Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Die Feuertaufe Richard Bolitho Fahnrich Zur See " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Die Feuertaufe: Richard Bolitho - Fahnrich zur See Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #1 Gleich mit seinem ersten Kommando, der Brigg SANDPIPER, hat Richard Bolitho eine harte Bewahrungsprobe zu bestehen, denn die Flotte Seiner Majestat, des englischen Konigs, hat Befehl, dem Piratenunwesen vor der Kuste Senegals ein Ende zu bereiten. Doch wird Bolitho die Falle, die der Korsar Haddam fur das Linienschiff GORGON aufgebaut hat, sprengen konnen?

        Alexander Kent
        Die Feuertaufe
        Richard Bolitho - Fahnrich zur See

        Fur
        John und Betty Hamilton

        I SM Linienschiff Gorgon

        Es war zwar erst um die Mittagszeit, aber die dunklen Wolken jagten so tief uber den Hafen von Portsmouth hinweg, da? man hatte meinen konnen, es sei bereits Abend. Seit Tagen wehte ein heftiger Ostwind, und drau?en an der Reede, wo die Schiffe dicht beieinander vor Anker lagen, war das Wasser kabbelig und hatte wei?e Schaumkronen; und in dem ungemutlichen Regen glitzerten die schaukelnden Schiffs-rumpfe und die massigen Mauern der Hafenbefestigungen wie Metall.
        Direkt auf dem Portsmouth Point erhob sich der festgefugte Bau des Blue Post's Inn, dem weder Regen noch Wind etwas anhaben konnten. Wie alle Kneipen und Gasthauser in geschaftigen Hafenstadten war er im Lauf der Jahre mehrfach vergro?ert und umgebaut worden, aber er sah immer noch wie eine richtige Seemannskneipe aus. Allerdings wurde er mehr als von anderen Seefahrern von den jungen Midshipmen frequentiert, die wie Ebbe und Flut kamen und gingen; daher hatte er seine eigene Atmosphare. Die Gaststube war niedrig und nicht besonders sauber, aber schon mehr als ein zukunftiger Admiral war durch ihre zerkratzten Turen ein- und ausgegangen.
        Es war Mitte Oktober 1772, und Richard Bolitho sa? eingeklemmt an einem der Tische im Speiseraum und horte mit halbem Ohr das Stimmengewirr um ihn herum, das Geklapper der Teller und Glaser, den Regen, der an die kleinen Fenster prasselte. Die Luft war schwer von allerlei Geruchen - Essen und Bier, Tabak und Teer, und dazu kam jedesmal, wenn sich die Turen offneten, mit einem Chor von Fluchen und Schimpfworten ein Schwall salziger Luft hinein, der von drau?en, wo die Schiffe lagen, heruberwehte.
        Richard Bolitho streckte die Beine von sich und seufzte. Nach der langen und knochenbrecherischen Postkutschenfahrt von Falmouth, wo sein Elternhaus stand, und nach einer gro?en Midshipmen hie?en damals die Offiziersanwarter der englischen Kriegsflotte, also die Seekadetten und Fahnriche zur See, die auf den Kriegsschiffen ausgebildet wurden. Heute bezeichnet» Midshipman «die Rangstufe zwischen Naval Cadet (Seekadett) und SubLieutenant (Unterleutnant); die Ausbildung findet vorwiegend an Land statt (d. Ubs.).
        Portion Kaninchenpastete (ein Stammgericht des Blue Post's Inn fur die» jungen Gentlemen«) war ihm schlafrig zumute. Neugierig blickte er sich nach den anderen Midshipmen in seiner unmittelbaren Nahe um. Einige waren wirklich sehr jung, praktisch noch Kinder, hochstens zwolf Jahre alt. Trotz der Reserviertheit, die in Bolithos Charakter lag, mu?te er lacheln. Auch er selbst war mit zwolf Jahren als Midshipman auf sein erstes Schiff gekommen. Und wie hatte ihn das Leben bei der Flotte seither verandert! Er konnte sich kaum noch vorstellen, wie er damals gewesen war. Vermutlich nicht viel anders als einer der Knaben dort an den Tischen; und denen wurde es genauso ergehen, wie es ihm damals ergangen war: angstlich wurden sie sein, eingeschuchtert von der rauhen, fast feindseligen Atmosphare an Bord eines Kriegsschiffes, und doch irgendwie entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen; und stets fest davon uberzeugt, da? die Existenz eines Midshipman allen anderen an Bord hochst gleichgultig sei.
        Vier Jahre war das her. Es war immer noch schwer, damit fertig zu werden. Vier Jahre, in denen er reif geworden war und sich von dem Schiff, das ihn umgab, hatte formen lassen. Zuerst hatte er geglaubt, er wurde all das, was da von ihm verlangt und gefordert wurde, niemals lernen. Den ganzen verwirrenden Komplex von Takelung, Wanten und Rahen. Die Meilen von Tauwerk jeder Starke und Lange, die notig sind, um ein Schiff in Bewegung zu bringen und es zu beherrschen. Segeldrill hoch oben auf den wie trunken schwankenden Rahen in Regen und Hagel, oder wenn es so hei? war, da? er manchmal fast ohnmachtig geworden und in die Tiefe, auf das Deck unten, hinabgesturzt ware. Er hatte die ungeschriebenen Gesetze jener Welt zwischen den Decks gelernt, die Hierarchien und Regeln, die das Leben in dem uberfullten, turbulenten Milieu eines Kriegsschiffs uberhaupt erst moglich machen. Er hatte nicht nur uberlebt, er war sogar besser durchgekommen, als er es fur moglich gehalten hatte. Allerdings nicht, ohne da? einige Beulen und Tranen den Weg markierten.
        Heute, an diesem trubseligen Oktobertag, war er im Begriff, sich auf seinem zweiten Schiff zum Dienst zu melden. Es war die Gorgon, 74 Geschutze, und sie lag irgendwo im Solent[Meerenge zwischen dem Festland und der Isle of Wight (d. Ubs.).
        vor Anker.
        Er beobachtete mit grimmigem Lacheln, wie ein kleinerMidshipman ein riesiges Stuck gekochtes Schweinefleisch hinunterschlang. Das wurde dem Kleinen noch leid tun. Bei diesem Wind hatte er bis zu seinem Schiff eine lange und hochst bewegte Bootsfahrt zuruckzulegen.
        Plotzlich mu?te Bolitho an sein Elternhaus in Cornwall denken, an das gro?e Haus aus grauem Stein unterhalb Pendennis Castle, wo er mit seinem Bruder und seinen beiden Schwestern aufgewachsen war. Ubrigens lebten die Bolithos schon seit Generationen in diesem Haus. Als er auf Urlaub kam, war es anders gewesen, als er erwartet hatte, anders, als er es sich in Sturm und Hitze ertraumt hatte. Erstens waren nur die Mutter und die Schwestern dagewesen, um ihn zu begru?en. Sein Vater, Kapitan eines der Gorgon ungefahr ahnlichen Schiffes, segelte irgendwo im Indischen Ozean. Hugh, sein Bruder, war Senior Midshipman[dienstaltester Midshipman auf dem betreffenden Schiff.] auf einer Fregatte[Kriegsschiff mit 20 bis 50 Kanonen (d. Ubs.).] im Mittelmeer. Nach dem Leben auf dem Linienschiff war Richard das Haus sehr still vorgekommen.
        Seine neue Einberufung war ihm an seinem sechzehnten Geburtstag zugestellt worden: Er hatte sich auf dem allerschnellsten Wege nach Spithead zu begeben und sich dort an Bord Seiner Britannischen Majestat Schiff Gorgon, unter Kapitan Beves Conway, zum Dienst zu melden. Das Schiff wurde zur Zeit neu ausgerustet.
        Seine Mutter hatte versucht, ihren Kummer zu verbergen. Seine Schwestern reagierten mit Lachen und Weinen wie es ihnen gerade in den Sinn kam.
        Auf dem Weg zur Haltestelle der Postkutsche hatten ihm die Landarbeiter, an denen er vorbeikam, gru?end zugenickt. Aber zu wundern schienen sie sich nicht. Seit vielen, vielen Jahren ging immer wieder ein Bolitho aus dem Haus und an Bord dieses oder jenes Schiffes. Und mancher war nie zuruckgekehrt.
        Jetzt fing das alles fur Richard Bolitho zum zweitenmal an. Er hatte sich geschworen, da? er gewisse Fehler nicht mehr machen wurde, da? er gewisse Dinge, die er gelernt hatte und die wichtiger waren als alles andere, nie vergessen wurde. Ein Midshipman war weder Fisch noch Fleisch. Er stand zwischen den Leutnants und dem eigentlichen Ruckgrat der Besatzung, den Deckoffizieren. Steuermanner, Bootsmanner und Maaten (d. Ubs.).] An einem Ende des Schiffes, unnahbar und fern, gottahnlich, logierte der Kapitan. Mitten im standigen Strom hin- und hereilender Mannschaften lag das enge, vollgestopfte Midshipmen-Logis. Die Mannschaft - Matrosen und Seesoldaten, Freiwillige und Gepre?te waren zwischen die Decks gepfercht und doch zu jeder Zeit durch Rang und Dienstalter voneinander getrennt. Harte Disziplinarstrafen bildeten eher die Regel als die Ausnahme; der Dienst am Schiff bei jedem Wetter war gefahrlich und forderte manches Menschenleben - das war selbstverstandlich, man sprach nicht daruber.
        Wenn die Landratten ein Schiff des Konigs sahen, das von der Kuste ablegte, alle Rahen frisch getakelt und von Matrosen wimmelnd, wenn sie das Krachen der Salutgeschutze horten, dazu die lustigen Stimmen der Manner am Ankerspill, die einen alterprobten Shanty sangen, dann hatten sie keine Ahnung von jener anderen Welt tief unten im Schiffsraum. Und das war wahrscheinlich auch ganz gut so.

«Ist der Platz frei?»
        Bolitho fuhr aus seinen Gedanken auf und blickte hoch. Ein Midshipman, blond und blauaugig, lachelte ihn an.

«Martyn Dancer«, fuhr der Neuankommling fort.»Ich gehe an Bord der Gorgon. Der Wirt sagt, Sie sind vom selben Schiff.»
        Bolitho stellte sich vor und rutschte auf der Bank ein Stuck weiter, um Dancer Platz zu machen.

«Doch nicht Ihr erstes Schiff?»
        Dancer lachelte trube.»Beinahe. Ich war auf dem Flaggschiff, bis es ins Dock mu?te. Meine Seedienstzeit belauft sich auf drei Monate und zwei Tage. «Er bemerkte Bolithos uber-raschte Miene.»Ich habe spat angefangen. Mein Vater wollte mich nicht zur See gehen lassen. «Er zuckte die Achseln.»Aber schlie?lich habe ich doch meinen Willen durch-gesetzt.»
        Der junge Mann gefiel Bolitho. Gewi?, Dancer hatte seine Laufbahn spat begonnen. Er war ungefahr so alt wie Bolitho, und seine ruhige, kultivierte Stimme lie? darauf schlie?en, da? er aus einer guten Familie kam. Und sicherlich aus der Stadt.
        Dancer sagte eben:»Ich habe gehort, da? wir nach Westafrika segeln. Aber. .»
        Bolitho grinste.

«Das ist nur ein Gerucht unter anderen. Aber es ware immerhin besser, als bei der Kanalflotte zu sein und standig im Armelkanal hin und her zu rutschen.»
        Dancer verzog das Gesicht.»Der Siebenjahrige Krieg ist jetzt seit neun Jahren vorbei. Ich hatte doch gedacht, die Franzosen wurden uns wieder auf den Leib rucken, und sei es nur, um ihre kanadischen Besitzungen wiederzukriegen.»
        Bolitho wandte sich um und sah zwei invalide Matrosen auf den Wirt zugehen. Der beaufsichtigte gerade ein Kuchenmadchen, das Suppe in Zinnschusseln abfullte.
        Kein richtiger Krieg seit neun Jahren, das stimmte schon. Und doch gab es uberall auf der Welt genug andere Konflikte, die nie abrissen: Aufstande und Piraterie; Kolonien, die gegen ihre neuen Herren revoltierten - solche Aktionen kosteten ebenso viele Opfer wie jede Seeschlacht.

«Schert euch weg!«sagte der Wirt grob.»Ich will hier keine Bettler.»
        Der eine Matrose, dessen rechter Arm dicht unter der Schulter amputiert war, erwiderte argerlich:»Ich bin kein lausiger Bettler! Ich war auf der alten Marlborough, 74 Geschutze, Konteradmiral Rodney!»
        Tiefe Stille im E?raum; und Bolitho sah, da? einige der jungeren Midshipmen die beiden Invaliden mit Furcht und Schrecken anstarrten.
        Der zweite Mann rief besorgt:»La? gut sein, Ted! Dieser Teufel gibt uns doch nichts.»

«Geben Sie ihnen alles, was sie brauchen!«sagte Dancer. Argerlich und verwirrt uber seine Impulsivitat schlug er die Augen nieder.»Ich bezahle.»
        Bolitho blickte ihn an. Er war ebenso betroffen. Und ebenso beschamt.

«Gut gesprochen, Martyn«, sage er und legte ihm freundschaftlich die Hand auf den Arm.»Ich freue mich, da? wir Bordkameraden sind.»
        Ein Schatten fiel zwischen sie und die qualmende Lampe. Der Einarmige sah sie lange an, sein Gesicht war sehr duster.»Danke, junge Herren. «Er streckte die Hand aus.»Viel Gluck! Sie beide werden bestimmt mal Kapitane.»
        Er trat beiseite, als eine Kellnerin zwei dampfende Schusseln mit Essen auf einen Nebentisch stellte, und fugte zu Nutz und Frommen aller Anwesenden noch hinzu:»Der eine oder andere sollte sich diesen Tag merken. Eine gute Lehre fur euch.»
        Der Wirt, ein gro?er, kraftiger Mann, trat auf die beiden Midshipmen zu. Langsam setzte die allgemeine Unterhaltung wieder ein.

«Jetzt will ich Ihr verdammtes Geld sehen. Und zwar gleich!«Wutend stierte er Dancer an.»Und anschlie?end. .»

«Anschlie?end«, sage Bolitho ruhig,»werden Sie uns zwei Brandy bringen, Wirt. «Er beobachtete gelassen, wie in dem Mann die Wut hochstieg, und pa?te den richtigen Moment ab, wie beim Abfeuern eines Neunpfunders.»Sie sollten lieber etwas auf Ihr Benehmen achten. Mein Freund hier ist glucklicherweise guter Laune. Aber seinem Vater gehort das meiste Land hier in der Gegend.»
        Der Wirt schluckte.»Um Gottes willen, Sir! Ich habe doch nur Spa? gemacht! Ich bringe Ihnen den Brandy sofort. Den besten, den ich habe, und Sie werden hoffentlich nichts dagegen haben, da? er auf meine Kosten geht. «Mit plotzlich besorgtem Gesicht eilte er davon.
        Verwirrt sagte Dancer:»Aber mein Vater ist doch Teehandler in der Londoner City! Ich bezweifle, da? er Portsmouth Point je im Leben gesehen hat. «Er schuttelte den Kopf.»Ich glaube, ich mu? meinen Geist ordentlich scharfen, wenn ich mit Ihnen Schritt halten will, Richard!»
        Bolitho lachelte bedeutsam.»Nenn mich Dick, wenn du nichts dagegen hast.»
        Als sie eben ihren Brandy nippten, wurde die Tur zur Stra?e weit aufgerissen. Diesmal fiel sie nicht gleich wieder zu. Die Offnung wurde von einem Leutnant in triefendem Olzeug ausgefullt. Sein Dreispitz war von Gischt und Regen vollig durchweicht.

«Alle Midshipmen der Gorgon sofort zum Bootshafen!«brullte er heiser.»Drau?en wartet eine Gang Matrosen, um eure Seekisten an Bord zu bringen.»
        Mit wiegenden Schritten ging er zum Kamin und ri? dem Wirt einen Becher Brandy aus der Hand.»Drau?en blast es wie verruckt. «Er hielt seine roten Hande uber die warmenden Flammen.»Helf uns Gott!»
        Dann fiel ihm plotzlich etwas ein:»Wer ist hier der Dienstalteste?»
        Bolitho sah, wie die jungen Leute im Raum angstliche Blicke wechselten. Die Gemutlichkeit hatte sich in Panik verwandelt.

«Ich glaube, das bin ich, Sir«, sagte er.»Richard Bolitho.»
        Der Leutnant musterte ihn mi?trauisch.»Na schon. Fuhren Sie sie zum Hafen, und melden Sie sich beim Boots-mannsmaat. Ich komme gleich nach. «Er hob die Stimme. Und wenn ich da bin, ist gefalligst jeder einzelne Muttersohn abfahrbereit, verstanden?»
        Der kleinste Midshipman sagte verzweifelt:»Mir wird schlecht, glaube ich.»
        Jemand lachte, aber der Leutnant brullte ihn an:»Ihnen wird schlecht, Sir! Sagen Sie gefalligst ›Sir‹, wenn Sie einen Offizier anreden, verdammt noch mal!»
        Die Frau des Wirts sah zu, wie die Midshipmen Hals uber Kopf in den Regen hinaussturzten.

«Sie nehmen sie ja 'n bi?chen hart 'ran, Mr. Hope, Sir.»
        Der Leutnant grinste.»Das haben wir alle durchmachen mussen, meine Liebe. Der Kapitan ist sowieso schwierig genug, wie die Dinge liegen. Wenn ich mit den neuen Midshipmen zu schlapp bin, dann verpa?t er mir 'ne Breitseite, das kann ich Ihnen garantieren!»
        Drau?en auf dem nassen Kopfsteinpflaster sah Bolitho zu, wie ein paar Matrosen die schwarzen Kisten auf Karren luden. Kraftig, wettergebraunt, sie sahen wie befahrene Seeleute aus; der Kapitan hatte vermutlich nicht das Risiko eingehen wollen, weniger verla?liche Mannschaften, die vielleicht desertierten, an Land zu schicken.
        In ein paar Wochen, ja sogar ein paar Tagen, wurde er diese Manner und noch viele andere genauer kennen. Er wurde nicht, wie an Bord seines ersten Schiffes, in die alten Fehler verfallen. Inzwischen hatte er gelernt: Vertrauen war etwas, das man sich verdienen mu?te, und nicht einfach eine Zugabe zur Uniform, die man trug.
        Er nickte einem der alteren Manner zu.»Wir legen gleich ab.»
        Der Mann grinste.»Ist wohl nicht Ihr erster Bordgang, Sir?»
        Bolitho fiel neben Dancer in Gleichschritt.»Und der letzte auch nicht.»
        Unten am Hafen fanden sie den Bootsmannsmaat im Windschutz der Mauer. Vor ihnen rollte der Solent seine endlose Folge kabbeliger Wogenkamme, und die paar Mowen hoben sich von dem bleiernen Himmel ab wie wei?e Schaumfetzen.
        Der Maat fa?te an seinen Hut.»Ich schlage vor, Sie lassen alle Mann gleich an Bord gehen, Sir. Wir haben 'n ziemlichen Ebbstrom, und der Erste will, da? das Boot vor der Hundewache noch einen Torn macht. «Vertraulich senkte er die Stimme.»Er hei?t Mr. Verling, Sir. Lassen Sie sich warnen. Er ist manchmal mit den jungen Herren 'n bi?chen scharf. Sollen alles machen, was er macht - so gut sie konnen. «Er grinste schadenfroh.»Herrgott, sehen Sie diesen Haufen blo? an! Die verspeist er zum Fruhstuck.»

«Und ich Sie«, herrschte Bolitho ihn an,»wenn Sie nicht sofort mit Ihrem Geschwafel aufhoren!»
        Der Mann verschwand, und Dancer machte gro?e Augen.»Die Sorte kenn' ich, Martyn«, sagte Bolitho.»Als nachstes soll ich ihm dann erlauben, da? er rasch mal einen Rum trinken geht. «Er grinste.»Und das wurde dem Leutnant hier kaum recht sein, ganz zu schweigen von dem gewaltigen Mr. Verling.»
        Da erschien auch schon der Leutnant an der Mauer, mit leicht glasigen Augen. Marsch, ins Boot! Beeilt euch!»
        Leise sagte Dancer:»Mein Vater hatte vielleicht doch recht.»
        Bolitho wartete, bis die letzten uber die steile Leiter in die stampfende Barkasse geklettert waren.

«Mir tut's nicht leid, da? ich wieder an Bord komme«, sagte er. Und zu seiner eigenen Uberraschung stimmte das sogar.
        Die Fahrt vom Bootshafen bis zu dem vor Anker liegenden Zweidecker dauerte fast eine Stunde. Dabei hatten diejenigen Midshipmen, die nicht zu heftig brechen mu?ten, ausreichend Zeit, sich ihre neue Heimat anzusehen, die beim Naherkommen immer hoher und machtiger hinter den unbarmherzigen Regenschauern aufragte.
        Bolitho hatte sich bemuht, etwas uber sein neues Bordkommando zu erfahren. Die Vierundsiebziger, wie diese massigen Zweidecker bei den Seeleuten hie?en, bildeten den Kern der Flotte. In jeder gro?en Seeschlacht dominierten sie dort, wo am heftigsten gekampft wurde. Aber er wu?te aus Erfahrung, und hatte es auch von alten Seeleuten gehort, da? diese Schiffe untereinander so verschieden waren wie Salz und Sirup.
        Wahrend die Bootsgasten die Barkasse uber die kabbelige See pullten, behielt er das Schiff im Auge. Er sah die himmelhohen Masten mit den dwars stehenden Rahen, den glanzend schwarzen, braun abgesetzten Rumpf mit der Doppelreihe geschlossener Stuckpforten; die rote Nationalflagge am hohen Stern und die kleinere Bugflagge, zwei bunte Farbflecke auf dem grauen Hintergrund von See und Himmel. Die Manner an den Riemen wurden allmahlich mude von ihrer schweren Arbeit, immer haufiger mu?te der Maat den Takt angeben, um sie im Gleichschlag zu halten, und standig brullte und schimpfte der rotgesichtige Leutnant.
        Jetzt zogen sie unter dem langen Bugspriet und dem Kluverbaum hindurch, von dem die hellvergoldete Galionsfigur fast bosartig auf die stumm dahockenden Midshipmen herabstarrte. Die Galion der Gorgon war ein gro?artiges, wenn auch erschreckendes Stuck Holz-schnitzerei: eine verschlungene Masse von Schlangenleibern, und darunter ein schones, finsteres Frauenantlitz mit ubergro?en Augen; rote Striche in den Lidwinkeln verstarkten noch den drohenden Ausdruck.
        Und dann wurden sie alle zusammen, ein keuchender, strampelnder Haufen, ganz unzeremoniell an der Bordwand hochgeschoben und - gehievt, so da? ihnen das breite Achterdeck, auf dem sie schlie?lich landeten, vergleichsweise wie ein geschutzter, ruhevoller Zufluchtsort vorkam.

«Sie sieht ganz ordentlich aus, Martyn«, sagte Bolitho. Geschwind uberflogen seine Blicke die sauber ausgerichtete Reihe der Achterdeck-Neunpfunder, deren schwarze Rohre im Regen glitzerten; die Flaggenknopfe waren frisch gestrichen, jedes Ende Tauwerk sorgfaltig aufgeschossen und verstaut.
        Oben in den Rahen und an den beiden Decksgangen, welche das Achterdeck mit dem Vorschiff verbanden, arbeiteten Matrosen. Unter den Decksgangen, in gleichma?igen Abstanden, standen die Achtzehnpfunder der Oberdeck-batterie, wahrend auf dem nachstunteren Deck die starkste Kampfkraft des Schiffes armiert war: die Batterie der machtigen Zweiunddrei?igpfunder. Wenn es notig war, konnte die Gorgon laut und nachdrucklich mitreden.

«Her zu mir!«brullte der Leutnant. Die Midshipmen gehorchten eilig. Manche hatten jetzt schon Angst und fuhlten sich vollig verloren. Andere pa?ten auf und bemuhten sich, zu erfassen, was von ihnen verlangt wurde.

«Anschlie?end rucken Sie in Ihre Quartiere. «Der Leutnant mu?te sich anstrengen, um das Rauschen des Regens, das standige Sausen des Windes in der Takelung und den gerefften Segeln zu ubertonen.»Vorher will ich Ihnen noch sagen, da? Sie jetzt an Bord eines der besten Schiffe in Seiner Majestat Flotte Dienst tun, ein Schiff mit hohen Anforderungen, das keine Schlappschwanze duldet. An Bord der Gorgon sind insgesamt zwolf Midshipmen - mit Ihnen, hei?t das; und falls Muttersohnchen dabei sind, tun sie gut daran, doppelt hart an sich zu arbeiten, sonst kriegen sie schweren Arger. Sie werden auf den Geschutzdecks und anderswo eingesetzt, bis Sie imstande sind, mit den Leuten zu arbeiten, ohne sich zu blamieren.»
        Eben rannten einige Matrosen unter der Aufsicht eines Bootsmannsmaaten von recht hartgesottenem Aussehen vorbei, und Bolitho wandte sich nach ihnen um. Frisch vom Land, allem Anschein nach, dachte er. Aus dem Schuldturm, oder dem Gerichtsgefangnis, wo man sie, wenn die Flotte nicht so dringend Manner gebraucht hatte, bis zu ihrer Deportation in die neuen amerikanischen Kolonien hatte schmoren lassen. Der Menschenhunger der Kriegsmarine war unstillbar, und jetzt im Frieden war es sogar noch schwieriger, die Schiffe ausreichend zu bemannen. Was der Leutnant da gesagt hatte, stimmte eigentlich nicht, dachte Bolitho. Nicht nur die Midshipmen waren neu und ungeubt. Ein erheblicher Teil der Mannschaft war kaum besser.
        Er kniff die Augen zusammen, in die der Regen spruhte, und hatte genugend Zeit, daruber zu staunen, was fur eine Menge Menschen ein solches Schiff verschlingen konnte. Seines Wissens beherbergte die Gorgon eine Besatzung von uber sechshundert Mann - Offiziere, Matrosen und Marine-Infanteristen - in ihrem dicken Siebzehnhunderttonnenbauch; und dabei sah man an Deck immer nur etwa drei?ig Mann.

«He, Sie!»
        Bolitho fuhr herum, als die Stimme des Leutnants in seine Gedanken schnitt.

«Hoffentlich langweile ich Sie nicht!»

«Entschuldigung, Sir!«antwortete Bolitho.

«Ich werde Sie im Auge behalten!»
        Der Leutnant nahm Haltung an, denn von der Kampanje her naherte sich ein anderer Offizier. Das mu?te, dachte Bolitho, der Erste Leutnant sein. Mr. Verling war gro? und mager, und sein Gesicht war so verkniffen, da? er eher einem Richter beim Verkunden des Todesurteils glich als einem Offizier, der neue Offiziere an Bord begru?en sollte. Seine schnabelartige Hakennase stach unter dem Dreispitz hervor, als spahe sie nach irgendwelchen Vergehen gegen die Bordroutine aus, und seine Blicke verrieten, als sie uber die schwankende Reihe der wartenden Midshipmen glitten, weder Warme noch Mitgefuhl fur die Neulinge.
        Er sagte:»Ich bin der Dienstalteste an Bord. «Sogar sein Ton war scharf und abgehackt, jedes menschliche Gefuhl wie weggehobelt.»Solange Sie an Bord sind«, fuhr er fort,»haben Sie Ihre diversen Pflichten jederzeit zu erfullen. Ihre Ausbildung und die Vorbereitung auf das Leutnantsexamen werden Sie so in Anspruch nehmen, da? beides schlie?lich vollig im Vordergrund steht und jeder Mu?iggang Ihnen egoistisch und sinnlos vorkommen wird. «Er machte eine Kopfbewegung zu dem anderen Offizier hin.»Mr. Hope ist Funfter Leutnant und wird sich um Sie kummern, bis Sie sich in der Wache eingewohnt haben, der Sie zugeteilt sind. Mr. Turnbull, der Segelmeister,[Der fur die Navigation des Schiffes verantwortliche Deckoffizier (d. Ubs.).] erwartet selbstverstandlich erstklassige Leistungen in Navigation und allgemeiner Seemannschaft. «Seine bohrenden Augen machten bei dem Kleinsten in der Reihe halt, jenem, dem in der Barkasse so schlecht geworden war, und der jetzt aussah, als wurde es bei ihm gleich wieder losgehen.

«Und wie hei?en Sie?»

«Eden, S-sir.»

«Alter?«Das Wort schnitt wie ein Messer.

«Z-zwolf, Sir.»

«Er stottert ein bi?chen, Sir«, sagte Hope. In Gegenwart seines Vorgesetzten schien sich seine Schroffheit etwas gemildert zu haben.

«In der Tat. Ich hoffe, der Bootsmann wird ihm das abgewohnen, bevor er dreizehn ist - wenn er so alt wird.»
        Verling schien jetzt genug von der Begru?ung zu haben.»Lassen Sie wegtreten, Mr. Hope. Morgen werden wir Anker lichten, wenn der Wind so bleibt. Es ist noch viel zu tun. «Ohne die Abteilung eines weiteren Blickes zu wurdigen, schritt er davon.

«Mr. Grenfell wird Sie unter Deck fuhren«, sagte Hope lassig. Grenfell war, wie sich zeigte, der dienstalteste Midshipman. Ein untersetzter, selten lachelnder Jungling, etwa siebzehn Jahre alt, der sich jedoch, sowie Hope weg war, lockerte. Kommt mit«, sagte er.»Mr. Hope ist ein gerechter Mann, aber seine Beforderung macht ihm Sorgen.»
        Bolitho wu?te Bescheid und mu?te lacheln. Auf einem Linienschiff war die Beforderung immer schwierig, besonders wenn kein Krieg war, der die Rangliste ausdunnte. Als Funfter Leutnant hatte Hope in der Offiziersmesse nur noch einen Dienstjungeren; und so lange nicht die Leutnants uber ihm befordert wurden, auf ein anderes Schiff kamen oder im Kampf fielen, wurde er sich mit seinem Avancement schwer tun.
        Dancer flusterte ihm ins Ohr:»Auf dem Flaggschiff hatten wir einen Sechsten Leutnant, der war so verzweifelt, da? er Flote spielen lernte, blo? weil die Frau des Admirals etwas fur Flotenmusik ubrig hatte.»
        Schweigend folgten sie dem Messealtesten uber die erste Niedergangstreppe ins Zwischendeck, und dann weiter ins nachsttiefere Deck. Je tiefer sie in den Bauch des Schiffes hinabstiegen, um so voller und enger schien es zu werden. Uberall schattenhafte Gestalten, gesichtslos und unwirklich im Halbdunkel; mit gebeugten Kopfen duckten sie sich unter den Decksbalken und wichen dem sorgfaltig weggestauten Geschirr fur jedes einzelne, festverblockte Geschutz aus. Eine wahre Wand von Geruchen stieg vor ihnen auf: Salzfleisch und Teer, Bilgewasser und zusammengepferchte Menschen; und dabei krachte und knirschte der feste Schiffsrumpf, der sie umschlo?, wie ein lebendes Wesen, die Laternen an der Decke kreisten und warfen Schatten auf die machtigen Balken und die Seeleute. Das Ganze wirkte wie ein riesiges Gemalde.
        Das Midshipmen-Logis befand sich im Orlopdeck, also noch unter dem Geschutzdeck, sogar unter der Wasserlinie. Das einzige Licht kam vom Niedergang her und von den schwingenden Laternen.

«Hier ist es«, sagte Grenfell beilaufig.»Au?er uns wohnen auch noch die Steuermannsobermaaten hier. «Er zog eine Grimasse zu einem wei?gestrichenen Wandschirm hin.»Die allerdings halten sich fur was Besseres und wollen mit uns nichts zu tun haben.»
        Bolitho warf einen Blick auf seine Kameraden. Unschwer konnte er sich ihre Gefuhle vorstellen. Er erinnerte sich daran, was er selbst in seinen ersten Stunden an Bord durchgemacht hatte. Damals hatte er alles mogliche fur ein freundliches Wort im rechten Augenblick gegeben.

«Sieht sehr gut aus«, sagte er.»Besser als in meinem vorigen Schiff.»

«Tatsachlich?«fragte der kleine Eden unglaubig.
        Grenfell lachelte.»Kommt blo? darauf an, was ihr daraus macht. «Er wandte sich um, als eine winzige Gestalt durch die Tur stolperte.»Das ist euer Messejunge. Starr hei?t er, und er redet nicht viel. Sagt ihm nur, was ihr braucht; ich arrangiere das dann mit dem Zahlmeister.»
        Starr war sogar noch junger als Eden. Zehn Jahre vielleicht, und klein fur sein Alter. Er hatte das verkniffene Gesicht eines Kindes aus den Slums, und seine Arme waren dunn wie Stocke.

«Wo kommst du her?«fragte Bolitho freundlich.
        Der Junge sah ihn mi?trauisch an.»Aus Newcastle, Sir. Mein Alter war da Bergmann. Ist bei 'm Schlagwetter umgekommen. «Seine Stimme klang tonlos, als sprache er aus einer anderen Welt.

«Und dich bringe ich auch um, wenn du meine Hemden so behandelst wie das hier!»
        Bolitho wandte sich nach dem Sprechenden um. Ein Midshipman, rot im Gesicht von Wind und Regen, trat unter den niedrigen Decksbalken. Er und Grenfell gehorten offensichtlich zu den drei Midshipmen, die vom letzten Schwung ubriggeblieben waren und nun auf die Gelegenheit warteten, ihr Leutnantsexamen abzulegen.
        Der junge Mann war schlechter Laune und sah aus wie jemand, der von Geburt an gewohnt ist zu befehlen - hubsch und arrogant.

«Sachte, Samuel«, sagte Grenfell.»Hier sind die Neuen.»
        Dem anderen wurde anscheinend klar, da? er auf die verwirrten Neuankommlinge etwas Rucksicht nehmen mu?te.

«Ich bin Samuel Marrack. Signal-Midshipman und Kapitanslaufer.»

«Das hort sich ja sehr bedeutend an«, sagte Dancer.
        Marrack war anscheinend beleidigt.»Ist es auch! Und wenn ihr vor unserem illustren Kapitan erscheint, dann am besten in einem sauberen Hemd. «Er fuhrte mit seinem Hut einen raschen Hieb nach dem kleinen Diener und fugte hinzu:»Also merk dir das fur die Zukunft, du Hund!«Damit warf er sich auf eine Seekiste.»Bring mir Wein! befahl er.»Ich bin staubtrocken.»
        Bolitho setzte sich neben Dancer und sah zu, wie die anderen, ziellos wie Blinde, ihre Seekisten auf- und zuklappten. Er hatte gehofft, auf eine Fregatte kommandiert zu werden wie sein Bruder; auf ein Schiff, das, frei von der druckenden unmittelbaren Befehlsgewalt eines Admirals, imstande war, gro?te Entfernungen in einem Drittel der Zeit zuruckzulegen, welche die gewichtige Gorgon dazu brauchte. Auf einer Fregatte hatte er vielleicht die Abenteuer erleben konnen, von denen er so oft traumte.
        Aber nun war seine Heimat die Gorgon, und er mu?te das Beste daraus machen, solange die Konigliche Marine es befahl. Ein Linienschiff.



        II Kurs Afrika


«Alle Mann! Alle Mann aufentern zum Segelreffen!«Unaufhorlich schrillten die Bootsmannspfeifen, bis der Befehl um das ganze Deck gegangen war - es klang wie Damonengekreisch in einem bosen, endlosen Traum, bis das ganze Schiff unter den trampelnden Fu?en erzitterte, die Freiwache an Deck kam und sich in rasender Eile zur Musterung auf die Stationen verteilte.
        Bolitho schuttelte Dancer so kraftig an der Schulter, da? dieser beinahe aus der Hangematte gefallen ware.

«Raus, Martyn! Wir kurzen schon wieder Segel!»
        Er wartete, bis Dancer Schuhe und Jacke ubergestreift hatte, und dann rannten sie beide zum nachsten Niedergang. Drei, fast vier Tage ging es nun schon so. Seit dem Ankerlichten, seit das Schiff die Passage durch den Armelkanal mit Kurs auf den Atlantik begonnen hatte, wurden auf dem machtigen Vierundsiebziger die Segel unaufhorlich gesetzt, gerefft, wieder gesetzt, wieder gerefft - es horte uberhaupt nicht auf. Mude Leiber zogen sich in den Wanten hinauf bis zu den vibrierenden Rahen; standig hetzte und trieb sie die Stimme des Ersten vom Achterdeck. Auch das gehorte zu dem bosen Traum, denn Verling mu?te, damit seine Orders inmitten der brullenden Wogen zu verstehen waren, ein Sprachrohr benutzen, und dadurch wurde seine an sich schon scharfe Stimme noch fremdartiger und wie ein Stachel fur die keuchenden Midshipmen.
        Fur die neuen Matrosen war es noch schlimmer. Ein Mishipman galt schon sehr wenig auf einem Schiff des Konigs. Aber der einfache Matrose galt uberhaupt nichts.
        Ein Nachlassen der Disziplin konnte, etwa wenn das Schiff bei starkem Wind uber Stag ging, verhangnisvoll sein, das wu?te Bolitho ganz genau. Und doch machte es ihn krank, wenn er sah, mit welch unnotiger Brutalitat ein Mann behandelt wurde, der bei seiner Arbeit hoch uber Deck vielleicht nur vor lauter Angst nicht gleich begriff, was die da unten uberhaupt von ihm wollten.
        Es war genauso wie beim letztenmal. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber irgendwo in den tieferen Wolkenlagen schimmerte ein bleicher Fleck von etwas hellerem Grau. Jedoch fur jemanden, der in die Wanten hinauf mu?te, war das Licht machtig knapp. Ungeduldig traten die Leutnants von einem Fu? auf den anderen, wahrend die Deckoffiziere und Maaten an jedem Mast ihre Namenslisten kontrollierten. Die Seesoldaten standen achtern in einem Haufen bei den Gro?mastbrassen und rutschten standig mit ihren Stiefeln auf den nassen Planken aus; der Erste Leutnant rannte an der Reling auf und ab und schwenkte seine Sprechtrompete, um auf diese oder jene Einzelheit noch besonders hinzuweisen.
        Bolitho spahte nach achtern zu dem gro?en doppelten Steuerrad, dessen Speichen vier Rudergasten umklammert hielten - wahrscheinlich, dachte er, lief noch eine starke Dunung gegen Ruder und Segel an. Neben ihm stand der alte Turnbull, der Segelmeister, formlos in seinem schweren Olzeug; mit lebhaften Bewegungen der krebsroten Fauste gab er seinen Maaten Anweisungen.
        In Luv, bei den Finknetzen, stand ganz allein der Kapitan. Er hatte sich in seinen langen Bootsmantel gewickelt, aber sein Haar flog im Wind, als er zu den gerefften Toppsegeln emporblickte. Mehr Leinwand als diese und den Kluver konnte das Schiff bei solcher Brise nicht verkraften.
        Wahrend seiner ganzen Zeit an Bord der Gorgon hatte Bolitho den Kapitan noch nie aus solcher Nahe gesehen wie jetzt. Von weitem wirkte er sehr kuhl und wurdevoll, anscheinend unberuhrt von dem Durcheinander der schimpfenden Deckoffiziere.
        Dancer knirschte mit den Zahnen.»O Gott, ich bin ganz steif vor Kalte!»
        Leutnant Hope, der Verantwortliche fur den Fockmast, schrie:»Entern Sie mit Ihren Leuten auf, Mr. Bolitho! Und mindestens zwei Minuten schneller als letztes Mal!»
        Eine Pfeife schrillte, und es ging wieder los. Die leichtfu?igen Toppmatrosen preschten um die Wette die Webeleinen hoch; die Neuen, weniger Wagemutigen mu?ten von den Fluchen und nicht selten auch von den Stockschlagen der Deckoffiziere hinaufgejagt werden. Und uber all dem Larm ertonte Verlings Stimme, verzerrt und kaum noch menschenahnlich, die jeden einzelnen kontrollierte und steuerte.

«Noch mal an die Luvbrassen! Mr. Tergorren, in Ihrer Division ist ein Mann, der bummelt! Wo, zum Teufel, haben Sie Ihre Augen? Noch zwei Mann an die Kreuzbrassen! Unablassig schallte seine Stimme uber das Deck.
        Hinauf an diesen rauhen, schwankenden Webeleinen und um die Puttingswanten herum, und dann hingen sie da oben uber die Breite des Schiffsrumpfes hinaus, unter sich die schaumende See, und klammerten sich fest mit Fingern und Zehen, damit sie nicht absturzten. Dann atemlos weiter zum Vortopp, wo andere Manner schon hoherenterten, und noch hoher, bis zur Marssegelrahe. Auf allen Rahen schwarmten sie aus, affengleich, bearbeiteten mit Nageln und Fausten die dicke, steifgefrorene Leinwand, um noch ein Reff zu stecken; und dabei tat jeder windgefullte Segelbauch sein Bestes, um die Manner von ihrem luftigen Standplatz zu schleudern und in die See zu fegen. Tranen der Wut und Verzweiflung hatten sie in den Augen, und sie fluchten gra?lich, wenn das rauhe Tuch der Sturmsegel ihnen die Fingernagel abri?, und stie?en ihre verangstigten Kameraden beiseite, die sich an ihnen festklammern wollten.
        Bolitho hielt sich an einer Pardune und beobachtete, was sich in den anderen Masten abspielte. Es war fast geschafft, und das Schiff reagierte bereits auf den verminderten Druck der Segel. Weit unten, zwergenhaft in der Verkurzung, sah er die Deckoffiziere und die Matrosen des Achterdecks, welche die Fallen und Brassen festzurrten. Immer noch stand der Kapitan an Luv und beobachtete prufend die Rahen. War er besorgt? fragte sich Bolitho. Bestimmt sah man es ihm nicht an.

«Belegen, Mr. Hope!«brullte Verling.»Da sind anscheinend ein paar Kruppel in Ihrer Division! Sie sollten heute vormittag mal Extra-Segelausbildung ansetzen!»
        Bolitho und Dancer rutschten an einem Backstag an Deck, wo Mr. Hope vor Wut kochte.»Diese gottverdammte Bande mache ich fertig!«knurrte er. Mit einem Blick auf die beiden fuhr er etwas ruhiger fort:»Und euch zwei auch, wenn ihr die Leute nicht scharfer antreibt!»
        Dann ging er nach achtern, und Bolitho sagte:»Er ist gar nicht so schlimm, wie er tut. Komm, Martyn, wollen mal sehen, was der junge Starr uns zum Fruhstuck aufgehoben hat. Sinnlos, jetzt noch mal in die Hangematte zu klettern. Es wird doch gleich wieder ›Alle Mann‹ gepfiffen.»
        Als sie atemlos in die feuchte, aber wenigstens sichere Midshipmen-Messe sturzten, erwartete sie dort ein durrer, gravitatisch blickender Mann im einfachen blauen Rock. Bolitho wu?te bereits, da? es Henry Scroggs, der Kapitansschreiber, war. Er hatte sein Logis nebenan bei der Steuermannsmaaten.

«Bolitho?«fragte Scroggs kurzangebunden. Eine Antwort wartete er nicht erst ab. Melden Sie sich beim Kapitan. Mr. Marrack hat sich den Arm verletzt, und Mr. Grenfell ist auf Fruhwache. «Unbewegten
        Gesichts wartete er ein paar Sekunden und blaffte dann:»Na los, hopp-hopp, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!»
        Bolitho starrte ihn verwirrt an; ihm fiel ein, was Marrack uber saubere Hemden gesagt hatte, und er wu?te, wie unordentlich er gerade jetzt aussah.

«Komm, ich helfe dir beim Umziehen«, sagte Dancer.

«Keine Zeit!«fuhr der Schreiber dazwischen.»Nach Grenfell und Marrack sind Sie der Dienstalteste. Der Kapitan ist sehr scharf in solchen Dingen. «Er schwankte etwas, als das Schiff langsam uberholte und eine kochende See auf das Oberdeck flutete. Etwas Beeilung, rate ich Ihnen!»
        Bolitho griff nach seinem Hut und sagte beklommen:»Also schon. «Dann duckte er sich unter die Decksbalken und machte sich auf den Weg.
        Schwer atmend stand Bolitho vor einer wei?gestrichenen Tur in der Kampanje. Im Vergleich zu den uberfullten Zwischendecksquartieren, in die sich soeben massenweise und polternd die schattenhaften Gestalten der Matrosen ergossen, die von der Arbeit in den Rahen zuruckkamen, fand er es hier ausgesprochen ruhig. Neben der Tur, unter dem Lichtstrahl der Deckenlaterne, stand steif und starr ein Seesoldat Wache und blickte Bolitho dienstlich kalt entgegen. Dann rief er laut: Signal-Midshipman, Sir!«und gab seiner Meldung weiteren Nachdruck, indem er mit seiner Muskete kraftig aufs Deck stampfte.
        Die Tur ging auf, und Bolitho erblickte den Kapitanssteward, der ihm heftig winkte und die Tur gerade so weit offenhielt, da? er eintreten konnte. Genau wie der Lakai in einem vornehmen Haus, der nicht recht wei?, ob der Besucher willkommen ist oder nicht, dachte Bolitho.

«Wenn Sie hier warten wollen - Sir. «Aber vor dem» Sir «hatte er eine kleine Pause eingeschaltet.
        Bolitho wartete. Es war eine elegante Diele, die zum Speiseraum des Kapitans fuhrte und die ganze Breite des Schiffsrumpfes einnahm. Glaser und Geschirr klirrten in einem geraumigen Mahagonischrank, und uber der langen polierten Tafel schwang gleichma?ig, die Bewegungen des Schiffes auffangend, ein rundes Tablett mit Glasern und Karaffen. Auf den Decksplanken lag ein Teppich mit einem sauberen
        Muster aus schwarzen und wei?en Karos, und die Neunpfunderkanonen an den beiden Schmalseiten waren zuchtig mit buntem Chintz verdeckt. In der nachsten Zwischenwand offnete sich eine Tur, und der Steward sagte:»Hier herein, bitte, Sir. «Er blickte Bolitho beinahe verzweifelt entgegen.
        Die Kapitanskajute. Bolitho stand im Turrahmen, den Dreispitz unter den Arm geklemmt, und staunte. Wieviel Platz der Kapitan hatte!
        Die Kajute war hochelegant: uber die hohen Fenster im Heck des Schiffes zogen sich lange Streifen von Salz und getrocknetem Schaum, so da? sie in dem grauen Fruhlicht fast wie Kathedralenfenster wirkten und den Raum noch gro?er erscheinen lie?en.
        Kapitan Beves Conway sa? an einem gro?en Schreibtisch und blatterte gemachlich in einem Bundel Papiere. Ein Becher mit einem hei?en Getrank dampfte neben seinem Ellenbogen, und im Schein der schwingenden Lampe sah Bolitho, da? er bereits korrekt angekleidet war: sauberes wei?es Hemd, Kniehose; und sein blauer Uniformrock mit den wei?en Aufschlagen lag sauber gefaltet auf einer Sitzbank, Dreispitz und Bootsmantel daneben. Nichts in der Erscheinung oder im Gesicht dieses Mannes deutete darauf hin, da? er eben von Deck kam, wo ein bitterkalter Wind wehte.
        Er blickte auf und musterte Bolitho mit ausdrucklosem Gesicht.

«Name?»

«Bolitho, Sir. «In der geraumigen Kajute kam ihm der Klang seiner eigenen Stimme ganz fremd vor.

«Gut.»
        Der Kapitan wandte sich halb zu seinem Schreiber um, der durch eine andere kleine Tur eintrat. Im Licht der Lampe und in den schragen Strahlen von den Kajutfenstern her fiel Bolitho auf, wieviel Wachsamkeit und Intelligenz aus Conways Profil sprach; doch seine Augen waren hart und verrieten nichts.
        Er sprach kurz, abgehackt, dienstlich zu Scroggs, aber Bolitho konnte nur raten, worum es sich handelte.
        Er blickte zur Seite und sah sich zum erstenmal in einem langen, goldgerahmten Spiegel. Kein Wunder, da? der Kajutsteward ein so besorgtes Gesicht gemacht hatte.
        Richard Bolitho war gro? fur sein Alter und schlank. Sein Haar war so schwarz, da? sein wettergebrauntes Gesicht fast bleich dagegen wirkte. In seinem Peajacket, das er sich vor achtzehn Monaten gekauft und seitdem bei jedem Wetter getragen hatte, glich er mehr einem Vagabunden als einem Offizier des Konigs. Er fuhr zusammen, als er plotzlich gewahr wurde, da? der Kapitan zu ihm sprach.

«Also, Mr. Midshipman, ah, Bolitho, auf Grund unvorhergesehener Umstande mu? ich mich anscheinend auf Ihre Fahigkeiten bei der Unterstutzung meines Schreibers verlassen, bis Mr. Marrack sich von seiner, ah, Verletzung erholt hat. «Er musterte Bolitho gleichmutig.»Was fur Dienst tun Sie auf meinem Schiff?»

«Unteres Geschutzdeck, Sir, und Segelausbildung in Mr. Hopes Abteilung.»

«Weder das eine noch das andere erfordern, da? Sie wie ein Dandy aussehen, Mr., ah, Bolitho; aber an Bord meines Schiffes haben alle Offiziere ein untadeliges Beispiel zu geben; und wohin dieses Schiff Sie auch tragt, Sie reprasentieren nicht nur die Konigliche Marine, sondern Sie sind die Konigliche Marine!»

«Ich verstehe, Sir«, setzte Bolitho an.»Wir waren in den Rahen zum Segelbergen, Sir, und. .»

«Ja.«Uber das Gesicht des Kapitans flog der Schatten eines bitteren Lachelns.»Das habe ich befohlen. Ich war mehrere Stunden an Deck, bevor ich die Entscheidung traf, da? es tatsachlich notig war. «Er zog eine schmale goldene Uhr aus der Hosentasche.»Gehen Sie in Ihr Logis im Orlopdeck und bringen Sie sich in Ordnung. Ich wunsche, da? Sie in zehn Minuten wieder achtern sind. «Er lie? die Uhr zuschnappen.»In genau zehn Minuten.»
        Es wurden die kurzesten zehn Minuten, an die sich Bolitho erinnern konnte. Starr und Midshipman Dancer halfen ihm; der Pechvogel Eden, dem ausgerechnet in diesem Moment wieder schlecht wurde, lief ihm standig zwischen die Beine; aber schlie?lich war er wieder auf dem Weg nach achtern und stand bald vor demselben Posten. In der Kajute jedoch drangten sich bereits die Besucher: Leutnants mit Fragen und Meldungen uber Sturmschaden. Der Steuermann, der, soweit Bolitho verstand, entweder fur oder gegen die eventuelle Beforderung einer seiner Maate war. Major Dewar von der Marine-Infanterie, mit Kinnbacken so scharlachrot wie seine Uniform. Und sogar der Schiffs-Zahlmeister, ein richtiges Wiesel von einem Mann. Sie alle sprachen beim Kapitan vor. Und das schon kurz nach Sonnenaufgang.
        Ohne weitere Umstande wies der Schreiber Bolitho an einen kleinen Tisch bei den Heckfenstern, an die Spritzwasser und Regen klatschten. Drau?en, hinter den dicken Glasscheiben, rollte die dunkelgraue See, und jede Woge hatte einen langen Schaumstreifen auf ihrem Kamm. Ein Schwarm Mowen umkreiste in lebhaftem Auf und Ab den hohen Achtersteven der Gorgon; offenbar warteten sie darauf, da? der Koch etwas E?bares aus dem Fenster warf. Bolitho spurte, wie sich sein Magen zusammenzog. Da wurden sie kein Gluck haben, dachte er. Der Koch und der geizige Zahlmeister beide wurden kaum einen Krumel fur die Mowen ubriglassen.
        Er horte, da? der Kapitan mit Laidlaw, dem Schiffsarzt, das Frischwasserproblem erorterte, und speziell die Frage, ob die leeren Fasser gespult werden sollten, um sie zu desinfizieren.
        Der Schiffsarzt war ein mude aussehender Mann mit tiefliegenden, von starken Brauen uberhangenen Augen, der sich standig etwas gebeugt hielt. Ob das daher kam, da? er zu lange auf kleinen Schiffen gefahren war, oder weil er sich dauernd uber seine unglucklichen Opfer beugen mu?te daruber konnte Bolitho nur Vermutungen anstellen.
        Er sagte eben:»Es ist ein ubler Kustenstrich, Sir. «Und der Kapitan erwiderte scharf:»Das wei? ich, verdammt noch mal. Aber schlie?lich segle ich das Schiff und seine ganze Mannschaft nicht deswegen nach Westafrika, weil ich ausprobieren will, wie gut Sie Krankheiten heilen konnen.»
        Der Schreiber beugte sich uber den kleinen Tisch. Er hatte einen muffigen Geruch an sich, wie ungewaschenes Bettzeug.

«Sie konnen mit diesen Befehlen anfangen«, sagte er murrisch,»je funf Abschriften, sauber und lesbar, ordentlich geschrieben, oder Sie kriegen Arger mit dem Kapitan.

        Bolitho wartete, bis Scroggs davongeschlurft war, und horchte dann zu der kleinen Gruppe hinuber, die beim Kapitan stand. Wahrend er sich vorhin in aller Eile das frische Hemd ubergestreift hatte, war ihm klargeworden, da? sich die Ehrfurcht, die er bei der ersten Begegnung mit dem Kapitan empfunden hatte, in Groll verwandelte. Conway hatte die Begrundung fur seinen unvorschriftsma?igen Anzug als unwichtig, sogar als banal abgetan. Statt dessen hatte er seine eigene Person als Vorbild hingestellt - der untadelige Kapitan, immer im Dienst, niemals mude, der fur jedes Problem auf Anhieb eine Losung bei der Hand hatte.
        Aber jetzt, da er die ruhige, gemachliche Stimme horte, mit der der Kapitan so ganz nebenbei erwahnte, da? einige viertausend Meilen zu segeln waren, wie er Angaben uber den zweckma?igsten Kurs machte und Anordnungen uber Verpflegung, Frischwasser und, was das Wichtigste zu sein schien, uber die Ausbildung der Mannschaft traf - da konnte er nur staunen.
        In dieser Kajute, die ihm ein paar Minuten lang wie der Gipfel allen Luxus vorgekommen war, schlug der Kapitan seine eigenen, privaten Schlachten. Er konnte seine Sorgen, seine Verantwortung mit niemandem teilen. Ein Schauer uberlief Bolitho. Fur einen Mann, der auch nur eine Sekunde an sich selbst zweifelte, konnte diese gro?e Kajute sehr leicht zum Gefangnis werden.
        Er erinnerte sich an seine Kindheit. Manchmal, wenn das Schiff seines Vaters - was freilich sehr selten und nur unter gunstigen Umstanden vorkam - in Falmouth vor Anker lag, hatte er seinen Vater dort besuchen durfen. Wie anders war das gewesen! Seines Vaters Offiziere lachelten ihm freundlich zu; manche benahmen sich direkt unterwurfig ihm gegenuber. Wie anderte sich das, als er seinen Dienst als Midshipman antrat! Wie hochfahrend, wie unduldsam waren die Leutnants!
        Scroggs stand wieder neben ihm.»Bringen Sie diese Order dem Bootsmann, und kommen Sie gleich zuruck!«Er druckte ihm ein zusammengefaltetes Stuck Papier in die Hand.
        Bolitho nahm seinen Hut auf und ging eilig an dem gro?en Schreibtisch vorbei. Er war schon beinahe zur Tur hinaus, da lie? ihn die Stimme des Kapitans erstarren.

«Wie, sagten Sie, war Ihr Name?»

«Bolitho, Sir.»

«Sehr schon. Ab mit Ihnen, und denken Sie an das, was ich gesagt habe!«Conway blickte auf seine Papiere nieder und wartete, bis die Tur sich geschlossen hatte.
        Als er wieder auf- und den Schiffsarzt ansah, bemerkte er kurz:

«Wenn man einen neuen Midshipman zuhoren la?t, wei? das ganze Schiff sofort, was man vorhat.»
        Der Schiffsarzt sah ihn ernsthaft an.»Ich glaube, ich kenne die Familie dieses jungen Mannes, Sir. Sein Gro?vater war mit Wolfe vor Quebec.»

«Was Sie nicht sagen. «Conway studierte bereits das nachste Schriftstuck.

«Er war Konteradmiral, Sir«, fugte der Schiffsarzt leise hinzu.
        Aber Conway war in Gedanken schon ganz woanders, wie sein gelindes Stirnrunzeln andeutete.
        Der Schiffsarzt seufzte. Kapitane waren eben vollig unnahbar.



        III Die Athen

        Kurs Sudwest und dann Sud, tagaus, tagein, unter fast pausenloser, knochenbrechender Arbeit. Endlich war die schwere, unbeholfene Gorgon aus dem engen, schwierigen Armelkanal heraus und nahm Kurs auf die beruchtigte Biskaya. Wahrend dieser Zeit schlossen sich Bolitho und seine neuen Kameraden enger aneinander. Sie brauchten ihre vereinte Kraft, nicht nur im Kampf gegen die See, sondern auch, um sich innerhalb des Schiffs zu behaupten. Bolitho hatte einmal gehort, wie Turnbull, der Segelmeister, schwor, das sei fur diese Jahreszeit das schlechteste Wetter, an das er sich erinnern konnte; und wenn das jemand sagte, der einige drei?ig Winter bei der Koniglichen Flotte verbracht hatte, so war das eine ernst zu nehmende Feststellung. Besonders jetzt, da Bolithos vorubergehende Arbeit in der Kapitanskajute zu Ende war. Marracks Arm, den er sich bei jenem ersten Sturm verletzt hatte, war geheilt, und er tat wieder Dienst als Hilfs-Kapitansschreiber. Und so hingen Bolitho und Dancer wieder zusammen im Vormast, sobald» Alle Mann «gepfiffen wurde, um Segel zu setzen oder zu reffen.
        Wenn Bolitho ausnahmsweise Zeit fand, uber sein Leben auf dem neuen Schiff nachzudenken, dann hatte er dabei eher seinen korperlichen als seinen seelischen Zustand im Sinn. Standig verspurte er Hunger. Alle Knochen und Muskeln schmerzten vom ewigen Aufentern oder von der Schinderei bei der Geschutzausbildung an den schweren Zweiund-drei?igpfundern der unteren Batterie. See und Wind hatten sich etwas beruhigt, das Schiff zog unter fast vollen Segeln seinen Kurs nach Suden. Jetzt war die Mannschaft vorwiegend unter Deck beschaftigt und schwitzte Blut und Wasser beim Drill an den schweren, unhandlichen Kanonen. Da? es im unteren Geschutzdeck am allerschlimmsten war, lag zu einem erheblichen Teil an dem Leutnant, der dort das Kommando hatte.
        Grenfell, der dienstalteste Midshipman, hatte Bolitho bereits vor diesem gewarnt; und als aus langen Tagen noch langere Wochen wurden und das Schiff seinen Schnabel zwischen Madeira und der marokkanischen Kuste hindurchschob, die beide nicht einmal der Ausguck im Mastkorb zu sehen bekam, erhielt der Name des Vierten Leutnants, Mr. Piers Tergorren, des Beherrschers der vierundzwanzig schwersten Geschutze an Bord, eine neue und ganz besondere Bedeutung.
        Der Vierte war ein Mann von massivem Korperbau, mit schwarzlichem Kinn und strahnigem Haar, das eher zu einem Zigeuner oder Spanier gepa?t hatte als zu einem britischen Seeoffizier. Die Decksbalken uber dem dusteren Geschutzraum waren so niedrig, da? Tergorren standig in die Knie gehen mu?te, wenn er nach vorn oder achtern schritt, um das Laden und Ausrennen jedes einzelnen Geschutzes zu kontrollieren. Er war gro?, kraftig, aggressiv und hatte keine Geduld ein harter und schwieriger Vorgesetzter. Selbst Dancer, der sich die gro?te Muhe gab, nicht aufzufallen, der uberma?ige Anstrengungen zu vermeiden wu?te und seine Krafte in der Hauptsache furs Essen und Schlafen aufsparte, hatte gemerkt, da? Tergorren einen Piek auf Bolitho hatte. Das war seltsam, dachte Bolitho, denn auch Tergorren stammte aus Cornwall, und zwischen engeren Landsleuten bestand gewohnlich eine Bindung, die sogar die Wunden und Beulen der Disziplin vertragen konnte.
        Infolge dieser Abneigung des Leutnants hatte Bolitho bereits dreimal Extradienst machen mussen, und bei einer anderen Gelegenheit war er bei schwerem Wind in die Vormastsaling geschickt worden und mu?te so lange oben bleiben, bis der Wachoffizier ihn wieder abentern lie?. Aber diese Bestrafung, so hart und unfair sie sicherlich war, brachte eine andere Seite des Lebens auf See an den Tag: der junge Eden kam mit einem Topf Honig, den ihm seine Mutter mitgegeben hatte und den er fur eine besondere Gelegenheit aufhob. Tom Jehan, der Stuckmeister, ein rechtes Ekel von Deckoffizier, der hinter dem Wandschirm hauste und nur selten geruhte, mit einem lumpigen Midshipman zu reden, brachte einen gro?en Becher Brandy aus seinen Privatbestanden, damit Bolitho wieder etwas Leben in seine froststarren Glieder bekame.
        Noch schwereren Zoll forderte das harte, endlose Exerzieren an Segeln und Geschutzen. Vor Gibraltar fielen zwei Mann uber Bord und ertranken, und ein dritter sturzte von der Gro?rah, brach sich das Ruckgrat an einem Achtzehnpfunder und starb. Sein Leichnam wurde in seine Hangematte genaht, mit einer Kanonenkugel beschwert und, wahrend die Gorgon in einer steifen Nordostbrise krangte, dem Meer ubergeben - eine kurze, aber fur die Neuen herzbewegende Zeremonie.
        Und wie Risse im Metall zeigten sich weitere Folgen der standigen Uberanstrengung. Es gab Streit unter den Matrosen, manchmal harmlos, manchmal weniger harmlos. Ein Mann war auf den Bootsmannsmaat losgegangen, der ihn zum drittenmal in einer Wache in die Takelung schickte, um ein durch-gescheuertes Tau zu splei?en. Die Folge war, da? er zur Bestrafung nach achtern gebracht wurde.
        Bolitho war zwolfeinhalb gewesen, als er zum erstenmal eine Auspeitschung mitansah. Er hatte sich nie an den Anblick gewohnen konnen, aber er wu?te wenigstens, wie es dabei zuging. Die neuen jungeren Midshipmen wu?ten das nicht.
        Zuerst wurde gepfiffen:»Alle Mann achteraus zum Strafvollzug!«Dann wurde bei der Gangway eine Grating angeschlagen; inzwischen marschierten die Seesoldaten querschiffs uber die Kampanje, und ihre scharlachroten Rocke mit den wei?en Koppeln und gekreuzten Schulterriemen hoben sich scharf gegen den dunkelgrau verhangenen Himmel ab. Aus allen Niedergangen, aus jedem Winkel quoll die Mannschaft hervor, bis das Deck, die Wanten und sogar die Bootsgestelle dicht mit stummen Zuschauern besetzt waren.
        Und dann schritt die kleine Prozession auf gewundenem Weg zu der angeschlagenen Grating. Voran Hoggett, der Bootsmann, und Beedle, der finstere Waffenmeister, dann Bunn, der Schiffsprofo?, mit dem Delinquenten; der Schiffsarzt Doktor Laidlaw machte den Schlu?. Auf dem Achterdeck, dessen ausgebleichte Planken mit Schaum und Spruhwasser getupfelt waren, nahmen die Offiziere und Deckoffiziere, je nach Rang und Wurden, ihre Platze ein. In Lee, etwas abseits, bildeten die zwolf Midshipmen eine kurze Doppelreihe.
        Der Oberkorper des Delinquenten wurde entblo?t, dann band man ihn an der Grating fest. Sein muskuloser Rucken hob sich bleich vom geschrubbten Holz ab, das Gesicht war nicht zu sehen. Ernst und gemessen verlas der Kapitan die betreffenden Kriegsartikel und schlo? mit dem Befehl:»Zwei Dutzend, Mr. Hoggett.»
        Und so wurde, unter dem Stakkatowirbel eines einzelnen Trommlers, der wahrend des ganzen Vorgangs starr nach oben in die Hauptrahe blickte, die Strafe vollzogen.
        Der Bootmannsmaat, der die neunschwanzige Katze schwang, war von Natur aus kein brutaler Mensch. Aber er war von machtigem Korperbau, und sein Arm war wie ein Eichenast. Au?erdem wu?te er genau, da? er sich, wenn er den Unglucksvogel schonte, moglicherweise an dessen Platz wiederfinden konnte. Nach acht Schlagen war der Rucken des Matrosen eine blutige Masse. Nach einem Dutzend war er kaum noch als eines Menschen Rucken zu erkennen. Und so ging es weiter. Immer ein kurzer Trommelwirbel, und gleich darauf das Klatschen der Peitsche auf dem nackten Rucken.
        Eden, der jungste Midshipman, wurde ohnmachtig, und der zweitjungste, ein bleichgesichtiger Knabe namens Knibb, brach in Tranen aus; die anderen Midshipmen und nicht wenige der zuschauenden Matrosen waren starr und steif und stumm vor Entsetzen.
        Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Hoggett mit heiserer Stimme rief:»Zwei Dutzend, Sir!»
        Bolitho bemuhte sich, sehr langsam und tief ein- und auszuatmen, wahrend der Mann von der Grating geschnitten wurde. Sein Rucken war zerfetzt wie von den Klauen eines Raubtieres, die Haut, soweit sie nicht aufgerissen war, schwarz von der Wucht der Peitschenschlage. Er hatte nicht ein einziges Mal geschrien, und einen Augenblick hatte Bolitho gedacht, er sei unter der Peitsche gestorben. Aber der Schiffsarzt zwangte die Kiefer des Mannes auseinander, nahm den Lederriemen heraus, auf den er gebissen hatte, und meldete:»Ohnmachtig, Sir.»
        Dann winkte er seinen Sanitatsgasten, die den Mann hinunter ins Krankenrevier trugen. Das Blut wurde von den Decks-planken gewaschen, der Trommler und zwei junge Seesoldaten mit Pfeifen stimmten einen munteren Jig an, und nach kurzer Zeit war das normale Leben an Bord wieder im Gange.
        Bolitho warf einen raschen Blick auf den Kapitan. Dessen Gesicht war vollkommen ausdruckslos, nur seine Finger trommelten einen kleinen Wirbel auf dem Degengriff, vielleicht im Takt des Jig.
        Emport rief Dancer aus:»Was fur eine Gemeinheit, einen Mann so zu behandeln!»
        Der alte Segelmeister horte das und knurrte:»Wart' nur, bis du 'ne Auspeitschung rund um die Flotte gesehen hast, Kleiner, da hast du erst richtig zu kauen!»
        Doch als die Leute zum Mittagessen gingen - Salzfleisch und eisenharter Zwieback, mit einer Finte kratzigem Rotwein zum Hinunterspulen - , da horte Bolitho von niemandem ein Wort des Zornes oder der Beschwerde. Anscheinend galt auch hier wie an Bord seines vorigen Schiffes die Regel: Wirst du erwischt, wirst du bestraft. Das Vergehen bestand darin, da? man sich erwischen lie?.
        Auch im Midshipmen-Logis fand man sich auf dieser Basis damit ab. Aus der anfanglichen Angstlichkeit und Verwirrung, der allgemeinen Unsicherheit vor der Frage, was man tun musse und wann man es tun musse, hatte sich ein neuer Zusammenhalt, eine Harte entwickelt, von der sogar Eden etwas abbekommen hatte.
        An erster Stelle standen Essen und Unterkunft; alles andere, auch die Unsicherheit der Reise und der ganze Dienstbetrieb mit allem, was sie auf Befehl taten, wurden allmahlich weniger wichtig.
        Der kleine Raum, der sich in die hohle Rundung des Schiffsrumpfes schmiegte, war ihr Zuhause geworden; dort zwischen der wei?en Wandtur und den schwarzen Seekisten nahmen sie ihre primitiven Mahlzeiten ein, vertrauten sich gegenseitig ihre Geheimnisse und Angste an und lernten Tag fur Tag, der eine vom anderen.
        Abgesehen von ein paar durftigen Inseln, die sie gesichtet hatten, und zwei passierenden Schiffen schien die Gorgon den Atlantik fur sich allein zu haben. Taglich versammelten sich die Midshipmen auf dem Achterdeck zum Navigations-unterricht unter Turnbulls wachsamen Augen. Jetzt bekamen Sonne und Sterne fur manchen einen ganz neuen Sinn; und die Alteren fingen allmahlich an zu glauben, ihre Beforderung zum Leutnant sei doch nicht mehr ganz so fern und unwahrscheinlich.
        Nach einem besonders ublen Geschutzexerzieren an den Zweiunddrei?igpfundern schimpfte Dancer:»Der Mann hat den Teufel im Leib!»
        Der kleine Eden uberraschte alle, indem er sagte:»Er hat die G-gicht; das ist sein T-teufel, Martyn. «Sie starrten ihn verwundert an, und mit seiner dunnen, piepsenden Stimme fuhr Eden fort:»Mein V-Vater ist Apotheker in B-Bristol. Solche F-Falle hat er oft zu b-be-handeln. «Er nickte wichtig.»Mr. Tergorren t-trinkt mehr B-Brandy, als gut fur ihn ist.»
        Jetzt wu?ten sie etwas Neues uber Tergorren und konnten das Verhalten des Vierten mit gesteigertem Interesse beobachten. Wenn Tergorren unter den machtigen Decksbalken umherschlurfte, schwebte sein Schatten an den Luken vorbei wie ein massives Gespenst, und an jedem Geschutz wartete die Mannschaft auf sein Kommando: Laden!«,»Ausfahren!«oder» Richten!»
        Jedes Geschutz wog drei Tonnen, und funfzehn Mann bildeten die Bedienung fur zwei einander gegenuberliegende Geschutze mit der gleichen Nummer. Jeder Mann mu?te genau wissen, was er zu tun hatte, und mu?te es tun, was auch passierte, unter allen Umstanden. Oft genug brullte Tergorren:»Ich werde euch noch Blut abzapfen, aber das ist gar nichts gegen das, was euch im Ernstfall passiert - also bewegt euch gefalligst!»
        Bolitho sa? an dem Hangetisch im Midshipmen-Logis; in einer alten Austernschale flackerte eine Kerze und verstarkte das bi?chen Licht, das von einem Niedergang herabfiel. Er schrieb an seine Mutter. Er hatte keine Ahnung, ob und wann sie den Brief lesen wurde, aber es trostete ihn, eine Verbindung mit seinem Elternhaus aufrechtzuerhalten.
        Durch seine Sonderstellung als Turnbulls Assistent beim Navigationsunterricht, wo er jeden Tag die Seekarte des Steuermanns zu Gesicht bekam, wu?te er, da? der erste Teil ihrer Reise fast geschafft war. Viertausend Meilen, hatte der Kapitan gesagt; und beim Studium der Zickzacklinien auf der Karte, an den taglichen Eintragungen der Schiffsposition nach dem Sonneschie?en am Mittag, verspurte er wiederum das erregende Vorgefuhl, das sich einstellt, wenn das Schiff in Landnahe kommt. Sechs Wochen waren vergangen, seit sie in Spithead Anker gelichtet hatten. Standig hatten sie kreuzen mussen, standig die Segel gekurzt und wieder gesetzt. Auf der Seekarte sah der Kurs wie die Spur eines verwundeten Kafers aus. Eine schnelle Fregatte ware inzwischen langst wieder auf Heimatkurs, dachte Bolitho neidisch.
        Seine Hand mit der Feder blieb in der Luft hangen. Rufe vom oberen Deck drangen gedampft bis zu ihm herunter. Er loschte die Kerze, barg sie sorgfaltig in seiner Seekiste und legte den unvollendeten Brief unter das oberste seiner sauberen Hemden.
        Als er aufs Oberdeck kam, kletterte er schnell zum Backbord-Decksgang hinuber, wo sich bereits Dancer und Grenfell an den Finknetzen festhielten. Aufmerksam spahten sie zum glitzernden Horizont.

«Land?«fragte Bolitho.

«Nein, Dick, ein Schiff!«Dancer grinste ihn an; sein Gesicht, das in dem hellen Sonnenschein noch gebraunter als sonst aussah, war voller Spannung. Man konnte sich jetzt kaum noch an den Regen und die bittere Kalte erinnern, dachte Bolitho. Die See war so blau wie der Himmel, und die leichte Brise war weder bei?end noch drohend, sondern einfach frisch. Hoch uber Deck leuchteten die Bram- und Marssegel wie bleiche Muschel-schalen, und am Masttopp stand der Wimpel steif nach Backbord wie eine blutrote Lanze.

«Deck ahoi!«Alles starrte nach oben auf den kleinen schwarzen Fleck, den Ausguck im Masttopp.»Sie tut nich' antworten, Sir!»
        Da erst merkte Bolitho, da? es mit dieser Begegnung etwas auf sich hatte. Der Kapitan stand mit verschrankten Armen an der Reling; sein Gesicht lag im Schatten, und dicht neben ihm beobachteten Midshipman Marrack und seine Signalgasten ihre Hei?leinen und die bunte Reihe Flaggen an der Gro?rah, die das Signal» Welches Schiff?«bildeten.
        Bolitho reckte sich so weit uber die Finknetze hinaus, da? er im Gesicht und auf den Lippen das Spruhwasser der Fahrtwelle spurte. Dann sah er das Schiff, eine Schonerbark mit schwarzem Rumpf, die Segel ungebra?t vor dem Hintergrund des blendenden Horizonts; die Masten schwangen in der Dunung.
        Bolitho ging weiter nach achtern und horte Mr. Hope, den Wachoffizier, ausrufen: Bei Gott, Sir, wenn der Kerl nicht auf unser Signal antwortet, hat er bestimmt nichts Gutes im Sinn!»
        Verling wandte sich scharf zu ihm um; man sah es ihm an seiner Schnabelnase an, wie gereizt er war.»Wenn er wollte, Mr. Hope, konnte er vor dem Wind ausrei?en und ware in einer Stunde nicht mehr zu sehen!»

«Aye, Sir«, steckte Hope die Zurechtweisung ein. Der Kapitan ignorierte sowohl den Wortwechsel als auch die beiden Offiziere selbst.»Geben Sie dem Stuckmeister Order, bitte«, sagte er.»Er soll ein Buggeschutz ausfahren und ihm einen Schu? vor die Nase setzen, so dicht wie moglich. Die mussen schlafen oder betrunken sein.»
        Aber auf das Krachen eines einzelnen Neunpfunders geschah nichts weiter, als da? eine Anzahl Matrosen der Gorgon neugierig an Deck gerannt kam. Die Barkentine (wie man in sudlichen Gewassern eine Schonerbrigg auch nennt) trieb weiter, ohne zu reagieren; ihre Vormarssegel standen beinahe back, die gro?en Segel am Haupt- und Kreuzmast zitterten im Dunst der Hitze.
        Der Kapitan befahl kurz:»Segel kurzen und beidrehen, Mr. Verling! Und machen Sie das Achterdeckboot klar! Der Kerl gefallt mir nicht.»
        Die Pfeifensignale schrillten und zwitscherten um das Hauptdeck, und innerhalb weniger Minuten drehte die Gorgon bei und legte ihren schweren Rumpf in den Wind; jedes Segel, jedes Tauende schlug und knallte in dem Durcheinander.
        Dancer kam nach achtern zu Bolitho.»Denkst du. .»
        Er schwieg, als Bolitho ihn flusternd unterbrach:»Sei still und bleib hier!»
        Bolitho beobachtete, wie der Bootsmann Hoggett auf der gegenuberliegenden Seite eine Bootsbesatzung zusammen-stellte und musterte, wahrend die Gorgon beigedreht lag und in der leichten Brise knarrte und achzte. Dann lie? Hoggett die Pinasse klarmachen und langsseits bringen.
        Der Kapitan sprach mit Verling, aber bei dem dumpfen Schlagen der schlaffen Segel konnte Bolitho nicht verstehen, was er sagte. Auf einmal drehte sich der Erste blitzschnell um, und seine Schnabelnase schwenkte uber das Deck wie eine Drehkanone.

«Befehl weitergeben: Mr. Tergorren fuhrt das Enterkommando. Klar zum Ablegen! Immer noch schwenkte seine Nase herum, wahrend der Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wurde.»Die beiden Midshipmen da! Waffen empfangen und mitfahren!»
        Bolitho fa?te an den Hut.»Aye, aye, Sir!«Er versetzte Dancer einen heimlichen Rippensto?.»Ich wu?te ja, er wurde sich die greifen, die gerade in der Nahe waren!

        Dancers Augen glanzten vor Erregung.»Endlich mal was anderes«, grinste er.
        Am Fallreep drangten sich die rasch zusammengeholten Rudergasten und die bewaffnete Entermannschaft und starrten uber das blaue Wasser auf das etwa eine halbe Meile entfernte Schiff, das jetzt beinahe querab trieb. Mr. Hope rief:»Ich kann den Namen erkennen, Sir!«Aber es klang etwas zuruckhaltend - er hatte Verlings Sarkasmus von vorhin noch nicht vergessen. In der schweren Dunung hatte er einen sehr unsicheren Stand, aber er behielt das Teleskop am Auge und lie? das Schiff nicht aus dem Blickfeld.»Kein Zeichen von Leben an Bord.»
        Am Fallreep erschien Leutnant Tergorren. Jetzt, da er sich nicht wie in der niedrigen Batterie standig bucken mu?te, wirkte er noch gro?er und massiger. Mit einem raschen Blick musterte er das Prisenkommando.

«Da? mir keiner aus Versehen seine Pistole oder Muskete abfeuert!«sagte er grob. Seid auf alles gefa?t.»
        Dann blieb sein Blick auf Bolitho haften.»Und was Siebetrifft. .»
        Aber er unterbrach sich, als er die scharfe Stimme des Kapitans vom Achterdeck vernahm:»Bemannen Sie Ihr Boot, Mr. Tergorren!«Seine Augen glanzten wie Glas in der hellen Sonne.»Wenn Fieber an Bord ist, will ich nichts damit zu schaffen haben. Ansonsten tun Sie, was Sie konnen, und beeilen Sie sich!»
        Bolitho sah den Kapitan nachdenklich an. Er kannte ihn eigentlich nur von weitem, oder allenfalls von der Arbeit mit seinen Offizieren.
        Und doch war er ziemlich sicher, da? Kapitan Conway nervos war, so nervos, da? er zu seinem Leutnant vor den Ohren der Mannschaft in so scharfen Ton sprach. Er wurde rot, als die kalten Augen auf ihm haften blieben.

«Sie da!«Der Kapitan hob die Hand.»Wie war doch gleich Ihr Name?»

«Bolitho, Sir. «Komisch - kein Mensch merkte sich den Namen eines Midshipman.

«Schon, also Bolitho. Wenn Sie Ihren Tagtraum ausgetraumt haben, beziehungsweise mit dem Gedicht an Ihre Liebste fertig sind, ware ich Ihnen dankbar, wenn Sie ins Boot gingen.»
        Ein paar Matrosen auf dem Decksgang feixten verstohlen, und Tergorren knurrte wutend:»Hab' ich mir doch gedacht, da? ich mit Ihnen auffalle!«Er versetzte Bolitho einen Sto? mit der Handflache.»Wir sprechen uns noch!»
        Aber als Bolitho erst im Boot sa?, einem der 28-Fu?-Kutter der Gorgon, wandte er keinen Gedanken mehr an des Kapitans Launen, an Tergorrens Feindseligkeit und an die Strapazen der sechs Wochen auf hoher See. Von der uberfullten Achterplicht, von den Mannern und ihren Waffen, von Tergorrens massigem Schatten, der uber den hart pullenden Ruderern schwankte, wandte er seinen Blick zuruck. Wie riesig und unverwundbar die Gorgon von so einem niedrigen Boot aus wirkte! Uber ihrem Spiegelbild in der leichtbewegten See wuchsen die Masten kraftvoll und schwarz in den Himmel - ein Symbol der Seemacht.
        Bolitho konnte Dancer ansehen, da? er ebenfalls erregt war. Er war schlanker geworden seit damals im Blue Post's Inn, aber auch zaher und selbstsicherer.

«Ruft den Kerl an!«blaffte Tergorren. Er stand aufrecht im Boot, das heftig stampfte, doch das schien ihm gar nichts auszumachen.
        Der Mann im Bug legte die Hande an den Mund.»Schiff ahoi!«Aber die einzige Antwort war das Echo seiner Stimme.

«Was haltst du davon?«flusterte Dancer.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich wei? nicht recht.»
        Hoch uber den schwitzenden Ruderern schwankten die Rahen an Gro?- und Besanmast des Fremdlings mude knarrend in der Brise.

«Riemen an!»
        Die Ruderer hielten das Boot auf der Stelle, und der Bugmann schleuderte einen Draggen hoch uber das Schanzkleid des Schiffes.

«Belegen!«kommandierte Tergorren. Er blickte ein Weilchen aufmerksam auf das Schanzkleid, ob sich nicht doch noch jemand zeigte. Dann:»Entern!»
        Der Bootsmann hatte nur erfahrene Matrosen ausgesucht; in ein paar Sekunden waren alle Mann uber das sonnengedorrte Schanzkleid geklettert und standen dichtgedrangt unter den Segeln, die wie Eulenflugel flappten.

«Mr. Dancer!«befahl Tergorren.»Nehmen Sie die Luke im Vorschiff!«Er deutete auf einen der Bootsmannsmaaten - es war derselbe, der seinerzeit die Prugelstrafe an dem Matrosen vollstreckt hatte.»Thorne, Sie sorgen dafur, da? die Hauptluke sicher ist. «Zu Bolithos Uberraschung zog er eine Pistole aus dem Gurtel und spannte sie sorgfaltig. »Mister Bolitho, und ihr beide da - mit mir zum Achterdeck!»
        Bolitho warf seinem Freund einen raschen Blick zu, aber der zuckte nur die Schultern und ging mit seinen zwei Mann zur Vorschiffsluke.
        Jetzt lachelte keiner mehr. Die Barkentine war wie ein Gespensterschiff, verlassen und aufgegeben, die Mannschaft wie durch Zauber verschwunden. Er schaute zur Gorgon hinuber, aber auch die schien weiter weg zu sein - man fuhlte sich ihres Schutzes nicht mehr sicher.
        Tergorren knurrte:»Dieser blutiggottverdammte Kasten stinkt!«Er stand uber einem Niedergang und spahte, den Kopf zur Seite geneigt, in das Dunkel.»Jemand da unten?

        Aber nur die See und das melancholische Knarren des unbemannten Ruders waren zu vernehmen.
        Tergorren blickte zu Bolitho hin.»Gehen Sie runter!«Schon wandte sich Bolitho zum Gehen, aber Tergorren fa?te ihn am Handgelenk und sagte wutend:»Mensch, machen Sie Ihre Pistole schu?fertig, verdammt noch mal!»
        Bolitho zog die schwere Waffe aus dem Gurtel und starrte sie ratlos an.»Und gehen Sie gefalligst nicht ruckwarts die Leiter runter!«sagte der Leutnant noch.
        Unterhalb des Sills blieb Bolitho einen Moment stehen, um seine Augen an das Halbdunkel unter Deck zu gewohnen. Jetzt, im Schiffsraum, horte er die Gerausche, die man dort immer hort; aber es fiel ihm nicht ganz leicht zu glauben, da? es vollig normal war, was er da horte: das Schlappen des Wassers in der Bilge, das Reiben und Klappern losen Gutes. Er roch Kerzentalg, modrige Luft, den fauligen Gestank des Bilgewassers, abgestandenes Essen.
        Oben rief ein Mann:»Alles klar im Vorschiff, Sir!«, und er entspannte sich ein wenig. Gedampft, aber unverkennbar horte er Tergorrens stampfende Schritte oben auf den Decksplanken, der anscheinend ziellos hin- und herging. Vermutlich wu?te er nicht recht, wie es weitergehen sollte. Immerhin, dachte Bolitho, hatte es Tergorren machtig eilig gehabt, ihn allein, ohne einen zweiten Mann, unter Deck zu schicken. Vielleicht interessierte es den Leutnant, was es mit diesem merkwurdigen, verlassenen Schiff auf sich hatte; aber die Sicherheit seines Midshipman interessierte ihn ganz bestimmt nicht.
        Bolitho stie? eine kleine Kajutentur auf und trat gebuckt ein. Der Raum mit den tiefgezogenen Decksbalken war so niedrig, da? er in der Finsternis krumm wie ein Buckliger umherschleichen und sich mit den Handen festhalten mu?te, damit das dumpelnde Schiff ihn nicht aus dem Gleichgewicht warf. Dicht vor seinem Kopf stie? seine tastende Hand an eine Laterne, die von der Decke hing. Sie war eiskalt. Jemand offnete ein Oberlicht, und es wurde hell. Vom blendenden Sonnenlicht umrahmt, blickte Tergorrens massiges Gesicht auf ihn nieder.

«Was, zum Teufel, machen Sie da, Mister Bolitho?»
        Aber er brach erschrocken ab, und als Bolitho seinem starren Blick folgte, sah er auch, warum. Hingestreckt in der Ecke lag ein Mann - oder was noch von ihm ubrig war. Er hatte mehrere furchterliche Hiebe mit einem Beil oder Entermesser uber den Kopf bekommen; auch in Brust und Flanken hatte er mehrere Wunden. In dem Strahl vom Oberfenster sah es aus, als habe er die Augen vor dem plotzlich blendenden Licht zusammengekniffen und starre Bolitho durch die Schlitze voller Entsetzen an.

«Allmachtiger Gott!«stie? Tergorren endlich hervor. Und als Bolitho immer noch starr und steif neben dem Leichnam stehenblieb, kommandierte er grob:»An Deck mit Ihnen!»
        In dem blendenden Sonnenlicht kam es Bolitho erst vor, als zitterten ihm die Hande, doch als er auf sie heruntersah, waren sie so ruhig wie sonst.
        Tergorren befahl:»Ubernehmen Sie das Ruder, Thorne! Und Sie, Mr. Dancer, gehen mit Ihren Mannern durch die Hauptluke und durchsuchen das Schiff! Ihr anderen fangt endlich an, diese verdammten Segel zu bergen!»
        Er wandte sich um, als Dancer meldete:»Die Gorgon nimmt wieder Fahrt auf, Sir.»

«Ja. «In angestrengtem Nachdenken runzelte der Leutnant die Stirn.»Sie wird bis auf Rufweite herankommen. Bis dahin will ich einigerma?en Bescheid wissen, was hier los ist.»
        Es war, als setze man ein zerrissenes Buch wieder zusammen. Dancers Untersuchung ergab, da? die Barkentine Spirituosen geladen hatte, hauptsachlich Rum; aber im Laderaum war nichts mehr, nur in den Ecken standen ein paar leere Fasser aufeinandergestapelt. Auf der Steuerbordreling des Achterdecks, und auch an der Kompa?bussole, fanden sie eingetrocknetes Blut, au?erdem Pulverschmauch von Pistolenschussen.
        Der einsame Leichnam in der Kajute mu?te der Kapitan sein; vermutlich war er unter Deck geeilt, um sich zu bewaffnen oder Wertgegenstande zu retten oder auch blo?, um sich zu verstecken. Sicher war nur, da? er brutal ermordet worden war.
        Bolitho horte, wie Tergorren zum Bootsmannsmaat sagte:»Mu? eine Meuterei gewesen sein die Schufte haben alle umgebracht, die nicht mitmachen wollten, und dann das Schiff aufgegeben. «Aber die beiden Boote der Schonerbark waren noch immer an Deck festgelascht.
        Dann, als bereits die machtige Segelpyramide der Gorgon achteraus heranglitt, entdeckte Heather, einer von Dancers Mannern, etwas Neues. Kurz hinter dem Hauptladeraum hatte ein Gescho? die Schiffswand getroffen, und wenn der Rumpf in ein tieferes Wellental eintauchte, konnte man es noch in der Beplankung stecken sehen. Bolitho beugte sich uber die Wanten hinaus und sah den schwarzen, scharfzackigen Fleck wie ein boses Auge glanzen.
        Bedachtig sagte Tergorren:»Mu? wohl ein Pirat oder so gewesen sein. Als die Barkentine nicht beidrehen wollte, hat er ihr einen Schu? verpa?t und sie dann geentert. «Er zahlte die einzelnen Punkte an seinen spatenformigen Fingern ab. Zweitens die Mannschaft abgeschlachtet und uber Bord geworfen. Haifische gibt's hier ja genug. Drittens die Ladung ubernommen, und viertens wieder abgelegt.»
        Nervos wandte er sich um, als Dancer fragte:»Aber warum haben sie das Schiff nicht selbst ubernommen, Sir?»

«Darauf wollte ich gerade kommen«, sagte er argerlich. Er gab jedoch keine weiteren Erklarungen. Statt dessen legte er die Hande an den Mund und begann, seine Meldungen zur Gorgon hinuberzurufen.
        Uber den schmalen Streifen Wasser horte Bolitho Verlings Antwort, die er durchs Sprachrohr gab:»Suchen Sie weiter, und bleiben Sie in Lee.»
        Damit wollte er wahrscheinlich Zeit gewinnen, um sich in Seehandbuchern und Schiffsregistern uber die Schiffahrt in diesen Gewassern zu informieren. Die Athen war offensichtlich kein neues Schiff und mu?te im westindischen Rumhandel bekannt sein.
        Bolitho erschauerte bei der Vorstellung, er konne plotzlich, allein auf sich gestellt, einem Angriff blutdurstiger, schwer-bewaffneter Enterer ausgesetzt sein.

«Wir gehen wieder achtern unter Deck!«befahl Tergorren kurz. Er schritt zum Niedergang; Bolitho folgte ihm.
        Obwohl er darauf vorbereitet war, erschutterte ihn der Anblick ebenso wie beim erstenmal. Er versuchte, dem Toten nicht ins Gesicht zu sehen, als Tergorren nach kurzem Zogern dessen Taschen zu durchsuchen begann. Logbuch und Seekarten der Athen waren nicht mehr da, wahrscheinlich hatten die Piraten sie uber Bord geworfen; aber in einer Ecke der durchwuhlten Kajute, fast unter der Koje verborgen, fand Tergorren einen leinenen Briefumschlag. Er war leer, doch der Name des Schiffsagenten in Martinique war deutlich lesbar aufgedruckt. Besser als nichts.
        Der Leutnant stellte einen umgeworfenen Stuhl wieder auf und setzte sich gewichtig hin, und noch im Sitzen streifte sein Kopf beinahe die Decksbalken. So blieb er einige Minuten und starrte auf den Leichnam. Das Nachdenken mu?te ihn anstrengen; seine Miene war finsterer als je.

«Ich glaube, Sir«, sagte Bolitho,»es mu? noch ein drittes Schiff dagewesen sein. Die Angreifer oder Piraten mussen seine Segel gesichtet haben und dann geflohen sein, weil sie wu?ten, da? man sich zunachst fur dieses Schiff hier interessieren wurde.»
        Einen Augenblick lang dachte er, Tergorren hatte ihn uberhaupt nicht gehort.
        Dann aber sagte der Leutnant ganz sanft:»Wenn ich Ihre Hilfe brauche, Mr. Bolitho, werde ich Sie darum ersuchen. «Er blickte auf; seine Augen lagen im Schatten.»Sie mogen der Sohn eines Fregattenkapitans sein und der Enkel eines Konteradmirals, aber fur mich sind Sie ein Midshipman - das hei?t, weniger als nichts.»

«Ich - ich bitte um Entschuldigung, Sir. Ich wollte Sie nicht beleidigen.»

«O ja, ich kenne Ihre Familie. «Tergorrens Atem ging schwer vor Erregung und unterdruckter Wut.»Ich habe Ihr feines Haus gesehen, und die Grabplatten an der Kirchenwand! Also, ich hatte keinen reichen Vater im Hintergrund, der mir half, und bei Gott, ich werde dafur sorgen, da? Sie an Bord keine Extrawurst gebraten kriegen, verstanden?«Er wandte sich ab und dampfte seine Stimme, was ihn offensichtlich Anstrengung kostete.»Jetzt lassen Sie jemanden eine Leine herunterwerfen und den Leichnam an Deck hieven. Dann lassen Sie die Kajute aufklaren - hier stinkt's wie unterm Galgen!»
        Er fa?te ans Stuhlbein. Getrocknetes Blut klebte daran, schwarzlich in dem einfallenden Sonnenlicht.

«Wahrscheinlich gestern«, murmelte er vor sich hin,»sonst waren die Ratten schon hiergewesen. «Dann knallte er sich seinen salzfleckigen Dreispitz auf den Kopf und stapfte aus der Kajute.
        Nachher, als Bolitho und Dancer am Schanzkleid standen und dem Leutnant nachblickten, der sich zur Gorgon hinuberrudern lie?, um Meldung zu erstatten, erzahlte Bolitho seinem Freund etwas von dem, was sich zwischen ihm und Tergorren abgespielt hatte. Dancer sah ihn bedauernd an.»Ich wette, er wird deine Idee dem Kapitan als seine eigene unterschieben, Dick. Das sahe ihm ahnlich.»
        Bolitho fa?te seinen Freund am Arm. Tergorrens letzte Anweisungen, bevor er ins Boot gegangen war, fielen ihm ein:»Halten Sie das Schiff steuerfahig bis auf weitere Order, und schicken Sie einen guten Mann in den Ausguck!«Und dann hatte er, mit einer Geste zu dem Leichnam hin der beim Ruder lag, noch gesagt:»Und werfen Sie das uber Bord! Vermutlich wird der eine oder andere von euch ebenso enden.»
        Spater blickte Bolitho auf die leere Stelle, wo der Unbekannte gelegen hatte. Fuhllos und leblos.

«Ich habe noch mehr Ideen«, sagte er und lachelte dabei, um seinen Arger zu vergessen.»Wenigstens wei? ich jetzt, warum er mich nicht leiden kann.»
        Dancer hatte seine eigenen Gedanken.»Wei?t du noch - der arme Invalide im Blue Post's Inn?«Er machte eine Handbewegung uber die paar Manner an Deck hin.»Er hat gesagt, wir wurden beide Kapitane werden - und, bei Gott, nun haben wir schon ein eigenes Schiff.»



        IV» Klar Schiff zum Gefecht!»

        Die Offiziersmesse der Gorgon, direkt unter der gro?en Kapitanskajute gelegen, war voller Menschen, vom Schott bis zu den Heckfenstern. Um sie herum lagen die kleinen, wei?gestrichenen Offizierskajuten. Die Messe diente als Gemeinschafts- und Speiseraum fur die Leutnants, den Steuermann, die Offiziere der Marine-Infanterie, und den Schiffsarzt Laidlaw.
        Aber jetzt, im roten Schein der untergehenden Sonne, der durch die Heckfenster einfiel und von den kreisenden Deckenlampen verstarkt wurde, bevolkerte so ziemlich alles die Offiziersmesse, was einen hoheren Rang als den eines Maats innehatte, mit Ausnahme derjenigen, die gerade Schiffsdienst taten.
        Bolitho und Dancer hatten an einem offenen Fenster an der Backbordseite Platz gefunden und spahten hoffnungsvoll nach einer Erfrischung aus. Aber wenn auch die Offiziersmesse ihren Raum fur Dienstbesprechungen zur Verfugung stellen mu?te, war sie jedoch anscheinend nicht geneigt, ihre ungebetenen Gaste auch noch zu bewirten.
        Den ganzen Tag lang, wahrend die Gorgon und ihr kleines Begleitschiff unter halb gerefften Segeln geistergleich dahinschlichen, hatten Bolitho und Dancer gegrubelt und spekuliert, wie es weitergehen wurde, und was sie wohl dabei fur eine Rolle zugeteilt bekamen. Endlich holte ein Boot sie ab und brachte sie auf die Gorgon zuruck. Thorne, der Bootsmannsmaat, bemerkte dazu mit gerade soviel Ironie, wie er glaubte, riskieren zu konnen:»Ich hoffe, ich kann zur Not allein fertig werden, bis die jungen Herren zuruckkommen, Sir. «Er hatte zehn Dienstjahre bei der Kriegsmarine hinter sich.
        Nun beobachteten Bolitho, Dancer und die anderen Midshipmen, von den Leutnants und den Offizieren der Marine-Infanterie vornehm ubersehen, die Tur beim Besanmast, der die Offiziersmesse vom Fu?boden bis zur Decke durchlief. Es war wie im Theater, wenn man auf das Erscheinen des Hauptdarstellers wartet; oder bei Gericht auf Seine Lordschaft den Richter, welcher die Verhandlung eroffnen wird.
        Bolitho sah sich, nicht zum erstenmal, in der Messe um. So sehr sie sich von der geraumigen Kapitanskajute unterschied, war sie doch immer noch ein Palast gegen das Midshipmen-Logis und die Batterie. Selbst die winzigen Turen der Offizierskammern, hinter denen nur fur eine Koje und ein Spind Raum war, lie?en an etwas Personliches und an eine Art Privatleben denken. Ein richtiger Tisch, und, hier und da zwischen den stehenden Mannern, ein paar gute Stuhle - das war schon etwas anderes als die aufgereihten schwarzen Seekisten an der ewig tropfenden Rumpfbeplankung des Orlopdecks.
        Er wandte sich um und lehnte sich aus dem geoffneten Fenster. Blutrot in der Abendsonne, flog die Gischt vom Ruder ab; und am Horizont zog die Sonne einen breiten Streifen aus Millionen tanzender, blitzender Spiegel. Es war schwer, dabei an Mord und Gefahren zu denken, an den Erschlagenen in der Barkentine, die jetzt im Lee der Gorgon segelte.
        Noch zwei Jahre, dachte Bolitho, dann stand auch ihm ein Anteil an einer Offiziersmesse wie dieser zu. Eine Sprosse die Leiter weiter hinauf.
        Plotzlich sagte Dancer:»Sie kommen!«, und man horte am Scharren der Fu?e, da? alle Haltung einnahmen.
        Verling erschien als erster; er hielt die Tur auf, so da? Kapitan Conway eintreten konnte, ohne die gekreuzten Hande vom Rucken nehmen zu mussen.
        Conway trat zum Tisch und sagte:»Die Herren konnen sich setzen, wenn sie wunschen.

        Fasziniert beobachtete Bolitho den Kapitan. Obwohl ihn die Leutnants, Deckoffiziere und Midshipmen eng umstanden, gelang es ihm doch, den Eindruck einer gewissen Distanz hervorzurufen. Er trug einen tadellos gebugelten, blauen Rock mit Goldknopfen und wei?en Aufschlagen, so neu, als kame er frisch vom besten Schneider Londons. Seine Kniehose und die Strumpfe sahen ebenso aus, und sein Haar war im Nacken mit einem ganz neuen Band zusammengebunden. Die Midshipmen pflegten solche Bander fur besondere Gelegenheiten aufzuheben. Bolitho zum Beispiel hatte sein langes schwarzes Haar in Kragenhohe mit einem Ende Angelschnur gebunden.

«Achtung!«kundigte Verling kurz an.»Der Kapitan wunscht, Ihnen eine Eroffnung zu machen.»
        Die ganze Messe schien den Atem anzuhalten; deutlich horte man von drau?en das Sausen der See und des Windes, das unregelma?ige Knarren des Ruders tief unten vor den Heckfenstern. Und Bolitho wurde sich mit Erstaunen daruber klar, da? sie viertausend Meilen weit gesegelt waren, ohne wirklich zu wissen, warum.
        Gemessen sprach der Kapitan:»Ich habe Sie alle hierhergerufen, um Zeit zu sparen. Wenn ich zu Ende bin, werden Sie in Ihre Divisionen gehen und nach eigenem Ermessen den Leuten klarmachen, was wir vorhaben. Das ist meines Erachtens weit besser als alle schonen Reden vom Achterdeck hinunter. «Er rausperte sich und blickte in die erwartungsvollen Gesichter.»Ich habe Befehl, das Schiff an die Westkuste Afrikas zu bringen und dort Patrouille zu fahren. Falls es im Verlauf des Auftrags wichtig oder wunschenswert erscheint, kommt auch der Einsatz von Matrosen und Marine-Infanterie bei einem Landeunternehmen in Frage. Seit ein paar Jahren bedrohen Piraten in wachsendem Ma?e diese Kuste, und manches Schiff ist beschossen worden oder ganz verschwunden.»
        Er sprach ohne jede Erregung, und Bolitho war es unbegreiflich, wie solche au?ere Ruhe uberhaupt moglich war. Da hatte dieser Mann eine Reise von mehreren tausend Meilen hinter sich und noch viele Meilen vor sich und trug dabei die Verantwortung fur die Gesundheit und Fuhrung einer ungeubten Mannschaft, wobei es au?erdem vollkommen ungewi? war, was er am Ziel der Reise finden wurde. Ein Schiff zu kommandieren war wohl doch nicht so einfach, wie er es sich vorstellte.
        Conway fuhr fort:»Nach den Berichten, die der Admiralitat vorliegen, hat sich eine Piratenbande an der Kuste von Senegal festgesetzt. «Sekundenlang hafteten seine Augen auf dem unruhigen Haufen der Midshipmen.»Welche Kuste jetzt nicht ganz drei?ig Meilen voraus in Lee liegt, wie mir Mr. Turnbull versichert.»
        Der rotgesichtige Segelmeister lachelte grimmig und nickte.»Beinahe konnte man hinspucken, Sir.»

«Gewi?. «Der kurze Anflug von Humor war schon wieder vorbei.»Es ist meine Pflicht, diesen Schlupfwinkel zu entdecken; und ich beabsichtige, ihn zu zerstoren und alle zu bestrafen, die fur diese Verbrechen verantwortlich sind.»
        Trotz der stickigen Hitze in der Messe erschauerte Bolitho - er erinnerte sich an die verwitterten Leichname einiger Seerauber, die vor seiner Heimatstadt Falmouth in Ketten am Galgen baumelten.

«Naturlich«, sprach der Kapitan mit einem Anflug von Sarkasmus weiter,»haben Ihre Lordschaften in ihrer erhabenen Weisheit fur diese Aufgabe einen Vierundsiebziger gewahlt«- der Steuermann und ein paar von den Alteren nickten grinsend zu diesen Worten - ,»ein Schiff, das zuviel Tiefgang hat, um dicht unter der Kuste operieren zu konnen, und das zu langsam ist, um ein Piratenschiff auf hoher See fangen zu konnen! Immerhin haben wir jetzt die Barkentine. Mr. Tergorren hat sie inzwischen so weit in Ordnung gebracht, da? sie im Dienst des Konigs zu verwenden ist.»
        Mehrere Kopfe drehten sich nach dem massigen Leutnant um, und Conway fuhr fort:»Er hat mir berichtet, was er uber das Schicksal dieses Schiffes festgestellt hat, und da? die Angreifer moglicherweise wegen des Auftauchens eines weiteren Schiffes geflohen sind. Da sich das vermutlich gestern abgespielt hat, konnen es durchaus unsere Bramsegel gewesen sein, die der Pirat gesichtet hat. Wenn es um diese Zeit war, und wenn man Wind und Stromung in Betracht zieht, kann die Athen durchaus so im Dunst gestanden haben, da? wir sie nicht stehen konnten, wahrend wir selbst gegen die untergehende Sonne standen, so wie es jetzt wieder der Fall ist.»
        Er zuckte die Achseln, als habe er genug von diesen Spekulationen.

«Sei dem, wie ihm wolle - sie haben ein friedliches Kauffahrteischiff beraubt und zweifellos die Mannschaft vor die Haie geworfen oder durch Drohungen gezwungen, sich ihnen anzuschlie?en, so da? diese Manner zusammen mit ihren Uberwaltigern hangen werden, wenn wir sie kriegen - und kriegen mussen wir sie!»
        Verling merkte, da? der Kapitan Schlu? machen wollte.»Irgendwelche Fragen? erkundigte er sich.
        Dewar, der Major der Marine-Infanterie, fragte unumwunden:»Mit was fur Widerstand ist zu rechnen, Sir?»
        Der Kapitan blickte ihn sekundenlang stumm an.»Ungefahr eine Meile vor der Kuste liegt eine kleine Insel. Vor etwa vierhundert Jahren wurde sie entdeckt und war seitdem meistens besetzt: von den Hollandern, den Franzosen und sogar von uns. Gegen Angriffe von der Kuste her ist sie gut zu verteidigen. Die See dort ist voller Haie. . «Er machte eine Pause, und sein Blick wurde ungeduldig.

«Noch Fragen?»
        Hope, der Funfte Leutnant, fragte zogernd:»Wieso gegen Angriffe von der Kuste, Sir?»
        Uberraschenderweise lachelte Kapitan Conway ein bi?chen.»Eine gute Frage, Mr. Hope. Ich freue mich, da? wenigstens einer aufgepa?t hat. «Er ignorierte sowohl Hopes freudiges Erroten als auch Tergorrens finstere Miene.»Aus einem einfachen Grund: die Insel ist als Sammelplatz fur Sklaven zur Verschiffung nach Amerika benutzt worden. «Er spurte das plotzliche Unbehagen bei den Offizieren und fuhr unwillig fort:»Ein ubles Geschaft, aber nicht direkt illegal. Die Handler sammeln dort ihre menschliche Ware, und jeder, der ihren Anspruchen nicht genugt, geht zu den Haien. Diese ›Einrichtung‹ hindert auch eventuelle Freunde und Verwandte der Gefangenen, diese vor dem Hollenleben zu retten, das sie erwartet.»
        Major Dewar warf seinem Leutnant einen Blick zu und murmelte grimmig:»Bei Gott, denen werden wir's zeigen, was? Sklaverei, so oder so, interessiert mich einen Dreck, aber Piraten sind fur mich einfach Ungeziefer.»
        Leise sagte Dancer:»Mein Vater hat oft gesagt, Sklaverei und Seerauberei gehen Hand in Hand. Die einen leben von den anderen, oder wenn es ihnen in den Kram pa?t, verbunden sie sich gegen die Staatsmacht.»
        Aufgeregt murmelte der kleine Eden:»Wartet b-blo?, bis die Gorgon euch uber den Hals k-kommt!«Er rieb sich die Hande.»Wartet b-blo? ab!»

«Ruhe da druben!«blaffte Verling. Gelangweilt lie? der Kapitan seine Blicke durch die Masse schweifen.»Wir werden beigedreht liegenbleiben und dann morgen dicht unter Land segeln. Die Kuste hier ist sehr gefahrlich; ich habe keine Lust, den Kiel auf ein Riff zu setzen. Unser neues Begleitschiff wird die Vorhut bilden. Bei Sonnenaufgang werden die Landekommandos eingeteilt. «Er schritt zur Tur.»Machen Sie weiter, Mr. Verling!»
        Der Erste wartete, bis die Tur sich hinter dem Kapitan geschlossen hatte, und sagte dann:»Wegtreten auf Divisionen. «Dann wandte er sich an den Steuermannsmaaten:»Mr. Ivy, Sie ubernehmen die Athen fur diese Nacht. Ich schlage vor, Sie lassen sofort ein Boot klarmachen.»
        Dancer seufzte.»Erst stiehlt Tergorren dir deine Idee, Dick, und nun werden wir auch noch unser erstes Kommando los. «Er grinste.»Aber ich mu? sagen, ein bi?chen sicherer fuhle ich mich doch auf dieser dicken alten Dame!»
        Auch der kleine Eden grinste.»Ich r-rieche Essen!«Eilends, als wurden seine Fu?e von seinem Magen getrieben, verlie? er die Offiziersmesse.

«Wir gehen auch, Dick!«Aber als sie auf dem Geschutzdeck waren, horten sie hinter sich Tergorrens Stimme:»Belegen! Ich habe Arbeit fur Sie beide! Entern Sie zur Bramsegelrahe auf und sehen Sie nach, ob diese faulen Hunde richtig gesplei?t haben, als wir an Bord der Prise waren!«Er warf ihnen einen kalten Blick zu.»Doch nicht etwa zu dunkel fur Sie? Oder zu gefahrlich?»
        Dancer offnete schon den Mund zu einer Entgegnung, aber Bolitho sagte rasch:»Aye, aye, Sir.»

«Aber gefalligst nicht schummeln!«rief der Leutnant hinter ihnen her.
        Drau?en fing es schon an dunkel zu werden. Bei den Webeleinen murmelte Bolitho vor sich hin:»Ob ich wohl jemals im Leben diese verdammte Hohenangst loswerde?»
        Sie blickten zu dem schwarzen Kreuz und Quer der Takelung auf, zu dem gro?en Vormarssegel und zu dem Segel daruber. In dem schwindenden Abendlicht, das die Decksplanken schon nicht mehr erreichte, ergluhte es in tiefem Rot.

«Ich gehe allein hinauf, Dick«, sagte Dancer.»Er merkt es schon nicht.»
        Bolitho lachelte grimmig. »Der merkt das bestimmt, Martyn. Das will er ja gerade.
«Er legte Hut und Rock ab und stopfte sie unter eine Klampe.»Also los! Wenigstens wird es uns Appetit machen.»
        Achtern, bei dem machtigen, doppelten Steuerrad, beobachteten die Rudergasten die schwingende Kompa?nadel und lie?en die Speichen ganz leicht spielen. Mit ihren nackten Fu?en standen sie wie angewachsen auf den Planken. Ruhelos schritt der Wachoffizier an der Luvseite auf und ab und warf gelegentlich einen Blick nach Lee, wo die einzige Laterne der Barkentine einen winzigen Reflex auf die Wasserflache warf.
        Kapitan Conway trat aus dem Achterkastell hinter das Ruder, die Hande, wie immer, auf dem Rucken gefaltet. Automatisch pa?te er seine Korperhaltung den Schwankungen des Schiffes an. Der Erste Ruderganger stie? seinen Kameraden an und rief:»Sudost bei Sud liegt an, Sir.»
        Conway nickte und wartete, bis der Leutnant ebenso diskret wie eilig nach Lee hinubergewechselt war, damit der Kapitan die notige Ruhe und Einsamkeit fur seinen Abendspaziergang hatte.
        Auf und ab, hin und zuruck tappten seine Schritte auf den glatten Planken. Einmal verhielt er und warf einen kurzen Blick durch die Riggen auf die beiden schattenhaften Gestalten, die hoch oben auf der Bramsegelrahe hockten wie Vogel auf ihrer Stange. Aber im Weitergehen und Nachdenken uber den nachsten Tag hatte er sie bald vergessen.
        An diesem Morgen wurde die gesamte Mannschaft sehr fruh aus den Hangematten gescheucht, und es gab ein hastiges Fruhstuck aus Hafergrutze und gerostetem Schiffszwieback, mit einem Krug Ale zum Anfeuchten. Jedoch ein alterer Matrose bemerkte dazu mit dusterer Miene:»So fruh und so reichlich - das hei?t, der Kapitan rechnet damit, da? was passiert.»
        Und dann, als sich im Osten die ersten Spuren der Morgendammerung bemerkbar machten und die Koche die Kombusenfeuer loschten, kam das Pfeifsignal vom Achterdeck:»Alle Mann achteraus! Alle Mann achteraus, und klar Schiff zum Gefecht!

        Von der Kampanje her tonten die hektischen Wirbel der Trommeljungen, die Befehle und Beschimpfungen der Deckoffiziere und Maaten, und wieder einmal wurden die Manner der Gorgon zu einem Manover getrieben, auf das sie gedrillt und geschliffen worden waren, bis alle Knochen schmerzten, im stromenden Regen und bei brennender Sonne, bis sie ganz genau wu?ten, wo jeder Mann, jedes Gerat, jedes Tauende, jedes Fall seinen Platz hatte, wenn es hie?»Klar Schiff zum Gefecht».
        Manche unter den erfahrenen Matrosen gaben sich diesmal mehr Muhe als sonst; vielleicht spurten sie, da? das heutige Exerzieren mehr zu bedeuten hatte, als es auf den ersten Blick schien. Andere, und besonders die ganz jungen wie Eden rannten so zappelig wie aufgeregte Kinder auf ihre Stationen und lie?en sich weder durch die Fluche der nervosen Leutnants, noch durch die Beschimpfungen ihrer Kameraden beruhigen.
        Bolithos Station war das untere Geschutzdeck. Er fuhlte, wie sein Herz klopfte, schneller als sonst. In dem niedrigen, fast finsteren Deck sah er die Matrosen geduckt um die machtigen Zweiunddrei?igpfunder herumkriechen, horte unter ihren nackten Fu?en den Sand knirschen, den die Schiffsjungen reichlich gestreut hatten, damit niemand wahrend des Manovers ausrutschte oder hinfiel.
        Vom Oberdeck her sickerte ein bi?chen Licht durch den Niedergang, und er konnte erkennen, wie die Geschutzmannschaften ihr Gerat kontrollierten und die Persennigen abnahmen, um ihr Gerat zu kontrollieren und die Blocke der Zugleinen und die Handspeichen zu uberprufen.
        Von oben konnte er das gedampfte Quietschen der Taljen horen, als die Netze uber das Deck gezurrt wurden, welche die Kanonen und ihre Bedienungen vor fallenden Spieren und Rahen schutzen sollten. Wie oft hatten sie das wahrend der Viertausend-Meilen-Reise geubt?
        Oben trieb die machtige Stimme des Bootsmanns die Matrosen an ihre Platze; die Decksplanken uber Bolithos Kopf erzitterten unter dem Getrampel ihrer eilenden Fu?e.
        Unten, in der Finsternis, drohnte Tergorrens Stimme:»Beeilung, ihr verdammte Bande! Das dauert schon viel zu lange!»
        Im mittleren Geschutzdeck befanden sich, abgesehen von den Matrosen, die zur Bedienung der doppelten Reihe von Zweiunddrei?igpfundern notig waren, zwei Leutnants (namlich Tergorren, der den Oberbefehl fuhrte, und sein Adjutant, der Sechste Leutnant Mr. Wellesley) sowie vier Midshipmen. Diese letzteren waren gleichma?ig uber alle Geschutzdivisionen verteilt. Sie sollten Befehle weiterleiten, notfalls selbstandig Feuerbefehl erteilen und als Gefechtslaufer zum Achterdeck fungieren. Bolitho und Dancer waren auf der Backbordseite; ein murrischer Jungling namens Pearce und der kleine Eden hatten die Steuerbordbatterie.
        In der Mitte des Decks stand Tergorren mit dem Rucken zum Hauptmast, die Arme verschrankt, und uberspahte mit gesenktem Kopf seinen Bereich. Nicht weit von ihm stand ein Posten der Marine-Infanterie am Niedergang, ebenso wie an den anderen Luken. Diese Posten sollten verhindern, da? im Durcheinander des Gefechts einer, den der Kampfesmut verlie?, etwa irgendwo im Schiffsrumpf Zuflucht suchte.
        Wellesley, der Sechste, lief sabelrasselnd die Backbordseite ab, wo er bei jedem Geschutz gerade so lange stehenblieb, bis der Geschutzfuhrer meldete:»Feuerbereit, Sir!»
        Endlich war alles ruhig, nur das leise Heben und Senken des Schiffs, das regelma?ige Quietschen der Blocke, wenn die Kanonen gegen die Taljen arbeiteten, unterbrach die Stille.
        Bolitho konnte die Spannung, die uber dem ganzen Schiff lag, formlich riechen. Er versuchte, nicht an das Midshipmen-Logis im Orlopdeck zu denken, das ebenfalls umgeraumt war. Dort befanden sich jetzt der Schiffsarzt und seine Sanitatsgasten. Laternen brannten, chirurgische Instrumente blinkten in ihren offenen Behaltern. Jedesmal, wenn Kapitan Conway» Klar Schiff zum Gefecht «befohlen hatte, sah das Midshipmen-Logis so aus - kaum zu zahlen, wie oft er es schon so gesehen hatte.
        Tergorren schrie:»Mr. Wellesley! Warum dauert das so lange?»
        Der Sechste rannte schlurfend zu ihm, stolperte uber einen Ringbolzen und ware beinahe lang hingefallen.

«Untere Batterie klar zum Gefecht, Sir!«Er verschluckte sich beinahe.
        Auf dem Deck uber ihnen gellte eine Pfeife, und jemand rief:»Klar zum Gefecht, Sir!»
        Tergorren fluchte lasterlich.»Die haben uns schon wieder geschlagen, hol sie der Teufel!«Wutend fugte er hinzu:»Mr. Eden! Stellen Sie die Zeit fest! Aber marsch, marsch!»
        Eden kam zuruck und meldete keuchend:»Kompliment vom Ersten Leutnant, Schiff gefechtsklar in zwolf Minuten. «Er zogerte.»Aber…»

«Was - aber?»
        Der Junge schluckte.»Aber wir haben langer als alle anderen Divisionen gebraucht, Sir.»
        Weitere Befehle wurden gepfiffen; die Signale der Bootsmannspfeifen schrillten wie die Stimmen der Vogel auf einem Moor in Norfolk.

«Stuckpforten auf!»
        Bolitho beugte sich vor, weil eine ubereifrige Geschutzmannschaft aus der Reihe tanzte. Es war erstickend hei? im unteren Deck, aber gleich wurden sich alle Pforten mit einem Schlag offnen, hier und auf dem nachstoberen Deck. Jetzt - die Luken gingen hoch, und sofort spurte er die kuhle Luft einstromen, und die Manner in seiner nachsten Umgebung gewannen Personlichkeit und Bedeutung; matt glanzten ihre nackten Oberkorper im fahlen Fruhlicht. Er warf einen raschen Blick nach achtern und sah, wie Dancer ihm fluchtig zuwinkte.
        Wahrend der Morgenwache hatte die Gorgon ihren Kurs geandert und steuerte jetzt Ostsudost, denn der Wind hatte sich etwas nach Norden gedreht und war so geblieben. Das Schiff krangte leicht, und da der Wind von Backbord achtern kam, zeigten die Geschutzlaufe in Bolithos Abschnitt etwas nach oben und blieben frei von Gischt. Er konnte die lebhaften wei?en Wellenkamme sehen, und auch ein paar seltsame Fische, die aus dem Wasser sprangen und wie Seevogel, auf der Fahrtwelle hupfend, das Schiff ein Stuck begleiteten. Er lehnte sich weiter hinaus, blickte um die Mundung eines Geschutzes herum und sah druben etwas Dunkles auf dem Wasser - das mu?te die
        Athen sein. Er versuchte zu erraten, was an Deck geschah. Das Prisenschiff kam aus seiner geschutzten Leeposition heraus und nahm einen Kurs, der es offenbar zwischen die Gorgon und das Festland bringen sollte - aber wo sich das Festland befand, das wu?te er nicht.

«Konnen Sie Land sehen, Sir?«fragte ein junger Matrose. Er war ein gutaussehender Bursche, der von Devon an Bord gekommen war. Wahrend der Nachtwachen und bei hei?en Exerziermanovern hatte er erzahlt, da? seine gesamte Familie fur einen dortigen Gutsherrn arbeite. Ein harter Mann, der dazu neigte, die Tochter seiner Pachter und Tagelohner zu mi?brauchen. Mehr hatte er ihm nicht anvertraut, aber Bolitho war sicher, da? er den Gutsbesitzer verprugelt hatte und dann geflohen war, um an Bord eines Schiffes, irgendeines Schiffes, zu gelangen und so der Strafe zu entgehen.
        Bolitho antwortete:»Wir mussen ganz dicht heran sein, Fairweather. Da sind schon ein paar Seevogel. Die wollen sich wohl mal unser Schiff ansehen wurde mich nicht wundern.»

«Ruhe in der Batterie!«Tergorrens Wut schien sich uber Offiziere und Matrosen gleicherma?en zu entladen.
        Ein Mann schrie schmerzlich auf, als sein Geschutzfuhrer das Tauende sausen lie?; und von achtern her quakte Wellesleys wenig imponierende Stimme:»He - schreiben Sie den Mann auf!»
        Kein Mensch wu?te, welchen Mann er meinte, und an wen der Befehl gerichtet war - nach Bolithos Schatzung wollte der Leutnant nur einen Anpfiff Tergorrens vermeiden.
        Seltsam, hier unten kam man sich vor, als sei man vom ganzen ubrigen Schiff abgeschnitten. Es wurde drau?en heller, und auf der See malte sich ein Muster von Schwarz und Gelb, aber man konnte Himmel und Horizont noch nicht deutlich voneinander unterscheiden. Der quadratische Ausschnitt der Stuckpforte in der dicken, eichenen Rumpfbeplankung wirkte wie der Rahmen eines Bildes; aber als das Licht starker wurde und auf dem langen Rohr des Zweiunddrei?igpfunders spielerisch entlanglief, schienen sie alle zu Teilen dieses Bildes zu werden. Jetzt bekam namlich auch das Innere des Batteriedecks Farbe. Jetzt wurde der dunkelrote Anstrich der Innenseite des Schiffsrumpfes und eines Teils der Decksplanken unter ihren Fu?en sichtbar. Warum ausgerechnet rot - das wu?te jeder, auf dieser Farbe sah man das Blut der Toten und Verwundeten nicht so deutlich. Bolitho blickte uber das abfallende Deck zur Gegenseite hinuber. Dort lagen die offenen Stuckpforten noch im Dunkel, in das nur manchmal der Kamm einer Woge oder ein paar Schaumfetzen hineinblitzten.
        Er blickte zu Tergorren hin. Der sprach ganz ruhig mit Jehan, dem Stuckmeister. Dieser trug, wie immer, wenn er in seiner geliebten Pulverkammer arbeitete, dicke Filzschuhe, so da? er sich vollig lautlos bewegte. Eben verschwand er in der Luke, wo der Posten stand, und Bolitho uberlegte sich, ob Dancer wohl daran dachte, da? er so ziemlich auf der gefahrlichsten Stelle des ganzen Schiffes stand; denn genau unter seinen Fu?en lagerte eine Unmenge Schie?pulver, das bei einem Gefecht jederzeit in die Luft fliegen konnte.
        Etwas wie ein Seufzer wurde in der Batterie laut, als sich die ersten Sonnenstrahlen durch die offenen Geschutzpforten hineinwagten. Auf einen Geschutzverschlu? gestutzt, beobachtete Bolitho, wie der Horizont immer wirklicher und greifbarer wurde: dort lag das Festland.
        Aufgeregt fragte Fairweather:»Is' das Afrika?»
        Der Geschutzfuhrer entblo?te seine unregelma?igen Zahne.»Kann dir ganz egal sein, wo du bist, mein Junge. Kummer' dich um unsere alte Tante hier und futtere sie anstandig, ganz egal, was kommt - mehr brauchst du nicht zu wissen!»
        Ein Midshipman kam vom oberen Deck und sah sich nach Tergorren um. Das Burschchen war Midshipman Knibb, nicht gro?er und nur einen Monat alter als der kleine Eden.

«Kompliment von Mr. Verling, Sir. Vorlaufig noch nicht laden!»

«Was ist denn los?«blaffte Tergorren.

«Ausguck hat zwei Schiffe bei der Landspitze vor Anker gemeldet, Sir.»
        Sein Selbstvertrauen wuchs in dem Bewu?tsein, da? alle diese schattenhaften Gestalten ihm aufmerksam zuhorten und neugierig waren, was in der Oberwelt vor sich ging.

«Der Kapitan hat befohlen, da? die Barkentine Segel setzen und rekognoszieren soll, Sir.»
        Der Geschutzfuhrer neben Bolitho gab seiner Mannschaft Erklarungen:»Ich kenne diese Gewasser, Jungs. Uberall Riffe und Untiefen. Unser Kapitan hat bestimmt schon zwei gute Manner auf Lotstation, die regelma?ig die Tiefe nehmen. Wir mussen uns richtig in die Kuste hineintasten.»
        Bolitho horte nicht weiter hin. Er dachte an die aufgegebene Barkentine und an den toten Mann in ihrer Kajute. Ob wohl Tergorren deshalb so schlechter Laune war, weil ein anderer das Kommando uber die Athen bekommen hatte?
        Der Dritte Leutnant, Tergorrens unmittelbarer Vorgesetzter, kommandierte sie statt seiner, und Grenfell, der dienstalteste Midshipman, war sein Adjutant. Wenn alles gut ging, wurde dieses bi?chen Sonderverantwortung dem Midshipman auf dem Weg zu seiner Beforderung ein Stuck weiterhelfen. Bolitho freute sich fur ihn, wenn er ihn auch um seine Freiheit beneidete. Grenfell hatte sich seinerzeit alle Muhe gegeben, um ihm und den anderen unsicheren Neulingen den Anfang leichter zu machen. Es kam oft genug vor, da? sich Manner in Grenfells Stellung wie kleine Tyrannen benahmen.
        Zwei Schiffe vor Anker, hatte Knibb gesagt. Piraten oder Sklavenhandler? Sie wurden beide einen schonen Schreck kriegen, wenn die Gorgon aufkreuzte.
        Dumpfes Fu?getrampel von oben, und das Quietschen von Taljen und Blocken - die Segel wurden entsprechend der Kursanderung umgebra?t.
        Er verlie? die Stuckpforte und stutzte sich auf das gro?e Spill, mit dem schwere Spieren oder Boote in Stellung gehievt wurden, und lauschte auf Tergorrens grobe Stimme, der mit Wellesley und Midshipman Pearce sprach. Auf der gegenuberliegenden Schiffsseite hoben sich jetzt die offenen Stuckpforten scharfer ab, und einen Moment lang glaubte Bolitho, da? ihn seine Augen tauschten: das Land schien sich der Gorgon entgegenzustrecken, um sie zu gru?en aber das war naturlich unmoglich, denn das Land lag ja, wie deutlich zu sehen, hier an seiner Seite. Doch plotzlich fiel ihm wieder ein, da? der Kapitan von einer Insel gesprochen hatte. Das mu?te sie sein, und das Schiff steuerte in die Enge zwischen Insel und Festland hinein. Die ankernden Schiffe mu?ten direkt voraus liegen, so da? sie von den beiden Geschutzdecks aus nicht zu sehen waren.
        Tergorren sagte eben:»Seht mal, da steht ja eine Festung auf der Insel. Mu? so alt sein wie Moses. «Er lachte glucksend.»Wartet blo?, bis ihr die schwarzen Weiber zu sehen kriegt. Manche sind so schon wie. . «Er kam nicht weiter.
        Bolitho sah etwas uber die kabbelige, landein stromende See springen erst dachte er, es sei ein Delphin, aber dann horte er, weit weg, das Drohnen einer Explosion. Die Linie der wei? beschaumten, anbrechenden Wellen war auf einmal nicht mehr da, und unter einem Chor von Schreien und Fluchen schlug eine gro?e Kanonenkugel hart neben dem Schiffsrumpf ein.
        Unglaubig brullte der alte Geschutzfuhrer:»Diese Teufels-bande hat uns zuerst beschossen, bei Gott!»
        Das ganze Schiff wurde lebendig. Ein Tohuwabohu von Befehlen. . Eine Trompete gellte ein Signal fur die Seesoldaten. . Taljen knarrten, die Haltegiens der schweren Geschutze wurden angeholt, und dann kam der Ruf:»Alle Geschutze laden und klar zum Ausrennen! Steuerbordbatterie feuert zuerst!»
        Tergorren starrte auf die Kniehose des Gefechtslaufers, die sich kreidewei? vom dunklen Niedergang abhob; anscheinend konnte er nicht glauben, was er da gehort hatte.
        Aber dann stie? er einen Grunzer aus und brullte:»Steuerbordbatterie klar zum Laden!»
        Der Matrose Fairweather rannte hinter Bolitho her zur Gegenseite, wo die halbnackten Geschutzbedienungen die machtigen Pulverkartuschen und die Pfropfen in die Rohre rammten und die Geschutzfuhrer an den Halterungen standen und sich die Kugeln aussuchten, tastend ihre Rundung prufend; mancher schliff sogar noch schnell eine rauhe Stelle nach, ehe er sie zum Einrammen und Bepfropfen an die wartende Mannschaft weitergab.
        Nacheinander kamen die Handzeichen von den einzelnen Geschutzen, und aller Augen waren auf den bulligen Leutnant gerichtet.

«Alles geladen, Sir!»

«Ausfahren!»
        Die Manner warfen sich auf die Taljen und verholten die schweren Geschutze zu den offenen Stuckpforten; jedes einzelne Haltegien protestierte quietschend wie ein Schwein, das zum Markt soll.
        Eine Stimme gellte:»Steuerbord klar zum Feuern! Maximale Elevation, Abziehen bei steigendem Rumpf!»
        Ein Deckoffizier versetzte einem Matrosen einen so heftigen Sto? gegen die Schulter, da? dieser hochsprang wie von einer Kugel getroffen.

«Wickel dir dein Halstuch um die Ohren, Mensch, wenn du nicht dein Leben lang taub sein willst!»
        Er blinzelte Bolitho zu. Vermutlich war die Warnung fur ihn bestimmt gewesen; aber sogar Midshipmen haben Anspruch auf ein bi?chen Respekt.

«Klar zum Schu?!»
        Das Schiff rollte unter dem Einflu? von Wind und Ruder, und hinter jeder Kanone kauerte der Geschutzfuhrer, das Auge uber das lange schwarze Rohr zum Himmel und zur Festung gerichtet.

«Feuer!»



        V Wechselndes Kriegsgluck

        Von Deck zu Deck wurde der Feuerbefehl weitergegeben. Jeder Geschutzfuhrer stie? seine Lunte ins Zundloch und sprang zur Seite. Nur ein Sekundenbruchteil, aber Bolitho, der zwischen zwei Zweiunddrei?igpfundern stand, kam es wie eine Ewigkeit vor. Nur einen Augenblick - aber der wollte kein Ende nehmen sah er das alles wie ein Gemalde, kristallklar, wie inmitten der Bewegung erstarrt: die nackten Rucken der Seeleute, die gebuckt an den Taljen standen oder mit Handspeichen arbeiteten; die einzelnen Geschutzfuhrer, den Blick in grimmiger Konzentration nur auf die eigene Stuckpforte und das Ziel gerichtet. Und durch jede der quadratischen Stuckpforten sah man die Festung in der Sonne liegen, unter dem bleichen Himmel, uber den auch nicht das kleinste Federwolkchen zog.
        Und dann auf einmal war alles anders. Das untere Geschutzdeck schien zu bersten, der Schiffsrumpf bockte, als hatte ihn eine Lawine gestreift. Ein Geschutz nach dem anderen rannte donnernd auf seiner Lagerung zuruck, die Mannschaft sturzte sich darauf, um das Rohr mit dem Schwamm auszuputzen, die neue Pulverkartusche und die nachste mattglanzende Kugel hineinzurammen. Der Wind erfa?te den dicken Pulverqualm, trieb ihn in Wolken am Schiff vorbei, bis er die Festung einhullte und den klaren Himmel mit braunem Nebel bedeckte.

«Entluftungen stopfen! Ausputzen! Laden!«brullte Tergorren. Aber seine Stimme klang, als kame sie durch einen Vorhang, denn die erste Salve hatte alle Trommelfelle bis fast zur Taubheit gelahmt.
        Doch war deutlich zu sehen, wie das Abfeuern der Steuerbordbatterie auf die Manner wirkte. Die Nervositat der ersten Minuten war verflogen; statt dessen lag so etwas wie grimmige Wildheit in der Luft. Triumphierend grinsten sich die Geschutzbedienungen an und schwenkten die Arme wie Kinder, die einander durch Gesten und Handzeichen aufregende Dinge mitzuteilen haben. Das war kein blo?es Geschutzexerzieren wie sonst, das war Wirklicheit, ernsthaftes Schie?en.

«Ausrennen!»
        Aufs neue knarrten und quietschten die Haltegiens an beiden Decks, wutend sturzten sich die Mannschaften an die Taljen, jede wollte ihr Geschutz als erstes drau?en haben.

«Jetzt werden sie eine andere Melodie pfeifen, beim Himmel!«rief Wellesley aufgeregt. Und Tergorren erganzte knurrend:»Wer sie auch immer sein mogen, verdammt!»
        Wahrend die Mannschaften in Erwartung des Feuerbefehls uber die elevierten Rohre starrten, horte Bolitho oben das Trampeln der Matrosen beim Segelmanover. Die Gorgon mu?te einen gro?artigen Anblick bieten, aber dafur hatte wohl im Moment kaum jemand Sinn. Zweifellos mu?te sie unter verkurzten Segeln und mit ihren in der Morgensonne blitzenden Kanonen schon dicht unter der Kuste sein. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wer das Schiff beschossen hatte, oder warum - aber das war ihm, wie er zu seiner eigenen Uberraschung feststellte, auch ganz gleichgultig. In diesen kurzen Minuten war das ganze Schiff mit allen Mannern darin zu einer Einheit geworden.

«Klar zum Feuern! Dasselbe Ziel!«Die Spannung war atemberaubend.»Feuer!»
        Wieder schuttelte sich das Schiff wie im Fieberschauer, die Planken knirschten unter den Fu?en im Rucksto? der Geschutze, deren auspuffender Qualm wie ein Vorhang an den Stuckpforten hangenblieb.
        Dancer rief:»Hoffentlich konnen sie auf dem Achterdeck sehen, was wir hier machen! Unsere Geschutze tragen bis zum Himmel!«Er hatte kaum ausgesprochen, da fuhr er zusammen: etwas schlug donnernd gegen den Schiffsrumpf; unmittelbar darauf ertonte von oben wildes Geschrei.
        Bolitho nickte Dancer besorgt zu. Ein Treffer. Der Gegner, wer er auch sein mochte, erwiderte das Feuer.
        Irgendwo begann eine Pumpe zu klappern. Vermutlich hatte eine erhitzte Kugel das Plankenwerk durchschlagen, und man brauchte Loschwasser, damit das Holz nicht Feuer fing.
        Neben Bolitho hob ein Matrose die Hand zum Oberdeck hin.»Da kriegen die faulen Hunde auch mal was zu tun, eh?»
        Aber keiner lachte; und Bolitho beobachtete, wie Wellesley sich mit hastigen, nervosen Bewegungen das Kinn rieb - als konne er uberhaupt nicht glauben, da? jemand so vermessen sei, auf ein Schiff des Konigs zu schie?en.

«Alles geladen, Sir!»
        Ein Melder tauchte am Niedergang auf und rief mit schriller Stimme.»Wir gehen uber Stag, Sir! Backbordgeschutze feuerbereit machen!»
        Fairweather spahte zu Bolitho heruber. Wei? blitzten seine Zahne in dem wirbelnden Pulverdampf.»Denen haben wir ordentlich eins verpa?t, Sir jetzt kriegen die Backbordgeschutze auch mal 'ne Chance!»
        Der Geschutzfuhrer warf einen raschen Blick auf das Verschlu?stuck und knurrte: Quatsch - die haben uns geschlagen. Wir machen, da? wir wegkommen, du bloder Narr!

        Bolitho sah die Verwirrung in Fairweathers Miene und spurte, wie die unverblumten Worte des Geschutzfuhrers die Manner in seiner Horweite beeindruckten.
        Tergorren stapfte vorbei; sein Kopf senkte und hob sich beim Passieren der massiven Decksbalken.

«Klar bei den Geschutzen! Fertigmachen zum Ausrennen!«Er hielt inne und blickte Bolitho an.»Was, zur Holle, haben Sie hier zu glotzen?»

«Wir gehen uber Stag, Sir!«Bolitho bemuhte sich, ruhig zu sprechen, obwohl von Land aus weiter gefeuert wurde. Der geheimnisvolle Festungskommandant mu?te reichlich Munition haben.

«Das haben Sie ja geradezu meisterhaft erkannt, Mr. Bolitho!«Tergorren mu?te sich an einem Decksbalken festhalten, denn die Gorgon drehte sich eben schwerfallig in den Wind und krangte so steil, da? die See bis an die Stuckpforten kam.»Der Schlachtenlarm war wohl zuviel fur Sie?»

«Nein, Sir. «Ohne sich von Tergorrens Feindseligkeit beeindrucken zu lassen, fuhr Bolitho fort:»Wir segeln zu dicht unter Land, glaube ich. Wir sind genau in Reichweite der Festung.»
        Die Manner, die zur Gegenseite hasteten, verhielten einen Moment und blickten zu den beiden hin. Der massige Leutnant und der schlanke Midshipman standen sich spreizbeinig gegenuber, Arme an den Seiten, wie zwei Duellanten.
        Nervos sagte Wellesley:»Der Kapitan wird schon wissen, was am besten ist.»
        Tergorren blitzte ihn wutend an.»Haben Sie es notig, einem Midshipman Erklarungen zu geben?«Er blickte von einem zum andern.»An die Geschutze!»
        Aber der Feuerbefehl fur die Backbordseite kam nicht. Statt dessen gab es eine lange Ungewisse Stille, nur gelegentlich von dem Getrampel der Matrosen auf dem Oberdeck unterbrochen, und vom Trillern der Signalpfeifen, das die Manner an die Brassen und Fallen rief, um das Schiff auf anderen Kurs zu bringen.

«Wie ich sagte«, murmelte der Geschutzfuhrer neben Bolitho duster.»Der Kapt'n nimmt Kurs auf See. Ist auch besser so, wenn Sie mich fragen.»
        Wahrend des langen, anstrengenden Geschutzexerzierens hatte Bolitho nie Zeit gehabt zu merken, wie abgeschnitten man im unteren Batteriedeck war. Jetzt, als er die Matrosen und Offiziere unentschlossen und tatenlos an den Stuckpforten stehen sah, wurde er von Minute zu Minute unsicherer und nervoser. Am Einfallswinkel der Sonnenstrahlen sah er, da? das Schiff sich vom Land entfernte, aber abgesehen davon hatte er keine Ahnung, was vor sich ging. Man war von der Oberwelt vollig isoliert - ein erniedrigendes Gefuhl.

«Geschutze belegen!«Das Sonnenlicht fing sich an der wei?en Kniehose des Laufers im Niedergang.»Und alle Offiziere zum Achterdeck, Sir.»
        Bolitho sagte leise zu Dancer:»Ich glaube, das hat der Kapitan von Anfang an befurchtet, Martyn.»
        Dancer blickte finster.»Aber da? er vor so einem verdammten Piraten ausrei?t, hatte ich nicht gedacht!»

«Immer noch besser, als wenn man kein Schiff mehr hat und schwimmen mu?, nicht wahr?«versuchte Bolitho ihn aufzuheitern.»Ich fur meine Person wei? jedenfalls, was mir lieber ware.»
        Das untere Geschutzdeck war der direkten Feindeinwirkung nicht ausgesetzt gewesen und unversehrt geblieben; aber oben auf dem Achterdeck sah es wust aus. Bolitho blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Zwei gro?e Locher klafften im Kreuzbramsegel. Blutige Streifen auf den Decksplanken gaben Kunde von Verwundung und Tod. Er starrte uber das Schanzkleid und sah das Land im schimmernden Dunst versinken. Schon waren die Insel und das Fort nicht mehr vom Festland zu unterscheiden, und die ankernden Schiffe waren an der Landspitze, welche die Gorgon ein paar Stunden vorher so zuversichtlich umrundet hatte, ebenfalls nicht mehr auszumachen. Von der Barkentine war uberhaupt nichts zu sehen.
        Besorgt fragte Dancer:»Wo ist die Athen, was meinst du?»

«Sie liegt auf ablaufendem Kurs und b-behalt die K-Kerls im Auge«, vermutete der kleine Eden.
        Dancer nickte:»War schon ein Gluck, da? wir die erwischt haben. «Sie unterbrachen ihr Gesprach, als Verling die Matrosen von den Neunpfundern wegtreten lie? und die Offiziere naher heranwinkte. Seine Schnabelnase kontrollierte, wer da war und wer noch kommen mu?te; und dabei sah er nicht gereizter aus als sonst auch, fand Bolitho.
        Kapitan Conway kam von Luv heruber, nahm an der Achterdeckreling Aufstellung und blickte hinunter zu den Achtzehnpfundern, wo die Mannschaften ihr Gerat uberpruften und die Kugelfender nachfullten. In der Luft lag der bei?ende Geruch von Pulver, hei?em Metall und verbranntem Holz.

«Alles da, Sir«, meldete Verling. Der Kapitan wandte sich um und sah sie nachdenklich an. Er stand mit dem Rucken an der Reling und stutzte die Hande auf das polierte Holz.

«Wir halten Kurs landab und werden etwas weiter unten vor der Kuste Anker werfen. Wie Sie wissen, sind wir beschossen worden, und zwar mit einer Selbstsicherheit, die mir nicht gefallt. «Er sprach ruhig und gelassen; damals bei der Verkundung der Prugelstrafe hatte er mehr Bewegung gezeigt.»Der Feind ist gut ausgerustet, und unsere Artillerie, soweit sie eingesetzt wurde, hat ihn nicht sonderlich beeindruckt. Aber ich wollte sichergehen. Ich mu?te Bescheid wissen, mit was fur einem Gegner wir es zu tun haben.»
        Die Gesichter derjenigen, die wahrend des kurzen Gefechts auf dem Oberdeck gewesen waren, verrieten Bolitho, da? noch etwas nachkommen wurde.
        Im gleichen gelassenen Ton fuhr Kapitan Conway fort:

«Vor ein paar Monaten wurde gemeldet, da? eine Brigg unserer Kriegsflotte, die in diesen Gewassern operierte, uberfallig und vermutlich in Verlust geraten war. Zu der betreffenden Zeit herrschten hier sehr schlimme Wetterverhaltnisse, und mehrere Kauffahrer hatten ebenfalls Schiffbruch erlitten. «Er blickte zum Wimpel am Mastknopf hoch, und seine Augen glanzten in der hellen Sonne.»Als wir heute fruh die Landspitze umrundeten, war die Athen uns erheblich voraus. Die Ausguckposten meldeten zwei Schiffe vor Anker. Und in Lee der Insel konnen durchaus noch weitere Schiffe liegen. «Jetzt erst wurde seine Stimme hart.»Aber das eine Schiff war die Sandpiper, Brigg Seiner Majestat, vierzehn Geschutze. Ihretwegen mu? der Kapitan der Athen angenommen haben, da? alles klar ging und da? der Kapitan der Sandpiper bereits getan hatte, was unser Auftrag war.»
        Dancer hielt den Atem an, als der Kapitan fortfuhr:»Die Brigg war der Koder, und den hatten auch wir geschluckt, wenn wir nicht auf die Athen gesto?en waren. Wir waren direkt unter die Kanonen des Forts gesegelt, und da wir weder schnell noch wendig genug sind, um rasch wieder klarzukommen, waren wir vernichtet worden. Wie die Dinge liegen, mu? die Athen mehrere Volltreffer bekommen haben. Ich bezweifle, da? von ihrer Besatzung noch jemand am Leben ist.»
        Tiefe Stille ringsum. Bolitho dachte an den Gefechtslarm im Unterdeck; und daran, wie aufgeregt sie gewesen und wie wichtig sie sich vorgekommen waren. Er dachte an Midshipman Grenfells verschlossenes Gesicht, hinter dem ein warmeres und freundlicheres Gemut verborgen war, als viele annahmen. Und all das war geschehen, ohne da? vom Achterdeck her auch nur ein Wort nach unten gedrungen war. Gewi?, es hatte nichts genutzt, niemand hatte helfen konnen. Und doch. .
        Gemessen redete der Kapitan weiter.»Als wir die Athen ubernahmen, vermutete Mr. Tergorren, da? die Piraten flohen, weil sie ein anderes Schiff gesichtet hatten. Jetzt kann man sagen, da? dieses Schiff hochstwahrscheinlich die Gorgon war und das Piratenschiff deshalb verschwand, weil es nicht als das erkannt werden sollte, was es ist: ein gekapertes britisches Kriegsschiff. Stellen Sie sich vor, meine Herren, was fur Unheil dieses Schiff im Namen unseres Landes angerichtet haben mag!«Er spie diese Worte aus, als waren sie Gift.»Kein Kapitan eines friedlichen Schiffes wurde einem Fahrzeug gegenuber Mi?trauen hegen, das so offensichtlich britisch ist und im Dienste des Konigs steht. Das ist nicht mehr Seerauberei, das ist hinterlistiger Mord!»
        Mr. Verling nickte.»Einfache Sache, Sir. Wer dieses Geschmei? auch kommandiert, er mu? sich eines sehr scharfen Verstandes erfreuen.»
        Der Kapitan schien ihn gar nicht zu horen.»Vielleicht ist doch noch jemand von unserem Prisenkommando am Leben. «Er blickte auf das geronnene Blut zu seinen Fu?en.»Wir werden es wahrscheinlich nie erfahren. Wie dem auch sei, unsere nachste Aufgabe ist, ihnen die Brigg wieder wegzunehmen, und moglichst genau festzustellen, was da vor sich geht.»
        Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf die anderen. Die Brigg wieder wegzunehmen. Einfach so.

«Heute nacht mu? ein Uberfall unternommen werden. Wir haben Neumond, und das Wetter ist im Moment gunstig fur uns. Die Marine-Infanterie wird fur Ablenkung sorgen. Ich wunsche unbedingt, da? das Fahrzeug wieder in unsere Hande kommt, damit die Schande, die es erlitten und verursacht hat, ausgeloscht wird!»
        Im Niedergang erschien der Schiffsarzt, und der Kapitan wandte sich zu ihm um. Nun?»

«Der Ausguckposten ist tot, Sir. «Laidlaws Augen unter den uberhangenden Brauen waren ausdruckslos.»Hat sich das Ruckgrat gebrochen.»

«Aha. «Der Kapitan wandte sich wieder den schweigenden Offizieren zu.»Das war der Mann, der die Sandpiper zuerst gesichtet hat. Die ersten Geschosse der Festungsartillerie, die dicht uber uns hinweggingen, mussen ihn vom Mast gefegt haben. «Das war auch derselbe Mann gewesen, der neulich ausgepeitscht worden war. Der Schiffsarzt mu?te das wissen. Bolitho blickte gespannt zu ihm hinuber - wurde er das erwahnen? Anscheinend hatte der Kapitan einen trockenen Mund - er leckte sich die Lippen.
        Es war sehr hei? auf dem Achterdeck, aber im Lauf des Tages wurde es noch schlimmer werden.»Mr. Verling wird Sie instruieren«, fuhr er fort.»Zwei Boote werden die Operation ausfuhren. Mit dreien oder mehr hatten wir weniger Chancen.
«Er verlie? das Achterdeck mit den Worten:»Machen Sie weiter.»
        Verling wartete, bis er weg war. Dann sagte er:»Zwei Leutnants und drei Midshipmen. «Er warf Tergorren einen kalten Blick zu.»Sie ubernehmen das Kommando. Suchen Sie sich die richtigen Manner aus. Nur erfahrene Seeleute. Das ist keine Arbeit fur Kuhbauern.»
        Eden flusterte:»Was b-bedeutet das, Dick?«Neben den anderen sah er besonders winzig aus. Der brummige Midshipman namens Pearce sagte:»Wir entern die Brigg im Dunkeln und schneiden denen die Halse ab, ehe sie uns dieselbe Freundlichkeit erweisen. «Mit rauher Stimme fugte er hinzu:»Der arme John Grenfell! Wir sind miteinander aufgewachsen, in derselben Stadt.»

«Gehen Sie wieder an Ihren Dienst«, sagte Verling.»Die Manner konnen vom Achterdeck abtreten und alles aufklaren und belegen. Geben Sie ihnen ordentlich zu tun. Ich wunsche kein Gejammer und Geheul uber das, was passiert ist.»
        Sie wandten sich zum Gehen, und jeder hatte seine eigenen Gedanken daruber, wie schnell man tot sein konnte.
        Tergorren sagte:»Drei?ig Mann werden gebraucht. «Er hielt ein, als Midshipman Pearce dazwischenrief:»Melde mich freiwillig, Sir!»
        Tergorren betrachtete ihn unbewegt.»Mr. Grenfell war ja Ihr Freund. Das hatte ich vergessen. Wie schade.»
        Es wurde Bolitho fast ubel bei seinem Anblick. Trotz allem, was geschehen war, sogar angesichts der Moglichkeit, selbst verwundet zu werden oder zu fallen, fand Tergorren noch Spa? daran, den grimmig blickenden Pearce zu verhohnen.

«Abgelehnt!«, sagte er kurz. Sein Blick haftete auf Eden. »Sie sind einer der Midshipmen, die das Gluck haben, mitmachen zu durfen. «Er lachelte, als Eden erbleichte.»Eine echte Chance, sich zu bewahren.»

«Er ist der jungste, Sir«, wandte Bolitho ein.»Andere haben mehr Erfahrung, und. .
«Er sah die Falle, die sich vor ihm offnete, und brach ab.
        Tergorren drohte ihm mit dem Finger.»Ach ja, das habe ich auch vergessen. Da? unser Mr. Bolitho standig Angst hat, jemand konnte ihn an die Wand drucken, ihm Ruhm und Ehre stehlen, so da? er vor seiner hochedlen Familie nicht ganz so gro? dasteht!»

«Das ist eine Luge, Sir, und unfair obendrein!»
        Tergorren hob die Schultern.»Finden Sie? Spielt keine Rolle. Sie kommen auch mit, und der kluge Mr. Dancer ebenfalls. «Er stemmte seine riesigen Hande in die Huften und blickte vom einen zum anderen.»Der Erste Leutnant hat gesagt, nur erfahrene Seeleute sollen eingeteilt werden. Aber wir brauchen auch erfahrene Midshipmen fur die Fuhrung des Schiffes. Bei so einer Enteraktion darf man nicht zu viel und nicht zu wenig Leute mitnehmen.»
        Er zog seine Taschenuhr.»In einer Stunde Musterung des ganzen Kommandos. Mr. Hope ist mein Stellvertreter. Melden Sie sich bei ihm, wenn Sie fertig sind.»
        Als sie abtraten, murmelte Dancer bitter:»Besser Hope als Wellesley. Der ist ja ein richtiger Schlappschwanz.»
        Sie schlenderten zum Luvdecksgang und dachten dabei an Grenfell und die anderen, die in der zerstorten Barkentine den Tod gefunden hatten.
        Heftig sagte Eden:»Ich. . Ich habe k-keine Angst! W-wirklich nicht!«Er sah sie jammervoll an, mit Augen, die fast so gro? waren wie sein Gesicht.»Es ist n-nur, da? ich nicht mit Mr. T-tergorren fahren mochte. D-der jagt uns alle in den T-tod!

        Dancer blickte auf ihn hinunter und versuchte zu lacheln.»Wir sind ja bei dir, Tom. Und vielleicht wird es auch gar nicht so schlimm. «Er wandte sich rasch zu Bolitho um.»Du hast doch so etwas schon mal mitgemacht. Wie geht das vor sich?»

«Blitzschnell. Uberraschung ist die Hauptsache. «Bolitho starrte durch die Netze uber die glitzernde Weite des Wassers und auf den im Dunst liegenden Landrucken. Seine Kameraden sah er nicht an. Wovon sollte er ihnen schon erzahlen? Von den furchtbaren Schreien und Fluchen der Manner, die sich mit Entersabeln und Messern, mit Beilen und Piken schlugen? Wie es war, wenn man so dicht am Feind kampfte, da? man seinen Atem und seinen Ha? fuhlte? Das war kein Seegefecht, bei dem der Feind einfach aus einem anderen Schiff bestand. Hier kampften Menschen aus Fleisch und Blut.

«Ich versteh' dich schon, auch wenn du nichts sagst«, warf Dancer hin. Seine Stimme klang ruhig.»Hoffen wir, da? wir Gluck haben.»
        Unten im Orlopdeck waren Pearce und zwei andere Midshipmen dabei, die Seekisten und die schabigen Stuhle wieder an ihren Ort zu schaffen, nachdem der Arzt mit seinen Sanitatsgasten Instrumente und Arzneien weggebracht hatte.
        An einem der gro?en Schotten der Gorgon stand immer noch Grenfells Kiste, und daruber hingen sein Paradehut und sein Dolch.

«Er hat immer gesagt, da? er es nicht bis zum Leutnant schaffen wird«, sagte Pearce.»Jetzt bestimmt nicht mehr.»
        Bolitho dreht sich um, als Midshipman Marrack ins Logis kam, makellos wie stets im frischen Hemd.

«La?t sein Zeug in Ruhe«, sagte Marrack kurz.»Vielleicht lebt er doch noch. «Er warf seinen Rock uber einen Stuhl und fuhr fort:»Wenn ihr das gesehen hattet! Die Athen hatte uberhaupt keine Chance. Sie war gerade am Segelkurzen, um langsseits der Brigg zu gehen, da fing die Festungsartillerie an zu feuern. «Er starrte ins Leere.»Sie bekam ein paar Treffer und machte 'ne Schildkrote. Ich sah noch ein paar Manner schwimmen. Dann kamen die Haie. «Er konnte nicht mehr weitersprechen.

«Ich habe mal was uber die Sandpiper gelesen«, sagte Dancer zu Bolitho.

«Eins ist sicher«, fuhr Marrack fort,»der Kapitan wird nie zulassen, da? ein Schiff des Konigs in Feindeshand bleibt, ganz egal, was es kostet, es rauszuhauen.

        Er wuhlte in seiner Kiste und brachte ein Lederetui zum Vorschein.

«Nimm meine Pistolen, Dick. Sie sind besser als jede anderen an Bord. Mein Vater hat sie mir geschenkt. «Er wandte sich ab, als ob er argerlich ware, da? seine bessere Natur die Oberhand bekommen hatte.»Da kannst du mal sehen, was ich fur Vertrauen in dein Uberleben habe!»
        Der kleine Schiffsjunge kam ins Logis gestolpert.»Entschuldigung die Herren, aber der Vierte Leutnant sucht Sie und schreit Mord und Brand!»

«Dieser Tergorren«, sagte Dancer mit noch mehr Bitterkeit als sonst.»Der kleine Tom hat vollig recht. Dieser verdammte Schinder ist viel zu voll von sich selbst fur meinen Geschmack!»
        Sie eilten zum Niedergang und merkten erst oben, da? der kleine Eden nicht bei ihnen war. Er stand noch vor Grenfells Kiste und starrte auf den Dolch, der im Takt der Schiffsbewegung leicht hin und her schwang.

«Na los, Tom«, sagte Bolitho freundschaftlich.»Wir haben vor Sonnenuntergang noch eine Menge zu tun!»
        Und nach Sonnenuntergang erst recht, fugte er in Gedanken hinzu.



        VI Auge in Auge


«Ruhe! Achtet auf euren Schlag!«zischte Hope, der Funfte der Gorgon, in der Finsternis und streckte seinen mageren Hals suchend vor, als wolle er den Mann herausfinden, der mit seinem Riemen ins Wasser geplatscht hatte.
        Bolitho, der neben ihm hockte, drehte sich um und spahte achteraus. Nur hier und da verriet ein auffliegender Fetzen wei?er Gischt oder ein phosphoreszierendes Leuchten an den Riemen die Position des zweiten Kutters. Es war sehr finster und nach der Hitze des wolkenlosen Tages erstaunlich kalt. Das war auch ganz gut, dachte er, denn sie hatten einen langen Weg hinter sich. Die Boote waren noch vor Sonnenuntergang ausgesetzt und bemannt worden. Dann segelte die Gorgon unter mehr Leinwand weiter, und die Manner des Enterkommandos waren auf sich selbst angewiesen. Mit langen, ruhigen Ruderschlagen naherten sie sich nun der Landzunge.
        Es war so plotzlich dunkel geworden, als ob ein Vorhang fiele, und Bolitho machte sich Gedanken daruber, was wohl im Kopf des Leutnants vorgehen mochte. Seit er damals die Tur des Blue Post's Inn aufgerissen und sie angeblafft hatte, war tatsachlich eine lange Zeit verflossen. Ihm fiel auch wieder ein, was Grenfell uber Hopes Beforderungssorgen gesagt hatte. Diese Erinnerung stimmte ihn traurig. Grenfell war nicht mehr am Leben, und Hope wurde tatsachlich um einen Platz aufrucken, wenn der Kapitan den Leutnant, der die Athen kommandiert hatte, offiziell fur tot erklarte.
        Eden, den Kopf bis fast zum Dollbord hinuntergeneigt, lehnte sich an ihn.

«Noch eine ziemliche Strecke, bis wir da sind, Tom«, sagte Bolitho beruhigend.
        Es war ein unheimliches Gefuhl. Unruhig jumpte der Kutter in der auflandigen Stromung; die Riemen hoben und senkten sich an beiden Borden wie bleiche Knochen, lautlos, denn sie waren an den Duchten mit dick gefetteten Lappen umwickelt.
        Voraus markierte ein dunkelblauer Streifen die Grenze zwischen Meer und Himmel. Bolitho spurte die Nahe des Landes so stark, da? er beinahe die Erde zu riechen meinte.
        Im Bug hockte, uber den Steven und eine bosartig aussehende Drehkarronade gebeugt, ein Mann mit der Lotleine, dessen Aufgabe es war, den Weg der Boote uber Sandbanke und verborgene Riffe zu ertasten.
        Turnbull, der Segelmeister, hatte den beiden Leutnants erklart, es sei am besten, sich moglichst dicht unter der Kuste einzuschleichen, so da? sie nach Umrundung der Landspitze irgendwo zwischen den Strand des Festlandes und den ankernden Schiffen sein wurden.
        Das hatte sich alles so einfach angehort. Aber jetzt, als ein Mann sein Entermesser klirrend auf die Bootsplanken fallen lie? und Hope wutend zischte:»Bei Gott, Kerl, ich la? dich peitschen, bis du ohnmachtig wirst, wenn ich noch mal was von dir hore!«, kam es Bolitho nicht mehr so einfach vor.
        Er warf einen Blick auf Hopes Profil - ein Schatten vor dem wei?en Schaum, den die Riemen au?enbords aufwarfen. Ein Leutnant. Ein Mann, der wu?te, da? Tergorren dicht hinter ihm war, und sich darauf verlie?, da? er, Hope, den Weg zu finden imstande war.
        Drei?ig Mann. Reichlich fur ein Pre?kommando oder zur Bedienung einiger schwerer Geschutze. Aber katastrophal wenig, um ein Schiff unter ungunstigen Umstanden und ohne Uberraschungsmoment zu uberfallen!
        Ein kraftiger Strudel druckte den Bootskorper zur Seite, und der Mann an der Ruderpinne mu?te mit voller Kraft gegenhalten, um das Fahrzeug wieder auf Kurs zu bringen. Wieder fuhlte sich die Luft anders an, und die See sah lebhafter aus.

«Wir sind um die Landspitze, Sir«, meinte Bolitho.
        Hope drehte sich hastig nach ihm um, sagte dann aber:»Ja. Sie wissen naturlich Bescheid. Sie sind ja in Cornwall aufgewachsen, und da gibt es eine Menge solcher Felsen. «Es kam Bolitho vor, als mustere ihn der Leutnant aufmerksam durch die Dunkelheit.»Aber bis zur Kuste ist es noch ein langer Pull.»
        Bolitho zogerte. Er wollte den fluchtigen personlichen Kontakt mit dem Offizier nicht gefahrden.»Werden die Seesoldaten die Batterie attackieren, Sir?»

«Ja. Ein verruckter Plan. «Hope wischte sich die aufspruhende Gischt vom Gesicht. Der Kapitan wird so nahe wie moglich an die Seeseite der Insel herankreuzen und ein Landekommando absetzen. Mit moglichst viel Krach. Das ist was fur Major Dewar - wenn der was sagt, drohnt die ganze Offiziersmesse!»
        Flusternd gaben die Ruderer eine Meldung vom Bug her weiter:»Fahrzeug vor Anker Steuerbord voraus, Sir!»
        Hope nickte.»Fall ab ein Strich Backbord. «Er drehte sich um, weil er wissen wollte, ob das zweite Boot die Kursanderung mitmachte.»Das mu? das erste sein. Die Brigg liegt ein paar Faden weiter.»
        Ein Mann seufzte wahrscheinlich mehr wegen der Aussicht, noch vierhundert Meter weiter das schwere Ruder pullen zu mussen, und nicht so sehr, weil vielleicht der Tod schon auf ihn wartete.

«Wahrschau!«Der Mann im Bug warf die Leine weg und ergriff einen Bootshaken. Die Riemen gerieten ein paar Sekunden aus dem Takt, denn etwas Gro?es und Schwarzes, wie ein schlafender Wal, erhob sich drohend vor dem Kutter, stie? an die Riemenblatter und verursachte einen furchtbaren Krach - wenigstens kam es ihnen so vor.
        Zitternd murmelte Eden:»Dick, d-das ist ein Stuck von der B-Barkentine!»

«Ja.»
        Bolitho roch die verkohlten Planken, er konnte sogar ein Stuck von der Heckreling der Athen erkennen, ehe es wieder in die Finsternis zuruckglitt.
        Das unerwartete Auftauchen des Wrackteils beeindruckte die Matrosen machtig. Ein leises Grollen war zu vernehmen, und trotz ihrer Mudigkeit legten sie sich kraftiger in die Riemen.
        Leise sagte Hope:»Das sind hartgesottene Manner, Bolitho. Die sind schon lange auf der Gorgon, und sie hatten eine Menge Freunde unter den Mannern vom Prisenkommando. «Gespannt richtete er sich auf - die Masten und Rahen eines vor Anker liegenden Fahrzeugs schwangen langsam vorbei.»Da ist sie! Kein Laut mehr, sonst holt euch der Satan!»
        Bolitho starrte auf das dunkle Schiff. Langsseits der Gorgon hatte es sich recht winzig ausgenommen. Hier auf See, von dem niedrigen Kutter aus, kam es ihm riesengro? vor.
        Hope dachte laut:»Kleine Fregatte hochstwahrscheinlich. Keine englische. Dazu stehen die Masten zu schrag. «Er schien vollkommen in seine Gedanken versunken zu sein.»Dieser Satan hat sich anscheinend eine ganze Flotte zusammen-geraubert.»
        Hope stand auf und stutze sich auf Bolitho. Der fuhlte, wie sich die Finger in seine Schulter gruben, und konnte sich vorstellen, wie dem Leutnant jetzt zumute war.»Wenn ich blo? auf meine Uhr sehen konnte!«stie? er leise hervor. Der Bootsmannsmaat grinste.»Da konnten Sie den Hunden da oben auch gleich Alarm geben, Sir.»

«Aye«, seufzte Hope.»Wir mussen eben beten, da? Major Dewar und seine Bullen punktlich sind.»
        Er spahte uber das Schandeck und prufte den Wirbel der Stromung und den Wind in seinem Gesicht. Das Resultat schien ihn zu befriedigen.»Riemen hoch!»
        Tropfend hoben sich die Riemen aus dem Wasser und verharrten bewegungslos. Mit der Stromung trieb der Kutter jetzt lautlos voran.
        Nun sah Bolitho die vor Anker liegende Brigg. Sie schwojte langsam, mit dem Heck seewarts, und die vergoldeten Fenster der Kapitanskajute hoben sich etwas heller von dem schwarzen Schiffsrumpf ab. Mit Muhe und Not konnte er ihre beiden Masten ausmachen, und die beschlagenen Segel, die dunkleren Schraglinien der Wanten; und dann versank alles wieder in der Nacht.
        Bolitho versuchte, sich in die Situation derer an Bord zu versetzen. Sie hatten die Barkentine geentert und genommen, hatten ihre Ladung geplundert und die Mannschaft niedergemacht. Als ein gro?es Kriegsschiff in Sicht kam, hatten sie abgedreht und waren hierher zuruckgekommen, um sich ihre Prise naher anzusehen. Das Auftauchen der Gorgon vor der Kuste mochte wohl allerlei Spekulationen verursacht haben, aber vermutlich fuhlten sie sich unter den Geschutzen des alten Forts hinreichend sicher. Das Fort stand schon ein paar hundert Jahre an dieser Stelle, wie der Kapitan gesagt hatte. Es hatte mehrmals den Herrn gewechselt, aber immer nur durch Staats- oder Handelsvertrage, niemals durch gewaltsame Eroberung. Ein paar Mann hinter diesen geschickt plazierten Geschutzen, ein paar hei?gemachte Kanonenkugeln alles andere war leicht. Selbst wenn Kapitan Conway mehrere kleine, schnell bewegliche Schiffe unter seinem Kommando gehabt hatte und zehnmal so viele Manner, ware die Festung kaum zu nehmen gewesen. Und in Friedenszeiten war es sehr zweifelhaft, ob Admiralitat und Parlament der Ansicht gewesen
waren, dieses stecknadelkopfgro?e Stuckchen Afrika lohne eine ausgewachsene Belagerung mit allen Risiken, die dabei drohten. Aber andererseits erwarteten sie von Kapitan Conway, da? er etwas unternahm. Fur den Anfang zum Beispiel, da? er die Brigg zuruckeroberte.
        Ein silbriger Lichtstrahl lief plotzlich die Fockmastwanten der Brigg hinauf, und Hope zischte:»Das ist die Bugankerwache - kontrolliert das Ankertau. «Ebenso unvermittelt verloschte die Laterne wieder.
        Der Strom trieb den Kutter schrag auf das Heck der Brigg zu. Hope mu?te sich daruber klar sein, da? ihm keine Zeit mehr blieb. Ruhig befahl er:»Riemen ein! Achtung, der Bugmann!«Mit dumpfem Rumpeln wurden die Riemen in die Duchten gezogen; aber Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? dieses Gerausch, das hier unten in der kuhlen Brise ohrenbetaubend schien, auf dem Vorderkastell der Brigg kaum zu horen sein wurde.
        Eden flusterte:»Was wird Mr. T-tergorren machen?»
        Unter der Spannung lief ein eiskalter Schauer uber Bolithos Rucken. Er horte, wie Hope moglichst leise seinen Degen aus der Scheide zog; gebuckt spahte er zur Kampanje der Brigg hinauf, die langsam und stetig aus der Nacht uber dem Boot aufstieg. Er antwortete Eden:»Sobald wir geentert haben, wird er vom Bug her angreifen, die Ankertrosse kappen und. . »

«Fertig, Jungs!«rief Hope.
        Von See her, weit drau?en, kam das Krachen einer Explosion. Ein dunkelroter Schein breitete sich glitzernd auf dem Wasser aus, so da? jede einzelne Welle der Dunung wie Seide schimmerte. Dann noch eine Explosion, und noch eine.

«Dewars Soldaten haben schon angefangen«, rief Hope. Er strauchelte und fiel beinahe, als der Kutter achtern gegen die Brigg stie? und der Bugmann seinen Draggen uber die Reling des Fremdlings schleuderte.

«Los, Jungs!«Hopes Ruf kam nach der gespannten Stille wie ein Donnerschlag.»Drauf!

        Unter wildem Geschrei enterten die Manner uber den Schiffsrumpf und die offenen Stuckpforten auf und stromten in hellen Haufen an Deck. Ein paar stie?en auf ein locker aufgelaschtes Enternetz, aber es wurde durchschnitten, ehe noch Alarmrufe aus dem Schiffsinnern ertonten, und, von Hope und dem Bootsmannsmaat angefuhrt, uberschwemmten die Manner das fremde Deck.
        Es war eine Szene wie aus der Holle. Die britischen Matrosen rasten uber das Deck; wild ergluhten ihre Gesichter im roten Schein der Explosion.
        Zwei Gestalten rannten ihnen von der Back entgegen, und ein Pistolenschu? krachte. Ein Matrose sturzte mit einem Schrei auf die Planken; ein anderer stach den einen Verteidiger mit seinem Entersabel uber den Haufen und versetzte dem Fallenden noch obendrein einen Hieb in den Nacken.
        Noch mehr Schusse: die Kugeln schlugen drohnend in die Planken oder zischten ins Meer. Die Mannschaft der Brigg drangte sich durch die beiden Luken, und eine Anzahl von Hopes Mannern fiel unter einer unregelma?igen Salve von Pistolen und Musketen.

«Bringt die Drehbasse vom Kutter!«brullte Hope. Er bekam einen Mann zu fassen, der von einer Musketenkugel getroffen war, und lie? ihn aufs Deck niedergleiten; dabei keuchte er:»Wo bleibt denn dieser verfluchte Tergorren?»
        Das Vorschiff der Brigg wimmelte jetzt von bleichen Mannern, die auf dem Deck, wo sie sich auskannten, Deckung nahmen und auf das weichende Enterkommando feuerten.
        Verzweifelt sagte Hope:»Wenn wir nicht zum Nahkampf kommen, sind wir erledigt!»
        Die Pistole in der Linken, den krummen Sabel in der Rechten, brullte er:»Nahkampf, Jungs!«, rannte uber das Deck und warf sich auf die nachste Schutzengruppe. Einem Gegner jagte er eine Pistolenkugel in die Brust und hieb einem anderen den Sabel ins Gesicht. Angstvolle Schreie zeugten von seinem Erfolg. Unter Fluchen und Hurras folgten die Enterer seinem Beispiel und hieben wie wild auf alles ein, was sich bewegte.
        Bolitho feuerte Marracks beide Pistolen in den dichtge-drangten Haufen ab und steckte sie sich wieder ins Koppel. Er ri? seinen Entersabel heraus und parierte damit ein Rundholz, mit dem ein Gegner wie mit einer Lanze nach ihm stie?.
        Mitten in Schrecken und Gefahr kam ihm die Erinnerung an seinen ersten Enterangriff. Da hatte ihm ein Leutnant seinen Fahnrichsdolch weggenommen und verachtlich gesagt:»Das ist blo? Spielzeug. Fur solche Arbeit braucht man eine Mannerwaffe. «Und dann mu?te er an Grenfell denken. Der hatte seinen Dolch auch nicht mitgenommen, sondern ihn an der Bordwand der Gorgon hangen lassen.
        Er sah das Gesicht seines Gegners uber sich; der Kerl brullte wie der Leibhaftige, aber Bolitho konnte nicht ausmachen, in welcher Sprache. Er spurte einen heftigen Schlag seitlich am Kopf und sah, wie der Arm des Mannes in die Hohe ging; bleich glanzte der Sabel gegen den schwarzen Himmel.
        Bolitho drehte sich weg und stie? seinen Entersabel nach oben. Ein schmerzhafter Hieb traf seinen Arm, aber er merkte, wie der Mann sturzte, seinen Sabel fallen lie? und vom Strudel der keuchenden, kampfenden Gestalten verschluckt wurde.
        Bolitho horte einen schrillen Schrei und sah Eden halb liegend auf dem dunklen Deck herumtasten, und uber ihm stand ein Kerl, der seine Muskete wie eine Keule schwang. Im Blitz eines Pistolenschusses gluhten die stieren Augen des Mannes auf, aber sein wutendes Gesicht verzerrte sich zu einer Maske todlichen Schreckens, als ihn die Kugel zu Boden schmetterte. Bolitho ri? Eden hoch und hieb nach einer rennenden Gestalt, aber seine Klinge fuhr nur durch leere Luft.

«Da ist das Drehgeschutz!«rief Hope - eben wurde die Schienenlafette mit der kleinen Karronade ubers Deck gezogen.»Schnell! Zuruck!»
        Sie brauchten keine weitere Aufforderung. Parierend und um sich hauend, kampften sich die Uberlebenden zur Kampanje durch und zerrten die Verwundeten mit sich, so gut es ging.

«Hinlegen, Jungs!«kommandierte Hope. Er hieb einen Angreifer mit seinem Entersabel nieder, eben als der Bootsmannsmaat eine Lunte an die Drehbasse hielt, die inzwischen in Stellung gebracht war.
        Der Mann, den Hope eben niedergestochen hatte, mu?te eine geladene Pistole bei sich gehabt haben, denn als die Drehbasse eine Ladung gehacktes Blei in die Schattenmasse der Angreifer jagte, fiel die Pistole an Deck und ging los, obschon ihr Besitzer bereits tot war. Die Kugel traf den Leutnant in die Schulter, und er sank lautlos neben dem qualmenden Geschutz nieder.
        Als ihre Ohren sich von dem bosartigen Krachen der Karronade erholt hatten, horte Bolitho die Schreie der Feinde, die in die todliche Salve hineingelaufen waren. Kein Wunder, da? die Seeleute dieses Geschutz» die Sense «nannten.
        Dann vernahm Bolitho von Steuerbord die bekannte grobe Stimme des Leutnants Tergorren, das Trappeln und Stampfen von Fu?en und das Hurra der Mannschaft des zweiten Bootes.
        Das war fur die Besatzung der Brigg mehr als genug. Haifische oder nicht - sie sprangen uber Bord, ohne auf die Schreie und Fluche ihrer Kameraden zu achten, die so schwer verwundet waren, da? sie nicht ebenfalls fliehen konnten.
        Tergorren schritt nach achtern und blieb nur einmal kurz stehen, um einem Mann, der ins Rigg klettern wollte, einen Belegnagel uber den Schadel zu hauen.

«Kummert euch um Mr. Hope!«rief er den Mannern beim Geschutz zu. Der Belegnagel in seiner Hand, mit dem er den Befehl unterstrich, sah aus wie eine mi?gestaltete Faust.

«Zwei Mann ans Ruder! Mr. Dancer, geben Sie weiter: Ankertau kappen!«Er neigte sich etwas ruckwarts, um in die Takelung zu spahen,»'n paar Mann rauf, Marssegel setzen! Los, Beeilung! Sonst laufen wir auf, Kinder!»
        Bolitho kniete neben dem verwundeten Leutnant und merkte, da? diesen vor Schmerzen die Krafte verlie?en.»Das war tapfer von Ihnen, Sir!«sagte er.
        Mit zusammengebissenen Lippen entgegnete Hope:»Ging ja nicht anders. «Er versuchte, Bolithos Arm zu klopfen.»Eines Tages werden Sie begreifen, was ich meine.»
        Tergorren stand drohend uber ihnen.»Mr. Eden! Kummern Sie sich um den Leutnant! Dann sah er Bolitho.»Ach, Sie sind auch noch da?«Er zuckte die Schultern.»Na schon, gehen Sie mit nach oben und treiben Sie die faulen Hunde an!»
        Die Brigg krangte bereits in der ablandigen Brise; ihre eilig gelosten Marssegel flatterten krachend wie Musketenfeuer, als sie von dem gekappten Ankertau freikam.

«Ruder gegen!»
        Ein paar Kugeln pfiffen uber das Schiff - niemand wu?te, wer sie abgefeuert hatte.

«Vorsegel los!«Tergorren schien uberall zu sein.»Auf Steuerbordkiel!»
        Bolitho hielt sich an den Wanten fest und starrte voraus, wo immer noch das Feuer brannte, das die Seesoldaten bei ihrem Ablenkungsmanover entfacht hatten. Winzige Laternenlichter glitten hin und her, und Bolitho begriff, da? diese zu dem anderen Schiff gehorten, das bereits betrachtlich achteraus lag. So lange der Bootstorn um die Landspitze herum mit all seiner Spannung und seiner Angst gedauert hatte die eigentliche Aktion hatte knapp zwanzig Minuten in Anspruch genommen. Unglaublich - und als er daran dachte, wie nahe er dem Tod gewesen war, lief ihm noch nachtraglich eiskalter Schwei? die Wirbelsaule hinab. Er rutschte an einer Pardune hinunter. An Deck brullte Tergorren schon wieder seine Befehle.
        Dancer kam ihm entgegengerannt:»Mein Gott, ich habe mir Sorgen um euch gemacht. Ich dachte schon, wir wurden uberhaupt nicht eingreifen!»
        Er wandte sich um, denn ein Mann schrie:»Sir! Da unten ist ein ganzer Haufen britischer Seeleute eingesperrt!»

«Kummert euch drum!«befahl Tergorren.»Die sind sicher von der alten Besatzung. «Er fa?te den Mann beim Arm.»Aber alle Gefangenen, gesund oder von mir aus auch tot - die will ich an Deck sehen!»
        Er beugte sich zur Bussole hinunter.»Recht so, der Ruderganger! So hoch an den Wind, wie ihr konnt. Ich will aus dem Schu?feld der Batterie bleiben.»

«Aye, aye, Sir. «Die Manner am Ruder lie?en das Rad leicht und geschickt spielen. Voll und bei, Sir! West zu Sud.»
        Aus der Gro?luke stolperten einige Gestalten ins Freie. Selbst in der Dunkelheit spurte Bolitho, da? sie auch dann noch kaum an ihre Befreiung glauben konnten, als die Matrosen ihnen an Deck halfen.
        Einer kam unsicheren Schrittes zum Achterdeck und legte gru?end die Hand an die Stirn.»Steuermannsmaat Starkie von der Sandpiper, Sir. «Er schwankte und ware umgefallen, wenn Bolitho ihn nicht gestutzt hatte.

«Der Dienstalteste?»

«Aye, Sir. Kapitan Wade und die anderen Offiziere sind gefallen. «Er schlug die Augen nieder.»Es war die reine Holle, Sir.»

«Moglich.»
        Tergorren trat zum Gro?mast und starrte auf das schlagende Marssegel.»Nehmt ein paar von diesen Mannern zur Hilfe und setzt das Bramsegel, dann die Fock. Ich brauche mehr Seeraum.»
        Er wandte sich wieder dem Steuermannsmaat zu.»Mr. Starkie«, befahl er,»ubernehmen Sie achtern das Kommando. Sie sind ja dafur qualifiziert. «Langsam mustere er ihn von oben bis unten, als konnten seine Augen die Finsternis durchdringen. Allerdings anscheinend nicht so sehr dafur, ein Schiff Seiner Majestat zu verteidigen, he?»
        Ohne eine Antwort abzuwarten, rief er nach Dancer und brach dann wie ein Pflug durch die verwirrt herumstehenden, befreiten Gefangenen.
        Der Bootsmannsmaat kontrollierte den Kompa? und sagte bose:»Der braucht nicht so zu reden! Wir hatten uberhaupt keine Chance.»
        Mit einem anerkennenden Blick auf Bolitho fuhr er fort:»Ihr habt gut gekampft. Diese Hunde hier machten schon ihre Spa?e daruber, wie sie euer Schiff in die Falle locken wurden.»

«Aber was sind denn das uberhaupt fur Kerle?»
        Starkie stie? einen tiefen Seufzer aus.»Piraten, Korsaren - nennen Sie sie, wie Sie wollen; aber ich sage Ihnen, schlimmere habe ich nie gesehen, und ich fahre mein Leben lang zur See.»
        Eben wurde Leutnant Hope von zwei Mann zur Kajutsluke gebracht; und Bolitho betete im stillen, er moge kraftig genug sein, um durchzukommen. Eine Anzahl Manner waren gefallen; ein Wunder, da? es nicht noch mehr waren.

«Sie haben uns als Bedienung fur die Sandpiper an Bord behalten«, fuhr Starkie fort.»Wie Galeerenskalven haben sie uns behandelt, wie den letzten Dreck. Ihre eigenen Leute reichten gerade fur die Geschutzbedienung aus. Aber sie waren genug, um uns unter Druck zu halten, das kann ich Ihnen sagen!»
        Eden trat herzu.»W-waren auch M-midshipmen dabei?»

«Zwei. Nur zwei. Mr. Murray ist beim Angriff gefallen. Mr. Flowers, der war ungefahr so alt wie Sie tja, den haben sie spater umgebracht. «Er wandte sich ab. Aber lassen wir das jetzt. Ich mag nicht mehr daran denken.»
        Tergorren kam wieder nach achtern. Er war beinahe leutselig.»Sie steuert sich gut, Mr. Starkie. Erstklassiges Schiffchen. Und vierzehn Geschutze, wie ich sehe.»
        Eden mischte sich ein.»Mr. Starkie s-sagt, Sir, diese Piraten sind das Schlimmste, w-was er je gesehen hat.»
        Tergorren musterte immer noch mit schraggeneigtem Kopf die Brigg, deren Segeln flappten und knallend gegen die Masten schlugen, bis das Schiff wieder auf Kurs lag.

«Ach, tatsachlich? Das andere Piratenschiff hat Anker gelichtet. «Er sah Starkie an.»Wohin mag es wollen, was denken Sie?»
        Starkie hob die Schultern.»Die wollen sich irgendwo nordlich von hier mit einem anderen Schiff treffen. Nach dem hat Kapitan Wade gesucht, als wir angegriffen wurden.»

«Aha. «Tergorren ging nach achtern an die Heckreling.»In einer Stunde oder so fangt es an, hell zu werden. Dann konnen wir der Gorgon signalisieren. Schicken Sie einen guten Mann in den Ausguck. Vielleicht erwischen wir den Kerl und konnen ihn baumeln lassen.«Argerlich wandte er sich Eden zu.»Na, was haben Sie hier herumzuglotzen? Beim Kampf haben Sie nichts getaugt, wie ich hore. Haben wohl nach Ihrer Mama gejault, was? War keiner da zum Handchen halten, was?»

«Nicht so laut, Sir«, sagte Bolitho,»die Leute horen zu.»

«Und Sie hol' der Teufel fur Ihre Unverschamtheit!«Tergorrens Stimmungen wechselten offenbar wie Gewitterboen.»Ich verbitte mir das!»
        Aber Bolitho blieb fest.»Mr. Eden ist beim Entern niedergeschlagen worden, Sir.
«Er fuhlte, da? ihn seine Vorsicht verlie? und er im Begriff war, seine ganze Zukunft zu ruinieren. Aber er hielt Tergorrens brutalen Hohn gegen jemanden, der sich nicht wehren konnte, einfach nicht mehr aus.»Wie Sie sich erinnern werden, Sir, waren wir stark in der Minderzahl. Wir hatten auf Ihre Unterstutzung gerechnet.»
        Tergorren starrte ihn an, als trafe ihn der Schlag.»Wollen Sie - «, er zupfte nervos an seiner Halsbinde - ,»wollen Sie etwa andeuten, ich hatte zu spat geentert?«Er beugte sich vor, bis sein Gesicht nur ein paar Zoll von Bolithos Gesicht entfernt war.»Ja? Wollen Sie das?»

«Ich habe nur sagen wollen, da? Mr. Edens Verhalten einwandfrei war, Sir. Er hatte seine Waffe verloren, und schlie?lich ist er erst zwolf Jahre alt, Sir.»
        Sie starrten einander an, blind und taub fur alles, was um sie herum geschah.
        Dann nickte Tergorren ganz langsam.»Na schon, Mr. Bolitho. Sie werden mit in den Ausguck gehen, bis ich Gegenbefehl gebe. Bei der Ruckkehr zum Schiff werde ich Sie wegen grober Insubordination in Arrest legen lassen. «Er nickte nochmals.»Wollen mal sehen, wie Ihrer feinen Familie das gefallt - he?»
        Bolitho fuhlte sein Herz wie einen Hammer gegen seine Rippen schlagen. Er mu?te es sich wieder und wieder vorsagen: Er will, da? ich ihn schlage. Er will, da? ich ihn schlage. Dann hatte Tergorren seine Absicht voll erreicht; und fur Bolitho ware es das Ende gewesen.

«Sonst noch was, Sir?«Seine eigene Stimme klang ihm so fremd, da? er sie kaum erkannte.

«Nein. Einstweilen nicht. «Der Leutnant fuhr herum, und die Manner, die starr und stumm, wie hypnotisiert, zugehort hatten, stoben bei der plotzlichen Bewegung auseinander wie erschreckte Kaninchen.
        Dancer blieb an Bolithos Seite, bis dieser an den Marswanten haltmachte.»Eine Gemeinheit war das«, sagte er wutend.»Am liebsten hatte ich ihn zu Boden geschlagen, Dick.»

«Ich auch. «Bolitho schwang sich an einer Webeleine hoch und starrte zur Gro?rahe empor.»Und das wu?te er auch ganz genau.»
        Unsicher entgegnete Dancer:»Mach dir nichts daraus. Immerhin haben wir die Brigg genommen. Das mu? uns Kapitan Conway doch schlie?lich zugutehalten.»

«Hoffentlich«, erwiderte Bolitho.»Mehr haben wir auch nicht zu bieten. «Er kletterte hoch.»Geh, Martyn, sonst stellt er auch mit euch noch was an.»
        Da horten sie auch schon Tergorrens Stimme, die ihn im Dunkel suchte.»Wenn Sie fertig sind, Mr. Dancer, dann suchen Sie gefalligst einen Koch. Er soll in der Kombuse Feuer machen. Diese Kerls sehen aus wie Vogelscheuchen, und Dreck kann ich nicht leiden!»

«Sofort, Sir«, rief Dancer zuruck.
        Er blickte an den schwarzen Wanten hoch, aber Bolitho war schon verschwunden.



        VII Mr. Starkies Bericht

        Richard Bolitho hielt sich an einer Pardune fest und beobachtete den Himmel. Zogernd erschien, dicht uber dem Horizont, ein etwas hellerer Streifen. Kaum mehr als ein grauer Schimmer aber in ein paar Stunden wurde es so hei? sein, da? einem fast das Hirn kochte.
        Er fuhlte das Vibrieren und Schwanken des Mastes, als die Sandpiper willig auf die sich fullenden Segel reagierte. Wie mochte es wohl den Verwundeten gehen? Besonders Leutnant Hope - wurde er sich erholen oder seiner Verletzung erliegen?
        Unten auf dem engen Achterdeck und am Gro?mast konnte er mit Muhe ein paar Gestalten erkennen. Es kam ihm vor, als steige Essensgeruch aus der Kombuse herauf, und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er wu?te gar nicht mehr, wann er zuletzt gegessen hatte, und immer wutender wurde er auf Tergorren, der ihn jetzt, zu allem anderen, hier oben auch noch hungern lie?.
        In einem hatte der Leutnant recht gehabt. Wenn die Kunde von dem Geschehen bis in Bolithos Elternhaus gedrungen war, dann wurde Tergorrens Feindseligkeit und Unfairne? dabei nicht zur Sprache kommen. Seine Eltern wurden genau das zu horen kriegen, was sie nach Tergorrens Absicht horen sollten, namlich da? sich ihr Sohn einer Insubordination gegen seinen vorgesetzten Offizier schuldig gemacht hatte.
        Er horte ein Keuchen und sah Dancer, der sich neben ihm auf die Saling heraufzog.

«Sei lieber vorsichtig, Martyn!«sagte er besorgt. Dancer schuttelte den Kopf.»Ist schon in Ordnung, Dick. Mr. Starkie hat mich raufgeschickt. Er macht sich Sorgen um den Leutnant. «Bolitho sah ihn besturzt an.»Um Mr. Hope? Geht's ihm schlechter?


«Nein. «Bolitho griff nach dem Stag, denn die Brigg krangte heftig in einer plotzlichen Bo.»Tergorren macht ihm Kummer. «Er grinste.»Mir allerdings nicht - da mu?te ich lugen.»
        Bolitho streckte seine schmerzenden Glieder. Ihm tat alles weh, und sein Gesicht war ganz klamm von der salzigen Feuchte.

«Mr. Starkie denkt, Tergorren hat das Fieber«, sprach Dancer weiter.
        Sie glitten miteinander an Deck hinunter und fanden den Bootsmannsmaat bei den Rudergasten stehen.

«Gleich geht die Sonne auf«, sagte er hastig.»Ich verstehe das nicht. Er ist wie besessen, da unten in der Kajute. Ich wei? nicht, was werden soll, wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt. «Er wandte sich ab; seine Stimme wurde sprode. Nochmals Gefangenschaft - das halte ich nicht aus. Nicht nach allem, was wir durchgemacht haben, bei Gott nicht!»

«Wir gehen zu ihm hinunter. Aber ich bin kein Arzt«, erwiderte Bolitho und fa?te Dancer beim Arm.
        In der winzigen Kajute, wo der letzte Kapitan der Sandpiper sein bi?chen Privatleben und eine Menge Sorgen gehabt hatte, fanden sie Tergorren am Tisch sitzen. Sein Oberkorper war auf die Tischplatte gesunken, das Gesicht lag in den gekreuzten Armen. Die Kajute stank nach Schnaps oder billigem Rotwein; bei jeder Bewegung der Brigg rollte unter der Koje polternd eine Flasche hin und her, und im Schein der einzigen Lampe sah Bolitho in einem Gestell vor dem Schott noch eine ganze Reihe solcher Flaschen.
        Grimmig murmelte Dancer:»Anscheinend hat Mr. Tergorren seinen privaten Himmel gefunden.»
        Bolitho lehnte sich uber den Tisch.»Ich versuche, ihn wachzukriegen. Halt du dich raus. «Er fa?te den Leutnant unter den Achseln, wuchtete ihn hoch und setzte ihn so hin, da? die Stuhllehne ihn im Rucken stutzte. Er dachte, Tergorren sei schlicht betrunken; aber Dancer rief:»Mein Gott, Dick, der sieht ja aus wie der Tod!»
        Tergorren war erschreckend bleich; sein sonst so wetterrotes Gesicht war fleckig grau, und als er muhsam die zitternden Lider hob, war sein Blick so verwirrt wie unter der Einwirkung eines schweren Schocks.
        Er wollte etwas sagen, aber seine Sprache war so behindert, da? er eine ganze Weile krachzen mu?te, um sich die Kehle freizumachen.

«Sind Sie krank, Sir?«Dancer versuchte, ein Grinsen zu verbergen, und Bolitho fuhr rasch fort:»Mr. Starkie macht sich gro?e Sorgen um Sie, Sir.»

«So, macht er?«Tergorren versuchte aufzustehen, sank aber laut stohnend in den Stuhl zuruck.»Geben Sie mal die Flasche da her!«Unbeholfen, als ob seine Finger Klauen waren, umfa?te er die Flasche und tat einen langen, verzweifelten Zug.

«Wei? nicht, was mit mir los ist. «Er war kaum zu verstehen.»Glieder gehorchen mir nicht. «Er rulpste und versuchte nochmals, aufzustehen.»Mu? an Deck.»
        Bolitho und Dancer hievten ihn hoch, und die drei schwankten und stolperten ein paar Sekunden wie in einem makabren Tanz.»Den hat's aber richtig erwischt«, murmelte Dancer.»Blutfieber nennt unser alter Doktor das. Er fallt ja ganz auseinander!»
        Als sie sich den Niedergang zur Hauptluke hinaufarbeiteten, sah Bolitho, da? Eden in der Tur der anderen kleinen Kajute stand - dort hatte man Hope hingeschafft - und ihnen nachblickte.

«Fa? mal mit an, Tom! Wir mussen ihn an Deck schaffen.»

«D-der sieht aber wirklich f-furchtbar aus!«sagte Eden freudestrahlend.
        An Deck war die Luft wie Wein nach dem scheu?lichen Gestank in der Kajute. Starkie kam ihnen eilig vom Ruder her entgegen.»Hat er wirklich das Fieber?»

«Er hat G-gicht, Mr. Starkie«, piepste Eden.»H-hab' ich ja die g-ganze Zeit gesagt. Er hat M-medizin gegen die Schmerzen genommen, w-wahrscheinlich eine Uberdosis.»
        Alle starrten den winzigen Midshipman an, der sich da plotzlich als ein Born medizinischer Weisheit erwies - der einzige, den sie hatten.

«Ja - aber was sollen wir denn blo? machen?«Starkie schien vollig ratlos zu sein.
        Eden musterte den zusammengesunkenen stohnenden Mann und erwiderte:»W-enn wir wieder auf dem Schiff sind, wird ihn der D-doktor b-behandeln. Hier konnen wir g-gar nichts machen. «Er verzog das Gesicht.»G-geschieht ihm g-ganz recht.»

«Das mag ja sein«, sagte Starkie und blickte zu Dancer hinuber, der den Leutnant am Rock festhielt, weil er eben beinahe uber die Reling ins Meer gefallen ware.»In Kurze werden wir ihn aber sehr notig brauchen.»
        Verwundert blickte Dancer ihn an.»Wieso denn? Wir konnen doch der Gorgon signalisieren, und der Kapitan wird schon wissen, was zu tun ist.»
        Starkie warf ihm einen truben Blick zu.»Sie haben es nicht gemerkt. Der Wind hat nach Nordost gedreht. Ihr Schiff wurde den ganzen Tag brauchen, um auf unsere Position zu kreuzen - das hei?t, wenn Ihr Kapitan uberhaupt wei?, was hier los ist.»

«Aber was hindert uns, Kurs auf die Gorgon zu nehmen?«beharrte Dancer.

«Ich bin ja nur Bootsmannsmaat«, erwiderte Starkie,»und froh, wieder in Freiheit und in Sicherheit zu sein; aber ich kenne die Kriegsmarine, und ich kenne die Kapitane. Die Sandpiper liegt in gunstiger Position, den Feind anzugehen, oder ihm wenigstens bis zu seinem Schlupfwinkel zu folgen. «Er hob die Schultern.»Aber ohne Offiziere - da wei? ich nicht so recht. Fur nutzloses Heldentum kriegt man in keiner Flotte eine Belohnung.»

«Wir segeln also nicht zur Gorgon?«fragte Eden. Er sprach so leise, da? ihn alle erstaunt ansahen.
        Bolitho fiel auf, da? er vor lauter Angst nicht einmal mehr stotterte.»Komm mal her zu mir, Tom«, sagte er. Er nahm den Knaben beim Arm und fragte ganz ruhig:»Was hast du mit Mr. Tergorren angestellt?»
        Eden starrte das Deck an; seine Hande zuckten nervos.»Ich wu?te, da? er sich selbst k-kuriert und sich M-medizin in den Wein tut. Auf einer Flasche in seiner K-kajute steht's drauf. Vinum Antimonii - was mein V-vater immer bei G-gicht verordnet. Und da hab ich eine g-gro?e Dosis in eine von seinen W-weinflaschen geschuttet. Er m-mu? alles ausgetrunken haben, und noch eine ganze Flasche B-brandy obendrein«, schlo? er verzweifelt.
        Bolitho starrte ihn entsetzt an.»Du hattest ihn umbringen konnen».

«A-aber ich dachte doch, wir k-kommen auf unser Schiff, verstehst du. Es sollte ihm d-doch blo? mal so r-richtig dreckig gehen, weil er so g-gemein zu dir war, und zu m-mir auch. «Er schuttelte traurig den Kopf.»Und nun sagst du, wir s-segeln noch nicht zur G-gorgon zuruck?»
        Bolitho holte tief Atem.»Sieht jedenfalls so aus.»
        Dancer stutzte den Leutnant, der vom Schanzkleid wegtaumelte.»Zwei Mann her!«rief er.»Der Leutnant mu? wieder in seine Kajute geschafft werden.»

«Bin blo? neugierig, was jetzt werden soll«, sagte Bolitho.
        Wie eine Antwort darauf kam ein Ruf vom Ausguck:»Deck ahoi! Segel in Lee voraus!»
        Sie sturzten an die Reling, aber in Lee lag das Meer noch in tiefem Schatten.
        Bitter sagte Starkie:»Also liegen wir diesem Satan genau im Wind. Der steht genau zwischen uns und unserer Sicherheit.»

«Wie gut kennen Sie diese Kuste?«fragte Bolitho, und es war, als stelle sich diese Frage ganz von selbst, ohne sein Zutun.

«Gut genug. «Starkie blickte starr auf den Kompa? nieder, wie um seine Gedanken zu sammeln.»Eine schlechte Kuste, wenn man versuchen will, schneller als eine Fregatte zu sein.»
        Bolitho dachte an die Gorgon, die sich sudlich zur Position der Sandpiper befand. Vielleicht wu?te der Kapitan noch nicht einmal, da? sie die Brigg genommen hatten, sondern glaubte, sie sei zusammen mit der Fregatte entkommen.
        Eben sagte Starkie:»Wir hatten monatelang nach den Piraten gesucht; und Kapt'n Wade hatte von einem Genueser Handelsschiff gehort, da? sich in diesen Gewassern ein solches Schiff herumtreiben soll. Damals dachte der Kapt'n, es ware nur ein kleines Schiff und tauge wahrscheinlich nicht viel. Doch dieser Pirat versteht sein Geschaft, glauben Sie mir! Er soll halb Franzose, halb Englander sein; aber eins ist sicher: er hat sich mit irgendwelchen algerischen Korsaren zusammengetan, die vom Mittelmeer gekommen sind, um hier sowohl Sklavenschiffe als auch ehrliche Kauffahrer auszurauben.»
        Mit einem Seitenblick auf Dancer fragte Bolitho gelassen weiter:»Sind es viele?»

«Reichlich genug. Als sie die Sandpiper aufbrachten, waren sie gerade knapp an Leuten, aber jeden Tag kommen neue hinzu. Ganz egal, aus welchem Land und von welcher Rasse sie sind, Hauptsache, sie treten zum Islam uber. Die Fregatte haben sie vor Oran aufgebracht. Sie war ein spanisches Schiff. Jetzt kommandiert sie dieser Jean Gauvin. Der ist regelrecht verruckt und hat vor nichts Angst. Fruher sa?en senegalesische Handler in dem Fort, aber ein algerischer Korsar, ein gewisser Rais Haddam, hat es ihnen weggenommen. Der hat auch unsere Offiziere umbringen lassen. Ganz langsam, und vor der gesamten Mannschaft. Es war furchterlich anzusehen und anzuhoren.»
        Niemand sagte etwas dazu, und Bolitho sah, wie sich in Starkies gebrauntem Gesicht der Schrecken widerspiegelte, so lebhaft, als sei eben erst geschehen, was er da berichtete.

«Wir waren direkt unterhalb der Festung vor Anker gegangen. Es war ein schoner Tag, und die Mannschaft war vergnugt. Warum auch nicht in einem Monat wurden wir auf dem Heimweg sein. Die Fregatte lag dicht bei uns, sie fuhrte die spanische Flagge. Und auf dem Fort wehte die Flagge einer Handelsgesellschaft. «Starkie erschauerte.»Eigentlich hatte Kapt'n Wade Verdacht schopfen mussen. Aber er war erst dreiundzwanzig und dienstgradma?ig eigentlich nur Leutnant. Wir setzten die Boote aus und gingen an Land, um dem Gouverneur der Insel unseren Besuch zu machen. Aber wir wurden sofort umzingelt, und die Batterie des Forts feuerte ein paar Schusse rund um die Sandpiper, um der Wache zu zeigen, da? Widerstand zwecklos war. Nachdem dann das Abschlachten und Foltern vorbei war, hielt dieser algerische Korsar, Rais Haddam, uns paar Uberlebenden eine Ansprache. Wenn wir das Schiff bedienten, wurde er uns vielleicht leben lassen. «Er blickte zu Seite. Gauvin war auch dabei, und als ein Midshipman zu protestieren versuchte, gab er Befehl, ihn zu toten. Sie haben ihn unten am Strand lebendig verbrannt.»

«Mein Gott!«flusterte Dancer.

«Aye. «Starkie blickte an ihm vorbei auf die dunkle See.»Dieser Haddam hat sich den Abschaum der Menschheit unter seiner Flagge zusammengeholt.»
        Bolitho nickte.»Rais Haddam. Ich habe von ihm gehort - mein Vater und seine Freunde haben von ihm gesprochen. Seit Jahren machte er die algerische Kuste unsicher, und jetzt hat er anscheinend sein Tatigkeitsfeld verlegt. «Er blickte zum bleichen Himmel hinauf.»Ich habe nie gedacht, da? ich mit dem einmal personlich zusammengeraten wurde.»
        Trube sagte Starkie:»Keine Zeit fur Verteidigungs-vorbereitungen.»
        Bolitho blickte in die Gesichter der Umstehenden und sah nur Verzweiflung und Niedergeschlagenheit. Dancer war zu neu bei der Kriegsmarine, um etwas anderes zu empfinden. Starkie war von seiner Gefangenschaft her noch zu deprimiert, um mit Rat und Tat von Nutzen zu sein.

«Dann mussen wir uns eben zum Angriff vorbereiten«, sagte Bolitho moglichst gelassen.
        Er dachte an Tergorren, der dank Edens schlimmem Streich vor Schmerzen und Trunkenheit nicht zu gebrauchen war. An Hope, der eine Pistolenkugel in der Schulter hatte und kaum noch atmete. An die Matrosen - manche waren von der plotzlichen Befreiung noch verwirrt, die anderen noch erschopft von dem hei?en Kampf auf eben diesem Deck.

«Gauvins Schiff hat vierundzwanzig Kanonen gegen unsere vierzehn kleinen Quaker! rief Starkie erschrocken aus.
        Dancer fragte:»Als sie mit der Sandpiper die Barkentine nahmen - was wurde da aus der Mannschaft?»

«Abgeschlachtet wie Schweine«, antwortete Starkie grimmig,»und dann uber Bord!»

«Soviel also zum Negativen«, sagte Bolitho.»Und jetzt: was konnen wir gegen Gauvin ausrichten?»
        Er ging nach Luv hinuber; das Spruhwasser prasselte ihm auf Hande und Gesicht. Dancer trat zu ihm.

«Er wird wissen, da? die Gorgon sudlich von uns steht. Und er wird annehmen, da? wir wieder zu ihr wollen.»
        Bolitho blickte zu Starkie hinuber - ob man sich wohl auf sein Gedachtnis verlassen konnte?

«Wenn wir kreuzen, Mr. Starkie wie dicht konnen wir an die Landspitze heran?»
        Starkie ri? vor Schreck die Augen weit auf.»Zu dieser verfluchten Insel zuruck, meinen Sie?»

«Ich meine: auf sie zu. Das ist etwas anderes.»

«Sehr gefahrlich. Sie mussen das doch wissen, wenn Sie die Landspitze umrundet haben. Da sind massenhaft Riffe, und viele stehen noch nicht mal auf der Karte.»
        Im halben Selbstgesprach sagte Bolitho:»Vor Cornwall liegen ein paar Inseln - die Scillys hei?en sie. Ein Bristoler Kauffahrer wurde dort im letzten Krieg von einem franzosischen Kaperschiff gejagt. Der Kaper war viel schneller, aber der Kapitan des Kauffahrers kannte die Kuste und die Inseln sehr gut. Er segelte geradewegs uber ein Riff, und der Franzmann hinterher. Ri? sich den ganzen Kiel weg. Nicht ein einziger Mann wurde gerettet.»
        Starkie blickte ihn verwirrt an.»Sie wollen Kurs durch das Riff steuern? Das ist es, was Sie von mir verlangen?»
        Ein schwacher Sonnenstrahl scho? uber die Takelung. Das Bramsegel schimmerte wie ein goldenes Kruzifix.

«Haben wir denn eine andere Moglichkeit?«fragte Bolitho ernst.»Gefangenschaft oder vielleicht den Tod, weil er ein Exempel statuieren will, oder. . «Seine Worte blieben in der Luft hangen.
        Starkie nickte entschlossen.»Wahrscheinlich krepieren wir so und so, aber bei Gott, das ist eine Chance, die den Versuch wert ist. «Er rieb sich die rauhen Hande.»Dann wollen wir mal ›Alle Mann‹ pfeifen und die Segel kurzen zum Uberstaggehen. Aber wenn der Wind umspringt, laufen wir auf Legerwall auf.
«Unvermittelt stie? er ein tiefes kurzes Lachen aus, das sein zerfurchtes Gesicht fur einen Augenblick wieder jung erscheinen lie?.»Bei Gott, Mister wie Sie auch hei?en mogen - , wenn Sie mal Kapitan sind, mochte ich nicht mit Ihnen fahren. Wurde nicht lange dauern, und meine Nerven waren beim Teufel!»
        Bolitho lachelte melancholisch, denn es wurde langsam heller, und er sah jetzt auf Deck die dunklen Flecken, wo die Manner gekampft hatten und gestorben waren, und die gesplitterten Einschlage der Drehbasse. Er warf Eden einen bedeutsamen Blick zu.»Sieh nach, wie es Mr. Hope geht. Versuch, ihm ein bi?chen Brandy zu geben.
«Und als der Knabe zusammenzuckte:»Aber nicht aus Mr. Tergorrens Flasche, wenn ich bitten darf!»
        Als Eden sich schon zum Achterdeck wandte, fugte er noch hinzu:»Und sieh nach, ob du eine britische Flagge findest. Dieser Pirat soll sehen, da? die Sandpiper wieder unter den richtigen Farben segelt!»
        Dancer blickte ihn stumm an. Dann sagte er leise zu Starkie:»So habe ich ihn noch nie erlebt. Er will kampfen, das ist klar.»
        Der Bootsmannsmaat ging zur Leereling hinuber und spuckte in das milchige Bugwasser.»Na, mein Junge, wenn Gauvin diese Flagge sieht, dann reicht das zum Kampf. Die sieht er namlich gar nicht gern.»
        Eden kam mit einer Leinwandrolle zuruck.»Hab' eine gefunden, Dick. Hinter den B-brandyflaschen in der K-kajute.»

«Wie sind die Leutnants zuwege?«fragte Starkie gespannt. Vielleicht hoffte er, da? doch noch jemand anders die Verantwortung ubernehmen wurde.
        Eden schob die Lippen vor.»Mr. Hope atmet ein b-bi?chen besser. Mr. Tergorren geht's d-dreckig.»
        Starkie seufzte.»Na schon. Pfeifen wir ›Alle Mann an die Brassen‹. Wenn schon, denn schon. Hat keinen Sinn, die Sache noch lange aufzuschieben.»
        Bolitho fa?te die Achterdeckreling und sah zu, wie die Manner an die Brassen und Falleinen rannten. Ihre Bewegungen waren unregelma?ig und ruckhaft, als standen sie noch unter dem Schock und waren ihrer selbst nicht recht sicher.
        Es war wie ein Traum. Ein Traum von Piraten, von tapferen jungen Offizieren im Kampf gegen die Feinde des Vaterlandes.
        Aber sehr schnell wurde ein Alptraum daraus. Nur der erste Teil stimmte: eine kleine Brigg, eine mutlose Mannschaft und ein paar halbe Knaben als Fuhrer.
        Er dachte an seinen Vater und an Kapitan Conway, die mit Ruhe und Zuversicht auf ihre Geschutze und auf ihre seemannische Erfahrung vertrauen konnten.
        Er rief:»Flagge setzen, Mr. Eden!«Sogar diese dienstlich formelle Anrede war etwas ganz Neues fur ihn. Und dann:»Klar zum Uberstaggehen!»



        VIII Uber das Riff


«Kurs Sudsudost, Sir. Voll und bei.»
        Bolitho fa?te in die Finknetze und beobachtete aufmerksam, wie die Sandpiper ihr Leeschanzkleid steil aus der See hob. Spruhwasser und Schaumfetzen flogen uber Deck. Matrosen waren dabei, mehr Segel zu setzen, und Bolitho blickte zur Gro?rah empor, die sich wie der Bogen einer riesigen Armbrust spannte.

«Der Wind frischt ein bi?chen auf«, sagte Starkie ganz heiser vor Erregung.»Aber er kommt stetig aus Nordost. Bis jetzt jedenfalls«, fugte er grimmig hinzu.
        Bolitho horte kaum hin. Er beobachtete, wie die Brigg arbeitete, wie sie sich mit jeder anbrandenden, wei?bemutzten Welle hob und dann wieder ins Wellental hinabschmetterte.
        Seit dem Uberstaggehen, seit die vergoldete Galionsfigur wieder landwarts zeigte, spurte er, da? die Stimmung im Schiff anders war. Selbst die Manner der Stammbesatzung, von denen viele noch eiternde Wunden und grausame Verletzungen von der Gefangenschaft her aufwiesen, tauschten wohlgemute Zurufe und taten ihr Bestes, um jeden Quadratzoll Leinwand zu setzen, den die Brigg tragen konnte, ohne da? die Masten brachen. Nur wenn sie auf das Achterdeck blickten, wurden sie unsicher. Vielleicht, dachte Bolitho, hofften sie immer noch, dort ihren jungen Kapitan an der Reling zu sehen, als konnten sie durch solch eine unsinnige Hoffnung ihre bosen Erinnerungen verdrangen.
        Uber das Klingen und Sausen von Leinwand und Wind hinweg horte er Dancers Stimme: Sie fliegt wie ein Vogel, Dick!»
        Er nickte. Tief tauchte der Bug in die hoch anrollenden Wellen, und wie ein festes wei?es Laken breitete sich der Schaum uber den Schiffsschnabel.

«Aye. «Er blickte achteraus.»Siehst du die Fregatte?«Er packte Dancer erregt beim Arm.»Da ist sie! Und auch sie setzt mehr Segel. «Im aufsteigenden Morgenlicht, vor dem jetzt die Finsternis mehr und mehr auf die offene See wich, konnte er Mars- und Bramsegel des feindlichen Schiffes ausmachen, deren Umrisse sich anderten, als es ebenfalls auf den anderen Bug ging und, die Verfolgung aufnehmend, direkt hinter ihnen herkam. Er zeigte auf die Flagge im Topp der Brigg, die sich leuchtend gegen den truben Himmel abhob.

«Mr. Starkie hat anscheinend recht. Unser Gegner ist wutend.»
        Vorgeneigt, um die steile Krangung des Decks auszugleichen, schritt Starkie nach Luv hinuber.

«Ich halte sie so dicht vorm Wind, wie ich riskieren kann. Noch ein Strich mehr, dann la?t sie sich nicht mehr steuern.»
        Bolitho nahm ein Fernglas aus der Halterung und richtete es auf das Land. Als er im Gewirr der vibrierenden Wanten und Falleinen einen Stutzpunkt suchte, sah er, wie die bleichen Gesichter einiger Matrosen sich ihm zuwandten was mochten sie wohl denken, jetzt, da die Brigg Kurs auf die Kuste nahm, ausgerechnet dorthin, wo ihre Leiden und Demutigungen begonnen hatten?
        Da bekam er die Landspitze ins Blickfeld, die aus der kochenden Brandung wie der Schnabel einer romischen Galeere herausragte. Wie anders war der Anblick vom Kutter aus gewesen, und wie lange war das her! Er mu?te sich zusammenrei?en, um sich daruber klarzuwerden, da? es erst gestern gewesen war.
        Die See war rauher geworden und, vom boigen Wind getrieben, wirbelte sie durch ein Kollier von Klippen, die alles zu vernichten drohten, was in ihre Nahe geriet.
        Ein dumpfer Krach; als Bolitho sich nach der Fregatte umblickte, sah er einen dunklen Rauchschwaden, den eine Bo vor sich hertrieb.

«Das ist nur ein Versuchsschu?«, sagte Starkie,»die Fregatte segelt viel zu unruhig, um uns auf diese Entfernung zu treffen.»
        Bolitho antwortete nicht und beobachtete, wie die machtige Fock der Fregatte flatterte und stie?, als der Kapitan das Schiff durch den Wind gehen lie?. Es war noch nicht ganz auf dem anderen Bug, da hatten sich die Focksegel schon wieder gestrafft, und es krangte so stark, da? die Stuckpforten auf der Leeseite die Wasseroberflache schnitten.

«Sie kommt achterlich querab auf, Dick«, sagte Dancer.

«Ja. Sie will uns den Wind abschneiden. «Er starrte so angestrengt auf die Fregatte, da? ihm das Wasser schmerzhaft in die Augen scho?.»Aber das bedeutet, da? sie dichter als wir an der Kuste sein wird, wenn wir die Landspitze passieren.

        Dancer starrte ihn an.»Konnen wir da wirklich durch?»
        Starkie hatte das gehort und rief:»Nachstens werden Sie noch verlangen, da? wir auf dem Wasser wandeln wie der Herr Jesus!«Er fa?te mit ins Steuerrad und half den Rudergasten, den Gegendruck zu verstarken.»Kurs halten, verdammt noch mal!»
        Noch ein Krachen. Diesmal sah Bolitho den Schaum fedrig uber die Wellenkamme spruhen: die Kugel flippte achtern vorbei.
        Ein Blick auf die Sechspfunder der Sandpiper. Sehr nutzlich fur einen raschen Uberfall auf ein feindliches Kauffahrteischiff oder bei der Verfolgung von Piraten und Schmugglern.
        Aber gegen eine Fregatte waren sie nutzlos.

«Schick noch einen guten Mann in den Ausguck, Martyn. «Er taumelte, als das Deck in einem plotzlichen Wellental ins Schuttern geriet.»Vielleicht kommt die Gorgon in Sicht.»
        Aber von dem machtigen Vierundsiebziger war weit und breit keine Spur zu sehen. Nur die Fregatte, die sie verfolgte, und auf der Gegenseite der Bucht tauchte eben die Insel auf.
        Wie gestern lag sie bleich und seltsam still in der Morgensonne; nur schwer konnte man glauben, was alles dort passiert war. Starkie hatte vorhin berichtet, da? die Insel auch jetzt noch voller Sklaven war, arme Teufel, Manner und junge Madchen, welche die Handler aus allen moglichen Gegenden Afrikas hingeschafft hatten. Und in absehbarer Zeit wurden viele von ihnen auf dem Weg nach Amerika und Indien sein. Wenn sie Gluck hatten, mochten sie dort ein halbwegs ertragliches Leben fuhren, nicht wie Gefangene, sondern eher wie abhangige Diener. Aber die weniger Glucklichen wurden wie Tiere leben mussen. Wenn sie nichts mehr taugten, wurde man sie einfach umkommen lassen.
        Bolitho hatte gehort, da? man Sklavenschiffe, ahnlich wie die Rudergaleeren, schon von weitem an ihrem furchtbaren Gestank erkannte: der charakteristische Geruch, der entsteht, wenn viele Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht sind und sich nicht bewegen, nicht sauberhalten konnen.
        Bang. Eine Kanonenkugel zischte uber das Schiff und fuhr durch das Vormarssegel wie eine eiserne Faust.

«Das war schon naher!«Starkie hatte die Daumen im Gurtel und lie? die Fregatte nicht aus den Augen.»Sie kommt jetzt schneller auf.»

«Deck ahoi! Brecher in Lee voraus!»
        Starkie eilte zur Reling und griff nach einem Fernglas.»Aye, da sind sie. Die erste Reihe der Riffe. «Er wandte sich nach den Rudergasten um.»Luv an einen Strich!»
        Das Rad knirschte und die Oberbramsegel flappten protestierend.

«Sud zu Ost, Sir!»

«Recht so!»
        Bolitho merkte an der schwieriger werdenden Fahrt und an dem wutenden Erzittern jeder Spiere und jedes Segels, da? sie jetzt in flacheres Wasser kamen und dabei eine starke Gegenstromung kreuzten.

«Wir sollten lieber Segel kurzen«, sagte Starkie. Bolitho blickte ihn an und sagte beschworend:»Wenn wir das tun, erwischt er uns, bevor es fur ihn gefahrlich wird!»

«Wie Sie meinen«, erwiderte der Bootsmannsmaat ungeruhrt.
        Da kam Eden den Niedergang hochgeklettert; angstlich suchten seine Augen achtern nach dem Feind.

«Mr. Hope verlangt nach d-dir, Dick. «Er duckte sich, als eine Kugel aus dem Buggeschutz der Fregatte dicht vorbeiflog und eine Fontane hochjagte wie von einem blasenden Wal.
        Bolitho nickte.»Ich gehe rauf. Rufen Sie mich, wenn sich was tut.»
        Durch das Fernrohr beobachtete Starkie die vorderste Brecherlinie.
        Dadurch, da? er das Schiff eine Kleinigkeit hatte abfallen lassen, zeigte das Bugspriet mit seinem auf- und abschwankenden Kluverbaum fast genau auf die gefahr-verkundende Brandung.

«Keine Sorge«, rief er uber die Schulter,»Sie werden's schon merken.»
        Unten tastete sich Bolitho zu der winzigen Kajute hin. Mit unnaturlich glanzenden Augen lag Hope auf dem Rucken in der Koje. Bolitho beugte sich uber ihn.

«Der Vierte ist krank, hore ich?«flusterte Hope. Sein Gesicht war aschgrau.»Hol ihn der Teufel, warum hat er so spat eingegriffen?«Seine Gedanken schweiften ab; undeutlich murmelte er:»Meine Schulter! O Gott, sie werden mir den Arm abnehmen, wenn wir wieder auf dem Schiff sind. «Schmerz und Verzweiflung schienen ihn dann wieder zur Besinnung zu bringen.»Werden Sie's schaffen?»
        Bolitho zwang sich ein Lacheln ab.»Wir haben einen guten Steuermann an Deck, Sir. Und Mr. Dancer und ich bemuhen uns, wie alte Seeleute auszusehen.»
        Die feuchte Luft in der Kajute erzitterte von einem neuen dumpfen Krach, und Bolitho spurte, wie der Schiffsrumpf in allen Fugen bebte: eine Kugel hatte langsseits ganz nahe eingeschlagen. Zu nahe.

«Sie konnen sich doch nicht mit einer Fregatte in ein Gefecht einlassen!«keuchte Hope.

«Wollen Sie, da? ich die Flagge streiche, Sir?»

«Nein!«Er schlo? die Augen und stohnte vor Schmerzen.»Ich wei? nicht. Ich wei? nur, da? ich an Deck sein mu?te und Ihnen helfen - irgendwas tun. Statt dessen. .»
        Bolitho konnte jetzt noch besser verstehen, wie verzweifelt der Leutnant war. Der Funfte stand ihm naher als die anderen Offiziere. Hope hatte zwar immer so getan, als seien ihm die Midshipmen au?erdienstlich ganz gleichgultig, und hatte sich sogar bemuht, au?erlich moglichst hart zu erscheinen; das streifte manchmal sogar die Grenze der Brutalitat. Aber in dem standigen Zusammensein hatte sich doch herausgestellt, da? seine unfreundliche Kritik manchmal notwendig und oft sogar wohltatig war, ganz im Sinne seines Lieblingsausspruchs: «Dieses Schiff braucht Offiziere, keine Kinder.»
        Und nun lag er da, hilflos und gebrochen. Ruhig sagte Bolitho:»Ich komme mir Ihren Rat holen, so oft ich kann, Sir.»
        Aus der blutbefleckten Koje streckte sich ihm eine Hand entgegen und fa?te die seine.»Danke. «Hope konnte kaum noch richtig sehen.»Gott sei mit Ihnen.»

«Hallo da unten!«Das war Dancer.»Die Fregatte rennt ihre Steuerbordgeschutze aus!»

«Ich komme!«Bolitho rannte zur Kampanjeleiter. Er dachte an Hope und an all die anderen.
        In der kurzen Zeit, die er unten gewesen war, hatte das Sonnenlicht das Meer erreicht und glitzerte nun auf allen Wogenkammen.
        Starkie rief ihm zu:»Der Wind hat um einen Strich gedreht. Hat nicht viel zu sagen. Aber die Fregatte kommt auf, schatze ich. «Er reichte Bolitho das Fernrohr. Die Fregatte segelte knapp eine Meile backbords achteraus. Sie hatte stark aufgebra?t, um moglichst viel Wind zu bekommen; ihre Steuerbordgeschutze drohten dicht uber der schaumigen Wasserlinie wie eine Reihe schwarzer Zahne.
        Ihre Kontur veranderte sich etwas, als sie einen Strich nach Luv drehte; das Sonnenlicht blitzte auf den Waffen und Fernrohren, und am Gro?mast wehte eine machtige schwarze Flagge. Bolitho konnte sogar den Namen lesen, der auf der wettergebeizten Platte unter dem Schiffsschnabel stand: Pegaso. Als sie noch unter spanischer Flagge fuhr, hatte sie vermutlich so gehei?en.

«Sie feuert!»
        Die Stuckpforten spuckten eine Reihe gelbroter Flammen aus, aber die Breitseite kam zu fruh; sie peitschte die See weit hinter dem Heck der Sandpiper; ein paar Kugeln fegten heulend uber das Achterdeck dahin.

«Kursanderung, Mr. Starkie!«rief Bolitho.»Zwei Strich nach Luv, wenn Sie konnen.»
        Starkie offnete schon den Mund, um zu protestieren, aber er uberlegte es sich anders. Seine Blicke hingen an einigen kaum uberspulten Klippen, die an Steuerbord achteraus blieben. Die hatte die Sandpiper zwar vermieden; aber das bedeutete, da? sie jetzt mitten zwischen den Riffen war. Wie eine Fliege im Spinnennetz.

«An die Brassen! Hol an!«Dancer sprang zu Hilfe.»Hievt, Jungs!»
        Hoch uber dem stampfenden Schiffsrumpf brummte und knarrte jede Want, jedes Segel, als der Bug langsam herumschwang und dann Richtung auf den nachsten Fetzen Land nahm.
        Noch eine holprige Breitseite von der Fregatte; die Kugeln hupften harmlos achtern ubers Wasser, und ein Matrose lie? sogar ein schuchternes Hurra los - er begriff wohl nicht, in welcher Gefahr er sich befand.
        Bolitho brullte:»Hol mir den besten Geschutzfuhrer, schnell, Martyn! Schnell!»

«Sudost zu Sud, Sir«, sang der Ruderganger aus. Er begriff jetzt uberhaupt nichts mehr.

«Recht so.»
        Starkie drehte sich kurz um und erblickte den grauhaarigen alten Seemann in geflickter Hose und kariertem Hemd, der nach achtern gerannt kam und gru?end die Fingerknochel an die Stirn tupfte.

«Taylor, Sir.»

«Schon, Taylor; holen Sie sich Ihre zwei verla?lichsten Geschutzbedienungen und bemannen Sie die beiden hintersten Sechspfunder an Steuerbord.»
        Taylor blinzelte - war dieser Midshipman nun tatsachlich verruckt geworden? Schlie?lich befand sich der Feind doch an der anderen Seite!
        Bolitho sprach rasch; er hatte nur die Fregatte und die Peilung der Sandpiper im Sinn, sonst war sein Hirn vollig leer. Er versuchte, sich an alles zu erinnern, was er gelernt hatte, was man ihm von seinem zwolften Lebensjahr an bis zum heutigen Tage eingeprugelt hatte.»Doppelte Ladung. Ich wei?, es ist ein Risiko. Aber wenn ich Feuerbefehl gebe, mussen Sie die Fregatte in den Bug treffen.»
        Langsam nickte Taylor. Er fuhr mit seinem teerigen Daumen durch die Luft.»Aye, Sir. Versteh schon, was Sie vorhaben, Sir. «Er hoppelte hinweg, brullte ein paar Namen und kontrollierte dabei schon die beiden achteren Sechspfunder.
        Bolitho blickte Starkie in die Augen.»Ich will halsen und wieder raus aus den Riffen. Dann kommt die Fregatte bestimmt hinterher sie hat den Wind unter ihren Rockscho?en, sehr gunstig fur sie. «Grimmig nickte Starkie dazu.»Aber fur ein paar Minuten haben wir sie vor unseren Kanonen. Sehr viel ist ja nicht mit den Dingern los, aber immerhin. .»
        Er lachelte, und das wurde ihm so schwer, da? ihm die Lippen dabei eiskalt wurden. Und sie wird bestimmt nicht darauf gefa?t sein, da? wir zuruckschie?en. Nicht ausgerechnet jetzt.»
        Starkie spahte voraus wie ein Wanderer, der seinen Weg sucht.»Ich glaube, ich wei? eine Durchfahrt. Nicht sehr breit. «Er wedelte mit der Hand zweifelnd durch die Luft.»Mit der Tiefe, das wei? ich nicht recht. Zwei Faden,[1 Faden = 1,829 m (Ma? fur die Wassertiefe, d. Ubs.)] soweit ich es beurteilen kann.»
        Dumpfe Gerausche an Steuerbord verrieten Bolitho, da? Taylor und seine Manner ihre Geschutze bald klar haben mu?ten.
        Plotzlicher Kanonendonner machte ihm begreiflich, da? die Fregatte immer noch entschlossen war, die Sandpiper lahm zu schie?en und dann zu entern. Halblaut murmelte er:»Diesmal noch nicht, mein Freund. «Starkie lie? das Teleskop sinken, als die Kugeln der Fregatte uber die Masten hinwegheulten und ein paar Taue und ein paar Blocke an Decke schleuderten. Die Sandpiper ruckte heftig: sie hatte ihren ersten Treffer erhalten.
        Starkie rief:»Klar zum Halsen, wenn Sie soweit sind!«Er wischte sich den stromenden Schwei? mit dem Unterarm von der Stirn.

«Fier auf die Brassen! Hol dicht!«Bolitho nickte zu den beiden Geschutzmannschaften hinuber. »Ausrennen!»
        Er pre?te die Hande hinter seinem Rucken zusammen, bis er.ruhiger wurde. Dancer und ein paar Matrosen an den Pardunen und Hei?leinen starrten ihn an, als wollten sie ihr Schicksal von seinem Gesicht ablesen.
        Er horte, wie der alte Geschutzfuhrer sagte:»Denkt dran, Jungs. Wenn wir halsen, kommen wir in Lee von diesem Miststuck. Aber wenn das Schiff mit der Backbordseite hochgeht, habt ihr den richtigen Schu?winkel.»
        Fur kurze Zeit lie? der Wind etwas nach, und wahrenddessen erstarben die Gerausche der Wellen und der Segel. Mitten in Bolithos dahinrasende Gedanken drang ein anderer Laut: unten in seiner Kajute stohnte Tergorren wie ein todwunder Stier. In ihrer verruckten, hoffnungslosen Situation kam ihm die» Unpa?lichkeit «des Leutnants vollends unwirklich vor. Er ri? sich zusammen und war wieder da.»Rund achtern! Fier auf!»
        Die Sandpiper legte sich wie trunken nach Lee, ihr Bugspriet hob sich steil und fiel dann schmetternd in die kabbelige See, aber sie reagierte wieder auf Segel und Ruder. Doch sie machte dabei einen unbeschreiblichen Krach, so da? ein Einzelschu? des Buggeschutzes der Fregatte fast in dem donnernden Schlagen der Segel, dem protestierenden Kreischen der Taljen und dem Ba?gebrumm der saitenstraff gespannten Takelung unterging. Die Manner holten die Brassen mit solcher Kraft an, da? ihre Korper fast parallel zum Deck lagen. Andere eilten ihren Kameraden an den Fallen und oben in den Masten zu Hilfe und rissen die quietschenden Rahen noch weiter herum, da? sich die Segel fullten und hart wie Panzer im Wind standen.
        Bolitho versuchte, nicht nach den Riffen und auch nicht nach Starkie hinzusehen, der ein Stuck die Wanten aufgeentert war, um die Passage durch die Brecher besser abschatzen zu konnen. Aus der von dem Zufallstreffer der Pegaso geschwachten Takelung fielen noch ein paar abgeschorene Enden an Deck und trafen Taylor, den alten Geschutzfuhrer, aber dessen eisenharte Schultern zuckten nicht einmal.
        Weiter, immer weiter schwang die Brigg herum; Masten und Rahen knarrten laut, als sie auf den anderen Bug ging; in Lee schwemmte die schaumende See uber das Schanzkleid, von dem aus man eben noch den Blick auf den Feind gehabt hatte.
        Wumm! Eine Kugel schnitt durch die Wellenkamme und schlug wutend in den Schiffsrumpf. Schreckensschreie ertonten.

«An die Pumpen!«Bolitho horte sich zwar Kommandos schreien, aber er kam sich wie ein Zuschauer vor, den das alles gar nichts anging. Eiskalt beobachtete er, wie der Gegner am Heck drehte - oder so sah es wenigstens durch die scharfe Kursanderung der Sandpiper aus.

«Jetzt!«Seine Stimme ging in dem allgemeinen Larm unter, und er brullte mit au?erster Lautstarke:»Ziel bekannt! Feuer!»
        Eben schwang das Focksegel der Pegaso herum - ihr Kapitan mu?te sich entschlossen haben, ebenfalls zu halsen und der Brigg zu folgen.
        Bolitho wu?te, da? Taylor hinter einem der beiden Geschutze kauerte, aber er konnte jetzt nicht hinsehen. Er horte das Zischen der Lunte, und doch fuhr er vor Schreck zusammen, als das Geschutz krachend losging. Druben schuttelte sich die Fock der Pegaso, und ein machtiges Loch erschien wie durch Zauber in der Leinwand. Unter dem Andruck des Windes und der zusatzlichen Belastung durch die plotzliche Kursanderung ri? das Segel nach allen Richtungen weiter ein und ging vollig in Fetzen.

«Sie halst immer noch, Sir!«brullte Starkie.
        Die Stimme des Ausgucks schnitt wie eine Sage durch Bolithos Gedanken:»Brecher an Backbord, Sir!»
        Aber sein einziger Gedanke war: Das geht schief! Der Doppelschu? hatte zwar die Fock zerstort, aber einer Fregatte unter vollen Segeln machte das nichts aus. Waren beide Schiffe erst einmal klar von den Riffen (und komischerweise zweifelte er nicht im geringsten daran, da? Starkie das schaffen wurde), konnte der Pirat sie ohne weiteres uberholen und entern.
        Taylor rannte zum zweiten Geschutz. Sein Gesicht war vor Konzentration ganz verzerrt. Auf die wutenden Zeichen seines teerigen Daumens hebelte hier ein Matrose seine Handspeiche, holte ein anderer eine Talje an.
        Er kauerte sich hinter das Rohr, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, und flusterte heiser:»So. . Sachte! Na komm schon, meine Kleine!»
        Die Lunte zundete, und mit knirschendem Krachen schleuderte der Rucksto? das Geschutz innenbords; wie erstickender, dichter Nebel wirbelte der Pulverrauch ins Schiff. Gebannt starrte Bolitho hin. Es schien eine Ewigkeit zu dauern - in Wirklichkeit waren es nur Sekunden. Und dann, als der sorgfaltig gezielte Schu? den Bug der Fregatte traf, rissen der straffgefullte Kluver und das Stagsegel wie alte Lumpen von oben bis unten auseinander.
        Die Wirkung zeigte sich im selben Augenblick. Es hatte die Pegaso mitten in der Halse erwischt; die Segel waren sowieso durcheinander, das Schiff rollte hilflos in einem tiefen Wellental, und als es dem Ruder wieder gehorchte, waren die Stuckpforten unter Wasser.
        Bolitho horte Rufe in Lee, und als er mit staubtrockener Kehle hinrannte, sah er eine algenbewachsene Klippe an der Bordwand der Sandpiper entlanggleiten, nur einen oder zwei Meter entfernt. In diesen Sekundenbruchteilen erkannte er ganz deutlich die abgeschliffene Form des Felsens, und sogar ein paar winzige schwarze Fische, die es trotz Wind und Stromung fertigbrachten, unbeweglich im Schutz des Riffes stehenzubleiben - dieses Riffes, das einem Schiff so schnell den Kiel herausrei?en konnte, wie man von einer Orange einen Streifen Schale ablost.
        Er warf einen raschen Blick zu Dancer hinuber. Der war totenbla? und hatte die Augen weit aufgerissen; er lehnte sich weit uber Bord, um die Fahrt des Gegners zu beobachten, und war vom Spruhwasser vollig durchweicht.
        Die Pegaso schwankte wie von einer Gegenbo getroffen, und als sie sich wieder aufrichtete, knickte die Bramstenge des Hauptmastes ab und sturzte hinunter an Deck; zwischen den Wanten baumelte ein Gewirr von Takelage und Segelfetzen. Unglaubig schrie Starkie:»Sehen Sie das? Sie mu? auf ein Riff gelaufen sein!«Er krachzte vor Aufregung und Erschutterung.»Voll aufgelaufen, bei Gott!»
        Bolitho konnte die Augen nicht abwenden. Die Fregatte mu?te genau in dem Moment, als sie beim Halsen die Kraft ihrer Vorsegel verloren hatte, auf die Klippe geknallt sein. Um diese paar Meter war es gegangen. Er konnte sich gut vorstellen, was jetzt da druben fur ein Durcheinander herrschte, wie die Manner in den Schiffsraum schwarmten, um das Ausma? der Havarie festzustellen.
        Wenn der Schaden so gro? war, da? ein Mast abknickte, dann mu?te die Fregatte auch erheblich leckgeschlagen sein, dachte er. Und trotzdem kam sie noch weiter auf, er sah es, seine Augen schmerzten in den flirrenden Sonnenreflexen; da leckte aus dem Buggeschutz eine gelbrote Flammenzunge heraus, und er spurte, wie die Kugel hinter ihm vorbeiheulte und krachend ins Achterdeck schlug wie die Axt eines Riesen.
        Tauwerk und Splitter wirbelten uber das ganze Deck. Er sah, wie drei Matrosen gegen das Schanzkleid geschmettert wurden; ihre Schreie verloren sich im Wind, und aus ihren zuckenden Leibern scho? das Blut an Deck und zeichnete unheimliche Muster auf die Planken.
        Noch eine Kugel - sie schlug in flachem Winkel gegen die Rumpfbeplankung und prallte ab, auf die See hinaus; das Schiff baumte sich wie ein Pferd, das seinen Reiter abwerfen will.

«Zu den Verwundeten!«brullte Bolitho.»Mr. Eden soll sie unter Deck schaffen!»
        Auf einmal mu?te er an Edens Vater in seiner kleinen Offizin denken, wo er Gicht und Magenbeschwerden kurierte. Was der wohl gedacht hatte, wenn er jetzt sehen konnte, wie sein zwolfjahriger Sohn versuchte, einen stohnenden Matrosen zur Kampanjeleiter zu zerren, wo jeder Fu?breit Wegs von Blut und Schmerzen gezeichnet war!
        Verzweifelt sagte Dancer:»Die wollen uns entern!«Aber er zuckte nicht einmal, als eine Kanonenkugel ubers Achterdeck flog und ein weiteres Loch in das schon ganz pockennarbige Segel ri?.»Das haben wir von unserer ganzen Anstrengung!«schimpfte er.
        Bolitho sah sich um. Der Kampfeswille, das Zielbewu?tsein der Manner schwanden schnell dahin. Und wer konnte es ihnen verdenken? Die Pegaso hatte jede Bewegung der Sandpiper mitgemacht; sie hatte sich keineswegs uberraschen lassen. Sie war aus dem Riffgurtel heraus, und schon sah er die Sabel und Messer in den Handen der Feinde blitzen, die von den Kanonen weg zur Reling rannten, bereit zum Entern. Ihm fiel ein, was Starkie uber das Schicksal seiner Offiziere berichtet hatte: Folter und schlie?lich ein qualvolles Ende.
        Er zog seinen Entersabel und brullte:»Alle Mann an Steuerbord!«Unglaubig, verzweifelt und stumpf starrten sie ihn an.
        Er sprang in die Luvwanten und schwang seinen Entersabel zur Pegaso hinuber.»Die sollen uns nicht ohne Kampf kriegen!»
        Kleine Einzelzuge traten aus dem Gesamtbild heraus. Ein Mann der Sandpiper zog sein Messer und wetzte es an seinem hornigen Handballen, den Blick starr auf die Fregatte gerichtet. Einer kam von Backbord heruber und sah einem anderen in die Augen, wahrscheinlich sein bester, einziger Freund. Kein Wort. Aber seine Miene sprach deutlicher als alle Worte. Eden stand am Niedergang, kalkig wei? im Gesicht, und schon trocknete eines Mannes Blut an seinem Hemd; bald wurde auch sein eigenes Blut dort flie?en und gerinnen. Dancer. Wie Gold glanzte sein Haar in der Sonne, er schob das Kinn vor, nahm einen Entersabel vom Deck hoch und stutzte sich darauf. Mit der anderen Hand kniff er sich wie mit Klauen in den Oberschenkel, damit ihm der Schmerz die Angst vertreibe.
        Ein Mann, der schon beim Entern der Brigg verwundet worden war, lehnte an einem Sechspfunder; sein Bein war dick verbunden, aber mit geschaftigen Handen lud er Pistolen und gab sie an die Kameraden weiter.
        Ein Geheul wie von einer Hundemeute tonte von dem dichtbemannten Deck der Pegaso heruber, als sie weiter aufkam und die Schatten ihrer Masten und Rahen uber das Wasser hin schon bis zur Brigg reichten, wie um sie einzufangen und zu verschlingen.
        Bolitho blinzelte sich den Schwei? aus den Augen. Unglaubig starrte er auf die offenen Stuckpforten der Fregatte. Dort zwangte sich doch ein Mann heraus? Und dann noch einer sie klammerten sich beide an das schwarze Rohr, und auch aus den anderen Stuckpforten krochen Manner wie Ratten aus der Gosse.
        Starkie brullte:»Die geben das Schiff auf, Sir!«er fa?te ihn beim Arm und drehte ihn zu den Netzen hin.»Sehen Sie sich das blo? an!»
        Wortlos stand Bolitho neben ihm. Immer mehr Manner sprangen aus den Stuckpforten ins Meer und wurden weggewirbelt wie Holzspane im Strudel einer Wassermuhle.
        Gauvin, der grimmige Kapitan der Pegaso, mu?te Wachen an jedem Niedergang postiert haben; schon bei der irrsinnigen, aussichtslosen Verfolgung mu?te er gewu?t haben, da? das Leck im Rumpf seines Schiffes todlich war.
        Starkie beobachtete, wie sich der Bug der Fregatte unter dem Gewicht der einstromenden Wassermassen senkte, und wie auf dem Oberdeck, als schlie?lich auch der letzte begriff, was los war, ein wahres Pandamonium ausbrach.»Hier, ziehen Sie Ihren Rock an!«sagte er zu Bolitho. Seine Stimme war vor Erregung ganz rauh. Er half ihm sogar beim Anziehen und zupfte den Kragen mit den wei?en Belagen zurecht.
        Er deutete zur Pegaso hinuber, die abzudrehen begann, weil die schwache Ruderkraft dem Druck des einstromenden Wassers nicht mehr gewachsen war.

«Er soll Sie sehen und das ist hoffentlich noch eine Extrastrafe fur seine Untaten!»
        Bolitho starrte ihn verstandnislos an, da fuhr er fort:»Er soll wissen, da? er von einem Midshipman geschlagen worden ist! Von einem Knaben!»
        Bolitho wandte sich ab. Seine Ohren waren voll von den Gerauschen der Selbstvernichtung eines Schiffes, das unter vollen Segeln hilflos herumgeworfen wird. Er horte, wie die Geschutze aus ihren Halterungen gerissen wurden und schmetternd in das Schanzkleid der anderen Seite schlugen; wie die Spieren an Deck sturzten und die kopflose Mannschaft unter Tauwerk und Leinwand begruben.
        Verfremdet horte er seine eigene Stimme:»Segel kurzen, Martyn. La? ›Alle Mann‹ pfeifen!»
        Er fuhlte, wie die Matrosen ihm auf die Schulter klopften, sah sie ihm zulachen und zuwinken. Nicht wenige weinten.

«Deck ahoi!«Sie hatten den einsamen Mann im Masttopp ganz vergessen.»Segel steuerbord voraus, Sir. «Eine ganz kleine Pause, dann:»Das ist die Gorgon!»
        Bolitho winkte» Verstanden «zum Ausguck hinauf und wandte sich wieder nach Luv, wo die Fregatte am Kentern war. Um sie herum war die See voller Treibgut und Trummer und auf- und niedertauchenden Kopfen. Aber dort, wo die Sonne nicht hinschien, jenseits der Dunung, sah er eine plotzliche Bewegung im Wasser; die messerscharfen Ruckenflossen der Haie zogen schon ihre Kreise um das sinkende Schiff. Uber eine Meile bis zu nachsten Kuste. Sehr zweifelhaft, ob einer der Schwimmer sie erreichen wurde.
        Er hob das Fernrohr, um nach der Gorgon Ausschau zu halten; die Augen wurden ihm feucht, als er ihren plumpen, schwarzen, braun abgesetzten Rumpf erblickte und die turmhohe Segelpyramide die nachste Landspitze umrunden sah.
        Noch eine Sekunde, dachte er, und er wurde zusam-menbrechen und seine Gefuhle vor den Umstehenden nicht mehr verbergen konnen.
        Da - eine Bullenstimme:»Was, zum Teufel, ist hier los?«Leutnant Tergorren tauchte mit halbem Leib aus der Niedergangsluke empor; mit seinem verquollenen, grauen Gesicht, den von Wein und Schlimmerem verklebten Haaren, sah er wie ein dem Grab entstiegener Leichnam aus.
        Bolitho verspurte eine irrsinnige Erleichterung. Ihm war, als musse er zugleich lachen und weinen; der wuste Anblick dieses Mannes, der sich wahrend des ganzen Kampfes hilflos in seiner Koje gewalzt hatte, gab ihm den Rest.
        Mit bebender Stimme antwortete er:»Ich bitte um Entschuldigung, da? wir Sie gestort haben, Sir.»
        Tergorren starrte ihn an und versuchte, mit seinen wutenden, blutunterlaufenen Augen wenigstens nicht zu schielen.

«Gestort?»

«Aye, Sir. Aber wir hatten ein Seegefecht.»
        Gelassen sagte Starkie:»Holt Mr. Eden. Ich furchte, dem Leutnant wird wieder schlecht!»



        IX Ehrlos

        Kapitan Beves Conway stand am offenen Heckfenster und schutzte seine Augen mit der Hand gegen die blitzenden, wild flimmernden Sonnenreflexe. Vor dem Fenster der Kapitanskajute dumpelte die ruckeroberte Brigg in der Dunung, ihre braunlichen Segel bewegten sich kaum; trage stand sie uber ihrem Spiegelbild im Wasser.
        In den paar Stunden nach dem abenteuerlichen Durchbruch der Sandpiper durch das Riff und der Vernichtung der Fregatte war der Wind abgeflaut, bis er nur noch wie ein Hauch uber das Wasser wehte und die schwere Gorgon ohne Fahrt in der Dunung lag.
        Druben am Horizont war die Kuste gerade noch sichtbar. Wie ein fahlgelber Pinselstrich lag sie da und schien in der gluhendhei?en, wabernden Luft standig ihre Form zu verandern. Einzelheiten waren nicht mehr zu unterscheiden.
        Conway wandte sich langsam um und betrachtete eingehend die Manner, die am Schott beieinanderstanden.
        Tergorren, massig, mit blutunterlaufenen Augen, schwankte im langsamen Rollen der Dunung; immer noch war sein Gesicht aschfarben. Die drei Midshipmen und der Steuermannsmaat Mr. Starkie standen etwas abseits.
        Verling, der Erste Leutnant, war ebenfalls dabei; seine Nase druckte Mi?billigung aus, als der Kapitanssteward diesen Mannern in ihren schmutzigen, zerrissenen Uniformen Madeira kredenzte.
        Der Kapitan nahm ein wunderbar geschliffenes Glas von einem Tablett und hielt es in das einstromende Sonnenlicht.

«Ihre Gesundheit, meine Herren. «Er blickte einem nach dem anderen ins Gesicht. Ich brauche nicht zu betonen, wie au?erordentlich zufrieden ich bin, da? die Sandpiper wieder bei der Flotte ist. «Er wandte sich einen Augenblick ab und horchte auf die von der Brigg heruberklingenden Hammerschlage. Schiffszimmerleute reparierten dort die Schaden, die das Geschutzfeuer der Pegaso angerichtet hatte. Spater werde ich sie mit Depeschen fur den Admiral nach Gibraltar schicken. «Eine Sekunde lang blieb sein Blick auf Tergorren hangen.»Ein vor Anker liegendes Fahrzeug zu entern, ist niemals leicht. Ein derartiges Unternehmen, in dessen weiterem Verlauf obendrein noch durch geschicktes und entschlossenes Handeln eine feindliche Fregatte vernichtet wurde, ist der besonderen Beachtung Ihrer Lordschaften wert.»
        Tergorren starrte auf einen Punkt, der irgendwo uber der linken Schulter des Kapitans liegen mu?te.

«Besten Dank, Sir.»
        Die Augen des Kapitans glitten zu den Midshipmen hinuber.»Dadurch, da? Sie das alles durchgestanden haben, sind Sie der Moglichkeit, Ihre Erfahrungen in der Praxis zu verwerten, ein gutes Stuck nahergekommen ein Vorteil nicht nur fur Ihre Karriere, sondern fur die Marine uberhaupt.»
        Bolitho warf einen raschen Blick auf Tergorren. Immer noch starrte der Leutnant an die Kajutendecke, und dabei sah er aus, als sei in Kurze wieder ein heftiger Anfall von Erbrechen fallig.
        Im gleichen sachlichen Ton fuhr der Kapitan fort:»Bei Sonnenaufgang, als Sie in den Riffgurtel einfuhren, kreuzten wir etwas weiter sudlich. Ganz zufallig stie?en wir auf eine schwere Dhau,[arabisches Fahrzeug mit Lateiner-Segel (d. Ubs.).] die bis ans Schandeck mit schwarzem Elfenbein beladen war.»

«Sklaven, Sir?«rief Starkie erregt aus. Der Kapitan warf ihm einen kalten Blick zu. »Sklaven.«Er machte eine Geste mit seinem Glas.»Ich lie? das Fahrzeug entern, und es liegt jetzt hinter der nachsten Landzunge vor Anker. «Er lachelte dunn.»Die Sklaven habe ich zum Festland gebracht und dort abgesetzt ob ich ihnen damit einen Gefallen getan habe, wei? ich allerdings nicht. «Das Lacheln war schon wieder weg.

«Wir haben viel Zeit versaumt und viele gute Manner verloren. Man brauchte eine Armee, um die Insel zu belagern, und selbst dann ware es zweifelhaft, ob ein Sturmangriff Erfolg hatte.»
        Der Posten der Marine-Infanterie auf dem Gang meldete durch die geschlossene Tur: Schiffsarzt, Sir!«Der Steward eilte zur Tur und lie? Doktor Laidlaw ein, der sich noch im Gehen die Hande sorgfaltig an einem Tuch abwischte.

«Ja?«fragte der Kapitan ungehalten.

«Sie wunschten Bericht, Sir. Mr. Hope schlaft. Ich habe die Kugel entfernt; und wenn er auch zeitlebens Beschwerden haben wird, braucht der Arm doch nicht abgenommen zu werden.»
        Bolitho lachelte Dancer und Eden befreit zu. Jetzt erst war der ganze Alptraum vorbei, und selbst wenn Tergorren verschwieg, da? er an der Vernichtung der Piraten nicht beteiligt gewesen war, konnte das die Befriedigung nicht verderben, die Bolitho empfand. Aber Starkie, das sah er deutlich, starrte Tergorren ha?erfullt an.
        Der Kapitan schlo? seine Ansprache mit den Worten:»Bei Sonnenaufgang werden wir - vorausgesetzt, da? der Wind wieder auffrischt, was, wie mir Mr. Turnbull versichert, der Fall sein wird, Kontakt mit unserer neuen Prise aufnehmen. Ich beabsichtige, die Sandpiper bei Sonnenaufgang loszuschicken, damit sie die Dhau auf die Festung zujagt. Selbstverstandlich wird die Gorgon die Aktion nach besten Kraften unterstutzen.»
        Bolitho trank seinen Madeira, ohne darauf zu achten, da? der Kapitanssteward mehrmals nachgeschenkt hatte. Auf seinen leeren Magen wirkte der Wein rasch er fuhlte sich ganz leicht im Kopf und wie angesauselt.
        Eines war ganz klar: der Kapitan hatte nicht die Absicht, die Piraten auf der von ihnen besetzten Insel ungeschoren zu lassen. Mit der zuruckeroberten Sandpiper hatten sich seine Moglichkeiten wesentlich erweitert, und die Wachter auf den Zinnen der Festung mu?ten genau gesehen haben, wie die Brigg ihr einziges gro?eres Schiff in die Riffe gelockt hatte.

«Verstanden?«bellte Verling.
        Bolitho rief:»Sie werden denken, wir jagen eine Ladung Sklaven, und werden nur auf die Sandpiper feuern und sich um die Dhau gar nicht kummern, nicht wahr, Sir?»
        Der Kapitan warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und wandte sich dann an Tergorren:»Und was denken Sie, Mr. Tergorren?»
        Der Leutnant schien aus einem Traum zu erwachen.»Jawohl, Sir. Das hei?t. .»

«Sehr richtig«, nickte der Kapitan. Er trat ein paar Schritte zuruck und sah sich die Brigg eine ganze Weile sehr eingehend an. Dann sprach er weiter:»Mr. Starkie wird sich auf sein Schiff begeben und sich bereithalten, den Offizier, welchem ich zwecks Beforderung der Depesche das Kommando der Sandpiper ubertrage, nach besten Kraften zu unterstutzen. «Er wandte sich um und fuhr mit ernstem Blick auf Starkie fort:»Ware ich der Ansicht, da? Sie an dem Verlust der Sandpiper irgendwelche Schuld tragen, sei es durch Nachlassigkeit oder durch Mangel an Mut, so standen Sie, das versichere ich Ihnen, jetzt nicht hier, und Ihre Beforderungschancen waren gleich Null. «Er lachelte, aber das schien ihm so schwerzufallen, da? er einen Moment lang wie ein alter Mann aussah.»Sie haben sich«, fuhr er fort,»jedoch im Gegenteil ausgezeichnet verhalten, Mr. Starkie. Ich wunschte, ich konnte Sie unter meinem Kommando behalten. Aber ich denke, wenn Sie mehr Autoritat und Verantwortung bekommen, wird die Muhe, die Sie sich im Dienst geben, besser belohnt werden.»
        Ein fluchtiges Nicken, dann:»Machen Sie weiter, meine Herren!«Sie waren entlassen. Etwas benommen gingen sie. Der Kapitan war bereits in ein Gesprach mit Verling und dem Schiffsarzt vertieft.
        Bolitho schuttelte Starkies rauhe Hand und rief:»Ich freue mich fur Sie! Ohne Ihre Geschicklichkeit, und wenn Sie nicht auf eine Idee eingegangen waren, die jeder andere fur total verruckt gehalten hatte, standen wir nicht hier!»
        Starkie blickte ihm lange und forschend ins Gesicht, als suche er dort die Erklarung fur etwas, das er nicht verstand.

«Und wenn Sie nicht waren, dann lage ich noch in Eisen und wartete auf meinen Tod.
«Er wandte sich um. Eben kam Tergorren auf dem Weg zur Offiziersmesse den Niedergang herab. Starkies Augen wurden bitter.»Ich wollte schon meine Meinung sagen. Aber da Sie schwiegen, dachte ich, es ist besser, wenn ich den Mund halte. Er ist ein ehrloser Mensch.»

«Es ist n-nicht recht, Dick«, stotterte Eden.»Er s-steckt alle Anerkennung ein.
«Ihm kamen fast die Tranen vor Emporung.»Steht einfach d-da und l-la?t sich l-loben!»
        Dancer lachelte.»Ich glaube, der Kapitan wei? mehr, als er sagen will. Ich habe ihn genau beobachtet. Er denkt, so ist der Sieg mehr wert, als wenn er mit Neid und Schande befleckt wird. «Er grinste Eden verschmitzt an.»Und mit ubereifrigen Midshipmen, die ihre Vorgesetzten vergiften.»
        Bolitho nickte.»Ganz meine Meinung. Aber jetzt wollen wir essen gehen. Mir ist alles recht - sogar eine Schiffsratte.»
        Sie wandten sich zum Niedergang und standen starr. Eine Gestalt in schlechtsitzender Leutnantsuniform versperrte ihnen den Weg.

«Nichts zu tun, was?«fragte der Mann.»Midshipmen sind auch nicht mehr das, was sie zu meiner Zeit waren.»
        Sie drangten sich um ihn, und Bolitho rief:»John Grenfell! Wir dachten, du bist tot!»
        Grenfell ergriff seine Hand, aber sein Gesicht war grimmig ernst.»Als die Athen unterging, kriegten ein paar von uns irgendwelche treibenden Spieren zu fassen. Wir machten daraus ein kleines Flo? - wir wu?ten ja uberhaupt nicht, was los war.
«Er schlug die Augen nieder.»Die meisten kamen um - die Gluck hatten, im Kanonenfeuer, und die anderen holten sich die Haie. Der Dritte Leutnant, und - ach, so viele vertraute Gesichter. Vor unseren Augen wurden sie in Fetzen gerissen. «Er schuttelte sich, als wolle er die schreckliche Erinnerung abwerfen. Aber wir trieben an Land, und als wir die Kuste entlanggingen, hielt die Gorgon in Lebensgro?e aufs Land zu; au?erdem kam Dewar mit seinen Bullen und einer Dhau voller kreischender Sklaven, mit einer arabischen Mannschaft und zwei portugiesischen Handlern, die so verschreckt waren, da? sie glaubten, ihre letzte Stunde sei gekommen. «Er zupfte an seinem geliehenen Uniformrock.»So mache ich also Dienst als Sechster Leutnant ohne Patent. Wird mir nichts schaden, wenn ich zum Examen dran bin. «Er schaute in die Ferne.»Aber fur diese Chance habe ich einen Preis bezahlt, den ich liebend gern zurucknehmen wurde, wenn das moglich ware.»

«Immerhin lebst du und bist in Sicherheit«, sagte Bolitho leise.
        Starkie gahnte.»Ich konnte ein Jahr lang schlafen. «Und mit einem lachelnden Blick auf Grenfell fugte er noch hinzu:»Sir.»
        Grenfell kam bis zum Niedergang mit.»Am besten schlaft ihr alle eine Weile. Ich habe das Gefuhl, morgen wird es ziemlich hei? werden in mehr als einer Hinsicht.»
        Mr. Turnbulls Wetterkenntnis hatte ihn nicht verlassen. Schon nach der Hundewache[die unbeliebteste Wache, von Mitternacht bis vier Uhr fruh (d. Ubs.).] kam ein Wind auf, der die Segel fullte, und beide Schiffe hatten wieder Fahrt. Eine Stunde spater wehte ein frischer Nord, und als die Manner aus dem bruthei?en, nach Schwei? stinkendem Schiffsraum kamen und auf dem Achterdeck antraten, fanden sie die Luft so erfrischend wie ein Tonikum.
        Die Leutnants und die Offiziere der Marine-Infanterie standen an der Treppe zur Kampanje und blickten gespannt auf den Kapitan, der sich mit Verling und dem Segelmeister beriet.
        Deckoffiziere liefen die Reihen der angetretenen Mannschaften entlang, hakten ihre Musterrollen ab und riefen Namen auf. Vom unteren Batteriedeck her vernahm Bolitho das Kreischen des Schleifsteins, an dem die Geschutzfuhrer die Entermesser und - beile scharften. Wie jedesmal erschauerte Bolitho bei dem blo?en Gerausch.
        Ein Ruf vom Ausguck:»Deck ahoi! Fahrzeug vor Anker Backbord voraus!»
        Dancer hatte zu den Segeln der Sandpiper hinubergeblickt. Gelblichwei? standen sie vor dem zunehmendem Licht; von Schu?lochern und Flicken war jetzt nichts zu sehen.
        Dallas, der Zweite, hatte die Brigg fur den Angriff ubernommen.Ein Mann, von dem Bolitho so gut wie nichts wu?te. Wahrend seiner ganzen bisherigen Zeit an Bord hatte er allenfalls ein paar Kommandos von ihm vernommen. Aber sicher hatte der Kapitan Vertrauen zu Leutnant Dallas; sonst hatte er ihn nicht ausgesucht. Au?erdem zeigte es, da? er mit Tergorrens Mitwirkung an der Sandpiper-Aktion nicht besonders zufrieden war.
        Als Bolitho sich von Starkie verabschiedete, der zur Brigg hinubergerudert wurde, hatte der Steuermannsmaat mit verstandnisinnigem Grinsen nach achtern geblickt, wo der Kapitan gemessenen Schrittes auf und ab ging.

«So wird man Fregattenkapitan,[Qualifikation zum Fuhren eines Kriegsschiffes mit
20 oder mehr Geschutzen (d. Ubs.).] junger Freund - man mu? eben seine Leute kennen!»
        Sie rannten den Decksgang hinunter. Verling wartete schon bei den Leenetzen und klopfte ungeduldig mit einem Fu? auf die Decksplanken.

«Drei Midshipmen werden fur die Aktion benotigt. «Er runzelte die Stirn, als Marrack zum Sprechen ansetzte.»Nein - Sie nicht. Sie werden fur die Signalgruppe gebraucht. «Seine kalten Augen blieben auf Bolitho haften.»Und Sie - Sie sind eben erst von einer Aktion zuruck an Bord; Sie kann ich nicht einteilen. «Er wandte sich dem immer so murrisch blickenden Midshipman vom unteren Batteriedeck zu.»Mr. Pearce und. .»
        Bolitho warf Dancer einen raschen Blick zu - der nickte ganz kurz.»Mr. Dancer und ich mochten uns freiwillig melden, Sir«, rief er dazwischen.»Wir waren sehr dicht an der Insel. Das konnte von Nutzen sein.»
        Verling lachelte frostig.»Jetzt, da Mr. Grenfell seinen Fu? auf die unterste Stufe der Promotionsleiter gesetzt hat, sind Sie drei, abgesehen von Mr. Marrack, die Dienstaltesten. Da werde ich Ihnen wohl gestatten mussen, mitzumachen.»
        Kuhn trat Eden aus der Reihe der Midshipmen.»S-sir! Ich melde mich ebenfalls f-freiwillig!»
        Verling musterte ihn von oben bis unten.»Stottern Sie mich gefalligst nicht an, Sie Wurstchen! Treten Sie zuruck ins Glied, und halten Sie den Mund!»
        Geschlagen, bevor er uberhaupt angetreten war, schlich sich Eden in die Reihe zuruck.
        Verling, anscheinend befriedigt, nickte.»Sowie wir beigedreht haben, werden die Boote ausgesetzt. Alle Seesoldaten und sechzig Matrosen gehen an Bord dieser schwimmenden Holle da druben.»
        Dancer flusterte:»Der Kapitan setzt jeden Mann ein, den er entbehren kann.»

«Mr. Dancer!«knurrte Verling.»Funf Tage Extradienst nach Ruckkehr - wenn Sie's erleben. Halten Sie gefalligst den Mund!»
        Der Kapitan kam herbeigeschlendert, lassig wie bei einem Spaziergang an Land. Alles klar, Mr. Verling?»

«Aye, Sir.»
        Der Kapitan blickte fluchtig auf die drei Midshipmen, die noch vorgetreten dastanden.»Nehmen Sie sich zusammen«, sagte er. Dann, mit einem Blick auf den Ersten:»Mr. Verling hat den Oberbefehl; er erwartet das Au?erste von Ihnen - und ich auch. «Er beugte sich etwas vor und hielt nach dem kleinen Eden Ausschau.»Sie, ah, Mr. ah, werden vielleicht von Nutzen sein, wenn Sie dem Schiffsarzt mit Ihren neuentdeckten und, ah, uberraschenden Kenntnissen assistieren.»
        Weder bei ihm noch bei Verling war auch nur die Andeutung eines Lachelns zu sehen.
        Als die Ubernahme von Mannern und Waffen beendet war, brach schon die Nacht an.
        Bereits in einiger Entfernung von der gro?en Dhau roch Bolitho den Gestank der Sklaverei. Aber als die Matrosen und Seesoldaten an Bord waren und in den Schiffsraum hinabkletterten, sich vor den grob behauenen Decksbalken buckten und zwischen allerlei Unrat und zerschlagenen Handfesseln herumstolperten, warf er sie fast um.
        Major Dewar hatte seine Unteroffiziere in gleichma?igen Abstanden langsseits postiert, um die Mannschaften durch Zurufe und Sto?e an ihre richtigen Platze zu dirigieren, wo sie bis zum eigentlichen Angriff zu bleiben hatten. Ganz gut, dachte Bolitho, da? Eden nicht mitgekommen war. Bei diesem Gestank und dieser Enge hatte er sich bestimmt wahrend der ganzen Fahrt ubergeben.
        Mehrere Drehgeschutze wurden aus dem Kutter an Bord gehievt und am Schanzkleid unter dem hohen Heckaufbau festgemacht. Ein wenig roch es auch nach Rum. Vermutlich hatte es der Kapitan fur zweckma?ig gehalten, den Mannern vor dem Angriff eine Erfrischung zu bewilligen.
        Bolitho und die beiden anderen Midshipmen meldeten auf dem Achterdeck, da? sich alle Matrosen und Seesoldaten unter Deck befanden, zusammengepre?t wie Schweinefleisch im Fa?.
        Die Marine-Infanteristen in ihren dunkelroten Rocken waren im Schiffsraum kaum zu erkennen; nur die Koppel und die gekreuzten Schulterriemen leuchteten wei? im Halbdunkel.
        Hoggett, der Bootsmann der Gorgon (sein Spitzname war» Lederlunge«), hatte Segel und Ruder der Dhau unter sich. Bolitho horte einen Matrosen gehassig murmeln:»Der Saukerl wurde sich auf so 'nem verdammten Sklavenschiff richtig zu Hause fuhlen!»
        Verling kommandierte:»Anker auf und Fahrt aufnehmen, Mr. Hoggett! Vielleicht treibt der Wind den Gestank aus dem Schiff.»
        Eine schattenhafte Gestalt erschien auf dem Achterdeck. Verling wandte sich um: Alles klar, Mr. Tergorren?»

«Der kommt also auch mit, hol ihn der Teufel!«brummte Dancer.

«Anker ist auf, Sir!»
        Die Dhau hatte weder Ruderpinne noch Rad; zwei Mann steuerten sie vom Heck aus mit einem langen Handruder. Knarrend und quietschend stiegen die seltsam geformten Lateiner-Segel am Mast empor, und die Manner fluchten, weil sie mit der ungewohnten und fur ihre Begriffe primitiven Takelage nicht klarkamen. Verling hatte einen kleinen Bootskompa? mit, den er jetzt dem Bootsmann ubergab.

«Wir werden uns Zeit lassen«, sagte er.»Bleiben Sie klar von der Kuste. Ich mochte lieber vermeiden, da? unsere Aktion so endet, wie die Fregatte geendet hat - eh, Mr. Tergorren? Das mu? ja ein ziemlich unangenehmer Moment gewesen sein.»
        Und Tergorren antwortete mit einer Stimme, als habe er einen Klo? im Mund:»Jawohl, Sir, das war es.»
        Verling lie? die Sache auf sich beruhen.»Mr. Pearce«, befahl er,»geben Sie der Gorgon Lichtsignal!»
        Kurz offnete Pearce den Schieber der Signallaterne, und Bolitho sah das Licht blinken. Jetzt wu?te der Kapitan Conway, da? sie unterwegs waren. Vor dem Reflex des Laternenlichts auf dem Kompa? hob sich Verlings Adlerprofil ab - plotzlich war Bolitho froh, da? der Erste das Kommando hatte.
        Was wurde wohl Tergorren zu ihm sagen, wenn sie wieder miteinander sprachen? Ob er wohl weiter so tat, als sei die Vernichtung der Pegaso sein Verdienst, oder ob er zugab,da?. .
        Verlings Stimme zerri? seine Gedanken.»Wenn Sie nichts zu tun haben, Mr. Bolitho, dann schlage ich vor, Sie schlafen bis auf weiteren Befehl. Andernfalls finde ich schon reichlich Beschaftigung fur Sie, selbst auf dieser Badewanne von einem Schiff!»
        Im Schutz der Dunkelheit grinste Bolitho bis an die Ohren.

«Aye, aye, Sir! Danke, Sir!»
        Er lehnte sich an eine altertumliche Bronzekanone und stutzte das Kinn auf die Knie. Dancer hockte sich neben ihn, und miteinander starrten sie zu den winzigen bleichen Sternen empor, vor denen die machtigen Segel der Dhau wie Vogelschwingen standen.

«Also auf ein Neues, Martyn.»
        Dancer seufzte.»Hauptsache, wir sind zusammen.»



        X Ein Name, den man sich merkt


«Der Wind hat noch einen Strich gedreht, Sir!»
        Die grobe Stimme des Bootsmanns veranla?te Bolitho, Dancer mit einem Rippensto? zu wecken. Verling und Tergorren beugten sich uber den Kompa?. Oben am Mast flatterte der zerfetzte Wimpel in der aufkommenden Bo. Der Himmel wurde schon bleicher; muhsam, mit schmerzenden, verkrampften Muskeln rappelte Bolitho sich hoch.

«Auf alle Falle sind wir klar vom Festland«, lautete Verlings gleichmutiger Kommentar. Schwarz hob sich sein ausge-streckter Arm vom dammrigen Himmel ab.»Da! Ich sehe Brandung unterhalb der Landspitze!«Der Arm scho? herum.»Midshipmen unter Deck, die Mannschaften wecken! Meine Hochachtung an Major Dewar, und bestellen Sie ihm, wir segeln hart unter der Kuste. Ich will keinen Seesoldaten oder Matrosen an Deck sehen, au?er auf meinen ausdrucklichen Befehl!»
        Eine Talje quietschte, und Bolitho sah, wie eine gro?e Flagge am vordersten Lateiner-Segel hinaufstieg. Bei Tageslicht hatte Bolitho erkennen konnen, da? sie schwarz war, ebenso wie die, welche auf der Pegaso geweht hatte. Trotz seiner Spannung uberfiel ihn ein Frosteln.

«Los, Martyn! Beeil dich!«Er rulpste vor unterdrucktem Brechreiz und bedeckte Mund und Nase mit dem Armel, als er in den geraumigen Schiffsraum hinabkletterte. Im dusteren Schein einer einsamen Laterne sahen die zusammen-gepferchten Matrosen und Seesoldaten auch nicht viel anders aus als eine Ladung Sklaven. Eiskalt lief es ihm den Rucken hinunter: wenn diese Aktion schiefging, wurde es den Uberlebenden nicht besser ergehen als den Sklaven, die Kapitan Conway freigelassen hatte. Zwar rekrutierte Rais Haddam, der Korsar, zahlreiche wei?e Soldner fur seine Schiffe, aber er hielt nicht viel von ihnen. Wenn auch nur die Halfte von dem stimmte, was man sich von ihm erzahlte, war es mehr als wahrscheinlich, da? er sich an den britischen Matrosen, die ihm als Gefangene in die Hande fielen, fur die freigelassenen Sklaven schadlos halten wurde.
        Dewar grunzte, als er die Meldung entgegennahm.»Wird auch Zeit, Mir tun alle Knochen so weh wie einer kranken Kuh.»
        Dancer hustete.»Bin ganz schon froh, da? wir an Deck waren, Sir.»
        Die Seesoldaten wechselten belustigte Blicke, und Dewar sagte:»Verwohnte junge Teufel! Mich stort nur die Unbequemlichkeit. Der Gestank ist auch nicht schlimmer als auf einem Schlachtfeld. «Er grinste in Dancers grunlich-bleiches Gesicht.»So nach ein paar Tagen, wenn die Krahen schon flei?ig an der Arbeit waren - eh?»
        Er erhob sich und stand gebuckt unter den Decksbalken.»Marine-Infanterie - Achtung! Sergeant Halse - Waffeninspektion!»
        Bolitho stieg an Deck. Zu seiner Uberraschung war es bereits so hell, da? er voraus die Kuste sehen konnte und den tanzenden Schaum zwischen ein paar bosartigen Klippen.

«Eine Leekuste«, murmelte Dancer.»Wenn der Erste auch nur eine Stunde langer gebraucht hatte, ware es verdammt schwierig, da klarzukommen.»

«Sir! Da steht einer an der Landspitze!»
        Verling hob das Fernrohr ans Auge.»Ja. Aber jetzt ist er wieder au?er Sicht. Wahrscheinlich ein Ausguckposten. Er kann zwar nicht auf die Insel hinuber, aber vielleicht hat der Korsar eine Art von Signalsystem eingerichtet«, murmelte er nachdenklich.
        Die machtigen Segel flappten laut im Wind, und die primitive Takelung sah aus, als wolle sie jeden Moment in Stucke gehen. Aber sie mu?te wohl doch starker sein, als es den Anschein hatte. Hoggett gab den Rudergasten eine kurze Anweisung, und Bolitho staunte, wie elegant die Dhau nach Steuerbord abfiel und dicht an den gefahrlich nahen Klippen vorbeiglitt - in knappen zwanzig Fu? Abstand. Die Dhau segelte sich tatsachlich gut. Kein Wunder, dachte er mit einem fluchtigen Lacheln; arabische Seeleute fuhren diesen Schiffstyp schon seit Hunderten von Jahren, lange bevor man von solchen Schiffen wie der Gorgon auch nur zu traumen wagte.

«Da ist die Festung«, sagte Pearce und verzog das Gesicht.»Mein Gott, von dieser Seite sieht sie um einiges gro?er aus!»
        Aber noch lag die Dunkelheit wie ein Tuch uber ihr; nur der obere Turm und die Zinnen bekamen das erste schwache Licht.
        Ein Kanonenschu? - eine Sekunde lang glaubte Bolitho, die Manner in der Festung hatten Kapitan Conways List durchschaut und nahmen die Dhau unter Feuer.
        Er duckte sich, als die Kugel hoch oben voruberrauschte und in einem Facher aus schaumendem Wasser zwischen den Klippen verschwand.

«Das war die Sandpiper, Sir! Sie hat auf uns gefeuert!«Aufgeregt deutete ein Matrose nach Backbord und stie? dabei Verling beinahe in die Rippen.
        Verling setzte das Glas ab und musterte den Mann kalt von oben bis unten.»Danke sehr. Ich habe nicht angenommen, da? es der liebe Gott personlich war.»
        Ein zweiter Schu? krachte, und diesmal schlug die Kugel kurz vor dem Bug der Dhau ein, genau auf Kurs.
        Verling lachelte sauerlich.»Lassen Sie etwas abfallen, Mr. Hoggett! Ich wei?, da? Mr. Dallas einen ausgezeichneten Geschutzfuhrer auf der Sandpiper hat; aber wir wollen doch lieber nicht zu viel riskieren.»
        Der Mann am Ruder hielt etwas scharfer auf die Insel zu, und die Dhau legte sich hart uber.

«Das, ah, Heckgeschutz - Feuer frei!»
        Verling ging etwas beiseite, als einige Matrosen, die sich an der alten Bronzekanone zu schaffen gemacht hatten, die Lunte in das trichterformige Zundloch stie?en und dann rasch wegsprangen. Das alte Bronzerohr war ziemlich ausgeleiert, aber der Schu? krachte unerwartet laut.

«Das reicht«, sagte Verling.»Beim nachsten Schu? zerplatzt das Ding und fliegt uns um die Ohren, furchte ich.»
        Jetzt er sah Bolitho die Brigg. Hart gebra?t, krangte sie machtig, und im Fruhlicht turmten sich ihre Segel zu einer einzigen bleichen Pyramide auf.
        Wieder blitzte ein Geschutz, und Bolitho zuckte zusammen, als die Kugel dicht an ihrer Wasserlinie aufschlug und die Matrosen wie die unters Schanzkleid geduckten Seesoldaten mit Spritzwasser durchweichte.
        Argerlich sagte Verling:»Mr. Dallas will es zu gut machen. Noch ein paar solche Dinger, und er kann was erleben! Spater naturlich - wenn wir zuruck sind«, sagte er mit einem leichten Lacheln zum Bootsmann.
        Dancer spahte ubers Schanzkleid und raunte Bolitho zu:»Der Erste hat Angst. Ich habe noch nie erlebt, da? er einen Scherz macht.»

«Horcht mal!«Verling hob die Hand.»Eine Trompete! Jetzt haben wir sie endlich wachgekriegt. «Er wurde ernst.»Teilen Sie die Leute ein, Mr. Tergorren. Sie wissen ja Bescheid. Weiter ostlich ist so eine Art Mole, direkt unterhalb der Festung. Da sollen die Handler ihre Sklaven ausladen, hei?t es, und von dort werden sie mit Booten auf die seegehenden Schiffe gebracht.»
        Er legte seinen Hut aufs Deck und musterte die Umstehenden mit raschen Blicken.

«Legt alles ab, was nach Uniform aussieht, und la?t euch uberhaupt so wenig wie moglich sehen. Befehl an die Marine-Infanterie: Unten bleiben und Angriffssignal abwarten ganz egal, was passiert!»
        Die Brigg holte schnell auf; mehrere ihrer agilen Sechspfunder feuerten, und hier und da spritzte eine Kugel gefahrlich dicht bei der Dhau ins Wasser.
        Jetzt erschutterte ein machtiges Krachen die Luft, und Sekunden spater sah Bolitho, wie eine Fontane dicht am Bugspriet der Sandpiper zum Himmel aufscho?.
        Die Segel der Brigg flappten, als Leutnant Dallas noch dichter heranging und dabei die Flagge an der Gaffel hissen lie?, um den Feind noch mehr zu reizen.
        Sofort blitzte es an mehreren Stellen hinter der Brustwehr der alten Festung auf. Aber die Schusse waren ungenau; die spritzenden Einschlage, ebenso heftig wie der erste, lagen weit ab von der Brigg.
        Wahrscheinlich, dachte Bolitho, waren die Geschutz-bedienungen noch halb im Schlaf, oder sie konnten nicht glauben, da? sich so ein zierliches Schiffchen, das au?erdem erst vor wenigen Tagen im Bereich eben dieser Kanonen geentert worden war, noch naher herantrauen wurde.
        Er bi? sich auf die Lippen, als eine schwere Kugel genau zwischen den beiden Masten der Brigg hindurchflog. Es war ein Wunder, da? kein Mast getroffen wurde, jedoch mehrere Enden gerissener Takelung wehten im Wind wie Lianen im Urwald. Dicht an seinem Ohr vernahm er Verlings Stimme:»Glotzen Sie nicht dauernd auf die Sandpiper! Richten Sie Ihre Augen und Ihre Gedanken nach vorn! Vielleicht irren wir uns mit der Einfahrt. Vielleicht ist Mr. Starkies Gedachtnis doch nicht so zuverlassig.»
        Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf Verling. Jetzt, da der Leutnant seinen Hut nicht aufhatte, der normalerweise als Gegengewicht zu seiner Nase wirkte, glich diese mehr denn je einem Geierschnabel. Und noch etwas fiel ihm auf: Verlings Gesicht trug den Ausdruck au?erster Konzentration und Entschlossenheit aber es war auch das Gesicht eines Mannes, dem jetzt alles gleichgultig geworden war.
        Bolitho blickte weg. Er hatte diesen Ausdruck schon einmal gesehen auf dem Gesicht eines Stra?enraubers, der auf dem Schinderkarren zum Galgen gefahren wurde.
        Behutsam tastete sich das Sonnenlicht uber das Land und spielte auf den Festungsmauern. Hinter den verwitterten Zinnen sah man ein paar spahende Kopfe, und dann erblickte Bolitho am Fu? der entfernteren Mauer so etwas wie einen Flaggenmast.
        Verling hatte ihn bereits gesehen.»Die Einfahrt. «Er drehte sich zu Hoggett um. Das da drinnen mu? ein Mast sein. Da liegt schon ein Schiff. Auch eine Dhau, hochst-wahrscheinlich. «Er wischte sich mit dem Armel den Schwei? von seinem hageren Gesicht.»Halten Sie darauf zu.»
        Tergorren eilte nach achtern; nur unter Schwierigkeiten konnte er seinen massigen Korper hinter einem Haufen Reservesegel und Fischereigerat verbergen, die uberall auf dem schmutzigen Deck herumlagen.

«Alles klar, Sir.»
        Bolitho blickte ihn fest an; Tergorren zuckte mit keiner Wimper.
        Trotz? Mi?achtung? Es war schwer, im Antlitz dieses Mannes eine Gemutsbewegung zu entziffern. Sogar seine gesunde Gesichtsfarbe kehrte langsam wieder, und Bolitho fragte sich, was wohl passieren wurde, wenn Tergorren vor dem Angriff Zeit fand, etwas zu trinken.

«Die Sandpiper geht uber Stag, Sir. Anscheinend will sie nochmals feuern.»
        Bolitho hielt den Atem an, als zwei Kugeln zu beiden Seiten des schlanken Rumpfes der Brigg einschlugen, wahrend sie mit gefierten Rahen durch den Wind ging, um die Dhau abzufangen. Die Geschutze auf den Mauern erglanzten im ersten Sonnenschein, und Bolitho stellte sich vor, wie die Festungsbesatzung sich uber die Brigg lustig machte. Sie mochte ja ein kleines Schiff sein, aber jetzt, der Gewalt der Piraten entrissen, war sie eine schwer zu schluckende Herausforderung. Und au?erdem war sie trotz allem ein Symbol fur die Macht der gro?ten Flotte der Welt. Doch der starken Festungsartillerie gegenuber war sie so hilflos wie ein lahmes Pferd.

«Manner auf dem Landungssteg, Sir«, meldete Pearce, der im Bug neben einem Drehgeschutz kniete.»Sie beobachten uns.»
        Hoggetts verwittertes Gesicht wurde auf einmal ganz hart. Die nachsten Minuten waren entscheidend. Merkten die Piraten, was gespielt wurde, so hatte man sehr bald das Artilleriefeuer der Festung um die Ohren. Und ein paar Sekunden spater lag die Insel zwischen ihnen und dem offenen Meer, dann konnten sie nicht mehr weg. Laut rumpelten ihm die Eingeweide im Leib, und er warf Dancer einen raschen Blick zu. Sein Freund atmete sehr heftig und fuhr erschrocken auf, als Bolitho ihn bei der Schulter fa?te und an Deck niederzog.
        Bolitho versuchte zu lacheln.»Wenn die dein blondes Haar sehen, dann wissen sie, da? wir wahrscheinlich nicht als Freunde kommen!»
        Er wandte sich um, als Verling knurrte:»Gut, da? Sie das sagen. Daran hatte ich selbst denken sollen. «Aber dann blickte er wieder voraus; seine Gedanken waren schon viel weiter als die Dhau.
        Wieder donnerten die Geschutze, aber es klang gedampfter, denn die Brigg war jetzt durch einen Vorsprung der Festungsmauern verdeckt.
        Naher, immer naher. Uber der Stelle, wo Bolitho lag, tauchte die Turmspitze auf, und er versuchte muhsam, sich die trockenen Lippen zu lecken. Kannte der Feind die Dhau? War sie schon einmal hiergewesen?
        Er blickte Verling an, der mit untergeschlagenen Armen neben den beiden Rudergangern stand. Einer von diesen war ein Neger; es gab mehrere Neger unter den Matrosen der Gorgon. Dadurch wurde die kleine Gruppe echter wirken, dachte Bolitho; und Verling - jeder Zoll ein Sklaventreiber, das konnte man wahrhaftig sagen.»La? fallen Gro?segel!«kommandierte er.
        Die Masse von geflickter Leinwand und Lederschlingen rauschte zu Boden und versank im Schiffsraum, und auf einmal lag das Deck in der hellen Sonne.
        Am Kopf der Mole standen ein Dutzend Manner oder noch mehr. Regungslos sahen sie zu, wie die Dhau den bruchigen Steindamm umrundete. Jenseits der Mole befand sich ein hoher, grottenartiger Felseinschnitt, direkt unterhalb der Festungs-mauer. Dort lagen mehrere Schiffe vor Anker; und das gro?te, eine der ihrigen sehr ahnliche Dhau, lag noch au?erhalb, denn ihre Masten waren zu hoch fur die Einfahrt gewesen.
        Drei?ig Fu?. Noch zwanzig. Dann stie? einer der Manner auf der Mole einen Ruf aus, ein anderer kam die Stufen hinuntergerannt und spahte mi?trauisch in das Innere der Dhau.
        Gepre?t rief Verling:»Anlegen! Sie haben uns erkannt!«Damit ri? er seinen Degen aus der Scheide und sprang mit seinen langen Beinen vom Heckaufbau hinunter auf die Mole, noch ehe Hoggett und seine Leute das lange Ruder herumdrucken konnten.
        Jetzt schien alles auf einmal zu geschehen. An Bug und Schanzkleid flogen die Persennige von den Drehgeschutzen, und eine Salve fuhr krachend in die Gruppe auf der Mole. Die vordersten fielen, wanden sich schreiend unter einem Hagel von gehacktem Blei, und die weiter hinten Stehenden wurden vom Heckgeschutz reihenweise niedergemaht.
        Bolitho merkte plotzlich, da? seine Beine ihn hinter dem Leutnant her auf die Mole getragen hatten, obwohl er sich nicht erinnern konnte, da? und wie er uber das Schanzkleid gesprungen war. Matrosen quollen aus allen Luken, sprangen mit wildem Hurrageschrei von Bord und sturmten auf die Hafeneinfahrt zu. Musketenfeuer empfing sie von der Mauer her, und einige fielen bereits, ehe sie zwanzig Meter zuruckgelegt hatten.
        Aber das Uberraschungsmoment tat seine Wirkung. Vielleicht waren die Insassen der Festung auch sorglos und trage geworden. Zu oft hatten sie wahrscheinlich mit angesehen, wie verangstigte, verprugelte Sklaven uber diese Mole getrieben wurden. Auf viele von ihnen wirkte die wilde Attacke der Matrosen, das todliche Blitzen der Entersabel und - beile so lahmend, da? sie sich von den Mannern der Gorgon ohne Widerstand niedermachen lie?en.

«Mir nach, Leute!«brullte Verling - seine machtige Stimme brauchte kein Sprachrohr.»Auf sie!»
        Sie sturmten unter dem Bogengang hindurch und an einigen kleineren Booten vorbei; von der Festung her kam Musketenfeuer die Besatzung schien jetzt begriffen zu haben, was vorging.
        Keuchend, fluchend, atemlos fanden sich die attackierenden Seeleute schlie?lich zwischen zwei Wanden eingezwangt und kamen nicht mehr voran, weil sich ihnen von den oberen Mauern mehr und mehr Verteidiger entgegenwarfen.
        Bolitho kampfte Degen an Degen mit einem wusten Riesen, der bei jedem wilden Hieb seiner schweren Klinge aus vollem Hals schrie und fluchte. Etwas glitt an seinen Rippen entlang, und er horte einen Matrosen, es war Fairweather, hinter sich keuchen:»Nimm das, du Hund!«Was ihn beruhrt hatte, war Fairweathers Pike gewesen, die dem Matrosen fast aus den Handen gerissen wurde, als der Korsar mit einem lauten Schrei uber die Treppenbalustrade in die Tiefe sturzte.
        Aber rechts und links fielen Matrosen im Kampf. Bolitho spurte, wie seine Schuhe an hingestreckte Arme und Beine stie?en, als er sich Schulter an Schulter mit Dancer und Hoggett weiter vorkampfte. Schon waren Entersabel und Degen schwer wie Blei in ihren Fausten. Ein Mann sank seitwarts nieder und geriet unter die Fu?e der Kampfenden. Bolitho konnte nur einen Blick auf ihn werfen: es war Midshipman Pearce. Blut rann aus seinem Mund; die Augen waren schon starr und sahen nichts mehr.
        Schluchzend, vom Schwei? halb geblendet, hieb Bolitho seinen Degen einem Mann an den Kopf, der einem verwundeten Matrosen den Todessto? versetzen wollte. Der Mann taumelte zur Seite; Bolitho bekam festen Stand und jagte seine Klinge in die Achselhohle des Piraten.

«Durchhalten, Leute!«schrie Verling. Er blutete an Hals und Brust und wurde durch eine Meute kreischender, sabelschwingender Piraten fast von der Hauptmasse seiner Truppe abgedrangt.
        Bolitho horte Dancer schreien und drehte sich um. Dancer war in einer Blutlache ausgeglitten und hatte seinen Entersabel verloren, der klirrend au?er Reichweite rutschte. Er walzte sich herum und starrte mit schreckgeweiteten Augen auf einen Kerl in flatterndem, wei?em Gewand, der sich mit erhobenem Scimitar auf ihn sturzte.
        Bolitho mu?te erst einen Angreifer niederhauen, ehe er an Dancer herankam. Da wurde er zuruckgesto?en: Tergorren brach wie ein Stier durch die Menschenmasse und hieb dem Piraten seinen Sabel quer ubers Gesicht, das sich vom Ohr bis zum Kinn spaltete.
        Und dann ubertonte ein Trompetensignal den Kampfeslarm, und Bolitho vernahm die wohlbekannte, machtige Stimme von Major Dewar, der kommandierte:»Marine-Infanterie zur Attacke, marsch!»
        Bolitho zerrte seinen Freund aus dem Getummel heraus; sein ganzes Inneres zog sich bei so viel Wut und Ha? und Kampfgetose zusammen.
        Verlings kuhner Angriff hatte einen ganz bestimmten Zweck gehabt: die Hauptmasse der Piraten sollte aus der Festung herauskommen, um die Einfahrt vor der ansturmenden Mannschaft der Dhau zu verteidigen. Was die im Bauch des Schiffes versteckten Seesoldaten empfunden haben mu?ten, als sie horten, wie ihre Tischgenossen und Freunde dort oben zusammengeschlagen wurden, wahrend sie selbst auf das Signal zum Vorgehen warteten - das konnte sich Bolitho kaum ausmalen.
        Aber jetzt kamen sie. Ihre roten Uniformrocke mit dem wei?en Lederzeug glanzten in der Sonne; Verling schwenkte den Degen, um seine Leute von der Treppe zuruckzurufen, und Major Dewar brullte:»Erstes Glied - Feuer!»
        Die Musketensalve fegte durch die dichtgedrangten Piraten auf den Stufen; und als die Seesoldaten ihre Gewehre neu luden und die Ladestocke in einem einzigen Doppeltakt hinab- und wieder hinauffuhren, trat das nachste Glied durch die Lucken, kniete nieder, zielte und feuerte.
        Das war mehr als genug. Kopflos flohen die Verteidiger durch den Eingang ins Innere.
        Dewar hob den Degen.»Bajonett pflanzt auf! Marine-Infanterie zur Attacke, marsch - marsch!«Und die Manner verga?en alle Disziplin und rasten brullend auf den Eingang zu.

«Hurra! Hurra!«Atemlos, blutend, senkten die Matrosen ihre Waffen und lie?en die Seesoldaten vorbeisturmen.
        Dancer sagte:»Wir wollen George beiseite schaffen. «Gemeinsam zerrten sie Pearces hingestreckten Leichnam in den Schatten der Mauer. Blicklos waren seine offenen Augen in den Himmel gerichtet; die schreckliche Starre des Todes lag bereits wie Eis uber seinem Antlitz.
        Hoggett brullte:»Hier durch, Sir!«Er deutete auf ein gro?es, eisenbeschlagenes Tor.»Alles voller Sklaven!»
        Noch zitternd stand Bolitho auf und fa?te seinen krummen Entersabel fester. Tergorren blickte zu ihm hinuber und fragte kurz:»Sind Sie in Ordnung?»

«Aye, Sir«, antwortete Bolitho mit unsicherer Stimme.

«Schon«, nickte Tergorren,»nehmen Sie ein paar Mann und folgen Sie den Seesoldaten. . «Er brach ab. Ein Ton wie ferner Donner rollte uber die Bucht auf das Festland zu. Dann - Krachen von berstendem Eisen und fallenden Steinen.
        Verling wickelte einen Fetzen Tuch um sein blutendes Handgelenk und zog den Knoten mit den Zahnen fest.»Die Gorgon ist da«, sagte er, mehr nicht.
        Eine Breitseite nach der anderen feuerte das Linienschiff in die Festungsmauern. Die Verteidiger merkten wenig von diesem Bombardement; aber sie wurden in der Festung von den brullenden Seesoldaten zusammengehauen, und drau?en warteten zwei intakte Kriegsschiffe - das reichte ihnen.
        Oben auf den Stufen erschien Major Dewar. Sein Hut war weg, und er hatte einen tiefen Hieb uber dem einen Auge. Aber er meldete freudig grinsend, die Verteidigung sei zusammengebrochen.
        Zum Beweis seiner Worte sank die schwarze Fahne flatternd am Turm herab wie eine sterbende Krahe, und unter wildem Hurrageschrei stieg dafur ein Schiffswimpel der Gorgon auf.
        Noch halb von Sinnen nach dem wilden Kampf, stiegen sie die Stufen zur hohen Brustwehr empor, wo sich die unbemannten Kanonen ohnmachtig und ziellos auf das blaue Wasser richteten. Uberall lagen Tote und Sterbende, aber es war auch mancher Rotrock dabei.
        Bolitho und Dancer standen an der Mauer und blickten auf die Schiffe hinunter. Die Kontur der kleineren Brigg verschwamm bereits im Fruhdunst, aber die Gorgon stand klar und prachtvoll vor dem blauen Himmel und naherte sich gravitatisch der Insel; die erschopften Toppgasten refften die Segel, aber sie fanden Zeit, ihren Kameraden auf der Mauer zuzuwinken und Hurra zu rufen, wenn ihre Stimmen auch nicht zu horen waren.
        Es war sehr still, und Bolitho sah, da? Dancer weinte - die Tranen suchten sich ihren Weg durch Schwei? und Schmutz auf seinen Wangen.

«Ist ja alles gut, Martyn«, sagte er.

«Ich denke an George Pearce«, entgegnete Dancer,»ebenso hatte es mich erwischen konnen. Oder dich.»
        Bolitho wandte sich ab. Der machtige Anker der Gorgon fiel eben klatschend in das spiegelglatte Wasser.

«Ich wei?«, sagte er leise,»aber wir leben noch, und dafur mussen wir dankbar sein.»
        Verlings Schatten vereinte sich mit dem ihren.»Verdammt faule Bande!«Er sah in die Gesichter der beiden.»Denkt ihr, ich kann alles allein machen?«Mit einem muden Lacheln blickte er an ihnen vorbei auf das Schiff.»Aber ich wei? schon, wie euch zumute ist. «Wie ein Schatten fiel der angespannte Ausdruck von seinen scharfen Zugen ab.»Hatte selbst nicht gedacht, da? ich die alte Dame noch einmal wiedersehen wurde.»
        Unvermittelt wandte er sich ab; und schon brullte er seine Befehle in die Gegend. Nachdenklich blickte Bolitho ihm nach.»Da kannst du's mal wieder sehen. Man kennt einen Menschen doch niemals ganz genau.»
        Sie stie?en sich von der Mauer ab. Mude, aber gehorsam sammelten sich Matrosen und Seesoldaten unter der Flagge.
        Als Verling die Manner anredete, klang seine Stimme nicht anders als sonst.

«Bringt euch in Ordnung. Und merkt euch eins, aber merkt es euch gut: Ihr seid von der Gorgon. Das ist eine Verpflichtung, fur deren Erfullung ihr lebt, was schwer ist. «Ein ganz kurzer Blick auf Bolitho.»Oft genug passiert es, da? man sogar dafur stirbt. Jetzt legt die Gefangenen in Eisen und kummert euch um unsere Verwundeten. Und anschlie?end. . «Er schaute zu der ruhig wehenden Flagge auf und uber sie hinaus in den blauen Himmel, schien sich zu wundern, da? er beides noch sehen konnte. .,»werden wir uns denen widmen, die nicht so viel Gluck hatten wie wir.»
        Gegen Abend waren die meisten Verwundeten auf die vor Anker liegende Gorgon uberfuhrt. Die Gefallenen waren an der Mauer begraben; und Bolitho hatte gehort, wie ein alter Seemann, auf seinen Spaten gelehnt, sagte:»Um diesen Ort wird noch oft und oft gekampft werden, schatze ich - deshalb werden die armen Kerls nachstes Mal von hier die beste Aussicht haben.»
        Abendliche Schatten verdeckten die Spuren, welche die Kanonenkugeln der Gorgon gerissen hatten. Bolitho und Dancer standen Seite an Seite an der Backbordreling und blickten in die letzten Sonnenstrahlen, die um die tief hangende Flagge uber der Mauerkrone spielten. Man hatte uberall sorgfaltig gesucht, aber keine Spur von Rais Haddam gefunden. Vielleicht hatte er entkommen konnen, oder er war uberhaupt nicht in der Festung gewesen. Die gefangenen Piraten wollten uber ihn nichts aussagen, und schon gar nichts uber seinen Aufenthalt. Sie hatten mehr Angst vor Haddam als vor den Siegern. Von denen konnte ihnen nichts Schlimmeres passieren, als da? sie gehangt wurden.
        Das alles mu? Kapitan Conway nun auseinandersortieren, dachte Bolitho, und vor Mudigkeit fielen ihm die Augen zu. Die Sklaven mu?ten aufs Festland gebracht werden. So viele Dinge. .
        Hinter sich horten sie Schritte; sie wandten sich um und rissen sich zusammen, denn es war der Kapitan, der bei ihnen stehenblieb und zum Sprechen ansetzte. Er war untadelig gekleidet. Als ob nichts gewesen, als ob kein Mann gefallen ware.
        Unbewegt sah er sie an:»Der Erste Leutnant hat mir berichtet, da? Sie sich sehr gut gehalten haben. Freut mich zu horen. «Sein Blick schweifte ein wenig ab.»Er hat mir berichtet, da? besonders Sie, Mr. Bolitho, beim Kampf die besten Eigenschaften eines Offiziers der Koniglichen Flotte an den Tag gelegt haben. Ich werde dem Admiral entsprechend berichten.»
        Er nickte kurz und schritt nach achtern.
        Dancer drehte sich um, aber sein Lacheln schwand, als er sah, da? Bolitho sich uber die Reling beugte und da? seine Schultern krampfhaft zuckten.
        Aber Bolitho weinte nicht etwa er konnte nur sein Lachen nicht unterdrucken. Beruhigend legte er Dancer die Hand auf den Arm. Zwischendurch gelang es ihm, Dancer zu erklaren, warum er so lachen mu?te.

«Es hat sich was geandert, Martyn. Jetzt wei? der Kapitan endlich, wie ich hei?e!«


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Meerenge zwischen dem Festland und der Isle of Wight (d. Ubs.).

2

        dienstaltester Midshipman auf dem betreffenden Schiff.

3

        Kriegsschiff mit 20 bis 50 Kanonen (d. Ubs.).

4

        Steuermanner, Bootsmanner und Maaten (d. Ubs.).

5

        Der fur die Navigation des Schiffes verantwortliche Deckoffizier (d. Ubs.).

6


1 Faden = 1,829 m (Ma? fur die Wassertiefe, d. Ubs.)

7

        arabisches Fahrzeug mit Lateiner-Segel (d. Ubs.).

8

        die unbeliebteste Wache, von Mitternacht bis vier Uhr fruh (d. Ubs.).

9

        Qualifikation zum Fuhren eines Kriegsschiffes mit 20 oder mehr Geschutzen (d. Ubs. .


 
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