuen. Bolitho stellte fest, da? er in dieser Hinsicht weder Hoffnungen noch Sorgen hatte.
        Die Tur offnete sich einen Spalt, und der Wirt fragte angstlich:»Verzeihung, Herr Kapitan, aber ich wu?te gern, wie lange Sie zu bleiben beabsichtigen? «Er hustelte, als Bolitho sich langsam zu ihm umdrehte.»Ich erwarte in Kurze einen anderen seefahrenden Herrn mit seiner Dame, und ich. «Seine Stimme verlor sich, als Bolitho seinen Hut nahm und zur Treppe ging.

«Es ist erledigt, danke.»
        Der Wirt machte eine Verbeugung und sah ihm mit deutlicher Erleichterung nach.
        Bolitho sagte sich, da? dieser Mann sich gewi? nicht mehr an ihn erinnerte, und warum sollte er auch? Doch er selber konnte sich sehr genau an den letzten Abschied von Cheney erinnern. Vor sieben Monaten war es gewesen. Er beschleunigte seinen Schritt und zwang sich, nicht zuruckzuschauen. Als ob er erwartete, da? sie dort unten an der Landungsbrucke stehen wurde, um ihm nachzuschauen.
        Er stie? beinahe mit einem jungen Kommandanten und einem strahlenden Madchen zusammen, die ihm auf der breiten Treppe entgegenkamen. Er sah ihnen nach, als sie vorbeigegangen waren. Fur sie schien er unsichtbar gewesen zu sein. Genau wie einst bei ihm, war ihre Zeit zu kostbar, um sie mit anderen zu teilen und sie fur andere Dinge als ihr privates Gluck zu verschwenden.
        Am Fu? der Treppe hielt er an und betrachtete sich im Wandspiegel. Es war falsch gewesen, hierher zu kommen. Oder war es nur ein Vorwand, um das hinauszuschieben, was er jetzt tun mu?te?
        Er meinte, drau?en auf der Stra?e Wagenrader und klappernde Hufe zu horen, und wandte sich in plotzlicher Panik vom Spiegel ab.
        Zuruck nach Falmouth, um dort was zu finden? Wurde das Haus wirklich so vollig leer sein, oder war da noch etwas gegenwartig, das er halten und mit jemandem teilen konnte? Er fuhlte plotzlich Hoffnung in sich aufkeimen, eine seltsame Kraft, die ihn - unabhangig vom logischen Denkvermogen - innerlich bewegte.
        Er trat in das blendende Sonnenlicht hinaus und beruhrte seinen Hut zum Gru?, als einige Spazierganger ihm ein Hoch ausbrachten und ein Mann sogar sein Kind hob, damit es ihn besser sehen konnte.
        Die Kutsche wartete tatsachlich, und Allday stand daneben, die Augen gegen die Sonne zusammengekniffen, als er gemachlich die Schaulustigen betrachtete. Sein gebrauntes Gesicht zeigte keine Spuren von den Strapazen, die er in den letzten Wochen ausgehalten hatte.
        Bolitho fragte hastig:»Ist alles bereit?»
        Allday nickte.»Alles verstaut. «Er zeigte mit dem Daumen uber die Schulter.»Was machen wir mit dem da, Kapt'n?»
        Bolitho wandte sich um und sah Pascoe, der auf einem Poller sa? und das kleine Schiffsmodell betrachtete, da? Bolitho ihm geschenkt hatte.
        Er sagte:»Kommen Sie doch mal her, Mr. Pascoe!»
        Als der Junge sich ihm naherte, fuhlte Bolitho sich gleichzeitig traurig und seltsam bewegt. Mehr als das: er schamte sich plotzlich, da? er nur an seinen eigenen Verlust und Kummer gedacht hatte, wahrend andere, viele andere, so viel mehr zu ertragen hatten und weniger besa?en, was ihnen die Kraft gab, es durchzustehen. Hugh war tot, auch er. Beigesetzt auf See mit den ubrigen. Und dieser Junge, der Dinge und Taten gesehen hatte, die schlimmer gewesen waren, als er sie sich jemals hatte vorstellen konnen, hatte nichts uber seine wahre Herkunft erfahren.
        Pascoe schaute mit muden Augen zu ihm empor. Bolitho streckte eine Hand aus und legte sie ihm auf die Schulter.»Wir haben nicht den ganzen Tag lang Zeit, wie du wei?t, Adam.»

«Sir?»
        Bolitho wandte sich ab, da er Alldays Freude und die Dankbarkeit des Jungen nicht sehen wollte. Er sagte barsch:»Wir fahren nach Hause, also: steig ein. Willst du?»
        Der Midshipman schnappte sich seinen Seesack und kletterte hinter Bolitho in den Wagen.

«Vielen Dank, Onkel«, war alles, was er hervorzubringen vermochte.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Midshipman = Seekadett bzw. Fahnrich zur See

2

        Der Master - etwa: Obersteuermann oder Navigationsoffizier - gehort zu den Deckoffizieren, die mit in der Offiziersmesse speisten

3

        Spitzname fur die Spanier

4

        nach achtern drehte

5

        mehr von vorn kam

6

        Die Zickzacklinie des Kurses in der Karte jeweils mitgezeichnet

7

        Admiral Michiel A. de Ruyter, 1607 - 1676, Held der britischhollandischen Seekriege

8

        Gerat zur Bestimmung der Schiffsgeschwindigkeit und damit der zuruckgelegten Strecke

9

        An den verlangerten Rahen ausgebrachte Zusatzsegel, die beidseits weit hinausragen und die Wirkung eines leichten, achterlichen Windes verstarken.

10

        dwas = quer, senkrecht zur Fahrtrichtung

11

        au?er Dienst gestellter Schiffsrumpf ohne Takelage


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê