Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Donner Unter Der Kimm Admiral Bolitho Und Das Tribunal Von Malta " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Donner unter der Kimm: Admiral Bolitho und das Tribunal von Malta Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #18
1803 - im Mittelmeer. Mit seiner Unerschrockenheit schafft sich Vizeadmiral Richard Bolitho viele Feinde: den Kapitan des Australienfahrers, von dem er eine mi?handelte Gefangene entfuhrt; den franzosischen Admiral, der den Seekrieg zu einer privaten Vendetta macht; und seinen besten Freund, der in Malta uber ihn richten soll. Dazu kommt noch eine schwere Verwundung, die er geheimhalten mu?… Das sind dunkle Wolken uber Bolithos Kurs, und zum ersten Mal denkt er an Kapitulation. Bis ihm sein Neffe Adam in der letzten gro?en Schlacht ein erschutterndes Beispiel an Mut und Opferbereitschaft gibt.

        Alexander Kent
        Donner unter der Kimm
        Admiral Bolitho und das Tribunal von Malta

        I Zeit der Ebbe

        Es war ungewohnlich kalt fur Mitte September, und die gepflasterten Stra?en von Portsmouth schimmerten vom Regen der vergangenen Nacht wie Metall.
        Vizeadmiral Sir Richard Bolitho hielt an einer Ecke inne und starrte zuruck zum George Inn, in dem er die beiden Tage seit seinem Eintreffen aus Falmouth verbracht hatte. Dort stand auch der alte Blue Posts Inn, eine Erinnerung an langst vergangene Zeiten, als er, ein bescheidener Midship-man, {Kadett bzw. Fahnrich: Offiziersanwarter} auf Fahrt gegangen war.
        Er seufzte und wandte sich seinem Begleiter zu, der auf ihn wartete; als sie um die Ecke gingen, spurte Bolitho den kalten Wind vom Solent wie eine Herausforderung.
        Es war Morgen, aber die Stra?en waren praktisch menschenleer, denn man schrieb
1803, und den labilen Frieden hatte im Mai die erste Breitseite hinweggefegt. Angst vor den gefurchteten Pre?patrouillen bewirkte, da? sich kein junger Mann auf den Stra?en herumtrieb; Bolitho dachte daran, wie sich die Lektionen wiederholten. Er sah, da? sein Neffe ihn mit besorgtem Blick beobachtete, und entsann sich einer Bemerkung an diesem Vormittag im George Inn, als er mit Adam uber einer letzten Tasse Kaffee gesessen hatte. Gemacht hatte sie ein Reisender, der die beiden Seeoffiziere im Gesprach beobachtete und anschlie?end bekannte, da? er sie ursprunglich fur Bruder gehalten hatte.
        Bolitho wandte sich seinem Neffen zu und ha?te den Augenblick des Abschieds, wu?te aber zugleich, da? es egoistisch war, Adam noch langer aufzuhalten. Adam Bo-litho war dreiundzwanzig und hatte sich in den Augen seines Onkels seit dem Tag, an dem er als Midshipman auf sein Schiff gekommen war, kaum verandert.
        Einen Unterschied gab es jedoch. Adam hatte Gefahr und Schmerzen durchgestanden, manchmal an seiner Seite, manchmal anderswo. Sein Mund und sein festes Kinn verrieten, da? er viel daraus gelernt hatte, und die goldene Epaulette auf seiner linken Schulter sagte den Rest. Er war mit dreiundzwanzig Jahren Kapitan, nun sogar auf seinem eigenen Schiff. Die kleine Brigg Firefly lag jenseits der Hafenmauer, verloren auf der weiten Reede mit ihren Kriegs - schiffen, Truppentransportern und der ganzen Geschaftigkeit eines Marinehafens im Krieg.
        Bolitho schaute ihn wohlmeinend an.»Dein Vater ware heute stolz auf dich«, sagte er.
        Adam starrte ihn halb besorgt, halb erfreut an.»Das war sehr gro?mutig von dir. Wie kann ich dir nur danken?»
        Bolitho zupfte an seinem goldbestickten Hut, um seine Verlegenheit zu uberspielen. Mein Lohn, wenn ich ihn uberhaupt suchte, ware die Tatsache, da? du im Begriff bist, mit deinem eigenen Schiff in See zu stechen. «Ungestum ergriff er Adams Arm. Du wirst mir fehlen.»
        Adam lachelte, doch seine Augen blieben traurig.»Kam dir eben eine Erinnerung, Onkel?»

«Aye. «Sie fielen wieder in Gleichschritt, und Bolitho versuchte, sich die Niedergeschlagenheit, die seit Falmouth sein Schatten gewesen war, nicht anmerken zu lassen. War dies nun das letzte Mal? Der Anla? fur seine Unruhe? Wurde er wie so viele andere auf einem zerfetzten, blutigen Deck enden und nie hierher zuruckkehren?

«Er hielt uns fur Bruder«, sagte Adam.»Ich fa?te das als Kompliment auf.»
        Als er lachte, sah Bolitho in ihm wieder den Midshipman.
        Er zog seinen Umhang zurecht. Auch ihn erwartete ein Schiff, sein Flaggschiff. Vielleicht wurde die Last der Verantwortung, die seine Befehle mit sich brachten, seine Zweifel zerstreuen, sie so weit achteraus zurucklassen wie das Land. Drau?en wartete sein Geschwader auf ihn. Zum Gluck war es ihm gelungen, Valentine Keen als Flaggkapitan zu behalten. Aber sonst werde ich diesmal nicht viele vertraute Gesichter sehen, dachte er.
        Der Frieden von Amiens hatte zwar nur ein knappes Jahr gedauert, doch wahrend dieses Zeitraums hatten es die Seelords und eine selbstgefallige Regierung fur richtig gehalten, die Flotte unsinnig zu demobilisieren. Sechzig von hundert Linienschiffen waren au?er Dienst gestellt, vierzigtausend Matrosen und Seesoldaten an Land geworfen. Bolitho war zu seinem Gluck im Dienst geblieben. Seltsam, da? sein letztes Flaggschiff, die Achates, die erste richtige Schlacht nach dem Frieden geschlagen und wider Erwarten gewonnen hatte; und das zu einem Zeitpunkt, da die Kriegsmarine einer Siegesnachricht dringend bedurfte. Eine weitere Laune des Schicksals war die Tatsache, da? Argonaute, das Schiff des franzosischen Admirals, das sie nach einem der heftigsten Nahgefechte, deren sich Bolitho entsinnen konnte, aufgebracht hatten, nun kurz davorstand, am Vormast seine Flagge zu tragen. Achates war ein altes Schiff gewesen und wurde nun viele Monate in der Werft bleiben. Von den fruheren Gefechten in der Karibik hatte sie sich nie so recht erholt. Argonaute dagegen war vergleichsweise neu und auf ihrer
Jungfernfahrt gewesen, als sie von ihnen zur Kapitulation gezwungen worden war.
        Er fragte sich vage, ob erbeutete Schiffe etwas gegen ihre neuen Herren und ehemaligen Feinde hatten. Er war einmal Flaggkapitan auf einer Prise gewesen, konnte sich jedoch an seltsame Vorkommnisse dort nicht entsinnen.
        Er hatte ohnehin keine andere Wahl. Jedes Schiff, jeder erfahrene Seemann wurde gebraucht, denn wahrend England seine Kraft erlahmen lie?, hatte der alte Feind jenseits des Kanals aufgerustet. Neue Schiffe, eifrige junge Kapitane und eine riesige, auf Sieg erpichte Armee zeichneten ein dusteres Bild fur Englands Zukunft.
        Einige Seesoldaten, die an der Hafenmauer Schutz gesucht hatten, nahmen Haltung an, als sich die beiden Offiziere naherten.
        Auch Allday wurde ihm fehlen, dachte Bolitho. Diesmal sollte Hogg, Keens Bootsfuhrer, mit der Barkasse an den Stufen warten. Allday hatte Urlaub erbeten, um jemanden zu besuchen. Das war an sich schon merkwurdig. Denn Allday bat sonst nie um Vergunstigungen oder sprach uber Privatangelegenheiten, und Bolitho fragte sich, ob er wohl sein Angebot annehmen werde, an Land zu bleiben. Abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel als Schafer war Allday sein ganzes Leben auf See gewesen und hatte sich seinen Abschied von der Marine tausendmal verdient. Und auf der Achates hatte sein Leben fast ein Ende gefunden. Bolitho dachte oft an den Tag, an dem sein Bootsfuhrer einen Sabelhieb in die Brust erhalten hatte, der ihn eigentlich auf der Stelle hatte toten mussen. Nun war er zwar auf seine heitere, unverwustliche Art der Alte, doch man merkte ihm die Wunde an. Aufrechtes Gehen fiel ihm schwer, und Bolitho wu?te genau, wie sehr das seinen Stolz verletzte. Oft hatte man Allday mit einer Eiche oder einem treuen Hund verglichen. Doch Allday war nichts dergleichen, sondern ein Freund, auf den er sich verlassen
konnte, der Bolitho besser kannte als jeder andere.
        Sie kamen an die Stufen, und Bolitho erblickte unter sich die schaukelnde Barkasse. Hogg und ein junger Leutnant warteten mit erhobenen Gesichtern barhauptig im Boot. Die hochgestellten Riemen bildeten zwei perfekte wei?e Linien, die geteerten Hute und karierten Hemden der Mannschaft verrieten deutlich, was Keen bereits aus der Besatzung gemacht hatte.
        Vermutlich beobachtete Keen ihn nun durch sein Fernrohr, neben sich Bolithos neuen Flaggleutnant Hector Stayt. Die Vater von Stayt und Bolitho, beide aus Cornwall, hatten zusammen gedient. Stayt kam mit guten Empfehlungen, sah aber eher wie ein Abenteurer aus als wie jemand, der diplomatisch zwischen Admiral und Untergebenen vermitteln sollte.
        Tausend Sorgen und mogliche Irrtumer gingen Bolitho durch den Sinn, doch sein Gesicht war gefa?t, als er sich zum letzten Mal seinem Neffen zuwandte. Aus dem Augenwinkel hatte er gesehen, da? Adams kleine Gig von ihrer Crew, die den jungen Kommandanten schon erwartete, klargehalten wurde.
        Es war Ebbe, und er sah einen alten Mann am Kiesstrand Treibholz sammeln. Der Mann schaute auf und die beiden Offiziere direkt an. Sie hatten in der Tat Bruder sein konnen mit ihrem schwarzen Haar und dem festen Blick ihrer grauen Augen. Adam trug die Haare nach neuer Mode kurz, Bolitho hatte den Zopf beibehalten.
        Der Mann am Strand deutete einen Salut an, und Bolitho nickte. Ein letztes Lebewohl.

«Tu jeden Schritt mit Bedacht, Adam«, sagte er.»Wenn du diesmal nicht in Schwierigkeiten kommst, gibt man dir als nachstes eine Fregatte.»
        Adam lachelte.»Ich segle mit deinen Depeschen nach Gibraltar, Onkel. Danach hange ich sowieso an den Schurzenbandern der Flotte.»
        Bolitho erwiderte sein Lacheln. Ihm war, als sahe er sich selbst als jungen Draufganger.»Schurzenbander sind dehnbar. «Er druckte ihn an sich, ohne sich um die strammstehenden Seesoldaten und zusehenden Bootsgasten zu kummern. Wie zu sich selbst sagte er:»Gott sei mit dir.»
        Und dann, als Adam seinen neuen, goldbetre?ten Hut abnahm und sich das rabenschwarze Haar vom Wind zausen lie?, hastete Bolitho die Stufen hinunter. Er nickte dem Leutnant im Boot zu. Das war ein Gesicht aus der jungeren Vergangenheit, fruher Midshipman auf der Achates.

«Guten Tag, Mr. Valancey. Bei diesem Wind werden sich die Manner tuchtig in die Riemen legen mussen.»
        Er sah den jungen Mann vor Freude erroten, weil er seinen Namen nicht vergessen hatte. Jedes Bindeglied war nutzlich.
        Noch einmal winkte er Adam zu, als seine elegante grune Barkasse, deren Riemen sich hoben und senkten wie Flugel, vom Ufer ablegte.
        Mit ungebuhrlicher Hast hielt nun die kleine Gig auf die Stufen zu; als sie um das Heck eines verankerten Truppentransporters bogen, kam der Kai au?er Sicht.
        Drau?en lagen viele Schiffe vor Anker, deren schwarze, gelbbraun abgesetzte Rumpfe in Regen und Gischt stumpf schimmerten. Die Isle of Wight jenseits von ihnen war kaum mehr als ein dunstiger Hocker.
        Der Leutnant hustete nervos.»Die Fregatte dort druben ist die Barracouta, Sir. «Er zuckte zusammen, als Bolithos Blick ihn streifte. Die Fregatte mu?te erst morgens vor Anker gegangen sein, denn man hatte ihn uber ihr Eintreffen noch nicht informiert. Sie sollte unter Jeremy Lapish zu seinem neuen Geschwader gehoren. Es war vernunftig von dem Leutnant, ihn darauf aufmerksam zu machen.

«Ihre Dienststellung?«fragte Bolitho.

«Sechster Offizier, Sir. «Also gerade eine Stufe uber dem Kadettenlogis.
        Hogg stie? einen unterdruckten Fluch aus und fauchte:»Halt!«Die Ruderblatter schwebten triefend uber dem Wasser, wahrend Hogg sich gegen die Pinne stemmte. Eine Barkasse lief ihnen direkt vor den Bug, so mit Menschen uberladen, da? sie fast uberspult wurde.
        Hogg sah den jungen Leutnant an und legte, als der stumm blieb, die Hande um den Mund und brullte:»Platz da fur einen Offizier des Konigs!»
        Jemand winkte, und die Barkasse drehte in Richtung einiger Truppentransporter ab.
        Bolitho fiel unter den Passagieren eine junge Frau auf, deren Kopf und Schultern Wind und Gischt ungeschutzt ausgesetzt waren. Sie drehte sich nach dem Rufer um, und Bolithos Blick traf den ihren uber funfzehn Meter aufgewuhltes Wasser hinweg. Dann fiel sein Blick auf ihre Hand, die das Dollbord packte. Sie war angekettet.

«Wer sind diese Leute?«fragte er leise.
        Hogg gab behutsam dem Druck der Pinne nach, noch immer aufgebracht, da? so etwas unter den Augen seines Admirals geschehen konnte.

«Straflinge, Sir«, erwiderte er rauh.
        Bolitho sah weg. Vermutlich auf dem Weg zur Strafkolo - nie Botany Bay in Australien. Was hatte sie wohl verbrochen?

«Klar zum Einhaken, Buggast!«Hogg schatzte die letzte Kabellange sehr sorgfaltig ab.
        Als die Barkasse um einen Zweidecker bog, erblickte Bo-litho endlich die hohen Masten der Argonaute. Ein schones Schiff, das mu?te er zugeben, mit glanzendem neuem Anstrich und einer riesigen Kriegsflagge, die ihm zum Willkomm an der Poop flatterte. Sie hatte elegante, anmutige Linien und war, wie Bolitho aus eigener schlimmer Erfahrung wu?te, ein vorzuglicher Segler. Ihr Huttendeck war langer als bei den englischen Linienschiffen, doch sonst unterschied sie sich kaum von den anderen Zweideckern mit vierundsiebzig Geschutzen, die das Ruckgrat der Flotte bildeten.
        Doch als sie naherkamen, entdeckte Bolitho kleine Unterschiede: Der vollere Bug mit dem steilen Spriet, die fast extravagant wirkende vergoldete Heckgalerie. Es fiel schwer, sich ihr Deck voller Blutlachen vorzustellen, und doch waren viele gute Leute damals und auch noch auf der Ruckfahrt nach Plymouth gestorben. Die Werft hatte an ihr wahre Wunder bewirkt. Mehrere Male war Bolitho versucht gewesen, sich sein neues Flaggschiff wahrend der Neuausrustung und Reparatur anzusehen, hatte sich aber ferngehalten. Keen hatte sich wohl kaum gefreut, seinen Admiral inmitten des Wirrwarrs an Bord begru?en zu mussen.
        Bolitho warf sich den Umhang von den Schultern, wodurch die schimmernden Epauletten mit je zwei silbernen Sternen sichtbar wurden: Vice-Admiral-of-the-Red,
{Abteilung der alten britischen Kriegsmarine, mit roter Nationalflagge} abgesehen von Nelson der jungste der Navy. Noch hatte er sich daran nicht gewohnt - auch nicht an den Adelstitel, uber den sich alle so gefreut hatten, der ihm aber eher peinlich war. Weitere Bilder glitten vor seinem inneren Auge vorbei, als er das Schiff beobachtete und den alten Degen zwischen die Knie klemmte: London mit seinen bunten Livreen und dienernden Lakaien. Das plotzliche Schweigen, als er vor Seiner Britannischen Majestat niederkniete, die federleichte Beruhrung des Schwerts auf seiner Schulter: Sir Richard Bolitho of Falmouth. Gewi? doch ein stolzer Augenblick? Belinda hatte so glucklich ausgesehen. Adam und Allday strahlten wie Schulkinder. Und doch…
        Er sah eine Gruppe von Gestalten an der Pforte warten, das Blau und Wei? der Offiziere, das Scharlachrot der Seesoldaten. Seine Welt. Man wurde genau auf jede seiner Bewegungen achten. Normalerweise ware Allday zur Hand gewesen, um dafur zu sorgen, da? er nicht das Gleichgewicht verlor oder uber seinen Degen stolperte. Nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten, war der Gedanke, jemals ohne Allday fahren zu mussen, unvorstellbar. Aber er wurde an Bord sein, ehe das Schiff Anker lichtete.
        Leutnant Valancey trat zur Seite, als Bolitho abwartete, bis die Barkasse an der bauchigen Flanke der Argonaute aufwartsschwang. Dann sprang er hinuber und stieg die Jakobsleiter zur Pforte hoch; Musketen wurden prasentiert, Trommeln ratterten, und die Pfeifen stimmten das» Hearts of Oak«{»Herzen aus Eiche«, alte Marineweise} an.
        Da stand der blonde Keen und nahm seinen Hut genau in dem Augenblick ab, als Bolithos Flagge im Vormasttopp gesetzt wurde.

«Willkommen, Sir Richard. «Keen lachelte und merkte nicht, da? die Begru?ung Bolitho unvorbereitet getroffen hatte. Dem Admiral klang es, als sei jemand anderer angeredet worden.
        Bolitho nickte den versammelten Offizieren und der Wache zu. Wenn er erwartet hatte, noch Spuren des Gefechts zu sehen, wurde er nun enttauscht: frisch gestrichene Planken, geteerte Takelage, sauberlich aufgetuchte Segel, und die Ketten und Taljen der Achtzehnpfunder des Oberdecks so perfekt ausgerichtet wie zur Parade.
        Er schaute das Deck entlang und durch das Kreuzmuster aus stehendem und laufendem Gut in die Hohe. Er sah die wei?e Schulter der Galionsfigur, die einen Knaben aus der Mannschaft von Jasons mythischer Argo darstellen sollte. Erst vor knapp drei Jahren war Argonaute in Brest von Stapel gelaufen; ein vergleichsweise neues Schiff also, mit einer Sollbesatzung von sechshundertzwanzig Offizieren, Matrosen und Seesoldaten. Bolitho bezweifelte indes, da? es selbst dem einfallsreichen Keen gelungen war, so viele Manner zusammenzubringen.
        Sie gingen unter dem Huttendeck nach achtern. Die Erbauer hatten es langer als auf vergleichbaren englischen Schiffen gehalten und den Offizieren dadurch geraumigere Unterkunfte gegeben. Vorm Gefecht jedoch machte man wie auf jedem anderen Kriegsschiff die Decks vom Bug bis zum Heck von Zwischenwanden frei, damit jedes Geschutz, gro? oder klein, ungehindert bedient werden konnte.
        Sie buckten sich unter den Decksbalken, und Bolitho sah einen Seesoldaten an der Tur zu seiner Kajute Wache stehen.

«Wenn Allday an Bord kommt, Val, mochte ich…»
        Keen blickte ihn an.»Er ist schon da, Sir Richard.»
        Bolithos Erleichterung war so gro?, da? es ihn selbst uberraschte.
        Es war recht dunkel unter Deck, und Bolitho lie? seine Fu?e vom Instinkt leiten. Die Geruche waren wie alte Freunde: Teer, Werg, Farbe, feuchte Leinwand. Ein gro?er E?tisch aus Falmouth, der Weinschrank, den er von Schiff zu Schiff mitnahm, und hinten in der gro?en Tageskajute ein wertvoller Teppich auf der schwarz-wei? karierten Leinwand, welche die Planken bedeckte.
        Von nebenan kam der an einen Maulwurf erinnernde Ozzard, der schon seit mehreren Tagen an Bord war, aus dem Schlafraum geeilt und sah zu, wie Bolitho langsam auf seinen Sessel zuging. Er hatte ihn in Falmouth anfertigen lassen. Belinda hatte Widerspruch eingelegt und gemeint, er hatte etwas Eleganteres, seiner Position Angemesseneres wahlen sollen. Nun beruhrte er die hohe Ruckenlehne, die wie der Rest des Sessels mit weichem, dunkelgrunem Leder bezogen war.
        Er reichte Ozzard seinen Degen und setzte sich in den Sessel, der so wichtig war, wenn ihn Sorgen und Zweifel beschaftigten, die er mit keinem seiner Untergebenen teilen konnte. Er hatte massive Armstutzen und eine hohe Lehne, die, falls erforderlich, den Blick auf Gegenstande oder Menschen versperren konnte.
        Keen grinste.»Der Sessel kam eine Stunde, bevor wir aus dem Plymouth-Sund ausliefen, an Bord.»
        Uber ihnen erklangen Schritte. Keen wandte sich zur Tur.
        Bolitho lachelte.»Gehen Sie nur, Val. Sie haben noch viel zu tun. Wir unterhalten uns spater.»
        Die Tur schlo? sich, und Bolitho sah seinen Steward mit einem Tablett zum Tisch treten. Verlie? Ozzard das sichere Falmouth nur ungern? Wenn ja, lie? er sich das nicht anmerken. Bolitho wartete, bis Ozzard ihm ein Glas Rotwein hingestellt und sich dann in seine Pantry zuruckgezogen hatte. Ein vorzuglicher Diener, auch wenn er unweigerlich in Panik geriet, sobald das Schiff klar zum Gefecht gemacht wurde. Ozzard war sehr belesen und fruher Schreiber bei einem Anwalt gewesen; es hie?, er sei zur See gegangen, um dem Gefangnis oder Argerem zu entkommen. Doch wie Allday war auch er vollig zuverlassig.
        Bolitho schaute sich in der gro?en Tageskajute um. Konteradmiral Jobert mu?te hier oft gesessen haben. Auch als aus dem Ausguck der Ruf erscholl, die Achates sei gesichtet worden?
        Die andere Tur ging auf, und herein kam Yovell mit dem ublichen Stapel Post. Er lachelte zufrieden, denn seit Bo-lithos Erhebung in den Ritterstand war Yovell vom schlichten Schreiber zum Sekretar aufgestiegen. Mit seinen Hange - schultern und der kleinen, goldgerahmten Brille sah er wie ein wohlhabender Kaufmann aus.
        Yovell hatte zu seiner Unterstutzung einen neuen Schreiber gefunden, einen rotwangigen Jungen namens John Pinkney, dessen Familie schon seit vielen Generationen in Fal-mouth lebte. Auch Ozzard hatte einen Helfer bekommen; er hie? Twigg, aber Bolitho hatte ihn nur einmal, als er sich in Falmouth vorstellte, zu Gesicht bekommen.
        Er merkte, da? er auf den Beinen war und wie ein Gefangener in der Kajute auf- und abging.
        Soviel hatte er Belinda noch sagen wollen. Seit dem Besuch in London war es zu einer Entfremdung zwischen ihnen gekommen. Sie liebte ihn zwar, doch wegen Elizabeths schwieriger Geburt verschanzte sie sich wie hinter einer Barriere. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob ihre Kuhle… Argerlich sah er auf, als der Wachtposten die Muskete aufs Deck stie? und rief:»Ihr Bootsfuhrer, Sir!»
        Der Seesoldat wurde bald lernen, da? Allday kam und ging, wie es ihm beliebte.
        Der Alte trat ein und blieb mitten auf dem Teppich stehen. Sein Kopf reichte bis knapp unters Skylight.
        Er sieht fast unverandert aus, dachte Bolitho. Das lag auch an seiner blauen Jacke mit den Goldknopfen und den Nankinghosen, die ihn als Bootsfuhrer des Admirals kennzeichneten.

«Alles erledigt, Allday?»
        Allday blickte sich in der Kajute um, musterte den neuen Sessel und sah schlie?lich Bolitho an.

«Die Sache ist die, Sir. «Er zupfte an seiner Jacke.»Ich habe was zu melden.»
        Bolitho setzte sich.»Raus damit, Mann.»

«Ich habe einen Sohn, Sir.»

«Wie bitte?«rief Bolitho.
        Allday grinste verlegen.»Jemand hat mir geschrieben, Sir. Ferguson las mir den Brief vor, denn ich kann ja nicht.»
        Bolitho nickte. Ferguson, sein Diener in Falmouth, wu?te ein Geheimnis zu huten. Er und Allday waren dicke Freunde.
        Allday sprach weiter.»Ich kannte mal ein Madchen, fruher auf dem Dorf. Hubsches kleines Ding, aufgeweckt dazu. Wie's scheint, ist sie vor ein paar Wochen gestorben. «Er schaute Bolitho in jaher Verzweiflung an.»Tja, Sir, und da konnte ich doch nicht einfach die Hande in den Scho? legen, nicht?»
        Bolitho lehnte sich zuruck und beobachtete die Emotio - nen, die sich in Alldays schlichtem Gesicht spiegelten.»Bist du da auch ganz sicher?»

«Aye, Sir. Ich wollte Sie bitten, mit ihm zu reden, wenn das nicht zuviel verlangt ist.»
        Von oben erklangen Schritte, und eine Bootsmannspfeife trillerte weitere Matrosen herbei, um beim Beladen zu helfen. In der Achterkajute schien das alles weit entfernt zu sein.

«Du hast ihn also mit an Bord gebracht?»

«Er meldete sich freiwillig, Sir. Hat schon fruher den Rock des Konigs getragen.
«Alldays Stimme verriet nun Stolz.»Ich wollte nur. «Er schwieg und starrte auf seine Schuhe.»Ich hatte nicht fragen sollen.»
        Bolitho trat zu ihm und nahm seinen Arm.»Bring ihn zu mir, wenn er soweit ist. Herrgott noch mal, Mann, du hast das Recht zu fragen, was du willst!»
        Sie starrten einander an. Dann sagte Allday schlicht:»Das mache ich, Sir.»
        Die Tur ging auf, und Keen schaute herein.»Ich wollte Ihnen nur melden, Sir Richard, da? Firefly gerade den Anker gelichtet hat und nun die Marssegel setzt.»
        Bolitho lachelte.»Danke. «Er schaute Allday an.»Komm mit, wir sehen ihm beim Auslaufen zu.»
        Allday nahm den alten Degen vom Halter und hielt sich bereit, ihn an Bolithos Gurtel zu hangen. Leise sagte er:»Der braucht bald selbst einen guten Bootsfuhrer, und das ist kein Scherz.»
        Sie schauten einander an und verstanden sich.
        Keen beobachtete sie und verga? die drangende Arbeit. Bolitho und Allday waren der Fels, der nicht wankte, wenn alles andere fiel. Zu seiner Uberraschung merkte er, da? diese Erkenntnis ihn noch immer zutiefst ruhrte.
        Mehrere Matrosen, die auf dem Achterdeck gearbeitet hatten, wichen zuruck, als Bolitho und ihr Kommandant an die Finknetze traten. Bolitho spurte ihre Blicke im Rucken. Gewi? dachten sie nun uber den Ruf nach, der ihm vorauseilte.
        Adams kleine Brigg legte sich in den Wind und zeigte beim Kreuzen zwischen zwei verankerten Linienschiffen, was sie wert war. Bolitho nahm einem Signalgast das Fernrohr ab, verfolgte die Firefly und sah einen Augenblick lang ihren Kommandanten zum Anfassen nahe vor sich. Adam schwenkte langsam seinen Hut und kam dann hinter einem anderen Schiff au?er Sicht. Bolitho lie? das Fernrohr sinken und gab es dem Midshipman zuruck.»Danke, Mr.. «»Sheaffe, Sir Richard.»
        Bolitho betrachtete ihn neugierig. Naturlich, wie hatte er vergessen konnen, da? Admiral Sir Hayward Sheaffe ihm einen seiner Sohne auf die Argonaute gesetzt hatte! Uncharakteristisch, da? ihm so etwas entfiel; jetzt erinnerte er sich auch an Keens Kommentar:»Und wenn uns der Rotzjunge uber Bord geht, bin ich obendrein mein Kommando los!»
        Seit seiner Ruckkehr hatte er Sir Hayward mehrere Male in der Admiralitat aufgesucht. Nur eine Rangstufe trennte sie, aber es hatte genausogut ein Ozean sein konnen.
        Keen beobachtete Bolitho, und als er zur gegenuberliegenden Seite ging, folgte er ihm.»Es ist nicht unbedingt notig, da? Sie schon jetzt an Bord kommen, Sir«, meinte er.»Es kann noch eine Woche dauern, bis das Geschwader vollstandig versammelt ist.»
        Er fragt sich, ob ich genug vom Land habe, dachte Bolitho.»Und ein recht kleines Geschwader wird es werden, Val«, sagte er.»Vier Linienschiffe, die Fregatte Barracouta und die kleine Brigg Rapid.»
        Keen grinste.»Nicht zu vergessen die Supreme, Sir.»
        Bolitho lachelte wehmutig.»Kaum mehr als ein Kutter, zu dem der grandiose Name schlecht pa?t. «Er nahm die drei anderen Linienschiffe in Augenschein. Nur einen Bekannten hatte er auf ihnen: Kapitan Francis Inch. Er fuhr herum, und seine Stimme klang beschworend.»Was ist aus uns geworden, Val? Wissen Sie noch, wir
>Happy Few
«Daran denke ich oft«, meinte Keen.»Wir >wenigen Auserwahlten<. «Bolithos Stimmung beunruhigte ihn. Den Grund hatte er zumindest teilweise erfahren: Bolithos schone Frau sah seine Karriere in Gefahr, obwohl fur die meisten Seeleute ein Vizeadmiral, ob adlig oder nicht, gleich nach dem Allmachtigen kam. Belinda wollte, da? er Fal-mouth verlie?, um sich in London, wo er bemerkt und befordert werden wurde, ein prachtiges Haus zu kaufen.
        Aber Falmouth verlassen? Keen war schon zu Bolithos Hochzeit dort gewesen und kannte das Haus unterhalb von Pendennis Castle besser als die meisten anderen. Die Bo-lithos hatten immer dort gewohnt; es gehorte zu ihnen wie die See.
        Bolitho schaute hinuber zu seiner einzige Fregatte Barra-couta. Lapish, ihr junger Kommandant, war erst vor drei Jahren aufgeruckt und bisher noch nicht zum Vollkapitan ernannt worden. Der Anblick der verankerten Fregatte, deren Rahen und Decks vor Matrosen wimmelten, weckte in ihm die Erinnerung an den Augenblick, als er zum ersten Mal scharfe Worte an Belinda gerichtet hatte. Von Nelson hatte sie gesprochen, was praktisch jeder in London tat, aber nicht von seinem Mut und seinen Siegen, sondern von seiner unerhorten und unakzeptablen Affare mit» dieser Frau».

«Du bist ranggleich mit Nelson«, hatte Belinda gesagt.»Aber ihm gibt man eine Flotte und dir nur ein Geschwader!»

«Eine Flotte bekommt man nicht durch Gunstlingswirtschaft!«hatte Bolitho versetzt.
        Seltsamerweise standen Nelson trotz seines Ruhms und seiner Stellung nur zwei Fregatten zur Verfugung. Der kleine Admiral hatte seine Flagge auf der alten, geachteten Victory gesetzt und war ins Mittelmeer gesegelt, um die Franzosen in Toulon zu blockieren, damit sie dort ebenso eingeschlossen blieben wie in ihren Hafen am Armelkanal und Atlantik.
        Belinda war bei seinem scharfen Ton zuruckgewichen. Sie hatten einander angestarrt wie Fremde.

«Ich rede und handle so, weil du mir wichtig bist«, hatte sie leise geantwortet.

«Weil du meinst, da? du es besser wei?t als ich!«hatte er erwidert.»Wir sind hier zu Hause, nicht in London!»
        Nun, da er die Schiffe betrachtete und an die Toten dachte, die er gekannt hatte, fragte er sich, was ihn in Wirklichkeit so aufgebracht hatte, da? er zu fruh an Bord gegangen war.

«So viele Manner, manche kaum mehr als kleine Jungen«, sagte er leise.»Farquhar, Keverne, Veitch. «Er wandte den Blick ab.»Erinnern Sie sich noch an den kleinen Neale? Und die anderen - wo sind sie? Tot, verstummelt, oder sie fristen ihr Leben in pockenverseuchten Spitalern. Und wofur?»
        Keen hatte ihn noch nie so erlebt.»Damit wir die Franzmanner besiegen, Sir.»
        Bolitho packte ihn am Arm.»Gewi?! Aber noch viele gute Manner werden fur die Selbstgefalligkeit und Dummheit anderer bezahlen mussen. «Er bezahmte sich und sagte gelassener:»Ich gehe jetzt meine Depeschen lesen. Speisen Sie heute abend mit mir, Val.»
        Keen tippte bestatigend an seinen Hut und sah Bolitho nach. Als sein Blick dabei auf Stayt fiel, den neuen Flaggleutnant, fragte er sich, wie dieser wohl Bolithos Neffen oder den fruheren Adjutanten Browne ersetzen wurde.
        Keen schritt zur Querreling und stutzte sich darauf. Bald wurde das Schiff wieder lebendig sein, ein gutfunktionierendes Wesen, angetrieben von seinen drei Segelpyramiden. Er schaute auf zu Bolithos Flagge am Vormast. Unter keinem Mann diente er lieber, keinen respektierte, verehrte er mehr. Jeden Tag, seit er als Midshipman Bolithos Schiff betreten hatte, war seine Zuneigung gewachsen. Trotz Tod und Gefahr in der Sudsee, wo Bolitho beinahe dem Fieber erlegen war, hatte er noch die Kraft gefunden, ihn uber seinen Verlust hinwegzutrosten. Keen dachte an die liebliche Malua, die dieses Fieber nicht uberlebt hatte. Anders als die meisten Seeoffiziere war er danach unverheiratet geblie - ben, hatte ihren Tod nie ganz verschmerzt.
        Er musterte sein Schiff und war mit dem, was in so kurzer Zeit erreicht worden war, recht zufrieden. Wieder entsann er sich der pausenlosen Breitseiten, des Gemetzels auf und unter Deck wahrend ihres letzten Gefechts. Er beruhrte seine linke Schulter, wo ihn ein Splitter getroffen und zu Boden geschleudert hatte. Manchmal schmerzte die Stelle noch. Doch er lebte, das war entscheidend. Er sah auf zu den Mannern hoch uber Deck, die mit Splei?en und anderen Arbeiten beschaftigt waren.
        Zu seinem Gluck hatte er einige der alteren, erfahrenen Manner von Achates behalten: Big Harry Rooke, den Bootsmann; den Zimmermann Grace, der bei der Reparatur in Plymouth Gold wert gewesen war. Selbst Black Joe Lantry, der furchteinflo?ende Schiffsprofos, war auf die Argonaute gekommen. Doch fehlten noch Matrosen. Keen rieb sich das Kinn, wie Bolitho es tat, wenn er uber ein Problem nachsann. Der Hafenadmiral und ein Amtsrichter taten ihr Bestes, aber Keen wollte erstklassige Seeleute, keine Verbrecher. Bei diesem Gedanken schaute er hinuber zu den beiden Truppentransportern, die Straflinge in die neue Kolonie Australien bringen sollten. War das die rechte Art, ein Territorium zu bevolkern?
        Paget, der Erste Offizier, kam ubers Deck und gru?te.»Bitte um Genehmigung, die Manner wahrend der Nachmittagswache an der unteren Batterie uben zu lassen.»
        Keen sah ihn nach achtern zur Poop schielen und lachelte.»Keine Angst, Mr. Paget, unser Admiral wei? ordentliche Schie?kunst sehr zu schatzen. Und ich auch.»
        Paget entfernte sich. Ein guter Offizier und etwas alter als die anderen, hatte er wahrend des Friedens von Amiens bei der Handelsmarine gedient. Eigentlich stand ihm nun ein Kommando zu, wenn auch nur ein kleines Schiff. Der neue Kommandant der kleinen Supreme, Hallowes, war bis vor dem Gefecht Keens Vierter Offizier gewesen. Keen sah sie noch vor sich: Adam Bolitho und Hallowes bei ihrer tollkuhnen Attacke uber das Heck der Argonaute. Mit einer Handvoll Manner hatten sie Sprengladungen am Gro?mast angebracht und ihn gefallt. Der Feind hatte fast sofort die Flagge gestrichen. Warum also nicht auch Paget? Sein Zeugnis war gut, und er schien ihm tuchtig genug.
        Keen begann mit gesenktem Kopf auf- und abzugehen, verga? fur den Augenblick das Rasseln der Flaschenzuge und die heiseren Rufe seiner Decksoffiziere, die das Einnehmen von Proviant beaufsichtigten. Fest stand nur, dachte er, da? dies ein harterer Krieg werden wurde. Das Gefuhl, nach einem so kurzen Frieden betrogen, ja verraten worden zu sein, mu?te Jahzorn wecken.
        Er freute sich auf das Wiedersehen mit Inch, der bei Bolithos Anblick uber sein ganzes langes Pferdegesicht strahlen wurde. Ernuchternd war der Gedanke, da? Inch und er die einzigen Vollkapitane des ganzen Geschwaders waren. Inchs Zweidecker Helicon mu?te nun jeden Augenblick von der Nore hier eintreffen. Danach ging es unter neuer Order hinaus auf See, wo jedes gesichtete Schiff wahrscheinlich ein Feind war. Nach Gibraltar zuerst - und dann?
        Wahrend Keen gedankenversunken an Deck auf- und abging, machte Bolitho sich mit seinem noch fremden Quartier vertraut. Der alte Degen hing an seinem Halter uber der prachtigen neuen Waffe, fur die in Falmouth gesammelt worden war. Er konnte sich noch deutlich an den Tag erinnern, als ihm sein Vater die alte Klinge im grauen Haus der Bolithos geschenkt hatte. Die Schande seines alteren Bruders Hugh, der zu den aufstandischen amerikanischen Kolonisten desertiert war, hatte der Alte nie verwunden. Eigentlich hatte Hugh den Degen bekommen sollen. Nun wurde Adam ihn eines Tages tragen.
        Bolitho trat in die Schlafkammer und schaute in den Spiegel. Nachsten Monat wurde er siebenundvierzig. Wo waren die Jahre geblieben? Er sah zwar zehn Jahre junger aus, aber der Gedanke an die so schnell verstrichene Zeit bedruckte ihn. Er dachte an Belinda in Falmouth. Wurde er bei seiner Ruckkehr weitere Veranderungen vorfinden? Mit einer Grimasse wandte er sich vom Spiegel ab.»Falls ich zuruckkomme.»
        Ozzard fuhr zusammen.»Sir?»
        Bolitho lachelte.»Nichts. Ich war nur zu lange an Land.»
        Ozzard verstaute Kleider in einem schonen alten Kleiderschrank. Bei einer seiner Schubladen zogerte er und begann die Hemden erneut glattzustreichen. Dabei beruhrte er die Miniatur einer jungen Frau mit langem, kastanienfarbenem Haar und grunen Augen. Wie schon sie ist, dachte er.
        Twigg, sein neuer Helfer, lugte ihm uber die Schulter.»Hangen wir das Bild auf, Tom? Wenn ich so eine Frau hatte, tate ich das.»

«Zuruck an die Arbeit!«Ozzard schlo? die Schublade sorgfaltig. Es war nicht Twiggs Schuld, da? er das Bild mit einem von Lady Belinda verwechselt hatte. Ozzard aber wu?te es besser: Er hatte Bolitho ihren Namen rufen horen, als er schwer verwundet gewesen war: Cheney… Warum hatte sie sterben mussen? Er hob ein Paar Schuhe auf und starrte es blicklos an.
        Das Deck schwankte leicht. Ozzard seufzte.
        Dies war ein Leben, das er verstand. Und es war besser als das auf den Straflingsschiffen.
        Drei Tage spater segelte das kleine, von Argonaute gefuhrte Geschwader bei kraftigem Nordwind mit Westkurs den Armelkanal hinunter.
        Fur den Admiral war kein Brief mehr eingetroffen. Bo-litho verschlo? seinen in der Kassette und sah zu, wie das Land in der Abenddammerung hinter ihm versank. Mein England, wann sehe ich dich wieder?
        Gleichgultig wie immer, verweigerte die See ihm jede Antwort.



        II In Seenot

        Bolitho schritt ubers Poopdeck und beobachtete die drei Linienschiffe in ihrem Kielwasser. Zwei lange Tage waren vergangen, seit sie vor Spithead Anker gelichtet hatten, und abgesehen vom Exerzieren mit Segeln und Geschutzen hatte nur wenig das Einerlei unterbrochen.
        Inchs Helicon lag direkt achteraus, in Kiellinie folgten Dispatch und Icarus, die dazu allerdings erst ein paar unverblumte Ruffel vom Flaggschiff hatten erhalten mussen. Sie mu?ten jetzt lernen, auf Station zu bleiben und jedes Signal ohne Verzogerung zu beantworten. Spater hatten sie fur so etwas keine Zeit.
        Weit an Steuerbord stand in Luv die einsame Fregatte Barracouta, bereit, vorm Wind heranzueilen, ein gesichtetes Schiff zu uberprufen oder ihre gro?eren Begleiter zu unterstutzen. Bolitho konnte sich alle Schiffe mit ihren Kommandanten vorstellen, obwohl er letztere vor dem Auslaufen nur kurz gesprochen hatte. Die Brigg Rapid und der verwegene kleine Kutter Supreme liefen dem Flaggschiff weit voraus und fungierten als seine Augen und Aufklarer.
        Bolitho hatte die Lagebesprechung Keen uberlassen, als sich die Kommandanten in der Messe der Argonaute versammelten. Ansprachen, die nur einen Selbstzweck erfullten, ha?te er. Wenn sie erst Gibraltar erreicht hatten, wurde er genauer wissen, was von ihnen erwartet wurde; dann konnte er den anderen seine Absichten darlegen.
        Inchs Gesicht war vor Freude ganz zerknittert, als er von Bolitho an Bord willkommen gehei?en wurde. Verandert hatte er sich nicht. Er war immer noch so eifrig und vertrauensselig, da? Bolitho seine Zweifel nie mit ihm hatte teilen konnen. Inch wurde allem zustimmen, was er tat, und ihm selbst bis an die Pforten der Holle folgen.
        Bolitho wandte sich um und sah den Matrosen bei der Arbeit auf dem Batteriedeck zu. Ihm waren mehrere Gesichter aufgefallen, die er noch von Achates her kannte. Zu Keen hatte er bemerkt, es ehre den Kommandanten, da? sie sich freiwillig zum Dienst unter ihm gemeldet hatten. Da? Keen in sich hineingelachelt hatte, war ihm entgangen. Und der Gedanke, die Manner konnten sich vielleicht ihres Ad-mirals wegen gemeldet haben, kam Bolitho uberhaupt nicht.
        Er hatte den leichtfu?igen, verwachsenen Stuckmeister Crocker wiedergesehen, der damals den Gro?mast weggesprengt und so das Gefecht beendet hatte. Auch er war unverandert, abgesehen von einer neuen Uniform. Er war nun Maat und selten weit entfernt, wenn an den Stucken exerziert wurde.
        Auf dem Backbord-Seitendeck sah er Allday mit einem Jungen, den er fur den neuentdeckten Sohn hielt. Unglaublich! Er fragte sich, wann Allday sich dazu durchringen wurde, ihn in der Achterkajute zu prasentieren. Allday kannte besser als jeder andere Bolithos Widerwillen gegen Vetternwirtschaft und wurde bestimmt den richtigen Zeitpunkt wahlen.
        Vom Vorschiff schlug es zwei Glasen, und Bolitho bewegte sich unruhig. Er fuhlte sich von diesem Schiff und den anderen, die seiner Flagge folgten, seltsam distanziert. Keen und seine Offiziere kummerten sich um alles; Tag fur Tag wurde die Besatzung der Argonaute dazu ermuntert und angetrieben, ein gutes Team zu bilden. Die Zeit, die das Klarmachen zum Gefecht, das Reffen oder Setzen der Segel in Anspruch nahm, wurde minutenweise verkurzt, aber Bo-litho konnte an alledem nur aus der Ferne teilhaben.
        Die Stunden zogen sich trage dahin, und er beneidete Keen und die anderen Kommandanten, die ihre Tage mit Arbeit ausfullen konnten.
        Er ging zur anderen Seite und starrte auf die stumpfe graue See und die anrollenden Wellenkamme hinunter. Hundert Meilen querab lag Lorient. Brest, wo dieses Schiff gebaut worden war, hatten sie in der Nacht passiert. Ob Argonaute das wohl gespurt hatte?
        Seltsamerweise war auch Inchs Helicon eine franzosische Prise, hatte aber einen neuen Namen erhalten, wie es Sitte war, wenn der Feind schlecht gefochten hatte.
        Bolitho beruhrte die Finknetze. Von Argonaute konnte das niemand behaupten. Sie hatte von Anfang bis Ende tapfer gekampft. Nelson mu?te die Beherrschung des Mittelmeers schwerfallen, wenn der Feind uber mehr Admirale von Joberts Schlag verfugte.

«An Deck! Rapid signalisiert, Sir!»
        Bolitho schaute hoch zum Ausguck in seinem schwankenden Krahennest. Der Wind war umgesprungen und kam nun direkt von achtern. Er offnete den Mund, doch Keen war schon zur Stelle.»Aufentern, Mr. Sheaffe, aber flott!»
        Bolitho sah den schlanken Midshipman rasch die Wanten erklimmen. Er war sechzehn, sah aber alter aus und alberte in seiner Freizeit oder auf Hundewache nur selten mit den anderen» jungen Gentlemen «herum.
        Bolitho fragte sich kurz, ob sich auch Adam so ernst verhalten hatte, wenn er sein Sohn gewesen ware.
        Endlich war Sheaffe in der Lage, sein gro?es Signalfernrohr auszurichten, und rief hinunter:»Von Supreme, wiederholt von Rapid, Sir!«Aller Augen ruhten auf seiner verkurzten Silhouette. Die Wolken schienen dicht uberm Masttopp dahinzujagen.»Im Suden Segel gesichtet!»
        Keen schaute Bolitho an.»Franzosen, Sir?»

«Das mochte ich bezweifeln«, meinte Bolitho.»Gestern sahen wir Teile unseres Blockadegeschwaders. An dem mu?te sich der Feind erst vorbeigestohlen haben. «Er lachelte uber Keens Miene. Der Mann war enttauscht.

«Supreme soll nachsehen«, befahl Bolitho.»Sie tragt zwar nur Spielzeugkanonen, lauft aber jedem anderen Schiff davon.»
        Entsprechende Signalflaggen wurden gehi?t und flatterten steif im Wind. Rapid gab das Signal an den Kutter weiter, der au?er Sicht des Flaggschiffs stand. Bolitho wu?te, da? Hallowes zum Leichtsinn neigte, und hoffte, da? er sich vorsah. Wenn nicht, wurde sein neues Kommando nur kurzlebig sein.
        Da horte er neben sich Schritte und sah seinen Flaggleutnant die Signalgasten kritisch mustern. Als Sheaffe wieder an Deck rutschte, sagte Stayt:»Immer langsam. Das mu? noch besser klappen, Mr. Sheaffe, oder Sie bekommen es mit mir zu tun.»
        Bolitho schwieg. Immerhin fand Stayt nichts dabei, den Sohn eines Admirals zurechtzuweisen.

«Wer das auch sein mag, er wird abdrehen und fliehen, Sir«, bemerkte Stayt jetzt.
        Bolitho nickte. Falls es ein Handelsschiff gleich welcher Nationalitat war, wurde der Kapitan seine besten Seeleute nicht an ein Kriegsschiff verlieren wollen.
        Er dachte uber Stayt nach, dessen kranker Vater die Seefahrt aufgegeben hatte und Land beim Flecken Zennor bewirtschaftete. Stayts Bruder waren Geistliche, aber der Leutnant hatte in eine Soutane nicht gepa?t. Er war dunkelhautig und hatte braune, ruhelose Augen wie ein Zigeuner. Zwar sah er nicht so gut aus wie Keen, hatte aber die markanten Zuge, die Frauen anziehend fanden. Bolitho wu?te, da? Stayt immer eine Pistole unter der Jacke trug, und hatte ihn gern nach dem Grund gefragt. Seltsam, als rechne er standig mit Arger.
        Sheaffe sprach eindringlich mit seinem Helfer und erkletterte dann rasch die Wanten zum Besanmast. Die meisten Fahnriche hatten Stayts Bemerkung einfach hingenommen, aber Sheaffe war gekrankt. Ein Midshipman war weder Fleisch noch Fisch, er stand zwischen den Offizieren und Matrosen und geno? von keiner Seite viel Respekt. Seltsam nur, da? sie das sofort vergessen, sobald sie Leutnants werden, dachte Bolitho.

«Von Supreme, Sir!«Sheaffes Stimme klang scharf.»Es ist die Orontes!»

«Eines der Straflingsschiffe«, meinte Keen.»Sie lief zwei Tage vor uns aus. «Er sah Bolitho fragend an.»Merkwurdig.»

«Von Supreme, Sir: Schiff bittet um Beistand.»

«Signal an Supreme.«Keen hatte Bolitho nicken gesehen.»>Beidrehen und auf Flaggschiff warten.<«Er wartete ab, bis das Signal gesetzt worden war, dann lie? er an alle signalisieren: «Mehr Segel setzen.<»
        Stayt schob sein Teleskop mit einem vernehmlichen Schnappen zusammen.»Geschwader hat bestatigt, Sir.»
        Bolitho sah zu, wie die Matrosen rasch in die Wanten stiegen und auf den Rahen auslegten, um mehr Segel zu setzen. Die anderen Schiffe folgten Argonautes Beispiel. Zwar drohte keine offenkundige Gefahr, aber das Geschwader mu?te seine Formation halten. Bolitho kannte sich mit tuckischen Fallen aus, seinen eigenen und denen des Feindes. Er riskierte nichts.
        Das Deck vibrierte, und Gischt spruhte uber die Bugreling, als Argonaute auf den zusatzlichen Segeldruck reagierte.

«Wir erreichen sie um die Mittagszeit, Sir. «Keen uberwachte das Setzen jedes einzelnen Segels; er rief:»Fockbrasse in Luv dichter holen, Mr. Chaytor! Ihre Gang ist heute konfus!«Er setzte den Schalltrichter ab. Am Trupp des Leutnants gab es nicht viel auszusetzen, doch es konnte nicht schaden, ihn ein wenig scharfer anzufassen. Bolithos Lacheln verriet Keen, da? er durchschaut worden war.
        Luke Fallowfield, der Sailing Master, {Segelmeister, Skipper: zustandig fur Navigation und Seemannschaft} sah in die prallen Segel und stellte einen weiteren Mann an das gro?e Doppelruder. Er war schon auf anderen Flaggschiffen Master gewesen, aber nirgends war es zugegangen wie auf dem Bolithos. Die meisten Admirale blieben in ihren Kajuten, dieser aber nicht. Fallowfield war kleinwuchsig und gebaut wie ein Fa?, sein Kopf sa? direkt auf den Schultern wie ein gro?er roter Kurbis. Er war ein schlampiger Klotz von Mann, der meist eine Rumfahne hinter sich herzog, doch seine Kenntnisse in Navigation waren unerreicht.
        Bolitho begann sich an ihre Gesichter und die Art, wie sie mit Vorgesetzten und Untergebenen umgingen, zu gewohnen. Ohne diese Kontakte hatte er sich in sein abgeschirmtes Quartier verbannt gefuhlt. Insgeheim mu?te er zugeben, da? er mit seinen Gedanken nicht allein sein wollte.
        Mit jeder Stunde wurde Orontes gro?er, ragte hoher aus dem grauen Wasser. Die in der Nahe beigedreht liegende Supreme blieb Zuschauerin.
        Sobald Argonaute auf Signaldistanz herangekommen war, bemerkte Keen:»Die haben ihr Ruder verloren, verflucht!»

«Der andere Transporter war ein ehemaliger Indienfahrer und in gutem Zustand.
«Stayt verzog verachtlich den Mund.»Aber der da ist eine Hulk. Zum Gluck meint es die Biskaya gut mit ihnen.»
        Bolitho griff nach einem Fernrohr und beobachtete den langsamen Signalaustausch. Stayt hatte mit seinem Urteil recht: Die Orontes sah aus wie ein Sklavenschiff, nicht wie ein Transporter der Regierung.

«Wenn wir sie in Schlepp nehmen, Val, reduzieren wir unsere Starke und verzogern unser Vorankommen. «Bolitho sah Keens Besturzung.»Aber aufgeben konnen wir sie auch nicht.»

«Wir kriegen Sturm, Sir. «Fallowfield starrte die Offiziere ausdruckslos an.»Da bin ich ganz sicher.»

«Das entscheidet den Fall. «Bolitho verschrankte die Arme.»Schicken Sie ein Boot hinuber und stellen Sie fest, was aus ihrem Begleitschiff, der Philomela, geworden ist. «Er sah Big Harry Rooke, den Bootsfuhrer, seine Mannschaft heranwinken. Pech, aber es blieb ihnen nichts anderes ubrig.»Wir eskortieren sie nach Gibraltar.»

«Mit ihr im Schlepp brauchen wir aber Tage langer, Sir«, wandte Keen ein.
        Das war typisch Keen; er konnte es nicht abwarten, an den Feind heranzukommen.
        Der Erste Offizier kletterte hinunter in das wartende Boot, das bald rasch auf das treibende Schiff zuhielt.
        Was fur ein schlechter Anfang der Reise, dachte Bolitho, versuchte aber, den Gedanken zu verdrangen und sich auf Wichtigeres zu konzentrieren. Wenn er das Geschwader verlie? und mit Barracouta oder Rapid vorausfuhr, konnte es wahrend seiner Abwesenheit bei einem Uberraschungsangriffunterliegen. Ein kaum ausgebildetes Geschwader ohne Admiral wurde die Franzosen gewi? anlocken, wenn sie davon erfuhren.
        Er kam zu einem Entschlu?.»Signal an Barracouta: >zu Flaggschiff aufschlie?en, erwarte Kommandant an Bord<. «Schon hatte er das jungenhafte Gesicht von Lapish vor Augen, der dankbar sein wurde, seine schwerfalligen Gefahrten loszuwerden.

«Und jetzt Signal an Helicon«, fuhr Bolitho fort.»Sie soll sich bereitmachen, Orontes in Schlepp zu nehmen. «Inch war der bei weitem erfahrenste Kommandant des Geschwaders, aber selbst dieser loyale Mann wurde ihm fur den Auftrag nicht danken.
        Den Rest des Tages nahm die Herstellung einer Schleppverbindung zu dem steuerlosen Schiff in Anspruch, und Inchs Matrosen mu?ten hart zupacken. Als die Schiffe wieder einigerma?en in Formation segelten, war Barracouta schon weit entfernt und kam bald au?er Sicht. Lapish brachte Depeschen von Bolitho zum Gouverneur und Oberbefehls - haber von Gibraltar, damit man dort wenigstens erfuhr, warum das Geschwader verspatet eintreffen wurde.
        Die Nacht senkte sich herab. Als Bolitho in seine Kajute ging, sah er, da? der Tisch liebevoll gedeckt war, Decksbalken und Mahagonipaneele schimmerten im Schein der schaukelnden Laternen und neuen Kerzen.
        Die Arbeit mit Orontes hatte Bolitho Appetit gemacht. Er hatte es genossen, seinem Geschwader einmal bei einer anderen Beschaftigung als nur dem Exerzieren an Kanonen und Segeln zuzuschauen.
        Ozzard betrachtete ihn zufrieden. Schon, da? Bolitho wieder besserer Stimmung war. Er wollte mit dem Kommandant und dem neuen Flaggleutnant speisen. Was letzteren betraf, hielt Ozzard sein Urteil noch zuruck. An Leutnant Stayt war etwas Falsches, entschied er, wie an dem Anwalt, fur den er fruher gearbeitet hatte.

«Ihr Bootsfuhrer wartet, Sir Richard«, sagte Ozzard.
        Bolitho lachelte.»Gut.»
        Allday stand achtern an den gro?en, schragen Heckfenstern. Jetzt drehte er sich zu Bolitho um und legte gru?end die Hand an die Stirn. Selbst diese Geste fuhrte er mit Wurde aus, dachte Bolitho, weder unterwurfig noch gleichgultig.

«Wie geht's voran?«Bolitho lie? sich in den neuen Sessel fallen und streckte die Beine aus.»Wann bekomme ich deinen Sohn zu sehen?»

«Morgen vormittag, wenn's recht ist, Sir Richard«, erwiderte Allday. Selbst der Titel kam ihm leicht uber die Lippen. Allday schien stolzer auf ihn zu sein als sein Trager.»Er ist ein guter Junge, Sir. «Das klang etwas besorgt.»Ich habe mich nur gefragt…»
        Ah, nun kam er zum Kern der Sache.»Raus damit, alter Freund«, meinte Bolitho ermunternd.

«Danke, Sir. «Allday setzte noch einmal an.»Ab und zu tut mir die Wunde noch weh, Sir.»

«Aha. «Bolitho schenkte zwei Glaser Rotwein ein.»Rum ist leider keiner in Reichweite. «Ein Grinsen erhellte Alldays gebrauntes Gesicht. Bolitho ruhrte nie Rum an. Aber er wu?te, da? Allday ihn bevorzugte.

«Ich will meine Pflicht tun, Sir, wie immer. Aber irgendwie.»

«Irgendwie glaubst du, ich brauchte einen zweiten Bootsfuhrer?«fragte Bolitho sanft.
        Allday starrte ihn ehrfurchtig, erstaunt, dankbar an.»Der Herrgott segne Sie, Sir. Damit ware dem Jungen geholfen, und ich konnte ihn im Auge behalten.»
        Keen trat ein und blieb an der Tur stehen.»Verzeihung, Sir. «Er fand es ganz naturlich, da? der vierschrotige Bootsfuhrer ein Glas mit seinem Admiral trank. Keen hatte guten Grund, Allday zu respektieren. Als er unter Bolitho als Midshipman an einem Gefecht teilgenommen hatte, war er durch einen gro?en Holzsplitter im Unterleib verwundet worden. Der Schiffsarzt der Fregatte war ein Saufer gewesen, also hatte Allday den halb bewu?tlosen Midshipman unter Deck geschleppt und ihm den Splitter selbst herausge - schnitten. Das hatte Keen das Leben gerettet. Nein, vergessen konnte er das nie, besonders, da der Respekt nun auf Gegenseitigkeit beruhte.
        Bolitho lachelte.»Wir sind schon fertig, Val. Mit Ihrer Einwilligung wurde ich gern, ah…«Er warf Allday einen Blick zu.»Wie hei?t er?»
        Allday starrte auf seine Fu?e.»John, Sir, wie ich. Und mit Nachnamen Bankart, so wie seine Mutter.»
        Keen nickte, ohne eine Miene zu verziehen. Hogg, sein Bootsfuhrer, hatte ihn bereits informiert.

«Ein zweiter Bootsfuhrer fur mich«, sagte Bolitho.»Gute Idee, nicht?»

«Vorzuglich«, erwiderte Keen ernst.
        Sie blickten Allday nach, als dieser ging.»Mein Gott, er sieht sogar aus wie ein Vater!«meinte Keen.

«Kennen Sie diesen Bankart?«fragte Bolitho.
        Keen nahm von Ozzard ein Glas entgegen und hielt es ans Licht.»Ich sah ihn bei der Vereidigung, Sir. Er ist ungefahr zwanzig und diente vor dem Frieden auf der Superb. Fuhrte sich ganz ordentlich.»
        Bolitho schaute beiseite. Keen hatte Bankart also schon uberpruft. Um sich selbst zu decken oder Allday?

«Die Orontes treibt mich zur Verzweiflung, Sir«, wechselte Keen das Thema.»Ihr Kapitan kummert sich nicht um Inchs Anweisungen, und mir platzt bald der Kragen.
«Er betrachtete Bolitho nachdenklich.»Ich hatte gut Lust, morgen an Bord zu gehen.

        Bolitho lachelte.»Ja, ich glaube auch, da? mein Flaggkapitan mehr ausrichten kann als Inchs Offiziere.»
        Stayt betrat die Kajute und gab Ozzard seinen Hut. Auch er hatte sich anscheinend mit der Orontes befa?t.

«Ich wei? jetzt, weshalb der andere Transporter ohne Orontes weitersegelte, Sir.
«Als er sich vorbeugte, um einen Stuhl heranzuziehen, wurde kurz die blanke Pistole unter seinem Rock sichtbar. »Philomela transportiert nicht nur Menschen, sondern auch Gold. Der Zahlmeister fur New South Wales ist an Bord.»
        Bolitho rieb sich das Kinn. Merkwurdig, das war bisher nicht erwahnt worden.

«Hat wohl Angst, sein Geld auf einem Kriegsschiff zu uberfuhren, was?«fragte Keen bitter.»Der Feigling furchtet ein Gefecht.»
        Ozzard druckte sich an der anderen Tur herum. Er hatte alles mitangehort, wurde es aber fur sich behalten. Uber das Gold wu?te er wie der Rest des Geschwaders langst Bescheid. Komisch, da? die Offiziere so etwas immer als letzte erfuhren.

«Dinner ist serviert, Sir«, verkundete er lammfromm.
        Als Bolitho am folgenden Morgen an Deck kam, sah er sofort, wie sehr der Sturm der vergangenen Nacht sein Geschwader gebeutelt hatte. Nun, da jeder Kommandant bemuht war, sein Schiff wieder auf Station zu bringen, flaute der Wind ebenso boshaft zu einer leichten Brise ab, so da? die schweren Schiffe mit killenden Segeln hilflos in den Wellentalern rollten. Keen schaute finster hinuber zur Oron-tes. Er hatte in der Nacht die Schlepptrosse loswerfen lassen, um eine Kollision zu vermeiden. Nun mu?te die ganze Arbeit noch einmal bewaltigt werden.
        Der Flaggkapitan war verargert.»Lassen Sie meine Gig aussetzen. Ich fahre hinuber.
«Er nahm dem Midshipman der Wache das Teleskop ab und richtete es auf den treibenden Transporter.»Ich habe bereits mit meinem Zimmermann gesprochen, Sir Richard. Mit seiner Hilfe hoffe ich, den Kapitan der Orontes zur Anfertigung eines Notruders uberreden zu konnen.»
        Auch Bolitho studierte das andere Schiff. An Deck schien es von Menschen zu wimmeln; ob das Matrosen oder Straflinge waren, lie? sich nicht beurteilen. Da aber druben niemand zu arbeiten schien, sagte er leise:»Nehmen Sie ein paar Seesoldaten mit, Val.»
        Keen setzte sein Fernrohr ab und schaute ihn an.»Aye, Sir. «Die Sache schien ihm unangenehm zu sein.»Da druben wird sogar getrunken, Sir. Um diese Tageszeit!»
        Die Gig und ein Kutter wurden zu Wasser gelassen, wahrend das Flaggschiff in den Wind ging und beidrehte. Seine aufgegeiten Segel schlugen.
        Keen eilte schon zur Schanzkleidpforte.»Gehen Sie mit ihm, Mr. Stayt«, befahl Bolitho.»Mag sein, da? Sie heute mehr als nur Seemannschaft lernen.»
        Keen wartete ungeduldig, bis ein Trupp Seesoldaten unter Leutnant Ord gerauschvoll in den Kutter geklettert war. Ord war ein hochmutiger junger Mann, den es offensichtlich storte, da? sein makelloser roter Rock bei der Uberfahrt na? werden wurde.
        Keen salutierte zum Achterdeck und kletterte dann rasch an der Bordwand hinunter zu Hogg in seiner Gig. Wahrend der Uberfahrt warf er einen Blick achteraus und sah sein Schiff sich sanft in der Dunung wiegen. Bolitho stand kerzengerade an der Heckreling. Die Argonaute wird ihm treu dienen, dachte Keen. Das bin ich ihm schuldig.
        Sein Bootsfuhrer stie? einen unterdruckten Fluch aus, als die Gig an Orontes' Bordwand entlangschrammte, und streckte den Bootshaken nach einem Rusteisen aus. Der Kutter, von einer jahen Welle erfa?t, wurde vorbeigetragen. Die Seesoldaten sahen amusiert zu, wie die Rudergasten sich bemuhten, ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen.
        Stayt trat zur Seite, um Keen als ersten das Fallreep erklimmen zu lassen. Nach der lebhaften Bewegung und der uberkommenden Gischt wirkte das breite Deck der Orontes fast trage und windstill.
        Uberall lungerten Menschen herum, an Deck und in der Takelage. Einige trugen Waffen, aber der Rest wirkte, als sei ein Gefangnis geleert worden.
        Doch Keen sah nur das Drama, das sich unter der Poop abspielte: die schrag aufgeriggte Grating und den riesigen, brutalen Bootsmannsgehilfen mit der langen Peitsche, der auf den Delinquenten hinabstarrte.
        Keen ha?te dieses grausame Ritual und seine Notwendigkeit noch mehr. Seit er als junger Midshipman seiner ersten Bestrafung beigewohnt hatte, war er wie die meisten Offiziere bemuht gewesen, der Disziplin zuliebe seine Abscheu zu unterdrucken. Doch dieser Fall lag anders. Als er die mit ausgestreckten Armen und Beinen an die Grating gefesselte Gestalt betrachtete, lief ihm ein kalter Schauer uber den Rucken.

«Mein Gott, Sir, das ist ja ein Madchen!«rief ein Matrose hinter ihm.
        Sie war bis fast zu den Hinterbacken entkleidet. Gesicht und Schultern verhullte ihr Haar, und die Arme hatte sie ausgestreckt wie gekreuzigt.
        Keen trat vor, doch ehe er intervenieren konnte, hob der Bootsmannsgehilfe den Arm und lie? mit einem Knall, der an einen Pistolenschu? erinnerte, die neunschwanzige Katze auf den Rucken des Madchens niedersausen.
        Keen sah, wie sich ihr Rucken wolbte, wie ihre zerrissene Kleidung noch tiefer rutschte. Sie schrie jedoch nicht, denn die Wucht des Schlages hatte ihr den Atem genommen. Dann trat langsam eine hellrote Linie auf der Haut hervor, die sich von einer nackten Schulter bis zur anderen Hufte hinzog, und Blut sickerte ihr uber den Rucken. Als der Mann wieder den Arm hob, begann sie, sich in ihren Fesseln zu winden.

«Aufhoren!«rief Keen scharf. Er spurte Stayt neben sich, wandte aber den Blick nicht von der Szene. Um sich herum und uber sich horte er Protest, der wie Gebell klang. Das Publikum war wutend und enttauscht, es hatte sich auf die Auspeitschung gefreut., «Mr. Stayt!«sagte Keen in die plotzliche Stille hinein.

«Wenn dieser Mann die Peitsche auch nur hebt, erschie?en Sie ihn!»
        Stayt, der die Pistole bereits gespannt in der Hand hatte, trat vor. Er hob den Arm, aber nicht wie ein Mann, der in die Schlacht geht, sondern wie ein Duellant, der seine Waffe fur den einzigen, entscheidenden Schu? ausrichtet.
        Ein korpulenter Mann in blauem Rock drangte sich mit vor Emporung bibbernden Hangebacken zu Keen durch. Keen musterte ihn gelassen, obwohl ihn die kalte Wut fur alles andere blind machte - abgesehen von dem Wunsch, diesem Kapitan ins Gesicht zu schlagen.

«Verdammt, was machen Sie da?«Der Mann konnte sich vor Wut und Trunkenheit kaum artikulieren.
        Keen erwiderte seinen zornigen Blick.»Ich bin der Flaggkapitan des Admirals. Sie mi?brauchen Ihre Macht, Sir. «Zu seiner Erleichterung horte er die Seesoldaten an Bord klettern - endlich! Inch hatte seine Manner offenbar vor dem Sturm abgezogen. Einen Augenblick spater, und er, Stayt und die anderen waren uberwaltigt worden.
        Leutnant Ord schien unfahig, auf die Lage zu reagieren, doch Blackburn, sein stammiger Wachtmeister, schnarrte:»Bajonett pflanzt auf! Wer sich ruhrt, wird niedergestochen!«Blackburn traute keinem, der nicht den roten Rock der Royal Marines trug.
        Der klirrende Stahl schien den ha?lichen Kapitan zu schockieren.

«Sie ist eine verdammte Diebin«, sagte er beschwichtigend.»Nichts als eine gewohnliche Hure. Auf meinem Schilf herrscht Ordnung und Disziplin! Wenn es nach mir ginge.»
        Er verstummte, als Keen befahl:»Schneidet sie los und deckt sie zu.«»Sie ist ohnmachtig, Sir«, rief ein Matrose. Keen zwang sich, zur Grating hinuberzugehen. Er sah, wie sie in ihren Fesseln hing, wie das Blut ihr Ruckgrat entlangrann. Ihre Bruste waren gegen das Gitter gepre?t, und er konnte ihr Herz schlagen sehen. Sie war ohnmachtig geworden, aber der Schmerz wurde geduldig auf sie warten.
        Hogg erschien an Deck, und Keen horte, wie er sein Entermesser in die Scheide steckte. Er mu?te mit dem Schlimmsten gerechnet haben, um die Gig im Stich zu lassen und ungebeten an Bord zu kommen. Jetzt schnitt er die Fesseln durch und fing die Frau auf. Die Fetzen ihrer blutgetrankten Kleider verfingen sich an seinen Armen, als er ihren Korper dem Blick der stummen Zuschauer verbarg.

«Ich habe einen Arzt an Bord«, sagte der Kapitan gepre?t.
        Keen musterte ihn.»Den kann ich mir vorstellen. «Auf Keens Blick hin wich der Mann zuruck, als hatte er darin gesehen, in welcher Gefahr er schwebte.

«Bringen Sie die Frau in die Gig und rudern Sie zuruck zum Schiff, Hogg. Sie begleiten ihn, Mr. Stayt. «Er entdeckte Groll in den dunklen Augen des Leutnants. Stayt wollte den Mann mit der Peitsche wohl erschie?en, wollte irgend jemanden toten. Keen kannte diesen Blick. Habe ich ihn vielleicht auch? fragte er sich.

«Also, Kapitan Latimer. «Keen war selbst uberrascht, da? er sich an den Namen dieses Mannes erinnerte, den er eben noch hatte niederschlagen wollen.»Sie werden nun Ihre besten Leute ein Notruder bauen lassen. Falls erforderlich, stelle ich Ihnen weitere Manner zur Verfugung, aber ab sofort wird keine Zeit mehr vergeudet, ist das klar?»

«Und das Madchen?«Wieder schimmerte bei Latimer die Wut durch.»Ich bin fur alle Seelen an Bord verantwortlich.»
        Keen musterte ihn kalt.»Dann sei Gott ihnen gnadig. Kapitan Inch hat die Ehefrauen von Garnisonsoffizieren in Gibraltar an Bord. Sie werden sich um die Kleine kummern, nachdem mein Schiffsarzt sie untersucht hat.»
        Der andere Mann wu?te, da? seine Autoritat von Sekunde zu Sekunde schwand.»Dafur werden Sie noch von mir horen, Kapitan.»
        Keen hob die Hand und sah, wie der andere zusammenzuckte. Doch er fa?te sich nur an den blauen Aufschlag und antwortete:»Und Sie von mir, verlassen Sie sich drauf.

        Ein weiteres Boot kam langsseits, und er horte den Zimmermann der Argonaute mit seiner Gang an Bord klettern. Da wandte er sich ab. Er wurde an Bord des Flaggschiffs fur ein Dutzend Aufgaben gebraucht, doch ein letzter Einfall bewog ihn, sich umzudrehen.

«Falls Sie sich einbilden, Kapitan Latimer, da? es bis Australien ein langer Weg ist, dann mochte ich Ihnen doch versichern, da? Sie noch nicht mal Gibraltar zu sehen bekommen, wenn Sie Ihre Macht noch einmal mi?brauchen.»
        Schweratmend kletterte er hinunter in seine Gig und vermutete, da? seine Hande zitterten. Der Midshipman starrte ihn an. Er mu?te fast alles beobachtet haben.

«Sie sind ja heute ganz Auge, Mr. Hext«, meinte Keen.
        Hext, der erst dreizehn war, nickte und schluckte.»Verzeihung, Sir - aber ich, ich.»

«Heraus damit, Mr. Hext.»
        Hext wurde knallrot, weil er wu?te, da? die Rudergasten ihn beim Pullen anschauten.

«Als ich das sah, Sir, wollte ich Ihnen beistehen.»
        Keen, der die Aufrichtigkeit des Jungen ruhrend fand, lachelte. Wie es hie?, schrieb Hext oft an seine Eltern, obwohl sich nur selten Gelegenheit zum Postaufgeben bot.

«Haben Sie nie Angst, den Hilflosen zu helfen, Mr. Hext. Merken Sie sich das gut.»
        Der Midshipman umklammerte die Pinne und starrte zu den turmhohen Masten des Flaggschiffs auf.

«Riemen hoch!«rief er mit heller Stimme.
        Diesen Augenblick wurde er nie vergessen.



        III Kein todlicherer Feind

        Bolitho beugte sich aus einem der gro?en Heckfenster, als Keen mit der Mutze unterm Arm die Kajute betrat.
        Achteraus lagen die anderen Schiffe mit rundgebra?ten Mars- und Bramsegeln auf Backbordbug. Etwas abseits, wenngleich noch mit ihrer Eskorte, kam die Orontes dank des Notruders nun besser voran, aber die Geschwindigkeit des Geschwaders war noch immer stark reduziert.
        An Bord war es kalt und feucht. Bolitho dachte sehnsuchtig an das Mittelmeer und die Warme, die sie dort antreffen wurden.
        Erst ein Tag war seit dem Zwischenfall auf der Orontes vergangen, und Bolitho konnte sich vorstellen, in welchen Spekulationen man sich an und unter Deck uber das Madchen im Krankenrevier erging.
        Keen rausperte sich.»Sie wollten mich sprechen, Sir Richard?»
        Es konnte Keen nicht entgangen sein, da? Ozzard und die anderen abwesend waren. Das Gesprach sollte unter vier Augen stattfinden.

«Ja. Orontes' Kapitan hat mir einen Brief geschickt.»
        Keen nickte.»Mein Bootsfuhrer nahm ihn entgegen, Sir.»

«Darin beschwert er sich uber Ihr Verhalten, auch uber unser Verhalten, da Sie unter meinem Kommando stehen, und droht, es an hohere Stelle weiterzumelden.»

«Das tut mir leid«, sagte Keen leise.»Ich wollte Sie nicht hineinziehen.»

«Ich hatte von Ihnen kein anderes Verhalten erwartet, Val«, sagte Bolitho.»Die Drohungen dieses Dummkopfs storen mich nicht. Wenn ich bei seinen Vorgesetzten Entschadigung furs Abschleppen und seine Rettung verlangte, sa?e er ein fur allemal auf der Stra?e. Er und seinesgleichen sind Abschaum, sie arbeiten fur Blutgeld wie Sklavenfahrer.»
        Keen wartete ab; fast uberraschte es ihn, da? Bolitho ihn wegen seiner Einmischung nicht zurechtgewiesen hatte.
        Bolitho fragte:»Haben Sie mit diesem Madchen gesprochen?»
        Keen zuckte die Achseln.»Nein, Sir. Ich hielt es fur besser, sie dem Arzt zu uberlassen, bis sie sich erholt hat. Sie hatten die Peitsche sehen sollen und den Riesen, der sie schwang.»
        Bolitho dachte laut.»Eine Frau sollte sich um sie kummern. Auf Ihren Vorschlag hin erwog ich Inchs Schiff, bin mir aber inzwischen nicht mehr so sicher. Offiziersfrauen und ein Strafling, der in die Verbannung geschickt wird - fur welches Verbrechen auch immer -, das pa?t nicht zusammen. Ich werde Latimer bitten, mich uber den Grund ihrer Verurteilung zu informieren.»

«Sehr entgegenkommend von Ihnen«, meinte Keen.»Wenn ich nur gewu?t hatte.»
        Bolitho lachelte ernst.»Sie hatten trotzdem so gehandelt.»
        An Deck stampften viele Fu?e, und Taljen quietschten, als der Wachoffizier die Manner an die Brassen rief.
        Auf einem uberfullten Kriegsschiff konnte eine einzige Frau vieles bedeuten, nicht zuletzt Ungluck. Landratten mochten uber solchen Aberglauben spotten, aber wer zur See fuhr, wurde bald eines besseren belehrt.

«Suchen Sie die junge Frau auf, Val, und sagen Sie mir dann, was Sie von ihr halten. In Gibraltar konnen wir sie auf die Philomela verlegen. Andernfalls wurde sich Latimer wahrscheinlich an ihr rachen.»
        Keen machte Anstalten, sich zuruckzuziehen. Er hatte ohnehin vorgehabt, das Madchen zu besuchen und sich beim Arzt nach ihm zu erkundigen. Ganz gleich, was es in seinem jungen Leben getan hatte, die Qual und Erniedrigung einer Auspeitschung verdiente es nicht.
        Bolitho wartete, bis die Tur sich geschlossen hatte, und nahm dann wieder unter den Heckfenstern Platz. Erneut dachte er an Falmouth, seine frohe Heimkehr, und wie er seine einzige, neugeborene Tochter Elizabeth so ungeschickt im Arm gehalten hatte, da? er von Belinda ausgelacht worden war.
        Bolitho hatte immer verstanden, da? es fur jede Frau schwer sein mu?te, uber die Schwelle seines Hauses zu treten. Es barg zu viele Schatten und Erinnerungen, zu hohe Erwartungen. Belinda war nur in Cheneys Fu?spuren getreten, oder so mu?te es ihr zumindest vorgekommen sein.
        Am hartesten hatte Bolitho die Entdeckung getroffen, da? Cheneys Portrat - das Gegenstuck zu dem, das sie von ihm hatte anfertigen lassen - aus dem Raum, in dem die beiden Bilder nebeneinander hingen, entfernt worden war. Cheney vor dem Hintergrund der Landzunge, mit Augen so grun wie die See, und er in seinem Rock mit den wei?en Aufschlagen als der junge Kapitan, den sie so sehr geliebt hatte. Sein Portrat hing nun bei den anderen neben dem seines Vaters, Kapitan James Bolitho.
        Er hatte geschwiegen, weil er Belinda nicht verletzen wollte, aber gestort hatte ihn der Vorfall doch. Er kam ihm wie Verrat vor.
        Immer wieder sagte er sich, da? Belinda ihm nur helfen, anderen zu verstehen geben wollte, wie wertvoll er fur sein Land war. Doch er war in Falmouth zu Hause, nicht in London.
        Seufzend wandte er seine Gedanken Allday zu. Der hatte vermutlich die gespannte Atmosphare in Falmouth gespurt. Doch zeigte er nicht, was er davon hielt. Oder vielleicht war er so mit der Entdeckung seines Sohnes beschaftigt gewesen, da? ihm keine Zeit fur Spekulationen blieb.
        Bolitho stellte sich die beiden vor, wie sie hier in der Kajute vor ihm gestanden hatten: Allday kraftvoll und stolz in seiner blauen Jacke mit den Goldknopfen, den Kopf lauschend geneigt, als Bolitho zu dem jungen Matrosen John Bankart sprach.
        Bolitho entsann sich, wie Allday vor zwanzig Jahren als Opfer einer Pre?patrouille an Bord seiner Fregatte Phala-rope gebracht worden war. Damals war er wie dieser junge Matrose gewesen: klare Augen und ein ehrliches Gesicht mit einer Andeutung von Aufsassigkeit. Ohne gro?es Zogern hatte er sich von der Pre?patrouille verpflichten lassen. Das Leben auf dem Bauernhof gefiel ihm nicht, und zudem wu?te er, da? es ihm als Freiwilligem auf einem Kriegsschiff besser gehen wurde als einem Zwangsverpflichteten.
        Seine Mutter war ledig gewesen. Allday hatte angedeutet, der Bauer habe seine Mutter oft unter der Drohung, sie und ihr Kind andernfalls vor die Tur zu setzen, mit ins Bett genommen. Das hatte in Bolitho einen Nerv beruhrt: Die Erinnerung an Adams Eintreffen auf dem Schiff, als er nach dem Tod seiner ledigen Mutter den ganzen Weg von Penzance zu Fu? zuruckgelegt hatte. Die Parallele war zu offensichtlich.
        Alldays Sohn hatte sich bereits als guter Seemann entpuppt, der reffen, splei?en und steuern konnte, und zwar ebensogut wie andere von hoherem Rang und langerer Dienstzeit. Als zweiter Bootsfuhrer wurde er nur wenig Kontakt mit dem Admiral haben, sondern sich mehr um die Instandhaltung der Barkasse und Botengange kummern und Allday allgemein zur Hand gehen. Furs erste fand Bolitho diese Losung brauchbar.
        Er stand auf und ging in seine Schlafkammer, wo er nach kurzem Zogern eine Schublade aufzog und die hubsche ovale Miniatur Cheneys herausnahm. Der Kunstler hatte ihren Ausdruck perfekt getroffen. Bolitho legte das Bild zuruck unter seine Hemden. Was ist nur mit mir los? dachte er. Ich bin glucklich verheiratet, habe eine zehn Jahre jungere Frau und nun eine reizende Tochter. Und trotzdem… Er wandte sich um und ging zuruck in die Tageskajute.
        Wenn sie erst zur Flotte gesto?en waren, wurde sich alles andern. Dann erwarteten ihn Gefechte, Gefahren und die Fruchte des Sieges. Er versuchte, seine Gedanken auf die kommenden Monate zu konzentrieren, und fragte sich, wie Lapish reagieren wurde, wenn seine Fregatte zum ersten Mal kampfen mu?te. Doch statt dessen dachte er an das Portrat, das aus dem Salon verschwunden war, und wunschte sich plotzlich, er hatte es mitgenommen.
        Tief unter Bolithos geraumigem Quartier mit der vergoldeten Heckgalerie lag das stickige Krankenrevier im fensterlosen Orlopdeck unter der Wasserlinie. Schwankende Laternen lie?en dunkle Schatten uber die Wande huschen, und die machtigen Deckenbalken waren so niedrig, da? man nicht aufrecht stehen konnte. Seit das Schiff erbaut worden war, hatte das Orlopdeck kein Tageslicht mehr gesehen.
        Winzige Kammern saumten den gro?en Raum in der Mitte, in denen die Decksoffiziere fast ohne Bewegungsfreiheit ihre Privatsphare zu wahren versuchten. Nicht weit davon fuhrten die Midshipmen, von denen erwartet wurde, da? sie sich beim Schein eines in olgefullten Muscheln oder alten Dosen schwimmenden Dochts auf die Offiziersprufung vorbereiteten, ihr chaotisches Leben. Sie alle teilten das Deck mit dem Pulvermagazin, wo schon ein einziger Funke katastrophal wirken mu?te. Unter ihnen enthielten die gro?en Frachtraume alles, was zum Betrieb des Schiffes notwendig war und es auf Monate hinaus unabhangig machte.
        Das Krankenrevier ganz hinten am Fu? des Niedergangs wirkte mit seinem wei?en Anstrich und den Regalen voller Glaser und Flaschen vergleichsweise licht. Keen schritt darauf zu und senkte automatisch den Kopf, um sich nicht an den Balken zu sto?en; seine Epauletten glitzerten, als er eine Laterne nach der anderen passierte. Dunkle Umrisse und verschwommene Gesichter tauchten in der Dusternis auf, dieser von See und Himmel so weit entfernten Welt, und verbla?ten wieder.
        Keen sah James Tuson, den Schiffsarzt, mit seinem Assistenten sprechen, einem gro?en blassen Mann von den Kanalinseln, der Carcaud hie?. Letzterer war mehr Bretone als Englander, aber intelligent und des Lesens und Schreibens machtig. Keen wu?te, da? sich Tuson, der schon Arzt auf der Achates gewesen war, sehr um seinen schlaksigen Helfer bemuhte und ihm alles beigebracht hatte, was er selbst wu?te. Die beiden spielten sogar Schach.
        Keen mochte den silberhaarigen Tuson, obwohl er ihn auch jetzt nicht genauer kannte als auf dem vorigen Schiff. Er war ein guter Chirurg, zwanzigmal besser als die meisten seiner Kollegen. Doch er blieb fur sich, was in dieser wimmelnden Welt zwischen den Decks nicht einfach war, und kam nur zu den Mahlzeiten in die Messe.
        Ein Seesoldat, dessen Kreuzbandelier im schwachen Licht sehr wei? wirkte, nahm Haltung an und bedeutete Tuson, da? der Kommandant gekommen war. Es war eine kluge Vorsichtsma?nahme, an der Tur einen Posten aufzustellen, dachte Keen. Die Besatzung war nun schon seit Monaten fast ohne Unterbrechung auf See. Da schwebte jede Frau in Gefahr, und eine, die als Gesetzesbrecherin abgestempelt war, ganz besonders.
        Tuson murmelte etwas, und sein Assistent verschmolz mit dem Schatten.

«Wie geht's ihr?«fragte Keen.
        Tuson rollte sich die Hemdsarmel herunter und dachte uber die Frage nach.

«Sie sagt keinen Ton, jedenfalls nicht zu mir. Sie ist jung, unter zwanzig, hat reine Haut und ihren Handen nach zu urteilen keine Feldarbeit verrichtet. «Er senkte die Stimme.

«Sie hat mehrere Blutergusse. Ich furchte, sie ist vergewaltigt oder sexuell schwer mi?handelt worden. «Er seufzte.»Unter den gegebenen Umstanden mochte ich eine genauere Untersuchung nicht riskieren.»
        Keen nickte. Das Madchen war plotzlich zu einer Person geworden, mehr als nur ein Opfer.
        Der Arzt beobachtete ihn aufmerksam.»Hier kann sie nicht bleiben, Sir.»
        Keen wich aus.»Ich werde mit ihr reden. Es sei denn, Sie raten mir davon ab?»

«Keineswegs. «Der Arzt ging voran zum Krankenrevier.»Sie wei?, wo sie ist. Aber haben Sie bitte Geduld mit ihr.»
        Keen trat ein und sah die junge Frau bauchlings unter einem Laken liegen. Sie schien zu schlafen, aber Keen merkte an ihren raschen Atemzugen, da? sie nur so tat. Als der Arzt das Laken wegzog, sah er, wie sich ihre Ruckenmuskulatur spannte.
        Tuson meinte leise:»Die Wunde heilt, aber. «Er hob den losen Verband an, und Keen sah den tiefen Einschnitt, den die Peitsche hinterlassen hatte. Im Schein der Laterne wirkte die Narbe schwarz.
        Tuson wies auf ihr langes, dunkelbraunes Haar; es war wirr und verfilzt, und als der Arzt es beruhrte, versteifte sie sich wieder.»Sie braucht ein Bad und frische Kleider«, sagte er.

«Sobald wir vor Anker gehen, schicke ich einen Leutnant hinuber zur Orontes. Irgendwelche Habseligkeiten mu? sie dort noch haben«, erwiderte Keen.
        Seine Worte schienen sie wie ein Peitschenhieb zu treffen, denn sie drehte sich ruckartig um, bedeckte ihre Bruste mit dem Laken und schien die Blutstropfen, die unter dem Wundschorf hervortraten, nicht zu gewahren.

«Nein, bitte nicht! Bitte, bitte, nicht zuruck auf dieses Schiff!»
        Keen reagierte verdutzt auf den Ausbruch. Diese junge Frau war trotz der Blutergusse und ihres zotteligen Haars fast eine Schonheit. Sie hatte kleine, wohlgeformte Hande und gro?e Augen, aus denen sie ihn flehend ansah.

«Nur ruhig, Kleine«, sagte er und streckte die Hand nach ihr aus, aber Tuson schuttelte rasch den Kopf.

«Das ist der Kapitan«, sagte der Arzt.»Er hat Sie vor der Auspeitschung bewahrt.»
        Sie schaute in Keens besorgtes Gesicht und fragte:»Sie, Sir?«Es war kaum mehr als ein Flustern.»Sie waren das?»
        Sie sprach mit weichem westenglischem Akzent. Keen konnte sich nicht vorstellen, weshalb sie vor Gericht gestellt und dann auf diesem schmutzigen Schiff mit anderen Straflingen in die Verbannung geschickt worden war.

«Ja. «Um ihn herum achzte und stohnte das Schiff, gelegentlich unterbrochen von einem lauten Krachen, wenn der Kiel in ein Wellental tauchte. Doch Keen war sich nur ihres Schweigens bewu?t, als stunde plotzlich die Zeit still.
        Er horte sich fragen:»Wie hei?en Sie?»
        Sie warf dem Arzt einen raschen Blick zu. Er nickte ermunternd.

«Carwithen. «Sie zog das Laken enger um sich, als Tuson den Verband wieder auflegte.»Woher stammen Sie?»

«Aus Lyme, Sir, in Dorset. «Sie hob das zierliche Kinn; Keen sah, da? es zitterte. Aber geboren wurde ich in Corn-wall.»

«Dacht' ich mir's doch«, grunzte Tuson. Er richtete sich auf.»So, jetzt liegen Sie still, damit die Wunde nicht wieder aufplatzt. Ich lasse Ihnen was zu essen bringen. «Er wandte sich zur Tur und gab seinem wartenden Assistenten einen Wink.
        Das Madchen schaute immer noch Keen an und flusterte heiser:»Sind Sie wirklich der Kapitan, Sir?«Keen merkte, da? sie im Begriff war, die Beherrschung zu verlieren. Er war mit zwei jungeren Schwestern aufgewachsen und kannte die Anzeichen. Bei Gott, sie hatte ja auch genug gelitten.

«Ja. «Er ging zur Tur und blieb stehen, als der Rumpf wegsackte und dann widerwillig seine achtzehnhundert Tonnen der nachsten Welle entgegenhob.
        Das Madchen wandte den Blick nicht von seinem Gesicht.»Was werden Sie mit mir machen, Sir?«Ihre Augen glanzten. Wenn sie in Tranen ausbrach, durfte er nicht mehr da sein.
        So fragte er rundheraus:»Wie hei?en Sie mit Vornamen?»
        Das schien sie abzulenken.»Zenoria.»
        Er wich zuruck.»Gut, Zenoria, folgen Sie den Anweisungen des Arztes. Ich werde dafur sorgen, da? Ihnen kein Leid geschieht.»
        Er ging an dem Posten vorbei, ohne ihn eines Blickes zu wurdigen. Was hatte er da getan? Wie kam er dazu, ihr Versprechungen zu machen? Er kannte sie doch nicht einmal!
        Als er die Stufen des ersten Niedergangs hocheilte, wu?te er die Antwort auf die beiden Fragen bereits: Es war der reine Wahnsinn. Ich bin wohl nicht bei Trost, dachte er.
        Plotzlich war er froh, wieder den Himmel zu sehen.
        Leutnant Hector Stayt beugte sich uber den Tisch und legte Bolitho eine weitere Ausfertigung seiner Befehle zur Unterschrift vor. Wenn sie endlich auf der Reede von Gibraltar vor Anker gingen, wurden die Dokumente an alle anderen Kommandanten weitergereicht werden. Das mochte noch zwei Tage dauern, wenn der Wind gunstig blieb, oder auch langer. Seit dem Vorfall auf der Orontes war eine lange, ereignislose Woche vergangen, doch nun steuerte das Geschwader nach Sudosten, und die spanische Kuste zwischen Cadiz und Algeciras war fur die scharfaugigsten Ausguckposten gerade noch sichtbar.
        Bolitho uberflog Yovells runde Handschrift, ehe er seinen Namen daruntersetzte. Es waren gleichlautende Befehle, aber jeder Kommandant wurde sie bei der Lekture anders interpretieren.
        Er dachte an Keen und ihren unerwarteten Passagier. Die franzosischen Schiffbauer hatten hinter der Kapitanskajute Platz fur einen zusatzlichen Kartenraum gelassen, der nun fur Zenoria Carwithen so behaglich wie moglich eingerichtet worden war. Eine Koje, ein Spiegel und saubere Laken aus der Messe hatten ihn verwandelt. Ozzard hatte sogar eine Kommode im Laderaum entdeckt und fur Zenoria aufgestellt. Wir durfen uns nicht zu sehr an ihre Anwesenheit gewohnen, dachte Bolitho. In Gibraltar mu? sie von Bord.

«Ich habe etwas uber dieses Madchen erfahren, Sir Richard«, sagte Stayt.
        Es hatte nicht zum ersten Mal den Anschein, als habe der Flaggleutnant Bolithos Gedanken gelesen. Bolitho fand das enervierend.

«Ja?«Er schaute vom Kartentisch auf.

«Sie war an Krawallen beteiligt, die sich nicht weit vom Besitz meines Vaters ereigneten. Jemand wurde ermordet, ehe das Militar eintraf. «Er lachelte dunn.»Wie ublich zu spat.»
        Bolitho schaute an ihm vorbei auf die beiden Degen am Schott. Einer so schimmernd und glanzend, der andere im Vergleich fast schabig.
        Stayt interpretierte sein Schweigen als Interesse.»Ihr Vater wurde gehangt.»
        Bolitho zog seine Taschenuhr hervor und klappte sie auf.»Zeit fur die Signalubung, Mr. Stayt. Ich komme gleich an Deck.»
        Stayt ging. Er hatte einen federnden Gang, der gro?es Selbstvertrauen verriet. Bolitho runzelte die Stirn. Eingebildeter Fatzke.
        Yovell trat an den Tisch und sammelte die Papiere ein. Dabei warf er Bolitho uber seine kleine Goldbrille hinweg einen Blick zu und sagte:»Ganz so hat es sich aber nicht ereignet, Sir Richard.»
        Bolitho schaute ihn an.»Dann sagen Sie mir, wie es war.»
        Yovell lachelte betrubt.»Carwithen war Drucker, Sir, ein guter sogar, wie ich horte. Einige Landarbeiter lie?en ihn Flugblatter drucken, Protestaufrufe gegen zwei Gutsbesitzer, die ihnen vorenthielten, was ihnen an Geld und Naturalien zustand. Dem Vernehmen nach war Carwithen ein Feuerkopf, der seine Meinung frei heraussagte, besonders wenn anderen Unrecht geschah. «Er wurde rot, aber Bolitho nickte.

«Keine Angst, Mann, sprechen Sie.»
        Seltsam, da? ausgerechnet Yovell Bescheid wu?te. Wenn er an Land war, wohnte er in Bolithos Haus, aber da er aus Devon stammte, galt er bei den Einheimischen als Zugereister. Trotzdem schien er immer zu wissen, was vorging.

«Da Carwithens Frau kurz zuvor gestorben war, schickte man das Madchen nach seinem Tod aus der Grafschaft weg.»

«Nach Dorset?»

«Jawohl, Sir.»
        Es mu?te sich also nach den Krawallen, wie Stayt sie nannte, noch etwas abgespielt haben.
        Bolitho kam zu einem Entschlu? und sagte:»Holen Sie Allday.»
        Allday schaute den Sekretar fragend an, als er eintrat, doch Yovell zuckte nur die hangenden Schultern.»Sir?»

«Geh mit Yovell das Madchen holen. «Er sah ihre Uberraschung.»Und zwar sofort, wenn ich bitten darf. «Allday schob trotzig den Unterkiefer vor.»Wenn Sie das fur klug halten, Sir. «Bolitho sah ihn fest an.»Das tue ich.»
        Ozzard reichte ihm seinen Rock, aber er schuttelte den Kopf. Sie mochte eingeschuchtert verstummen, wenn sie sich einem Vizeadmiral gegenuberfand. Nach Keens und Tuson Aussagen schien sie intelligent zu sein; unter dem Einflu? ihres Vaters hatte sie offenbar auch einiges an Bildung mitbekommen.
        Er mischte sich ein, weil er Keens Miene gesehen hatte, wenn er das Madchen erwahnte. Bolitho hatte nicht vergessen, was es hie?, verliebt zu sein. Doch auf das, was nun geschah, war er vollig unvorbereitet.
        Yovell offnete die Tur, und Zenoria betrat zogernd die Achterkajute. Neben Alldays kraftvoller Figur wirkte sie zerbrechlich, trug aber den Kopf hoch, und als sie unter dem Skylight stehenblieb, bewegten sich nur ihre Augen.
        Gekleidet war sie in ein wei?es Hemd und die Hose eines Fahnrichs; das lange braune Haar trug sie zuruckgekammt und im Nacken mit einer Schleife gebunden, so da? sie aussah, als gehore sie ins Batteriedeck. Ihre zierlichen Fu?e jedoch waren blo?, und Yovell erklarte hastig:»Selbst die jungen Gentlemen hatten keine Schuhe, die klein genug fur sie gewesen waren.»

«Setzen Sie sich. Ich mochte mit Ihnen reden«, sagte Bolitho.
        Er sah, wie steif sie die Schultern hielt. Laut Tuson wurde sie die Narbe auf dem Rucken ihr Leben lang tragen. Und das war nur ein Schlag gewesen…

«Ich hatte gern gewu?t…«Sie richtete den Blick auf ihn; ihre Augen waren dunkelbraun und feucht. Kein Wunder, da? Keen in ihren Bann geraten war.»Was Sie in diese Lage gebracht hat.»
        Sie schwieg.

«Sagen Sie es Sir Richard, er wird Sie schon nicht auffressen«, murmelte Yovell. Sie fuhr entsetzt zusammen und rief: «Sir Richard!»
        Bolitho wollte Yovell einen wutenden Blick zuwerfen, bat aber nur:»Sagen Sie es mir einfach. Bitte.»
        Doch sie starrte ihn verwirrt an.»Aber - aber den Kapitan kenne ich doch schon!»
        Yovell erklarte geduldig:»Der Admiral hier befehligt alle Schiffe, alle Kapitane, Miss, und dazu gut zweitausend Seeleute und Seesoldaten. «Er musterte sie ernst. Er hat also viel zu tun. Heraus mit der Sprache, stehlen Sie ihm nicht die Zeit.»
        Bolitho lachelte.»Er meint es nur gut, Zenoria.»
        Sie schaute auf ihre Hande im Scho? und sagte:»Sie holten meinen Vater ab, Sir. Er war ein guter, kluger Mann, der an die Menschenrechte glaubte.»
        Bolitho hielt den Atem an. Schon allein der Klang ihrer Stimme versetzte ihn zuruck nach Cornwall.

«Ich sah, wie er gehangt wurde, Sir.»

«Und warum wurde er gehangt?»

«Schuld daran war der Gutsherr, Sir. Er kam mit seinen Leuten zu unserem Haus, sie wollten die Druckerpresse zerschlagen. Aber mein Vater hat es ihnen gezeigt.
«Stolz hob sie das Kinn, sah dadurch aber nur noch verletzlicher aus.»Er zerrte den Gutsherrn vom Pferd, und Nachbarn aus dem Dorf halfen ihm. Einer kam dabei ums Leben. Und dann holten ihn die Dragoner ab.»

«Wie alt waren Sie damals?»

«Siebzehn, Sir. Es war vor zwei Jahren. Man schickte mich nach Dorset in einen gro?en Haushalt, wo ich helfen und die Kinder unterrichten sollte.»
        Es fiel ihm schwer, in Yovells und Alldays Gegenwart frei zu sprechen. Er mu?te jedoch sicher sein, da? sie nicht log und keine Hure war, wie der Kapitan der Orontes behauptet hatte, und ein Gesprach mit ihr allein hatte gefahrlich werden konnen.

«Erzahlen Sie mir, was in Lyme geschah.»

«Ihr Urteil kommt an Bord, Madchen«, sagte Yovell streng.»Lugen ist also sinnlos.»

«Halten Sie Ihre Zunge in Zaum, Mann!«Bolitho sah das Madchen zusammenzucken, als galte sein Zorn auch ihr. Er sagte:»Hol ihr ein Glas Wein, Allday. «Er versuchte, seine Verwirrung zu kaschieren.»Ich mu? Bescheid wissen.»
        Sie senkte den Blick.»Alle in Lyme wu?ten, was aus meinem Vater geworden war. Der Herr betatschte mich immer, machte anzugliche Bemerkungen und meinte, ich konne von Gluck sagen, da? ich uberhaupt ein Dach uber dem Kopf hatte. Dann kam er eines Tages in mein Zimmer. «Sie begann zu zittern.»Er versuchte. «Sie nahm das Glas von Allday an, trank aber nicht.»Er zwang mich zu scheu?lichen. «Als sie aufschaute, war ihr Blick flehend.»Ich flickte gerade Kinderkleider. «Sie brachte die Worte kaum heraus.»Da nahm ich die Schere und stach nach ihm.»
        Bolitho stand auf und trat langsam hinter ihren Stuhl. Das alles klang so uberzeugend, da? er die Szene fast vor Augen hatte.»Und dann?»

«Gestorben ist er nicht, Sir, aber ich kam vors Schwurgericht. Den Rest kennen Sie, Sir.»
        Lebenslange Verbannung.

«Gehen Sie jetzt zuruck in Ihre Kabine, Zenoria. «Bolitho schaute in ihr emporgewandtes Gesicht. Sie war neunzehn, wirkte aber in Hemd und Hose und mit dem zuruckgebundenen Haar wie ein Kind.
        Sie stand auf und gab Allday das volle Glas zuruck.»Und auch dieser Kapitan Latimer hatte es auf mich abgesehen. «Mehr brauchte sie nicht zu sagen.

«Morgen wird Ihnen mein Sekretar helfen, das alles aufzuschreiben. Ich kann, ich darf nicht so tun, als konnte ich Ihnen in dieser Angelegenheit helfen. «Er beruhrte sie an der Schulter, und diesmal zuckte sie nicht zuruck.»Aber ich will es versuchen. Das verspreche ich Ihnen.»
        Er wandte sich zu den Heckfenstern um und wartete, bis die Tur geschlossen wurde.
        Als Allday zuruckkam, sagte er schlicht:»Das war anstandig von Ihnen, Sir. Jetzt heult sie, aber es wird ihr gut tun.»

«Meinen Sie?«Bolitho beobachtete, wie die Flaggen zur Signalrah der Helicon hochglitten, sah aber nur die Augen des Madchens, ihren tiefen Schmerz. Ich sah, wie er gehangt wurde. Er dachte an den anderen Gutsherrn, der in Fal-mouth seine Schwester Nancy geheiratet hatte: ein reicher Landbesitzer, der schon immer das Haus der Bolithos im Auge gehabt hatte. Die Einheimischen nannten ihn den Konig von Cornwall. Aber er behandelte Nancy anstandig, auch wenn er ein Angeber war, der es sich in Friedens- und Kriegszeiten zu gut gehen lie?. Au?erdem war er Richter. Hatte er in Zenorias Fall Gnade statt Verbannung empfohlen? Bolitho wu?te es nicht.
        Drau?en schrillten die Trillerpfeifen, das Exerzieren war fur heute beendet. Bolitho schaute zur Tur und horte, wie der Wachtposten die Hacken zusammenschlug. Keen trat ein.»Darf ich Sie sprechen, Sir Richard?»
        Allday und Yovell verlie?en die Kajute, und Keen sagte:»Ich habe gerade von Ihrem Verhor erfahren, Sir. Bedauerlich, da? Sie sich nicht an mich wandten.»

«Setzen Sie sich, Val«, erwiderte Bolitho leise.»Wir wollen nicht streiten. Ich habe in Ihrem Interesse mit dem Madchen gesprochen.»
        Keen starrte ihn an.»In meinem!»
        Bolitho wies auf einen Stuhl.»Dort hat sie gesessen. Nun tun Sie das bitte auch.
«Er hatte Keen selten zornig gesehen, aber nun war sein Beschutzerinstinkt geweckt.
        Er sagte:»Wenn wir vor Anker gehen, werden wir sie an Land schicken mussen. Ihrem Bericht nach zu urteilen und auch nach dem, was sie ungesagt lie?, glaube ich aber, da? Hoffnung besteht.»

«Ich werde an meinen Vetter in der City of London schreiben«, brach es aus Keen hervor.»Wir konnen bestimmt…«Er wandte sich um und schaute Bolitho fest an.»Das war anstandig von Ihnen, Sir. Ich hatte es nicht mi?verstehen durfen.»
        Bolitho schenkte zwei Glaser Brandy ein; er vermutete, da? Ozzard an der Pantrytur lauschte.

«Sie ist brutal mi?braucht worden, Val. «Seine Worte fielen wie ein Stein in einen stillen Teich.»Vergewaltigt, wie es den Anschein hat, und das ist noch nicht alles. «Er sah die Qual in Keens blauen Augen und wu?te nicht, ob ihn das mit Befriedigung oder Trauer erfullte.

«Ich habe sie sehr gern, Sir«, sagte Keen leise. Er schaute trotzig auf, als erwarte er eine Explosion.

«Das wei? ich, Val, schon seit dem Tag, an dem Sie sie im Krankenrevier besuchten, vielleicht auch fruher. «Er nickte.»Das ware also geregelt.»
        Keen stellte sein leeres Glas ab. Er hatte getrunken, ohne es uberhaupt zu merken.

«Aber es ist unmoglich! Schon der Gedanke ist Wahnsinn!»

«Wie alt sind Sie, Val?«fragte Bolitho.»Funfunddrei?ig oder sechsunddrei?ig?»

«Ein Jahr alter, Sir. Und Zenoria ist ein junges Madchen.»

«Eine Frau, Val, merken Sie sich das. Und mit den Jahren macht der Altersunterschied nicht mehr so viel aus. «Er legte den Kopf schief und mu?te uber Keens Ausdruck lacheln.
        Vielleicht hatte er den beiden einen Barendienst geleistet. Denn es war auch denkbar, da? der Gouverneur von Gibraltar ihr den Aufenthalt versagte. Dann wurde sie doch noch nach Australien transportiert.
        Doch wenigstens war jetzt die Wahrheit heraus, was Bo-litho uberraschend erleichternd fand.

«Ich mache mir doch nur was vor, Sir«, sagte Keen.
        Bolitho beruhrte seinen Arm.»Wir werden sehen. «Er schaute zum Skylight auf, als drau?en ein Ruf des Ausgucks erklang. Eine Minute spater stand der Midshipman der Wache atemlos in der Tur.

«Verzeihung, Sir. «Er schaute erst Keen, dann seinen Admiral an.»Empfehlung von Mr. Paget, wir haben gerade ein Segel gesichtet, Sir.»
        Es war Midshipman Hext, der sich in der gro?en Kajute neugierig umsah und zweifellos Einzelheiten fur seinen nachsten Brief sammelte.
        Bolitho lachelte.»Und werden wir auch noch erfahren, wo dieses Segel steht?»
        Der Junge wurde rot.»Tut mir leid, Sir Richard - im Sudosten.»

«Mein Kompliment an den Ersten Offizier, und ich komme gleich an Deck. «Keen schien noch immer nur mit halbem Herzen bei der Sache.

«Signal an Rapid: Sie soll erkunden«, sagte Bolitho.»Mag sein, da? wir etwas von den Franzosen horen.»
        Keens Augen wurden klar.»Aye, Sir. «Dann war er verschwunden.
        Doch was sie horten, war ernster als erwartet.
        Als das andere Schiff sich naherte, wurde es bald als die Barracouta identifiziert. Bolitho nahm sich ein Fernrohr und trat zu Keen an die Querreling, wo er zusah, wie Lapish sich nach Luv kampfte, um naher an das Geschwader heranzukommen.
        Auf den Rahen arbeiteten Manner, mehrere Segel trugen Flicken. Unter Bolithos Augen wurde Ersatztauwerk nach oben gehievt, und die Reparaturen wurden selbst beim Wenden nicht unterbrochen.

«Sie war im Gefecht. «Keen nickte seinem Ersten Offizier zu.»Klar zum Beidrehen.»
        Bolithos Miene blieb ausdruckslos, aber die Manner auf dem Achterdeck starrten ihn erschreckt an. Es ging also schon los. Mit der trugerischen Ruhe war es vorbei.

«Sie haben recht, Val. Kapitan Lapish soll sofort an Bord kommen.»
        Eine Stunde spater sa? Lapish in Bolithos Kajute. Er schien gealtert zu sein, seit er das Geschwader verlassen hatte, um Depeschen nach Gibraltar zu bringen.

«Ich sichtete in Kustennahe einen Schoner und wollte ihn uberprufen. «Lapish nahm dankbar von Ozzard einen Becher Wein entgegen.»Aber ehe ich mich's versah, kamen zwei franzosische Fregatten vorm Wind um die Landzunge.»
        Bolitho sah Verzweiflung und Kummer im Gesicht des jungen Kommandanten. Der Schoner war nur ein Koder gewesen, und die beiden Feindschiffe hatten Lapish fast auf eine Leekuste getrieben.

«Ich sehe mir Ihren Bericht spater an. «Bolitho musterte ihn streng.»Haben Sie Leute verloren?»
        Lapish nickte, seine Augen waren stumpf.»Zwei, Sir.»
        Dabei hatte er recht daran getan, vor den Angreifern zu fliehen; angesichts der schnelleren und besser bewaffneten Ubermacht blieb ihm keine andere Wahl.
        Aber hatte auch ich so gehandelt! Bolitho schaute ihn an.»Und wie sieht es in Gibraltar aus?»
        Lapish ri? sich zusammen.

«Gibraltar ist geschlossen, Sir«, sagte er. Er legte einen dicken Umschlag auf den Tisch und fugte hinzu:»Wegen Fieber. Die halbe Garnison ist erkrankt.»
        Bolitho schritt durch die Kajute und wieder zuruck. Gibraltar war fur seine Fieberausbruche beruchtigt, aber mu?te das ausgerechnet jetzt passieren?

«Es gibt keinen todlicheren Feind. «Er schaute Keen an.»Wir werden also vor der Kuste ankern mussen, bis wir Naheres erfahren. «Zu Lapish sagte er:»Sie kehren zuruck auf Ihr Schiff. «Gern hatte er seinen Schmerz geteilt, ihm sein Mitgefuhl ausgesprochen, aber die Lektion mu?te wirken. Also sagte er scharf:»Sie konnen von Gluck reden, da? Sie uberhaupt noch eins haben.»
        Keen begleitete den geknickten Lapish zur Reling.
        Fieber. Bolitho schauerte. Allein schon das Wort rief den Alptraum zuruck, dem er beinahe erlegen ware. Er schuttelte sich und versuchte zu erwagen, in welchem Ausma? ihre Plane von der Nachricht betroffen wurden. Da ihnen Gibraltar nun verschlossen war, lag die Entscheidung uber Zenorias Schicksal allein bei ihm.
        Er lachelte grimmig. Nun war er kein unbeteiligter Zuschauer mehr.



        IV Der Koder

        Unter dem Donner des verhallenden Saluts drehte das kleine Geschwader in den Wind, und die Schiffe gingen nacheinander vor Anker.
        Bolitho stand an den Finknetzen und sah die Erleichterung in Keens Gesicht. Obwohl auf allen Schiffen so viele Neulinge waren, hatte das Manover ordentlich geklappt.
        Er wandte sich um und sah zu dem machtigen Felsen von Gibraltar auf. In der Vergangenheit war er immer ein Zufluchtsort, ein sicherer Ankerplatz gewesen; nun wirkte er bedrohlich.
        Es lagen nur wenige Kriegsschiffe da, alle in der Nahe des zweiten Straflingstransporters Philomela und einiger einheimischer Schiffe. Mehrere Wachboote kreuzten dazwischen. Bolitho sah, da? sie Seesoldaten an Bord hatten und mit mindestens einer Drehbasse bestuckt waren. So ernst war die Lage also.

«Wir rufen heute die Kommandanten zusammen, Val.»
        Er sah, wie Keen sein Fernrohr auf ein Boot richtete, das aufs Flaggschiff zuhielt.»Aye, Sir. Ich glaube, wir bekommen Besuch.»
        Das Boot stoppte, die Riemen hielten das Wasser, wahrend die Mannschaft den Zweidecker anstarrte, als gehore er zu einer anderen Welt. Im Heck stand ein Kapitan, der zu Argonautes Achterdeck hochblinzelte.

«Ich darf nicht an Bord, Sir Richard. Im Hafen und auf Reede hat der Gouverneur den Befehl ubernommen, denn der Admiral ist krank. «Er sprach langsam und gelassen, als sei er sich der zahllosen Augen und Ohren bewu?t.
        Bolitho ging zur Schanzkleidpforte und sah auf das Boot hinab. Die Manner darin hatten vermutlich alles darum geben, an Bord gelassen zu werden.
        Der sonnverbrannte Kapitan fuhr fort:»Ich habe die Brigg Firefly als Kurier zu Lord Nelson geschickt.»
        Seltsamerweise war bisher nur Inch dem kleinen Admiral begegnet und erzahlte immer wieder von dem Erlebnis. Nun mochte Adam ihn treffen.

«Wie ich hore, haben Sie Offiziersfrauen mitgebracht, Sir Richard. Wenn sie an Land gehen wollen, mussen sie das jetzt tun. Es ist ihr gutes Recht, bei ihren Mannern zu sein. Aber verlassen konnen sie die Kolonie erst, wenn dieses Fieber vorbei ist.»
        Bolitho sah die Orontes vor Anker schwojen. In ihrer Nahe hielt sich ein Wachboot auf, das verhindern sollte, da? jemand an Land schwamm.
        So viele Plane mu?ten gemacht werden. Wasser, Proviant, Reparaturen - das Geschwader brauchte all dies und noch mehr.

«Ich habe fur Sie Depeschen vom Gouverneur, Sir Richard. «Eine Mappe wurde an einem Bootshaken zu den Rusten emporgereicht. Bolitho sah, wie Carcaud, der schlaksige Gehilfe des Schiffsarztes, sich vorbeugte und sie mit einem Beutel aus Baumwolle ergriff. Tuson ging kein Risiko ein.
        Bolitho spurte Keens Blick auf sich ruhen, als er rief:»Alle Offiziersfrauen befinden sich auf der Helicon. Ich habe nur eine Frau an Bord.»
        Der Kapitan zuckte bedauernd die Achseln.»Wenn sie nicht zur Garnison gehort, Sir Richard, darf sie leider nicht an Land.»
        Die Riemen begannen sich zu bewegen, das Boot nahm Fahrt auf. Der Kapitan luftete gru?end den Hut.»Ich hole die Damen jetzt, Sir. «Damit war der Kontakt unterbrochen.
        Keen senkte die Stimme.»Sie haben ihm nicht verraten, da? es eine Strafgefangene ist, Sir.»
        Bolitho sah zu, wie der Beutel nach achtern getragen wurde.»Ich kann mich nicht entsinnen, danach gefragt worden zu sein, Val. «Er trat aus dem Schatten und starrte zum Felsen von Gibraltar hoch, dessen uralte maurische Burg der Hitzedunst verhullte.»Der Gouverneur hatte sie in eine Zelle gesteckt, Val. Da er den Belagerungszustand verhangt hat, kame es auf ein Unrecht mehr oder weniger nicht an.»
        Keen starrte ihm erstaunt nach. Bolitho mu?te die Depeschen durchgehen und mit seinen Instruktionen von der Admiralitat vergleichen; schwere Verantwortung lastete auf ihm. Dennoch hatte er sich Gedanken um das Madchen Zenoria gemacht. Das brachte Keen aus der Ruhe.
        Er drehte sich um und musterte seine Offiziere.»Nun, Mr. Paget, wo fangen wir an? Er war nun wieder ganz gelassen. Aber wenn auch nur eine Andeutung uber diese Affare nach oben drang, war es um Bolithos Ruf geschehen. Trotzdem hatte er nicht gezogert.
        Bei den Booten starrte Allday stirnrunzelnd die grune Ad-miralsbarkasse an. Hier vor Gibraltar wurde sie also nicht zu Wasser gelassen werden. Er kletterte hinauf, um einen Blick in den schlanken Rumpf zu werfen, und bi? sich dabei auf die Lippen, als erwarte er wieder den brennenden Schmerz in der Brust. Das Boot war halb mit Wasser gefullt, damit sich die Fugen in der Sonne nicht offneten. Er warf einen Blick hinunter zu Bankart und grinste.

«Das hast du gut gemacht, Junge. «Er war erfreut uber die plotzliche Wendung, die ihm einen Sohn beschert hatte, aber noch immer etwas verwirrt. Die beiden unterhielten sich zwar viel, hatten aber nichts gemeinsam au?er der Marine. Bankart war ein angenehmer junger Mann, der seinen Posten als Zweiter Bootsfuhrer nicht mi?brauchte.
        Allday lie? sich wieder aufs Deck fallen.»Zeit fur einen Schluck. Hier werden wir im Augenblick nicht gebraucht. «Er schaute nach achtern.»Der Admiral ist beschaftigt.»
        Bankart zog unterm Seitendeck den Kopf ein und fragte:»Wie ist er eigentlich? Ich habe gehort, du bist schon lange bei ihm.»
        Allday musterte ihn voller Zuneigung.»Seit deiner Geburt. Ein gro?artiger Mann. Er ist tapfer und steht zu seinen Kameraden. «Er dachte an das Madchen in Mannerkleidern. Wenn Keen sich nicht vorsah, mu?te es bald kritisch werden. Die Matrosen hatten schon begonnen, Wetten abzuschlie?en, ob der Admiral mit ihr schlief oder der Kommandant:»Offiziere konnen sich alles leisten, was, Jungs? Und wir armen Teerjacken haben das Nachsehen!«Diesen vorwitzigen Gesellen hatte Allday mit der Faust zum Schweigen gebracht, aber es gab noch viele andere, die so dachten.

«Wenn wir wieder daheim sind«, sagte er,»nehme ich dich mit in sein Haus. Es ist ein richtiger Palast, aber sie haben mich trotzdem dort untergebracht, als gehorte ich dazu.»
        Beim Gedanken an Falmouth wurde ihm unbehaglich. Er wu?te nur zu gut, da? etwas, das Lady Belinda gesagt oder getan hatte, Bolitho tief verargert hatte. Allday war bereit, sich auch in aussichtsloser Lage ganz fur Bolitho einzusetzen, empfand aber auch Mitgefuhl fur seine schone Frau. Es mu?te schwer sein, in Cheneys Schatten zu stehen.
        Er ri? sich mit einem Ruck aus dieser Stimmung, als ihm der Duft nach Rum in die Nase stieg.

«Recht so, einen kraftigen Schluck konnen wir jetzt vertragen.»
        Der Schiffsarzt stand gleich hinter der Tur der improvisierten Kabine und wischte sich die kraftigen Finger an einem Tuch ab, als Keen erschien. Die Luft war trotz der Sonnensegel hei? und stickig.»Wie geht es ihr?»
        Tuson musterte ihn einige Sekunden lang.»Ich habe den Verband abgenommen, Sir.»
        Keen trat an ihm vorbei und sah das Madchen mit gelostem Haar, das seine Schultern bedeckte, auf einem Hocker sitzen.»Tut es noch sehr weh?«fragte er.
        Sie schaute zu ihm auf.»Es ist ertraglich, Sir. «Vorsichtig bewegte sie die Schultern unterm Hemd und verzog schmerzlich das Gesicht.»Ich bin noch etwas steif. «Sie schien zu merken, da? sich das geborgte Hemd geoffnet hatte, und zog es rasch zusammen.

«Ich habe gehort, was heute vorgefallen ist«, sagte sie dann.»Mich betreffend. «Er sah die nackte Angst in ihren Augen.»Will man mich zuruck auf dieses Schiff schicken, Sir? Lieber bringe ich mich um!»

«Nein. Reden Sie nicht so«, sagte Keen.
        Tuson schaute von der Tur aus zu. Den gro?en, eleganten Kapitan und das langhaarige Madchen auf dem Hocker trennten Welten, dennoch schien sie etwas zu verbinden. Er rausperte sich.»Ich hole Salbe fur die Narbe. «Mit einem Blick auf Keen fugte er leise hinzu:»Bin in zehn Minuten zuruck, Sir. «Dann war er verschwunden.

«Wollen Sie sich nicht setzen, Sir?«Sie wies auf eine gro?e Truhe und lachelte. Keen sah zum ersten Mal, wie sich ihr Gesicht dabei erhellte. Er senkte den Blick auf ihre Hande im Scho? und hatte sie am liebsten ergriffen.

«Ich wollte, ich konnte es Ihnen bequemer machen.»
        Sie schaute ihn fest an.

«Was wollen Sie von mir?«Das klang weder zornig noch verangstigt. Offenbar erwartete sie, da? er rundheraus von ihr verlangte, was ihr schon mit brutaler Gewalt abgerungen worden war.

«Ich mochte fur Sie sorgen. «Keen starrte zu Boden. Wurde sie nun nach dem Posten rufen oder - schlimmer - ihn wegen seiner Tolpelhaftigkeit auslachen?
        Wortlos erhob sie sich vom Hocker, kniete vor ihm nieder und legte ihren Kopf auf seine Knie.
        Keen merkte, da? er ihr langes Haar streichelte, da? er unzusammenhangende Dinge sagte und alles tat, um diesen unglaublichen Augenblick zu verlangern.
        Schritte auf dem Niedergang. Vor der Tur lie? der Posten den Kolben seiner Muskete auf die Planken knallen. Tuson kam zuruck.
        Da schaute sie zu ihm auf, und er sah, da? ihr Gesicht tranenna? war. Jetzt spurte er auch die Feuchtigkeit durch den Stoff seiner wei?en Hose.

«Meinen Sie das ernst?«flusterte sie.
        Keen stand auf und zog sie hoch. Ohne Schuhe reichte sie ihm kaum bis an die Brust.
        Er beruhrte ihr Gesicht und hob dann ganz behutsam ihr Kinn an.»Bitte glaub mir. Nie ist mir etwas so ernst gewesen.»
        Dann, als Tusons Schatten zwischen sie fiel, trat er durch die Tur.
        Tuson hatte sie beobachtet und war uberrascht, da? er nach allem, was ihm sein Beruf zugefugt hatte, noch so geruhrt sein konnte. Ihm war, als teile er ein Geheimnis. Aber eins, das nicht lange geheim bleiben wurde.
        Ozzard und seine Helfer hatten zusatzliche Laternen in die Achterkajute gebracht, so da? die Fenster vergleichsweise schwarz wirkten. Zum ersten Mal waren alle Kommandanten von Bolithos Geschwader hier versammelt. Die Atmosphare war locker, und es herrschte sogar Erleichterung, weil man dem Fieber fernblieb.
        Keen wartete ab, bis alle Glaser gefullt waren, und sagte dann:»Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, Gentlemen.»
        Bolitho stand am Fenster, die Hande auf dem Rucken unterm Rockscho? gefaltet. Eine Landratte ware beeindruckt, dachte er, denn diese kleine Gruppe bot unter den langsam kreisenden Laternen ein prachtiges Bild.
        Francis Inch, dessen langes Gesicht weder Angst noch Sorge verriet, war der Dienstalteste. Keen, der einzige andere Vollkapitan, wirkte gespannt, als er seine Kameraden musterte. Er schien in Gedanken noch immer bei Zenoria, wirkte aber erleichtert. Auch Bolitho hatte inzwischen von der gunstigen Wendung erfahren: Eine junge Jamaikanerin auf Helicon, die als Dienstmadchen mit einer Offiziersfrau gereist war, wollte nicht mit ihrer Herrin an Land. Sie schien eine angemessene Gefahrtin fur Zenoria Carwithen. Das wurde zwar dem Klatsch noch kein Ende setzen, ihn aber um die Halfte verringern.
        Philip Montresor von der Dispatch, ein junger, eifriger Mann, lie? sich von der einsamen Epaulette auf seiner rechten Schulter nicht im geringsten entmutigen. Tobias Houston von der Icarus sah zu alt aus fur seinen Rang, aber er war auf Umwegen uber die Ostindische Handelskompanie und spater den Zoll dazu gekommen. Er hatte ein rundes braunes Gesicht, das an eine verwitterte Nu? erinnerte, und einen Mund, so schmal wie ein Schlitz.
        Commander Marcus Quarrell sagte gerade etwas zu La-pish, der vor ihm die Brigg Rapid befehligt hatte. Quarrell war ein lebhafter, freundlicher Mann von der Isle of Man, doch sein Humor blieb bei Lapish, der noch immer in Schwermut versunken war, wirkungslos.
        Auch Leutnant Hallowes vom Kutter Supreme war anwesend, und das zu Recht, denn der Funktion nach war er ebenso Kommandant wie alle anderen.
        Ein zusammengewurfelter Haufen, dachte Bolitho. So mu?te es bei der ganzen Flotte zugehen, weil die Seelords versuchten, nun eilends Schiffe und Manner fur den neuen Krieg aufzutreiben, den jeder Schwachkopf hatte voraussehen konnen.
        Er studierte ihre erwartungsvollen Gesichter, den zuversichtlichen Ton ihrer Stimmen.

«Gentlemen«, begann er,»ich beabsichtige, so bald wie moglich wieder Segel zu setzen. In seinen Depeschen hat mich der Gouverneur davon in Kenntnis gesetzt, da? jeden Augenblick ein Ostindienfahrer hier eintreffen wird, der danach weiter ums Kap der Guten Hoffnung segelt. Mit seinen schweren Geschutzen und seiner ausgebildeten Mannschaft wurde er den beiden Straflingsschiffen ausreichend Geleitschutz bieten konnen. Ich bin sicher, da? der Gouverneur den Kapitan zu dieser Geste uberreden kann.»
        Alle lachten. Die Ostindische Kompanie war dafur bekannt, da? sie sich bei ihren raschen Uberfahrten ungern aufhalten lie?.
        Bolitho verbarg seine Erleichterung. Er hatte befurchtet, der Gouverneur wurde ihm eins seiner Schiffe fur diese Aufgabe abverlangen; dabei war das Geschwader ohnehin schon zu klein.
        Er fuhr fort:»Die Lage ist hier anders als bei der Blockade von Brest und den Biskayahafen. Dort haben es unsere Einheiten zwar schwer, aber sie konnen wenigstens abgelost und zur Reparatur oder Proviantaufnahme zuruck nach England geschickt werden. Im Mittelmeer dagegen gibt es keine Ablosung. Hauptgrund zur Sorge ist uns Toulon; zur Uberwachung des Feindes und Enthullung seiner Absichten ist stete Wachsamkeit vonnoten. Woher aber bekommen wir Proviant und, wichtiger noch, unser Trinkwasser? Gibraltar ist achthundert Meilen von Toulon entfernt, und Malta liegt auch nicht naher. Ein von Malta ausgesandtes Schiff mag seinem Admiral uber zwei Monate lang fehlen. «Er lachelte schief.»Das ist vielleicht angenehm fur den Kommandanten - «, er sah sie grinsen,»- aber der Feind kann sich mittlerweile davongemacht haben. Ich bezweifle nicht, da? Vizeadmiral Nelson bereits eine Losung gefunden hat. Andernfalls beabsichtige ich, unabhangig zu handeln. «Er konnte sehen, da? besonders die Kommandanten der Zweidecker uber seine Worte nachdachten. Jeder hatte nur fur neunzig Tage Trinkwasser an Bord, und auch
das nur bei gekurzten Rationen. Vor allem mu?ten sie nach Gibraltars Ausfall nun ihre Wasserversorgung sichern.

«Das Geschutz- und Segelexerzieren soll trotzdem ununterbrochen weitergehen. Das macht unsere Mannschaften besser und halt sie beschaftigt.»
        Es roch nach Essen. Bolitho nahm an, da? Ozzard mit dem Dinner wartete.

«Wir reden spater weiter«, sagte er.»Hat jemand Fragen?»
        Montresor erhob sich. Wie Keen hatte er blondes Haar und die frische Gesichtsfarbe eines Schuljungen.

«Sollen wir die Franzosen vor Toulon und den anderen Hafen blockieren, Sir Richard?«fragte er.

«Nicht nur das «erwiderte Bolitho.»Unsere Hauptaufgabe ist, sie beim Ausbrechen zu erwischen und zu vernichten. Vergessen Sie nicht, da? sie uns auf die Probe stellen, unsere Starke und unsere Fahigkeiten testen werden. «Er sah Keen an. Nur er wu?te, was sich Bolitho bis jetzt aufgespart hatte.»Es existiert ein neugebildetes franzosisches Geschwader, das aber bisher noch nicht vor Toulon gesichtet wurde. Befehligt wird es von Konteradmiral Jobert. «Er sah sie Blicke tauschen; manche hatten noch nicht ganz begriffen.
        Er blickte sich in der Kajute um.»Gentlemen, dies hier war fruher Joberts Schiff. Wir nahmen es ihm vor funf Monaten ab.»
        Wie hatte Jobert das fertiggebracht? Vielleicht war es ihm gelungen, gegen einen britischen Gefangenen gleichen Ranges ausgetauscht zu werden, aber Bolitho hatte von einem solchen Abkommen bisher nichts gehort.

«Er durfte unseren Kurs kennen und wissen, da? meine Flagge uber dem Geschwader weht. Er ist ein tapferer, einfallsreicher Offizier und auf Rache aus.»
        Inch beugte sich vor.»Aber diesmal erledigen wir ihn!»
        Bolitho schaute die drei jungeren Offiziere an.»Rekognoszieren ist von gro?ter Wichtigkeit. Fur mich steht fest, da? hinter der Falle fur Barracouta Jobert steckte. «Das war zwar kaum mehr als eine Vermutung, pa?te aber zu dem, was er uber Jobert wu?te. Lapishs dankbares Gesicht entschadigte ihn. Dieser Mann wurde einen solchen Fehler nicht noch einmal begehen.

«Jobert mag vorhaben, kleine, von unserem Geschwader getrennte Schiffe aufzuspuren und zu vernichten, damit das Gros taub und blind wird.»
        Da Joberts ehemaliges Flaggschiff Argonaute und die Heli-con, auch sie eine franzosische Prise, in seinen Gewassern segelten, brauchte er zur Begleichung der alten Rechnung bestimmt nicht erst ermuntert zu werden.
        Bolitho fragte sich, ob Admiral Sheaffe bei ihrer letzten Begegnung uber all dies informiert gewesen war. Warum hatte er ihn dann nicht gewarnt? Bin ich vielleicht der Koder!

«Wir hatten ihm damals gleich den Garaus machen sollen!«murmelte Keen bitter. Er druckte sich nur selten so drastisch aus. Wahrscheinlich sorgte er sich um das Madchen. Was sollte nun, da sie tiefer ins Mittelmeer hineinfuhren, aus ihr werden? Was sollten sie mit ihr anfangen? Immerhin war es moglich, da? ihr bald Gefahr drohte.
        Bolitho verbannte diese Gedanken. Der Krieg hatte Vorrang.

«Nehmen wir jetzt gemeinsam unser Dinner ein, Gentle-men«, sagte er.
        Inch strahlte.»Und denken dabei an unsere Lieben daheim.»
        Kapitan Houston lachelte dunn.»Es gibt Leute, die haben das nicht notig.»
        Keen wurde bla?, hielt sich aber zuruck.

«Kapitan Houston, sollte das vielleicht eine Krankung sein?«fragte Bolitho.»Wenn ja, fuhle ich mich personlich davon betroffen. «Seine grauen Augen waren plotzlich hart.»Ich warte auf Ihre Erklarung.»
        Das Schweigen war so druckend wie die Schwule in der Kajute.
        Houston erwiderte Bolithos Blick und sagte zogernd:»Ich wollte niemanden kranken, Sir Richard.»

«Das hore ich gern. «Bolitho wandte sich ab. Houston war ein Dummkopf. Schlimmer noch, er mochte sich zum schwachsten Glied ihrer dunnen Kette entwickeln.
        Als sich die anderen zu dem langen Tisch mit den schimmernden Kerzen begaben, flusterte Keen:»Es fangt schon an, Sir. Ich mache mir Vorwurfe.»
        Bolitho drehte sich zu ihm um und packte ihn, die anderen ignorierend, jah am Arm.

«Reden wir nicht mehr davon. Morgen oder nachste Woche sind wir vielleicht schon bei unseren gefallenen Freunden oder wimmern uns die Seele aus dem Leib, wahrend unsere amputierten Glieder in Tusons Abfallkubel fallen.»
        Er packte noch fester zu.»Mit einem geschlossenen Gibraltar konnten Sie nicht rechnen. «Dann lachelte er und gab Keen frei.»Aber ehrlich, Val, ich beneide Sie.
«Er wandte sich ab, ehe Keen antworten konnte.
        Zwei Tage spater, als ein majestatischer Ostindienfahrer in der Bucht vor Anker ging, lief Bolithos Geschwader bei wassrigem Sonnenschein aus. Auf allen Schiffen sorgten sich die Zahlmeister um Trinkwasser und Proviant, und jeder Kommandant stand vor der Notwendigkeit, sparsam mit Tauwerk und Segeltuch umzugehen.
        Tausend Meilen ostlich des Geschwaders hatte die kleine Brigg Firefly in Lee von Nelsons Flaggschiff beigedreht.
        Adam Bolitho stand auf dem breiten Achterdeck und schaute hinuber zu den anderen Schiffen und dann empor zur Flagge des Vizeadmirals. Wie auf dem Schiff seines Onkels, aber doch ganz anders. Er war nicht der einzige Gast, und der Flaggkapitan war nur kurz stehengeblieben, um ihm zuzunicken.
        Adams einzelne Epaulette zahlte hier nur wenig. Doch die Herausforderung und das erste Rendezvous als Kommandant eines eigenen Schiffes faszinierten ihn. Sogar der Anblick des majestatischen Felsens von Gibraltar war ihm erregend vorgekommen. Und nun stand er hier auf der alten Victory, ignoriert vielleicht, aber doch dazugehorig.
        Er legte die Hand uber die Augen und schaute hinuber zu seiner kleinen Brigg. Sie war jung und lebendig, so wie er sich fuhlte. Das alles hatte er seinem Onkel zu verdanken, obwohl der es entschieden bestritten hatte. Adam seufzte. Morgen hatte Sir Richard Geburtstag, aber wenn ihn niemand daran erinnerte, wurde er den Tag achtlos verstreichen lassen. Wahrscheinlich dachte er eher an den darauffolgenden Tag, denn dann waren es genau zwei Jahre her, seit er in Falmouth mit Belinda getraut worden war. Zwei schwere Jahre waren das gewesen, gro?tenteils auf See verbracht, wie bei den Bolithos ublich. Nun gab es die kleine Elizabeth, aber es fehlte der Ehe trotzdem an etwas.
        Der Flaggleutnant trat zu ihm.»Der Sekretar stellt gerade die Depeschen fertig, die Sie mitnehmen sollen. Es dauert nicht mehr lange.»

«Danke.»

«In der Zwischenzeit wurde Lord Nelson Sie gern empfangen. Bitte folgen Sie mir.»
        Als Adam nach achtern ging, schwirrte ihm der Kopf. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und hatte geglaubt, mit Firefly alles erreicht zu haben.
        Eine Stimme verkundete:»Commander Adam Bolitho, Mylord.»
        Aber in Wirklichkeit war Firefly erst der Anfang gewesen.



        V Nacht am Mittag

        Bolitho schritt mit gelostem Halstuch und bis zur Taille offenem Hemd langsam uber die schone Heckgalerie der Argonaute. Es mochte zwar Oktober sein, aber der Tag war hei?; kaum mehr als eine leichte Brise fullte die Segel.
        Er mochte die Heckgalerie, einen Luxus, den er auf einem englischen Schiff nie genossen hatte. Hier auf diesem schmalen Umgang war er ganz allein, kein Auge beobachtete ihn, prufte ihn auf Zuversicht oder Schwache. Selbst die Gerausche waren hier gedampfter, ubertont vom Rauschen des Wassers unter der Gillung und dem Knarren des Ruders, wenn die Steuerleute den Zweidecker auf Kurs hielten.
        Ein Gerausch drang jedoch durch: der regelma?ige Trommelwirbel, die qualvolle Pause, das Klatschen der Peitsche auf dem nackten Rucken eines Mannes.
        Nur eine Eintragung mehr im Strafbuch und kaum einen Kommentar von der Besatzung wert. Disziplin war Disziplin und hier oben in mancher Hinsicht weniger streng als im Zwischendeck, wenn jemand beim Kameradendiebstahl ertappt worden war.
        Bolitho dachte an Zenoria und fragte sich, weshalb er Adam nichts von ihr erzahlt hatte, als Firefly gerade lange genug zum Geschwader gesto?en war, um Depeschen zu ubergeben und Briefe in die Heimat mitzunehmen. Denn Firefly, Nelsons Bindeglied zur fernen Admiralitat, kehrte zuruck nach England.
        Adam hatte wehmutig gesagt:»Dabei bin ich gerade erst angekommen, Onkel. «Seine Miene hatte sich aufgehellt, als er von Bolitho einen Brief an Belinda bekam.»Aber mit etwas Gluck bin ich bald wieder da.»
        Bolitho ging zum Ende der Heckgalerie und stutzte sich auf die vergoldete Schulter einer lebensgro?en Meerjungfrau, die auf der anderen Seite ihr Gegenstuck hatte. Er lachelte. Diese Figur war in jenem morderischen Gefecht um Argonaute von einer Kugel enthauptet worden. Der alte Holzschnitzer aus Plymouth, der den neuen Kopf geschaffen hatte, mu?te einen besonderen Sinn fur Humor gehabt haben, denn nun lachelte die Meerjungfrau spottisch, als ergotze sie sich an einem Geheimnis.
        Er hatte Adam nach seinem Eindruck von Nelson gefragt und gesehen, wie sich der junge Mann seine Antwort zurechtlegte.»Er war ganz anders, als ich erwartet hatte. Er wirkte rastlos, und sein Arm schien ihm Schmerzen zu bereiten. Doch obwohl ich gro?er bin als er, schien er die Kajute auszufullen. Und seine Verachtung fur Autoritat ist erstaunlich. Als Admiral Sheaffe erwahnt wurde, lachte Nelson nur und meinte, Sheaffes Ozeane bestunden aus Papier und Schlachtplanen. Er habe vergessen, da? Manner braucht, wer Kriege gewinnen will.»

«Du fandest ihn trotz dieser Offenheit vor einem Untergebenen sympathisch?»
        Adam war ein wenig unsicher geworden.»Ich wei? nicht recht, Onkel. Erst fand ich ihn eitel, fast oberflachlich, und dann wieder beeindruckte mich sein totaler Uberblick uber den Krieg hier drau?en. «Adam hatte schuchtern gegrinst.»Ich wei? nur, da? ich ihm in die Holle und zuruck folgen wurde, wenn er das verlangte. Aber warum, kann ich nicht sagen. Ich wei? es eben.»
        Das hatten auch viele andere gesagt. Nelson, bei seinen Vorgesetzten verha?t, wurde von den Mannern, die er fuhrte und die ihn meist nie zu Gesicht bekamen, abgottisch verehrt.

«Er hat sich nach dir erkundigt, Onkel, und dir alles Gute gewunscht«, hatte Adam gesagt.
        Und nun jagte die Firefly nach Gibraltar und von dort aus weiter nach England. Ohne Muhe konnte sich Bolitho Ports-mouth vorstellen: kalt und regnerisch, aber so wichtig in seinem Leben.
        Er begann wieder auf- und abzugehen. Nelson hatte ihm zu verstehen gegeben, wo sich eine passende Wasserstelle fur seine Schiffe befand: auf Sardinien und den kleinen Inseln am Osteingang der gefahrlichen Stra?e von Bonifacio. Die Maddalena-Inseln, wie man sie nannte, lagen keine zweihundert Meilen von Toulon entfernt. Typisch fur Nelson, da? er so etwas wu?te und Leuten wie Sheaffe eine Nase drehen konnte - bis ihn das Gluck verlie?.
        Pfeifen zwitscherten. Bolitho wu?te, da? die Mannschaft nun abtrat, da? die Grating entfernt und abgewaschen wurde. Der Gerechtigkeit war Genuge getan.
        Dem Geschwader war ein zweihundert Meilen breiter Sektor westlich von Toulon bis zur spanischen Grenze zuge - wiesen worden. Wenn die Franzosen in voller Starke ausbrachen, war es gut moglich, da? sie erneut versuchten, nach
        Agypten und zum Nil vorzusto?en. Schon beim letzten Mal war ihnen das fast gelungen. Wenn sie bei einem erneuten Versuch Erfolg hatten, konnte Bonaparte Indien angreifen, denn dort winkte reiche Beute, von dem taktischen Vorteil ganz zu schweigen. Doch Bolitho hielt es fur ebenso wahrscheinlich, da? die franzosische Flotte auf die Stra?e von Gibraltar zusteuern wurde, um sich den Weg in die Biskaya zu erzwingen und die Starke der franzosischen Geschwader dort zu verdoppeln.
        Wenn er Nelson richtig verstanden hatte, wurde dieser den Lowenanteil des Kampfes fur sich selbst beanspruchen.
        Die See wirkte leer, da die Halfte seiner Schiffe fehlte. Inchs Dispatch hatte er zusammen mit Lapishs Fregatte als Aufklarer und Vermittler losgeschickt. Icarus, deren Segel sich in der schwachen Brise kaum fullten, folgte achteraus. Ihre Stuckpforten standen offen, denn Kapitan Houston lie? seine Mannschaften an den Geschutzen uben. Der Kutter sah weit in Luv wie die helle Ruckenflosse eines Hais aus, und Rapid, die ihre gro?en Schwestern fuhrte wie Tiere an der Leine, war nur vom Masttopp aus sichtbar.
        Weit an Steuerbord farbte sich der Horizont dunkellila: Korsika. Bolitho stutzte sich auf die Reling und starrte aufs Wasser, das mude am Ruder ablief. Bei diesem schwachen Wind wurde es langer als erwartet dauern, bis sie einen Ankerplatz gefunden und Trinkwasser an Bord genommen hatten. Aber die Nahe des Landes mu?te bei Matrosen und Seesoldaten Wunder wirken.
        Eine Tur zur Galerie ging auf, und Allday sagte:»Empfehlung von Kapt'n Keen, Sir: Rapid hat im Osten ein Segel gesichtet. Der Ausguck kann es gerade noch ausmachen.

        Bolitho nickte.»Ich warte hier unten. «Seltsam, er hatte den Ruf des Ausgucks nicht gehort. Er grinste sein Spiegelbild im Fenster an. Wirst wohl alt.
        Keen erschien wenige Minuten spater.

«Ein Schoner, Sir. Und zwar laut Mr. Paget, der mit einem Fernrohr aufenterte, ein Genuese.»
        Bolitho ging in die Kajute und trat an die Seekarte.

«Na schon, solange es kein Spanier ist. Die Dons mogen zwar noch nicht in den Krieg eingetreten sein, sind aber nach wie vor ein Feind, der uns an die Franzosen verraten wurde.»

«Es wird ein Handelsschiff sein, Sir«, meinte Keen.»Ich wurde gern selbst mit ihm reden, wenn wir es erreicht haben.»
        Bolitho dachte an Quarrell, den Kapitan der Rapid. Ein guter Offizier, dem es aber wie Lapish an Erfahrung mangelte.»Gut, ubernehmen Sie das. Vielleicht wei? der Kapitan etwas. «In jahem Zorn fugte er hinzu:»Ich frage mich, was er im Schilde fuhrt.»
        Keen beobachtete ihn. Er? Jobert wurde nur selten mit Namen erwahnt, war aber immer in Bolithos Gedanken.
        Der Admiral sagte gerade:»Zwischen diesen Inseln gibt es allerhand Verstecke. Wir werden die Augen offenhalten mussen, ehe wir uns sicher fuhlen konnen. «Er klopfte mit einem Zirkel auf die Karte.»Hier, dieser Hugel zum Beispiel. Von dem aus kann ein guter Mann meilenweit sehen.»
        Keen wartete, denn er wu?te, da? das noch nicht alles war.
        Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich wurde ihn mir gern selbst ansehen. Wenn Sie sich um diesen Schoner gekummert haben, rufen Sie Supreme zum Flaggschiff. Ich beabsichtige, an Bord zu gehen und mit ihr vorauszufahren. «Er sah Keens Unbehagen und fugte hinzu:»Keine Sorge, Val, ich habe nicht vor, mich ein zweites Mal gefangennehmen zu lassen.»
        Keen sollte sich inzwischen an Bolithos unorthodoxe Methoden gewohnt haben, aber dem Admiral fiel immer wie - der etwas Neues ein. Auf jeden Fall wurde sein Auftauchen der kleinen Besatzung des Kutters Beine machen.
        Bolitho zupfte sich das Hemd von der feuchten Haut.»Wie sieht's hinten aus, Val?»

«Es geht ihr gut, Sir«, erwiderte Keen.»Wenn man ihr nur Mut machen konnte. «Er zuckte hilflos die Achseln.»Aber wir wissen selbst nicht mal…»
        Es klopfte, und nach kurzem Zogern schaute Midshipman Sheaffe in die Kajute.

«Empfehlung von Mr. Paget, Sir. Der Schoner hat beigedreht.»

«Wir mussen ihn vor Sonnenuntergang erreicht haben«, sagte Bolitho.»Er darf uns nicht entwischen.»
        Bolitho sah Sheaffes aufmerksamen Blick und fragte sich, was der Junge wohl sagen wurde, wenn er wu?te, was Nelson von seinem Vater hielt. In einer Beziehung war Sheaffe seinem Vater sehr ahnlich: er hatte keine Freundschaften geschlossen und ging engen Kontakten aus dem Weg, was auf einem uberfullten Kriegsschiff nicht einfach war.
        Bolitho sagte:»Mr. Sheaffe kommt mit mir. Da kann er Erfahrungen sammeln.»

«Danke, Sir Richard. «Entweder war Sheaffe alles gleichgultig, oder er hatte an der Tur gelauscht.
        Sobald die anderen gegangen waren, protestierte Allday:»Sie konnen aber nicht ohne mich gehen, Sir!»

«Benimm dich nicht wie ein altes Weib, Allday. «Er lachelte.»Ich habe keine Lust, die gute Arbeit des Arztes an dir zunichte zu machen, indem ich dich einen Berg hochschleppe. «Bei Alldays trotzigem Blick fugte er hinzu:»Au?erdem finde ich, da? mein Zweiter Bootsfuhrer auch mal eine Chance bekommen sollte.»
        Allday nickte langsam, blieb aber mi?trauisch.»Wenn Sie meinen, Sir?»
        Bolitho hatte richtig geschatzt. Es dammerte schon, als sie den schabigen Schoner in ihrem Lee erreichten, und als Keen von ihm zuruckkehrte, hatte er nur wenig zu berichten.»Der spanische Kapitan sagt, er habe vor vier Tagen eine Fregatte gesichtet, konnte ein Franzose gewesen sein. Er hielt sich aber nicht lange auf und ist jetzt unterwegs nach Lissabon.»

«In dieser Nu?schale?«Bolitho schuttelte den Kopf. Nicht nur Kriegsschiffe hatten ihre Probleme.
        Von einer einsamen Fregatte mu?te angenommen werden, da? sie feindlich war. Denn Nelson hatte lediglich zwei, und ansonsten gab es nur Barracouta. Oder ein neutraler Spanier? Unwahrscheinlich, da? er in diesen umstrittenen Gewassern ohne Begleitung segelte. Bolitho trug die Position, die Keen vom Kapitan des Schoners erfahren hatte, auf der Karte ein. War die Fregatte aus Toulon gekommen, oder hatte sie versucht, in diesen Hafen zuruck zu gelangen?
        Er fa?te einen Entschlu?.»Ich gehe noch vor Einbruch der Nacht auf die Supreme. Treffen Sie die entsprechenden Vorkehrungen, Val.»
        Keen kam ohne ihn sehr gut zurecht, und Inch war durchaus in der Lage, fur den Rest des Geschwaders zu sorgen, falls etwas passierte.
        Er horte die schrillen Pfiffe und das Klappern der Flaschenzuge uber den Booten.
        Allday tat ihm leid, aber es war sinnlos, ihn zu uberbeanspruchen. Die grauenhafte Wunde war verheilt, doch nicht verschwunden.
        Er wartete, wahrend Ozzard sich umstandlich mit seinem Seemantel und dem Hut mit der stumpfen Stickerei befa?te.

«Barkasse liegt langsseits, Sir Richard.»
        Ein letzter Blick in die Runde. Die Kajute schien ihn zu beobachten, vielleicht auf die Ruckkehr ihres Herrn zu warten. Bolitho lie? sich von Allday den alten Degen an den Gurtel haken. Jobert wieder hier? Nie im Leben, dachte er. Dann lockerte er die Klinge in der Scheide und dachte an die Vergangenheit.
        Laut sagte er:»Nur uber meine Leiche.»
        An der Schanzkleidpforte, wo die Ehrenwache angetreten war, nahm Bolitho Keen beiseite und sagte leise:»Wir sehen uns am Treffpunkt. «Er schaute zum Himmel.»Es kommt Sturm auf. Sorgen Sie dafur, da? Icarus in der Nahe bleibt.»
        Keen wollte etwas sagen, uberlegte es sich aber anders. Die Brise druckte die gerefften Marssegel des beigedrehten Schiffes kaum gegen die Wanten, und abgesehen von einigen Altocumulus-Wolken sah der Himmel so leer aus wie bisher. Woher nahm Bolitho sein Wissen?
        Fallowfield, der alte Master, trat zu seinem Ruderganger. Selbst er war beeindruckt. Er starrte den Midshipman, der den Vizeadmiral mit offenem Mund angaffte, finster an und grollte:»Warten Sie nur, bis auch Sie das Wetter so gut vorhersagen konnen, Mr. Penton, aber da habe ich wenig Hoffnung!»
        Keen legte die Hand an den Hut.»Aye, Sir. Ich schicke Ihnen notfalls Rapid hinterher.»
        Bolitho schaute auf zu seiner Flagge.»Dies ware Ihr Schiff, wenn ich mich nicht an Bord befande, Val. Benutzen Sie wahrend meiner Abwesenheit mein Quartier. «Er druckte den Hut fester auf den Kopf und kletterte uber Bord, wahrend die Bootsmannsgehilfen Salut pfiffen. Gut, da? Keen Gelegenheit zu ein wenig Freiheit bekam. Was er mit ihr anfing, war seine Angelegenheit.
        Als das Morgenlicht auf die benachbarte Insel fiel, trat Bolitho mit im Wind flatterndem Hemd auf das schrage Deck des Kutters. Es war schwer, hier noch einen Stehplatz zu finden, dachte er, denn das Deck der Supreme schien vor geschaftigen Menschen und Tauwerk zu wimmeln. Der Toppsegelkutter war nur einundzwanzig Meter lang, hatte aber eine sechzigkopfige Besatzung. Als Midshipman hatte Bolitho einmal vorubergehend auf einem solchen Schiff gedient, das von seinem Bruder Hugh befehligt worden war. Trotzdem konnte er sich nur schwer vorstellen, wie alle diese eifrigen Matrosen unter Supremes glattem Deck genug Platz zum Essen und Schlafen finden sollten.
        Der von Bolitho vorhergesagte Sturm war nach Einbruch der Dunkelheit aufgekommen, und die schwereren Schiffe, die er zuruckgelassen hatte, taten ihm leid. Supreme hingegen flog vor dem Wind dahin; ihr gewaltiges Gro?segel mit Baum, ihr Kluver- und Focksegel blahten sich, und sie schien uber die Wellen zu springen.
        Ein Kriegskutter verfugte vergleichsweise uber mehr Manovrierfahigkeit und Segelflache als jedes andere Kriegsschiff und konnte bis auf funf Strich am Wind segeln.
        Er sah, wie Hallowes seinem Ersten Offizier, einem rundlichen, rotgesichtigen Mann, der dem Alter nach sein Vater hatte sein konnen, etwas zurief. Leutnant Okes war aus dem Mannschaftsstand befordert worden und hatte zuletzt als Gehilfe eines Masters auf den Planken gestanden. Hallowes hatte zwar bei der Eroberung der Argonaute Mut und Geschick bewiesen, doch Supreme bedurfte jener Seemannschaft, die nur auf langer Erfahrung beruhte.
        Bei zunehmendem Wind und groberer See waren die Matrosen zu beschaftigt gewesen, um sich Gedanken uber die Anwesenheit ihres Admirals zu machen; doch nun, da der Wind leicht nachlie? und der volle Bug in Kustennahe durch geschutztere Gewasser pflugte, hielten viele Manner inne und starrten neugierig heruber. Bolitho, dem das Haar gischtdurchna?t am Kopf klebte, der das nicht mehr saubere Hemd am Kragen geoffnet hatte, entsprach nicht ganz den Vorstellungen, die man sich von einem Flaggoffizier machte.
        Er sah, wie sich Midshipman Sheaffe verzweifelt an eine Pardune klammerte. Sein Gesicht war bla?grun, und er hatte sich mehrere Male erbrochen. Leutnant Stayt war unter Deck, zwar nicht seekrank, aber als Passagier doch nicht ganz auf der Hohe und immer im Weg.
        Hallowes kam zu Bolitho und sagte:»Mit Ihrer Erlaubnis werde ich den nachsten Landvorsprung runden und mich danach naher zur Kuste vortasten, Sir. «Er mu?te schreien, um sich bei dem Larm im Rigg verstandlich zu machen. Er sah sehr jung aus und schien seine Freiheit trotz Bolithos Anwesenheit zu genie?en. Zwei Lotgasten standen bereits am Bug und hielten ihre Leinen bereit.
        Bolitho nahm ein Teleskop und wartete, bis das Schiff halbwegs ruhig lag, ehe er es aufs Land richtete. Uppiges Dunkelgrun, dahinter Lilatone. Das mu?te der beschriebene Berg sein. Eher ein hoher, kahler Hugel.
        Er trat zuruck, als weitere Matrosen mit Fallen und Taljen vorbeigetaumelt kamen und nur dem Gebrull des Bootsmanns Beachtung schenkten.
        Der lange Baum des Gro?segels, der bis weit ubers Heck ragte, schwang gefahrlich tief uber die Kopfe der Ruderganger hinweg, als das Schiff halste. Gischt fegte ubers Deck, und Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Armel. Er fuhlte sich wieder lebendig, hatte die Anspruche von Admiralitat und Flaggschiff vorubergehend vergessen.
        Die Bestuckung der Supreme bestand aus zwolf winzigen Kanonen und zwei Drehbassen. Wenn es nicht gerade zu einem Seegefecht kam, war ihre Feuerkraft dennoch nicht zu verachten.
        Das Vorland blieb hinter einem Gischtvorhang zuruck.
        Hallowes sah, da? Okes ihn beobachtete, und rief:»Alle Mann! Segel kurzen! Lotgasten, aufgepa?t!»
        Hallowes wartete, bis man begonnen hatte, seine Befehle auszufuhren und fragte dann:»Haben Sie vor, hier an Land zu gehen, Sir Richard?»
        Bolitho verkniff sich ein Lacheln. Fur Hallowes war es offenbar noch immer unvorstellbar, da? Bolitho selbst ausbooten wollte, obwohl andere bereitstanden, das fur ihn zu tun.

«Wahrend Ihre Manner Trinkwasser ubernehmen, werde ich mich mit einem Fernrohr auf diesen Hugel begeben. «Das wurde ein langer, steiler Marsch werden. Er sah Bankart in seiner blauen Jacke vor dem machtigen Mast stehen und fragte sich, was er wirklich fur seinen Vater empfand.

«Schauen Sie, Sir. «Hallowes beugte sich ubers Schanzkleid und deutete nach unten ins klare Wasser.
        Wo sich die Bugwelle verlief, sah Bolitho, wie der Grund stieg und fiel, als atme er. Tausende von Fischen huschten hin und her, und gelegentlich tauchte aus dem fahlen Sand bedrohlich ein Felsband auf.

«Funf Faden!«Das Aussingen der Wassertiefe klang ermutigend. Die Boote wurden bereits klar zum Aussetzen gemacht: eine Gig und eine Jolle. Bolitho horte Sheaffe tief Atem holen. Das Argste war vorbei.

«Freuen Sie sich aufs Land, Mr. Sheaffe?»
        Der Midshipman zog Schulterriemen und Dolch gerade und erwiderte:»Jawohl, Sir. Gehe ich mit Ihnen, Sir?»
        Bolitho grinste.»Es wird uns beiden guttun.»
        Stayt kam an Deck. Anders als Bolitho trug er Uniformrock und Hut und hatte zweifellos seine feine Pistole griffbereit.
        Fu?e klatschten uber die nassen Planken, und der Anker fiel ins klare Wasser.
        Hallowes legte die Hande auf den Rucken, und Bolitho sah, da? er die Finger fest verschrankt hatte. Er war nervos, aber das schadete nichts. Die Boote wurden gefiert.

«Ich schicke einen guten Ausguck auf diesen Kamm da, Sir«, sagte er.»Der Seekarte zufolge sollte er mit einem Fernglas bis hinuber zum nachsten Landvorsprung sehen konnen.»
        Stayt gab Bankart einen Wink.»In die Gig!«Sein Ton war scharf, und Bolitho wu?te, da? er auch Allday so barsch angesprochen hatte. Aber Bankart hatte eben noch viel zu lernen.
        Bolitho wartete, bis die anderen hinunter geklettert waren. Leutnant Okes ubernahm die Jolle, sein wettergegerbtes Gesicht sah wie eine alte Galionsfigur aus.
        Sheaffe und Stayt zwangten sich zusammen mit ihm ins Heck, und Duncannon, der einzige Midshipman der Supreme, ein pickliger Knabe, piepste:»Ruder an!»
        Bolitho hielt seinen Degen zwischen den Knien und dachte an Cornwall, wo er mit seinem Bruder in den Buchten und Hohlen gespielt hatte. Er seufzte. Das schien tausend Jahre her zu sein. Was wurde Belinda denken, wenn sie seinen Brief erhielt? Er hatte versucht, nicht an ihren Streit zu ruhren.

«Die Jolle ist gelandet, Sir«, meldete Sheaffe.
        Bolitho sah Okes, dessen wei?bestrumpfte Beine wie machtige, umgekehrte Flaschen wirkten, durchs seichte Wasser waten. Ein breitschultriger Seemann, der nur eine zerfetzte Hose und einen Hut trug, trennte sich bereits von den anderen. Er war einer von Okes' besten Mannern und braun wie ein Eingeborener; mit einem Fernglas unterm Arm schlenderte er lassig auf die Baume und die Anhohe zu.
        Die Gig lief auf Grund. Bolitho stieg aus und wartete auf dem festen Sand, bis die Matrosen das Boot ins Trockene zogen.
        Die Baume sahen fast tropisch aus, und ihre buschigen Kronen wiegten sich wie im Tanz in der Brise. Die Besatzung der Gig fuhr bereits zum Kutter zuruck, um Wasserfasser zu holen.
        Bolitho fuhlte an der Stirn wieder die tiefe Narbe, die ihn fast das Leben gekostet hatte. Auch damals hatten sie auf einer Insel Wasser an Bord genommen. Sonderbar, da? die Strahne uber der Narbe nun wei? war, denn der Rest seines Haars war nach wie vor schwarz. Warum machte ihm das Kummer? Aus Eitelkeit oder wegen des Altersunterschieds zwischen ihm und Belinda?
        Zwei mit Entermessern und Musketen bewaffnete Matrosen schlenderten hinter der kleinen Gruppe her, die unter Bolithos Fuhrung den Hang zu erklimmen begann. Im Windschutz des Gebuschs war es schwul. Kein Vogel sang oder stie? einen Warnruf aus. Die Atmosphare war fast schlafrig.

«Hier konnten gleich zwei Geschwader Unterschlupf finden, Sir«, sagte Stayt, der - erstaunlich fur einen Mann seines Alters - bereits heftig schnaufte.»Nelson hatte recht.»
        Bald sahen sie einen funkelnden Bach, der von einem platschernden Wasserfall ausging. Okes war bereits zur Stelle und rief drohnend nach Axten, um eine Rollbahn fur seine Fasser freihauen zu lassen.
        Als sie in die helle Sonne hinaustraten, hielt Bolitho die Hand uber die Augen und schaute hinab zu dem verankerten Kutter. Er sah mit seinen gefalteten Segeln wie ein anmutiges Spielzeug aus. Auf dem benachbarten Hugel richtete sich der Ausguck ein. Der Mann legte sein langes Teleskop auf eine Pyramide von Feldsteinen und konnte von dort aus die ganze Kuste uberblicken.
        Bolitho merkte, da? ihm das Hemd am Leib klebte. Er war verschwitzt, aber in Hochstimmung und stellte sich vor, wie herrlich es ware, in dem klaren, einladenden Wasser zu schwimmen.
        Der Anstieg zur Kuppe dauerte langer als erwartet und hinterlie? sie erschopft und verschwitzt. Nur Bankart wirkte noch frisch. Krafte wie einstmals Allday hatte der Junge, dachte Bolitho wehmutig.
        Er schaute erneut hinab zum Kutter, auf dessen Deck winzige Gestalten wimmelten. Die Boote zogen langsam zwischen Schiff und Strand hin und her wie Wasserkafer.
        Dann richtete er das Fernrohr auf den Ausguckposten und sah die Sonne vom Glas des Mannes reflektieren. Er hatte sich als Sonnenschutz trockene Zweige uber den blo?en Rucken gelegt und den Hut uber das Teleskop gezogen.
        Bolitho setzte sich auf den hei?en Boden und entfaltete seine kleine Landkarte. Wo Jobert jetzt wohl steckte? Was war das Ziel der franzosischen Flotte?
        Er horte die anderen sich ausstrecken, dann das Gerausch einer Feldflasche, die geschuttelt wurde. Was hatte er jetzt fur den klaren Rheinwein gegeben, den Ozzard in der Bilge kuhl hielt!
        Bolitho griff unter sein Hemd und beruhrte seine nasse Haut. Es fiel ihm nur zu leicht, sie sich in seinen Armen vorzustellen. Ihre Hande auf seiner Haut, ihr Flustern, das lustvolle Wolben ihres Ruckens, wenn er in sie eindrang… In jaher Verzweiflung faltete er die Karte zusammen. An wen dachte er eigentlich?

«Schauen Sie sich blo? diese Masse Vogel an«, sagte Stayt.
        Ein riesiger Schwarm Mowen stie? wie von Faden zusammengehalten aufs Wasser nieder. Es mu?ten Tausende sein. Als sie im Sturzflug die verankerte Supreme passierten, sah Bolitho rasche, zuckende Bewegungen im Wasser und entsann sich der Fische. Die Mowen griffen zum richtigen Zeitpunkt an, und Bolitho konnte selbst uber die weite Entfernung ihr Kreischen horen.
        Auf dem Deck des Kutters war die Arbeit zum Erliegen gekommen. Die Seeleute sahen zu, wie eine Mowe nach der anderen wild flatternd und mit einem silbrigen Fisch im Schnabel an Hohe gewann.

«Unser Ausguckposten ist gut, Sir«, merkte Stayt an.»Er hat keinen Blick an die Mowen gewandt. Dabei habe ich noch nie gesehen, da? Vogel sich so.»

«Der Ausguck?«fragte Bolitho abrupt. Er griff hastig nach seinem Fernrohr und zog es rasch auseinander. Als er es ubers helle Wasser und den Mowenschwarm schwenkte, brannte ihm der Schwei? in den Augen. Aus unerfindlichem Grund schmerzte ihn die alte Narbe. Was ist nur mit mir los? dachte er.
        Dann entspannte er sich zogernd, denn der braungebrannte Ausguck war noch auf seinem Posten.»Jagen Sie eine Kugel in die Felsen unter ihm«, befahl er.»Der Kerl ist eingeschlafen.»
        Stayt winkte argerlich einem Matrosen. Der Mann ging auf ein Knie nieder und hob die Muskete an die Schulter. Der Schu? mochte die anderen aufschrecken, aber ein schlafender Ausguck stellte eine gro?e Gefahr dar.
        Auf den Knall hin kreisten die Vogel zuerst wild und flogen dann davon. Hier und dort fiel ein Fisch zuruck ins Meer.
        Bolitho schob das Fernrohr zusammen und richtete sich auf. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, obwohl er glaubte, ihm musse das Herz im Leib bersten. Der Ausguck hatte sich nicht geruhrt; die Sonne spiegelte sich noch immer in seinem Teleskop.

«Dieser Mann schlaft nicht, er ist tot. «Er war bemuht, gelassen zu sprechen.»Ich furchte, wir sind in Gefahr. «Die Manner reagierten nicht, sahen ratlos erst den treibenden Pulverdampf an und dann in sein Gesicht.

«Hier, Sir?«rief Stayt verdutzt aus.

«Mr. Sheaffe, Sie sind der Jungste«, bellte Bolitho.»Laufen Sie hinunter zum Strand und warnen Sie Leutnant Hallowes.»
        Der Midshipman starrte ihn an und sprach stumm die Worte nach, als traue er seinen Ohren nicht.»Und Sie, Bankart, gehen mit.»
        Als die beiden bergab sprangen und zwischen den Baumen verschwanden, befahl Bolitho:»Ladet eure Waffen.»
        Er machte sich Vorwurfe, weil er keine Pistole mitgebracht hatte. Aber wer hatte ausgerechnet hier mit Gefahr gerechnet?
        Vorsichtig schritten sie den Hang hinunter, lauschten angestrengt in alle Richtungen, horten aber nur das Rascheln der Baume; es klang, als habe sich eine versteckte Armee in Bewegung gesetzt.
        Am Waldrand sagte Bolitho:»Wir gehen um den Hugel herum. «Er sah den Zweifel in Stayts dunklen Augen. Die beiden bewaffneten Matrosen steckten die Kopfe zusammen.

«Nach dem Musketenschu? haben sie uns gesehen«, erklarte Bolitho.»Aber jetzt sind wir au?er Sicht. Sie nehmen bestimmt an, da? wir den kurzesten Weg zum Landeplatz einschlagen.»

«Aber wer sind sie?«zischte Stayt.
        Bolitho zog seinen Degen.»Franzosen wahrscheinlich.»
        Der Feind schien ihnen immer zuvorzukommen. Niemand konnte wissen, da? er auf den Kutter umgestiegen war, aber Supreme gehorte zu seinem Geschwader. Und sie war vor einer Leekuste in eben jene Lage geraten, die Barracouta beinahe zum Verhangnis geworden ware.
        Auch Stayt hatte seinen Degen gezogen, und gemeinsam hielten sie auf den Hang zu, mieden Lichtungen, um sich nicht zu verraten. Bolitho fragte sich, ob Sheaffe den Strand schon erreicht hatte.
        Er bi? die Zahne zusammen, um nicht laute Verwunschungen auszusto?en. Wo war ich mit meinen Gedanken? Ich hatte doch erkennen mussen, da? dies genau die Art Falle ist, die sich Jobert einfullen la?t.

«Da!«Stayt ging in die Knie. Zwei Manner schlenderten gemachlich durch den Wald, offenbar Matrosen. Als sie naherkamen, horte Bolitho sie franzosisch sprechen.
        Sie mu?ten einen gro?eren Trupp verlassen haben, um das Teleskop des Ausguckpostens vom Hugel zu holen. Bolitho konnte sich noch genau an ihn erinnern, er war ein guter, zuverlassiger Mann gewesen. Nun trug ein anderer sein Fernrohr, und am Futteral waren Blutspuren.

«Drauf!»
        Bolitho setzte ubers Gebusch und ging auf den ersten Mann los. Der starrte ihn zunachst vollig verdutzt an und machte dann Anstalten, sein Entermesser zu ziehen; doch das Teleskop war ihm hinderlich. Bolitho hieb ihm quer ins Gesicht und stie? ihm die Klinge unter der Achselhohle in die Seite. Der Mann sturzte lautlos zu Boden. Sein Kamerad fiel auf die Knie und streckte flehend die Hande aus. Doch der Ausguckposten mu?te beliebt gewesen sein, denn einer der beiden Matrosen schwang die Muskete und schlug dem zweiten Franzosen den Schadel ein. Die Muskete wurde erneut erhoben, aber Stayt bellte:»Genug, du Narr, der ruhrt sich nicht mehr.»
        Der Mann mit der Muskete hob das Teleskop auf und folgte Bolitho bergab. Hatten sie den Umweg nicht gemacht, waren sie in einen Hinterhalt geraten. Er horte den dumpfen Knall einer Kanone. Endlich hatte man auf der Supreme erkannt, was geschah, und rief die Manner zuruck.
        Dann jah eine Musketensalve, wilde Schreie, ein kurzes Aufeinanderprallen von Stahl. Bolitho fiel in Laufschritt, brach durch die letzten Busche und erreichte den Strand. In wenigen Sekunden uberblickte er alles: Die Jolle lag auf dem Trockenen, die Gig war auf halbem Weg zwischen Strand und Kutter. Leutnant Okes stand mit gezogenen Pistolen unten am Wasser. Eine hatte er gerade abgefeuert, die andere richtete er auf eine Gestalt, die mit mehreren anderen im Zickzack auf seine Handvoll Manner lossturmte. Bolitho fand die Zeit, festzustellen, da? Okes trotz des Geschreis und gelegentlichen Musketenfeuers dabei ganz still stand, eher einem Jager vergleichbar als einem Seeoffizier. Die Pistole knallte, die laufende Gestalt sturzte, wuhlte den Sand auf wie ein Pflug und blieb reglos liegen.
        Das schien die anderen abzuschrecken, zumal Bolitho und seine drei Begleiter nun auf sie losgingen. Stayt, dessen Pistole zwei Laufe haben mu?te, feuerte zweimal, und jede Kugel traf ihr Ziel.
        Okes fuhr sich mit dem Armel ubers Gesicht.»Dem Himmel sei gedankt, Sir. Ich dachte schon, die Kerle hatten Ihnen den Garaus gemacht.»
        Bolitho sah Bankart im Boot. Okes lud seine Pistole nach und bemerkte dabei:»Wenn dieser Junge nicht gewesen ware, hatten sie uns uberrascht.»
        Bolitho schaute an ihm vorbei.»Wo ist Mr. Sheaffe?»
        Okes zog seine andere Pistole.»Ich dachte, er ware bei Ihnen, Sir.»
        Bolitho winkte Bankart herbei.»Wo ist Midshipman Sheaffe?»

«Gesturzt, Sir«, erwiderte Bankart.»Da hinten war ein Loch, er sturzte und rollte einen Steilhang hinunter.»
        Bolitho starrte ihn an.»Steilhang? So etwas gibt es hier doch gar nicht.»
        Die anderen kletterten in die Boote; bis auf den Ausguckposten hatte es keine Verluste gegeben. Aber wo steckte Sheaffe? Vier Franzosen, deren Blut bereits im Sand versik-kerte, lagen, wo sie gefallen waren.
        Stayt warf seinen Degen in die Luft und fing ihn an der Klinge auf, ehe er ihn in die Scheide gleiten lie?.»Ich gehe ihn holen«, sagte er und betrachtete Bankart kalt.»Zeig mir, wo er liegt.»
        Als sie das Gebusch erreichten, sahen sie Sheaffe in die Sonne torkeln. Er hatte eine Platzwunde im Gesicht und blutete, schien aber sonst unversehrt.

«In die Boote!«rief Bolitho und legte Sheaffe eine Hand auf die Schulter.»Alles klar?»

«Ich bin hingefallen. «Sheaffe tupfte sich die Lippe.»Uber zwei Baumstumpfe. «Er zog eine Grimasse.»Das verschlug mir den Atem, Sir. «Als er Bankart erblickte, wurden seine Augen schmal.»Wo warst du?»
        Bankart fuhr trotzig herum.»Ich habe die anderen gewarnt, wie mir befohlen wurde.»
        Bolitho ging zur Gig. Da steckte offenbar mehr dahinter, aber er war dankbar, da? die beiden uberlebt hatten.
        Er stieg ins Boot und schaute hinuber zur Supreme. Dort wurde bereits die Ankertrosse kurzgeholt, und die Segel flatterten wild, als Hallowes klar zum Auslaufen machte.
        Bolitho rieb sich das Kinn und uberlegte. Die Franzosen mu?ten einen Trupp angelandet haben, der erkunden sollte, was sie hier taten. Waren die Seevogel nicht gewesen und die scheinbare Gleichgultigkeit des Ausguckpostens, waren sie erst angegriffen worden, nachdem die Franzosen noch mehr Manner gelandet hatten. Wo waren sie also?
        Wieder knallte auf Supreme ein Vierpfunder, und Stayt sagte heiser:»Anker ist frei!»
        Hallowes hatte vom Schiff aus gesehen, was dem Ausguck entgangen war.
        Es schien, als triebe jah ein Stuck der Landzunge davon. Bolitho sah ein Schiff den Vorsprung runden, dessen Vorsegel flatterten, als es scharf wendete, um den Riffen auszuweichen.
        Es war eine Fregatte.

«Pullt, Jungs! Mit aller Kraft!«rief Bolitho. Sie bedurften der Aufmunterung nicht.
        Hatten sie nicht gemerkt, da? der Ausguckposten tot war, ware diese Fregatte uberraschend quer durch die Bucht gesegelt und hatte Supreme mit ihren Kanonen in ein blutiges Chaos verwandelt.
        Endlich lag die Gig langsseits, und die Manner kletterten hastig an Bord, um sich ans Segelsetzen zu machen.
        Die beiden Boote trieben ab. Hallowes sah ihnen verkniffen und besorgt nach. Sie mochten sie noch brauchen, hatten aber keine Zeit, sie an Bord zu holen. Bolitho hielt sich an einem Want fest und sah zu, wie die Fregatte die Bramsegel setzte.
        Was Hallowes auch tat, er wurde sich niemals rechtzeitig vom Land freikreuzen konnen.

«Lotgasten in die Rusten!«sagte Bolitho.»Mr. Okes, kennen Sie sich in diesen Gewassern aus?»
        Okes hatte seinen Hut verloren.»Aye, einigerma?en, Sir.»
        Er drehte sich um, als der Lotgast die Wassertiefen auszusingen begann.»Der Franzose kann es nicht wagen, uns zu folgen. Da gerat er namlich auf Grund.»

«Finde ich auch. «Dem Kommandant der Fregatte mu?te jetzt klarwerden, da? er den Uberraschungseffekt verspielt hatte. Er wurde sich freihalten und vielleicht bei Einbruch der Dunkelheit versuchen, Supreme den Weg abzuschneiden. Aber bis dahin waren es noch sechs Stunden.
        Bolitho gab Hallowes einen Wink.»Ich schlage vor, da? Sie auf flachem Wasser ankern.»
        Hallowes nickte wie eine Marionette.

«Der Franzose hat leicht Kurs geandert, Sir«, meldete Okes.
        Die Fregatte war eine knappe Meile entfernt und im Begriff, hinter dem nachsten Landvorsprung zu verschwinden. Zuvor aber versuchte ihr Kommandant, seine Beute aktionsunfahig zu machen.
        Bolitho sah plotzlich lange orangefarbene Zungen aus ihren vorderen Rohren schie?en. Die Kugeln rissen wei?e Schaumspuren in den Wasserspiegel.
        Ein schlechtgezielter Versuch. Der zweite jedoch war besser.
        Das Meer um sie herum kochte plotzlich, neben ihnen scho? eine Wassersaule gen Himmel. Bolitho horte den Einschlag einiger Kugeln in den Rumpfund einen entsetzlichen Schrei, als die Splitter einen Mann zu Boden rissen.
        Hallowes starrte stumm das Chaos aus zerfetztem Rigg und durchlocherten Segeln an. Aus den Speigatten an Backbord sickerte bereits Blut.

«Werfen Sie endlich Anker, verdammt noch mal!«Bo-litho packte ihn am Arm und schuttelte ihn. »Sie haben hier das Kommando!»
        Zwei Kanonenkugeln fanden gleichzeitig ihr Ziel. Eine pflugte eine schwarze Furche quer ubers Deck und totete einen Mann auf der anderen Seite. Die zweite knallte in den wie ein Makrelenschwanz geformten Heckspiegel und lie? mehrere Putzen mit Sand zerstieben.
        Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Bolitho, von der Explo - sion benommen, fiel auf die Seite, und beim Aufprall durchfuhr ihn der Schmerz der alten Wunde. Manner schrien auf, und das Deck erbebte, als etwas Schweres aus der Takelage sturzte.
        Er fa?te sich hastig ins Gesicht und spurte Blut. Eine fremde Stimme rief:»Hier, Sir! Ich helfe Ihnen!»

«Ankern!«stie? Bolitho hervor. Nun, da das Feuer eingestellt war, klang seine Stimme plotzlich laut.
        Er stolperte uber einen reglosen Korper und hielt sich an baumelnden Leinen fest.

«Hier, Sir. «Der Unbekannte schwieg, als Bolitho die Hande vom Gesicht nahm, um sich umzuschauen.
        Aber er sah nichts. Es war Mittag gewesen, als die Fregatte gefeuert hatte, doch nun stand er in tiefster Nacht. Hande beruhrten ihn, ringsum erklangen wirre Stimmen.

«Ich bin hier, Sir. «Das war Stayt.
        Bolitho schlug die Hande vor die Augen, als der Schmerz starker wurde.»Ich bin blind! Mein Gott, ich kann nichts sehen!»
        Er tastete nach Stayts Arm.»Bringen Sie mich unter Deck. Die Manner durfen mich nicht so sehen. «Er holte scharf Luft, als die Schmerzen noch heftiger wurden. Besser ware ich tot, dachte er.



        VI Die Supreme

        Kapitan Valentine Keen klammerte sich an die Finknetze, die Augen vom langen Starren gegen Wind und Gischt wund. Selbst seine Handflachen schienen von den geteerten Netzen zu brennen.
        Die ganze Nacht hatte der Sturm die See zu jagenden Brechern aufgepeitscht, gewaltige Sturzbache hatten sich kochend uber die Seitendecks ergossen und Manner wie Treibgut von den Beinen gerissen. Nun, da die ersten silbergrauen Streifen am Himmel standen, arbeitete das Schiff nicht mehr ganz so heftig; doch die Morgendammerung verhohnte ihre schwachlichen Anstrengungen in der Nacht.
        Es war sinnlos gewesen, Kontakt mit Icarus halten zu wollen, denn sie war wie die kleine Brigg Rapid wahrend des Unwetters schnell au?er Sicht geraten. Argonaute hatte fast die ganze Nacht unter gerefftem Gro?marssegel beigedreht am Wind gelegen. Hatten die Schiffe versucht, unter Segeln abzulaufen, waren sie bei Tagesanbruch meilenweit zerstreut gewesen. Der Erste Offizier taumelte auf Keen zu.»Wir konnen nun wieder Fahrt aufnehmen, Sir.»
        Keen warf dem Master in seiner durchna?ten Leinwandjacke einen Blick zu. Der alte Fallowfield sagte nichts, schien aber die Achseln zu zucken.

«Gut. Alle Mann an Deck. Und losen Sie die Ausguckposten oben ab. Wir brauchen heute scharfe Augen, wenn wir das Geschwader wieder auf Formation bringen wollen.»
        Paget hatte seine Sache gut gemacht, die Manner vom Einbruch der Nacht bis jetzt in Bewegung gehalten.

«Alle Mann! Aufentern zum Segelsetzen!»
        Die Rufe der Deckoffiziere und hier und da das Klatschen eines Tampens trieben die erschopften Manner zuruck an Brassen, Halsen und Schoten.
        Keen zupfte an seinem Halstuch, das wie der Rest seiner Kleidung durchna?t war. Doch Argonaute hatte besser als erwartet reagiert und war wirklich ein vorzuglicher Segler. Er war einigerma?en mit sich zufrieden, denn er hatte das Schiff und die Manner die ganze Zeit unter Kontrolle ge - habt. Das Deck erzitterte, als Vormarssegel und Kluver gesetzt wurden und Argonaute wieder aufs Ruder ansprach. Tuson hatte eine Menge zu tun, denn mehrere Matrosen waren verletzt worden. Schlimmer noch, ein Seemann war uber Bord gespult worden: ein schrecklicher Tod, wenn man mit ansehen mu?te, wie der Wind das eigene Schiff wegtrieb, wie die Freunde einen nicht vor dem Ertrinken retten konnten.

«Kurs Nordost zu Ost, Sir!»
        Der Himmel klarte bereits auf; nach der ungestumen Nacht mochte es vielleicht sogar einen schonen Tag geben. Seltsames Mittelmeer, dachte Keen.

«Ubernehmen Sie die Wache, Mr. Paget. «Er rieb sich die schmerzenden Augen.»Sowie in der Kombuse das Feuer brennt, schicken Sie die Mannschaft gruppenweise zum Fruhstuck. Und der Proviantmeister soll pro Kopf ein Glas Rum ausgeben. Die Leute haben's verdient.»
        Paget grinste.»Das wird ihre Lebensgeister wieder wek-ken, Sir!«Er wandte sich ab, offenbar erfreut, da? Keen ihm bei noch so grober See das Deck uberlie?. Der Flaggkapitan beschlo?, ihn in seinem Bericht lobend zu erwahnen; er brauchte zwar einen guten Ersten, aber die Flotte hatte auch Manner notig, die kommandieren konnten.
        Keen verschwand im Schatten unter dem Poopdeck und merkte erst jetzt, wie mude und angespannt er war. Aus der Dunkelheit tauchte ein roter Rock auf: Hauptmann Bouteil-ler von den Royal Marines.

«Guten Morgen, Major. «Keen bewunderte die Seesoldaten zwar, verstand sie aber nie ganz. Selbst ihr Titel» Major «fur den befehlshabenden Offizier kam ihm sonderbar vor.

«Ich wollte es Ihnen selbst sagen, Sir. «Bouteiller sprach abgehackt.»Die, ah, der Passagier verlangte Sie zu sprechen.»
        Keen nickte.»Aha. Wann war das?»
        Der Hauptmann dachte nach.»Vor zwei Stunden, Sir. Sie kamen mir aber zu beschaftigt vor.»
        In der Dunkelheit war Bouteillers Gesicht nicht zu erkennen, und der Mann hatte sich ohnehin nichts anmerken lassen. Was dachte er?

«Gut. Haben Sie vielen Dank.»
        Keen tastete sich zu der kleinen Tur und konnte fast horen, wie der Wachtposten gespannt den Atem anhielt.
        Eine Blendlaterne schaukelte an der Decke, und in ihrem Schein sah er das Madchen auf der Koje liegen. Ein Bein hing uber den Rand und schwang mit den Bewegungen des Schiffes, als sei es der einzige lebendige Teil ihres Korpers. Keen schlo? die Tur. Tuson wurde seinen Besuch bestimmt mi?billigen, dachte er.
        Sanft griff er nach ihrem Fu?knochel und schob das Bein wieder unter die Decke. Sie trug noch immer Hemd und Hose, und als ein Lichtstrahl ihr Gesicht streifte, fand Keen, da? sie unglaublich jung aussah.
        Da offnete sie die Augen weit, starrte ihn entsetzt an und raffte das Hemd am Hals zusammen.
        Keen ruhrte sich nicht. Ihre Angst schwand langsam.

«Tut mir leid«, sagte er.»Ich erfuhr erst jetzt, da? Sie nach mir fragten.»
        Sie setzte sich auf und schaute ihn an. Dann streckte sie die Hand aus und beruhrte seinen Rock und sein Hemd.

«Sie sind ja triefna?, Kapitan Keen«, flusterte sie.
        Selbst diese schlichte Geste fand er herzbewegend.

«Der Sturm hat sich verzogen«, sagte er. Er sah ihre Finger an, wollte sie ergreifen und an die Lippen pressen. Doch er fragte nur:»Hatten Sie Angst?»

«Es war nicht so schlimm wie gestern. «Ozzard hatte berichtet, er habe sie am Vortag mit den Handen uber den Ohren in einer Ecke kauernd vorgefunden, als ein Matrose wegen Ungehorsams ausgepeitscht wurde.

«Das Schiff ist so gro?, und trotzdem furchtete ich manchmal, es wurde auseinanderbrechen. «Sie spielte mit gesenktem Blick an seinem Revers.»Ich dachte, Sie machen sich meinetwegen vielleicht Sorgen, und wollte Ihnen nur sagen, da? ich mich wohlfuhle.»

«Das war lieb von Ihnen. «Einmal wahrend des Sturmes hatte Keen sich vorgestellt, sie stunde neben ihm mit fliegendem Haar und trotzte lachend dem Wetter.

«Ja, ich habe mir Sorgen gemacht. An das Leben auf See sind Sie nicht gewohnt. «Er stellte sich das Straflingsschiff bei Sturm vor und spurte, da? sie seine Gedanken erraten hatte.

«Ich kann immer noch nicht glauben, da? ich in Sicherheit bin. «Sie schaute auf, und ihre Augen wechselten im Schein der schwankenden Laterne von hell zu dunkel. Bin ich das wirklich?«Er ergriff ihre Hande und hielt sie fest. Sie wandte den Blick nicht von seinem Gesicht.»Bitte sagen Sie mir die Wahrheit.»

«Wie Sie wissen, hoffte ich, Sie in Gibraltar an Land zu setzen«, sagte Keen.»Aber nun hat es den Anschein, als musse das noch warten. Ich habe mit der Brigg, die von Sir Richards Neffen kommandiert wird, eine Nachricht nach London geschickt. Sobald der Brief meinen Anwalt erreicht, gehen Schreiben heraus. Vielleicht mussen Sie an Bord bleiben, bis mein Schiff Malta erreicht. Aber auch in Malta habe ich Freunde. «Er druckte ihre Hande.»Eines aber steht fest, Zenoria: Auf ein Straflingsschiff kommen Sie nie wieder. Dafur sorge ich.»
        Leise fragte sie:»Und das tun Sie alles nur meinetwegen, Sir? Sie kennen mich doch uberhaupt nicht. Als Sie mich zum erstenmal sahen, wurde ich nackt ausgepeitscht wie eine Hure. «Sie hob das Kinn.»Ich bin aber keine.»

«Das wei? ich«, erwiderte er.
        Sie schaute an ihm vorbei in den Schatten.»Wurden Sie sich auch so um mich kummern, wenn wir anderswo waren? In London vielleicht, wo Ihre Frau uns sehen konnte?»
        Keen schuttelte den Kopf.»Ich bin Junggeselle. Nur einmal…»
        Ermunternd druckte sie seine Finger.»Sie haben nur einmal geliebt?»
        Keen nickte.»Aye, aber sie starb. Es ist lange her. «Er sah auf.»Erklaren kann ich es nicht, doch mein Gefuhl fur Sie ist echt. Nennen Sie es Schicksal, den Willen Gottes, meinetwegen auch Gluck, aber es existiert wirklich, ist keine Einbildung. Manche mogen sagen, da? sich alles gegen uns verschworen hat. «Er druckte fester zu, als sie zu einer Entgegnung ansetzte.»Nein, es mu? heraus. Ich bin so viel alter als Sie, ein Offizier des Konigs und diesem Schiff verpflichtet, bis der verdammte Krieg gewonnen ist. «Er hob ihre Hand an die Lippen.»Lach mich nicht aus, sondern hor mir zu. Ich liebe dich, Zenoria.»
        Er machte Anstalten, sich zu erheben, aber sie schlang ihm die Arme um den Hals und flusterte:»Schau mich jetzt nicht an. «Ihre Lippen an seinem Ohr, fuhr sie fort:»Ich kann es nicht glauben. Vielleicht traume ich nur. Oder wir sind beide verhext.»
        Er loste sich sanft von ihr und schaute ihr ins Gesicht, sah die hellen Tranenspuren auf ihren Wangen. Sie immer noch fest mit den Armen umschlie?end, ku?te er sie auf beide Wangen, schmeckte das Salz und empfand die ganze Intensitat dieses kurzen, unmoglichen Glucks.

«Sag nichts. Versuch jetzt weiterzuschlafen. «Er trat zuruck, hielt nur noch ihre Hande fest.»Es ist kein Traum, und was ich gesagt habe, war mein voller Ernst.
«Ihm kam eine Idee.»Du kannst spater mit mir fruhstucken. Ich lasse dich von Ozzard abholen. «Er sprach hastig, damit sie nicht ablehnte.
        Als er sich von ihr losri?, blieben ihre Arme noch eine Weile in der Luft hangen, als hielte sie sich weiter an ihm fest. Drau?en vor der Tur standen jetzt zwei Wachtposten. Der Korporal, der zur Ablosung kam, zischte seinem Kameraden einen scharfen Befehl zu. Keen nickte freundlich und sagte:»Guten Morgen, Korporal Wenmouth. Den Sturm hatten wir uberstanden, was?»
        Er schritt nach achtern, ohne ihre verdutzten Gesichter zu bemerken. In der Achterkajute trat er an die Heckfenster und starrte ins aufgewuhlte Kielwasser. Ich liebe dich, Zenoria«, murmelte er.
        Dann erkannte er jah, da? Ozzard ihn von der anderen Tur her mit uber der Schurze gefalteten Pfotchen beobachtete.

«Fruhstuck, Sir?«fragte der Steward hoflich.
        Keen lachelte.»Vorerst noch nicht. Ich erwarte in einer Stunde, ah, Gesellschaft.»

«Sehr wohl, Sir. «Ozzard wandte sich zum Gehen.»Ich verstehe, Sir.»
        Das hatte Keen noch bis vor kurzem geargert, aber jetzt war es ihm gleichgultig.

«Alles zu Ihrer Zufriedenheit, Miss?«Ozzard stand am Tisch und griff nach einem Teller, der der Tischkante bedenklich nahe gekommen war. Zenoria drehte sich um und schaute zu ihm auf.

«Es war kostlich.»
        Keen betrachtete ihr Profil, als sie mit Ozzard sprach. Sie trug nun das Haar lose auf die Schultern fallend und sah wunderschon aus; das konnten selbst die Mannerkleider nicht verbergen.
        Sie merkte, da? er sie beobachtete.»Was ist?»
        Er lachelte.»Nichts, nur - ich konnte Sie den ganzen Tag ansehen und fande jede Minute etwas Neues zu bewundern.»
        Sie schaute auf ihren leeren Teller.»Nicht doch, Sir. «Doch sie war errotet und schien sich uber das Kompliment zu freuen.»Erzahlen Sie mir von Sir Richard«, sagte sie.»Kennen Sie ihn schon lange?»
        Keen lauschte dieser Frauenstimme, die in seiner Mannerwelt so fremd und kostbar klang.

«Ich habe mehrere Male unter ihm gedient und war bei ihm, als er fast am Fieber starb.»
        Sie studierte sein Gesicht, als wolle sie es sich einpragen.»Starb damals die Frau, die Sie liebten?»

«Ja.»
        Sie nickte Ozzard, der den Teller abraumte, zu.»Sie haben so viel erlebt«, seufzte sie.»Warum mussen Sie so leben?»
        Keen schaute sich in der Kajute um.»Ich kenne es nicht anders. Das ist mein Beruf.


«Und die Heimat vermissen Sie nie?«Ihr Blick war jetzt wieder verschleiert.

«Manchmal. Wenn ich an Land bin, vermisse ich mein Schiff. Und auf See sehne ich mich nach Feldern und grunen Baumen. Meine beiden Bruder haben Hofe in Hampshire. Hin und wieder beneide ich sie. «Er zogerte; daruber hatte er noch mit niemandem gesprochen.

«Keine Sorge«, meinte sie.»Ihre Worte sind bei mir gut aufgehoben.»
        Oben stampften Fu?e uber die nassen Planken. Am Skylight lachte ein Mann und wurde von einem anderen barsch zurechtgewiesen.

«Sie lieben dieses Schiff, nicht wahr?«sagte sie.»Ihre Manner folgen Ihnen, wohin Sie sie auch fuhren.»
        Er langte uber den Tisch, an dem er mit den anderen Kapitanen gesessen hatte. Geben Sie mir Ihre Hand.»
        Sie streckte sie aus; der Tisch war so breit, da? sie einander kaum beruhren konnten.

«Eines Tages gehen wir gemeinsam an Land«, sagte er.»Ich wei? noch nicht wann und wo, aber ich verspreche es Ihnen ganz fest.»
        Sie strich sich eine Haarstrahne aus den Augen und lachte, aber ihr Blick war traurig.»In meinem Aufzug? Ich bin eine schone Begleiterin fur einen Offizier des Konigs.»

«Ich war kurzlich an Bord eines Frachtschiffes aus Genua«, bemerkte Keen,»und habe Ihnen ein Kleid gekauft. Ozzard wird es Ihnen nachher bringen. «Er kam sich wie ein Tolpatsch vor.»Mag sein, da? es Ihnen nicht pa?t oder gefallt…»

«Sie sind ein herzensguter Mann«, sagte sie leise.»An so etwas zu denken, obwohl Sie alle Hande voll zu tun haben. Es wird mir bestimmt gefallen.»

«Ich habe namlich zwei Schwestern, mussen Sie wissen«, schlo? Keen lahm und schwieg. Ein Ruf des Wachtpostens vor der Tur hatte ihn aus dem Konzept gebracht.

«Der Schiffsarzt, Sir!»
        Keen gab Zenorias Hand frei.»Herein!»
        Tuson trat ein und musterte sie ausdruckslos. Seine Hande waren rot, als hatte er sie geschrubbt.

«Fruhstuck?«Keen wies auf einen Stuhl.
        Der Arzt lachelte schief.»Nein, danke, Sir. Aber einen starken Kaffee konnte ich schon brauchen. «Er schaute das Madchen an.»Wie geht es Ihnen heute?»
        Sie senkte den Blick.»Gut, Sir.»
        Tuson nahm von Ozzard einen Becher Kaffee entgegen.»Das kann man von Ihrer Zofe Millie nicht behaupten. Ich glaube, sie wurde sich eher dem Fieber in Gibraltar aussetzen, als jemals wieder eine solche Sturmnacht mitzumachen.»
        Keen schaute zum Skylight auf, als ein Ruf des Ausguckpostens erklang.

«Hort sich an, als ware ein Schiff gesichtet worden«, meinte Tuson.»Freund oder Feind?»
        Keen mu?te sich beherrschen, um nicht aufzustehen und das Skylight zu offnen. Man wurde zu ihm kommen, wenn er gebraucht wurde. Auch das hatte er von Bolitho gelernt.

«Unsere beiden anderen Schiffe wurden schon vor einer Stunde gemeldet«, erwiderte er.»Es konnte ein Feind sein.»
        Tuson spitzte die Ohren, zahmte aber seine Neugier.

«Der Erste Offizier, Sir!«rief der Posten.
        Paget trat mit durchna?tem Rock ein.»Der Ausguck hat im Sudwesten Segel gesichtet.
«Er war bemuht, das Madchen am Tisch nicht anzusehen, was aber sein Interesse noch offenkundiger machte.

«Im Sudwesten?«fragte Keen. Ohne erst auf die Seekarte zu schauen, konnte er sich die Positionen der anderen Schiffe vorstellen. Icarus lief fast drei Meilen querab, und Rapid, kaum mehr als ein Schatten am truben Horizont, war ihnen weit voraus.

«Ich bin selbst aufgeentert, Sir«, fugte Paget hinzu.»Es ist ein Franzose, ganz sicher.»
        Keen musterte ihn gespannt. Mit jedem Tag lernte er mehr uber seinen Ersten.
        Paget wartete und lie? dann geschickt den Knalleffekt folgen:»Er ist getakelt wie wir, Sir. Zweifellos ein Linienschiff.»
        Keen war aufgesprungen und merkte nicht, da? die anderen ihn beobachteten, Paget voll Stolz uber seine Entdek-kung, Tuson mit Neugier. Nur der Blick des Madchens verriet Zartlichkeit und Sorge.

«Er wird wissen wollen, was wir vorhaben. «Keen blieb an den Heckfenstern stehen und stellte sich das andere Schiff vor.»Er folgt uns, meldet unseren Kurs vielleicht weiter.»

«Er hat aber noch keine Signale gesetzt, Sir«, sagte Paget hartnackig.»Ich habe Mr. Chaytor mit einem Fernrohr aufentern lassen. Er wurde es mir sofort melden.»
        Keen trat zogernd an die Seekarte und wunschte sich auf einmal, Bolitho ware anwesend. Die Franzosen setzten eines ihrer schweren Schiffe zur Aufklarung ein, obwohl sie den Meldungen zufolge uber Fregatten verfugten. Argonaute konnte wenden und seine Verfolgung aufnehmen. Aber das war moglicherweise ein hoffnungsloses Unterfangen.

«Signal an Icarus: auf Station bleiben«, befahl er. Vor seinem inneren Auge sah er nicht das Schiff, sondern das sauerliche Gesicht seines Kommandanten.»Dann signalisieren Sie Rapid, zum Flaggschiff aufzuschlie?en.»
        Paget zogerte an der Tur.»Werden wir ihn jagen, Sir? Wenn der Wind ein wenig nachla?t, schnappen wir ihn vielleicht. Unser Schiff segelt alle in Grund und Boden!»
        Keen lachelte grimmig. Bei Pagets Begeisterung wurde ihm warm ums Herz. Ubermitteln Sie die Signale, rufen Sie dann alle Mann an Deck und lassen Sie Bramsegel und Royals setzen.»
        Paget warf einen Blick auf das lebhaft schaumende Kielwasser, das durchs salzverkrustete Glas verschwommen und unwirklich aussah. Fur mehr Segel war es eigentlich noch zu sturmisch. Doch seinen Kommandanten schienen keine Zweifel zu plagen. Die Tur schlo? sich hinter dem Ersten, und Augenblicke spater verkundeten schrille Pfiffe und stampfende Fu?e, da? das Schiff sich rustete.

«Der Franzose wird fliehen, Sir?«fragte Tuson.
        Keens Gedanken kehrten wieder in die Kajute zuruck.»Bestimmt. «Er lachelte.»Aber ich bin ein schlechter Gastgeber. Weswegen sind Sie gekommen?»
        Tuson stand auf und ging mit wiegenden Schritten ubers schrage Deck.»Ich wollte Ihnen uber die Ausfalle der vergangenen Nacht berichten, Sir. Zehn Verletzte insgesamt, meist Knochenbruche. Es hatte viel schlimmer kommen konnen.»

«Nur fur den armen Teufel nicht, der uber Bord ging. Aber haben Sie vielen Dank. Sie wissen, wie sehr ich Ihre Hilfe zu schatzen wei?.»
        Tuson ging zur Tur. In seinem schwarzen Rock und dem wei?en Haar, das ihm ordentlich gekammt uber den Kragen hing, sah er eher wie ein Geistlicher aus. Im Gegensatz zu vielen anderen Schiffsarzten betrank er sich nie. Keen hatte seinen Abscheu gesehen, wenn die Glaser gefullt wurden. Tuson mu?te in der Vergangenheit ein entsetzliches Erlebnis gehabt haben.
        Als die Tur sich geschlossen hatte, sagte er leise:»Ein guter Mann.»
        Sie schauten einander uber den Tisch hinweg an.
        Zenoria sprach zuerst.»Ich gehe jetzt. «Sie stand auf und schaute auf ihre blo?en Fu?e nieder, die auf dem karierten Bodenbelag sehr klein wirkten.»Was soll blo? aus uns werden?»
        Er wartete, bis sie ihn erreicht hatte, und sagte dann:»Ich werde Sie lehren, mich zu lieben.»
        Wieder ein Ruf des Ausguckpostens. Das mu?te Chaytor sein, der Zweite Offizier.

«Er setzt mehr Segel, Sir!«Das franzosische Schiff wollte also die Distanz halten.
        Zenoria legte ihm eine Hand an die Wange. Als er Anstalten machte, sie zu ergreifen, zog sie sie rasch zuruck. Aber ihr Blick lie? ihn nicht los, und was sie sah, schien sie zu ermutigen. Zufrieden mit dem, was sie entdeckt hatte, fragte sie:»Kann Ozzard mich begleiten?»
        Keen nickte. Sein Mund war trocken.»Vergi? mich nicht.»
        An der Tur wandte sie sich noch einmal um und schaute ihn an.»Das konnte ich niemals.»
        Ozzard offnete die Tur, und sie war verschwunden.
        Keen ging in der Kajute umher und beruhrte Gegenstande, ohne sie zu sehen. Dann blieb er vor dem neuen Sessel stehen und lachelte. Was hatte Bolitho an seiner Stelle getan?
        Schlie?lich begab er sich an Deck und sah Paget und den wachhabenden Offizier besorgt den Stand der Segel prufen. Die machtige Gro?rah krummte sich unter dem Winddruck wie ein riesiger Bogen. Der Master warf ihm einen warnenden Blick zu.
        Ein Midshipman rief: «Rapid hat bestatigt, Sir!«Da gewahrte er Keen und schwieg verwirrt.
        Keen verschrankte die Hande unterm Rockscho?, ihn fror plotzlich.

«Der Franzmann setzt mehr Segel, Sir!«rief Leutnant Chaytor von oben.
        Keen schaute Paget an.»Segel kurzen. Untersegel auf-geien. «Er sah Erleichterung in ihren Gesichtern.
        Icarus folgte dem Beispiel des Flaggschiffs.
        Die Minuten gingen zah dahin. Vielleicht hatte er sich geirrt. Wenn der franzosische Kommandant nun rangehen und kampfen wollte? Es stand zwei zu eins dagegen, aber ausgeschlossen war es nicht. Erleichtert atmete er aus, als es aus dem Ausguck rief:»Er kurzt ebenfalls Segel, Sir.»
        Keen ging zum Fu? des Gro?mastes und beruhrte die Piken, die dort in einem runden Stander warteten. Dieser Franzose will, da? ich ihn verfolge, dachte er. Er lockt mich. Warum? Die Erkenntnis war ein Schock.

«Sobald Rapid nahe genug ist, signalisieren Sie: >alle Segel setzen und Supreme suchen<. Quarrell wird den nachsten Ankerplatz auf seiner Karte verzeichnet haben.

        Paget beobachtete ihn reserviert, denn er wu?te, wie scharf Keen war, wie seine Stimmung umschlagen konnte.

«Unser Admiral mu? wissen, da? wir beschattet, aber nicht verfolgt werden. Und fur eine schriftliche Meldung ist nicht genug Zeit. «Wieder frostelte er. Der franzosische Kommandant hatte ihn zu einer Verfolgungsjagd verleiten wollen, die ihren Verband noch weiter aufgesplittert hatte. »Rapid soll sich beeilen. Sobald Quarrell bestatigt hat, setzen wir alle Arbeitssegel. «Er warf einen Blick auf die Masten und fugte hinzu:»Und wenn es uns die Spieren runterrei?t.»
        Spater, in der Achterkajute, horte er Paget durchs Sprachrohr seine Befehle wiederholen.
        Rapid wurde ihrem Namen Ehre machen. Trotzdem war er plotzlich besorgt, und als er zu Bolithos Sessel hinuber schaute, fragte er sich, ob er fur immer leer bleiben wurde.
        Bolitho sa? auf einer niedrigen Koje in der winzigen Achterkajute der Supreme. Unter Deck war es noch erstickend hei?, aber er wu?te, da? es drau?en Abend sein mu?te.
        Jemand zwangte sich durch die Tur und sagte:»Es wird dunkel, Sir. «Bolithos Hande verkrampften sich. Es war Hallowes, der bedruckt und entmutigt schien und offenbar gar nicht merkte, was er da gesagt hatte.
        Bolitho beruhrte den feuchten Augenverband. Vielleicht mu?te er jetzt immer im Dunkeln leben? Wieso eigentlich diese plotzliche Angst? Mit so etwas hatte er doch rechnen mussen. Bei Gott, er hatte viele gute Manner fallen sehen.

«Berichten Sie!«befahl er, um sein Selbstmitleid zu unterdrucken.
        Wahrend des Nachmittags hatte Hallowes versucht, eines der treibenden Boote zu bergen. Ein Matrose hatte sich erboten, zu ihm hin zu schwimmen. Der Mann hatte gerade zwanzig Meter zuruckgelegt, als ihn eine einzelne Musketenkugel von Land her traf. Er warf die Arme hoch und versank in einem rosa Wirbel.
        Der franzosische Landungstrupp mu?te also noch an Ort und Stelle sein, den Kutter beobachten und daraufwarten, da? er von seinem eigenen Schiff abgeholt wurde.

«Ich habe alle Kanonen mit Kartatschen und Schrapnell laden lassen«, erklarte Hallowes gepre?t.»Wenn diese Teufel in unsere Nahe kommen, erwartet sie ein Eisenhagel.»
        Bolitho entlie? Hallowes und sank zuruck an die gewolbte Bordwand. Das Schreien und Stohnen drau?en war so gut wie verstummt. Sieben Mann waren bei dem kurzen Angriff ums Leben gekommen. Einer, der kleine Duncannon, war in Bolithos Scho? gestorben.

«Wo ist mein Flaggleutnant?«sagte Bolitho.»Ich mochte an Deck.»

«Hier, Sir. «Er hatte Stayts Anwesenheit nicht bemerkt, und diese Hilflosigkeit versetzte ihn jah in Zorn. Die Manner hatten sich alle auf ihn verlassen; nun verloren sie so rasch den Mut, da? ihnen am Ende der Kampfgeist fehlen wurde, ganz gleich, was der Kommandant tat.

«Hallowes soll weitere Schwimmer ausschicken«, befahl er.»Mit den Booten konnten wir Supreme dichter an den Landvorsprung verholen. Dort ist der Grund felsig, das halt uns diese verdammte Fregatte vom Leib.»

«Aye, Sir. Ich werde mich sofort darum kummern.»
        Bolitho erhob sich vorsichtig, um nicht mit dem Kopf an die Decksbalken zu sto?en. Bei jeder Bewegung kehrte der Schmerz in seinen Augen zuruck und brannte wie Feuer.
        Er nahm Stayts Arm und spurte dabei dessen Pistole.
        Die Fregatte wollte offenbar bis zum Einbruch der Nacht abwarten. Es bestand auch kein Grund zur Eile, solange die Franzosen nicht wu?ten, da? ein englischer Admiral praktisch in ihren Handen war. Bolitho verzog schmerzlich das Gesicht. Ein nutzloser, hilfloser Admiral.
        An Deck war es schwul, obwohl eine stetige Brise kleine Wellen wie Katzenpfoten gegen den Rumpf tappen lie?.
        Stayt flusterte:»Er hat alle angewiesen, hinterm Schanzkleid in Deckung zu bleiben. Sie scheinen bewaffnet zu sein.»

«Gut. «Bolitho bewegte suchend den Kopf. Er konnte das Land riechen, es sich vorstellen. Was fur ein gottverlassener Platz zum Sterben, dachte er, fur den jungen Midshipman, den Ausguckposten auf dem Hugel und die anderen, die er nicht einmal gekannt hatte.»Wo ist mein Bootsfuhrer?»
        Bankart stand direkt hinter ihm.»Zur Stelle, Sir.»
        Wenn doch nur Allday hier gewesen ware! Bolitho hob die Hande zu den verbundenen Augen. Nein, Allday hatte ge - nug geleistet und gelitten.
        Hallowes sagte gedampft:»Die Schwimmer sind bereit, Sir.»
        Sheaffes Stimme klang sehr nahe.»Ich bin dabei, Sir. Schwimmen habe ich schon als Kind gelernt.»
        Bolitho streckte die Hand aus.»Passen Sie auf: Wenn Sie ein Boot erreichen, ganz gleich ob allein oder mit Ihren Kameraden, bleiben Sie dort. Werfen Sie den Draggen aus, es ist seicht genug. Wer schwimmt mit Ihnen?»
        Der Matrose hie? Moore und stammte der Aussprache nach aus Kent. Wie Thomas Herrick, dachte Bolitho verzweifelt.

«Bleiben Sie jedenfalls zusammen.»
        Bolitho hatte sich am liebsten den Verband vom Gesicht gerissen. Es war ein Alptraum. Er unterdruckte ein Aufstohnen, als der Schmerz erneut durch seine Augen zuckte.

«Was konnen Sie sehen?«Er trat zum Schanzkleid und schurfte sich dabei an einer Geschutzlafette das Knie auf.
        Stayt beruhrte ihn an der linken Schulter.»In dieser Richtung liegt der Landvorsprung, Sir. Wenn Sie sich langsam nach rechts wenden, erhebt sich dort das Kliff, hinter dem die Fregatte hervorkam.»

«Ja, ja. «Bolitho klammerte sich an einen Belegnagel. Er sah es vor sich, erinnerte sich noch daran.»Die Franzosen werden hinter dem Landvorsprung auftauchen. «Er beruhrte Sheaffes blo?en Rucken. Die Haut fuhlte sich eisig an, leichenhaft.»Dann mal los. Und pa?t gut auf, ihr zwei. «Als sie sich entfernten, fugte er hinzu:»Spielt nicht die Helden. Ruft laut, wenn ihr andere Boote seht.
«Er horte sie uber Bord springen und rechnete halb mit einem Schu?.

«Ist es sehr dunkel?«Er fuhlte sich so hilflos wie ein kleines Kind in der Nacht.

«Aye, Sir. Der Mond ist noch nicht aufgegangen.»

«Sobald sie das erste Boot erreichen«, fast hatte er falls gesagt,»halten Sie sich bereit. Wir konnen zwar nichts ausmachen, aber wenn Sheaffe Boote kommen sieht, eroffnen wir das Feuer.»

«Einfach blind schie?en, Sir?«Das war wieder Hallowes. Er stammelte:»Oh, Verzeihung, Sir, wie taktlos von mir.»
        Bolitho streckte die Hand aus und beruhrte seinen Rock.»Schon gut. Genau das habe ich vor.»
        Stayt sagte leise:»Die Franzosen werden sich zwischen uns und den Strand setzen wollen. Wenn sie erst einmal langsseits sind, konnten sie uns uberwaltigen.»

«Das wurde ich jedenfalls machen. «Bolitho packte seinen Degen, lie? ihn aber entmutigt wieder in die Scheide gleiten. Die Waffe schien seine Hilflosigkeit nur noch zu betonen. Wie sollte er das Belinda beibringen? Der Gedanke, wieder Kriegsgefangener zu sein, war ihm unertraglich. Dann schon lieber sterben.

«Und wenn sie uns entern?«fragte Hallowes.

«Dann setzen Sie das Schiff in Brand«, erwiderte Bolitho ruhig. Er spurte, da? seine Worte den jungen Leutnant hart trafen.»Es gibt keine einfache Losung, Leutnant. Der Feind darf Supreme nicht als Prise in die Hand bekommen. «Er zog ihn naher heran, damit die anderen ihn nicht horen konnten.»Streichen Sie wenn notig die Flagge, um die Mannschaft zu retten. Aber versenken Sie das Schiff. «Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.
        Als Hallowes endlich antwortete, klang seine Stimme fest und entschlossen.»Ich werde Sie nicht im Stich lassen, Sir.»
        Bolitho wandte sich ab, um seine Qual zu verbergen.»Das wu?te ich, als ich Sie fur dieses Kommando empfahl.»
        Ach, Belinda, was habe ich fur Dummheiten gesagt und geschrieben. Jetzt ist es zu spat.
        Er dachte an Keen und wu?te, da? er das Geschwader kompetent fuhren wurde. Eines Tages wurde auch er eine Admiralsflagge setzen konnen.

«Ich hab' was gehort«, murmelte ein Mann.»Ein Poltern von Riemen.»

«Die beiden haben ein Boot«, sagte Hallowes.
        Der Ruf scholl ubers Wasser und schien wie ein Echo uber dem sanft bewegten Deck zu hangen.

«Sheaffe hat sie gesehen!»
        Ein Schu? fiel.

«Prachtig, dieser Narr hat ihre Position verraten, Sir. «Stayt schien so aufgeregt und mordlustig, wie Keen ihn auf dem Straflingsschiff erlebt hatte.»Sie kommen naher. «Stayt mu?te sich geduckt haben, um in Hohe der Schanzkleidkante die dunklen Schatten auf dem Wasser auszumachen.»Mindestens drei Boote, Sir.»
        Gemurmel an Deck, und Okes knurrte:»Ruhe!»
        Bolitho horte das metallische Klicken einer Drehbasse, die gesenkt wurde, und hier und dort das Quietschen einer Handspake, als ein Vierpfunder gerichtet wurde. Jede Mundung wies blind in die Finsternis.

«Bankart, komm zu mir«, sagte Bolitho. Er spurte den jungen Seemann neben sich wie sonst Allday.»Du sollst mir die Augen ersetzen. «An Stayt gewandt, fugte er hinzu: Ubernehmen Sie den Befehl auf dem Vorschiff. Kappen Sie die Ankertrosse, wenn es sein mu?. «Er horte, wie Stayt sich entfernte, und kam sich ohne ihn plotzlich verlassen vor.
        Er dachte an das Madchen, das Keen aufs Flaggschiff gebracht hatte, an seinen Blick, wenn er ihren Namen erwahnte. Wenn Argonaute ins Gefecht segelte, mochte sie noch immer an Bord sein.
        Wieder der sengende Schmerz in seinen Augen, als ihn die Erinnerung uberkam. Ins Gefecht segeln. Auch Cheney war damals an Bord seines Schiffes gewesen, als der Donner der Breitseiten die Decks erzittern lie?. Cheney.

«Achtung, Jungs!«Hallowes zog seinen Degen.»Ziel auffassen!»
        Bolitho beugte sich vor; er hatte Riemenschlag gehort.

«Feuer!»
        Die Nacht explodierte.



        VII Streichen oder sterben?

        Das Knallen von Supremes Vierpfundern war ohrenbetaubend. Da sie von Land umgeben waren, hallte es von allen Seiten wider, als lieferten sich zwei Schiffe ein Gefecht.
        Bolitho packte Bankarts Arm.»Los, rede!»
        Bankart berichtete, da? die Kartatschengeschosse wie stahlerne Dreschflegel in das erste franzosische Boot gefahren waren. Er konnte gerade noch aufsteigende wei?e Gischt ausmachen und den jahen Lichtblitz einer explodierenden Laterne, ehe die Nacht alles wieder verhullte.

«Nur ruhig Blut, Jungs!«schrie Hallowes.»Auswischen und nachladen!»
        Bolitho neigte den Kopf und horte jemanden schreien, andere brullend im Wasser um sich schlagen. Sie mu?ten mit ihrer Breitseite eines der Boote vollig vernichtet haben. Eine einsame Stimme brullte Befehle.

«Die Boote verteilen sich, Sir«, flusterte Bankart.

«Schade, da? sie nicht versuchen, ihre Kameraden zu retten«, grollte Okes.»Mit der nachsten Breitseite hatten wir sie dann erwischt.»

«Batterie klar zum Feuern, Sir!»

«Feuer!«Geschutz nach Geschutz brullte auf, und die Manner husteten und wurgten, als der Pulverdampf binnenbords geweht wurde. Bolitho griff nach seinem Verband. Durch ihn hindurch hatte er Licht gesehen. Nicht viel, eher wie Blitze hinter einem Vorhang. Aber immerhin etwas.
        Musketenkugeln pfiffen uber sie hinweg, einige trafen den Rumpf. Den vom Mundungsfeuer geblendeten Offizieren fiel es nun schwerer, die feindlichen Boote auszumachen.

«Was siehst du?«fragte Bolitho.
        Bankart berichtete:»Eines lauft an Steuerbord direkt auf uns zu, Sir.»
        Bolitho umklammerte seinen Degen so fest, da? der Schmerz ihn beruhigte. Er horte, wie um ihn herum Manner flusterten, Entermesser zischend gezogen wurden, wie man Piken an die Geschutzbedienungen ausgab.

«Ziel auffassen!»
        Wieder und wieder zerfetzten die Vierpfunder die Nacht, und ihre Geschosse peitschten das Wasser. Doch keines fand ein Ziel.

«Ich habe im Mundungsfeuer ein franzosisches Boot ganz nahe gesehen, Sir!«sagte Bankart aufgeregt.
        Bolitho wandte den Kopf. Wo waren die anderen?

«Enterer abwehren!«Hallowes brullte wie damals, als er mit Adam die Argonaute geentert hatte.»Drauf, Manner!»
        Bolitho horte das dumpfe Poltern der Draggen, Schreie, die scheinbar zu seinen Fu?en aufstiegen, das Klirren von Stahl und mehrere Schusse. Ob von Freund oder Feind, konnte er nicht sagen.
        Ein Mann prallte gegen ihn. Bankart zerrte Bolitho beiseite.»Zuruck, Sir! Den hat's erwischt!»

«Nach Backbord, Jungs!«brullte jemand.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen, als um ihn herum weitere Kugeln einschlugen. Wie erwartet, horte er ein Boot krachend gegen das Heck prallen. Die Schreie und Fluche der Enterer und Verteidiger steigerten sich noch, als sie mit Klingen, Axten und Piken in den Nahkampf gingen; zum Nachladen war keine Zeit geblieben. Bolitho wurde erneut beiseitegesto?en, zwei Gestalten kampften miteinander, wahrend er sich ans Schanzkleid pre?te. Er erwartete nun jeden Augenblick den Hieb oder Stich einer Klinge. Ein Mann schrie fast vor seinem Gesicht; er konnte sein Entsetzen, seinen Schmerz spuren, ehe ein gra?lich dumpfer Schlag ihn zum Schweigen brachte. Wie oft hatte Allday ihn so beschutzt, einem Angreifer mit dem Entermesser den Schadel gespalten.

«Danke, Bankart«, sagte er.
        Stayt keuchte:»Ich bin's, Sir. Sah aus, als waren Sie umzingelt. «In Hufthohe knallte eine Pistole, und Stayt sagte grimmig:»Da, du Dreckskerl!»

«Sie weichen zuruck!»
        Jemand stie? ein heiseres Hurra aus, und Bolitho horte Manner polternd in ein Boot fallen und andere in dem Versuch, den wutenden Englandern zu entkommen, ins Wasser springen.

«Weg da, Trottel!«brullte Okes.»La? mich an die Drehbasse!»
        Bolitho horte Riemen schlagen und wu?te, da? er nun direkt auf eines der franzosischen Boote hinabschauen konnte - wenn er Augen zum Sehen gehabt hatte.
        Stayt zog ihn am Arm zuruck.»Vorsicht!»
        Die Drehbasse ging mit einem gewaltigen Knall los. Einen Sekundenbruchteil zuvor hatte Bolitho geglaubt, einen flehenden Schrei gehort zu haben, als ein Franzose erkannte, was Okes vorhatte.

«Da unten kann keine Seele mehr am Leben sein«, sagte Stayt leise. Bolitho, dem die Explosion noch in den Ohren klang, verstand ihn kaum.
        Eine Pfeife schrillte, und er horte Hallowes rufen:»Feuer einstellen!«Dann, mit fast brechender Stimme:»Gut gemacht, Jungs!»

«Wir haben ein paar Manner verloren«, berichtete Stayt.»Aber nicht zu viele.»

«Ruhe an Deck!»
        Die jahe Stille war fast noch schlimmer. Bolitho horte Verwundete stohnen und schluchzen. Wie sollte ihnen ohne Schiffsarzt geholfen werden?
        In der Ferne klatschten Ruder ins Wasser - es war also noch ein weiteres Boot dagewesen, vielleicht sogar mehrere. Ohne Sheaffes Warnung hatten die Franzosen den Kutter uberrannt.
        Supremes Leute brachen immer wieder in Hochrufe aus. Bolitho spurte, wie der Schmerz zuruckkehrte, und hatte gern den Kopf in den Handen vergraben. Aber er ahnte, da? Stayt ihn beobachtete.

«Holen Sie bitte Leutnant Hallowes. «Er unterdruckte ein schmerzliches Aufstohnen. Wo ist Bankart?»

«Irgendwo«, erwiderte Stayt beilaufig. Mehr sagte er nicht.
        Hallowes trat vor Bolitho hin.»Hier bin ich, Sir.»
        Bolitho tastete nach seiner Schulter.»Das war tapfer.»

«Ohne meine Manner…«sagte Hallowes heiser.
        Bolitho schuttelte ihn sanft.»Die Manner waren tapfer, weil sie Achtung vor Ihnen haben. Sie haben sie gefuhrt, die Mannschaft folgte nur, wie sie es gelernt hat.»
        Hallowes schwieg, und Bolitho wu?te warum. Er lernte den Stolz und die Pein eines Befehlshabers kennen.

«Die Franzosen kommen bestimmt zuruck«, sagte Hallowes.

«Heute nacht nicht mehr. Dank Sheaffe waren ihre Verluste zu hoch.»
        Hallowes' Stimme klang, als grinse er.»Mit Verlaub, Sir, es war Ihre Idee.»
        Bolitho schuttelte ihn an der Schulter, schien Korperkontakt zu brauchen. Ohne ihn fuhlte er sich vollig abgeschnitten.»Rufen Sie ihn langsseits. Kann sein, da? wir dieses Boot brauchen.»
        Stayt kehrte zuruck und half Bolitho, sich sitzend gegen einen Niedergang zu lehnen. Alles redete durcheinander, Freunde suchten einander, andere sa?en schweigend da und dachten an einen Kameraden, der gefallen oder schwer verwundet war.
        Bolitho wu?te, da? sie der Fregatte am nachsten Tag nicht wurden standhalten konnen. Nachdem sie so blutig zuruckgeschlagen worden waren, wurden die Franzosen nun auf Rache aus sein und kein Pardon geben. Er spurte die anderen Offiziere in seiner Nahe. Was wurde Hallowes tun?

«Was raten Sie, Sir?«fragte er.
        Bolitho hielt sich die Hand vor die Augen, ha?te den Anblick, den er bieten mu?te.

«Wir mussen einen Ausbruchversuch wagen.»
        Hallowes schien erleichtert.»Das wollte ich selbst vorschlagen, Sir.»
        Seltsamerweise hatte Bolitho wahrend dieses kurzen, heftigen Gefechts, bei dem er noch nicht einmal Zuschauer gewesen war, vollig die Orientierung verloren. Der Landvorsprung, das Kliff am anderen Ende der Bucht, die Felsenriffe - wo lagen sie?

«Mr. Okes…»
        Okes rulpste, und Bolitho roch Rum. Der Mann hatte sich einen wohlverdienten Schluck genehmigt, wie Allday es nennen wurde. Der Gedanke erinnerte ihn an Bankart. Wo war er geblieben? Inzwischen befand er sich wieder in der Nahe; er hatte seine Stimme mehrere Male gehort. Hatte er sich aus Feigheit verkrochen? Im Gefecht hatte jeder Angst. Er dachte an Allday und versuchte den Vorfall wie etwas Schmutziges zu verdrangen.
        Okes schwatzte weiter.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, lasse ich jetzt das zweite Boot holen. Wir konnten Supreme klarwarpen. Der Wind hat etwas ruckgedreht, wenn auch nur wenig, aber unser Prachtstuck braucht ja nicht viel.»

«Danke, Mr. Okes«, sagte Hallowes.»Bitte kummern Sie sich darum.»
        Okes ging davon, und Bolitho konnte sich seine dicken Beine in den wei?en Strumpfen vorstellen.»Dieser Mann ist Gold wert«, bemerkte er.

«Die anderen sind fort, Sir«, sagte Stayt.
        Bolitho lehnte sich zuruck und versuchte den Schmerz zu ignorieren, an etwas zu denken, das ihn ablenkte. Aber es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Schmerz wurde eher schlimmer, und Stayt merkte das. Er fragte leise:»Sollen wir mit den Franzosen verhandeln, Sir? Vielleicht kann ihr Schiffsarzt Ihnen helfen.»
        Bolitho schuttelte heftig den Kopf.

«Ich mu?te das erwahnen, Sir. «Stayt stand auf und lehnte sich ans Schanzkleid. Vergeben Sie mir.»
        Er dachte an Bolithos fanatische Entschlossenheit. Wenn der Mann nur schlafen und seinen Schmerzen entgehen konnte!

«Die beiden Boote kommen, Sir!«rief jemand. Bolitho ruhrte sich und verlangte nach Stayts Hand.»Helfen Sie mir auf!»
        Stayt seufzte. Vielleicht hielt Bolitho mit dieser Kraft nicht nur sich, sondern auch die ganze Mannschaft zusammen.
        Es war etwas Unwirkliches an der Art, wie die erschopfte Mannschaft der Supreme sich anschickte, den Anker zu lichten. Bolitho blieb am Niedergang und versuchte, sich das Deck des Kutters vorzustellen. Unterhalb des langen Bugspriets lagen die beiden Schleppboote bereits in Position, bemannt mit den starksten Seeleuten. Die Lotgasten flusterten auf dem Vorschiff miteinander, und hinter sich horte Bo-litho Okes die Ruderganger vergattern, wahrend Hallowes' Aufmerksamkeit den Segeln galt. Jemand fluchte, weil eine franzosische Kanonenkugel ein Loch ins Bramsegel gerissen hatte, durch das zwei Leute gepa?t hatten.
        Er versuchte ruhig zu bleiben, als Manner sich an ihm vorbeidrangten, als existiere er nicht.
        Ein Decksoffizier rief gedampft:»Anker ist kurzstag, Sir!«Bolitho frostelte, als eine warme Brise die losen Taljen klappern und das Deck krangen lie?. Laut Hallowes lag der nachste Strand nur eine Kabellange entfernt. Die Franzosen mu?ten dort Manner zuruckgelassen haben und wurden bald erraten, was Hallowes versuchte.
        Okes sagte:»Klar bei Halsen und Schoten!«»Hol dicht - fier weg!«rief Hallowes. Noch zwei Manner an die Backbordbrassen!«»Anker ist frei, Sir.»
        Bolitho drehte den Kopf und versuchte, jedem neuen Gerausch ein Bild zuzuordnen. Der Anker wurde aufgeholt und gesichert, das Deck von losen oder gerissenen Leinen klariert. Fast die gesamte Besatzung war nun entweder in den Booten beschaftigt oder hielt sich bereit zu Segelmanovern. Wenn es zum Kampf kam, konnten sie von Gluck sagen, wenn auch nur eine einzige Kanone rechtzeitig feuerte.
        Okes zischte:»Abfallen, Junge!«Das Steuer knarrte, und Bolitho horte das ungeduldige Killen eines Segels, an dem der Wind zupfte.
        Ein Mann schrie schrill und eindringlich auf, doch seine Stimme klang erstickt, weit entfernt, und Bolitho begriff, da? es sich um einen der Schwerverwundeten unter Deck handelte. Der Schrei wurde hoher, dunner, und Bolitho horte einen Matrosen, der in seiner Nahe arbeitete, einen furchterlichen Fluch aussto?en, in dem er den Unbekannten drangte, doch endlich zu sterben und Ruhe zu geben. Der Schrei verstummte, als hatte der Verwundete die Verwunschung gehort. Zumindest fur ihn war alles vorbei.

«Recht so!«Okes hob die Stimme, als der Kutter Fahrt aufnahm; die Riemen der beiden schleppenden Boote peitschten das Wasser wie Flugel. Nun mu?ten sich die Schlepptrossen aus dem Wasser heben und steifkommen. Sie hatten wieder Ruder im Schiff, und Okes' Stimme klang atemlos und zuversichtlich:»Gut gemacht, Jungs.»

«Wir mussen die erstbeste Durchfahrt nehmen, Sir. «Hallowes war neben ihn getreten.
        Bolitho hatte ihn nicht kommen gehort.

«Ich habe Manner am Anker postiert, die ihn sofort werfen, wenn es Arger gibt«, fuhr Hallowes fort und lachte in sich hinein.»Noch mehr Arger.»

«Wie lange kann das dauern?«fragte Stayt.

«Bis wir frei sind«, versetzte Hallowes. Bolitho stellte sich vor, wie er unablassig in die Runde schaute, wahrend sein Schiff qualvoll langsam vorankam. Die Pumpen knarrten. Bolitho vermutete, da? Supreme stark leckte.

«Funf Faden!«rief der Lotgast.
        Bolitho dachte an die Zeit, als er mit zwolf Jahren zum ersten Mal auf ein Schiff gekommen war. Wie der kleine Duncannon, dachte er, zu jung zum Sterben. Er konnte sich noch entsinnen, wie die Lotgasten im Nebel vor Land's End die Tiefe ausgesungen hatten. Die Marsstengen und nassen Segel des gro?en Linienschiffes Manxman waren von Deck aus schon nicht mehr zu erkennen gewesen.»Sechs Faden!»
        Der Kutter hatte mehr als genug Wasser unterm Kiel, auch wenn sich seine Bilgen allmahlich fullten.
        Die Franzosen wissen nun Bescheid, dachte Bolitho, konnen aber nicht viel unternehmen. Das Gerausch der Pumpen und die Rufe der Lotgasten wurden Supremes Vorankommen verraten.
        Stayt wartete, bis Hallowes nach achtern gegangen war, dann sagte er: «Supreme ist zwar klein, Sir, aber in diesen Gewassern kommt sie mir vor wie ein Ungetum.»
        Langsseits platschte es, und Bolitho wu?te, da? der seinen Wunden erlegene Seemann ins Wasser geworfen worden war, ohne Gebet, ohne Zeremonie. Doch wenn sie das lebend uberstehen sollten, wurden die Manner an ihn denken, selbst jene, die ihn verflucht hatten, weil er nicht schnell genug gestorben war.
        Bolitho hob die Hand an den Augenverband, als neue Schmerzen seine Willenskraft auf die Probe stellten. Sie kamen in Wellen. Wie lange konnte er das noch aushalten? Und was sollte er danach tun?

«Sieben Faden! Sandiger Grund!»
        Sie hatten das Lotblei unten mit Talg prapariert, an dem der Sand haften blieb.
        Hallowes sprach wieder mit Okes.»Sollen wir die Boote jetzt einnehmen und mehr Segel setzen, Mr. Okes?»
        Die Antwort konnte Bolitho nicht verstehen, doch sie klang zweifelnd. Zum Gluck war Hallowes klug genug, sich auf Okes' Konnen zu verlassen.»Gut, warten wir noch«, sagte er. Das Deck neigte sich leicht, und er fugte aufatmend hinzu:»Bei Gott, der Wind raumt! Zur Abwechslung haben wir mal Gluck.»
        Nach einer Stunde, die ihnen wie eine Ewigkeit vorkam, fiel die Gig zuruck zum Zeichen, da? ihre Mannschaft abgelost werden mu?te. Die zuruckkehrenden Matrosen waren vollig erschopft und sanken wie tot aufs Deck. Als nachste kam die Jolle an die Reihe. Bolitho horte Sheaffe mit dem einzigen Gehilfen des Masters sprechen. Dann kam er nach achtern und sagte:»Melde mich zuruck, Sir.»
        Das klang so formlich nach allem, was der junge Mann vollbracht hatte, da? Bolitho seinen Schmerz und seine Verzweiflung verga?.

«Gro?artige Leistung, Mr. Sheaffe. Wenn Sie nicht gewesen waren, hatte der Feind uns uberrannt. «Er horte, wie Sheaffe sich zahneklappernd ein Hemd uberzog.»Ruhen Sie sich aus. Bald werden Sie wieder gebraucht.»
        Sheaffe zogerte und setzte sich dann zu Bolitho aufs Deck.

«Store ich Sie auch nicht, Sir?«fragte er.
        Bolitho wandte sich ihm zu.»Ihre Gesellschaft ist mir willkommen. «Er lehnte sich an den Niedergang und versuchte, nicht an die nachste Schmerzwelle zu denken. Sheaffe hatte die Knie an die Brust gezogen und war im Nu eingeschlafen.
        Spater ging Bankart neben ihm in die Hocke und flusterte:»Ich habe Wein fur Sie, Sir. «Er wartete, bis Bolitho den Pokal gepackt hatte.»Mr. Okes schickt ihn.»
        Bolitho nahm einen Schluck: starker, su?er Madeira. Er leerte den Pokal langsam, lie? sich vom Wein warmen und starken. Wann hatte er zuletzt etwas gegessen? Es mu?te lange her sein. Vielleicht kam ihm der Madeira deshalb so stark vor. Er beruhrte sein Gesicht unter dem Verband. Mehrere Schnittwunden, geronnenes Blut. Au?erdem hatte er dringend eine Rasur notig. Aber darum wurde sich Allday bald kummern. Er war stark und machtig wie eine Eiche und doch sanft wie ein Kind, wenn's darauf ankam. Bolitho und Keen hatten Grund, das nicht zu vergessen.

«Wie fuhlt man sich, wenn man seinen Vater wiederfindet, Bankart?»
        Die Frage schien dem Jungen peinlich zu sein.»Gut, Sir, wirklich gut. Meine Mutter wollte nie uber ihn reden. Ich wu?te aber, da? er bei der Marine war, Sir.»

«Haben Sie sich deshalb freiwillig gemeldet?»
        Eine lange Pause.»Konnte man sagen, Sir.»
        Bankart fullte den Pokal noch einmal, und als Sheaffe geweckt wurde, um in der Jolle wieder das Kommando zu ubernehmen, war Bolitho umgesunken und schlief.
        Okes verlie? seine Ruderganger, trat zum Niedergang und blickte zufrieden auf den Vizeadmiral hinab.

«Schlaft er endlich?«fragte Hallowes.
        Okes putzte sich mit einem roten Taschentuch vernehmlich die Nase.

«Aye, Sir. Kein Wunder nach dem, was ich ihm in den Madeira getan habe.»
        Bolitho spurte eine Hand auf seinem Arm und fuhr auf.»Es dammert, Sir«, sagte Stayt.
        Bolitho fa?te sich an den Verband, bemuht, sich seine Qualen nicht anmerken zu lassen.»Wie sehe ich aus?»
        Stayts Stimme klang, als lachle er.»Ich habe Sie schon in besserer Verfassung erlebt, Sir. «Er nahm Bolithos Hand.»Hier ist eine Schussel mit warmem Wasser und so was wie ein Handtuch.»
        Bolitho nickte dankbar und beschamt zugleich, als er sich mit dem nassen Tuch ubers Gesicht fuhr. Es war nur eine Kleinigkeit, aber sie ruhrte ihn.

«Sagen Sie mir, was sich tut.»
        Stayt dachte nach.»Wir haben ungefahr eine Meile zuruckgelegt, Sir. «Das klang weder verbittert noch uberrascht.»Im Augenblick sind wir uber einer Untiefe. «Er verstummte, als der Lotgast aussang:»Drei Faden!»
        Bolitho verga? seine Schmerzen und raffte sich auf. Nur drei Faden Wasser, und sie waren eine Meile von ihrem letzten Ankerplatz entfernt. Er spurte den Wind im Gesicht, als er den Kopf ubers Schanzkleid hob, horte das Klatschen der Riemen. Einer der Bootsfuhrer gab den Takt an. Die Mannschaft mu? vollig verausgabt sein, dachte er.

«Ist es schon hell?»

«Ich kann das Kliff sehen, Sir, und gerade eben den Horizont. Der Himmel sieht finster aus. Ich glaube, wir bekommen viel Wind.»
        Hallowes rief:»Weckt die Freiwache! Wir setzen Segel.»
        Das Deck hob sich in der Dunung, und Bolitho wurde die Kehle eng. Das offene Meer erwartete sie. Die knarrenden Pumpen, die zerfetzten Segel wurden sie nicht behindern, wenn sie erst einmal Seeraum gewonnen hatten, Bewegungsfreiheit.

«Ruft die Boote zuruck!«befahl Hallowes.
        Pfeifen schrillten, und jemand stie? einen spottischen Hochruf aus, als die Schleppleinen schlaff wurden und die Ruderer uber den Riemen zusammensanken.

«Funf Faden!«Manner hasteten an ihm vorbei, als erst das eine und dann das andere Boot an Bord gehievt wurde.
        Der Kutter schien sich zu ruhren, und Bolitho hatte gerne die Manner auf den Rahen auslegen gesehen. Hoch uber ihm knallte laut ein Segel in der feuchten Luft.

«Untiefe Steuerbord voraus!»

«Pest und Teufel!«brullte Hallowes.»Klar zum Ankern!»
        Okes flusterte rauh:»Lassen Sie das, Sir! Wir schwojen und laufen auf Grund, wenn wir ankern.»
        Jetzt war Hallowes konfus.»Wenn Sie meinen?»
        Doch Okes handelte bereits.»Einen Strich anluven! Recht so!«Er mu?te die Hande an den Mund gelegt haben, denn seine Stimme drohnte ubers ganze Deck.»Hoch mit dem Kluver, Thomas.»

«Geht das schon wieder los?«Stayts Stimme klang gefahrlich kuhl.»Untiefen! Verflucht, ich kann sogar Brecher sehen!«Er fugte hinzu:»Verzeihung, Sir, aber ich bin so etwas nicht gewohnt.»
        Bolitho hob das Kinn, um nachzuprufen, ob er durch den Verband Licht erkennen konnte. Doch alles blieb dunkel.»Ich auch nicht.»

«Ruder in Lee!«bellte Okes.
        Bolitho horte erschreckte Ausrufe, als die Supreme mit einem heftigen Ruck eine Sandbank beruhrte. Gerat rollte an Deck herum, und ein Vierpfunder baumte sich auf seiner Lafette auf, als sei er plotzlich zum Leben erwacht. Das Schaben und Rucken schien eine Ewigkeit zu dauern, in deren Verlauf Okes seinen Rudergangern zuredete und hin und wieder den Decksoffizieren einen Befehl gab.
        Dann horte das Rutteln auf, sie schwammen wieder, und kurz darauf rief jemand:»Die Pumpen schaffen es noch, Sir!»
        Durch die Zahne sagte Stayt:»Das war ein verdammtes Wunder. Eine Armlange querab lagen Felsen, aber wir haben nur Sand beruhrt.»

«Vier Faden!«Der Lotgast mu?te fast von seinem unsicheren Sitz geschleudert worden sein, dachte Bolitho. Doch sie waren durch.

«Marssegel los!»
        Auf offener See konnte den Kutter trotz seines beschadigten Rumpfes kein anderes Schiff einholen.
        Die Manner tauschten erleichterte Rufe. Fur den Augenblick waren Angst und Gefahr vergessen.»Unser Arzt wird schon wissen, was fur Ihre Augen zu tun ist«, sagte Stayt.»Sobald wir das Flaggschiff sichten…«Er brach ab.»Das kann doch nicht wahr sein!»

«Segel in Luv, Sir!»
        Bolitho war fast dankbar, da? er ihre entsetzten Gesichter nicht sehen mu?te. Der franzosische Kommandant war nicht so leichtsinnig gewesen, hinter dem Landvorsprung zu warten, sondern war in der Nacht und wahrend Hallowes' Manner sich an den Riemen abplagten, luvwarts zu dem Kliff, an dem er zuerst erschienen war, aufgekreuzt. Nun hatte er den Wind im Rucken und hielt rasch auf sie zu. Am Osthorizont, wo es dammerte, waren nur seine vollgebra?ten Marssegel sichtbar.
        Bolitho mu?te sich die Lage nicht erst von Stayt beschreiben lassen. Er erkannte ihre Hoffnungslosigkeit, als sahe er sie mit Hallowes' Augen. Nur eine Meile weiter, und sie hatten den Kanonen der Fregatte entkommen konnen. Doch nun lagen sie trotz der leicht veranderten Windrichtung noch immer vor einer Leekuste, und beide Schiffe liefen auf einen unsichtbaren Treffpunkt zu. Diesmal gab es kein Entkommen.

«Hei?t Gefechtsflagge, Thomas!«rief Hallowes.»Kanonen laden und ausrennen!»
        Als die Manner eilig gehorchten, wurde sich Bolitho der Stille bewu?t: kein Gebrull, keine Drohungen und ganz bestimmt keine Hochrufe. Die Manner, die dem sicheren Tod ins Auge sahen, arbeiteten zwar noch gut, waren aber im Geiste anderswo.

«Bankart!»

«Zur Stelle, Sir.»

«Geh unter Deck und hole mir Hut und Rock.»
        Er mochte schmutzig und blutverschmiert sein, war aber immer noch ihr Admiral. Er konnte nicht zulassen, da? sie ihn schon jetzt geschlagen sahen.
        Ein dreifaches Krachen. Die Fregatte hatte mit ihren Buggeschutzen bereits das Feuer eroffnet. Aber die Kugeln warfen noch weit entfernt Fontanen auf.
        Bolitho horte Okes murmeln:»Werden Sie sich zum Kampf stellen, Sir?»

«Soll ich vielleicht die Flagge streichen?«Hallowes schien ganz ruhig. Oder war er schon jenseits aller Emotionen?
        Weitere Schusse lie?en die Luft erzittern. Bolitho horte eine Kugel diesmal in der Nahe einschlagen und Wassertropfen wie Schrot durch die Wanten prasseln.

«Einen Strich anluven, Mr. Okes!«Hallowes zog seinen Degen. Bolitho dachte an seinen und fragte sich, was aus ihm werden wurde. Er beschlo?, ihn ins Wasser zu werfen, wenn er noch genug Zeit und einen Funken Leben im Leib hatte.
        Eine Serie von Explosionen lie? Stayt unterdruckt fluchen. Eine Kugel fetzte durch ein Segel und zertrennte ein Stag wie Nahgarn.

«Feuern in der Aufwartsbewegung!»

«Wir haben noch keine Chance, Sir!«sagte Stayt heftig.»Diese Spielzeugkanonen tragen nicht weit genug!»

«Das ist eben Hallowes' Art«, versetzte Bolitho.»Es gibt keinen anderen Weg.»

«Feuer!»
        Die Vierpfunder kamen im Rucklauf auf ihren Lafetten binnenbords, aber ihre Explosionen verhallten fast unge-hort, als die Fregatte erneut feuerte. Das Deck baumte sich auf, und Holzsplitter flogen uber die geduckten Englander hinweg.
        Dann fuhr eine zweite Salve in die Takelage, und ein Mann fiel schreiend ins Meer. Supreme machte trotz des gerissenen Segels so viel Fahrt, da? er bald weit achteraus versank.

«Wie sieht's aus?»

«Es wird heller, Sir«, sagte Stayt tonlos. Weitere Kugeln schlugen dichtbei ins Meer, und eine traf mit einem Ruck, der durch das ganze Schiff ging, den Bug. Zerfetztes Gut segelte aus der Takelage herab oder baumelte von den Rahen wie schabige Banner.
        Die Stuckmannschaften schauten nicht nach oben, sondern wischten aus, rammten frische Ladungen in die Rohre, schoben Ladepropfe ein - taten, was sie gelernt hatten.
        Weitere Kugeln trafen den Rumpf.»Viel kann sie nicht mehr einstecken«, sagte Bolitho.

«Schiff in Luv, Sir!»
        Manner reagierten verstandnislos, waren bei dem ohrenbetaubenden Larm unfahig, die Lage einzuschatzen.

«Es ist die Rapid, Sir!«Stayt schuttelte Bolitho am Arm.»Sie kommt gerade in die Sonne und hat ein Signal gesetzt! Bei Gott, das Geschwader mu? hinter der Kimm sein!»
        Weitere Treffer erschutterten das Deck, Manner schrien auf, als sie von Splittern niedergemaht wurden. Aber jemand rief:»Der Franzose dreht ab! Die Kerle laufen weg! Denen haben Sie's gezeigt, Kapt'n!»
        Doch Stayt sagte bitter:»Hallowes hat's erwischt, Sir. «Er nahm Bolithos Arm.»Bei dieser letzten verdammten Breitseite.»

«Fuhren Sie mich zu ihm.»
        Die Matrosen verfielen in Schweigen, als ihr blinder Ad-miral zu Hallowes geleitet wurde, den Okes und der Steuermannsgehilfe festhielten.

«Wie schlimm steht es?«murmelte Bolitho.
        Stayt schluckte.»Beide Beine weggerissen, Sir.»
        Bolitho stand nun neben Hallowes.
        Hallowes sagte fest:»Ich habe nicht gestrichen. Nur eine kleine Chance…«Er verstummte und schrie dann auf:»Helft mir!«Aber der Tod war schneller.
        Bolitho hatte seine Hand gehalten und spurte, wie das Leben aus ihr wich. Jetzt legte er sie aufs Deck und sagte:»Nur eine kleine Chance, und er hat sie genutzt. Daran la?t sich der Mut dieses Mannes ermessen. «Man half ihm auf und drehte ihn, bis er Okes gegenuberstand.

«Die Supreme gehort jetzt Ihnen, Mr. Okes. Sie haben sie mehr als verdient. Ich werde dafur sorgen, da? Ihre Beforderung bestatigt wird, und wenn das mein letzter Befehl sein sollte.»

«Rapid dreht bei, Sir«, meldete Stayt. Doch das gehorte irgendwie nicht hierher. Hier gab es nur diesen Augenblick und den Schmerz des Verlustes.»Fuhren Sie das Schiff gut.»

«Das werde ich, Sir. Aber ich habe nicht gewollt, nicht erwartet.»
        Bolitho bemuhte sich um ein Lacheln.»Es ist Ihre Chance, Mr. Okes. Ergreifen Sie sie. «Wieder bohrte sich der Schmerz in seine Augen, aber Bolitho zwang sich weiterzusprechen, da er wu?te, da? er von allen beobachtet wurde.»Keine Sorge, Mr. Okes. Supreme hat einen vorzuglichen neuen Kommandanten und wird wieder kampfen.»
        Okes starrte dem blinden Admiral nach, der von Stayt und Sheaffe ans Schanzkleid gefuhrt wurde.
        Dann sagte er mit gebrochener Stimme:»Aye, und Sie auch, Sir, so Gott will.»



        VIII Noch brennt das Feuer

        Als die Ankertrosse der Argonaute steifkam, setzten die Manner bereits die Boote aus, wahrend aus anderen ein Landungstrupp gebildet wurde. Auch Icarus war vor Anker gegangen. Selbst ohne Teleskop konnte Keen die Geschaftigkeit auf ihrem Deck sehen.
        Die Insel sieht so friedlich aus, dachte er. Da die Sonne in einer Stunde untergehen wurde, wollte er bald ein Landungskommando der Royal Marines zusammen mit einer Truppe von Houstons Schiff an Land setzen fur den Fall, da? dort noch Franzosen waren.
        Er nahm den Hut ab und rieb sich die Stirn. Konnte sich an einem einzigen Tag so viel ereignen?
        Er schaute hinuber zu der verankerten Brigg Rapid, an der mit Schlagseite der Kutter vertaut lag.
        Warum hatte er Rapid losgeschickt, Bolitho zu suchen? Hatte ihm sein Instinkt das befohlen, hatte er die Gefahr gespurt? Es ware fast zu spat gewesen. Als man ihm die Szene beschrieb, sah er ihren jungen Kommandanten vor sich. Die Fregatte hatte in dem Augenblick abgedreht, in dem es nur noch eine weitere Breitseite gebraucht hatte, um ihr Zerstorungswerk zu vollenden. Aber Quarrell hatte schlicht erklart: Da ich den Kampf mit dem uberlegenen Feind nicht aufnehmen konnte, setzte ich - wie fruher einmal Sir Richard - das Signal >Feind in Sicht<. Der Franzmann nahm an, das Geschwader folge mir auf dem Fu?e, und verzog sich. Und das war gut so, denn andernfalls lagen Supreme und mein eigenes Schiff jetzt auf dem Grund. «Seine Stimme wurde harter.»Ich hatte genausowenig wie der arme Hallowes unter den Augen unseres Admirals die Flagge gestrichen.»
        Keen erinnerte sich an sein Erschrecken, als Bolitho auf einem Bootsmannsstuhl an Bord gehievt wurde. Das ganze Schiff hatte den Atem angehalten, oder so war es ihm zumindest vorgekommen. Er hatte auf ihn zulaufen, ihn umarmen wollen, spurte aber im letzten Augenblick, da? Bolitho ohnehin an dieser Ruckkehr fast zerbrach.
        Der Empfang fiel Allday zu, der an den Seesoldaten und zuschauenden Offizieren vorbeiging, Bolitho am Ellbogen nahm und fast unbeschwert sagte:»Willkommen an Bord, Sir. Wir haben uns ein bi?chen gesorgt, aber jetzt, wo Sie wieder da sind, ist ja alles in Ordnung.»
        Doch als die beiden an ihm vorbeigingen, hatte Keen gesehen, da? Allday nur schauspielerte.
        Den ganzen Tag uber waren die Boote mit Trinkwasserfassern zwischen den Schiffen und dem Land hin- und hergefahren, und die Arzte des Geschwaders hatten auf der Supreme ihr moglichstes getan.
        Keen packte das Finknetz und starrte auf die streifigen, korallenroten Wolken. Flaute, Sturm und heller Sonnenschein: das Mittelmeerwetter war, als wurden standig die Seiten eines Buches umgeblattert.
        Paget trat zu ihm und legte gru?end die Hand an den Hut.»Sollen wir Sonnensegel aufriggen, Sir?»

«Nein. Wir nehmen morgen gleich bei Sonnenaufgang das letzte Wasser an Bord. Ich will, nein, ich mu? so schnell wie moglich von hier weg. Ich spure in den Knochen, da? sich etwas zusammenbraut.»
        Paget musterte ihn zweifelnd, wahlte aber seine Worte mit Bedacht. Fast jeder wu?te, wie Keen zu Bolitho stand.

«Die Verletzung scheint ernst zu sein, Sir«, sagte er.»Wenn er blind bleibt.»
        Keen fuhr zornig zu ihm herum.»Verflucht, wie wollen Sie das wissen?«Doch er lenkte ebenso schnell wieder ein.»Das war unverzeihlich, bedaure. Wir mussen uns der Realitat stellen. Sobald Supreme wieder klar ist, werde ich sie nach Malta schicken. Dort kann man ihre Verwundeten besser versorgen. Und ich werde dem Admiral auf diese Weise Meldung erstatten. «Er warf einen kurzen Blick in Pagets ausdrucksloses Gesicht. Er fragt sich, ob ich auch Zenoria nach Malta schicke.
        Doch Paget sagte nur:»Es ist ein harter Schlag.»
        Keen wandte sich ab.»Rufen Sie mich, wenn die Seesoldaten bereit zum Ubersetzen sind. «Er eilte an dem reglosen Wachtposten vorbei nach achtern.
        Die Szene in der Kajute glich einem Gruppenbild: Stayt, noch immer in seinem fleckigen Rock, sa? auf der Heckbank und hielt ein volles Weinglas in der Hand. Ozzard polierte uberflussigerweise den Tisch, und Allday stand ganz still da und musterte den alten Degen, der wieder in seinem Halter hing. Yovell hockte zusammengesunken an Bolithos Kartentisch.
        Keen schaute hinuber zum Schlafraum und dachte an Zenoria, die dort Tuson half. Der Arzt hatte sie darum gebeten.

«Neuigkeiten?«fragte Keen.
        Stayt machte Anstalten, sich zu erheben, aber Keen winkte ab. Der Flaggleutnant erwiderte erschopft:»Der Verband ist gewechselt worden. Der Admiral hat nicht nur Sand, sondern auch Splitter in den Augen. «Er seufzte.»Ich befurchte das Schlimmste.»
        Keen nahm von Ozzard ein Glas entgegen, das er rasch leerte. Er war so besorgt, da? er nicht einmal merkte, was er trank. Die Entscheidung lag nun bei ihm. Die anderen Kommandanten wurden gehorchen, aber ob sie ihm auch vertrauten, war eine andere Frage. Es mochte eine Ewigkeit dauern, bis Supreme Malta erreichte oder sie wieder zu den anderen Schiffen des Geschwaders stie?en. Wie lange konnte Bolitho an Bord bleiben? Ihn nach Malta zu schik-ken, hatte den Verlust eines weiteren Schiffes bedeutet. Eine brutale Tatsache, aber eine, auf die Bolitho selbst als erster hingewiesen hatte.

«Offizier der Wache, Sir!«rief der Posten gedampft.
        Ein Leutnant blieb in der Tur stehen.»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und die Boote sind bereit. Signal von Icarus: >Erbitte Erlaubnis zum Anfangen.»»
        Normalerweise hatte Keen nur gelachelt. Kapitan Houston war immer bemuht, dem Flaggschiff eine Nasenlange voraus zu sein. Diesmal war es anders.»Signal an Icarus: Befehl abwarten!«Er sah den Leutnant zusammenzucken und versuchte es noch einmal.»Tut mir leid, Mr. Phipps. Meine Empfehlungen an den Ersten Offizier. Ich komme gleich an Deck.»
        Der junge Leutnant war auf Keens Achates Midshipman gewesen. Keen betrachtete ihn traurig.»Ja, Leutnant Hallowes ist nun leider gefallen. Doch er starb tapfer, wie man mir versicherte. Ich wei?, da? Sie mit ihm befreundet waren.»
        Phipps entfernte sich. Man merkte ihm an, da? er noch zu jung war, um Trauer mit einem Achselzucken abzutun.

«Kinder, alles Kinder. «Keen erkannte, da? er laut gesprochen hatte.»Ich komme zuruck, wenn die Boote abgelegt haben. Verstandigen Sie mich, wenn Sie vorher etwas horen.»
        Stayt stand auf und ging zur Tur.»Das gilt auch fur mich.»
        Allday drehte sich langsam um und schaute seine Kameraden an.»Ich hatte bei ihm sein sollen.»
        Yovell setzte die Brille ab.»Sie hatten es auch nicht verhindern konnen.»
        Allday horte ihn nicht.»An seiner Seite hatte ich sein sollen, wie immer. Das mu? mir der Junge noch erklaren.»
        Ozzard schwieg, polierte aber um so heftiger.
        Yovell bot Allday einen Schluck Rum an.
        Allday schuttelte den Kopf.»Erst, wenn es vorbei ist. Dann sauf ich ein ganzes Fa? aus.»
        Bolitho lag sehr still, die Arme an die Seiten gepre?t, in seiner Koje. Jeder Muskel seines Korpers schien angespannt zu sein.
        Wie lange schon? Alle Eindrucke uberlappten einander: der Kutter, die Klagen der Verwundeten, dann der Augenblick, als er in ein Boot getragen wurde und eine vertraute Stimme sagen horte:»Aufpassen da!»
        Was mu?te er fur ein Anblick gewesen sein! Dann weitere Hande, teils sanft, teils grob, als er in einen Bootsmannsstuhl gehoben und wie Fracht an der Bordwand hochgezogen wurde.
        Tuson hatte ihn nur angesprochen, um sich zu erkennen zu geben, und dann sofort mit der Untersuchung begonnen.
        Man schnitt ihm die Kleider vom Leib, tupfte ihm Gesicht und Hals ab, und dann wurde eine Flussigkeit aufgetragen, die in den Wunden hollisch brannte.
        Den Verband nahm Tuson zuletzt ab. Bolitho spurte, wie er mit einer Schere behutsam aufgeschnitten wurde.

«Wie spat ist es?«fragte er.

«Bitte unterlassen Sie das Reden«, sagte der Arzt streng.

«Halten Sie diesen Spiegel«, befahl er jemandem.»So ist's recht. Wenn ich Ihnen Bescheid sage, lassen Sie ihn das Sonnenlicht vom Bullauge reflektieren.»
        Erst jetzt begriff Bolitho, da? Zenoria Tusons Helfer war. Er wollte Einspruch erheben, doch ihre uberraschend kuhle Hand beruhrte seine Wange.»Nur ruhig, Sir. Sie sind nicht der erste Mann, den ich zu Gesicht bekomme.»
        Der Verband wurde gelost, und Bolitho hatte fast aufge - schrien, als Tusons kraftige Finger seine Augen abtasteten und die Lider hochschoben.»Sie tun ihm ja weh!«horte er Zenoria protestieren.

«Das geht leider nicht anders. Und jetzt den Spiegel, bitte!»
        Bolitho rann der Schwei? uber Brust und Schenkel, als lage er im Fieber. Der Schmerz schien ihm die Augen aus den Hohlen zu treiben. Das Ganze war ein wirrer Alptraum, unterbrochen vom Stochern eines Instruments. Jemand hielt seinen Kopf wie ein Schraubstock, als die Tortur weiterging. Bolitho versuchte zu blinzeln, spurte aber keine Bewegung seiner Lider. Doch er sah Licht, einen rotlichen Schein und Schatten, die Menschen sein mu?ten.

«Das reicht«, sagte Tuson. Der Schein verbla?te, als der Spiegel wohl entfernt wurde. Dann legte der Arzt vorsichtig einen neuen Verband an; er war weich und feucht und wirkte nach der schmerzhaften Untersuchung lindernd.
        Seitdem waren mehrere Stunden vergangen. Noch zweimal war der Verband gewechselt und eine olige Flussigkeit aufgetragen worden, die anfangs seine Augen arger brennen lie? als zuvor. Doch dann hatten die Schmerzen nachgelassen.
        Als er sich bei Tuson nach der Flussigkeit erkundigte, sagte der nur:»Ach, die kam mir in Westindien in die Quere. Ist in solchen Fallen ganz nutzlich.»
        Bolitho lauschte der Stimme des Madchens. Sie erinnerte ihn an Falmouth, und bei diesem Gedanken schmerzten seine Augen wieder.

«Ich verstehe nicht, wie Sie bei diesem Licht arbeiten konnen, Sir«, sagte sie.

«Hier habe ich viel bessere Bedingungen, als ich gewohnt bin«, versetzte der Arzt und legte Bolitho eine Hand auf den Arm.»Sie sollten jetzt schlafen. «Ein Laken wurde uber Bolithos Blo?e gezogen, und Tuson fugte hinzu:»Wie ich sehe, haben Sie fur Konig und Vaterland ein paar ehrenvolle Narben erworben, Sir.»
        Zu Zenoria sagte er:»So, und Sie nehmen jetzt besser etwas zu sich.»

«Aber rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen, Sir.»
        Bolitho hob einen Arm und wandte den Kopf zur Tur. Sie kam zuruck und griff nach seiner Hand.»Sir?»
        Bolitho erkannte seine eigene Stimme kaum.»Ich wollte Ihnen nur danken.»
        Sie druckte seine Hand.»Nach allem, was Sie fur mich getan haben?»
        Sie schien die Kajute fluchtartig zu verlassen.»Ein prachtiges Madchen«, sagte Tuson ernst. Bolitho legte sich zuruck.»Nun?»

«Noch la?t sich nichts Genaues sagen, Sir. Beide Augen sind verletzt, und eine Prognose kann ich erst geben, wenn die Wunden verheilt sind.»

«Werde ich wieder sehen konnen?«beharrte Bolitho.
        Tuson ging um die Koje herum. Er mu? durch eine offene Stuckpforte schauen, dachte Bolitho, denn seine Stimme klingt erstickt.

«Am argsten hat's das linke Auge erwischt«, sagte Tuson.»Es waren Sand und Metallfragmente darin. An der Wange hat Sie ein Splitter gestreift - etwas hoher, und wir brauchten uns um das Auge keine Sorgen mehr zu machen.»

«Aha. «Bolitho entspannte sich. Es war leichter, wenn man die Wahrheit erfuhr, die unausweichlichen Tatsachen. Er halt den Fall fur hoffnungslos. »Ich mu? sofort mit meinem Flaggkapitan sprechen«, sagte er.
        Tuson ruhrte sich nicht.»Er ist beschaftigt, Sir. Das kann warten.»

«Sie wagen es, mir zu sagen, was warten kann und was nicht?»
        Tuson legte ihm wieder die Hand auf den Arm.»Das ist meine Pflicht, Sir.»
        Bolitho bedeckte die Hand des Arztes mit seiner.»Sie haben recht. Entschuldigung.»

«Schon gut. Jeder Mensch ist anders. Einmal nahm ich einem Matrosen ein Bein ab, und der Mann gab keinen Ton von sich. Danach bedankte er sich bei mir, weil ich ihm das Leben gerettet hatte. Ein anderer wunschte mich zur Holle, als ich ihm nach einem Sturz aus der Takelage eine Kopfwunde nahte. Ich habe schon alles gesehen und gehort, glaube ich manchmal. «Er gahnte.»Warum tun wir das? Warum tun Sie das, Sir Richard? Sie haben soviel fur Ihr Land geopfert. Jahrein, jahraus auf See - Sie mussen doch wissen, welche Konsequenzen das hat. Die Quittung bekommen wir mit einer Unvermeidlichkeit, die nicht ignoriert werden kann.»

«Den Tod?»

«Es gibt Schlimmeres als den Tod«, erwiderte Tuson.»Aber ich gehe jetzt, Sir. Es scheint, Ihr Flaggkapitan ist ohnehin schon da.»
        Bolitho versuchte, seine Verzweiflung in die Finsternis abzudrangen, als Keen sich neben die Koje setzte und fragte:»Wie geht's, Sir?»

«Ich habe ein wenig Licht sehen konnen, Val. Die Schmerzen haben nachgelassen, und wenn ich erst rasiert bin, fuhle ich mich bestimmt wieder menschlich.»

«Dem Himmel sei Dank«, sagte Keen.
        Bolitho tastete nach seinem Arm.»Dank auch Ihnen, Val, denn Sie haben uns alle gerettet. «Er ballte die andere Hand zur Faust.»Sagen Sie mir, was oben geschieht.

        Als Tuson zuruckkehrte, fand er sie ins Gesprach vertieft.»Das mu? ein Ende haben, Gentlemen!«sagte er streng.
        Bolitho hob die Hand.»Moment noch, Sie unduldsamer Knochenbrecher!«Zu Keen sagte er:»Gut, Sie nehmen also das restliche Trinkwasser an Bord, und anschlie?end bringen wir so rasch wie moglich das Geschwader wieder zusammen. Jobert versucht, unsere Krafte zu zerstreuen. Ich bin mit Ihnen einig, da? es Zeit fur den nachsten Schachzug ist. Schicken Sie mir Yovell. «Er horte Tuson mi?billigend schnalzen. Ich gebe Supreme einen eigenen Bericht mit.»
        Bolitho legte den Kopf aufs Kissen und versuchte, unter dem Verband die Augenlider zu bewegen. Er konnte Keen und den Arzt vor der Tur flustern horen und hatte plotzlich das Bedurfnis, aufzustehen, an Deck zu gehen und so zu tun, als sei nichts geschehen.

«Wird er denn wirklich genesen?«fragte Keen.

«Das kann ich noch nicht sagen. Eigentlich hatte ich den Fall fur hoffnungslos gehalten, aber bei ihm kann man nicht sicher sein. «Tuson schuttelte den Kopf.»Es hat den Anschein, als lie?e er sich von nichts bremsen.»
        Keen sah Allday mit einer Schussel und einem Rasiermesser kommen und verabschiedete sich. Drau?en zogerte er vor der kleinen Kabine mit dem rotberockten Wachtposten. Dann klopfte er und trat auf ihren Ruf hin ein.
        Zenoria sa? auf der gro?en Truhe, hielt das Kleid von dem Handler aus Genua im Scho? und erfullte den Raum mit Licht. Sie schaute ihn an und sagte leise:»Das ist ein herrliches Kleid. Du bist sehr gut zu mir.»
        Sie legte das Kleid sorgfaltig uber die Truhe und stand auf. Sie hatte geweint. Um sie beide, um Bolitho? Keen wu?te es nicht.»Du hast so viel fur mich getan, und ich kann dir gar nichts geben«, sagte sie.
        Dann wandte sie sich abrupt ab, und als sie sich wieder zu ihm umdrehte, sah er, da? sie ihr Hemd bis zur Taille aufgeknopft hatte. Zielbewu?t griff sie nach seiner Hand, schob sie unter das Hemd und druckte sie auf ihre Brust. Dabei schaute sie ihm fast trotzig in die Augen.
        Keen ruhrte sich nicht, er spurte nur, wie der warme Hugel unter seiner Hand brannte, ihn verzehrte.
        Sie senkte den Kopf und sagte leise:»Es ist mein Herz. Das habe ich dir zu geben. Es ist dein, solange du willst.»
        Langsam zog sie seine Hand fort und schlo? ihr Hemd.
        Jemand schrie von der Poop, Tritte polterten uber eine Leiter. Doch sie blieben noch ein paar Sekunden reglos stehen.

«Ich mu? fort«, sagte er dann.»Man darf uns so nicht sehen. «Er beugte sich vor und ku?te sie leicht auf die Stirn.»Ich liebe dich«, sagte er.
        Noch lange Zeit, nachdem er gegangen war, starrte Zenoria die geschlossene Tur an und hielt die Hand uber die Brust, die er beruhrt hatte.
        Dann sagte sie leise:»Und ich liebe dich auch.»
        Am zweiten Tag hatten die Schiffe alles Trinkwasser an Bord und lie?en, vor einem frischen Sudwestwind segelnd, die Inseln bald achteraus liegen.
        Keen hatte zugesehen, wie Supreme mit eilends geflickten Segeln und noch immer arbeitenden Pumpen ihren Ankerplatz verlie? und aufs offene Meer hielt. Auf der Insel waren mehrere ihrer Besatzungsmitglieder begraben worden, darunter Leutnant Hallowes. Ein trauriger Abschied.
        Am funften Tag segelte das Geschwader mit Rapid an der Spitze in den Golfe du Lion.
        Keen ging gedankenverloren auf dem Achterdeck auf und ab, als der Toppgast ein Schiff meldete, das bald als die Barracouta identifiziert wurde; nun war der Verband wieder komplett.
        Es war auch ein besonderer Tag fur Bolitho. Er sa? in seinem Sessel mit der hohen Ruckenlehne und atmete tief, als Ozzard ein Heckfenster offnete und Twigg ihm einen Becher Kaffee in die Hand gab.
        Bolitho lauschte der See und dem Knarren des Ruders. Auf dem Schiff ging es lebhaft zu. Er horte Allday mit Yovell reden und Ozzard geschaftig umhereilen. Alle waren so guter Laune. Glaubten sie etwa, sie konnten ihm etwas vormachen?
        Er horte Tuson in die Kajute treten, begleitet von Zenoria, die er am leisen Schritt ihrer blo?en Fu?e erkannte.
        Tuson stellte seine Tasche ab und sagte:»Wir brauchen viel Licht heute.»
        Bolitho nickte.»Wir haben ein Schiff gesichtet, nicht wahr?»
        Tuson grunzte.»Die Barracouta, Sir.»
        Bolitho versuchte, sich seine Besturzung nicht anmerken zu lassen. Keen war nicht gekommen, um ihm das zu melden. Selbst er hatte ihn schon abgeschrieben.

«So. «Tuson luftete den Verband ein wenig und begann ihn aufzuwickeln.»Schlie?en Sie die Augen, bis ich sie gebadet habe. «Er atmete schwer, konzentrierte sich so, da? es fast korperlich spurbar war. Jetzt war der Verband ganz fort, und Bolitho wurde sich der Stille bewu?t. Mit einem warmen Bausch wurden ihm die Augen abgetupft, und einen Augenblick durchfuhr ihn stechender Schmerz.
        Tuson sah ihn zuruckzucken und sagte:»Gleich kann ich Ihnen sagen…»
        Bolitho streckte die Hand aus.»Zenoria? Sind Sie da?«Er spurte, wie sie seine Hand ergriff.

«Als erstes mochte ich Sie sehen, nicht diese ha?lichen Gestalten da!»
        Sie lachte, aber er spurte ihre Sorge.

«Offnen Sie bitte die Augen, Sir«, meinte Tuson ausdruckslos.
        Bolitho beruhrte erst sein linkes, dann sein rechtes Auge und hielt dabei ihre Hand so fest, da? es ihr wehtun mu?te. Er bi? die Zahne zusammen, versuchte es, bekam aber plotzlich Angst.

«Versuchen Sie es noch einmal«, sagte Tuson.
        Bolitho entrang sich ein Aufstohnen, als er die Lider offnete. Es war, als waren sie vernaht gewesen und wurden nun aufgerissen. Verschwommene, verzerrte Schemen bewegten sich vor den Heckfenstern, es gab auch Schatten, aber vor allem sah er Licht.
        Tuson druckte ihm mit einem neuen Bausch Flussigkeit in die Augen. Das brannte, aber Bolitho sah jetzt das blasse, ovale Gesicht des Madchens, den karierten Bodenbelag, etwas Glanzendes. Er wandte den Kopf, versuchte verzweifelt, einen bekannten Gegenstand zu identifizieren.
        Tuson schien hinter dem Sessel zu stehen. Er legte eine Hand uber Bolithos linkes Auge.»Wie geht das?»

«Sehr klar sehe ich noch nicht«, sagte Bolitho.

«Sie werden noch Schmerzen haben, die das Bad aber bald lindern wird. Nun schauen Sie bitte das Madchen an, Sir.»
        Bolitho spurte, da? die anderen ihn beobachteten, sich nicht zu ruhren wagten. Er verzog die Lippen zu einem Lacheln.»Mit Vergnugen. «Sie errotete unter seinem einaugigen Starren, bedankte sich aber fur das Kompliment.»Mein Flaggkapitan ist ein beneidenswerter Mann«, flusterte er.
        Tuson legte die Hand uber sein rechtes Auge und sagte unbarmherzig:»Nun versuchen Sie es mit dem linken.»
        Bolitho blinzelte und sah Alldays Goldknopfe und die beiden Degen am Schott.
        Er flusterte:»Allday, alter Freund, ich. «Er fuhr sich ubers Gesicht, als wolle er Spinnweben entfernen. Ein Schatten schien Allday zu verdecken.
        Bolitho wandte sich verzweifelt wieder dem Madchen zu. Er sah ihre Augen, den Mund, aber dann legte sich der Schatten uber sie, und sie schien zuruckzuweichen, obwohl er ihre Hande hielt und wu?te, da? sie sich nicht bewegt hatte.

«Den Verband!«sagte Tuson knapp. Er beugte sich uber Bolitho.»Das war erst der Anfang, Sir.»
        Er hatte zuerst das rechte Auge gepruft, um ihm Hoffnung zu machen, denn er wu?te, da? das andere viel schwerer geschadigt war.
        Bolitho war vor Enttauschung so erschopft, da? er sich widerstandslos den Verband anle gen lie?.
        Eine Tur ging auf, und er horte Keen fragen:»Nun, wie sieht's aus?»

«Besser, als ich zu hoffen gewagt hatte«, erwiderte Tuson.

«Blind auf einem Auge, Val, und das andere ist nicht gerade gesund«, lie? sich Bolitho vernehmen.

«Ich gehe jetzt besser, Sir«, sagte Zenoria.
        Bolitho streckte die Hand aus.»Bitte bleiben Sie.»

«Das Geschwader ist komplett, Sir«, sagte Keen. Das klang niedergeschlagen.»Ich melde mich stundlich bei Ihnen.»
        Bolitho hielt die Hand des Madchens wie eine Rettungsleine. Er lehnte sich im Sessel zuruck und sagte:»Wenn das Wetter es zula?t, Val, mochte ich alle Kommandanten morgen hier bei mir sehen. Bitten Sie aber erst Barracouta, Inchs Meldung sofort zu ubermitteln.»
        Er hatte erwartet, da? Keen oder Tuson Einspruch erheben wurden; ihr Schweigen sagte ihm mehr als jedes Wort.
        Turen offneten und schlossen sich. Bolitho fragte:»Sind wir allein?»

«Ja, Sir.»
        Bolitho streckte die Hand aus und beruhrte ihr Haar. Er mu?te mit seinen Kommandanten sprechen. Sie brauchten einen Admiral, der fuhrte, nicht verzweifelte. Jobert wurde jede Schwache als Waffe gegen ihn benutzen.
        Er spurte, wie sie sich bewegte, und sagte leise:»Nicht weinen, Madchen, du hast schon zu viele Tranen vergossen. «Er streichelte weiter ihr Haar und sah nicht das Mitleid in ihren Augen.»Hilf mir, damit meine Bande morgen einen Vizeadmiral vorfindet und keinen hilflosen Kruppel.»
        Spater, als ein Boot Inchs Meldung zum Flaggschiff gebracht hatte und Keen damit in die Achterkajute trat, fand er Bolitho immer noch im Sessel sitzen. Zenoria war zu seinen Fu?en eingeschlafen.

«Freut mich, da? sie Ihnen Gesellschaft leistet, Sir«, sagte Keen.
        Bolitho beruhrte ihr Haar, aber sie regte sich nicht.»Sie verstehen das doch, Val, oder? Ich brauche ihre Gegenwart, ihre Stimme. Ich bin zu sehr an Manner gewohnt, an die Harten des Krieges.»
        Keen lie? ihn reden. Bolitho strich dem Madchen unablassig uber das lange Haar und fuhr fort:»Wenn der Tag gekommen ist, an dem Sie Ihre eigene Flagge hissen, lassen Sie sich von nichts ablenken. Ich selbst gab die personlichen Kontakte nur widerwillig auf, als ich Admiral wurde. Ich wollte Teil des Schiffes sein, das meine Flagge fuhrte, Gesichter und Namen behalten, Menschen, nicht blo?e Besatzungsmitglieder. Aber weil ich keine Distanz wahren konnte, bin ich dafur verantwortlich, da? Manner gestorben sind und Supreme praktisch verloren ist.«»So durfen Sie nicht denken, Sir.»

«Val, wenn Sie erst Admiral sind, vergessen Sie die Menschen!«Bolitho sagte das so laut, da? Zenoria erwachte und erst ihn und dann Keen fragend anstarrte.»Aber ich bringe das nicht fertig!«Bolithos Zorn war verflogen, er senkte den Kopf.»Und das zerrei?t mich innerlich.»
        Bolitho ergriff die Hand des Madchens.»Gehen Sie jetzt. Aber besuchen Sie mich wieder. «Er hob ihre Hand an seine Lippen.
        Die Tur wurde geschlossen, und Bolitho horte, wie Allday Zenoria zu ihrer Kajute begleitete.
        Keen wartete und kam sich uberflussig vor, weil er nicht helfen konnte.»Offnen Sie Inchs Bericht, Val«, sagte Boli-tho.»Wir haben viel zu tun.»
        Am nachsten Morgen lagen die Schiffe beigedreht, und die Kommandanten kamen wie befohlen an Bord der Argonaute zusammen.
        Bolitho sa? in seiner Kajute vorm Spiegel und war bemuht, seine Gedanken zu sammeln. Er konnte nicht akzeptieren, was ihm zugesto?en war, hatte sich aber tausendmal geschworen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen.
        Er horte das Schrillen der Bootsmannspfeifen, als der letzte Kommandant von der Ehrenwache an Bord begru?t wurde, und kam sich mehr wie ein Schauspieler vor seinem Auftritt vor. War diese Besprechung uberhaupt notig? Oder wollte er seinen Kommandanten nur etwas demonstrieren? Irgendwie fuhlte er sich aber wirklich besser, und nicht nur, weil er ein frisches, sauberes Hemd trug und sich unter Alldays Aufsicht vorsichtig gewaschen hatte.

«Sind Sie bereit, Sir?«Tuson schien immer zur Stelle zu sein.
        Bolitho packte seine Knie und antwortete:»Aye.»
        Der Verband uber seinem rechten Auge wurde abgenommen, der inzwischen vertraute Bausch mit der su? riechenden Salbe tat sein Werk, und Tuson bemerkte:»Mit Verlaub, Sir, als Patient haben Sie Fortschritte gemacht.»
        Bolitho schlug die Augen auf und betrachtete sein unscharfes Spiegelbild. Die kleinen Narben im Gesicht fielen wegen seiner sonnverbrannten Haut weniger auf, doch das linke Auge starrte ihn bose und rotgeadert an.
        Jenseits des Spiegels burstete Ozzard sorgfaltig seinen besten Uniformrock mit den schimmernden Epauletten; er mu?te eine perfekte Vorstellung geben. Allday machte einen langen Hals, um sich zu vergewissern, da? er bei der Rasur auch nicht ein einziges Barthaar ubersehen hatte, und Yovell war am Tisch mit Akten beschaftigt. Der Rahmen war fast perfekt. Er hob den Blick und sah, da? Zenoria ihm uber die Schulter schaute.
        Sie lachelte sanft und verschworerisch, fuhr Bolitho mit einem Kamm durchs Haar und legte die Stirnlocke so, da? sie teilweise den Verband uberm linken Auge verdeckte. Seinen Zopf hatte sie bereits geflochten und gebunden.
        Bolitho horte von unten Stampfen und Stimmen. Die Kommandantenbesprechung sollte in der Messe unter seiner Kajute stattfinden, denn er mu?te sein Quartier freihalten; als Zufluchtsort, falls etwas schiefging.

«Vielen Dank, Zenoria«, sagte er.»Sie haben mit schlechtem Material Ihr Bestes getan.»
        Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. Sie gab zwar keine Antwort, aber er sah ihrem Gesicht an, da? sie sich freute. Ihr Haar war wieder straff zuruckgebunden, und ihre braunen Augen blickten entschlossen.
        Bolitho dachte an Inchs wie ublich weitschweifigen, aber doch nutzlichen Bericht, der einen wichtigen Punkt enthielt. Einen Schlussel vielleicht - oder eher eine raffinierte Falle?

«Uberanstrengen Sie das rechte Auge nicht, Sir, und lassen Sie das andere bedeckt«, warnte Tuson.»Wenn Sie bald richtig behandelt werden.»
        Bolitho schaute ihn an. Er hatte das Gefuhl, einen Fremdkorper im Auge zu haben. Tuson hatte behauptet, das gabe sich mit der Zeit.

«Ihre Behandlung war richtig«, sagte Bolitho.
        Tuson lie? sich nicht ablenken.»Wenn Sie sich den Anforderungen der Geschwaderfuhrung nicht entziehen, Sir, bin ich fur die Konsequenzen nicht verantwortlich.»
        Die Tur ging auf, und da stand Keen und beobachtete ihn mit dem Hut unterm Arm. Bolitho fiel auf, da? auch er seine beste Uniform trug. Der zweite Hauptdarsteller, dachte er.

«Alle versammelt, Sir.»
        Bolitho blickte in den Spiegel und sah, wie er rasch mit Zenoria einen Blick tauschte. Sie legte eine Hand auf die Brust, und Keens Gesicht war zu entnehmen, da? er die Geste verstand.
        Bolitho beruhrte seinen Verband. Er gonnte ihnen ihr Gluck, ganz gleich, welche Schwierigkeiten vor ihnen lagen. Er war nicht eifersuchtig, nur ein wenig neidisch.
        Er schlupfte in die Armel des Rockes und lie? sich von Allday den alten Degen an den Gurtel hangen.

«Passen Sie gut auf sich auf, Sir«, murmelte Allday.
        Bolitho beruhrte seinen muskulosen Arm und lachelte.»Vielen Dank, alter Freund.
«Er sah die anderen an.»Und Ihnen allen auch. Aber jetzt wollen wir wieder an die Arbeit gehen.»
        Keen lief es kalt den Rucken hinunter. Er kannte diesen Ausdruck, diese Stimme. Weder Schmerzen noch Verband konnten uber die Tatsache hinwegtauschen, da? das Feuer noch brannte.



        IX Angriff

        Bolitho sa? ruhelos am Tisch und sah zu, wie Keen eine Berechnung auf der Seekarte anstellte und geschickt mit dem Stechzirkel hantierte.
        Mehrere Male hatte sich Bolitho vorgebeugt, um nachzusehen, welche Fortschritte gemacht wurden, und zwar zunehmend verzweifelt. Er fuhlte sich halb blind, und an ein Lesen der Seekarte war uberhaupt nicht zu denken.
        Sein kleines Geschwader, das sich erst kurzlich im Golfe du Lion zusammengefunden hatte, zerstreute sich nun mit jeder Stunde weiter. Helicon und Dispatch hatten alles Tuch gesetzt und waren ihrerseits zu den Inseln gesegelt, um Trinkwasser an Bord zu nehmen. Bolitho zog die Stirn kraus und spurte sofort Schmerz im linken Auge. Wenn die beiden Schiffe zuruckkehrten, wurde das Geschwader zusammenbleiben.
        Inch hatte Barracouta angewiesen, alle Kustenschiffe, die sie traf, zu stoppen und zu durchsuchen, und von einem dieser Handler war in Erfahrung gebracht worden, da? zwei gro?e franzosische Kriegsschiffe in spanischen Gewassern gesichtet worden waren, weniger als zweihundert Meilen sudwestlich von Toulon. Kein Wunder, da? Nelsons Blockadegeschwader vor dem gro?en Hafen nur so wenige franzosische Schiffe ausgemacht hatte. Zu viele waren noch drau?en.
        Bei der Kommandantenbesprechung hatte Bolitho anfangs Zweifel, wenn nicht Unglaubigkeit gespurt, doch dann fuhlte er, da? sie ihm mit zunehmender Aufmerksamkeit zuhorten.
        Spanien war nach wie vor mit Frankreich verbundet, denn Bonaparte lie? ihm praktisch keine andere Wahl. Er hatte Subventionen von sechs Millionen Francs im Monat und andere wichtige Hilfeleistungen verlangt. Wenn Spanien sich diesem unerhorten Ultimatum entziehen wollte, mu?te es England erneut den Krieg erklaren. Ging es auf keine dieser Alternativen ein, wurde es von Frankreich angegriffen werden.
        Wenn Inchs Meldung zutraf, dann befuhr Jobert mit Instruktionen von hoherer Stelle in Paris die spanischen Gewasser: ein weiterer Schachzug, um die Spanier in den Konflikt hineinzuziehen.
        Leutnant Stayt trat ein.

«Kapitan Lapish ist bereit, seine Befehle entgegenzunehmen, Sir.»

«Gut. «Keen warf Bolitho einen Blick zu und legte den Stechzirkel hin. Er wu?te, wie ungern Bolitho seine einzige Fregatte freigab. Doch wenn es zum Kampf kam, mu?te sich jedes Schiff so lange wie moglich selbst versorgen konnen. Proviant lie? sich rationieren, aber ohne Wasser konnte man nicht uberleben.
        Als sich der Flaggleutnant wieder zuruckzog, sagte Keen:»Lapish wei?, was er zu tun hat. Ich sprach mit ihm, als er an Bord kam. «Er lachelte schief.»Offenbar will er unbedingt beweisen, da? er sich gebessert hat.»
        Als Lapish eintrat, sagte Bolitho:»Kehren Sie so bald wie moglich auf diese Station hier zuruck. «Er sah ihn nicken, aber seine Augen brannten vor Uberanstrengung, und er konnte den Ausdruck des jungen Kommandanten nur undeutlich erkennen.»Wissen Sie, was Sie zu tun haben?»
        Lapishs Antwort klang, als rassle er eine auswendig gelernte Lektion herunter.»Ich soll mein Schiff in einen Zweidecker verwandeln, ehe ich mich zum Blockadedienst zuruckmelde, Sir. «Sein Tonfall verriet zwar keinen Zweifel, aber Bolitho vermutete, da? der Mann seinen Admiral nicht nur fur halb blind, sondern auch fur geistesgestort hielt.
        Bolitho lachelte.»Aye. Benutzen Sie dazu alle Ersatzsegel und Hangemattsdecken. Wenn Sie die an den Gangways aufspannen und braun mit schwarzen Quadraten als Stuckpforten anmalen, wird auf die Entfernung niemand den Unterschied merken. «Er fugte heftig hinzu:»Und wenn Ihnen jemand zu nahe kommt, entern oder versenken Sie ihn.»
        Bolitho wu?te, da? die kleine Fregatte in der Lage sein wurde, die beiden Linienschiffe einzuholen, Trinkwasser an Bord zu nehmen und dennoch vor ihnen die franzosische Kuste zu erreichen. War sie erst einmal auf Station, wurde man sie als zum Geschwader gehorig betrachten. Bolitho behielt auf diese Weise seine volle Starke. Ausguckposten, ob Freund oder Feind, sahen gewohnlich, was sie erwarteten.
        Rapid hatte nun eine noch wichtigere Funktion: sie war sein einziger Aufklarer.
        Nachdem Lapish von Keen zu seiner Gig gebracht worden war, setzte Argonaute Segel und ging zusammen mit Icarus auf Sudwestkurs. Die beiden Schiffe segelten mit gro?em Abstand in Querlinie und erweiterten so das Sichtfeld ihrer Ausguckposten. Rapid lag so weit vor ihnen, da? sie selbst vom Krahennest kaum auszumachen war.
        Keen kehrte zuruck an den Kartentisch und erklarte:»Die Franzosen wurden bei Kap Creus gesichtet, Sir, einem idealen, nur knapp zwanzig Meilen von der Grenze entfernten Ankerplatz. Sollen wir sie angreifen, falls sie noch dort sind?»
        Bolitho spielte mit dem Stechzirkel.»Das konnte Spanien provozieren. Andererseits wurde es den Dons zeigen, da? wir uns um ihre scheinheilige Neutralitat nicht scheren. Und zur Abwechslung konnte es Jobert mal in die Defensive treiben. «Je langer er daruber nachdachte, desto ferner ruckten Alternativen. Bisher hatte Jobert alle Eroffnungszuge gemacht und dabei beinahe Bolithos Geschwader angeschlagen. Er mu?te auf die hohe See gelockt werden. Der Winter stand vor der Tur, dann wurde das Wetter den Feind begunstigen und nicht die Schiffe im Blockadedienst.
        Fur die nachste Woche wurde ein britischer Geleitzug nach Malta erwartet, und es war damit zu rechnen, da? der Feind davon erfuhr. Sobald die Versorgungsschiffe vor Gibraltar ankerten, wurden feindliche Spione ihre Ankunft und womoglich auch ihre Ladung weitermelden.
        Bolitho massierte sich das Auge. Was, wenn sie auf eine spanische Patrouille trafen? Sollten sie dann kampfen oder sich zuruckziehen?

«Landfall ist morgen, Val«, sagte er grimmig.

«Jawohl, Sir. «Wenn Keen sich angesichts der Moglichkeit eines Gefechts um Zenoria sorgte, so lie? er sich das wenigstens nicht anmerken.
        Nachdem Keen gegangen war, trat Allday ein und fragte:»Brauchen Sie etwas, Sir?»
        Bolitho horte sofort die Teilnahmslosigkeit in seiner Stimme.»Was ist los?»
        Allday starrte zu Boden.»Nichts, Sir.»
        Bolitho lie? sich in seinen Sessel fallen.»Raus damit, Mann.»

«Das behalte ich lieber fur mich, wenn Sie nichts dagegen haben, Sir«, erwiderte Allday trotzig.
        Es war sinnlos, weiter in ihn zu dringen. Allday war wie eine Eiche und wurzelte tief. Wenn er soweit war, wurde er schon mit seinem Problem herausrucken.
        Tuson war der nachste Besucher. Bolitho hatte gelernt, die regelma?ige Behandlung zu ertragen und sich die Schmerzen beim Verbandwechsel nicht anmerken zu lassen. Er offnete das linke Auge und schaute starr zu den Heckfenstern. Wa?rige Sonne und ein tiefblauer Horizont. Er spannte sich, spurte jahe Hoffnung und ballte dann die Fauste, als sich der Schatten wieder wie ein Vorhang vor sein Gesichtsfeld legte.
        Tuson sah seine verkrampften Hande.»Nur nicht den Mut verlieren, Sir. Das bessert sich noch.»
        Bolitho wartete, bis der Verband wieder verknotet worden war. Dann fragte er abrupt:»Was ist eigentlich mit meinem Bootsfuhrer los?»
        Tuson sah ihn an.»Es geht um Bankart, Sir, seinen Sohn. Ein Pech, da? er an Bord ist, wenn Sie mich fragen.»
        Bolitho fa?te ihn am Hemdsarmel.»Mit mir konnen Sie doch offen reden, Mann.»
        Tuson klappte seine schwarze Tasche zu.»Wie wurden Sie sich fuhlen, Sir, wenn Ihr Neffe sich als Feigling entpuppte?»
        Bolitho horte, wie die Tur geschlossen wurde.
        Ein Feigling? Bittere Erinnerungen durchfluteten ihn: der Augenblick, als Midshipman Sheaffe zuruckgelassen worden war, vermutlich verwundet. Die Gelegenheiten an Deck der Supreme, bei denen Bankart gefehlt hatte. Und Stayts Stimme auf dem Kutter; der hatte es schon damals gewu?t.
        Wie konnte er uber solche Dinge nachdenken, wenn so viel von ihm erwartet wurde? Er dachte an die Instruktionen, die er Lapish gegeben hatte: entern oder versenken. Die neue Harte seines Denkens, war sie von der Blindheit ausgelost worden? Doch dann entsann er sich, wie er den franzosischen Matrosen, der das Teleskop des Ausguckpostens trug, ohne Nachdenken, ohne Zogern niedergehauen hatte. Nein, der Grund lag tief in ihm verborgen. Vielleicht hatte Belinda das erkannt und Angst um ihn bekommen, denn der Krieg zerstorte ebenso rucksichtslos wie eine Kugel oder Pike.
        In dieser Nacht, als die Argonaute durch eine aufgewuhlte See stampfte, lag Bolitho in seiner Koje und versuchte zu schlafen. Als er endlich eindoste, traumte er von Belinda. Oder war es Cheney? Aber die Szene in Falmouth verwandelte sich in eine Seeschlacht, die zu einem Alptraum wurde, denn er sah sich selbst darin als Leiche.
        Am nachsten Tag hielt Rapid ein portugiesisches Fischerboot an, nachdem ihm ein Schu? vor den Bug gesetzt worden war.
        Nach einer Weile erreichte die Nachricht das Flaggschiff: Der Fischer hatte vor zwei Tagen den Golf von Rosas unterhalb des Kaps passiert. Dort lag ein gro?es franzosisches Kriegsschiff.
        Bolitho ging auf seiner Heckgalerie auf und ab und kummerte sich nicht um den Wind und die Gischt, die ihn bis auf die Haut durchna?te.
        Das franzosische Schiff wurde kaum nach Gibraltar segeln, sondern vor Anker bleiben oder in Richtung Toulon auslaufen. Und zwischen ihm und seinem Ziel wurde Argo-naute liegen.
        Er schickte nach seinem Flaggleutnant.

«Signal an Icarus: >Station halten.< Rapid soll bei ihr bleiben.»
        Wenn er dazu in der Lage gewesen ware, hatte er gesehen, wie Stayt eine Augenbraue hob. Bolitho tastete sich an den Tisch und starrte hilflos auf die Seekarte. Dann drehte er sich zu Stayt um und grinste.»Morgen wird Argonaute wieder unter ihrer alten Flagge segeln.»

«Und wenn es Jobert ist, Sir? Er wurde das Schiff doch sicher erkennen.»

«Unwahrscheinlich. Er halt sich bestimmt bei seinem Geschwader auf. Und wenn wir erst einmal wissen, wo das ist…«Den Rest lie? er unausgesprochen.
        Minuten spater wehten die Flaggen hell an ihren Leinen aus und wurden von Icarus und spater auch von der kleinen Brigg bestatigt.
        Wenn sich der Wind gegen sie stellte, wurde er umdenken mussen. Da der Master aber zuversichtlich war, da? er weiterhin aus Sudwest wehen wurde, bestand vielleicht die Chance, an die Franzosen heranzukommen.
        Die Kuste, die der Feind als Zufluchtsort gesehen hatte, konnte fur ihn zu einer Falle werden.
        Kapitan Valentine Keen nahm sich in seiner Kajute einen Augenblick Zeit, um sicherzustellen, da? er alles hatte, was er in den nachsten Stunden brauchte. Das Schiff schien still zu sein, abgesehen vom regelma?igen Achzen der Balken und dem gedampften Rauschen des Wassers am Rumpf.
        Er sah sein Spiegelbild und zog eine Grimasse. Bald wurde er an Deck gehen und befehlen, das Schiff klar zum Gefecht zu machen. Furcht beruhrte eiskalt sein Ruckgrat. Auch das war normal. Er musterte sich so sorgfaltig wie einen Untergebenen: sauberes Hemd, saubere Hose. Das verringerte die Entzundungsgefahr, falls er verwundet wurde. Er beruhrte seine Seite und spurte das Ziehen der alten Wunde. Der Blitz trifft nie zweimal die gleiche Stelle, hie? es. Im Spiegel sah er sich lacheln. Ein Brief an seine Mutter lag in der Stahlkassette. Wie oft habe ich jetzt schon so an sie geschrieben? fragte er sich.
        Es klopfte leise - Stayt.

«Sir Richard ist an Deck, Sir. «Das klang wie eine Warnung.
        Keen nickte.»Vielen Dank. «Stayt verschwand wieder in der Finsternis. Seltsamer Vogel, dachte er. Dann lockerte er seinen Degen in der Scheide und vergewisserte sich, da? seine Uhr tief in der Tasche steckte, falls er sturzte.
        Er horte leise Stimmen vor der Tur und ri? sie auf, ehe jemand anklopfen konnte.
        Erst sah er nur ihr blasses, ovales Gesicht; sie steckte vom Kinn bis zu den Fu?en in seinem Bootsmantel, den er ihr vor einer Weile geschickt hatte. Er fuhrte sie in die Kajute, die bald ebenfalls geraumt und gefechtsbereit gemacht werden wurde.
        Vielleicht war das franzosische Schiff ja gar nicht da?
        Doch er verwarf diesen Gedanken. Der Wind war zu frisch, und kein Kommandant wurde Lust verspuren, gegen ihn anzukampfen, um womoglich an einer Leekuste zu enden.
        Er ergriff Zenorias Hande.»Du bleibst mit Ozzard im Frachtraum, Liebste, da bist du sicher. Er wird sich um dich kummern. Wo steckt deine Gefahrtin?»

«Millie ist schon unten. «Ihre Augen wirkten im Schein der Blendlaterne sehr dunkel.
        Keen zog ihr den Bootsmantel zurecht und spurte, wie sich ihre Schultern versteiften.»Gut so. Unten ist es kalt. Und keine Angst.»
        Sie schuttelte den Kopf.»Angst habe ich nur um dich, falls..»
        Er beruhrte ihre Lippen.»Nein. Wir sind bald wieder zusammen. «Er zog sie sanft an sich, glaubte, ihren Herzschlag zu spuren, und erinnerte sich an ihre Brust in seiner Hand.»Es stimmt, Zenoria, ich liebe dich«, murmelte er.
        Als sie ging, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. Ob zur Erinnerung oder um ihm Mut zu machen, das wu?te er nicht.
        Er griff nach seinem Hut und stieg rasch zum Achterdeck hinauf. Bolitho stand in Luv bei den Netzen, und die Argo-naute lief so hoch am Wind, wie ihre Rahen gebra?t werden konnten.
        Die ganze Nacht uber war das Schiff gegen den Wind nach Nordwest aufgekreuzt, bis es das Kap gut querab hatte, um dann zu wenden und auf das Land und die kleine Bucht zuzuhalten, wo der Franzose angeblich lag. Die ermudenden Wendemanover verschafften ihnen beim Endspurt auf den Feind einen Vorteil, denn dann wurden sie vorm Wind segeln. Selbst wenn es dem Franzosen gelingen sollte, ihnen zu entkommen, gab es fur ihn nur einen Fluchtweg, und den wurden Icarus und Rapid blockieren.
        Bolitho drehte sich um und fragte:»Wie lange noch?»
        Keen sah, wie verkrampft er den Kopf hielt, und litt mit ihm.»Ich lasse bei Tagesanbruch klar zum Gefecht machen, Sir.»
        Bolitho klammerte sich an die Netze, als das Schiff in ein riesiges Wellental sackte; es schien vom Bug bis zur Heckreling zu erzittern.

«Bekommen die Manner vorher zu essen?»
        Keen lachelte traurig.»Jawohl, Sir. Die Kombuse ist bereit. «Beinahe hatte er» selbstverstandlich «gesagt.
        Bolitho schien sich unterhalten zu wollen.»Sind die Frauen unter Deck?»

«Jawohl, Sir«, sagte Keen. Er dachte an Millie, die Zofe aus Jamaika. Er hatte den Verdacht, da? sie heimlich ein Verhaltnis mit Wenmouth hatte, dem Korporal, der sie vor Unbill schutzen sollte.»Die Vorstellung, da? sie wahrend des Gefechts dort unten sitzt, ist mir unangenehm«, gestand er.
        Bolitho beruhrte seinen Verband.»Falls es uberhaupt zum Gefecht kommt. Im Augenblick aber, Val, ist sie hier besser aufgehoben als in irgend einem Hafen.»
        Zwischen den Decks trillerten die Pfeifen, und Decksoffiziere befahlen den Mannern, die Hangematten abzunehmen und zusammenzurollen. Innerhalb weniger Minuten war das Deck von Matrosen uberflutet, die zu den Netzen rannten und ihre Hangematten als Schutz gegen Splitter und Musketenkugeln hineinstopften. Aus dem Kombusenschornstein kam der kraftige Geruch nach gebratenem Speck, und aus dem Luk horte Bolitho den dunnen Klang einer Fiedel. Zeit zu essen, frische Kleider anzuziehen, mit einem Freund einen Schluck Rum zu trinken und ein Lied anzustimmen. Fur manche mochte es das letzte Mal sein.
        Keen war nach vorne gegangen, um mit dem Bootsfuhrer zu sprechen. Bolitho drehte sich um und suchte nach dem Wachoffizier.»Mr. Griffin!»
        Doch der Schatten war nicht der Leutnant, sondern Mid-shipman Sheaffe.
        Bolitho zuckte die Achseln.»Sagen Sie mir, was vorgeht.»
        Sheaffe blieb neben ihm stehen.»Mr. Fallowfield sagt, da? es in einer halben Stunde zu dammern beginnt. Es ist bewolkt, wie Sie sehen, Sir. «Er verstummte und sagte dann:»Verzeihung, Sir Richard.»

«Daran gewohne ich mich allmahlich«, erwiderte Bolitho.»Aber ich freue mich schon auf den Tag, an dem ich wieder sehen kann.»
        Keen kam nach achtern zuruck und legte gru?end die Hand an den Hut.»Der Landfall erfolgt punktlich, Sir«, rief er.»Ich kann bald halsen, aber erst.»
        Bolitho, dessen Haar im Wind wehte, drehte sich zu ihm um.»Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen eingescharft habe, Val: Verbannen Sie alles au?er dem bevorstehenden Gefecht aus Ihren Gedanken. «Seine Stimme hatte ihren harten Klang verloren, als er hinzufugte:»Sonst wird unsere tapfere Zenoria noch vor ihrer Hochzeit zur Witwe.»
        Keen grinste. Er legte die Hande um den Mund, gerade als ein schwacher Sonnenstrahl wie flussiges Gold an der Gro?-bramstenge hinabglitt, und rief:»Mr. Paget! Klar Schiff zum Gefecht!»
        Bolitho holte tief Atem, als Trommelwirbel erschollen und die Pfeifen die Mannschaft zusammenriefen. Er brauchte nicht sehen zu konnen, um zu wissen, was vor sich ging: dumpfe Schlage unter Deck, wo Trennwande entfernt und personliche Habseligkeiten ins Orlopdeck, tief unter die Wasserlinie, geschafft wurden. Pulver wurde aus dem Magazin geholt und Sand aufs Deck gestreut, damit die Geschutzbedienungen nicht ausglitten. Au?erdem sollte er Blut aufsaugen.
        Bolitho spurte Allday neben sich und hob den Arm, damit sein Bootsfuhrer ihm den Degen an den Gurtel hangen konnte. Fur einen neuen Kampf, zu Sieg oder Versagen. Dachte eigentlich jemand an diese Manner hier, wu?te man an Land, wie viele Menschenleben geopfert werden mu?ten, damit man sich dort ein angenehmes Leben machen konnte?
        Pagets Stimme.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!»
        Keen sagte:»Gut gemacht, Mr. Paget, aber beim nachsten Mal mu? das zwei Minuten schneller gehen!»

«Aye, aye, Sir. «Das war nur ein Spiel zwischen Kommandant und Erstem Offizier. Genau wie bei mir und Thomas Herrick, dachte Bolitho. Er begann jetzt Umrisse zu erkennen, die ausgestopften Hangemattsnetze, die Achtzehnpfun-der auf dem Oberdeck.
        Keen rief:»Ruder drei Strich nach Steuerbord! Neuer Kurs Nord zu West!»
        Paget setzte seinen Sprechtrichter an.»An die Brassen!»
        Keen umklammerte die Querreling und sah zu, wie die gro?en Rahen gebra?t wurden. Als der Bug sich hob, sah er zum ersten Mal vage Land, das sich schrag an Backbord dahinzog. Er wandte sich an Bolitho, um ihn zu informieren, schwieg aber, als er feststellte, da? der Vizeadmiral noch so dastand wie zuvor, Allday dicht hinter sich. Bolitho hatte nichts gesehen - eine Tatsache, die Keen ruhrend und zugleich besorgniserregend fand. Allday warf ihm einen raschen Blick zu, der Bande sprach.

«Entern Sie auf, Mr. Griffin«, sagte Keen,»und melden Sie, was Sie sehen.»
        Midshipman Sheaffe und seine Signalgasten standen an den Flaggleinen bereit. An Deck lag eine riesige franzosische Trikolore klar zum Hei?en.
        Keen nahm ein Teleskop und kletterte in die Wanten. Das Land lag in der Sonne, schien aber nur wenig Substanz zu haben. Sie liefen zwei Meilen entfernt fast parallel zur Kuste. Die Bucht war zehn Meilen breit, und an einem Ende ragte das zerkluftete Kap schutzend ins Meer hinaus: ein perfekter Ankerplatz.

«Irgendwelche Schiffe zu sehen?«rief Bolitho.

«Bisher noch keine, Sir.»

«Hei?en Sie die Trikolore und setzen Sie die Bramsegel. Wir mussen so beweglich wie moglich sein.»
        Keen gab dem Ersten Offizier einen Wink, hielt dann aber inne, als ein Ruf des Ausgucks alle nach oben schauen lie?.

«Schiff recht voraus!»
        Keen starrte in die Takelage, da? seine Augen tranten, von Ungeduld geplagt, bis Leutnant Griffin erganzte:»Linienschiff, Sir! Vor Anker!»
        Keen sah die gro?e Trikolore an der Gaffel auswehen, wahrend die Manner in den Webeleinen aufenterten, um mehr Segel zu setzen.

«Kurs Nord zu West, Sir!»
        Keen horte Bolitho leise sagen:»Sieht aus, als hatten wir doch noch Gluck.»
        Als die warmenden Sonnenstrahlen das Achterdeck erreicht hatten, spurte Bolitho die zunehmende Spannung. Er wu?te nicht, ob er Keen uber jede seiner Ma?nahmen Bericht erstatten lassen oder ihn mit seinen Fragen verschonen sollte.
        Doch schon trat Keen neben ihn.»Der Franzose liegt nur vor Buganker«, berichtete er. Er legte eine Pause ein, damit Bolitho sich ein Bild machen konnte. Da der Wind noch immer von Suden kam, wurde das andere Schiff auf sie zuschwojen, als sei es auf konvergierendem Kurs. Keen fugte hinzu:»Keine Anzeichen von Aufregung, Sir. Bisher jedenfalls. Mr. Griffin sagt, es lagen Boote langsseits, unter anderem ein Leichter mit Wasserfassern.»
        Bolitho mu?te plotzlich an Supreme denken und den sterbenden Hallowes, dessen Hand er gehalten hatte.

«Sehr passend.»

«Mit Ihrer Zustimmung, Sir, beabsichtige ich, zwischen dem Feind und der Kuste durchzulaufen. Das Wasser ist dort tief genug. So haben wir den Windvorteil und konnen ihn beim Passieren beschie?en. «Mit halbem Ohr nahm er die heiseren Rufe der Stuckfuhrer und die rauheren Tone des furchterregenden Geschutzmeisters Crocker wahr. Der stand mit der ersten Abteilung an Steuerbord und wurde das Gefecht genie?en.

«Noch ein Schiff, Sir! An Backbord voraus!»
        Keen ri? Midshipman Hext das Fernrohr aus der Hand.»Eine spanische Korvette«, sagte er dann.
        Stayt murmelte:»Es wird ihr schwerfallen, an uns heranzukommen, Sir. Sie mu?te gegen den Wind aufkreuzen.»

«Achten Sie auf ihre Signale, Mr. Sheaffe. Sie wird bald verlangen, da? wir uns genauer zu erkennen geben. «Er hob die Stimme.»He, ihr da an Deck! Behaltet den Franzosen im Auge, nicht diesen lacherlichen kleinen Pott!«Jemand lachte.
        Bolitho meinte:»Meiner Ansicht nach wird er nicht reagieren. Die Spanier haben ihre Absprachen mit den Franzosen.»
        Als die kleine Korvette wendete, schaumte das Wasser an ihren Geschutzpforten entlang, als sei sie auf Grund gelaufen. Das Land hinter ihr war hoch und grun. Hier und dort wiesen wei?e Flecke auf vereinzelte Anwesen hin.
        Es mochte hier zwar eine Kustenbatterie geben, dachte Bolitho, aber das war unwahrscheinlich. Die nachste gro?ere Garnison sollte sich in Gerona befinden, nur zwanzig Meilen landeinwarts.
        Das kleine spanische Kriegsschiff war nun bis auf eine Kabellange herangekommen. Bolitho horte druben die Taljen rasseln, ein Anker wurde klariert, als schickten sie sich an, ihn fallen zu lassen. Auf dem Franzosen mu?ten viele Augen die Argonaute beobachten. Man wurde nicht nur auf ihren Baustil achten, sondern auch auf ihre Vorbereitungen.
        Bolitho war unruhig, weil er nicht richtig sehen konnte. Er nahm Stayt ein Teleskop ab und stutzte es auf die Finknetze. Nun erkannte er die Korvette, deren rot-gelbe Flagge steif auswehte, als sie an den Wind ging, um zu wenden. Tuson wurde ihn zurechtweisen, weil er das gute Auge uberanstrengte. Doch der Arzt war im Krankenrevier und wartete auf die nachste Ernte.
        Fallowfield grollte:»Guter Gott, der Wind springt um!»
        Manner eilten wieder an Brassen, Schoten und Halsen, und Keen sagte:»Auf Sudwest, schatze ich, Sir.»
        Bolitho nickte und stellte sich die Seekarte vor. Der Wind schlug um. Fortuna, wie Herrick sich ausgedruckt hatte, stand ihnen bei.

«Klar zum Aufgeien der Breitfock, Mr. Paget!«rief Keen.
        Von der Korvette wehte ein dunner Ruf heruber.

«Winken Sie ihnen mit dem Hut zu!«sagte Bolitho.
        Keen und Stayt winkten zum Spanier hinuber, der rasch nach Backbord abgetrieben wurde.
        Noch eine Meile. Bolitho packte die Reling und spahte zwischen dem Tauwerk und den Vorsegeln nach vorn. Er konnte den Feind schrag an Backbord liegen sehen, so wie Keen es beschrieben hatte.
        Keen warf Paget einen Blick zu.»Bitte lassen Sie laden.»
        Der Befehl wurde sofort an das untere Deck weitergegeben, und Bolitho konnte sich die Bedienungen vorstellen, die sich mit bereits schwei?nassen Rucken im Halbdunkel hinter noch verschlossenen Stuckpforten mit Kugeln und Kartuschen abplagten. Seit seinem zwolften Lebensjahr kannte er das: Die Manner an den Kanonen, die rotgestrichenen Bordwande, damit das Blut nicht so auffiel, und hier und da eine Autoritatsperson in Blau und Wei?, ein Leutnant oder Decksoffizier.
        Es schien nicht lange zu dauern, bis beide Decks» klar «gemeldet hatten.
        Bolitho horte Hauptmann Bouteiller von den Royal Marines mit seinem Leutnant Orde flustern. Wie die anderen Seesoldaten duckte er sich hinters Schanzkleid, um noch nicht vom Feind gesehen zu werden. Der Anblick eines einzigen roten Rockes hatte gewirkt wie ein Stich ins Hornissennest.

«Breitfock festmachen!«Es mu?te den Anschein haben, als verkurzten sie Segel und schickten sich zum Ankern an.
        Bolitho trat von der Reling zuruck und verschrankte die Hande auf dem Rucken. Nun konnte es nicht mehr lange dauern. Fest stand jedenfalls, da? Jobert nicht druben an Bord war. Er hatte sofort gefechtsklar gemacht, wenn er im Licht der Morgendammerung sein altes Flaggschiff erkannt hatte.

«Funf Kabellangen, Sir!»
        Bolitho spurte, wie ihm der Schwei? ausbrach. Noch eine halbe Meile.

«Der Franzose hat ein Signal gesetzt, Sir!»
        Nun war es soweit. Beim Ausbleiben einer Antwort wurde man sie auf der Stelle als Feinde erkennen.

«Halt, Mr. Paget, belege den letzten Befehl!«schrie Keen.»Setzt Bramsegel!»
        Pfeifen trillerten, und hoch uber Deck huschten die Toppgasten wie Affen hinaus auf die Rahen, um die zusatzlichen Segel zu losen.

«Drei Kabellangen, Sir!»
        Uber dem Singen des Windes in der Tagelage horten sie das schwache Schmettern einer Trompete. Nun war es mit dem Versteckspiel vorbei. Als die Scharfschutzen der Royal Marines mit ihren Musketen hoch oben in den Gefechtsmarsen die Drehbassen bemannten, ging der Rest der Truppe an den Finknetzen in Stellung und legte die Musketen an.
        Keen schatzte den richtigen Augenblick ab, wu?te, da? Paget bereit war, auf jeden Befehl sofort zu reagieren.»Stuckpforten auf.»
        In der Bordwand hoben sich die Pfortendeckel wie schlafrige Augenlider.

«Sie kappen das Ankertau, Sir!»
        Keen bi? sich auf die Lippen. Zu spat.»Ausrennen!»
        Rumpelnd und quietschend reckten sich die Rohre der schweren Kanonen wie Russel aus den Pforten. Die Mundungen der gro?en Zweiunddrei?igpfunder im unteren Batteriedeck hoben und senkten sich bereits, als die Geschutzfuhrer ihr Ziel suchten.
        Bolitho nahm Stayt erneut das Glas ab und richtete es auf das andere Schiff. Er sah, wie sich sein Vor-Marssegel von der Rah loste, wie Manner aufenterten oder sich auf dem Vorschiff ums Ankerspill drangten. Der Wasserleichter lag noch immer langsseits, seine Besatzung stand da und starrte die drohend nahende Argonaute an.
        Der Anker wurde gekappt, und der franzosische Zweidek-ker driftete mit killenden Segeln ab. Seine Besatzung war verzweifelt bemuht, das Schiff unter Kontrolle zu bekommen.

«Achtung, Backbordbatterie!»
        Keen machte im Sonnenlicht schmale Augen, wartete ab, bis die Trikolore wieder an Deck gefallen war und an ihrer Stelle die britische Seekriegsflagge von der Gaffel wehte. Oben im Topp flatterte Bolithos Flagge jetzt steif im Wind, und Keen horte einen Midshipman einen schrillen Hochruf aussto?en.
        Argonautes langer Kluverbaum kreuzte kaum eine Kabellange entfernt den Bug des anderen Schiffes.
        Keen hob seinen Degen. Er horte das Knirschen der Handspaken vom Vorschiff und sah, wie die Steuerbordkarronade langsam gerichtet wurde; ihre achtundsechzig Pfund schwere Granate wurde zuerst abgefeuert werden. Die langlaufigen Kanonen sollten schie?en, wenn sie ein Ziel fanden, aber nicht in einer vollen Breitseite, sondern Deck fur Deck, Paar fur Paar.

«Ziel auffassen, Jungs!«Die Klinge des Degens fuhr blitzend herab.

«Feuer!»



        X Vergeltung

        Ohne zu wenden oder den Kurs um auch nur einen Strich zu andern, rauschte Argonaute an dem treibenden franzosischen Zweidecker vorbei, und bei jedem widerhallenden Abschu? ging ein heftiger Ruck durch ihren Rumpf. Die Geschutzfuhrer waren so gut bei der Sache, da? jedes Kanonenpaar feuerte wie ein einzelnes Stuck.
        Bolitho wankte und ware beinahe ausgerutscht, als das Deck unter einem besonders hohen Brecher in Schraglage ging. Seine Nustern blahten sich im bei?enden Rauch, der Kanonendonner lie? seine Ohren singen. Keen wischte sich das Gesicht, als die letzten Geschutze an ihren Taljen binnenbords liefen und die Manner eifrig auswischten und nachluden.
        Der Franzose war schwer beschadigt worden; qualmende schwarze Narben in seiner Bordwand zeugten von der Genauigkeit des sorgsam gezielten Feuers. Ein paar franzosische Kanonen erwiderten den Angriff, und eine Kugel schlug dicht uber der Wasserlinie in den Rumpf der Argonaute wie eine gepanzerte Faust.
        Keen sah aus schmalen Augen zu, wie der Franzose erst die Breitfock und dann das Gro?marssegel setzte. Seine Mannschaft befolgte zwar die Befehle, aber das Schiff lag fast quer zu Wind und Seegang und war verzweifelt bemuht, dem Angreifer seine Schmalseite zu bieten.

«Achtung! In der Aufwartsbewegung!«rief Keen. Dann schaute er fur den Bruchteil einer Sekunde Bolitho an und sah ihn so, wie er ihn in Erinnerung hatte: kerzengerade, dem Feind zugekehrt, auch wenn er ihn nicht sehen konnte.»Volle Breitseite!«Dies mochte ihre letzte Chance sein. Undeutlich bekam er die spanische Korvette zu sehen, die nun weit achteraus lag, ein hilfloser, verbluffter Zuschauer.
        Weitere Kugeln schlugen in ihre Bordwand ein, und irgendwo schrie ein Mann gequalt auf.
        Keen hob den Degen. Die Sonne blendete ihn, ihm traten Tranen in die Augen.

«Feuer!»
        Als die Pfeifen schrillten und die Bramstengen dippten, donnerte die Breitseite mit solcher Wucht aus dem Rumpf, da? sie das Gefuhl hatten, auf Felsen gelaufen zu sein.
        Uberall Rauch und verkohlte Ladepfropfen, aber Keen sah das feindliche Schiff erbeben und in Schraglage gehen, als es von der vollen Salve getroffen wurde. Schanzkleid und Takelage flogen in alle Richtungen, und fallende Trummer und aufschie?ende Gischt hullten den Rumpf ein.

«Zundloch stopfen! Auswischen! Laden!«Pagets Stimme ubertonte den Wind und das Quietschen der Taljen.
        Allday sagte in einer plotzlichen Pause:»Wir haben ihn verkruppelt, Sir! Fast alle Segel sind durchschossen!»
        Bolitho, der befurchtete, wieder das Gleichgewicht zu verlieren, hielt sich an der Reling fest. Er glaubte, selbst uber diese Entfernung den Einschlag der Breitseite gehort zu haben.

«Gehen Sie naher ran. Kapitan Keen!«befahl er knapp.

«Mehr Steuerbord, Mr. Fallowfield!«Keen verstummte, als Kugeln in den Rumpf krachten und am Vorschiff Hangematten aus den Finknetzen flogen.

«Das war ein Kettenschu?!«schrie Keen und warf dem Master einen Blick zu.»Naher heran!»
        Manner eilten an die Brassen, wahrend andere auf dem oberen Batteriedeck wie die Teufel mit Handspaken und Taljen arbeiteten, Laufe richteten, ihr Ziel auffa?ten.

«Feuer!»
        Wieder donnerte eine Breitseite heraus. Bolitho horte jemanden einen Hochruf aussto?en.»Ihr Besanmast ist weg!«rief Allday.»Sie versuchen zu wenden, damit wir sie nicht durchs Heck der Lange nach beschie?en konnen!»
        Bolitho griff sich ein Fernrohr und pre?te es ans rechte Auge. Die Witze uber den einaugigen Nelson vor Kopenhagen kamen ihm nun langst nicht mehr so komisch vor. Er sah, wie sich der unscharfe Umri? des franzosischen Schiffes verkurzte, als die Argonaute auf es zuhielt, bis ihr Bugspriet direkt auf die Poop wies.
        Der andere Kommandant hatte die Lage noch nicht ganz unter Kontrolle gebracht, als Argonautes zweite Breitseite einschlug und sein Schiff vom Bug bis zum Heck bestrich. Anstatt sein Wendemanover fortzusetzen, verfiel er nach Lee. Sein Heck war in herabgefallene Spieren und Segel gehullt, hier und da feuerten aus seiner ladierten Bordwand ein paar Geschutze unkoordiniert, und winzige Blitze uber seinem Schanzkleid zeigten, da? Scharfschutzen sich wehrten.

«Kurs halten!»
        Keen ging in die Hocke, um durch die Rauchwolken zu spahen. Er sah den Wasserleichter kentern und Manner und Fasser in die See kippen. Angesichts seines durchlocherten Rumpfes war es ein Wunder, da? er uberhaupt so lange schwimmfahig geblieben war. Auf der anderen Seite des Linienschiffes hatte ein weiteres kleines Fahrzeug, eine Yawl, abgelegt und versuchte sich zu entfernen, um nicht das Schicksal des Leichters zu teilen.
        Keen fa?te einen Entschlu?.»Mr. Fallowfield, gehen Sie auf Backbordbug!«Der Franzose lag immer noch quer zum Wind und wurde von den Trummern der Takelage, die er langsseits mitschleppte, am Manovrieren gehindert. Der zerschmetterte Leichter sank rasch, und Keen erkannte, da? er durch seine Bugleine noch mit dem Linienschiff verbunden war. Doch Keen, der schon an vielen Gefechten teilgenommen hatte, wu?te, wie rasch das Gluck sich wenden konnte. Der franzosische Kommandant hatte trotz der Katastrophe, die ihn unvorbereitet ereilt hatte, einen kuhlen Kopf bewahrt und sich die Zeit genommen, seine Stuckmannschaften mit Kettenkugeln laden zu lassen. Eine gutgezielte Salve davon mochte eine entscheidende Spiere aus ihrem Rigg rei?en - und uber Sieg oder Niederlage entscheiden.
        Befehle wurden gebrullt, und wieder hievten die Manner an den Brassen. Bolitho spurte den Luftzug einer vorbeisausenden Kugel, horte einen Aufschlag und etwas, das wie ein Keuchen klang, als das Gescho? einem Seesoldaten den halben Schadel wegri? und ihn von den Netzen schleuderte. Seine Kameraden verlie?en ihre Posten, als die Achterwache an die Brassen des Besanmastes gepfiffen wurde. Das Schiff holte stark uber und begann auf dem entgegengesetzten Bug zu segeln.
        Keen trat zu Bolitho und schrie, um den Larm zu ubertonen:»Der Feind kann Sie sehen, Sir! Ziehen Sie meinen Rock uber!»
        Bolitho klammerte sich an ein Want und schuttelte den Kopf.»Ich will gesehen werden!«Weitere Kugeln zischten an ihm vorbei, klatschten auf der anderen Seite in die Hangematten oder fuhren krachend in die Decksplanken. Bo-litho spurte Zorn in sich aufwallen, jede Vernunft und Vorsicht vertreiben. Keen verstand ihn nicht. Als Halbblinder furchtete er sich davor, seinen Halt loszulassen und sich wie jeder andere Mann, der seine funf Sinne beisammen hatte, so zu bewegen, da? er ein moglichst schlechtes Ziel bot. Mit seinen schimmernden Epauletten war er eine Herausforderung fur jeden feindlichen Scharfschutzen, aber er riskierte lieber einen Treffer, als noch einmal das Gleichgewicht zu verlieren.
        Drei Donnerschlage - das franzosische Schiff erwiderte das Feuer.
        Bolitho hob das Fernrohr. Es war schwer und mit einer Hand nicht leicht zu stabilisieren. Jah sah er das franzosische Linienschiff gro? und scharf umrissen an Steuerbord aufragen. Keens Wendemanover hatte die Distanz verringert. Nun gab es fur den franzosischen Kommandanten keine Chance mehr, das Gefecht abzubrechen, zu wenden und zu fliehen.
        Er sah das verletzliche Heck des Feindes gro?er werden, hervorgehoben durch die Lucke, die der gefallene Besan-mast gerissen hatte.

«Wir passieren mit einer knappen Schiffslange Abstand, Sir«, sagte Keen grimmig.
        Ein Ausguckposten wartete auf eine Feuerpause und rief dann heiser:»Schiffe an Backbord, Sir!»

«Ein Offizier aufentern!«rief Keen. Er duckte sich und hustete, als eine Kugel durch die Netze fetzte und Hangematten in alle Richtungen schleuderte. Ware nicht der Kurs geandert worden, hatten dort in dichter Reihe Seesoldaten gestanden.
        Ein Schiffsjunge, ein Kind noch, der vorgebeugt mit frischen Kugeln fur den Neunpfunder auf dem Achterdeck angerannt kam, wurde getroffen, als er das Geschutz erreichte. Die entsetzte Bedienungsmannschaft fand sich jah blutbespritzt, als die Kugel den Jungen so sauber mitten entzweiri?, da? die Beine noch weiterzulaufen schienen, als der Rumpf schon auf den Planken lag.

«Kurs Nordost zu Ost, Sir!»

«Ziel auffassen!»
        Keen winkte zum Vorschiff, obwohl die Bedienungsmannschaft der Karronade kaum der Ermunterung bedurfte. An jedes Geschutz waren zusatzliche Manner abkommandiert worden, abgezogen von den nicht beteiligten Kanonen der Backbordbatterie.
        Weitere Schusse jaulten uber sie hinweg, und mehrere Segel tanzten, als plotzlich Locher in ihnen klafften und Trummer der Takelage klappernd uber Netze und Seitendecks fielen.
        Hauptmann Bouteiller brullte:»Orde, schalten Sie diese Scharfschutzen aus!»
        Eine Drehbasse knallte. Bolitho fuhlte das Deck unter seinen Fu?en zittern und wu?te, da? eine Kugel ihn fast erwischt hatte. Trotzdem ruhrte er sich nicht. Der Feind sollte ihn sehen, sollte wissen, wer ihm das angetan hatte.
        Eine Stimme drang durch den Larm.»Es sind Spanier, Sir!»
        Bolitho horte Keen Befehle brullen. Spanier also, in der Nahe stationierte Schiffe, die den Angreifer aus ihren Gewassern vertreiben wollten.

«Feuer!»
        Ein heftiger Ruck fuhr durch das Schiff, als die Karronade auf kurzeste Distanz ins Heck des Feindes feuerte.
        Es war ein Volltreffer. Das gesamte verzierte Heck schien nach innen einzubrechen, als die schwere Granate unter der Poop explodierte, ihren Gescho?hagel in die Geschutzbedienungen jagte und das mit Menschen gefullte Deck in ein Schlachthaus verwandelte.
        Als die Argonaute langsam und unerbittlich das zerstorte Heck des Gegners querte, feuerte sie wieder eine morderische Breitseite ab. Auf dem unteren Batteriedeck hatte man irgendwie Zeit gefunden, Doppelkugeln zu laden, als wisse jeder Stuckmeister, da? dies ihre letzte Chance war, ehe die Argonaute vom auffrischenden Wind entweder gegen den Feind oder an ihm vorbeigetrieben wurde.
        Keen sah betroffen zu, wie die Gro?bramstenge des Feindes weggerissen wurde und ein Kanonenrohr auf dem unteren Batteriedeck des Franzosen in einem Feuerball explodierte. Entweder hatte ein verangstigter Matrose vor dem Nachladen das Auswischen vergessen, oder die Kanone war zu alt gewesen.
        Keen rief:»Die Spanier werden uns in einer Stunde erreichen, Sir. Sollen wir das Gefecht abbrechen?»
        Weitere Schusse donnerten aus dem unteren Batteriedeck der Argonaute. Die schweren Zweiunddrei?igpfunder richteten auf dem anderen Schiff, das nun steuerlos zu treiben schien, schreckliche Verwustungen an.
        Als Bolitho keine Antwort gab, fuhr Keen herum aus Sorge, ein Scharfschutze konnte seinen Admiral getroffen haben. Doch Bolitho schaute zu dem anderen Schiff hinuber und hielt dabei den Kopf schrag, als konne er so klarer sehen.

«Dieses Schiff wird lange kampfunfahig bleiben, Sir«, erganzte Keen.»Hat es die Flagge gestrichen?»
        Keen starrte ihn an. Er erkannte Bolithos Stimme kaum wieder; sie war barsch, gnadenlos.»Nein, Sir.»
        Bolitho blinzelte, als eine feindliche Kugel durch die Wanten fuhr und ein Mann so schrill aufschrie wie eine gepeinigte Frau.

«Es darf nie wieder kampfen. Fuhren Sie das Gefecht fort. «Er hielt Keen, der sich hastig entfernen wollte, am Arm fest.»Wenn wir abbrechen, geht der Franzose hier vor Anker und repariert. Aber ich will, da? dieses Schiff total zerstort wird.»
        Keen nickte. Ihm schwirrte der Kopf vom Krachen der Kanonen, dem aufgeregten Rufen der Marinesoldaten, und er empfand Ubelkeit, als er Blut an der Bordwand des Feindes herablaufen sah; er konnte sich das Grauen unter Deck gut vorstellen.
        Paget, die Augen hell im rauchgeschwarzten Gesicht, schaute fragend zu ihm auf.
        Keen machte eine Kopfbewegung, und Sekunden spater fetzte wieder eine Breitseite heraus, kalkuliert und mit Bedacht. Kaum ein Geschutz erwiderte das Feuer. Durchs Fernrohr sah Keen, wie der Fockmast des Franzosen zu kippen begann.
        Er winkte Stayt, der sich ein Sprachrohr schnappte und gelenkig in die Wanten des Besanmastes kletterte.

«Abandonnez! Gebt auf!»
        Doch nur Musketenfeuer antwortete ihm.
        Die Segel der Argonaute schlugen und fingen erneut den Wind ein, als Fallowfield sie um das treibende, entmastete Wrack herumsteuerte. Keen warf Bolitho einen raschen. Blick zu, doch dessen Ausdruck blieb unerbittlich.
        Keen hob den Degen und dachte an das Madchen, das tief unter seinen Fu?en im Laderaum Schutz gesucht hatte, und an die Leichen, die an den Geschutzen herumlagen. Jemand hatte eine zerfetzte Persenning uber den Schiffsjungen geworfen, der von der feindlichen Kanonenkugel entzweigerissen worden war.
        Inzwischen war es kein Gefecht mehr. Der Feind erinnerte Keen an ein hilfloses wildes Tier, das auf den Gnadensto? wartete.
        Der nachste Stuckmeister beobachtete ihn, die Abzugsleine schon gespannt.»Klar zum Feuern!«Er horte, wie der Befehl durch Pfeifsignale zum unteren Batteriedeck weitergegeben wurde, und machte sich auf die Breitseite gefa?t.

«Wei?e Flagge, Sir!«rief jemand.
        Keen schaute zu Bolitho hinuber und erwartete fast doch noch die Order zum Abfeuern der Breitseite.
        Bolitho spurte den Blick. Er konnte von Keen nur einen verschwommenen Umri? erkennen, das Blau und Wei? der Uniform, sein blondes Haar. Rauch und Anstrengung lie?en sein Auge brennen, doch seine Stimme klang beherrscht:»Die Franzosen sollen das Schiff verlassen. Dann versenken Sie es.»
        Paget rief:»Starke Rauchentwicklung, Sir. Er mu? Feuer gefangen haben.»
        Bolitho wartete, bis das Deck waagrecht war, und ging dann zur Querreling. Er horte schwache Rufe von dem anderen Schiff und roch schwelende Takelage, die den Franzosen jeden Augenblick in ein Inferno verwandeln konnte.

«Der Krieg ist kein Spiel, Val«, sagte er leise,»und auch kein Ehrenhandel fur Freund oder Feind. «Sein Ton verhartete sich.»Denken Sie an die Supreme. Da gab es kein Pardon fur den armen Hallowes. Jetzt gebe auch ich keins. «Er machte kehrt und ging auf die andere Seite, rutschte dabei in einer Blutlache aus. Hier war ein Seesoldat von einer Kugel gefallt worden, die Bolitho nur um eine Handbreit verfehlt hatte.
        Paget schrie:»Nein, die Yawl hat Feuer gefangen, Sir!»
        Keen hob das Fernrohr und sah das kleinere Schiff vom Zweidecker wegtreiben. Anstatt den Versuch zu unternehmen, die Flammen zu loschen, sprangen die Manner zu seinem Erstaunen ins Wasser.
        Bolitho, der die eifrigen Spekulationen auf dem Achterdeck mitangehort hatte, sagte scharf:»Nehmen Sie sofort Fahrt auf! Diese Yawl mu? Pulver geladen haben!»
        Pfeifen zwitscherten, und die Manner hasteten wieder auf ihre Posten. Andere legten auf den Rahen uber den durchlocherten Segeln aus, als sich das Schiff langsam dem einladenden Horizont zuwandte.
        Die Explosion kam wie ein Vulkanausbruch. Sie uberraschte die Manner und erschutterte den Rumpf, als wolle sie ihre Rache bis hin zur Argonaute tragen.
        Die ihnen abgewandte Seite des Zweideckers war der vollen Wucht der Explosion ausgesetzt. Schon als das Wasser wieder ins Meer zuruck zu sturzen begann wie ein zerfetzter Vorhang, hatte das Kriegsschiff Schlagseite. Die Explosion, bei der die Yawl so grundlich zerstort worden war, da? noch nicht einmal eine treibende Spiere an sie gemahnte, mu?te das Unterwasserschiff des Zweideckers eingedruckt haben.
        Keen schaute hin und konnte die jahe Katastrophe kaum begreifen. Ein wenig naher, und Argonaute hatte das Schicksal ihrer Gegnerin geteilt.
        Bolitho uberquerte das Achterdeck und blieb stehen, um sich den stummen Offizieren zuzuwenden.

«Damit ist uns eine Muhe erspart, Gentlemen.»
        Der Rauch hatte seinem Auge so ubel mitgespielt, da? er ihre Gesichter kaum erkennen konnte. Doch ihre Besturzung spurte er auch so, und sie bereitete ihm Genugtuung. Auf dem Weg nach unten, von Allday gestutzt, dachte er an Keens unglaubigen Tonfall, als er ihm befohlen hatte, das Gefecht weiterzufuhren. In diesem Augenblick hatte er mehr als nur Zorn empfunden, mehr als die Schmerzen, die ihn fast geblendet hatten. Nein, es war Ha? gewesen. Etwas Wei?gluhendes, Gnadenloses, das ihn fast dazu bewogen hatte, eine weitere Breitseite zu befehlen. Der Feind war langst geschlagen gewesen, als ein Verzweifelter an einem Bootshaken die wei?e Flagge gehi?t hatte. Argwohnisch, fast furchtsam dachte er daruber nach. Also Ha?. Dieses Gefuhl war ihm bisher so fremd gewesen wie Feigheit.
        Das Deck neigte sich, und als der Wind das neugesetzte Gro?bramsegel blahte, entfernte sich die Argonaute von dem sterbenden Schiff und den treibenden Uberlebenden. Zumindest sie wurden von den Spaniern gerettet werden.
        Keen hatte Bolithos Gesicht beobachtet und die Wirkung seiner kaltschnauzigen Bemerkung auf die jungen Offiziere.
        Er kannte seinen Admiral in fast jeder Situation und liebte ihn mehr als jeden anderen Mann. Aber manchmal war er ihm ein Fremder.
        Tuson wischte sich die Finger an einem Lappen ab und musterte Bolitho streng.

«Wenn Sie so weitermachen, Sir Richard, kann ich Ihre Genesung nicht langer garantieren.»
        Er rechnete mit einer scharfen Entgegnung, aber zu seinem Schrecken schien Bolitho uberhaupt nicht zugehort zu haben. Er war an die Heckfenster getreten und starrte apathisch ins glitzernde Kielwasser.
        Durch das Schiff hallten Hammerschlage, und Taljen quietschten, als neues Tauwerk zu den Rahen hinaufgehievt wurde, um wahrend des Gefechts beschadigtes zu ersetzen.
        Die Atmosphare an Bord war fast unbeschwert. Man hatte einen Sieg errungen. Funf Manner waren gefallen, zwei schwer verwundet. Den Rest hatte Tuson als leichtverletzt bezeichnet. Die Heftigkeit ihres Angriffs hat die Verluste niedriger gehalten, als Bolitho zu hoffen gewagt hatte. Er hatte Tusons Warnung verstanden; aber es war sinnlos, Einwande zu erheben.
        Durch die dicke Scheibe sah er den dunstigen Umri? der Icarus, deren Gro?segel in der Mittagssonne fast wei? leuchtete. Rapid war voraus auf Station, und abgesehen von den Reparaturen und funf Seebestattungen wies nichts darauf hin, da? sie einen franzosischen Zweidecker versenkt hatten. Keen hatte festgestellt, da? der Name des Schiffes Calliope war, ehe die Karronade sein Heck zu Kleinholz gemacht hatte.

«Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Sir…«fuhr Tu-son fort.
        Bolitho schaute in seine Richtung.»Sie sind ein guter Arzt. Aber was konnen Sie mir schon raten? Beim Gehen verliere ich das Gleichgewicht wie ein betrunkener Matrose, und ich kann kaum einen Mann vom anderen unterscheiden. Was wollen Sie mir dagegen raten?»

«Trotz allem haben Sie ein Gefecht gewonnen, Sir.»
        Bolitho wies nach oben zum Skylight.»Die Manner haben es gewonnen, nicht ich.»

«Sie konnten einen Stellvertreter anfordern«, Tuson sprach trotzig weiter, auch als Bolitho wutend herumfuhr,»und sich daheim von einem Facharzt behandeln lassen.


«Ich werde Nelson nicht um einen Gefallen bitten. Die Franzosen kommen heraus, das wei? ich genau.»

«Und was soll aus dem Madchen werden?»
        Bolitho lehnte sich zuruck und spurte die Sonne durch das Glas hei? auf seiner Brust.

«Ich werde Vorkehrungen fur sie treffen.»
        Tuson lachelte.»Sie wollen mich nicht mit hineinziehen, wie?»
        Es klopfte an, und Keen betrat die Kajute. Er war in den drei Tagen seit dem Gefecht fast unablassig auf den Beinen gewesen.

«Geht es Ihnen gut, Sir?«fragte er Bolitho. Bolitho wies auf einen Stuhl. Jedenfalls nicht schlechter.»
        Keen sah, da? Bolithos Fu? nervos wippte. »Rapid hat ein Schiff im Sudwesten gemeldet, Sir. Ein kleines, das sich unter vollen Segeln nahert.«»Aha.»
        Keen war bemuht, seine Besorgnis zu verbergen. Bolitho wirkte so uninteressiert. Alles Feuer, alle Entschlossenheit, die er bei der Vernichtung des Franzosen gezeigt hatte, schien verschwunden zu sein.
        Der Posten rief:»Midshipman der Wache, Sir!»
        Keen seufzte und ging zur Tur.»Na, was ist, Mr. Hickling? Spannen Sie uns nicht auf die Folter.»
        Der Junge zog eine Grimasse und versuchte, sich an den genauen Wortlaut der Meldung zu erinnern.

«Empfehlung von Mr. Paget, Sir. «Sein Blick glitt an Keen vorbei in die Kajute, wo sich Bolithos Umri? vor den Heckfenstern abhob. Hickling war erst dreizehn und hatte wahrend des Gefechts auf dem unteren Batteriedeck mit ansehen mussen, wie ein Mann von Splittern zerrissen wurde. Trotzdem wirkt er unverandert, dachte Keen.
        Hickling fuhr fort:»Das Schiff ist als die Brigg Firefly identifiziert worden, Sir.»
        Bolitho kam wankend auf die Beine und rief:»Ist er ganz sicher?»
        Hickling beobachtete seinen Admiral neugierig und ohne Ehrfurcht. Dafur war er einfach noch zu jung.»Mr. Paget meint ja, Sir Richard.»
        Bolitho legte dem Midshipman die Hand auf die Schulter.»Eine gute Nachricht.
«Hickling starrte die Hand an und wagte sich nicht zu ruhren, als Bolitho hinzufugte:»Leutnant Paget hat Ihr Verhalten unter Feuer sehr gelobt. Gut gemacht, Mr. Hickling.»
        Der Midshipman eilte fort, und Keen sagte leise:»Das war sehr freundlich von Ihnen, Sir. Nicht jeder hatte sich die Muhe gemacht.»
        Er sah Bolitho zur Sitzbank zuruckkehren und merkte, da? er bedachtig einen Fu? vor den anderen setzte, als wolle er die Bewegungen des Schiffes ertasten, einer Falle ausweichen.
        Bolitho wu?te, da? Keen ihn beobachtete. Aber wie konnte ich meinen Kummer teilen? dachte er. Wie kann ich ihm sagen, da? ich au?er mir vor Sorge bin? Ha?, Rachsucht, Kaltblutigkeit sollten in meinem Leben keine Rolle spielen, und dennoch.

«Ich mache mir die Muhe, weil ich nicht vergessen habe, wie ich mich in seinem Alter fuhlte, Val. Getreten und schikaniert, von keinem geachtet, keiner vertraute mir - ein gutes Wort hatte da einen gewaltigen Unterschied gemacht. «Er schuttelte den Kopf.»Ich hoffe nur, da? ich das nicht vergesse.»
        Der Schiffsarzt hatte seine Tasche gepackt und verabschiedete sich. An der Tur schaute er Keen an.»Da der junge Mr. Bolitho im Anmarsch ist, hoffe ich, da? wir in dieser schwierigen Situation bald einen Verbundeten bekommen.»
        Bolitho zog die Stirn kraus.»Unverschamtheit!»
        Keen schlo? die Tur.»Was er sagt, hat Hand und Fu?.»
        In jaher Erkenntnis fuhr Bolitho zusammen. Adam wu?te nichts von seiner Verletzung. Wie wurde er es aufnehmen?

«Ihr Neffe ist stolz auf Sie, Sir«, meinte Keen sanft, als hatte er seine Gedanken gelesen.»Und ich bin es auch.»
        Bolitho gab keine Antwort und starrte noch immer achteraus, als Keen sich entfernte.
        Oben nickte Keen seinen Offizieren zu und schaute zum klaren Himmel auf. Es war schon, aber kuhl. Er trat an die Querreling und blickte hinab in die Kuhl, den Marktplatz, wie er es nannte. Der Segelmacher und seine Gehilfen waren darin mit ihrem Handwerk beschaftigt, flickten und verstarkten. Bootsmann und Schiffszimmermann berieten uber die Holzvorrate, und starker Teergeruch lag in der Luft.
        Doch Keen dachte an das Nachspiel des Gefechts. An die Erleichterung, als er Zenoria wieder in den Armen hielt, an das unglaubliche Gluck, das einer dem anderen bedeutete. Sie hatte das Gesicht an seiner Brust vergraben, als er sie so fest umarmte, da? er durch das Hemd hindurch die Narbe auf ihrem Rucken spurte.
        Die letzte, furchterliche Explosion war durch den Laderaum gefahren wie ein Donnerschlag, hatte Ozzard berichtet. Zenoria habe seine und Millies Hand gehalten und mehr Mut bewiesen als sie beide zusammen.
        Keen erblickte Allday an den inzwischen wieder eingesetzten Booten. Wutend reckte er den Kopf bis auf eine Handbreit vor das Gesicht des Zweiten Bootsfuhrers. Das sah ubel aus. Wie den Arzt begann auch Keen Bankarts Anwesenheit zu storen.

«An Deck! Schiff Backbord voraus!»
        Keen warf Paget einen Blick zu und nickte. Firefly hatte zu keinem gunstigeren Augenblick eintreffen konnen. Der junge Hickling konnte nicht ahnen, wie willkommen seine Meldung gewesen war.
        Firefly brachte Nachrichten aus der Heimat, vielleicht einen Brief fur den Admiral. Aus London konnte noch nichts eingetroffen sein, was Zenoria anging. Aber zumindest war die Sache in die Wege geleitet, Krieg hin oder her. Er dachte an sie in seinen Armen, wie selbstverstandlich sich das angefuhlt hatte.
        Paget betrachtete ihn und wandte sich zufrieden ab.
        Der Kommandant sah glucklich aus. Das mu?te jedem Ersten Offizier nur recht sein.
        Bolitho erhob sich, als vertraute Gerausche durchs Skylight drangen. Die Manner waren an die Brassen gerufen worden. Das Flaggschiff bereitete sich zum Beidrehen vor und zum Empfang des Kommandanten der Brigg.
        Wie gern hatte er an der Schanzkleidpforte gestanden, wenn Adam an Bord kam. Doch das war Keens Privileg - ein Kommandant begru?te den anderen. Aber er wu?te, da? er nicht nur aus Tradition fernblieb. Er hatte auch Angst vor dem, was sein Neffe denken und sagen mochte, wenn er ihn zu Gesicht bekam.
        Allday trat aus der Schlafkabine und hielt ihm den Rock hin. Bolitho war so in Gedanken, da? er Alldays finstere Laune nicht spurte. Vielleicht ein Brief von Belinda…
        Er hob den Kopf, als Pagets Stimme ubers Deck schallte.
        Das Ruder der Argonaute wurde gelegt, und sie schwang mit laut killendem Tuch in den Wind, schwankte eine Zeitlang heftig, bis die verbliebenen Segel aufgegeit waren.
        Einen Augenblick lang hatte er Adams Brigg durch die wassertriefenden Fenster gesehen, ihre Flagge als kleinen Farbfleck im Wind. Er fragte sich, ob Fireflys Eintreffen von einem ungesehenen Fischerboot bemerkt, ob ihr Auftrag bereits einem Spion in Gibraltar oder Verrater in London bekannt geworden war.
        Allday musterte ihn stumpf. Er konnte es nicht ertragen, seinen Admiral so hilflos und unsicher zu sehen. Er hatte versucht, ihn mit seinem Korper zu decken, als sie den Franzosen angriffen, weil Bolitho einfach dagestanden hatte, unfahig oder nicht bereit, sich in Deckung zu begeben.

«Schon, Adam wiederzusehen, auch wenn es nur fur kurze Zeit ist«, sagte Bolitho. Inch sto?t in ein paar Tagen zu uns, und dann machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Jobert!»
        Allday nahm den alten Degen von der Wand. Er ha?te Jobert, weil er Bolitho so zugerichtet hatte.
        Pfeifen trillerten, die Seesoldaten prasentierten ihre Musketen. Aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Yovell die au?ere Tur offnete. Bolitho kam Adam ein paar Schritte entgegen, bemuht, an einer Stelle zu bleiben, von der aus er an einem Tisch oder Stuhl Halt finden konnte.
        Doch es kamen zwei Besucher, nicht nur einer.
        Bolitho ergriff Adams Hande und merkte, da? sein Neffe bereits Bescheid wu?te.

«Wie geht's, Onkel?«Adam versuchte nicht, seine Besorgnis zu verbergen.

«Nicht ubel. «Er wollte das Thema wechseln.»Du vernachlassigst deine Pflicht. Wie hei?t unser Gast?»

«Mr. Pullen«, erwiderte Adam betreten.»Von der Admiralitat.»
        Der Mann hatte einen knochigen Handedruck.»Unterwegs nach Malta, Sir Richard. «Es horte sich an, als lachelte er.

«Bitte nehmen Sie Platz. Allday, geh Ozzard holen. «Er wu?te, da? Adam ihn anstarrte, um die Schwere seiner Verletzung abzuschatzen.

«Und was fuhrt Sie hierher, Mr. Pullen?»
        Der Mann machte es sich bequem. Er war ganz in Schwarz wie eine Krahe, fand Bolitho und kehrte dem Licht den Rucken zu, da er wu?te, da? sie so nur seinen Verband zu sehen bekamen und sonst nichts.

«Ich habe mich in Malta im Auftrag von Admiral Sir Hayward Sheaffe um gewisse Angelegenheiten zu kummern, Sir Richard.»
        Bolitho rang sich ein Lacheln ab.»Geheime Angelegenheiten, nicht wahr?»

«Gewi?, Sir Richard. «Als Ozzard mit einem Tablett herbeigeeilt kam, sagte er: Vielen Dank, Wein mit Wasser genugt mir.»

«Ich hatte dich gern gesprochen, Onkel«, sagte Adam.
        Bolitho entnahm seinem Ton, da? etwas nicht stimmte.»Kann das nicht warten?«fragte er.»Ich bin sehr beschaftigt.»
        Pullen zog einen Umschlag hervor und legte ihn auf den Tisch. Bolitho starrte ihn an, fuhlte sich in die Enge getrieben, denn er konnte nicht lesen.»Darf ich auch Sie um Geduld bitten?»
        Der Mann zuckte die Achseln.»Ich kann mir vorstellen, da? Sie alle Hande voll zu tun haben, Sir Richard. Schlie?lich haben Sie ein Gefecht hinter sich, auch wenn man das dem Schiff kaum ansieht.»
        Bolitho unterdruckte eine jahe Gereiztheit.»Wir haben einen franzosischen Zweidecker versenkt. «Mehr sagte er nicht.

«Vorzuglich. Sir Hayward wird sich freuen. «Pullen musterte sein Glas mit verdunntem Wein.»Ich belastige Sie nur ungern, Sir Richard. Aber die Angelegenheit ist wichtig. Man hat mich ersucht, Ihren Flaggkapitan aufzufordern, in Malta umgehend vor einem Untersuchungsausschu? zu erscheinen.»
        Kein Wunder, da? Adam versucht hatte, ihn zu warnen.»Zu welchem Zweck?«fragte Bolitho gelassen.

«Aus zwei Grunden, wie ich hore, Sir Richard«, meinte Pullen selbstgefallig.»Er verhielt sich unklug, indem er einen Verbannungsbefehl mi?achtete und eine Frau -
«, er betonte das Wort, als sei es eine Obszonitat -»aus dem Gewahrsam entfernte. Ich nehme an, da? er fur seine Handlungen, wie fehlgeleitet sie auch sein mogen, eine Erklarung hat, mu? aber darauf hinweisen…»

«Wer hat diese Anschuldigung erhoben?»
        Pullen seufzte.»Es ging eine schriftliche Anzeige ein, Sir Richard. Aber Ihnen sollte die Angelegenheit keinen Anla? zur Sorge bieten. Es handelt sich nur um einen lastigen Zwischenfall.»

«Sie sind impertinent, Sir«, sagte Bolitho leise.»Diese Frau wurde mi?handelt und ausgepeitscht! Kapitan Keen tat nur seine Pflicht.»

«Das ist nicht von Belang, Sir Richard.»
        Bolitho starrte ihn an und erwiderte:»Wir sind hier auf einem Schlachtfeld, Mr. Pullen, nicht in einem sicheren und bequemen Buro. Hier habe ich die Befehlsgewalt. Wenn ich Sie ergreifen und halb totpeitschen lassen wurde, durfte niemand meinen Befehl in Frage stellen. «Er horte, wie der Mann scharf Luft holte. Es konnte Monate dauern, bis mich jemand zur Rechenschaft zieht. Wurden Sie auch das als einen >lastigen Zwischenfall bezeichnen?»
        Pullen schluckte.»Ich wollte Sie nicht beleidigen, Sir Richard.»

«Das haben Sie aber getan! Glauben Sie vielleicht, ich sehe tatenlos zu, wie der Name eines mutigen Offiziers wegen dieser Absurditat in den Schmutz gezogen wird?»
        Pullen beugte sich vor. Sein Selbstvertrauen kehrte zuruck.»Dann ist an der ganzen Sache also nichts Wahres dran?»

«Darauf brauche ich nicht zu antworten.»
        Pullen erhob sich und stellte sein noch volles Glas auf den Tisch.»Nicht mir, Sir. Aber Sie werden dem Befehl entnehmen, da? Sie zusammen mit Ihrem Flaggkapitan vorgeladen sind.»
        Bolitho starrte ihn an.»Ich soll diese Station verlassen? Wissen Sie, was Sie da sagen? Haben Sie denn keine Vorstellung von den Absichten des Feindes?»

«Fur Erwagungen dieser Art bin ich nicht zustandig, Sir Richard. «Pullen verbeugte sich knapp.»Mit Ihrer Erlaubnis mochte ich mich nun zuruckziehen, wahrend Sie Ihre Entscheidung treffen.»
        Lange Zeit blieb Bolitho stocksteif unterm Skylight stehen. Das Ganze war nur ein boser Traum. Wie die Schatten vor seinen Augen mu?te er bald verfliegen.
        Adam sagte bitter:»Ich hatte keine Ahnung davon, Onkel. Warum hast du mir nichts von dieser Frau gesagt?«Er zogerte.»Es darf keinen Klatsch geben.»
        Bolitho ergriff seinen Arm.»Sie ist hier an Bord, Adam. Wenn dieser Widerling der Sache einen so unanstandigen Anstrich geben konnte, ist mehr Schaden angerichtet worden, als ich dachte. Es handelt sich um ein braves, tapferes Madchen, das wegen einer falschen Beschuldigung in die Verbannung geschickt wurde. Und das werden wir beweisen.»
        Die Tur ging auf, und Keen kam mit bleichem Gesicht herein.

«Aber bis uns das gelungen ist, kommt sie in Eisen auf ein Straflingsschiff«, sagte er und schaute Adam an.»Ich liebe sie, mussen Sie wissen. Ich liebe sie mehr als mein Leben.»
        Adam schaute von einem zum anderen, spurte sofort Keens Aufrichtigkeit und das Mitgefuhl seines Onkels.

«Pullen ist Kartenspieler«, meinte Adam. Beide starrten sein dunkles Gesicht an, das nun grimmig geworden war.»Ich konnte ihn des Falschspiels bezichtigen und zum Duell fordern.»
        Bolitho trat zu ihm und packte ihn an den Schultern.

«Nein. Wir haben schon genug Arger. La? deinen Degen stecken. «Er druckte seine Schultern.»Aber du bist ein Prachtkerl.»

«Ich habe einen Brief von Lady Belinda fur dich«, sagte Adam bedruckt und hielt Bolitho den Umschlag hin.»Und ich wei?, weshalb du Pullens Papiere nicht gelesen hast. «Diese Erkenntnis schien ihn zu schockieren.

«Mu?t du sofort weiter?«fragte Bolitho.

«Aye. «Als Adam den Kopf senkte, fiel ihm das widerspenstige Haar in die Stirn. Ich horte, da? John Hallowes gefallen ist, Onkel. Er war mein Freund.»

«Ich wei?. «Gemeinsam gingen sie zur Tur.»Ausgerechnet jetzt, da ich hier am meisten gebraucht werde, mu? ich wegen dieser dummen Affare das Geschwader verlassen. Bis zu meiner Ruckkehr ubergebe ich Inch das Kommando. «Er schaute Keen an.»Keine Angst, ich lasse das Madchen nicht im Stich.»
        Adam folgte Keen hinaus und sah Pullen an der Pforte warten. Wer steckt hinter diesen Anschuldigungen? fragte er sich. Da? sie auf Wahrheit beruhten, fand er weniger wichtig.
        Er gru?te die Ehrenkompanie und sah dann Keen an.

«Sie haben meine Loyalitat, Sir. «Er beruhrte seinen Degen.»Und meine Waffe auch, wenn Sie sie brauchen. «Dann folgte er Pullen ins Boot.
        Keen wartete, bis die Gig angerudert hatte, und ging dann hinuber zu seinem Ersten Offizier.»Wir setzen Segel, sobald der Admiral einen Brief zur Firefly geschickt hat.»
        Pullen hatte offensichtlich als Beobachter bis Malta an Bord bleiben wollen, um sich dann am Ziel in einen Kerkermeister zu verwandeln. Bolithos Drohungen hatten ihn wohl umgestimmt. Nun wurde er sie dort mit noch verscharfter Feindseligkeit erwarten.

«Ich finde das Ganze sehr bedauerlich, Sir. «Paget zuckte unter Keens scharfem Blick zusammen, wich aber nicht zuruck.»Uns tut das allen leid. Es ist nicht fair.

        Keen senkte den Blick.»Vielen Dank. Ich glaubte, es sei genug, im Krieg tapfer zu kampfen. Aber offenbar gibt es Leute, die meinen, es stunde uns besser an, uns gegenseitig an die Kehle zu springen.»
        Ein Boot trug Bolithos hastig diktierten Brief hinuber zur Brigg, und als die Nacht hereinbrach, war Firefly bereits hinter der Kimm verschwunden.
        Keen ging auf dem Achterdeck auf und ab und starrte in den roten Sonnenuntergang. Firefly hatte also doch nur schlechte Nachrichten gebracht.



        XI Heimlich von Bord

        Am fruhen Morgen begab sich Bolitho aufs Achterdeck. Zwei Tage waren verstrichen, seit Adam mit Firefly eingetroffen war und ihm die Vorladung uberbracht hatte.
        Argonaute lag unter Marssegeln und Kluver behaglich auf Steuerbordbug. Ihre Decks waren noch taufeucht, die Seeleute raumten im Morgendammerlicht geschaftig lose Taue weg und scheuerten die Decksplanken. Ein widerlicher Geruch kam aus dem Schornstein der Kombuse; bald wurden alle Mann zum Fruhstuck entlassen werden.
        Bolitho sah, wie der Wachhabende ihn verblufft anstarrte und sich dann hastig zur Leeseite verzog. Auch die Ruderganger druckten das Kreuz durch; Augenblicke zuvor hatten sie sich noch mude an das Doppelrad gehangt und nur an Fruhstuck gedacht, wie miserabel es auch ausfallen mochte.
        Ein, zwei Matrosen schauten vom Hauptdeck zu Bolitho auf. Seit seiner Verwundung hatten sie ihn nur selten zu Gesicht bekommen. Er hielt die Hand ubers Auge und schaute zum Land: lila und tiefblau uber einem stahlblauen Horizont. Am Himmel zogen vereinzelte Wolken dahin, deren Rander die aufgehende Sonne rosa und golden farbte. Die See war ruhiger.
        Er machte ein paar Schritte, hielt die Hande fest auf dem Rucken verschrankt. Als er nach einzelnen Gestalten Ausschau hielt, schlug sein Herz schneller. Bis auf jene, die in den Schatten zwischen den Geschutzen standen, konnte er alle erkennen.
        Er rief den Wachhabenden an.»Guten Morgen, Mr. Machan.»
        Der Offizier legte die Hand an den Hut und eilte herbei.»Ein schoner Tag, Sir Richard. «Das klang verwirrt und erfreut.
        Bolitho musterte ihn eingehend. Er konnte ihn besser sehen, als er zu hoffen gewagt hatte, entsann sich aber, Sheaffe vor kurzem mit einem anderen Offizier verwechselt zu haben. Dann merkte er, da? Machan unter seinem scharfen Blick unruhig wurde.

«Ist vom Masttopp aus die Helicon zu erkennen?«fragte Bolitho.
        Sie hatten Inchs Schiff und sein Schwesterschiff noch kurz vor Einbruch der Nacht gesehen; bei Tageslicht wurden sie sich alle wieder zusammenfinden - au?er der seltsam getarnten Barracouta - aber nur, um wieder an Starke zu verlieren, wenn das Flaggschiff nach Malta segelte.
        Es war Wahnsinn, aber Bolitho wu?te, da? der Befehl ihm keinen Spielraum fur Auslegungen lie?. Wenn Keen vor ein Tribunal zitiert wurde, mu?te er sich auf eigenem Kiel dorthin begeben. Kam er als Passagier auf einer Kurierbrigg, erklarte er sich praktisch schuldig.
        Er stellte fest, da? er wieder rastlos auf- und abging und da? Machan auf seinen Posten an den Netzen zuruckgekehrt war. Die Nachricht wurde sich erst unter Deck und dann auf allen anderen Schiffen des Geschwaders verbreiten: Der Admiral war wieder auf den Beinen.
        Bolitho setzte sich mit Belindas Brief auseinander. Er war noch immer nicht ganz sicher, was er eigentlich erwartet hatte. Auf jeden Fall mehr. Ihr Brief war nicht kurz, lie? aber jede personliche Note vermissen. Sie hatte von Haus und Hof geschrieben, von Fergusons Absicht, den Gemusegarten zu vergro?ern, von dem alten Steuereinnehmer, dessen Frau schon wieder ein Kind erwartete.
        Seltsam, er hatte sich den Brief nicht von Yovell oder Ozzard vorlesen lassen, sondern Zenoria gerufen. Ihre Stimme hatte eher wie die Belindas geklungen, doch der Brief selbst war oberflachlich und ausweichend gewesen; London oder ihr kuhler Abschied blieben unerwahnt.
        Der Brief schlo?:»Deine Dich liebende Frau Belinda.»
        Er entsann sich an den Klang ihres Namens auf Zenorias Lippen; wie sehr ihn das bewegt und beunruhigt hatte.
        Das Madchen hatte ihm den Brief zuruckgegeben und gesagt:»Sie ist eine gute Frau, Sir.»
        Bolitho hatte ihre Verzweiflung, ihren Neid gespurt. Keen mu?te ihr von Pullens Besuch erzahlt haben.

«Kommen Sie ein bi?chen naher«, hatte Bolitho gesagt. Als sie sich neben ihn setzte, ergriff er ihre Hande.»Keine Angst, ich halte mein Wort.»
        Ihre Antwort hatte Zweifel verraten:»Wie wollen Sie mir jetzt noch helfen, Sir? In Malta wartet Gefangnis auf mich.»
        Es hatte angstlich, aber auch entschlossen geklungen.»Die bekommen mich nicht bei lebendigem Leibe! Niemals!»
        Er hatte ihre Hand gedruckt.»Was ich Ihnen jetzt sage, mu? unser Geheimnis bleiben. Wenn Sie es meinem Kapitan verraten, machen Sie ihn zum Komplizen. Er darf nicht noch mehr Schuld auf sich laden.»
        Sie hatte eingewilligt.
        Bolitho frostelte. Noch immer wu?te er nicht ganz genau, wie er sich der Angelegenheit annehmen sollte. Doch Zenoria durfte nicht verzagen. Womoglich sturzte sie sich uber Bord oder tat sich ein Leid an, nur um nicht wieder eingesperrt zu werden.
        Der Ausguck schrie:»Schiff in Sudost! Die Helicon, Sir!»
        Bolitho konnte sich Inchs Schiff vorstellen, dessen Segel in der schwachen Morgensonne wie rosa Muscheln leuchten mu?ten, wie es so auf die Argonaute zuhielt.
        Wieder dachte er an Zenoria. Bald wurde sie vom Eintreffen seines Stellvertreters erfahren. Damit wurde die Schraube weiter angezogen, die Fahrt zur herzlosen Obrigkeit in Malta ruckte naher.
        Keen kam barhauptig und ohne Rock an Deck. Er starrte Bolitho an und suchte nach einer Erklarung.
        Bolitho lachelte.»Schon gut, Val. Ich konnte nicht schlafen und wollte mir nur die Beine vertreten.»
        Keen grinste erleichtert.»Tut richtig gut, Sie wieder an Deck zu sehen, Sir!«Dann wurde er ernst.»Ich mochte Sie nicht weiter belasten, aber.»
        Bolitho unterbrach ihn.»Ich habe schon einen Plan.»

«Aber, Sir.»
        Bolitho hob die Hand.»Ich wei?, was Sie sagen wollen: da? die Verantwortung nur bei Ihnen liegt. Aber da irren Sie sich. Solange meine Flagge uber diesem Geschwader weht, fuhle ich mich fur die Angelegenheiten meiner Offiziere und insbesondere meines eigenen Flaggkapitans verantwortlich. «Seine Stimme klang bitter, als er hinzufugte:»Seit mein Bruder zur amerikanischen Marine desertierte, gibt es Leute, die meine Familie unbedingt in Verruf bringen wollen. Mein Vater mu?te darunter leiden, und ich selbst war mehr als einmal Ziel boswilliger Intrigen. Adam ebenfalls, aber das wissen Sie ja. Ich werde also nicht zulassen, da? man Sie ruiniert, nur um mir eins auszuwischen.»

«Glauben Sie denn wirklich, da? man dadurch Ihnen Schaden zufugen will, Sir?»

«Ohne jeden Zweifel. Doch niemand wird damit rechnen, da? ich Sie aus Ihrer Verantwortung entlasse und sie selbst auf mich nehme. «Kein Wunder, da? Pullen, dieser Aasgeier, so selbstsicher gewirkt hatte. Bei der Erkenntnis empfand er einen Ha?, der ahnlich heftig war wie in dem Augenblick, als er beinahe die Breitseite nach der Kapitulation des franzosischen Zweideckers befohlen hatte.
        Er horte sich sagen:»Lassen Sie mich das auf meine Weise regeln, Val. Und danach machen wir uns auf die Suche nach dem wahren Feind - wenn es nicht schon zu spat ist.»
        Keen beobachtete ihn. Hatte die Verwundung bei Bolitho Verfolgungswahn ausgelost? Keen hatte zwar von den Angriffen auf die Familie Bolitho gehort, von den Methoden, mit denen in der Vergangenheit versucht worden war, Beforderungen zu verhindern oder tapfer verdiente Anerkennung zu versagen. Aber es konnte doch mitten im Krieg niemand so wahnsinnig sein, tiefsitzende Ressentiments dieser Art gegen ihn auszunutzen?

«Wenn nur Zenoria in Sicherheit ware, Sir«, sagte Keen.

«Zenoria ist lediglich ein Werkzeug, Val, da bin ich ganz sicher. «Er drehte sich um, als der Midshipman rief:»Signal von Rapid, Sir!»
        Bolitho sah die Flaggen von der Rah auswehen und horte Keen sagen:»Sie konnen das Signal ja sehen, Sir!»
        Bolitho versuchte, seine Erregung zu verbergen.»Recht deutlich. «Er wandte sich zur Poop. Bald wurde der andere Verband abgenommen werden, und dann zum Teufel mit Tusons dusteren Prophezeiungen. Wenn Inch an Bord kam, sollte er einen Admiral vorfinden, keinen schwachlichen Kruppel. Er ging mit langen Schritten zu seinem Quartier und verlor nur einmal das Gleichgewicht, als das Schiff in ein tiefes Wellental tauchte.
        Yovell schrak von seinem Schreibtisch auf, als er Bolitho durch die Tur schreiten sah.

«Ich mochte Instruktionen fur Kapitan Inch von der Heli-con diktieren. Anschlie?end werde ich den Gentleman an Bord empfangen, ehe wir uns wieder trennen«, sagte er. Beflissen zog Yovell Schubladen auf und suchte nach einer neuen Feder.»Und dann soll Midshipman Hickling bei mir erscheinen.»
        Yovell nickte.»Ich verstehe, Sir Richard.»
        Bolitho musterte ihn scharf. Nichts verstehst du, aber das macht nichts.

«Der Arzt erwartet Sie, Sir«, sagte Yovell.
        Bolitho stutzte sich mit beiden Handen auf den Sessel und betrachtete sein Spiegelbild. Die kleinen Schnittwunden waren fast verheilt, sein Auge sah beinahe normal aus. Selbst das gelegentliche Brennen war weniger spurbar.

«Schicken Sie ihn rein. «Er zupfte am Verband.»Ich habe gleich eine Aufgabe fur ihn.»
        Allday kam durch die andere Tur und sah besorgt zu, wie Bolitho sich anschickte, selbst den Verband abzunehmen.»Sind Sie auch ganz sicher, da? das klug ist, Sir?»

«Sie konnen sich spater als Barbier betatigen.»
        Allday warf einen Blick auf Bolithos schwarzes Haar. Sieht doch noch ganz passabel aus, dachte er, wollte aber Bolithos neugefundene Energie nicht dampfen.
        Tuson dagegen nahm kein Blatt vor den Mund, als er Bolitho untersuchte.»Wenn Sie schon nicht auf mich horen wollen, Sir«, sagte er zornig,»dann warten Sie wenigstens ab, bis Sie von einem Fachmann untersucht worden sind!»
        Der Verband fiel zu Boden, und Bolitho mu?te sich zusammennehmen, um nicht zu zucken oder die Fauste zu ballen, als der Arzt sein Auge zum hundertsten Mal untersuchte.»Es hat sich nicht gebessert«, sagte Tuson nach einer Weile.»Wenn Sie sich nur schonen wollten…»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Er konnte auf dem Auge nur undeutlich sehen, aber die Schmerzen waren nicht zu schlimm.»Ich fuhle mich besser, und darauf kommt es an.»
        Tuson schlo? heftig seine Tasche.»Wenn Sie ein gemeiner Matrose waren, Sir Richard, wurde ich Sie einen verdammten Narren hei?en. «Er zuckte die Achseln. Aber da Sie Admiral sind, schweige ich.»
        Bolitho wartete, bis sich die Tur geschlossen hatte, und massierte sich dann das Auge. Anschlie?end starrte er sich mehrere Sekunden lang im Spiegel an. Er wurde Joberts Geschwader ausfindig machen und vernichten, ganz gleich, was geschah. Und wenn seine Manner im Gefecht zu ihm aufschauten, mu?ten sie bei seinem Anblick Mut fassen, nicht ihn verlieren.
        Wahrend der funfeinhalbtagigen Uberfahrt nach Malta verbrachte Bolitho den Gro?teil seiner Zeit in der Kajute, um Keen freie Hand fur die Reparaturen und Anderung der Wacheinteilung zu lassen, fur das Exerzieren an Segeln und Geschutzen. Die Besatzung mochte ihren Kommandanten verfluchen, aber Bolitho war zufrieden, wenn er das Quietschen der Geschutzlafetten auf den Decks horte oder die Rufe der Offiziere, die zaghafte Landratten in schwindelnde Hohen scheuchten. Allerdings kamen sie nur sehr langsam voran, manchmal mit sechs Knoten oder weniger. Ihm war deutlich bewu?t, da? die Ruckkehr auf ihre Station ebensoviel Zeit in Anspruch nehmen wurde.
        Zu seinem Vertreter Inch, einem geschickten und erfahrenen Kommandanten, hatte er kein unbegrenztes Vertrauen. Er besa? zwar genug Initiative, zogerte aber oft, sie zu ergreifen. Das machte Bolitho, dem der pferdegesichtige Inch uber die Jahre ans Herz gewachsen war, Sorgen.
        Keen kam und meldete, da? der Ausguck die Insel Malta gesichtet hatte.»Einlaufen werden wir erst am Spatnachmittag oder vielleicht wahrend der Hundewache, Sir«, erganzte er.»Es sei denn, der Wind frischt auf.»
        Bolitho merkte, da? Keen sich alle Muhe gab, nicht in sein unverbundenes Auge zu starren. Uber die Verletzung wurde nie gesprochen, doch man war sich ihrer immerzu bewu?t.

«Gut. Wenn wir auf der Reede sind, komme ich an Deck.»
        Keen lie? ihn allein, und Bolitho setzte sich. Was war der nachste Schritt? Wurde man ihn wegen seiner Verletzung vorubergehend ablosen oder ihm sein Kommando gar ganz nehmen? Keen meinte, er bilde sich diese Intrige nur ein, aber es waren einfach zu viele Zufalle auf einmal. Bolitho zog die Stirn kraus, als er sich seine Offiziere und Kommandanten vorstellte. Houston von der Icarus war der wahrscheinlichste Kandidat, da er zum Zorn neigte und einen Groll gegen Keen hegte. Auch seinen Admiral liebte er nicht gerade.
        Er fa?te einen Entschlu?. Wenn er mit keinem Argument die Anschuldigungen vom Tisch fegen und auch das Madchen nicht retten konnte, mu?te er zum au?ersten bereit sein.

«Ozzard, sagen Sie Allday, er soll Zenoria zu mir bringen. «Er trat an die Fenster und sah achteraus ein kleines Fischerboot auf den Wellen tanzen. Malta, immer wieder umkampft, erobert und verloren, hatte den Schutz der britischen Marine eher aus Angst vor den Franzosen als aus Loyalitat zu Gro?britannien angenommen.
        Bolitho stie? eine stumme Verwunschung aus, als das Schiff beim Kurswechsel uberholte. Fast hatte er wieder das Gleichgewicht verloren. Das war ebenso entnervend wie der Nebel, der vor seinem Auge hing wie feine Seide.
        Die Tur ging auf, und Allday kam mit Zenoria herein.

«Es ist fast soweit. «Bolitho geleitete sie zu einem Sessel und sah, wie sie die Armlehnen umklammerte, was ihre Fassung Lugen strafte. Er trat hinter sie und beruhrte ihr langes Haar.»Sind Sie auch ganz sicher, Sie tapferes Madchen?»
        Sie nickte und packte die Lehnen noch fester.

«Na, dann Kopf zuruck, Miss«, murmelte Allday heiser.
        Sie legte den Kopf auf die Rucklehne, knopfte nach kurzem Zogern ihr Hemd auf und legte ihren Hals frei. Bolitho ergriff ihre Hand. Kein Wunder, da? Keen sie anbetete.

«Ich bringe es nicht fertig, Sir«, sagte Allday verzweifelt.

«Fangen Sie an«, sagte sie leise.»Sofort!»
        Allday stie? einen tiefen Seufzer aus, ergriff ihr Haar und zuckte die Schere.
        Bolitho sah die schwarzen Locken zu Boden fallen.»Ich gehe jetzt an Deck. «Er druckte ihre Hand, die trotz der Schwule in der Kajute eiskalt war.»Allday kummert sich um Sie. «Dann beugte er sich vor und ku?te sie sanft auf die Wange.»Ihr Mut wird uns allen Kraft geben, Zenoria.»
        Spater, als er zu Keen aufs Achterdeck trat und zusah, wie sich der Hafen mit den wei?en Festungsanlagen vor ihnen offnete, mu?te er seine Besorgnis mit Gewalt unterdrucken.
        Salutschusse begannen uber das stille Wasser zu hallen, und auf der nachstgelegenen Batterie dippte man die Flagge. In Malta lagen zahlreiche Kustenfahrzeuge und mehrere gro?e Kriegsschiffe. Bolitho hob ein Teleskop und hielt es vorsichtig an sein gutes Auge. Am nachsten zum Kai lag ein eleganter Zweidecker, von dessen Besanmast mude die Flagge eines Konteradmirals flatterte.
        Ihm schnurte es die Kehle zu, denn das war eindeutig die Benbow. Vor seinem inneren Auge tauchten Bilder auf. Wann war er selbst Konteradmiral gewesen? Vor drei Jahren in der Ostsee, als sein Neffe Adam Dritter Offizier und Herrick Flaggkapitan seines Schiffes gewesen war.
        Von dem schweren, schwarzbraunen Rumpf wanderte sein Blick zu einer stammigen Brigg, die viel naher zu ihnen verankert war. Ungeduldig wartete er, bis sie in der sanften Brise an ihrem Ankertau herumgeschwojt war und die Sonne ihr vergoldetes Heck aufblitzen lie?. Dann erkannte er aufatmend ihren Namen: Lord Egmont. Sie war eines der altesten Falmouth-Frachtschiffe, und er hatte sie schon als Fahnrich gekannt. Mit ihrer Anwesenheit hatte er gerechnet, da ihr Name in seinen Instruktionen von der Admiralitat aufgetaucht war. Doch Wind und See oder der Feind hatten alles andern konnen. Und selbst jetzt noch.
        Er setzte das Glas ab, und die Brigg verschwand wieder in der dunstigen Ferne.
        Der Pulverdampf des Saluts hing noch uber den Rahen, als Matrosen herbeigepfiffen wurden, um die beiden Kutter zu Wasser zu lassen fur den Fall, da? der Wind fur die Wende am Ankerplatz nicht stark genug war. Ein Wachboot lag reglos im glitzernden Wasser; wahrscheinlich interessierte sich nur seine Besatzung fur ihre Ankunft. Kriegs - schiffe waren hier eine alltagliche Erscheinung, Aufmerksamkeit erregten nur die Truppentransporter und Postschiffe aus England.
        Keen legte die Hande um den Mund.»Klar zum Fallenlassen, Mr. Paget!»
        Bolitho starrte zum Ufer mit der uralten Festung und seinem geschaftigen Markt. Ein Kriegshafen, wimmelnd wie ein Ameisenhaufen. Und ein gutes Betatigungsfeld fur Spione.
        Keen sagte:»Die Firefly ist bereits ausgelaufen, Sir.«»Aye. «Zumindest Adam war aus der Sache heraus, ganz gleich wie hilfsbereit er sich auch gezeigt hatte. Liegt diese Solidaritat daran, da? wir alle aus Cornwall sind? uberlegte er. Ein hoher Offizier hatte ihm einmal ins Gesicht gesagt:»Aus Cornwall? Ihr seid doch alle Piraten und Rebellen!»
        Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Argonaute endlich mit sauberlich aufgetuchten Segeln vor Anker lag. Sonnendacher wurden aufgespannt, und dann erwartete die Besatzung die kommenden Ereignisse.
        Bolitho sah fremde Boote auf sie zuhalten: der Wachoffizier, ein Schiffsausruster von der Werft, ein verlegen drein-blickender Fahnrich von der Garnison, der die Zofe Millie abholen kam. Sie schien nicht von Bord zu wollen und klammerte sich trotz des anzuglichen Grinsens der Matrosen an ihren Korporal, als galte es ihr Leben.
        Keen sah vom Poopdeck aus Leutnant Stayt mit dem Bootsmann sprechen. Dann losten Matrosen die Verzur-rung der Admiralsbarkasse. Bolitho wollte an Land, fruher als erwartet, was ihn unbehaglich stimmte.
        Der Wachoffizier salutierte und reichte Keen einen amtlich aussehenden Umschlag. Dabei wirkte er betreten, als fuhre er einen Auftrag aus, der ihm gegen den Strich ging. Es handelte sich um eine Vorladung ins Hauptquartier: Keen hatte in zwei Tagen vor einem Tribunal der Admiralitat zu erscheinen. Der befehlshabende Flaggoffizier mu?te sie sofort nach Sichtung der Argonaute abgesandt haben.
        Stayt wartete, bis das Wachboot abgelegt hatte, und ging dann nach achtern.

«Ich soll Sir Richards Depeschen an Land bringen, Sir.»
        Keen nickte. Stayt wurde also die Barkasse nehmen. Ihm fiel auf, da? sie von Bankart, dem Zweiten Bootsfuhrer, kommandiert wurde. Ungewohnlich, dachte er. Normalerweise fuhrte Allday die Barkasse, wenn sie im Hafen oder unter den Augen der Flotte lagen.
        Er horte Midshipman Hickling um Erlaubnis bitten, mit der Gig zu einem in der Nahe liegenden Frachtschiff fahren zu durfen. Paget war einverstanden, als er erfuhr, da? auch eine Nachricht vom Admiral mitgesandt werden sollte.
        Keen schaute zur Flagge auf. Wenn sie wieder eingeholt wurde, mochte dies das Ende fur sie beide bedeuten.
        Midshipman Sheaffe kam eilig die Leiter zum Poopdeck hoch und meldete:»Empfehlung vom Admiral, Sir: Er erwartet Sie um acht Glasen.»
        Keen bi? die Zahne zusammen. Wenn Bolitho gute Nachrichten fur ihn gehabt hatte, ware er sofort gerufen worden.
        Gereizt rief er Paget zu:»Lassen Sie alle Boote aussetzen und den Rumpf untersuchen. «Es war allerdings unwahrscheinlich, da? Schaden aus dem kurzen Gefecht ubersehen worden waren. Er burdete den Mannern aus Zorn uberflussige Arbeit auf und wu?te das auch.
        Endlich horte Keen die Schiffsglocke von der Back schlagen. Es wurde Zeit.
        Plotzlich dachte er an seine Heimat Hampshire. Dort war es nun kalt und wahrscheinlich regnerisch; die Dorfbewohner bereiteten sich auf den Winter und moglicherweise auf einen Landungsversuch der Franzosen vor. Was wurden seine Geschwister sagen, wenn sie von dem Kriegsgerichtsverfahren gegen ihn erfuhren? Seinen Vater wurde es erschuttern, besonders da er von Anfang an nicht gewollt hatte, da? sein jungster Sohn zur Kriegsmarine ging.
        Als Keen in den Laternenschein der Achterkajute trat, sah er zu seiner Uberraschung, da? Bolitho seinen langen Bootsmantel trug, und glaubte einen Moment lang, Stayt habe seine Befehle mi?verstanden.
        Bolitho aber sagte gelassen:»Ich gehe an Land, Val, und nehme dazu Ihre Gig, falls Sie nichts dagegen haben. «Er lachelte rasch und nervos.»Das ist nicht ganz so formlich.»

«Selbstverstandlich, Sir. Das Schiff ist gesichert.»
        Allday stapfte durch die Kajute und nahm Bolithos alten Degen vom Halter. Keen uberlegte. Demnach wollte Bo-litho also nicht den Admiral aufsuchen, der auf Malta den Oberbefehl hatte. Fur formliche Besuche wurde es ohnehin etwas spat.
        Bolitho ruckte die Waffe an der Seite zurecht.»Ehe ich den Fu? an Land setze, statte ich der Lord Egmont einen Besuch ab«, sagte er. Keen nickte. Er hatte mit angesehen, wie das Frachtschiff zum Auslaufen vorbereitet wurde. An Deck hatten Manner zusatzliche Ladung verzurrt, vermutlich die private Beute des Kapitans.

«Wir bringen es am besten rasch hinter uns, Val«, meinte Bolitho. Er hob die Stimme:»Sind Sie fertig?»
        Keen starrte verdutzt, als ein Midshipman durch die gegenuberliegende Tur kam. Dann begriff er.»Ich wu?te nicht, da? du.»
        Zenoria sah ihn fest an. Sie war in die komplette Uniform eines Midshipman gekleidet und trug sogar eine vergoldete Seitenwaffe. Keen trat mit offenen Armen auf sie zu, sie nahm den Hut ab, und er sah, was Allday mit ihrem Haar angerichtet hatte. Es war kurz und im Nacken sauberlich mit einer schwarzen Schleife zusammengebunden, wie es sich fur einen >jungen Gentleman< gehorte, der im Begriff war, auf dem Boot seines Admirals das Kommando zu ubernehmen.
        Bolitho beobachtete die beiden und fuhlte sich plotzlich wohl, wenn er an sein Vorhaben dachte.»Ich gehe an Deck«, sagte er.»Keine Ehrenwache, klar?»
        Als die Tur sich schlo?, nahm Keen sie in die Arme. Obwohl sie sich das Hemd ausgestopft hatte, um ihre Figur zu kaschieren, spurte er ihr Herz schlagen.

«Du hast mir nichts davon gesagt. «Erst jetzt ging ihm auf, was Bolitho getan hatte und warum er beim Einlaufen in den Hafen plotzlich so erregt gewesen war. Die Lord Egmont war auf der Heimreise nach Falmouth und dort ein so vertrauter Anblick wie die Burg Pendennis.

«Er bat mich, Schweigen zu bewahren. «Als sie zu ihm aufschaute, schimmerten ihre Wimpern im weichen Licht.»Ich habe einen Brief von ihm und etwas Geld dabei, fur den Fall…»
        Er zog sie noch fester an sich. Er hatte um ihre Sicherheit gebetet, selbst wenn das bedeutete, da? er sie verlor. Doch nun, da der Augenblick der Trennung gekommen war, fand er ihn fast unertraglich.

«Du mu?t jetzt tapfer sein, mein Herz«, sagte sie leise.»Fur uns beide.»
        Ein Boot schabte an der Bordwand entlang, und Keen horte Alldays Stimme.

«Wenn ich wieder in England bin.»
        Sie nahm sein Gesicht in die Hande.»Ich warte dort auf dich. «Sie schaute ihn fest an.»Ganz gleich, was aus uns wird, ich warte. «Sie ku?te ihn langsam und trat dann zuruck.»Ich hab' dich lieb, mein Kapitan.»
        Er sah zu, wie sie sich den Hut aufsetzte und schrag in die Stirn ruckte. Sie wirkte sehr beherrscht.

«Alles klar, Sir!»
        Er nickte, wollte sie noch einmal in die Arme nehmen, wu?te aber, da? sie das beide nicht ertragen wurden.

«Jawohl. An die Arbeit, Mr. Carwithen.»
        An Deck war es fast dunkel. Keen stellte fest, da? die Laterne an der Schanzkleidpforte geloscht worden war.
        Das Boot wartete unterm Fallreep, und es waren nur wenige Manner an Deck, die mit ansahen, da? jemand das Schiff verlie?. Keen sah Tuson und Paget, aber keiner sagte etwas; selbst der Gehilfe des Masters, der Wache hatte, trat zuruck, als Bolitho vorbeiging, als existiere er uberhaupt nicht.
        Zenoria schaute ihn noch einmal an und legte gru?end die Hand an den Hut, ehe sie an der Bordwand hinunterkletterte.
        Bolitho warf Keen einen Blick zu.»Der Kapitan der Lord Egmont ist ein alter Freund von mir, Val. Keine Sorge, Ihr Passagier ist bei ihm in guter Obhut. «Er warf sich den Mantel uber die Schultern.»Wir haben keine Minute zu verlieren.»

«Vielen Dank, Sir«, sagte Keen.
        Ohne einen weiteren Blick kletterte Bolitho hinunter ins Boot. Als die Bootsgasten anruderten, konnte Keen im Heck Allday erkennen, der die Hand auf Zenorias gelegt hatte und zusammen mit ihr die Pinne fuhrte. Bolitho hatte sich so plaziert, da? die Rudermannschaft das nicht sehen konnte.
        Ozzard kam ubers Deck gesprungen und flusterte verzweifelt:»Das Kleid, Sir! Sie hat Ihr Kleid vergessen!»
        Keen wartete, bis die Gig zwischen den Schatten der verankerten Schiffe verschwunden war, und erwiderte dann:»Macht nichts. Das bringe ich ihr selbst nach England.»



        XII Loyalitatskonflikt

        Die Residenz des britischen Marinebefehlshabers auf Malta, dem Schiffe, Lagerhauser und Werften unterstanden, war ein imposantes Gebaude.
        Nach den staubigen Stra?en und der grellen Sonne fand Bolitho den Raum, in den er gefuhrt wurde, angenehm und kuhl. Ein hohes Fenster offnete sich zum Hafen und bot Aussicht auf die dicht an dicht liegenden Schiffe und die kreuz und quer verlaufenden Kielwasser der Beiboote am Beginn eines neuen Arbeitstages.
        Bolitho dachte an die Brigg Lord Egmont, die jetzt unter vollen Segeln schon auf dem Weg nach Gibraltar sein mu?te. Das aber wurde sie wegen des Fiebers ohne Aufenthalt passieren und erst auf der Carrick-Reede in Sichtweite des Bolithoschen Hauses Anker werfen. Er entsann sich auch der kleinen Achterkajute der Brigg und ihres Kapitans Isaac Tregidgo, der ihm am Tisch gegenubergesessen hatte.
        Tregidgo hatte ein Gesicht wie ein verwitterter Holzklotz, faltig und narbig nach Jahren auf See. Er war selbst unter den Handelskapitanen von Falmouth eine Legende. Sturme, Fieber, Piraten und Krieg, der Alte hatte alles uberlebt. Er mu? uber siebzig sein, dachte Bolitho, der ihn schon sein Leben lang kannte.
        Selbst seine Begru?ung war typisch gewesen.»Dann setz dich mal, Dick. «Er hatte breit gegrinst, als Bolitho seinen Bootsmantel fallen lie?.»Wie ich hore, bist du sogar geadelt worden. Fur mich bleibst du aber der junge Dick!»
        Bolitho hatte Zenorias Bewegungen nebenan gehort. Ihr stand kaum mehr als ein Kabinett zur Verfugung, aber dort war sie sicher.
        Der Kapitan hatte ihn neugierig gemustert.»Hatte mir doch denken sollen, da? du was im Schilde fuhrst, Admiral hin oder her. Aber keine Sorge, Dick. Meine Mannschaft ist zwar ein rauher Verein, aber auf so kurzen Uberfahrten nehme ich oft meine Enkel mit. Und die Manner huten sich vor denen!«Er hatte grimmig die Faust geschuttelt.»Wenn ich einen dabei erwische, da? er sie belastigt, kriegt er Streifen aufs Hemd!»
        Eine Bewegung der Brigg lie? Tregidgo zur Decke blinzeln.»Der Wind steht gunstig. Aber nicht fur dich, was, Dick?«Dann hatte er den Kopf abgewandt, um sich sein Mitleid nicht anmerken zu lassen.»Aber der Herr wird's schon richten.»
        Zenoria hatte verlegen mit dem Rock der Fahnrichsuniform und der Seitenwaffe in der Hand die Kajute betreten.

«Behalten Sie wenigstens die Schuhe. «Bolitho ergriff ihre Hande.»Mr. Hickling wird sie nicht vermissen. Denken Sie daran, Sie mussen ein Junge bleiben, bis Sie nach Fal-mouth kommen.»
        Sie beobachtete ihn mit jenem verschleierten Blick, der ihm als erstes an ihr aufgefallen war. Er wirkte wie eine unausgesprochene Frage. Noch immer wu?te er nicht genau, wie er sie beantworten sollte.

«Ich schicke Sie zu meiner Schwester Nancy. Sie wird wissen, was zu tun ist. Ihr Mann ist der Gutsherr und Amtsrichter.»

«Aber, Sir, er wird mich.»

«Nein. Ich habe zwar nicht besonders viel fur ihn ubrig, aber in diesem Fall wird er mich nicht im Stich lassen.»
        Er legte ihr seinen Mantel um und wandte sich zur Tur.

«Danke. Ich werde Sie nie vergessen, Sir Richard.»
        Er sah Tranen in ihren Augen. Trotz ihres kurzgeschorenen Haares und des zerknitterten Hemdes schien sie ihm schoner als je.»Ich Sie auch nicht, tapfere Zenoria.»
        An Deck hatte ihn der verwirrte Hickling erwartet. In Begleitung eines Kameraden war Hickling an Bord gekommen, doch allein wurde er das Schiff wieder verlassen. Bo-litho hatte ihm Rock und Seitenwaffe gereicht. Hickling drohte keine Gefahr, was auch geschehen mochte. Niemand konnte einem schlichten Midshipman blinden Gehorsam gegenuber seinem Vizeadmiral vorwerfen.
        Am Schanzkleid sagte der alte Tregidgo:»Wie ich hore, dient einer der jungen Stayts unter dir, Dick.»
        Bolitho lachelte.»Ja. «In Cornwall blieb nichts lange geheim. Nur die Steuereinnehmer fanden sich vom Nachrichtenstrom abgeschnitten.
        In der Dunkelheit hatte Tregidgo zum Skylight gewiesen.

«Na, dann ist sie bei mir auf jeden Fall besser dran.»

«Wieso?»

«Tja, ihr Vater war doch in den Aufstand bei Zennor verwickelt, bei dem ein Mann umkam. Stayt war der Amtsrichter und hat ihren Vater aufhangen lassen. Komisch, da? sein Sohn nichts davon erwahnt hat.»
        Daruber hatte Bolitho nachgedacht, als er ins Boot gestiegen war und Allday befohlen hatte, zunachst den Kai anzusteuern. Keen wurde ihn sofort nach seiner Ruckkehr sprechen wollen, und er brauchte Zeit zum Uberlegen.
        Wachtposten hatten ihm den Zugang zur Werft versperrt, bis er den Mantel abwarf und sie seine Epauletten erkannten. Allday hatte besorgt auf jeden seiner Schritte geachtet, nur fur den Fall, da? er das Gleichgewicht verlor und fiel.
        Bei dem Dock, in dem Supreme lag, brannten einige Laternen, in deren schwachem Schein sie fast wie fruher aussah.

«Gehen Sie an Bord?«fragte Allday.

«Nein. «Ob er es wegen seines Zustands oder der bosen Erinnerungen halber unterlie?, konnte er nicht sagen. Doch er schritt weiter uber das holprige Pflaster, bis er das Heck sehen konnte und die Stelle, wo die Kugel eingeschlagen und ihn niedergerissen hatte.
        Nun, da er in der Sonne am Fenster stand, schien die Supreme Teil eines nachtlichen Albtraumes zu sein, schrek-kenerregend, aber nicht mehr von Belang. Wieder fiel ihm ein, was Tregidgo uber Stayt gesagt hatte. Auf dem Weg zum Oberbefehlshaber war Bolitho mehrere Male versucht gewesen, Stayt direkt darauf anzusprechen. Seinem Flaggleutnant mu?te klar sein, da? das Madchen nicht mehr an Bord war, obwohl Bolitho ihn wahrend der fraglichen Zeit mit der Barkasse an Land geschickt hatte, um seinen guten Ruf zu schutzen und zu verhindern, da? er in die Affare mit hineingezogen wurde. Oder war es schon zu spat? War der Argwohn bereits gesat?
        Zwei Lakaien rissen die hohe Doppeltur auf, und Bolitho wandte sich dem Mann zu, der die Offnung fast ausfullte: Sir Marcus Laforey, Admiral der Blauen Flotte, war von einer Leibesfulle, die selbst seine makellose Uniform nicht verbergen konnte. Er hatte geschwollene Augenlider und einen breiten Mund, und als er sich mit Muhe zu einem Sessel begab, stellte Bolitho fest, da? eines seiner Beine verbunden war: Gicht, die Plage mancher Admirale.
        Admiral Laforey lie? sich behutsam in den Sessel sinken und verzog schmerzlich das Gesicht, als ihm ein Lakai sachte ein Kissen unter den Fu? schob. Im Sitzen sieht er aus wie eine ubellaunige alte Krote, dachte Bolitho.
        Der Admiral wedelte mit seinem Taschentuch.»Nehmen Sie Platz, Bolitho. «Seine schweren Lider hoben sich, als er ihn kurz abschatzte.»Unangenehme Sache, was?»
        Bolitho setzte sich und gewann den Eindruck, da? sein Sessel bewu?t in einiger Distanz aufgestellt worden war.
        Laforey hatte einen Landposten nach dem anderen bekommen und seit der Vorkriegszeit kein Schiff mehr kommandiert. Er sah verbraucht und obszon aus, und Malta war vermutlich sein letzter Posten. Den nachsten wurde er im Himmel antreten.

«Habe Ihren Bericht gelesen, Bolitho. Prachtig, Ihre Versenkung des franzosischen Zweideckers. Wird Jobert zu denken geben, was?»
        Bolitho packte den Griff seines Degens fester. Da sein Sessel zum Fenster gekehrt stand, konnte er sein Gegenuber nur undeutlich sehen. Er starrte uber die fette Schulter des Admirals hinweg und sagte:»Ich glaube, da? die Franzosen bald auslaufen werden, Sir. Jobert plant wahrscheinlich ein Ablenkungsmanover, damit sich die Hauptflotte aus Toulon wegstehlen kann. Das Ziel ware dann Agypten oder die Meerenge von Gibraltar.»
        Laforey grunzte.»Reden Sie mir blo? nicht von Gibraltar! Wegen dieses verdammten Fiebers darf nichts und niemand dort an Land. Der Felsen ist wie ein gestrandetes Schiff, dauernd geht bei den Einwohnern oder beim Militar irgendeine Seuche um.
«Er fuhr sich mit dem Taschentuch uber die Stirn.»Und guter Wein wird knapp. Hier gibt's kaum noch was anderes als den spanischen Dreck, verdammt!»
        Er hat mir uberhaupt nicht zugehort, dachte Bolitho.
        Laforey ruhrte sich.»Tja, dann kommen wir mal zu dieser Untersuchung.»

«Mein Flaggkapitan wird angeklagt…»
        Laforey wackelte mit einem breiten Zeigefinger.»Nein, mein Bester, niemand klagt ihn hier an! Das werden womoglich andere zu tun haben. Aber das Ganze ist doch nur eine Formsache. Die Einzelheiten habe ich zwar nicht gelesen, doch mein Flaggkapitan und dieser Mr. Pullen aus London versichern mir, da? das Verfahren nur Stunden, nicht Tage, dauern wird.»
        Bolitho sagte gelassen:»Kapitan Keen ist der wahrscheinlich beste Offizier, der je unter mir gedient hat, Sir Marcus. Er hat seinen Mut und sein Konnen unzahlige Male unter Beweis gestellt. Meiner Auffassung nach hat er das Zeug zum Admiral.»
        Laforey hob wieder die Lider. Die kleinen Augen darunter waren kalt und mitleidslos.

«Bi?chen jung. Wir haben heutzutage manchen unerfahrenen Springinsfeld, nicht?«Er warf einen Blick auf seinen verbundenen Fu?.»Wenn ich meine Flagge uber der Kanalflotte hissen konnte statt hier in diesem, diesem. «Er sah argerlich in die Runde,»dann kamen diesen Muttersohnchen bald die Tranen!«Er wollte sich vorbeugen, doch sein Schmerbauch hinderte ihn daran.»So, Bolitho, was ist nun eigentlich wirklich passiert?«Er sah Bolitho forschend an.»Er hat eine Frau notig gehabt, stimmt's?»
        Bolitho stand auf.»Ich weigere mich, in diesem Ton uber meine Offiziere zu sprechen, Sir Marcus.»
        Laforey wirkte uberraschenderweise erfreut.»Wie Sie wollen. Das Tribunal tritt morgen zusammen. Wenn Kapitan Keen Vernunft beweist, werden Sie ohne weitere Verzogerung wieder auslaufen konnen. Wir erwarten einen Geleitzug, und ich kann Unfahigkeit wie alles, was das Leben hier noch unertraglicher macht, nicht ausstehen. «Er sah zu, wie Bolitho aufstand.»Wie ich hore, sind Sie verwundet worden, Sir Richard. «Weiter lie? er sich dazu nicht aus.»Aber das gehort wohl zu unserem Dienst.»

«In der Tat, Sir. «Bolitho konnte sich den ironischen Ton kaum verkneifen.»Und es wird noch sehr viel mehr Verwundete geben, wenn es den Franzosen gelingt, ihre Flotten zu vereinigen.»
        Laforey zuckte die Achseln.»Ich furchte, ich mu? die Unterhaltung mit Ihnen beenden. Mein Tag ist zu ausgefullt. Manchmal frage ich mich, ob man sich bei der Admiralitat und in Whitehall des Ausma?es meiner Verantwortung uberhaupt bewu?t ist.»
        Die Besprechung war voruber.
        Bolitho ging durch den Korridor und sah einen Lakai mit einem Tablett, auf dem zwei Karaffen und nur ein Glas standen, zu dem Raum schreiten, den er gerade verlassen hatte. Der Admiral war im Begriff, seine Verantwortung voll wahrzunehmen, dachte er bitter.
        Stayt erwartete ihn in der Empfangshalle. Als er sah, wie Bolitho hinaus uber den Hafen schaute, sagte er:»Sie erkundigten sich nach der Benbow, Sir. Sie ist hier von Grund auf uberholt worden.»

«Und wessen Flagge hat sie gehi?t?»

«Ich dachte, Sie wu?ten es, Sir: Sie ist Konteradmiral Herricks Flaggschiff.»
        Bolitho wandte sich ab, um seine Gefuhle nicht zu verraten. Nun war das Muster komplett. Er ahnte, was kommen wurde, noch ehe Stayt sagte:»Konteradmiral Herrick wird im Untersuchungsausschu? den Vorsitz fuhren, Sir.»

«Ich werde ihn aufsuchen.»

«Das ware vielleicht unklug, Sir. «Stayts tiefliegende Augen beobachteten ihn ruhig.»Es konnte falsch ausgelegt werden.»
        Von Thomas Herrick, seinem besten Freund, der mehr als einmal sein Leben fur ihn gewagt hatte? Er konnte Herricks Augen vor sich sehen, klar und blau, gelegentlich trotzig, zu leicht verletzt, aber stets ehrlich. Ehrlich? Das Wort kam ihm bei dieser Intrige wie Hohn vor.

«Wie ich horte, Sir, erwartet Sie an Bord ein Schreiben«, sagte Stayt.»Sie brauchen bei dem Verfahren nicht zugegen zu sein, Ihre schriftliche Aussage genugt.»
        Bolitho fuhr zu ihm herum und sagte scharf:»Werden Sie ebenfalls eine abfassen?»
        Stayt hielt seinem Blick stand.»Auch mich hat man als Zeugen vorgeladen, Sir.»
        Bolitho war, als sei er in einem Netz gefangen, das stundlich enger zugezogen wurde.

«Ich werde personlich zugegen sein, darauf konnen Sie sich verlassen!»
        Stayt folgte ihm hinaus in den staubigen Sonnenschein und blieb auf der Freitreppe uberm Hafen stehen, als Bolitho fragte:»Dachten Sie vielleicht, ich wurde das schweigend hinnehmen?»

«Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, Sir.»
        Bolithos Auge brannte, aber das lag am Zorn, nicht an seiner Verletzung.

«Vorerst nicht. Sie konnen abtreten. Kehren Sie an Bord zuruck.»
        Er schritt auf den Kai zu, wo Allday bei seiner Barkasse stand. Stayt mochte ein anderes Boot benutzen.
        Die Bootsgasten standen auf und legten gru?end die Hande an die Hute, als sie ihn erblickten.

«Zur Benbow, bitte«, sagte Bolitho.
        Allday lie? sich keine Uberraschung anmerken. Herrick war hier. Es war normal, da? sich die beiden trafen, ganz gleich, was andere davon halten mochten.

«Platz da!»
        Die grune Barkasse glitt durch das belebte Hafenwasser, und andere Boote hoben die Ruder oder wichen aus, um den Flaggoffizier vorbeizulassen.
        Bolitho sa? steif im Heck. Nur seine Augen bewegten sich, als er sich auf vertraute Dinge konzentrierte, Masten und Takelwerk, Seevogel und kleine Wolken uber der Festung.
        Zur Holle mit Laforey und seiner trunkenen Indolenz, dachte er, und zur Holle mit allen, die ihm diese Sache angehangt hatten. Er sah erst zum Schlagmann und dann in die Reihe gebraunter Gesichter. Sie wu?ten alle Bescheid. Vermutlich wu?te die ganze Flotte Bescheid. Aber Bolitho war das nur recht.
        Ihm gingen vage Gedanken durch den Kopf - an Belindas Brief, an Stayts kuhles Verhalten, als er die Vorladung erwahnte, an Inch und die Manner des Geschwaders, die von ihm erwarteten, da? er uber menschliche Regungen erhaben war. Es ware nicht das erste Mal gewesen, da? er sich gegen das Diktat der Obrigkeit auflehnte. Er lachelte verbittert. Der alte Bolitho, der seinen Sohnen immer das strenge Vorbild eines Marineoffiziers gewesen war, hatte sich wahrend einer Belagerung in der Karibik einmal mit dem ranggleichen Kommandeur der Seesoldaten entzweit. Kapitan James Bolitho loste das Problem, indem er den Soldaten wegen Verletzung seiner Dienstpflicht sistieren lie? und dann eine Schlacht begann, die siegreich endete. Hatte er sie verloren, ware die Marinetradition der Familie zu Ende gewesen, dessen war Bolitho sicher.
        Allday murmelte:»Stolz sieht sie aus, Sir Richard.»
        Die mit vierundsiebzig Geschutzen bestuckte Benbow bot in der Tat einen prachtigen Anblick: frisch getrieben, das geteerte Rigg wie schwarzes Glas, Rahen gekreuzt, Segel sauber aufgetucht. Alle Stuckpforten standen offen, und es fiel Bolitho nicht schwer, sich ihren furchteinflo?enden Donner vor Kopenhagen und spater im Kampf gegen das Eingreifgeschwader der Franzosen vorzustellen. Immer wieder plagte ihn die Erinnerung an seine Kriegsgefangenschaft in Frankreich und seine Flucht. Allday war damals an seiner Seite gewesen und hatte den sterbenden John Neale, dessen Schiff untergegangen war, getragen. Ja, im tiefen Rumpf der Benbow ruhten viele Erinnerungen.
        Die Barkasse rauschte in weitem Bogen heran, und er sah, wie die Ehrenwache antrat. Sein unerwartetes Eintreffen mu?te ihnen Beine gemacht haben. Abermals lachelte Bolitho. Falsch - Herrick mu?te eigentlich mit ihm gerechnet haben.
        Die Benbow schien bereit zum Auslaufen. Nur noch wenige Hafenboote lagen langsseits, und an nur einer Talje wurde Fracht in schwankenden Netzen zu den Mannern auf dem Seitendeck hochgehievt.

«Halte das Boot klar, Allday«, murmelte Bolitho.»Es wird nicht lange dauern.»
        Sein Blick fiel kurz in Alldays sonnenbeschienenes Gesicht, als der Bootsfuhrer die schnittige Barkasse behutsam auf die Gro?rusten zusteuerte. Bolitho sah mit Entsetzen, wie verkniffen die kraftigen Zuge des Mannes waren, und schamte sich, weil er dessen Sorgen um seinen Sohn vergessen hatte.

«Riemen hoch!«Die fahlen Ruder hoben sich triefend, die Blatter perfekt ausgerichtet. Allday hatte seine Leute gut gedrillt. Dann das Fallreep hinauf zum durchdringenden Gezwitscher der Bootsmannspfeifen, zum Rhythmus der Trommeln und Querpfeifen. Tonwolken schwebten wie wei?er Staub uber den Marinesoldaten, als sie ihm zu Ehren die Waffen prasentierten. Und da kam auch schon Thomas Herrick mit strahlendem Gesicht herbeigeeilt und lie? die Formlichkeit verwehen wie Pfeifenton.

«Kommen Sie nach achtern, Sir Richard«, rief Herrick. Er lachelte schuchtern.»An den Titel habe ich mich noch nicht ganz gewohnt.»
        Ich auch nicht, dachte Bolitho, als sie unter die vertraute Poop schritten. Hier hatten Manner die Waffen gegeneinander erhoben und waren gefallen. Dort oben hatten Kugeln Matrosen und Seesoldaten umgemaht, und wo nun zwei kleine Kadetten aufmerksam dem Sailing Master lauschten, war er selbst getroffen worden.
        In der Achterkajute war es warm, obwohl Fenster und Skylight weit offenstanden. Herrick eilte geschaftig umher.»Hier stinkt es nach Farbe und Teer wie auf der Werft von Chatham!»
        Ein Kabinensteward stellte Pokale auf ein Tablett, und Bolitho, dem das Hemd bereits am Leib klebte, setzte sich unters Skylight. Er sah Herrick voller Zuneigung an. Sein Haar war nun graumeliert, und er wirkte fulliger, was vermutlich am Eheleben und den Kochkunsten seiner Dulcie lag. Doch sonst sah er so aus wie fruher: die gleichen klaren blauen Augen und die forschende Neugier, wenn er seinen Freund ansah, der fruher einmal sein Kommandant gewesen war in einem Krieg, in dem Meuterei eine argere Bedrohung darstellte als der Feind.

«Ich habe den jungen Adam gesehen, als er hier war, Richard.»
        Bolitho nahm einen Pokal vom Tablett. Roter Bordeaux. Mit Herricks Beforderung war auch sein Geschmack besser geworden.

«Eine schone Brigg«, fuhr Herrick fort.»Als nachstes bekommt er eine Fregatte, wie er es sich immer ertraumt hat. Falls er keine Schwierigkeiten kriegt. «Er machte eine Pause und blickte jah besorgt drein.»Na, dann trinken wir mal auf dich, mein Freund, und bleibe Fortuna dir treu.»
        Bolitho griff nach seinem Pokal, verfehlte ihn aber und streifte ihn mit der Stulpe. Der Wein flo? uber den Tisch wie Blut, und als Herrick und der Steward ihm zu Hilfe eilen wollten, sagte Bolitho:»Schon gut, ich komme allein zurecht!«Das klang scharfer als beabsichtigt, deshalb setzte er rasch hinzu:»Entschuldige, Thomas.»
        Herrick nickte langsam und schenkte ihm neu ein.

«Ich habe naturlich von deiner Verwundung gehort, Richard, und war schockiert. «Er beugte sich vor und schaute Bolitho zum ersten Mal direkt an.»Aber ich kann keinen Schaden erkennen, au?er vielleicht.»
        Bolitho senkte den Blick.»Aye, Thomas, au?er vielleicht - das sagt alles. «Er leerte den Pokal, ohne es uberhaupt zu merken.»So, und nun zu dieser Untersuchung, Thomas.»
        Herrick lehnte sich zuruck und musterte ihn ernst.»Die Verhandlung findet morgen hier statt.»

«Das ist doch alles Mumpitz, Thomas. «Bolitho ware am liebsten aufgestanden und auf- und abgegangen, wie er es in dieser Kajute so oft getan hatte.»Mein Gott, du kennst Valentine Keen doch. Er ist ein vorzuglicher Charakter und inzwischen ein hervorragender Kommandant.»

«Naturlich habe ich ihn nicht vergessen. Schlie?lich sind wir oft genug miteinander zur See gefahren. «Herrick wurde ernst.»Uber die Verhandlung kann ich nicht sprechen, Richard, aber du hast dieses schmutzige Geschaft ja schon selbst erledigen mussen und verstehst das bestimmt.»

«Nur zu gut. Mein Flaggleutnant hat mir gleich von diesem Besuch abgeraten.»
        Herrick beobachtete ihn besorgt.»Da hatte er recht. Jeder Kontakt zwischen uns konnte als Absprache gedeutet werden. Schlie?lich sind wir alle Freunde.»
        Bolitho starrte zornig aus den Fenstern.»Wirklich? Ich frage mich langsam.
«Herricks verletzter Blick entging ihm.»Als meine Flagge auf der Benbow wehte und du das Kommando hattest, war der junge Keen Kommandant der Nicator.«Hastig fuhr er fort:»Als wir dann nach Westindien fuhren und um diese verdammte Insel kampften, gab Val ein gro?eres Schiff auf, um die Achates, einen kleinen Vierundsechziger, zu ubernehmen, weil ich ihn gebeten hatte, mein Flaggkapitan zu sein.»
        Herrick packte die Tischkante.»Ich wei?, Richard, ich wei?. Doch das andert nichts an der Tatsache, da? wir hier eine Verhandlung zu fuhren haben. Ohne den entsprechenden Befehl wurde ich kein Wort mehr daruber verlieren.»
        Bolitho war bemuht, sich zu entspannen. Seit seiner Verwundung schien ihm jeder Zwischenfall, jedes Problem direkt unter die Haut zu gehen. Er griff nach seinem Pokal und merkte, da? Herrick mit Absicht nicht hinsah, nur fur den Fall, da? er ihn wieder umstie?.

«Ich werde personlich erscheinen«, sagte er.»Ich habe nicht die Absicht, eine schriftliche Aussage einzureichen, als ware das nur eine zweitrangige Angelegenheit. Die Zukunft meines Flaggkapitans ist in Gefahr, und ich denke nicht daran, tatenlos zuzusehen, wie er von Feinden, uber deren Namen ich nur Vermutungen anstellen kann, verleumdet wird!»
        Herrick winkte seinen Steward hinaus. Dann sagte er beherrscht:»Es war nicht recht von Keen, eine verurteilte Strafgefangene von einem Schiff zu entfernen. Die Tatsache, da? es sich um eine junge Frau handelt, erschwert noch den Fall.»
        Bolitho stellte sich das schmutzige Straflingsschiff und die junge Zenoria an der Grating vor. Das Madchen wurde fur den Rest seines Lebens die Narbe auf dem Rucken tragen. Es hatte sterben mussen, wenn Keen nicht gewesen ware. Niemand hatte damals voraussehen konnen, welche Folgen dieser Zwischenfall haben wurde.

«Wenn es sich um einen gewohnlichen mannlichen Gefangenen gehandelt hatte. «meinte Herrick.

«Aber das war eben nicht der Fall, Thomas. Sie wurde falschlich beschuldigt und zu Unrecht verbannt. Mein Gott, Mann, man wollte sie wegen ihres Vaters aus dem Weg schaffen!»
        Herrick rutschte unter Bolithos zornigem Blick unbehaglich auf seinem Stuhl herum. Andere sagen aber…»
        Bolitho stand auf.»Wenn du wieder mal an Dulcie schreibst, richte ihr bitte meine besten Gru?e aus.»
        Auch Herrick war jetzt auf den Beinen.»Bitte geh nicht im Zorn, Richard!»
        Bolitho atmete tief, um sich wieder zu fassen, ehe er vor die Ehrenwache trat.

«Wer wird sonst noch zugegen sein? Kannst du mir wenigstens das verraten?«Er verbarg seine Verbitterung nicht.
        Herrick erwiderte:»Admiral Sir Marcus Laforey und sein Flaggkapitan. «Abrupt fugte er hinzu:»Ist diese Frau noch auf der Argonaute?».
        Bolitho griff nach seinem Hut.»Darauf kann ich dir keine Antwort geben, Thomas.
«Er ging durch die Tur.»Das konnte als Absprache ausgelegt werden.»
        Bolitho wu?te, diese Bemerkung war unfair, aber im Augenblick stand mehr auf dem Spiel als nur Worte. Seine und Keens Karriere waren auch dann gefahrdet, wenn kein negatives Urteil erging, denn das Gerucht wurde sich rasch verbreiten. Dem mu?te Einhalt geboten werden.
        Die beiden Admirale gingen zwar gemeinsam zur Pforte, aber Bolitho hatte sich noch nie von seinem Freund ferner gefuhlt. Dabei kannte er Herrick langer als Allday, der auf eben dieses Schiff zwangsverpflichtet worden war.
        Er zogerte, als die erste Reihe Seesoldaten in sein Blickfeld kam. Der Oberfeldwebel am Ende, dessen Blick starr aufs Land gerichtet war, wirkte seltsam steif. Bolitho blieb stehen und konnte dann das Gesicht unterbringen. Der Mann, damals nur ein gemeiner Seesoldat, hatte ihm an jenem gra?lichen Tag geholfen.

«McCall, ich habe Sie in guter Erinnerung«, sagte er leise.
        Der Oberfeldwebel, dessen Hauptmann hinter Bolitho stand und zuschaute, blieb steif stehen. Doch seine Augen wurden lebhaft, als er sagte:»Vielen Dank, Sir. «Er zogerte, als furchte er, zu weit zu gehen.»War ein hei?er Kampf, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Aye. Freut mich, da? Sie beim Marinekorps vorangekommen sind.
«Vielsagend fugte er hinzu:»Aber passen Sie auf, da? andere Ihre Anstrengungen nicht zunichte machen.»
        Bolitho blieb an der Pforte stehen und luftete gru?end seinen Hut zum Achterdeck. Von morgen an mochte er das Schiff mit ganz anderen Augen sehen.
        Er wu?te, da? Herrick ihn besorgt beobachtete - entweder weil er befurchtete, er konne wegen seiner beeintrachtigten Sehkraft stolpern, oder weil er wu?te, da? seine Aufrichtigkeit zu einer Entfremdung zwischen ihnen gefuhrt hatte.
        Kapitan Francis Inch beugte sich uber die Seekarte und zupfte mehrmals an seinem linken Ohrlappchen, was er oft tat, wenn er uber seinen nachsten Schritt nachdachte. Heli-con stampfte unangenehm im groben Seegang, den der zunehmende Wind aufwuhlte. Es war fast Mittag, doch ein dicker werdender Dunst, den selbst der Wind nicht vertreiben konnte, hatte die Sicht auf wenige Meilen reduziert.
        Vor seinem inneren Auge sah Inch die Schiffe vor sich: Dispatch direkt achteraus und Icarus ein undeutlicher Schemen am Ende der Linie. Inch ha?te das unbestandige Wetter. Der Wind war in den zwei Tagen, seit Bolitho das Geschwader verlassen hatte, umgesprungen und blies nun aus West, von Frankreich her.
        Er studierte die Karte aufmerksamer und war sich der Gegenwart der beiden anderen Kommandanten, die schweigend ihren Wein tranken, sehr bewu?t.
        Zweihundert Meilen sudwestlich von Toulon, und schon mu?ten sie sich in einem aufkommenden Sturm abqualen. Wenn der Wind nicht bald umschlug oder nachlie?, mochten sie von ihrer Station abgetrieben oder gar so weit zerstreut werden, da? sie den Kontakt verloren.
        Er dachte an die kleine Brigg Rapid, die den anderen Schiffen weit vorauslief. Inch nahm sie hart ran, beneidete aber ihren Kommandanten Kapitan Quarrell mehr, als er sich eingestehen mochte. Quarrell hatte wenigstens Bewegungsfreiheit, wahrend sie sich schwerfallig und langsam mit dem Sturm herumschlugen, auf Station blieben. Er sah auf und gewahrte durch die Heckfenster Schaumkronen.

«Ich mu? bald aufbrechen«, sagte Kapitan Houston.»Sonst finde ich in diesem Wetter mein Schiff nie wieder.»
        Montresor von der Dispatch bemerkte:»Solange der Wind so bleibt, konnen wir nichts unternehmen.»
        Inch schaute sie ungeduldig an. Negative Einstellung. Keiner war bereit, uber das Naheliegende hinauszusehen. Montresor entpuppte sich als guter Kommandant, schien sich aber von dem sauerlichen Houston leiten zu lassen.
        Letzterer sagte:»Ich halte es fur Wahnsinn, unsere einzige Fregatte zu einem wilden Tauschungsmanover auszuschicken, obwohl wir sie doch hier brauchen. «Von Inchs Schweigen ermuntert, fuhr er fort: «Rapid allein ist mit der Suche nach den Franzosen uberfordert.»
        Inch sah sich in der Kajute um. Trotz der Gemalde, die er aufgehangt hatte, wirkte sie noch immer franzosisch. Die Bilder stellten landliche Szenen dar, Bache und Wiesen, Kirchen und Bauernhofe seiner Heimat Dorset. Er dachte an Hannah, seine Frau. Sie hatte ihm bereits einen Sohn geschenkt, und das zweite Kind war unterwegs. Konnte sie sich eigentlich vorstellen, was er tat?

«Vizeadmiral Bolitho hat uns Barracoutas Aufgabe erklart«, sagte er.»Ich vertraue seinem Urteil.»

«Aber sicher«, meinte Houston und lachelte Montresor schief an.»Wir kennen ihn halt nur noch nicht so lange wie Sie.»
        Inch setzte ein gefahrliches Grinsen auf.»Er hat mir bis zu seiner Ruckkehr das Kommando ubergeben. Das sollte Ihnen reichen.»
        Houstons Lacheln schwand bei Inchs neuem Tonfall.»Ich wollte keine Kritik an seinen Uberlegungen uben. Es geht nur.»

«Gut. «Inch lauschte dem Achzen der Balken, dem fernen Knallen der Segel, als das Schiff vom Wind gekrangt wurde. Bolitho fehlte ihm. Er schien immer in der Lage zu sein, die Plane des Feindes vorauszusagen, und Inch hatte nie erlebt, da? er die Tricks der Franzosen unterschatzte.

«Vielleicht sollten wir uns mit Nelsons Geschwader vor Toulon in Verbindung setzen«, sagte Houston.»Mag sein, da? er wei?, worum es geht. Ich glaube noch immer, da? das Ziel der Franzosen Agypten ist. Wir haben Napoleon einmal bei Abukir geschlagen, aber vielleicht will er es noch mal versuchen. «Er stand auf uid wiegte sich mit den Bewegungen des Decks.»Nun mu? ich mich empfehlen.»
        Inch nickte bedauernd. Es gab noch viel zu besprechen, doch Houston hatte recht: Wenn das Wetter sich weiter verschlechterte, wurde er nie zu seinem Schiff zuruckfinden.
        Er horte eine ferne, wie verlorene Stimme aus dem Rigg.
        Montresor sagte:»Der Ausguck hat etwas gesichtet. «Er schuttelte sich.»Kein guter Tag fur Uberraschungen.»
        Es klopfte an. Inchs Erster Offizier war personlich gekommen.»Signal von Rapid, Sir: Schiff im Nordwesten gesichtet.»
        Er warf den anderen einen Blick zu.»Der Wind wird immer starker. Soll ich mehr Segel wegnehmen lassen?«Inch zupfte sich am Ohr.»Nein. Lassen Sie die Herren hier zu ihren Booten bringen. Danach mochte ich an Rapid signalisieren, ehe sie au?er Sicht kommt.»
        Als der Leutnant hinwegeilte, wandte er sich an die anderen.

«Da? Rapid bei diesem Wetter ein blo?es Fischerboot meldet, ist ausgeschlossen.
«Er sah zu, wie seine Worte ihre Wirkung taten.»Bleiben Sie also gut auf Station hinter Helicon und bereiten Sie sich auf ein Gefecht vor.»
        Montresor starrte ihn an. Er war noch nicht lange genug Kommandant, um seine Gefuhle verbergen zu konnen.»Glauben Sie wirklich, da? es ein Franzose ist?»
        Inch dachte an Bolitho. Wie hatte er die Lage dargestellt?

«Ja. Der Wind steht gunstig fur sie, ungunstig fur uns. «Er hob die knochigen Schultern.»Wir mussen unseren Auftrag erfullen, dazu sind wir hier.»
        Die beiden Kommandanten verlie?en das Schiff mit ungebuhrlicher Hast. Helicon drehte so kurz wie moglich bei, um sich dann wieder gegen die schweren Brecher zu stemmen.
        Inch warf einen Blick auf den Kompa?: Nordost zu Ost. Gischt prasselte in Luv uber die Netze und lie? die Manner der Wache fluchen. Savill, sein Erster Offizier, uberschrie den Wind:»Der Ausguck meldet, da? Rapid das Signal immer noch gesetzt hat, Sir. «Er schien freudig erregt.
        Inch dachte nach. Das bedeutete vermutlich, da? Quarrell mit einem weiteren fremden Schiff rechnete.

«Signal von Dispatch, Sir: Kommandant ist wohlbehalten an Bord.»
        Inch grunzte und dachte besorgt an Houstons Boot, das sich weiter muhsam zur Icarus qualte.
        Der Ausguck schrie:»Neues Signal von Rapid, Sir! Im Nordwesten zwei Schiffe in Sicht!»
        Inch schaute seinen Ersten Offizier an. Zwei Schiffe? Zu Nelsons Flotte konnten sie so weit sudlich im Golfe du Lion nicht gehoren. Und bei diesem Wetter wurde bestimmt kein Handelsschiff die Blockade durchbrechen, schon gar nicht in Begleitung eines zweiten.
        Houston hatte recht gehabt: Barracouta mochte den Ausschlag geben, wenn sie jetzt zur Stelle gewesen ware.

«Diesmal meinen die Franzosen es wohl ernst, Mr. Savill. Setzen Sie bitte mehr Segel. Ich beabsichtige, zu Rapid aufzuschlie?en. «Er nahm ein Teleskop und ging aufs Huttendeck, um Ausschau nach Icarus zu halten. Doch im nassen Nebel achteraus war nichts zu erkennen; selbst Dispatch wurde von ihm eingehullt. Gott, mu?te das ausgerechnet jetzt passieren? Er fuhr den Midshipman, der ihm wie ein Hundchen gefolgt war, an:»Signal ans Geschwader: >Mehr Segel setzen<.»
        Die Signalflaggen wirkten vor den tiefen Wolken sehr bunt.
        Nun hatte er seine Chance. Zur Abwechslung brauchte er sich mal nicht nach den Anweisungen vom Flaggschiff zu richten. Diesmal hatte er selbst den Befehl. Wenn er Hannah davon erzahlte, wurde sie ihn mit ihren veilchenblauen Augen bewundernd anschauen. Bolitho verwundet und mit Keen nach Malta gerufen: absurd, da? man ihn wegen dieses dummen Verfahrens vom Geschwader wegbeordert hatte. Doch ganz gleich, was die Grunde waren: Francis Inch befehligte vorubergehend das Geschwader. Ihm war, als sei plotzlich eine schwere Last von ihm genommen. Jetzt hatte er keine Zweifel mehr und wu?te, da? er furchtlos in das Gefecht gehen konnte.
        Er war stolz auf sein Schiff und die Mannschaft. Die Matrosen kletterten mit wild flatternden Hosen hinaus auf die Rahen, Segel losten sich donnernd und fullten sich unter dem Winddruck, so da? die Schraglage des Decks noch zunahm. Achteraus wurde Icarus hinter Dispatch ganz kurz sichtbar.

«An Deck!«Das war ein Leutnant. Savill hatte mit der Entsendung eines erfahrenen Mannes ins Krahennest recht getan.»Signal von Rapid: Drei Linienschiffe im Nordwesten!»
        Inch spurte am ganzen Korper ein Prickeln. Also drei. Nun konnte kein Zweifel mehr bestehen. Das waren die Franzosen.

«Signal ans Geschwader, Mr. Savill: Klar zum Gefecht.»
        Inch dachte an Bolitho und war stolz, an diesem Tag mit der Fuhrung betraut zu sein.
        Trommelwirbel erklang, und als wieder Gischt uber den Bug der Helicon fegte, schien die Brutalitat von See und Wind einen Vorgeschmack auf das zu bieten, was ihnen bevorstand.



        XIII Westwind

        Inch schaute zu den Marssegeln auf, als Spritzwasser durch die Wanten trieb wie zerfetzte Banner. Der Rumpf achzte unter der Belastung.
        Doch der Larm tauschte ihn nicht uber die Tatsache hinweg, da? sie nur langsam vorankamen. Wenn der Wind nicht zu ihren Gunsten umsprang - er verbannte die Folgerung aus seinen Gedanken.

«Einen Strich mehr nach Luv, Mr. Savill.»
        Er horte die erstickten Rufe, als seine Manner sich abmuhten, dem Befehl Folge zu leisten. Er konnte noch nicht wagen abzufallen, damit mu?te er bis zum letzten Augenblick warten, wenn Manovrierfahigkeit am wichtigsten war. Der Zweite Offizier stand oben im Krahennest und beobachtete die naherkommenden Schiffe, was ihm bei dem hartnackigen Nebel nicht leicht fallen mu?te. Das Land lag nur funf Meilen querab, war aber trotzdem unsichtbar. Binnen einer Stunde hatte sich die See von Haifischblau zu Zinngrau verfarbt und zu zornigen Kammen aufgeturmt, die vom Wind, der mit gespenstischem Geheul durchs Rigg fuhr, zerfetzt wurden.
        Savill kam auf dem schiefen Deck herangetaumelt, Wasser troff ihm von Gesicht und Brust.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!»
        Inch bi? sich auf die Lippen. Sie konnten es nicht wagen, die Leepforten des unteren Batteriedecks zu offnen, da es sonst binnen weniger Minuten uberflutet sein wurde. Aber er trostete sich mit dem Gedanken, da? es den drei franzosischen Schiffen auch nicht anders erging. Drei gegen drei. Die Chancen standen nicht ubel. Ob der Feind versuchte, einem Gefecht auszuweichen? Unwahrscheinlich, entschied Inch. Wenn die Franzosen tatsachlich aufs offene Meer zuhielten, wurde Helicon mit dem Geschwader wenden, um bei der Verfolgung den Wind besser zu nutzen. Nein, wahrscheinlicher war, da? der franzosische Admiral weiter auf diesem Bug blieb, da er ihm den Windvorteil bot.
        Inch musterte sein Schiff. Back und Poop waren von uberflussigem Gerat befreit, Schutznetze uber den Seitendecks aufgeriggt, die Waffenschranke am Gro?mast geoffnet. Die Stuckmannschaften hatten die Oberkorper entblo?t, hockten na? von Gischt um ihre Kanonen oder lauschten den Stuckfuhrern. Hinter ihnen bewegten sich rastlos die Offiziere und pa?ten sich balancierend der Schraglage des Decks an, wenn die Helicon durch ein Wellental oder einen Brecher pflugte.

«Gefechtsflagge hissen, Mr. Savill. «Er sah sich nach dem Offizier der Seesoldaten um.»Ah, Major, und Ihre Pfeifer sollen zum Tanz aufspielen.»
        Und so hielt Helicon, dicht gefolgt von Dispatch, auf die fernen Schiffe zu. Die kleinen Pfeifer der Royal Marines stampften an Deck auf und ab, spielten einen Marsch nach dem anderen und konnten sich manchmal kaum auf den Beinen halten.
        Inch sah, da? seine Besatzung die Miniaturparade grinsend betrachtete. Gut, das lenkte sie von dem Unvermeidlichen ab. Hier und dort starrte ein Mann durch die Netze oder ubers Schanzkleid und suchte nach dem Feind. Vermutlich neue Matrosen, dachte er. Oder Leute, die das schon allzu oft erlebt hatten.
        Er schaute zu seinem Ersten Offizier hinuber. Ein guter, zuverlassiger Mann, der bei der Mannschaft beliebt war. Das kam bei einem Ersten nicht oft vor.
        Wieder erscholl der Ruf des Ausguckpostens.

«Himmel, der hat heut' aber viel zu sagen«, bemerkte Savill. Einige Manner in seiner Nahe lachten.
        Doch das Lachen verging ihnen, als der Leutnant oben fortfuhr:»Das erste Schiff ist ein Dreidecker, Sir.»

«Signal an Dispatch und Icarus: Kiellinie bilden!»
        Nach einer Weile senkte der Signalgast sein Fernrohr.»Signal bestatigt, Sir.»
        Inch ging gedankenversunken auf und ab. Das Ganze dauerte viel zu lange.
        Er sah auf, als vereinzeltes Kanonenfeuer die Luft erzittern lie?.

«Was, zum Teufel, ist das?»
        Der Ausguck rief: «Rapid unter Feuer, Sir!»
        Inch fluchte.»Signal an Rapid: Sie soll sich fernhalten! Was denkt sich der junge Narr eigentlich? Wenn er versucht, diese Matronen zu belastigen, holt er sich nur eine blutige Nase!»
        Savill war mit seinem Teleskop in die Wanten geklettert.»Ein Schiff nahert sich Rapid und versucht, sie von uns abzuschneiden!»
        Inch starrte ihn an. Obwohl ein Gefecht bevorstand, schien der franzosische Admiral bereit zu sein, Zeit und Kraft an eine kleine Brigg zu verschwenden. Houstons Worte hallten hohnisch in ihm nach, als seien sie gerade erst ge - sprochen worden: Rapid war ihr einziges Bindeglied. Seit Barracouta fern im Norden stand, spielte die Brigg eine wichtige Rolle.

«Keine Bestatigung von Rapid, Sir.»

«Verflucht!«Inch drehte sich um.»Lassen Sie Ihre Leute aufentern und die Bramsegel setzen, Mr. Savill. Und dann das Gro?segel. Aber lebhaft!«Er sah, wie die Matrosen hastig den Kommandos folgten und die wild flatternden Bramsegel gebandigt wurden. Er spurte das Schiff unter dem zusatzlichen Segeldruck erbeben, und als das Gro?segel donnernd freikam, sah er, wie sich seine Rah durchbog. Er wu?te, da? er alles aufs Spiel setzte, um die Distanz zu verringern, ehe eines der franzosischen Schiffe Rapid niedermachen konnte.

«Signal ans Geschwader: Mehr Segel setzen!«befahl er.
        Savill warf dem Master einen Blick zu und sah ihn bedenklich das Gesicht verziehen.»Aye, aye, Sir.»
        Das Einzelfeuer ging weiter. Schon eine dieser schweren Kugeln konnte die Brigg entmasten oder versenken.

«Signal von Dispatch, Sir!«Der Midshipman kreischte fast.»Sie ist in Schwierigkeiten!»
        Inch schnappte sich ein Fernrohr und rannte die Leiter hoch zum Poopdeck, wo die Seesoldaten sich wartend auf ihre Musketen stutzten. Sein Herz krampfte sich zusammen, als der Umri? des Zweideckers sich veranderte. Er merkte nicht, wie besturzt seine Stimme klang, als er ausrief:»Ruderbruch!«Winzige Figuren riskierten auf den wild schwankenden Rahen ihr Leben, um die Segel zu reffen, damit das Schiff nicht entmastet wurde. Bei schwerem Sturm kam so etwas ofter vor. Ruderschaden oder ein gebrochenes Steuerseil - das waren normale Pannen, die sich immer beheben lie?en. Aber in welcher Frist? Die Entfernung wurde schon gro?er, und Icarus blieb im Dunst vollig unsichtbar.
        Inch hastete die Leiter hinunter und sah Savills besorgtes Gesicht; andere, die noch vor wenigen Augenblicken kampflustern gewesen waren, schauten ihn nun besturzt an.

«Es kann eine Ewigkeit dauern, bis Dispatch das repariert hat, Mr. Savill. Wenn wir nichts unternehmen, ist sie so hilflos wie Rapid.»
        Savill schien sich zu entspannen.»Sie konnen sich auf mich verlassen, Sir.»
        Inch sah ihn an.»Das habe ich nie bezweifelt. Lassen Sie nun die Kanonen laden, aber rennen Sie sie erst auf meinen Befehl hin aus. «Er wandte sich ab, als die Geschutzbedienungen aufsprangen und nach Ansetzern und Handspaken griffen.
        Dispatch trieb weiterhin steuerlos ab. Der Feind mu?te sich fragen, was hier vor sich ging. Eine Kriegslist oder Falle vielleicht, die dem franzosischen Admiral bestimmt zu denken gab. Inch runzelte die Stirn. Aber nicht lange.

«Wir greifen von Backbord an, Mr. Savill. «Er machte schmale Augen und starrte zwischen den vollgestopften Hangemattennetzen hindurch. Inzwischen konnte er die franzosischen Schiffe auch ohne Fernrohr erkennen. Die drei naherten sich gestaffelt, und ihre Masten und Segel, die einander uberlappten, bildeten ein gewaltiges Seeungeheuer.
        Das dritte Schiff feuerte auf die Brigg. Rapid versuchte abzudrehen, aber die letzte Wasserfontane der einschlagenden Kugel zeigte, wie knapp es gewesen war.
        Inchs Bootsfuhrer kam mit dem Degen seines Kommandanten geeilt. Inch sah sich die Waffe an.»Nein, den neuen. «Er dachte an Bolitho, der in seiner besten Uniform an Deck gestanden hatte, wahrend das Schiff im Donner der Breitseiten erzitterte. Bolitho hatte gewu?t, da? er damit auffiel, ein gutes Ziel abgab. Andererseits war es entscheidend, da? seine Manner ihn bis zum Ende sahen. Wann war das gewesen? Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
        Inch lie? sich von seinem Bootsfuhrer den besten Degen anlegen, den er zur Trauung mit Hannah getragen hatte. Nur der Gedanke an sie tat ihm weh. Aber er verbannte ihn und schrie:»Die nehmen wir mit auf den Grund, was, Jungs?»
        Wie er erwartet hatte, brachen sie in Hochrufe aus.
        Die Silhouetten der angreifenden Schiffe veranderten sich, als ihre Kommandanten die Segelflache verringerten und sich auf den Kampf vorbereiteten. Der Dreidecker bot einen prachtvollen, furchterregenden Anblick, als er plotzlich seine Stuckpforten offnete und die schwarzen Rohre seiner Kanonen bleckte.
        Inch sah schweigend hinuber. Ihm war, als stunde sein Herz bereits still. Das Schiff, mit mindestens neunzig Kanonen bestuckt, hatte eine helle Galionsfigur unterm Burg-spriet, und als Inch sein Teleskop ansetzte, sah er, da? sie einen Leoparden im Sprung darstellte. Das war Jobert, kein Zweifel.

«Backbord-Stuckpforten offnen, Mr. Savill, und ausrennen.»
        Noch war Zeit zur Flucht. Sein Herz verhartete sich.»Boote aussetzen, Mr. Savill.»
        Es war immer ein boses Zeichen, wenn man die Boote aussetzte und treiben lie?, bis sie von den Siegern wieder geborgen wurden. Aber an Bord vergro?erten sie nur die Gefahr, die von umherfliegenden Splittern ausging, wenn feindliche Geschosse einschlugen. Inch begann zwischen den Achterdeckgeschutzen auf- und abzugehen, das Kinn gesenkt. Die Degenscheide klatschte gegen seinen Schenkel. Wozu Boote? Fur ihn und seine Manner wurde es kein Uberleben geben.
        Bolitho spurte die Sonne hei? auf den Schultern, noch verstarkt vom dicken Glas der Heckfenster, als die Argonaute trage am Anker schwojte. Von oben konnte er die Rufe der Wache horen, als ein Boot an Bord gefiert wurde. Er legte die Feder hin und starrte verdrossen zum Land.
        Bald war es Zeit, zu Herricks Schiff uberzusetzen. Ihre Begegnung am Vortag war so bedruckend gewesen, da? er sich nun wie eingekreist fuhlte, kaum einen Ausweg sah.
        Er betrachtete die verankerten Schiffe. Sie drangten sich zusammen, als bote der gro?e Hafen nicht genugend Schutz. Der erwartete Geleitzug war im Morgengrauen gesichtet worden. Bald wurde der Hafen uberfullt sein.
        Den Brief an Belinda konnte er nicht mehr beenden. Stiefel stampften uber die feuchten Planken, und er vermutete, da? die Seesoldaten oben antraten, um ihn zu verabschieden. Keens Gig hatte bereits abgelegt. Bolitho hatte nur kurz mit ihm gesprochen, ihm die Hand gedruckt. Er entsann sich, gesehen zu haben, wie ein Stra?enrauber seinem Henker auf ahnliche Weise die Hand schuttelte, ehe sich unter seinen zappelnden Beinen die Falltur geoffnet hatte.
        Warum hatte er Belinda von dem Tribunal hier geschrieben? Weil sie es zu erfahren verdiente? Oder hatte er sich ihr anvertraut, weil er sie brauchte? Seufzend stand er auf und lie? die Feder neben dem Brief liegen.
        Er starrte sich im Spiegel an. Das rechte Auge war fast normal, aber das linke machte ihm schon bei der geringsten Anstrengung Beschwerden. Und er war noch immer nicht ganz sicher auf den Beinen. Selbst hier im Hafen mu?te er jeden Schritt mit Bedacht tun.
        Er horte, wie Ozzard nebenan seinen besten Rock abburstete. Es klopfte leise, und da der Posten schwieg, wu?te Bolitho, da? es Allday war.
        Auch er trug seine beste blaue Jacke mit den Goldknopfen. Seine Nanking-Hose sah frisch gewaschen aus, und seine Schnallenschuhe hatten einem Kapitan Ehre gemacht.
        Allday musterte ihn grimmig.»Ihre Barkasse liegt langsseits, Sir.»

«Komme gleich. Ich mochte nicht zu fruh eintreffen. «Er sah, wie Allday einen Blick auf den unfertigen Brief warf.»Furs nachste Postschiff.»
        Allday schien zerstreut.»Ich hore, da? der Geleitzug heute und morgen seine Ladung loscht. Dann segelt er weiter nach England.»
        Bolitho sah ihn an.»Was hast du sonst noch erfahren?«Allday war eine bessere Nachrichtenquelle als jedes Signal.

«Zwei Schiffe haben Gold vom Sultan in der Turkei an Bord, oder wo der sonst regiert.»
        Die Schatze des Sultans wurden in England mehr als willkommen sein. Dahinter schien Nelson zu stecken, dem der Sultan nach der Seeschlacht bei Abukir manche Gunst erwiesen hatte.
        Ozzard trat ein und hielt ihm den Rock hin. Bolitho schaute in den Spiegel und beruhrte den goldenen Abukir-Orden, den er um den Hals trug. Sieht so ein Held aus? Kaum, entschied er, jedenfalls fuhlte er sich nicht so.

«Gehen wir. «Bolitho beruhrte Alldays Armel und zog ihn dann beiseite.»Deinen Sohn habe ich nicht vergessen.»
        Allday hielt traurig seinem Blick stand.»Aber ich, Sir. Er will aus dem Dienst scheiden. Ein Gluck, da? wir den los sind.»
        Ozzard war schon vorgegangen. Bolitho horte Hauptmann Bouteiller seinen Seesoldaten zurufen:»Stillgestanden!«Zu Allday sagte er:»Das meinst du doch nicht ernst!»
        Allday schob das Kinn vor.»Machen Sie sich seinetwegen keinen Kummer, Sir. Ich sorge mich nur um Sie. Sie haben so viel fur Konig und Vaterland getan, und jetzt wollen Sie auf der Benbow alles kaputtmachen.»

«Sei doch nicht lacherlich, Mann!«sagte Bolitho.»Du wei?t ja gar nicht, was du da redest!»
        Allday holte langsam Luft; seine Brustverletzung machte ihm manchmal Beschwerden, wenn er sich aufregte.»Doch, Sir. Und das wissen Sie auch. Aber ich stehe zu Ihnen, ganz gleich, was passiert.»
        Bolitho fuhr herum, entsetzt uber den Kummer in All-days Stimme.»Das wei? ich, alter Freund. Deine Treue bedeutet mir mehr als…«Er lie? den Satz unvollendet, denn Alldays schlichtes Vertrauen bestatigte ihn in seinem Entschlu?. Es war, als hatte sein Bootsfuhrer schon die ganze Zeit gewu?t, was er plante.
        Bolitho nahm die rasche Fahrt zur Benbow kaum wahr. Dann durch die Eingangspforte, die formliche Begru?ung, zuletzt achtern die gro?e Kajute. Herricks Mobel waren entfernt und durch viele Stuhle und Banke ersetzt worden, auf denen Marineoffiziere, einige Zivilisten und drei Besatzungsmitglieder der Argonaute sa?en. Er sah Stayt, der noch immer Distanz zu allen anderen wahrte, und Keen, neben dem sich Paget niedergelassen hatte. Letzterer war freiwillig erschienen, was Bolitho freute.
        Quer vor den Heckfenstern war ein langer Tisch mit Stuhlen aufgebaut worden. Die wenigen Offiziere, die bereits daran Platz genommen hatten, waren vor dem sonnigen Panorama drau?en nur Silhouetten.
        Alle Kopfe wandten sich um, als Bolitho eintrat. Auf seinem Weg zu einem freien Stuhl in der ersten Reihe trafen ihn Blicke voll Ehrfurcht, Mitleid oder Neugier. Gewi? sa?en hier einige, die sich freuen wurden, wenn seine Karriere Schaden nahm. Keen schaute ihn an und nickte knapp. Ihr Blick uberspannte viele Jahre.
        Aus der Ferne horte Bolitho es viermal glasen. Punkt zehn Uhr, und nun erschien Herrick.
        Bolitho stand mit den anderen auf, als die Ausschu?mitglieder zu ihren Platzen gingen. Herrick in der Mitte wirkte ernst und beherrscht. Es dauerte eine Weile, bis Sir Marcus Laforey, dem sein Diener einen Gichthocker unter dem verbundenen Fu? zurechtruckte, es sich am Ende des Tisches bequem gemacht hatte. Weiter zum Ausschu? gehorten Mr. Pullen von der Admiralitat, der noch immer Schwarz trug und streng dreinblickte, zwei Kapitane, die Bolitho nicht kannte, und schlie?lich Sir Hedworth Jerram, Laforeys Flaggkapitan. Er war gro? und mager und hatte eine lange Nase, die zu seinem hochmutigen Benehmen pa?te. Als er sich nun erhob, rumpfte er sie, als habe er gerade etwas Ansto?iges erblickt.
        Herrick erklarte knapp:»Die Sitzung des Untersuchungsausschusses der Admiralitat ist hiermit eroffnet. Wer schriftlich vom Gegenstand der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wurde, wird hier Fragen zu beantworten haben. Es werden zwar auch schriftliche Aussagen verwandt, doch der Ausschu? ist vorwiegend zusammengetreten, um personlich das Verhalten von Kapitan Valentine Keen von Seiner Britannischen Majestat Linienschiff Argonaute zu den erwahnten Zeiten zu klaren.»
        Nun schaute er zum ersten Mal Keen an.»Bitte nehmen Sie Platz. Sie stehen hier nicht vor Gericht.»
        Bolitho schaute zu Kapitan Jerram hinuber. Dessen Miene sagte eindeutig: noch nicht.
        Jerram wandte sich den Zuschauern zu, einige Akten lose in den knochigen Fingern. Ubertrieben laut beschrieb er das Auslaufen des Geschwaders von Spithead und sein spateres Zusammentreffen mit dem Straflingsschiff Orontes.

«Angeblich wurde mehrmals der Versuch unternommen, dieses Schiff, das nicht steuerfahig war, in Schlepp zu nehmen. Aus unerfindlichen Grunden beschlo? man schlie?lich auf dem Flaggschiff des Geschwaders, das beschadigte Schiff zu kontrollieren, obwohl die Helicon«- er schaute schnell in sein Konzept -»unter Kapitan Inch bereits erfolgreich Hilfe geleistet hatte.»

«Der Grund dafur war. «begann Keen.
        Herrick klopfte auf den Tisch.»Spater, Kapitan Keen.»
        Bolitho musterte Herrick. Er fuhlte sich in seiner Rolle unwohl, aber sein Tonfall verriet das nicht.

«Kurz darauf begab sich Kapitan Keen personlich auf die Orontes.«Jerram sah Keen scharf an, als erwartete er Widerspruch.»Und nun wird das Verhalten des Kapitans zum Gegenstand dieses Verfahrens, wenn nicht spater sogar ein Fall furs Kriegsgericht.»
        In der Kajute hatte man eine Stecknadel fallen horen konnen. Selbst das Schiff war ungewohnlich still; man vernahm nur das Achzen der Balken und das Lecken des Wassers unterm Heck.
        Der Ehrenwerte Sir Hedworth Jerram erklarte auf seine prazise Art:»Denn der - Kapitan Keen entfernte eine Frau, die nach New South Wales in die Verbannung gebracht werden sollte, von diesem Schiff.»
        Bolitho ballte die Fauste. Fast hatte Jerram Keen als» den Angeklagten
«bezeichnet.

«Der Schiffsarzt der Argonaute ist anwesend. Bitte erheben Sie sich.»
        Tuson, dessen wei?es Haar im starken Kontrast zu seinem einfarbig blauen Rock stand, uberragte alle anderen.

«Wurde die fragliche Frau bestraft?«fragte Jerram.
        Tuson musterte ihn duster.»Jawohl, Sir, sie wurde geschlagen. Ausgepeitscht, Sir.»

«Bestraft«, schnappte Jerram.»Wie schwer waren ihre Verletzungen?»
        Tuson beschrieb in seinem ublichen gelassenen Tonfall die Wunde auf dem Rucken des Madchens. Wer in ihm einen durchschnittlichen Schiffsdoktor erwartet hatte, wurde bald eines besseren belehrt werden.

«In Lebensgefahr schwebte sie aber nicht?«beharrte Jer-ram.
        Tuson starrte ihn an.»Wenn man sie auf dieses Schiff zuruckgebracht hatte…«»Bitte beantworten Sie meine Frage.«»Nein, Sir, aber.»

«Setzen Sie sich. «Jerram tupfte sich mit einem Taschentuch den Mund ab.
        Bolitho sah sich Keens Profil an. Der Mann wirkte unter der Sonnenbraune bleich. Und verbittert.
        Als nachster wurde Stayt aufgerufen. Da es sich nur um einen Untersuchungsausschu? und kein Gericht handelte, konnte Jerram fragen, was er wollte. Ein Kreuzverhor war nicht zugelassen.

«Was geschah, als Sie die Orontes betraten, Leutnant Stayt?»
        Stayt begann:»Die Mannschaft war undiszipliniert und betrunken.«»Wer sagte das?»

«Zu dieser Schlu?folgerung gelangte ich selbst.»

«Ich will uber Ihre Impertinenz hinweggehen. «Jerram fugte hinzu:»Anscheinend lief gerade eine Bestrafung ab. «Ehe Stayt antworten konnte, sagte er scharf:»Und Sie erhielten Befehl, den Ausfuhrenden zu erschie?en, wenn er weitermachte? Ist das korrekt?»

«Die Situation war gefahrlich, Sir Hedworth«, sagte Stayt hitzig.»Wir waren ohne Unterstutzung.»

«Und, wie es den Anschein hat, auch ohne zuverlassige Zeugen, oder?«Nickend gab sich Jerram selbst die Antwort.»Setzen Sie sich.»
        Er schaute kurz in seine Unterlagen, doch Bolitho hatte das Gefuhl, da? er jede Einzelheit auswendig wu?te.
        Das Verfahren wirkte korrekt, doch ohne Erwahnung dessen, was sich zuvor und seitdem zugetragen hatte - Verlust der Supreme, Verwundung des Vizeadmirals -, und ohne Keens Version des Vorfalls ergaben die Aussagen keinen Sinn. Laut Dienstvorschrift sollte der Ausschu? Tatsachen feststellen, doch hier wurden viele Fakten unterdruckt.
        Jerram fuhr fort:»Jedenfalls unterblieb der Versuch, die Frau zuruck auf den Transporter zu bringen. Der Kapitan der Orontes wurde vor seiner Mannschaft gedemutigt. «Er ging mit vernehmlichen Schritten ans andere Ende des Tisches.»In Gibraltar wurden die anderen Frauen ausgebootet, doch die Gefangene blieb unter Kapitan Keens >Fursor-ge< an Bord.»
        Im Hintergrund kicherte jemand.

«Mehr noch: Eine Negerin wurde an Bord genommen, um der Strafgefangenen als Zofe zu dienen. «Sein goldbetre?ter Armel scho? vor.»Bitte stehen Sie auf, Kapitan Keen! Bestreiten Sie diese Tatsachen? Leugnen Sie, eine Strafgefangene fur Ihre eigenen Zwecke, uber die wir hier nur Vermutungen anstellen konnen, von Orontes entfernt zu haben?»
        Keen erwiderte bitter:»Ich holte sie von diesem Schiff, weil sie dort wie ein Tier behandelt wurde!»

«Und das regte Sie, einen Offizier des Konigs, machtig auf!»
        Bolitho sprang auf.
        Herrick schaute ihn an, nahm anscheinend zum ersten Mal von ihm Notiz.»Ja, Sir Richard?»

«Wie kann es dieser Offizier wagen, meinen Flaggkapitan zu verhohnen? Ich werde keine weitere Beleidigung dulden, ist das klar?»

«Hochst unorthodox«, bemerkte Jerram und warf Laforey einen Blick zu.
        Laforey grunzte.»Ach was, machen wir weiter. Sagen Sie Ihren Vers auf, Sir Richard, wenn's unbedingt sein mu?. Wie ich hore, sind Sie ein Hitzkopf.»
        Diese Bemerkung, wenngleich unbeabsichtigt, schien der Konfrontation die Scharfe zu nehmen.
        Bolitho fuhr ruhiger fort:»Kapitan Keen ist ein guter und tapferer Offizier. «Er drehte sich um und zeigte ihnen den goldenen Orden auf seiner Brust, den auch Nelson mit Stolz trug.»Zu meinem Flaggkapitan wahlte ich ihn wegen seiner Verdienste und weil ich ihn personlich kenne. «Er spurte, wie Jerrams Selbstvertrauen zuruckkehrte. Jerram wurde gleich darauf hinweisen, da? solche Kriterien bei der Wahl eines Flaggkapitans belanglos waren. Sofern er zu Wort kam. Bolitho war ein geschickter Fechter, dafur hatte sein Vater gesorgt. Keine andere Waffe wu?te er so gut zu gebrauchen. Er hatte nun das Gefuhl, ein Duell auszufechten: Lasse den Gegner die Kraft deines Armes prufen, tausche ihn und sto?e zu, wenn er aus dem Gleichgewicht ist.
        Laforey sagte:»Wir brauchen die Gefangene doch nur wieder in Gewahrsam zu nehmen. Kapitan Keen kann sich fur sein Verhalten spater verantworten. Immerhin stehen wir im Krieg, Gentlemen.»
        Wie in der Schlacht spurte Bolitho einen eiskalten Schauer im Rucken.»Warum befragen Sie mich eigentlich nicht, Sir Hedworth?»
        Jerram starrte ihn einige Sekunden lang finster an.»Meinetwegen, Sir Richard. Offenbar mussen wir hier Zeit vergeuden. Wo ist die Gefangene?»

«Vielen Dank, Sir. «Bolithos linkes Auge brannte, und er hoffte, es wurde ihn nicht ausgerechnet jetzt im Stich lassen.»Sie ist unter meinem Schutz nach England zuruckgekehrt. Ich habe ihre Uberfahrt bezahlt und werde die Rechnung vorlegen, falls Sie beabsichtigen, auch mich vor ein Kriegsgericht zu stellen. Kapitan Keen brachte sie auf meinen Befehl hin von der Orontes aufs Flaggschiff. Glauben Sie etwa, ein Flaggkapitan konne ohne Zustimmung seines Ad-mirals handeln?«Er sah Keen kurz ins Gesicht.»Ich gab meine Zustimmung. «Dann sprach er weiter:»Die junge Frau war unschuldig in die Verbannung geschickt worden, und das werde ich auch beweisen, Sir Hedworth, vor einem Gericht, das weit glaubwurdiger ist als diese Scharade hier! Woher wollen Sie wissen, was der Kapitan der Orontes sagte oder nicht sagte? Der Mann ist ja schon auf halbem Weg nach New South Wales!«Sein Ton wurde scharfer.»Sie werden die Wahrheit erfahren, Gentlemen, wenn die Beweise vorgelegt werden, darauf konnen Sie sich verlassen. Dann werden Sie sehen, was neidische, ehrlose Manner aus Rachsucht fertigbringen!»
        Pullen stand auf.»Sie ubernehmen also die Verantwortung, Sir Richard?»
        Bolitho, inzwischen wieder gelassen, wandte sich an ihn.»Jawohl. Kapitan Keen steht unter meinem Kommando, bis ich gegenteilige Befehle erhalte. «Er sah die Gestalt in Schwarz so fest an, wie er konnte.»Wenn Sie Ihren Vorgesetzten in London Meldung erstatten und ihnen von meinen Absichten berichten, mogen Sie von der Reaktion uberrascht sein. Aber ich hoffe, da? Sie dann ebensolchen Eifer an den Tag legen wie bei der Verfolgung eines jungen Madchens, das bereits eine ma?los brutale Behandlung erduldet hat. «Er schaute wieder zu Keen hinuber.
        Laforey fragte gereizt:»Warum erfuhren wir das nicht fruher?»
        Bolitho bemuhte sich, nicht mit dem schlimmen Auge zu zwinkern.»Einige Herren waren zu erpicht darauf, mir auf diesem Umweg Schaden zuzufugen, Sir Marcus.»
        Jerram wischte sich das Gesicht.»Ich kann die Verhandlung so nicht weiterfuhren, Sir. «Er schaute Herrick an.»Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht.»
        Herrick machte den Mund auf und schaute dann zur Tur, als ein Leutnant eintrat und nervos auf ihn zukam. Er reichte ihm ein Stuck Papier.
        Bolitho blieb stehen. Er mochte seine Karriere ruiniert haben, aber Keen und seine Zenoria waren jetzt entlastet.
        Herrick schaute auf.»Das sollten Sie lesen, Sir Richard.»
        Bolitho nahm das Papier entgegen und las es langsam und grundlich, spurte dabei, da? aller Augen auf ihm ruhten. Er fuhlte die zunehmende Spannung, die bald so intensiv war wie seine Verzweiflung, sein Zorn.
        Er sah sich in der Kajute um und sagte leise:»Der bewaffnete Schoner Columbine ist eingelaufen. «Er sprach so gedampft, da? einige die Halse reckten, um ihn besser verstehen zu konnen.»Mein Geschwader wurde vergangene Woche angegriffen. «Er sah Jerram ausdruckslos an. »Helicon unter Kapitan Inch wurde stark beschadigt, und ihre Besatzung erlitt schwere Verluste. «Keens anziehendes Gesicht war plotzlich schmerzerfullt. Bolitho sprach mit belegter Stimme weiter.»Was wir befurchtet haben, ist eingetreten. Jobert brach aus, und mein Geschwader griff ihn an. Aber als ich gebraucht wurde, war ich hier.«Er griff nach seinem Hut.»Wie Sir Marcus sagte, stehen wir im Krieg. Es ist eine Schande, da? manche das noch nicht begriffen haben.»
        Herrick sagte:»Sie konnen sich mit Ihrem Flaggkapitan zuruckziehen.»
        Aber Bolitho war noch nicht fertig.»Noch eines. «Er sah einem nach dem anderen ins Gesicht.»Sie konnen sich allesamt zum Teufel scheren!«Damit schritt er aus der Kajute, und Keen folgte ihm einen Augenblick spater.
        Herrick blieb eine Weile reglos sitzen.
        Dann sagte er:»Die Verhandlung ist geschlossen. «Er war von Bolithos Wutausbruch entsetzt, aber nicht uberrascht. Der Mann hatte zuviel getan und geopfert, um sich noch gro? um die Konsequenzen zu scheren.
        Pullen keuchte:»Das kann er sich nicht ungestraft erlauben!»
        Herrick sagte kategorisch:»Sie haben wohl nicht verstanden, worum es geht! Die Franzosen sind ausgebrochen, und Nelson, der vor Toulon patrouilliert wie ein Falke, kann keine Schiffe fur die Suche nach Jobert entbehren. Zwischen Jobert und seinem Ziel steht nur der Mann, dem wir gerade Unrecht getan haben!»
        Laforey sah zu, wie die Zuschauer die Kajute verlie?en, schweigend, als hatte ihnen Bolithos leise Stimme die kommende Schlacht vor Augen gefuhrt.
        Herrick half Laforey von seinem Stuhl auf.»Ich kenne Bolitho besser als jeden anderen Mann. «Plotzlich mu?te er an Allday denken.»Von einer Ausnahme vielleicht abgesehen. Loyal ist er nach beiden Seiten. Wenn man versucht, ihm durch andere Schaden zuzufugen, kampft er wie ein Lowe. «Er war bemuht, nicht an den Zorn in Bolithos Augen zu denken.»Es gibt aber Schlachten, die selbst er nicht gewinnen kann.»
        Er wartete, bis sein Flaggkapitan die Gaste zu ihren Booten gebracht hatte, und ging dann zuruck in die Kajute, auf die er so stolz gewesen war. Ware ich noch sein Kapitan, wurde er ebenso fur mich eintreten. Was tat ich, als er mich brauchte - meine Pflicht? Das Wort klang jetzt leer.
        Ware Bolitho bei seinem Geschwader gewesen, hatte das Resultat vielleicht genauso schlimm ausgesehen. Doch Boli-tho wurde an seiner Abwesenheit leiden wie an einer Wunde, bis er Jobert bezwungen hatte. Oder ihm unterlag.
        Herricks Steward schaute herein.

«Kann ich jetzt Ihre Mobel zuruckbringen lassen, Sir?»
        Herrick musterte ihn traurig.»Aye, und machen Sie hier grundlich sauber. Es stinkt namlich.»
        Wahrend Herrick durch die Heckfenster starrte, glitt die Barkasse der Argonaute ruhig zwischen den anderen Schiffen hindurch.
        Bolitho bemerkte, da? der Riemenschlag langsamer war als sonst und vermutete, da? Allday ihm Zeit lassen wollte, sich wieder zu fassen.
        Keen sa? ernst neben ihm. Plotzlich sagte er:»Das hatten Sie nicht tun sollen, Sir.»
        Bolitho schaute ihn an und lachelte.»Was das Madchen betraf, hatten Sie keinen Einflu? auf den Gang der Ereignisse, Val. Ich ubernahm die Verantwortung, weil ich es so wollte. Sie bedeutet mir viel, und Ihr Gluck auch. «Seine Zuge wurden weich. Anfangs war es bei Ihnen nur eine Frage der Menschlichkeit, bis dann Ihr Herz zu sprechen begann.»
        Keen sagte so leise, da? die Bootsgasten ihn nicht verstehen konnten:»Darf ich fragen, woher Sie wissen, wer dahintersteckt, Sir?»

«Nein, noch nicht. «Bolitho versuchte vergeblich, Trost in der Tatsache zu finden, da? sein Bluff erfolgreich gewesen war. Aber er sah nur vor sich, wie Inch sich dem Feind entgegengeworfen haben mu?te. Die Botschaft des Schoners hatte nur wenige nutzliche Nachrichten enthalten, abgesehen von dem Hinweis, da? das feindliche Flaggschiff Leopard hie?.
        Wie zu sich selbst sagte Bolitho:»Die Franzosen griffen zuerst Rapid an. Inch versuchte, sie zu schutzen, und bekam die volle Wucht des Angriffs zu spuren. Was wollten sie nur mit der Brigg?«Keen beobachtete sein Profil und fragte sich, wie viele andere Aspekte von Bolithos Personlichkeit es noch gab, die er nicht verstand. Schlie?lich zuckte Bolitho die Achseln.»Erinnern Sie sich noch an die Achates, Val?»
        Keen nickte lachelnd.»Ja, das alte Kathchen.»

«Als Jobert uns angriff, waren wir ihm weit unterlegen. Um ihn zum Nahkampf zu bewegen, konzentrierten wir unser Feuer auf sein kleinstes Schiff, die Diane, und eroberten so die Argonaute.»
        Keens Gesicht verriet jahe Erkenntnis.»Und nun hat er uns das gleiche zugefugt! Der Schatten der Argonaute fiel auf sie, als sie langsseits gingen.
        Bolitho packte seinen Degen. Der Wind war immer noch kraftig. Eben dieser Westwind hatte die Franzosen mitgebracht. Er schaute in die Gesichter der wartenden Ehrenwache. Lastete doch ein Fluch auf diesem Schiff? War es noch immer franzosisch, ganz gleich, was sie mit ihm angestellt hatten?
        Als sein Kopf in der Pforte erschien, hob Leutnant Paget, der vor ihnen mit der Gig eingetroffen war, den Hut und schrie:»Ein Hoch auf den Admiral, Jungs!»
        Keen hatte Bolithos Blick gesehen; er sagte:»Es zahlen die Manner, nicht die Schiffe, Sir.»
        Bolitho zog den Hut und schwenkte ihn langsam uber den Kopf. Er wollte, da? der Jubel aufhorte, aber gleichzeitig brauchte er ihn, um seine dusteren Gedanken zu vertreiben.
        Seine Kajute kam ihm danach wie eine Zuflucht vor.
        Bolitho setzte sich in seinen Sessel und widerstand der Versuchung, sich die Augen zu reiben. Beide schmerzten, und auf dem guten Auge konnte er vor Uberanstrengung und Anspannung nur unscharf sehen.

«Ich mochte sofort den Kapitan der Columbine sprechen. «Er sah Ozzard Brandy einschenken, der kleine Mann wirkte traurig. Auch er wurde Inch nicht vergessen. Ich mu? mich so genau wie moglich informieren, ehe wir zu den anderen sto?en.»

«Kapitan Inch mag ja auch gesund sein, Sir. «Keen musterte ihn voller Zuneigung. Wir konnen nur hoffen.»

«Er ist ein guter Freund, Val. «Er dachte an Herrick am Tisch. »Einen zu verlieren, ist schon schlimm genug.»
        Er stand auf und lief unentschlossen in der Kajute herum.

«Gott, bin ich froh, wenn wir auslaufen, Val. Dieses Malta ist mir zu kalt. «Er warf einen Blick auf den angefangenen Brief.»Richten Sie dem Admiral aus, da? ich beabsichtige, bei Sonnenuntergang Anker zu lichten.»
        Keen blieb zogernd an der Tur stehen.»Ich fahre selbst zu dem Schoner hinuber.
«Leise fugte er hinzu:»Ich werde Ihnen nie genug danken konnen, Sir.»
        Bolitho, der seine Niedergeschlagenheit nicht mehr verbergen konnte, schaute weg. Zenoria ist es wert, Val. Und Sie sind es auch. Aber jetzt holen Sie mir diesen Offizier.»
        Die Tur schlo? sich, und Bolitho griff nach dem Brief. Dann knullte er ihn zusammen und begann mit plotzlicher Entschlossenheit einen neuen: Meine liebste Belinda…
        Auf einmal fuhlte er sich nicht mehr so allein.



        XIV Das Herz eines Schiffes

        Bolitho verharrte neben dem gro?en Ruderrad der Helicon, das erstaunlicherweise intakt geblieben war. Er hatte sich zu einer Inspektion des Decks gezwungen, um sich davon zu uberzeugen, da? der Kampf wirklich schon zwei Wochen zurucklag. Auf dem Schiff sah es aus, als hatte er erst gestern gewutet.
        Der Wind, der die Franzosen in dieses Gefecht gefuhrt hatte, war einer Flautenperiode gewichen. Die letzten Meilen bis zum Treffen mit Argonaute waren fur das Geschwader eine zusatzliche Tortur gewesen. Denn es lief noch eine hohe, olige Dunung, auf der die harte, eher silberne als goldene Sonne die beschadigten Schiffe in der ganzen Unordnung der Niederlage blo?stellte.
        An Deck schafften Matrosen von anderen Schiffen, denn aus Inchs Besatzung waren nur wenige arbeitsfahig geblieben. Das Knarren der Pumpen gemahnte an die Schaden, und aus einem Wirrwarr von Tauwerk und Taljen begann ein Notruder Gestalt anzunehmen. Bolitho fragte sich, wie das Schiff uberlebt hatte: zerfetzte Decksplanken, gro?e, getrocknete Blutflecken, umgekippte Geschutze, verkohlte Segelfetzen; nur die Toten fehlten, wahrend die Verwundeten unter Deck jeder fur sich um ihr Leben kampften.
        Das war kein Gefecht gewesen, sondern ein Gemetzel. Ware Barracouta nicht unter Vollzeug angerauscht gekommen, hatte Helicon jetzt auf dem Meeresgrund gelegen. Wenn der Wind wieder auffrischte, mochte sie diese letzte Fahrt doch noch antreten. Barracouta hatte alle Vorsicht au?er acht gelassen und bei dem Versuch, den Feind von seinem kalkulierten Angriff abzulenken, mehrere Tucher aus den Lieken gesegelt.
        Allday fragte:»Warum kehren wir nicht zum Schiff zuruck, Sir? Ein schones Bad und eine Rasur wurden Ihnen gut tun.»
        Bolitho schaute ihn an.»Noch nicht. «Er war von der grausamen Zerstorung ringsum wie benommen.»Wenn ich diesen Tag jemals vergessen sollte, dann erinnere mich daran!»
        Er sah Tuson unter der Poop stehen. Auch das Achterdeck war ubel zugerichtet und verzogen. Es sah aus, als ware es von einem Riesen, dessen Krallen gro?e schwarze Narben hinterlassen hatten, zerquetscht worden. Viele waren hier gestorben, und noch viel mehr mu?ten kunftig fur diesen Tag bu?en.

«Wie geht es ihm?»
        Tuson musterte ihn leidenschaftslos.»Der Schiffsarzt hat ihm den Arm nicht weit genug abgenommen, Sir. Ich bin mit der Amputation unzufrieden und schlage vor.»
        Bolitho packte ihn am Revers.»Verdammt noch mal, Sie reden hier von meinem Freund und nicht von einem Kadaver!«Dann wandte er sich ab und sagte leise:»Verzeihung.»

«Ich verstehe schon, Sir«, meinte Tuson.»Jedenfalls wurde ich den Fall lieber selbst ubernehmen. «Er verschwieg, was Bolitho bereits wu?te: Der Schiffsarzt der Helicon hatte Inchs bereits ernste Verletzung mit seiner Behandlung noch verschlimmert. Fairerweise mu?te man ihm zugestehen, da? er von der Flut verwundeter Manner, die ins Orlopdeck unter sein Messer oder seine Sage geschleift wurden, uberfordert worden war.»Ich mu? ihn sehen.»
        Tuson schaute Bolitho von der Seite an.»Versprechen kann ich nichts.»
        Unter der Poop hing immer noch der Gestank nach Feuer und Blut, Tod und blinder Wut. Einige Kanonen lagen auf der Seite oder weit binnenbords, wohin sie der Rucksto? nach der letzten Breitseite getragen hatte, ehe die Crews hingemetzelt oder geflohen waren. Die Sonne schien durch verformte, schartige Stuckpforten.
        Das Hammern von drau?en wurde leiser, als Bolitho sich durch den Niedergang zu den Uberresten der Messe vortastete.
        Inchs Kajute war vollig hinweggefegt, bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, und beherbergte jetzt jene Uberreste der Geschutzbedienungen und Wachganger, die bis zuletzt ausgehalten hatten. Hohlaugige Manner schauten Bolitho an und traten dann beiseite, um ihn durchzulassen, ehe sie wieder an die Arbeit gingen, um das Schiff zu retten und fur die Fahrt in einen Nothafen bereitzumachen. Doch das regelma?ige Knarren der Pumpen schien ihre Anstrengungen zu verhohnen, und das Stohnen der Verwundeten bildete eine dustere Untermalung.
        In Helicons Offiziersmesse war es im Vergleich zum Oberdeck fast kuhl. Der Wind, der durch die zersplitterten Heckfenster wehte, konnte den Raum nicht von seinem Gestank befreien. Bolitho stand neben der Koje und schaute auf Inchs blasses Gesicht hinab. Er schien nicht bei Bewu?tsein zu sein. Bolitho frostelte, als er den blutigen Verband sah, wo einst Inchs Arm gewesen war.
        Tuson zog die Decke beiseite und sagte:»Hier hat er einen Metallsplitter erwischt, Sir. Der Arzt behauptet, ihn entfernt zu haben.»
        Erst da merkte Bolitho, da? Inch die Augen aufgeschlagen hatte und ihn anstarrte. Er schien seine ganze Kraft auf das Erfassen und Erkennen dessen, was um ihn herum vorging, zu konzentrieren.
        Bolitho beugte sich uber ihn und ergriff seine Hand.»Ich bin bei Ihnen, alter Freund.»
        Inch befeuchtete sich die sproden Lippen.»Ich wu?te, da? Sie kommen wurden. «Er schlo? die Augen und packte Bolithos Hand fester, als der Schmerz ihn durchfuhr. Doch sein Griff war schwach.

«Es waren drei Linienschiffe«, sagte Inch.»Ware die Bar-racouta nicht gekommen.»

«Ich bitte Sie, Sir«, flusterte Tuson.»Er ist sehr geschwacht und wird seine ganze Willenskraft brauchen, um die nachste Operation zu uberleben.»
        Bolitho drehte sich um.»Ist sie denn unbedingt notwendig?»
        Tuson zuckte die Achseln.»Wundbrand, Sir. «Mehr brauchte er nicht zu sagen.
        Bolitho beugte sich wieder uber die Koje.»Geben Sie nicht auf, Francis. Sie haben noch viel Gutes vor sich. «Er hatte Inch gerne uber die franzosischen Schiffe ausgefragt, aber das war jetzt ausgeschlossen.
        Carcaud, Tusons Assistent, wartete mit zwei Gehilfen an einer umgesturzten Kanone. Bolithos Augen brannten. Sie wurden Inch festhalten, wahrend Tuson sein blutiges Werk tat.
        Bolitho senkte den Kopf, brachte es nicht fertig, Inch anzusehen, den Mann, der soviel Mut und soviel Gluck gehabt hatte. Wer scherte sich um sein Schicksal? Seine hubsche junge Frau vielleicht und ein paar alte Kameraden.
        Inchs Blick ging an ihm vorbei und erfa?te Allday. Sein langes Gesicht verzog sich zum Schatten eines Lachelns.»Sie haben diesen Gauner ja immer noch bei sich«, flusterte er.
        Dann wurde er ohnmachtig. Tuson bellte:»Jetzt!«Er warf Bolitho einen kurzen Blick zu.»Ich schlage vor, da? Sie sich entfernen, Sir.»
        Bolitho erkannte Tuson kaum wieder. Er hatte den kalten Blick des von seinem Metier Besessenen.
        Bolitho ging zuruck nach oben und sah, da? ein junger Leutnant das Setzen zweier Stagsegel uberwachte. Sie wurden dem Schiff kaum mehr geben als Steuerfahigkeit, bis die Rahen wenigstens teilweise ersetzt waren. Bolitho sah sich noch einmal Back und Poopdeck an. Das Schiff war aus nachster Nahe beschossen worden und zwar offenbar mit Kartatschen.
        Der Leutnant erkannte ihn und salutierte.»Addenbrook, Sir«, sagte er.»Funfter Offizier.»

«Wo standen Sie wahrend des Gefechts?«Bolitho sah in dem ru?geschwarzten Gesicht wieder Angst und Emotionen aufflackern. Er schatzte ihn auf achtzehn Jahre.

«Im unteren Batteriedeck, Sir«, erwiderte Addenbrook.»Die Franzosen fielen ab und konzentrierten ihr Feuer auf uns. Schwere Geschutze und alles, was sie sonst noch hatten. «Er schien in die brullende, isolierte Welt des unteren Batteriedecks zuruckzukehren.»Wir horten, da? die Masten weggeschossen wurden, feuerten aber weiter, so wie es von uns erwartet wurde.»

«Ich wei?. Kapitan Inch ist ein tapferer Mann.»
        Der Leutnant horte kaum, was er sagte.»Sie beschossen uns mit Kugeln, bis die halbe Mannschaft am Boden lag, Sir. Dann kamen sie dichter heran und setzten Kartatschen ein.»
        Er griff sich an die Stirn.»Mein Gott, hab' ich gedacht, warum horen sie denn nicht auf? Unser Vorgesetzter fiel, aber die Manner waren wie von Sinnen, brullten Hochrufe, luden und feuerten. Ich erkannte sie nicht wieder.»
        Kartatschen auf kurzeste Distanz. Damit war die totale Verwustung erklart. Zu diesem Zeitpunkt konnte kaum eine Geschutzmannschaft noch in der Lage gewesen sein, das Feuer zu erwidern.
        Der Leutnant betrachtete seine fleckige Uniform und konnte offenbar immer noch nicht glauben, da? er ohne einen Kratzer uberlebt hatte.

«Wir waren allein, bis Barracouta eingriff, Sir. «Er schaute auf und sagte plotzlich verbittert:»Wir hatten keine Chance!«Einen Augenblick verdrangte Stolz den Schmerz in seinen Augen.»Aber die Flagge gestrichen haben wir nicht, Sir!»
        Neben der Bordwand platschte es, und Bolitho sah, wie Carcaud sich auf dem Seitendeck die Hande an der Schurze abwischte. Er erriet, was da ins Meer geworfen worden war, und winkte den schlaksigen Assistenten des Schiffsarztes zu sich.

«Wie geht es ihm?»
        Carcaud schurzte die Lippen.»Ich glaube nicht, da? er von der Amputation etwas gespurt hat, Sir. Aber wenn er aufwacht.»
        Bolitho nickte und ging langsam zu den Uberresten des Schanzkleids.
        Helicons Erster Offizier erschien mit verbundenem Kopf an Deck. Als er Bolitho erblickte, eilte er auf ihn zu.

«Sie haben sich gut gehalten, Mr. Savill«, sagte Bolitho.»Wenn Sie weitere Manner brauchen, fordern Sie sie an. «Er sah, da? der Mann wankte.»Sind Sie uberhaupt in der Verfassung, hier Dienst zu tun?»
        Der Leutnant versuchte zu grinsen.»Das schaffe ich schon, Sir. «Er sprach mit einem weichen Dorset-Akzent.»Ich werde das Schiff leichtern, sowie wir ein paar Flaschenzuge aufgeriggt haben. «Sein Blick wurde scharfer.»Aber die Kanonen bleiben an Bord. Denn diese alte Lady wird wieder kampfen, wenn sie es bis ins Dock geschafft hat.»
        Bolitho lachelte traurig. Das Vertrauen eines Seemannes zu seinem Schiff. Und der Mann hatte wahrscheinlich recht.

«Sie sahen das franzosische Flaggschiff, die Leopard?»

«Aye, Sir. «Savill wirkte wie in Trance.»Ich bekam einen Schlag gegen den Kopf und wurde hinter einen Neunpfun-der geworfen. Der hat mir wahrscheinlich bei der nachsten Breitseite das Leben gerettet. «Er schaute nach achtem.»Sie wurden alle niedergemaht, zermanscht wie ein Korb voll Eier. Aber gesehen habe ich das Flaggschiff wohl, Sir. «Er lachelte wehmutig.»Schade, da? wir nicht einen zusatzlichen Ladebaum haben wie der Franzose. Den konnte ich jetzt gut gebrauchen, um Proviant und Munition an Deck zu hieven. «Ein Mann rief, und der Leutnant legte gru?end die Hand an die Stirn.»Mit Verlaub, Sir. «Er zogerte und drehte sich um. Hier hat Kapitan Inch gestanden und sie alle zur Holle gewunscht, Sir. Er war ein gro?artiger Kommandant und anstandig zu seinen Leuten.»
        Bolitho sah weg. War. »Ich wei?.»
        In der Barkasse drehte er sich um und hielt nach seinen anderen Schiffen Ausschau, setzte sich mit den Problemen des ubel zugerichteten Geschwaders auseinander. Ware Bar-racouta nicht erschienen, hatten sich die Franzosen auch den anderen Schiffen zugewandt. Er hatte bereits gehort, da? Barracouta mit der Nachricht vom Ausbrechen des Feindes losgeeilt und von zwei franzosischen Fregatten verfolgt worden war. Nur dank ihrer Geschwindigkeit und der Tatsache, da? die beiden feindlichen Schiffe sie fur einen kleinen Zweidecker gehalten hatten, war sie uberhaupt in der Lage gewesen, helfend einzugreifen.
        Ein- oder zweimal schaute er zuruck zur Helicon, die mit ihren Maststumpfen, Lecks und Brandflecken ein finsteres Bild abgab. Wie viele Leute waren gefallen? Wieder eine Namensliste. Jobert hatte die Helicon total zerstoren wollen. Als Rache fur seine Calliope oder weil sie eine Prise war? Oder als Hinweis auf das Schicksal, das Argonaute drohte?
        Bolitho stellte sich die ihm verbliebenen Schiffe eines nach dem anderen vor. Ohne Inch blieben ihm nur Houston und Montresor, die sich erst noch in der Schlacht bewahren mu?ten. Dann hatte er Rapid, und mit etwas Gluck wurde die Supreme zu ihnen sto?en, wenn die Werft auf Malta ihr Versprechen hielt. Dazu die Fregatte Barracouta. Seltsam, da? Lapish, der unter einem so ungunstigen Stern angefangen hatte, inzwischen derart viel Geschick und Initiative gezeigt hatte. Er seufzte. Wir mussen Kapitan Inch aufs Flaggschiff bringen, sobald er transportfahig ist, Allday.»
        Allday schaute hinab auf die gebeugten Schultern Bo-lithos.»Wenn Sie meinen, da? er das ubersteht?»

«Ja. «Bolitho starrte auf die Dispatch, die uber ihrem Spiegelbild beigedreht lag Ware ihr Ruder nicht gebrochen… Er verwarf den Gedanken. Das hatte das Unvermeidliche nur verzogert.
        Jobert mu?te Barracouta fur eines von Nelsons Schiffen gehalten haben, Vorhut seines Blockadegeschwaders vor Toulon.
        Keen erwartete ihn mit fragender Miene.
        Wie anders es doch auf den Decks der Argonaute aussieht, dachte Bolitho. Hier herrschten Ordnung und Zweckma?igkeit. Doch Niedergeschlagenheit war ansteckend, und das Wrack der Helicon stand allen als Mahnmal vor Augen.

«Kommandantenbesprechung, Val«, sagte er.»Moglichst noch heute nachmittag.»
        Keen schaute hinuber zur Helicon und sagte leise:»Dort liegt das Herz eines Schiffes.»
        Bolitho beschattete die Augen und sah ein Segelfragment zwischen den Stumpfen von Gro?- und Besanmast aufsteigen.

«Das Herz von Francis Inch«, sagte er.
        Joberts Geschwader war nicht nur zur Ablenkung oder fur einen Rachefeldzug ausgelaufen, uberlegte er. Bot sich ihm Gelegenheit zur Vergeltung, dann um so besser, aber es mu?te sehr viel mehr dahinterstecken. Sollte Jobert Nelsons Blockadegeschwader von Toulon weglocken, damit Admiral Villeneuves Hauptverband in voller Starke ausbrechen konnte? Da Gibraltar wieder durch das Fieber geschwacht war, mochte Jobert versuchen, durch die Meerenge in den Atlantik vorzusto?en. Doch Bolitho verwarf diesen Gedanken sofort. Das hatte Jobert langst tun, inzwischen sogar schon in Brest sein konnen.
        Bolitho trat an ein Heckfenster. Eigentlich hatte er erschopft sein sollen, deprimiert vorn Schock und der Niederlage. Doch sein Verstand schien wacher denn je.
        Keen trat ein.»Kommandanten haben bestatigt, Sir. «Das klang steif.
        Bolitho kannte Keen und wu?te, da? er sich wahrscheinlich Vorwurfe machte. Waren sie nicht nach Malta beordert worden…
        Er drehte sich zu ihm um.»Schlagen Sie sich die Selbstvorwurfe aus dem Kopf, Val. Ich bin in Malta auf etwas gesto?en, das ich sonst nie erfahren hatte.»

«Sir?»

«Ich kann noch nicht daruber sprechen. «Er wartete, bis Keen die Tur erreicht hatte.»Und, Val - wenn Sie sie wieder in den Armen halten, werden Sie erkennen, da? das Schicksal Ihnen gar keine andere Wahl lie?.»
        Bolitho trat hinaus auf die Heckgalerie mit den beiden lachelnden Meerjungfrauen. Als nachstes wurde er sich mit seinen Kommandanten beraten, den Schaden beheben, ihnen wieder Zuversicht geben. Langsam trieb die Helicon in sein Gesichtsfeld.
        Du nicht, Freund Inch. Du hast deine Schuldigkeit getan.
        Im Lauf des Tages frischte der Wind auf, es bewolkte sich und sah nach Regen aus.
        Bolitho stand an den Heckfenstern und betrachtete die in der Kajute versammelten Kommandanten. Er hatte ihnen in allen Einzelheiten Joberts Geschwader, seine Starke und seine moglichen Absichten erortert.

«Gentlemen, es ist sinnlos, noch langer in diesem Golf zu bleiben. Ich beabsichtige, im Sudosten zu suchen. Falls Jobert sich nach Westen gewandt hat, um durch die Meerenge von Gibraltar zu entkommen, haben wir ihn bereits verloren. Falls aber nicht - «, er schaute in ihre gespannten Gesichter -,»mussen wir ihn ausfindig machen und zum Gefecht zwingen.»
        Gedampfte Rufe vom Hauptdeck; die Kajute erzitterte, als zwei Zweiunddrei?igpfunder von Helicon an Bord gehievt wurden.

«Diese Kanonen werden morgen auf die Rapid gebracht. «Er sah, wie deren junger Kommandant zusammenfuhr, als habe er nur mit halbem Ohr zugehort.

«Die sind aber zu schwer, Sir…«stammelte Quarrell.
        Bolitho musterte ihn kuhl.»Sie haben doch einen Schiffsbaumeister und einen Zimmermann, oder? Lassen Sie die zwei Kanonen auf dem Vorschiff als Jagdgeschutze montieren. Wenn Sie Ballast und Ausrustung umtrimmen und das Deck abstutzen, sollte das nicht zu schwer fallen. Ich befehligte einmal ein Kanonenboot, auch nicht viel gro?er als Ihre Rapid, das uber eine ahnlich schwere Bugbewaffnung verfugte. Also gehen Sie an die Arbeit.»
        Kapitan Montresor sagte:»Mein Ruderschaden ist behoben, Sir. Er war unvorhersehbar. «Er starrte Houston verbittert an.»Ich wollte kampfen. Und ich hatte nicht erwartet, da? Helicon auf sich allein gestellt sein wurde.»
        Houston sa? mit verschrankten Armen verstockt da.

«Mein Schiff war wegen Wind und Nebel zu weit zuruckgefallen, Sir«, sagte er.»Ich sah, da? Dispatch Schwierigkeiten hatte. «Sein schmaler Mund formte die Worte wie abgehackt.»Ware ich Helicon zu Hilfe gekommen, hatte ich nur ein Ziel mehr abgegeben. Da ich wu?te, da? die Franzosen uns einen nach dem anderen erledigen wollten, nahm ich lieber Montresor in Schlepp.»
        Bolitho nickte. Typisch fur diesen Mann, dachte er. Er war hart und kompromi?los, aber in diesem Fall hatte er korrekt gehandelt: Es ging darum, entweder ein Schiff zu retten oder das ganze Geschwader zu verlieren.

«Jobert tut nichts ohne Grund«, sagte er.»Und bisher war er uns immer einen Schritt voraus. «Er sah, da? Keen ihn grimmig beobachtete. Mit dem Verlassen seiner zugewiesenen Station war er ein gro?es personliches Risiko eingegangen. Egal. Seit dem Tribunal von Malta stand er ohnehin auf der schwarzen Liste. Die Erkenntnis, da? Ruf und Risiko ihm jetzt gleichgultig waren, machte ihn fast ubermutig.
        Houston sagte mit seiner barschen Stimme:»Wir mussen uberlegen, wann und wo wir Trinkwasser ubernehmen konnen, Sir.»
        Bolitho sah ihn an und wurde sich des Schleiers vor seinem linken Auge bewu?t.

«Kommt nicht in Frage, Kapitan Houston. «Er schaute die anderen an.»Keiner von uns nimmt Wasser an Bord. Kurzen Sie die Rationen, halbieren Sie sie meinetwegen, aber wir bleiben zusammen, bis alles voruber ist.«Ganz gleich, wie es ausgeht, hatte er beinahe hinzugefugt; doch den Gesichtern der anderen war anzumerken, da? sie ohnehin diesen Gedanken hatten.

«Ich brauche alle verfugbaren Informationen. Kustenschiffe mussen gestoppt und grundlich durchsucht werden, auch wenn sie unter neutraler Flagge segeln. Wer sich widersetzt, wird versenkt. «Er spurte, da? sich wieder Ha? in seinen Tonfall einschlich, und dachte an Herrick, an den Kummer in seinen blauen Augen beim Abschied auf der Benbow. Insgeheim wu?te Bolitho, da? Herrick vernunftig gehandelt hatte. Er selbst konnte Gunstlingswirtschaft ebenfalls nicht ausstehen und verachtete alle, die mit ihrer Hilfe vorankamen. Und doch hatte er Keen wie einen Gunstling behandelt. Was hatte er an Herricks Stelle getan, wenn er um einen solchen Gefallen gebeten worden ware?
        Kapitan Lapish fragte:»Wird Jobert noch mehr Schiffe unter seinem Kommando haben? Seine Stimme klang zuversichtlicher als zuvor.
        Bolitho lachelte ernst.»Hat er nicht schon genug?»

«Zwei Fregatten!«brummte Houston.»Und wir haben nur eine.»

«Meine Brigg nicht zu vergessen!«rief Quarrell.

«Heben Sie sich Ihren Kampfgeist fur den Feind auf«, sagte Bolitho.»Drillen Sie Ihre Manner, bis sie halb im Schlaf zielen und feuern konnen. Machen Sie jedem klar, da? der Feind auch seine Schwachen hat. Wir konnen und mussen ihn schlagen, denn ich bin uberzeugt, da? wir das einzige Hindernis zwischen Jobert und seinem Ziel darstellen.»
        Das Deck neigte sich stark. Ein Buch rutschte vom Tisch.

«Kehren Sie auf Ihre Schiffe zuruck«, schlo? Bolitho.»Wenn es regnet, sammeln Sie Wasser zur Erganzung der Rationen. Setzen Sie bei der Suche nach kleinen Schiffen auch die Boote ein. Unsere Leute sollen kampfbereit sein und stets mit Widerstand rechnen.»

«Leopard ist ein Dreidecker, oder, Sir?«konterte Houston.
        Die unverblumte Erinnerung fuhr durch die anderen wie ein kalter Wind.
        Bolitho warf Keen einen Blick zu.»Inch nahm es mit diesem Schiff und zwei Fregatten zugleich auf, Kapitan Houston. Wir mogen angeschlagen sein, aber Sie werden sehen, da? wir alle noch unseren Mann stehen!»
        Nachdem die Kommandanten verabschiedet worden waren, kehrte Keen in die Kajute zuruck und fragte:»Wissen Sie eigentlich schon, was Jobert vorhat, Sir?»

«Sobald ich sicher bin, verrate ich es Ihnen, Val. Bis dahin mussen wir dafur sorgen, da? es auf unseren Schiffen weder lasch noch nachlassig zugeht. Mangelnde Wachsamkeit kann uns jetzt nur Niederlagen eintragen.»

«Der Schiffsarzt!«rief der Wachposten.
        Tuson trat ein.»Sie schickten nach mir, Sir?»

«Bitte sorgen Sie dafur, da? Kapitan Inch zu uns an Bord gebracht wird. Ich furchte, da? das Wetter umschlagt.»
        Tuson nickte.»Ich sprach vorhin auf der Helicon mit ihm, Sir. Er hat starke Schmerzen.»
        Als der Arzt gegangen war, trat Keen zum Kartentisch.»Verdammt, dieser Jobert kann Gott wei? wo sein. Wie eine Nadel im Heuhaufen!»
        Bolitho stolperte beim Auf- und Abschreiten uber einen Ringbolzen und hatte beinahe das Gleichgewicht verloren. Wieder packte ihn die Angst. Was mochte Belinda denken? Selbst wenn Adam ihr das volle Ausma? seiner Verwundung verschwiegen hatte, mu?te sie an der Handschrift seines letzten Briefen erkennen, da? etwas nicht stimmte. Fast bereute er nun, ihr von seinen geheimsten Hoffnungen und Angsten geschrieben zu haben, von seiner Liebe fur sie, trotz allem.
        Keen sagte plotzlich:»Eigentlich habe ich ja versprochen, nicht daruber zu reden, aber ich kann es nicht ertragen, Allday so niedergeschlagen zu sehen.»

«Wissen Sie denn etwas Genaues, Val?»
        Keen setzte sich. Eigentlich wurde er an Deck gebraucht, aber Paget wurde inzwischen mit den meisten Aufgaben alleine fertig.

«Mein Bootsfuhrer hat es mir erzahlt, Sir. Der alte Hogg ist ein verla?licher Bursche, und Allday zieht ihn hin und wieder ins Vertrauen. «An den Heckfenstern triefte das Wasser herunter, und Bolitho versuchte, nicht an Inch zu denken, der nun in ein tanzendes Boot hinabgelassen wurde. Ein jaher Schock konnte einen Mann in seiner Verfassung umbringen.

«Es hat den Anschein, Sir, da? Bankart annahm, Allday wurde nach seiner schweren Verwundung die Seefahrt aufgeben. Er hatte von seinem sicheren Leben bei Ihnen in Falmouth erfahren und bekam Lust darauf. Der Dienst auf See scheint ihm nicht zu behagen, obwohl er sich freiwillig gemeldet hatte. «Keen schaute Bolitho von der Seite an und fragte:»Ist Bankart auch bestimmt sein Sohn, Sir?»
        Bolitho lachelte.»Wenn Sie Allday vor zwanzig Jahren gekannt hatten, wurden Sie mir diese Frage nicht stellen. Zumindest au?erlich ist er ihm sehr ahnlich.»
        Keen stand auf, als von der Back her die Schiffsglocke schlug.»Ich werde dafur sorgen, da? er entlassen wird, wenn wir wieder in England sind.»
        Bei dem Wort England blickten sie einander nicht an. Wurden sie jemals seine grunen Felder wiedersehen?

«Und ich rede personlich mit Allday, Val. Manner, die von Sorgen geplagt werden, fallen oft als erste.»
        Keen hob den Kopf und lauschte. Auch Bolitho horte drau?en Hochrufe und sagte: Gehen wir an Deck. Das wird eine Qual fur Inch.»
        Auf dem Achterdeck uberwachte Big Harry Rooke, der Bootsmann, die Flaschenzuge, an denen Inchs Bahre an Bord gehievt werden sollte. Das Seitendeck der Helicon, die mit Schlagseite in der Dungung stampfte, war von winzigen Gestalten gesaumt, die zusahen, wie das Boot langsam und vorsichtig auf das Flaggschiff zuhielt. Bolitho zog sein Degenkoppel zurecht und druckte sich den Hut fester in die Stirn.»Lassen Sie die Ehrenwache antreten. «Er ging ans Schanzkleid und beugte sich hinaus.
        Er horte, wie sich die Seesoldaten auf Sergeant Black-burns Befehl hin aufstellten. Stahl zischte, als Hauptmann Bouteiller seinen Sabel zog. Die Bootsmannsgehilfen befeuchteten ihre silbernen Pfeifen. Dann spannten sich die Flaschenzuge, und aller Jubel verstummte.
        Keens Stimme klang fest, als er rief:»Achtung an Deck! Klar zum Empfang des Kommandanten der Helicon!»
        Nach dem Larm des Zeremoniells wurde Inchs Koje schnell zur Poop getragen. Bolitho ging nebenher, ergriff Inchs Hand und sagte leise:»Willkommen an Bord, Kapitan Inch.»
        Inch versuchte zu grinsen, sah aber sehr bla? und gealtert aus.»Lassen Sie mich noch einmal mein Schiff sehen«, flusterte er heiser.
        Man trug ihn zum Schanzkleid, wo Tuson ihn stutzte, damit er den fernen Vierundsiebziger mit den erbarmlichen Segelfetzen erkennen konnte.

«Die alte Lady sehe ich nie wieder«, sagte Inch langsam.
        Bolitho blickte der kleinen Prozession nach, bis sie vom Niedergang verschluckt wurde, und sagte:»Und wir nicht einen Mann von seinem Kaliber.»
        Er wandte sich abrupt ab.»Nehmen Sie Fahrt auf und befehlen Sie dem Geschwader, hinterm Flaggschiff auf Station zu gehen.»
        Inchs Anwesenheit an Bord wird uns allen eine Mahnung und Warnung sein, dachte Keen.
        Im Orlopdeck der Argonaute zog Allday in der winzigen Kammer, die er mit Segelmacher Mannoch teilte, eine flak-kernde Laterne dichter an seine Arbeit heran. Allday war gro? und kraftig gebaut, und in seiner Faust wirkte ein Entermesser so zierlich wie der Seitendolch eines Kadetten. Aber das Modell, das er zur Halfte fertiggestellt hatte, war ebenso fein. Allday hatte es aus Holz, Knochen und sogar Menschenhaar angefertigt und musterte es jetzt mit kritischem Auge. Von jedem Schiff, auf dem er unter Bolitho diente, hatte er ein Modell geschnitzt.
        Er nahm das kleine Schiff auf die Handflache und drehte es langsam vor der Laterne hin und her. Es war ein Zweidek-ker mit vierundsiebzig Kanonen, und er grunzte mit widerwilliger Zufriedenheit.
        Unten im Orlopdeck, in das niemals Tageslicht fiel, herrschte immer dicke Luft. In der kleinen Kammer roch es au?erdem nach Rum. In seinem Fach war Mannoch zwar ein Genie, doch er schaute zu gern ins Glas und wurde deshalb von seinen Gehilfen Old Grog genannt.
        Allday rutschte auf der harten Seemannstruhe hin und her und dachte an das Madchen, wie er es zuletzt mit kurzem Haar und in geborgten Kleidern gesehen hatte. In Malta hatte es auf der Fahrt zu dem Handelsschiff noch einen Zwischenfall gegeben: Eines der Wachboote hatte sie fast langsseits passiert. Aber er hatte der Besatzung des Bootes eine Tracht Prugel angedroht, wenn sie auch nur ein Wort verlauten lie?e. Manchen war uberhaupt nichts aufgefallen. Im Dunkeln sah ein Midshipman aus wie der andere.
        Wieder einmal hatte er damals ernsthaft an eine Ehe gedacht. Er grinste vor sich hin. Aber wer will schon einen alten Bock wie mich?
        Es klopfte an die schmale Tur, und er sah zu seinem Erstaunen Bankart eintreten.

«Ja, was gibt's?»

«Darf ich mit dir reden?»
        Allday rutschte auf der Truhe zur Seite, um Platz zu machen.»Woruber?»
        Er sah dem Jungen ins Gesicht und mu?te an seine Mutter denken, ein sauberes, frisches Madchen. Auch damals hatte er erwogen, zu heiraten. So viele hatte er gekannt, in so vielen Hafen, doch die Wirtstochter aus Falmouth war die einzige, die er nicht verga?.

«Ich will kein boses Blut zwischen uns!«platzte Bankart heraus, sah ihm dabei aber nicht in die Augen. Er war so storrisch wie Allday und erstaunt, den Gang uberhaupt getan zu haben.

«Dann mal raus damit. «Allday musterte ihn streng.»Und schwindle mir blo? nichts vor.»
        Bankart hob die Fauste.»Du magst mein Vater sein, aber trotzdem.»
        Allday nickte.»Ich wei?. Ich hab' mich noch nicht ganz daran gewohnt. Tut mir leid, Sohn.»
        Der Junge starrte ihn an.»Sohn«, wiederholte er leise. Dann sagte er:»Du hattest recht, ich wollte zu dir nach Falmouth. «Er schaute ihn aus hellen Augen an.»Ich wollte ein richtiges Zuhause haben. «Er schuttelte verzweifelt den Kopf.»Nein, unterbrich mich jetzt nicht, sonst bringe ich das nie heraus. Ich wollte zu dir, weil ich keine Lust hatte, mich noch langer herumscheuchen und betrugen zu lassen. Ich habe immer zu dir aufgeschaut, weil Mutter mir so viel Gutes uber dich erzahlt hat. Zur Marine habe ich mich nur gemeldet, weil ich dachte, das gehort sich so. Du hast's ja auch getan.»
        Allday nickte, sein Schiffsmodell war vergessen.

«Dann starb Mutter. Und ich bat einen Freund, an dich zu schreiben. «Er starrte zu Boden.»Aber ein richtiges Zuhause war mir eigentlich wichtiger als ein Vater. «Als er den Blick wieder hob, brach es aus ihm heraus:»Ich kann doch nichts dafur, da? ich Angst habe. Ich bin eben nicht wie die anderen! Ich habe noch nie Manner auf so schreckliche Weise sterben gesehen!»
        Allday packte ihn am Handgelenk.»Ruhig, Sohn. Sonst kommen die Knochenbrecher und sehen nach, was los ist. «Er tastete hinter der Truhe herum und holte eine Tonflasche und zwei Becher hervor.»Trinken wir erst mal einen.»
        Bankart nahm einen raschen Schluck und hustete.

«Das ist richtiger Rum«, sagte Allday,»nicht die Bruhe, die der Proviantmeister ausgibt. Hor zu: Die meisten anderen haben auch Angst. Man mu? nur lernen, sich nichts anmerken zu lassen. «Er schuttelte ihn sanft am Handgelenk.»Und dazu braucht man seinen ganzen Mut!»

«Du bist da bestimmt anders. «Bankart trank vorsichtig einen Schluck.

«Mag sein. Dafur hat schon unser Dick gesorgt. Er ist ein prachtvoller Mann, ein Freund sogar. Ich wurde mein Leben fur ihn geben.»
        Bankart stand auf, und sein Haar streifte die Decke.»Ich wollte dir nur sagen.»
        Allday zog ihn zuruck auf die Truhe.»Langsam! Ich wei? ja schon Bescheid. Ich war derjenige, der einen Fehler gemacht hat, das ist mir jetzt klar. «Er fullte aufs neue die Becher.»Du gehorst nicht auf ein Kriegsschiff. Aber wer sich freiwillig meldet, mu? allerhand Mut haben. Mich hat erst eine Pre?patrouille schnappen mussen. «Er schuttelte sich vor Lachen, bis der Schmerz der alten Wunde ihm Einhalt gebot.»Nein, du brauchst Arbeit an Land und ein gutes Zuhause, und ich werde dafur sorgen, da? du sie bekommst. Aber bis dahin tust du, was ich dir sage, und machst uns keinen Arger, klar?«Er horte Stimmen und vermutete, da? der Segelmacher mit seinen Kumpanen im Anmarsch war.»Wir unterhalten uns bald wieder mal, ja?»
        Bankart sah ihn mit glanzenden Augen an.»Danke, ah.»

«Sag ruhig John zu mir, wenn dir das leichter fallt«, meinte Allday grinsend.»Aber vor den anderen nennst du mich Bootsfuhrer, sonst versohle ich dir den Hintern!»
        Bankart zogerte, wollte den Kontakt noch nicht abbrechen. Leise sagte er:»Ich denke, da? ich - da? ich vielleicht sterben mu?. Ich will dich nicht enttauschen, denn jetzt wei? ich, was fur ein Mann du bist. Ich war noch nie auf jemanden stolz.»
        Allday horte die Tur nicht zuschlagen. Er sa? nur da und starrte sprachlos das halbfertige Modell an.
        Der Segelmacher kam mit seinem Freund hereingeplatzt und fragte:»Alles klar, Kumpel? Hubscher Junge, das.»
        Allday senkte den Kopf.»Aye. Das ist mein Sohn.»



        XV Rendezvous mit dem Schicksal

        Bolitho balancierte das abschussige Achterdeck hinauf nach Luv und lie? den feuchten Wind seine Mudigkeit vertreiben. Es war fruh am Morgen, und ringsum bereitete sich die Besatzung auf einen neuen, anstrengenden Tag vor.
        Uber Nacht war Regen gefallen, doch Bolitho ging mit Absicht auf den nassen Planken auf und ab. Langsam gewann er sein Selbstvertrauen zuruck und schrieb seine bisherige Verzweiflung dem Selbstmitleid und Schlimmerem zu.
        Er horte Keen mit dem Ersten Offizier reden und entnahm seinem Tonfall, da? er die Bestrafung dreier Matrosen besprach, die am Vormittag stattfinden sollte. Uberall im Geschwader waren nach Helicons Ausfall Unruhen ausgebrochen: Drohungen oder tatsachliche Gewaltanwendungen gegen Decksoffiziere oder Kameraden, worauf ublicherweise Auspeitschung stand. Das Flaggschiff stellte keine Ausnahme dar; selbst Keens Menschlichkeit hatte den letzten Temperamentsausbruch und die strenge Strafe, die ihm auf dem Fu? folgte, nicht verhindern konnen.
        Bolitho stellte sich seine Schiffe als Wesen mit ganz unterschiedlichem Eigenleben vor, das von dem jeweiligen Kommandanten uberwacht und gesteuert wurde. Aber er wu?te auch, da? ein Schiff nur so stark war wie seine Mannschaft.
        Bei Tagesanbruch wurden seine Schiffe wieder mit Argonaute im Zentrum in Querlinie segeln. Barracouta, noch immer als Zweidecker getarnt, lag irgendwo achteraus und war bereit, auf ein Signal hin vorm Wind angerauscht zu kommen. Rapid kreuzte ganz allein weit vor ihnen in der Hoffnung, ein Fischerboot oder ein Handelsschiff zu finden, das ihnen wertvolle Hinweise geben konnte.
        Sie hatten mehrere solcher Schiffe gesichtet, aber nur drei erwischt. Eines der Fahrzeuge, die sich Rapids Verfolgung entzogen hatten, bis die Brigg das Signal zur Ruckkehr erhielt, war ein schneller Schoner gewesen. Es war ublich, da? Handelsschiffe vor Kriegsschiffen jeglicher Flagge flohen, doch hier drau?en mochte jeder Fremde auch ein Spion sein, der Jobert Hinweise auf ihre Starke und ihren Kurs zutrug. Lange konnte das nicht so weitergehen. Bald wurde Bolitho sich geschlagen geben und die Brigg zu Nelson schicken mussen, um ihm mitzuteilen, was geschehen war. Dann stand zu erwarten, da? Nelson das Geschwader in seinen eigenen Verband eingliedern wurde.
        Vier Tage waren vergangen, seit sie sich von Helicon getrennt hatten. Es herrschte gutes Segelwetter; der Wind stand gunstig, und die Sicht war nicht schlecht.
        Keen kam ubers Deck und legte die Hand an den Hut.»Irgendwelche Befehle, Sir Richard?«Nur wegen der Ruderganger in der Nahe druckte er sich so formlich aus. Seine Stimme klang gepre?t. Stand er etwa den Entscheidungen seines Vorgesetzten und den Ergebnissen, die sie bisher gezeitigt hatten, kritisch gegenuber?
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wir suchen weiter. Mag sein, da? sich die Franzosen abgesetzt haben, aber ich bezweifle das.»
        Gemeinsam sahen sie, wie Segel und Rigg von den ersten Sonnenstrahlen getroffen wurden. Querab tauchte Dispatch in eine so hohe Dungung, da? die Stuckpforten des unteren Batteriedecks wie Glassplitter funkelten.
        Bolitho schaute zu der winzigen Gestalt des Ausgucks im Gro?mast auf.»Losen Sie die Manner oben stundlich ab, Val«, sagte er.»Mude Augen konnen wir heute nicht brauchen.»
        Keen warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Heute, Sir?»
        Bolitho zuckte die Achseln. Erst jetzt merkte er, was er da gesagt hatte. Warnte ihn ein Instinkt?

«Ich bin beunruhigt, Val. «Er dachte an Fruhstuck und die Tatsache, da? er fast die ganze Nacht auf- und abgegangen war.»Verstandigen Sie mich sofort, wenn etwas gesichtet wird. «Er schritt nach achtern zu seinem Quartier, wo Oz-zard und Yovell ihn erwarteten.
        Bolitho sa? am Tisch und sah zu, wie Ozzard das Fruhstuck zubereitete und Kaffee einschenkte. Er hatte ein Bad notig und sein Hemd war zerknittert. Doch die Kurzung der Wasserration galt fur alle, auch fur ihn. Abgesehen von Inch naturlich. Dessen Anblick war eine Qual: manchmal im Fieberwahn, dann wieder abgestumpft und teilnahmslos, vegetierte er dahin. Laut Tuson schien die Amputation erfolgreich gewesen zu sein. Doch Inch gehorte an Land und in ein Hospital. Bolitho wu?te aus eigener bitterer Erfahrung, da? jeder Ruf an Deck, jede Anderung von Windrichtung und Kurs selbst in einem sterbenden Seemann alte Angste weckten - und ganz besonders in einem Kommandanten.

«Ganz nach Ihrem Geschmack, Sir«, sagte Ozzard und stellte einen Zinnteller auf den Tisch.»Aber es ist leider das letzte Brot aus Malta.»
        Bolitho betrachtete die dunnen Scheiben Schweinefleisch, in Zwiebackskrumen goldbraun gebacken. Das Brot wurde steinhart sein, aber Ozzard war es wenigstens gelungen, den Schimmel fernzuhalten. Der schwarze Sirup, den Bolitho so gern a?, wurde den muffigen Geschmack uberdecken.
        Er dachte an Fruhstuck in Falmouth und Belindas Verwunderung uber seinen Appetit. Du haust rein wie ein Schuljunge, hatte sie gesagt. Was hielte sie wohl von dieser Mahlzeit? Und die Mannschaft a? noch hundertmal schlechter.
        Er schaute zum offenen Skylight, als Stimmen heruberwehten. Dann stampften Fu?e durch den Korridor, und Keen betrat die Kajute.

«Bedaure, Sie storen zu mussen, Sir. Aber Rapid ist in Sicht und hat Nachrichten.»
        Bolitho stie? den Teller beiseite und bestrich das altbak-kene Brot dick mit Sirup.

«Berichten Sie.»

«Sie hat ein Schiff gestellt und geentert, mehr wei? ich noch nicht. Aber Rapid unternimmt auf jeden Fall die gro?ten Anstrengungen, um schnell heranzukommen.»
        Bolitho stand auf.»Setzen Sie mehr Segel und signalisieren Sie den anderen Schiffen, unserem Beispiel zu folgen. Und sobald wir beigedreht haben, mochte ich Quarrell sprechen.»
        Doch es dauerte bis zur Mitte der Morgenwache, ehe Rapid zum Rest des Geschwaders aufgekreuzt war. Zunachst wich die Erregung stummer Resignation, als die Gratings aufgeriggt und alle Mann nach achtern gepfiffen wurden, um Zeugen der Bestrafung zu werden: zwei Dutzend Schlage pro Mann, wahrend die Trommeln geruhrt wurden.
        Paget legte die Hand an den Hut.»Bestrafung vollzogen, Sir.»
        Keen nickte. Die Mannschaft trat ab, die Gratings wurden abgenommen und geschrubbt, und die Ausgepeitschten kamen nach unten ins Krankenrevier. Keen reichte Paget die Kriegsartikel und sagte:»Dieses verdammte Warten!»
        Doch als Quarrell endlich an Bord kletterte, konnte er seine Erregung und Freude kaum verbergen.
        Bei Tagesanbruch hatte Rapid dem anderen Schiff befohlen, beizudrehen und einen Entertrupp zu erwarten. Der Leutnant, der mit dem Boot hinuberfuhr, war grundlich. Der griechische Kapitan war des Englischen machtig und mehr als hilfsbereit gewesen. Seine Ladung hatte aus Olivenol und Feigen bestanden, doch laut Quarrell war das Schiff schmutzig; es sei ein Wunder, da? es uberhaupt Ladung bekam. Quarrell holte tief Luft.»Der Kapitan hatte mehrere Flaschen Wein und Brandy an Bord, Sir, die mein Erster sofort entdeckte. «Er drehte sich um und strahlte Keen an.»Alle franzosischer Herkunft.»
        Bolitho, dessen Mund plotzlich trocken geworden war, entrollte auf dem Tisch eine Seekarte.»Weiter. «Dies war Quarrells gro?er Augenblick. Wenn er ihn zur Eile trieb, brachte er ihn nur aus dem Konzept.
        Der junge Kommandant fuhr fort:»Als wir ihn nach der Herkunft der Flaschen befragten, gab der Mann an, sie vor drei Tagen gegen Ol eingetauscht zu haben. «Er sah in Bolithos ernstes Gesicht.»Es war zweifellos Konteradmiral Joberts Geschwader. Der Grieche konnte es bis auf die Galionsfigur, einen Leoparden, genau beschreiben.»

«Zeigen Sie mir die Position. «Bolitho beschwerte die Karte mit Lineal und Stechzirkel.

«Sie lagen auf Ostkurs, Sir. Inzwischen mu?ten sie ungefahr hier sein. «Er legte einen Finger auf die Stelle.
        Keen beugte sich uber den Tisch.»Bei Korsika. «Er seufzte.»Das hatte ich doch ahnen sollen.»
        Quarrell schaute von ihm zu Bolitho.»Der griechische Kapitan horte einen franzosischen Offizier sagen, das Geschwader sei im Begriff, Trinkwasser an Bord zu nehmen.»
        Keen runzelte die Stirn.»Fur eine lange Fahrt vielleicht?»
        Bolitho ging an die Heckfenster und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Die tiefe Narbe an seiner Schlafe erinnerte ihn an jenen anderen Tag, an dem das Aufnehmen von Trinkwasser ihm so simpel vorgekommen war.
        Er sah Fische aus dem Schatten der Argonaute springen.»Die Franzosen sind also unterwegs nach Korsika, um Wasser fur drei Linienschiffe und zwei Fregatten an Bord zu nehmen… Wie lange brauchen sie Ihrer Auffassung nach?«Er wandte sich an Keen.»Drei, vier Tage?»
        Keen nickte langsam.»Wir konnten sie noch einholen, Sir.»
        Bolitho setzte sich auf die Heckbank. Auch ohne Seekarte konnte er sich die Lage genau vorstellen. Wenn der Wind gunstig blieb, mochten Joberts Schiffe vor einer Leekuste in die Falle geraten.

«Ozzard, rufen Sie meinen Flaggleutnant. «Erstaunlicherweise war es ihm gelungen, mit Stayt zu reden, ohne den Anla? ihrer Entfremdung zu erwahnen. Stayt war argwohnisch und so reserviert, da? sie sich uber kaum mehr unterhielten als uber Befehle und Signale.
        Als Stayt eintrat, schweifte sein Blick rasch uber die Gruppe am Tisch.»Kann ich Ihnen etwas besorgen, Sir?»

«Ja, die Berichte vom Flaggoffizier in Malta.»
        Quarrell beharrte:»Mein Erster Offizier hielt die Aussage des Griechen fur glaubwurdig, Sir.»

«Vielleicht glaubte er aber nur, was die Franzosen ihm weismachen wollten«, versetzte Bolitho.
        Stayt legte eine Akte auf den Tisch: Ankunft des Geleitzuges in Malta, Eskorten und Auslaufzeiten, Passagiere und Ausrustung, die geloscht oder weitertransportiert werden sollte. Bolitho zog ein Blatt hervor, das in der Handschrift eines unbekannten Beamten den Namen Benbow trug. Dann schnappte er sich den Stechzirkel und lie? ihn rasch uber die Seekarte wandern. Seine Augen schmerzten ihn so, da? er fast laut geflucht hatte.
        Drei, hochstens vier Tage. Das mu?ten sie schaffen.
        Er sah auf. »Benbow lief aus Malta aus, um zwei Handelsschiffe nach England zu geleiten. Als zusatzliche Eskorte gab man Konteradmiral Herrick eine Fregatte mit.


«Welch ein Aufwand fur zwei Schiffe!«rief Keen aus.»Und von uns erwartet man, da? wir zurechtkommen mit.»
        Bolitho hob die Hand.»Ich hatte es viel fruher erkennen sollen, Val. Den entscheidenden Hinweis gab mir Inchs Erster Offizier nach dem Gefecht. «Er sah den erschopften Leutnant mit dem verbundenen Kopf noch deutlich vor sich: Schade, da? wir nicht einen zusatzlichen Ladebaum haben wie der Franzose. Fast konnte er Savills Stimme horen. Der Mann hatte den Baum gesehen, aber seine Bedeutung nicht erkannt.

«Diese Handelsschiffe haben Gold und Edelsteine vom Sultan an Bord«, sagte Bolitho. Am liebsten hatte er auf den Tisch geschlagen, um ihnen die Ungeheuerlichkeit seiner Entdeckung und Joberts Absichten klarzumachen.»Jobert plant, diesen Geleitzug anzugreifen und das Gold auf See zu ubernehmen. Will er dazu nach Korsika, Val? Wohl kaum. Er hatte das Gold von Anfang an im Auge, aber ich war ihm im Weg. Und dieser Weg ist jetzt frei.»
        Bolitho schaute Quarrell an.»Begeben Sie sich zuruck auf Ihr Schiff und erwarten Sie neue Befehle.»
        Quarrell trat zuruck.»Das - tut mir leid, Sir Richard.»
        Bolitho musterte ihn gelassen.»Ihren Leutnant hatte er schon uberzeugt. Uns hatte es leicht ebenso ergehen konnen.»
        Als sich die Tur schlo?, sagte Keen:»Noch wissen wir nichts Definitives, Sir.»
        Stayt fugte hinzu:»Andererseits - wenn sich die Franzosen wirklich bei Korsika befinden und wir es versaumen, sie ausfindig zu machen.»
        Bolitho schaute an ihm vorbei.»Ich bin meiner Sache ganz sicher, Gentlemen. Fur diese Entscheidung wird man mich verantwortlich machen.»
        Er trat erneut an die Karte. Keen versuchte offenbar, ihn zu warnen und zu schutzen. Wenn sie weiter ihrem bisherigen Kurs folgten, konnte niemand ihnen einen Vorwurf machen. Wenn er sich aber von seinem Instinkt leiten lie?, von dieser sonderbaren Uberzeugung, da? er ein Rendezvous mit dem Schicksal hatte, mochte er sich fatal irren.

«Meiner Schatzung nach haben wir zwei Tage Zeit. Und nicht mehr. «Er beruhrte die Karte mit den Spitzen des Stechzirkels.»Wenn das Wetter so bleibt, sollten wir ungefahr hier auf den Geleitzug treffen. «Wahrend sie sinnlos die zerkluftete Kuste von Korsika abgesucht hatten, ware das Gold geraubt worden und Herrick mit seinen Mannern gestorben.
        Bolitho hob die Stimme.»Mr. Yovell, Sie Federfuchser! Kommen Sie, ich mochte meine Gefechtsanweisungen diktieren.»
        Yovell kam lachelnd herbeigelaufen, als sei ihm gerade ein Ehrentitel verliehen worden.
        Bolitho schaute Stayt an.»Der Signalfahnrich soll sich bereithalten. «Das war wohl Sheaffe.
        Als er mit Keen allein war, erlauterte er:»Der Wein und der Cognac warnten mich. Unvorstellbar, da? Jobert so etwas gegen Ol eintauscht, es sei denn, er wollte, da? wir davon erfahren. Vielleicht war er diesmal doch zu selbstsicher.»
        Keen bezweifelte, da? Quarrells Informationen uberhaupt feste Schlusse erlaubten. Bolithos Stimmungsumschwung, seine plotzliche Zuversicht, die ihn sogar mit seinem Sekretar scherzen lie?, beunruhigten ihn.

«Dann kommt es also zum Kampf«, sagte er schlicht.
        Bolitho ergriff ihn am Arm. Keens Tonfall hatte aus einer vagen Strategie eine brutale Realitat gemacht.

«Den wir gemeinsam bestehen werden, Val«, sagte er leise.
        Keen nickte. Doch dabei hatte er Zenorias Gesicht vor Augen und empfand zum ersten Mal Angst.
        Commander Adam Bolitho strich sich das widerspenstige Haar aus den Augen und sah zu den Mannern hoch, die auf den Rahen arbeiteten. Die robuste Brigg Firefly legte sich auf Steuerbordbug hart uber, die See schaumte bis zu den verschlossenen Stuckpforten hinauf und zischte in Kaskaden an den Speigatten der Leeseite entlang.
        Er trug nur Hemd und Hose, und die klebten ihm am Leib wie eine nasse Haut. Am liebsten hatte er gelacht oder gesungen, als die Brigg, sein Schiff, tief in ein Wellental tauchte und eine Gischtwolke aufwarf.
        Er wartete, bis der Bug sich wieder hob, und ging dann zum Kompa?. Das Schiff lief nach Osten und hatte die Balearen irgendwo an Backbord hinter dem Horizont.
        Wieder ging es abwarts, und ein riesiger Gischtvorhang wehte ubers Vorschiff, wo andere an den Brassen hievten.
        Adams Erster Offizier, ein junger Mann in seinem Alter, loste sich schwankend von der Reling und schrie:»Sollen wir reffen, Sir?»
        Adam lachte mit wei?en Zahnen.»Nein, noch nicht!»
        Der Leutnant zog eine Grimasse. Dieser junge Kommandant lie? es immer drauf ankommen.
        Adam ging rastlos auf dem Poopdeck hin und her, wahrend seine Firefly sich in der groben See aufbaumte. Noch vor wenigen Tagen hatten sie im Schatten des Felsens von Gibraltar gelegen, bereit, das winterliche England anzusteuern. Doch dann hatte er Befehl erhalten, sofort nach Malta zuruckzukehren.
        Das Fieber in Gibraltar war vorbei. Die Depesche in Adams Stahlkassette wies den Admiral auf Malta an, einen Geleitzug am Auslaufen nach England zu hindern. Falls er aber bereits unterwegs war, sollte sich Adam dem ranghochsten Offizier des Geleitzugs unterstellen. Bei diesem Gedanken mu?te er grinsen. Das war Konteradmiral Herrick, fur ihn eher ein gutiger Onkel als ein Flaggoffizier.
        Adam war erregt. Er hatte sein Schiff und die See fur sich. Die Franzosen waren ausgelaufen; ein Geschwader unter Konteradmiral Jobert war gemeldet worden. Wenn es ihm gelungen war, sich an dem Geschwader seines Onkels vor-beizustehlen, dann wurden dessen Schiffe nun in Gibraltar gebraucht, um die Meerenge zu verschlie?en und Jobert den Weg in den Atlantik zu versperren: ein gigantisches Katz-und-Maus-Spiel.
        Adam wischte sich die Gischt von den Lippen. Ein Spiel fur Admirale und pompose Linienschiffe. Hier hingegen… Er trat an die Heckreling und starrte ins schaumende Kielwasser. Unter seinen Fu?en lag seine Kajute, ein unvorstellbarer Luxus: ein Raum fur ihn allein.
        Er fragte sich plotzlich, wie das Verfahren in Malta ausgegangen war. Lie? sich denken, da? auch Kapitan Keen vom Fluch der Bolithos getroffen und aus Neid oder Rachsucht von seinem Posten vertrieben wurde? Vor kurzer Zeit hatten sie das nach England bestimmte Handelsschiff Lord Egmont passiert, und Adam hatte sich so seine Gedanken gemacht. Es war seinem Onkel zuzutrauen.

«Schiff in Luv!«rief der Ausguck.
        Morrison, der Erste Offizier, eilte zu den Webleinen, doch Adam sagte:»Nein, ich entere selbst auf. «Als Midshipman war er immer gern in der Takelage herumgeturnt. Der Wind zerrte an seinem Hemd, als er rasch nach oben kletterte. Einmal hing er rucklings in den Wanten und sah hinunter aufs Vorschiff, wo die See uber die Reling kochte, ehe sie an Deck sprang und die schwarzen Vierpfunder umspulte.
        Er wunschte sich schon lange eine Fregatte, wollte es seinem Onkel nachtun, der einmal der beste Fregattenkapitan der Flotte gewesen war. Doch wenn er sich seine muntere Firefly betrachtete, konnte er die Vorstellung, sie einmal abgeben zu mussen, kaum ertragen.
        Der Ausguckposten sa? bequem im Krahennest und sah verwundert drein, als sich sein junger Kommandant gelenkig zu ihm gesellte.
        Adam zog sein Teleskop unterm Gurtel hervor und versuchte, es nach Backbord auszurichten.
        Der Ausguck, einer der altesten Matrosen auf dem Schiff, sagte heiser:»Ich glaube, es sind zwei, Sir. «Er hob die Stimme kaum, war aber trotz des Larms deutlich zu verstehen. Viele Jahre auf Schiffen aller Art hatten ihn das gelehrt.
        Adam schlang ein Bein um ein Stag und versuchte es noch einmal. Der Mast schwang so heftig hin und her wie eine riesige Peitsche.

«Da ist es!«rief er aus.»Sie haben gute Augen, Marley!»
        Der Matrose grinste. Er brauchte kein Teleskop. Und er mochte den neuen Kommandanten. Dem Aussehen nach allerdings ein Frauenheld, dachte er.
        Eine besonders hohe See lie? das fremde Schiff steigen wie einen springenden Wal. Es lief mit gerefften Marssegeln vorm Wind, den Rumpf noch unter der Kimm verborgen, als wolle es sich selbst versenken. Adam wischte die Linse ab und hatte dabei fast den Halt verloren, als Firefly erneut in ein Wellental sackte.
        Er wartete und zahlte die Sekunden, bis der Kluverbaum sich wieder hob, an dem die Segel flatterten wie nasse Banner. Dann schob er das Fernrohr zusammen.»Sie haben recht. Es sind zwei. «Er klopfte dem Mann auf die breite Schulter.»Ich schicke Ablosung herauf.»
        Der Matrose hatte gern ausgespuckt, sagte aber nur:»Schon gut, Sir, ich bleibe gern oben. Das sind bestimmt Lord Nelsons Schiffe.»
        Adam rutschte, seine Wurde vergessend, an einer Par-dune hinunter an Deck, wo Morrison ihm entgegeneilte.

«Zwei Linienschiffe. «Adam senkte die Stimme.»Auf dem gleichen Schlag wie wir.»
        Morrison grinste.»Gehen wir lieber nicht zu dicht ran, Sir, sonst kriegen wir nur Befehle verpa?t.»
        Adam fuhr sich erregt durch das schwarze Haar, das vor Salz klebte.»Sie konnen jetzt reffen lassen. Und keine Angst vor weiteren Befehlen, Mr. Morrison, denn diese beiden Linienschiffe sind Franzosen!»
        Morrison holte tief Luft und gab schnell den Befehl weiter.»Was haben Sie vor, Sir?»
        Adam wies auf den nachsten Vierpfunder.»Wir konnen es mit ihnen nicht aufnehmen. Also werden wir sie verfolgen und sehen, was sie vorhaben.»
        Morrison war schon unter dem vorigen Kommandant, der das Leben auf Firefly zur stumpfsinnigen Plackerei gemacht hatte, Erster Offizier gewesen. Commander Bolitho dagegen war wie eine frische Brise; ein sehr fahiger Mann, der sich von niemandem etwas vormachen lie?.

«Aber Ihr Befehl, Sir?«erinnerte er vorsichtig.

«Ich soll entweder den Geleitzug oder Malta finden, was immer mir als erstes in die Quere kommt. «Adam grinste.»Diese beiden Schiffe da werden uns zu dem einen oder anderen fuhren, meinen Sie nicht auch?»
        Morrison eilte fort, um dem Zweiten Offizier zu helfen. Als er noch einmal einen Blick nach achtern warf, sah er Adam mit dem Ruderganger sprechen. Er benahm sich eher wie ein Midshipman als wie ein Kommandant.
        Laut sagte er:»Mit dem macht's Spa?, das steht mal fest!«Doch nur der Wind horte ihn.
        Zweihundert Meilen ostnordostlich der Brigg und in Unkenntnis der Tatsache, da? Adam von Gibraltar aus zuruckbeordert worden war, packte Bolitho die Querreling, als sein Schiff im gleichen Sturm arbeitete.
        Der starke Nordwest schien nicht nachlassen zu wollen; als Bolitho sein Teleskop ansetzte, sah er die kleine Rapid, Rumpf und untere Spieren gischtverhangen, in Luv stehen.
        Er konnte nur hoffen, da? Quarrell die schweren Zweiund-drei?igpfunder von der Helicon ordentlich verzurrt hatte. Ein Geschutz, das sich im Sturm losri?, konnte toten und verstummeln wie ein tollwutiges Raubtier. Au?erdem mochte es dabei das Oberdeck ruinieren.
        Uber den stahlblauen Himmel zogen nur wenige Wolkenfetzen. Er sah unten einen Trupp Matrosen unter Aufsicht eines Bootsmannsgehilfen einen Flaschenzug reparieren. Sie waren von Gischt durchna?t, und das Salz mu?te ihnen Durst machen.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen und fragte sich, was aus seiner Selbstsicherheit geworden war. Nachdem sie an Sardiniens zerklufteter Kuste entlang, die selten au?er Sicht kam, schon so lange vergeblich nach Suden gesegelt waren, schien die Hoffnung auf ein Rendezvous mit Herricks Geleitzug in immer weitere Ferne zu rucken. Auch seine Vermutung, da? Jobert auf das gleiche Ziel zuhielt, wurde von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Bolitho unterdruckte seine Zweifel, drehte sich um und sah, da? Midshipman Sheaffe und seine Signalgasten ihn beobachteten. Sie senkten sofort die Blicke und beschaftigten sich.
        Bolitho ging seine Berechnungen im Geiste noch einmal durch. Der Geleitzug wurde sehr langsam, aber stetig vorankommen. Er hatte getan, was er konnte, seinen kleinen Verband so weit aufgefachert, da? die Schiffe gerade noch Kontakt halten konnten. Zum Gluck habe ich Barracouta und Rapid, dachte er. Ohne sie.
        Er horte Paget dem Ruderganger etwas zurufen und vernahm die undeutliche Antwort. Paget duldete keine Fisimatenten. Ein guter Mann, dachte Bolitho. Als junger Leutnant hatte er unter Duncan bei Camperdown gekampft. In der Flotte gab es nicht viele Offiziere, die bei einer solchen Schlacht dabeigewesen waren.
        Keen kam zu ihm. Er hatte im Orlop einen Midshipman besucht, der vom Sturm umgerissen worden war und sich beim Sturz ein Bein gebrochen hatte.
        Keen starrte mit geroteten Augen nach vorn, und Bolitho fiel ein, da? er seit dem Aufkommen des Sturms das Deck praktisch nicht verlassen hatte.

«Ein seltsamer Tag. «Bolitho lachelte.»Grell und hart wie eine Hafenhure.»
        Keen mu?te trotz seiner Sorgen lachen. Eigentlich wollte er Bolitho raten, die Suche aufzugeben, denn sie war seiner Ansicht nach schon zu Ende gewesen, ehe sie begonnen hatte. Selbst wenn er Joberts Absichten richtig eingeschatzt hatte, was aber mit jeder qualvollen Meile unwahrscheinlicher schien, wurden sie ihn jetzt nicht mehr finden.
        Keen wagte nicht an Bolithos Karriere zu denken, wenn das erst herauskam. Es hie?, da? Nelson sich nur mit Gluck behauptet hatte - aber Gluck war selten.
        Bolitho merkte, da? Keen ihn beobachtete, und konnte sich seine Gedanken vorstellen. Er schaute zum kalten Himmel auf und dachte an Falmouth. Vielleicht hatte Belinda seinen Brief inzwischen erhalten oder uber seine Verwundung von anderen erfahren. Er dachte auch an das Madchen mit dem verhangenen Blick und lachelte. Tapfere Zenoria hatte er sie genannt. In dieser Serie von Belastungsproben und Fehlschlagen war sie der einzige Lichtblick.
        Keen sah ihn lacheln und wunderte sich. Wie hielt er das nur durch? Er war fanatisch, unbeirrbar, aber das wurde ihn auch nicht vorm Kriegsgericht retten.

«Wie geht's dem Jungen? Es war Midshipman Estridge, nicht wahr?»

«Ein glatter Bruch, Sir. Die anderen Verletzten machen Tuson mehr Kummer.»
        An einem Neunpfunder arbeitete ein Seemann, der Bo-litho schon aufgefallen war. Er war bis zur Taille nackt, aber nicht aus Angabe, sondern um seine Kleider trocken zu halten. Sein Rucken war von den Schultern bis zum Gurtel mit Narben bedeckt, die den Spuren einer riesigen Kralle glichen. Der Anblick erinnerte Bolitho an Zenoria und das Schicksal, vor dem Keen sie bewahrt hatte.
        Doch als Keen jetzt lachte, drehte sich der Matrose um und schaute ihn an. Bolitho hatte kaum jemals einen so ha?erfullten Blick gesehen.
        Auch Keen bemerkte ihn und sagte zornig:»Vor jeder Auspeitschung lese ich die Kriegsartikel vor. Verfa?t habe ich die verdammten Paragraphen aber nicht!»
        Bolitho fiel erst jetzt auf, da? an den Niedergangen Seesoldaten postiert waren. Keen ging kein Risiko ein. Es war besser, Zwischenfallen vorzubeugen, statt sie zu ahnden.

«Ich gehe nach unten«, sagte Bolitho fest.»Wenn ich mich geirrt habe. «Er zuckte die Achseln.»Dann werden sich manche die Hande reiben. Hoffentlich lassen sie wenigstens meine Familie in Frieden.»
        Keen sah ihn mit langen Schritten auf die Leiter zugehen und spurte das Mitleid wie einen Stich, als Bolitho sich an einer Klampe des Besanmastes den Arm stie?.
        Paget trat leise neben ihn.»Darf ich fragen, wie Sie unsere Chancen einschatzen, Sir?»
        Keen warf ihm einen Blick zu.»Fragen Sie mich das, wenn wir Jobert auf eine Leekuste getrieben haben.»
        Beide fuhren herum, als sie unter der Kimm ein Donnergrollen horten.»Doch nicht auch noch ein Gewitter?«rief Paget angstlich.
        Keen schaute an ihm vorbei. Bolitho, der jetzt seinen alten Degen trug, kehrte aufs Poopdeck zuruck, gefolgt von Allday. Er schaute sie an.»Diesmal ist es kein Donner.»
        Der Ausguck rief unglaubig:»Kanonenfeuer, Sir! Im Suden!»
        Keen starrte ihn an. Wie hatte er das vorhergesehen? Noch vor wenigen Augenblicken mu?te er sich geschlagen gefuhlt haben. Nun wirkte er sonderbar gelassen. Seine Stimme klang gleichmutig, als er sagte:»Signal ans Geschwader, Mr. Sheaffe: Mehr Segel setzen.»
        Die Flaggen wurden hastig hochgezogen, und Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken, damit sie nicht zitterten.

«Bestatigt, Sir!«Stayt erschien lautlos wie eine Katze.
        Das ferne Grummeln rollte ubers Wasser heran, seine Ursache lag aber noch weit hinterm Horizont.»Ins Gefecht kommen wir erst morgen vor Sonnenaufgang«, sagte Bo-litho. Dabei mu?te er einkalkulieren, da? der Sturm die Schiffe nach Einbruch der Dunkelheit zerstreute. Benbow konnte es leicht mit nordafrikanischen Freibeutern oder Korsaren aufnehmen, hatte aber gegen Joberts Geschwader keine Chance. Er neigte den Kopf, als es wieder donnerte. Nur wenige Schiffe, vielleicht zwei. Was konnte das bedeuten?

«Signal ans Geschwader: Klar zum Gefecht. Die Manner sollen heute nacht bei ihren Kanonen schlafen.»
        Als er den Knauf des alten Degens beruhrte, durchlief ihn ein Schauer. Es kam ihm wie gestern vor, da? er mit Adam in Portsmouth zum Hafen gegangen war. Damals hatte er sich umgedreht, als suche er etwas. Vielleicht hatte er gewu?t, da? er die Stadt zum letzten Mal sah.



        XVI Hei?t Gefechtsflagge!

        Konteradmiral Thomas Herrick stand in Luv an den Netzen und sah zu, wie die Matrosen der Benbow an den Brassen hievten, um die Rahen zu trimmen, an denen die gerefften Marssegel ausgeschuttelt worden waren.
        Bei dem launischen Wind schien alles eine Ewigkeit zu dauern; Segelmanover hatten den ganzen Tag in Anspruch genommen und ihre Krafte erschopft. Nun lag endlich die Sudspitze Sardiniens funfzig Meilen an Steuerbord achteraus. An Backbord hatten sie in vergleichbarer Entfernung Afrika.
        In Lee der Benbow rollten die zwei schweren Handels - schiffe Governor und Prince Henry. Uber den Wert ihrer Ladung konnte Herrick nur Vermutungen anstellen. Wieder einmal dachte er an Bolithos Gesicht in der Kajute seines Schiffes, das einmal so stolz seine Flagge gefuhrt hatte. Er konnte die Bitterkeit in seiner Stimme, die rucksichtslose Verachtung, mit der er den ganzen Ausschu? zum Teufel gewunscht hatte, nicht vergessen.
        Ein seltsamer Zufall, da? Admiral Sir Marcus Laforey beschlossen hatte, ausgerechnet auf der Benbow nach England zuruckzukehren. Die Geschafte auf Malta hatte er seinem Flaggkapitan uberlassen, doch angesichts seiner E?-und Trinkgewohnheiten war es unwahrscheinlich, da? er jemals dorthin zuruckkehren wurde.
        Herrick horte, wie sich Kapitan Dewar mit dem Sailing Master unterhielt, und seufzte. Es war Zeit, da? er sich mit seinem Flaggkapitan aussprach, denn Dewar war ein vorzuglicher, gewissenhafter Offizier. Herrick gab sich selbst die Schuld fur die Verstimmung zwischen ihnen. Seit der Verhandlung war er miserabler Laune gewesen.
        Er spurte Gischt im Gesicht und spahte nach Steuerbord voraus, wo seine einzige Fregatte taumelnd wie ein Schiff in Seenot erneut wendete, um sich in Luv von ihnen zu halten. Es war die Philomel mit sechsundzwanzig Kanonen, die in Malta eigentlich fur eine dringend notwendige Uberholung vorgesehen war. Doch die bedenkliche Nachricht von Joberts Beutezug war dazwischengekommen.
        Herrick verschrankte die Hande auf dem Rucken und dachte an Inch, auch einen langjahrigen Freund. Lebte er noch? Kaum vorstellbar, da? er vor den Franzosen die Flagge gestrichen hatte.
        Kapitan Dewar trat zu ihm.»Sollen wir fur die Nacht beidrehen, Sir?»
        Herrick schuttelte den Kopf. Wieder hob sich das Deck unter ihm, und seine stammigen Beine glichen die Bewegung gewohnheitsma?ig aus. Anders als Bolitho ging er nur selten auf und ab. Er stand lieber fest und spurte sein Schiff, war schon vor langer Zeit zu dem Schlu? gekommen, da? er so besser denken konnte.

«Nein, wir brauchen mehr Seeraum. Die Handelsschiffe sollen Laternen setzen, damit wir die Formation halten konnen. Philomel wird allein zurechtkommen mussen.»
        Dewar schatzte die Lage ab wie ein Jager, der vor dem ersten Schu? einen Finger in den Wind halt.»Glauben Sie, da? Vizeadmiral Bolitho auf Jobert gesto?en ist, Sir?»

«Falls nicht, steht er zumindest zwischen uns und dem Feind. «Plotzlich mu?te Herrick an die achthundert Meilen denken, die noch vor ihnen lagen, ehe sie unter den Kanonen von Gibraltar vor Anker gehen konnten. Dort bekamen sie wenigstens eine Atempause und vielleicht eine weitere Eskorte.»Unser Dick schafft es bestimmt«, fugte er hinzu.
        Dewar musterte ihn neugierig, schwieg aber. Anscheinend vertrugen sich die beiden wieder.
        Gerade als Herrick erwog, sich in seine Kajute zuruckzuziehen, wo Laforey seine Gicht mit Alkohol betaubte, rief der Ausguck:»Geschutzfeuer im Westen!»
        Der Schall mu?te ihn auf seinem hohen Sitz rascher erreicht haben, denn Herrick horte erst jetzt das ferne Krachen von Kanonen und den vereinzelten Knall leichterer Waffen. Plotzlich wurde sein Kopf so klar, als habe er ihn in Eis wasser getaucht.

«Klar zum Gefecht, Kapitan Dewar. Und Signal an Geleitzug: aufschlie?en. «Als die Pfeifen schrillten und die sechshundert Matrosen und Seesoldaten der Benbow alles stehen und liegen lie?en, um hastig dem Signal der Trommeln zu folgen, fluchte Herrick lautlos in sich hinein: Sonne und Wind - alles war gegen sie. Trotzdem zwang er sich, eine Zuversicht zu zeigen, die er nicht empfand. Auf wen wurde da geschossen? Die Detonationen waren noch weit entfernt, aber der Wind trug ihre dustere Botschaft zu ihnen.

«Philomel soll erkunden, was dort vorgeht. «Nervos verschrankte Herrick die Finger auf dem Rucken. Die kleine Fregatte konnte kehrtmachen und rechtzeitig mit dem Wind fliehen, wenn sie in Gefahr geriet. Schade nur, da? er ihren Kommandant nicht naher kannte. Er hatte lediglich herausgefunden, da? er Saunders hie?. Herrick schritt zur anderen Seite und sah das ihnen fernerstehende Handelsschiff die Bramsegel setzten, um naher aufzuschlie?en. Mein Gott, sie sehen aus wie schlachtreifes Mastvieh, dachte Herrick deprimiert. Dann horte er, wie der Erste Offizier die Mannschaft zu besonderer Anstrengung anspornte. Jedem Mann war bewu?t, da? sie zwei Admirale an Bord hatten.
        Herrick erwog seine Moglichkeiten. Zuruck nach Malta? Das war bei gunstigstem Wind vierhundert Meilen entfernt, und bei Tageslicht wurden die Franzosen ihn bald gefunden haben. Also den gegenwartigen Kurs beibehalten? Dann bestand immerhin die Chance, da? der Feind von herbeigeeilter Verstarkung in ein Gefecht verwickelt wurde oder da? sie ihm im Schutz der Nacht entkommen konnten.

«Wir drehen uber Nacht bei, Kapitan Dewar«, sagte er.
        Er wandte sich zum westlichen Horizont, wo der Sonnenuntergang bereits in dunklem Rot gluhte, und bemerkte einen nervosen Leutnant aus Laforeys Stab in seiner Nahe. Der Mann sagte schuchtern:»Mein Admiral wei? nicht, wo er bleiben soll, seit das Schiff klar zum Gefecht gemacht hat.»
        Herrick verkniff sich eine unhofliche Entgegnung. Zu viele Ohren horten mit. Ruhig erwiderte er:»Tut mir au?erordentlich leid, aber unter dieser Unannehmlichkeit haben wir alle zu leiden.»
        Eine helle Stimme schrillte vom Gro?mars herab:»An Deck! Zwei Linienschiffe im Westen! Sie fuhren die franzosische Flagge, Sir!»
        Herrick musterte rasch sein Deck. Alle Geschutze bemannt, die drei Divisionen bereit, an ihren Masten Segel zu kurzen oder zu setzen. Die Seesoldaten kampfbereit an den Finknetzen und in den Marsen. Benbow konnte und wurde sich wie schon oft tapfer schlagen. Zum Gluck waren in der Mannschaft viele ausgebildete, erfahrene Seeleute. Zwei zu eins: das Krafteverhaltnis war akzeptabel.
        Philomels Masten legten sich hart uber, als sie sich durch den Wind kampfte, bis sich auf dem anderen Bug ihre Segel wieder fullten. Herrick lachelte grimmig. Bolitho hatte Fregatten schon immer geliebt, er hingegen bevorzugte ein solides, kraftvolles Linienschiff unter den Fu?en.
        Wieder meldete sich der Midshipman:»Ein kleines Schiff greift die Franzosen an, Sir!«Seine schrille Stimme uberschlug sich.»Eine Brigg, Sir!»
        Herrick starrte hinauf zur Bramstenge. Der Kommandant dieser Brigg versuchte, ihn zu warnen.

«Neuer Kurs Sudwest zu West!«bellte er und wartete, bis das entsprechende Signal fur den Konvoi gesetzt war. Aber:»Was zum Teufel treibt Kapitan Saunders?«rief er, als Phi-lomel abfiel und mit zunehmender Geschwindigkeit auf den Feind zulief. Rufen Sie diesen Irren zuruck! Ich brauche ihn hier!»
        Nach einer Weile senkte der Midshipman das Teleskop. »Philomel bestatigt nicht, Sir!»

«Verflucht, sind denn alle blind?«Dabei fiel ihm Bolitho ein, und er schamte sich. Andern Sie trotzdem den Kurs, Kapitan Dewar«, fugte er hinzu.
        Nach der geringfugigen Kursanderung lagen die beiden Handelsschiffe praktisch querab in Benbows Lee. In dieser Position waren sie geschutzter, wenn der Feind seine volle Starke zeigte.
        Laforeys Leutnant erschien, und Herrick funkelte ihn an.»Was gibt's jetzt schon wieder?»
        Der Leutnant betrachtete die Stuckmannschaften, die sandbestreuten Decks, die aufgepflanzten Bajonette der Seesoldaten.»Mit den besten Empfehlungen von Sir Marcus, Sir…»
        Herrick hatte einen Einfall.»Sagen Sie meinem Steward, er soll dem Admiral eine Flasche vom besten Portwein geben. «Als der Leutnant zur Poop hastete, rief er ihm hinterher:»Und noch eine, wenn's sein mu?!«Er warf De-war einen Blick zu.»Damit ist ihm wohl das Maul gestopft.»
        Vom ostlichen Horizont breitete sich die Dunkelheit aus wie ein riesiger Mantel; selbst die Wellenkamme schienen zu schrumpfen, als aus Mannern Schatten wurden.
        Doch das sporadische Geschutzfeuer hielt an: der kurze, scharfe Knall der leichteren englischen Kanonen, gefolgt vom zornigen Brullen schwerer franzosischer Geschutze.
        Kapitan Dewar nahm von seinem Bootsfuhrer ein Glas Brandy entgegen und sah, da? der Admiral seinem Beispiel folgte.

«Wer sich mit diesen Brocken einla?t, mu? ein tapferer Mann sein, Sir. «Der Brandy brannte auf Herricks vom Salz aufgesprungenen Lippen. Es waren zwar mehrere Briggs in diesem Seegebiet gemeldet, doch insgeheim wu?te er, wer da alle Vorsicht in den Wind geschlagen hatte, um ihn zu warnen.

«Beim ersten Tageslicht greifen wir an«, sagte er langsam und eindringlich - wie ein Versprechen.
        Bolitho zog den Kopf zwischen zwei Decksbalken ein. Das Orlop wirkte mit seinen kreisenden Laternen und tanzenden Schatten nach den langen, offenen Batteriedecks uber ihm fast menschenleer. Tusons Assistent umstand mit seinen Gehilfen den improvisierten Tisch, auf dem der Arzt bald seine blutige Arbeit verrichten wurde. Frisch geschrubbte Bottiche fur die amputierten Gliedma?en mahnten grimmig an das ihnen allen Bevorstehende.
        Carcaud uberprufte seine Instrumente, die im Licht der schwankenden Laternen matt blitzten. Wie die meisten Manner, denen Bolitho auf seinem rastlosen Inspektionsgang begegnet war, wich auch er seinem Blick aus. Sie schienen sich in seiner Gegenwart unsicher zu fuhlen und sahen ihn lieber bei seinen Offizieren auf dem Achterdeck.
        An der Tur zum Krankenrevier blieb Bolitho stehen und wartete, bis Tuson von seinen Vorbereitungen aufsah. Es roch nach Verbanden und peinlicher Sauberkeit. Der im Augenblick einzige Patient lugte aus seiner Koje: Midship-man Estridge machte sich trotz seines Beinbruchs nutzlich; Tuson lie? ihn im Liegen Binden wickeln.
        Bolitho nickte ihm zu und sagte dann zum Arzt:»In einer Stunde wird es hell.»
        Tuson musterte ihn freudlos.»Wie geht's dem Auge, Sir?»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Es war schon schlechter. «Fur die seltsame Tatsache, da? ihn Gefahr und Tod diesmal vollig kalt lie?en, fand er keine Erklarung. Er war auf jedem Deck gewesen und hatte sich allen gezeigt. Wenigstens hier unten, in diesem Raum, den er sonst so furchtete, hatte er erwartet, Angst zu verspuren. Doch er empfand nur Erleichterung. Wann war er jemals vor einem Gefecht so gleichgultig gewesen? Oder hatte er schon resigniert?
        Tuson schaute zur niedrigen Decke auf, die fast sein wei?es Haar streifte.»Das Schiff ist so leise.»
        Bolitho wu?te, was er meinte. Normalerweise verteilten sich die Gerausche der Manner bei ihrer Arbeit, beim Essen und dem taglichen Dienst uber das ganze Schiff. Doch seit sie klar zum Gefecht gemacht hatten, kamen alle Gerausche von oben, konzentrierten sich um die Geschutze hinter den noch verschlossenen Stuckpforten. Bald wurden die Rohre so hei? sein, da? kein Mann es mehr wagen konnte, sie mit blo?en Handen zu beruhren.
        Die Gerausche von Wind und See klangen hier unten erstickt. Das Schwappen des Bilgenwassers, das gelegentliche Knarren einer Pumpe wirkten gespenstisch. Und seit Einbruch der Dunkelheit war auch der ferne Kanonendonner verstummt. Bolitho kam es vor, als waren sie allein.
        Tuson beobachtete ihn. Ihm war bereits aufgefallen, da? Bolitho ein frisches Hemd und Halstuch angelegt hatte und am Uniformrock die glitzernden Epauletten mit den beiden silbernen Sternen trug. Er sann daruber nach. War es Bo-litho denn gleichgultig, da? er ein auffallendes Ziel bot? Wollte er sterben? Oder sorgte er sich so, da? ihm seine eigene Sicherheit nebensachlich vorkam? Er war barhauptig, sein schwarzes Haar glanzte im zuckenden Lampenschein, und nur die eine Locke, die, wie Tuson besser als jeder andere wu?te, eine gra?liche Narbe verbarg, begann zu ergrauen. An Deck wurde Allday ihm dann Hut und Degen reichen. Diese stumme kleine Zeremonie war im Geschwader schon fast zur Legende geworden.

«Ich habe Kapitan Inch nach vorn verlegt, Sir«, sagte Tuson.»Dort ist es zwar nicht so bequem - «, kurz musterte er den leeren Operationstisch, um den seine Leute standen oder sa?en wie Aasvogel,»aber er ist da besser aufgehoben.»
        Die wei?en Beine eines Fahnrichs erschienen auf der Leiter.»Empfehlung von Kapitan Keen, Sir Richard, und.»
        Bolitho nickte. Das war der kleine Hickling, der ihm, wenngleich ahnungslos, geholfen hatte, Zenoria in Malta vom Schiff zu schmuggeln.»Danke, ich komme. «Er warf dem Arzt einen langen Blick zu. Erst spater fiel Tuson auf, da? er in Bolithos Augen keinen Makel gesehen hatte.»Kummern Sie sich gut um die Leute.»
        Tuson sah ihm nach.»Denken Sie lieber an sich selber«, murmelte er.
        Gefolgt von einem schnaufenden Hickling, erklomm Bo-litho eine Leiter nach der anderen, bis er auf dem Achterdeck stand. Es war noch dunkel, nur vereinzelte Schaumkronen trennten das Meer vom Himmel. Aber die Sterne waren bereits blasser geworden, und eine muffige Feuchtigkeit kundigte den Morgen an.
        Keen wartete an der Reling.»Der Wind hat abgeflaut, Sir, ist aber noch frisch genug, um ihnen Arbeit zu machen. «Da? Hickling Bolitho gefunden hatte, schien ihn zu erleichtern. Noch nie hatte er erlebt, da? Bolitho allein einen Rundgang durchs Schiff machte. Nicht einmal Alldays Begleitung hatte der Admiral geduldet.
        Nun hangte ihm der Bootsfuhrer den Degen an den Gurtel, und Ozzard reichte ihm den Hut, ehe er hinunter in den Laderaum huschte, wo er bleiben wurde, bis die Schlacht gewonnen oder verloren war.
        Bolitho sah den Wirrwarr der Flaggen an Deck, die Vorbereitungen des Signalfahnrichs und seiner Helfer. Auch Stayt war zur Stelle, vermutlich nachdem er sich Zeit zum Laden und Reinigen seiner prachtigen Pistole genommen hatte.

«Jetzt brauchen wir nur noch abzuwarten, Val. «Bolitho dachte an die Schlacht von St. Vincent, in der er seine erste Fregatte befehligt hatte. Damals schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis sich die Flotten einander auf Schu?weite genahert hatten. Den ganzen Tag uber, oder so war es ihm vorgekommen, hatten sie dem gewaltigen Aufmarsch franzosischer Masten am Horizont zugesehen: wie Ritter auf dem Schlachtfeld. Der Anblick war schrecklich und furchteinflo?end gewesen, doch sie hatten die Schlacht gewonnen - wenngleich zu spat, um den Krieg zu entscheiden.
        Keen stand neben ihm und prufte stumm seine Gedanken auf Schwachen. Das sporadische Feuer war ein klarer Hinweis gewesen, da? der Geleitzug vor ihnen angegriffen wurde. Lie? sich Bolitho Uberraschung oder Zufriedenheit anmerken, weil er recht behalten, den Feind gefunden hatte? Jeder ehrliche Mann mu?te eingestehen, da? er an der Urteilsfahigkeit des Admirals gezweifelt hatte, als dieser nur auf die Meldung von Rapid hin sein Patrouillengebiet verlie?. Doch in der Finsternis sah Keen bei Bolitho lediglich ruhige Entschlossenheit.
        Es wurde also zum Gefecht kommen. Die Kanonade hatte nicht so geklungen, als waren viele Schiffe beteiligt. Er dachte an Inch, der unten im Orlop den Kampflarm horen wurde, unfahig, seinen Freunden zu helfen. Keen hatte ihn besucht, ehe er zu seinen Leutnants in den Batteriedecks ging. Inch war sehr schwach und litt nach den beiden Amputationen gro?e Schmerzen.
        Keen brach der kalte Schwei? aus. Er war schon einmal verwundet worden und spurte die Narbe noch immer. Wie konnte es jemand ertragen, auf dem Operationstisch zu liegen und abzuwarten, bis er an die Reihe kam? Erst das Messer, dann die Knochensage, und vorher der Lederknebel, um die Schreie zu ersticken. Ihm fiel wieder ein, was er zu Zenoria gesagt hatte: Das ist mein Beruf. Jetzt klang es ihm wie Hohn.
        Luke Fallowfield, der Sailing Master, klatschte frierend in die Hande, und bei dem Gerausch fuhren mehrere Manner in der Nahe erschreckt zusammen. Wir sind alle nervos, dachte Keen. Das Krafteverhaltnis ist bei dieser Abrechnung Nebensache.
        Bolitho sah den ersten schwachen Schein am ostlichen Horizont. Viele Augen wurden nun auf ihm ruhen, sich ihre Chancen ausrechnen, den Unterschied zwischen Leben und Tod.
        Keen schritt zum Kompa?.»Hoher an den Wind, Mr. Fal-lowfield. Ruder zwei Strich nach Steuerbord.»
        Manner reagierten in der Dunkelheit wie emsige Schatten, und Bolitho war dankbar, da? er den aufmerksamen Keen zum Kapitan hatte. Denn falls sie zu weit nach Osten gerieten, konnten sie nicht mehr rechtzeitig wenden, um den Geleitzug bei Tagesanbruch zu erreichen. Er ballte die Fauste. Sie brauchten das Licht, aber viele furchteten den Anblick, der sich ihnen bieten wurde.
        Der Ruderganger rief:»Neuer Kurs Sudsudwest, Sir! Voll und bei!»
        Bolitho horte das Gro?bramsegel gereizt schlagen, als Argonaute mit hart angebra?ten Rahen hoher an den Wind ging. Bald, sehr bald… Fast hatte er es laut ausgesprochen. Keen befahl weitere Ausguckposten in die Toppen, einen davon mit einem Teleskop. Als Bolitho aufschaute, glaubte er, schon die wei?en Brustriemen der Seesoldaten in den Marsen ausmachen zu konnen. Ein Mann streckte sich und gahnte. Diesmal nicht vor Mudigkeit, dachte er. Gahnen war oft das erste Anzeichen von Angst.
        Sonderbar, dachte er, wenn ich heute falle, wird man in Falmouth erst nachstes Jahr davon erfahren. Das Weihnachtsfest in dem gro?en Haus unter Pendennis Castle mochte noch ungetrubt sein, mit Sangern aus der Stadt, die zum Entzucken der kleinen Elizabeth ein Standchen brachten.
        Er ri? sich zusammen und befahl:»Hei?t Gefechtsflagge!«Die Blocke der Flaggleinen quietschten, als seine rote Flagge eingeholt und die gro?te britische Nationale an Bord gehi?t wurde. Noch wehte sie im Schutz der Dunkelheit, doch nach Sonnenaufgang mu?te Jobert sie sehen. Der Gedanke versetzte Bolitho in eine eigenartige Hochstimmung.
        Paget drehte sich um und meldete Vollzug:»Flagge gehi?t, Sir Richard!»
        Bolitho nickte. Auch Paget wu?te, das Warten hatte jetzt ein Ende.

«An Deck! Schiff in Lee!»

«Gut gemacht, Val«, sagte Bolitho.»Unsere Position ist perfekt.»
        Ein Kanonenschu? hallte ubers Wasser, nur ein einzelner, und Bolitho glaubte, fur einen Sekundenbruchteil den Mundungsblitz gesehen zu haben.

«Geleitzug voraus!«schrie ein anderer Ausguck.

«Signal ans Geschwader. «Bolitho schritt ruhelos ubers Deck und rieb sich das Kinn. Beim nachsten Ruf des Ausgucks schaute er wieder nach oben.

«Zwei Linienschiffe in Lee!»

«Da haben wir's, Val«, meinte Bolitho.»Zwei von diesen Teufeln. «Er warf Stayt einen Blick zu.»Signal ans Geschwader: Feind in Sicht.»
        Als er wieder hinuber nach Lee schaute, leuchtete die Kimm wie eine endlose, rosarote Brucke ins Nichts.
        Uber den gebra?ten Rahen des Fockmastes wehte hell und riesig die Flagge aus, scheinbar unabhangig von dem Schiff, das noch ein wenig langer im Schatten verweilte.

«Greifen wir an, Sir?«Das war Stayt.
        Bolitho offnete den Mund um zu antworten, schlo? ihn aber wieder. Zwei Linienschiffe. Nicht die Anzahl mi?fiel ihm, sondern ihr Kurs. Hier stimmte etwas nicht. Irgendein Instinkt warnte ihn.»Nein. Das Geschwader halt die Formation. «Er drehte sich nicht um, als abermals Geschutzfeuer vom Wind herangetragen wurde.
        Einige Seesoldaten in den Toppen stie?en Hochrufe aus. Ihre wilden Stimmen ubertonten den Larm von Wind und Segeln. Bolitho lockerte seinen Degen in der Scheide, ohne uberhaupt zu merken, was er tat. Vor der Schlacht. Alle Ressentiments, alle Entbehrungen wurden bald vergessen sein. So war das bei der Royal Navy.
        Wieder fiel ein Kanonenschu?, diesmal aber achteraus, vom eigenen Geschwader.

«Pest noch mal, wer war das?«rief Keen.

«Icarus, Sir«, rief Stayt.
        Wahrend das erste Morgenlicht die Masten und Rahen der beiden Schiffe in ihrem Kielwasser streifte, kletterte er in die Wanten.

«Signal von Icarus, Sir: Feind im Nordosten gesichtet.»
        Keen starrte unglaubig hinuber.»Das kann doch nicht wahr sein!»
        Bolitho trat an die Reling und umklammerte sie fest.»Informieren Sie Barracouta und Rapid.«Als die atemlosen Signalgasten weitere Flaggen setzten, ging er an die Wanten, wo Stayt sich mit gekrummtem Arm festhielt und sein Teleskop ausrichtete.

«Drei Linienschiffe, Sir. «Er bewegte beim Entziffern der Flaggensignale von Icarus die Lippen.»Und zwei andere Schiffe.»
        Bolitho fand sich damit ab, obwohl sein Geschwader nun von feindlichen Schiffen in die Zange genommen wurde. Die beiden zuerst gesichteten Fahrzeuge mu?ten zufallig hier eingetroffen oder von einem anderen Admiral aus ihrem Versteck beordert worden sein. Doch Jobert war da, und das Krafteverhaltnis hatte sich plotzlich zu ihren Ungunsten verandert. Drei gegen funf, darunter Joberts schwerbestuckter Dreidecker. Bei den beiden kleineren, noch nicht identifixierten Schiffen mu?te es sich um Fregatten handeln. Englands Chancen standen schlecht, aber er hatte nun keine andere Wahl. Er sah den Rand der Sonnenscheibe uber die Kimm steigen und die Segel von Freund und Feind golden farben. Im Fernrohr erkannte er den dichtgedrangt fahrenden Geleitzug, und beim Anblick des vertrauten Umrisses der Benbow wurde ihm eng ums Herz. Ihre Stuckpforten standen bereits offen.
        Auf den beiden Franzosen blitzte es mehrmals auf; dunne Fontanen wuchsen zwischen den Wellenkammen empor und wurden vom Wind zerfetzt.
        Joberts Geschwader mu?te rasch an der anderen Kuste Sardiniens entlanggesegelt sein und dabei die Helicon mit ihren Verwundeten versenkt haben. Es lag an Backbord achteraus und war vom Achterdeck noch nicht sichtbar. Die anderen beiden Schiffe naherten sich von Steuerbord und nahmen die Benbow unter Beschu?, vermutlich mit Kettenkugeln, um sie zu entmasten oder wenigstens kampfunfahig zu machen. Jobert wurde ihr dann den Rest geben.
        Weitere Kanonenschusse. Bolitho richtete das Fernrohr auf eine kleine Fregatte, die hinter den beiden Linienschiffen aufgetaucht war. War dies das andere Begleitschiff des Konvois, das den Feind herausgefordert und ihn um seinen Uberraschungseffekt gebracht hatte? Die Fregatte trieb steuerlos und praktisch entmastet ab. Sie mu?te versucht haben, dem Feind von hinten zuzusetzen wie der Terrier dem Baren, aber in Reichweite seiner Heckgeschutze gekommen sein.
        Ein Seesoldat rief:»Da ist noch ein Schiff!»
        Bolitho sah weitere Segel sich fullen und verkurzen, als dicht bei der zerschossenen Fregatte eine Brigg auftauchte.
        Ausgeschlossen! Einen Moment lang geriet Bolitho vollig aus dem Konzept. Das war doch Adams Brigg Firefly, die da mit ihren winzigen Vierpfundern dem Feind trotzig Kugeln entgegenspuckte, ohne ihn aber vom Angriff ablenken zu konnen!
        Benbow wendete, und die Sonne fiel auf ihre schwarzen Rohre, als sie dem Feind die Flanke bot. Die zwei Geschutzreihen spuckten grelle, orangerote Zungen, und der Rauch wehte binnenbords, als sei Herricks Schiff getroffen worden.

«Klar zum Angriff auf Joberts Geschwader!«rief Bolitho.
        Herrick wurde sich selbst verteidigen mussen; und die Schatzschiffe konnten warten.
        Keen legte die Hande um den Mund:»Mr. Paget, gehen Sie uber Stag auf Steuerbordbug!«Er trat an den Kompa?, als sich die Manner in die Brassen warfen.

«Neuer Kurs Nordost, Mr. Fallowfield. «Er gab schon das nachste Kommando, als noch das erste Signal auswehte:»Schlachtlinie formieren!»
        Das Deck neigte sich unter dem Druck des Ruders und der Segel, und Bolitho sah erst Joberts eines Schiff und dann das andere in sein Blickfeld gleiten.

«Kurs Nordost liegt an, Sir!»
        Wir haben den Windvorteil, dachte Bolitho, aber nicht lange. Dann war jedes Schiff auf sich allein gestellt.
        Neuer Kanonendonner vom Geleitzug, doch Bolitho ignorierte ihn. Er bekam kurz Dispatch zu sehen, die schwerfallig halste, um ihrem Flaggschiff zu folgen. Icarus achteraus von ihr war noch unsichtbar, doch jeder Kommandant wu?te, was auf dem Spiel stand. Auch Joberts beide Fregatten hielten sich bereit zum Zusto?en, falls eines der gro?eren Schiffe manovrierunfahig geschossen wurde.

«Signal an Barracouta: Ran an den Feind!»
        Besorgt schaute Keen ihn an, doch Bolitho hielt seinem Blick stand.»Lapish mu? sein Bestes geben.»
        Ein scheinbarer Zweidecker, der plotzlich mehr Segel setzte und eilig ins Gefecht eingriff, mochte den Feind verwirren. Wenn Lapish das Uberraschungsmoment nutzte, konnte er Jobert einige Spieren herunterschie?en, es sei denn. Bolitho wagte nicht, an das furchterliche Risiko zu denken, das er Lapish da aufburdete.
        Er horte Allday scharf mit Bankart flustern und sah, wie der Junge trotzig den Kopf schuttelte. Er wich nicht von der Stelle. Was es ihn auch kosten mochte, am meisten furchtete er, sich seine Angst anmerken zu lassen.
        Bolitho schob sein Teleskop durch die geteerten Wanten. Erst tauchten vertraute Gesichter auf, dann fand er den Feind. Da war das Flaggschiff, dessen springender Leopard im Schein der steigenden Sonne wild und lebendig wirkte. Vom Besanmast wehte die Flagge des Konteradmirals.
        Keen gesellte sich zu ihm und trommelte mit den Fingern einen stummen Rhythmus auf den Griff seines Degens.

«Wir mussen ihm Einhalt gebieten, Val«, sagte Bolitho.»Jobert wird alles riskieren, nur um an das Gold heranzukommen.»
        Keen nickte, war aber von der jahen Wendung noch verwirrt. Zunachst die Genugtuung uber ihr rechtzeitiges Eintreffen, und nun schien angesichts der neuen Gefahr sogar ihr Uberleben fraglich zu sein.
        Bolitho setzte das Glas ab.»Laden und Ausrennen. Dann - «, er warf Stayt einen Blick zu,»setzen Sie das Nahkampfsignal. «Er reichte das Fernrohr Sheaffes kleinem Helfer.»Das brauche ich nicht mehr. «Rasch entfernte er sich von den anderen und starrte auf die blaue Wasserwuste hinaus. Doch sah er dabei nur ihre Gesichter vor sich: Montresor, Houston, Lapish, Quarrell - und Adam, der mit dreiundzwanzig sein erstes Schiff fuhrte. Hatte er vielleicht schon wie Inch fur seinen Wagemut bezahlt?
        Er sah nach oben, als das Signal fur Nahkampf gesetzt wurde, und erinnerte sich an andere Schlachten, in denen Manner und Jungen wie diese hier gestorben waren, damit Englands Stern nicht sank. Als vom Geleitzug erneut Schusse heruberschallten, stellte er zu seiner Uberraschung fest, da? sein Ha? und seine Verbitterung verschwunden waren. Gefuhle waren ein Luxus, den sich nur die Lebenden leisten konnten.



        XVII Der Zweikampf

        Die aufeinander zulaufenden Schlachtlinien schienen sich rasch zu bewegen, obwohl Joberts Geschwader noch rund drei Meilen entfernt war.
        Keen starrte hinuber.»Er hat die Segel noch nicht gekurzt, Sir.»
        Bolitho ware gern in die Wanten geklettert, um nachzusehen, was beim Geleitzug vorging. Das Feuer dort war heftiger geworden, und Benbow, die mit je einem Zweidecker an Backbord und Steuerbord im Gefecht lag, hatte sich in Rauch gehullt. Keine angenehme Lage, da die Geschutzbedienungen wie die Teufel schuften mu?ten und nur wenige Manner fur Reparaturen und den Abtransport der Verwundeten ubrigblieben.
        Das scharfere Knallen kleinerer Geschutze verriet ihm, da? Adams Firefly alle Vorsicht in den Wind geschlagen und sich dicht an die beiden gro?en Franzosen herangewagt hatte. Adam wu?te, da? die Benbow Herricks Flagge fuhrte.
        Bolitho fiel wieder Keens Bemerkung ein. Jobert hatte auch noch keine Signale gesetzt; seine Mannschaften waren offenbar auf diesen Augenblick grundlich vorbereitet worden.
        Ohne das Fernrohr abzusetzen, fragte Keen:»Soll ich Segel kurzen, Sir?»

«Ja, nehmen Sie die Untersegel weg. Andernfalls uberholen wir Jobert, ehe wir einige seiner Schiffe kampfunfahig schie?en konnen.»

«Barracouta greift die Fregatten an!«rief Paget erregt.»Mein Gott, bei einer kreuzt sie gerade das Heck!»
        Lapish hatte seine Tarnung geschickt eingesetzt. Wahrend die beiden Franzosinnen in Kiellinie geblieben waren, hatte er vorm Wind schnell auf sie zugehalten. Seine Steuerbordbatterie beharkte den Feind, als er so dicht das Heck des ersten Schiffes kreuzte, da? es aussah, als waren sie kollidiert. Rauch und Feuer quollen aus dem Achterschiff des Franzosen, und jemand auf Argonaute jubelte wild, als seine Gro?bramstenge mit einem Wirrwarr aus Tauwerk und gebrochenen Spieren uber Bord ging. Lapish erhielt so die seltene Chance zu einer zweiten Breitseite. Dann drehte Barracouta ab und wendete, um auf die franzosische Schlachtlinie zuzuhalten.
        Selbst einige von Keens Matrosen, die mit dem Aufgeien von Breitfock und Gro?segel beschaftigt waren, hielten bei der Arbeit inne, um ihrer einzigen Fregatte nachzusehen, wie sie einen Haken schlug, ehe das zweite feindliche Schiff ihr folgen konnte. Ihre beiden Breitseiten hatten die erste Fregatte ausgeschaltet.
        Bolitho zwang sich, Joberts Flaggschiff im Auge zu behalten. Wie seine Begleiter war es schwarz-wei? gestrichen; seine Stuckpforten bildeten mit der Bordwand ein Karomuster.

«Er hat vor, uns zu uberholen, Sir«, sagte Keen.
        Bolitho schwieg. Leopards Bugspriet schien direkt auf ihren zu weisen.

«Ah, nun kurzen sie Segel. «Keen schien erleichtert, denn falls Jobert ihre Schlachtlinie durchbrach, konnte er uber den Geleitzug herfallen, wahrend Keen beim Wenden wertvolle Zeit verlor. Das Kurzen der Segel bedeutete, da? es doch noch zu einem Treffen der beiden Rivalen kommen mu?te.
        Die Distanz betrug nur noch knapp zwei Meilen.

«Achtung, Steuerbordbatterien!«Keen, der vor Konzentration schmale Augen machte, hob seinen Degen.
        Bolitho horte, wie der Befehl an das untere Batteriedeck weitergegeben wurde, und dachte an die Manner dort, deren Gesichter er inzwischen kannte.

«Wir mussen versuchen, seine Linie zu durchbrechen«, sagte er.»Passieren Sie achteraus von Jobert und lassen Sie Montresor und Houston es mit den anderen aufnehmen. Wir kampfen Schiff gegen Schiff, Breitseite fur Breitseite.»
        Er sah die Mundungsblitze wie Dolche vorzucken, als Joberts Dreidecker seine erste langsame Breitseite abgab. Die See kochte unterm Einschlag der schweren Kugeln, von denen einige kreischend ihre Takelage zerfetzten und ein halbes Dutzend Segel durchlocherten. Vom Bootsmann dirigiert, enterten Manner auf, um die argsten Schaden zu beheben.
        Nur noch knapp eine Meile. Weitere Geschosse fegten krachend durchs Rigg, und zwei davon trafen den Rumpf wie Rammbocke. Bolitho wischte sich die Augen, denn eine Fallbo lie? Rauch ubers Achterdeck wirbeln.

«Signal an Rapid: Sie soll Benbow unterstutzen. «An Quar-rells Chancen dabei wollte Bolitho gar nicht erst denken, doch das Manover wurde Herrick und Adam Mut machen. Er hoffte zu Gott, da? er noch unversehrt war.

«Der Kerl setzt wieder die Bramsegel!«schrie Paget.
        Bolitho sah die Toppgasten der Leopard auf den Rahen ausschwarmen, als Ruder gelegt wurde und Joberts Schiff wendete, als wolle es die Konfrontation doch noch meiden.
        Sowie Leopard dabei ihre Breitseite prasentierte, feuerte sie. Es klang wie eine einzige gewaltige Salve, und viele Kugeln fanden ihr Ziel. Bolitho mu?te sich an der Reling festhalten, als Argonaute unter den Einschlagen erbebte. Holzsplitter wirbelten durch die Luft, und die Besatzung der Steuerbordkarronade wurde in blutige Fetzen gerissen.
        Keen senkte die blitzende Klinge.»Feuer!»
        Die Stuckfuhrer rissen an ihren Abzugsleinen; jetzt holte Argonaute unter dem Rucksto? ihrer doppelten Breitseite uber. Das untere Geschutzdeck, ihre Hauptbatterie, reagierte allerdings nur luckenhaft; dort mu?ten einige Besatzungen von der Wucht der feindlichen Breitseite ausgeschaltet worden sein.
        Einige Segel der Leopard plusterten sich getroffen auf, der Wind griff in ihr durchlochertes Vorbramsegel und zerri? es. Doch der Dreidecker verlor nicht an Fahrt.
        Dispatch griff den zweiten Franzosen an, und Bolitho konnte Icarus aus Maximalreichweite auf den letzten Zweidecker feuern horen. Als er an die Netze eilte, starrten ihn die Crews der Neunpfunder wild an; sie atmeten so schwer, als hatten sie einen harten Lauf hinter sich.
        Bolitho beobachtete, wie seine beiden Schiffe an den Feind herangingen. Icarus lag fast ganz hinter rollendem Pulverdampf verborgen. Er schrie Keen zu:»Verfolgen Sie Jobert!«Schmerzlich verzog er das Gesicht, als weitere Kanonenkugeln in den Rumpf schlugen und ein Mann umge - rissen wurde.

«Ruder in Luv!«rief Keen.»Los, ran an Leopard!»
        Fallowfield funkelte ihn wutend an, aber er gab seinen Rudergangern, die am gro?en Rad hingen wie an einer letzten Zuflucht, das entsprechende Zeichen.
        Kleine Blitze zuckten in den Marsen der Leopard auf, und mehrere Musketenkugeln klatschten kraftlos in die Hangematten, ohne Schaden anzurichten. Die Seesoldaten hockten hinter dieser schwachen Deckung und warteten auf die richtige Distanz; manche starrten Hauptmann Bouteiller an, als wollten sie ihn durch Willenskraft dazu bewegen, den Schie?befehl zu geben.

«Breitfock setzen!«rief Keen.
        Die Manner hatten schon bereitgestanden. Das machtige Segel blahte sich an seiner Rah und versperrte ihnen den Blick auf den Gegner wie ein riesiger Vorhang.
        Weitere Schusse jaulten uber Achterdeck und Poop.»Bleib in meiner Nahe, Junge«, flusterte Allday.»Sie sind zwar noch nicht ganz in Reichweite aber…»
        Stayt zog seine Pistole und starrte sie an, als sahe er sie zum ersten Mal. Die Luft war voller Larm; Stuckmeister brullten und gestikulierten mit ihren Besatzungen, die mit Handspaken die rauchenden Rohre auf den Feind ausrichteten. Oben in der Takelage gellten die Rufe der Seeleute, die sich vergeblich bemuhten, zerfetzte Segel und gebrochenes Tauwerk zu bandigen. Hin und wieder wippten die uber den Seitendecks ausgespannten Schutznetze, wenn Riggteile von oben kamen. Ein Wunder, dachte Bolitho, da? nicht noch mehr Schaden entstanden ist.
        Er horte es zweimal laut und hallend krachen und wu?te, da? Rapid die ausgeborgten Zweiunddrei?igpfunder einsetzte. Sie wurden den franzosischen Schiffen zu schaffen machen, mochten sogar eines von Herrick weglocken, der von zwei Seiten beschossen wurde.
        Er sah eine Fregatte zuruckfallen. Ihr Fockmast hing uber Bord, zwischen den Trummern wimmelten Manner umher, um ihn zu kappen. Der Jubel auf Argonaute brach abrupt und wie auf Kommando hin ab: Es war Barracouta.
        Bolitho sah sie krangen, als wieder eine Breitseite in sie einschlug und erneut Spieren und Tauwerk auf ihr Deck sturzen lie?.

«Pech«, murmelte Keen.»Aber er hat wenigstens einen au?er Gefecht gesetzt. «Er rannte an die Reling, als Joberts Schiff wieder feuerte. Mehrere Kugeln heulten knapp uber die Masten hinweg.
        Stayt murmelte:»Wir konnen ihn einfach nicht stellen. «Die Worte kamen von seinen Lippen, als spure er jeden einzelnen Treffer.»Wir mussen naher ran!»

«Kapitan Keen!«rief Bolitho.»Halten Sie auf den Geleitzug zu!«Plotzlich hatte er begriffen, da? Jobert beabsichtigte, die Handelsschiffe wie geplant zu kapern und die Ausschaltung von Bolithos Geschwader seinen Kommandanten zu uberlassen.
        Aus dem Hauptdeck der Dispatch spruhte ein gewaltiger Funkenregen; langsseits klatschten Trummer ins Meer. Erst glaubte Bolitho, ihr Pulvermagazin sei in die Luft geflogen, doch es mu?te eine Pulverladung gewesen sein, die detoniert war, bevor sie fertiggestopft werden konnte. Als Dis-patchs Gegner von ihr abtrieb, stellte Bolitho fest, da? auch er ubel zugerichtet war; Dispatch wendete bereits langsam und feuerte immer wieder aus dem unteren Batteriedeck. Auf dem oberen Batteriedeck waren offenbar viele Crews von der Explosion niedergemaht worden. Auch Icarus' Segel wiesen Locher auf, einige ihrer Geschutze schienen unbemannt oder umgesturzt zu sein.
        Mit hart gelegtem Ruder folgte Argonautes Bugspriet Joberts Schiff, als wolle er es aufspie?en. Die keilformige Wasserflache zwischen ihnen wurde immer wieder von Gischtfontanen aufgewuhlt, viele gefolgt von dem schrecklich dumpfen Krachen eines Rumpftreffers.

«Wir sind allein!«stellte Stayt fest.
        Bolitho schaute ihn an, denn das klang so ruhig, so gelassen. Ein Mann ohne Nerven oder einer, der sich bereits mit dem Unvermeidlichen abgefunden hatte.

«Backbordbatterie!«Keens Degen blitzte in der Sonne.»Feuer!»
        Wilde Hochrufe erklangen, als Leopards Segel sich aufbaumten und rissen, als Rauchwolken an ihrer hohen Bordwand von Treffern kundeten. Keens harter Geschutzdrill machte sich nun bezahlt.
        Stayt duckte sich, als Musketenkugeln uber die Netze pfiffen und zwei Seeleute an Deck schleuderten. Der Tote wurde uber Bord geworfen, den anderen schleppte man zum nachsten Niedergang und hinunter zu Tuson.
        Bolitho schauderte. Dort unten spielten sich die schlimmsten Szenen des Gefechts ab. Stayt hustete. Als Bolitho zu ihm hinsah, brach er sehr langsam in die Knie. Sein dunkles Gesicht sah au?erst konzentriert aus.
        Midshipman Sheaffe eilte zu Hilfe und legte Stayt den Arm um die Schultern.

«Schaffen Sie ihn nach unten«, befahl Bolitho.
        Stayt schaute zu ihm auf, schien aber nicht klar zu sehen. Er hatte eine Hand auf den Magen gepre?t, und zwischen den Fingern quoll bereits Blut hervor.

«Nein!«Verzweifelt starrte er Bolitho an. »Horen Sie mich an!»
        Bolitho kniete sich neben ihn. Seine Ohren drohnten vom Krachen der Kanonen. Die Masten der Leopard waren nun nicht mehr weit entfernt; sie ragten riesig und bedrohlich uber ihnen auf, als die beiden Schiffe sich einander unaufhaltsam naherten.

«Ja?«Er wu?te, da? Stayt im Sterben lag. Uberall fielen Manner; einer der Ruderganger schleppte sich in den Schatten der Poop und lie? eine gro?e Blutlache am Rad zuruck.

«Es war mein Vater. Ich wollte sagen. «Er hustete, Blut rann ihm aus dem Mund.»Ich schrieb ihm von dem Madchen. Hatte nie geahnt, da? er. «Er verdrehte die Augen und stie? hervor:»Guter Gott, hilf mir!»

«Ich halte ihn, Sir«, sagte Sheaffe.
        Sheaffes Stimme schien Stayt ubermenschliche Krafte zu verleihen. Er wandte den Blick dem Midshipman zu und begann verzerrt zu grinsen. Es sah entsetzlich aus. Admiral Sheaffe war's. Er ist namlich mit meinem Vater befreundet.»
        Er kniff die Augen zu, als erneut Kugeln ubers Deck pflugten. Dann fuhr er, zu Bolitho gewandt, fort:»Er hat Sie schon immer geha?t, Sir. Ich dachte, Sie wu?ten das.
        Unsere Vater alle zusammen…«Er bemuhte sich, deutlich zu artikulieren, hatte aber zuviel Blut im Mund. Es drohte ihn zu ersticken.»Ihrer, meiner und der des Jungen hier. «Wieder hustete er, und diesmal flo? das Blut in Stromen.
        Sheaffe legte ihn an Deck. Als er aufblickte, war sein Gesicht steinern. Dann hob er die mit Silber beschlagene Pistole auf und schob sie sich unter den Gurtel.
        Keen hastete herbei und schrie:»Wir sind fast dran!»
        Das Deck baumte sich auf, Splitter sirrten wie Hornissen, schleuderten Manner beiseite oder verletzten sie so schwer, da? sie hilflos liegenblieben. Keen sah auf Stayts Leiche nieder und fluchte.»Verdammt!»
        Bolitho erhob sich, stutzte sich auf die Schulter eines Seesoldaten und kletterte auf die Finknetze, um das gegnerische Schiff besser zu sehen. Uberall tobte die Schlacht, Trummer und zerbrochene Spieren trieben querab, und hier und dort schwamm eine einsame Leiche.
        Er sah Joberts Admiralsflagge uber dem schwarz-wei?en Schiff auswehen, das Funkeln des Musketenfeuers, wenn Scharfschutzen ihre Ziele gefunden hatten. Der Schu?, der Stayt getotet hatte, war vermutlich fur ihn bestimmt gewesen.
        Er wandte dem schwarz-wei?en Schiff den Rucken und sprang hinab. Was er hier trieb, war Wahnsinn, und er rechnete jeden Augenblick mit einem Einschlag zwischen den Schulterblattern. Mit seinen Epauletten gab er ein vorzugliches Ziel ab.

«Ziele gut, mein Junge, aber heb den Admiral fur mich auf, klar?«Er klopfte dem Seesoldaten auf die verkrampfte Schulter.
        Der Mann grinste breit.»Zwei hab' ich schon erwischt, Sir!«rief er.
        Der Rumpf zitterte, als weitere Kugeln ihn trafen wie gigantische Hammerschlage. Ein Achtzehnpfunder wurde angehoben und auf seine Bedienungsmannschaft geworfen. Der Lauf mu?te gluhend hei? gewesen sein, doch die Manner, deren Schreie vom Bombardement ubertont wurden, starben rasch. Das Vorbramsegel flatterte in einzelnen Fetzen davon; die Gro?bramstenge wankte plotzlich, neigte sich und sturzte dann an Deck wie ein Baumriese.
        Bolitho starrte mit brennenden Augen in den Rauch. Sie mu?ten langsseits gehen! Durch eine jahe Lucke im Rauch erkannte er, wie nahe sie schon dem Geleitzug waren. Er sah Benbow, deren Flagge noch wehte, die aber ihren Besanmast verloren hatte, pausenlos auf das ihr nachstliegende Schiff feuern.
        Sein Fu? beruhrte Stayts ausgestreckten Arm. Er schaute auf den toten Leutnant hinab, der ihm in seinen letzten Minuten so viele Fragen beantwortet hatte. Doch Neid und Ha? kamen ihm nun kleinlich und bedeutungslos vor.
        Er sah Keen an.»Wir haben den Windvorteil. Nutzen Sie ihn. «Sein Ton wurde harter. Rammen Sie den Gegner!«Dann zog er den Degen und horte Allday sein Entermesser ziehen.

«Jetzt! Hartruder!»
        Keen wandte sich ab. Es war sinnlos, noch Einspruch zu erheben. Die Besatzung des Dreideckers wurde sie ubermannen, sie hatten keine Chance. Aber ihre Lage war von Anfang an aussichtslos gewesen.

«An die Brassen!«schrie er.»Ruder in Luv, Mr. Fallowfield!»
        Doch der Gehilfe des Sailing Masters hatte das Kommando ubernommen. Fallowfield lag mit einem Ohr an Deck tot neben dem Ruderrad, als lausche er den Schiffsgerauschen.

«Mr. Paget! Klar zum Rammsto?!»
        Paget schaute ihn kurz an und rannte dann mit gezogenem Degen nach vorn zur Back. Die Argonaute wandte sich schwerfallig ihrer Gegnerin zu. Ihr Kluverbaum stach zu wie eine Lanze, doch ihre Segel waren so zerrissen und durchlo - chert, da? der triumphierende Wind, ein grausamer Zuschauer, ihr kaum noch Fahrt verlieh.
        Dispatch war an einem anderen Schiff langsseits gegangen und feuerte noch immer, obwohl ihre Kanonen bereits knirschend gegen die des Feindes mahlten.
        Jobert hatte Bolithos Absicht erkannt, konnte ihn aber nicht mehr an seinem Vorhaben hindern. Da er in Richtung Geleitzug gewendet hatte, hatte er den Wind querein. Weder konnte er sich der Argonaute zuwenden noch vor dem Wind ablaufen, ohne sein Heck einer morderischen Breitseite auszusetzen.
        Joberts Geschutzmannschaften versuchten bereits, die Rohre auf das langsame Schiff mit der gro?en Gefechtsflagge am Fockmast zu richten. Franzosische Seeleute hasteten zum Schanzkleid und schossen auf Argonaute; einige fielen oder sturzten uber Bord, als Bouteillers Scharfschutzen sie unter Feuer nahmen. Irgendwo krachte eine Drehbasse, und Bolitho sah einen seiner Rotrocke fallen. Es war Leutnant Orde, der mit dem Sabel in der Hand auf dem Rucken liegenblieb und blicklos gen Himmel starrte.
        Keen packte die Reling, als der einst so fern und unnahbare Dreidecker hoch uber ihm aufragte. Von oben wurde geschossen, da? die Planken unter seinen Fu?en vibrierten. Eine Kugel traf Stayts Leiche und lie? sie zusammenzucken, als hatte der Mann sich nur totgestellt. Die Franzosen eilten auf die Stelle des Zusammenpralls zu, und ihre Schreie und Verwunschungen klangen wie ein gewaltiger Chor, der selbst den Schlachtenlarm ubertonte.
        Keen wandte sich um, als Bolitho ihn am Armel beruhrte.»Sind die Backbordgeschutze feuerbereit?»
        Keen bejahte. Der Kluverbaum schob sich langsam durch die Fockwanten der Leopard. Die Bewegung wirkte sanft, doch Keen wu?te, da? die ganze Masse seines Schiffes dahintersteckte. Er gab dem Leutnant an der Backbordbatterie mit dem Degen ein Zeichen. Die Sekunden dehnten sich wie Stunden, Keen horte noch einmal den vielstimmigen Chor, und dann verschwand der Wasserkeil zwischen den Rumpfen unter einem Chaos aus Feuer und Rauch. Brennende Pfropfen flogen auf die zerrissenen Segel zu, und der Einschlag des Eisens in den Rumpf des Gegners klang wie ein Donnerschlag.
        Die meisten franzosischen Matrosen und Seesoldaten waren vom Schanzkleid verschwunden. Die Bordwand der Leopard schimmerte unter den Speigatten hellrot, als sei das Schiff selbst am Verbluten.
        Wie in einem letzten Aufbaumen stie?en die beiden Schiffe knirschend zusammen, Wanten und Spieren verhakten sich ineinander, und Kanonen, Manner und Wind verstummten so plotzlich, als sei das Ende der Welt gekommen.
        Bolitho wurde von den Seesoldaten, die mit blitzenden Bajonetten zur Back sturmten, beinahe umgeworfen. Die Schiffe prallten noch einmal heftig gegeneinander, und durch das baumelnde Gewirr von Tauwerk und angekohlten Segelfetzen sah Bolitho das Mundungsfeuer der Musketen und blitzenden Stahl.
        Von hoch oben uberm Rauch feuerten die Scharfschutzen weiter. Phipps, der Funfte Offizier, griff sich ins Gesicht, als eine Kugel ihm die Stirn zertrummerte. Er war Midshipman auf der Achates gewesen. Nur ein Lidschlag, und es gab ihn nicht mehr.
        Die beiden Schiffe trieben langsam und schwerfallig vom Geleitzug weg. Nun hatte Herrick eine Chance, die aber nicht besonders gro? war, es sei denn… Bolitho sah, wie mehrere Matrosen von einer Drehbasse niedergemaht wurden.

«Nehmen Sie das Schiff, Val! Geben Sie's nicht mehr frei!»
        schrie Bolitho. Er merkte, da? Keen die Konsequenzen begriff, und fugte hinzu: Ohne Rucksicht auf Verluste!«Dann hastete er mit dem Sabel in der Hand das SteuerbordSeitendeck entlang, gefolgt von Allday und Bankart. Er fand noch Zeit, sich zu fragen, warum Bankart sich nicht unter Deck verkrochen hatte.

«Mein Gott, sie sind schon an Bord!«rief Allday heiser.
        Bolitho rief Page am Fockmast zu:»Raumen Sie das untere Batteriedeck! Alle Mann an Deck!»
        Dann fand er sich am Steuerbord-Kranbalken wieder und sah diese Stelle bereits mit Leichen ubersat. Matrosen und Seesoldaten, Freunde und Feinde, suchten auf dem Bugspriet nach Halt oder rutschten an Stagen und Leinen herunter, um aufeinander loszugehen. Sie stie?en mit Bajonetten zu; andere hieben mit allem, was sie finden konnten, mit Pieken, Axten und Entermessern, auf die Franzosen ein; ein Kanonier schwang gar einen Ladestock wie eine Keule, bis er von einer Musketenkugel getroffen wurde und zwischen die knirschenden Rumpfe sturzte.
        Vom Achterdeck aus sah Keen verzagt immer mehr feindliche Uniformen aus dem Rauch auftauchen, einige sogar schon auf dem Backbord-Seitendeck. Er fuhr herum, als Hogg, sein Bootsfuhrer, an Deck sturzte und hilfesuchend eine Hand ausstreckte, ehe das Licht in seinen Augen verlosch.
        Sie starben alle, und nur wegen zweier Schiffe voll verdammtem Gold.
        Er brullte:»Eroffnen Sie das Feuer mit den Neunpfun-dern, Mr. Valancey! Zielen Sie auf die Poop!»
        Da - schwache Hochrufe! Mehr Manner schwarmten vom unteren Batteriedeck aus, angefuhrt von Leutnant Chaytor mit gezucktem Degen.
        Die Neunpfunder ruckten an ihren Taljen binnenbords und feuerten Kartatschen in den Bauch. Keen sah einen Matrosen auf sich zurennen und stellte verdutzt fest, da? es sich um einen Feind handelte, einen einsamen Seemann, der vom Rest der Entermannschaft abgeschnitten worden war.
        Keen sprang auf ihn los, obwohl er den Fremden nur wie durch einen Schleier von Schmerz und Wut sah. Hogg war tot, und Bolitho wurde bei der Fuhrung des Gegenangriffs bald fallen oder gefangen werden.
        Der franzosische Matrose zielte mit einer Pistole auf Keen, aber der Hammer klickte leer. Er starrte die nutzlose Waffe wild an, warf sie weg und hob dann das Entermesser.
        Er war jung und leichtfu?ig, rechnete aber nicht mit Keens Geschick. Dieser parierte die schwere Klinge, wahrend die Wucht des eigenen Schlages den Angreifer an ihm vorbeitaumeln lie?. So konnte Keen ihm ins Genick hacken, und als er schreiend sturzte, hieb er noch einmal zu.
        Als er sich abwandte, fiel sein Blick aufs Vorschiff. Dort spielte sich die gra?lichste Szene von allen ab.
        Der verwundete Kapitan Inch, nackt bis auf die Breches, eilte zum Backbord-Schanzkleid, und sein blutiger Armstumpf zuckte, als er mit der anderen Hand den Degen schwang und schrie:»Haltet stand, Manner der Helicon!«Muhsam rang er sich die Worte ab, der Wundschmerz lie? sie gepre?t klingen. Doch seine Stimme hob sich uber das Klirren der Waffen und die Schreie der Sterbenden:»Zu mir, Jungs! Verjagt die Enterer von unserer Helicon!»
        Keen wischte sich mit dem Armel die Tranen aus den Augen.

«Mein Gott, er glaubt, wieder auf seinem eigenen Schiff zu sein!»
        Lange konnte es nicht mehr dauern. Die dichtgedrangte, trampelnde Masse der Verteidiger wurde zuruckgedrangt, franzosische Enterer kampfen schon zwischen den Leichen auf dem Hauptdeck.
        Ein unbewaffneter Midshipman hielt sich die Ohren zu und rannte wie von Sinnen auf einen Niedergang zu.
        Das war Hext, sah Keen, einer der Jungsten an Bord. Als er das Luk erreichte, glitt er in einer Blutlache aus und fiel platt hin. Ein gro?er Franzose sprang mit langen Satzen auf ihn los und schwang schon das Entermesser. Der Junge drehte sich auf den Rucken und starrte ihn an. Er wehrte sich weder, noch flehte er um Gnade; er lag einfach da und wartete auf den Tod.
        Doch Inch war zur Stelle, stie? dem Matrosen die Klinge in die Rippen und ri? ihn herum, wobei das Gewicht des Mannes ihm den Degen entwand. Der Seemann fiel neben Hext hin, und seine nackten Fu?e trommelten auf die Planken.
        Keen sah eine Pike aus dem Rauch vorsto?en. Sie traf Inch im Rucken. Als er in die Knie brach, wurde die Pike herausgezogen und noch einmal in ihn hineingetrieben.
        Auch Bolitho wurde Zeuge, wie Inch fiel. Uber die wankenden, erschopften Gestalten hob er den Blick zu Keen, der ihn anschaute. Einen Augenblick schien die Schlacht zu verstummen. Dann drangte sich das Gebrull wieder dazwischen. Bolitho fuhr herum und fand sich einem franzosischen Leutnant gegenuber.
        Grimmig hieb er die Klinge des jungen Offiziers beiseite, packte ihn dann am Rockaufschlag und rammte ihm den Handschutz gegen den Unterkiefer. Der Leutnant torkelte zur Seite und schrie vor Entsetzen auf, als Alldays breites Entermesser herabzuckte wie ein Schatten vor der Sonne.
        Allday ri? die Klinge aus dem Sterbenden und keuchte:»Wir konnen sie nicht aufhalten!»
        Bolitho sah seine Manner zuruckweichen; sie selbst waren hier vorn abgeschnitten, denn auf beiden Seitendecks kampften schon Franzosen.

«Haltet aus, Leute!«schrie Bolitho. Ein Matrose fiel auf die Knie und versuchte, eine blitzende Klinge von sich abzuwehren. Dann sah er seine abgehackte Hand neben sich an Deck fallen und schrie auf. Bolitho machte einen Ausfall uber den Verwundeten hinweg und spurte zunachst Widerstand, doch dann glitt die Spitze seiner Waffe an dem Kreuz-bandelier des Franzosen ab und in seine Brust.
        Er drehte sich um, wollte Matrosen und Seesoldaten um sich sammeln, sah dann aber einen riesigen Schatten uber die Rauchwolken ragen.

«Es geht langsseits!«krachzte Allday.»Noch so ein verdammtes Schiff!»
        Einer der franzosischen Zweidecker mu?te sich freigekampft haben und seinem Admiral zu Hilfe gekommen sein.
        Wilder Jubel klang auf. Bolitho sah, da? der Neuankommling den Besanmast verloren hatte. In seiner Bordwand brullten die Geschutze auf, und die Wucht ihres Rucksto?es ubertrug sich bis aufs Deck der Argonaute.
        Es war unglaublich, ein Traum! Aber die strenge Galions-figur mit Brustpanzer und vorgerecktem Schwert lie? keinen Zweifel mehr zu: Das war die Admiral Benbow!
        Unter Hochrufen und Geschrei sturmten Herricks Seesoldaten und Matrosen, die den Kampf um den Geleitzug offenbar gewonnen hatten, heruber wie eine Flutwelle.
        Jah wurde Bolitho von der neugewonnenen Kraft der Argonauten vorangetragen und fiel beinahe ins strudelnde Wasser, als zwei Seeleute ihn grob packten und uber die Reling auf den Bugspriet hoben. Die Franzosen, von Ben-bows Mannern und Keens Besatzung in die Zange genommen, zogen sich bereits auf ihr eigenes Schiff zuruck, waren aber dem Feind gegenuber, der tiefer als sie stand, noch im Vorteil.
        Bolitho horte Bouteiller brullen:»Seesoldaten, legt an!«Die Manner in den roten Rocken mochten benommen und wie von Sinnen sein, aber die vertraute Disziplin war starker als alles. Sie standen oder knieten auf dem gegenuberliegenden Seitendeck und hoben die Musketen wie ein Mann. Einer sank tot aus dem Glied, doch niemand zuckte mit der Wimper. Die Vergeltung kam spater. »Feuer!«brullte Bouteiller.
        Die Salve fegte in die dichtgedrangten Enterer. Ehe sich die Uberlebenden von den Toten befreit hatten, griffen die Seesoldaten schon kreischend wie Damonen mit aufgepflanzten Bajonetten an.
        Bolitho suchte auf dem breiten Bugspriet mit den Beinen Halt und starrte unglaubig auf das Deck unter sich, die Back der Leopard. Den Degen mit einer Schlinge am Handgelenk, lie? er sich hinunter.
        Jenseits des Rauchvorhangs wurde weiter gefeuert. Ob da Schiffe noch im Nahkampflagen oder schon auf das Flaggschiff des franzosischen Konteradmirals zuhielten, konnte Bolitho nicht beurteilen. Ein Flaggschiff sollte fuhren. Nun aber war es zu einem Leuchtfeuer geworden, das in ein Schlachthaus lockte. Um ihn herum fochten und starben Manner; er hatte Zeitgefuhl und Orientierung verloren. Manchmal drangten sich Leiber an ihn, dann erkannte er vertraute Gesichter. Jemand rief sogar:»Da ist der Admiral, Jungs!«Ein anderer brullte:»Bleib bei uns, Dick!»
        Es war wild, furchteinflo?end, doch auch berauschend wie schwerer Wein. Bolitho kreuzte die Klingen mit einem franzosischen Leutnant und entwaffnete ihn zu seinem Erstaunen mit Leichtigkeit. Er hatte es dabei bewenden lassen, doch ein Seesoldat blieb stehen und starrte den furchtsam zuruckweichenden Offizier finster an.»Das ist fur Kapitan Inch!«rief er. Sein Sto? warf den Leutnant gegen die Reling, und aus seinem Rucken ragte rot die Spitze des Bajonetts.
        Bolitho fuhr sich mit der Hand ubers Gesicht. Es war unertraglich hei?, und der Schwei? blendete ihn.
        Dann stand er auf den vernarbten Planken des breiten Achterdecks, die Keens Kartatschen zerfurcht hatten. Am unbemannten Ruder lagen Leichen. Doch andere Franzosen stellten sich noch der Welle der Enterer entgegen.
        Ein Matrose unterlief ein Bajonett und sprang auf Allday zu. Der starrte den Franzosen an und holte weit mit dem Entermesser aus. Dabei hatte er fast gelacht, denn sein Angreifer schien es ihm so leicht zu machen.
        Doch als er die Klinge hob, schrie er plotzlich auf. Der Schmerz der alten Wunde brannte wieder in seiner Brust, machte ihn hilflos und bewegungsunfahig.
        Bolitho war durch eine Kanone von Allday getrennt, sturzte aber mit ausgestreckter Klinge auf ihn zu.
        Doch Bankart, nur mit einem Belegnagel bewaffnet, sprang zwischen die Kampfer.

«Weg!«kreischte er.»Ruhr ihn blo? nicht an!«Er warf sich schutzend vor seinen Vater und schluchzte vor Zorn und Angst auf, als der Franzose vorsprang, um sie beide zu toten.
        Bolitho spurte den Luftzug einer Kugel im Gesicht. Den Schu? hatte er nicht gehort. Er sah den Franzosen rucklings aufs Deck sturzen. Sein Entermesser landete klirrend zwischen den Fu?en der Menge.
        Dann fiel Bolithos Blick auf Midshipman Sheaffe, der bla? dastand, in einer Hand Stayts rauchende Pistole und in der anderen seinen zierlichen Seitendolch.
        Doch dann verga? er ihn und die Tatsache, da? Alldays Sohn in dem Augenblick, als sein Vater in Gefahr schwebte, zu sich selbst und einen Mut gefunden hatte, den er sich nie zugetraut hatte.
        Denn Bolitho hatte Jobert an der Leiter zum Poopdeck entdeckt. Er brullte seinen Offizieren Befehle zu, die in dem Getose unverstandlich blieben.
        Leutnant Paget, dessen Rock von der Schulter bis zur Taille aufgeschlitzt war und der aus Splitterwunden im Gesicht blutete, winkte seine Manner mit dem triefenden Degen heran.

«Los, auf ihn! Stecht den Kerl nieder!«schrie Paget.
        Bolitho taumelte auf Jobert zu und schlug mit der flachen Klinge die angelegte Muskete eines Seesoldaten beiseite. Hinter ihm atmete Allday schwer.

«Streichen Sie endlich die Flagge, verdammt noch mal!«schrie Bolitho.
        Jobert starrte ihn entsetzt an. Dann schaute er an Bolitho vorbei und begriff, da? er nur wegen dieses Mannes noch am Leben war. Wilde Hochrufe erklangen, und jemand rief:»Sie streichen die Flagge, Kameraden! Wir haben sie geschlagen!»
        Uberall begannen die eingekreisten Franzosen ihre Waffen von sich zu werfen. Aber nicht so Jobert. Fast verachtlich zog er den Degen, ri? sich den Hut vom Kopf und warf ihn auf die Planken.

«Uberlassen Sie ihn mir, Sir Richard!«keuchte Paget.
        Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu. Paget, der Mann, der bei Camperdown gegen eine Ubermacht gekampft und dabei kuhlen Kopf bewahrt hatte, war nun kein uberlegener Erster Offizier mehr. Er hatte nur eins im Sinn: Jobert zu toten.

«Zuruck!«befahl Bolitho. Er hob seinen Degen und spurte die Anspannung in Handgelenk und Unterarm.
        Es kam also doch zu einem Zweikampf.
        Bis auf das Stohnen und Schreien der Verwundeten herrschte Stille. Selbst der Wind hatte sich gelegt. Joberts Flagge hob sich nur schlaff im Takt mit der britischen Natio - nale auf Argonaute, deren Kluverbaum noch immer Leo-pards Fockwanten durchbohrte.
        Die Klingen umzungelten einander wie argwohnische Schlangen.
        Bolitho sah in Joberts Gesicht, dunkelhautig wie das Stayts, und verstand. Er war schon einmal in Kriegsgefangenschaft geraten und hatte dabei sein Flaggschiff verloren - das nun zuruckgekehrt war, um diese Schande zu wiederholen. Das Unvorstellbare war eingetroffen, und der Mann, der ihm nun gegenuberstand, war fur die Katastrophe verantwortlich. Es war seine einzige Chance, sich zu revanchieren, nach Bolithos Fall einen letzten kurzen Triumph auszukosten, ehe man ihn niederschlug.
        Jobert wich zuruck, und selbst die englischen Matrosen machten ihm Platz.

«Bitte uberlassen Sie ihn mir!«bat Paget verzweifelt. Als er Bolitho uber ein Wrackteil stolpern und taumeln sah, flusterte:»Um Gottes willen, holt Kapitan Keen!«Ein Mann huschte hinuber, doch Paget wu?te, da? es zu spat war.
        Jobert schlug zu und machte einen Ausfall nach dem anderen. Dann begann er zu kreisen und zwang Bolitho, den Kopf zu wenden und in die Sonne zu starren. War es Einbildung, oder sah er wirklich Triumph in den Augen des franzosischen Admirals aufblitzen? Kannte der seine Schwache? Die Klingen klirrten gegeneinander, Stahl zischte, als beide versuchten, das Gleichgewicht zu wahren und die Kraft aufzubringen, den anderen auf Armeslange Abstand zu halten.
        Die Duellanten parierten und trennten sich wieder.
        Midshipman Sheaffe schuttelte Allday am Arm.»Setzen Sie dem ein Ende, Mann!»
        Allday antwortete, eine Hand auf die brennende Narbe unterm Hemd gepre?t:»Los, holen Sie einen Scharfschutzen!»
        Bolitho tanzelte vorsichtig uber herumliegendes Tauwerk. In seinem Arm pochte der Schmerz, au?erdem konnte er Joberts verzerrtes Gesicht kaum noch erkennen. Was habe ich eigentlich noch zu beweisen? Er ist besiegt, erledigt. Das reicht doch…
        Joberts Klinge zuckte blitzschnell vor, und als Bolitho zu parieren versuchte, spurte er, wie sie ihm unter der Achselhohle durch den Rock fuhr. Ein brennender Schmerz, als die Schneide seine Haut ritzte. Er hieb seinen Degengriff auf Joberts Handgelenk, so da? sie nun Brust an Brust wankend miteinander rangen.
        Bolitho fuhlte, wie die Kraft seinen Arm verlie?. Der Schnitt an seinen Rippen schmerzte wie ein Brandeisen. Joberts Atem streifte sein Gesicht, seine finsteren Augen starrten ihn an. Trotzdem schien ein Schleier uber allem zu liegen, und selbst Herricks Stimme drang wie von fern zu ihm.
        Er hob den Arm, nahm seine letzte Kraft zusammen und stie? Jobert vor die Brust. Jobert taumelte ruckwarts gegen eine Kanone und ri? in unglaubigem Entsetzen die Augen auf, als Bolithos alter Degen blitzend vorschnellte und ihn ins Herz traf.
        Bolitho ware fast gesturzt, als die Matrosen auf ihn zudrangten, wie von Sinnen jubelnd, manche schluchzend.
        Er reichte Allday seinen Degen, versuchte ihm zuzulacheln. Herrick stie? seine Manner beiseite und packte Bo-litho am Arm.

«Mein Gott, Richard, er hatte Sie umbringen konnen!«Er betrachtete ihn besorgt. Warum hat ihn denn keiner einfach niedergeschossen?»
        Bolitho tastete nach dem Loch in seinem Rock und spurte warme Nasse an den Fingern.
        Der Jubel verwirrte ihn, doch die Manner hatten ein Recht, ihren Gefuhlen Luft zu machen. Was verstanden sie von Strategie oder der Notwendigkeit, zwei fremde Handelsschiffe zu schutzen? Sie kampften immer nur fur sich, fur die Kameraden, fur ihr Schiff.
        Er schaute auf Jobert hinab. Ein Matrose nahm ihm den Degen aus der schlaffen Hand. Joberts dunkle Augen standen halb offen, als sei er noch am Leben, belausche und beobachte seine Feinde.

«Er wollte sterben, Thomas. Verstehen Sie das nicht?«Er drehte sich um, spahte hinuber zu seinem eigenen Schiff und erblickte Keen. Bolitho hob den Arm zu einem muden Salut. Jemand kam mit einem Verband, um die Blutung zu stillen.»Er hatte die Schlacht verloren und wollte wenigstens seinen Stolz retten.»
        Bolitho bahnte sich einen Weg durch die geschwarzten und blutenden Manner. Das Ganze kam ihm so unwirklich vor. Er sah auf zum Himmel uber den Masten und durchlocherten Segeln, schaute dann seinen Freund an und fugte leise hinzu:»Auf irgendeine Weise ist Jobert damit doch Sieger geblieben.»
        Allday horte ihn und legte seinem Sohn den Arm um die Schulter.
        Der Stolz auf Freund oder Feind bedurfte keiner Worte.



        Epilog

        Erst sechs Monate spater kehrte Richard Bolitho nach England zuruck. Noch immer verfolgten ihn die grausigen Szenen dieser letzten, verzweifelten Schlacht, aber in der Heimat war ihr Sieg uber anderen Ereignissen inzwischen fast vergessen.
        Bolithos Geschwader hatte fur diesen Sieg einen hohen Preis an Menschenleben zahlen mussen. Auch seine Schiffe waren schwer beschadigt in die Docks von Malta und Gibraltar gehinkt.
        Zwei franzosischen Zweideckern war es gelungen, sich davonzustehlen, auch eine unbeschadigte Fregatte war entkommen. Denn keines von Bolithos Schiffen war intakt genug, um sie zu verfolgen und aufzubringen. Joberts Flaggschiff blieb die Schmach erspart, unter der Flagge des Feindes kampfen zu mussen. Zuletzt war unter Deck ein Feuer ausgebrochen, dem viele seiner Verwundeten zum Opfer fielen, und erst nach gro?en Anstrengungen aller Seeleute, Franzosen wie Englander, war Leopard vor der volligen Vernichtung bewahrt worden. Den Rest seines Lebens wurde das einstmals stolze Schiff nun als Hulk oder Wohnschiff zubringen.
        Alle anderen franzosischen Schiffe waren aufgebracht worden. Allerdings hatte Bolitho befurchtet, mindestens zwei konnten auf der Fahrt zum schutzenden Hafen noch sinken.
        Oft dachte er an die vertrauten Gesichter, die er nie wiedersehen wurde. Vor allem an Kapitan Inch, der im Kampf fur seine Manner gestorben war. Kapitan Montresor war noch im letzten Augenblick gefallen, als das franzosische Flaggschiff schon die Flagge strich. Houston von der Icarus war unversehrt und norgelnd wie immer davongekommen, obwohl sein Schiff von der ersten Breitseite an im dicksten Getummel gekampft hatte. Die beiden kleinsten Schiffe, Rapid und Firefly, hatten nur wenige Verluste zu beklagen, obwohl eine einzige franzosische Breitseite sie hatte versenken konnen.
        Nur von den beiden Briggs begleitet, lief Argonaute notdurftig repariert im Juni
1804 in Plymouth ein.
        Wieder standen Bolitho grelle Bilder vor Augen, als er die Augenblicke nach ihrem Eintreffen noch einmal durchlebte: die wilde Erregung, die Flaggengru?e und Salutschusse, als Argonaute endlich Anker warf. Da der Wind sie im Stich gelassen hatte, waren sie im Armelkanal nur langsam vorangekommen. Er erinnerte sich noch genau an die Begeisterung der jubelnden Menschen am Hafen, die so oft in Trauer umschlug, wenn wieder eine Familie erfuhr, da? ein Angehoriger nicht zuruckgekehrt war.
        Admiral Sheaffe war personlich zur Stelle gewesen. Bo-litho hatte vorgehabt, den Mann zur Rede zu stellen, ihn zu fragen, warum er Keen als Waffe gegen die Bolithos mi?braucht hatte. Doch der Admiral machte sich zunachst umstandlich an die Begru?ung seines Sohnes. Und dann kam ein Moment, den Bolitho nie vergessen wurde.
        Der Admiral, beobachtet von seinen Adjutanten und einigen Freunden, hatte dem jungen Sheaffe die Hande auf die Schultern gelegt.
        Vielleicht hatte der Fahnrich sich Stayts letzter Worte erinnert oder des Tages, an dem Bolitho auf ihn gewartet hatte, obwohl Supreme Gefahr drohte.
        Jedenfalls sagte der junge Sheaffe fest zu seinem Vater:»Pardon, Sir, ich kenne Sie nicht!«Und eilte starren Blicks davon.
        An Land hatte Bolitho Zenoria die letzten Meter ubers Kopfsteinpflaster laufen gesehen, mit wehendem Haar. Er war froh und neidisch zugleich gewesen. Ohne sich um die grinsenden Matrosen zu kummern, hatte Keen sie in die Arme genommen und sein Gesicht wortlos in ihrem Haar verborgen.
        Sie hatte Bolitho mit feuchten Augen angeschaut und leise gesagt:»Danke.»
        Was er fur sich selbst erwartet hatte, wu?te Bolitho nicht genau. Vielleicht, da? Belinda nach Plymouth gekommen ware, um auf ihn zu warten wie Zenoria. Aber sie war nicht da.
        An die Zeit, die er danach in Plymouth mit der Regelung seiner Angelegenheiten verbracht hatte, konnte er sich nur undeutlich erinnern. Anschlie?end war er mit Firefly nach Falmouth gesegelt. Eine kleine Brigg wurde kein Aufsehen erregen. Bolitho scheute einen erneuten Heldenempfang, den Larm und die Neugier jener, die das wahre Gesicht des Krieges nicht kannten.
        So stand er an diesem sonnigen Junimorgen mit Adam am Schanzkleid der Firefly, die trage in ihre Ankertrosse eindrehte. Wieder daheim.
        Links und rechts grune Hange und vertaute Schiffe, bunte Felder, die sich in eigenwilligen Mustern landeinwarts zogen. Hauser und Fischerhutten und die finstere graue Masse von Pendennis Castle, die den Hafeneingang beherrschte. Nichts hatte sich verandert, doch Bolitho spurte, da? es nie mehr so sein wurde wie fruher.
        Zeit zum Abschiednehmen. Adam hatte Order, mit neuen Depeschen nach Irland zu segeln.

«Nun, Onkel?«Er musterte ihn besorgt.
        Bolitho sah Allday an der Reling stehen und auf die Gig langsseits hinabschauen. Er hatte Ozzard und Bankart mit Bolithos Gepack per Kutsche nach Falmouth geschickt.

«So wird es immer sein, Adam«, sagte Bolitho.»Kurze Abschiede, noch kurzere Begru?ungen. «Er sah sich auf dem ordentlichen Deck um. Kaum zu glauben, da? dieses Schiff mit einem machtigen Zweidecker gekampft und uberlebt hatte. Auch Rapid hatte es geschafft. Quarrell hatte allerdings darum gebeten, die geborgten Kanonen wieder entfernen zu durfen, denn ihr Rucksto? hatte mehr Schaden angerichtet als der Feind.

«Ich wurde gern mit dir an Land gehen, Onkel.»
        Bolitho legte Adam die Hand auf die Schulter.»Das hat Zeit. Du wirst gebraucht, und ich freue mich fur dich. «Er sah zu dem rastlosen Wimpel am Masttopp auf.»Dein Vater ware stolz auf dich gewesen.»
        Damit ging er zur Bordwand, wo der Erste Offizier mit der Ehrenwache wartete.
        In der Gig beobachtete Allday Bolitho schweigend, als dieser sich umdrehte und seinem Neffen zuwinkte. Die Brigg holte schon den Anker kurzstag und wurde auslaufen, sobald die Gig zuruckgekehrt war. Allday dachte an seinen Sohn, der schon unterwegs war zu Bolithos Haus. Wurde er jemals wieder zur See fahren? Uberraschenderweise war ihm diese Entscheidung inzwischen nicht mehr wichtig. Mein Sohn: schon der Gedanke machte ihn glucklich und dankbar. Er hatte ihm das Leben gerettet und ware fur ihn gestorben, wenn Midshipman Sheaffe nicht geschossen hatte.
        Er musterte Bolithos ausdrucksloses Gesicht. Der Admi-ral machte sich Sorgen wegen seiner Augen. Immerhin wurde Lady Belinda im Haus auf ihn warten. Vielleicht entschadigte ihn das?
        Sie stiegen auf die warmen Ufersteine. Bolitho verabschiedete sich vom Bootsfuhrer und druckte ihm zwei Gui-neen in die Hand. Der Mann bedankte sich uberschwenglich. Da trinken wir aber einen auf Sie, Sir!»
        Bolitho ging auf die Stadt zu, bemuht, nicht zu zwinkern oder das Gleichgewicht zu verlieren wie an dem Tag, als er Jobert zum letzten Mal gegenubergestanden hatte. Hinter sich horte er Alldays schweren Schritt; es waren nur wenige Menschen unterwegs. Die meisten arbeiteten auf den Feldern oder fischten. Falmouth lebte von der Erde und vom Meer.
        Eine erschopfte Frau ging mit einem Gemusekorb am Arm auf eine Hintergasse zu. Als sie Bolitho sah, blieb sie stehen und machte einen ungelenken Knicks.

«Ein schoner Morgen, Mrs. Noonan«, rief Bolitho.
        Verblufft sah sie ihnen nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren.
        Arme Frau, dachte Bolitho. Er hatte ihren Mann auf seiner Lysander fallen gesehen; das schien ihm tausend Jahre her zu sein.
        Lange Schatten lagen schon uber dem Platz. Bolitho schaute auf zum Turm der Kirche, in der er zweimal getraut worden war. Dann trat er unsicher in das kuhle Dammerlicht des Gotteshauses. Es war leer und doch so voller Erinnerungen und Hoffnungen. Er blieb stehen, betrachtete das Buntglasfenster hinter dem Altar und entsann sich jenes ersten Males, als er die Sonne durch diese Tur gesehen hatte.
        Sein Herz schlug so heftig, da? er glaubte, Allday musse es horen konnen.
        Er mu?te nach Hause, seine Gefuhle erkunden, Belinda eine Erklarung geben und lernen, seine Fehler wieder gutzumachen. Statt dessen trat er vor die Wand mit den Gedenktafeln der Familie Bolitho.
        Er hob die Hand und beruhrte eine Tafel, die in einiger Entfernung von denen der Manner angebracht war: Cheney Bolitho. Hier waren sie getraut worden. Leise sagte er ihren Namen. Dann machte er kehrt und ging zuruck zu Allday.

«Nach Hause, Sir Richard?«fragte Allday.
        Bolitho zogerte und blickte sich noch einmal nach der kleinen Tafel um.

«Aye, alter Freund. Das wird es immer bleiben.»



        Seemannische Ausdrucke der Segelschiffszeit
        Zusammengestellt von F. W. Wentzel

        Abdrehen
        Kursanderung, um einer Gefahr auszuweichen abfallen vom Wind wegdrehen, so da? er voller einfallt. Gegensatz: anluven
        Abflauen
        Nachlassen des Windes achtern hinten im Schiff achteraus in Richtung nach hinten achterlich
        Richtung von querab bis achteraus Achterdeck hinterer Teil des Oberdecks, Kommandostand der alten Segelschiffe, wo Kompa? und Ruder standen Achtersteven das hinterste Holz des Schiffes am Wind (beim Wind) segeln wenn der Kurs im spitzen Winkel zur
        Windrichtung liegt anbrassen die Rahen eines Seglers mit den Leebrassen so weit anholen, wie es die Wanten erlauben. Gegenteil: aufbrassen
        Ankerspill
        Winde mit senkrechter Achse zum Aufholen des Ankers anluven zum Wind hindrehen (s. abfallen) anschlagen

1. Ein neues Segel an der Rah oder Gaffel festbinden. 2. Die halbstundigen Schlage der Schiffsglocke
        Aufbrisen
        Zunehmen des Windes
        Aufgeien
        Aufholen der Schothorner eines Rahsegels an die Rah aufrei?en hochziehen aufkommen

1. Zurucklegen des Ruders, wenn eine Drehbewegung eingeleitet ist. 2. ein schnelleres Schiff nahert sich von hinten. 3. ein Gewitter» kommt auf»

«auf und nieder!»
        senkrecht. Ausruf beim Ankerlichten, wenn die Ankertrosse senkrecht nach unten zeigt, der Anker schon losgebrochen, aber noch nicht auf dem Grund ist ausbringen ein Boot, ein Fallreep nach au?enbords bringen auslegen wenn die Matrosen zum Los- oder Festmachen der Segel auf die Fu?pferde der Rahen treten ausrennen die Kanonen mit Hilfe von Taljen in Feuerstellung bringen
        Ausschie?en
        Rechtsdrehung des Windes (auf den Kompa? bezogen). Gegensatz: Krimpen
        Back
        Vorderteil des Schiffes
        Backbord linke Schiffsseite (von achtern gesehen) backbrassen
        Rahsegel so drehen, da? der Wind von vorne einfallt und die Fahrt des Schiffes gebremst wird
        Backstage
        Stage, die den Mast schrag nach achtern stutzen
        Bark
        Dreimaster mit zwei vollgetakelten und einem (dritten) gaffelgetakelten
        Mast Barkasse gro?tes Beiboot eines Kriegsschiffes
        Baum
        Rundholz, an dem das Segel unten befestigt ist beidrehen

1. Um einen Sturm abzuwettern, legt sich das Segelschiff mit geringster Segelflache schrag gegen den Wind, so da? es praktisch dwars vertreibt.

2. Durch Backbrassen ein Schiff abstoppen, auf der Stelle treiben bekalmen einem anderen Schiff durch Vorbeifahren in Luv den Wind wegnehmen belegen

1. Eine Leine festmachen. 2. Einen Befehl aufheben
        Belegnagel
        Holz- oder Eisenpflock zum Festmachen von Leinen
        Besan der dritte, nicht vollgetakelte Mast (auch sein Gaffelsegel)
        Besteck
        Standort des Schiffes auf See, a) gegi?t, wenn er auf geschatzten Werten fur Kurs und Wegstrecke basiert, b) terrestrisch, wenn er auf Landpeilungen, c) astronomisch, wenn er auf Messung von Gestirnshohen beruht
        Bilge
        Kielraum, die tiefste Stelle im Schiffsrumpf Block
        Rolle oder Scheibe in einem Holzgehause
        Bootsmann
        Decksoffizier, dem die Instandhaltung des Schiffes und seiner seemannischen Ausrustung obliegt
        Bootsmannsstuhl
        Brett an zwei Seilen, mit dem sich ein Mann zu Arbeiten in der Takelage hochziehen kann. Auch Offiziere wurden damit auf See oft an Bord gehievt Bramrah die dritte Rah von unten (mit dem
        Bramsegel)
        Brassen
        Taue an den Rahnocken zum horizontalen Schwenken (Brassen der Rahen)
        Breitfock das unterste Rahsegel am Fockmast, auch einfach» Fock»
        Brigg
        Zweimaster, der vordere Mast voll-, der hintere gaffelgetakelt
        Bug der vorderste Teil des Schiffes
        Bugspriet
        uber den Bug nach vorn hinausragende Stange
        Davit kranartige Konstruktion zum Aussetzen von Booten
        Decksoffiziere
        Bootsmann, Steuermann, Stuckmeister, Feuerwerker: Dienstgrad zwischen Offizier und Unteroffizier, damals der hochste erreichbare Dienstgrad fur Mannschaften (mit wenigen Ausnahmen, z.B. James Cook) Dingi kleinstes Beiboot
        Dollbord verstarkter oberer Rand eines Bootes, in den Dollen (Metallgabeln) fur die Riemen eingesteckt werden
        Draggen
        (auch Drachen) kleiner, vierarmiger Bootsanker, den man auch als Suchanker benutzen kann
        Drehbasse leichtes, schwenkbares Geschutz
        Ducht
        Sitzbrett im Ruderboot dwars querab, rechtwinkelig zur Schiffslangsachse entern/aufentern

1. In die Takelage klettern. 2. Das gewaltsame Besteigen eines feindlichen Schiffes
        Enterhaken eiserner Haken an langer Stange zum Heranholen eines feindlichen Schiffes, bevor es geentert wird
        Eselshaupt brillenartiges Verbindungsstuck von Mast und aufgesetzter Stenge
        Etmal der von Mittag zu Mittag (in 24 Stunden) zuruckgelegte Weg
        Faden
        Langeneinheit zu sechs Fu? = 1,829 Meter
        Fall
        Leine zum Hei?en oder Pieren einer Rah oder eines Segels Fallreep
        Treppe oder Strickleiter (Seefallreep), die an der Bordwand heruntergelassen werden kann
        Fallreepspforte
        Einla?offnung vom Fallreep ins Schiff, bei hochbordigen Schiffen in einem der unteren Decks
        Fender
        Sto?dampfer (damals) aus geflochtenem
        Tauwerk fieren eine Last absenken, Leine verlangern
        Finknetze
        U- formige, mit starken Netzen verkleidete Gabeln, in die die festgezurrten Hangematten der Besatzung tagsuber verstaut wurden. Sie boten im Gefecht Schutz gegen Schrapnell- und Gewehrkugeln Fockmast der vorderste Mast Fregatte leicht bewaffneter (20 bis 50 Kanonen) schneller Segler, der Flotte als Aufklarer beigegeben. Voll getakelt
        Fu?pferd
        Tau unterhalb der Rah, auf dem die Matrosen beim Losmachen, Reffen und Festmachen des Segels stehen
        Galion balkonartiger Vorbau des Schiffsbugs, tragt die Galionsfigur
        Gangspill mit Spillspaken gedrehte Winde mit senkrechter Achse zum Aufholen des Ankers oder zum Einholen von
        Trossen Gangway l. Laufbrucke an beiden Schiffsseiten zwischen Back und Achterdeck. 2. Laufplanke zwischen Schiff und Pier Geitau
        Leine zum Aufholen der Segel
        Gieren ungewolltes Abweichen vom Kurs, meist bei achterlicher See
        Gig
        Boot des Kommandanten, schlank und schnittig gebaut gissen schatzen (s. Besteck)
        Glasen
        Anschlagen der Schiffsglocke alle halbe Stunden mit 1-8 Schlagen (jeweils fur 4 Stunden =

1 Wache)
        Gordings am Unterliek befestigte Leinen zum Aufholen eines Segels (z. Unterschied von Geitau, das am Schothorn anfa?t)
        Grating holzernes Gitterwerk
        Gro?mast
        Hauptmast, beim Dreimaster der mittlere
        Gro?segel das unterste Segel am Gro?mast eines Rahschiffes (alle Rahen, Segel, Schoten etc. des Gro?mastes haben die Vorsilbe» Gro?-»)
        Gro?topp

1. Der Gro?mast mit seiner Takelage

2. Die oberste Spitze des Gro?mastes
        Hals
        Tau, mit dem die untere Luvecke eines Untersegels nach vorn geholt wird, wenn das Schiff am Wind segelt.»Mit Backbord-Halsen «segeln =»mit Steuerbord-Schoten«, gleichbedeutend mit» auf Steuerbord-Bug «segeln halsen mit dem Heck durch den Wind auf den anderen Bug gehen; bei Rahseglern das einfachere Manover (vgl. wenden)
        Heck der hinterste Teil des Schiffes
        Hei?en (Hissen)
        Hochziehen eines Segels, einer Flagge
        Hieven
        Hei?en einer schweren Last mit einer Winde hoch am Wind in moglichst spitzem Winkel zur Windrichtung. Rahschiffe kamen bestenfalls bis 60 Grad an den Wind holen gleichzeitig ziehen
        Hulk ausgedientes Schiff, zu Wohnzwecken benutzt
        Hutte
        Aufbau auf dem Achterschiff, auch Poop, Pupp, Kampanje genannt
        Hundewachen die beiden halben Abendwachen von 16-18 und 18-20 Uhr (in Deutschland nannte man spater auch die Wache von 00-04 Uhr so)
        Jager vorderstes Stagsegel am Kluverbaum
        Jakobsleiter
        Strickleiter, Seefallreep
        Jolle kleines Beiboot
        Kabelgat(t)
        Lagerraum fur Tauwerk
        Kabellange
        Zehntel einer Seemeile = 185,3 Meter
        Kabine
        Wohnraum eines Passagiers an Bord Kajute
        Wohnraum des Kapitans oder Kommandanten an Bord
        Kalfatern
        Dichten der Nahte zwischen Schiffsplanken mit Werg und Teer Kammer
        Wohnraum eines Offiziers an Bord, meist nur mit Wanden aus Segeltuch, die vor dem Gefecht entfernt wurden
        Kampanje veralteter Name fur Poop oder Hutte
        Kanonen
        Vorderlader aus Bronze oder Gu?eisen, nach dem Gewicht der von ihnen verschossenen Eisenkugeln klassifiziert; schwerste war der 32-Pfunder mit Reichweite von ca.
2300 m Kanonade nach Carron in Schottland (Ursprungsort) benanntes, gro?kalibriges Ge - schutz mit kurzem Lauf und geringer Reichweite, aber gefahrlicher Ladung (Eisenstucke oder dergleichen) kalten einen am Bug hangenden Anker mit den Kattgien (Taljen) unter den Kattdavit (Kranbalken) bringen
        Kiel
        Grundbalken des Schiffes, auf dem Vor-und Achtersteven und seitlich die Spanten aufgesetzt sind kielholen

1. Das Schiff seitlich trockenlegen, um den Schiffsboden reinigen oder neu streichen zu konnen. 2. Schwere Strafe an Bord. Der Delinquent wurde an einer Leine unter dem Schiff durchgezogen
        Kielschwein auf dem Kiel aufgesetzter Verstarkungsbalken
        Killen
        Flattern der Segel
        Kimm der sichtbare Horizont
        Kink(en)
        Verdrehung (Torn) in einer Leine
        Klampe festmontierte Vorrichtung zum Belegen von Leinen
        Klampen
        Profilholzer zur Lagerung der Beiboote
        Klarschiff
        Herstellung der Gefechtsbereitschaft
        Kluse
        Offnung in der Bordwand zum Durchfuhren von Festmacheleinen oder Ankertrosse Kluver am Kluverbaum gesetztes Stagsegel Kluverbaum die den Bugspriet verlangernde Spiere
        Knoten

1. Geschwindigkeitsangabe: Seemeilen pro Stunde. 2. Jede wieder losbare Verbindung zweier Enden
        Kombuse Schiffskuche
        Kompa?rose in 32 Strich (a 111/4 Grad) eingeteilte, horizontale Scheibe, die sich mittels der an ihrer Unterseite angebrachten Magnete auf den (magn.) Nordpol einstellt Korvette kleineres, vollgetakeltes Kriegsschiff (bis 20 Kanonen)
        Koppeln
        Ermitteln des Schiffsorts durch Einzeichnen der gesegelten Kurse und Distanzen in die Seekarte
        Krangung die durch Wind und Seegang bewirkte, vorubergehende seitliche Neigung des Schilfes. Sonst: Schlagseite kreuzen auf Zickzackkurs am Wind segeln
        Kreuzmast beim Dreimaster der hinterste Mast, wenn er vollgetakelt ist. Sonst: Besanmast
        Krimpen
        Linksdrehen des Windes (auf den Kompa? bezogen)
        kurzstag ist die Ankertrosse beim Ankerlichten kurz vorm Losbrechen des Ankers Kutter

1. Einmastiges Fahrzeug mit Gaffelsegel. 2. Kriegsschiffsbeiboot mit bis zu 14 Riemen
        Landfall das erste Insichtkommen von Land nach langerer Fahrt
        Langsseit(s)…
        holen, kommen, liegen: der Lange nach Seite an Seite mit einem anderen
        Schiff
        Laschen
        Festzurren beweglicher Gegenstande an
        Bord
        Last
        Vorrats - oder Stauraum laufendes Gut samtliches Tauwerk der Takelage, das geholt oder gefiert wird (Fallen, Schoten, Halsen, Brassen etc.)
        Lee die dem Wind abgewandte Seite (Gegensatz: Luv)
        Leesegel
        Zusatzsegel, die bei leichtem standigem Wind (Passat) in Verlangerung der Rahen ausgebracht wurden
        Legerwall
        Kuste, auf die der Wind steht: gefahrlich fur Segler lenzen

1. leerpumpen. 2. vor Topp und Takel bei Sturm vor dem Wind treiben
        Liek
        Tau, mit dem ein Segel eingefa?t ist
        Linienschiff das in der Linie kampfende Schlachtschiff. Nach Gro?e und Kanonenzahl in mehrere Klassen eingeteilt: 1. Klasse = Dreidecker von ca. 2800 Tonnen mit uber
100 Kanonen
        Log
        Gerat zur Messung der Fahrt durchs Wasser
        Lot
        Gerat zum Messen der Wassertiefe
        Luv die dem Wind zugewandte Seite (Gegensatz: Lee)
        Maat
        Unteroffizier, Gehilfe des Decksoffiziers (z.B. Steuermannsmaat)
        Manntaue

1. Langs Deck gespannte Taue zum Festhalten bei schwerem Wetter. 2. Zwischen den Bootsdavits herabhangende Taue
        Marlspieker
        Arbeitsgerat des Seemanns, beim Splei?en unentbehrlich
        Mars
        Plattform am Fu? der Marsstenge auf der Saling
        Marssegel
        Das zweite Segel uber Deck, an der Marsrah (spater unterteilt in Ober-und Untermarssegel)
        Masttoppen Mastspitzen
        Meile auf See die Seemeile = 1852 m
        (England: 1853 m)
        Messe
        Speiseraum der Offiziere an Bord
        Midshipman
        Offiziersanwarter (Seekadett und Fahnrich zur See) Mittelwache
        Wache zwischen Mitternacht und vier Uhr fruh Mooring s. vermuren
        Nagelbank fester Balken mit Lochern zur Aufnahme der Belegnagel
        Niedergang Treppe an Bord
        Niederholer
        Leine, mit der eine Rah oder ein Stag-segel heruntergeholt wird, wenn es nicht durch eigenes Gewicht kommt
        Nock
        Ende eines Rundholzes (z. B. Rahnock)
        Osfa?
        schaufelartiges Gefa? mit Handgriff zum Ausschopfen (Ausosen) eines Bootes
        Orlopdeck das unterste Deck bei Schiffen mit vier und mehr Decks
        Palstek einer der zahlreichen Seemannsknoten
        Pardunen
        Taue zum Abstutzen des Mastes nach achtern peilen die Richtung zu einem anderen Objekt feststellen
        Pinasse

1. Einmastiges Segelschiff des 17. Jah-hunderts. 2. Schiffsbeiboot
        Plicht
        Sitzraum im hinteren Teil eines Bootes
        Poller
        Pfosten zum Belegen von Tauwerk
        Poop achterer Decksaufbau, auch Pupp, Hutte oder Kampanje
        Puttings siehe: Rusteisen
        Puttingswanten die um die Marsen herumfuhrenden unteren Enden der Stengewanten (schwierig zu umklettern)
        Putz seem. Ausdruck fur Eimer, Schlagputz aus Leinwand
        Quarterdeck
        Oberdeck hinter dem Gro?mast, meist als Achterdeck bezeichnet Quartermaster
        Ruderganger, auch Steuermannsmaat
        Rahen
        Querbaume an den Masten, an denen die Segel angeschlagen sind; hangen an eisernen Racks raumen der Wind dreht - auf die Fahrtrichtung bezogen - mehr nach achtern (Gegensatz: schralen)
        raumer Wind zum Segeln gunstiger Wind von schrag achtern
        Reffbandsel am Segel angenahte kurze Leine zum Einbinden des Reffs
        Reffen
        Verkleinern der Segelflache
        Reling offenes Gelander langs der Kante eines Decks
        Reinschiff grundliche Reinigung des Schiffes
        Riemen seemannischer Ausdruck fur das Boots - ruder, mit dem man» pullt «oder» wriggt»
        Rigg moderner Ausdruck fur die gesamte Takelage; fruher: Takelage minus
        Segel
        Rollen
        Bewegungen des Schiffes im Seegang um Langsachse (sonst: schlingern, stampfen)
        Royals
        Segel uber den Bramsegeln
        Ruder
        Steuer(rad)
        Ruderganger der Mann am Ruder
        Rusten in Deckshohe au?en an der Bordwand angebrachte, starke Bohlen oder Platten, die den Wanten Halt und gro?eren Spreiz gaben. Auf den vorderen Rusten stand der Lotgast beim Loten Rusteisen
        Ketten oder Eisenplatten, die von den Rusten nach unten fuhrten und den Zug der Wanten auf die Bordwand ubertrugen. In diese Ketten hakte der Bootsgast beim Langsseitkommen den Bootshaken ein
        Rund achtern!
        Ausfuhrungskommando beim Halsen rundbrassen
        Rahen herumschwenken
        Saling
        Querholz am untersten Ende der Maststenge zum Ausspreizen der Oberwanten, meist zu einer Plattform ausgebaut (s. Mars)
        Schaluppe alte Bezeichnung fur verschiedene kleinere Schiffe, vom Schiffsboot bis zum Frachtsegler (engl. sloop) schamfilen durchscheuern
        Schanz(e)
        ein der erhohten Back entsprechender Aufbau auf dem Achterschiff
        Schanzkleid geschlossene Reling aus Holzplanken
        Schapp
        Schrank-, Regelfach
        Schebecke schlankes dreimastiges Segelschiff mit Lateinersegeln scheren
        Leine durch einen Block fuhren schiften auf die andere Schiffsseite nehmen. Auch: Segel auswechseln
        Schlag (Schlage)
        die einzelnen Abschnitte des Zickzackkurses beim Kreuzen
        Schlingern
        Bewegung des Schiffes um seine Langsund Querachse
        Schoner
        Segelschiff mit zwei und mehr Masten mit Schratsegel, erster Mast gleich oder kurzer
        Schonerbark dreimastiges Segelschiff, bei welchem nur der vorderste Mast vollgetakelt ist
        Schot
        Bedienungsleine des Segels, bei Rahsegeln an den au?eren Ecken (Schothornern) angreifend und nach achtern fuhrend (entgegengesetzt: der Hals)
        Schott(en)
        Wande, die das Schiff in (meist wasserdichte) Abteilungen teilen, auch allgemein fur Wand schroten der Wind fallt vorlicher ein (Gegensatz: raumen)
        Schratsegel
        Segel, deren Unterliek in Langsschiffsrichtung gefahren wird (Gaffel-, Stagsegel usw.)
        schricken einer unter Spannung stehenden Leine etwas Lose geben
        Schwoien
        Drehen des vor Anker liegenden Schiffes durch Wind und Strom
        Seefallreep
        Leiter aus zwei durch holzerne
        Stufen verbundenen Tauen (s. Jakobsleiter)
        Seemeile
        Bogenminute am Aquator bzw. auf einem Meridian = 1852 bzw. 1853 Meter
        Seite pfeifen
        Ehrenbezeigung fur an Bord kommende oder von Bord gehende Offiziere
        Sextant nautisches Gerat zum Messen der Ge -
        stirnshohe
        Skylight
        Oberlichtfenster
        Spake kraftiges Holz, mit dem die Kanone seitlich gerichtet oder das Ankerspill gedreht wird
        Steuermann der fur die Navigation verantwortliche Decksoffizier
        Strich

32. Teil der Windrose: ein Kompa?strich = 11 1/4 Grad
        Stuckmeister
        Decksoffizier, dem die Artillerie des Schiffes untersteht stutz!
        Befehl an den Ruderganger, die Dre - hung des Schiffes durch Gegenruder zu beenden
        Sull hohe Schwelle an Luken, Niedergangen, Schotten und Fenstern, die das Eindringen von Wasser verhindern soll
        Takelage
        Gesamtheit der Masten mit Segeln und stehendem wie laufendem Gut
        Takelung
        Typ der Takelage
        Talje
        Flaschenzug
        Tide
        Gezeit. Eine Tide ist der Zeitraum vom Niedrigwasser bis zum nachsten Niedrigwasser
        Topp
        Mastspitze; auch der Mast mit seiner Takelage
        Toppsgast fur die Instandhaltung der Takelage seines Mastes verantwortlicher, besonders geschickter Matrose. Ubertragen auch Bezeichnung fur alle Matrosen, die auf den Rahen arbeiten
        Treibanker
        Segeltuchsack, der im Wasser Richtung und Treiben des Schiffes beeinflu?t
        Trosse
        Fasertauwerk mit uber 4 cm Durchmesser
        Ubergehen
        Verrutschen von Gegenstanden
        Uber Stag gehen

1. Wendemanover, mit dem Bug (Vor-stag) durch den Wind gehen. 2. Verrutschen von Geschirr usw.
        unklar seemannischer Ausdruck fur» nicht in Ordnung»
        Untersegel die untersten Rahsegel (Fock, Gro?segel)
        Unterwanten die bis zum Mars fuhrenden, seitlichen Stutztaue des Mastes
        Untiefe flache Stelle verholen
        Schiff an einen anderen Liegeplatz bringen verkatten zwei Anker hintereinander an derselben
        Trosse anbringen
        Verklicker
        Wimpel oder Windsack an der Mastspitze vermooren (vermuren) in Gewassern mit wechselnder Stromung und wenig Raum zum Schwoien ein Schiff so zwischen zwei Anker legen, da? es nur einen geringeren Drehkreis benotigt versetzen durch Stromung vom Kurs abgebracht werden
        Vertornen
        Verdrehen einer Leine verwarfen ein Schiff mit einem im Beiboot immer wieder ausgefahrenen (Warp-)Anker mit Hilfe des Spills bewegen vollgetakelt an allen Masten nur Rahsegel fahrend
        Vorpiek der vorderste unterste Raum im Schiff
        Vorsegel die Stagsegel vor dem Fockmast: Vor-stengestagsegel, Innenkluver, Au?enkluver, Jager
        Vortopp der Fockmast mit seiner Takelage vor Topp und Takel lenzen wenn ein Schiff bei schwerem Sturm ohne jedes Segel treibt, meist mit
        Treibanker
        Wache

1. Der jeweils Wache gehende Teil der Besatzung. 2. Die Dauer des Wachdienstes (meist vier Stunden)
        Wanten die seitlichen Stutztaue der Masten, untereinander durch Webeleinen verbunden zum Aufentern
        Webeleinen s. Wanten wenden mit dem Bug durch den Wind gehen (fur Rahsegler schwieriger als zu halsen)
        Zelsing
        Bandsel zum Festmachen der Segel an der Rah bzw. am Baum zurren festbinden
        Zwischendeck ein zwischen Innenboden und Oberdeck eingeschobenes Deck, auch der Raum oberhalb des Zwischendecks. Auf Kriegsschiffen meist Batterie - deck genannt.


 
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