Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Der Stolz Der Flotte Flaggkapitan Bolitho Vor Der Barbareskenkuste " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Der Stolz der Flotte: Flaggkapitan Bolitho vor der Barbareskenkuste Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #13
1797 - Im Krieg gegen Bonaparte wird die britische Flotte durch die Gro?e Meuterei gelahmt. Nur die «Euralyus» unter Flaggkapitan Bolitho schafft es, dem Feind bei seinem Griff nach Nordafrika in den Arm zu fallen. Arabische Piraten, ein Schiffbruch und der weit uberlegene Feind hindern Bolitho nicht, dem tief in seinem Stolz getroffenen England wieder Vertrauen in seine Flotte zu schenken.

        Alexander Kent
        Der Stolz der Flotte
        Flaggkapitan Bolitho vor der Barbareskenkuste

        Der Ersten Dame an Bord in Dankbarkeit und Liebe gewidmet

        Uber den Meeren dieser Welt schweben die Geister der Vater. Das Schiffsdeck war ihr Ruhmesfeld, ihr Grab die tiefe See.

    Campbell



        I La? fallen Anker!

        Als an der Glocke im Vorderkastell sechs Glasen angeschlagen wurden, kam Captain Richard Bolitho unter der Kampanje hervor. Beim Kompa? blieb er einen Moment stehen. Der Steuermannsmaat am gro?en Doppelruderrad meldete eilig:»Nordwest zu Nord liegt an, Sir!«und schlug dann die Augen nieder, als Bolitho ihn ansah. Es ist, dachte Bolitho, als wu?ten sie alle genau Bescheid, wie nervos und gespannt ich bin, und als wollten sie mich mit aller Gewalt aus dieser Stimmung herausrei?en.
        Er schritt uber das breite Achterdeck zur Luvseite hinuber. Ohne hinzusehen wu?te er, da? seine Offiziere ihn beobachteten, Vermutungen uber seine Laune anstellten, neugierig waren, wie sich dieser Tag wohl anlassen wurde.
        Aber achtzehn Monate lang war das Schiff ununterbrochen auf See gewesen, und die Besatzung war, abgesehen von denen, die im Kampf gefallen oder ihren Verwundungen erlegen waren, noch die gleiche, die an jenem Oktobermorgen 1795 mit ihm ausgelaufen war: Sie hatten also reichlich Zeit gehabt zu begreifen, da? man ihn in diesen kostbaren ersten Minuten des Tages in Ruhe lassen mu?te.
        Nasser Nebel hatte das Schiff fast die ganze Nacht hindurch verfolgt, wahrend es langsam im Kanal vordrang, und war nun dicker denn je. Er zog in Wirbeln um die schwarze Schraffur der Takelage und hing wie Tau am Schiffsrumpf. Jenseits der Netze mit den sauber weggestauten Hangematten hob und senkte sich die See in einer breiten ablandigen Dunung; ihre Oberflache, matt und bleifarben, blieb jedoch unter der schwachen Brise beinahe glatt.
        Ein leichter Schauer uberfiel Bolitho; er verschrankte die Hande unter den Rockscho?en und blickte zu den machtigen Rahen hoch, uber denen die Konteradmiralsflagge feucht und schwer vom Kreuzmast hing. Kaum zu glauben, da? dieser Himmel irgendwo auf der Welt klar, warm und freundlich war; an diesem Maimorgen hatte die Sonne eigentlich schon das Land beruhren sollen, das immer naher kam. Sein Land: Cornwall.
        Er wandte sich um. Da stand Keverne, der Erste Offizier, sah ihn aufmerksam an und wartete offenbar auf den richtigen Moment.
        Bolitho rang sich ein Lacheln ab.»Guten Morgen, Mr. Keverne. Kein rauschender Willkomm, wie mir scheint.»
        Keverne war deutlich erleichtert.»Guten Morgen, Sir. Der Wind ist stetig Sudwest, aber viel ist es nicht damit. «Er drehte nervos an seinen Rockknopfen.»Der Master[Steuermann, auch Segelmeister genannt, der Navigationsoffizier.] meint, wir sollten lieber erst einmal hier drau?en ankern und abwarten, bis der Nebel steigt; es konnte nicht lange dauern.»
        Bolitho sah kurz zu dem kleinen rundlichen Segelmeister hinuber. Sein abgetragener schwerer Rock war bis an das Doppelkinn zugeknopft, und in dem seltsamen Gegenlicht sah der Mann aus wie ein runder blauer Ball. Er war vorzeitig ergraut, beinahe wei?, und trug das Haar im Nacken zu einem altmodischen Zopf gebunden, so da? es an die gepuderte Perucke eines Gutsbesitzers erinnerte.

«Na, Mr. Partridge«, Bolitho versuchte wieder, etwas Warme in seinen Ton zu legen, Sie sind doch sonst nicht so schuchtern vor einer Kuste?»
        Partridge trat nervos von einem Fu? auf den anderen.»Bin noch nie in Falmouth vor Anker gegangen. Das hei?t, noch nie mit einem Drei-decker.»
        Bolitho befahl dem Steuermannsmaaten:»Geht nach vorn und setzt zwei gute Lotgasten in die Rusten. Das Lot braucht frischen Talg. Ich will keine falschen Meldungen horen!»
        Wortlos eilte der Mann davon. Bolitho war uberzeugt, er wurde wie alle anderen an Bord auch ohne besonderen Befehl wissen, was zu tun war, ebenso wie er selbst wu?te, da? er das nur gesagt hatte, um Zeit zu gewinnen und uber seine Motive nachdenken zu konnen.
        Warum ankerte er eigentlich nicht drau?en, wie der Master vorgeschlagen hatte? Warum ging er immer naher an diese unsichtbare Kuste heran? Wollte er damit zeigen, wie mutig er war? Oder war es einfach Eitelkeit?
        Vom Vorschiff kam der langgezogene Ruf des Lotgasten:»Sieben Faden!«[1 Faden = 1,
29 m (Langenma? fur die Wassertiefe)]
        Die Segel waren in standiger leichter Bewegung, sie glanzten im Nebel wie geolte Seide. Wie alles an Bord troffen auch sie vor Nasse und fullten sich kaum in der flauen Brise, die achterlich von Backbord kam.
        Falmouth. Vielleicht war er deswegen so unsicher und verkrampft. Achtzehn Monate lang hatten sie erst Blockadedienst gefahren und dann die sudlichen Zufahrtswege nach Irland uberwacht. Von einer Woche zur anderen wartete man darauf, da? die Franzosen versuchen wurden, in Irland zu landen und dort einen Aufstand zu organisieren; und als es vor funf Monaten soweit gewesen war, hatte die Blockadeflotte nicht aufgepa?t. Da? der Versuch fehlschlug, war nicht das Verdienst der uberbeanspruchten Patrouillenschiffe gewesen, sondern das franzosische Geschwader war durch Sturme auseinandergerissen worden.
        Im Gang unter der Kampanje waren Schritte zu horen - der Admi-ralssteward brachte seinem Herrn das Fruhstuck in die gro?e Oberdeckskajute.
        Seltsam, wie sich das alles noch ergeben hatte, ehe sie hier in Fal-mouth, Bolithos Heimatstadt, einliefen. Was galten Dienstvorschriften und Admiralitatsorder - das Schicksal hatte sie einfach uberrannt.

«… und sechsdreiviertel«, sang der Lotgast aus.
        Bedachtig, das Kinn tief in der Halsbinde, schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Vizeadmiral Sir Charles Thelwall, dessen Flagge dort oben so schlapp im Masttopp hing, war jetzt seit einem Jahr an Bord. Schon als seine Flagge zum erstenmal gehi?t worden war, galt er als kranker Mann. Er war verhaltnisma?ig alt fur seinen Dienstrang, und die Verantwortung fur ein uberma?ig beanspruchtes Geschwader machte ihm schwer zu schaffen. In dem Nebel und der schneidenden Kalte der letzten Wintermonate war seine Gesundheit zusammengebrochen. Als sein Flaggkapitan[der Kommandant des Schiffes, das den Admiral an Bord hat (= Flaggschiff). Steht zu den anderen Kommandanten des Geschwaders in einem gewissen Vorgesetztenverhaltnis und ist Stellvertreter des Admirals.] hatte Bolitho getan, was er konnte, um den Druck zu mindern, der auf dem muden, runzligen kleinen Admiral lastete, und es war schmerzlich mitanzusehen, wie dieser Tag um Tag vergeblich gegen seine Krankheit ankampfte, der er schlie?lich doch erliegen sollte.
        Nun kehrte das Schiff endlich nach England zuruck, um seine Vorrate zu erganzen und neu ausgerustet zu werden. Sir Charles Thelwall hatte bereits eine Korvette mit Berichten, Anforderungen und der Mitteilung uber seinen Gesundheitszustand vorausgeschickt.

«Sechs Faden!»
        Wenn das Schiff Anker warf, wurde also der Admiral an Land ge-
        hen und dort bleiben. Aber er wurde wohl kaum lange genug leben, um sich seines Ruhestandes zu erfreuen.
        Und da war noch so eine Laune des Schicksals. Vor zwei Tagen, als das Schiff eben majestatisch Wolf Rock gerundet hatte, kam eine schnellsegelnde Brigg mit neuen Befehlen fur den Admiral. Dieser lag zu der Zeit in seiner Koje, von trockenem, todlichem Husten geschuttelt, der sein Taschentuch mit roten Blutstropfen sprenkelte; er hatte Bolitho gebeten, die Depesche zu lesen, welche die Jolle der Brigg an Bord gebracht hatte.
        Die Order besagte mit aller Kurze, da? Seiner Britannischen Majestat Schiff Euryalus so schnell wie moglich die Bucht von Falmouth anlaufen sollte, nicht Plymouth, wie ursprunglich vorgesehen. Dort sollte es die Flagge von Sir Lucius Broughton, Ritter des BathOrdens,[eine Adelsgesellschaft, die ihren Namen von dem Bade hat, das ein Teil des Aufnahmezeremoniells ist.] ubernehmen und weitere Instruktionen abwarten.
        Sobald die Order quittiert war, segelte die Brigg mit beinahe unhoflicher Eile wieder ab. Das war ebenfalls merkwurdig. Das Land befand sich in einem immer wutender und grimmiger werdenden Krieg, und da war fur zwei Schiffe, die sich auf hoher See trafen, und fur deren Besatzungen, die bei jedem Wetter und unter schwierigsten Bedingungen nach dem Feind Ausschau halten mu?ten, jede, auch die gringfugigste Nachricht von hohem Wert. Die Brigg hatte sich der Euryalus sogar nur sehr vorsichtig genahert. Daran war Bolitho gewohnt, denn sie war ein Prisenschiff und sah noch so franzosisch aus, wie man es von einem erst vier Jahre alten Schiff nicht anders erwarten konnte.
        Aber trotzdem - auch diese Einzelheit verstarkte Bolithos Gefuhl der Unsicherheit. Sechs Faden!»
        Er wandte sich um und befahl:»Lassen Sie mir das Lot bringen, Mr. Keverne; sie sollen aber unterdessen mit dem zweiten Lot weitermachen!»
        Ein barfu?iger Matrose kam mit klatschenden Sohlen aufs Achterdeck und fuhrte gru?end die Handknochel an die Stirn. Dann hielt er Bo-litho das gro?e, tropfende Lot hin und sah interessiert zu, wie dieser mit dem Finger in die Hohlung fuhr: die Talgfullung war voll mattglanzender Korner, die wie rotlicher Korallenbruch aussahen.
        Bolitho rieb die Kornchen in der Handflache auseinander und sagte zerstreut:»Die
>Sechs Schweine<.»
        Hinter ihm murmelte Partridge bewundernd:»Also, wenn ich's nicht gesehen hatte, ich wurd's nicht glauben.»
        Bolitho sagte:»Fallen Sie einen Strich ab und lassen Sie >An die Brassen< pfeifen.

        Keverne hustelte und fragte leise:»Was bitte sind die >Sechs Schweine<, Sir?»

«Sandbanke, Mr. Keverne. Wir sind jetzt ungefahr zwei Meilen sudlich von St. Anthony's Head. «Doch auf einmal genierte er sich, weil er so tat, als konne er Wunder wirken, und erlauterte lachelnd:»So hei?en diese Sandbanke - warum, wei? ich auch nicht. Aber seit ich denken kann, bedecken dort diese kleinen Steine den Grund.»
        Rasch wandte er sich um und sah, da? ein Streifen Sonnenlicht durch den Nebel drang und das Achterdeck wie ein bla?goldener Finger beruhrte. Partridge und die anderen wurden die Ehrfurcht vor seiner Navigationskunst sehr rasch verlieren, wenn er sich in seinen Berechnungen geirrt hatte. Vielleicht war es auch mehr Instinkt als Berechnung gewesen. Schon lange, bevor er als schlaksiger zwolfjahriger Midshipman zur See geschickt worden war, kannte er jede Bucht und Einfahrt in weitem Umkreise von Falmouth. Aber trotzdem konnte einem das Gedachtnis einen Streich spielen, und es ware weder fur den Admiral noch fur seine eigenen Beforderungsaussichten sehr erfreulich gewesen, hatte die Euryalus am fruhen Morgen, in Sichtweite seiner Heimatstadt, entmastet und aufgelaufen vor der Kuste gelegen.
        Laut killten die gro?en Marssegel, das Deck krangte unter dem Andruck einer plotzlichen Brise, und wie ein fliehendes Geisterheer zog der Nebel durch die Takelage weg vom Schiff.
        Bolitho unterbrach sein Auf- und Abgehen. Er starrte auf das sich standig erweiternde Panorama der grunen Kuste vor dem Bug. Sie wurde immer breiter, immer lebensvoller. Dort - es sah fast aus, als balanciere er auf dem Bugspriet - stand der Leuchtturm von St. Anthony, normalerweise der erste Gru? der Heimat an den heimkehrenden Seemann. Etwas nach Backbord hockte der graue Steinklotz von Pendennis Castle bedrohlich auf der Landzunge. Seine grauen Mauern trotzten der Sonne und ihrer Warme; seit Jahrhunderten bewachte die Festung die Hafeneinfahrt und die Stra?e ins Landesinnere.
        Bolitho leckte sich die Lippen. Sie waren trocken, und das nicht nur von der Salzluft.

«Kurs auf die Reede, Mr. Partridge! Ich gehe inzwischen zum Ad-miral.»
        Partridge starrte ihn an und fa?te dann an seinen zerbeulten Hut.»Aye, aye, Sir.»
        Unter der Kampanje war es kuhl und dunkel nach der blendenden Helligkeit auf dem Huttendeck; und als Bolitho zum Niedergang schritt, der zur Wohnkajute des Admirals fuhrte, grubelte er immer noch daruber nach, was die Zukunft ihm und seinem Schiff wohl bringen wurde. Wahrend er leichtfu?ig den Niedergang hinabeilte, wurde ihm plotzlich wieder einmal klar, mit was fur gemischten Gefuhlen er damals das Kommando uber die Euryalus ubernommen hatte. Es war durchaus nichts Ungewohnliches, Prisenschiffe in die Flotte zu ubernehmen und gegen ihre fruheren Herren einzusetzen, und meistens lie? man ihnen auch den alten Namen. Viele Matrosen glaubten, den Schiffsnamen zu wechseln, bringe Ungluck; aber was Seeleute so daherredeten, beruhte meist nur auf alten Uberlieferungen und nicht auf Tatsachen.
        Sie hatte vorher Tornade gehei?en und war das Flaggschiff des franzosischen Admirals Lequiller gewesen, der die britische Blockade durchbrochen hatte und in den Westatlantik bis zu den Kariben vorgesto?en war, wo er Tod und Verderben verbreitete;[Siehe >Feind in Sicht<] doch schlie?lich hatte ihn ein relativ kleines britisches Geschwader in der Biskaya gestellt. Lequiller hatte vor Bolithos Schiff die Flagge streichen mussen, vor der alten Hyperion; aber er hatte den hochbetagten Zweidek-ker vorher so zusammengeschossen, da? er nur noch ein schwimmendes Wrack war.
        Die Lords der Admiralitat hatten entschieden, da? Bolithos gro?e Prise umbenannt werden sollte, wohl hauptsachlich aus verletzter Eitelkeit, denn Lequiller hatte sie mit diesem Schiff mehr als einmal uberlistet. Komisch, dachte Bolitho damals, da? die Herren, die Seiner Majestat Kriegsflotte von den Hohen der Admiralitat aus leiteten, so wenig von Schiffen und Seeleuten verstanden, da? sie einen solchen Namenswechsel fur notig hielten.
        Nur die neue Galionsfigur der Euryalus war englisch. Jethro Miller in St. Austeil, Grafschaft Cornwall, hatte sie geschnitzt, ein Geschenk der Burger von Falmouth fur einen der beruhmtesten Sohne ihrer Stadt. Miller war Schiffszimmermann auf der Hyperion gewesen und hatte in jener letzten furchtbaren Seeschlacht ein Bein verloren. Aber seine Kunstfertigkeit war ihm geblieben, und die Figur, die aus kalten blauen Augen nach vorn starrte, mit Schild und erhobenem Schwert, hatte das Wesen des Schiffes ein wenig verandert. Vielleicht sah sie dem Helden der Belagerung von Troja nicht sehr ahnlich, aber es reichte aus, um das Herz so manchen Feindes mit Furcht zu erfullen, der sie sah und ahnte, was auf ihn zukam. Denn der machtige Drei-decker reprasentierte eine Kampfkraft, mit der man rechnen mu?te. In Brest von einer der besten Werften Frankreichs erbaut, besa? er alle modernen Verfeinerungen und Verbesserungen in Bau und Besegelung, die sich ein Kommandant nur wunschen konnte.
        Vom Vorsteven bis zur Heckreling ma? das Schiff 225 Fu?,[= 68.60 m (1 Fu? = 30,48 cm).] und in ihren zweitausend Tonnen Raum trug sie nicht nur hundert Geschutze, darunter die schweren Zweiunddrei?igpfunder[bezieht sich auf das Gewicht des Geschosses.] der Unterdeckbatterie, sondern auch uber achthundert Mann Besatzung - Offiziere, Matrosen und Marine-Infanteristen. Sie konnte, wenn sie richtig gefuhrt wurde, ein respektheischendes, ja vernichtendes Wort mitreden. Als sie in Dienst gestellt wurde, mu?te Bolitho jeden Mann nehmen, den er kriegen konnte, denn der rund um die Uhr gehende Schiffsdienst erforderte eine Menge Menschen. Bleiche Schuldner und Taschendiebe aus den Gefangnissen, ein paar ausgebildete Seeleute von anderen im Dock liegenden Schiffen, und die ubliche Mischung, die von den gefurchteten Pre?kommandos[>Pressen< nannte man die gewaltsame Rekrutierung zum Dienst auf Kriegsschiffen.] eingebracht wurde. Denn die Zeiten waren hart, und die menschenhungrige Kriegsflotte hatte schon jeden Hafen, jedes Dorf durchsiebt und bejagt; und da man immer starker mit der Moglichkeit einer
franzosischen Invasion rechnen mu?te, konnte es sich kein Kapitan leisten, noch gro? zu wahlen und auszusuchen, wenn er sein Schiff kampffahig machen wollte.
        Es hatte auch Freiwillige gegeben, meistens Manner aus Cornwall, die Bolithos Namen und Ruf kannten, doch waren viele darunter, die ihn nie im Leben personlich gesehen hatten.
        Im Grunde war er mit der Euryalus dienstlich ein gutes Stuck vorwartsgekommen, wie er sich damals oft gesagt hatte. Sie war ein gro?artiges und noch dazu neues Schiff. Au?erdem war dieses Kommando sowohl eine offene Anerkennung seiner bisherigen Leistungen als auch das Sprungbrett zu weiterer Beforderung. Von so etwas traumte jeder ehrgeizige Marineoffizier; und in einer Laufbahn, bei der das Avancement oftmals vom Tode eines Ranghoheren abhing, mu?te die Euryalus Bewunderung und Neid bei denen erregen, die weniger Gluck hatten.
        Doch fur Bolitho bedeutete sie noch etwas mehr, etwas sehr Personliches. Wahrend er die Karibische See durchstreifte und dann zu jener letzten Schlacht in die Biskaya zurucksegelte, hatte ihn die Erinnerung an Cheney, seine Frau, gequalt, die unterdessen in Cornwall gestorben war; er war in ihrer Todesstunde, als sie ihn am notigsten gebraucht hatte, nicht bei ihr gewesen. Er hatte zwar nichts tun konnen, dessen war er sich bewu?t. Die Kutsche war umgesturzt; Cheney war dabei ums Leben gekommen, und ihr ungeborenes Kind auch. Es hatte nichts genutzt, wenn er dabeigewesen ware. Und doch lie? ihn der Gedanke daran nicht los, und er zog sich von seinen Offizieren und der Mannschaft so sehr zuruck, da? er zu allem anderen auch noch unter seiner Einsamkeit litt.
        Und jetzt war er wieder zu Hause, in Falmouth. Das gro?e, graue steinerne Haus wartete auf ihn wie immer, wie es auf alle anderen vor ihm gewartet hatte. Doch nun wurde es ihm leerer denn je vorkommen.
        Aufstampfend nahm der vor der Kajutentur Posten stehende MarineInfanterist Haltung an, die Augen starr auf einen Punkt uber Bolithos Schulter gerichtet. Wie ein Spielzeugsoldat sah er aus mit seinem ausdruckslosen Gesicht und dem scharlachroten Uniformrock.
        Das Sonnenlicht stach durch die gro?en Heckfenster und warf zahllose Reflexe uber die Tafelung und die dunklen Mobel. Der grauhaarige Sekretar des Admirals war damit beschaftigt, allerlei Papiere durchzusehen und sie in einem langen Metallbehalter zu verstauen. Er machte Miene aufzustehen, aber Bolitho schuttelte nur den Kopf und schritt langsam zur anderen Seite der Kajute. Er horte, wie sich der Admiral in seiner Schlafkammer nebenan bewegte, und konnte sich vorstellen, was ihm wahrend dieser letzten Stunden an Bord seines Flaggschiffes durch den Kopf ging.
        Am Schott hing ein Spiegel; Bolitho blieb einen Moment stehen, prufte sein Aussehen und zog sich den Rock zurecht wie vor der Musterung durch einen kritischen Vorgesetzten.
        Er konnte sich immer noch nicht an die neue Uniform-Mode gewohnen, an die schweren Goldepauletten, die seinen Rang als Kapitan hoherer Dienstalterstufe bezeichneten. Es kam ihm vollig verkehrt vor, da? in einem Land, welches sich im schwersten Krieg seiner Geschichte befand, neue Rangabzeichen entworfen und hergestellt wurden. Letzten Endes diente dergleichen doch nur dem personlichen Schmuckbedurfnis; diese Leute hatten sich lieber etwas Neues auf dem Gebiet der Strategie und Taktik einfallen lassen sollen, fand er.
        Er strich die rebellische Haarlocke aus der Stirn, die ihm immer wieder uber das rechte Auge fiel. Unter ihr erstreckte sich bis in den Haaransatz hinein die grausame Narbe, die ihn nie vergessen lie?, da? er damals dem Tode so nahe gewesen war. Aber sein Haar war noch schwarz; nicht eine graue Strahne deutete an, da? er vierzig Jahre alt war, von denen er achtundzwanzig auf See verbracht hatte. Als er jetzt ein bi?chen lachelte, wirkte sein Mund etwas weicher und verlieh seinen gebraunten Zugen den Ausdruck jugendlicher Unbekummertheit. Er wandte sich von seinem Spiegelbild ab, wie man einen Untergebenen entla?t, mit dem man zufrieden ist.
        Die Tur der Schlafkajute offnete sich, und der kleine Admiral schritt unsicher auf einen schwankenden Flecken Sonnenlicht zu.

«Wir werden in einer knappen Stunde Anker werfen, Sir«, sagte Bo-litho.»Ich habe entsprechenden Befehl gegeben, so da? Sie an Land gehen konnen, sobald es Ihnen genehm ist. «Plotzlich fielen ihm die langen Meilen auf schlechten, holperigen Stra?en ein, die Schmerzen und Unbequemlichkeiten, die der Admiral auszuhalten hatte, bis er in seinem Heim in Norfolk war.»Mein Haus steht Ihnen selbstverstandlich so lange zur Verfugung, wie Sie es wunschen, Sir.»

«Danke. «Der Admiral ruckte die Schultern in dem schweren Rock zurecht.»Im Kampf fur sein Vaterland zu fallen, ist eine Art zu sterben, aber…«Er seufzte und lie? den Rest ungesagt.
        Bolitho sah ihn ernst und nachdenklich an. Er hatte den Admiral schatzengelernt, seine gemessene Anteilnahme, seine Menschlichkeit gegenuber den Angehorigen des kleinen Geschwaders.

«Wir werden Sie vermissen, Sir«, sagte er. Es war ganz ehrlich gemeint, und doch empfand er seine Worte als unangebracht.»Ich vor allem schulde Ihnen sehr viel, wie Sie wissen.»
        Der Admiral kam um den Tisch herum. Neben Bolithos hoher schlanker Gestalt wirkte er sehr alt und sehr wehrlos seinem Schicksal gegenuber. Nach einer kleinen Pause erwiderte er:»Sie schulden mir gar nichts. Ohne Ihre Loyalitat ware ich schon ein paar Wochen, nachdem ich meine Flagge hier gehi?t hatte, erledigt gewesen. «Er hob die Hand.»Nein, lassen Sie mich ausreden. Viele Flaggkapitane hatten meine Krankheit ausgenutzt, um sich personliche Vorteile zu verschaffen und vor den Hochstkommandierenden ihre Unentbehrlichkeit zu beweisen. Doch Sie haben immer nur gegen die Feinde des Vaterlandes gekampft und sich mit ganzer Kraft fur Ihre Untergebenen eingesetzt; wenn Sie auch ab und zu Ihre eigenen Interessen wahrnehmen wurden, dann hatten Sie bestimmt schon langst den Rang, den Sie verdienen. Es ist keine Schande, da? Sie sich nicht genugend um Ihren personlichen Aufstieg gekummert haben, aber es ist ein Verlust fur England. Vielleicht wird Ihr neuer Admiral ebenso wie ich zu schatzen wissen, was Sie fur ein Mann sind, und wird besser als ich imstande sein, Ihre. «Ein Hustenanfall unterbrach seine
Rede; er pre?te das blutige Taschentuch vor den Mund, bis der Krampf voruber war.»Sorgen Sie dafur«, sagte er muhsam,»da? mein Sekretar und mein Steward rechtzeitig an Land gehen. Ich komme gleich an Deck. «Er wandte den Kopf ab.»Aber jetzt mochte ich ein Weilchen allein sein.»
        Stumm und nachdenklich ging Bolitho wieder hinauf an Deck. Der Himmel war jetzt klar und hellblau, die See vor der nachsten Landzunge blinkte und glitzerte. Dieses Wetter, dachte er, wurde es dem Admiral nur noch schwerer machen, von Bord zu gehen.
        Er uberschaute das Oberdeck in seiner ganzen Lange, sah die Matrosen an den Brassen, die Toppsgasten, die schon auf die Rahen ausgeschwarmt waren und sich schwarz vom klaren Himmel abhoben. Die Euryalus machte kaum Fahrt, da nur noch Mars- und Kluversegel standen; der breite Rumpf stampfte leicht, als wolle er prufen, wieviel Wasser er noch unterm Kiel hatte. Wer von der Mannschaft nichts zu tun hatte, spahte zur Kuste mit den sauberen Hausern und den grunen Hugeln hinuber. Die Hugel waren mit winzigen Kuhen gesprenkelt; unter den Mauern von Pendennis Castle grasten Schafherden.
        Stille hing uber dem Schiff, nur vom Klatschen des Wassers gegen die Luvseite, vom taktma?igen Quietschen der Takelage, vom Flustern der Segel hoch oben unterbrochen. Der weitaus gro?te Teil der
        Besatzung wurde nicht an Land gehen durfen, das wu?ten die Manner ganz genau. Und doch war es wie ein Nachhausekommen; jeder Seemann empfand das so, selbst wenn er es sich nicht erklaren konnte.
        Bolitho lie? sich von einem Midshipman ein Teleskop geben und studierte die Kustenlinie. Er verspurte das bekannte Ziehen im Herzen dabei. Ob wohl seine Haushalterin und Ferguson, sein Verwalter, wu?ten, da? er kam, und ob sie jetzt das langsame Naherkommen des Dreideckers beobachteten?

«Also schon, Mr. Keverne, Sie konnen halsen.»
        Der Erste, der ihn genau beobachtet hatte, hob die Sprechtrompete, und die kurze Spanne Frieden war vorbei.

«An die Leebrassen! Klar zur Halse!»
        Nackte Fu?e schurrten uber das Deck, und die Luft erzitterte unter dem Quietschen der Blocke und dem Schnarren der Fallen.
        Wenn man diese gut gedrillten Matrosen sah, konnte man sie sich kaum noch als jenen buntscheckigen Haufen vorstellen, der damals an Bord gekommen war. Selbst die Unteroffiziere fanden wenig Grund zum Schimpfen, als die Manner auf ihre Stationen flitzten; damals, als das Schiff in Dienst gestellt worden war, hatte es so viele Fluche und Prugel gegeben, da? von irgendwelcher Ordnung kaum die Rede sein konnte. Eine gute Mannschaft, fand Bolitho, wie sie sich ein Kapitan nur wunschen konnte.

«Marsschoten los!»
        Wieselschnell legten die Manner auf den Rahen aus, und er sah ihnen mit einer Art Neid zu. Da oben zu arbeiten, manchmal zweihundert Fu? uber Deck, hatte ihm in seiner Kadettenzeit jedesmal Ubelkeit verursacht, und jedesmal war er verlegen und wutend daruber gewesen.

«Hol an die Geitaue!«Keverne war schon ganz heiser; vielleicht machte es ihn nervos, da? ihm die ganze Stadt bei diesem Manover zusah.
        Langsam, aber zielbewu?t glitt die Euryalus auf ihren Ankerplatz zu; ihr Schatten schwamm auf dem ruhigen Wasser vor ihr her.»Leeruder!»
        Die Radspeichen knarrten, und das Schiff schwang widerstrebend in den Wind. Schon verschwand, wie von einer einzigen Kraft bewegt, die Leinwand von den Rahen.

«La? fallen Anker!»
        Laut platschend fiel der Anker neben dem Bug ins Wasser, und wie ein Seufzen ging es durch Schiffsrumpf und Takelage, als beide zum erstenmal seit Monaten am straffgespannten Ankertau zur Ruhe kamen.

«Sehr schon, Mr. Keverne. Sie konnen mein Boot klarmachen und dann Kutter und Jolle aussetzen lassen.»
        Bolitho wandte sich ab - auf Keverne konnte er sich durchaus verlassen. Er war ein guter Erster; allerdings wu?te Bolitho weniger von ihm als von irgendeinem seiner fruheren Offiziere. Das war zum Teil seine eigene Schuld, zum Teil lag es aber auch an der zusatzlichen Arbeit, die ihm die Krankheit des Admirals verursacht hatte. Vielleicht war es auch ganz gut so fur sie beide, dachte Bolitho. Die zusatzliche Verantwortung, die Notwendigkeit, sich immer intensiver mit der strategischen und taktischen Fuhrung nicht eines, sondern mehrerer Schiffe zu befassen, hatten ihn so in Anspruch genommen, da? ihm nicht viel Zeit zum Nachgrubeln uber den Tod seiner Frau geblieben war. Auf der anderen Seite mu?te Keverne, da Bolitho mit den Angelegenheiten des Admirals beschaftigt war, mehr Verantwortung ubernehmen, was ihm sehr zustatten kommen wurde, wenn er einst sein eigenes Schiff hatte.
        Keverne war au?erordentlich tuchtig; er hatte nur einen Fehler: wahrend der Reise hatte er mehrfach kurze Ausbruche von Jahzorn gehabt. Er war Ende Zwanzig, gro?, schlank und sehnig, tiefbrunett und auf eine beinahe zigeunerhafte Art gutaussehend. Mit seinen dunklen, blitzenden Augen und au?erordentlich wei?en Zahnen mu?te er Gluck bei Frauen haben, dachte Bolitho.
        Doch als der Admiral, den Hut in der Hand und mit seinen blassen Augen in die Sonne blinzelnd, an Deck kam, dachte Bolitho nicht mehr an Keverne. Sekundenlang sah er zu, wie die Kommandantengig gefiert wurde. Blocke und Taljen quietschten, und Tebbutt, der Bootsmann mit den machtigen Oberarmen, blaffte seine Befehle vom Steuerbord-Decksgang hinunter.
        Bolitho beobachtete den Admiral genau: fur diesen zahlte jede dieser letzten Sekunden, er speicherte gewi? die kurzen Bilder der Bordroutine in seinem Gedachtnis wie einen Schatz.
        Jetzt erklang eine wohlbekannte Stimme aus nachster Nahe; Bolitho fuhr herum: da stand Allday, sein Bootsfuhrer, und sah ihn gelassen an.

«Das war's, Captain«, grinste er und blickte dann zu dem Admiral hinuber.»Soll ich Sir Charles jetzt an Land bringen?»
        Bolitho antwortete nicht gleich. Wie oft hatte er es einfach selbstverstandlich gefunden, da? Allday da war. Er kannte ihn durch und durch, seine Treue, seine Unbezahlbarkeit. Er konnte sich ein Leben ohne Allday nur sehr schwer vorstellen. Jetzt war er nicht mehr der ranke Toppmatrose von damals, den vor so vielen Jahren ein Pre?kommando an Bord seiner geliebten Fregatte Phalarope gebracht hatte. Er war breiter, untersetzter geworden. Sein dichtes Haar hatte graue Strahnen bekommen, und sein gemutliches, gebrauntes Gesicht war durchgearbeitet wie altes Schiffsholz. Aber im Grunde war er der gleiche geblieben, und das erfullte Bolitho unvermittelt mit Freude und Dankbarkeit.

«Ich frage ihn gleich, Allday.»

«Wachboot kommt, Sir«, unterbrach Keverne.
        Bolitho fuhr herum und spahte uber das glitzernde Wasser: da kam ein armierter Kutter schnell und zielstrebig auf den vor Anker liege n-den Dreidecker zu. Jetzt erst fiel es Bolitho auf, da? au?er dem Kutter kein einziges Boot den Hafen verlassen hatte. Ein plotzliches Angstgefuhl uberkam ihn. Was stimmte da nicht? Irgendein furchtbares Fieber im Hafen? Es war bestimmt nicht so, da? man die Euryalus fur einen Franzosen hielt. Dann hatte die Festungsbatterie schon von sich aus ihr Mi?fallen kundgetan.
        Er nahm ein Teleskop aus der Halterung und richtete es auf den Kutter. Die braunen Segel, ein paar verkniffene Matrosengesichter schwammen uber die Linse. Aber in der Flicht sa? ein Kapitan, dessen leerer Armel am Rock festgesteckt war, und blickte starr zur Euryalus heruber. Beim Anblick der Uniform mit dem leeren Armel durchfuhr Bolitho wiederum ein schmerzliches Gefuhl. So hatte sein toter Vater ausgesehen, wenn er plotzlich wieder zum Leben erwacht ware.

«Was ist los?«fragte der Admiral irritiert.

«Irgendwelche Formalitaten, Sir Charles«, antwortete Bolitho. Und zu Keverne: Lassen Sie bitte antreten zum Seitepfeifen.»
        Hauptmann Giffard von der Marine-Infanterie zog seinen Degen, marschierte gewichtig zur Fallreepspforte und musterte seine Manner, die in dichtgeschlossenen, scharlachroten Reihen angetreten waren, um den ersten Besucher an Bord vorschriftsma?ig zu empfangen. Auch mehrere Bootsmannsmaaten und Schiffsjungen waren mit angetreten. Bolitho ging die Achterdeckstreppe hinunter und trat zu Kever-ne und dem Offizier der Wache.
        Die Segel des Kutters wurden eingeholt, der Buggast schlug seinen Haken in die Rusten, die Bootsmannsmaatenpfeifen trillerten ihren Salut, der einarmige Kapitan kletterte unbeholfen durch die Fallreepspforte und luftete seinen Hut zum Achterdeck hin, wo der Admiral stand und gleichmutig, ohne sichtbares Interesse, die Szene beobachtete. Vielleicht fuhlte er sich schon gar nicht mehr dazugehorig, dachte Bolitho.

«Captain James Rook, Sir. «Der Besucher setzte den Hut wieder auf und blickte sich rasch um. Er hatte die Lebensmitte schon weit uberschritten; wahrscheinlich hatte man ihn reaktiviert, um einen jungeren Mann zu ersetzen.»Ich bin Befehlshaber der Hafenwache und der Pre?kommandos, Sir. «Unter Bolithos gelassenen grauen Augen wurde er etwas unsicher.»Habe ich die Ehre, mit Sir Charles Thelwalls Flaggkapitan zu sprechen?»

«Der bin ich.»
        Bolitho blickte an ihm vorbei in den Kutter. Im Bug war ein Drehgeschutz montiert, und au?er der Normalbesatzung waren noch einige bewaffnete Matrosen an Bord.

«Erwarten Sie einen Angriff?»
        Rook gab keine direkte Antwort.»Ich habe eine Depesche fur Ihren Admiral. «Er rausperte sich, als wu?te er genau, da? ihn alle gespannt beobachteten.»Vielleicht gehen wir nach achtern, Sir?»

«Gewi?.»
        Bolitho war uber Gebuhr irritiert durch die wichtigtuerische und ausweichende Art des Mannes. Schlie?lich hatten sie ihre Order, und was ihnen dieser Kapitan auch erzahlen konnte, hatte bestimmt Zeit gehabt, bis der Admiral an Land war.
        Am oberen Ende der Leiter drehte er sich scharf um.»Sir Charles befindet sich nicht wohl. Ist diese Sache denn so eilig?»
        Captain Rook holte tief Atem, und Bolitho bekam einen scharfen Brandygeruch in die Nase, als Rook leise fragte:»So wissen Sie also noch nichts? Sie hatten keinen Kontakt mit der Flotte?»

«Zum Donnerwetter«, fuhr Bolitho ihn an,»horen Sie endlich mit dem Drumherumreden auf, Mann! Ich mu? heute noch ein Schiff ausrusten, Kranke an Land bringen und noch zweihundert andere
        Dinge erledigen. Sie konnen doch nicht vergessen haben, was es hei?t, ein Schiff zu kommandieren!»
        Er sah, wie sich die Augen des Mannes verdunkelten, und legte ihm die Hand auf den Arm.»Das war unfair von mir. Entschuldigen Sie!«Er schamte sich seiner Ungeduld. Meine Nerven mussen wohl noch schlechter sein als ich glaubte, dachte er bitter.
        Captain Rook schlug die Augen nieder. »Meuterei, Sir. «Mit seiner einen Hand knopfte er sich sorgfaltig die Uniform am Halse auf und zog einen gro?en versiegelten Umschlag hervor.
        Bolitho starrte auf diese Hand, und das eine furchtbare Wort hallte wie ein Glockenton in seinem Kopf.»Meuterei «hatte Rook gesagt - aber wo? Die Festung sah aus wie sonst, die Flagge leuchtete wie buntes Metall am hohen Mast. Die Garnison konnte sowieso wenig Grund zur Meuterei haben. Dort standen hauptsachlich Freiwillige und Milizen aus dieser Gegend, die genau wu?ten, da? es ihnen hier, wo sie ihr eigen Haus und Hof verteidigten, besser ging, als wenn sie irgendwo weit weg auf einem Feldzug durch Matsch oder Sand stapfen mu?ten.
        Langsam sprach Rook weiter.»Die Flotte in Spithead hat gemeutert. Vorigen Monat ging es los; die Besatzungen haben die Schiffe in ihre Gewalt gebracht und stellten Bedingungen. «Verlegen zuckte er die Achseln.»Es ist schon vorbei. Lord Howe hat mit den Anfuhrern verhandelt, und die Kanalflotte ist wieder auf See. «Er sah Bolitho bedeutsam an.»Ganz gut, da? Ihr Geschwader nichts davon wu?te. Es hatte Ihnen sonst schlimm ergehen konnen.»
        Bolitho blickte an ihm vorbei und sah Keverne mit einigen anderen Offizieren, die von der gegenuberliegenden Deckseite heruberstarrten. Sicher hatten sie gemerkt, da? etwas nicht stimmte. Wenn sie die Wahrheit wu?ten. Brusk wandte er ihnen den Rucken zu.

«Ich habe schon oft gedacht, da? es auf dem einen oder anderen Schiff einmal losbrechen wurde. «Seine Stimme zitterte vor muhsam unterdrucktem Zorn.»Manche Politiker und Seeoffiziere denken, einfache Matrosen sind nicht viel besser als Ungeziefer, und dementsprechend behandelt man sie auch. «Starr sah er Rook in die Augen.»Aber da? eine ganze Flotte wie ein Mann meutert! Furchtbar!»
        Rook schien sich etwas erleichtert zu fuhlen, weil er seine schlimme Nachricht losgeworden war. Oder vielleicht hatte er halb und halb erwartet, die Euryalus in den Handen von Meuterern zu finden, die haarstraubende Forderungen stellten.

«Manche Leute furchten«, sagte er,»da? das Schlimmste erst noch kommt. Auch bei der Nore[The Nore ist eine Schiffsreede in der Themse-Mundung vor Sheerness. Von diesem Liegeplatz hat die dort stationierte Flotte ihre Bezeichnung.] -Flotte hat es Unruhen gegeben; wir wissen allerdings noch nicht, in welchem Ausma?. Unter den dortigen Radelsfuhrern sollen mehrere Iren sein, und vielleicht halt die Admiralitat diese ganze Geschichte fur das Ablenkungsmanover vor einer beabsichtigten Invasion. «Er seufzte bedruckt.»Da? ich so etwas noch erleben mu?, geht uber meinen Verstand!»
        Meuterei! Bolitho blickte zu dem Admiral hinuber, der dort druben im eifrigen Gesprach mit seinem Sekretar stand. Das ware ein schlimmes Ende fur seine Karriere. Bolitho wu?te aus eigener boser Erfahrung, wieviel hitzige, sinnlose Wut bei einer Meuterei stets zum Ausbruch kam. Aber bisher hatte es sich immer nur um einzelne Schiffe gehandelt, wo Lebensbedingungen oder Klima, Entbehrungen oder schiere Brutalitat des Kommandanten die Ursachen waren. Da? aber eine ganze Flotte explosionsartig gegen die Disziplin, gegen die Autoritat ihrer Offiziere und damit gegen Konig und Parlament rebellierte, war etwas vollig anderes. Dahinter mu?ten Organisation und au?erordentliche Geschicklichkeit stecken, und ein willensstarker, vorwartsdrangender Kopf mu?te an der Spitze stehen, sonst hatte ein solches Unternehmen keinerlei Aussicht auf Erfolg. Aber zweifellos hatte es Erfolg gehabt.

«Ich spreche sofort mit Sir Charles«, sagte Bolitho und nahm Rook den Umschlag aus der Hand.»Das ist eine bittere Heimkehr.»
        Rook wollte zu Keverne und den anderen treten, doch Bolitho sagte scharf:»Sie werden so freundlich sein und nicht daruber sprechen, bis ich Erlaubnis gebe!»
        Rook blieb stehen.
        Der Admiral horte mit gesenktem Kopf schweigend zu, bis Bolitho mit seinem Bericht fertig war. Dann sagte er:»Wenn die Franzosen jetzt einen Gro?angriff unternehmen, ist England erledigt. «Er hob die Hande und lie? sie dann resigniert fallen.»Wo ist Konteradmiral Broughton? Kommt er nun doch nicht?»
        Bolitho hielt das Kuvert hoch und sagte beschwichtigend:»Vielleicht steht hier drin, was wir tun sollen, Sir.»
        Widerstrebende Gefuhle zerwuhlten das gefurchte Gesicht des Ad-mirals. Der Gedanke, seine Flagge endgultig streichen zu mussen, war ihm scheu?lich, aber er hatte die Tatsache akzeptiert. Das war wie seine Krankheit - nicht zu andern. Doch jetzt, da die Moglichkeit weiterzumachen auftauchte, wurde er vermutlich von gegensatzlichen Empfindungen hin und her gerissen.

«Geleiten Sie unseren Besucher nach achtern«, sagte er und versuchte, die Schultern entschlossen zu straffen.»Und dann geben Sie der Mannschaft etwas zu tun. Es ware unklug, sie merken zu lassen, da? ihre Fuhrung ratlos ist.»
        Muhsam schritt er, von seinem Sekretar gefolgt, in den Schatten der Kampanje.
        Als Bolitho wieder zu ihm in die gro?e Kajute trat, sa? der Admiral am Schreibtisch, als hatte er immer dort gesessen.

«Die Depesche ist von Sir Lucius Broughton«, sagte er und winkte Bolitho, Platz zu nehmen.»Die Euryalus bleibt in Falmouth und wird sein Flaggschiff, doch zur Zeit ist er in London. Anscheinend wird dort ein neues Geschwader zusammengestellt, aber zu welchem Zweck, das sagt er nicht. «Der Admiral mu?te sehr mude sein.»Sie sollen dafur sorgen, da? unsere Leute keinen Kontakt mit dem Land haben; die Verwundeten und Kranken, die an Land geschickt werden, kommen nicht wieder an Bord.«Argerlich verzog er den Mund.»Zweifellos hat man Angst, sie konnten die Leute an Bord anstecken.»
        Bolitho war stehengeblieben und versuchte sich klarzumachen, was diese Worte bedeuten konnten.
        Mit der gleichen ausdruckslosen Stimme fuhr der Admiral fort:»Sie werden Ihren Offizieren naturlich mitteilen, was Sie fur richtig halten; aber unter keinen Umstanden darf die Mannschaft etwas uber die Nore-Unruhen erfahren. Es ist schlimmer, als ich gefurchtet habe. «Mit einem Blick auf Bolithos grimmiges Gesicht fugte er noch hinzu:»Captain Rook wird Sie bei der Neuausrustung des Schiffes unterstutzen; er hat Anweisung, alle Lebensmittel, neue Spieren, neues Tauwerk und so weiter unverzuglich an Bord zu bringen.»
        Nachdenklich erwiderte Bolitho:»Sir Lucius Broughton - ich wei? wenig von ihm. Schwierig, seine Wunsche vorauszusehen.»
        Der Admiral lachelte fluchtig.»Seine Flagge wehte auf einem der Schiffe, die in Spithead gemeutert haben. Ich kann mir vorstellen, sein Hauptanliegen ist, da? ihm so etwas nicht noch einmal passiert.»
        Er tastete nach seinem Taschentuch und hielt sich an der Tischkante.»Ich mu? ein Weilchen ruhen und nachdenken. Es ware besser, wenn Sie statt meiner an Land gingen. Vielleicht sehen Sie, da? es gar nicht so gefahrlich ist, wie wir denken. Aber an Ihrer Stelle wurde ich zuallererst Hauptmann Giffard informieren, damit die Seesoldaten bereit sind, falls es Arger gibt.»
        Er blickte Bolitho bedeutsam in die Augen, wandte sich dann ab und sprach weiter: Ich habe gesehen, wie Ihre Leute zu Ihnen aufblicken, Bolitho. Matrosen sind einfache Menschen und erwarten zum Lohn fur ihr schweres Leben auf See nicht viel mehr als Gerechtigkeit. Aber - «, und das Wort hing in der Luft - ,»sie sind auch nur Menschen. Und unsere erste Pflicht ist es, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen, koste es, was es wolle.»
        Bolitho nahm seinen Hut.»Ich wei?, Sir.»
        Die zusammengepferchte Welt jenseits dieser paneelverkleideten Schottenwand! Auf See, in der Schlacht, kampften und starben sie, ohne auch nur eine Frage zu stellen. Die standigen Anforderungen der harten Disziplin und die Gefahr lie?en wenig Raum. Aber wenn der Funke einmal die latente Kraft in diesen Mannern zundete, dann konnte alles mogliche passieren; dann hatte es keinen Zweck zu sagen, man hatte nichts gewu?t oder ware ihnen zu fern gewesen.
        Als er wieder auf dem Achterdeck war, merkte er die Veranderung. Wie konnte man auch erwarten, da? so etwas geheim bleibt? Neuigkeiten breiteten sich auf einem vollgestopften Schiff aus wie ein Waldbrand, ohne da? jemand sagen konnte, wie das moglich war.
        Er winkte Keverne und sagte knapp:»Gehen Sie bitte nach achtern zu Captain Rook.
«Das brunette Gesicht Kevernes erstarrte zu einer erwartungsvollen Maske.»Sie werden dann die Leutnants und die hoheren Deckoffiziere uber die allgemeine Lage informieren. Sie sind fur das Schiff verantwortlich, bis ich wieder an Bord bin. Veranlassen Sie, da? die Kranken und Verwundeten an Land gebracht werden, aber nicht in unseren Booten - verstanden?»
        Keverne offnete den Mund, schlo? ihn aber wieder und nickte nur.

«Ich sage Ihnen jetzt, was los ist«, fuhr Bolitho fort.»Es gehen Geruchte um von einer Meuterei in der Nore-Flotte. Falls ein Fremder versucht, an Bord zu kommen, ist er abzuweisen. Ist das nicht moglich, so wird er festgenommen und sofort in Einzelhaft gesteckt.»
        Keverne fa?te an seinen Degengriff.»Wenn ich so einen verdammten See-Advokaten[Bezeichnung fur einen querulierenden (>sein Recht suchendem<) Matrosen - was manchmal als Vorstufe zur Meuterei angesehen wurde.] erwische, dann werde ich ihm schon zeigen, wo es langgeht, Sir. «Gefahrlich blitzten seine Augen.
        Unbewegt sah Bolitho ihm ins Gesicht.»Sie werden tun, was ich befehle, Mr. Keverne. Nicht mehr und nicht weniger. «Er wandte sich um und schaute nach Alldays untersetzter Gestalt aus. Er stand bei den Netzen.»Lassen Sie sofort meine Bootsbesatzung antreten.»

«Sie nehmen Ihr eigenes Boot, Sir?«fragte Keverne.

«Wenn ich denen nicht trauen kann«, erwiderte Bolitho kalt,»nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben - dann ist die Lage vollig aussichtslos.»
        Ohne ein weiteres Wort schritt er die Treppe hinunter zur Fallreepspforte, wo bereits die Ehrenwache wartete. Unten lag auch schon das schwankende Boot.
        Er blieb noch einen Moment stehen und sah auf sein Schiff zuruck und auf die Mannschaft, die bereits geschaftig Bahren aufriggte und den Kranken die Niedergange hinaufhalf. Seiner Gewohnheit nach hatte er dafur gesorgt, da? jeder Mann, der neu an Bord kam, Dienstkleidung fa?te. Darin war er anders als manche geizigen Kommandanten, die ihre Manner in den Lumpen herumlaufen lie?en, die sie angehabt hatten, als sie in der Stadt oder auf dem Dorf gepre?t worden waren. Doch im Moment fand er keinen Trost beim Anblick der weiten Hosen, der karierten Hemden, der gesunden Gesichter und der allgemeinen Geschaftigkeit. Auf Kleidung und anstandiges Essen, wenn es nur irge nd verfugbar war, hatten sie ein Recht; das war keine Gnade, die ein gottahnlicher Kommandant austeilte. Und es war wenig genug Gegenleistung fur das, was die Manner gaben.
        Er verdrangte diese Gedanken, luftete den Hut zum Achterdeck und zur Ehrenwache hin und kletterte dann hinunter in die Gig, welche Allday absichtlich zwischen den Kutter und den turmhohen Schiffsrumpf manovriert hatte.

«Legt ab!«Allday blinzelte in die Sonne und pa?te genau auf, da? die Gig klar von dem anderen Boot und der Bordwand kam.

«Rudert an! Zu. gleich!»
        Dann, als die Gig Fahrt aufnahm und die Riemen sich im exakten Gleichtakt hoben und senkten, blickte er auf Bolithos Rucken hinunter und kniff die Lippen zusammen. Er kannte Bolithos Stimmungen beinahe besser als seine eigenen und konnte sich recht wohl vorstellen, was dieser jetzt dachte. Meuterei in dem Dienst, den er liebte und fur den er alles hingegeben hatte! Durch den Bootsmann des Kutters, einen ehemaligen Schiffskameraden, wu?te Allday Bescheid. Wie konnte auch ein solches Geheimnis langer als ein paar Minuten Geheimnis bleiben?
        Sein Auge glitt uber Bolithos straffe Schultern mit den komischen neuen Goldepauletten und uber das jettschwarze Haar unter dem Dreispitz. Der hat sich kaum verandert, dachte er, obwohl er uns alle durch eine Gefahr nach der anderen getragen hat!
        Wutend starrte er den Bugmann an, der nicht aufpa?te und einer Mowe nachsah, die voraus nach einem Fisch herabscho?, und uberdachte dann, was den Captain von Rechts und Gottes wegen in Fal-mouth hatte erwarten sollen: seine reizende Frau und sein Kind, die ihn froh willkommen hie?en. Statt dessen hatte er nichts als Arger und mu?te wieder einmal anderer Leute Arbeit neben seiner eigenen machen.
        Jetzt trommelten Bolithos Finger im Takt auf den Degengriff. All-day entspannte sich etwas, als er das sah. Sie beide hatten viel zusammen erlebt und geleistet. Dieser Degen fa?te das alles weit besser zusammen, als Worte oder Gedanken es konnten.
        Die Gig schwang herum und glitt in den Schatten der Pier, der Bugmann schlug den Haken ein, Allday nahm seinen Hut ab, Bolitho stand auf, kletterte uber das Dollbord und die abgetretenen, wohlbekannten Stufen hinauf.
        Er hatte Allday gerade jetzt gern bei sich gehabt, aber es ware falsch gewesen, die Gig ohne Aufsicht zu lassen.

«Sie kehren zum Schiff zuruck, Allday. «Er sah Besorgnis in des Bootsfuhrers Augen aufblitzen und fugte gelassen hinzu:»Ich wei? ja, wo Sie sind, wenn ich Sie brauche.»
        Allday blieb noch einen Moment stehen und sah Bolitho nach, der zwischen zwei salutierenden Milizsoldaten auf den Kai trat. Halblaut murmelte er:»Bei Gott, Kapt'n, wir brauchen Sie!»
        Dann sah er auf die mu?igen Rudergasten hinunter und knurrte:»Na, ihr faulen Hunde, la?t mal sehen, ob ihr dieses Boot heute noch in Fahrt kriegt!»
        Der Schlagmann, ein abgeharteter Vollmatrose mit dickem rotem
        Haar, sagte mit zusammengebissenen Zahnen:»Haste Angst, wir kriegen was von der Schweinerei zu horen?»
        Allday sah ihn an, ohne eine Miene zu verziehen. Also wu?ten sie es schon. Er grinste.»Ein Wort ist wie Dung, Mann. Es mu? breitgestreut werden, wenn's wirken soll. «Und etwas leiser:»Also liegt es an uns, da? das nicht geschieht - oder?»
        Als er sich umschaute, war Bolitho bereits au?er Sicht. Was mochte wohl zu Hause auf ihn warten?



        II Der Besucher

        Ein paar Minuten lang stand Bolitho reglos und starrte auf sein Haus. Er war absichtlich nicht durch die Stadt gegangen, sondern hatte den enggewundenen, angenehm landlich duftenden, heckenumwachsenen Feldweg genommen. Nun stand er im hellen Sonnenschein und spurte, wie still es war, und wie hart das Land gegen seine Schuhsohlen druckte. Es war alles so anders als an Bord, es fehlten die standigen Gerausche, die standige Bewegung. Diese Erkenntnis uberraschte und erfreute ihn sonst jedesmal. Diesmal allerdings war es nicht dasselbe. Mit halbem Ohr lauschte er auf das freundliche Summen der Bienen, das ferne Gebell eines Schaferhundes, der die Herde umkreiste; aber seine Augen ruhten auf dem Haus. Kantig und kompromi?los stand es vor dem Himmel und den sanften Hangen, die es umgaben und zur Landzunge hinunterfuhrten.
        Mit einem Seufzer schritt er weiter, seine Schuhe wirbelten Staub auf, und er blinzelte in die grelle Sonne. Als er das breite Tor in der Steinmauer durchschritten hatte, stockte er wieder - er hatte lieber nicht herkommen sollen, dachte er.
        Doch als die Doppeltur oben an den Treppenstufen aufging und er Ferguson erblickte, seinen einarmigen Verwalter, und die beiden Dienstmadchen hinter ihm, die ihn begru?en wollten, da war ihr Lacheln so aufrichtig erfreut, da? er fur den Augenblick seine eigenen truben Gedanken verga? und geruhrt war.
        Ferguson ergriff seine Hand und murmelte:»Gott segne Sie, Sir. Schon, da? wir Sie wieder mal zu Hause haben.»
        Bolitho lachelte.»Nicht fur lange. Aber ich danke Ihnen.»
        Da kam auch Fergusons Frau herbeigeeilt, rundlich, rosig, mit wei?em Haubchen und makelloser Schurze, und in ihren Zugen kampften
        Freude und Tranen miteinander, als sie ihn begru?te.»Wir hatten ja keine Ahnung, Sir. Wenn nicht Jack, der Zollwachter, gewesen ware, hatten wir gar nicht gewu?t, da? Sie wieder da sind! Er hat Ihre Obersegel gesehen, als der Nebel hochging, und ist extra hergeritten, um uns Bescheid zu sagen!»

«Vieles ist jetzt anders geworden. «Bolitho nahm den Hut ab und ging durch das hohe Entree. Da war es wieder: der kuhle Stein, das alterslose Eichenpaneel, das matt im einfallenden Sonnenlicht glanzte.»Fruher konnten die jungen Manner von Falmouth ein Schiff des Konigs schon riechen, wenn seine Masten noch gar nicht uber der Kimm standen!»
        Ferguson wandte den Blick ab.»Sind nicht mehr viele junge Manner hier, Sir. Die keine feste Stellung haben, sind alle gepre?t worden oder haben sich freiwillig gemeldet. «Er folgte Bolitho in die gro?e Halle mit dem leeren Kamin und den hochlehnigen, lederbezogenen Stuhlen. Auch hier war es ruhig - es war uberhaupt, als hielte das ganze Haus den Atem an.

«Ich hole Ihnen ein Glas Wein, Sir«, sagte Ferguson, und hinter Bo-lithos Rucken winkte er seiner Frau und den Magden, hinauszugehen.»Sie werden in der ersten Stunde ein bi?chen allein sein wollen. »
        Bolitho drehte sich um.»Danke. «Er horte, wie sich die Tur hinter ihm schlo?, und trat an den Fu? der Treppe, wo die Bilder all derer hingen, die hier vor ihm gelebt hatten. So vertraut… Nichts war verandert worden, und doch…
        Langsam stieg er die knarrenden Stufen hinan, an den Portrats vorbei, die ihn anblickten: Kapitan Daniel Bolitho, sein Ururgro?vater, der in der Bantry Bay gegen die Franzosen gekampft hatte. Kapitan David Bolitho, sein Urgro?vater, hier an Deck seines brennenden Schiffes dargestellt, gefallen vor der afrikanischen Kuste im Kampf gegen Piraten. Wo die Treppe einen Bogen nach rechts machte, wartete der alte Denziel Bolitho, sein Gro?vater - der einzige der Familie, der es bis zum Konteradmiral gebracht hatte - , auf ihn. Bolitho konnte sich noch erinnern, oder glaubte es wenigstens, da? er als kleines Kind auf seinen Knien gesessen hatte. Aber vielleicht waren es auch nur die Erzahlungen seines Vaters und das vertraute Bild, woran er sich erinnerte. Vor dem letzten Portrat blieb er stehen.
        Sein Vater, Kapitan James Bolitho, war junger als die anderen gewesen, als es gemalt wurde. Hoch aufgerichtet, gelassen blickend, den leeren Armel quer am Rock festgesteckt - das hatte der Maler nachtraglich geandert, nachdem er den Arm in Indien verloren hatte. Es war schwer, sich daran zu erinnern, wie er bei ihrem letzten Zusam-mensern vor vielen Jahren ausgesehen hatte, damals, als er Bolitho von der Schande seines alteren Bruders berichtet hatte. Hugh, sein Augapfel, der einen Offizierskameraden im Duell getotet hatte, war nach Amerika geflohen und hatte bei der Revolution gegen sein eigenes Vaterland gekampft.
        Tief seufzte Bolitho auf. Sie waren alle tot, auch Hugh, der seine Missetaten vor Bolithos eigenen Augen mit dem Leben gebu?t hatte. Dieser Tod war immer noch ein Geheimnis, das er mit niemandem teilen konnte. Hughs Leben, ein Leben voller Mi?erfolg und Betrug, wurde ein Geheimnis bleiben; was ihn, Richard Bolitho, anging, so mochte Hugh im Frieden der Vergessenheit ruhen.
        Ferguson rief vom Fu? der Treppe:»Das Glas steht hier beim Fenster, Sir. Rotwein.
«Er zogerte, ehe er weitersprach:»Da ist etwas im Schlafzimmer, Sir. «Anscheinend traute er sich kaum, es zu sagen.»Es sollte eine Uberraschung sein, aber sie waren noch nicht fertig, als Sie das letzte Mal hier waren. «Seine Stimme verklang; Bolitho schritt rasch zur Tur am Ende des Treppenabsatzes und stie? sie auf.
        Im ersten Moment fiel ihm nichts Besonderes auf: da war das Himmelbett in einem breiten Strahl fleckigen Sonnenlichts, das durch das Fenster kam - und der hohe Spiegel, vor dem sie gesessen und ihr Haar gekammt haben mu?te, wenn er weg war… Aber die Kehle wurde ihm trocken, als er sich umwandte und die beiden neuen Bilder an der Ruckwand sah. Als ob sie wieder lebte, hier in diesem Zimmer, wo sie vergeblich auf ihn gewartet hatte. Er wollte naher herantreten, aber er hatte Angst - Angst, da? der Zauber weichen wurde. Der Maler hatte sogar das Seegrun ihrer Augen getroffen und das herrliche Kastanienbraun ihres langen Haares. Und ihr Lacheln. Langsam trat er einen Schritt naher. Das Lacheln war wunderbar. Freundlich, etwas belustigt, so wie sie ihn immer lachelnd angesehen hatte, wenn sie beieinander waren.
        Unter der Tur horte er einen Schritt und dann Fergusons leise Stimme:»Sie wollte, da? sie nebeneinander hangen, Sir.»
        Jetzt erst warf Bolitho einen Blick auf das andere Bild. Er war in seinem alten Galarock gemalt, dem mit den breiten wei?en Aufschlagen, den Cheney so gern gehabt hatte.

«Danke«, sagte er heiser.»Schon, da? Sie ihren Wunsch erfullt haben.»
        Damit trat er rasch ans Fenster und lehnte sich uber das warme Sims. Dort, gerade hinter jenem Hugel, konnte er die glitzernde Linie des Horizonts sehen. Es war dieselbe Landschaft, die Cheney von diesem Fenster aus gesehen hatte. Er hatte vielleicht zornig oder traurig sein konnen, weil Ferguson die Bilder hier aufgehangt, Erinnerungen an sie und seinen Verlust heraufbeschworen hatte. Aber das ware falsch gewesen; jetzt, als er hier stand, die Hande auf das Sims gestutzt, hatte er zum erstenmal seit langer Zeit ein seltsam friedvolles
        Gefuhl.
        Ein alter Gartner unten spahte herauf und schwenkte seinen verbeulten Hut, aber Bolitho sah ihn nicht.
        Er trat ins Zimmer zuruck und wandte sich erneut den Bildern zu. Hier waren sie wieder beieinander. Cheney hatte dafur gesorgt, und nichts konnte sie jetzt mehr trennen. Wenn er wieder auf See war, vielleicht auf der anderen Seite der Erdkugel, dann konnte er an dieses Zimmer denken. An die beiden Portrats nebeneinander, die zusammen auf den Horizont hinaussahen.

«Ich komme gleich hinunter«, sagte er.»Der We in ist sicher schon warm.»
        Spater, als er an seinem gro?en Schreibtisch sa? und Briefe an Hafenbeamte und Schiffsausruster schrieb, dachte er daruber nach, was dieses Haus alles erlebt hatte. Was wurde damit geschehen, wenn er starb? Der einzige, der Anspruch auf das Erbe der Bolithos hatte, war sein junger Neffe, Adam Pascoe, Hughs illegitimer Sohn. Er tat zur Zeit unter Kapitan Thomas Herrick Dienst; aber Bolitho war entschlossen, dem Jungen so bald wie moglich die Besitzrechte an dem Haus zu sichern. Er bi? die Zahne zusammen. Sosehr er seine Schwester Nancy liebte, aber es kam gar nicht in Frage, da? ihr Mann, Ratsherr in Falmouth und einer der gro?ten Grundbesitzer der Grafschaft, das Haus in die Hande bekam.
        Ferguson trat ins Zimmer.»Entschuldigung, Sir«, sagte er stirnrunzelnd,»aber da ist ein Mann, der Sie unbedingt sprechen will. Er ist au?erordentlich hartnackig.»

«Wer ist's?»

«Ich habe den Kerl noch nie gesehen. Ein Seemann, keine Frage, aber weder Offizier noch Gentleman, auch das ist keine Frage.»
        Bolitho lachelte. Es war schwierig, sich Ferguson als den Mann vorzustellen, den einst ein Pre?kommando an Bord der Phalarope gebracht hatte, zusammen mit Allday ubrigens. Zwei grundverschiedene Charaktere, wie es damals den Anschein hatte. Jedoch waren die beiden sehr gute Freunde geworden; und selbst als Ferguson seinen Arm verloren hatte, wollte er in Bolithos Diensten bleiben. So war er hier Verwalter geworden. Ebenso wie Allday ging er sofort in Abwehrstellung, wenn irgend etwas Unerwartetes oder Ungewohnliches auf Bo-litho zukam.

«Lassen Sie ihn ein, Ferguson«, sagte er.»Er wird ja wohl nicht allzu gefahrlich sein.»
        Ferguson fuhrte den Besucher herein und schlo? die Tur mit offensichtlichem Mi?behagen hinter ihm. Bestimmt wartet er direkt davor fur alle Falle, dachte Bolitho.

«Was kann ich fur Euch tun?»
        Der Mann war untersetzt und muskulos, tiefgebraunt und trug sein Haar in einem altmodischen Zopf. Er hatte einen Rock an, der ihm viel zu klein war, und Bolitho kam auf die Idee, da? er ihn nur trug, damit man nicht gleich sah, da? er Seemann war. Aber schon die weiten Hosen waren unverkennbar. Auch wenn er splitternackt gewesen ware, hatte man gewu?t, da? er Seemann war.

«Entschuldigung, da? ich so frei bin, Sir. «Er klopfte gru?end mit der Faust an die Stirn; dabei flitzten seine Augen durch den Raum.»Mein Name ist Taylor, Steuermannsmaat auf der Auriga, Sir.»
        Bolitho sah ihn ruhig und aufmerksam an. Er sprach mit einem leichten Nordengland-Tonfall und war offensichtlich nervos. Ein Deserteur, der auf Gnade hoffte, oder auf einem anderen Schiff untertauchen wollte? Es war gar nicht so ungewohnlich, da? solche Leute wieder in die eine und einzige Welt zuruckwollten, wo sie mit ein bi?chen Gluck Sicherheit finden konnten.
        Rasch fuhr Taylor fort:»Ich war bei Ihnen auf der Sparrow, Sir. Damals im Jahr 79, in Westindien. «Gespannt blickte er Bolitho an.»Ich war Topsgast.»
        Langsam nickte Bolitho.»Naturlich, ich erinnere mich jetzt. «Auf der kleinen Korvette Sparrow, seinem allerersten Kommando, als er dreiundzwanzig war, als das Leben noch Spa? machte und ihm die ganze Welt ein Tummelplatz fur seinen grenzenlosen Ehrgeiz schien.

«Wir horten, Sie sind zuruck, Sir. «Taylor redete sehr schnell.»Und weil ich Sie sozusagen kenne, haben sie mich gewahlt, da? ich zu Ihnen geh'n soll. «Er lachelte bitter.»Hab erst gedacht, ich mu?t 'n Boot klauen oder zu Ihrem Schiff schwimmen. Aber Sie sind ja an Land, da war's einfacher, sozusagen. «Unter Bolithos starrem Blick schlug er die Augen nieder.»Seid Ihr in Schwierigkeiten, Taylor?»
        Mit plotzlicher Abwehr im Blick schaute der Mann auf.»Hangt von Ihnen ab, Sir. Mich haben sie gewahlt, da? ich mit Ihnen spreche, und weil ich wei?, da? Sie 'n fairer und gerechter Kapt'n sind, Sir, hab ich mir gedacht, Sir, Sie wurden mich vielleicht anhoren…»
        Brusk stand Bolitho auf und sah ihn fest an.»Wo liegt Euer
        Schiff?»
        Taylor deutete mit dem Daumen uber die Schulter.»Ostwarts an der Kuste, Sir.
«Etwas wie Stolz erhellte sein tief gebrauntes Gesicht.»Fregatte, sechsunddrei?ig Geschutze, Sir.»

«Ah. «Langsam schritt Bolitho an den leeren Kamin und wieder zuruck.»Und Ihr und Euresgleichen habt das Schiff in Eure Gewalt gebracht, ist es so? Seid Ihr ein Meuterer?«Der Mann zuckte zusammen.»Wenn Ihr mich kennt, wirklich kennt, mu?tet Ihr wissen, da? ich nicht mit Leuten verhandle, die ihr Land verraten haben«, schlo? Bolitho hart.
        Leise erwiderte Taylor:»Wenn Sie mich zu Ende anhoren wollen, Sir - mehr will ich ja gar nicht. Dann konnen Sie mich hangen lassen, wenn Sie wollen - das wei? ich.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Einfach hierherzukommen, dazu gehorte Mut. Mut und noch etwas anderes. Dieser Taylor war kein frisch gepre?ter Mann, kein Querulant vom unteren Deck. Er war Berufsseemann. Es konnte nicht leicht fur ihn gewesen sein. Jede Minute seines Weges nach Falmouth hatte ihn jemand sehen konnen, der sich bei den Behorden in ein gunstiges Licht setzen wollte, und sogar in diesem Moment konnte eine Patrouille zum Stadttor unterwegs sein.

«Schon«, sagte er,»ich kann Euch nicht versprechen, da? ich Euren Ansichten zustimme, aber anhoren will ich Euch. Das ist alles, was ich sagen kann.»
        Taylor schien etwas erleichtert.»Wir gehoren zur Kanalflotte, Sir, und waren zwei Jahre lang standig im Dienst. Wir hatten nich' viel Ruhe, denn Fregatten sind knapp, wie Sie ja wissen. Wir waren in
        Spithead, als die Geschichte vorigen Monat losging, aber unser Kapt'n stach in See, bevor wir unsere Solidaritat mit den anderen zeigen konnten. «Er pre?te die Hande zusammen und fuhr bitter fort:»Ich mu? Ihnen das sagen, Sir, damit Sie verstehen. Unser Kapt'n ist ein harter Mann, und der Erste Offizier hat sich angewohnt, die Leute so zu piesacken, da? kaum einem der Rucken nich' von der Katze[>neunschwanzige Katze< = die Peitsche] zerfetzt is'!»
        Bolitho pre?te die Hande zusammen. Ich mu?te ihm jetzt das Wort abschneiden, ehe er noch mehr sagt; schon indem ich ihm zuhore, habe ich mich auf Gott wei? was eingelassen, dachte er. Doch er entgegnete nur kalt:»Wir sind im Krieg, Taylor. Die Zeiten sind eben hart, fur Offiziere ebenso wie fur Matrosen.»
        Doch Taylor war hartnackig.»Als die Geschichte in Spithead losging, waren sich die Delegierten daruber einig, da? wir raussegeln und gegen die Frogs[= frogeaters (Froschfresser), Spitzname fur die Franzosen, ahnlich wie spater krauts fur die Deutschen.] kampfen. Da war kein einziger Mann, der nich' loyal gewesen ware, Sir. Aber manche Schiffe haben eben schlechte Offiziere, Sir, das kann keiner bestreiten. Da gibt's welche, die haben seit Monaten keinen Sold bekommen, und die Leute sind halb tot vor Hunger, weil das Fleisch so schlecht is'. Der Schwarze Dick - «, Taylor errotete - ,»'tschuldigung, Sir, ich meine Lord Howe, hat mit den Delegierten gesprochen, und da war alles klar. Er is' auf ihre Forderungen eingegangen, so gut er konnte. «Bose zog er die Brauen zusammen.»Aber die Auriga war zu der Zeit auf See, fur uns galt das anscheinend nich'. Im Gegenteil, unser Kapt'n wurde immer schlimmer statt besser! Und das is' die Wahrheit, ich schwor 's Ihnen!»

«So habt ihr also das Schiff in eure Gewalt gebracht?»

«Aye, Sir. Bis uns Gerechtigkeit zugesichert wird. «Er sah zu Boden.»Wir haben gehort, da? wir zu diesem neuen Geschwader kommen sollen, unter Vizeadmiral Broughton. Das bedeutet, wir sind vielleicht wieder jahrelang weg von England. Es is' nich' fair, was man uns angetan hat. Wir haben Admiral Broughton in Spithead gesehen. Er soll 'n guter Offizier sein, aber er wurde machtig hart durchgreifen, wenn 's wieder Arger gibt.»

«Und wenn ich Euch sage, da? da nichts zu machen ist - was dann?»
        Taylor sah ihm in die Augen.»Es gibt 'ne ganze Menge an Bord, die schworen, sie hangen uns sowieso alle. Die wollen das Schiff nach Frankreich segeln und es da gegen ihre Freiheit eintauschen. «Er bi? die Zahne zusammen.»Aber ich und noch andere, wir wollen das nich'. Wir wollen nur unser Recht - wie die Jungs in Spithead.»
        Bolitho kniff die Augen zusammen. Wieviel wu?te Taylor von den Unruhen in der Nore-Flotte? Vielleicht war er aufrichtig, vielleicht war er aber auch das Werkzeug in den Handen eines erfahreneren Aufruhrers. Was er da von seinem Schiff gesagt hatte - daran war kaum zu zweifeln.

«Hat es Verletzte bei den Offizieren gegeben?»

«Keinen einzigen, Sir, auf mein Wort. «Beschworend breitete Taylor die Hande aus. Wenn Sie uns versprechen, da? Sie unsere Sache dem Admiral unterbreiten, Sir, dann wurde das machtig viel ausmachen. «Der Anflug eines Lachelns huschte uber seine rauhen Zuge.»Ich glaube, der Master und der eine oder andere Leutnant sind ganz froh, da? es so gekommen is'. Das war 'n machtig ungluckseliges
        Schiff, Sir.»
        Bolithos Gedanken rasten. Vizeadmiral Broughton war vielleicht in London, er konnte aber auch sonstwo sein. Bis er seine Flagge auf der Euryalus hi?te, war Konteradmiral Thelwall sein direkter Vorgesetzter, und der war zu krank, als da? man ihn mit so etwas belasten konnte. Da waren auch noch Captain Rook und der Garnisonskommandant von Falmouth. Dann gab es wahrscheinlich Dragoner in Truro und den Hafenadmiral in Plymouth, drei?ig Meilen weit weg. Und alle waren sie bei diesem Zeitdruck gleicherma?en nutzlos.
        Wenn tatsachlich eine Fregatte zu den Franzosen uberlief, dann konnte das wie ein Signal auf die Manner der Nore wirken, die noch am Rande der Meuterei standen. Denen mochte es als ein letztes Mittel erscheinen, wenn sonst nichts mehr half. Und wenn die Franzosen etwas davon erfuhren, konnten sie unverzuglich eine Invasion starten. Bei dem blo?en Gedanken lief es Bolitho eiskalt den Rucken hinunter. Unvorstellbar, da? eine verwirrte und demoralisierte Flotte vernichtet wurde, blo? weil er sich nicht zu handeln getraut hatte. Eventuelle spatere personliche Konsequenzen durften da keine Rolle spielen.

«Was solltet Ihr mir sonst noch mitteilen?«fragte er knapp.

«Die Auriga liegt in der Veryan Bay vor Anker. Gut acht Meilen von hier. Kennen Sie die Gegend, Sir?»
        Bolitho lachelte grimmig.»Ich bin in Cornwall geboren, Taylor. Ja, die kenne ich sehr gut.»
        Taylor leckte sich die Lippen. Vielleicht hatte er erwartet, sofort festgenommen zu werden. Nun aber, da Bolitho ihn tatsachlich anhorte, ubersturzten sich seine Worte.

«Wenn ich bei Sonnenuntergang nich' zuruck bin, setzen sie Segel, Sir. Ein paarmal kam 'n armierter Kutter ran, aber wir haben gesagt, sie sollen wegbleiben, wir liegen da wegen Reparaturen.»
        Bolitho nickte. Es war nichts Ungewohnliches, da? Schiffe mittlerer Gro?e in dieser Bucht Schutz suchten, wenn das Wetter nicht allzu schlimm war. Der Mann, der diese Meuterei bis zum gegenwartigen Stand der Dinge gefuhrt hatte, wu?te bestimmt ganz genau, was er tat.
        Taylor sprach weiter.»Da is' 'n kleiner Gasthof an der Westseite der Bay, Sir.»

«Der >Drachenkopf<«, nickte Bolitho.»Ein Schmugglernest.»

«Kann sein, Sir. «Taylor sah ihn unsicher an.»Aber wenn Sie heute nacht dahin kommen und sich mit unseren Delegierten treffen, dann konnen wir an Ort und Stelle alles klarmachen.»
        Bolitho wandte sich ab. Das horte sich alles so einfach an. Und was sollte nachher der Kommandant der Auriga machen? Seinen Koffer packen und von Bord gehen? Diese wirren Gedankengange mochten im Zwischendeck ganz einleuchtend klingen, aber hoheren Ortes wurde man wenig Verstandnis dafur haben.
        Doch das Wichtigste und Vordringlichste war zu verhindern, da? das Schiff dem Feind ubergeben wurde. Bolitho hatte nicht den geringsten Zweifel, da? der Kommandant der Auriga genauso war, wie Taylor ihn beschrieben hatte, vielleicht noch schlimmer. Solche Tyrannen gab es uberall in der Flotte; er selber hatte einmal ein Schiff nur bekommen, weil sein Vorganger so ein brutaler, kaltherziger Schinder gewesen war.
        Jedenfalls konnte er nicht den Kopf in den Sand stecken und tun, als wu?te er von nichts.

«Also gut.»

«Danke Ihnen, Sir«, sagte Taylor heftig nickend.»Sie mussen allein kommen, hochstens mit einem Diener. Die haben gesagt, sie bringen den Kapt'n um, wenn Sie uns reinlegen. «Er lie? den Kopf hangen.»Tut mir leid, Sir, ich war dagegen. Ich will weiter nichts, als meine Tage in Frieden zu Ende leben, wenn's geht in einem Stuck, und 'n
        Topf voll Prisengeld, damit ich mal irgendwo 'ne kleine Kneipe aufmachen kann oder 'ne Schiffshandlung.»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an. Aber vermutlich wirst du an einer Rah enden, dachte er.
        Taylor fing wieder an:»Auf Sie werden sie horen, Sir. Das wei? ich. Und mit 'nem neuen Kapt'n lebt auch das Schiff wieder auf.»

«Ich kann nichts versprechen. Lord Howes Pardon mu?te auch auf euer Schiff Anwendung finden, aber…«Er sah Taylor fest in die Augen.»Es konnte ziemlich schlimm fur euch alle werden, wie Ihr vermutlich wi?t.»

«Aye, Sir. Aber wenn man so lange in solchem Elend gelebt hat, mu? man eben was riskieren.»
        Bolitho ging zur Tur.»Ich werde bei Sonnenuntergang zum Gasthof reiten. Wenn das stimmt, was Ihr mir gesagt habt, werde ich tun, was ich kann, um die Sache zu einem gerechten Abschlu? zu bringen.»
        Die Erleichterung in Taylors Zugen schwand jedoch, als Bolitho fortfuhr: Andererseits, wenn das nur Verzogerungstaktik ist, damit ihr mehr Zeit habt, das Schiff in Feindeshand zu bringen, dann seid euch uber die Konsequenzen klar. So etwas hat es fruher schon gegeben, und die Schuldigen haben dafur bu?en mussen.
«Er machte eine bedeutsame Pause.»Das war bisher jedesmal ein Ende am Strick.»
        Der Mann tippte sich mit der Faust an die Stirn und eilte auf den Flur hinaus. Ferguson sah ihm mit offensichtlichem Mi?fallen nach.»Alles klar, Sir?«fragte er besorgt.

«Im Augenblick ja, danke. «Er zog seine Uhr.»Lassen Sie nach meiner Gig signalisieren. «Ferguson machte ein enttauschtes Gesicht.»Ich komme spater noch einmal an Land, aber da ist noch verschiedenes zu erledigen.»
        Eine Stunde spater kletterte Bolitho durch die goldbronzierte Fallreepspforte an Bord und luftete den Hut zum Trillern der Bootsmannsmaatenpfeifen und dem Stampfen des Musketen.
        Keverne sah au?erst besorgt aus.»Der Schiffsarzt macht sich Sorgen um den Admiral, Sir«, berichtete er.»Es geht ihm sehr schlecht, und ich furchte.»
        Bolitho warf einen Blick auf Allday, dem die Neugier im Gesicht geschrieben stand, seit die Gig am Kai festgemacht hatte.

«Die Rudergasten sollen sich bereit halten, Allday. Ich werde sie bald wieder brauchen. «Damit ging er nach achtern und hinunter in die Admiralskajute.
        Der Admiral lag reglos in seiner Koje, noch kleiner und zerbrechlicher als sonst. Er hatte die Augen geschlossen. Hemd und Taschentuch waren blutbefleckt.
        Bolitho sah den Schiffsarzt an, einen mageren, drahtigen Mann mit ungewohnlich gro?en, haarigen Handen.

«Nun, Mr. Spargo?»
        Der hob die Schultern.»Ich wei? nicht recht, Sir. Eigentlich mu?te er an Land. Ich bin schlie?lich nur ein Schiffsarzt. «Wieder zuckte er die Achseln.»Aber die Anstrengung konnte gerade jetzt todlich sein.»
        Bolitho nickte. Er hatte sich entschlossen.»Dann lassen Sie ihn hier, und passen Sie gut auf ihn auf. «Und zu Keverne:»Kommen Sie mit hinauf in meine Kajute.»
        Stumm ging Keverne hinter ihm her, bis sie in der gro?en Kajute waren, die uber die ganze Breite der Kampanje ging. Durch die offenen Heckfenster hatte man einen wunderbaren Blick auf St. Anthony's Head. Es sah aus, als ob der Leuchtturm leise schwanke, denn das Schiff wiegte sich majestatisch im Tidenstrom.

«Ich gehe wieder an Land, Mr. Keverne. «Er mu?te aufpassen, da? er den Ersten nicht mit in die Sache hineinzog; aber andererseits mu?te er soweit informiert werden, da? er wu?te, was er zu tun hatte, falls der Plan danebenging.
        Kevernes Gesicht glich einer Maske.»Sir?»
        Bolitho loste seinen Degen aus dem Gehange und legte ihn auf den Tisch.»Von Vizeadmiral Broughton gibt es noch keine Nachricht. Auch keine Anzeichen von Unruhen an Land. Captain Rooks Boote kommen langsseit, sobald unsere Leute gegessen haben, und dann konnen Sie mit der Ubernahme von Vorraten weitermachen - den ganzen Nachmittag und bis in den Abend, wenn die See ruhig bleibt.»
        Keverne wu?te, da? noch etwas kommen wurde, und wartete.

«Sir Charles ist sehr krank, wie Sie ja selbst gesehen haben. «Warum zeigte Keverne nicht ein bi?chen Neugier, wie Herrick es getan hatte, als er noch sein Erster gewesen war.»Sie haben also das Kommando, bis ich zuruck bin.»

«Wann wird das sein, Sir?»

«Wei? ich nicht. Spat in der Nacht vielleicht.»
        Jetzt wurde Keverne endlich neugierig.»Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Sir?«Er machte eine Pause.»Wird es Arger geben?»

«Nicht, wenn ich's verhindern kann. Ich hinterlasse Ihnen schriftliche Order, nach der Sie handeln werden, falls ich langer als diese Nacht aufgehalten werde. Sie werden sie dann offnen und Schritte - «, erhob die Hand - ,»nein, alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Befehle unverzuglich auszufuhren. «Er versuchte, sich uber die Landkarte klarzuwerden, die er im Kopfe hatte. Die Euryalus wurde mehr als zwei Stunden brauchen, um Anker zu lichten und die Veryan Bay zu erreichen; und dann wurde der Anblick ihrer schweren Kanonen sehr bald auch das tapferste Herz zur Unterwerfung veranlassen. Aber bis dahin konnte es zu spat sein.
        Warum nicht jetzt gleich in See gehen? Niemand wurde ihn deswegen tadeln, ganz im Gegenteil. Er runzelte die Stirn. Nein, auf keinen Fall. Hier wurde ein neues Geschwader aufgestellt. Und jetzt, da der Krieg in seine gefahrlichste Phase trat, ware es ein schlechter Anfang, wenn das Flaggschiff ein vor Anker liegendes eigenes Schiff zu blutigen Fetzen zusammenschie?en mu?te, blo? weil er nicht die Nerven gehabt hatte, es anders zu machen.
        Uberraschenderweise zeigte Keverne lachelnd seine ebenma?igen Zahne.»Ich bin nicht achtzehn Monate mit Ihnen gefahren, Sir, ohne etwas von Ihren Methoden gelernt zu haben. «Das Lacheln schwand.»Und ich hoffe, ich besitze Ihr Vertrauen.»
        Jetzt lachelte Bolitho.»Ein Kommandant kann allenfalls seine Gedanken mit jemandem teilen, Mr. Keverne. Die Verantwortung bleibt immer bei ihm selbst, wie Sie eines Tages noch merken werden. «Wenn es heute nacht schiefgeht, dachte er trube, dann konntest du fruher befordert werden, als du glaubst.
        Trute, der Kajutsteward, spahte vorsichtig durch die Tur und fragte:»Darf ich den Tisch zum Lunch decken, Sir?»
        Keverne sagte:»Ich werde mich um die Leute kummern, Sir. «Abwesend sah er einen Moment zu, wie Trute sich mit Tellern und Bestecken zu schaffen machte.»Ich bin froh, wenn wir erst wieder auf See sind. «Ohne ein weiteres Wort ging er hinaus.
        Mi?mutig sa? Bolitho an seiner einsamen Tafel und stocherte in der kalten Kaninchenpastete herum, die Rook von Land geschickt haben mu?te. Er uberdachte nochmals, was Taylor ihm erzahlt hatte. Die Tatsache, da? dieser unbehelligt nach Falmouth hereingekommen war und das Haus der Bolithos so schnell gefunden hatte, sprach Bande und lie? darauf schlie?en, da? andere wachsame Augen in nachster Nahe waren, bereit, der Auriga Nachrichten zu ubermitteln. Jeder Tauschungsversuch, etwa die Landung von Seesoldaten am Kai, wurde sofort Verdacht erregen; der Kommandant der Auriga war dann in gro?ter Gefahr, und die Konsequenzen mu?ten furchtbar sein.
        Argerlich stand er auf. Wann endlich wurden solche Manner ein fur allemal aus der Flotte ausgesto?en? Eine neue Generation Seeoffiziere wuchs heran, die wu?te, da? die Mannschaft einen um so hoheren Kampf wert hatte, je besser ihre Lebensbedingungen waren. Aber hier und da gab es immer noch Schinder und Tyrannen, oft Manner, die hoherenorts Einflu? hatten, und die man erst bei solchen Gelegenheiten wie dieser ma?regeln oder entlassen konnte - wenn es zu spat war.
        Trute kam wieder herein und sah ihn besorgt an.»Hat Ihnen die Pastete nicht geschmeckt, Sir?«Er stammte aus Devon, und Leute aus Cornwall waren ihm ein bi?chen unheimlich - Bolitho auch.

«Spater vielleicht. «Bolitho warf einen Blick auf seinen Degen.
        Er war so alt und abgegriffen; auf allen Familienportrats war er schon abgebildet. Den lasse ich in Eurer Obhut. «Er gab sich Muhe, moglichst normal zu sprechen.»Ich nehme meinen Entersabel mit - und Pistolen.»
        Trute starrte auf den Degen.»Den wollen Sie hierlassen, Sir?»
        Bolitho ging nicht darauf ein.»Jetzt geben Sie durch, da? mein Bootsfuhrer kommen soll.»
        Allday war ebenso uberrascht.»Ohne Ihren Degen, das ist nicht richtig, Captain.
«Er schuttelte den Kopf.»Was denn nun noch alles!»

«Ich habe Ihnen schon oft gesagt«, fuhr Bolitho ihn an,»da? Sie eines Tages den Mund noch mal zu weit aufrei?en werden. Sie sind nicht alt und weise genug, als da? ich Ihnen nicht mal eine verpasse!»

«Aye, aye, Captain«, grinste Allday.
        Es war hoffnungslos.»Wir gehen zusammen an Land. Kennen Sie den >Drachenkopf         Allday wurde ernst.»Aye. In der Veryan Bay. Der Wirt ist'n alter, scheelaugiger Schurke. Ein Auge nach vorn, das andere beinah' nach achtern, aber er ist so schlau wie'n Midshipman hungrig.»

«Gut. Dahin gehen wir.»
        Allday runzelte die Stirn, als Trute hereinkam und ein Paar Pistolen und einen krummen Entersabel auf den Tisch legte.»Ein Duell, Cap-tain?«fragte er naiv.

«Lassen Sie die Gig holen. Dann richten Sie Mr. Keverne mein Kompliment aus, und ich ginge von Bord, sobald ich seine Orders fertig hatte.»
        Bolitho ging noch einmal zum Admiral; aber dessen Befinden war kaum verandert. Er schien ruhig zu schlummern; sein runzliges Gesicht wirkte im Schlaf etwas entspannter.
        An Deck wartete Keverne schon.»Gig langsseit, Sir. «Keverne blickte hoch zu der schlaffen Flagge.»Der Wind ist fur die nachste Zeit gestorben, glaube ich.»
        Bolitho knurrte. Es war, als wolle Keverne ihn warnen: da? er, sobald er von Bord ging, allein war und nicht damit rechnen konnte, da? ihm das Schiff zu Hilfe kame. Er verfluchte seine eigene Unsicherheit. Keverne hatte doch keine Ahnung, worum es ging; und uberhaupt, was konnte er anderes tun? Zu warten, bis der Admiral kam, hie?e nur, sich vor der Verantwortung zu drucken, die er freiwillig ubernommen hatte.»Passen Sie gut auf das Schiff auf«, sagte er kurz und kletterte dann zu dem wartenden Boot hinunter.
        Als sie am Kai waren, stieg er die Stufen hinauf, blieb stehen und schaute zuruck. Da lag sein Schiff wie eingerahmt im blauen Wasser unter dem klaren Himmel, unzerstorbar, wie auf ewig. Eine Illusion, dachte er grimmig. Kein Schiff ist starker als die Manner, die auf ihm dienen.
        Kritisch sah Allday zu, wie der Bootsmannsmaat die Gig von den Steinen wegmanovrierte und sich zur Ruckfahrt anschickte.»Was jetzt, Captain?»

«Zum Haus. Ich habe noch etwas zu erledigen, und wir brauchen zwei Pferde.»
        Er fa?te sich an die Brust und fuhlte das Medaillon unter seinem Hemd. Cheney hatte es ihm geschenkt, es enthielt eine Locke ihres herrlichen braunen Haares. Er wurde es zu Hause lassen. Was heute nacht auch geschah, keiner sollte mit seinen dreckigen Pfoten dieses Medaillon anfassen.

«Ein schoner Tag«, sprach er langsam weiter.»Schwer, dabei an Krieg und dergleichen zu denken.»

«Aye, Captain«, stimmte Allday zu,»ein Krug Bier und eine Frauenstimme, das ware jetzt nicht schlecht.»
        Aber nun hatte es Bolitho auf einmal eilig.»Na, dann los, Allday. Wenn der Ofen hei? ist, mu? man Brot backen. Hat keinen Zweck, die Zeit mit Traumen zu vergeuden.»
        Bereitwillig ging Allday hinter ihm her, ein Lacheln auf den Lippen. Wie auf See war wieder mal alles drin. Was der Captain auch vorhatte, es schien ihn nicht nur zu bedrucken, sondern auch wutend zu machen, also wurde jemand noch vor dem Morgenrot kraftig eins auf den Kopf kriegen.
        Beim Gedanken an Bolithos Worte verzog er das Gesicht. Ein Bramsegel oder eine Pardune - mit beiden wurde er fertig. Auch eine zimperliche Frau ging noch an. Aber ein Pferd! Er rieb sich den Hintern. Wenn wir erst im» Drachenkopf «sind, dachte er duster, dann brauche ich mehr als nur einen Krug Bier.
        Kurz vor Sonnenuntergang sa?en sie auf, aber als sie den Flu? uber eine kleine Furt hinter Falmouth durchritten, wurde es schon schnell dunkel. Doch Bolitho kannte die Gegend wie seinen Handrucken und ritt in flottem Trab voran; der ungluckliche Allday folgte ihm, bis sie an den engen, gewundenen Feldweg kamen, der zur Bucht fuhrte. Stellenweise war er sehr steil, die Baumwipfel beruhrten sich beinahe in der Hohe, und aus dem dichten Gebusch am Wegrand kamen die Gerausche aufgeschreckter Tiere. Dann eine scharfe Biegung: ein paar Minuten lang hatten sie den Strand im Blickfeld, etwas weiter drau?en die wei?en Linien der Brandung und die machtigen Steine, die wie schwarze Zahne am Fu? der hohen Klippen lagen.

«Mein Gott, Captain«, keuchte Allday,»dieser Gaul hat keinen Respekt vor meinem Hintern!»

«Still, zum Teufel!«Bolitho parierte sein Pferd am Kamm der nachsten Erhebung und spahte angestrengt auf eine dunkle Linie dichten Gestrupps.
        Der Rand der Steilkuste verliefjetzt wieder landeinwarts und reichte wahrscheinlich bis auf ein paar Meter an die Busche heran. Dahinter glanzte matt das Meer, so glatt wie ein Zinnteller. Doch die Bucht lag in tiefem Schatten - vielleicht war uberhaupt kein Schiff da. Aber ebenso konnten es ein halbes Dutzend sein.
        Ein kleiner Schauer uberlief ihn, und er war ganz froh, da? er sich von Mrs. Ferguson hatte uberreden lassen, den dicken Bootsmantel anzuziehen. Hier oben war es kalt und die Luft feucht. Vor Sonnenaufgang wurde wieder Nebel aufkommen.
        Er horte Alldays schweren Atem neben sich und sagte:»Nicht mehr weit. Der Gasthof liegt ungefahr eine halbe Meile vor uns.»

«Das alles gefallt mir nicht, Captain«, knurrte Allday.

«Es mu? Ihnen auch nicht gerade gefallen. «Bolitho sah ihn an. Er hatte Allday in den Grundzugen gesagt, worum es ging, aber nicht mehr. Gerade so viel, damit er sich in Sicherheit bringen konnte, falls etwas schiefging.»Sie haben doch hoffentlich nicht vergessen. «Er brach ab und packte Allday am Arm.»Was war das?»
        Allday stellte sich in die Steigbugel.»Ein Hase vielleicht?»
        Der Anruf kam so plotzlich wie ein Schu?.»Stehenbleiben! Und die Hande so hoch, da? wir sie sehen konnen!»

«Bei Gott, ein verdammter Hinterhalt!«Allday griff nach seinem Entersabel.

«La? das!«Bolitho ri? sein Pferd herum und schlug Allday die Hand vom Sabelgriff. Genau das habe ich erwartet, Mann!»

«Sachte, Kapt'n!«sprach die Stimme von vorhin.»Wir wollen Ihnen ja nichts tun, aber.»
        Eine andere Stimme, harter und gespannter, fuhr dazwischen:»Wir haben keine Zeit zu verlieren! Entwaffne sie, und zwar schnell!»
        Es schienen etwa drei Mann zu sein. Eine schattenhafte Gestalt griff an Alldays Seite und befreite ihn von seinem Entersabel. Bolitho horte, wie der Stahl klirrend auf den steinigen Weg fiel. Neben ihm tauchte ein anderer Mann aus dem Dunkel auf.»Und Sie auch, Sir. Sie haben doch bestimmt Pistolen mit?»
        Bolitho reichte sie ihm zusammen mit dem Sabel hinunter und sagte kaltblutig:»Ich habe ja gehort, da? es eine Vertrauenssache ist, aber ich wu?te nicht, da? das Vertrauen einseitig sein soll.»
        Der Mann zogerte.»Wir riskieren eine ganze Menge, Kapt'n. Sie hatten ja Miliz mitbringen konnen. «Er schien etwas Angst zu haben.
        Der andere, der sich noch nicht hatte sehen lassen, rief dazwischen:»Nehmt die Pferde beim Kopf und fuhrt sie!«Und nach einer kurzen Pause:»Ich bleibe achtern. Eine falsche Bewegung, und ich schie?e ohne langes Palaver!»

«So eine Frechheit«, murmelte Allday.»Den Saukerl schnappe ich mir noch.»
        Bolitho blieb stumm und lie? den Mann das Pferd fuhren. Er hatte es nicht anders erwartet. Nur ein Dummkopf hatte bei einem solchen Treffen die elementarsten Vorsichtsma?regeln au?er acht gelassen.
        Wahrscheinlich war man ihnen schon wahrend der letzten paar Minuten gefolgt. Der Hufschlag ihrer Pferde hatte die Gerausche wohl uberdeckt.
        An der Wegbiegung leuchtete ein einzelnes Licht auf, und er sah die wei?lichen Umrisse des Gasthofes. Ein kleines schabiges Bauwerk, das im Lauf der Jahre mehrfach um- und ausgebaut worden war - offenbar ohne viel Sinn fur architektonische Schonheit.
        Der Mond schien nicht, und die Sterne sahen ganz winzig aus. Es war auch kalter geworden; die See lag nicht weit entfernt, wie Bolitho wu?te. Ein rauher, gefahrlicher Pfad von etwa einer halben Meile fuhrte zum Fu? der Klippen. Kein Wunder, da? der Gasthof bei den Schmugglern als sicherer Ort galt.

«Absitzen!»
        Vom Hause her kamen noch zwei Gestalten, und als Bolitho sich aus dem Sattel schwang, sah er Metall glitzern.»Mir nach!»
        Im Gastzimmer mit dem niedrigen Gebalk brannte nur eine Laterne, aber nach dem stockfinsteren Feldweg wirkte sie wie ein Leuchtturm. Der Raum stank nach Bier und Tabak, Speck und Dreck.
        Der Wirt trat ins Lampenlicht, sich die Hande an einer langen schmutzigen Schurze reibend. Er sah genauso aus, wie Allday es beschrieben hatte: sein eines Auge schielte so stark, als wolle es aus der Hohle fallen.

«Hab nichts mit zu tun, Sir«, winselte er dunn.»Bitte vergessen Sie das nich'!«Er richtete sein gesundes Auge auf Bolitho und jammerte weiter:»Ich hab Ihren Vater gekannt, Sir, ein feiner Mann!»

«Halt's Maul!«blaffte die Stimme dazwischen.»Ich hang' dich an deinen eigenen Deckenbalken auf, wenn du nicht mit diesem Gewinsel aufhorst!»
        Der Gastwirt kroch wieder in den Schatten zuruck, und Bolitho wandte sich langsam um. Der Sprecher war etwa drei?ig; sein Gesicht war rot, aber nicht so gegerbt, wie man es bei einem Seemann erwartet hatte. Er war recht gut gekleidet: einfacher blauer Rock und frischgewaschenes Hemd. Ein intelligentes, hartes Gesicht. Ein Mann, der wahrscheinlich zu Wutausbruchen neigte.

«Ich sehe Taylor nicht.»
        Der Mann, offenbar der Anfuhrer, erwiderte kalt:»Er ist bei den Booten.»
        Bolitho sah sich die anderen an: vier, und drau?en waren wahrscheinlich noch zwei. Lauter Matrosen. Sie schienen sich au?erordentlich unbehaglich zu fuhlen und blickten mit einer Mischung aus Angst und Resignation ihren Sprecher an.

«Setzen Sie sich bitte, Captain. Ich habe Ale bestellt. «Er lachelte hohnisch. Aber vielleicht mochte ein Gentleman wie Sie lieber Brandy?»
        Der Mann wollte offensichtlich provozieren.»Ale ist mir sehr willkommen«, antwortete Bolitho gelassen, knopfte sich den Mantel auf und lie? sich in einen Stuhl fallen.»Ihr seid der gewahlte Delegierte?»

«Bin ich. «Mit wachsender Nervositat sah er zu, wie der Wirt einen schaumenden Tonkrug mit Ale und ein paar Humpen anbrachte.»Du bleibst in deiner Kuche!»
        Etwas ruhiger fuhr er fort:»Nun, Captain, haben Sie sich entschlossen, unsere Bedingungen anzunehmen?»

«Ich wu?te nicht, da? wir irgend etwas abgesprochen hatten. «Bo-litho hob den Humpen und merkte mit Befriedigung, da? seine Hand noch ruhig war.»Ihr habt ein Schiff in eure Gewalt gebracht. Das ist Meuterei, und wenn ihr weiter auf eurem Plan beharrt, auch noch Hochverrat.»
        Seltsamerweise schien der Mann eher befriedigt als zornig zu sein.»Da hort ihr's, Jungs! Mit solchen Leuten ist nicht zu verhandeln. Statt Zeit zu vergeuden, hattet ihr gleich auf mich horen sollen!»
        Ein grauhaariger Deckoffizier fuhr dazwischen:»Sachte! Vielleicht erzahlst du ihm erst mal das andere, woruber wir uns geeinigt haben?»

«Du Narr!«Der Sprecher wandte sich wieder an Bolitho.»Ich wu?te, da? es so kommen wurde. Die Jungs in Spithead haben gewonnen, weil sie zusammengehalten haben. Nachstes Mal lassen wir uns durch keine verdammten Versprechungen auseinanderbringen!»
        Der Deckoffizier sagte rauh:»Wurden Sie sich bitte dieses Buch ansehen, Sir. «Er schob es uber den Tisch und blickte Bolitho dabei fest ins Gesicht.»Drei?ig Jahre fahre ich zur See, als Junge und als Mann, und ich war noch nie an so einer Geschichte beteiligt, bei Gott nicht,
        Sir.»

«Deswegen hangen sie dich doch, du Narr«, sagte der Sprecher verachtlich.»Aber zeig's ihm ruhig, wenn dir davon besser wird.»
        Bolitho schlug das leinengebundene Buch auf und durchblatterte die Seiten. Es war das Strafbuch der Fregatte; und als er die saubergeschriebenen Eintragungen uberflog, drehte sich ihm vor Abscheu der Magen um.
        Keiner der Manner konnte wissen, was das Buch fur ihn bedeutete. Sie versuchten nur, ihm zu zeigen, was sie durchgemacht hatten. Aber grundsatzlich sah sich Bolitho bei jedem Schiff, das er ubernahm, zuerst das Strafbuch an. Er war uberzeugt, da? es besser als alles andere zeigte, was der vorherige Kommandant fur ein Mensch war.
        Er wu?te, da? sie ihn beobachteten, und spurte die Spannung im Raum wie etwas Korperliches. Die meisten der aufgefuhrten Vergehen waren banal und ziemlich typisch: ungebuhrliches Betragen, Ungehorsam, mangelnde Sorgfalt im Dienst, Unverschamtheit. Er wu?te aus Erfahrung, da? sie gro?tenteils nicht viel mehr bedeuteten als Unwissenheit des Betreffenden.
        Aber die Strafen waren furchtbar. Allein in einer Woche, in der die Auriga Patrouille vor Le Havre gefahren war, hatte der Kommandant insgesamt tausend Peitschenhiebe verhangt. Zwei Mann waren in dieser Woche zweimal ausgepeitscht worden; einer war daran gestorben.
        Er klappte das Buch zu und sah hoch. Es gab dazu viele Fragen. Warum hatte der Erste Offizier nichts unternommen, um dieser Brutalitat Einhalt zu gebieten? Aber das war naturlich Unsinn. Was hatte zum Beispiel Keverne dagegen tun konnen, wenn sein Kommandant solche Strafen verhangt hatte? Bei dieser Vorstellung stieg plotzliche Wut in Bolitho hoch. Er hatte oft genug bemerkt, wie die Leute ihn ansahen, wenn etwas nicht klappte. Und das kam gar nicht so selten vor, denn die Bedienung eines Linienschiffes war eine komplizierte, schwere Arbeit. Manchmal lag wildes Entsetzen in diesen Blicken, und das machte ihn jedesmal ganz krank. Der Kommandant, jeder Kommandant, kam gleich nach Gott, soweit es die Mannschaft betraf: ein hoheres Wesen, das mit einer Hand Beforderungen und mit der anderen die schlimmsten Strafen austeilen konnte. Der Gedanke, da? manche, wie der Kommandant der Auriga, diese Macht mi?brauchten, war abscheulich.
        Langsam sagte er:»Ich mochte an Bord kommen und mit Ihrem Kommandanten sprechen.
«Ein paar Manner wollten gleichzeitig etwas sagen, aber er sprach weiter:»Ohne das kann ich nichts tun.»
        Der Hauptdelegierte sagte:»Sie mogen ja die anderen eingewickelt haben, aber ich durchschaue Sie. «Zornig fuhr er mit der Hand durch die Luft.»Zuerst tun Sie, als ob Sie Mitgefuhl mit uns haben, und dann liefern Sie uns an den Galgen, damit jeder Seemann sieht, was es einbringt, einem Offizier zu trauen!»
        Allday fluchte und wollte aufspringen, sah aber Bolitho nur hilflos an, als dieser sagte:»Nur Ruhe, Allday! Wenn ein Mann denkt, es ist Zeitverschwendung, ein Unrecht gutzumachen, dann hat es keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren.»

«Aye«, brummte einer der Matrosen.»Was is'n dabei, wenn der Kapt'n an Bord kommt? Wir konnen ihn ja als Geisel mitnehmen, wenn er uns reinlegt.»
        Zustimmendes Gemurmel - sekundenlang wu?te der Anfuhrer nichts einzuwenden, das sah Bolitho recht gut.
        Er riskierte daher den nachsten Zug.»Wenn ihr andererseits nicht die Absicht hattet, Gerechtigkeit zu suchen, sondern lediglich einen Vorwand wolltet, um mit dem Schiff zum Feind uberzulaufen - «, er lie? das Wort einen Moment in der Luft hangen - ,»fur diesen Fall mu? ich euch allerdings darauf hinweisen, da? ich bereits gewisse Anordnungen getroffen habe, um euch zuvorzukommen.»

«Er blufft!«Aber die Stimme des Mannes klang nicht mehr so sicher.»Hier ist meilenweit kein Schiff!»

«Bei Sonnenaufgang kommt wieder Nebel auf. «Bolitho steckte die Hande unter die Tischplatte, weil er wu?te, da? sie vor Erregung oder Schlimmerem zitterten.»Erst im Laufe des Vormittags konnt ihr Segel setzen. Ich kenne die Bucht genau - sie ist zu gefahrlich. «Seine Stimme wurde harter.»Ganz besonders ohne eure Offiziere!

        Der Deckoffizier murmelte:»Da hat er recht, Tom. «Er streckte den Kopf vor.»Warum sollen wir 's nicht so machen, wie er sagt? Anhoren kann doch nicht schaden.»
        Nachdenklich betrachtete Bolitho den Anfuhrer. Tom war also sein Name. Immerhin ein Anfang.

«Hol der Satan eure Augen, allesamt!«schrie dieser, kirschrot vor Jahzorn. Delegierte wollt ihr sein? Ein Haufen alter Weiber seid ihr!»
        Aber seine Wut verflog so rasch, wie sie gekommen war, und Bo-litho mu?te wieder an Keverne denken.»Also gut, einverstanden«, sagte der Mann grob und deutete auf den alten Unteroffizier.»Du bleibst hier mit einem Mann als Ausguck. «Und mit einem feindseligen Blick auf Allday:»Diesen Lakaien da kannst du als Geisel hierbehalten. Wenn wir ein entsprechendes Signal geben, legst du ihn um. Wenn uns irgendeiner angreift, schie?en wir sie alle beide tot und hangen sie neben unseren ehemaligen Herrn und Gebieter - recht so?»
        Der Deckoffizier zuckte zusammen, nickte aber.
        Mit einem Blick in Alldays finsteres Gesicht sagte Bolitho:»Sie wollten Ruhe und ein Bier. Jetzt haben Sie beides. «Dann legte er ihm kurz die Hand auf die Schulter und konnte dabei den Zorn und die Gespanntheit des Mannes beinahe fuhlen. Es wird schon klargehen. «Er versuchte, seinen Worten etwas mehr Gewicht zu geben. Wir kampfen ja schlie?lich nicht gegen den Landesfeind.»

«Das werden wir sehen. «Der Mann namens Tom machte eine spottische Verbeugung und offnete die Tur.»Jetzt gehen Sie vor und verhalten sich anstandig. Es macht mir gar nichts aus, wenn ich Sie auf der Stelle niederhauen mu?!»
        Ohne zu antworten, schritt Bolitho in die Dunkelheit hinaus. Sie hatten die ganze Nacht vor sich, aber bis zum Morgengrauen mu?te noch viel getan werden, wenn es Hoffnung auf Erfolg geben sollte. Wahrend er eilig den steilen Pfad hinunterstieg, dachte er wieder an das Strafbuch. Es war eigentlich uberraschend, da? sich Manner, die solche Unmenschlichkeiten erduldet hatten, noch die Muhe machten, Gerechtigkeit zu suchen, und das durch Mittel, von denen sie kaum etwas verstanden. Noch uberraschender war, da? die Meuterei nicht schon vor Monaten ausgebrochen war. Diese Erkenntnis machte ihm Mut, obwohl er wu?te, da? sie nur eine unsichere Grundlage darstellte.



        III Flaggengru?


«Boot ahoi!«Der Anruf schien aus dem Nirgendwo zu kommen. Ein Mann am Bug legte die Hande an den Mund und sang aus:»Die Delegierten!«Bolitho versteifte sich in der Ducht, als die vor Anker liegende Fregatte plotzlich aus der Dunkelheit herauswuchs, die leeren Rahen und die langsam kreisenden Masten sich schwarz gegen den Sternenschimmer abzeichneten. Wahrend die Jolle langsseit ging, unterschied er die sorgfaltig aufgeriggten Enternetze uber dem Laufgang und eine Anzahl dunkler Gestalten, die sich um die Fallreepspforte drangten. Er fuhlte sein Herz rasen und fragte sich, ob die wartenden Meuterer wohl ebenso gespannt waren wie er.
        Eine Hand ruttelte ihn an der Schulter.»Hinauf mit Ihnen!»
        Als er sich durch die Pforte schwang, wurde eine Laterne aufgeblendet; der gelbe Lichtstrahl spielte um seine Epauletten, und die Manner drangten sich neugierig heran.

«Also ist er gekommen«, sagte einer.
        Dann Taylors Stimme, scharf und befehlend:»Macht Platz, Manner! Wir haben zu tun.»
        Wortlos wartete Bolitho ab, bis die Delegierten der Deckswache ihre Instruktionen zugeflustert hatten. Das Schiff schien unter Kontrolle zu sein; es gab keine Anzeichen von Streit oder Trunkenheit, wie es auch zu erwarten gewesen ware. Zwei Geschutze waren ausgerannt, vermutlich mit gehacktem Blei geladen, fur den Fall, da? ein mi?trauisches Patrouillenboot zu dicht herankam. Auf dem Achterdeck befand sich ein Deckoffizier als Befehlshaber der Wache, aber es waren weder Offiziere noch Marine - Infanteristen zu sehen. Der Mann, der Tom hie?, sagte scharf:»Wir gehen nach achtern, und Sie konnen den Kapt'n sprechen. «Was er dazu fur ein Gesicht machte, konnte Bolitho nicht sehen.»Aber keine Tricks!«Bolitho ging nach achtern und duckte sich unter die Kampanjepforte. Obwohl er nacheinander zwei Linienschiffe kommandiert hatte, konnte er sich nicht an ihre betrachtliche Stehhohe gewohnen. Vielleicht hatte er sich in all dieser Zeit nach dem Schwung und der Unabhangigkeit eines Fregattenkapitans gesehnt.
        Zwei bewaffnete Matrosen sahen ihn kommen und nahmen nach kurzem Zogern Haltung an. Den Hauptdelegierten schien das zu amusieren.»So ist's richtig, Jungs - Respekt, Respekt, wie sich's gehort - wie?«grinste er.
        Damit ri? er die Tur auf und lie? Bolitho den Vortritt. Die Kajute, in der drei Laternen brannten, war ziemlich hell, aber die Laden vor den Heckfenstern waren geschlossen, und die Luft war stickig und feucht. Ein Matrose mit einer Muskete lehnte am Schott, und auf der Bank sa? der Kommandant der Auriga.
        Er war ziemlich jung, etwa sechsundzwanzig, schatzte Bolitho; die einzelne Epaulette auf der rechten Schulter zeigte, da? er noch nicht drei Kapitansjahre hinter sich hatte. Seine Gesichtszuge waren scharf und feingeschnitten, aber die Augen sa?en sehr nahe beieinander, so da? die Nase unproportioniert wirkte. Er starrte Bolitho sekundenlang an und sprang dann auf.

«Das ist Kapitan Bolitho«, sagte der Delegierte rasch und wartete dann, bis sich der Kommandant beruhigt hatte.»Er ist allein. Hat keine Armee Bullen[Spottname fur Marine-Infanteristen] mit, um Sie hier rauszuhauen, furchte ich.»
        Bolitho nahm den Hut ab und legte ihn auf den Tisch.»Sie sind Captain Brice? Dann mu? ich Ihnen gleich sagen, da? ich ohne jede andere Autoritat als meine eigene hier bin.»
        Wie ein Schock ging es uber Brices Zuge, aber dann fiel das Visier, und er wirkte wieder ruhig. Ruhig, aber wachsam wie ein wildes Tier.

«Meine Offiziere sind unter Bewachung«, erwiderte er,»und die Marine-Infanterie war noch nicht an Bord. Sie sollte direkt von Ply-mouth kommen. «Er scho? einen wutenden Blick auf den Delegierten ab.»Sonst wurde Mister Gates hier ein anderes Lied singen, verdammt seien seine Augen!»
        Ruhig erwiderte der Delegierte:»Lassen Sie das gefalligst, Sir. Wenn ich wollte, konnte ich Sie auf der Stelle an den Gratings[Holzrahmen, an den der Delinquent bei der Auspeitschung gebunden wurde] tanzen lassen. Aber dazu ist ja immer noch Zeit.»

«Ich mochte Captain Brice allein sprechen«, unterbrach Bolitho.
        Er wartete auf Widerspruch, aber der Delegierte sagte kuhl:»Wie Sie wollen. Es nutzt ja doch nichts, und das wissen Sie auch. «Lassig pfeifend verlie? er zusammen mit dem bewaffneten Matrosen die Kajute und schlug die Tur hinter sich zu.
        Brice wollte sprechen, aber Bolitho sagte rasch:»Wir haben wenig Zeit, ich will mich also so kurz wie moglich fassen. Das ist eine ernste Sache, und wenn das Schiff tatsachlich dem Feind ubergeben wird, kann kein Mensch sagen, was es fur Konsequenzen hat. Ich konnte kaum etwas dagegen tun und habe diesen Mannern auch nur sehr wenig anzubieten, was sie zum Nachgeben veranlassen konnte.»
        Brice starrte ihn an.»Aber, Sir, Sie sind doch der Flaggkapitan? Sie brauchen doch nur Ihre Macht zu demonstrieren, nur einmal richtig anzugreifen, und dieser Abschaum der Flotte wurde bald die Lust zum Meutern verlieren.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Das neue Geschwader ist noch nicht aufgestellt. Alle Schiffe sind irgendwo anders, zu weit weg jedenfalls, um hier von Nutzen zu sein. Mein eigenes liegt in Falmouth. Es kann Ihnen genausowenig helfen, als lage es auf dem Mond. «Sein Ton wurde harter.»Ich habe einiges von dem gehort, woruber sich Ihre
        Mannschaft beklagt, und kann wenig oder gar kein Mitgefuhl fur Ihre selbstverschuldete personliche Situation aufbringen.»
        Hatte er Brice ins Gesicht geschlagen, ware die Wirkung nicht starker gewesen. Der Kommandant sprang auf, seine dunnen Lippen zitterten vor Wut.»Das ist eine Gemeinheit, was Sie da sagen! Ich habe das Schiff nach bestem Konnen gefuhrt, meine lange Prisenliste ist der Beweis dafur! Aber ich war mit dem Abschaum der Gosse geschlagen, und mit Offizieren, die entweder zu jung oder zu trage waren, um den Ausbildungsstandard durchzusetzen, den ich von meinen Leuten erwarte.»
        Bolitho verzog keine Miene.»Mit Ausnahme Ihres Ersten, nehme ich an?»
        Und ehe Brice antworten konnte, fuhr er ihn an:»Und setzen Sie sich gefalligst! Wenn Sie mit mir reden, dann reden Sie hoflich, verstanden?«Er hatte tatsachlich gebrullt, und das uberraschte ihn. Dergleichen mu? ansteckend sein, dachte er. Aber sein Ausbruch schien gewirkt zu haben.
        Brice sank wieder auf die Bank und sagte dumpf:»Mein Erster Offizier ist ein guter Soldat. Ein harter Mann, aber das…»
        Bolitho beendete den Satz fur ihn.»Aber gerade das erwarten Sie von ihm - eh?»
        Jenseits des Schotts horte man streitende Stimmen, doch es wurde gleich wieder still.

«Ihr Verhalten«, fuhr Bolitho fort,»konnte Sie vor ein Kriegsgericht bringen, wenn wir im Hafen waren.»
        Das sa? - Brices Finger pre?ten sich plotzlich nervos zusammen.

«Nach der Spithead-Affare«, fuhr Bolitho fort,»hatten Sie doch zumindest etwas auf die Bedurfnisse Ihrer Mannschaft eingehen mussen. Herrgott im Himmel, Mann, sie verdienen doch wenigstens gerechte Behandlung!»
        Brice sah ihn bose an.»Die haben nur gekriegt, was sie verdienten.»
        Bolitho mu?te an Taylors Worte denken: Ein ungluckseliges Schiff. Leicht konnte er sich vorstellen, was fur eine Holle dieser Mann daraus gemacht hatte.»Dann kann ich Ihnen nicht helfen«, sagte er.
        In Brices Augen glomm Bosheit auf.»Jetzt la?t man Sie bestimmt nicht mehr vom Schiff.»

«Mag sein. «Bolitho stand auf und schritt zur anderen Wand.»Aber bei Morgengrauen wird hier Nebel aufkommen. Wenn er sich hebt, wird dieses Schiff etwas anderes vor sich sehen als leere Worte und Drohungen. Kein Zweifel, da? Ihre Leute kampfen werden, aber dann wird es zu spat sein. Zu spat fur Kompromisse.»

«Ich hoffe nur, ich sehe sie alle krepieren«, sagte Brice.

«Das bezweifle ich, Captain. Aus dem Jenseits vielleicht. Sie und ich werden so hoch baumeln, da? wir tot die allerbeste Aussicht genie?en.»

«Das wagen sie nicht!«Aber Brices Stimme klang nicht mehr so sicher.

«Nein?«Bolitho beugte sich vor, bis ihre Gesichter nur noch zwei Fu? voneinander entfernt waren.»Sie haben sie sinnlos gequalt, Sie haben sich nicht wie ein Offizier des Konigs, sondern wie ein irrsinniger Unhold benommen. «Er fa?te zu, ri? Brice die Epaulette von der Schulter und warf sie auf den Tisch. Sein Gesicht war starr vor Zorn.»Wie konnen Sie sich unterstehen, davon zu reden, was Ihre Leute nach solcher Behandlung tun oder nicht tun konnen? Wenn Sie Offizier auf meinem Schiff waren, hatte ich Ihnen schon langst das Ruckgrat gebrochen, ehe Sie Schimpf und Schande uber das Kommando bringen konnten, das man Ihnen anvertraut hat!«Er trat zuruck; wild schlug ihm das Herz gegen die Rippen.»Machen Sie sich da nichts vor, Captain Brice: wenn Ihr Schiff hier herauskommt und zum Feind uberlauft, waren Sie sowieso besser tot. Sonst wird die Schande Sie schwerer drucken als jedes hollische Joch, das konnen Sie mir glauben!»
        Brices Augen fuhren wild in der Kajute herum und kamen dann auf der abgerissenen Epaulette zur Ruhe. Er war niedergeschmettert, vollkommen betaubt von Bolithos Vorwurfen.
        Etwas ruhiger fuhr Bolitho fort:»Sie konnen das menschliche Freiheitsbedurfnis nicht erschlagen, begreifen Sie das nicht? Freiheit ist schwer zu gewinnen und noch schwerer zu bewahren; aber diese Manner, so unwissend sie auch sein mogen, verstehen alle sehr genau, was Freiheit bedeutet. «Er hatte keine Ahnung, ob seine Worte irgendwelche Wirkung erzielten. Die Stimmen an Deck waren wieder lauter geworden, und seine Hoffnungslosigkeit wuchs. Er sprach weiter:»Jeder Matrose wei?: Sobald er im Dienste des Konigs steht, hangt es allein von seinem Kommandanten ab, wie gut oder wie schlecht es ihm geht. Aber Sie konnen nicht erwarten, da? die Manner ihr Bestes im Kampf geben, wenn sie ohne Sinn und Verstand geschunden werden.»
        Brice sah auf seine Hande hinunter. Sie zitterten heftig.»Sie haben gemeutert«, sagte er dumpf.»Gegen mich, gegen meine Autoritat.»

«Mit Ihrer Autoritat ist es sowieso vorbei«, erwiderte Bolitho ernst.»Ihretwegen habe ich meinen Bootsfuhrer als Geisel an Land gelassen. Sie haben weit mehr als unser aller Leben aufs Spiel gesetzt, und es tut mir nur leid, da? Sie selbst nicht lange genug leben werden, um zu sehen, was Sie angerichtet haben.»
        Die Tur wurde aufgerissen, und Gates trat in die Kajute, die Hande an den Huften. Alles klar, Gentlemen?«Er lachelte hohnisch.
        Bolitho sah ihn fest an, seine Kehle war staubtrocken; in der stik-kigen Kajute war es auf einmal totenstill.

«Danke, ja. «Ohne Brice anzusehen, sprach er gleichmutig weiter.»Ihr Kommandant ist damit einverstanden, sich als unter Arrest stehend zu betrachten und meine weiteren Befehle abzuwarten. Wenn Sie die Offiziere des Schiffes sofort freilassen…»
        Gates starrte ihn an.»Was haben Sie da gesagt?»
        Bolitho spannte sich in der Erwartung, da? Brice ihn lauthals beschimpfen und die sofortige Zurucknahme dieser Forderung verlangen wurde. Aber es kam nichts, und als er den Kopf wandte, sah er, da? Brice auf die Planken starrte, reglos, wie betaubt.
        Steuermannsmaat Taylor drangte sich durch die anderen und rief wild:»Hort ihr, Jungs? Was hab' ich euch gesagt?«Erleichtert starrte er Bolitho an.»Mein Gott, Kapt'n, das sollen Sie nie bereuen!»
        Heiser rief Gates dazwischen:»Ihr Narren, ihr blinden, unwissenden Idioten!«Dann wandte er sich an Bolitho:»Nun sagen Sie ihnen schon, wie es weitergeht!»
        Bolitho hielt seinem starren Blick stand.»Wie es weitergeht? Hier hat es ungesetzliche Befehlsverweigerung gegeben. Unter diesen Umstanden glaube ich, da? das Urteil einigerma?en milde ausfallen wird. Allerdings - «, er sah die durch die Tur spahenden Matrosen bedeutsam an - ,»vollig ubersehen kann man euer Vergehen nicht.»

«Der Galgen ubersieht nie jemanden, nicht wahr?«sagte Gates.
        Taylor war der erste, der die darauf plotzlich eintretende Stille brach.»Was haben wir fur Chancen, Kapt'n?«Er straffte die Schultern.»So blind, wie manche Leute denken, sind wir auch wieder nicht. Wir wissen, da? wir 's verpatzt haben, aber wenn's irgendwelche
        Hoffnung fur uns gibt, dann…«Wieder blieb alles still, als seine Stimme verklang.
        Ruhig und fest erwiderte Bolitho:»Ich werde mit Sir Charles Thel-wall sprechen. Er ist ein menschlicher, gro?zugiger Offizier, dafur kann ich mich verburgen. Er wird zweifellos so denken wie ich: was passiert ist, war schlimm genug, aber was hatte passieren konnen, ist noch viel schlimmer. «Er hob die Schultern.»Mehr kann ich nicht sagen.»
        Garrtes starrte um sich.»Na, Jungs - seid ihr noch auf meiner Seite?»
        Taylor wandte sich den Mannern zu.»Wir werden uns besprechen. Aber ich bin dafur, da? wir Kapt'n Bolithos Ehrenwort annehmen. «Er rieb sich das Kinn.»Ich hab mein Leben lang hart gearbeitet, um so weit zu kommen, wie ich gekommen bin, und zweifellos ist das jetzt alles beim Teufel. Hochstwahrscheinlich werde ich die Katze schmek-ken mussen, aber es ware nicht das erstemal. Lieber das als dieses Hundeleben. Und ich habe keine Lust, den Rest meiner Tage in Frankreich zu verbringen oder mich hier jedesmal zu verstecken, wenn ich 'ne englische Uniform sehe. «Er wandte sich zur Tur.

«Mannschaftsbesprechung, Jungs!»
        Einzeln gingen sie hinaus. Gates blickte ihnen nach und sagte dann kalt:»Falls sie auf Ihre leeren Versprechungen eingehen, Captain Bolitho, dann will ich erst sein Gestandnis hier schriftlich haben. «Er nickte zum Kommandanten hin.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie konnen Ihre Aussage vor dem Kriegsgericht machen.


«Ich?«lachte Gates.»Ich werde nicht an Bord sein, wenn diese Narren geschnappt werden. «Er drehte sich halb um und horchte auf das Stimmengemurmel.»Bin gleich wieder hier. «Damit ging er.
        Brice atmete langsam aus.»Das war ja furchtbar. Und vielleicht glauben sie Ihnen doch nicht.»

«Wir konnen nur hoffen. «Bolitho setzte sich.»Und ich hoffe, Sie glauben mir auch. Das war keine leere Drohung, um die Manner zu tauschen.»
        Verstohlen, damit Brice nicht merkte, wie unsicher er war, blickte er zur Tur. Dieser Gates scheint ja eine ganze Menge zu wissen.«»Er war mein Schreiber. «Brice schien in Gedanken versunken.»Ich erwischte ihn beim Schnapsstehlen und lie? ihn peitschen. Bei Gott, wenn ich den jemals in die Finger kriege. «Er sprach nicht zu Ende.
        Die Kajutenlaternen begannen im Gleichtakt zu schwanken und kamen in einem spitzeren Winkel zur Ruhe. Die Brise hatte aufgefrischt; da wurde es morgen vielleicht doch keinen Nebel geben. Das widerspenstige Wetter von Cornwall konnte einen jederzeit Lugen strafen.
        Die Tur flog auf, und Taylor trat ein.»Es ist entschieden, Sir. «Brice ignorierte er.»Wir sind einverstanden.»
        Bolitho stand auf und versuchte, seine Erleichterung zu verbergen.»Danke. «Ein Boot prallte dumpf an die Bordwand, und er vernahm laute Befehle an die Rudergasten.

«Die holen die anderen, Sir, und Ihren Bootsfuhrer. Gates ist ausgerissen«, sagte Taylor und schlug verlegen die Augen nieder.
        Noch mehr Stimmen, und drei Offiziere, in etwas unordentlicher Kleidung, aber voller Spannung, traten in die Kajute. Zwei waren sehr jung, und der etwas altere Mann, hochgewachsen, dunnlippig, war offenbar der Erste, von dem Taylor gesagt hatte, er ware ein Schinder und lie?e die Leute beim geringsten Anla? peitschen. Bolitho mu?te an Keverne denken und hatte dabei plotzlich ein Gefuhl der Dankbarkeit.
        Der Leutnant sagte rauh:»Mein Name ist Massie, Sir. Ich bin der Dienstalteste. «Er blickte fragend zu Brice hinuber, fuhr aber zusammen und versteifte sich, als Bolitho sagte:»Begeben Sie sich vorlaufig in Kajutenarrest. Zu Ihrem eigenen Besten!«Dann wandte er sich an die anderen beiden Offiziere.»Wie ist der Wind?»

«Frischt auf, Sir. Aus Sudwesten. «Der junge Leutnant begriff anscheinend nicht, was los war.

«Sehr schon. Sagen Sie dem Master Bescheid, da? wir Anker lichten, sobald das Boot zuruckkehrt. Wenn wir morgen fruh in Falmouth sein wollen, mussen wir ein ganzes Stuck aus der Bucht herauskommen. «Er zwang sich ein Lacheln ab.»Ich wunsche nicht, da? die Auriga auf Gull Rock festsitzt, wo sie jeder begaffen kann!»
        Die Atmosphare an Deck kam ihm sauberer vor, nicht mehr so bedrohlich. Eine Illusion, dachte Bolitho, aber nicht ganzlich unbegrundet. Er sah, da? sich der Steuermann die Instruktionen des Leutnants stumm und mit unglaubigem Kopfschutteln anhorte.»Ich ubernehme die Verantwortung«, sagte er gelassen,»es ist viel besser, ein kleines Risiko einzugehen, als da? Ihre Manner jetzt nichts zu tun haben.»
        Und au?erdem, dachte er bei sich, ist es besser, im Dunkeln zu segeln, als morgen in aller Herrgottsfruhe die Breitseiten der Euryalus vor sich zu haben.
        Als das Boot wieder langsseit lag, sah er Allday durch die Fallreepspforte klettern und wild nach allen Richtungen um sich starren, als wolle er das Schiff ganz allein kapern.
        Endlich sah er Bolitho und rief gepre?t:»Bei Gott, Captain, das hatte ich nie erwartet!«Seine Bewunderung fur Bolitho wurde nur noch von seiner offenkundigen Besorgnis ubertroffen.

«Tut mir leid, da? ich Sie in Gefahr gebracht habe«, grinste Bolitho.
        Der Bootsfuhrer wartete einen Moment, bis einige voruberhastende Matrosen au?er Horweite waren.»Ich wollte gerade abhauen, Captain, und noch mal mein Gluck auf diesem verdammten Gaul versuchen. Vielleicht ware ich noch rechtzeitig nach Falmouth gekommen und hatte Alarm geben konnen.»
        Bolitho runzelte die Stirn.»Und Ihre Bewacher?»
        Allday zuckte die Schultern und zog dann ein Hosenbein hoch. Im schwachen Sternenlicht konnte Bolitho erkennen, da? eine kleine, doppellaufige Pistole aus seinem Strumpf hervorsah.

«Ich hatte die zwei Hubschen ohne viel Muhe schlafenlegen konnen.»
        Verblufft starrte Bolitho ihn an.»Sie uberraschen mich immer wieder, Allday. Da hatten Sie sich einen eigenen Plan zurechtgelegt?»

«Es war nicht nur mein eigener. Bryan Ferguson hat mir die Pistole gegeben, bevor wir abritten. Er hatte sie dem Offizier des Postbootes in Falmouth abgekauft. «Er atmete laut aus.»Ich hatte keine Lust, Sie alles allein machen zu lassen, Captain.
«Dabei sah er sich auf dem Achterdeck um.»Nicht bei so einem Sauhaufen wie diesem hier!«schlo? er grimmig.
        Bolitho wandte sich ab und dachte kurz uber Alldays simple Treue nach. Er wollte die rechten Worte finden, Worte, die ausdruckten, was diese gerade jetzt fur ihn bedeutete.

«Danke Ihnen, Allday. Das war tollkuhn, aber au?erordentlich umsichtig. «Warum konnte er nie die Worte finden, wenn er sie brauchte? Und warum grinste Allday so uber alle Backen?

«Wei? der Deibel, Captain, Sie sind ganz schon kaltblutig! Wir konnten beide tot sein, und statt dessen stehen wir hier so sicher wie der Tower von London. «Er rieb sich den Hosenboden.»Und au?erdem kommen wir per Schiff nach Falmouth zuruck, wie es sich fur Seeleute gehort, nicht auf so einer knochigen Mi?geburt von Gaul.»
        Bolitho packte seinen muskulosen Unterarm.»Freut mich, da? Sie zufrieden sind.»
        Ein Leutnant kam uber das Deck und fa?te an den Hut.»Gangspill ist klar, Sir, und Boot eingesetzt.»

«Recht so. «Jetzt war ihm auf einmal das Herz wieder leicht. Moglicherweise hatte er bei alledem gar nicht erkannt, wie nahe er der Katastrophe gewesen war. Allday hatte das begriffen und auf seine eigene Weise Vorbereitungen getroffen. Aber angenommen, Brice hatte sich geweigert nachzugeben, oder Gates hatte seine Manner noch fest unter Kontrolle gehabt. Er schob den Gedanken von sich. Das war vorbei, und er konnte Gott danken, da? bei dieser Revolte niemand verwundet oder gar getotet worden war.

«Bestellen Sie bitte dem Master, er soll einen ablandigen Kurs setzen. So weit sudostlich, da? wir genugend Seeraum zum Halsen haben.»
        Der junge Offizier stand reglos. In der Dunkelheit sah es aus, als waren seine Augen so gro? wie sein ganzes Gesicht. Freundlich fuhr Bolitho fort:»Ihr Name ist Laker, stimmt das?«Der junge Mann nickte.»Schon, Mr. Laker, stellen Sie sich vor, Ihre beiden Vorgesetzten waren vorm Feind gefallen. «Wieder ein Nicken.»Im Moment gehort das Achterdeck also Ihnen, und es wird den Leuten guttun, wenn sie sehen, da? Sie unverzuglich den Befehl ubernommen haben. Vertrauen ist wie Gold, man mu? es sich verdienen, wenn es seinen wahren Wert haben soll.»
        Gelassen sagte der junge Mann:»Danke, Sir. «Dann schritt er davon, und Sekunden spater war das Klicken des sich drehenden Anker-pills zu horen; sogar ein halbherziger Shanty ertonte dazu.
        Langsam ging Bolitho nach achtern und postierte sich neben dem Ruderrad. Er wollte zur Stelle sein fur den Fall, da? die Fregatte zu nahe an die Kuste herantrieb. Aber wenn die Auriga jemals wieder ihren alten Platz im Geschwader einzunehmen hoffte, dann mu?te sie jetzt und hier, unter ihrer eigenen Besatzung, damit anfangen.
        Allday hatte anscheinend seine Gedanken gelesen. Leise sagte er:»Erinnert mich an die alte Phalarope, Captain. «Er schaute zu den Segeln hoch, die knatternd auf den nachsten Befehl warteten.»Damals hat es auch lange gedauert, bis wir unseren guten Namen wiederhatten!»

«Ich wei?«, nickte Bolitho.»La? fallen die Breitfock!»
        Fu?e trappelten uber das krangende Deck, und von vorn kam das stetige Klank-klank des Ankerspills, das die Manner rundtrieben.»Anker ist frei!»
        Die dunkle Landmasse blieb zuruck, die Fregatte kam langsam von der Kuste frei und legte sich in die leichte Brise. Kurz dachte Bolitho dabei auch an Brice, der unten in seiner Kajute sa? und sein Schiff zum Leben erwachen fuhlte, wobei nicht er, sondern ein anderer die Kommandos gab. Wie ware mir wohl unter solchen Umstanden zumute? grubelte er, und ein Schauer uberlief ihn. Wenn ich je in eine solche Situation kame, dann hatte ich sie verdient, genau wie Brice. Mit dieser energischen Feststellung vertrieb er sich die dunklen Gedanken.

«Nordwest zu West liegt an, Sir. «Das machtige Rad knarrte, als die Auriga langsam auf das Land zuglitt.
        Von der Luvreling aus beobachtete Bolitho die in der Morgensonne glitzernde Stadt. Der sich langsam nahernden Fregatte kam die Eurya-lus direkt entgegen; hell schimmerten ihre Bramsegel im bleichen Sonnenlicht, scharf hob sich die golden Galionsfigur mit den wilden Augen vom dunklen, schaumbespritzten Schiffsrumpf ab.
        Bolitho sah sich auf seinem Hauptdeck um, wo geschaftige Tatigkeit herrschte. Jetzt erst konnte er die Fregatte bei Tageslicht studieren. Brice mu?te nicht nur ein Tyrann, sondern auch ein Geizkragen sein. Die Farbe war ausgebla?t und blatterte ab, die meisten Matrosen waren in Lumpen gekleidet und sahen halbverhungert aus. Einige Manner arbeiteten mit nacktem Oberkorper; ihre Rucken waren zerfetzt wie von Raubtierpranken. Vorn stand die Ankerwache und beobachtete die weit offenen Arme der Bucht; die Stadt Falmouth lag noch im morgendlichen Schatten. Ein Wachboot dumpelte trag uber seinem Spiegelbild; die blaue Flagge am Masttopp wies der einlaufenden Fregatte die Stelle an, wo sie Anker werfen sollte. Der junge Leutnant und der Steuermann konzentrierten sich auf die letzten beiden Kabellangen[l Kabellange = 0,1 Seemeile = 185,3 m] bis dorthin.

«Lassen Sie lieber Ihrem Stuckmeister Bescheid sagen, da? er einen
        Salut vorbereitet, Mr. Laker. Wenn Sie den Kopf auch noch so voll haben, es ware eine Schande, wenn Sie verga?en, da? einem Konteradmiral dreizehn Schu? zustehen.»
        Verwirrt zuckte der Leutnant zusammen und grinste dann schuchtern:»Vergessen hab ich's nicht, Sir, wenn ich auch nicht gedacht hatte, da? Sie mich auf die Probe stellen wollen. «Er deutete zu den Netzen hinuber.»Aber wie Sie wissen, stehen dem Admiral funfzehn Schu? zu.»
        Bolitho schritt zu den Netzen hinuber und stieg auf einen Poller. Das konnte doch nicht sein! Der Leutnant mu?te die Flagge nicht richtig erkannt haben, entweder wegen des Gegenlichts, oder weil die Euryalus ihnen direkt entgegenkam.
        Er sprang vom Poller und sah, da? Allday ihn aufmerksam beobachtete. Also doch kein Irrtum. Die Flagge, die jetzt im Sonnenlicht glanzte, flatterte am Fockmast des Dreideckers.

«Dann ist er also schon da, Captain«, sagte Allday gelassen.
        Wahrend die Auriga langsam auf ihren Ankerplatz zuglitt und die Salutschusse im Funfsekundenabstand drohnten, zwang sich Bolitho, an der Luvseite des Achterdecks auf- und abzuschreiten. Bestimmt waren zahlreiche Teleskope auf die Auriga gerichtet; man mu?te sehen, da? er unverletzt war und das Schiff unter Kontrolle hatte. Diese letzten Minuten schienen sich zu Ewigkeiten zu dehnen, wahrend er sich fragte, wie es Konteradmiral Thelwall ging und wie Broughton wohl uber seine Aktion denken wurde. Als er wieder hinsah, schwang die Euryalus eben am Buspriet vorbei, denn die Fregatte drehte schon mit knatternden Segeln in den Wind. Kaum war der Anker gefallen, da horte Bolitho einen anderen Ton, der in der klaren Luft wie der Wirbel einer Riesentrommel anwuchs. Er fuhr herum und rannte zur Reling, und vor Besturzung uber das, was er sah, wurde ihm beinahe ubel: die drei Reihen Stuckpforten im Rumpf der Euryalus offneten sich mit einem Schlag, und wie von einer einzigen Hand gefuhrt, wurde die gesamte dreifache Reihe schwarzer Geschutzrohre ausgerannt.

«Mein Gott!«murmelte der Leutnant.
        Taylor kam nach achtern gelaufen. Er deutete aufgeregt und verwirrt zum Hafen. Dort kommen Boote, Sir. «Es waren beinahe ein Dutzend Kutter und Barkassen voller Seesoldaten, die reglos zwischen den Ruderern sa?en. Rot wie Blut glanzten ihre Rocke.
        Viele Matrosen schienen die Augen nicht von den schweren Geschutzen der Euryalus losrei?en zu konnen, als erwarteten sie, da? diese sofort das Feuer eroffneten. Einige starrten auch zum Achterdeck hoch, auf Bolitho; vielleicht hofften sie, ihr Schicksal von seinem Gesicht ablesen zu konnen.
        Das vorderste Boot umrundete das Heck der Fregatte im Feuerschutz des Flaggschiffs und nahm Kurs auf die Fallreepspforte. Cap-tain Rook sa? in der Flicht, und als das Boot langsseits kam, rief er hinauf:»Sind Sie in Sicherheit, Sir?»

«Damlicher Hund«, murmelte Allday, aber Bolitho hatte das nicht gehort. Er blickte hinunter in Rooks dunkelrotes Gesicht und antwortete:»Selbstverstandlich.
«Hoffentlich hatten es die Matrosen in seiner Nahe gehort. Sie wurden in den nachsten Minuten ihre ganze Kraft und ihr ganzes Vertrauen brauchen.
        Rook kletterte an Deck und fa?te an den Hut.»Wir waren besorgt, Sir, wirklich sehr besorgt. «Dann sah er die beiden Leutnants und schrie sie an:»Ubergeben Sie sofort Ihre Degen an den Leutnant der Infanterie!»

«Auf wessen Befehl?«fuhr Bolitho dazwischen.

«Entschuldigung, Sir - auf Befehl von Vizeadmiral Broughton«, antwortete Rook und wandte sich etwas verlegen ab, denn jetzt machten die anderen Boote langsseit fest, und die Laufbrucke war auf einmal voll grimmig dreinblickender Seesoldaten, die ihre Musketen mit aufgepflanzten Bajonetten auf die zusammengedrangten Matrosen richteten.
        Bolitho ging zu den Leutnants hinuber.»Verlassen Sie sich darauf, ich sorge dafur, da? Sie anstandig behandelt werden. «Und mit einem scharfen Blick auf Rook:»Dafur mache ich Sie personlich haftbar!»
        Bedruckt wischte sich der einarmige Offizier die Stirn.»Jawohl,
        Sir.»
        Bolitho ging wieder zur Achterdecksreling und blickte uber die Masse der stummen Matrosen.»Ich habe euch mein Wort gegeben. Haltet Frieden und tut, was euch befohlen wird. Ich gehe sofort hinuber und spreche unverzuglich mit dem Admiral.»
        Er sah, da? Taylor zu ihm wollte, aber stehenblieb, als ein Seesoldat mit gefalltem Bajonett dazwischentrat.»Ich habe Euch nicht vergessen, Taylor!«rief er ihm zu.
        Dann wandte er sich um und schritt zur Fallreepspforte. Ein Boot kam von der Euryalus, zweifellos, um ihn abzuholen. Broughton wartete auf eine Erklarung.
        Er wandte sich noch einmal zu den stumm starrenden Mannern um. Sie furchteten sich vor dem Kommenden; nein, sie waren halb verruckt vor Angst, er konnte ihre Angst beinahe riechen und hatte sie gern beruhigt.
        Brice, der alles das angerichtet hatte, fiel ihm plotzlich wieder ein, und der Schreiber Gates, der des Kommandanten Grausamkeit fur seine eigenen Zwecke genutzt hatte. Jetzt war Gates in Freiheit, und auch Brice hatte Chancen, ohne gro?en Schaden aus der Sache herauszukommen. Bolitho bi? die Zahne zusammen und wartete ungeduldig, bis das Boot langsseit kam. Wir werden ja sehen, dachte er kalt.
        Bolitho luftete den Hut zum Achterdeck hin und fragte gelassen:»Nun, Mr. Keverne? Ich denke, ich brauche eine Erklarung, und zwar schnell.»
        Ebenso gelassen erwiderte Keverne:»Ich konnte nichts dagegen machen, Sir. Vizeadmiral Broughton kam gestern in der zweiten Hundewache[die Wachen von 16 bis
18 und von 18 bis 20 Uhr.] an Bord. Er reiste auf dem Landwege, uber Truro.
«Hilflos und sorgenvoll hob er die Schultern.»Ich konnte ihm ja Ihre versiegelte Order nicht verheimlichen, und er verlangte, da? ich sie offne.»
        Bolitho blieb an der Kampanje stehen und sah auf die Backbordbatterie hinunter, deren Zwolfpfunder immer noch ausgerannt und auf die Auriga gerichtet waren. Doch die meisten Geschutzbedienungen blickten nach achtern auf ihn, uberrascht, aber auch besorgt. Sie haben auch allen Grund dazu, dachte er bitter. Aber es war nicht Kevernes Schuld, und das war immerhin etwas. Denn eine Zeitlang hatte ihn der Gedanke beunruhigt, da? Keverne nur zu bereitwillig mit seiner Geheimorder zu Broughton gelaufen ware, um sich bei dem neuen Admi-ral beliebt zu machen.

«Wie geht es Sir Charles?«fragte er.
        Keverne schuttelte betrubt den Kopf.»Nicht besser, Sir.»
        Der Zweite Offizier kam herzu und fa?te an den Hut.»Der Vizeadmiral erwartet Sie, Sir. «Nervos fingerte er an seinem Degengriff.»Mit allem Respekt, Sir, er scheint etwas ungeduldig zu sein.»
        Bolitho rang sich ein Lacheln ab.»Gewi?, Mr. Meheux, das wird offenbar ein hektischer Tag. «Aber ihm war nicht nach Lacheln zumu-
        te. Er konnte es zwar dem Admiral nicht ubelnehmen, wenn er wissen wollte, wo sein Flaggkapitan steckte. Schlie?lich waren Admirale es nicht gewohnt, sich zu entschuldigen, wenn sie sich verspatet hatten, oder ihren Untergebenen ihre Grunde zu erlautern. Aber eine Fregatte des eigenen Geschwaders mit den Kanonen des eigenen Flaggschiffs zu bedrohen - das war denn doch unerhort.
        Absichtlich ging er das letzte Stuck zur Admiralskajute langsamer, um sich fur die Konfrontation zu sammeln.
        Ein Korporal der Marine-Infanterie offnete ihm unbewegten Gesichts die Tur. Selbst der kam ihm wie ein Fremder vor.
        Vizeadmiral Sir Lucius Broughton stand am Heckfenster und blickte durch ein Teleskop auf die Kuste. Er trug einen blauen Interimsrock mit goldenen Epauletten und schien ganz in die Betrachtung der Kuste versunken. Als er sich endlich umwandte, fand Bolitho ihn weit junger als erwartet: etwa vierzig, ebenso alt wie er selbst. Sir Lucius war nicht gro?, aber schlank und hielt sich gerade, so da? er gro?er wirkte. Auch das war ziemlich ungewohnlich.
        Admirale neigten oft zum Dickwerden, wenn sie erst einmal ihre Flagge hatten. Sie brauchten nicht mehr standig Wache zu gehen oder zu allen Tages- und Nachtzeiten an Deck zu erscheinen; ihr Sold lag erheblich hoher, und sie konnten auch noch mit anderen materiellen Vorteilen rechnen.
        Broughton sah weder zornig noch ungeduldig aus. Er wirkte im Gegenteil entspannt bis zur volligen Seelenruhe. Er hatte hellbraunes, ziemlich kurzes Haar, das uberm Kragen zu einem kleinen Zopf zusammengebunden war.

«Ah, Bolitho, da sind Sie ja endlich. «Das war nicht ironisch, sondern ganz sachlich gemeint. Als ob Bolitho von irgendeiner unwesentlichen Reise zuruckgekommen ware.
        Seine Sprechweise war unbeschwert und aristokratisch; jetzt trat er in das Sonnenlicht, das durch die Heckfenster einfiel, und Bolitho sah, da? seine Uniform aus feinstem Tuch und sein Degengriff beste Goldschmiedearbeit war.

«Tut mir leid«, erwiderte er,»da? ich nicht an Bord war, um Sie zu begru?en, Sir. Wir wu?ten ja auch nicht genau, wann Sie kommen wurden.»

«Gewi?. «Broughton setzte sich an seinen Schreibtisch und fixierte Bolitho kuhl. Ich erwarte in aller Kurze Nachricht uber meine anderen Schiffe. Und dann - je eher wir in See gehen und im Verband manovrieren konnen, um so besser.»
        Bolitho rausperte sich.»Die Auriga, Sir. Ich bitte, berichten zu durfen.»

«Aber naturlich, Bolitho, obwohl ich dachte, Erklarungen seien da kaum notig. Was Sie unternahmen, um zu verhindern, da? das Schiff in die Hand des Feindes fiel, war - gelinde gesagt - unorthodox und mit nicht geringem personlichem Risiko verbunden. Hatte ich Sie dabei verloren, so ware das fur mich ein harter Schlag gewesen, wenn mancher auch sagen konnte, der Verlust der Fregatte ware noch schlimmer gewesen. «Er setzte sich im Sessel zurecht, und sein Lacheln verbla?te. Aber jetzt ist die Fregatte endlich hier in Falmouth, und von solchen Fahrzeugen haben wir zu wenig, um hinsichtlich ihrer Vergangenheit allzu penibel sein zu durfen.»

«Ich bin der Ansicht, ihr Kommandant sollte sofort abgelost werden, und der Erste Offizier auch. «Bolitho versuchte, etwas freier zu sprechen, aber auf einmal fuhlte er sich unbehaglich; er wu?te nicht recht, wie er mit dem neuen Admiral dran war.»Es mu? ein schwerer Entschlu? fur die Mannschaft gewesen sein, so zu handeln. Ware die Spithead-Affare nicht gewesen und die Versprechungen, die den Leuten danach gemacht wurden, dann ware es vielleicht auch auf der Auriga nicht so weit gekommen.»
        Broughton sah ihn nachdenklich an.»Das glauben Sie doch selber nicht. Sie glauben, dieser Brice ist selbst schuld, und vermutlich haben Sie recht. «Er hob die Schultern.»Sir Charles hat mir gesagt, da? er gro?es Vertrauen in Ihre Urteilskraft setzt, und das ist naturlich auch fur mich ma?gebend.»

«Ich habe den Leuten mein Wort gegeben, da? ihre Beschwerden gerecht gepruft werden.»

«Ach? Nun ja, es ging naturlich nicht anders. Das kann Ihnen kein Mensch ubelnehmen, jetzt, da Sie die Fregatte unbeschadigt zuruckgeholt haben. «Wieder das kurze Lacheln.»Eine geschickte Luge fur eine gute Sache ist immer verzeihlich.


«Das war keine Luge, Sir. «Jetzt war Bolitho nicht mehr nervos, sondern einfach wutend.»Sie sind brutal behandelt worden - mehr noch, sie sind um Sinn und Verstand gebracht worden. «Er wartete auf irgendein Zeichen, aber Broughtons Miene blieb vollig ausdruckslos.
        Langsam fuhr er fort:»Ich bin sicher, Sir Charles wurde hier human vorgehen, Sir. Besonders in Anbetracht der Umstande.»

«Sir Charles ist an Land gegangen. «Es horte sich an, als rede Sir Lucius von einem uberflussigen Gepackstuck. »Ich werde entscheiden, was zu tun ist. Sobald ich alle Fakten gepruft habe. «Pause.»Fakten, Bolitho, keine Vermutungen. Dann werde ich Ihnen sagen, was ich vorhabe. Inzwischen werden Kapitan Brice und seine Offiziere an Land, in der Garnison, Unterkunft nehmen. Und Sie werden eine Wache fur die Auriga abstellen, zusatzlich zur Marine-Infanterie.»
        Er stand auf und ging um den Tisch herum, leicht, beinahe grazios.»Unnotige Harte ist mir zuwider, Bolitho. «Seine Lippen wurden schmal.»Aber von diesen entwurdigenden Verhandlungen mit Delegierten habe ich seit Spithead genug. Unter meiner Flagge kommt so etwas nicht in Frage.»
        Verzweifelt blickte Bolitho ihn an.»Wenn Sie mir gestatten wurden, die Sache zu regeln, Sir? Allzu strenge Strafma?nahmen waren ein schlechter Anfang.»
        Der Admiral seufzte.»Sie sind hartnackig. Ich hoffe, diese Eigenschaft beschrankt sich nicht nur auf innerdienstliche Angelegenheiten. Aber wenn Sie mir einen ausfuhrlichen Bericht vorlegen, werde ich sehen, was ich tun kann. «Er blickte Bolitho unbewegt in die Augen.»Sie werden selbst wissen, da? man sich notigenfalls auch unbeliebt machen mu?, wenn man etwas erreichen will. «Jetzt schien er ungeduldig zu werden.»Aber erst einmal genug davon. Ich gebe heute abend ein Essen in meiner Kajute. Das halte ich fur die beste Art, meine Offiziere kennenzulernen.
«Nun lachelte er wieder.»Dagegen werden Sie doch hoffentlich nichts einzuwenden haben?»
        Bolitho versuchte, ebenfalls zu lacheln, um seinen Zorn zu verbergen. Zorn - nicht uber das geplante Dinner, sondern weil es ihm nicht gelungen war, Broughton zu uberzeugen. Er war wutend auf sich selbst, weil er die Unterredung schlecht gefuhrt hatte. Der Admiral konnte, wie er soeben erklart hatte, nur auf Grund von Tatsachen entscheiden; aber er wu?te auch nur das, was ihm berichtet wurde.

«Entschuldigung, Sir«, erwiderte er,»ich hatte nicht die Absicht.»
        Broughton hob die Hand.»Entschuldigen Sie sich nicht. Mir ist es nur lieb, wenn ein Mann etwas Feuer im Leib hat. Wenn ich einen Flaggkapitan wollte, der immer nur ja sagt - von der Sorte hatte ich hundert haben konnen. «Er nickte.»Und Sie sind die ganze Nacht auf gewesen, daran liegt es vielleicht auch. Jetzt seien Sie so gut und schicken Sie mir den Zahlmeister. Ich will ihm sagen, was ich aus der Stadt brauche. Ich habe sie mir gerade angesehen. Klein, aber nicht allzu landlich, wie ich hoffe.»
        Erst jetzt lachelte Bolitho ebenso unbeschwert.»Ich bin hier geboren, Sir.»
        Kuhl sah ihm der Admiral in die Augen.»Nun, das ist wenigstens ein Zugestandnis.»
        Bolitho schickte sich zum Gehen an, blieb aber stehen und fragte:»Kann ich Befehl geben, da? die Geschutze eingefahren werden, Sir?»

«Sie sind der Kommandant dieses Schiffes, Bolitho. «Er zog eine Braue hoch.»Hatten Sie etwas gegen meine Ma?nahme?»

«Nicht eben das. «Es ging wieder los, aber er konnte sich nicht zuruckhalten.»Ich bin jetzt achtzehn Monate an Bord der Euryalus. Die Affare mit der Fregatte ist schon schlimm genug, ohne da? meine Manner obendrein auf ihresgleichen schie?en mussen.»

«Na schon«, gahnte Broughton.»Ihnen liegt viel daran, wie?»

«Am Vertrauen meiner Leute? Aye, sehr viel. «Er nickte bedeutsam.

«Ich mu? Sie wirklich mal mit nach London nehmen, Bolitho. «Broughton schritt wieder zum Fenster, sein Gesicht lag im Schatten.»Sie waren tatsachlich etwas ganz Neues dort. Ein Unikum, sozusagen.»
        Als Bolitho wieder auf dem sonnigen Achterdeck stand, wu?te er nicht, wie er dorthin gekommen war. Keverne fa?te an den Hut und fragte nervos:»Haben Sie Befehle,
        Sir?»

«Ja, Mr. Keverne. Sagen Sie dem Zahlmeister, er soll zum Admiral kommen. Anschlie?end lassen Sie die Geschutze einfahren. Und dann…«Er stockte und dachte an die Auriga und Broughtons stille Amusiertheit.

«Und dann, Sir?»

«Dann gehen Sie mir aus dem Wege, bis auf Widerruf, Mr. Kever-ne!»
        Er trat zur Reling und begann, dort auf- und abzugehen, in tiefster Konzentration und mit grimmig zusammengezogenen Brauen. Der Master sah hinter ihm her und sagte leise zu dem erschutterten Kever-ne:»Da hat's Stunk gegeben. Und nicht wenig, wie mir scheint.»
        Keverne blitzte ihn an.»Wenn ich Ihre Meinung brauche, Mr. Partridge, dann werde ich Sie, verdammt noch mal, danach fragen!«Damit enteilte er zur Achterdecksleiter.
        Partridge warf einen Blick auf die neue Flagge am Fockmast. So ein junger Hund, dachte er mitleidslos. Es ist doch immer dasselbe in der Flotte: ein Anschi? wird nach unten weitergegeben. Er wandte sich um - da hatte der Kommandant seinen Spaziergang unterbrochen und starrte ihn nachdenklich an.

«Sir?»

«Ich denke gerade, Mr. Partridge, wie schon es sein mu?, wenn man auf der ganzen weiten Welt nichts anderes zu tun hat als in der Sonne zu stehen und zu grinsen wie ein Dorftrottel.»
        Der Master schluckte muhsam.»Entschuldigung, Sir.»
        Uberraschenderweise lachelte Bolitho.»Aber wenn Sie wollen, bleiben Sie ruhig so stehen. Ich habe das Gefuhl, da? dieser Frieden recht kurz sein wird. «Er drehte sich um und schritt rasch unter die Kampanje, seiner Kajute zu.
        Seufzend fuhr sich Partridge mit einem roten Tuch uber sein Doppelkinn. Als Steuermann auf einem Flaggschiff hatte man manchmal ein hartes Leben. Dann sah er zu der vor Anker liegenden Fregatte hinuber und schuttelte melancholisch den Kopf. Anderen geht es noch viel schlechter, dachte er. Ganz erheblich schlechter.



        IV Als Warnung fur alle

        Die elegante, kastanienbraun lackierte Berline[leichte Reisekutsche; ein ursprunglich in Berlin entwickelter Wagentyp.] ratterte geschaftig uber die gewolbte Brucke und bog dann links in die Landstra?e nach Falmouth ein.
        Richard Bolitho fing mit einer Hand das Schaukeln ab, mit dem die Rader in die tiefen Wagenspuren tauchten, und blickte in den Staub, den die Pferdehufe und die Rader aufwuhlten. Nur mit halbem Auge sah er die Landschaft vorbeiziehen, das viele Grun, hier und da ein paar Schafe in den Wiesen zu selten der schmalen, gewundenen Stra?e. In seinem besten Galarock fuhlte er sich hei? und unbehaglich, und in der heftig schaukelnden Kutsche war es schlimmer als in einem kleinen Boot im kabbligen Hafenwasser; doch all das kam ihm kaum zum Bewu?tsein.
        Tags zuvor war Konteradmiral Thelwall in Bolithos Haus im Schlaf gestorben und hatte nun, zum erstenmal seit Monaten, Frieden. Als Captain Rook die Nachricht zu der vor Anker liegenden Euryalus brachte, hatte Vizeadmiral Broughton gesagt: Soviel ich wei?, wollte er in Norfolk beerdigt werden. Erledigen Sie das, Bolitho.
«Und dabei hatte er wieder so leicht gelachelt.»Ich denke mir, Sir Charles hatte es sich gewunscht, da? Sie ihn auf seiner letzten Reise ein Stuck begleiten.»
        Mit unpassender Eile war die kleine Wagenprozession nach Truro aufgebrochen, wo die sterbliche Hulle des Admirals auf Fahrgelegenheit fur die weite Reise nach Norfolk warten wurde.
        Es lie? sich nur schwer sagen, ob Broughtons Bedauern aufrichtig war. Gewi? hatte er mit seinem neuen Kommando viel zu tun, und doch gewann Bolitho den deutlichen Eindruck, da? Broughton ein Mann war, der wenig Zeit an Dinge wandte, die sich nicht hundertprozentig lohnten. Oder an Menschen, denen man nicht mehr helfen konnte, oder die ihm nichts mehr nutzten.
        Die Berline bog ab, und Bolitho horte den Kutscher lauthals einen kleinen Leiterwagen beschimpfen, den ein schlafriges Pony zog. Der Wagen war mit Huhnern und allerlei Farmprodukten beladen, und der rotgesichtige Kutscher schimpfte ebenso ordinar zuruck.
        Bolitho lachelte. Das war vermutlich ein Tagelohner seines Schwagers; und plotzlich fiel ihm ein, da? er in den vier Tagen, seit er die Auriga nach Falmouth gebracht hatte, weder ihn noch sonst jemanden von der Familie gesehen hatte.
        Jetzt erreichte die Kutsche das bessere Stuck Landstra?e, die letzten drei Meilen bis zur Kuste; und er dachte an die hektischen und anstrengenden Tage seit seiner und des neuen Admirals Ankunft.
        Einen Menschen wie Broughton hatte er noch nie erlebt. Gewohnlich wirkte er ganz ungezwungen; aber seine Stimmungen wechselten schnell, und er wurde anscheinend nie mude.
        Bolitho erinnerte sich an das Dinner in der gro?en Kajute; wie er da das Gesprach der versammelten Offiziere in Gang gehalten hatte, ohne es jemals an sich zu rei?en, und doch wu?te jeder einzelne, da? er standig kontrolliert wurde.
        Bolitho war keineswegs sicher, da? er genau ergrundet hatte, was fur ein Mann hinter dieser Maske aus Charme und Eleganz steckte. Wenn Bolitho Sir Lucius manchmal kalt und unnahbar fand, so war das, wie er genau wu?te, nur ein anderes Wort fur sein Unbehagen und Mi?trauen gegenuber vielem, was der Admiral verkorperte: die Privilegien, die unbestrittene Macht, diese ganz andere Welt, an der Bolitho keinen Anteil hatte und auch keinen Anteil wollte.
        Wenn Broughton von seinem Haus in London sprach, von den Leuten mit gro?en Namen und gro?em Einflu?, die dort standig ein und aus gingen, dann war das keineswegs leere Prahlerei. Es war seine naturliche Art zu leben, etwas, das ihm einfach zustand.
        Wenn man ihn in der leicht schwankenden Kajute des gro?en Drei-deckers und beim gemutlich kreisenden Wein so reden horte, konnte man sich des Gedankens nicht erwehren, da? alle wichtigen Entscheidungen in diesem Kriege gegen Frankreich und seine immer zahlreicheren Alliierten nicht in der Admiralitat getroffen wurden, sondern bei Gesellschaften an Londoner Kaffeetafeln und in Hausern wie dem Broughtons.
        Trotzdem zweifelte Bolitho nicht, da? Sir Lucius eine ganze Menge von Strategie und internationaler Flottenpolitik verstand. Vor drei Monaten hatte Broughton in der Seeschlacht von St. Vincent[Sieg der Englander unter Admiral Jervis am 14. 2.
1797 uber die Spanier bei Kap St. Vincent, Spanien] mitgekampft; und sein taktischer Verstand, seine Fahigkeit, ein anschauliches Bild vom Verlauf des Kampfes zu geben, hatten Bolitho sehr beeindruckt.
        Bolitho konnte sich noch daran erinnern, mit wieviel Neid und Bitterkeit er die Nachricht von Jervis' gro?em Sieg aufgenommen hatte, wahrend er selbst diese elende Routineblockade vor Sudirland fuhr. Hatte der Feind wirklich eine Invasion von Irland versucht und dabei die Euryalus mitsamt ihrem kleinen Geschwader in ein Gefecht verwickelt, so ware ihm anders zumute gewesen. Beim eifrigen Studium der Berichte uber Jervis' Sieg war ihm wieder einmal klargeworden, wieviel Gluck dazu gehorte.
        Der alte Admiral Jervis war daraufhin zum Earl St. Vincent ernannt worden; und ein anderer Name, Kommodore[Kommandant eines kleinen Geschwaders, nicht im Admiralsrang.] Nelson, lie? Hoffnung fur die Zukunft anklingen. Bolitho erinnerte sich daran, den jungen Nelson anla?lich der ungluckseligen Aktion von Toulon[siehe
>Nahkampf der Giganten<] kurz gesehen zu haben. Nelson war zwei Jahre junger als er und doch schon Kommodore; wenn er am Leben blieb, wurde er bald noch hoher auf der Rangliste steigen.
        Einem so begabten Seeoffizier neidete Bolitho seine verdienten Erfolge nicht. Doch dabei war er sich bewu?t, da? er selbst ins Hintertreffen geraten war - oder so kam es ihm jedenfalls vor.
        Drei weitere Linienschiffe, lauter Vierundsiebziger, waren zur Eu-ryalus gesto?en, sowie noch eine Fregatte au?er der Auriga, und eine kleine Korvette. Prachtig in der Bucht von Falmouth nebeneinander aufgereiht, boten sie einen eindrucksvollen Anblick; aber er wu?te aus bitterer Erfahrung, da? sie, einmal auf hoher See und in der wogenden Leere verstreut, nicht mehr so machtvoll und unbesiegbar aussehen wurden. Unwahrscheinlich, da? Broughtons kleines Geschwader anders als am Rande gro?erer Unternehmungen eingesetzt werden wurde.
        Der einzige Lichtblick in diesen ersten hektischen Tagen von Broughtons Kommando war, da? er Bolithos Vorschlage und Bitten fur die Auriga-Besatzung doch noch akzeptiert hatte. Bootsmannsmaat Taylor sa? in Arrest und wurde zweifellos degradiert werden. Kapitan Brice und sein Erster Offizier waren noch an Land in der Garnison, und der Dienstbetrieb an Bord der Auriga lief erstaunlich glatt. Au?er ihren eigenen neu eingetroffenen Marine-Infanteristen war keine besondere Wache an Bord, und Bolitho hatte Leutnant Keverne als vorlaufigen Kommandanten hinubergeschickt, bis ein neuer ernannt wurde. Die Tatsache, da? Keverne offiziell und mit Zustimmung Brough-tons ausgewahlt worden war, lie? durchaus vermuten, da? er bald befordert und in seinem Kommando bestatigt werden sollte. Bolitho verlor ihn nur ungern, freute sich aber auch, da? er eine so unerwartet Chance bekam.
        Die Pferde gingen langsamer und erreichten die hochste Stelle der Stra?e, so da? Bolitho Meer und Hafen wie eine bunte Landkarte vor sich ausgebreitet sah. Das vor Anker liegende Geschwader, das geschaftige Kommen und Gehen von Captain Rooks Patrouillebooten vermittelten den Eindruck bester Planung und Bereitschaft. Auf hoher See wurde es also nicht allzu lange dauern, bis sich die Kommandanten so aufeinander eingestellt hatten, da? die Schiffe im Verband zusammenwirken und gemeinsam nach den Befehlen ihres Admirals manovrieren konnten. Aber wann sie endlich segeln und welchen endgultigen Auftrag sie bekommen wurden, das blieb immer noch Geheimnis. Broughton wu?te bestimmt eine ganze Menge mehr, als er verlauten lie?, und hatte wiederholt gesagt:»Machen Sie nur meine Schiffe segelfertig, Bolitho. Das andere erledige ich dann schon, sobald ich von London Bescheid habe.»
        Broughton war anscheinend davon uberzeugt, da? sich alles zu seiner Befriedigung entwickeln wurde. An den Schiffen wurde von Sonnenaufgang bis - Untergang gearbeitet: Ubernahme von Verpflegung und Trinkwasser, von Ersatzteilen, Gerat, und auch ihrem Anteil an menschlicher Ware, die Rooks Pre?kommandos brachten. Der Admi-ral war meist in seiner Kajute oder an Land, wo er mit irgendwelchen stadtischen Beamten speiste, die ihm bei der Ausrustung von Nutzen sein konnten.
        Die dustere Spannung, welche die Ankunft der Auriga verursacht hatte, war gro?tenteils geschwunden, und Bolitho registrierte dankbar, da? Broughton die Affare so human und nachsichtig behandelte. Was in Spithead passiert war, durfte nie wieder passieren, und er wurde nicht nur die Auriga, sondern jedes Schiff des Geschwaders genau im Auge behalten mussen, um dessen vollig sicher zu sein.
        Bolitho nahm seinen Degen vom Nebensitz auf. Die Berline rollte uber das abgefahrene Kopfsteinpflaster und hielt quietschend vor dem Gasthof am Kai. Die nassen Pferde wandten die Kopfe, warteten ungeduldig auf Futter und Ruhe.
        Ein paar Stadtbewohner spazierten auf dem Markt herum, doch Bo-litho fielen sofort die rotrockigen Soldaten auf und eine Atmosphare allgemeiner Spannung, die noch nicht geherrscht hatte, als er mit Thelwalls Leichnam nach Truro aufgebrochen war. Jetzt kam ihm Rook entgegen, offenbar erleichtert, aber auch besorgt.

«Was ist los?«Bolitho nahm ihn beim Arm und zog ihn in den Schatten des Gasthofes.
        Rook blickte sich vorsichtig um.»Die Meuterei in der Nore-Flotte hat sich ausgebreitet: die ganze Flotte ist in der Hand der Meuterer und unter Waffen!«Er senkte die Stimme.»Eine Brigg aus Plymouth hat die Nachricht gebracht. Ihr Admiral ist machtig wutend.»
        Bolitho schritt mit ihm zusammen weiter, au?erlich ruhig, doch seine Gedanken rasten angesichts dieser neuen Entwicklung.

«Wie kommt es, da? wir das erst jetzt erfahren?»
        Rook zerrte an seiner Halsbinde, als ersticke sie ihn.»Eine Patrouille fand den Kurier aus London tot in einer Hecke, mit durchschnittener Kehle und leerer Depeschentasche. Jemand hat gewu?t, da? er hierher ritt, und dafur gesorgt, da? Admiral Broughton so lange wie moglich nichts erfuhr!«Rook winkte einem Matrosen am Kai:»Rufen Sie ein Boot her, Mann!»
        Bolitho trat an die Kante der sonnenwarmen Steinmauer und sah zu den Schiffen hinuber. Das Bild der Euryalus flirrte in der hei?en Luft, und sowohl in den Masten als auch an Deck schien lebhafter Betrieb zu herrschen.
        War es moglich, da? sich die Lage so schnell anderte? Eben noch schien alles einigerma?en in Ordnung, und auf einmal war eine ganze Flotte in hellem Aufruhr?
        Zogernd fuhr Rook fort:»Ich wei? nicht, ob ich mir erlauben darf, es zu sagen; aber ich glaube, Sir Lucius Broughton war schwer erschuttert von dem, was er in Spithead erlebt hat. Wer in Zukunft versucht, sich ihm zu widersetzen, dem geht es ziemlich dreckig.»
        Das Boot schrammte am Kai, und Bolitho stieg mit Rook hinein. Rook blieb stehen, bis Bolitho sich im Heck gesetzt hatte, und gab dann dem Bootsfuhrer ein Zeichen, Kurs auf das Flaggschiff zu nehmen.

«Hoffentlich konnen wir ohne weitere Verzogerung in See gehen«, sagte Bolitho ernst.»Wenn wir erst klar von Land sind, haben wir Zeit zum Nachdenken. «Rook sagte nichts dazu - Bolitho hatte auch nur laut gedacht.
        Es schien endlos zu dauern, bis sie bei dem Dreidecker langsseit waren; er sah schon aus einiger Entfernung, da? die Enternetze aufge-riggt waren, da? Marine-Infanteristen auf den Decksgangen patrouillierten und Posten an Kampanje und Vorschiff aufgezogen waren.
        Rasch kletterte er an Bord und luftete seinen Hut zum Trillern der Pfeifen und dem Stampfen der prasentierten Musketen.
        Weigall, der Dritte Offizier, meldete nervos:»Der Admiral erwartet Sie, Sir. Tut mir leid, da? Ihre Gig nicht am Kai war, aber alle Bootsfahrten sind gesperrt.»

«Danke«, nickte Bolitho. Ohne sich seine Spannung merken zu lassen, schritt er nach achtern in den Schatten der Kampanje. Er mu?te ruhig und normal erscheinen, obwohl ihm ganz anders zumute war.
        Am Kajutschott standen statt des normalen Einzelpostens drei Seesoldaten mit Musketen und aufgepflanzten Bajonetten.
        Er bi? die Zahne zusammen und offnete die Tur. Hinter sich horte er Rooks schweren Atem und spurte eine heftige Trockenheit in der Kehle beim Anblick der bereits versammelten Offiziere. In der Kajute war ein Tisch quergestellt, Stuhle standen dahinter, so da? Bolitho unwillkurlich an einen Gerichtssaal erinnert wurde. Stumm blickten ihm die herumstehenden Offiziere entgegen, alles Kommandanten der anderen Schiffe; sogar der junge Kommandant der Korvette Restless war dabei.
        Ein Leutnant, den Bolitho uberhaupt nicht kannte, kam eilig auf ihn zu; sein etwas angestrengtes Lacheln konnte Begru?ung bedeuten oder auch nur Erleichterung, da? er endlich da war.

«Willkommen an Bord, Sir. «Er deutete zu der geschlossenen Tur von Sir Lucius' kleinem Kartenraum.»Sir Lucius erwartet Sie, Sir.»
        Und als er merkte, da? Bolitho immer noch unbeweglich stand, fugte er beflissen hinzu:»Mein Name ist Calvert, Sir. Der neue Flaggleutnant[Adjutant.] des Admirals.

        Er hatte die gleiche gedehnte Sprechweise wie Broughton, aber sonst war er ihm ganz und gar nicht ahnlich. Calvert machte eher einen verwirrten, gequalten Eindruck; und Bolithos Unbehagen verstarkte sich plotzlich, als warne ihn etwas. In der kurzen Zeit, wahrend er nach Truro gefahren war, allen moglichen ma?gebenden Leuten die Hande geschuttelt und sich ihre wohltonenden Kondolenzreden angehort hatte, war das alles passiert!

«Dann gehen Sie voraus, Mr. Calvert«, sagte er.»Wir werden uns zweifellos zu gegebener Zeit besser kennenlernen.»
        In dem kleinen Kartenraum schien es ihm sehr hei?. Das Oberlichtfenster war geschlossen, und man konnte kaum atmen. Broughton stand mit verschrankten Armen neben dem Tisch und starrte auf die Tur, als ob er in dieser Haltung schon seit Stunden eingefroren ware. Sein Uniformrock lag auf einem Stuhl, und in dem einfallenden Sonnenlicht sah man auf seinem blendendwei?en Hemd dunkle Schwei?flek-ken.
        Er war ruhig, das Gesicht vollig ausdruckslos, als er Bolitho zunickte und den Leutnant anfuhr:»Warten Sie drau?en, Calvert!»
        Der Leutnant fingerte an seinen Rockknopfen und murmelte:»Ich dachte. Die Briefe, Sir.»

«Mein Gott, Mann, sind Sie au?er damlich auch noch taub?«Broughton beugte sich uber den Tisch und brullte wie ein Stier:»Raus, habe ich gesagt!»
        Als die Tur hinter dem armen Calvert ins Schlo? fiel, wartete Bo-litho darauf, da? Broughton jetzt seine Wut an ihm auslassen wurde. Es sah aus, als hatte er sie gerade noch bis zu diesem Moment zuruckhalten konnen, um sie dann mit ganzer Scharfe auf Bolitho abzuschie?en. Uberraschenderweise sprach der Admiral jedoch mit fast normaler Stimme.»Bei Gott, Bolitho, ich bin froh, da? Sie so punktlich zuruck sind«, sagte er und deutete auf ein offenes Kuvert auf dem Tisch.»Endlich die Segelorder. Dieser Esel von Calvert hat sie aus London mitgebracht.»
        Bolitho wartete einen Moment, damit Broughton sich weiter beruhigen konnte. Dann sagte er:»Ich hatte Ihnen einen Flaggleutnant vom Geschwader abstellen konnen, wenn Sie einen brauchen, Sir…»
        Broughton warf ihm einen kalten Blick zu.»Ach, hol ihn der Teufel! Sein Vater hat mir vor ein paar Jahren mal einen Gefallen getan, und ich habe ihm versprochen, ihm seinen Narren von Sohn abzunehmen, damit er von London wegkommt. «Er brach ab und spahte mit schiefem Kopf zum Oberlicht empor, als horche er auf etwas.
        Dann fuhr er fort:»Sie haben zweifellos das Neueste gehort. «Tief und zornig atmete er ein.»Dieses elende, verraterische Gesindel hatte die Frechheit zu meutern, wie? Die ganze Nore-Flotte brennt vor. «Er suchte vergeblich nach dem passenden Wort und schlo?:»Da haben Sie Ihre Humanitat. Einbildung nenne ich das, wenn Sie auch nur eine Minute glauben, da? dieses Pack Verstandnis fur Nachsicht hat!»

«Mit allem Respekt, Sir«, warf Bolitho ein,»zwischen der Auriga und den Unruhen in der Nore besteht kein Zusammenhang.»

«So, meinen Sie?«Broughtons Stimme war jetzt wieder ganz ruhig. Zu ruhig.»Ich kann Ihnen versichern, Captain Bolitho, da? ich bereits in Spithead genugend Verraterei erlebt habe, wo ein Haufen kriechender, schleimiger, lugender Bastarde mein eigenes Flaggschiff in seine Gewalt brachte. Diese Demutigung, diese Schande hangt mir jetzt noch an wie Latrinengestank.»
        Ein diskretes Klopfen an der Tur, Hauptmann Giffard von der Marine-Infanterie steckte den Kopf herein und meldete:»Alles bereit, Sir. «Unter Broughtons wutendem Blick verschwand er eiligst.

«Darf ich fragen, was hier vorgeht, Sir?«fragte Bolitho.

«Sie durfen. «Broughton nahm seinen Rock vom Stuhl auf. Sein Gesicht war schwei?na?.»Ihretwegen habe ich gegen meine Uberzeugung gehandelt. Ihretwegen habe ich die Meuterer der Auriga frei und ohne Gerichtsverfahren ausgehen lassen. «Mit wutblitzenden Augen fuhr er herum.»Wegen Ihnen und Ihren verdammten Versprechungen, zu denen Sie weder die Autoritat noch das Recht hatten - mu? ich diese Kerls ungeschoren lassen, nur um Ihr Ansehen als Flaggkapitan nicht in Frage zu stellen!«Er war ins Schreien geraten, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie die anderen Kommandanten jenseits der Tur ihn entweder bemitleideten oder sich freuten, da? ein Vorgesetzter auch nicht besser behandelt wurde als sie selbst. Bolitho kannte sie noch nicht genug, um das entscheiden zu konnen. Er wu?te nur, da? ihn diese plotzliche Attacke des Admirals erzurnte und verbitterte.
        Fest und bestimmt erwiderte er:»Es war meine Aufgabe, Sir. Kein anderer war zu der Zeit verfugbar, und so.»

«Unterbrechen Sie mich nicht, Bolitho!«brullte der Admiral.»Bei Gott, es ware besser gewesen, wenn Sie die Auriga angegriffen und in Stucke geschossen hatten. Wenn in der Nore solche Offiziere wie Sie dienen, dann mag der Himmel England helfen!«Er griff nach seinem Degen und hangte ihn ein.»Na, wir werden ja sehen, wie es in diesem Geschwader mit Meuterei geht!»
        Nur mit Muhe konnte Bolitho sich beherrschen.»Tut mir leid, Sir, da? Sie meine Entscheidung nicht akzeptieren wollen.»

«Entscheidung?«Broughton starrte ihn wutend an.»Kapitulation nenne ich das!«Mit verachtlichem Achselzucken griff er nach seinem Hut.»Ich kann ein Unrecht nicht wieder zu Recht machen, aber, beim Himmel, ich werde denen zeigen, da? es auf meinen Schiffen keine Insubordination gibt!»
        Er ri? die Tur auf und stampfte in die gro?e Kajute.»Nehmen Sie Platz, Gentlemen.
«Er setzte sich in den Mittelstuhl und bedeutete Bolitho, sich neben ihn zu setzen.»Nun, Gentlemen, ich habe dieses Standgericht einberufen auf Grund des mir ubertragenen Oberbefehls, der mir Sondervollmachten bis zur Beendigung des gegenwartigen Notstandes einraumt.»
        Bolitho warf einen raschen Blick auf die anderen. Ihre Gesichter waren wie Masken. Uberrascht und verwirrt durch die Ereignisse, mochten sie sich fragen, was dabei fur sie personlich herauskommen wurde.
        Es war, als sprache Broughton zu der gegenuberliegenden Schottwand, aber er hatte seine Stimme wieder in der Gewalt.»Der Radelsfuhrer bei der Insurrektion der Auriga war ein gewisser Thomas Gates, Kapitansschreiber. Man hat ihn, ah, entwischen lassen. Zweifellos ist er zusammen mit anderen verantwortlich fur den Tod des Kuriers und den Verlust der versiegelten Depeschen.»
        Die Luft in der Kajute zitterte vor Spannung, so da? die altgewohnten Bordgerausche auf einmal uberlaut und unwirklich klagen.»Der Steuermannsmaat - «, er blickte auf ein vor ihm liegendes Papier - ,»John Taylor, derzeit in Arrest wegen Konspiration, ist demzufolge der einzige Haupttater, an den sich dieses Gericht halten kann.»

«Darf ich etwas sagen, Sir?«Alle Kopfe wandten sich Bolitho zu. In diesen wenigen Sekunden sah er die anderen als Individuen, deren unterschiedliche Empfindungen sich in ihren Augen spiegelten. Sympathie, Verstandnis - einer schien sich sogar zu amusieren. Doch als Bolitho weitersprach, dachte er nicht mehr an sie.»Taylor war nur einer von vielen, Sir«, sagte er ruhig.»Er kam zu mir, weil er Vertrauen zu mir hatte.»
        Auch Broughton hatte den Kopf gewandt und sah ihn an - kalt und nachdenklich.»Zwei seiner Genossen haben bereits gegen ihn ausgesagt, er sei nach Gates der Radelsfuhrer gewesen. «Eine Sekunde lang schimmerte etwas wie Mitleid in seinen Augen auf.»Kann sein, sie wollten sich an ihm rachen, weil er gegen Gates war. Sie konnen aber auch genausogut ordentliche und loyale Matrosen sein. «Er bekam ganz schmale Lippen.»Das ist nicht mehr meine Sache. Meine Sache ist das Geschwader, und ich werde dafur sorgen, da? es jede ihm gestellte Aufgabe erfullt, und zwar ohne Einmischung. «Sein Blick lag wie festgeschmiedet auf Bolitho.»Von keiner Seite.»
        Dann klopfte er mit den Knocheln auf den Tisch.»Fuhrt den Gefangenen herein!»
        Bolitho sa? reglos im Stuhl, als Taylor zwischen zwei MarineInfanteristen eintrat. Steif marschierte Hauptmann Giffard hinter ihnen her. Taylor sah bleich, aber gefa?t aus, und als er Bolitho erblickte, flog ein Schimmer des Erkennens uber sein Gesicht.
        Broughton musterte ihn kalt.»John Taylor, Ihr seid der konspirativen Meuterei und der Insurrektion auf Seiner Britannischen Majestat Schiff Auriga angeklagt, und zwar in Gemeinschaft mit einem anderen, der noch in Freiheit ist. Ihr seid vorgeladen, um Euer Urteil zu horen. «Er tippte die Fingerspitzen aneinander und fuhr fort:»Mit Eurer Verraterei zu einer Zeit, da England um sein Leben kampft, habt Ihr Euch als ein Mann ohne Stolz und Gewissen gezeigt und Euch au?erhalb der Gemeinschaft gestellt. Ihr als ausgebildeter Bootsmannsmaat, dem Eure Vorgesetzten vertrauten, habt die Flotte betrogen, die Euch Euren Lebensunterhalt gewahrt.»
        Taylor war wie betaubt.»Das stimmt nicht«, erwiderte er ganz leise.»Das ist nicht wahr.»

«Wie dem auch sei«, sprach Broughton weiter, lehnte sich in seinen Sessel zuruck und blickte zu den Decksbalken auf,»in Anbetracht Eurer bisherigen Verdienste und all dessen, was mein Flaggkapitan zu Euren Gunsten gesagt und getan hat. «Er brach ab, denn Taylor war mit einem plotzlichen Hoffnungsschimmer in den Augen einen halben Schritt vorgetreten. Ein Seesoldat zog ihn zuruck, und Broughton fuhr fort: . habe ich mich entschlossen, nicht die Hochststrafe zu ve r-hangen, die in Eurem Falle meiner personlichen Ansicht nach gerechtfertigt ware.»
        Verwirrt wandte Taylor den Kopf und blickte Bolitho an.»Danke, Sir! Gott segne Sie«, flusterte er kaum horbar.
        Das schien Broughton nur zu irritieren.»Statt dessen werdet Ihr zu zwei Dutzend Peitschenhieben und Degradierung verurteilt.»
        Mit Tranen der Bewegung in den Augen nickte Taylor.»Danke,
        Sir.»
        Broughtons Stimme war messerscharf.»Zwei Dutzend Hiebe von jedem Schiff, das hier in Falmouth liegt. «Er nickte der Wache zu.»Fuhrt den Gefangenen ab.»
        Taylor sagte kein Wort, als die Seesoldaten ihn umdrehten und hinausfuhrten.
        Bolitho starrte auf die geschlossene Tur, auf die Stelle, wo Taylor gestanden hatte. Ihm war, als sei die Kajute plotzlich ganz eng. Als sei er selbst und nicht Taylor verurteilt worden.
        Broughton erhob sich und sagte kurz:»Begeben Sie sich wieder auf Ihre Schiffe, meine Herren, und lesen Sie die neuen allgemeinen Dienstbefehle, die Mr. Calvert Ihnen aushandigen wird. Der Strafvollzug findet morgen fruh um acht Glasen statt. Normale Prozedur. »
        Als sie einzeln hinter Calvert hinausgegangen waren, fragte Bolitho leise:»Warum, Sir? Im Namen des Allmachtigen, warum?»
        Mit ausdruckslosen Augen sah Broughton an ihm vorbei.»Weil ich es befehle.»
        Ganz betaubt von Broughtons so unerwartet brutalem Urteil nahm Bolitho seinen Hut.

«Noch weitere Befehle, Sir?«Er wu?te selbst nicht, wie er es schaffte, so dienstlich unbewegt zu sprechen.

«Ja. Ubermitteln Sie Captain Brice meine Order, das Kommando uber die Auriga wieder zu ubernehmen. «Sekundenlang sah er Bolitho ins Gesicht.»Ich habe die Verantwortung. Und die Verfugungsgewalt.»
        Bolitho hielt seinem Blick stand und erwiderte:»Wenn Taylor eine regelrechte Kriegsgerichtsverhandlung bekommen hatte, Sir. «Er hielt inne, denn er merkte, da? er in die Falle gegangen war.
        Broughton lachelte freundlich.»Ein regulares Kriegsgericht hatte ihn gehangt, das wissen Sie genau. Aber es hatte so lange gedauert, da? es kein abschreckendes Beispiel mehr gewesen ware, und Milde ware sinnlos. Wie die Dinge jetzt liegen, wird Taylors Bestrafung diesem Geschwader eine Warnung und ein abschreckendes Beispiel sein, und das haben wir verdammt notig. Vielleicht uberlebt er es ja auch, und dann hat er von der Tatsache profitiert, da? seine personliche Radelsfuhrerschaft nur kurze Zeit gedauert hat; dann kann er sich bei Ihnen dafur bedanken.»
        Als Bolitho sich zum Gehen wandte, sagte er noch:»Dienstbesprechung hier an Bord gleich nach Ende des Strafvollzugs. Geben Sie Signal an alle Kommandanten: >Melden an Bord des Flaggschiffes um…<«Er zog seine Uhr.»… aber das kann ich wohl Ihnen uberlassen. Ich bin bei einem der hiesigen Ratsherren zum Dinner eingeladen. Ein Mann namens Roxby. Kennen Sie ihn?»

«Mein Schwager, Sir. «Bolithos Gesicht war steinern.

«Tatsachlich?«Broughton ging zu seiner Schlafkajute.»Ihre Familie sitzt anscheinend uberall. «Damit warf er die Tur ins Schlo?.
        Wie ein Blinder ging Bolitho zum Achterdeck. Schon fielen die Schatten schrager, denn die sinkende Sonne beruhrte bereits den Arm der Bucht. Ein paar Matrosen lungerten auf den Decksgangen herum, und vom Vorschiff klangen die klaglichen Tone einer Fiedel. Der Wachoffizier ging auf die andere Seite hinuber, damit Bolitho seine gewohnte Ruhe hatte, und von den Bootsblocken ertonte das schrille Lachen zweier Midshipmen, die einander um die Wanten des Gro?mastes jagten. Bolitho stutzte die Hande auf das Schanzkleid und starrte ohne zu blinzeln in die feurige Sonne. Nach Auf- und Abgehen war ihm jetzt nicht zumute, und wohin er auch sah, sah er immer Taylors Gesicht, seine ruhrende Dankbarkeit fur die zwei Dutzend Hiebe, die sich in furchtbaren Schrecken verwandelte, als er das ganze Urteil horte. Jetzt war er unter Deck, horte das Lachen der Midshipmen und das klagende Lied des Fiedlers. Vielleicht spielte er seinetwegen etwas so Melancholisches. In diesem Fall war Broughtons grausame Abschreckung bereits umsonst, dachte er bitter.
        Sein Blick glitt zur Auriga hinuber, die sanft an ihrem Kabel schwojte. Manche mochten sagen, mit Taylor werde ein Mann fur viele geopfert. Hatte Bolitho nicht eingegriffen, so ware jeder einzelne Meuterer gepeitscht oder noch schlimmer bestraft worden, oder aber das Schiff ware tatsachlich in Feindeshand gefallen.
        Aber andere mochten dagegen einwenden: wie es auch ausgegangen ware, Gerechtigkeit in der Flotte sei nicht durch das Auspeitschen einzelner Sundenbocke zu erreichen. So ein Sundenbock war Taylor - Bolitho wu?te es und schamte sich deswegen.
        Mit leeren Augen starrte Bolitho durch das gro?e Heckfenster seiner Kajute, als Allday eintrat und meldete:»Alles klar, Captain.»
        Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er den alten Degen vom Halter an der Schottwand, drehte ihn in den Handen und rieb den altersgeschwarzten Griff an seinem Jackenarmel. Dann sagte er gelassen:»Sie haben Ihr Bestes getan, Captain. Es hat keinen Zweck, sich Vorwurfe zu machen.»
        Bolitho hob die Arme, damit sein Bootsfuhrer ihm den Degen umschnallen konnte, und lie? sie dann fallen. Durch die dicken Glasfenster sah er die ferne Stadt leise schwanken, denn die Euryalus dumpel-te gemachlich in Wind und Tidenstrom. Wieder wurde er sich der Totenstille bewu?t, die sich uber das Schiff gesenkt hatte, seit Kever-ne heruntergekommen war und ihm gemeldet hatte, da? das Deck klar und es kurz vor acht Glasen sei.
        Er nahm seinen Hut und blickte sich kurz in der Kajute um. Ein guter Tag zum Auslaufen. Eine frische sudwestliche Brise war aufgekommen, die Luft war frisch und sauber. Mit einem Seufzer ging er am Tisch und dem unberuhrten Fruhstuck vorbei durch die Tur mit dem strammstehenden Posten davor und trat hinaus auf das sonnenhelle Achterdeck.
        Keverne wartete schon. Sein brunettes Gesicht war undurchdringlich, als er an den Hut fa?te und dienstlich meldete:»Zwei Minuten,
        Sir.»
        Bolitho musterte den Leutnant nachdenklich. Wenn Keverne uber den plotzlichen Verlust seiner Aussicht auf ein selbstandiges Kommando enttauscht war, so zeigte er es jedenfalls nicht. Und wenn er sich uber die Gefuhle seines Kommandanten Gedanken machte, so verbarg er das ebenfalls.
        Bolitho nickte und schritt langsam zur Luvseite des Decks, wo die Leutnants des Schiffes bereits Aufstellung genommen hatten. Etwas weiter nach Lee zu standen die hoheren Deckoffiziere und die Mid-shipmen in sauber ausgerichteten Reihen, die mit den Schiffsbewegungen leise schwankten.
        Ein rascher Blick nach achtern bestatigte ihm, da? Giffards MarineInfanteristen vor der Kampanje aufmarschiert waren. Ihre roten Rocke leuchteten grell in der Sonne, ebenso die wei?en, gekreuzten Schulterriemen und die blankgewichsten Stiefel.
        Er wandte sich um, trat zur Achterdecksreling und lie? seine Augen uber die Masse der Matrosen gleiten, die sich auf den Decksgangen, bei den aufgeblockten Booten drangten, sich am Rigg festhielten, als wollten sie um keinen Preis das bevorstehende Drama versaumen. Aber die dumpfe Stille, die Atmosphare grimmiger Erwartung verrieten ihm, da? sie in diesem Falle, so abgebruht und so gewohnt an schnelle, harte Disziplinarstrafen sie auch sein mochten, kein Verstandnis fur das Urteil hatten.
        Acht Glasen tonten vom Vorschiff, und er sah, wie die Offiziere Haltung annahmen: Broughton, von Leutnant Calvert begleitet, kam flotten Schrittes auf das Achterdeck. Wortlos fa?te Bolitho an den
        Hut.
        Die Luft uber dem Ankerplatz erzitterte von einem einzelnen, dumpfen Kanonenschu?. Dann folgte der trubselige Wirbel der Trommeln. Er sah, wie der Schiffsarzt unten an der Fallreepspforte mit Tebutt flusterte; der eine seiner beiden Maate trug den wohlbekannten roten Leinwandsack. Letzterer schlug die Augen nieder, als er sah, da? sein Kommandant ihn anblickte.
        Broughtons Finger trommelten auf den Griff seines schongearbeiteten Degens, anscheinend im Takt mit dem fernen Trommelwirbel. Er sah so entspannt und frisch aus wie immer.
        Bolitho versteifte sich, als er sah, da? sich einer der jungen Mid-shipmen mit der Hand uber den Mund fuhr, eine rasche nervose Bewegung, die unvermittelt eine Erinnerung wach werden lie?, wie den Schmerz einer alten Wunde.
        Er selbst war erst vierzehn gewesen, als er zum erstenmal eine Auspeitschung durch die ganze Flotte hatte mitansehen mussen. Das meiste davon hatte er nur durch einen Nebel von Tranen und Ubelkeit wahrgenommen und war diesen Alpdruck nie ganz losgeworden. In einem Dienst, bei dem die Peitsche ein ganz gewohnliches, allgemein akzeptiertes Strafmittel war, in manchen Fallen sogar ein durchaus gerechtfertigtes, war diese schwerste Form auch die schlimmste fur die Zuschauer, die sich dabei fast ebenso erniedrigt vorkamen wie der Delinquent.

«Wir werden heute nachmittag Anker lichten, Bolitho«, bemerkte Broughton beilaufig.»Unser Ziel ist Gibralter, wo ich weitere Order und Nachricht uber die neuesten Entwicklungen erhalten werde. «Er sah zu seiner Flagge am Fockmast hoch und schlo?:»Ein prachtiger Tag dafur.»
        Bolitho blickte zur Seite und versuchte, seine Ohren vor dem nicht endenwollenden Trommelwirbel zu verschlie?en.

«Alle Schiffe sind voll provisioniert, Sir. «Er hielt inne. Broughton wu?te das so gut wie er selbst. Es war nur, um etwas zu sagen. Warum machte dieses eine Geschehen alles zunichte? Er mu?te doch inzwischen begriffen haben, da? er nicht mehr der junge Fregattenkapitan von fruher war. Damals hatten die Menschen noch Gesichter gehabt und waren wirkliche Individuen gewesen. Wenn einer litt, dann spurte es das ganze uberfullte Schiff. Jetzt mu?te er sich damit abfinden, da? die Menschen keine Individuen mehr waren. Sie waren Notwendigkeiten wie die Artillerie und die Takelage, der Su?wasservorrat und die Planken, auf denen er stand.
        Er merkte, da? Broughton ihn beobachtete, und drehte absichtlich den Kopf weg. Aber die Menschen waren ihm wichtig, sie dauerten ihn, und er wurde sich darin auch nicht andern, das wu?te er genau; nicht Broughtons wegen, nicht einmal seiner eigenen Beforderung in einem Dienst zuliebe, den er jetzt notiger brauchte denn je.
        Um den Bug der Zeus, des nachstliegenden Vierundsiebzigers, kam eine langsame Prozession von Kuttern, einer von jedem Schiff des Geschwaders; ihre Riemen hoben und senkten sich im Takt mit dem Armesundermarsch der Trommeln. Das Boot der Euryalus war das zweite in der Reihe, dunkelgrun wie die anderen, die jetzt auf den Blocken festgelascht waren, von schweigenden Mannern umstanden. In jedem Boot der Prozession sa?en Marine-Infanteristen, deren todlich glitzernde Bajonette und scharlachrote Rocke etwas Farbe in die grimme Linie der jetzt leicht abfallenden und Kurs auf das Flaggschiff nehmenden Boote brachten.
        Leise sagte Broughton:»Es wird nicht allzu lange dauern, denke ich.»

«Riemen hoch!»
        Der Kutter der Auriga glitt langsseit und machte an den Gro?rusten fest. Die anderen schwankten uber ihrem Spiegelbild im Wasser, stumme Zeugen des Strafvollzugs.
        Keverne reichte Bolitho die Kriegsartikel, und dieser schritt rasch zur Fallreepspforte. Schiffsarzt Spargo und die beiden Bootsmannsmaaten waren bereits unten im Kutter, und der erstere blickte hoch, als Bolithos Schatten uber die wie erstarrt sitzenden Rudergasten fiel.»Delinquent straffahig, Sir«, meldete er.
        Bolitho zwang sich dazu, auf die Gestalt im Kutter hinunterzuschauen. Weit vorgebeugt, die Arme an einer Gangspillspake festgelascht wie ein Gekreuzigter - man konnte kaum glauben, da? es Taylor war. Der Mann, der zu ihm gekommen war. Um Hilfe. Um Vergebung und… Er nahm den Hut ab, schlug das Buch auf und verlas den Abschnitt der Kriegsartikel uber Meuterei und ihre Bestrafung.
        Unten im Boot bewegte sich Taylor etwas; Bolitho hielt inne und schaute nochmals hinunter. Auf den Spanten und Planken des Bootes stand Blut. Schwarzes Blut, nicht das Blut der Schlacht. Schwarz wie die Hautfetzen, die von Taylors zerhauenem Rucken hingen. Schwarz und aufgerissen, so da? die freiliegenden Knochen in der Sonne wie Marmor glanzten.
        Der Bootsmaat blickte hoch und fragte gepre?t:»Zwei Dutzend,
        Sir?»

«Tut Eure Pflicht.»
        Bolitho setzte den Hut wieder auf und sah starr auf den nachstliegenden Zweidecker. Der Maat holte aus und schlug mit furchtbarer Kraft zu,
        Bolitho horte Schritte neben sich, und dann Broughtons gelassene Stimme:»Er scheint es ja ganz gut auszuhalten. «Ohne Anteilnahme, ohne echtes Interesse, nur eine beilaufige Bemerkung.
        Ebenso unvermittelt wie es begonnen hatte, war es vorbei, und als das Boot ablegte und weiter zum nachsten Schiff fuhr, sah Bolitho, wie Taylor versuchte, den Kopf zu heben und zu ihm hinaufzublicken. Aber er schaffte es schon nicht mehr.
        Bolitho wandte sich weg; ihm wurde ubel beim Anblick des verzerrten Gesichts, der zerbissenen Lippen, dieses Stuckes Fleisch, das einmal John Taylor gewesen war.

«Lassen Sie die Leute wegtreten, Mr. Keverne«, sagte er rauh. Unwillkurlich sah er der sich neu formierenden Prozession nach. Zwei Schiffe noch. Taylor wurde es bestimmt nicht uberleben. Ein jungerer Mann vielleicht. Aber Taylor nicht.
        Wiederum, ganz dicht an seinem Ohr, horte er Broughtons Stimme:»Wenn er nicht fruher unter Ihnen gedient hatte - auf der Sparrow, nicht wahr? - , dann wurden Sie es nicht so personlich nehmen und waren nicht so - ah - empfindlich.»
        Da Bolitho nicht antwortete, fuhr er fort:»Ein Exempel mu?te statuiert werden. Die Leute werden es nicht vergessen.»
        Bolitho richtete sich auf und sah Sir Lucius voll ins Gesicht. Mit fester Stimme entgegnete er:»Und ich auch nicht, Sir.»
        Sekundenlang sahen sie einander in die Augen, dann lie? Broughton das Visier wieder fallen.»Ich gehe wieder nach unten. Setzen Sie zu gegebener Zeit das Signal an alle Kommandanten.»
        Bolitho bemuhte sich, seiner Gedanken, seines Zornes, seines Ekels, seines Abscheus wieder Herr zu werden.

«Mr. Keverne, der Midshipman der Wache soll folgendes Signal vorbereiten: >Alle Kommandanten an Bord des Flaggschiffs!»«

«Wann soll es gehi?t werden?«fragte Keverne. Die Frage schien ihm bedeutungsschwer.
        Jemand sang aus:»Signal von der Valorous, Sir: >Gefangener bei Strafvollzug verstorben«.»
        Mit einem langen Blick auf Keverne sagte Bolitho:»Jetzt.»
        Damit drehte er sich kurz um und schritt nach achtern in seine Kajute.



        V Ein schlechter Anfang

        Punktlich um zwei Glasen der Vormittagswache kam Vizeadmiral Sir Lucius Broughton auf das Achterdeck der Euryalus, lie? sich von einem Midshipman ein Teleskop reichen und musterte, eins nach dem anderen, jedes Schiff seines Geschwaders.
        Bolithos Auge schweifte rasch uber das Deck, wo Geschutzbedienungen exerzierten, die Mr. Meheux, der Zweite Offizier mit dem runden Gesicht, jetzt, da der Admiral an Deck war, besonders scharf herannahm.
        Es war drei Tage her, da? sie in Falmouth Segel gesetzt hatten, drei lange und langsame Tage, in denen sie nur etwa vierhundert Meilen geschafft hatten. Bolitho fa?te die Achterdecksreling fester; er stand schrag geneigt auf dem stark krangenden Deck, denn die Euryalus segelte wie die anderen Schiffe schwer und langsam auf Backbordbug; die riesigen Rahen waren rundgebra?t, und die Marssegel hatten in der kraftigen Brise eisenharte Bauche.
        Nicht da? schlechtes Segelwetter gewesen ware; ganz im Gegenteil. Am Rande der Biskaja zum Beispiel hatte Steuermann Partridge gesagt, er habe sie selten so zahm erlebt. Doch jetzt, unter dem auffrischenden Nordwest, sah man bis zur Kimm nichts als kabbelige, wei?kopfige Wellen - anscheinend war die beste Zeit vorbei. Bald wurde man reffen mussen.
        Sobald sie klar von Land gewesen waren, hatte Broughton die Schiffe voll aussegeln lassen, damit ihre guten und schlechten Eigenschaften, die Starken und Schwachen seines neuen Geschwaders deutlich wurden.
        Wieder blickte Bolitho rasch und verstohlen zum Admiral hin und fragte sich, was er jetzt nach dieser Musterung wieder auszusetzen oder anzuordnen haben wurde.
        Auf jedem Flaggschiff war sich der Kommandant standig der Anwesenheit seines Admirals bewu?t, mu?te jede seiner Stimmungen oder Launen hinnehmen und daraus seinen eigenen Plan fur einen geordneten Dienstbetrieb entwickeln. Und doch wunderte sich Bolitho standig aufs neue daruber, da? er Broughton so gut wie gar nicht kannte. Sein Alltag schien, mit sehr geringen Abweichungen, nach der Uhr zu verlaufen: Fruhstuck um acht, Mittagessen um halb drei, Abendbrot um neun. Punkt neun Uhr kam er jeden Morgen an Deck und tat, was er jetzt tat. Allenfalls fiel eine gewisse Starre an ihm auf, und das nicht nur in seinen personlichen Gewohnheiten. Zum Beispiel hatte er gleich am ersten Tag seine Kampftaktik im Verband durchexerziert. Ganz ungebrauchlicherweise fuhr er die Euryalus an dritter Stelle der Gefechtslinie, mit nur einem einzigen Vierundsiebziger, der Valorous, hinter sich.
        Wahrend die Schiffe im achterlich anlaufenden Seegang muhsam seinen kurzen Befehlen nachkamen und Kurs zu halten versuchten, hatte Broughton gesagt:»Man mu? die Kapitane ebenso studieren wie die Schiffe, die sie kommandieren.»
        Bolitho hatte sofort verstanden, was er meinte, und fand es im Grunde richtig.
        Unter Umstanden war es sinnlos, das kampfstarkste Schiff, besonders wenn es die Admiralsflagge fuhrte, gleich als erstes in die feindliche Gefechtslinie zu segeln. Es konnte manovrierunfahig werden und gerade dann nutzlos sein, wenn es am notigsten gebraucht wurde. Besser war es, wenn der Admiral mehr Zeit gewann und Informationen uber die Absichten des Feindes sammeln konnte.
        Auch ohne Glas konnte Bolitho die vordersten Schiffe gut beobachten. Sie hielten die Stationen, die Broughton gleich anfangs befohlen hatte. An der Spitze der Gefechtslinie, von den schwellenden Marssegeln und der Fock des zweiten Schiffes fast verdeckt, fuhr der Zweidecker Zeus. Das war ein alterer Vierundsiebziger, ein Veteran des >Glorreichen Ersten Juni«, der Seeschlacht von St. Vincent und mehrerer kleinerer Aktionen. Kapitan Robert Rattray kommandierte sie seit drei Jahren und war wegen seiner ebenso aggressiven wie hartnackigen Gefechtsfuhrung bekannt, ein bulldoggenhafter Charakterzug, der sich deutlich auf seinem breiten, verwitterten Gesicht abzeichnete. Genau der richtige Kommandant, um, wenn man die Starke des Feindes prufen wollte, die erste krachende Breitseite hinzunehmen. Ein ausgekochter Berufsseemann, der jedoch au?er sturer Pflichterfullung und brennender Kampfgier nicht sehr viel im Kopfe hatte.
        Kapitan Falcon von der Tanais, dem zweiten Vierundsiebziger, war ganz das Gegenteil. Ein melancholischer, nachlassig gekleideter Mann mit schwerlidrigen, nachdenklichen Augen, der jeden Befehl ohne zu fragen ausfuhrte, daruber hinaus jedoch sowohl seine Phantasie als auch sein beachtliches Konnen einsetzte, um aus Rattrays erstem Ansturmen etwas zu machen.
        Etwa eine Meile achteraus der Euryalus stand das letzte Linienschiff, die Valorous. Kapitan Rodney Fourneaux kommandierte sie, ein dunnlippiger, hochmutiger Autokrat. Sie hatte sich unter fast allen Bedingungen als schnelles, gut manovierbares Schiff erwiesen; und vorausgesetzt, da? sie ihre Station halten konnte, war sie dort gut plaziert, um das Flaggschiff zu decken oder um vorzusto?en und einem Schiff des Geschwaders zu helfen, das in Schwierigkeiten geraten war.
        Bolitho horte, wie das Glas mit dem gewohnten Schnappen zusammengeschoben wurde, wandte sich um und fa?te an den Hut, denn jetzt kam Broughton auf ihn zu.
        Dienstlich meldete er:»Wind immer noch aus Nordost, Sir, frischt auf. Neuer Kurs Sud zu West. «Broughtons Augen glitten lassig die Reihe der an den Kanonen schwitzenden Matrosen entlang; er bestatigte Bolithos Meldung zunachst nur mit einem kurzen Grunzen, sagte aber dann:»Gut. Ihre Geschutzbedienungen scheinen ja halbwegs in Ordnung zu sein.»
        Das war auch etwas, das Bolitho schon kannte. Broughton eroffnete meistens den Tag mit einem solchen Kommentar: eine Art Sporenstich oder eine wohlberechnete Krankung.

«Klarschiff zum Gefecht in zehn Minuten oder darunter, Sir«, erwiderte Bolitho kuhl,»und dann drei Breitseiten alle zwei Minuten.»
        Nachdenklich musterte ihn Broughton.»Das ist Ihr Standard, nicht wahr?»

«Jawohl, Sir.»

«Ich habe Verschiedenes uber Ihre Standards gehort. «Broughton stutzte die Hande in die Huften und spahte zum Gro?mast hinauf, wo Marine-Infanteristen an einem Schwenkgeschutz ubten.

«Ich hoffe, unsere Leute werden zu gegebener Zeit daran denken.»
        Bolitho wartete. Da wurde noch mehr kommen. Wie geistesabwesend sprach der Admiral weiter:»Als ich bei Ihrem Schwager speiste, erzahlte er mir einiges uber Ihre Familie. «Er wandte sich um und starrte Bolitho an.»Ich wu?te naturlich schon von dem - ah - Mi?geschick Ihres Bruders. «Er machte eine Pause, um das wirken zu lassen.»Da? er aus der Flotte desertierte. «Wieder machte er eine Pause und legte den Kopf etwas schief.
        Kalt starrte Bolitho zuruck.»Er ist in Amerika ums Leben gekommen, Sir.
«Merkwurdig, wie leicht ihm die Luge von den Lippen ging. Aber die Krankung war so stark wie eh und je; er hatte plotzlich den irren Wunsch, etwas Schockierendes zu sagen und Broughton von seinem Thron zu sto?en. Was hatte er zum Beispiel gesagt, wenn er erfuhre, da? Hugh eben dort an derselben Stelle, wo Sir Lucius jetzt stand, im Seegefecht gefallen war? Aber wenigstens hatte Broughtons Stichelei bewirkt, da? Bolitho ohne viel Reue und Trauer an Hughs Tod denken konnte. Wenn er jetzt uber Broughtons Schulter zu dem breiten, sauberen Deck, dem gro?en Doppelrad mit den aufmerksamen Rudergasten und dem Steuermann hinblickte, war es schwer, sich das blutige Tohuwabohu vorzustellen, das damals, als Hugh gefallen war, dort geherrscht hatte. Mit dem eigenen Korper hatte er, im Kampfeslarm und inmitten brullender, sterbender Manner, seinen Sohn Adam gedeckt, der immer noch keine Ahnung hatte, da? Hugh sein Vater war.

«Und alles, glaube ich, wegen eines Duells«, fuhr der Admiral fort.»Ist mir immer unverstandlich gewesen, da? man ein Duell zum Verbrechen stempelt. So eine Stupiditat! Fechten Sie zufallig auch?»
        Bolitho rang sich ein Lacheln ab.»Mein Degen hat mir im Kampf oftmals gute Dienste geleistet, Sir.»
        Der Admiral zeigte lachelnd die Zahne, sie waren sehr klein und ebenma?ig.»Ein Duell ist etwas fur Gentlemen. «Er schuttelte den Kopf.»Aber da heutzutage so viele Leute im Parlament sitzen, die weder Fechter noch Gentlemen sind, kann man sich wohl uber diese Voreingenommenheit nicht wundern. «Fluchtig blickte er zur Kam-panje hinuber.»Ich gehe jetzt eine Stunde spazieren.»
        Bolitho sah ihm nach, als er die Kampanjeleiter hinaufstieg. Der tagliche Spaziergang des Admirals. Das war auch so etwas Unabanderliches.
        Dann mu?te er wieder an Broughtons Gefechtsplanung denken.
        Vielleicht war es nicht so sehr der Plan wie der Mann selbst. Zu starr. Aber er hatte doch sicher aus Erfahrung wissen konnen, da? Schiffe oft auch dann kampfen mu?ten, wenn sie weit zerstreut fuhren, ohne jede Ordnung, ohne jede Position in einem Verband? Broughton hatte doch bei St. Vincent mitgekampft, wo Kommodore Nelson wieder einmal alle Kritiker vor den Kopf gesto?en hatte, weil er sich ohne jede Rucksicht auf einen festen strategischen Plan in die Schlacht geworfen hatte. Als Bolitho das gelegentlich Broughton gegenuber erwahnte, bekam er einen weiteren Hinweis auf dessen starre Haltung.

«Ich hore immer nur Nelson, Nelson!«hatte er geknurrt.»Ich habe ihn mit seiner verdammten Captain gesehen, wenn ich auch selbst alle Hande voll zu tun hatte. Der hat auch mehr Gluck als Sinn fur zeitliche Abstimmung!«Aber ebenso unvermittelt wurde Broughton wieder ganz kuhl.»Drillen Sie Ihre Leute auf einen Plan, bis sie alle zusammen danach handeln konnen, auch im Stockfinstern oder mitten im Taifun. Arbeiten Sie ohne Rast und Ruhe mit ihnen daran, bis sie an nichts anderes mehr denken. Ihre verdammten Heldentaten konnen Sie von mir aus behalten. Geben Sie mir einen Plan, einen gut ausgereiften Plan, und ich gebe Ihnen einen Sieg!»
        Bolitho dachte uber diese psychologischen Streiflichter nach. Broughton war schlicht neidisch. Er war ranghoher als Nelson, den er personlich uberhaupt nicht kannte; er konnte auf Grund seiner Herkunft und seines Einflusses der Unterstutzung von oben gewi? sein - und doch war er neidisch.
        Nicht da? Bolitho seinen Vorgesetzten nun auf Grund dieser Erkenntnis besser verstand - aber es war doch wenigstens ein menschlicher Zug.
        Seit sie auf See waren, hatte Broughton nie wieder Taylors Tod und die brutale Strafe erwahnt. Sogar bei der eiligen Dienstbesprechung gleich nach dem Strafvollzug hatte er nur indirekt darauf angespielt, indem er sagte, die Disziplin musse stets und unter allen Umstanden aufrechterhalten werden. Auch als in derselben Kajute, in der Taylor zitternd sein furchtbares Schicksal vernommen hatte, den versammelten Kommandanten Wein gereicht wurde, war Broughton bester Stimmung gewesen und hatte sogar bei der Bekanntgabe der Segelorder nach Gibraltar kleine Scherze gemacht.
        Bolitho erinnerte sich noch daran, wie der Kutter der Auriga eine Sandbank angelaufen hatte und die Seesoldaten Taylor dort begraben hatten, in aller Eile, denn die Flut lief bereits auf. In diesem Grab, das weder Kreuz noch Namen trug, wurde Taylor nun verrotten: ein Martyrer oder einfach ein Opfer der Umstande? Schwer zu sagen.
        Auf See hatte Bolitho immer wieder seine Mannschaft beobachtet und nach irgendwelchen Unruhezeichen Ausschau gehalten; aber vielleicht lie? ihnen der tagliche Dienstbetrieb keine Zeit fur Diskussionen und Anklagen. Ohne Zwischenfalle, ohne neue Nachrichten von den Unruhen in der Nore segelte das Geschwader seinem Ziel entgegen.
        Er beschattete die Augen, um die glitzernde Kimm abzusuchen. Dort drau?en, irgendwo in Luv, nur dem Ausguck im Masttopp sichtbar, stand die Auriga. Sie war wieder unter dem Befehl Brices, ihres alten Kommandanten. Absichtlich hatte ihm Bolitho personlich den betreffenden Befehl mitgeteilt, kurz vor dem Auslaufen, und hatte ihn fur die Zukunft verwarnt. Aber schon beim Sprechen hatte er erkannt, da? es vergeblich war.
        Brice hatte in dienstlicher Haltung, reglos, den Hut unterm Arm, in der Kajute gestanden, und seine blauen Augen hatten Bolitho gemieden, bis dieser fertig gesprochen hatte.
        Dann hatte er leise und ruhig erwidert:»Vizeadmiral Broughton betrachtet die fraglichen Vorgange nicht als Meuterei. Sie taten es ubrigens auch nicht, Sir, als Sie an Bord meines Schiffes kamen. Die Tatsache, da? ich wieder in mein rechtma?iges Kommando eingesetzt worden bin, beweist, da? alle unrechtma?igen Handlungen nicht von mir, sondern von anderen begangen worden sind. «Dabei hatte er fluchtig gelachelt.»Und zwar von einem, der entwischt ist, und von einem anderen, der mit mehr Nachsicht behandelt worden ist, als man in diesen gefahrlichen Zeiten erwarten sollte.»
        Bolitho spurte den Ha?, der hinter Brices Maske stiller Amusiertheit lauerte; dieser Ha? beruhte auf Gegenseitigkeit. Er schritt um den Tisch auf Brice zu.

«Jetzt horen Sie gut zu, Brice, und vergessen Sie meine Worte nicht. Wir haben einen Sonderauftrag, der vielleicht von hochster Wichtigkeit fur England ist. Sie werden gut daran tun, Ihr Verhalten zu andern, wenn Sie Ihre Heimat wiedersehen wollen.»
        Brice hatte sich steif aufgerichtet.»Auf meinem Schiff wird es keinen Aufruhr mehr geben, Sir!»
        Bolitho hatte sich ein Lacheln abgerungen.»Ich rede nicht von Ihrer Mannschaft. Wenn Sie noch einmal das in Sie gesetzte Vertrauen mi?brauchen, sorge ich personlich dafur, da? Sie vor ein Kriegsgericht kommen, und da? dann Sie bestraft werden - Sie, der andere so gern bestraft!»
        Jetzt trat Bolitho an die Netze und blickte hinab in die Wellen, die an der hohen Bordwand aufliefen. Das Geschwader stand etwa hundert Meilen nordwestlich von Kap Ortegal, der au?ersten Ecke Spaniens. Wenn Schiffe hatten denken konnen - hatte sich dann die Eurya-lus an dieses Kap erinnert? Hier hatte sie unter franzosischer Flagge gegen seine alte Hyperion gekampft. Hier hatten sich ihre Decks scharlachrot gefarbt, hatte die Schlacht gnadenlos getobt bis zum grimmigen Ende. Aber den Schiffen selbst war es vielleicht ganz gleichgultig. Manner starben, schrieen nach ihren halbvergessenen Frauen und Kindern, nach ihren Muttern oder nach ihren Kameraden in der Holle. Andere vegetierten als Kruppel an Land, vergessen von der See und von den Gesunden, die ihnen aus dem Wege gingen, statt ihnen zu helfen. Aber die Schiffe segelten weiter und machten sich nichts aus den Dummkopfen, die ihre Mannschaft bildeten.

«Sir! Signal von der Zeus!«. Der Midshipman vom Dienst erwachte plotzlich zum Leben wie ein galvanisierter Frosch. Er sprang in die Wanten und hob das machtige Teleskop ans Auge. »Zeus an Flaggschiff: >Unbekanntes Segel auf Nordwestkurs.
«Schwitzend vor Aufregung sah er zu Bolitho hinab.
        Der nickte.»Ausgezeichnet, Mr. Tothill. Das ging ja fix. «Er blickte sich um - da kam Keverne schon herbeigeeilt. Wahrscheinlich bedeutete das Signal gar nichts; aber nach all dem Exerzieren und der lahmenden Ungewi?heit war ihm jeder Wechsel willkommen, denn er fegte seine truben Gedanken hinweg wie Spinnweben.

«Sir?«fragte Keverne und starrte Bolitho erwartungsvoll an.

«Exerzieren abbrechen und Bramsegel setzen!«Er blickte nach oben, und die frische Brise jagte ihm das Wasser in die Augen.»Die Bramstagsegel auch, wenn der Wind nicht noch mehr auffrischt.»
        Keverne eilte hinweg, und da erschien Broughton auf dem Achterdeck. Sein Gesicht war steinern.

«Segel auf Gegenkurs voraus, Sir«, meldete Bolitho. Er sah die Erregung in den Augen des Admirals aufblitzen. Es mu?te ihn schwer ankommen, au?erlich so ruhig zu bleiben.
        Broughton schob die Lippen vor.»Signalisieren Sie der Auriga, sie soll sich dazwischenschieben.»

«Aye, Sir.»
        Bolitho winkte dem Signal-Midshipman und konnte dabei Brough-tons Ungeduld fast physisch in seinem Rucken spuren. Erst gestern hatte er die andere Fregatte, die Coquette, mit Hochstgeschwindigkeit nach Gibraltar vorausgeschickt, um nachzufragen, ob sich an den Planen fur sein Geschwader etwas geandert hatte. Die Auriga stand weit drau?en in Luv, und die kleine Korvette Restless jagte vor dem Winde herum und spurte nach franzosischen und spanischen Fischerbooten, um vielleicht von diesen Informationen zu erhalten. Die Reserven des Admirals waren also ziemlich beschrankt.

«Die Auriga hat bestatigt, Sir«, meldete der Midshipman.
        Bolitho konnte sich lebhaft vorstellen, was an Deck der Fregatte vorging, nachdem das Signal abgelesen worden war, vermutlich von einem Midshipman wie Tothill, auf schwankendem Sitz hoch uber der See. Und auch was Brice jetzt dachte, konnte er sich gut vorstellen: diese Chance, seine Position beim Admiral und im ganzen Geschwader zu verbessern, durfte er auf keinen Fall verpassen. Und mochte der Himmel jedem armen Teufel helfen, der bei einer solchen Gelegenheit unangenehm auffiel!
        Bolitho nahm das gro?e Teleskop und kletterte in die Luvwanten. Neben dem Midshipman stehend, richtete er es auf die Kimm. Die Fregatte sprang ins Blickfeld, ihre Marssegel fullten sich bereits, sie ging uber Stag und flog auf das fremde Schiff zu. Er konnte sich vorstellen, wie das Spruhwasser uber ihren Bug zischte, die Blocke und Fallen knirschten, mehr und mehr Leinwand an den Rahen auswehte, um den Wind zu fangen und noch mehr Fahrt zu machen.
        Bei solchen Gelegenheiten konnte man leicht vergessen, da? es Menschen wie Brice gab, dachte Bolitho fluchtig. Wie sie dort am Winde lag, bis an die Lee-Stuckpforten im Gischt, war die Auriga ein wunderschones Schiff, etwas Lebendiges, Vitales. Er wandte sich wieder an Deck und fragte:»Verfolgung aufnehmen, Sir?»
        Eine erregende Sekunde lang verstanden sie einander. Er sah, wie Broughton die Zahne zusammenbi?, wie seine Augen glanzten.

«Ja. «Er trat beiseite, als Bolitho ein Handzeichen an Keverne gab.»Aber alle Schiffe sollen auf jeden Fall ihre Positionen einhalten. Sorgen Sie dafur!»
        Kaum waren die Signalflaggen zur Rah hochgestiegen und ausgeweht, kamen auch schon, von allen Schiffen gleichzeitig, die Bestatigungen. Jeder Kommandant mu?te darauf gewartet haben, mu?te gebetet haben, da? diese monotone, Ungewisse Aufpasserei, mit der sie sich seit Falmouth herumqualten, ein Ende fand.
        Hoch oben kam immer mehr Leinwand hinzu; sie donnerte und brauste, die Rahen spannten sich wie Bogen unter der Faust der Schutzen, als wurden sie von den Masten gerissen. Das Schiff krangte starker, die hin und her eilenden Manner liefen im schragen Winkel zu den Decksplanken, es sah ganz unwirklich aus. Und immer mehr, immer harter fullten sich die Segel mit Wind.
        Die Stuckpforten des untersten Decks mu?ten vollstandig unter der Wasserlinie liegen; Bolitho konnte bereits die Pumpen janken horen, denn das Wasser druckte mit vermehrter Kraft gegen den Schiffsrumpf.
        Aber sie kamen schon dicht an den nachsten Vierundsiebziger heran, und durch das Kreuzmuster der Stagen und Pardunen konnte Bo-litho die Offiziere auf dem Achterdeck der Tanais sehen, die zum Flaggschiff heruberspahten.

«Signalisieren Sie der Tanais, sie soll mehr Segel setzen, verdammt!«sagte Broughton gereizt und schritt zur anderen Deckseite hinuber.

«Wenn sie das macht«, murmelte Partridge hinter ihm her,»dann rei?t sie sich bei Gott die Masten aus.»

«Mr. Tothill«, rief Bolitho,»hinauf mit Ihnen in den Masttopp, aber fix! Ich brauche heute ein paar gute Augen da oben!»
        Absichtlich langsam ging er in Luv auf und ab, wutend daruber, da? das Geschwader trotz allem so schwer vorankam. Er versuchte sich vorzustellen, was das fremde Schiff tun wurde.

«An Deck!«kam Tothills schrille Stimme vom Masttopp.»Signal von der Zeus: >Feind in Sicht! Fregatte auf Ostkurs!<»
        Keverne rieb sich die Hande.»Die will nach Vigo, das ist gar keine Frage. «Er sah ungewohnlich gespannt aus. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, stellt er sich vor, wie es ware, wenn er und nicht Brice die Auriga kommandieren wurde.

«Es ist durchaus moglich, da? wir ihr den Weg abschneiden konnen, Mr. Keverne«, erwiderte er.
        Brice hatte den Wind beinahe unter den Rockscho?en und flog fast wie ein Vogel quer uber den Kurs der langsameren, gewichtigen Linienschiffe des Geschwaders. Der Franzose konnte entweder versuchen, noch schneller zu sein als Brice, oder er konnte uber Stag gehen; aber das wurde ihn wertvolle Zeit kosten, denn er mu?te ja nachher wieder Seeraum gewinnen. Im letzteren Falle konnten sogar die Linienschiffe Gelegenheit bekommen.
        Er fuhr herum, denn Broughton schimpfte:»Die verdammte Valo-rous! Jetzt fallt sie auch noch zuruck!«Er warf sein Teleskop einem
        Matrosen zu.
        Sofort stieg ein Signal an den Rahen der Euryalus hoch: > Setzen Sie mehr Segel! Aber noch wahrend die Valorous bestatigte, sah Bolitho, da? sich ihr Vorbramsegel loste und wie Papier im Wind zerplatzte.

«Soll ich der Zeus signalisieren, da? sie allein die Verfolgung aufnimmt, Sir? fragte Bolitho.»Sie hat einen guten Vorsprung. «Aber als er sah, wie Broughton die Lippen zusammenpre?te, wu?te er schon die Antwort und fugte noch rasch hinzu:»Der Franzose kann der Auriga immer noch entwischen.»

«Nein. «Ein Wort nur, ohne jedes Zeichen von Enttauschung oder Arger.
        Bolitho wandte sich ab. Der Franzose wurde sich wundern, da? das Geschwader seine Marschformation nicht anderte. Er lag irgendwo direkt vor den Verfolgern und machte schnelle Fahrt; die hohe Segelpyramide der Zeus verdeckte ihn. Aber die Auriga kam jetzt auf, sie flog vorm Wind unter aller verfugbaren Leinwand direkt auf den Feind zu. Als sie sich auf einen Wellenkamm hob, konnte Bolitho die Sonne auf dem Kupferbeschlag des schlanken Rumpfes blinken sehen.
        Jetzt schor die Zeus etwas aus. Bolitho hielt den Atem an, weil dadurch die franzosische Fregatte besser in Sicht kam, etwa funf Meilen voraus. Kaum zu glauben, da? sie so schnell auf konvergierenden Kurs gekommen war. Die Auriga mu?te etwa drei Meilen weit weg sein, sie hatte die franzosische Fregatte bereits uberholt. Bolitho versuchte, mit klarem Kopf zu uberlegen, was er in der Situation des Feindes tun wurde. Den Kurs andern oder auf das Land zuhalten, das hinter dieser tauschenden Kimm verborgen lag? Ausgeschlossen, da? der Franzose jetzt noch der Auriga entwischen konnte. Wenn er es versuchte, wurde er fast sicher einer britischen Patrouille vor der portugiesischen Kuste vor die Kanonen laufen. Vigo war die letzte sichere Zuflucht. Aber vielleicht war er bereit, zu wenden und zu kampfen.

«Signal an alle!«sagte Broughton.»>Segel kurzen, vorgeschriebene Stationen wieder einnehmen«. «Er war wieder ganz gelassen, fast gleichgultig.»Die Auriga kann sich jetzt den Franzosen allein vornehmen.»
        Als das Signal abgesetzt war und von einem Schiff zum anderen weitergegeben wurde, konnte Bolitho die Enttauschung ringsum fast korperlich fuhlen: vier kampfstarke Schiffe, aber wegen Broughtons sturem Plan so ohnmachtig wie Kauffahrer!
        Ein dumpfes Krachen rollte uber die See, eine braune Rauchwolke driftete auf den Franzosen zu. Brice hatte einen Schu? zum Abschatzen der Entfernung abgefeuert, aber Bolitho konnte den Einschlag nicht sehen.
        Alle Teleskope waren in Benutzung. Heiser sagte Keverne:»Der Frog fahrt eine Halse! Bei Gott - sehen Sie blo?!»
        Der franzosische Kommandant hatte die Zeit sehr schlecht abgepa?t und versuchte verzweifelt, am Bug der Auriga vorbeizukommen. Er tat Bolitho beinahe leid. Jetzt war das nackte Unterwasserschiff zu sehen. Die Sonne tanzte auf den steifen Segeln, als die Rahen herumschwangen, bis die Fregatte ihr eigenes Kielwasser kreuzte. Eine volle Salve hatte uber das wirbelnde Wasser, und Bolitho wartete darauf, Brices erste Breitseite in den Rumpf des Franzosen schmettern zu horen, denn Brice hatte seine Position und den Windvorteil genutzt, um die Halse des Franzosen nachzufahren.
        Jemand im Vortopp der Euryalus schrie hurra, sonst blieb alles still. Matrosen und Seesoldaten beobachteten gespannt, wie die beiden Fregatten in uberlappender Position einander naher und naher kamen - schon wirbelte wieder Qualm, allen sichtbar, im Winde.
        Abermals Mundungsfeuer, diesmal beim Franzosen, aber Masten und Rahen der Auriga blieben intakt. Die Segel des Feindes jedoch waren durchlochert; sein Focksegel war schon bei der ersten Salve in Fetzen gegangen.

«Eine gute Prise, denke ich«, flusterte Keverne heiser.»Wir konnen sowieso noch eine Fregatte gebrauchen.»
        Es war schwer zu unterscheiden, was jetzt geschah. Die beiden Schiffe konnten hochstens eine halbe Kabellange auseinander sein, und mit jeder Minute kamen sie sich naher. Wieder donnerten die Kanonen, dann sturzte der Gro?mast des Franzosen in wirbelndem Rauch nieder, die zerfetzten Segel und Stage mit sich ins Chaos rei?end.

«Sie wird bald die Flagge streichen«, sagte Broughton.

«Der Wind flaut ab, Sir«, sagte Partridge mit gedampfter Stimme, als furchte er, die allgemeine Konzentration zu storen.

«Spielt jetzt auch keine Rolle mehr«, erwiderte Bolitho lachelnd.
        Wieder war alles still, und uber die letzten drei Meilen hinweg, die zwischen der Zeus und den beiden Fregatten lagen, konnte man sehen, da? das Geschutzfeuer aufgehort hatte und die beiden Fregatten
        Rumpf an Rumpf lagen. Es war vorbei.

«Na, Bolitho«, fragte Broughton leise,»was sagen Sie jetzt?»
        Ein paar Marine-Infanteristen auf dem Vorschiff rissen die Tschakos ab und schrien hurra; ihr Siegesgeschrei wurde von der Mannschaft der direkt voraus liegenden Tanais aufgenommen.
        Bolitho sturzte am Admiral vorbei und ri? ein Teleskop aus der Hal-terung; da wurde das Hurrageschrei auch schon dunner und erstarb so schnell, wie es begonnen hatte. Er bekam eine Gansehaut: die Flagge der Auriga flatterte gleich einem wunden Vogel nieder und wurde augenblicklich durch eine andere ersetzt - dieselbe, die auch jetzt noch uber den zerfetzten Segeln des Gegners wehte: die Trikolore Frankreichs.

«Bei Gott«, keuchte Keverne,»diese Bastarde haben sich den Frogs ergeben! Sie haben nicht mal versucht zu kampfen!«Die Unglaublichkeit des Vorgangs verschlug ihm fast die Stimme.
        Die Auriga war bereits von dem Franzosen klargekommen; neues Treiben herrschte an Deck und in den Rahen, langsam drehte sie vor den Wind und segelte dem hilflos zuschauenden Geschwader davon. Durch sein Glas konnte Bolitho die Marine-Infanteristen in ihren scharlachroten Rocken erkennen, die von den Matrosen entwaffnet wurden und sich vor dem franzosischen Enterkommando zusammendrangten. Als ob ein Enterkommando uberhaupt notig gewesen ware, dachte er bitter. Eben noch hatten sie so gut gekampft, und im nachsten Moment hatte sich die ganze Besatzung ergeben, war zum Feind ubergelaufen. Er steckte das Glas wieder in die Halterung, denn vor Wut und Verzweiflung zitterten ihm die Hande so sehr, da? er es beinahe fallen gelassen hatte.
        Wieder sah er die Delegierten vor sich, damals in dem kleinen Wirtshaus in der Bucht von Veryan. Diesen Kerl namens Gates. Und John Taylor, gekreuzigt, von der Peitsche zerfetzt, weil er versucht hatte zu helfen.
        Leise und gepre?t sagte Partridge:»Keine Chance, da? wir sie jetzt noch einholen. Vor der Morgendammerung sind sie in Vigo.»
        Mit schlaffen Schultern wandte er sich ab.»Da? man so etwas mitansehen mu?!»
        Broughton starrte immer noch zu den beiden Fregatten hinuber, die bereits Fahrt aufgenommen hatten und mehr Segel setzten.»Sie konnen der Restless signalisieren, da? sie in Luv auf Station gehen soll. «Es klang ganz unbeteiligt, als sprache ein Fremder.»Dann geben Sie Signal an alle: Ursprunglichen Kurs wieder aufnehmen! Jetzt erst sah er Bolitho an.»Da haben Sie Ihre Loyalitat!«Sein Ton war wie ein Peitschenhieb.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie haben mir einmal gesagt, man mu? uber den Kommandanten ebenso Bescheid wissen wie uber sein Schiff. Das glaube ich auch, Sir. «Er wandte den Blick zu der fernen Auriga. Unter der fremden Flagge wirkte sie kleiner.»Ebenso wie ich glaube, da? wir noch mehr solche Dinge erleben werden, wenn Manner wie Brice weiterhin unsere Schiffe kommandieren durfen.»
        Broughton wich einen Schritt zuruck, als hatte Bolitho etwas schrecklich Unanstandiges gesagt.»Kapitan Brice ist vielleicht im Kampfe gefallen«, erwiderte er dann und schritt nach achtern.»Um seinetwillen hoffe ich, da? es so ist. «Damit verschwand er im Schatten unter der Kampanje.

«Nun«, sagte Leutnant Meheux sehr laut,»wir jedenfalls konnten es nicht ve rhindern. Aber wenn meine Batterie so weit tragen wurde, dann wollte ich sie immer noch Mores lehren.»
        Mehrere Offiziere, die im Moment nichts zu tun hatten, mischten sich in die Diskussion; Allday, der fur alle Falle unter der Kampanje gestanden hatte, betrachtete sie wutend. Er sah, wie Bolitho, den Kopf in tiefem Nachdenken gesenkt, auf und ab schritt. Die anderen alle taten, als wollten sie ihn trosten, ihn und sich selber; aber in Wirklichkeit wollten sie nur die Bestatigung, da? sie nichts dafur konnten, und hatten im ubrigen keinen Schimmer davon, wie dem Kommandanten zumute war.
        Aber Allday wu?te es. Er hatte den Schmerz in diesen grauen Augen beim ersten Anblick der verha?ten Trikolore gesehen, die Kapitan Bolitho an jenes andere Gefecht erinnerte, als er ebenfalls ein britisches Schiff unter Feindesflagge bekampfen mu?te, noch dazu eins, das sein Bruder kommandierte.
        Der Kommandant fuhlte die Schande der Auriga, als sei es seine eigene; und die einzige Sorge dieser hohlkopfigen jungen Hunde war, ob ihnen jemand einen Vorwurf daraus machen konnte.
        Fast ohne es zu wissen, ging Allday auf Bolitho zu. Der blieb stehen; zornig blitzten seine Augen, weil er gestort wurde.

«Was ist?«Es klang eiskalt, doch Allday lie? sich nicht abschrek-ken.

«Ich hab mir das gerade uberlegt, Captain. «Er hielt inne, um den richtigen Moment zum Weitersprechen abzupassen.»Die Frogs haben eben eine britische Fregatte bekommen, aber kampflos.»

«Na und?«Es klang gefahrlich ruhig.
        Allday grinste.»Ich sehe das so. «Er grinste noch breiter.»Dieser Dreidecker hier, zum Beispiel. Um den haben wir mit ein paar wutenden Frogs kampfen mussen - und wir haben ihn genommen.»
        Bolitho starrte ihn an.»Das ist ein verdammt bloder Vergleich! Wenn Ihnen nichts Besseres einfallt, dann gehen Sie mir gefalligst aus den Augen!«Er sprach so laut, da? sich mehrere Kopfe nach ihm umdrehten.
        Langsam schlich sich Allday davon. Vielleicht hilft es etwas, dachte er, kann aber auch sein, ich hab mir diesmal den falschen Moment ausgesucht.
        Aber da horte er Bolithos Stimme und blieb stehen.

«Weil Sie gerade davon reden, Allday - «, Bolitho senkte die Lider, als Allday sich zu ihm umwandte - ,»es war wirklich eine feine Prise. Und ist es immer noch. Danke, da? Sie mich daran erinnert haben. Ich hatte nicht vergessen durfen, was britische Seeleute leisten konnen.»
        Allday warf einen Blick zu den still gewordenen Offizieren hinuber und ging mit leisem Lacheln wieder auf seinen Platz an der Kampan-jeleiter.
        Bolitho brach das allgemeine Schweigen.»Schon, Mr. Keverne, Sie konnen die untere Batterie auf Stationen pfeifen lassen. Jetzt sind ja die Stuckpforten nicht mehr unter Wasser, da konnen Sie weiterexerzieren.»
        Er verstummte und sah zu den Netzen hinuber, so da? Keverne naher kommen mu?te, um zu verstehen, was Bolitho etwa noch zu sagen hatte. Aber dann war er nicht sicher, ob er zuhoren sollte.

«Wir treffen uns wieder, altes Madchen«, sagte Bolitho halblaut und beinahe heiter hinter der Auriga her,»und dann sieht die Sache bestimmt anders aus.»
        Achtzehn Tage, nachdem es hatte zusehen mussen, wie die Auriga vor dem Feind die Flagge strich, ging Broughtons Geschwader in Gibraltar vor Anker. Auf Grund des Zeitverlustes, der am Anfang der Reise durch Broughtons Gefechtsubungen entstanden war, kam sie noch spater im Schatten des gro?en Felsens an, als Bolitho vorausberechnet hatte. Sie wurden von standig wechselnden Winden behindert. Einmal, etwa neunzig Meilen westlich von Lissabon, mu?ten sie einen Sturm von solcher Starke abreiten, da? die Zeus sechs Mann verlor. Und dann, gleich am nachsten Tag, trieben alle Schiffe mit schlaffen Segeln unbewegt in einer totalen Flaute; die Sonne brannte so stark, da? selbst der Routinedienst fast unertraglich wurde.
        Nun ruhte sich das Geschwader aus; Sonnensegel waren aufgeriggt, zwischen Schiffen und Land krochen die Boote geschaftig wie Wasserkafer hin und her.
        Eine Stunde nach dem Ankerwerfen trat Bolitho in seine Kajute. Dort waren bereits alle Kommandanten versammelt, denn er hatte eine Dienstbesprechung angesetzt.
        Nach der langen Reise sahen sie mude und angestrengt aus; und gleich nach der Ankunft hatte sich allerlei ereignet, so da? keiner von ihnen viel Zeit zum Ausruhen gehabt hatte.
        Naturlich war es Rattray von der Zeus, der davon anfing.

«Wer ist dieser Kerl, der beim Admiral ist? Kennt ihn jemand?»
        Kapitan Fourneaux von der Valorous nahm sich ein Glas von dem Wein, den der Kajutsteward herumreichte, und beaugte es kritisch.»Sieht nicht nach einem Diplomaten aus, wenn Sie mich fragen. «Er wandte sein hochmutiges Gesicht Bolitho zu.»Aber im Krieg laufen einem ja seltsame >Ratgeber< uber den Weg, wie?»
        Lachelnd nickte Bolitho den anderen zu und trat an die offenen Heckfenster. Druben auf der anderen Seite der Bucht lag unter einem zitternden Hitzeschleier Algeciras, wo sicher schon zahlreiche Teleskope auf das britische Geschwader gerichtet waren und Kuriere in den Sattel stiegen, um den Garnisonen im Landesinnern die Nachricht zu uberbringen.
        Der Mann, der an Bord des Flaggschiffes gekommen war und dessen plotzliches Auftauchen so viele Spekulationen ausloste, war sicherlich ein ungewohnlicher Mann. Er war in der Gig des Gouverneurs eingetroffen und hatte schon beinahe die Fallreepspforte passiert, ehe die Ehrenformation zu seinem Empfang angetreten war. Lassen Sie diesen Quatsch, wir haben keine Zeit zu verlieren«, blaffte der in eine gutgeschnittene, teure Uniform gekleidete Mann.
        Sein Name lautete Sir Hugo Draffen, und trotz seiner Eleganz und seines Titels sah er aus wie jemand, der korperliche Anstrengung gewohnt war, keineswegs wie ein Mu?igganger: kraftig, untersetzt, mit tiefgebrauntem Gesicht, winzige Faltchen um die Augen, schien er in Sonnenbrand und rauhen Winden eher zu Hause zu sein als in dem milden Klima von Londons Whitehall. Broughton, der den Rest der Reise vorwiegend in seinem Logis verbracht hatte, war eilig herausgerufen worden und hatte sich dem Gast gegenuber merkwurdig still, fast unterwurfig benommen. Nach Bolithos Ansicht hatte es mit Draf-fen weit mehr auf sich, als es zur Zeit schien.
        Kapitan Gifford von der Fregatte Coquette, der dem Geschwader vorausgeschickt worden war, um die neuesten Informationen einzuholen, berichtete duster:»Er kam zu mir an Bord, gleich als ich Anker geworfen hatte. «Gifford war ein langer, beinahe ungeschickt wirkender jungerer Mann, und sein hageres Gesicht verzerrte sich bei der Erinnerung an diese Begegnung.»Ich sagte ihm, ich musse wohl gleich wieder los und mit dem Geschwader Verbindung aufnehmen, aber er meinte, das konne ich mir sparen. «Er schuttelte sich.»Und als ich ihn fragte, wieso, da sagte er doch tatsachlich, ich solle mich um meine eigenen verdammten Angelegenheiten kummern.»
        Falcon von der Tanais stellte sein Glas ab und sagte grimmig:»Auf diese Weise brauchten Sie wenigstens die Schweinerei mit der Auriga nicht mitanzusehen.»
        Die Kommandanten sahen erst Falcon und dann einander an. Bis jetzt war diese Sache noch nicht erwahnt worden.
        Bolitho mischte sich ein:»Ich glaube nicht, da? wir noch lange im unklaren bleiben werden. «Ob ihnen wohl aufgefallen war, da? er als Flaggkapitan an diesem Gesprach, das eben jetzt in Broughtons Kajute direkt unter ihnen stattfand, nicht teilnahm? Das war ungewohnlich. Aber Draffen war anscheinend ein ungewohnlicher Mann.

«Wenn ich in der Nahe gewesen ware«, sagte Gifford heftig,»dann hatte ich lieber beide Schiffe versenkt, als so etwas zugelassen.»

«Aber Sie waren eben nicht da, junger Freund«, naselte Fourneaux,»und somit kann Ihnen erfreulicherweise niemand einen Vorwurf machen - eh?»

«Das genugt, meine Herren. «Bolitho spurte die plotzliche Spannung und trat dazwischen.»Was geschehen ist, ist geschehen, und es gibt nichts mehr daruber zu sagen, hochstens, da? wir in Zukunft besser aufpassen mussen. «Er sah einen nach dem anderen bedeutsam an.»Wir werden in Kurze eine Menge zu tun bekommen, also sparen Sie Ihre Krafte.»
        Die Tur ging auf, Broughton kam herein, hinter ihm Draffen und der Flaggleutnant.

«Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, sagte Broughton mit kurzem Nik-ken. Der Steward bot ihm ein Glas an, aber er lehnte ab und schickte ihn hinaus.
        Bolitho fiel auf, da? Draffen sich ans Heckfenster gestellt hatte. Interessierte ihn nicht, was jetzt kam, oder wollte er so stehen, da? er die anderen, diese aber nicht sein Gesicht sehen konnten?
        Broughton rausperte sich, blickte zu Draffens untersetzter Gestalt hin, die sich fast schwarz von den sonnenhellen Fenstern abhob, und begann:»Wie Sie wissen, ist das Mittelmeer unserer Flotte seit Ende vorigen Jahres verschlossen. Bonapartes Vormarsch und seine Eroberungen in Italien und Genua haben uns alle Hafen gesperrt, und wir waren genotigt, uns zuruckzuziehen.»
        Draffen verlie? seinen Platz am Fenster und trat herzu. Es war eine rasche behende Bewegung. Offenbar wurde er ungeduldig; das merkte man auch an seinem Ton.

«Wenn ich unterbrechen darf, Sir Lucius?«Er wartete Broughtons Antwort nicht ab, sondern drehte ihm den Rucken zu.»Wir wollen uns kurz fassen. Von der Langmut, mit der die Marine ihre Angelegenheiten betreibt, halte ich nicht viel. «Er lachelte, und die Faltchen um seine Augen wurden scharf wie Krahenfu?e.»England fuhrt Krieg gegen einen von seiner Sache uberzeugten und, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen wollen, professionellen Gegner. Angesichts der Massierung franzosischer und spanischer Schiffe in Brest zu einem Gro?angriff auf England mit anschlie?ender Invasion scheint es nicht nur klug, sondern hochst notwendig, unsere Schiffe zuruckzuziehen und mit ihnen die Kanal- und Atlantikflotte zu verstarken.»
        Bolitho beobachtete Broughton genau auf Anzeichen von Arger oder Unmut, aber dessen Gesicht war wie aus Stein.
        Munter fuhr Draffen fort:»Jervis' Sieg bei St. Vincent hat jedoch die Moglichkeit einer Invasion Englands furs erste, wenn nicht uberhaupt, zunichte gemachte. Au?erdem hat er die Bruchigkeit der franzosisch-spanischen Zusammenarbeit auf See bewiesen. Somit mu? man logischerweise annehmen, da? Bonaparte seinen Einflu? anderswo geltend machen wird, und zwar bald.»

«Soll ich fortfahren?«fragte Broughton unvermittelt dazwischen.

«Wenn Sie wunschen. «Draffen zog seine Uhr.»Aber bitte rasch.»
        Broughton schluckte muhsam.»Unser Geschwader ist der erste britische Verband von nennenswerter Gro?e, der das Mittelmeer wieder befahren wird. «Weiter kam er nicht.

«Sehen Sie auf diese Karte, Gentlemen«, unterbrach ihn Draffen, ri? Leutnant Calvert die Rolle aus der Hand und breitete sie auf dem Tisch aus.
        Wahrend die anderen herbeidrangten, warf Bolitho einen raschen Blick auf Broughton. Der war bleich geworden und starrte sekundenlang mit wutgluhenden Augen Draffens breiten Rucken an.

«Hier, zweihundertfunfzig Meilen die spanische Kuste aufwarts, liegt Cartagena, wo zahlreiche Schiffe, die jetzt in Brest sind, ihre Basis hatten. «Bolitho folgte dem spatelformigen Finger, der jetzt quer ubers Mittelmeer zu der zerrissenen Linie der algerischen Kuste fuhr.»Sudostlich von Spanien, blo? hundertfunfzig Meilen entfernt, liegt Djafou.»
        Bolitho fuhr zusammen, denn auf einmal sah Draffen ihn an, sehr ruhig und durchdringend.»Kennen Sie es, Captain?»

«Vom Horensagen, Sir. War fruher ein Schlupfwinkel der BerberPiraten, glaube ich. Guter Naturhafen, sonst ohne Bedeutung.»
        Draffen lachelte, aber seine Augen blieben unbewegt.»Die Dons[Spitzname fur Spanier] haben Djafou vor ein paar Jahren ubernommen, um ihren Kustenhandel zu schutzen. Jetzt, da sie mit den Franzosen alliiert sind, mu? man diesen Hafen vielleicht in einem ganz anderen Licht sehen.»

«Als Flottenbasis, Sir?«fragte Raffles mit seiner groben Stimme.

«Vielleicht. «Draffen richtete sich auf.»Aber meine Agenten haben mir von einem regen Kommen und Gehen in Cartagena berichtet. Es ware gut, wenn unser Wiedereintritt ins Mittelmeer mit einer Aktion verbunden ware, mit etwas Positivem. «Wieder tippte er auf die Karte.»Ihr Admiral wei? bereits, worum es sich handelt; aber Ihnen, Gent-lemen, will ich jetzt verraten, da? ich unsere Flagge uber Djafou zu sehen wunsche, und zwar moglichst bald.»

«Mein Geschwader hat nicht seine volle Sollstarke, Sir«, warf
        Broughton ein. In der plotzlichen Stille klangen seine Worte beinahe ablehnend. Doch dann wandte er die Augen ab und fuhr fort:»Aber naturlich, wenn Sie meinen…»
        Draffen nickte mit Nachdruck.»Jawohl, das meine ich, Sir Lucius. Ich habe Bombenwerferschiffe aus Lissabon angefordert. Sie werden in ein oder zwei Tagen eintreffen. «Sein Ton wurde harter.»Wenn die Flotten von Spithead und der Nore nicht so sehr mit ihren internen Angelegenheiten zu tun hatten, hatte Ihr Geschwader funfzehn oder sogar zwanzig Linienschiffe statt vier. «Er zuckte die Achseln.»Und jetzt hat es nur eine Fregatte.»
        Mit neuerlichem Achselzucken lie? er das Thema fallen.»Aber das ist Ihre Sache.
«Er schnippte mit den Fingern.»Jetzt ware ein Schluck Wein angebracht, also rufen Sie den Steward wieder herein. «Grinsend sah er in die Gesichter der Offiziere, in denen sich recht gemischte Gefuhle spiegelten.»Anschlie?end haben wir noch eine Menge zu tun.»
        Wieder sah er Bolitho an.»Sie sagen sehr wenig, Captain.»
        Argerlich fuhr Broughton dazwischen:»Ich werde meinen Flaggkapitanselbst informieren, wenn Sie nichts dagegen haben.»

«So gehort es sich auch. Immerhin - ich werde mich Ihrem Geschwader auf einige Zeit anschlie?en. «Draffen nahm dem Steward ein Glas ab und fuhr unentwegt lachelnd fort:»Nur um sicherzustellen, da? Ihr Weg auch der meine ist - wie?»
        Bolitho wandte sich ab. In Gedanken war er bereits mit Draffens munter vorgebrachten, aber au?erordentlich mageren Informationen beschaftigt.
        Da? britische Schiffe aufs neue die sudlichen Verbindungswege von Bonapartes wachsendem Imperium angreifen sollten, war in der Tat eine gute Nachricht. Eine neue, strategisch gunstig gelegene Basis fur die Flotte zu erobern und zu halten, war gewi? ein Plan, zu dem sowohl Konnen als auch Phantasie gehorte.
        Aber wenn andererseits Broughtons Geschwader nur die Kastanien aus dem Feuer holen, als Mittel zu dem Zweck dienen sollte, den Feind zur Verlegung bedeutender Streitkrafte aus dem Atlantik ins Mittelmeer zu veranlassen, dann konnte es fur sie alle sehr ubel ausgehen. Da? Draffen eine ganze Menge zu sagen hatte, daran war wohl nicht zu zweifeln; aber sein genauer Status blieb noch immer im dunkeln. Vielleicht wu?te er schon etwas uber eine Verschlimmerung der Lage in der Nore? Ein kleines Geschwader zu opfern, um den starken feindlichen Druck auf die Kanalflotte zu mildern, das mu?te den Lords der Admiralitat nicht mehr Skrupel verursachen als Taylors Tod Broughton belastet hatte.
        Eins wu?te Bolitho ganz genau: was auch bereits entschieden sein mochte, er wurde in jeder Phase direkt und personlich beteiligt sein. Diese Aussicht hatte ihn eigentlich freuen mussen; aber der Gedanke, da? der Oberbefehl in den Handen Broughtons und Draffens liegen wurde, gab der Sache einen ganz anderen Aspekt.
        Broughton war zu Fourneaux getreten und sprach mit ihm. Draffen kam zu Bolitho heruber, offenbar im Begriff, sich zu verabschieden.

«Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Captain«, sagte er.»Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. «Er machte Calvert ein Zeichen und fuhr ganz beilaufig fort:»Ubrigens kannte ich Ihren Bruder. «Damit drehte er sich kurz um und ging zu Broughton und den anderen hinuber.



        VI Im Verband

        Erst drei Tage spater bekam Bolitho Sir Hugo Draffen wieder zu Gesicht. Er hatte an Bord der Euryalus und auf den anderen Schiffen so viel zu tun gehabt, da? ihm wenig Zeit zum Nachdenken uber Draf-fens Abschiedsworte geblieben war.
        Die Tatsache, da? er Hugh gekannt hatte, verriet, da? Draffen in Westindien gelebt und gearbeitet hatte oder sogar in Amerika wahrend der Revolution. Sonst ware es wenig sinnvoll gewe sen, da? er so geheimnisvoll tat. Draffen war der typische Geschaftsmann, einer von denen, die Kolonien grunden halfen, um personlichen Gewinn daraus zu ziehen. Ein gerissener Kaufmann, der auch, Bolithos Ansicht nach, ziemlich rucksichtslos sein konnte, wenn es sich so ergab.
        Vielleicht war Draffens Bemerkung nur ein Eroffnungszug gewesen, um mit Bolitho in personlicheren Kontakt zu kommen. Wenn sie in den nachsten Wochen und Monaten harmonisch zusammenarbeiten sollten, war das ganz naturlich. Aber seit sein Bruder zum Feind ubergelaufen war, hatte Bolitho eine regelrechte Mauer der Vorsicht in seinem Innern aufgebaut und reagierte auf die blo?e Erwahnung von Hughs Namen mit krankhafter Empfindlichkeit.
        Es gab viel zu tun: Erganzung der Verpflegungs- und Trinkwasservorrate fur die Reise und Ubernahme aller Ersatzteile, die man von der
        Administration durch Bitten oder Bestechung ergattern konnte. War man erst einmal im Mittelmeer, so hatte man keine Basis mehr und war auf solche Lebensmittel angewiesen, die man erbeutete oder sonstwie beschaffte.
        Aus einem weiteren, noch dringlicheren Grunde war Selbstversorgung notig. Zwei Tage nach dem Ankerwerfen hatte Bolitho eine Korvette in die Bucht kreuzen sehen, die, wie es hie?, Depeschen aus England brachte.
        Unverzuglich hatte Broughton ihn kommen lassen und ihm mit grimmigem Gesicht eroffnet:»Die Meuterei in der Nore hat sich ausgeweitet. Fast alle Schiffe sind in den Handen von Delegierten.«Er spie das Wort aus, als sei es Gift.»Sie blockieren die Themse und stellen der Regierung erpresserische Forderungen.»
        Broughton war aufgesprungen und ruhelos in der Kajute umhergegangen wie ein wildes Tier im Kafig.»Und Admiral Duncan sollte Blockade vor der hollandischen Kuste fahren. Was kann er jetzt noch tun, wenn die meisten seiner Schiffe in den Handen von Aufruhrern sind und festliegen?»

«Ich werde die anderen Kommandanten informieren, Sir.»

«Ja, sofort! Die Korvette segelt gleich wieder mit Depeschen nach England zuruck; es ist also kaum zu befurchten, da? unsere Leute angesteckt werden. «Etwas langsamer fuhr er fort:»Ich habe in meinem Bericht auch den Verlust der Auriga mit allen Einzelheiten geschildert. Es konnte den Franzosen einfallen, sie zu Spionagezwecken zu benutzen; je eher also unsere Flotte uber ihre neue Nationalitat Bescheid wei?, um so besser. Wir wissen noch nicht, ob sie die Flagge tatsachlich auf Grund einer Meuterei gestrichen hat. «Dabei hatte er Bolitho nicht angesehen.»Vielleicht waren alle Offiziere schon gefallen oder kampfunfahig, als sie Bord an Bord lagen; so kann die fuhrungslose Mannschaft uberwaltigt worden sein.»
        Aber offensichtlich glaubte er das ebensowenig wie Bolitho. Immerhin blieb genug Raum fur Zweifel offen, da? Broughton diese Ausfluchte in seinem Bericht unterbringen konnte. Gerade jetzt konnte die Nachricht, da? ein britisches Schiff zum Feinde ubergegangen war, noch mehr (und wenn moglich schlimmere) Unruhen in der Flotte auslosen.
        Broughton hatte sich nicht gescheut, immer mehr Arbeit auf Bolitho abzuwalzen, wahrend das Geschwader seeklar gemacht wurde. Die
        Nachrichten von der Nore und der Verlust der Auriga hatten ihn merklich beeindruckt. Er zog sich sehr zuruck und wirkte, wenn er mit Bolitho allein war, lange nicht so gelassen wie fruher. Was er in Spithead mit seinem eigenen Flaggschiff erlebt hatte, schien eine tiefe Narbe in seinem Gemut hinterlassen zu haben. Er verbrachte viel Zeit an Land, fuhrte Besprechungen mit Draffen und dem Gouverneur, aber er fuhr immer allein und behielt seine Gedanken fur sich.
        Leutnant Calvert schien au?erstande zu sein, seinem Admiral irgend etwas recht zu machen; sein Leben wurde schnell zu einem Alptraum. Er mochte aus sehr guter Familie stammen, war aber anscheinend vollkommen unfahig, auch nur den routinema?igen Signalverkehr innerhalb des Geschwaders zu begreifen, der offiziell in seinen Handen lag.
        Bolitho hatte den Verdacht, da? Broughton seinen Adjutanten als Blitzableiter fur die eigene qualende Unsicherheit benutzte. Wenn es seine Absicht war, Calvert ein Hundeleben zu bereiten, so hatte er damit bestimmt Erfolg.
        Es war jammervoll anzuhoren, wie Midshipman Tothill Calvert wieder und wieder, mit allem Respekt, aber mit Nachdruck, die Einzelheiten der Signalprozedur erklarte; fast noch jammervoller war Calverts offensichtliche Dankbarkeit. Nicht da? es viel genutzt hatte. Es brauchte nur einen von Broughtons plotzlichen Wutausbruchen, und Calverts geringer Wissensschatz war unwiederbringlich im Winde verweht.
        Am Nachmittag des dritten Tages, als Bolitho die Vorbereitungen mit Keverne besprach, meldete der Wachoffizier das Eintreffen der beiden Bombenschiffe, die bereits auf Reede Anker warfen. Kurz danach kam ein Kutter langsseit, und der Bootsfuhrer reichte einen versiegelten Brief an Bolitho herauf. Er war von Draffen und typisch kurz. Bolitho sollte unverzuglich an Bord des Bombenschiffes Hekla kommen, und zwar mit dem Boot, das den Brief gebracht hatte.
        Broughton war an Land, also kletterte Bolitho, nachdem er Keverne entsprechend instruiert hatte, in den Kutter, der ihn zur Hekla hinuberbrachte.
        Allday sah ihm mit schlecht verhehltem Unmut nach. Da? Bolitho ein anderes Boot als seine Kommandantengig benutzte, pa?te ihm sowieso nicht, und als der Kutter von der Euryalus ablegte, uberkam ihn plotzliche Angst: Wenn Bolitho irgend etwas zustie?, und er war, wie eben jetzt, allein… was dann? Noch als das Boot hinter dem Heck der Zeus verschwand, starrte er ihm nach, besorgter denn je.
        In seiner ganzen Dienstzeit hatte Bolitho noch nie ein Bombenwer-ferschiff gesehen, wenn er auch oft genug von ihnen gehort hatte. Dieser Typ war zweimastig, etwa hundert Fu? lang, mit sehr gedrungenem Rumpf und niederem Schanzkleid. Das Seltsamste war die asymetrische Stellung des Fockmastes: verhaltnisma?ig weit achtern, so da? das Schiff aussah, als sei es ganz falsch ausbalanciert oder eigentlich ein Dreimaster, dem der richtige Fockmast in Hohe des Decks abgeschossen worden war. Ein Bombenschiff war ungefahr so lang wie eine Korvette, doch ohne deren Eleganz und Beweglichkeit, vielmehr, wie es hie?, teuflisch schwer zu segeln, sobald das Wetter auch nur etwas rauh wurde.
        Als das Boot an den Rusten festmachte, sah Bolitho Draffen allein auf dem winzigen Achterdeck stehen. Er beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete, wie Bolitho an Bord kletterte.
        Bolitho luftete den Hut zum Empfangszeremoniell der kleinen Ehrenwache und nickte einem jungen Leutnant zu, der ihn fasziniert anstarrte.

«Kommen Sie herauf, Captain«, rief Draffen,»da haben Sie bessere Ubersicht.»
        Bolitho ergriff Draffens ausgestreckte Hand. Wie der ganze Mann war auch sie zah und hart.»Dieser Leutnant da«, sagte er,»ist das der Kommandant?»

«Nein. Den habe ich hinuntergeschickt, kurz bevor Sie an Bord kamen. Tut mir leid, wenn ich damit Ihre altehrwurdigen Zeremonien store, aber ich brauchte meine Karte aus seiner Kajute. Schone Kajute ubrigens - da wohnt mein Hund besser«, grinste Draffen und deutete zum Vorschiff.»Kein Wunder, da? diese Bombenwerfer so komisch gebaut sind. Jede Planke ist doppelt so dick wie bei einem anderen Schiff. Denn Ruck- und Vertikalsto? sind bei diesen Dingern so stark, da? sie einen normalen Schiffsrumpf zerrei?en wurden.»
        Bolitho sah genauer hin. Da waren sie, die beiden machtigen Morser, mitten auf dem Vorderdeck montiert: kurznasig, schwarz und unglaublich ha?lich, und die Mundungen hatten einen imponierenden Durchmesser. Leicht konnte er sich vorstellen, was sie beim Abschu? fur einen Druck auf die Planken ausubten.
        Das andere Schiff sah ganz ahnlich aus und hie? passenderweise Devastation.[= Vernichtung]
        Halb im Selbstgesprach fuhr Draffen fort:»Die Bombenwerfer laufen heute nacht aus, ehe diese Schakale in Algeciras genaueres uber sie erfahren.»
        Bolitho nickte. Das war vernunftig. Draffen wandte sich ab und beobachtete ein paar Matrosen, die so geschickt in der Takelage her umkletterten wie Spinnen, die ihr Netz bauten. Bolitho warf ihm einen verstohlenen Blick zu.
        Der Mann war doch alter, als er gedacht hatte. Naher an Sechzig als an Funfzig. Das graue Haar kontrastierte scharf mit dem tiefgebraunten Gesicht und dem muskulosen, doch beweglichen Korper.

«Schlechte Nachrichten aus England, Sir«, sagte Bolitho.»Ich wei? es von Sir Lucius.»

«Mancher lernt's eben nie«, sagte Draffen scheinbar gleichgultig in die Luft hinein. Er fuhrte aber nicht naher aus, wie er das meinte.»Was Ihren Bruder betrifft«, wechselte er das Thema,»ich traf mit ihm zusammen, als er dieses Kaperschiff fuhrte. Sie selbst haben ja sein Schiff schlie?lich vernichtet, wie ich horte. «Sein Blick verlor etwas an Scharfe.»Ich habe in letzter Zeit eine ganze Menge uber Sie gehort, und gerade dieser Streich machte mich neidisch. Ich hoffe, auch ich konnte so etwas fertigbringen, wenn Not am Mann ist. «Und wieder schlug seine Stimmung um.»Ich kann naturlich nicht alles glauben, was ich uber Sie gehort habe. So gut kann keiner sein. «Er grinste, weil Bolitho ihn verblufft ansah, und deutete uber seine Schulter.»Was mir zum Beispiel der Kommandant der Hekla da uber Sie erzahlt hat - also so was habe ich noch nie gehort!»
        Bolitho fuhr herum, starr vor Uberraschung. Der Mann, auf dessen langem Gesicht sich erst Verwirrung, dann Entzucken malte, war Francis Inch - kein kleiner Leutnant mehr, sondern ein Mann mit der einzelnen Epaulette auf der linken Schulter: Commander Inch, damals bei dem letzten blutigen Gefecht gegen Lequillers Schiffe in der Biskaja Erster Offizier der Hyperion.
        Inch kam heran und machte eine ungeschickte Verbeugung.»Ich bin's, Sir - Inch!»
        Bolitho nahm Inchs Hand in seine beiden; dabei merkte er erst, wie sehr er ihn vermi?t hatte, und was fur ein Stuck Vergangenheit er ihm bedeutete.

«Ich habe Ihnen ja versprochen, ich wurde dafur sorgen, da? Sie ein selbstandiges Kommando kriegen. «Doch ansonsten wu?te er nicht, was er sagen sollte - da war der uber das ganze Gesicht grinsende Draffen, und Inch starrte ihn auf seine altbekannte diensteifrige Art an, die ihn manchmal so nervos gemacht hatte.

«Ich konnte entweder ein Bombenschiff kriegen«, strahlte Inch,»oder ich hatte wieder Erster auf einem Vierundsiebziger werden konnen, Sir. Aber nach der alten Hyperion hatte ich dazu keine Lust mehr…«Dabei sah er auf einmal ganz traurig aus; doch dann brach sein Grinsen wieder durch.»Jetzt habe ich das hier - «, stolz flog sein Blick uber das kleine Schiff - ,»und das!«Damit tippte er auf seine Epaulette.

«Und eine Frau haben Sie jetzt auch?«Von sich aus hatte Inch das wohl nie erwahnt, weil er Bolitho nicht an dessen Verlust erinnern wollte.

«Aye, Sir«, nickte Inch.»Von einem Teil des Prisengeldes, das Sie uns verschafft haben, konnte ich ein bescheidenes Haus in Weymouth kaufen. Ich hoffe, Sie werden uns mal die Ehre geben. «Jetzt wurde er wieder wie fruher, unsicher, zerfahren. Aber Sie werden wohl zu viel zu tun haben, Sir.»
        Bolitho fa?te seinen Arm.»Es wird mir eine Freude sein, Inch. Schon, Sie wiederzusehen.»

«Also hat ein Seeoffizier doch warmes Blut im Leib«, bemerkte Draffen trocken.
        Verlegen trat Inch von einem Fu? auf den anderen.»Ich schreibe gleich nachher an Hannah. Sie wird sich sehr freuen, da? wir uns getroffen haben.»
        Nachdenklich sah Bolitho Draffen an.»Das haben Sie sich als Uberraschung aufgehoben, Sir.»

«Die Flotte hat ihre Methoden, und ich habe meine«, erwiderte dieser mit einem nachdenklichen Blick auf den hochragenden Gibraltarfelsen. Dann wandte er sich Inch zu.»Und jetzt, Commander, wenn Sie uns allein lassen wollten - ich habe mit Captain Bolitho etwas zu besprechen.»

«Essen Sie heute mit mir, Inch«, sagte Bolitho,»auf dem Flaggschiff. «Auch er grinste jetzt, um die Bewegung zu verbergen, die ihn bei Inchs plotzlichem Auftauchen uberkommen hatte.»Vielleicht geht's dann schneller mit Ihrer nachsten Beforderung.»
        Er sah noch, wie Inch sich freute, als er eilig zu seinem Leutnant hinuberging - wahrscheinlich wurde er diesem zum soundsovielten Mal alte Geschichten zur Erbauung erzahlen.

«Mit dem war vermutlich als Offizier nicht viel los, bis Sie ihn in die Finger bekamen«, bemerkte Draffen.

«Er hat sich schwergetan«, erwiderte Bolitho;»aber ich habe nie einen Mann getroffen, der so loyal war und in mancher Hinsicht so viel Gluck hatte. Wenn wir Feindberuhrung bekommen, Sir, dann rate ich Ihnen, halten Sie sich dicht bei Inch. Der hat den Trick raus, am Leben zu bleiben, wenn alle um ihn fallen und das Schiff in Stucke geht.»
        Draffen nickte ernsthaft.»Ich will daran denken. «Dann fuhr er munterer fort:»Wenn alles klargeht, setzt Ihr Geschwader morgen abend Segel. Die Werfer sto?en spater zu Ihnen. Die Einzelheiten kann Ihnen der Admiral ausfuhrlicher erklaren als ich.
«Anscheinend war er zu einer Entscheidung gelangt.»Ich habe mir die Muhe gemacht, Ihre Personalakte zu studieren, Bolitho. Zu dem Unternehmen, das wir vorhaben, brauchen wir allerhand Initiative und Findigkeit. Vielleicht wird man die Dienstvorschriften der Admiralitat ein bi?chen den Umstanden entsprechend abwandeln mussen. Ich wei?, da? Ihnen solche Methoden nicht unbekannt sind. Ich habe die Erfahrung gemacht«, schlo? er mit trockenem Lacheln,»da? man im Kriege Manner braucht, die eigene Ideen haben. Starre, feste Regeln taugen dabei nichts.»
        Auf einmal fiel Bolitho wieder ein, was Broughton damals, als er der Zeus die Verfolgung des Franzosen hatte freigeben sollen, fur ein Gesicht gemacht hatte. Und sein Gefechtsplan, seine Vorliebe fur Plane uberhaupt, sein offenkundiges Mi?trauen gegen alles Unerprobte, was nach unorthodoxen Methoden roch.

«Ich hoffe nur«, erwiderte er,»da? wir nicht zu spat kommen und die Franzosen die Verteidigungsanlagen von Djafou nicht schon verstarkt haben.»
        Draffen sah sich rasch um und antwortete dann:»Ich habe in dieser Gegend einen gewissen Einflu? oder Verbindungen, wenn Sie wollen, und es ist nicht meine Absicht, da? Sie sich ausschlie?lich auf Ihr Gluck und Ihre personliche Tapferkeit verlassen sollen. Ich kenne die algerische Kuste gut, auch die Menschen dort - gro?tenteils Halsabschneider, denen absolut nicht zu trauen ist. «Wieder lachelte er.»Aber wir werden sehen, da? wir sie fur unsere Zwecke gebrauchen und das Beste daraus machen, nach dem alten Sprichwort: Wenn man nicht haben kann, was einem gefallt, dann mu? einem eben gefallen, was man hat.»
        Er hielt Bolitho die Hand hin.»Ich mu? jetzt gehen und mit ein paar Leuten an Land sprechen. Bestimmt sehen wir uns sehr bald wieder.»
        Er kletterte in sein Boot hinunter, und Bolitho trat an die Schanz zu Inch.

«Ein merkwurdiger Mann, Sir«, sagte dieser.»Sehr undurchsichtig.»

«Glaube ich auch. Immerhin hat er anscheinend ziemlich viel zu sagen.»
        Inch seufzte und schuttelte den Kopf.»Vorhin hat er mir von der Gegend erzahlt, wo wir hinsegeln. Er scheint dort recht gut Bescheid zu wissen. Aber meiner Ansicht nach ist da kaum was zu holen.»
        Nachdenklich nickte Bolitho. Handel, ja - aber was fur einen Handel konnte man in einem so gottverlassenen Nest wie Djafou treiben? Und wo war eine Verbindung zur Karibik und Draffens Bekanntschaft mit Hugh?

«Ich mu? wieder an Bord«, sagte er.»Wir reden beim Dinner noch daruber. Aber Sie werden keine bekannten Gesichter antreffen, furchte ich.»

«Au?er Allday, Sir«, grinste Inch.»Ohne den kann ich mir Sie uberhaupt nicht vorstellen.»
        Bolitho schlug ihm auf die knochige Schulter.»Ich mich auch nicht!»
        Spater, allein in seiner Kajute, knopfte Bolitho sein Hemd auf, spielte mit dem Medaillon und starrte blicklos durch das offene Heckfenster. Inch wurde nie ermessen, wieviel ihm dieses Wiedersehen bedeutet hatte: es war wie dieses Medaillon etwas, woran man sich festhalten konnte, etwas Vertrautes. Einer von seinen alten Hyperianern.
        Es klopfte; nervos trat Calvert ein, einen Sto? Papiere wie zum Schutz vor der Brust.
        Bolitho lachelte.»Setzen Sie sich. Ich werde sie gleich unterschreiben, und Sie konnen sie noch vor Sonnenuntergang an das Geschwader verteilen.»
        Calvert konnte seine Erleichterung nicht verbergen, als sich Bolitho an den Tisch setzte und zur Feder griff. Dadurch blieb es ihm erspart, Broughton gegenubertreten zu mussen, wenn dieser wieder an Bord kam.
        Sein Auge fiel auf Bolithos Degen, der noch auf der Sitzbank lag, wo Bolitho ihn nach seiner Ruckkehr von der Hekla hingelegt hatte. Er verga? alle Vorsicht und rief:» Oh, Sir - darf ich mir diese Waffe naher ansehen?»
        Uberrascht wandte sich Bolitho ihm zu. Es sah Calvert gar nicht ahnlich, mehr von sich zu geben als gemurmelte Entschuldigungen. Seine Augen funkelten tatsachlich vor eifrigem Interesse.

«Aber bitte, Mr. Calvert. «Er lehnte sich zuruck und sah zu, wie der Leutnant die alte Klinge aus der Scheide zog und sie in Kinnhohe vor sich hielt.»Sind Sie Fechter wie Sir Lucius?»
        Calvert gab keine direkte Antwort. Er lie? die Finger uber den alten, schwarzangelaufenen Griff gleiten und sagte:»Wunderbares Equili-bre, Sir. Wunderbar. «Schuchtern blickte er zu Bolitho auf.»Ich habe ein Auge dafur, Sir.»

«So? Dann passen Sie auf, da? Sie Ihr Auge im Zaum halten, Mr. Calvert. Es konnte Sie sonst in erhebliche Schwierigkeiten bringen.»
        Calvert schob die Klinge ein und war auf einmal wieder wie immer.»Vielen Dank, Sir, da? ich ihn in die Hand nehmen durfte.»
        Bolitho schob ihm die Papiere hin und sagte bedeutsam:»Und versuchen Sie, in Ihrem Dienst etwas sorgfaltiger zu sein. Mancher Offizier wurde einen Arm dafur geben, Ihre Stelle zu haben. Also machen Sie guten Gebrauch davon.»
        Unter Stammeln und verlegenem Lacheln machte sich Calvert davon. Seufzend stand Bolitho auf. Da kam Allday herein und sah sofort den Degen. Er nahm ihn und steckte ihn in seine Halterung an der Schottwand.»Also war Mr. Calvert hier? fragte er.
        Bolitho mu?te uber Alldays Neugier lacheln.»Stimmt. Der Degen schien ihn sehr zu interessieren.»
        Nachdenklich betrachtete Allday die Waffe.»Kann ich mir vorstellen. Gestern habe ich gesehen, wie er den Midshipmen was zeigte. Sie steckten' ne Kerze an, Drury, der Jungste, hielt sie hoch, und Mr. Calvert hieb mit seinem Degen die Flamme ab.»
        Bolitho fuhr herum.»So ein verdammter Blodsinn!»
        Allday zuckte die Schultern.»Keine Angst, Captain. Der Hieb ging dicht unter der Flamme durch den Docht, die Klinge beruhrte die Kerze uberhaupt nicht. «Er rausperte sich gerauschvoll.»Auf den werden Sie aufpassen mussen, Captain.»
        Bolitho sah ihn uberrascht an.»Tatsachlich, Allday. Das werde ich.»
        Joe Partridge, der Master, tippte an seinen zerbeulten Hut, als Bolitho unter der Kampanje hervorkam, und meldete:»Stetiger Wind, Sir. Kurs Sudost zu Ost liegt an.
»Recht so.»
        Bolitho nickte dem Offizier der Wache zu, ging zur Luvseite hinuber und fullte sich die Lungen mit der kuhlen Abendluft. Das Geschwader war in der gnadenlosen Nachmittagssonne in See gegangen und hatte sich dank einer ermutigenden nordwestlichen Brise zu einer geschlossenen Linie formiert. Jedes Schiff hielt eisern seine vorgeschriebene Station, und die Signaltatigkeit blieb auf ein Minimum beschrankt.
        Viele Teleskope mu?ten ihnen von der spanischen Kuste her gefolgt sein, und es wurde allerlei Spekulationen uber ihren Bestimmungsort geben. Unwahrscheinlich, da? der Feind einem so kleinen Verband viel Wichtigkeit beimessen wurde, aber es hatte keinen Sinn, es darauf ankommen zu lassen. Waren sie erst einmal klar von der Kuste, dann konnte beinahe jedes entgegenkommende Schiff ein Gegner sein, das wu?ten alle Kommandanten. Selbst Neutrale, und von denen gab es herzlich wenig, mu?ten als gefahrlich betrachtet werden, da sie den Gegner uber Position und Kurs des Geschwaders informieren konnten.
        Doch jetzt war es Abend, und die Abende im Mittelmeer faszinierten Bolitho immer wieder. Wahrend die vier Linienschiffe vor dem stetigen rauhen Wind muhelos dahinglitten, wurden die Schatten auf den Decksgangen immer langer, und vor dem Bug schimmerten die Schatten bereits in unbestimmtem tieferem Purpur. Doch achteraus war der Himmel noch lachsrot; im scheidenden, vom Horizont herabflie?enden Sonnenlicht schimmerten die Marssegel der Valorous perlmuttern wie riesige Muschelschalen.
        Wenn Wind und Seegang so blieben, wurde jedes Schiff wahrend der Nacht ohne Schwierigkeiten seine Position halten konnen. Daruber mu?te sich Broughton freuen, dachte Bolitho.
        Keverne trat heran.»Mit der Sicht wird es wohl bald vorbei sein, Sir«, sagte er.
        Bolitho blickte zum Rad hinuber, wo der dicke Master bei dem Rudergasten stand. Wir werden gleich zwei Strich abfallen, Mr. Partridge. «Er hielt nach Midshipman Tothill Ausschau, der bei den Leewanten stand, und befahl ihm:»Signal an Geschwader vorbereiten: >In Kiellinie Kurs Ost zu Sud.<»
        Um den Midshipman brauchte er sich nicht weiter zu kummern. Tothill und seine Signalgasten waren au?erordentlich tuchtig. Der Junge wurde einen guten Offizier abgeben.
        Zu Keverne sagte er:»Jedes Schiff soll ein Hecklicht fuhren, fur den Fall, da? wir auseinandergeraten. Das kann auch eine Hilfe fur die Coquette sein, wenn sie uns sucht.»
        Die Fregatte patrouillierte namlich funfzehn Meilen achteraus, eine Vorsichtsma?nahme, damit sie nicht bereits von einer neugierigen Feindpatrouille beschattet wurden.
        Die kleine Korvette Restless war in Luv der Zeus eben noch sichtbar, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie wichtig sich ihr junger, frisch ernannter Kommandant auf einmal vorkam. Sie war als einziges Schiff im Geschwader schnell genug, falls ein verdachtiges Segel auftauchte und erkundet werden mu?te.
        Es war immer dasselbe: Fregatten gab es nie genug; und jetzt, da ihnen die Auriga fehlte, mu?ten sie bei weitraumigen Operationen noch sparsamer disponieren.

«Signal vorbereitet, Sir«, rief Tothill.

«Recht so. «Bolitho nickte Keverne zu.»Machen Sie weiter. Ich mu? den Admiral informieren.»
        In der gro?en Kajute sa?en Broughton und Draffen einander gegenuber an dem langen Tisch. Keiner von ihnen sprach; Bolitho konnte das Schweigen zwischen ihnen geradezu spuren.

«Nun?«Broughton lehnte sich zuruck und tippte lassig an sein unberuhrtes Glas Rotwein.

«Klar zur Kursanderung, Sir Lucius. «Draffen beobachtete ihn genau, seine Augen glanzten im Licht der Deckenlampe und dem rotlichen Schein, der durch die Fenster einfiel.

«Recht so. «Broughton zog seine Uhr.»Irgendwelche Anzeichen, da? wir verfolgt werden?»

«Keine, Sir.»

«Dann machen Sie bitte weiter«, knurrte Broughton.»Ich komme vielleicht spater an Deck.»
        Draffen stand auf und stutzte sich auf die Tischplatte, denn die Eu-ryalus sank soeben in ein Wellental.»Ich wurde mich Ihnen gern anschlie?en, Captain«, sagte er und nickte Broughton gleichmutig zu.»Schiffsfuhrung interessiert mich immer wieder, wissen Sie.»

«Ah - Moment mal«, fuhr Broughton auf. Aber als Bolitho sich zu ihm umwandte, schuttelte er abweisend den Kopf.»Nichts. Gehen Sie an Ihren Dienst.»
        Auf dem Achterdeck bemerkte Draffen gelassen:»Mit dem Admiral das Quartier zu teilen, ist auch nicht die bequemste Art zu reisen.»
        Bolitho lachelte.»Sie konnen gern meine Kajute beziehen. Ich verbringe mehr Zeit im Kartenraum als in meiner Koje.»
        Draffen schuttelte den Kopf. Seine Augen uberflogen die einzelnen Divisionen, die bereits an ihren Stationen auf den nachsten Befehl vom Achterdeck warteten.»Sir Lucius und ich kommen jeder von einem anderen Pol, Bolitho. Aber es ware ganz gut, wenn wir die gesellschaftlichen Unterschiede wenigstens einige Zeit beiseite lassen konnten.»
        Bolitho verga? Draffen und die Spannungen in der Admiralskajute. Er wandte sich Keverne zu.»Vorbereitetes Signal hissen!«befahl er. Und als die Flaggen zur Rahe hinaufflogen und sich ungeduldig im Winde entfalteten, rief er:»Klar zur Kursanderung, Mr. Partridge!»

«Die Zeus hat bestatigt, Sir.»
        In der Tat drehte das Fuhrungsschiff bereits majestatisch auf den neuen Kurs; Marssegel und Besan killten sekundenlang, kamen aber rasch wieder unter Kontrolle. Die Tanais folgte ihrem Beispiel; der gewolbte Rumpf glanzte in dem schwindenden Licht, als sie rasch auf die neue Ruder- und Segelstellung reagierte.
        Keverne hob die Sprechtrompete. Er pre?te seinen schlanken Korper gegen die Reling, als wollte er das machtige Schiff herumdrucken.

«An die Brassen!«Er deutete in den purpurnen Schatten am Fu? des Gro?mastes.»Mr. Collins, schreiben Sie den Mann da auf! Der stolpert ja 'rum wie 'ne Hure auf der Hochzeit!»
        Unbekannte Stimmen murmelten aus der Dusternis, Partridges wei?es Haar schimmerte gelb im Schein der Lampe, als er sich uber den Kompa? beugte.

«Hol an! Zugleich!»
        Die Manner lehnten sich zuruck und holten die machtigen Rahen herum; taktma?ig stampften die Marine - Infanteristen am Kreuzmast. Das Schiff krangte starker, die Segel zitterten und brausten unter dem Wechsel des Winddrucks.
        Bolitho lehnte sich uber die Reling und suchte mit den Augen sein Schiff ab; seine Ohren nahmen das vielfaltige Knarren und Stohnen der Wanten und Stagen auf - das tat er ganz automatisch, aber es entging ihm nichts.

«Gehen Sie auf den neuen Kurs, Mr. Partridge!«Er sah zum Mast hoch, wo Broughtons Flagge und der Windstander sich langsam drehten, bis sie uber den Backbordbug wiesen.

«Ost zu Sud liegt an, Sir!«Partridge trat auf die andere Seite der Bussole, als Bolitho nach achtern kam und sich uber die herumschwingende Windrose beugte.

«Recht so. «Er spurte, wie das Schiff reagierte, sah die machtigen dunklen Rechtecke der Segel im Wind wieder steif werden, als die Euryalus nun gehorsam auf neuem Kurs lief.
        Es wurde jetzt rasch dunkel. In diesen Breiten war das immer so. In der einen Minute ein scheinbar nicht endenwollendes gluhendes Abendrot, und dann auf einmal alles schwarz, bis auf das sahnige Wei? am Bug und hier und da einen Wellenkamm, wenn eine Bo sie streifte.
        Keverne brullte:»An die Leebrassen! Zum Donnerwetter, hol dicht! Mr. Weigall, Ihre Leute mussen besser ran!»
        Uber dem tiefen Saitenton von Wanten und Stagen hallten Stimmen; wahrscheinlich verfluchte der Dritte Offizier Kevernes unheimlich scharfe Augen - oder sein auf Sachverstand beruhendes Ahnungsvermogen.
        Draffen hatte wortlos zugesehen, wie die einzelnen Divisionen ihre vielfaltigen Aufgaben ausfuhrten.»Hoffentlich bin ich an Bord, wenn Sie mal Gelegenheit haben zu zeigen, was sie unter vollen Segeln wirklich leisten kann!«murmelte er.
        Bolitho lachelte.»Heute nacht wird es kaum dazu kommen, Sir. Wir werden die Marssegel sicherlich reffen mussen. Wenn man so eng aufgeschlossen segelt, besteht immer Kollisionsgefahr.»
        Keverne kam wieder nach achtern und fa?te an den Hut.

«Bitte die Wache unter Deck schicken zu durfen, Sir.»

«Genehmigt. Das hat gut geklappt, Mr. Keverne.»

«Die Valorous ist auf Station, Sir«, erklang eine Stimme.

«Recht so. «Bolitho ging nach Luv hinuber. Er blickte den Matrosen und Seesoldaten nach, die zum Niedergang eilten, unter Deck verschwanden und ihre Logis aufsuchten. Eine vollgestopfte, strudelnde
        Welt, wo sie zwischen den Kanonen schliefen, die sie in der Schlacht zu bedienen hatten, mit einer knappen Schulterbreite Raum fur jede Hangematte. Was mochten sie wohl denken, wo es hinging? Und was sie da sollten?
        Draffen kam wieder zu Bolitho; beim Kompa? gluhte sein Gesicht im Lampenschein kurz auf. Im Gleichschritt gingen sie beide an den Finknetzen auf und ab.

«Mu? ein seltsames Gefuhl sein, Bolitho.»

«Was meinen Sie, Sir?«Bolitho hatte fast vergessen, da? er bei seinem ruhelosen Auf und Ab nicht allein war.

«So ein Schiff zu kommandieren. Eines, das Sie selbst in der Schlacht erobert haben. «Er redete schnell; offenbar hatte er uber dieses Thema eingehend nachgedacht.»Ich an Ihrer Stelle wu?te nicht recht, ob ich ein Schiff, das ich selbst unter gro?er Gefahr erobert habe, auch verteidigen konnte.»

«Das kommt immer auf die Umstande an, Sir«, erwiderte Bolitho stirnrunzelnd.

«Mich interessiert das sehr. Sagen Sie, was halten Sie von der Eu-ryalus - als Schiff, meine ich?»
        Bolitho blieb stehen und stutzte sich auf die Achterdecksreling. Er fuhlte das Holz unter seinen Handen erzittern, als sei dieses ganze komplexe Gebilde aus Holz und Hanf ein lebendes Wesen.»Sie ist sehr schnell fur ihre Gro?e, Sir, und erst vier Jahre alt. Sie segelt gut, und auch der Rumpf ist gut gebaut. «Er wies nach vorn.»Anders als bei unseren eigenen Linienschiffen lauft die Plankung um den Bug, so da? es keine Schwachstelle gibt, die dem feindlichen Feuer ausgesetzt ist.»
        Draffen zeigte die Zahne.»Ihre Begeisterung gefallt mir. Wenigstens ein Trost. Und ich dachte, Sie wurden ganz anders reden. Ich hatte gewettet, da? Sie sagen, der franzosische Schiffsbau tauge nichts. «Er lachte leise auf.»Aber da habe ich mich anscheinend geirrt.»

«Die Franzosen sind gro?artige Schiffsbauer«, antwortete Bolitho gelassen.»Ihre Schiffsrumpfe sind in jeder Linie besser und schneller als unsere.»
        In spottischer Besturzung hob Draffen die Hande.»Aber wie konnen wir dann gewinnen? Wie haben wir bisher siegen konnen, noch dazu gegen ihre zahlenma?ige Uberlegenheit?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Die Schwache der Franzosen liegt nicht in ihren Schiffen oder im Mangel an Mut. Es ist die Fuhrung. Zwei Drittel ihrer ausgebildeten und erfahrenen Offiziere wurden unter der Schreckensherrschaft abgeschlachtet. Und so lange sie durch unsere Blockade in ihren Hafen eingeschlossen sind, werden sie sich auch nichts zutrauen. «Er merkte recht gut, da? Draffen ihn nur ausholen wollte, aber er sprach weiter.»Jedesmal, wenn sie ausbrechen und unsere Geschwader in ein Gefecht verwickeln, lernen sie ein bi?chen mehr, bekommen ein bi?chen mehr Selbstvertrauen, auch wenn ihnen der Sieg versagt bleibt. Die Blockade ist meiner Meinung nach nicht mehr das richtige Mittel. Sie schadigt Unschuldige genauso wie diejenigen, gegen die sie gerichtet ist. Klare, entschiedene Aktionen, das ist die Losung. Den Feind treffen, wo und wie immer wir konnen! Der Umfang solcher Aktionen ist dabei relativ unwichtig.»
        Eben wies der Wachoffizier mit schneidend boser Flusterstimme einen Ubeltater zurecht, den der Bootsmannsmaat nach achtern gebracht hatte.
        Bolitho ging weiter, Draffen im Gleichschritt neben ihm.»Aber schlie?lich wird eine entscheidende Konfrontation der beiden gro?en Flotten stattfinden.»

«Zweifellos, Sir. Dennoch glaube ich, je mehr Angriffe wir auf die Basen, die Verbindungswege, den Handel des Gegners unternehmen, um so wahrscheinlicher ist es, da? wir ihn zu Lande auf lange Sicht besiegen. «Er lachelte verlegen.»Als Seemann sage ich das nur ungern; aber einen vollstandigen Sieg erzielen wir erst, wenn die Flagge unserer Infanterie auf den feindlichen Zinnen weht.»

«Vielleicht haben Sie sehr bald die Chance, Ihre Theorie in die Praxis umzusetzen«, antwortete Draffen bedeutsam lachelnd.»Es hangt weitgehend von unserem Treffen mit einem meiner Agenten ab. Ich habe ein Rendezvous arrangiert. Hoffentlich kann er es schaffen.»
        Bolitho spitzte die Ohren. Das war das erste, was er davon horte. Broughton hatte ihm nur kurze Andeutungen gemacht. Das Geschwader sollte au?er Sichtweite vor Djafou patrouillieren; die Coquette sollte naher heransegeln und rekognoszieren. Ganz normale Taktik. Normal und bedruckend langweilig, hatte er gedacht. Aber jetzt, da
        Aussicht auf neue, geheime Informationen uber den Aufmarsch des Gegners bestand, bekam die Operation ein ganz anderes Gesicht.
        Draffen fuhr fort:»Ich werde ein bi?chen nervos, wenn ich an morgen denke. Wir konnten auf die ganze feindliche Flotte sto?en. Beunruhigt Sie das nicht auch?»
        Bolitho blickte Draffen forschend an, aber dessen Gesicht lag in tiefem Schatten. Vielleicht wollte er ihn nur wieder prufen - es war schwer zu sagen. Vielleicht scherzte er auch uber etwas, das eine durchaus reale Moglichkeit war.

«Seit meinem zwolften Jahr lebe ich mehr oder weniger mit dieser Erwartung, in Angst, Erregung oder Betroffenheit, Sir. «Auch Bolitho war ernst geworden, aber dann grinste er.»Doch bis jetzt hat sich kein Mensch um meine Empfindungen gekummert - am allerwenigsten der Feind.»
        Draffen lachte leise.»Dann will ich nach unten gehen und beruhigt schlafen. Ich habe Sie schon zu lange in Anspruch genommen. Aber bitte informieren Sie mich, wenn etwas Au?ergewohnliches geschieht.»
        Bolitho trat beiseite.»Gewi?, Sir. Sie und meinen Admiral.»
        Noch im Abgehen lachte Draffen vor sich hin.»Wir mussen uns ofter unterhalten! Damit verschwand er.
        Der Midshipman der Wache kam ubers Deck gerannt und meldete seinem Leutnant, da? die Hecklaterne brenne. Durch die Takelage vorn schimmerte die Laterne der Tanais wie ein Gluhwurmchen uber ihrem Kielwasser.
        Bolitho horte die scharfe Stimme des Leutnants:»Hat auch lange genug gedauert, Mr. Drury!«und das Antwortgemurmel des Jungen. Es war gar nicht schwer, sich vorzustellen, da? dort Adam Pascoe stunde statt des ungluckseligen Drury.
        Bolitho versuchte, sich um seinen jungen Neffen keine Sorgen zu machen; aber durch das Zusammentreffen mit Inch war ihm in aller Harte bewu?t geworden, da? der Junge fur ihn unerreichbar war. Er hatte naturlich Briefe bekommen, sowohl von ihm selbst als auch von seinem Kommandanten, von Herrick, Bolithos bestem Freund. Aber wie sein eigenes Schiff, die Euryalus, konnte auch Herricks alter Vierundsechziger, die Impulsive, wenig Rucksicht auf das bi?chen menschliche Warme und Hoffnung nehmen, das die Postboote brachten, oder das in irgendeinem Hafenburo lagerte, in der Erwartung der entfernten Moglichkeit, da? das Adressatschiff eines Tages dort vor Anker ging.
        Bolitho nahm seinen Marsch wieder auf und versuchte, sich Adam vorzustellen, wie er ihn zuletzt gesehen hatte. Doch jetzt mu?te er anders aussehen. Vielleicht ganz fremd? Bolitho schritt rascher aus. Unvermittelt wurde ihm klar, wie sehr ihn das beruhrte. Vor zwei Jahren hatten sie sich getrennt. Der Junge war zu Herrick an Bord gegangen, Bolitho bekam das Kommando uber seine Prise, die spatere Euryalus, und mu?te sie neu ausrusten und versorgen. Adam war jetzt siebzehn; vielleicht wartete er schon auf die Chance zum Offiziersexamen. Ob er sich wohl in den zwei Jahren sehr verandert hatte? Hatte er seine eigene Form gefunden, oder war er nach Hugh geschlagen?
        Zusammenfahrend bemerkte Bolitho, da? der Midshipman ihm den Weg versperrte; wei? glanzten seine Augen in der Dunkelheit.

«Entschuldigung, Sir, aber der Wachoffizier la?t mit allem Respekt anfragen, ob. ob. «Unter dem Blick seines Kommandanten fing er an zu stottern.»Ob wir reffen konnten. Der Wind scheint aufzufrischen, Sir.»
        Bolitho musterte ihn unbewegt.»Ja, Mr. Drury. «Er hatte nicht einmal an dem veranderten Summen in den Wanten gemerkt, da? der Wind starker geworden war, so tief war er in Gedanken gewesen.»Wie alt sind Sie, Mr. Drury?«fragte er.
        Der Junge schluckte.»Dreizehn, Sir.»

«Aha. Nun, Mr. Drury, bis Sie ein eigenes Schiff bekommen, haben Sie noch eine lange, sturmische Fahrt vor sich.»

«Jawohl, Sir. «Was, um Gottes willen, mochte nun kommen?

«Und wenn ein junger Offizier keine Finger mehr hat, kann das ein wirkliches Problem fur ihn sein. Daher wunsche ich in Zukunft nicht mehr zu horen, da? Sie Kerzen hochhalten, um anderen Leuten bei ihren Degentricks zu assistieren - verstanden?»

«Nein, Sir - ich meine, ja, Sir!«Drury fiel fast auf die Nase, als er zum Wachoffizier zuruckrannte; vermutlich schwirrte ihm der Kopf im Gedanken an den unfehlbaren Nachrichtendienst des Kommandanten.
        Keverne erschien an Deck, sich noch den Mund mit dem Taschentuch betupfend, und spahte zu den Segeln hinauf.»Sie wunschen, Sir?»

«Wir wollen die Marssegel gleich reffen, Mr. Keverne. «Bolitho sprach ganz dienstlich. Was er fuhlte oder furchtete, durfte er auf keinen Fall zeigen, durfte er mit keinem von denen teilen, die von seinem Konnen und seiner Urteilskraft abhangig waren. Keverne rannte bereits los, im Laufen seinen Rock zuknopfend und nach dem Bootsmannsmaat der Wache brullend.
        Aber manchmal, fand Bolitho, war das schwerer, als er je gedacht hatte.



        VII Breitseite!

        Um Mittag des folgenden Tages krochen die Schiffe langsam uber Steuerbordbug voran, hart am Wind, mit dichtgebra?ten Rahen, um moglichst viel Hohe herauszufahren. Kurz nach dem ersten Morgenlicht hatten sie eine neue Kursanderung vorgenommen und segelten nun nach Ostnordost. Jetzt standen sie uber ihren zitternden Spiegelbildern wie festgenagelt, und die gluhende Sonne machte jede korperliche Anstrengung zur Qual. Es war wie in einem Schmelzofen, und selbst der Wind, der stetig aus Norden kam, brachte weder Frische noch Erleichterung, sondern stach auf der Haut wie hei?er Sand.
        Bolitho zupfte sich das Hemd vom Leibe ab und floh in den Schatten der Finknetze. Keverne und Partridge setzten eben ihre Sextanten ab und verglichen ihre Bestecks. Mehrere Midshipmen sahen bei dieser routinema?igen Prozedur zu und taten desgleichen, allerdings war es bei ihnen nur Ubungssache.
        Oben vor der Kampanje, wo ein schmales Sonnensegel aufgeriggt war, schritt Draffen langsam auf und ab. Auf den sonnengedorrten Planken klangen seine Schritte unverhaltnisma?ig laut. Keverne kam mit seinem Besteck zu Bolitho heruber und sagte mude:»Es stimmt mit Ihrer Berechnung uberein, Sir. «Gleich den anderen Offizieren war er ohne Rock und Hut, und sein Hemd klebte ihm am Korper wie eine zweite Haut. Er war anscheinend zu apathisch, um sich uber die Genauigkeit der Berechnung zu freuen oder zu wundern.
        Es war eine ereignislose Nacht gewesen. Das Geschwader segelte gut und hielt die vorgeschriebenen Positionen ein. Bei Morgengrauen war Broughton an Deck erschienen - das war ungewohnlich und mu?te etwas zu bedeuten haben.
        Als die Signale fur den neuen Kurs hochgingen und die Vorbereitungen fur Reinschiff und Fruhstuckfassen begannen, hatte Broughton sauerlich bemerkt:»Wir sollen heute vormittag Kontakt mit einem von Sir Hugos >Freunden< aufnehmen. Bei Gott, es kotzt mich an, da? ich mich nach so einem verdammten Amateur richten mu?! Ob er damit Draffen oder den Agenten meinte, lie? er offen; und Bolitho hielt es nach einem Blick auf sein Gesicht fur besser, sich auch die taktvollste Ruckfrage zu verkneifen.
        Je langer der gluhende Vormittag sich hinzog, um so deutlicher schwand Draffens Zuversicht. Bei jedem plotzlichen Ausruf eines Matrosen blieb er stehen, bis sich herausstellte, da? er nichts zu bedeuten hatte.

«Schon gut, Mr. Keverne«, sagte Bolitho.»Im Moment konnen wir nichts weiter tun.»
        Vor zwei Stunden hatte der Ausguck im Masttopp das Deck angerufen; und als jedes Auge auf seinen winzigen, schwankenden, zweihundert Fu? hohen Sitz gerichtet war, hatte er >Land in Sicht< gemeldet.
        Obwohl Bolitho die Hohe ha?te, enterte er in die vibrierenden Webeleinen auf, uber die Gro?saling, immer hoher, bis er neben dem bezopften Matrosen war, der die Meldung gemacht hatte. Die Beine fest um die Marssaling geschlungen, hatte er krampfhaft vermieden, aufs Deck hinunterzusehen, und sich auf sein Teleskop konzentriert; dabei sah er, da? der Ausguck die ganze Zeit gelassen durch die Zahne pfiff und sich nicht einmal festhielt.
        Aber die Aussicht war beinahe alle Muhe und Angste des Aufen-terns wert gewesen. Weit hinten im Suden erstreckte sich die lange ungleichma?ige Linie eines fernen Gebirgszuges, eisblau im harten Sonnenlicht, vom Flachland durch einen Streifen Bodennebel getrennt, in fremdartiger Schonheit: die Kuste von Afrika. Die Berge waren schatzungsweise drei?ig Meilen entfernt, und doch schienen sie unerreichbar wie eine Fata Morgana.
        Aber dann war es auf einmal wieder mit der Landsicht vorbei, und uberall tanzten und glitzerten Millionen blendender Reflexe auf der See, so da? die Matrosen auf den Rahen sich festhalten und muhsam jede unverhoffte Bewegung des Schiffes ausbalancieren mu?ten, denn die Sonne blendete so stark, da? sie sich auf ihre Augen nicht mehr verlassen konnten.
        Das Geschwader hatte sich mehr und mehr zerstreut und fuhr jetzt in weit auseinandergezogener Linie, so da? die Tanais gut zwei Meilen voraus lag.
        Broughton hatte eingeraumt, da? es praktischer sei, die Formation auseinanderzuziehen, damit sie von irgendeinem kleinen Fahrzeug, auf dem sich Draffens Agent befand, besser gesichtet werden konnten. Und falls ein Feind aufkreuzte, war es gut, wenn das Geschwader moglichst gro? wirkte. Weit drau?en in Lee schimmerten wie brunierter Stahl die Marssegel der Korvette, die geschaftig, einem nach Kaninchen schnuffelnden Terrier gleich, vorm Winde dahinflog.
        Von der Coquette war immer noch nichts zu sehen; das wurde auch noch einige Zeit dauern. Vielleicht war sie weit achteraus hinter einem fremden Segel her. Ebensogut konnte sie aber auch ernsthafte Feindberuhrung bekommen haben.
        Calvert erschien auf dem Achterdeck. Im hellen Sonnenlicht wirkte sein Gesicht noch bekummerter, angestrengter als sonst.

«Kompliment von Sir Lucius«, meldete er,»und Sie mochten zu ihm in die Tageskajute kommen, Sir.»
        Keverne verzog den Mund und fragte:»Vielleicht ein Plananderung,
        Sir?»
        Ohne zu antworten schritt Bolitho hinter Calvert her. Ob Keverne wohl beleidigt war, weil er so wenig wu?te? Aber er, der Kommandant, wu?te auch nicht viel mehr. Als er in die Kajute trat, dauerte es ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an den schattigen Raum gewohnt hatten und an die vergleichsweise Kuhle im Gegensatz zum ungeschutzten Achterdeck. Bolitho hatte zwar nicht bemerkt, da? Draffen die Kampanje uberhaupt verlassen hatte, aber er sa? neben dem Schreibtisch.

«Sir?«Broughton stand an einem der offenen Heckfenster, sein hellbraunes Haar glanzte im Widerschein der Sonne. Weit achteraus lag die Valorous auf Kurs; sie sah aus wie ein winziges Schiffsmodell, das auf der Epaulette des Admirals balancierte.

«Ich habe Sie heruntergebeten«, sagte Broughton unwirsch,»damit Sie Sir Hugo klarmachen, da? die Restless in Signaldistanz zum Verband bleiben mu?. «Er atmete heftig aus.»Also?»
        Bolitho legte die Hande auf den Rucken. In Gegenwart der beiden wie immer tadellos gekleideten Herren kam er sich auf einmal ungekammt und schmutzig vor. Er merkte, da? zwischen ihnen Spannung herrschte; vermutlich hatten sie sich gestritten.
        Draffen blieb unbeeindruckt.»Ich mu? meinen Agenten finden, Captain. Die Korvette ist klein und schnell genug fur diesen Zweck.»
        Er zuckte die Achseln.»Das ist doch einzusehen, nicht wahr?»
        Bolitho wurde mi?trauisch. Beide zerrten an ihm, jeder wollte ihn auf seine Seite bringen. Noch nie hatte Broughton ihn in strategischen Angelegenheiten um seine Meinung befragt. Und Draffen schlug zwar seit ihrer damaligen Unterhaltung immer einen leichten, vertraulichen Ton an, hatte jedoch uber seine eigentlichen Absichten kaum etwas verlauten lassen.

«Darf ich fragen, Sir Hugo, was das fur ein Schiff ist, mit dem wir zusammentreffen sollen?»
        Draffen wand sich verlegen im Sessel.»Oh, irgend etwas Kleines. Wahrscheinlich eine arabische Dhau oder so. «Das klang unbestimmt und ausweichend.
        Bolitho gab nicht nach.»Und wenn wir sie verfehlen - was dann?»
        Der Admiral am Fenster wandte sich um und fuhr brusk dazwischen:»Soll ich vielleicht noch eine Woche mit dem Geschwader hin und her kreuzen?«Wutend starrte er Draffen an.»Noch eine Woche, in der wir den offenen Kampf vermeiden und standig Kurs andern mussen?»
        Draffen blieb unbewegt.»Wei? ich alles, Sir Lucius. Aber diese Sache erfordert sehr viel Takt und Vorsicht. Und au?erdem«, schlo? er in scharferem Ton,»eine sehr exakte Schiffsfuhrung.»
        Bolitho trat einen Schritt vor.»Ich verstehe schon, Sir Hugo. «Er war sich daruber klar, da? er zwischen diesen beiden machtigen und unnachgiebigen Mannern stand. Au?erhalb der Flotte hatte er nie viel Kontakt mit solchen Leuten gehabt und machte sich jetzt Vorwurfe, da? er so schlecht mit ihnen umzugehen verstand, ihre Welt nicht begriff, die so verschieden von der seinen war.»Aber in diesem kleinen Geschwader sind uber dreitausend Mannschaften und Offiziere, die jeden Tag, den wir auf See sind, verpflegt werden mussen, die beiden Bombenwerfer nicht mitgerechnet. Allein das Trinkwasser wird in diesem Klima rasch zu einem Problem. Und wenn wir nicht bald eine neue Versorgungsbasis einplanen konnen, mussen wir vielleicht nach Gibraltar zuruck, ehe wir unsere Mission beendet haben.»

«Bitte um Entschuldigung, Captain«, nickte Draffen.»Das hort sich ganz vernunftig an. Der Binnenlander neigt dazu, ein Schiff als blo?es Fahrzeug anzusehen und nicht als Behaltnis fur eine Anzahl Menschen, die genauso zu essen haben mussen wie andere, die das Gluck haben, an Land zu leben.»
        Broughton starrte ihn an.»Aber genau das habe ich Ihnen doch eben gesagt.»

«Es geht nicht nur darum, was Sie mir gesagt haben, Sir Lucius, sondern wie Sie es gesagt haben.»
        Er stand auf und sah erst Broughton, dann Bolitho an.»Auf jeden Fall mu? ich Sie bitten, da? Sie die Restless zum Flaggschiff zuruckbeordern. Ihr Steuermann hat mir versichert, da? sich dieser Wind noch eine Zeitlang halten wird. Das ist wohl auch Ihre Meinung, Cap-tain?»
        Bolitho nickte.»Hochstwahrscheinlich, Sir. Aber verlassen konnen Sie sich nicht darauf.»

«Das mu? mir genugen. Ich werde auf die Korvette umsteigen und mit ihr naher an die Kuste heransegeln. Wenn ich bis Sonnenuntergang keinen Kontakt mit meinem Agenten habe, komme ich zum Geschwader zuruck.»
        Broughton rieb sich den Nacken.»Und dann segeln wir wie vorgesehen nach Djafou?»
        Nach kurzem Zogern erwiderte Draffen:»Sieht so aus.»
        Der Admiral lachelte dunn.»Na schon. «Er schnippte mit den Fingern nach Calvert, der am anderen Ende der Kajute herumstand.»Signal an die Restless: >Aufschlie?en zum Flaggschiff!««Nervos ging er auf dem Bodenbelag mit den schwarz-wei?en Karos hin und her.»Und dann noch ein Signal an die Valorous.«Bolitho warf einen verstohlenen Blick auf den Flaggleutnant, der eifrig in seinem Notizbuch kritzelte. Hoffentlich nahm er alles richtig auf.

«Ah - die Valorous soll das Kommando uber das Geschwader ubernehmen und auf jetzigem Kurs weitersegeln. Die Euryalus macht kehrt und fahrt der Restless entgegen. «Er lachelte Draffen fluchtig zu.»Damit sparen wir Zeit, und Sie haben ein paar Stunden zusatzlich fur Ihre, ah, Suche.»
        Er fuhr herum und blaffte Calvert an:»Was, zum Teufel, stehen Sie da und glotzen mich an? Scheren Sie sich raus und lassen Sie die Signale sofort absetzen!»
        Als die Tur hinter Calvert ins Schlo? fiel, brummte er:»Damlicher Bengel! In der St. James Street mag er ja ein feiner Geck sein, aber hier nutzt er mir so viel wie eine blinde Nahmamsell!»
        Draffen stand auf und schritt zur Nebenkajute, die gegenuber der gro?eren lag, wo der Admiral schlief.»Ich mu? mich noch umziehen«, sagte er mit einem gelassenen Blick auf Broughton.»Ich mochte namlich nicht, da? mich der Kommandant der Korvette fur einen Geck wie Calvert halt.»
        Broughton wartete, bis er drau?en war, und brach dann los:»Bei Gott, jetzt reicht's mir bald!»

«Ich kummere mich um den neuen Kurs, Sir.»

«Ja, tun Sie das«, antwortete Broughton kuhl.»Ich werde froh sein, wenn wir in Djafou sind. Von diesen ewigen Einmischungen habe ich wirklich die Nase voll.»
        Bolitho eilte aufs Achterdeck hinaus, wo die Hitze ihn anfiel wie gluhende Kohlen aus einem Herdfeuer.
        Nach einem kurzen Blick auf den Windstander rief er scharf:»Lassen Sie >Alle Mann< pfeifen, Mr. Keverne! Wir halsen sofort. Dann konnen Sie Bramsegel setzen.»
        Die Pfeifen schrillten, sofort ergo? sich der Strom der barfu?igen Matrosen auf das sonnenuberflutete Deck. Nur hier und da blickte einer zum Achterdeck hin, neugierig, was denn auf einmal los war.
        Achteraus setzte die Valorous bereits mehr Segel; das Bestatigungssignal verschwand von der Rah, die gro?e Fock kam frei und bauschte sich im Wind. Der Kommandant wird sich uber dieses Signal freuen, dachte Bolitho. Fourneaux war nie so richtig mit seiner Funktion als Nachhut zufrieden gewesen. Dieser Befehl wurde den anderen unmi?verstandlich klarmachen, was Broughton wirklich von ihm hielt.
        Dann verga? er Fourneaux, denn Midshipman Tothill meldete:»Die Restless hat bestatigt, Sir. «Verzweifelt blickte er auf Calverts gebeugten Rucken, der in das Signalbuch starrte, als ware es arabisch geschrieben.

«Na, Mr. Partridge«, lachelte Bolitho,»dann wollen wir mal sehen, was sie sagt, wenn sie wieder ein bi?chen Wind zu spuren kriegt.»
        Er sah zu den Mannern hinunter, die bereits auf ihren Stationen am Fu?e jedes Mastes angetreten waren.»Machen Sie weiter, Mr. Kever-ne!»

«Entert auf! Bramsegel setzen!«Keverne wartete ab, bis die halbnackten Matrosen die obersten Rahen erreicht hatten, wo sie sich schwarz vom blauen Himmel abhoben.

«An die Brassen!»
        Partridge gab ein Handzeichen, die Ruderganger warfen sich in die Speichen und brachten das machtige Rad herum.

«La? gehn und hol an!«Metallisch verfremdet klang Kevernes Stimme aus dem Sprachrohr.»Hievt, ihr faulen Vetteln!»
        Knarrend und stohnend kamen die machtigen Rahen herum, tief tauchte der Schiffsrumpf in die Wellen und schor majestatisch langsam aus der Linie des Geschwaders. Oben knatterten die Segel ein paar Sekunden lang wild und laut durcheinander, aber noch lauter tonte das Schimpfen, Fluchen und Drohen der Bootsmaaten an den Masten, die ihre Leute antrieben. Schon flogen die Bramsegel peitschend von den Rahen und harteten sich zu festen braunlichen Rechtecken unter dem Winddruck, rissen und zerrten an Blocken und Schoten, jederzeit bereit, einen Topsgasten hinunterzuschleudern, wenn er nicht aufpa?te.

«Sudost zu Sud!»
        Bolitho stand mit gespreizten Beinen da; er spurte das Vibrieren des Decks durch seine Schuhsohlen, als die Segel das Schiff vorwarts und uber den nachsten Wellenkamm zogen. Triumphierend flog Gischt an der Galionsfigur hoch und flockte uber die Manner an Vorstengestag-segel und Kluver. Um die Wette rannten die barfu?igen Matrosen ubers Deck, in Erwartung neuer Befehle. Das Schiff lag jetzt beinahe vorm Wind und machte mehr Fahrt; jetzt bildete das Deck nicht mehr einen stetigen schragen Winkel wie vorher, sondern schwankte hin und her.
        Wie mochte das Schiff wohl fur die Restless aussehen? dachte Bo-litho mit einem Blick nach oben. Die Korvette war dazu gebaut, dem Wind fast direkt in die Zahne zu segeln; da? Broughton es sich anders uberlegt hatte, wurde ihr und dem Geschwader eine ganze Menge Zeit sparen. Aber wahrscheinlich, dachte Bolitho, hatte sich Broughton nur deswegen so entschieden, weil er Draffen, wenn auch nur fur kurze Zeit, loswerden wollte.
        Doch im Moment konnte er zufrieden sein. Die Euryalus benahm sich gro?artig, und er spielte mit dem Gedanken, Keverne auch noch die Stengestagsegel setzen zu lassen. Aber gerade diese zusatzlichen Obersegel konnten sie unter Umstanden einem noch unsichtbar unter der Kimm stehenden Feind verraten.
        Er wandte sich um, denn Draffen kam an Deck.»Sie wollten sie doch mal unter vollen Segeln sehen, Sir. «Er sah, wie Draffens Blick staunend uber die steifen, brausenden Segel glitt, und wie schon er den Anblick fand, wenn er auch nicht viel davon verstand.

«Eine richtige Lady, Bolitho! Das allein lohnt schon die Muhe.»
        Er trug einen einfachen grunen Rock und eine weite Hose. Unter dem Rock blinkte es metallisch. Offensichtlich war es Draffen nichts Neues, eine Pistole zu tragen; er machte durchaus den Eindruck, als konne er ganz gut auf sich aufpassen. Jetzt eben beschattete er die Augen mit der Hand und versuchte zu begreifen, was die Restless vorhatte: Sie drehte wieder in den Wind, ihre Segel flatterten beinahe mittschiffs, aber dann schwang sie auf ihren neuen Kurs herum.
        Bolitho ging nach Backbord hinuber und hielt Ausschau nach dem Geschwader. Die Euryalus hatte in der kurzen Zeit so viel Abstand gewonnen, da? die Schiffe im Pulk zu stehen schienen und aus der Entfernung aussahen wie ein mi?gestaltetes Seeungeheuer.

«Mr. Keverne«, rief er,»in drei?ig Minuten nehmen wir Segel weg. Die Restless kann in Lee liegen, bis Sir Hugo an Bord ist.»
        Spater, als die Euryalus beigedreht lag und ohnmachtig in den Wellen rollte, die Segel nutzlos und larmend gegen die Masten schlugen, kam Broughton an Deck und sah zu, wie das kleine Dingi der Korvette Draffen abholte.

«So, das ware das!«sagte er befriedigt.
        Bolitho sah noch, da? Draffen beim Anbordklettern einen Augenblick verhielt und zuruckwinkte.

«Ich wurde jetzt gern einen Schlag nach Nordost machen, Sir. Das spart Zeit, wenn wir uns nachher wieder dem Geschwader anschlie?en«, sagte er.
        Broughton wandte der Korvette, die sich mit gefullten Segeln in rascher Fahrt davonmachte, den Rucken zu.»Bitte, wie Sie meinen«, stimmte er zu und sah Bolitho prufend ins Gesicht.»Sie konnen es wohl nicht erwarten, Ihren Platz in der Formation wieder einzunehmen?«Er lachelte ironisch.»Nun, es wird Fourneaux nichts schaden, wenn er noch ein bi?chen langer Admiral spielen kann.»
        Bolitho ging zu Keverne hinuber, der noch immer der Korvette nachsah.»Wir gehen hart an den Wind uber Steuerbordbug, Mr. Ke-verne, Kurs Nordost. Lassen Sie also noch mal >Alle Mann< pfeifen. Nachher konnen sie Essen fassen. Appetit werden sie ja inzwischen bekommen haben. «Eben spahte der wust aussehende Oberkoch, ein bartiger Riese, aus der Kombuse.»Allerdings schaudert es mich bei dem Gedanken, was dieser Kerl manchmal zusammenschmort.»
        Dann ging er wieder nach Luv hinuber, und die Matrosen schwarmten nochmals in die Wanten und auf die langen Rahen hinaus. Broughton verstand ihn besser als er wu?te: Unabhangigkeit und Eigeninitiative, so hatte ihn sein Vater gelehrt, waren die beiden kostbarsten Besitztumer fur jeden Kommandanten. Jetzt, da er ein Flaggschiff kommandierte und ans Geschwader gebunden war, begriff er erst richtig, wie er das gemeint hatte.
        Plotzlich fiel ihm sein Haus in Falmouth ein und die beiden Portrats, die einander gegenuberhingen. Er empfand eine gewisse Ruhrung, weil er ohne Kummer und Bitterkeit daran denken konnte. Es war fast, als hatte er jemanden dort, der auf seine Ruckkehr wartete.
        Unbewegten Gesichts kam Keverne wieder.»Zwei Mann stehen heute nachmittag zur Bestrafung an, Sir.»

«Was?«Bolitho fuhr auf und starrte den Leutnant an.»Ach so. Ja, ist gut.»
        Der kurze Augenblick des Friedens war vorbei. Doch als er zur Achterdeckreling ging, wunschte er sich hei? und innig, er moge wiederkehren.
        Um sechs Uhr desselben Tages sa? Bolitho an seinem Schreibtisch und sah durch das Heckfenster, den Kopf voller Gedanken. Trute, der Kajutsteward, stellte ihm einen Topf frischgebruhten Kaffee hin und trat wortlos wieder ab. Er hatte sich an die Launen seines Kommandanten gewohnt, der anscheinend unbedingt allein sein wollte, auch wenn er sich seinen Kaffee selbst eingie?en mu?te. Auch da? sein Schreibtisch nach achtern blicken mu?te, und da? er, wenn irgend moglich, lieber dort a? als an seinem schonen E?tisch in der Nebenkajute. Trute hatte bisher drei Kommandanten betreut, aber so einer war nicht darunter gewesen. Alle drei hatten hinten und vorn, zu jeder Tages- und Nachtzeit, bedient werden wollen. Alle drei konnten sehr schnell sehr unangenehm werden, wenn etwas nicht nach Wunsch ging. Aber sosehr er Bolitho als gerechten und rucksichtsvollen Vorgesetzten schatzte, hatte er sich doch bei seinen Vorgangern wohler gefuhlt. Wenigstens hatte er bei denen die meiste Zeit gewu?t, was sie gerade dachten.
        Bolitho nippte an dem gluhendhei?en Kaffee. Auch der wurde eines Tages, wie so manches andere, ein Luxusartikel werden. Man wu?te nie genau, wann ein Schiff in bezug auf Lebensmittel und Trinkwasser die Sicherheitsgrenze uberschritt.
        Vier Glasen wurden angeschlagen; irgendwo horte er eilige Schritte poltern, vielleicht war es ein Deckoffizier, der eingeduselt war und jetzt rennen mu?te, um rechtzeitig fur die zweite Hundewache abzulosen.
        Bolitho hatte den Nachmittag uber viel zu tun gehabt, und zwar hauptsachlich in Angelegenheiten seines eigenen Schiffes, nicht des Geschwaders. Es hatte sich viel angesammelt. Eine endlose Prozession von Leuten wartete, die alle etwas von ihm wollten.
        Grubb, der Schiffszimmermann, grauhaarig, immer argwohnisch und pessimistisch auf der Jagd nach dem Erzfeind aller Schiffe, der Faule. Nicht da? er bei seinen taglichen maulwurfsgleichen Streifzugen durch die Eingeweide des Rumpfes, die er nie anders gesehen hatte oder sehen wurde als bei Laternenlicht, etwas gefunden hatte.
        Er wollte wohl nur Bolitho vor Augen fuhren, wie unermudlich er um das Schiff besorgt war.
        Ein paar Minuten hatte er Clove, dem Kufer, gewidmet, weil sich der Zahlmeister vor einiger Zeit uber den Zustand mehrerer Wasserfasser beklagt hatte. Aber Zahlmeister Nathan Buddle beklagte sich oft und gern, wenn es sich um Dinge handelte, fur die jemand anderer zustandig war. Er war ein dunner, hinterhaltig aussehender Mann mit pergamentener Haut und ewig angstlicher Miene, hinter der, wie Bo-litho argwohnte, etwas ganz anderes stecken mochte als ein paar angefaulte Wasserfasser. Fairerweise mu?te er zugeben, da? Buddles Abrechnungen bisher immer gestimmt hatten; aber man mu?te ihm, wie allen Zahlmeistern, standig auf die Finger sehen.
        Und, wie Keverne schon gemeldet hatte, zwei Mann wurden zum Strafvollzug nach achtern gebracht; wie immer sahen alle dabei zu, die nicht gerade Wache gingen.
        Bolitho ha?te diese Schauspiele, obwohl er wu?te, da? sie unvermeidbar waren. Es dauerte immer so lange. Die Gratings wurden auf-geriggt, die Delinquenten ausgezogen und festgezurrt, und dann kam seine eigene Stimme, die, das Brausen von Wind und Leinwand ubertonend, die Kriegsartikel verlas.
        Der eigentliche Strafvollzug interessierte die Zuschauer gar nicht so sehr.
        Der erste Mann, der sich ein Dutzend Hiebe eingehandelt hatte, war beim Kameradendiebstahl erwischt worden. Man war der Meinung, da? er billig weggekommen ware im Vergleich zu dem, was seine
        Messekameraden mit ihm angestellt hatten, ware nicht der Schiffskorporal zur rechten Zeit dazwischengekommen. Wie Bolitho gehort hatte, sollte es vorgekommen sein, da? Manner, die ihre Kameraden bestohlen hatten, nachts uber Bord geworfen wurden; ja, einer sollte tatsachlich ohne die Hand, die gestohlen hatte, aufgefunden worden sein. In der brodelnden, standig unter Druck stehenden Welt des Zwischendecks gab es fur einen Dieb wenig Sympathie.
        Der zweite Matrose bekam zwei Dutzend wegen Nachlassigkeit im Dienst und Insubordination. Sawle, der jungste Leutnant, hatte ihn gemeldet. In diesem besonderen Fall gab sich Bolitho selbst die Schuld. Er hatte Sawle vor etwa sechs Monaten zum Leutnant befordert; aber hatte er nicht unter dem kranken Admiral Thelwall so viel mit Geschwaderangelegenheiten zu tun gehabt, so hatte er sich das, wie ihm heute klar war, zweimal uberlegt. Sawle schien das Zeug zu einem guten Offizier zu haben, aber das war nur au?erlich. Er war ein murrisch aussehender junger Mann von achtzehn Jahren, und Bolitho hatte Keverne gesagt, er solle aufpassen, da? seine Neigung zum Schikanieren sich in Grenzen hielt. Vielleicht hatte Keverne sein Bestes getan; vielleicht hatte er auch gedacht, das sei alles nicht so schlimm, solange Sawle sonst seinen Dienst versah.
        Sei dem wie ihm wolle; der blutige Rucken des Mannes war Bolitho eine grimmige Mahnung, Sawle in Zukunft standig im Auge zu behalten. Wenn Meheux, der lustige, rundgesichtige Zweite Offizier, oder Weigall, der Dritte, an Stelle von Sawle gewesen waren, dann ware es jedenfalls nicht so weit gekommen. Meheux war beliebt wegen seines grobschlachtigen Nordlandhumors. Er ruhmte sich mit gutem Grund, da? er genauso klettern und splei?en konne wie jeder Matrose, und so hatte er schlimmstenfalls zu dem Mann gesagt:»Mal sehen, wer's besser macht!«Weigall, der den Korperbau, aber leider auch die Intelligenz eines Preisboxers besa?, hatte den Mann mit seiner massiven Faust auf die Planken geschmettert und dann die ganze Geschichte vollig vergessen. Weigall war bei seiner Division nicht unbeliebt, aber meistens ging man ihm aus dem Wege. Er hatte das mittlere Geschutzdeck unter sich und war unglucklicherweise seit einem Gefecht mit einem Blockadebrecher sehr schwerhorig. Manchmal bildete er sich ein, die Leute redeten hinter seinem Rucken uber ihn, und dann setzte es beim geringsten Anla? Strafexerzieren.
        Bolitho lehnte sich im Sessel zuruck und starrte achteraus auf das blasige Kielwasser der Euryalus, die in dem steifen Nordwest stetige Fahrt machte.
        Er schenkte sich noch Kaffee ein und verzog das Gesicht. Bald wurde das Schiff drehen und mehr Segel setzen, denn das Geschwader mu?te moglichst rasch wieder gefunden werden. An diesem einen Nachmittag und Abend relativer Freiheit hatte er Zeit gehabt, uber die Manner nachzudenken, mit denen er am engsten zusammenarbeiten mu?te, die aber durch Rang und Stellung von ihm getrennt waren. Broughton lie? ihn vollig in Ruhe; Calvert hatte verlauten lassen, der Admiral sa?e entweder uber den Karten oder lese immer wieder seine Geheimorder durch, als suche er etwas darin, das ihm bisher entgangen sei.
        Es klopfte, und der Posten drau?en brullte:»Midshipman der Wache, Sir!»
        Es war Drury. Der ging Strafwache wegen der Mi?helligkeiten, die er mit seinem Leutnant wegen der Laterne gehabt hatte.

«Mr. Bickford la?t Sie mit allem Respekt bitten, Sir, an Deck zu kommen.»
        Bolitho lachelte uber die Neugier des jungen Mannes, dessen Blicke eifrig in der Kajute herumhuschten, damit er nachher in der wesentlich bescheideneren Fahnrichsmesse eine moglichst detaillierte Beschreibung liefern konnte.

«Und warum, Mr. Drury? Das Beste haben Sie anscheinend vergessen.»

«Ein Segel, Sir«, erwiderte der Junge verwirrt.»In Nordwest.»
        Bolitho sprang auf.»Danke. «Er eilte zur Tur.»Ich konnte ja Trute Bescheid sagen, da? er Sie spater in meiner Kajute herumfuhrt, Mr. Drury. Aber im Moment haben wir zu tun.»
        Errotend rannte Drury hinter ihm her, und so kamen sie zusammen auf Deck an.
        Bickford war der Vierte Offizier. Er nahm seine Dienstpflichten sehr ernst, war aber vollig humorlos.

«Der Ausguck hat soeben ein Segel gemeldet, Sir. Im Nordwesten.»
        Bolitho ging nach Luv hinuber und suchte die Kimm ab. Sie war hart und silberwei? wie eine Sabelschneide. Doch der Wind wehte stetig; wenigstens etwas. Immerhin konnte er bis zum Morgen erheblich auffrischen. Dann wurde es lange dauern, bis sie wieder beim
        Geschwader waren und mit Draffen an Bord der Restless Verbindung aufnehmen konnten.
        Bickford hielt Bolithos Schweigen fur Unsicherheit.»Meiner Uberzeugung nach ist es die Coquette, Sir«, sagte er mit leicht erhobener Stimme, um bei Drury und einem zweiten dabeistehenden Midship-man Eindruck zu schinden.»Das ware am wahrscheinlichsten.»
        Bolitho hob den Kopf und starrte auf die gebauschten Marssegel oben, den heftig knatternden Windanzeiger. Wie eine Riesenpeitsche. Er dachte an die schwindelerregende Kletterei, das furchtbare Vibrieren der Wanten.

«Soso, Mr. Bickford. Danke sehr.»
        Der Leutnant nickte bestimmt.»Schon weil es ein einzelnes Schiff ist und so zuversichtlich herankommt.»
        Bolitho sah immer noch in die vibrierenden Rahen. Eben kam Ke-verne die Kampanjeleiter herauf und eilte zu ihnen.

«Mr. Keverne, entern Sie mit einem Glas auf. So schnell Sie konnen. Da ist ein Schiff an Backbord - vielleicht allein. «Er warf Bick-ford einen raschen Blick zu. Vielleicht auch nicht.»
        Bickford und die anderen erstarrten plotzlich und traten zuruck - also mu?te Broughton an Deck gekommen sein.

«Ah, Bolitho - warum diese Aufregung?»

«Ein Segel, Sir«, sagte Bolitho und deutete uber die Finknetze zum Horizont.

«Hmhm. «Broughton wandte sich um und sah Keverne nach, der leichtfu?ig in die Wanten aufenterte.»Wer mag das sein?»

«Ich glaube«, sagte Bickford rasch,»da? es die Coquette ist, Sir.»
        Ohne mit der Wimper zu zucken, sagte der Admiral zu Bolitho:»Wollen Sie bitte diesem Herrn klarmachen: wenn ich jemals in die schlimme Lage komme, da? ich eine vollig wertlose Ansicht brauche, wird er der erste sein, der es erfahrt.»
        Bolitho lachelte, als Bickford in die Gruppe an der Reling zuruckwich.»Ich glaube, er hat Sie schon verstanden, Sir.»
        Seltsam, da? sie alle au?erlich so ruhig waren, dachte er. Bestimmt hatte Broughton, der so tat, als interessiere ihn das Ganze nur beilaufig, den Kopf bereits voller Probleme und Kalkulationen. Ob er wohl diesmal den Flaggkapitan nach seiner Meinung fragen wurde?
        Keverne kam die Pardune heruntergerutscht, landete platschend an Deck und eilte herbei. Auf seinem brunetten Gesicht arbeitete es erregt.»Kauffahrer, Sir. Aber gut bewaffnet, funfzig Geschutze, wurde ich sagen. Steht direkt vorm Wind, hat aber keine Bramsegel gesetzt. «Er merkte, da? Broughton ihn ungeduldig anstarrte, und schlo?:»Spanier, Sir. Kein Zweifel.»
        Broughton bi? sich auf die Lippe.»Hol' ihn der Teufel!»
        Bolitho dachte laut nach.»Selbst ohne Bramsegel konnten wir ihn nur schwer erwischen, Sir. Aber wenn wir ihn schnappen, bekommen wir vielleicht Informationen. «Broughtons steife Haltung verriet seine innere Spannung. Informationen, die Sie weitergeben konnen, sofern Sie es fur richtig halten.»
        Das sa?. Mit blitzenden Augen fuhr Broughton herum.

«Bei Gott, ich sehe direkt Sir Hugos Gesicht vor mir, wenn er mit leeren Handen zuruckkommt, wahrend wir ihm was Neues erzahlen konnen!«Er seufzte.»Aber es hat ja keinen Zweck. Bis Sie diese Elefantenkuh von Schiff gewendet haben, ist der Don schon halb zu Hause. Und eine lange Verfolgung, die mich noch weiter vom Geschwader wegbringt, kann ich mir nicht leisten.»

«Ich glaube, wir alle haben ein wichtiges Detail ubersehen, Sir«, erwiderte Bolitho und schlug die Faust in die Handflache.»In gewissem Sinne hatte Mr. Bickford gar nicht so unrecht. «Lachelnd blickte er zu den anderen hinuber. Bickford hielt sich im Hintergrund, als hatte er Angst vor einem Anschnauzer. Bolitho fuhr fort:»Der Don denkt, die Euryalus ist ein Franzose!«Er blickte Broughton an, der jetzt nicht mehr so zweifelnd und enttauscht, sondern ein bi?chen hoffnungsvoll aussah.»Warum auch nicht, Sir? Wie die Dinge liegen, kann doch niemand annehmen, da? sich ein einzelnes britisches Schiff hier im Mittelmeer herumtreibt. Und in der kurzen Zeit konnen sie noch gar nicht erfahren haben, da? wir von Gibraltar ausgelaufen sind.»
        Broughton trat an die Netze und stieg auf einen Poller. Starr blickte er zur Kimm hinuber, als wolle er den Spanier beschworen, sich ihm zu zeigen.

«Schiff lauft immer noch vorm Wind, Sir«, rief der Ausguck herunter.
        Broughton kam wieder und rieb sich das Kinn.»Sie mussen uns gesehen haben! So blind sind nicht mal die Dons.»

«Aber sowie wir Segel wegnehmen oder auf ihn zudrehen, wissen sie Bescheid!»

«Verdammt, Bolitho! Erst machen Sie mir Hoffnung, und dann zerschlagen Sie sie wieder!»

«Ich kann sie sehen, Sir! Zwei Strich vorlicher als querab!«Drury hing in den zitternden Wanten, ein Teleskop fest vorm Auge.
        Bolitho nahm ein Glas aus der Halterung und balancierte es gegen die Schiffsbewegung aus. Dann sah er es ebenfalls: ein blasses Dreieck an der Kimm. Mit allen Segeln holte ihr Steuermann aus der frischen Brise heraus, was sie hergab.

«Sie kommt schnell auf, Sir.»
        Wieder uberlegte er, ob er selbst auf entern sollte. Aber statt dessen fragte: Funfzig Kanonen meinen Sie, Mr. Keverne?»

«Aye, Sir. Ich kenne den Typ. Gut bewaffnet gegen Piraten und dergleichen. Wir konnten sie Meile um Meile einholen, aber wahrscheinlich ist sie zu wendig fur uns.»

«Damit kommen wir auch nicht weiter«, fuhr Broughton wutend dazwischen.

«Wir mussen sie dicht herankommen lassen, Sir. «Rasch ging Bolitho zum Rad hinuber und wieder zuruck, ohne es recht zu merken.»Aber wir mussen den Windvorteil behalten. Sonst konnen wir uns bald ihr Heck besehen.»

«Vielleicht sollten wir die franzosische Flagge hissen, Sir?«schlug Partridge vor.
        Der Admiral hieb sich vor Ungeduld auf den Schenkel.»Viel zu auffallig!»
        Er sah Hauptmann Giffard und seinen Leutnant mit Teleskopen auf dem Achterdeck stehen und das fremde Schiff betrachten.»Weg mit diesen Offizieren da! Rotrocke auf einem franzosischen Kriegsschiff - was bilden Sie sich eigentlich ein, Giffard?»
        Die beiden Marine-Infanteristen verschwanden wie der Blitz.

«Mann uber Bord, Sir«, sagte Bolitho langsam.

«Wie war das?«Broughton starrte ihn an, als sei er verruckt geworden. »Mann uber Bord?»

«Der einzige Grund, weshalb ein Schiff auf hoher See halsen kann, ohne Verdacht zu erregen.»
        Broughton offnete den Mund und schlo? ihn wieder. Unsicherheit und Zweifel uberwaltigten ihn fast.

«Wir brauchen einen guten Schwimmer«, fuhr Bolitho mit sanfter Uberredung fort. Und die Besatzung der Jolle mu? schon bereitstehen. Wir konnen sie spater wieder aufgreifen. Ist einen Versuch wert, Sir«, schlo? er mit zuversichtlichem Nicken.
        Schweigend uberlegte Broughton.»Es konnte klappen«, sagte er schlie?lich.»Und wir hatten Zeit, um…«Er stampfte auf die Planken.»Jawohl, bei Gott! Wir probieren es!»
        Bolitho atmete tief.»Mr. Keverne, holen Sie die Breitfock ein. Wir bleiben unter Marssegel und Kluver. Das ist bei diesem Kurs ganz normal, sie werden nicht gro? darauf achten. «Keverne eilte hinweg, und Bolitho wandte sich an Partridge.»Das wird unsere Fahrt ein bi?chen mindern. Wir wollen auch nicht zu sehr vor ihren Bug kommen.»
        Grinsend nickte Partridge, so da? sein Doppelkinn an der Halsbinde wabbelte. Er hatte sich zwar geargert, als Broughton seinen Vorschlag so scharf ablehnte, schien aber bereits wieder bester Laune zu sein.
        Von Kevernes Sprechtrompete angetrieben, rannten die Matrosen an die Schoten und Fallen, und die Fock schlug knatternd nach innen.
        Als der Erste zuruckkam und» Fock auf geholt und festgemacht!«meldete, sagte Bolitho:»Schicken Sie einen erfahrenen Unteroffizier nach oben, der den Spanier genau beobachtet und sofort meldet, wenn er Miene macht, abzudrehen. Anschlie?end konnen Sie die Manner auf Gefechtsstationen pfeifen. Wir konnen das Oberdeck jetzt nicht gefechtsklar machen; es mu? also nachher schnell und gut klappen.»
        Keverne eilte hinweg, und Broughton fragte ungeduldig:»Wie lange?»

«Eine Stunde hochstens, Sir. Ich gehe noch einen Strich hoher an den Wind. Das hilft etwas.»

«Und in drei Stunden ist es so dunkel, da? man nichts mehr sieht«, nickte Broughton grimmig.»Also dann!»
        Der Admiral wandte sich zur Kampanje, blieb aber noch einen Moment stehen und sagte ganz sanft:»Aber wenn Sie mir mein Flaggschiff dabei kaputtmachen, Bolitho, dann geht's Ihnen dreckig, das kann ich Ihnen versprechen!»
        Bolitho sah zum Steuermann hinuber.»Einen Strich nach Luv!«Dann zwang er sich dazu, langsam, die Hande auf dem Rucken, an der Luvseite auf und ab zugehen. Wenn der Euryalus etwas passiert, dann geht's uns allen dreckig, dachte er.
        Bolitho hielt sein Glas auf das fremde Schiff gerichtet. Seit es zuerst uber der Kimm erschienen war und die Euryalus gefechtsklar gemacht hatte, wartete er auf irgendwelche Anzeichen, da? der Spanier etwas gemerkt hatte; aber das Schiff druben hielt seinen Kurs und lag nun knapp zwei Meilen entfernt. Wenn die Euryalus auf ihrem jetzigen Kurs weitersegelte, wurde der Spanier mit etwa einer Meile Abstand ihr Kielwasser kreuzen.
        Keverne hatte das Schiff ganz richtig beschrieben: ein Zweidecker unter allen verfugbaren Segeln, ein schoner Anblick in voller Fahrt; der Schaum spritzte uber die knallrot und blau gemalte Galionsfigur bis zur Hohe ihrer bauchigen Fock. Bolitho konnte noch das altmodische dreieckige Besansegel uber der reichgeschnitzten Kampanje ausmachen und die Sonnenreflexe auf den Teleskopen der Offiziere, die sie auf die Euryalus gerichtet hatten, wobei sie sich zweifellos die Kopfe daruber zerbrachen, wer sie sei und was sie hier zu suchen habe.

«Langsam kommen wir der Sache naher«, sagte Keverne grimmig.
        Bolitho schritt zur Achterdecksreling und sah unten einen kraftigen Matrosen inmitten einer schnatternden Gruppe von Gaffern stehen.

«Fertig, Williams?»
        Der Mann schielte zu ihm hinauf und grinste unsicher.»Aye, Sir.»
        Bolitho nickte. Wohlwollende hatten ihn zweifellos kraftig mit Rum gelabt. Nicht zu kraftig, war zu hoffen, sonst konnte sich die Kriegslist zu einem plotzlichen Begrabnis auf hoher See auswachsen. Bolitho ging wieder nach Luv hinuber, richtete sein Glas auf das fremde Schiff und befahl:»Mr. Keverne, mittleres und unteres Batteriedeck sollen die Steuerbordgeschutze doppelt laden. Sorgen Sie dafur, da? erst auf ausdrucklichen Befehl ausgerannt wird. Wenn auch nur ein Rohr vorzeitig erscheint, sind unsere Freunde auf und davon.»
        Keverne winkte einem Midshipman, und Bolitho rief Leutnant Me-heux, der das obere Batteriedeck kommandierte. Mit ungewohnlich dusterer Miene starrte er auf seine Kanonen.

«Keine Angst, Mr. Meheux, Ihre Geschutzbedienungen werden bald genug zu tun bekommen. Aber wenn die druben sehen, da? wir die Persennings abnehmen und laden, ist es mit der Tauschung vorbei.»
        Meheux fa?te an den Hut, aber der Schatten dusterer Enttauschung hing weiterhin uber seinem runden Gesicht.
        Allday kam mit Bolithos Degen uber das Achterdeck gerannt. Bo-litho nahm die Arme hoch, Allday schnallte ihm gewandt das Koppel um und sagte dabei:»Ich habe dem Bootsfuhrer der Jolle gesagt, was Sie von ihm erwarten, Captain, und auch, was er kriegt, wenn er's verpatzt. «Dabei grinste er schadenfroh.
        Bolitho runzelte die Stirn. Der Spanier kam doch weiter achterlich vorbei, als er berechnet hatte. Jetzt mu?te gehandelt werden, jetzt oder nie.

«Also los, Williams, uber Bord!»
        Der riesige Matrose kletterte auf den Backborddecksgang und beugte sich grimmig entschlossen uber die Reling.

«Na, der gibt ja ein tolles Schauspiel ab«, murmelte Keverne grimmig. Mit Armen und Beinen um sich schlagend, verschwand Williams in der Tiefe.

«Da geht er hin!«Partridge rannte zuruck auf seinen Platz beim Ruderrad.

«Mann uber Bord!«Bolitho eilte zu den Netzen, die Besatzung der Jolle lie? die scheinbar anderweitige Beschaftigung sein und sturzte auf ihre Station. Erleichtert atmete er auf, als der Kopf des Matrosen dicht an der Bordwand auftauchte.»Mr. Keverne, brassen Sie das Kreuzmarssegel back! Und raus mit dem Boot!«rief er. Leicht hatte Williams in seinem Eifer den rechten Moment verpassen und sich an der ausladenden Rundung des Schiffsrumpfes einen Arm oder den Schadel brechen konnen.
        Die Besatzung sprang in das schon langsseit liegende Boot; oben schlug das Kreuzmarssegel gegen Mast und Rah und wirkte wie die Bremse eines Frachtwagens, dem die Pferde durchgehen, eben lange genug, da? Bolitho seine Augen von dem gelenkten Durcheinander losrei?en und zu dem spanischen Schiff hinuberspahen konnte. Es lag etwa zwei Kabellangen von dem Punkt entfernt, wo es das Kielwasser der Euryalus kreuzen wurde, und er konnte erkennen, da? Matrosen zum Vorschiff eilten, um sich das Schauspiel anzusehen.
        Er hob die Hand.»Jetzt! Klar zum Halsen!»
        Schon drehte sich die Gro?bramrah knarrend in die alte Position zuruck, und die Matrosen rannten aus ihren Verstecken auf Stationen, vom gellenden Hurrageschrei der ungeduldig wartenden Geschutzbedienungen angetrieben.

«Ist klar, Sir!«rief Partridge.

«Hart Steuerbord!«Bolitho richtete das Glas auf den Spanier. Soweit er ausmachen konnte, war dort noch alles ruhig.

«Ruder liegt hart Steuerbord, Sir!»
        Die Vorsegelschoten waren bereits los, das Ruder wirbelte, und das machtige Heck drehte ganz langsam durch den Wind, die Manner holten, weit zuruckgebeugt, keuchend und fluchend, von Keverne noch mehr angetrieben, die Brassen dicht. Brausend fullten sich die Segel, und als das Schiff noch weiter drehte, wurde es auf der Kam-panje des Spaniers plotzlich lebendig. Ein Offizier schwenkte wild die Arme und rief seine Matrosen herbei, die sich noch am Bug zusammendrangten.

«Schoten und Halsen los!»
        Bolitho beschattete die Augen und spahte durch das Gewirr killender Segel und peitschender Schoten nach oben, wo sich die Matrosen bereits zu den Bramrahen hinaufkampften, um fur die nachste Phase des Angriffs bereit zu sein. Sekundenlang wagte er kaum zu atmen. Der Wind war immer noch ziemlich stark und konnte, wenn es ganz schlimm kam, die Maststengen abrei?en und das schwere Schiff hilflos machen.
        Aber der Windstander sprang um, das Schiff reagierte und drehte durch den Wind wie ein gut dressiertes Mammut.

«Hol dicht!«Keverne hatte die Manner an Deck nicht aus den Augen gelassen.»Uuuund - dicht!»
        Langsam, aber gleichma?ig reagierten die machtigen Rahen auf den Zug der Brassen; es klang wie Donner im Gebirge, als die Segel sich auf dem neuen Bug fullten, wahrend das Deck sich nach der anderen Seite uberlegte.
        Gespannt beobachtete Bolitho das spanische Schiff. Durch das Gewirr der Fockwanten betrachtet, sah es aus, als schwimme es im Bogen nach ruckwarts, bis es nicht mehr unerreichbar an Backbord, sondern wunderschon Steuerbord voraus lag.
        Von dem Boot und dem Schwimmer war nichts zu sehen. Hoffentlich, so hatte Bolitho gerade noch Zeit zu denken, hielt jemand nach ihnen Ausschau.

«Geben Sie durch, Mr. Keverne: untere Batterie ausrennen!»
        Die Stuckpforten flogen auf, drohend knarrten und quietschten die Geschutzschlitten; er konnte sich vorstellen, wie die Manner tief unter seinen Fu?en fluchten und keuchten, wahrend sie die schweren Kanonen die Schraglage hinauf und ans Sonnenlicht zerrten.

«Flagge zeigen, Mr. Tothill!»
        Er horte Broughtons Stimme und fuhr herum.»Das war ja eine kuhne Wende, Bolitho! Ich dachte schon, Sie rei?en ihr die Masten aus. «Er war in seinem goldbetre?ten Rock an Deck gekommen, den wunderbaren Degen an der Seite, wie zur Geschwaderinspektion.
        Ein dumpfer Knall, und eine Rauchwolke trieb von der Kampanje des Spaniers ab. Die mu?ten ein geladenes Geschutz in Bereitschaft gehabt haben, dachte Bolitho; aber er konnte nicht sehen, wohin die Kugel ging.

«Bramsegel setzen, Mr. Keverne! Der will uns entwischen!»
        Beide Schiffe lagen jetzt auf Parallelkurs, die Euryalus etwa zwei Kabellangen achteraus.
        Noch ein Knall; jemand schnappte vor Schreck nach Luft, denn eine Kugel fuhr durch das Fockmarssegel und platschte weit in Luv ins Meer.
        Das spanische Schiff hatte ein stark gerundetes Heck, und Bolitho rechnete damit, da? dort ein paar kraftige Kanonen montiert waren, um Verfolger abzuwehren.

«Noch langer zu warten, hat keinen Sinn«, knurrte Broughton.
        Bolitho nickte. Jeden Moment konnte eine Kugel eine lebenswichtige Spiere herunterrei?en.»Mittlere Batterie, Mr. Keverne. Einzelfeuer!«Und zu Partridge: Luven Sie noch einen Strich weiter an!»
        Die Euryalus drehte etwas von ihrem Opfer ab, und vom mittleren Geschutzdeck stiegen braune Rauchwolken hoch. Von vorn nach achtern, alle zwei Sekunden, krachte ein schwerer Vierund-zwanzigpfunder und glitt nach binnenbords zuruck, wenn die gluhende Zunge des Mundungsfeuers herausgefahren war.
        Bolitho beobachtete die aufspringenden Wassersaulen, die an und hinter dem Achterdeck des Spaniers lagen; aber mehrere Kugeln hatten auch getroffen: splitternd flogen Holzteile von der Schanz hoch. Von unten klang das Triumphgeschrei der Kanoniere herauf, und das wutende Quietschen der Geschutzschlitten, denn die Bedienungen wetteiferten miteinander, um die Kanonen wieder auszufahren. Ke-verne sah Bolitho an, die Augen dunkel vor Spannung und Erregung.»Sie streicht die Flagge nicht, Sir.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippe. Die rot-gelbe spanische Flagge wehte noch uber der Kampanje, schon wieder krachte ein Geschutz, und eine Kugel flog kreischend wie eine gemarterte Seele in der Holle dicht uber die Masten der Euryalus hinweg.
        Er hatte erwartet, da? sich der Spanier beim Anblick der britischen Flagge ergeben wurde. Es war etwa eine Kabellange Distanz zwischen ihnen, und mit ihren gut ziehenden Bramsegeln holte die Euryalus in jeder Minute mehr auf.
        Dann sah er die Jolle schwarz gegen die glitzernde See; die Ruderer, und Williams hoffentlich auch, standen aufrecht und schrien hurra zu dieser einseitigen Schlacht.
        Wieder spuckte die Achterdecksbatterie des Spaniers hellrote Flammen; diesmal hatten drei, vielleicht vier Kanonen gefeuert; und ehe sich der Rauch verzogen hatte, spurte Bolitho, wie das Deck unter seinen Fu?en zuckte: eine Kugel war wie ein Hammer in den Rumpf der Euryalus eingeschlagen.

«Einen Strich anluven, Mr. Partridge!«Was tat dieser Narr von einem Spanier? Es war absoluter Irrsinn, noch weiterzukampfen. Lief er weiter vorm Wind, mu?te die Euryalus ihn uberholen. Drehte er ab, konnte er in Sekundenschnelle entmastet und das Heck zerschmettert sein.
        Wieder blitzte es; und diesmal pflugte eine Kugel in den Steuerborddecksgang. Zwei Matrosen rollten schreiend und um sich schlagend an Deck, von herumfliegenden Splittern niedergestreckt.

«Untere Batterie, Mr. Keverne«, sagte Bolitho. Er hielt inne und blickte auf die trotzige Flagge. Wurde sie…»Breitseite!«stie? er wutend hervor.
        Die beiden unteren Geschutzdecks hatten reichlich Zeit gehabt. In aller Ruhe hatten die Geschutzfuhrer ihre Bedienungen mustern und einweisen konnen, die Leutnants waren auf und ab geschritten und hatten durch die offenen Geschutzpforten gespaht, wahrend sich die Euryalus wurdevoll etwas vom Gegner abgedreht und die Doppelreihe ihrer Geschutze wie schwarze Zahne gebleckt hatte. Dann pfiffen die Leutnants» Feuer«, die Geschutzfuhrer zogen die Rei?leinen ab, alle Rohre brullten gleichzeitig auf, und das ganze Schiff erzitterte, als sei es knirschend auf ein unter Wasser liegendes Riff gelaufen.
        Vom Achterdeck aus beobachtete Bolitho, wie der Rauch zu dem Spanier hinubertrieb und sah dort den Besanmast wanken und uber die
        Kampanje sturzen; er horte das Krachen und Brechen trotz des Widerhalls der Breitseite, der noch wie Donner uber die See rollte.
        Als sich der Rauch verzogen hatte, sah er auch die klaffenden Locher im Rumpf langs des Achterdecks, die herabhangende Masse der zerfetzten Takelage und gebrochenen Spieren. Trunken schwankte das Schiff im Wind; das hohe Heck bot sich dem letzten vernichtenden Schlage dar.
        Doch da gellte eine Stimme:»Sie streicht die Flagge!«Und das Triumphgeschrei wurde von den unteren Decks aufgenommen, wo die Geschutzbedienungen schon wieder die Rohre ausputzten und fur die nachste Breitseite luden.

«Ein tapferer Kommandant«, sagte Bolitho.

«Ein Dummkopf!«Broughton spahte zu dem spanischen Schiff hinuber, das hilflos unter Rauchwolken dahintrieb - vor kurzem noch so zuversichtlich und lebensvoll, jetzt ein mitleiderregendes Wrack.

«Wir nehmen gleich Segel weg, damit sie in Lee von uns bleibt, Mr. Keverne.
«Bolitho wartete ab, bis Keverne die entsprechenden Befehle gegeben hatte, und sagte dann:»Jetzt werden wir vielleicht herausbekommen, warum der Mann sich so verzweifelt gewehrt hat - er mu? ja etwas ganz Wichtiges an Bord haben!»



        VIII Die Prise

        Vizeadmiral Broughton ri? dem Midshipman der Wache das Teleskop aus der Hand, trat flotten Schritts neben Bolitho und richtete das Glas auf den Spanier, der eine halbe Kabellange in Lee der Euryalus steuerlos trieb.»Was, zum Teufel, machen die eigentlich so lange da druben?»
        Bolitho antwortete nicht. Auch er musterte das rollende Schiff, auf dem der endlich gehi?te wei?e Wimpel vom Masttopp flatterte - also hatte Leutnant Meheux mit seinem Prisenkommando wenigstens etwas zustande gebracht.
        Er sah zu seinen killenden Segeln und losen Schoten hoch. Es war fast eine Stunde her, seit die Boote abgefiert worden waren, die Me-heux und seine Manner zu der Prise hinubergebracht hatten; und inzwischen hatte sich das Wetter deutlich und besorgniserregend verandert. Der Himmel bezog sich sehr schnell, die See wurde bleiern und glanzlos, die schnellen, wei?mutzigen Wellen waren jetzt schmutziggrau und drohend. Nur die Kimm blieb klar und kaltglanzend wie Stahl, als wurde sie von einem anderen Licht als der untergehenden
        Sonne erhellt. Ohne auf den Stander zu sehen, wu?te Bolitho, da? der Wind gedreht hatte und jetzt fast genau von Westen kam; mit jeder Minute frischte er bedrohlich auf.
        Ein Sturm war im Anzug. Angesichts des manovrierunfahigen spanischen Schiffes und der Ungewi?heit uber Meheux kam er zur allerungunstigsten Zeit.

«Endlich kehrt die Jolle zuruck - wird auch verdammt Zeit!«schimpfte Broughton. Es sah gefahrlich aus, wie das kleine Boot durch den hohen Seegang stampfte; schon daran merkte man deutlich, wie sehr sich das Wetter verschlechtert hatte.
        Die anderen Boote waren bereits zuruckgerufen und an Bord gehievt worden. Die Jolle war Meheux' letzte Verbindung zum Flaggschiff. In der Ducht sa? sprungbereit Midshipman Ashton. Er und ein Steuermannsmaat, dazu ein verla?licher Unteroffizier und eine Anzahl Matrosen waren unter Meheux als Prisenkommando hinubergeschickt worden.
        Wahrend das kleine Boot schwer arbeitend auf das Achterdeck der Euryalus zuhielt, rief Ashton durch die hohlen Hande:»Sie ist ziemlich leck, Sir! Und die Ruderzuge sind zerschossen!»
        Bolitho beugte sich uber die Reling und rief:»Wie hei?t das Schiff? Warum dauert das so lange?»

«Die Navarra, Sir«, antwortete Ashton.»Unterwegs von Malaga. «Eine wutende Welle warf ihn fast uber Bord.»Mit Stuckgut und - «, er schien erst jetzt den Admiral gewahr zu werden - ,»und einer Menge Passagiere, Sir.»

«Himmeldonnerwetter, Bolitho! Fragen Sie diesen jungen Idioten, was der Kapitan gesagt hat!»
        Aber Ashton antwortete ihm direkt:»Der ist tot, Sir. Bei der Breitseite gefallen. Die meisten Offiziere auch. Das Schiff ist in einem schauderhaften Zustand, Sir«, schlo? er verzweifelt.
        Bolitho winkte Keverne herbei.»Ich denke, Sie setzen am besten uber. Der Seegang nimmt zu, und an der Prise scheint mehr dran zu sein, als wir dachten.»
        Aber Broughton hielt Keverne zuruck.»Befehl belegt. «Kalt glanzten seine Augen in dem seltsamen Licht.»Und wenn Keverne mit der Sache nicht fertig wird - was dann? wandte er sich an Bolitho.»Noch mehr Verzogerung, und wir kommen obendrein in einen Sturm! Nein, Sie gehen an Bord der Navarra.«Er fuhr zusammen, als hoch uber seinem Kopf die Takelage zu summen und zu jaulen anfing wie ein schlecht gestimmter Kontraba?.»Entscheiden Sie, was zu tun ist, und zwar schnell. Ich wurde die Prise ungern verlieren, aber ehe ich mit so einer lahmen Ente zum Geschwader zuruckkriechen mu? und dabei Stunden oder sogar Tage vergeude, bohre ich sie lieber gleich auf der Stelle an. «Er spurte, da? Bolitho eine Frage auf der Zunge hatte, und schlo?:»Notigenfalls ubernehmen wir Mannschaft und Passagiere.»

«Jawohl, Sir«, nickte Bolitho. Keverne war sichtlich enttauscht. Erst war ihm das Kommando uber die Auriga entgangen, und jetzt verlor er eine weitere Moglichkeit, seine Stellung zu verbessern. Wenn die Navarra zwar gerettet werden, aber nicht im Verband mitsegeln konnte, dann hatte der Prisenkommandant, der sie nach Gibraltar zurucksegelte, durchaus die Chance, Kapitan zu werden. Bolitho hatte seine erste wirkliche Chance auf dieselbe Art bekommen und konnte verstehen, da? Keverne verargert, vielleicht sogar wutend war.
        Er verbannte diesen Gedanken und signalisierte der Jolle. Wenn der Wind noch starker wurde, gab es vielleicht in einer Stunde uberhaupt keine Prise mehr.
        Allday war neben ihm aufgetaucht und half ihm in den Bootsmantel.»Sie brauchen mich naturlich, Captain.»
        Bolitho blickte ihm kurz ins Gesicht. Er sah genauso besorgt aus wie damals, als er ohne ihn auf das Werferschiff gegangen war.»Ganz recht, Allday - naturlich«, lachelte er.
        Ins Boot zu kommen, war ebenso gefahrlich wie unbequem. In einem Moment wurde es hart gegen die Schiffswand geworfen, im anderen sackte es tief in ein Wellental; fluchend muhten sich die Ruderer ab, damit die Bootsplanken nicht eingedruckt wurden.
        Bolitho sprang von der Bordwand weg und hinunter, im Bewu?tsein, da? er, wenn er fehlsprang, unter die Rundung des Rumpfes gesaugt oder von der tanzenden Jolle zerquetscht werden wurde.
        Atemlos sank er in der Flicht zusammen, von Gischt geblendet und fast bewu?tlos von dem Sprung, der eher ein Fall gewesen war.
        Grinsend sah Allday durch die fliegenden Schaumfetzen zu, wie die Rudergasten das Boot von der Bordwand wegdruckten und sich anschickten, zur Navarra zu rudern.

«Es weht ganz hubsch, Captain!»

«Solche Boen konnen in Minuten voruber sein«, erwiderte Bolitho.

«Oder aber sie bringen ein Schiff zur Verzweiflung. «Erstaunlich, wie rasch Allday jetzt, da er wieder bei ihm war, seine gute Laune wiedergefunden hatte!
        Achteraus sah er die Euryalus schwer in den Wellen liegen. Ihre gerefften Marssegel gaben ihr gerade so viel Fahrt, da? sie sich steuern lie? und von der Navarra frei blieb. In dem stahlgrauen Licht sah sie riesig und machtvoll aus; Gott sei Dank hatte Keverne bereits die unteren Stuckpforten schlie?en lassen, denn offene Pforten hatten nicht nur zusatzliche Arbeit fur die Pumpen bedeutet, sondern auch noch Unbequemlichkeiten fur die Manner, die dort unten wohnen mu?ten.
        Selbst im Zwielicht waren die schweren Wunden des spanischen Schiffes deutlich zu erkennen. Kampanje und Achterschiff hatten gahnende Locher an verschiedenen Stellen, die geschwarzten Balken ragten heraus wie bruchige Zahne. Das alles hatte diese eine und nicht einmal volle Breitseite verursacht.
        Midshipman Ashton rief:»Mr. Meheux hat ein paar Schwenkgeschutze montiert, Sir. Aber die Mannschaft ist so durcheinander, da? sie kaum versuchen wird, das Schiff zuruckzuerobern.»

«Da wird bald nichts mehr zuruckzuerobern sein«, brummte Allday.
        Beim vierten Versuch gelangte das Boot endlich in Lee der Navarra und konnte an den Gro?rusten festmachen. Bolitho nahm seine Wurde in beide Hande und versuchte einen wilden Sprung nach dem Fallreep, wobei ihm der Hut vom Kopf flog und er selbst von einem die Bordwand entlanglaufenden Brecher bis zum Gurtel durchweicht und beinahe weggespult wurde.
        Mehrere Hande streckten sich ihm uber die Schanz entgegen und hievten ihn unzeremoniell an Deck, wo Meheux und der Steuermannsmaat ihn empfingen, sichtlich uberrascht von seinem plotzlichen und wenig wurdevollen Auftauchen.
        Nach ihm kletterte Allday an Bord; er hatte es sogar irgendwie geschafft, den verlorenen Hut aufzufischen, allerdings war die ursprungliche Form unwiderbringlich dahin. Bolitho nahm ihn entgegen und musterte ihn kritisch, wahrend er langsam wieder zu Atem kam und mit ein paar raschen Blicken den Umfang des angerichteten Schadens abschatzte.
        Da war der gesturzte Besanmast, das Gewirr von Stagen und Leinwand, eine Anzahl Tote mit klaffenden Wunden, deren Blut mitsamt dem uberkommenden Spruhwasser weggeschwemmt wurde wie das Leben selbst.

«Nun, Mr. Meheux«, sagte er,»ich ware Ihnen verbunden, wenn Sie mir mitteilen wurden, was Sie gesehen und welche Schlusse Sie daraus gezogen haben. «Er fuhr herum, denn von irgendwo fiel ein Block herunter und schlug in einen Haufen zerschmetterter Planken ein, die einst ein Boot gewesen waren.»Aber bitte kurz.»
        Der Zweite der Euryalus blickte auf dem chaotischen Deck umher und sagte:»Sie hat ein paar bose Lecks und auch mehrere Risse dicht uber der Wasserlinie. Wenn die gro?er werden, nimmt sie mehr Wasser uber, als die Pumpen bewaltigen konnen. «Er hielt inne, damit Bolitho das taktma?ige Janken der Pumpen horen konnte.»Das eigentliche Problem aber sind die vielen Menschen unter Deck, Sir. Au?er der Besatzung hat das Schiff etwa einhundert Passagiere an Bord: Frauen und sogar Kinder sind da unten zusammengepfercht. Wenn die durchdrehen, gibt es eine Riesenpanik. «Er deutete auf das zerschmetterte Bootslager.»Und die Boote sind auch Schrott.»
        Bolitho rieb sich das Kinn. Alle diese Passagiere. Warum hatte der Kapitan eigentlich deren Leben riskiert, als er gegen einen Dreidecker zu kampfen versuchte? Das war doch sinnlos. Es pa?te auch gar nicht zu der gewohnten Haltung der Spanier, wenn es ums eigene Uberleben ging.

«Sie haben drei?ig Mann unter Ihrem Befehl, Mr. Meheux. «Er versuchte, nicht an die unten in Todesangst zusammengedrangten Menschen zu denken.»Lassen Sie noch ein paar Matrosen der Navarra an die Pumpen gehen. Wenn sie sich ablosen, mu?ten wir mit dem uberkommenden Wasser fertig werden. Und dann das Ruder. Haben Sie da schon etwas unternommen?»

«Mein Unteroffizier, Mr. McEwen, kummert sich um die Zuge, Sir. «Meheux schuttelte den Kopf. Offenbar hielt er das alles fur Zeitverschwendung.»Aber auch der Kopf der Ruderpinne ist beschadigt und wird in schwerer See bestimmt brechen.»
        Midshipman Ashton war durch die Schanzpforte an Deck geklettert und schuttelte sich wie ein halb ertrunkener Terrier.
        Bolitho warf rasch einen Blick zum Himmel. In dem schwindenden Licht schienen sich die Wolken schneller auszubreiten und tiefer herabzukommen. Auf jeden Fall haben wir eine bose Nacht vor uns, dachte er grimmig.
        Er sah, da? Meheux ihn besorgt beobachtete, zweifellos neugierig, wie sein Kommandant mit einer unlosbaren Aufgabe fertig werden wurde. Mit einer Zuversicht, die er ganz bestimmt nicht verspurte, schlug Bolitho dem Leutnant auf die Schulter.»Aber Mr. Meheux, Sie machen ja ein Gesicht wie ein Saufer uber einer Schale Milch! Jetzt schicken Sie Ihre Manner an die Arbeit, und Mr. Ashton soll mir die Passagiere zeigen.»
        Er ging mit Ashton zum Kampanjeluk. Dort lag ein Toter in goldbetre?tem Rock, der von der brennenden Leiter gefallen war. Das mu?te wohl der Kapitan sein. Das Gesicht war fast weggerissen, doch auf dem makellos sauberen Rock war kaum ein Tropfchen Blut.
        Zwei bezopfte Matrosen standen am Rad und drehten es vorsichtig nach den rauhen Anweisungen des Unteroffiziers. Sie sahen Bolitho, und der eine von ihnen grinste mit offensichtlicher Erleichterung.»Wir gehen doch von Bord, Sir? Die la?t sich nie mehr ordentlich steuern, so wie das aussieht.»
        Da? sie auf einmal ihren Kommandanten hochstselbst zu Gesicht bekamen, nachdem sie schon gedacht hatten, sie seien auf diesem havarierten Kahn ihrem Schicksal ausgeliefert, lie? ihn vorubergehend den gewohnten Respekt beim Anreden eines Offiziers vergessen. Aber Bolitho sah nur, wie sich das zutrauliche Gesicht des Mannes in einem breiten Grinsen spaltete. Unter den mehr als achthundert Seelen der Euryalus hatte er ihn bisher kaum bemerkt, aber in diesem Moment kam er ihm wie ein alter Freund an einem fremden, unheimlichen Ort vor.
        Er lachelte.»Ich glaube, so ein Schiff ist immer noch besser als ein
        Flo?.»
        Als er sich unter die Decksbalken duckte, blinzelte der Matrose seinem Kameraden zu.»Was hab ich dir gesagt? Hab doch gewu?t, unser Dick[Kurzform von Richard] la?t uns nich' lange allein!»
        Der Unteroffizier, dessen Hande und Unterarme mit schwarzglanzender Ruderschmiere bedeckt waren, tauchte hinter ihnen auf und knurrte:»Wahrscheinlich wei? er, da? er sich nich' auf euch verlassen kann - genau wie ich. «Aber sogar er war uberrascht, da? sein Kommandant an Bord gekommen war - und das genugte ihm vorerst.
        Ein Deck tiefer ging Bolitho hinter Ashton den gefahrlich schiefen Gang hinunter und vernahm bei jedem Schritt das Knarren und Stohnen der Balken, das Klappern und Rasseln von zerbrochenem Gerat und allerlei weggeworfenem Zeug. Auch die gegen den Rumpf schlagenden Wellen waren zu horen und das lange, zitternde Protestieren der Planken, wenn sich das Schiff durch ein Wellental qualte und dann schwerfallig wieder hob. Einmal stolperte er und sah im Licht der schwankenden Laterne den Leichnam eines Mannes uber dem Lukensull liegen. Der Korper war von einer Kanonenkugel, die durch eine offene Stuckpforte geflogen sein mu?te, fast entzweigeschnitten; sie mu?te ihn erwischt haben, als er eine Meldung an Deck bringen wollte oder vor dem gnadenlosen Bombardement um sein Leben gerannt war.
        Zwei Matrosen standen an einem anderen Niedergang, der oben mit einem schweren Lukendeckel gesichert war. Beide waren bewaffnet und starrten Bolitho uberrascht und beinahe schuldbewu?t an. Vermutlich haben sie ein paar Kabinen durchstobert, dachte er. Hauptsache, da? sie nicht an das Schnapslager geraten waren oder in der Seekiste eines Offiziers Wein gefunden hatten. Drei?ig angetrunkene Manner waren fur die Rettung des Schiffes kaum von Nutzen gewesen.

«Sind alle Passagiere hier unten?«fragte er scharf.»Aye, Sir. «Der eine stie? mit seiner Muskete auf den Lukendek-kel.»Die meisten sind schon vor dem Angriff runtergebracht worden,
        Sir.»

«Aha. «Das war eine kluge Ma?nahme gewesen, so schrecklich es auch sein mochte, dem Geschutzfeuer hier unten hilflos ausgesetzt zu sein. Aber andernfalls hatte es sicher au?er dem Kapitan und den Offizieren noch mehr Tote gegeben.

«Sie wollen doch nicht etwa runter, Captain?«flusterte Allday.
        Bolitho horte gar nicht hin.»Macht das Luk auf!»
        Mit geneigtem Kopf horte er zu, wie Meheux oben seine Befehle brullte, und horchte auf das darauffolgende Tappen nackter Fu?e an Deck. Anscheinend war da wieder eine gefahrliche Situation eingetreten; aber Meheux konnte allein damit fertig werden. Jetzt mu?te er erst die Passagiere sehen, denn hier unter der Wasserlinie wurde er sicher die Antwort auf eine seiner Fragen finden.
        Zuerst konnte er uberhaupt nichts sehen. Aber als die Matrosen den Lukendeckel aufgeklappt hatten und Ashton seine Laterne direkt uber die Leiter hielt, spurte er die plotzlich von unten hochsteigende Angst und Spannung wie etwas Korperliches. Er stieg zwei Stufen hinab, und als das Licht der Laterne auf ihn fiel, barsten ihm fast die Ohren von dem wilden Geschrei. Hunderte von Augen, so kam es ihm vor, gluhten in dem grellen Lichtstrahl auf, wie von allem Menschlichen losgelost. Aber die Stimmen waren menschlich genug. Uber dem Schreckens- und Angstgebrull erhoben sich die schrillen Schreie von Frauen und Kindern. Dabei wurde ihm klar, da? viele von denen da unten uberhaupt nicht wu?ten, was an der Oberwelt geschehen war. Er blieb stehen.»Still da unten!«brullte er hinab.»Ich sorge dafur, da? euch nichts.»
        Es war hoffnungslos. Schon fa?ten Handen nach den Stufen und nach seinen Beinen, die Masse der gluhenden Augen kam schwankend naher, weil die weiter hinten Stehenden nachdrangten.

«Lassen Sie mich versuchen, Sir«, keuchte Ashton,»ich kann ein bi?chen Spanisch.»
        Bolitho zog ihn die Leiter hinunter und brullte:»Sagen Sie ihnen blo?, sie sollen ruhig sein!»
        Ashton versuchte, sich in dem Getose verstandlich zu machen, und Bolitho rief den beiden Matrosen zu:»Holt noch ein paar Mann her! Schnell, sonst trampeln sie euch zu Mus!»
        Ashton zupfte ihn am Armel.»Sir! Da will Ihnen jemand etwas sagen!»
        Es war ein dicker, angstlicher Mann, dessen kahler Kopf im Laternenlicht wie polierter Marmor schimmerte.»Ich spreche englisch, Captain! Ich werde ihnen sagen, da? sie gehorchen sollen; Sie mussen mich nur aus diesem schrecklichen Loch herausholen!«Vor Angst und Erschopfung weinte er fast, aber er hielt noch irgend etwas krampfhaft fest in der Hand - eine Perucke, wie Bolitho jetzt erkannte.

«Ich hole Sie sofort heraus. Bleiben Sie auf der Leiter und sagen Sie ihnen Bescheid!«Der Unbekannte, der weder jung noch fest auf den Fu?en war, tat ihm plotzlich leid. Aber im Augenblick war er sehr wertvoll, und man durfte ihn keinesfalls aus den Augen verlieren.
        Der Kahlkopf besa? eine bemerkenswert tragende Stimme, wenn er auch ein paarmal absetzen mu?te, um wieder zu Atem zu kommen.
        Die Leute schrien nicht mehr ganz so laut, und auf seine Beschworungen hin lie? der Ansturm auf die Leiter etwas nach.
        Keuchend kam der Steuermannsmaat mit drei Matrosen herbeigeeilt.»Ah, Mr. Grindle, das ging schnell«, rief Bolitho ihnen entgegen.»Jetzt fangen Sie an, die Kinder nach oben zu bringen; wei? der Himmel, wieviel es sind. Und dann die Frauen. «Er brach ab, denn ein vollig verstorter Mann versuchte, an Ashton vorbei die Leiter hinaufzukommen. Er packte ihn am Rock und sagte grob:»Erklaren Sie dem Mann, da? ich ihn uber Bord werfen lasse, wenn er den Befehlen nicht gehorcht!«Etwas ruhiger fuhr er fort:»Bringen Sie alle arbeitsfahigen Manner an Deck zu Mr. Meheux!»
        Zweifelnd wandte Grindle ein:»Das sind doch keine Seeleute, Sir!»

«Ganz egal. Geben Sie ihnen Axte; sie sollen die Wrackteile kappen und alles losgerissene laufende Gut. Sie konnen auch die Geschutze uber Bord werfen, wenn Sie es schaffen, ohne da? die Dinger an Deck herumrollen. «Er hielt inne und horchte auf den Wind, der gegen die Bordwand peitschte, auf das immer starker werdende Stohnen und Krachen der Planken, das von allen Seiten zu kommen schien.
        Grindle nickte.»Aye, Sir. Aber retten werden wir das Schiff damit doch nicht.»

«Tun Sie, was ich sage. «Grindle wollte fort, aber Bolitho hielt ihn zuruck.»Horen Sie, Mr. Grindle, eins mussen Sie kapieren: diese Menschen konnen nicht von Bord, denn es sind keine Boote mehr da, und bei diesem Seegang kann man kein Flo? bauen. Ihre Offiziere sind tot, und jeden Moment kann Panik ausbrechen. «Grindle war ein erfahrener Mann; es gehorte sich, da? man ihm die Zusammenhange erklarte, selbst in diesem kritischen Augenblick.
        Der Steuermannsmaat nickte.»Aye, Sir. Ich tue, was ich kann.»
        Er hob die Stimme:»He, ihr beiden da! Bewacht das Luk, wir gehen jetzt runter und holen die Kinder.»
        Stolpernd kam ein Matrose durch den Gang.»Captain, Sir! Empfehlung von Mr. Meheux, und die Euryalus signalisiert!«Er ri? die Augen auf, als sich Grindle mit zwei schreienden Babys, die er wie ein Bundel Leinwand unterm Arm hatte, durch das Luk quetschte.

«Helft Mr. Grindle!«befahl er scharf. Dann rief er Ashton zu:»Gehen Sie an Deck, sehen Sie nach, was sie will! Aber machen Sie schnell, mein Junge! Ich brauche bestimmt gleich wieder Ihre Spa-nisch-Kenntnisse!»
        Mit jeder Minute schwoll die Flut der stolpernden, keuchenden Gestalten an; ab und zu griff ein Matrose dazwischen und holte einen
        Mann heraus, der sich zwischen den Frauen verbergen wollte.
        Bolitho gewann einen verschwommenen Eindruck von schwarzen Haaren und angstvollen Augen, von Tranenspuren in Gesichtern, von Verzweiflung, die jeden Moment in Panik umschlagen konnte.
        Ashton war wieder da, er drangte und stie? sich durch die Menge, der Hut sa? ihm schief.»Der Admiral wunscht zu wissen, wann Sie zuruckkommen, Sir«, meldete er.
        Bolitho versuchte, sich durch die Angst und den Larm, die ihn von allen Seiten bedrangten, verstandlich zu machen.»Signalisieren Sie zuruck: >Brauche mehr Zeit<. In Kurze ist es stockfinster.»
        Ashton starrte ihn ratlos an.»Es ist ja jetzt schon fast dunkel, Sir.»

«Und der Wind?«Er mu?te nachdenken. Mu?te seine Gedanken von der Masse dieser verschreckten, unwirklichen Gestalten losrei?en.

«Stark, Sir. Mr. Meheux sagt, er wird immer starker.»
        Bolitho wandte sich ab. Es war entschieden. Vielleicht hatte er von Anfang an nicht daran gezweifelt.»Gehen Sie, setzen Sie Ihr Signal ab. Geben Sie noch durch, da? ich versuchen will, das Schiff binnen einer Stunde in Fahrt zu bringen.»
        Ashton war vollig erschlagen. Vielleicht hatte er erwartet, da? Bo-litho befahl, das Schiff zu verlassen. Die Jolle konnte immer noch fahren, wenigstens mit einem Teil des Prisenkommandos.
        Keuchend kam Grindle herbei, das graue Haar gestraubt wie durres Gras.»Wie viele bis jetzt?«rief Bolitho ihn an.
        Er kratzte sich den Kopf.»Ungefahr zwanzig Goren. Und Frauen sind es zirka funfzig. «Grinsend bleckte er seine unregelma?igen Zahne.»Des Seemanns Traum, mocht' man sprechen, Sir.»
        Grindles Humor gab Bolitho die Ruhe wieder. Beinahe hatte er den Midshipman zuruckgerufen, ehe er das Signal setzen konnte. Um in letzter Minute einen Kompromi?vorschlag zu machen, den Broughton mit voller Berechtigung ablehnen wurde, um ihn auf die Euryalus zuruckzubeordern. Aber das kam nicht in Frage. Undenkbar, da? er Meheux hier allein weitermachen lie?, wahrend er sich hinter seinem Rang als Flaggkapitan versteckte.
        Ashton kehrte sehr schnell wieder zuruck. Er war kreidebleich und sichtlich erschuttert.»Signal von der Euryalus, Sir. Wenn Sie sicher sind, die Prise retten zu konnen, sollen Sie sofort bestatigen. «Er schluckte heftig, denn etwas Hartes krachte aufs Oberdeck, und die Matrosen schrien und fluchten laut.

«Dann bestatigen Sie, Mr. Ashton!»

«In diesem Falle«, fuhr der Midshipman fort,»sollen Sie aus eigener Kraft zum Treffpunkt des Geschwaders laufen. Das Flaggschiff setzt Segel.»
        Bolitho versuchte, seine Gefuhle zu verbergen. Zweifellos war es Broughtons allergro?te Sorge, nicht die Kontrolle uber sein Geschwader zu verlieren. Dort lag schlie?lich seine Hauptverantwortung. Wenn er sich von einem kraftigen Sturm erwischen lie?, konnte es ihn Tage kosten, bis er seine Schiffe wiederfand und erfuhr, ob Draffen etwas Nutzliches herausgefunden hatte. Nuchtern uberdachte Bolitho die Folgen seines Entschlusses. Keverne konnte recht gut auf eigene Faust fertig werden, das hatte er bereits bewiesen. Hier dagegen. Lieber nicht weiterdenken. Er schlug Ashton auf die Schulter.»Jetzt ab mit Ihnen!«Ashton rannte los, aber er rief hinter ihm her:»Gehen Sie langsam! Es kann nichts schaden, wenn Sie ruhig wirken, ganz egal, wie Ihnen dabei zumute ist.»
        Der Midshipman wandte sich nach ihm um, rang sich ein Lacheln ab und setzte seinen Weg fort. Im Schritt.
        Alldays Stimme ubertonte den Larm:»Konnen Sie an Deck kommen, Captain?«Er sah ein paar Passagieren nach, die von zwei bewaffneten Matrosen in die entgegengesetzte Richtung gescheucht wurden.»Verflucht noch mal, Captain, das ist ja, als ob die Tore der Holle aufspringen!»

«Was soll ich jetzt tun, Sir?«fragte Grindle.

«Halten Sie die Passagiere ruhig, bis ich Sie ablosen lassen kann. Anschlie?end versuchen Sie, Seekarten aufzutreiben, und dann werden wir besprechen, was als nachstes zu tun ist.»
        Er stieg hinter Allday die Leiter hoch und sagte dann:»Lassen Sie diesen Toten wegschaffen. Das ist kein Anblick fur die Kinder, wenn es morgen hell wird.»
        Allday sah ihn von der Seite an und lachelte grimmig. Erst hatte es so ausgesehen, als mu?ten sie das Schiff aufgeben. Jetzt sprach er von morgen fruh. Vielleicht stand dann alles schon besser.
        Oben an Deck fielen Wind und See Bolitho an wie tollwutige Meeresungeheuer. Es war schon fast kein Licht mehr, nur schmale Streifen von hellerem Grau leuchteten zwischen den schwarzen Wolken. Gerade so viel, da? er die Manner sehen konnte, die uber das zernarbte Deck taumelten, und die leere Stelle, wo der zerschossene Besanmast zwischen dem zerfetzten laufenden Gut gelegen hatte.
        Scharf gab er seine Befehle und sagte dann zu Meheux:»Das ist schon sehr schon fur den Anfang.»
        Meheux hob den Arm und deutete uber die Reling. Bolitho sah hin: die Euryalus war nur noch ein Schatten; ihre Marssegel fullten sich mit Wind und schwebten als bleiche Flecken uber ihr. Jetzt ging sie uber Stag, sekundenlang sah er noch die im Gischt glitzernde Bordwand, die wei?en Karos der geschlossenen Stuckpforten, und stellte sich vor, wie Keverne statt seiner auf dem Achterdeck stand - vielleicht rechnete er sich bereits wieder eine neue Chance aus.

«Wir mussen vorm Wind bleiben, Mr. Meheux. Sowie wir versuchen, gegenanzukreuzen, verlieren wir das Ruder, oder es passiert noch Schlimmeres.»
        Aus der Finsternis stolperte der Steuermannsmaat heran; er hielt eine Karte an die Brust gepre?t.

«Sie wollte nach Port Mahon, Sir. Die meisten Passagiere sind Kaufleute mit ihren Familien, soweit ich verstanden habe.»
        Bolitho runzelte die Stirn. Dann hatte die Navarra, als sie gesichtet wurde, viel weiter sudlich gestanden als notig. Noch ein ungelostes Ratsel.

«Wir wollen versuchen, das Marssegel zu setzen, Mr. Meheux. Stellen Sie zwei gute Manner ans Rad. Mr. Ashton kann Ihre Befehle den spanischen Matrosen ubersetzen.»
        Er schaute noch einmal nach der Euryalus aus, aber von ihr war nichts mehr zu sehen.»Zur Zeit mochte ich lieber die Spanier in die Masten schicken, da behalten wir sie wenigstens im Auge«, sagte er.
        Meheux verzog das Gesicht.»Wird ihnen wenig Spa? machen, bei diesem Wind aufzuentern, Sir.»

«Sagen Sie ihnen, wenn sie sich weigern, dann gibt es fur sie nur einen Ort - etwa tausend Faden senkrecht abwarts!»
        Ein Matrose kam herbeigelaufen und rief:»Unten im Logis sind etwa funfzig Verwundete, Sir! Alles voll Blut - ein scheu?licher Anblick!»
        Bolitho sah den schattenhaften Gestalten nach, die vorsichtig in den Wanten hochkletterten, angetrieben von Meheux' Befehlen in improvisiertem Spanisch und wutenden Armbewegungen.

«Geht hinunter und sagt Mr. McEven, er soll feststellen, ob ein Arzt unter den Passagieren ist. Wenn ja, soll er an Deck kommen«, befahl er dem Matrosen.
        Wieder rief Meheux ihn an:»Am Gro?mast sind eine ganze Menge Stage gebrochen, Sir! Der konnte runterkommen, sobald wir Segel setzen!»
        Bolitho erschauerte - erst jetzt merkte er, da? er bis auf die Haut durchgeweicht war.»Be mannen Sie die Brassen, Mr. Meheux. Stellen Sie ein paar von den Passagieren dazu an. Ich brauche jeden verdammten Muskel, den Sie nur auf treiben konnen!«Und zu Grindle schrie er hinuber:»Klar bei Ruder!«Seine Stimme ging im Geheul des Windes und dem Spruhwasservorhang an der Luvseite fast unter, als wollten die Seegespenster sie uber Bord und in die Tiefe ziehen. Er blickte sich nach einer Sprechtrompete um, sah aber nur die Gesichter der Manner am Ruder wie Wachsmasken im Licht der Kompa?lampe glanzen. War es richtig, was er tat? Der Sturm konnte in der nachsten Minute vorbei sein, dann ware er besser unter gerefftem Gro?marssegel liegen geblieben. Aber wenn der Sturm nicht so schnell abflaute, wie er gekommen war, mu?te er ihn abreiten. Das war die einzige Chance. Selbst dann konnte das Ruder wegbrechen oder die Pumpen das standig einstromende Wasser nicht mehr schaffen. Und vor Tageslicht war es unmoglich, den ganzen Schaden, das Ausma? der Havarie, festzustellen.

«Fertig, Sir!«schrie Meheux heiser.
        Bolitho fiel Broughtons Kommentar wieder ein.»Na schon!«hatte er gesagt. Lieber Gott, wie lange schien das her zu sein! Und dabei wehte ihre Flagge erst seit gut drei Stunden uber der Navarra.
        Am Vorschiff horte er den Kluver wutend knattern und die Blocke ungeduldig rasseln. Er mu?te an die Manner auf den Rahen denken - hilflos wie Mause auf Treibholz.

«Vormarssegel setzen!«Schon rannte Meheux nach vorn, um seine Befehle zu geben. Ruder legen, Mr. Grindle!«Heftig schwenkte er den Arm.»Sachte! Vorsicht mit den neuen Ruderzugen!»
        Vom Vorschiff kam durch die Finsternis plotzlich das Knattern sich fullender Segel, dazu undeutliches Rufen hoch oben vom Mast.

«An die Leebrassen!«Er rutschte auf dem unbekannten Deck aus, spahte aber angestrengt nach vorn.»Gro?marssegel setzen!»
        Erregt schrie Grindle:»Sie reagiert, Sir!»
        Rollend, gegen den Druck von Ruder und Segeln ankampfend, glitt die Navarra wie betrunken in eine steile See; immer mehr gaben die
        Rahen dem stetigen Druck nach.»Hart Backbord, Mr. Grindle!«Bo-litho rannte wieder zur Schanz und beobachtete gespannt das im Dunkel undeutlich schimmernde Gro?marssegel, unter dessen Druck das Schiff sich drehte.
        Weiter drehte sich das Rad, und Bolitho brullte den unsichtbaren Mannern seine Befehle zu, bis seine Kehle wund wie rohes Fleisch war.
        Aber die Navarra gehorchte: langsam, schmerzhaft, die Segel grollend wie lebendige Ungeheuer, wahrend der einsame Kluver wie ein bleicher Halbmond durch das schwarze Gewirr der Fallen und Wanten leuchtete.
        Bolitho wischte sich Gischt aus den Augen und rannte zur Luvseite. Schon hatte sich der Winkel des Seegangs verandert, und die wutend brechenden Wellenkamme kamen jetzt direkt von Steuerbord. Uberall stohnten Holz und Hanf, klapperte gebrochenes Geschirr; er wartete nur darauf, da? irgend etwas mit rei?endem Ton von oben kam, als Signal seiner Niederlage.
        Aber nichts geschah, und die Manner am Rad behielten das Ruder unter Kontrolle. Wer die Navarra auch konstruiert hat, der Mann verstand sein Handwerk, dachte Bolitho halb im Traum.

«Wir steuern genau Ost, Mr. Grindle!«Er mu?te es zweimal rufen, damit sie ihn horten. Oder vielleicht waren sie wie er selbst nur zu zerschlagen vom tobenden Wetter, um noch vernunftig zu denken, etwas verstehen zu konnen.

«Klar bei Brassen!«Im Dunkel war es, als schreie er uber ein leeres Deck. Ein Geisterschiff, auf dem er ganz allein war - hoffnungslos.»Schoten los und hol dicht!«War es die Dunkelheit, war es die Anstrengung - anscheinend konnte er nicht richtig sehen; er mu?te die Sekunden zahlen, um das Rundkommen der Rahen abzuschatzen; seinen tranenden Augen konnte er nicht mehr trauen.
        Meheux kam nach achtern gestolpert, schwankend wie ein Betrunkener. Er rutschte aus und fiel lasterlich fluchend uber den toten spanischen Kapitan, der noch immer am Fu? der Leiter lag.

«Wir mussen noch ein Reff einstecken, Sir. «Er hielt inne, anscheinend verblufft, da? er noch lebte.»Am besten schicken wir die Dons gleich nach oben. Spater kriegen wir sie bestimmt nicht mehr rauf, ganz gleich, was wir ihnen androhen!»
        Bolitho grinste mit schmerzenden, aufgesprungenen Lippen. Unsicherheit und Angst waren weg, als ginge es in eine Schlacht. Eine ganz eigene Art von Irrsinn, kaum weniger verzehrend als echter Wahnsinn. Spater, wenn sie vorbei war, hinterlie? sie eine Leere, man war so vollig verbraucht wie ein Fuchs am Ende der Hetzjagd.

«Na dann los!«brullte er.»Alles festmachen und belegen!«Starr stand noch immer das Grinsen auf seinem Gesicht.»Und betet, da? der Kasten halt!»
        Auch den Leutnant schien die gleiche Wildheit erfa?t zu haben. Sein Nordengland-Akzent war starker als sonst.»Beten tu' ich schon, seit ich auf diesem Wrack bin, Sir!«Laut lachte er durch die Gischt.»Und 'n klein bi?chen hat's ja auch geholfen!»
        Schwankend ging Bolitho zum Ruder.»Wir reffen, Mr. Grindle. Aber sobald Sie das Gefuhl haben, da? sie anluvt, sagen Sie Bescheid. Eine Wende kann ich nicht riskieren.»
        Der Unteroffizier tauchte neben ihm auf.»Kein Arzt, Sir. Und achtern sind an Steuerbord ein paar bose Risse.»

«Sagen Sie Mr. Meheux, er soll seine Dons unter Deck schicken, sobald sie in den Rahen fertig sind. Ich brauche jede Putz, alles, was Wasser halt. Wir mussen Ketten bilden, um die Pumpen zu entlasten. Und damit die Putz fur die nachste Zeit was zu tun haben.»
        Der Mann zogerte.»Ein paar von den Frauen wollen nach vorn gehen und sich um die Verwundeten kummern, Sir.»

«Gut. Geben Sie ihnen Bedeckung mit, McEwen. Und«, schlo? er laut und bestimmt, sorgen Sie dafur, da? ihnen sonst nichts passiert - verstanden?»

«Aye, Sir«, grinste McEwen.

«Da mu? einer schon machtig was zu bieten haben, wenn er mit diesen Weibern fertig werden will, bei Gott«, murmelte Grindle.
        Jetzt erschien Ashton wieder.»Konnen Sie mitkommen, Sir? Ich glaube, unten mu? was abgestutzt werden. Ich hab's versucht, aber ich - ich schaffe es nicht…«Die Stimme versagte ihm.
        Und so ging es die ganze Nacht weiter. Schlie?lich konnte Bolitho die Stunden nicht mehr voneinander unterscheiden, denn eine Krise folgte der anderen. Gesichter und Stimmen verschwammen, und selbst Allday war au?erstande, den dauernden Strom von Hilferufen und Anweisungen zu stoppen. Verzweifelt pflugte die Navarra durch die sturmenden Wogen.
        Aber irgendwie ging es, wenn auch die Manner an den Pumpen so erschopft waren, da? ihre Ablosung sie wegzerren mu?te. Immer weiter ging der Kampf gegen das gierig einstromende Wasser. Ohne Stocken lief die Eimerkette, bis die vollig erschopften Manner wie tot umfielen, unempfindlich gegen das uber ihre zerschundenen Leiber stromende Wasser oder die Fluche und Fu?tritte der britischen Matrosen. Die Ruderzuge dehnten sich, das Steuern wurde schwieriger. Aber die Segel rissen trotz des furchtbaren Winddrucks nicht von den Rahen.
        Beim ersten Anzeichen der Morgendammerung flaute der Wind ab, fast schuldbewu?t wie ein Rauber, dessen Uberfall abgeschlagen worden war. Der Seegang beruhigte sich, das angeschlagene Schiff gehorchte seinen neuen Herren besser und machte ruhigere Fahrt.
        Bolitho blieb die ganze Zeit auf dem Achterdeck, und beim ersten Licht des neuen Tages suchte er sorgfaltig die Kimm ab - doch er sah nur, da? sie das Meer fur sich allein hatten.
        Er rieb sich die wunden Augen und blickte zu seinen wie tot unter der Reling liegenden Mannern hinuber. Meheux schlief im Stehen; mit dem Rucken lehnte er am Vormast wie festgebunden.
        Noch eine Sekunde, und er selbst konnte nicht mehr weiter. Wurde einschlafen, vollig erschopft. Er vermochte nicht einmal Befriedigung zu empfinden oder Stolz uber das, was er erreicht hatte. Nur den alles verzehrenden Wunsch nach Schlaf.
        Er schuttelte sich und rief:»Mr. McEwen zu mir!«Die Stimme versagte ihm, sie klang wie das Krachzen eines argerlichen Seevogels.

«Holen Sie alle Leute zusammen, Mr. Grindle, wir wollen sehen, was wir zur Verfugung haben.»
        Am Vorschiff tauchten zwei Frauen auf und starrten um sich. Die eine hatte Blut an der Schurze; als er zu ihr hinsah, hob sie die Hand zum Gru?. Bolitho versuchte zu lacheln, doch es wurde nichts daraus. Aber er winkte zuruck, obwohl sein Arm schwer wie Blei war.
        Es gab so viel zu tun. In ein paar Sekunden gingen die Fragen und Forderungen wieder los.
        Er holte tief Atem und stutzte die Hande auf die Reling. Eine Kugel hatte ein Stuck herausgerissen. Er starrte immer noch auf die Lucke, als Allday zu ihm trat und sagte:»Ich habe unter der Kampanje eine Hangematte fur Sie angeschlagen, Captain. «Er hielt inne und wartete auf Widerspruch, aber er merkte, da? Bolitho kaum noch die Kraft dazu hatte, und so fuhr er fort:»Ich rufe Mr. Meheux, damit er die Wache ubernimmt.»
        Dann wu?te Bolitho nur noch, da? er in einer schmalen Hangematte lag und ihm jemand die vollgesogenen Schuhe und den zerrissenen Rock auszog. Und damit kam auch schon der Schlaf: wie ein schwarzer Vorhang, in Sekundenschnelle und abgrundtief.



        IX Ein neuer Feind

        Bolitho sa? an einem behelfsma?ig zusammengezimmerten Tisch in der kleinen Heckkajute der Navarra und starrte trubsinnig auf eine Seekarte nieder. Er hatte drei Stunden wie tot geschlafen, bis irgendein Instinkt, fur den er mit Augen und Ohren nach einer Erklarung suchte, ihn hochgejagt hatte.
        Wahrend dieser drei Stunden hatte sich der Sturm vollig gelegt, nichts war mehr von seiner fruheren Wut zu spuren; und als er an Deck geeilt war, hatten die Segel leblos gehangen. Leise atmete die See in der totalen Flaute.
        Wahrend Meheux weiter dem trubseligen Geschaft der Totenbestattung oblag, zahlte Grindle unter vielen Schwierigkeiten die Passagiere und die spanische Mannschaft und teilte Lebensmittel aus. Bolitho durchsuchte inzwischen langsam und methodisch die Kajute des toten Kapitans.
        Er blickte hoch und sah sich in dem kleinen Raum um. Hier hatte noch vor kurzem ein Mann wie er selbst Plane gemacht, geruht und gehofft. Durch einen gro?en Ri? in der Bordwand konnte er das glanzend blaue Meer sehen, das gegen den Schiffsrumpf schlug, als wolle es ihn verspotten. Von den Heckfenstern her spurte er, wie es hei?er wurde, denn die Breitseite der Euryalus hatte jede Scheibe Glas zerschmettert. Au?erdem hatte sie aus der Kajute eine wuste schwarze Ruine gemacht. Es mu?te heftig gebrannt haben, denn als er nach den Schiffspapieren suchte, fand er nur schwarze, durchna?te Asche. Nichts, was ihm Auskunft gab, nicht einmal einen Sextanten, um die ungefahre Position festzustellen. Der nachtliche Sturm konnte sie viele Meilen weit nach Osten abgetrieben haben. Das nachste Land mochte drei?ig, vierzig Meilen entfernt liegen; er wu?te nicht einmal, ob es Spanien oder Nordafrika war.
        Meheux kam herein. Seine Schuhsohlen knirschten auf den Glasscherben. Wie alle vom Prisenkommando sah er todmude und uberanstrengt aus.

«Wir kochen endlich so etwas wie ein Mittagessen, Sir. «Er deutete auf die Karte. Besteht Aussicht, da? Sie feststellen, wo wir sind?»

«Nein. «Es hatte keinen Sinn, dem Leutnant etwas vorzumachen. Wenn ihm selbst etwas zustie?, mu?te Meheux das Schiff in Sicherheit zu bringen versuchen.»Diese Flaute nutzt uns nicht gerade. «Er blickte Meheux ernst ins Gesicht.»Wie kommen Sie mit den Passagieren zurecht?»
        Meheux zuckte die Achseln.»Sie krakeelen durcheinander wie die Mowen. Ich glaube, die begreifen gar nicht, was mit ihnen passiert.»
        Ich auch nicht, dachte Bolitho. Laut sagte er:»Wenn unsere Leute gegessen haben, mussen sie weiter unter Deck arbeiten. Wir nehmen immer noch machtig Wasser ein. Sorgen Sie also dafur, da? die Pumpen ordentlich gewartet werden.»
        In dem halb eingebrochenen Turrahmen erschien Allday.»Entschuldigung, Captain«, sagte er stirnrunzelnd,»einer von den Dons wunscht Sie zu sprechen. Aber wenn Sie wollen, schmei?e ich ihn raus, damit Sie in Ruhe essen konnen.»
        Meheux nickte.»Tut mir leid, das habe ich ganz vergessen. Der kleine dicke Spanier, der Ashton dolmetschen geholfen hat, bat mich vorhin darum. Aber ich habe so viel im Kopf..»
        Bolitho lachelte.»Wird nicht besonders wichtig sein, aber schicken Sie ihn ruhig herein, Allday. «Und zu Meheux:»Ich brauche jede Information so dringend, da? ich nehmen mu?, was ich kriegen kann.»
        Nervos, den Kopf unter dem Decksbalken gebeugt, obwohl er noch gut zwei Fu? Raum hatte, trat der Spanier ein. Er trug seine Perucke, aber damit wirkte er zu Bolithos Uberraschung eher alter als junger.
        Bolitho hatte schon herausbekommen, da? sein Name Luis Pareja war und da? er nach Port Mahon wollte, wo er anscheinend seine Tage zu beschlie?en gedachte.

«Nun, Senor, was kann ich fur Sie tun?»
        Pareja blickte auf die zerschossenen, angesengten Wande und sagte dann schuchtern: Ihr Schiff hat furchtbaren Schaden angerichtet, Captain.»
        Grob fuhr Meheux dazwischen:»Wenn wir euch 'ne volle Breitseite verpa?t hatten, wurden Sie und alle anderen jetzt auf dem Meeresgrund schlafen - also benehmen Sie sich gefalligst!»
        Pareja zuckte zusammen.»Ich wollte ja nicht sagen, da? Sie. «Er trat nervos hin und her und setzte neu an:»Viele von uns machen sich gro?e Sorgen. Sie wissen nicht, was wird und ob sie jemals ihre Heimat wiedersehen werden.»
        Bolitho musterte ihn nachdenklich.»Das Schiff ist jetzt eine britische Prise. Sie mussen verstehen, da? ich unter diesen Umstanden unmoglich wissen kann, wie es weitergeht. Aber es ist reichlich zu essen an Bord, und ich nehme an, da? wir bald wieder zu unserem Schiff sto?en werden. «Er glaubte, Zweifel in des Mannes Augen zu sehen, und wiederholte bestimmt:»Sehr bald sogar!»

«Ich werde es ihnen ausrichten. «Aber es klang unsicherer denn je.»Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, dann sagen Sie es bitte, Cap-tain. Sie haben uns das Leben gerettet, indem Sie auf dem Schiff geblieben sind, das wei? ich jetzt. Wenn nicht, waren wir bestimmt alle ertrunken.»

«Sagen Sie, Senor Pareja«, fing Bolitho an, hielt jedoch inne und schlo? die Lider halb. Wenn er zu vertraulich wurde, hielt Pareja das vielleicht fur Unsicherheit. Daher fuhr er moglichst beilaufig fort:»Wissen Sie irgendeinen Grund, warum Ihr Kapitan so weit nach Suden abgekommen ist?»
        Pareja schob die Lippen vor.»Da kursierte so ein Gerucht. Aber in der Hast der Abreise habe ich nicht darauf geachtet. Ich mu?te meine Frau aus Spanien wegschaffen. Seit der Allianz mit Frankreich sind die Verhaltnisse bei uns sehr schlecht. Ich wollte mit ihr nach Menor-ca, auf mein Gut. Es ist nicht gro?, aber.


«Erzahlen Sie uns von diesem Gerucht«, forderte Meheux ihn auf.

«Langsam, Mr. Meheux!«Bolitho warf ihm einen warnenden Blick zu.»Er hat doch auch seine Sorgen, oder?»
        Dann wandte er sich wieder dem Spanier zu und fragte leichthin:»Sie wollten etwas sagen, Senor?»

«Ich horte, wie ein Offizier - leider ist er jetzt tot - sagte, da? sie mit irgendeinem Schiff zusammentreffen wollten. Einer der Passagiere wollte umsteigen. Irgend etwas in der Art war es.»
        Bolitho suchte sein plotzliches Interesse zu verbergen.»Sie sprechen gut englisch. Das ist eine gro?e Hilfe.»
        Pareja lachelte bescheiden.»Es ist die Muttersprache meiner Frau. Und ich habe geschaftlich viel mit London zu tun gehabt. In glucklicheren Tagen.»
        Bolitho zwang sich, ganz still zu sitzen; er spurte Meheux' Ungeduld und die tragen Bewegungen des Schiffes. Ruhig fragte er weiter:»Erinnern Sie sich, wo dieses Zusammentreffen stattfinden sollte?»

«Ich glaube nicht. «Pareja hob den Kopf und schob ihn vor, so da? er wie ein dicker kleiner Junge aussah, der sich mit einer alten Peruk-ke verkleidet hatte.
        Vorsichtig schob Bolitho ihm die Karte hin.»Schauen Sie mal hier. Kennen Sie die Namen an dieser Kuste?«Gespannt sah er zu, wie Parejas Augen verstandnislos uber die zerfledderte Karte glitten.

«Nein.»
        Meheux wandte sich ab und bi? sich auf die Lippe.»Hol ihn der Teufel«, murmelte er.
        Bolitho drehte sich in seinem Stuhl, um die Enttauschung zu verbergen.»Wenn Sie sich noch an irgend etwas erinnern, Senor Pareja, dann seien Sie so gut und sagen Sie es einem meiner Leute.»
        Pareja verbeugte sich gravitatisch und machte Miene zu gehen, blieb jedoch stehen und hob, Stille gebietend, die Hand. Aufgeregt sagte er:»Aber der Offizier hat noch etwas gesagt. «Wieder das unsichere Stirnrunzeln.»Da? - da? es ihm komisch vorkommt, wieder mit einem Franzosen zu tun zu haben. «Er blickte Blitho verlegen an und schlo?:»Aber das ist alles. Es tut mir wirklich leid.»

«Mr. Meheux, sind Franzosen an Bord?«fragte Bolitho gespannt.
        Ehe der Leutnant antworten konnte, sagte Pareja rasch:»Aber ja. Da ist ein Mann, Witrand hei?t er, der kam in Malaga so spat an Bord, da? er keine Kabine mehr bekam. «Er sah ganz aufgeregt aus.»Und trotzdem durfte er die Kapitanskajute mitbenutzen. Sehr merkwurdig!»
        Langsam stand Bolitho auf. Er traute sich kaum, etwas zu hoffen. Und doch bestand nun eine Chance. Jemand, der mit in der Kapitanskajute wohnte, konnte durchaus ein so wichtiger Mann sein, da? seinetwegen etwas so Ungewohnliches wie das Umsteigen auf hoher See arrangiert wurde. Fur die anderen Passagiere hatte das nur bedeutet, da? die Reise eben ein paar Tage langer dauerte; politische Macht war, ebenso wie Reichtum, ein schlagendes Argument. Dieser Wi-trand konnte ein Schmuggler sein oder auch ein hochgeborener Verbrecher auf der Flucht. Ein Verrater oder ein Kaufmann, der die Konkurrenz uberlisten wollte. Aber vielleicht wu?te er etwas, das einiges
        Licht auf die Vorgange in diesen Gewassern warf.
        Plotzlich horte man drau?en auf dem Gang heftige Bewegung und Alldays argerliche Stimme:»Nein! Hier konnen Sie nicht rein!«Und dann, in gebrochenem Spanisch: «Esto verdammt no bene, Senora!»
        Aber die Tur wurde fast aus ihren zerbrochenen Angeln gerissen, eine Frau kam mit blitzenden Augen in die Kajute gesturmt und rief:»Ah! Hier steckst du also, Luis! Alle wollen wissen, was mit ihnen wird, und du stehst hier und klatschst wie ein Fischweib!»
        Uberrascht blickte Bolitho sie an. Sie war gro? und schlank und hatte langes Haar, so schwarz wie sein eigenes, und trug ein offenbar teures blaues Kleid, das aber voller Salzwasserstreifen war und um die Taille einige dunklere Flecken hatte - wohl Blut.
        Verwirrt sagte Pareja:»Das ist meine Frau, Captain. Sie stammt aus England wie Sie.»
        Bolitho schob ihr den einzigen noch vorhandenen Stuhl hin.»Bitte nehmen Sie Platz, Senora.»
        Sie war fast einen Kopf gro?er als ihr Mann und schatzungsweise zwanzig Jahre junger. Das eher aparte als schone Gesicht war von den sehr dunklen Augen beherrscht und von einem Mund, der jetzt, zu einer schmalen Linie zusammengepre?t, eiserne Entschlossenheit und Zorn ausdruckte.

«Ich bleibe nicht!«Zum erstenmal sah sie ihn an.»Alle reden davon, wie wichtig mein Mann auf einmal fur Sie ist. Ich bin nur gekommen, damit er sich nicht zum Narren macht!»

«Aber mein Taubchen!»
        Sie fuhr herum, und Pareja trat erschrocken zuruck.»Ich bin nicht dein Taubchen! Du hast mir versprochen, mich aus diesem Krieg und aus der Angst vor diesem Krieg herauszubringen. Und kaum sind wir auf See, was passiert?«Verachtungsvoll zeigte sie mit dem Finger auf Bolitho.»Der da kapert unser Schiff und bringt uns dabei fast ums Leben!»
        Meheux fuhr dazwischen.»Halten Sie gefalligst den Mund, Madam! Captain Bolitho ist ein Offizier des Konigs, und Sie tun gut daran, das nicht zu vergessen!»

«Oh, Captain!«Sie machte einen spottischen Knicks.»Welche Ehre, in der Tat!»
        Allday machte Miene, sie von hinten zu fassen, aber Bolitho schuttelte den Kopf. Tut mir leid, da? Sie Unbequemlichkeiten haben,
        Senora Pareja. Ich will mein moglichstes tun, Sie alle nach Malaga zuruckzuschaffen, so schnell es irgend geht.»
        Sie bi? sich auf die Lippen; er sah, da? ihr geschmeidiger Leib vor Wut bebte.

«Sie wissen ganz genau, da? das unwahrscheinlich ist, Captain. Vermutlich werden wir von einem Schiff zum anderen geschoben, mussen von Ihren Matrosen Unwurdiges erdulden und stranden schlie?lich in irgendeinem Hafen. Ich habe ahnliches schon gehort, das konnen Sie mir glauben!»
        Ihre Stimme war wie ihr Korper recht kraftvoll, und sie sah aus, als konne sie sich ganz gut verteidigen. Jedoch wie sie da in der ausgebrannten Kajute stand, mit den Flecken auf dem Kleid, die der Sturm und die Pflege der Verwundeten verursacht hatten, horte Bolitho aus ihrer Stimme noch etwas anderes heraus. Zorn ja - aber keine Angst. Eher Enttauschung als Verzweiflung uber ihre mi?liche Lage.

«Ich werde veranlassen«, erwiderte er,»da? Sie und Ihr Gatte eine andere Kabine bekommen. Ihre eigene ist, wie ich hore, zerstort worden?»

«Ja. Und alle meine Koffer hin. «Zornig blitzte sie ihren Mann an.»Aber seine sind naturlich noch da!»

«Aber meine Taube!«Pareja fiel beinahe vor ihr auf die Knie.»Ich werde dich beschutzen!»
        Verwundert und unangenehm beruhrt, wandte Bolitho den Kopf ab und sagte zu Meheux: Lassen Sie die beiden jetzt…«Er brach ab, denn drau?en erklang ein Schreckensruf und dann ein Schu?. Er ergriff seinen Degen, stie? Pareja beiseite und sturzte hinaus, Meheux und Allday hinter ihm her.
        Die Sonne schien so blendend, da? er in den ersten Sekunden nichts Besonderes erkennen konnte. Am Hauptluk standen noch einige Passagiere und warteten auf Verpflegung. Andere starrten angstvoll erschrocken zum Vorderkastell, wo zwei Manner hinter einer Drehbasse standen, die auf das Achterdeck gerichtet war. Neben dem Geschutz lag leise stohnend einer von Meheux' Matrosen, dem das Blut aus einer Schulterwunde flo?, wo ihn anscheinend eine Pistolenkugel getroffen hatte.

«Das ist ja der Mann!«rief Pareja erschrocken.»Witrand!»
        Bolitho ruhrte sich nicht. Ein Zug an der Rei?leine, und eine Ladung Schrapnell wurde das ganze Deck leerfegen. Sie mu?te nicht nur ihn, sondern auch die meisten Dazwischenstehenden niedermetzeln.

«Bleibt weg von dem Geschutz!«brullte er.»Ihr konnt nichts machen!»

«Es ware auch wirklich blanker Unsinn, capitaine!»
        Die Stimme des Mannes war sanft, aber uberraschend laut.»Einige Ihrer Leute hatten das - eh bien - Mi?geschick - «, und dabei lachelte er»- ein Fa?chen exzellenten Brandy zu entdecken. Sie konnen Ihnen, furchte ich, wenig helfen. «Die Mundung schwenkte etwas herum.»Werfen Sie Ihre Waffen weg. Die spanischen Matrosen werden ihren Dienst wieder aufnehmen. Zweifellos konnen sogar sie das Schiff segeln, wenn sie mussen. «Jetzt lachelte er ganz breit; sehr wei? leuchteten seine Zahne in dem tief gebraunten Gesicht.»Ihr eigenes Schiff ist weg. Es ware sinnlos fur Sie, sich oder andere zu opfern, nur Ihres Stolzes wegen.»
        Krampfhaft versuchte Bolitho, das Problem zu durchdenken, dem er da gegenuberstand. Selbst wenn er mit denen, die noch nuchtern waren, die Kampanje halten konnte, waren sie doch nicht imstande, das Schiff zu fuhren. Witrands Drehbasse machte ihn zum Herrn des Oberdecks, auch des Proviants und Trinkwassers. Es mochten keine spanischen Offiziere mehr am Leben sein, aber Witrand hatte recht: die Mannschaft konnte allein die Segel bedienen, und fruher oder spater wurde ein feindliches Schiff auftauchen und wissen wollen, was mit der Navarra los war.
        Allday flusterte:»Wenn wir wieder in die Kajute kommen, konnen wir sie uns mit Musketen vom Leibe halten, Captain.»

«Ich warte, capitaine«, erscholl die Stimme wieder.»Werfen Sie die Waffen weg - sofort!»

«Ob er wirklich feuert?«fragte Meheux.»Er konnte die Halfte der Frauen und Kinder damit umbringen.»
        Langsam schnallte Bolitho den Degen ab.»Wir nutzen niemandem, wenn wir tot sind. Tut, was er sagt!»
        Wie ein tiefer Seufzer kam es von den reglosen Passagieren, als Bo-litho und seine Gefahrten ihre Waffen an Deck niederlegten. Zwei Spanier kamen mit gezogenen Pistolen uber den Decksgang herbeigerannt, stiegen die Kampanjeleiter herauf und postierten sich so dicht hinter Bolitho, da? sie unmoglich fehlschie?en konnten. Witrand ubergab die Rei?leine seinem zweiten Mann und schritt langsam den Decksgang entlang. Auf dem Achterdeck angekommen, machte er eine kurze Verbeugung.

«Paul Witrand, zu Ihren Diensten, capitaine.»
        Er war mittelgro?, hatte eckige Kinnbacken und wirkte soldatisch. Etwas Tollkuhnes ging von ihm aus, und er ware Bolitho bestimmt aufgefallen, wenn ihn Parejas Frau nicht so lange aufgehalten hatte. Vielleicht war sie sogar blo? deswegen gekommen.
        Kalt erwiderte er:»Ich habe mich ergeben, um Menschenleben zu retten. Aber fruher oder spater werden wir wieder mit meinem Schiff zusammentreffen. Und dann wird es Ihnen nichts helfen, wenn Sie uns als Geisel benutzen.»

«Nur ein einzelnes Schiff, capitaine! Interessant. Was mag es wohl in Gewassern, die Frankreich beherrscht, fur eine Mission haben?«Er schuttelte den Kopf.» Sie sind ein tapferer Offizier - meine Hochachtung! Aber Sie mussen diese Wendung der Dinge akzeptieren, so wie ich akzeptieren mu?te, da? Sie so unvermutet an Bord kamen. Es ware besser fur uns beide gewesen, wenn wir uns nie getroffen hatten. Aber Krieg ist Krieg«, schlo? er mit sehr ausdrucksvollem Achselzucken. Ein paar Sekunden lang musterte er Bolitho; in dem grellen Sonnenlicht waren seine Augen beinahe gelb.»Zweifellos werden Sie sich weigern, dieses Schiff fur mich zu segeln. Aber«, fuhr er lachelnd fort,»Sie werden mir Ihr Wort als Offizier geben, da? Sie nicht versuchen, es zuruckzuerobern. «Er nahm Bolithos Degen auf.»Dann konnen Sie den hier behalten - als Zeichen meines Vertrauens, eh?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»So etwas kann ich nicht versprechen.»

«Ich auch nicht«, sagte Meheux mit dumpfer Stimme.

«Loyalitat?«Er schien durchaus darauf gefa?t zu sein.»Dann werden Sie unter Deck geschafft und in Eisen gelegt. Das tut mir naturlich leid, aber ich habe viel zu tun. Au?er mir sind noch drei Franzosen an Bord. Die anderen - «, er zuckte verachtlich die Schultern,»- spanisches Gesindel. Ich werde alle Muhe haben, sie von den Frauen fernzuhalten, glaube ich. «Er winkte den bewaffneten Matrosen.»Ihr Schiff ist in Frankreich gebaut, ja?»

«Die ehemalige Tornade.«Bolitho gab sich Muhe, moglichst gleichmutig zu sprechen, und doch barst ihm fast das Hirn bei dem Versuch, einen Plan auszudenken - mochte er auch noch so schwach sein - , mit dem er das Schiff wieder in seine Gewalt bekommen konnte. Witrand ri? seine gelben Augen weit auf.»Die Tornade? Admiral Lequillers Flaggschiff?«Er schlug sich mit der offenen Hand vor die
        Stirn.»Wie dumm von mir, da? ich nicht gleich darauf gekommen bin! Sie mit Ihrem unaussprechlichen Namen! Der Mann, der nur mit einem Vierundsiebziger die Tornade genommen hat!«Mit plotzlichem Ernst nickte er.»Sie werden selbst eine feine Prise abgeben, wenn oder falls wir Frankreich jemals wiedersehen.»
        Die Matrosen stie?en ihnen die Pistolenlaufe in den Rucken, und Witrand sagte scharf:»Gehen Sie mit!«Er sah Allday an, dessen Fauste sich in ohnmachtiger Wut schlossen und offneten, und in dessen Gesicht immer noch der Schrecken uber diese Wendung geschrieben stand.»Ist das einer von Ihren Offizieren?»
        Bolitho sah Allday an. Das war ein Moment, in dem das Leben zu Ende gehen konnte. Und wenn sie jetzt getrennt wurden, konnte es sein, da? er Allday nie wiedersah.
        Ruhig erwiderte er:»Er ist ein Freund, m'sieur.»
        Witrand seufzte melancholisch.»Und das ist etwas Rares. Er mag bei Ihnen bleiben. Aber irgendein Trick - und Sie sterben!«Er warf Pareja einen schneidenden Blick zu.»Da gibt es, wie bei Verratern, nur eine Losung!»
        Bolitho wandte sich zur Kampanjeleiter. Dabei schweifte sein Blick uber die in der Nahe stehenden Passagiere. An der Kampanje stand Parejas Frau. Unbeweglich stand sie da, nur ihre heftig atmende Brust verriet Erregung. Er horte ein knarrendes Gerausch, und als er den Kopf wandte, sah er die britische Flagge bereits am Gro?mast hinuntergleiten.
        Das war, wie der Verlust seines Degens, ein Symbol fur die Vollstandigkeit seiner Niederlage.
        Bolitho lehnte sich gegen ein machtiges Fa? Salzfleisch und horchte, wahrend sich seine Gefahrten ganz still verhielten, auf die gedampften Gerausche jenseits der Tur. Der Raum, in dem sie gefangengehalten wurden, war vollig dunkel; nur in der Tur befand sich ein kleines kreisrundes Guckloch, das vom schwachen Schein einer Laterne erhellt war. Gott sei Dank - so konnten sie wenigstens sein verzweifeltes Gesicht nicht sehen. Er horte die Kette klirren und spurte einen leisen Ruck an der Fu?fessel. Meheux oder einer der anderen hatte sich bewegt. Neben ihm, ebenfalls mit dem Rucken an das Fa? gelehnt, sa? Allday; an der entgegengesetzten Wand des kleinen Stauraums waren Grindle und Ashton aneinandergekettet und jeder mit seinen eigenen Gedanken beschaftigt.
        Unmoglich zu sagen, was an Bord vor sich ging. Die Pumpen arbeiteten noch, aber gelegentlich hatte er auch andere Gerausche gehort: Rufe, Fluche, das Schluchzen und Schreien einer Frau. Einmal einen Pistolenschu? - vermutlich hatte Witrand Schwierigkeiten mit der spanischen Mannschaft. Nach der todbringenden Kanonade der Eu-ryalus, dem Sturm, der demutigenden Wegnahme des Schiffes konnte sich Bolitho leicht vorstellen, was sich unter Deck fur Szenen abspielten. Ohne die Offiziere, an die sie gewohnt waren, ohne erkennbares Ziel mochte die Disziplin bald zum Teufel gegangen sein und trunkenes Chaos herrschen.
        Der Wind hatte nicht wieder aufgefrischt. Das merkte er an den tragen Bewegungen des Schiffes, an dem nutzlosen Klappern des losen Geschirrs.
        Wutend sagte Meheux:»Wenn ich diese Saufbolde jemals in die Finger bekomme, dann lasse ich sie in Fetzen peitschen, die unnutzen Lausekerle!»

«Das mit dem Brandy«, erwiderte Bolitho,»war eine sehr schlaue List Witrands. Ich hatte eine grundlichere Durchsuchung veranstalten mussen«, schlo? er bitter.
        Bekummert sagte Grindle:»Sie hatten zu viel zu tun, um denen das Leben zu retten, Sir. Hat keinen Sinn, da? Sie sich Vorwurfe machen.»

«Ganz meine Meinung«, warf Allday bose ein.»Man hatte sie alle verrecken lassen sollen.»

«Fuhlen Sie sich besser, Mr. Ashton?«rief Bolitho hinuber. Er machte sich Sorgen um den Midshipman. Als man sie in den Stauraum zerrte, hatte er den blutigen Verband um seinen Kopf gesehen und sein totenbleiches Gesicht. Anscheinend hatte Ashton auf eigene Hand versucht, die Angreifer aufzuhalten, da seine Manner, was er aber nicht wu?te, zu betrunken waren, um ihm auf sein Rufen zu Hilfe zu kommen. Jemand hatte ihm eine Muskete uber den Schadel gehauen, und er hatte seither kaum gesprochen.
        Aber jetzt antwortete er sofort:»Ich bin wieder in Ordnung, Sir. Es wird bald vorbeigehen.»

«Sie haben sich gut gehalten.»
        Wahrscheinlich dachte Ashton ebenfalls uber seine Zukunft nach. Er war erst siebzehn, hatte sich aber als vielversprechend und recht fahig erwiesen. Doch jetzt waren seine Aussichten trube: Gefangnis oder sogar Tod durch Fieber in irgendeiner gottvergessenen feindlichen Garnison. Er war von zu niederem Rang, zu unwichtig, um fur einen Austausch in Frage zu kommen, selbst wenn man hoherenorts an dergleichen dachte.
        Bolitho versuchte, sich sein Schiff vorzustellen - wo es jetzt wohl war und was Broughton tun mochte? Der Admiral hatte sie wahrscheinlich allesamt abgeschrieben. Nach diesem Sturm mu?te er annehmen, da? die schwer havarierte Navarra gesunken sei; Bolitho und seine Manner wurden binnen kurzem nur noch Erinnerung fur ihn sein - weiter nichts.
        Er versuchte, sich etwas anders hinzusetzen, und argerte sich dabei uber seine Fu?fessel. Er war schon fruher in Gefangenschaft gewesen, aber der Gedanke daran trostete ihn wenig. Denn damals hatte er eine wenn auch geringe Chance gehabt, zu entkommen und den Spie? umzudrehen. Und die Hoffnung, da? ihm britische Schiffe zu Hilfe kamen. Eine geringe Hoffnung, aber immerhin. Doch hier gab es nichts dergleichen. Die Euryalus wurde nicht zuruckkommen und nach ihm suchen. Wie konnte sie auch, wenn die Mission, zu der sie hier war, noch nicht einmal in Angriff genommen war?
        Sein Magen zog sich zusammen, und er merkte, da? er seit dem Vortag nichts gegessen hatte. Es kam ihm vor, als sei es eine Woche her - die geordnete Welt seines eigenen Schiffes, das Gefuhl, dazu zu gehoren.
        Er stellte sich vor, da? Parejas Frau jetzt vermutlich Witrand berichtete, wie leicht sie hatte verhindern konnen, da? Bolitho ihn unter den Passagieren herausfand. Oder vielleicht sah sie auch tranenuberstromt an Deck zu, wie ihr altlicher Gatte an einem Strick von der Gro?rah hing und sein Leben verzappelte. Wo kam sie her? Wie geriet eine solche Frau in diesen Teil der Welt? Noch ein Ratsel und eins, das jetzt ungelost bleiben wurde.
        Fu?escharren vor der Tur.»Kommen uns wohl beglotzen, diese Bastarde!«knurrte Allday hitzig. Der Riegel wurde zuruckgeschoben, und Witrand, zwei Bewaffnete hinter sich, schaute herein.»Ich mochte gern, da? Sie an Deck kommen, capitaine«, sagte der Franzose.
        Seine Stimme klang ziemlich ruhig, aber es war etwas an ihm, das Bolitho vor Aufmerksamkeit erstarren lie?. Vielleicht frischte der Wind endlich wieder auf, und Witrand hatte doch nicht so viel Vertrauen zur Mannschaft, wie er vorgegeben hatte. Aber das Schiff dumpelte immer noch so trage, die Pumpen jankten immer noch so trubselig und gleichma?ig vor sich hin.
        Kalt entgegnete er:»Was soll ich oben? Ich befinde mich hier ganz wohl.»
        Witrand gab einem der Manner einen Wink, und dieser kam vorsichtig herein, den Schlussel zu den Fu?eisen in der Hand.»Als Gefangener haben Sie zu tun, was ich befehle«, sagte der Franzose argerlich.
        Wahrend der Matrose mit aller Vorsicht die Fu?eisen aufschlo?, versuchte Bolitho krampfhaft, einen Grund fur das plotzlich veranderte Benehmen Witrands zu finden. Der Mann schien tatsachlich au?erst besorgt.
        Meheux half ihm auf und murmelte:»Seien Sie vorsichtig, Sir!«Er sprach ein ganz klein bi?chen zu leichthin, fand Bolitho; vielleicht dachte er, sein Kommandant sollte eingehend befragt werden oder etwas noch Schlimmeres.
        Bolitho ging hinter Witrand den Gang hinauf - alles war so merkwurdig still! Nur die Pumpen und das leise Knarren von Holz an Holz - uberhaupt keine Stimmen. Und das in einem mit aufgeregten Passagieren vollgestopften Schiff!
        Es war spater Nachmittag, an Deck brannte die Sonne blendend hell herunter, der Teer in den Fugen klebte an Bolithos Sohlen, als er hinter Witrand die Leiter zur Kampanje hinaufstieg. Das Glitzern der blauen See war so intensiv, da? er uber eine zersplitterte Planke gesturzt ware und Witrand ihn stutzen mu?te.

«Nun, was ist?«Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und musterte den Franzosen.»Ich habe es mir nicht anders uberlegt. In keiner Hinsicht.»
        Witrand schien das gar nicht zu horen. Er fa?te Bolitho beim Arm und drehte ihn zur Reling herum. Seine Stimme klang sehr eindringlich.»Sehen Sie, dort. Was halten Sie von denen?»
        Jetzt erst wurde Bolitho gewahr, da? das ganze Deck voll lautlos gespannter Menschen war. Ein paar waren sogar in die Wanten geklettert, lehnten sich gegen die schlaffen Segel und Masten und starrten zur Kimm.
        Witrand hielt ihm ein Teleskop hin.»Bitte, capitaine. Sagen Sie es mir!»
        Bolitho stutzte das Glas auf den Unterarm und stellte es ein. Die Menschen an Deck hatten sich ihm zugewandt; auch Witrand beobachtete ihn gespannt, beinahe angstlich, von der Seite.
        Sehr langsam fuhr Bolitho mit dem Glas die Kimm ab und hielt den Atem an, als die kleinen bunten Lateinersegel zogernd in die Linse schwammen. Drei, vier, vielleicht funf standen uber ihrem hellen Widerschein im Meer - wie die Flugel munterer Schmetterlinge sahen sie aus.
        Dann setzte er das Glas ab und sah Witrand an.»Das sind Sche-becken. «Die Besorgnis Witrands war unverkennbar.»Funf vielleicht.»
        Witrand starrte ihn an und deutete dann auf die leblosen Segel der Navarra. »Aber sie bewegen sich doch, sie kommen schnell naher. Wie kann das sein?»

«Sie konnen genausogut gerudert wie gesegelt werden, m'sieur. Meiner Uberzeugung nach sind das Berberpiraten«, erwiderte er gelassen.
        Witrand fuhr zuruck.»Mon dieu, le corsaire!«Er ri? Bolitho das Glas aus der Hand und richtete es sekundenlang auf die winzigen Segel. Dann, etwas gefa?ter:»Das ist unangenehm. Was wissen Sie von diesen Leuten?»
        Bolitho wandte den Blick ab.»Es sind wilde, barbarische Krieger. Wenn sie an Bord gelangen, toten sie alle bis zum letzten Mann und schleppen dann die Ladung weg.
«Er hielt inne.»Und die Frauen.»
        Witrand atmete muhsam.»Aber unsere Geschutze sind doch gut, oui? Sie haben sich doch, mon dieu, gegen Ihr Schiff ganz ordentlich gehalten. Wir konnen doch sicher diese kleinen Boote zerschmettern, ehe sie da sind?»
        Bolitho sah ihm ernst in die Augen.»Sie begreifen noch nicht. Schebecken manovrieren sehr schnell, und wir liegen in der Flaute. Deswegen haben sich diese Piraten auch so lange gehalten und mit solchem Erfolg. Wenn sie nahe genug sind, manovrieren sie sich mit ihren langen Riemen schnell unter unser Heck. Dann schie?en sie uns zusammen. Zweifellos hat jedes Boot eine schwere Kanone im Bug. So machen sie es immer. «Er lie? seine Worte ein paar Sekunden wirken.»Das hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Ich habe von Kriegsschiffen gehort, die hilflos bekalmt lagen und weiter nichts tun konnten, als zusehen, wie diese Galeeren einen Kauffahrer nach dem anderen mitten im Geleit uberfielen.»
        Wieder schaute er zur Kimm. Die Segel waren schon viel naher, und er konnte erkennen, wie sich die glanzenden Reihen der langen Riemen in exaktem Gleichtakt hoben und senkten. Die hellen Lateinersegel wirkten noch bedrohlicher; und er konnte sich die freudige Erwartung der Piraten angesichts einer so leichten Beute ausmalen.

«Was sollen wir tun?«fragte Witrand und breitete die Hande aus.»Sie wurden auch Sie toten, capitaine, wir mussen zusammenhalten.»
        Bolitho hob die Schultern.»Normalerweise wurde ich Boote zu Wasser lassen und versuchen, das Schiff umzudrehen. Dann konnten wir ihnen eine Breitseite verpassen. Aber Boote haben wir nicht, au?er dem kleinen, mit dem ich an Bord gekommen bin. «Er rieb sich das Kinn.»Jedenfalls ware das ziemlich viel verlangt.»

«Aber um Gottes willen, Mann! Wollen Sie hier stehen und nichts tun?«Er deutete auf die stummen Zuschauer, denen langsam klar wurde, welch neue Bedrohung mit den immer naher herangleitenden Fahrzeugen auf sie zukam.»Und was wird mit denen da - eh? Wollen Sie sie umkommen lassen? Sie der Folter der Vergewaltigung aussetzen? Sie mussen doch irgendwas tun!»
        Bolitho lachelte grimmig.»Sie sind wirklich ruhrend um ihr Leben besorgt. Seit Beginn unserer Bekanntschaft haben Sie sich in mancher Hinsicht verandert. «Ehe der Franzose antworten konnte, befahl er scharf:»Lassen Sie sofort meine Offiziere und Matrosen frei und geben Sie ihnen die Waffen wieder!«Und als es in Witrands Augen wutend aufblitzte, sagte er grob:»Sie haben keine Wahl, m'sieur. Und wenn wir heute sterben sollen, dann mochte ich das lieber mit dem Degen in der Hand.»
        Witrand nickte.»Das ist wahr. Einverstanden.»

«Dann lassen Sie Senior Pareja nach achtern bringen. Er kann dolmetschen.»
        Witrand winkte bereits einen Matrosen heran.»Und der Wind?«fragte er.»Wird Wind aufkommen?»

«Gegen Abend vielleicht, wenn es kuhler wird. «Bolitho sah ihn bedeutsam an.»Aber wenn wir es nicht schaffen, dann spielt auch das keine Rolle mehr.»
        Minuten spater waren Meheux und die anderen bei ihm auf der Kampanje. Ashton hatte noch Schmerzen und stutzte sich schwer auf des Leutnants Arm.
        Auf dem Hauptdeck sah Bolitho den ebenfalls befreiten Unteroffizier McEwen sowie sechs Matrosen - die anderen waren wohl noch so betrunken, da? sie nicht hochzukriegen waren. Vielleicht starben sie, ohne eine Ahnung zu haben, was uberhaupt los war… Um so besser fur sie, dachte Bolitho.

«Sie brauchen mich, Captain?«Das war Luis Pareja, schuchtern und furchtsam. Bolitho lachelte ihn freundlich an. Er war unter Bewachung gewesen, hatte also keine privaten Abmachungen mit dem Franzosen getroffen.»Sie mussen jedem sagen, was ich von ihm will«, erklarte Bolitho, und Pareja warf einen angstvollen Blick uber die Reling.»Von Ihnen wird sehr viel abhangen, Senor. Davon, wie Sie sprechen, und was Sie dabei fur ein Gesicht machen. «Er lachelte wieder.»Also gehen wir zusammen aufs Achterdeck, ja?»
        Pareja blinzelte zu ihm empor.»Zusammen, Captain?«Dann nickte er heftig; und die plotzliche Entschlossenheit auf seinem runden Gesicht wirkte ruhrend.
        Erregt flusterte Meheux:»Wie konnen wir sie abschlagen, Sir?»

«Holen Sie unsere Manner heran und stellen Sie aus ihnen eine Geschutzbedienung zusammen. Die beste Kanone kommt in die Achterkajute. Sie mussen sie da irgendwie montieren - schwierig, aber es mu? klappen, und zwar sehr schnell. In einer Stunde konnen diese Boote in Schu?weite sein. Vielleicht schon eher. «Er fa?te den Leutnant bei seinem zerfetzten Rock.»Und hissen Sie unsere Flagge wieder, Mr. Meheux!«Witrand offnete schon den Mund zum Protest, schwieg aber und wandte sich zur Reling.»Wenn wir kampfen«, schlo? Bolitho,»dann unter unserer eigenen Flagge.»
        Allday sah zu, wie die Flagge am Gro?mast emporstieg, und bemerkte grinsend:»Ich wurde eine ganze Menge darauf wetten, da? diese gottverdammten Seerauber noch nie so ein Schiff des Konigs gesehen haben wie diese alte Tante!»
        Bolitho sah Pareja an.»Und jetzt, Senor, kommen Sie mit. Heute wollen wir zusammen ein wenig Marinegeschichte machen - eh?»
        Aber als er in all die zu ihm emporgerichteten Gesichter sah, die Frauen, die ihre Kinder an sich pre?ten, ihre wachsende Verzagtheit und Angst, da konnte er nur mit Muhe und Not seine wahren Empfindungen vor ihnen verbergen.



        X Dem Tode entronnen


«Jetzt dauert es nicht mehr lange, Sir. «Grindle hakte die Daumen in den Gurtel und beobachtete gelassen die sich nahernde Flottille. In der letzten halben Stunde hatten die Boote sich zur Linie formiert; das Manover ging ohne Eile oder sichtbare Anstrengung vor sich, als hatten sie alle Zeit der Welt. Als sie jetzt stetig im Bogen auf die Backbordseite der Navarra zufuhren, sahen sie aus wie ein historischer Aufzug oder wie Rudergaleeren. Dieser Eindruck wurde noch durch das dumpfe Trommeln verstarkt, das den Mannern an den Riemen ermoglichte, gleichma?ig Takt zu halten.
        Die vorderste Schebecke war noch etwa eine Meile entfernt, aber schon konnte Bolitho an ihrem langen, schnabelformigen Bug den Pulk dunkelhautiger Gestalten erkennen, die wahrscheinlich das Buggeschutz fur den ersten Angriff fertig machten. Die Segel waren bei allen Booten aufgegeit, und er konnte am Vormast den blauen, gespaltenen Wimpel mit dem Halbmondemblem ausmachen.
        Er ri? sich vom Anblick der stetig und zielbewu?t naher kommenden Boote los und sagte zu Grindle:»Ich gehe mal kurz unter Deck. Passen Sie gut auf, bis ich zuruck bin.»
        Wahrend er den Kampanjeniedergang hinabstieg, versuchte er, sich darauf zu konzentrieren, was er bis jetzt getan hatte, und suchte nach einem Loch in seinem fadenscheinigen Verteidigungsplan. Als Pareja seine Befehle ubersetzte, hatte er die Gesichter sowohl der Mannschaft als auch der Passagiere genau beobachtet. Fur sie war jeder Plan besser, als hilflos dazustehen wie Schafe, die auf den Schlachter warten. Aber jetzt, als sie sich geduckt im Schiff zusammendrangten und diesem gleichma?igen, selbstsicheren Trommelschlag lauschten, mochte sich ihr erster Hoffnungsschimmer bald in Panik verwandeln. Wenn sie nur mehr Zeit gehabt hatten! Aber nach der Breitseite der Euryalus war die Navarra in einem so traurigen Zustand, da? schnelle Reparatur nicht moglich war. Das Schiff lag zu tief im Wasser, und selbst wenn Wind aufkam, wurde sie ohne Besan nur schlecht segeln. Sie hatten die Kampanje-Geschutze uber Bord werfen mussen, um das Achterschiff zu entlasten, das am meisten abbekommen hatte. Der Gedanke, da? diese Geschutze gerade jetzt, da sie am notigsten gebraucht wurden, auf dem Meeresgrund lagen,
war nicht eben ermutigend.
        In der Heckkajute waren Meheux und seine Manner fieberhaft an der Arbeit, um ihren Anteil an dem Plan zu erfullen. Die Navarra besa? zwei starke Heckgeschutze; eins davon war jedoch durch eine Kugel der Euryalus zerschmettert worden. Aber das andere war von seinem ungunstigen Platz an Steuerbord verholt worden und stand jetzt mitten in der Kajute, die Mundung auf das Fenster gerichtet. Fenster waren allerdings nicht mehr da. Meheux hatte alle Rahmen weggeschlagen, so da? die Kanone weites Schu?feld uber die ganze Breite des Hecks hatte. McEwen uberprufte eben die hastig aufge-riggten Taljen, und die Matrosen stapelten eifrig Pulver und Kugeln am Kajutschott.
        Meheux wischte sich das dampfende Gesicht und grinste muhsam.»Die mu?te es schaffen, Sir. «Er schlug auf den runden Verschlu?.»Ein englischer Zweiunddrei?igpfunder. Mochte blo? wissen, wo dieses lausige Diebespack den her hat.»
        Bolitho nickte und trat an die klaffende Fensteroffnung. Wenn er sich hinausbeugte, konnte er das vorderste Boot sehen; wie Gold schimmerten seine Ruder im Sonnenlicht. Die meisten Geschutze der Navarra waren alt und nutzten nicht viel. Sie waren eher fur die Abschreckung irgendwelcher Amateurpiraten gedacht, als fur den Kampf auf Leben und Tod. Die Navarra hatte sich, wie die meisten Kauffahrer auf allen Weltmeeren, mehr auf ihre Behendigkeit als auf ihre Kampfkraft verlassen. Aber diese Kanone hier - das war tatsachlich der einzige Fund von einigem Wert, ein ahnlicher Typ wie die Geschutze in der unteren Batterie der Euryalus und in den richtigen Handen eine vernichtende Waffe. Bei den Matrosen hatte sie den Spitznamen» Lange Neun«, weil ihr Rohr neun Fu? lang war. Sie war auf anderthalb Meilen noch ziemlich treffsicher, und dann durchschlug die Kugel noch drei Fu? dicke Eichenplanken. Treffsicherheit war im Moment wichtiger als alles andere.
        Bolitho wandte der See den Rucken zu und sagte:»Wir feuern, sobald wir die erste Schebecke direkt vor dem Rohr haben.»
        McEwen, der auf der Euryalus Geschutzfuhrer war, fragte:»Doppelte Ladung, Sir?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nein. Das ist gut beim Kampf Schiff gegen Schiff, wenn man nichts Kleineres vor sich hat als eine Breitseite. Aber heute konnen wir uns nicht leisten, aufs Geratewohl zu schie?en. «Er lachelte in ihre glanzenden, fettverschmierten Gesichter.

«Also zielt sorgfaltig, jede Kugel mu? sitzen.»
        Er nahm Meheux beiseite und gab ihm mit gedampfter Stimme Instruktionen.»Ich glaube, sie werden vorn und achtern gleichzeitig angreifen. Auf diese Weise teilen sie unsere Verteidigungskraft und bekommen gleichzeitig eine Idee davon, wie stark wir sind.»
        Der Leutnant nickte.»Ich wunschte, wir hatten dieses verdammte Schiff nie gesehen, Sir«, knurrte er und grinste dabei entschuldigend.»Oder wir hatten sie wenigstens mit einer vollen Breitseite auf den Grund geschickt.»
        Bolitho mu?te lacheln, denn dabei fielen ihm Witrands Worte ein: >Es ware besser fur uns beide gewesen, wenn wir uns nie getroffen hatten.< Nun, fur Bedauern war es jetzt zu spat.
        Er blieb im Turrahmen stehen und musterte noch einmal die geschaftigen Matrosen, die trubselige Kajute, der man so ubel mitgespielt hatte.»Sollte ich fallen, Mr. Meheux - «, er sah die plotzliche Besturzung in des Leutnants Augen und fuhr so gelassen wie moglich fort:»- dann kampfen Sie unbedingt weiter. Dieser Gegner kennt keine Gnade, vergessen Sie das nicht!«Er zwang sich zu einem Lacheln.»Sie waren es ja, der gestern ein Seegefecht wollte. Jetzt haben Sie eins.»
        Rasch ging er wieder in die Sonne hinaus, an dem unbemannten Ruder vorbei zu Grindle, der immer noch unentwegt auf seinem Posten stand und die naherkommenden Fahrzeuge beobachtete.
        Auf beiden Seiten des Oberdecks standen die spanischen Matrosen an der Reling oder knieten bei ihren Geschutzen, deren starkste Zwolfpfunder waren. Hier und dort, wo Deckung vorhanden war, sah er auch Passagiere, die sich eilig mit Musketen aus dem Schiffsarsenal versehen hatten; andere trugen irgendwelche eige nen Jagdflinten, um auch etwas zur Verteidigung beizutragen.
        Er verschlo? sein Gehor dem fernen Trommelschlag und versuchte, sich daruber klarzuwerden, welche Feuerkraft das Schiff in den nachsten Minuten entwickeln konnte. Von den Backbordgeschutzen waren mehrere vollig unbrauchbar, verbogen und zerschmettert von der Salve der Euryalus. Es hing sehr viel davon ab, was der Feind als erstes tun wurde.
        Die Pumpen arbeiteten noch durchaus gleichma?ig; hoffentlich hatte Pareja denen, die dort am Werke waren, klargemacht, wie lebenswichtig es war, den Wasserstand unter Kontrolle zu halten. Oder vielleicht wurden sie auch beim ersten Schu? von den Pumpen weglaufen und der See den Sieg uberlassen.
        Unter den Passagieren befanden sich auch eine ganze Anzahl Bauersfrauen: zahe, sonnengebraunte Wesen, die gar nichts dagegen gehabt hatten, als er vorschlug, sie sollten mit an die Pumpen gehen. Denn, wie er versucht hatte zu erklaren, jetzt gab es keine Passagiere mehr an Bord der Navarra - sie waren alle eine Schiffsmannschaft, von deren Entschlossenheit und Starke das Uberleben abhing.

«Die teilen sich, Sir«, rief Grindle.
        Die beiden letzten Boote schwenkten bereits ab und ruderten parallel zu der treibenden Navarra. Sichelgleich schnitten ihre langen Schnabel durchs Was ser, und zielstrebig hielten sie auf das Heck zu.
        Bolitho uberschaute das Oberdeck: dort stand Witrand, eine Pistole im Gurtel, eine zweite neben sich auf dem Lukendeckel. Neben ihm stand Ashton; das bleiche Gesicht verzerrt vor Entschlossenheit und Schmerzen, wartete er auf einen Befehl von der Kampanje.»Sie konnen ausrennen, Mr. Ashton!«rief Bolitho. Er bi? sich auf die Lippen, als die Geschutzrohre mit protestierendem Quietschen durch die offenen Pforten glitten. Jetzt waren die Lucken in der Verteidigung erst richtig zu sehen, besonders an Backbord und achtern, wo die Schaden am gro?ten waren.
        Er winkte Pareja, der wie hypnotisiert unter der Kampanjetreppe stand.»Sagen Sie ihnen, sie durfen erst auf Befehl feuern. Kein Schu? aufs Geratewohl, und sie sollen keine Zeit und Kraft damit verschwenden, auf die leere See zu zielen!»
        Er kniff die Augen vor der blendenden Sonne zusammen und beobachtete, wie zwei der elegant gebauten Boote langsam herankamen, als wollten sie am Bug der Navarra vorbei. Sie waren etwa zwei Kabellangen entfernt und schienen den passenden Moment abwarten zu wollen.
        Achtern war es dasselbe: drei Boote nahmen in perfektem Gleichtakt Kurs auf das Achterschiff und blieben etwa auf gleicher Distanz.
        Er horte, wie Meheux kurz und knapp seine Befehle gab - ob er sich wohl zutraute, die Angreifer abzuwehren?
        Er fuhr zusammen, denn jetzt stoppte eins der Boote und wendete langsam, so da? sich der Bootskorper vor seinen Augen zu verkurzen schien, bis es mit dem Bug direkt auf die Navarra zeigte. Dann erst begann sich die Reihe der Riemen wieder zu bewegen, doch in langsamerem Tempo; das Wasser schaumte vom Bug wie eine schlanke wei?e Pfeilspitze.
        Da - ein Wolkchen schwarzen Rauches am Bug und dann ein lautes Krachen. Das Wasser erzitterte unter der unsichtbaren Kugel, die nur ein paar Fu? uber der Wasserflache dahinfuhr und hart in die Bordwand der Navarra schlug, direkt unter der Stelle, wo Bolitho stand. Er horte schrille Schreckensschreie aus dem Schiffsraum, ein kurzes Stocken der Pumpen; auf dem Vorschiff des Piraten vollfuhrten die Manner Freudentanze.
        Wieder ein Krach, diesmal von vorn; und etwa drei Kabellangen entfernt stieg eine schlanke Wassersaule hoch: die andere Schebecke hatte gefeuert und gefehlt. Aber nach dem fedrigen Schaum beim Einschlag konnte man das Kaliber recht gut schatzen.
        Hilflos hockten die spanischen Matrosen an den Geschutzpforten, starrten auf die hohnisch glitzernde See und spannten die Muskeln in Erwartung der nachsten Kugel.
        Sie hatten nicht lange zu warten. Das Boot, das an Backbord am nachsten war, gab Feuer, und die Kugel schmetterte hart in die Kam-panje; Holzsplitter wirbelten uber die See, und das ganze Deck erzitterte heftig.

«Ich gehe nach unten, Mr. Grindle!»
        Meheux wurde bestimmt nach seinen Befehlen handeln, dessen war er sicherer als seiner eigenen Fahigkeit, bei diesem gnadenlosen Beschu?, der so viel Schaden anrichtete, untatig zu bleiben. Doch so mu?te er vorgehen, wenn ihnen auch nur ein Fetzen Hoffnung bleiben sollte.
        Meheux lehnte am Geschutz; gespannt verfolgte er mit den Blicken das Fuhrungsschiff, das leicht auf das Heck der Navarra zuglitt; es war noch etwa eine Kabellange entfernt.
        Das Buggeschutz der Schebecke spuckte wieder Rauch und Feuer, und Bolitho erstarrte, als das Gescho? unter ihm in den Heckbalken schlug - vermutlich nahe bei der bereits durch den Sturm havarierten
        Stelle.
        Mit zusammengebissenen Zahnen sagte Meheux:»Bei Gott, Sir, wir brechen auseinander, wenn das so weitergeht!»
        Bolitho spahte uber das Rohr. Die Muskeln der nackten Rucken der Manner an den Kanonen spannten sich krampfhaft - sie erwarteten wie Meheux, da? die nachste Kugel mitten zwischen ihnen einschlagen wurde. Das Erzittern der Navarra nach der nachsten dumpfen Explosion verriet, da? ein schweres Gescho? direkt ins Vorschiff geschlagen war. Doch er konnte nicht an zwei Stellen zugleich sein. Und hier achtern war die lebenswichtigste und zugleich verwundbarste Stelle.
        Der nachste Schu? von achtern ging durch eine leere Stuckpforte in den Heckbalken; bei dem schmetternden Krachen im Schiffsrumpf knirschte Bolitho mit den Zahnen - schrille Schreie verrieten ihm, da? die Kugel diesmal nicht nur auf Holz getroffen hatte.

«Worauf wartet er denn noch, verdammt noch mal!«fluchte Me-heux.
        Bolitho fiel auf, da? der Feind nicht nochmals gefeuert hatte, obwohl bisher die Intervalle zwischen den Schussen kurz und regelma?ig gewesen waren. Gespannt beobachtete er; kaum wagte er zu hoffen, als die Schebecke plotzlich und zielstrebig das Heck der Navarra rundete. Sekundenlang marterte ihn der Gedanke, da? er es sich nur einbilde, da? es in Wirklichkeit die Navarra sei, die sich in einer unkontrollierbaren Stromung bewegte.
        Atemlos stie? Meheux hervor:»Jetzt will er uns den Todessto? versetzen, Sir!«Er warf einen raschen bewundernden Blick zu Bolitho hinuber.»Bei Gott, er denkt, wir sind hier wehrlos!»
        Grimmig nickte Bolitho. Der Fuhrer der Schebecke hatte ausprobieren wollen, ob sich die Navarra wehren konnte. Angesichts der Beschadigungen und der zwei leergebliebenen Stuckpforten im Heck mochte er sie wohl fur hilflos halten.

«Also, Jungs!«sagte Meheux scharf, und die Manner am Geschutz wurden plotzlich lebendig.»Jetzt werden wir sehen!«Er duckte sich hinter den Verschlu?, und seine Augen funkelten wie zwei geschliffene Kristalle, als er die schlanken Masten der Feinde, in gerader Linie hintereinander stehend, aufkommen sah.»Backbord-Bordwand! Ungeduldig stampfte er auf, wahrend die Manner sich in die Handspeichen warfen. Gut!«Er schwitzte machtig und mu?te sich mit dem zerrissenen Armel die Stirn wischen.»Jawohl, Ziel erfa?t!»
        McEwen trat zur Seite und holte die Rei?leine langsam durch.»Fertig!«Meheux fluchte lasterlich, weil die Schebecke eine Sekunde lang aus der Reihe schor; aber sofort brachte die Trommel wieder Ordnung in die Ruderer.
        In der plotzlichen Stille klang Bolithos Stimme wie ein Pistolenschu?.»Jetzt, Mr. Meheux!»

«Aye, Sir.»
        Die Sekunden dehnten sich - geduckt, reglos wie eine Holzfigur hockte Meheux hinter dem Geschutz.
        Und dann - so unvermittelt, da? Bolitho erschrak, obwohl er die ganze Zeit darauf gewartet hatte, sprang Meheux zur Seite und brullte:»Feuer!»
        In der Enge der Kajute hallte der Abschu? wie ein Donnerschlag, hustend und keuchend taumelten die Manner im dicken Qualm, das Geschutz stie? in seinem Gestell zuruck, wild erzitterten die Planken unter Bolithos Fu?en, und einen Moment dachte er halb betaubt, es wurde sich losrei?en und ihn am Heckbalken zu Brei quetschen. Aber die Zurringe hielten, und als der wirbelnde Rauch aus dem Fenster gestoben war, horte er Meheux' irres Brullen:»Seht den Bastard! Seht doch blo?, Jungs!»
        Bolitho drangte sich zum Fenster und starrte auf das vorderste Boot, das noch vor Sekunden ein Bild der Eleganz und Kampfgier gewesen war. Das schwere Gescho? mu?te eine ganze Ruderbank der Lange nach umgepflugt haben; trotz des Qualms sah er, da? der schlanke Bootskorper umgeschlagen war, wahrend die Ruderer auf der heil gebliebenen Langsbank mit wild fuchtelnden Riemen das Wasser peitschten und verzweifelt versuchten, das Boot wieder aufzurichten.

«Stopft das Zundloch! Ausputzen!«brullte Meheux und rief fragend zu Bolitho hinuber:»Doppelladung diesmal, Sir?»

«Wenn's sehr schnell geht, Mr. Meheux. «Bolitho summten noch die Ohren von der Explosion, aber auch er spurte wie der Leutnant ein wildes, verzweifeltes Triumphgefuhl in sich aufsteigen.»Und Schrapnell obendrein, wenn Sie welches haben!»
        Den Matrosen, die so fieberhaft in der zerschossenen Kajute hantierten, war die Kanone so vertraut wie jene, die sie taglich zu bedienen hatten. Vorbei war es jetzt mit dem entnervenden, hilflosen Hinnehmen des feindlichen Feuers auf dem schon schwer havarierten Schiff. Jetzt konnten sie endlich zuruckschie?en. Unter triumphierendem Gebrull rammten sie die Ladung fest, von McEwen aufmerksam kontrolliert, der ein viel zu erfahrener Stuckmeister war, als da? er irgendeine Nachlassigkeit hatte durchgehen lassen. Er betastete sogar jede Kugel sorgfaltig, ehe er sie laden lie?, um sicher zu sein, da? sie so vollkommen rund war, wie man es auf einem spanischen Schiff nur erhoffen konnte.
        Schwerfallig drehte sich die angeschlagene Schebecke nach Steuerbord. Bolitho bemuhte sich, sie im Auge zu behalten und nicht den Matrosen zuzusehen, die sich fieberhaft anstrengten, mit dem Laden fertig zu werden, ehe sie au?er Sicht kam. Doch die» Lange Neun «brauchte normalerweise funfzehn Mann Bedienung, und Meheux hatte nur knapp die Halfte.

«Ausrennen!«Er hatte es in zwei Minuten geschafft.
        Die anderen beiden Schebecken fuhren jetzt entgegengesetzte Bogen, weg von der plotzlich so wehrhaften Navarra. Eine feuerte; aber die Kugel mu?te weit vorbeigegangen sein; der Einschlag im Wasser war nicht einmal zu sehen.
        Heiser schrie Meheux:»Andere Bordwand!«sprang zur Seite und versuchte mit zusammengekniffenen Augen, das Tempo des Gegners abzuschatzen.
        Bolitho horte oben an Deck Krachen und Schreien.»Ich mu? hinauf!«rief er. Meheux horte ihn nicht.»Mehr nach links! Noch mehr!«Er packte eine Handspeiche und warf auch noch sein eigenes Korpergewicht mit in den Kampf. Dabei spahte er uber den Verschlu? am Rohr entlang. Bolitho ri? sich los und eilte auf die Kampanje.
        Er war kaum drau?en in der Sonne, als Meheux Feuer gab. Bolitho rannte nach Steuerbord hinuber: die Doppelladung schmetterte in den Rumpf der Schebecke; fasziniert sah er zu, wie das Deck steil abkippte und die Ruderer sich in dichtem Pulk zusammendrangten wie Schafe, die verschreckt einen steilen Abhang hinaufrasten. Die beiden schweren Kugeln mu?ten den Rumpf dicht unter der Wasserlinie durchschlagen haben. Bei dem starken Druck der Riemen mu?te sich das katastrophal auswirken. Denn jetzt begann das Boot zu sinken; die wimmelnden Gestalten sprangen teils uber das Dollbord, teils rannten sie in wilder Panik zum Heck. Keine der anderen Schebecken machte einen Versuch, naher zu kommen und die Schwimmenden zu retten oder den Angriff fortzusetzen; wahrscheinlich befand sich der Anfuhrer in dem zerschossenen Boot.
        Grindle zupfte ihn am Arm.»Ein Boot wendet, Sir! Halt direkt auf unseren Bug zu!»
        Bolitho starrte nach vorn und sah die schlanken Masten in voller Fahrt auf die Navarra zukommen; die aufgegeiten Segel schienen nur noch ein paar Fu? von ihrem Kluverbaum entfernt zu sein. Im allerletzten Moment wechselte die Schebecke den Kurs und streifte zielbewu?t fest den Backbordbug der Navarra; die Ruder flogen hoch und ins Boot wie die Schwingen eines riesigen Seeadlers, der zum todlichen Angriff niedersto?t.

«Backbordbatterie - Feuer!«brullte Bolitho. Stolpernd rannte Ash-ton die Reihe der Geschutze entlang; eins nach dem anderen fuhr im Rucksto? binnenbords, der Rauch wirbelte zum Feind hinuber, aber die Kugeln richteten wenig Schaden an, au?er da? sie den Fockmast fallten wie die Axt einen jungen Baum.
        Bolitho fuhlte das knirschende Vibrieren, sah Schrapnell uber den Decksgang fliegen und ri? seinen Degen heraus.

«Sie entern! Schlagt sie zuruck!«Witrand hatte bereits die Pistole herausgerissen und stie? einige der wie gelahmt dahstehenden spanischen Matrosen zum Decksgang hin.

«Mr. Ashton! Die Drehbasse!«schrie Bolitho. Uber das Deck kam Allday herangesturzt, im truben rauchigen Licht funkelte bereits der blanke Entersabel in seiner Faust.

«Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen bei Mr. Ashton bleiben!«rief er argerlich - aber er wu?te, es war nutzlos; nie wurde Allday beim Kampf anderswo als an seiner Seite sein, da konnte er sagen, was er wollte.
        Schon tauchten uber der Reling, die nicht durch Enternetze, sondern nur durch die Decksgange gesichert war, braune Kopfe auf. Die Matrosen hieben und hackten mit Piken und Entersabeln nach ihnen. Ohrenzerrei?endes Kampfgeschrei - und immer mehr dunkelhautige Krieger zogen sich an der Schiffswand hoch. Schon tauchten sie beim Vorderkastell auf; da aber spuckte die Drehbasse Feuer und Eisen, und sie verschwanden wie Papierschnitzel im Wind.

«Aufpassen, Captain! Von hinten!«Allday schwang den Sabel und hieb ihn einem Piraten uber den Turban, hackte ihm den Unterkiefer weg, ehe der Mann einen Schrei herausbrachte.
        Bolitho sah, wie ein bartiger Riese mit einem Schwung seines Enterbeils zwei spanische Matrosen niederhieb und dann zu einem der Niedergange raste. Er dachte an die Frauen und Kinder, die hilflosen Verwundeten unter Deck - jeder Hoffnungsfunken mu?te sich in panischen Schrecken verwandeln, wenn dieser Kerl da unten eindrang. Ehe Allday dazwischentreten konnte, war er am Luk, stutzte einen Fu? gegen das Sull, da war der Pirat auch schon heran, kam rutschend zum Halten und ri? das Beil hoch, das noch vom Blut der Niedergehauenen troff.
        Das Beil setzte zum Hieb an, Bolitho sprang zur Seite, sein Degen fuhr unter dem muskulosen Arm des Piraten hindurch und knirschend zwischen die Rippen in den Brustkorb, so da? es den zahnebleckenden Kerl herumri?. Aber brullend wie ein verwundetes Raubtier sturzte er sich auf Bolitho; die messerscharfe Schneide des Beiles beschrieb einen silbrigen Bogen, und Bolitho mu?te gegen die Kampanje zuruckweichen. Ein Matrose brach mit gefallter Pike vor, aber der Riese hieb sie zur Seite und fuhrte einen wohlgezielten Schlag nach des Mannes Nacken, der wild um sich schlagend, mit fast vom Rumpf getrenntem Kopf, auf die Planken sturzte.
        Bolitho wu?te: lie? er sich gegen die Kampanje drucken, wurde ihn der Pirat genauso niederhauen. Er ri? sich zusammen, und als der Kerl die Axt hoch uber den Kopf schwang - die tiefe Stichwunde schien er gar nicht zu spuren - , fiel er mit dem Degen aus, die Spitze direkt auf die vom Bart bedeckte Kehle gerichtet. Aber seine Schuhsohle rutschte in einer Blutlache aus, er verlor das Gleichgewicht, sturzte schwer gegen eine Kanone, klirrend entfiel der Degen seiner Hand und lag au?er Reichweite auf den Planken.
        In diesem Sekundenbruchteil sah er die ganze Szene wie ein einziges gro?es Gemalde vor sich, die verzerrten Gesichter so deutlich, wie sie der Maler vor sich sieht: Allday, zu weit weg, um ihm helfen zu konnen, im Gefecht mit einem Piraten. Grindle und ein paar Matrosen im verzweifelten Handgemenge auf dem Decksgang; blitzende, klirrende Sabel, in Wut und Schrecken aufgerissene Augen.
        Und den Mann mit dem Beil sah er ebenfalls, der hochgereckt auf seinen nackten Zehen stand, als wolle er zum Hieb Ma? nehmen. Der Kerl grinste tatsachlich; offenbar geno? er diesen Moment.
        Den Schu? konnte Bolitho in dem furchtbaren Getose nicht horen, aber er sah, wie sein Angreifer vorwarts taumelte, auf einmal nicht mehr Inbegriff der Mordlust, sondern des tiefen Erstaunens - dann verzerrte sich das Gesicht im Todeskampf, und er sturzte schwer zu Bolithos Fu?en hin.
        Witrands Pistole rauchte noch uber seinem linken Unterarm; er lie? sie sinken und schrie:»Sind Sie verletzt, capitaine?».
        Bolitho tastete nach seinem Degen, stand auf und schuttelte den Kopf.»Nein - aber danke!«Er grinste.»Ich glaube, dieses Gefecht gewinnen wir. «Richtig. Schon zogen sich die Enterer auf den Decksgangen zuruck und lie?en ihre Toten und Verwundeten liegen, die bei dem noch hin- und herwogenden Ruckzugsgefecht unter die Fu?e der Kampfenden gerieten.
        Bolitho war an ein paar schreienden Spaniern vorbeigerannt und stand neben Allday. Sein Degen parierte einen Skimitar[runder Turkensabel] und ri? All-days Gegner eine lange, rotklaffende Schulterwunde. Allday sah den Mann zur Seite taumeln und hieb ihn mit dem schweren Entersabel nieder:»Damit du schneller zur Holle fahrst, du Hund!»
        Bolitho wischte sich das schwei?triefende Gesicht und blickte in das langsseit liegende Boot. Es hatte bereits abgesto?en und kam von der Bordwand klar, ein paar Enterer konnten eben noch hineinspringen. Unter dem schmalen Deck hockten die Ruderer und versuchten verzweifelt, ihre Riemen von der Bordwand der Navarra freizubekommen.
        Von unten knallten Musketenschusse; dicht neben seiner Hand streifte eine Kugel das Schanzkleid, und er sah, wie ein Mann im roten Gewand auf ihn deutete, um einige Scharfschutzen auf dem schmalen Achterdeck aufmerksam zu machen.
        Aber die Riemen kamen in Gang, Trommelschlag ubertonte das Triumphgeschrei der spanischen Matrosen, die Schmerzensschreie der Verwundeten und die Hilferufe der im Wasser paddelnden Piraten. Langsam loste sich die Schebecke von der Bordwand.
        Wie Bolitho sah, lagen die anderen Fahrzeuge uber eine Meile entfernt; sie mu?ten sich wahrend des Kampfes absichtlich au?er Schu?weite gehalten haben.
        Jetzt fiel ihm Meheux in der Kajute wieder ein; heiser rief er:»Ich mu? ihm sagen, da? er noch mal feuert!»
        Er rannte nach achtern und sturzte beinahe uber einen Toten, dessen gebrochene Augen zu den leblosen Segeln aufstarrten - die Rechte umklammerte noch den blutverschmierten Entersabel. Es war Steuermannsmaat Grindle; seine wehenden grauen Haarstrahnen sahen aus, als wollten sie irgendwie ohne ihn leben bleiben.

«Schaffen Sie ihn weg, Allday«, sagte Bolitho.
        Allday stie? den Entersabel in die Scheide und sah Bolitho nach. Mude sprach er zu dem Toten:»Du warst zu alt fur so was, mein Freund. «Dann zog er ihn sorgfaltig in den Schatten des Schanzkleids. Eine schmierige Blutspur blieb auf den Planken zuruck.
        Meheux konnte noch einen Treffer anbringen, ehe der Feind durch Ruderkraft au?er Schu?weite gelangte. Die Schebecke, die so tollkuhn die Navarra geentert hatte, lag fast drei Kabellangen achteraus, ehe Meheux schu?fertig war. Die Kugel schmetterte ins Heck des Bootes, kappte den kleinen Lateinerbesan, pflugte durch den geschnitzten Heckaufbau und fuhr dann mit einer Schaumfontane ins Meer.
        Das Fuhrerboot war gesunken; nur Treibgut und ein paar Leichen kennzeichneten die Stelle. Der Rest der Flottille machte sich nach Suden davon, so schnell die Ruder sie nur vorwartstreiben konnten, wahrend die blutenden, noch halb betaubten Verteidiger ihnen nachstarren und kaum fassen konnten, da? sie noch am Leben waren.
        Mit schweren Schritten ging Bolitho wieder auf die Kampanje. In seinem rechten Arm pulsierte das Blut, als hatte er eine Wunde davongetragen.
        Die spanischen Matrosen warfen bereits die toten Piraten uber Bord, die langsseit noch eine kurze Zeit wie in einem makabren Totentanz auf- und abdumpelten und dann wie weggeworfene Stoffpuppen abtrieben. Gefangene gab es nicht, denn die wutentbrannten Spanier waren nicht in der Stimmung gewesen, Pardon zu geben.

«Heute werden sie nicht mehr angreifen«, sagte Bolitho zu Meheux.»Wir wollen daher lieber die Verwundeten unter Deck schaffen. Dann will ich die Schaden am Schiffsrumpf inspizieren, ehe es dunkel wird.»
        Er sah sich um und versuchte, den Katzenjammer nach der Schlacht zu uberwinden.»Wo ist Pareja?»

«Er hat eine Musketenkugel in die Brust bekommen, Captain«, rief Allday heruber. Ich habe noch versucht, ihn davon abzuhalten, da? er an Deck blieb und sich unnutz in Gefahr brachte. Aber er sagte, Sie wurden von ihm erwarten, da? er mithilft. Und das tat er auch. Komischer kleiner Kerl«, schlo? er mit einem Seufzer und einem truben Lacheln.

«Ist er tot?«Bolitho dachte an Parejas Eifer, die ruhrende Nachgiebigkeit seiner Frau gegenuber.

«Wenn nicht, Captain, wird er's bald sein. «Allday fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.»Ich hab ihn mit den anderen Verwundeten nach unten bringen lassen.»
        Uber das blutbespritzte Deck kam Witrand und fragte:»Diese Piraten - kommen sie noch mal, capitaine?«Er sah sich unter den Hinkenden, Verwundeten, zu Tode Erschopften um.»Und was dann?»

«Dann kampfen wir eben noch mal, monsieur.»
        Witrand blickte ihn nachdenklich an.»Sie haben dieses halbe Wrack gerettet, capitaine. Es freut mich, da? ich das mit angesehen habe. «Er schob skeptisch die Lippen vor.»Und morgen - eh bien, wer wei?? Was fur ein Schiff mag wohl kommen und uns finden?»
        Bolitho, schwankend vor Erschopfung, erwiderte gepre?t:»Wenn eine Ihrer Fregatten auf uns sto?t, monsieur, werde ich das Schiff ubergeben. Es ware sinnlos, diese Menschen noch mehr leiden zu lassen. Aber bis dahin, monsieur, ist es mein Schiff, unter meiner Flagge!»
        Kopfschuttelnd sah Witrand ihm nach. »Stupefiant«, murmelte er nur.
        Unter den niederen Decksbalken zog Bolitho den Kopf ein und musterte nachdenklich die Reihe der Verwundeten. Die meisten lagen ganz still, doch als das Schiff unbeholfen zu gieren anfing und die Laternen an den Decksbalken kreisten, schien es, als wanden sich die Hingestreckten in Qualen und verfluchten ihn stumm als Urheber ihrer Schmerzen.
        Die Luft stank nach Blut, verschmortem Ol, Bilgewasser und Erbrochenem, und er mu?te sich zusammennehmen, um weiter nach vorn zu gehen. Allday schritt mit einer Laterne vor ihm her, deren Schein immer einige Gesichter anleuchtete und sie dann im Weiterschreiten in der Finsternis zurucklie?, die ihre Schmerzen, ihre Verzweiflung gnadig verbarg.
        Wie oft schon hatte er dergleichen gesehen. Weinende, um Vergebung ihrer Sunden betende Manner. Manner, die um die Versicherung bettelten, da? sie vielleicht doch noch nicht sterben mu?ten. Hier waren Sprache und Tonfall anders, aber sonst war es genauso. Er erinnerte sich, wie er als verangstigter Midshipman auf dem AchtzigKanonen-Linienschiff Manxman zum ersten Mal in seinem Leben Manner fallen, sterben und sich nach der Schlacht in Qualen winden gesehen hatte. Er war beschamt gewesen, hatte sich vor sich selbst geekelt, weil er nichts empfinden konnte als uberwaltigende Freude und Erleichterung, da? er noch lebte und unverwundet war und ihm die Folter unter Messer und Sage des Schiffsarztes erspart blieb.
        Aber nie hatte er seine Gefuhle ganz unterdrucken konnen. Jetzt zum Beispiel empfand er Mitleid und Hilflosigkeit, etwas, das er ebensowenig bezwingen konnte wie seine Hohenangst.

«Da liegt er, Captain«, horte er Alldays Stimme wie von fern,»da beim Lampenraum.»
        Er trat hinter Allday uber zwei flache, mit Leinwandfetzen belegte Stufen. Im Schein der kreisenden Laternen horte er Stohnen, Keuchen und leise, trostende Frauenstimmen. Als er einmal kurz den Kopf wandte, sah er ein paar spanische Bauerinnen, die sich von der schweren Arbeit an den Pumpen ausruhten. Sie waren nackt bis zur Taille; Bruste und Arme glanzten vor Schwei? und Bilgewasser; die verfilzten Haare hingen ihnen in die von Anstrengung gezeichneten Gesichter. Sie dachten gar nicht daran, ihre Blo?e zu bedecken, und schlugen auch nicht die Augen nieder, als er vorbeiging; eine schenkte ihm sogar ein mudes Lacheln.
        Bolitho blieb stehen und kniete dann bei Luis Pareja nieder. Man hatte ihm seinen eleganten Anzug ausgezogen, und er lag unter den leise schwankenden Laternen wie ein dickes Kind; doch seine Augen waren reglose, dunkle, schmerzerfullte Locher. Der breite Verband um seine Brust war blutdurchtrankt; in der Mitte glomm ein runder hellerer Fleck im dammerigen Licht wie ein rotliches Auge; und mit jedem Atemzug flo? sein Leben dahin.
        Leise sagte Bolitho zu ihm:»Ich bin zu Ihnen gekommen, so schnell ich konnte, Senor Pareja.»
        Langsam wandte sich das runde Gesicht ihm zu, und er sah, da? Pa-rejas Kopf nicht, wie er erst gedacht hatte, auf einem Kissen lag, sondern auf einer blutverschmierten Schurze, und diese bedeckte die Knie einer Frau - Parejas Frau, wie er sah, als die Laterne etwas hoher schwang. Ihre dunklen Augen ruhten nicht auf ihrem sterbenden Gatten, sondern starrten unbewegt in die Dunkelheit. Das Haar hing ihr lose und ungeordnet uber Gesicht und Schultern, doch atmete sie ganz regelma?ig, als sei sie vollig unbewegt; aber vielleicht war sie auch nur betaubt von dem Schrecklichen, das sie durchgemacht hatte.
        Undeutlich begann Pareja zu sprechen:»Sie haben alle diese Menschen gerettet, Captain. Vor den morderischen Sarazenen. «Er versuchte, die Hand seiner Frau zu ergreifen, aber er hatte nicht mehr die Kraft dazu, und seine Hand fiel auf das blutgetrankte Laken wie ein toter Vogel.»Meine Catherine ist jetzt in Sicherheit. Sie werden dafur sorgen. «Bolitho war zu keiner Antwort fahig, und Pareja stutzte sich muhsam auf einen Ellbogen; er sprach auf einmal wieder ganz klar.

«Sie werden dafur sorgen, Captain? Sie geben mir Ihr Wort - ja?»
        Bolitho neigte langsam den Kopf.»Sie haben mein Wort, Senor.»
        Er blickte ihr kurz in das uberschattete Gesicht. Catherine hie? sie also; aber sie kam ihm so fern und unwirklich vor wie je. Als Pareja ihren Namen genannt hatte, dachte Bolitho, sie wurde sich etwas lokkern, wurde ihre reservierte, hochmutige Pose aufgeben. Doch sie starrte unbewegt an der Laterne vorbei ins Dunkel, nur ihr Mund glanzte matt im rauchigen Licht.
        Ashton stolperte durch das Halbdunkel heran.»Entschuldigung, Sir«, sagte er,»aber wir haben die betrunkenen Matrosen endlich wachgekriegt. Soll ich sie drau?en zum Rapport antreten lassen?»

«Nein«, erwiderte Bolitho kurz.»Stellen Sie sie an die Pumpen. «Es klang so rauh und bose, da? der Midshipman zuruckwich.»Wenn die Weiber sie sehen«, fuhr Bolitho im gleichen Ton fort,»um so besser. Zum Kampfen haben sie nicht getaugt; so konnen sie wenigstens an den Pumpen arbeiten - von mir aus, bis sie umfallen!»
        Hinter seinem Rucken warf Allday dem Midshipman einen raschen warnenden Blick zu, und ohne ein weiteres Wort eilte der Knabe hinweg.
        Zu Pareja sagte Bolitho:»Ohne Ihre Hilfe hatte ich nichts ausrichten konnen.»
        Dann blickte er auf, denn seine Frau sagte tonlos:»Sparen Sie sich Ihre Worte, Captain. Er hat uns verlassen. «Sie streckte die Hand aus und druckte ihrem Gatten die Augen zu.
        Die Kerzenflamme in Alldays Laterne flackerte und stand schief gegen das Glas; Bolitho spurte unter seinen Knien, da? das Schiff plotzlich krangte, und dann horte er an Deck das Klappern der Blocke und des losen Geschirrs, als erwache die Navarra aus dem Schlaf.

«Wind, Captain«, flusterte Allday,»endlich Wind!»
        Aber Bolitho blieb neben dem Toten. Er versuchte, die rechten Worte zu finden, und wu?te doch, da? es sie nicht gab. Niemals.
        Schlie?lich sagte er halblaut:»Senora Pareja, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, dann sagen Sie es mir bitte. Ihr Gatte war ein tapferer Mann. Sehr tapfer sogar. «Er hielt inne und vernahm Meheux' Stimme, der auf der Kampanje seine Befehle brullte. Es gab viel zu tun. Segel mu?ten gesetzt, ein Kurs mu?te abgesteckt werden, damit das Schiff, wenn irgend moglich, wieder zum Geschwader stie?. Er sah auf ihre Hande, die neben Parejas stillem Antlitz in ihrem Scho? ruhten.»Ich schicke Ihnen jemanden zu Hilfe, sobald ich wieder an Deck bin.»
        Ihre Stimme klang, als kame sie aus weiter Ferne.»Sie konnen mir nicht helfen. Mein Mann ist tot, und ich bin wieder eine Fremde in seinem Land. Ich besitze nichts als das, was ich auf dem Leibe trage, und ein paar Schmuckstucke. Nicht viel fur das, was ich gelitten habe. «Sanft hob sie Parejas Kopf von ihrem Scho? und lie? ihn auf den Planken ruhen.»Und das verdanke ich Ihnen, Captain. «Sie blickte auf; ihre Augen glitzerten im Laternenschein.»Also gehen Sie, tun Sie weiter Ihre Pflicht und lassen Sie mich in Ruhe!»
        Wortlos stand Bolitho auf und ging zur Kampanjeleiter. Drau?en in der frischen Luft stand er minutenlang still, atmete tief und sah in den dunkelgluhenden Sonnenuntergang.

«Horen Sie nicht auf sie, Captain«, sagte Allday.»Ihre Schuld war es nicht. Viele sind gefallen, und bis dieser Krieg aus ist, werden noch eine ganze Menge fallen.
«Er verzog das Gesicht.»Sie hat Gluck, da? sie noch lebt - wir alle haben Gluck.»
        Meheux kam nach achtern.»Kann ich die Dons anstellen, Sir? Ich dachte, wir setzen Bramsegel und die Fock, damit sie sich wieder steuern la?t. Wenn der Wind zu stark wird, konnen wir immer noch alles bis auf Kluver und Gro?bramsegel reffen. «Er rieb sich gerauschvoll die Hande.»Da? wir wieder Fahrt machen, ist ein reines Wunder!»

«Recht so, Mr. Meheux. «Bolitho trat an die Reling und blickte auf die ersten bleichen Sterne.»Wir werden auf Steuerbordbug gehen und Ostsudost steuern. «Er warf einen Blick auf den Rudergast - fast dachte er, Grindle stande daneben und pa?te auf.»Aber sowie Sie merken, da? der Druck zu stark wird, pfeifen Sie >Alle Mann< und reffen.»
        Der Leutnant eilte davon, um die muden Matrosen aufzupurren, und Allday fragte: Soll ich den Koch suchen gehen, Captain? Ich finde, eine warme Mahlzeit wirkt manchmal Wunder, wenn sonst nichts hilft.»
        Er richtete sich starr auf, denn unten an Deck kam Witrand herbei.»Und der da - soll ich ihn in Eisen legen, wie er es verdient?»

«Der stellt nichts mehr an, Allday«, erwiderte Bolitho mit einem gelassenen Blick auf den Franzosen.»Solange hier noch Piraten auftauchen konnen, wird niemand etwas gegen uns unternehmen, denke ich. «Er wandte sich wieder Allday zu.»Ja, sagen Sie dem Koch Bescheid. «Allday ging zur Treppe, und Bolitho rief ihm nach:»Und ich danke Ihnen!»
        Allday blieb stehen, einen Fu? in der Luft.»Captain?»
        Bolitho sagte nichts weiter; Allday wartete noch einen Moment, stieg dann die Leiter hinunter und machte sich Gedanken uber diese neue und seltsam beunruhigende Stimmung seines Kommandanten.
        Um Mitternacht, als die Navarra langsam in die tiefe Finsternis hineinsegelte, stand Bolitho am Leedecksgang. Der kuhle Wind spielte in seinem Haar. Die Bestattung der Gefallenen nahm ihren Fortgang. Ein Gebetbuch war nicht vorhanden, auch war kein spanischer Priester unter den Passagieren, der fur die Gefallenen oder ihren Wunden Erlegenen einen Gottesdienst hatte abhalten konnen.
        Auf eine Art, dachte er, war das tiefe Schweigen beeindruckender als Gebete. Auch gab es noch andere Laute: die See, die Segel, Wanten und Stage, das Knarren des Ruders. Ein passender Grabspruch fur Manner, die vom Meer gelebt hatten, das sie jetzt fur alle Ewigkeit aufnahm.
        Grindle und Pareja waren zusammen bestattet worden, und Bolitho hatte gesehen, wie Ashton sich die Augen wischte, als der Steuermannsmaat uber Bord ging.

«Das sind jetzt alle, Sir«, rief Meheux. Er rief es mit gedampfter Stimme, und Bolitho war ihm dankbar dafur. Ohne da? er es ihm sagen mu?te, hatte der Leutnant verstanden, da? die Gefallenen besser bei Nacht bestattet wurden, um es den am Leben Gebliebenen nicht noch schwerer zu machen. Es hatte absolut keinen Sinn, ihren Kummer zu vermehren; und morgen wurde es weitere Tote geben, dessen war er sicher.

«Gut«, antwortete er,»ich schlage vor, wir trimmen den Gro?mast und lassen dann die Wache unter Deck gehen. Sie und ich gehen Wache um Wache; ich glaube nicht, da? uns jemand dieses zweifelhafte Privileg streitig machen wird.»

«Ich bin stolz darauf, es mit Ihnen teilen zu durfen, Sir«, sagte Me-heux nur.
        Bolitho wandte sich um und ging das schiefe Deck hinunter bis zur
        Heckreling. Der westliche Horizont war schon ganz finster, und selbst das lebhafte Kielwasser des Schiffes war kaum zu erkennen.
        Unter seinen Fu?en, in der ausgebrannten Achterkajute, konnte er das leise Pfeifen McEwens horen, der sich mit seinem Zweiund-drei?igpfunder beschaftigte. Merkwurdig, wie sicher sich alle fuhlten. Wie geborgen.
        Er wandte den Kopf: die spanischen Matrosen waren mit dem Trimmen des Gro?mastes fertig und sicherten gerauschvoll die Brassen an den Belegnageln. Sogar sie - die mit dem Federstrich irgendeines Politikers oder Monarchen seine Feinde geworden waren - schienen unter seinem Kommando ganz zufrieden zu sein.
        Er lachelte mude uber seine grotesk schweifenden Gedanken und begann, langsam auf und ab zu gehen. Einmal, als sein Auge auf den nachstliegenden Niedergang fiel, mu?te er wieder an den bartigen Riesen mit dem Enterbeil denken - was ware wohl geschehen, wenn Witrand nicht so schnell geschossen hatte? Mit der zweiten Pistole hatte er ebenso schnell ihn selbst erledigen konnen. In dem grimmigen Scharmutzel hatte kein Mensch den zweiten Schu? bemerkt. Aber vielleicht fuhlte sich sogar Witrand sicherer, wenn Bolitho am Leben blieb.
        Er schuttelte sich argerlich. Diese absurden Gedanken kamen nur von seiner Mudigkeit. Morgen waren die Rollen vielleicht wieder vertauscht: er war wieder Gefangener, Witrand ging wieder seinen mysteriosen Geschaften nach, und alles war nur ein Zwischenspiel gewesen. Eine kleine Episode im Flu? des Ganzen.
        Aber so mu?te man den Krieg ansehen. Einen Feind durfte man nicht als Personlichkeit betrachten; das war zu gefahrlich. Ihn an den eigenen Hoffnungen und Angsten teilnehmen zu lassen, war reiner Selbstmord.
        Was hatte er selbst wohl unter ahnlichen Umstanden getan? Daruber dachte er noch nach, als Meheux ihn ablosen kam.
        Und so, unter der leichten Brise und den wenigen, aber gut ziehenden Segeln, setzte die Navarra ihre Reise fort. Die einzigen Gerausche kamen von den Pumpen, und gelegentlich stie? ein Verwundeter einen Schrei aus. Schlaflos lag Bolitho in seiner provisorischen Hangematte. Diese Laute fa?ten alles zusammen, was er und seine Manner miteinander erlebt und erreicht hatten.
        Er rasierte sich eben vor einem zersprungenen, an ein zusammengebrochenes Bucherschapp gelehnten Spiegel, als Meheux hereinkam und meldete, ein Segel sei in Sicht - es lage beinahe direkt achteraus und kame sehr schnell auf.
        Bolitho musterte sein zerrissenes, geschwarztes Hemd und zog es sich dann widerstrebend an. Vielleicht war das Rasieren reine Zeitverschwendung gewesen, aber er fuhlte sich doch besser danach, wenn er auch immer noch wie eine Vogelscheuche aussah. Meheux starrte ihn wortlos und fasziniert an. Bolitho spurte direkt, wie seine Augen am Rasiermesser hingen, das er jetzt, nachdem er es an einem Tuchfetzen abgewischt hatte, in den Schottkasten warf, wo er es gefunden hatte.
        Langsam sagte er:»Tja, Mr. Meheux, dagegen konnen wir diesmal nicht viel tun.»
        Er nahm den Degen auf und schnallte ihn um; dann ging er hinter Meheux her hinaus. Es war fruh am Morgen, die Luft war noch frisch, hei? werden wurde es spater. Die Wanten hingen voller Kleidungsstucke, meistens Frauenkleider, und Meheux murmelte entschuldigend:»Sie haben gebeten, waschen zu durfen, Sir. Aber jetzt, da Sie an Deck sind, werde ich ihnen sagen, sie sollen das Zeug runternehmen.»

«Nein.»
        Bolitho setzte das Teleskop ans Auge. Dann warf er es einem Matrosen zu und sagte: Das Glas ist entzwei. Wir mussen abwarten.»
        Er schritt zur Heckreling, beschattete die Augen gegen das grelle Sonnenlicht und spahte nach dem Schiff aus. Die schlanke, leuchtend wei?e Segelpyramide uber der Kimm sprach Bande. Er horte Schritte an Deck und wandte sich um: da stand Witrand und beobachtete ihn.

«Sie sind Fruhaufsteher, m'sieur.»
        Witrand hob die Schultern.»Und Sie sind sehr ruhig, capitaine.«Er blickte uber die Wasserflache.»Obwohl es um Ihre Freiheit vielleicht bald geschehen ist.»
        Bolitho lachelte.»Horen Sie, Witrand, was machen Sie eigentlich auf diesem Schiff? Wo wollten Sie hin?»

«Ich habe das Gedachtnis verloren«, grinste der Franzose.
        Der Ausguck rief dazwischen:»Das ist 'ne Fregatte, Sir!»
        Leise fragte Meheux:»Wie meinen Sie, Sir? Sollen wir Kurs andern und ausrei?en? Aber als Bolitho auf das gereffte Marssegel und das tiefliegende Deck deutete, grinste er beschamt.»Sie haben recht, Sir. Das hatte wenig Sinn.»
        Halblaut sagte Witrand:»Ich verstehe Ihre Gefuhle, capitaine. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein? Vielleicht mit einem Brief an Ihre Familie? Sonst konnte es Monate dauern…«Er blickte auf den Degen, dessen Griff Bolitho soeben umfa?te.»Ich konnte Ihren Degen nach England schicken. Besser als da? ihn irgendein Hafenhandler in die Klauen bekommt, eh?»
        Bolitho wandte sich ab und beobachtete das Schiff, das jetzt so schnell zu der havarierten Navarra aufkam, da? er das Gefuhl hatte, es ware auf Kollisionskurs. Er konnte die vollen Mars- und Bramsegel unterscheiden und den hellen, zungelnden Wimpel im Masttopp. Mit voller Fahrt pflugte die Fregatte durch die tanzenden Wellen.
        Eine braune Rauchwolke, die sofort im Wind verwehte, dann ein Krachen. Sekunden spater sprang funfzig Fu? vom Achterdeck entfernt eine schlanke Wassersaule hoch.
        Gedampfte Schreie tonten aus den offenen Luken, und Bolitho sagte finster:»Drehen Sie bei, Mr. Meheux. «Er sah zum Gro?mast hoch und fragte scharf:»Wo ist die Flagge?»

«Entschuldigung, Sir«, antwortete der Leutnant bedruckt,»mit der Flagge hatten wir Mr. Grindle zugedeckt, bis wir ihn bestatteten.»

«Ja. «Bolitho wandte sich ab, damit sie sein Gesicht nicht sehen sollten.»Aber hissen Sie sie jetzt, bitte.»
        Meheux eilte hinweg, rief die Matrosen vom Decksgang und von den Webeleinen, von wo aus sie das fremde Schiff beobachteten. Minuten spater ging die Navarra mit der flatternden, vor dem klaren Himmel gut sichtbaren Flagge in den Wind; die leeren Segel schlugen protestierend, und das Deck war auf einmal voller Menschen, die von unten heraufgestromt kamen.
        Bolitho balancierte die ungleichma?igen Bewegungen der Navarra aus und trat wieder zu Witrand.»Ihr Angebot, m'sieur - war es ernst gemeint?«Er fingerte an seinem Koppel und fuhr mit niedergeschlagenen Augen fort:»Ich hatte da jemanden.»
        Er brach ab und fuhr herum, denn ein tosendes Hurrageschrei hallte uber das Wasser.
        Die Fregatte halste und kam heran, und als sie zum Aufschie?en in den Wind ging, sah er die Flagge am Besan. Es war die gleiche wie die der Navarra, und er mu?te sich abwenden, um seine Bewegung zu verbergen.
        Unter Freudensprungen schrie Ashton:»Das ist die Coquette, Sir!»
        Meheux grinste von einem Ohr zum anderen, schlug Allday auf die Schulter und brullte:»Na also!«Und noch ein Schlag:»Na also!«Weiter brachte er nichts heraus.
        Bolitho sah zu dem Franzosen hinuber.»Es wird nicht mehr notig sein, m'sieur.«Die gelben Augen des Mannes waren starr. Er hatte verstanden.»Aber ich danke Ihnen«, schlo? Bolitho.
        Witrand starrte die Flagge an.»Anscheinend sind die Englander wieder im Mittelmeer«, sagte er nur.



        XI Das Warten ist zu Ende

        Sie brauchten noch zwei Tage, um das Geschwader zu finden, und wahrend dieser Zeit fragte Bolitho sich oft, was wohl passiert ware, wenn die Coquette nicht so rechtzeitig erschienen ware. Der Chronometer der Navarra war zerbrochen; weder ein Sextant noch ein verla?licher Kompa? waren vorhanden. Auch ohne die Sturmschaden ware es ihm schwergefallen, den Schiffsort auch nur schatzungsweise festzulegen; vom Abstecken eines Kurses nach dem Gebiet, wo das Geschwader sich sammeln sollte, ganz zu schweigen.
        Gifford, der lange, schlaksige Kommandant der Coquette, nannte es» reines Teufelsgluck«, und das mit Recht. Denn ware er auf seiner vorgeschriebenen Station im Kielwasser des Geschwaders geblieben und hatte sich dort auf die befohlenen kurzen Spah- und Patrouillenfahrten beschrankt, so hatte er die havarierte, nicht voll manovrierfahige Navarra nie gefunden. Er hatte ein Segel gesichtet, hatte seinen Kurs geandert und war rekognoszieren gefahren; in der Sturmnacht hatte er es jedoch wieder verloren. Am nachsten Tag hatte er es wiedergefunden - es war eine britische Korvette, die noch dazu auf der Suche nach ihm selbst war. Sie war vierundzwanzig Stunden nach dem Auslaufen des Geschwaders in Gibraltar angekommen und brachte Depeschen fur Broughton. Diese hatte sie an Gifford ubergeben und war schleunigst wieder zuruckgesegelt, da sie sich verstandlicherweise in diesen feindverseuchten Gewassern nicht recht wohl fuhlte.
        Gifford wu?te nicht, was dieser versiegelte Umschlag enthielt, und sprach auch immer nur von seiner Uberraschung beim Anblick der Navarra und besonders der Flagge, die auf dem so schwer beschadigten Schiff wehte. Und noch mehr staunte er, als er in dem zerlumpten, blutbefleckten Mann, der ihn beim Anbordkommen begru?te, seinen eigenen Flaggkapitan erkannte.
        Bei den vielen Frauen, die an Deck der Navarra herumwimmelten, war es kein Wunder, da? sich auf der Coquette massenhaft Freiwillige meldeten, als Manner fur die Reparaturen gesucht wurden. Der Erste Offizier der Fregatte, der bekannterma?en sehr geizig mit den Reservebestanden seines Schiffes war, lie? sogar einen Hilfsmast hinuberschicken, um den gekappten Besan zu ersetzen.
        Oft horte Bolitho wahrend der Arbeit schrilles Lachen und diskretes Gekicher vom Unterdeck. Da erlaubte sich offenbar der eine oder andere von der Mannschaft der Coquette einen kleinen Spa?.
        Und als er am nachsten Morgen an der Luvreling der Navarra stand, war er stolz, als er die Sonne auf den wohlbekannten Marssegeln des Geschwaders schimmern sah und die flinke Restless heranscho?, um nachzusehen, wer da kame.
        Meheux schien ebenfalls bewegt zu sein.»Fein sehen die aus, Sir«, sagte er befriedigt.»Ich habe gar nichts dagegen, von Bord dieser schwimmenden Ruine zu kommen.»
        Und dann setzte die Coquette mehr Segel und eilte dem havarierten Schiff voraus. Schon flatterten die Signalflaggen munter an den Rahen; Bolitho sah sein eigenes Schiff hell im Sonnenlicht stehen. Es halste, und langsam fullten sich die braunlichen Segel uber dem neuen Bug; dann schien es wieder wie die anderen Linienschiffe bewegungslos uber seinem Spiegelbild zu stehen, und nur an einer winziger Schaumspur am Bug erkannte man, da? es stetig aufkam.

«Sie wird gleich ein Boot aussetzen. Sie behalten hier das Kommando, Mr. Meheux, bis druben entschieden wird, was mit der Navar-ra geschehen soll. Sie werden wohl nicht lange darauf zu warten haben«, sagte Bolitho.

«Ich bin erleichtert, das zu horen, Sir«, lachelte Meheux und deutete auf ein offenes Luk, aus dem das Klappern und Janken der Pumpen heraufklang.»Was ist mit den Mannern da unten, Sir? Soll ich sie unter Bedeckung hinuberschicken?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie haben ganz ordentlich gearbeitet, und ich glaube, sie werden es sich in Zukunft uberlegen, ob sie sich wieder an einer Gratisladung Brandy vergreifen.»
        Ashton rief:»Flaggschiff signalisiert an Geschwader: >Beidrehen<, Sir!«Er sah wieder kraftiger aus, obgleich er die Augen zusammenkniff, als hatte er Kopfschmerzen.
        Eben knurrte Allday vernehmlich:»Bei Gott, Captain, da kommt Ihre Gig! Diesen Bootsfuhrer bringe ich um, er steuert ja sauma?ig!»

«Holen Sie Witrand herauf«, sagte Bolitho nur.»Wir nehmen ihn mit auf die Euryalus.»
        Die nachsten Augenblicke waren unwirklich und ziemlich herzbewegend fur Bolitho. Als die Gig langsseit kam, die hochgestellten Riemen schimmernd wie zwei Reihen polierter Walknochen, und Meheux ihm zum Fallreep folgte, drangten sich die meisten Passagiere der Navarra heran, um ihn von Bord gehen zu sehen. Manche winkten ihm zu, und einige Frauen lachten und weinten gleichzeitig.
        Er glaubte Parejas Witwe auf der Kampanje gesehen zu haben, aber er war sich dessen nicht sicher, und wieder fragte er sich, wie er ihr helfen konne.
        Witrand, der neben ihm stand, schuttelte den Kopf.»Denen tut es wahrhaftig leid, da? Sie gehen, capitaine. Die gemeinsamen Leiden der letzten Tage haben uns einander nahergebracht, wie?«Aber mit einem Blick auf die Euryalus fuhr er ernuchtert fort: «Eh bien, das war gestern. Morgen ist alles wieder anders.»
        Bolitho kletterte nach Ashton und dem Franzosen in die kleine Gig, wo Allday bereits dem Matrosen, der mit unbewegtem Gesicht an der Pinne sa?, Drohungen ins Ohr zischte. Noch eine Sekunde lang blickte er hoch in die Reihe der Gesichter, auf die Schu?locher und die vielen Narben, wo die dunkelhautigen Angreifer ihre Enterhaken geschleudert hatten, um wie eine brullende Horde wilder Tiere an Bord zu schwarmen. Witrand hatte recht - das war vorbei.
        Die Ruckkehr auf sein eigenes Schiff war nicht weniger herzbewegend. Die Matrosen, die in den Wanten hingen oder gefahrlich auf den Mattenkasten balancierten, schrien grinsend hurra und freuten sich offensichtlich. Als er durch die Fallreepspforte kletterte, fielen ihm fast die Ohren zu von dem Schrillen der Querpfeifen und dem Trommeln des kleinen Musikkorps, und er fand noch Zeit festzustellen, da? die sonst so holzern-starren Gesichter der Spielleute heftige Gemutsbewegung ausdruckten.
        Keverne trat vor und bemuhte sich, nicht zu auffallig Bolithos zerfetzte Uniform anzustarren.»Willkommen an Bord, Sir«, sagte er lachelnd.»Da habe ich also meine Wette gegen den Master gewonnen.»
        Bolitho fiel es nicht leicht, ein Dienstgesicht zu bewahren. Da stand Partridge und verrenkte sich fast den Hals, um ihn hinter der Reihe der Marine-Infanteristen sehen zu konnen.»Sie haben wohl gedacht, ich kame nicht wieder, he?«rief er ihm zu.
        Hastig erwiderte Keverne:»Nein, Sir; er dachte, Sie wurden schon gestern eintreffen.»
        Bolitho blickte in die Masse der Gesichter rundum. Sie hatten alle miteinander einen langen Weg hinter sich gebracht. Einmal, wahrend der scheu?lichen Affare mit der Auriga, hatte er Feindseligkeit zu spuren geglaubt. Enttauschung uber das, was er getan oder zu tun versucht hatte. Aber tatsachlich kannten sie ihn besser, als er vielleicht angenommen hatte, und das bewegte ihn tief.

«Ich mu? dem Admiral Meldung machen«, sagte er. Selbst Keverne, das las er aus seinen dunklen Zugen, war ehrlich froh, ihn wieder an Bord zu haben. Dabei hatte er es ihm nicht ubelgenommen, wenn er andere Gefuhle gehegt hatte, besonders nach den fruheren Enttauschungen.

«Sir Lucius hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, da? er die Depeschen von der Coquette liest«, erwiderte Keverne.»Er deutete an, Sir, Sie wurden vielleicht gern eine halbe Stunde fur sich haben, um sich, ah, ein wenig frisch zu machen. «Jetzt flog sein Blick ungeniert uber Bolithos zerfetzten Rock.»Er hat Sie von seinem Kajutbalkon aus kommen sehen.»
        In diesem Moment wurde Witrand durch die Fallreepspforte eskortiert, und Bolitho sagte:»Das ist Monsieur Paul Witrand. Er ist Kriegsgefangener, aber ich wunsche, da? er anstandig behandelt wird.»
        Keverne sah den Franzosen mi?trauisch an und sagte dann:»Ich werde dafur sorgen, Sir.»
        Witrand machte eine steife Verbeugung.»Danke sehr, capitaine.«Er blickte nach oben auf die machtigen Rahen und die schlagenden Segel.»Kriegsgefangener vielleicht - aber fur mich ist dieses Schiff immer noch ein Stuck Frankreich.»
        Leutnant Cox von der Marine-Infanterie, ein geschmeidiger junger Mann, dessen Uniform so eng sa?, da? Bolitho der Meinung war, er konne sich unmoglich bucken, trat vor und beruhrte Witrands Arm; dann gingen sie zusammen zum Niedergangsluk.

«Kommen Sie mit nach achtern, Mr. Keverne«, sagte Bolitho.»Erzahlen Sie mir, was es Neues gibt, wahrend ich mich umziehe.»
        Keverne ging hinter ihm her an den neugierig starrenden Matrosen vorbei.»Viel ist da nicht zu berichten, Sir. Sir Hugo Draffen ist wieder beim Geschwader; er hat seinen Agenten getroffen und Informationen uber die Verteidigungsanlagen von Djafou bekommen. Einzelheiten wei? ich nicht.»
        In der Kajute war es im Gegensatz zu der Vormittagshitze auf dem Achterdeck ziemlich kuhl. Bolitho war uberrascht, einige Mobelstuk-ke zu sehen, die vorher nicht dagewesen waren.

«Captain Fourneaux war wahrend Ihrer Abwesenheit stellvertretender Flaggkapitan, Sir«, erlauterte Keverne.»Aber er ist wieder auf die Valorous ubergewechselt, als uns die Coquette Ihre Ruckkehr signalisierte.»
        Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu, aber in Kevernes Zugen war keine Spur von Schadenfreude zu entdecken. Fourneaux hatte offenbar gedacht, er wurde als planma?iger Flaggkapitan an Bord bleiben.»Lassen Sie ihm die Sachen bei passender Gelegenheit wieder zustellen«, sagte er.
        An das Heckfenster gelehnt, sah Keverne zu, wie Bolitho sich auszog und seinen muden Leib mit kaltem Wasser erfrischte. Trute, der Steward, nahm das schmutzige Hemd und warf es nach kurzem Zogern aus dem Fenster. Bolithos Aussehen hatte ihn offensichtlich tief beeindruckt, er konnte kaum die Augen von ihm losrei?en.
        Bolitho zog ein reines Hemd an, setzte sich dann in einen Sessel, und Trute drehte ihm geschickt das Haar zu einem kurzen Zopf im Nacken zusammen.

«Also war weiter nichts los, seit ich von Bord gegangen bin?»
        Keverne zuckte die Achseln.»Wir haben ein paar Segel gesichtet, Sir, aber die Restless konnte nicht nahe genug heran. Also werden auch sie uns wahrscheinlich nicht erkannt haben. Ich habe mit dem Kommandanten der Korvette gesprochen, aber der hatte Sir Hugos Agenten gar nicht gesehen. Er kam in einem arabischen Fischerboot, und Sir Hugo ist allein an Bord gegangen. Er bestand darauf. »
        Bolitho wartete ungeduldig, bis Trute ihm das Halstuch gebunden hatte, und stand dann auf. Das Waschen und Umziehen hatte die lahmende Mudigkeit verscheucht; die bekannten Stimmen und Gesichter bewirkten, da? er sich wieder ganz wohl fuhlte.
        Immerhin waren Kevernes Neuigkeiten, oder vielmehr der Mangel daran, hochst beunruhigend. Wenn nicht sehr bald etwas geschah, wurden sie in ernste Schwierigkeiten kommen. In Spanien und Frankreich mu?te man bald wissen, da? sie hier waren; schon jetzt konnte ein starkes Geschwader unterwegs sein und nach ihnen suchen.
        Allday kam mit Bolithos Degen in die Kajute. Er warf Trute einen wutenden Blick zu und sagte:»Ich habe die Scheide geolt, Captain. «Er zog den geschwarzten Griff ein Stuckchen heraus und lie? ihn wieder einschnappen.»Ist jetzt wie neu, jawohl.»
        Lachelnd legte sich Bolitho das Koppel um. Stirnrunzelnd schnallte Allday den Verschlu? ein Loch enger, und Bolitho wu?te, da? er, wenn Keverne nicht dabeigewesen ware, geknurrt hatte, es ware schon das dritte in einem Monat und Bolitho musse mehr essen; denn wie die meisten Seeleute war Allday der Uberzeugung, da? man so oft wie moglich so viel wie moglich essen und trinken solle.
        Oben schlug eine Glocke die volle Stunde, und Bolitho schritt zur Tur.»Tut mir leid, da? ich Ihnen bei der Beforderung nicht behilflich sein konnte, Mr. Keverne. Aber ich zweifle nicht daran, da? sich bald eine Gelegenheit ergeben wird.»
        Keverne lachelte gemessen.»Danke, Sir, da? Sie sich um mich Sorgen machen.»
        Eilig schritt Bolitho den Niedergang zum mittleren Deck hinunter und dachte dabei an Kevernes Zuruckhaltung, seine standige Defensive gegen die eigenen Gefuhle. Eines Tages mochte er einen guten Kommandanten abgeben, besonders wenn er seine Neigung zum Jahzorn uberwinden konnte.
        Die beiden Wache stehenden Marine-Infanteristen nahmen stampfend Haltung an; ein Korporal offnete ihm die gro?e Doppeltur. Schon lange bevor er an der Achterkajute war, hatte er Broughtons Stimme vernommen und sich entsprechend zusammengerissen.

«Hol der Teufel Ihre Augen, Calvert, das ist unerhort! Gehen Sie doch zu einem Midshipman und lernen Sie bei dem Orthographie!»
        Beim Eintreten sah Bolitho Broughtons schwarze Silhouette vor dem hohen, sonnenhellen Fenster. Der Admiral warf ein zusammengeknulltes Schriftstuck nach dem Leutnant, der am Tisch dem Schreiber gegenubersa?.»Mein Schreiber schafft doppelt so viel wie Sie und in der halben Zeit!«brullte er. Bolitho sah nicht hin; er schamte sich fur Calvert und wollte diese Demutigung nicht mitansehen. Calvert, dem der Schreiber mit offensichtlicher Schadenfreude ins Gesicht grinste, zitterte vor Nervositat und Wut.
        Jetzt sah der Admiral Bolitho.»Ah, da sind Sie ja«, sagte er kurz.»Gut. Ich bin gleich fertig. «Er ri? Calvert ein weiteres Schriftstuck aus den Fingern und uberflog rasch die fahrige Schrift. Er hatte dunkle Ringe um die Augen und schien machtig wutend zu sein.
        Wieder starrte er Calvert bose an.»Mein Gott, warum sind Sie blo? als solch ein Narr auf die Welt gekommen?»
        Calvert stand halb auf. Seine Schuhsohlen machten ein kratzendes Gerausch auf dem Leinenteppich.»Ich habe nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen, Sir!«Es klang, als wurde er im nachsten Moment in Tranen ausbrechen.
        Bolitho beobachtete den Admiral verstohlen in der Erwartung, da? er bei dieser seltenen Bekundung von Widerstand explodieren wurde. Aber er antwortete nur obenhin:»Wenn Sie's getan hatten, dann ware Ihre Bitte hoffentlich nicht erhort worden. «Er zeigte zur Tur.»Jetzt gehen Sie und arbeiten Sie diese Orders durch. In einer halben Stunde sind sie fertig zur Unterschrift!«Dann fuhr er herum und schnauzte seinen Schreiber an:»Und Sie horen auf zu grinsen wie ein altes Weib! Los, helfen Sie dem Leutnant!«Der Schreiber eilte zur Tur, und Broughton rief ihm nach:»Oder ich lasse Sie auspeitschen, verstanden?»
        Die Tur fiel ins Schlo?. Bolitho hatte das Gefuhl, die Kajute wurde in der druckenden Stille zu eng.
        Doch Broughton sagte nur mude:»Setzen Sie sich. «Er ging zum Tisch und nahm eine Karaffe auf.»Ein Schluck Wein, denke ich?«Und in halbem Selbstgesprach fuhr er fort:»Wenn ich jetzt nicht was trinke, ehe mir wieder so ein plarrender Untergebener vor die Augen kommt, dann werde ich bestimmt verruckt. «Er trat zu Bolithos Sessel und reichte ihm ein Glas.»Auf Ihre Gesundheit, Captain. Ich bin uberrascht, da? Sie wieder da sind; und nach dem, was Gifford von der Coquette gequasselt hat, mussen Sie selbst einigerma?en erleichtert sein, da? Sie noch leben. «Er schritt zu den Heckfenstern und starrte zur Navarra hinuber.»Sie haben, wie ich hore, einen Gefangenen?»

«Jawohl, Sir. Ich glaube, er ist Kurier. Er hatte zwar keine Briefe bei sich, aber anscheinend sollte er auf hoher See von einem anderen Schiff ubernommen werden. Die Navarra ist erheblich von ihrem Kurs abgewichen; ich glaube, er wollte zur afrikanischen Kuste.»
        Broughton stie? einen Grunzer aus.»Er konnte uns einiges erzahlen. Diese franzosischen Beamten sind sehr versiert. Das mussen sie auch sein; sie haben ja gesehen, wie schnell ihre Vorganger unter dem Terror ihre Kopfe losgeworden sind. Wenn man ihm verspricht, da? er bald gegen einen englischen Gefangenen ausgetauscht wird, lost ihm das vielleicht die Zunge.»

«Mein Bootsfuhrer hat sich seinen Diener vorgenommen, Sir. Die Navarra hatte reichlich Wein geladen, das hat sehr geholfen. Unglucklicherweise wu?te der Mann wenig von Auftrag und Bestimmungsort seines Herrn; nur da? er bei der franzosischen Artillerie Offizier war. Aber ich glaube, wir behalten diese Information vorlaufig noch fur uns, bis wir besseren Gebrauch davon machen konnen.


«Das ist dann sowieso zu spat«, erwiderte Broughton trube und ging stirnrunzelnd wieder zu dem Tisch mit der Karaffe.»Draffen hat einen ausgezeichneten Plan der Verteidigungsanlagen von Djafou bekommen. Er mu? ein paar sehr bemerkenswerte Freunde in dieser lausigen Gegend haben. Aber die Coquette hat mir schlechte Nachrichten gebracht. Anscheinend sind die Spanier aktiv geworden, besonders bei Algeciras. Es steht zu befurchten, da? die beiden Bombenwerferschif-fe nicht ohne Geleit segeln konnen. Und da mit einem frankospanischen Durchbruch unserer Blockade zu rechnen ist, haben wir keine Fregatte dafur ubrig. «Er verschrankte die Finger und sagte wutend:»Anscheinend wollen sie mir die Schuld dafur in die Schuhe schieben, hol sie der Teufel, da? die Auriga zum Feind ubergegangen ist!»
        Bolitho sagte nichts dazu; es wurde noch mehr kommen. Es war in der Tat sehr schlimm, denn wenn die Bombenwerfer ausfielen, mu?te diese spezielle Aktion vielleicht verschoben werden. Aber er billigte die Entscheidung, sie nicht ohne Eskorte loszuschicken. Bei auch nur etwas rauher See waren sie schwierig zu manovrieren und eine leichte Beute fur eine patrouillierende feindliche Fregatte. Die Auriga hatte in Gibraltar fur diese Aufgabe abgestellt werden konnen; und fur den Oberkommandierenden war vermutlich die Tatsache, da? Broughton nicht fahig gewesen war, sie bei der Stange zu halten, ein guter Vorwand, keins der anderen Schiffe von der Blockade vor Cadiz und aus der Stra?e von Gibraltar abzuziehen. Oder vielleicht war es auch einfach so, da? keine Schiffe verfugbar oder in Abrufweite waren. Seltsamerweise hatte Bolitho seit Gibraltar kaum jemals an die Meuterei gedacht, wahrend Broughton offenbar die ganze Zeit daruber gebrutet hatte. Ja - in diesem Moment, wahrend sie beim Wein sa?en und die strahlende Sonne in tausend Reflexen an der Kajutendecke und uber die Mobel tanzte, landeten die
Franzosen vielleicht in England oder hatten ein Feldlager bei Falmouth aufgeschlagen. Er schob jedoch den Gedanken sofort von sich, argerlich uber sich selbst - er wurde schon wieder so mude, da? er sich von Broughtons Auffassungen beeinflussen lie?.

«Wir mussen bald etwas tun«, sagte der Admiral,»oder wir schlagen uns plotzlich mit einem franzosischen Geschwader herum, ehe wir wissen, wo wir uberhaupt sind. Und dann werden wir uns ohne eine Basis, wo wir unsere Havarien ausbessern konnen, schwertun, nach Gibraltar zuruckzukommen, von der Einnahme Djafous ganz zu schweigen.»

«Darf ich fragen, wozu Sir Hugo rat?»

«Seine Aufgabe ist es, in Djafou, sobald wir es eingenommen haben, eine Verwaltung auf die Beine zu stellen, die in unserem Sinne arbeitet. Er kennt den Ort von fruher her und hat gute Beziehungen zu den dortigen Fuhrern. «Broughton wurde rot vor aufgestautem Arger.»Lauter Banditen sind das!»
        Bolitho nickte. Draffen hatte also den Grund zu der ganzen Operation gelegt und wurde im Auftrag der britischen Regierung handeln, sobald die Stadt besetzt war, und vielleicht so lange, bis die britische Flotte wieder in voller Starke im Mittelmeer prasent war. Bis dahin war Broughton verantwortlich, und von seiner Entscheidung hing das ganze Unternehmen ab - seine Karriere selbst ebenfalls.

«Spanien«, sagte Bolitho,»hat in den letzten Jahren viel zuviel dafur investieren mussen, seine amerikanischen Kolonien zu halten, als da? es Geld oder Waffenhilfe fur einen Ort wie Djafou ubrig hatte, Sir. Spanien hat alle Hande voll mit dem Kleinkrieg in der Karibik. Sowohl mit Kaperschiffen als auch mit den Gro?machten - je nachdem, mit welcher es gerade alliiert ist. «Er beugte sich vor.»Angenommen, die Franzosen sind ebenfalls an Djafou interessiert, Sir? Es kann leicht sein, da? Spanien irgendwann die Partei wechselt. Dann ware ein weiterer Stutzpunkt auf dem afrikanischen Festland genau das, was Frankreich braucht. Und damit bekommt Djafou fur die Franzosen erheblich mehr Bedeutung.»
        Broughton nippte an seinem Rotwein. Zeit gewinnen will er, dachte Bolitho, bevor er sich durch eine Antwort festlegt. Um Broughtons Augen liefen feine Linien, die auf Sorgen deuteten, und seine Finger trommelten nervos auf den Armlehnen.
        Fur das Schiff und das gesamte Geschwader mu?te Broughtons Autoritat etwas Gottahnliches haben. Wenn schon ein Leutnant so himmelhoch uber einem gewohnlichen Matrosen stand, wie konnte da jemand einen Mann wie Broughton wirklich verstehen? Aber jetzt, wenn man sah, wie er grubelte und Bolithos vage Andeutungen in Gedanken um und um drehte, sah man mit seltener Deutlichkeit, was fur ein Problem diese Autoritat fur den Mann war, der sie besa?.
        Endlich sagte Broughton:»Dieser Witrand. Halten Sie ihn fur eine Schlusselfigur?»

«In gewisser Hinsicht ja, Sir. «Bolitho war dankbar fur Broughtons rasche Auffassungsgabe. Thelwall war ein alter und, wenigstens so lange er auf der Euryalus gewesen war, noch dazu kranker Mann gewesen. Bolithos fruherer unmittelbarer Vorgesetzter, ein schwankender, unentschlossener Kommodore, Befehlshaber eines kleineren Geschwaders, nicht im Admiralsrang] hatte ihn beinahe Schiff und Leben gekostet. Broughton war jedenfalls jung und intelligent genug, um zu sehen, wo eine lokale Aktion des Feindes auf etwas weit Gro?eres hindeutete, das in der Zukunft lag. Er fuhr fort:»Mein Bootsfuhrer hat von Witrands Diener herausbekommen, da? er fruher mit Quartiermachen, Anlegen von Artilleriestellungen und ahnlichem zu tun hatte. Ich glaube, er ist ein Mann von einiger Bedeutung.»
        Broughton lachelte dunn.»Sir Hugos Gegenspieler im feindlichen Lager, eh?»

«Jawohl, Sir.»

«In welchem Falle wir noch weniger Zeit hatten, als ich dachte.»
        Bolitho nickte.»Wir haben gehort, da? in Cartagena Schiffe zusammengezogen werden. Das liegt nur hundertzwanzig Meilen von Djafou, Sir.»
        Der Admiral stand auf.»Sie wurden mir also raten anzugreifen, ohne auf die Bombenwerfer zu warten?»

«Wir haben, soviel ich sehe, gar keine Alternative, Sir.»

«Eine Alternative gibt's immer. «Broughton sah ihn wie aus weiter Ferne an.»In diesem Fall konnte ich mich entscheiden, nach Gibraltar zuruckzusegeln. Dann mu?te ich aber sehr gute Grunde dafur haben.
        Wenn ich mich jedoch fur einen Angriff entscheide, dann mu? dieser Angriff erfolgreich sein.«»Ich wei?, Sir.»
        Broughton trat wieder ans Fenster.»Die Navarra wird mit dem Geschwader segeln. Wenn ich sie freilasse, wird die Anwesenheit und Starke unseres Geschwaders schneller bekannt, als wollte ich Bonaparte eine schriftliche Einladung schicken. Wenn wir sie versenken und Mannschaft und Passagiere auf unsere Schiffe verteilen, gibt das zuviel Unruhe fur eine kurz bevorstehende Aktion. «Er drehte sich um und sah Bolitho forschend an.»Wie sind Sie eigentlich mit den Sche-becken fertig geworden?»

«Ich habe Passagiere und Mannschaft der Navarra zum Dienst des Konigs gepre?t, Sir.»
        Broughton schob die Lippen vor.»Das hatte Fourneaux nie fertiggebracht, bei Gott! Er hatte tapfer gekampft, aber sein Kopf wurde jetzt irgendeine Moschee schmucken, daran habe ich keinen Zweifel. «Und in bestimmtem Ton fuhr er fort:»Signalisieren Sie:

>In einer Stunde alle Kommandanten an Bord zur Dienstbespre-chung!< Dann setzen wir Segel und benutzen den Rest des Tages dazu, etwas Ordnung ins Geschwader zu bringen. Mit dem Wind ist ja nicht viel los, aber er bleibt ein stetiger Nordwest. Das sollte genugen. Sie werden Draffens Plan studieren und sich alle Details zu eigen machen.»
        Bolitho lachelte nachdenklich.»Sie haben also entschieden, Sir.»

«Vielleicht tut uns das beiden noch einmal leid. «Broughton lachelte nicht bei diesen Worten.»Einen Hafen oder ein befestigtes Stuck Land anzugreifen, ist immer Gluckssache. Wenn ich einen festen Schlachtplan habe und so und so viele feindliche Schiffe vor mir, dann sage ich Ihnen, was der Oberkommandierende vorhat. Aber das hier - «, er zuckte verachtlich die Schultern - ,»ist ja, als schicke man ein Frettchen ins Loch. Man wei? nie, wie oder wohin das Kaninchen lauft.»
        Bolitho nahm seinen Hut.»Ich habe Witrand unter spezielle Bewachung gestellt, Sir. Er ist sehr gerissen; wenn er eine Moglichkeit sieht, wurde er sofort fliehen und seine Kenntnisse ausnutzen. Er hat mir an Bord der Navarra das Leben gerettet, aber deswegen unterschatze ich nicht seine sonstigen Qualitaten.»
        Der Admiral horte anscheinend gar nicht zu. Er spielte mit seinem Uhranhanger und starrte geistesabwesend durchs Fenster. Doch als Bolitho zur Tur ging, sagte er scharf:»Wenn ich in der Schlacht falle…«Er hielt inne, und Bolitho sah ihn regungslos an.»Dergleichen soll ja vorkommen, dann haben Sie naturlich den Oberbefehl bis auf weiteres. Da sind gewisse Papiere. «Er schien ungeduldig zu werden und sich uber sich selbst zu argern, und so schlo? er kurz:»Sie werden weiter mit Sir Hugo zusammenarbeiten.»

«Sicher sind Sie zu pessimistisch, Sir«, erwiderte Bolitho.

«Nur vorsichtig. Ich halte nichts von Sentimentalitaten. Tatsache ist, ich traue Sir Hugo nicht ganz. «Er hob die Hand.»Mehr kann ich nicht sagen. Mehr will ich auch nicht sagen.»
        Bolitho starrte ihn verblufft an.»Aber, Sir, seine Beglaubigungsschreiben mussen doch in Ordnung sein?»
        Argerlich erwiderte Broughton:»Gewi? doch. Sein Status bei der Regierung ist vollig klar. Aber seine Motive machen mir Sorge. Jedenfalls seien Sie gewarnt, und vergessen Sie nicht, wo Ihre Loyalitat liegt.»

«Ich wei?, was meine Pflicht ist, Sir.»
        Der Admiral musterte ihn gelassen.»Reden Sie nicht in so gekranktem Ton mit mir, Captain. Ich dachte auch, mein voriges Flaggschiff ware loyal - bis es meuterte. In Zukunft verlasse ich mich auf nichts mehr. Wenn man in eine Kanonenmundung blickt, ist >Pflicht< eine Krucke fur die Schwachen. In einem solchen Moment zahlt nur wahre Loyalitat. «Er wandte sich ab. Die kurze Vertraulichkeit war vorbei.
        Die Dienstbesprechung fand in Bolithos Wohnkajute statt, und alle Anwesenden schienen sich bewu?t zu sein, wie wichtig sie war. Es war Bolitho vollig klar, da? jeder der Manner, die ihm hier gegenubersa?en, bereits wu?te, da? ein Angriff auf Djafou ohne Mitwirkung der Bombenwe rfer bevorstand. So seltsam und unerklarlich ging es eben in einem Verband zu. Neuigkeiten flogen mit Blitzesschnelle von einem Schiff zum anderen, fast unmittelbar nachdem der ranghochste Kommandant seine Entschlusse gefa?t hatte.
        Wahrend er sich durch das Gewirr der Notizen und Planskizzen kampfte, die Broughton ihm bringen lie?, hatte er sich unter anderem gefragt, ob der Admiral ihn testen wolle. Schlie?lich war es ihre erste gemeinsame Aktion, bei der das ganze Geschwader als Einheit zusammenwirken sollte. Da? Broughton ausdrucklich angeordnet hatte,
        Bolitho solle die Besprechung in seiner eigenen Kajute abhalten, bestarkte ihn in der Uberzeugung, da? er genauso gepruft wurde wie jeder andere Untergebene Broughtons.
        Mit Draffen war er seit seiner Ruckkehr an Bord nur einmal zusammengekommen. Draffen war freundlich, aber zuruckhaltend gewesen und hatte uber die bevorstehende Aktion nur sehr wenig gesagt. Vielleicht wollte er wie Broughton den Flaggkapitan bei der Arbeit sehen, selbstandig, ohne Hilfe seiner beiden Vorgesetzten.
        Jetzt sa? er neben Broughton am gro?en Tisch in der Kajute; manchmal huschten seine Augen von einem Gesicht zum anderen, wahrend Bolitho seinen Zuhorern klarmachte, was jeder von ihnen, ohne Rucksicht auf Verluste, auszufuhren hatte.
        Das Schiff rollte heftig; Bolitho horte die tappenden Fu?e auf der Kampanje, das dumpfe Knattern der Leinwand, das Knarren der Spieren, als das Schiff langsam nach Steuerbord uberholte. Achteraus konnte er die Valorous sehen; ihre Marssegel zogen gut. Der stetige Nordwest frischte bereits auf.
        Er mu?te sich kurz fassen. Alle Kommandanten mu?ten so bald wie moglich wieder an Bord ihrer Schiffe sein, um ihren Offizieren den Plan, soweit sie ihn verstanden hatten, zu erklaren. Und ihre Bootsbesatzungen hatten einen langen, schweren Pull vor sich, ganz abgesehen von dem immer starker werdenden Wind.

«Wie Sie gesehen haben, Gentlemen«, begann er,»ist die Bucht von Djafou wie eine tiefe Tasche. Die Ostseite wird durch diesen Landvorsprung geschutzt. «Er tippte mit dem Zirkel auf die Seekarte.»Er hat die Form eines gebogenen Schnabels und bietet den in der Bucht ankernden Schiffen vorzuglichen Schutz. «Er sah ihnen in die gespannt vorgeneigten Gesichter. Ihre Mienen waren so unterschiedlich wie ihre Charaktere.
        Fourneaux sah verachtlich an seiner Nase herunter, als brauche man ihm gar nichts zu erklaren. Und Falcon von der Tanais: seine Augen unter den schweren Lidern verrieten sehr wenig von dem, was er dachte. Rattrays Bulldoggengesicht war in grimmiger Konzentration verzerrt. Er schien von allen die meisten Schwierigkeiten zu haben, sich einen Plan, der auf dem Papier stand, konkret klarzumachen. War er erst einmal im Gefecht, so wurde er sich auf seine unnachgiebige Sturheit verlassen und auf das, was er mit eigenen Augen sehen konnte, bis er entweder gesiegt hatte oder tot war.
        Die beiden jungeren Kommandanten, Gifford von der Coquette und Poate von der Korvette Restless, verhielten sich weniger reserviert; Bolitho hatte gesehen, da? sie sich von Anfang an Notizen machten. Sie beide wurden nicht an die Gefechtslinie gebunden sein; sie konnten Patrouille fahren oder zum Angriff vorsto?en, wie es ihnen ihre Initiative und ihr Gefuhl fur den richtigen Moment eingab. Sie waren so unabhangig, wie Bolitho es liebend gern gewesen ware und jetzt nicht mehr war.

«Im Zentrum unserer Sto?richtung liegt das Kastell. «Er sah es so vor seinem geistigen Auge, wie er es sich aus den Erinnerungen Draf-fens und dem neuesten Agentenbericht zusammengebaut hatte.»Vor vielen Jahren haben die Mauren es errichtet, es hat starke Mauern und ist gut armiert. Es steht auf einem kleinen Felseneiland, doch ist es seit langerer Zeit durch einen Fahrdamm mit der Westseite der Bucht verbunden. «Draffen hatte ihm erzahlt, da? der Damm von Sklaven gebaut war. Als er das horte, hatte er sich, wie auch jetzt wieder, gefragt, wie viele Menschen in Schmerzen und Elend bei diesem Bau umgekommen waren.»Es soll dort eine etwa zweihundert Mann starke spanische Garnison liegen und dazu ein paar eingeborene Kundschafter. Keine gro?e Streitmacht, aber durchaus fahig, einem ublichen Frontalangriff standzuhalten.»
        Rattray rausperte sich laut.»Wir konnen doch sicherlich direkt in die Bucht hineinsegeln. Die Batterie des Kastells wurde zwar einigen Schaden anrichten, aber bei dem herrschenden Nordwest waren wir durch und drin, ehe sie mehr tun konnten, als uns ein bi?chen anzukratzen.»
        Bolitho musterte ihn unbewegt.»Es gibt nur eine Zufahrt, die tief genug ist, und die liegt dicht beim Fort. An einer Stelle betragt der Abstand nur eine halbe Kabellange. Wenn das vorderste Schiff beim Angriff auf Grund gesetzt wird, kommen die anderen nicht weiter. Und wenn das letzte aufsitzt, konnen wir nicht mehr heraus.»
        Rattray war bose.»Kommt mir ziemlich blod vor, einen befestigten Hafen so anzulegen, wenn Sie mich fragen, Sir.»
        Captain Falcon lachelte ihn freundlich an.»Ich vermute, damals hatte man wenig Ursache, gro?e Schiffe willkommen zu hei?en, Rattray.»
        Jetzt sprach Draffen zum erstenmal.»Das stimmt. Ehe die Spanier den Hafen fur sich eroberten, gehorte er mal dem einen, mal dem anderen lokalen Scheich. Er wurde immer nur von kleinen Kustenfahrzeugen benutzt, und - «, er sah Bolitho bedeutsam an - ,»und von Schebecken.»
        Bolitho nickte.»Es gibt noch einen weiteren Zugang zum Fort auf dem Wasserwege. Fruher haben die Verteidiger manchmal, bei Belagerungen zum Beispiel, direkt von See Proviant hereinbekommen. Kleinere Fahrzeuge konnen unter der nordwestlichen Mauer hineingelangen. Aber auch dann sind sie standig im Schu?feld der au?eren Brustwehr.»
        Jetzt sagte keiner etwas; sie waren nicht mehr erregt, sondern hochst nachdenklich. Das war anscheinend hoffnungslos. Hatten die beiden Bombenwerfer am Landvorsprung gelegen, so hatten sie das Fort pausenlos bombardieren konnen. Die oberen Werke hatten das nicht ausgehalten, und die spanische Artillerie hatte wegen der vorspringenden Landzunge kein Schu?feld gehabt. Kein Wunder, da? Draffen so still blieb. Er hatte diese Operation bis ins einzelne rekognosziert und geplant. Aber weil die Werfer nicht rechtzeitig eintrafen, was letzten Endes auf den Verlust der Auriga zuruckzufuhren war, mu?te er jetzt mitansehen, wie sich alles in Zweifel und Ungewi?heit aufloste.
        Bolitho fuhr fort:»Die Bucht ist ungefahr drei Meilen breit und zwei Meilen tief. Die Stadt ist klein und wird kaum verteidigt. Hier kommt also nur ein Landeunternehmen, gleichzeitig von Ost und West, in Frage. Die Halfte der Marine-Infanteristen des Geschwaders wird hier, dicht unter der Landzunge, landen. Der Rest wird hier an Land gesetzt und marschiert landeinwarts. «Er tippte mit der Zirkelspitze auf die Karte und sah, da? Falcon sich auf die Unterlippe bi?; zweifellos dachte er an die Schwierigkeiten, welche beide Infanterieabteilungen zu uberwinden hatten. Der ganze Kustenstrich war, um es milde auszudrucken, wild und unfreundlich. Ein paar Steilkusten vor machtigen Bergen, mit Felsklippen bestanden und von tiefen Rissen durchzogen, so da? sie ausgezeichnete Moglickeiten fur Hinterhalte boten. Es war nicht zu verwundern, da? sich das Fort so lange Zeit hatte halten konnen und nur durch das Bundnis mit einem dortigen Scheich in die Hande der Spanier gekommen war. Dieser Scheich war inzwischen gestorben, und sein Stamm lebte zerstreut in den wilden Bergen, die manchmal von See aus sichtbar
waren. Doch war Djafou erst in Handen der Franzosen, so wurde es bei deren militarischen
        Fahigkeiten und technischen Ambitionen eine wesentlich gro?ere Bedrohung sein: ein Zufluchtsort fur ihre Schiffe, die von dort aus gegen jedes britisches Geschwader zum Angriff vorsto?en konnten.
        Er durfte sich seine Verzweiflung nicht anmerken lassen. Warum war das, was man am notigsten brauchte, nie zur rechten Zeit und in genugender Menge da? Mit zwanzig Linienschiffen und ein paar Transportern voll erfahrener Soldaten und bespannter Artillerie hatten sie in ein paar Tagen das erreichen konnen, was die Franzosen schon seit vielen Monaten geplant haben mu?ten.
        Wahrscheinlich wu?te Witrand die Losung des Ratsels. Das war auch etwas, woruber Bolitho sich gewundert hatte: als er den Franzosen Draffen gegenuber erwahnte, hatte dieser nur achselzuckend gesagt:»Aus dem kriegen Sie nichts heraus. Seine Anwesenheit hier bedeutet fur uns eine Warnung, aber viel mehr auch nicht.»
        Er sah durch das Heckfenster. Schon bekamen die Wellen kleine wei?e Mahnen, und als zusatzliche Warnung stand der Verklicker der Valorous steif im Wind.

«Das ist fur den Augenblick alles, Gentlemen. Leutnant Calvert gibt Ihnen die schriftlichen Befehle. Wir segeln unverzuglich nach Djafou. Morgen fruh sind wir vor der Bucht.»
        Broughton stand auf und musterte sie gelassen.»Sie kennen jetzt meine Absichten, Gentlemen. Sie kennen auch meine Methoden. Ich erwarte, da? alle Signale bis ins kleinste befolgt werden. Das Geschwader greift von Osten nach Westen an und zieht den gro?tmoglichen Vorteil daraus, da? der Feind die Sonne im Gesicht hat. Beschu? von See her, kombiniert mit einem Zangenangriff zu Lande - das mu?te reichen. «Er hielt einen Moment inne und fuhr dann kuhl fort:»Wenn nicht, greifen wir immer wieder an, so lange, bis wir Erfolg haben. Das war's, Gentlemen. «Er drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort aus der Kajute.
        Wahrend die anderen Kommandanten sich gebuhrend verabschiedeten und zu ihren Booten eilten, stand Draffen stirnrunzelnd uber die Karte gebeugt.
        Die Tur schlo? sich hinter dem letzten Kommandanten, und Draffen sagte langsam: Ich hoffe zu Gott, da? der Wind abflaut. Dann wurde Sir Lucius diesen Angriff unterlassen.»
        Bolitho starrte ihn an.»Ich dachte, Ihnen liegt am allermeisten daran, da? Djafou eingenommen wird, Sir?»
        Draffen verzog das Gesicht.»Die Lage hat sich jetzt geandert. Wir brauchen Verbundete, Bolitho. Im Kriege darf man hinsichtlich seiner Bettgenossen nicht zu wahlerisch sein.»
        Die Tur ging auf - Keverne stand im Rahmen und sah Bolitho an. Vielleicht wartete er auf neue Befehle, oder er hatte wieder eine Liste von Dingen, die das Schiff und das Geschwader brauchten.
        Zogernd fragte Bolitho:»Und gibt es solche Verbundete?»
        Draffen kreuzte die Arme vor der Brust und hielt seinem Blick stand.»Dessen bin ich sicher. Aber die haben nur vor Starke Respekt. Wenn sie sehen, da? dieses Geschwader bei seinem ersten Gefecht mit der spanischen Garnison geschlagen wird, dann ist das sehr schlecht fur unser Prestige. «Er fuhr mit der Hand uber die Karte.»Diese Menschen leben von ihren Krummschwertern. Starke ist das einzige, was sie zusammenhalt, ihr einziger Gott. Wir brauchen Djafou nur vorubergehend als Stutzpunkt, bis wir wieder voll im Mittelmeer prasent sind. Wenn es soweit ist, wird Djafou wieder vergessen sein, ein elendes, unfruchtbares Loch wie vorher. Aber nicht fur die, die dort leben mussen. Fur die ist Djafou ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Alles was sie haben.»
        Dann lachelte er und ging zur Tur.»Wir sehen uns morgen. Jetzt habe ich zu arbeiten.»
        Bolitho wandte sich ab. Seltsam, unter welch verschiedenen Gesichtspunkten diese beiden Manner Djafou betrachteten, Broughton und Draffen. Fur den Admiral war es einfach ein Hindernis. Ein Storfaktor in seiner alles beherrschenden strategischen Planung. Fur Draf-fen schien es etwas ganz anderes zu sein: ein Teil seines Lebens vielleicht. Oder ein Teil seiner selbst.

«Alle Kommandanten sind zu ihren Schiffen unterwegs, Sir«, meldete Keverne. Falls er Angst hatte, merkte man es ihm jedenfalls nicht an. Eines Tages vielleicht wurde er in einer Position sein, in der er sich Sorgen machen mu?te wie Broughton. Aber jetzt hatte er seinen Dienst zu tun und sonst nichts. Vielleicht lebte er so besser.

«Danke, Mr. Keverne. Ich komme gleich an Deck. Aber jetzt lassen Sie Mr. Tothill dem Geschwader signalisieren, da? es die befohlenen Positionen einnehmen soll. «Er hielt inne. Von diesen standigen Verzogerungen und Unsicherheiten hatte er reichlich genug.»Wir greifen morgen an, wenn der Wind sich halt. «Keverne zeigte grinsend die Zahne.»Also hat das Warten Gott sei Dank ein Ende, Sir.»
        Bolitho sah ihm nach, wie er hinausging, und trat dann wieder ans Fenster. Aye, ein Ende, dachte er. Und wenn wir Gluck haben, ist es ein neuer Anfang.



        XII Das Kastell


«Wachen Sie auf, Captain!»
        Bolitho offnete die Augen. Er mu?te an seinem Schreibtisch eingeschlafen sein. Da stand Allday und sah auf ihn hinunter; die einzige Deckenlaterne warf einen gelblichen Schein auf sein Gesicht. Beide Kerzen auf dem Schreibtisch waren ausgebrannt, seine Kehle war trocken und rauchig. Allday stellte einen Zinnbecher auf den Tisch und go? schwarzen Kaffee hinein.

«Die Sonne wird bald aufgehen, Captain.»

«Danke.»
        Bolitho nippte an dem gluhendhei?en Kaffee und wartete, bis sein Hirn die letzten Fesseln des Schlafes abgeschuttelt hatte. In der Nacht war er mehrmals an Deck gewesen, um noch vor Tagesanbruch die letzten Einzelheiten zu uberprufen, den Wind zu studieren, Kurs und Geschwindigkeit des Geschwaders abzuschatzen. Beim nochmaligen Durcharbeiten von Draffens Notizen war er in tiefen Schlaf gesunken, aber der Schlummer in der stickigen Kajute hatte ihn keineswegs erfrischt.
        Argerlich uber sich selbst stand er auf. Alles hing vom Ausgang dieses Tages ab. Nichts war dadurch gewonnen, da? er in dieser fruhen Phase schon Vermutungen anstellte.

«Rasch noch rasieren, Allday!«Er go? den Kaffee hinunter.»Und noch etwas Kaffee!»
        Aus der Kajute unter ihm horte er ein Gerausch: Broughtons Steward war im Begriff, seinen Herrn zu wecken. Ob der wohl geschlafen hatte? Oder hatte er wach in seiner Koje gelegen und sich uber den bevorstehenden Kampf und seine moglichen Konsequenzen den Kopf zerbrochen?

«Wind kommt stetig aus Nordwest, Captain. «Geschaftig legte All-day Rasiermesser und Handtuch zurecht, Bolitho warf sein Hemd auf die Sitzbank und lie? sich dann wieder in den Sessel fallen.

«Mr. Keverne hat schon vor einer Stunde >Alle Mann< pfeifen lassen.»
        Bolitho entspannte sich etwas, wahrend das Rasiermesser uber sein Kinn schabte. Die Bootsmannspfeifen hatten die mehreren hundert Mann Besatzung an Deck geholt, und er hatte keinen Ton davon gehort. Wahrend er im Erschopfungsschlaf uber dem Tisch lag, hatten sie gegessen und dann trotz der Dunkelheit angefangen, die Decks zu klarieren. Denn ganz gleich, was kam, es hatte keinen Sinn, ihnen Zeit zum Nachdenken zu lassen. Wenn der Kampf begann, mu?te ihr Schiff in Ordnung sein. Das Schiff bestimmte ja nicht nur ihr Leben, es war auch ihre Heimat, ihr Zuhause. Alles war ihnen bekannt und gewohnt: die Segel, das Klatschen des Wassers gegen den Schiffsrumpf, die Gesichter an der Back beim Essen, die gleichen Gesichter, die bald durch offene Stuckpforten spahen wurden.
        Wahrend Allday ihn, rasch und geschickt wie immer, fertig rasierte, uberdachte er noch einmal die hektischen Vorbereitungen des letzten Tages. Die Marine-Infanterie des ganzen Geschwaders war in zwei gleichstarke Divisionen geteilt worden. Die eine Halfte war auf Rattrays Zeus, das Fuhrungsschiff, gekommen, die andere auf die Valorous, das letzte Schiff der Formation. Auch alle gro?en Kutter des Geschwaders waren auf diese beiden Schiffe verteilt worden; und Bolitho konnte sich vorstellen, was sie mit so vielen zusatzlichen Leuten an Bord fur eine unruhige Nacht gehabt hatten.
        Er stand auf, wischte sich das Gesicht ab und sah dabei durchs Heckfenster. Aber drau?en war es noch zu finster; man erkannte nur ein bi?chen Schaum am Ruder. Die Schiffe liefen fast genau mit Ostkurs, und die Kuste lag etwas uber funf Meilen an Steuerbord voraus. Broughton hatte recht daran getan, den Kurs beizubehalten, bei dem der Wind sehr bequem uber das Achterdeck kam, und nicht zu versuchen, jetzt schon die endgultige Formation fur den Angriff auf die Kuste herzustellen. Denn dabei hatten die Schiffe leicht auseinandergeraten konnen, wogegen sie jetzt, bei dem gunstigen Wind und den ublichen, leicht abgeblendeten Hecklichtern, ohne weiteres in zwei Reihen heransegeln konnten, sobald der Admiral das entsprechende Signal gab.
        In der dicken Fensterscheibe sah er sein Spiegelbild, und dahinter, wie einen zweiten Schatten, Allday. Sein Hemd war noch offen, und er sah das Medaillon an seinem Halse im Takt der Schiffsbewegung leicht hin und her schwingen, und auch die dunkle Locke, die ihm rebellisch ubers Auge hing. Unwillkurlich fa?te er hin und beruhrte die tiefe Narbe unter dem Haar vorsichtig mit der Fingerspitze. Es war eine ganz automatische Bewegung, und doch dachte er jedesmal, er wurde dort Hitze fuhlen oder Schmerz wie damals, als er niedergehauen und fur tot liegengelassen worden war.
        Allday, hinter ihm, lachelte erleichtert. Diese wohlbekannte Bewegung, die offensichtliche Uberraschung Bolithos, jedesmal wenn er die Narbe beruhrte, hatte immer etwas Beruhigendes. Er wartete noch, bis Bolitho das Halstuch locker geschlungen hatte, dann brachte er Uniformrock und Degen.

«Sind Sie bereit, Captain?»
        Einen Arm im Rock hielt Bolitho inne und musterte ihn. Seine grauen Augen waren wieder vollig unbewegt.

«Bereit bin ich immer«, entgegnete er lachelnd.»Ich hoffe, Gott ist uns heute gnadig.»
        Allday grinste und blies die Laterne aus.»Amen darauf, kann ich nur sagen.»
        Beide gingen zusammen in die kuhle Dunkelheit hinaus.

«An Deck: Land voraus!«Uberlaut klang die Stimme des Ausgucks durch die klare Luft.»Einen Strich an Steuerbord!»
        Bolitho hielt in seinem Auf- und Abgehen inne und spahte durch die schwarzen Linien des Riggs. Hinter dem langsam kreisenden Bugspriet und dem flappenden Kluver breitete sich der erste Schimmer der Morgenrote uber die Kimm. Dort, ein bi?chen nach Steuerbord, hob sich etwas ab, das wie eine lange, schmale, scharfkonturierte Wolke aussah; doch es war, wie er wu?te, der Kamm eines fernen Berges, der, von der noch unsichtbaren Sonne gerotet, sichtbar wurde.
        Er zog seine Uhr und hielt sie dicht ans Auge. Es wurde bereits heller, und wenn alles gutgegangen war, wurde die Valorous jetzt beidrehen, ihre Marine-Infanteristen wurden in die Boote klettern und zur Kuste rudern. Hauptmann Giffard von der Euryalus hatte das Kommando, und er tat Bolitho jetzt schon leid. Es war schlimm genug, zweihundert Seesoldaten mit ihren schweren Stiefeln und Musketen durch rauhes, unbekanntes Gelande zu fuhren, aber wenn die Sonne erst stieg, wurde es eine Tortur sein. Marine-Infanteristen waren gedrillt und diszipliniert wie Landsoldaten, aber da war es mit der Ahnlichkeit auch schon vorbei. Sie waren an ihr seltsames Bordleben gewohnt, der enge Raum bot ihnen wenig Bewegungsmoglichkeit, und daher waren sie einem Gewaltmarsch nicht gewachsen.

«Ich kann die Tanais sehen, Sir«, sagte Keverne.
        Bolitho nickte. Der rote Schein lag auf der Gro?rah des Vierundsiebzigers wie Feenglanz in den Waldern von Cornwall, dachte er. Seine Hecklaterne verbla?te bereits; und als er zum Verklicker der Euryalus emporsah, glanzte das Gro?marssegel feucht im Fruhtau, und mit jeder Sekunde vertiefte sich der Widerschein der Morgenrote auf seiner Flache.
        Man horte leichte Schritte, und Keverne flusterte:»Der Admiral,
        Sir.»
        Broughton schritt zum Achterdeck und starrte auf den fernen Berg. Bolitho machte seine dienstliche Meldung.

«Klar zum Gefecht, Sir. Die Rahen sind angekettet, die Schutznetze aufgeriggt.»
        Bei dem Krach, mit dem diese Vorbereitungen verbunden waren - Zwischenwande abrei?en, die Zurrings von den Kanonen nehmen, das Tappen nackter Fu?e, wenn die Matrosen sich selbst und ihr Schiff kampffahig machten - mu?te auch Broughton das wissen. Aber Meldung mu?te nun einmal gemacht werden.

«Haben wir schon Sichtverbindung mit dem Geschwader?«knurrte Broughton.

«Mit der Tanais, Sir. Aber wir werden bald mit allen direkte Signalverbindung aufnehmen konnen.»
        Der Admiral ging zur Leeseite und spahte zum Land hinuber. Es war nicht mehr als ein dunkler Schatten, uber dem der Berggipfel frei im Raum zu hangen schien.»Ich bin froh«, sagte er,»wenn das Geschwader uber Stag gehen kann. Ich hasse es, vor einer Leekuste zu stehen, wenn die Sicht so schlecht ist.»
        Er fiel wieder in Schweigen, und Bolitho horte schwere regelma?ige Schritte auf dem Steuerborddecksgang; es klang, als schluge jemand mit einem Hammer gegen einen Baumstamm.

«Sagen Sie diesem Offizier, er soll nicht so laut sein, hol ihn der Teufel«, blaffte Broughton.
        Keverne gab diesen plotzlichen Ausbruch des Unwillens an den Schuldigen weiter, und Bolitho horte Meheux rufen:»Bitte um Entschuldigung, Sir Lucius!«Aber es klang trotzdem ganz vergnugt. Bolitho hatte ihn von der Navarra zuruckberufen, damit er wieder seine geliebte obere Batterie von Zwolfpfundern ubernahm, und Me-heux grinste beinahe unaufhorlich, seit er wieder an Bord war.
        Immerhin war das ein Zeichen, da? es Broughton nicht recht wohl bei dem ganzen Unternehmen war.

«Ich habe den Gefangenen ins Orlopdeck[Zwischendeck, unter der Wasserlinie gelegen.] bringen lassen, Sir Lucius.»
        Der Admiral schnob verachtlich.»Dieser verdammte Witrand! Der sollte lieber hier oben bleiben - wurde ihm guttun!»
        Bolitho lachelte.»Eines ist jedenfalls sicher: er wei? uber diese Gegend besser Bescheid, als ich zuerst dachte. Als Keverne ihn nach unten bringen wollte, war er schon fertig angezogen und durchaus darauf vorbereitet - jemand, der von militarischen Dingen nichts versteht, ware zumindest uberrascht gewesen.»

«Das war umsichtig von Keverne«, entgegnete Broughton, aber es klang nur ganz beilaufig. Vermutlich dachte er nach wie vor daran, was dort druben hinter den Schatten lag.
        Wieder waren laute Schritte an Deck zu vernehmen, und Broughton fuhr herum: Calvert stolperte ungeschickt uber die Taljen eines Geschutzes.

«Passen Sie gefalligst auf Ihre Fu?e auf! Sie machen ja mehr Krach als ein Blinder mit 'nem Holzbein!»
        Im Halbdunkel murmelte Calvert irgend etwas, und Bolitho sah, wie die Manner der nachstliegenden Geschutzbedienung einander wissend angrinsten. Calverts prekares Verhaltnis zum Admiral mu?te im ganzen Schiff bekannt sein.

«Guten Morgen, Gentlemen!«Draffen kam unter der Kampanje heraus. Er trug ein plissiertes wei?es Hemd und eine dunkle Kniehose, in deren Gurtel eine Pistole stak, und wirkte wohlausgeruht, wie soeben aus tiefem, traumlosem Schlaf erwacht.

«Die Zeus in Sicht, Sir!«rief Midshipman Tothill.
        Bolitho schritt zur Achterdecksreling und spahte nach vorn. Stetig wuchs die Tanais aus dem Schatten heraus, und hinter ihr, etwas nach Backbord, konnte er eben noch den fuhrenden Vierundsiebziger ausmachen; die oberen Rahen schimmerten bereits im Widerschein des Morgenrots.
        Der Rand der Sonne stieg langsam und gleichma?ig uber die Kimm, das warme Licht erreichte beide Seiten des Bugs, ruhrte an die lebhaften Wogenkamme, breitete sich weiter aus.

«Da ist ja Land, Sir!«schrie Tothill plotzlich.
        Das war nun kaum eine vorschriftsma?ige Sichtmeldung, aber sie waren alle viel zu aufgeregt, um diesen Formfehler zu bemerken. Und in Anbetracht von Broughtons Gereiztheit war das auch besser so, dachte Bolitho.»Danke, Mr. Tothill«, antwortete er kuhl.»Sie merken auch alles.»
        Im rasch zunehmenden Sonnenlicht konnte man sehen, da? der Midshipman rot anlief, aber er war klug genug, den Mund zu halten.
        Bolitho wandte sich um und beobachtete, wie das Land immer deutlicher aus dem zuruckweichenden Schatten hervortrat: langgestreckte Hugel, jetzt noch grau und purpurn, aber schon wurden die kahlen Abhange sichtbar, in deren dunkleren Flachen sich Schluchten und tiefe Spalten verbargen.

«Die Valorous ist in Sicht, Sir. «Lucey, der Funfte Offizier, der auch die Achterdeck-Neunpfunder unter sich hatte, meldete es mit gedampfter Stimme.»Sie hat die Bramsegel gesetzt.»
        Bolitho ging die Deckschrage zur Luvseite hinan und starrte uber die Hangemattsnetze. Der Vierundsiebziger, das letzte Schiff der Reihe, bot ein schones Bild, wie es sturmisch hinter den langsameren Schiffen aufkam; die Mars- und Bramsegel schimmerten wie polierte Muscheln, wahrend der Rumpf sich noch im Schatten verbarg. Bald schon wurde ein Ausguck die Fregatte weit drau?en auf See sichten konnen, und dann auch die kleine Restless, die sich naher an die Kuste heranschlich, und endlich auch das letzte Schiff, das die Finsternis freigab: ihre Prise, die Navarra, sollte auf Signaldistanz bleiben, aber nicht naher kommen. Es konnte nichts schaden, wenn die Verteidiger von Djafou dachten, da? Broughton mindestens noch ein weiteres Kriegsschiff zur Verfugung hatte. Bolitho hatte sogar vorgeschlagen, da? der Steuermannsmaat, der zur Ablosung Meheux' hinubergeschickt worden war, irgendwelche beliebigen Signale hissen sollte, damit der Eindruck entstunde, hinter der Kimm befanden sich noch mehr Schiffe.
        Es hing so viel von der ersten Attacke ab. Der Widerstandswille der Spanier wurde rascher erlahmen, wenn sie nach einem ersten Angriff, der bereits erheblichen Schaden verursacht hatte, noch mit einem gro?eren Schiffsverband rechnen mu?ten.
        Bolitho zwang sich dazu, langsam an der Luvseite auf und ab zugehen. Der Admiral blieb regungslos am Fu? des Gro?mastes stehen.
        Kampanje und Netze wirkten seltsam nackt ohne die gewohnten scharlachroten Reihen der Seesoldaten, die immer ein gewisses Gefuhl der Sicherheit gaben. Aber davon abgesehen, war sein Schiff kampfbereit. Auf dem Oberdeck, neben den beiden Reihen der Geschutze, warteten bereits die halbnackten Bedienungen auf den Feuerbefehl. Die Manner hatten bunte Tucher um die Ohren gebunden, damit ihr Trommelfell durch das Krachen der Kanonen nicht beschadigt wurde. Oben in den Masten waren, wie er durch die Schutznetze sehen konnte, die Drehbassen geladen; weitere Matrosen, die zur Zeit nichts zu tun hatten, warteten an den Brassen und Fallen auf Kommandos vom Achterdeck.
        Partridge schneuzte sich heftig in ein grunes Taschentuch und erstarrte unter dem wutenden Blick des Admirals. Aber Broughton sagte nichts; der wei?haarige Master steckte das ansto?erregende Tuch in die Manteltasche und grinste Tothill verlegen zu.
        Bolitho hatte die Hand auf dem Degengriff. Das Schiff war lebendig, ein vitales, vielschichtiges Kriegsinstrument. Er dachte an den Kampf auf der Navarra, den harten Kontrast zwischen dieser geschulten, geordneten Welt und der primitiven Mann-gegen-Mann-Verteidigung dort druben. An die Spanier, deren anfangliche Angst sich in blutrunstige Wildheit verwandelt hatte; an die halbnackten Frauen, die schwei?glanzend von ihrer schweren Arbeit an den Pumpen ausruhten. An Meheux' Fluchen, als er auf dem Blut des spanischen Kapitans ausrutschte, und an Ashtons helle Knabenstimme, die sich uber den Kampfeslarm erhob, als er die Geschutzbedienungen in seinem unbeholfenen Spanisch anfeuerte, schneller zu laden.
        Und an den kleinen Pareja. Der sich solche Muhe gegeben hatte. Der, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, das Gefuhl hatte, wirklich gebraucht zu werden. Auch an seine Witwe dachte er. Was wurde sie wohl jetzt tun? War sie noch bose auf ihn, weil sie seinetwegen den Mann verloren hatte? Oder auf die Umstande, durch die sie uberhaupt nach Spanien gekommen war? Schwer zu sagen. So eine seltsame Frau war ihm noch nie begegnet: sie trug die Kleidung, den Schmuck einer vornehmen Dame mit der kuhnen, feurigen Arroganz einer Frau, die ein weit lustigeres Leben gewohnt war, als Pareja ihr geboten hatte.
        Tothills Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.»Die Tanais gibt ein Signal der Zeus an uns weiter, Sir!«Er kritzelte etwas auf seine Schiefertafel.»>Feind in Sicht<, Sir.»

«Verdammte Schweinerei!«fluchte Broughton halblaut.
        Die Segel der Tanais hatten Rattrays Signal vor dem Flaggschiff verdeckt; und so war durch die Weitergabe von Schiff zu Schiff eine Verzogerung entstanden. Bolitho runzelte die Stirn. Auch aus diesem Grund ware es besser gewesen, wenn die Euryalus die Fuhrung ubernommen hatte. Er konnte sich vorstellen, wie Rattray einem Mids-hipman vom Schlage Tothills seinen Befehl gegeben hatte. Er wurde sich seiner Position als erstes Schiff sehr bewu?t sein und darauf dringen, da? seine Signale so schnell wie moglich gehi?t wurden. Nun stand aber im ganzen Signalhandbuch nichts, was dem Wort Djafou irgendwie nahekam. Der Eile halber, und weil er vermeiden wollte, den Namen auszubuchstabieren, hatte er statt dessen ein gelaufigeres Signal genommen. Captain Falcon hatte an seiner Stelle etwas mehr Phantasie entwickelt - oder uberhaupt nichts gesagt. Kannte man den Kapitan, so wu?te man auch, wie es auf seinem Schiff zuging.
        Das Land hatte andere Farben bekommen, wahrend die Sonne sich hoher uber ihr Spiegelbild im Wasser hob: das Purpurrot war zu einem matten Grunbraun geworden, die grauen Klippen und Schluchten zeichneten sich deutlich ab, wie auf einem Holzstich in der Gazette.[das halbamtliche Marine-Journal] Aber im gro?en und ganzen hatte sich der erste Eindruck nicht verandert: baumlos, ohne ein Zeichen von Leben, die Luft bereits flirrend vor Hitze oder vielleicht auch vor Staub, den der stetige Landwind aufwirbelte. Der westliche Arm der Bucht wurde von dem anderen, schnabelformigen, noch im tiefen Schatten liegenden Arm uberschnitten. Genau voraus lag ein runder Hugel, dessen Vorderseite durch einen Erdrutsch ins Meer gesturzt war. Die Entfernung betrug etwa vier Meilen, doch konnte Bolitho sehen, wie die See in wei?en Federn auf dem steinigen Strand auflief und sich einen kleinen Priel an diesem trubseligen Kustenstrich suchte.
        Die Zeus wurde jetzt in Hohe der nachstgelegenen Landzunge sein und bei dieser klaren Luft gute Sicht auf das Fort haben. Rattray wurde sich inzwischen schon selbst ein Bild davon machen konnen, was ihn in den nachsten Stunden erwartete.

«Die Zeus soll anfangen, die Marine-Infanterie zu landen!«befahl Broughton. Dabei sah er Calvert an.»Kummern Sie sich um das Signal und versuchen Sie, sich wenigstens ein bi?chen nutzlich zu ma-
        chen!»
        Und etwas ruhiger zu Bolitho:»Sobald Rattrays Boote weg sind, signalisieren Sie:
>Geschwader in Linie halsen!< Wir haben dann den au?eren Verteidigungsgurtel gesehen und konnen den Angriff kalkulieren.»
        Bolitho nickte. Das klang vernunftig. Halsen und auf Gegenkurs zurucksegeln war weniger gefahrlich, als jetzt gleich anzugreifen, da sie Schiff um Schiff die Offnung der Bucht kreuzen mu?ten. Wenn sie beim ersten Blick auf das Fort merkten, da? die Plane und die fluchtigen Notizen nicht stimmten, dann wurden sie immer noch Zeit haben, von der Kuste freizukommen. Aufjeden Fall konnte Rattray, wenn die Zeus gehalst hatte und wieder Fuhrungsschiff war, hoffentlich ein wachsames Auge auf Land und Wind haben. Wenn der Wind plotzlich auffrischte oder ausscho?, rechtsdrehte, also in diesem Falle nach Norden] dann wurden sie allesamt reichlich zu tun haben, um von den Felsen klarzukommen, und kaum Zeit finden, sich auf ein Artillerieduell einzulassen. Er beobachtete, wie die Signalflaggen zur Rah aufstiegen und sich im Winde entfalteten; Sekunden spater sah er, wie es daraufhin an Deck der Zeus lebendig wurde und sich immer mehr Leinwand an den Rahen bauschte.
        Bis jetzt hatte jeder Kommandant genau nach Broughtons Plan gehandelt. Rattray wurde vielleicht eine Stunde brauchen, bis alle seine Boote weg waren, und inzwischen konnten die anderen Schiffe vor der Bucht auf ihren Positionen bleiben.
        Bolitho sah nach oben, denn von dort kam der Ruf:»Da ist die Coquette, Sir! In Luv, zwei Strich achterlicher als dwars!»
        Bolitho zupfte an seinem Hemd. Es war schon ganz na?geschwitzt, und in Kurze wurde es noch erheblich hei?er sein. Er mu?te trotz seiner truben Gedanken lacheln: hei?er in mehr als einer Hinsicht.
        Partridge hatte das fluchtige Lacheln bemerkt. Er stie? den Leutnant in die Seite und flusterte:»Sehen Sie das? Der Alte ist so kuhl wie'n Zofenku?!»
        Leutnant Lucey, normalerweise ein munterer, etwas leichtsinniger junger Mann, hatte Angst vor dem Morgenrot gehabt und vor dem, was es ihm bringen mochte. Als er sah, wie der Kommandant vor sich hin lachelte, wurde ihm ein bi?chen besser.
        Da waren sie auch schon in Hohe der ersten Landzunge. Nach der langen und langsamen Anfahrt schienen alle uberrascht zu sein, da? sie schon da waren. Als sie die Landspitze achteraus hatten, sah er das machtige Fort blaugrau in der Morgensonne liegen und fuhlte sich sonderbar erleichtert: es war genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Ein massiver, kreisrunder Bau, innen ein kleinerer Turm mit einem Fahnenmast, der in der Sonne wei? glanzte. Aber es wehte noch keine Flagge daran, und auch sonst deutete nichts darauf hin, da? Alarm gegeben worden war. Alles sah so still aus, da? es ihn an ein gro?es, einsames Grabmal erinnerte.
        Unbeirrt kreuzte das Schiff die trage Kustendunung, und er konnte jetzt tiefer in die Bucht hineinsehen. Ein kleines Fahrzeug lag vor Anker, wahrscheinlich eine Brigg, und ein paar Dhaus. Wie mochten Giffard und seine Marine-Infanteristen wohl vorangekommen sein? Wurden sie den Fahrdamm einnehmen konnen?
        Er sah, wie die Restless vorsichtig seewarts kreuzte. Gott sei Dank hatte Poate, ihr junger Kommandant, zwei Lotgasten in die Rusten beordert. Der Meeresboden fiel hier sehr steil ab, aber es war immerhin moglich, da? jemand bei der letzten Kartenkorrektur eine Sandbank oder ein Riff ubersehen hatte.
        Da die andere Landzunge weiter vorstie?, passierten sie sie in wesentlich kurzerer Entfernung, und als sie den stillen Bau des Forts verdeckte, rief Keverne aus: Sehen Sie mal, Sir! Da ist jemand wach!»
        Bolitho nahm ein Teleskop und stellte es auf die Schrage der schnabelformigen Landzunge ein. Zwei Reiter, reglos wie aus Stein; nur manchmal schlugen die Pferde mit den Schweifen oder die langen wei?en Burnusse wehten im Wind. Sie sahen auf die Schiffe hinunter, die da weit vor ihnen langsam im zunehmenden Sonnenlicht segelten. Dann, wie auf Signal, wendeten beide ihre Pferde und verschwanden hinter der Kante, ohne Eile, ohne Zeichen von Erregung.

«Jetzt sagen sie denen Bescheid, da? wir da sind, Jungs«, bemerkte jemand.
        Bolitho warf einen Blick auf Broughton, doch der starrte auf den leeren Abhang, als ob die beiden Reiter noch da waren.
        Bis auf die normalen Gerausche von See und Wind war alles ruhig-zu ruhig; das Gefuhl, auf etwas zu warten, war starker geworden, und das machte nervos. Giffard hatte sogar die Musiker seiner MarineInfanteristen mitgenommen; Bolitho dachte fluchtig daran, den Schiffsfiedler irgendeinen gelaufigen Shanty spielen zu lassen, den die
        Matrosen mitsingen konnten. Aber Broughton schien nicht in der Stimmung fur solche Zerstreuung zu sein, und so lie? er den Gedanken wieder fallen.
        Von Broughtons geradem Rucken ging sein Blick zu ein paar Matrosen bei den Neunpfundern. Sie standen und starrten uber die Netze auf die langsam voruberziehende Mauer aus Felsen und Steinen. Wie seltsam das den meisten vorkommen mu?te! Sie wu?ten vielleicht nicht einmal, wo sie sich befanden, oder warum sie wegen eines so armseligen Hafendorfes ihre gesunden Knochen, ja sogar ihr Leben riskieren mu?ten. Und Broughton - der hatte wahrscheinlich ebenso seine Zweifel daruber, warum er uberhaupt hier war, doch konnte er sie und seine Spannung mit niemandem teilen.
        Bolitho drehte sich um - er wollte sehen, was Draffen machte; aber der war bereits unter Deck gegangen und wollte anscheinend das Weitere den Experten uberlassen. Langsam schritt er wieder nach Luv hinuber. Im Kriege, das wu?te er aus bitterer Erfahrung, gab es keine Experten. Man horte nie auf zu lernen - es sei denn, man fiel.

«Die Zeus ist dicht unter der Landzunge, Sir!«Bolitho ging zur Luvseite des Achterdecks.»Danke, Mr. Tothill. «Es kostete ihn Anstrengung, so gelassen und ruhig zu sprechen. Das Schlu?manover: das Sammeln des Geschwaders, dann das Halsen und nochmalige Absegeln des gleichen leeren, durren Kustenstrichs hatten viel langer gedauert als gedacht. Das Absetzen von Rattrays Booten war ziemlich schnell gegangen; aber als sie etwas tiefer in die Bucht kamen, war deutlich zu sehen, da? die Manner an den Riemen gro?e Schwierigkeiten hatten, die uberladenen Fahrzeuge zu den vorgesehenen Landestellen zu bringen. Dicht unter der Wasseroberflache lagen Klippen, und au?erdem war da eine bisher unbekannte Grundstromung, die die Boote herumwarf wie Blatter in einem Muhlteich, wobei die Riemen zeitweise vollig aus dem Takt gerieten und wild in der Luft fuchtelten.
        Selbst Broughton hatte zugegeben, da? sie mehr Zeit benotigten, und als jetzt die Zeus mehr Segel setzte, um ihre Station an der Spitze des Geschwaders wieder einzunehmen, konnte er kaum seine Nervositat verbergen.
        Die Korvette hatte so dicht, wie sie es riskieren konnte, unter der gro?en schnabelformigen Landzunge geankert; in der starken Dunung quirlten ihre Mastspitzen in der Luft, da? es schon grotesk wirkte, und gegen den massiven schwarzen Fels wirkte ihr schlanker Rumpf beinahe winzig.
        Aber jetzt segelten sie wieder die Bucht an. Die Zeus passierte die vor Anker liegende Restless so dicht, da? es von weitem aussah, als hatte es eine Kollision gegeben. Alle Schiffe lagen auf Backbordbug, die Rahen vollgebra?t, um den frischen Wind moglichst auszunutzen. Die beiden vordersten Schiffe hatten bereits die Backbordgeschutze ausgerannt, und im Teleskop konnte Bolitho sogar erkennen, da? die untere Batterie der Zeus maximale Erhohung hatte - man konnte meinen, die Doppellinie der schwarzen Mundungen striche direkt an der schwarzen Landzunge entlang. Das war naturlich nur eine optische Tauschung durch die Entfernung. Sie war noch gute zwei Kabellangen von Land entfernt. Hoffentlich hatte Rattray einen erfahrenen Ruderganger, der im Notfall sehr schnell reagieren konnte.
        Tothill rief:»Signal von der Restless, Sir! Die Marine-Infanterie hat die Spitze der Landzunge erreicht!»
        Bolitho fuhr herum und sah die gro?e blaue Flagge an der Gro?rah der Korvette flattern; als er das Glas etwas hob, bekam er einige Marine-Infanteristen ins Blickfeld, die um einen Hugelvorsprung rannten und in der hellen Sonne wie ein Schwarm scharlachroter Sandkafer aussahen.

«Gut!«sagte Broughton.»Wenn sie diese Hohe nehmen und halten, kann uns von da keiner beschie?en. «Er trat zur Achterdecksreling und sah auf Meheux herab, der langsam die Reihe der Backbordgeschutze abschritt.

«Sie konnen jetzt ausrennen lassen, Mr. Keverne!«befahl Bolitho.»Und sagen Sie zum unteren Batteriedeck durch, Mr. Bickford soll jedes Gescho? genau prufen. Sein Kaliber ist heute das schwerste, das wir einsetzen.»
        Keverne fa?te an den Hut und winkte den Midshipmen, die als Laufer fur die Batteriedecks eingeteilt waren. Wahrend er sich uber die Reling lehnte und ihnen mit leiser, aber scharfer Stimme die entsprechenden Anweisungen gab, sah Bolitho sie sich genau an. Ashton wirkte unter seinem Kopf verband immer noch bleich. Dann der kleine Drury, mit dem unvermeidlichen Schmutzfleck auf dem runden Gesicht, und Lelean vom unteren Batteriedeck, ganz jung noch, und mit der pickligsten Haut, die Bolitho je gesehen hatte.
        Sie liefen los; Keverne schrie:»Ausrennen!«und als auf allen Decks die Bootsmannspfeifen schrillten, erbebte das ganze Schiff im
        Rumpeln der Zugvorrichtungen; mit lauten Rufen feuerten die Stuckmeister ihre Leute an, die schweren Kanonen das krangende Deck hinan und in die offenen Pforten zu ziehen.
        Urplotzlich erzitterte die Luft unter der langsamen, gemessenen Kanonade der Zeus, deren Echo rollend von der Landzunge zuruckkam. Das erste Schiff lag in einem gro?en Rauchring, und die schwarzen Mundungen waren nicht mehr zu sehen, weil die Bedienungen bereits in hochster Eile die Rohre fur eine neue Breitseite ausputzten.
        Der Qualm rollte landeinwarts und wurde unterwegs von irgendeiner verruckten Wirbelstromung tief aufs Wasser heruntergedruckt. Sollte die Besatzung der spanischen Garnison noch irgendwelche Zweifel gehabt haben, dachte Bolitho, so wu?te sie jetzt ganz bestimmt, was los war.
        Noch eine Breitseite, wieder geschlossen abgefeuert; die Kanonen bleckten ihre langen gelbroten Feuerzungen, das aufgegeite Gro?segel zuckte heftig in der aufsteigenden Hei?luft.
        Alle Teleskope waren auf die tanzenden, wei?bemahnten Brecher rings um das fuhrende Vierundsiebzig-Kanonen-Schiff gerichtet. Aber noch war kein Abschu? vom Kastell zu sehen, uberhaupt kein Anzeichen feindlicher Tatigkeit.

«Das klappt ja«, knurrte Broughton,»das klappt sogar sehr gut.»
        Bolitho sah verstohlen zu ihm hin. Vielleicht wollte der Admiral seinen Flaggkapitan immer noch testen. Wollte irgendwelche Vorschlage von ihm, die er dann entweder akzeptieren oder voll Arroganz zuruckweisen konnte. Aber bis jetzt hatte Bolitho noch nichts zu bieten, womit Broughton etwas anfangen konnte. Dazu war es noch zu fruh.

«Da! Eine Kugel!«schrie jemand.»Knapp am SteuerbordAchterdeck der Zeus vorbei! Bolitho setzte sein Glas wieder ans Auge, beobachtete den Flug des Geschosses und zahlte die Sekunden, wahrend die wei?e Schaumfeder bosartig von Woge zu Woge sprang, bis sie schlie?lich eine gute Meile jenseits der Zeus einen eiszapfen-formigen Geyser hoch jagte.

«Ach du lieber Gott, viel zu weit!«flusterte Leutnant Lucey dem Master zu.
        Dann kam noch ein Schu?, fast genau auf derselben Linie wie vorher, und von gleichem Kaliber.

«Nur ein Geschutz, Bolitho«, bemerkte Broughton.»Wenn das alles ist, was sie haben, dann brauchen wir nicht mehr lange zu warten.»

«Signal von der Zeus, Sir. «Tothill hing in den Leewanten, um das erste Schiff besser beobachten zu konnen.»>Setze mich ab zur Wen-de<.»
        Bolitho sah Partridge an.»Wie lange hat das gedauert?»
        Der Master sah auf seine Tafel.»Zehn Minuten, Sir.»
        Zehn Minuten, um das Schu?feld des Kastells zu kreuzen, das in dieser Zeit nur zweimal gefeuert hatte.

«Die Tanais schlie?t auf, Sir. «Keverne stutzte sein Teleskop auf den Unterarm.»In ein, zwei Minuten ist sie feuerbereit.»
        Bolitho antwortete nicht. Er hielt den Atem an, bis der gro?e schwarz-rote Signalwimpel» Habe freies Schu?feld «von der Marsrah der Tanais flatterte. Falcon wartete nicht so lange wie Rattray; fast im selben Moment spien seine Geschutze Feuer und Rauch.
        Broughton rieb sich befriedigt die Hande.»Ein paar Zentner Eisen - da kriegen die Dons blutige Kopfe, wie?»
        Doch der Feind schwieg immer noch, und Bolitho sagte hastig:»Ich glaube, die Spanier haben feststehende Geschutze, Sir. Auf die Zeus haben sie nur gefeuert, um sich einzuschie?en, aber jetzt…»
        Er brach ab, denn rollend hallte der Kanonendonner aus der Bucht. Und dann kam das schreckliche Gerausch von splitternd berstendem Holz. Eilig trat er an die Reling: Von der Kampanje der Tanais stieg Rauch empor, ein schwarzes Gewirr gebrochener Stage fiel uber Bord ins Meer. Mindestens zwei Treffer, dachte Bolitho, und ein Fehlschu?, der die Wogenkamme wie ein wutender Delphin auseinanderblies. Mit verzweifeltem Aufstohnen mu?ten sie ohnmachtig zusehen, wie die Kugeln auf die Tanais einhammerten und zu beiden Seiten ihres Rumpfes Holzstucke in die See wirbelten.
        Falcons Manner erwiderten das Feuer noch einmal, aber der Rhythmus war weg; mehrfach erkannte Bolitho in der Reihe der Pforten ein schiefstehendes Rohr, was bedeutete, da? das betreffende Geschutz keine Bedienung mehr hatte, oder gar eine leere Stuckpforte, die deutlicher als mit Worten beschrieb, was dahinter lag.

«Vier Geschutze gleichzeitig, wurde ich sagen, Sir«, bemerkte Ke-verne. Er sprach ganz kuhl und unbeteiligt. Ein Zuschauer.

«Und ziemlich schweres Kaliber anscheinend«, fugte Lucey hinzu.
        Bolitho sah fluchtig zu ihm hin. Lucey war knapp zwanzig und hatte zuerst machtig Angst gehabt. Bolitho kannte alle Anzeichen: man wei? nicht, was man mit seinen Handen anfangen soll - die vielen, vielen Kleinigkeiten, welche die wachsende Angst eines Mannes verrieten. Doch jetzt tauschte er mit Keverne sachverstandig Kommentare aus wie ein uralter Krieger. Um seinetwillen war zu hoffen, dachte Bolitho, da? er diesen Anschein aufrechterhalten konnte.

«Ich kann vor lauter Rauch uberhaupt nichts erkennen«, sagte Broughton.»Was tut Falcon?»
        Wie aus einem Schornstein wirbelte Qualm aus den Heckfenstern der Tanais, aber es war schwer zu sagen, ob es Brandrauch war oder Pulverqualm der Kanonen. Schie?en konnte sie immer noch, aber sie sah schlimm aus. Ihre Segel boten ein gutes Ziel und waren ganz durchlochert, sowohl von den eigenen Holzsplittern als auch von den feindlichen Geschossen. Lange Strahnen gebrochener Takelage hingen uber die Decksgange, und Bolitho konnte ausmachen, da? bereits gekappt wurde; aus der Entfernung sah es aus, als liefen die Manner mit ihren Axten so wild durcheinander wie die Ameisen.
        Partridge rausperte sich und hielt seine machtige Taschenuhr vors Auge.»Sie gibt Signal, da? sie durch ist, Sir. Beinahe funfzehn Minuten diesmal.»
        Broughton warf dazwischen:»Ich hoffe, Ihre Zweiunddrei?ig-pfunder sind ihr Futter wert. «Er lachelte; die straff von den gleichma?igen Zahnen we ggezogenen Lippen verrieten, welche Anstrengung ihn das kostete.
        Aber Bolitho hatte andere Dinge im Kopf. Funfzehn Minuten, in denen das Schiff nochmals einem gnadenlosen Artilleriebeschu? ausgesetzt war. Die spanischen Kanoniere brauchten nicht einmal die Erhohung ihrer Geschutze zu andern. Sie brauchten nur abzuwarten, bis ein Schiff nach dem anderen uber diesen Streifen offenen Wassers segelte, und dann zu feuern. Auch gegen die Sonne war das so leicht wie Huhner vom Ast zu schie?en.

«Ich schlage vor, Sie signalisieren dem Geschwader >Aktion ein-stellen<, Sir. «Er hatte ganz leise gesprochen, aber Broughton fuhr hoch, als hatte er ihn groblich beschimpft. Rasch sprach Bolitho weiter:»Unabhangige Operationen zur Unterstutzung der Landungskorps waren…»
        Weiter kam er nicht.

«Niemals! Bilden Sie sich ein, ich kneife vor ein paar lausigen
        Dons? Bei Gott, ich dachte, Sie hatten ein bi?chen mehr Mumm im Leibe!«Wutend, fast verachtlich starrte er Bolitho an.
        Der sah an ihm vorbei und rief:»Fock setzen, Mr. Keve rne! Dann Bramsegel!«Fest sah er dem Leutnant in die schreckgeweiteten Augen.»So schnell wie moglich!»
        Die Manner schwarmten an den Webeleinen hoch, und Bolitho schritt absichtlich langsam zur Achterdecksreling. Er wu?te, da? Broughton hinter ihm herstarrte, aber das war ihm egal. Broughton hatte seine Entscheidung getroffen, und dem Befehl mu?te er gehorchen. Aber die Euryalus war sein Schiff, und er wurde sie nach bestem Konnen einsetzen; Broughton mochte denken, was er wollte.
        Die gro?e Breitfock bauschte sich knallend, und der Druck des Windes warf die Manner durcheinander. Gischt spruhte uber die Gali-onsfigur und den Kluverbaum.

«Voll und bei!«rief er Partridge zu.

«Voll und bei, Sir. West zu Nord liegt an.»
        Die dunkle Landzunge glitt schneller vorbei; prall stand die Leinwand im Sonnenlicht. Hoch uberm Deck arbeiteten die Toppmatrosen wie die Teufel, und durchs Teleskop sah Bolitho, wie ein paar MarineInfanteristen auf der Landzunge Freudensprunge vollfuhrten und die Musketen schwenkten, als das Flaggschiff die Landenge passierte.
        Die andere Seite der Bucht lag jetzt in flimmerndem Dunst, oder vielleicht war es auch der Qualm von der Tanais. Wie blau das Wasser unter diesem fernen Landstreifen war! Blau und unerreichbar. Bolitho fuhr sich mit der Zunge uber die knochentrockenen Lippen.

«Mein Gott, mein Gott!«flusterte Lucey. Wahrscheinlich wu?te er gar nicht, da? er etwas sagte.
        Im Vorschiff stand Meheux, einen Fu? leicht auf das Gestell der Karronade gestutzt, und spahte in die Bucht. Er hatte den Degen gezogen, und jetzt hob er ihn ganz langsam uber den Kopf. Reglos stand er in der Sonne, und Bolitho erinnerte sich an ein Kriegerdenkmal, das er irgendwann in Exeter gesehen hatte. Ziel in Sicht, Sir!«rief Me-heux und schwenkte dabei leicht den Degen.
        Bolitho spurte die starre, fast korperlich greifbare Spannung, die ihn umgab. Feuer frei!«rief er durch die hohlen Hande. Von den Matrosen, die dort hinter ihren Geschutzen hockten, sahen einige zu ihm auf, maskenhaft unbewegt. Er zwang seine Lippen zu einem Grinsen und schrie:»Ruft hurra, Jungs! Zeigt ihnen, da? wir kommen!»
        Eine Sekunde lang geschah gar nichts, und wahrend das Schiff gleichma?ig an den letzten Klippen vorbeipflugte, dachte Bolitho, sie waren zu verzweifelt, um zu reagieren. Aber dann sprang ein Matrose auf einen Zwolfpfunder und brullte:»Ein Hurra fur die Euryalus! Und Hurra unserm Dick!»
        Wildes Geschrei fegte uber das Deck, die Manner in den vollgestopften unteren Batterien nahmen es auf, und Bolitho schwenkte den Hut fur sie alle. Jetzt ging der Irrsinn wieder los. Bis zum nachsten Mal. Und immer wieder.

«Feuer, wenn Ziel erfa?t!«Meheux' Stimme ging in dem Tohuwabohu fast unter.
        Die ersten Kanonen im Vorschiff brullten auf. Bolitho packte die Reling. Das harte Bellen der Oberdeckgeschutze ging im ohrenzerrei?enden Drohnen der Zweiunddrei?igpfunder fast unter. Qualm stieg aus den unteren Stuckpforten auf, wirbelte um die Decksgange nach oben; Bolitho rieb sich die tranenden Augen und spahte auf das ferne Kastell, um das die Wassersaulen der ersten Salve hochsprangen. Was da wie wei?er Puder aussah, war Schutt von der Festungsmauer, der einzige Schaden, den das Geschwader bisher angerichtet hatte.

«Lieber Gott«, murmelte Keverne heiser,»das ist ja, als wolle man eine Eiche mit 'nem Zahnstocher fallen!»
        Das Feuer ging in Dreiergruppen weiter, die Kanonen glitten zuruck, wurden ausgeputzt und neu geladen; die Manner waren schon halb betaubt und arbeiteten ganz mechanisch. Putzen, laden und ausrennen - sonst gab es uberhaupt nichts mehr: weiterfeuern, ganz gleich, was kam.
        Meheux schritt jetzt die Reihe der Kanonen ab, manchmal tippte er mit dem Degen auf ein Verschlu?stuck oder deutete auf eine bestimmte Stelle des Forts, um dem betreffenden Geschutzfuhrer einen Hinweis zu geben. Sein Gesicht war vor Konzentration verzerrt.

«Wo ist die andere Abteilung Marine-Infanterie?«fragte Broughton.»Hauptmann Giffard mu?te doch inzwischen den Dammweg erreicht haben.»
        Bolitho antwortete nicht. Der Kopf drohnte ihm vom Kanonendonner, seine Augen bluteten beinahe vor Qualm und Anstrengung; er konzentrierte sich ganz auf das Fort. Er konnte den dunklen Flecken unter der runden Mauer erkennen, wo der Eingang von See lag, und auch die Doppellinie viereckiger Fenster, wie Schie?scharten, die anscheinend um den ganzen Bau gingen.
        Da blitzte es in zweien dort oben grell auf, und er bildete sich ein, die Kugel uber die See direkt auf sich zufliegen zu sehen. Ein dumpfer Schlag gegen die untere Bordwand - die andere Kugel jagte weit vorn eine Schaumfontane hoch.
        Er blickte nach achtern. Das Schiff hatte die Bucht fast zur Halfte uberquert; da alle Segel gut zogen, mu?te es in funf Minuten die andere Landzunge erreicht haben.
        Wieder die unheilverkundenden Feuerzungen, und diesmal schmetterten die Kugeln in die Bordwand der Euryalus wie Eisenhammer in eine holzerne Schachtel.
        Drei Treffer; wie schwer, das wu?te er noch nicht. Aber das Kastell war au?erlich unbeschadigt, nur an ein paar Stellen lag etwas Schutt.
        Achteraus konnte er erkennen, da? die Masttopps der Valorous die Landzunge rundeten, und konnte sich vorstellen, was Fourneaux denken mochte, wenn er das Flaggschiff im Feuer der schweren Festungsgeschutze liegen sah.

«Kann ich der Valorous signalisieren, da? sie sich heraushalten soll,
        Sir?»

«Heraushalten?«Broughtons starre Augen waren jetzt auf ihn gerichtet.»Haben Sie
>heraushalten< gesagt?«Ein Muskel zuckte auf seiner Wange, als die untere Batterie wieder losdonnerte und die herausschie?enden Mundungsflammen den Qualm nach Lee trieben.
        Wortlos musterte Bolitho sekundenlang den Admiral. Da? sein Geschwader nicht imstande war, dem Kastell ernsthaften Schaden zuzufugen, schien ihn vollig aus der Fassung zu bringen; oder vielleicht war er auch nur von dem unaufhorlichen Kanonendonner betaubt.
        Bolitho nahm jetzt keine Rucksicht mehr.»Hier werden Schiffe ohne Sinn und Zweck geopfert, Sir. «Er fuhr zusammen, denn die Planken unter seinen Fu?en ruckten heftig. Wieder ein Treffer, irgendwo unter dem Achterdeck.
        Doch da blies der Wind auf einmal den Qualm vom Deck; jetzt erst konnte er Broughtons Gesicht richtig sehen und erkannte blitzartig, da? er sich die ganze Zeit geirrt hatte: Broughton hatte ihn gar nicht testen oder sich ein Bild uber seine taktischen Fahigkeiten machen wollen! Wie ein Eiswassergu? uber den Rucken kam ihm die Erkenntnis, da? Broughton keine Ahnung hatte, was er tun sollte! Sein Plan war zu starr, und wenn er nicht funktionierte, hatte er keine Alternative parat!
        Er sagte:»Im Augenblick konnen wir nichts weiter tun, Sir.»
        Partridge rief:»Acht Minuten, Sir.»
        Da nickte Broughton.»Schon. Wenn Sie meinen.»

«Feuer einstellen!«brullte Bolitho.»Mr. Tothill, Signal an die Valorous: >Sofort abdrehen und Aktion einstellend»
        Als die Euryalus schwieg, scho? auch das Fort nicht mehr - vermutlich mu?te die Besatzung sehr sparsam mit ihrer Munition umgehen. Eine Niederlage hatten sie trotzdem nicht furchten mussen, dachte er bitter: fast jeder Schu? der Festungsbatterie hatte gesessen.

«Valorous bestatigt, Sir!»
        Der Umri? des Zweideckers wurde langer, er begann die Wende und drehte mit fast backschlagenden Segeln durch den Wind.

«Mr. Keverne«, rief Bolitho,»melden Sie Verluste und Schaden!«Und zu Broughton: Wir mussen die Marine - Infanterie unterstutzen, Sir. Sie warten bestimmt auf Hilfe.»
        Resigniert blickte der Admiral auf die vorbeigleitende Kustenlinie. Unten schrie und wimmerte jemand; Bolitho spurte das dringende Verlangen, sich erst einmal um seine Manner und sein Schiff zu kummern.
        Aber er lie? nicht locker.»Ihre Instruktionen, Sir?»
        Broughton schien sich zusammenzurei?en, und als er antwortete, war seine Stimme wieder fester, jedoch ohne Uberzeugungskraft.»Signal an Geschwader: >Bei Flaggschiff sammeln!««Seine Lippen arbeiteten, als wollten sie noch einen weiteren Befehl formulieren, doch der kam nicht.

«Mr. Tothill«, sagte Bolitho,»hissen Sie das Signal sofort!»

«Und dann«, fuhr Broughton zogernd fort und schob die Unterlippe vor,»konnten wir noch ein weiteres Landekommando absetzen. Mit ein paar Geschutzen, wenn wir eine gunstige Stelle finden.»
        Bolitho sah ihn nicht an.»Jawohl, Sir. «Schon jetzt war ihm klar, was es fur eine ungeheure Anstrengung kosten wurde, auch nur einen Zweiunddrei?igpfunder an Land und den Hugel hinaufzuschaffen. Nur ein Geschutz von diesem Kaliber konnte gegen das Kastell irgend etwas ausrichten. Man wurde dazu hundert Mann oder noch mehr brauchen, und eine betrachtliche Eingreifreserve fur den Fall, da? der Feind einen Ausfall machte und angriff. Eine» Lange Neun «wog uber hundert Tonnen; und man wurde mehr als eine brauchen.
        Aber das war immer noch besser, als das Geschwader bei der sinnlosen Prozession uber die Bucht in Stucke hauen zu lassen.
        Er drehte sich um und fuhr zusammen, denn Tothill hatte ihn angerufen.»Was ist? Haben alle bestatigt?»

«Das meine ich nicht, Sir. «Der Midshipman deutete uber die Steuerbordnetze.»Die Coquette verla?t ihre Station und setzt mehr Segel,
        Sir.»
        Bolitho hob das Teleskop und sah, da? dunkle Knauel zur Rah der Coquette aufstiegen und sich zu bunten Tupfen entfalteten.

«Signal von Coquette, Sir«, rief Tothill. >»Unbekanntes Segel mit Kurs Nordwest<.»
        Bolitho setzte sein Glas ab und sah Broughton an.»Soll ich die Co-quette die Verfolgung aufnehmen lassen, Sir?»
        Tothills Stimme schnitt die Antwort Broughtons ab. »Coquette setzt weiteres Signal. «Eine Pause - wieder sah Bolitho den Muskel an Broughtons Wange scharf und regelma?ig zucken. Dann meldete Tothill wieder:»>Fremdes Schiff geht uber Stag<, Sir.»
        Ratlos hob Broughton die Arme.»Mindestens eine Fregatte. Da mu?te die Coquette mit ihr fertig werden konnen. «Er blickte Bolitho unsicher an.»Die wird jetzt uberall ausposaunen, da? wir hier sind!»

«Ich schlage vor, wir rufen die Marine-Infanterie zuruck, Sir. «Bo-litho hatte den Gedanken an das Landen von Geschutzen, an das notige Geschirr und die erforderlichen Boote fallengelassen. Dazu war jetzt keine Zeit mehr, sie konnten von Gluck sagen, wenn sie alle ihre Marine-Infanteristen heil zuruckbekamen; es konnte ja ein feindliches Geschwader in der Nahe sein.

«Nein. «Broughtons Augen waren steinern. »Ich ziehe mich nicht zuruck. Ich habe meine Befehle. Und Sie auch!«Er deutete auf die kahlen Hugel.»Djafou mu? genommen werden, ehe feindliche Schiffe hier sind! Mu?, verstehen Sie?«Er schrie beinahe; ein paar Matrosen an den Geschutzen starrten herauf.
        Messerscharf schnitt Draffens Stimme durch die kurze Stille. Wo er wahrend der ganzen Aktion gesteckt hatte, wu?te Bolitho nicht; aber jetzt wirkte er sehr ruhig. Seine Augen waren kalt und gelassen wie die eines Jagers kurz vor dem Fangschu?.»Ich mache einen Vorschlag, Sir Lucius.»
        Broughton wandte sich zu ihm um, und Draffen fuhr fort:»Denn ich denke, wir haben jetzt mit konventionellen Methoden genugend Zeit verschwendet.»
        Einen Moment dachte Bolitho, der Admiral wurde wieder aggressiv werden. Doch er sagte nur:»Bitte sprechen Sie, Sir Hugo, ich hore. «Er blickte sich um, als suche er die Kampanjeleiter.»In meiner Kajute am besten.»
        Bolitho sagte:»Ich werde dem Geschwader >Kurs West< signalisieren, Sir. Die Restless und die Coquette konnen vorlaufig auf ihren Stationen bleiben.»
        Er wartete, denn er sah, da? Broughton nach Worten suchte.»Ja«, brachte er schlie?lich heraus und wiederholte mit etwas festerer Stimme:»Ja, machen Sie das.
«Als sie das Achterdeck verlie?en, sagte Keverne leise:»Wir sind immer noch besser weggekommen als die Tanais, Sir. Die hat zwanzig Mann verloren. Wir haben sieben Tote und funf durch Splitter Verwundete.»
        Bolitho blickte noch immer zur Kampanje und fragte sich, was Draffen wohl jetzt noch vorschlagen konnte.

«Schaden?»

«Horte sich schlimmer an, als es ist, Sir. Die Zimmerleute sind schon unten.»

«Gut. Sagen Sie Mr. Grubb, er soll seine Manner so bald wie moglich anfangen lassen.»
        Der erste Tote wurde durch das Hauptluk heraufgebracht und zur Bestattung an Deck gelegt. In diesen wenigen Minuten hatten sie sieben Tote gehabt. Ungefahr einen pro Minute. Bolitho pre?te die Hande auf dem Rucken zusammen und schritt langsam zur Luvseite. Plotzlich uberkam ihn Wut. Die Euryalus war sozusagen der starkste Trumpf der Seekriegsfuhrung. Und doch war sie gegen ein uraltes Kastell mit ein paar Kanonieren so ohnmachtig wie eine konigliche Prunkbark.

«Ich gehe zum Admiral, Mr. Keverne.»

«Sir?»

«Auch ich habe ein paar Ideen, und die will ich ihm sofort vortragen.»
        Allday sah ihn vorbeigehen und lachelte bedachtig; Bolitho war also stinkwutend. Hochste Zeit, dachte er, da? der Captain den Oberbefehl ubernimmt, sonst geht es uns allen dreckig.



        XIII Die zweite Chance

        Vizeadmiral Broughton sah vom Schreibtisch auf und blickte Bolitho argerlich-uberrascht entgegen.»Wir sind noch nicht ganz fertig, Bo-litho. «Er deutete auf Draffen, der an der Schottwand lehnte.»Sir Hugo ist eben dabei, mir etwas zu erklaren.»
        Doch Bolitho blieb entschlossen in der Mitte der Kajute stehen, die irgendwie leer wirkte, da die wertvolleren Mobel und Einrichtungsgegenstande vor dem erfolglosen Angriff zur Sicherheit unter die Wasserlinie geschafft worden waren. Immerhin konnte Broughton zufrieden sein, denn ihm blieb das totale Durcheinander erspart, das bei Klarschiff in einem Dreidecker britischer Bauart geherrscht hatte. Dann ware namlich sein Quartier, wie alle Wohnraume im ganzen Schiff, vollkommen geleert worden und die sonst so geheiligte Kajute von den Abgasen der dort stationierten Geschutze vollig verqualmt und verdreckt gewesen. Aber hier befand sich die nachste Kanone hinter der Schottenwand, so da? der Anblick dieser Kajute, nach der spannungsgeladenen Atmosphare an Deck, Bolithos Arger uber die Zurucksetzung noch verstarkte.

«Ich wurde vorschlagen, da? wir rasch handeln, Sir«, erwiderte er.
        Broughton hob die Hand.»Uber die Dringlichkeit bin ich mir durchaus klar. «Doch er schien zu spuren, da? Bolitho sich argerte, und fuhr kuhl fort:»Aber sprechen Sie nur, wenn Sie wunschen.»

«Sie haben das Kastell gesehen, Sir, und wissen, da? der Versuch, die Spanier von See aus zur Aufgabe zu zwingen, zwecklos ist. Der Einsatz von Schiffen gegen feste Kustenbatterien und Verteidigungsanlagen hat nach meiner Erfahrung noch nie Erfolg gehabt.»
        Finster erwiderte Broughton:»Wenn Ihnen daran liegt, da? ich es zugebe: Sie waren von Anfang an gegen eine solche Aktion - bitte sehr. Da wir jedoch weder die Moglichkeit noch die Kampfkraft fur eine kombinierte Operation, noch die Zeit haben, die Garnison auszuhungern, sehe ich keine Alternative.»
        Bolitho atmete langsam aus.»Nur durch sein Kastell wird Djafou zu einem Dorn im Fleisch jeder in diesen Gewassern operierenden Seemacht, Sir.»

«Aber Bolitho, das ist doch einigerma?en selbstverstandlich«, warf Draffen ein.

«Meiner Ansicht nach«, erwiderte Bolitho und sah ihn fest an,»mu?te das in erster Linie fur den selbstverstandlich gewesen sein, der diesen Plan entworfen hat, Sir Hugo. «Er wandte sich wieder dem
        Admiral zu.»Ohne das Kastell ist diese Bucht wertlos, Sir. «Er hielt inne und beobachtete Broughtons Augen.»Und mit dem Kastell ist diese Bucht fur uns genauso wertlos.»

«Was?«Broughton richtete sich steil im Sessel hoch, als hatte ihn etwas gestochen. Das mussen Sir mir erst erklaren!»

«Wenn wir das Fort tatsachlich nehmen, dann werden wir gro?te Schwierigkeiten haben, es als Operationsbasis zu halten, Sir. Fruher oder spater wird der Feind, speziell die franzosische Armee, irgendwo an der Kuste Artillerie landen, und dann konnen unsere Schiffe den Ankerplatz nicht halten. Somit waren wir in derselben Situation wie die jetzigen Verteidiger: in diesen Steinkasten eingeschlossen und zu nichts anderem fahig, als andere Schiffe daran zu hindern, in dieser Bucht aus irgendwelchen Grunden Zuflucht zu suchen.»
        Broughton stand auf und ging langsam zum Fenster.»Sie haben immer noch keine Alternative genannt. «Aber es klang nicht mehr so aggressiv.
        Langsam sagte Bolitho:»Sie lautet: Nach Gibraltar zuruckzusegeln. Dem Oberkommandierenden zu berichten, wie die Dinge wirklich liegen. Dann gibt er Ihnen bestimmt genugend Schiffe und Seesoldaten fur einen zweiten Versuch, eine Basis zu erobern. «Er dachte, Broughton wurde ihn anfahren, aber da das nicht der Fall war, sprach er mit fester Stimme weiter:»Eine gunstiger gelegene Basis, von der aus unsere Flotte spater in weiterem Umkreis operieren kann. Weiter nach Osten zu, wo wir noch Freunde haben, die bereit waren, sich gegen ihre neuen Unterdrucker zu erheben, wenn wir ihnen ausreichend helfen und sie ermutigen.»

«Djafou nutzt uns nichts, wollen Sie sagen?«Daruber konnte Broughton anscheinend nicht hinwegkommen.

«Jawohl. Ich bin ganz sicher, da? die ma?gebenden Manner in der Admiralitat niemals auf diesen Vorschlag eingegangen waren, wenn sie uber die tatsachlichen Verhaltnisse genau Bescheid gewu?t hatten.»

«Falls Sie das nicht wu?ten, Bolitho«, sagte Draffen scharf,»der Vorschlag kam von mir.»
        Bolitho musterte ihn gelassen. Nach all der Unsicherheit und den fehlenden Stucken in diesem Puzzlespiel kam jetzt wenigstens etwas ans Licht. Er entgegnete:»Dann sollten Sie lieber zugeben, da? dieser Vorschlag falsch war, Sir. «Stahlhart klang seine Stimme.»Ehe noch mehr von unseren Leuten dafur geopfert werden.»
        Broughton fuhr dazwischen.»Sachte, Bolitho! Ich gestatte keine kleinlichen Streitereien unter meiner Flagge, verdammt noch mal!»

«Dann lassen Sie mich nur noch eins sagen, Sir. «Bolitho sprach ganz ruhig, obwohl er innerlich vor Zorn und Verzweiflung kochte.»Wenn Sie nicht das Geschwader so plazieren, da? wir mehr Seeraum zum Kampfen haben, dann geraten Sie unter Umstanden auf Legerwall.[Das Schiff hat die Kuste in Lee und kann sich nicht freisegeln.] Bei dem herrschenden Nordwest und ohne genug Raum, den Windvorteil wiederzugewinnen, sind Sie ernstlich gefahrdet, wenn ein Feind hier auftaucht. Auf offener See konnen wir ihm immer eine blutige Nase verpassen, ganz gleich, wie das Krafteverhaltnis ist.»
        Broughton erwiderte:»Sir Hugo hat bereits einen zweiten Plan vorgeschlagen.»
        Draffen stie? sich von der Schottwand ab. Er lachelte, aber seine Augen waren eiskalt.»Sie sind zu lange auf den Beinen, Bolitho. Schade, da? mir das nicht fruher aufgefallen ist. Ich habe da eine Idee, zwar vorerst nur ganz allgemeiner Natur, doch ich bin sicher, da? ich die Hilfe beschaffen kann, die wir so verzweifelt notig brauchen.»

«Sir Hugo kann mit seinem Agenten, wie es scheint, irgendwo an der Kuste Kontakt aufnehmen«, erlauterte Broughton mude.

«Genau. «Draffen wurde langsam lockerer.»Ich habe mit einem machtigen Scheich geschaftlich zu tun gehabt. Dabei habe ich sogar personlich mit ihm verhandelt. Habib Messadi hat an diesem Kustenstrich gro?en Einflu? und liebt die spanischen Invasoren gar nicht.»
        Gelassen erwiderte Bolitho:»Aber wenn die spanische Garnison vertrieben wird, dann sind wir die Invasoren. Wo ist da der Unterschied fur ihn?»

«Herrgott im Himmel, Bolitho«, fuhr Broughton argerlich dazwischen,»Ihnen kann man anscheinend uberhaupt nichts recht machen!»
        Bolitho behielt Draffen im Auge.»Dieser Messadi ist, nehme ich an, eine Art Rauberhauptmann; sonst konnte er doch an so einer Kuste nicht so viel Macht haben?

        Draffens Lacheln schwand.»Er ist nicht der Mann, den ich in Westminster Abbey frei herumlaufen lassen wurde, das mu? ich zugeben«, entgegnete er achselzuckend.»Aber um diese Mission erfolgreich auszufuhren, wurde ich auch Hilfe aus dem Zuchthaus von Newgate oder der Irrenanstalt von Bedlam akzeptieren, wenn sie uns nutzen konnte.»

«Nun, Bolitho?«Mit deutlicher Ungeduld blickte Broughton von einem zum anderen.
        Draffen sprach zuerst.»Wie ich schon gesagt habe, werden wir Dja-fou eines Tages aufgeben, wenn wir etwas Besseres haben, etwa entsprechend dem Vorschlag, den Sie Sir Lucius soeben gemacht haben. Messadi hat Djafou lange Jahre beherrscht und weder fur die Franzosen noch fur die Dons etwas ubrig. Es ware bestimmt besser, wenn wir ihn zum Verbundeten hatten: einen weiteren Dorn im Fleische des Feindes.»

«Genau meine Meinung«, warf Broughton ein.
        Bolitho wandte sich ab. Ihm standen sofort die brullenden Gestalten wieder vor Augen, die uber das blutige Deck der Navarra schwarmten, und die schreckverzerrten Gesichter der Mannschaft beim Anblick der Schebecken. Und jetzt wollte Broughton sich mit diesen Menschen verbunden, blo? weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, mit leeren Handen nach Gibraltar zuruckzukehren.

«Ich bin dagegen«, sagte er.
        Broughton lie? sich in seinen Sessel sinken.»Ich habe gro?e Achtung vor Ihrer dienstlichen Vergangenheit, Bolitho. Ich wei?, da? Sie ein loyaler Offizier sind, aber ich wei? auch, da? Sie oftmals von zu gro?em Idealismus geplagt werden. Keinen anderen Offizier meines Geschwaders mochte ich lieber als Flaggkapitan haben. «Sein Ton wurde harter.»Aber Insubordination dulde ich nicht. Und notigenfalls lasse ich Sie ablosen.»
        Ein Gefuhl der Hilflosigkeit uberkam Bolitho, und widersprechende Gefuhle rissen ihn hin und her. Einerseits verlangte es ihn, Broughton zu sagen, dann solle er ihn doch ablosen; andererseits konnte er die Vorstellung nicht ertragen, da? Fourneaux die geringen Reserven dieses Geschwaders kommandieren sollte.

«Meine Pflicht als Flaggkapitan ist es nicht nur, Ihren Befehlen zu gehorchen, Sir, sondern auch, Sie zu beraten. «Ihm war, als sprache er aus weiter Ferne.
        Draffen strahlte.»Na also, meine Herren! Da sind wir uns ja endlich einig!»

«Was haben Sie also vor?«fragte Bolitho bitter.»Mit Sir Lucius' Erlaubnis werde ich nochmals die Korvette benutzen. Ich bin uberzeugt, da? mein Agent auf Nachricht von mir wartet;
        das erleichtert uns die Sache. «Er blickte verschmitzt in Bolithos ernstes Gesicht.»Wie Sie selbst sagten, ist das Geschwader eher fur den Kampf auf offener See geeignet als fur sinnlose Attacken auf die Kuste. Ich werde gut zwei Tage brauchen, in dieser Zeit mu?ten wir zum entscheidenden Angriff bereit sein. «Er lachelte, und Bolitho sah ein neuartiges Licht in seinen Augen funkeln. Sekundenlang war nur brutale Grausamkeit darin.»Wenn ein Unterhandler mit wei?er Flagge die spanische Garnison aufsucht und dort erklart, was ihnen bestimmt passieren wird, sobald Messadis Krieger die Festung erobern - den Verteidigern und ihren Frauen. «Er schwieg bedeutsam.

«Um Gottes willen, Sir Hugo«, murmelte Broughton besturzt,»dazu wird es doch nicht kommen?»

«Naturlich nicht, Sir Lucius. «Draffen war offensichtlich wieder bester Laune.
        Broughton schien plotzlich das Bedurfnis zu haben, diese Unterredung zu beenden. Signalisieren Sie also der Restless, Bolitho. Die Coquette kann die Bewachung der Bucht ubernehmen.»
        Als Bolitho die Kajute verlie?, kam Draffen hinterher.»Nehmen Sie es nicht zu schwer, Captain«, murmelte er fast freundschaftlich.»Ich habe Ihre Qualitaten als Seeoffizier nie bezweifelt. Also konnten Sie meinen Fahigkeiten in gewissen Affaren ebenfalls vertrauen, eh?»
        Bolitho blieb stehen und sah ihn an.»Wenn Sie damit sagen wollen, da? ich von Ihren Machenschaften nichts verstehe, Sir Hugo, so haben Sie recht. Und ich will auch nichts damit zu tun haben - nie!»
        Draffens Gesicht wurde hart.»Treiben Sie es nicht zu weit, mein Freund! Sie konnten eines Tages einen hohen Rang in der Flotte einnehmen, vorausgesetzt. «Das Wort blieb in der Luft hangen.

«Vorausgesetzt, da? ich den Mund halte?»
        Argerlich fuhr Draffen herum.»Ausgerechnet Sie konnen es sich kaum leisten, sich zu exponieren, wenn Sie vorwartskommen wollen! Vergessen Sie nicht: ich kannte Ihren Bruder. Hoherenorts gibt es Leute, die es sich sehr uberlegen wurden, einen Offizier zu befordern, von dem sie erfahren, da? sein familiarer Hintergrund nicht ganz sauber ist - also benehmen Sie sich, Captain!»
        Bolitho wurde auf einmal eiskalt. Ihm war, als schwebe er in der Luft.»Vielen Dank, da? Sie mich daran erinnern, Sir Hugo. «Er wunderte sich daruber, wie seine Stimme klang. Vollkommen fremd.»Von jetzt an brauchen wir einander wenigstens nichts mehr vorzumachen. «Er drehte sich um und schritt rasch zur Kampanjeleiter.
        Unten auf dem Achterdeck ging Keverne gedankenversunken auf und ab.

«Signalisieren Sie der Valorous zur Weitergabe an die Restless: >Anker lichten und sofort zum Flaggschiff. Sir Hugo Draffen an Bord nehmen und nach dessen Instruktionen handeln.««Kevernes erstaunten Blick ignorierte er.»Dann konnen Sie alle Geschutze festmachen lassen, und die Leute konnen essen. Nun? Was ist noch?»

«Ziehen wir uns zuruck, Sir?»

«Kummern Sie sich um das Signal, Mr. Keverne. «Er blickte auf die fernen Berge. Ich mu? nachdenken.»
        Er wandte sich um, denn unter dem Achterdeck erschien Leutnant Sawle mit Witrand. Wo wollen Sie mit dem Gefangenen hin, Mr. Sawle?»
        Der Leutnant sah ihn verstandnislos an.»Er soll doch auf die Korvette uberstellt werden, Sir«, antwortete er, anscheinend vollig verwirrt.»Leutnant Calvert sagt, der Admiral hatte es befohlen.»
        Der Franzose kam leichtfu?ig die Leiter herauf, und Bolitho verga? fur den Augenblick seine Wut uber Draffens Drohung.

«Ich will Ihnen Lebewohl sagen, capitaine. «Witrand reckte sich und sog die warme Seeluft ein.»Wer wei?, ob wir uns wiedersehen?»

«Ich hatte keine Ahnung davon, Witrand.»

«Das glaube ich Ihnen, capitaine. Anscheinend denkt man, ich konnte von Nutzen sein. Spa?haft, wie?»
        Bolitho dachte an Broughtons desperate Stimmung. Vielleicht hatte er Draffens Vorschlag zugestimmt, Witrand auf die Korvette zu uberstellen, weil sie hofften, der Franzose wurde etwas uber seine Mission verraten.»Spa?haft? Ja, vielleicht«, antwortete er nachdenklich.
        Er beschattete die Augen und beobachtete, wie die Valorous Broughtons Signal hi?te. Irgendwo hinter der vorspringenden Landzunge versteckt, wurde die vor Anker liegende Korvette es sehen und eiligst dem Befehl folgen. Witrand wurde vermutlich an Bord der Restless bleiben und spater mit irgendwelchen Depeschen nach Gibraltar uberstellt werden.
        Bolitho hielt ihm die Hand hin.»Leben Sie wohl, m'sieur. Und vielen Dank fur das, was Sie fur mich getan haben.»
        Der Franzose druckte ihm fest die Hand.»Ich hoffe, wir sehen uns doch noch eines Tages wieder, capitaine. Aber…««Achselzuckend brach er ab, als Sawle mit zwei bewaffneten Matrosen auf dem Achterdeck erschien, und sagte hastig:»Fur den Fall, da? mir irgend etwas zusto?t. Hier ist ein Brief an meine Frau in Bordeaux. Ich ware Ihnen dankbar. «schlo? er leise.

«Selbstverstandlich«, nickte Bolitho. Dann brachte Leutnant Sawle den Franzosen zur Fallreepspforte, wo das Boot anlegen wurde.»Seien Sie vorsichtig«, rief er ihm nach.
        Witrand winkte ihm fluchtig zu.»Sie auch, capitaine!»
        Eine Stunde spater ging Bolitho immer noch an der Luvseite auf und ab, unempfindlich gegen die sengende Hitze, die sein Hemd in einen nassen Fetzen verwandelte, und gegen die blendenden Sonnenreflexe auf dem Wasser.
        Draffen war auf die Korvette umgestiegen und hatte den Vorsprung der Kustenlinie umrundet; aber das hatte Bolitho kaum bemerkt, weil ihm die simple Mahnung Witrands im Kopf herumging.
        Leutnant Weigall war Offizier der Wache und bemuhte sich, seinem Kommandanten moglichst aus dem Wege zu gehen. Schwerhorig und einsam, das Preisboxergesicht in grimmigen Falten, hielt er sich in Lee und beaufsichtigte die Manner, die auf dem Oberdeck arbeiteten.
        An der Kampanje stand Allday und sah mit Besorgnis, wie wutend Bolitho war. Er zermarterte sich den Kopf, wie er ihm helfen konne. Bolitho hatte es abgelehnt, zum Essen in die Kajute zu kommen, und ihn blindwutig angefahren, als er ihn dazu uberreden wollte, sich unter Deck etwas von der Hitze zu erholen.

«An Deck!«Der Ausguck konnte nur noch krachzen. Der arme Kerl war vermutlich halb verdurstet.»Segel in Luv voraus!»
        Erwartungsvoll sah Allday zu Bolitho hinuber, doch der schritt immer noch auf und ab; er hatte den Kopf gesenkt, sein Gesicht war ausdruckslos. Und Weigall, das sah Allday mit einem raschen Blick, hatte uberhaupt nichts gehort.
        Schon flogen Signalflaggen den Rahen der Tanais empor; Allday trat zu einem dosenden Midshipman und stie? ihn scharf in die Rippen.

«Wachen Sie auf, Mr. Sandoe!«Der Junge starrte ihn verangstigt an.»Es gibt Arbeit fur Sie!«Dann ging er zur anderen Seite und wartete, bis Bolitho umkehrte. Captain?»
        Bolitho blieb stehen und schwankte auf dem krangenden Deck vor
        Mudigkeit. Verschwommen sah er Alldays Gesicht vor sich und bemerkte mit aufsteigendem Arger, da? dieser lachelte.

«Segel in Luv voraus«, sagte Allday entschieden.

«Was?»
        Er schaute nach oben, von wo die Stimme kam:»Einzelnes Schiff,
        Sir!»
        Weigall hatte endlich gemerkt, da? irgend etwas los war, und rannte hin und her wie ein Raubtier im Kafig. Hoch uberm Deck stand jetzt die winzige Gestalt eines Midshipman neben dem Matrosen im Ausguck. Und da rief er auch schon zu den nach oben gerichteten Gesichtern hinunter:»Ein Bombenwerferschiff, Sir!»
        Allday blickte wieder zu Bolitho hin und sah erschrocken, da? dessen Augen vor Bewegung feucht waren.

«Gott sei Dank!«sagte Bolitho nur. Er streckte die Hand aus und fa?te Alldays kraftigen Unterarm.»Dann schaffen wir es doch noch!«Er wandte sich ab, um sein Gesicht zu verbergen, und befahl:»Rufen Sie den Master. Neuer Kurs fur das ganze Geschwader: auf den Bombenwerfer! Und dann - ««, er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar - ,»dann werden wir weitersehen!»
        Spater, als die Euryalus schwerfallig durch den Wind ging und auf den schmalen Strich des Segels zuhielt, stand Bolitho reglos auf dem Achterdeck an der Reling. Samtliche Offiziere waren ebenfalls da, blieben aber respektvoll auf der anderen Seite, unterhielten sich leise und stellten allerlei Spekulationen an.
        Dann kam Broughton an Deck und trat neben Bolitho. Beilaufig und wie von fern fragte er:»Welcher ist es?»
        Eben hi?ten Tothills Manner eine neue Reihe Flaggen; und Bolitho antwortete:»Nur der eine, aber das genugt.»
        Verwirrt uber diese unbestimmte Antwort starrte Broughton ihn an.
        Da rief Tothill:»Signal, Sir, Hekla an Flaggschiff: >Erbitte Instruk-tionen<»
        Wieder spurte Bolitho, wie ihm die unterdruckte Gemutsbewegung, die Anspannung den Atem verschlug. Die Hekla war da! Irgendwie hatte es Inch geschafft, ohne Eskorte, sogar ohne das andere Werferschiff, zum Geschwader zu sto?en!
        Ohne eine weitere Au?erung des Admirals abzuwarten, sagte er:»Signal: >Kommandant sofort an Bord!<»
        Erst dann wandte er sich an den Admiral, und seine Augen waren wieder ganz ruhig. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, mochte ich jetzt versuchen, unsere Mission auszufuhren.
«Er hielt inne, denn er sah, wie Broughton die Rote in die Wangen stieg.»Au?er Sie ziehen es immer noch vor, sich mit Piraten zu verbunden?»
        Mit offensichtlicher Anstrengung schluckte Broughton und erwiderte:»Kommen Sie mit dem Kommandanten der Hekla zu mir, sobald er an Bord ist. «Damit wandte er sich ab und schritt steif zur Kampanje.
        Bolitho blickte auf seine Hande. Sie zitterten, sahen aber sonst ganz normal aus - einen Moment hatte er gedacht, sein altes Fieber brache wieder aus, denn ihm war, als bebe er am ganzen Korper.
        Doch es war nicht das Fieber. Es war etwas viel Starkeres.
        Keverne kam von der anderen Seite zu ihm und fa?te gru?end an den Hut.»Komischer Kahn, Sir!«Unter Bolithos starrem Blick zuckte er zusammen.»Der Werfer, meine ich.

        Nun lachelte Bolitho; die Spannung lief ab wie Blut.

«Gerade jetzt der willkommenste Anblick, den ich seit langer, langer Zeit gehabt habe, Mr. Keverne. «Er zupfte an seinem durchgeschwitzten Hemd und schlo?:»Ich gehe nach unten und ziehe mich um. Rufen Sie mich, sobald das Boot der Hekla heran ist. Ich mochte ihren Kommandanten personlich begru?en. «Damit ging er.

«Wissen Sie«, sagte Keverne versonnen,»ich glaube, ich werde unseren Kommandanten nie verstehen.»
        Weigall an der Reling fuhr herum.»Was haben Sie gesagt?»

«Nichts. «Keverne ging auf die andere Seite.»Traumen Sie weiter, Mr. Weigall.»
        Er blickte zum Fockmast hoch, wo Broughtons Flagge baumelte, und dachte uber den Stimmungswechsel Bolithos nach. Aber anscheinend war das Warten vorbei - wenigstens etwas.
        Nach der Ofenhitze des Tages war die Nachtluft beinahe eisig. Bo-litho stand am Bug der Kommandantengig und gab Allday ein Handzeichen.

«Auf Riemen!«blaffte Allday. Mit einem Schlag hoben sich die Riemen tropfend aus dem Wasser, und das Gurgeln der schwindenden Bugwelle klang auf einmal sehr laut in der tiefen Stille.
        Bolitho wandte sich um und spahte angestrengt nach achtern. Sie kamen auf; am Bug der beiden vordersten Boote schimmerte phosphoreszierendes Seegras. Hier und da fiel es wie wei?e Federn von einem der umwickelten Riemen.
        Da kam das erste Boot. Hande streckten sich vor, um ein gerauschvolles Aneinandersto?en zu verhindern. Es war Leutnant Bickford. Er sprach dienstlich und so normal, als melde er seine Division zur Musterung.»Die anderen sind dichtauf, Sir. Wie weit ist es noch, Ihrer Ansicht nach?»
        Die beiden Boote dumpelten in der Brandung, und Bolitho fragte sich, wie weit das Geschwader gekommen sein mochte, als der Wind schlie?lich zu einer schwachen Brise abgeflaut war. Den ganzen Tag uber, wahrend der Vorbereitungen fur seinen Angriffsplan, hatte er darauf gewartet, da? der Wind einschlief; es war so etwas wie ein unerklarlicher Instinkt gewesen. Hatte es abgeflaut, bevor er fertig war, dann hatte der Plan verschoben, vielleicht sogar aufgegeben werden mussen.

«Noch ungefahr drei Kabellangen, glaube ich«, erwiderte er.»Jetzt geht's weiter, Mr. Bickford, also passen Sie gut auf.»
        Ein neues Kommando, die Boote drifteten auseinander; und als die Riemen wieder arbeiteten, setzte sich Bolitho auf die Ducht und spahte nach Steuerbord voraus, wo der westliche Arm der Bucht zuerst in Sicht kommen wurde, vorausgesetzt, da? er die Abdrift richtig beurteilt hatte.
        Er zwang sich, den hektischen Nachmittag nochmals zu uberdenken, um eine schwache Stelle in seinem kuhnen Plan zu entdecken. Jede s-mal hatte er Inchs Gesicht wieder vor Augen, horte er seine Stimme in der Heckkajute der Euryalus: eine Stimme, so mude und ausgelaugt wie die eines alten Mannes, nicht die des sechsundzwanzigjahrigen Inch.
        Es fiel ihm schwer, sich Inch so vorzustellen, wie er einst als Erster Offizier gewesen war, diensteifrig, aber subaltern, loyal, aber unerfahren; und noch schwerer fiel ihm das, wenn er sich vergegenwartigte, was Inch jetzt fur ihn getan hatte.
        Ungeduldig hatte Inch in Gibraltar auf die Eskorte gewartet; er wu?te genau, wie verzweifelt sie benotigt wurden. Doch schlie?lich war ihm klargeworden, da? er seine Eskorte nie bekommen wurde. Da hatte er allen Mut zusammengenommen und war beim zustandigen Admiral um Erlaubnis vorstellig geworden, allein loszusegeln. Typischerweise hatte ihm der Admiral diese Erlaubnis unter der schriftlich festgehaltenen Bedingung erteilt, da? das Ganze unter Inchs eigener
        Verantwortung lief. Das zweite Werferschiff, die Devastation, hatte ebenfalls Anker gelichtet. Beide waren sie aus dem Schutz des Felsens von Gibraltar gesegelt; beide Kommandanten hatten standig damit gerechnet, von patrouillierenden spanischen Fregatten angegriffen zu werden.
        Als Inch seine Geschichte erzahlte, hatte Bolitho daran denken mussen, was er selbst uber dessen Gluck gesagt hatte. Auch jetzt hatte Inch wieder Gluck gehabt, denn kein einziges Schiff war in Sicht gekommen. Bis heute fruh, als Inchs Ausguck eine schnell aus einer Nebelbank heraussegelnde spanische Fregatte gemeldet hatte. Bolitho zweifelte kaum daran, da? es dieselbe war, die schon die Coquette gesichtet hatte, und die hochstwahrscheinlich mit gro?ter Eile die Nachricht von Broughtons Angriff auf Djafou nach Spanien brachte. Vielleicht hatte der Kommandant gedacht, die beiden sonderbaren kleinen Schiffe gehorten zu einem Verband, der ihn abfangen sollte. Sonst hatte er sie kaum angegriffen.
        Inch hatte gefechtsklar gemacht und seine paar Mann auf Stationen befohlen. Der andere Werfer stand etwa eine halbe Meile vor ihm.
        Unter Vollzeug hatte die Zweiunddrei?iger-Fregatte gewendet, um den Windvorteil zu bekommen; gleich ihre erste Breitseite hatte die Devastation entmastet und eine Salve Schrapnell und Kettenkugeln uber ihr Deck gefegt. Aber der kleine Werfer war kraftig gebaut, und seine Geschutze hatten ebenso energisch geantwortet. Inch hatte gesehen, wie mehrere Kugeln in den Rumpf des Feindes dicht an der Wasserlinie einschlugen. Doch eine zweite wutende Breitseite hatte die Devastation endgultig zum Schweigen gebracht.
        Inch hatte fur sein Schiff das gleiche erwartet; doch hatte er seine Hekla zwischen die Fregatte und den anderen Werfer manovriert und das Feuer eroffnet. Vielleicht hatte der spanische Kommandant damit gerechnet, Inch wurde abdrehen und fliehen, nachdem er gesehen hatte, wie es seinem Begleitschiff ergangen war; oder vielleicht rechnete er auch damit, die Bramsegel der Coquette in voller Fahrt uber der Kimm auftauchen zu sehen. Er hatte jedenfalls genug gehabt und abgedreht. Inch konnte Boote zu Wasser lassen und die Uberlebenden des Schwesterschiffes, das gekentert war und sank, an Bord nehmen.
        Es war Bolitho klar, da? Inch zwischen zwei hochst realen Gefuhlen hin- und hergerissen war. Der Verlust der Devastation und des gro?ten Teils ihrer Mannschaft bekummerte ihn tief; hatte er nicht so gedrangt, lage sie immer noch unbeschadigt in Gibraltar vor Anker.
        Doch als Bolitho skizzierte, was er in dieser Nacht vorhatte, da hatte er auch wieder etwas vom alten Inch gesehen: namlich - als seine Haupteigenschaften, die er so sehr zu schatzengelernt hatte - bedingungsloses Vertrauen und Stolz.
        Jetzt ankerte Inch mit der Hekla, seinem ersten selbstandigen Kommando, hinter der gegenuberliegenden Landzunge, und sehr bald wurde er etwas in der bisherigen Marinegeschichte vollig Neues probieren: den indirekten Beschu?. Mit Bolitho und seinem eigenen Stuckmeister war er an der au?ersten Spitze des schnabelformigen Vorsprungs an Land gegangen, wo die Marine-Infanteristen in der gluhenden Sonne wie tot herumlagen, und hatte eine sorgfaltige Lageskizze der Festung aufgenommen. Bolitho hatte keinen Ton gesagt, um Inchs Konzentration nicht zu storen; er hatte mit hochstem Interesse zugesehen, wie gekonnt Inch dabei zu Werke ging. Entfernungen, Schu?winkel, Hohen wurden eingetragen; der Stuckmeister hatte allerlei von Ladung, Pulvermengen und Zundung gemurmelt - zum Teil war es fur Bolitho wie eine Fremdsprache gewesen.
        Was Inch uber sein komisches Schiff auch sagen oder denken mochte, auf jeden Fall schien er darauf seinen richtigen Platz gefunden zu haben. Es war nur zu hoffen, da? seine Treffsicherheit so gro? war wie sein Eifer. Sonst wurden Bolithos Boote samt allen bewaffneten Matrosen in Stucke geschossen.
        Hatte Inch seine Granatwerfer bei Tageslicht abfeuern konnen, so hatte er nicht den geringsten Zweifel gehabt, da? seine Berechnungen stimmten. Doch Bolitho wu?te, da? die Verteidiger gewarnt waren und ebenfalls Vorbereitungen treffen wurden. Noch mehr Zeit, von Menschenleben ganz zu schweigen, wurde geopfert, wenn man bis zum nachsten Tage wartete; so wurde sein Vorschlag, einen Nachtangriff zu machen, einstimmig angenommen; nicht einmal Broughton hatte etwas dagegen gehabt. Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? man eine Kustenverteidigung am besten bei Nacht attackierte. Schildwachen wurden mude, und nachts gab es gewohnlich so viele unbekannte, seltsame Gerausche, da? ein Schatten mehr oder weniger, ein Knarren oder Quietschen nicht allzuviel Beachtung fand.
        Und warum auch? Die Festung hatte schon manchem Angriff standgehalten. Das britische Geschwader hatte abgedreht und nur ein paar Seesoldaten dagelassen, die selbst sehen mu?ten, wie sie in dem Gestrupp und den Klippen der Landzunge zurechtkamen. Man hatte also sehr wenig zu befurchten.

«Da ist die Landzunge, Captain«, zischte Allday.»An Steuerbord voraus!»
        Bolitho nickte. Er konnte das undeutlich schimmernde Kollier wei?en Gischtes am Fu? der Klippen sehen, auch die dunkleren Schatten, wo sich die zerrissene Bergkette aufturmte. Jetzt war es bald soweit.
        Er versuchte, sich seine kleine Flottille moglichst deutlich zu vergegenwartigen. Seine Gig und Bickfords Kutter wurden als erste in die Bucht einfahren. Dann vier weitere Boote in gleichen Abstanden. Eins unter Leutnant Sawle, mit einem gro?en Sack Schie?pulver befrachtet, der, wie er dort zwischen den mi?trauisch gespannten Rudergasten lag, genau wie ein toter Riese auf der Fahrt zur Beerdigung aussah. Er war in gefettetes Leder eingenaht, mit einer von Fittock, dem Stuckmeister der Euryalus, personlich und liebevoll hergestellten Zundung versehen und mu?te ein paar Minuten, bevor Inchs Morser das Feuer eroffneten, in Stellung gebracht sein.
        Bolitho wunschte, er hatte Keverne mit dabei. Aber der war als sein Stellvertreter an Bord wichtiger. Meheux war ein zu wertvoller Batteriefuhrer und Weigall zu schwerhorig fur eine Nachtaktion; so blieben also nur die jungeren Leutnants fur das Unternehmen. Er runzelte die Stirn. Was machte er sich da fur Gedanken? Ein Leutnant, jeder Leutnant, der sein Offizierspatent wert war, mu?te bei jedem Einsatz brauchbar sein.
        Trotz seiner Nervositat mu?te er lacheln und war dabei der Finsternis dankbar, die sein Gesicht verbarg. Er fing wahrhaftig schon an, so zu denken wie Broughton, und das war bestimmt nicht das Richtige.
        Er dachte auch an Leutnant Lucey, den Funften Offizier, der beim ersten Angriff auf die Festung so gro?e Angst gehabt hatte. Der sa? irgendwo achtern in einem anderen Kutter und wartete darauf, seine Manner durch eine Mauerbresche zu fuhren, ohne auch nur einen Schimmer von dem zu haben, was ihn dahinter erwartete.
        Und Calvert - wie wurde der wohl da druben am Berg zurechtkommen? Als Bolitho erklart hatte, wie die Marine-Infanteristen unter Hauptmann Giffard beim letzten Angriff uber den Fahrdamm vorgehen sollten, war Broughton dazwischengefahren: Calvert kann Hauptmann Giffard die Instruktionen uberbringen - wird ihm gut tun! Und dabei hatte er seinen Flaggleutnant kalt und mitleidslos von oben bis unten gemustert.
        Der arme Calvert war ganz verstort. Mit einem Midshipman und drei bewaffneten Matrosen als Bedeckung war er in der Dammerung an Land gesetzt worden, um einen gefahrlichen und muhsamen Marsch uber die Berge zu unternehmen und der Marine-Infanterie ihren Gefechtsbefehl zu uberbringen, die jetzt einsatzbereit sein mu?te und darauf wartete, da? es losging. Giffard konnte dankbar sein, dachte Bolitho. Seine Manner hatten den ganzen Tag in der gluhenden Sonne geschwitzt und gejapst, hatten nur ihre Marschverpflegung zum Essen und das bi?chen Wasser in ihren Feldflaschen zum Trinken gehabt - sie waren sicher nicht in der Stimmung fur halbe Ma?nahmen.
        Die Ruderpinne knarrte; trage hob sich das Boot uber die kurzen, schnellen, kabbligen Wellen. Sie rundeten jetzt die Landzunge, und die Bucht offnete sich, als ginge ein riesiger, pechschwarzer Vorhang auseinander.
        Er hielt den Atem an. Und da war sie, die Festung. Wie ein bleicher Felsblock lag sie da, nur oben in den machtigen Mauern war ein Fenster erleuchtet. Der Gegensatz zu den anderen dunklen Fenstern wirkte seltsam bedrohlich.

«Ganz leise, Jungs!«Er stand auf, spahte uber die Ruderer hinweg, war sich der Gerausche von Boot und Wasser deutlich bewu?t, auch der keuchenden Atemzuge der Manner und seines eigenen Herzschlages.
        Die Stromung trug sie an die linke Seite des Forts; Gott sei Dank stimmte wenigstens eine seiner Berechnungen. Weit hinter dem Fort konnte er noch einen anderen, nadelspitzen Lichtpunkt ausmachen - vermutlich die Laterne der vor Anker liegenden Brigg. Mit einigem Gluck wurde Broughtons Geschwader noch vor Sonnenaufgang um ein weiteres, wenn auch kleines Fahrzeug starker sein.
        Er lie? sich auf ein Knie nieder und offnete ganz vorsichtig den Schieber einer Blendlaterne. Nur den Bruchteil eines Zolls, und doch kam ihm das dunne Licht, das ein paar kurze Sekunden ubers Wasser spielte, wie der Strahl eines machtigen Leuchtturms vor.
        Wieder stand er auf. Trotz der tiefreichenden Dunung drau?en vor der Bucht, der weiten Fahrt unter den schweren Riemen und all der sonstigen irritierenden Verzogerungen waren sie genau planma?ig angekommen.
        Die Festung lag jetzt schon viel naher, nur eine gute Kabellange entfernt. Er glaubte, den dunkleren Schatten unter der Nordwestecke sehen zu konnen, wo der Eingang von See lag, der, wie es hie?, durch ein massives Fallgitter geschutzt war. Dort wurde nun sehr bald Fit-tocks Sprengladung liegen und den Weg fur ihren Angriff freimachen.
        Er knirschte mit den Zahnen, denn irgendwo achtern in einem der Boote klirrte es metallisch. Ein unvorsichtiger Matrose mu?te mit seinem Entersabel angesto?en sein. Aber nichts geschah; auch von den hohen, unzuganglichen Mauern ertonte kein Alarmruf.
        Gott sei Dank, dachte er grimmig. Denn Broughtons Schiffe wurden inzwischen weit von Land entfernt sein, und ohne richtigen Wind konnten sie nicht zu Hilfe kommen.
        Etwas Wei?es blitzte in der Dunkelheit auf; er dachte, es sei ein Ruderblatt, aber es war nur ein Fisch, der hochgesprungen war und klatschend ein paar Fu? vom Boot entfernt ins Wasser zuruckfiel.
        Als er wieder zur Festung hinsah, war sie schon ganz nahe. Er konnte in der Mauer die einzelnen Schie?scharten unterscheiden und sogar die helleren Flecken, wo die Kugeln des Geschwaders ihre Spuren hinterlassen hatten.

«Auf Riemen!«Bickfords Boot glitt langsam an ihm vorbei, und die anderen schwarmten in sicherer Rufentfernung facherformig aus. Es war soweit.
        Das einzige Boot, das noch unter Riemen fuhr, pullte stetig weiter. Leutnant Sawle stand aufrecht im Heck, eine zweite Gestalt, wahrscheinlich Mr. Fittock, der Stuckmeister, stand gebuckt neben ihm. Das war der wichtigste Teil der ganzen Aktion und au?erdem eine Chance fur Sawle, sich auf eine solche Weise auszuzeichnen, da? seine fernere Karriere in der Flotte gesichert sein wurde, mochte er nun ein Leuteschinder sein oder nicht. Freilich hatte er eine ebenso gute Chance, in Stucke gerissen zu werden, wenn mit der Sprengladung etwas schiefging. Er war ein tuchtiger Offizier, aber wenn er heute nacht ums Leben kam, so wurde das, dachte Bolitho, an Bord der Euryalus nur milde Trauer erregen.

«Nicht der erste, was, Captain?«murmelte Allday, und Bolitho wu?te nicht: sprach er von dem moglichen Tod des Leutnants oder von dem nachtlichen Angriff uberhaupt. Beides war moglich. Aber er hatte andere Dinge im Kopf.

«Wir haben noch funf Minuten«, sagte er kurz.
        Bickfords Leute ruderten jetzt ruckwarts, damit das Boot nicht in der wirbelnden Stromung querschlug.
        Wieder dachte er an Inch und stellte ihn sich an Bord der Hekla vor, wie er die letzten Vorbereitungen traf, um mit seinen gedrungenen Morsern hoch uber den Bergrucken der Landzunge zu feuern. Inch brauchte sich jetzt nicht mehr zu verbergen. Er konnte so viel Licht machen, wie er brauchte; in den Hugeln oberhalb seiner Position lagen die Marine - Infanteristen, die ihm nicht nur die Einschlage signalisieren, sondern ihn auch gegen unerwunschte Storer absichern wurden.

>Komischer Kahn<, hatte Keverne gesagt. Die Hekla war nicht viel mehr als eine schwimmende Batterie mit gerade genugend Segelflache, um sie von einem Einsatzort zum anderen zu tragen. Lag sie in Schu?position, so wurde sie an Bug und Heck fest verankert. Durch Anholen oder Nachlassen der einen oder der anderen Trosse konnte Inch das Schiff und damit die Zwillingsmorser ohne viel Anstrengung in den gewunschten Schu?winkel bringen.

«Mr. Sawles Boot ist unter der Mauer, Captain«, sagte Allday gespannt.

«Gut. «Er mu?te sich auf Alldays Angabe verlassen, denn das Boot war nur ein tieferer Schatten vor dem dunklen Loch des Eingangs.
        Ein Midshipman, der zu Bolithos Fu?en hockte, gahnte lautlos.
        Das war vermutlich auch eine Art, gegen die Angst anzukampfen. Gahnen war manchmal ein Zeichen dafur.
        Beruhigend sagte er:»Jetzt ist es bald soweit, Mr. Margery. Sie ubernehmen das Boot, sobald der Angriff beginnt.»
        Der Midshipman nickte; eine laute Antwort traute er sich anscheinend nicht zu.
        Allday erstarrte.»Da - unterhalb der Mauer fahrt ein Boot, Cap-tain!»
        Bolitho sah die Gischt eintauchender Riemen - wahrscheinlich war die Garnison so vorsichtig gewesen, ein Wachboot patrouillieren zu lassen. Vermutlich sollte es nur einen Angriff auf die vor Anker liegende Brigg verhindern, aber im Moment war es so todlich wie ein ganzes Regiment Leibwache.
        Auf und ab schwangen die Riemen, tauchten mit ermudender Gleichma?igkeit ins Wasser, und an dem grunlichen Leuchten um den Bug war das Naherkommen des Bootes besser zu verfolgen als bei
        Tageslicht.
        Jetzt hielt die taktma?ige Bewegung inne; die Ruderer hatten sich wohl auf die Riemen gelegt, um sich auszuruhen und sich von der Stromung weitertreiben zu lassen, bevor sie die nachste Runde ihrer Patrouille begannen.

«Jetzt mu?te Mr. Sawle seine Ladung eigentlich gelegt haben«, murmelte Allday.
        Und wie als Antwort auf seine leisen Worte spruhte es auf: ein Licht wie ein helles rotes Auge unter der Mauer - Fittock hatte die Lunte gezundet. Das Wachboot konnte es nicht sehen, weil die Mauerecke davor war; aber sobald Sawles Leute aus dem Mauerschatten traten, mu?te Alarm gegeben werden.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Jetzt pre?ten sich Sawles Manner gegen das gro?e eiserne Gitter, warteten auf den Abzug des Wachbootes und horten das gleichma?ige Zischen der Lunte. Halb unbewu?t murmelte er:»Los, Mann! Macht, da? ihr wegkommt! Aber nichts ruhrte sich an jenem dunklen Fleck bei der Mauer.
        Da - ein prasselndes Krachen, Bolitho sah die Augen des ihm zunachst sitzenden Ruderers gelbrot aufleuchten, als starre der Mann in einen gespenstischen Sonnenaufgang. Es war der Reflex des Mundungsfeuers von einem der Morser jenseits der Landzunge; er fuhr herum und horte ein scharfes, kurz abrei?endes Pfeifen wie von einem aufgestorten Moorhuhn. Die Explosion war ohrenzerrei?end. An der entferntesten Ecke des Forts leuchtete es hell auf, eine wei?liche Rauchwolke stieg hoch, dann war wieder Finsternis, und er schlo? geblendet die Augen. Aber so viel hatte er wenigstens feststellen konnen: Inchs erster Schu? lag fast genau im Ziel. Er hatte die gegenuberliegende Brustwehr des Kastells getroffen oder mindestens die untere Mauer. Mit berstendem Krachen sturzte das Mauerwerk zusammen; klatschend fielen gro?e Brocken ins Wasser.
        Wieder ein Krachen. Der nachste Schu? schlug etwa an derselben Stelle ein wie der erste. Sturzendes Mauerwerk, Rumpeln und Grollen; in dicken Banken trieb der Rauch ubers Meer.
        Das Wachboot war in Qualm gehullt, aber er horte Geschrei in der Finsternis, und dann das plotzliche Gellen einer Trompete von der Festung her.
        Der dritte Schu? der Hekla lag zu weit; er horte splitterndes Krachen von Steinen und nahm an, da? er auf dem Fahrdamm oder auf dem Eiland unter den Mauern eingeschlagen hatte. Die MarineInfanteristen wurden mit ihren Blendlaternen der Hekla signalisieren, wie die Einschlage lagen, und dann konnte Inch vor dem nachsten Schu? Seitenrichtung oder Erhohung entsprechend andern.

«Mr. Sawle zieht jetzt ab«, sagte Allday erleichtert.»Verdammt knapp war das.»

«Mr. Bickford!«rief Bolitho.»Sagen Sie durch: Fertig machen zum Angriff!»
        Jetzt brauchten sie nicht mehr leise zu sein. Der Krach bei den Festungsmauern konnte Tote wecken. Die Spanier eilten auf Gefechtsstationen. Vielleicht ahnten manche von ihnen, womit sie es zu tun hatten; andere wieder mochten vor Schreck uber die unter Inchs Granaten erzitternden und einsturzenden Festungsmauern keines klaren Gedankens mehr fahig sein.
        In diesem Moment explodierte Sawles Sprengladung. In einer gro?en Feuerzunge flog der untere Eingang in die Luft, eine kleine Flutwelle brach unter der Mauer hervor und ri? Sawles Kutter, Heck voraus, mit sich fort; Manner und Riemen wurden in wirbelndem Durcheinander in die See geworfen wie ein Fangboot, das ein verwundeter Wal angreift.
        Bolitho zog den Degen und winkte damit zu Bickford hinuber. In diesem Augenblick sturzte ein Stuck der oberen Brustwehr in die Flammen, dazu eine Kanone auf eisernen Radern und eine lange schwere Kette - vermutlich von der Zugvorrichtung des Fallgatters.

«Und jetzt, Jungs, zu - gleich!«Er fiel beinahe um, so scho? das Boot vorwarts; hei?er Rauch wirbelte ihm um den Kopf, ein Zeichen der Kraft dieser letzten Detonation.
        Der gekenterte Kutter glitt in der Dunkelheit vorbei, hier und da sah er ein bleiches Gesicht, um sich schlagende Arme, sto?ende Beine - sie mu?ten die Explosion uberlebt haben.
        Dann aber, als das zerrissene Fallgatter wie ein gahnendes Maul mit verfaulten Zahnen in der Mauer klaffte, direkt vor dem Bug seines Bootes, verga? er alles au?er dem, was er jetzt unmittelbar zu tun hatte.
        Eine Musketenkugel schlug ins Dollbord, und irgendwo ertonte ein Schmerzensschrei.
        Er schwang den Degen uberm Kopf und brullte:»Pullt, Jungs!«Mit hochster Geschwindigkeit scho? die Gig durch den Rauch. Verkohlte
        Holzstucke trieben auf dem Wasser, und dann zwei grotesk geformte Heckpforten, wohl von alten Galeassen, mit denen das Kastell sich einst gegen Piraten verteidigt haben mochte. Riemen krachten gegen Holz und Stein; Bickfords Boot kam gefahrlich dicht hinterher, ein Pistolenschu? von der Mauer uber ihnen erhellte fur den Bruchteil einer Sekunde die Ruderer.

«Auf Riemen!«Alldays Stimme ging fast im Krachen des Einschlags einer weiteren Granate unter.»Riemen ein!»
        Jetzt trieb das Boot heftig kratzend an einem niedrigen Steg entlang und kam zum Stillstand. Ein Mann sprang ihnen aus der Dunkelheit entgegen, aber ein Matrose scho? auf kurzeste Entfernung seine Muskete auf ihn ab, er wurde herumgerissen und sturzte lautlos uber die Kante des Steges ins Wasser.
        Bolitho tastete sich auf nassem Stein vorwarts und versuchte dabei, sich den Grundri? dieses fremdartigen Ortes zu vergegenwartigen, wie er ihn auf der Zeichnung gesehen hatte. Jetzt konnte er nicht mehr umdisponieren - zu spat, es sich anders zu uberlegen.
        Er deutete mit dem Degen auf die steinernen Stufen; brullend wie Teufel rannten die Matrosen uber den Steg. Was auch geschah, jetzt ging es nur noch vorwarts.
        Er rannte die Stufen hinauf in den Rauch hinein; in seinem Hirn war nur wahnsinnige Kampfeswut, sonst Leere. Und Allday blieb an seiner Seite.



        XIV Ein Ort des Grauens

        Die gebo gene Steintreppe zur obersten Brustwehr kam Bolitho endlos vor. Atemlos sturmte er auf das offene Sims zu, wo der Rauch immer noch an den Sternen vorbeitrieb, und wo das Rufen und Schreien immer lauter wurde, einzelne Musketenschusse krachten und uber all dem Larm mahnend ein Trompetensignal erscholl. Inchs Morser schwiegen zur festgesetzten Minute, und ware der Angriff nicht auch zeitlich so sorgfaltig abgestimmt worden, hatte ein weiterer Schu? der Hekla die brullend vorwartssturmenden Matrosen toten konnen, ehe sie auch nur ihr erstes Teilziel erreicht hatten.
        Von unten, wo der Kutter am Steg auf Grund gelaufen war, horte Bolitho ebenfalls Schreie und Kommandorufe, als die Boote eins nach dem anderen durch den zerstorten Eingang kamen und die Mannschaften sich in den Qualm sturzten, ehe die Fahrzeuge richtig festgemacht hatten.
        Drau?en, auf dem breiten Sims der Hauptbatterie, stand Allday an seiner Seite; er spurte die kuhle Nachtluft im Gesicht. Er konnte den kleineren Mittelturm sehen, die eckigen, gedrungenen Formen der schweren Geschutze, hin und her laufende Gestalten, die aus allen Richtungen zu kommen schienen.
        Die spanischen Soldaten hatten endlich erkannt, da? eine der betaubenden Detonationen, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten, nicht von einem Morser stammte. Jetzt stromten sie aus dem mittleren Turm, luden und schossen bereits im Laufen; ein Teil der Kugeln flog ohnmachtig in die Nacht hinaus, andere rissen vorwartssturmende Matrosen zu Boden. Auch aus dem Schatten unter der Brustwehr ertonten Schmerzensschreie.
        Wahrend Bolitho mit seinen Leuten die Stufen ersturmte und dabei fast uber zwei ineinander verschlungene Tote gestolpert ware, gab er Bickford ein Zeichen mit dem Degen.

«In den Turm! So schnell Sie konnen!»
        Bickford antwortete nicht erst, sondern rannte blindlings uber die offene Flache. Mir nach!«brullte er seinen Mannern zu, den Mund wie ein schwarzes Loch im kreidewei?en Gesicht.
        Bolitho blieb stehen und sah zu den Stufen hin. Wo blieb Lucey? Er hatte bereits hier sein mussen, um den Angriff zu unterstutzen und den weiten Hof auf der anderen Seite des Kastells zu besetzen. Schusse fuhren krachend und blitzend in die innere Mauer. Stahl klang auf Stahl, dazwischen kurze verzweifelte Schreie und Fluche.
        Allday brullte:»Das Wachboot ist hinter ihnen reingekommen, Cap-tain!«Er deutete mit seinem Entersabel in eine tiefe Scharte.»Mr. Luceys Jungs kampfen mit ihnen!»
        Schon kamen etliche von Luceys Mannern die Stufen hinaufgerannt, wahrend andere auf dem Steg, von oben nicht zu sehen, noch mit der Besatzung des Wachbootes im Handgemenge lagen.
        Von irgendwoher kam ein heiseres Hurra; ein flaches Gebilde schob sich durch die Bresche, und Allday keuchte:»Da ist die Gig, Captain, und keinen verdammten Augenblick zu fruh!»
        Jetzt waren die Angreifer in der Uberzahl; die Manner des Wachbootes, von zwei Seiten in die Zange genommen, warfen die Waffen weg, und ihre Stimmen gingen im Siegesgeschrei der Matrosen unter.
        Aber die Verzogerung durch das Wachboot hatte wertvolle Minuten gekostet, die Bolitho gebraucht hatte, um rechtzeitig die andere Treppe zu erreichen, welche in den Festungshof fuhrte. Schon als er seine Manner einwinkte, sah er die Mundungsfeuer einer geschlossenen Reihe von Musketen, horte eine Kugel dumpf in Muskeln und Knochen schlagen und neben sich einen Aufschrei. Der Vorsto? der Matrosen stockte; einige blieben auf den Stufen stehen, obwohl Manner aus den Booten nachdrangten.

«Los, Allday!«befahl Bolitho.»Jetzt oder nie!»
        Allday schwang seinen Entersabel und brullte:»Recht so, Jungs! Sto?t die Tur zu den bloden Ochsen auf!»
        Und wieder stie?en sie vor. Ein Mann neben Bolitho sank mit einem Schrei zu Boden - der Ladestock einer Muskete stak in seinem Hals. Der Schutze mu?te durch den Blitzangriff so durcheinander gewesen sein, da? er vergessen hatte, ihn nach dem Laden herauszuziehen.
        Von uberallher kamen ihnen jetzt plotzlich Soldaten entgegen, aus allen Ecken, von jeder Richtung. Und in der nachsten Sekunde klang Stahl auf Stahl im Kampf Mann gegen Mann. Sie hieben in der Dunkelheit um sich, mancher sturzte in das Blut seines Kameraden, ein spanischer Offizier hatte einen brullenden Matrosen niedergehauen und kam auf Bolitho zugerannt. Bolitho ri? seine Pistole aus dem Gurtel und druckte ab. Im hellen Mundungsfeuer sah er, wie die Schadeldecke des Offiziers barst und die Wand hinter ihm mit Blut und Hirn bespruhte.
        Lucey rannte an ihm vorbei, tranenuberstromt, aber mit zusammengebissenen Zahnen, von der wilden Kampfgier seiner Matrosen mitgerissen.

«Da ist die Treppe!«schrie Allday und hieb mit seinem Entersabel nach einem Mann, der an der Mauer kniete. Vielleicht wollte er seine Muskete laden oder sich auch nur beim Aufstehen auf sie stutzen, weil er verwundet war. Ohne einen Laut sank er tot zu Boden.
        Im hinteren Teil des Hofes brannte eine Laterne; und als sie halb laufend, halb fallend die Treppe herunterkamen, sah Bolitho, da? sich dort eine Abteilung Soldaten zum Widerstand formierte. Manche waren nur halb bekleidet; andere mit Staub und Mauerbrocken vom
        Bombardement der Morser bedeckt, so da? sie aussahen wie Mullersknechte.
        Ein Offizier ri? seinen Degen abwarts, und eine Salve krachte aus den schwankenden Musketen. Mehrere britische Matrosen sturzten verwundet zu Boden, aber die Soldaten hatten schlecht gezielt, und zu einer zweiten Salve blieb ihnen keine Zeit mehr.
        Wieder wurde Mann gegen Mann gekampft, Blut spritzte uber Sieger und Besiegte gleicherma?en, niemand dachte an etwas anderes als an Toten und Uberleben.
        Aus dem Augenwinkel sah Bolitho Midshipman Dunstan, der die Gig gesteuert hatte und jetzt seine Abteilung um die Rundung der Mauer zum massiven Doppeltor fuhrte. Ein Soldat sprang auf ihn zu, stie? ihm die Mundung der Pistole direkt vor die Brust und druckte ab. Aber es war ein Versager, und ehe der ungluckselige Spanier zuruckspringen konnte, wurde er von einem untersetzten Stuckmeistersmaaten niedergehauen und erhielt noch mehrere Sabelhiebe von den brullend vorsturmenden Matrosen.

«Sehen Sie, Captain!«keuchte Allday.»Mr. Bickford hat den inneren Turm genommen! Wei? glanzten seine Zahne im emporgereckten Gesicht, und Bolitho sah, da? jemand auf der oberen Brustwehr eine Laterne schwenkte - noch vor ein paar Stunden hatte dort oben die spanische Flagge hohnisch geweht.
        In diesem Moment sprangen die Tore auf; Bolitho rannte uber den unebenen Hof und erkannte zu seinem Schrecken: hinter dem Tor war niemand.

«Jesus«, sagte Allday,»wo sind die verdammten Bullen?»
        Noch mehr spanische Soldaten kamen aus dem anderen Tor am Fu?e der inneren Mauer gerannt; auf ein lautes Kommando eroffneten sie das Feuer uber die Kopfe ihrer versprengten Kameraden hinweg. Dann sturzten sie sich mit aufgepflanzten Bajonetten auf die Angreifer.
        Bolitho hob den Degen.»Standhalten, Jungs!«Seine Stimme ri? die Manner herum, und er war uberrascht, da? sie so fest klang. Und doch drehte sich alles in seinem Kopf, weil Giffards Marine-Infanteristen nicht da waren und seine kleine Truppe bereits gespalten war. Bick-ford hielt den inneren Turm, aber solange sich die untere Garnison und der Hof nicht in ihren Handen befanden, war er eher Gefangener als Sieger.
        Keuchend, brullend, wie wutende Damonen prallten die schattenhaften Gestalten aufeinander. Die Matrosen mit den Enterpiken waren den Bajonetten gewachsen, doch die, welche nur Sabel hatten, waren dem Tode geweiht; ihre blutenden Leiber wurden nur noch durch den Druck der Kampfenden aufrecht gehalten.
        Bolitho fuhrte einen Hieb zum Hals eines Soldaten, dessen Gesicht sich im Todeskampf zu einer grotesken Maske verzerrte, ehe er unter der schwankenden, um sich hauenden Masse der Manner verschwand. Ein anderer versuchte, ihn mit seinem Bajonett uber die Schulter eines Kameraden zu erreichen, doch eine Pike stach zu, und er sturzte zu Boden.
        Aber die Linie wankte. Als Bolitho versuchte, sich zum anderen Ende der schwankenden Reihe seiner Matrosen durchzukampfen, horte er einen furchtbaren Schrei und sah Leutnant Lucey auf dem Bauch liegen, uber sich einen riesigen Spanier mit erhobener Muskete. Im Schein der Laterne glanzte das Blut am Bajonett, ehe der Mann zum zweiten Mal mit aller Kraft zustie? - und obwohl der Soldat einen Fu? auf den Rucken des Leutnants stemmte, konnte er die Klinge nicht herausziehen.
        Aber Lucey lebte noch, er schrie wie eine Frau in den Wehen.

«Um Gottes willen!«keuchte Allday und sprang uber den schmalen Streifen Kies; ehe der Soldat wu?te, was ihm geschah, schnitt ihm Alldays schwerer Entersabel in blitzendem Bogen quer durchs Gesicht, und sein gurgelnder Schrei ubertonte das Knirschen der Klinge auf Fleisch und Knochen.
        Aber es hatte keinen Zweck mehr. Bolitho wischte sich die Augen mit dem Armel, schlug den Sabel eines Soldaten zur Seite, ri? ihn mit herum und stie? ihm den Degen dicht unter der Achselhohle in die Brust. Sein Degen kam ihm so schwer vor, da? er ihn kaum noch heben konnte; verzweifelt sah er, wie jenseits des Tores zwei bezopfte Matrosen die Hande hoben, um sich zu ergeben.
        In diesen kurzen Sekunden stand ihm klar vor Augen, warum sie uberhaupt hier waren: seines personlichen Stolzes oder ganz einfach seiner Eitelkeit wegen. All diese Manner, die von ihm abhingen, waren tot oder schwer verwundet. Bestenfalls wurden sie auf spanischen Galeeren elend zugrunde gehen oder in einem Gefangnis verfaulen.
        Auch die spanischen Truppen hielten jetzt inne und zogen sich dann auf einen weiteren Kommandoruf zuruck. Sie lie?en die Toten und die zuckenden, sich windenden Blessierten in der Mitte des Hofes liegen und formierten sich zu den urprunglichen Linien, wobei sie noch Verstarkung aus der unteren Festung bekamen.
        Erschopft senkte Bolitho den Degen und musterte, was von seinen Leuten noch ubrig war. Atemlos keuchend klammerten sie sich aneinander, um sich gegenseitig zu stutzen, und warteten stumpf wie Verurteilte auf ihre Hinrichtung. Und eine Hinrichtung wurde es werden, wenn er sich nicht sofort ergab.
        Doch da horte er wie aus einer anderen Welt einen heiseren Befehl:»Erstes Glied - nieder knien!«Im ersten Augenblick bildete er sich ein, da gabe ein spanischer Offizier sein Kommando auf Englisch, um es noch schlimmer fur sie zu machen.

«Ziel erfassen!«tonte es weiter. Der eigentlich Feuerbefehl ging im Krachen der Musketen unter, und Bolitho konnte nur auf die Reihen der spanischen Soldaten starren, die unter der todlichen Salve taumelnd hinsanken.
        Aber es war Giffards Stimme! Tausendmal hatte Bolitho sie auf dem Achterdeck beim Exerzieren und bei militarischem Zeremoniell gehort. Der dicke, bombastische, wichtigtuerische Giffard, der Mann, der nichts lieber tat, als seine Seesoldaten vorzufuhren. So wie jetzt.
        Seine Stimme schmetterte wie eine Trompete, und obwohl er hinter einem Torbogen stand, meinte Bolitho, ihn ganz deutlich vor Augen zu sehen.

«Marine - Infanterie zur - Attacke! Das Zentrum, Laufschritt marsch - marsch!»
        Und dann war alles so schnell vorbei wie ein Alptraum. Die MarineInfanteristen standen in tadelloser Uniform, die Bajonette todlich glitzernd im Laternenlicht, das Lederzeug kreidewei? gegen die schattenhafte Umgebung. Hinter ihnen folgte das zweite Glied, lud in prazisem Gleichma? die abgeschossenen Musketen, und Boutwood, der Feldwebel, stampfte mit seiner Halbpike den Takt dazu.
        Musketen klirrten aufs Kopfsteinpflaster, und fast dankbar drangten sich die Spanier auf den Stufen zusammen; aller Kampfgeist war von ihnen gewichen.
        Giffard knallte die Hacken zusammen.»Abteilung - halt!«Dann machte er kehrt und hob mit einem Schwung, der Konig George selbst begeistert hatte, den Degen auf Nasenhohe.
        Es war auf einmal ganz still, und wiederum gruben sich Bolitho ein paar besondere Details ins Bewu?tsein - wie Teile eines Teppichmusters: Giffards knarrende Stiefel. Sein nach Rum riechender Atem. Ein verwundeter Matrose, der ganz langsam, wie ein Vogel mit zerschossenen Flugeln, in den Lichtkreis der Laterne kroch.

«Bitte melden zu durfen«, bellte Giffard,»Marine-Infanterie zur Stelle! Keine Verluste, alles planma?ig!«In sausendem Bogen senkte sich sein Degen.»Erbitte weitere Instruktionen, Sir!»
        Sekundenlang sah Bolitho ihm in die Augen.»Danke, Hauptmann Giffard. Aber hatten Sie mit Ihrem Angriff nur noch ein bi?chen langer gewartet, dann ware Ihnen, furchte ich, das Tor wieder vor der Nase zugeschlagen worden.»
        Giffard wandte den Kopf nach seinem Leutnant, der die Ubernahme der Gefangenen beaufsichtigte.»Horte Detonationen, Sir. Sah Musketenfeuer auf Brustwehr und habe - ah - zwei und zwei zusammengezahlt. «Es klang etwas beleidigt.»Konnte Sie das Fort doch nicht allein erobern lassen, ohne meine Marine-Infanterie, Sir. Waren schlie?lich den ganzen Tag da drau?en in der blutiggottverdammten Sonne!»

«Was denn - Sie haben keinen Angriffsbefehl bekommen?»
        Er schuttelte den Kopf.»Nichts. Horten Musketenfeuer unten am Strand, aber da ist alles voll lausiger Marodeure. Mu?te sogar heute nachmittag einen hangen lassen. Wurde lastig, wollte unsere Rationen klauen!»

«Aber Leutnant Calvert sollte doch zu Ihnen sto?en und Sie uber unseren Angriff informieren.»
        Giffard zuckte die Achseln.»In Hinterhalt geraten, wahrscheinlich.»

«Wahrscheinlich. «Bolitho versuchte, nicht an Calverts Angst zu denken.
        Giffard musterte die erschopften, keuchenden Matrosen.»Sie ha-ben's ja anscheinend auch ohne unsere Hilfe ganz gut geschafft, Sir. «Er grinste.»Aber wenn's wirklich ernst wird, sind richtige Disziplin und kalter Stahl das Allerbeste!»
        Bolitho blickte zu den Mauern empor - fast jedes Fenster, jede Schie?scharte war erleuchtet. Bis Sonnenaufgang gab es noch eine Menge zu erledigen. Er rieb sich die Augen und merkte dabei, da? er seinen Degen noch immer fest in der Hand hielt. Die Finger taten ihm richtig weh, als er die Klinge in die Scheide steckte. So weh, als konnten sie den Griff nie mehr loslassen.

«Sichern Sie die Gefangenen«, sagte er,»und lassen Sie die Verwundeten in die unteren Raume schaffen. Bei Sonnenaufgang kommen die Hekla und die Coquette in die Bucht, und bis dahin ist noch ungeheuer viel zu tun.»
        Klirrend lief Bickford die Stufen hinunter und fa?te an den Hut.»Kein Widerstand mehr, Sir. «Da sah er den toten Lucey, aus dessen Rucken immer noch das Bajonett ragte, als ware er an den Erdboden genagelt.»Mein Gott!«flusterte er mit bebenden Lippen.

«Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Mr. Bickford. «Langsam ging Bolitho zur Treppe, innerlich noch gespannt wie die Abzugsfeder einer Pistole.»Da Sie jetzt der einzige uberlebende Leutnant sind…»
        Bickford schuttelte den Kopf.»Nein, Sir. Mr. Sawle ist in Sicherheit. Ihre Kommandantengig hat ihn und Mr. Fittock aufgenommen.»
        Bolitho wandte sich um und blickte auf den toten Lucey herab. Merkwurdig, da? in dieser Welt immer die Sawles uberlebten, wahrend andere. Er ri? sich aus seinen Grubeleien und befahl kurz:»Kummern Sie sich um die Verwundeten. Dann die Boote zuruckrufen! Die ankernde Brigg sorgfaltig bewachen, damit sie nicht in der Nacht entwischt!»

«Man hat sie vielleicht angebohrt, Sir.»

«Glaube ich nicht. Hier in Djafou? Das einzige Schiff, das sie haben?»
        Irgend etwas hielt ihn immer noch hier, auf diesen blutbespritzten Stufen, und er sollte doch schon langst drinnen sein, in der Festung. Er mu?te mit dem Garnisonkommandeur sprechen und zahllose andere Einzelheiten erledigen, ehe das Geschwader kam.
        Giffard schien seine Gedanken zu lesen. Und das war ebenfalls merkwurdig, denn nie hatte Bolitho ihm irgendwelches Einfuhlungsvermogen zugetraut.»Soll ich ein paar Mann losschicken und Leutnant Calvert suchen lassen, Sir?«Er wartete auf Antwort und wiegte sich in knarrenden Stiefeln.»Einen Halbzug hatte ich allenfalls fur ein paar Stunden ubrig.»
        Bolitho stellte sich Calvert mit seinen vier Begleitern vor - irgendwo in der Finsternis, verschreckt, hilflos. Besser waren sie tot, als da? sie den marodierenden Beduinen in die Hande fielen, von denen Draf-fen gesprochen hatte.

«Dafur ware ich Ihnen dankbar. Aber setzen Sie das Leben Ihrer
        Leute nicht sinnlos aufs Spiel, Hauptmann Giffard«, schlo? er widerstrebend.
        Der Marine-Infanterist erwiderte gravitatisch:»Meine Leute tun, was befohlen wird, Sir. «Dann grinste er, als amusiere er sich uber seine eigene Angeberei.»Ich schicke sie sofort los.»
        Im mittleren Turm befanden sich vor allem die Unterkunfte der Offiziere, von denen drei ihre Frauen bei sich hatten. Wahrend Bolitho vorsichtig uber Steinbrocken, allerlei personliche Habe, Kleidungsstucke und dergleichen nach oben stieg, fragte er sich, was eine Frau in der Gluthitze von Djafou wohl fur ein Leben fuhren mochte.
        Das Quartier des Kommandeurs befand sich ganz oben und hatte Ausblick uber die Bucht und den schnabelformigen Landvorsprung.
        Er sa? in einem hochlehnigen Sessel und wollte aufstehen, als Bo-litho, gefolgt von Allday, ins Zimmer trat. Er trug einen elegant gestutzten grauen Bart, aber sein Gesicht hatte die Farbe ausgebla?ten Pergaments; wahrscheinlich hatte er mehrere schwere Fieberattacken hinter sich. Er war ein alter Mann mit runzligen Handen, die kraftlos auf den Armlehnen des gro?en Sessel ruhten, und hatte diesen Kommandeursposten vermutlich bekommen, weil niemand, auch er selbst nicht, ihn haben wollte.
        Glucklicherweise sprach er gut englisch. Seine leise, kultivierte Stimme wirkte in dieser grimmen, kompromi?losen Umgebung fehl am Platze.
        Bolitho hatte bereits von Bickford gehort, da? er Francisco Alava hie? und fruher Oberst bei den Leibdragonern Seiner Katholischen Majestat des Konigs von Spanien gewesen war. Und jetzt hatte er bis zu seinem Todestag die trubseligste Garnison in der Kette der spanischen Mittelmeerbesitzungen befehligen sollen. Bolitho nahm an, da? er einmal einen geringfugigen Bruch der Etikette begangen oder sich sonstwie falsch benommen hatte und deswegen auf diesen Posten abgeschoben worden war.

«Es ware mir angenehm, wenn Sie mir Ihr Quartier fur den Augenblick uberlassen wurden, Colonel Avala«, sagte Bolitho hoflich.
        Zitternd hoben sich die beiden Hande und fielen auf die Armlehnen zuruck. Krankheit, Alter, die schrecklichen Detonationen von Inchs Morsern hatten seinen an sich schon geringen physischen Reserven hart zugesetzt.

«Dank fur Ihre Humanitat, Captain«, entgegnete er.»Als Ihre Soldaten erschienen, furchtete ich, sie wurden alle meine Leute abschlachten.»
        Bolitho lachelte grimmig. Giffard hatte bestimmt dagegen protestiert, da? man seine Marine-Infanteristen einfach» Soldaten «nannte. Er erwiderte:»Bei Tageslicht werden wir sehen, was sich tun la?t, um die Verteidigungsanlagen wieder instand zu setzen. «Er trat an eins der offenen Fenster und blickte auf die dunkle, wirbelnde Stromung unter der Festung.»Ich erwarte in Kurze weitere Schiffe. Eins davon mussen wir trockenfallen lassen, um Schaden zu reparieren. «Er schwieg einen Moment und drehte sich dann so scharf um, da? selbst Allday zusammenfuhr.»Sie kennen es vielleicht, Colonel - die Navarra !»«
        Nur fur den Bruchteil einer Sekunde sah er Beunruhigung in den Augen des alten Mannes aufblitzen. Dann zuckten die Hande, und er nahm sich zusammen.

«Nein, Captain.»
        Bolitho wandte sich wieder zum Fenster. Er lugt, dachte er, und das ist so gut wie der Beweis, da? dieses gottverlassene Felsennest tatsachlich Witrands Ziel gewesen war. Vermutlich war die Brigg dort unten das Schiff, das ihn auf hoher See hatte abholen sollen.
        Aber fur diese Dinge war spater noch Zeit. Inzwischen konnte sich der Kommandeur uberlegen, was jetzt, nachdem das Fort gefallen war, fur seine eigene Sicherheit ausschlaggebend war.
        Er nickte Bickford zu.»Eskortieren Sie ihn in den Nebenraum und halten Sie die anderen Offiziere von ihm getrennt.»
        Der Kommandeur hinkte durch eine Tur, und von der anderen Seite kam Sawle herein. Sein Hemd war durchweicht und zerrissen, den Uniformrock trug er leger uber dem Arm.

«Sie haben Ihre Aufgabe sehr gut gelost. «Bolitho sah ein neuartiges Licht in den Augen des Leutnants aufblitzen: etwas wie gebandigte Wildheit oder das aus einer gefahrlichen Tat geborene Selbstvertrauen. Er hatte mehr Angst davor gehabt, seine Angst zu zeigen, als Angst vor der eigentlichen Gefahr; und nun, da er noch lebte, wurde er Anerkennung und mehr erwarten.

«Danke, Sir«, antwortete Sawle und versuchte gar nicht erst, diese neue Arroganz zu verbergen, die sein Erfolg in ihm ausgelost hatte.»Es war leicht.»
        Das kommt dir nur so vor, weil es jetzt vorbei ist, mein Freund, dachte Bolitho. Laut sagte er:»Melden Sie sich bei Mr. Bickford; er gibt Ihnen weitere Instruktionen.»
        Allday sah Sawle nach und murmelte fast unhorbar:»Rindvieh!»
        Ohne ihn anzusehen, befahl Bolitho:»Gehen Sie hinaus und kummern Sie sich um Mr. Lucey. «Dann sank er in den Sessel des Kommandeurs. Ihm war, als trugen ihn seine Beine nicht mehr.»Sehen Sie auch zu, ob Sie was zu trinken finden. Ich bin ganz ausgedorrt.»
        Als er allein war, starrte er in dem dusteren Raum umher. Eines Tages vielleicht, nach einer schwerer Krankheit oder weil er zum Kruppel geschossen war, wurden sie auch ihn auf so einen Au?enposten abschieben. Wo er gro?artig Gouverneur hie?, wurde er den Rest seiner Tage hinbringen und versuchen, seine Verbitterung, seine Sehnsucht nach einem Schiff aus der Heimat vor seinen Untergebenen zu verbergen.
        Er merkte, da? ihm die Augen zufielen. Und ohne da? er ihn gehort hatte, war Giffard hereingekommen.»Meine Manner haben Mr. Cal-vert gefunden, Sir«, berichtete er, und ihm schien nicht wohl dabei zu sein.»Er hatte s ich verirrt und war angeblich ganz durcheinander.»

«Und seine Leute?»

«Keine Spur von den drei Matrosen, Sir. Den Midshipman trug er auf dem Rucken, doch der war schon tot. «Mude zuckte er die Schultern.

«Wer war das?»

«Mr. Lelean, Sir.»
        Bolitho rieb sich die Augen, um die ziehende Mudigkeit und Erschopfung loszuwerden. Lelean? Welcher war das?
        Dann fiel es ihm ein: Keverne beugt sich uber das Gelander, um seine Befehle an die Batteriedecks weiterzugeben. Drei eifrige Mids-hipmen und eins der nach oben gerichteten Gesichter voller Pickel: Lelean. Funfzehn Jahre war er geworden.

«Sagen Sie Mr. Calvert, er soll sich bei mir melden. Ich will ihn allein sprechen.
«Er sah Giffard bedeutsam in das rote Gesicht.
        Allday erschien mit einem gro?en Glaskrug, der bis zum Rand mit dunkelrotem Wein gefullt war. Er war sehr herb, aber im Moment schmeckte er besser als der beste Bordeaux des Admirals.

«Mr. Calvert ist hier, Captain«, sagte Allday.

«Holen Sie ihn rein und warten Sie drau?en. «Allday ging; das pa?te ihm keineswegs, wie Bolitho an seinem steifen Rucken sah.
        Calvert schwankte vor Erschopfung, und als er vor Bolitho stand und ihn teilnahmslos anstarrte, sah er aus, als wolle er jeden Moment umfallen.

«Sachte, Mr. Calvert. Trinken Sie einen Schluck Wein. Das wird Sie erfrischen.»
        Calvert schuttelte den Kopf.»Ich mochte lieber berichten, Sir. «Er schauderte.»Ich kann an nichts anderes denken.»
        Mit seltsam flacher Stimme, nur gelegentlich von tiefem Schaudern unterbrochen, erzahlte er seine Geschichte.
        Von dem Moment an, als das Boot ihn abgesetzt hatte, war alles schiefgegangen. Die drei Matrosen hatten absichtlich jeden seiner Befehle mi?verstanden; wahrscheinlich wollten sie einmal selbst die Unfahigkeit des Leutnants ausprobieren, uber die im ganzen Schiff geredet wurde.
        Midshipman Lelean hatte versucht, Disziplin zu halten, aber als er sah, da? Calvert nicht imstande war, mit drei gewohnlichen Matrosen fertig zu werden, hatte er den Mut verloren.
        Sie waren landeinwarts marschiert, hatten des ofteren Pause gemacht, weil sich immer der eine oder der andere Matrose uber wunde Fu?e oder dergleichen beklagte. Calvert hatte sich mit der ungenauen Karte herumgeplagt und versucht abzuschatzen, wie weit sie noch von dem vorgeschobenen Posten der Marine - Infanterie entfernt waren.

«Dann habe ich mich verirrt«, sagte er leise.»Lelean versuchte, mir zu helfen, aber er war ja nur ein Junge. Als ich nicht wu?te, wo wir waren, machte er mir Vorwurfe und sagte, ich mu?te es doch wissen. «Er machte eine vage Handbewegung. Dann kam der Uberfall. Lelean wurde von einer Musketenkugel getroffen, zwei Matrosen waren gleich tot. Der dritte lief weg, ich habe ihn nicht wiedergesehen.»
        Bolitho blickte ihm forschend in das zu Tode erschopfte Gesicht, in dem sich noch die Schrecken dieser Nacht, der Konfrontation mit blitzschnellem Tod, widerspiegelten. Wahrscheinlich waren es Berber gewesen, die wie Schakale lauerten, ob bei den Kampfen zwischen Englandern und Spaniern etwas fur sie abfiel.
        Calvert berichtete weiter:»Ich habe Lelean meilenweit getragen. Manchmal versteckten wir uns im Buschwerk und horten sie sprechen. Und lachen. «Seine Stimme brach, und er schluchzte:»Und die ganze Zeit sagte Lelean immer wieder, er wu?te ganz bestimmt, da? ich ihn in Sicherheit bringen wurde. «Mit seinen verschleierten, blicklosen Augen sah er Bolitho wieder an.»Er hat sich auf mich verlassen!»
        Bolitho stand auf und go? Wein aus dem Krug in einen Becher. Er druckte ihn Calvert in die Hand und sagte leise:»Wo waren Sie, als die Marine-Infanterie Sie fand?»

«In einer Felsenspalte. «Der Wein lief an seinem Kinn hinunter und auf das schmutzige Hemd. Wie Blut.»Lelean war schon tot. Die Verwundung mu?te schlimmer gewesen sein, als ich dachte. Ich wollte ihn nicht einfach so liegen lassen. Er war der erste, der mir etwas zugetraut hat. Ich wu?te. Ich dachte, kein Mensch wurde mich suchen kommen. Da lief doch der Angriff… all das hier…»
        Bolitho nahm ihm das leere Glas aus den schlaffen Fingern.»Ruhen Sie sich aus. Morgen kommt Ihnen vielleicht alles ganz anders vor. «Die Augen dieses Mannes! Morgen? Es war ja schon morgen.
        Calvert ri? sich zusammen.»Ich werde es Ihnen nie vergessen, da? Sie mich suchen lie?en. «Doch da war es mit seiner Fassung auch schon vorbei.»Ich konnte ihn doch nicht einfach so liegenlassen. Er war doch blo? ein Kind.»
        Broughtons schneidender Kommentar» Wird ihm gut tun «klang Bolitho auf einmal in den Ohren, so deutlich, als ob er hier im Raum gesprochen wurde. Nun - vielleicht hatte der Admiral schlie?lich doch recht gehabt.
        Ernst erwiderte er:»Viele gute Manner sind heute gefallen, Mr. Calvert. Es ist an uns, dafur zu sorgen, da? sie nicht umsonst gestorben sind. «Und nach einer kleinen Pause:»Und auch dafur, da? Le-leans Vertrauen nicht enttauscht wird.»
        Noch lange nachdem Calvert gegangen war, sa? Bolitho zusammengesunken im Sessel. Was war mit ihm los, da? er Calvert auf solche Weise trostete? Calvert war unbrauchbar und wurde sich wahrscheinlich niemals andern. Er kam aus einem sozialen Klima, dem Bolitho grundsatzlich mi?traute und gegen das er oft genug Abscheu empfunden hatte.
        War es wegen des toten Midshipman? Konnte er sich solche Empfindsamkeit leisten in einem Krieg, der alle Grenzen der Vernunft sprengte und alle traditionellen Gefuhle beiseite lie?? Oder identifizierte er Lelean mit Adam Pascoe, seinem Neffen? Ware es Calvert gegenuber fair gewesen, ihm obendrein Vorwurfe zu machen, da? er in seinem Versteck geblieben war, wahrend er im tiefsten Innern genau wu?te, er selbst hatte sich ebenso verhalten, wenn Adam da drau?en tot in einer unbekannten Felsenspalte gelegen hatte?
        Als das erste Morgengrauen zogernd das Zimmer des Kommandeurs erhellte, sa? Bolitho immer noch im Sessel, im Erschopfungsschlummer dammernd, ab und zu von neuen Zweifeln und Problemen aufgeschreckt.
        Bickford war bereits wach. Er stand oben auf dem mittleren Turm und spahte in den grauenden Morgen. Nach einer Weile konnte er es nicht langer aushallen und winkte einem in der Nahe stehenden Matrosen.»Na, ist es jetzt hell genug?«Der Leutnant grinste ubers ganze Gesicht und konnte gar nicht aufhoren zu grinsen - seinen Anteil an der Aktion hatte er geleistet, und er lebte noch.»Hi? die Flagge, Mann! Wenn die Coquette das sieht, macht sie Mannchen wie ein Hund!»
        Um Mittag stieg Bolitho auf den Hauptturm und betrachtete, uber die Brustwehr gebeugt, den Betrieb in der Bucht. Gleich nach Sonnenaufgang war die Coquette, gefolgt von Inchs Hekla, durch den engen Kanal unterhalb der Festung gekommen, und eine Stunde spater die angeschlagene, stark schragliegende Navarra. Geschaftig pullten die Boote zwischen der Kuste und den Schiffen, von den Au?enposten der Marine - Infanterie auf der Landzunge und den Wachen auf dem Fahrdamm hin und her; man konnte leicht vergessen, wie ode und leer es noch am Vortag dort gewesen war.
        Er setzte das Teleskop an und suchte uber dem vor Anker liegenden Bombenwerfer hinweg nach Leutnant Bickford, der mit seiner Abteilung zwischen den niedrigen Gebauden bei den Auslaufern der Bucht rekognoszierte. Giffard hatte bereits gemeldet, da? das Dorf - denn viel mehr war es nicht - vollig verlassen sei. Die Fischerboote, die sie bei der ersten Attacke gesichtet hatten, waren nur noch Wracks und seit Monaten nicht mehr benutzt. Uberbleibsel aus der Vergangenheit, wie dieses ganze Geisterdorf.
        Die einzige gute Beute war jene kleine Brigg, die Turquoise. Sie war ein Handelsschiff, nur mit ein paar unmodernen Vierpfundern und Drehbassen bewaffnet, aber sonst neu ausgerustet, ein sehr nutzlicher Zuwachs auf der Flottenliste. Sie wurde ein hubsches Kommando fur einen jungeren Offizier abgeben. Bolitho war entschlossen, dafur zu sorgen, da? Keverne sie bekam - das war nur gerecht.
        Er schwenkte das Glas etwas und beobachtete, wie die Navarra dichter an die Kuste verholt wurde. Der Steuermannsmaat, der als Prisenkommandant fungierte, hatte so schnell er konnte Segel gesetzt, sobald er die britische Flagge uber dem Kastell wehen sah. Die provisorischen Reparaturen hielten nicht mehr, und er hatte gerade noch Djafou erreichen konnen, bevor die Pumpen es nicht mehr schafften und das Schiff in Gefahr kam zu sinken.
        Bolitho war froh, da? Keverne gerade diesen Steuermannsmaaten ausgesucht hatte. Ein nicht so intelligenter Maat hatte vielleicht seine letzte Order, namlich sich von Land fernzuhalten, wortwortlich ausgefuhrt, weil er Unannehmlichkeiten mit seinen Vorgesetzten furchtete. Dann ware die Prise tatsachlich verlorengegangen, denn eine halbe Stunde, nachdem sie eingelaufen war, schlief der Wind vollig ein, und von der Landzunge bis zur dunkleren Kimm war die See wie eine tiefblaue Glasplatte. Zahlreiche Boote hatten an der gefahrlich schiefliegenden Navarra festgemacht, geschaftig waren Matrosen von den anderen Schiffen dabei, die Ladung zu ubernehmen, die schweren Spieren, die Kanonen, das Ankergeschirr abzufieren, um den Rumpf vor dem Aufsetzen moglichst zu entlasten.
        Die Mannschaft der kleinen Brigg, die sich ohne Widerstand ergeben hatte, sowie Besatzung und Passagiere der Navarra stellten ein weiteres Problem dar. Sie wurden bereits am Strand in Reihen aufgestellt; die bunten Kleider der Frauen hoben sich lustig vom silbriggrauen Sand und den dunstigen Bergen jenseits des Dorfes ab. Sie alle mu?ten verpflegt und untergebracht, auch vor marodierenden Berbern geschutzt werden, die sich immer noch in der Nahe herumtrieben. Das war nicht so einfach. Fur Broughton bedeuteten sie nur eine lastige Komplikation.
        Das Geschwader war jetzt vermutlich dicht unter der Kimm, und Bolitho konnte sich vorstellen, da? sich der Admiral, der ja immer noch nicht wu?te, ob die Aktion Erfolg gehabt hatte, bis zur Wei?glut uber die Flaute argerte. Aber sie hatte auch ihr Gutes. Denn wenn Broughton nicht nach Djafou konnte, dann konnte es der Feind auch nicht.
        Metallisches Klirren und Kreischen an der unteren Brustwehr: Fit-tock, der Stuckmeister, beaufsichtigte das Umsetzen einer der auf Eisenlafetten montierten Kanonen, damit die an dieser Stelle beschadigte Mauer provisorisch ausgebessert werden konnte. Die Kanonen hatten bereits bewiesen, da? sie die Einfahrt auch gegen schwere Kriegs schiffe verteidigen konnten. Und wenn die so unschuldig aussehende Hekla in der Mitte der Bucht verankert wurde, dann war selbst ein massiver Infanterieangriff langs der Kuste ein erhebliches Risiko.
        Er setzte das Glas ab und zerrte an seinem Hemd, das ihm bereits wie ein hei?es Handtuch am Leibe klebte. Je mehr er daruber nachgrubelte, was er in Djafou vorgefunden hatte, um so mehr war er davon uberzeugt, da? der Ort als Basis unbrauchbar war. Gedankenverloren verschrankte er die Hande auf dem Rucken und begann, langsam auf den hei?en Steinen auf- und abzugehen; und wenn seine Fu?e eine Strecke zuruckgelegt hatten, die seiner gewohnten Strecke auf dem Achterdeck der Euryalus entsprach, dann drehte er automatisch um.
        Wenn die letzte Entscheidung bei ihm gelegen hatte - hatte er dann anders gehandelt als Broughton? Und wurde er jetzt mit einer Mi?erfolgsmeldung nach Gibraltar zuruckkehren oder weiter nach Osten segeln, ohne den Oberkommandierenden zu fragen, auf die vage Hoffnung hin, eine passende Bucht oder einen passenden Meeresarm zu entdecken? Die Degenscheide schlug ihm bei jedem Schritt an den Schenkel, und seine Gedanken wanderten zu dem gra?lichen Mann-gegen-Mann-Kampf dieser Nacht zuruck. Jedesmal, wenn er sich auf so ein tollkuhnes Unternehmen einlie?, verringerte er damit seine eigenen Uberlebenschancen. Das wu?te er ganz genau, aber er konnte nicht anders. Fourneaux und mancher andere dachten vielleicht, wenn er seine ihm zukommende Rolle als Flaggkapitan aufgab und personlich an solchen gefahrlichen Aktionen teilnahm, tate er das aus Geltungsbedurfnis oder sinnloser Ruhmsucht. Wie konnte er jenen seine wahren Grunde erklaren, wenn er sie nicht einmal selber genau verstand? Eins wu?te er jedenfalls: nie wurde er seine Manner ihr Leben fur einen zweifelhaften, seinem eigenen Hirn entsprungenen Plan
riskieren lassen, wenn er nicht mit dabei war und Erfolg oder Mi?lingen mit ihnen teilte.
        Er lachelte grimmig. Deswegen wurde er auch nie Admiral werden. Er mochte eine Schlacht nach der anderen mitmachen, seine Erfahrungen an die kaum ausgebildeten jungen Offiziere weiterge ben, die befordert wurden, um die immer gro?er werdenden Lucken zu fullen, die der Krieg hinterlie?. Und eines Tages, entweder an einem Ort wie diesem oder an Deck irgendeines Schiffes, wurde er den Preis bezahlen mussen. Auch jetzt wieder betete er flehentlich, es moge so schnell gehen, wie eine Tur zugeschlagen wird. Und im selben Moment wu?te er: das war unwahrscheinlich. Er dachte an Lucey und an jene anderen, die unten in dem gro?en kuhlen Vorratsraum lagen, der als Krankenrevier benutzt wurde. Der Schiffsarzt der Coquette tat sein Bestes, gewi? - aber viele wurden langsam sterben, ohne andere schmerzstillende Mittel als den Schnapsvorrat der Festung, der Gott sei Dank reichlich war.
        Bolitho blieb an der Brustwehr stehen. Eben legte ein Boot von der Coquette ab und nahm Kurs aufs Kastell. Auch von der Hekla kam ein Boot. Vor lauter Nachdenken hatte er vergessen, da? er Inch und Cap-tain Gillmor eingeladen hatte, mit ihm zu speisen. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Vielleicht hatte einer von ihnen eine Antwort auf die Frage, warum die Spanier Djafou trotz seiner strategischen Nutzlosigkeit gehalten hatten.
        Spater, als er mit den beiden Offizieren in dem kuhlen Kommandeurszimmer bei einem Krug Wein sa?, wunderte ihn die Art, wie sie alle beide ihre Erfahrungen und Gesichtspunkte dieses kurzen, wilden Gefechts darlegten und Vergleiche zogen. Man konnte sich nur schwer vorstellen, da? sie nur eine knappe Stunde geschlafen hatten und auch in der nachsten Zeit kaum zur Ruhe kommen wurden. Aber die Marine war eine gute Schule fur Durchhaltevermogen. Jahrelanges Wachegehen mit kurzen Schlummerpausen zwischen dem endlosen Segelsetzen, Segelkurzen, Kreuzen oder Reparieren von Sturmschaden machte auch den Faulsten so hart, da? er eine fast unbegrenzte Zeit ohne Schlaf durchstehen konnte.
        Inch schilderte gerade, wie aufgeregt sie alle an Bord der Hekla gewesen waren, als die Artilleriebeobachter der Marine-Infanterie den Einschlag des ersten Schusses signalisiert hatten; da trat Allday ein und meldete, Bickford sei von seiner Expedition ins Dorf zuruck.
        Bickford sah erschopft aus, seine Uniform war voller Sand und Staub; er go? seinen Wein mit offensichtlichem Durst hinunter.»Ein Ort des Grauens, Sir«, berichtete er und schuttelte noch nachtraglich den Kopf uber seine schlimme Entdeckung.»Da wohnt schon seit Jahren niemand mehr. Keine Menschen, hei?t das.»
        Spottend sagte Gillmor:»Na, na, Mr. Bickford! Kobolde werden es doch bestimmt nicht sein!»

«Nein, Sir«, erwiderte Bickford mit todlichem Ernst.»Hinter den Hausern haben wir eine gro?e Grube gefunden, voller Menschenknochen. Viele Hunderte mussen sie da hineingeworfen haben, allem moglichen Viehzeug aus den Bergen zum Fra?.»
        Erschrocken starrte Bolitho ihn an; Kalte stieg in seinem Herzen hoch. Die ganze Zeit war es dagewesen, und er hatte es nicht gesehen: das nachste Teilstuck dieses Puzzlespiels.

«Die meisten Hauser«, fuhr der Leutnant fort,»bestehen blo? noch aus den Au?enwanden. Aber da gibt es Ketten…»«

«Sklaven!«sagte Bolitho, und alle starrten ihn an. Sklaven. Unglaublich, da? er so lange gebraucht hatte, um zu sehen, was auf der Hand lag. Oder vielleicht hatte sich sein Unterbewu?tsein dagegen gestraubt. Was sonst hatte Draffen hier fur Geschafte tatigen konnen? Geschafte, die ihn bis nach Westindien und in die Karibik gefuhrt hatten, wo er wahrend der amerikanischen Revolution mit Hugh zusammengekommen war? Die Mauren hatten dieses Kastell erbaut, um jenen scheu?lichen Menschenhandel zu schutzen und zu fordern, und nach ihnen waren andere gekommen: Berberpiraten, arabische Sklavenjager, die weit umherschweiften und dann ihre hilflosen Opfer hierherschafften. Hier war der Umschlagplatz fur ihren bluhenden Sklavenhandel gewesen.
        Wie einfach es fur Draffen gewesen war! Sein anscheinend selbstloses Angebot, die britische Flottenprasenz im Mittelmeer zu fordern, war purer Eigennutz, und indem er Broughton veranla?t hatte, die spanische Garnison zu erobern, hatte er sich den Weg fur den standigen Sklavennachschub eroffnet.

«Sie mussen aus vielen Teilen des Landes hierhergebracht worden sein«, sprach Bolitho weiter.»Karawanenwege, die wahrscheinlich schon Jahrhunderte alt sind, fuhren in die Berge. «Er konnte seine bitteren Gedanken nicht fur sich behalten. Ich habe keinen Zweifel daran, da? mancher in Westindien und Amerika auf Kosten dieser armen Teufel reich geworden ist.»

«Na ja«, sagte Gillmor unbehaglich,»Sklavenhandel hat es immer gegeben.»
        Bolitho musterte ihn gelassen.»Skorbut hat es auch immer gegeben, aber nur ein Narr wurde nichts dagegen tun!»
        Argerlich wandte Gillmor sich ab.»Mein Gott, wie mich dieses Land anekelt! Sobald man nur den Fu? drauf setzt, kommt man sich vor wie angesteckt, wie unrein!»

«Sir Hugo Draffen wird das nicht gern horen, Sir«, warf Inch ein.

«Da konnen Sie recht haben. «Bolitho schenkte ihnen ein; der Krug zitterte in seiner Hand. Sprach man zu Leuten seiner eigenen Art, dann schien alles klar und einfach. Aber er wu?te aus alter Erfahrung, da? es in der strengen Atmosphare eines Kriegsgerichtshofes, viele Meilen vom Ort des Geschehens entfernt und vielleicht viele Monate spater, nicht mehr so sauber und richtig klang. Draffen war ein einflu?reicher Mann, das bewies schon der Umfang seiner Geschafte. Broughton hatte Angst vor ihm, und sicher besa? er in England viele Verbundete. Schlie?lich hatte er eine Basis fur das erste Vordringen des Geschwaders im Mittelmeer entdeckt. Im Krieg mu?te man alles nutzen. Sein glattzungiges Versprechen, einen neuen Alliierten zu gewinnen, um die Bewegungen des Feindes an der Kuste zu storen, konnte sehr wohl Deckmantel fur seine ganz personlichen Ziele sein.
        Bolitho ging langsam zum Fenster und spurte ihre Augen in seinem Rucken. Ebenso leicht, wie er ihnen jetzt den Rucken drehte, konnte er auch Draffen und seinen Geschaften den Rucken drehen. Er war Flaggkapitan, und bei weiterreichenden Entscheidungen hatte er nicht viel mitzureden. Niemand konnte ihm deswegen etwas anhaben, und wenige wurden ihn dafur tadeln. Broughtons Flagge wehte uber dem Geschwader und seinen Aktionen, und damit hatte Broughton auch die Verantwortung.
        Noch ein paar Minuten qualte er sich mit diesem Problem herum, und dabei fielen ihm Lucey und Lelean wieder ein und alle die anderen, die gestorben waren und noch sterben wurden, ehe sie diesen verdammten Ort verlassen konnten.
        Vielleicht hatte Draffen sogar versucht, ihm etwas Derartiges anzudeuten, dachte er. Denn als er erklart hatte, da? sie Djafou sehr bald wieder aufgeben wurden und dabei von Menschen gesprochen hatte, denen Djafou Vergangenheit und Zukunft bedeutete, hatte er nicht an seine Bewohner gedacht, denn die gab es gar nicht: nur einen standigen Strom von Sklaven und Sklavenjagern, die fur solche Handler wie Draffen arbeiteten. In dieser Minute trieb er sich wahrscheinlich irgendwo an der Kuste herum und gab seinem Agenten Anweisungen, um seinen personlichen Sieg so ertragreich und dauerhaft wie moglich zu machen.

«Wie lange hat es gedauert, bis die Restless Kontakt mit Draffens Agent hatte? fragte er scharf.
        Bickford hob die Schultern.»Hochstens einen Tag oder so, nehme ich an. Jetzt wird sie wohl auch in der Flaute liegen.»
        Bolitho sah die drei an.»Dann kann das Redezvous nicht weit weg liegen. «Rasch ging er zur Tur.»Ich mu? den Kommandeur sprechen. Machen Sie es sich inzwischen bequem, meine Freunde.»
        Die Tur fiel ins Schlo?, und Gillmor sagte:»So habe ich ihn noch nie gesehen.»
        Inch trank sein Glas aus.»Ich ja. «Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an.»Als ich unter ihm auf der Hyperion Dienst tat.»
        Ungeduldig sagte Gillmor:»Raus aus dem Ofen und auf den Tisch damit, Mann!»

«Verraterei ha?t er«, sagte Inch einfach.»Ich glaube kaum, da? er mit so einem Kieselstein unterm Sattel ruhig sitzenbleiben wird.»
        Als Bolitho beim Kommandeur eintrat, sa? dieser am Fenster. Mit seinem muden, nachdenklichen Gesicht und in dem gedampften Sonnenstrahl, der durch die truben Scheiben fiel, sah er wie ein holzgeschnitztes Heiligenbild in einer alten Kirche aus.
        Bolitho wartete, bis sich die verschatteten Augen des alten Herrn ihm zuwandten. Wir mussen uns beeilen, denn die Zeit wird knapp«, begann er.»Aber gewisse Dinge mu? ich wissen, und Sie sind der einzige, der sie mir sagen kann.»
        Die runzligen Hande hoben sich langsam.»Sie wissen, da? mein Eid mir zu sprechen verbietet, Captain. «Kein Unmut, nur Resignation klang aus seiner Stimme.»Als Festungskommandeur habe ich.»
        Bolitho unterbrach ihn rauh:»Als Festungskommandeur haben Sie Pflichten Ihren Leuten gegenuber, auch den Matrosen und Passagieren der Navarra, die spanische Untertanen sind.»

«Mit der Eroberung von Djafou haben Sie diese Pflichten ubernommen.»
        Bolitho trat an ein Fenster und lehnte sich auf das sonnenwarme Sims.»Ich wei? von einem franzosischen Offizier namens Witrand. Ich glaube, Sie kennen ihn auch, und er ist vielleicht schon fruher hiergewesen.»

«Fruher?»
        Nur zwei Worte, aber Bolitho horte den Bruch in der Stimme des Mannes heraus.

«Er ist unser Kriegsgefangener, Colonel. Aber Sie sollen mir jetzt sagen, was er hier gemacht hat, und warum er an Djafou interessiert ist. Andernfalls.»

«Andernfalls? Ich bin zu alt, als da? Sie mir drohen konnten.»
        Bolitho wandte sich wieder um und sah ihn unbewegt an.»Wenn Sie sich weigern, mu? ich die Festung zerstoren.»
        Alava lachelte milde.»Das ist naturlich Ihr gutes Recht.»

«Ich habe aber«, erwiderte Bolitho absichtlich grob, um seine innere qualende Unsicherheit zu verbergen,»nicht genugend Schiffe zur Verfugung, um die Zivilisten und Ihre Leute in Sicherheit zu bringen. «Seine Spannung lie? etwas nach, denn an dem plotzlichen Erzittern der runzligen Hande sah er, da? seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten.»Und obwohl die Kriegslage es erfordert, da? ich die Festung zerstore, so da? sie uns in Zukunft nicht mehr bedroht, kann ich Ihnen keinen militarischen Schutz hierlassen.»
        Er sah wieder aus dem Fenster, denn was er dem alten Mann antat, war ihm in der Seele zuwider. Unten lehnte sich Sawle uber die Brustung; sein Kopf war ganz dicht bei dem einer schwarzhaarigen Spanierin, der Frau eines der Offiziere der Garnison. Sie kam dichter heran, und Sawle legte ihr die Hand auf den Arm.
        Er drehte der kleinen Szene den Rucken und fragte Alava:»Sie haben von einem gewissen Habib Messadi gehort?«Er nickte langsam.»Ja, ich sehe es Ihnen an.»
        Argerlich fuhr er herum, denn die Tur sprang auf, und Hauptmann Giffard kam hereinmarschiert. Ihm folgte ein junger Seesoldat mit einem kleinen Korb.

«Was, zum Teufel, suchen Sie hier?»
        Giffard stand bewegungslos stramm, den Blick irgendwohin uber Bolithos linke Schulter gerichtet.

«Ein Reiter kam zum Damm galoppiert, Sir, irgend so 'n Araber. Meine Leute riefen ihn an, er drehte ab und floh, sie schossen hinterher, trafen ihn aber nicht. «Er deutete auf den hinter ihm stehenden Marine-Infanteristen.»Er hat uns diesen Korb hingeschmissen, Sir.»
        Bolitho erstarrte.»Was ist darin?»
        Giffard sah zu Boden.»Dieser franzosische Gefangene Witrand, Sir. Sein Kopf.»
        Bolitho ballte die Fauste so fest, da? er das Blut gegen die Knochel pulsen fuhlte. Irgendwie gelang es ihm, die aufsteigende Ubelkeit und das Entsetzen zu unterdrucken, als er in Alavas schreckgeweitete Augen sah.»Anscheinend«, sagte er, ist uns dieser Messadi naher, als wir dachten, Colonel.»
        Der junge Seesoldat gab einen Laut von sich, als mu?te er sich erbrechen.»Also wollen wir keine Zeit verlieren.»



        XV Vergeltung und Vergessen

        Bolitho stand neben einem offenen Fenster im dusteren Zimmer des Kommandeurs, als Allday eintrat und ihm meldete, die Gig der Hekla sei da, um ihn abzuholen.
        In den letzten paar Stunden hatte sich das Wetter erstaunlich verandert. Es war spater Nachmittag, und es hatte eigentlich noch taghell sein mussen. Statt dessen war der Himmel mit niedrigen drohenden Wolken verhangen, und die Flagge auf dem oberen Turm stand steif in einem westlichen Wind, der allem Anschein nach standig auffrischte.
        Er war gerade im Begriff gewesen, den alten Kommandeur zu verlassen, als eine Schildwache auf der Brustwehr den Wetterwechsel meldete. Er wollte sich selbst ein Bild von der Lage machen und stieg daher auf den Turm. Vor seinen Augen verschwand der westliche Landarm der Bucht langsam unter einem riesigen Wirbel aus Sand und Staub, so da? der Verbindungsdamm plotzlich im Leeren zu enden schien. Selbst in der Bucht dumpelten die Schiffe heftig, und Gillmor seufzte erleichtert auf, als er sah, da? sein Erster Offizier fur alle Falle einen zweiten Anker ausgeworfen hatte.
        Doch die Sorge um die Sicherheit ihrer Schiffe, alle Zweifel und sogar der Schreck uber Witrands gra?lichen Tod hatten sich in gespannte Erregung verwandelt, als Bolitho ihnen mitteilte, was er herausgefunden hatte.
        Als Alava erst einmal zu sprechen begonnen hatte, schien er gar nicht mehr aufhoren zu konnen. Es war, als sei die Burde der Mitwisserschaft zu schwer fur seine gebeugten Schultern, und der Schock uber das, was in dem kleinen Korb lag, war der letzte Ansto? fur ihn, die Verantwortung abzuwerfen.
        Bolitho hatte seiner leisen, kultivierten Stimme mit starrer Aufmerksamkeit zugehort, die ihm sowohl als Schranke gegen sein Mitleid mit Witrand diente, als auch gegen seine Abscheu vor jenen, fur die sein Tod nur ein Detail der psychologischen Kriegsfuhrung war.
        Jetzt, wahrend der Wind gegen die dicken Mauern heulte und durch die ungeschutzten Brustwehren fuhr, fiel es ihm immer noch schwer, sich einzugestehen, da? er mit seinem fruheren Verdacht in vieler Hinsicht recht gehabt hatte. Witrand war schon einmal in Djafou gewesen, mit dem strikten Befehl, den Weg fur weitere Entwicklungen freizumachen. Wieviel von Alavas Informationen auf Tatsachen und wieviel auf Spekulation beruhte, war schwer zu sagen. Eins war sicher: Witrand war nicht nur hiergewesen, um die Basis gegen jede zukunftige Aktivitat der britischen Flotte im Mittelmeer abzuschirmen. Djafou sollte der erste einer Reihe Stutzpunkte an der Kuste Nordafrikas werden, ein Tor nach Osten und nach Westen. Truppen, Artillerie und die fur Transport und Schutz notigen Schiffe hatten es Frankreich ermoglicht, aufs neue mit Macht in einen Kontinent vorzusto?en, der ihnen bis jetzt verschlossen gewesen war, und das zu einer Zeit, da England es weniger denn je daran hindern konnte.
        Und doch mu?te Alava gewu?t haben, da? Bolitho bluffte, wenn er damit drohte, Garnison und Passagiere den Berberpiraten preiszugeben. Er mu?te mit dem Gedanken gespielt haben, seinen Standpunkt zu behaupten - bis zu dem Moment, als Giffard mit seinem furchtbaren Fund hereingeplatzt war. Genau im richtigen Moment; Bolitho selbst hatte es nicht besser arrangieren konnen.
        Als er mit Gillmor und Inch sprach, hatte er sich an Broughtons Warnung, an sein Mi?trauen gegenuber Draffen erinnert. Was wurde er sagen, wenn er den vollen Umfang von Draffens Verraterei - falls es das war - erfuhr? Draffen konnte ja ebenfalls tot sein oder sich schreiend unter der Folter krummen.
        Da jetzt der Wind endlich wieder aufgefrischt hatte, bestand ein Schimmer von Hoffnung. Von dem Moment an, als der Reiter Gif-fards Leuten den Korb vor die Fu?e geworfen hatte, war es klar, da? die Einnahme des Kastells an der ganzen Kuste bekannt war. Das Geschwader war immer noch nicht da; der Himmel mochte wissen, wie weit es inzwischen bei dem auffrischenden Wind gekommen war; und somit konnte man durchaus mit einem massiven Angriff der Berber auf das Kastell rechnen. Alava hatte erwahnt, da? Messadi mit seinen Piraten erhebliche Teile des Kustengebiets beherrschte und terrorisierte. Schebecken vom gleichen Typ wie die, welche die Na-varra angegriffen hatten, konnten notigenfalls sehr dicht unter der
        Kuste operieren, wo sie einen Angriff schwerer Kriegsschiffe nicht zu furchten brauchten.
        Messadis Nachrichtendienst mu?te ebenso gut sein wie der Draf-fens, dachte Bolitho. Denn es war ganz klar, da? der Angriff auf die Navarra nicht auf einem zufalligen Treffen auf hoher See beruhte. Dafur waren die Schebecken viel zu weit ab vom Land gewesen, und wenn es nicht plotzlich Sturm gegeben hatte, waren es bestimmt noch mehr gewesen. In diesem Fall hatte die Navarra den Angriff nicht abschlagen konnen, und Witrand ware mit den anderen an Ort und Stelle getotet worden; die Ubernahme Djafous durch die Franzosen ware so lange verzogert worden, bis seine ursprunglichen Eigner, die Berber, es wiedererobert hatten. Oder bis Broughton ihnen zuvorgekommen ware und dann selbst gesehen hatte, da? die Bucht als britische Basis nicht zu gebrauchen war.
        Nachdenklich sagte Gillmor:»Die Frogs wollen also Malta nehmen, eh? Und dann immer so weiter, und kein britisches Schiff ist da, um ihnen Widerstand zu leisten!»

«Ohne Hilfe konnen wir nichts machen«, hatte Inch noch gesagt.
        Es war, als hatte er seine Gedanken laut ausgesprochen. Aber Bo-litho erwiderte: Ich habe immer gesagt: das Kastell ist Djafou. Fallt es, dann ist die Bucht fur keinen sicher - weder fur Franzosen, noch fur Piraten, oder, was das anlangt, fur uns. Wir mussen es zerstoren, es so zerschlagen, da? es Monate, vielleicht ein Jahr dauert, es wieder aufzubauen. In dieser Zeit konnen wir in ausreichender Starke wieder in diese Gewasser zuruckkommen und den Franzosen da schlagen, wo es ihm am wehesten tut. Zur See!«Seine Worte bewirkten, da? ihr Pessimismus wich und schlie?lich in erregte Spannung umschlug.
        Gillmor hatte etwas abgebremst.»Daruber mu?ten Sie doch wohl mit Sir Lucius Broughton sprechen?»
        Darauf hatte Bolitho in die Bucht gedeutet, wo die Wellen im auffrischenden Wind bereits wei?e Kappen bekamen.»Erst mussen wir den Schlag gegen jene fuhren, die diese Festung fur ihre eigenen niedertrachtigen Zwecke so notig brauchen. Der Wind halt sich vielleicht, und wenn ja, ist das ein unerwarteter Vorteil fur uns, den wir ausnutzen mussen.»
        Das war erst vor einer Stunde gewesen. Jetzt war es Zeit zum Handeln, sonst wurde die Hekla echte Schwierigkeiten bekommen, sich am Kastell vorbei in die offene See durchzukampfen. Die Coquette sollte vor Anker bleiben und, falls Bolithos Angriff mi?lang, nach seiner schriftlichen Order handeln: das Kastell demolieren, aber jeden
        Spanier, jeden Marine-Infanteristen, jede lebende Seele uberhaupt mit allen zur Verfugung stehenden Mitteln evakuieren.
        So enttauscht Gillmor war, da? er bleiben mu?te, war er deswegen doch nicht weniger besorgt um Bolitho.»Angenommen, Alavas Informationen stimmen nicht, Sir, und diese Berberpiraten sitzen ganz woanders? Oder Sie werden uberrannt? Dann mu? ich den Befehlen gehorchen, die Sie mir hinterlassen. Das konnte sehr leicht Ihren Untergang bedeuten, und dabei wissen wir doch, da? Sie zum Besten aller handeln.»

«Wenn das passiert, Captain Gillmor, dann brauchen Sie wenigstens nicht mitanzusehen, wie ich wegen eigenmachtigen Handelns kassiert werde«, hatte Bolitho erwidert und uber Gillmors verdutztes Gesicht gelachelt.»Dann bin ich namlich ohne jeden Zweifel tot.»
        Aber als er seinen Hut aufnahm, der an der Lehne des gro?en Sessels im Kommandeurszimmer hing, fiel ihm Gillmors Warnung wieder ein. Mit einigem Gluck wurden sie irgendwo drau?en auf die Restless sto?en, und diese konnte, was der schweren Fregatte nicht moglich war, Unterstutzung leisten. Mit einigem Gluck! Aber es zahlte sich nie aus, sich allzusehr auf Gluck zu verlassen.
        Er sah Allday an.»Fertig?»

«Aye, Captain.»
        Unten am Landungssteg, dessen Steine noch Spuren von Musketenkugeln und Sawles Sprengladung trugen, spurte man den Wind starker; man kam nur muhsam vorwarts und spurte Sand zwischen den Zahnen. Bolitho sah mehrere Boote, gedrangt voll mit den Passagieren der Navarra, und ein paar von Giffards Marine-Infanteristen. Auf seine Anordnung hin wurden alle Truppen au?er den Schildwachen eingezogen und zur Sicherung des Forts verwandt, und er fand noch Zeit, sich zu fragen, was sie wohl denken mochten, wenn sie dort drin wie Tiere in der Falle sa?en und die finsteren Mauern anstarrten.
        Giffard und Bickford warteten schon bei der Gig, und der Hauptmann sagte argerlich:»Ich bin immer noch der Ansicht, meine Truppe sollte im Eilmarsch quer durch das Hinterland sto?en, Sir.»
        Bolitho musterte ihn mit einem gewissen Wohlwollen.»Wenn wir mehr Zeit hatten, wurde ich dem zustimmen. Aber Sie haben selbst gesagt, da? in diesen zerklufteten Bergen ein paar gutplazierte Scharfschutzen eine ganze Armee aufhalten konnen. Haben Sie nur keine Angst, Sie werden bald reichlich zu tun bekommen.»
        Zu Bickford sagte er:»Mr. Fittock soll sich daranmachen, im Magazin und den unteren Raumen Sprengladungen zu legen. Das ist was fur ihn, glaube ich. «Der Leutnant machte dazu ein so verbissenes Gesicht, da? Bolitho lacheln mu?te.
        Da kam Calvert hastig die Stufen herunter, mit so grimmig entschlossener Miene, wie man es sonst nicht an ihm kannte.

«Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, mochte ich zu Ihnen auf die Hekla.»
        Bolitho merkte, da? Giffard mi?billigend die Mundwinkel herabzog und da? einige Matrosen der Bootsbesatzung Calvert neugierig oder sogar verachtlich ansahen. Spontan sagte er:»Sicher. Steigen Sie ins Boot.»
        Dann sagte Giffard mit offensichtlichem Mi?behagen:»Ich haben den - ah - Korb vergraben lassen, Sir. Am Ende des Fahrdammes.»

«Danke. «Bolitho mu?te an die Frau denken, die in Bordeaux wartete. Ob er ihr wohl schreiben sollte, wo Witrand ums Leben gekommen war? Und da? er neben einem britischen Leutnant und einem pickligen Midshipman lag?
        Mit kurzem Abschiedsnicken sprang er ins Boot und befahl:»Ablegen!»
        Inch begru?te ihn am niedrigen Schanzkleid des Bombenwerfers. Der Hut sa? ihm schief, und er spahte auf die wei?en Wogenkamme jenseits der Landzunge. Dann sah er Calvert, offnete den Mund, wollte etwas sagen, uberlegte es sich jedoch anders. Er kannte schlie?lich Bolitho besser als die meisten anderen. Und wenn der etwas tat, dann hatte er gewohnlich gute Grunde dafur.
        Das Boot wurde an Bord gehievt und auf seinem Gestell festgelascht, und dann befahl Inch:»Klar bei Ankerspill. «Er blickte zu Bolitho hin:»Wenn Sie soweit sind, Sir?»
        Sie sahen einander in die Augen, trotz des Altersunterschiedes wie Verschworene. Ab dafur, Commander Inch!«grinste Bolitho.
        Inch hupfte vor Vergnugen.»Also dann - ab dafur, Sir!»
        Im Vergleich zu seinem Logis auf der Euryalus war die Heckkajute des Bombenwerfers eng wie ein Kaninchenstall. Selbst hier wurde deutlich, wie sehr das Schiff auf Festigkeit gebaut war, und die massiven Decksbalken machten den Raum noch niedriger und enger.
        Bolitho hockte auf der Sitzbank, sah durch die dicken Fensterscheiben den Gischt drau?en vorbeifliegen und spurte, wie der flache Schiffsrumpf knarrend in eine steile Welle tauchte und schwerfallig nach Backbord drehte. Die Hangelampen schlugen wilde Kreise. Wie mochte erst dem Rudergast auf dem ungeschutzten Deck zumute sein, und jenen Ungluckseligen, die jetzt oben in den Masten waren und reffen mu?ten? Sie taten ihm richtig leid.
        Knallend sprang die Tur auf, und Allday erschien mit einer Kanne Kaffee. Er schwankte ruckwarts, konnte sich gerade noch mit den Fersen abstutzen, schwankte wieder und stolperte dann zum Tisch, wobei er sich den Kopf an einem Decksbalken stie?, weil die Hekla gerade in ein so tiefes Wellental rutschte, da? es einem ubel werden konnte. Ein Wunder, da? kein Tropfen des gluhendhei?en Kaffees verlorenging. Das mu? schon ein sehr geschickter Koch sein, dachte Bolitho, der auf einem derartig stampfenden Schiff kochen kann.
        Allday rieb sich den Schadel und fragte:»Konnen Sie nicht ein bi?chen schlafen, Captain? Es sind noch vier Stunden bis Tagesanbruch.»
        Dankbar lie? sich Bolitho den hei?en Kaffee in den Magen rinnen. Wahrend sich die Hekla von der Kuste freikampfte, hatte er vor Nachdenken nicht schlafen konnen; jetzt aber, da die Zeit allmahlich knapper wurde, mu?te er es wenigstens versuchen. Calvert lag, in eine Decke gewickelt, in einer der beiden kistenartigen Kojen; doch ob er schlief oder uber Leleans Tod nachgrubelte, war schwer zu sagen. Er hatte ihn in Djafou lassen sollen, das war ihm durchaus klar. Doch ebenso klar war ihm, da? Calvert verruckt geworden ware, hatte er ihn der Folter seiner Gedanken uberlassen.

«Ich lege mich gleich hin, Allday«, sagte er.
        Inch kam in die Kajute; auf seinem Olzeug glanzten die Salzkristalle, und er stolperte zur Kaffeekanne. Er wischte sich das klatschnasse Gesicht ab und sagte: Der Wind hat etwas gedreht, Sir. Westnordwest, soweit ich sagen kann. In einer Stunde gehe ich uber Stag. «Er hielt inne, weil ihn seine Autoritat als Schiffskommandant plotzlich genierte.»Wenn's Ihnen recht ist, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Sie sind der Kommandant. Bestimmt ist es richtig fur unser Vorhaben. Bei Tagesanbruch sichten wir vielleicht die Restless.«Er zwang sein Gehirn, sich nicht mehr mit seinen Zweifeln und Bedenken herumzuschlagen. «Aber jetzt will ich schlafen.»
        Allday folgte Inch zur Kampanjeleiter und murmelte:»Mein Gott,
        Sir, und ich habe mir eingebildet, ich wurde gern wieder mal auf einem kleinen Schiff fahren!»

«Sie werden eben alt«, grinste der Kommandant.
        Die See donnerte uber das Deck, und eine gute Portion kam wie ein Sturzbach die Leiter hinunter auf sie zu.
        Allday fluchte lasterlich und erwiderte dann:»Und, mit Respekt, Sir, ich mochte sogar noch 'n bi?chen alter werden, bevor ich sterbe!»

«Guten Morgen, Sir. «Inch fa?te an den Hut, als Bolitho an der Kam-panje erschien und uber das Sull trat.
        Bolitho nickte und ging zur Leereling, bereits hellwach von der frischen, feuchten Luft. Das Tageslicht war erst ein ferner Schimmer, und jetzt, da die Hekla uber Stag gegangen war und fast parallel zur Kuste segelte, konnte er schatzen, da? sie kaum mehr als zwei Meilen von ihr entfernt waren. Der Wind hatte noch weiter gedreht und kam jetzt stetig von Backbord; manchmal schlug Spritzwasser uber das starke Schanzkleid und flo? gerauschvoll durch die Speigatten ab. Er konnte Land sehen; es war allerdings nicht mehr als ein purpurner Schatten. Man konnte sich nur schwer vorstellen, da? Djafou erst knappe drei?ig Meilen achteraus lag; aber das kam daher, da? die Hekla zunachst so muhsam gegen den Wind hatte ankreuzen mussen.
        Inchs Schiffsfuhrung war gut, und seinem langen Pferdegesicht war uberhaupt nicht anzusehen, da? er fast die ganze Zeit an Deck gestanden hatte, wahrend sein Schiff in weitem Bogen unter standigem Kreuzen bis zu seiner jetzigen Position gelangt war.
        Eine dichte Nebelbank kam hinter ihnen her, so da? der falsche Eindruck entstand, das Schiff mache uberhaupt keine Fahrt; doch dieser Eindruck wurde durch den Schaum und das Spritzwasser korrigiert, die um den Bug flogen, und durch die straffen braunlichen Segel uber
        Deck.
        Er spahte nach vorn und sah einen matten Silberschein uber den tanzenden Wogenkammen: nun mu?te die Sonne gleich aufgehen, wenn auch der ostliche Horizont noch immer hinter Spruhwasser und Schatten verborgen lag. Ein paar Mowen segelten kreischend um die Masttopps; und er fragte sich, ob wohl auch andere Augen als die ihren die vorsichtige Annaherung der Hekla beobachteten. Vorsichtig nicht nur wegen des Uberraschungsmoments. Wahrend er die bereits so nahe Kustenlinie beobachtete, horte er den Lotgasten aussingen:»Sieben Faden!«Sein Ruf ging in dem Knattern und Krachen der Segel fast unter.
        Doch Inch schien nichts dabei zu finden - er kannte schlie?lich den flachen Rumpf besser als Bolitho.
        Die Schatten an Deck bekamen allmahlich Charakter und Personlichkeit: ein paar Matrosen werkten an den Geschutzen, andere liefen auf dem Vorschiff umher, wo Mr. Broome, der alte Stuckmeister, seine Morser uberprufte.
        Aber die Morser waren nicht die einzigen Zahne, mit denen die Hekla bei?en konnte. Au?er ein paar Drehbassen hatte sie noch sechs schwere Karronaden. Und die kraftige Konstruktion der massiven Planken hatte auch etwas fur sich.

«Funf Faden!»

«Einen Strich anluven, Mr. Wilmot!«rief Inch. Sein Erster (und einziger) Offizier schritt breitbeinig uber das krangende Deck, und als das Ruder quietschend herumkam, rief er:»Liegt an, Sir! Ost zu Sud!»

«Sieben Faden!»

«Verdammt!«sagte Inch zu der Welt im allgemeinen,»das ist Seemannslos! Mal rauf, mal runter - wie'n Wasserfall!»
        Am Fockmast hatten ein paar Matrosen einen Schleifstein festgelascht und schliffen geschaftig ihre Entersabel - das Knirschen ging Bolitho durch und durch. Wie ubervolkert das Deck war - aber au?er der normalen Besatzung der Hekla waren ja noch die Uberlebenden der Devastation und seines Landekommandos an Bord.
        Inch rieb sich das windgerotete Gesicht.»Dauert nicht mehr lange, Sir. «Er deutete nach oben.»Ich habe einen guten Mann im Mast, der nach der Restless Ausschau halt.

        Bolitho erwiderte:»Es soll da so eine schmale Bucht geben, wo dieser Messadi seinen Schlupfwinkel hat. Windschutz genug fur seine Schebecken, und mehrere Dorfer in Reichweite, wo er kriegen kann, was er braucht. «Er blickte Inch forschend an.»Sie konnen doch mit den Morsern feuern, ohne zu ankern, hoffe ich?»

«Aye, Sir«, antwortete Inch stirnrunzelnd;»wir haben es allerdings noch nie gemacht. «Doch dann lachelte er zuversichtlich.»Aber eine Festung hatten wir ja auch noch nie beschossen - und es ging ganz gut.»

«Schon. Sobald Sie das Nest aufgestort haben, schie?en wir auf jeden, der rauskommt. «Er sah zum Himmel empor.»Die Restless wird hoffentlich in der Nahe sein und uns unterstutzen, sobald wir Feindberuhrung haben.»

«Und wenn sie nicht verfugbar ist, Sir?«fragte Inch trocken.»Dann ist sie eben nicht verfugbar«, entgegnete Bolitho achselzuk-kend.
        Wieder grinste Inch.»Als ob man in einem Wespennest herumstochert. «Auf eine neue Meldung des Lotgasten eilte er nach vorn und lie? Bolitho mit seinen Gedanken allein.
        Das Land nahm jetzt deutlich Form an; es waren dieselben schwarzen und oden Berge wie um Djafou. Die Kustenlinie verlief zwar unregelma?ig, aber von einer Einfahrt oder einer schmalen Bucht war bis jetzt noch nichts zu sehen. Doch das tauschte, wie er aus seiner Knabenzeit wu?te. Einmal, fast noch als Kind, war er in einem kleinen Boot von Falmouth losgefahren und zu seinem Schrecken in eine schnelle Kustenstromung geraten. Irgendwo in der Nahe mu?te eine Bucht sein, wo er in Sicherheit gewesen ware, doch in dem schwindenden Licht konnte er nichts als diese grimmigen, feindseligen Klippen sehen. Er hatte schon alle Hoffnung und fast allen Mut verloren, da fand er sie ganz unerwartet. Ein paar Klippen lagen davor und verbargen sie fast; hinter ihnen war das Wasser glatt und ruhig. Vor Erleichterung war er in Tranen ausgebrochen. Sein Vater fuhr damals zur See. Hugh, sein Bruder, hatte ihn gesucht und hatte ihm eine Ohrfeige verpa?t, als er ihn fand.
        Dunnes Sonnenlicht lag uber dem driftenden Dunst; er horte den Ausguck rufen:»Da is' was in Lee voraus, Sir! Kabbelwasser!»
        Bolitho nahm ein Teleskop und suchte eifrig die sparliche Kustenlinie ab. Tatsachlich: da waren die charakteristischen kleinen Brecher an der inneren Biegung eines Landvorsprungs. Angestrengt versuchte er, diese Bucht in seine Vorstellung von Inchs Karte einzuordnen. Das mu?te die Stelle sein, die Avala mit seiner leisen Aristokratenstimme beschrieben hatte.
        Jemand kam an Deck, rutschte aus und entschuldigte sich verlegen. Es war Calvert, der sich in der Dammerung an der Leereling entlangtastete. Er sah verharmt und unausgeschlafen aus; dunkle Schatten waren unter seinen Augen.

«Ausguck!«rief Inch durch die hohlen Hande.»Was von der Restless zu sehen?»

«Nichts, Sir!»

«Der verdammte Kerl mu? sich verirrt haben«, sagte Inch. Er war nervoser als sonst. Bolitho musterte ihn verstohlen. Vielleicht war
        Inch besorgter, als er sich anmerken lie?, weil er sich an dieser verraterischen Kuste so entlangtasten mu?te. Oder vielleicht verbarg er damit seine wahren Gefuhle uber die Aufgabe, die ihm zugeschoben worden war? Es wurde nicht einfach fur ihn werden. Jetzt flusterte Inch nickend mit dem Stuckmeister und dem Ersten. Oder hatte er keine Lust, Bolithos Mi?erfolg mit anzusehen?
        Langsam, aber sicher kam der runde Landvorsprung naher; sein Gipfel schimmerte bereits im Fruhlicht. Nun war es bald soweit.
        Inch kam nach achtern.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir, lasse ich die Morser feuern, sobald wir in Hohe der Landspitze sind. So haben meine Leute Zeit, neu zu laden; und die nachsten Schusse fallen dann, sobald wir die Einfahrt passieren. Mr. Broome glaubt bestimmt, da? wir eine ganz schone Konfusion anrichten werden, selbst wenn wir nichts treffen.»
        Bolitho lachelte befriedigt. Inch hatte offenbar neues Selbstvertrauen gewonnen, und schon allein das war ansteckend.»Recht so. Machen Sie weiter.»

«Mannschaft auf Stationen, Mr. Wilmot! Sie wissen, was wir heute vorhaben!»
        Die Geschutzbedienungen waren schon vor Stunden herausgerufen worden. In der Kombuse loschte der Koch das Feuer; aber sonst konnten sie nur warten und Mr. Broome zusehen, der mit seinen Maaten wie eine Gruppe Hohepriester bei den niedrigen Morsern stand.

«Die werden diese stinkigen Bastarde schon aufwecken!«murmelte Allday grimmig.

«Drei Faden!«sang der Lotgast aus. Hart und klar stand das Vorland jetzt gegen den Himmel und verlief in den kabbligen Wolkenkammen, als wolle es dem Bugspriet einen freundschaftlichen Schubs versetzen.
        Broome hob seine Hand.»Weg von den Morsern, Jungs!«Bolitho sah, wie eine Lunte aufspruhte und der Stuckmeister blitzschnell den Arm vorstreckte. Er hielt den Atem an.
        In Sekundenabstand gaben beide Morser Feuer, und zu seiner Uberraschung war das Krachen der Schusse gar nichts gegen den furchtbaren Rucksto?. Das Deck sprang und vibrierte so stark unter seinen Fu?en, da? ihm die Zahne schmerzhaft aufeinanderschlugen und ihm das Genick weh tat, als sei er von einem durchgehenden Pferd gefallen.
        Inch sah zu ihm heruber.»Ganz ordentlich, Sir.»
        Bolitho nickte nur, denn seiner Stimme traute er nicht. Dann eilte er zur Reling und sah, wie es auf dem Grat des Vorlandes dunkel aufgluhte; Sekunden spater kam der dumpfe Schall der Detonation ubers Wasser und lie? die Luft erzittern.
        Brullend trieb Broome seine Geschutzbedienungen an, neu zu laden; aufgeregt redeten die wartenden Manner auf dem Hauptdeck durcheinander. Was fur eine seltsame, entnervende Art der Kriegsfuhrung, dachte Bolitho. Hoch uber eine feste Landmasse zu schie?en, ohne zu wissen, ohne sich auch nur darum zu kummern, was dahinter lag!

«Achtung aufs Ruder, Mr. Wilmot!«rief Inch, rannte an die Reling und starrte in die vorderste Reihe der Brecher.»Wir mussen anluven, wenn wir noch naher herankommen!»

«Fertig, Sir!«bellte Broome.

«Noch nicht«, sagte Bolitho und wartete ab, bis sie an einer Reihe schaumfleckiger Riffe voruber waren.»Gleich haben wir die Landspitze umrundet!»
        Er ri? seine Augen von den glitzernden Klippen los und stellte sich vor, was passiert ware, wenn das Schiff etwas mehr Tiefgang gehabt hatte.

«Jetzt kommt's«, sagte Inch.»Da brennt irgendwas, wir mussen getroffen haben.»
        Bolitho versuchte, mit seinem Teleskop die Sto?e der Stromung auszugleichen. In der Bucht war es noch sehr dunkel, und das glosende Feuer war schon am Erloschen - auf einem ausgedorrten Abhang hinten in der Bucht mochte ein Fleck Heidekraut in Brand geraten sein.

«Und noch mal!«Er ri? den Mund auf und war froh, da? ihm diesmal die Zahne nicht so stark aufeinanderschlugen. Aber trotzdem - da? die Decksplanken der Hekla dieser gewaltigen Beanspruchung stand hielten, sprach sehr fur die Konstrukteure dieses Schiffstyps.
        Ein einziger heller Blitz, der sich zu einer machtigen Feuerwand auswuchs, spiegelte sich in dem geschutzten Wasser der kleinen Bucht wider, so da? er doppelt und dreifach so stark wie in Wirklichkeit erschien. In den wenigen Sekunden, in denen er aufflammte und erstarb, sah Bolitho die schwarzen Silhouetten einiger unbewegt vor Anker liegender Fahrzeuge, und vor Erleichterung wurde ihm beinahe schlecht.

«Na, da sind sie ja!«sagte Allday und lehnte sich ungeduldig gegen die Reling. Mocht' ich doch wetten, da? wir ihnen die gottverdammten Barte angesengt haben!»
        Bolitho horte gar nicht hin.»Wir sind nahe genug, Commander Inch! Drehen Sie bei, dann werden wir ja sehen, was passiert.»
        Er schritt nach achtern an die Heckreling, um den Matrosen aus dem Wege zu gehen, die zu den Brassen und Fallen rannten. Soweit, so gut. In den nachsten Minuten wurde es sich herausstellen, ob sie nur ihre Zeit verschwendeten. Wenn die Piraten sich entschlossen, in ihrer tiefen Bucht zu bleiben, dann war weiter nichts zu tun, als das Bombardement von See aus fortzusetzen. Die Morser waren ja sehr eindrucksvoll, aber unter diesen Bedingungen konnten sie allenfalls eine Panik hervorrufen. Sie brauchten Stabilitat, einen guten Ankerplatz und Beobachter an Land, um die Trefferlage zu signalisieren.
        Mit schlagenden Blocken und klatschenden Fallen holte die Hekla unter dem schweren Druck von Ruder und Segel uber und drehte protestierend in den Wind.
        Im Verhaltnis zu seiner geringen Lange war das Deck sehr breit, und jeder Quadratfu? war gedrangt voll mit hastenden Mannern, bis das Manover beendet war und der Bomber auf Steuerbordbug lag, das Heck jetzt wieder dem Lande zugewandt.
        Die Hekla war ein schwer zu handhabendes Schiff, und zum erstenmal seit langen Jahren fuhlte Bolitho den unangenehmen Krampf der Seekrankheit im Magen.
        Inch jedoch grinste nur und schwenkte die Arme, denn seine Stimme ging im Tosen des Windes und der See vollkommen unter. Die Hekla war fur ihn mehr als nur ein Schiff, das er befehligte. Sie war wie ein neues Spielzeug, dessen Geheimnisse ihn immer noch uberraschten und erregten.
        Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis das Manover ganz beendet war und das Schiff wieder in seiner ursprunglichen Position lag, mit dem Landvorsprung in Lee. Mittlerweile war es so hell geworden, da? man schon die nachste Kette runder Bergkuppen ausmachen konnte und gelegentlich auch den kleinen, halbkreisformigen Strand, sowie erheblich mehr Riffe, als er zuerst gedacht hatte.
        Nachdenklich sagte Inch:»Wind flaut ab, Sir. «Gerauschvoll rieb er sich die Bartstoppeln.»Wird vielleicht doch noch hei?.»
        Aber vor der Kimm lag noch reichlich Dunst und Nebel. Trotz der immer heller werdenden Lichtreflexe auf dem Wasser wurde es nicht warm, und sie frostelten unter ihren durchweichten Uniformen.
        Bolitho wandte den anderen den Rucken zu. Wahrscheinlich fand Inch die Aussicht bedenklich, bei dem abflauenden Wind so dicht unter Land zu liegen. Auch manche Matrosen steckten die Kopfe zusammen - bestimmt machten sie sich ebenfalls Sorgen.
        Es war unfair, Inch einer solchen Gefahr auszusetzen, aber er mu?te noch etwas abwarten. Vielleicht hatte er doch Befehl geben sollen, da? die Marine-Infanterie uber Land marschierte, ohne Rucksicht auf Verluste. Aber er wu?te, das war alles nur Pessimismus. Er hatte recht, er mu?te recht behalten. Selbst wenn alle verfugbaren Seesoldaten die Bucht erreicht hatten, konnten die Schebecken immer noch entwischen; die kleinkalibrigen Musketen hatten sie nicht daran hindern konnen.
        Er sah sich um, denn Calvert sagte:»Horen Sie?«Alle starrten ihn an, und er schlug die Augen nieder, fa?te sich jedoch und sprach schnell weiter:»Bestimmt habe ich etwas gehort. «Es war beinahe das erstemal, da? Calvert etwas sagte, seit er an Bord war.
        Dann horte auch Bolitho es und verspurte das gleiche Kaltegefuhl wie an Bord der Navarra: der regelma?ige, hallende Takt der Trommeln; leicht konnte er sich die schlanken Schebecken mit den kraftvollen Ruderreihen vorstellen, wie sie elegant und mit latenter Grausamkeit zum Angriff fuhren.
        Er konnte Inchs Beunruhigung durchaus verstehen.»Achtung! Sie kommen heran!«stie? er hervor.
        Eine Welle der Erregung lief uber das Deck; die Geschutzfuhrer holten sich ihre Manner vom Schanzkleid weg und brachen die lautlose Spannung durch Drohungen und Fluche.

«Jetzt haben wir sie, Sir«, murmelte Inch.»Sie konnen uns nicht den Windvorteil wegnehmen.»
        Bolitho, die Hand am Degengriff, ging zu ihm hinuber.»Die brauchen keinen Windvorteil. Sie fahren aus eigener Kraft.»
        Aufgeregte Rufe erklangen, als die erste Schebecke aus dem Schatten scho?; Gischtstreifen flogen von ihrem langen schlanken Bug, als sie uber die niedrigen Brecher ritt.
        Die Trommeln erklangen jetzt deutlicher, denn eine Schebecke nach der anderen loste sich vom Land; Bolitho horte Inch laut zahlen vielleicht wurde ihm erst jetzt klar, mit was fur einem Gegner sie es zu tun hatten.
        Gelassen bemerkte Allday:»Das sind viel mehr als neulich, Cap-tain. «Er leckte sich die Lippen.»Zwanzig, vielleicht auch zweiundzwanzig.»
        Bolitho beobachtete sie genau; sein Gesicht war wie eine Maske, die wachsende Betroffenheit verbarg. Sobald sie von den Klippen klargekommen waren, schwarmten die Schebecken zu einem riesigen Facher aus; die eintauchenden Riemen und die Bugwellen wuhlten die weite Wasserflache auf wie eine Bo.
        An Deck der Hekla blieb alles totenstill. Wie Statuen standen die Geschutzbedienungen da und starrten auf die naher kommenden Fahrzeuge. Es war eine richtige Flotte. Niemand hatte je etwas dergleichen gesehen; wenn es ihnen nicht gelang, diese Flotte in den Grund zu bohren, wurde keiner am Leben bleiben, um spater davon zu erzahlen.
        Bolitho trat an die Reling. Deutlich spurte er, da? die Manner, die bis vor kurzem noch erwartungsvoll und erregt gewesen waren, jetzt auf einmal Angst bekamen.

«Verge?t eins nicht«, rief er mit fester Stimme, und alle Gesichter wandten sich ihm zu,»so etwas wie eure Hekla haben die bisher genausowenig gesehen wie ihr so einen Haufen Schebecken. Und auch einer Karronade haben sie wahrscheinlich noch nicht ins Maul geblickt. Also an die Geschutze und klar zum Feuern!«Sie sahen einander unschlussig an, und er befahl kurz:»Jeder Geschutzfuhrer sucht sich sein Ziel aus. Und dann schie?t wie noch nie, Jungs! Auch ihr an den Drehbassen und mit den Musketen - schie?t, schie?t und hort nicht auf, ganz egal, was kommt! Wenn sie uns entern, sind wir verloren!«Er zwang sich zu einem Lacheln.»Also sorgt dafur, da? jeder Schu? trifft!»
        Er horte metallisches Klirren: Inch hatte seinen krummen Sabel gezogen und befestigte ihn eben mit einer golddurchwirkten Kordel an seinem Handgelenk. Mit einem Blick auf Bolitho erlauterte er verschamt grinsend:»Ein Geschenk, Sir.»
        Ein dumpfer Krach hallte von der Kuste wider, und eine Kugel flog jaulend dicht ubers Deck. Ein Geschutzfuhrer trat erschrocken von seiner Karronade zuruck, aber Bolitho brullte:»Naher kommen lassen! Noch nicht feuern!«Das Buggeschutz einer Schebecke spie Feuer und Rauch, eine Kugel traf den Rumpf der Hekla hart an der Wasserlinie. Die feindliche Flotte war inzwischen noch weiter ausgefachert, so da? die Hekla fast von ihr umzingelt war - die vordersten Boote glichen den Spitzen des Halbmondes, den sie in ihren Flaggen uber den Lateinersegeln fuhrten.
        Immer schneller schlugen die Trommeln, immer naher trieben die langen Ruder die Fahrzeuge an die langsame Hekla heran; es war wie eine Kavallerieattacke auf ein Karree Fu?soldaten.
        Er ri? seinen Degen heraus und hielt ihn hoch.»Immer mit der Ruhe, Jungs!«Ein paar Matrosen, die dicht bei ihm standen, schwitzten trotz des kuhlen Windes. Fur sie mu?te es so aussehen, als wollten die Schebecken direkt durch ihr Schiff fahren.
        Das sparliche Sonnenlicht blitzte auf der Klinge - er hieb den Degen nieder und kommandierte:»Karronaden - Feuer!»
        Unter der Reling detonierte das ihm nachste Geschutz mit ohrenbetaubendem Brullen, polternd glitt das kurze stumpfe Rohr auf seinem Schlitten binnenbords, und die Bedienung sturzte bereits wieder mit Schwabber und Ladestock herzu. Bolitho fuhlte die Detonation in seinem Kopf wie einen furchtbaren Schmerz und sah, wie die gro?e Achtundsechzig-Pfund-Kugel mit blendendem, gelbrotem Blitz in eine Ruderbank schmetterte, dort zerbarst, und wie die Schrapnells alles niedermahten; wie die Riemen brachen und Splitter in alle Richtungen flogen, und wie die Schebecke herum und gegen das Nachbarfahrzeug geworfen wurde. Wieder spuckte eine Karronade Feuer und Rauch, und dann eine dritte auf der Gegenseite - eine Schebecke war zu nahe an den Steuerbordbug der Hekla herangekommen und bekam die schwere Kugel voll ins Vorschiff. Kreischende Berber, der abgebrochene Fockmast und das noch nicht in Aktion getretene Geschutz der Schebecke verschwanden in einem Schwall erstickenden braunen Rauches. Als er sich verzog, war das Fahrzeug bereits gekentert und versank in den wirbelnden Wellen.
        Drehbassen knallten und krachten vorn und achtern, jaulend flog das gehackte Blei in die wei?gewandeten Gestalten, die sich immer noch, Skimitars schwingend, Musketen abfeuernd, Kampfrufe brullend, auf den Decksgangen der Schebecken drangten.
        Wieder erzitterte der Schiffsrumpf, eine Kugel schmetterte in das
        Schanzkleid, ri? die dort stehenden Matrosen um und hinterlie? eine Spur von Blut und zerfetztem Fleisch.
        Eine Schebecke rammte die Hekla krachend unterhalb der Heckreling; ihr Steuermann mu?te wohl tot oder so benommen sein, da? er sich in der Entfernung verschatzt hatte. Beim Anprall bestachen die Drehbassen ihr Deck vom Bug bis zum Heck, und als sie abfiel, bekam sie noch zwei Treffer von den Backbordkarronaden, so da? sie auseinanderbrach und sank.
        Aber zwei andere Schebecken kamen langsseit, und als die Matrosen zur Abwehr herbeirannten, kletterten schon die ersten der brullenden Piraten die Enternetze hoch, die Inch vor Sonnenaufgang hatte ausbringen lassen.

«Drauf, Leute!«schrie Bolitho durch die hohlen Hande. Aus dem Luk stromten die anderen Matrosen, darunter viele seiner eigenen Besatzung, die bereits im Kampf um Djafou dem Tod ins Auge gesehen hatten.
        Unter gellendem Hurrageschrei sturmten sie vorwarts, stie?en ihre Piken, hieben ihre Sabel in die enternden Seerauber, die, von dem rasiermesserscharfen Stahl aufgespie?t, zuckend in den Netzen hangenblieben.
        Doch da horte er warnende Rufe durch den Rauch: im Vorschiff mu?ten zum mindesten einige Piraten die Netze zerschnitten haben und an Bord gekommen sein.»Inch, bleiben Sie hier«, rief er.»Und Sie, Allday, kommen mit mir! Wir mussen dafur sorgen, da? die Karronaden weiterfeuern, sonst sind wir alle verloren!»
        Am Gangspill spruhten Funken, und oben sauste Eisen durch die Luft. Ein paar Kugeln trafen den Schiffsrumpf, wobei die Kanoniere der Schebecken wahrscheinlich auch ihre eigenen Leute umbrachten, denn sie feuerten mit ihren langen Geschutzen blind in den dicken Rauch.
        An der vordersten Karronade waren mehrere Matrosen ausgefallen; Bolitho horte sie schreien, als die ersten Enterer aus dem Qualm auftauchten und mit ihren Skimitaren und breiten Sabeln blindwutig um sich hieben.
        Am Vorschiff bellte eine Drehbasse, blutend sturzten ein paar Piraten auf die Planken und zuckten im Todeskampf; aber andere schwarmten durch einen gro?en Ri? im Netz an Deck und sturzten sich mit geschwungenen Sabeln auf die Matrosen.
        Bolitho packte einen Geschutzfuhrer an der Schulter und schrie:»Versuch, das Boot da zu treffen!«Halb betaubt nickte der Mann und lie? neu laden.
        Allday fuhr herum und hieb einen Enterer nieder, der sich irgendwie durch Leutnant Wilmots Abteilung gekampft hatte. Der Berber rutschte das Deck entlang, ein Matrose stie? ihm die Pike zwischen die Rippen, und er bleckte die Zahne im Todesschrei.
        Bolitho schwenkte den Degen und winkte eine Gruppe von Matrosen unter dem Gro?mast herbei. Er fuhlte eine Pistolenkugel dicht an seiner Wange vorbeifliegen, drehte sich um und sah Wilmot fallen - Blut stromte aus seinem Mund. Eben hatte er noch an der Spitze seiner Manner gekampft.
        Inch rief seinen Leuten zu, eine brennende Schebecke mit ihren Bootshaken wegzusto?en, die gefahrlich nahe herangetrieben war. Bolitho horte furchtbare Schreie aus diesem Boot und sah, da? die Ruderer an ihren Banken festgekettet waren - es mu?ten Sklaven sein, die jetzt einem schrecklichen Tod geweiht waren.
        Ein Mann kam von oben; sein Gesicht war von einer Musketenkugel zerfetzt. Ein anderer rollte sich von einer Karronade weg; das zurucksto?ende schwere Rohr hatte ihm den Fu? zerquetscht.
        Der Geschutzfuhrer von vorhin winkte Bolitho zu; wei? leuchteten seine Zahne in dem pulvergeschwarzten Gesicht. Er hatte es geschafft, die Schebecke zu treffen, die direkt unter dem Ri? im Netz festgemacht hatte.
        Ein bartiger Pirat duckte sich unter eine Pike weg und kam direkt auf Bolitho zu, den schweren Krummsabel in Brusthohe vorsto?end. Bolitho parierte, Funken spruhten, er fuhlte den Anprall bis in die Schulter hinein, aber es ri? den Kerl halb herum, und bevor er sein Gleichgewicht wiederfand, hatte Stuckmeister Broome ihn schon mit einem Belegnagel zu Boden geschlagen.
        Auf einmal stand Inch neben ihm und schrie:»Wir haben schon uber die Halfte versenkt, und den anderen geht's auch ziemlich drek-kig!»
        Er schwenkte den Hut, und als der Qualm uber den schwitzenden Kanonieren dunner wurde, sah Bolitho, da? die See mit zerschossenen Schiffsrumpfen und Wrackteilen bedeckt war. Hier und dort ruderte noch eine havarierte Schebecke eilends dem Lande zu. Es wurde eine
        Weile dauern, dachte er benommen, bis Messadi an diesem Kustenstrich wieder sein Schreckensregiment ausuben konnte.
        Da kam ein Ruf von Broome:»Bei Gott, Sir! Da ist noch eine, direkt vorm Bug!»
        Durch den Rauch sah Bolitho den gespaltenen Wimpel ganz nahe - irgendwie wu?te er, da? es das Fuhrerschiff war. Da versuchte wohl Habib Messadi in eigener Person, der Hekla zu entkommen und noch einmal die schutzende Bucht zu erreichen.
        Er rannte mit Inch nach achtern, wo die Rudergasten breitbeinig uber zwei toten Kameraden standen, deutete mit dem Degen auf die fliehende Schebecke und rief: Eine Guinea fur den Geschutzfuhrer, der sie versenkt!»
        Das Bewu?tsein ihres Sieges, das plotzliche Begreifen, da? sie einen furchtbaren, zahlenma?ig weit uberlegenen Feind abgeschlagen hatten, war genug. Hurraschreiend oder vor Erschopfung schluchzend rannten sie wieder an die Taljen; Drehbassen- und sogar Musketenkugeln durchschnitten die Luft, um die schnelle Schebecke zu treffen.
        Da fuhr eine der schweren Karronaden im Rucksto? binnenbords, und aufblitzend schlug das Gescho? dicht unter dem ausladenden Bug der Schebecke ein. Ein zweites traf die reichgeschnitzte Kampanje und zermalmte die dichtgedrangten Manner zu blutigem Brei.
        Alles brullte und schrie; Bolitho stieg ein Stuck in die Wanten, um uber die rollende Rauchwolke blicken zu konnen: die Masten der Schebecke kippten bereits.
        Inch rief ihm etwas zu, doch als er sich umwandte, spurte er einen Schlag gegen die rechte Schulter - nicht sonderlich schlimm, aber er taumelte und brach in die Knie. Mit dumpfer Uberraschung sah er Blut, das uber seine wei?e Kniehosen auf die Planken rann. Er lag auf der Seite, das machtige Gro?segel uber sich, und dahinter ein blasses Wolkchen. Rufe ertonten, Inch kam mit schreckensstarrem Gesicht herbeigerannt. Bolitho offnete den Mund, um ihn zu beruhigen, aber da durchfuhr ihn ein Schmerz, so stark und furchtbar, da? er in gnadige Dunkelheit versank.
        Und dann kam das Vergessen…



        XVI Ein Ehrenhandel

        Langsam, beinahe angstvoll, offnete Bolitho die Augen. Es schien ewig zu dauern, bis er klar sehen konnte. Er mu?te sich zusammennehmen, um dem furchtbaren Schmerz standzuhalten, der todsicher gleich kommen mu?te. Wie Eiswasser rann ihm der Schwei? uber Gesicht und Hals, doch obwohl er angstlich gespannt darauf wartete, spurte er gar nichts. Er versuchte, sich zu bewegen, gab sich Muhe, die Gerausche der See oder der knarrenden Balken zu horen, doch vernahm er keinen Ton. Seine Unsicherheit drohte in Panik umzuschlagen, denn alles um ihn war so still, so vollig lautlos, und beinahe dunkel - wie in einem Grabgewolbe.
        Muhsam versuchte er, sich aufzustutzen, aber da scho? es ihm wie gluhender Stahl durch die Schulter, bis er glaubte, sein Herz wurde aussetzen. Er knirschte mit den Zahnen, kniff die Augen zu, um den Schmerz zu uberwinden, doch er versank wieder in seinen Fiebertraum. Wie lange lag er schon so? Tage, Stunden - oder war es eine Ewigkeit, seit er… Er konzentrierte seine schwindende Willenskraft darauf, sich zu erinnern, seinen Geist davor zu bewahren, da? er unter dem Druck des korperlichen Schmerzes zusammenbrach.
        Er erinnerte sich an Gestalten und Stimmen, schwebende Gesichter und die unbestimmten Bewegungen des Schiffes. Gewisse wenn auch kurze Episoden traten deutlicher hervor, doch ungeordnet und anscheinend beziehungslos. Inch, der ihm an Deck etwas Weiches unter den Kopf schob. Und Alldays schreckensstarres Gesicht, das sich bald von dieser, bald von jener Seite uber ihn beugte. Auch horte er sich selbst sprechen und versuchte, sich zuzuhoren, als stunde er bereits neben sich selbst, und sein Geist schwebe uber seiner sterbenden Hulle wie ein etwas neugieriger, aber unbeteiligter Zuschauer.
        Auch andere Gesichter waren darunter gewesen, die ihm irgendwie bekannt vorkamen: ernst, jung, ruhevoll, traurig. Immer wieder hatte seine Stimme zeitweilig ausgesetzt, doch einmal, als er sich in der erstickenden Dunkelheit laut schreien horte, hatte ein Unbekannter beruhigend gesagt:»Ich bin Angus, Sir, Schiffsarzt der Coquette.«Bolitho versteifte sich, aufs neue rann ihm der Schwei? aus allen Poren. Dieses Gesicht und die blo?e Erinnerung an die gelassenen Worte brachten ihm die Wirklichkeit, den Schock seiner Verwundung wieder nahe. Wild und unbewu?t hatte er gegen den Schmerz, gegen die Unfahigkeit, sich verstandlich zu machen, gegen die tastende Hand des Arztes angekampft.
        Mit verzweifeltem Aufstohnen versuchte er, die Schulter zu bewegen, in Arm und Fingern Gefuhl zu entdecken. Nichts.
        Er wurde wieder schlaff, verga? den brennenden Schmerz, empfand nur noch die bohrende Verzweiflung, die ihn fur alles andere blind machte.
        Wie aus innerster Seele horte er sich schreien:»O Cheney, Cheney, hilf mir! Sie haben mir den Arm abgenommen!»
        Sofort scharrten Stuhlbeine uber Steinboden, Schritte kamen auf ihn zu. Jemand rief:»Er kommt wieder zu sich! Sagt Bescheid!»
        Sanft legte sich ein kuhles Tuch uber seine Stirn; und als er die Augen wieder offnete, sah er Allday, der auf ihn niederblickte; seine harten Hande stutzten ihm den Kopf, damit jemand anderer ihm den Schmerzens - und Angstschwei? abwischen konnte.
        Er erinnerte sich jetzt an diese Hande. Sie hatten ihn gehalten, hatten sich fest an seine Schlafen gedruckt, um den ersten Schmerz von Angus' Sonde zu lindern.
        Wie aus weiter Ferne horte er Alldays Stimme:»Captain - wie geht's?»
        Bolitho starrte zu ihm auf, so uberrascht, Tranen in Alldays Augen zu sehen, da? er im Moment seine eigenen Schmerzen verga?.

«Ist ja gut, Allday«, antwortete er,»ist ja schon gut!«Wie heiser seine Stimme klang!
        Noch mehr Gesichter umschwebten ihn; Angus schob die anderen zur Seite, tastete nach seinem Puls, und dann fiel ihn wieder der Schmerz an, so da? er laut aufstohnte.»Mein Arm?«konnte er noch fragen.»Sagen Sie's mir!»
        Angus sah ihn an, gelassen, ohne zu lacheln.»Glauben Sie mir, Sir, er ist noch dran. Aber es ist zu fruh, um etwas Bestimmtes zu sagen. Besser, man ist auf alles vorbereitet.»
        Er verschwand aus Bolithos Blickfeld und sagte:»Sofort Verbandswechsel. Und er mu? was essen. Kraftige Fleischbruhe und ein bi?chen Brandy.»
        Muhsam wandte Bolitho die Augen zu Allday hin.»Wo bin ich?»

«In der Festung, Captain. Die Hekla hat Sie vor zwei Tagen hergebracht.»
        Zwei Tage. Aber er wollte es genau wissen.»Und vorher?«»Die Hekla hat zwei Tage bis hierher gebraucht, Captain. «Es klang ganz verzweifelt.»Ich dachte, wir schaffen's uberhaupt nicht mehr bis zu diesem verdammten Steinkasten.»
        Also im ganzen vier Tage. Zeit genug, da? die Wunde an zu eitern fing. Warum sollte er nicht ebensogut der Wahrheit ins Auge sehen wie Angus? Er hatte wei? Gott oft genug erlebt, wie es anderen passierte.
        Ganz ruhig fragte er:»Also, wie ist das - und keine Lugen, um mich zu schonen - , mu? der Arm ab?»
        Wieder sah er die elende Hilflosigkeit in Alldays Augen.

«Nein, Captain. Bestimmt nicht. «Er versuchte zu lacheln, aber das machte es nur schwerer.»Wir haben schon Schlimmeres durchgestanden. Also reden Sie nicht solches Zeug.»

«Sie durfen nicht so viel sprechen, Sir. «Wieder schwamm Angus' Gesicht uber ihm. Sie werden ruhen, bis der Verband gewechselt wird. Dann mussen Sie eine Kleinigkeit essen. «Er hielt etwas gegen das Licht, ein mattglanzendes, abgeflachtes Stuckchen Metall.

«Diese arabischen Musketen sind manchmal sehr treffsicher. Die Kugel hatte Sie bestimmt getotet, wenn Sie sich nicht gerade umgedreht hatten. «Er lachelte ernsthaft.»Also mussen wir zumindest dafur dankbar sein, wie?»
        Eine Tur knarrte, und er fugte hinzu:»Aber Sie haben eine ausgezeichnete Pflegerin. «Er machte eine Kopfbewegung zur Tur hin.»Kommen Sie, Mrs. Pareja. Der Kommandant ist gleich soweit.»
        Unglaubig sah Bolitho sie herankommen. Vielleicht schwebte er immer noch im Fiebertraum?
        Sie blieb stehen und sah auf ihn nieder, sehr bleich unter dem langen schwarzen Haar, ernst, ohne Lacheln. Und schon. Nur schwer konnte man sie sich an Bord der Navarra vorstellen, wie der Kopf ihres toten Mannes auf ihrer blutigen Schurze geruht und sie Bolitho so voll Zorn und bitterer Verzweiflung angestarrt hatte.

«Sie sehen schon viel besser aus«, sagte sie.

«Danke fur alles, was Sie getan haben. «Er fuhlte sich auf einmal vollig hilflos und leer unter ihrem kuhlen Blick und konnte nicht weitersprechen.
        Lachelnd zeigte sie ihre starken wei?en Zahne.»Jetzt sehe ich, da? Sie wieder gesund werden. Es war schlimm, was Sie in den letzten beiden Tagen alles gesprochen haben.»
        Sie lachelte immer noch, als Angus den Verband aufschnitt und nach allen Regeln der Kunst einen neuen anlegte.
        Wortlos musterte Bolitho sie. Die ganze Zeit war sie hier bei ihm gewesen, hatte gesehen, wie er gegen die Schmerzen kampfte, hatte sich um seine korperlichen Bedurfnisse gekummert, wahrend er hilflos war. Er war sich seiner Nacktheit unter der Bettdecke bewu?t, seiner vom Schwei? verfilzten Haare, und er schamte sich.

«Anscheinend sind Sie schwer umzubringen.»
        Wahrend Angus seine Schale mit den blutigen Verbandsfetzen we g-raumte, sah sie Allday an und sagte zu ihm:»Gehen Sie und ruhen Sie sich aus. «Und als er zogerte: Weg mit Ihnen, Mann! Sie haben wei? Gott keine Ruhe gehabt, seit Sie zuruck sind, und, soviel ich gehort habe, uberhaupt keine, seit Ihr Pflegling hier verwundet wurde.»
        Bolitho bewegte seinen linken Arm unter der Decke und sagte leise:»Meine Hand!»
        Allday hob die Decke an und nahm Bolithos Finger in die seinen. Bolitho fuhlte den Schwei? uber seine nackte Brust rinnen, als er mit dem Rest seiner Kraft Alldays Hand druckte.

«Tun Sie, was sie sagt, Allday. «Er versuchte, ihm nicht ins Gesicht zu sehen.»Ich schlafe besser, wenn ich wei?, da? Sie munter und kraftig sind, sobald ich Sie brauche. «Er zwang sich zu lacheln.»Wahre Freunde sind kostbar.»
        Allday verschwand, und die Tur fiel ins Schlo?.
        Als Bolitho Mrs. Pareja wieder ansah, glanzten Tranen in ihren Augen. Sie schuttelte argerlich den Kopf.»Verdammt, Captain, aber es stimmt, was man sagt! Sie behexen alle, die in Ihre Nahe kommen. Das mu? die Kornische Magie in Ihnen sein!»

«Ich furchte, diese angebliche Magie kommt von den anderen, Mrs. Pareja.»
        Sie setzte sich an sein Bett und ruhrte in einer Schale Fleischbruhe.»Mein Name ist Catherine. «Sie lachelte dabei, und sekundenlang spurte er wieder die Kuhnheit, die ihm schon auf der Navarra an ihr aufgefallen war.»Aber nennen Sie mich Kate. So hat man mich genannt, bevor ich Luis heiratete.»

«Es tut mir leid um Ihren Mann«, sagte er leise.
        Der Loffel zitterte nicht in ihrer Hand; er lie? die hei?e Bruhe durch die Kehle rinnen, und sie belebte ihn trotz seiner Schmerzen.
        Da sagte sie:»Sie haben mehrere Male den Namen >Cheney< gerufen. Ist das Ihre Frau?»
        Er blickte sie an.»Ja, aber sie ist tot.»

«Ich wei?. Einer Ihrer Offiziere hat es mir erzahlt. «Kate wischte ihm die Lippen mit einem sauberen Tuch ab.»Sie haben sehr viel geredet, allerdings habe ich nicht alles verstanden. Manchmal haben Sie von zu Hause gesprochen und von irgendwelchen Portrats. Aber wir wollen das jetzt vergessen. Sie sind sehr schwach und mussen ruhen.»
        Bolitho bemuhte sich, seinen Arm zu bewegen.»Nein. Ich will nicht allein bleiben.
«Fast verzweifelt bat er:»Erzahlen Sie mir von sich.»
        Sie lehnte sich zuruck und lachelte wie uber etwas lange Vergangenes.»Ich habe in London gelebt. Kennen Sie London gut?»
        Er schuttelte leicht den Kopf.»Ich war manchmal dienstlich dort.»
        Uberraschenderweise hob sie das Kinn und lachte. Es war ein kehliger, ungehemmter Laut, als hatte er etwas hochst Erheiterndes gesagt.»Ich kann an Ihrem Gesicht sehen, da? London nichts fur Sie ist, mein lieber Captain. Aber ich denke doch, da? Ihr London von meinem sehr verschieden ist - dem London, wo Ladies Quadrille tanzen und sich ein Bukett vors Gesicht halten, damit man denken soll, sie erroten; wo die jungen Stutzer zierlich um sie herumschwanzeln und ihnen den Hof machen. «Sie hob den Kopf hoch, und das uppige Haar fiel ihr locker um den Hals. Es ist eine Art zu leben, die ich zu erlernen versucht habe. Aber nun scheint es, da? meine Muhe umsonst war. «Eine Sekunde stieg etwas wie Sehnsucht in ihren Augen auf, aber dann schlo? sie kurz:»Das Leben ist eben grausam.»
        Sie stand auf und setzte die Schale auf den Tisch, und Bolitho sah, da? sie ein anderes Kleid trug - gelbe Seide, tief ausgeschnitten und mit zierlicher Stickerei um die Taille. Sie bemerkte seinen Blick und sagte:»Eine der spanischen Damen hat es mir gegeben.»

«Haben Sie Ihren Gatten in London kennengelernt?«Er wollte keine traurigen Erinnerungen in ihr wachrufen, aber irgendwie interessierte ihn das.

«Meinen ersten. «Sie sah sein verwirrtes Gesicht und lachte wieder ihr perlendes Lachen.»O ja, ich habe schon zwei Manner begraben, sozusagen. «Sie kam rasch wieder ans Bett und legte ihm die Hand auf die gesunde Schulter.»Machen Sie nicht so ein bekummertes Gesicht. Das sind alte Geschichten. Der erste war ein wirklich brillanter Mann. Wir wollten zusammen die Welt erobern. Er war ein Glucksritter, ein Soldner, wenn Sie wollen. Er nahm mich mit nach
        Spanien, wo er gegen die Frogs kampfen wollte. Aber alle Schlachten, die er schlug, schlug er in Tavernen um Weiber. Eines Tages mu? er dabei an einen ebenburtigen Gegner geraten sein, denn er wurde tot in einem Stra?engraben vor Sevilla aufgefunden. In Sevilla habe ich dann Luis kennengelernt. Er war doppelt so alt wie ich, aber er brauchte mich. «Sie seufzte.»Er war Witwer, und nur seine Arbeit hielt ihn aufrecht. Ich glaube, er war glucklich mit mir«, schlo? sie etwas leiser.

«Davon bin ich uberzeugt.»

«Danke, Captain. «Sie wandte das Gesicht ab.
        Wieder ging die Tur knarrend auf, aber diesmal war es Gillmor. Er gru?te durch ein hofliches Kopfneigen und trat dann zum Bett.

«Ich bin aufrichtig froh, da? Sie sich erholen, Sir.»
        Bolitho fiel auf, wie uberanstrengt der Kommandant der Coquette aussah; vermutlich hatte er durch den Ausfall Bolithos doppelte Sorgen.
        Eilig sprach Gillmor weiter.»Die Ausgucks haben soeben gemeldet, da? unser Geschwader in Sicht ist. «Er atmete langsam aus.»Endlich.»

«Was verschweigen Sie mir?«fragte Bolitho mit plotzlicher Spannung.»Da ist doch was nicht in Ordnung?»

«Die Euryalus wird geschleppt. Anscheinend hat sie Bugspriet und vordere Bramstenge verloren. Ich habe Mr. Bickford mit dem Kutter entgegengeschickt.»

«Ich mu? aufstehen!«Bolitho versuchte, sich aus den Decken zu befreien.»Bringt mich auf mein Schiff, um Gottes willen!»
        Gillmor trat beiseite und uberlie? es Mrs. Pareja, ihn auf sein Lager zuruckzudrucken.»Tut mir leid, Sir, aber wir haben beschlossen, da? Sie hierbleiben.»
        Bolitho bi? vor Schmerzen die Zahne zusammen. »Wir! Wer ist wir?»
        Gillmor schluckte heftig, blieb aber fest.»Commander Inch und ich, Sir. Es hat keinen Sinn, da? Sie jetzt sterben, da Sie das Schlimmste uberstanden haben.»

«Seit wann erteilen Sie mir Befehle, Captain Gillmor?»
        Diese Demutigung, die Hilflosigkeit, das Gefuhl, mehr an sich selbst als an das Wohl des Geschwaders gedacht zu haben, erfullte ihn mit sinnlosem Zorn.
        Bevor Gillmor antworten konnte, mischte Mrs. Pareja sich ein:»Also, das ist kindisch! Regen Sie sich nicht so auf, sonst rufe ich Mr. Angus!»
        Gillmor fing wieder an.»Entschuldigen Sie bitte, Sir. Aber ich glaube, wir brauchen Sie bald, und zwar gesund.»
        Bolitho schlo? die Augen.»Nicht doch - ich mu? mich entschuldigen. Bei Ihnen beiden. Ist die Restless beim Geschwader?»
        Gillmor zogerte.»Nein, Sir. Aber vielleicht segelt sie so weit drau?en, da? Giffards Leute sie nicht gesichtet haben.»

«Vielleicht.»
        Er wurde wieder mude; der pulsierende Schmerz in seiner Schulter verstarkte sich. Er konnte sich nur schwer auf das konzentrieren, was Gillmor sagte, und noch schwerer wurde es ihm, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.

«Ich gehe jetzt, Sir«, sagte Gillmor.»Sobald wir etwas horen. «Er verschwand, ehe Bolitho protestieren konnte.

«Ein guter Offizier. «Sie setzte sich auf sein Bett und wischte ihm mit einem kuhlen Tuch die Stirn ab.»Als ich so alt war wie er, hatte ich auch ein Schiff wie die Coquette. In der Sudsee. Das war eine ganz andere Welt. «Es fiel ihm immer schwerer, sich daran zu erinnern.»Drei Fu? lange Eidechsen und Schildkroten, so gro?, da? ein Mann auf ihnen reiten konnte. Unberuhrt von der Zivilisation…»

«Ruhen Sie, Captain. «Ihre Stimme verklang, und Bolitho sank in einen tiefen Erschopfungsschlaf.
        Ein paar Stunden spater erwachte er mit heftigem Schuttelfrost. Obwohl die Laden des Fensters geschlossen waren, wu?te er, da? es Nacht war; und als er den Kopf zur Seite drehte, horte er Allday sagen:»Er ist aufgewacht, Ma'am.»
        Hinter einem Wandschirm kam eine kleine Laterne hervor, und zwei Gesichter beugten sich uber ihn.

«Mein Gott«, flusterte Allday,»ich mu? Mr. Angus rufen!»

«Warten Sie noch. «Sie beugte sich so tief uber ihn, da? ihre Haare sein Gesicht beruhrten.»Holen Sie ihn noch nicht. Sie wissen doch, wie diese Chirurgen sind. Die denken immer gleich an Messer und Sage. Schlachter sind das«, zischte sie wutend.

«Aber sehen Sie ihn doch blo? an!«Allday war ganz verzweifelt.»Wir mussen was tun!

        Bolitho konnte nicht sprechen. Er war sehr schwach, aber zum erstenmal hatte er wieder Gefuhl in der rechten Hand. Auch sein Arm schmerzte und war steif, aber er konnte ihn fuhlen. Diese aufregende Entdeckung verstarkte noch das Fieber und den Schwei?, und er konnte nicht verhindern, da? ihm die Zahne klapperten.
        Ruhig und bestimmt sagte sie:»Gehen Sie nach nebenan, Allday. Ich wei?, was ich zu tun habe.»
        Die Tur offnete und schlo? sich, und Bolitho hatte die vage Vorstellung, da? Allday, geduckt wie ein Hund, dahinter hockte. Dann horte er Seide rascheln, und kurz bevor die Laterne verschwand, sah er ihren Korper hell vor der dunklen Wand schimmern; lose hing ihr Haar uber die nackten Schultern. Seine Bettdecke wurde angehoben, und lautlos glitt sie neben ihn, Brust und Schenkel dicht an seinen Korper gepre?t, seinen Kopf in ihrem Arm.
        Die Nacht verstrich; zwischen tiefem Schlaf und verruckten Traumen horte er, da? sie leise und sanft zu ihm sprach, wie eine Mutter zu ihrem kranken Kind; der Klang war beruhigender als die Worte selbst. Die Warme ihres Korpers hullte ihn ein wie ein warmer Mantel, ve r-trieb die Eiseskalte und brachte seine rasenden Gedanken zur Ruhe.
        Als er dann wieder die Augen offnete, sah er Streifen hellen Sonnenlichts durch die Laden scheinen; ein paar Sekunden lang dachte er, auch das ware nur wieder ein Traum gewesen. Allday sa? halb schlafend im Stuhl; und neben dem Fenster sah er ein Stuck von ihrem gelben Kleid - sie ruhte dort in einem hochlehnigen Sessel.
        Kate stand auf und murmelte:»Nun sehen Sie schon viel besser aus. «Dabei lachelte sie ihm verstohlen zu, und da wu?te er, da? es kein Traum gewesen war.»Wie fuhlen Sie sich?»
        Fast unbewu?t lachelte er ebenfalls.»Hungrig.»
        Allday sprang auf.»Ein Wunder!»
        Drau?en kamen Schritte uber den Steinfu?boden: Keverne und dahinter Calvert. Kevernes dustere Miene erhellte sich etwas, als er Bolitho sah.

«Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte, Sir«, sagte er.
        Bolitho stutzte sich auf den Ellbogen.»Was ist passiert?»
        Resigniert hob der Leutnant die Schultern.»Wir sichteten zwei franzosische Vierundsiebziger und segelten hinterher. Es wurde dunkel, aber Sir Lucius bestand darauf, wir sollten dranbleiben, und zwar - «, es klang bitter - ,»in geschlossener Formation.»

«Weiter!«Er konnte es sich genau vorstellen: die Schiffe versuchten, unter vollen Segeln eng beieinander zu bleiben; dazu der Wind, die schwere See, die verzweifelten Versuche, die Hecklichter im Auge zu behalten.

«Gleich nach Sonnenaufgang sichteten wir den Feind wieder. Der Admiral gab Befehl, da? die Zeus allein wenden sollte, aber durch die enge Formation wurde das Signal falsch abgelesen. Die Tanais geriet dazwischen, und wir kollidierten mit ihrem Heck. Wir verloren das Bugspriet, und obendrein brach noch die Bramstenge weg. Als wir uns endlich auseinandermanovriert hatten, waren die Frogs schon au?er Sicht, mit Kurs Nord mit jedem Quadratmeter Leinwand, den sie hatten, hol sie der Satan!»

«Der Schaden?»

«Ist in einem Tag repariert. Ich habe die Maststenge schon ersetzen lassen, und zur Zeit wird an Bugspriet und Kluverbaum gearbeitet.»
        Bolitho wandte den Kopf ab. Wenn die Fregatte, die den Werfer Devastation in Grund geschossen hatte, nicht schon uber das Geschwader Bescheid wu?te - die beiden franzosischen Vierundsiebziger wurden jetzt keinen Zweifel mehr haben.
        Keverne berichtete weiter:»Sir Lucius la?t beste Wunsche ausrichten und bestellen, er wird Sie aufsuchen, sobald es sich machen la?t. «Neugierig sah er Mrs. Pareja an.»Sie haben sehr viel geleistet, wenn ich das sagen darf, Sir. Ich habe auch von Witrands Tod gehort. Tut mir leid.»

«Ich gehe am besten wieder an Bord, Sir«, mischte sich Calvert ein; aber er schien nicht sehr glucklich uber diese Aussicht.
        Keverne ignorierte ihn.»Was sollen wir tun, Sir?«Er schritt zum Fenster und spahte durch die Jalousien.»Das kommt mir alles so hoffnungslos vor.»
        Bolitho dachte an Draffen, an seine Lugen und Tauschungen, und wieder pulste ihm das Blut schmerzhaft in der Schulter. Dort drau?en war Broughton an Bord seines Flaggschiffs der Gefangene seiner Zweifel und truben Ahnungen. Wenn sein Stolz es ihm nicht erlaubte, Bolitho oder jemand anderen um Rat zu fragen - um so schlimmer fur ihn. Bolitho konnte ihn seines Stolzes wegen bewundern, aber mit seiner immer wieder durchbrechenden Sturheit konnte er sich nicht abfinden.
        Hauptmann Giffard erschien keuchend im Turrahmen, das Gesicht ebenso rot wie sein Uniformrock.

«Die Restless rundet soeben die Landzunge, Sir!»
        Wieder stutzte sich Bolitho muhsam auf den Ellbogen, ungeachtet seiner Schmerzen.

«Signalisieren Sie, da? der Kommandant sich schnellstens bei mir melden soll!«Er sah Giffard bedeutsam in die Augen.»Bei mir, verstanden?»
        Als Giffard drau?en war, fuhr er fort:»Gehen Sie wieder an Bord, Mr. Keverne, und bestellen Sie Sir Lucius mit allem Respekt, ich kame bald wieder an Bord. «Er sah, wie Allday den anderen rasche Blicke zuwarf.»Sehr bald. Sagen Sie ihm das!«Und zu Calvert gewandt:»Sir Lucius hatte angeordnet, da? Sie an Land Dienst machen. Sie bleiben also hier. «Er sah Calverts dankbare Erleichterung und schlo?:»Jetzt gehen Sie und halten Sie Ausschau nach der Restless!»
        Als sie wieder allein waren, sagte er:»Ich wei? schon, was Sie sagen wollen, Mrs. Pareja - Kate«, verbesserte er lachelnd.

«Warum sind Sie dann so widerspenstig?«Sie war plotzlich errotet, und ihr Atem ging schneller.

«Weil ich jetzt dort gebraucht werde. Allday - Sie mussen mich rasieren, und ich brauche ein neues Hemd. Und zwar gleich!««betonte er, denn Allday machte wieder seine starrkopfige Miene.

«Es ist doch merkwurdig«, fuhr er fort, als Allday gegangen war,»da? ich jetzt klarer denken kann als vorher.»

«Weil Sie so viel Blut verloren haben. «Sie seufzte.»Aber wenn Sie mussen, dann mussen Sie eben, nehme ich an. Manner sind nun mal fur den Krieg geschaffen, und Sie sind keine Ausnahme.»
        Sie kam ans Bett und stutzte seine Schultern, bis er in sitzender Stellung war.

«Was wird aus Ihnen, wenn hier alles vorbei ist?«fragte er nachdenklich.

«Nach Spanien gehe ich nicht zuruck. Ohne Luis ware ich dort wieder eine Fremde. Vielleicht fahre ich nach London. «Sie lachelte nachdenklich.»Ich habe meine Juwelen, viel mehr als seinerzeit in London. «Aus ihrem Lacheln wurde ein Kichern. Sie konnten mich doch mal in London besuchen, hm? Wenn Sie hinkommen, um eine neue Beforderung in Empfang zu nehmen, Captain.»
        Doch als er sie ansah, merkte er, da? sich hinter ihrem Lacheln mehr als nur Neckerei verbarg. Eine ernstgemeinte Aufforderung oder sogar eine dringende Bitte? Schwer zu sagen.
        Er lehnte sich vertrauensvoll an sie.»Das tue ich bestimmt. Glauben Sie mir.»
        Allday legte eben letzte Hand an Bolithos Hemd und Halsbinde, als Kommander Samuel Poate von der Restless ins Zimmer trat. Er war klein, rosig und, wie Bolitho fand, auch so aggressiv und munter wie ein junges Schweinchen. Wie er so dastand, den Hut vorschriftsma?ig unterm Arm, seine Stupsnase zuckend vor Wichtigtuerei und unterdrucktem Zorn, war die Ahnlichkeit unverkennbar.

«Ihren Bericht, Commander!«befahl Bolitho kurz.»Und zwar rasch. Ich habe so ein Gefuhl, da? es bald losgehen wird.»
        Poate hatte eine so kurze, abgehackte Sprechweise wie ein Zeuge vorm Kriegsgericht, der weder Worte noch Zeit verschwenden will.

«Setzte Sir Hugo Draffen und Gefangenen an Land, wartete dann drau?en auf See auf Signal, Sir. Kam aber nichts. Wind setzte aus, mu?te ankern, ware sonst auf Grund getrieben. Horten Explosionen, mu?te Angriff auf Djafou sein, aber von wem und wie - keine Ahnung. Immer noch nichts von Sir Hugo zu sehen; als wieder Wind aufkam, kreuzte ich hinaus und fuhr Patrouille vor der Kuste.»

«Warum haben Sie den Gefangenen mit an Land gehen lassen?»

«Befehl von Sir Hugo, Sir. Konnte nichts machen. Sagte, er ware eine Geisel. Hab das zwar nicht richtig begriffen, hatte aber auch zu viel zu tun, um lange daruber nachzudenken. «Kalt glitzerten seine Augen, als er jetzt weiter berichtete:»Haben aber am Strand einen Mann winken sehen, setzte ein Boot ab - war einer von Ihren Matrosen, Sir. Uberlebender von der Abteilung Calvert. War ganz durcheinander vor Angst, dachte, der Kerl ware verruckt. Hat spater zugegeben, da? er den Flaggleutnant und einen Midshipman bei Uberfall durch Berber verlassen hat; ist weggelaufen. Hat sich stundenlang versteckt, schlie?lich Hohle im Berg gefunden.»
        Ganz vorsichtig und mit Alldays Hilfe stand Bolitho auf.
        Poate fuhr fort:»Von der Hohle aus will er gesehen haben, wie Wi-trand erst gefoltert und dann gekopft wurde. Wei? allerdings nicht, was davon stimmt.»

«Es stimmt, Commander.»

«Hat au?erdem noch gesagt, als er von seinem Versteck aus diesen
        Mord beobachtete, hatte er auch Sir Hugo gesehen. «Er holte tief Atem.»Ein Matrose konnte sich kaum so eine Geschichte ausdenken. Er will tatsachlich beobachtet haben, da? Draffen mit den Berbern sprach, die den Gefangenen folterten!»

«Aha. «Er sah auf - Poate hatte anscheinend noch mehr zu sagen.

«Habe inzwischen erfahren, da? Sie verwundet und andere getotet wurden, weil Ihnen Unterstutzung der Restless fehlte, Sir. War aber so wutend und emport uber diese Geschichte, da? ich weiter langs der Kuste fuhr und schlie?lich, mit Gluck und Gottes Hilfe, auf eine kleine Dhau stie?.»

«Mit Draffen?«Bolitho kochte das Blut in den Adern.
        Poate nickte.»Habe ihn unten, Sir. Unter Bewachung.»

«Bringen Sie ihn her!«Er blickte zum Fenster hin und horchte auf den Wind, der leise in den Jalousien sang.»Sie haben sich sehr richtig verhalten. Wahrscheinlich wei? noch niemand, wie bedeutungsvoll das unter Umstanden werden kann.»
        Drau?en im Flur gab Poate seine Befehle.»Lassen Sie mich allein, Kate. Und Sie mich auch, Allday. «Er lachelte uber ihre Betroffenheit.»Keine Angst, ich werde schon nicht mit dem Arm herumfuchteln.»
        Als er allein war, stutzte er sich auf die Sessellehne und bewegte vorsichtig den Arm in der provisorischen Schlinge.
        Als Draffen zusammen mit Poate und Calvert eintrat, verriet er weder Angst noch Unsicherheit. Gelassen sagte er:»Vielleicht sind Sie so freundlich, mich zum Admiral zu bringen. Ich habe keine Lust, mich von diesen Leuten so behandeln zu lassen.»

«Sie sind unter Arrest«, stotterte Calvert.
        Draffen fuhr herum und sah ihn kalt und verachtlich an.»Still, Sie junger Laffe!»
        Ohne Umschweife kam Bolitho zur Sache:»Sie wollten Djafou fur Ihre eigennutzigen Zwecke zuruckerobern lassen, Sir Hugo. Es hat keinen Zweck, wenn Sie leugnen.
«Merkwurdig, da? er so ruhig sprechen konnte, obwohl er diesen Mann zutiefst verabscheute.»Ganz gleich, wie es hier ausgeht, Sie werden vor ein Kriegsgericht gestellt.»
        Draffen starrte ihn an und lachte dann laut auf.»Mein Gott, Captain, in was fur einer Welt leben Sie eigentlich?»

«In unserer Welt, Sir Hugo. Was wir hier in Djafou gefunden haben, durfte reichen, Ihnen die Unschuldsmaske herunterzurei?en.»
        Draffen breitete die Hande aus.»Sklaverei ist eine Tatsache, Cap-tain, ganz gleich, was die Stimme der Offentlichkeit dazu sagt. Und wo Nachfrage besteht, mu? ein Angebot her. Es gibt Leute in London, denen ein gesunder Sklave mehr wert ist als eine ganze Bootsladung Ihrer Matrosen, die in der Schlacht gefallen sind, das konnen Sie mir glauben! Lernen Sie Ihre Lektion, wie ich sie gelernt habe. Gesetz und Recht gelten nur fur Leute, die sie auch bezahlen konnen!»
        Poate offnete schon den Mund, um einzugreifen, da erschien plotzlich ein heller Blutfleck auf Bolithos sauberer Binde. Aber Bolitho bedeutete Poate, still zu sein, und erwiderte:»Dann ist zu hoffen, da? diese Leute Ihnen helfen werden, Sir Hugo, denn fur alle anderen Englander sind Sie ein verdammenswerter Lugner, Betruger und…««Er bi? vor Schmerz und Wut die Zahne zusammen»… Ein Schweinehund, der zusehen konnte, wie ein Mann erst gefoltert und dann ermordet wurde - der Kriegsgefangene Witrand, der unter dem Schutz des Konigs stand!»
        Jetzt blitzte ein Funken Angst in Draffens Augen auf. Aber er entgegnete grob: Selbst wenn das wahr ware - Witrand besa? keinen Kombattandenstatus und stand nicht unter Kriegsrecht. Als Offizier in Zivil war er als Spion zu betrachten.»
        Doch er kniff betroffen die Lippen zusammen, als Bolitho antwortete:»Das jedoch wu?ten nur der Admiral und ich, Sir Hugo. Wenn Sie ihn nicht bereits kannten - was meiner Ansicht nach der Fall ist, denn Sie versuchten nicht, an Bord der Euryalus mit ihm zu sprechen - , dann mussen Sie gehort haben, da? er unter der Folter seine Identitat preisgab. So oder so sind Sie gebrandmarkt!«Er spurte, wie seine Wunde unter dem Verband blutete, aber er konnte sich nicht beherrschen. Hinrichtungen ekeln mich an, aber ich wurde wei? Gott einen Monatssold dafur geben, Sie in Tyburn am Galgen tanzen zu sehen!»
        Draffen musterte ihn verachtlich.»Schicken Sie die Leute hier raus!»

«Kein Schachern, Sir Hugo. Sie haben genug Tod und Leiden verursacht.»

«Na schon. Dann werde ich eben vor allen sprechen. «Er stutzte die Hande in die Huften und sagte gelassen:»Ich habe, wie Sie bemerkten, machtige Freunde in London. Die konnen Ihnen das Leben in Zukunft sehr schwermachen und Ihnen jede Hoffnung auf Beforderung vereiteln.»
        Angewidert wandte Bolitho den Kopf ab.»Ist das alles?»
        Draffen zuckte zusammen und antwortete dann grob:»Sie haben doch einen Neffen in der Flotte? Den Bastard Ihres verstorbenen Bruders?»
        Bolitho blieb ganz unbeweglich. Er horte Poates Fu?e auf dem Steinboden scharren und Calvert erschrocken auffahren.

«Was wurde der dazu sagen«, sprach Draffen weiter,»wenn er horte, da? sein Vater, der Kaperkapitan, meine Sklavenschiffe passieren lie?? Da? er durch meine Schmiergelder reich geworden ist?»
        Bolitho wandte sich ihm wieder zu und sagte ganz ruhig:»Das ist eine Luge.»

«Die Leute werden es schon glauben. Und vor allen Dingen wird es mit der Laufbahn Ihres Neffen vorbei sein - nicht wahr?»
        Bolitho blinzelte, weil sich seine Augen vor Schmerzen trubten. Er durfte jetzt nicht ohnmachtig werden - er durfte nicht!

«Hatte ich bisher irgendwelches Verstandnis oder Mitgefuhl fur Sie empfunden, Sir Hugo, es ware jetzt damit vorbei. Kein Mann verdient das, der das Leben eines jungen Menschen zerstoren will, der bisher nur Not und Elend erfahren hat. Bringen Sie ihn weg, Mr. Poate!»
        Gelassen erwiderte Draffen:»Sie haben mich vieler Vergehen beschuldigt. Was andere auch dazu sagen mogen - Sie werden mir Satisfaktion geben, sobald Sie wieder gesund sind!»

«Wie Sie wunschen. Sie werden mich durchaus dazu bereit finden. »
        Bolitho sank in den Sessel, und Draffen wurde hinausgebracht.
        Spater war sie wieder bei ihm und fuhrte ihn unter Vorwurfen zu seinem Bett.

«Ich kann noch nicht schreiben«, sagte er,»darf ich Ihnen diktieren? Ich mu? dem Admiral sofort einen Bericht schicken.»
        Sie musterte ihn neugierig.»Stimmt das, was er von Ihrem Bruder sagte?»

«Zum Teil. Nicht alles »
        Die Tur flog wieder auf, und Poate sturmte herein.»Sir! Leutnant Calvert mu? verruckt geworden sein!»
        Bolitho fa?te die Stuhllehne fester.»Was ist passiert?»

«Er hat Draffen auf die Plattform des Turmes gebracht und uns die Falltur vor der Nase zugeworfen. Als ich ihn aufforderte, sie wieder zu offnen, gab er keine Antwort. «Poate schien es kaum fassen zu konnen.

«Horen Sie!»
        Alle sahen zu Allday hin, der sich aus dem Fenster beugte. Uber dem sanften Brausen von See und Wind horte man das alarmierende Klirren von Stahl auf Stahl.
        Es hielt nicht lange an. Calvert erschien in der Tur, zwei Degen unterm Arm. Er sah au?erordentlich gefa?t aus, beinahe melancholisch.»Ich melde mich zum Arrest«, sagte er.»Sir Hugo ist tot.»
        Leise erwiderte Bolitho: «Mich hatte er gefordert, Calvert.»
        Doch der schuttelte den Kopf.»Sie vergessen, Sir - vorher hatte er mich >junger Laffe< genannt. «Er wandte sich ab, schien Poate und die anderen, die sich an der Tur drangten, uberhaupt nicht zu sehen.»Sie waren jedenfalls in einem Duell nie mit ihm fertig geworden, Sir. Schon gar nicht, wenn Sie links fechten mu?ten.
«Mude hob er die Schultern.»Sie sind ein Kampfer, Sir, aber als Duellant weniger geubt, furchte ich. «Mit blitzenden Augen fuhr er herum.»Sie haben mich gerettet und mehr: Sie haben mir meine Ehre wiedergegeben. Ich kann doch nicht untatig zusehen, wie Sie kaputtgehen, wenn ich helfen kann - und vielleicht besser als irgend jemand sonst.»
        Schiffsarzt Angus stie? sich durch die Umstehenden.»Seid ihr denn alle verruckt? Konnt ihr nicht sehen, in welchem Zustand der Kommandant ist?»
        Bolitho sah ihn abweisend an.»Gehen Sie auf den Turm. Da oben liegt ein Toter.
«Und zu Calvert gewandt:»Sie meinen es gut, aber…»«
        Calvert zuckte die Achseln. »Aber. Was dieses Wort alles ausdruk-ken kann! Ich wei?, was ich mir damit eingebrockt habe, aber es ist mir egal. Vielleicht tat ich es, um Lelean zu rachen - ich wei? nicht genau. «Mit plotzlicher Entschlossenheit blickte er Bolitho ins Auge.»Lelean brauchte mich, ebenso wie das Geschwader jetzt Sie braucht. Vielleicht war das mein starkstes Motiv, Draffen zu toten.»
        Er schnallte sein Koppel ab und uberreichte es Hauptmann Giffard mitsamt dem Degen.
        Die Gaffer an der Tur zerstoben, denn Broughtons kratzige Stimme ertonte:»Geben Sie ihm seinen Degen wieder, Giffard!»
        Der Admiral trat ins Zimmer, nickte Bolitho kurz zu und sagte:»Ich habe Ihnen unrecht getan, Calvert. Ein Gerichtsverfahren kann ich Ihnen zwar nicht ersparen.
«Er musterte den Leutnant mit offensichtlichem, ganz neuartigem Interesse.»Aber falls wir je wieder nach England kommen, werde ich dafur sorgen, da? Sie einen tuchtigen Verteidiger bekommen.»
        Calvert blickte zu Boden.»Danke, Sir Lucius.»
        Jetzt wandte sich Broughton an Bolitho.»Nun, obwohl Sie anscheinend wieder gesund und kraftig genug sind, um meine Angelegenheiten zu regeln, mu? ich doch zu Ihnen kommen - eh?«Argerlich sah er sich um.»Schaffen Sie mir diese Leute vom Hals!«Doch dann wurde er etwas freundlicher.»Au?er Ihnen naturlich, verehrte Dame, denn ich habe gehort, da? ich ohne Ihre, ah, Bemuhungen jetzt keinen Flaggkapitan mehr hatte. «Kuhl lachelnd musterte er sie von oben bis unten.»Und das ware schade.»
        Unerschuttert hielt Kate seinen Blicken stand.»Da haben Sie recht, Sir Lucius. Anscheinend haben Sie ihn sehr notig.»
        Broughton runzelte die Stirn, zuckte aber dann lassig die Achseln.»Das war ein gutes Wortgefecht, Ma'am. «Und wieder zu Bolitho gewandt:»Folgendes habe ich vor.»
        Kein Wort, kein Zeichen von Schreck oder Zorn uber Draffens Tod. Typisch fur Broughton, da? er den Mann bereits abgeschrieben hatte. Eine Erinnerung, nichts weiter. Spater, in England, wurde sie sich nicht mehr so leicht verdrangen lassen.

«Es ist ziemlich sicher, da? die Franzosen versuchen werden, uns von hier zu vertreiben. «Sir Lucius hielt inne, als erwarte er einen Einwand.»Da? ich sie gesichtet und dann dank Rattrays Dummheit mit dem Signal wieder verloren habe, macht mich geneigter, Ihre seinerzeitige Ansicht uber Djafou zu akzeptieren. Sie haben Giffard einen sehr guten Bericht hinterlassen, ehe Sie sich in diesen uberflussigen Privatkrieg gegen die Piraten sturzten. Wirklich, Bolitho - «, er seufzte - ,»Sie mussen sich endlich damit abfinden, da? Sie uber diese leichtsinnigen Heldentaten hinaus sind!»

«Es schien mir ratsam, diese Gefahr zu beseitigen, ehe wir uns auf weiteres einlie?en, Sir.»

«Vielleicht. «Es klang etwas vorsichtig.»Aber inzwischen wissen Franzosen und Spanier, da? sie das Geschwader aus Gibraltar jetzt vor ihrer Nase haben. Es ist daher um so wichtiger geworden, da? sie zu Ende fuhren, was geplant war, das ist ganz klar. «Er nickte bekraftigend.»Ich beabsichtige, mit dem Geschwader Kurs auf Cartagena zu nehmen. Denn wenn nur die Halfte von dem stimmt, was die Agenten berichten, so zieht der Feind dort seine Kriegs- und Transportschiffe zusammen. Was konnte auch wahrscheinlicher sein? Es ware ein weiterer Versuch, die Beziehungen der beiden Lander nach ihrer Niederlage bei St. Vincent zu kraftigen.»
        Bolitho nickte. Offenbar hatte der Admiral in den letzten Tagen grundlich uber die Lage nachgedacht. Verstandlicherweise. Denn wenn er nach Gibraltar zuruckkam und dort berichtete, da? Djafou nutzlos und Draffen von einem seiner eigenen Offiziere getotet worden war, dann konnte ihn das teuer zu stehen kommen. Broughton hatte bereits mit seiner Rolle bei der Spithead-Meuterei und dem Verlust der Auriga das Mi?vergnugen der Admiralitat erregt, und mehr als jeder andere brauchte er einigen Zuwachs auf seinem Habenkonto; aber dazu reichte die Aufbringung der Navarra und einer kleinen Brigg schwerlich aus.

«Sehr wahrscheinlich, Sir«, antwortete er.»Doch ebenso moglich ist es, da? wir dem Feind auf offener See begegnen.»

«Darauf hoffe ich sogar. «Broughton, der jetzt einige Erregung erkennen lie?, schritt zum Fenster.»Wenn wir sie in ein Gefecht verwickeln, mussen wir ihnen zeigen, da? wir nicht zum Spa? hier sind. Und da? nach uns noch andere und Starkere kommen.»

«Und wenn wir in Cartagena nichts vorfinden - was dann, Sir?»
        Broughton wandte sich um und sah ihm gelassen ins Gesicht.»Dann, Bolitho, bin ich ruiniert. «Er schien zu merken, da? er zu viel Vertraulichkeit gezeigt hatte, und fuhr knappen Tones fort:»Wir lichten morgen fruh Anker. Commander Inch segelt mit der Navarra und der Brigg nach Gibraltar zuruck. Er nimmt au?erdem die ganze Kastellbesatzung und die, ah, Zivilisten mit, die wir ubernommen haben. Zweifellos wird es dem Gouverneur von Gibraltar sehr lieb sein, sie gegen britische Kriegsgefangene austauschen zu konnen.»

«Ich habe im Festungsmagazin Sprengladungen legen lassen, Sir.»

«Gut. Wir werden sie zunden, bevor wir segeln. «Er seufzte.»Also dann.»
        Er machte Miene zu gehen, und Bolitho fragte rasch:»Ich hoffe, Sie werden Mr. Keverne als Kommandant auf der Brigg einsetzen, Sir?»
        Der Admiral wich jedoch seinem Blick aus.»Ich furchte, das geht nicht. Sie haben schon genug Ausfalle, und wir brauchen jeden erfahrenen Offizier. Ich werde Fourneaux anweisen, da? er einen Prisenoffizier abstellt.»
        Fragend nickte er zu Angus hinuber, der, sich die Hande abwischend, hereinkam. Draffen war tot, Sir«, sagte der Arzt.
        Gleichgultig erwiderte der Admiral:»Dachte ich mir. Nun, Mr. An-gus, Captain Bolitho bleibt uber Nacht hier und geht erst morgen fruh, eine halbe Stunde vor Segelsetzen, an Bord. Arrangieren Sie das. Dann lassen Sie Calvert suchen und ihm bestellen, ich brauche ihn sofort, um die Geschwaderbefehle auszuschreiben. «Auf einmal lachelte er und sah um Jahre junger aus.»Wissen Sie, Bolitho, ich war mal in Versuchung, mit Calvert das Rapier zu kreuzen, um ihm eine Lehre zu erteilen. Hatte ich das getan, so waren Sie jetzt Geschwaderkommandeur und mu?ten statt meiner in Gibraltar den Kopf hinhalten!«Der Gedanke schien ihn machtig zu amusieren, denn er lachelte immer noch, als er aus dem Zimmer ging.
        Bolitho schlo? die Augen und lehnte sich in den Sessel zuruck. Alle Kraft und Energie hatten ihn verlassen; er fuhlte sich vollstandig ausgelaugt.

«Nur eine Nacht«, sagte er, halb zu sich selbst. Sie strich ihm ubers Haar und sagte leise:»Ja. Eine Nacht. «Und dann:»Fur uns.»



        XVII Wiedervereint

        Leutnant Charles Keverne stand mit verschrankten Armen an der Achterdecksreling und uberwachte die geschaftige Tatigkeit an Deck und in den Masten. Die Euryalus war nicht in die Bucht eingelaufen, sondern hatte mit dem gesamten Geschwader vor der schnabelformigen Landzunge Anker geworfen. Jetzt, im bleichen Morgenlicht, wirkten sogar die kahlen Berge weniger feindselig, schien die Festung ein ruhiger, harmloser Bau zu sein.
        Keverne lie? sich vom Midshipman der Wache ein Teleskop geben und richtete es auf die Tanais, die im auffrischenden Wind an ihrem Kabel zerrte und deren Rahen von Matrosen wimmelten. Er konnte die Narben am Heck erkennen, wo der massive Rumpf der Euryalus kollidiert war. Gott sei Dank waren die Reparaturen am Rigg fertig geworden, ehe der Kommandant wieder an Bord gekommen war.
        Wie die Offiziere und Mannschaften, die Bolitho gesehen hatte, als er durch die Fallreepspforte stieg, war auch Keverne erleichtert und gleichzeitig besorgt. Das Lacheln des Kommandanten war echt gewesen, und zweifellos freute er sich, da? er wieder an Bord seines Schiffes war. Aber der Arm lag steif in der Tragschlinge, und als er mit
        Alldays Hilfe durch die Pforte kletterte, war ihm deutlich anzusehen, da? er gro?e Schmerzen litt.
        Seit der trubseligen Ruckkehr von der ergebnislosen Jagd und der Kollision mit der Tanais schwirrten die Geruchte nur so durch das Schiff. Broughtons Laune entsprach den Umstanden; und schon aus diesem Grund hoffte Keverne, da? Bolitho imstande sein wurde, sowohl seinem Vorgesetzten mit gutem Rat zur Seite zu stehen, als auch sein unruhig gewordenes Schiff wieder in den Griff zu bekommen.
        Keverne uberdachte, was er selbst bisher geleistet hatte. Er hatte die bei den Gefechten verwundeten und gefallenen Mannschaften zum Teil ersetzt, die Marine-Infanteristen wieder an Bord genommen, das Schiff wieder seeklar gemacht. Lucey und Lelean waren tot und Bo-litho noch keineswegs wieder dienstfahig; somit war das Schiff gerade in dieser kritischen Lage erheblich unterbemannt.
        Auf dem Backborddecksgang kam Leutnant Meheux herbei und luftete den Hut.

«Anker ist kurzstag, Sir!«Es klang ganz vergnugt.»Ich bin nicht traurig, wenn wir dieses Loch auf Nimmerwiedersehen verlassen!»

«Auf der Festung wird die Flagge niedergeholt«, verkundete Par-tridge.
        Wieder hob Keverne das Teleskop.»Ja, stimmt. «Er sah zu, wie der Wimpel unter der Brustwehr verschwand, und fragte sich, wie es wohl dem letzten zumute sein mochte, der die Festung verlie?, wo schon die Lunten glommen.
        Er winkte einem Midshipman.»Melden Sie dem Kommandanten mit allem Respekt, da? der Anker kurzstag ist und der Wind auf Sudwest gedreht hat, Mr. Sandoe.»
        Partridge sah dem hinwegeilenden jungen Manne nach.»Da haben wir Gluck und brauchen uns nicht so zu qualen, um von der Landzunge klar zu kommen.»
        Soeben legte ein Fahrzeug mit lohfarbenen Segeln von der Festung ab - Keverne sah es mit Verbitterung. Es war die Torquoise, die Brigg; in dem klaren Morgenlicht bot sie ein schones, lebensvolles Bild. Wieder eine Chance verpa?t. Beinahe ware das sein Schiff geworden! Fluchtig fragte er sich, ob Bolitho ihn wohl deswegen an Bord behalten hatte, weil er selbst nicht voll dienstfahig war. Aber er lie? den Gedanken ebenso schnell wieder fallen. Weder Bickford, der mit dem Kommandanten zusammen gekampft hatte, noch Sawle, den er nicht ausstehen konnte, hatten die Torquoise bekommen. Somit war es ganz offensichtlich Broughton gewesen, der mit einem Federstrich einen kleinen Leutnant von der Valorous auf die erste Stufe der Beforderungsleiter katapultiert hatte. Argerlich stampfte Keverne mit dem Fu? auf. Was hatte er sich fur Muhe gegeben! Und zweifellos erwarteten ihn, wenn sie die feindliche Kuste erreichten, irgendwelche neuen Enttauschungen; der Admiral wurde bestimmt wieder was zu schimpfen haben.»Die Navarra hat abgelegt, Sir!»
        Keverne beobachtete, wie das Prisenschiff die Marssegel setzte und sich schwerfallig an der Festungsmauer vorbeiquetschte. Wie alle Schiffe des kleinen Geleits nach Gibraltar war es mit Menschen vollgestopft, Gefangenen und Zivilisten. Das wurde eine unbequeme Reise werden, dachte Keverne.
        Er horte Schritte hinter sich - Bolitho.»Sieht nach gutem Wind aus«, sagte er. Signal an Geschwader: >Anker lichten.< Dann laufen Sie bitte Kurs Nordwest zu Nord, wie Sir Lucius angeordnet hat.»

«Klar bei Ankerspill!«brullte Keverne. Ein Midshipman kritzelte die Order auf seine Tafel, und die Signalgasten suchten bereits die Flaggen heraus.

«Die Hekla kommt jetzt von der Festung klar, Sir«, meldete Mids-hipman Tothill.
        Bolitho nahm ein Teleskop und richtete es auf den kleinen Bombenwerfer. Abgesehen von einem Kutter, der das Sprengkommando im allerletzten Moment aufnehmen sollte, war die Hekla das letzte Fahrzeug, das die Bucht verlie?. Jetzt lag Djafou wieder einsam da mit seiner Hinterlassenschaft an Leid und Tod, den Erinnerungen an Sieg und Niederlage. Vielleicht wurde eines Tages wieder jemand versuchen, diesen Ort zu besetzen, das Kastell aufzubauen, dort wieder eine Basis fur Tyrannei und Sklavenjagd zu errichten. Aber hoffentlich wurden bis dahin derartige Praktiken der allgemeinen Verurteilung anheimgefallen sein.
        Die Hekla sturzte sich mit vollen Marssegeln in die ersten Wellen der ablandigen Dunung. Es war nicht leicht, das Teleskop mit einer Hand zu halten; betroffen merkte er, da? ihm bereits vor Anstrengung der Atem stockte. Aber nur noch einen Augenblick! Er lie? das Glas langsam uber das Vorschiff der Hekla gleiten, wo die Matrosen in den karierten Hemden scheinbar sinnlos durcheinanderliefen und das
        Schiff auf Kurs brachten. Dann sah er Inch, der sich an der niedrigen Reling festklammerte, den mageren Korper gegen die Schraglage neigend - er schwenkte seinen Hut. Vor ein paar Tagen noch hatte er auf dem gleichen ungeschutzten Deck gestanden, umtost von den wild feuernden Karronaden; und dann hatte er sich erschrocken und bekummert uber Bolitho gebeugt, den die Kugel jenes unbekannten Schutzen auf die Planken geworfen hatte. Wie deutlich er sich daran erinnerte! Jetzt segelte Inch mit seiner merkwurdigen Ladung voll schwatzender Passagiere einem neuen Wendepunkt seines Lebens entgegen; und es war nur zu hoffen, da? er Gibraltar erreichte, ohne auf einen Feind zu sto?en.
        Bolitho fuhr zusammen: dort neben Inch stand jetzt jemand. Obwohl die Hekla schon eine gute halbe Meile entfernt war, konnte er Kates Haar im Wind fliegen sehen; hell glanzte ihr gelbes Kleid in der strahlenden Sonne. Sie winkte ebenfalls, zeigte lachelnd die wei?en Zahne im gebraunten Gesicht und er glaubte ihre Stimme zu horen, der er nachts gelauscht hatte, als ringsum alles still gewesen war.

«Hier, nehmen Sie das Glas, Mr. Tothill!»
        Immer noch steif vom Wundfieber fa?te er mit gespreizten Beinen festen Stand und schwenkte langsam den Hut. Manche, die es sahen, wunderten sich. Aber Allday, der bei der Leiter stand, lachelte dankbar.
        Es war eine knappe Sache gewesen. Und wenn sie nicht. Ein Schauer uberlief ihn. Er wandte sich um und sah Calvert nach, der niedergeschlagen den Decksgang entlangschlenderte und sich lustlos gegen die Netze lehnte. Er schien sich mehr denn je in sein Inneres zuruckzuziehen und sprach kaum, auch nicht mit den anderen Offizieren. Sehr schade, dachte Allday, denn der Flaggleutnant hatte keine Ahnung, mit welcher Bewunderung man von ihm in den uberfullten Wohndecks sprach, seit er wieder an Bord war. Allday schuttelte den Kopf. Zweifellos hatte Calvert einen reichen Vater, der ihm den Hals retten wurde, aber vielleicht lag ihm gar nichts mehr daran. Wie er dastand und in die kabbelige See starrte, war sein Gesicht vollkommen ausdruckslos.

«Ah, Calvert!«Alle blickten sich um: Broughton eilte munteren Schrittes aus der Hutte.»Kommen Sie her!«rief er.
        Calvert ging nach achtern und fa?te an den Hut.»Sir?«fragte er mi?trauisch.

«Ich habe eine Menge fur Sie zu tun. «Lassig blickte Broughton zur Hekla hinuber, die ihren stumpfen Bug in eine trag anrollende Welle grub. Dann warf er einen kurzen Blick auf Bolitho, verzog die Lippen zum Schatten eines Lachelns und wandte sich wieder an Calvert:»Vielleicht wurden Sie mit mir speisen, wenn wir mit dem Schreibkram fertig sind - eh?»
        Allday sah, da? Calvert der Mund offen blieb, und war verwirrter denn je. Sogar Broughton hatte anscheinend seine Haltung Calvert gegenuber geandert.
        Bolitho hatte den Admiral gehort und wandte sich ihm zu.»Pardon, Sir. Ich habe Sie nicht kommen sehen.»

«Schon gut«, nickte Broughton.

«Das Geschwader hat bestatigt, Sir«, meldete Tothill, der die fluchtige Episode nicht mitbekommen hatte.
        Bolitho drehte sich um und rief:»Machen Sie weiter, Mr. Keverne!»
        Wahrend das Signal des Flaggschiffs von der Rah verschwand, wurde es an Deck lebendig: Segel wurden gesetzt. Auf die Reling gestutzt sah Bolitho zu, wie die Toppmatrosen oben auslegten und die Leinwand freigaben, die sich mit explosionsartigem Knall im Winde entfaltete.

«Anker ist los, Sir!«meldete Meheux. Dort im Vorschiff, wo er stand und Handzeichen gab, sah er gegen die ferne Landzunge ganz wichtig aus.
        Schwerfallig neigte sich die Euryalus uber ihr Spiegelbild, bis die unteren Stuckpforten durch die Wasserlinie schnitten. Die Matrosen holten die Brassen noch dichter, die Manner am Rad hielten hart ge-genan; majestatisch, doch gehorsam beugte sich das Schiff den Kraften von Wind und Ruder.
        Keverne brullte durch sein Sprechrohr:»Lebhaft bei Leebrassen! Treiben Sie die faulen Hunde an! Auf der Valorous klappt es besser als bei uns!»
        Bolitho lehnte sich uber die Reling und sah zu, wie der Anker, mit triefenden Strangen gelben Seegrases an den machtigen Fluken, gelichtet und von Meheux' geschaftigen Matrosen gereinigt wurde.
        Er sah zur anderen Seite hinuber. Auf der Coquette und der Restless standen bereits die Bramsegel. Beide Schiffe sturmten durch Fontanen von Gischt vorwarts und entfernten sich rasch von den schweren Schiffen.

«Nordwest zu Nord, Sir!«rief Partridge, rieb sich das Salzwasser aus den Augen und spahte hinauf zu den gebra?ten Rahen, zu dem immer steifer stehenden Gro?marssegel, unter dessen Druck die Euryalus jetzt merklich uberholte.»Kurs liegt an, Sir!«meldete er.
        Broughton griff sich ein Teleskop und befahl nervos:»Signal an alle: >Positionen einhalten
«Kann ich Bramsegel setzen, Sir?«fragte Keverne.
        Bolitho nickte.»Nutzen Sie den Wind ruhig aus.»
        Gerade als Keverne eilig zur Reling schritt, war ein vibrierendes Drohnen zu vernehmen. Jedes freie Teleskop im ganzen Geschwader blinkte in der Sonne. Aller Augen waren auf die ferne Festung gerichtet. Dann brach das Drohnen ab, und mit furchtbarer Plotzlichkeit stiegen mehrere turmhohe Flammen- und Rauchwande auf, massig und fest wie fur die Ewigkeit und alles verbergend, was dahinter geschah.
        Doch der Wind blies den widerstrebenden Rauch schlie?lich auseinander, und Bolitho sah die Ruinen des Kastells. Der innere Turm war vollkommen eingesturzt, wie der Schornstein eines alten Brennofens; Mauern und Brustwehren waren nur noch Schutt. Nacheinander folgten noch ein paar Explosionen im Festungsinnern; er konnte sich vorstellen, wie liebevoll Inchs Stuckmeister, Mr. Broome, die einzelnen Ladungen plaziert hatte. Er hielt den Atem an, als etwas Kleines, Dunkles, Schmales aus dem Rauch kam und hinaus auf See glitt: Broome und seine Manner hatten sich im letzten Moment abgesetzt.
        Nachdenklich sagte Giffard:»Dieser Bau hat allerhand erlebt, bei Gott!»

«Das la?t sich nicht leugnen, Hauptmann Giffard«, stimmte Brough-ton mit einem Blick auf Bolithos Rucken und einem leichten Lacheln zu.
        Als acht Glasen angeschlagen wurden und die Vormittagswache den Dienst ubernahm, war das kleine Geschwader bereits sieben Meilen von Land entfernt.
        Bolitho sa? in seiner Heckkajute auf der Sitzbank und ruhte sich aus. Er konnte eben noch die Valorous vor dem verschwimmenden Land ausmachen, das nur noch Dunst war, einer dunkelroten Wolkenbank ahnlich, uber der sich der schwarzliche Qualm aus der Festung
        Djafou erhob und wie ein machtiger Pilz den blauen Himmel besudelte.
        Er dachte an Lucey und Lelean, an Witrand und viele andere, die fur immer dort geblieben waren. Von ihnen war Draffen der einzige, der mit dem Geschwader segelte, denn sein Leichnam war sorgfaltig in einem Fa? Rum konserviert, um in England ein wurdigeres Begrabnis zu erhalten.
        Bolitho lehnte sich auf das Fenstersull, das wohlbekannte Knarren von Stagen und Wanten im Ohr, und versuchte, seine Schulter in eine Stellung zu bringen, in der ihm das langsame Rollen des Schiffes nicht noch mehr Schmerzen verursachte.
        Wieder einmal hatte er das Schicksal uberlistet. Er fa?te an seine Schulter und zuckte zusammen. Bald mu?te der Verband gewechselt werden, und er wurde wieder nicht zu atmen wagen aus Angst, da? die Wunde schlimmer geworden sei.
        Dann dachte er an Catherine Pareja und ihre letzte gemeinsame Nacht im Turm. Ihr wildes Begehren hatte alles so einfach gemacht - und dann hatten sie ganz still nebeneinander gelegen und auf das Murmeln der unten an die Felsen schlagenden Wellen gelauscht. Ware es auch geschehen, wenn er nicht so schwer verwundet gewesen ware? Hatte er es dann so weit kommen lassen? Er dachte an ihre zartlichen Arme, da wu?te er die Antwort.
        Spargo, der Schiffsarzt der Euryalus, hielt Bolitho seine breite, haarige Hand hin und sagte:»Hier, fassen Sie mal fest zu, Sir!»
        Bolitho stand vom Schreibtisch auf.»Er ist ein harter Lehrmeister«, sagte er zu Keverne und lachelte dabei, um seine Angst zu verbergen.»Ich furchte, wir geben ihm nicht genug zu tun. «Dann fa?te er Spar-gos Hand, und der Krampf ri? in seinem Arm, als er mit aller Kraft zudruckte.
        Es war drei Tage her, da? das Geschwader von Djafou ausgelaufen war, und seitdem hatte Spargo alle paar Stunden den Verband kontrolliert, die Wunde angesehen und betastet, bis Bolitho dachte, diese Qualerei wurde nie ein Ende nehmen.
        Spargo lie? Bolithos Hand los.»Gar nicht so ubel, Sir. «Er sprach mit widerwilliger Befriedigung, was, wie Bolitho bereits herausgefunden hatte, seine Art war, jemanden fur eine gute Leistung zu loben.»Aber erst mussen wir mal sehen.
«So redete er immer - seine Skepsis war wie ein Treibanker, sozusagen eine Ruckversicherung fur alle
        Falle.
        Keverne jedenfalls schien etwas beruhigter zu sein.»Ich darf wohl jetzt gehen, Sir. Fur heute sind wir ja mit den Schiffsangelegenheiten fertig.»
        Vorsichtig legte Bolitho den Arm wieder in die Schlinge und trat ans Fenster. Eine gute halbe Meile achteraus nahm die Valorous Bramsegel weg; wie kleine schwarze Flecken sahen die Matrosen aus, die auf den Rahen mit der salzverharteten Leinwand kampften. Es war fast zwolf Uhr mittags. Drei Tage Kampf gegen einen ungewohnlich widerborstigen Wind; und alle Augen suchten den blinkenden Horizont nach einem Segel ab. Nach irgendeinem Segel.
        Das Geschwader befand sich etwa vierzig Seemeilen vor Car-tagena, und ware ein Feind in Sicht gekommen, hatten sich Brough-tons Schiffe aus guter Gefechtsposition heraus zum Angriff formieren konnen. Wahrend er noch einen kurzen Blick auf die Papiere warf, die er mit Keverne durchgesprochen hatte, vernahm er Broughtons lebhafte Schritte in der Kajute uber der seinen, wo der Admiral einsam auf-und abwanderte und sich argerte, da? sich kein einziges Schiff zeigte und er infolgedessen nichts uber die Bewegungen des Feindes erfuhr. Er konnte Bolitho leid tun, denn, wie er wu?te, gab es bereits gewisse Komplikationen, die man nicht mehr allzu lange vor sich herschieben konnte.
        Buddle, der Zahlmeister, war vormittags bei ihm gewesen und hatte ziemlich pessimistisch uber das knapp werdende Wasser und die Fasser mit ranzig gewordenem Fleisch berichtet. Im ganzen Geschwader war es ebenso. So viele Menschen lie?en sich eben auf Dauer nicht verpflegen, ohne da? die Vorrate von Zeit zu Zeit erganzt wurden; es war aber durchaus unsicher, ob und wann man Wasser und Proviant fassen konnte.
        Mit einem Seufzer sah Bolitho zur Tur, die hinter dem Arzt ins Schlo? fiel.»Als Ersatz fur Lucey haben wir also Sawle zum Funften Offizier befordert«, uberlegte er laut.»Aber da bleibt immer noch eine Fehlstelle in der Offiziersmesse. Midshipman Tothill konnte vielleicht. Aber.»

«Er ist erst siebzehn«, wandte Keverne ein,»und mit Geschutzen hat er noch wenig Erfahrung. Auf jeden Fall ist er so gut beim Signaldienst, da? wir ihn dort jetzt nicht entbehren konnen. «Er grinste schadenfroh.»Meiner Ansicht nach, Sir.»

«Ich mu? Ihnen da leider beipflichten. Wir mussen eben sehen, wie wir auskommen.
«Er horchte auf die Schritte oben.
        Keverne legte die Papiere zusammen und fragte:»Wie stehen die Chancen fur Feindberuhrung, Sir?»
        Er zuckte die Achseln.»Das wei? ich wirklich nicht. «Wenn doch Keverne endlich gehen wollte, damit er Arm und Schulter testen konnte, dachte er.»Die Coquette und die Restless mu?ten jetzt vor Cartagena kreuzen. Vielleicht kommen sie bald mit einer Nachricht wieder.»
        Es klopfte, und Midshipman Ashton trat ein. Er trug keinen Kopf verband mehr und schien sich besser erholt zu haben, als zu erwarten gewesen war.

«Sir - Mr. Weigall meldet: Segel in Nordwest.»
        Bolitho sah Keverne lachelnd an.»Eher als ich dachte. Ich komme an Deck.»
        Auf dem Achterdeck war es gluhend hei?, und obwohl die Segel gut unter einem stetigen Nordwest zogen, bot dieser Wind den Mannern der Wache nicht viel Erfrischung.
        Weigall behielt die Kampanje scharf im Auge, um Bolitho nur ja nicht zu verpassen.

«Der Ausguck meldet, sie sieht wie eine Fregatte aus, Sir.»
        Wie zur Bestatigung ertonte es von oben:»Is' die Coquette, Sir!»
        Eilig wie immer erschien Broughton an Deck.»Nun?»
        Ashton enterte bereits mit einem gro?en Teleskop ein Stuck in die Wanten auf, und Bolitho sagte lachelnd:»Was taten wir ohne Fregatten?»
        Minuten verstrichen. Am Kompa? drehte ein Schiffsjunge unter Partridges wachsamen Augen das Halbstundenglas um.
        Dann rief Ashton:»Signal von Coquette, Sir!«Eine ganz kleine Pause.»Negativ!»
        Broughton wandte sich ab.»Also niemand mehr da. Alle Schiffe unterwegs!«knurrte er wutend und starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne.»Wir mussen sie verpa?t haben, Bolitho! Herrgott, die sehen wir nie wieder.»
        Die Fregatte ging auf neuen Kurs, der gro?e, schwarz-wei?e Signalwimpel stand noch steif an der Rah. Ein Wimpel nur, doch fur Broughton und vielleicht fur manchen anderen bedeutete er so viel!
        Die feindlichen Schiffe hatten den Hafen verlassen und konnten jetzt praktisch uberall sein. Wahrend sich das Geschwader bei Djafou herumgetrieben, die Festung genommen und dann zerstort hatte - im Endeffekt ein fruchtloses Unternehmen - , war der Feind verschwunden.

«Hol sie allesamt der Teufel!«murmelte Broughton resigniert. Da rief der Ausguck: Die Valorous hat Signal gesetzt, Sir!«Bolitho fuhr auf.
        Bitter bemerkte der Admiral:»Fourneaux wird auch schon Halluzinationen haben!»
        Doch alle fuhren herum, als Tothills schrille Stimme erscholl:»Signal von Valorous, Sir: >Fremdes Segel in Peilung West!<»

«Mu? fast genau achteraus sein, Sir«, sagte Bolitho und befahl sodann:»Mr. Keverne, informieren Sie das Geschwader!»
        Broughton war vor Ungeduld fast au?er sich.»Die dreht bestimmt ab, sobald sie uns sieht!«Er spahte zur Coquette hinuber.»Aber es hat keinen Zweck, Gillmor hinzuschicken. Er kommt nicht rechtzeitig genug gegen den Wind auf, um sie anzugreifen.»
        In Bolithos Arm klopfte das Blut, vielleicht vor Aufregung. Das Schiff konnte wieder ein Kauffahrer sein oder aber eine feindliche Patrouille. Vielleicht sogar die Spitze eines gro?en Verbandes. Aber diesen Gedanken lie? er fallen. Wenn das Schiff zum Geschwader aus Cartagena gehorte, hatte es sich erheblich von seiner Station entfernt; und wenn der Feind wirklich hinter Broughton hergewesen ware, hatte er keine Zeit verschwendet und gleich den ganzen Verband eingesetzt.
        Er nahm ein Teleskop und ging rasch aufs Achterdeck. Jetzt konnte er das Glas schon besser mit einer Hand regieren; und als er es uber die Valorous hinaus richtete, sah er das kleine Viereck eines Segels, das auf der Kimm zu ruhen schien.
        Ashton, hoch uberm Deck und mit seinem starken Glas, hatte weit bessere Sicht. Zweidecker, Sir«, erklang seine Stimme schrill uber das Rauschen der Takelage. Halt auf uns zu!»
        Bolitho eilte wieder aufs Huttendeck.»Wir sollten lieber Segel kurzen, Sir. Dann wissen wir genau Bescheid.»

«Na schon«, nickte Broughton,»geben Sie entsprechendes Signal.»
        Die Zeit schlich dahin, die Matrosen fa?ten ihr Mittagessen, schwerer Rumgeruch hing in der Luft. Es hatte schlie?lich keinen Sinn, die tagliche Routine zu unterbrechen, wenn noch reichlich Zeit fur die
        Entscheidung war, welche Aktion man einleiten sollte - falls uberhaupt eine.
        Fur einen Zweidecker kam das fremde Schiff sehr schnell auf. Die voll ziehende Leinwand war gut zu erkennen. Der Kommandant hatte sogar Leesegel setzen lassen, so da? der Rumpf beinahe unter der Pyramide aus steifem Tuch verschwand.
        Erregt gellte Ashton:»Sie setzt Erkennungssignal, Sir!»

«Ach du lieber Gott!«Broughton bi? sich auf die Lippe und starrte zu dem Midshipman hinauf, der auf dem Eselshaupt des Gro?mastes sa?. Tothill war zu Ashton aufgeentert, und beide blatterten im Signalbuch; es schien sie gar nicht zu storen, da? das Deck so tief unter ihren baumelnden Beinen lag.

«Einer von uns, Sir«, sagte Bolitho.»Verstarkung, moglicherweise. Aber auf alle Falle werden wir Neues horen.»
        Unglaubig starrte er zum Mast empor und wollte seinen Ohren nicht trauen. Denn: Die Impulsive, Sir, vierundsechzig Geschutze, Kommandant Captain Herrick! schrillte Tothill.
        Broughton fuhr herum und fragte scharf:»Kennen Sie den Mann?»
        Bolitho konnte nicht gleich antworten. Thomas Herrick! Wie oft hatte er an ihn gedacht und an Adam, seinen Neffen, hatte sich ausgemalt, wo sie waren und was sie erleben mochten. Und jetzt war er hier. Hier!

«Seit Jahren, Sir«, antwortete er endlich.»Er war mein Erster Offizier. Und ist mein bester Freund.»
        Broughton musterte ihn mi?trauisch und befahl dann kurz:»Signal an Geschwader:
>Beidrehen.< Und an die Impulsive: Kommandant zu mir an Bord!<«Er sah zu den Flaggen auf, die sich im Wind entfalteten.»Hoffentlich taugt er was!»
        Bolitho lachelte.»Ware er nicht gewesen, Sir, wurde dieses Schiff noch unter franzosischer Flagge segeln.»

«Na, wir werden ja sehen«, knurrte der Admiral.»Ich bin achtern, wenn er an Bord kommt.»
        Keverne wartete, bis Broughton gegangen war, und fragte dann:»War er tatsachlich so entscheidend daran beteiligt, da? dieses Schiff genommen wurde, Sir? Mit einem kleinen Vierter-Klasse-Schiff?»
        Nachdenklich sah Bolitho ihn an.»Mein eigenes Schiff war fast kampfunfahig. Captain Herrick hat sich ohne zu zogern dazwi-schengeworfen, mit seinem kleinen Vierundsechziger, der au?erdem noch erheblich alter ist als Sie. «Er deutete auf das geschaftige Achterdeck.»Genau da, wo Mr. Partridge steht, war es - da hat sich der franzosische Admiral ergeben.»

«Das habe ich nicht gewu?t«, antwortete Keverne betroffen. Er starrte auf das ordentliche Deck, als erwarte er, noch Spuren des blutigen Kampfes zu sehen.
        Tothill kam an einem Backstag heruntergerutscht und rief:»Alle Schiffe haben bestatigt, Sir!»

«Mr. Keverne«, sagte Bolitho,»fuhren Sie das Manover aus. Und lassen Sie die Ehrenwache antreten, damit unser Gast anstandig empfangen wird.»
        Bolitho fuhrte seinen Freund auf die Kampanje, weg von der brutenden Hitze und der schlagenden Leinwand, und sah ihm erst einmal grundlich ins Gesicht.»Thomas, es ist wirklich schon, da? Sie da sind!»
        Beim Anblick von Bolithos verwundetem Arm war Herrick zunachst erschrocken, jetzt aber grinste er ubers ganze Gesicht.»Ich brauche nicht erst zu erlautern, wie mir war, als ich Order bekam, zu Ihrem Geschwader zu sto?en.»
        Bolitho fing das unregelma?ige Schwanken ab, mit dem die Eurya-lus auf den Seegang reagierte, und musterte ihn neugierig. Er war etwas voller im Gesicht, unter dem goldbetre?ten Dreispitz sahen einige graue Haare hervor, aber er war immer noch derselbe. Dieselben Augen vom hellsten Blau, das Bolitho je gesehen hatte.

«Erzahlen Sie mir von Adam. Ist er noch bei Ihnen?»

«Aye. Und der Wunsch, Sie wiederzusehen, brennt ihn fast zu Asche.»
        Bolitho lachelte.»Wenn Sie mit Sir Lucius gesprochen haben, konnen wir uns unterhalten.»
        Freudig fa?te Herrick seinen gesunden Arm.»Das werden wir!»
        Als Bolitho zur Seite trat, um Herrick den Vortritt auf der Leiter zu lassen, sah er die beiden goldenen Epauletten auf seinen Schultern. Ein alterer Kapitan war er also jetzt! Trotz allem hatte Herrick es geschafft und sich durchgesetzt, genau wie er selber.
        Sie traten in die geraumige Kajute, und Broughton erhob sich von seinem Schreibtischsessel.»Sie haben Depeschen fur mich, Captain?«Er tat sehr dienstlich. Ich habe nicht damit gerechnet, da? ich Verstarkung bekomme.»
        Herrick legte einen versiegelten Umschlag auf den Tisch.»Von Sir John Jervis, Sir.
«Er verzog den Mund.»Pardon, ich meine Lord St. Vincent, wie sein Titel jetzt lautet.»
        Broughton warf den Umschlag dem verlegen dabeistehenden Cal-vert zu und sagte: Erzahlen Sie mir, was es Neues gibt. Was wurde aus der verdammten Meuterei?»

«Es gab einiges Blutvergie?en«, antwortete Herrick zuruckhaltend,»und ziemlich viel Geschrei; doch als Ihre Lordschaften gewisse Konzessionen gemacht hatten, erklarten sich die Leute bereit, den Dienst wieder aufzunehmen.»

«Erklarten sich bereit!«Unglaubig starrte Broughton ihn an.»Ist das alles?»
        Ernst wandte Herrick die Augen ab.»Die Radelsfuhrer wurden gehangt, Sir, aber vorher wurden einige Offiziere wegen Unfahigkeit abgelost.»
        Broughton sprang auf.»Woher wissen Sie das alles?»

«Mein eigenes Schiff war an der Nore-Meuterei beteiligt, Sir.»
        Der Admiral schien zu glauben, er habe nicht richtig gehort. »Ihr Schiff? Hei?t das, Sie haben dabeigestanden und sich das Schiff we g-nehmen lassen?»
        Gelassen erwiderte Herrick:»Ich hatte keine Wahl, Sir. «Bolitho sah die altbekannte Dickkopfigkeit aus Herricks Augen blitzen, als er jetzt weitersprach: Und uberhaupt hielt ich die me isten Forderungen fur berechtigt. Ich konnte auch an Bord bleiben, weil sie wu?ten, da? ich sie verstand - wie viele andere Offiziere ubrigens auch.»
        Eilig unterbrach Bolitho:»Das ist sehr interessant, Captain. «Hoffentlich verstand Herrick die Warnung.»Sir Lucius hat ganz ahnliche Erfahrungen in Spithead gemacht.
«Er lachelte Broughton freundlich an.»Nicht wahr, Sir, das stimmt doch?»
        Broughton offnete den Mund, schlo? ihn wieder und sagte dann:»Ah. Bis zu einem gewissen Grade, ja.»
        Herrick trat einen Schritt naher.»Aber, Sir, ich habe Ihnen noch nicht berichtet, was sich auf der Fahrt hierher ereignet hat. Ich stie? bei Cadiz zu Lord St. Vincent und bekam Order, Ihr Geschwader zu suchen. Er braucht die Bombenwerferschiffe fur einen Angriff auf Teneriffa, glaube ich. Unter Fuhrung von Konteradmiral Nelson. »

«Konteradmiral ist er schon?«knurrte Broughton.
        Herrick verkniff sich ein Lacheln.»Aber vor zwei Tagen sichteten wir ein fremdes Segel vor Malaga. Ich schnitt ihm den Weg zur Kuste ab und machte mich an die Verfolgung. Es war eine Fregatte, Sir, und obwohl mein Vierundsechziger ziemlich schnell ist, kam ich da nicht mit. Aber ich blieb zunachst dran; heute fruh erst habe ich sie verloren. Als ich Ihre Nachhut sichtete, dachte ich, sie ware es.»
        Trocken erwiderte Broughton: «Sehr aufregend. Sie haben sie also verloren - wo ist da Grund zum Jubeln?»
        Gelassen sah Herrick ihm ins Gesicht.»Ich habe gehort, was unlangst passiert ist, Sir. Dieses Schiff wurde ich uberall wiedererkennen. Es war die Auriga.»«

«Sind Sie sicher, Thomas?«fragte Bolitho.
        Er nickte bestimmt.»Nicht der geringste Zweifel. Ich habe ein paar Monate auf ihr gedient. Es war die Auriga, ganz sicher.»
        Calvert legte die geoffnete Depesche auf den Tisch, aber Broughton fegte sie beiseite und suchte nach einer Seekarte.»Hier! Zeigen Sie es mir! Markieren Sie die Stelle auf der Karte!»
        Mit einem fragenden Blick auf Bolitho beugte sich Herrick uber das Blatt.»Sie war fast genau auf Ostkurs, Sir.»

«Und Sie hatten sie beinahe eingeholt? Mit einem Zweidecker?«Es klang ganz verzweifelt.

«Aye, Sir. Die Impulsive mag ja alt sein und ihr Rumpf so murbe, da? er nur noch vom Kupferboden zusammengehalten wird, aber sie ist das schnellste Schiff ihrer Klasse in der Flotte. «Echter Stolz klang in seine r Stimme mit.»Die Auriga konnte Cartagena angelaufen haben, Sir, und in diesem Falle…»«
        Broughton schuttelte den Kopf.»Ausgeschlossen. Meine Patrouillen hatten sie gesichtet und angegriffen. «Er rieb sich heftig das Kinn.»Genau Ost, sagten Sie? Beim Himmel, wir konnen sie immer noch erwischen! Und ich«, schlo? er mit einem bedeutsamen Blick auf Herrick,»ich hatte wei? Gott nicht blo? ein paar von diesen elenden Meuterern gehangt - sondern alle!»

«Das glaube ich Ihnen gern, Sir Lucius«, sagte Herrick respektvoll.
        Broughton horte gar nicht darauf.»Signalisieren Sie Gillmor«, sagte er zu Bolitho, er soll sofort die Verfolgung aufnehmen. Er kann vollig nach eigenem Ermessen handeln, um die Auriga festzunageln oder wenigstens aufzuhalten. Die Restless soll in Lee Verbindung halten.
        Sie, Captain Herrick, halten Ihrerseits Sichtverbindung mit der Restless - «, er lachelte fluchtig - ,»da Ihr Schiff ja so schnell ist, und ubermitteln ihr unverzuglich meine jeweiligen Instruktionen. Das war's«, schlo? er mit kurzem Nicken. Drau?en fragte Herrick:»Ist er immer so?»

«Meistens. «An der Achterdecksleiter blieb Bolitho stehen.»Wie macht sich Adam? Ich meine, konnen Sie ihn…»
        Herrick grinste.»Er kann sich jederzeit zum Leutnantsexamen melden, wenn Sie das meinen. «Er wartete ab, was Bolitho fur ein Gesicht dazu machte, und fuhr fort: Soll ich ihn zur Euryalus abgeben?»

«Ja, gern, vielen Dank. Ich bin knapp an Offizieren. «Er konnte seine freudige Erregung nicht verbergen.
        Herrick legte ihm die Hand auf den Arm.»Ich habe ihm alles beigebracht, was ich wei?.»

«Dann schafft er es auch.»
        Jetzt grinste Herrick ubers ganze Gesicht.»Ich hatte ja selbst einen guten Lehrer - wissen Sie noch?»
        Herricks Boot hatte noch nicht von den Rusten abgelegt, da wehten schon die Flaggen an den Rahen der Euryalus aus.
        Leicht wie ein Vollblut drehte die Coquette ab, als ware ein Tau gekappt, das sie an die anderen Schiffe fesselte; und als die Matrosen aus den Niedergangen an Deck schwarmten, fuhlte Bolitho neue Kraft in sich.

«Der Kapt'n scheint sich uber irgendwas zu freuen«, murmelte Par-tridge.
        Keverne nickte.»Sieht so aus. «Dann griff er nach seiner Sprechtrompete und eilte an die Reling.



        XVIII In der Falle

        Allday offnete die Tur zur Kajute und meldete:»Midshipman Pascoe, Captain!«Es sollte streng dienstlich klingen, aber er grinste vor Vergnugen ubers ganze Gesicht.
        Es war schon spat am Abend, und abgesehen von ein paar Worten, als der Junge eilig aus dem Boot geklettert war, hatte Bolitho noch nicht mit Adam sprechen konnen. Es war merkwurdig gewesen. Pas-coe hatte seine freudige Erregung bezwungen und ein Dienstgesicht gemacht; er hatte an den Hut gefa?t und gesagt:»Melde mich zum
        Dienst an Bord, Sir!»
        Bolitho war ebenfalls dienstlich geblieben, da Keverne und andere dabeistanden und das unerwartete Wiedersehen neugierig beobachteten.

«Mr. Keverne wird Sie einweisen«, hatte er nur entgegnet.»Sie dienen als provisorischer Sechster Offizier. Mr. Keverne wird Ihnen die notwendigen Uniformstucke und was Sie sonst noch benotigen zweifellos besorgen konnen. «Er brach ab, denn soeben wurde eine zerschrammte Midshipman-Seekiste unzeremonios aus dem Boot an Bord gehievt. Erst dabei wurde ihm richtig klar, was dieser Moment bedeutete.
        Leise hatte Pascoe gesagt:»Ich dachte, ich konnte vielleicht auf Ihr Schiff versetzt werden, Sir. Ich hoffte es. Deswegen habe ich mich bereitgehalten.»
        Jetzt, als Allday die Tur hinter sich schlo? und sie allein lie?, durchstromte Bolitho ein Gefuhl der Warme; trotzdem war er sich der Tatsache bewu?t, da? zwischen ihnen manches anders geworden war.

«Hier, Adam, setz dich zu mir. «Er deutete zur Tafel, die Trute mit besonderer Sorgfalt gedeckt hatte.»Das Essen ist nicht aufregend, aber zweifellos auch nicht schlechter, als du es gewohnt bist.»
        Er muhte sich einhandig mit einer Karaffe ab, und die ganze Zeit hingen die Augen des Jungen an ihm. Wie er sich verandert hatte! Er war gro?er und selbstsicherer geworden, und doch war er immer noch so lebhaft und unruhig wie ein schwarzes Fohlen, wie damals vor zwei Jahren, als sie sich getrennt hatten.
        Der Junge nahm das Glas entgegen und sagte nur:»Auf diesen Augenblick habe ich gewartet. «Dann lachelte er, und das erinnerte Bo-litho wiederum an die Portrats in Falmouth.»Als Captain Herrick mir sagte, du warest verwundet.»
        Bolitho hob sein Glas.»Reden wir nicht davon. Wie ist es dir ergangen?«Er trat mit ihm an den Tisch; wie immer fuhlte er unbestimmt das gleichma?ige Vibrieren des Decks, das regelma?ige Rollen des Schiffes, das befehlsgema? der Coquette folgte.
        Er zog eine dampfende Schussel Fleisch heran. Es kam aus dem Fa? und war vermutlich zah. Doch in dem warmen Lampenschein und auf dem besten zinnernen Geschirr serviert, sah es beinahe delikat aus. Bolitho zogerte; es irritierte ihn, da? er das Messer nicht richtig gebrauchen konnte. Und dabei sollte heute abend alles aufs beste sein, er brauchte nicht an Deck und hatte sogar fast gar keine Schmerzen.
        Pascoe reichte uber den Tisch und nahm ihm das Messer aus der Hand. Eine Sekunde lang sahen sie sich in die Augen.»La? mich das machen, Onkel«, sagte er leise. Und dann lachelte er wieder.»Captain Herrick hat mir alles mogliche beigebracht.»
        Er beugte sich uber die Platte, und Bolitho sah ihm zu, wie er an dem zahen Fleisch herumsabelte. Das Haar, schwarz wie sein eigenes, fiel ihm rebellisch in die Stirn.

«Danke, Adam. «Er mu?te lacheln. Siebzehn Jahre. Er konnte sich unschwer daran erinnern, wie es ihm als jungem Midshipman ergangen war. Auch Adam machte der Dienst offensichtlich Spa?. Weder Selbstmitleid noch falscher Optimismus klangen mit, als er angeregt uber die Rolle der Impulsive bei der Meuterei, uber Herrick und uber die vielen Dinge plauderte, die aus dem Knaben ein getreues Abbild seines Vaters und Bolithos gemacht hatten.
        Bolitho machte sich nicht viel aus dem Fleisch, obwohl Adam es ihm kleingeschnitten hatte - es war wirklich nicht mehr frisch. Doch Adam kannte keine solchen Hemmungen; er griff immer wieder zu.

«Wie kannst du dich so vollstopfen und doch dunn wie ein Stock bleiben?«fragte Bolitho kopfschuttelnd.
        Ernsthaft sah der Junge ihn an.»Ein Midshipman hat's schwer.»
        Beide lachten, und Bolitho sagte:»Nun, vielleicht sind deine Tage im Logis gezahlt. Wenn wir eine Prufungskommission zusammenkriegen, sehe ich keinen Grund, weswegen du nicht dein Leutnantsexamen machen solltest.»
        Der Junge schlug die Augen nieder.»Ich werde versuchen, dieses Vertrauen nicht zu enttauschen.»
        Bolitho musterte ihn sekundenlang. Nie wurde dieser Junge jemanden enttauschen. Er war es, dem man unrecht getan hatte. Wieder hatte er das drangende Gefuhl, da? er etwas fur Adam tun mu?te, und zwar unverzuglich. Die Wunde in der Schulter war ihm eine Warnung. Die nachste schon konnte todlich sein.
        Muhsam begann er:»Da ist ein Rechtsanwalt in Falmouth, Quince hei?t er. «Er hielt inne und versuchte, einigerma?en nuchtern und geschaftlich weiterzusprechen.»Wenn wir nach Hause kommen, wollen wir beide zu ihm gehen.»
        Pascoe schob seinen Teller zuruck und wischte sich den Mund.

«Warum, Onkel?»
        Warum? Ein kleines Wort nur, aber eine riesengro?e Frage. Er stand auf und ging durch die schwankende Kajute zu den Fenstern. Unten glanzte das schaumende Kielwasser im Licht der Hecklaterne wie Schnee, und er glaubte, die Valorous zu sehen, die ihnen in respektvollem Abstand durch die Finsternis folgte. In der dicken Fensterscheibe sah er Pascoes Spiegelbild, der, das Kinn in die Hande gestutzt, am Tisch sa?. Wie ein Kind geno? er diese private, von Zuneigung erfullte Stunde, die schnell genug vergehen wurde.

«Ich will sicher sein, Adam, da? du das Haus und das Gut bekommst, wenn ich tot bin«, sagte Bolitho. Er horte, da? der Junge erschrocken auffuhr, und war wutend uber seine unverblumten Worte.»Ich wei?«, milderte er sie ab,»da? ich dich noch jahrelang hinhalten werde, wenn ich ein bi?chen Gluck habe. «Er wandte sich um und sah Adam lachelnd an.»Aber wenigstens will ich es sicherstellen.»
        Der Junge machte Miene aufzustehen, aber Bolitho trat zum Tisch und legte ihm die Hand auf die Schulter.»Es ware von Rechts wegen eines Tages sowieso dein, wenn das Leben etwas freundlicher zu dir gewesen ware. Ich will aber dafur sorgen, da? dir dein Recht nicht streitig gemacht werden kann. «Er konnte sich nicht mehr beherrschen; seine Worte ubersturzten sich fast.»Du tragst zwar nicht den Namen unserer Familie, aber du bist trotzdem ein Teil von ihr - und von mir. «Da der Junge sich die Augen wischte, druckte er ihm beruhigend die Schulter.»Jetzt mach, da? du auf Wache kommst. Ich wunsche nicht, da? meine Offiziere hinter meinem Rucken sagen, ich begunstige irgendeinen hergelaufenen Neffen!»
        Langsam stand Pascoe auf und sagte leise:»Captain Herrick hatte recht. «Er ging; Bolitho konnte sein Gesicht nicht sehen, bis er sich unter der Tur wieder umwandte.»Er sagte, du warest der gro?artigste Mann, den er je getroffen hatte. Und dann sagte er noch. «Doch er konnte nicht zu Ende sprechen und ging schnell hinaus.
        Bolitho trat wieder ans Fenster und starrte blicklos ins Kielwasser. Er war zufrieden mit sich selbst, zum erstenmal seit. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Vielleicht wurde er wenigstens dem Jungen helfen konnen und etwas von dem Unrecht gutmachen, das ihm angetan worden war. Wenigstens war ihm ein Zusammensto? mit Draffen erspart geblieben. Hatte er sich dessen Gerede uber Hughs Beteiligung am Sklavenhandel anhoren mussen, es ware wie ein Messer in seinem Herzen gewesen, und er hatte einen nicht wiedergutzumachenden
        Schaden davongetragen.
        Es klopfte - Midshipman Ashton.»Mr. Meheux la?t mit allem Respekt melden, Sir, er wurde gern noch ein Reff einbinden. Der Wind frischt von Nordwesten auf. «Hungrig wanderten seine Augen uber die fettigen Teller.
        Bolitho nickte und nahm seinen Hut. Die kurzen friedlichen Minuten waren wieder vorbei.

«Ich bin gleich oben. «An der Tur sagte er noch:»Wenn ich zuruckkomme, werde ich es Ihnen nicht ubelnehmen, wenn das Fleisch da verschwunden ist. «Lachelnd schlo? er die Tur hinter sich. Es war das gleiche frugale Essen, das auch die Mannschaft bekam. Doch Ashton, in der nie ertraumten Pracht der Kapitanskajute an gedeckter Tafel sitzend, mu?te denken, es sei ein Bankett. Was allerdings Trute dazu sagen wurde, war schwer vorstellbar.
        Die Morgenwache hatte noch eine Stunde Dienst, als Bolitho am nachsten Tag aufs Achterdeck kam. Obwohl er mehrfach in der Nacht aufgestanden und oben gewesen war, fuhlte er sich bemerkenswert frisch, und in seiner Schulter hatte er zwar ein wundes Gefuhl, aber nicht eigentlich Schmerzen. Er hielt inne und warf einen Blick auf den kardanisch aufgehangten Kompa?. Kurs Nordost, wie schon bei der letzten Inspektion vor Sonnenaufgang.
        Der Himmel war sehr klar, wie frisch gewaschen; unter einem frischen Nordwest erstreckte sich die See in kleinen, wei?bemahnten Wellen endlos bis zur Kimm.
        Wahrend Bolitho in seinem Fruhstuck herumstocherte und langsam an einem Becher Kaffee nippte, hatte er darauf gewartet, da? ein Ruf des Ausgucks oder die trappelnden Fu?e eines Laufers melden wurden, die Coquette sei in Sicht. Es wurde jedoch immer heller, schon waren die Gerausche von Putzwasser und Schwabber an Deck zu horen, und immer noch war kein Schiff zu sehen. Und jetzt, als er zum Achterdeck schritt und die aufsteigende Unsicherheit hinter einer maskenstarren Miene verbarg, wurde ihm klar, da? er Broughton die weitere Jagd nach der Auriga ausreden mu?te.
        Uber siebzehn Stunden lang, seit Broughton die Coquette hinter der verlorengegangenen Fregatte hergejagt hatte, war das Geschwader, so viele Segel gesetzt wie nur irgend moglich, vorwartsgesturmt. In der Nacht, als sie auf den jetzigen Kurs gegangen waren, hatte es ein paar atemberaubende Momente gegeben, als die Valorous wie ein Geisterschiff aus dem Dunkel auftauchte und beinahe ins Heck der Euryalus gesegelt ware.
        Vorhin, beim Kaffee in der privaten Welt seiner Kajute hinter der Schottwand, hatte er die Karte studiert. Sie waren jetzt sechzig Meilen sudlich von Ibiza und stie?en immer tiefer ins Mittelmeer hinein. Ironischerweise hatte Broughtons Entschlu?, die Auriga zuruckzuerobern, das Geschwader in dieselben Gewasser gefuhrt, die es gerade verlassen hatte. Sie befanden sich knapp achtzig Seemeilen nordostlich von Djafou.
        Keverne dachte, jetzt sei der richtige Moment, den Kommandanten anzusprechen. Guten Morgen, Sir. «Er lachelte.»Wieder einmal.»
        Hinter Keverne, weit drau?en in Lee, standen die vollen Bramsegel der Impulsive. Broughton hatte angeordnet, da? sie als einziges Schiff die Flanke des Geschwaders sichern sollte. Sie war schneller als die anderen, und da Broughton keine weitere Fregatte zur Verfugung hatte, sondern nur die kleine Restless weit drau?en an der Kimm, blieb ihm kaum eine andere Moglichkeit als diese Marschordnung.

«Signalisieren Sie bitte der Tanais, sie soll mehr Segel setzen«, sagte Bolitho. Sie ist schon wieder zuruckgefallen. «Stirnrunzelnd fa?te Keverne an den Hut.»Aye, Sir. «Bolitho ging nach Luv und nahm dort seinen Morgenspaziergang auf. Die Tanais lag zwar ein wenig in Lee der Formation, aber kaum so sehr, da? unter diesen besonderen Umstanden ein solches Signal gerechtfertig gewesen ware. Jedes Schiff tat sein Bestes, und das Geschwader hatte seit der letzten Kursanderung standig sieben Knoten geloggt.[Log: Gerat zur Bestimmung der Schiffsgeschwindigkeit Knoten: Seemeilen (1852 m) pro Stunde] Keverne dachte vielleicht, er hatte es nur befohlen, um ihn an die seinerzeitige Kollision zu erinnern. Vielleicht glaubte er auch, Bolitho hatte einfach das Bedurfnis, etwas zu tadeln.
        Seine Gedanken ubersturzten sich, und automatisch schritt er schneller aus. Keverne mochte glauben, was er wollte. An diesem Morgen stand mehr auf dem Spiel als Kevernes Seelenfrieden. Auf den ersten Blick schien Broughtons Hartnackigkeit durchaus gerechtfertigt. Entweder war die Fregatte, obwohl die Coquette und die Restless vor der spanischen Kuste standen, irgendwie durchgeschlupft; oder aber, was ebenso moglich war, sie hatte die spanische Kuste nicht erreichen konnen, ohne ihren Vorsprung einzubu?en; dann konnte es sein, da? man sie noch erwischte. Der herrschende Nordwestwind, der fur Broughton so gunstig war, mu?te den Vorteil der Auriga rasch zunichte machen.
        Doch Bolitho runzelte die Stirn, denn damit kam er nicht weiter. So war es allenfalls gestern gewesen, als noch wirkliche Hoffnung bestand, die Auriga zu fassen. Aber ihr Kommandant hatte vielleicht gar nicht die Absicht, sich nach Spanien oder Frankreich zu wenden. Vielleicht wollte er in irgendeiner geheimen Mission nach Mallorca oder Port Mahon oder sogar noch weiter ostwarts, immer weiter, mit aller Geschwindigkeit, die seine Segel hergaben.
        Ware er nicht so in seine personlichen Angelegenheiten vertieft gewesen, in seine Wiedersehensfreude, dann hatte er Broughton vielleicht fruher darauf angesprochen. Argerlich zog er die Brauen noch starker zusammen. Immer dieses» Vielleicht «und» Moglicherweise»!

«Guten Morgen, Sir.»
        Er blieb stehen. Vom Steuerborddecksgang blickte Pascoe auf ihn hinunter.
        Bolitho lockerte sich etwas.»Na? Schon eingelebt?»
        Der Junge nickte freudig.»Ich habe mir das ganze Schiff angesehen, Sir. «Dann sah er auf einmal sehr ernst drein.»Man kann sich nur schwer vorstellen, da? sich hier die Franzosen ergeben haben. «Er ging ein paar Schritte nach achtern und starrte auf die feuchten Planken.»Ich dachte an Mr. Selby, den Steuermannsmaat, der starb, um mich zu retten. Ich denke oft an ihn.»
        Bolitho pre?te die Hande auf dem Rucken zusammen. Wurde das nie aufhoren? Immer schien Hugh, den Adam nur unter dem Namen» Selby «kannte, ihm uber die Schulter zu blicken, voller Spott uber seine Anstrengungen, die Vergangenheit zu vergessen.
        Er merkte, da? Adam ihn besorgt ansah.»Ist irgend etwas nicht in Ordnung, Sir? Ihre Wunde?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich bin heute ein schlechter Gesellschafter. Aber ich freue mich, da? du noch an Mr. Selby denkst. Auch ich kann mich nur schwer an den Gedanken gewohnen, da? die Eurya-lus dasselbe Schiff ist, das uns damals so teuer zu stehen gekommen ist«, entgegnete er.

«Der Admiral kommt, Sir«, sagte Pascoe und entfernte sich rasch. Broughton trat an Deck und starrte mi?mutig auf die Kimm.
        Bolitho machte seine gewohnte Meldung und sagte dann:»Ich denke, wir sollten abdrehen, Sir. «Broughton tat, als hatte er nichts gehort.

«Vielleicht wird Gillmor sie stellen konnen, aber wir haben nicht viel davon, wenn wir so weitermachen, finde ich. «Broughton wandte den Kopf und sah ihn starr an. So - finden
        Sie?»

«Jawohl, Sir. Die Coquette mu?te durchaus imstande sein, mit der Auriga fertig zu werden, denn die franzosische Mannschaft ist ganz neu auf dem Schiff. Gillmor hat sich bereits als sehr tuchtig in Einzelgefechten erwiesen.»

«Wir machen weiter. «Broughtons Kiefermuskeln traten hervor.»Die Auriga wird vielleicht versuchen, auf Gegenkurs zu gehen - und ich will sie haben!»

«Das ist, als zerschluge man ein Ei mit einem Schmiedehammer, Sir«, erwiderte Bolitho gelassen.
        Heftig fuhr Broughton herum, wutbleich im Gesicht.»Meine letzten Befehle lauten, da? ich zur Flotte nach Cadiz zuruck soll, wenn ich nicht eine geeignete Basis gefunden und fur uns in Besitz genommen habe. Wissen Sie, was man sagen wird? Ja? Wissen Sie es?«schrie er und wartete die Antwort nicht ab.»Man wird mir vorwerfen, da? ich nicht ein einziges Teilziel meiner Mission erreicht habe. Da? ich Kontakt mit dem Feind verlor, weil ich den Verlust der Auriga nicht verhindert habe. Das ist meine Schuld, und dafur mu? ich uber die Klinge springen - so verdammt einfach ist das!»
        Von der anderen Deckseite blickte Meheux neugierig heruber, und der Admiral blaffte wutend:»Sagen Sie diesem Herrn da, er soll sich eine Arbeit suchen, sonst sorge ich dafur, da? er den Tag seiner Geburt ve rflucht!»
        Unbewegt erwiderte Bolitho:»Der erste Bericht der Impulsive, da? sie die Fregatte gesichtet hat.»

«Die Impulsive!«unterbrach der Admiral.»Woher in Gottes Namen wissen wir denn, da? sie auch nur versucht hat, dieses verdammte Schiff zu kriegen? Sie war an der Nore-Meuterei beteiligt, ihr Kommandant tut fast, als ob er auch noch stolz darauf ist - da liegt doch die Annahme sehr nahe, da? die Mannschaft die Verfolgung verhindert hat. Vielleicht war die Auriga fur sie ein Symbol ihres eigenen verdammten Hochverrats in der Nore!»

«Das ist unfair, Sir!»

«So - unfair?«Broughton hatte jetzt alle Zuruckhaltung fahrenlassen und achtete uberhaupt nicht darauf, da? einige Matrosen, die in der Nahe der Geschutze arbeiteten, mit gespannter Aufmerksamkeit lauschten.»Ich werde Ihnen sagen, was ich denke. «Er stie? das Kinn vor, und sein Gesicht war nur ein paar Zoll von dem Bolithos entfernt.»Ich glaube, Sie haben noch nicht einmal die Anfangsgrunde der hoheren Flottenfuhrung begriffen. Sie sind beliebt, ich wei?! O ja, ich habe gesehen, wie beliebt Sie bei der Mannschaft sind!«Er hielt einen Moment inne und starrte, ohne etwas zu sehen, uber die Netze.»Mir hat nie daran gelegen, bewundert zu werden oder beliebt zu sein - ich will, da? man mir gehorcht! Konnen Sie sich das vorstellen? Bei Gott, wenn Sie jemals Flaggoffizier werden sollten, dann werden Sie merken, da? es da keinen Mittelweg gibt!»
        Bolitho erwiderte nichts, sondern sah ihn nur an. Er war immer noch wutend uber diese ehrabschneiderische Attacke auf Herrick; aber gleichzeitig konnte er durchaus verstehen, wie tief enttauscht und verzweifelt der Admiral war. Die Auriga war in der Tat ein Symbol, aber nicht in dem Sinn, den der Admiral meinte. Fur ihn bedeutete sie den Beginn seiner Mi?erfolge, beinahe von dem Augenblick an, als er seine Flagge an Bord gehi?t hatte.
        Schlie?lich sagte Bolitho:»Ich glaube, da? Captain Herrick die Au-riga gesichtet hat, war purer Zufall, Sir. Der Gegner mu?, als er die Impulsive sah, ebenso uberrascht gewesen sein wie wir es waren, da? sie so unerwartet bei uns aufkreuzte.»
        Broughton ri? sich aus seinen Grubeleien.»Und?»

«Wir wurden beobachtet, als wir in Gibraltar in See gingen; andere feindliche Schiffe haben uns unterwegs gesichtet, darunter solche, von denen wir vielleicht gar keine Ahnung haben. «Wieder scho? Brough-ton wutende Blicke, doch Bolitho lie? sich nicht beirren:»Uberhaupt - was hat die Auriga eigentlich hier zu suchen?»

«Das wei? ich genausowenig wie Sie, Bolitho«, erwiderte der Ad-miral eiskalt,»aber ich werde sie finden und aufbringen. Wenn wir zur Flotte zuruckkehren, dann als komplettes Geschwader, das jederzeit bereit ist, wieder ins Mittelmeer vorzusto?en und gema? der mir zustehenden vollen Befehlsgewalt zu handeln!»
        Er setzte zum Gehen an, befahl aber noch:»Informieren Sie mich sofort, wenn die Coquette in Sicht kommt!«Damit schritt er in die
        Hutte.
        Bolitho trat zur Reling und sah auf den Segelmacher und seine Maaten hinab, die jeden Quadratfu? Deck besetzt hielten und an den ausgebreiteten Segeln mit blitzenden Nadeln die nie endenden Reparaturen ausfuhrten. Uberall waren die Manner an der Arbeit: Mit Splei?en, Kalfatern, Leinen erneuern oder auch nur hier und dort, wo es besonders notig war, einen Klecks Farbe auftragen. Eine Gruppe MarineInfanteristen enterte schwerfallig zum Vortopp auf, um dort am Drehgeschutz zu exerzieren, und auf dem Backborddecksgang sah er Pas-coe in angeregter Unterhaltung mit Meheux.
        Das alles hatte Broughton eben nicht gesehen. Er sah diese Manner als eine Art Bedrohung oder bestenfalls als Verkorperungen menschlicher Unzulanglichkeit, die seine festgefugten Plane gefahrden konnten. Und doch lag gerade in den Menschen die wahre Starke eines Schiffes, ohne die es nur totes Holz und Tauwerk war. Oft genug sprach Broughton von Loyalitat, aber er hatte nie verstanden, da? das nur ein anderes Wort fur Vertrauen war, und Vertrauen beruhte auf Gegenseitigkeit; es war nicht der personliche Besitz eines einzelnen.
        Bolitho fuhr hoch, denn Tothill rief:»Geschutzfeuer, Sir!»
        Er stutzte sich auf die Reling, beugte sich weit vor und horchte angestrengt uber die normalen Schiffsgerausche hinaus. Da war es, ganz schwach, wie Brandungsrauschen in einer tiefen Grotte. Aber bei der kraftigen Brise, die von Backbord uber das Achterdeck wehte, konnte es auch nur schwach zu horen sein.
        Broughton, das Gesicht vor Erregung verzerrt, kam unter der Kam-panje hervorgeschossen und rannte beinahe Trute um, der ein Tablett mit leeren Bechern in Handen hielt. Der Admiral hatte keinen Hut auf, aber noch eine Schreibfeder in der Hand, wie einen Dirigentenstab.

«Horen Sie das?«Er sah sich unter den Mannern der Wache um.»Ja?«Er trat neben Bolitho und kniff die Augen zusammen.»Was haben wir nun von Ihrer verdammten Vorsicht?»
        Bolitho musterte ihn gelassen. Broughtons Geschimpfe erleichterte ihn mehr als da? es ihn argerte. Mit einigem Gluck konnte Gillmor die Auriga innerhalb einer Stunde kampfunfahig machen oder sie sogar aufbringen, und dann war diese Eskapade vorbei.

«Sagen Sie dem Ausguck, Mr. Keverne, da? er sofort meldet, wenn er sie in Sicht bekommt.»

«Sir - die Impulsive signalisiert«, rief Tothill.
        Argerlich sagte Broughton:»Na - darauf wird sich wohl Ihr Freund Herrick jetzt eine ganze Menge einbilden!»
        Bolitho nahm ein Teleskop und richtete es auf den fernen Zweidek-ker. Er hatte etwas gedreht und lag schwer im Wind, der Kommandantenwimpel stand starr wie eine Lanze.
        Tothill enterte in die Wanten, das machtige Teleskop schwankte in seinen Handen wie ein widerspenstiges Kanonenrohr. Lautlos bewegte er die Lippen, und als er an Deck hinunterblickte, sah er ganz bla? aus. »Impulsive an Flaggschiff, Sir.
>Unbekannte Segel in Richtung West zu Nord.<»

«Bestatigen!»
        Bolitho wandte sich dem Admiral zu, der immer noch mit geneigtem Ohr auf den fernen Kanonendonner lauschte.»Haben Sie das gehort, Sir?»
        Broughton starrte ihn wutend an.»Naturlich! Ich bin doch nicht taub!»
        Da ertonte die Stimme des Ausgucks, und er fuhr hoch.»An Deck! Segel Backbord voraus! Ich kann Mundungsfeuer sehen!»
        Broughton rieb sich die Hande.»Jetzt mu? es jede Minute aus und vorbei sein mit der Auriga!»

«Ich glaube, wir sollten die Impulsive abordnen, damit sie die anderen Segel rekognosziert, Sir. «Doch es war, als sprache er zu einem Tauben. Offensichtlich hatte Broughton nichts anderes im Kopf als die beiden Fregatten, die da drau?en an der Kimm miteinander fochten.
        Da kam Tothill mit einer neuen Meldung:»Von der Impulsive, Sir. >Schatzung: vier unbekannte Segel! <»«
        Jetzt endlich schien sich Broughton von seinen Gedanken an die Au-riga loszurei?en.» Vier! Wo, zum Teufel, kommen die denn her?»
        Die Impulsive wurde kleiner. Sie hatte Segelflache gekurzt und fiel infolgedessen zuruck. Bolitho bi? sich auf die Lippen, froh uber Herricks Initiative. So weiterzumachen wie bisher, war reiner Wahnsinn. Die gesichteten Schiffe, und es konnten nur Feinde sein, stie?en mit vollem Windvorteil in die Flanke des Geschwaders. Wenn Herrick genau feststellen konnte, was sie vorhatten, mochte immer noch Zeit dazu sein, da? Broughton seine Schiffe in Gefechtsordnung manovrieren konnte.

«Geschutzfeuer hat anscheinend aufgehort, Sir«, sagte Keverne.»Gut«, antwortete Broughton stirnrunzelnd,»jetzt werden wir sehen.»

«Schade, da? die Coquette so weit voraus ist«, warf Hauptmann Giffard ein.»Nun konnten wir sie gut zum Rekognoszieren gebrauchen, nicht wahr, Sir?»

«Was haben Sie da gesagt?«blaffte Broughton ihn an, und der Hauptmann schrak zuruck.
        Ehe er sein Spruchlein wiederholen konnte, fuhr Bolitho in hellem Zorn zu Broughton herum:»Hol sie der Teufel, sie mussen es gewu?t haben! Bestimmt hat Brice ihnen bei der Gefangennahme alles erzahlt, was er wu?te, und den Rest haben sie sich zusammengereimt!»
        Broughton starrte ihn an, als sei er verruckt geworden; aber Bolitho sprach voll bitterer Wut weiter.»Sie haben uns die Auriga entgegengeschickt, weil sie genau wu?ten, wie Sie darauf reagieren wurden!«Er deutete mit seinem gesunden Arm uber die Netze.»Und genau den Gefallen haben Sie ihnen getan, Sir!»

«Was, zum Teufel, quatschen Sie da, Mann?»
        Kalt erwiderte Bolitho:»Die Auriga war der Koder. Ein Koder, den Sie wegen Ihrer groblich verletzten Wurde einfach nicht ignorieren konnten!»
        Broughton lief rot an.»Wie konnen Sie es wagen, so zu mir zu sprechen? Ich stelle Sie unter Arrest, ich.»
        Da rief Tothill erregt hinunter: «Impulsive an Flaggschiff, Sir: unbekannte Flotte in Peilung West zu Nord.<»
        Langsam schritt Bolitho zur Reling.»Nicht >Schiffe<, Sir Lucius, sondern eine ganze Flotte. «Er wandte sich zu ihm um und war auf einmal wieder ruhig.»Und jetzt werden diese Leute, denen Sie alle moglichen Verbrechen unterstellt haben, von der Faulheit bis zur Meuterei, kampfen und sterben mussen - fur Sie, Sir Lucius!«Er lie? die Worte einwirken.

«Impulsive erbittet Instruktionen, Sir«, rief Tothill mit bebender Stimme. Broughton starrte auf den Federkiel, den er immer noch in der Hand hielt.»Es war eine Falle«, murmelte er. Es klang ganz seltsam.
        Bolitho sah ihm fest in die Augen.»Jawohl. Colonel Alava hatte vollig recht, auch in bezug der Absichten Frankreichs auf Agypten und Afrika. «Er hob den Kopf und blickte auf die gischtgekronten
        Wellen.»Diese Schlacht ist fur die Franzosen hochwichtig, und zwar deswegen, weil sie genau wissen, sie konnen uns so zerschlagen, da? wir nie wieder ins Mittelmeer vorsto?en werden. Und dann haben sie freie Bahn!»
        Tothill traute sich kaum zu unterbrechen.»Von der Impulsive, Sir: >Schatzung zehn Linienschiffe<.»
        Broughton konnte sich anscheinend zu keiner Reaktion aufraffen. Er stand reglos. Endlich sagte er gepre?t:»Dann werden wir eben kampfen. «Doch es klang nicht sehr uberzeugt.
        Bolitho verdrangte sein Mitleid.»Wir haben auch gar keine andere Wahl, Sir. Der Feind hat den Windvorteil, und wenn wir fliehen, konnen sie uns nach Belieben so lange jagen, bis sie uns wie Motten am Land zerquetschen. Bestimmt sind schon von Toulon und Marseille noch mehr Schiffe unterwegs, damit die Falle auch ja genug Zahne hat!«schlo? er bitter.
        Der Admiral ri? sich zusammen. Man sah ihm die korperliche Anstrengung an, die es ihn kostete. Er hatte die Augen zusammengekniffen und sprach kurz und abgehackt.

«Signal: >Ganzes Geschwader halsen und Feind auf Gegenkurs ansegeln^ Schiff gegen Schiff konnen wir…««Er sah Bolithos ablehnende Miene und stie? verzweifelt hervor: Mein Gott - zwei gegen einen!»
        Bolitho wandte sich ab; er konnte Broughtons offensichtliche Hilflosigkeit nicht mitansehen.»An Deck! Segel in Luv!»
        Bolitho nickte. So waren sie also schon in Sichtweite und kamen eilig heran zum todlichen Schlag.
        Zehn Linienschiffe. Er kniff sich mit der gesunden Hand in die Seite, um sich zum Denken zu zwingen und nicht angesichts dieses Krafteverhaltnisses seinen Geist stumpf und untatig werden zu lassen. Zwei zu eins hatte Broughton gesagt; aber die Impulsive war nicht viel mehr als eine gro?e Fregatte. Und au?erdem alt; ihr Rumpf war murbe von jahrzehntelangem schwerem Dienst. Er lachelte melancholisch. Ja, murbe - das hatte Herrick selbst gesagt.
        Doch jetzt war sein Kopf wieder klar.»Mit Ihrer Erlaubnis, Sir«, wandte er sich an Broughton,»wir sollten die Schlachtordnung andern und zwei Formationen bilden. «Er sprach schnell; er sah den Plan vor sich wie mit Fahnchen auf der Karte markiert. Die Franzosen kampfen gern in feststehender Gefechtslinie. Sie haben zu lange im Hafen gelegen, als da? sie etwas wesentlich anderes hatten einexerzieren konnen.
«Genau wie du, dachte er, als er sah, wie unsicher Broughton zuhorte.»Wir konnen die Formation in Luv ubernehmen, mit nur der Impulsive hinter uns. Rattray kann den Keil in Lee in der bisherigen Formation fuhren. Wenn es uns gelingt, die feindliche Gefechtslinie an zwei Stellen zu durchbrechen, konnten wir immer noch einigerma?en gunstig abschneiden. «Da er sah, da? Broughton nach wie vor unentschlossen war, wurde er beinahe grob:»Wenn Sie aber Schiff gegen Schiff und Linie gegen Linie kampfen, werden Sie erleben, da? in Ihrem Geschwader eine halbe Stunde nach Feuereroffnung kein Mast mehr steht!»
        Leutnant Bickford unterbrach:»Ich kann die Auriga sehen, Sir. «Er lie? sein gro?es Signalteleskop sinken.»Sie hat die Coquette angegriffen. «Es war wie der letzte Hohn auf Broughtons Wunsche.
        Verloren sah der Admiral Bolitho an.»Ich gehe einen Moment nach unten. Sie sind ermachtigt, Ihren Plan auszuprobieren. «Vielleicht wollte er noch der Form halber von sich aus einen Befehl geben, tat es aber nicht, sondern knurrte wutend:»Ich wunschte blo?, Draffen ware hier an Deck und wurde selbst erleben, was uns sein Betrug kostet!»
        Bolitho sah Broughton nach und winkte dann Keverne und Tothill herbei.»Signal an alle: >Geschwader geht nacheinander uber Stag und nimmt dann Kurs West.<»
        Keverne eilte an die Reling und rief den wartenden Matrosen Befehle zu. Pfeifen schrillten, die Manner rannten auf ihre Stationen, Signalflaggen stiegen hoch - sehr bunt standen sie gegen den bleichen Himmel.
        Nachdem alle Bestatigungen gemeldet waren, sagte Bolitho:»Noch ein Signal an alle, Mr. Tothill: >Gefechtsklar!<«Er lachelte etwas muhsam in das gespannte Gesicht des Midshipman.»Ja, es sieht aus, als ob es an diesem schonen Morgen ein Gefecht gibt, also passen Sie gut auf Ihre Leute auf.»
        An allen Decks herrschte jetzt Ordnung; die Unteroffiziere hakten ihre Wachrollen ab, Partridge stand bei den Rudergangern, bereit, hinter der Tanais durch den Wind zu drehen.»Alle Bestatigungen eingegangen, Sir!«rief Tothill.
        Sie waren bereit.»Ausfuhrungsbefehl!»
        Keverne wartete auf den richtigen Moment: auf die Zehen gereckt beobachtete er, wie erst die Zeus und dann die Tanais mit schlagenden Segeln drehten.»Legen Sie das Schiff auf Backbordbug. Ich mache inzwischen die Gefechtsorder fur die Kommandanten fertig«, sagte Bolitho zu ihm.

«Und dann, Sir?«Keverne hatte immer noch die Tanais im Auge.

«Dann konnen Sie Klarschiff zum Gefecht anschlagen lassen. «Er lachelte.»Und diesmal werden wir es in acht Minuten schaffen!»

«Achterdeck! An die Brassen!«brullte Keverne.
        Beim Klang seiner Stimme wandte Bolitho sich noch einmal um: Pascoe stand bei der Achterwache an den Besanbrassen, den Hut tief uber das widerspenstige Haar gezogen, die Augen im grellen Sonnenlicht zusammengekniffen.
        Eine Sekunde lang trafen sich ihre Blicke, und Bolitho wollte schon die Hand heben, um ihm zuzuwinken. Aber ein plotzlicher Schmerz erinnerte ihn an seine Wunde, und er sah die Besturzung im Gesicht des Jungen; es war, als fuhle er seine Schmerzen mit.

«Ruder hart Backbord! Los die Vorschoten! Hol dicht Besan!»
        Matrosen rannten in alle Richtungen; unter dem Druck von Wind und Ruder kam die Euryalus unter Knarren und Stohnen herum.
        Und dann war es wieder einmal sowe it: wie ein gigantischer Elefantensto?zahn reckte sich ihr Kluverbaum einem Feind entgegen.



        IXX Im Gefecht


«Kursanderung ein Strich nach Backbord, Mr. Partridge!»
        Bolitho ging nach Lee, um nach der Zeus zu sehen, die fast genau voraus an der Spitze der anderen Formation segelte. Es hatte fast eine Stunde gedauert, bis das Geschwader uber Stag gegangen war und jeder Kommandant seinen Platz in seiner Gefechtslinie eingenommen hatte. Gott sei Dank hatten sie inzwischen genugend Zeit gehabt, sich aufeinander einzuspielen.

«West zu Sud liegt an, Sir«, bestatigte Partridge mit grimmiger Entschlossenheit.

«Recht so.»
        Bolitho schritt zur Achterdecksreling und musterte sein Schiff. Jetzt, da die Euryalus an der Spitze fuhr, konnte man die Lage viel besser ubersehen und uberdenken. Vor den machtigen, klauenformigen Kluversegeln und den dichgebra?ten Vorbramsegeln, die das Schiff stetig auf Backbordbug hielten, konnte er den Feind so deutlich sehen wie auf einem Seeschlachtengemalde. Die zehn Schiffe segelten in beinahe vollkommener Gefechtslinie diagonal auf das britische Geschwader zu. Fur ein ungeubtes Auge mochte es aussehen, als sei der Weg nach vorn von einer Reihe machtiger Schiffe total blockiert, und selbst einem erfahrenen Beobachter konnte es bei diesem Anblick kalt uber den Rucken laufen.
        Widerwillig tat Bolitho ein paar Schritte uber das totenstille Achterdeck und blickte dabei ab und zu nach der Zeus, um sich zu vergewissern, da? sie ihre Position einhielt. Ihr folgten in regelma?igen Abstanden die Tanais und die Valorous; die Doppelreihen ihrer Kanonen glanzten im harten Fruhlicht wie schwarze Zahne.
        Die hohe Kampanje der Euryalus verdeckte die Impulsive zum gro?ten Teil, doch er konnte ihre festgezurrten Bramsegel und den flatternden Wimpel sehen und vermochte sich leicht vorzustellen, wie Herrick breitbeinig an Deck stand und mit seinen hellblauen Augen das Flaggschiff beobachtete.

«Glauben Sie«, fragte Keverne nachdenklich,»da? die Frogs erraten, was wir vorhaben, Sir?»
        Zum zehnten Male schatzte Bolitho die Entfernung zwischen den beiden kleinen Formationen ab. Rattrays Zeus lag etwa drei Kabellangen entfernt, und er sah die roten Rocke der Marine-Infanteristen schimmern, die auf ihre Gefechtsstationen in den Masten kletterten. Die besten Scharfschutzen wurden heute verdammt notig sein.

«Unsere Formationen sind so ungleich, da? der franzosische Admi-ral hoffentlich glaubt, wir hatten uberhaupt keinen Plan.»
        Das ware auch ganz verstandlich gewesen, dachte er grimmig. Funf Schiffe in zwei ungleichen Sto?keilen, die auf diese unerschutterliche Gefechtslinie zusegelten - das war, als galoppiere eine Gruppe Jager blindlings auf einen Abgrund zu.
        Nochmals uberschaute er sein Schiff. Keverne hatte trotz allem in acht Minuten gefechtsklar gemacht. Vom ersten nervenrei?enden Wirbel der Trommeljungen an waren Matrosen und Seesoldaten ernst wie zum Tode Verurteilte auf ihre Gefechtsstationen gegangen. Jetzt herrschte lautlose Stille. Nur hier und da bewegte sich jemand: da streute ein Schiffsjunge rasch noch Sand, damit die Fu?e der Geschutzbedienungen besseren Halt auf den Planken fanden. Fittock, der Feuerwerker, hatte seine machtigen Filzschuhe an und stieg noch einmal in die bedrohliche Dammerung seiner Pulverkammer hinab.
        Schutznetze waren uber dem Deck aufgeriggt und Ketten um jede Rah geschlungen; an jedem Niedergang stand ein bewaffneter Seesoldat, damit nicht etwa jemand, der die Schrecken der Schlacht nicht mehr ertragen konnte, in die trugerische Sicherheit des Schiffsrumpfes zu fluchten versuchte.
        Wie sauber und offen das alles aussah. Die Boote trieben an langen Leinen achteraus. Unter den Decksgangen hockten die Geschutzbedienungen, nackt bis zum Gurtel, starrten durch die offenen Stuckpforten und warteten darauf, da? der Wahnsinn losging.
        Und das wurde nicht mehr lange dauern. Bolitho richtete sein Teleskop auf das vorderste feindliche Schiff. Es war knapp zwei Meilen vor ihrem Backbordbug und segelte so, da? es den Kurs der Zeus kreuzen mu?te.
        Es kam ihm merkwurdig bekannt vor; aber dafur hatte Partridge eine Erklarung. Mit fachmannischen Interesse hatte er gesagt:»Ich kenn' sie, Sir. Die Glorieux, Vizeadmiral Duplays Flaggschiff. Bin mal vor Toulon mit ihr aneinandergeraten.»
        Naturlich - das hatte er gleich sehen mussen. Da hatte sich das Schicksal noch einen Extraspa? ausgedacht, denn die Glorieux kam aus derselben Werft wie sein eigenes Schiff und war bis zum letzten Bolzen nach den gleichen Planen gebaut. Abgesehen von der Bemalung, den breiten scharlachroten Streifen zwischen den Stuckpforten, war sie die Zwillingsschwester der Euryalus.
        Langsam fuhrte er das Glas nach Steuerbord zu den beiden Schiffen in der Mitte der gegnerischen Formation. Zum Unterschied von den anderen fuhrten sie die rot-gelbe Flagge Spaniens; der Sicherheit halber waren sie in der Mitte stationiert, wo sie ihrem Admiral folgen konnten, ohne zu sehr auf eigene Initiative angewiesen zu sein. Solche Initiativen hatten ihre franzosischen Alliierten bei St. Vincent schon einmal teuer bezahlen mussen.
        Er horte, wie Calvert etwas zu Midshipman Tothill sagte, und als er das Glas absetzte, sah er, wie der Leutnant das Signalbuch studierte, als wolle er sich unbedingt noch im letzten Augenblick nutzlich machen. Armer Calvert. Wenn er diesen Tag uberlebte, erwarteten ihn in
        England Arrest und Gerichtsverfahren. Dafur wurden Draffens Freunde schon sorgen.
        Bolitho wandte sich um und sah Pascoe bei den Neunpfundern stehen, einen Fu? auf einem Poller. Der Junge starrte auf den Feind und sah ihn nicht.
        Bolitho sagte zu Keverne:»Wenn es irgend geht, brechen wir bei den spanischen Schiffen durch. Sie sind die Schwachpunkte, das kenne ich.»
        Keverne beobachtete die Zeus. »Und Captain Rattray, Sir?»

«Der wird nach eigenem Ermessen handeln«, sagte Bolitho ernst. Rattray mit seinem Bulldoggengesicht wurde schon von selbst angreifen; der brauchte keine Aufforderung. Jetzt war nur eins wichtig: sie mu?ten das franzosische Flaggschiff so lange von den anderen Schiffen trennen, da? sie durch die Schlachtordnung brechen und sich in Luv den Windvorteil verschaffen konnten. Und dann hie? es: Jeder fur sich, so gut er konnte.
        Vizeadmiral Broughton trat in die Sonne hinaus und nickte den Offizieren auf dem Achterdeck kurz zu. Etwas langer musterte er die Lee-Formation - zweifelnd, besorgt.»Schlachtenlarm kann ich ertragen«, sagte er,»aber das Warten ist eine Qual.»
        Nachdenklich sah Bolitho ihn an. Er schien ruhiger geworden zu sein. Oder war es Resignation? Der Admiral trug seinen schonen Galadegen, und unter dem Uniformrock leuchtete das scharlachrote Band des Bath-Ordens. War er so verzweifelt, da? er sich irgendeinem franzosischen Scharfschutzen absichtlich als Ziel anbot? Plotzlich tat er Bolitho leid. Vorwurfe und Anklagen waren jetzt sinnlos. Der Mann sah sein Geschwader und alle seine stolzen Hoffnungen in den fast sicheren Untergang segeln.

«Wollen Sie nicht ein bi?chen auf und ab gehen, Sir Lucius? Ich finde, es lockert die Spannung«, fragte Bolitho.
        Ohne Widerspruch fiel Broughton neben ihm in Gleichschritt, und wahrend sie langsam auf und ab spazierten, sprach Bolitho gelassen weiter:»Die Mitte der Formation ist die gunstigste Stelle, Sir. Zwei spanische Vierundsiebziger.»
        Broughton nickte.»Ja, ich habe sie gesehen. Dahinter fahrt der Stellvertreter des Admirals. «Plotzlich blieb er stehen und fragte irritiert:»Wo, zum Teufel, steckt die Coquette?»

«Sie repariert ihre Schaden, Sir. Auch die Auriga ist beschadigt - Fock und Besan. Beide konnen uns jetzt nicht viel nutzen.»
        Broughton blickte ihm sekundenlang starr in die Augen.»Werden unsere Leute kampfen?«Er hob wie beschworend die Hand.» Wirklich kampfen, meine ich?»
        Unwillig wandte Bolitho sich ab.»In dieser Hinsicht brauchen Sie keine Angst zu haben. Ich kenne sie und.»

«Und sie kennen Sie«, erganzte Broughton.

«Jawohl, Sir.»
        Als er wieder hinsah, stand die feindliche Linie zu beiden Seiten des Bugs, so da? die ganze Kimm von einer Wand aus Segeln verdeckt schien. Jeden Moment konnte der franzosische Admiral jetzt begreifen, was sie vorhatten, und dann waren sie geschlagen, ehe sie auch nur einen Treffer angebracht hatte. Hatten sie mehr Zeit gehabt oder noch besser die Beweglichkeit und Selbstandigkeit, die ihnen durch Broughtons sture Fuhrung versagt geblieben war, so hatten sie Rattray und den anderen irgendein Scheinsignal geben konnen; und dann hatte der Feind angenommen, sie wurden jetzt halsen und in dem starren, alten, bei so vielen noch beliebten traditionellen Stil angreifen. Aber da sie dergleichen noch nie exerziert hatten, konnte ein falschverstandenes Signal den schon nicht sehr kampfstarken Verband in verhangnisvollster Weise durcheinanderbringen.
        Es sei denn. Bolitho sah Broughton von der Seite an. Er hatte eine Idee.

«Darf ich vor dem Angriffssignal ein generelles Signal vorschlagen, Sir?«Ein Muskel zuckte auf Broughtons Hals, aber er sah den ansegelnden Schiffen unbewegt und stumm entgegen. Doch Bolitho lie? nicht locker.»Ein Signal von Ihnen, Sir.»

«Von mir?«Broughton wandte den Kopf und sah ihn uberrascht an.

«Sie sagten vorhin, da? die Leute mich kennen, Sir. Aber es ist auch mein Schiff, und sie verstehen meine Art, wie ich versucht habe, ihre Art zu verstehen. «Er deutete auf die Zeus. »Doch alle diese Schiffe sind Ihre Schiffe, Sir, und die Leute mussen sich heute auf Sie verlassen.»
        Broughton schuttelte den Kopf.»So etwas kann ich nicht.«»Darf ich etwas sagen, Sir?»
        Das war Calvert.»Dieses Signal mu?te lauten: >Ich vertraue auf euch!<«Er wurde rot, denn Keverne trat rasch auf ihn zu und schlug ihm auf die Schulter.»Bei Gott, Mr. Calvert, ich hatte nicht gedacht, da? Ihnen so was einfallen wurde!»
        Broughton leckte sich die Lippen.»Wenn Sie tatsachlich glauben…»
        Bolitho nickte Tothill zu.»Ja, das glaube ich, Sir. Stecken Sie das an, Mr. Tothill, und hissen Sie es sofort. Wir haben wenig Zeit.»
        Mehrere Offiziere der Zeus beobachteten mit blinkenden Teleskopen die Reihe Flaggen, die da auf einmal an der Rah der Euryalus flatterte.
        Doch er fuhr herum, denn plotzlich erzitterte die Luft im Donner der Kanonen. Das franzosische Flaggschiff hatte das Feuer eroffnet - ein Rohr nach dem anderen spuckte gelbrote Flammen, eine langsame Breitseite auf das ansegelnde Geschwader. Da es auf diagonalem Kurs lag, gingen die meisten Geschosse fehl; er sah sie durch die Wellenkamme fliegen und weit hinter der Lee-Formation Fontanen aufwerfen. Wie dicker brauner Nebel rollte der Qualm ab, bis von der Zeus nur noch die Mastspitzen zu sehen waren.
        Broughton fa?te seinen Degengriff. Sein Gesicht war vor Konzentration verzerrt, als ein zweites franzosisches Schiff feuerte. Eine Kugel durchschlug mit lautem Knall das Vormarssegel und flog jaulend ubers Wasser.

«Horchen Sie, Sir!«sagte Bolitho knapp und trat neben den Admi-ral.»Horen Sie das?

        Uber den Wind und das ersterbende Echo des Kanonendonners war, unbestimmt und verzerrt, als gaben die Schiffe untereinander den Takt an, fernes Hurrarufen zu vernehmen. Die Kunde verbreitete sich von Geschutz zu Geschutz, von Deck zu Deck, und die Matrosen der Eu-ryalus schrien mit, laut und alles ubertonend. Die Zwolfpfunderbedie-nungen sprangen sogar hoch und winkten Broughton zu, der wie aus Stein gehauen stand, mit totenstarrem Gesicht und stocksteifen Schultern.

«Sehen Sie, Sir«, sagte Bolitho leise,»es braucht gar nicht viel.«»Gott im Himmel! murmelte Broughton, und Bolitho wandte sich ab.
        Jetzt feuerten weitere franzosische Schiffe, und mehrere Kugeln sausten in ziemlicher Nahe ubers Wasser; die Segel der Zeus, die zielstrebig in den Qualm tauchte, wiesen schon einige Locher auf.
        Bolitho wandte sich wieder um, denn Broughton sagte entschlossen:»Ich bin bereit. Geben Sie dem Geschwader das Angriffssignal. «Noch im Weggehen sah Bolitho, da? Broughtons Augen glanzten sei es vor Schreck oder vor Freude uber das Hurrarufen. Jubel fur ein kurzes banales Signal, das aber an der Schwelle des Todes viel bedeuten konnte.

«Signal hoch, Mr. Tothill«, rief Bolitho.»Mr. Keverne, an die Brassen! Wir wollen sehen, da? wir bis zum letzten Moment unsere Position zur Zeus halten!»
        Wieder hallte das Echo des Kanonendonners uber den kurzer werdenden Wasserstreifen zwischen ihnen und dem Feind. Er spurte das Deck erzittern - ein Treffer. Meheux stand jetzt bei den Geschutzen im Vorschiff; eindringlich sprach er zu den Kanonieren, und sein rundes Gesicht war wie versteinert vor Konzentration.

«Fertig, Sir!»
        Ganz langsam hob Bolitho die Hand.»Ruhig, Mr. Partridge!«Der Schmerz klopfte wieder in seiner Schulter - ein Zeichen seiner wachsenden inneren Anspannung. Die Hand fuhr nieder.»Jetzt!»
        Die Flaggen an der Rah der Euryalus verschwanden, die Manner warfen sich in die Brassen, knarrend arbeitete das Rad gegen die Ruderleinen, wie ein riesiges Tor schien sich die franzosische Linie zu offnen, bis der Bugspriet der Euryalus senkrecht zu ihr stand.
        Ein rascher Blick bestatigte ihm, da? die Zeus befehlsgema? ihre Abteilung anfuhrte; heftig schlugen ihre Segel, als mehrere feindliche Kugeln sie trafen. Doch jetzt hatten die franzosischen Kanoniere es nicht mehr mit einem ganzen Pulk von Schiffen zu tun, sondern mit mehreren Einzelzielen. Hintereinander, die Batterien noch immer stumm, segelten die beiden britischen Sto?keile gleichzeitig auf sie zu, durch die leichte Drehung nach Steuerbord lag die Euryalus allerdings eine gute Schiffslange vor der Zeus.
        Bolitho packte die Reling. Von den aufblitzenden Kanonen zog Rauch ab. Eisen jaulte uber das Achterdeck, ein paar gebrochene Leinen und lose Blocke fielen ohne Schaden anzurichten in die straffgespannten Netze.

«Abwarten!»
        Er rieb sich die Augen, denn wieder wirbelte Qualm ubers Deck; dicht vor dem Backbordbug standen, wie abgesagt, die Masten des Schiffes, das ihnen am nachsten war. Wieder ruckte das Deck, mehrere Treffer schmetterten in den Rumpf, und plotzlich fiel ihm ein, wie er seinerzeit Draffen auseinandergesetzt hatte, die Euryalus sei wegen ihrer franzosischen Konstruktion ein Schiff von uberlegener Kampfkraft. Ein makabrer Gedanke: Draffen lag jetzt tief unten in der finsteren stillen Kabellast in seinem Rumfa?; und die Lebenden warteten indessen auf Kampf und Tod.
        Er trat an die Hangemattsnetze - ein kleiner Farbfleck wurde uber dem Qualm sichtbar. Die spanische Flagge wehte von der Gaffel; er hatte also die richtige Stelle fur seinen Durchbruch abgepa?t.

«Batteriedecks klar zum Feuern!»
        Die Midshipmen eilten zu den Niedergangen, und er stellte sich Weigall und Sawle vor, dort unten in ihrer Dammerwelt; doch vielleicht blinkten die machtigen Rohre schon in den offenen Stuckpforten.
        Meheux stand mit dem Blick aufs Achterdeck; Bolitho fiel auf, da? er den Degen wie bei der Parade an die Schulter gelehnt hatte. Mit plotzlichem Erschrecken fa?te er an seine Hufte und rief:»Meinen Degen!»
        Allday kam gelaufen.»Aber Captain, Sie konnen ihn doch jetzt gar nicht halten!»

«Her damit!«Bolitho befuhlte seine Seite und wunderte sich selbst uber die aberglaubische Bedeutung, die er seinem Degen beima?. Doch er war ihm wichtig, obwohl er es nicht in Worte fassen konnte.
        Er blieb stehen, bis Allday ihm das Koppel umgeschnallt hatte, und sagte nur: Linkshandig oder nicht - man kann nie wissen!»
        Allday nahm bei den Netzen Aufstellung und behielt ihn fest im Auge. Solange er seinen Entersabel halten konnte, wurde der Kommandant seinen Degen nicht brauchen mussen, das hatte er sich geschworen.
        Ein neuer Laut lie? alle nach oben blicken. Kreischend, heulend wie ein Gespenst, fuhr es hoch uber Deck dahin und verschwand im driftenden Qualm.

«Kettenkugeln«, sagte Bolitho kurz.
        Die Franzosen versuchten stets, den Gegner zu entmasten, wenn irgend moglich, oder ihn manovrierunfahig zu schie?en, wahrend die britischen Batterien normalerweise auf den Rumpf zielten, um dort so viel Schaden an Schiff und Mannschaft anzurichten, da? der Gegner sich ergab.
        Der Qualm gluhte rot, vom Vorschiff her kamen Schreie, denn noch weitere Kettenkugeln sagten an den Karronaden vorbei und schnitten durch Wanten und Stage wie die Sichel durch Gras.
        Eine starke Fallbo trieb den Rauch zur Seite, und wahrend das Geschutzfeuer die feindliche Linie entlanglief, sah Bolitho den nachsten spanischen Vierundsiebziger nur eine knappe Kabellange vor ihrem Backbordbug. Kurz bevor sich der Qualm wieder setzte, stand das Schiff auf der glitzernden See, klar und deutlich, die vergoldeten Schnitzereien und die eleganten Heckaufbauten schimmerten, und auf der hohen Kampanje knallten bereits Musketen.
        An Steuerbord schor das zweite spanische Schiff etwas aus; Kluver und Vormars killten, als der Kommandant sich bemuhte, dem ansegelnden Dreidecker auszuweichen.
        Broughton stand noch so da wie vorhin: reglos, mit herabhangenden Handen, wie versteinert.

«Sir! Nicht stehenbleiben!«Bolitho deutete auf das spanische Schiff.»Da sind Scharfschutzen!»
        Wie zur Bestatigung dieser Warnung flogen Splitter von den Planken hoch wie Daunenfedern, und ein Mann am Geschutz schrie schmerzlich auf, denn eine Kugel war ihm in die Brust gefahren. Trotz seines Schreiens und Straubens wurde er nach unten geschafft; er war wohl noch so weit bei Sinnen, da? er wu?te, was ihn dort im Orlop-deck erwartete.
        Broughton erwachte aus seiner Trance und ging weiter auf und ab. Er zuckte nicht einmal, als ein Toter von der Gro?rah absturzte, auf die Netze fiel und dann uber Bord rollte. Er schien jenseits von Furcht und Schmerz zu sein: als ware er schon tot.
        Schmetternd krachte es gegen den Rumpf; und dann, als der Qualm wieder abzog, sah Bolitho das spanische Schiff in Hohe seines eigenen Fockmastes. Sie passierten die feindliche Linie! Jeder Nerv in seinem Leib zuckte bei dem Gedanken. Er packte die Reling.»Mr. Meheux! Beide Batterien! Befehl weitergeben!«Hoffentlich konnte er den Krach uberschreien. Tastend und fluchend versuchte er, seinen Degen zu ziehen. Es war hoffnungslos.

«Moment, Sir, ich mache das!«Pascoe.
        Bolitho nahm den abgewetzten Griff in die Linke und lachelte ihm zu.»Danke, Adam.
«Dachte der Junge in diesem Sekundenbruchteil dasselbe? Da? diese alte Klinge eines Tages ihm gehoren wurde?
        Er hielt sie hoch uber den Kopf, das dunstige Sonnenlicht blinkte auf der scharfen Schneide, bis sich der Qualm wieder ubers Deck walzte.

«Ziel erfassen!«Er zahlte die Sekunden.»Feuer!»
        Das Schiff schwankte heftig, als Deck fur Deck, Geschutz fur Geschutz, die todbringenden Breitseiten an Backbord und Steuerbord blitzten und krachten. Er horte das Stohnen brechender und fallender Spieren, spitze Schreie im Qualm - das nachstliegende Schiff mu?te schwer getroffen sein. Und das war noch nicht einmal der eigentliche Anfang. Das tiefe Aufbrullen der untersten Batterie von Zweiunddrei-?igpfundern ubertonte alles; ihr Rucksto? erschutterte das Schiff bis in den Kiel. Ihre Doppelsalve fegte mit erbarmungsloser Genauigkeit in die spanischen Schiffe. Das an Steuerbord hatte die Stengen von Fock- und Gro?mast verloren, die verkohlte Leinwand sturzte ins Wasser wie Mull. Der nachste Zweidecker trieb vorm Winde ab, sein Ruder war weg, und das Heck gahnte als riesige schwarze Hohle in das Sonnenlicht. Was die Breitseite in den Batteriedecks angerichtet hatte, konnte man nur ahnen.
        Ein verschwommenes Gebilde kam hinter dem anderen Spanier aus dem Rauch, und Bolitho vermutete, es sei das Schiff des stellvertretenden Admirals. Die untere Batterie der Euryalus hatte bereits neu geladen und harkte uber den Bug des Franzosen, bevor dieser von seinem Nebenmann freigekommen war. Bolitho sah, wie seine Geschutze Feuer und Rauch spuckten, wu?te aber, da? man sich dort wenig um genaues Zielen kummern konnte.

«Klar zum Halsen, Mr. Partridge!»
        Sie waren durch! Schon war der manovrierunfahige Vierundsiebziger im Rauch verschwunden, und bis zum nachsten Schiff, dem dritten in der Linie, klaffte eine machtige Lucke.
        Mit knarrenden Rahen, unter Befehlsgebrull, das den Kanonendonner ubertonte, drehte die Euryalus langsam und ging die feindliche Linie von hinten an. Das war ganz etwas anderes! Nun hatten sie in Luv den Windvorteil und konnten den Feind unbehindert vom Kanonenqualm beobachten. Bolitho atmete erleichtert auf, denn Masten und Rahen der Euryalus waren noch unbeschadigt. Allerdings waren die Segel durchlochert, Tote und Verwundete lagen an Deck. Einige waren Opfer der Scharfschutzen in den Masten des Feindes, die meisten jedoch waren von Splittern und herumfliegenden Holzstucken niedergemaht worden.
        Irgendwo achtern ertonte nervenzerrei?endes Krachen, und als er sich uber die Reling beugte, wollte er seinen Augen nicht trauen: wie betrunken schwankte die Impulsive in einem Chaos zerbrochener Spieren; sie hatte die feindliche Linie erst zur Halfte passiert. Der Fockmast war vollkommen weg, nur das Kreuzmarssegel schien noch intakt zu sein. Gro?e Locher klafften uberall, und eben jetzt sturzte die Gro?maststenge krachend in den Rauch, driftete langsseit und zog das Schiff noch mehr in den Feuerbereich des franzosischen Zweideckers. Kettenkugeln hatten sie fast entmastet; er sah bereits, da? noch ein weiteres franzosisches Schiff uber Stag ging, um sie unter Feuer zu nehmen, so wie die Euryalus vorhin den Spanier. Er mu?te sich wieder seinem eigenen Schiff zuwenden, aber seine Ohren konnte er vor dem Donner dieser furchtbaren Breitseite nicht verschlie?en. Er sah Pascoe mit schreckgeweiteten Augen hinuberstarren.

«Boote kappen!«brullte er. Adam wandte sich ihm zu und sagte etwas, doch es ging im Krachen einer Musketensalve unter.
        Eiskalt beobachtete Bolitho den nachsten Franzosen, auf dessen Heck der Wind die Euryalus langsam zutrieb. Der Kommandant dieses Schiffes mu?te sich entweder zum Kampf stellen oder versuchen, abzufallen und mit raumen Wind wegzukommen. Dann war sein Schicksal ebenso besiegelt wie das der Impulsive. Bolitho mu?te die Zahne zusammenbei?en, um nicht laut Herricks Namen zu rufen. Damit, da? er die Boote kappen lie?, hatte er in erster Linie den Jungen beruhigen wollen; von den Uberlebenden der Impulsive wurden sich wohl nur wenige retten konnen.

«Achtung, Vorschiff!«brullte er.»Mr. Meheux! Karronade auf den da!»

«Feuer!»
        Die ersten Geschutze der Backbordbatterie brullten los, und dann erzitterte die Luft unter dem tiefen Drohnen der Karronade. Balken und Stucke des Schanzkleids flogen von der Kampanje des Feindes hoch, und der Besan mitsamt der Trikolore taumelte in die anrollende Qualmwolke.

«Sehen Sie da! Gott verdammt!«schrie Broughton ihm zu. Er hupfte vor Aufregung, denn jetzt stie? wie der Finger eines Riesen erst ein Kluverbaum und dann eine goldglanzende Galionsfigur am nachsten franzosischen Schiff vorbei.

«Die Zeus hat die Linie durchbrochen!«Keverne schwenkte seinen Dreispitz.»Mein Gott, seht sie blo? an!»
        Beidseitig aus allen Rohren feuernd, kam die Zeus durch, die Segel in Fetzen, den Rumpf durchlochert und schwarz vom Pulverrauch. Dunne rote Faden rannen aus den Speigatten, als blute das Schiff selbst - Rattray mu?te hart und ohne Rucksicht auf Verluste gekampft haben, um es dem Flaggschiff gleichzutun.
        Soweit Bolitho sehen konnte, waren jetzt alle Schiffe im Gefecht. Vorn und achtern hammerten Geschutze, an Backbord und Steuerbord waren Schiffe in Einzelgefechte verwickelt. Die saubere franzosische Gefechtsformation war zum Teufel, ebenso die Einteilung bei Brough-tons Geschwader. Der franzosische Admiral hatte keine Kontrolle mehr uber seine Schiffe, er war vorm Wind abgetrieben und stand von seinem Verband getrennt, von Rauch geblendet, irgendwo in dieser kampfgepeitschten See.

«Signal an alle!«brullte Broughton:»»Formiert Schlachtordnung vor und achtern vom Flaggschiff!<»
        Tothill nickte heftig und rannte zu seinen Mannern. Die Chancen, da? dieser Befehl befolgt wurde, waren nicht allzu gro?, aber jedenfalls wurde das Geschwader sehen, da? Broughton immer noch das Kommando fuhrte.
        Und da kam die Tanais - ihr Besan war weg, das Vorschiff ein Chaos von Splittern, ihr Wimpel von Musketenkugeln geschlitzt, aber die meisten ihrer Geschutze feuerten noch und beharkten den Feind beim Durchbruch.
        Wieder bellte Kanonendonner durch den Qualm - das mu?te Four-neaux sein, der gegen zwei schwer beschadigte, aber immer noch gefahrliche Schiffe um sein Leben kampfte.

«Schiff an Steuerbord achteraus, Sir!»
        Bolitho rannte ubers Deck und sah einen noch vollig intakten franzosischen Zweidecker ohne ein einziges Loch in den Segeln auf sich zukommen; gerade setzte er Breitfock und Bramsegel, um noch mehr Fahrt zu bekommen. Unter dem Druck des Windes lag er stark uber.
        Wahrend alle anderen Schiffe in Kampfe verwickelt waren, hatte dieser Kommandant sein Schiff aus der Linie genommen und versucht, den Windvorteil zuruckzugewinnen. Jetzt drehte es etwas, sein Umri? verkurzte sich; und nun sah Bolitho auch wieder die Impulsive. Sie war entmastet und lag so tief, da? die unteren Stuckpforten fast die Wasserlinie schnitten. Ein paar winzige Gestalten bewegten sich undeutlich auf dem schiefen Deck, andere sprangen uber Bord; sie waren wohl so verstort durch die blutige Schlachterei, da? sie nicht mehr wu?ten, was sie taten.

«Da werden nicht viele durchkommen«, sagte Keverne heiser.

«Nein, nicht viele«, entgegnete Bolitho, doch er zuckte mit keiner Wimper.»Sie war ein gutes Schiff.»
        Dann ging er wieder an die Reling, und Keverne sah ihm nach.»Er nimmt es sehr schwer«, sagte er zu Pascoe.»Trotz seiner Selbstbeherrschung. Allmahlich kenne ich ihn.»
        Pascoe starrte achteraus auf das sinkende Schiff unter der gro?en driftenden Rauchwolke.»Sein bester Freund. «Er wandte sich ab, tranenblind.»Und meiner auch.»

«An Deck!«Vielleicht hatte der Ausguck schon ein paarmal gerufen. Keverne sah hoch.»Neues Schiff, Sir!«rief der Mann heiser.»An Backbord voraus!»
        Bolitho fa?te den Degengriff mit der Linken, bis ihn die Finger schmerzten. Durch die Wanten und Stage, backbords vom massiven Fockmast, sah er es. Umgeben von einem Vorhang aus Pulverqualm, riesenhaft, die Rahen ganz dicht gebra?t, kam sie langsam quer zum Kurs der Euryalus auf sie zu.
        Ha? und unvernunftige Wut durchgluhten ihn. Die Glorieux, das franzosische Flaggschiff, kam ihn begru?en, ihm die beschamende Vernichtung heimzahlen, die er den Schiffen und dem Selbstbewu?tsein des Admirals zugedacht hatte.
        Er fa?te den Degen fester, geblendet von Ha? und dem Bewu?tsein seines Verlustes. Dieses Schiff vor allem sollte ein Mahnmal zu Herricks Gedachtnis sein!

«Klar zum Feuern!«Er deutete mit dem Degen auf Meheux.»Befehl weitergeben! Doppelladung und Schrapnell obendrein!»
        Broughton starrte ihn entgeistert an.»Da druben ist Ihr Rivale, Sir!«sagte Bolitho heiser. Die Augen brannten ihn, er horte nicht, was Broughton entgegnete, er sah nur Herricks Gesicht vor sich, das ihn aus dem Qualm seines sterbenden Schiffes anzublicken schien.
        Broughton drehte sich um und schritt den Steuerborddecksgang entlang. Seine Epauletten glitzerten in dem rauchigen Sonnenlicht. Seine Fu?e schienen ihn zu tragen, wohin er gar nicht wollte, und wahrend er uber den qualmverschmierten Geschutzbedienungen dahinschritt, blieb er manchmal stehen, nickte ihnen zu und wunschte ihnen Gluck. Manche blickten ihm nur stumm und stumpf nach, weil sie schon so wirr und abgekampft waren, da? sie nichts mehr interessierte; andere aber grinsten ihn an und winkten ihm zu. Ein Geschutzfuhrer spuckte auf seinen hei?geschossenen Zwolfpfunder und krachzte:»Sie kriegen schon Ihren Sieg, Sir Lucius, blo? keine Angst!»
        Broughton blieb stehen und hielt sich an den Netzen fest. Achtern, uber den durcheinanderredenden Matrosen und den MarineInfanteristen, die schon mit ihren Musketen in den Rauch zielten, sah er Bolitho. Den Mann, der diesen Leuten irgendwie ein Vertrauen eingeflo?t hatte, das so stark war, da? sie nicht aufgeben konnten, selbst wenn sie es gewollt hatten. Und auf ihre Art war es das gleiche Vertrauen, das er zu seinem Flaggkapitan hatte.
        Reglos stand Bolitho an der Reling, wei? hob sich die Armschlinge von seinem Uniformrock ab, die Hand mit dem Degen hing hinunter. Hinter dem Kommandanten sah Broughton auch dessen Bootsfuhrer und Pascoe, der ihn verzweifelt anstarrte.
        Beim Anblick dieser drei ri? er sich zusammen. Bolitho hatte ihm und dem Schiff sein Bestes gegeben, doch war er jetzt so tief bekummert, da? ihm niemand helfen konnte.
        Fast wutend schritt er nach achtern und stie? hervor:»Bei Gott, dem Kerl wollen wir's zeigen, was, Jungs?«Er spurte beinahe, wie seine straff gespannte Gesichtshaut knisterte.»Wie war's, Mr. Keverne? Noch einen Dreidecker fur die Flotte?»
        Keverne schluckte muhsam.»Gewi?, Sir.»
        Bolitho hob den Kopf und sah Broughton an. Mit einem Seufzer der Erleichterung legte er den Degen uber die Reling.»Danke, Sir.»
        Als er jetzt zu dem franzosischen Flaggschiff hinubersah, war es schon viel klarer zu erkennen. Sein Hirn war vollkommen leer bis auf den einen Gedanken: dieses Schiff zu vernichten.

«Sie fallt ab, Bolitho! Sehen Sie doch!«rief Broughton von der anderen Seite des Achterdecks heruber.
        Das feindliche Schiff drehte schwerfallig und wies dem SteuerbordAchterdeck der Euryalus seine volle Breitseite. Entweder hatte der Kommandant schon einmal vergeblich versucht, das Heck der Eurya-lus zu kreuzen, oder er hatte es sich anders uberlegt und wollte lieber nicht so nahe heran.
        Dann feuerte der Franzose. Da er zum erstenmal in dieser verzweifelten Schlacht mitmischte, war seine Breitseite gut gezielt und kam im richtigen Moment. Dicker Rauch wallte am Schiffsrumpf entlang, die Decksplanken sprangen hoch, und plotzlich schwirrte die Luft von Splittern und jenen schrecklichen Schreien, die sie heute schon mehrmals gehort hatten.
        Noch einmal wurden die Planken hochgerissen, und als er wieder horen konnte, war es Giffards Stimme:»Der Besan! Die Hunde haben ihn erwischt!«gellte er.
        Ehe er Giffards schreckensstarrem Blick folgen konnte, sah er auch schon den Schatten uber die Kampanje gleiten, und mit allen Wanten und Stagen, mit den schreienden Menschen, die rechts und links aus den Toppen fielen, sturzte der Mast mit Rahen und Segeln donnernd auf das Deck, mitten zwischen die Menschen.
        Fallen und Brassen fegten durch die geduckten Kanoniere und die durcheinanderrennenden Soldaten wie giftige Schlangen, dann folgte ein neuer, wilder Krach: wie trunken sackte der Mast uber die Schanz.
        Wieder blitzten die feindlichen Kanonen auf, der Qualm ri? auseinander, denn wirbelnd sausten oben die Kettenkugeln. Pulvergeschwarzte Gestalten rannten an Bolitho vorbei; Tebbutt, der Bootsmann, schwang die Axt, trieb seine Manner an, das schwere Gewicht des treibenden Mastes zu kappen. Der Mast, die Spieren, zerfetzte Leichname und ein paar in den Toppen hangengebliebene Matrosen, die verzweifelt versuchten, sich freizukampfen, bevor sie achteraus wegtrieben - das alles wirkte wie ein Treibanker, der das Schiff in einem Alptraum von Rauch und ohrbetaubenden Detonationen herumri?.
        Wo Sekunden vorher noch eine Reihe Seesoldaten gestanden hatte, war jetzt ein groteskes Chaos von zerrissenen, zerquetschten Korpern, zerbrochenen Musketen und Stromen von Blut, die sich rasch nach allen Seiten ausbreiteten. Schon brullte Giffard seine Befehle, und seine Manner liefen bereits blindlings in den blutigen Brei hinein und schossen in den bei?enden Rauch.
        Mitten in diesem Tohuwabohu sah Bolitho den Admiral, der einen schluchzenden Midshipman hinter den Gro?mast in Deckung zerrte; sein Dreispitz war weg, doch seine Stimme klang scharf wie immer:»Neu laden und ausrennen, Jungs! Trefft gut, verdammt noch mal, trefft, Jungs!»
        Bolitho kletterte uber einen gro?en Haufen gebrochener Stage und Blocke, fast blind vor Qualm, und schrie:»Mr. Partridge! Mehr Leute ans Ruder! Sie legt sich quer!»
        Doch der Master horte nicht mehr. Eine Kettenkugel hatte ihn fast entzweigeschnitten; beinahe mu?te Bolitho sich erbrechen bei diesem grauenhaften Anblick.
        Ein Stuck des Doppelrades war weggerissen, doch ein paar Matrosen, keuchend, fluchend, rutschend und stolpernd, kamen herzu und warfen sich in die Speichen.
        Mit einem langen Erschauern schuppte der Besan von seinen Leinen frei und trieb in der See davon. Das Schiff reagierte fast unmittelbar, Bolitho konnte es spuren; doch als er nach vorn sturzte, sah er das franzosische Flaggschiff: es war zu spat. Ohren und Hirn drohnten ihm unter dem Donner der Zweiunddrei?igpfunder, er suchte verzweifelt nach dem Ausweg der letzten Minute. Aber der Zug des schweren Besans, die momentane Steuerlosigkeit hatten die Euryalus vom Kurs abgebracht, so da? ihr Bugspriet jetzt direkt auf das Vorschiff des Feindes zeigte. Die Kollision war unvermeidbar, selbst wenn der Abstand gro?er gewesen ware; die Segel waren zu zerlochert, zu zerfetzt und gaben nur noch wenig Steuerkraft her.
        Er sah Keverne und brullte:»Nach vorn! Enterer abschlagen!»
        Wieder krachte es, wieder bebte der Rumpf, langsam passierte der franzosische Zweidecker an Steuerbord, aus allen Rohren schie?end, Masten und Segel intakt.
        Bolitho zog sich an die Reling und sah sich in dem Chaos aus Qualm und brullenden Geschutzbedienungen nach Meheux um. Er sah die schwei?blanken Korper halbnackter Matrosen, pulvergeschwarzt, kaum noch menschenahnlich, wie sie sich in die Taljen warfen und die rumpelnden, quietschenden Lafetten an die Pforten zuruckholten. Langs der ganzen Batterie zogen die Geschutzfuhrer die Rei?leinen ab, spien die Rohre Flammenzungen, rollte der Qualm binnenbords, blendete und erstickte die verzweifelte Mannschaft.
        Aber Meheux brauchte keine Anweisungen. Er kauerte neben einem Geschutz, brullte dem Geschutzfuhrer etwas zu, hell leuchteten seine Augen in dem pulververschmierten Gesicht. Immer noch flogen die Kugeln jaulend uber das Deck, und ein Matrose, der eine Meldung uberbringen sollte, sturzte hin, mit Armen und Beinen um sich schlagend: eine Kugel hatte ihm den Kopf abgerissen.
        Dann hob Meheux den Degen; die Kanoniere duckten sich tiefer an den Pforten, wie Wettlaufer in Erwartung des Startsignals.»Feuer!«schrie Meheux seinen Mannern zu.
        Die Salve krachte, und Bolitho sah, wie Fockmast und Gro?stenge des Franzosen im Rauch verschwanden. Abermals feuerten die unteren Batterien, und der Franzose, von den driftenden Spieren behindert, wurde wieder und wieder getroffen. Als sich der Rauch uber der Eu-ryalus verzogen hatte, feuerte der Feind nicht mehr.
        Bolitho sturzte fast zu Boden, als Bugspriet und Kluverbaum in die Wanten des franzosischen Flaggschiffs fuhren und die beiden Schiffsrumpfe mit knirschendem Erzittern aufeinanderstie?en.
        Mundungsfeuer von Musketen und Drehbassen durchblitzten den Qualm, so da? Bolitho sehen konnte, wie Leutnant Cox von der Marine-Infanterie an der Spitze seines Detachements zum Entern vorging. Im unteren Deck begannen die Backbordgeschutze wieder zu feuern, wahrend die beiden Schiffe wie Teile einer gigantischen Turangel gegeneinanderarbeiteten. Vorn stie?en die Kanonenmundungen beinahe aneinander, die Kugeln des Feindes schmetterten durch den Rumpf, warfen Geschutze um und machten aus der unteren Batterie ein grauenvolles Schlachthaus.
        Musketenkugeln jaulten uber das ungeschutzte Achterdeck, und Meheux spahte nach oben, wo die Drehbassen in die Kampanje des Feindes feuerten.

«Holt die Scharfschutzen runter!«brullte er. Doch niemand horte ihn, so laut war der Kampfeslarm. Verzweifelt kletterte er auf den Decksgang und rief noch einmal durch die hohlen Hande. Ein Seesoldat, das Gesicht zu einem irren Grinsen verzerrt, spahte zu ihm hinunter und richtete dann das Drehgeschutz auf den Gro?topp des Feindes. Im Moment, als er die Rei?leine zog, bekam Meheux einen Bauchschu?, und mit dumpf uberraschter Miene und schon brechenden Augen fiel er hinunter und blieb, von niemandem gesehen, neben einem seiner geliebten Zwolfpfunder liegen.
        Broughton sah zu, wie die franzosischen Scharfschutzen von den bosartigen Schrapnells niedergemaht wurden. Manche blieben zappelnd an der Gro?rah hangen, andere hatten mehr Gluck, sturzten an Deck und waren sofort tot.
        Dann sagte er gelassen:»Unsere Leute konnen sie nicht aufhalten.»
        Bolitho sah zum Backborddecksgang: die feindlichen Enterer uberfluteten bereits das Vorschiff; zwischen den beiden Schiffsrumpfen kampften noch Angreifer und Verteidiger, Stahl gegen Stahl, Pike gegen Bajonett. Hier und da verschwand ein Mann plotzlich und wurde zwischen den beiden Schiffsrumpfen zermalmt, oder auf einmal stand einer ganz allein auf dem feindlichen Deck und wurde gnadenlos niedergemacht, ehe er nur einen Gedanken fassen konnte.
        Ein Offizier der Marine - Infanterie fiel schreiend an Deck, das wei?e Lederzeug blutverschmiert, Giffard brullte wutend:»Cox hat's erwischt!«raste fluchend den Decksgang hinunter und war bald im dichten Getummel nicht mehr zu sehen.
        Immer starker arbeiteten die beiden Schiffsrumpfe gegeneinander, und mit einem heftigen Ruck zersplitterte der Bugspriet der Euryalus und kam frei; sinnlos flatterte der Kluver wie ein Banner uber dem Chaos.
        Immer mehr Manner schwarmten von dem anderen Schiff heruber, und Bolitho sah, da? sich eine Gruppe unbeirrt zum Achterdeck durchkampfte. Wie durch Zauberei tauchte ein junger Leutnant an der Leiter auf und sturzte sich mit geschwungenem Degen auf das Deck. Bolitho versuchte, ihn zu parieren und seitlich abzudrangen, doch mit wildem Triumph in den Augen schlug der Franzose Bolithos Klinge weg und holte zum todlichen Hieb aus.
        Calvert stie? Bolitho beiseite und rief mit steinernem Gesicht:»Der gehort mir, Sir!«Seine Klinge zuckte so schnell nieder, da? Bolitho es uberhaupt nicht sah. Er sah nur, da? das Gesicht des Franzosen vom Auge bis zum Kinn aufgeschlitzt wurde und er mit ersticktem Schrei gegen die Reling taumelte. Mit einer eleganten Drehung seines Handgelenks fiel Calvert aus und traf den Franzosen mitten ins Herz.

«Amateur!«sagte er verachtlich, sturzte sich zwischen die Angreifer, suchte sich einen Offizier aus und trieb ihn fechtend gegen die Leiter zuruck.
        Keverne stolperte durch den Rauch; Blut troff ihm von der Stirn.»Sir!«Er duckte sich unter einem sausenden Entersabel durch und scho? seine Pistole in den Bauch des Mannes ab, der von der Wucht des Einschlags seinen nachdrangenden Kameraden in die Arme geschleudert wurde.»Wir mussen klarkommen!»
        Seine Stimme wirkte sehr laut, und verwirrt merkte Bolitho, da? die Geschutze schwiegen. Durch die offenen Stuckpforten beider Schiffe stie?en die Manner mit Piken aufeinander ein oder scho ssen blindwutig mit Pistolen.
        Bolitho packte Keverne beim Arm; sein Degen hing an einer Kordel vom Handgelenk. Was ist los, Mann?»

«Ich - ich bin nicht ganz sicher, aber.»
        Keverne ri? Bolitho zu sich heran und fiel mit seinem Degen nach einem brullenden Matrosen aus. Der Mann wich zuruck, und da sturzte auch schon Allday von achtern herbei - er stie? so heftig zu, da? die Spitze seines Entersabels am Bauch des Mannes herauskam.

«Der Franzose brennt, Sir«, keuchte Keverne.
        Bolitho sah, wie der Admiral ausrutschte, auf die Knie fiel, nach seinem Degen tastete und hilflos einem franzosischen Unteroffizier entgegenstarrte, der mit gefalltem Bajonett auf ihn zurannte.
        Eine schlanke Gestalt warf sich dazwischen, und Bolitho horte seine eigene Stimme: Adam! Zuruck!»
        Aber Pascoe hielt stand, er hatte nur seinen Dolch, doch sein Gesicht war wild entschlossen. Das Bajonett stach zu, aber im letzten Augenblick sprang jemand durch den Rauch, ein blutgeschwarzter Degen stie? die Bajonettklinge nach oben und von der Brust des Jungen weg. Die Muskete ging los. Pascoe taumelte zuruck und sah mit Grauen, da? Calvert ihm zu Fu?en lag - sein Gesicht war von der Kugel weggerissen. Aufschluchzend stie? er mit dem Dolch nach dem Unteroffizier, der unter dem Stich das Gleichgewicht verlor. Alldays Entersabel gab ihm den Rest.
        Bolitho ri? die Augen von der Szene los und eilte zur Bordwand. Hinter dem Gro?mast des Franzosen stieg eine steile, fedrige Rauchsaule hoch. Manner rannten durch das Luk hinunter; er horte Schrek-kensrufe, Alarm, das laute Klappern der Pumpen.
        Vielleicht war in dem Tohuwabohu eine Laterne umgefallen, oder ein glimmender Putzlappen war irgendwie unter Deck geraten. Aber die Anzeichen eines Brandes waren unverkennbar, und sie mu?ten sich unbedingt und so schnell wie moglich befreien.

«Weitergeben!«brullte er.»Untere Batterie neu laden! Feuer erst auf Befehl!»
        Er sah sich auf den zerschmetterten Planken um, sah die hingestreckten Toten, die stohnenden Verwundeten. Es war nur eine schwache Hoffnung, aber mehr hatte er nicht. Wenn sie sich nicht von der Glorieux losen konnten, wurde bald alles ein einziges flammendes Inferno sein.
        Der schrille Ruf eines Midshipman:»Fertig, Sir!«Es war Ashton.»Feuer!»
        Sekunden spater detonierte die untere Batterie in einem einzigen krachenden Donner. Es war, als wolle das Schiff auseinanderfallen; als Rauch und Trummer hoch uber die Netze flogen, sah Bolitho das andere Schiff trunken schwanken unter der Wucht dieser vollen Breitseite.
        Immer noch zogen die Segel des franzosischen Flaggschiffes und zitterten im Wind; und als es langsam abdriftete, kam sein Heck immer naher an den Bug der Euryalus heran. Jetzt stieg der Rauch schon dick aus dem Gro?luk, und Bolitho konnte ein Zittern nicht unterdrucken, als eine erste Flamme wie eine gespaltene Schlangenzunge heruberleckte.
        An Deck der Euryalus hatte jeder Kampf aufgehort; die franzosischen Enterer, die noch auf dem Schiff waren, standen mit den Handen in der Luft und starrten hinter der abtreibenden Glorieux her.

«Sie sind fertig!«sagte Broughton heiser. Doch klang weder Stolz noch Befriedigung mit. Wie alle anderen war er vollig ausgehohlt von dem wilden, blutigen Kampf.
        Tothill kam zur Reling gehinkt.»Die Zeus signalisiert, Sir. «Bolitho blickte hinab und sah, da? Tothill grinste, obwohl ihm Tranen scharfe Linien in das pulvergeschwarzte Gesicht schnitten. Gelassen fragte er:

«Nun, Mr. Tothill?»

«Zwei Feindschiffe haben Flagge gestrichen, Sir. Eins ist gesunken, die anderen stellen die Aktion ein.»
        Bolitho seufzte und sah mit stummer Erleichterung hinter dem Flaggschiff her, das jetzt schnell vor dem Wind davontrieb. Als Qualm und Rauch lichter wurden, sah er auch die anderen Schiffe, weit verstreut, geschwarzt und voller Narben. Von der Impulsive war nichts zu sehen, aber die Korvette Restless, die im Verlauf des Kampfes unbemerkt herangekommen sein mu?te, hatte Boote ausgesetzt und suchte nach Uberlebenden.
        Ein hei?er Luftzug an seiner Wange lie? ihn zusammenfahren; und als er sich umwandte, sah er Segel und Rigg der Glorieux wie Fackeln brennen. Auch aus den unteren Stuckpforten gluhte es brandrot, und ehe jemand etwas sagen konnte, zerri? eine ohrenbetaubende Explosion die Luft.
        Rauch umgab die Vernichtung und wurde zu Dampf, als die See mit triumphierendem Brausen in die zerschmetterte Hulk stromte und das Schiff in einem Chaos von Blasen und grauenvollem Gurgeln hinunterzog. Kanonen sprangen krachend aus den Laffetten; die Manner, die dort unten in volliger Finsternis gefangen sa?en und blind nach einem Ausweg suchten, verschlang das Feuer oder die See.
        Als der Rauch endlich abgezogen war, sah man nur noch einen gro?en, langsam kreisenden Wirbel, in dem Wrackteile und menschliche Korperteile sich zu einem grauenvollen Tanz vereinten. Und dann war nichts mehr.
        Broughton rausperte sich muhsam.»Der Sieg!«Er sah den Verwundeten nach, die unter Deck getragen oder geschleift wurden.»Aber er war zu teuer erkauft.»

«Wir fangen gleich mit den Reparaturen an, Sir«, sagte Bolitho mude.»Der Wind hat etwas abgeflaut…««Er hielt inne, rieb sich die Augen mit den Handknocheln und versuchte nachzudenken.»Die Valo-rous sieht schlimm aus. Ich denke, die Tanais kann sie in Schlepp nehmen.»
        In der Ferne horte er Hurrarufe: die Manner auf dem zerstorten Vorderkastell der achtern abgedrehten Zeus winkten und schrien. Die konnten immer noch jubeln, nach allem, was geschehen war! Er wandte den Kopf: da kletterten seine eigenen Manner in die Wanten, um das Hurra zu erwidern.

«Mit solchen Mannern, Sir Lucius, brauchen Sie nie mehr Angst zu haben«, sagte er leise.
        Aber Broughton hatte nicht hingehort. Er war dabei, seinen schonen Degen abzuschnallen, betrachtete ihn kurz und hielt ihn Pascoe hin.»Hier, nehmen Sie! Als ich ihn am notigsten brauchte, habe ich ihn fallengelassen. «Und brummig fuhr er fort:»Ein verdammter Mids-hipman, der mit einem Dolch gegen ein Bajonett angeht, hat mehr Recht darauf. «Er lachelte dem Jungen in das erstaunte Gesicht. Und au?erdem - ein Leutnant mu? schlie?lich anstandig aussehen - eh?»
        Pascoe nahm den Degen und drehte ihn in den Handen. Dann sah er sich nach Bolitho um, doch der stand starr aufgerichtet an der Reling und hielt sie so fest gepackt, da? seine Fingerknochel wei? waren.

«Sir?«Adam eilte zu ihm hin - vielleicht war er wieder verwundet?
        Bolitho lie? die Reling los und legte den Arm um die schmalen Schultern des Jungen. Er war verzweifelt mude, und die Wunde in seiner Schulter brannte wie gluhendes Eisen. Aber ein bi?chen mu?te er noch durchhalten. Ganz langsam sprach er:»Adam - sag du's mir. «Er schluckte muhsam. Kaum traute er sich, es auszusprechen.»In dem Boot da.»
        Adam starrte ihn an und dann auf die See hinaus. Ein Kutter pullte auf die von Schu?narben ubersate Bordwand der Euryalus zu, bis zum Dollbord mit triefenden, erschopften Mannern vollgepackt.»Ja, Onkel«, antwortete er,»ich sehe ihn auch.»
        Bolitho fa?te ihn fester um die Schulter und starrte in das Boot, das jetzt an die Bordwand stie?. Neben dem Bootsfuhrer sa? Herrick und sah zu ihm auf; er stutzte einen verwundeten Matrosen und grinste uber sein ganzes, zu Tode erschopftes Gesicht.
        Keverne kam nach achtern mit einer unausgesprochenen Frage auf den Lippen, die er aber unterdruckte, als Broughton dazwischenfuhr:»Auch wenn Sie kunftig die Auriga ubernehmen, Mr. Keverne, ware ich Ihnen doch verbunden, wenn Sie hier noch so lange Stellvertretung machen wurden, bis ein Transfer moglich ist. «Er sah Bolitho an, der sich immer noch schwer auf Pascoes Schulter stutzte.»Ich glaube namlich, mein Flaggkapitan hat furs erste genug geleistet. Fur uns alle.»
        Und da rannte Allday auch schon zur Fallreepspforte.



        Epilog

        Die Admiralitatsordonnanz fuhrte Bolitho und Herrick in einen Warteraum und schlo? die Tur, ohne ihnen einen weiteren Blick zu schenken. Bolitho trat an ein Fenster und sah auf die dichtbelebte Stra?e hinunter. Auf einmal war seine hochgespannte Erwartung verflogen. Es war sehr still im Wartezimmer, und durch das Fenster spurte er die Warme der letzten Septembersonne auf seinem Gesicht. Doch die Leute, die dort unten in solcher Hast und Eile ihren Geschaften nachgingen, waren warm eingewickelt, und die zahlreichen Pferde, die vor Kutschen und Wagen trabten, gaben mit ihren dampfenden Nustern und bunten Decken bereits einen Vorgeschmack des nahenden Winters.
        Hinter ihm lief Herrick ruhelos im Zimmer herum, und Bolitho fragte sich, ob er sich wohl auch, entweder resigniert oder angstlich gespannt, auf die kommenden Unterredung vorbereitete.
        Wie dieses London an den Nerven ri?! Kein Wunder, da? die Ordonnanz Herrick und ihn mit solcher Gleichgultigkeit behandelt hatte, denn die Eingangshalle und die Flure waren voller Marineoffiziere, und nur wenige davon unter Kapitansrang. Alle hatten nur ihre Vorladung oder ihr Schiff im Kopf oder wollten sich vielleicht auch blo? einmal hier im Zentrum von Britanniens Seemacht sehen lassen und so tun, als hatten sie sehr viel Arbeit.
        Fast drei Monate waren vergangen, seit das franzosische Flaggschiff in jener furchtbaren Explosion auseinandergeborsten war, und zunachst hatte Bolitho mehr als reichlich damit zu tun gehabt, das angeschlagene Geschwader ohne weitere Verluste nach Gibraltar zu bringen. Dort sollte es auf neue Befehle warten.
        Die zahlreichen Verwundeten waren entweder gestorben oder irgendwie durchgekommen; die Mannschaften hatten sich rastlos bemuht, die Havarien auszubessern, soweit das bei den beschrankten Mitteln, die Gibraltar zu bieten hatte, moglich war. Und Bolitho hatte auf irgendeine Anerkennung fur ihre Muhen gewartet.
        Endlich war eine Brigg mit Depeschen fur Broughton eingelaufen: Die Schiffe, die seetuchtig waren, mu?ten unverzuglich Segel setzen, und zwar sollten sie nicht vor Cadiz zu Lord St. Vincent sto?en, sondern nach England zuruckkehren. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht und geleistet hatten, kam es Bolitho hart an, das kleine Geschwader auseinanderzurei?en.
        Aber die Valorous war fast nicht mehr reparaturfahig und mu?te mit der Tanais, die in nicht viel besserem Zustand war, in Gibraltar bleiben. Die ubrigen waren mit zwei franzosischen Prisen, den beiden Vierundsiebzigern, in See gegangen und hatten ohne weitere Zwischenfalle in Portsmouth Anker geworfen. Dort gingen die notwendigen Routinearbeiten weiter: Reparaturen und Neuverteilungen. Aber das hie?, von manchen vertrauten Gesichtern Abschied zu nehmen. Keverne, verdienterma?en zum Commander befordert, hatte die Auriga bekommen. Captain Rattray war an Land ins Hospital geschafft worden, wo er, halb blind und mit nur einem Bein, vermutlich seine Tage beschlie?en wurde. Fourneaux war im Kampf gefallen. Gillmor hatte Seperatorder erhalten, mit seiner Coquette zur Kanalflotte zu sto?en, die immer knapp an Fregatten war.
        Wahrend im Hafen von Portsmouth ein Tag nach dem anderen verging, hatte Bolitho Zeit gefunden, sich zu uberlegen, was die Admiralitat von Broughtons Bericht denken wurde. Das alles war ja schon sehr lange her, und so schienen die Kampfe um Djafou und das, was man dort vorgefunden hatte, schien die letzte verzweifelte Schlacht gegen einen doppelt so starken Feind zu verblassen und an Realitat zu verlieren. Broughton fuhlte offenbar ahnliches, denn die meiste Zeit verbrachte er in der Abgeschlossenheit seiner Kajute oder ging allein auf der Kampanje auf und ab, wobei er jeden au?erdienstlichen Kontakt vermied.
        Und dann, vor zwei Tagen, war die Vorladung gekommen. Brough-ton und sein Flaggkapitan sollten sich unverzuglich auf der Admiralitat melden. Unerwarteterweise war mit ihnen zusammen auch Herrick vorgeladen worden. Er hatte Bolitho schon im Vertrauen gesagt, er wurde sich wohl zu dem Verlust der Impulsive des naheren au?ern mussen; doch Bolitho glaubte das nicht. Er hielt es fur wahrscheinlicher, da? Herrick als der einzige Kommandant, der nicht von Anfang an an den Aktionen des Geschwaders beteiligt gewesen war, als unparteiischer Zeuge seine Aussage machen sollte. Dabei war nur zu hoffen, da? er nicht etwa aus blinder Loyalitat seine eigene Stellung gefahrdete.
        Doch was auch geschah, Adam hatte jedenfalls den ersten Schritt auf der Erfolgsleiter getan. Er hatte sein Leutnantspatent mit einer Leichtigkeit erhalten, die ihn offenbar selbst uberraschte, und befand sich jetzt an Bord der Euryalus, wo er sich vermutlich uber die Zukunft seines Onkels Gedanken machte.
        Eine Tur ging auf, und Broughton schritt durchs Zimmer auf den Korridor. Bolitho hatte ihn seit Verlassen des Schiffes nicht mehr gesehen, und so fragte er rasch: Ich hoffe, es ist alles gutgegangen, Sir Lucius?»
        Broughton schien seine Anwesenheit erst jetzt gewahr zu werden und musterte ihn abweisend.»Ich habe einen Posten in New South Wales bekommen: Aufbau und Verwaltung unserer australischen Flotte.»
        Bolitho suchte seine Besturzung zu verbergen.»Das ist aber eine gro?e Aufgabe, Sir.»
        Fluchtig sah der Admiral zu Herrick hinuber.»Kaltgestellt. «Er wandte sich um.»Ich hoffe, Ihnen wird's besser gehen. «Und mit einem kurzen Nicken ging er hinaus.
        Herrick explodierte.»Bei Gott, ich wei? ja nicht sehr viel von Broughton, aber das ist verdammt grausam! Er wird da drau?en ver faulen, und hier in London werden ein paar gepuderte Lackaffen fett, dank der Anstrengungen solcher Manner!»
        Bolitho lachelt melancholisch.»Sachte, Thomas. Ich denke, Sir Lucius hat so etwas erwartet.»
        Mit plotzlicher Bitterkeit dachte er an den Radelsfuhrer der Auriga-Meuterei, diesen Tom Gates. Er sah ihn noch vor Augen, wie er da in dem kleinen Wirtshaus an der Veryan Bay ihm gegenuber am Tisch sa?, und dann wieder in der Kajute mit Captain Brice. Fast das erste, was ihm in Portsmouth Point vor Augen kam, war der verwitterte Leichnam eben jenes Tom Gates gewesen, der als grauenhafte Mahnung an den Preis der Revolte dort am Galgen baumelte. Wie seltsam das Schicksal spielt: der Zweite Offizier der Auriga war von den Franzosen gegen einen in England gefangenen franzosischen Offizier ausgetauscht worden. Er hatte eine Stelle auf einer anderen Fregatte bekommen und dort Tom Gates entdeckt, der sich unter falschem Namen verbarg. Alle seine ehrgeizigen Hoffnungen begrabend, hatte sich Tom Gates unter einfachen Matrosen verbergen mussen und war doch am Strick geendet, wie so viele nach der Meuterei.
        Wieder ging die Tur auf, und ein Leutnant sagte:»Sir George la?t bitten. «Und als Herrick zurucktreten wollte:»Sie ebenfalls, bitte.»
        Es war ein elegantes Zimmer, mit vielen Bildern und einer gro?en Buste Raleighs[Sir Walter Raleigh, 1618 hingerichtet; Seefahrer, Gunstling der Konigin Elisabeth I, Grunder der englischen Kolonie Virginia in Nordamerika] auf dem Kaminsims, unter dem ein lebhaftes Holzfeuer prasselte.
        Admiral Sir George Beauchamp blieb an seinem Schreibtisch sitzen, deutete aber kurz auf zwei Stuhle. Verstohlen musterte Bolitho diesen Mann, der da in Papieren blatterte. Das also war Beauchamp, seit Kriegsbeginn Reorganisator der britischen Flotte. Ein Mann, der wegen seiner Weisheit und seines Humors bekannt war. Und wegen seiner Strenge. Er war dunn und hielt sich ziemlich gebuckt, als druk-ke ihn sein goldbetre?ter Rock zu Boden.

«Ah, Bolitho. «Mit kalten, unbewegten Augen blickte er hoch.»Ich habe Ihre Berichte aufmerksam gelesen. Interessante Lekture. »
        Bolitho horte Herrick neben sich schwer atmen. Was wurde Beau-champ jetzt weiter zu sagen haben?

«Ich kannte Sir Charles Thelwall, Ihren vorigen Admiral. «Wieder der gelassen musternde Blick.»Ein feiner Mann. «Er wandte sich wieder den Papieren zu. Immer noch kein Wort uber Broughton. Bo-
        litho wurde beinahe nervos.

«Glauben Sie immer noch«, fragte der Admiral,»da? das, was Sie getan und herausgefunden haben, der Muhe wert war?»
        Ruhig erwiderte Bolitho:»Jawohl, Sir. «Die Frage war ganz beilaufig gekommen, und doch fand Bolitho, da? sie das ganze Geschehen zusammenfa?te.»Die Franzosen werden es weiter versuchen. Und sie mussen aufgehalten werden.»

«Ihre Aktion in Djafou, und wie Sie mit einer Situation fertig geworden sind, die Sie fur hoffnungslos halten mu?ten - das war gut. Auch Sir Lucius hat das in seinem Bericht gesagt. «Er zog die Brauen zusammen.»Hatte auch allen Grund dazu.»

«Danke, Sir.»
        Der Admiral ging nicht darauf ein.»Neue Taktiken, neue Ideen, neue Gesichtspunkte, all das ist wichtig, wenn wir diesen Krieg uberleben wollen, vom Siegen gar nicht zu reden. Sie haben dieses Verstandnis. Wohingegen…«Er hob die Schultern und lie? den Rest ungesagt, aber in Bolithos Hirn stieg das Wort wieder hoch: kaltgestellt.
        Beauchamp warf einen Blick auf die vergoldete Schreibtischuhr.»Sie werden ein paar Tage in London bleiben, bis ich Ihre neuen Befehle fertig habe, verstanden?»
        Bolitho nickte.»Jawohl, Sir.»
        Der Admiral trat zum Fenster und betrachtete die voruberfahrenden Kutschen und die Fu?ganger mit offensichtlicher Geringschatzung.»Captain Herrick geht sofort nach Portsmouth zuruck.»

«Darf ich wissen warum, Sir?«fragte Herrick gepre?t.
        Mit dunnem Lacheln sah Beauchamp ihm ins Gesicht.» Commodore Bolitho wird seinen Wimpel auf der Euryalus hissen, sobald er wieder in Portsmouth ist. «Unbewegt sah er in Herricks uberraschtes Gesicht.»Ich wei? jetzt schon, da? er Sie als Flaggkapitan anfordern wird, und da dachte ich, wir sollten einmal etwas weniger Zeit verschwenden, als es unter diesem Dach sons t ublich ist!»
        Mit ausgestreckter Hand trat er auf sie zu. Da Bolitho seinen Arm unter dem Rock in der Schlinge trug, bot er ihm die Linke.»Ich gebe Ihnen ein Geschwader, Bolitho. Blo? ein kleines, aber genug, um Ihre
        Ideen erfolgreich in die Tat umzusetzen. «Ein fester Handedruck.»Viel Gluck! Ich hoffe, ich habe keinen Fehler gemacht!»
        Bolitho schlug die Augen nieder.»Danke, Sir. «Das Zimmer schien sich um ihn zu drehen.»Auch dafur, da? Sie mir Captain Herrick gegeben haben.»
        Der Admiral setzte sich wieder an den Schreibtisch.»Ach, Unsinn!«Aber als sie aus dem Zimmer gingen, sah er ihnen mit stiller Freude nach.
        Drau?en auf der Stra?e, zwischen den hastenden Menschen und den wirbelnden Blattern, sagte Bolitho:»Das kommt mir vor wie ein Traum, Thomas.»
        Herrick grinste ubers ganze Gesicht und schuttelte den Kopf.»Ich kann es gar nicht erwarten, das Gesicht Ihres Neffen zu sehen. Ein Kommodorestander! Gottverdammt, ich dachte schon, die wurden Ihnen nie zuteil werden lassen, was Sie verdienen!»
        Bolitho lachelte, von zwei Gefuhlen hin und her gerissen. Brough-ton hatte ihm gesagt, wie es war, wenn man Flaggrang bekam. Man wurde ein hoheres Wesen, unerreichbar, jenseits aller personlichen Beziehungen. Es war eine Herausforderung, etwas, das er im Grunde immer gewollt hatte. Und doch, wenn die Wache herauskam, zum Segelsetzen oder Ankerlichten, wie wurde ihm da zumute sein? Ein anderer wurde das Schiff kommandieren; er war dann nur Zuschauer.
        Er sagte:»Sie gehen am besten in den Gasthof zuruck, Thomas. Wenn Sie die Eilpost nach Portsmouth erwischen, konnen Sie morgen abend an Bord sein.»

«Ich werde Allday sagen, da? er alles fur Sie zurechtmacht, Sir.»

«Ja. «Er legte ihm die Hand auf den Arm.»Wir sind einen langen Weg miteinander gegangen, Thomas. Und ich konnte mir keinen besseren Weggefahrten, keinen besseren Freund wunschen.»
        Er blickte Herricks untersetzter Gestalt nach, bis diese in einer Querstra?e verschwunden war, und wandte sich dann wieder der schaftigen Stra?enszene zu.
        Er wollte den Fahrdamm kreuzen, blieb aber stehen, um ein schones Paar Grauschimmel vor einer eleganten, smaragdgrunen Equipage vorbeizulassen. Doch der Kutscher parierte sie durch und trat dann mit dem blitzblanken Stiefel hart auf die Bremse.
        Bolitho blieb unschlussig stehen. Von den Geschehnissen dieses
        Vormittags und von dem hektischen Betrieb dieser gro?en Stadt schwirrte ihm immer noch der Kopf.
        Das Fenster der Kutsche offnete sich, und eine Frauenstimme sagte:»Ich horte, da? Sie auf der Admiralitat waren, Captain.»
        Er blickte die elegante Dame an, die verschworerisch auf ihn herablachelte: Catherine Pareja.

«Kate!«stammelte er. Ein anderes Wort fand er nicht.
        Sie klopfte ans Kutschendach.»Robert! Helfen Sie dem Captain beim Einsteigen!«Und als Bolitho neben ihr in die Polster sank, flusterte sie:»Wir werden zusammen dinieren. «Ihre Mundwinkel hoben sich zu dem Lacheln, das er so gut kannte.»Und dann. «Ihr leises Lachen ging im Rollen der Rader unter, als die Kutsche sich flink in den Strom der Wagen einordnete.
        Von seinem hohen Fenster sah Admiral Beauchamp hinter ihnen her und nickte nachdenklich. Er hatte einen guten Griff getan, soviel war klar. Ganz entschieden war Bolitho ein Mann, auf den die Flotte stolz sein konnte.


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Steuermann, auch Segelmeister genannt, der Navigationsoffizier.

2


1 Faden = 1,829 m (Langenma? fur die Wassertiefe)

3

        der Kommandant des Schiffes, das den Admiral an Bord hat (= Flaggschiff). Steht zu den anderen Kommandanten des Geschwaders in einem gewissen Vorgesetztenverhaltnis und ist Stellvertreter des Admirals.

4

        eine Adelsgesellschaft, die ihren Namen von dem Bade hat, das ein Teil des Aufnahmezeremoniells ist.

5

        Siehe >Feind in Sicht<

6


= 68.60 m (1 Fu? = 30,48 cm).

7

        bezieht sich auf das Gewicht des Geschosses.

8


>Pressen< nannte man die gewaltsame Rekrutierung zum Dienst auf Kriegsschiffen.

9

        The Nore ist eine Schiffsreede in der Themse-Mundung vor Sheerness. Von diesem Liegeplatz hat die dort stationierte Flotte ihre Bezeichnung.

10

        Bezeichnung fur einen querulierenden (>sein Recht suchendem<) Matrosen - was manchmal als Vorstufe zur Meuterei angesehen wurde.

11


>neunschwanzige Katze< = die Peitsche

12


= frogeaters (Froschfresser), Spitzname fur die Franzosen, ahnlich wie spater krauts fur die Deutschen.

13

        Spottname fur Marine-Infanteristen

14

        Holzrahmen, an den der Delinquent bei der Auspeitschung gebunden wurde

15

        l Kabellange = 0,1 Seemeile = 185,3 m

16

        die Wachen von 16 bis 18 und von 18 bis 20 Uhr.

17

        leichte Reisekutsche; ein ursprunglich in Berlin entwickelter Wagentyp.

18

        Sieg der Englander unter Admiral Jervis am 14. 2. 1797 uber die Spanier bei Kap St. Vincent, Spanien

19

        Kommandant eines kleinen Geschwaders, nicht im Admiralsrang.

20

        siehe >Nahkampf der Giganten<

21

        Adjutant.

22

        Spitzname fur Spanier

23


= Vernichtung

24

        Kurzform von Richard

25

        runder Turkensabel

26

        Befehlshaber eines kleineren Geschwaders, nicht im Admiralsrang

27

        Zwischendeck, unter der Wasserlinie gelegen.

28

        das halbamtliche Marine-Journal

29

        rechtsdrehte, also in diesem Falle nach Norden

30

        Das Schiff hat die Kuste in Lee und kann sich nicht freisegeln.

31

        Log: Gerat zur Bestimmung der Schiffsgeschwindigkeit Knoten: Seemeilen (1852 m) pro Stunde

32

        Sir Walter Raleigh, 1618 hingerichtet; Seefahrer, Gunstling der Konigin Elisabeth I, Grunder der englischen Kolonie Virginia in Nordamerika


 
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