Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Die Seemannsbraut Sir Richard Und Die Ehre Der Bolithos " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Die Seemannsbraut: Sir Richard und die Ehre der Bolithos Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #19
1804 - Im Herbst steht England allein gegen die Flotten Frankreichs und Spaniens. Wieder einmal hangt die Drohung einver Invasion uber der Insel. Um die Spanier zu schwachen, wird Vizeadmiral Sir Richard Bolitho in die Karibik entsandt, wo er deren reichbeladenen Sibergaleeren kapern soll. Dabei kampft Bolitho so todesmutig, als hatte er nichts mehr zu verlieren. Die Zerruttung seiner Ehe und seine drohende Erblindung haben ihn in tiefe Depressionen gesturzt…

        Alexander Kent
        Die Seemannsbraut
        Sir Richard und die Ehre der Bolithos

        FUR KIM mit all meiner Liebe

        Mourn, England, mourn and complain
        For the brave Nelson's men
        Who died upon that day
        All on the main…

    Broadsheet Ballad, 1805



        Antigua 1804

        I Erinnerungen

        English Harbour und die ganze Insel Antigua schienen sich unter der Mittagssonne wie festgeklebt zu ducken. Die Luft war feucht und druckend hei?, so da? die vielen verstreuten Ankerlieger im Dunst wie in einem beschlagenen Spiegel verschwammen.
        In diesem Oktober des Jahres 1804 war man, obwohl der Monat schon einige Tage alt war, noch mitten in der Hurrikansaison, und zwar in einer der schlimmsten bisher gekannten. Mehrere Schiffe waren auf See verloren gegangen oder gestrandet, wenn das Unwetter sie in einem gefahrlichen Fahrwasser uberfallen hatte.
        English Harbour war ein wichtiger - einige sagten lebenswichtiger - Stutzpunkt fur die in der Karibik und in den Inseln Uber und Unter dem Winde operierende Flotte. Hier hatte sie einen hurrikansicheren Ankerplatz und eine Werft, auf der selbst schwere Schaden repariert und die Schiffe wieder instand gesetzt werden konnten. Doch im Krieg oder Frieden, die See und das Wetter waren standige Feinde, und obgleich fast jede auslandische Flagge ebenfalls als feindlich angesehen werden mu?te, wurden die Gefahren dieser Gewasser niemals gering geachtet.
        English Harbour war nur zwolf Meilen von der Hauptstadt St. John's entfernt und sein gesellschaftliches Leben daher beschrankt. Auf der gefliesten Terrasse eines der besseren Hauser, die den Hang hinter dem Hafen flankierten, stand eine Gruppe von Personen, meist Beamte und ihre Damen, und beobachtete die Ankunft eines Kriegsschiffes. Der Neuling schien eine Ewigkeit zu brauchen, um in dem flimmernden Dunst Umfang und Gestalt zu gewinnen. Doch nun lag er endlich mit dem Bug nach Land zu, obwohl die Segel schlaff an Stagen und Rahen hingen. Kriegsschiffe waren hier haufig und kaum erwahnenswert. Nach dem jahrelangen Konflikt mit Frankreich und seinen Verbundeten gehorte ihr Anblick zum taglichen Leben der Einwohner.
        Dieses hier war ein Linienschiff, ein Zweidecker. Sein voller, schwarz und ocker gestrichener Rumpf bildete einen scharfen Kontrast zum milchigen Wasser und dem Himmel, der in der Hitze farblos schien. Die Sonne stand direkt uber Monk's Hill und war von einem silbernen Schleier umgeben. Drau?en auf See wurde bald wieder ein Sturm entstehen. Doch in einer Beziehung unterschied sich dieses Schiff von anderen, die hier kamen und gingen: Ein Wachboot hatte die Nachricht gebracht, da? es aus England kam. Fur jene, die sein muhsames Einlaufen beobachteten, bedeutete der blo?e Name England schon sehr viel. Wie ein Brief von zu Hause oder der Bericht eines durchreisenden Seemannes: unbestandiges Wetter, Verknappungen, die tagliche Furcht einer franzosischen Invasion, aber auch saftige Weiden und anregendes Stadtleben. Unter denen, die den Zweidecker beobachteten, gab es kaum einen, der Antigua fur einen blo?en Blick auf England nicht eingetauscht hatte.
        Abseits von den anderen stand eine Frau, regungslos bis auf eine Hand, die mit angemessener Sorgfalt in der schweren Luft einen Facher bewegte. Sie war der sprunghaften Unterhaltung ihrer Umgebung langst mude. Einige Stimmen waren bereits durch den warmen Wein beflugelt, und man hatte sich noch nicht einmal zu Tisch gesetzt. Sie wandte sich ab, um ihr Unbehagen zu verbergen. Und die ganze Zeit beobachtete sie das Schiff. Aus England…
        Der Zweidecker schien sich uberhaupt nicht zu ruhren, ware nicht die winzige Feder wei?en Schaumes unter seiner vergoldeten Galionsfigur gewesen. Zwei Langboote bugsierten ihn herein, eines an jeder Seite. Man konnte noch nicht sagen, ob sie mit ihm durch eine Schleppleine verbunden waren oder nicht. Auch sie bewegten sich kaum, und nur das anmutige Auf und Nieder ihrer Ruder, hell wie Flugel, deutete zielstrebige Muhe an.
        Die Frau wu?te eine Menge uber Schiffe. Sie war schon viele tausend Meilen uber See gereist und hatte ein Auge fur Einzelheiten. Eine Stimme der Vergangenheit erklang in ihrem Gedachtnis, die das Schiff als des Mannes schonstes Werk bezeichnet und hinzugefugt hatte: und so anspruchsvoll wie eine Frau. Hinter ihr bemerkte jemand:»Vermutlich wieder ein offizieller Besuch. «Niemand antwortete, denn auch fur Spekulationen war es zu hei?. Schritte klapperten uber Steinstufen, und sie horte den Sprecher sagen:»La?t mich wissen, wenn es weitere Nachrichten gibt.»
        Der Bedienstete eilte davon, wahrend sein Herr eine gekritzelte Botschaft aus dem Hafen offnete.»Es ist die Hyperion mit vierundsiebzig Kanonen, unter Kapitan Haven.»
        Die Frau besah sich das Schiff naher, ihre Gedanken kreisten um den Namen. Wieso machte er sie stutzig?
        Ein anderer murmelte:»Guter Gott, Aubrey, ich dachte, die ware eine ausgemusterte Hulk in Plymouth!»
        Glaser klangen, aber die Frau bewegte sich nicht. Kapitan Haven? Der Name sagte ihr nichts.
        Das Wachboot ruderte mude dem hohen Zweidecker entgegen. Die Frau liebte es, einlaufenden Schiffen zuzuschauen, das Durcheinander an Deck wahrzunehmen, die nach au?en hin konfus erscheinenden Vorbereitungen, bis der gro?e Anker ins Wasser platschte. Neue Seeleute wurden die Insel betreten, viele zum erstenmal. Ein ferner Gru? von den Hafen und Ortschaften Englands.
        Der Sprecher erklarte weiter:»Ja, die Hyperion war schon au?er Dienst gestellt. Aber in diesem Krieg, der sich mit jedem Tag ausweitet, sind unsere Oberen in Whitehall so unvorbereitet wie immer. Ich nehme an, da? sogar noch die Wracks an unserer Kuste wieder in Dienst gestellt werden.»
        Eine schon schwere Zunge sagte:»Ich erinnere mich jetzt: Sie griff damals allein an und erbeutete einen verdammt gro?en Dreidecker. Kein Wunder, da? das arme alte Madchen danach aufgelegt werden mu?te. He, was ist das?»
        Die Frau wagte kaum zu blinzeln, als der Umfang des Zweideckers sich vergro?erte, wahrend seine Segel sich blahten und das Schiff jeden Hauch einer Brise nutzte, den es aufzuspuren vermochte.
        Den Sprecher hatte es an die Balustrade getrieben.»Das ist ein besonderes Schiff, Aubrey. Immerhin fuhrt es eine Admiralsflagge.»

«Vizeadmiral«, verbesserte sein Gastgeber.»Anscheinend die Flagge von Sir Richard Bolitho, Vizeadmiral der Roten Flotte. «[Rote, Blaue und Wei?e Flotten: Einteilung nach Operationsgebieten]
        Die Frau stutzte eine Hand auf die Balustrade, der hei?e Stein gab ihr Halt. Doch ihr Mann mu?te es bemerkt haben.»Was hast du, kennst du ihn? Ein wahrer Held, wenn die Halfte von dem, was ich gelesen habe, zutrifft.»
        Sie packte den Facher fester und druckte ihn gegen die Brust. Das war es also, was ihr bevorstand: Er kam hierher nach Antigua. Nach all der Zeit und nach allem, was er durchgemacht hatte.
        Kein Wunder, da? sie sich des Schiffsnamens entsann. Er hatte oft so herzlich von seiner alten Hyperion gesprochen, einem der ersten Schiffe, die er als Kommandant gefuhrt hatte. Ihre plotzliche Erregung uberraschte sie, mehr noch ihre Fahigkeit, sie zu verbergen.»Ich traf ihn vor Jahren.»

«Noch ein Glas Wein, Gentlemen?»
        Sie entspannte sich, Muskel fur Muskel. Wurde sich der Feuchtigkeit ihres Kleides bewu?t und ihres Korpers, der sich darin so beengt fuhlte. Dann verwunschte sie sich ob ihrer Dummheit. Es konnte nie wieder so sein wie damals, niemals. Sie drehte dem Schiff den Rucken zu und lachelte die anderen an. Doch selbst ihr Lacheln war eine Luge.
        Richard Bolitho stand unentschlossen in der Mitte der gro?en Heckkajute, mit schiefem Kopf dem plotzlichen Stampfen blo?er Fu?e auf dem Achterdeck uber sich lauschend. Vertraute Gerausche drangen in den Raum: der gedampfte Chor der Kommandos, das prompt folgende Quietschen der Blocke beim Brassen der Rahen. Und doch bewegte sich das Schiff kaum. Nur die hohen, schimmernden Streifen goldenen Sonnenlichts, die langsam durch die Kajute wanderten, wiesen daraufhin, da? Hyperion muhsam in den ablandigen Wind drehte.
        Das Land lag als grunes Panorama vor den Heckfenstern. Antigua. Schon der Name war fur ihn wie ein Stich ins Herz. Er beschwor so viele Erinnerungen herauf, so viele Gesichter und Stimmen.
        Es war hier in English Harbour gewesen, wo er als eben beforderter Commander sein allererstes Schiff ubernommen hatte: die kleine wendige Korvette Sparrow. Eine ganz andere Art von Schiff, aber damals war der Krieg mit den rebellierenden Amerikanern auch ganz anders gewesen. Wie lange schien das alles schon zuruckzuliegen! Die Schiffe und Gesichter von damals, der Schmerz und die Freuden der Jugend.
        Er bedachte ihre Uberfahrt von England. Man konnte sich keine schnellere wunschen: drei?ig Tage. Die alte Hyperion hatte reagiert wie ein Vollblut und einen Konvoi von Handelsschiffen begleitet. Mehrere davon waren vollgestopft mit Soldaten: Verstarkungen oder Ersatz fur die englischen Kompanien in der Karibik. Eher letzteres, dachte er duster. Soldaten starben hier drau?en wie die Fliegen an dem einen oder anderen Fieber, ohne jemals den Knall einer franzosischen Muskete gehort zu haben.
        Bolitho trat langsam an die Heckfenster, seine Augen gegen die grelle Sonne abschirmend. Wieder wurde er sich seines Grolls bewu?t, seiner Abneigung gegen diese Garnison und seiner Verargerung daruber, da? die Situation Diplomatie und Prunk verlangen wurde, die aufzubieten er keine Lust hatte. Es hatte bereits mit dem vorgeschriebenen Salut begonnen. Sie wechselten Schu? um Schu? mit der nahen Kustenbatterie, uber der sich die Unionsflagge in der feuchten Hitze nicht einmal krauselte.
        Er sah das Wachboot uber seinem eigenen Spiegelbild dahingleiten, die Ruder eingelegt, wahrend der Bootsoffizier auf das Ankern des Zweideckers wartete.
        Ohne selbst oben an Deck zu sein, konnte Bolitho sich alles ausmalen: die Manner an den Brassen und Fallen, andere, die zu beiden Seiten auf den gro?en Rahen auslegten, um die gewaltigen Segel zu bandigen und zu falten, was von Land dann so aussah, als ob jeder Streifen Leinwand durch den Griff einer einzigen Hand verschwunden sei.
        Land! Fur den Seemann war es immer ein Traum, ein neues Abenteuer.
        Bolitho warf einen Blick auf seine Galauniform, die auf einer Stuhllehne bereit hing. Als er vor Jahren hier das Kommando auf der Sparrow erhielt, hatte er nie eine Admiralsuniform fur sich erwartet. Tod durch Unglucksfall oder durch eine Kanonenkugel, das ja, sogar Versagen. Denn Mangel an Gelegenheit sich auszuzeichnen oder die Gunst eines Admirals zu gewinnen, machte jede Beforderung zu einer schwer zu nehmenden Hurde.
        Nun aber war der Admiralsrock eine Realitat, geschmuckt mit zwei Goldepauletten und den dazugehorenden Silbersternen. Und doch. Er strich die Haarstrahne uber seinem rechten Auge zuruck. Wie die tiefe Narbe auf seiner Stirn, wo ein Entermesser sein Leben beinahe beendet hatte, hatte sich nichts verandert. Nicht einmal die Ungewi?heit.
        Er hatte geglaubt, er wurde in seine Rolle hineinwachsen, obgleich der Schritt vom Kommandanten zum Flaggoffizier der gro?te von allen war. Sir Richard Bolitho, Ritter des Bath-Ordens, Vizeadmiral der Roten Flotte und nach Nelson der jungste auf der Admiralsliste. Er lachelte schwach. Der Konig hatte sich nicht einmal an seinen Namen erinnert, als er ihn adelte. Bolitho hatte es hingenommen, da? er nicht mehr mit dem taglichen Borddienst konfrontiert war, auch nicht auf den Schiffen, die seine Flagge trugen. Als Leutnant hatte er oft achtern die ferne Gestalt des Kommandanten gemustert, mit Ehrfurcht, wenn auch nicht immer mit Respekt. Als er dann selbst Kommandant war, hatte er oft wachgelegen, besorgt dem Wind und den Bordgerauschen lauschend, und sich eisern zuruckgehalten, um nicht an Deck zu sturzen, wenn er dachte, der Wachoffizier ware den Gefahren nicht gewachsen. Es war ihm schwergefallen, Aufgaben an andere zu ubertragen; aber wenigstens war er auf seinem eigenen Schiff gewesen. Fur die Besatzung eines Kriegsschiffes kam der Kommandant gleich nach dem Herrgott. Und einige sagten
unfreundlicherweise, da? dem nur wegen Gottes hoherem Dienstalter so sei.
        Doch als Flaggoffizier, als Admiral, hatte er uber allem zu stehen, Kommandanten seines Geschwaders zu kontrollieren und ihre Krafte dort einzusetzen, wo sie die beste Wirkung erzielten. Seine Macht war gro?er, aber auch seine Verantwortung. Nur wenige Flaggoffiziere erlaubten sich jemals zu vergessen, da? Admiral Byng wegen Feigheit von einem Exekutionskommando an Deck seines eigenen Flaggschiffes erschossen worden war.
        Vielleicht hatte er sich mit dem hohen Rang und dem neuen Adelstitel zufriedengegeben und ware se?haft geworden, wenn sein Privatleben glucklicher gewesen ware. Doch sofort wies er diese Gedanken von sich. Er tastete nach seinem linken Auge, massierte das Lid und starrte gezielt auf die vorbeischwenkende grune Kuste. Gottlob, er sah sie wieder scharf und klar. Doch das wurde nicht so bleiben. Der Arzt in London hatte ihn gewarnt: Sein Auge benotige Ruhe, Behandlung und regelma?ige Fursorge. Das hatte aber bedeutet, da? er an Land bleiben - schlimmer noch, da? er einen Posten im Innendienst der Admiralitat annehmen mu?te.
        Warum also hatte er seine weitere Verwendung auf See erbeten, fast gefordert? Drei seiner Vorgesetzten hatten ihm bedeutet, da? er schon vor seinem letzten gro?en Sieg einen Posten in London mehr als verdient gehabt hatte. Und dennoch hatte er gefuhlt, da? sie froh waren, als er ihre Angebote ablehnte.
        Schicksal - das mu?te es wohl sein. Er drehte sich in der gro?en Kajute um und musterte die niedrige wei?e Decke, die grunen Lederstuhle, die Lamellenturen, die zu seinem Schlafraum fuhrten oder auf den Vorraum hinaus, wo ein Wachtposten seinen Privatbereich rund um die Uhr abschirmte.
        Er konnte sich gut an das letzte Mal erinnern, als er die Hyperion mit Muhe nach Plymouth gebracht hatte. An die starrende Menge, die sich am Ufer drangte, und an das Jubelgeschrei, mit dem man den heimkehrenden Sieger empfing. So viele waren gefallen, noch mehr fur ihr Leben verkruppelt nach dem Triumph uber Lequillers Geschwader in der Biskaya. Und er dachte auch an die Eroberung seines gro?en HundertKanonen-Flaggschiffs Tornado, das er spater als Flaggkapitan eines anderen Admirals fuhren sollte.
        Aber es war dieses Schiff, dessen er sich am besten entsann: die Hyperion mit ihren vierundsiebzig Geschutzen. Er war zu ihrem Liegeplatz in Plymouth gegangen, um ihr zum letztenmal Lebewohl zu sagen, wie er jedenfalls glaubte. Da lag sie, zerschlagen und von Kugeln aufgerissen, Takelage und Segel zerfetzt, die gesplitterten Decks von Blut befleckt. Es hie?, sie wurde nie wieder kampfen. Wahrend sie sich bei schlechtem Wetter heimwartsgequalt hatte, sah es mehrmals so aus, als wurde sie doch noch sinken. Als er sie im Dock so daliegen sah, hatte er fast gewunscht, sie hatte ihren Frieden auf dem Meeresgrund gefunden. Im weiteren Verlauf des Krieges, der sich verscharfte und ausweitete, hatte man sie zu einem schwimmenden Vorratslager gemacht. Mastenlos, ihre einstmals so belebten Batteriedecks mit Kisten und Kasten vollgepackt, war sie zu einem Teil des Arsenals geworden.
        Die Hyperion war das erste Linienschiff gewesen, das Bolitho kommandierte. Damals wie heute war er im Herzen ein Mann der wendigeren Fregatten geblieben. Die Vorstellung, Kommandant eines Zweideckers zu werden, hatte ihn entsetzt. Aber er hatte trotzdem nicht gezogert, wenn auch aus anderen Grunden. Von einem Fieber heimgesucht, das ihn in der Sudsee fast umgebracht hatte, war er an Land stationiert gewesen und hatte Mannschaften rekrutiert. Die Franzosische Revolution fegte wie ein Flachenbrand uber den Kontinent. Als ob es gestern gewesen ware, entsann er sich auch des Tages, als er sein Schiff in Gibraltar betreten hatte. Die Hyperion war alt und mude gewesen, trotzdem hatte sie ihn fasziniert, als hatten sie einander auf irgendeine Weise gebraucht.
        Bolitho horte das Trillern der Pfeifen und das Platschen, mit dem der Anker in dieses Gewasser fiel, das er so gut kannte. Bald wurde sein Flaggkapitan weitere Befehle erbitten. So sehr er es auch versuchte, Bolitho vermochte in Kapitan Haven weder einen inspirierenden Kommandanten noch seinen personlichen Berater zu sehen. Er war ein zu farbloser, sachlicher Mensch. Trotzdem wu?te Bolitho, da? er Haven unrecht tat, denn er war nur wenige Tage vor der Uberfahrt nach Westindien an Bord gekommen und hatte sich in den folgenden drei?ig Tagen in seinen Raumen fast vollig isoliert, so da? sich sogar sein Bootssteurer Allday sorgte.
        Das lag wahrscheinlich an Havens Verhalten bei ihrem ersten gemeinsamen Rundgang durchs Schiff an dem Tag, bevor sie in See stachen. Haven hatte es offenbar als merkwurdig empfunden, da? sein Admiral mehr zu sehen wunschte als nur seine Kajute und das Achterdeck, ganz zu schweigen von seinem Interesse fur die Batterien und den untersten Raum im Schiff, das Orlopdeck. Wie sollte Haven auch verstehen? Es war nicht seine Schuld.
        Bolitho hatte Havens offensichtliche Unzufriedenheit mit diesem alten Schiff wie eine personliche Krankung aufgenommen.»Sie mag alt sein, Kapitan Haven, aber sie hat schon viele weit jungere besiegt«, rugte er.»In der Chesapeake Bay, bei den Saintes, vor Toulon und in der Biskaya - ihre Verdienste im Kampf lesen sich wie eine Geschichte der Navy selbst!«Seine Reaktion war ungerecht gewesen, aber Haven hatte es besser wissen sollen.
        Jeder Schritt auf diesem Rundgang hatte seine Erinnerungen wieder aufleben lassen. Die Gesichter und Stimmen pa?ten nicht mehr, aber das Schiff war noch immer dasselbe. Sie hatte neue Masten bekommen, auch die Kanonen, mit denen sie die Breitseiten von Lequillers Tornado erwidert hatte, waren zum gro?ten Teil durch schwerere ersetzt, dazu leuchtende Farbe und sauber geteerte Decksnahte; doch nichts konnte ihm seine Hyperion entfremden. Er blickte sich um und sah sie wie zuvor. Dabei war sie immerhin zweiunddrei?ig Jahre alt. Als sie in Deptford von Stapel lief, war sie aus bester, abgelagerter kentischer Eiche gebaut. Aber die gro?en Tage des Schiffbaus waren fur immer vorbei; heute waren die meisten Walder ihres edelsten Holzes beraubt.
        Ironischerweise war ihr gro?er Gegner Tornado noch neu gewesen, und trotzdem hatte man ihn vor vier Jahren zur Gefangenenhulk gemacht. Bolitho fuhlte wieder sein linkes Auge und fluchte, als ein Schleier es zu truben schien. Er dachte an Haven und an all die andern, die seinem alten Schiff Tag und Nacht dienten. Wu?ten sie, da? der Mann, dessen Flagge im Vortopp wehte, auf dem linken Auge fast blind war? Bolitho ballte die Fauste, als er sich jenes Augenblicks entsann, da ihn Sand, von einer feindlichen Kanonenkugel verspritzt, an Deck warf und blendete. Dann beruhigte er sich wieder. Nein, Haven schien au?er auf seine Obliegenheiten auf nichts zu achten.
        Bolitho stutzte sich auf einen der Stuhle und grubelte. Soviel von ihm steckte in diesem Flaggschiff. Sein Bruder war auf dem Achterdeck gestorben, gefallen, um seinen einzigen Sohn Adam zu retten. Und der gute Inch, der es bis zum Ersten Leutnant der Hyperion gebracht hatte. Er sah ihn wieder vor sich mit dem offenen Grinsen auf seinem Pferdegesicht. Nun war auch er tot wie so viele. Wie Cheney - sie war ebenfalls uber diese Decksplanken gegangen. Er stie? den Stuhl beiseite und trat verargert an die Heckfenster.

«Sie haben gerufen, Sir Richard?»
        Das war Ozzard, sein Steward. Was ware das Schiff ohne ihn? Bolitho drehte sich um. Er mu?te Cheneys Namen laut ausgesprochen haben. Wie oft und wie lange wurde er sie noch so vermissen?
        Er sagte:»Ich. Tut mir leid, Ozzard.»
        Ozzard faltete seine Hande unter der Schurze wie Pfotchen und blickte auf die glitzernde Reede hinaus.»Alte Zeiten, Sir Richard?»

«Aye. «Bolitho seufzte.»Wir sollten lieber in der Gegenwart bleiben.»
        Ozzard hielt ihm den schweren Rock mit den glanzenden Epauletten hin. Drau?en vor der Tur horte Bolitho das Trillern der Pfeifen und das Knarren der Taljen, als die Boote ausgeschwungen wurden.
        Landgang! Das war auch fur ihn einmal ein Zauberwort gewesen.
        Ozzard beschaftigte sich mit dem Rock, nahm aber keinen der beiden Degen aus dem Gestell. Er und Allday waren enge Freunde, obwohl manche sie eher fur Feuer und Wasser hielten. Allday erlaubte es keinem anderen, Bolitho den Degen umzuschnallen. Er war wie das alte Schiff, dachte Bolitho, ein Herz aus bester englischer Eiche; wenn er einmal abtrat, wurde keiner seinen Platz einnehmen.
        Ozzard schien besturzt daruber, da? er den alten Zweidecker gewahlt hatte, obwohl er ein Schiff der Ersten Klasse hatte haben konnen. Auf der Admiralitat hatten sie leise angedeutet, da? Hyperion, nach dreijahriger Reparatur und Ausrustung wieder seetuchtig, sich von der letzten Schlacht trotzdem nie ganz erholen wurde.
        Merkwurdigerweise war es Nelson gewesen, den Bolitho niemals getroffen hatte, der die Angelegenheit entschied. Irgendjemand mu?te dem kleinen Admiral geschrieben und von Bolithos Ersuchen berichtet haben. Nelson hatte Ihren Lordschaften mit der fur ihn typischen Kurze in einer Depesche mitgeteilt:»Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann!»
        Es hatte» Nel «amusiert, dachte Bolitho. Hyperion war bis zu ihrer Wiederverwendung vor wenigen Monaten eine ausgemusterte Hulk gewesen. Aber Nelson selbst hatte seine Flagge auf der Victory gesetzt, einem Schiff der Ersten Klasse, das er als eine vor sich hinfaulende Gefangenenhulk vorgefunden hatte. Seltsamerweise hatte er gewu?t, da? nur sie als Flaggschiff fur ihn in Frage kam. Soweit sich Bolitho entsann, war die Victory sogar acht Jahre alter als seine Hyperion. Irgendwie schien es nur richtig, da? die beiden alten Schiffe wieder auflebten, nachdem man sie trotz allem, was sie geleistet hatten, gedankenlos versto?en hatte.
        Die Tur offnete sich, und Daniel Yovell, Bolithos Sekretar, trat verdrossen ein. Bolitho wurde wieder weich. Wegen seiner schlechten Stimmung war es fur keinen von ihnen leicht gewesen. Sogar Yovell, rundlich, gebeugt und so penibel in seiner Arbeit, hatte sich wahrend der vergangenen drei?ig Tage sorgfaltig auf Distanz gehalten.

«Der Kommandant wird gleich hier sein, Sir Richard.»
        Bolitho schlupfte mit den Armen in den Galarock und zwangte sich schulterzuckend in die bequemste Haltung.

«Wo ist mein Flaggleutnant?«Er mu?te lacheln. Anfangs war es ihm schwergefallen, einen personlichen Adjutanten zu akzeptieren. Jetzt, nach zwei Vorgangern, fand er sich leichter mit diesem hier ab.

«Wartet auf die Offiziersbarkasse. Danach - , «Yovells Schultern hoben sich,»- danach mussen Sie die ortlichen Wurdentrager aufsuchen. «Er deutete Bolithos Lacheln als Wende zum Besseren, denn nach der einfachen Denkart seiner Landsleute aus Devon sollte alles so sein wie immer.
        Bolitho erlaubte es Ozzard, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und seine Halsbinde zurechtzurucken. All die Jahre war er vom Wort der Admiralitat oder des jeweiligen Vorgesetzten abhangig gewesen, wo immer er sich auch befand. Es fiel ihm noch schwer zu glauben, da? diesmal keine ubergeordnete Instanz zu fragen oder zufriedenzustellen war. Jetzt war er der ranghochste Offizier. Naturlich wurde sich am Ende der ungeschriebene Marinekodex durchsetzen: Wenn er erfolgreich war, wurden andere das Verdienst beanspruchen. Lag er falsch, konnte er ebensogut gleich die Schuld auf sich nehmen.
        Bolitho besah sich im Spiegel und schnitt eine Grimasse. Sein Haar war noch schwarz, abgesehen von der silbernen Strahne, welche die alte Narbe bedeckte. Die Falten in den Mundwinkeln hatten sich vertieft. Sein Spiegelbild erinnerte ihn an das Olportrat seines alteren Bruders Hugh, das in Falmouth hing wie so viele ehemalige Bolithos aus dem gro?en grauen Steinhaus. Jetzt stand es bis auf seinen treuen Verwalter Ferguson und die Diener leer. Er unterdruckte einen plotzlichen Anfall von Depression.
        Nun war er hier und hatte, was er sich gewunscht hatte: Hyperion. Sie waren beinahe zusammen gestorben.
        Yovell trat beiseite, sein rotbackiges Gesicht wurde wachsam.»Der Kommandant, Sir Richard.»
        Haven kam herein, den Hut unterm Arm.»Schiff liegt vor Anker, Sir.»
        Bolitho nickte. Er hatte Haven angewiesen, ihn nicht mit seinem Titel anzureden, es sei denn, die Etikette verlangte es. Die Kluft zwischen ihnen war ohnehin gro? genug.

«Ich komme.»
        Ein Schatten verdunkelte die Tur, und Bolitho entging nicht der Anflug von Arger auf Havens Gesicht.
        Doch Allday druckte sich am Flaggkapitan vorbei.»Die Barkasse liegt bereit, Sir Richard. «Nachdenklich betrachtete er die Degen in ihrer Halterung.»Den richtigen heute?»
        Bolitho lachelte; Allday hatte zwar eigene Probleme, aber die behielt er fur sich. Bootssteurer? Ein echter Freund ware die bessere Bezeichnung fur ihn gewesen. Sicherlich mi?billigte es Haven, da? ein Untergebener kommen und gehen konnte, wie es ihm gefiel.
        Allday beugte sich vor und schnallte Bolitho den alten Familiendegen um. Die Lederscheide war schon mehrmals erneuert worden, aber der verfarbte Griff war noch derselbe und die blanke, veraltete Klinge so scharf wie eh und je.
        Bolitho tatschelte den Degen an seiner Hufte.»Noch ein guter Freund. «Ihre Augen trafen sich. Aller Einflu? seines Ranges zahlte nichts im Vergleich zu ihrer engen Bindung.
        Haven war mittelgro?, fast untersetzt, mit lockigem rotblo ndem Haar. Erst Anfang der Drei?ig, hatte er doch schon das Aussehen eines seriosen Anwalts oder eines Kaufmanns in der Londoner City. Seine Miene druckte zuruckhaltende Erwartung aus. Bolitho hatte ihn gelegentlich in seiner Kajute aufgesucht und dort das kleine Portrat einer hubschen Frau mit lockigem Haar in einem Blumenkranz bewundert.

«Meine Frau«, hatte Haven entgegnet, aber in einem Tonfall, der weitere Fragen ausschlo?. Ein seltsamer Mann, dachte Bolitho. Doch das Schiff wurde von ihm geschickt gefuhrt, trotz der vielen neuen Leute und einer Uberzahl von Landratten. Es schien aber, da? auch dem Ersten viel Verdienst daran zukam.
        Bolitho schritt durch die Tur, an dem strammstehenden Seesoldaten vorbei und in das glei?ende Sonnenlicht hinaus. Es war sonderbar, das Ruder verlassen und in Mittschiffsstellung festgelascht zu sehen. Auf See hatte Bolitho taglich seine einsamen Spaziergange an der Windseite des Achterdecks absolviert, hatte sein kleines Geleit und die dazugehorende Fregatte beobachtet, wahrend er uber die abgenutzten Planken schritt ohne nachzudenken, den Geschutztaljen und Ringbolzen automatisch ausweichend.
        Augen sahen ihn vorubergehen, um sich schnell abzuwenden, wenn er in ihre Richtung blickte. Damit mu?te er leben, aber er wurde es nie leiden konnen.
        Nun lag das Schiff still. Taue wurden heruntergegeben, Decksoffiziere beaufsichtigten halbnackte Matrosen, damit das Flaggschiff des Admirals so schmuck aussah, wie man es erwarten konnte. Hoch oben im schwarzen Gewirr der Stage, Pardunen und festgemachten Segel bewegten sich perspektivisch verkurzte Gestalten und sicherten eifrig alles.
        Einige der Leutnants gingen dem Admiral aus dem Weg, als er ubers Achterdeck schritt, um herunterzuschauen auf die Reihen der Achtzehnpfunder, welche die Originalbatterie der Zwolfpfunder ersetzt hatten.
        Geisterhaft tauchten Gesichter vor ihm auf, Kanonendonner ubertonte die gebrullten Anweisungen und das Geklapper der Blocke. Die Decks schienen durch Einschlage wieder wie von Riesenkrallen zerkratzt. Darauf Manner, die fielen und starben und nach Hilfe flehten, wo es keine gab. Sein eigener Neffe Adam, damals vierzehn Jahre alt, mitten drin, bleich und doch wild entschlossen, als die kampfenden Schiffe zu einem letzten Ringen zusammenprallten.
        Havens Stimme ri? Bolitho aus seinen Erinnerungen.

«Das Boot lieg bereit, Sir.»
        Bolitho wies an ihm vorbei.»Wieso haben Sie keine Windhutzen aufriggen lassen, Kapitan?»
        Warum konnte er es nicht uber sich bringen, Haven mit Vornamen anzureden? Was war mit ihm los?
        Der zuckte mit den Achseln.»Sie sind von Land aus kein schoner Anblick, Sir.»

«Aber sie fuhren den Leuten in den Batteriedecks frische Luft zu. Also hoch damit.

        Er gab sich Muhe, seinen Arger zu unterdrucken, da? Haven nicht der Backofenhitze in den ubervolkerten Decks Rechnung trug. Die Hyperion war hundertachtzig Fu? lang und trug eine Besatzung von sechshundert Offizieren, Matrosen und Seesoldaten. In dieser Hitze mu?ten sie sich wie doppelt so viele vorkommen.
        Er sah, wie Haven dem Ersten Leutnant die Anordnung kurz weitergab. Letzterer warf Bolitho einen dankbaren Blick zu. Frische Luft!
        Der Erste war auch so ein komischer Vogel. Mit uber drei?ig etwas alt fur seinen Rang, war er schon Kommandant einer Brigg gewesen. Als man die Brigg auflegte, wurde seine Ernennung nicht bestatigt, man stufte ihn auf den alten Dienstgrad zuruck. Er war schlank und im Gegensatz zu seinem Kommandanten ein Mann von sichtbarem Eifer und Enthusiasmus. Sein gutes, zigeunerhaftes Aussehen erinnerte Bolitho an ein Gesicht aus der Vergangenheit, er wu?te nur nicht, an welches. Bei seinen Untergebenen war er anscheinend beliebt und alles in allem jene Sorte Offizier, der die Fahnriche nachzueifern strebten.
        Unterhalb des schon geschwungenen Bugsprits waren die breiten Schultern der Galionsfigur zu sehen. Sie hatte sich ihm eingepragt, als er das Schiff in Plymouth verlassen mu?te. Hyperion war damals so angeschlagen und beschadigt gewesen, da? er sich kaum vorstellen konnte, wie sie davor ausgesehen hatte. Nur die Galionsfigur erzahlte eine andere Geschichte.
        Ihre Goldfarbe mochte Schrammen davongetragen haben, aber die stechenden blauen Augen unter der Krone aus Sonnenstrahlen starrten so anma?end wie immer in die Welt. Ein muskuloser Arm streckte noch den gleichen Dreizack dem Horizont entgegen. Sogar von achtern wirkte der Anblick auf Bolitho vertraut. Hyperion, einer der Titanen, hatte die Schmach eines Lebens als Invalide abgeworfen.
        Allday beobachtete Bolitho scharf. Er hatte den nachdenklichen Blick erkannt und erriet, was er bedeutete. Der Vizeadmiral war mit seinen Gedanken wieder mal ganz woanders. Ob er mit ihm ubereinstimmte oder nicht, er hing an ihm wie an keinem anderen und ware fur ihn ohne Zogern gestorben.»Die Barkasse ist bereit, Sir Richard. «Gern hatte er hinzugefugt, da? die Bootscrew noch nicht perfekt war. Noch nicht…
        Bolitho ging langsam zur Pforte. Das Boot lag unten langsseits. Jenour, sein neuer Flaggleutnant, sa? schon darin, desgleichen Yovell mit einer Dokumentenmappe auf den fetten Schenkeln. Ein Fahnrich stand steif wie ein Ladestock im Heck. Bolitho vermied es, die jugendlichen Gesichtszuge zu studieren. Das war alles vorbei. Er kannte keinen auf diesem Schiff.
        Schnell blickte er in die Runde und sah, wie die Pfeifer der Ehrenwache ihre Instrumente an die feuchten Lippen hoben, sah die Seesoldaten die Gewehre prasentieren. Er sah Haven und seinen Ersten Leutnant, dazu all die anderen anonymen Gesichter, das Blau und Wei? der Offiziere, das Scharlachrot der Seesoldaten, die gebraunten Korper der Seeleute. Am liebsten hatte er ihnen gesagt:»Ich bin hier zwar Admiral, aber die Hyperion ist noch immer mein Schiff.»
        Er horte Allday ins Boot klettern und wu?te, da? er angstlich auf ihn achtete, auch wenn er es verbarg, immer bereit zuzugreifen, falls sein Auge sich wieder verschleierte und er den Halt verlor. Bolitho luftete den Hut, und sofort stimmten Trommeln und Pfeifen ihre lebhafte Weise an, die Royal Marines prasentierten die Gewehre, wahrend der Degen ihres Majors gru?end funkelte.
        Bolitho kletterte das steile Fallreep hinunter ins Boot. Sein letzter Blick auf Haven uberraschte ihn: Die Augen des Kommandanten waren kalt und feindlich. Es wurde gut sein, sich dessen zu erinnern.
        Das Wachboot glitt heran und wartete, um die Barkasse durch die vor Anker liegenden Schiffe und den Verkehr der Hafenfahrzeuge zu geleiten.
        Bolitho beschattete seine Augen und schaute zum Land. Wieder eine neue Herausforderung. Aber im Augenblick war ihm eher nach Flucht zumute.



        II Ein Wiedersehen

        John Allday lugte unter der Krempe seines Hutes hervor und sah die einlaufende Stromung das Wachboot aus dem Kurs drangen. Er legte die Pinne, und Bolithos frisch gestrichene grune Barkasse folgte dem anderen Boot ohne eine Unterbrechung im Takt der Ruderer. Alldays Ruf als des Admirals personlicher Bootssteurer war legendar.
        Er sah uber die Bootscrew hinweg, die Gesichter sagten ihm nichts. Das Boot selbst war von ihrem letztem Schiff, der Argonaute, einer franzosischen Prise, ubernommen worden; Bolitho hatte es seinem Bootssteurer uberlassen, eine neue Mannschaft auf der Hyperion zu rekrutieren. Allday musterte die Manner im Heck. Das waren Yovell, den man vom Schreibergehilfen zum Sekretar befordert hatte, und der neue Flaggleutnant. Der junge Offizier schien recht annehmbar, kam aber nicht aus einer seefahrenden Familie. Die meisten sahen diese besonders anstrengende Stellung als einen sicheren Weg zur Beforderung an. Fur ein Urteil uber Jenour war es noch zu fruh, beschlo? Allday. Auf einem Schiff, in dem sich sogar die Ratten fremd waren, tat man gut daran, keine vorschnellen Meinungen zu au?ern.
        Seine Augen blieben auf Bolithos breiten Schultern haften, und er versuchte die Besorgnis zu unterdrucken, die ihn seit ihrer Ruckkehr nach Falmouth begleitete. Trotz der Schmerzen und des Blutzolls der Schlacht hatte es eine stolze Heimkehr sein sollen. Sogar die Verletzung von Bolithos linkem Auge schien weniger schlimm im Vergleich zu dem, was sie zusammen durchgemacht hatten. Das war vor ungefahr einem Jahr passiert, an Bord des kleinen Kutters Supreme. Allday entsann sich jedes einzelnen Tages, der qualvollen Gesundung, der moralischen Starke des Mannes, dem er diente und den er verehrte. Bolitho hatte ihn immer wieder in Erstaunen versetzt, obwohl sie nun uber zwanzig Jahre zusammen waren.
        Sie kamen vom Hafen in Falmouth und hielten an der Kirche, die zu einem Teil von Bolithos Familiengeschichte geworden war. Generationen waren mit ihr verbunden, durch Hochzeiten und Geburten, durch Dank fur die Siege auf See, aber auch durch gewaltsamen Tod. Allday war an jenem Sommertag am gro?en Portal der stillen Kirche stehengeblieben und hatte mit Erstaunen und Trauer gehort, wie Bolitho ihren Namen aussprach:
        Cheney…
        Nur ihren Namen, nichts weiter; und doch hatte ihm das vieles erklart. Allday hatte bis dahin geglaubt, es wurde alles wieder gut, sobald sie erst das graue Haus erreicht hatten. Die schone Lady Belinda, die zumindest im Aussehen so sehr seiner ersten Frau Cheney glich, wurde es schon schaffen, Bolitho zu trosten, wenn sie erst das Ausma? seines Schmerzes begriff. Vielleicht wurde sie seine Qual heilen, die er nie erwahnte, die aber Allday nicht entging. Angenommen, das andere Auge wurde in einer Schlacht ebenfalls verletzt? Die Angst so vieler Seeleute und Soldaten, als Kruppel unerwunscht zu sein, qualte auch Bolitho.
        Alle hatten sie gewartet, um ihn zu begru?en: Ferguson, der Verwalter, der einen Arm bei den Saintes verloren hatte, was schon eine Million Jahre zuruckzuliegen schien; seine rotbackige Frau Grace, die Haushalterin, und das andere Personal. Es gab Lachen, Hochrufe und eine Menge Tranen obendrein. Doch
        Belinda und die kleine Elizabeth waren nicht dagewesen. Ferguson sagte, sie hatte in einem Brief ihre Abwesenheit erklarte. Oft genug fand ein heimkehrender Seemann seine Familie in Unkenntnis uber sein Kommen, aber hier hatte es in keinem schlimmeren Augenblick geschehen oder Bolitho harter treffen konnen.
        Nicht einmal sein junger Neffe Adam, der nun die Brigg Firefly befehligte, war dagewesen, um ihn aufzumuntern. Er war an Bord zuruckgerufen worden, um Ausrustung und Trinkwasser zu ubernehmen.
        Aber Hyperion war nun die Gegenwart. Allday achtete auf den Schlagmann, dessen Riemen schlecht eintauchte und Spritzwasser ubers Dollbord warf. Verdammte Stumper! Sie wurden das eine oder andere noch zu lernen haben, und wenn er sich jeden einzelnen personlich vornehmen mu?te.
        Die alte Hyperion war fur sie keine Fremde, nur ihre Leute waren das. Entsprach das Bolithos Wunschen? Allday wu?te es nicht. Wenn Keen hier Flaggkapitan gewesen ware oder auch der arme Inch, hatten die Dinge besser ausgesehen. Aber Kapitan Haven war ein kalter Fisch. Dessen Bootssteurer, ein Waliser namens Evans, hatte ihm bei einem Glas Rum anvertraut, sein Herr hatte keinen Humor und lie?e niemanden an sich heran.
        Allday grubelte weiter uber Bolitho nach. Wie er sich doch verandert hatte! Ein Schiff folgte dem anderen, sie befuhren verschiedene Meere, aber gewohnlich blieb der Feind sich gleich. Und Bolitho hatte ihn immer wie einen Freund behandelt, wie einen, der zur Familie gehorte. Das hatte er einmal beilaufig gesagt, aber Allday hatte es wie etwas Kostbares im Gedachtnis bewahrt.
        Es war schon seltsam, wenn man daruber nachdachte. Einige seiner alten Messegefahrten hatten ihn vielleicht sogar damit geneckt, hatte der Respekt vor seinen Fausten sie nicht zuruckgehalten. Aber Allday wie auch Ferguson waren einmal in den Dienst des Konigs gepre?t und auf Bolithos Schiff, die Fregatte Phalarope, gesteckt worden - kaum die rechte Basis fur eine Freundschaft. Trotzdem war Allday seit dem Gefecht bei den Saintes freiwillig bei Bolitho geblieben, als dessen alter Bootssteurer Stockdale getotet wurde. Er war sein ganzes Leben Seemann gewesen, nur kurze Zeit hatte er an Land ausgerechnet als Schafer gearbeitet. Er wu?te wenig uber seine Abstammung und die Leute, die ihn gro?gezogen hatten, was ihn mit zunehmendem Alter zuweilen beunruhigte.
        Er studierte Bolithos altmodischen Nackenzopf, der unter seinem goldbetre?ten Hut hervorsah. Noch war er rabenschwarz. Seine Erscheinung blieb jugendlich, so da? er manchmal irrtumlich fur Adams alteren Bruder gehalten wurde. Sofern Allday es uberhaupt wu?te, hatte er das gleiche Alter: siebenundvierzig. Doch wahrend er voller wurde und sein dickes braunes Haar graue Streifen bekam, schien Bolitho nicht zu altern. Allday kannte ihn von allen Seiten: als einen Tiger im Gefecht, aber auch als einen Mann, den es fast zu Tranen ruhrte, wenn er Schiffe und Menschen in einer Seeschlacht sterben sah.
        Das Wachboot schwenkte unter dem ausladenden Kluverbaum eines hubschen Schoners durch. Allday beugte sich uber die Pinne und hielt den Atem an, als er seine alte Wunde in der Brust brennen fuhlte. Nur selten konnte er sie vergessen: die spanische Klinge, die wie aus dem Nichts gekommen war, und Bolitho, der ihn deckte, ihm das Leben rettete.
        Die Wunde machte ihm Muhe, und es fiel ihm oft schwer, seine Schultern zu straffen, ohne da? Schmerz ihn durchscho?. Bolitho hatte ihm nahegelegt, an Land zu bleiben, wenigstens vorubergehend. Langst bot er ihm nicht mehr die Chance einer Freistellung von der Navy an, der er so gut gedient hatte. Denn er wu?te, das hatte Allday fast mehr geschmerzt als die Wunde selbst.
        Die Barkasse strebte der nachsten Anlegepier zu. Bolithos Finger umklammerten die Scheide seines alten Degens, den er zwischen den Knien hielt. So viele Gefechte hatten sie gemeinsam bestanden, so oft hatten sie sich gefragt, weshalb sie wieder einmal verschont geblieben waren, obwohl so viele andere fielen.

«Klar bei Bootshaken!«Allday beobachtete kritisch, wie der Bugmann den Riemen einzog, aufstand und mit dem bereitgehaltenen Haken nach der Pierkette tastete. In ihren geteerten Huten und karierten Hemden sahen die Leute forsch und schmuck aus, aber es brauchte mehr als Farbe, damit ein Schiff segeln konnte. Auch Allday selbst war eine stattliche Erscheinung, obwohl er sich dessen kaum bewu?t war, wenn er nicht gerade das Auge des einen oder anderen Madchens auf sich zog, was ofter geschah, als er zugab. In seinem blauen Rock mit den goldenen Knopfen, den ihm Bolitho spendiert hatte, und in seinen Nankingbreeches war er jeder Zoll ein alter Salzwasserbuckel.
        Das Wachboot machte Platz, der verantwortliche Offizier zog aufstehend den Hut, wahrend die Ruderer zum Gru? ihre Riemen hochstellten. Allday bekam einen Schreck, als sich Bolitho ihm zuwandte, eine Hand uberm Auge, um es vor der Helligkeit zu schutzen. Er sagte nichts, aber sein Blick war so deutlich, als ob er laut gerufen hatte: eine dringende Bitte, die alle anderen ausschlo?. Allday war eine simple Seele, aber er erinnerte sich dieses Blickes noch lange, nachdem Bolitho die Barkasse verlassen hatte. Er machte ihm Sorge und ruhrte ihn zugleich.
        Er sah, da? die Bootscrew ihn anstarrte, und brullte:»Ich hab' schon geschicktere Kerls als ihr aus'm Puff geschmissen. Bei Gott, nachstes Mal strengt euch lieber mehr an, sonst sollt ihr mich kennenlernen!»
        Flaggleutnant Jenour stieg an Land und lachelte uber den Fahnrich, der bei der Schimpfkanonade des Bootssteurers verlegen errotete. Der Flaggleutnant war erst einen Monat bei Bolitho, begann aber schon, die ungewohnliche Ausstrahlung des Mannes, dem er beigeordnet war, zu begreifen. Wie fur den Fahnrich war er auch fur ihn ein Held.
        Bolithos Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.»Kommen Sie, Mr. Jenour, das Boot kann warten, der Krieg nicht.»

«Aye, aye, Sir Richard. «Jenour grinste und dachte an seine Eltern in Hampshire, die den Kopf geschuttelt hatten, als er ihnen seine Absicht eroffnete, eines Tages Bolithos Adjutant zu werden.
        Bolitho sah Jenour lacheln und merkte, wie seine Melancholie zuruckkehrte. Er wu?te, was der junge Leutnant fuhlte, weil er fruher selbst so gewesen war. In der begrenzten Welt der Navy hing man sehr stark an Freunden. Wenn sie fielen, ging mit ihnen etwas verloren, und das eigene Uberleben ersparte einem nicht die Trauer um ihr Verschwinden.
        Bolitho blieb abrupt an der Treppe zur Pier stehen. Der Erste Leutnant der Hyperion war ihm eingefallen. Sein zigeunerhaft gutes Aussehen. Naturlich, es erinnerte ihn an Keverne, an Charles Keverne, einst sein Erster auf der Euryalus, der vor Kopenhagen als Kommandant gefallen war.

«Ist Ihnen nicht wohl, Sir Richard?»

«Verflucht noch mal, doch!»
        Aber Bolitho drehte sich sofort um und beruhrte bedauernd Jenours Armel. Entschuldigen Sie. Mein Rang bringt viele Vorrechte, doch schlechte Manieren gehoren nicht dazu.»
        Er stieg die Treppe hoch, wahrend Jenour ihm nachstarrte. Yovell seufzte, als er schwitzend hinterherkletterte. Der arme Leutnant, er hatte noch eine Menge zu lernen. Man konnte nur hoffen, da? ihm die Zeit dazu vergonnt wurde.
        Der gro?e Raum war nach der Hitze drau?en bemerkenswert kuhl. Bolitho sa? auf einem Stuhl mit steifer Lehne, nippte an einem Glas Rotwein und wunderte sich, da? er so kalt blieb. Leutnant Jenour und Yovell sa?en an einem Nebentisch, der mit Akten und Folianten bedeckt war. Sonderbar, da? in einem anderen Teil desselben Gebaudes Bolitho einmal besorgt auf die Beforderung zum Kommandanten gewartet hatte.
        Der Wein war gut und sehr leicht. Er merkte, da? sein Glas von einem farbigen Diener sofort nachgefullt wurde, und nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Bolitho geno? einen guten Schluck, doch war es ihm bisher leicht gefallen, dem verbreiteten Laster der Navy, der Trunksucht, zu entgehen. Es fuhrte zu oft zur Schande und dem Kriegsgericht.
        Er hatte es nur in jenen schwarzen Tagen in Falmouth, als er erwartungsvoll zuruckkam, nicht geschafft. Trotzdem - was hatte er eigentlich erwartet? Wie konnte er besturzt sein und verbittert uber Belindas Kalte, wenn in Wahrheit sein Herz bei Cheney geblieben war?
        Wie still das Haus dalag, als er ruhelos durch seine tiefen Schatten wanderte, mit einer Hand die Kerze vor den strengen Portrats hochhaltend, die er schon kannte, seit er so klein wie Elizabeth gewesen war.
        Als er am nachsten Morgen aufwachte, ruhte seine Stirn in vergossenen Weinlachen auf dem Tisch. Mit trockenem Mund bemerkte er die leeren Flaschen, konnte sich aber nicht erinnern, sie aus dem Keller geholt zu haben. Das Personal mu?te Bescheid gewu?t haben. Ferguson hatte ihn noch in Reisekleidung vorgefunden und war hin und her geeilt, um ihm zu helfen. Bolitho mu?te die Wahrheit spater fast mit Gewalt aus Allday herausholen. Er entsann sich nicht, ihn fortgeschickt zu haben, weil er in seinem Elend allein sein wollte, horte aber, da? Allday die Nacht gleichfalls vertrunken hatte, in jener Taverne, wo die Wirtstochter immer noch auf ihn wartete.
        Er horte, da? der andere Offizier auf ihn einsprach. Das war Kommodore Aubrey Glassport, Direktor der Marinewerft von Antigua und bis zu Hyperions Einlaufen der ranghochste Marineoffizier am Ort. Er erlauterte ihm die Standorte und unterschiedlichen Aufgaben der hiesigen Streitkrafte.

«Bei einem so ausgedehnten Seegebiet, Sir Richard, tun wir uns schwer, Blockadebrecher oder Piraten zu verfolgen und aufzubringen. Die Franzosen und ihre Verbundeten andererseits…»
        Bolitho zog die Seekarte heran. Dieselbe alte Geschichte. Nicht genug Fregatten, zu viele Linienschiffe weggeschickt, um die Flotten im Kanal und im Mittelmeer zu verstarken. Uber eine Stunde lang hatte er jetzt die Berichte durchgesehen, den tage-und wochenlangen Patrouillen zwischen den zahllosen Inseln die mageren Resultate gegenubergestellt. Gelegentlich riskierte ein wagemutiger Kommandant Leib und Leben, erschien mit seinem Schiff auf einem feindlichen Ankerplatz, brachte eine Prise auf oder veranstaltete ein schnelles Bombardement. Das las sich gut, trug aber wenig dazu bei, den uberlegenen Feind ernstlich zu lahmen. Bolithos Mund wurde hart. Nur zahlenma?ig uberlegen.
        Glassport hielt Bolithos Schweigen fur Zustimmung und redete weiter. Er war ein rundlicher, bequemer Herr mit gelichtetem Haupthaar und einem Mondgesicht, das mehr von gutem Leben zeugte als vom Kampf gegen die Elemente oder die Franzosen. Er sollte langst verabschiedet sein, wu?te Bolitho, aber er hatte Beziehungen im Stutzpunkt, also lie? man ihn hier. Seinem Weinkeller nach zu urteilen, unterhielt er ebenso gute Beziehungen zu den Zahlmeistern.
        Glassport sagte gerade:»Angesichts Ihrer fruheren Erfolge, Sir Richard, fuhle ich mich geehrt durch Ihren Besuch. Bei Ihrem ersten Hiersein war Amerika wohl ebenfalls gegen uns aktiv? Mit vielen Freibeutern und auch mit der franzosischen Flotte.»

«Die Tatsache, da? wir uns mit Amerika nicht langer im Krieg befinden«, entgegnete Bolitho,»verhindert nicht zwangslaufig internationale Einmischung, auch nicht die zunehmenden amerikanischen Nachschublieferungen an den Feind. «Er legte die Karte aus der Hand.»In den nachsten Wochen wunsche ich mit jeder Patrouille Kontakt aufzunehmen. Haben Sie zur Zeit eine Kurierbrigg hier?«Er bemerkte Glassports plotzliches Erstaunen und seine Unsicherheit. Eine ruhige Existenz ging hier wohl zu Ende.»Ich mochte jeden Kommandanten personlich sprechen. Konnen Sie das einrichten?»

«Ah, hm - jawohl, Sir Richard.»

«Gut.»
        Bolitho ergriff sein Weinglas und beobachtete die Sonnenreflexe im Stiel. Er neigte es ein wenig nach links und wartete, fuhlte Yovells Augen auf sich gerichtet. Und Jenours Neugier. Er fugte hinzu:»Man hat mir gesagt, da? sich Seiner Majestat Generalinspekteur noch in Westindien befindet?»
        Glassport murmelte unglucklich:»Mein Flaggleutnant wei? genaueres.»
        Bolitho stutzte, als sich das Bild des Glases zu verwischen begann. War der trube Schleier diesmal schneller gekommen, oder hatte das standige Drandenken.

«Meine Frage war einfach genug, glaube ich«, fuhr er auf.»Ist er noch hier oder nicht?»
        Zitterte seine Hand? War er hartherzig, verargert? Keines von beiden. Nur unsicher wie auf der Pier, als er Jenour angefahren hatte. Ruhiger sprach er weiter:»Er ist doch mehrere Monate hier drau?en gewesen, glaube ich.»

«Viscount Somervell befindet sich noch in Antigua«, erwiderte Glassport und setzte defensiv hinzu:»Ich habe Grund anzunehmen, da? er mit dem Vorgefundenen zufrieden ist.»
        Bolitho sagte nichts. Der Generalinspekteur konnte ihm eine zusatzliche Last bei seiner Aufgabe sein. Es schien absurd, jemanden mit so hochtrabend klingendem Titel zu einer Inspektionsreise nach Westindien zu schicken, wenn England, allein im Kampf gegen Frankreich und die Flotten Spaniens stehend, taglich eine Invasion erwartete.
        Bolithos Instruktionen besagten klar, da? er Viscount Somervell ohne Verzogerung zu treffen hatte, auch wenn dies bedeutete, da? er sich sofort zu einer anderen Insel begeben mu?te, Jamaika eingeschlossen.
        Doch der Gesuchte befand sich hier. Immerhin etwas.
        Bolitho fuhlte sich mude. Er hatte die meisten Offiziere und Beamten des Stutzpunkts kennengelernt, zwei Schoner besichtigt, die fur die Navy umgebaut wurden, und war bei den Batterien gewesen, wobei Jenour und Glassport Muhe gehabt hatten, mit ihm Schritt zu halten.
        Er lachelte schwach. Dafur bu?te er jetzt.
        Glassport wartete, bis er an seinem Wein nippte, und bemerkte dann:»Es gibt einen kleinen Empfang fur Sie heute abend, Sir Richard. «Er unterbrach sich, als er in die grauen Augen blickte.»Kaum dem Anla? angemessen, aber er wurde erst arrangiert, nachdem man Ihr. ah, Flaggschiff gemeldet hatte.»
        Bolitho merkte das Zogern. Noch einer, der an seinem Schiff zweifelte.
        Glassport mochte eine Absage befurchtet haben, denn er haspelte weiter:»Viscount Somervell erwartet Sie.»

«Verstehe. «Ein Wink zu Jenour.»Informieren Sie den Kommandanten.»
        Als der Leutnant sich abmeldete, sagte Bolitho:»Mein Bootssteurer soll es ihm ausrichten. Sie bleiben bei mir.»
        Jenour nickte. Er lernte heute eine ganze Menge.
        Bolitho wartete, bis Yovell ihm den nachsten Stapel Papiere brachte. Glassport sah ihm beim Umblattern zu.
        Dies also war der Mann hinter der Legende, ein zweiter Nelson, sagten manche. Doch alle Welt wu?te, da? Nelson hoherenorts nicht sehr beliebt war. Er war der richtige Mann, um eine Flotte zu fuhren. Notwendig. Aber hinterher? Glassport studierte Bolithos gesenkten Kopf, die Strahne uber dem Auge. Ein ernstes, empfindsames Gesicht, dachte er, das man sich in den Gefechten, uber die er soviel gelesen hatte, schwer vorzustellen vermochte. Er wu?te, Bolitho war mehrmals schwer verwundet worden und am Fieber fast gestorben. Aber insgesamt waren das nicht viele Informationen. Ritter des Bath-Ordens, aus einer guten alten Seefahrerfamilie stammend - und England sah in ihm einen Helden: all das, was Glassport gern gewesen ware und gehabt hatte. Warum war er nach Antigua gekommen? Es bestand wenig oder gar keine Aussicht fur ein Unternehmen zur See, selbst vorausgesetzt, die einzelnen Flottillen wurden verstarkt und ein Ersatz fur die.
        Er erschrak, als Bolitho gerade diesen Punkt beruhrte, als konnten die grauen, zwingenden Augen Gedanken lesen.

«Die Spanier haben uns die Fregatte Consort weggenommen?«Es horte sich wie ein Vorwurf an.

«Vor zwei Monaten, Sir Richard. Sie strandete unter Beschu?. Einer meiner Schoner konnte den gro?ten Teil ihrer Besatzung abbergen, ehe der Feind bei ihr war. Der Schoner machte seine Sache gut. Ich dachte, da?.»

«Und der Kommandant der Consort!».

«Befindet sich in St. John's, Sir Richard. Steht zur Verfugung des Kriegsgerichts.


«Wirklich?«Bolitho erhob sich und wandte sich an den eintretenden Jenour.»Wir begeben uns nach St. John's.»
        Jenour schluckte hart.»Gibt es eine Kutsche, Sir Richard?«Hilfesuchend schaute er Glassport an.
        Bolitho griff zum Degen.»Aber bestimmt zwei Pferde, mein Junge.»
        Sein plotzlicher Eifer uberraschte ihn selber. War er lediglich ein Ablenkungsmanover von anderen Sorgen?» Sie sind doch aus Hampshire, richtig?»
        Jenour nickte.»Jawohl, das hei?t.»

«In Hampshire kann man reiten. Zwei Pferde - sofort!»
        Glassport starrte vom einen zum andern.»Aber der Empfang, Sir Richard. «Er schien entsetzt.

«Der Ausflug wird mir Appetit machen. «Bolitho lachelte.»Ich bin rechtzeitig zuruck.»
        Bolitho musterte forschend sein Gesicht im Wandspiegel, dann strich er sich die lose Strahne aus der Stirn. Im Spiegel sah er auch Allday und Ozzard, die ihn besorgt beaugten, wahrend sich Stephen Jenour nach ihrem Ritt das Hinterteil massierte.
        Der Ausflug war hei? und staubig gewesen, aber zunachst unerwartet heiter. Allein schon die Gesichter der Passanten, als sie an ihnen voruber durch den diesigen Sonnenschein galoppierten, waren sehenswert.
        Nun war es dunkel, die Dammerung setzte auf den Inseln fruh ein. Bolitho musterte sich sorgfaltig, wahrend sein Ohr schon den Klang der Violinen und das dumpfe Gemurmel aus dem Salon auffing, in dem der Empfang stattfand. Ozzard hatte ihm frische Strumpfe von Bord gebracht, Allday den Reprasentationsdegen und ihn gegen das alte Erbstuck, das Bolitho trug, ausgewechselt.
        Bolitho seufzte. Die meisten Kerzen wurden durch hohe Sturmglaser geschutzt, daher war die Beleuchtung nicht zu grell.
        So blieben vielleicht sein zerknittertes Hemd und die Schmutzflecken, die der Sattel auf seinen Breeches hinterlassen hatte, unbemerkt. Sie hatten keine Zeit gefunden, noch zur Hyperion zuruckzukehren. Verdammter Glassport und sein Empfang! Bolitho hatte viel lieber in seiner Kajute alles durchdacht, was der Fregattenkommandant ihm mitgeteilt hatte.
        Commander Matthew Price war fur die Fuhrung eines so schonen Schiffes noch reichlich jung. Die Consort mit ihren sechsunddrei?ig Geschutzen hatte sich zwischen einigen Untiefen vor Venezuela durchgewunden, als sie von einer Kustenbatterie unter Feuer genommen wurde. Unglucklicherweise stand sie so dicht unter Land, da? sie auf Grund geriet. Es war schon so, wie Glassport berichtet hatte: Ein Schoner hatte den Gro?teil der Besatzung abgeborgen, mu?te sich aber davonmachen, als ein spanisches Kriegsschiff auf der Bildflache erschien.
        Commander Price sa? in seinem Alter noch auf keiner Kapitansplanstelle, und wenn das Kriegsgericht gegen ihn entschied, was sehr wahrscheinlich war, mu?te er alles verlieren. Bestenfalls wurde man ihn zum Leutnant zuruckstufen. Der schlimmste Fall war nicht auszudenken.
        Wahrend Price in einem kleinen, regierungseigenen Haus die Verhandlung erwartete, hatte er viel zu bedenken. Nicht zuletzt, da? Gefangenschaft oder gar der Tod im Gefecht besser fur ihn gewesen waren. Denn sein Schiff war wieder flottgemacht worden und gehorte nun zum Geschwader Seiner Allerkatholischsten Majestat in La Guaira auf dem spanischen Festland. Fregatten aber waren ihr Gewicht in Gold wert, und England bedurfte ihrer immer dringender. Als Bolitho noch im Mittelmeer diente, waren zwischen Gibraltar und der Levante nur sechs Fregatten verfugbar gewesen. Der Vorsitzende der Kriegsgerichtsverhandlung wurde dies bei seinen Erwagungen nicht ignorieren konnen.
        In seiner Verzweiflung hatte der junge Kommandant den Vizeadmiral gefragt, was wohl bei der Verhandlung herauskommen wurde. Bolitho hatte ihm gesagt, er musse erwarten, die Spitze des Degens auf dem Tisch gegen sich gerichtet zu sehen. Sein Schiff aufs Spiel zu setzen, war eine Sache, es an den verha?ten Feind zu verlieren, war eine vollig andere. Er konnte Price nichts vormachen, das Urteil vermochte er nicht zu beeinflussen. Price hatte viel riskiert, um die spanische Starke zu erkunden. Zusammen mit dem, was Bolitho schon wu?te, konnten seine Informationen au?erst wertvoll sein. Aber dem Kommandanten der Consort wurde das jetzt nicht helfen. Eine Standuhr schlug.
        Bolitho sagte:»Ich glaube, es ist Zeit. Sind unsere Offiziere schon da?»
        Jenour nickte und zuckte zusammen, als der Schmerz wieder durch seine Schenkel und Huften scho?. Der Admiral war ein prachtiger Reiter, und das gleiche hatte er auch von sich selbst gedacht. Bolithos kleiner Scherz uber die Leute aus Hampshire hatte ihn angespornt, doch zu keiner Zeit hatte er Bolithos Tempo halten konnen. Er entgegnete:»Der Erste Leutnant traf mit ihnen ein, als Sie sich umkleideten, Sir Richard.»
        Bolitho schaute auf seine makellosen Strumpfe hinunter und dachte an die Zeit, als er noch ein kleiner Leutnant mit nur einem feinen Paar Strumpfe fur derartige Anlasse gewesen war. Die anderen waren uber und uber gestopft, ein Wunder, da? sie uberhaupt noch zusammengehalten hatten. Dann fiel ihm wieder ein, da? Kapitan Haven ersucht hatte, an Bord bleiben zu durfen. Haven hatte dies damit begrundet, ein Sturm konne ausbrechen und seine rechtzeitige Ruckkehr an Bord verhindern. Die Luft war wirklich schwer und feucht und die Sonne blutrot untergegangen.
        Der Segelmeister der Hyperion, Isaac Penhaligon aus Cornwall, bestand allerdings darauf, da? ein Sturm sehr unwahrscheinlich ware. Vielleicht zog Haven es vor, sich abseits zu halten, auch wenn ihm jemand auf dem Empfang seine Abwesenheit verubeln sollte.
        Wenn nur Keen sein Flaggkapitan gewesen ware! Bolitho hatte ihn nur zu fragen brauchen, und Keen ware mit ihm gekommen, aus Treue, Freundschaft, Zuneigung. Aber Bolitho hatte Keen genotigt, in England zu bleiben, bis dieser seine Probleme mit der reizenden Zenoria gelost hatte. Mehr als alles andere hatte Keen sich namlich gewunscht, das dunkelaugige Madchen mit dem vollen kastanienbraunen Haar zu heiraten. Sie waren so sehr ineinander verliebt, da? Bolitho es nicht uber sich brachte, die beiden wieder zu trennen, kaum da? sie sich gefunden hatten.
        Verglich er ihre Liebe mit seiner eigenen Ehe? Da horte er lieber auf, sich Gedanken zu machen. Es war jetzt nicht die rechte Zeit dazu. Vielleicht wurde es das niemals mehr sein.
        Jenour fragte hoflich:»Sollen wir gehen, Sir Richard?»
        Bolitho betastete sein linkes Auge, hielt dann aber inne und starrte statt dessen auf das nachste Sturmglas und seinen zarten Rauchfaden, der kerzengerade zur Decke stieg. Alles war hell und klar. Keine Trubung, keine Schatten, die ihn manchmal so plotzlich behinderten.
        Zwei Lakaien, die sich bisher zuruckgehalten hatten, rissen die hohen Turflugel auf. Musik und Stimmengewirr brandeten in den Raum. Bolitho spannte seine Muskeln, als galte es, einer Musketenkugel zu widerstehen. Den von Pfeilern flankierten Korridor hinuntergehend, ratselte er uber Sinn und Zweck dieses stattlichen Gebaudes auf einer so kleinen Insel. Aber es war eben ein Platz, der durch den Krieg schon ofter ein wichtiger Angelpunkt in Englands Strategie geworden war.
        Er horte Jenours Sohlen uber die Dielen tappen und lachelte halb uber des Leutnants Eifer, mit ihm Kopf an Kopf zu reiten. Sie hatten mehr wie Landjunker ausgesehen als wie Offiziere des Konigs.
        Dann sah er die reichen Farben der Damengewander, die nackten Schultern und neugierigen Blicke, die ihn empfingen. Sie hatten kaum Zeit seit seiner Ankunft gehabt, wie schon Kommodore Glassport erklarte, aber wahrscheinlich war jeder offizielle Besucher oder ein Schiff aus England hier willkommener Anla? zum Feiern. Er bemerkte einige Offiziere von der Hyperion. Ihr Blau und Wei? bot einen deutlichen Kontrast zum Rot und Scharlach der Armee und der Seesoldaten.
        Wieder einmal mu?te er sich beherrschen, um nicht nach vertrauten Gesichtern zu suchen oder nach Stimmen; es durfte nicht so aussehen, als ob er einen Handschlag erwarte oder ein Zeichen des Wiedererkennens.
        Zwischen zwei Pfeilern, einige Stufen erhoht, stand Glassport und blickte ihn an, zweifellos erleichtert, da? Bolitho nach seinem Ritt doch noch gekommen war. Im Mittelpunkt, elegant und unbeschwert, stand eine von Kopf bis Fu? in Wei? gekleidete Gestalt. Bolitho wu?te wenig uber den Mann, den zu treffen er gekommen war. Der Sehr Ehrenwerte Viscount Somervell, Seiner Majestat Generalinspekteur in der Karibik, schien nicht viel an sich zu haben, das ihn fur diesen Posten empfahl. Er war ein bekanntes Gesicht bei Hofe und auf den richtigen Empfangen, ein rucksichtsloser Spieler, wie einige meinten, und ein Fechter von Ruf. Letzterer war wohlbegrundet. Man wu?te, da? der Konig sich seinetwegen eingeschaltet hatte, als Somervell einen Mann im Duell totete. Fur Bolitho war das ein vertrautes und zugleich schmerzliches Milieu, fur das er nicht bestimmt war.
        Ein Lakai klopfte mit seinem langen Stab auf die Dielen und verkundete:»Sir Richard Bolitho, Vizeadmiral der Roten Flotte!»
        Die plotzliche Stille war fast korperlich spurbar. Bolitho sah aller Augen auf sich gerichtet, als er uber den Teppich ging. Die Musiker mit ihren Instrumenten standen stockstill, ein junger Marineoffizier, der seinen Partner knuffte, erstarrte, als ihn Bolithos Blick streifte. Dann der kuhne Blick einer Lady in so tief ausgeschnittener Robe, da? sie sich uberhaupt nicht hatte anzuziehen brauchen, und der eines jungen Madchens, welches scheu lachelte und dann das Gesicht hinter einem Facher verbarg.
        Der Viscount kam ihm zur Begru?ung nicht entgegen. Er stand wie zuvor, eine Hand nachlassig in die Hufte gestemmt, die andere an der Seite baumelnd. Sein Mund verzog sich zu einem Lacheln, das sowohl Belustigung als auch Langeweile bedeuten konnte. Seine Gesichtszuge waren die eines Jungeren, aber er besa? die tragen Augen eines Lebemannes, der schon alles gesehen hatte.

«Willkommen in…«Somervell stockte und drehte sich ungehalten um, als ein fahrbarer Kandelaber hinter ihm in den Saal gerollt wurde und ihn um seine elegante Pose brachte.
        Der uberraschend grelle Lichtschein in Augenhohe kostete Bolitho die Balance, als er eben einen Fu? auf die erste Stufe setzen wollte. Eine Dame in Schwarz, die neben dem Viscount gestanden hatte, ergriff stutzend seinen Arm. Durch die vielen Kerzen lugten uberraschte und neugierige Gesichter wie auf einem Gemalde.

«Pardon, Ma'am!«Bolitho gewann sein Gleichgewicht wieder und versuchte gar nicht erst, sein Auge zu beschatten, als der Schleier daruber hinwegzog. Es war, als fiele er in tiefes Wasser, tiefer und tiefer.

«Es geht schon«, versicherte er. Die Robe der Dame war gar nicht schwarz, sondern von dunkelgrun schillernder Seide, die ihre Farbe in Falten und Kurven zu wechseln schien, was das blendende Licht erst jetzt enthullte. Der Rock war weit geschnitten, das Mieder mit dem tiefen Dekollete eng. Das Haar - soweit er sich entsann, war es lang und so dunkel wie sein eigenes gewesen. Jetzt trug sie es uber den Ohren zu Locken aufgeturmt.
        Die neugierigen Gesichter, das wieder einsetzende Gemurmel, das mutwillige Geschwatz, alles schien vor seinen Augen zu verblassen. Er hatte sie einmal als Catherine Pareja gekannt, als Kate.
        Er verga? seine momentane Behinderung, als er ihre Augen sah, in denen Besorgnis einer erzwungenen Ruhe wich. Sie hatte gewu?t, da? er kommen wurde. Die Uberraschung war nur auf seiner Seite.
        Somervells Stimme schien von weither zu dringen. Auch er tat gelassen, hatte seine Haltung wiedergewonnen.»Naturlich, ich verga?. Sie beide kennen sich von fruher.»
        Bolitho beugte sich uber ihre ausgestreckte Hand. Sogar ihr Parfum war noch das gleiche. Er horte sie erwidern:»Das ist lange her.»
        Als Bolitho sich aufrichtete, wirkte Kate seltsam fern und selbstsicher, fast gleichgultig. Sie setzte hinzu:»Aber einen Helden vergi?t man nicht.»
        Dann bot sie ihrem Gatten den Arm und wandte sich den ubrigen Gasten zu.
        Bolitho war wie ins Herz getroffen. Sie trug die langen, goldenen Filigranohrringe, die er ihr in jener anderen unwirklichen Welt einmal gekauft hatte - in London.
        Lakaien naherten sich mit Tabletts voll funkelnder Glaser. Das kleine Orchester erwachte wieder zum Leben. Doch uber die erhitzten, erregten Gesichter hinweg trafen sich ihre Blicke und schlossen alles andere aus.
        Glassport sprach ihn an, aber er horte nicht hin. Trotz allem, was geschehen war, bestand das Band zwischen ihnen immer noch. Aber es mu?te zerrissen werden, bevor ihre Gefuhle sie beide zerstorten.



        III Um hohen Einsatz

        Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zuruck, als ein wei?er Handschuh den erst halb geleerten Teller fortri? und schnellstens durch einen anderen ersetzte. Er wu?te nicht mehr, wie viele Gange ihm schon angeboten oder wie oft die geschliffenen Pokale nachgefullt worden waren.
        Die Luft vibrierte vom Stimmengewirr der Anwesenden: schatzungsweise vierzig Offiziere, Beamten mit Damen und das kleine Kontingent aus der Offiziersmesse der Hyperion. Die lange Tafel wurde durch hunderte von Kerzen erhellt. Am au?eren Rand wogten die Schatten der vielen Diener und Lakaien mit dem standigen Nachschub von Speisen und Wein hin und her.
        Man mu?te Bedienstete aus mehreren Hausern zusammengezogen haben, dachte Bolitho, und aus dem gelegentlich wutenden Unterton des Butlers konnte er entnehmen, da? es zwischen Kuche und Tafel Reibereien gegeben hatte.
        Er sa? rechts von Catherine. Im Wirbel von Konversation und Gelachter wurde er sich ihrer Nahe sehr bewu?t, obwohl sie uber ihre eigenen Gefuhle in seiner Gegenwart wenig verriet. Am anderen Ende der Tafel sa? ihr Gatte, Viscount Somervell, schlurfte seinen Wein und lauschte sichtlich gelangweilt dem mit schwerer Zunge redenden Kommodore Glassport. Gelegentlich fixierte er uber die Lange der Tafel hinweg, alles andere ausschlie?end, seine Frau und Bolitho. War es Interesse oder Wachsamkeit? Schwer zu sagen. Wenn sich die Flugelturen von Zeit zu Zeit fur eine Prozession schwitzender Diener schwungvoll offneten, flackerten die Kerzen in der verraucherten Atmosphare. Bolitho mu?te an Haven denken und stellte sich vor, wie er in der Kajute uber seine mogliche Zukunft brutete. Er wurde bald mehr Anteilnahme zeigen, wenn er erst erfuhr, was man von ihm erwartete.
        Die Frau drehte sich um und richtete das Wort direkt an ihn.»Sie sind sehr still, Sir Richard.»
        Er hielt ihrem Blick stand und fuhlte, wie seine Abwehr nachgab. Sie war ebenso attraktiv, sogar noch schoner, als er sie in Erinnerung hatte. Die Sonne hatte ihrem Nacken und den Schultern eine zarte Rote verliehen, und er bemerkte den leisen Pulsschlag an ihrem Hals.
        Eine ihrer Hande lag wie verloren neben einem geschlossenen Facher. Er hatte sie gern beruhrt, um sich selbst zu beruhigen oder seine eigene Dummheit zu enthullen. Bin ich so dunkelhaft, dachte er, bilde ich mir wirklich ein, sie konnte sich nach so langer Zeit wieder zu mir hingezogen fuhlen?
        Stattdessen sagte er nur:»Es mussen sieben Jahre her sein.»
        Ihr Gesicht blieb unbewegt. Wer sie beide beobachtete, hatte annehmen konnen, sie unterhielten sich uber England oder das Wetter.

«Sieben Jahre und einen Monat, um genau zu sein.»
        Bolitho blickte auf, weil der Viscount uber etwas lachte, das Glassport gesagt hatte.

«Und dann hast du ihn geheiratet. War er dir so wichtig?«Es horte sich wie ein bitterer Vorwurf an. Ihre Finger bewegten sich unruhig.

«Du tauschst dich, Richard«, gab sie hastig zuruck,»es war nicht so. «Allein schon der Klang seines Namens aus ihrem Mund ri? alte Wunden auf.»Ich brauchte Sicherheit, so wie du es brauchst, geliebt zu werden.»
        Trotz, Schmerz, beides stand in ihren dunklen Augen. Bolitho wagte kaum zu atmen, als die Unterhaltung um sie herum vorubergehend verstummte. Er glaubte, da? der Erste Leutnant sie beobachtete, da? ein Oberst mit halb erhobenem Glas innehielt, als lausche er ihren Worten. Fur ihn war es wie eine Verschworung.

«Liebe?»
        Sie nickte langsam, ihre Augen lie?en nicht von ihm ab.»Du brauchst sie wie die Wuste den Regen.»
        Er wollte sich ihrem Blick entziehen, aber sie schien ihn zu hypnotisieren, als sie im gleichen Ton gelassen fortfuhr:»Ich habe dich damals gewollt, aber am Ende beinahe geha?t. Beinahe. Ich habe wahrend all der Jahre dein Leben und deine Laufbahn verfolgt - zwei ganz verschiedene Dinge. Ich hatte alles hingenommen, was du mir geboten hattest, denn du warst der einzige Mann, den ich liebte, ohne nach Ehe und Sicherheit zu fragen.»
        Sie spielte leicht mit dem Facher.»Stattdessen nahmst du eine andere. Eine, von der du glaubtest, sie ware ein vollwertiger Ersatz fur. «Das hatte gesessen.»Ich wu?te es!»
        Bolitho erwiderte schwach:»Ich habe oft an dich gedacht.»
        Sie lachelte, was sie nur trauriger aussehen lie?.»Wirklich?»
        Er wandte den Kopf, um sie besser sehen zu konnen. Andere mochten meinen, er blicke sie direkt an, aber sein linkes Auge wurde durch den flackernden Glanz beeintrachtigt.

«Deine letzte Schlacht - wir horten vor einem Monat davon«, sagte sie.

«Wu?test du, da? ich herkommen wurde?«Sie verneinte.»Er erzahlt mir wenig von seinen Regierungsgeschaften. «Mit einem vertraulichen Lacheln schaute sie zum anderen Ende der Tafel. Bolitho fragte sich, weshalb dieses Einvernehmen mit ihrem Gatten ihm so weh tat, als sie sich wieder an ihn wandte.»Deine Wunden, sind sie.
«Er fuhr zusammen.»Ich half dir einmal, erinnerst du dich nicht?»
        Bolitho senkte die Lider. Es zog ihm wie ein Alptraum durch den Kopf: seine damalige Verwundung, der Ruckfall in das Fieber, das ihn fast umbrachte. Ihre bleiche Nacktheit, als sie die Kleider fallen gelassen und sich an seinen keuchenden, zitternden Korper gepre?t hatte, wahrend sie unhorbare Worte flusterte und ihn an ihre Brust nahm, um seine Qualen zu lindern.

«Ich werde es nie vergessen.»
        Sie beobachtete ihn still. Ihre Blicke wanderten uber seinen geneigten Kopf und seine baumelnde Haarstrahne, uber seine ernsten, sonnenverbrannten Gesichtszuge und die Lider, die seine Augen verbargen, so da? er nicht den Schmerz und die Sehnsucht in ihrem Blick sehen konnte.
        Nebenan erlauterte Major Sebright Adams von den Seesoldaten der Hyperion seine Erlebnisse vor Kopenhagen und die blutigen Folgen der Schlacht. Parris, der Erste Leutnant, horte ihm auf einen Ellenbogen gestutzt scheinbar zu, neigte sich aber uber die junge Frau eines Hafenbeamten. Sein Arm druckte gegen ihre Schulter, doch sie machte keinen Versuch, ihn abzuschutteln. Auch die anderen Offiziere schienen sich augenblicklich frei von jeder Verantwortung zu fuhlen.
        Bolitho spurte mehr denn je seine plotzliche Isolierung. Es drangte ihn, Kate seine Gedanken und Angste mitzuteilen, gleichzeitig verabscheute er seine Schwache.
        So sagte er nur:»Es war ein harter Kampf. Wir verloren viele gute Manner.»

«Und du, Richard? Konntest du wirklich noch mehr verlieren als das, was du schon aufgegeben hattest?»
        Er erwiderte heftig:»La? gut sein, Catherine, es ist vorbei!«Und scharfer:»Es mu? vorbei sein!»
        Eine Seitentur ging auf, und mehrere Lakaien schwarmten aus, aber diesmal ohne neue Speisen. Es wurde Zeit fur die Damen, sich zuruckzuziehen und die Herren bei Portwein und Brandy allein zu lassen. Bolitho dachte an Allday, der mit seiner Crew in der Barkasse auf ihn warten wurde. Jeder Unteroffizier hatte dafur genugt, aber er kannte Allday. Dieser ware jetzt in seinem Element gewesen. Bolitho wu?te keinen, der imstande war, seinen Bootssteurer unter den Tisch zu trinken.
        Somervells Stimme drang durch die angeheiterten Reihen, er hatte keine Schwierigkeiten, sich verstandlich zu machen.

«Ich horte, da? Sie Commander Price besucht haben, Sir Richard?»
        Bolitho fuhlte, da? die Frau an seiner Seite den Atem anhielt, als ob sie in der beilaufigen Frage eine Falle wittere. War ihre Schuld so offenbar?
        Glassport murmelte:»Der ist nicht mehr lange Commander, mochte ich wetten. «Einige Gaste lachten unterdruckt.
        Ein schwarzer Lakai betrat den Salon, streifte Somervell mit einem fluchtigen Blick, eilte zu Bolithos Stuhl und prasentierte ihm auf silbernem Tablett ein Kuvert. Bolitho nahm es und hoffte im stillen, da? ihn sein Auge jetzt nicht im Stich lassen moge.
        Glassport hub wieder an zu lamentieren.»Meine einzige Fregatte, bei Gott! Ich mochte wirklich wissen.»
        Somervell unterbrach ihn unsanft.»Was gibt es, Sir Richard? Betrifft es uns?»
        Bolitho faltete das Papier zusammen und schaute den Schwarzen an. Dessen Gesicht zeigte Mitgefuhl, als ob er Bescheid wu?te.

«Kommodore Glassport, das Schauspiel bleibt Ihnen erspart, einen tapferen Offizier in Schmach und Schande untergehen zu sehen. «Seine Worte waren klar und hart. Obwohl nur an einen Mann gerichtet, ergriffen sie die ganze Tafel, der es den Atem verschlug.»Commander Price ist tot, er hat sich erhangt. «Bolitho konnte sich nicht versagen hinzuzufugen:»Sind Sie nun zufrieden?»
        Mit einem Ruck erhob sich Somervell.»Ich denke, dies ist der richtige Augenblick fur die Damen, sich zuruckzuziehen. «Es war keine Geste der Hoflichkeit, eher schon ein Befehl.
        Bolitho sah Catherine an. In ihren Augen las er das Verlangen, sich mit ihm auszusprechen. Statt dessen sagte sie nur:»Wir sehen uns wieder. «Und als er sich aus einer schnellen Verbeugung aufrichtete:»Bald.»
        Mit raschelnder Seide tauchte sie in den Schatten.
        Bolitho setzte sich wieder. Man hatte ihm ein frisches Glas gebracht. Prices Tod war nicht seine Schuld, nicht einmal die des gedankenlosen Glassport. Was hatte er machen sollen?
        Es konnte jedem von ihnen zusto?en. Insgeheim verglich er den jungen Adam mit dem armen Teufel Price, wie er allein vor dem grimmigen Kriegsgericht sa? und die Spitze des Degens auf dem grunen Tisch gegen sich gerichtet sah.
        Merkwurdig, da? die Nachricht vom Selbstmord Prices aus St. John's unmittelbar zur Hyperion gelangt war. Haven mu?te sie gelesen und erwogen haben, bevor er sie ihm nachsandte. Wahrscheinlich durch einen Fahnrich, der sie wiederum einem Lakaien ubergab. Es hatte Haven nicht geschadet, wenn er sie personlich uberbracht hatte.
        Uberrascht merkte Bolitho, da? die anderen bereits aufgestanden waren und ihm ihre Glaser entgegenhielten. Glassport rief heiser:»Auf unseren Vizeadmiral, Sir Richard Bolitho! Moge er uns neue Siege bringen!»
        Selbst sein betrachtlicher Rausch vermochte nicht die Beschamung in seiner Stimme zu verbergen.
        Bolitho stand ebenfalls auf und verbeugte sich dankend. Er bemerkte, da? die wei?gekleidete Gestalt am anderen Ende der Tafel ihr Glas nicht anruhrte, und fuhlte sein Blut zornig aufwallen. Wie in dem Augenblick, da die Toppsegel des Feindes dessen Angriffsabsicht enthullten, oder wie bei einem Duell im Morgengrauen. Dann dachte er an ihre Augen und an ihr letztes Wort: bald!
        Er griff zum Glas. So sei es denn, dachte er.
        Die sechs Tage nach Ankunft der Hyperion in English Harbour waren hektisch und arbeitsreich, zumindest fur Bolitho.
        Jeden Morgen, nachdem das Wachboot die Depeschen oder Briefe vom Land abgeliefert hatte, kletterte Bolitho in seine Barkasse und widmete sich mit einem verwirrten Leutnant an seiner Seite den Angelegenheiten der ihm unterstehenden Schiffe und Seeleute. Auf den ersten Blick war es keine beeindruckende Streitkraft. Selbst wenn man die drei kleinen Schiffe mit einbezog, die zur Zeit als Aufklarer unterwegs waren, schien die Flottille fur die vorliegenden Aufgaben einfach ungeeignet. Bolitho wu?te, da? die in seiner Stahlkassette eingeschlossenen und sehr allgemein gehaltenen Befehle Ihrer Lordschaften alle Risiken, alle Verantwortung seinem Urteil uberlie?en.
        Das Gros des Antigua-Geschwaders, aus sechs Linienschiffen bestehend, war Berichten zufolge weit im Nordwesten bei den Bahamas verstreut. Wahrscheinlich sondierten sie dort feindliche Streitkrafte oder demonstrierten Macht, um eventuelle Blockadebrecher abzuschrecken. Bolitho kannte ihren Admiral, Sir Peter Folliot, einen ruhigen, wurdevollen Offizier, dem seine schlechte Gesundheit zu schaffen machte. Das waren nicht gerade die besten Voraussetzungen fur einen Angriff gegen die Franzosen oder deren spanische Verbundete.
        Am sechsten Morgen, wahrend Bolitho uber das kaum gekrauselte Wasser zum letzten der ihm unterstellten Schiffe gerudert wurde, uberdachte er die Ergebnisse seiner Besichtigungen. Abgesehen von der Obdurate, einem alteren Vierundsiebziger, wegen Sturmschaden noch in der Werft, verfugte er uber insgesamt funf Briggs, eine Korvette und uber Thor, ein Morserschiff, das er sich bis zuletzt vorbehalten hatte. Er hatte sich jeden Kommandanten zum Flaggschiff bestellen konnen, wie man das von einem Admiral erwartete, und erst recht von einem mit seinem Ruf. Sie erfuhren aber bald, da? er es vorzog, sich selbst zu informieren, da? er den Kontakt mit den Menschen suchte, die er fuhren und anspornen sollte.
        Er dachte an Somervell und dessen immer noch ausstehenden
        Gegenbesuch auf der Hyperion. Lie? er ihn absichtlich warten, um ihn an seinen Rang zu erinnern, oder stand er Bolithos Planen gleichgultig gegenuber?
        Die Riemen tauchten ein und aus. Die Augen der Ruderer mieden seinen Blick, wenn er sie ansah. Uber den geschrubbten Duchten lag Alldays Schatten. So glitten sie an den verankerten Schiffen vorbei. Antigua war zwar britischer Besitz, doch gab es viele Handler und Kustenschiffer, die bereit waren, fur ihre eigene freie Passage den Feind mit Informationen zu beliefern, ohne wirklich Spione zu sein.
        Auf dem nahen Abhang, nur durch eine Brustwehr und eine schlaffe Flagge kenntlich, war eine Batterie schwerer Geschutze stationiert. Zur Verteidigung - gut und schon, aber man gewann Kriege, indem man angriff. Bolitho sah den Staub der Kustenstra?e aufsteigen, als dort eine Kutsche fuhr, und dachte wieder an Catherine. Sie war ihm kaum aus dem Sinn gekommen, und er hatte hart arbeiten mussen, um seine Gefuhle im Zaum zu halten.
        Vielleicht hatte sie Somervell alles erzahlt, was zwischen ihnen gewesen war? Oder er hatte es ihr entlockt? Letzteres verwarf er sofort. Dafur war Catherine zu stark. Er entsann sich ihres fruheren Ehemannes, der zweimal so alt gewesen war wie sie, aber erstaunlichen Mut bewiesen hatte, als er Bolithos Leuten half, ein Handelsschiff gegen Korsaren zu verteidigen. Damals hatte Catherine ihn geha?t. Ihre Gefuhle fureinander waren aus jenem Ha? gewachsen wie Stahl in der Esse einer Schmiede. Er wu?te immer noch nicht genau, was ihnen damals zugesto?en war oder wohin ihre Liebe hatte fuhren konnen. So aber hatten sie nur einen kurzen Hohepunkt in London erlebt, nach ihrer zufalligen Begegnung vor der Admiralitat, als Bolitho gerade zum Kommodore eines eigenen Geschwaders ernannt worden war.
        Das war vor sieben Jahren und einem Monat. Catherine hatte es nicht vergessen. Es erregte ihn, da? sie es fertig gebracht hatte, sein Leben und seine Karriere zu verfolgen, ihrer Meinung nach zwei ganz verschiedene Dinge.
        Allday flusterte:»Sie sind am Fallreep angetreten, Sir Richard.»
        Bolitho setzte den Hut auf. Vor ihnen lag die Bombarde, Seiner Britannischen Majestat Morserschiff Thor. Verglichen mit einem Linienschiff oder einer Fregatte war es klein, aber ausgesprochen stabil und stark konstruiert zum Bombardieren von Kustenbefestigungen und dergleichen. Seine Bewaffnung bestand in der Hauptsache aus zwei schweren Dreizehn-Zoll-Morsern. Das Schiff mu?te kraftig gebaut sein, um dem Rucksto? der Morser zu widerstehen, die fast senkrecht feuerten. Dazu zehn schwere Karronaden - kurzlaufige, aber gro?kalibrige Geschutze - und einige kleinere Sechspfunder obendrein. Thor mu?te ein langsamer Segler sein. Immerhin hatte sie drei Masten und eine handliche Takelage, die sich bei launischem Wind bewahren mochte.
        Ein Schatten verdunkelte Bolithos Uberlegungen. Hatte nicht Francis Inch das Kommando uber eine Bombarde erhalten, nachdem er Hyperion verlie?? Das war schon fast unheimlich. Allday beobachtete ihn und sagte leise:»Wie die alte Hekla, Sir Richard, erinnern Sie sich?»
        Bolitho bejahte. Immer noch konnte er nicht glauben, da? Inch tot war - wie so viele andere.

«Oberdeck - stillgestanden!»
        Pfeifen trillerten. Bolitho ergriff mit beiden Handen das Fallreep und schwang sich durch die Pforte.
        Auf den von ihm bisher besuchten Schiffen schien man von seinem Anbordkommen uberrascht zu sein, aber bis auf einen waren alle Kommandanten vor kurzem noch Leutnants gewesen. Beim Kommandanten der Thor dagegen war keinerlei Nervositat zu spuren, als Bolitho den Hut zog.
        Commander Ludovic Imrie war ein schlanker, schmalschultriger Mann, weshalb seine einzelne Goldepaulette so aussah, als wolle sie jeden Augenblick abfallen. Aber er war uber sechs Fu? gro?. Wenn man die Stehhohe in einigen Abteilungen seines Schiffes bedachte, namlich vier Fu? und sechs Zoll, mu?te er sich hier wie in einem Kafig vorkommen.

«Herzlich willkommen, Sir Richard. «Seine Stimme war auffallend tief, mit einem schottischen Zungenschlag, der Bolitho an seine Mutter denken lie?. Es wurden ihm zwei Leutnants und einige junge Offiziersanwarter vorgestellt. Eine kleine Besatzung. Er hatte sich schon ihre Namen gemerkt und ahnte, da? ihre Zuruckhaltung jetzt von Neugier verdrangt wurde.
        Imrie lie? die Ehrenwache wegtreten und geleitete Bolitho nach kurzem Zogern in seine kleine Heckkajute. Als sie sich unter den massiven Decksbalken ducken mu?ten, entsann sich der Admiral seines ersten selbstandigen Kommandos, einer Korvette, deren Erster Leutnant sich fur den Raummangel entschuldigt hatte. Bolitho aber war fast au?er sich vor Freude gewesen. Nach der engen Leutnantsunterkunft auf seinem bisherigen Linienschiff war ihm die Kajute wie ein Palast vorgekommen.
        Thor war sogar noch kleiner. Sie sa?en einander gegenuber, wahrend ein wettergegerbter Seemann Flasche und Glaser brachte. Welch ein Kontrast zu Somervells Tafel, dachte Bolitho.
        Imrie sprach ungezwungen uber sein Kommando, das er seit zwei Jahren innehatte. Er war sehr stolz auf Thor, und Bolitho spurte sofort seinen Protest, als er erwahnte, Bombarden hatten auf den verschiedenen Kriegsschauplatzen bisher wenig erreicht.

«Wenn man ihnen die Chance gibt. «Er brach ab und zuckte mit den Achseln.»Ich bitte um Entschuldigung, Sir Richard, ich hatte es wissen mussen.»
        Bolitho nippte an dem Wein.»Was wissen?»

«Wie ich horte, prufen Sie Ihre Kommandanten mit ein oder zwei Fangfragen«, erwiderte Imrie.
        Bolitho lachelte.»Es klappt meistens.»
        Er dachte an einige der anderen Kommandanten in Antigua, bei denen er so etwas wie Abneigung, wenn nicht sogar Feindschaft zu spuren bekommen hatte. Vielleic ht wegen Price? Schlie?lich waren sie ihm verbunden gewesen, hatten eng mit ihm zusammengearbeitet. Vermutlich nahmen sie an, da? er sich umgebracht hatte, weil Bolitho es abgelehnt hatte, sich fur ihn einzusetzen. Es gab ahnliche Falle.
        Imrie starrte durch das Oberlicht in den wolkenlosen Himmel.»Wenn ich dicht vor dem Ziel liege, Sir, kann ich ein solches Bombardement loslassen, da? der Feind glaubt, die Holle ware ausgebrochen. Die Spanier haben noch nie Morser zu Gesicht bekommen…«Er stockte und fugte entschuldigend hinzu:»Ich meine, wenn wir wirklich gegen die Dons losschlagen wurden.»
        Imrie hatte seine eigenen Schlusse gezogen. Warum sollte sich auch sonst ein Vizeadmiral die Muhe machen, ihn aufzusuchen? Prices kuhner Vorsto? und katastrophales Ende, die Vorteile der flachgehenden Thor in den seichten Gewassern, wo die Fregatte Consort auf Grund gelaufen war - die Erklarung bot sich von alleine an.

«Das ist schon richtig, Commander Imrie«, sagte Bolitho.»Aber ich vertraue darauf, da? Sie Ihre Meinung fur sich behalten. «Eigenartig, da? sich keiner der anderen, nicht einmal Haven, bisher gefragt hatte, warum sie eigentlich in Antigua waren.
        Bolitho rieb sich wieder das linke Auge, zog seine Hand aber schnell zuruck.»Ich habe alle Berichte gelesen und auch die Notizen, die mein Adjutant machte, als ich mit Commander Price sprach.»
        Imrie hatte ein langes Gesicht mit spitzem Kinn und sah aus, als konne er ein energischer Gegner sein. Aber seine Zuge lockerten sich, als er Bolitho zuhorte, vielleicht weil dieser das Andenken des Toten respektierte. Es gab dem einsamen Grab unterhalb der Ostbatterie ein wenig Wurde.

«Die Zufahrten sind zu gut geschutzt fur das, was ich im Sinn habe«, fuhr Bolitho fort.»Geschickt plazierte Artillerie konnte ein langsames Schiff mit Leichtigkeit aufhalten, und mit gluhenden Kugeln ware die Wirkung noch katastrophaler.»
        Imrie rieb sich das Kinn, seine Augen waren weit weg. Sie stimmten ubrigens in der Farbe nicht uberein. Das eine war dunkel-, das andere bla?blau. Er entgegnete:»Wir denken beide an denselben Kustenstrich, Sir Richard, aber naturlich konnen wir nicht ganz sicher sein, da?.»
        Jenour horte gebannt zu. Zwei Offiziere, jeder ein Veteran auf seinem Gebiet, diskutierten und lachten wie zwei Verschworer uber etwas, das er nicht begriff. Es war unglaublich.
        Bolitho nickte.»Aber wenn…»

«Auch Thor kame nicht nahe genug heran, um ihre Morser einzusetzen. «Imrie prufte das Gesicht seines Gegenubers, als erwarte er Einwande oder ein Zeichen der Enttauschung.»Zudem ist unser Tiefgang nicht sehr viel geringer als der von Consort.»
        Ein Boot stie? dumpf an die Bordwand, und man horte Allday jemanden anschnauzen. Kurz darauf erschien sein Kopf im Oberlicht.»Pardon, Sir Richard, eine Meldung von der Hyperion: Der Generalinspekteur kommt an Bord.»
        Bolitho verbarg seine Aufregung. Hatte Somervell aus Neugier schlie?lich nachgegeben? Begriff er, da? es zwischen ihnen so etwas wie einen Wettbewerb gab?
        Er stand auf und verzog das Gesicht, als sein Kopf an einen Decksbalken stie?. Imrie meinte:»Au verdammt, Sir Richard, ich hatte Sie warnen sollen.»
        Er griff nach seinem Hut.»Das war nur eine Mahnung und weniger schmerzhaft als die Erinnerung.»
        Oben hatte sich die Fallreepswache versammelt. Allday kletterte wutend in die wartende Barkasse hinunter und fauchte die Ruderer an:»Klar bei Riemen, verdammt noch mal!»
        Bolitho fa?te einen Entschlu?.»Commander Imrie, sagen Sie Ihrem Ersten, er soll Sie vertreten. Ich mochte, da? Sie mich begleiten.»
        Imrie blieb der Mund offen stehen.»Aber, Sir Richard.»
        Bolithos Blick fiel auf den Ersten Leutnant der Thor. »Er brennt schon darauf, das Kommando zu ubernehmen, wenn auch nur fur einen Tag.»
        Seine gute Laune erstaunte ihn selbst. Sie war wie ein Damm, der alle Sorgen zuruckhielt.
        Er beugte sich vor, als wolle er eine der kurzlaufigen Karronaden naher betrachten. Das lie? ihm Zeit, sein Auge wieder zu massieren und jene Unscharfe zu vertreiben, die ihm das grelle Sonnenlicht verursachte.
        Imrie flusterte Jenour zu:»Das is t ein Mann, was? Ich wurde mit ihm durch dick und dunn gehen.»

«Aye, Sir.»
        Bis auf Allday und das Kajutpersonal sah Jenour mehr von Bolitho als jeder andere, und ihm war etwas aufgefallen. Jenours Onkel war Arzt in Southampton und hatte schon von dergleichen gesprochen. Jenour hatte beobachtet, da? Bolitho manchmal das Gleichgewicht verlor wie in jenem Augenblick, als die schone Viscountess zulangte, um ihn zu stutzen. Auch zuvor war das mehrmals passiert, doch wurde nie daruber gesprochen. Vielleicht irrte er sich auch.
        Unterwegs grubelte Bolitho uber seine Mission. Wenn er Fregatten gehabt hatte, wenigstens eine, hatte er das eine gewaltige Hindernis ausraumen konnen. Doch La Guaira, der Hafen auf dem spanischen Festland und das Tor zu Venezuelas Hauptstadt Caracas, galt als uneinnehmbar. Aber nur, weil es niemand bisher versucht hatte. Er merkte Imries Interesse und freute sich, die Thor besucht zu haben, ehe er das Wagnis mit Haven und den anderen erorterte.
        Imrie wurde zuversichtlich, aber nicht sorglos sein. Price hatte gedacht, da? er es schaffen konne, wenn auch aus anderen Grunden. Doch ware sein Unternehmen erfolgreich verlaufen, hatte hinterher nicht einmal mehr ein Fischerkahn durch die Abwehr der Dons schlupfen konnen.
        Allday rief:»Wir mussen zur anderen Seite, Sir Richard. «Er schien gereizt, und Bolitho wu?te, da? er uber seinen kurzlich entdeckten und ebenso schnell wieder verlorenen Sohn nachdachte. Jenour erhob sich schwankend.»Die Wasserleichter gehen langsseit. Soll ich sie wegscheuchen?»
        Bolitho ruckte seinen Rock zurecht.»Setzen Sie sich wieder hin, junger Hei?sporn. Wir haben Frischwasser notig, und Hyperion hat schlie?lich zwei Seiten.»
        Sie pullten um den Bug herum, der grimmige Blick der
        Galionsfigur glitt uber sie hinweg. Schon mancher mu?te im Pulverdampf diese stechenden Augen gesehen und Furcht empfunden haben.
        Haven war aufgeregt und besorgt.»Es tut mir leid wegen der Leichter, Sir Richard, aber ich hatte Sie noch nicht zuruckerwartet.»
        Bolitho uberquerte das Deck mit gesenktem Blick. Er wollte sich an den Schatten in der Kajute gewohnen.

«Macht nichts. «Da Haven Imrie mit Mi?trauen betrachtete, fugte er hinzu:»Der Commander ist mein Gast.»
        Unten hatten die Leic hter festgemacht, ungeschlachte Fahrzeuge mit flachem Boden und offenen Rumpfen, in denen Reihen von Wasserbehaltern standen. Eine ganze Menge war bereits mit Flaschenzugen hochgeholt und in der Hyperion verstaut worden. Parris, der Erste Leutnant, stutzte sich mit einem Bein am Lukenrand ab und sah zu, wie der hakennasige Zahlmeister Sheargold jeden Behalter kontrollierte, bevor er ubernommen wurde. Bolitho wollte sich gerade umdrehen, als ihm etwas auffiel.

«Dieser Leichter liegt noch auf ebenem Kiel, nicht schief, obwohl die Fasser jetzt alle auf einer Seite stehen.»
        Haven beobachtete ihn vorsichtig.»Die sind eben so gebaut, Sir. Nichts kann sie umkippen.»
        Bolitho richtete sich auf und wandte sich an Imrie.»Da haben wir es, Imrie: eine flachgehende Plattform fur Ihre Morser.»
        Er ignorierte das allgemeine Erstaunen.

«Jetzt mu? ich aber den Generalinspekteur begru?en.»
        Der Sehr Ehrenwerte Viscount Somervell rakelte sich, von den einfallenden Sonnenstrahlen beschienen, in einem ledergepolsterten Sessel und horte aufmerksam zu. Diesmal war er in ein sehr helles Grun mit Brokatbesatz und Stickereien gekleidet, die jeden Prinzen beschamt hatten. Im grellen Licht wirkte er junger, knapp Mitte der Drei?ig. Bolitho bemuhte sich, nur an sein Vorhaben zu denken, aber trotzdem schien Catherine wie ein Schemen in der gro?en Kajute zu schweben und Vergleiche zwischen den beiden Mannern anzustellen.
        Der Admiral trat zu den Heckfenstern und schaute auf einige Fischerboote hinaus. Die Reede war noch glatt und windstill, doch der Dunst trieb schon seewarts, und der Wimpel einer ankernden Brigg luftete sich hin und wieder in einem schwachen Hauch.

«Commander Price hatte die Angewohnheit. «sagte Bolitho und hielt inne, als erwarte er Somervells Einspruch oder bei?ende Kritik,». hatte die Angewohnheit, jenen Kustenstrich zu erkunden, an dem er schlie?lich mit Consort scheiterte. Er machte sich sorgfaltige Notizen von allem, was er sah, und durchsuchte oder zerstorte in der Folge etwa zwanzig feindliche Fahrzeuge. Wenn er Zeit gehabt hatte.»
        Das war Somervells Stichwort.»Die war fur ihn abgelaufen. «Er beugte sich vor, ohne da? seine fahlen Augen im Sonnenschein blinzelten.»Und Sie haben wirklich diese geheime Angelegenheit mit einem. ah. mit Commander Imrie erortert?«Er sprach den Namen so gleichgultig aus wie ein Gutsherr den eines Landarbeiters.»Das schafft ein zusatzliches Risiko.»
        Bolitho erwiderte:»Imrie ist ein intelligenter Offizier und diskret dazu. In den vorangegangenen Gesprachen mit meinen anderen Kommandanten gewann ich den Eindruck, da? sie erwarteten, ich wurde versuchen, die Consort - oder die Intrepido, wie sie jetzt hei?t - zuruckzuholen.»
        Somervell pre?te die Fingerspitzen zusammen.»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Sir Richard.»
        Ungeruhrt sprach Bolitho weiter.»Nur Imrie ahnte sofort, da? ich etwas anderes im Sinn hatte. Er wu?te, da? seine Thor fur derartige Unternehmen zu schwer und zu langsam ist.»

«Es beruhigt mich, da? Sie ihm nicht mehr gesagt haben.»
        Bolitho blickte auf die Seekarte und argerte sich, da? Somervell ihn so leicht provozieren konnte.

«Jedes Jahr gehen Geleitzuge vom spanischen Festland ab, wobei jedes Schiff Riesensummen befordert. Die Kirche und die Armee haben den sudamerikanischen Kontinent schon lange vergewaltigt und geplundert, und jetzt braucht der Konig von Spanien noch mehr Gold. Seine franzosischen Herren wollen ihren Anteil.»
        Somervell stand auf und ging wie beilaufig zur Karte. Alles, was er unternahm, sah gelangweilt und trage aus, doch sein Ruf als Fechter strafte das Lugen.

«Als ich hier ankam, auf Befehl Seiner Majestat«, er betupfte sich den Mund mit einem seidenen Taschentuch, als wolle er ein Lacheln verbergen,»hielt ich das Kapern eines spanischen Schatzschiffes lediglich fur einen Traum. Ich wei?, da? Nelson dabei viel Gluck gehabt hat, besonders auf See, wo eine derartige Beute noch schwerer aufzuspuren ist. «Sein Finger fuhr an der Kustenlinie entlang.»La Guaira ist gut befestigt. Sie werden die Consort dorthin gebracht haben.»

«Mit Respekt, Mylord, das bezweifle ich. La Guaira ist wohl das Tor zur Hauptstadt Caracas, aber nicht geeignet, ein Kriegsschiff neu herzurichten. Wahrscheinlich wird die Fregatte nach der Grundberuhrung Schaden davongetragen haben. «Ehe Somervell sich au?ern konnte, beruhrte Bolitho die Karte.»Hier, Mylord: Puerto Cabello, siebzig Meilen westlich, ware ein viel geeigneterer Ort.»

«Hm. «Somervell sah naher hin, und Bolitho entdeckte eine blaue Narbe unterhalb seines Ohrs. Das war haarscharf daneben gegangen, dachte er duster.
        Der Viscount meinte:»Es liegt ziemlich nahe an Ihrem vorgesehenen Operationsgebiet. Ich bin noch nicht uberzeugt. «Er ging langsam durch die Kajute. Price sah Schiffe vor Anker liegen, und nach meinen Informationen laufen die Schatzschiffe La Guaira an. Der Ort wird von mindestens drei Forts verteidigt und, wie Consort zu ihrem Schaden entdeckte, obendrein wahrscheinlich von beweglicher. Feldartillerie. «Er schuttelte den Kopf.»Mir gefallt das nicht. Wenn wir die Fregatte noch hatten, konnte es - und ich betone konnte es - anders aussehen. Wurden
        Sie nun angreifen und von den Dons zuruckgeschlagen, hatten wir den Vorteil der Uberraschung vertan. Der Konig von Spanien verliert lieber eine ganze Flotte als sein Gold. Nein, ich bin noch nicht uberzeugt.»
        Bolitho blieb eigenartig ruhig und zuversichtlich. In seiner Vorstellung gewann der verschwommene Plan plotzlich Substanz wie eine Kuste im Morgendunst. Der Krieg auf See war immer ein Risiko. Er verlangte mehr als Geschick und Mut, es brauchte dazu, was sein Freund Thomas Herrick als die Hand Fortunas umschrieben hatte. Aber war er nach allem noch sein Freund?

«Ich bin bereit, es darauf ankommen zu lassen, Mylord.»
        Somervell fuhr herum.»Ich aber nicht. Hier steht mehr als Ihr Ruhm auf dem Spiel - es geht um einen hohen Einsatz.»

«Daran habe ich nie gezweifelt, Mylord.»
        Sie sahen einander an, als suchten sie ihre Absichten zu erraten.
        Somervell sagte unvermittelt:»Als ich an diesen verdammten Ort kam, bildete ich mir ein, man wurde mir einen erfahrenen und tapferen Kapitan schicken, um eine Schatzgaleone aufzuspuren und zu kapern. «Es horte sich an, als spucke er die Worte aus.»Dann wurde mir mitgeteilt, da? moglicherweise ein Geschwader kommen und die Fluchtwege der Spanier zu den Kanaren und ihren Heimathafen blockieren wurde.
«Er wedelte mit der Hand, wie um sich zu verbeugen.»Statt dessen schickte man Sie, einen Admiral, sozusagen als Vorlaufer, um der Sache mehr Gewicht zu verleihen. Aber wenn wir nun verlieren, wird der Sieg des Feindes um so gro?er aussehen. Was sagen Sie dazu?»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Ich denke, wir konnen gewinnen. «Die Erkenntnis uberfiel ihn wie ein Schrei in der Nacht: Somervell brauchte den Erfolg mehr als jeder andere. Vielleicht weil er bei Hofe in Ungnade gefallen war, oder weil er sich anderweitig in Schwierigkeiten befand, die nur ein hoher Anteil an Prisengeld bereinigen wurde.
        Er sagte sachlich:»Mylord, wir haben keine Zeit zu verlieren. Wenn wir so lange warten, bis Verstarkung aus England eintrifft - und ich weise darauf hin, da? es nur drei Linienschiffe sein werden - , dann ist hier alle Welt hinter uns her. Gewi?, ein Sieg hilft unseren Finanzen, aber vor allem wird er das franzosischspanische Bundnis ernsthaft schadigen.»
        Somervell setzte sich wieder und strich sorgfaltig seinen Rock glatt, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Schlie?lich meinte er gereizt:»Das Geheimnis wird ohnehin bald bekannt sein.»
        Bolitho sah ihn die Lippen spitzen und wollte nicht daran denken, da? diese Catherines Hals beruhrten, ihre Bruste.
        Dann lachelte Somervell, als lenke er ein.»Gut, ich stimme zu. Es soll so ablaufen, wie Sie planen. Ich bin ermachtigt, Ihnen jede Unterstutzung zu gewahren. «Sein Lacheln verschwand abrupt.»Aber ich kann Ihnen nicht helfen, wenn.

        Bolitho nickte zufrieden.»Gewi?, Mylord, das Wort >wenn< kann fur einen Marineoffizier alles bedeuten.»
        Er vernahm, da? jemand ein Boot anrief, und vermutete, da? Somervell seinen Abgang wie seine Ankunft auf die Minute genau arrangiert hatte.

«Ich werde sofort Kapitan Haven informieren.»
        Somervell horte nur noch halb hin, meinte aber:»So vage wie moglich. Wenn zwei ein Geheimnis teilen, ist es kein Geheimnis mehr.»
        Die Tur ging auf und Ozzard trat ein, Somervells Hut mit gro?ter Sorgfalt balancierend.
        Somervell bemerkte noch:»Es freut mich, da? wir uns kennengelernt haben. Aber ich kann mir um nichts in der Welt vorstellen, warum Sie darauf bestanden, diese Aufgabe selbst zu ubernehmen. «Er verbeugte sich spottisch.»War es etwa Todessehnsucht? Denn noch mehr Ruhm haben Sie bestimmt nicht notig.»
        Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verlie? die Kajute.
        Uber die strammstehenden Seesoldaten an der Relingpforte sah er hinweg, desgleichen uber Imries schlaksige Gestalt an der Pooptreppe.»Ich konnte mir denken, da? Lady Belinda diesen Drang zu weiteren Siegen, so bald nach dem letzten, ausgesprochen mi?billigt. «Mit einem schiefen Lacheln ging er von Bord.
        Bolitho blickte der hubschen, von der Hyperion fortrudernden Barkasse nach. Was hatten sie besprochen und, mehr noch, was war ungesagt geblieben? Was hatte sich beispielsweise Somervell bei seinem Hinweis auf Belinda, seine Frau, gedacht? Wollte er ihn nur reizen, oder konnte er sich nicht zuruckhalten, da keiner von beiden auch nur einmal Catherine erwahnt hatte? Haven naherte sich und tippte an seinen Hut.»Irgendwelche
        Befehle, Sir Richard?»
        Bolitho zog seine Uhr und lie? den Deckel aufspringen. Es war genau Mittag. Ihre Augen trafen sich, und Bolitho fuhlte fast korperlich des anderen Zuruckhaltung, ja Vorsicht. Er zogerte.»Alle Kommandanten sollen sich im Anschlu? an die Nachmittagswache zur Besprechung bei mir melden. Fuhren Sie sie in meine Kajute.»
        Haven schluckte.»Der Rest unseres Geschwaders ist aber noch auf See, Sir.»
        Bolitho sah sich um. Die Ehrenwache war schon weggetreten, nur der Unteroffizier vom Dienst war noch in der Nahe. Er sagte:»Ich habe die Absicht, innerhalb der Woche und sobald genugend Wind unsere Segel fullt, ankerauf zu gehen. Wir segeln nach Sudwesten zum Festland und beziehen vor La Guaira Station.»
        Havens rotliche, sonnengebraunte Wangen, die zu seiner Haarfarbe pa?ten, schienen zu erbleichen.»Das sind sechshundert Seemeilen, Sir! Mit diesem Schiff, ohne Unterstutzung? Ich wei? nicht, ob.»
        Bolitho fixierte ihn scharf.»Haben Sie keinen Mumm oder mochten Sie eine vorzeitige Verabschiedung?«Doch er zugelte sich, weil Haven nicht zuruckschlagen konnte, und setzte ruhiger hinzu:»Ich brauche Sie, und auch dieses Schiff braucht Sie. Das ist alles.»
        Beim Fortgehen bemerkte er Imrie.»Kommen Sie mit, ich mochte Sie Ihrer Ideen berauben. «Als ein Sonnenstrahl durch die Besanwanten auf ihn fiel, zuckte er zuruck. Fur Sekunden war sein linkes Auge vollig blind, und er mu?te sich zusammennehmen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.
        Von Todessehnsucht hatte Somervell gesprochen. Bolitho ertastete sich den Weg ins Achterschiff, wobei ihn Bitterkeit uberfiel. Zu viele hatten schon seinetwegen sterben mussen, und auch seine Freunde erlitten durch den Umgang mit ihm nur Schaden.
        Imrie duckte sich unnotigerweise und begleitete ihn in das Dunkel des Achterdecks. Ich habe nachgedacht, Sir Richard, und ein paar Einfalle.»
        Seine einfachen Worte waren eine Art Rettungsleine fur den Admiral.
        Bolitho entgegnete:»Dann wollen wir unseren Durst loschen, wahrend ich zuhore.»
        Als sie verschwunden waren, rief Haven nach dem Signalfahnrich und erklarte dem Jungen Art und Zeit der Ubermittlung, wodurch die anderen Kommandanten an Bord gerufen werden sollten. Danach wandte er sich dem erst jetzt herbeieilenden Ersten Leutnant zu. Bevor dieser den Mund aufmachen konnte, fuhr ihn Haven an:»Mu? ich auch noch Ihre Aufgaben ubernehmen, verdammt noch mal?«Noch im Weggehen schimpfte er:»Bei Gott, wenn Sie sich nicht bessern, lasse ich Sie an Land setzen, fur immer!»
        Parris starrte ihm nach, nur seine geballten Fauste verrieten seinen Groll.»Gott verdamme dich!»
        Er sah, da? der Fahnrich gro?e Augen machte. Hatte er sich etwa laut ausgelassen? Er grinste mude.»Der Seemann hat ein feines Leben, Mr. Mirrielees, vorausgesetzt, er halt sein Maul!»
        Um acht Glasen nachmittags, also um vier Uhr, wurde das Signal an der Rah vorgehei?t. Es fing an.



        IV Sturmwarnung

        Bolitho stand im leeren Bootsschuppen und gewohnte seine Augen an die Formen und Schatten. Es war ein gro?es, baufalliges Gebaude, von einigen wenigen Lampen schwach erleuchtet. Um die Feuersgefahr zu verringern, hingen die
        Laternen an langen Ketten und pendelten jetzt leise, was den Eindruck erweckte, als bewege sich der Schuppen wie ein Schiff.
        An diesem Abend war die Dunkelheit lebendig und voller Gerausche: dem Rascheln und Klatschen der Palmwedel, dem unruhigen Platschern des Wassers unter der groben Aufschleppe, wo man den Leichter fur seine Reise in den Suden hergerichtet hatte. Der Bootsschuppen war ein wimmelnder Bienenkorb gewesen, in dem Schiffbauer und Seeleute gegen die Zeit arbeiteten, um zusatzliche Bilgepumpen einzubauen und Scharniere entlang der Verschanzung einzusetzen, damit man diese bei Bedarf niederlegen konnte.
        Bolitho fuhlte losen Sand vom Strand in seinen Schuhen, wahrend er zum hundersten Mal seine Plane durchdachte. Jenour hatte ihm Gesellschaft geleistet, aber sein Verlangen nach Alleinsein respektiert.
        Bolitho lauschte dem Platschern des Wassers, dem sanften Stohnen des Windes uber dem vom Wetter zerrissenen Dach. Sie hatten um Wind gebetet, aber nun konnte er zunehmen und sich gegen sie kehren. Wenn der Leichter vollschlagen sollte, bevor er sein Ziel erreichte, mu?te er sich zu einer Plananderung entschlie?en. Entweder wurde er dann Thor ohne Unterstutzung an die Kuste schicken oder den Angriff abbrechen mussen. Er dachte an den Zweifel in Somervells Augen. Nein, er wurde nicht umkehren, es war sinnlos, andere Moglichkeiten zu erwagen.
        Er sah sich im drauenden Schatten des Schuppens um: Skelette alter Boote, Spanten von neuen, der Geruch nach Farbe, Teer und Tauwerk. Eigenartig, da? er nach so vielen Jahren auf See seine anregende Wirkung auf ihn immer noch nicht verfehlte.
        Bolitho entsann sich der Schuppen in Falmouth, wo er und sein Bruder und manchmal auch seine Schwestern alle Winkel erforscht hatten und sich wie Piraten und Prinzessinnen vorgekommen waren. Er fuhlte einen Stic h im Herzen, als er an seine Tochter Elizabeth dachte, wie sie, unbeholfen auf den Arm genommen, an seinen Epauletten und blanken Knopfen gezupft hatte.
        Doch statt ihn und Belinda wieder zu vereinen, war das Gegenteil geschehen. Eine ihrer Auseinandersetzungen hatte sich um Belindas Absicht gedreht, eine Gouvernante und ein passendes Kindermadchen fur ihre Tochter zu engagieren. Dies und ihr Vorschlag, nach London zu ziehen, hatten den Streit entzundet. Sie hatte ihm erklart:»Nur weil du selbst in Falmouth mit den Dorfkindern aufgewachsen bist, kannst du nicht von mir verlangen, da? ich Elizabeth die Moglichkeit vorenthalte, sich im Leben zu verbessern und von deinen Leistungen zu profitieren.»
        Es war eine schwierige Geburt gewesen, wahrend Bolithos Abwesenheit auf See. Die Arzte hatten Belinda vor einem zweiten Kind gewarnt, und als Folge davon war eine Entfremdung zwischen den Eheleuten eingetreten, die Bolitho nicht verstand und als ungerecht empfand. Ein andermal hatte Belinda spitz geau?ert:»Ich habe dir von Anfang an erklart, ich bin nicht Cheney. Hatte ich ihr nicht so ahnlich gesehen, waren wir jetzt wohl kaum verheiratet.»
        Bolitho hatte versucht, die Barriere zwischen ihnen niederzurei?en, Belinda an sich zu ziehen und ihre Angst zu beschwichtigen. Er wollte ihr von seiner Augenverletzung erzahlen und von dem, was sie bedeuten konnte. Statt dessen hatten sie sich in London getroffen, und es war zu unerklarlichen, bitteren Feindseligkeiten zwischen ihnen gekommen, die beide spater bedauerten.
        Bolitho tippte an seine blanken Knopfe und dachte wieder an das Kind. Es war jetzt sechzehn Monate alt. Verzweifelt fragte er sich, ob Elizabeth nie in Falmouth spielen, im Sand tollen und schmutzig nach Hause kommen wurde, um gescholten und geliebt zu werden.
        Jenour horte ihn seufzen, zog aber die falschen Schlusse daraus. »Thor mu?te schon ziemlich weit weg sein, Sir Richard«, meinte er aufmunternd.
        Bolitho nickte. Das Morserschiff war in der vergangenen Nacht heimlich ausgelaufen, aber Gott allein wu?te, ob nicht Spione langst Einzelheiten uber den beabsichtigten Einsatz weitergemeldet hatten. Zur Tauschung hatte man Geruchte in Umlauf gesetzt, wonach Thor den Leichter nach St. Christopher schleppen sollte. Sogar Glassport war genotigt worden, seinen Widerstand aufzugeben, und hatte eine Decksladung mit dem deutlich sichtbaren Namen dieses Bestimmungshafens besorgt.
        Wie auch immer, jetzt war es zu spat fur Alternativen. Vielleicht war es dafur schon zu spat gewesen, als er darauf bestanden hatte, seinem neuen Geschwader vorauszusegeln und mit des spanischen Konigs Gold auf seine Weise umzugehen. Todessehnsucht? Somervells Wort steckte in seinem Kopf wie ein Widerhaken.
        Er sagte:»Imrie wird sich zweifellos freuen, wieder auf See zu sein.»
        Jenour musterte besorgt die aufrechte Gestalt, die den Hut abgelegt und die Halsbinde gelockert hatte. Bolitho merkte es nicht, er dachte an seine anderen Kommandanten. Haven hatte in einem Punkt recht behalten: Die drei patrouillierenden Fahrzeuge seiner kleinen Streitmacht waren noch nicht nach English Harbour zuruckgekehrt. Entweder hatten Glassports Schoner sie nicht zu finden vermocht, oder es hatte jeder fur sich beschlossen, die Zeit anderswo totzuschlagen. Er stellte sich die Gesichter vor, als die Kommandanten in der gro?en Kajute versammelt waren. Thynne von der Obdurate, die noch ihre Sturmschaden reparierte, war der einzige etatma?ige Kommandant unter ihnen. Bolitho behandelten sie mit einer hoflichen Wachsamkeit. Sie alle hatten den toten Price gekannt, und vielleicht sahen sie in Bolithos Strategie einen Diebstahl seiner Ideen.
        Diese Befurchtung hatte er Jenour gegenuber geau?ert, nicht etwa, weil der junge Flaggleutnant schon uber genug Erfahrung und Klugheit als Kritiker verfugte, sondern weil er sie mit einem teilen wollte, dem er vertrauen konnte.
        Aber Jenour hielt das bezeichnenderweise fur ausgeschlossen und hatte beharrlich erklart:»Sie kennen Ihre bisherigen Leistungen, Sir Richard, das genugt jedem.
«Jenour war ein angenehmer, eifriger junger Mann, der ihn an niemanden erinnerte. Vielleicht hatte er ihn sich deshalb ausgesucht. Deshalb und wegen seiner verbluffenden Kenntnisse uber Bolithos bisherige Unternehmen, seine Schiffe und Gefechte.
        Die drei Briggs Upholder, Tetrarch und Vesta sollten morgen die Anker lic hten und mit dem Flaggschiff auslaufen. Blieb nur zu hoffen, da? sie nicht auf feindliche Fregatten stie?en, bevor sie das Festland erreichten. Alle drei zusammen trugen sie nur zweiundvierzig Kanonen. Wenn doch wenigstens ihre einzige Korvette aufsein Ruckrufsignal reagiert hatte! Denn die Phaedra sah wie eine kleine Fregatte aus, und in den richtigen Handen konnte sie auch als eine solche kampfen. Oder ma? er sie schon wieder an seiner ersten Korvette und dem damit verbundenen
        Gluck?
        Bolitho schritt langsam zum Ende der Aufschleppe, dorthin, wo sie in die unruhigen Wellen tauchte. Das Wasser war dunkel wie Ebenholz, betupft mit gelegentlichen Reflexen der Ankerlaternen oder, wie im Fall der Hyperion, von den Spiegelbildern der erleuchteten offenen Stuckpforten. Er fuhlte die warme Brise an seinen Wangen und versuchte sich die Seekarte mit allen Unwagbarkeiten vorzustellen, die ihnen auf jeder der sechshundert Seemeilen zusto?en konnten.
        Er wollte sich nicht aufregen, wenn er an Haven dachte. Haven war kein Feigling, aber von anderen, tieferen Sorgen besessen. Was er auch von seiner Kommandierung auf einen Veteranen wie Hyperion hielt, Bolitho sah es anders. Das Schiff mochte alt sein, gewi?, aber es war noch immer ein weit besserer Segler als die meisten seiner Sorte. Ungewohnlich, da? ein Flaggkapitan sich zum Gegner seines Admirals machte, ob er ihn nun ha?te oder nicht. Die Karriereleiter war schwer genug zu erklettern, ohne da? man sich noch selbst Hindernisse in den Weg legte. Doch Haven wies jeden personlichen Kontakt zuruck, und als auf der Uberfahrt von England traditionsgema? seine Gegenwart an der Tafel notig war, wo Bolitho einige jungere Offiziere bewirtete, hatte er sich abseits gehalten. Bolitho dachte an das Bildnis von Havens hubscher Frau. War sie die Ursache seiner Probleme? Das allerdings hatte er gut verstehen konnen.
        Der Schatten eines Fischerboots glitt an der ihnen am nachsten liegenden Brigg voruber. Brachte es dem Feind eine Nachricht? Falls die Dons herausbekamen, was er beabsichtigte, konnte der Admiral in Havanna wenige Stunden nach Erhalt der Nachricht ein ganzes Geschwader in See haben.
        Es wurde Zeit, zur Anlegebrucke zu gehen, wo die Barkasse wartete, aber Bolitho zogerte noch. Es war so friedlich hier, ein Aufschub vor der Gefahr und dem Ruf der Pflicht.
        Der Fischer war verschwunden, ohne zu ahnen, welche Gedankengange er ausgelost hatte. Bolitho starrte auf die leuchtenden Reihen offener Stuckpforten der Hyperion. Das sah aus, als ob sie innerlich brannte. In ihrem rundlichen Rumpf drangten sich sechshundert Seelen - alle ihm uberantwortet. Sie verlangten nicht viel, aber oft wurden ihnen selbst noch die einfachsten Bequemlichkeiten vorenthalten. Er konnte sich die anonymen Seesoldaten in ihrer Sektion des Decks vorstellen, wo sie wohnten und auch ihre Ausrustung reinigten und putzten. Er sah andere Quartiere vor sich, wo die Seeleute zwischen Kanonen ihre Freiwachen verbrachten, an traditionellen Kleinigkeiten bastelten oder winzige Schiffsmodelle aus Knochen und Muscheln schnitzten. Wie konnten ihre von schwerer Arbeit groben Hande solch feine Arbeiten hervorbringen? Dann die Fahnriche der Hyperion, acht an der Zahl, die den Lehrstoff fur ihr Leutnantsexamen studierten, manchmal bei schwachster Beleuchtung, einem Docht in einer alten Kartusche.
        Die Offiziere hatten sich noch nicht hervorgetan, aber mit der Zeit wurden sie zeigen, was sie konnten oder was nicht. Bolitho schlug mit seinem Hut nach einem durch die Dunkelheit summenden Insekt. Fuhrerschaft, darauf kam es an. Alles beruhte auf guter Fuhrerschaft.
        Als er sich wieder dem Bootsschuppen zuwandte, horte er Jenours Schritte davoneilen. Eine Kutsche rollte heran, ein Pferd stampfte unruhig, und die Stimme eines Mannes suchte es zu besanftigen.
        Jenour kam zuruck und wisperte:»Eine Dame, Sir Richard.»
        Bolithos Herz erriet ihren Namen. Er fragte sich keinen Moment, wer da zu dieser spaten Stunde kommen mochte. Vielleicht hatte er sie unbewu?t erwartet, in der Hoffnung, da? sie ihn schon finden wurde. Und trotzdem fuhlte er sich unvorbereitet.
        Sie begegneten einander unter dem aufgepallten Rumpf eines alten Bootes. Catherine war von Kopf bis Fu? in einen Umhang gehullt, dessen Kapuze lose uber ihrem Haar hing. Hinter ihr sah man die Kutsche warten, den Mann neben dem Pferd stehen, beleuchtet von zwei kleinen Laternen, die ihren gelben Schein auf die Stra?e warfen. Jenour wollte sich zuruckziehen, aber sie winkte seine Entschuldigung beiseite.»Lassen Sie nur, ich habe ja auch meine Zofe bei mir.»
        Bolitho trat naher, doch sie kam ihm nicht entgegen. Der Umhang verbarg sie vollig, lediglich das Oval ihres Gesichts und eine goldene Halskette waren erkennbar.
        Sie sagte:»Du verla?t uns bald. «Das klang wie eine Feststellung.»Ich kam, um dir Gluck zu wunschen, was auch immer. «Die Stimme versagte ihr. Bolitho streckte die Hand aus, doch sie protestierte schnell:»Nein, das ware unfair. «Nach einer Pause fragte sie ohne Gemutsbewegung:»Du hast meinen Mann getroffen?»
        Bolitho versuchte, ihr in die Augen zu sehen, aber auch diese lagen im tiefen Schatten.»Ja. Aber ich mochte lieber von dir reden und erfahren, wie es dir ergangen ist.»
        Sie hob das Kinn und drehte sich halb um.»Seit dem Empfang? Mein Mann spricht viel von dir. Du hast ihn beeindruckt, und er bewundert andere nicht oft. Die Tatsache, da? du den neuen Namen der Consort kanntest.»
        Bolitho beharrte:»Wir wollen uber dich reden, Kate.»
        Sie erschauerte und entgegnete leise:»Ich habe dich einmal gebeten, mich nicht Kate zu nennen.»

«Ich wei?. Ich habe nichts vergessen. «Er zuckte die Achseln und merkte, da? er etwas falsch machte.

«Ich auch nicht. Ich habe alles uber dich gelesen, was ich nur bekommen konnte, weil ich furchtete, mit der Zeit meine Erinnerungen an dich zu verlieren. Ich war verletzt, habe deinetwegen gelitten.»

«Das ahnte ich nicht.»
        Sie horte nicht hin.»Hast du angenommen, dein Leben bedeute mir so wenig, da? ich es jahrelang verfolgen konnte, ohne zu leiden? Sieben Jahre, an denen ich nicht teilhaben durfte - hast du gedacht, ich liebte dich nicht?»

«Ich war der Meinung, du hattest dich von mir abgewendet.»

«Vielleicht tat ich das auch, eine Zeitlang. Und doch wunschte ich mir mehr als alles andere, da? du Erfolg haben wurdest, da? man erkennen wurde, wer du wirklich bist. Oder hattest du es lieber gesehen, die Leute hatten im Vorbeigehen hohnisch uber mich gelachelt wie uber Nelsons Hure? Wie hattest du diesen Sturm abgewettert, sag?»
        Bolitho horte Jenour davongehen, doch es war ihm egal.

«Bitte gib mir Gelegenheit, zu erklaren…»
        Sie schuttelte den Kopf.»Du bist mit einer anderen verheiratet und hast ein Kind, da gibt es nichts zu erklaren.»
        Bolitho lie? die Arme sinken.»Und was ist mit dir? Du hast ebenfalls geheiratet.»

«Ihn?«antwortete sie gedehnt.»Lacey brauchte mich, ich konnte ihm helfen. Und ich brauchte Sicherheit, wie schon gesagt.»
        Sie betrachteten einander schweigend. Dann bat sie:»Sei vorsichtig, auf was du dich einla?t. Ich werde dich wahrscheinlich nicht wiedersehen.»
        Bolitho erwiderte:»Ich segle morgen, aber das wei?t du wahrscheinlic h schon.»
        Zum erstenmal hob sie die Stimme.»Sprich mit mir nicht in diesem Ton! Ich bin gekommen, weil ich noch immer an unsere Liebe glaube. Nicht aus Trauer oder Mitleid. Wenn du denkst.»
        Durch den Umhang packte er ihren Arm.»Geh nicht im Zorn, Kate. «Er erwartete, da? sie sich losrei?en und zur Kutsche eilen wurde. Aber etwas in seiner Stimme zwang sie zu bleiben.
        Er setzte von neuem an.»Den Gedanken, da? ich dich niemals wiedersehen sollte, konnte ich nicht ertragen.»

«Es war dein Entschlu?«, flusterte sie.

«Nicht ganz.»

«Wurdest du deiner Frau erzahlen, da? du mich gesehen hast? Wie ich hore, ist sie eine Schonheit. Konntest du ihr das antun?«Sie trat ein wenig zuruck.»Dein Schweigen ist auch eine Antwort.»
        Bolitho sagte bitter:»Das stimmt nicht. »
        Sie wandte sich zum Gehen. Dabei glitt die Haube von ihrem Kopf, und der Schein der Lampen fiel auf die Ohrringe, die er ihr einst geschenkt hatte.
        Als er sie wieder festhalten wollte, wich sie zuruck und bedeckte ihr Gesicht. Morgen werde ich dir nachsehen, wenn sich dein Schiff entfernt. Wie die Dinge liegen, wird mein Herz mit dir segeln, Richard. Aber jetzt geh!»
        Dann lief sie mit schwingendem Umhang davon, bis sie die Kutsche erreichte.
        Jemand rausperte sich, es war Jenour.»Tut mir wirklich leid, Sir Richard…»
        Bolitho schnitt ihm das Wort ab.»Es ist Zeit, da? Sie erwachsen werden, Mr. Jenour.»
        Jenour eilte hinter ihm her, den Kopf noch voll von dem, was er unfreiwillig gehort und gesehen hatte.
        Auf der Pier blickte Bolitho noch einmal zuruck. Die Lampen ihrer Kutsche hatten sich nicht bewegt. Sie sah ihm noch in der Dunkelheit nach.
        Er horte, da? sich die Barkasse naherte, und fuhlte sich plotzlich erleichtert. Die See forderte ihn wieder fur sich.
        Am Mittag des dritten Tages auf See schritt Bolitho an Deck in Luv auf und ab. Es war ein Tag wie jeder andere, als ob nichts, nicht einmal die Wache, gewechselt hatte. Er beschattete seine Augen, um nach dem Wimpel an der Mastspitze zu schauen. Der Wind war stetig wie zuvor und schob eine lange, gleic hma?ige Dunung vor sich her. Er horte den Ruderganger:»Recht so, wie sie geht, Sir, Sudwest zu West!«rufen und wu?te, da? es mehr zu seiner Information gedacht war als fur den Wachoffizier.
        In der langen Dunung luftete Hyperion wiegend ihr Heck und lie? die Bugwelle an ihrer Bordwand entlangrauschen. Hoch oben arbeiteten die Toppgasten mit gebraunten Oberkorpern, die sich vom Sonnenbrand hauteten. Die Arbeit horte nie auf: splei?en, neue Leinen einscheren, Tauwerk teeren oder die Boote mit Wasser fullen, damit sich ihre Nahte in der Tropensonne nicht offneten.
        Bolitho merkte, da? der Wachoffizier ihn anstarrte, und suchte sich an alles uber ihn zu erinnern. Vernon Quayle war Vierter Leutnant der Hyperion, und wenn man ihn nicht kontrollierte oder im Kampf nicht totete, wurde er sich, einmal fest im Sattel, zu einem Tyrann entwickeln. Er kam aus einer Marinefamilie, sah gut, aber ubellaunig aus, war zweiundzwanzig und von vorschneller Wesensart. Seit sie England verlassen hatten, waren bereits drei Mann seiner Division ausgepeitscht worden. Haven sollte da wirklich ein Machtwort sprechen. Vielleicht hatte er es schon getan? Aber der Kommandant und sein dafur zustandiger Erster schienen nur selten miteinander zu sprechen.
        Bolitho stellte sich an die Querreling des Achterdecks und blickte in die Kuhl, sozusagen den Marktplatz jedes Kriegsschiffes. Der Segelmacher und seine Gehilfen rollten unten geflickte Tuchbahnen ein und legten Handschuh und Nadeln fort. Aus dem Kombusenschornstein kam der widerliche Geruch gekochten Schweinefleisches. Wie man so was in dieser Hitze essen konnte, war Bolitho schleierhaft. Er schmeckte noch Ozzards starken Kaffee auf der Zunge. Seit dem Verlassen von English Harbour hatte er kaum etwas zu sich genommen. Aus
        Sorge, Uberlastung oder wegen seiner Schuldgefuhle Catherine gegenuber?
        Leutnant Quayle salutierte.»Upholder ist auf Station, Sir Richard, der Ausguck meldet sie uns alle halbe Stunde. «Es horte sich an, als wolle er hinzufugen:»Wenn nicht, geht's ihm schlecht.»
        Upholder steckte recht voraus schon mit dem Rumpf unterm Horizont, sie mu?te als erste Thor am Treffpunkt sichten. Bolitho hatte die Brigg wegen ihres jungen Kommandanten als Vorhut losgeschickt. William Trotter war ein aufmerksamer Mann aus Devon, der ihn bei ihren wenigen Begegnungen durchaus beeindruckt hatte. Er brauchte sowohl Kommandanten mit Kopfchen als auch gute Ausguckleute, wenn vom ersten Insichtkommen so viel abhing.
        Tetrarch stand etwas luvwarts, bereit vorzusto?en und einzugreifen, wenn notig, und die dritte Brigg, Vesta, segelte weit hinten. Sie sollte sicherstellen, da? ihnen kein wi?begieriger Fremder folgte. Bisher hatten sie nichts gesehen. Es war, als ob irgendeine Warnung die See leergefegt hatte. Morgen wurden sie dem Festland nahe genug sein, um es vom Masttopp aus zu sichten.
        Bolitho hatte mit dem Segelmeister der Hyperion gesprochen, mit Isaac Penhaligon. Haven konnte sich glucklich schatzen, einen solch erfahrenen Mann an Bord zu haben. Penhaligon kam aus Cornwall, man hatte ihn im zarten Alter von sieben Jahren als Schiffsjungen abgeschoben, und er war seitdem selten an Land gewesen. Jetzt war er um die Sechzig, mit einem lederfarbenen, faltigen Gesicht und blitzenden Augen, die einem Jungeren zu gehoren schienen. Er war auf einem Postschiff gefahren, hatte auf Ostindienfahrern gedient und schlie?lich, wie er es ausdruckte, als Steuermann des Konigs Rock angezogen. Sein Wissen uber die Eigenarten aller sieben Meere war schwer zu ubertreffen. Obendrein hatte er gerade diese Gewasser hier oft befahren und gegen Sklavenhandler und Bukaniere gekampft, bis ihn nichts mehr erschrecken konnte. Bolitho hatte beim Errechnen der
        Mittagsbreite zugesehen, wie er ein Auge auf die versammelten Fahnriche warf, deren Navigation und maritime Ausbildung ihm oblag. Immer war er bereit zu einem offenen Kommentar, wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie sollten. Doch war er niemals sarkastisch zu den jungen Herren, und sie hatten sichtlich Achtung vor ihm.
        Penhaligon hatte seine Karten und Notizen mit den Beobachtungen von Price verglichen und nur bemerkt:»Der wu?te, wie man navigiert. «Das war ein gro?es Lob aus seinem Mund.
        Ein Decksoffizier naherte sich Leutnant Quayle mit gesenkter Stirn. Bolitho war froh, allein zu sein, als Quayle hinwegeilte. Er hatte das Gesicht des Seemanns gesehen; es zeigte nicht nur Respekt vor dem Offizier, sondern schon Furcht.
        Seine Hand strich uber die abgenutzte, von der Sonne hei?e Reling. Er dachte an das letzte Treffen mit Catherine im Bootsschuppen, an ihre Stimme und Leidenschaftlichkeit. Er mu?te sie wiedersehen, wenn auch nur, um ihr alles zu erklaren. Aber was erklaren? Es nutzte nichts, wurde sie nur qualen - und ihnen beiden schaden. Sie schien unzuganglich, nur bestrebt, ihm zu sagen, was er ihr angetan hatte. Und doch.
        Er erinnerte sich noch lebhaft an ihr erstes Treffen, als sie ihn fur den Tod ihres Ehemannes verflucht hatte. Das war schon ihr zweiter gewesen. Es hatte auch einen ersten gegeben, den sie kaum erwahnte, einen haltlosen Glucksritter, der in Spanien bei einem trunkenen Streit umgekommen war. Wer war sie damals, und woher kam sie uberhaupt? Bezaubernd und beeindruckend, wie sie heute war, konnte man sie nur schwer in jener Gosse sehen, von der sie in einem Augenblick der Intimitat einmal gesprochen hatte.
        Und Somervell. War er wirklich so kuhl und distanziert, wie er sich gab? Amusierte ihn das Erwachen ihrer alten Erinnerungen, das er je nach Belieben ignorieren oder ausnutzen konnte? Wurde er jemals erfahren, da? sie Bolitho aus der Ferne beobachtet hatte, um zu horen, was er tat oder ob er im Gefecht gefallen war?
        Quayle war zum Ruder gegangen und ma?regelte den Fahnrich der Wache. Dieser war wie alle anderen vorschriftsma?ig gekleidet, mu?te aber bei der Hitze Blut und Wasser schwitzen. Ware Keen Flaggkapitan gewesen, hatte er. Entschlossen rief Bolitho:»Lassen Sie meinen Diener holen!»
        Ozzard entstieg dem Dunkel unter Deck und stand blinzelnd in der Helle, mehr denn je einem Maulwurf ahnelnd: klein, treu und immer bereit zu dienen, wenn er gebraucht wurde. Er hatte Bolitho sogar vorgelesen, als dieser teilweise erblindet war, denn er war gebildet und fruher Gehilfe in einer Anwaltskanzlei gewesen. Dann war er zur See gegangen, um einer Anklage zu entfliehen; manche sagten, dem Strick des Henkers.
        Bolitho winkte ihn heran.»Hier, mein Rock.»
        Ozzard zuckte nicht mit der Wimper, als der Vizeadmiral ihm das Kleidungsstuck uber den Arm warf und den Hut reichte. Andere sahen zu. Ab morgen konnte auch Haven seinen Offizieren erlauben, sich an Deck in Hemdsarmeln zu bewegen. Wenn es erst einer Uniform bedurfte, um aus einem Mann einen Offizier zu machen, dann gab es fur sie alle keine Hoffnung mehr.
        Ozzard deutete ein Lacheln an und hastete dankbar wieder in den Schatten. Er kannte Bolithos freudige und trube Stimmungen. Zuviel der letzteren, dachte er. Er eilte am Wachposten vorbei und betrat die gro?e Tageskajute, jenes Reich, das er mit Bolitho teilte. Dort untersuchte er den Rock nach Spuren von Teer oder Talg. Dann erblickte er sein Spiegelbild und hielt sich den Rock vor. Er reichte ihm fast bis zu den Fu?knocheln. Ozzard lachelte schmerzlich.
        Unwillkurlich packte er den Uniformstoff fester, als er sich jenes furchtbaren Tages erinnerte, an dem der Anwalt ihn fruher nach Hause geschickt hatte. Deshalb uberraschte er seine junge Frau nackt in den Armen eines Mannes, den er seit Jahren kannte und respektierte. Sie hatten versucht, ihn zu tauschen, aber etwas war in ihm gestorben, als er sie so daliegen sah. Spater, als er das kleine Haus an der Themse in Wapping Wall verlie?, war ihm das Schild des Ladeninhabers gegenuber ins Auge gefallen: Tom
        Ozzard, Schreiber. Auf der Stelle hatte er sich entschlossen, da? dies seine neue Identitat sein solle.
        Nicht einmal hatte er sich umgesehen nach jenem Zimmer, wo er ihre Lugen mit einer Axt beendet, wo er sie zerhackt und zerschnitten hatte, bis sie unkenntlich waren. Am Tower Hill war er dann auf eine Pre?gang gesto?en. Sie waren nie weit entfernt, immer auf Freiwillige hoffend oder auf einen Betrunkenen, der Handgeld nahm und sich dann auf einem Kriegsschiff wiederfand, bis er abmustern konnte oder getotet wurde.
        Der Leutnant hatte ihn zweifelnd angesehen. Erstklassige Seeleute, starke junge Manner, die brauchte der Konig damals! Jetzt sahen sie das anders. Jetzt hatten sie auch einen Kruppel auf zwei Krucken genommen.
        Tom Ozzard, Steward des Vizeadmirals, hangte den Rock sorgfaltig fort. Er war ein Mann ohne Vergangenheit, ohne Zukunft, furchtsam, ja zu Tode erschrocken in der Schlacht, wenn das Schiff um ihn herum erbebte.
        Tief in seinem Herzen ahnte Ozzard, da? er eines Tages in das kleine Haus in Wapping Wall zuruckkehren wurde. Dann, aber erst dann, wurde er seine Tat gestehen.
        Alle Gedanken an Bord waren auf morgen gerichtet. Vom Ausguck hoch oben im Masttopp bis zu Allday, der in seiner Hangematte unter Deck einen gewaltigen Kater ausschlief, von Ozzard bis zu dem Mann in der Achterkajute, dem er diente, dachten alle an morgen.
        Hyperion hatte in all den Jahren und Weltgegenden, in die sie gesegelt war, schon viele Manner kommen und gehen gesehen. Weit vor dem Dreizack ihrer Galionsfigur lag der Horizont. Und jenseits davon konnte nur das Schicksal erkennen, was auf sie zukam.



        V Dem Feind entgegen

        Bolitho schritt uber die nassen Planken des Achterdecks und suchte an den Finknetzen der Luvseite Halt. Es war noch dunkel, nur vereinzelt durchbrachen uberkommende Spritzer die Schwarze der See.
        Wie Schemen eilten Leute an ihm vorbei und zu einer kleinen Gruppe an der Reling, wo Haven und zwei seiner Leutnants Meldungen empfingen und neue Befehle erteilten.
        Aus dem Batteriedeck drangen Stimmen. Dort arbeiteten die Matrosen an den Achtzehnpfundern, wahrend im Deck darunter die schwere Batterie der Zweiunddrei?igpfunder, obwohl ebenso geschaftig, noch still blieb. Dort unten waren es die Geschutzbedienungen gewohnt, in standiger Dusternis zu hantieren.
        Da? man die Leute zu einem vorverlegten Fruhstuck gepfiffen hatte, war vermutlich unnotige Vorsicht, denn bei Tagesanbruch wurden sie noch immer au?erhalb der Sichtweite des Landes sein - bis auf die Ausgucksleute im Mast, wenn sie Gluck hatten. In der ersten Stunde hatte Hyperion Kurs geandert und steuerte nun genau West. Ihre Rahen waren hart angebra?t, die Leinwand war auf Vor- und Marssegel verringert. Das erklarte die unruhigen Schiffsbewegungen. Aber Bolitho hatte schon den Wetterumschwung gespurt, als seine Fu?e den feuchten Laufer vor seiner Schwingkoje beruhrten. Der Wind wehte stetig, hatte aber zugenommen. Nach der Windstille und glasigen Dunung kam er ihm ungewohnt stark vor.
        Jeder in der Nahe hatte den Admiral an Deck bemerkt und war stillschweigend zur Leeseite ausgewichen, um ihm Platz zu machen. Er sah nach oben zu den Marssegeln. Sie flatterten so gerauschvoll, als wollten sie ihre Unzufriedenheit ausdrucken.
        Den gro?ten Teil der Nacht hatte er wachgelegen. Dann, als die Leute gerufen wurden, um das Schiff vorzubereiten, hatte er endlich schlafen konnen. Doch Allday war in die Kajute getappt, und wahrend Ozzard herumhantierte, hatte ihn der gro?e Bootssteurer beim Licht einer schwankenden Laterne rasiert.
        Allday hatte sich noch nicht wieder uber seinen Sohn ausgelassen. Bolitho erinnerte sich an Alldays gehobene Stimmung, als er entdeckte, da? er einen zwanzigjahrigen Sohn hatte. Einer, von dem er nichts wu?te und der zu ihm gekommen war, als seine Mutter, eine alte Liebe Alldays, starb. Auf dem Kutter Supreme, als Bolitho niedergemacht wurde und fast erblindet ware, hatten Allday allerdings Zorn und Verzweiflung gepackt, weil sein Sohn, nach ihm John genannt, sich als Feigling entpuppte. Just in jenem Augenblick, als Bolitho seiner am meisten bedurfte, war er unter Deck geflohen. Inzwischen dachte Allday anders daruber. Wohl hatte sich John vor dem Feuer der Schlacht gefurchtet, aber war er deshalb schon ein Feigling? Es erforderte ein tapferes Herz, um die Angst zu verbergen, wenn des Feindes Eisen die Decks beharkte.
        Aber John hatte gebeten, das Schiff verlassen zu durfen. Um Alldays und des lieben Friedens willen hatte Bolitho mit dem Offizier der Kustenwache bei Falmouth gesprochen und ihn gebeten, eine Stelle fur den jungen Mann zu finden. John, der den Namen seiner Mutter Bankart trug, war ein guter Seemann gewesen, konnte reffen, splei?en und steuern wie eine erfahrene Teerjacke. Bolitho liebte es nicht, jemanden um einen Gefallen zu bitten, schon wegen seines Dienstgrads, und war nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Allday grubelte uber all dem, und wenn er nicht gebraucht wurde, verbrachte er zuviel Zeit alleine oder mit einem Grog in der Hand in Ozzards Anrichte. Trotzdem brauchten sie beide einander. Jeder furchtete, da? der andere zuerst sterben wurde.
        Eine jugendliche Stimme rief:»Sonnenaufgang, Sir!»
        Haven entgegnete Undeutliches und schritt zur Windseite. Er salutierte in der Dunkelheit.»Die Boote sind klar zum Aussetzen, Sir Richard. «Erwirkte formlicher denn je.»Wenn Upholder auf Station ist, mu?te sie uns rechtzeitig warnen.»

«Das stimmt. «Bolitho fragte sich, was wohl hinter Havens
        Formlichkeit steckte. Hoffte er, Upholder wurde signalisieren, da? Thor in Sicht ware? Oder bevorzugte er eine leere See, damit sich alle Muhe als vergeudet erwies?
        Zusammen erwarteten sie das erste Sonnenlicht, das den Horizont mit feinem Golddraht saumte. Bolitho sagte:»Ich werde dieses Augenblicks nie uberdrussig.
«Beim jetzigen Kurs der Hyperion wurde die Sonne fast direkt in ihrem Kielwasser aufgehen, von oben nach unten jedes Segel anstrahlen und uber sie hinweg weit vorausschie?en, als wolle sie ihnen den Weg zum Festland zeigen. Haven meinte:»Ich hoffe nur, die Dons wissen nicht, wie nahe wir ihnen sind.»
        Bolitho lachelte im stillen. Gegen Haven hatte sich Job wie ein Optimist ausgenommen. Eine andere Gestalt tauchte auf und wartete, da? der Kommandant aufmerksam wurde. Es war sein Erster Leutnant. Haven ging einige Schritte beiseite.»Na, was gibt's jetzt schon wieder?«Seine Stimme war eher ein Flustern, aber unverkennbar abwehrend.
        Parris sagte gelassen:»Es geht um die zwei zu bestrafenden Manner, Sir. Darf ich den Profo? anweisen, die Vollstreckung auszusetzen, bis.»
        Die Antwort kam heftig.»Sie durfen nicht, Mr. Parris! Disziplin ist Disziplin, und ich will nicht, da? diese Manner ihrer gerechten Strafe entgehen, nur weil wir vielleicht bald Feindberuhrung haben - oder auch nicht.»
        Parris gab noch nicht klein bei.»Ihr Vergehen war nicht so schwerwiegend, Sir.»
        Haven nickte selbstzufrieden.»Naturlich, einer der beiden gehort zu Ihrer Division. Matrose Laker, er war frech zu einem Feldwebel.»
        Parris' Augen schienen zu gluhen, als der erste schwache Sonnenschein auf die Decksplanken fiel.

«Sie haben alle beide die Beherrschung verloren, Sir. Der Feldwebel nannte Laker einen Hurenbastard. «Der Erste schien seine Sache schon als verloren anzusehen, setzte aber noch hinzu:»Ich, Sir, hatte ihm dafur in die Schnauze geschlagen.»
        Haven zischte:»Sie… Mit Ihnen rede ich spater! Und diese Leute werden um sechs Glasen ausgepeitscht!»
        Parris tippte an seinen Hut und entfernte sich.»Verdammter Hund!«warf ihm der Kommandant leise nach.
        Bolitho wurde der Sonnenaufgang durch das Gehorte vergallt. Doch war es nicht klug, sich einzumischen. Er wurde spater mit Haven sprechen, wenn sie allein waren. Duster blickte er zum Kreuzmast auf, wo das Sonnenlicht die Takelage erhellte. Aber wenn er wartete, bis der Kampf begann, konnte es zu spat sein.
        Wenn ich fallen sollte. Diese Worte schossen ihm wie ein Echo durch den Kopf. Jedes Schiff war nur so stark wie sein Kommandant. Falls hier irgend etwas nicht stimmte. Er schaute auf und verbannte Haven aus seinen Gedanken, als der Ausgucksmann im Topp gellend schrie:»Segel in Sicht - im Sudwesten!»
        Bolitho ballte die Fauste. Das konnte, nein, mu?te Upholder am Treffpunkt sein. Er hatte das richtige Schiff fur die Vorhut gewahlt.»Klar zum Wenden, Kapitan Haven.»
        Dieser nickte.»Pfeifen Sie die Leute an die Brassen, Mr. Quayle.»
        Wieder ein Gesicht, das ins Bild pa?te: Quayle, Bolithos Gesellschafter auf der gestrigen Vormittagswache. Diese Sorte Offizier kannte kein Mitleid, wenn es ums Auspeitschen ging.
        Bolitho fragte:»Haben Sie einen guten Ausguck oben?»
        Haven starrte ihn an, sein Gesicht lag noch im Schatten.

«Ich - ich glaube schon, Sir.»

«Schicken Sie einen erfahrenen Mann nach oben, einen Gehilfen des Segelmeisters.»

«Aye, Sir. «Das klang gepre?t. Haven argerte sich, da? er nicht an das Nachstliegende gedacht hatte. Aber Parris konnte er dafur kaum tadeln.
        Die Schatten nahmen Formen an und bekamen Sinn. Da standen zwei junge Fahnriche, beide auf ihrem ersten Schiff, der Wachoffizier und an Vorkante Achterdeck die gro?e, starke Figur des Segelmeisters Penhaligon.
        Abermals ein Ruf von oben:»Achtung, Deck - Upholder in
        Sicht!»
        Bolitho meinte, die Stimme gehore Reimer, dem
        Meistergehilfen der Wache. Das war ein schmachtiger, gebraunter Mann mit derart faltigem Gesicht, da? er wie aus einem vergangenen Zeitalter entsprungen aussah. Das gemeldete Schiff war kaum mehr als ein verschwommener Fleck im beginnenden Tageslicht, aber Reimers Erfahrung und scharfes Auge sagten ihm alles, was er wissen mu?te.
        Bolitho winkte seinem Adjutanten.»Jenour, entern Sie mit einem Glas auf. Ich bin sicher, da? Sie ebenso schnell klettern, wie Sie reiten.»
        Er trat beiseite, als der junge Leutnant ihn mit blitzenden Zahnen angrinste und zu den Wanten eilte. Dann war er fort, Arme und Beine mit der Leichtigkeit eines gewandten Toppgasten bewegend.
        Haven kam uber Deck heran und schaute Janours wei?en Breeches nach.»Es wird bald hell genug sein, Sir.»
        Bolitho bejahte und ballte die Fauste, als Jenours Stimme von oben erschallte: Signal von Upholder, Sir: Thor ist in ihrer Begleitung!»
        Also hatte Imrie es geschafft! Bolitho wollte sich keine Aufregung oder Uberraschung anmerken lassen.

«Verstanden!«Er rief es durch die gewolbten Hande, um das Flattern der Segel und das Sausen des Windes zu ubertonen. Von Upholder kam kein weiteres Signal. Das hie?, bisher war nichts schiefgelaufen, und der Leichter wurde immer noch sicher geschleppt.
        Er blickte in die Hohe, in die von der Sonne beschienene Takelage. Merkwurdig, da? er seine Schwindelanfalligkeit niemals uberwunden hatte. Als Fahnrich hatte er jedes Aufentern zum Setzen oder Reffen der Segel immer als personliche Schikane empfunden. Besonders nachts auf den schwankenden Rahen, wenn das Deck wenig mehr war als ein verschwommener Streifen tief unter seinen Fu?en, hatte er standig Angst gehabt.
        Beim Kreuzmast standen einige Seesoldaten in ihren grellroten Waffenrocken. Sie lehnten sich an die Reling und warteten auf die Brigg Upholder. Bolitho ware gern uber ihren Kopfen nach oben geklettert zu Jenour. Er beruhrte sein linkes Augenlid und blinzelte ins Sonnenlicht. Im Moment war alles trugerisch klar, doch die Sorge blieb.
        Sein Blick schweifte uber Deck, wo die Geschutzbedienungen bereitstanden, ihre tagliche Arbeit zu verrichten, sobald die erste Spannung mit der Nacht verschwunden war.
        So viele Meilen, so viele Erinnerungen. Als er wahrend der Nacht in seiner Schwingkoje wachlag, dem Knarren und Quietschen des Ruders lauschend, hatte er einer anderen Zeit gedacht: der Hyperion unter seinem Kommando. Sie hatten sich in der Dunkelheit an den Pascua-Inseln vorbeigeschlichen und bei Tagesanbruch die dort ankernden franzosischen Schiffe angegriffen. Das lag neun Jahre zuruck. Die Hyperion war dasselbe Schiff. Aber war er noch derselbe Mann?
        Plotzlich war er mit sich selbst uneins.»Reichen Sie mir das Fernglas, bitte. «Er nahm es einem erschrockenen Fahnrich aus der Hand und trat entschlossen zu den Luvwanten. Haven beobachtete ihn. Parris, der an Backbord mit dem Bootsmann Sani Linton diskutierte, versuchte nicht herzusehen. Wahrscheinlich besprachen sie, wann die Grating aufzustellen war, damit die Bestrafung wie befohlen erfolgen konnte. Vom Gro?deck schielte Allday herauf, noch an einem Zwieback kauend und sichtlich erstaunt.
        Bolitho schwang sich ins Want und fuhlte bei jedem Schritt die Webeleinen unter sich zittern, wahrend das gro?e Signalglas wie ein schwerer Kocher gegen seine Hufte schlug. Es war leichter als gedacht, aber auf der Marssaling lie? er es genug sein. Die Marines hier oben machten ihm Platz, knufften einander und grinsten. Bolitho kannte den Korporal bei Namen, einen grimmig aussehenden Mann, der Wilderer gewesen war, ehe er in das Korps der Seesoldaten eintrat. Keinen Moment zu fruh, hatte Major Adams dunkel angedeutet.

«Wo ist die Upholder, Korporal Rogate?»

«Dort druben, Sir, an Backbord!»
        Bolitho stutzte das lange Teleskop auf und sah die Rahen und das kleine Achterdeck der Brigg in sein Blickfeld gleiten. Gestalten bewegten sich schief an Deck, indes das Schiff so weit uberholte, da? man den im fruhen Sonnenschein glanzenden Kupferboden erblickte. Bolitho wartete, bis sich Hyperion im Seegang aufrichtete und der Kreuzmast nicht mehr zitterte. Dann enthullte das scharfe Glas jenseits von Upholder eine braunliche Segelpyramide: die wartende Thor.
        Er setzte das Fernglas ab und ordnete seine Gedanken. War er von Anfang an entschlossen gewesen, den Angriff selbst zu fuhren? Wenn die Sache schiefging, wurde man ihn gefangennehmen oder… Er verzog den Mund. Das Oder war es nicht wert, daran zu denken.
        Bolitho wu?te sehr wohl, auch wenn er einen anderen Offizier mit dem Kommando betraute und der Angriff mi?gluckte, wurde man ihm die Schuld zuschreiben. Die nachsten Monate waren fur England zu wichtig, besonders fur die Flotte. Und Fuhrerschaft und Vertrauen gingen Hand in Hand. Aber fur die meisten Seeleute unter seinem Befehl war er noch ein Fremder und mu?te ihr Vertrauen erst erwerben. Gehorte Todessehnsucht etwa auch zu seinen Motiven? Unwillig verwarf er den Gedanken.
        Er richtete sein Augenmerk wieder auf die stammige Brigg, wie sie sich duckte und uber die steilen Wellen stieg. In Gedanken sah er bereits das Land. Der Ankerplatz von La Guaira bestand hauptsachlich aus einer offenen Reede vor der Stadt. Sie wurde durch mehrere Forts verteidigt. Einige davon waren wegen der kommenden und gehenden Schatzschiffe ganz neu angelegt. Obwohl La Guaira nur etwa sechs Meilen von der Hauptstadt Caracas entfernt war, konnte man diese einzig uber eine gewundene und etwa viermal so lange Bergstra?e erreichen.
        Sobald man die Hyperion und ihre Begleitschiffe von Land aus sichtete, wurden die Spanier schleunigst die Hauptstadt benachrichtigen. Aber wegen der damit verbundenen Verzogerung konnte La Guaira ebensogut eine Insel sein, dachte Bolitho. Alle die von Handelsschiffen und Blockadebrechern gesammelten Informationen wiesen darauf hin, da? man die gekaperte Fregatte Consort nach Puerto Cabello gebracht hatte, siebzig Meilen weiter westlich an der Kuste. Sie hatte er absichtlich als sein Motiv herausstellen lassen. Doch wenn die Spanier nicht glaubten, da? die britischen Kriegsschiffe allein wegen der Fregatte gekommen waren? Es hing so viel von Prices Karten und Beobachtungen ab - und vor allem vom Gluck.
        Er schaute zum Deck hinunter und bi? sich auf die Lippen. Auch vor neun Jahren, als er die alte Hyperion gefuhrt hatte, hatte er keinen Untergebenen mit einer solchen Mission beauftragt. Er wandte sich an die Seesoldaten.»Bald gibt es Arbeit fur euch, Kinder.»
        Als er sich von der Saling hinunterschwang, sah er immer noch ihre grinsenden Gesichter vor sich. Es war ja so leicht: ein gutes Wort, ein Lacheln, und sie wurden fur ihn sterben. Das machte ihn traurig und bescheiden zugleich.
        Bis er unten ankam, war er sich uber alles klar geworden.

«Gut denn, in einer Stunde andern wir Kurs nach Sudwest. Upholder und Tetrarch sollen dichter unter Land kreuzen. Wir selbst wollen den Dons nicht so nahekommen, da? sie unsere Starke erkennen.»
        Alle nickten beifallig, nur Segelmeister Penhaligon lachelte sauer. Bolitho setzte hinzu:»Oder unsere Schwache. Thor soll sich zusammen mit Vesta in Luv von uns halten. Geben Sie mir Bescheid, wenn es hell genug ist, um zu signalisieren.»
        Er schritt zum Poopdeck und blieb noch einmal stehen.»Kapitan Haven, einen Augenblick, wenn ich bitten darf.»
        In der gro?en Kajute fiel das zunehmende Sonnenlicht durch das getrocknete Salz auf den Heckfenstern und malte seltsame Muster auf den Boden. Das Schiff hatte bereits vor Tagesanbruch klar zum Gefecht gemacht. In Bolithos Unterkunft waren Vorhange, Verkleidungen und spanische Wande abgenommen und das Mobiliar zur Sicherheit in die unteren Raume gebracht worden. Er musterte die schwarzen Rohre der Neunpfunder vor den geschlossenen Stuckpforten zu beiden Seiten der Kajute. Diese zwei Schonen hatten nun den Raum fur sich.
        Haven stand breitbeinig da, den Hut in beiden Handen. Bolitho hatte ihm den Rucken zugekehrt und sah durch das verschmierte Glas auf die See hinaus.

«Ich habe die Absicht, mich in der Abenddammerung auf Thor einzuschiffen«, begann Bolitho.»Sie ubernehmen die Hyperion, zusammen mit Vesta und Tetrarch. Beim ersten Tageslicht morgen fruh sollten Sie vor Puerto Cabello stehen. Der Feind wird uberzeugt sein, da? Sie einen Angriff beabsichtigen. Man wird Ihre volle Kampfkraft nicht erkennen - bisher sind wir noch unentdeckt geblieben.»
        Er drehte sich um und sah gerade noch rechtzeitig, da? der Kommandant seinen Hut zerknullte. Bolitho hatte einen Gefuhlsausbruch oder Gegenvorschlag erwartet, doch Haven sagte nichts, sondern starrte ihn nur an, als ob er sich verhort hatte.
        Bolitho sprach ruhig weiter.»Es gibt keinen anderen Weg. Wenn wir ein Schatzschiff kapern oder vernichten wollen, geht das nur, wahrend es vor Anker liegt. Denn wir haben zu wenig Schiffe fur eine ausgedehnte Suche, sollte es an uns vorbeischlupfen.»
        Haven schluckte hart.»Sie wollen selbst mit nach La Guaira gehen, Sir? In meinem Leben habe ich so was noch nicht gehort.»

«Mit Gottes Hilfe und einem bi?chen Gluck, Kapitan Haven, sollte ich bei den Untiefen westlich von La Guaira stehen, wenn Sie Ihre Scheinattacke gegen Puerto Cabello fahren. «Er sah ihn fest an.»Setzen Sie aber nicht Ihre Schiffe aufs Spiel. Sollte ein feindlicher Verband erscheinen, werden Sie das Unternehmen abbrechen und sich entfernen. Noch ist der Wind ein stetiger Nordwest. Mr. Penhaligon glaubt aber, da? er raumen wird, das ware zu Ihrem Vorteil.»
        Haven sah sich um, als suche er einen Ausweg.»Er konnte sich irren, Sir.»
        Bolitho erklarte achselzuckend:»Ich wurde nicht wagen, anderer Meinung zu sein als er. «Doch sein Versuch, die Spannung zu durchbrechen, war vergeblich; Haven stie? hervor:»Wenn ich zum Ruckzug gezwungen werde, wer wird mir glauben, da?.»
        Bolitho verbarg seine Enttauschung.»Ich lasse Ihnen die entsprechenden Befehle schriftlich ausstellen. Man wird Ihnen keine Schuld geben.»

«Danke. Aber ich habe es nicht nur zu meinem eigenen Besten erwahnt, Sir.»
        Bolitho setzte sich.»Ich wunsche drei?ig Seeleute aus Ihrer Mannschaft, ferner einen Offizier, den sie gut kennen und der sie kommandiert.»
        Haven reagierte rasch.»Darf ich den Ersten Leutnant vorschlagen, Sir?»
        Ihre Blicke trafen sich. Bolitho bejahte, das hatte er erwartet.»Einverstanden.»
        Drau?en an Deck erklangen Befehle, und Haven wollte zur Tur. Bolitho rief ihn abrupt zuruck:»Ich bin noch nicht fertig.»
        Havens Betragen brachte ihn fast um seine Selbstbeherrschung.»Wenn der Feind mit einer Ubermacht gegen Sie vorgeht, haben Sie keine Moglichkeit, meinen Ruckzug aus La Guaira zu decken.»
        Haven hob trotzig das Kinn.»Wie Sie meinen, Sir Richard.»

«In diesem Falle schreiben Sie uns ab und ubernehmen die Fuhrung der Flottille.»

«Darf ich fragen, was Sie tun werden, Sir?»
        Bolitho erhob sich.»Das, wozu ich hergekommen bin.»
        Er ahnte, da? Allday hinter der Tur mithorte. Nun, er wu?te, weshalb er ihn nicht zur Thor begleiten sollte.

«Bevor Sie gehen, Kapitan Haven. «Bolitho unterdruckte ein Blinzeln, denn der Schleier zog sich wieder uber sein linkes Auge.»Auf ein Wort noch: Lassen Sie diese beiden Manner nicht auspeitschen. Ich kann mich nicht offen einmischen, weil dann jeder an Bord sofort merken wurde, da? ich Partei gegen Sie ergriffen habe. Was Sie naturlich schon wu?ten, als Sie in meiner Gegenwart mit Ihrem Ersten die Klingen kreuzten.»
        Haven wurde ein wenig bla?.

«Gott wei?, diese Menschen verlangen wenig genug. Aber mit ansehen zu mussen, wie ihre Kameraden ausgepeitscht werden, ehe man sie in die Schlacht schickt, das kann nur Schaden anrichten. Ihre Treue und Loyalitat sind fur uns lebenswichtig. Aber denken Sie daran: Solange sie unter meiner Flagge stehen, gilt diese Loyalitat fur beide Seiten.»
        Haven trat zur Tur zuruck.»Ich hoffe doch, meine Pflichten zu kennen, Sir Richard.


«Das hoffe ich auch. «Er wartete, bis sich die Tur geschlossen hatte, und rief dann aus:»Gott verdamme ihn!»
        Jenour trat ein und wischte sich mit einem Lappen den Teer von den Fingern. Er taxierte Bolithos Stimmung.»Schone Aussicht von dort oben. Ich kam nur, um zu melden, da? Ihre Signale ubermittelt und bestatigt wurden. «Als Schritte uber ihren Kopfen laut wurden und Stimmen vom Gro?deck widerhallten, erklarte er:»Wir sind dabei, uber Stag zu gehen, Sir Richard.»
        Der horte kaum hin.»Was ist los mit dem Mann, eh?»
        Jenour begriff sofort.»Jetzt wei? er wenigstens, was ihm bevorsteht.»
        Bolitho nickte.»Ich dachte, da? jeder Flaggkapitan nur zu gern die Gelegenheit ergreifen wurde, unabhangig von seinem Admiral zu operieren. Ich jedenfalls hatte es. «Er sah sich in der Kajute nach den Geistern der Vergangenheit um.»Statt dessen denkt er an nichts anderes als.»
        Er zugelte sich. Undenkbar, mit Jenour uber den Flaggkapitan zu debattieren. War er denn schon so isoliert, da? er keinen anderen Trost fand?
        Jenour sagte schlicht:»Ich bin nicht so unverschamt und sage, was ich denke, Sir Richard. Aber ich wurde mein Letztes geben, wenn Sie es mir befehlen.»
        Bolitho entspannte sich und klopfte ihm auf die Schulter.»Man sagt, da? der Glaube Berge versetzen kann, Stephen!»
        Jenour stockte der Atem. Bolitho hatte ihn mit Vornamen angeredet. Ein Versehen?
        Bolitho sagte weiter:»Wir lassen uns vor der Abenddammerung auf Thor ubersetzen, Stephen. Es mu? schnell gehen, denn wir haben noch einen weiten Weg vor uns.»
        Es war also doch kein Versehen! Jenour stotterte geruhrt:»Ihr Bootssteurer wartet drau?en, Sir Richard.»
        Er sah Bolitho durch die Kajute schreiten und erschrak, als der Admiral mit einem Stuhl kollidierte, den Haven verruckt haben mu?te.»Geht es Ihnen gut, Sir Richard?

        Er wich zuruck, als Bolitho herumfuhr. Doch stand kein Arger in dessen Gesicht. Mein Auge stort mich ein bi?chen, aber es ist nichts weiter. Schicken Sie jetzt Allday rein.»
        Doch Allday hastete schon an Jenour vorbei.»Jetzt mu? ich meinen Spruch aufsagen, Sir Richard! Wenn Sie auf die Bombarde ubersteigen. «Er spuckte das Wort fast aus. Dann will ich bei Ihnen sein, wie immer. Und sonst schert mich nichts, mit Verlaub, Sir Richard.»
        Bolitho entgegnete:»Du hast wieder mal getrunken, Allday.»

«Ein bi?chen, Sir, nur ein paar Kleine, bevor wir von Bord gehen, zusammen naturlich. «Er legte den Kopf schrag wie ein zottiger Hund.»Wir gehen doch zusammen, nicht wahr, Sir?»
        Die Antwort fiel ihm uberraschend leicht.»Ja, alter Freund, wir gehen zusammen - wieder mal.»
        Allday betrachtete ihn ernst, er ahnte etwas.»Was is' los, Sir?»
        Bolitho sagte zogernd wie zu sic h selbst:»Fast hatte ich es dem jungen Jenour erzahlt: Ich furchte mich entsetzlich, blind zu werden.»
        Allday befeuchtete sich die Lippen.»Der Junge sieht in Ihnen so was wie einen Helden, Sir.»

«Du nicht?«Aber keiner von beiden lachelte.
        Allday machte sich Vorwurfe, da? er nicht zur Stelle gewesen war, als er gebraucht wurde. Obendrein argerte er sich, wenn er Haven mit Kapitan Keen oder mit Herrick verglich. Er sah sich in der Kajute um, wo sie soviel miteinander geteilt und auch verloren hatten. Jetzt hatte Bolitho niemanden, mit dem er teilen konnte. Unten, in den Mannschaftsdecks, dachten sie, der Admiral brauche sich nichts zu wunschen, er hatte alles. Aber bei Gott, das war es gerade, er hatte nichts.
        Allday meinte:»Ich wei?, es ziemt mir nicht, es auszusprechen, aber.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wann hat dich das jemals abgehalten?»
        Allday blieb hartnackig.»Ich wei? eben nicht, wie man es in der Sprache der Offiziere ausdruckt, Sir. «Er holte tief Atem.»Aber Kapt'n Havens Frau kriegt ein Baby, wahrscheinlich hat sie es jetzt schon. Wurde mich nicht wundern.»

«Na und, Mann?«drangte Bolitho.
        Allday mu?te nach Luft schnappen, als er die Ungeduld in den grauen Augen sah.»Er glaubt, da? ein anderer der Vater ist. «Bolitho war uberrascht, was Allday wu?te. Ich verstehe.»
        Es war das alte Lied: ein Schiff auf See, eine gelangweilte Ehefrau und ein passender Liebhaber. Ausgerechnet Allday mu?te ihn daraufbringen.
        Bolitho betrachtete ihn nachdenklich. Wie hatte er ihn zurucklassen konnen? Welch ein Paar sie abgaben! Der eine durch einen spanischen Sabelhieb verwundet, der andere langsam erblindend.
        Er sagte:»Ich mu? Briefe schreiben.»
        Er sah Cornwall im spaten Oktober vor sich: grauer Himmel und die leuchtenden Farben des Herbstlaubs. Axthiebe auf den Feldern, wo sich die Farmer nun Zeit nahmen, ihre Zaune und Tore zu reparieren. Die altliche Heimwehr exerzierte auf dem Platz vor der Kirche, in der Bolitho geheiratet hatte.
        Allday schob sich sachte in Ozzards Anrichte. Er wollte den kleinen Mann bitten, fur ihn einen Brief an die Wirtstochter in Falmouth zu schreiben. Doch Gott allein wu?te, ob sie ihn jemals erhalten wurde.
        Er dachte an Lady Belinda und den Tag, als man sie in der umgekippten Kutsche gefunden hatte. Und an die andere namens Catherine, die ihre Liebe zu Bolitho bewahrt hatte. Eine gutaussehende Frau, aber mit dem Teufel im Leib. Er grinste. Eben eine Seemannsbraut, egal welche Flagge sie an ihrer Rahnock zeigte. Wenn sie nur die Richtige fur Bolitho war, allein das zahlte.
        Allein am Schreibtisch sitzend, legte sich Bolitho das Briefpapier zurecht. Sonnenlicht fiel auf die Feder. In seinem Kopf kreisten die Worte, die er schon so oft geschrieben hatte: Meine liebste Belinda…
        Mittags machte er seinen Spaziergang an Deck. Als Ozzard die Kajute betrat, um aufzuraumen, erblickte er das Briefpapier und daneben die Feder.
        Keines von beiden war benutzt worden.



        VI Im Krieg gibt es keine Neutralitat

        Das Ubersetzen von der Hyperion zum Morserschiff Thor verlief kurz vor Sonnenuntergang ohne Zwischenfalle. Manner, Waffen und zusatzliche Munition wurden ebenfalls hinubergerudert. In der hohen Dunung stiegen und fielen die Boote so stark, da? sie zwischen den Wellenkammen fast verschwanden.
        Bolitho stand auf dem Achterdeck, wahrend Hyperion mit killenden Segeln beigedreht lag, und bewunderte wieder einmal die elementare Schonheit des Sonnenuntergangs. Die lange, schwingende Dunung gluhte wie rauhe Bronze, die Boote und ihre Ruderer schienen vergoldet. Sogar die Gesichter um ihn herum sahen in diesem Licht unwirklich aus.
        Nachdem zwei von Hyperions Booten mit drei?ig Mann sicher abgelegt hatten, machte Bolitho in einer Jolle die letzte Uberfahrt. Kaum hatte er die Thor erreicht, schwangen die Rahen der Hyperion herum. Ihre Silhouette schrumpfte, als sie abdrehte und im letzten Sonnenlicht den beiden Briggs nachsegelte.
        Wenn Commander Ludovic Imrie sich durch die Anwesenheit des Admirals an Bord seines bescheidenen Schiffes bedrangt fuhlte, zeigte er es jedenfalls nicht. Es uberraschte ihn jedoch, als Bolitho seine Epauletten ablegte und vorschlug, da? Imrie als
        Kommandant der Thor seinem Beispiel folge.»Ihre Leute kennen Sie gut genug«, meinte er dazu.»Und ich wette, da? sie auch mich kennen, wenn erst alles vorbei ist.»
        Bolitho verdrangte Hyperion und alles andere aus seinen Gedanken, als sie sich La Guaira naherten. Auch an Bord stieg die Spannung, sobald Thor noch mehr Segel setzte und die unsichtbare Kuste ansteuerte. Stunde auf Stunde verging. Von den Rusten vorne, wo zwei Mann standig loteten, kamen unterdruckte Rufe. Was sie aussangen, wurde sorgsam mit der Seekarte und den Notizen verglichen, die sich Bolitho nach seinem Gesprach mit Kapitan Price gemacht hatte.
        Der plumpe Leichter an der Schleppleine wurde unablassig ausgepumpt; es war ein Wettlauf mit der Zeit, der, wie Imrie zugab, innerhalb weniger Stunden nach Verlassen des Hafens begonnen hatte. Jede steile See drohte, ihn zu uberfluten. Der Verlust des Leichters aber, der die schweren Morser der Thor und ihre Bedienungen trug, hatte eine Katastrophe bedeutet.
        Bolitho streifte ruhelos auf dem engen Achterdeck umher und hielt sich das Land vor Augen, wie er es am Spatnachmittag gesehen hatte. Er hatte sich noch einmal aufgerafft und war aufgeentert, diesmal in den Gro?mast. Von da oben hatte er im zunehmenden Dunst die charakteristischen Landmarken von La Guaira, die weite, blaugraue Kette der Caracasberge und weiter westlich davon die sattelformigen Gipfel der Silla de Caracas erblickt. Penhaligon konnte auf seine Navigation wirklich stolz sein.
        Allday war Bolitho kaum von der Seite gewichen, seit sie an Bord gekommen waren. Jetzt horte Bolitho seinen unruhigen Atem und das Trommeln seiner Finger am Griff des schweren Entermessers. Bolitho betastete die ungewohnte Form des eigenen Gehanges. Er hoffte, da? Allday seinen Entschlu?, den alten Familiendegen auf Hyperion zuruckzulassen, verstand. Er hatte ihn schon einmal beinahe verloren. Allday wurde annehmen, er hatte ihn nur deshalb bei Ozzard gelassen, weil er nicht an seine Ruckkehr glaubte. Immerhin handelte es sich um ein
        Unternehmen auf feindlichem Territorium. Und eines Tages sollte Adam den Degen tragen. Er durfte nie wieder in Feindeshand fallen.
        Spater, in Imries kleiner Kajute und hinter den geschlossenen Laden der Heckfenster, hatten sie eingehend die Seekarte studiert. Thor war gefechtsklar, aber ihre Chance wurde erst kommen, wenn der erste Teil des Plans gelang.
        Bolitho griff die Untiefen und die Fahrwasserwindungen mit dem Zirkel ab, wie es wohl auch Price getan hatte, ehe sein Schiff hier auf Grund lief. Die anderen standen dicht um ihn herum: Imrie und sein Segelmeister, Leutnant Parris und der Zweite Leutnant, der den Angriff decken sollte.
        Der Admiral uberlegte, ob Parris sich wohl fragte, warum das Auspeitschen auf Havens Befehl hin aufgeschoben wurde. Und weshalb Haven darauf bestanden hatte, die beiden Delinquenten mit den drei?ig anderen von Bord zu schicken. Vermutlich meinte er, alle schlechten Eier gehorten in einen Korb.
        Bolitho zog seine Uhr heraus und legte sie unter die niedrig hangende Lampe.

«Wir werden mit Thor in der nachsten halben Stunde ankern. Unmittelbar darauflegen alle Boote ab, die Jolle an der Spitze. Es mu? gelotet werden, aber leise. Heimlichkeit ist lebenswichtig. Wir mussen bei Tagesanbruch auf Position sein.»
        Alle machten entschlossene Gesichter.»Noch Fragen?»
        Dalmaine, der Zweite Leutnant der Thor, hob die Hand.»Was ist, wenn der Don schon weg ist?»
        Wie leicht es fur sie jetzt war, mit ihm zu reden, ohne die einschuchternden Epauletten eines Vizeadmirals vor Augen. Selbstsicher auf ihrem eigenen Schiff, hatten sie offen von ihren Erwartungen und Bedenken gesprochen.

«Dann haben wir eben Pech gehabt«, lachelte Bolitho.»Aber es liegen mir keine Meldungen vor, wonach ein so gro?es Schiff die Heimreise angetreten hat.»
        Der Leutnant fragte nochmals:»Und die Batterie, Sir?
        Angenommen, wir konnen sie nicht in einem Uberraschungsangriff erobern?»
        Es war Imrie, der jetzt antwortete.»Dann, Mr. Dalmain, war all Ihr Stolz auf die Morser unangebracht.»
        Alle lachten, ein gutes Zeichen.
        Bolitho erklarte:»Wir zerstoren die Batterie als erstes, dann kann Thor durch die Untiefen folgen. Ihre Karronaden werden mit den Wachbooten aufraumen. Und danach greifen wir an.»
        Er stand vorsichtig auf, achtete auf die niedrigen Decksbalken.
        Parris sagte:»Und wenn wir zuruckgeschlagen werden?»
        Ihre Blicke trafen sich uber dem kleinen Tisch. Bolitho bemerkte wieder das zigeunerhaft gute Aussehen des Leutnants, die unbekummerte Aufrichtigkeit in seiner Stimme. Ein Westenglander, vermutlich aus Dorset. Alldays indiskreter Hinweis kam Bolitho in den Sinn und das Frauenportrat in Havens Kajute.
        Er entgegnete:»Das Schatzschiff mu? auf jeden Fall versenkt werden, am besten durch Brandstiftung. Das kann zwar seine spatere Bergung nicht verhindern, aber die Dons doch betrachtlich aufhalten.»

«Verstehe, Sir. «Parris rieb sich das Kinn.»Der Wind kommt mehr von achtern, das konnte uns helfen. «Er sprach gelassen, nicht wie ein Mann, der am nachsten Morgen tot sein oder unter dem Messer eines spanischen Chirurgen schreien konnte; eben wie ein Mann, der zu befehlen gewohnt war. Er erwog Alternativen: angenommen, wenn, vielleicht.
        Bolitho beobachtete ihn.»Waren wir dann soweit, Gentlemen?»
        Sie hielten seinem Blick stand. Wu?ten sie alles Notwendige? fragte er sich. Wurden sie seinem Urteil trauen? Haven jedenfalls traute keinem.
        Imrie scherzte:»Tja, Sir Richard, zu Mittag werden wir alle reiche Leute sein.»
        Sie verlie?en die Kajute, in der Enge vornubergebeugt und tastend. Bolitho wartete, bis Imrie allein zuruckblieb.

«Auch das mu? noch gesagt werden: Wenn ich falle, mussen Sie sich zuruckziehen, sobald Sie dazu in der Lage sind.»
        Imrie schaute ihn nachdenklich an.»Wenn Sie fallen sollten, Sir Richard, dann nur, weil ich versagt habe. «Und mit einem Blick in die Runde:»Aber wir werden Sie stolz auf uns machen, warten Sie's nur ab, Sir!»
        Bolitho trat in die Dunkelheit hinaus, die funkelnden Sterne beruhigten ihn. Warum konnte er sie noch immer nicht fur selbstverstandlich nehmen? Simple Treue und Ehrlichkeit. Von so vielen Menschen daheim wurden sie gering geschatzt.
        Thor lie? den Anker fallen. Als die Trosse steifkam und das Schiff sich in die Stromung drehte, wurden die Boote au?enbords gesetzt. Das geschah so schnell, da? Bolitho mutma?te, der Kommandant hatte seine Leute seit dem Verlassen von English Harbour fur diesen Augenblick gedrillt.
        Er selbst setzte sich ins Heck der Jolle, die auch in der Dunkelheit sichtbar niedrig im Wasser lag, bei dem Gewicht von Menschen und Waffen. Er hatte Hut und Rock weggelassen und hatte als einfacher Leutnant wie Parris durchgehen konnen. Allday und Jenour zwangten sich neben ihn, und wahrend Allday die Ruderer kritisch musterte, au?erte der Flaggleutnant aufgeregt:»Das werden die mir niemals glauben.

        Mit» die «meinte er wohl seine Eltern, nahm Bolitho an. Er horte den Schlag langer Riemen und sah Spritzer auffliegen, als der Leichter mit den schweren Morsern von Thor losgeworfen wurde und abtrieb, bis ihn mehrere Boote mit ihren Leinen einfingen und abschleppten. Bolitho zupfte sich das feuchte Hemd von der Haut. Feucht von Schwei? oder Wasser, da war er nicht sicher. Er konzentrierte sich auf die verstreichende Zeit, auf die flusternd geloteten Tiefen, das stete Auf und Ab der Riemen. Er wagte nicht, sich umzusehen, ob die anderen auch folgten.
        Die Boote waren der Gezeit und ihrer Stromung auf den unsichtbaren Sandbanken ausgeliefert. In der einen Minute machten sie flotte Fahrt, in der nachsten hatten alle Ruderer hart zu pullen, um den Rumpf aus der falschen Richtung zu rei?en. Er stellte sich Parris mit dem Gros der Manner in den Booten vor und Dalmain auf dem Leichter, wie er ihn lenzen lie?, um das Fahrzeug schwimmfahig zu halten. So dicht unter Land wagten sie nicht, die Pumpen zu benutzen.
        Vom Bug horte man Laute der Uberraschung, und der Bootssteurer rief heiser:»Riemen auf! Vorsicht, Jungs!»
        Mit tropfenden Ruderblattern tanzte das Boot im Fahrwasser. Ein Mann kam nach hinten geklettert, starrte Bolitho sekundenlang an und keuchte:»Schiff vor Anker, recht voraus, Sir!«Er stotterte, als ob er erst jetzt gewahr wurde, da? er mit dem Admiral sprach.»Ein kleines, Sir, kann ein Schoner sein!»

«Blendet die Laterne ab!«Bolitho betete im stillen, da? Parris den Ankerlieger rechtzeitig bemerken wurde. Ein Alarm mu?te sie entlarven. Es war schon zu spat, um zuruckzurudern.
        Er horte sich selbst sagen:»Na gut, Steuermann, machen wir weiter. Nur keine Aufregung. «Er entsann sich der ruhigen Stimme Keens, wenn der vor einem Gefecht zu seinen Geschutzbedienungen gesprochen hatte: wie ein Reiter, der ein nervoses Pferd besanftigte.

«Es liegt jetzt an uns, ein Zuruck gibt es nicht. «Er lie? jedes Wort wirken, aber es war, als sprache er zu einem leeren Boot.»Haltet ein bi?chen mehr nach Backbord…»
        Man horte das Kratzen von Stahl und den Feldwebel heftig flustern:»Nein, nicht laden! Der erste Mann, der einen Schu? auslost, hat meinen Dolch im Bauch!»
        Plotzlich sahen sie es: schlanke, steile Masten, festgemachte Segel, ein abgeschirmtes Ankerlicht, das einen schwachen Goldschimmer auf die Wanten warf. Steven und Kluverbaum traten hervor. Sollte es schon hier und auf diese Weise enden?
        Die Riemen wurden stillschweigend eingezogen. Vorne im Boot, wo die scharfaugigen Seeleute den unerwarteten Fremden zuerst gesehen hatten, ruhrte sich etwas. Allday brummte ungeduldig:»Nun macht schon, ihr Memmen, gleich geht's los!»
        Bolitho erhob sich. Der lange Kluverbaum strich uber ihn hinweg, als die Stromung sie wie Treibholz gegen den
        Schiffsrumpf schwemmte. Jenour kauerte neben ihm, seinen Entersabel schon gezogen, den Kopf seitwarts geneigt, als erwarte er einen Schu?.»Enterhaken!»
        Dumpf krachte das Boot an die Bordwand.»Auf, ihr Burschen!»
        Die Wut der Leute wirkte aufruttelnd wie eine Fanfare. Bolitho selbst fuhlte sich gesto?en und uber die Seite gehoben, griff nach Leinen und suchte mit den Fu?en nach einem Halt, bis sie wie blind auf dem Deck des Schiffes landeten.
        Vom Vormast rannte eine Gestalt herbei, ihr gellender Alarmruf wurde vom Knuppel eines Seemanns erstickt. Zwei andere Schemen schienen vor ihren Fu?en emporzuwachsen. In diesem Augenblick wurde Bolitho klar, da? die Ankerwache an Deck geschlafen hatte. Um sich herum spurte er das Ungestum seiner Leute, den wutenden Ha? gegen alles, was sich bewegte oder auch nur sprach.
        Unter Deck ertonten Stimmen. Bolitho schrie:»Langsam, Burschen, haltet inne!«Er horchte besonders auf eine, die sich in einer ihm fremden Sprache uber den Rest erhob.
        Jenour keuchte:»Schwedisch, Sir!»
        Die Enterparty stie? die Besatzung des Schoners nach achtern, die einzeln oder in kleinen Gruppen durch zwei Luken geklettert kam und vor Uberraschung wie gelahmt war. Bolitho horte stetige Ruderschlage nahebei, das mu?te Parris mit seinem Boot sein.

«Fragt Mr. Parris, ob er einen schwedischen Matrosen an Bord hat. «Wie andere Kriegsschiffe auch, hatte Hyperion das ubliche Volkergemisch unter ihrer Besatzung, sogar einige franzosische Seeleute, die den Dienst beim alten Feind dem Aufenthalt auf einem Gefangenenschiff vorzogen.
        Eine Person schritt uber Deck, bis Allday grollte:»Keinen Schritt weiter, Musjoh, oder was Sie sind!»
        Der Mann verhielt und spuckte aus.»Wir brauchen keinen Dolmetscher. Ich spreche englisch - wahrscheinlich besser als du!»
        Bolitho steckte seinen Degen fort, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Den Schoner hatten sie hier nicht erwartet. Er war ihnen buchstablich im Weg und ein Problem. Britannien befand sich nicht im Krieg mit Schweden, obwohl es unter dem Druck von Ru?land kurz davorstand. Ein Zwischenfall jetzt, und.
        Er sagte kurz angebunden:»Ich bin ein britischer Offizier - und
        Sie?»

«Ich bin der Kapitan dieses Schiffes, Rolf Aasling. «Er betonte das» ich«.»Und ich versichere Ihnen, da? Sie ihn noch bedauern werden, diesen - diesen Akt der Piraterie!»
        In diesem Augenblick warf Parris ein Bein uber die Reling und sah sich um. Er war nicht einmal au?er Atem.»Es ist der Schoner Spica, Sir Richard«, sagte er gleichmutig.
        Aasling fuhr zuruck.»Sir Richard?»
        Parris beaugte ihn naher.»So ist es. Darum achten Sie auf Ihre Manieren.»
        Bolitho sagte:»Ich bedaure diesen Zwischenfall, Kapitan, aber Sie ankern in feindlichen Gewassern. Ich hatte keine Wahl.»
        Der Mann beugte sich vor, bis sein Rock Alldays unerbittliches Entermesser beruhrte.

«Ich gehe hier friedlichen Geschaften nach! Sie haben kein Recht.»

«Ich habe jedes Recht«, unterbrach ihn Bolitho.
        Er hatte naturlich nichts dergleichen, aber die Minuten rannten ihm davon. Sie mu?ten die Morser in Stellung bringen. Sobald es hell genug war, um auf die Reede vorzusto?en, mu?te der Angriff beginnen. Jeden Augenblick konnte eine Feldwache an der Kuste merken, da? auf dem kleinen Schoner etwas nicht stimmte. Oder sie konnten von einem Wachboot angerufen werden. Selbst wenn Parris' Leute dann den Rufer uberwaltigten, wurde dies Alarm auslosen. Der hilflose Leichter - man wurde sie alle in die Luft jagen.
        Bolitho dampfte seine Stimme und befahl Parris:»Nehmen Sie einige Leute und sehen Sie unten nach. «Der Schoner trug mehrere Geschutze und Drehbassen, aber sie hatten noch Gluck gehabt, da? sie sich nicht mit einem Freibeuter herumzuschlagen brauchten. Die Schweden suchten Verwicklungen mit den Flotten Frankreichs und Englands zu vermeiden. Ein Handelsschiff also? Zu gut bewaffnet fur ein solches Fahrzeug.
        Kapitan Aasling ereiferte sich:»Wurden Sie endlich mein Schiff verlassen, Sir, und Ihren Leuten befehlen, meine freizugeben?»

«Was machen Sie uberhaupt hier?»
        Diese plotzliche Frage traf ihn unvorbereitet.»Ich treibe Handel, das ist legal. Ich dulde nicht…»
        Parris, der zuruckgekommen war, stellte sich neben Jenour und bemerkte fast beilaufig:»Abgesehen von gewohnlichem Stuckgut, Sir, hat das Schiff spanisches Silber geladen. Fur die Franzosen, soweit ich's beurteilen kann.»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken. Spanisches Silber, das ergab einen Sinn. Wie nahe sie einem Reinfall gewesen waren!
        Er sagte:»Sie haben also gelogen! Ihr Schiff ist bereits fur die Heimfahrt beladen. Sie warten nur ab, um sich dem spanischen Schatzkonvoi anzuschlie?en.»
        Der Mann schrak zuruck, zogerte und murmelte dann:»Dies ist ein neutrales Schiff. Sie sind nicht ermachtigt.»
        Bolitho winkte ab.»Im Augenblick bin ich das wohl, Kapitan. Antworten Sie!»
        Der Kapitan der Spica entgegnete achselzuckend:»Na und? Es gibt eben viele Piraten in diesen Gewassern und feindliche Kriegsschiffe.»

«Sie beabsichtigen also, in Begleitung der Spanier zu segeln. «Bolitho fuhlte, da? seine scharfen Worte den Mann einschuchterten.»Es ware besser fur Sie, wenn Sie jetzt reden wurden. Wann also.»

«Ubermorgen«, platzte der Schwede heraus.»Die spanischen Schiffe werden ubermorgen auslaufen, wenn.»
        Bolitho unterdruckte seine Aufregung. Also mehr als nur ein
        Schiff. Die bewaffneten Geleitfahrzeuge wurden aus Havanna erwartet, konnten aber auch bereits in Puerto Cabello sein. Haven wurde direkt in sie hineinlaufen!
        Parris sah ihn aufmerksam an. Wie wurde er sich verhalten?
        Bolitho wies den Schweden an:»Machen Sie alles klar zum Ankerhieven, Kapitan.
«Dessen Protest ubergehend, wandte er sich an Parris:»Ubermitteln Sie Mr. Dalmain, da? wir ihn in den Hafen schleppen werden. Ihre Boote nehmen wir auch mit.»
        Der Kapitan der Spica brullte:»Das lasse ich nicht zu! So was Verrucktes mache ich nicht mit!«Seine Stimme bekam einen triumphierenden Klang.»Die spanischen Kanonen schie?en Sie in Grund und Boden, sobald Sie versuchen, ohne Erlaubnis einzulaufen!


«Aber Sie haben doch ein Erkennungssignal?»
        Aas ling gab es kleinlaut zu.

«Dann benutzen Sie es, wenn's gefallig ist.»
        Jenour flusterte warnend:»Schweden mag darin eine Kriegshandlung sehen, Sir Richard.»
        Bolitho spahte zum dunklen Land hinuber.»Neutralitat im Krieg gibt es nicht, Stephen. Ehe Stockho lm davon erfahrt, ist hoffentlich alles vorbei und vergessen.
«Grob fugte er hinzu:»Ich habe schon eine Menge dieser angeblich neutralen Kramer erlebt, darum bewacht den Mann gut.»
        Und mit erhobener Stimme, die den schwedischen Kapitan aufhorchen lie?:»Nur ein verraterisches Zeichen, und ich lasse ihn an der Rah hangen!»
        Weitere Seeleute kamen mit ihren Waffen an Bord geklettert. Was scherten sie sich um Neutralitat und jene, die sich dahinter verbargen, solange sie davon profitierten? Fur ihr einfaches Denken war man entweder Freund oder Feind.
        Parris grinste in der Dunkelheit mit wei?en Zahnen.»Hiernach, Sir Richard, uberrascht mich nichts mehr.»
        Bolitho massierte sein Auge.»Gut fur Sie.»
        Parris schritt davon, man horte ihn jeden Mann beim Namen rufen. Sie antworteten ihm in vertrautem Ton. Kein Wunder, da? die kleine Besatzung des Schoners eingeschuchtert war. Die britischen Matrosen hantierten auf ihrem Deck herum, als ob sie es ihr ganzes Leben gekannt hatten. Bolitho entsann sich dessen, was ihm sein Vater einmal uber britische Seeleute gesagt hatte:»Setze sie in volliger Dunkelheit auf ein fremdes Schiff, und sie werden in wenigen Minuten oben auf den Rahen auslegen, so gut beherrschen sie ihr Handwerk. «Was hatte er wohl hierzu gesagt?» Ankerspill besetzt, Sir!»
        Das war ein Fahnrich namens Hazlewood, dreizehn Jahre alt und in seiner ersten Stellung. Bolitho horte, wie ihn Parris scharf anwies, in Rufweite zu bleiben.»Ich wunsche keine verdammten Helden, Mr. Hazlewood.»
        Genauso war Adam gewesen.

«Hievt, ihr Burschen!»
        Aus der Dunkelheit kam die Stimme eines Spa?vogels:»Unser Dick besorgt uns heute spanisches Gold fur Grog, eh?«Er wurde von einem Feldwebel schnell zur Ordnung gerufen.
        Bolitho stand neben dem schwedischen Kapitan und versuchte, sein Mitgefuhl zu unterdrucken, das er trotz allem fur den Mann empfand. Nach dieser Nacht wurde sich sein ganzes Leben andern. Eines war sicher: Er wurde nie wieder ein Schiff fuhren.

«Anker ist auf, Sir!»

«Setzt die Segel, Jungs!»
        Blo?e Fu?e klatschten auf die feuchten Planken, als der vom Ankerkabel befreite Schoner abfiel. Die Stagen zitterten und summten, das Gro?segel blahte sich uber geduckten Gestalten. Bolitho hielt sich an den Wanten fest und fa?te sich in Geduld, bis der Schoner in Gang kam und mit Booten und Leichter im Schlepp seinen Bugspriet nach Osten richtete.
        Parris schien uberall zugleich zu sein. Hatte der Uberfall Erfolg, konnte er leicht der ranghochste Uberlebende sein. Bolitho war uberrascht, da? er der Moglichkeit seines eigenen Todes ohne Gefuhlsregung ins Auge sah. Nun bat Parris, die Geschutze laden zu durfen.»Ich denke, es ist das Beste, die Sechspfunder mit Doppelkugeln laden zu lassen, Sir, und das braucht seine Zeit.»
        Bolitho war einverstanden, es schien ihm eine vernunftige Vorsichtsma?nahme.»Und, Mr. Parris, scharfen Sie Ihren Leuten ein, die Schonerbesatzung gut zu bewachen. Ich mochte sie nicht auf ihrem eigenen Schiff eingesperrt untergehen lassen, falls die Spanier uns beschie?en, aber ich traue keinem von ihnen auch nur einen Finger breit.»
        Parris lachelte.»Bootsmannsgehilfe Dacie ist gut darin, Sir Richard.»
        Um die Geschutze flitzten Gestalten. Bolitho horte sie flustern, wahrend sie Pulverladungen und Kugeln in die Rohre rammten. Nun taten sie etwas, das sie verstanden und das man ihnen taglich eingepaukt hatte, seit sie des Konigs Schiff betreten hatten.
        Jenour schien ein wenig Schwedisch zu konnen und wechselte hin und wieder ein Wort mit dem Steuermann der Spica. Schlie?lich wurden zwei gro?e Flaggen gebracht und von Fahnrich Hazlewood an die Leine geknupft.
        Es wurde langsam heller. Bolitho bewegte sich an Deck, pragte sich Gesichter ein, sah nach, wo jeder Mann seine Station hatte. Spica zog gut unter dem Druck der Segel. Zunehmende Erregung erfullte ihn, die auch der Singsang des Lotgasten nicht dampfen konnte. Er sah den schlanken Rumpf des Schoners vor sich, der sich unablassig zwischen versteckten Sandbanken hindurchwand, zuweilen mit nur wenigen Fu? Wasser unterm Kiel. Bei Tage hatten sie den Schatten der Spica auf dem Meeresboden gesehen.

«Alle Geschutze geladen, Sir!»

«Sehr gut.»
        Bolitho fragte sich, wie es wohl Leutnant Dalmain mit seinen zwei Morsern auf dem geschleppten Leichter ging. Fur den Fall, da? der Angriff fehlschlug und Thor nicht mehr in der Lage war, die Leute abzuholen, sollte sich Dalmain an die Kuste treiben lassen und sich ergeben. Bolitho schnitt eine Grimasse. Er wu?te, was er unter solchen Umstanden getan hatte. Seeleute hegten Mi?trauen gegen das Land. Wahrend andere die See als Feind oder als Hindernis ansahen, wurden Manner wie Dalmain die
        Fluchtchance ergreifen, die sie bot, selbst in einem so untauglichen Fahrzeug wie einem Leichter.
        Jenour gesellte sich zu ihnen am Ruder und meldete:»Der schwedische Steuermann sagt, wir sind schon an der Batterie vorbei. Das gro?te Schatzschiff ankert in Linie mit dem ersten Fort. Es ist die Ciudadde Sevilla.»
        Bolitho klopfte ihm auf die Schulter.»Das haben Sie gut gemacht. «Er sah die Karte vor sich. Es war genauso wie von Price beschrieben: das neue Fort erhob sich auf einem Felsensockel aus der See.
        Der Lotgast rief plotzlich:»An der zweiten Marke!»
        Parris murmelte:»Allmachtiger Gott, so flach!»
        Bolitho befahl:»Einen Strich abfallen!«Er starrte ins Kompa?gehause.»Wer steht am Ruder?»

«Laker, Sir.»
        Bolitho drehte sich wieder um. Der Seemann, der ausgepeitscht werden sollte.
        Laker meldete:»Sudost liegt an, Sir!»
        Der Lotgast vorn gab Entwarnung:»An der Marke sieben!»
        Bolitho offnete die geballten Fauste. Spica hatte also die Untiefen hinter sich gelassen und tieferes Wasser erreicht. Doch wehe, wenn die Karte mit ihren sparlichen Daten unrecht hatte.

«Marke funfzehn!«Der Jubel in des Mannes Stimme war nicht zu uberhoren. Die Karte war nicht falsch, sie waren durch.
        Bolitho ging zur Heckreling und spahte nach ihrem Schleppzug aus. Die wei?en Bugwellen leuchteten wie Flaumfedern auf dunklem Grund.
        Allday bemerkte:»Sonnenaufgang jede Minute, Sir Richard. «Es klang gereizt.»Ich ware wirklich froh, sie wieder untergehen zu sehen.»
        Bolitho lockerte den Degen in seiner Scheide; er vermi?te seine alte Waffe. Er malte sich aus, wie Adam sie trug, dazu Belindas beherrschtes Gesicht, wenn sie die Nachricht von seinem Tod erhielt.
        Laut aber brummte er:»Genug der Melancholie, alter Freund! Wir haben schon Schlimmeres uberstanden.»
        Allday beobachtete ihn unbewegt in der Dammerung.»Ich wei?, Sir Richard, ich werde nur manchmal.»
        Seine Augen leuchteten auf, Bolitho ergriff ihn am Arm.

«Die Sonne! Unser Freund oder Feind? Das fragt sich noch.»

«Klar zum Wenden!«Parris' Stimme klang sorglos.»Zwei Mann mehr an die Vorbrasse, Keats!»

«Aye, aye, Sir.»
        Bolitho versuchte, sich Keats' Gesicht vorzustellen. Statt dessen kamen andere, altere zum Vorschein: die Toten der Hyperion. Standen sie auf, um ihn, der zu ihnen gehorte, nun zu sich zu holen? Der Gedanke lie? ihn erschauern. Er schnallte die Scheide ab und warf sie fort, wahrend er den Degen in der Hand balancierte.
        Tageslicht flo? golden ubers Wasser. An Steuerbord dehnte sich die noch formenlose Masse des Landes. Irgendwo reflektierte ein Glasfenster kurz einen Sonnenstrahl, der Wimpel an ihrer Mastspitze gluhte im ersten Licht wie eine Lanzenspitze auf. Das Fort lag fast in Linie mit dem Kluverbaum: ein Viereck, das sich deutlich vom Land abhob und auf das sie direkt zuhielten.
        Bolitho lie? den Arm mit dem Degen baumeln, die andere Hand steckte im Ausschnitt seines Hemdes. Unter der hei?en, feuchten Haut spurte er seinen Herzschlag; und doch war ihm kalt.

«Da ist es!»
        Er hatte die Mastspitzen des gro?en Schiffes unterhalb des Forts entdeckt. Es konnte gar nichts anderes sein als die von Somervell erwahnte Galeone. Er sah Catherines Augen auf sich gerichtet, stolz und fordernd. Und sehr fern.
        Da lie? er das Grubeln sein und hob langsam den linken Arm, bis das Sonnenlicht die Klinge streifte, als hatte er sie in geschmolzenes Gold getaucht.
        Auf allen Seiten umgaben ihn die Gerausche von See, Wind und Gischt, dazu das lebhafte Geklapper des laufenden Guts und das
        Knarren der Wanten, als sich das Deck beim Uberstaggehen neigte.
        Bolitho schrie:»Da vom liegt sie, Jungs! Bald sind wir quitt!«Doch niemand antwortete; denn nur die Toten der Hyperion hatten ihn verstanden.



        VII Die Schatzschiffe

        Das schwache Tageslicht erschwerte es Bolithos Augen, die Einzelheiten der Faltkarte zu erkennen. Er wunschte, er hatte noch Zeit gehabt, in der winzigen Schonerkajute alles genau zu uberprufen, doch war jede Sekunde kostbar. Wenn er vom schragen Kompa?gehause aufschaute, offnete sich vor ihm die gro?e Reede wie ein Amphitheater. Da lagen noch mehr Schiffe vor Anker, aber aus der Entfernung wirkten sie wie beim Zentralfort zusammengedrangt. Dahinter lag die Kuste mit wei?en Hausern und dem Anfang einer gewundenen Stra?e, die ins Binnenland fuhrte. Jeder Berggipfel wurde vom Sonnenlicht bestrichen. Die blaugrauen Massen uberschnitten sich und verbla?ten in der Ferne, wo sie mit dem Himmel verschmolzen.
        Er starrte das spanische Schiff an, das in seiner Gro?e der Hyperion gleichkam. Es mu?te einen Monat oder mehr gedauert haben, es mit dem Gold und Silber zu beladen, das auf Packeseln und in Karren hergebracht wurde, wobei es Soldaten auf jeder Meile bewachten.
        In Kurze, ehe die Sonne hoherstieg und die ankernde Thor verriet, wurde Leutnant Dalmain das Feuer auf die Batterie eroffnen.
        Auf dem Deck des Schoners Spica sa? die alte Mannschaft an der Luvverschanzung und betrachtete die britischen Seeleute. Kein Wunder, da? sie keinen Widerstand geleistet hatte. Im Gegensatz zu den sauberen Schweden sahen die Manner der Hyperion wie Piraten aus. Dacie, der Bootsmannsmaat, hielt den Kopf schief, so da? er gleichzeitig seine Manner und den Kapitan der Spica beobachten konnte. Uber einer leeren Augenhohle trug er eine schwarze Binde, die ihm ein schurkisches Aussehen verlieh. Parris' Vertrauen in ihn war offenbar gerechtfertigt. Skilton, einer der Meistergehilfen, war der einzige, der mit seinem biesenbesetzten Rock so etwas wie eine Uniform trug.
        Auch Jenour war dem Beispiel seines Admirals gefolgt und hatte Hut und Rock abgelegt. Er trug einen Degen mit feiner blauer Klinge aus deutschem Stahl, den seine Eltern ihm mitgegeben hatten.
        Bolitho suchte sich zu lockern. Es war ein weiter Weg aus jenem stillen Zimmer der Admiralitat, wo man diesen Plan mit aller Grundlichkeit erortert hatte, bis hierher.
        Parris trug das Hemd bis zur Taille offen. In der frischen Landbrise fiel ihm sein dunkles Haar uber die Augen. Hatte Haven ein Recht, ihn zu verdachtigen? Schwer zu sagen. Man hatte es verstehen konnen, wenn Mrs. Haven ihn dem farblosen Kapitan vorzog.
        Eine Mowe flog uber das Toppsegel. Ihr wilder Schrei mischte sich mit dem Geschmetter einer fernen Trompete. An Land oder vor Anker, uberall regten sich Manner, griffen Koche nach ihren Potten und Pfannen. Parris grinste Bolitho uber die Lange des Decks hinweg zu und rief:»Gleich gibt's ein unsanftes Erwachen, Sir Richard!»
        Trotzdem war der Knall, als er kam, eine Uberraschung. Es war ein doppelter Donnerschlag, der uber das Wasser rollte und wie ein Gegensalut als Echo zuruckkam. Die Morser!
        Bolitho sah plotzlich Francis Inch vor sich, dem man als erstes Kommando eine Bombarde wie die Imries gegeben hatte. Er konnte fast seine Stimme horen wie damals, als er mit seinem Pferdegesicht aufmerksam an den Morsern entlanggegangen war, jede Richtung abwagend und jeden Schu?.
        Als die beiden Morser aufs neue feuerten, verga? er Inch. Die Druckwelle der Detonation prallte gegen ihr Schiff. Bolitho fa?te seinen Degen fester, als sich an des gro?en Spaniers Rahen Flaggen entfalteten.

«Setzt das Erkennungssignal, Mr. Hazlewood!»
        Die zwei Flaggen flitzten hoch und flatterten trage. Jetzt fehlte nur noch, da? der Wind nachlie? und sie hilflos dalagen.
        Parris brullte:»Springt umher, ihr faulen Bruder! Schwenkt die Arme, zeigt achteraus! Aber aufgeregt!«Er lachte wild, als einige Seeleute die Verfolgten zu markieren begannen.
        Bolitho schnappte sich ein Fernglas und richtete es auf den verankerten Spanier. Etwa eine halbe Kabellange dahinter lag ein zweites Schiff. Zwar kleiner als die Ciudad de Sevilla, aber wahrscheinlich mit genugend Beute, um eine Armee monatelang zu unterhalten.
        Parris rief:»Sie haben Enternetze aufgezogen, Sir Richard!«Der nickte.»Wir andern Kurs und laufen ihm vor den Bug!«Es sollte so aussehen, als ob sie den Schutz des nachsten Forts suchten.»Ruder nach Lee, Sir!«»Stutz! Recht so!»
        Bolitho hielt sich fest. Der Schoner lag hart am Wind, die Segel killten und schlugen. Er zuckte zusammen, als die Morser wieder einsetzten. Die Kustenbatterie schwieg noch immer. Vielleicht hatte schon die erste Salve gewirkt, waren die schweren Kugeln wie todliche Dreschflegel auf sie niedergegangen und hatten Eisensplitter und Schrappnells verspritzt.
        Achteraus von Spica zogen Rauchschwaden dahin, auch war Dunst aufgekommen, der den Weg durch die Untiefen vollig verbarg. Das konnte die Einfahrt der nachkommenden Thor verzogern, aber so war sie wenigstens vor der Batterie sicher.
        Bolitho sagte:»Unsere Leute sollen sich ja nicht sehen lassen, Mr. Parris!»
        Jemand schrie:»Wachboot an Steuerbord, Sir!»
        Bolitho schwenkte das Fernglas und sah einen dunklen Bootsrumpf um ein ankerndes Handelsschiff biegen. Vielleicht hatten seine Leute eben noch an ihre Siesta gedacht, an etwas Wein im Sonnenschein. Er sah die glanzend rot gemalten Riemen eifrig pullen, um das Boot moglichst eng zu drehen.
        Weiter hinten konnte er die Umrisse einer spanischen Fregatte mit leeren Masten erkennen. Vermutlich wurde sie neu ausgestattet oder besserte nach dem Sturm ihre Schaden aus.

«Zwei Strich Steuerbord, Mr. Parris!«Bolitho hielt das Glas fest, als sich das Deck wieder neigte. Er horte weitere Trompetensto?e, wahrscheinlich vom neuen Fort, und konnte sich ausmalen, wie die aufgeschreckten Artilleristen an ihre Geschutze rannten, noch ungewi?, was eigentlich geschah. Kanonendonner. Doch nichts war in Sicht au?er einem schwedischen Schoner, der verstandlicherweise Schutz suchte; keine feindliche Flotte, kein kuhner Vorsto?. Schlie?lich hatten die au?eren Forts solch verwegene Dummheit aufgehalten.
        Der Kluverbaum der Spica schwang seitwarts, als ob er die Back des Schatzschiffes aufspie?en wollte, obwohl sie noch immer eine Kabellange entfernt waren. Das Wachboot pullte ihnen ohne sonderliche Eile entgegen. Ein Offizier erhob sich und spahte durch Rauch und Dunst.
        Bolitho sagte:»Das Wachboot wird sich dazwischenschieben. Tut so, als ob ihr Segel refft.»
        Ein plotzlicher Windsto? fullte das Toppsegel, und hoch uber Deck ri? knallend eine Leine. Dacie stie? einen Matrosen mit der Faust an.»Hoch mit dir, Junge! Sieh nach!»
        Er richtete nur sekundenlang den Blick nach oben, aber es genugte, da? der schwedische Kapitan vorspringen und einem kauernden Seemann das Gewehr entrei?en konnte. Er legte es auf die Verschanzung und feuerte dem Wachboot entgegen. Der Pulverdampf hatte sich noch nicht verzogen, da lag der Kapitan schon an Deck, von einem Englander niedergeschlagen.
        Das Wachboot ruderte hastig zuruck, die Riemen wuhlten das Wasser zu Schaum. Es war keine Zeit zu verlieren.
        Bolitho brullte:»Rammt sie! Schnell!»
        Er verga? das Brullen, uberhorte sogar den Knall eines weiteren Gewehrschusses, als der Schoner drehte und wie eine Galeere gegen das Wachboot stie?.
        Es war ein markerschutternder Aufprall. Bolitho sah Riemen und Plankenstucke vorbeitreiben, Menschen muhten sich im
        Wasser ab, deren Schreie im auffrischenden Wind und dem Killen der Segel untergingen.
        Das Schatzschiff uberragte sie turmhoch. Einige Gestalten, die sich soeben noch nach der Ursache der Detonationen umgesehen hatten, rannten die Reling entlang, andere zeigten gestikulierend auf den angreifenden Schoner.

«Klar zum Entern!«Bolitho griff zum Degen und zog den um seine Taille gebundenen Tampen enger. Als sie die letzten hundert Meter zurucklegten, hatte er die Gefahr und auch die Sorge um sein unzuverlassiges Auge vergessen.

«Ruder hart uber! Runter mit dem Toppsegel!»
        Gewehrkugeln flogen uber ihre Kopfe, eine mei?elte einen langen Splitter aus dem Deck.

«Feuer einstellen!«Parris schritt vorwarts und achtete auf seine Manner, die geduckt den Zusammensto? mit dem Spanier erwarteten.
        Bolitho erblickte die aufgehangten Netze, die sie am Entern hindern sollten, sah Gesichter durch die Maschen peilen, eine einzelne Figur ein Gewehr laden, und hielt sich mit einem Bein am Vorwant fest.
        In der Bordwand des Spaniers klappte wie das Auge eines erwachenden Mannes eine Stuckpforte auf. Dann wurde die Mundung des Rohrs sichtbar, und Sekunden spater zuckte die Feuerzunge hervor, der ein ohrenbetaubender Knall folgte. Doch war es nur eine trotzige Geste, die Kugel landete harmlos im Wasser wie ein springender Delphin.
        Als auch das letzte Segel den Wind verlor, stie? der Kluverbaum des Schoners durch die Backbordwanten des Spaniers und zersplitterte. Zerrissenes Tauwerk und gebrochene Blocke rieselten auf die Back, ehe beide Schiffsrumpfe mit einem furchterlichen Krachen gegeneinander prallten. Der Vormast der Spica fiel wie ein abgesagter Zweig, aber durch seine zerfetzte Leinwand und wirre Takelage rannten Manner, blind fur alles andere und nur bestrebt, den Feind zu entern.

«Drehbasse!«Bolitho ri? den Fahnrich zur Seite, als die nachste
        Basse in ihrem Pivot einruckte und ihre morderische Ladung uber die schnabelformige Galion des Gegners prasselte. Manner fielen strampelnd ins Wasser. Ihre Schreie wurden unhorbar, als Parris mit den Sechspfundern feuern lie?.
        Allday hielt sich keuchend an Bolithos Seite, das Entermesser baumelnd am Handgelenk, als er auf die Verschanzung des Spaniers sprang. Ihn von achtern zu entern, ware unmoglich gewesen; das hohe Heck ragte mit dem vielen Schnitzwerk wie eine pompose Klippe empor. Vorne ging es leichter. Manner erstiegen die Galion und hackten jeden Widerstand beiseite, wahrend andere sich einen Weg durch die Netze schnitten.
        Ein Spie? zuckte vor wie die Zunge eines gro?en Reptils.
        Einer von Parris' Leuten fiel zuruck, die Hande in den Bauch gekrallt, und sturzte mit entsetzten Augen ins Wasser hinunter. Ein anderer, der sich nach ihm umdrehte, fing an zu gurgeln, als der Spie? in seinen Hals drang und im Nacken wieder herausfuhr; er sturzte seinem Freund nach.
        Dacie war mit einigen Seeleuten schon an Deck gelangt. Sie rissen die restlichen Netze weg. Bolitho fuhlte, da? ihn jemand beim Handgelenk packte und durch eine Lucke hinuberzog. Ein anderer taumelte mit glasigen Augen gegen ihn, eine Kugel hatte ihm die Brust zerschmettert.

«Manner der Hyperion, her zu mir!«Parris schwenkte seinen bluttriefenden Sabel. Aufs Steuerbord-Seitendeck!»
        Schusse krachten, Querschlager winselten uber ihren Kopfen. Zwei weitere Leute fielen, im Todeskampf eine blutige Spur auf den Planken hinterlassend.
        Bolitho starrte grimmig nach achtern, als die Drehbassen die hohe Poop bestrichen. Sie fegten eine Handvoll Manner weg, die wie durch Zauberhand dort aufgetaucht waren. In Sekundenschnelle bemerkte er, da? sie nur teilweise bekleidet oder ganzlich nackt waren: wahrscheinlich einige Schiffsoffiziere, die der plotzliche Uberfall aus dem Schlaf gerissen hatte.
        Parris besetzte mit seinen Leuten den Steuerbordgang, wo sie eine Drehbase nahmen und auf eine offene Luke richteten, aus der ihnen noch mehr Gesichter entgegenstarrten.
        Als auch der Rest des englischen Enterkommandos den kleinen Schoner verlassen hatte, nahmen die Schweden die Gelegenheit wahr, um ihr Fahrzeug zusammen mit den Booten der Hyperion vom Schatzschiff freizuhacken.
        Dacie schwang sein Enterbeil.»Auf sie, Jungs!»
        Jede Teerjacke wu?te, da? es kein Zuruck gab, nur Sieg oder Tod. Fur das, was sie angerichtet hatten, wurden ihnen die Spanier kein Pardon gewahren. Bolitho hielt inne, vom bei?enden Pulverdampf tranten ihm die Augen, aber er sah, da? die Matrosen sich in Gruppen aufteilten. Zwei stellten sich an das Doppelruderrad unterm Huttendeck, andere schwarmten schon nach oben aus und setzten die Marssegel, wahrend Dacie nach vorn eilte, um das dicke Ankerkabel zu kappen.
        Aus den Niedergangen krachten Schusse, die aber sofort von den Drehbassen erwidert wurden. Deren geballte Ladungen verwandelten die uberfullten Treppen in blutige Schlunde.
        Aus dem Nichts erschien ein Spanier und stach auf einen bereits schwerverwundeten Seemann ein, der auf allen Vieren davonkroch. Ihm gegenuber stand mit einem Dolch in der Hand der kleine Fahnrich Hazlewood, als der Spanier von seinem Opfer ablie?. Zwischen beide sprang Allday und brullte heiser:»Hierher, Freundchen!«, als ob er einen Hund riefe. Der Spanier zogerte mit erhobener Klinge, zu spat erkannte er die Gefahr. Alldays schweres Entermesser traf ihn mit einer derartigen Wucht uberm Schlusselbein, da? es aussah, als wolle er ihm den Kopf abschlagen. Der Mann flog herum, sein Sabel fiel klirrend an Deck, und Allday schlug erneut zu. Hinterher grollte er:»Holen Sie sich eine vernunftige Klinge, Mr. Hazlewood, mit dem Piekser da konnen Sie nicht mal eine Ratte toten!»
        Bolitho eilte achteraus ans Ruder. Er sah, wie sich der Steven aufs nachste Fort richtete, gleic hzeitig kam der Ruf:»Ankerkabel ist los!»

«Setzt die Marssegel! Beeilt euch, ihr Hunde!»
        Dacies einziges Auge leuchtete wie eine Glasperle im Sonnenlicht. Parris wischte sich mit einem zerfetzten Armel den Mund.»Wir sind in Fahrt!«jubelte er dann.»Wir segeln! Uber das Ruder!»
        Au?enbords platschte es, dann sahen sie einige spanische Seeleute vom Schiff fortschwimmen. Sie mu?ten aus den Stuckpforten gesprungen sein, um dem Abschlachten an Deck zu entgehen.
        Fahnrich Hazlewood taumelte mit niedergeschlagenen Augen zu Bolitho, voller Angst vor dem furchtbaren Anblick, der sich ihm bot. Bei den Speigatten lagen Leichen, getroffen von den doppelten Sechspfunderkugeln, und andere, welche die Eindringlinge hatten abwehren wollen, als die Drehbassen das Deck mit ihren morderischen Schrapnells bestrichen.
        Ein Kluver blahte sich im Wind, das gro?e Schiff begann anzuluven. Seinem Tiefgang nach zu urteilen, mu?te es seine kostbare Ladung schon ubernommen haben. Wie wurde der Kommandant des Forts sich verhalten? Wurde er auf sie schie?en, oder lie? er sie lieber davonsegeln, als sie zu versenken?
        Das zweite Schatzschiff schien ihnen entgegenzugleiten. Wie blitzende Nadelstiche kam Gewehrfeuer aus seinen Masten, aber bei dieser Entfernung ware es ein Wunder gewesen, wenn die Toppgasten oder gar die an Deck Stehenden getroffen worden waren.
        Bolitho drangte:»Reicht mir ein Glas!«Hazlewood fummelte damit herum, seine Hand zitterte noch vor Schreck. Er war um Haaresbreite dem Tod entronnen, als ihn Alldays Entermesser vor dem Schlimmsten bewahrt hatte.
        Bolitho schwenkte das Glas auf das andere Schiff, das nun zwischen ihnen und dem Fort lag. War es erst aus dem Weg, wurde jedes Geschutz der Batterie auf sie gerichtet sein. Wenn ich Kommandant des Forts ware, wurde ich trotzdem schie?en, dachte Bolitho. Ein Schiff zu verlieren, war schon schlimm genug, aber einen solchen Schatz ohne weiteres entwischen zu lassen, durfte wenig Gnade vor dem Oberbefehlshaber in Caracas finden.
        Man horte einen rauhen Jubelschrei, und Parris rief:»Bei Gott, da kommt Imrie!»
        Die Thor hatte jedes bi?chen Leinwand gesetzt, so da? ihre Segel im fruhen Morgenlicht wie eine gro?e, rotgoldene Pyramide leuchteten. Alle ihre kurznasigen Karronaden waren zu beiden Seiten des schwarz- und ockergestreiften Rumpfes wie ein Gebi? ausgefahren. Ihr Anstrich glanzte, als sie Ruder legte und auf die beiden Schatzschiffe zudrehte. Im Vergleich zur langsamen Ciudad de Sevilla bewegte sich die Thor leichtfu?ig wie eine Fregatte.
        Der Handstreich mu?te jedermann in den Forts und an der Kuste vollig uberrascht haben. Zuerst war ein schwedischer Schoner aufgetaucht, dem ein Kriegsschiff folgte, und das innerhalb ihres eigenen schwerbestuckten Territoriums. Bolitho dachte fluchtig an Kapitan Price. Dies ware seine Stunde gewesen.

«Signal an Thor: Das andere Schatzschiff versenken!»
        Obwohl es ursprunglich eine Bootsattacke werden sollte, hatten sie auch diese Moglichkeit in Betracht gezogen. Bolitho schaute auf das blutverschmierte Deck nieder, auf die offenen Mundes daliegenden Toten und die stohnenden Verwundeten. Wie es aussah, hatten sie ohne den Schoner wahrscheinlich keinen Erfolg gehabt.
        Er griff wieder zum Fernglas. An Bord des anderen Schiffes stromten die Spanier zusammen, Bajonette und Spie?e funkelten im Sonnenlicht. Sie erwarteten eine Entermannschaft der Thor, und diesmal wollten sie vorbereitet sein. Als sie Imries wahre Absicht erkannten, war es zu spat. Eine Trompete schmetterte, Pfeifen schrillten, sie rannten in Panik hierhin und dorthin und prallten schlie?lich wie konfuser Seegang aufeinander.
        Fast grazios umrundete der gedrungene Rumpf der Thor das andere Schiff, bis sein ungeschutztes hohes Heck ihm zugekehrt war. Dann feuerten die Karronaden eine langsame Breitseite ab.
        Schu? fur Schu? loste sich mit dem ohrenbetaubenden, fur Karronaden so typischen kurzen Donnerschlag. Vom hohen Kastell des Gegners rieselte es golden, die schimmernden Schnitzereien klatschten in die See oder wurden hoch in die Luft gewirbelt. Als der Wind den Rauch forttrieb, klaffte anstelle des Heckaufbaus eine schwarze Hohle in der Bordwand. Die schweren Kartatschen hatten den Rumpf der Lange nach wie eine eiserne Woge durchschlagen und alles unter Deck hinweggefegt.
        Thor drehte abermals. Als die Spanier versuchten, das Ankertau ihres zerschlagenen Schiffes zu kappen, kreuzte sie wieder auf und feuerte mit der anderen Batterie eine Breitseite ab. Der Spanier verschwand im Rauch. Sein Besan und Gro?mast waren mit wirrem Durcheinander langst uber Bord gefallen, und die Taue lagen an Deck und im Wasser wie Lianen verstreut.
        Bolitho, der das Schauspiel direkt vor Augen hatte, mu?te schlucken und rausperte sich.

«Setzt die Breitfock, Mr. Parris.»
        Er packte die Schulter des Fahnrichs, der wie angeschossen hochsprang.»Signal an Thor: Her zu mir!«Als er den Griff lockerte, fugte er hinzu:»Du hast dich gut gehalten. «Dann sah er die Manner am Ruder, ihre rauchverschmierten Gesichter und blo?en Fu?e, ihre blutigen Entermesser.»Ihr habt es alle gut gemacht!»
        Das gro?e Vorsegel fullte sich, das Deck neigte sich ein wenig, und ein Leichnam rollte vor die Speigatten, als ob er sich bisher nur totgestellt hatte.
        Auf dem Vordeck stand Jenour. Dort bewachten zwei bewaffnete Seeleute eine offene Luke, weil niemand wu?te, wie viele Feinde noch im Innern des Schiffes steckten. Jenour spurte, da? Bolitho ihn ansah, und hob seinen schonen Degen wie zum Salut. Wie fur den dreizehnjahrigen Hazlewood war es auch fur ihn wahrscheinlich das erste Blutvergie?en gewesen.

«Thor zeigt verstanden, Sir!»
        Bolitho wollte seinen Degen ablegen und erinnerte sich, da? er die Scheide vor dem Handgemenge weggeworfen hatte. Nun lag sie auf dem kleinen Schoner, der soeben im Dunst verschwand und nur noch eine Erinnerung war.»Nordost zu Ost liegt an, Sir!»
        Vor ihnen, milchblau im fruhen Licht, dehnte sich die offene See. Manner jubelten - verblufft, verstort, voller Freude und auch, weil sie das Ganze noch gar nicht fassen konnten.
        Parris grinste breit und druckte die Hand des Meistergehilfen so kraftig, da? dieser zusammenzuckte.»Sie gehort uns, Mr. Skilton! Gott verdamm' mich, wir haben ihnen das Schiff unter ihrer Nase weggenommen!»
        Skilton schnitt eine Grimasse.»Wir sind noch nicht daheim,
        Sir.»
        Bolitho hob das Glas wieder, es dunkte ihn schwer wie Blei. Weniger als eine Stunde war verflossen, seit sie das verankerte Schatzschiff uberfallen hatten. Eine Unmenge kleiner Boote verlie? die Kuste, eine Brigg setzte Segel, um sich ihnen anzuschlie?en. Sie alle stromten zu dem spanischen Wrack. Die letzte Breitseite mu? es wie ein Sieb durchlochert haben. Jedes Boot und jede Hand wurde notig sein, um zu bergen, was noch zu bergen war, ehe es kenterte und unterging. Es nicht zu entern, hatte sich gelohnt. Wenn sie versucht hatten, beide zu nehmen, hatten sie keines bekommen, sondern beide verloren. Der Meistergehilfe hatte schon recht: Bis daheim war noch ein langer
        Weg.
        Er lie? den Degen an Deck fallen, er war ungebraucht wie der Dolch des kleinen Fahnrichs. Todessehnsucht? Er hatte keine Furcht empfunden, wenigstens nicht fur sich selbst. Er sah die Matrosen an den Backstagen heruntergleiten. Hundert Mann Besatzung hatte er fur die Ciudad de Sevilla, das reichte. Sie vertrauten ihm, und das war vielleicht der gro?te Sieg.
        Bolitho nahm sich eine Kaffeetasse und schob sie gleich wieder fort: leer. Das hatte Ozzard unter diesen Umstanden nie zugelassen. Mude rieb er sich die Augen und sah sich in der uberreichlich ausgestatteten Kajute um. Im Vergleich zu einem britischen Kriegsschiff war es ein Palast, sogar fur einen Vizeadmiral. Er lachelte dunn.
        Es war Nachmittag. Trotzdem konnten sie vom Gro?mast immer noch das spanische Festland sehen. Aber Geschwindigkeit war so wichtig wie die Entfernung, deshalb lie? er bei dem stetigen Nordwestwind jeden Fetzen setzen, den das Schiff tragen konnte. Er hatte ein ebenso kurzes wie feindseliges Gesprach mit dem spanischen Kapitan gehabt, einem arroganten, bartigen Mann mit dem Gesicht eines alten Conquistadors. Schwer zu sagen, was diesen Spanier mehr argerte: da? ihm sein Schiff unter den Kanonen des eigenen Forts weggenommen wurde oder da? ihn ein Mann befragte, der sich zwar als englischer Admiral ausgab, aber in seinem zerlumpten Hemd und den rauchgeschwarzten Kniehosen eher wie ein Landstreicher aussah.
        Er nannte Bolithos Absicht, das Schiff in friedlichere Gewasser zu segeln, aussichtslos. Wenn die Abrechnung kam, wurde es ein Ende ohne Gnade sein, hatte er in merkwurdig eintonigem Englisch gesagt. Da hatte Bolitho das Gesprach beendet und gelassen erklart:»Niemand erwartet Gnade von einem Land, das sogar die eigenen Leute wie Tiere behandelt.»
        Bolitho horte, wie Parris einem Mann im Besanmast etwas zurief. Er war unermudlich und nicht zu stolz, beim Brassen oder Hei?en mit anzupacken. Mit ihm hatte Bolitho eine gute Wahl getroffen.
        Thor war dem schwerfalligen Schatzschiff gefolgt, wahrscheinlich ebenso erstaunt uber ihren Erfolg wie alle. Doch so gro? dieser auch war, er hatte seinen Preis gefordert und Trauer hinterlassen wie nach jedem Gefecht.
        Leutnant Dalmain war ums Leben gekommen, aber seine Leute waren von Thor abgeborgen worden. Die beiden Morser mu?ten aufgegeben werden, ihr wuchtiger Rucksto? hatte den lecken Leichter bis auf den Kiel zerschlagen. Dalmain hatte seine Leute in Sicherheit gebracht und war noch einmal zuruckgekehrt, um etwas zu holen. Dabei war der Leichter plotzlich vollgelaufen und weggesackt. Nun lag Dalmain bei seinen geliebten Morsern.
        Vier Mann waren beim Angriff gefallen, drei weitere schwerverwundet worden. Einer der letzteren war Seemann Laker, der einen Arm und ein Auge verloren hatte, als eine Muskete ihn auf Nahschu?distanz bescho?. Bolitho hatte gesehen, wie Parris uber ihm kniete, als der Mann krachzte:»Besser als ausgepeitscht, nicht wahr, Sir? Dann hatte er nach der Hand des Leutnants getastet.»Konnte ein kariertes Fell noch nie leiden, schon gar nicht seinetwegen.»
        Wahrscheinlich meinte er Haven. Wenn sie die Hyperion bald trafen, wurde deren Chirurg ihn vielleicht retten konnen.
        Bolitho dachte an die Fracht unter seinen Fu?en: Kisten und Kasten voll Gold und Silber, juwelenbesetzten Kruzifixen und Schmuckstucken. Im Licht von Alldays Laterne glitzerten die Schatze fast ordinar. Sie hatten Gluck gehabt, dachte er mude. Dem spanischen Kapitan war eine Information entschlupft: An eben jenem Morgen sollte sich eine Kompanie Soldaten auf der Ciudad einschiffen, um den Schatz zu begleiten, bis er in spanischen Gewassern entladen wurde. Eine Kompanie regularer, disziplinierter Soldaten aber hatte ihren Handstreich zum Gespott gemacht.
        Er dachte an den kleinen Schoner Spica und seinen Kapitan, der versucht hatte, Alarm auszulosen. Sein Schiff war heil, aber die Spanier wurden kaum andere Schiffe abstellen, um ihn in sichere Gewasser zu geleiten. Vielleicht sahen sie in ihm sogar den Schuldigen. Eines war sicher: Er wurde nie wieder mit dem Feind Handel treiben, ob neutral oder nicht.
        Bolitho gahnte herzhaft und massierte seine Stirnnarbe. Samuel Lintott, der imponierende Bootsmann der Hyperion, wurde einige Fluche loslassen, wenn er den Verlust der Jolle und der beiden Kutter entdeckte. Vielleicht konnte ihn das hohe Prisengeld trosten, das allen winkte. Der Admiral bemuhte sich, nicht einzunicken. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt ungestort geschlafen hatte.
        Das Schiff und seine reiche Ladung wurden in der City von London Freude auslosen, und naturlich bei seiner Britannischen
        Majestat, dem Konig, der sich nicht einmal an seinen Namen erinnert hatte, als er ihn mit dem Schwert zum Ritter schlug. Doch vielleicht bedeutete der Schatz fur diejenigen, die so viel besa?en, gar nichts Besonderes.
        Man konnte einen Krieg auch anders fuhren, als mit Kanonen Blut zu vergie?en. Aber weder das eine noch das andere schien ihm richtig zu sein; er fuhlte sich unbehaglich. Nur der Stolz lie? ihn durchhalten und der Gedanke an seine Manner. An solche, die ihre Leute retteten und selbst untergingen wie Dalmain. Oder an jene wie Seemann Laker, der Schulter an Schulter mit seinen Freunden gefochten hatte, weil sie mehr fur ihn bedeuteten als irgendeine Flagge oder Beute.
        England kam ihm in den Sinn, und er fragte sich, wie Belinda wohl ihre Zeit in London verbrachte. Er sah ihr Bild wie durch ein salzbeflecktes Teleskop, farblos und verschwommen, und fuhlte sich vage schuldig. Dann schweiften seine Gedanken zu Viscount Somervell, obwohl das nur ein Umweg war, der ihn wieder zu Catherine fuhrte. Wurden sie nun Westindien verlassen, nachdem der Schatz oder doch ein gro?er Teil davon erbeutet war?
        Seine Stirn beruhrte den Unterarm, und er fuhr jah hoch, weil er am Tisch eingenickt war. Gleichzeitig horte er die Stimme des Ausgucks im Masttopp. Als Parris antwortete und der Ausguck abermals brullte, war er schon auf den Fu?en und blickte durchs Oberlicht.

«Achtung, Deck! Zwei Segel in Nordwest!»
        Bolitho durchschritt ihm fremde Turen und passierte eine Reihe verlassener Kabinen. Die Reste der spanischen Schiffsbesatzung waren im Laderaum eingeschlossen, wo sie weder das Schiff zuruckerobern noch den Rumpf beschadigen konnten, ohne ihr eigenes Leben zu gefahrden. Alle Leute der Hyperion befanden sich an Deck oder hoch oben in der Takelage. Neben einem Bucherbord hing das Portrat eines spanischen Edelmannes, den er fur den Vater des Kapitans hielt. Vielleicht war es auch bei ihm so wie in dem alten grauen Haus in Falmouth, auch er hatte Gemalde, die eine Familiengeschichte erzahlten.
        An der Backbordseite des Achterdecks standen Parris, Jenour und Skilton, der Meistergehilfe, jeder mit einem Fernglas. Parris sah ihn und gru?te.»Noch nichts Neues, Sir Richard.»
        Der Horizont bildete eine scharfe Linie, er glich der Krone eines Deiches, hinter der man nichts sehen konnte. Bis es dunkel war, wurden noch Stunden vergehen. Das alles dauerte viel zu lange.

«Vielleicht ist's die Hyperion, Sir Richard.»
        Doch beide glaubten es nicht. Bolitho meinte:»Bei diesem gunstigen Wind hatten wir schon mittags mit ihr zusammentreffen mussen«, und setzte nach einer Pause hinzu: Benachrichtigt Thor, Imrie durfte die Fremden noch nicht gesehen haben.»
        Er machte ein paar Schritte hierhin und dorthin, das Kinn in der Halsbinde vergraben. Das gab ihm Zeit zum Uberlegen. Er mu?te sich mit dem Gedanken vertraut machen, da? der Feind ihm auf den Fersen war. Bei der Ciudad de Sevilla aber handelte es sich weder um ein Kriegsschiff, noch verfugte sie uber die Bewaffnung eines Indienfahrers. Die Geschutze mit ihren verzierten Lafetten und demonstrativen Bronzemaulern machten zwar einen kriegerischen Eindruck, waren aber nutzlos au?er gegen Piraten und Freibeuter.
        Er musterte einige Seeleute in seiner Nahe. Das Gefecht hatte ihnen genug abverlangt. Freunde waren verwundet und getotet worden, doch ihr Uberleben und der Traum vorn Prisengeld hatten sie in Hochstimmung versetzt. Nun kam es wieder anders. Ein Wunder, da? sie nicht nach achtern eilten, sich alles aneigneten und flohen. Nur Bolitho und zwei Leutnants hatten sie daran hindern konnen.
        Der Ausguck rief:»Zwei Fregatten, Sir! Dem Aussehen nach Spanier!»
        Bolitho stockte der Atem, alle sahen ihn an. Irgendwie hatte er geahnt, da? Haven mit der Hyperion nicht rechtzeitig kommen und ihm helfen wurde. Es mutete wie ein Witz an, da? er ihm selbst einen ehrenvollen Ausweg eroffnet hatte.
        Parris sagte gleichmutig:»Nun, wie man hort, ist die See unter unserm Kiel zwei Meilen tief. Die Dons kriegen das Gold nicht wieder, es sei denn, da? sie so tief tauchen konnen. «Niemand lachte.
        Bolitho schaute Parris an. Die Entscheidung liegt allein bei mir, dachte er. Sollte Thor sie und das Gold an Bord nehmen? Da sie nur noch die Halfte der Boote verfugbar hatten, wurde das zu lange dauern. Sollte man das gro?e Schiff mit all seinen Schatzen anbohren und auf Thor fliehen, in der Hoffnung, die Fregatten aussegeln zu konnen, wenigstens bis zum Anbruch der Nacht?
        Ein Sieg, der sozusagen in die Binsen ging.
        Jenour trat naher.»Laker ist eben gestorben, Sir.»
        Bolitho drehte sich mit blitzenden Augen um.»Fur wen - das wollten Sie doch fragen? Mussen jetzt alle sterben, nur wegen der Arroganz eines Vizeadmirals?»
        Uberraschenderweise wich Jenour nicht zuruck.»Lassen Sie uns kampfen, Sir Richard.

        Bolitho lie? die Arme fallen.»Mein Gott, Stephen, Sie meinen es wirklich ernst, wie?«Er lachelte, sein Arger war verraucht.»Aber ich will nicht, da? noch mehr sterben. «Sein Blick ging zum Horizont. »Thor soll beidrehen, dann holt die Gefangenen an Deck.»
        Der Ausguck schrie:»Zwei spanische Fregatten und ein anderes Segel dahinter!»
        Parris murmelte:»Allmachtiger Gott! Na, Mr. Hei?sporn, wollen Sie noch immer kampfen?»
        Statt einer Antwort griff Jenour zum Degen. Das sagte mehr als alle Worte.
        Allday beobachtete die Offiziere und versuchte auszuloten, was falsch gelaufen war. Nicht das Scheitern allein bedruckte Bolitho, eher schon, da? die alte Hyperion ihn im Stich gelassen hatte. Allday knirschte mit den Zahnen. Wenn er jemals wieder den Hafen erreichte, wurde er mit dem verdammten Haven ein fur allemal abrechnen, und das mit Schwung obendrein.
        Bolitho mu?te es die ganze Zeit geahnt haben. Warum sonst hatte er den alten Degen fur Adam an Bord zuruckgelassen?
        Allday fuhlte einen Schauder im Rucken. Auch er hatte es wissen mussen.
        Alle starrten in die Hohe, als der bis dahin vergessene Vormastausguck brullte: Segel in Nordost, Sir!»
        Bolitho verschrankte die Finger. Das neue Schiff war aufgekommen, als aller Augen auf die anderen gerichtet waren. Er sagte:»Entern Sie auf, Stephen. Mit einem Glas.»
        Jenour zogerte einige Sekunden, als denke er nach. Dann aber war er auch schon fort und zog sich bald Hand uber Hand an den Vorwanten empor, wo er sich zum Ausguck auf die unsichere Sitzstange der Saling gesellte.
        Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Andere waren ebenfalls aufgeentert oder klammerten sich an die Webeleinen, um den Horizont abzusuchen. Bolitho fuhlte einen Klo? in der Kehle. Es war gewi? wieder nicht die Hyperion, denn ihre Masten und Rahen hatten sie jetzt schon klar erkannt.
        Jenour schrie etwas herunter. In den Gerauschen der Takelage drang seine Stimme fast nicht bis zum Achterdeck.

«Es ist ein Englander, Sir! Zeigt seine Nummer!»
        Parris kletterte in die Besanwanten und richtete sein Glas auf die beiden Verfolger.

«Sie teilen sich, um uns in die Zange zu nehmen, Sir Richard. Sie mussen den Englander ebenfalls gesichtet haben. «Wutend setzte er hinzu:»Nicht, da? er uns jetzt noch helfen konnte, verflucht noch mal!»
        Jenour meldete sich wieder:»Es ist die Phaedra, unsere Korvette.»
        Bolitho fuhlte, da? Parris ihn ansah. Die vermi?te Korvette hatte sich endlich eingefunden, aber nur, um Zeugin ihres Endes zu werden.
        Jenour meldete sich aufs neue, brach ab und versuchte es wieder. Seine Stimme war kaum noch verstandlich.

«Phaedra hat ein Signal gesetzt, Sir! Es lautet: Feind in Sicht!»
        Bolitho schaute zu Boden, auf die dunkle Stelle an Deck, wo ein spanischer Seemann gestorben war. Dieses Signal wurde von allen anderen Schiffen verstanden werden, auch von den fremden. Er dachte an seine alte Hyperion, wie dort die Manner beim Trommelklang auf Gefechtstationen gerannt waren.
        Voll unglaubigem Erstaunen meldete Parris:»Die Dons drehen ab, Sir Richard!«Er wischte sich das Gesicht, vielleicht sogar die Augen.»Verdammt, macht es nachstes Mal nicht so spannend!»
        Indessen verbla?ten die spanischen Bramsegel im Dunst, und die flinke Korvette naherte sich dem Schatzschiff und seinem einzigen Begleiter. Bald stellte sich heraus, da? sie ganz allein war.
        Das ungleiche Trio rollte beigedreht in der Dunung, als der jugendliche Kommandant der Phaedra in seiner Gig herubergerudert wurde. Hastig kletterte er an der hohen Bordwand empor und luftete den Hut vor Bolitho; kaum konnte er sein Grinsen zuruckhalten.

«Wo sind die anderen Schiffe?«Bolitho starrte den jungen Mann verblufft an.»Wem galt Ihr Signal?»
        Der Commander ri? sich zusammen.»Mein Name ist Dunstan, Sir Richard.»
        Bolitho dankte.»Und woher kennen Sie mich?»
        Das Grinsen leuchtete wieder auf wie ein Sonnenstrahl in einer Wolkenlucke.

«Ich hatte die Ehre, auf der Euryalus unter Ihnen zu dienen, Sir Richard.
«Sichtlich stolz schaute er um sich.»Als Fahnrich. Und da entsann ich mich, wie Sie selbst einmal den Feind mit diesem Signal getauscht und vertrieben haben. «Er holte tief Luft.»Aber ich war nicht sicher, ob es auch mir gelingen wurde«, setzte er kleinlaut hinzu.
        Bolitho ergriff Dunstans Hand und hielt sie einige Augenblicke fest.»Jetzt wei? ich, da? wir gewinnen werden«, sagte er schlie?lich.
        Er wandte sich ab, und nur Allday sah, wie bewegt er war. Der alte Bootssteurer blickte zur Phaedra mit ihren Achtzehnpfundern hinuber. Vielleicht merkte Bolitho jetzt, was er fur andere bedeutete? Aber er bezweifelte es.



        VIII Ein bitterer Abschied

        Der Sehr Ehrenwerte Viscount Somervell blickte von einem Stapel Geschaftspapiere hoch und musterte Bolitho aufmerksam.

«Also akzeptieren Sie Kapitan Havens Erklarung?»
        Bolitho lehnte an der kuhlen Wand neben einem Fenster.
        Trotz des stetigen Windes, der sie die ganze Strecke bis English Harbour begleitet hatte, war die Luft hier druckend und feucht. Die Brandung vor dem Hafen drau?en schaumte nicht mehr wei?, sondern flo? in der Abendsonne wie geschmolzene Bronze uber den Sandstrand.
        Von hier aus konnte er die Ciudad de Sevilla deutlich sehen. Nach dem tumultuosen Willkommen hatten sie sofort begonnen, die Ladung zu loschen. Leichter und Boote pullten standig hin und her. Bolitho hatte noch nie so viele Rotrocke jeden Meter ihres Weges bewachen gesehen. Das mu?te sein, wie ihm Somervell erklarte, bis man die reiche Beute auf mehrere kleine Fahrzeuge verteilt und das Risiko verringert hatte.
        Bolitho blickte uber die Schulter. Somervell hatte Haven schon wieder vergessen. Der Admiral bemerkte erst jetzt, da? er noch dieselben Kleider trug wie auf der Ciudad de Sevilla, als sie tags zuvor hier vor Anker gegangen waren.
        Die Hyperion und zwei der Briggs waren erst vor Antigua zu ihnen gesto?en. Bolitho hatte es vorgezogen, Haven zu sich auf die Ciudad zu rufen, anstatt aufsein Flaggschiff zu gehen, wo es schon genug Spekulationen gegeben haben mu?te.
        Haven war merkwurdig selbstsicher gewesen, als er Rede und Antwort stand. Um sein Verhalten zu erklaren, wenn schon nicht zu entschuldigen, hatte er seinen Bericht auch schriftlich vorgelegt. Hyperion und die kleine Flottille waren vor Puerto Cabello dicht unter Land gesegelt, damit es aussah, als wollten sie in den Hafen eindringen, und dabei in das Feuer einer Kustenbatterie geraten. Haven war uberzeugt gewesen, da? sich die Fregatte Consort noch im Hafen befand, und hatte trotz der Kanonen des Forts die Brigg Vesta zur Aufklarung entsandt. Die Spanier aber hatten vor dem Hafen eine schwimmende Balkensperre liegen, und Vesta war mit dieser kollidiert. Die Batterie brauchte nur wenige Minuten, um sich auf Vesta einzuschie?en, und da sie gluhende Kugeln verwendete, ging die hilflose Brigg bald in Flammen auf, bis sie schlie?lich von einer gewaltigen Explosion vernichtet wurde.
        Haven hatte gleichmutig weiterberichtet:»Andere Feindschiffe kamen auf uns zu. Ich handelte nach eigenem Ermessen, wie Sie mir befohlen hatten, Sir Richard, und zog mich zuruck. Ich nahm an, da? Sie bis zu diesem Zeitpunkt entweder erfolgreich oder unverrichteter Dinge auf dem Heimweg waren. Jedenfalls habe ich die Spanier planma?ig abgelenkt, nicht ohne Gefahr fur mein
        Schiff.»
        Bolitho konnte Haven nicht tadeln. Eine Balkensperre mochte man einkalkulieren oder auch nicht. Er hatte eben nach Ermessen gehandelt. Eine andere Brigg, die Tetrarch, hatte aber alles riskiert und war trotz Rauch und Beschu? in die Hafeneinfahrt gesegelt, um Leute der Vesta zu retten. Einer der Uberlebenden war ihr schwerverwundeter Kommandant, Commander Murray. Er lag in einem angrenzenden Gebaude bei den verwundeten Enterern und den Resten der Vesta-Crew, die man aus Feuer und Wasser gerettet hatte, den beiden schlimmsten Feinden des Seemanns.

«Einstweilen akzeptiere ich sie, Mylord«, antwortete Bolitho.
        Somervell blatterte lachelnd in den Frachtpapieren der Ciudad de Sevilla. »Tod und Teufel, damit mu? selbst Seine Majestat zufrieden sein. «Er schaute wieder hoch. Ich wei?, Sie trauern der Brigg nach, wie es der Navy geziemt. Doch gemessen an dem, was wir gewonnen haben, war es ein kleines Opfer.»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Vielleicht fur jene, die nicht ihre kostbare Haut zu Markte tragen mussen. Offen gesagt, ich hatte lieber die Consort herausgeholt.»
        Bedachtig verschrankte Somervell die Arme.»Sie haben Gluck gehabt. Aber wenn Sie Ihren Arger nicht zugeln oder ihm ein anderes Ziel geben, wird Sie das Gluck verlassen, furchte ich. Machen Sie also das Beste draus.»
        Die Tur offnete sich, und Jenour spahte suchend herein.
        Bolitho entschuldigte sich, doch Somervell schien gar nicht hinzuhoren. Er tauchte schon wieder in einer Welt von Gold und Silber unter.
        Jenour flusterte:»Ich furchte, Commander Murray macht es nicht mehr lange, Sir Richard.»
        Bolitho folgte ihm uber die breite, fliesenbedeckte Terrasse, die zum Behelfslazarett fuhrte. Immerhin hatten sie eins. Manner, die sic h mit im Kampf erlittenen Wunden abqualten, sollten nicht das Lager mit Soldaten teilen, die am ansteckenden Gelben Fieber starben.
        Bolitho blickte fluchtig auf die See hinaus, bevor er das Gebaude betrat. Sie wirkte bedrohlich, der Himmel ebenfalls. Zog ein Sturm auf? Er wurde sich mit dem Segelmeister der Hyperion beraten mussen.
        Murray lag mit geschlossenen Augen da, als ware er bereits tot. Obwohl er auf der westindischen Station zwei Jahre gedient und eine Haut wie Leder hatte, war sein Gesicht jetzt kreidewei?. Der Chirurg der Hyperion, George Minchin, weniger zynisch als die meisten seiner Kollegen, hatte geau?ert:»Ein Wunder, da? er bisher uberlebte. Sein rechter Arm war fort, als sie ihn auffischten, und ich mu?te ihm noch ein Bein abnehmen. Er hat eine kleine Chance, aber…»
        Das war tags zuvor gewesen. Doch Bolitho hatte genugend vom Tode gezeichnete Gesichter gesehen, um zu erkennen, da? es jetzt mit Murray zu Ende ging.
        Minchin raumte seinen Stuhl und trat ans Fenster. Durch ein anderes schaute Jenour aufs Meer. Vielleicht hatte auch Murray es bis zuletzt angestarrt, wie einen Ausblick auf das Leben selbst. Bolitho nahm Platz.
        Er entsann sich an den Vornamen des jungen Commanders.»Ruhen Sie sich aus, James. Ich bin hier.»
        Murray jedoch strengte sich an, um noch einmal die Augen zu offnen.»Es war die Balkensperre, Sir. «Er schlo? sie wieder.»Sie ri? der armen Vesta fast den Kiel heraus. «Er versuchte zu lacheln, was gespenstisch aussah.»Sie haben sie aber nicht gekriegt - die nicht…»
        Bolitho nahm Murrays verbliebene Hand.»Ich werde dafur sorgen, da? man sich um Ihre Angehorigen kummert. Wen haben Sie zu versorgen?«Seine Worte kamen ihm so leer vor, da? er hatte weinen mogen.
        Murray strengte sich noch einmal an, aber seine Augen glichen nur noch flimmernden Schlitzen.»Ich - ich. «Das Bewu?tsein verlie? ihn langsam.»Meine Mutter - sonst niemand. «Seine Stimme wurde nahezu unverstandlich.
        Wie eine verloschende Kerze, dachte Bolitho. Jenour schluckte schwer, als musse er sich ubergeben. Drau?en vor der Tur regte sich Allday. Mit bemerkenswert klarer Stimme meldete sich Murray noch einmal.»Jetzt ist es dunkel, Sir. Da kann ich schlafen. «Seine Faust verkrampfte sich zwischen Bolithos Handen.»Danke fur. «Und dann verstummte er endgultig.
        Bolitho erhob sich langsam.»Ja, schlaf jetzt, mein Junge. «Er zog das Laken uber das Gesicht des Toten und starrte so lange in das Sonnenlicht, bis es ihn blendete. Dunkel fur immer.
        Er ging zur Terrassentur. Jenour wollte etwas Trostliches sagen, doch Bolitho drehte sich nicht um.»La?t mich allein, bitte!»
        Die steinerne Balustrade, auf die er beide Hande stutzte, war hei? wie die Sonne auf seinem Gesicht. Er hob den Kopf und starrte erneut in die blendende Helligkeit. Er sah sich wieder als kleinen Jungen vor dem in Stein gemei?elten Familienwappen uber dem gro?en Kamin in Falmouth stehen. Dann war sein Vater hinzugekommen und hatte ihn auf den Arm genommen. Die Worte unter dem Wappen, die er ihm vorlas, hatten sich ihm fur immer eingepragt: pro libertate patria - fur die Freiheit des Vaterlandes. Dafur waren junge Manner wie Murray, Dunstan und Jenour bereit zu sterben. Dabei hatten sie noch nicht einmal richtig zu leben begonnen.
        Er ballte die Fauste, bis sie schmerzten. Als er zu seiner Linken Schritte horte, drehte er sich rasch um. Er hatte so lange in die Sonne geblickt, da? er nur einen undeutlichen Schatten zu erkennen vermochte.»Wer ist da? Was wunschen Sie?«fragte er scharf und argerlich ob seiner Hilflosigkeit.
        Die Frau sagte:»Ich wollte zu dir. «Sie blieb auf der obersten Stufe der gro?en Steintreppe ganz still stehen.»Ich horte von meinem Mann, was geschah. «Nach einer Pause, die Bolitho endlos vorkam, setzte sie hinzu:»Geht es dir gut?»
        Er blickte zu Boden und sah die Fliesen Kontur gewinnen. Der Schmerz und der Schleier in seinem Auge lie?en langsam nach.

«Ja. Einer meiner Offiziere ist gestorben«, sagte er heiser.
        Sie hielt sich noch immer von ihm fern, als ob sie ihn furchte.»Ich wei?. Es tut mir ja so leid.»
        Bolitho sah sich um wie nach einem Fluchtweg. Dann aber ging es mit ihm durch.»Wie konntest du ausgerechnet diesen Mann heiraten! Ich habe schon manchen gefuhllosen Bastard in meinem Leben gesehen, aber. «Er rang um Fassung. Sie hatte wieder seinen wunden Punkt getroffen. Gleichsam nackt und blo?, konnte er sich weder verteidigen noch erklaren.
        Sie antwortete nicht direkt.»Hat er auch nach dem zweiten Schatzschiff gefragt?»
        Bolitho fuhlte, da? ihn der Kampfgeist verlie?. Auch er hatte beinahe erwartet, da? Somervell ihn danach fragen wurde. Zum Gluck fur sie beide hatte er sich aber zuruckgehalten. So erwiderte er nur:»Entschuldige, das war unverzeihlich. Ich habe kein Recht, in dieser Sache deine oder seine Motive zu erforschen.»
        Sie betrachtete ihn nachdenklich, wahrend sie mit einer Hand die Spitzenmantilla auf ihrem dunklen Haar festhielt, als ein hei?er Windsto? uber die Terrasse fegte. Dann trat sie naher und sah ihm ins Gesicht.»Du siehst erschopft aus, Richard.»
        Endlich wagte er, sie anzusehen. Sie trug ein seegrunes Kleid, aber sein Herz sank, als er ihre feingeschnittenen Gesichtszuge und ihre erregenden Augen nur verschwommen erkannte. Er mu?te verruckt gewesen sein, so lange in die grelle Sonne zu starren. Der Londoner Arzt hatte ihn gewarnt, es war das Schlimmste, was er tun konnte.
        Er erwiderte:»Ich habe sehr viel an dich gedacht. Mehr als ich durfte, weniger als du verdienst.»
        Sie spannte ihren Facher auf und bewegte ihn im Wind wie den Flugel eines Vogels. Ich reise bald ab. Vielleicht hatten wir uns besser nicht wiedergesehen. Wir mussen beide versuchen.»
        Er griff nach ihrem Handgelenk, ungeachtet eines moglichen Zuschauers, aus Angst, auch sie noch zu verlieren, nachdem er schon so vieles verloren hatte.

«Ich kann nicht! Es ist die Holle, die Frau eines anderen zu lieben. Aber bei Gott, so steht es um mich!»
        Sie zog sich nicht zuruck, versteifte nur ihr Handgelenk in seinem Griff.

«Du sprichst von Holle? Du wei?t ja nicht, was das hei?t! Das wei? nur eine Frau, die einen verheirateten Mann liebt. «Sie lie? alle Vorsicht fallen.»Ich sagte dir einmal, da? ich fur dich hatte sterben mogen. Jetzt scheinst du zu denken, da? du einfach wieder zuruckkommen kannst, nachdem dein Leben offenbar ruiniert ist. Wei?t du denn nicht, was du mir damit antust, verdammt noch mal? Ja, ich habe Lacey geheiratet, weil wir einander brauchten, aber aus Grunden, die du nie verstehen wirst. Ich kann kein Kind bekommen, und auch das hast du damals gewu?t. Dagegen hat dir deine Frau eine Tochter geschenkt. Also, fur wen ist es die Holle - fur wen?»
        Sie ri? sich los. Ihre Augen blitzten, und unter der Mantilla fielen lockere Haarstrahnen hervor.

«Ich werde dich nie vergessen, Richard, Gott steh mir bei. Aber ich bete darum, da? wir uns nie wieder begegnen, damit wir nicht auch noch jenen Augenblick des Glucks zerstoren, der mir so teuer ist.»
        Sie drehte sich um und rannte davon. Bolitho betrat das Gebaude und nahm seinen Hut von einem Lakai entgegen. Er sah, da? Parris auf ihn zukam, und ware stillschweigend vorbeigegangen, hatte der Leutnant nicht gegru?t und ihn angesprochen.»Wir haben die letzten Schatzkisten verladen, Sir
        Richard. Noch kann ich kaum glauben, was wir durchgemacht haben, um sie zu kriegen.»

«Ich werde Ihre Leistungen in meinem Bericht an Ihre Lordschaften erwahnen«, entgegnete Bolitho zerstreut. Es horte sich hohl an, aber seine Gedanken waren anderswo. Er mu?te an Murrays Mutter und Dalmains Witwe schreiben und die Formalitaten erledigen, damit das Prisengeld an die Hinterbliebenen aller Gefallenen ausgezahlt wurde. Seine Depesche konnte ihnen dazu verhelfen.
        Parris betrachtete ihn irritiert.»Ich sagte das nicht, um gelobt zu werden, Sir Richard. Ist etwas nicht in Ordnung?»
        Bolitho schuttelte den Kopf und fuhlte noch ihr Handgelenk zwischen seinen Fingern. War er enttauscht? Aber was, in Teufels Namen, hatte er eigentlich erwartet?
        Er ging weiter. Als sein Bootssteurer mit gro?en Schritten aufkreuzte, mahnte ihn Parris:»Sir Richard wird das Boot haben wollen, Allday.»
        Aber der verneinte.»Er wird jetzt ein Stuck zu Fu? gehen. Erst wenn er mit sich im reinen ist, wird er nach dem Boot fragen.»
        Parris, der die beiden vielleicht zum erstenmal begriff, nickte.»Ihr seid zu beneiden.»
        Allday schlenderte gemachlich zur Balustrade, von der aus er den gro?ten Teil der Reede uberblicken konnte. Der Seegang wurde zusehends grober. Er bi? in einen Apfel, den ihm der Koch des Hafenkommodore gegeben hatte. Der hatte einen verdammt guten Job.
        Er sah, wie das gro?e Boot von der Anlegebrucke Abstand hielt, um sich nicht die Farbe abzuscheuern; denn der unruhige Wellenschlag uberspulte schon die Steinstufen. Just als er glaubte, die Dinge wurden sich arrangieren, schien sich fur Bolitho alles verschlechtert zu haben. Die verdammten Weiber! Das hatte er auch zu Ozzard gesagt, als sie im Triumph mit dem Schatzschiff zuruckgekehrt waren. Der hatte widersprochen, worauf Allday mude und argerlich entgegnete:»Was, zum Teufel, wei?t du denn schon? Du warst niemals verheiratet!«Das aber hatte den kleinen
        Mann derma?en aufgeregt, da? sich Allday genotigt sah, ihm zur Versohnung eine seiner wertvollen Knochenschnitzereien zu schenken.
        Er warf das Apfelgehause ins sonnverbrannte Gras und wollte gehen. Da sah er sie auf der Terrasse stehen und ihn mit einem jener Blicke bedenken, die einen Eisblock schmelzen lassen konnten. Wahrend er noch gaffte, kam sie naher und fragte:»Erinnerst du dich nicht an mich? Du bist doch Allday.»
        Allday erwiderte vorsichtig:»Naturlich erinnere ich mich an Sie, Madam. Keiner konnte vergessen, was Sie damals fur den Admiral getan haben.»
        Sie uberhorte das Unausgesprochene in seinen Worten.»Ich brauche deine Hilfe. Willst du mir vertrauen?»
        Allday fuhlte sein Widerstreben schwinden. Sie bat ihn, ihr zu vertrauen! Ihr, der Frau des machtigen Generalinspekteurs, eines Mannes, vor dem man sich sehr in acht nehmen mu?te, wenn auch nur die Halfte von dem stimmte, was man sich uber ihn erzahlte. Aber sie hatte den ersten Schritt getan. Sie war es, die das Risiko einging.
        Er lachelte schwach. Eine richtige Seemannsbraut.»Ich vertraue Ihnen.»
        Sie kam naher, und Allday bemerkte das hastige Atmen ihrer Brust unter dem feinen Stoff. Sie ist keineswegs so kuhl und gelassen, wie sie scheinen mochte, dachte er.

«Vizeadmiral Bolitho ist nicht er selbst. «Sie zogerte; vielleicht war sie schon zu weit gegangen? Alldays Lacheln war wie weggewischt, in den Augen des gro?en Mannes stand plotzlich Feindschaft.

«Ich - ich mochte ihm helfen, wei?t du. «Ihre Lippen zuckten.»Um Gottes willen, Allday, mu? ich erst bitten? Was fehlt ihm?»

«Tut mir leid, Madam, wir haben neuerdings eine Menge Feinde, daher. «Allday gewann seine Sicherheit zuruck. Was konnte ihm schon passieren? Also sagte er nach kurzem Uberlegen:»Er ware beinahe erblindet. «Trotz des hei?en Windes wurde ihm eiskalt, aber nun konnte er nicht mehr zuruck. Er schlo?:»Er furchtet, da? er die Sehkraft seines linken Auges verliert.»
        Sie starrte Allday an und sah das schlimme Bild wieder vor sich: Er hatte in die Sonne geblickt, als sie hinzukam. Dabei hatte er so niedergeschlagen, so verloren ausgesehen, da? sie ihn gern in ihre Arme genommen hatte, ungeachtet ihrer Sicherheit, ja ihres Lebens, wenn sie ihn nur wenige Augenblicke hatte trosten konnen. Sie rief sich seine Stimme ins Gedachtnis zuruck, die Art, wie er sie angeschaut hatte, ohne sie zu erkennen, und flusterte:»O mein Gott!»
        Allday fuhr fort:»Vergessen Sie nicht, Madam, ich habe Ihnen nichts erzahlt. So wie die Dinge liegen, stecke ich bei ihm oft genug bis zum Hals in hei?em Wasser, ohne da? Sie es noch anzuheizen brauchen. «Er hielt inne, von ihrem Schmerz geruhrt, der sie alle Haltung verlieren lie?.»Aber wenn ich helfen kann. «Er brach ab und beruhrte ehrerbietig seinen Hut. Dabei wisperte er heiser:»Ihr Mann kommt uber die Kimm, Madam, ich mu? gehen!»
        Dann verschwand er mit gro?en Schritten, eine kernige Gestalt in flatternder blauer Jacke und Nankinghose, narbenbedeckt und so schwer blessiert, da? man es seinem schlichten Gesicht ansah. Aber trotz allem so sanft und liebevoll, da? sie um ihn, um alle seinesgleichen, hatte weinen konnen.
        Ihr Mann wollte nicht zu ihr, sie sah ihn mit dem Leutnant namens Parris uber die Terrasse gehen. Als sie zum Hafen hinunterschaute, war es Allday, der sich nach ihr umdrehte und seinen Hut luftete: nur eine kleine Geste, und doch zeigte sie ihr, da? er sie als Verbundete akzeptierte.
        Die Hangelampen in der gro?en Kajute der Hyperion beschrieben wilde Spiralen und warfen irre Schatten auf den karierten Bodenbelag und die festgezurrten Neunpfunder zu beiden Seiten.
        Bolitho nippte an einem Glas Wei?wein und wartete, wahrend Yovell ein weiteres Schreiben beendete und es ihm uber den
        Tisch zur Unterschrift hinschob. Wie Schauspieler auf einer Buhne, dachte er, als Ozzard geschaftig die Glaser nachfullte und Allday, der keinen Text zu sprechen hatte, wie ein Statist kam und ging.
        Kapitan Haven stand bei den halb abgeblendeten Heckfenstern. Man hatte sie vorsorglich geschutzt, weil der in der Dunkelheit noch bedrohlicher wirkende Wind Gischt uber die ankernden Schiffe wehte. Bolitho fuhlte, wie das ganze Schiff erzitterte, wenn es ins Ankertau einruckte.
        Haven beendete seinen Bericht mit den Worten:»Das ist alles, was ich zu bemerken habe. Der Zahlmeister ist mit der Versorgung zufrieden, und mit einer Ausnahme sind alle Arbeitsgruppen von Land abgezogen worden. «Er sprach so uberlegt wie ein Schuler, der vor seinem Lehrer eine schwierige Lektion wiederholt.»Es ist mir auch gelungen, die drei Boote zu ersetzen, allerdings mu? noch einiges an ihnen getan werden.»
        Ein versteckter Hinweis, da? es sein Admiral gewesen war, der sie verloren hatte. Aber Haven hutete sich, seine wahren Gefuhle zu offenbaren.

«Wer fuhrt die letzte Arbeitsgruppe an?»
        Haven uberflog eine Liste.»Der Erste Leutnant, Sir Richard.»
        Nach ihrem kurzlichen Zusammensto? nannte er ihn immer bei seinem Titel. Bolitho schwenkte den Wein im Glas. Gut denn, wenn er es so haben wollte? Haven war ein Narr, er hatte wissen sollen, da? sein Admiral wie jeder andere Flaggoffizier seine Karriere fordern oder zerstoren konnte. Oder war das seine Art, Bolithos Sinn fur Fairne? auszunutzen?
        Yovell schaute uber seine Stahlbrille.»Bitte um Verzeihung, Sir Richard, aber soll die Order an die Obdurate in diesem Wortlaut abgehen?»
        Bolitho lachelte schwach.»Sie soll. «Er brauchte ihn nicht daran zu erinnern. Der Text lautete kurz und bundig:»Es wird Ihnen dringend befohlen, sofort auslaufbereit zu sein!»
        Kapitan Robert Thynne, der Kommandant ihres einzigen Vierundsiebzigers, mochte denken, was er wollte. Aber die
        Obdurate wurde jetzt mehr denn je gebraucht. Die Fahrzeuge mit dem spanischen Schatz waren durch die gefahrlichen Gewasser zu eskortieren, bis sie auf Sir Peter Folliots Geschwader stie?en oder genugend freien Seeraum erreicht hatten, um fur sich selbst zu sorgen. Bolitho hatte lieber gewartet, bis sein eigenes kleines Geschwader eintraf, aber der Wetterumschlag verzogerte dies.
        Er trat beiseite und massierte im milden Licht der Laternen sein Auge. Seit dem torichten Test mit dem Sonnenlicht schmerzte es. Oder bildete er sich das blo? ein? Jedenfalls war er froh, wieder an Bord seines alten Schiffes zu sein. Somervell hatte das angedeutet, als Bolitho sich verabschiedete.
        Der Generalinspekteur hatte erklart, da? auch er und seine Frau nach dem Abgang des Goldtransports die Insel verlassen wurden. An Bord eines gro?en Indienfahrers, den man taglich erwartete. Personlicher Komfort wurde bei Somervell gro?geschrieben. Bolitho bekam die andere Seite des Mannes zu sehen, als er ihn bat:»Ich wurde mich gern auch von Lady Somervell verabschieden.»

«Unmoglich. Sie ist nicht mehr hier. «Somervell war seinem Blick herausfordernd begegnet. Bolitho konnte sich gut vorstellen, wie die gleichen kalten Augen bei Tagesanbruch uber den Lauf einer Duellpistole zielten. Allerdings wu?te man, da? er fur derartige Abrechnungen den Degen vorzog.
        Antigua war eine kleine Insel. Wenn Kate gewollt hatte, ware es ihr leicht gefallen, ihn noch einmal zu sehen. Es sei denn, Somervell ware des Katz-und-Maus-Spiels mude geworden und hatte es verhindert. Wie auch immer, es tat nichts mehr zur Sache.
        Es klopfte, und Leutnant Lovering, der Offizier vom Dienst, trat ein.»Verzeiht, Sir Richard«, sein Blick wechselte zwischen Bolitho und Haven hin und her,»aber es ist eine Kurierbrigg gemeldet, die den Hafen ansteuert.»
        Bolitho schlug die Augen nieder. Vielleicht von England, mit Briefen von zu Hause, mit neuen Nachrichten vom Krieg. Er dachte an seinen Neffen Adam, der selber eine Kurierbrigg fuhrte und wahrscheinlich noch immer Depeschen fur Nelson beforderte.
        Das war eine andere Welt, weit weg von der Hitze und dem Fieber Westindiens.
        Haven beugte sich gierig vor.»Falls es Post fur mich gibt…«Er fa?te sich wieder, und Bolitho dachte daran, da? Havens Frau ein Baby erwartete.
        Er unterschrieb mehrere Briefe. Empfehlungen zur Beforderung wegen Tapferkeit, zur Versetzung auf andere Schiffe, Beileidsschreiben an Hinterbliebene. Der Leutnant zogerte.»Soll noch Post an Land, Sir Richard?»
        Bolitho sah ihn an. Lovering war der Zweite Leutnant, der ebenfalls auf seine Beforderung wartete. Wenn Parris fiel…
        Er verwarf den Gedanken sofort.»Ich glaube nicht.»
        Das ging ihm leicht von den Lippen. War es denn so einfach, etwas zu beenden, das ihm einst so kostbar gewesen war?
        Haven wartete, bis sich der Leutnant zuruckgezogen hatte.

«Beim ersten Tageslicht also, Sir Richard.»

«Jawohl. Wecken Sie die Besatzung, wann Sie es fur notig halten, und teilen Sie unser Vorhaben der Obdurate und dem Hafenkommodore mit.»
        Wenn Hyperion nach Antigua zuruckkam, wurde Somervells Indienfahrer schon auf und davon sein. Wurden sie sich jemals wiedersehen, auch nur zufallig?

«Es wird den ganzen Tag in Anspruch nehmen, um aus dem Hafen zu gelangen, die Leute zu mustern und das Schiff wieder auf Vordermann zu bringen. Alles weitere hangt dann vom Wind ab.»
        Wenn die Ciudad de Sevilla und ihr Geleit noch viel langer im Schutz von English Harbour blieben, konnten die Spanier oder ihre franzosischen Verbundeten vielleicht einen Gegenangriff versuchen, ehe das neue Geschwader eintraf.
        Allein in der Kajute, trank Bolitho noch mehr Wein. Zwar war sein Magen leer, aber er war au?erstande, das von Ozzard zubereitete Mahl zu essen. Das achzende alte Schiff, die anscheinend alle paar Minuten gerufene Wache, die immer wieder loses Zubehor sichern und festlaschen mu?te, machten ihm Schlaf unmoglich. Aber der Wein war gut, und Bolitho fragte sich, wie Ozzard ihn so kuhl hielt.
        Er spielte mit der Idee, doch noch einen Brief an Catherine zu senden, lie? sie aber sofort wieder fallen. Solch ein Papier in den falschen Handen konnte sie ruinieren. Da? es seiner eigenen Karriere schaden wurde, interessierte ihn nicht sonderlich.
        Er horte das Quietschen der Pumpen, ein Zeichen des Alters der Hyperion und ihrer vielen Einsatze. Es war wie eine zusatzliche Mahnung.
        In seinem Lieblingssessel uberfiel ihn schlie?lich der Schlummer. Trotzdem war er sofort wach, als ihn Ozzard am Arm beruhrte. Das Schiff lag noch im Dunkeln, es larmte und stohnte wie zuvor.

«Der Erste Leutnant mochte Sie sprechen, Sir Richard. «Bolitho wurde hellhorig. Warum nicht der Kommandant? Parris trat ein, durchna?t von Spritzwasser. Sein braunes Gesicht war gerotet, aber er hatte nichts getrunken.»Was gibt's?»
        Parris stutzte sich auf einen Stuhl, als das Deck wieder schwankte.»Ich dachte, da? Sie es wissen sollten, Sir Richard. Das Wachboot meldet, da? ein Schoner den Hafen verlassen hat. Dem Anschein nach ist er eines von Kommodore Glassports Fahrzeugen.»

«Na und?«Bolitho ahnte, da? Schlimmeres kam.

«Lady Somervell ist an Bord. Ich fand heraus, da? sie beabsichtigt, nach St. John's zu segeln.»
        Der Admiral fuhr auf. Der Wind war zum Sturm angewachsen, und das Wasser brandete wie bei Flut an den Schiffsrumpf.»Bei diesem Wetter, Mann!«Er tastete nach seinem Uberrock.»Viscount Somervell mu? benachrichtigt werden.»
        Parris sah trube zu.»Er wei? es. Ich habe es ihm selbst gesagt.»
        Im Turrahmen erschien Haven mit einem Bootsmantel uber dem Schlafgewand. Wutend fuhr er Parris an:»Was hore ich da? Daruber sprechen wir noch!»
        Bolitho setzte sich. Wie konnte Somervell das zulassen? Als er ihm den Abschiedsbesuch bei ihr verweigert hatte, mu?te er es schon gewu?t haben. Ein so kleiner, vielleicht falsch gehandhabter Schoner konnte bei diesem Sturm leicht stranden.
        Er versuchte sich zu erinnern, wer Glassports Kapitane waren. Auch bei ruhigem Wetter war Unachtsamkeit zwischen den Inseln schon gefahrlich. Und Piraten gehorten so zum Alltag, da? man sie kaum noch erwahnte. Fur jeden Bukanier, der in Ketten oder am Galgen verfaulte, wuchsen in diesen Gewassern hundert andere nach. Er sagte:»Vor Tagesanbruch kann ich nichts tun. «Haven schien zu uberlegen, empfahl sich dann aber.»Ich mu? nach der Wache an Deck sehen, Sir Richard.»
        Bolitho machte sich Vorwurfe. Das hatte er ihr angetan, seine Schroffheit war schuld. Plotzlich glaubte er, von den Wanden der Kajute erdruckt zu werden. Er rief nach Ozzard.»Meinen Flaggleutnant, bitte. «Er wollte Jenour mit einer Botschaft zu Somervell schicken, egal ob der im Bett lag oder nicht. Wenn ich selber ginge, dachte er, wurde es einer von uns beiden wahrscheinlich mit dem Leben bu?en.



        IX Die Korvette

        Bolitho trat aufs Achterdeck hinaus. Der Sturm zerrte an seinem Bootsmantel, und uber die Luvreling brach die Gischt wie Tropenregen herein. Er hielt sich an den Finknetzen fest und kniff die Augen zusammen. Der Sturm war heftig, aber feucht-kalt und tat seinen muden Knochen nicht gut. Vor zwei Tagen hatten sie sich muhsam aus English Harbour herausgewunden, um ihren kleinen, kostbaren Konvoi zusammenzustellen. Und seither waren sie kaum funfzig Meilen vorangekommen.
        Nachts hatten sie den Sturm mit wenig mehr als einem gerefften Gro?marssegel abgeritten, wahrend die vier Transporter und kleineren Fahrzeuge beigedreht lagen, so gut sie es unter den harten Wetterverhaltnissen vermochten.
        Geheimhaltung war nun zweitrangig. Hyperion brannte Flackerfeuer ab und setzte die Topplichter des Flaggschiffs, um den Konvoi beieinander zu halten. Nach der Morgendammerung hatten sie stets den ganzen Tag gebraucht, um die weit verstreuten Schiffe aufs neue zu formieren. Alles und jeder war na?. Viele von denen, die sich oben mit den windzerzausten Segeln plagten oder taumelnd ihre Gefahrten an den Bilgepumpen ablosten, mu?ten sich gefragt haben, was sie eigentlich noch uber Wasser hielt.
        Querab erschienen schwach die Umrisse der Bramsegel einer Korvette. Phaedra stand windwarts und legte sich jedesmal schwer auf die Seite, wenn die Seen ihren schlanken Rumpf wie ein Spielzeug anhoben. Die Brigg Upholder, als Vorhut weit voraus, war nicht zu sehen, und ihre andere Brigg Tetrarch stand gleich weit entfernt achteraus.
        Bolitho erklomm die Leiter zum Poopdeck. Sein Rock klebte ihm am Korper, und sein Hemd war durchna?t von Gischt. Die Obdurate befand sich eine halbe Meile hinter ihnen. Im Seegang glanzte ihr nasser Rumpf, schwarz und ockerfarben, wie Glas. Es kam ihm ungewohnt vor, wieder ein Linienschiff derselben Klasse als Begleiter neben sich zu wissen, und er zweifelte auch daran, da? Thynne es ihm dankte. Nach dem langen Aufenthalt im Hafen, wo sie ihre letzten Sturmschaden repariert hatten, fluchten wahrscheinlich die Leute der Obdurate uber ihren neuen Einsatz.
        Bolitho stieg wieder hinunter. Am gro?en Steuerrad muhten sich vier Seeleute ab, und nahebei unterhielt sich Penhaligon, der Segelmeister, eingehend mit einem seiner Gehilfen.
        Der Wind war auf Sudwest umgesprungen und hatte sie viele Meilen aus ihrem Kurs geworfen. Aber falls der Segelmeister deswegen besorgt war, zeigte er es nicht.
        Uberall arbeiteten Matrosen und besserten Sturmschaden aus. Sie wechselten oder splei?ten Tauwerk und nahmen Segel herunter, die geflickt und fortgelegt wurden. Bolitho schaute zum Niedergang, wo ein Bootsmannsmaat das Abtakeln einer Grating beaufsichtigte. Wieder war ein Mann ausgepeitscht worden. Es war schlimmer als sonst gewesen, auch nachdem Ozzard das Oberlicht geschlossen hatte: das Kreischen des Sturms in der Takelage, das gelegentliche Knallen der gerefften Marssegel, und die ganze Zeit hindurch das Rattern der Trommeln und das widerliche Klatschen der Peitsche auf dem nackten Rucken eines
        Mannes. Bolitho sah Blut auf den Planken, schon verwaschen von dem uberkommenden Spritzwasser. Drei Dutzend Hiebe. Ein auf der Hohe des Sturms uberforderter Mann, dazu ein Offizier, der unfahig war, die Angelegenheit auf der Stelle zu bereinigen.
        Haven hielt sich in seinen Raumen auf, und Bolitho war froh, da? er ihm nicht an Deck begegnet war. Die Manner sahen erschopft und verargert aus. Sogar Jenour, der noch nicht lange auf See diente, hatte es bemerkt.
        Der Admiral erbat sich das Fernglas des Signalfahnrichs und sah dank der starken Linse die Korvette klar vor sich, dazu die jedesmal aufschaumende Gischt, wenn sie mit ihren Stuckpforten in die hochgehende See tauchte. Er fragte sich, was ihr Kommandant wohl denken mochte, wahrend er Wind und Wellen abritt, um in der Nahe seines Admirals zu bleiben. Es war ein weiter Weg fur den einstigen Fahnrich der Euryalus.
        Weit voraus an Backbord lag mit grunen Buschen bestandenes Land, die Insel Barbuda. Sie hatten sie schon am ersten Tag passieren sollen. Er dachte wieder an den Schoner und an Catherine; statt die Stra?e zu benutzen, hatte sie den Skipper gebeten, sie die kurze Strecke von Antigua nach St. John's zu segeln.
        Ein kleines Schiff hatte gegen einen derartigen Sturm keine Chance. Sein Skipper mu?te entweder vor dem Wind ablaufen oder Schutz suchen. Selbst gro?ere Schiffe hatten schwer unter diesem Wetter zu leiden und konnten stranden. Bolitho umfa?te das Teleskop so fest, da? seine Finger schmerzten. Warum hatte sie das nur getan? Vielleicht klammerte sie sich jetzt verzweifelt an ein Wrackstuck oder lag schon tief unten auf dem Meeresboden. Sie konnte die Topplaternen der Hyperion gesehen und gewu?t haben, da? es sein Schiff war, das sich entfernte.
        Der Segelmeister riet dem Wachoffizier:»Ich schlage vor, da? Sie die Bramsegel setzen, Mr. Mansforth.»
        Der Leutnant nickte. Sein Gesicht war ziegelrot vom Gischthagel.»Ich informiere den Kommandanten.»
        Er warf einen Blick auf die hohe Gestalt des Vizeadmirals an der Windseite. Ohne Hut, mit dem in die Stirn geklatschten schwarzen Haar, sah er einem Stra?enrauber ahnlicher.
        Jenour gru?te.»Irgendwelche Befehle, Sir Richard?»
        Bolitho gab dem Fahnrich das Glas zuruck.»Der Wind la?t nach. Bitte signalisieren Sie den Transportern, dicht beieinander zu bleiben. Wir sind noch nicht au?er Gefahr.»
        Die vier Schiffe, die sich die Ladung teilten, standen in Lee der zwei Vierundsiebziger. Mit einer vorausspahenden und einer wie ein Wachhund hinterdrein ziehenden Brigg mu?ten sie rechtzeitig gewarnt werden, sollte sich ein verdachtiges Segel zeigen. Dann konnten die beiden Linienschiffe Hyperion und Obdurate entscheiden, wann sie sich dem Konvoi zu nahern oder aufzukreuzen und sich mit Phaedra zu vereinigen hatten.
        Bunte Flaggen schwirrten zur Rah empor und standen so steif im Wind wie bemaltes Metall.»Signal bestatigt, Sir Richard.»
        Jenour wisperte:»Der Kommandant kommt.»
        Bolitho fuhlte aufsteigenden Arger. Sie verhielten sich eher wie Verschworer statt wie eine Mannschaft.
        Haven schritt langsam das Deck ab. Seine Blicke uberflogen die Reihe der Kanonen, die aufgeschossenen Taue, alles. Dann war er anscheinend uberzeugt, da? er sich dessen, was er sah, nicht zu schamen brauchte, und naherte sich Bolitho.
        Er salutierte mit ausdruckslosem Gesicht, Bolithos nasses Hemd und die von den Spritzern fleckige Hose musternd.»Ich beabsichtige, mehr Segel zu setzen, Sir Richard. Wir konnen sie jetzt vertragen.»
        Bolitho war einverstanden.»Signalisieren Sie der Obdurate, sie soll sich uns anpassen. Ich mochte nicht, da? wir auseinandergeraten.»
        Kapitan Thynne hatte in der vergangenen Nacht zwei Mann uber Bord verloren und bei backgebra?tem Kreuzmarssegel ein Boot ausgesetzt. Aber keiner der Unglucklichen wurde gefunden. Entweder waren sie von ganz oben gefallen und hatten beim Aufschlagen aufs Wasser die Besinnung verloren, oder aber sie konnten wie die meisten Seeleute nicht schwimmen. Bolitho wollte den Zwischenfall nicht mehr erwahnen.
        Doch Haven schnaubte ubellaunig:»Ich setze das Signal sofort, Sir Richard. Thynne sollte seine Leute wirklich besser drillen, dann mu? er auch nicht trodeln, wenn irgendein Narr durch eigene Unvorsichtigkeit uber Bord geht. «Er winkte dem Leutnant der Wache.»Vorwarts! Aufentern und Bramsegel losmachen, Mr. Mansforth.
«Dann befahl er dem Fahnrich:»Signal an alle: mehr Segel setzen.»
        Er schaute sich suchend um. Plotzlich schnellte sein Zeigefinger vor.»Der Mann da! Was, zum Teufel, untersteht er sich?«geiferte er.
        Der Betreffende war dabei, sein nasses Hemd auszuwringen. Er stand vor Schreck stocksteif, wahrend andere sich seitwarts verdruckten, damit sie nicht Havens Zorn auf sich zogen.
        In diesem Moment rief ein Bootsmannsmaat:»Das geht in Ordnung, Sir, ich hab's ihm erlaubt.»
        Zornig wandte sich Haven ab.
        Aber Bolitho hatte die Dankbarkeit in den Augen des Matrosen gesehen und ahnte, da? der Bootsmannsmaat nichts dergleichen erlaubt hatte. War die Crew Havens schon so uberdrussig, da? sich sogar die Unteroffiziere gegen ihn stellten?

«Kapitan Haven!«rief er.
        Havens Arger schien verraucht. Es war widerwartig zu sehen, wie schnell er in Wut geriet und sich vor dem Admiral wieder zu beherrschen wu?te.

«Auf ein Wort, wenn's beliebt. «Bolitho fuhr fort:»Dieses Schiff ist unter Ihrem Befehl oder unter meiner Flagge noch nie im Gefecht gewesen. Ich lege Ihnen nahe, daran zu denken, wenn Sie demnachst wieder einen Mann beschimpfen, der seit zwei Tagen und Nachten ununterbrochen schuftet. «Es fiel ihm schwer, ruhig zu sprechen. Wenn die Zeit kommt, alle Mann auf Gefechtstation zu rufen, werden Sie unbedingte Loyalitat brauchen.»
        Haven stotterte:»Ich kenne diese Unruhestifter.»

«Horen Sie zu, Kapitan Haven. Alle diese Manner, gute und schlechte, Geduldige und Unruhestifter, wird man zum Kampf aufrufen. Habe ich mich klar ausgedruckt? Loyalitat aber will verdient werden. Einem Kommandanten mit Ihrer Erfahrung sollte man das nicht erst sagen mussen. Ebensowenig sollten Sie mich zwingen, Sie daran zu erinnern, da? ich keine sinnlosen Brutalitaten dulde.»
        Haven starrte ihn an, seine Augen gluhten vor Entrustung.»Ich habe keine Unterstutzung, Sir Richard! Einige in meiner Offiziersmesse sind so grun wie Gras, und mein Erster, Mr. Parris, ist mehr damit beschaftigt, sich selbst in gunstiges Licht zu setzen, als die Besatzung zu drillen. Bei Gott, ich konnte Ihnen Dinge uber ihn erzahlen…»
        Bolitho fuhr auf.»Schlu? damit! Sie sind mein Flaggkapitan und haben meine Unterstutzung. «Er lie? die Worte wirken, ehe er fortfuhr:»Ich wei?, was Sie qualt, aber wenn Sie mein Vertrauen noch einmal mi?brauchen, schicke ich Sie mit dem nachsten Schiff nach England!»
        In diesem Augenblick erschien Parris an Deck. Wahrend die Toppgasten wieder einmal herausgepfiffen wurden, um mehr Segel zu setzen, schaute er erst den Admiral an und dann seinen Kommandanten. Haven druckte seinen Hut fester und sagte nur: Machen Sie weiter, Mr. Parris.»
        Parris schien uberrascht, da? es keinen Anpfiff gab.
        Die Seeleute enterten behende wie Affen auf, und Haven sagte steif:»Auch ich habe meine Ma?stabe, Sir Richard.»
        Doch Bolitho entlie? ihn wortlos und wandte sich wieder der fernen Insel zu. Allday stand wenige Schritte entfernt, er schien ihn neuerdings nicht mehr allein zu lassen. Jetzt meinte er:»Diese Inselschoner sind kraftige Fahrzeuge, Sir Richard.»
        Bolitho klopfte ihm auf den Arm.»Du kannst wohl Gedanken lesen, alter Freund.
«Zwei Mowen schwangen sich uber die Schaumkronen, Sonnenlicht fiel durch ihre gespreizten Flugel. Wie damals durch Catherines Facher. Bolitho sagte:»Ich komme mir so machtlos vor. «Dann besann er sich.»Entschuldige, ich sollte meine Sorgen nicht auf dich abwalzen.»
        Mit schmalen Augen beobachtete Allday die langen Schaumkronen. Es war wie das Abschatzen einer Kanonade. Ein Schu? zu hoch, einer zu niedrig, der nachste wurde treffen.
        Er sagte:»Ubrigens, sie sprach mich an, bevor wir den Hafen verlie?en.»
        Bolitho staunte.»Sie sprach dich an?»
        Allday war verletzt.»Nun, einige Frauen sind eben so frei, mit unsereinem zu reden.»
        Bolitho beschwichtigte ihn.»Bitte keine Spa?chen, Alter.»
        Allday fuhr fort:»Sie war aufrichtig um Sie besorgt und wollte Sie das irgendwie wissen lassen.»
        Bolitho hieb die Faust auf die verwitterte Reling.»Und ich habe nicht einmal versucht, sie zu verstehen! Jetzt habe ich sie verloren!«brach es aus ihm heraus.
        Allday guckte ins Leere.»Ich kannte mal ein Madel in meinem Dorf. Es war richtig verschossen in den Sohn des Gutsherrn. Ein junges Blut war sie, wie fur ihn gemacht, aber sie war uberhaupt nicht vorhanden fur ihn, diesen Bastard - 'tschuldigung, Sir Richard. Eines Tages warf sie sich vor seine Kutsche. Ich vermute, sie konnte es nicht langer ertragen, ubersehen zu werden. «Er studierte seine verarbeiteten Hande.»Sie wurde uberfahren und starb.»
        Bolitho ruhrten diese schlichten Worte, und er fragte sich, was Allday ihm damit sagen wollte. Hatte Catherine etwa seinetwegen diese Reise unternommen? Warum hatte er nicht erkannt, da? ihre Liebe nicht auf die leichte Art zu gewinnen war? Er dachte an Valentine Keen und an sein Madchen mit den Mondscheinaugen. Der hatte viel riskiert und darum auch alles gewonnen.
        Allday entschuldigte sich und ging, wahrscheinlich um mit seinen Freunden oder mit Ozzard in der Anrichte einen Schluck zu trinken. Mr. Penhaligon, die breiten Hande in die Huften gestemmt, begutachtete den Stand jedes neu gesetzten Segels. Haven schmollte und spahte auf den Kompa?. Hinter ihm wartete Parris, er wollte die
        Wache wegtreten lassen. Von unten kam das regelma?ige Quietschen der Pumpen, die alte Hyperion hatte alle in Betrieb. Dennoch - Bolitho lauschte - , da war ein neues Gerausch, das sich vordrangte.»Geschutzfeuer!«rief er plotzlich.
        Die Scharfe in seiner Stimme lie? mehrere Manner zusammenzucken. Allday, der sich noch auf der Treppe befand, drehte sich um. Dann meldete der Signalfahnrich aufgeregt:»Aye, Sir Richard, ich hore es auch!»
        Haven schritt ebenfalls zur Reling und drehte den Kopf in die Richtung, offenbar ohne etwas zu vernehmen. Jenour kam angerannt.
        Bolitho beschattete die Augen, als der Fahnrich rief:»Signal von Phaedra, Sir! Segel im Nordwesten!»
        Manner kletterten in die Wanten. Ihr Unbehagen schien vergessen, jedenfalls im Moment.
        Jenour fragte:»Was hat das zu bedeuten, Sir Richard?»
        Bolitho befahl, da? Phaedra sich absetzen und aufklaren sollte. Minuten spater, als das Signal bestatigt war, kam er auf Jenours Frage zuruck:»Das war ein kleines Kaliber, Stephen, Drehbassen oder dergleichen.»
        Wieso hatte er es gehort, viele andere um ihn herum aber nicht? Er sagte:»Signal an die Brigg Tetrarch, sie soll zu uns aufschlie?en.»
        Allday sah der Korvette nach und bemerkte beifallig:»Donnerwetter, seht mal, wie die dahingeht. »
        Ihr Kupferboden glanzte im diesigen Sonnenlicht, als sie schnittig wendete und mehr Segel setzte, bis sie auf Steuerbordbug hart am Wind lag.
        Allday fugte hinzu:»Wie Ihre Sparrow damals, Kapitan.»
        Schnell verbesserte er verlegen:»Sir Richard, meine ich.»
        Bolitho nahm ein Teleskop aus dem Gestell.»Ich erinnere mich. Hoffentlich wei? Jung-Dunstan sie zu schatzen. «Dann senkte er das Fernrohr; zuviel Gischt und Dunst.
        War es vielleicht ein Freibeuter, der mit einem Barbudahandler die Klingen kreuzte? Oder einer der Lokalpatrioten, der Wind und See trotzte und eine feindliche Korvette verfolgte? Phaedra wurde es bald wissen. Es konnte auch ein Koder sein, um sie vom
        Schatz fortzulocken. Er lachelte grimmig. Wie wurde Haven nun reagieren?

«Nordwest zu Nord, Sir!«Der Ruderganger mu?te schreien, um sich bei dem heulenden Wind Gehor zu verschaffen. Er druckte die Korvette so weit auf die Seite, da? es fast unmoglich wurde, aufrecht an Deck zu stehen.
        Commander Alfred Dunstan suchte Halt an der Reling und schob den Zweispitz auf dem rotblonden Haar zurecht. Er fuhrte die Phaedra jetzt achtzehn Monate. Es war sein erstes selbstandiges Kommando, und wenn das Gluck ihm treu blieb, wurde demnachst die begehrte Epaulette seine rechte Schulter schmucken. Das ware dann der erste Schritt zum Vollkapitan.
        Er brullte:»Zwei Strich mehr nach Luv, Mr. Meheux! Verflucht noch mal, er soll uns nicht entgehen, egal, was er ist!»
        Erster Leutnant und Segelmeister tauschten schnelle Blicke. Phaedra segelte schon so hoch am Wind, wie man es nur wagen konnte, ihre hart angebra?ten Rahen und flachen Segel schienen fast langsschiffs zu stehen. Das Schiff lag so weit uber, da? die See um die Lafetten der Decksgeschutze kochte und die Seeleute na?te, bis deren blo?e Oberkorper wie Bronzeskulpturen glanzten.
        Dunstan strengte die Augen an, damit ihm nur ja kein fremdes Segel entging. Seine Toppsgasten ritten auf den Rahen und dachten zweifellos an die beiden uber Bord Gegangenen von der Obdurate.

«Voll und bei, Sir! Nordwest zu West!»
        Deck und Takelage schienen sich heftig zu wehren, als das Schiff noch mehr uberholte, und die Stagen vibrierten wie straffe Saiten einer Ba?geige.
        Der Erste Leutnant, mit seinen dreiundzwanzig Jahren gerade ein Jahr junger als der Kommandant, meldete:»Viel mehr kann das Schiff nicht aushalten, Sir.»
        Dunstan grinste frohlich. Er hatte ein offenes Gesicht und einen spottischen Mund. Einige hatten ihm eingeredet, er sahe wie
        Nelson aus. Dunstan mochte diese Schmeichelei, denn er hatte die Ahnlichkeit schon langst selbst entdeckt.

«Pfeif drauf! Was bist du, ein altes Weib?»
        Sie lachten beide wie Schuljungen; denn Meheux war der Vetter des Kommandanten, und jeder wu?te, was der andere dachte.
        Als eine Leine mit dem Knall eines Pistolenschusses brach, pre?te Dunstan die Lippen zusammen. Aber zwei Mann waren bereits am Splei?en, und er sagte nur:»Wir mussen so hoch an den Wind wie moglich, falls die Burschen uns die Hacken zeigen und davonlaufen wollen.»
        Meheux mochte nicht streiten, er kannte ihn zu gut. Die See brauste ubers Deck und schleuderte zwei fluchende Matrosen in die Speigatten. Einer schlug gegen ein festgelaschtes Geschutz und bewegte sich nicht mehr. Er war besinnungslos, hatte vielleicht einige Rippen gebrochen. Kameraden zerrten ihn zur Luke. Die anderen duckten sich wie Sportler vor dem Start, um dem nachsten uberkommenden Sturzbach zu entgehen.
        Meheux geno? die Aufregung, und auch Dunstan fuhlte sich niemals wohler, als wenn er sich von der Autoritat des Admirals und vom Schurzenzipfel der Flotte losen konnte. Sie kannten weder die Herkunft noch die Bedeutung des Kanonendonners. Es konnte sogar ein anderes britisches Kriegsschiff sein, das einen feindlichen Blockadebrecher aufbrachte. Wenn das der Fall war, wurde es diesmal kein Prisengeld zu teilen geben. Der andere Kommandant wurde schon dafur sorgen.
        Dunstan kletterte in die Webeleinen. Die Seen schienen nach seinen Fu?en zu greifen, als er das Teleskop einstellte und auf den nachsten Schrei aus dem Masttopp wartete.
        Da brullte der Ausguck auch schon:»An Steuerbord voraus, Sir!«Er verstummte, als das Schiff sich hob und dann in ein langes Wellental glitt. Tief hinab, bis seine verzierte Galionsfigur so weit unterschnitt, als sei Phaedra schon auf dem Weg zum Meeresboden. Der Anprall mu?te den Ausguck fast von seiner wackeligen Sitzstange gerissen haben.
        Endlich kam sein Ruf:»Zwei Schiffe, Sir! Eines davon entmastet!»
        Dunstan kletterte lachend herunter und schuttelte Wasser von seinem Hut.»Tuchtiger Ausguck, Mr. Meheux! Der hat eine Guinea verdient!»
        Der Erste lachelte.»Einer von meiner Abteilung, Sir.»
        Dunstan wischte das Teleskop trocken.»Oh, gut! Dann gib' du dem Burschen die Guinea.»
        Man horte unregelma?igen Kanonendonner, aber wegen der hochgehenden See war es schwer, die kampfenden Schiffe von Deck aus zu erkennen.
        Phaedra walzte sich in die Senkrechte. Das Gro?bramsegel schlug wild, als es den Wind verlor.

«An die Brassen! Drei Strich abfallen!»
        Dunstan lockerte seinen Griff um die Reling. Der Wind lie? merklich nach, so da? der Kurs ihm angepa?t werden mu?te.»Nordnordwest liegt an, Sir!»
        Meheux schnappte nach Luft.»Bei Gott, da sind sie!»
        Dunstan hob das Glas wieder an die Augen.»Aber das ist ja der verdammte Schoner, nach dem wir suchen.»
        Mit einem Seitenblick studierte Meheux das Profil seines Vetters. Unter dem zerknautschten Hut lugte das krause Haar hervor. Als sie einmal angeheitert gewesen waren, hatte Dunstan ihm anvertraut, da? er sich erst einen neuen Hut kaufen wolle, wenn er eine Planstelle bekame. Er fragte:»Der Schoner, mit dem die Lady des Generalinspekteurs segelt?»
        Dunstan grinste breit. Meheux war ein zuverlassiger und vielversprechender Offizier, aber naiv, wenn es sich um Frauen handelte.
        Ein Mann rief:»Sie treiben steuerlos, Sir! Haben uns aber gesehen.»
        Dunstans Lacheln verging.»Alles klar an Deck! Ladet die Steuerbordbatterie - aber noch nicht ausfahren!«Er packte des Leutnants Arm.»Soweit ich's beurteilen kann, ist der andere ein verdammter Pirat, Josh. «Der Vorname des Ersten Leutnants war
        Joshua. Dunstan benutzte ihn nur, wenn er erregt war.»Wir werden ihn entern. Schick ein paar Scharfschutzen in den Topp. Es ist eine hubsche kleine Brigantine und einige Guineas Prisengeld wert, oder?»
        Meheux eilte fort. Blanker Stahl glanzte, als aus den Geschutzbedienungen ein Enterkommando zusammengestellt wurde. Der hinter der Brigantine torkelnde Schoner war offenbar vom Sturm entmastet worden. Dann hatten sie versucht, einen Notmast aufzutakeln. Die Verfolgung durch die Piraten mu?te ein Alptraum gewesen sein.
        Meheux kam zuruck, einen Entersabel umgeschnallt, und musterte die beiden Schiffe. Der Schoner mu? warten. Erst rechnen wir mit den Piraten ab.»
        Auf der Brigantine erschien eine Rauchwolke, der ein Knall folgte. Die Piraten hatten auf sie geschossen.

«Der Teufel soll sie holen«, fluchte Dunstan. Er hob den Arm, wie es Bolitho immer zu tun pflegte, wenn es ins Gefecht ging.»Offnet die Stuckpforten! Rennt aus!»
        Wahrend er sich nochmals prufend umschaute, feuerte der Pirat abermals, und die Kugel platschte langsseits ins Wasser. Das Match konnte beginnen.
        Dunstan zog seinen Degen und hob ihn hoch uber den Kopf. Er fuhlte Kalte in seinen Arm kriechen, als ob die Klinge aus Eis ware. Er entsann sich, wie er mit einem anderen Fahnrich auf dem Achterdeck der Eutyalus krank vor Entsetzen dagestanden hatte, aber unfahig gewesen war, seine Augen von der uber ihnen emporwachsenden Segelpyramide des Gegners loszurei?en. Wie Bolitho, auf dem ungeschutzten Deck stehend, den Degen erhoben hatte, an dem die Blicke der feuerbereiten Stuckmeister hingen. Da hatten sich Sekunden zu Stunden gedehnt.
        Dunstan ri? den Arm herunter.

«Feuer!»
        Die kleine Brigantine drehte als Wrack in den Wind. Ihr Vormast war dahin, ihr Deck mit Segeln und zertrummerten Spieren ubersat. Die gutgezielte Breitseite hatte auch das Ruder zerschossen und die Rudergasten getotet. Das Schiff war au?er Kontrolle geraten. Ein Mann, der mit einem Gewehr zur Poop lief, wurde von einem Scharfschutzen der Phaedra niedergestreckt.
        Dunstan steckte seinen Degen in die Scheide. Der Kampf war schon vorbei.»Nehmt das Gro?segel fort - klar zum Entern!»
        Es war selten, einen Piraten zu fangen. Einige Seeleute stiegen mit gespannten Gewehren in die Wanten, wahrend andere wie gierige Hunde aufs Zubei?en warteten. Der Erste Leutnant stand sprungbereit da, als die Korvette zur Brigantine trieb. Nur ein Verruckter wurde sich dort noch verteidigen wollen. Englands Seeleute waren schnell mit dem Entermesser bei der Hand und gaben kein Pardon, wenn auch nur einer von ihnen niedergemacht wurde.
        Die See lief noch hoch, und es war riskant, ein Boot auszusetzen. Trotzdem rief Dunstan:»Bringt die Jolle zu Wasser, aber macht schnell! Pa?t auf, falls die Kerle auf euch schie?en!»
        Das Boot legte ab, der Leutnant darin bemuhte sich um aufrechte Haltung. Als er sich einmal umdrehte, gestikulierte er wild zur Phaedra. Dunstan schaute verstandnislos hoch, mu?te dann aber laut lachen. Seine Spannung lie? nach, er brullte vergnugt:»Hei?t die Nationale - wir haben ohne Flagge gefochten, verflucht noch mal!»
        Bolitho hatte dazu einiges zu sagen gehabt.
        Es gab vereinzelte Jubelrufe, als die britische Flagge auch auf dem stehengebliebenen Gro?mast der Brigantine gehi?t wurde.
        Aus dem zuruckkehrenden Boot kletterte Meheux wieder an Bord. Dunstan blickte ihm ins Gesicht und fragte:»Wie war es, Josh?»
        Der Leutnant steckte den Degen weg und stie? einen langen Seufzer aus.»Einer der Bastarde machte einen Ausfall und erwischte den armen Tom Makin quer uber der Brust. Aber er wird uberleben. «Beide sahen auf einen Leichnam hinab, der zwischen den Schiffen trieb.»Aber der andere wird's nicht noch mal versuchen.»
        Nachdem sie ein Prisenkommando auf der Brigantine zuruckgelassen hatte, schob sich die Phaedra mit verkleinerten Segeln dem Schoner entgegen. Sturmzerzaust und ohne Masten dumpelte das Unglucksschiff mit Schlagseite in Lee. Das Enterkommando bestieg sein schiefes Deck, und zwei von der Brigantine zuruckgelassene Piraten leisteten Widerstand. Leutnant Grant erscho? den einen mit der Pistole, der andere duckte sich und fluchtete zum Niedergang. Ein Seemann wirbelte sein Entermesser durch die Luft und warf es nach ihm wie einen Speer. Durchs Teleskop gesehen ging das alles lautlos vor sich, aber Dunstan hatte schworen mogen, da? er den Schrei des Mannes horte, als er fiel, das Entermesser im Rucken.
        Grant rief durch die hohlen Hande:»Macht euch bereit, von Bord zu gehen!»
        Dunstan, der das alles aus der Ferne mit ansah, senkte sein Glas. Er wollte nicht indiskret sein. Trotz ihres zerrissenen Kleides hielt sich die Frau merkwurdig stolz, wahrend die Seeleute sie zur Jolle geleiteten. Sie verharrte nur einmal, namlich als sie an dem von Leutnant Grant erschossenen Piraten vorbeikam. Dunstan sah, da? sie ihn anspuckte und das Entermesser mit dem Fu? fortstie?. Ha?, Ekel und Zorn - aber kein Zeichen von Furcht.
        Dunstan befahl dem Ersten Leutnant:»Bemannt die Seite, Josh, und begru?t sie mit allen Ehren an Bord. Dies ist etwas, an das wir uns alle erinnern werden.»
        Spater, als die Phaedra mit ihrer Prise muhsam das Flaggschifferreichte, ereignete sich noch etwas, das Dunstan nie vergessen sollte.
        Die Frau stand neben ihm, in einen Olmantel gehullt, den ihr ein Seemann geliehen hatte. Mit gro?en Augen und erhobenem Kinn beobachtete sie, wie die Hyperion mit schwingenden Rahen und wieder gefullten Segeln uber Stag ging und auf sie zukam.
        Dunstan fragte:»Mylady, ich lasse jetzt ein Signal absetzen. Darf ich Ihren Namen ubermitteln?»
        Den Blick auf den alten Zweidecker gerichtet, hatte sie langsam den Kopf geschuttelt. Ihre Antwort wurde vom Knarren der
        Takelage fast ubertont, sie klang wie Flustern:»Nein, Kapitan, er kennt ihn. Trotzdem vielen Dank. «Und nach einer Pause:»Er wird mich sehen, ich wei? es.»
        Nur einmal schien sie geruhrt. Das war, als der Meistersgehilfe rief:»Jungs, seht, da geht der alte Kahn hin.»
        Der Schoner hatte sein Heck gehoben und drehte sich nun in einem Kreis von Schaum und Blasen, Treibgut und Toten. Er mu?te ziemlich durchlochert sein und sank schnell. Plotzlich tauchte er kopfuber weg und verschwand immer schneller, als ob er sich eilig von jenen entfernen wollte, die ihn mi?handelt hatten.
        Dunstan sah mit einem Seitenblick, da? die Frau einen Facher an die Brust druckte. Er war nicht sicher, glaubte aber drei Worte zu verstehen:»Ich danke dir.»
        Als alles vorbei war, sagte Dunstan zu seinem Vetter:»Gib dem Ausguckposten zwei Guineas, Josh. Es war viel wichtiger, als ich ahnte.»



        X Im Hafen

        Zwei Wochen, nachdem die Phaedra die Piratenbrigantine gekapert und die Gefangenen befreit hatte, kehrten Hyperion und Obdurate nach Antigua zuruck. Die Insel wurde bei Tagesanbruch gesichtet, doch wie um ihre Anstrengungen in die Lange zu ziehen, erstarb der Wind. Der Abend begann schon zu dammern, ehe sie sich nach English Harbour hineinschlangeln und Anker werfen konnten.
        Bolitho hatte fast den ganzen Nachmittag mu?ig an Deck verbracht und die Segelmanover beobachtet, wahrend die Insel kaum naher zu kommen schien. Zu jeder anderen Zeit ware es ein stolzer Augenblick fur ihn gewesen. Sie hatten Sir Folliots Geschwader getroffen, das jetzt den Schatzkonvoi nach England geleitete. Die Ausguckleute hatten schlie?lich drei weitere Linienschiffe im Hafen gemeldet, und Bolitho vermutete, da? es sich um die restlichen Schiffe seines eigenen Geschwaders handelte. Nach dem anstrengenden Geleitdienst und dem taglichen Kampf mit dem Wetter hatte ihn ihr Anblick aufmuntern sollen. Trotzdem war Bolitho froh, da? er seine neuen Kommandanten erst am nachsten Tag zu treffen brauchte.
        Als die beiden Zweidecker endlich vor Anker lagen, hatte er sich in seine Kajute begeben, die durch mehrere Laternen anheimelnd erhellt wurde. Aus einem Heckfenster gebeugt, bewunderte er einen farbenprachtigen Sonnenuntergang, aber seine Gedanken waren noch immer bei jenem Tag, als man die in grobes Olzeug gehullte Catherine an Bord gehievt hatte.
        Es schien ihm kaum mehr glaubhaft, da? sie hier in dieser Kajute gewesen war, allein mit ihm. Allein mit ihm und doch angemessen fern. Er ging umher und schaute in seinen Schlafraum, den er ihr wahrend ihres kurzen Aufenthaltes an Bord uberlassen hatte. Es mu?te doch noch irgendein Zeichen ihrer Anwesenheit vorhanden sein? Ein Hauch ihres Parfums, vielleicht ein Kleidungsstuck, das sie vergessen hatte, als man sie auf Admiral Folliots Flaggschiff ubersetzte, nachdem sich die beiden Kampfgruppen getroffen hatten?
        Bolitho lie? die Finger uber das polierte Weinschrankchen gleiten. Von einem der besten Handwerker hergestellt, hatte sie es ihm geschenkt, als er London verlie?. Er entsann sich der Mi?billigung seines Flaggkapitans Thomas Herrick beim Anblick des Schrankchens an Bord der Lysander. Herrick war ihm immer ein treuer Freund gewesen und mi?traute allem, was Bolithos Namen und Karriere schaden konnte.
        Sogar Jung-Adam war in Bolithos sogenannte Liaison kurz verwickelt worden. Um seines Onkels Reputation zu verteidigen, hatte er sich mit einem anderen hitzkopfigen Leutnant in Gibraltar duelliert. Jeder, der Bolitho nahestand, schien durch seinen Kontakt mit Catherine beruhrt worden zu sein.
        Er drehte sich um und sah hinter der Lamellentur den Schatten des Kajutpostens. Dort hatte auch sie gestanden, ganz still, nur unwillkurlich schneller atmend und den Olmantel wie frierend am Hals zusammengefa?t. Dann hatte sie das Schrankchen erblickt, und einen Augenblick zitterten ihre Lippen.

«Ich nehme es uberall mit«, hatte er leise gesagt.
        Da war sie direkt auf ihn zugegangen und hatte eine Hand an seine Wange gelegt. Als er jedoch Anstalten machte, sie in die Arme zu schlie?en, hatte sie den Kopf geschuttelt.»Nein! Es ist schon schlimm genug, da? ich unter diesen Umstanden hier bin. Mach es nicht noch schlimmer. Ich wollte dir nur sagen, was es fur mich bedeutet, durch dich zu leben. Gott oder das Schicksal - ich wei? nicht, wer oder was - brachte uns einmal zusammen. Aber nun furchte ich, da? es uns etwas antun konnte.»
        Er hatte ihr zerrissenes Kleid gesehen und gefragt:»Kann das nicht ausgebessert werden? Wo ist deine Zofe?»
        Ohne ihn aus den Augen zu lassen, trat sie zuruck.»Maria ist tot. Die Piraten versuchten, sie zu vergewaltigen. Als sie sich mit blo?en Handen wehrte, brachten sie sie um, stachen sie tot wie ein hilfloses Tier. «Langsam fugte sie hinzu:»Was mich betrifft, so kam dein kleines Schiff noch zur rechten Zeit. Aber ich habe dafur gesorgt, da? einige dieser Schweine nicht mehr unsere Luft atmen.»
        Sie blickte auf ihre Hande nieder, auf den befleckten Facher, den sie noch umklammerte.»Ich wunschte zu Gott, ich konnte dabei sein, wenn man den Rest dieses Ungeziefers am Seil tanzen la?t.»
        Die Tur offnete sich einen Spalt, und Jenour schaute ihn an.

«Das Boot des Kommodore nahert sich uns, Sir Richard. «Sein Blick huschte durch die Kajute, vielleicht dachte auch er an Catherine.

«Danke. «Bolitho setzte sich, froh daruber, da? er sein eigenes Deck unter den Fu?en hatte. Aber Glassport war wohl der letzte, den er jetzt gebrauchen konnte.
        Er dachte an ihren Abschied, als er Catherine zu Sir Peter Folliots gro?em Dreidecker hinubergebracht hatte. Der Admiral war zwar ein schmachtiger, kranklicher Mann, aber schnellen Geistes. Trotz der sparlichen Nachrichtenubermittlung schien er alles uber den Handstreich von La Guaira zu wissen, auch die tatsachliche Hohe der Beute bis aufs letzte Goldstuck.

«Eine Rettung in letzter Stunde, wie?«Er begru?te Catherine mit uberschwenglicher Hoflichkeit und erklarte, da? er sie der Obhut seines besten Fregattenkommandanten uberantworten wolle, der sie mit gro?ter Eile zu ihrem Gatten nach Antigua bringen wurde. Vielleicht wu?te er auch uber Catherine einiges, dachte Bolitho.
        Er hatte die starke Fregatte Segel setzen und sie ihm endgultig entfuhren sehen und war an Deck geblieben, bis sich nur noch ihre Oberbramsegel wie rosa Muscheln uber dem Abendhorizont zeigten.
        Der gro?e Indienfahrer mit den Somervells hatte inzwischen den Hafen verlassen. Bolitho malte sich aus, wie sich Catherine mit jedem Wechsel des Stundenglases mehr und mehr von ihm entfernte.
        Die Tur offnete sich abermals, und Kapitan Haven trat ein.»Ich bin dabei, den Kommodore zu begru?en, Sir Richard. Darf ich Ihre Kommandanten anweisen, sich morgen vormittag an Bord einzufinden?»

«Ja. «Wie eine Mauer stand kuhle Formlichkeit zwischen ihnen. Trotzdem versuchte Bolitho es nochmals.»Ich habe gehort, da? Ihre Frau ein Kind erwartet, Kapitan Haven.»
        Seit Haven Post mit der Kurierbrigg erhalten hatte, benahm er sich wie in Hypnose. Er hatte sogar Parris die Obliegenheiten des Schiffes uberlassen.
        Havens Augen verengten sich.»Von wem gehort, Sir Richard, wenn ich fragen darf?»
        Bolitho seufzte.»Tut das was zur Sache?»
        Haven blickte beiseite.»Es ist ein Junge. «Seine Finger zerknautschten den Zweispitz.

«Ich gratuliere Ihnen. Die Sorge um Ihre Frau mu? Sie sehr beschaftigt haben.»
        Haven schluckte schwer.»Jawohl. Vielen Dank, Sir Richard.»
        Wie eine Erlosung drangen Befehle von Deck herein. Haven verlie? fast fluchtartig die Kajute, um Kommodore Glassport zu empfangen.
        Bolitho stand auf, als Ozzard ihm den Galarock brachte. War das Kind wirklich von Parris, fragte er sich, und wie wurden sie sich arrangieren?
        Er schaute auf Ozzard hinunter.»Habe ich dir eigentlich schon fur die gute Betreuung unseres Gastes an Bord gedankt?»
        Ozzard burstete einen Staubfleck von der Uniform. Er hatte Catherines zerrissenes Kleid genaht, denn seine Geschicklichkeit kannte keine Grenzen. Der kleine Mann lachelte scheu.

«Es war mir ein Vergnugen, Sir Richard. «Dabei langte er in eine Schublade und zog den Facher heraus, den Lady Somervell von dem sinkenden Schoner mitgebracht hatte.

«Sie hat dies zuruckgelassen. «Er duckte sich unter Bolithos bohrenden Blicken. Ich habe - ich habe ihn saubergemacht. Es war Blut daran, also…»

«Zuruckgelassen?«Bolitho drehte den Facher in seinen Handen, sah im Geist ihr Gesicht dahinter. Im Lampenlicht trubte sich sein Auge schon wieder. Zuruckgelassen?«wiederholte er.
        Ozzard beobachtete ihn aufmerksam.»Ich nehme an, sie hat ihn in der Eile vergessen.»
        Bolitho packte den Facher fester. Nein, sie hatte ihn bestimmt nicht vergessen.
        Schritte kamen naher, dann betrat Kommodore Glassport die Kajute, gefolgt von Jenour und Haven. Glassports Gesicht war hochrot, als ob er bergauf gehastet ware.
        Bolitho machte eine einladende Bewegung.»Nehmen Sie Platz. Ein Glas Rotwein gefallig?»
        Glassport schien bei diesen Worten aufzuleben.»Ich wu?te ein Glaschen zu schatzen. Gott verdamme diese Aufregung! Ich hatte mich schon langst pensionieren lassen sollen.»
        Ozzard servierte, und Bolitho hob sein Glas:»Auf den Sieg!»
        Glassport streckte die dicken Beine aus und leckte sich die Lippen.»Ein sehr guter Claret, Sir Richard.»
        Haven unterbrach:»Wir haben einige Briefe, Sir Richard, sie sind mit dem letzten Paketschiff gekommen. «Auf seinen Wink hin brachte Jenour ein kleines Bundel und legte es vor Bolitho auf den Tisch.
        Bolitho deutete auf die Glaser.»Nachfullen, Ozzard. «Und zu den anderen gewandt: Entschuldigen Sie mich, Gentlemen.»
        Er schlitzte einen Brief auf und erkannte sofort Belindas Handschrift. Sein Auge uberflog den Text zu schnell, so da? er aufhorte und von vorne begann.

«Mein lieber Gatte…«, schrieb sie wie an einen Fremden. Dann berichtete sie kurz uber ihren letzten Besuch in London, und da? sie nun in einem gemieteten Haus lebe und seine Zustimmung erwarte. Elizabeth war von einer Erkaltung genesen und hatte sich an das neu eingestellte Kindermadchen gewohnt. Der Rest des Briefes beschaftigte sich mit Nelson, der zwischen England und Frankreich stunde. Wie sehr das Land doch von ihm abhinge, schrieb Belinda.
        Jenour fragte leise:»Hoffentlich keine schlechten Nachrichten, Sir Richard?»
        Bolitho steckte den Brief in seinen Rock.»Tja, Stephen, das wei? ich selber nicht.

        Sie schrieb nichts uber Falmouth und die Menschen dort, mit denen er aufgewachsen war. Kein Wort, weder Arger noch Reue, uber die Art, wie sie sich getrennt hatten.
        Glassport sagte schwerfallig:»Es ist jetzt viel ruhiger hier, seit der Generalinspekteur abgereist ist. «Und tief in sich hineinlachend:»Ich mochte nicht auf die falsche Seite Somervells geraten.»
        Haven erklarte steif:»Seine Welt ist eine andere und ganz gewi? nicht meine.»
        Bolitho lenkte ab.»Ich mochte die Kommandanten morgen sehen. «Und mit einem Seitenblick auf Glassport:»Wie lange wurde der Viscount denn hier aufgehalten?»
        Glassport blinzelte ihn an, sein Verstand war schon wieder durch mehrere Glaser getrubt.»Bis der Sturm nachlie?, Sir Richard. Dann reiste er ab.»
        Unwillkurlich erhob sich Bolitho. Er mu?te sich verhort haben.»Ohne auf Lady Somervell zu warten? Welches Schiff benutzte sie denn fur die Ruckreise, nachdem sie mit der Fregatte angekommen war?»
        So sehr er auch darauf erpicht war, Seiner Majestat den Schatz personlich zu prasentieren, hatte Somervell doch bestimmt gewartet, um sich von Catherines Wohlergehen zu uberzeugen?
        Glassport bemerkte Bolithos plotzliche Erregung und sagte beschwichtigend:»Aber sie hat die Insel doch gar nicht verlassen, Sir Richard. Ich erwarte noch immer ihre Anweisungen. «Irritiert schlo? er:»Lady Somervell wohnt jetzt in der Residenz.»
        Bolitho nahm wieder Platz und schaute zum Facher hin, der auf dem Weinschrankchen lag. Er sagte:»Entschuldigen Sie mich bitte fur heute, Gentlemen. Wir sprechen uns morgen wieder.»
        Spater, als das Trillern der Pfeifen und das Poltern von Glassports Boot an der Bordwand verklang, starrte er durch die Heckfenster auf die Hafenlichter, so fein wie Nadelstiche. Von der offenen See kam eine trage, glasige Dunung herein, die den schweren Rumpf der Hyperion eben ruhrte. Am Himmel standen einige wenige Sterne. Bolitho begann sie zu zahlen, und dabei wurde ihm auf einmal klar, was er Augenblicke fruher noch nicht mal hatte denken wollen.
        Wurdest du alles riskieren? Eine - ihre - Stimme schien das laut gefragt zu haben.
        Im dicken Glas neben sich erblickte Bolitho ein Spiegelbild. Jenour war lautlos eingetreten.

«Seien Sie so gut, Stephen, und sagen Sie Allday, er soll mein Boot klarmachen, ich gehe gleich an Land.»
        Jenour zogerte. Er hatte zugehort, als Glassport mit der Geschichte von Lady Somervell herausplatzte.
        Er setzte an:»Darf ich etwas sagen, Sir Richard?»

«Habe ich Sie jemals daran gehindert, Stephen? Worum geht es, wollen Sie mein Schiff verlassen?«Halb ihm zugewandt, fuhlte er des jungen Leutnants Unbehagen.
        Jenour erwiderte heiser:»Es gibt nicht einen Mann unter Ihrer Flagge, Sir Richard, der nicht fur Sie sterben wurde.»

«Das bezweifle ich aber. «Bolitho musterte den besturzten Jenour.»Sprechen Sie trotzdem weiter.»
        Jenour setzte abermals an:»Sie haben die Absicht, die Lady zu besuchen, Sir Richard. «Als die erwartete Zurechtweisung ausblieb, fuhr er fort:»Aber morgen wird es das Geschwader wissen, und im nachsten Monat wird ganz England davon horen. «Er schaute zu Boden.»Es - es fallt mir schwer, so mit Ihnen zu reden. Ich habe kein Recht dazu, es ist nur, weil ich sehr besorgt bin.»
        Bolitho nahm seinen Arm und schuttelte ihn leicht.»Es erforderte Mut, Stephen. Ich danke Ihnen. Einem alten Feind, John Paul Jones, wird das Wort zugeschrieben: >Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Was auch immer seine Fehler gewesen sein mogen, Mangel an Mut gehorte nicht dazu. «Er wurde ernst:»Ich kenne das Risiko, Stephen. Und nun rufen Sie Allday.»
        Auf der anderen Seite der Pantrytur zog Ozzard den Kopf zuruck und nickte langsam. Er freute sich, da? er den Facher entdeckt hatte.
        Bolitho merkte kaum etwas von seiner Umgebung, als er den Hafen hinter sich lie? und durch die Schatten schritt. Er hielt nur einmal an, um Atem zu schopfen und seine Gefuhle zu prufen. Er sah zu den ankernden Schiffen hinaus, deren offene Stuckpforten auf der leichten Dunung glitzerten, unter ihnen die dunkle, massige Ciudad de Sevilla. Was wurde aus ihr werden? Wurde man sie irgendeiner reichen Handelsgesellschaft verkaufen oder sie den Spaniern zum Tausch anbieten und versuchen, die Consort dafur zuruckzugewinnen? Letzteres war unwahrscheinlich. Die Dons waren durch den Verlust des Schatzschiffes gedemutigt und durch die Versenkung eines weiteren unter ihren eigenen Kanonen erst recht verbittert.
        Vor den wei?en Mauern der Residenz blieb er abermals stehen. Sein Herz pochte. Was hatte er eigentlich im Sinn? Vielleicht wurde sie ihn uberhaupt nicht empfangen. Er schritt uber die Auffahrt und ging durch den Haupteingang, der wegen der erfrischenden Seebrise weit offenstand. Ein in einem Korbstuhl schlafender Diener ruhrte sich nicht einmal.
        Er befand sich in einer von Saulen gestutzten Halle, deren schwere Gobelins im Widerschein zweier Kandelaber gluhten. Es war ganz ruhig, selbst die Luft schien stillzustehen.
        Uber der geschnitzten Truhe bei einer anderen Tur entdeckte Bolitho einen Klingelzug und spielte mit der Idee zu lauten.
        Wahrend des letzten Gefechts auf dem Schatzschiff war der Tod sein Begleiter gewesen, und er war ihm auch sonst nicht fremd. Aber er hatte sich nicht gefurchtet, nicht einmal hinterher. Hatte der Mut ihn jetzt verlassen? Er fa?te seinen Degen fester. Vielleicht hatte Glassport sich geirrt, und sie war wieder nach St. John's gegangen, wo sie Freunde besa?, diesmal uber Land. Er dachte an Jenours Befurchtungen, an Alldays verdachtiges Schweigen, als er ihn zur Anlegebrucke rudern lie?. Einige Wachposten waren in eine Art Ehrenbezeugung verfallen, als sie den Vizeadmiral erkannten, der ohne Vorwarnung an Land gekommen war.
        Allday hatte gemeint:»Ich werde warten, Sir Richard.»

«Nein. Wenn ich ein Boot brauche, kann ich eins rufen.»
        Allday hatte ihm nachgesehen, wahrscheinlich genauso besorgt wie Jenour.

«Wer ist da?»
        Bolitho drehte sich um und sah sie auf der breiten Treppe stehen, mit einer Hand am Gelander, die andere in den Falten ihres Gewandes verborgen. Sie trug einen hellen Uberwurf und wirkte gegen die dunklen Wandbehange wie eingerahmt. Sie bewegte sich nicht.
        Endlich erkannte sie ihn.»Du! Ich - ich ahnte nicht…»
        Sie machte noch immer keine Anstalten, sich ihm zu nahern, deshalb stieg Bolitho langsam die Stufen empor, ihr entgegen.

«Ich habe angenommen, du warest abgereist. Aber wie ich dann horte, segelte der Indienfahrer ohne dich. «Er hutete sich, den Namen Somervell zu erwahnen. Einen Fu? auf der nachsten Stufe, verhielt er aus Sorge, sie konnte sich zuruckziehen. Ich ertrage es nicht, dich hier allein zu wissen. «Sie machte eine Bewegung, und er entdeckte eine Pistole in ihrer Hand.»Gib sie mir.»
        Er kam naher und streckte die Hand aus.»Bitte, Kate. «Die Pistole war gespannt und feuerbereit, er entwand sie ihren Fingern.»Jetzt hast du nichts mehr zu befurchten.»
        Sie erschauerte.»Komm ins Wohnzimmer, dort ist es heller.»
        Bolitho folgte ihr und wartete, bis sie die Tur hinter ihm geschlossen hatte. Der Raum war anheimelnd, aber sehr unpersonlich. Er wurde zu oft von Besuchern, von Fremden benutzt.
        Bolitho legte die Pistole auf den Tisch. Sie schlo? die Fensterladen, vom Licht angezogene Motten tappten gegen das Glas.

«Setz dich, Richard. «Ohne ihn anzusehen, tastete sie nach ihrem Kopf.»Ich habe geruht und mu?te mein Haar ordnen. «Doch dann wandte sie sic h ihm zu, mit einem sehnsuchtigen, nachdenklichen Blick, als suche sie Antwort auf eine unausgesprochene Frage.

«Ich wu?te, da? er nicht warten wurde«, berichtete sie.»Er nahm seinen Auftrag sehr ernst, er ging ihm uber alles. Es war also mein Fehler. Ich wu?te, da? ihm die Angelegenheit sehr am Herzen lag, und hatte nicht auf den Schoner gehen sollen. «Sie wiederholte:»Ich wu?te, da? er nicht warten wurde.»

«Warum hast du es dann getan?»
        Sie blickte fort und beruhrte den Knopf der anderen Tur, die im tiefen Schatten lag.

«Ich hatte Lust dazu«, war ihre einfache Antwort.

«Es hatte dich das Leben kosten konnen, und dann.»
        Sie fuhr herum, ihre Augen funkelten.»Was dann?«Verargert warf sie den Kopf zuruck.»Hast du dir die gleiche Frage gestellt, als du hinter der Ciudad de Sevilla her warst?«Der Name des Schiffes ging ihr glatt von der Zunge und gemahnte ihn rucksichtslos daran, da? sie mit einem Spanier verheiratet gewesen war.»Du mu?t dir doch daruber klar gewesen sein, da? du ein furchtbares Risiko eingingst. Du wu?test es, ich sehe es dir an. Du hast auch gewu?t, da? man einen Juniorkapitan damit hatte beauftragen konnen. So wie du damals ein Schiff gekapert hast, auf dem ich an Bord war - als ich dich zum erstenmal zu Gesicht bekam.»
        Bolitho sprang auf. Mehrere Sekunden standen sie sich schweigend gegenuber, beide gekrankt und deswegen beschamt. Sie sagte abrupt:»Geh nicht fort«, und verschwand durch die Tur, ohne da? Bolitho es sah.
        Was hatte er erwartet? Er war ein Narr und mehr als das. Aber als sie zuruckkam, klang ihre Stimme versohnlicher.»Ich mu?te mein Haar aufmachen. «Sie wartete, bis er sie ansah.»Es sitzt immer noch nicht richtig. Gestern und heute bin ich am Ufer spazieren gegangen, und die Seeluft ist zu uns eitlen Frauen unnachsichtig.»
        Sie trug noch den langen hellen Umhang und kam wie ein Geist durch den Schatten. Du hast mir einmal ein Band fur mein Haar geschenkt. Siehst du es, oder hast du es vergessen?»
        Sie schuttelte den Kopf, so da? eine Schulter unter der langen, dunklen Haarfulle verschwand.
        Er entgegnete leise:»Vergessen? Niemals! Du hattest Grun so gern, ich mu?te es dir einfach schenken.»
        Er brach ab, als sie mit ausgebreiteten Armen auf ihn zulief. Es geschah von einem Augenblick zum anderen. Eben noch stand sie, ein blasser Schemen, an der anderen Tur. Eine Sekunde spater klammerte sie sich an seine Schultern, das Gesicht an seiner Brust versteckt, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

«Sieh mich an, Richard. Ich habe dich belogen, merkst du's nicht?»
        Bolitho senkte seine Wange auf ihr Haar. Es war nicht das Band, das er ihr in London gekauft hatte. Dieses hier glanzte blau.
        Ihre Hand streichelte seinen Nacken und beruhrte dann sein Gesicht. Ihre Augen waren voll Mitgefuhl. Sie flusterte:»Ich habe es nicht gewu?t, Richard. Erst bevor der Geleitzug auslief, horte ich - einiges davon, wie du - wie du. «Nun hielt sie sein Gesicht zwischen ihren Handen.»Oh, liebster Mann, ich mu?te es doch wissen.»
        Bolitho zog sie an sich. Es konnte nur Allday gewesen sein, er allein wurde zwischen ihnen vermitteln.

«Wie schlimm ist es?«horte er sie flustern.

«Ich habe mich daran gewohnt«, entgegnete er.»Nur manchmal la?t mich das Auge im Stich, so als du vorhin im Schatten standest. «Er lachelte.»Ich habe dich noch nie uberlisten konnen.»
        Sie lehnte sich in seinen Armen zuruck und musterte ihn.»Auch als du beim Empfang fast uber die Stufen gestolpert warst. Schon damals hatte ich es merken mussen.»
        Ihr Gesicht gab ihre Gefuhle preis. Sie war gro? und schlank, und er wurde sich ihrer korperlichen Nahe sehr bewu?t. Deshalb sagte er schnell:»Ich gehe, wenn du es wunschst.»
        Aber sie schob wortlos eine Hand unter seinen Arm. Wie ein Liebespaar durch einen stillen Park schritten sie durch den Raum. Sie uberlegte:»Es mu? doch Leute geben, die uns helfen konnen.»
        Er druckte ihre Hand fester an seine Rippen.»Mach dir nichts vor.»
        Sie wandte sich ihm zu.»Versuchen wir's! Es gibt doch immer eine Hoffnung.»
        Bolitho erwiderte:»Zu wissen, da? dir soviel an mir liegt, bedeutet mir schon alles. «Sie unterbrach ihn nicht, sondern blieb still stehen, ihre Hande in den seinen. Ihre verschmolzenen Schatten schienen uber die Wande zu tanzen.

«Jetzt, da wir endlich wieder zusammen sind, will ich dich nicht mehr verlieren. Das mag sich verruckt anhoren, wie das Gestammel eines narrischen Jungen. «Die Worte flossen ihm von den Lippen, sie merkte, da? ihn lange Unausgesprochenes gequalt hatte.»Ich dachte, mein Leben ware ruiniert, und erkannte, was ich dir angetan hatte. «Da setzte sie zum Sprechen an, aber er lie? sie noch nicht zu Wort kommen.»Doch, es ist wahr. Ich war verliebt in Cheneys Geist, und diese Erkenntnis zerri? mich. Jemand meinte, ich litte an Todessehnsucht.»
        Sie nickte.»Ich kann mir denken, wer das war. «Sein forschender Blick vermochte sie nicht zu verwirren.»Aber ist dir auch klar, was du sagst, Richard? Wieviel auf dem Spiel steht?»
        Auch er nickte.»Fur dich ist es noch schlimmer, Kate. Ich erinnere mich, was du uber Nelsons Liaison sagtest.»
        Zum erstenmal lachelte sie.»Eine Hure genannt zu werden, ist eine Sache, aber eine zu sein, ist etwas ganz anderes.»
        Er druckte ihre Hande noch fester.»Es gibt so vieles.»
        Sie entzog sich seinem Griff.»Das kann warten. «Ihre Augen glanzten.»Aber wir konnen es nicht.»
        Leise bat er:»Nenn mich noch einmal wie vorhin.»

«Liebster Mann. «Sie nahm das Band aus ihrem Haar und legte es sich lose um den Nacken.»Was ich auch bin und was ich getan habe, das bist du mir immer gewesen: mein liebster Mann. «Und mit einem fragenden Blick:»Willst du mich?»
        Er griff nach ihr, aber sie wich zuruck.»Das ist mir Antwort genug. «Sie schritt zur anderen Tur.»Ich brauche nur einen Augenblick - allein.»
        Ohne sie kam ihm der Raum fremd und feindlich vor. Er entledigte sich seines Rockes und seines Degens; nach kurzem Besinnen schob er den Riegel vor die Au?entur. Er entspannte ihre Pistole und entsann sich dabei ihres Gesichts, bis sie ihn schlie?lich erkannt hatte. Gewi? hatte sie beim kleinsten Anzeichen einer Gefahr geschossen.
        Dann ging er ihr nach. Alle Befurchtungen waren vergessen, als er sie im Kerzenlicht auf dem Bett sitzen sah. Die Knie bis zum Kinn hochgezogen wie ein Kind, lachelte sie ihm zu.

«Also ist der stolze Vizeadmiral verschwunden, und mein Kapitan kommt mich besuchen.»
        Bolitho setzte sich neben sie und druckte ihre Schultern sanft auf die Kissen.
        Sie trug ein elfenbeinfarbenes Seidenneglige, das am Hals nur mit einem Bandchen zusammengehalten wurde. Sie sah, da? seine Augen ihren Korper abtasteten und sich vielleicht erinnerten, wie er einst gewesen war. Da nahm sie seine Hand und fuhrte sie an ihre Brust, pre?te seine Finger, bis sie ihr wehtaten.
        Sie flusterte:»Nimm mich, Richard. «Und als er zogerte, drangte sie:»Ich wei?, was du befurchtest. Aber ich sage dir, ich tue es nicht aus Mitleid. Es ist Liebe, wie ich sie noch nie fur einen anderen Mann empfunden habe.»
        Als er das Bandchen aufknupfte und sie zu entkleiden begann, breitete sie die Arme wie eine Gekreuzigte auf dem Bett aus. Bolitho fuhlte sein Blut im Kopf brausen, wahrend er ihre Bruste entblo?te.
        Er hielt den Atem an.»Wer hat dir das angetan?»
        Ihre rechte Schulter war blaugrun verfarbt, eine der schlimmsten Prellungen, die er je gesehen hatte. Aber sie griff nach ihm und zog seinen Mund zu sich herunter. Ihr Atem ging so heftig wie seiner.»Eine Braune Bess tritt eben nach hinten aus wie ein Maulesel«, keuchte sie.
        Sie mu?te sich mit einer Muskete gegen die Piraten verteidigt haben. So wie sie vorhin fast die Pistole abgefeuert hatte.
        Ihr Ku? nahm kein Ende, es war, als wollten sie mit einem Mal alles Versaumte nachholen. Er horte sie aufstohnen, als er ihr den Umhang uber die Huften streifte, sah ihre geballten Fauste, als er sie beruhrte. Da legte er die Hand uber ihre Scham, als wolle er das Verlangen noch verlangern.
        Sie beobachtete ihn, als er seine Kleider fallen lie?, erkannte die Narbe an seiner Schulter und erinnerte sich an das Fieber, das sie einmal besiegt hatte.
        Heiser sagte sie:»Ich frage nicht, was spater sein wird, Richard. «Sein Schatten deckte sie zu wie ein Mantel.»Es ist so lange her. «Mit einem spitzen Aufschrei bog sie sich ihm entgegen, als er in sie eindrang. Ihre Finger packten ihn, rissen ihn naher und tiefer, bis sie eins waren.
        Nachher, als sie einander ermattet in den Armen lagen und dem schwelenden Rauch der Kerzen nachsahen, flusterte sie weich:»Du hattest Liebe notig. Meine Liebe.»
        Er druckte sie fester an sich, und sie fugte hinzu:»Da kummert es mich nicht, was morgen sein wird.»
        Er sagte in ihr Haar:»Auch das Morgen soll uns gehoren.»
        Unten an der Anlegebrucke hockte Allday auf einem Steinpoller und fing an, eine neue Pfeife zu stopfen. Er hatte das Boot zum Schiff zuruckgeschickt.
        Bolitho wurde es vorerst nicht brauchen, dachte er paffend. Der Tabak war aromatisch, mit Rum getrankt. Er hatte zwar das Boot entlassen, wollte selber aber lieber noch an Land bleiben. Fur den
        Fall, da?.
        Er setzte den irdenen Rumkrug auf die Erde und war mit sich und der Welt zufrieden. Vielleicht gab es doch einen gerechten Gott im Himmel? Er schaute zu dem verdunkelten Haus mit den hellen Mauern hinauf. Wenn, dann mochte er wissen, wie dies enden wurde, aber im Moment, und das war alles, worauf ein armseliger Mensch hoffen konnte, standen die Dinge fur Bolitho wieder besser.
        Er grinste vor sich hin und buckte sich nach dem Tonkrug.



        Gibraltar 1805

        XI Der Brief

        Seiner Britannischen Majestat Linienschiff Hyperion neigte sich nur wenig, als es wieder einmal uber Stag ging und den schlanken Kluverbaum fast genau nach Osten richtete.
        Bolitho stand an den Hangemattsnetzen des Achterdecks und achtete auf den an Backbord voraus drohend aufsteigenden Felsen von Gibraltar. Er verschwamm im diesigen Blau eines Nachmittags Mitte April.
        Manner eilten geschaftig uber die Decks. Die Leutnants, im Bewu?tsein des nahen Landes, uberpruften den Stand jedes Segels. Seit das Geschwader English Harbour fur immer verlassen hatte, war es seit sechs Wochen au?er Sichtweite von Land geblieben.
        Bolitho nahm ein Teleskop zur Hand und richtete es auf den Felsen. Wenn die Spanier jemals diese naturliche Festung zuruckeroberten, konnten sie das Mittelmeer mit Leichtigkeit abriegeln. Er stellte das Glas auf die verstreuten Schiffe am Fu? des Felsens ein. Sie ahnelten eher einem Klumpen ins Wasser gefallener Motten als Kriegsschiffen. Nur daran konnte man die wahre Gro?e des Felsens ermessen, die Entfernung zum langsam segelnden Geschwader war noch immer zu gro?.
        Bolitho schaute querab. Sie segelten so dicht es die Vorsicht zulie? an der Kuste Spaniens. Das Sonnenlicht schickte wie Diamanten funkelnde Reflexe durch den Dunstschleier. Er konnte sich vorstellen, da? dort viele Fernglaser der kleinen Prozession englischer Schiffe folgten. Wohin waren sie bestimmt? Was hatten sie hier vor?
        Berittene Boten wurden ihr Erscheinen weitermelden. Die Dons konnten das Kommen und Gehen an der Enge von Gibraltar leicht kontrollieren. Wie um seinen Gedanken Nachdruck zu verleihen, horte er Parris zu einem der Fahnriche sagen:»Geben Sie gut acht, Mr. Blessing, dort druben liegt der Feind.»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken und dachte uber die vergangenen vier Monate nach, seit sich sein neues Geschwader in Antigua versammelt und Catherine sich nach England eingeschifft hatte. Die Trennung war ihnen schwerer gefallen als erwartet und schmerzte noch immer wie eine frische Wunde.
        Wahrend dieser Zeit hatte sie ihm einen Brief geschrieben, warm und leidenschaftlich. Er solle sich nicht sorgen, sie wurden sich bald wiedersehen. Aber es durfe keinen Skandal geben. Wie gewohnlich dachte sie zuerst an ihn.
        Bolitho hatte ihr geantwortet und auch einen Brief an Belinda geschickt. Ihr Geheimnis wurde bald enthullt werden, wenn es das nicht schon war. Deshalb war es nicht mehr als fair, da? sie es zuerst von ihm erfuhr.
        Er uberquerte das Achterdeck, wo der Ruderganger unter seinem Blick die Augen niederschlug. Von der Pooptreppe richtete er das Glas auf die in Kiellinie folgenden Schiffe. Es hatte lange gedauert, bis das Geschwader zusammengewachsen war und jeder sich an die Eigenarten der anderen gewohnt hatte. Der Verband bestand aus vier Linienschiffen der Klasse drei, die sich fur einen unwissenden Landbewohner nicht von der fuhrenden Hyperion unterschieden. Abgesehen von der Obdurate waren sie nach Bolithos Ma?staben Neulinge gewesen. Jetzt jedoch empfand er Stolz statt Ungeduld.
        In der sanften nordwestlichen Brise befand sich windwarts die kleine Korvette Phaedra, dicht unter der Kuste segelnd. Moglicherweise hoffte Dunstan, da? ihm ein unvorsichtiger feindlicher Handelsschiffer in die Finger geriet.
        Der willkommenste Zuwachs war die Fregatte Tybalt, ein Sechsunddrei?iger, der gerade noch rechtzeitig aus England eingetroffen war, um sich dem Geschwader anzuschlie?en. Sie wurde von einem hitzkopfigen Schotten namens Andrew McKee gefuhrt, der es eher gewohnt war, unabhangig zu operieren.
        Bolitho verstand seine Gefuhle, auch wenn er sie nicht immer dulden konnte. Das Leben eines Fregattenkommandanten war vielleicht das einsamste uberhaupt. In einem ubervolkerten Schiff blieb er hinter seinem Kajutschott allein, nur gelegentlich mit seinen Offizieren dinierend, vollig getrennt von anderen Schiffen und sogar von den Mannern, die er kommandierte. Bolitho lachelte. Bis jetzt…
        Sie hatten in der Karibik wenig mehr unternommen, nur ein paarmal die feindliche Schiffahrt und deren Hafen angegriffen. Doch nach dem unbekummerten Durchsto? zum Schatzschiff von La Guaira schien alles andere Kleinkram zu sein. Das hatte auch Glassport angedeutet, als das Geschwader zur Reise nach Gibraltar Segel setzte. Danach wurde das Leben in Antigua nicht mehr das gleiche sein, meinte er.
        In mehr als einer Beziehung, dachte Bolitho.
        Es war ein merkwurdiges Gefuhl, Antigua verlassen zu mussen. Im stillen glaubte er, da? er die Inseln nie wiedersehen wurde. Die Inseln des Todes, wie sie in den unglucklichen Heeresgarnisonen genannt wurden. Auch Hyperion war nicht fieberfrei geblieben. Drei an Land beschaftigte Matrosen waren gestorben, ahnungslos wie Schlachtvieh.
        Bolitho stieg von der Treppe, als er Haven an Deck mit dem Segelmeister sprechen sah. Dieser meinte zuversichtlich:»Der Wind bleibt gunstig, Sir. Wir sollten um acht Glasen ankern.»
        Haven blieb sehr fur sich, und bis auf einige beinahe irrsinnige Wutanfalle schien er zufrieden, alles Parris uberlassen zu konnen. Es war ein gespanntes, au?erst vorsichtiges Verhaltnis zwischen den beiden, das sich aber auf die gesamte Offiziersmesse auswirkte. Trotz allem wurde der Marschbefehl, der mit der Kurierbrigg gekommen war, begru?t. Ein Sturm braute sich uber Europa zusammen, wahrend die Widersacher einander belauerten und auf einen Feldzug warteten, ja auf eine einzige Schlacht, die das Gleichgewicht verschieben konnte.
        Die verlorene Fregatte Consort, in Intrepido umbenannt, war unbemerkt und ungemeldet entschlupft. Man sagte, da? sie nach
        Spanien geeilt war, um sich der starken Kriegsmarine Seiner Allerkatholischsten Majestat anzuschlie?en.
        Obendrein wurde sie dort die offentliche Moral starken: eine Prise, die man den Englandern weggenommen hatte, obwohl die so verzweifelt Fregatten brauchten.
        Bolitho starrte auf den turmhohen Felsen. Gibraltar for orders! Wie gut kannte er diese Worte: nach Gibraltar um neue Befehle. Es war in Gibraltar gewesen, wo er der Hyperion zuerst begegnete, als dieser endlose Krieg kaum angefangen hatte. Dachten Schiffe uber ihr Schicksal nach? Allday lungerte bei den Booten herum, den breitkrempigen Hut vor dem Sonnenglast tief in die Stirn gezogen. Auch er wurde sich jetzt an den Felsen erinnern. Bolitho sah ihn eine Hand zur Brust fuhren und eine Grimasse schneiden. Dabei schaute er sich argwohnisch um, ob es einer gemerkt hatte. Er litt standig Schmerzen. Au?erdem dachte er wohl an seinen Sohn, an die Wirtstochter in Falmouth, ans letzte Gefecht, ans nachste.
        Allday fuhlte, da? Bolitho ihn beobachtete, und drehte sich nach ihm um. Ein kurzer, verstandnisvoller Blickwechsel, als erriete er Bolithos Gedanken. Wie an jenem grauen Morgen, als er Catherine verlie?. Allday hatte ihn erwartet, die Finger in den Mund gesteckt und mit einem schrillen Pfiff, der jede Bootsmannspfeife ubertonte, ein Boot herangerufen.
        Beim Abschied hatte Bolitho Catherine zu uberreden versucht, London zu meiden, bis sie den Sturm gemeinsam durchstehen konnten. Aber sie war unnachgiebig geblieben, denn sie wollte Somervell treffen, um ihm die Wahrheit zu sagen. Als er sich um ihre Sicherheit besorgt zeigte, hatte sie ihr perlendes, unbefangenes Lachen losgelassen, das er so gut kannte.»Es gibt keine Liebe zwischen uns, Richard, was du auch annehmen magst. Ich wollte die Sicherheit einer Ehe, und Lacey brauchte mich als Ruckhalt, als Alib i.»
        Es tat weh, seinen Vornamen aus ihrem Mund zu horen. Er sah sie wieder vor sich wie am letzten Abend, ihre erregenden Augen, ihre hohen Backenknochen, und spurte ihr unglaubliches
        Vertrauen. Jenours Schritte schreckten ihn auf. Der Flaggleutnant harrte seiner Befehle. Auf dem blauen Wasser tanzte eine Brigg, die der Felsenfestung mit flatternden Signalen Einzelheiten uber das herankommende Geschwader mitteilte. Vielleicht lag auch eine Nachricht von Catherine vor? Er hatte ihren einzigen Brief immer wieder gelesen, bis er ihn auswendig kannte.
        Solch eine beeindruckende, lebensspruhende Frau. Somervell war verruckt, wenn er nicht um ihre Liebe kampfte. In einer Nacht, in der sie im Mondlicht beieinander gelegen hatten, erzahlte sie ihm einiges aus ihrer Vergangenheit. Er wu?te schon von ihrer ersten Ehe mit einem englischen Glucksritter, der bei einer Prugelei in Spanien umgekommen war. Damals war sie nichts anderes als ein junges, in London aufgewachsenes Madchen gewesen.»Und zwar in einem Stadtteil aufgewachsen, den dir vorzustellen du nicht wagen wurdest, lieber Richard!«Sie hatte gelacht und sich an seine Schultern gekuschelt, aber er hatte Traurigkeit in ihrer Stimme gehort. Schon mit vierzehn hatte sie auf der Buhne gestanden - und von dort war es ein langer harter Weg bis zur Frau des Generalinspekteurs von Westindien. Spater hatte ihr Luis Pareja geholfen, der getotet wurde, als Bolitho ihr Schiff als Prise kaperte und es dann gegen Piraten verteidigen mu?te.
        Pareja war doppelt so alt gewesen wie sie, aber sie hatte sehr an ihm gehangen, vor allem wegen seiner Sanftmut und Gute. Er hatte sie auch gut versorgt, obgleich sie nicht ahnte, da? sie mehr besa? als die Juwelen, die sie trug, als Bolitho in ihr Leben platzte. Ihre erste Begegnung glich einer Explosion, bei der sie all ihre Verzweiflung und Wut formlich ausspuckte. Danach war es schwer zu ergrunden, wann sich das alles in ebenso leidenschaftliche Liebe verwandelt hatte.
        Bolitho richtete sein Teleskop auf die Brigg. Brachte sie ihm Neuigkeiten?
        Catherine hatte jenes Schauspiel versaumt, das anzusehen sie sich geschworen hatte: die Hinrichtung der Piraten. Fast das letzte, was Bolitho erblickte, als Hyperion English Harbour verlie?, war eine Reihe grausiger Galgen mit ihren von der Sonne gedorrten Uberresten - als Warnung fur andere.
        Vorn, an der Steuerbordseite, stand Parris. Er wollte sicherstellen, da? niemand an Land auch nur den kleinsten Fehler an ihrem Ankermanover finden konnte. In Antigua war Parris mit einer Arbeitsgruppe an Land gegangen, um Catherines Gepack auf das Postschiff zu befordern. Sie hatte an Bolithos Arm zugeschaut, wie die Seeleute die einzelnen Stucke zur Anlegebrucke brachten.
        Plotzlich sagte sie:»Ich mag den Mann nicht.»
        Bolitho war uberrascht.»Er ist ein guter Offizier und tapfer dazu. Was gefallt dir nicht an ihm?»
        Sie hatte mit den Achseln gezuckt.»Er macht mich schaudern. «Dann hatte sie sich beeilt, das Thema zu wechseln.
        Bolitho betrachtete den Ersten Leutnant nachdenklich. Wie leicht brachte er einen Matrosen zum Grinsen und beeindruckte er einen Fahnrich. Vielleicht erinnerte er Catherine an jemanden in ihrer Vergangenheit? Es war ebenso leicht, sich Parris als Glucksritter vorzustellen.
        Jenour bemerkte:»Ich bin zum erstenmal in Gibraltar, Sir Richard.»
        Bolitho nickte.»Ich war ein oder zweimal heilfroh, als ich den Felsen nach rauher Uberfahrt sichtete.»
        Kapitan Haven rief:»Kursanderung zwei Strich nach Backbord!»
        Bolitho scho? ein Gedanke durch den Kopf. Hatte Catherine in Parris instinktiv das erkannt, was Haven ihm offensichtlich vorwarf? Er zog seine Uhr aus der Tasche, wahrend die Seeleute an Brassen und Fallen eilten.

«Signal an alle - in Kiellinie wenden!»
        Die auf dem Sprung stehenden Fahnriche wuhlten in einer Menge Fahnentuch, indes ihre Gehilfen schnell wie der Blitz die Flaggen anknupften.

«Verstanden, Sir!»
        Haven grollte:»Wird auch Zeit, verdammt!»
        Jenour sagte bedachtig:»Ich bin auf unsere Befehle neugierig.»
        Der Admiral lachelte.»Sie nicht allein, Stephen. Entweder geht es nach Norden in die Biskaya, zur verfluchten Blockade von Brest und Lorient, oder wir mussen uns Nelson im Mittelmeer anschlie?en. Die Wurfel fallen hier, so oder so.»
        Bolitho beschattete seine Augen und verfolgte die Manover der anderen, die fur die letzte Strecke zum Ankerplatz Segel kurzten. Hinter der Obdurate lief ein weiterer Veteran, die Crusader. Funfundzwanzig Jahre alt, hatte sie wie die meisten Schiffe dritter Klasse viele Male Pulver gerochen. Bolitho war ihr vor Toulon und in Westindien begegnet, bei dem franzosischen Invasionsversuch in Irland und in der feuerspeienden Schlachtlinie vor dem Nil.
        Redoutable und Capricious rundeten das Geschwader ab. Letztere wurde von Kapitan William Merrye gefuhrt, dessen Gro?vater ein schandlicher Schmuggler gewesen war. Die Vierundsiebziger bildeten das Ruckgrat der Flotte, jeder Flotte. Bolitho blickte zu seiner Flagge am Vormast empor. Sie stand dort gut und richtig.
        Dann kam die langgezogene Zeremonie des Salutschie?ens, vom Felsen wiederholt, was die Reede teilweise in Rauch hullte und die Echos wie eine zusatzliche Beleidigung nach Algeciras hinuberschallen lie?. Ein Wachboot mit einer ubergro?en Flagge lag bewegungslos an der Stelle, wo sie ankern sollten. Dabei fiel Bolitho wieder das spanische Wachboot vor La Guaira ein, wie es unter dem Steven des Schoners zerbrochen war.

«Klar bei Anker!»
        Fur den Zuschauer an Land mu?ten sie ein schoner und vertrauter Anblick sein, dachte Bolitho: die in den Wind drehenden Riesen, alle Leinwand bis auf Marssegel und Kluver aufgegeit.

«An die Marssegelgordings! Vorwarts, Leute, bewegt euch!»

«Ruder hart uber!»
        Bolitho ballte unwillkurlich die Fauste, als Parris den erhobenen Arm senkte.»La? fallen Anker!»
        Der gro?e Anker klatschte ins Wasser, wahrend oben die Segel wie von einer einzigen Hand an den Rahen eingerollt wurden. Auch die anderen Schiffe gewannen Halt an ihren Ankertrossen, wobei sich jeder Kommandant um einen perfekten Abstand zum
        Flaggschiff bemuhte. Nach langer Wartezeit auf See, einer von den Bootsmannsgehilfen und Decksoffizieren immer wieder unterdruckten Ungeduld wurden nun die ersten Boote ausgesetzt.»Gig nahert sich von Land, Sir!»
        Das kleine Fahrzeug arbeitete sich gekonnt durch die leichte Dunung: ein erster Kontakt.

«Ich gehe nach achtern, Mr. Jenour. «In Havens Gegenwart druckte sich Bolitho immer formlich aus.»Sobald sie…»
        Er verhielt, als der Quartermaster das uralte Frage- und Antwortspiel begann und rief:»Boot ahoi?»
        Von der Gig kam es zuruck: «Firefly!»
        Jenour sagte erstaunt:»Schon Kommandantenbesuch, Sir Richard?»
        Doch auf Bolithos Gesicht stand Erleichterung und noch etwas mehr. Er entgegnete: Ich will den Kommandanten der Firefly personlich begru?en.»
        Der junge Commander sprang beinahe mit einem Purzelbaum an Bord. Diejenigen, die keine Ahnung hatten - und woher sollten sie auch? - sahen mit gro?en Augen, wie der Admiral einen jungen Offizier umarmte, der auf den ersten Blick sein Bruder hatte sein konnen. Bolitho packte ihn an den Schultern und schuttelte ihn leicht. Adam, von allen Menschen ausgerechnet du!»
        Commander Adam Bolitho, Kommandant der Brigg Firefly, grinste vor Freude uber das ganze sonnverbrannte Gesicht.
        Alles, was er sagen konnte, war:»Na, Onkel?»
        Bolitho stand mitten in seiner Kajute, wahrend Yovell und Jenour den Sack mit Depeschen und Briefen entleerten, den Adam Bolitho von Land mitgebracht hatte.
        Adam berichtete.»Es war erstaunliches Pech, Onkel. Die Franzosen gingen unter Admiral Villeneuve in See, und unser Nelson hatte das Nachsehen. Wahrend der kleine Admiral sie um Malta oder Alexandria vermutete, entwich Villeneuve durch die Stra?e von Gibraltar in den Atlantik. Hatte man dich fruher hierher beordert, Onkel, warest du ihm vielleicht begegnet. Gott sei Dank kam es nicht dazu.»
        Bolitho lachelte schwach. Adam sprach mit der Unbefangenheit und dem Selbstvertrauen eines Veteranen, dabei war er erst vierundzwanzig Jahre alt.»Dein altes Schiff, Onkel, wer hatte das gedacht!»
        Hyperion war Adams erstes Schiff gewesen. Er hatte es als dunner, bleicher Junge kennengelernt, aber mit der Entschlossenheit und dem Feuer eines Fohlens.
        Yovell legte Bolitho ein amtliches Schreiben der Admiralitat vor. Die Franzosen waren also endlich ausgelaufen, an Gibraltar vorbei und uber den Atlantik; Nelson hastete zuletzt doch noch hinter ihnen her. Villeneuve war anscheinend westwarts gesegelt, doch warum, das vermochte niemand zu sagen. Bolitho las schnell weiter, wahrend Adam ihn forschend beobachtete. Schlie?lich gab er Yovell das Schreiben zuruck und meinte:»Die Franzosen segelten also. Vielleicht war es ein Trick, um unsere Streitkrafte abzuziehen und zu teilen.»
        Adam hatte recht. Hatte man ihm fruher befohlen, Antigua zu verlassen, waren sie wohl auf den Feind gesto?en. Funf Schiffe dritter Klasse gegen eine der besten Flotten der Welt. Uber den Ausgang gab es keinen Zweifel. Aber sie hatten Villeneuve wenigstens aufgehalten, bis Nelson ihn einholen konnte.
        Bolitho nahm den nachsten, schon von Jenour geoffneten Brief.»Na bitte, da haben wir's: Ich soll Thomas Herrick in Malta ablosen!«Was war davon zu halten? Er hatte sich freuen sollen, den Mann wiederzusehen, der sein bester Freund war. Doch nach der Untersuchung gegen Valentin Keen, als nur Bolithos Aussage ihn vor einem Kriegsgerichtsverfahren bewahrt hatte, war er sich Herricks Freundschaft nicht mehr ganz sicher. Insgeheim wu?te Bolitho, da? sein Freund recht gehabt hatte. Hatte er an Herricks Stelle die Vorschriften weitherziger zugunsten Keens ausgelegt? Diese Frage war nie beantwortet worden.
        Adam ri? ihn aus seinen Gedanken.»Aber erst segelst du nach England, Onkel. «Er lachelte gewinnend.»Mit mir.»
        Adam kannte Bolithos Leben, aber nicht ganz. Es gab etwas, an dem er noch keinen Anteil hatte. Yovell schlitzte eine neue Depesche auf: von Admiral Nelson. Sonderbar, da? von allen ihm nahestehenden Menschen nur Adam den beruhmten Nelson personlich getroffen hatte. Er hatte mit seiner Brigg Firefly mehr Depeschen fur ihn befordert als jeder andere.
        Das Geschwader sollte in Gibraltar warten und sich verproviantieren. Nelson hatte in seiner merkwurdig schrag laufenden Handschrift vermerkt:»Denn zweifellos hat die Fursorge und Aufmerksamkeit, die Ihnen in English Harbour zuteil wurde, viel zu wunschen ubriggelassen. «Bolitho stutzte. Was meinte Nelson?
        Er selbst wurde fur einen kurzen Besuch bei der Admiralitat von seinem Kommando freigestellt. Der Brief schlo? mit der von Nelson schon gewohnten Spitze:»Dort werden Sie entdecken, wie eifrig sie ihre Kriege mit Worten und Papier ausfechten, statt mit Kanonen und hartem Stahl…»
        Es stimmte, da? das Geschwader frischen Proviant und Ersatzteile brauchen konnte. Ihr nachster Einsatz wurde sicherlich von langerer Dauer sein. Die Franzosen mu?ten schlie?lich zuruckkehren, und sei es auch nur, um Verstarkung von ihren spanischen Verbundeten einzufordern. Und eines dieser Schiffe wurde aller Wahrscheinlichkeit nach die Intrepido vormals Consort sein.
        Auf einem nahen Tisch lag ein Stapel Seekarten und veranschaulichte die Weite des Atlantik, der leicht eine Flotte verschlingen und verbergen konnte. Glucklicherweise hatte Catherine ihren Brief von England aus geschickt, andernfalls hatte ihn die Ungewi?heit zerfressen, ob sie in die Hande des Feindes gefallen war.
        Er blickte Adam an, sah die plotzliche Sorge in dessen Augen und bat die anderen: Lassen Sie uns bitte eine Weile allein. «Er beruhrte Jenours Arm.»Gehen Sie den Rest des Stapels durch, Stephen. Aber ich furchte, ich verlasse mich fast schon zu sehr auf meinen Adjutanten.»
        Als sich die Tur hinter ihnen schlo?, sagte Adam leise:»Das war sehr freundlich, Onkel. Dein Flaggleutnant ist auch so einer, der von deinem Charme behext ist.
»Was gibt's daran auszusetzen?»

«Ich wei?, du verabscheust Winkelzuge«, begann Adam.»Ich habe dort druben einst ein dummes Duell ausgefochten. «Er deutete auf den Felsen.

«Das habe ich nicht vergessen, Adam.»
        Der scharrte verlegen mit den Fu?en.»Ist es wahr, was man sich in London erzahlt?»

«Ich denke schon. Einiges auf jeden Fall.»
        Adam wand sich, sein Haar glanzte im Sonnenlicht.»Ist sie das, was du dir wunschst?»
        Bolitho nickte.»Ich werde darauf achten, da? es dir nicht schadet, Adam. Du bist schon genug gefahrdet worden, einmal durch deinen Vater, dann durch mich.»
        Adam hob das Kinn.»Ich kann mich wehren, Onkel. Lord Nelson sagte mir, da? England jetzt alle seine Sohne braucht.»
        Bolitho horchte auf. Sein Vater hatte die gleichen Worte gesprochen, als er ihm den alten Degen aushandigte, der eigentlich fur Adams Vater bestimmt gewesen war, vor dessen Schande. Es war fast schon unheimlich.
        Adam fuhr fort:»Wenn ein Mann einem anderen die Treue halt, dann ich dir, Onkel. Das wei?t du. Aber denke daran, wenn sich andere gegen dich stellen, was gewi? der Fall sein wird. Ich kenne die Dame nicht, aber ich kenne ja auch Lady Belinda kaum. «Er schaute verlegen zu Boden.»Meine Gute, ich mische mich da in Dinge ein.»
        Bolitho ging zum Fenster. Auf dem stillen Wasser schimmerte das Spiegelbild ihres Nachbarschiffes.

«Mein Herz gehort ihr, Adam. Mit ihr bin ich wieder ein Mann, ohne sie bin ich wie ein Schiff, dem man die Segel vorenthalt.»
        Adam sah ihn voll an.»Ich glaube, da? man dich nach London ruft, um die Dinge zu ordnen. Du sollst die Affare bereinigen, sozusagen.»

«Indem ich die Wahrheit leugne?»

«Das ist jedenfalls meine Befurchtung, Onkel. «Bolitho lachelte traurig.»Ein so weiser Kopf auf so jungen Schultern.»
        Adam wirkte plotzlich so verletzlich wie als vierzehn Jahre alter Fahnrich, der einmal den ganzen Weg zu Fu? von seinem Elternhaus in Penzance gekommen war, um nach dem Tod seiner Mutter auf Bolithos Hyperion einzusteigen. Sie mochte eine Hure gewesen sein, aber sie hatte fur den Jungen zu sorgen versucht. Und Hugh, Bolithos Bruder, hatte von nichts gewu?t, bis es zu spat war.
        Der junge Mann sagte:»Wir werden einander viel sehen. Ich habe noch mehr Depeschen von Lord Nelson, und wenn deine Angelegenheiten in London geklart sind, habe ich dich zu deinem Geschwader zuruckzubringen.»
        Wer mochte das angeordnet haben? fragte sich Bolitho. Nelson selbst, der es denen zeigen wollte, die seine Affare mit Lady Hamilton verachteten? Oder ein noch Hohergestellter, der die Familie Bolitho benutzte, um ihn zu beeinflussen? Er konnte noch gar nicht glauben, da? er Catherine so bald wiedersehen sollte. Die Tatsache eines franzosischen Durchbruchs in den Atlantik erschien ihm im Vergleich dazu unwichtig. Er berief die anderen in seine Kajute.»Stephen, Sie mussen wahrend meiner Abwesenheit hierbleiben. «Kopfschuttelnd wehrte er die Proteste ab und fugte hinzu:»Ich brauche Sie auf der Hyperion. Verstehen Sie, warum?«In des Leutnants Augen verdrangte das Begreifen die Enttauschung.»Als einen Verbundeten, der mich benachrichtigt, wenn etwas Unerwartetes geschieht.»
        Er sah Yovell an.»Sie unterstutzen den Flaggleutnant nach Kraften. «Er zwang sich ein Lacheln ab.»Als Fels in der Brandung, ja?»
        Yovell erwiderte das Lacheln nic ht.»Ich mache mir Sorgen um Sie, Sir Richard.»
        Bolitho sah sich im Kreise um.»Ihr seid alle meine guten Freunde, aber das mu? ich allein bereinigen.»
        Auf einmal fiel ihm die blaugraue Narbe an Somervells Hals ein. Sollte die Sache damit beigelegt werden? Mit einem Duell? Doch er verwarf die Idee sogleich wieder. Somervell war zu sehr bestrebt, dem Konig zu gefallen. Nein, es mu?te ein Scharmutzel anderer Art sein.»Ubrigens, ich nehme Allday mit.»
        Adam griff sich mit einer Hand an den Kopf.»Ich Idiot, das hab' ich vollig vergessen. «Er deutete aus dem Fenster.»Ich habe den jungen Bankart zu meinem Bootsfuhrer gemacht. Er kam in Plymouth an Bord, als ich dort nach Befehlen fragte. «Und mit einem schiefen Lacheln:»Es ist nur recht, da? ein Bastard dem anderen hilft.»
        Die kleine Brigg Firefly lichtete am folgenden Tag den Anker und ging in See. Von dem Augenblick an, da Bolitho die Depeschen gelesen hatte, fand er kaum Zeit, seine Kommandanten zu versammeln und ihnen zu sagen, da? sie die nachsten Wochen dazu benutzen sollten, ihre Schiffe zu versorgen und zu uberholen.
        Haven war seinen mundlichen Instruktionen ohne Uberraschung oder Erregung gefolgt. Bolitho hatte ihm mehr als einmal eingescharft, da? er als Flaggkapitan verpflichtet war, uber das Geschwader zu wachen, und sich nicht lediglich um die Angelegenheiten seines eigenen Schiffes kummern durfte. Welch beeindruckende Vorschlage Kapitan McKee von der Fregatte Tybalt auch machen wurde, um sich fortzustehlen, warnte er Haven, sie seien alle abzulehnen. Er brauchte die Fregatte ebenso sehr wie ihn, wenn nicht noch mehr als ihn.
        Nach der Kajute der Hyperion kamen ihm die Unterkunfte der Brigg eng wie ein Kuchenschrank vor. Er konnte nur unter dem Oberlicht aufrecht stehen und erfuhr, da? die Mannschaft in Quartieren lebte, deren Stehhohe nur vier Fu? und sechs Zoll betrug. Aber das Schiff wirkte binnenbords so lebhaft und tuchtig wie nach au?en. Bolitho bemerkte schnell das aufgelockerte Verhaltnis zwischen Achterdeck und Mannschaftslogis und war heimlich stolz auf das, was sein Neffe geleistet hatte.
        Es storte ihn nur der Umstand, da? er nichts Neues mehr von Catherine erfahren hatte. Vermutlich suchte sie ein normales Leben zu fuhren, bis die Geruchte verstummten, oder sie war umgezogen. Dennoch beunruhigte es ihn, besonders nach dem Lesen des einen Briefes, den ihm Belinda geschickt hatte.
        Es war ein kuhler Brief, viele hatten ihn als vernunftig bezeichnet. Sie erwahnte nur kurz seine Leidenschaft fur» dieses Weib «als etwas, das man vergeben, aber nicht verstehen konnte. Nichts durfte zwischen ihnen stehen:»Ich werde es nicht tolerieren«. Hatte sie im Zorn geschrieben, ware er weniger beunruhigt gewesen. Vielleicht hatte sie Catherine schon auf einem jener Empfange getroffen, die Belinda so liebte? Aber das schien unwahrscheinlich.
        Auf dem Ozean begann die Firefly ihrem Namen getreu formlich zu fliegen. Adam hielt sich weit drau?en, weg von Land, als sie Tag fur Tag ihren Weg entlang der Kuste Portugals nahmen und dann in die Biskaya abdrehten. Als Bolitho fragte, warum er so weit drau?en segelte, erklarte Adam ihm grinsend, da? er die Blockadegeschwader meiden wolle.»Jeder Kommandant, der die Firefly sichtet, will mir Post fur England mitgeben. Diesmal aber habe ich keine Stunde zu verschenken.»
        Bolitho bedauerte die Manner auf den Blockadeschiffen. Woche um Woche kreuzten sie bei jedem Wetter hin und her, wahrend der Feind sich im Schutz des Hafens ausruhte und jede ihrer Bewegungen beobachtete. Blockadedienst war der meistgeha?te von allen, was die neuen Leute der Hyperion bald erfahren wurden.
        Die zwolfhundert Meilen von Gibraltar nach Portsmouth wurden zu einer der lebhaftesten Uberfahrten, an die sich Bolitho je entsann. Er verbrachte viel Zeit an Deck mit Adam, wo sie den Larm von Wind und Gischt uberschreien mu?ten und die Brigg ihre Segel derma?en strapazierte, da? er sich fragte, wie das ihre Masten aushielten.
        Es machte ihm Spa?, wieder mit Adam zusammen zu sein und zu sehen, da? er sich vom eifrigen Leutnant zum Kommandanten gemausert hatte, der die Starke jedes Tampens und Segels kannte und den Unerfahrenen Vertrauen einflo?te. Gern zitierte er Nelson, den Helden, den er ruckhaltlos bewunderte. Adams Erster Leutnant, Bolitho bisher unbekannt, hatte, als die Biskayasturme plotzlich uber sie herfielen, angstlich Segel reffen wollen. Adam hatte das Getose uberschrien:»Es ist erst dann Zeit zu reffen, wenn man dazu Lust hat!»
        Ein andermal hatte er seinen Onkel zitiert, als ihn ein Meistersgehilfe fragte, ob die Mannschaft vor oder nach dem Wenden essen solle. Adam hatte Bolitho angesehen und gemeint:»Die Mannschaft geht vor.»
        Dann erreichten sie die Westlichen Zufahrtswege und den Kanal, tauschten Signale mit wachsamen Vorposten und sichteten an einem herrlichen Fruhlingsmorgen die Is le of Wight. Nur funfeinhalb Tage hatten sie von Gibraltar hierher gebraucht.
        Bolitho und Adam begaben sich in Portsmouth zu einem kleineren Gasthaus, nicht zum» George«, um die Postkutsche nach London zu erwarten. Vielleicht hatte das» George «zu viele Erinnerungen geweckt.
        Es hatte Bolitho wahrend der Uberfahrt auch Freude gemacht, Allday mit seinem Sohn zu beobachten. Nun sagten sie einander Lebewohl, als der junge Bankart auf seinem Schiff blieb und Allday die Kutsche bestieg. Bolitho protestierte, als Allday wegen der belegten Sitze drau?en Platz nehmen sollte. Der aber musterte verachtlich die rundlichen Kaufleute, die den Innenraum belegten.

«Ich mochte die Gegend sehen, Sir Richard, und nicht dummes Geschwatz anhoren mussen. Mir ist es lieber auf dem Oberdeck.»
        Bolitho lehnte sich in seine Ecke und vermied jegliche Unterhaltung, indem er die Augen schlo?. Mehrere Herren hatten seinen Rang erkannt und erwarteten von ihm wahrscheinlich Neuigkeiten uber den Krieg. Jedenfalls war es nichts Neues, da? die Kaufleute daran ganz gut verdienten. Adam sa? ihm gegenuber, sein Blick verlor sich in der Weite der voruberziehenden Landschaft Hampshires. Im spiegelnden Fensterglas der Kutsche sah sein Bild wie eines der Portrats in
        Falmouth aus. Die Aufenthalte zum Pferdewechsel folgten einander regelma?ig. Humpen mit Ale wurden von der Hand frecher Frauenzimmer in den verschiedenen Kutscherkneipen serviert, dazu schwere Mahlzeiten von Kaninchenragout bis zum besten Rinderfilet, damit die Passagiere ihre schmerzenden Muskeln auf angenehme Weise entspannen konnten. Je mehr sie sich von der See entfernten, desto weniger war vom Krieg zu spuren.
        Die Kutsche legte einen letzten Halt vor einem Gasthaus in Ripley, Grafschaft Surrey, ein. Bolitho ging die schmale Stra?e hinunter, die Uniform unter dem Umhang verborgen. Die Luft war warm und erfullt von Blumenduft.
        England, mein England, dachte er.
        Die dampfenden Pferde wurden zur Nacht in die Stalle gefuhrt. Bolitho seufzte. Morgen wurde er vor dem» George «in Southwark, London, aussteigen. Dort wurde ihm Catherine seine Zuversicht wiedergeben. Zwischen Passanten stehend, ohne eine Uniform in Sicht und inmitten des Gelachters aus dem Inn, wurde er es laut sagen durfen:»Kate, ich liebe dich.»



        XII Der Einbeinige

        Admiral Sir Owen Godschale wartete, bis sein Diener eine Karaffe Rotwein auf das Tischchen gestellt und sich zuruckgezogen hatte. Drau?en vor den hohen Fenstern schien die Sonne, war die Luft hei? und staubig. Von fern kam der Larm des Londoner Stra?enverkehrs.
        Bolitho nahm sich Zeit, den Claret zu schlurfen; es uberraschte ihn, da? er sich in der Admiralitat noch immer unbehaglich fuhlte und auf der Hut war. Dabei hatte sich fur ihn doch alles geandert. Man hatte ihn und Adam in eine kleine, gut ausgestattete Bibliothek gefuhrt, die vollig anders war als die gro?en unbequemen Empfangsraume von fruher. Diese waren mit Marineoffizieren vollgestopft, meistens mit nervosen Kapitanen, die einen hoheren Offizier erwarteten oder dessen Lakai, um ihre
        Wunsche vorzutragen, ein neues Kommando zu erbitten, ein anderes Schiff. Wie auch ich fruher, dachte Bolitho. Er konnte sich noch nicht an den Respekt gewohnen, den man ihm zo llte, an die Unterwurfigkeit der Admiralitatsdiener und Wachposten.
        Der Admiral war ein gutaussehender, kraftig gebauter Mann, der sich im Kampf gegen die amerikanische Revolution ausgezeichnet hatte. Ein Altersgenosse von Bolitho, aber von dem jungen verwegenen Fregattenkapitan war wenig ubriggeblieben. Godschale wirkte weich und schlaff, sein Gesicht und seine Hande waren so bla?, als ware er seit Jahren nicht mehr auf See gewesen.
        Er hatte seine hohe Position noch nicht lange inne; deshalb war zu erwarten, da? er alles bekampfen wurde, was seinen Eintritt ins Oberhaus verzogern oder gefahrden konnte.
        Nun sagte er gestelzt:»Es warmt einem das Herz, von Ihren kuhnen Unternehmen zu lesen, Sir Richard. Wir in der Admiralitat fuhlen uns viel zu oft vom Geschehen drau?en abgeschnitten. Wir konnen es nur planen und mit Gottes Hilfe zu einem siegreichen Ende fuhren.»
        Bolitho machte es sich bequemer. Er dachte an Nelsons Kommentar uber die Kriege, die hier mit Worten und Papier ausgefochten wurden. Adam sa? neben ihm, ohne sein Glas anzuruhren. War es Hoflichkeit oder Teil des Komplotts, Adam in dieses Gesprach einzubeziehen?
        Godschale erwarmte sich am Thema.»Das Schatzschiff war ein solch gutes Ende, obwohl - «, er betonte das Wort, >» es einige gibt, die andeuten konnten, da? Sie sich personlich dabei ubernommen haben. Ihre Aufgabe ist es, zu fuhren und Erfahrung beizutragen. Aber das ist Vergangenheit. Wir mussen an die Zukunft denken.»

«Warum bin ich herbestellt worden, Sir Owen?»
        Der Admiral lachelte und spielte mit seinem leeren Glas.»Um Sie wissen zu lassen, was in Europa vor sich geht, und als Lohn fur tapferen Einsatz. Es hat Seiner Majestat beliebt, Sie ehrenhalber mit dem Rang eines Oberstleutnants der Royal Marines zu beleihen.»
        Bolitho besah seine Hande.»Danke. «Wann kam Godschale zur Sache? Dieser Ehrentitel war nur nutzlich bei einer Auseinandersetzung zwischen Heer und Navy. Naturlich war es eine Auszeichnung, aber kaum ein Anla?, ihn von seinem Geschwader hierher zu holen.
        Godschale erlauterte weiter:»Wir glauben, da? die Franzosen ihre Flotte an verschiedenen Orten zusammenziehen. Die Entsendung nach Malta wird es Ihnen ermoglichen, das Geschwader am zweckma?igsten einzusetzen.»

«Man sagt, die Franzosen seien bei Martinique, Sir Owen. Nelson erklart.»
        Der Admiral lachelte wie ein listiger Fuchs.»Auch Nelson ist nicht uber jeden Irrtum erhaben. Er mag des Volkes Liebling sein, aber gegen eine Fehleinschatzung ist er nicht gefeit. «Zum erstenmal wandte sich der Admiral Adam zu.»Ich bin ermachtigt, Ihrem Neffen mitzuteilen, da? er mit Wirkung zum ersten Juni zum Kapitan befordert ist. «Er lachelte selbstzufrieden.»Der glorreiche Erste Juni, was, Commander?»
        Adam starrte von einem zum andern.»Ich danke sehr, Sir Owen.»
        Der Admiral wackelte mit dem Finger.»Sie haben Ihre Beforderung mehr als verdient. Wenn Sie so weitermachen, sehe ich keinen Grund, weshalb Ihre Karriere nicht weiter aufwarts fuhren sollte.»
        Bolitho beobachtete auf Adams sonnverbranntem Gesicht den Widerstreit der Gefuhle. Drei Jahre noch, dann konnte er auf die Planstelle eines Vollkapitans vorrucken, die Hoffnung und der Traum eines jeden jungen Offiziers.
        Aber war das Belohnung oder Bestechung? Dem neuen Dienstgrad wurde ein neues Kommando folgen, vielleicht sogar eine Fregatte, von der Adam immer sprach. So war es seinem Onkel ergangen und auch seinem Vater, nur da? Hugh auf der falschen Seite gekampft hatte.
        Godschale wandte sich wieder an Bolitho.»Es tut gut, mit Ihnen beisammen zu sein, Sir Richard. Es war ein langer, langer Aufstieg seit den Saintes Anno zweiundachtzig. Ich frage mich aber, ob allen klar ist, wie leicht man die Gunst des Schicksals verlieren kann, manchmal gar nicht durch eigene Schuld. «Er mu?te die Kalte in Bolithos Augen gesehen haben und beeilte sich fortzufahren:»Bevor Sie London verlassen, um nach Gibraltar zuruckzukehren, mussen Sie bei mir dinieren.
«Er streifte Adam mit einem fluchtigen Seitenblick.»Sie naturlich auch. Sie wissen schon: mit Ehefrauen, Freunden, netten Gesprachen, alles ganz zwanglos.»
        In Wahrheit ist es keine Bitte, dachte Bolitho, es ist ein Befehl.»Ich bin nicht sicher, ob sich Lady Belinda noch in London befindet. Ich hatte noch keine Zeit, um…»
        Godschale schaute vielsagend auf die verzierte Tur.

«Ganz recht, Sie sind ein vielbeschaftigter Mann. Aber keine Sorge, meine Frau sah sie erst gestern. Sie werden einander gute Gesellschaft leisten, wahrend wir beide uns uber den schmutzigen Krieg unterhalten. «Er lachte still in sich hinein.»Dann ist ja alles klar.»
        Bolitho erhob sich. Er wurde Belinda ohnehin sehen mussen. Aber warum lie? Godschale kein Wort uber Catherine fallen? Bolitho war gegen Adams Rat allein zu ihrem Haus gegangen, aber nicht weiter als bis zum Eingang gekommen. Ein selbstbewu?ter Lakai hatte ihm versichert, da? sein Besuch dankend zur Kenntnis genommen wurde, aber da? Viscount Somervell im Dienst des Konigs das Land bereits verlassen habe. Ihre Ladyschaft sei wahrscheinlich bei ihm.
        Der Mann wu?te eine Menge mehr, als er sagte. Und Godschale auch. Sogar die billige Herablassung Adam gegenuber hatte einen Haken. Die Beforderung war sein gutes Recht, er hatte sie auch ohne jede Bevorzugung verdient.
        Au?erhalb des Admiralitatsgebaudes schien ihm die Luft reiner. Er fragte Adam:»Was haltst du von alledem?»
        Adam zuckte die Achseln.»Ich bin nicht so dumm, da? ich die Drohung nicht erkenne, Onkel.»

«Du konntest in meinen Fall verwickelt werden, Adam.»
        Sein Neffe grinste, und die Spannung fiel wie eine Maske von ihm ab.»Ich bin aber schon hineinverwickelt, Sir!»

«Gut denn. Wir werden in dem Haus wohnen, das ich schon erwahnte. «Er lachelte in der Erinnerung.»Mein ehemaliger Flaggleutnant Browne hat es mir zur Verfugung gestellt. «Nach dem Tod seines Vaters hatte Browne - »mit einem e am Ende«-dessen Titel geerbt und langst seinen Sitz im Oberhaus eingenommen, im Gegensatz zu Godschale.
        Adam nickte.»Ich sorge dafur, da? es bekannt wird. «Dann musterte er die imposanten Gebaude und zahlreichen Passanten.»Dies ist eine sehr gro?e Stadt. Ein Mensch konnte darin fur immer verloren gehen. «Er sah ihn nachdenklich an.»Bist du auch ganz sicher, Onkel? Vielleicht ist sie wirklich verreist, weil sie glaubte, es ware am besten fur dich. «Er stockte.»Oder weshalb auch immer. Jedenfalls scheint ae ein sehr anstandiger Mensch zu sein.»

«Ich bin sicher, Adam. Und danke fur deine Unterstutzung. Ich wu?te nicht, wo sich Valentine Keene momentan aufhalt, und habe auch keine Zeit, ihn brieflich zu erreichen. Es bleiben mir nur noch Tage, nicht Wochen.»
        Seine Sorge war so offensichtlich, da? Adam beschwichtigend sagte:»Nur die Ruhe, Onkel, du hast viele Freunde.»
        Gemeinsam traten sie in die Sonne hinaus. Einige Schaulustige beobachteten die an der Admiralitat vorfahrenden Equipagen, und als sich die beiden Offiziere ihnen naherten, drehte sich einer um. Er rief:»Schaut, Leute, das ist er!«Er winkte Bolitho mit einem zerknautschten Hut.»Gott segne Euch, Dick! Verpa?t den Frogs noch mehr Prugel!»
        Ein zweiter schrie beifallig:»Hort nicht auf die Miesmacher da drin!»
        Bolitho lachelte, aber ihm war, als wolle sein Herz brechen. Er meinte leise:»Ja, ich habe wirklich noch ein paar Freunde.»
        Bolitho wurde in Brownes Haus in der Arlington Street warmstens empfangen, wie es ihm sein einstiger Flaggleutnant versprochen hatte. Ihr Herr befande sich im Norden, habe sie aber auf den Besuch vorbereitet, erklarte die Haushalterin und geleitete sie zu einer bequemen Zimmerflucht im ersten Stock. Adam verlie? das Haus fast sofort wieder und begab sich zu Freunden, die vielleicht etwas uber Catherine wu?ten; denn Bolitho war nun fest davon uberzeugt, da? sie verschwunden war. Er glaubte nicht, da? sie mit Somervell verreist war, um den Schein zu wahren und ihrer beider Ruf zu retten.
        Am nachsten Morgen, als Bolitho das Haus verlie?, hatte er einen Wortwechsel mit Allday, der dagegen protestierte, zuruckgelassen zu werden. Bolitho bestand jedoch darauf.»Wir sind hier nicht auf einem Schiff, das die Franzosen jeden Augenblick sturmen konnen, alter Freund.»
        Allday starrte auf die belebte Stra?e.»Je langer ich in London bin, um so weniger traue ich der Stadt!»
        Bolitho erwiderte:»Ich brauche dich aber hier, fur den Fall, da? uns jemand besucht. Die Haushalterin konnte sie sonst fortschicken.»
        Da mu?te Allday nachgeben.
        Es war nur eine kurze Strecke bis zu dem stillen kleinen Platz, an dem Belinda wohnte. Er schaute einigen Kindern zu, die auf dem Rasen in der Mitte spielten. Die Kindermadchen standen daneben und tratschten, wahrscheinlich uber ihre Herrschaften. Eines dieser Kinder mochte Elizabeth sein. Besturzt wurde ihm klar, da? sie sich seit ihrer letzten Begegnung sehr verandert haben mu?te. Sie war nun fast drei Jahre alt. Zwei der Kindermadchen knicksten vor ihm, er gru?te hoflich zuruck. Wieder ein heimkehrender Seemann. Heim? Das klang in seinem Fall eher ironisch. Wie wurde er die nachsten Minuten bestehen?
        Das Haus war hoch und so elegant wie viele, die wahrend der Regentschaft Seiner Majestat bisher gebaut worden waren. Mit seinen drei Stockwerken glich es sich den Nachbarn zu beiden
        Seiten an. Breite Stufen fuhrten zum Portal, flankiert von einem kunstvollen schmiedeeisernen Gelander.
        Eine Dienerin offnete und betrachtete ihn mehrere Sekunden lang erstaunt. Danach sank sie in einen tiefen Knicks, nahm unter gestammelten Entschuldigungen seinen Hut und wies ihn in eine Saulenhalle, deren Decke ein blaugoldenes Blattmuster zierte.

«Hier entlang, Sir.»
        Sie offnete eine Flugeltur und trat beiseite. Der Salon war teuer und geschmackvoll ausgestattet, das Mobiliar schien auslandischer Herkunft. Die Vorhange und dazu passenden Teppiche waren, so schatzte er, erst kurzlich angefertigt worden. Er dachte an das weitlaufige Haus in Falmouth. Verglichen mit diesem wirkte es wie eine Bauernfarm.
        Er erblickte sich in einem hohen, goldgerahmten Spiegel und straffte unwillkurlich die Schultern. Der Kontrast zu der fleckenlosen Weste und wei?en Kniehose verlieh seinem Gesicht eine attraktive Braune, aber in der Uniform kam er sich wie ein Fremder vor. Er versuchte sich zu entspannen und lauschte den gedampften Gerauschen im Haus. Eine andere Welt.
        Plotzlich offnete sich die Tur, und sie trat schnellen Schrittes ein - Belinda. Sie trug ein dunkelblaues Kleid, das beinahe mit der Farbe seines Rockes ubereinstimmte. Ihr Haar war aufgesteckt, lie? die kleinen Ohren frei und betonte den Juwelenschmuck am Hals. Sie wirkte sehr gelassen und selbstsicher.
        Er sagte:»Ich habe mich angemeldet. Hoffentlich komme ich gelegen?»
        Sie lie? kein Auge von ihm, als suche sie eine Verletzung, Verstummelung oder sonstige Veranderung an ihm.»Ich halte es fur absurd, da? du bei Fremden wohnst.»
        Er zuckte die Achseln.»Es schien das Beste, bis…»

«Bis du sahst, wie ich mich dir gegenuber verhalten wurde?»
        Sie betrachteten einander, mehr Fremde als Mann und Frau.
        Er entgegnete:»In meinem Brief versuchte ich zu erklaren.»
        Sie winkte ab.»Mein Cousin ist hier. Er bat mich, dir deine
        Torheit um unser aller willen zu vergeben. Aber durch deine bedenkenlose Affare hast du mich in gro?e Verlegenheit gebracht. Du bist ein Flaggoffizier von Ruf, und trotzdem benimmst du dich wie irgendein schmieriger Matrose mit seiner Hafenhure.»
        Bolitho sah sich um. Das Herz war ihm schwer.»Einige dieser schmierigen Matrosen sterben gerade, um Hauser wie deines zu schutzen«, sagte er dumpf.
        Sie lachelte fluchtig, als hatte sie auf diese Antwort gewartet.»Bah, Richard! Dein Anteil am Prisengeld fur die spanische Galeone wird es ihnen mehr als lohnen. Darum fluchte dich nicht in Heucheleien.»
        Er bemerkte tonlos:»Catherine ist fur mich nicht nur eine Affare.»

«Verstehe. «Sie hatte sich einem der hohen Fenster zugewandt, fuhr aber nun wutend herum.»Wo ist denn diese Frau jetzt, deretwegen du den Verstand verloren hast? Ich werde dir sagen, wo sie ist: bei ihrem Gatten, dem Viscount Somervell, der anscheinend eher gewillt ist zu vergeben als ich!»

«Du hast dich mit ihm getroffen?»
        Sie warf den Kopf zuruck. Ihre Finger, die schnell uber den Vorhang strichen, verrieten ihre Erregung.

«Selbstverstandlich. Wir waren beide sehr besorgt uber die peinliche Demutigung.»

«Ich bedaure das.»

«Aber nicht, was du getan hast?»

«Das ist ungerecht. «Er wunderte sich, da? er so ruhig blieb.»Aber es kommt nicht unerwartet.»
        Sie blickte an ihm vorbei in den Raum.»Dieses Haus gehort dem Herzog von Richmond. Es ist ein vornehmes Haus, passend fur uns - fur dich.»
        Bolitho horte ein Gerausch und sah, wie ein kleines Kind an der offenen Tur vorbeigefuhrt wurde. Trotz der Maskerade aus schaumigen Spitzen und hellblauer Seite erkannte er Elizabeth. Sie drehte sich nur einmal kurz um, an der Hand ihrer Nurse hangend, und ging dann ohne Reaktion weiter.
        Er sagte:»Sie kennt mich nicht mehr.»

«Was hast du denn gedacht?«Belindas Stimme verlor an Scharfe.»Aber das kann und wird sich andern. Mit der Zeit.»
        Er unterdruckte seine Enttauschung.»Ich soll hier leben? Die See aufgeben, wenn sich unser Land in Not befindet? Was soll dieser Irrsinn? Seht ihr denn nicht die Gefahr?»

«Du kannst dem Land auch in London dienen, Richard. Sir Owen Godschale zum Beispiel genie?t gro?tes Ansehen, sowohl bei Hofe als auch im Parlament.»
        Bolitho legte die Hande auf den kuhlen Sims des Marmorkamins.

«Ich kann es nicht!»
        Sie beobachtete ihn im Spiegel.»Dann begleite mich wenigstens zu Sir Owens Dinner. Unsere schriftliche Einladung kam heute. «Zum erstenmal zogerte sie.»Begleite mich, damit die Leute die Haltlosigkeit des Geruchts erkennen. Catherine ist mit Somervell gegangen, Richard, zweifle nicht daran. Vielleicht aus ehrlichem Gefuhl, vielleicht hat sie aber auch begriffen, wo fur sie der gro?ere Vorteil liegt. «Sie lachelte uberlegen, als er wutend auf sie zukam.»Glaube, was du willst. Aber ich denke jetzt nur an uns, schlie?lich bin ich dazu verpflichtet!»
        Bolitho beherrschte sich mit Muhe.»Ich bleibe bis morgen in Brownes Haus und denke daruber nach.»
        Sie nickte mit leuchtenden Augen.»Verstehe. Ich kenne deine Stimmungen. Aber morgen werden wir einen neuen Anfang machen. Ich vergebe dir, und du mu?t versuchen zu vergessen. Du darfst doch wegen einer momentanen Leidenschaft nicht den guten Namen deiner Familie aufs Spiel setzen. Wir haben uns im Bosen getrennt, ich wei?, auch da? ich einen Teil der Schuld trage.»
        Sie ging mit ihm durch die Halle. Die ganze Zeit hatten sie einander nicht beruhrt, geschweige denn umarmt.
        Belinda fragte noch:»Ist mit dir alles in Ordnung? Fuhlst du dich wohl? Ich horte, du warst krank gewesen.»
        Er nahm seinen Hut von der Dienerin, die ihn offenen Mundes ansah.»Ich bin wohlauf, danke.»
        Dann wandte er sich ab und ging auf den Platz hinaus, wahrend die Tur hinter ihm ins Schlo? fiel.
        Wie konnte er zu Godschales Dinner gehen und so tun, als ob nichts geschehen ware? Selbst wenn er Catherine niemals wiedersah, wurde er sie und das, was sie fur ihn getan hatte, nie vergessen.

«Ich kann nicht glauben, da? sie vor mir geflohen ist!«Die Worte kamen laut uber seine Lippen, aber er bemerkte nicht einmal, da? sich zwei Passanten nach ihm umdrehten.
        Allday begru?te ihn mude.»Nichts Neues, Sir Richard. «Bolitho warf sich in einen Stuhl.»Bring mir was zu trinken.«»Einen schonen kuhlen Wei?wein?«»Nein, diesmal was Starkes - Brandy.»
        Er leerte zwei Glaser. Sie warmten ihn und glatteten seine Gefuhle.»Teufel nochmal, ich bin ratlos.»
        Allday runzelte die Stirn, fullte aber nach. Trinken war die beste Methode, Kummer zu vergessen. Er sah sich um. Und die See. Davon verstand er was.
        Bolithos Kopf sank auf die Brust, das leere Glas entfiel unbeachtet seiner Hand.
        Sein Traum kam sehr plotzlich und war ungewohnlich klar: Catherine klammerte sich mit blo?en Brusten an ihn, wahrend man sie ihm entri?. Ihr Schrei bohrte sich wie hei?er Stahl in sein Hirn. Er erwachte mit einem Ruck und sah, da? Allday gerade seinen Arm loslie? und ihn betroffen ansah. Bolitho japste:»Ich… Tut mir leid. Es war ein Alptraum. «Im Raum war es dunkler geworden.»Wie lange bin ich schon hier?»
        Allday ma? ihn kritisch.»Tut jetzt nichts zur Sache, mit Verlaub. «Sein Daumen wies zur Tur.»Da is' jemand drau?en, der Sie sprechen mochte. Will mit keinem anderen reden.»
        Bolithos Kopf wurde allmahlich klar.»Reden woruber? Aber egal, bring ihn rein«, fugte er hinzu.
        Er stand auf und sah sein derangiertes Spiegelbild in der Fensterscheibe. Verlor er noch den Verstand? Allday schmollte.»Er konnte auch blo? ein Bettler sein.«»Hol ihn!»
        Er horte Allday durch den Flur gehen und dazu einen seltsam arhythmischen Schritt, der ihn an einen alten Freund denken lie?, zu dem er den Kontakt verloren hatte. Aber dieser von Allday hereingeschobene Mann war weder ein Bekannter, noch war seine abgetragene Uniform ihm vertraut.
        Der Besucher nahm seinen altmodischen Dreispitz ab und enthullte unordentliches, ergrauendes Haar. Er ging sehr gebeugt, was wohl von seinem Holzbein herruhrte.
        Bolitho fragte:»Was kann ich fur Sie tun? Ich bin…»
        Der Mann plierte ihn an und nickte mit Nachdruck.»Ich wei?, wer Sie sind, Sir.»
        Er sprach mit schwachem Westkustenakzent, und die Art, wie er gru?end seine Stirn beruhrte, wies ihn als alten Seemann aus. Aber die Uniform mit den einfachen Messingknopfen hatte Bolitho nie zuvor gesehen.
        Er machte eine einladende Bewegung.»Mochten Sie sich nicht setzen? Allday, ein Glas fur… Wie darf ich Sie nennen?»
        Der Mann balancierte verlegen auf einem Stuhl.»Sie werden sich nicht mehr erinnern, Sir, aber mein Name ist Vanzell.»
        Allday fuhr auf.»Bei Gott, er ist es!«Er starrte dem Einbeinigen ins Gesicht. Geschutzfuhrer auf der Phalarope!»
        Bolitho griff nach einer Stuhllehne und ordnete seine abschweifenden Gedanken. Es war so lange her. Und trotzdem konnte er nicht verstehen, warum er den Mann namens Vanzell nicht erkannt hatte. Er stammte aus Devon wie Yovell. Das lag nun uber zwanzig Jahre zuruck, damals war er noch ein Juniorkapitan gewesen, wie es Adam nun bald sein wurde.
        Das Gefecht bei den Saintes hatte Godschale als sentimentale Erinnerung abgetan. Nicht so Bolitho. Er sah die durchbrochene Schlachtlinie noch wie heute, horte wieder das Brullen der
        Kanonen, in deren Feuer viele gute Manner fielen und starben. Einschlie?lich seines ersten Bootsfuhrers, Stockdale, den es traf, als er ihn deckte. Er blickte Allday an, in dessen Gesicht sich die gleichen Empfindungen spiegelten. Auch er war dabei gewesen, als ein Gepre?ter.
        Vanzell freute es, da? man ihn wiedererkannte.»Ich verga? niemals, wie Sie mir und der Frau geholfen haben«, fuhr er fort,»als ich abgemustert wurde, weil ich nur noch ein Bein hatte. Sie ha'm uns gerettet, Sir, das steht fest. «Er setzte sein Glas ab und schien einen Entschlu? zu fassen.»Dann hor' ich, da? Sie wieder in London sind. Also komm' ich und versuch zu vergelten, was Sie fur mich und meine Frau getan haben. Sie is' schon lang nicht mehr. Es gibt nur noch mich, aber ich kann nicht vergessen, wie die Schweine damals unsere Decks beharkten.»
        Bolitho setzte sich wieder.»Wovon leben Sie jetzt?»
        Hinter seiner Frage stand Sorge, denn er begriff: Dieser Mann mit seinem simplen Englisch, ein zerfetztes Stuck Vergangenheit, war angstlich. Aus irgendeinem Grunde hatte es ihn Uberwindung gekostet zu kommen.
        Vanzell sagte:»Es bringt mich um meine Stellung, Sir. «Er dachte laut.»Sie wissen alle, da? ich unter Ihnen gedient habe. Sie werden es mir nie verzeihen, niemals nich'. «Er studierte Bolitho aufmerksam und rang sich durch.»Ich bin Gefangniswarter, Sir. Der Job war alles, was ich kriegen konnte. «Er seufzte.»Sie haben sonst keine Verwendung fur halbkaputte Teerjacken wie mich.»
        Seine Hand zitterte, als ihm Allday noch ein Glas einschenkte. Dann erklarte er heiser:»Ich bin in Waites, Sir.»

«Was ist das?»
        Allday sagte scharf:»Ein Frauengefangnis.»
        Vanzell kippte das Glas mit einem Schluck.»Sie ham'se da. Ich wei? es, ich hab'se gesehen und hab' gehort, was die andern uber Sie beide erzahlten.»
        Bolitho fuhlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg.
        Catherine im Gefangnis? Das war doch unmoglich! Aber er mu?te es glauben. Der Mann sagte zu Allday:»Is'n schmutziger Ort, voller Abschaum. Schuldnerinnen un' Verruckte, ein Tollhaus, nich' zu glauben.»
        Allday sah Bolitho an.»O ja, ich glaub' dir, Kamerad. «Bolitho drangte:»Sag der Haushalterin, ich brauche sofort eine Droschke. Wei?t du, wo dieses Waites liegt? Allday verneinte.

«Ich fuhre Sie hin, Sir«, sagte Vanzell.

«Gut. «Bolithos Kopf war auf einmal so klar, als hatte man ihn mit eisigem Wasser ubergossen. Er fragte Vanzell:»Hatten Sie Lust, bei mir in Falmouth zu arbeiten? Es ist ein Hauschen dabei, ein oder zwei Veteranen von der Phalarope leben ebenfalls dort. Sie wurden sich wie zu Hause fuhlen.»
        Er blickte beiseite, von Vanzells Dankbarkeit uberwaltigt.
        Allday kam zuruck und reichte ihm den Umhang. Er hatte inzwischen seinen besten blauen Rock mit den goldenen Knopfen angezogen und trug ein Pistolenhalfter in der Hand. Nun betrachtete er Bolitho, der seinen Degen einhangte.»Es konnte trotzdem ein Irrtum sein, Sir Richard, eine Verwechslung.»

«Diesmal nicht, alter Freund. Bist du bereit?»
        Allday wartete noch auf Vanzell, der sie zu einer schnellen Kutsche vor der Tur begleitete.
        In Bolithos Ohr klangen immer wieder die gleichen Worte: nicht weggelaufen, eingesperrt, eingesperrt…
        Das Frauengefangnis lag nordlich von London, und es war schon fast dunkel, als sie dort ankamen. Es war ein finsteres Gebaude, von hohen Mauern umgeben. Bei Tageslicht mu?te es noch zehnmal schlimmer aussehen. Bolitho kletterte aus der Kutsche und sagte zu Vanzell:»Warten Sie hier, Sie haben Ihren Teil getan.»
        Er hammerte an ein schweres Tor, das nach langerer Pause wenige Zoll breit geoffnet wurde. Ein unrasierter Mann in der gleichen Uniform wie Vanzell beaugte sie mi?trauisch.

«Wer klopft zu so spater Stunde?«Als er eine Laterne hochhielt, lie? Bolitho seinen Umhang von den Schultern gleiten, so da? das Licht auf seinen Epauletten glitzerte.

«Melde dem Direktor, da? Sir Richard Bolitho ihn zu sprechen wunscht. «Er bemerkte des Mannes Besturzung und drangte hinter ihm in den Hof.»Los!»
        Sie folgten dem Warter auf einem langen, unordentlichen Fu?weg zum Hauptgebaude. Bolitho sah, da? auch er hinkte. Man fand es hier offenbar billiger, abgemusterte Soldaten zu beschaftigen. Ein zweites Tor, ein geflusterter Wortwechsel, wahrend Bolitho, die Hand am Degen, in einem feuchten Raum wartete, Alldays schweren Atem hinter sich.
        Er zuckte zusammen, als ein durchdringender Schrei, dem Rufe und dumpfe Schlage folgten, durch das Gebaude hallte. Andere Stimmen fielen ein, bis der ganze Kerker sich in Qualen zu winden schien. Noch mehr wutendes Geschrei, jemand schlug mit etwas Schwerem drohnend gegen eine Tur, und dann wurde es schlie?lich wieder still.
        Eine Tur ging auf, der Warter lie? den Admiral in eine Kanzlei eintreten. Der Kontrast uberraschte: gute Mobel, ein gro?er, mit Hauptbuchern und Papieren bedeckter Schreibtisch und ein Teppich, der hier ebenso fehl am Platz schien wie der Mann, der nun aufstand, um Bolitho zu begru?en.
        Untersetzt, frohlichen Blicks, mit einer Lockenperucke auf dem kahlen Haupt, hatte er ganz die Erscheinung eines Landgeistlichen.»Sir Richard, dies ist aber wirklich eine Ehre. «Er sah nach der Uhr und lachelte wie ein keckes Kind.»Und eine Uberraschung zu so spater Stunde.»
        Bolitho ubersah seine ausgestreckte Hand.»Ich bin wegen Lady Somervell gekommen. Keine lange Diskussion - wo ist sie?»
        Der Mann schien verwirrt.»Wirklich, Sir Richard - ich wurde einen so tapferen Gentleman niemals enttauschen wollen, aber ich furchte, da hat jemand ein grausames Spiel mit Ihnen getrieben.»
        Bolitho hatte noch den furchtbaren Schrei im Ohr.»Wen halten Sie hier fest?»
        Der kleine Mann entspannte sich ein wenig.»Wahnsinnige und solche, die Irrsinn geltend machen, um ihre Schulden gegenuber der Gesellschaft.»
        Bolitho ging um den Tisch herum und sagte leise, aber drohend:»Sie ist hier, das wissen wir beide. Wie konnen Sie eine Lady in diesem ekelhaften Haus festhalten? Ich frage nicht danach, welchen Namen man ihr gegeben hat oder unter welchem Vorwand sie hier sitzt. Wenn Sie sie nicht sofort freilassen und mir ubergeben, lasse ich Sie festnehmen und zeige Sie an wegen Mi?brauchs Ihres Amtes und Beteiligung an einem Komplott, um ein Verbrechen zu vertuschen. «Er umfa?te den Griff seines Degens.»Und ich will keine weiteren Lugen mehr horen!»
        Der Mann bat:»Vielleicht la?t sich morgen feststellen.»
        Bolitho fuhlte, da? ihn letzte Gewi?heit uberkam. Catherine war hier! Einen Moment hatte des Mannes Selbstsicherheit ihn zweifeln lassen. Nun schuttelte er den Kopf. Nein, sofort!»
        Morgen mochte man sie langst woanders hingebracht haben. Bis dahin konnte ihr alles mogliche zusto?en. Er befahl barsch:»Fuhren Sie uns zu ihr.»
        Der kleine Mann ri? eine Schublade auf und keuchte vor Angst, als Allday sofort reagierte und seine Pistole zog. Mit zitternder Hand hob er fast unter Tranen einen Schlussel hoch.»Bitte, wir wollen doch vorsichtig sein.»
        Bolitho stockte der Atem, als sie durch einen schwach beleuchteten Korridor gingen. Auf dem Boden lag Stroh, die Wande troffen vor Feuchtigkeit. Der Gestank war zum Ubergeben. Es roch nach Unrat, Armut und Verzweiflung. Sie hielten vor der letzten Tur, und der kleine Mann flusterte:»Bei allen Heiligen, ich habe nichts damit zu tun. Sie wurde mir uberantwortet, bis ihre Schulden bezahlt sind. Aber wenn Sie sicher sind, da?.»
        Bolitho horte gar nicht hin. Er spahte durch ein kleines, vergittertes Fenster, dessen Stabe von tausend verzweifelten Fingern glattpoliert waren. Eine Laterne wie jene, die in der Waffenkammer eines Schiffes hingen, beleuchtete die hollische Szene.
        Ein altes Weib hockte an der Wand, sich von einer Seite zur anderen wiegend. Speichel rann aus ihrem Mund, als sie ein
        Kinderlied vor sich hinsummte. Ihre Haut war dreckig, ihre zerrissene Kleidung voller Flecken.
        Ihr gegenuber sa? Catherine auf einer schmalen Holzbank, die Beine gespreizt, die gefalteten Hande zwischen den Knien. Ihr Kleid war aufgerissen wie an dem Tag, als sie an Bord der Hyperion gekommen war. Sie war barfu?. Ihr langes, ungekammtes Haar verhullte das Gesicht und fiel ihr uber die teilweise entblo?ten Schultern. Weder bewegte sie sich, noch schaute sie auf, als der Schlussel im Schlo? knirschte und Bolitho die Tur aufstie?.
        Leise wisperte sie:»Wenn ihr mich anfa?t, bringe ich euch um.»
        Bolitho streckte die Arme aus.»Kate, hab' keine Angst. Komm zu mir.»
        Sie hob den Kopf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Noch immer blieb sie still sitzen, sie schien ihn nicht zu erkennen. Einen Moment furchtete Bolitho, da? sie vor Entsetzen ebenfalls verruckt geworden sein konnte.
        Da stand sie auf und machte ein paar unsichere Schritte auf ihn zu.»Bist du's? Bist du es wirklich?«flusterte sie. Dann schuttelte sie abwehrend den Kopf und warnte:»Ruhr mich nicht an! Ich bin unsauber.»
        Bolitho fa?te sie um die Schultern und zog sie an sich. Ihr Widerstand wich einem hemmungslosen Schluchzen. Er fuhlte ihre Haut durch den Stoff des Kleides, sie hatte nichts darunter an. Trotz der dumpfen, abgestandenen Luft war sie kalt wie Eis. Er hullte sie in seinen Umhang, so da? nur ihr Gesicht und die blo?en Fu?e zu sehen waren.
        Als sie den Gefangnisleiter im Turrahmen stehen sah, versteifte sich ihr ganzer Korper. Bolitho herrschte ihn an:»Ziehen Sie den Hut in Gegenwart einer Dame, Sir! Des Mannes Furcht ekelte ihn an, aber er schlo?:»Oder, bei Gott, ich fordere Sie auf der
        Stelle!»
        Der Direktor wich zuruck, sein Hut fegte fast den schmutzigen Boden. Bolitho fuhrte Catherine den Korridor hinunter. Einige
        Gefangene spahten durch die Zellenfenster, ihre Hande umklammerten die Stabe wie Klauen. Diesmal schrie niemand.»Deine Schuhe, Kate?»
        Sie drangte sich an ihn, als ob er sie gegen alles und jedes schutzen konnte.

«Was ich hatte, habe ich fur Essen verkauft. «Sie hob den Kopf und sah ihn prufend an.»Aber ich bin schon fruher barfu? gegangen.»
        Ihr plotzlicher Trotz lie? sie noch zerbrechlicher erscheinen.»Gehen wir wirklich hier fort?«Bolitho nickte nur.
        Unbehindert erreichten sie das schwere Tor, vor dem die Droschke mit den zwei stampfenden Pferden wartete. Catherine sah die Gestalt im Innern der Kutsche und fragte angstlich:»Wer ist das?»
        Bolitho hielt sie fest, bis sie sich wieder beruhigt hatte.»Das ist nur ein Freund, der genau wu?te, wann er gebraucht wurde.»



        XIII Das Komplott

        Belinda schlo? die Flugelturen des Salons und lehnte sich dagegen.

«Sprich leise, Richard, die Dienstboten konnen dich sonst horen. «Sie atmete heftig, vielleicht aus Furcht, wahrend sie ihm mit den Blicken folgte, als er den eleganten Raum kreuz und quer durchschritt.
        Bolitho wirbelte herum.»Gott verdamme sie alle und dich dazu fur das, was ihr getan habt!»

«Was ist denn, Richard? Bist du betrunken?»

«Glucklicherweise nicht. Denn ich wei? nicht, ob ich mich dann noch so in der Gewalt hatte.»
        Sie erbla?te, und er versuchte sich zu beherrschen.

«Du wu?test es die ganze Zeit! Du und Somervell, ihr beide habt dafur gesorgt, da? man sie in ein Loch steckte, das nicht mal fur Schweine geeignet ist.»
        Wieder hatte er die Bilder vor Augen: Catherine in der ekelhaften Zelle und danach, als er sie zu Brownes Haus in der Arlington Street gebracht hatte und sie ihn bat, sie nicht allein zu lassen.

«Geh nicht, Richard. Das alles ist doch jetzt gleichgultig. Wir sind zusammen, nur das zahlt«, hatte sie geflustert.
        Vor der wartenden Kutsche hatte er sich umgedreht.»Aber diese Lugner wollten es verhindern. «Er lachelte beruhigend.»Ich bin bald wieder da.»
        Nun fuhr er Belinda an:»Sie ist ebensowenig eine Schuldnerin wie du, und du wu?test das, als du den Plan mit Somervell ausgeheckt hast. Ich hoffe nur, da? er so schnell mit der Klinge ist wie mit der Pistole, denn wenn ich ihn zu fassen kriege.»
        Sie griff sich an die Kehle.»So habe ich dich ja noch nie gesehen!»

«Das wirst du auch nie wieder!»

«Ich habe es fur uns getan, Richard. Fur das, was wir waren und wieder sein konnten.»
        Bolithos Herz klopfte. Er war nahe daran gewesen, sie zu schlagen. Catherine hatte ihm in der Kutsche in abgerissenen Satzen alles erzahlt, wahrend der Regen gegen die Scheiben klatschte.
        Sie hatte Somervell den gro?ten Teil ihres eigenen Vermogens geliehen, als sie heirateten, denn er mu?te wegen hoher Spielschulden um sein Leben furchten. Aber er hatte Freunde bei Hofe, den Konig eingeschlossen, und ein Regierungsamt rettete ihn noch einmal.
        Er hatte jedoch einen Teil ihres Geldes absichtlich unter ihrem Namen investiert und sie die Folgen tragen lassen, als sich diese Anlage als Fehlspekulation erwies. Das hatte Somervell auch Belinda erklart. Bolitho schwindelte der Kopf, als er sich vorstellte, da? dieser Plan beinahe gelungen ware. Wenn er in Belindas Haus eingezogen ware und man ihn auf Admiral Godschales Empfang gesehen hatte, ware Catherine von seiner
        Versohnung mit Belinda berichtet worden: eine brutale und endgultige Verabschiedung fur sie.
        Somervell hatte das Land verlassen, soviel stand fest. Bei seiner Ruckkehr hatte er Catherine halb verruckt vorgefunden oder sogar tot. Denn wie ein Seevogel hatte sie sich niemals in einen Kafig zwangen lassen.
        Bolitho nahm den Faden wieder auf.»Fur uns? Das hast du ebenfalls vernichtet. Denk daran, was du mir mehr als einmal ins Gesicht gesagt hast: Auch wenn du so aussahest wie Cheney, bedeute das noch lange nicht, da? du irgendetwas mit ihr gemein hattest. Das war das einzig Wahre, was du jemals sagtest.»
        Er sah sich im Zimmer um.

«Behalte dieses Haus, Belinda, unter allen Umstanden. Aber schenke hin und wieder auch einen Gedanken denen, die kampfen und sterben, damit du besser genie?en kannst, was jene niemals kennenlernen.»
        Sie trat zuruck, als er die Tur aufri?. Er glaubte einen Schatten hinter der Treppe verschwinden zu sehen. Die Dienstboten hatten etwas zum Klatschen aufgeschnappt.

«Das wird dich ruinieren!«schrie sie.
        Sie rang nach Atem, als er auf sie zuging. Aber er nahm nur seinen Hut auf.

«Das ist mein Risiko. Eines Tages werde ich es meiner Tochter erklaren. «Er sah sie noch einmal an.»Alles, was du notig hattest, sollte dir von Falmouth geschickt werden. Aber selbst das hast du zuruckgewiesen. Also genie?e dein neues Leben mit deinen vornehmen Freunden. «Er trat durch die Tur.»Und Gott helfe dir!»
        Ungeachtet des Regens, der sein Gesicht kuhlte, wanderte er durch die dunklen Stra?en. Er mu?te zu Fu? gehen, um seine Gedanken zu ordnen. Er wurde sich Feinde schaffen, aber das war nichts Neues. Es hatte genug Neider gegeben, die ihm wegen Hugh zu schaden versuchten, ihn durch Adam zu verletzen trachteten.
        Wo sollte Catherine bleiben? Nicht in Falmouth, solange er sie nicht selbst hinbringen konnte. Das hei?t, falls sie uberhaupt dort hin wollte. Wurde sie nach diesen Ereignissen seinen Worten einen Doppelsinn beimessen, einen nochmaligen Verrat argwohnen? Er verwarf diese Gedanken augenblicklich. Catherine war wie die Klinge an seiner Seite, beinahe unzerbrechlich. Aber eben nur beinahe.
        Eines schien sicher: Godschale wurde bald erfahren, was sich zugetragen hatte, obwohl keiner offen daruber sprechen wurde, um nicht als Mitverschworer zu erscheinen. Er lachelte trube. Fur ihn hie? es wohl sehr bald wieder:»Gibraltar for orders.»
        Sein wacher Sinn bemerkte einen Schatten und das Klicken von Metall. In der nachsten Sekunde lag der Degen in seiner Hand, und er rief:»Stehenbleiben!»
        Adams Stimme antwortete, sie klang erleichtert.»Ich wollte nur nach dir sehen, Onkel.»
        Bolitho steckte die Klinge in die Scheide.

«Ist es vorbei?«fragte sein Neffe.

«Aye, es ist erledigt.»
        Adam fa?te Tritt und luftete den Hut, um in den Regen zu starren.»Ich habe das mit Catherine von Allday gehort. Es sieht fast so aus, als ob ich dich nicht einen Augenblick allein lassen sollte.»
        Bolitho erwiderte:»Ich kann es selbst noch kaum glauben.»

«Die Menschen andern sich eben, Onkel.»

«Das glaube ich nicht. «Er beobachtete zwei Infanterieleutnants, die sich unsicheren Fu?es in Richtung St. James entfernten.»Die Umstande vielleicht, aber nicht die Menschen.»
        Adam wechselte taktvoll das Thema.»Ich habe herausbekommen, wo sich Kapitan Keen aufhalt: in Cornwall. Sie regeln dort einige Dinge, die Miss Carwithens verstorbenen Vater betreffen.»
        Bolitho nickte. Er hatte schon befurchtet, da? Keen ohne ihn heiraten wurde. Eigenartig, da? ihm eine solche Kleinigkeit noch so wichtig sein konnte, nach allem, was hier geschehen war.

«Ich habe ihn durch Boten benachrichtigt.»
        Sie schwiegen und lauschten dem Gerausch ihrer Schritte auf dem Pflaster. Wahrscheinlich wu?te Keen es schon, wie auch die ganze Flotte. Absto?end fur viele, aber ein willkommener Skandal in den ubervolkerten Messedecks.
        Im Haus stie?en sie auf Allday, der sich einen Krug Ale mit der Haushalterin, Mistress Robbins, teilte. Sie war eine geburtige Londonerin und hatte trotz ihrer vornehmen Umgebung eine Stimme, die sich wie die einer Stra?enhandlerin anhorte. Nun kam sie gleich zur Sache.

«Die Lady liegt im Bett, Sir Richard. «Ihr Blick blieb gelassen.»Ich habe ihr ein Gastezimmer gegeben.»
        Bolitho nickte dankbar, er hatte auch das Unausgesprochene verstanden: In diesem Haus wurde es keinen Skandal geben, egal wie es nach au?en aussehen mochte.

«Ich habe sie erst mal ausgezogen und ordentlich gebadet. Armes Ding! Die Kleider habe ich verbrannt. «Sie offnete eine rote Faust.»Dies war im Saum eingenaht.»
        Zum Vorschein kamen die Ohrringe, die er ihr geschenkt hatte, als sie in London zusammengewesen waren. Bolitho fuhlte einen Klo? im Hals.

«Danke, Mrs. Robbins.»
        Ihr strenges Gesicht wurde unerwartet weich.»Is' doch selbstverstandlich, Sir Richard. Der junge Lord Oliver hat mir oft genug erzahlt, wie Sie ihm das Fell gerettet haben. «Sie ging kichernd davon.
        Allday und Adam traten ein. Bolitho sagte:»Habt ihr alles mitgehort?»

«Am besten, die Lady bleibt hier«, meinte Allday.»Mama Robbins wird schon alle Mann an Deck rufen, wenn in der Nacht was passiert.»
        Bolitho nahm Platz und streckte die Beine von sich. Er hatte seit dem Fruhstuck nicht eine Krume gegessen, aber ihm war auch jetzt nicht danach. Es war ein knapper Sieg gewesen. Doch die eigentliche Schlacht hatte noch nicht mal angefangen.
        Catherine stand an einem hohen Fenster und blickte auf die Stra?e hinunter. Die Sonne strahlte, aber diese Seite lag noch im Schatten. Einige Leute gingen spazieren, und man horte schwach die Stimme eines Blumenmadchens, das seine Ware anpries.
        Sie sagte leise:»So kann es nicht bleiben.»
        Bolitho sa? mit gekreuzten Beinen in einem Sessel und sah ihr zu; kaum glaublich, da? es sich um dieselbe Frau handelte, die er der Erniedrigung im Kerker entrissen hatte; fur die er alles riskiert hatte, einschlie?lich eines Kriegsgerichtsverfahrens wegen Notigung des Gefangnisdirektors.
        Er erwiderte:»Wir konnen nicht hier wohnen. Ich mochte mit dir allein sein. Dich wieder im Arm halten, mit dir reden.»
        Sie drehte ihren Kopf so, da? ihr Gesicht im Schatten blieb.»Du machst dir noch Sorgen, Richard, aber das brauchst du nicht. Was meine Liebe zu dir betrifft - die hat nie geschwankt. Warum sollte sie jetzt?»
        Langsam schritt sie naher und legte ihm die Hande auf die Schultern. Sie trug ein einfaches grunes Kleid, das die allgegenwartige Mrs. Robbins am Vortag gekauft hatte.
        Bolitho sagte:»Du bist jetzt in Sicherheit. Alles, was du brauchst, und alles, was ich geben kann, gehort dir. «Er sprach weiter, froh, da? sie sein Gesicht nicht sehen konnte.»Es kann Monate dauern, dein Vermogen wiederzuerlangen, das er dir gestohlen hat. Du gabst ihm alles und warst seine Rettung.»
        Sie entgegnete:»Umgekehrt bot er mir Sicherheit, einen Platz in der Gesellschaft, wo ich nach Belieben leben konnte. War das toricht? Vielleicht. Es war eben ein ausgemachter Handel, keine Liebe. «Sie legte ihren Kopf an den seinen.»Ich habe oft Dinge getan, deren ich mich schame, aber ich habe niemals meinen Korper verkauft.»
        Er griff nach ihrer Hand.»Das wei? ich.»
        Eine Kutsche klapperte vorbei, ihre Rader larmten auf dem Kopfsteinpflaster. Nachts lie? dieser Haushalt wie andere in der Nahe von seinen Dienstboten Stroh auf der Stra?e ausbreiten, um die Gerausche zu dampfen. London schien nie zu schlafen. In der vergangenen Nacht hatte Bolitho wach gelegen und an Catherine gedacht, die in ihrem Gastezimmer schlief, dem Kodex des Hauses entsprechend, der sie trennte.
        Sie sagte:»Ich mochte irgendwo leben, wo ich von dir hore und erfahre, was du machst. Es wird fur dich noch mehr Gefahren geben, ich mochte sie auf meine Weise mit dir teilen.»
        Bolitho sah ihr ins Gesicht.»Ich werde sehr bald zu meinem Geschwader zuruckkehren mussen. Jetzt, da ich mich festgelegt habe, will man mich in London wahrscheinlich so schnell wie moglich los sein.»
        Er legte seine Hande um ihre Taille, fuhlte ihren geschmeidigen Korper, ihr gegenseitiges Verlangen. Jetzt hatten ihre Wangen wieder Farbe, und ihr Haar, das offen uber den Rucken hing, hatte seinen Glanz zuruckgewonnen.
        Sie las in seinen Augen.»Mrs. Robbins betreut mich gut.»
        Bolitho schlug vor:»Ich habe ein Haus in Falmouth. «Doch als er ihr Widerstreben, ihren stummen Protest spurte, brach er ab.»Ich wei?, meine liebe Catherine, du willst warten, bis.»

«Bis du mich als dein ausgehaltenes Frauenzimmer nach Falmouth bringst. «Sie versuchte zu lachen, sagte aber nur heiser:»Denn so werden es die Leute sehen.»
        Sie hielten sich an den Handen und sahen sich lange an.»Und ich bin auch nicht wundervoll oder entzuckend. Nur in deinen Augen, liebster Mann.»
        Er erwiderte:»Ich will nur dich. «Gemeinsam traten sie ans Fenster, und ihm wurde bewu?t, da? er seit jener Nacht das Haus noch nicht wieder verlassen hatte.»Wenn wir nicht heiraten konnen.»

«Genug davon!«Sie legte ihm den Finger auf den Mund.»Meinst du, das kummert mich? Ich werde sein, was du wunschst. Und ich werde dich immer lieben und wie eine Tigerin verteidigen, wenn dir andere etwas antun wollen.»
        Ein Diener klopfte und trat mit einem kleinen Silbertablett ein. Darauf lag ein versiegeltes Kuvert mit dem vertrauten Wappen der Admiralitat. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, als er es offnete.»Ich habe mich morgen bei Admiral Godschale zu melden.»
        Sie hatte verstanden.»Neue Befehle?»

«Wahrscheinlich. «Er umarmte sie.»Es war unvermeidlich.»

«Ich wei?. Nur der Gedanke, dich zu verlieren.»
        Bolitho sah sie wieder allein in London. Er mu?te etwas tun.
        Ihre Hande glitten uber seine Schultern, seine Wangen.»Denke jetzt nur daran, da? wir noch einen Tag und eine ganze Nacht vor uns haben.»

«Aber wenn ich abreise.»
        Sie beruhrte wieder seinen Mund.»Ich wei?, was du sagen willst. Aber jetzt, liebster Richard, sollst du mich so lieben wie in Antigua und wie damals in London. Ich habe dir einmal gesagt, da? du Liebe sehr notig hast. Und ich kann sie dir geben.»
        Mrs. Robbins schaute herein.»Pardon, Sir Richard. «Ihre Augen schienen den Abstand zwischen ihnen zu messen.»Ihr Neffe ist hier. «Sie wurde ein wenig freundlicher. Sie sehen wohl und heiter aus, Mylady.»
        Catherine lachelte ernst.»Bitte, Mrs. Robbins, nicht diesen Titel. «Und mit einem Blick auf Bolitho:»Ich habe derzeit keine Verwendung dafur.»
        Mrs. Robbins oder Ma, wie Allday sie nannte, ging langsam die Treppe hinunter und sah Adam sein widerspenstiges schwarzes Haar vor einem Spiegel ordnen.
        Der Teufel sollte die Manner holen, dachte sie. Jeder in der Kuche sprach schon von der Affare. Es war schlimm genug gewesen, das mit dem Zimmermadchen Elsie, als ihr kostbarer Trommeljunge mit einer Schwarzen aus Westindien durchbrannte. Und auch der alte Lord Browne war kein Frauenverachter gewesen, ehe er verschied. Aber dann dachte sie an Bolithos Gesicht, als sie ihm die Ohrringe aus dem schmutzigen Kleid gegeben hatte. Vielleicht steckte doch eine Menge mehr dahinter, als die Leute annahmen.
        Sie nickte Adam zu.»Ich komme, Sir.»
        Adam lachelte. Merkwurdig, dachte er. Er hatte seinen Onkel immer mehr geliebt als jeden anderen Mann. Aber bis jetzt hatte er ihn noch nie beneidet.
        Admiral Sir Owen Godschale empfing Bolitho unverzuglich. Bolitho hatte den Eindruck, da? er eine andere Unterredung vorzeitig beendete, um dieses Treffen schnell hinter sich zu bringen.

«Ich habe Nachricht erhalten, da? die franzosische Flotte Nelsons Schiffen davongelaufen ist«, begann er.»Ob er sie noch zum Gefecht stellen kann, ist zweifelhaft. Es scheint auch unwahrscheinlich, da? Villeneuve von sich aus die Entscheidung sucht, bevor er seine Krafte mit den Spaniern vereinigt hat.»
        Bolitho stand vor der Ubersichtskarte des Admirals. Die Franzosen befanden sich also noch auf See, konnten aber nicht allzu lange drau?en ble iben. Nelson mu?te angenommen haben, da? der Feind die britischen Besitzungen in der Karibik angreifen wolle. Oder handelte es sich lediglich um eine Ertuchtigungsoperation? Die Franzosen verfugten zwar uber gute Schiffe, waren aber durch die wirksame Blockade der Englander in den Hafen festgehalten und rostig geworden. Villeneuve war zu erfahren, um mit Schiffen und Besatzungen, deren Wert durch Untatigkeit nachgelassen hatte, im Englischen Kanal anzugreifen und Napoleons Landungstruppen den Weg zu bahnen.
        Godschale erklarte rund heraus:»Darum wunsche ich.
        da? Sie wieder Ihre Flagge setzen und das Maltageschwader verstarken.»

«Aber es war doch abgemacht, da? ich Konteradmiral Herrick dort ablosen sollte?»
        Godschale schaute auf die Karte.»Wir brauchen jetzt jedes Schiff am richtigen Ort. Ich habe heute Herrick durch Kurierbrigg neue Befehle ubersandt. «Er betrachtete Bolitho unbewegt.»Sie kennen sich?»

«Sehr gut.»

«Es sieht also ganz danach aus, da? das von mir geplante
        Dinner verschoben werden mu?, Sir Richard. Auf ruhigere Zeiten, nicht wahr?»
        Ihre Blicke kreuzten sich.»Ware ich auch allein willkommen gewesen, Sir Owen?«Er sprach locker, aber die Scharfe in seiner Stimme war nicht zu verkennen.

«Unter diesen Umstanden ware es vorzuziehen gewesen.»
        Bolitho lachelte.»Dann bin ich wegen der gleichen Umstande froh, da? es verschoben wurde.»

«Mir mi?fallt Ihre verdammte Arroganz, Sir!»
        Bolitho nahm den Ton hin.

«Eines Tages, Sir Owen, werden Sie vielleicht Grund haben, sich dieses nichtswurdigen Komplotts zu erinnern. Als wir uns letztesmal trafen, sagten Sie selbst, Nelson ware nicht uber Irrtumer erhaben. Nun, Sie sind es auch nicht, Sir! Und sollten auch Sie die Gunst des Schicksals verlieren, werden Sie ganz gewi? entdecken, wer Ihre wahren Freunde sind. «Er schritt davon, wahrend der Admiral hinter ihm die Tur zudonnerte.
        Bolitho kam noch verargert in der Arlington Street an. Er fand Catherine mit Adam im Gesprach und horte aus dem Nebenzimmer eine andere vertraute Stimme. Dann erschie n Allday aus der Kuche, und alle starrten Bolitho erwartungsvoll an.

«Ich soll so schnell zu meinem Geschwader zuruck, wie es sich machen la?t.»
        Eine Gestalt fullte den Turrahmen, und Kapitan Valentine Keen trat ins Licht.
        Bolitho reichte ihm beide Hande.»Val! Das ist eine Freude!»
        Hinter seinem Freund kam Zenoria Carwithen zum Vorschein, so schon, wie er sie von fruher kannte. Beide waren noch staubig von der Reise. Keen erklarte:»Wir sind seit zwei Tagen unterwegs. Wir waren schon auf dem Ruckweg von Cornwall, als wir durch Zufall deinen Kurier in einem kleinen Gasthaus trafen, wo er sein Pferd wechselte.»
        Bolitho staunte, er verstand noch immer nicht ganz. Zenoria kam ihm entgegen und umarmte ihn.
        Keen loste das Ratsel.»Ich soll Ihr Flaggkapitan werden, Sir Richard.
«Hilfesuchend blickte er Zenoria an.»Ich wurde gefragt, und es ergab sich so. Kapitan Haven steht unter Arrest. Am Tag nach Ihrer Abreise griff er einen anderen Offizier an und versuchte ihn zu toten. Der Kommodore in Gibraltar erwartet nun Ihre Befehle. «Er ubergab Bolitho das Schreiben und beobachtete seine Reaktion.
        Bolitho setzte sich erst einmal. Catherine stellte sich neben ihn, eine Hand auf seiner Schulter. Er schaute zu ihr auf: meine Tigerin.
        Haven, der arme, elende Mann, war also unter seiner Last zerbrochen. Der Brief besagte nichts weiter, aber der angegriffene Offizier mu?te Parris sein. Wenigstens hatte er uberlebt.
        Keen schaute von einem zum anderen.»Ich wollte gerade vorfuhlen, ob Ihre Lady vielleicht mein Zuhause mit Zenoria und meiner Schwester teilen mochte, bis wir wiederkommen.»
        Bolitho ergriff Catherines Hand. Die Art, wie das dunkelhaarige Madchen aus Cornwall Catherine ansah, machte deutlich, da? es ein perfektes Arrangement sein wurde. Denn bei Gott, sie hatten wirklich vieles gemeinsam.
        Keen hatte Zenoria von Bord des Gefangenentransporters Orontes gerettet, nachdem sie falschlicherweise wegen versuchten Mordes angeklagt und verurteilt worden war.
        Aber sie hatte sich nur gegen eine Vergewaltigung gewehrt. Trotzdem hatte man sie in eine Strafkolonie in Neusudwales verbannt. Keen hatte das Transportschiff geentert und sie losgebunden, als sie auf Befehl des Kapitans gerade ausgepeitscht werden sollte. Es lief Bolitho kalt uber den Rucken, als er daran dachte, da? Catherine beinahe das gleiche Los erlitten hatte, wenn auch aus anderen Grunden. Eifersucht und Habgier waren gnadenlose Feinde.
        Er fragte:»Was meinst du, Kate?«Alle anderen schienen zu verblassen, als nehme sein verletztes Auge nur sie allein ungetrubt wahr.»Bist du einverstanden?»
        Ohne eine weitere Frage nickte sie, als sie seine Erleichterung erkannte. Nur ein Blinder hatte ihre Zusammengehorigkeit, das sie verbindende Vertrauen ubersehen konnen.

«Also abgemacht. «Bolitho schaute in ihre Gesichter.»Dann sind wir ja bald wieder zusammen.»
        Das bezog sie alle ein.
        Leutnant Parris sa? in seiner Kammer und horte nur mit halbem Ohr die Schiffsgerausche um sich herum. Verglichen mit dem Oberdeck, war es in der Kammer mit ihrer offenen Stuckpforte beinahe kuhl. Der Funfte Leutnant, der jungste der Hyperion, stand neben einem kleinen Tisch und hatte die Kladde mit den Disziplinarstrafen vor sich.
        Parris fragte abermals:»Na, halten Sie es fur gerechtfertigt, Mr. Priddie?»
        Es war zum Gansehautkriegen, dachte Parris. Kaum hatte der Vizeadmiral Gibraltar mit der Firefly verlassen, als Haven zu toben anfing. Auf See, wo man mit den Elementen kampfte und das Schiff in Bewegung hielt, war man oftmals zu sehr mit anderen Dingen beschaftigt als mit Aufrechterhaltung der Disziplin. Aber Hyperion lag nun im Hafen. Unter der hei?en Sonne wich die Schiffsarbeit und die Ubernahme neuer Ausrustung einer langsamen und bequemen Routine. Die Leute hatten Zeit, Arger und Groll zu nahren.

«Ich - ich wei? nicht recht.»
        Parris fluchte innerlich.»Sie wollten Leutnant werden, aber nun, da Sie es sind, akzeptieren Sie ohne Vorbehalt jeden Vorwand fur ein Auspeitschen?»
        Priddie lie? den Kopf hangen.»Der Kommandant besteht darauf.»

«Ja, das tut er.»
        Parris lehnte sich zuruck und zahlte die Sekunden, um sich wieder zu fassen. Zu jedem anderen Zeitpunkt hatte er um Versetzung auf ein anderes Schiff ersucht, und zum Teufel mit den Konsequenzen. Doch hatte er sein letztes Kommando umstandebedingt verloren, und nun brauchte er jede Empfehlung, die ihm die Aussicht auf eine weitere Beforderung eroffnete.
        Er hatte unter mehreren Kommandanten gedient, unter tapferen, aber auch unter ubervorsichtigen. Wieder andere fuhrten ihr Schiff getreu dem Buchstaben und gingen keinerlei Risiko ein, das einen Admiral hatte veranlassen konnen, die Augenbrauen zu heben. Er hatte sogar unter einem Sadisten gedient, der die Manner mit Genu? bestrafte und gierig jeden Peitschenhieb beobachtete, bis der Rucken des Opfers wie rohes Fleisch aussah.
        Aber gegen Haven gab es keinen Schutz. Der ha?te ihn und nutzte seine Autoritat aus, um Seeleute ohne Rucksprache mit ihm zu bestrafen; als wollte er seinen Ersten Leutnant zwingen, ihn zum Duell zu fordern.
        Parris hob die Disziplinarkladde.»Sehen Sie sich das an, Mann! Zwei Dutzend Hiebe fur eine Rangelei. Fur Unfug wahrend der Hundewache, nichts weiter. Sie mussen es doch gesehen haben.»
        Priddie errotete.»Der Kommandant behauptet, die Disziplin an Bord ware zu lasch, man wurde es von Land aus bemerken. Er dulde keine Nachlassigkeit mehr.»
        Parris schluckte eine grobe Antwort herunter. Priddie hatte noch nicht vergessen, wie machtlos ein Fahnrich war. Als Erster Leutnant dagegen mu?te er etwas unternehmen. Doch konnte er sich an niemanden um Rat wenden. Die anderen Kommandanten wurden ein Vorgehen gegen Haven als Vertrauensbruch werten, der sich auch gegen ihre eigene Autoritat richten konnte, wenn sie ihn unterstutzten. Recht oder Unrecht, der Kommandant war der liebe Gott. Es gab nur einen Menschen, der ihm hatte helfen konnen. Aber der befand sich auf dem Weg nach England und hatte genug mit seinen eigenen Sorgen zu tun. Allerdings hielt Parris es fur unwahrscheinlich, da? Bolitho auch nur ein Knie krumm machen wurde, wenn er sich im Recht glaubte.
        Parris zog den Chirurg als Helfer in Betracht, George Minchin. Aber er hatte das schon einmal versucht, ohne da? etwas dabei herausgekommen ware. Minchin war Trinker wie so viele Schiffsarzte, ein Schlachter, unter dessen Handen mehr Menschen starben als an ihren Verletzungen. Hyperion hatte einen SeniorChirurgen erhalten sollen, einen von mehreren, die man zu den verschiedenen Geschwadern schickte, damit sie uber ihre Erfahrungen berichteten. Aber das waren Wunschtraume, im Augenblick hatten sie nur Minchin.
        Schlie?lich sagte Parris:»Uberlassen Sie das mir. «Die Augen des Leutnants leuchteten dankbar auf, weil er sich nicht langer mit der Sache zu befassen brauchte, obwohl Parris argerlich hinzufugte:»Mr. Priddie, Sie werden niemals Kommandant werden, wenn Sie nicht die Verantwortung akzeptieren, die Ihr Rang mit sich bringt.»
        Parris begab sich aufs Achterdeck, wo die Seeleute den Kreuzmast neu auftakelten. Es roch stark nach frischem Teer. Zimmermann Horrocks und seine Gehilfen bauten mit der Breitaxt einen neuen Kutter aus Bordmitteln. Sie arbeiteten gut, dachte er, und waren vermutlich so glucklich wie er, wenn Haven nicht mehr wie eine drohende Wolke uber ihnen hangen wurde. Seufzend machte er sich auf den Weg zum Kommandanten und wartete, da? der Posten Kajute ihn anmeldete.
        Kapitan Haven sa? an seinem Schreibpult, Papiere in Reichweite, den Rock uber die Stuhllehne gehangt, und fachelte sein Gesicht mit dem Taschentuch.

«Also, Mr. Parris? Ich bin sehr beschaftigt.»
        Parris uberhorte die Abweisung. Havens Schreibfedern auf dem Pult waren alle sauber und trocken, er hatte nichts geschrieben. Doch sah es so aus, als hatte er seinen Besuch erwartet und sich trotz der Zuruckweisung darauf vorbereitet.
        Parris begann vorsichtig:»Es geht um die zwei Mann, die zur Bestrafung anstehen, Sir.»

«Welche zwei? Ich fange schon an zu glauben, da? sich alle Manner hier betragen, wie es ihnen gefallt.»

«Trotter und Dixon, Sir. Sie sind noch nie in Schwierigkeiten gewesen. Ware der Funfte Leutnant zu mir gekommen…»
        Er kam nicht weiter, Haven unterbrach ihn:»Aber Sie waren nicht an Bord, Sir. Nein, Sie waren anderswo, glaube ich.»

«Auf Ihren Befehl hin, Sir.»

«Werden Sie nicht frech!«Haven drehte sich in seinem Stuhl um. Wie ein Angler, der merkt, da? ein Fisch angebissen hat, dachte Parris.
        Haven sagte:»Die Leute betrugen sich abscheulich! Ich sah es, und wie gewohnlich hatte ich das Treiben zu unterbinden!»

«Aber zwei Dutzend Hiebe, Sir! Ich konnte ihnen auch eine Woche Extraarbeit geben. Die Disziplin wurde aufrechterhalten, und Mr. Priddie konnte daraus etwas lernen.»

«Aha, Sie wollen nun den jungen Leutnant tadeln. «Er lachelte, und Parris fuhlte, wie ihn die Spannung fast zerri?.»Die Manner werden frech, und Mr. Priddie soll daran schuld sein. Gott verdamme Ihre Augen, Sir! Ich spucke auf Ihre Ansichten. Hier kommandiere ich, und man hat meinem Gehei? zu folgen. Habe ich mich klar ausgedruckt?«brullte er.

«Das haben Sie, Sir«, erwiderte Parris.

«Freut mich zu horen. «Haven beobachtete ihn, seine Augen waren wie Schlitze im Halbschatten.»Ihre Rolle bei dem Handstreich wird der Admiralitat ohne Zweifel zur Kenntnis gebracht werden. Aber Sie konnen an den Rockscho?en Ihres Admirals hangen, so lange Sie wollen, ich werde schon dafur sorgen, da? Ihre Unehrlichkeit und Ihre verdammte Arroganz voll berucksichtigt werden, wenn Sie wieder zur Beforderung anstehen!»
        Parris fuhlte die Kajute schwanken.»Haben Sie mich unehrlich genannt, Sir?»
        Haven kreischte fast:»Jawohl, Sie wollustiges Schwein, das habe ich!»
        Parris glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Er sah, da? sich der helle Spalt unten an der Tur durch den Schatten fremder Fu?e verdunkelte. Manner standen da drau?en und lauschten. Mein Gott, dachte er verzweifelt, welche Chance haben wir noch nach alldem, wenn es einmal zum Gefecht kommen sollte? Er entgegnete:»Sir, ich glaube, wir haben uns wohl beide im Ton vergriffen.»

«Wagen Sie ja nicht, mich zurechtzuweisen! Ich vermute, da? Sie nachts in Ihrer Koje liegen und beim Gedanken an mich hohnisch lacheln - wegen der Gemeinheit, die Sie begangen haben. Na? Antworten Sie, verfluchter Hund!»
        Parris wu?te, da? er einen anderen Offizier hatte holen lassen sollen, weil er sonst Haven in den nachsten Sekunden niederschlagen wurde. Etwas in seinem Unterbewu?tsein warnte ihn, seinen Zorn und sein gekranktes Ehrempfinden uberzubewerten. Er will, da? ich ihn schlage, dachte er. Er will mich als sein nachstes Opfer!
        Haven lie? sich in seinen Stuhl zuruckfallen, als hatten ihn Kraft und Wut verlassen. Aber als er wieder aufschaute, loderte erneut der Ha? in seinen Augen. Beinahe beilaufig fragte er:»Dachten Sie, ich wurde es nicht herausbekommen? Sind Sie wirklich so dumm?»
        Parris hielt den Atem an, sein Herz pochte. Und er hatte gemeint, da? ihn nichts mehr erschuttern konne!
        Haven fuhr fort:»Ich kenne Ihre Eitelkeit, Ihre Eigenliebe. O ja, ich bin ja noch bei Verstand und habe Augen im Kopf. «Er zeigte auf das Portrat seiner Frau, behielt aber Parris im Auge und sagte heiser:»Die Schuld liegt klar zu Tage - auf Ihrem Gesicht!»
        Wieder glaubte Parris, sich verhort zu haben.»Ich bin der Lady einmal begegnet, aber.»

«Wagen Sie es nicht, in meiner Gegenwart von ihr zu sprechen!«Haven torkelte auf die Fu?e.»Sie mit Ihrer glatten Zunge und den geschniegelten Manieren. Genau jene Sorte, der sie zuhoren wurde.»

«Sir! Sprechen Sie bitte nicht weiter, wir konnten es beide bedauern!»
        Haven ging nicht darauf ein.»Sie haben sie verfuhrt, als ich mit diesem Schiff vollauf zu tun hatte. Ich arbeitete mich krank, um diesen verdammten Pobel zu einer Mannschaft zu machen. Dann hi?ten sie darauf die Flagge eines ganz ahnlichen Weiberhelden, der denkt, da? er jede haben kann, die er will!»

«Ich darf das nicht mehr mit anhoren, Sir. Es ist nicht wahr. Ich sah…«Parris zogerte und schlo?:»Ich habe Ihre Frau niemals angeruhrt, das schwore ich bei Gott!»
        Doch Haven horte nicht zu, er sagte klaglich:»Und das nach alldem, was ich ihr gab.»

«Sie haben unrecht, Sir. «Parris schaute zur Tur. Kam da nicht endlich jemand? Das ganze Achterdeck mu?te doch den Wortwechsel horen.
        Haven brullte plotzlich los:»Es ist dein Kind, du verfluchter Beschaler!»
        Das war es also. Parris ballte die Fauste.»Ich gehe jetzt, Sir. Ich habe genug von Ihren Beleid igungen. Und was Ihre Frau betrifft, so kann ich nur sagen, da? sie mir leid tut.»
        Er drehte sich um und wollte gehen, als Haven kreischte:»Du gehst nirgendwohin, Gott verdammich!»
        Der Knall der Pistole in dem engen Raum war ohrenbetaubend. Und wie der Schlag mit einer Eisenstange. Dann fuhlte Parris den Schmerz, die hei?e Nasse des Blutes, als er zu Boden fiel. Dunkelheit hullte ihn ein, Rauch und Nebel, die nur einen klaren Fleck freilie?en: darin versuchte der Kommandant eine neue Ladung in seine Pistole zu zwangen.
        Ehe der Schmerz ihn uberwaltigte, drang noch in Parris' gequaltes Bewu?tsein, da? Haven lachte. Er lachte, als konne er nie mehr aufhoren.



        XIV Fur oder gegen

        Am fruhen Morgen eines schonen Junitages hi?te Bolitho aufs neue seine Flagge auf der Hyperion und bereitete das Geschwader vor, den Hafen zu verlassen.
        Wahrend der schnellen Passage nach Gibraltar, an Bord der Firefly, hatten Bolitho und Keen viel zu erortern. Falls die Tatsache, da? er Flaggkapitan eines Geschwaders geworden war, ohne es zu kennen, Keen verunsichert hatte, so zeigte er es kaum. Fur Bolitho war es die Ruckkehr eines Freundes, der ihn hervorragend erganzte.
        Auf Ersuchen des Hafenkommandanten hatte er Haven in seiner Haft an Land aufgesucht. Er hatte erwartet, ihn im Schock vorzufinden oder bereit, eine Erklarung vorzubringen, warum er Parris kaltblutig niedergeschossen hatte. Doch ein Arzt der Garnison teilte Bolitho mit, da? Haven sich an nichts erinnere und alles verdrange - oder sich nicht darum schere - , was vorangegangen war.
        Als Bolitho Havens Zelle betrat, war dieser aufgestanden und hatte gemeldet:»Das Schiff ist bereit, Sir Richard. Ich habe Schritte unternommen, damit Hyperion, ob alt oder nicht, mit ihrer Artillerie jedem Franzosen ebenburtig ist, wenn es dazu kommt.»
        Bolitho hatte erklart:»Sie sind abgelost. Ich schicke Sie nach England.»
        Haven hatte ihn fixiert.»Abgelost? Ist meine Beforderung da?«Da war er wortlos gegangen.
        Bei der Ruckkehr an Bord war Bolitho ein an Haven adressierter Brief ausgehandigt worden, den das Postschiff eben von Spithead gebracht hatte. Unter den gegebenen Umstanden entschlo? sich Bolitho, ihn zu offnen. Vielleicht konnte er jemandem in England die bittere Wahrheit uber Haven ersparen, bis die Fakten beim unvermeidlichen Kriegsgerichtsverfahren offenbart wurden.
        Hinterher war Bolitho doch nicht sicher, da? er ihn hatte lesen sollen. Der Brief kam von Havens Ehefrau. Fast beilaufig besagte er, da? sie ihn verlassen hatte, um mit einem reichen Spinnereibesitzer zu leben, der Uniformen furs Militar herstellte. Sie und sein Kind waren dort gut aufgehoben. Also sah es aus, als ob der Betreffende auch Vater des Neugeborenen war, jedenfalls stammte es gewi? nicht von Parris. Falls Haven schlie?lich wieder zu Verstand kam, wurde das fur ihn am schwersten zu ertragen sein.
        Der Erste Leutnant war wohl unter einem glucklichen Stern geboren. Die fur sein Herz bestimmte Pistolenkugel war im Halbdunkel zu hoch gezielt gewesen, hatte den Knochen zersplittert und lag in der Schulter eingebettet. Er mu?te entsetzliche Schmerzen gelitten haben, als Minchin sie zu entfernen versuchte.
        Keen fragte Bolitho:»Mochten Sie ihn an Bord behalten? Die Wunde braucht Wochen, um zu heilen, und ich furchte, er wurde stumperhaft behandelt. «Er entsann sich wahrscheinlich noch des gro?en Splitters in seiner Leiste. Statt ihn einem betrunkenen Chirurgen zu uberlassen, hatte Allday das gezackte Holz selbst herausgeschnitten.

«Parris ist ein erfahrener Offizier, ich hoffe auf seine Beforderung. Gott wei?, da? wir geschickten Nachwuchs in den Kommandostellen brauchen konnen.»
        Keen hatte zugestimmt.»Es durfte auch die anderen Leutnants anspornen.»
        Und so begab sich das Geschwader auf die Reise ins Mittelmeer, das so viele Gefechte gesehen hatte und in dem Bolitho fast gestorben ware.
        Mit Hyperion an der Spitze, die Admiralsflagge im Vortopp, die anderen Linienschiffe im Kielwasser und alle zusammen in einem steifen Nordwest heftig arbeitend, liefen sie aus und weckten wahrscheinlich ebenso viele Spekulationen wie bei ihrer Ankunft. Bolitho hatte die beruhmte Silhouette des Felsens betrachtet, bis sie sich im Dunst verlor. Die in den klaren Himmel aufsteigende, eigenartige Dunstwolke war eine gewohnte Erscheinung, wenn der Wind die erhitzten Steine abkuhlte, so da? der Felsen aus der Entfernung wie ein schwelender Vulkan wirkte.
        Der gro?te Teil der Hyperion - Besatzung kannte sich schon seit der neuerlichen Indienststellung des Schiffes. Keen war fast der einzige Fremde unter ihnen. Doch als ein Tag dem anderen folgte und jedes Schiff Segelmanover und Geschutzexerzieren ubte, war Bolitho dem Schicksal dankbar, da? es ihm Keen zuruckgebracht hatte.
        Im Gegensatz zu Haven kannte er Bolithos Eigenarten und Ma?stabe. Er hatte als Fahnrich und als Leutnant unter ihm gedient, ehe er schlie?lich sein Flaggkapitan wurde. Die
        Mannschaft spurte das Band zwischen dem Kommandanten und dem Admiral. Die alteren Leute nickten und erkannten es an, da? Keen nicht zu stolz war, sie zu fragen, wenn er etwas uber das Schiff nicht wu?te. Es kam Bolitho nicht in den Sinn, da? Keen damit vielleicht seinem Beispiel folgte.
        Oft dachte er an Catherine und an ihren Abschied. Sie hatte darauf bestanden, ihn die ganze Strecke nach Portsmouth zu begleiten, als er sich wieder auf der kleinen Firefly einschiffte. Keen hatte sich schon fruher verabschiedet und war mit Adam in einer anderen Kutsche vorausgefahren. Neben den in der Sonne dampfenden Pferden hatte sich Catherine an ihn geklammert und sein Gesicht gesucht, es mit Zartlichkeit und Trauer gestreichelt, als Allday meldete, da? das Boot warte. Er hatte sie gebeten, in der Kutsche zu bleiben, doch sie war ihm zu der holzernen Treppe gefolgt, wo so viele Seeoffiziere das Land verlie?en.
        Wie immer hatte sich dort eine kleine Gruppe Schaulustiger eingefunden, sehr wenige unter ihnen im dienstpflichtigem Alter, denn nur ein Narr hatte die Begegnung mit einer Pre?gang riskiert. Die Leute hatten ihnen Beifall gespendet und Bolitho erkannt. Einer hatte gerufen:»Viel Gluck, Dick, und der Lady ebenfalls!»
        Zum erstenmal hatte er Tranen in Catherines Augen gesehen.»Sie beziehen mich mit ein.»
        Als das Boot von den Stufen ablegte, hatte Bolitho sich umgedreht, aber da war sie schon verschwunden. Und doch, als sie uber das unruhige Wasser des Solent schaukelten, spurte er, da? sie ihn bis zur letzten Sekunde beobachtete.
        Es fiel ihm ein, wie Belinda sie in ihrem Zorn beschimpft hatte. Allday dagegen hatte Catherine eine Seemannsbraut genannt - und das stimmte. Bei ihm war es das gro?te Kompliment von allen.
        Wahrend die Fregatte Tybalt und die Korvette Phaedra nun jeden Kustenfahrer und Handler jagten und durchsuchten, der dumm genug war, sich in Reichweite ihrer Kanonen zu begeben, studierten Bolitho und Keen die knappen Berichte. Tag fur Tag drangen sie weiter ins Mittelmeer vor.
        Man sagte, da? Nelson sich im Atlantik mit seinem Freund und Zweiten Befehlshaber, Vizeadmiral Collingwood, vereinigt hatte. Nelson war wahrscheinlich zu der Uberzeugung gelangt, da? der Feind die britischen Geschwader durch List und schnelle Vorsto?e zu zersplittern suche. Erst wenn ihm das gelang, wurde Napoleon zur Invasion uber den Kanal ansetzen. Yovell hatte gemeint:»Wenn das stimmt, Sir Richard, sind Sie jetzt der ranghochste Offizier im Mittelmeer.»
        Bolitho hatte das noch kaum in Betracht gezogen. Doch falls es zutraf, bedeutete es fur ihn eins: Wenn ihm der Feind uber den Weg lief, brauchte er keinen erst lange zu fragen. Das machte die Last der Befehlsgewalt ertraglicher.
        Eines Vormittags sah er beim Spaziergang auf dem Achterdeck Leutnant Parris, der sich unsicher am Schanzkleid Bewegung verschaffte. Sein Arm war an der Seite festgeschnallt. Parris hatte sich seit Havens morderischer Attacke mehr in sich zuruckgezogen. Keen meinte, er ware wohl zufrieden, ihn als Ersten zu haben, konne sich aber noch kein Urteil erlauben.
        Parris ging langsam zur Leeseite des Achterdecks und suchte Halt an einem Want, um dem Flug einiger Seevogel zuzusehen. Bolitho trat zu ihm.»Wie fuhlen Sie sich?»
        Parris versuchte, sich aufzurichten, zuckte aber schmerzlich zusammen und bat um Entschuldigung.»Es geht nur langsam aufwarts, Sir Richard. «Sein Blick wanderte zu den geblahten Segeln und den winzigen Gestalten hinauf, die im Rigg arbeiteten. Ich wurde mich weitaus besser fuhlen, wenn ich da oben wieder herumklettern konnte.»
        Bolitho betrachtete sein ausgepragtes Zigeunerprofil. War das ein Frauenheld?
        Unter dem prufenden Blick wurde Parris verlegen.»Ich mochte mich dafur bedanken, da? ich an Bord bleiben durfte, Sir Richard, auch wenn ich im Augenblick nutzlos bin.»

«Die letzte Entscheidung hatte Kapitan Keen.»
        Parris verstand, seine Augen verloren sich in Erinnerungen.»Er macht dieses alte Schiff wieder lebendig. «Er zogerte, schien zu uberlegen, wie weit er gehen konnte.»Ich horte von Ihren Schwierigkeiten in London. Es tut mir leid.»
        Bolitho schaute uber das blaue Wasser; sein verletztes Auge fing an, sich in der feuchten Luft leicht zu truben.»Die kuhnsten Ma?nahmen sind gewohnlich die sichersten. Ich glaube, auch das ist eine von Nelsons Redensarten.»
        Parris trat zuruck, als Keen erschien.»Ich wunsche Ihnen viel Gluck, Sir Richard. Ihnen beiden.»
        Keen traf Bolitho bei den Hangemattsnetzen.»Wir werden Malta morgen wahrend der Vormittagswache sichten. «Er deutete auf die kraftige Gestalt des Segelmeisters. Mr. Penhaligon hat mich uberzeugt.»
        Bolitho lachelte.»Ich unterhielt mich soeben mit dem Ersten Leutnant. Ein merkwurdiger Bursche.»
        Keen lachte.»Ich wei?, ich sollte nicht daruber scherzen. Trotzdem, ich habe schon Kommandanten gehabt, die ich liebend gern erschossen hatte. Aber niemals war es umgekehrt.»
        Unten auf dem Bootsdeck drehte sich Allday um. Er horte sie lachen. Keens alter Bootsfuhrer war auf ihrem letzten Schiff, der Argonaute, gefallen. Allday hatte einen neuen Mann fur ihn ausgesucht, aber insgeheim gewunscht, es hatte sein Sohn sein konnen. Keens neuer Mann hie? Tojohns. Vorher war er fur den Vortopp verantwortlich gewesen. Jetzt stand er neben ihm und blickte ebenfalls nach achtern.»Die Hyperion ist ein neues Schiff, seit er an Bord gekommen ist. Kennst du ihn schon lange?»
        Allday lachelte.»Ein paar Jahre. Er pa?t mir und ist gut fur Sir Richard. Damit hat sich's.»
        Auch Allday gedachte des Abschieds von Portsmouth Point. Das Publikum jubelte und schwenkte die Hute. Frauen lachelten, bis sie in Tranen ausbrachen. Er runzelte die Stirn, als der andere Bootsfuhrer seine Gedanken unterbrach.»Warum hast du gerade mich ausgesucht?«fragte Tojohns.
        Allday uberlegte. Tojohns war ein guter Seemann und wu?te sich auch bei einer Prugelei zu behaupten. Er ahnelte nicht im geringsten Old Hogg, Keens fruherem Bootsfuhrer. Die beiden waren wie Feuer und Wasser, was man auch uber ihn und Stockdale gesagt hatte. Allday antwortete:»Weil du soviel redest.»
        Tojohns lachte laut heraus, schwieg aber, als ein vorbeigehender Fahnrich ihn scharf ansah. Er konnte sic h nur schwer an seine neue Rolle gewohnen. Nun brauchte er nicht mehr bei jedem schrillen Pfiff mit seinen Vortoppgasten aufzuentern, um die wildgewordenen Segel zu bandigen. Wie Allday war er vom Wachegehen befreit. Zum erstenmal in seinem Leben stellte er etwas dar.
        Allday sah ihn eindringlich an.»Merke dir: Was du auch dort achtern mitbekommst, behalte es fur dich. Verstanden?«Tojohns nickte. Dort achtern… Ja, er war jetzt jemand.
        Von der Back der Hyperion schlug es sechs Glasen. Kapitan Valentine Keen unterdruckte ein Lacheln, beruhrte seinen Hut und gru?te Bolitho.»Der Meister hat unsere Ankunft richtig berechnet, Sir Richard.»
        Bolitho hob das Teleskop und musterte die vertrauten Mauern und Batterien von La Valetta.»Gerade noch so.»
        Es war eine langere Uberfahrt von Gibraltar geworden als erwartet. Fur die zwolfhundert Meilen hatten sie mehr als acht Tage gebraucht. Das hatte Keen Zeit gelassen, dem Schiff seinen Stempel aufzupragen. Bolitho aber hatte sie mit bosen Ahnungen wegen des bevorstehenden Treffens mit Herrick verbracht.
        Er sagte langsam:»Nur drei Linienschiffe, Val. «Herricks Flaggschiff Benbow hatte er fast ebenso schnell wie der Ausguck im Mast erkannt. Es war einmal sein eigenes gewesen und steckte wie Hyperion voller Erinnerungen. Keen wurde sich seiner aus ganz anderen Grunden entsinnen. Er hatte sich dort einem Untersuchungsausschu? stellen mussen, den Herrick leitete. Wenn Bolitho nicht eingegriffen hatte, ware er jetzt ruiniert gewesen.
        Alte Geschichten? Sehr unwahrscheinlich, da? er sie jemals vergessen wurde.
        Bolitho sagte:»Ich kann auch eine Fregatte ausmachen, sie ankert jenseits der Benbow.»
        Die Fregatte hie? La Mouette und war eine Prise, die man den Franzosen vor Toulon abgenommen hatte. Nur ein kleines Schiff mit sechsundzwanzig Kanonen, aber Bettler durften eben nicht wahlerisch sein. In diesem Stadium des Krieges war jede Fregatte willkommen. Bolitho hatte schon befurchtet, da? man sie anderswohin geschickt haben konnte.
        Keen entgegnete:»Sie verstarkt unsere Kampfkraft auf acht Einheiten. Wir haben uns schon mit weit weniger beholfen.»
        Jenour stand etwas abseits und uberwachte die Signalfahnriche. Bolitho schritt zur anderen Seite und beobachtete, wie Thynnes Obdurate hinter ihnen Segel fortnahm.
        Er sah Herrick auf Benbow vor sich, der vielleicht beobachtete, wie die funf gro?en Schiffe des Bolitho-Geschwaders sich schwerfallig auf ihren Ankerplatz zubewegten. Es war sehr hei?, und Bolitho hatte Sonnenreflexe von vielen Teleskopen auf den hier versammelten Schiffen gesehen. Wurde Herrick dieses Treffen scheuen? fragte er sich. Oder wurde er daran denken, da? ihre Freundschaft schon bei einer Schlacht und einer Meuterei im Krieg gegen die amerikanischen Rebellen gepruft worden war?

«Gut denn, Mr. Jenour, lassen Sie signalisieren. «Er blickte Keen an.»Wir werden einfach acht Glasen anschlagen lassen, Val, und damit Mr. Penhaligons Ruf retten.»
        Als das Signal mit einem Ruck niedergeholt wurde, drehten die Schiffe in die schwache Brise und lie?en die Anker fallen.
        Bolitho ging nach achtern, nicht ohne vorher sein Boot zu bestellen. Auf Keens Frage:»Sie warten nicht auf den Besuch des Konteradmirals, Sir Richard?«, hatte er nur den Kopf geschuttelt. Er wollte selbst hinuberfahren.
        Keen ahnte, da? er die Benbow nur deshalb selbst aufsuchte, weil er vermeiden wollte, Herrick mit den ublichen Formalitaten zu empfangen. Bei ihrer letzten Begegnung hatten sie als Gegner einander am Gerichtstisch gegenubergesessen. Diesmal wurde es im Interesse beider ein Mann-zu-Mann-Treffen sein.»Alte Freunde haben es nicht notig, auf Etikette zu achten, Val.»
        Bolitho hoffte, da? es uberzeugter klang, als er empfand. Herrick mochte Neuigkeiten uber den Feind haben, er war schon lange Zeit hier. Und Nachrichten waren alles. Ohne die vereinzelten Informationsfetzen, die Patrouillen und gelegentliche Scharmutzel erbrachten, waren sie hilflos.
        Er horte, wie Allday seine Bootscrew forsch zusammenrief, horte das Knarren der Taljen, als sein Boot und nach ihm andere uber die Seite geschwungen wurden. Einige Kahne naherten sich schon den Schiffen, vollgepackt mit billigen Waren, mit denen die Seeleute um ihr bi?chen Geld betrogen werden sollten. Wie in Portsmouth und anderen Seehafen wurden so auch Frauen fur die hungrigen Manner gebracht, wenn die Kommandanten sich blind stellten. Fur den einfachen Matrosen mu?te es hart sein, dachte Bolitho. Die Offiziere kamen und gingen, wie es ihr Dienst zulie?, aber nur zuverlassige Mannschaften und die Pre?gangs durften den Fu? an Land setzen. Monat fur Monat und Jahr fur Jahr lebten sie so - ein Wunder, da? es nicht zu mehr Meutereien in der Flotte gekommen war.
        Aus seiner Kajute nahm er einige Briefe fur Herrick mit, die man im letzten Augenblick auf die Firefly gebracht hatte, und lachelte grimmig. Versohnungsgeschenke.
        Ozzard tappte um ihn herum und hatte seine Augen uberall, damit Bolitho nichts verga?. Er sah Catherines Gesicht vor sich, als er ihr den von Ozzard gesauberten Facher zuruckgeben wollte. Sie hatte gedankt.»Behalte ihn. Er ist alles, was ich dir geben kann. Wenn du ihn ansiehst, werde ich bei dir sein.»
        Er seufzte und ging hinaus, vorbei am Posten Kajute und an Keens offener Tur, wo frische wei?e Farbe Havens zweiten Pistolenschu? uberdeckte. Haven hatte Gluck, da? Parris noch lebte. Wirklich? Seine Karriere war zerstort, und keiner wartete auf ihn, wenn er schlie?lich nach Hause kam.
        Im glanzenden Sonnenschein standen die Seesoldaten bei der
        Relingspforte angetreten. Die Bootsmannsmaaten hoben ihre Silberpfeifen an die Lippen. Keen und Jenour warteten auf den Beginn der Ehrenbezeugung. Major Adams hob den Degen und meldete:»Wache angetreten,
        Sir!»

«Boot ist langsseits, Sir Richard!«Das war Keen.
        Bolitho luftete seinen Hut in Richtung des Achterdecks und sah halbnackte Seeleute auf der Bagienrah arbeiten und zu ihm herunterstarren. Ihre Fu?e baumelten in der Luft.
        Ein gluckliches Schiff, eine gute Besatzung.
        Bolitho stieg ins Boot hinunter.
        Konteradmiral Thomas Herrick hatte die Hande auf dem Rucken verschrankt und beobachtete die Schiffe beim Ankern. Der Pulverdampf des Saluts trieb trage zur Kuste. Herrick versteifte sich, als er sah, da? man das grune Admiralsboot der Hyperion beinahe so schnell aussetzte, wie man vorne den Union Jack hi?te.
        Kapitan Hector Gossage bemerkte:»Es scheint, da? der Vizeadmiral gleich zu uns kommt, Sir.»
        Herrick brummte nur. Er hatte viele neue Gesichter in seinem Kommando, auch sein Flaggkapitan war erst wenige Monate bei ihm. Sein Vorganger, Dewar, war krankheitshalber in die Heimat entlassen worden, und Herrick vermi?te ihn sehr. Er sagte:»Machen Sie alles klar fur gro?en Empfang. Sie wissen, was Sie zu tun haben.

        Er wollte alleingelassen werden und nachdenken. Seit er seine neuen Befehle von Sir Owen Godschale aus der Admiralitat erhalten hatte, dachte er kaum an etwas anderes.
        Zuletzt hatte er Bolitho hier im Mittelmeer getroffen, als seine Benbow unter schwerem Beschu? lag. Wiedervereint im Gefecht, Freunde im Kampf. Doch hinterher, als Bolitho nach England gesegelt war, hatte Herrick viel uber den Untersuchungsausschu? nachgedacht. Wie Bolitho ihn verflucht hatte, als er von Inchs Tod erfuhr! Herrick glaubte noch immer, da? Bolithos Zorn und
        Arger sich gegen ihn personlich richtete, nicht gegen den Ausschu? als Ganzes.
        Den abgeanderten Befehlen hatte ein privater Brief Godschales beigelegen. Unter anderem enthielt er Andeutungen uber die Liaison zwischen Bolitho und einer gewissen Catherine Pareja. Insgeheim hatte er, Herrick, sich ihr gegenuber immer befangen gefuhlt. Kate war eine stolze, selbstandige Frau, der es in seinen Augen an Bescheidenheit und Demut mangelte. Geruhrt dachte er an seine liebe Dulcie in ihrem neuen Haus in Kent. Gar kein Vergleich mit ihr.
        Wie tapfer Dulcie gewesen war, als sie erfuhr, da? sie ihm keine Kinder wurde schenken konnen. Leise hatte sie erklart:»Wenn wir uns nur fruher kennengelernt hatten, Thomas. Vielleicht hatten wir dann einen hubschen Sohn gehabt, einen Nachfolger fur dich in der Navy. «Er dachte auch an Bolithos Leben in Falmouth, an das alte graue Herrenhaus, in dem er aus- und eingegangen war, als Bolitho die Phalarope fuhrte und er zum Ersten Leutnant aufgestiegen war. Das schien ein Jahrhundert zuruckzuliegen.
        Herrick war von untersetzter Statur und hatte sich gemutlich gerundet, seit er mit Dulcie verheiratet war. Gleichzeitig war er zu der fur ihn immer noch unglaublichen Hohe eines Konteradmirals aufgestiegen. Er war schon so lange hier drau?en, da? sein ehrliches rundes Gesicht wie Mahagoni aussah, eine Farbe, die seine strahlenden blauen Augen und die grauen Strahnen noch mehr hervorhob.
        Was dachte sich Bolitho eigentlich? Er hatte eine schone Frau und eine gesunde Tochter, darauf konnte er stolz sein. Jeder aktive Offizie r mu?te ihn um seine Conduite beneiden. Er hatte Ge-fechte durch eigenen Einsatz gewonnen, aber auch nie den Wert seiner Manner au?er acht gelassen. Seine Seeleute nannten ihn» Gleichheits-Dick«, ein Spitzname, den die popularen Massenblatter im Lande aufgegriffen hatten, wenn auch einige von ihnen jetzt eine andere Geschichte erzahlten. Namlich vom Vizeadmiral, dem mehr an einer Lady als an seiner Reputation lag.
        Godschale hatte in seinem Brief drumherum geredet.»Ich wei?, da? Sie beide alte Freunde sind, aber Sie mogen es jetzt schwer finden, unter ihm zu dienen, zumal Sie erwarten durften, abgelost zu werden.»
        Indem er nichts sagte, hatte Godschale alles gesagt. War es eine Warnung oder eine Drohung? Man konnte es so oder so auslegen.
        Er horte, wie die Seesoldaten an der Relingspforte antraten, wahrend ihr Offizier sie inspizierte. Kapitan Gossage kam wieder zu ihm und begutachtete die Formation der verankerten Schiffe.»Sie sehen gut aus, Sir«, meinte er.
        Herrick nickte. Seine eigenen Schiffe hatten ebenfalls abgelost werden mussen, wenn auch nur fur eine schnelle Uberholung. Er hatte immer nur jeweils ein Schiff zum Wasserfassen und zur Erganzung des Proviants entlassen konnen; der unerwartete Befehl, der ihn nun Bolithos Kommando unterstellte, uberraschte jeden und verursachte viel Arger.
        Gossage erzahlte weiter.»Ich diente vor wenigen Jahren unter Edmund Haven, Sir.»

«Haven?«Herricks ri? sich aus seinen Gedanken.»Bolithos Flaggkapitan?»
        Gossage bejahte.»Ein langweiliger Bursche. Er bekam Hyperion nur, weil sie nicht viel mehr als ein Wrack war.»
        Herrick druckte sein Kinn in die Halsbinde.»Das wurde ich nicht Sir Richard horen lassen. Er teilt diese Ansicht bestimmt nicht.»
        Der Offizier vom Dienst rief:»Boot legt ab, Sir!«»Also gut, besetzt die Seite.»
        In ihrem letzten Brief hatte Dulcie wenig uber Belinda gesagt. Sie standen zwar in Verbindung, aber es schien, da? sie alles Vertrauliche zuruckhielt. Er lachelte trube: auch vor ihm.
        Herrick gedachte des Madchens, das Bolitho einmal geliebt und geheiratet hatte - Cheney Seton. Er hatte der Hochzeit beigewohnt, und es war auch seine schreckliche Aufgabe gewesen, Bolitho die Kunde von ihrem tragischen Tod zu ubermitteln. Er hatte gewu?t, da? Belinda keine zweite Cheney war, aber Bolitho schien sich dreingefunden zu haben, vor allem seit sie ihm eine Tochter geschenkt hatte. Herrick bemuhte sich, aufrichtig zu sein. Auch bevor Dulcie uber das Alter hinaus gewesen war, ihm Kinder zu schenken, hatten sie schmerzlich an ihrer Kinderlosigkeit gelitten. Im Geist horte er die Worte: Warum sie und nicht wir?
        Und nun gab es also Catherine. Geruchte ubertrieben immer ma?los, wie schon bei Nelson. Auch dieser wurde es noch bedauern. Wenn er einmal den Degen endgultig aus der Hand legte, wurden viele alte Feinde nur zu schnell seine Triumphe vergessen. Herrick entstammte einer armen Familie und wu?te, wie schwer es war, Vorurteile von Vorgesetzten zu uberwinden, ganz zu schweigen von deren offener Feindschaft. Bolitho hatte ihm das erspart, hatte ihm eine Chance geboten, die er sonst nie bekommen hatte. Das durfte er nicht leugnen. Und doch.
        Gossage ruckte seinen Hut zurecht.»Boot nahert sich, Sir!«Eine Stimme schrie: Oberdeck frei!»
        Ein von Mu?iggangern bevolkertes Oberdeck hatte nicht gut ausgesehen, wenn Bolitho an Bord kam. Aber einige schlichen sich doch dort hinauf, trotz verlockender Geruche aus der Kombuse. Die Pfeifen schrillten, und die Floten der Seesoldaten intonierten das» Herz aus Eiche«, wahrend die Ehrenwache die Gewehre prasentierte. Bolitho, vom seidigen Blau der See eingerahmt, nahm seinen Hut ab.
        Er hat sich nicht verandert, dachte Herrick. Obgleich ein Jahr alter als Herrick, hatte er noch keine grauen Haare. Bolitho deutete auf die Seesoldaten.»Schmucke Wache, Major.»
        Dann schritt er mit ausgestreckter Hand auf Herrick zu. Herrick, der wu?te, wie wichtig dieser Augenblick auch fur Bolitho war, packte sie schnell.»Willkommen, Sir Richard!»
        Bolitho lachelte mit wei?en Zahnen im braunen Gesicht.

«Schon, da? wir uns wiedersehen, Thomas. Ich furchte nur, da? die geanderten Plane dir nicht sonderlich behagen.»
        Zusammen begaben sie sich nach achtern zur gro?en Kajute, wahrend die Wache abtrat und Allday das Boot loswarf, um die Zeit im hohen Schatten der Benbow angenehm zu vertrodeln.
        Nach der Hitze des Oberdecks wirkte die Kajute kuhl. Herrick schaute Bolitho erwartungsvoll an, der sich auf die Heckbank setzte. Er sah dessen Blick umherwandern. Wahrscheinlich erinnerte er sich, wie es hier einmal gewesen war: sein eigenes Flaggschiff. Aber es hatte sich verandert, nicht nur das letzte Gefecht hatte dafur gesorgt.
        Der Diener brachte Wein, und Bolitho bemerkte:»Es scheint also, da? sich Nelson noch im Atlantik befindet.»
        Herrick schluckte seinen Wein, ohne ihn zu schmecken.»So sagt man. Ich horte, da? er moglicherweise nach England zuruckkehren und seine Flagge einholen wird, weil es nicht so aussieht, als ob die Franzosen eine Kraftprobe wollen. Jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr.»

«Das denkst du also?«Bolitho betrachtete das Glas. Herrick war gereizter, als er erwartet hatte.»Es ist naturlich auch moglich, da? der Feind wieder durch die Stra?e von Gibraltar schlupft und sich nach Toulon begibt.»
        Herrick runzelte die Stirn.»In dem Fall werden wir ihn fassen, eingezwangt zwischen uns und Nelsons Flotte.»

«Aber angenommen, Villeneuve beabsichtigt, in eine andere Richtung vorzusto?en? Bevor Ihre Lordschaften uns informiert hatten, wurde er durch den Kanal fegen, wahrend wir uns hier ahnungslos die Beine in den Bauch stehen.»
        Herrick fuhlte sich unbehaglich.»Ich schicke standig meine Aufklarer aus und…»

«Ich wei?. Hast du ein Schiff zuwenig?»
        Herrick war uberrascht.»Ja, die Absolute. Ich schickte sie nach Gibraltar. Sie ist so verrottet, ein Wunder, da? sie uberhaupt noch schwimmt. «Er versteifte sich.»Es geschah auf meine Verantwortung. Ich wu?te damals noch nicht, da? du hier den Oberbefehl ubernimmst.»
        Bolitho lachelte.»Keine Sorge, Thomas. Es war nicht als Kritik gedacht. Ich hatte wohl das gleiche getan.»
        Herrick schaute zu Boden.»Ich wurde gern deine Absichten erfahren.»

«Gleich, Thomas. Vielleicht konnen wir zusammen soupieren?»
        Herrick sah, wie die grauen Augen baten. Er entgegnete:»Es ware mir ein Vergnugen.
«Dann stockte er.»Du konntest Kapitan Haven mitbringen, wenn du wunschst, obgleich ich meine.»
        Bolitho starrte ihn an. Naturlich, er konnte es noch nicht wissen.»Haven ist unter Arrest, Thomas. Zu gegebener Zeit wird er sich vor Gericht verantworten mussen, wegen versuchten Mordes an seinem Ersten Leutnant.»
        Herricks Erstaunen war verstandlich, es klang wirklich verruckt. Deshalb fugte er hinzu:»Haven bildete sich ein, da? der Leutnant eine Affare mit seiner Frau hatte. Sie bekam ein Kind. Wie sich herausstellte, hatte Haven unrecht. Aber der Schaden war schon geschehen.»
        Herrick fullte sein Glas aufs neue und vergo? dabei Wein, ohne es zu beachten. Er kampfte mit sich.

«Ich mu? daruber sprechen, Sir Richard«, begann er.
        Bolitho spitzte die Ohren.»Bitte keinen Rang oder Titel, wenn wir unter uns sind, Thomas.»
        Herrick gab sich einen Sto?.»Dieses Weib. Was kann es dir schon bedeuten, au?er.»
        Bolitho beherrschte sich.»Wir sind Freunde, Thomas, la? uns das bleiben. «Er sah an ihm vorbei.»Ich liebe Catherine, ist das so schwer zu verstehen? Wie wurde es dir gefallen, wenn jemand von deiner Dulcie als von >diesem Weib< sprechen wurde? Er versuchte, den bitteren Unterton zu unterdrucken.
        Herrick packte die Armlehnen fester.»Verdammt noch mal, Richard, warum verdrehst du die Wahrheit? Du mu?t doch wissen, was sich jeder erzahlt: da? du ihr verfallen bist, Frau und Kind versto?en hast, um deiner Leidenschaft zu leben - und zum Teufel mit allen, die sich um dich sorgen!»
        Bolitho dachte an Belindas gro?es Haus in London.»Ich habe niemanden versto?en. Ich habe vielmehr jemanden gefunden, den ich lieben kann. Mit Horigkeit hat das nichts zu tun. «Er erhob sich und wanderte zu den Fenstern.»Du wei?t, da? ich mich in diesen Dingen nicht leichtsinnig verhalte. «Er fuhr herum:»Verurteilst auch du mich? Wer bist du denn - Gott?»
        Sie standen einander wie Feinde gegenuber. Dann sagte Bolitho:»Ich brauche Catherine und bete, da? auch sie mich immer brauchen moge. Und nun la? uns damit aufhoren.»
        Herrick holte tief Atem und fullte beide Glaser nach. Die blauen Augen auf Bolitho gerichtet, erwiderte er:»Ich werde niemals damit einverstanden sein. Aber es wird meine Pflichterfullung nicht beeinflussen.»
        Bolitho nahm wieder Platz.»Sprich nicht von Pflichten zwischen uns, Thomas. Ich hatte zuviel davon in letzter Zeit.»
        Dann kam er auf das eigentliche Thema zuruck.»Fur unsere jetzt vereinigten Geschwader sind wir gemeinsam verantwortlich. Ich eigne mir nicht deine Fuhrungsrolle an, das sollst du wissen. Ich teile aber auch nicht die Ansichten Ihrer Lordschaften uber die Franzosen. Pierre Villeneuve ist ein Mann von gro?er Intelligenz, er halt sich nicht stur an seine Gefechtsinstruktionen. Andererseits mu? er vorsichtig sein; denn wenn er bei seinem eigentlichen Auftrag versagt, den Kanal fur die Invasion frei zu machen, stirbt er unter der Guillotine.»

«Barbaren«, murmelte Herricks.
        Bolitho nickte.»Wir mussen jede Moglichkeit berucksichtigen und unsere Schiffe zusammenhalten, mit Ausnahme der Aufklarer. Wenn die Zeit kommt, wird es schwer sein, Nelson und den tapferen Collingwood zu finden.»
        Bedachtig setzte er sein Glas ab.»Ich glaube namlich nicht, da? die Franzosen bis zum nachsten Jahr warten werden. Sie haben ihren Kurs schon abgesteckt. «Er schaute auf die in der Sonne ankernden Schiffe hinaus und schlo?:»Wir aber auch.»
        Herrick fuhlte sich wieder auf sicherem Boden.»Wer ist jetzt dein Flaggkapitan?»

«Kapitan Keen. Es gibt keinen besseren, jedenfalls nicht, seit du uber meinen Einflu? hinausgewachsen bist.»
        Herrick verbarg nicht seine Ruhrung.»So hat es uns also alle wieder zusammengefuhrt?»

«Nur denk daran, Thomas, heute sind wir noch weniger.»
        Bolitho stand auf und nahm seinen Hut.»Ich mu? zur Hyperion zuruck. Vielleicht spater. «Aber er sprach es nicht aus, sondern legte Herricks Briefe auf den Tisch.

«Von England, Thomas. Es werden noch mehr >Neuigkeiten< drin sein. «Ihre Blicke trafen sich, und Bolitho schlo? leise:»Mir ware es lieber gewesen, du hattest es von mir selbst erfahren, von deinem Freund, statt deine Ohren mit Klatsch aus London zu beschmutzen.»
        Herrick protestierte.»Ich wollte dich nicht verletzen, ich mache mir nur Sorgen um dich.»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Wir kampfen zusammen in einem Krieg, Thomas, das mu? genugen.»
        Sie standen Seite an Seite an Deck, wahrend Allday mit dem Boot hastig herbeiruderte. So war er noch nie uberrascht worden. Wie alle anderen hatte auch er angenommen, da? der Vizeadmiral langer bei seinem Freund bliebe. Bolitho schritt zur Relingspforte, wahrend die Seesoldaten Gewehre prasentierten, deren Bajonette wie Eis in der Sonne glitzerten. Sein Schuh verfing sich in einem Ringbolzen, und er ware gefallen, wenn ihn nicht ein Leutnant gestutzt hatte. Danke, Sir!»
        Er sah den Major der Wache heruberschielen, den prasentierten Degen noch in der behandschuhten Faust, und Herrick in jahem Erschrecken zu ihm treten.»Fuhlen Sie sich nicht wohl, Sir Richard?«Bolitho schaute zum nachstliegenden Schiff hinuber und bi? die Zahne zusammen. Wieder uberzog der Schleier sein Auge. Dieser Besuch hatte ihn so bewegt und enttauscht, da? er alle Vorsicht vergessen hatte. Im Nahkampf hatte es nur einer Sekunde bedurft.
        Er erwiderte:»Wohl genug, vielen Dank. «Sie sahen sich an.»Es soll nicht wieder vorkommen.»
        Einige Seeleute waren in die Wanten geklettert und begannen zujubeln, als das Boot aus dem Schatten ins Sonnenlicht lief.
        Allday legte Ruder und lauschte den Jubelrufen, die sich auf die anderen Vierundsiebziger ubertrugen. Ihr Narren, dachte er argerlich. Was wi?t ihr schon? Nur er hatte es gemerkt, hatte es sogar unten im Boot gefuhlt: zwei Freunde, die sich nichts mehr zu sagen hatten, um die Kluft zu uberbrucken, die sie trennte wie ein Burggraben.
        Er sah, da? der Schlagmann mehr auf Bolitho achtete als auf seine Arbeit, und funkelte ihn an, bis der andere erbla?te. Allday schwor sich, nie mehr jemanden nach dem blo?en Au?eren zu beurteilen. Fur oder gegen Bolitho, das sollte sein Ma?stab sein.
        Bolitho drehte sich plotzlich um und beschattete seine Augen.

«Schon gut, Allday, entspann dich.»
        Allday verga? den unaufmerksamen Schlagmann und grinste verlegen zuruck. Bolitho konnte sogar hinter seinem Rucken Gedanken lesen.»Ich habe mich nur erinnert, Sir Richard.»

«Ich wei?, aber im Augenblick habe ich genug davon.»
        Das Boot glitt an Hyperions Gro?rusten, und Bolitho schaute zur wartenden Ehrenwache auf. Er verhielt.»Zuweilen erhoffen wir eben zuviel, alter Freund.»
        Dann war er ausgestiegen, und die schrillen Triller verkundeten seine Ankunft an Deck. Allday schuttelte den Kopf und murmelte:»So habe ich ihn noch nie gesehen.»

«Was ist, Steuermann?»
        Allday drehte sich um, seine Augen blitzten.»Und du! Achte in Zukunft auf den Takt, oder ich zieh dir's Fell ab!»
        Er starrte hart auf die hochragende Bordwand. Aus der Nahe konnte man die Narben der Schlacht unter dem Anstrich erkennen.
        Wie wir selber, dachte er beunruhigt. Warten aufs letzte Gefecht. Wenn es dazu kam, wurde Bolitho alle Freunde brauchen, die er noch besa?.



        XV Vereint handeln

        Bolitho sa? an seinem Pult und setzte seine Unterschrift auf noch eine Depesche an die Admiralitat. Die Luft in der gro?en Kajute war schwer und feucht; selbst bei geoffneten Stuckpforten und offenem Oberlicht fuhlte er, wie der Schwei? ihm den Rucken hinunterrann. Er hatte seinen Rock abgelegt und das Hemd fast bis zur Taille aufgeknopft, aber das nutzte auch nichts.
        Er schaute auf das Datum der nachsten Depesche, die Yovell ihm diskret unterschob. September. Mehr als drei Monate, seit er sich von Catherine verabschiedet hatte und nach Gibraltar zuruckgekehrt war. Er blickte zu den Heckfenstern hinaus - kaum ein Gekrausel heute. Die See war wie Glas, die Sonnenreflexe schmerzten beinahe. Sie schienen ihm viel langer, diese endlosen Tage des Gegenankreuzens in den Fangen eines wutenden Levanter oder des Stillliegens ohne den geringsten, die Segel fullenden Hauch.
        So konnte es nicht weitergehen. Sie sa?en hier wie auf einem Pulverfa?. Zudem wurde das Frischwasser wieder knapp, was in den uberfullten Messedecks Unruhe hervorrufen konnte.
        Vom Feind fehlte jede Spur. Hyperion und ihre Geleitschiffe lagen westlich von Sardinien, wahrend Herrick und sein erschopftes Geschwader von der Stra?e von Messina bis nordlich zur Bucht von Neapel patrouillierte.
        Der andere Bewohner der Kajute hustelte hoflich. Bolitho sah auf und lachelte. Routine, Sir Piers, aber es wird nicht mehr lange dauern.»
        Sir Piers Blachford lehnte sich in seinem Sessel zuruck und streckte die Beine aus. Den Offizieren des Geschwaders war seine Ankunft mit der letzten Kurierbrigg lediglich als eine weitere Einmischung Londons erschienen: ein Zivilist, den man ihnen schickte, um zu sondieren und zu untersuchen, ein abzulehnender Eindringling.
        Doch dieser merkwurdige Mann hatte nicht lange gebraucht, das alles zu andern. Wenn sie ehrlich waren, bedauerten die meisten von denen, die sein Eintreffen geargert hatte, nun seinen Fortgang.
        Blachford war ein Seniormitglied des Kollegiums der Chirurgen und einer der wenigen, die sich freiwillig gemeldet hatten, die Geschwader der Navy zu besuchen, ungeachtet der eigenen Unbequemlichkeit. Er sollte die medizinische Versorgung in den spartanischen und oftmals entsetzlichen Verhaltnissen eines Kriegsschiffs untersuchen. Als Mann unerschopflicher Energie schien er niemals zu ermuden, wenn er von einem Schiff zum anderen gereicht wurde, sich mit den Bordarzten beriet und die Kommandanten uber eine bessere Nutzung ihrer mageren Versorgungsmoglichkeiten der Kranken unterrichtete.
        Obendrein war er gut zwanzig Jahre alter als Bolitho und dunn wie ein Bolzen, mit der langsten und ausgepragtesten Nase, die Bolitho jemals gesehen hatte. Sie war mehr ein Instrument seines Gewerbes als ein Teil seines Gesichts. Blachford war sehr gro?, und das Herumkriechen in den engen Decks und das Uberprufen von Lagerraumen und Krankenrevieren mu?ten seine Krafte und seine Geduld sehr beanspruchen. Trotzdem hatte er nie geklagt. Bolitho wurde ihn vermissen. Die abendliche Unterhaltung mit einem Mann, dessen Beruf heilte statt Feinde bekampfte, war ein seltener Genu? fur ihn gewesen.
        Bolitho hatte zwei Briefe von Catherine erhalten. Beide waren in dem gleichen Packchen mit einem Schoner gekommen. Sie lebte angenehm und sicher in Hampshire in dem Haus, welches Keens Vater gehorte, einem einflu?reichen Geschaftsmann der Londoner City. Catherine war ihm ebenso willkommen wie seine kunftige Schwiegertochter Zenoria. Der Vorteil lag auf beiden Seiten, weil eine von Keens Schwestern, deren Mann als Leutnant in der Kanalflotte gefallen war, ebenfalls dort wohnte. So waren die drei einsamen Frauen einander ein Trost.
        Bolitho gab Yovell einen Wink, der die Papiere zusammenraffte und verschwand, und sagte zu Blachford:»Ich nehme an, da? Ihr Schiff nun bald eintreffen wird. Hoffentlich haben wir bei Ihren Nachforschungen helfen konnen.»
        Der Chirurg beaugte ihn nachdenklich.»Wenn ich diese Hollenlocher sehe, in denen die Verwundeten und Kranken leiden mussen, bin ich immer wieder erstaunt, da? unsere Verluste nicht noch gro?er sind. Es wird einige Zeit in Anspruch nehmen, um unsere Ergebnisse im Kollegium auszuwerten. Aber sie ist gut investiert und wird schlie?lich Menschenleben retten. Blutverlust, Wundbrand und der damit einhergehende Schock, alles mu? unterschiedlich behandelt werden.»
        Bolitho versuchte sich diesen hageren Mann mit dem wirren wei?en Haar im Schlachtgetummel vorzustellen. Zu seiner Uberraschung fiel es ihm nicht schwer. Er sagte:»Das sind die Dinge, die wir alle furchten.»
        Blachford lachelte schwach.»Sie sind sehr ehrlich. Man neigt dazu, sich Flaggoffiziere als ruhmsuchtige Manner ohne Herz vorzustellen.»
        Bolitho lachelte zuruck.»Au?erlich scheinen unsere beiden Welten sehr verschieden zu sein. Als ich mein erstes Schiff betrat, war ich noch ein Kind. Ich mu?te erst lernen, da? die vollgepferchte, erschreckende Welt zwischen den Decks nicht eine blo?e Masse war, ein geistloses Instrument. Es dauerte lange«, sein Blick folgte den glitzernden Reflexen in der Kajute, als sich Hyperion in der Brise drehte,»und ich lerne noch immer.»
        Durch das offene Oberlicht kamen schrille Pfiffe und das Tappen nackter Fu?e, als die Wachganger an die Brassen liefen. Die gro?en Rahen mu?ten jedem Windhauch angepa?t werden. Auch Parris' Stimme war zu horen wie damals, als einer der seltenen sturmischen Levanter uberraschend aus Ost uber sie hereinbrach und das Schiff ins Chaos sturzte.
        Ein Mann war uber Bord gefallen und achteraus getrieben, wahrend das Schiff mit dem Sturm kampfte. Der Mann mu?te mit dem Tod rechnen, denn kein Kommandant konnte bei dieser Windstarke beidrehen, ohne den Verlust seiner Masten zu riskieren. Doch Keen war an Deck gewesen und hatte die Gig aussetzen lassen. Da der Mann schwimmen konnte, hatte er eine
        Chance, das Boot zu erreichen. Allerdings gab es Kommandanten, die unter diesen Umstanden die Meinung vertreten hatten, ein Boot sei mehr wert als ein Seemann, der ohnehin sterben musse.
        Parris war mit einigen Freiwilligen in die Gig gesturzt und davongepullt. Am nachsten Morgen war der Sturm vorbei, und sie hatten das Boot mit dem halb ertrunken geretteten Seemann wiedergefunden.
        Parris hatte nach diesem Zwischenfall einen Ruckschlag erlitten. Blachford hatte seine Schulterwunde untersucht und alles getan, was er konnte. Und Keens Respekt vor Parris', vor seiner fanatischen Entschlossenheit, war gewachsen. Dank seiner Hilfe gab es jetzt in Portsmouth eine Familie, die nicht zu trauern brauchte.
        Auch Blachford mu?te Parris' Stimme erkannt haben. Er bemerkte:»Das war tapfer von Ihrem Ersten, die meisten hatten es nicht einmal versucht. Es ist furchtbar, mit ansehen zu mussen, wie sich das eigene Schiff immer weiter entfernt, bis man ganz allein ist.»
        Bolitho rief nach Ozzard.»Etwas Wein gefallig?«Er schmunzelte.»Man macht sich auf diesem Schiff nur unbeliebt, wenn man um Wasser bittet. «Aber der Witz beschonigte die Wahrheit. Er wurde das Geschwader bald aufsplittern mussen, wenn es nicht gelang, die Schiffe mit Frischwasser zu versorgen.
        Die ganze Zeit betrachtete Blachford den Vizeadmiral nachdenklich. Er hatte sein verletztes Auge einmal im Gesprach erwahnt, das Thema aber fallen lassen, als Bolitho leicht daruber hinwegging. Jetzt sagte der Chirurg unvermittelt:»Sie mussen etwas fur Ihr Auge tun. Ich kenne in London einen tuchtigen Kollegen, der es gern untersuchen wurde, wenn ich ihn darum bitte.»
        Bolitho beobachtete Ozzard, der den Wein eingo? und mit keiner Miene verriet, da? er jedem Wort lauschte.»Was konnte ich schon tun? Soll ich mein Geschwader verlassen, obwohl es jeden Tag auf den Gegner treffen kann?»
        Blachford blieb ungeruhrt.»Sie haben einen Konteradmiral.
        Vertrauen Sie Ihrem Stellvertreter nicht? Ich horte, da? Sie auch das Schatzschiff selbst eroberten, weil Sie das Risiko nicht delegieren wollten.»
        Bolitho lachelte.»Vielleicht habe ich uberhaupt nicht nach dem Risiko gefragt.»
        Blachford nippte an seinem Wein, ohne die Augen von Bolitho zu lassen. Dieser fuhlte sich an einen Reiher erinnert, der auf Beute lauert.

«Hat sich das nicht verandert?«Der Reiher blinzelte.»Sie spielen mit mir.»

«Eigentlich nicht. Kranke zu heilen, ist nur ein Aspekt meiner Arbeit. Befehlshaber zu verstehen, die daruber entscheiden, ob ein Mann leben oder sterben wird, ist dabei ebenfalls notwendig.»
        Bolitho erhob sich und ging ruhelos umher.»Ich bin wie eine junge Katze, immer auf der falschen Seite der Tur. Zu Hause sorge ich mich um meine Schiffe und um meine Besatzungen. Auf See sehne ich mich nach England, nach dem Gefuhl weichen Rasens unter den Fu?en, dem Geruch frischgepflugter Erde.»
        Blachford entgegnete leise:»Denken Sie daruber nach. Ein schlimmer Sturm wie der, den ich miterlebte, das bei?ende Spritzwasser, die grelle Sonne und die standige Belastung sind schadlich fur Sie. «Er wurde deutlicher:»Ich sage Ihnen, wenn Sie meine Warnung nicht beachten, werden Sie die Sehkraft des Auges ganz verlieren.»
        Bolitho lachelte traurig.»Und wenn ich Ihrem Rat folge, sind Sie dann sicher, da? das Auge gerettet wird?»

«Fur mich ist nichts sicher«, erklarte Blachford,»aber.»
        Bolitho beruhrte ihn an der Schulter.»Aye, immer diese Aber. Nein, ich kann hier nicht fort. Nennen Sie das, wie Sie wollen, aber ich werde hier gebraucht. «Er deutete aufs Wasser.»Hunderte Manner hangen von mir ab, so wie deren Sohne von Ihren Erkenntnissen abhangen werden.»
        Blachford seufzte.»Ich nenne es eigensinnig.»
        Bolitho sagte:»Ich bin noch nicht bereit fur den Abfalleimer des Chirurgen, gerade jetzt nicht, und es geht mir auch nicht um den Ruhm, wie manche meinen.»

«Denken Sie wenigstens daruber nach. «Blachford wartete und fugte dann sanft hinzu:»Schlie?lich haben Sie noch jemanden zu berucksichtigen.»
        Bolitho fuhr hoch, als eine ferne Stimme rief:»An Deck! Segel in Lee!»
        Bolitho lachte.»Mit etwas Gluck ist dies Ihre Passage nach England. Ich furchte, ich bin Ihren Argumenten nicht gewachsen.»
        Blachford stand geduckt unter den niedrigen Decksbalken.»Ich hatte es nie fur moglich gehalten, doch jetzt tut es mir leid zu gehen. «Er sah Bolitho neugierig an.»Aber wie konnen Sie das schon aus dem Ruf des Ausgucks schlie?en?»
        Bolitho grinste.»Kein anderes Schiff wurde sich in unsere Nahe trauen.»
        Spater, als man den Neuen erkannte, meldete der Wachoffizier, es handle sich um die Brigg Firefly. Um jenes Schiff, das immer segelte, auch wenn die anderen schliefen, ahnlich der alten Superb in Nelsons beruhmtem Geschwader.
        Bolitho sah zu, wie Blachfords abgenutzte Kisten und Folianten an Deck gebracht wurden, und meinte:»Sie werden meinen Neffen Adam kennenlernen. Er leistet Ihnen bestimmt gute Gesellschaft.»
        Aber Firefly wurde nicht mehr von Adam Bolitho gefuhrt. Ein anderer junger Commander kam an Bord des Flaggschiffs. Bolitho empfing ihn achtern und fragte sofort:»Was ist mit Ihrem Vorganger?»
        Der Commander, der aussah wie ein eifriger Fahnrich, berichtete, da? Adam seine Beforderung erhalten hatte. Mehr wu?te er nicht, und es verschlug ihm auch fast die Sprache, einem Vizeadmiral Angesicht zu Angesicht gegenuberzustehen. Besonders einem, der jetzt aus anderen als dienstlichen Grunden bekannt war, vermutete Bolitho.
        Er freute sich fur Adam, aber er vermi?te ihn. Keen stand neben ihm, als Firefly wieder Segel setzte und aufkreuzte, um den schwachen Wind zu nutzen.
        Keen sagte:»Ohne ihn als Kommandanten scheint der Brigg was zu fehlen.»
        Bolitho schaute zu den gebra?ten Rahen der Hyperion auf, dem in der Hohe sich krauselnden Wimpel.

«Stimmt, Val. Ich wunsche ihm viel Gluck. «Er stockte.»Wenn Manner wie Sir Piers Blachford jetzt endlich Interesse zeigen, wird Adams Navy vielleicht eine bessere werden als unsere.»
        Er sah der Brigg nach, bis sie nur noch ihr Heck zeigte. In zwei Wochen wurde Firefly in England sein. Keen ging, als Bolitho an der Windseite des Achterdecks seinen Spaziergang aufnahm. Im offenen wei?en Hemd, mit dem wehenden Haarschopf, sah er nicht wie ein Admiral aus.
        Keen lachelte. Er war auch nur ein Mann wie sie alle.
        Eine Woche spater sichtete die Fregatte Tybalt den im Auftrag der Admiralitat segelnden Schoner Lady Jane und benachrichtigte sofort das Flaggschiff.
        Der Wind lie? sich gut an, hatte aber betrachtlich gedreht, so da? der forsche Schoner mehrere Stunden kreuzen mu?te, bevor Signale ausgetauscht werden konnten. Bolitho und Keen sahen vom Achterdeck aus die wei?en Segel des Schoners in den Wind schie?en, wahrend Jenours Signalgasten eine Antwort aufhei?ten. Jenour berichtete aufgeregt:»Sie kommt mit Depeschen von Gibraltar, Sir Richard.»

«Das mussen aber dringende Nachrichten sein«, bemerkte Keen.»Der Schoner gibt sein Letztes her. «Er wies Parris an:»Machen Sie klar zum Beidrehen, wenn's beliebt.»
        Die Trillerpfeifen jagten Trupps von Mannern an Deck, wo sie von den Decksoffizieren gemustert wurden. Bolitho betastete sein Auge. Seit Piers Blachfords Abreise hatte es ihn kaum gestort. War es moglich, da? es sich trotz dessen ungunstiger Prognose besserte?

«Lady Jane hat beigedreht, Sir Richard. Sie lassen ein Boot zu Wasser.»
        Jemand kicherte.»Meine Gute, der Kommandant sieht ja aus, als ware er zwolf Jahre alt.»
        Das kleine Boot glitt flott uber die schwach atmende Dunung.
        Bolitho war in seiner Kajute gewesen, als der Ausguck das erste Tybalt-Signal gemeldet hatte, und hatte neue Befehle fur Herrick und dessen Kommandanten verfa?t: Teilt das Geschwader, zogert nicht langer.
        Jetzt blickte er gespannt zur Relingspforte. War es unrecht, die Langeweile zu verfluchen, wenn die Alternative ein plotzlicher Tod sein konnte? Was, wenn das Boot nur eine weitere nichtssagende Depesche brachte? Er unterdruckte seinen Arger. In Gottes Namen, inzwischen sollte er sich daran gewohnt haben.
        Der Kommandant der Lady Jane, ein rotbackiger Leutnant namens Edwards, kletterte an Bord und sah sich um, als sa?e er in der Falle. Keen trat vor.»Kommen Sie mit nach achtern, Sir. Der Admiral will mit Ihnen sprechen.»
        Bolitho starrte uberrascht eine zweite Person an, die ohne gro?e Umstande, nur begleitet vom Grinsen der Matrosen, im Bootsmannstuhl an Bord geholt wurde.»Sir Piers! Wie ich sehe, konnten Sie sich doch nicht von uns trennen.»
        Sir Piers Blachford hob warnend die Hand, als ein Seemann fast seinen Instrumentenkasten fallen lie?. Dann sagte er schlicht:»Ich kam nur bis Gibraltar. Dort erfuhr ich, da? die Franzosen sich mit ihren spanischen Verbundeten in Cadiz vereinigt haben. Da sich nicht absehen lie?, wann ich nun die Flotte erreichen wurde, habe ich mich entschlossen, mit dem Schoner hierher zuruckzukehren. «Er lachelte sanft.»Naturlich mit dem Segen der Behorden, Sir Richard.»
        Keen meinte skeptisch:»Bei uns bekommen Sie hochstens einen Sonnenstich oder Durst, Sir Piers. «Dann sah er, wie die Nachricht Bolitho verandert hatte, wie die dunkelgrauen Augen plotzlich aufleuchteten.
        In der Kajute schlitzte Bolitho den dicken Leinwandumschlag selbst auf. Die Gerausche des Schiffes schienen auf einmal zu verstummen, als ob auch Hyperion den Atem anhielte.
        Alle umgaben ihn wie auf ihr Stichwort wartende Schauspieler: Keen, breitbeinig, das blonde Haar in einem Sonnenstrahl leuchtend. Yovell am Tisch, eine Feder noch in der Hand. Sir Piers Blachford, der sich wegen seiner Gro?e hingesetzt hatte, aber ungewohnlich still blieb. Jenour neben Bolitho, der als einziger sein schnelles Atmen wahrnahm. Und Leutnant Edwards, der mit seinem Schoner die Nachrichten aus Gibraltar gebracht hatte und nun dankbar einen Humpen Wein leerte, den ihm Ozzard in die Hand druckte.
        Und naturlich Allday. War es Zufall oder Absicht, da? er sich bei der Wandhalterung mit den zwei Degen aufhielt?
        Bolitho erklarte den Aufhorchenden:»Nelson holte vergangenen Monat seine Flagge ein und kehrte nach Hause zuruck, nachdem es ihm nicht gelungen war, die Franzosen zum Kampf zu stellen. «Er blickte Blachford an.»Die franzosische Flotte liegt in Cadiz, die spanischen Geschwader ebenfalls. Cadiz wird fur uns von Vizeadmiral Collingwood blockiert.»
        Jenour flusterte:»Und Lord Nelson?»
        Bolitho sah ihn an.»Inzwischen ist Nelson wieder auf der Victoty und jetzt ohne Zweifel bei seiner Flotte.»
        Eine ganze Weile sprach keiner. Dann machte Keen den Mund auf.»Werden sie ausbrechen? Sie mussen!»
        Bolitho legte die Hande auf den Rucken.»Ich stimme zu. Villeneuve bleibt keine andere Wahl. Aber welche Richtung wird er einschlagen? Nach Norden in die Biskaya oder zuruck ins Mittelmeer, vielleicht nach Toulon?«Er musterte ihre gespannten Gesichter.»Jedenfalls werden wir bereit sein. Wir sollen uns Lord Nelson anschlie?en, zur Blockade oder zum Kampf, das hangt ganz von Villeneuve ab.»
        Er fuhlte, wie er sich entspannte, als ob ein Gewicht von seinen Schultern genommen sei. Er wandte sich an den rotbackigen Leutnant.»Wohin sind Sie unterwegs?»
        Der machte eine unbestimmte Handbewegung.»Erst nach Malta und dann…»
        Er schien zu uberlegen, wie er seinen Freunden von dieser Begegnung erzahlen wurde, wenn er erst dem Rest der Flotte die Befehle uberbracht hatte.

«Ich wunsche Ihnen eine gute Reise.»
        Keen geleitete den jungen Mann von Bord.
        Bolitho sagte:»Signal an Tybalt, zur Wiederholung fur Phaedra: Kommandant zum Flaggschiff aufschlie?en und ohne Verzogerung an Bord melden.»
        Jenour schrieb es in seine Kladde.»Sofort, Sir Richard!«Er rannte fast aus der Kajute.
        Bolitho sah Blachford an.»Ich entsende Phaedra, um Herricks Geschwader herbeizurufen. Mit ihm zusammen beabsichtige ich, nach Westen zu segeln. Kommt es zum Kampf, werden wir daran teilnehmen. «Lachelnd fugte er hinzu:»Dann werden Sie hier mehr als nur willkommen sein.»
        Keen kam zuruck und fragte:»Sie schicken die Phaedra nach ihm, Sir Richard?»
        Wieder einmal fiel Bolitho auf, wie sehr sich ihre Gedankengange glichen. Es war nur ein Jammer, da? es nicht Adam sein konnte, der Herrick den Ruckruf uberbrachte.
        Blachford wandte ein:»Aber wird es schlie?lich nicht wieder blo? mit einer Blockade enden?»
        Keen schuttelte den Kopf.»Das glaube ich nicht, Sir Piers. Es steht jetzt zuviel auf dem Spiel.»
        Bolitho nickte.»Nicht zuletzt die Ehre Villeneuves. «Er ging zu den Heckfenstern und rechnete nach, wie lange wohl Dunstan brauchen wurde, um mit seiner Korvette zum Geschwader aufzuschlie?en.
        Nelson hatte also England verlassen und sich wieder auf Victory eingeschifft. Auch er mu?te es im Gefuhl haben. Bolitho strich uber den abgenutzten Sims der Heckfenster und sah unten die See steigen und fallen. Zwei alte Schiffe. Er dachte an den Hafen, wo er sich von Catherine verabschiedet hatte. Auch Nelson mu?te diese Stufen benutzt haben. Eines Tages wurden sie sich treffen, das war unvermeidlich. Inch hatte ihn getroffen, und Adam hatte oft mit ihm gesprochen. Er lachelte in sich hinein. Unser Nel…
        Hinter der Tur wurde geflustert. Keen meldete: «Phaedra ist in Sicht, Sir Richard.


«Gut. Wenn wir Gluck haben, konnen wir sie noch vor dem Abend auf den Weg schicken.»
        Bolitho legte seinen goldbetre?ten Rock ab und setzte sich an den Tisch.»Ich schreibe jetzt meine Befehle, Mr. Yovell. Sagen Sie Ihren Gehilfen, sie sollen fur jeden Kommandanten eine Kopie ausfertigen.»
        Die frische Tinte glitzerte in der Sonne.

«Nach Erhalt dieses begeben Sie sich auf schnellstem Wege zu...«Ob richtig oder falsch, die Zeit zum Handeln war endlich gekommen.
        Herrick sa? gro? und breit in der Kajute der Hyperion und hielt mit beiden Handen einen Becher Limonade.

«Ein sonderbares Gefuhl. «Er schlug die Augen nieder.»Warum eigentlich?»
        Bolitho wanderte umher und entsann sich seiner eigenen Gefuhle, als der Ausguck im Morgenlicht die Benbow und ihre zwei Begleiter ges ichtet hatte. Er verstand Herrick: Sie waren zwei Manner, die sich wie passierende Schiffe auf See gegenseitig anzogen. Nun war er hier, und nicht einmal die kuhle Begru?ung zwischen Herrick und Keen konnte seine Erleichterung beeintrachtigen. Er sagte: Ich habe mich entschlossen, mit dem vereinigten Geschwader nach Westen zu steuern, Thomas.»
        Herrick sah hoch, aber sein Blick schien von dem eleganten Weinschrankchen in der Ecke der Kajute angezogen zu werden. Wahrscheinlich erkannte er Catherines Geschenk.

«Ich bin nicht sicher, da? es richtig ist. «Er zuckte die Achseln.

«Doch wenn man uns ruft, Nelson zu unterstutzen, dann ist es um so besser, je naher wir der Stra?e von Gibraltar sind. «Das horte sich nicht sehr uberzeugt an. Wenigstens konnen wir dem Feind entgegentreten, wenn er uns in der Stra?e konfrontiert.»
        Bolitho lauschte dem Trampeln der Fu?e, als die Wache die Kreuzbrassen bemannte, um wieder einmal uber Stag zu gehen. Acht Linienschiffe, eine Fregatte und eine kleine Korvette. Das war nicht gerade eine Flotte, doch er war so stolz auf sie, wie man nur sein konnte. Ein Schiff fehlte noch, die kleine erbeutete Fregatte La Mouette, die Herrick weiter nach Norden entsandt hatte, um von der Kustenschifffahrt Informationen einzuholen.
        Herrick sagte:»Wenn die Franzosen sich nicht herauswagen, bleiben wir uber ihre Angriffsplane im Ungewissen. Was dann?«Er winkte Ozzard weiter, als der ihm ein Tablett mit Rotwein anbot.»Ich wurde Limonade vorziehen.»
        Bolitho wandte sich um. Lag es wirklich an Herricks Durst, oder war sein Vorurteil gegen Catherine schon so gro?, da? er nichts aus ihrem Schrankchen annehmen wollte? Er bemuhte sich, den Gedanken als kleinlich zu verdrangen, aber er blieb hartnackig haften.
        Laut sagte er:»Wir segeln in zwei getrennten Abteilungen, Thomas. Bei gunstigem Wetter halten wir etwa zwei Meilen Abstand. Das gibt unseren Ausguckposten einen besseren Uberblick und uns einen erweiterten Horizont. Wenn der Feind in unsere Richtung ko mmt, werden wir rechtzeitig gewarnt.»
        Herrick wechselte das Thema; er fragte abrupt:»Was wirst du tun, wenn wir erst wieder nach Hause kommen?«Verlegen scharrte er mit den Fu?en,»Dein Leben mit einer anderen teilen?»
        Bolitho balancierte ein leichtes Schwanken des Schiffes aus.»Ich teile nichts, Catherine ist mein Leben.»
        Die blauen Augen fixierten ihn eigensinnig.»Dulcie meint, da? du es noch bedauern wirst.»
        Bolitho schaute zum Weinschrankchen mit dem gefalteten Facher hin.»Man schwimmt entweder mit dem Strom, Thomas, oder gegen ihn.»
        Herrick runzelte die Stirn, als Ozzard mit einem frischen Becher Limonade hereintrottete.»Unsere Freundschaft bedeutet mir eine Menge. Aber sie gibt mir auch das Recht, meine Ansicht zu au?ern. Ich werde niemals diese - «, er leckte sich die Lippen,»diese Dame akzeptieren.»
        Bolitho nickte betrubt.»Dann hast du deine Wahl getroffen, Thomas. «Er setzte sich und wartete, bis Ozzard sein Glas wieder gefullt hatte.»Oder haben es andere fur dich getan?»
        Als Herrick argerlich auffuhr, schlo? er:»Vielleicht wird ja der Feind uber unsere Zukunft entscheiden. Hier hast du meine Ansicht, Thomas: Moge der beste Mann gewinnen. «Er hob sein Glas.
        Herrick stand auf.»Wie kannst du daruber scherzen!»
        Die Tur ging auf, und Keen spahte herein.»Das Boot des Konteradmirals wartet, Sir Richard. «Er schenkte Herrick keinen Blick.»Der Seegang wird grober, deshalb dachte ich.»
        Herrick nahm seinen Hut auf. Dann wartete er, bis sich Keen zuruckgezogen hatte, und sagte heiser:»Wenn wir uns wiedersehen.»
        Bolitho streckte die Hand aus.»In Freundschaft?»
        Herrick packte sie, sein Handedruck war so fest wie eh und je. Er erwiderte:»Aye, die kann nichts zerbrechen.»
        Bolitho lauschte dem Trillern, als Herrick von Bord ging, um uber das zunehmend rauhe Wasser zu seinem Flaggschiff gerudert zu werden.
        In der anderen Tur trodelte Allday und wischte mit einem Putzlappen den alten Degen blank.
        Bolitho bemerkte mude:»Man sagt, Liebe macht blind, alter Freund. Aber mir kommt es vor, als ob eher diejenigen, die Liebe nie gekannt haben, die Blinden sind.»
        Allday lachelte und hangte den Degen wieder an die Wand.
        Wenn es Krieg und die Drohung eines blutigen Gefechts brauchte, damit Bolithos Augen wieder leuchteten, dann sollten sie eben kommen.
        Er begann traumerisch:»Ich kannte einmal ein junges Ding.»
        Bolitho lachelte und dachte an die Uberlegungen, mit denen er seine Befehle ausgefertigt hatte. Vereint handeln.
        Das klang wie eine Grabinschrift.



        XVI Kriegsartikel

        Dichter Nebel hullte die Fregatte La Mouette ein. Der Ausguck konnte nur wenige Meter nach allen Richtungen sehen, und von Deck aus blieben die Maststengen und die schlaffen Toppsegel unsichtbar. Es wehte zwar eine trage Brise, aber der Nebel hielt mit dem Schiff Schritt und tauschte Stillstand vor.
        Gelegentlich hallte die korperlose Stimme des Lotgasten nach achtem. Das Wasser war tief genug, doch wenn der Nebel sich plotzlich hob, konnte das Schiff naher zur Kuste getrieben sein.
        An der Querreling des Achterdecks starrte der Erste Leutnant John Wright in das triefende Panorama, bis seine Augen schmerzten. Nebel war ihm unheimlich. Der Kluverbaum ertastete sich seinen Weg wie der Kruckstock eines Blinden. Es gab nichts jenseits der bleichen Galionsfigur, einer wilden Mowe mit weit aufgerissenem Schnabel.
        Um den Leutnant standen wie Statuen die anderen Wachhabenden: der Ruderganger, dicht neben ihm der Segelmeister, dann der Fahnrich der Wache und ein Bootsmannsmaat. Ihre Gesichter glanzten vor Feuchtigkeit.
        Niemand sprach. Das war nichts Neues, sagte sich Wright. Er sehnte sich nach einem eigenen Kommando, und der Posten eines Ersten Leutnants war ein guter Schritt dazu. Aber mit einem Kommandanten wie Bruce Sinclair hatte er nicht gerechnet. Sinclair war jung, vielleicht siebenundzwanzig, schatzte Wright. Ein Mann mit hohen Backenknochen, der sich sehr aufrecht hielt und immer schnell bei der Hand war, Nachlassigkeit und Unwissenheit zu ahnden.
        Bei einer Besichtigung hatte ein Admiral den Kommandanten ob seines schmucken Schiffes gelobt. Niemand ging je gemessenen Schritts uber Deck, Befehle wurden stets im Laufschritt ausgefuhrt, und jeder Fahnrich oder Unteroffizier, der es unterlie?, einen langsamen Mann zu melden, sah selbst einer Strafe entgegen.
        Sie waren in mehrere Einzelgefechte mit Freibeutern und Blockadebrechern verwickelt gewesen. Dabei hatte sich Sinclairs unnachgiebige Disziplin, so sah es jedenfalls aus, gunstig ausgewirkt.
        Der Segelmeister gesellte sich zu Wright und sagte gedampft:»Dieser Nebel darf nicht mehr lange dauern. «Er schien besorgt.»Wir konnten schon Meilen vom Kurs abgekommen sein.»
        Sie blickten beide zum Geschutzdeck hinab, als ein leises Achzen die Manner der Wache aufschreckte.
        Wie alle anderen Schiffe des Geschwaders litt auch La Mouette unter einem Mangel an Frischwasser. Kapitan Sinclair hatte befohlen, es fur die Mannschaft drastisch zu rationieren, und vor zwei Tagen die Rationen nochmals verkleinert. Wright hatte vorgeschlagen, eine Insel anzulaufen, vorausgesetzt es zeige sich kein Feind, und dort den Wasservorrat zu erganzen. Doch Sinclair hatte ihn kalt angesehen.»Mir wurde befohlen, Informationen uber die Franzosen zu sammeln, Mr. Wright. Ich habe keine Zeit, die Leute zu verwohnen, nur weil ihnen die Rationen nicht zusagen.»
        Wright betrachtete den achzenden Mann am BackbordSeitendeck. Er war vollig nackt, seine Beine waren durch Fu?eisen gespreizt, seine Arme nach hinten um ein Geschutzrohr geschlungen, so da? er wie gekreuzigt aussah.
        Hin und wieder rollte sein Kopf von einer Seite zur anderen, er stohnte leise, aber seine Zunge war zu geschwollen in dem Mund voller Blasen, als da? seine Bitten verstandlich gewesen waren.
        Seemann McNamara hatte nachts eine Gallone Frischwasser gestohlen, als der am Wasserfa? auf Posten stehende Seesoldat vom Offizier der Wache abgerufen wurde. Auf Kriegsschiffen verachtete man einen Dieb. Die vom Zwischendeck ausgeubte
        Selbstjustiz gegen einen solchen Missetater war oft weit scharfer als die der Vorgesetzten.
        Deshalb hatte jedermann eine ernstliche Bestrafung erwartet, zumal McNamara als chronischer Druckeberger galt. Aber Sinclairs Reaktion hatte auch die hartesten Seeleute entsetzt. Funf Tage hatte McNamara nun schon auf dem Seitendeck in Eisen zugebracht, in der glei?enden Sonne wie in der Kuhle der Nacht. Er war in seinem eigenen Unrat mit Salzwasser begossen worden, weniger um seine Qual zu lindern, als um das Deck zu saubern.
        Sinclair hatte die Mannschaft antreten lassen, die betreffenden Passagen der Kriegsartikel vorgelesen und schlie?lich McNamara ein Dutzend Hiebe versprochen, wenn die erste Strafe abgeleistet war. Wright fror. Es schien ihm unwahrscheinlich, da? McNamara bis dahin noch leben wurde.
        Der Meister zischte:»Kommandant kommt, Mr. Wright. «So war es nun mal an Bord: Gefluster, Furcht und schwelender Ha? auf den Mann, der ihnen taglich das Leben zur Holle machte.
        Sinclair, adrett gekleidet, die Hand auf dem Degengriff, schritt erst zum Kompa?, danach zur Reling achtern, um die Segelstellung zu prufen.

«Nordwest zu West, Sir!»
        Sinclair wartete, bis Wright seine Meldung gemacht hatte, und sagte dann:»Lassen Sie sich Ihren Hut holen, Mr. Wright. «Er lachelte dunn.»Wir sind nicht auf einem Bombayfrachter, sondern auf einem Schiff des Konigs.»
        Wright errotete.»Tut mir leid, Sir, die Hitze.»

«Richtig!«Sinclair sah einen Jungen nach dem Hut rennen und bemerkte:»Verflucht, wieviel Zeit mu? ich in diesem Nebel noch vergeuden?»
        Der Elendsmann auf dem Seitendeck stohnte wieder. Es horte sich an, als ersticke er an seiner eigenen Zunge.
        Sinclair blaffte:»Haltet den Mann ruhig! Ich lasse ihn auf der Stelle auspeitschen, wenn ich noch einen Pieps von ihm hore!»
        Wright fuhr sich mit der Hand uber die trockenen Lippen.»Es sind jetzt funf Tage, Sir.»

«Auch ich habe einen Kalender, Mr. Wright. «Sinclair ging zur anderen Seite und spahte ins Wasser.»Die anderen werden es sich nun zweimal uberlegen, ehe sie seinem Beispiel folgen. «Unvermittelt fugte er hinzu:»Mein Befehl lautet, zum Geschwader zu sto?en. Das Treffen ist schon uberfallig, dank dieses verfluchten Wetters. Konteradmiral Herrick wird mich zweifellos inzwischen suchen lassen.»
        Er zuckte die Achseln, der sterbende Seemann war vergessen. Der blo?e Anblick seiner Leiden machte Wright schon krank. In einem Punkt irrte Sinclair: Der Groll der Mannschaft dem Dieb gegenuber war langst in Mitgefuhl umgeschlagen. Daruber hinaus hatte Sinclair den Delinquenten jeder menschlichen Wurde beraubt. Er lie? ihn wie ein angekettetes Tier in seinen eigenen Exkrementen liegen, erniedrigte ihn vor seinen Messekameraden.
        Der Kommandant wanderte ruhelos an der Reling auf und ab.»Ich bin mir gar nicht so sicher, da? unser tapferer Admiral wei?, was eigentlich los ist. Ubervorsichtig, wenn Sie mich fragen.»

«Sir Richard wird seine Grunde haben, Sir.»

«Wer wei??«Sinclair schien in Gedanken woanders.»Ich hore, er will die beiden Geschwader vereinigen, und dann. «Er schaute stirnrunzelnd hoch, als ihn eine Stimme unterbrach:»Der Nebel hebt sich, Sir!»
        Sinclair wandte sich an den Ersten Leutnant.»Wenn der Wind zunimmt, will ich jeden Fetzen Leinwand oben haben. Darum lassen Sie alle Mann rufen, diese Mu?igganger brauchen Arbeit, um in Form zu bleiben!»
        Ohne seine Ungeduld zu zugeln, schritt Sinclair ubers Seitendeck, verhielt mittschiffs und schaute zu dem nackten Mann hinuber. McNamaras Kopf hing herunter, als sei er tot.
        Sinclair rief:»Weckt diesen Abschaum auf! Los, nimm deinen Stock, Mann!»
        Der angerufene Bootsmannsgehilfe starrte ihn stumm an, schockiert uber die Brutalitat des Kommandanten. Sinclair stemmte die Hande in die Huften und musterte ihn mit
        Verachtung.»Los jetzt, oder du mu?t den Platz mit ihm tauschen!»
        Wright war im stillen dankbar, als die Leute an die Brassen und Fallen eilten. Das Trampeln blo?er Fu?e ubertonte das Klatschen des Rohrstocks auf McNamaras Schultern.
        Der Zweite Leutnant kam achteraus gelaufen und winkte dem Meister.»Rasch ins Kartenhaus! Wir wollen unseren Standort bestimmen, sobald wir Land sichten.»
        Wright schurzte die Lippen, als der Meistersgehilfe das Schiff klar zum Segelsetzen meldete. Gott helfe uns allen, wenn kein Land zu sehen ist, dachte er verzweifelt. Durch den Dunst fiel jetzt schwacher Sonnenschein auf Marsrahen und das milchige Wasser. Der Mann am Lot sang wieder aus:»Kein Grund, Sir!»
        Wright pre?te die Finger so hart zusammen, da? sie sich verkrampften. Der Kommandant stand am vorderen Ende der Laufplanke, seine Haltung verriet Sorglosigkeit.

«An Deck! Segel in Luv!»
        Sinclair kam nach achtern, sein Mund war eine dunne Linie. Naturlich, der Ausguck oben wurde das andere Schiff jetzt sehen konnen, wenn auch nur dessen Bramrahen uber dem ziehenden Dunst. Der Mann brullte wieder:»Englisches Kriegsschiff, Sir!»
        Sinclair starrte in die wei?en Wirbel.»Wer ist der Narr dort oben?»

«Tully, Sir, ein zuverlassiger Matrose.«»Das hoffe ich in seinem Interesse.»
        Sonnenlicht enthullte nun die zwei Batterien, die schmucken, sauberen Linien, die in ihrer Halterung vollig gleichhohen Enterspie?e am Gro?mast, aufgestellt wie Soldaten zur Parade. Kein Wunder, da? es den Admiral beeindruckt hatte, dachte
        Wright.
        Sinclair scharfte ihm ein:»Stellen Sie sicher, da? unsere Erkennungsnummer klar zum Aufhei?en ist. Kein hochnasiger Vollkapitan soll an meinen Signalen etwas auszusetzen haben.»
        Aber der Fahnrich, ein angstlicher Junge, stand schon mit seinen Leuten bereit. Man blieb nicht mehr als einmal hinter den Erwartungen des Kommandanten zuruck.
        Das Vormarssegel begann sich zu blahen, der Segelmeister rief erleichtert:»Endlich Wind!»

«An die Brassen!«Sinclair deutete zur Reling.»Dort, den Namen des Mannes, Mr. Cox! Meine Gute, ihr bewegt euch heute wie die Kruppel!»
        Der Schiffsrumpf neigte sich, Gischt spritzte uber den Mowenkopf. Der Dunst flutete durch Wanten und Stagen und lie? an beiden Seiten blankes Wasser zuruck. Der nackte Seemann ri? den Kopf hoch und starrte wie blind zu den Segeln auf. Das Eisen hatte seine Hand- und Fu?gelenke wundgescheuert.

«Klar auf dem Achterdeck, haltet das Erkennungssignal bereit!«wutete Sinclair.»Ich mochte nicht irrtumlich fur einen Franzosen gehalten werden!»
        Wright mu?te zugeben, da? es eine kluge Vorsichtsma?nahme war. Ein auf dieser Station neues Schiff konnte die ehemals franzosische La Mouette leicht fur einen Gegner halten. Der Ausguck rief:»Es ist eine Fregatte, Sir! Lauft vor dem Wind!»
        Sinclair brummte:»Auf gleichem Bug, in gleicher Richtung. «Er spahte angestrengt nach dem Windsack im Topp, doch der war noch durch letzte Schwaden verhullt. Dann, als hobe sich ein Vorhang, lag die See klar und glanzend vor ihnen. Es sah aus, als wuchse das andere Schiff aus dem Wasser empor. Es war eine gro?e Fregatte. Sinclair uberzeugte sich, da? seine eigene Flagge an der Gaffel klar zu erkennen war.

«Sie hissen ein Signal, Sir!»
        Sinclair sagte mit einem letzten Blick auf die Flagge der La Mouette: »Sehen Sie, Mr. Wright, wenn man die Leute trainiert, da? sie antworten wie vorgeschrieben.»
        Seine Worte gingen unter, als jemand alles uberschrie:»Um Gottes willen, sie fahren die Geschutze aus!»
        An der Bordwand der Fregatte hatten sich auf einen Schlag alle Stuckpforten geoffnet. Im strahlenden Sonnenschein steckten die
        Rohre der Backbordbatterie ihre Nasen ins Freie. Wright rannte zur Reling und schrie:»Deckung!»
        Dann explodierte ihre Welt in einem Getose aus Flammen und wirbelnden Splittern. Getroffene Menschen und abgetrennte Gliedma?en malten rote Lachen auf das Deck. Wright lag auf den Knien und erkannte unter all den schreienden Stimmen seine eigene. Sein betaubter Verstand erfa?te nur fur Sekunden das entsetzliche Bild: den nackten Mann, der noch immer ans Geschutz gefesselt war, aber nicht mehr klagte, weil er keinen Kopf mehr hatte. Den uber die Seite kippenden Vormast, den wie ein Hund winselnden Signalfahnrich.
        Das Bild erstarrte und verbla?te. Wright war tot.
        Commander Alfred Dunstan sa? in der engen Kajute der Phaedra am Tisch und studierte die Karte.
        Ihm gegenuber wartete der Erste Leutnant Joshua Meheux, mit halbem Ohr beim Achzen und Klappern der Takelage, auf einen Entschlu? des Kommandanten. Durch die offenen Heckfenster konnte er sehen, wie der wei?e Nebel der Korvette folgte. Er horte, da? der Zweite erneut den Ausguckposten im Mast ablosen lie?. Bei schlechter Sicht, Dunst oder Nebel erlag selbst der beste Ausguck nach einer Weile optischen Tauschungen und sah nur das, was er zu sehen erwartete. Ein dunkler Fleck im Nebel verwandelte sich dann fur ihn in eine Kustenlinie oder in das Marssegel eines anderen Schiffes auf Kollisionskurs. Er beobachtete seinen Vetter. Unglaublich, wie gut es Dunstan verstand, seiner Besatzung zu erklaren, worauf es ankam.
        Er sah sich in der kleinen Kajute um, in der sie so viele Diskussionen gehalten, Plane gemacht, Gefechte und Geburtstage gefeiert hatten. Dann erblickte er die gro?en Korbe mit Orangen und Limonen, die einen Teil des Raumes fullten. Phaedra war auf einen Genueser Frachter gesto?en, kurz bevor der Seedunst sie eingehullt hatte.
        Sie waren knapp an Wasser, bedrohlich knapp sogar, aber die Menge frischer Fruchte, die Dunstan» organisiert «hatte, glich den
        Mangel im Augenblick aus. Dunstan schaute von der Karte hoch und lachelte.»Es riecht hier wie in Bridport an einem Markttag, nicht wahr?»
        Sein Hemd war fleckig, aber besser so, als da? die Mannschaft glaubte, den Offizieren wurde das Wasser nicht rationiert und sie konnten ihre Kleidung waschen.
        Dunstan tippte mit dem Zirkel auf die Karte.»Noch einen Tag, dann mussen wir umkehren. Wir werden dringend beim Geschwader gebraucht. Wahrscheinlich steht Kapitan Sinclair ganz woanders. Wenn es nicht dunstig ware, hatten wir sein Schiff schon gestern sichten mussen.»
        Meheux fragte:»Kennst du ihn?»
        Dunstan beugte sich tiefer uber seine Berechnungen.»Nein, ich habe nur von ihm gehort.»
        Der Leutnant lachelte. Dunstan war Kommandant, er wollte uber einen anderen Kommandanten nichts weiter sagen. Nicht einmal seinem Vetter.
        Dunstan lehnte sich zuruck und fuhr sich durch das widerspenstige, rotblonde Haar. Meine Gute, das juckt wie bei einer kratzigen Hure. «Dabei grinste er.»Ich glaube, Sir Richard will sich der Flotte Nelsons anschlie?en. Aber er wird alle Schuld auf sich nehmen mussen, wenn ihm die Franzosen zuvorkommen und im Hafen verschwinden.»
        Mit einem Griff holte er eine Karaffe Rotwein unter dem Tisch hervor.»Auf jeden Fall besser als Wasser. «Er go? zwei gro?e Glaser ein.»Ich wette, da? unser Vizeadmiral bald in der Tinte sitzt. Aber ein Mann, der freiwillig den Zorn der Admiralitat und ihres stutzerhaften Generalinspekteurs auf sich zieht, ist wohl aus hartem Holz geschnitzt.»

«Wie war er als Kommandant?»

«Tapfer, hoflich, ohne Dunkel.»

«Du mochtest ihn?»
        Dunstan trank einen Schluck, die beilaufige Frage durchbrach seine Zuruckhaltung. Ich liebte den Boden, auf dem er ging. Alle in der Messe taten das. Ich wurde ihm jeden Tag beistehen, ohne lange zu fragen.»
        Es klopfte, ein Fahnrich in noch schmutzigerem Hemd spahte durch die Tur. Empfehlung des Zweiten Leutnants, Sir, und er denkt, da? es bald aufklaren wird.»
        Sie schauten hoch, als das Deck leise erzitterte und der Rumpf schwach murmelnd gegen den Ansto? protestierte.

«Bei Gott, es kommt Wind auf!«Dunstans Augen leuchteten.»Ein Kompliment an den Zweiten Leutnant, Mr. Valliant, und ich komme gleic h hinauf. «Er hob die Karaffe und zog eine Grimasse, denn sie war fast leer.»Dieses Schiff ist trockener als ublich, furchte ich. «Dann wurde er wieder ernst und sachlich.»Nun hor' zu, was ich vorhabe. Also. «Er kam nicht weiter.
        Meheux starrte die Karaffe an, deren Stopsel sekundenlang rasselte. Ihre Blicke trafen sich. Meheux sagte:»Was war'n das - Donner?»
        Dunstan griff schon nach seinem schabigen Hut.»Nein, diesmal nicht. Dies war Kanonendonner, mein Lieber!»
        Er schlupfte mit den Armen in seinen Rock und kletterte die Leiter im Niedergang hoch an Deck.
        Oben standen seine Leute und gafften in die Dunstschwaden. Solch ein kleines Schiff und so viele Manner, dachte er fluchtig. Er versteifte sich, als wieder ein Drohnen durch die Luft rollte, und fuhlte den Nachhall gegen die holzerne Bordwand prallen. Die Gesichter wandten sich ihm zu. Sofort erinnerte er sich an Bolitho, wie sie ihn alle angestarrt hatten, Hilfe und Verstandnis erwartend; denn er war ihr Kommandant.
        Dunstan steckte eine Hand in seinen alten Wachmantel mit den geteerten Knopfen. Jetzt bin ich es, jetzt sieht man mich an, dachte er.
        Meheux sprach zuerst.»Sollen wir abwarten, bis wir mehr wissen?»
        Er antwortete nicht direkt.»Alle Mann an Deck, und sie sollen sich achtern aufhalten. «Pfeifentrillern holte sie herbei. Als sie sich auf beide Seiten verteilt hatten, wobei sich einige an die Besanwanten und an den umgedrehten Kutter klammerten, beruhrte Meheux gru?end seinen Hut. In seinen Blicken stand Neugier.»Unterdeck ist geraumt, Sir.»
        Dunstan sagte:»Gleich lassen wir klar zum Gefecht machen. Aber ohne Getue! Keinen Larm, kein Getrommel - diesmal nicht. Ihr geht auf eure Stationen, wie ihr das gelernt habt.»
        Er schaute die Umstehenden an junge Manner die Offiziere, ergraute Altere der Bootsmann und der Zimmermann. Gesichter, die er sich derart eingepragt hatte, da? er selbst in pechschwarzer Nacht jeden bei Namen kannte. Fruher hatte er uber diese Tatsache gelachelt. Denn seinem Idol Nelson wurde die gleiche Personenkenntnis nachgesagt, auch jetzt noch, nachdem er den Rang eines Flaggoffiziers erreicht hatte.
        Doch jetzt lachelte er nicht.

«Hort!»
        Donner grollte durch den Dunst. Ein geubtes Ohr konnte die Ursachen unterscheiden: das Feuer kampfender Schiffe, das Tosen wutender Brandung auf einem Riff, Gewitterdonner uber den Hugeln eines nahen Landes.

«Wir bleiben auf diesem Bug«, sagte Dunstan.»Eines der Schiffe da vorn mu? ein Landsmann sein. Wir mussen Sir Richard Bolitho und seinem Geschwader daruber berichten.»
        Eine einzelne Stimme rief hurra, und Dunstan dankte mit breitem Grinsen.»Darum haltet euch bereit, Jungs, und Gott sei mit euch allen.»
        Er trat beiseite, als sie sich zerstreuten und auf ihre Stationen begaben, wahrend der Bootsmann mit seiner Gruppe die Kettenschlingen ausbrachte und Netze fur die Rahen, um den Geschutzbedienungen einigen Schutz zu gewahren, falls das Schlimmste eintreten sollte.
        Dunstan sagte leise:»Ich glaube, wir haben die Mouette gefunden. «Das weitere behielt er fur sich; da? er namlich hoffte, Sinclair ware ebenso schnell im Kampf wie mit der Peitsche. Der Larm beim Niederlegen der Zwischenwande, beim Verlagern von
        Vorraten und personlichem Eigentum in den tieferen Rumpf halfen, den gelegentlichen Donner in der Ferne zu dampfen.
        Leutnant Meheux beruhrte gru?end seinen Hut.»Schiff ist klar zum Gefecht, Sir.»
        Dunstan nickte und dachte wieder an Bolitho.»Zehn Minuten diesmal, sie halten sich ziemlich ran.»
        Aber seine gute Laune verflog, und er lachelte nur noch knapp.»Gut gemacht, Josh.»
        Die Segel blahten sich horbar wie Riesen, die aus voller Brust atmeten. Das Deck legte sich schrag, aber Dunstan ordnete an:»Bringt sie noch einen Strich hoher an den Wind, steuert Nordnordwest!»
        Meheux schnallte sein Koppel um.»Die Leute fuhlen, was in der Luft liegt.»
        Er sah die geduckten Geschutzbedienungen, die Schiffsjungen mit ihren Eimern voll Sand, die anderen an den Brassen oder in die Webleinen greifend, bereit nach oben zu spurten, wenn zum Setzen weiterer Segel gepfiffen wurde.
        Dunstan entschlo? sich.»Laden, wenn's beliebt, ich…»
        Plotzlich erhob sich ein gro?es Geschrei vieler Stimmen, als der Dunst in einer gewaltigen Detonation emporwirbelte.
        Jeder Stuckfuhrer hob die Faust.»Alle geladen, Sir!»
        Als der Dunst an Dichte verlor, richteten sich aller Augen nach vorn. Ein Feuerball detonierte dort, der Knall rollte auf sie zu und versiegte schlie?lich im Flattern der Segel und im Stromen des Wassers an der Bordwand.

«Schiff an Steuerbord, Sir!»
        Dunstan griff zum Glas.»Enter auf, Josh. Ich brauche deine scharfen Augen dort oben.»
        Als der Erste Leutnant die Wanten des Gro?mastes erkletterte, kam von der Back ein Warnruf:»Wrackteile voraus!»
        Der Meistergehilfe der Wache warf sein ganzes Gewicht ins Rad, um mit den beiden Rudergangern das Steuer herumzurei?en. Dunstan fiel ihnen in den Arm.»Halt, la?t laufen!»
        Er begab sich zur Bordwand und sah etwas wie einen riesigen
        Sto?zahn drohend vor dem Bug auftauchen. Es war immer das Beste, so etwas von vorne zu nehmen, dachte er entschlossen. Phaedra hatte nicht die dicke Au?enhaut eines Linienschiffes, nicht einmal die einer Fregatte. Die hohe, schwankende Spiere konnte den Rumpf wie eine Ramme durchsto?en.
        Ein gebrochener Mast trieb seitlich vorbei, zerrissene Wanten und geschwarzte Leinwand wie faules Unkraut hinter sich herziehend. Leichen ebenfalls, in der Takelage verfangene Manner, deren Gesichter durch das klare Wasser emporstarrten, umgeben von rosa Blut.
        Ein Bootsmannsgehilfe unterdruckte ein Schluchzen, als er auf einen der wie Korken dumpelnden Toten hinunterschaute. Der trug die gleiche blaue Jacke mit den wei?en Biesen wie er selbst. Es bestand kein Zweifel mehr, wer in dem Kampf der Unterlegene gewesen war.
        Als der Wind ubers Wasser strich, bekamen die kleinen Wellen hier und da Schaumkopfe. Dunstan sah die Nebelschwaden abziehen, die See wurde wieder blank. Er verhielt, als weitere Rufe von vorne kamen. Sie galten einem langen dunklen Etwas, das kaum aus dem Wasser ragte, mit viel Seegras daran. Umgeben war es von gro?en Blasen, von Treibgut und verkohlten Uberbleibseln. Es war ein Schiffskiel, das Ruckgrat eines Fahrzeugs, das langst zur erforderlichen Uberholung hatte entlassen werden sollen.
        Dunstan sagte:»Noch einen Strich hoher an den Wind.»
        Oben klammerte sich Leutnant Meheux neben dem Ausguck an die Saling und schaute in die Ferne. Er entdeckte die Bramstenge und die Rahen eines anderen Schiffes und aus dem Dunst hervortretende Segel, dazu einen Vorsteven und seine vergoldete Galionsfigur. In Sekundenschnelle rutschte er an einem Backstag hinunter und erreichte Dunstan.
        Der horte aufmerksam zu.»Wir beide kennen das Schiff, Josh. Es ist unsere fruhere Consort, jetzt ein Spanier.»
        Er hob das Teleskop und betrachtete den Gegner eingehend, als mehr Segel zum Vorschein kamen und der glanzende Rumpf sich beim Wenden zu verkurzen schien. Weil er auf die Phaedra zukam.
        Der Fahnrich winkte lebhaft mit den Armen.»Sir, dort treiben Menschen im Wasser, unsere eigenen Leute!«Er weinte fast.
        Dunstan schwenkte das Glas, bis er die geschundenen Gestalten im Blickfeld hatte. Einige klammerten sich an Wrackstucke, andere versuchten, Kameraden uber Wasser zu halten. Um besser sehen zu konnen, stieg er in die Wanten und hielt sich am geteerten Tauwerk fest. Der Ausguck im Mast schrie:»Schiffe in Nordost!»
        Dunstan hatte sie bereits erblickt. Der Horizont trat jetzt so klar und scharf hervor wie die Klinge eines Degens. Jemand brullte:»Das wird das feindliche Geschwader sein, Jungs! Auf sie!»
        Andere stie?en Hochrufe aus, die plotzlich abbrachen, als sie die Uberlebenden der Mouette sichteten. Manner wie sie selbst. Die gleichen Uniformen, dieselbe Sprache.
        Dunstan beobachtete die Schiffe am Horizont, bis sein Auge schmerzte. Er erkannte in der starken Linse das rotgelbe Gelander ihrer Marsen, das dem Ausguck noch entging. Er senkte das Glas und schaute voll Trauer den Fahnrich an.

«Wir mussen die armen Teufel da unten sich selbst uberlassen, Mr. Valliant. «Das entsetzte Gesicht des Jungen ignorierte er.»Josh, wir mussen in aller Eile wenden und Sir Richard finden.»
        Meheux wartete, von der Grausamkeit des Geschehens noch verstort. Der Kommandant zeigte zum Horizont.»Die Spanier kommen, ein ganzes verfluchtes Geschwader!»
        Ein Schu? hallte uber die See, die Luft zitterte. Die fremde Fregatte hatte mit einem ihrer Buggeschutze die Reichweite getestet. Der nachste Schu?.
        Dunstan rief durch die gewolbten Hande:»Leute, an die Brassen, klar zum Wenden!»
        Er bi? sich auf die Lippen, als eine weitere Kugel neben ihnen einschlug und einen Wasserschwall bis zur Marsrah aufwarf. Seine Manner folgten den Befehlen, die Rahen schwangen herum, der Wind kam jetzt von der anderen Seite, und die Leereling der sich neigenden Phaedra tauchte ins Wasser.
        Ein weiterer Schu? verfolgte sie, als die Fregatte mehr Segel setzte. Ihre Rahen waren voller Menschen.
        Meheux winkte seinen Toppgasten mit dem Sprachtrichter. Atemlos schrie er:»Macht schnell, ehe sie uns zu fassen kriegen! Wir mussen die Unsern warnen…»
        Dunstan verschrankte die Arme und erwartete den nachsten Schu?. Jeder dieser Neunpfunder konnte sein leichtes Schiffchen zerschlagen, bis es unter einer vollen Breitseite so kentern wurde wie das Sinclairs.

«Hier steht mehr als ein Geschwader auf dem Spiel, Josh.»
        Eine Kanonenkugel krachte durch die Achterreling und fegte langs Deck wie ein gluhender Meteor. Zwei Manner wurden getotet, ehe sie den Mund zum Todesschrei aufrei?en konnten. Aber Dunstan sah, da? zwei andere an ihre Stelle traten.

«Lauf, meine Schone, lauf!«Er blickte zu den prallen Segeln empor, zu den Masten, die sich wie Peitschenstiele bogen.

«Nur dieses eine Mal, lauf! Heute bist du das wichtigste Schiff in der ganzen Flotte!»



        XVII Klar zum Gefecht!

        Kapitan Valentine Keen ging uber das schrage Deck und stemmte seine Schultern gegen den Wind. Wie schnell das Mittelmeer in dieser Jahreszeit doch sein Gesicht andern konnte! Der Himmel war hinter tiefhangenden Wolken verborgen und die See grau.
        Er blickte zum truben Horizont. Alles sah feindselig und kalt aus. In der Nacht hatte es stark geregnet. Jeder erreichbare Mann war an Deck geschickt worden, um mit Segeltuchputzen und einfachen Eimern Frischwasser aufzufangen. Ein Glas davon, mit einem Schluck Rum heruntergespult, belebte die Geister.
        Das Deck neigte sich wieder, Hyperion lag so hart am Wind, wie es sich machen lie?. Ihre gerefften Segel glitzerten vor Feuchtigkeit, wahrend sie ihre Position hielt.
        Wie schon Isaak Penhaligon, der Segelmeister, erlautert hatte: Bei dem auf Nordost drehenden Wind war es schwer genug, auf Herricks Schiffe zu warten, auch ohne die zusatzliche Last des Wendens auf jeder Wache. Denn wenn sie zu weit nach Westen trieben, war es fast unmoglich, Toulon anzusteuern, sollte der Feind versuchen, diesen Hafen wieder zu erreichen.
        Keen stellte sich die Karte vor. Sie waren bereits am kritischen Punkt angelangt. Bei derart schlechter Sicht konnten sie sich meilenweit vom geschatzten Kurs entfernt haben.
        Keen ging zur Querreling und schaute aufs Hauptdeck hinunter. Trotz des Regens steckte es wie gewohnlich voller Leben. Da war Triggs, der Segelmacher, mit seinen Gehilfen. Auf dem Boden hockend, reparierten sie das Schwerwettertuch, das man ihnen von unten brachte. Triggs war erfahren genug, um zu wissen, da? man im Atlantik auf der Suche nach einem Feind jedes Reservesegel benotigen wurde.
        Sheargold, der Zahlmeister, uberwachte mit argwohnischem Gesicht eine Anzahl Fasser mit Salzfleisch, die aus einer Luke geholt wurden. Keen beneidete ihn nicht um sein Geschaft. Sheargold hatte fur jede Seemeile vorauszuplanen. Jede Verzogerung oder plotzliche Anderung der Segelorder konnte das Schiff in die entgegengesetzte Richtung schicken, ohne da? er Zeit fand, die Vorrate aufzufullen.
        Kaum einer dankte es ihm. Im allgemeinen hielt man in den unteren Decks die Zahlmeister fur wohlhabend, wenn sie sich zur Ruhe setzten - nachdem sie ihr Gluck durch Kurzen der ohnehin durftigen Portionen der Mannschaft gemacht hatten.
        Major Adams stand vorne und uberwachte eine Gruppe Seesoldaten beim Griffeklopfen. Wie grell sich doch ihre Scharlachrocke und wei?en Schulterriemen bei dem milchigen Licht abhoben, dachte Keen.
        Er horte den Bootsmann, Sam Lintott, uber den neuen Kutter mit einem Gehilfen reden. Letzterer hie? Dacie und hatte das Aussehen eines Banditen. Man hatte Keen erzahlt, welche Rolle er beim Handstreich auf das spanische Schatzschiff gespielt hatte.
        Er glaubte es ohne weiteres. So wie der aussah, mit seiner Augenbinde und der krummen Schulter, konnte er jeden das Furchten lehren.
        Leutnant Parris naherte sich.»Bitte um Erlaubnis zum Geschutzexerzieren heute nachmittag, Sir.»
        Keen nickte.»Das wird sie nicht gerade freuen, aber es ist eine gute Idee.»
        Parris schaute auf die See hinaus.»Werden wir auf die Franzosen treffen, Sir?»
        Keen fixierte ihn. Au?erlich unbefangen und umganglich mit der Mannschaft, schlug er sich innerlich doch mit etwas herum, was sogar in beilaufigen Gesprachen durchklang. War er hinter einem neuen Kommando her? Keen wu?te nicht, weshalb er seines verloren hatte. Er hatte von Havens Ha? auf ihn gehort. Aber vielleicht gab es noch einen weiteren ubergeordneten Offizier, mit dem er die Klingen gekreuzt hatte.
        Er entgegnete:»Sir Richard ist hin und hergerissen zwischen dem Zwang, die Zufahrten nach Toulon zu uberwachen, und der Wahrscheinlichkeit eines baldigen Befehls, der uns zur Flotte ruft.»
        Bolitho sa? derweil in der Kajute, diktierte Yovell und dessen Gehilfen Briefe und erzahlte dem jungen Jenour, was man von ihm erwartete, wenn sie auf den Feind stie?en. Keen hatte es schon mit Bolitho diskutiert. Bolitho schien unter Druck zu stehen.»Ich habe keine Zeit, alle meine Kommandanten zusammenzurufen«, sagte er. Vielmehr mu? ich darauf bauen, da? sie mich gut genug kennen, um auf meine Befehle richtig zu reagieren. «Keine Zeit? Das war seltsam. Bolitho schien anzunehmen, da? eine Schlacht unvermeidlich war.
        Parris sagte:»Ich uberlege, ob wir dann Viscount Somervell wiedersehen werden.»
        Keen merkte auf.»Was geht es Sie an?«Er milderte seinen Ton.»Ich wurde sagen, er halt sich besser von uns fern.»
        Parris stimmte zu.»Ja. Tut mir leid, da? ich ihn erwahnt habe,
        Sir. «Er las den Zweifel in Keens Augen.»Das hatte nichts mit Sir Richard zu tun.
«Keen schaute beiseite.»Hoffentlich.»
        Er argerte sich uber Parris' Interesse, mehr noch uber sein eigenes sofortiges Abschirmen Bolithos. Er ging zur Windseite, lie? sich vom Fahnrich der Wache ein Fernrohr geben und richtete es auf die ihnen folgenden Schiffe. Die drei Vierundsiebziger bekamen es fertig, den richtigen Abstand zu halten. Der vierte, Merryes Capricious, verschwand fast in Gischt und Schaum. Er lag etwas zuruck, weil man daran arbeitete, die Gro?bramstenge zu ersetzen, die eine plotzliche Bo weggerissen hatte, bevor man die Segel reffen konnte.
        Keen lachelte. Die Verantwortung eines Kommandanten horte nie auf. Der Mann, den die anderen fur einen Halbgott hielten, wurde nichtsdestoweniger in seiner Kajute umhergehen und sich um alles und jedes sorgen.
        Ein Ausguck rief:»An Deck! Tybalt signalisiert!»
        Keen sah den Fahnrich an.»Hoch mit Ihnen, Mr. Furnival, Tybalt wird Neuigkeiten fur uns haben.»
        Spater ging Keen in die Kajute hinunter und meldete sich bei Bolitho. »Tybalt sichtet den Rest des Geschwaders im Osten, Sir Richard.»
        Der Admiral schaute von seinen Papieren hoch. Er sah mude aus.»Immerhin etwas, Val. «Er deutete auf einen Stuhl.»Ich wurde Sie ja bitten, sich zu uns zu setzen, aber ich wei?, Sie werden an Deck gebraucht, bis die Schiffe naherkommen.»
        Als Keen ging, meinte Sir Piers Blachford:»Ein guter Mann, er gefallt mir. «Er lag halb in einem von Bolithos Sesseln, ein ruhender Held.
        Yovell packte seine Briefe zusammen und die Notizen, die er den verschiedenen Kopien beifugen wollte. Ozzard trat ein, um die leeren Kaffeetassen abzuraumen, indes Allday den prachtigen Paradedegen polierte. Er war ein Geschenk der Einwohner von Falmouth fur Bolithos Leistungen im Mittelmeer und bei den Vorgangen, die zur Schlacht von Abokir gefuhrt hatten.
        Bolitho blickte auf.»Vielen Dank, Ozzard.»
        Blachford hieb mit der Faust auf die Armlehne.»Naturlich, jetzt wei? ich's! Ozzard ist doch ein ungewohnlicher Name, nicht wahr?»
        Allday hatte mit dem Polieren aufgehort.
        Blachford nickte gedankenversunken.»Ihr Sekretar und all die Briefe, die er zu kopieren hatte, brachten mich wieder darauf. Meine Leute bedienten sich einmal der Dienste eines gleichnamigen Schreibers unten bei den Londoner Docks - sonderbar, diese Namensgleichheit.»
        Bolitho blickte auf den Brief nieder, den er zu beenden gedachte, sobald die anderen ihn verlassen hatten. Er wollte seine Empfindungen Catherine mitteilen, ihr von der unsicheren Zukunft erzahlen, die vor ihm lag. Als ob er mit ihr sprache wie in jenen Augenblicken, als sie beieinander gelegen hatten und sie ihn zum Reden ermutigte.
        Er entgegnete zerstreut:»Ich habe ihn nie danach gefragt.»
        Aber Blachford lie? nicht locker.»Wie konnte ich das blo? vergessen? Ich war selbst hineinverwickelt. Es war der grausamste Mord, fast gegenuber vom Laden des Schreibers. Na so was, wie konnte ich das vergessen?»
        In der Anrichte klirrte zerbrochenes Geschirr, und Bolitho erhob sich halb aus seinem Stuhl. Aber Allday kam ihm zuvor.»Ich sehe mal nach. Er mu? gestolpert sein.»
        Blachford nahm das Buch wieder auf, in dem er gelesen hatte, und meinte:»Kein Wunder bei dieser Schlingerei.»
        Bolitho sah ihn an, entdeckte aber nichts anderes in seinem Gesicht als fluchtiges Interesse. Er hatte jedoch Alldays Miene bemerkt und seine stumme Warnung. Zufallige Namensgleichheit? Bolitho legte sich die Frage vor, ob er mehr wissen wollte. Er erhob sich.

«Ich gehe an Deck spazieren.»
        Beim Hinausgehen fuhlte er Blachfords Blicke im Rucken.
        Erst am nachsten Tag waren Herricks drei Schiffe so nahe, da? man Signale austauschen konnte. Fahnriche bedienten die Flaggleinen, angefeuert von Jenour, dem bewu?t war, da? der Mi?mut seinen Vizeadmiral uberkam.
        Bolitho hielt sich am Stag fest und verglich die drei Hinzugekommenen mit seinem eigenen Vierundsiebziger, wie sie unter gekurzten Segeln im Wasser lagen. Als ob sie und nicht ihre Kommandanten Anweisungen erwarteten. Das Wetter hatte sich nicht gebessert, vielmehr uber Nacht eine steile Dunung entwickelt. Bolitho bedeckte sein verletztes Auge mit der Hand. Seine Haut war feucht und hei? wie damals in dem Fieber, das Catherine und ihn zusammengebracht hatte.
        Keen kam uber die schlupfrigen Planken und stellte sich neben ihn, sein Fernrohr umgekehrt unterm Arm, um die Linsen vor Spritzwasser zu schutzen.»Der Wind kommt stetig aus Nordost, Sir Richard.»

«Danke. «Bolitho versuchte, das Quietschen der Pumpen zu uberhoren. Das alte Schiff arbeitete in allen Verbanden, und sie hatten jede Nachtwache pumpen mussen. Gott sei Dank verstand Keen sein Handwerk und kannte die Grenzen seiner Autoritat. Haven hatte die unglucklichen Seeleute langst auspeitschen lassen, dachte er erbittert. Kaum eine Stunde war vergangen, ohne da? man die Leute nach oben gepfiffen hatte, um Segel wegzunehmen oder wieder zu setzen. Das Bedienen der Pumpen, das Festlaschen losegekommener Ausrustung, all das erforderte sowohl Geduld als auch Disziplin, um die Manner davon abzuhalten, einander an die Gurgel zu gehen. Auch die Offiziere waren nicht frei von Temperamentsausbruchen. Es kam zum Streit, wenn ein Leutnant seinen Vorganger nur wenige Minuten verspatet abloste. Bolitho hatte gehort, wie Keen einen zurechtwies, sich seiner Uniform entsprechend zu benehmen. Es war fur alle nicht leicht.
        Bolitho sagte:»Wenn es noch rauher wird, konnen wir nicht mehr Boote aussetzen.
«Er musterte die verstreuten Schiffe, die seine Fuhrung erwarteten. Benbow schlingerte beim Wenden, ihre
        Segel wogten und knallten, glanzten dann in der gefilterten Helle wie Brustpanzer. Herrick kam, um mit ihm zu reden. Von Angesicht zu Angesicht, typisch fur ihn.
        Herricks Boot brauchte drei Anlaufe, ehe es der Bugmann an den Gro?rusten festmachen konnte. Aber in der Kajute klangen die Gerausche gedampft, und nur der Horizont, verwischt durch das dicke Glas der Heckfenster, schwankte wie betrunken. Herrick kam gleich zur Sache.

«Ich will wissen, was du vorhast. «Er schuttelte den Kopf, als Ozzard sich mit einem Tablett in der Hand naherte.»Nein, danke.»

«Ich mu? so bald wie moglich auf mein Flaggschiff zuruck«, fuhr er fort. Und mit einem Blick auf das an den Fenstern herunterrinnende Spritzwasser:»Mir gefallt dies Wetter uberhaupt nicht.»
        Bolitho erkundigte sich:»Immer noch keine Spur von der Mouette, Thomas? Ich habe die Phaedra hinterhergeschickt, sie zu suchen.»
        Herrick schuttelte den Kopf und beugte sich im Sessel vor.»Kapitan Sinclair wei? selbst, worum es geht. Er wird das feindliche Geschwader finden.»
        Bolitho entgegnete:»Ich brauche jedes Fahrzeug, das fur uns aufklaren kann. Das ist keine Kritik.»
        Herrick lehnte sich wieder zuruck.»Ich glaube, wir sollten in Richtung Toulon segeln. Dann werden wir sehen, was los ist, auf die eine oder andere Art.»
        Bolitho legte seine Hande auf den Tisch. Durch das Holz fuhlte er, wie das ganze Schiff zitterte und das Ruderblatt gegen den Schaft ruckte.»Sollte der Feind wieder ins Mittelmeer kommen, Thomas, konnten wir ebenso leicht die Verbindung zu ihm verlieren wie Nelson, als er ihm nach Westen davonlief. «Entschlossen sagte er:»Ich habe die Absicht, nach Gibraltar zu gehen. Wenn wir dort keine Informationen vorfinden, laufen wir durch die Stra?e und schlie?en uns der Flotte im Atlantik an. Ich sehe keinen anderen Ausweg.»
        Herrick beaugte ihn eigensinnig.»Oder wir bleiben hier und warten. Niemand kann uns daraus einen Vorwurf machen. Man wird uns aber sicherlich verurteilen, wenn wir Toulon ignorieren und den Gegner verfehlen.»

«Ich wurde mir nur selber Vorwurfe machen, Thomas. Mein Kopf sagt mir das eine, mein Gefuhl befiehlt mir das Gegenteil.»
        Herrick neigte sein Ohr und lauschte auf die Pumpen.»Steht es so schlecht?»

«Das Schiff halt noch mehr aus.»

«Ich habe Absolute in den Hafen geschickt, weil sie zu verrottet war.»
        Bolitho erwiderte:»Ich konnte sie jetzt gebrauchen, verrottet oder nicht.»
        Herrick stand auf und ging zu den Heckfenstern.»Ich sollte aufbrechen. Das ist nicht unhoflich gemeint, aber mein Boot wird hart zu kampfen haben, so wie es drau?en aussieht.»
        Bolitho schaute ihm voll ins Gesicht.»Hor zu, Thomas. Es ist mir egal, was du uber mein Privatleben denkst; denn das ist nicht ausschlaggebend. Aber ich brauche deine volle Unterstutzung, weil wir bald kampfen werden. «Er stutzte den Kopf in die Hande.»Ich spure es.»
        Herrick zogerte, als wittere er eine Falle.»Als Zweiter Befehlshaber bin ich jederzeit bereit, wenn man uns zum Kampf ruft. Aber ich glaube noch immer, da? du dich irrst.»
        Bolitho sagte verzweifelt:»Du horst nicht zu, Mann! Ich befehle nicht, ich spreche von Unterstutzung. «Er bemerkte Herricks Erstaunen und rief aus:»Um Gottes willen, Thomas, mu? ich erst bitten? Ich werde langsam blind, hat sich das noch nicht zu dir herumgesprochen?»
        Herrick schnappte nach Luft.»Ich hatte keine Ahnung…»
        Bolitho sah fort.»Ich mu? dich auch bitten, es fur dich zu behalten. «Er fuhr herum, seine Stimme war rauh.»Aber wenn ich falle, mu?t du diese Manner fuhren, mu?t du sie dazu kriegen, notfalls ein Wunder zu vollbringen. Horst du jetzt zu?»
        Es klopfte. Bolitho rief:»Ja?»
        Keen trat ein und schaute ins Leere.»Signal von der Phaedra, Sir, ubermittelt durch Tybalt.»
        Herrick fragte schnell:»Was ist mit La Mouettel»
        Keen sah nur Bolitho an und erwiderte kurz:»Sie ist versenkt!»
        Ihre Blicke trafen sich.»Neuigkeiten uber den Feind, Val?»

«Ein spanisches Geschwader ist unterwegs - westwarts, Sir Richard.»
        Herrick fragte:»Wie stark?»
        Noch immer vermied es Keen, ihn anzusehen.»Phaedra hat noch keine Einzelheiten gemeldet. Sie wurde verfolgt, beschossen und beschadigt. «Er trat einen Schritt vor und lie? die Arme sinken.»Aber soviel wir wissen, sind es Linienschiffe.»
        Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Wie viele Schiffe hat Nelson?»
        Keen sah ihn an und wu?te, worauf er hinauswollte.

«Es war von zwei Dutzend Linienschiffen die Rede, Sir Richard. Die Franzosen und ihre spanischen Verbundeten, sagt man, hatten mehr als drei?ig. Darunter befinden sich einige der gro?ten und erstklassigsten, die zur Zeit schwimmen.»
        Bolitho lauschte dem Achzen des Windes. Teile und herrsche. Wie gut Villeneuve alles vorbereitet hatte. Dieser gewaltigen Kampfkraft, die Phaedra rein zufallig entdeckt hatte, dieser zahlenma?igen Ubermacht war Nelson unterlegen.
        Er stellte fest:»Wenn sie durch die Stra?e entkommen, kriegen wir sie niemals rechtzeitig zu fassen. «Und mit Blick auf Keen:»Signal an Phaedra: zum Flaggschiff aufschlie?en. Und wenn das kleine Schiff dicht genug heran ist, im Klartext: gut gemacht.»
        Als Keen gegangen war, au?erte Herrick plotzlich entschlossen:»Ich mache mit! Sag mir, was ich tun soll.»
        Bolitho starrte durch die fleckigen Fenster.»Moglichst wenig signalisieren, Thomas, wir sprachen schon daruber.»

«Und dein Auge?«Es klang bedruckt.

«O nein, nichts mehr davon, Thomas. Die kleine Phaedra hat meine Blindheit aufgewogen. Aber wenn meine Flagge niedergeholt wird, mu? Benbow die Fuhrung ubernehmen.»
        Herrick nickte.»Einverstanden.»

«Darum sei nicht so streng, mein Freund. Zusammen konnen wir doch noch gewinnen.»
        Er wandte sich wieder ab und schaute reglos aufs Wasser hinaus, bis er die Tur ins Schlo? fallen horte.
        Bolitho setzte seine Unterschrift unter das letzte Schreiben und verfiel fur mehrere Minuten in Nachdenken.
        Der Seegang war so steil wie zuvor, aber der Wind hatte nachgelassen, so da? sich das Schiff mit majestatischer Schwerfalligkeit hob und senkte. Bleiches Licht durchdrang den Dunst und lie? die Salzflecken auf dem Fensterglas wie Rauhreif funkeln. Die Luft war getrankt mit Feuchtigkeit, mit den Ausdunstungen von Hangematten, Kleidung, Menschen.
        Er uberflog noch einmal den Schlu? des Briefes, den Phaedra zur Flotte bringen sollte. Nelson wurde als Seemann besser als alle anderen verstehen, was Bolithos Manner und Schiffe versuchen wollten.
        Der Brief endete mit dem Satz:»Und ich danke Euch, Mylord, da? Ihr meinen Neffen mit der gleichen Begeisterung erfullt, die Eure Flotte so inspiriert.»
        Er schob ihn Yovell zum Versiegeln hin und wog den anderen zwischen den Fingern. Dabei malte er sich Catherines dunkle Augen aus, wie sie jene Worte las, mit denen er ihr seine Liebe versicherte. Auch eine Menge anderer Briefe gingen mit der Phaedra ab. Was wurde Herrick seiner Dulcie erzahlen? Ihr gestriges Gesprach hatte bei ihm einen schlechten Nachgeschmack hinterlassen. Fruher ware so etwas unmoglich gewesen. Vielleicht anderten sich die Menschen doch, und er hatte sich geirrt.
        Keen mochte seiner Zenoria geschrieben haben. Es war ihm ein gro?er Trost, da? Catherine bei ihr wohnte. Er stand auf, trotz der lauen Luft fror er plotzlich bis ins Mark. Val durfte nichts zusto?en. Nicht nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten.
        Keen erschien und meldete:»Der Kommandant der Phaedra kommt an Bord, Sir Richard.»
        Bolitho blickte uberrascht zur Tur, als Dunstan hereinplatzte: ein junger Mann voll unerschopflicher Energie und sicherlich einer der zerrauftesten Kommandanten, die ihm je unter die Augen gekommen waren. Bolitho streckte die Hand aus.»Gut, da? Sie selbst kommen. Man wollte Ihnen schon die Post an einer Leine ubergeben.»
        Dunstan verbeugte sich und schaute sich um.»Ich dachte, pfeif auf den Seegang und fahre selbst ruber, Sir Richard.»
        Bolitho deutete auf den Poststapel.»Ich lege alles in Ihre Hande. Es ist ein Brief fur Lord Nelson dabei, den sollten Sie ihm selbst aushandigen. «Er lachelte fluchtig.»Es ist mir offenbar bestimmt, ihm nie personlich zu begegnen. «Er hob den Blick.»Ich hore, Sie hatten Verluste?»

«Aye, Sir Richard. Zwei Tote und zwei Mann durch Splitter verwundet.»
        Einen Augenblick sah Bolitho den Kommandanten hinter der Maske des jungen Draufgangers; die Erfahrungen und Risiken, den Moment der Wahrheit, wenn Tod in der Luft lag.
        Dunstan fuhr fort:»Ich bedaure nur, da? ich nicht so lange bleiben konnte, um die Kampfkraft der Spanier genau abzuschatzen. Aber die verdammte Fregatte sa? mir im Nacken, und der Dunst verbarg viel. «Er zuckte die Achseln.
        Bolitho bedrangte ihn nicht. Keen wurde Dunstans Beobachtungen und Kalkulationen neben seine eigenen in die Seekarten eintragen.
        Dunstan sagte:»Dabei kam mir in den Sinn, wie seltsam es im Krieg zugeht, Sir Richard. Es war nur ein kleines Gefecht, aber mit eigenartigen Gegnern.»

«Ich wei?. Eine gekaperte britische Fregatte kampfte unter spanischen Farben gegen eine franzosische Prise unter englischer Flagge.»
        Dunstan sah ihn voll an.»Ich mochte Sie bitten, jemand anderen zu Lord Nelson zu schicken. Mein Platz ist hier bei Ihnen.»
        Bolitho nahm ihn am Arm.»Die Flotte mu? wissen, was vor sich geht, und erfahren, da? ich die gesichteten Schiffe daran hindern will, sich mit Villeneuve zu vereinigen. Es ist lebenswichtig. Und ich kann keinen anderen erubrigen. «Er schuttelte ihn leicht. »Phaedra hat schon genug fur mich und fur uns alle getan. Denken Sie daran, und sagen Sie es auch Ihren Leuten.»
        Dunstan nickte. Seine Augen suchten Bolithos Gesicht, als wolle er es sich fur immer einpragen. Ungestum streckte er die Hand aus.»Dann gehe ich, Sir Richard. Und Gott sei mit Ihnen!»
        Spater stand Bolitho noch eine ganze Weile allein in seiner Kajute, beobachtete die Korvette beim Wenden und sah ihre Stuckpforten eintauchen, als der Wind in die Segel griff. Er horte ferne Hochrufe, ob von der Phaedra oder von anderen Schiffen, war schwer zu sagen.
        Er setzte sich hin und massierte sein Auge, dessen Trubung er so ha?te.
        Allday polterte herein und beaugte ihn kritisch. »Phaedra ist also unterwegs.»

«Aye. «Bolitho wollte an Deck, das Geschwader wartete.
        Noch vor der Abenddammerung mu?te es seine Schlachtformation eingenommen haben. Er dachte an seine Kommandanten. Wie wurden sie wohl reagieren? Vielleicht zweifelten sie an seinen Fahigkeiten oder erkannten Herricks Widerstand gegen seine Plane.
        Allday fragte:»Kommt es zum Kampf?»

«Kann schon sein, alter Freund. «Bolitho sah ihn an.»Wenn wir ihnen in die Quere kommen, sind sie gezwungen zu kampfen. Wenn sie uns entwischen, werden wir sie jagen.»
        Allday nickte, Ferne im Blick.»Also nichts Neues.»
        Bolitho grinste, die Spannung wich von ihm.

«Nein, nichts Neues. Deine Pragnanz, Allday, konnten sie im Parlament gebrauchen.»
        Am nachsten Morgen hatte sich das Wetter wieder geandert. Der Wind hatte gedreht und kam direkt aus Osten. Das lie? jedenfalls auf einen glatten Weg Richtung Toulon hoffen. Das Geschwader schob sich nach Nordwesten, irgendwo an Steuerbord lagen die Balearen.
        Der sechste in der Linie, seine eigenen Schiffe fuhrend, war Konteradmiral Herrick. Seit Tagesanbruch war er auf den Fu?en, unfahig zu schlafen, aber auch nicht gewillt, seine Zweifel mit Flaggkapitan Gossage zu teilen.
        Er stand auf dem breiten Achterdeck der Benbow und blickte nach den Schiffen aus. Unter dem fast klaren Himmel, den nur Schafchenwolken sprenkelten, boten sie einen schonen Anblick. Sein Gesicht wurde weicher, als er sich seiner Mutter erinnerte, in dem kleinen Haus in Kent, wo sie ihn geboren hatte. Achte immer auf die gro?en Schafe, Tommy! hatte sie ihm eingepragt.
        Herrick drehte sich nach dem Ersten Leutnant um, der mit einigen Decksoffizieren die Tagesarbeit besprach. Was hatte die liebe alte Dame jetzt von ihrem Tommy gehalten?
        Kapitan Gossage uberquerte das Deck, seinen Hut in dem flotten Winkel aufgedruckt, den er zu bevorzugen schien. Aber Herrick hatte keine Lust, die Zeit mit mu?iger Konversation zu verbringen. Er fuhlte sich unsicher, als hatte man ihn plotzlich seiner Autoritat beraubt. Er beschattete die Augen und spahte durch die Steuerbordwanten. Die einzige ihm verbliebene Fregatte, Tybalt, stand weit ab vom Geschwader und wurde als erste die feindlichen Schiffe sehen. Er bi? sich auf die Lippen, bis es schmerzte. Vorausgesetzt, der Feind hatte sie nicht schon uberholt.
        Gossage bemerkte:»Ich nehme doch an, da? sich der Kommandant der Phaedra nicht geirrt hat, Sir?»
        Herrick knurrte:»Jedenfalls hat irgendeiner die Mouette versenkt, und das hat er sich nicht eingebildet!»
        Gossage konnte nicht an sich halten.»Hatte man uns auf Malta abgelost, waren wir jetzt sowieso in Gibraltar. Dann hatte unser Schiff die Ehre gehabt…»
        Herrick platzte heraus:»Zum Teufel mit der Ehre! Sir Richard Bolitho gehort nicht zu jenen Mannern, die den Ruhm fur sich allein beanspruchen.»
        Gossage hob die Augenbrauen.»Oh, ich verstehe, Sir.»
        Innerlich schaumend vor Wut, drehte Herrick sich um. Nein, du verstehst gar nichts, dachte er. Wie er es auch anstellte, es gelang ihm nicht, die zwanzig Jahre, die er Bolitho nun schon kannte, aus seinem Gedachtnis zu streichen. Alle diese Siege, einige hart verdient, andere uberraschend leicht gewonnen. Schlimme Wunden, Landungen und Uberfahrten, bei denen sie sich manchmal fragen mu?ten, ob sie jemals wieder den Fu? auf festen Boden setzen wurden. Nun war das alles verdorben, fortgeworfen wegen einer.
        Gossage versuchte es wieder.»Meine Frau schrieb mir, da? man von einer Ablosung Sir Richards spricht. «Herrick staunte. Dulcie hatte nichts derartiges erwahnt. Wann?»
        Gossage lachelte. Endlich hatte er die Aufmerksamkeit des Konteradmirals.

«Nachstes Jahr, Sir. Die Navy wird umgestaltet, die Geschwader erhalten andere Stationen zugewiesen. In dem Artikel, den sie gelesen hat.»
        Herrick grinste kalt.»Verdammter Unsinn, Mann! Sir Richard und ich haben diese Parolen des Kustenklatsches unser Leben lang gehort. Der Tag, an dem wir.»
        Der Ausguck schrie:»An Deck! Signal vom Flaggschiff!»
        Ein Dutzend Fernrohre hoben sich zugleich, und der Signalmeister rief:»An alle, Sir! Sichten Tybalt im Norden!»
        Gossage zischte den Wachoffizier an:»Warum, in drei Teufels Namen, haben die sie zuerst gesehen?»
        Herrick lachelte schwach.»Bestatigen. «Dem Ersten Leutnant rief er zu:»Schicken Sie einen guten Meistersgehilfen nach oben, Mr. O'Shea!»
        Der Leutnant sah erst noch seinen Kommandanten an, aber Herrick blaffte dazwischen:»Nun machen Sie schon!»
        Die Hande auf dem Rucken verschrankt, ging er davon. Er hatte sich nie an den Rang eines Flaggoffiziers gewohnt, hatte ihn nicht einmal erwartet, ungeachtet der schmeichelhaften Dinge, die Dulcie ihm standig sagte. Im Herzen wurde er immer ein Kapitan bleiben und es nicht anderen uberlassen, seine Plane auszufuhren.
        Die ganze Schlachtlinie der acht Schiffe wurde nun von Spekulationen schwirren. Herrick dachte an die abwesende Absolute. Da hatte er trotz allem richtig gehandelt. Noch so ein Sturm wie der letzte, und das arme, verrottete Schiff ware sicherlich untergegangen. Aber da? Bolitho seine Entscheidung nicht gelten lie?, wurmte ihn doch. Er nahm sein eigenes Fernrohr, das neueste und teuerste, das Dulcie hatte finden konnen, und richtete es auf die nachfolgenden Schiffe. Sie bildeten eine perfekte Formation, die Wimpel an ihren Mastspitzen zungelten wie Schlangen, das Sonnenlicht strich uber das Schachbrettmuster ihrer Stuckpforten.
        Abermals hallte ein Ruf von oben: «Tybalt in Sicht, Sir!»
        Herrick kletterte auf die Steuerbord-Poopleiter und stutzte sein schones Fernrohr auf. Er konnte die Bramsegel der Fregatte eben ausmachen. Rosa umrandert und zart wie die Schafchenwolken, standen sie auf dem messerscharfen, tiefblauen Horizont. Noch immer kein Anzeichen fur Regen. Vielleicht wurde sich Bolitho endlich doch entschlie?en und einige Schiffe auf die Suche nach Frischwasser schicken.
        Er sah winzige Farbtupfer uber die Segelpyramiden der Fregatte steigen: Signale. Herrick blinzelte; seine Sehscharfe war auch nicht mehr so gut wie fruher, obwohl er das niemals zugegeben hatte. Er dachte an Bolithos Qual, als er ihm seine Augenverletzung offenbart hatte. Er war aus mehreren Grunden mit sich unzufrieden, nicht zuletzt deshalb, weil er versagt hatte, als Bolitho seine volle Unterstutzung brauchte.
        Herricks Flaggleutnant, ein ranker junger Mann namens De Broux, rief:»Von Tybalt, Sir!»
        Herrick wartete ungeduldig. Der Flaggleutnant hatte ihm nie gefallen, er war zu weich, hatte sogar einen franzosischen Namen. Ahnungslos sagte De Broux:»Fremdes Segel in Nordost!»
        Schon kam die nachste Meldung:»Vom Flaggschiff, Sir! An alle: mehr Segel setzen.»
        Herrick sah den Bestatigungswimpel nach oben fliegen.
        Gossage rief:»Toppgasten aufentern, Mr. O'Shea! Reffbandsel los!»
        Der Konteradmiral hob das Fernrohr und stieg zwei Stufen hoher. Dulcie war so stolz gewesen, als sie das teure Teleskop fur ihn gekauft hatte, noch dazu von einem der besten Instrumentenmacher in London. Sein Herz sank, als er sich erinnerte, da? sie mit Belinda dorthin gegangen war.
        De Broux schrie plotzlich: «Tybalt an Flaggschiff, Sir!«Dann wurde er unsicher und stotterte:»Schatzungsweise zwolf Linienschiffe!»
        Herrick stieg wieder aufs Achterdeck hinunter. Er wu?te selbst nicht zu sagen, wie ihm zumute war. Lahmte ihn das letzte Signal, oder nahm er es als schicksalhaft und unausweichlich hin?
        Gossage starrte ihn offenen Mundes an und wollte gerade sprechen, als De Broux verzweifelt rief:»Signal an alle, Sir! Klar zum Gefecht!»
        Herrick reagierte so gelassen auf Gossages Fassungslosigkeit, da? es ihn selbst erstaunte. Kuhl fragte er:»Nun, Kapitan Gossage, wie gefallen Ihnen unsere Zukunftsaussichten?»



        XVIII In der Stunde der Gefahr

        Bolitho streckte die Arme aus und versuchte seine Ungeduld zu zugeln, als Ozzard ihm flink die wei?e Weste zuknopfte. Bei ihrem Wassermangel kam es ihm ungewohnt vor, von Kopf bis Fu? in sauberer Kleidung zu stecken. Uber Ozzards Schulter hinweg sah er Kapitan Keen am anderen Ende der Kajute stehen und die Befehle und Antworten auf dem Oberdeck mithoren.
        Hyperion war noch nicht gefechtsklar. Bolitho uberlie? es Herrick und den einzelnen Kommandanten, sich in der ihnen angemessenen Zeit vorzubereiten. Hyperions Besatzung nahm schnell noch eine letzte Mahlzeit ein. Es uberstieg Bolithos Verstandnis, da? der Durchschnittsseemann vor dem Gefecht uberhaupt noch etwas essen konnte.
        Keen sagte:»Wenn die Dons sich weiter so nahern, wird keiner von uns die Luvseite halten konnen. Es sieht so aus, als liefen unsere Kurse zusammen. «Seine Augen waren dunkel vor Konzentration, als er sich die noch fernen Schiffe vorstellte. Ein Tag spater, und der Feind ware unbemerkt an ihnen vorbeigelaufen und hatte im Schutz der spanischen Kuste Gibraltar erreichen konnen.
        Bolitho entgegnete:»Ich mu? ihnen die Luvseite wegnehmen. Andernfalls werden sie uns im Kampf Schiff gegen Schiff vernichten. «Keen pflichtete ihm bei, und beide sahen im Geiste, wie Bolithos Plan Gestalt gewann.»Wir bleiben bis zum letzten Augenblick zusammen. Dann andern wir den Kurs nach Steuerbord und bilden zwei Kolonnen. Herrick wei?, was er zu tun hat. Seine Schiffe sind die kurzere Linie, aber das tut nichts zur Sache. Wenn wir erst einmal im Nahkampfstehen, konnen wir den Feind vielleicht aufsplittern.»
        Ozzard kam mit Rock und Hut.
        Keen protestierte gegen die auffallende Uniform. Er zeigte auf das goldene Gehange mit der Nilmedaille, das Bolitho um den Hals trug.»Ich kenne Ihre Gewohnheiten, Sir Richard. Aber das hei?t, das Unheil herauszufordern.»
        Allday trat durch die andere Tur und langte nach dem alten Degen. Beilaufig bemerkte er:»Mit allem Respekt, Kapt'n Keen, Sie verschwenden nur Ihre Zeit.»
        Keen und Allday sahen einander an. Allday entsann sich besser als jeder andere, wie Bolitho an Bord der kampfenden Phalarope bei den Samtes die gro?e Uniform getragen hatte, ein gutes Ziel fur jeden Scharfschutzen. Aber er wollte, da? die Manner ihn sahen. Allday wu?te, es war unmoglich, ihm das auszureden.
        Bolitho glitt in die Armel und wartete auf Ozzard, der sich auf die Zehen stellte und die glitzernden Epauletten mit den zwei Silbersternen anpa?te.

«Dies wird keine Schlacht, bei der man probeweise seine Krafte testet, Val. Wir durfen nicht einmal daran denken, sie moglicherweise zu verlieren. Der Sieg ist lebenswichtig, nehmt das zur Kenntnis.»
        Keen lachelte schwach.»Ich wei? es.»
        Ein Ruf vom Masttopp. Ein Leutnant kam vom Achterdeck gerannt und blickte Bolitho an.»Des Ersten Leutnants Respekt, Sir, und.»
        Es fiel ihm schwer, die Augen von der Uniform des Vizeadmirals loszurei?en und auf Keen zu richten.»Der Ausguck im Gro?mast meldet soeben: Feind in Sicht, steuert Sudwest.»
        Keen blickte Bolitho erwartungsvoll an. Der nickte.»Signal an alle: Feind in Sicht. «Dann winkte er Ozzard.»Raum die Kajute aus. Der Bootsmann und seine Leute warten schon, um die Mobel ins Orlopdeck zu bringen. «Er legte ihm die Hand auf die knochige Schulter.»Geh mit ihm. Und keine Heldentaten heute. «Als Ozzard ihn trubsinnig ansah, fugte er hinzu:»Ich wei? nicht, was dich qualt, aber ich werde es in Ordnung bringen. Verla? dich drauf.»
        Als Ozzard anfing, einige kleinere Gegenstande zu verstauen, unterbrach ihn Bolitho.»Nein, das nicht!«Er nahm Ozzard Catherines Facher aus der Hand und steckte ihn in seine Rocktasche.»Nur eine Kleinigkeit, Val, aber es ist alles, was ich von ihr besitze.»
        Allday folgte ihnen beim Verlassen der Kajute. Noch einmal hielt er inne, den alten Degen in der Hand, und blickte zuruck in den Raum, den er so gut kannte. Wurde er ihn wiedersehen? Ihre Chancen standen schlecht, aber das war nichts Neues; wenigstens waren ihre Gegner Spanier. Allday hatte am liebsten ausgespuckt. Sogar die Franzosen kampften besser. Er warf einen letzten Blick in die Runde und beruhrte dabei seine Brust an der Stelle, wo ihn die spanische Klinge verletzt hatte.
        Die Kajute war schon leergeraumt. Er drehte sich um, argerlich uber seinen Trubsinn; aber es sah so aus, als wurde sie fur immer leer bleiben.
        Drau?en ging Bolitho zur Reling und nahm sich ein Fernglas vom altesten Fahnrich. Dann musterte er ihn und die anderen Offiziere. Alle hatten sie ihre besten Uniformen angezogen. Er nickte ihnen anerkennend zu.
        Als er das Fernglas ans Auge fuhrte, hatte er fast sofort die Segel der Tybalt im Okular. Dann schwenkte er es weiter und sah die dunklen Unterbrechungen des sonst glatten Horizonts. Hyperions Wimpel wehte noch immer nach Backbord aus. Der Wind war stetig und nicht zu stark. Sein Vater hatte immer gesagt: ein guter Wind fur ein Gefecht. Aber im Mittelmeer konnte sich das leicht andern, wenn es der Zufall wollte.
        Keen stand neben ihm, der Wind zauste sein Haar, wo es unter dem Hut hervorlugte, obwohl es nach moderner Art kurzgeschnitten war. Wie bei Adam. Bolitho packte die Reling mit beiden Handen, fuhlte die Warme des alten Holzes. Viele Hande hatten es vor ihm geglattet. An der Vorkante des Achterdecks stand Major Adams mit seinem Leutnant Veales und zwangte sich stirnrunzelnd in ein frisches Paar wei?er Handschuhe.
        Bolitho sagte:»Es wird Zeit.»
        Keen hatte verstanden. Die Leutnants schauten einander an und fragten sich wahrscheinlich, wer von ihnen noch da sein wurde, wenn sich der Pulverdampf verzog.
        Keen bemerkte:»Der Wind steht durch, Sir Richard. Sie werden bis Mittag auf unserer Hohe sein.»
        Penhaligon warf gleichmutig ein:»Schoner Tag fur ein Treffen.»
        Bolitho zog Keen beiseite.»Auf ein Wort, Val. Wir machen gleich gefechtsklar, danach werden unsere Aufgaben uns trennen. Aber Sie bedeuten mir nun einmal sehr viel, und das sollten Sie wissen.»
        Keen erwiderte leise:»Ich wei?, was Sie sagen wollen, Sir Richard, aber es wird Ihnen nichts geschehen.»
        Bolitho packte ihn fester.»Val, wie konnen wir das wissen? Es wird ein harter Kampf werden, vielleicht der schlimmste, den wir je durchzustehen hatten. «Er deutete auf die Schiffe in ihrem Kielwasser.»All diese Manner folgen uns wie hilflose Tiere, vertrauen darauf, da? ihr Admiral sie durchbringt, ungeachtet der Holle, die auf sie wartet.»

«Sie werden auf Sie schauen.»
        Bolitho lachelte fluchtig.»Das macht es nicht leichter. Val, was denken Sie, wenn die Dons uns umzingeln? Ohne mich waren Sie jetzt zu Hause bei Ihrer Zenoria.»
        Keen sah Allday mit dem Degen erscheinen und entgegnete einfach:»Selbst wenn ich den heutigen Tag nicht uberleben sollte, so habe ich doch wahres Gluck kennengelernt. Nichts kann mir das nehmen.»
        Allday hangte Bolithos Degen ein und lockerte ihn probeweise in der Scheide. Er brummte:»Dazu sag' ich Amen, Kapt'n!»
        Sie sahen einander an. Keen gru?te Bolitho formell mit der Hand am Hut.»So sei es denn.»
        Das laute Rasseln der Trommeln, die aus jeder Luke trampelnden Fu?e machten ihnen weiteres Reden unmoglich. Die Stuckmannschaften sturzten sich auf ihre Kanonen, die Toppgasten schwarmten nach oben aus und riggten Schlingen und Netze auf. Selbst noch im Blutbad einer Breitseite wurden sie die Schaden splei?en. Jenour tauchte auf, den Hut fest in die Stirn gedruckt, den schonen Degen an der Hufte. Er sah ernst und irgendwie gealtert aus.
        Als der Larm der Vorbereitungen verhallte und sich wieder Stille uber das Schiff senkte, schritt Parris nach achtern zum Kommandanten. Er trug ein Paar feine Stiefel.

«Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!«meldete er.»Feuer im Kombusenherd geloscht, Pumpen bemannt.»
        Keen zog seine Uhr nicht hervor, sondern sagte nur:»Neun Minuten, Mr. Parris, die beste Zeit bisher.»
        Bolitho horte es mit. Ob die Zeit stimmte oder nicht, spielte keine Rolle. Diejenigen, welche die Bemerkung aufgefangen hatten, wurden Keens Lob in allen Decks verbreiten. Das war wenig genug, aber es half mit.
        Keen trat zum Vizeadmiral.»Alles klar, Sir Richard.»
        Bolitho sah sein Zogern.»Ist noch was, Val?»

«Ich uberlege gerade, Sir Richard: Konnen wir nicht die Musikanten aufspielen lassen? Wie damals auf der Tempest.»
        Wieder einmal verband sie eine gemeinsame Erinnerung. Bolitho war einverstanden. Gut, machen wir das.»
        Und so, wahrend sich die alte Hyperion auf Backbordbug leicht schrag legte und der scharfe Horizont sich in Segel und Masten aufloste, bliesen die Pfeifer der Royal Marines einen anfeuernden Marsch. Begleitet von den Trommeln auf der Poop und dem Stampfen der Seeleute auf den mit Sand bestreuten Decks, marschierten sie hin und her, als ob sie vor ihrer Kaserne paradierten.
        Bolitho fing Keens Blick auf und nickte; es war sogar die gleiche Melodie wie damals: Portsmouth Lass, Madel aus Portsmouth.
        Bolitho griff wieder zum Fernrohr und studierte die spanische Aufmarschlinie von einem Ende zum andern. Die beiden letzten Schiffe standen ziemlich weit vom Verband entfernt. Bolitho vermutete, da? sich das allerletzte Schiff absichtlich abseits hielt und das andere deckte, damit dieses Reparaturen ausfuhren konnte.
        Er fa?te die einzige Fregatte ins Auge. Es war leicht zu verstehen, da? der Kommandant der Mouette sich hatte tauschen lassen, denn es bedurfte schon mehr als nur einer fremden Flagge, um eine in England gebaute Fregatte zu tarnen. Bolitho wu?te, da? die Consort am Medway vom Stapel gelaufen war, in der Nahe von Herricks Heim. Ob der jetzt wohl auch daran dachte?
        Zwolf Linienschiffe. Das Flaggschiff an der Spitze war schon von Parris identifiziert worden, der es von fruher kannte. Es war die mit neunzig Kanonen bestuckte San Mateo, Flaggschiff von Admiral Don Alberto Casares, der die spanischen Geschwader in
        Havanna befehligte. Casares mu?te die Rolle der Hyperion beim Handstreich auf Puerto Cabello kennen. Und einige seiner Schiffe hatten wahrscheinlich auch die Schatzschiffe nach Spanien geleiten sollen.
        Bolitho beobachtete die Intrepido, vormals Consort. Die beiden Gegner hatten wenigstens etwas gemeinsam: jeder besa? nur eine Fregatte.
        Er horte Parris zu den Signalfahnrichen sagen:»Es wird noch eine Weile dauern.»
        Bolitho schaute die beiden Junglinge an, die ihre Augen vom Feind kaum loszurei?en vermochten. Es war schlimm fur jemanden, der noch nie eine Schlachtlinie zu Gesicht bekommen hatte. Erst nach Stunden wurden sie einander nahergekommen sein. Bei den Saintes hatte es den ganzen Tag gedauert. Erst lugten nur die Mastspitzen uber den Horizont, dann wuchsen sie immer hoher und zogen die Schiffsrumpfe nach sich, bis die Flotte schlie?lich die gesamte Wasserflache zu bedecken schien. Ein Leutnant, der von jenem Gefecht nach Hause berichtete, beschrieb die franzosische Flotte als»uber den Horizont steigend wie die gepanzerten Ritter von Agincourt.
«Das hatte die Situation genau getroffen.
        Bolitho ging zur Vorkante und uberblickte das Batteriedeck. Die Manner waren bereit. Die Stuckfuhrer hatten die besten Kugeln und Kartatschen ausgesucht; sie waren fur die erste, doppelt geladene Breitseite bestimmt. Diesmal wurden beide Schiffsseiten gleichzeitig zu feuern haben, denn sie wollten die feindliche Linie durchbrechen. Danach war jedes Schiff auf sich selbst gestellt.
        Die besten Schutzen der Seesoldaten, die Major Adams finden konnte, standen schon oben in den Gefechtsmarsen mit einigen Kanonieren, welche die Drehbassen bedienten. Die Masse der Seesoldaten war achtern angetreten. Noch kauerten sie nicht hinter den Hangemattsnetzen, um den Feind aufs Korn zu nehmen, sondern warteten in sanft schwankenden Reihen. Sergeant Embree und seine Korporale sprachen leise miteinander, ohne die Lippen zu bewegen. Penhaligon und seine Gehilfen hielten sich mit zwei Ersatzleuten beim Ruderrad auf.
        Abgesehen vom Rauschen der See und dem gelegentlichen Klatschen des gro?en Besansegels uber dem Poopdeck war alles still, nachdem der Spielzug aufgehort hatte. Das feindliche Flaggschiff war jetzt viel nahergekommen. Man bemerkte bereits die Sonnenreflexe auf Degen und Bajonetten. Manner schwarmten in die Wanten des Vormastes, andere stiegen auf die Kanonen und schauten dem sich nahernden Geschwader entgegen.
        Der spanische Admiral mochte damit rechnen, da? sein Gegner in Schlachtlinie Schiff gegen Schiff kampfen wollte. Aber damit hatten seine neunzig Geschutze gegen die alte Hyperion gestanden. Bolitho lachelte grimmig. Den Gefallen wurde er ihm nicht tun.
        Es ware sogar unklug, in der ersten Phase das uberladene Heck der San Mateo zu kreuzen. Wenn Hyperion beim Durchbrechen der gegnerischen Linie manovrierunfahig geschossen wurde, mu?te das die nachfolgenden Schiffe durcheinanderbringen, und Herrick war dann sich selbst uberlassen, um sich mit lediglich drei Schiffen auf eigene Faust zu schlagen.
        Bolitho befahl:»Signal an Tybalt: Sie soll sich hinter Olympus setzen, das gibt der Herrick-Linie mehr Gewicht. «Die Flaggen flitzten hoch, aber er behielt weiter das gro?e spanische Flaggschiff im Auge.
        Keen konnte offenbar seine Gedanken lesen.»Darf ich vorschlagen, da? wir die spanische Schlachtlinie hinter dem dritten oder vierten Schiff durchsto?en?»
        Bolitho lachelte.»Je weiter weg von der Schonen, umso besser, jedenfalls bis wir deren Ubergewicht etwas ausgeglichen haben.»
        Jenour bei den Signalgasten horte Bolithos gelassene Antwort. War seine Ruhe nur ein Bluff, oder glaubte er wirklich, er konne gegen so viele gewinnen? Jenour dachte an seine Eltern und wie er das alles in seinem nachsten Brief an sie schildern wurde. Doch es uberstieg seine Vorstellungskraft. Vielleicht wurde es uberhaupt keinen Brief mehr geben? Schreckliche Angst uberfiel ihn, er hob den Blick zu den Wolken uber Bolithos Flagge und begriff: Er ging dem Tod entgegen.
        Fahnrich Springett, der jungste an Bord, trat blinzelnd ins Helle. Seine Gefechtsstation war im halbdunklen unteren Batteriedeck, von wo er Meldungen zum Achterdeck zu bringen hatte. Bolitho sah, wie er sich umschaute, und achtete auf seinen Gesichtsausdruck, als er den Feind erblickte, wahrscheinlich zum erstenmal in seinem Leben. In diesem Augenblick verloren seine Uniform und der blinkende Dolch an seinem Gurtel vollig an Bedeutung. Er bi? auf seine Fingerknochel, als ob er einen Schreckensschrei zuruckhalten musse. Plotzlich war er wieder ein
        Kind.
        Jenour ging zu ihm.»Mr. Springett, Sie konnten mir heute helfen. «Er deutete auf die beiden Signalfahnriche, auf Furnival, den Senior, und Mirrielees mit den roten Haaren und einem Gesicht voller Sommersprossen.»Die alten Manner da sind nicht mehr ganz auf der Hohe. «Die beiden Erwahnten stie?en sich grinsend in die Rippen; es war alles ein gro?er Witz.
        Der Junge starrte sie wie hypnotisiert an. Er flusterte:»Danke, Sir«, und ubergab ein Stuck Papier.»Mit Mr. Mansforths Respekt, Sir. «Er drehte sich wieder um und trottete davon, ohne auch nur einen Blick auf die imposanten Segelpyramiden rundum zu werfen.
        Keen sagte leise:»Der Flaggleutnant hat den Jungen davor bewahrt, in Tranen auszubrechen.»
        Bolitho sah auf der San Mateo weitere Flaggensignale auswehen und dachte, da? Jenour selbst vermutlich auch nicht weit davon entfernt gewesen war.
        Ubers Wasser drang das dumpfe Rumpeln schwerer Geschutzlafetten. Den wartenden Seeleuten entrang sich so etwas wie ein Aufseufzen, als dunkle Schatten uber das hohe Freibord der San Mateo liefen. Alle Kanonen ihrer Backbordseite waren nun ausgefahren. Es war, als schauten sie einem Drachen ins offene Maul.
        Das Geschmetter einer Trompete ertonte. Bolitho stellte sich die feindlichen Kanoniere vor, wie sie uber ihre Rohre das Ziel auffa?ten, wahrend die nachsten Ladungen Pulver und Kugeln schon bereitlagen.»Hei?t Benbows Nummer! Ich wage nicht noch viel langer zu warten, Val.»
        Wahrend man die Flaggleinen bestuckte, achtete Bolitho auf die beiden konvergierenden Reihen, deren Kurse in einer Pfeilspitze zusammenliefen.
        Ein dumpfer Knall - und von der Bordwand der San Mateo loste sich ein Rauchwolkchen. Die Kugel schlug aufs Wasser, prallte ab und flog weiter, eine zerfetzte Gischtfeder aufwerfend. Ein die Reichweite testender Schu?? Oder wollte man lediglich die spanischen Seeleute aufmuntern, wahrend sie - wie die der Hyperion - in qualender Spannung warteten?

«Benbow hat verstanden, Sir!»
        So wenig Signale wie moglich. Bolitho hatte dies im Prinzip immer fur gute Taktik gehalten. Einem Gegner fiel es nicht schwer, aus den Signalen des anderen den nachsten Schritt zu erahnen. Zudem war es moglich, da? die Prise Intrepido den Spaniern mit einem noch gultigen Signalbuch in die Hande gefallen war. Als der arme Kapitan Price sein Schiff auf Grund gesetzt hatte, konnte er sich diese Situation kaum ausgemalt haben.
        Bolitho wandte sich an Keen und seinen Ersten.»Wir gehen nacheinander uber Stag. Hyperion und Benbow fuhren die beiden Reihen an. «Sie nickten. Parris sah ihm auf den Mund, als wolle er einen tieferen Sinn herauslesen.»Damit kommen wir so hoch an den Wind, wie sie es eben noch vertragt. Das wird unsere Fahrt verringern.»
        Wieder hatten sie verstanden. Es konnte namlich bedeuten, da? der Feind mehr Zeit fand, seine Kanonen auf sie zu richten. Bolitho ging zur Steuerbordseite und stellte sich auf die Lafette eines Neunpfunders. Mit einer Hand stutzte er sich auf die blo?e Schulter des einen Kanoniers.
        Er konnte die Masten der Benbow hinter den anderen erkennen.
        Herricks Flagge flatterte vom Besan. Benbow hatte noch den Bestatigungswimpel stehen, ebenso wie Hyperion ihre Nummer vorgehei?t lie?: wie eine Trompete, die lautlos zur Attacke blies. Eine Attacke, die nun nicht mehr aufzuhalten war. Bolitho fuhlte, wie sich die Schulter des Mannes spannte, als er zu ihm hochsah. Er blickte in sein Gesicht; um die achtzehn herum. Ein Gesicht, wie man es auf den Farmen und Landstra?en von Cornwall fand. Nur nicht in Kriegszeiten.»Naylor, hab' ich recht?»
        Der Kanonier grinste, wahrend seine Kameraden einander zuzwinkerten.»Aye, aye, Sir Richard.»
        Bolitho dachte an den entsetzten kleinen Fahnrich und an Jenour, der es mehr als das Gefecht furchtete, seine Angst zu zeigen.

«Nun, Naylor, dort ist der Feind. Was sagst du dazu?»
        Naylor musterte den nachststehenden Spanier mit seinen imposanten Flaggen und Wimpeln, von denen einige beim Auswehen fast das Wasser beruhrten.»Ich denke doch, da? wir mit denen fertig werden, Sir Richard. «Er nickte nachdrucklich.»Wir mussen den Weg fur die anderen freimachen.»
        Seine Kameraden brachen in Hochrufe aus, und Bolitho kletterte von der Lafette. Er furchtete, da? sein Auge eben diesen Moment wahlen konnte, ihn im Stich zu lassen.
        Naylor war nur ein einfacher Seemann, der, wenn er diesen Tag uberlebte, wahrscheinlich in einer anderen Schlacht sterben wurde, bevor er ein Jahr alter war. Plotzlich fielen ihm das gro?e Haus in London und Belindas bei?ende Worte ein. Wie borniert sie doch war…

«Das werden wir auch. «Er nickte Naylor zu und ging davon.»Kapitan Keen!«Wieder schien die Zeit fur beide stillzustehen. Dann sagte Bolitho sachlich:»Kursanderung drei Strich nach Steuerbord. Steuert Nord zu West!»
        Er winkte Jenour.»Jetzt. Ausfuhrungssignal!»
        Auf Herricks Flaggschiff schien man nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Sobald die Flaggen niedergeholt wurden, drehte Benbow auch schon aus ihrer Reihe, als ob sie allein eine Attacke gegen den Feind fuhren wolle.
        Keens Augen waren uberall zugleich. Von Parris angespornt, hievten die Seeleute an den Brassen, wahrend andere dem machtigen Gro?segel Lose gaben und sich die Rahen knarrend drehten. Der Wind druckte das Schiff zur anderen Seite, das Deck neigte sich hinuber, und Penhaligon stellte sich breitbeiniger hin. Im Nu war Keen am Kompa?.»Stutzruder! Recht so, la? laufen!»
        Die Segel donnerten protestierend. Der Besan killte von oben bis unten, es schien ihn zerrei?en zu wollen. Dann fullte sich die Leinwand und wurde prall. Sie lagen nun hart am Wind, hoher ging es nicht. Den Spaniern mu?te es so vorkommen, als ob alle ihre Segel mittschiffs standen und sich uberschnitten.
        Bolitho hielt sich an der Reling fest und sah zum Feind hinuber. Irgend jemand scho?, aber die Netze uber der Kuhl und das riesige Gro?segel verdeckten das Mundungsfeuer.
        Benbow lief mit Hyperion auf Parallelkurs, kaum drei Kabellangen entfernt. Die Schiffe hinter ihnen wendeten ebenfalls in Folge, wahrend Tybalt hastig aufkreuzte, um ihre Position als letzte in der Reihe einzunehmen.
        Keen rief bewegt:»Bei Gott, das hat die Dons uberrascht!»
        Das spanische Flaggschiff schien jetzt von Hyperions Backbordseite wegzustreben, wahrend zwei andere Spanier ihm wie bisher folgten. Bolitho befahl:»Laden und ausrennen, Kapitan Keen!»
        Der Befehl wurde wiederholt und weitergegeben. Kaum eine Minute verging, da blickte jeder Geschutzfuhrer nach achtern und hob die geballte Faust uber den Kopf.

«Alles geladen, Sir!»

«Offnet die Pforten!»
        Laut quietschend rollten die Kanonen vor die Offnungen in der Bordwand. An der tieferliegenden Leeseite schien die See bis zu den Mundungen heraufzulecken.
        Das Deck der Hyperion erbebte, als die ihr am nachsten stehenden feindlichen Schiffe Feuer eroffneten. Doch das
        Aufdrehen der unerwartet geteilten Formation hatte den spanischen Admiral uberrascht. Nun konnten die meisten seiner Stuckfuhrer ihre Ziele nicht mehr auffassen. Wasserfontanen wuchsen neben Hyperions Bordwand empor, aber Bolitho fuhlte nur einmal den Einschlag einer Kugel in den unteren Rumpf.»Untersegel aufgeien!»
        Die Breitfock hob sich wie ein Riesenvorhang und gab den Blick nach beiden Seiten frei. Bolitho horte einen der Fahnriche vor Schreck nach Luft schnappen, als vor ihnen das Heck des nachsten Spaniers wie aus dem Nichts erschien. Plotzlich war da eine hohe, uberreich geschmuckte Galerie, Gewehrfeuer verspruhend, und der Name Castor uber der Heckwelle.
        Schusse pfiffen uber ihre Kopfe, die Geschutzbedienungen duckten sich noch tiefer. Uber ihre Gesichter rann Schwei?, wahrend sie nach Zielen ausspahten.

«Achtung an Backbord!«Lovering, der Zweite Leutnant, trat von den vorderen Kanonen etwas zuruck.»Ziel auffassen - Einzelfeuer!»
        Keen hob seinen Degen, ri? ihn herunter.»Feuer!»
        Die Backbordkarronade vorn schleuderte ihre gro?kalibrige Kugel mit entsetzlicher Wirkung ins Heck der Castor. Bolitho horte die Detonation im Innern des Schiffskorpers und konnte sich das Entsetzen vorstellen, als die Kartatschen wie eine Sense durch den leergeraumten Raum fegten. Sobald die Schotten zum Gefecht erst abgeschlagen waren, war jedes Kriegsschiff am verletzlichsten, wenn es dem Feind gelang, in sein Heck zu feuern.
        Im Pulverdampf erschien auf der anderen Seite das nachste Schiff; aus all seinen Rohren zuckten ihnen rot-gelbe Zungen entgegen.

«Steuerbordbatterie - Feuer!»

«Backbord, zweite Division - Feuer!»
        Mit ohrenbetaubendem Donner verschwanden beide Seiten in wirbelndem Rauch; verkohlte Kartuschenreste regneten herab. Das Schiff an Steuerbord wurde auch von Obdurate bekampft,
        Bolitho sah ihre Mastspitzen wie Lanzen aus den Pulverdampfwolken ragen. Er fuhlte das Deck ein-, zweimal unter Treffern erbeben.
        Parris brullte:»In der Aufwartsbewegung - Feuer!»
        Da krachte auch schon die nachste Division fast einstimmig. Bolitho sah den Kreuzmast der Castor wanken, wenige Augenblicke noch von der Takelage gehalten, ehe er krachend uber die Seite kippte.

«Feuer!»
        Keen uberquerte mit tranenden Augen das Achterdeck. Die oberen Geschutze ruckten einzeln oder in Paaren in ihre Taljen und Brocktaue zuruck. Sofort sprangen Manner mit Schwamm und Ladestock herbei, um die Rohre auszuwischen und mit der nachsten Kugel zu fullen. Sie taten, was man sie gelehrt hatte, ganz gleich, was um sie herum geschah.
        Jenour hustete im Rauch und meldete dann: «Obdurate ist mit einem Spanier kollidiert, Sir Richard!«Er zuckte zusammen, als eine Gewehrkugel dicht neben ihm ins Deck schlug, und fugte hinzu:»Sie ersucht um Unterstutzung.»
        Bolitho schuttelte den Kopf. Keen sagte kurz:»Abgelehnt.»
        Die Flaggen, die Keens barsches Signal ausdruckten, flogen hoch und verschwanden in einer Rauchdecke, die binnenbords gesaugt wurde, als die untere Batterie nach Steuerbord feuerte.
        Parris jubelte:»Wir sind durch, wir sind durch!«Er schwenkte seinen Hut.»Hurra, Jungs, wir haben die Linie durchbrochen!»
        Weitere Segel wuchsen wie riesige Geister achteraus empor: Crusader und Redoubtable. Letztere kollidierte beinahe mit einem Spanier, der entweder sein Ruder oder seine Ruderganger verloren hatte.»Klar zur Kursanderung nach Backbord! Bolitho warf sein Fernglas einem Fahnrich zu.»Das brauche ich jetzt nicht.»

«An Deck!«Irgendeiner hatte dort oben uber dem Rauch und dem Eisenhagel eine klaren Kopf behalten. »Benbow ist durch die Linie!»
        Es gab noch mehr Jubel. Die Backbordbatterie feuerte blindlings eine Breitseite durch die Schwaden. Einiges davon traf die Bordwand der Castor, wahrend der Rest das zweite Schiff in der feindlichen Linie eindeckte.

«Legt sie auf Backbordbug, Mr. Penhaligon! Achterwache bemannt die Kreuzbrassen! Die ausgewahlten Seesoldaten legten ihre Gewehre nieder und rannten zu Hilfe, wahrend andere uber die Hangematten schielten und, den Kolben an die Backe geschmiegt, ein Ziel suchten.
        Bolitho sah beschadigtes Tauwerk ellenlang von den Schutznetzen baumeln. Und uber allem Wirrwarr wolbte sich noch immer derselbe friedliche Himmel.
        Eine Kanonenkugel schlug an Backbord ein und traf die Bedienung eines vorderen Achtzehnpfunders. Zwei Mann wurden zu blutigen Brocken zermalmt, ein dritter rollte schreiend langs Deck. Sein Bein wurde nur noch von einem Hautfetzen gehalten.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen und versuchte sich zu konzentrieren. Alle seine Einheiten mu?ten jetzt im Gefecht sein. Der Schlachtenlarm horte sich an, als ob an allen Seiten Schiffe kampften. Ihr eigener Rauch verbarg sie voreinander. Geschutzfeuer grollte wie gigantischer Trommelwirbel auf dem Wasser hin und her.
        Bolitho befahl:»Signal an alle: Aufschlie?en zum Flaggschiff, formiert Schlachtlinie!«Wie sie das mit den Flaggen ubermitteln wurden, war ihm selbst nicht klar. Doch schon bald kam Jenour.»Alles bestatigt, Sir Richard.»
        Ein abseits stehender spanischer Zweidecker setzte mehr Segel. Sein Kommandant strebte entweder naher zum eigenen Flaggschiff oder wollte einen Zusammensto? mit der bewegungsunfahigen Castor vermeiden.
        Bolitho begriff.»Dort, Val! Greift ihn an!»
        Keen gellte:»Achtung an Steuerbord!»
        Der Spanier schien schneller zu werden, aber es war nur eine durch den Rauch verursachte Illusion. Bolitho erwartete, da? er wenden und den Kurs der Hyperion kreuzen wurde. Er konnte auf seiner Fock das gro?e Kreuz, das rotgoldene Banner Spaniens erkennen.
        Keen hob wieder seinen Degen.»Einzelfeuer!»
        Das gegnerische Schilf feuerte fast zu gleicher Zeit. Eisenstucke und Holztrummer flogen uber ihr Batteriedeck, wahrend die Segel, so sehr durchlochert, da? sie kaum noch den Wind hielten, kraftlos erschlafften. Bolitho wischte sich ubers Gesicht und sah den Vormast des Gegners fallen. Takelage und Leinwandfetzen verschwanden langsseits.
        Den konnte er nun vergessen. Aber Hyperion hatte es schwer getroffen. Ein Teil der feindlichen Breitseite war mit der Wucht eines Bergrutsches in ihren unteren Rumpf geschlagen. Bolitho wollte uber Deck gehen, da wurde sein Fu? festgehalten. Er blickte hinab und sah den jungen Seemann Naylor. Er lehnte an seinem umgeworfenen Geschutz und versuchte, Worte zu stammeln. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.
        Keen rief:»Hierher, Sir Richard! Ich glaube, wir konnen. «Seine Fu?e rutschten in Blut aus, und als er Bolitho neben dem sterbenden Seemann knien sah, verstummte er. Bolitho ergriff die Hand des Junglings. Die Spanier mu?ten ihre Breitseite mit Kartatschen geladen haben; Naylor hatte ein Bein verloren, und in seiner Seite klaffte ein faustgro?es Loch.

«Lieg still, Naylor. «Bolitho hielt die Hand des Schwerverwundeten. Das Deck schien unter ihm zu schwanken. Er wurde verlangt, dringend sogar. Ringsumher tobte die Schlacht ohne Unterbrechung.
        Der Seemann keuchte:»Ich - ich sterbe, Sir!«In seinen Augen standen Tranen. Er betrachtete sein Blut, das in die Speigatten flo?, wie etwas Fremdes. Verwirrt uber das, was geschah, stemmte er sich noch einmal hoch, und Bolitho spurte eine letzte Festigkeit in seinem Griff. Naylor fragte:»Warum ich, Sir?«Dann fiel er zuruck, aus seinem Mundwinkel sickerte ein rotes Rinnsal.»Warum gerade ich?»
        Keen wartete, bis Bolitho die Hand loslie?, die ihm nun kraftlos entglitt.
        Dann meldete er: «Capricious ist wieder manovrierfahig, Sir Richard! Aber dort druben bricht ein Spanier durch!«Er bestaunte seinen erhobenen Arm. Der Armel war aufgerissen, und doch hatte er die Musketenkugel nicht einmal bemerkt.
        Bolitho eilte zur Reling. Ein zweites Schiff uberholte schon den Spanier, der die Breitseite abgefeuert hatte.»Will sicherlich zu seinem Admiral.»
        Keen winkte.»Mr. Quayle! Sagen Sie der unteren Batterie, wir werden den dort gleich angreifen!»
        Der Vierte Leutnant hatte alle Arroganz verloren. Vielmehr war er fast au?er sich vor Angst.
        Keen drehte sich um.»Mr. Furnival!»
        Doch der Fahnrich war ebenfalls gefallen, wahrend sein Kamerad stocksteif neben Jenour stand. Sein Blick war auf die Flaggen gerichtet, zwischen denen sein getoteter Freund lag, als wolle er sich von der Hitze des Gefechts ausruhen.
        Bolitho bellte:»Gehen Sie unter Deck, Mr. Quayle! Dies ist ein
        Befehl!»
        Keen strich sich das Haar aus der Stirn und merkte, da? auch sein Hut weggerissen war.»Verflucht noch mal!«»Alle feuerbereit, Sir!«Keens Degen zuckte nieder.»Feuer!

        Schu? um Schu? der Breitseite bemalte das Kabbelwasser zwischen den Schiffen mit blutrotem Schein. Man horte deutlich, wie das Eisen der Hyperion in die Bordwand des Gegners krachte und Menschen und Geschutze zerschlug.
        Eine zunehmende Brise wirbelte den Pulverdampfweg.
        Keen warnte:»Sie treibt auf uns zu! Ihr Ruder ist weggeschossen!»
        Bolitho horte es platschen. Als er sich umwandte, sah er einige Gehilfen des Bootsmanns von dem umgesturzten Geschutz wegtreten. Sie hatten Naylors Leiche schon uber Bord geworfen, nur noch sein Blut markierte die Stelle, wo er gekampft hatte und gestorben war. Immer noch hatte er seine Stimme im Ohr:»Warum gerade ich?«Es gab so viele, die diese Frage stellten.
        Allday schatzte mit dem blo?en Entersabel in der Faust das naherkommende spanische Schiff kalt ab. Parris schrie gellend:»Klar zur Abwehr von Enterern!»
        Major Adams hastete nach vorn, als der lange Kluverbaum des Gegners den Rauch durchstach und sich mit einer Erschutterung im Bugsprit der Hyperion verhakte, die selbst die Geschutzbedienungen innehalten lie?.
        Keen brullte:»Weiterfeuern!»
        Die unteren Zweiunddrei?igpfunder schossen gnadenlos uber das mit Trummern bedeckte Dreieck verraucherten Wassers. Wieder und wieder und noch einmal, bis des Feindes Kluverbaum brach, das Schiff mit einem Ruck langsseit klappte und die Mundungen von Freund und Feind zusammenstie?en.
        Gewehrfeuer knallte aus den Masten, Manner fielen neben ihren Geschutzen oder brachen beim Aufraumen der heruntergefallenen Takelage getroffen zusammen. Aus dem Gro?mast der Hyperion bellten die Drehbassen und fegten eine Anzahl Spanier hinweg, die sich auf die Enternetze schwangen.
        Keen brullte:»Wir haben kein Ruder mehr im Schiff, Sir Richard! Mussen sehen, da? wir den hier loswerden. Der andere Zweidecker hat sich auch an ihm verfangen.»
        Drei Schiffe, ineinander verkeilt. Dennoch wagten sie jetzt nicht, in das langsseit liegende Schiff zu feuern. Denn es bedurfte nur einer glimmenden Kartusche, um beide, Freund und Feind, in ein Flammenmeer zu verwandeln.

«Raumt die Unterbatterie, Val, schlie?t die Pforten! Ich brauche jede Hand hier oben!»
        Mit nackten, von Pulverrauch geschwarzten Oberkorpern quollen sie herauf, um Major Adams Seesoldaten beizustehen. Gemeinsam gingen sie gegen die Angreifer vor.
        Keen warf die Scheide fort und wog seinen Degen in der Hand. Er schaute im treibenden Rauch nach seinen Leutnants aus.

«Und wo ist mein verdammter Bootssteurer?«Seine Miene erhellte sich, als Tojohns auf ihn zurannte, mit hoch erhobenem
        Entersabel, um die anderen Seeleute im Getummel nicht zu verletzen.»Hier, Sir!»
        Jetzt kam auch Allday.»Zur Stelle, Sir!»
        Keens Augen suchten den Ersten Leutnant an der Reling.»Bleiben Sie hier, Mr. Parris, und verteidigen Sie das Achterdeck!«Sein Blick streifte Bolitho, es war wie ein Handedruck zum Abschied.
        Dann rannte auch er auf dem Steuerbord-Seitendeck nach vorn, wo der Feind heruberkletterte. Leutnant Lovering deutete mit seinem Degen.»Nach vorn auf die Back, ihr Burschen!«brullte er. Doch mitten im Sprung sturzte er zu Boden, der Degen baumelte noch an seinem Handgelenk. Ein verborgener Scharfschutze hatte sein Ziel gefunden.
        Dacie, der einaugige Bootsmannsgehilfe, war schon auf der Galion im Handgemenge. Er schwang sein furchtbares Enterbeil. Drei Spanier hatte er bereits niedergehauen, ehe einige Seesoldaten ihm beisprangen. Sie stachen mit ihren Bajonetten durch die Netze und schleuderten die Feinde beiseite, die sich wie Fliegen in einem Spinngewebe verfangen hatten.
        Wieder krachten die Drehbassen im Gro?mast. Einige spanische Seeleute, die als erste zu entern versuchten, wurden von ihrem todlichen Hagel umgemaht. Die sich bereits auf Hyperion befanden, fielen zuruck. Einer warf seinen Entersabel fort, als ihn die Soldaten in eine Ecke drangten, aber fur Pardon war es zu spat. Rauch trieb ubers Deck, und dahinter sah man nur noch Leichen. Triumphierende Seesoldaten erfochten sich ihren Weg auf das Deck des spanischen Schiffes.
        Jenour stand mit gezogenem Degen neben Bolitho, das Gesicht so bleich wie das eines bereits Toten. Er schrie:»Zwei Spanier haben die Flagge gestrichen, Sir Richard!»
        Trotz des Klirrens von Stahl und dem Knallen der Gewehre horte man schwache Jubelrufe von einem anderen Schiff und, so kam es Bolitho vor, auch Trommeln und Pfeifen.
        Er stieg auf die Poopleiter, rieb sich die Augen und spahte durch den alles verhullenden Rauch. Mit Muhe konnte er die Obdurate erkennen, nun vo llig entmastet und neben dem spanischen Zweimaster liegend, mit dem sie zusammengesto?en war. Doch uber dem Spanier wehte jetzt die britische Flagge, und Bolitho vermutete, da? es Kapitan Thynnes Manner waren, die da jubelten.
        Dann sah er Benbow sich an einem anderen schwer mitgenommenen Spanier vorbeischieben und ihm eine langsame Breitseite versetzen. Masten fielen wie gefallte Baume, aber Herricks Flagge flatterte uber dem Rauch, spottisch und heiter im Sonnenlicht. Hyperion hatte ihnen den Weg freigemacht, wie es Naylor vorausgesagt hatte.
        Allday schrie:»Da - pa?t auf!»
        Bolitho drehte sich um und sah eine Gruppe spanischer Seeleute das Seitendeck erklettern. Bevor es jemand merkte, hatten sie die Netze zerschnitten. Sie mu?ten an den Gro?rusten emporgeklettert sein wie Geschopfe, die aus dem Wasser kamen.
        Bolitho zog seinen Degen. Diese Spanier hatten uberhaupt keine Chance, wenn ihnen nicht der andere Zweidecker zu Hilfe kam. Doch den nahm jetzt einer aus Bolithos Geschwader, wahrscheinlich Crusader, unter Feuer und bestrich ihn mit einer Breitseite von hinten bis vorne. Rauch und Trummer wirbelten in die Luft und flogen sogar bis auf die Decks der Hyperion.
        Hier aber wurde kraftig gefochten. Ein Leutnant fuhrte die kleine Gruppe der Spanier an. Als er Bolitho erblickte, zuckte er seinen Degen und machte einen Ausfall. Jenour behauptete seinen Platz, aber der Spanier war ein guter Fechter. Er bog Jenours blaue Klinge wie ein Rohr zur Seite, drehte sie mit seinem Handschutz und lie? sie davonfliegen. Er drangte nach, balancierte sich fur den Todessto? aus - und starrte entsetzt auf einen Spie?, der durch die Leiter zum Achterdeck zuckte. Der Seemann dahinter stie? nach und bohrte das Mordinstrument mit einem irrsinnigen Schrei in den Bauch des Leutnants.
        Bolitho sah sich einem anderen Spanier gegenuber, der mit einem schweren Entersabel bewaffnet war. Er schrie:»Ergebt euch endlich, verdammt!»
        Aber ob er begriff oder nicht, der fremde Seemann gab nicht auf. Die breite Klinge beschrieb einen gro?en Bogen. Bolitho sprang mit Leichtigkeit beiseite, sturzte aber beinahe, als ein Sonnenstrahl durch den Rauch fiel und sein krankes Auge traf. Er war wie schon einmal mit Blindheit geschlagen.
        Parris brullte:»Stoppt den Mann!»
        Bolitho konnte nur mutma?en, was sich ereignete, und erwartete die brennende Qual des Entersabels, den er nicht sah. Jemand schrie auf, und zusatzliche Rufe verrieten ihm, da? mehr von Keens Leuten herzukamen, um die letzten Angreifer zuruckzuschlagen.
        Alldays Verstand setzte aus, als der Spanier gegen Bolitho ausfiel, der sich anscheinend nicht wehren konnte. Alldays Klinge traf ihn flach am Kopf und glitt ab, aber sie hatte die ganze Kraft des Bootsteurers hinter sich. Der andere Mann taumelte, blinzelte in die plotzliche Helle und sah Allday auf sich zukommen.
        Jenour, der in den blutbefleckten Speigatten seinen verlorenen Degen suchte, horte nur Alldays nachsten Hieb. Doch Parris, von einem Schlag auf seine verletzte Schulter gelahmt, sah, wie der Entersabel des Spaniers Unterarm abhackte. Im nachsten Augenblick lag er, noch mit dem Sabel daran, an Deck. Allday schnaubte: Und das ist fur mich, du Hund!«Er unterbrach den Schrei des Mannes mit einem letzten Hieb ins Genick.
        Dann fa?te er nach Bolithos Arm.»Alles in Ordnung, Sir Richard?»
        Bolitho atmete mehrmals tief durch, seine Lungen brannten wie Feuer.»Ja. Ja, alter Freund… Die Sonne…»
        Dann sah er, da? sich Jenour verfarbte, und hielt ihn zunachst fur verwundet. Vom Deck des langsseit liegenden Spaniers und aus dem Durcheinander seiner Takelage ertonte wilder Jubel. Ein Windsto? blies den Rauch fort, und Bolitho erkannte die Ursache fur Jenours Besturzung.
        Das spanische Flaggschiff San Mateo hatte sich des
        Nahkampfes enthalten oder so lange gebraucht, um zu wenden. Uber seinem hohen Spiegelbild schien es zu strahlen. Es hatte weder eine Schramme noch einen Fleck an seinem Rumpf, auch kein Einschu?loch in den eleganten Segeln, und bewegte sich sehr langsam. Bolitho sah viele Manner auf seinen Rahen. Offenbar bereitete es sich erneut zum Wenden vor, fort von der Schlacht.
        Bolitho zitterten die Glieder, als ob sie niemals aufhoren wollten. Er horte Parris entsetzten Schrei:»Herr Jesus, sie feuert gleich!»
        Die San Mateo hatte alle ihre Geschutze ausgefahren. Bei einer Entfernung von nur funfzig Metern mu?te jeder Schu? sitzen, auch wenn jetzt noch zwei ihrer eigenen Schiffe dazwischen standen.
        Bolithos Verstand straubte sich, die Absicht des spanischen Dreideckers zu akzeptieren. Es war Hyperion selbst, die der Spanier vernichten wollte, das trotzig herausfordernde britische Schiff mit der Vizeadmiralsflagge noch am Vormast, welches irgendwie ihre Linie durchbrochen hatte und die anderen begeistert mitri?. Er sah sich nach Allday um, aber der starrte ebenfalls das feindliche Flaggschiff an. Am Handgelenk baumelte sein Entermesser.
        Der Spanier feuerte. Der Larm war uberwaltigend, das volle Gewicht seiner Breitseite schmetterte in die stilliegende Hyperion. Bolitho fuhlte, wie sich das Deck emporbog, als ob das Schiff seinen Schmerz teilte. Er wurde zur Seite geschleudert. Seine Ohren waren taub vom Krachen der brechenden Masten, vom Weinen und Kreischen der Getroffenen, bevor die zerrissene Takelage sie wie ein gro?es Netz uber die Seite zerrte.
        Bolitho kroch zu Fahnrich Mirrielees, packte ihn an der Schulter und wollte ihn auf den Rucken drehen. Aber dessen Augen waren fest geschlossen, und unter den Lidern quoll es wie Tranen hervor. Er war tot. Allday kauerte mit weit offenem Mund an Deck. Ihre Augen trafen sich, und Allday grinste gequalt. Bolitho fuhlte, da? ihn jemand auf die Fu?e stellte. Seine Augen waren blind im Sonnenlicht, das die Zerstorung offenlegte.
        Dann senkte sich Pulverdampf uber die Szene, und San Mateo verschwand von der Bildflache.



        XIX Das letzte Lebewohl

        Sir Piers Blachford stutzte sich auf den Behelfstisch, wahrend die Geschutze oben noch immer donnerten und das ganze Schiff erbebte. Er wischte sich den Schwei? vom Gesicht und sagte:»Nehmt diesen Mann fort, er ist tot.»
        Die Gehilfen des Chirurgen ergriffen den nackten Leichnam und zerrten ihn in den Schatten des Orlopdecks. Blachford richtete sich auf und spurte die schweren Decksbalken dicht uber seinem Kopf. Wenn es wirklich eine Holle gab, dachte er, mu?te sie wie dies hier aussehen.
        Das Licht der uber dem Tisch schwingenden Laterne machte alles noch schlimmer, sofern das uberhaupt moglich war. Sie warf Schatten auf die gewolbte Bordwand und legte die zusammengekauerten oder regungslosen Verwundeten blo?, von denen immer mehr ins unterste Deck des Schiffes gebracht wurden.
        Sir Piers blickte seinen Kollegen an, George Minchin, den eigentlichen Chirurg der Hyperion, einen grobgesichtigen Mann mit sparlich sprie?enden grauen Haaren. Seine Augen hatten rote Rander, und das nicht nur vor Mudigkeit. Ein gro?er Krug Rum stand neben dem Tisch, um den Todeskampf oder die wachen Momente der jammernden Verwundeten zu lindern. Sie lagen auf den Tischen, entblo?t und gequalten Opfern gleich, bis das Werk vollbracht war. Minchin aber schien mehr als seinen Anteil zu trinken.
        Blackford sah die furchterlichsten Verwundungen: Manner ohne Glieder, Gesicht und Leib verbrannt oder durch Splitter zerfetzt. Der ganze Raum, normalerweise Unterkunft der Fahnriche, wo sie schliefen, a?en oder aus Handbuchern im Halbdunkel ihrer Talglichter lernten, war mit Leidenden uberfullt. Es stank nach Blut, Erbrochenem und Schwei?. Jede drohnende Breitseite, jeder schauderhafte Einschlag einer Kugel verursachte Geschrei und Stohnen der auf Behandlung Wartenden.
        Blachford konnte nur ahnen, was sich oben, im hellen Tageslicht, abspielte. Nach hier unten, ins Orlop, verirrte sich nie ein Strahl Sonne. Unterhalb der Wasserlinie gelegen, war es der sicherste Platz fur das grausige Werk. Dennoch emporte es ihn.
        Er deutete auf die gra?lichen Behalter unter dem Tisch, die mit amputierten Gliedma?en gefullt waren: eine brutale Warnung fur die nachsten Verwundeten, was ihnen bluhte. Das erhohte ihre Marter so sehr, da? ihnen der Tod wie eine Erlosung vorkommen mu?te.»Tragt das fort.»
        Der Senior-Chirurg lauschte dem Hammern im schmalen Zimmermannsgang, der unterhalb der Wasserlinie um die Bordwand lief wie ein enger Steg zwischen den Schiffsabteilungen und der Au?enhaut. Von diesem Gang aus dichteten der Zimmermann und seine Gehilfen Einschu?locher und Leckagen ab, die der Feind wieder und wieder in die Bordwand drosch.
        Unmittelbar uber ihren Kopfen gab es ein langgezogenes Gerumpel, und Blachford stierte an den Balken empor, als erwarte er, eingeschlossen zu werden. Eine angstliche Stimme rief aus den Schatten:»Was war das, Toby?»
        Irgendeiner antwortete:»Sie fahren die Unterbatterie ein, das war's.»
        Blachford fragte schnell:»Warum tun sie das?»
        Minchin schluckte eine Tasse voll Rum und wischte sich den Mund mit der blutigen Faust.»Die machen Schlu?! Wir liegen Seite an Seite mit einem dieser Saukerle, und sie brauchen an Deck jede Teerjacke zur Verteidigung. «Heiser schrie er:»Der nachste, Donovan!»
        Dann beaugte er Blachford mit etwas wie Geringschatzung.»Das hier ist wohl nicht ganz das, was Sie gewohnt sind? Keine geschmackvollen Operationsraume mit Reihen unwissender Studenten, die Ihnen jedes Wort von den Lippen saugen. «Er blinzelte mit seinen geroteten Augen, als Rauch durch das Deck zog.»Ich hoffe nur, da? Sie heute etwas Nutzliches lernen, Sir Piers: namlich, was wir im Namen der Medizin zu erdulden haben.»
        Ein Schiffsjunge sagte:»Der hier ist ein Offizier, Sir.»
        Blachford beugte sich uber den Tisch, als dem Leutnant das zerrissene Hemd abgestreift und er flach hingelegt wurde. Es war der Zweite, Lovering, den ein Spanier niedergeschossen hatte. Blachford untersuchte die schreckliche Wunde in seinem Arm. Unter der schaukelnden Laterne sah das Blut schwarz aus. Wo die Kugel plattgedruckt war, nachdem sie den Knochen getroffen hatte, war das Fleisch zerfetzt. Lovering starrte ihn an, die Augen glasig vor Schmerz.»O Gott… Ist es schlimm?»
        Minchin beruhrte seine nackte Schulter. Sie war kalt und feucht.»Tut mir leid, Ralph. «Er blickte Blachford an.»Der Arm mu? ab.»
        Lovering schlo? die Augen.»Aber nein, doch nicht mein Arm.»
        Blachford wartete auf einen Gehilfen, der ihm seine Instrumente brachte. Er hatte immer wieder darauf bestehen mussen, da? sie gereinigt wurden. Kein Wunder, wenn die Manner an Wundbrand starben.
        Er beugte sich uber den Verwundeten und sagte leise:»Er hat recht. Es ist zu Ihrem eigenen Besten. «Erst zweiundzwanzig Jahre alt, dachte er.
        Der Leutnant drehte sein Gesicht aus dem Lampenlicht und wisperte:»Warum bringt ihr mich dann nicht gleich um? Ich bin doch sowieso erledigt.»
        Weitere Einschlage erschutterten das Schiff, Instrumente fielen zu Boden. Blachford buckte sich danach und sah angeekelt eine Ratte ins Dunkle hasten. Minchin bemerkte seinen Abscheu und bi? die Zahne zusammen. Was wu?te der schon vom Krieg? Kam aus London hierher und verbreitete hohles, hehres Geschwatz. Aus dem Augenwinkel sah er Blachfords Messer blinken.

«Hier, Ralph. «Minchin schob Lovering einen Lederknebel zwischen die Zahne, bevor dieser protestieren konnte.»Hinterher gibt's einen ordentlichen Brandy.»
        Eine Stimme gellte durch den Rauch:»Noch'n Offizier, Sir!»
        Blachford sah Leutnant Quayle an einem der dicken Stutzbalken zusammensacken und sein Gesicht mit dem Uniformrock bedecken. Ein Seemann erhob Einspruch:»Der hat ja nicht mal 'nen Kratzer!»
        Auf dem Tisch kampfte Leutnant Lovering wie ein Lowe. Wenn der Gehilfe nicht seinen gesunden Arm und Minchin ihn nicht an den Schultern festgehalten, hatten, ware er aufgesprungen.»Ihr blutigen Bastarde! Ihr feigen. «Seine Stimme brach, er fiel ohnmachtig auf den Tisch zuruck.
        Blachford schaute wieder Quayle an, der die Hande rang und wie ein Kind wimmerte. Nennt es, wie ihr wollt, aber er ist ebenso ein Verwundeter wie alle anderen.»
        Minchin nahm den Lederknebel aus Loverings Mund. Brutalitat und Gefuhlsrohheit waren die Merkmale seines Berufs. Er hielt Lovering fest und wartete auf die Amputation. Wenn Ralph Gluck hatte, versank er in tiefe Bewu?tlosigkeit, bevor die Sage zum ersten Schnitt ansetzte.
        Minchin konnte das, was Blachford und viele seinesgleichen uber die Chirurgen der Navy dachten, leichthin abtun.
        Er konnte sogar Loverings Hollenqualen ignorieren, und dabei hatte er den jungen Leutnant immer gern gehabt. Statt dessen konzentrierte er sich auf seine Tochter in Dover, von der er schon seit zwei Jahren getrennt war.

«Der nachste!«Die Operation war schon vorbei. Lovering wurde weggetragen, und der amputierte Arm fiel in den Behalter, in den >Wing-and-Limb<-Kubel, was soviel wie Ganseklein bedeutete. So sagten jedenfalls die meisten - bis sie selber dran waren. Blachford wartete auf einen Seemann, dessen Fu? unter einer Lafette zerquetscht worden war, und betrachtete seine eigenen Arme. Wie Minchins und die der anderen waren sie blutrot bis zum Ellenbogen. Kein Wunder, da? sie uns Schlachter nennen, dachte er.
        Der Mann fing an zu schreien und zu betteln, trank aber gierig einen Becher Rum, wie ihn auch Minchin geleert hatte, ehe er den zerstorten Fu? blo?legte. Der Schiffsrumpf erbebte abermals, und doch schien sich die eigentliche Schlacht etwas entfernt zu haben. Von uberall her donnerten Kanonen, gelegentliche Schreie schwebten wie verlorene Geister durch die oberen Decks herunter.
        Hyperion mochte geentert worden sein, dachte Blachford, oder der Feind hatte sich zuruckgezogen und sammelte sich zum erneuten Angriff. Abgesehen von dem, was man ihm erzahlt hatte und was er in der Gazette las, wu?te er wenig uber den Seekrieg. Erst seit er in der Flotte umherreiste, dachte er uber die Menschen nach, die Siege oder Niederlagen erlebten und Politik in Fleisch und Blut umwandelten.

«Der nachste!«Es horte nie auf.
        Ein Seesoldat kam uber die Leiter herunter und schrie:»Wir haben den Spanier langsseits erobert, Jungs!«Er verschwand wieder, und Blachford staunte, da? einige Verwundete tatsachlich noch ein schwaches Hurra herausbrachten. Verstandlich, da? Bolitho diese Leute liebte.
        Da schaute er auf einen jungen Fahnrich herunter, noch ein
        Kind.
        Minchin sondierte den Oberkorper, wo die gebrochenen Rippen wei? durch das Blut schimmerten. Blachford sagte leise:»Mein Gott, er ist ja noch so jung.»
        Minchin, der ihn verletzen wollte, entgegnete:»Nun, Mr. Springett wird auch nicht alter werden, Sir Piers. Er hat 'ne Handvoll spanisches Eisen in sich!«Und mit einer argerlichen Handbewegung:»Tragt ihn fort!»

«Wie alt war er?»
        Minchin wu?te, der Junge war dreizehn, aber irgend etwas lenkte ihn ab: eine plotzliche Stille, der selbst fernes Geschutzfeuer nicht die Bedrohlichkeit nehmen konnte. Das Deck schwankte schwerfalliger, als ob das Schiff tiefer im Wasser lage.
        Die Pumpen liefen noch immer. Meine Gute, dachte er, in diesem alten Kasten schienen sie niemals aufzuhoren.
        Blachford bemerkte seine Spannung.»Ist was?»
        Minchin schuttelte den Kopf.»Ich wei? nicht. «Er blickte auf die dunklen Gestalten an der Bordwand. Einige waren bereits tot, aber die anderen warteten, ebenfalls verstummt.
        Er sagte grob:»Es sind alles Seeleute. Sie wissen, da? etwas nicht stimmt.»
        Blachford behielt die rauchverhullte Leiter im Auge, die ins untere Batteriedeck hinauffuhrte. Es kam ihm vor, als waren sie die letzten Lebenden an Bord. Er zog seine Uhr heraus und beaugte das Zifferblatt. Minchin buckte sich und fullte seine Tasse wieder bis zum Rand mit Rum. Trotzdem hatte er den feinen goldenen Chronometer mit dem eingravierten Wappen auf dem Schutzdeckel gesehen. Sollte doch der Teufel diesen alten Laffen holen!
        Die Wirkung der einschlagenden Breitseite ubertraf alles, was Minchin bisher erlebt hatte. Es mu?ten viele Geschutze gewesen sein, die da gefeuert hatten, und doch war ihr Abschu? zu einem gigantischen Donnerschlag vereint, der gegen das Schiff krachte, als ob das Gerausch selbst und nicht das Metall in die Holzer drang. Das Deck verkantete sich und bebte lange nach, aber das Getose hort nicht auf. Dem splitternden Brechen der Bordwand folgten unmittelbar der Larm zusammenbrechender Takelage und dumpfes Poltern der vermutlich losgerissenen Geschutze.
        Die Verwundeten schrien und flehten um Luft. Einige zerrten sich mit Krallenfingern uber die Planken zur Leiter, eine Blutspur hinterlassend. Blachford horte zertrummerte Spieren au?enbords gegen die Seite prallen, dann plotzliche Schreie aus dem Zimmermannsgang. Die dort eingeschlossenen Manner tasteten in der Dunkelheit nach einem Ausweg.
        Minchin, den Nachhall der Detonation noch im Ohr, raffte sich vom Boden auf. Einige Ratten rannten an den Toten vorbei hinaus. Er schuttelte den Kopf und versuchte klar zu denken. Als er an Blachford vorbeistolperte, fragte der:»Wohin wollen Sie?»

«In mein Krankenrevier. Alles, was mir in dieser verdammten Welt gehort, ist dort.


«Um Himmels willen, sagen Sie mir, was los ist, Mann!»
        Minchin stutzte sich ab, als das Deck erneut ins Zittern geriet. Das Pumpen hatten schlie?lich aufgehort. Er schrie wutend:»Wir sinken! Aber ich bleibe nicht hier unten und ersaufe!»
        Blachford schaute sich um. Falls ich dies uberlebe. Dann ri? er sich zusammen. Seht zu, da? wir die Verwundeten an Deck schaffen.»
        Die Gehilfen nickten, aber ihre Augen wanderten zum Aufstieg. Hyperion sank! Ihr Leben, ihr Schiff, ihr Zuhause. Das konnte doch nicht wahr sein! Schuhe klapperten auf der Leiter. Dacie, der einaugige Bootsmannsgehilfe, spahte zu ihnen herunter.

«Kommen Sie bitte herauf, Sir Piers. Das Deck ist ein blutiges Trummerfeld.»

«Und was wird aus den Verwundeten hier?»
        Dacie packte das Gelander und rieb sich sein verbliebenes Auge. Er wollte laufen, weglaufen, immer weiter laufen. Aber sein ganzes Leben lang hatte man ihn gedrillt zu bleiben und zu gehorchen.

«Ich sage es weiter, Sir Piers. «Weg war er.
        Blachford nahm seine Tasche und eilte zur Leiter. Nach den ersten Stufen fuhlte er den Unterschied in der Schraglage. Zum erstenmal beschlich ihn Furcht.
        Jetzt begriff er auch Minchins Zorn.
        Sie sanken.
        Leutnant Stephen Jenour hielt Bolithos Arm fest, auch nachdem er ihn vom Deck hochgezogen hatte. Vor Schreck und Erleichterung war er unfahig, sich zusammenhangend auszudrucken.»Gott sei Dank, o Gott sei Dank!»
        Bolitho sagte:»Nehmen Sie sich zusammen, Stephen. «Sein Blick glitt uber das Achterdeck und dann nach vorn; er erfa?te das furchtbare Ausma? der Zerstorung. Kein Wunder, da? Jenour dem volligen Zusammenbruch nahe war. Wahrscheinlich hatte er sich eingebildet, er ware der einzige Uberlebende hier oben.
        Das Schiff machte den Eindruck, als hatte man es abgetakelt und entblo?t, damit keiner seiner Schaden verborgen blieb. Der Kreuzmast war dahin, die Vormaststenge wie von einer Riesenaxt abgehackt. Die gro?en Spieren trieben mit anderen Wrackteilen langsseits: Rahen, Tauwerk und Menschen. Letztere hingen in den Trummern der Takelage wie sterbende Fische.
        Jenour keuchte:»Der Erste Leutnant, Sir Richard!«Er versuchte hinzudeuten, aber seine Hand zitterte derma?en, da? er beinahe fiel.
        Bolitho verga? seine eigenen Sorgen, als er uber die zersplitterte Treppe aufs Batteriedeck hinuntereilte. Die umgekippten Geschutze waren verlassen, die Manner tot oder verwundet um sie herum verstreut. Oder sie krochen blindlings zum nachsten Niedergang, um sich zu verstecken. Parris lag unter einem Achtzehnpfunder. Seine Augen starrten in den Himmel, bis er Bolitho sah.
        Bolitho kniete sich neben ihn. Zu Jenour sagte er:»Schickt nach dem Chirurgen. «Er hielt ihn am Rock fest.»Und, Stephen, gehen - nicht rennen! Denken Sie daran, die Uberlebenden setzen all ihr Vertrauen in uns.»
        Parris hob die Hand, um ihn zu beruhren. Durch die Zahne stohnte er:»Gott, war das schlimm. «Er versuchte, die Schultern zu bewegen.»Was ist mit der San Mateo?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie ist fort. Es hatte fur sie keinen Sinn, den Kampf hiernach fortzusetzen.»
        Parris seufzte tief.»Ein Sieg also. «Dann sah er Bolitho flehend an.»Mein Gesicht - ist es noch heil, Sir?»
        Bolitho beruhigte ihn.»Es hat nicht einen Kratzer.»
        Parris schien etwas beruhigt.»Aber ich habe kein Gefuhl in den Beinen.»
        Bolitho musterte das umgefallene Geschutz. Das Rohr war, noch hei? vom Schie?en, uber Parris gesturzt, doch er fuhlte nichts. Auf der anderen Seite waren seine Schuhe zu sehen. Beide Beine mu?ten zerschmettert sein.

«Ich bleibe bei Ihnen, bis Hilfe kommt. «Er warf einen Blick uber das Trummerfeld ringsum. Nur der Vormast stand noch, die Vizeadmiralsflagge knatterte lustig uber den zerfetzten Segeln.
        Wieder zitterte das Deck. Die Pumpen waren verstummt, wahrscheinlich verstopft oder beschadigt. Er mu?te der Wahrheit ins Auge sehen: Hyperion lag im Sterben, wahrend er hier wartete. Er schaute zu dem toten Fahnrich Mirrielees hinuber, dessen Korper vom Achterdeck hier herunter geschleudert worden war. Nur sechzehn Jahre alt. Ich war just so alt wie er, dachte Bolitho, als Hyperions Kiel zum erstenmal Salzwasser geschmeckt hat.
        Er horte Stimmen und Getrampel und sah Seeleute vom langsseit liegenden spanischen Zweidecker zuruckkommen. Unter ihnen befand sich auch Keen, der einen Arm um Tojohns Schultern gelegt hatte und mit einem verbundenen Bein eilig auf ihn zuhinkte.

«Ich bin dort druben ein dutzendmal gestorben, Sir Richard. Ich. Ich dachte, Sie waren der Breitseite zum Opfer gefallen. «Er gewahrte Parris.»Wir sollten ihn wegbringen.»
        Bolitho nahm ihn beim Arm.»Sie wissen Bescheid, Val, nicht wahr?»
        Keen erwiderte:»Ja, ich wei?. Hyperion sinkt, und wir konnen nichts dagegen tun.
«Vor Bolithos Kummer wandte er die Augen ab.»Auch wenn wir die Kanonen uber Bord werfen und das Schiff leichter machen, nutzt das nichts mehr. Die Zeit arbeitet gegen uns.»
        Parris stohnte.
        Bolitho, der bisher noch keinen Blick auf ihre spanische Prise geworfen hatte, fragte:»Ist uns der Spanier sicher?»

«Ja. Es ist die Asturias, achtzig Geschutze. Sie hat im Gefecht viel abbekommen wie die anderen auch, aber sie ist noch ganz nutzlich zum Ubermitteln von Signalen.»
        Bolitho pochte der Kopf, die Ohren schmerzten ihn noch von der furchtbaren Breitseite.»Signalisiert an Benbow, die Prisen zu sichern und dem Feind mit allen noch seetuchtigen Schiffen zu folgen. Die Dons werden sicherlich den nachsten spanischen Hafen anlaufen - «, er starrte auf die blutigen Decks,»- und Freund und Feind sich selbst uberlassen.»
        Keen stutzte sich fester auf seinen Bootssteurer.»Komm, Tojohns! Wir wollen die Uberlebenden mustern.»
        Bolitho wandte sich an Jenour.»Gehen Sie nach unten und ubernehmen Sie die Gruppe des Bootsmanns. Schaffen Sie das?»
        Jenour nickte und deutete auf Parris.»Und was wird mit ihm, Sir Richard?»

«Ich bleibe hier und warte auf den Chirurgen. «Er senkte die Stimme.»Ich furchte, er wird ihm beide Beine abnehmen mussen.»
        Parris murmelte:»Tut mir leid, Sir Richard. «Keuchend holte er Luft, als ihn eine Welle des Schmerzes durchlief.»Ich hatte fruher zu Ihnen kommen sollen, als ich von Ihren Sorgen in London erfuhr. Ich hatte helfen konnen.»
        Was redete er da? Bolitho beugte sich uber ihn und ergriff seine Hand. Aber waren es wirklich nur die wirren Worte eines Sterbenden?
        Parris fuhr etwas kraftiger fort:»Ich hatte es offenbaren mussen. Aber ich wollte unbedingt ein neues Kommando, weil der Verlust meines ersten so sehr schmerzte.»
        Vom Nachbarschiff kletterten noch mehr Leute heruber; Penhaligon, der Segelmeister, und seine Gehilfen traten aus der zerschlagenen Poop. Sie trugen den Chronometer der Hyperion, den gleichen, der ihr in all den Jahren gedient hatte. Nur mit halbem Ohr lauschte Bolitho Parris' Gestammel, er dachte vor allem an dieses Schiff, das er besser gekannt hatte als alle anderen. Hyperion hatte drei Admirale getragen, funfzehn Kommandanten und Tausende von Seeleuten. Abgesehen von ihrer Zeit als Hulk, hatte sie keinen gro?eren Feldzug ausgelassen.
        Parris sagte:»Somervell wurde mir sehr lieb und teuer. Ich kampfte dagegen an, aber es war vergeblich.»
        Bolitho sah ihn verstandnislos an. Zunachst begriff er nicht, was Parris meinte. Sie und Somervell - hei?t das, Sie beide. «Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag, und er war entsetzt uber seine bisherige Blindheit. Da war Catherines Abneigung gegen Parris gewesen - nicht etwa, weil er ein heilloser Schurzenjager war, wie Haven geglaubt hatte, sondern im Gegenteil: wegen seiner Affare mit ihrem Ehemann.
>Es gab keine Liebe zwischen uns.< Er horte fast noch ihre Worte. Deswegen mu?te Parris auch sein erstes Kommando verlo ren haben, aber dieser Aspekt war von einer hoheren Stelle, die keinen Skandal wunschte, unterdruckt worden.
        Parris sah ihn traurig an.»Ja, wir beide. Ich wollte es Ihnen beichten, wenigstens Ihnen. Wegen allem, was Sie fur mich und fur dieses Schiff getan haben. Und weil Sie wegen meiner Torheit soviel zu erdulden hatten.»
        Bolitho hatte mit Zorn und Widerwillen reagieren mussen. Aber er gehorte seit seinem zwolften Lebensjahr der Navy an, und was er in dieser Zeit nicht gesehen hatte, das gab es nicht. Daher meinte er nur gelassen:»Gut, nun haben Sie's mir ja erzahlt. «Beruhigend beruhrte er Parris' Schulter.»Ich spreche gleich mit dem Chirurgen.»
        Das Deck erzitterte abermals. Zerbrochene Blocke und fortgeworfene Handwaffen rollten klappernd das Seitendeck hinunter. Endlich kam Blachford an Deck, das Gesicht so wei? wie ein Laken. Bolitho konnte sich vorstellen, wie es im Orlop fur ihn gewesen sein mu?te.

«Konnen Sie hier an Deck operieren?»
        Blachford nickte.»Hiernach kann mich nichts mehr schrecken.»
        Keen hinkte herbei und meldete: «Benbow hat bestatigt, Sir Richard. Konteradmiral Herricks wunscht alles Gute und bietet Ihnen jegliche Hilfe an.»
        Bolitho winkte ab.»Nicht notig, vielen Dank. «Hauptsache, Thomas war am Leben und unverletzt.
        Keen sah, da? sich Blachford uber seine Tasche beugte. Es hatte jeden von uns erwischen konnen, dachte er, oder alle zusammen.
        Schnell sagte er, damit Parris es noch horte:»Sechs Spanier haben die Flagge gestrichen, einschlie?lich der Intrepido, die als letzte vor Tybalt kapitulierte.»
        Es gab einen Knall. Einer der Festmacher brach, mit denen beide Schiffe zusammengelascht waren, und Keen bemerkte besorgt:»Sie zieht schon zu sehr an der Asturias, Sir Richard.»
        Der sah sich um.»Ich wei?. Wo ist Allday?»
        Ein Seemann antwortete im Vorbeigehen:»Unten, Sir Richard.»
        Bolitho nickte.»Kann mir schon denken, warum.»
        Blachford verkundete:»Ich bin soweit.»
        In diesem Augenblick knallte es nochmals laut, doch diesmal war es ein Pistolenschu?. Bolitho und die anderen fuhren herum und starrten auf Parris nieder, dessen Arm an Deck fiel. Er hatte die rauchende Pistole noch in der Hand.
        Blachford schlo? seine Tasche wieder.»Vielleicht war es die bessere Losung, besser als meine. Fur solch einen mutigen jungen Mann ware das Leben als Kruppel unertraglich gewesen.»
        Bolitho nahm den Hut ab und schritt zur Achterdeckstreppe.

«La?t ihn an Bord. Er ist hier in guter Gesellschaft.»
        Rotrocke tummelten sich an Deck. Major Adams, ohne Kopfbedeckung, aber anscheinend unversehrt, bellte seine Befehle. Bolitho sagte:»Die Verwundeten zuerst, Major. Alles hinuber auf den Spanier, danach. «Er sprach nicht weiter.
        Statt dessen drehte er sich um und sah die Benbow, begleitet von der Capricious, auf ihrer freien Seite passieren. Jetzt jubelten sie nicht, denn der Anblick der sterbenden Hyperion verschlo? ihnen wohl den Mund. War es Einbildung, oder lagen die muskulosen Schultern ihrer Galionsfigur schon tiefer uberm Wasser? Bolitho starrte nach vorn, bis sein verletztes Auge pochte.
        Er konnte an nichts anderes mehr denken. Hyperion steckte die Nase weg und ging langsam unter. Sie konnten nicht einmal mehr ankern, denn die See war hier bodenlos tief. Und wie hatten sie ihre Position markieren sollen?
        Manner arbeiteten geschaftig um ihn herum, aber wie bei seiner
        Flaggenhissung erkannte er ihre Gesichter nicht. Er tastete nach dem Facher in seiner Tasche. Wenigstens sie war noch bei ihm.
        Dann erblickte er Rimer, den durchtriebenen Meistersgehilfen, der ihn beim Handstreich auf das Schatzschiff begleitet hatte. Mit glasigen Augen lehnte er unbeweglich an einem Poller, so wie ihn die Kugel getroffen hatte. Korporal Loggie lag mit ausgebreiteten Armen uber einem toten Seesoldaten, den er in Sicherheit hatte bringen wollen, als auch ihn ein Scharfschutze traf. Die ersten Verwundeten wurden durch eine Ladeluke an Deck gehievt. Einige schrien, als ihre Wunden dabei aufbrachen, doch die meisten stierten nur wie der tote Rimer vor sich hin. Sie hatten nicht erwartet, jemals das Tageslicht wiederzusehen.
        Auch Allday tauchte auf und brachte Ozzard mit.»Er hockte noch im Laderaum, Sir Richard. «Und mit einem gezwungenen Grinsen:»Wu?te wohl nicht, da? das Gefecht vorbei war. «Was er nicht erzahlte: Er hatte Ozzard auf der Leiter sitzend vorgefunden, Bolithos Degen an die Brust gedruckt und in das schwarze Wasser starrend, das ihm im Widerschein der letzten Laterne langsam entgegenstieg. Ozzard hatte sich nicht retten wollen.
        Bolitho legte dem kleinen Mann die Hand auf die Schulter.»Ich bin sehr froh, dich zu sehen.»
        Ozzard entgegnete wie betaubt:»Aber alle Mobel. Und das Weinschrankchen von Ihrer Ladyschaft. «Er seufzte.»Alles verloren.»
        Keen kam wieder.»Bedaure, wenn ich Sie belastigen mu?, Sir Richard, aber.»

«Ich verstehe, Val. Tun Sie nur weiter Ihre Arbeit, ich kummere mich um das Schiff. «Keen schluckte seinen Protest herunter, als Bolitho fortfuhr:»Schlie?lich kenne ich es besser als ihr alle.»
        Da trat Keen zuruck und zeigte auf die Festmacheleinen zum Spanier, die sich unter dem Gewicht der sinkenden Hyperion bis zum Brechen strafften.»Aber die Zeit wird knapp.»

«Ich wei?. Fiert die Leinen. «Und wie zu sich selbst:»Ich habe noch nie ein Schiff verloren.»
        Minchin naherte sich mit einem seiner Gehilfen. Beider Kleidung war dunkel von Blut, und jeder trug eine Tasche. Der Arzt sagte:»Bitte um Erlaubnis, das Schiff mit den Verwundeten verlassen zu durfen, Sir Richard.»

«Erlaubnis erteilt. Und vielen Dank.»
        Minchin rang seinem verwusteten Gesicht ein Grinsen ab.»Selbst die Ratten haben sich davongemacht.»
        Bolitho wandte sich an Ozzard:»Geh mit den anderen.»
        Ozzard druckte den Degen an sich.»Nein, Sir Richard, ich bleibe noch.»
        Bolitho war einverstanden.»Dann aber hier, an Deck. «Er sah Allday an.»Kommst du mit?»
        Der betrachtete ihn verzweifelt. Mu?te Bolitho wirklich dort hinunter? Doch laut erwiderte er:»Habe ich Sie jemals alleingelassen?»
        Sie begaben sich nach achtern und stiegen durch den ersten Niedergang ins untere Batteriedeck. Viele Stuckpforten waren noch verriegelt, doch die meisten an Backbord hatte die Detonation aufgedruckt und die Kanonen aus ihren Laschings gerissen. Hier gab es nur wenige Tote, denn Keen hatte das Deck beim Sturm auf den Spanier entvolkert. Aber einige lagen so da, als ob sie des rauchigen Lichts wegen die Vorbeigehenden aus zusammengekniffenen Augen betrachteten. Darunter ein halber Mann, von einer Kugel glatt entzweigerissen, als er mit dem Schwamm zu seinem Geschutz rannte. Uberall war Blut. Obwohl die Wande stets vorsorglich rot gestrichen wurden, hob es sich deutlich ab. Leutnant Priddie, zweiter Vorgesetzter im unteren Batteriedeck, lag auf dem Gesicht, sein Rucken war von langen Holzsplittern durchbohrt, welche die Kugeln aus den Planken gefetzt hatten. Seine Faust hielt noch den Degen.
        Uber eine weitere Leiter ging es hinunter ins Orlop, wo sich Bolitho unter den niedrigen Balken ducken mu?te. Hier brannten noch ein oder zwei Laternen. Die Toten waren aufgereiht und mit Segeltuch bedeckt. Andere lagen noch um den blutigen Tisch herum, so wie sie gestorben waren, wahrend sie warteten.
        Sie horten beide, da? oben ein schwerer Gegenstand zu Boden fiel und wie lebendig uber die zernarbten Planken rollte. Allday flusterte:»Barmherziger!»
        Bolitho sah ihn an. Es mu?te eine Zweiunddrei?igerkugel sein, die aus ihrem Kranz gesprungen war und nun zielstrebig dem Bug entgegentrudelte.
        Sie blieben an der letzten Ladeluke stehen, und Allday nahm den Bezug ab. Dies war eine der Luken, in denen Ozzard immer Wache hielt, wenn das Schiff im Gefecht stand. Bolitho kniete nieder, wahrend Allday neben ihm die Laterne senkte. Sie hatten erwartet, Wasser zwischen den Fassern, Kisten und Mobeln glitzern zu sehen. Aber es war schon alles uberflutet. Fasser schwammen auf der dunklen Bruhe, die einen Seesoldaten umplatscherte, der sterbend die Leiter umklammert hatte: ein Posten aufwache gegen entsetzte Menschen, die vor der Schlacht hier hinunter fliehen wollten. Vielleicht hatte sogar einer von diesen ihn umgebracht.
        Das Deck ruckte abermals, und Bolitho horte schwere Trummer im Zimmermannsgang poltern, wo Manner wie in einer Rattenfalle ertrunken waren.
        Das Orlop und all die anderen Verschlage und Magazine hier unten waren seit dreiunddrei?ig Jahren in volliger Dunkelheit geblieben. Als man das alte Schiff nach hastiger Uberholung wieder in Dienst stellte, hatte die Werft hier hochstwahrscheinlich einiges ubersehen. Ungesehen und unentdeckt fra? die Faule, der Schwamm, an Planken und Spanten bis hinunter zum Kielschwein. Das Bombardement durch die San Mateo hatte ihr nur den Gnadensto? versetzt.
        Bolitho lie? Allday die Luke schlie?en und bahnte sich den Weg nach oben.
        Viele Erinnerungen wurden mit diesem Schiff untergehen: an Adam als Fahnrich, an Cheney, die er hier geliebt hatte. So viele Namen und Gesichter. Einige von ihnen waren jetzt dort drau?en in dem angeschlagenen Geschwader und sicherten die Prisen nach ihrem Sieg. Vielleicht beobachteten sie jetzt die sinkende
        Hyperion und erinnerten sich, welch stolzes Schiff sie einst gewesen war. Wahrend die Jungen wie Fahnrich Springett… Er fluchte und hielt sich die Hand vor Augen. Nein, auch er war tot wie so viele andere, an die er sich nicht mehr erinnern konnte.
        Allday murmelte:»Ich glaube, wir sollten lieber.»
        Das Schiff schuttelte sich. Bolitho meinte, jetzt auch schon im Orlop glitzerndes Wasser zu sehen. Es sickerte durch die Decksplanken und wurde bald das Blut von Minchins Behelfstisch schwemmen.
        Sie kletterten ein Deck hoher und sprangen zur Seite, als ein gro?er Zweiunddrei?igpfunder lebendig wurde und wie von unsichtbaren Handen gesto?en seine Stuckpforte rammte. Laden! Ausrennen! Feuern! Bolitho konnte beinahe die den Schlachtenlarm ubertonenden Befehle horen.
        Auf dem Achterdeck warteten Keen und Jenour. Der Kommandant meldete sachlich: Schiff ist geraumt, Sir Richard. «Er hob den Blick. Im nachmittaglichen Sonnenschein hing dort noch Bolithos Flagge.»Soll ich sie niederholen lassen?»
        Bolitho trat an die Reling und packte das Holz, wie er es viele Male als Kommandant getan hatte und dann als Admiral.»Nein, Val. Das Schiff hat unter meiner Flagge gekampft, es soll mit ihr untergehen.»
        Er blickte zur spanischen Asturias hinuber. Sie schien nun viel hoher aus dem Wasser zu ragen. Jetzt konnte er mehr von ihren Schaden sehen, von den Wunden, welche die Breitseiten der Hyperion geris sen hatten.
        Dann wandte er sich wieder dem Batteriedeck und seinen Gefallenen zu. Sie hatten den Feind erfolgreich abgewehrt und zerstreut. Auch Parris mit der Pistole, die er als letzten Ausweg gewahlt hatte. Wenn man die treibenden Schiffe und die verlassenen Leichen betrachtete, wurde es ein fraglicher Sieg.
        Bolitho flusterte:»Mein Schiff…«Er sprach, als ware er allein.»Wieder eine Hulk, aber diesmal in Ehren!«Dann stie? er sich von der Reling ab.»Ich bin soweit.»
        Es dauerte noch eine ganze Stunde, ehe Hyperion untertauchte.
        Sie sank langsam uber den Bug. Bolitho, der auf dem Achterdeck des Spaniers stand, horte das Wasser gierig in die Pforten laufen und Trummer mit sich rei?en, um dem Schiff den Rest zu geben. Selbst die spanischen Gefangenen, die sich am Schanzkleid versammelt hatten und zusahen, waren merkwurdig still.
        Hangematten losten sich aus ihren Netzen und schwammen auf. Beim Ruderrad drehte sich ein Leichnam auf den Rucken, als ob er sich nur totgestellt hatte.
        Bolitho merkte, da? er seinen Degengriff fest gegen den Facher in seiner Tasche pre?te.
        Soviel verschwand mit der Hyperion. Ihm stockte der Atem, als die See unaufhaltsam dem Achterdeck entgegenrollte, bis nur noch die Poop, das Podest des Wachhabenden, und vorn die Mastspitze mit seiner Flagge herausragten.
        Ihm fielen die Worte des gefallenen Naylor ein: Hyperion machte den Weg fur die anderen frei, wie sie es immer getan hatte.
        Laut sagte er:»Es gibt keine bessere als dich, old Lady!»
        Im nachsten Augenblick war sie verschwunden. Nur Schaum und Treibgut blieben zuruck, als sie kopfuber ihre letzte Reise zum Meeresgrund antrat.



        Epilog

        Am Rand der Klippe hielt Bolitho inne und spahte uber die Bucht von Falmouth. Es lag noch kein Schnee, aber der Wind, der das Kliff umbrauste und unten Gischt hochri?, war bitterkalt. Die niedrigen, dickbauchigen Wolken versprachen Graupel noch vor der Dunkelheit.
        Bolitho fuhlte den Wind an seinen mit Salz und Regen getrankten Haaren zerren. Er hatte eine kleine Brigg beobachtet, die sich vom Heiford River durchschlug, sie aber aus den Augen verloren in dem winterlichen Dunst, der wie Rauch von der See hereinkam. Kaum zu fassen, da? morgen der erste Tag eines neuen Jahres war und da? er selbst nach seiner Ruckkehr noch immer ein Gefuhl des Verlustes und der Unglaubigkeit verspurte. Als Hyperion untergegangen war, hatte er sich damit zu trosten versucht, da? weder ihr Ende noch der Tod so vieler Manner vergebliche Opfer gewesen waren. Hatte sich das spanische Geschwader der Vereinigten Flotte Villeneuves in Cadiz anschlie?en konnen, ware Nelson wohl in die Rolle des Verlierers gedrangt worden.
        Bolitho hatte sich schlie?lich auf der Fregatte Tybalt zur Reise nach Gibraltar eingeschifft und Herrick die Fuhrung des Geschwaders uberlassen, obwohl die meisten Schiffe unverzuglich eine Werftliegezeit benotigt hatten.
        Beim Felsen hatten ihn die Ereignisse dann uberrascht. Die Vereinigte Flotte war ausgebrochen, ohne auf weitere Unterstutzung zu warten. Aber - ob nach Anzahl der Schiffe unterlegen oder nicht - Nelson hatte einen uberragenden Sieg errungen. In einer einzigen Schlacht hatte er zwei Drittel der spanisch-franzosischen Flotte vernichtet oder gekapert und dadurch jede Hoffnung Napoleons vereitelt, in England Fu? zu fassen. Aber die Schlacht vor Kap Trafalgar hatte Nelson das Leben gekostet. Trauer senkte sich uber die ganze Flotte, und auch an Bord der Tybalt, wo keiner der Manner Nelson jemals gesehen hatte, waren alle so erschuttert, als ob sie einen Freund verloren hatten. Der Sieg selbst wurde vollig von Nelsons Tod uberschattet, und als Bolitho schlie?lich Plymouth erreichte, entdeckte er, da? die Trauer auch in England die gleiche war.
        Zu Bolithos Fu?en kochte die See. Er wickelte sich enger in seinen Umhang.
        Er dachte an Nelson, den Mann, den er so gern getroffen hatte, um mit ihm von Seemann zu Seemann zu reden. Wie ahnlich ihrer beider Leben verlaufen war, gleich Parallelen auf dem Papier. Er entsann sich, Nelson einmal gesehen zu haben, wahrend des ungluckseligen Angriffs auf Toulon, aber nur aus der Ferne, an Bord des Flaggschiffs. Er hatte Bolitho zugewinkt, ein eher schmachtiger junger Kapitan, der spater die Welt verandern sollte. Sonderbar, das Flaggschiff, auf dem sich Nelson damals Befehle holte, war seine spatere Victory. Bolitho gedachte auch der wenigen Briefe, die er von ihm erhalten hatte, alle wahrend der letzten Monate auf der Hyperion. In seiner eigenartig schragen Handschrift, die er sich nach dem Verlust des rechten Arms angewohnt hatte:»Dort werden Sie entdecken, wie eifrig sie ihre Kriege mit Worten und Papier ausfechten, statt mit Kanonen und hartem Stahl…«Nelson hatte gegen hochtrabenden Pomp nie ein Blatt vor den Mund genommen.
        Und dann jener Hinweis, so schicksalhaft fur Bolitho, als er Hyperion zum Flaggschiff verlangt hatte und sie ihm nur widerstrebend gegeben wurde:». Man gebe Bolitho jedes Schiff, das er verlangt. Er ist Seemann, kein Landmann. «Bolitho war froh, da? wenigstens Adam ihn getroffen hatte.
        Er schaute zuruck auf den windumtosten Felsenpfad, der nach Pendennis Castle fuhrte. Die Befestigungsanlagen waren teilweise von Dunst oder niedrigen Wolken verborgen, der Rest sah grau und bedrohlich aus. Er wu?te nicht mehr, wie lange er schon spazieren gegangen und warum er uberhaupt hierher gekommen war. Auch nicht, ob er sich jemals so allein gefuhlt hatte.
        Wieder in England, hatte er der Admiralitat einen kurzen Besuch abgestattet. Aber kein hoher Beamter war fur ihn erreichbar gewesen, angeblich waren alle mit den Vorbereitungen fur Nelsons Beisetzung beschaftigt. Bolitho hatte die Abfuhr ignoriert, London den Rucken gekehrt und war nach Falmouth gefahren. Von Catherine lagen keine Briefe vor. Es war, als hatte er sie abermals verloren. Aber Keen wurde sie sehen, wenn er zu Zenoria nach Hampshire fuhr.
        Dann wurde er ihr eben schreiben. Uberraschend, wie nervos ihn dieser Gedanke machte. Wieder wurde er unsicher, wie schon das erstemal. Wie wurde sie ihn nach so langer Trennung aufnehmen?
        Er schritt weiter gegen den Wind, seine Stiefel saugten sich in dem durchweichten Gras fest. Nelson wurde man mit allem Pomp und Zeremoniell in St. Paul's Cathedral beisetzen. Verbittert dachte er, da? jene, die nun sein Lob in hochsten Tonen sangen, die gleichen waren, die ihn am meisten beneidet und herabgewurdigt hatten.
        Dann sah er sein hinter der Bergkuppe liegendes Haus und war froh, da? er erst nach Weihnachten eingetroffen war. Seine Einsamkeit hatte alle Feierlichkeiten zum Schaden der anderen gedampft. Er war niemandem begegnet. Allday sa? sicherlich im Haus und klonte mit Ferguson uber die Schlacht, die er hier und da mit eigenen Zutaten ausschmuckte, wie es ublich war. Auch Bolitho dachte oft an die Schlacht. Wenigstens hatte es in Falmouth ihretwegen keine Trauerfamilien gegeben. Nur drei von der Besatzung der Hyperion stammten aus dem Ort, und alle hatten uberlebt.
        Von Adam fand er einen Brief vor, es war der einzige Lichtblick bei seiner Heimkehr. Adam war in Chatham und zum Kapitan befordert worden, Kommandant eines neuen Schiffes der funften Klasse, das auf der Marinewerft seiner Vollendung entgegenging. So war sein Wunsch erfullt worden, und zwar wohlverdient.
        Auf einmal mude geworden, hielt Bolitho wieder an. Ihm fiel ein, da? er seit dem Fruhstuck nichts gegessen hatte. Jetzt war es Nachmittag, die Abenddammerung wurde bald kommen und den Pfad gefahrlich machen. Er kehrte um, wobei ihn sein Umhang wie ein Segel umflatterte.
        Wie gut seine Manner an jenem Tag doch gefochten hatten. Von der Nationaltrauer um Nelson uberschattet, hatte es die Gazette nur in wenigen Zeilen zusammengefa?t:

«Am lsten Oktober, einige hundert Meilen ostlich von Cartagena, stie?en Schiffe des Mittelmeergeschwaders unter der Flagge von Vizeadmiral Sir Richard Bolitho auf eine uberlegene Streitkraft von zwolf spanischen Linienschiffen. Nach heftigem Gefecht zog sich der Feind zuruck und lie? sechs Prisen in britischen Handen. Gott segne den Konig!»
        Weder wurde Hyperion erwahnt noch die Manner, welche mit ihr nun in Frieden ruhten. Bolitho beschleunigte den Schritt und ware fast gestolpert, nicht aus Blindheit, wohl aber aus innerer
        Erregung. Gott verdamme sie alle, dachte er. Dieselben Heuchler wurden nun den kleinen Admiral loben, weil sie seine Ehrlichkeit nicht langer zu furchten brauchten. Aber die Getreuen wurden seinen Namen hochhalten und dafur sorgen, da? er weiterlebte, fur Adams Navy und die folgenden.
        Eine Gestalt naherte sich ihm auf dem unmittelbar an der Kliffkante verlaufenden Pfad. Er spahte durch Dunst und Regen und sah, da? sie den gleichen Umhang trug wie er selbst. In einer Stunde, vielleicht schon fruher, mu?te ein Spaziergang hier halsbrecherisch werden. Ein Fremder also?
        Die Gestalt kam ihm langsam entgegen. Ihr Haar, so dunkel wie sein eigenes, wehte im bitterkalten Seewind. Allday mu?te geplaudert haben. Er war der einzige im Haus, der den Weg kannte. Diesen besonderen Weg, den sie beide nach seinem Fieber gegangen waren. Bolitho kam es wie vor tausend Jahren vor.
        Er eilte ihr entgegen, hielt sie auf Armlange von sich ab und sah sie abwechselnd lachen und weinen. Sie trug seinen alten Bootsumhang, den er zum Wandern bei kaltem Wetter aufgehoben hatte. Ein Knopf war abgegangen, der Saum eingerissen. Wenn der Wind ihn hob, wurde ihr schlichtes dunkelrotes Kleid darunter sichtbar. Welch ein Unterschied zu dem Leben in Luxus, das sie einst gefuhrt hatte!
        Bolitho pre?te sie an sich, spurte ihr nasses Haar, das Streicheln ihrer Hande. Sie waren eiskalt, aber keiner von beiden merkte es.

«Ich wollte dir schreiben. «Er konnte nicht weitersprechen. Sie betrachtete ihn genau, dann strich sie ihm sanft uber die Braue des verletzten Auges und druckte ihr Gesicht gegen seines, indes der Wind sie beide mit den Umhangen einhullte.

«Val hat mir alles erzahlt. Liebster Mann, wie entsetzlich mu? es gewesen sein - fur dich und dein altes Schiff.»
        Bolitho legte ihr den Arm um die Schultern. Als sie den Hugelkamm uberquerten, sahen sie wieder das alte graue Herrenhaus. In einigen Fenstern brannte schon Licht.
        Catherine sagte:»Sie nennen mich eine Seemannsbraut. Wie konnte ich da fortbleiben?»
        Bolitho druckte wortlos ihre Schulter. Sein Herz war zu voll, er konnte nicht antworten. Erst nach einer Weile sagte er:»Komm, ich bringe dich nach Hause.»
        Unten blieb er stehen, um ihr uber den alten Pferch zu helfen, wo er und seine Geschwister als Kinder gespielt hatten. Von der Leiter schaute sie auf ihn herab, die Hande auf seinen Schultern.»Ich liebe dich, Richard.»
        Er suchte den Moment zu verlangern, denn er ahnte, da? endlich Friede in dieses Haus eingekehrt war.
        Er erwiderte schlicht:»Jetzt ist hier auch dein Zuhause.»
        Der einbeinige fruhere Seemann namens Vanzell tippte gru?end an seinen Hut, als sie vorbeigingen, aber sie nahmen ihn nicht wahr. Ihre Herzen hatten Frieden gefunden, diesen hochsten Lohn des Schicksals.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Rote, Blaue und Wei?e Flotten: Einteilung nach Operationsgebieten


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê