Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Der Brander Admiral Bolitho Im Kampf Um Die Karibik " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Der Brander: Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #17
1802 - Boston und Karibik. Der Friede von Amiens hat die beiden Erbfeinde England und Frankreich keineswegs versohnt. Vizeadmiral Richard Bolitho, unterwegs in diplomatischer Mission, mu? erleben, da? er mit seinem leichten Linienschiff
«Achates» mitten in einen unerklarten Krieg segelt. Politische Winkelzuge, Piraterie, Rebellion und schlie?lich Brandstiftung machen aus Bolithos Einsatz einen Kampf gegen alle.

        Alexander Kent
        Der Brander
        Admiral Bolitho im Kampf um die Karibik

        Fur Winifred in Liebe, bis wir uns wiedersehen

        I Die Flagge im Fockmast

        Richard Bolitho stand am offenen Fenster und starrte hinaus in den Hof, hinter dessen Mauer das Meer blinkte.
        Es hatte ein wunderschoner Maientag sein konnen; in diesem Licht wirkte selbst der gedrungene Umri? von Pendennis Castle, der alten Burg, die den Schiffahrtsweg nach Falmouth und den Zugang zur Reede von Carrick beherrschte, weniger bedrohlich. England geno? den Frieden - nach neun Jahren Krieg mit Frankreich und seinen Verbundeten. Trotzdem, so schnell konnte man sich nicht umgewohnen. In Falmouth mu?ten die jungen Manner nicht mehr nach ihren Waffen greifen, wenn ein fremdes Segel vor der Kuste auftauchte und damit ein Uberfall des Feindes drohte; sie liefen auch nicht mehr erschrocken davon, wenn sich der Ankommling als britisches Kriegsschiff entpuppte. Letzteres hatte bedeutet, da? bald die verha?ten Pre?patrouillen die Hauser durchsuchen wurden, um Manner unter Zwang fur den Dienst auf See anzuwerben, vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Kaum zu glauben, da? dies alles jetzt der Vergangenheit angehorte.
        Bolitho sah die Kutsche im Schatten neben der Remise warten. Nun war es bald soweit. Gleich mu?ten die Pferde herausgefuhrt und vorgespannt werden. Jetzt hie? es nicht mehr: nachste Woche - oder wenigstens morgen. Der Augenblick war gekommen.
        Er wandte sich vom Fenster ab und wartete, bis seine von der Sonne geblendeten Augen sich an das schattige Zimmer gewohnt hatten. Das gro?e graue Steinhaus, das seine Familie seit Generationen bewohnte, war so still, als hielte es den Atem an, um das Unausweichliche noch etwas hinauszuschieben.
        Sieben Monate waren nun vergangen, seit Bolitho heimgekehrt war nach der Schlacht, die alle feindlichen Invasionsplane durchkreuzt und die franzosische Position bei den Friedensverhandlungen so geschwacht hatte. Sieben Monate, seit er Belinda geheiratet hatte und zu einem glucklichen Mann geworden war.
        Er schritt zum Fu? der breiten Innentreppe und blickte zu den Portrats seiner Vorfahren auf, die da im Halbdunkel hingen. Auch sie mu?ten solche Augenblicke gekannt haben, dachte er. Mu?ten sich gefragt haben, wann und ob sie dieses Haus je wieder betreten wurden. Sein Ururgro?vater, Kapitan Daniel Bolitho, stand auf dem Bild an Deck seines brennenden Schiffes; er war im Krieg der protestantischen Allianz gegen Spanien gefallen. Sein Gesicht trug deutlich die Familienzuge der Bolithos, ebenso das von Bolithos Vater und seines Bruders Hugh; alle waren sie tot.
        Und nun mu?te auch er wieder hinaus auf See. Die letzten Monate waren wie im Flug vergangen. Als man ihn zur Admiralitat nach London beordert hatte, ahnte er nicht, was ihn erwartete. Seit dem Friedensschlu? von Amiens[27.3.1802] schien es ihm, als ob alle teuer erkauften Erfahrungen beiseitegeschoben wurden. Der Gro?teil der Flotte war au?er Dienst gestellt, Tausende von Offizieren und Mannschaften waren entlassen worden und fristeten ihren Lebensunterhalt, so gut sie konnten.
        Fur Flaggoffiziere niedrigeren Dienstgrades waren die Posten selten geworden und wurden von den Lords der Admiralitat je nach Gunst verteilt. So hatte es Bolitho erstaunt, als er den Befehl erhielt, ohne Verzug zunachst nach Amerika und dann in die Karibik zu segeln. Zumal ihm nicht ein neues Geschwader, sondern ein kleiner Zweidek-ker unterstellt wurde, dazu lediglich eine Fregatte als Geleit und Kurier.
        Sein Empfang durch Admiral Sir Hayward Sheaffe, den Nachfolger des alten Admirals Beauchamp, war hoflich, aber formell gewesen. Sir Hayward schien Bolitho ganz die neue Zeit zu verkorpern. Der von schwerer Krankheit gezeichnete Beauchamp war an seinem Schreibtisch gestorben, ohne je zu erfahren, da? sein letzter Schlachtplan zur Vernichtung der franzosischen Invasionsflotte von Bolitho siegreich ausgefuhrt worden war. Sheaffe dagegen war ein kuhler Kopf, ein pragmatischer, perfekter Verwaltungsmensch. Bolitho konnte sich kaum vorstellen, da? sich dieser Mann von einem kleinen Seekadetten zu seinem jetzigen hohen Rang hinaufgedient hatte.
        In der Stille des Hauses horte Bolitho wieder Sheaffes Worte, als seien sie eben erst gefallen.

«Ich wei?, da? Ihnen diese Entscheidung ungebuhrlich hart erscheinen mu?, Bolitho. Nach Ihrer Flucht aus franzosischer Gefangenschaft und Ihrem anschlie?enden Sieg uber Admiral Remond haben Sie wahrscheinlich - mit Recht, wurden viele sagen - eine gesicherte Bestallung erwartet. Jedoch…«, er dehnte das letzte Wort bedeutungsvoll,»ein Krieg endet nicht mit dem letzten Schu?. Ihre Lordschaften benotigen fur diese Aufgabe einen Mann, der ebenso taktvoll wie tapfer handeln kann. Au?erdem hat sie auch ihre guten Seiten: Sie werden hiermit zum Vizeadmiral befordert. «Sein Blick forschte in Bolithos Gesicht nach einer Reaktion.»Damit sind Sie dem Dienstalter nach der jungste Vizeadmiral in der Navy. «Trocken fugte er hinzu:»Abgesehen naturlich von Nelson, dem Liebling der Nation.»
        So war das also, dachte Bolitho. Sheaffe war eifersuchtig auf jene Manner, die sich die Bewunderung von Freund und Feind errungen hatten. Trotz seines Rangs und seiner Befugnisse beneidete er sie immer noch.
        Vielleicht hatte ihm Bolitho deshalb verschwiegen, da? der wirkliche Grund fur sein Zogern die Sorge um Belinda gewesen war, die in wenigen Wochen ihr erstes Kind erwartete. Sheaffe mu?te es ohnedies wissen, denn sogar in Londoner Zeitungen waren Artikel erschienen uber ihre Hochzeit im Oktober 1801, bei der Bolithos Kameraden die kleine Kirche in Falmouth bis zum Bersten gefullt hatten. Aber vielleicht war Sheaffe auch darauf neidisch?
        So hatte Bolitho geschwiegen. Wenn Sheaffe von ihm erwartete, da? er ihn beschwor, um einen Aufschub bat, dann hatte er den Mann vor sich noch immer nicht begriffen.
        Bolitho horte ihre Schritte auf dem gefliesten Boden drau?en und straffte die Schultern.
        Sie stand im Gegenlicht, das Gesicht uberschattet, aber trotzdem war ihre Schonheit nicht zu ubersehen. Niemals wurde er sich sattsehen konnen an ihr, nie die Sehnsucht nach ihr verlieren. Sonnenschein setzte rotliche Lichter in ihr kastanienbraunes Haar und streichelte den schlanken, gebogenen Nacken.

«Es wird Zeit«, sagte Belinda.
        Ihre Stimme war leise und beherrscht, aber Bolitho wu?te, wie schwer ihr dieser Ton fiel.
        Fast wie Hohn wirkten dagegen das muntere Pferdegetrappel drau?en auf den Pflastersteinen, die sorglosen Stimmen der Reitknechte. Belinda trat zu ihm und legte ihm beide Hande auf die Schultern.»Ich bin so stolz auf dich, Liebster«, sagte sie.»Mein Mann, der Vizeadmiral. «Ihre Lippen zitterten, ein feuchter Glanz in ihren Augen strafte ihre Worte Lugen.
        Er druckte ihren einst schlanken Korper sanft an sich und spurte das Kind, als sei es schon bei ihnen.

«Gib gut auf dich acht, wenn ich weg bin, Belinda.»
        Sie lehnte sich in seinen Armen zuruck und sah ihm so eindringlich ins Gesicht, als wolle sie sich jeden Zug einpragen.

«Du bist es, der achtgeben mu?. Fur mich ist hier gut gesorgt. Alle sind freundlich zu mir, bieten mir Beistand und Hilfe an. Dabei brauche ich nur dich.
«Sie schuttelte den Kopf, als er zum Sprechen ansetzte.»Keine Sorge, ich werde nicht schwach. Obwohl du mich verlassen mu?t, bin ich glucklich, verstehst du? Jeder Tag der letzten Monate war fur mich wie unser erster. Wenn du mich umarmst, spure ich das wie beim ersten Mal. Ich liebe dich uber alles, aber ich ware eine Narrin, wenn ich mich zwischen dich und die Welt stellen wollte, in der du lebst. Ich kenne doch den Blick, mit dem du die Schiffe beobachtest, wenn sie in die Reede von Carrick einlaufen, dein Gesicht, wenn Thomas oder Allday ein Erlebnis erwahnen, das ich niemals mit dir teilen kann. Bei deiner Heimkehr werde ich dich erwarten, aber bis dahin werden wir uns immer nahe sein.»
        Es klopfte, und Allday trat durch die Tur; seine sonst so leutselige Miene war ernst und unsicher.

«Alles bereit, Sir.»
        Knorrig wie Eichenholz, verkorperte Allday fur Bolitho viel von jener anderen Welt, die Belinda erwahnt hatte. In seinem besten blauen Rock und den Nanking-Breeches war er das Urbild eines Seemanns, jeder Zoll Bootsfuhrer eines Vizeadmirals. Er diente Bolitho, seit dieser ein junger Kapitan gewesen war. Gemeinsam hatten sie Schones und Schreckliches erlebt, hatten zu gleichen Teilen Leid und Triumph erfahren.
        Als Allday von Bolithos unerwartet fruher Beforderung gehort hatte, war sein Kommentar nur gewesen:»Gibt man Ihnen endlich die Flagge im Fockmast, Sir? Wird auch Zeit.»

«Danke, Allday.»
        Der Bootsfuhrer hielt Bolitho den neuen Uniformrock zum Hineinschlupfen hin. Da war er, der einst unerreichbare Wunschtraum des kleinen geplagten Leutnants auf Wache, ja selbst noch des jungen Kommandanten auf seinem ersten Schiff.
        Belinda beobachtete ihn, um Haltung bemuht und mit verschrankten Fingern, als hielte sie dahinter ihre Gedanken und Gefuhle in Zaum.

«Du siehst stattlich aus, Richard.»

«Sehr stattlich, Madam. «Allday klopfte die Rockaufschlage glatt und vergewisserte sich, da? beide Epauletten mit den silbernen Zwillingssternen richtig sa?en. Wenn sie erst auf See waren, wurde sich das andern, dachte er. Aber hier gehorte er zur Familie dieses Hauses, in dem er eine neue Heimat gefunden hatte. Jedenfalls fast zur Familie.
        Leise sagte Belinda:»Ich konnte dich bis Hampshire begleiten, Richard.»
        Bolitho zog sie an sich.»Nein. Die Fahrt zum Beaulieuflu? wurde dich uberanstrengen. Und denk' an den Ruckweg. Ich wurde krank vor Sorge.»
        Sie widersprach ihm nicht. Obwohl keiner es erwahnte, dachten beide an die verungluckte Kutsche, in der schon einmal Bolithos Gluck ein Ende gefunden hatte, an den Unfall seiner ersten Frau, dessen Schrecken erst durch ihr neues gemeinsames Leben getilgt worden war.
        Bolitho war dankbar dafur, da? der Weg zu seinem neuen Schiff zu weit war, als da? sie ihn begleiten und das Leben ihres ersten Kindes aufs Spiel setzen konnte. Es war schon schlimm genug, da? er sie jetzt verlassen mu?te, obwohl sie ihn so dringend gebraucht hatte. Zwar blieb sein verla?licher alter Steward Ferguson bei ihr im Haus zuruck, auch der Arzt wohnte ganz in der Nahe. Bolithos Schwester Nancy hielt sich ofter bei ihnen auf als in der palastahnlichen Residenz ihres Mannes, des Richters, der weit und breit nur der >Konig von Corn-wall< genannt wurde. Und nachste Woche wurde Dulcie erwartet, Herricks Frau, die den weiten Weg von Kent auf sich nahm, um Belinda bei der Geburt beizustehen.
        Herrick, den seine Beforderung zum Konteradmiral fast in Verlegenheit gebracht hatte, war ein kleines Geschwader unterstellt worden. Er befand sich schon unterwegs nach Gibraltar, wo ihn neue Befehle erreichen wurden.
        Diesmal erwarteten Bolitho an Bord kaum vertraute Gesichter. Vielleicht war das auch besser so, uberlegte er: nichts, was ihn an die Vergangenheit erinnern konnte, an fruhere Erfolge und Skrupel.
        Belinda sagte in seine Gedanken hinein:»Sei vorsichtig um meinetwillen, Richard. Es fallt mir furchtbar schwer, dich ziehen zu lassen, aber ich wei? ja, da? es nicht anders geht.»
        Bolitho hielt sie an sich gepre?t. Warum fand man die rechten Worte immer erst dann, wenn es zu spat war?
        Seit er mit seinem Geheimauftrag von der Admiralitat zuruckgekehrt war, hatte sie es irgendwie geschafft, ihre Enttauschung, ihren Kummer zu verbergen. Nur einmal, nachts, hatte sie aufgestohnt.»Warum gerade du? Mu?t du denn wirklich fort?«Und dann war sie wieder in einen unruhigen Schlaf gefallen, als wu?te sie, da? es auf ihre Frage keine Antwort gab.
        Drau?en erklang Alldays Stimme, der das Verladen der letzten Gepackstucke beaufsichtigte. Armer Allday, dachte Bolitho. So bald nach den Strapazen der franzosischen Gefangenschaft mu?te er nun wieder hinaus. Aber er war stets da, wenn er gebraucht wurde, ein Freund und guter Zuhorer, dem Bolitho sich anvertrauen konnte, falls er einen Gesprachspartner suchte, der au?erhalb der Hierarchie stand und offen seine Meinung sagen konnte.
        Alldays Loyalitat hatte Bolitho schon manches Mal beschamt. Sein Lebensinhalt bestand darin, ihm zu dienen, er besa? weder eine Frau, die auf ihn wartete, noch ein Zuhause. Irgendwie kam es ihm unfair vor, da? er Allday schon wieder mit hinaus schleppte, obwohl er sich ein geruhsames Leben an Land wahrhaftig verdient hatte. Doch Bo-litho wu?te, da? ihn der Vorschlag, diesmal zu Hause zu bleiben, verletzt und aufgebracht hatte.
        Aber jetzt mu?te er endlich aufbrechen.
        Gemeinsam schritten sie zum Portal, entschlossen, den Augenblick, den sie furchteten, gefa?t zu bestehen.
        Grelles Sonnenlicht uberfiel sie, und Bolitho mu?te sich zwingen, zu der verha?ten Kutsche hinuberzusehen. Von allen anderen Bewohnern des Hauses hatte er sich schon verabschiedet, auch von seiner Schwester und dem einarmigen Ferguson.
        Er sagte:»Ich sende dir eine Nachricht mit dem ersten Kurierschiff, das uns begegnet. Wenn ich in Amerika eingetroffen bin, wird man mir wahrscheinlich die umgehende Ruckkehr befehlen.»
        Er spurte, wie sich ihr Arm unwillkurlich verkrampfte, und zurnte sich selbst, da? er ihr falsche Hoffnungen machte.
        Admiral Sheaffe hatte Bolithos Zweifel an der Bedeutung seiner Mission nicht ausraumen konnen. Er sollte Boston anlaufen,»neutralen Boden«, wie er es nannte, und dort mit franzosischen und amerikanischen Beamten die formelle Ubergabe einer Insel vollziehen, wie es im Frieden von Amiens vorgesehen war.
        Bolitho hielt das alles fur einen gro?en Fehler. Hier wurde dem Erzfeind Englands eine Insel uberlassen, deren Eroberung das Leben so vieler Landsleute gekostet hatte. Deshalb hatte er sich einen Protest dem Admiral gegenuber nicht versagen konnen.

«Wir haben einen Friedensvertrag unterzeichnet, Sir Hayward, keine Kapitulation!»
        Aber in dem kuhlen Amtszimmer hatte die Bemerkung seltsam kindisch geklungen. Sheaffe antwortete denn auch ungeruhrt:»Richtig. Und wir wunschen nicht, da? Sie einen neuen Krieg auslosen, Sir!»
        Als wollten sie den Abschied beschleunigen, scharrten die Pferde ungeduldig auf dem Kopfsteinpflaster.
        Bolitho ku?te Belinda lange und schmeckte Salz auf ihren Lippen.

«Ich komme wieder, Belinda.»
        Sanft loste er sich von ihr und schritt die ausgetretenen Stufen zur wartenden Kutsche hinunter. Allday stand hinten bei dem Burschen, aber Bolitho winkte ihn herbei.

«Setz dich zu mir, Allday.»
        Dann wandte er sich ein letztes Mal nach Belinda um. Vor der grauen Wand des Hauses wirkte sie seltsam verwundbar, und er hatte sie gern trostend umfa?t.
        Mit einem Ruck wandte er sich ab. Im nachsten Augenblick sa? er in der Kutsche, und die Rader ratterten uber das Pflaster und durchs Tor hinaus.
        Es war vorbei.
        Allday pre?te die Hande zusammen und lie? Bolithos dusteres Gesicht nicht aus den Augen. Die sieben Monate an Land waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Naturlich hatte er sich gehutet, Bolitho das merken zu lassen. Seit Allday sich hier in Cornwall als Schafhirte durchgeschlagen hatte, war er noch nie so lange an Land gewesen. Damals hatte die Pre?patrouille eines vor der Kuste ankernden Kriegsschiffes mehrere Manner der Umgebung zwangsrekrutiert. Allday war unter ihnen gewesen, auch Ferguson. In der Schlacht bei den Saintes hatte der Pechvogel dann seinen Arm verloren, war aber wie Allday in Bolithos Diensten geblieben.
        Die warme Fruhlingsluft und der schwere Duft der Wiesen machten Allday schlafrig; er wu?te, da? Bolitho zwar nicht allein sein wollte, aber ebensowenig in gesprachiger Stimmung war. Zum Schwatzen blieb noch genug Zeit auf ihrer langen Reise nach Hampshire zum Flu? Beaulieu, wo ihr neues Schiff wartete. Au?erdem lagen einsame Wochen und Monate vor ihnen, in denen sie auf Gesprachsstoff angewiesen waren.
        Das neue Schiff - wie mochte es sein? Allday war selbst erstaunt uber seine Neugier. Sein Posten als Bootsfuhrer des Vizeadmirals machte ihn zwar unangreifbar, aber er war doch zu sehr Seemann, um nicht auf das neue Schiff gespannt zu sein.
        Kein Linienschiff ersten Ranges, mit hundert oder mehr Kanonen, nicht mal eines mit 74 Kanonen wie die Benbow, Bolithos letztes Flaggschiff; nein, eines der kleinsten Linienschiffe, die noch im Dienst standen.
        Seiner Britannischen Majestat Schiff Achates verfugte nur uber 64 Kanonen und gehorte zu einer aussterbenden Klasse. Es war eher eine zu gro? geratene Fregatte als eines jener schweren Linienschiffe, die auch den morderischen Breitseiten des Nahkampfes widerstehen konnten.
        Mit ihren 21 Jahren war sie ein Veteran und hatte alle moglichen Schlachten und Gefechte erlebt. Meist war sie in der Karibik stationiert gewesen und unzahlige Male von ihrem Heimathafen auf Antigua zum sudamerikanischen Festland und zuruck gesegelt.
        Etwas unbehaglich fragte sich Allday, warum gerade sie zu Bolithos Flaggschiff bestimmt worden war. Wahrscheinlich blo? wieder so eine Hirnverbranntheit von oben, sagte ihm sein gradliniger Verstand. Fur seine Verdienste und Leiden um England hatte Bolitho langst der Adelstitel gebuhrt, war Alldays Meinung. Aber an hoherer Stelle schienen nur zu oft Ha? und Mi?gunst dem Mann entgegenzuschlagen, fur den Allday jederzeit sein Leben geopfert hatte.
        Dann dachte er an den Abschied, dessen Zeuge er gerade geworden war. Ein schones Paar, diese beiden: die bezaubernde Lady mit den langen, kastanienbraunen Flechten und der junge Vizeadmiral, dessen rabenschwarzes Haar noch keine wei?e Strahne aufwies.
        Auf dem Sitz gegenuber sah Bolitho zu, wie Alldays Kopf langsam auf die Brust sank; er spurte die Kraft des Schlummernden und war dankbar, da? er ihm schweigend Gesellschaft leistete. An Land hatte Allday einige Pfunde zugenommen und wirkte jetzt so, als konne nichts und niemand ihn umwerfen. Trotz seines Kummers mu?te Bo-litho lacheln. Er hatte Allday erlebt, wie er sich mit lowenhaftem Mut uber das blutige Deck zu ihm durchschlug, aber auch, wie er mit Tranen in den Augen seinen verwundeten Kommandanten nach unten ins Lazarett trug. Nein, ein Schiff ohne Allday konnte er sich nicht vorstellen.
        Auch nicht sein neues Flaggschiff, das ihn zu diesem Sondereinsatz nach Amerika und in die Karibik tragen sollte.
        Wenigstens war der Kommandant ein alter Freund: Valentine Keen, vor langer Zeit einer von Bolithos Seekadetten, der seither bei den verschiedensten Gelegenheiten Freud und Leid mit ihm geteilt hatte. Der letzte Kommandant der Achates war am Fieber gestorben, unterwegs von Antigua zu der Werft, wo sie gebaut worden war und die langst fallige Uberholung erhalten sollte.
        Bolitho war froh, da? er Keen als Flaggkapitan bekommen hatte. Er warf einen Blick auf den schlummernden Allday und erinnerte sich daran, wie sein Bootsfuhrer einst Keen das Leben gerettet hatte, als er ihm mit eigener Hand einen langen Holzsplitter aus dem Leib schnitt, weil der Schiffsarzt zu betrunken gewesen war.
        Sie fuhren an einer Gruppe Feldarbeiter vorbei, die an einem Gatter lehnten und Apfelwein aus groben irdenen Krugen tranken. Bolitho sah, da? einige zur Kutsche aufblickten, einer hob sogar gru?end die Hand. Bald mu?te man es in und um Falmouth wissen: Wieder war ein Bolitho ausgezogen. Ob er wohl zuruckkehren wurde?
        Abermals dachte er an Belinda, die er in dem weitlaufigen alten Steinhaus allein zurucklassen mu?te. Hoffentlich… Aber er war nicht der erste Marineoffizier, der fort mu?te, wenn ihn seine Frau oder seine Familie am meisten brauchte. Bolitho strich uber die neue Goldlitze an seinem Rock und setzte sich gerade. Genausowenig wie er der letzte war, dem dies geschah.
        Der Friede konnte nicht dauern, mochten die Politiker das auch uberall herumposaunen. Zu viele Leben waren geopfert worden, zu viele Ungerechtigkeiten nicht gesuhnt.
        Wenn England sechzig von seinen hundert Linienschiffen au?er Dienst stellte und gut vierzigtausend Matrosen und Seesoldaten nach Hause entlie?, dann hatte Frankreich doch mit Blindheit geschlagen sein mussen, um nicht seinen Vorteil aus solcher Vertrauensseligkeit zu ziehen.
        Aber es war besser, uber Achates' Bestimmungsort nachzudenken, sagte sich Bolitho: die kleine Insel San Felipe, die wie ein verwitterter Wachtposten die Enge zwischen Kuba und Haiti beherrschte. Wie andere Inseln in der Karibik blickte sie auf ein bewegtes und blutiges Schicksal zuruck. Ursprunglich in spanischem Besitz, war sie von Frankreich erobert und bis zur Amerikanischen Revolution gehalten worden. Dann hatte England sie nach harten Kampfen und unter dem Verlust vieler Menschenleben an sich gebracht.
        Und jetzt, so wollte es die Ubereinkunft mit Frankreich, sollte diese Insel als Geste des guten Willens zuruckgegeben werden. Aber es war nicht mehr die gleiche Insel. Als Admiral Rodneys Schiffe sie 1782 erobert hatten, nur ein Jahr nach Achates' Stapellauf, war sie ein odes, menschenfeindliches Stuck Land gewesen. Wahrend sie jetzt, so hatte Bolitho bei der Admiralitat erfahren, vor Wohlstand und Fruchtbarkeit strotzte.
        Als Gouverneur regierte dort zur Zeit ein pensionierter Vizeadmiral, Sir Humphrey Rivers, Ritter des Bath-Ordens. Er hatte San Felipe zu seiner Lebensaufgabe gemacht und den Hafen in Georgetown umbenannt, was die endgultige Zugehorigkeit der Insel zum britischen Weltreich noch unterstreichen sollte.
        Georgetown besa? einen geschutzten Naturhafen, und der Handel mit Rohrzucker, Kaffee und Melasse bluhte. Der wachsende Wohlstand war vor allem der Sekundarbevolkerung aus afrikanischen Sklaven zu danken.
        Admiral Sheaffe hatte Bolitho erklart, da? San Felipe wahrend des Krieges zwar ein wichtiger Stutzpunkt gewesen war, von wo aus die Seewege nach Jamaika kontrolliert und feindliche Freibeuter bekampft werden konnten, da? die Insel aber im Frieden nur eine Belastung darstelle und nicht mehr gebraucht werde.
        Schon damals hatte Bolitho das nicht eingeleuchtet, und jetzt, als die Kutsche bergab fuhr und in der Ferne sich der Blick auf die See offnete, kam ihm das Ganze noch absurder vor.
        War die Insel so wichtig gewesen, da? viele fur sie sterben mu?ten, dann war sie es doch gewi? wert, da? man sie behielt?
        Bolitho empfand die Ubergabe als einen Verrat, der mehr Indolenz verriet, als er seinem Land jemals zugetraut hatte. Und warum hatte man damit ihn beauftragt, nicht einen jener wendigen Politiker?
        Sie brauchten einen Mann, der ebenso taktvoll wie tapfer handeln konnte, hatte Sheaffe gesagt.
        Das entlockte Bolitho nur ein grimmiges Lacheln. Solche und ahnliche Begrundungen hatte er schon oft gehort. Wenn die Sache gut ausging, heimsten andere die Ehre ein. Aber machte er auch nur einen falschen Zug, fiel die volle Verantwortung auf ihn zuruck.
        Am besten gab er das Grubeln uber seine Order ganz auf. Er hatte sie schwarz auf wei?, und daruber hinaus konnte er nicht planen. Bis sein Schiff den Anker fallen lie?, mochte sich die Lage grundlegend geandert haben.
        Aber Browne als Flaggleutnant wurde er vermissen. Seit Browne ihm als Adjutant beigegeben worden war, hatte er diesen intelligenten und im Umgang mit Admiralitat und Regierung geschulten Mann schatzen gelernt. Doch vor einigen Monaten war sein Vater gestorben, und Browne war jetzt Herr uber einen Landbesitz, dessen Ausma? Bolithos Vorstellungsvermogen fast uberstieg.
        Zum Abschied war Browne allerdings noch einmal nach Cornwall gekommen. Fur beide war es eine schmerzliche Trennung gewesen, und Bolitho hatte sich damals entschlossen, seinen Neffen Adam Pas-coe als neuen Adjutanten anzufordern. Auch wenn es Bolitho widerstrebte, seine Befugnisse fur eine private Gunst zu benutzen, glaubte er, ihm diesen Dienst schuldig zu sein; zu viele junge Offiziere sa?en ohne Aufgabe und Sold an Land. Schlie?lich liebte er seinen Neffen wie einen Sohn, und sie hatten manchen Kampf gemeinsam bestanden. Die neue Erfahrung konnte ihm nutzlich sein.
        Browne jedoch hatte nur ein skeptisches Stirnrunzeln fur Bolithos Adjutantenwahl. Vielleicht wollte er ihn damit warnen, einen nahen Verwandten auf einen Posten zu setzen, dessen Inhaber im Notfall unparteiisch beiseitestehen mu?te. Aber es schien Bolitho wichtiger, da? Adam mit seinen 21 Jahren jetzt, da er diese Chance fur seine Karriere am dringendsten brauchte, nicht ohne neue Kommandierung auf ein Schiff blieb.
        Bolitho lehnte den Kopf ans warme Leder der Sitzbank.
        Also Valentine Keen, Adam und Allday. Zusammen mochten die drei noch uber sich hinauswachsen. Aber andere vertraute Gesichter erwarteten ihn wohl nicht an Bord.
        Achates war ursprunglich in der Themsemundung in Dienst gestellt worden, wahrend Bolitho eher die Schiffe aus Westengland oder von Spithead kannte. Mit gemischten Gefuhlen machte er sich klar, da? Achates fast ein Schwesterschiff von Nelsons beruhmter Agamemnon war, in derselben Werft auf Kiel gelegt und gebaut wie sie, der Werft von Henry Adam in Bucklers Hard am Beaulieu.
        Die schwindende Schar der 64er hatte jedenfalls einen gro?en Vorzug: Sie waren gro?er als alle schnelleren Schiffe und schneller als alle gro?eren. Kein Wunder, da? die Kommandanten machtiger Drei-decker sie mit widerwilliger Bewunderung beaugten.
        Nelson hatte jedenfalls einmal behauptet, da? seine kleine Agamemnon ein hervorragender Segler sei und selbst am Wind und unter Sturmbesegelung mit jeder Fregatte mithalten konne.
        Bolitho fragte sich, ob Keen von Achates wohl ebenso angetan war. Sein letztes Schiff war ein machtiger 74er gewesen, und vielleicht bedauerte er schon seinen Entschlu?, Bolithos Flaggkapitan zu werden.
        Die Pferde fielen in Schritt, weil vor ihnen eine Schafherde die schmale Landstra?e uberquerte. Eine junge Frau, ihr Kind auf der Hufte und den Mittagsimbi? fur ihren Mann in einem Bundel in der anderen Hand, starrte die vorbeifahrende Kutsche an. Sie nickte Bo-litho durchs Fenster zu und lachelte mit blitzenden Zahnen.
        Bolithos Gedanken kehrten zu Belinda zuruck und dem Kind, das sie erwartete. Wurde es ein Sohn werden, der - getreu der Familientradition - einst an Deck eines Schiffes der neuen Generation stehen sollte? Oder eine Tochter, die heranwachsen und das Herz eines Mannes gewinnen wurde - Garanten einer Zukunft, die er vielleicht nie erleben durfte? Belinda hatte er von seiner Mission nur wenig erzahlt. Der Anla? hatte sie vielleicht verbittert, wenn sie erst Zeit fand, daruber nachzudenken.
        Dabei fiel ihm wieder der Gouverneur von San Felipe ein, der sein kleines Reich bald dem alten Feind ubergeben mu?te. Allday, der ihm gegenuber nun fest schlief, hatte uber Sir Humphrey Rivers, Ritter des Bath-Ordens, einiges beisteuern konnen. Denn Allday sammelte und hortete Informationen uber das Gehen und Kommen bei der Flotte wie eine Elster glitzernde Glasperlen.
        Wahrend der Amerikanischen Revolution hatte Rivers eine Fregatte namens Crusader befehligt, etwa zur gleichen Zeit, als Bolitho sein erstes Schiff bekam, die kleine Korvette Sparrow.
        Rivers hatte franzosische Freibeuter gejagt, Prisen aller Art und Gro?en erbeutet und sich damit bald einen Namen gemacht. Doch vor der Chesapeake Bay hatte er in seinem Eifer, eine amerikanische Brigg zu stellen, die Gefahr unterschatzt und war mit seiner Crusader auf einer Untiefe gestrandet. Das Schiff wurde ein Totalverlust. Rivers war in Gefangenschaft geraten, aber nach dem Krieg an England ausgeliefert worden.
        Es hie?, er hatte als Gefangener einflu?reiche Freunde gewonnen; ebenso spater, als er befordert wurde und ein Geschwader in Westindien befehligte. Er sollte viel Geld auf Londoner Banken haben und Grundbesitz in Jamaika. Das alles deutete nicht auf einen Charakter hin, der sich mit den Planen von Whitehall leicht abfinden wurde.
        Bolitho verzog das Gesicht. Nicht einmal dann, wenn ihm diese Plane von einem im Rang ebenburtigen Offizier unterbreitet wurden.
        Die Rader holperten durch tiefe Schlaglocher, und Bolitho unterdruckte ein Aufstohnen, als die Erschutterung wie eine gluhende Kralle durch seine alte Schenkelwunde fuhr.
        Vor ihrer Ehe hatte er deshalb an Hemmungen gelitten, aber Belinda hatte ihm auch hierbei geholfen. Gelegentlich zwang ihn der Schmerz zu einem leichten Hinken, und er hatte sich vor ihr wie ein Kruppel gefuhlt.
        Er wurde unruhig, als er an ihre nachtliche Beruhrung dachte, an die Warme ihrer weichen Haut. Zartliche Worte murmelnd, hatte sie sich uber ihn gebeugt und die ha?liche Narbe geku?t, die eine Musketenkugel und das Skalpell des Chirurgen hinterlassen hatten. Fur sie war die Verletzung eher ein Grund zum Stolz als eine grausame Demutigung.
        All das und mehr blieb nun mit jeder Umdrehung der Rader weiter hinter ihm zuruck. Er furchtete die Nacht, wenn die Kutsche fur den ersten Pferdewechsel in Torbay halten wurde. Nein, dann ging er doch lieber gleich an Bord und lief mit der ersten gunstigen Tide aus, das lie? keine Zeit fur Gram und Sehnsucht.
        Wie dachte wohl Allday insgeheim daruber, da? es mit dem Landleben vorbei war und er wieder einer Ungewissen Zukunft entgegenfuhr?
        Die Flagge im Fockmast… Allday schien ehrlich stolz darauf zu sein. Aber das wurden Manner wie Admiral Sheaffe wohl nie begreifen.



        II Der neue Bolitho

        Kapitan Valentine Keen trat aus dem Schatten des Huttendecks und schlenderte zu den Backwordwanten hinuber. Wohin ersah, war alles eifrig bei der Arbeit, auf dem Achterdeck, dem Batteriedeck und hoch oben in den Masten und Rahen.
        Der wachhabende Offizier tippte gru?end an seinen Hut und schritt dann taktvoll zur anderen Decksseite hinuber. Wie alle an Bord bemuhte er sich, einen stark beschaftigten Eindruck zu machen und sich vom Erscheinen des Kommandanten nicht uber Gebuhr ablenken zu lassen.
        Keens Blicke wanderten uber sein neues Schiff. Er hatte sich in seiner Gig schon rund um die Achates pullen lassen, hatte ihre Linien studiert und den Trimm, wie sie da so gelassen uber ihrem schwarzbeige gestreiften Spiegelbild im Wasser ritt.
        Seeklar. Es war die ureigenste Entscheidung des Kommandanten, ab wann dieser Zustand galt. Danach, wenn der Anker eingeschwungen und der Bug seewarts gerichtet war, gab es kein Zuruck mehr.
        Das Wetter war warm und feucht fur Mai, und die schutzenden Landzungen hullten sich in leichten Dunst. Keen hoffte, da? trotzdem ein leichter Wind aufkommen wurde. Denn Bolitho drangte bestimmt ungeduldig aufs Auslaufen, wollte dem Land den Rucken kehren, wenn auch aus anderen Grunden als Keen.
        Er beschattete die Augen und spahte zum Fockmasttopp hinauf. Achates war noch nie unter Admiralsflagge gesegelt. Ob es das Schiff irgendwie verwandeln wurde?
        Keen trat zuruck in den Schatten neben der Treppe zum Huttendeck und beobachtete zufrieden das Treiben an Bord. Das Schiff machte einen guten Eindruck: solide, dauerhaft und in langen Jahren erprobt. Einige Offiziere hatten darauf schon als Kadetten gedient, und der harte Kern ihrer Unteroffiziere - sie bildeten das Ruckgrat jedes Kriegsschiffes - gehorte seit Jahren zur Stammbesatzung.
        Das Schiff strahlte Selbstvertrauen aus und den spurbaren Eifer, bald wieder in See zu stechen, bevor es das Schicksal so vieler anderer, stillgelegter Artgenossen teilen mu?te. Keens altes Schiff, die Nicator mit 74 Kanonen, die sich vor Kopenhagen und spater in der Biskaya ausgezeichnet hatte, war schon au?er Dienst gestellt: uberflussig und unerwunscht geworden wie ihre Mannschaft, die sich so tapfer geschlagen hatte, als die Trommeln zur Schlacht riefen.
        Achates' fruherer Kommandant hatte sie sieben Jahre lang befehligt. Seltsam, da? er trotz dieser langen Zeit seinem Quartier keinen personlichen Stempel aufgepragt hatte. Vielleicht hatte er alles in die Mannschaft investiert. Die Leute machten einen zufriedenen Eindruck, auch wenn wahrend der Uberholung die ubliche Zahl an Deserteuren zu verzeichnen gewesen war. Schlie?lich gab es Frauen, Kinder und Freundinnen an Land, die nach der langen Trennung fast nicht mehr wiederzuerkennen waren. Keen vermochte die Leute nur schwer dafur zu tadeln, da? einige dem Lockruf des Landes erlegen waren.
        Mit einem Finger lockerte er sein Halstuch und beobachtete, wie ein Beiboot uber das Schanzkleid geschwenkt und zu Wasser gelassen wurde. Wenn der Tag so warm blieb, mu?ten sie alle aussetzen und wassern, damit das Holz quoll und die Boote nicht undicht wurden.
        Allmahlich wurde sich Keen uber seine Empfindungen klar. Er war froh, da? er auslaufen, mit Bolitho auslaufen konnte. Schon bei zwei Gelegenheiten hatte er auf anderen Schiffen unter ihm gedient, erst als Fahnrich, spater als Dritter Offizier. Beide hatten sie geliebte Menschen verloren, aber wahrend Bolitho nun geheiratet hatte, war Keen immer noch allein.
        Er begann, uber die Befehle nachzudenken, die ihm Bolitho vorab ubersandt hatte.
        Eine seltsame Mission. Einmalig und ungewohnlich.
        Sein Blick streifte die schwarze Reihe der Achtzehnpfunder an Steuerbord, deren Rohre wie vor einer Schlacht ausgefahren waren, damit die Segelmacher moglichst viel freie Decksflache fur ihre Arbeit bekamen.
        Ob Krieg oder Frieden, ein Schiff mu?te immer funktionstuchtig sein. Keen hatte auch zwischen den Kriegen unter Bolitho gedient und erfahren mussen, da? nur Toren einem unterzeichneten Friedensvertrag blind vertrauten.
        Da horte er Schritte im Niedergang und sah Leutnant Adam Pascoe an Deck kommen.
        Immer wieder von neuem uberrascht, stellte Keen fest, da? Pascoe Bolitho ahnelte wie ein jungerer Bruder. Das gleiche schwarze Haar, auch wenn Pascoe es nach der neuen Marinemode kurzgeschnitten trug, nicht in einem Nackenzopf. Die gleiche Rastlosigkeit: eben noch ernst und in sich gekehrt, und gleich darauf voll jugendlichem Feuer. Kein Wunder mit 21 Jahren, dachte Keen. Trotzdem - ohne einen Krieg, der seinen Zoll an Menschenleben und Schiffen forderte, konnte Pascoe nur mit viel Gluck auf Beforderung oder ein eigenes Kommando hoffen.
        Er begru?te den Flaggleutnant.»Nun, Mr. Pascoe, fanden Sie in der Admiralskajute alles zu Ihrer Zufriedenheit?»
        Pascoe lachelte.»Aye, Sir. Wir haben vier der achteren Achtzehn-pfunder abgebaut und durch Rohrattrappen ersetzt, damit er reichlich Platz findet.»
        Keen warf einen Blick zum Huttendeck hinauf.»Wie ich ihn kenne, ware er auch mit zehn Schritten Auslauf zufrieden. Hauptsache, er kann irgendwo auf und ab marschieren, um sich beim Nachdenken Bewegung zu verschaffen.»
        Scheinbar zusammenhanglos sagte Pascoe:»Ich sehe nicht ein, welchen Sinn unsere Mission hat, Sir. Wir haben gekampft, bis der Feind eine Atempause brauchte, um sich zu erholen, und trotzdem halt es unsere Regierung fur richtig, jetzt fast alle Besitzungen zuruckzugeben, die wir den Franzosen abgerungen haben. Mit Ausnahme von Ceylon und Trinidad haben wir auf alles verzichtet und konnen uns nicht einmal dazu durchringen, Malta endgultig zu behalten. Jetzt geht auch San Felipe zum Teufel, und der Admiral mu? diese schmutzige Arbeit sogar eigenhandig besorgen.»
        Keen musterte den jungen Mann ernst.»Ein guter Rat, Mr. Pascoe. «Er sah Pascoe trotzig den Kopf heben, gewahrte das vertraute Aufbegehren in seinen Augen. Doch unbeirrt fuhr er fort:»In der Messe konnen Offiziere ihre privaten Ansichten frei diskutieren, vorausgesetzt, nichts davon kommt der Mannschaft zu Ohren. Aber das gilt nicht fur den Kommandanten und den Flaggleutnant; wir mussen Zuruckhaltung uben. Ich vermute, Ihr Wunsch. Ihrem Onkel zu dienen, war so stark, da? Sie diesen Posten eher um seinet- als um Ihretwillen ubernommen haben?»
        Keen sah an Pascoes Gesicht, da? er ins Schwarze getroffen hatte. Er setzte hinzu: Der Auftrag eines Marineoffiziers unterscheidet sich grundlich von dem eines Adjutanten. Sie mussen diskret sein, sogar vorsichtig, denn es wird immer Zuhorer geben, die sich Ihr Vertrauen erschleichen wollen. «Er zogerte, sprach dann aber weiter, weil er es fur wichtig hielt.»Manche konnten Ihrem Onkel ubelwollen. Fallen Sie deshalb kein Urteil in Dingen, die Sie nicht andern konnen. Andernfalls ware es besser fur Sie beide, wenn Sie sich umgehend an Land bringen lie?en und den Hafenadmiral von Spithead um Ihre Versetzung baten.»
        Wieder lachelte Pascoe:»Ich danke Ihnen, Sir. Das habe ich verdient. Aber ich wurde meinen Onkel niemals im Stich lassen, weder jetzt noch in Zukunft. Er bedeutet mir viel.»
        Keen nahm den ungewohnlichen Gefuhlsausbruch des jungen Leutnants gelassen auf. Pascoes Geschichte war ihm gro?tenteils bekannt: unehelich geboren, war er der Sohn von Bolithos totem Bruder Hugh, einem Abtrunnigen und Verrater, der sich auf die Seite der amerikanischen Rebellen geschlagen und einen feindlichen Freibeuter befehligt hatte - mindestens ebenso kuhn wie John Paul Jones. Fur Bolitho mu?te das eine gro?e Belastung sein, und auch fur diesen jungen Offizier, den seine sterbende Mutter ausgeschickt hatte, seinen einzigen Onkel zu suchen, als letzte Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
        Leise sagte Keen:»Ich verstehe schon. Vielleicht besser, als Sie glauben.»
        Der Midshipman[Seekadett oder Fahnrich zur See] der Wache hastete quer ubers Deck auf sie zu und gru?te nervos. Keen erinnerte sich, da? auch er neu angemustert hatte.»Sir, da legt ein Boot von der Werft ab«, stammelte der Junge.
        Keen spahte durch das Gitter der Webeleinen.
        Ein werfteigenes Boot pullte bereits auf den verankerten Zweidecker zu. Keen sah Sonnenlicht von Goldepauletten und Zweispitz reflektieren und wurde von Panik gepackt. Typisch Bolitho, da? er es nicht abwarten konnte, bis ihn sein eigenes Boot abholen kam. Also hatte er es eilig, den Auftrag anzupacken, ob der ihm nun behagte oder nicht.
        Mit unbewegtem Gesicht sagte er zu dem Jungen:»Empfehlung an den Offizier der Wache, Mr. - ah.«»Puxley, Sir.»

«Also, Mr. Puxley, pfeifen Sie die Ehrenwache an die Pforte. «Er packte den Jungen, der zur Achterdecksleiter rennen wollte, und fugte hinzu:»Gehen, Mr. Puxley, nicht rennen!»
        Pascoe wandte sich ab, um ein Grinsen zu verbergen. Genau das hatte Bolitho wahrscheinlich zu Keen gesagt, als dieser noch ein kleiner Kadett gewesen war. Er selbst hatte es oft genug zu horen bekommen.
        Als die Bootsmannsgehilfen durch die Decks eilten und ihre Pfeifen zwitschern lie?en, stapften die Marinesoldaten zur Eingangspforte; ihre roten Uniformrocke mit den gekreuzten wei?en Brustriemen leuchteten bunt aus dem Gewuhl der Matrosen.
        Keen winkte den wachhabenden Offizier heran und sagte unwirsch:»Vielleicht, Mr. Mountsteven, machen Sie sich kunftig die Muhe, rechtzeitig nach Ihren Vorgesetzten Ausschau zu halten.»
        Pascoe druckte den Hut fester auf sein rebellisches Haar. Auch das hatte Bolitho genauso gesagt.
        Keen schritt zur Pforte und blickte dem Boot entgegen. Im Heck konnte er Bolitho sitzen sehen, den alten Sabel zwischen den Knien. Wenn er ohne die ehrwurdige Familienwaffe an Bord gekommen ware, hatte Keen das als Sakrileg empfunden.
        Und da war auch Allday; vierschrotig und wachsam, musterte er die Bootscrew mit angewidertem Blick. Wie hatte der Ehrenwerte Oliver Browne; Pascoes Vorganger, ihr altes Geschwader bezeichnet? Als >happy few<, eine kleine Schar Auserwahlter. Klein war die Schar gewi? geworden. Keen sah zu der gro?en roten Nationalflagge am Heck zuruck, die nur hin und wieder auswehte. Aber die wenigen waren genug.
        Auch der Erste Offizier der Achates, ein hochgewachsener, breitgesichtiger Mann von der Insel Man, beobachtete das Boot.»Alles klar zum Empfang, Sir«, sagte er.

«Danke, Mr. Quantock.»
        Keen hatte sich in seinen ersten Wochen an Bord, wahrend das Schiff uberholt wurde, mit Vorsicht durch die Listen, Stammrollen und Logbucher gearbeitet. Zwar unterstand nicht zum erstenmal ein Schiff seinem Befehl, aber fur diese Mannschaft war er ein unbeschriebenes Blatt. Ehe er sich nicht ihre Achtung errungen hatte, setzte er nichts als selbstverstandlich voraus.
        Der Erste Offizier sah kurz.nach vorn zum Signalfahnrich am Fu? des Fockmasts und sagte leise, wie zu sich selbst:»Ich wette, das alte Kathchen hat nie damit gerechnet, noch einmal Flaggschiff zu werden.»
        Keen mu?te lacheln. Da hatte er etwas Neues erfahren. Das alte Kathchen? Ein Schiff, dem seine Leute einen solchen Kosenamen gaben, mu?te ein gutes Schiff sein.
        Das Boot machte an den Gro?rusten fest, und Hauptmann Dewar von den Royal Marines[Seesoldaten, Marine-Infanterie] zog seinen Sabel. Wie stets ging Keen das leise, metallische Zischen unter die Haut. Es weckte Erinnerungen, war ein Akkord im Vorspiel zur Schlacht.
        Noch einmal musterte der Kommandant sein Schiff. Alle Freiwachter waren vom Schanzkleid zuruckgewichen, und selbst die Toppgasten, die oben in den Rahen arbeiteten, hielten inne und starrten zur Pforte hinunter.
        Die kleinen Trommelbuben der Marine-Infanterie hoben ihre Schlagstocke, die Bootsmannsgehilfen befeuchteten die Lippen fur ihre Signalpfeifen.
        Ebenso stolz wie nervos trat Keen nach vorn; das Ganze war unwichtig - und doch entscheidend.
        Bolithos Zweispitz erschien oberhalb der geschrubbten Grating, die Pfeifen schrillten und zwitscherten, und Hauptmann Deward bellte:»Royal Marines - prasentiert das Gewehr!»
        Beim letzten Wort, als die wei?en Ton Wolkchen von den hochgerissenen Musketenriemen aufstiegen, intonierten die Querpfeifen die alte Weise vom Heart of Oak, dem Herz aus Eiche.
        Bolitho lupfte gru?end den Hut zur Flagge am Heck, dann lachelte er Keen an.
        Gemeinsam machten sie Front nach vorn, wo die Admiralsflagge schneidig zum Fockmasttopp aufstieg und auswehte.
        Bolitho und Keen tauschten einen Handedruck.»Das Schiff macht Ihnen alle Ehre«, sagte der Vizeadmiral.

«Unsere Ehre sind Sie, Sir«, erwiderte Keen.
        Bolitho musterte die starren Mienen der Seesoldaten, die nervosen, wachsamen Kadetten. Mit der Zeit wurde er sie kennenlernen, so wie sie ihn. Er stand wieder an Deck eines Schiffes, und der grune Schatten jenseits der Bucht, das Land, war nur noch eine Erinnerung.
        Bolitho zupfte an seinem feuchten Hemd, dann setzte er abermals seine Unterschrift unter einen der vielen Briefe, die Yovell, sein pummeliger Sekretar, sauberlich aufgesetzt hatte.
        Er sah sich in der geraumigen Achterkajute um, die viel gro?er war, als er in einem Schiff von dreizehnhundert Tonnen erwartet hatte.
        Ozzard, sein schmachtiger Steward, schenkte ihm frischen Kaffee nach und huschte wieder davon, nach nebenan in seine Pantry. Falls er es bedauerte, die Sicherheit des Herrenhauses in Falmouth verlassen zu mussen, lie? er es sich jedenfalls nicht anmerken. Ozzard war ein Sonderling und ursprunglich Gehilfe in einer Anwaltskanzlei gewesen, ehe er das gefahrliche Leben bei der Kriegsmarine gewahlt hatte - nicht ganz freiwillig, wie manche behaupteten. Aber mochte er auch knapp dem Kerker entronnen sein, fur Bolitho war er Gold wert.
        Dann wandte sich Bolitho zu Keen um, der an den offenen Heckfenstern stand; sein gutes Aussehen und geschliffenes Benehmen tauschten leicht daruber hinweg, da? er ein erfahrener, tuchtiger Marineoffizier war.

«Also, Val, was halten Sie davon?»
        Keen drehte sich um, doch sein Gesicht blieb im Schatten.

«Ich habe die Seekarte studiert und bin mir jetzt daruber klar, welche Bedeutung die Insel San Felipe wahrend des Krieges hatte. Wer sie besitzt, ist fast unangreifbar. «Er zuckte die Schultern.»Eine weite Bucht schutzt die Festung, die von ihrem erhohten Standort alle Zufahrten beherrscht, notigenfalls auch die Stadt selbst. Mir ist unbegreiflich, warum wir sie den Franzosen zuruckgeben. «Dann dachte er an Pascoe und fugte hinzu:»Aber ich nehme an, Ihre Lordschaften sind besser informiert als ich.»
        Bolitho schmunzelte.»Darauf wurde ich mich nicht verlassen, Val.»
        Der Kaffee schmeckte gut. Bolitho fuhlte sich nach seiner ersten Nacht an Bord uberraschend frisch und ausgeruht. Die Reise mit der Kutsche war anstrengend gewesen, und die vielen Aufenthalte in Landgasthausern oder zum Pferdewechsel hatten ihm zu viel Zeit gelassen, an Belinda zu denken und sie zu vermissen.
        Jetzt stellte das Schiff seine Anspruche, und das belebte ihn. Den Geruch nach frischer Farbe und Pech, nach Hanf und den funfhundert Offizieren, Matrosen und Soldaten auf engem Raum konnte er nicht ignorieren; er wollte es auch gar nicht.
        Mit Achates schien er Gluck gehabt zu haben; jede neue Information verstarkte seine Gewi?heit, da? sie keinen Vergleich zu scheuen hatte. Vielleicht war Admiral Sheaffes Wahl doch richtig gewesen: ein kleiner 64er statt eines bombastischen Geschwaders, das Amerikaner ebenso wie Franzosen moglicherweise nur eingeschuchtert hatte.
        Bolitho sagte zu Keen:»Ich habe Kapitan Duncan in Plymouth schon benachrichtigen lassen. Er lauft mit seiner Sparrowhawk umgehend nach San Felipe aus, auf dem direkten Weg.»
        Wie gut konnte er sich Duncans rotes, gegerbtes Gesicht vorstellen, wenn er seine Order las! Auch er mu?te froh sein, mit seiner Fregatte in See gehen zu konnen, bevor sie ihm unter den Fu?en weg eingemottet wurde. Duncan hatte ebenso wie Keen zu seinem alten Geschwader gehort. Die beiden waren wie verlangerte Arme fur ihn.
        Aber an eines konnte er sich nur schwer gewohnen: da? er nicht mehr auf die schriftlichen Befehle seines vorgesetzten Flaggoffiziers zu warten brauchte. Uber die Ungewi?heit seiner Rolle oder die Unfairness seiner Aufgabe mu?te er sich nicht mehr gramen. Jetzt lag die Entscheidung allein bei ihm, wann und wie zu handeln war. Und mit der Entscheidung auch die volle Verantwortung.
        Er fugte hinzu:»Duncans Anwesenheit konnte den Schock der Bewohner von San Felipe etwas mildern. Ich bezweifle, da? der Gouverneur derselben Meinung ist wie das Parlament.»
        Ozzard kam herbeigetrippelt und wartete, bis Bolitho ihn zur Kenntnis nahm. Er erinnerte an einen eifrigen Maulwurf, wie er so seine Hande vor der Brust baumeln lie?.

«Bitte um Entschuldigung, Captain«, sagte er zu Keen,»doch der Erste Offizier la?t sich empfehlen und Ihnen melden, da? der Wind umgesprungen, aber immer noch sehr leicht ist.»
        Keen grinste zu Bolitho hinuber.»Ich habe ihm gesagt, er soll mich gleich verstandigen. Es ist nur ein Hauch, aber wenigstens konnen wir jetzt den Anker ausbrechen. Mit Ihrer Erlaubnis, Sir?»
        Bolitho nickte, von der Erregung angesteckt.»Yovell, bringen Sie meine Depeschen zum Werftboot, das langsseits liegt.»
        Er sah den Sekretar seinen letzten Brief an Belinda mit besonderer Sorgfalt davontragen. Den wurde sie lesen, wenn die Achates den Lizard[Kap Lizard. sudlichster Punkt Englands] passierte, unterwegs zu den langen Rollern des Atlantik.
        Durch das offene Skylight konnte er Keens Stimme horen, das Trillern der Bootsmannspfeifen und das Klatschen nackter Fu?e auf trok-kenen Planken; die Seeleute hasteten auf Stationen.
        Bolitho zwang sich, weiter ruhig sitzen zu bleiben und Kaffee zu schlurfen. Keen hatte genug am Hals, wenn er das fur ihn neue Schiff zum erstenmal in Fahrt brachte, weg vom bedrohlichen Land. Dabei konnte er keinen Admiral brauchen, der ihm uber die Schulter sah.
        Wie oft hatte er selbst an der Querreling des Huttendecks gestanden, voll Hoffnung und mit erregt klopfendem Herzen, wahrend er sich den Kopf zermarterte, ob er nicht etwas vergessen hatte, fur das es jetzt ohnehin zu spat war.
        Taljen knarrten. Tauwerk quietschte in unzahligen Blocken, und ganz schwach, scheinbar von weither, horte Bolitho die Fiedel wimmern, auf der ein Shantyman den arbeitenden Matrosen den Takt angab.
        Keuchend kam Yovell zuruck.»Alle Depeschen unterwegs zur Kuste, Sir«, meldete er mit seinem weichen Devon-Akzent.
        Auch Keen trat wieder ein, den Hut unter den Arm geklemmt.

«Anker ist kurzstag, Sir. Wurden Sie mir vielleicht an Deck Gesellschaft leisten? Es tate den Leuten gut. Sie jetzt in ihrer Mitte zu sehen.»
        Bolitho dankte ihm lachelnd, und dann fiel Keens Blick auf Pascoe.

«Eines verstehe ich nicht, Sir. Gerade eben wurde durch Kurier dieser Brief fur den Flaggleutnant gebracht. Er kam gerade noch rechtzeitig.»
        Auch Bolitho sah jetzt seinen Neffen an. Der Augenblick war da, den er bisher aufgeschoben hatte, aber sie mu?ten die leichte Brise zum Auslaufen nutzen. Er merkte, da? Yovell ihn anstrahlte, und begann sich plotzlich zu fragen, ob er das Richtige tat.
        Zu Keen sagte er:»Ich komme gleich an Deck, Kapitan Keen.»
        Dann nahm er den versiegelten Brief zur Hand und vergewisserte sich, da? es der richtige war. Ein Griff nach seinem Hut, den Ozzard ihm hinhielt, und er schritt mit Keen zur Tur.

«Wahrscheinlich ein dummes Versehen, Sir«, meinte Keen.
        Doch im Vorbeigehen druckte Bolitho seinem Neffen den Brief in die Hand.»Ich bin oben, wenn du mich brauchst«, sagte er dabei.
        Verwirrt begleitete Keen seinen Vizeadmiral aus dem Schatten des Huttendecks hinaus und an dem gro?en Doppelrad vorbei, wo die Ruderganger und der Steuermannsmaat gespannt darauf warteten, da? der Anker ausbrach.
        Uberall wimmelte es von Matrosen und Soldaten. Die Toppgasten waren langst aufgeentert und hingen wie Affen auf den oberen Rahen, um die lose aufgegeiten Segel fallen zu lassen. Alle Brassen waren bemannt, und die Decksoffiziere und Maaten beobachteten ihre Abteilungen mit Argusaugen, wahrend das Ankerspill klickte, begleitet vom Wimmern der Fiedel. Der Admiralsflagge im Fockmast war sich auch der letzte Mann bewu?t.
        Allday stand neben einem der Zwolfpfunder auf dem Achterdeck, als ihm plotzlich auffiel, da? Ozzard vergessen hatte, Bolitho den alten Familiensabel umzuschnallen. Mit einem lautlosen Fluch rannte er davon und sturzte an dem verblufften Wachtposten vorbei in die Heckkajute.
        Doch er erstarrte, als er Pascoe mitten im Raum stehen sah, ein geoffnetes Schriftstuck wie vergessen in der herabhangenden Hand.
        Wie Yovell, der fast alle Briefe fur den Vizeadmiral schrieb, wu?te auch Allday, was in dem Schriftstuck stand. Es hatte ihn tief bewegt, da? er zu den wenigen Eingeweihten gehorte.

«Alles in Ordnung, Sir?«fragte er.
        Als sich der junge Leutnant ihm zuwandte, gewahrte Allday mit Schrecken, da? seine Wangen tranenna? waren.»Nicht doch, Sir! Er wollte Ihnen eine Freude machen!«»Eine Freude?«So geistesabwesend, als begreife er die Welt nicht mehr, machte Pascoe ein paar Schritte zur Wand und zuruck.»Und Sie wu?ten davon, Allday?«»Aye, Sir. Gewisserma?en.»
        Allday war in seinem Leben weit herumgekommen, und Bolitho hatte schon ofter erklart, da? er es mit einer ordentlichen Erziehung zu sehr viel mehr gebracht hatte als bis zum Seemann. Aber er mu?te gar nicht lesen konnen, um zu verstehen, warum Kapitan Keen uber den Titel auf dem Umschlag so erstaunt gewesen war.
        Der Brief war adressiert an: >Seine Hochwohlgeboren Adam Bo-litho, Flaggleutnant auf Seiner Britannischen Majestat Kriegsschiff Achates.< Mit schwimmenden Augen starrte Adam den Inhalt an, ohne weiterlesen zu konnen. Die schweren Wachssiegel des Anwalts, das Erbrecht auf Bolithos Besitztum in Falmouth, mehr sah er nicht.
        Allday fuhrte ihn zu der Polsterbank unter den Heckfenstern.

«Ich hole Ihnen etwas zu trinken, Sir. Und dann bringen wir ihm gemeinsam seinen alten Sabel. «Er sah Adam nicken und setzte leise hinzu:»Schlie?lich sind Sie jetzt ein echter Bolitho. Genau wie er.»
        Wie aus einer anderen Welt klang der Ruf zu ihnen herab:»Anker ist frei, Sir!»
        Das Getrappel zahlloser Fu?e und das rauhe Geschrei der Decksoffiziere schienen von weit her zu kommen.
        Allday go? Brandy in ein Glas und brachte es dem Leutnant, den er kannte, seit er mit vierzehn Jahren als Kadett auf Bolithos alter Hyperion angemustert hatte.

«Hier bitte, Sir.»
        Adam fa?te sich allmahlich.»Sie wollen wissen, ob ich mich freue«, sagte er leise. Meine Empfindungen lassen sich nicht in Worte fassen. Er mu?te doch nicht.»
        Allday hatte gern ebenfalls einen Schluck getrunken.»Aber es war sein Wunsch. Schon lange.»
        Das Deck unter ihren Fu?en krangte leicht, als das Schiff unter Mars- und Vorsegeln in der schwachen Brise Fahrt aufnahm.
        Allday hob den abgewetzten alten Sabel von seinen Haken an der Wand und betrachtete ihn. Beim letzten Mal hatten sie ihn beinahe fur immer verloren. Eines Tages wurde er also diesem jungen Mann gehoren, dem Ebenbild des anderen oben an Deck.
        Leutnant Adam Bolitho wischte sich die Augen mit der Manschette trocken.»Dann wollen wir mal, Allday. «Aber ganz hatte er sich noch nicht wieder gefangen. Er ergriff den Bootsmann am Arm und murmelte:»Bin ich froh, da? Sie eben hier waren.
«Grinsend folgte ihm Allday aus der Kajute.
        Der junge Spund freute sich also wirklich, dachte er. Das mochte er ihm auch geraten haben. Anderenfalls hatte er ihn trotz seines Offiziersranges ubers Knie gelegt und versohlt.
        Adam trat in den Sonnenschein hinaus. Er sah nicht die erstaunten Blicke, die ihm folgten, horte auch nicht den unterdruckten Fluch eines vorbeihastenden Matrosen, der fast mit seinem Flaggleutnant zusammengesto?en ware. Er nahm Allday den Sabel aus der Hand und schnallte das Gehenk um Bolithos Mitte.
        Bolitho sah ihm dabei zu.»Danke, Adam«, sagte er mit Warme.
        Der Leutnant nickte und suchte nach Worten, aber Bolitho nahm seinen Arm und fuhrte ihn beiseite, wandte sich mit ihm der welligen Kustenlinie zu, die querab vorbeizog und zuruckblieb, wahrend das Schiff in tieferes Wasser glitt.

«Spater, Adam. Wir haben noch viel Zeit.»
        Der Erste Offizier hob sein Sprachrohr und spahte durch das Gewirr der Takelage nach oben.»Los Bramsegel!»
        Er warf einen Blick zu der Gruppe, die in Luv stand: der noch jugendliche Vizeadmiral mit seinem Adjutanten; er wollte wohl sehen, ob das Schiff gut genug fur ihn war.
        Allday war der Blick nicht entgangen. Ein Grinsen unterdruckend, dachte er: Junge, du hast noch eine Menge zu lernen. Du wei?t gar nicht, wieviel.



        III Das Schiff ohne Namen

        Die ganze erste Woche nach ihrem Auslaufen hatte Achates mit schwachen und umspringenden Winden zu kampfen. Kaum eine Stunde verging, ohne da? die Segel neu getrimmt werden mu?ten, damit sie Ruder im Schiff behielten und beim Kreuzen nicht auf den alten Kurs zuruckgedruckt wurden.
        Die nervtotende Eintonigkeit wirkte sich auf die Stimmung an Bord aus. Nach dem Zeitdruck und der Aufregung des Aufbruchs fuhrte die plotzliche Untatigkeit des ofteren dazu, da? Aufsassigkeit und Streitsucht mit Auspeitschungen an der Grating geahndet werden mu?ten.
        Bei einem solchen Strafvollzug hatte Bolitho Keens Miene genau beobachtet. Manche Kommandanten hatten sich davon nicht weiter erschuttern lassen, schlie?lich gehorte auch das zur Bordroutine; aber Keen war da anders. Bezeichnenderweise kam Bolitho gar nicht auf den Gedanken, da? er Keen auch darin in langen Dienstjahren selbst gepragt hatte.»Das Schlimmste daran ist«, hatte Keen bemerkt,»da? ich die Gefuhle der Delinquenten verstehen kann. Manche haben nicht ein einziges Mal den Fu? an Land gesetzt, seit sie aus Westindien zuruckgekehrt sind. Und jetzt mussen sie wieder hinaus. Sie sind dankbar dafur, da? ihnen Armut und Arbeitslosigkeit erspart bleiben, aber es emport sie, da? sie nicht besser behandelt werden als Gepre?te.»
        Erst zu Beginn der zweiten Woche frischte der Wind aus Nordwest auf und erwe ckte das Schiff endlich wieder zum Leben; immer hoher wuchsen die beiden Gischtschwingen unter der verwitterten Galions-figur.
        Die Ausguckposten in den Masttopps hatten bisher nur selten Segel an der verschleierten Kimm gesichtet, und auch diese Unbekannten waren stets schnell uber Stag gegangen und verschwunden. Heimkehrende Schiffe, die seit Monaten ohne Informationen uber die Vorgange in Europa waren, gingen kein Risiko ein, wenn ihnen ein Kriegsschiff begegnete. Veilleicht war inzwischen ein neuer Krieg ausgebrochen? Immer noch mochten manche Kapitane nicht wissen, da? langst ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet worden war.
        Die See schien Achates ganz allein zu gehoren. Keen nahm die Gelegenheit wahr, seine Leute zu testen und ihnen seine Anspruche klar zu machen. Segel- und Artilleriedrill losten einander ab. dazwischen folgten Schie?ubungen fur die Marine-Infanterie, und immer wieder wurden erfahrene Offiziere und Maaten dabei durch frisch angeheuerte Kameraden ersetzt. Keen verschaffte sich wohl Respekt, wurde aber bei Beginn jedes neuen Exerzierens herzhaft verflucht.
        Aber Bolitho wu?te aus eigener bitterer Erfahrung, da? unter den beengten Verhaltnissen an Bord nichts so schnell in Meuterei umschlug wie Langeweile.
        Er sa? gerade beim Fruhstuck - Brot und dunne Scheiben fettes Schweinefleisch - , als Keen sich bei ihm melden lie?. Bolitho bat ihn, Platz zu nehmen.»Kaffee, Val? Keen setzte sich.

«Ich glaube, wir werden heimlich von einem fremden Schiff verfolgt, Sir.»
        Bolitho lie? Gabel und Messer sinken. Keen war nicht der Typ, der zu Ubertreibung oder Phantasie neigte.»Wie das?»

«Vor zwei Tagen sichtete mein bester Ausguckposten ein Segel, ziemlich weit in Luv. Zunachst ma? ich dem nicht viel Bedeutung bei. Es konnte ein Handelsschiff sein, auf demselben Kurs wie wir.»
        Er spurte Bolithos Neugier und fugte erlauternd hinzu:»Ich wollte niemanden unnotig beunruhigen. Aber Sie werden sich erinnern, da? wir gestern beigedreht lagen, wahrend wir mit den Steuerbord-Zwolfpfundern ein Ubungsschie?en auf Treibholz veranstalteten. Wahrenddessen blieb das fremde Segel die ganze Zeit an der Kimm. In dem Augenblick, als wir wieder Fahrt aufnahmen, folgte es uns, allerdings in weitem Abstand. «Er wartete vergeblich auf Bolithos Kommentar und sagte deshalb abschlie?end:»Es ist immer noch da.»
        Die Tur ging auf, Adam trat mit einer Seekarte unter dem Arm herein.
        Bolitho begru?te ihn lachelnd. Seit dem Tag des Ankerlichtens vor der Beaulieu-Mundung hatten sie nur wenige Worte uber seine Adoption gewechselt. Aber sie waren sich irgendwie nahergekommen, auch ohne gro?e Aussprache.
        Er erinnerte sich, wie Belinda ihn zu diesem Schritt gedrangt und ermutigt hatte. Sie wu?te seit den Tagen ihrer ersten Liebe, was Bo-litho fur seinen Neffen empfand, was sie gemeinsam durchgemacht hatten. Fast horte er noch ihre Worte: Wenn unser Kind geboren ist, dann soll Adam sich nicht zuruckgesetzt oder benachteiligt fuhlen. Tu' es um Adams, aber auch um meinetwillen.»

«Hast du das fremde Schiff gesehen, Adam?«fragte er.»Aye, Sir. Ich bin beim ersten Tageslicht aufgeentert. Es scheint sich um eine Fregatte zu handeln. Ich hatte das gro?e Signalteleskop mit hinaufgenommen, obwohl es sehr dunstig war. Das Rigg la?t auf ein gro?es
        Kriegsschiff funfter Klasse schlie?en. Fur einen Indienfahrer oder ein anderes westwarts segelndes Handelsschiff ist er zu schnell.»
        Keen orakelte:»Wenn er weiter so hoch am Wind bleibt, kann ich nie zu ihm aufkreuzen.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Aber damit verliert er kostbare Zeit.»
        Trotzdem beunruhigte ihn die Nachricht. Falls es sich um ein Kriegsschiff handelte, dann verkorperte es eine Drohung, ganz gleich, wie sein Auftrag lautete. Was mochte seine Absicht sein? Und welches seine Nationalitat?
        Die Mission der Achates galt als geheim, aber Bolitho kannte die Kriegsmarine und vor allem die Manner, die in ihr dienten. Adams neuer Name hatte Keen zwar uberrascht, aber danach hatte sich die Neuigkeit in Sekundenschnelle im ganzen Schiff verbreitet. Eine so wichtige Information wie die uber die San-Felipe-Mission konnte sich binnen kurzem in der Werft, in der Stadt, ja sogar bis jenseits des Kanals herumgesprochen haben.

«Halten Sie mich auf dem laufenden. Bei einer fur uns gunstigen Anderung der Windrichtung rucken wir ihm auf den Pelz. Andernfalls…«Er zuckte die Schultern. Wir mussen eben abwarten, bis er seine Karten aufdeckt.»
        Spater machte Bolitho seinen gewohnten Spaziergang auf der Luvseite des Achterdecks und merkte, da? er schon wieder an die Einwohner von San Felipe dachte, wahrend er auf- und abging. Wurden sie ihre neue Nationalitat hinnehmen? Und dann fiel ihm das fremde Schiff ein, das der Achates folgte wie ein Jager auf der Pirsch. Wahrscheinlich ein Franzose, der sicherstellen sollte, da? die franzosischen Interessen gewahrt wurden, notfalls mit Waffengewalt.
        Auf und ab marschierte Bolitho, wobei seine Fu?e wie von selbst Augbolzen und Taljen mieden.
        Unter den Wachgangern und Seesoldaten waren ihm manche Gesichter schon vertraut. Engeren Kontakt verhinderte jedoch eine unsichtbare Trennwand, die Bolitho verabscheute. Keen dagegen konnte als Kommandant so oft mit seinen Leuten sprechen, wie es ihm behag-te. Schon manches Mal hatte Bolitho zu seiner Flagge hinaufgestarrt und sie fur die Einsamkeit, die sie ihm brachte, verwunscht.
        Er blieb beim Kompa? stehen und warf einen Blick darauf, obwohl er wu?te, da? seit Tagen derselbe Kurs anlag. Er merkte, da? die Ruderganger seinem Blick auswichen, und da? Segelmeister[Sailing master: fur die Navigation verantwortliche Decks(Unter)offizier] Knocker sich plotzlich ganz in den Bericht eines Kadetten vertiefte.
        Hallowes, der Vierte Offizier, war Wachfuhrer, und selbst er beugte sich mit betonter Konzentration uber die Querreling und beobachtete das Exerzieren mit den Achtzehnpfundern.
        Ein Bootsmannsgehilfe schlenderte das Seitendeck in Lee heran; irgend etwas an ihm erregte Bolithos Aufmerksamkeit, so da? er ihn scharfer ins Auge fa?te.
        Der Mann zogerte, schluckte krampfhaft und kam dann weiter auf ihn zu.
        Bolitho sprach ihn an.»Kenne ich Sie nicht?«Und dann blitzte der Name plotzlich in seinem Gedachtnis auf.»Sie hei?en Christy, nicht wahr?»
        Mit einem breiten Grinsen nickte der Mann.»Aye, Sir, das stimmt. Ich war Gro?toppgast auf der alten Lysander. Wir haben zusammen vor Abukir gekampft, Sir.»

«Ich erinnere mich. Wir hatten Sie damals beinahe verloren, als uns die Gro?maststenge weggeschossen wurde. «Bolitho nickte, ganz in seine Erinnerungen vertieft.

«War ein hei?er Kampf, Sir«, sagte der Seemann.»Der schlimmste Tag meines Lebens.»
        Bolitho entlie? ihn lachelnd und nahm seinen Spaziergang wieder auf. Kopfschuttelnd hastete Christy weiter. Nach so langer Zeit erinnerte sich der Admiral noch an ihn, an ihn unter Hunderten von Mannern.
        Quantock, der Erste Offizier, der mit Bootsmann Rooke und dem Schiffszimmermann Grace seine morgendliche Ronde ging, blieb stehen und winkte Christy heran.

«Hat sich wohl an dich erinnert, der Admiral, wie?»
        Gru?end tippte Christy an seine Stirn.»Aye, Sir, er wu?te noch meinen Namen!»

«Also, dann steh nicht rum wie ein Mondkalb, sondern geh an deine Arbeit!»
        Christy verzog sich nach achtern. Warum war der Erste so schlechter Laune?
        Quantock hakte eine Liste ab, wie jeder gute Erste unaufhorlich mit seiner Bestandsaufnahme beschaftigt. Das Schiff war zwar uberholt worden, aber trotzdem turmte sich die Arbeit wie ein Berg vor ihm auf: Segel mu?ten erneuert oder geflickt werden, Boote mu?ten repariert, Pumpen und Flaschenzuge gewartet werden.
        Quantock argerte sich uber sich selbst. Christy war ein guter Seemann und ein Freiwilliger dazu. Weshalb war diese plotzliche Feindseligkeit in ihm aufgeflammt?
        Heimlich sah Quantock nach Luv hinuber, wo der Vizeadmiral immer noch auf und ab ging. Und uberhaupt, was war denn an dem Mann so besonders?
        Der Bootsmann, ein Riese mit gefurchtem und zernarbtem Gesicht, wartete geduldig, da? sein Vorgesetzter mit der Morgenronde weitermachte. Christy gehorte zu seinen Gehilfen, und der unprovozierte Anraunzer des Ersten hatte ihn geargert. Doch Rooke - oder Big Harry, wie man ihn respektvoll nannte - erriet den Grund fur Quantocks schlechte Laune. Er war ein guter Erster Offizier, aber nur, wenn man es vom Standpunkt des Kommandanten sah. Zu den Leuten war er scharf, und in Disziplinfragen lie? er nicht mit sich reden.
        Kapitan Glazebrook, der nach langen Wochen im Fieber gestorben war, hatte wegen seiner Krankheit die Ubersicht verloren. Quantock war wahrscheinlich nun der Meinung, da? ihm eine Beforderung gebuhre, am besten gleich der Befehl uber Achates. Rooke, der den Ersten nicht leiden konnte, verabscheute den Gedanken, da? dieser an Bord das Kommando haben konnte, wie eine Gotteslasterung.
        Quantocks scharfe Stimme schnitt in seine Uberlegungen.»Standard, das ist am wichtigsten, ein hoher Standard. Ich werde nicht zulassen, da? die Schiffsfuhrung durch Laxheit leidet.»
        Rooke sah den neuen Kommandanten uber Deck herankommen. Einen anderen Offizier hatte er wahrscheinlich gewarnt, aber Quantock verubelte er immer noch seine Unbeherrschtheit.

«Obendrein.»

«Mr. Quantock. «Keen wartete, bis der Erste zu ihm trat, damit sie von den Wachgangern nicht gehort werden konnten.»Ich bewundere Ihre Pflichttreue. Trotzdem ware es mir lieber, wenn Sie Ihre Ansichten in Zukunft mir gegenuber au?ern wurden und nicht vor der ganzen Mannschaft!»
        Bolitho hatte von der Poop aus das meiste mitbekommen und den
        Rest erraten. Machte es wirklich einen so gro?en Unterschied, da? sie unter Admiralsflagge segelten? Selbst Keen schien gereizt zu sein; vielleicht bedauerte er schon seine Beforderung, die ihn in eine Sackgasse gefuhrt haben mochte.
        Nein, daran lag es nicht, entschied Bolitho. Die Ungewi?heit war schuld. Das Vakuum, das der Friede fur die Marine bedeutete. Sie hatten sich zu sehr an den Kampf gewohnt, rechneten ungeduldig damit, und sein Ausbleiben wirkte wie ein Dampfer.

«An Deck! Segel in Luv voraus!»
        Keen blickte nach oben und wandte sich dann mit fragender Miene zu Bolitho um. Ihr Verfolger blieb ihnen also weiter auf den Fersen, lauerte wie ein Attentater knapp au?er Sicht.
        Vielleicht, dachte Bolitho, bekamen sie alle noch mehr Pulverrauch zu schmecken, als ihnen lieb war, obwohl die Unterschriften unter dem Friedensvertrag noch nicht lange getrocknet sein konnten. Mit neuer Zielstrebigkeit nahm er seinen Spaziergang wieder auf, als wolle er uberschussige Kraft verbrauchen.
        Er machte sich Vorwurfe, da? seine Phantasie mit ihm durchgegangen war. Nicht die Mannschaft, er selbst gierte nach Abwechslung, nach einem Zwischenfall, der ihn davon ablenken konnte, da? erbarmungslos ein Tag nach dem anderen verstrich.
        Achates wurde immer noch Richtung Boston unterwegs sein, wenn Belindas schwere Stunde nahte. Er kam sich vor wie in einer Falle, so hilflos.
        Dann fiel sein Blick auf Adam, der sich weiter vorn auf dem Batteriedeck mit dem jungen Marineleutnant Hawtayne unterhielt.
        Ich bin auch nicht besser als Admiral Sheaffe, dachte Bolitho. Neidisch, aber nicht auf den Erfolg, sondern auf die Jugend.
        Zum Gluck hatte er Belinda, die zehn Jahre junger war als er. Blo? da? er jetzt, da sie ihn brauchte, hier drau?en festhing wie Prometheus an seinem Felsen.

>Warum gerade du?< Er konnte immer noch ihre Stimme in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers horen. Ja, warum gerade er?
        Er verhielt den Schritt und lie? seinen Korper mit den Bewegungen des Schiffes schwingen, das souveran durch den Schwell des Atlantiks ritt. Vielleicht war es eine Art Besessenheit bei ihm. Die Gefangenschaft in Frankreich, seine Flucht, die hohen Verluste der letzten
        Schlacht gegen Remonds Geschwader waren zu viel gewesen und zu bald nach seiner schweren Verwundung gekommen. Wie zum Hohn wuhlte der alte Schmerz wieder in seinem Schenkel. Er versuchte, sich an Belindas Beruhrung zu erinnern, aber es gelang ihm nicht.
        Er rief:»Kapitan Keen, wenn es dunkelt, loschen wir alle Lichter und gehen uber Stag. Neuer Kurs Nordwest. Bis zum Morgen will ich dieses fremde Schiff in unserem Lee sehen, damit wir es stellen konnen.»
        Schon offnete Keen den Mund zum Protest, tippte dann aber gehorsam an den Hut.»Ich lasse jeden Fetzen Tuch setzen, Sir«, versprach er.
        Bolitho verschwand im Schatten unter dem Huttendeck und begab sich nach achtern in sein Quartier.
        War sein Entschlu? uberhastet, vielleicht sogar kindisch? Achates segelte allein, und dennoch hing so viel von ihr ab wie von einem Geschwader oder sogar von einer ganzen Flotte. Seine Leute hatten sich diese Mission nicht ausgesucht. Keen, der verbitterte Erste Offizier Quantock, sogar der Bootsmannsgehilfe Christy, der uber sein gutes Gedachtnis so geruhrt gewesen war, sie alle konnten Besseres von ihrem Admiral erwarten.
        Aber es gab einen entscheidenden Unterschied. In Keens Gedanken nahm das Schiff mit seiner Besatzung die erste Stelle ein, ihr Auftrag die zweite. Aber fur Bolitho mu?te die Achates ein Werkzeug sein, eine Waffe, um seinen Auftrag notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Zum erstenmal wurde ihm die Tragweite seiner neuen Verantwortlichkeit klar, und diese Erkenntnis festigte ihn.
        Allday stapfte in die Kajute und hangte den alten Sabel an seinen Platz. Er putzte und polierte ihn gern, auch wenn das bei der alten Waffe nicht viel nutzte; aber so hatte er wenigstens einen Vorwand, nach Belieben kommen und gehen zu durfen.
        Mit einem Seitenblick auf Bolitho, der mit windzerzaustem Haar auf der Bank unter den Heckfenstern sa?, stellte er fest, da? der Vizeadmiral wieder die Ruhe selbst war. Der Sturm schien vorbeigezogen zu sein.

«Ich frage mich, Sir.»
        Bolitho fuhr herum, er merkte erst jetzt, da? er nicht mehr allein war.»Was?»

«Na ja, Sir, ich meine, wenn Sie Gouverneur dieser Insel waren, die wir jetzt den Musjos in den Scho? werfen, was wurden Sie dann tun?»
        Bolitho erhob sich und ging zum Weinkabinett hinuber, wo er zwei Glaser Brandy eingo?.
        Eines reichte er dem erstaunten Allday und sagte:»Danke. Das ist genau der Punkt.
«Der Brandy brannte auf seinen Lippen.»Was ich tun wurde, Allday? Ich wurde mich wehren, wurde kampfen. Und genau das wird er wahrscheinlich tun.»
        Allday atmete auf. Er verstand zwar nicht ganz, was er mit seiner Frage bewirkt hatte, aber es erleichterte ihn, da? sich Bolithos Stirn glattete.
        Bolitho sah ihn voll Zuneigung an.»Dir hatten sie einen Sitz im Parlament geben sollen, Allday.»
        Allday stellte sein leeres Glas ab. In dieser Stimmung kannte er seinen Admiral noch nicht.»Dafur bin ich zu ehrlich, Sir.»
        Lachend wandte sich Bolitho den Fenstern zu und studierte die Wirbel des Kielwassers, das Achates hinter sich herzog.
        Nein, fur San Felipe gab es keine einfache Losung.
        Vielleicht hatte Sheaffe deshalb einen Mann gebraucht, der nicht nur taktvoll, sondern vor allem tapfer war. Aber da mu?te erst Allday kommen und ihn darauf sto?en.

«Alle Mann auf Stationen, Sir, Schiff klar zum Gefecht.»
        Keens Stimme kam aus der Dunkelheit, Bolitho konnte die Gestalt des Kommandanten kaum von den anderen Mannern an der Querreling unterscheiden.
        Keens standiges Exerzieren hatte bei der schon von ihrem alten Kommandanten gedrillten Mannschaft gute Fruchte getragen, dachte Bolitho. Das Kommando» Alle Mann!«hatte die Leute fruh alarmiert; sie hatten noch eine warme Mahlzeit bekommen, ehe sie alle Feuer loschten und das Schiff gefechtsklar machten.
        Trotzdem gab es kaum Anzeichen fur Nervositat oder Furcht vor drohender Gefahr. Es herrschte doch Friede, weshalb sollten sie sich also angstigen?

«Das ging leise vonstatten«, lobte Bolitho.
        Er schauderte kurz in dem kalten, feuchten Wind, der quer uber Deck fauchte. Erst in einer Stunde wurde die Sonne aufgehen und mit ihrer Warme die Planken zum Dampfen und das Pech der Decksnahte zum Schmelzen bringen.»Kurs West zu Nord liegt an, Sir.»
        Bolitho nickte. Das war Segelmeister Knockers Stimme gewesen. An Ruder und Kompa? hatte er das Sagen, ein Mann, der nur selten lachelte, hager und hochgewachsen, mit dem asketischen Gesicht eines Monchs. Aber seine Kursberechnungen und Standortbestimmungen waren so zuverlassig, wie sich Bolitho es nicht besser wunschen konnte.
        Einige Stuckmannschaften auf dem Batteriedeck flusterten miteinander und stie?en sich an. Ihnen war alles willkommen, was die langweilige Routine unterbrach. Was scherte es sie, wenn ihr Admiral verruckt genug war, wegen irgendeines bloden Fremdlings gefechtsklar zu machen?
        Eine andere Stimme meldete:»Es dammert schon, Sir.»
        Bolitho wandte sich um und spahte achteraus, wo sich die Kimm allmahlich abzuzeichnen begann. Wie viele Morgendammerungen hatte er so schon erlebt? fragte er sich. Und wie oft hatte er damit gerechnet, da? es sein letzter Tag war, den er da anbrechen sah?
        Wieder eine neue Stimme:»Der Strolch kann uns in der Nacht durch die Lappen gegangen sein.»
        Der Marinesergeant stampfte mahnend mit seiner Pike auf und befahl:»Schlu? jetzt, Jungs! Ich bitte mir Ruhe aus!»
        Schon wurden die gekreuzten Brustriemen der Marinesoldaten an den Finknetzen[Netze an Schanzkleid oder Reling, in denen die festverzurrten Hangematten der Mannschaft als Kugelfang verstaut wurden] heller, und als Bolitho zur Gro?maststenge aufblickte, sah er ihr Topp in fahles Gold getaucht. Wie die Spitze einer Lanze.
        Die Ausguckposten oben in den Krahennestern oder den schwankenden Marsen wurden das fremde Schiff als erste sehen. Falls es noch da war.
        Wahrend der ganzen Nacht hatte Keen die Achates nach Luv geknuppelt, hatte sich muhsam jede Meile mit dichtgeholten Brassen und mit Rahen erkampft, die beinahe langsschiffs standen: eine fast luckenlose Wand aus Segeltuch und Spieren.
        Achates machte ihrem guten Ruf alle Ehre. Sie reagierte willig und lie? sich von Segeln und Ruder anspornen wie ein Vollbluter.
        Bolitho lauschte dem Zischen, mit dem die See in Lee an der Bordwand abflo?, und dem gelegentlichen Quietschen einer Stucklafette, deren Taljen die Last zu spuren bekamen.
        Vorn ostlichen Horizont flo? das Tageslicht heran wie goldene Lava, die das Schiff zu verfolgen schien.

«Da ist sie! In Lee voraus!»
        Jetzt redeten alle zugleich, und Bolitho sah Keens Zahne aufleuchten, als dieser grinsend dem Segelmeister zunickte.
        Die Position, die sie sich erkampft hatten, war noch gunstiger als erwartet. Sie hatten nun den Windvorteil des Luvschiffs und konnten ihn auch halten, falls es zu einer Verfolgungsjagd kam.
        Bolitho starrte zu dem fernen Schemen hipuber, der auf dem dunklen Wasser langsam Gestalt annahm.
        Mit einem Klicken schob Keen sein Teleskop zusammen.»Doch gro?er als ein Schiff der funften Klasse, Mr. Pas - ah, Mr. Bolitho«, sagte er.
        Einige der Umstehenden schmunzelten, und Bolitho freute sich wie schon oft, da? er Adam um sich hatte.
        Er horte seinen Neffen zu Keen sagen:»Ganz Ihrer Meinung, Sir. Wahrscheinlich eher ein kurzer Zweidecker.»
        Keen trat zu Bolitho heran.»Ihre Befehle, Sir?»

«Wir warten ab. Noch hat er uns nicht bemerkt. Wenn es soweit ist, fordern Sie ihn auf, sich zu identifizieren.»
        Unglaublich, da? die Achates ungesehen so nahe herangekommen sein sollte. Das andere Schiff stand jetzt eine knappe Kabellange[Kabellange = ein Zehntel einer Seemeile oder 185, 2 m] an Backbord voraus, so da? sie schon sein wei?es Kielwasser unter dem Heck schaumen sahen. Das Brausen des Windes in Achates' durchgesetztem Rigg, das Brummen ihrer Spieren klangen laut genug, um Tote zu erwecken. Aber Bolitho wu?te, wie leicht man sich dabei tauschte.
        Plotzlich wurden die Gerausche von See und Wind durch ein schrilles Pfeifen druben ubertont. Er konnte sich die Szene genau vorstellen: ein verschlafener Ausguckposten, der wahrscheinlich Befehl hatte, beim ersten Licht nach Achates in Lee Ausschau zu halten, und unten die muden Wachganger, die ihre Ablosung und ein warmes Fruhstuck im Kopf hatten. Das war alles nur zu begreiflich.
        Plotzlich Quantocks scharfe Stimme:»Sie setzt die Bramsegel!»
        Keen nickte.»Die geben Fersengeld, Sir. Also hatten sie doch nichts Gutes vor.»
        Bolitho spurte einen kalten Schauer uber den Rucken laufen, als erlebe er das alles zum erstenmal: Triumph, Erregung oder Wahnsinn, wer wollte das beurteilen?

«Sobald es hell genug ist, setzen Sie Ihr Signal ab. Und bis dahin halten Sie ihn an Backbord voraus.»
        Keen nickte; die Erregung wirkte ansteckend, wie immer seit seinen Kadettentagen, vor einer Ewigkeit und in einem anderen Erdteil.

«Lassen Sie die Toppgasten aufentern, Mr. Quantock. Wir brauchen mehr Segelflache.

        Pfeifen schrillten, wahrend schon die ersten Manner zu beiden Seiten in den Webeleinen emporkletterten; beim Aufentern erfa?te sie die fahle Morgensonne und lie? ihre Korper ergluhen.

«Noch einen Strich nach Luv. Bemannt die Brassen dort!»
        Gischt scho? uber Bugspriet und Vorschiff und sprenkelte das Deck wie ein tropischer Regengu?.
        Aber auch das andere Schiff hatte mehr Segel gesetzt und schien zugig Distanz zu gewinnen.
        Unter Bolithos Fu?en erzitterten die Planken, als Achates den Kamm einer See erklomm und ins nachste Wellental krachte. Er spurte die starkere Zugkraft des zusatzlichen Tuchs und horte das riesige Gro?segel sich donnernd entfalten, sobald die Gordings oben lose kamen.
        Bolitho stieg auf eine Lafette und richtete sein Glas auf das Schiff vor ihnen. Es wurde jetzt schnell heller, deshalb konnte er schon das vergoldete Schnitzwerk an Heckgalerie und Poop des Fremden schimmern sehen und den Glanz der rotlichen Morgensonne auf seinen Heckfenstern, als hatten sie Feuer an Bord.

«Kein Franzose«, stellte Keen fest.

«Vielleicht ein Hollander«, uberlegte ein anderer.
        Aber sie irrten sich alle. Bolitho hatte schon ganz ahnliche Schiffe gesehen und glaubte die Werft zu kennen, wo sie auf Kiel gelegt worden waren.
        Er sagte:»Ein Spanier. Ich habe mit seinesgleichen schon manchen Strau? gefochten.

        Niemand antwortete, und Bolitho mu?te sich ein Lacheln verkneifen. Ob er nun recht hatte oder nicht, niemand wiedersprach einem Admiral, und wenn er noch so jung war.
        Keen nickte.»Und ich stimme dem Flaggleutnant zu, Sir. Sie ist zu gro? fur eine Fregatte. So, wie sie aussieht, hat sie mindestens funfzig Kanonen, schatze ich.»

«Signalisieren Sie, sie soll Segel kurzen.»
        Bolitho spurte, wie sich um ihn Gleichgultigkeit verbreitete. Die Jagd war vorbei, ehe sie richtig begonnen hatte.
        Die Signalflaggen stiegen auf zu ihrer Rah, wo sie knatternd auswehten. Aber die Signalrah druben blieb leer, nicht einmal das Bestatigungssignal wurde gehei?t.

«Sie fallt jetzt ein bi?chen ab, Sir.»
        Bolitho richtete sein Glas neu aus und glaubte, neben einer der Pooplaternen druben Sonnenlicht von einer Teleskoplinse reflektieren zu sehen. Achates' Kurswechsel im Schutze der Nacht mu?te sie ziemlich uberrascht haben.
        Keen befahl:»Folgen Sie der Drehung! Neuer Kurs West zu Sud. «Er warf einen Blick auf Bolithos unbewegte Miene,

«Lassen Sie das Signal stehen«, sagte dieser.
        Beide Schiffe fuhren nun in Kiellinie, als schleppe der Fremdling Achates an einer unsichtbaren Trosse ab.
        Keen schritt ruhelos auf und ab und versuchte, den nachsten Zug des fremden Kommandanten zu erraten. Wenn er weiter nach Lee abdrehte, blieb die Achates im Vorteil. Wenn er aber auf so kurze Distanz nach Luv aufkreuzen wollte, mu?te er kostbare Zeit verlieren, und Achates konnte leicht zu ihm aufschlie?en.
        Der Leutnant der Achterwache lie? sein Glas sinken.»Sie bestatigt immer noch nicht, Sir. Dabei sollten sogar die Dons mittlerweile unseren Signalkode kennen!»
        Quantock brullte:»Notieren Sie diese Manner, Sergeant!«Wutend fuchtelte er mit seinem Sprachrohr zu einem Achtzehnpfunder hinuber, dessen Mannschaft ihre Station verlassen hatte, um nach dem fremden Schiff auszuspahen.»Hol mich der Teufel, was fallt denen ein?»
        Keen meinte:»Wenn der Wind so bleibt, lasse ich Leesegel setzen… »
        Bolitho wischte sich die tranenden Augen und hob abermals das Glas. Achates hielt mit dem Fremdling mit, obwohl dieser die Royals gesetzt hatte, um ihr zu entkommen. Aber der Wind konnte abflauen oder ganz einschlafen. Wenn Achates sie nicht vor Einbruch der Nacht gestellt hatte, wurden sie nie erfahren, was da vor sich ging.
        Seltsam, das Ganze. Bolitho konzentrierte sich vollig auf die kleine, lautlose Welt in der Linse seines Fernrohrs. Das fremde Schiff trug einen frischen Farbanstrich, als ware es wie die Achates eben erst aus dem Dock gekommen. Aber auf dem breiten roten Streifen quer ubers Heck fehlte der Schiffsname. Entweder war sie uberhastet in See gegangen, oder sie wollte ihre Identitat verschleiern.
        Er horte Achates' Ruder knarren, als das Schiff vor ihnen weiter nach Lee abfiel.
        Noch einmal spahte er scharf hinuber, denn er glaubte zunachst, seine uberanstrengten Augen hatten ihm einen Streich gespielt. Aber nein, zu beiden Seiten des Ruders druben hob sich der Deckel einer Stuckpforte, und noch wahrend er hinsah, begann das Licht auf den langen Rohren der beiden Heck-Kanonen zu spielen.
        Quantock explodierte.»Holle und Teufel, er wird es doch nicht wagen, auf ein englisches Kriegsschiff zu feuern!»
        Aber da erzitterte die Luft schon vom Doppelknall der Kanonen, und als der Rauch in dicken Wolken leewarts trieb, spurte Bolitho die Eisenkugeln in Achates' Bug schlagen, da? sie erzitterte wie unter dem Hieb einer Riesenfaust.
        Befehlsgebrull kampfte gegen den plotzlichen Hollenlarm an, Gesichter wandten sich dem Achterdeck zu, als seien die Manner vor Verbluffung bewegungsunfahig geworden.

«Laden und ausrennen, Kapitan Keen«, befahl Bolitho knapp.
        Der andere Kommandant mu?te toll geworden sein, einen 64er anzugreifen. Gleich wurde Keen abdrehen und ihm eine volle Breitseite in den Rumpf schie?en. Das mu?te Tote geben - aber mit welchem Sinn und Zweck?
        Am Backbordrumpf der Achates flogen die Stuckpforten fast gleichzeitig auf, kreischend rollten die Achtzehnpfunder, nur von den schrillen Bootsmannspfeifen ubertont, das schragliegende Deck hinunter, bis ihre Rohre der See entgegenbleckten. Im Deck darunter wurden die Mundungen der schweren Vierundzwanzigpfunder nur wenige Fu? uber dem Wasser hangen. Achates lag unter ihrer gewaltigen Segelflache so stark uber, da? es ein Wunder war, wenn die See nicht in die offenen unteren Stuckpforten wusch.»Bugkanonen - Feuer!»
        Keen hatte die Hande auf dem Rucken verschrankt - so fest, da? Bolitho die Knochel wei? hervortreten sah. Was erblickte er in dem Schiff da vorn, eine unerwartete Prise oder den Ruin seiner Laufbahn?
        Wieder feuerte der andere, und Bolitho mu?te sich beherrschen, um nicht zusammenzuzucken, als die Kugel ihr pralles Gro?segel durchschlug, das der Wind sofort in tausend flatternde Fetzen ri?.
        Aber die Stuckmeister an den Bugkanonen der Achates mu?ten geschlafen haben. Jetzt konnten sie nicht einmal mehr Ziel auffassen, uberlegte Bolitho.
        Entlang des Batteriedecks stand jeder Stuckmeister mit erhobener Hand an seiner Kanone.
        Gepre?t sagte Keen:»Klar zur Halse, Mr. Knocker! Wir kreuzen sein Heck und beharken ihn dabei. Das sollte ihm was zu schlucken geben!»
        Seine Stimme klang wutend. Es wurmte ihn, was da geschah.

«An die Leebrassen! Klar auf dem Achterdeck!«Quantocks metallverstarkte Stimme schien von uberall zugleich zu kommen.
        Und in diesem Augenblick feuerte ihr Gegner ein drittes Mal. Bo-litho glaubte fast, die verwischte Bahn der Kugel zu sehen, bevor sie das Backbord-Seitendeck zerschmetterte; der andere Schu?, mit Ma-ximalelevation abgefeuert, heulte uber die Back heran.
        Es war ein letzter, verzweifelter Versuch, den Jager abzuschutteln. Und er hatte Erfolg.
        Zuerst knallte es, einmal und ohrenbetaubend laut, und Sekunden spater kam krachend die Vormaststenge herunter. Spieren und wild schlagendes Segeltuch regneten an Deck. Gleich darauf wankte der Vormast und schlug, sein gebrochenes Rigg wie ein Nest zuckender Riesenschlangen hinter sich herziehend, splitternd aufs Leedeck, von wo er mit einem gewaltigen Aufklatschen ins Wasser sturzte.
        Bolitho horte neben sich den halberstickten Entsetzensschrei eines Kadetten, als die Wrackteile einige Seeleute mit uber Bord rissen; ihr Aufbrullen ging im tosenden Inferno unter.
        Die nachgeschleppten Spieren und Leinen wirkten wie ein riesiger Seeanker und zogen den Bug herum, immer weiter aus dem Kurs, bis alle Segel, die fur die Verfolgungsjagd so sorgsam getrimmt worden waren, in wildem Durcheinander schlugen.
        Bootsmann Rooke und seine Leute attackierten unten schon das Chaos, kappten mit Axthieben die Wrackteile, um das Schiff wieder flott zu machen. Die Stuckmannschaften hantierten fieberhaft mit Taljen und Handspaken, um ihre Kanonen auszurichten, aber die Achates wurde immer weiter nach Lee gedruckt, so da? die Rohre sich blind auf die leere See richteten, wahrend das Ziel schon in sicherer Entfernung stand.
        Bolitho versuchte sich bewu?t zu entspannen, aber sein Korper war wie eine uberdehnte Bogensehne kurz vor dem Zerrei?en.
        Von einem Augenblick zum anderen war sein Schiff zum Kruppel geschossen worden. Hatte es sich um ein ernsthaftes Gefecht gehandelt, ware der Feind jetzt schon uber Stag gegangen, um sie vom Bug bis zum Heck mit seinen Breitseiten einzudecken.
        Hoch uber Deck schrien die Toppgasten einander Anweisungen zu, wahrend sie die Segel aufzugeien versuchten, bevor das Schiff total entmastet werden konnte.
        Keen entrang sich ein verzweifelter Ausruf:»Das werde ich mein Lebtag nicht vergessen! Niemals!«Er starrte Bolitho an, als erwarte er eine Antwort von ihm. Sie hatten keinen Grund, auf uns zu feuern!»
        Bolitho sah allmahlich wieder eine gewisse Ordnung an Bord einkehren, die Schiffsbewegungen wurden kontrollierter, und sie reagierte auf das Ruder; aus dem Wirrwarr auf dem Vorschiff ragte der Maststumpf wie ein abgebrochener Zahn.
        Er sagte zu Keen:»Einen Grund hatten sie schon. Und ich beabsichtige, ihn herauszufinden. Damit wir beim nachsten Mal nicht uberrascht werden.»
        Offiziere eilten zu Keen, um sich neue Befehle zu holen. Die dienstalteren Leute an Bord wurden ihn jetzt mit dem fruheren Kommandanten vergleichen. Egal, was sie dachten, es war jedenfalls kein guter Anfang.
        Bolitho sagte:»Beruhigen Sie die Leute und bringen Sie das Schiff wieder auf Kurs.

        Es kostete ihn gro?e Anstrengung, beherrscht zu sprechen. Sie hatten eine Niederlage einstecken mussen und Tote zu beklagen - es sei denn, das ausgesetzte Beiboot konnte noch Uberlebende aus den achteraus abtreibenden Trummern fischen.
        Nur aus Instinkt, aus einer schlimmen Vorahnung heraus hatte er Keen befohlen, zu dem Fremdling aufzuschlie?en.
        Jetzt war eine Verfolgung unmoglich geworden, das namenlose Schiff zog unter Vollzeug schnell davon.
        Keen tat ihm leid. Er hatte sich und die Mannschaft so geschunden, um den Anforderungen seines Admirals zu genugen, hatte geglaubt, den fremden Kommandanten zu uberraschen, aber dann, als die Falle zuschnappte, war der Gegner gewappnet - und Keen war es nicht.
        Der Schiffsarzt Tuson, dessen wei?es Haar der Wind zauste, gestikulierte zu den verfilzten Rigghaufen hinuber. Darunter mu?ten noch mehr Leute liegen.
        Mit blassem, grimmigem Gesicht nahm Keen die Meldungen seiner Offiziere entgegen.
        Heute hatte er eine Lektion bekommen, die er nie mehr vergessen wurde, dachte Bolitho.
        Er gewahrte Adams besorgten Blick. Vielleicht dachte der Junge an seinen Vater. Hugh hatte damals unter falscher Flagge Bolitho getauscht und sein Schiff zuschanden geschossen.
        Bolitho ging zur Poop und zog den Kopf ein, als er in den Schatten unter Deck trat.
        Auch ich habe eine Lektion vergessen, dachte er. Namlich, da? es immer der letzte Sonnenaufgang sein kann.



        IV Alte Feinde - neue Freunde


«Nordwest zu Nord liegt an, Sir! Immer noch Ruder im Schiff!«Selbst die Stimme des Rudergangers klang gedampft, als Achates nur unter Bramsegeln und Kluver langsam auf ihren Ankerplatz zukroch.
        Die Mittagssonne brannte hei? auf die nackten Schultern der Seeleute herab, die wartend an den Brassen standen oder auf den Rahen ausgelegt hatten. Bis auf die letzten paar Kabellangen war ihre Reise zu Ende.
        Bolitho hielt sich etwas abseits von Keen und seinen Offizieren und starrte zu der Kustenlinie hinuber, die im schimmernden Glast langsam Gestalt annahm.
        Bei Morgengrauen hatten sie Cape Cod schon querab gehabt, aber dann war die schwache Brise fast eingeschlafen, und es wurde Mittag, ehe sie ans Ankern denken konnten.
        Bolitho hob das Glas und studierte die Reede mit ihrem Dickicht aus Masten, Spieren und aufgetuchten Segeln - ein greifbarer Beweis fur das Bluhen und Gedeihen des Hafens von Boston. Schiffe und Flaggen aller Nationen gaben sich hier ein Stelldichein, Leichter hasteten zwischen ihnen und der Pier hin und her wie Wasserkafer.
        Auch einige Kriegsschiffe lagen hier, konstatierte Bolitho. Zwei amerikanische Fregatten und drei Franzosen, einer davon ein machtiger Dreidecker, an dessen Besanmast eine Admiralsflagge mude flappte.
        Bolitho schwenkte das Glas, bis der Landvorsprung in Sicht kam, der sich ihrem Backbordbug entgegenstreckte. Da war das vielsagende graue Band der Befestigungswalle und hoch daruber die Flagge.
        Bolitho machte sich klar, was er empfand und warum sein Mund plotzlich trocken wurde. Es war jetzt neunzehn Jahre her, seit er in diesen Gewassern gesegelt, an dieser Kuste gelandet war. In einem anderen Krieg, mit anderen Schiffen. Nun fragte er sich, was sich alles geandert haben mochte und wie er selbst darauf reagieren wurde.
        Er horte Keens scharfen Befehl:»Beginnen Sie mit dem Salut, Mr. Braxton!»
        Das Krachen der ersten Kanone rollte uber die Massachusetts Bay wie eingefangener Donner, wahrend der Pulverrauch auf dem glatten Wasser hing, als hatte er nicht die Kraft, hoher zu steigen. Kreischend flatterten Mowen und andere Seevogel von ihren Standplatzen auf, als das Schiff und die Batterie an Land Schu? um Schu? ihre Gru?e tauschten.
        Bolitho mu?te wieder an die Tage denken, die ihrem Gefecht mit dem namenlosen Schiff gefolgt waren. Beschamung und Wut wichen der fieberhaften Entschlossenheit, eine offene Rechnung zu begleichen«, wie Allday es formuliert hatte. Die Schaden in der Takelage waren schlimmer gewesen als die am Rumpf, und vom Kommandanten bis zum kleinsten Pulverjungen hatten alle ihr Bestes gegeben, um das Schiff zu reparieren, ehe in Boston der Anker fiel.
        Eine neue Vormaststenge war an den geschafteten Mast gelascht worden, laufendes Gut und Segel wurden ersetzt, wahrend ein kraftiger Nordost gutes Vorwartskommen versprach. Zuletzt hatten Farbe, Pech und Schwei? die Arbeit vollendet.
        Der Eifer war ansteckend gewesen; Bolitho hatte die vier Holzattrappen aus seiner Kajute entfernen und wieder durch die Achtzehn-pfunder ersetzen lassen. Sie raubten ihm zwar Platz, symbolisierten aber seine Entschlossenheit, sich nie wieder mit verhangtem Zugel uberraschen zu lassen.
        Voraus sah er ein amerikanisches Wachboot bewegungslos uber seinem Spiegelbild warten, um das britische Kriegsschiff an den Ankerplatz zu lotsen.
        Bolitho beschattete seine Augen und studierte die Kuste: wei?e Holzhauser, mehrere Kirchen, Sonnenreflexe auf Fenstern und polierten Kutschen am Kai. Vielleicht beobachtete dort druben manch einer das langsam herangleitende Schiff und erinnerte sich wieder an die schlimmen Tage der Revolution, an den Krieg, der Bruder gegen Bruder antreten lie?.

«Alles klar, Sir!»

«Dann stellt sie in den Wind«, antwortete Keen.

«An die Lee-Brassen! Fiert weg«, kam Quantocks prompter Befehl. Bolitho blickte zum Gro?bramsegel auf. Die Brise reichte kaum aus, es killen zu lassen. Noch ein oder zwei Minuten, und sie hatten in einer Totenflaute gelegen.

«An die Bramsegelschoten!«Quantock beugte sich weit uber die Querreling und schwenkte sein Sprachrohr von einer Seite zur anderen, wahrend er seine Manner hoch oben in der Takelage nicht aus den Augen lie?.»Klar bei Geitauen!»

«Leeruder!«kam Keens Anweisung.
        Zogernd drehte Achates in den einschlafenden Wind, das wei?e Ge-krausel vor ihrem Steven verschwand mit dem letzten bi?chen Fahrt.»La? fallen Anker!»
        Keen war schon auf der anderen Seite des Decks, noch ehe der schwere Anker gefa?t hatte.

«Und jetzt die Sonnensegel und Persennings, Mr. Quantock! Ein bi?chen lebhaft! Da vorn sind heute alle Glaser auf uns gerichtet.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Keen war nervos, er grubelte langer als jeder andere an Bord immer noch uber ihr kurzes Duell mit dem geheimnisvollen Schiff.
        An dem Tag hatten sie zwei Manner verloren. Der eine war ertrunken, der andere von Wrackteilen erschlagen worden. Aber an Keen fra? noch etwas anderes, denn schlie?lich lebte ein Seemann immer riskant. Durch Unfalle an Bord oder im Kampf mit See und Wind starben mehr Manner als unter Feindbeschu?.
        Doch Keen nahm es schwer. Trotz seiner Erfahrung und unbestritten klugen Kampftaktik machte er sich wegen seiner falschen Lagebeurteilung Vorwurfe. Oder verscharfte die Tatsache, da? er Bolithos Flaggkapitan war, so sehr die Anforderungen, die er an sich stellte?
        Bolitho war selbst mehrfach als Flaggkapitan gefahren und konnte nachempfinden, was Keen durchmachte. Damals war er dankbar gewesen, als sein Admiral ihn in Ruhe gelassen und ihm Gelegenheit gegeben hatte, seinen Fehler wieder gutzumachen. Ganz gewi? sollte Keen die gleiche Chance von ihm bekommen.
        Sanft schwojte Achates an ihrer Ankertrosse, wahrend an Deck alle Mann wie besessen arbeiteten, um die Boote auszuschwenken und die Sonnensegel aufzuspannen, die die Mittagsglut etwas ertraglicher machen wurden.
        Bolitho sah Knocker seine Ruderganger unter Deck entlassen. Dann studierte er die Berechnungen auf der Schiefertafel neben dem Kompa?, die ein Kadett angestellt hatte. Dabei rieb er sich nachdenklich das kraftige Kinn.
        Knocker hatte guten Grund, mit sich zufrieden zu sein, uberlegte Bolitho. Trotz allem hatte Achates die Reise von Hampshire nach Boston in der Rekordzeit von nur sechzehn Tagen geschafft. Fur einen leichten Zweidecker, der unterwegs auch noch Reparaturen ausfuhren mu?te, war das keine schlechte Leistung. Bolitho wollte dem griesgramigen Segelmeister dafur seine Gluckwunsche aussprechen, doch da war er bereits im Kartenraum verschwunden.
        Also trat er statt dessen an die Webeleinen und blickte zu den einheimischen Booten hinunter, die den Neuankommling schon zu umkreisen begannen. Er sah gebraunte Gesichter, farbenfrohe Gewander und viele neugierige Blicke. In Boston war man an Schiffe aller mo glichen Nationalitaten gewohnt, aber seit dem Krieg hatten nicht viele britische Kriegsschiffe hier Anker geworfen.
        Bolitho horte Schritte an Deck und sah seinen Neffen mit einem Packen Dokumenten unter dem Arm herantreten.

«Aha, du nimmst deine Aufgabe also ziemlich ernst, Adam.»
        Der schwarzhaarige Leutnant lachelte.»Aye, Sir. Aber ich verzichte gern auf jede Beforderung, wenn ich dafur dieses Schiff verlassen mu?te.»
        Bolitho hatte Verstandnis fur seine gute Laune. Zwar erwahnten beide kaum je Bolithos gro?zugige Geste, die sie noch enger verbunden hatte, aber Adam suchte an manchen Abenden, die er bei seinem Alter sicher lieber unter seinesgleichen in der Messe verbracht hatte, Bolithos Nahe, um ihm die Zeit und die truben Gedanken an Belinda zu vertreiben. Ware Bolitho noch Kommandant gewesen, hatten ihn die Reparaturen und anderen Anforderungen nicht zum Nachdenken kommen lassen; aber so blieb ihm wahrend der Reise zu viel freie Zeit, nur mit Allday oder seinem Steward als Gesprachspartner. Da waren ihm Adams Besuche hochwillkommen gewesen.
        Aber jetzt lag das Schiff vor Anker, hatte seine Aufgabe furs erste erfullt, und Bolitho war endlich aufgerufen, zu handeln und das Vertrauen zu rechtfertigen, das Sheaffe in ihn gesetzt hatte.
        Leutnant Mountsteven, der Wachoffizier, tippte gru?end an seinen Hut und meldete: Ein Boot halt auf uns zu, Sir.»
        Keen nickte.»Besuch fur Sie, Sir.»
        Bolitho wu?te, da? seine Anwesenheit hier oben storte; er sagte:»Ich bin in meiner Kajute, wenn Sie mich brauchen.»
        Als er unter Deck ging, horte er die Seesoldaten zur Eingangspforte laufen und die Offiziere ihre Kommandos bellen, damit Achates fur den ersten Abgesandten des Landes gerustet war.
        Ozzard raumte die gro?e Achterkajute auf, obwohl sie in Bolithos Augen eigentlich stets makellos sauber war. Er trat an die offenen Heckfenster und sah ein Boot im Schatten unter dem Rumpf verweilen, wahrend die Insassen neugierig Achates' vergoldete Galerie und Heckschnitzereien bestaunten. Unbehaglich machte er sich klar, da? sein Bruder Hugh einst hier stationiert gewesen war, unter Leuten wie diesen in der Stadt gelebt hatte. Von Adams Existenz hatte er damals nichts geahnt. Und nun kam Adam statt seiner zuruck, trat vielleicht in seine Fu?spuren. Bolitho wurde unruhig. Vielleicht hatte er Adam doch nicht hierher mitnehmen sollen, mochte es seiner Karriere auch noch so forderlich sein.
        Die Tur ging auf, und da stand Adam, einen dicken Briefumschlag in der Hand.»Wir sind fur heute abend zu einem Empfang geladen, Onkel«, sagte er und hielt Bolitho den Umschlag hin.»Man hat mich soeben informiert, da? der Prasident der Vereinigten Staaten einen Gesandten zu deinem Empfang nach Boston beordert hat.»
        Bolitho verzog das Gesicht.»Und damit wei? nun alle Welt, was wir hier vorhaben, Adam. Wenn sie uns schon so lange erwarten, kann es nicht uberraschen, da? wir nur acht Tage nach unserem Auslaufen in einen Zwischenfall verwickelt wurden.»
        Adam nickte.»Offenbar haben wir ziemliches Aufsehen erregt. «Aber dann uberzog ein Grinsen sein Gesicht.»Vielleicht wollen sie doch noch ihre Steuerschulden an Konig George bezahlen?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wenn du auch an Land so kesse Reden schwingst, dann bricht unseretwegen eher ein neuer Krieg aus!»
        Als Bolitho spater bequem im Sessel ausgestreckt lag und sich von Allday fur den Abend rasieren lie?, versuchte er, sich uber das Ausma? seiner Verantwortung klar zu werden.
        Die Fregatte Sparrowhawk mu?te nun bald von San Felipe nach Boston auslaufen. Ihr Kommandant, Kapitan Duncan, war nicht unbedingt ein diplomatisches Genie. Gewi? hatte er dem Gouverneur der Insel vorschriftsma?ig seine Aufwartung gemacht, ehe er um weitere Befehle nach Boston aufbrach; aber genauso gewi? hatte er Rivers nicht im unklaren uber den Ausgang der Affare gelassen.
        Trotz allem, was Sheaffe ihm erklart hatte, kam es Bolitho immer noch unmenschlich und sinnlos vor, die Insel den Franzosen zuruckzugeben. Dabei dachte er weniger an Strategie oder Diplomatie, sondern mehr an ihre Bewohner. Viel zu oft hatte die Insel sich aus eigener Kraft gegen feindliche Uberfalle wehren mussen und hatte sogar selbst Schiffe ausgesandt, die im Namen des Konigs Prisen eroberten oder den Feind irritierten. In London und Paris sah man das alles aus ganz anderem Blickwinkel. Fur Bolitho aber, der mit geschlossenen Augen unter Alldays Rasiermesser lag, war die ganze Sache allmahlich so ratselhaft wie ein chinesisches Munzorakel.
        Nach der Backofenhitze unter Deck geno? Bolitho dankbar die kuhlere Abendluft, als er in sein Langboot hinabkletterte. Er fuhlte sich seltsam gespannt, wie ein Entdeckungsreisender beim ersten Schritt auf noch unerforschtem Terrain.

«Rudert an - zugleich!«knurrte Allday, und die Bootsgasten pullten mit gleichma?igen, exakten Riemenschlagen das grun gestrichene Boot in einer weiten Kurve zum Land.
        Der Erste Offizier hatte an Bord zuruckbleiben mussen, eine bittere Pille in einem so verlockenden Hafen, dachte Bolitho. Dann musterte er Keen, der ihn zum Empfang begleitete, und fragte sich, ob der Kommandant sich allmahlich entspannen konnte. Seit sie vor Anker lagen, hatte Keen die gro?te Arbeitslast zu tragen, denn er mu?te sich nicht nur um die Belange des Schiffes kummern, sondern auch einen endlosen Besucherstrom abfertigen, und zwar jeden einzelnen entsprechend seinem Rang und seiner Mission: die Kommandanten der amerikanischen Fregatten samt diversen Untergebenen, den Hauptmann der Hafenwache und einen au?erst hoflichen und gewandten jungen Herrn, der sich als Sohn ihres Gastgebers entpuppte.
        Als das Langboot mit schnellem Riemenschlag an der Achates vorbeizog, vermochte Bolitho nicht zu widerstehen und musterte den Rumpf scharf nach verraterischen Spuren ihres kurzen Gefechts. Aber er konnte keine mehr entdecken - dank des geschickten Schiffszimmermanns und seiner Crew.
        Einen letzten Blick warf er der schmucken Galionsfigur zu:
        Achates, der treue Freund und Schwerttrager des Aeneas, leuchtete in klarem Wei?, mit einem Arm nach vorn deutend, in der anderen Hand das Schwert. Unter der Farbe wirkte die Holzfigur rund geschliffen vom Zahn der Zeit; gewi? hatte sie mehr Lander und Meere gesehen als irgend jemand an Bord und hatte Sturme erlebt wie kaum ein anderer.
        Das Boot passierte einen machtigen Indienfahrer, der trotz der spaten Stunde immer noch eifrig Fracht ubernahm. Hastig kam einer seiner Offiziere an die Reling gerannt und lupfte gru?end den Hut, als das Admiralsboot an seinem Heck vorbeizog.
        Ironischerweise war es ein Handelsstreit um Tee gewesen, der die Feuer der Revolution entfacht hatte, sann Bolitho. Und jetzt kamen und gingen die stolzen Handelsschiffe, wie es ihnen beliebte, wahrend ein Kriegsschiff sich nur im eigenen Hoheitsgewasser frei bewegen konnte.
        Allday bellte ein Kommando, und der Bugmann erhob sich von seinem Platz, den Bootshaken in der Faust, klar zum Einhaken in die Festmacherketten.
        Immer noch drangten sich Neugierige auf der Pier, und einige von ihnen hatten offensichtlich den ganzen Nachmittag hier verbracht. Die Fahrleute von Boston mu?ten an ihren sensationslusternen Passagieren schon ein Vermogen verdient haben.
        Keen, Hauptmann Dewar von den Royal Marines, zwei Leutnants und Adam Bolitho waren als Gaste ins Haus eines einflu?reichen Bostoner Kaufmanns namens Jonathan Chase geladen; die restlichen Offiziere hatten anderweitige Einladungen erhalten. Keen hatte sie alle ermahnt, jedes Wort gut zu uberlegen und die Ohren offen zu halten, ob ihr Gefecht mit dem unbekannten Schiff erwahnt wurde; daraus hatte sich schlie?en lassen, da? diese Nachricht - mit wem? - ihnen schon vorausgeeilt war.
        Bolithos Blick fiel auf einige junge Frauen an der Pier. Die besonders zuverlassigen Matrosen und Seesoldaten hatten ebenfalls Landurlaub erhalten. Aber nach den aufgeweckten Gesichtern dieser lachelnden Madchen zu schlie?en, wurde es den britischen Seeleuten hier verdammt schwerfallen, den Mund zu halten.
        Trotz allem: Der Anschein des Alltaglichen, des Unbeschwerten mu?te gewahrt werden, alte Vorurteile mu?ten verdrangt, wenn schon nicht ganz vergessen werden.
        Die Bootsgasten stellten salutierend ihre Riemen senkrecht, Allday zog gru?end den Hut und vergewisserte sich, da? Bolitho auf den nassen Steinstufen nicht ausglitt.
        Bolitho lachelte dankend.»Feine Crew, Allday.»
        Selbst Allday hatte zugeben mussen, da? die neue Barkasse ein Schmuckstuck war. Und die Bootscrew in ihren karierten Hemden, geteerten Huten und mit Haarzopfen von exakt gleicher Lange hatte nicht besser ausgewahlt sein konnen.
        Timothy Chase, der Sohn ihres Gastgebers, wartete bereits neben zwei eleganten Kutschen. Er reichte Bolitho unter den neugierigen Blicken der Umstehenden die Hand.

«Sie sind uns willkommen, Admiral. Wie meine Mutter sagt - wir mussen an die Zukunft denken.»
        Gelenkig sprang Hauptmann Dewar aus der Barkasse an Land, und beim Anblick seiner roten Uniform wurde die Menge unruhig.»Obacht, Jungs, die Rotrocke kommen zuruck! schrie einer.
        Aber die allgemeine Stimmung war nicht feindselig, sondern eher von gutmutigem Spott gepragt.
        Die Fahrt zur Residenz der Chases ging fur Bolitho viel zu schnell vorbei; der junge Timothy lenkte seine Aufmerksamkeit immer wieder auf Sehenswurdigkeiten oder besonders stattliche Anwesen, an denen ihre Kutsche vorbeiratterte. Offenbar war er sehr stolz auf die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Etwa im gleichen Alter wie Adam, wirkte er weniger reserviert, als er lebhaft jedes Haus und seine Bewohner beschrieb.

«Insgesamt ist das Stadtbild von Boston gepflegter als das jeder anderen Stadt Neuenglands, Sir«, hob er hervor.
        Bolitho fiel auf, da? die meisten Hauser aus Holz gebaut waren, auch wenn manche Fassaden dem Schnitt und der Verarbeitung nach Steinmauern vortauschten. Bolitho lachelte in sich hinein. Sein Gastgeber war zwar ein reicher Mann, aber sein Reichtum stammte - wie Bolitho aus seinen Geheimunterlagen wu?te - nur von den Prisen seiner Freibeuter ab, die er wahrend der Revolution gegen die Briten ausgeschickt hatte.
        Uberhaupt war Boston ein Freibeuternest gewesen - wie so viele Hafen an dieser Kuste, bis hinauf nach Portland.
        Die beiden Kutschen bogen von der Stra?e in eine lange Auffahrt ein, die zu einem ausgewogen proportionierten dreigeschossigen Haus fuhrte. Wie andere Hauser Bostons war es wei? gestrichen und hatte hohe grune Laden an allen Fenstern. Hinter vielen Scheiben brannte schon warmes, festliches Licht.

«Na, Adam, was haltst du davon?«fragte Bolitho leise.
        Adam lie? sich nichts anmerken.»Ich konnte mich ohne weiteres an das Wohlleben gewohnen, Sir«, sagte er ebenso gedampft.
        Es fiel nicht schwer, sich ihren Gastgeber als Kapitan auf dem Achterdeck eines Freibeuters vorzustellen. Er hatte eine laute, drohnende Stimme, die es gewohnt schien, herrisch das Wuten des Sturms oder den Donner der Kanonen zu ubertonen. Jonathan Chase war ein vierschrotiger, kantiger Mann mit eisengrauem Haar und einer Haut wie aus dunkel gegerbtem Leder.

«Also, Admiral, es ist mir ein gro?es Vergnugen. «Er packte Bo-lithos Hand und musterte aufmerksam sein Gesicht.»Und eine besondere Ehre, einen so beruhmten Seemann begru?en zu durfen.»
        Bolitho fand den Mann sympathisch.»Es war sehr freundlich von Ihnen, Ihr Haus fur dieses Treffen zur Verfugung zu stellen.»
        Chase. grinste.»Wenn Thomas Jefferson etwas vorschlagt, dann fackelt man hier nicht lange, mein Freund. Auch wenn er erst seit einem Jahr unser Prasident ist, so hat er doch schon begriffen, da? Macht schneller zu Kopfe steigt als Wein. «Das schien Chase zu amusieren.
        Livrierte schwarze Diener nahmen die Hute der Besucher entgegen, und dann folgte Bolitho dem Hausherrn in einen gro?en Salon voller Gaste. Chase deutete mit dem Kopf auf ein Tablett mit Glasern.»Hoffentlich habe ich mit dem Wein Ihren Geschmack getroffen, Admiral. Er kommt aus Frankreich.»
        Bolitho lachelte nachdenklich.»In der Tat.»
        Fremde Gesichter glitten an ihm vorbei, als Chase seine Freunde und Geschaftspartner vorstellte; Bolitho wurde immer deutlicher bewu?t, welche Autoritat sein Gastgeber besa? und welch hohes Ansehen.
        Keen war sofort von zwei attraktiven Damen mit Beschlag belegt worden, und eine dritte fuhrte Hauptmann Dewar so entschlossen hinaus auf die Terrasse, als wolle sie ihn an diesem Abend mit keiner anderen teilen.
        Chase stellte sein Glas ab und musterte Adam aufmerksam.»Ihr Adjutant, Admiral, sieht Ihnen ahnlich. Ist er Ihr Sohn oder jungerer Bruder?»

«Mein Neffe.»
        Chase nickte wohlgelaunt.»Sie und ich, wir schleichen uns gleich nach nebenan und kopfen eine Flasche ausgezeichneten Brandy. «Mit einem Finger tippte er sich gegen die Nase.»Das gibt uns Gelegenheit zu einer kleinen Unterhaltung, ehe unser Regierungsvertreter erscheint. «Plotzlich hob er die Hand.»Neffe, aha. Hatte ich mir denken konnen. «Und mit erhobener Stimme:»Hierher, Robina. Ich mochte dir jemanden vorstellen.»
        Das Madchen namens Robina war eine Schonheit: schlank, grazil und mit einem Leuchten in den Augen, das jeden Mann den Kopf nach ihr wenden lie?.

«Und das ist meine Nichte, Admiral«, strahlte Chase.
        Robina legte Adam die Hand auf den Arm und schlug vor:»Ich zeige Ihnen den Garten, Leutnant. «Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf ihren Onkel:»Die beiden wollen ja doch nur von alten Zeiten reden.»
        Bolitho mu?te uber Adams Fugsamkeit lacheln; fasziniert lie? er sich, ohne ein Wort des Protestes, von Robina davonfuhren.
        Chase schmunzelte.»Ein hubsches Paar, die beiden, wie?»
        Dann warf er einen Blick uber die schwatzende Gasteschar.»Ich denke, wir gehen jetzt in die Bibliothek. Im Augenblick wird man uns nicht vermissen.»
        In der holzgetafelten Bibliothek schien sich ein Stuck jungster amerikanischer Geschichte versammelt zu haben: Andenken an Schiffe und Reisen, fur Chase wahrscheinlich Erinnerungen an seine sturmischen Jugendjahre. Bolitho sah Harpunen und Walkiefer, daneben Schlachtengemalde, auf deren einem ein brennendes britisches Schiff gerade die Flagge strich.
        Gutgelaunt meinte Chase:»Na ja, Admiral, schlie?lich haben Sie nicht jede Seeschlacht gewonnen. «Aber dann wurde er wieder ernst.»Samuel Fane, der Gesandte des Prasidenten, ist ein schwieriger Verhandlungspartner. Ich personlich finde ihn sympathisch, soweit man einen Regierungsvertreter sympathisch finden kann, aber er ha?t die Briten. «Chase grinste breit.»Wollte Sie nur warnen. Obwohl Sie - nach allem, was ich uber Sie gelesen und gehort habe - gewi? selbst Ihren Mann stehen konnen.»

«Ich wei? Ihre Offenheit zu schatzen«, lachelte Bolitho.
        Chase go? Brandy in zwei bauchige Glaser.»Keine Ursache. Ich habe gegen Konig George gekampft, und zwar nicht zu knapp. Aber im Frieden gelten andere Gesetze als im Krieg. Wer das nicht akzeptiert, mu? in unserer Welt Schiffbruch erleiden.»
        Die Baume und Straucher des weitlaufigen Gartens an der Ruckfront des Herrenhauses waren schon in purpurne Schatten getaucht. Adam schritt mit dem Madchen am Arm dahin und wagte kaum den Mund aufzumachen aus Angst, er konnte etwas Falsches sagen und damit den Zauber des Abends vertreiben. Fur Adam gab es keinen Zweifel, da? er mit dem bezauberndsten Wesen spazierenging, das ihm jemals unter die Augen gekommen war.
        Da blieb sie stehen, ergriff seine Hand und drehte ihn zu sich herum.

«Horen Sie, Leutnant, jetzt sind aber Sie dran, sonst rede ich noch den ganzen Abend. Alle sagen, ich sei viel zu geschwatzig. Und dabei mochte ich viel mehr uber Sie erfahren. Sie hei?en Adam und sind Adjutant des Admirals. Und weiter?»
        Zu seiner Uberraschung stellte Adam fest, da? ihm das Erzahlen leicht fiel. Wahrend sie unter den Baumen dahinschlenderten, erzahlte er ihr von seinem Dienst als Marineoffizier, von seinem Heim in Cornwall - und verga? doch keinen Augenblick die warme kleine Hand auf seinem Arm.
        Plotzlich unterbrach sie ihn.»Sie sind der Neffe des Admirals, Adam?»
        Sein Name klang in ihrem Mund wie Musik.»Ja.»

«Ich wohne gar nicht in Boston«, fuhr sie fort.»Meine Familie lebt in Newburyport, das ist drei?ig Meilen nordlich von Boston. Seltsam, da? es mir nicht fruher eingefallen ist. Aber mein Vater spricht manchmal von einem Mann, der in unserer Stadt wohnte und ebenfalls Bolitho hie?.»
        Adam bemuhte sich, wieder klar zu denken.»In Newburyport?«»Ja. «Sie druckte seinen Arm.»Das klingt ja, als hatten Sie sich an etwas erinnert?»
        Er wandte sich ihr zu; wie gern hatte er sie in die Arme genommen!» Das wird wahrscheinlich mein Vater gewesen sein.»
        Amusiert wollte sie auflachen, doch dann fiel ihr sein Ernst auf, das Bedeutsame dieser Entdeckung.

«Mein Onkel sagt, da? Ihr Schiff noch wochenlang in Boston liegen wird. Ich mochte, da? Sie nach Newburyport kommen und meine Familie kennenlernen. «Sie hob die behandschuhte Hand und legte sie leicht an seine Wange.»Seien Sie nicht so traurig, Adam. Falls es ein Geheimnis bleiben soll, ist es bei mir gut aufgehoben. Erzahlen Sie mir aber nur davon, wenn es auch Ihr Wunsch ist.»

«Das ist es. «Adam stellte fest, da? ihm dieser Wunsch von Herzen kam.
        Aus dem Fenster der Bibliothek sah Bolitho Adam und Robina die Terrasse uberqueren. Ihr Anblick ruhrte ihn, denn in seinen Augen war es hochste Zeit, da? Adam ein bi?chen Freude am Leben fand - und sei es nur vorubergehend. Seit er sich zu Fu? von Penzance nach Falmouth durchgeschlagen hatte, in der Hoffnung auf einen Platz in der Familie Bolithos, hatte er nur Krieg und den harten Dienst in der Marine kennengelernt. Noch immer sah Bolitho den dunnen, eingeschuchterten Jungen von damals vor sich: furchtsam, aber mit der trotzigen Unruhe eines Fohlens. Nun glaubte er, Robina lachen zu horen. Ja, er gonnte Adam diese Ablenkung.
        Ein Lakai offnete beide Turflugel, und ein hochgewachsener Mann in flaschengrunem Rock und wei?en Strumpfen betrat die Bibliothek.

«Und hier ist nun Samuel Fane aus Washington«, stellte Chase ihn vor.
        In Fanes schmalem, unbewegtem Gesicht schien sich das Leben ganz in die tiefliegenden, funkelnden Augen zuruckgezogen zu haben, die dicht an der kraftigen Hakennase sa?en.

«Und Sie sind Vizeadmiral Bolitho«, nickte er statt eines Gru?es.»Also, kommen wir zur Sache.»
        Bolitho lie? den schon ausgestreckten Arm sinken. Vielleicht mochte Fane nicht mit einem alten Feind einen Handedruck tauschen. Verstandlich, aber trotzdem ein Affront.
        Seltsamerweise lie? ihn das irgendwie gelassener werden: die innere Ruhe vor einem Duell, wenn man sich damit abgefunden hat, da? jede Hoffnung auf eine einfache Losung nur Selbsttauschung ware.
        Im gleichen trockenen Ton fuhr Fane fort:»San Felipe. Wurden Sie mir bitte erklaren, Admiral, weshalb Ihre Regierung sich fur berechtigt halt, diese Insel und ihre Bevolkerung wie etwas Wertloses we g-zuwerfen? Woher nimmt sie dieses Recht?»

«Beruhigen Sie sich, Sam«, mahnte Chase unbehaglich.»Sie wissen doch, da? die Sache anders liegt.»

«We i? ich das?«Die tiefliegenden scharfen Augen lie?en Bolitho keine Sekunde los.
        Bolitho lachelte andeutungsweise.»So wurde es beim Friedensschlu? vereinbart. Und das wissen Sie sicherlich. Ich darf doch annehmen, da? die franzosische Regierung Sie uber Amiens ins Bild gesetzt hat?»
        Chase mischte sich argerlich ein.»Naturlich hat sie das. Sagen Sie's ihm, Sam, und kommen Sie von Ihrem hohen Ro? herunter. Der Krieg ist aus, vergessen Sie das nicht.»
        Fane warf ihm einen kalten Blick zu.»Das kann ich schon deshalb nicht vergessen, weil ich standig daran erinnert werde, wie gut manche aus dem Blut der Opfer Geld zu machen verstanden.»
        Bolitho sah Chases Blick wutend aufflackern.»Ich dachte, Frankreich sei Ihr Freund und Verbundeter?«wechselte er das Thema.
        Fane zuckte die Schultern.»So war es. Vielleicht wird es auch kunftig so sein. Aber was San Felipe betrifft, das im Suden vor unserer Haustur liegt, so gilt das nicht.»

«Die Menschen auf San Felipe sind britische Untertanen«, stellte Bolitho fest.
        Chase grinste.»Das waren auch die meisten von uns. Fruher.»
        Fane schien ihn nicht gehort zu haben.»Vor einiger Zeit erhielt ich eine Depesche des Gouverneurs von San Felipe. Die Uneinsichtigkeit der britischen Regierung bereitete ihm naturgema? Sorgen. Er ist nicht geneigt, die ihm aufgezwungene Losung zu akzeptieren, das hei?t, eine bluhende Insel vor den Franzosen zu raumen oder - von ihnen geduldet - unter franzosischer Flagge dort weiterzuwirken.»

«Das verstehe ich.»

«Wirklich, Admiral? Das la?t mich hoffen. Aber wie dem auch sei, die Regierung der Vereinigten Staaten ist nicht gewillt, tatenlos zuzusehen, wenn Menschen wie afrikanische Sklaven von einer Hand in die andere verschachert werden.»
        Bolitho war aufgesprungen und horte sich zu seiner eigenen Uberraschung wutend erwidern:»Dann ist es sinnlos, da? Sie meine Zeit verschwenden, Mr. Fane. Oder ich die Ihre!»
        Hastig sagte Chase:»Aber nicht doch, meine Herren! Schockschwerenot, Sam, der Admiral ist mein Gast. Ich dulde es nicht, da? ihr euch anfaucht wie zwei Wildkater!»
        Fane milderte seinen Ton.»Dann werden wir einen Kompromi? finden mussen.»
        Bolitho setzte sich wieder.»Welchen, zum Beispiel?»

«Wenn San Felipe den Wunsch au?ert, sich unter den Schutz der Vereinigten Staaten zu begeben, wird meine Regierung dies wohlwollend aufnehmen.»

«Kommt nicht in Frage.»

«Aber wenn die Franzosen einverstanden sind, Admiral? Waren Sie es dann auch?»
        Bolitho blickte zu Chase hinuber, aber der starrte nur einen Walkiefer an.
        Fur Chase war das nichts Neues, er hatte es langst gewu?t - wie alle hier: Es war kein Kompromi?, nicht die Spur davon. Es war Erpressung.
        Bolitho zwang sich zur Ruhe.»Der Gouverneur war zu diesem Ersuchen nicht berechtigt, weder bei Ihnen noch anderweitig. Wir sind hier in einer tragischen Entwicklung der Geschichte befangen, konnen aber nichts daran andern.»
        Fane musterte ihn unbewegt.»Das bleibt abzuwarten. «Schlie?lich fugte er hinzu: Ihr Flaggschiff kann der Gastfreundschaft meiner Regierung sicher sein. Diese Angelegenheit la?t sich nicht so schnell bereinigen. Sie will gut bedacht werden.»
        Bolitho nickte. Fane hatte ihn also nur testen oder provozieren wollen. Aber aus welchem Grund?
        Er konnte es sich nicht verkneifen, Fane festzunageln.»Ihre Regierung hat auch einem anderen britischen Schiff ihre Gastfreundschaft zugesichert, Mr. Fane: der Sparrowhawk. Sie wird bald zu mir sto?en.»

«Ja, ich wei?«, knurrte Fane und schob die Hande unter seine Frackscho?e.»Ich mu? mich jetzt verabschieden. «Und mit einem kurzen Nicken:»Admiral…»
        Chase begleitete den Gesandten aus der Bibliothek, und Bolitho trat wieder ans Fenster. Aber statt des blonden Madchens am Arm des jungen Offiziers sah er nur Dunkelheit.
        Bolitho wandte sich um, als er Chases schweren Schritt zuruckkehren horte.
        In gewisser Hinsicht war das eben schwieriger gewesen als ein Seegefecht, uberlegte er. Und viel unergiebiger.



        V Der Schlachter

        In den Wochen nach der Abendgesellschaft bei Chase wurde Bolithos Geduld auf eine harte Probe gestellt. Zwar setzten Jonathan Chase und einige andere reiche Bostoner Burger ihren Ehrgeiz darein, den Offizieren der Achates' Kurzweil und abendliche Einladungen zu bieten; aber trotzdem qualte Bolitho der Gedanke, da? zwischen dem Ausbleiben jeglicher Nachricht und der mangelnden Kooperationsbereitschaft Samuel Fanes irgendein Zusammenhang bestand.
        Vielleicht, so grubelte er, hatte er den Zeitplan, den ihm seine Befehle vorschrieben, ignorieren und als erstes San Felipe anlaufen sollen, damit der Eroffnungszug nicht Captain Duncan von der Sparrow-hawk uberlassen blieb. Aber dieser Schritt hatte als Einschuchterung - oder Schlimmeres - ausgelegt werden konnen.
        Uberhaupt - wo blieb die Sparrowhawk? Worauf war Duncan gesto?en, das wichtig genug war, sein Eintreffen in Boston zu verzogern?
        An diesem Tag hatte Bolitho sein Mittagessen nicht angeruhrt. Obwohl Fleisch und Brot frisch waren, von Chase mit einem Boot als Geschenk an Bord geschickt, hatte er keinen Bissen davon herunterbekommen.
        Auf allen Decks herrschte mittagliche Ruhe. Rumdufte schwangerten die hei?e Luft, weil in den Messen die Tagesration ausgegeben wurde.
        Vielleicht hatte Sheaffe vorausgesehen, da? Bolithos Auftrag blo?e Zeitverschwendung sein wurde und nur zu scharfen Auseinandersetzungen mit den Amerikanern fuhren mu?te. Bolitho zupfte an seinem schwei?nassen Hemd, zwang sich aber, sitzenzubleiben, weil er sonst nur wieder ruhelos in seiner Kajute auf und ab getigert ware.
        Belinda. Er wandte sich um und starrte durch die Heckfenster, bis seine Augen tranten. Inzwischen mu?te alles vorbei sein. Entweder hatten sie jetzt ein Kind, oder…
        Es war Belindas erstes Kindbett. Da konnte alles mogliche passiert sein.
        Achates schwojte an ihrer Ankertrosse und ruckte die fernen Hafengebaude in Bolithos Blickfeld. Er wollte lieber wieder auslaufen. Wollte etwas tun.
        Ein leichtes Klopfen an der Lamellentur kundigte Keen an, dem beim Eintreten Bolithos unberuhrter Teller nicht entging.

«Die amerikanischen Fregatten gehen ankerauf, Sir.»
        Bolitho nickte.»Ja. Nur die Franzosen bleiben noch hier.»
        Keen zogerte.»Meiner Ansicht nach, Sir«, sagte er dann,»sollte uns ein weiteres Kurierschiff zur Verfugung gestellt werden.»

«Sie machen sich also auch Gedanken wegen Sparrowhawk ?»
        Keen zog die Schultern hoch.»Ja, allerdings. Da wir nicht einmal uber eine kleine Brigg verfugen, sind wir taub und blind fur alles, was sich au?erhalb dieses Hafens abspielt.»
        Yovell, der Sekretar, stand unschlussig im Turrahmen.»Verzeihung, Sir, aber diese Papiere benotigen Ihre Unterschrift.»
        Bolitho mu?te plotzlich an seinen Neffen denken. Adam hatte um Erlaubnis ersucht, Chases Nichte Robina nach Newburyport begleiten zu durfen. Jetzt beneidete er ihn um seine Freiheit; Adam wenigstens blieben dieses endlose Warten und die nagende Ungewi?heit erspart. In den letzten Tagen hatten er wie auch Allday unter Bolithos Gereiztheit zu leiden gehabt.
        Schnell uberflog er, was Yovell geschrieben hatte, und setzte seine Unterschrift darunter. Kein Wunder, da? uber den Papierberg in der Admiralitat bittere Witze gerissen wurden. Wer konnte diese Flut von Berichten auch jemals lesen?
        Bolitho fa?te einen Entschlu?.»Ich unternehme noch einen letzten Versuch, die Angelegenheit San Felipe mit den Amerikanern zu besprechen. Danach brechen wir auf und segeln zu der Insel, ob die Sparrowhawk nun eingetroffen ist oder nicht. Falls Sie den Kapitan eines Handelsschiffes uberreden konnen, senden Sie bitte diskret mit ihm Nachricht nach Antigua. Dort sollte der Admiral von English Harbour uber unser Vorhaben unterrichtet werden. Und wenn ich Ihrer Depesche ein, zwei Satze hinzufuge, schaffen wir es vielleicht, ihm eine Brigg abzuluchsen.»
        Ozzard trat ein und raumte wortlos das Tablett ab; nur ein vorwurfsvoller Blick verriet, was er uber diese Verschwendung dachte.

«Erwarten Sie etwa, da? uns die Amerikaner einen Strich durch die Rechnung machen, Sir?«fragte Keen.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Sie meinen, mit diesen Fregatten? Nein, das ware unklug. Sie werden Mi?billigung au?ern, sich aber mit der Zuschauerrolle begnugen.

        Der Erste Offizier trat mit eingezogenem Kopf uber die Schwelle.»Bitte um Vergebung wegen der Storung, Sir, aber Mr. Chases Barkasse halt auf uns zu. Er hat auch den anderen Gentleman dabei.»
        Bolitho und Keen wechselten Blicke.
        Dann sagte Bolitho leise:»Endlich beehrt uns Mr. Fane, der Gesandte des Prasidenten, in eigener Person. Nun konnen wir vielleicht reinen Tisch machen.»
        Grinsend griff Keen nach seinem Hut.»Ehrenwache vollzahlig antreten lassen, Mr. Quantock! Wenn es Zunder gibt, dann soll's nicht an uns liegen.»
        Allday kam aus dem Nebenraum getrottet und warf einen Blick zum Schott, wo Bolithos Sabel hingen. Nach kurzem Zogern nahm er die goldglanzende Prunkwaffe herunter, die Bolitho nach der Schlacht bei Abukir verliehen worden war. Dem alten, abgewetzten Familiensabel gab er einen liebevollen Klaps und murmelte:»Du kommst auch noch dran - spater.»
        Bolitho hob die Arme, damit Allday den glitzernden Ehrensabel an seinen Gurtel schnallen konnte. Allday hatte recht. Der alte Sabel war fur die Schlacht, das Prunkstuck furs Reprasentieren.
        Rund zwolfhundert Meilen sudlich der Stelle, wo Bolitho mit muhsam beherrschter Ungeduld Mr. Samuel Fanes Besuch erwartete, lag Seiner Britannischen Majestat Fregatte Sparrowhawk reglos unter der blendenden Sonne. Vor ihrem Bug muhten sich zwei ihrer Boote lustlos ab, das Mutterschiff an Schleppleinen in Fahrt zu bringen, damit wenigstens Ruderwirkung erhalten blieb, wenn sie schon jede Hoffnung auf Wind verloren hatten.
        Seit drei Tagen lagen sie in einer Totenflaute, die sie festhielt, nachdem sie San Felipe verlassen hatten. Ihr Auftrag dort war nur zum Teil erfullt.
        Mit gerunzelter Stirn sa? Kapitan Duncan an seinem Schreibtisch und fugte einen weiteren Absatz an seinen ohnehin schon langen Brief. Er schrieb an seine Frau - wie die meisten verheirateten Marineoffiziere mit ahnlicher Regelma?igkeit, wie er sein personliches
        Logbuch fuhrte. Er wu?te weder, wann er diesen Brief beenden, noch welchem Schiff er ihn mitgeben wurde.
        Trotz seiner Schroffheit hing Duncan sehr an seiner Frau und ging zart mit ihr um. Sie waren jetzt zwei Jahre verheiratet, hatten aber insgesamt kaum einen Monat miteinander verbracht. Er haderte deshalb nicht mit dem Schicksal, denn solche Opfer mu?te bringen, wer sich der Kriegsmarine verschrieb. Duncan war gerade erst
27 Jahre geworden und schon Fregattenkapitan. Und wenn er diesen Posten unter Bolitho behielt, konnte nichts - Friede hin oder her - seinen weiteren Aufstieg verhindern.
        Wie viele seiner Zeitgenossen glaubte Duncan nicht an einen dauerhaften Frieden. Er hatte sich bereits in drei gro?eren Seeschlachten ausgezeichnet und war auch in kleineren Gefechten erfolgreich gewesen, im Kampf Schiff gegen Schiff, dem ureigensten Element jedes guten Fregattenkapitans.
        Bolitho galt seine uneingeschrankte Verehrung. Er bewunderte ihn nicht so sehr wegen seines Mutes und seiner Geschicklichkeit - beides hielt er eher fur selbstverstandlich - , sondern mehr noch fur seine Anteilnahme am Schicksal der ihm Unterstellten. Obwohl er es nicht einmal sich selbst eingestand, versuchte Kapitan Duncan, Bolitho in allem nachzueifern.
        Daher auch sein unzufriedenes Stirnrunzeln. Denn sein Besuch in San Felipe war kein Erfolg gewesen. Gouverneur Sir Humphrey Rivers hatte ihn abgefertigt wie einen grunen Rekruten, statt ihn zu behandeln, wie es einem Kriegsschiffkommandanten und Abgesandten Bolithos zukam.
        Duncan verstand eben eine Menge von der Seefahrt, aber nichts von Mannern wie Rivers.
        Gleich bei ihrer ersten Begegnung hatte Rivers die Beherrschung verloren. Sie standen in seinem mitten in einer bluhenden Plantage gelegenen Herrenhaus, und Rivers schrie Duncan an:»Da drau?en neben dem Hafen liegt ein Friedhof, Kapitan! Er ist voller tapferer Manner, die ihr Leben fur diese Insel gelassen haben! Ich denke nicht daran, ihr Andenken zu verraten und alles hier den Franzosen auszuliefern. Verdammt will ich sein, wenn ich das tue!»
        Insgeheim pflichtete Duncan ihm ja bei, aber er war zu sehr daran gewohnt, seinen Befehlen zu gehorchen. Au?erdem war ihm der Mann zuwider, er hielt ihn fur ein arrogantes Schwein.
        Bolitho wurde es nicht gerade freuen, da? er mit leeren Handen kam. Wenn Rivers sich weigerte, die zwischen England und Frankreich geschlossene Vereinbarung zu erfullen, mochte er sich unversehens vor der Anklage des Hochverrats oder der Meuterei sehen - oder womit die Regierung sonst unbotma?ige Gouverneure zur Rason brachte. Mit einem erneuten Stirnrunzeln begann Duncan wieder zu schreiben.
        Da hob sich das Deck unter seinen Fu?en, und von einem Nebentisch fiel klappernd der Stechzirkel zu Boden.
        Als Duncan aufsprang, spurte er, wie das Schiff unter ihm langsam wieder zum Leben erwachte.
        Er eilte an Deck, wo sein Erster Offizier und der Segelmeister hoffnungsvoll zu den schlaffen Segeln emporstarrten, mit denen ein erstes zartes Luftchen zu spielen begann.
        Duncan wischte sich den Schwei? aus den Augen. Viel war das nicht, aber immerhin.

«Mr. Palmer! Rufen Sie die Boote zuruck und lassen Sie sie wieder einsetzen. Und dann alle Mann an Deck zum Segelmanover!«Er schlug dem Leutnant auf die Schulter und fugte hinzu:»Hol's der Teufel, Mr. Palmer, aber vielleicht haben wir jetzt die langste Zeit hier geschmort.»
        Mit ein paar Schritten war Duncan am Schanzkleid und packte den sonnenwarmen Handlauf mit seinen machtigen Pranken. Er sah zu, wie das erste Boot die Schleppleine loswarf und dankbar zum Schiff zuruckpullte, obwohl die erschopften Bootsgasten kaum noch die Riemen heben konnten.
        Duncan fragte sich, was wohl auf dem anderen Schiff geschah. Es war in Sicht gekommen, kurz bevor die Flaute beide Schiffe lahmte und in der druckenden Hitze auf der Stelle hielt.
        Der Erste Offizier kehrte zuruck, nachdem er die Toppsgasten in die Takelage gescheucht hatte.»Der Ausguck im Masttopp meldet, da? unser heimlicher Begleiter bei Wachwechsel immer noch zu sehen war.»
        Wie zur Bestatigung erklang eine Stimme aus dem Gro?masttopp und lie? mehrere Seeleute nach oben spahen.

«An Deck! Schiff in Luv voraus! Setzt die Bramsegel!»
        Duncan quittierte mit einem Grunzen und wandte sich nach vorn, um sein eigenes Schiff zu beobachten, das sich unter dem wachsenden Winddruck schon leicht uberzulegen begann. Das zweite Boot wurde gerade uber das Schanzkleid gehievt und eingesetzt. Sparrowhawk machte wieder Fahrt.
        Der Segelmeister stellte fest:»Sie wird auf konvergierendem Kurs zu uns liegen, Sir.»

«Ein Mann mit scharfen Augen soll gut Ausguck nach ihr halten.»
        Duncan verdrangte die momentan in ihm aufsteigende Besorgnis. Im ersten Augenblick hatte er geglaubt, das andere Schiff sei die Achates, und Bolitho komme ihm entgegen, um den Grund fur seine Verspatung zu erfahren.
        Mit knarrenden Blocken und knirschenden Leinen begann Sparrowhawk, auf den Wind in ihren Segeln zu reagieren.

«Nord zu West, Sir! Voll und bei!»
        Duncan rieb sich das rote Gesicht, wahrend er auf mehr Wind wartete. Aber er reichte schon aus, das Schiff Fahrt aufnehmen zu lassen. Selbst das winzige Eiland, das eine Zeitlang an der Kimm gestanden hatte, war bereits verschwunden, bevor der Master es identifizieren konnte. Wahrscheinlich eine Insel der Bahamagruppe, sagte sich Dun-can.
        Auch bei San Felipe hatte er solch kleine Inseln gesichtet, eine davon sogar seltsamerweise mit einem Kirchturm. Man hatte ihm gesagt, da? sich dort ein Missionsorden niedergelassen habe und in volliger Abgeschiedenheit lebe.
        San Felipe war ursprunglich in spanischem Besitz gewesen, deshalb mochten diese Monche durchaus ein Uberbleibsel aus alten Zeiten sein. Duncans Laune begann sich zu bessern. Wenn er's recht uberlegte, hatte er nur ausgefuhrt, was ihm befohlen worden war. Bolitho wurde sich schon einen Reim auf alles machen konnen, was sein Fregattenkapitan auf San Felipe gesehen und gehort hatte.

«Ich gehe unter Deck, Mr. Palmer. Mu? noch einen Brief beenden. Wer wei?, vielleicht konnen wir fruher als gedacht Post in die Heimat schicken!»
        Palmer lachelte. War der Kommandant guter Stimmung, war das Leben leichter fur alle.
        Als die Segel im Wind immer voller standen und die wei?e Bugwelle allmahlich wuchs, wurde auch das andere Schiff gro?er und gro?er; zielstrebig kam es auf konvergierendem Kurs heran.
        Zu gro? fur eine Fregatte, uberlegte Palmer, der in den Webeleinen in Luv hing und sein Teleskop auf den Fremdling richtete. Er leuchtete grell in der Sonne, und seine hell und dunkel gewurfelten LeeStuckpforten schnitten fast unter, so krangte er im auffrischenden Wind, der die Sparrowhawk noch nicht erreicht hatte.
        Wahrscheinlich ein Westindienfahrer, konstatierte Duncan. Die waren neuerdings so schnittig wie Kriegsschiffe. Nicht umsonst hie? es ja, da? so ein Gemusekipper mit einer Fahrt me hr verdiente als ein Marineoffizier in zehn Jahren.

«Sie hi?t ein Signal, Sir!»

«Das sehe ich selbst, verdammt!«Palmer hatte das lange Warten bei Hitze und Flaute zermurbt; so grob zu reagieren, war sonst nicht seine Art.
        Der Signalfahnrich schluckte nur und richtete sein starkes Glas auf das andere Fahrzeug, beobachtete die bunten Flaggen, die an seiner Signalrah aufstiegen.

«Sie haben uns etwas mitzuteilen, Sir.»
        Der Erste Offizier unterdruckte einen Fluch. Wahrscheinlich war die Mitteilung vollig bedeutungslos; aber wahrend sie uberflussige Informationen austauschten, konnten sie den Wind wieder verlieren.

«Bestatigen Sie, Mr. Clements«, befahl er unwirsch und winkte den Midshipman der Wache heran.»Und Sie, Mr. Evans, melden dem Kommandanten, da? wir beidrehen mussen.»
        Palmer wandte sich wutend ab; das wurde dem Kommandanten die gute Laune rasch verderben.
        Mit bis zum Gurtel offenem Hemd kam Duncan aus dem Kajutsniedergang und musterte wortlos das fremde Schiff. Es konnte ihnen eine fur ihre Unternehmung wichtige Nachricht bringen; andererseits mochte der Kapitan auch nur Klatsch und Tratsch austauschen wollen. Wenn sich zwei Schiffe so fern der Heimat trafen, war das nicht ungewohnlich.

«Kurzen Sie Segel, Mr. Palmer. Klar zum Beidrehen.»
        Er verschrankte die Hande auf dem Rucken und sah zu, wie seine Leute auf ihre Stationen eilten.»Hart Luvruder!»
        Duncan winkte nach dem Midshipman.»Ihr Glas bitte, Mr. Evans.»
        Als er das Teleskop entgegennahm, fiel sein Blick auf den Jungen. Evans war erst dreizehn Jahre alt, der Jungste in seiner Messe. Ein munteres Kerlchen, das schon mehr als einmal zur Strafe fur seine Streiche in den Mast geschickt worden war.
        Duncan hob das Glas und spreizte gleichzeitig haltsuchend die Beine, weil das Schiff gerade in ein Wellental sackte; vorn fierten die Seeleute die Stagsegelschoten, damit Sparrowhawk durch den Wind drehen konnte. Fur eine Landratte mu?te das Schiff jetzt einen vollig au?er Kontrolle geratenen Anblick bieten; aber gleich wurde es sich auf den anderen Bug legen und die Mannschaft noch mehr Segel auf-geien.
        Duncan lachelte grimmig in sich hinein. Er fuhrte sein Schiff gern mit fester Hand, zwang es ins Joch wie ein eigenwilliges Pferd.
        Aber er erstarrte, als das andere Schiff riesenhaft in seiner Teleskoplinse auftauchte. Seine Rahen schwangen herum, die Segel blieben steif wie eiserne Brustpanzer, und es wechselte den Kurs, aber nicht um anzuluven, sondern nach Steuerbord. Donnernd fullte sich die Breitfock an ihrer Rah, und das Schiff schien einen Satz nach vorn zu machen, quer hinter dem Heck der Fregatte vorbei.
        Duncan brullte:»Belege das, Mr. Palmer! Anluven!«Aber es war zu spat, seinen letzten Befehl ruckgangig zu machen.
        An Deck herrschte Konfusion. Manner sturzten an Brassen, Halsen und Schoten, Blocke und Winschen knarrten, und immer noch mehr Hande packten mit an, um die Rahen wieder herumzuholen.
        Duncan kam ins Schwanken, als das Deck sich uberlegte und das Schiff zu reagieren versuchte; aber sie hatten sich festgesegelt. Die Segel killten und schlugen wirkungslos gegen Masten und Spieren.

«Klar zum Gefecht!»
        Mit wildem Blick starrte Duncan zu dem Fremden hinuber, trotz der Hitze fror er bis ins Mark. Er hatte es vorhersehen mussen! Jetzt war es zu spat, denn noch wahrend er hinsah, flogen druben die Stuckpforten auf, die schwarzen Rohre reckten sich ins Licht, wohingegen auf der Sparrowhawk verwirrte Soldaten erst die Trommelstocke wirbeln lie?en; mehr Manner stromten aus den Niedergangen, zum Teil immer noch in Unkenntnis der drohenden Gefahr.
        Duncan stand wie angewurzelt, dem regelma?igen Einzelfeuer zugewandt, das jetzt aus der Bordwand des Fremden scho? und mit gelbroten Feuerzungen nach ihnen leckte, gefolgt von dick heranrollenden Rauchbanken. In der nachsten Sekunde krachte ein Eisenhagel mit infernalischer Gewalt in Rumpf und Rigg der Fregatte, mahte Manner um, zerfetzte Spieren und Taue, ri? Locher in die schlagenden Segel und - was am schlimmsten war - fuhr wie ein Sensenhieb vom Heck aus durch die ganze Lange des Batteriedecks, alles in blutiges Chaos verwandelnd.
        Duncan krallte die Fauste in die Webeleinen und schrie wie ein verwundeter Stier, als eine Kugel auf dem Achterdeck eine Kanone umri? und uber die splitternden Planken weiterpflugte, eine Spur aus Blut und Leichen hinter sich herziehend.
        Er spurte einen Schlag gegen seine Hufte wie von einer Axt, und als er hinblickte, pulsierte Blut in breitem Strom an seinem Bein hinunter; dann kam der Schmerz, und er horte sich aufstohnen in Todesnot.
        Ein gewaltiger Schatten glitt uber ihn hinweg: der Besanmast, der mit Donnergetose umsturzte und seine ganze Takelage mit allen Mannern darin uber Bord ins Verderben ri?.
        Wieder bockte der Rumpf und baumte sich auf unter den Einschlagen einer feindlichen Breitseite. Duncan mu?te sich an die Finknetze klammern, um nicht zu sturzen. Der Feind war ihrer Drehbewegung gefolgt, seine oberen Segel blahten sich uber dem Rauch wie die Schwingen des Todesengels. Er feuerte pausenlos weiter, und immer noch war auf Sparrowhawk nicht eine einzige Kanone geladen. Das Deck war ubersat mit Toten und Sterbenden, und als Duncans Blick auf das Ruder fiel, sah er, da? das gro?e Rad gesplittert war; zu seinen Fu?en lagen zerschmettert der Master und seine beiden Ruderganger.

«Mr. Palmer!»
        Aber Duncans Schrei war nur ein Krachzen. Sein Erster Offizier kniete neben der Reling; den Mund in lautlosem Brullen weit aufgerissen, starrte er auf seine beiden Hande nieder, die wie abgestreifte Handschuhe vor ihm lagen.
        Bei den Einschlagen der nachsten Salve sank auch Duncan auf die Planken. Er horte die Kugeln unten durch die Schottwande krachen und sah aus einer offenen Luke Rauch emporkrauseln. Die Sparrow-hawk brannte.
        Er versuchte wieder aufzustehen, Wut und Verzweiflung weckten seine letzten Krafte. Uber und uber blutbedeckt, war er ein schrecklicher Anblick. Doch er fuhlte, wie das Blut alle Kraft aus seinem Korper schwemmte; es gerann auf den Planken zu den gra?lichen Mustern, die schon das ganze Deck uberzogen.

«Ich helfe Ihnen, Sir!»
        Duncan legte dem Jungen einen Arm um die Schultern. Es war nur der kleine Evans, aber sein Anblick richtete den Kommandanten etwas auf.
        Er keuchte:»Bin fertig, Junge. Sieh nach den anderen. «Er spurte den Kadetten unter seinem Griff zusammenfahren und sah die nackte Angst in seinen Augen. Da packte er ihn noch fester mit seiner blutigen Faust.»Halte durch mein Sohn, jetzt bist du ein Offizier. Zeig's ihnen. «Und damit sturzte Duncan abermals, aber diesmal stand er nicht mehr auf.
        Eine Handvoll Seeleute und Soldaten kam nach achtern gerannt und hatte sich uber Bord gesturzt, ware der dreizehnjahrige Seekadett ihnen nicht entgegengetreten.
        Er schrie:»Setzt das Boot aus! Bootsmann, ubernehmen Sie das!»
        Als ihn einer der Fliehenden beiseitestie?, griff er sich eine Pistole und feuerte in die Luft. Noch einen Augenblick starrten sie einander an wie Irre, und dann gewann die Disziplin die Oberhand. Sie warfen ihre Waffen weg und rannten zu dem Boot, um es zu Wasser zu lassen.
        Immer noch schlugen vereinzelt Kugeln in den Rumpf, doch Spar-rowhawk hatte keine Widerstandskraft mehr. Sie lag schon tief im Wasser, die See schwappte bereits im Orlopdeck und stieg schnell hoher; blank glitzerte Wasser am Fu? der Niedergangstreppe.
        Evans rannte zu seinem Freund, dem Signalfahnrich, aber der war schon tot. In seiner Brust klaffte eine Wunde, so gro? wie eine Mannerfaust. Vorsichtig richtete Evans sich auf. Seine Fu?e glitten in den Blutlachen aus, als das Heck sich aus der See hob.
        Er glaubte, eines der anderen Boote in der Nahe zu horen und die Stimme des Dritten Offiziers, der Uberlebende zusammenrief und Ordnung herzustellen versuchte.
        Noch einmal blickte Evans auf seinen toten Kommandanten nieder, den Mann, den er gefurchtet und bewundert hatte. Jetzt war er ein Nichts, und das verstorte Evans; er fuhlte sich betrogen.
        Ein vierschrotiger Marinesoldat hastete vorbei, einen verwundeten Kameraden wie einen Sack uber die Schulter geworfen. Er verhielt kurz bei Evans und keuchte: Kommen Sie, Sir, hier gibt's nichts mehr zu tun.»
        Der Verwundete stohnte, und sein Trager wollte sich abwenden, aber irgend etwas in Evans' Gesicht hielt ihn fest. Der Seesoldat hatte die Schlacht bei Abukir und auch die am Kap St. Vincent mitgemacht und schon viele Freunde sterben gesehen.
        Grob fuhr er den Jungen an:»Du hast getan, was du konntest, also komm jetzt mit, ja?»
        Ein Beben ging durch das Schiff. Die Sparrowhawk begann unterzuschneiden.
        Der kleine Kadett folgte dem Seesoldaten zum Schanzkleid und zuckte nicht einmal zusammen, als der Gro?mast wie eine uberhangende Klippe donnernd von oben kam.

«Ich bin soweit, danke. «Es klang seltsam in diesem schrecklichen Augenblick.
        Kanonen rissen sich los und krachten, tote und wimmernde Manner zermalmend, der Lange nach durch die Decks. Sparrowhawk reckte noch einmal das Heck empor und ging dann steil nach unten. Wo sie versank, drehte sich ein Wirbel aus Wrackteilen, Menschen und Gliedma?en - noch lange, nachdem der Angreifer mehr Segel gesetzt hatte und sich mit westlichem Kurs davonmachte.
        Als Zeugen der Vernichtung blieben zwei Boote und ein fluchtig zusammengelaschtes Flo? zuruck, umdrangt von Uberlebenden, die um einen Platz an Bord oder wenigstens um Halt fur ihre Fauste kampften.
        Eine Woche danach sichtete die amerikanische Brigg Baltimore Lady, unterwegs von Guadeloupe nach New York, ein treibendes Boot und drehte bei, um es sich naher anzusehen. Das Boot war voller Manner, alle von der Sonne verbrannt und ausgedorrt, einige tot, der Rest nur noch halb am Leben. Die Toten waren ihren Wunden erlegen oder verdurstet, die Uberlebenden konnten kaum sprechen. Aber die Spuren von Haizahnen an der Au?enhaut des Bootes waren beredt genug: Tiefe Riefen zeigten, wo die Bestien die Manner weggerissen hatten, die sich au?en anklammerten. Eine Art Offizier fuhrte das Kommando im Boot; der Maat der Brigg beschrieb ihn spater als» halbes Kind».
        Midshipman Evans hatte Duncans letztem Befehl gehorcht und >nach den anderen gesehen<. Aber das Erlebnis verfolgte ihn fur den Rest seines Lebens.
        Samuel Fane betrachtete Bolitho ohne jede Gefuhlsregung.»Ich habe mit dem Prasidenten gesprochen«, sagte er.»Und au?erdem habe ich die Angelegenheit San Felipe mit dem franzosischen Admiral diskutiert.»
        Auch Bolitho war die Ruhe selbst. Es hatte keinen Sinn, Fane vorzuwerfen, da? er hinterrucks mit den Franzosen verhandelt hatte. Das war sein gutes Recht, wenn Boston als neutraler Boden galt.
        Auch erwies es sich als hilfreich, da? er diesmal mit Fane an Bord seines eigenen Flaggschiffs verhandelte. An Land, als Gast in Chases prunkvollem Haus, war er der Fremdling gewesen. Doch jetzt, inmitten der vertrauten Umgebung, fuhlte er Sicherheit und Zuversicht.
        Er sagte:»Ehe ich nicht den Bericht meines Fregattenkapitans vorliegen habe, konnen keine weiteren Schritte unternommen werden. Vielleicht la?t sich ein Kompromi? erarbeiten, aber nur auf der Grundlage der augenblicklichen Situation. Sir Humphrey Rivers ist der britische Gouverneur auf San Felipe, nicht mehr und nicht weniger.»
        Jonathan Chase hatte schon zwei Glaser Wei?wein geleert, wohl aus Sorge um den Verlauf der Besprechung, von der er sich diesmal einen besseren Ausgang erhoffte. Das ist doch nicht unbillig, Sam, oder?«schaltete er sich vermittelnd ein.
        Fanes tiefliegende Augen glitten uber ihn hinweg.»Meine Regierung duldet in ihrer Einflu?sphare keinerlei Kriegshandlungen, die das amerikanische Interesse an freiem Handel und Verkehr beeintrachtigen wurden. Ich halte es fur die beste Losung, da? die Insel amerikanisches Protektoratsgebiet wird, wenn die Bewohner eine Ubergabe ablehnen. «Und abschlie?end, mit einem resignierten Seufzer:»Aber wenn der Admiral zuerst eine Demonstration der Starke wunscht, dann mussen wir ihm wohl den Gefallen tun.»
        Chase hielt Ozzard sein Glas zum Nachfullen hin.»Herrgott, Sam, mussen Sie immer so tierisch ernst sein?«Fane lachelte verkniffen.»Meistens.»
        An Deck oben erklangen Schritte, Befehle wurden gerufen. Das war Bolithos Welt, und nicht diese Doppelzungigkeit hier unten. Er erhob sich und trat an die Heckfenster. Eine leichte warme Brise strich uber die Massachusetts Bay und hatte den Himmel bis auf einige rosa Wolkchen leergefegt. Wie einladend doch die See aussah!
        Fane sagte in seinem Rucken:»Es mag einige Monate dauern, bis die Angelegenheit bereinigt ist, aber was macht das schon? Die Franzosen bestehen nicht auf sofortiger Besetzung der Insel. Damit gewinnen wir alle mehr Zeit.»
        Bolitho gewahrte drau?en auf Reede plotzlich eine kleine bewaffnete Brigg, die in den Wind drehte, ihren Anker klatschend fallen lie? und routiniert die Segel barg. An ihrer Gaffel zungelte eine Flagge im Wind, die die gleichen Farben trug wie Achates' Nationale.
        Bolitho erwiderte:»Ich bin von der Regierung Seiner Majestat beauftragt, die Insel zu ubergeben, Sir. Niemand hat ein Interesse an einem Volksaufstand, schon gar nicht jetzt, da Westindien sich allmahlich vom Krieg erholt.»
        Die Brigg hatte ein Boot ausgesetzt, das bereits hastig in Richtung des Flaggschiffs pullte.
        Bolitho spurte plotzlich einen Nerv an seiner Schlafe zucken. Was hatte diese Eile zu bedeuten? Brachte die Brigg bereits Neuigkeiten aus der Heimat oder.
        Widerstrebend wandte er sich vom Fenster ab, zwang sich, dem anderen ins Gesicht zu sehen, obwohl seine von der Sonne geblendeten Augen in der Kajute kaum etwas erkennen konnten.

«Ich werde Ihrem Prasidenten ein Schreiben senden. Wir wissen zu schatzen, da? er beabsichtigt. «Bolitho unterbrach sich und fuhr herum, weil Ozzard gemurmelt hatte:»Der Kommandant ist hier, Sir.»
        Keen stand unter der Tur, den Hut in der Armbeuge.

«Bitte um Nachsicht fur die Storung, Sir. «Sein Blick wanderte uber die Anwesenden.»Aber der Kommandant der Brigg Electra ist an Bord gekommen - mit einer Nachricht fur Sie, Sir. «Keens Blick wurde beschworend.»Einer sehr ernsten Nachricht.»
        Bolitho nickte.»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick, meine Herren.»
        Er folgte Keen aus der Kajute und fand einen jungen Offizier vor dem Kartenraum warten. Gepre?t sagte Keen:»Dies ist Kapitanleutnant Napier, Sir. «Bolitho forderte ihn auf:»Berichten Sie.»
        Napier mu?te schlucken; die Electra war sein erstes Kommando, und er hatte noch nie zu einem Vizeadmiral gesprochen.

«Wir segelten mit sudlichem Kurs, als wir eine amerikanische Brigg sichteten. Sie signalisierte um Hilfe, und als ich an Bord ging, stellte ich fest, da? sie britische Seeleute ubernommen hatte. «Er senkte den Blick.»Schiffbruchige.»
        Bolitho sah Keen an, dessen Gesicht unter der Sonnenbraune bleich geworden war.

«Uberlebende von der Sparrowhawk, Sir«, schlo? der Kapitanleutnant gedampft.
        Bolitho verkrampfte die Hande auf dem Rucken, um sich seine Erschutterung nicht anmerken zu lassen. Insgeheim hatte er schon lange befurchtet, da? der kleinen Fregatte Schlimmes zugesto?en war. Aber er hatte an einen Orkan gedacht, an ein heimtuckisches Riff oder an irgendeine der vielen anderen Gefahren, denen ein alleinsegelndes Schiff zum Opfer fallen konnte.
        Napier berichtete weiter:»Sie wurden uberfallen, Sir. Offenbar von einem Zweidecker, obwohl…»
        Bolitho sah die Szene vor sich, als hatte er sie miterlebt: Ein Angriff wie damals auf Achates, ohne jede Vorwarnung. Nur war, das Opfer diesmal hoffnungslos unterlegen gewesen, selbst fur den Fall, da? Duncan mit Feindseligkeiten rechnete.

«Wie viele Uberlebende?»
        Wieder konnte der junge Kommandant Bolitho nicht in die Augen sehen. Funfundzwanzig, Sir, und einige davon in hoffnungslosem Zustand.»
        Bolitho uberlief ein kalter Schauder. Funfundzwanzig aus einer Besatzung von zweihundert Seelen.

«Offiziere darunter?«Fast erkannte er die eigene Stimme nicht.

«Keine, Sir. Nur ein Midshipman. Es war auch noch seine erste Fahrt.»
        Also war Duncan mit seinem Schiff untergegangen, dachte Bolitho bitter. Er sah ihn noch vor sich als Gast auf seiner Hochzeitsfeier in Falmouth. Ein guter Offizier, charakterfest und verla?lich.
        Es konnte nicht sein. Das traumte er nur.
        Der Kapitanleutnant fa?te Bolithos Schweigen falschlich als Mi?billigung auf und fuhr hastig fort:»Der Midshipman berichtete, da? sich der Dritte Offizier in ein anderes Boot gerettet hatte, obwohl von Splittern in Gesicht und Hals getroffen. Wahrend der Nacht trieben die Boote auseinander, und dann kamen die Haie.»
        Napier blickte zu Boden.

«Bringen Sie den Midshipman zu mir. «Bolitho sah das Zogern des anderen.»Ist er verwundet?«»Nein, Sir.»
        Keen befahl abschlie?end:»Also veranlassen Sie das.»
        Als der Kapitanleutnant davoneilte, wies Bolitho Keen an:»Ve r-standigen Sie meinen Adjutanten. Er mu? sofort an Bord zuruckkehren. Mit einem schnellen Pferd oder sonstwie.»
        Aber Keen starrte Bolitho immer noch an.»Es war dasselbe Schiff, nicht wahr, Sir?»

«Ganz bestimmt. «Bolithos Blick blieb fest.»Stellen Sie unseren Arzt fur die Verwundeten ab. Die Uberlebenden der Sparrowhawk werden in unserer Stammrolle ubernommen. Sie sollen dabeisein, wenn Achates mit diesem Schlachter abrechnet!»
        Damit kehrte Bolitho in seine Kajute zuruck. Aber sein Au?eres mu?te sich irgendwie verandert haben. Chases Hand mit dem halbleeren Glas blieb auf dem Weg zu seinen Lippen in der Luft hangen, Ozzard erstarrte mit der Karaffe in der Hand. Fanes Blick folgte Bo-litho zu den Heckfenstern, bevor er fragte:»Eine schlechte Nachricht, Admiral?»
        Bolitho fuhr herum und musterte ihn; nur mit Muhe konnte er die wei?gluhende Wut unterdrucken, die in ihm aufwallte.

«Ich laufe aus, sowie alle meine Leute an Bord sind.»
        Chase beugte sich im Stuhl vor, als wolle er Bolitho eingehender betrachten.»Also warten Sie doch nicht auf Ihre Fregatte?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich habe das Warten satt.»
        Er sah das Boot der Brigg drau?en ein zweites Mal heranpullen. Es war grausam, den jungen Midshipman nach allem, was er durchgemacht hatte, zum Rapport zu befehlen. Aber er mu?te alles erfahren, was der Junge wu?te.
        Ruhig sagte er: «Sparrowhawk ist versenkt worden.»
        Er horte Chase uberrascht nach Luft schnappen.
        Zu Fane gewandt fugte er hinzu:»Sie sehen also, meine Herren, es konnte doch zu Kriegshandlungen kommen, ehe die Ubergabe zur Zufriedenheit aller vollzogen wird.»



        VI Abschied von Boston

        Kapitan Valentine Keen sa? mit ubergeschlagenen Beinen in Bolithos Kajute und sah zu, wie sein Vorgesetzter eine Depesche an die Admiralitat in London noch einmal durchlas. Sie sollte mit der Brigg Elec-tra abgehen und schlie?lich von einem Kurierschiff der britischen Marine weiterbefordert werden, was bedeutete, da? sie vollig von den Ereignissen uberholt sein wurde, wenn Admiral Sheaffe sie endlich in Handen hielt. Keen verfluchte insgeheim die druckende Hitze. Sie lag so lahmend uber dem Schiff, da? selbst die kleinste Bewegung zur Qual wurde.
        Bolitho setzte seine Unterschrift unter die letzte Seite und sah seinen Flaggkapitan fragend an.»Also, Val, sind wir klar zum Auslaufen?»
        Keen nickte und fuhlte sofort Schwei? in seinen Kragen rinnen.»Der letzte Wasserleichter hat abgelegt, Sir. Wir warten nur noch..»
        Heftig sprang Bolitho auf und schritt zu den offenen Heckfenstern.»Auf meinen Neffen. Er sollte langst an Bord sein.»
        Damit hatte er nur seine Gedanken laut ausgesprochen. Das Schiff war klar zum Ankerlichten, alle Boote waren eingesetzt, die Leute vollzahlig an Bord. Gereizt starrte er zu der kleinen Brigg hinuber, mit der die Nachricht uber den Verlust der Sparrowhawk gekommen war. Ihr junger Kommandant wurde aufatmen, wenn er erst dem Einflu?bereich dieses fremden Admirals entronnen war. Sein kleines Schiff konnte nun nach Antigua eilen und die Kunde von dem geheimnisvollen Wegelagerer verbreiten, der ohne Namen und Nationalflagge segelte. Bolitho hatte viel darum gegeben, wenn er Electra hatte behalten konnen, aber es war vorrangig, da? vor dem unbekannten Angreifer gewarnt wurde. Noch andere Schiffe mochten seine Opfer werden.
        Keen konnte seinem Admiral fast die Gedanken vom Gesicht ablesen. In Kriegszeiten hatten sie so vieles gemeinsam erlebt und durchgestanden; und jetzt, angeblich mitten im Frieden, wurden sie mit einem Gegner konfrontiert, der ebenso ratselhaft wie furchterregend war.
        Uber ihren Kopfen polterten Schritte, dann schrillten die Pfeifen und riefen die Wache an irgendeine neue Arbeit, beaufsichtigt vom scharfen Auge des Ersten Offiziers.
        Bolitho entging Keens mitfuhlender Blick. Seine Gedanken drehten sich immer wieder im Kreis, als sei sein Kopf ein Gefangnis. Sollte er hier in Boston warten oder nach San Felipe segeln? Es hing ganz allein von ihm ab, wie auch Duncans Tod auf seine Entscheidung zuruckging. Keen hatte mit dem uberlebenden Midshipman gesprochen, aber nur wenig aus ihm herausbekommen. Dann hatte Bolitho Allday gebeten, den jungen Evans auf seine eigene Art auszufragen, und diese Methode hatte verbluffende Resultate gebracht. Allday besa? eben die Gabe, sich beilaufig und wie nebenbei mit Leuten zu unterhalten, besonders mit halben Kindern wie Evans. Als Allday Bolitho schilderte, was er Evans entlockt hatte, glaubte Bolitho, selbst Zeuge dieses kurzen, morderischen Treffens gewesen zu sein, das mit Spar-rowhawks volliger Vernichtung geendet hatte.
        Ein Wunder, da? der Junge nicht zusammengebrochen war, dachte Bolitho. Schlie?lich segelten sie nicht in den Krieg, mit dem Tod als allgegenwartigem Schatten. Es war Evans' erste Reise gewesen, zwar auf einem Kriegsschiff, aber in friedlicher Mission. Auch kam er nicht aus einer Familie von Seeleuten, sondern war der Sohn eines walisischen Schneiders.
        Seinen besten Freund und Kameraden wie ein Tier abgeschlachtet zu sehen, dem verwundeten Duncan im Tode Beistand zu leisten, wahrend das todlich getroffene Schiff unter ihm versank, war mehr, als die meisten seiner Altersgenossen verkraftet hatten. Vielleicht wurde der Schock erst spater, moglicherweise nach Monaten, auftreten.
        Allday berichtete, da? Evans eine Explosion zu horen glaubte, als sein Boot von der sinkenden Fregatte wegpullte. Sie hatten ja nicht einmal Zeit gehabt, das Kombusenfeuer zu loschen. Wahrscheinlich waren die Flammen auf das Pulvermagazin ubergesprungen. So kam das Ende fur die an Bord Verbliebenen wenigstens schnell, und die Schockwelle der Explosion hatte die Haie eine Weile von den Schwimmern ferngehalten.
        Ein anderer Uberlebender, ein erfahrener Artillerist, hatte Allday berichtet, da? das Kanonenfeuer ihres Morders lauter und heller geklungen hatte, als zu erwarten gewesen war. Er glaubte, da? seine Batterie aus Kanonen bestand, die gro?kalibriger waren als ublich, wenn auch der Zahl nach reduziert.
        Bolitho warf einen Blick auf den Achtzehnpfunder neben seinem Schreibtisch. Wahrscheinlich also Zweiunddrei?igpfunder. Aber warum?
        Die Tur offnete sich langsam, und Yovell spahte zogernd herein. Bolitho sagte:»Die Depeschen sind fertig.»
        Waren sie denn uberhaupt von Bedeutung? Er wu?te es besser, und Keen ebenso. Nur leere Worte. Aber die Fakten waren ebenso eindeutig wie grausam: Er hatte ein gutes Schiff mit fast der gesamten Besatzung verloren. Und Duncan, einen nahen Freund und tapferen Offizier. Was sollte aus seiner jungen Witwe werden?
        Yovell stand immer noch im Turrahmen.

«Ein Postschiff wirft gerade Anker, Sir«, sagte er.»Es kommt aus England.»
        Bolitho starrte ihn an und sah mit Schrecken die Furcht in Yovells rundem Gesicht.
        Mein Gott, dachte er, der Mann hat ja Angst vor mir. Aber dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Schock: Der Sekretar angstigte sich vor seiner Gereiztheit, weil das Postschiff moglicherweise keine Nachricht von Belinda mitbrachte.
        Als Bolitho das begriffen hatte, fiel es ihm leichter, seine qualende Spannung zu meistern.»Danke, Yovell«, sagte er.»Nehmen Sie die Pinasse und schaffen Sie meine Depeschen auf die Electra. Auch alle Briefe der Besatzung. «Er sah den Sekretar noch zogern.»Und danach lassen Sie sich zum Postschiff rudern, ja? Vielleicht haben sie dort Briefe aus der Heimat fur uns«, schlo? er.
        Bolitho setzte sich und sagte, als Yovell verschwunden war:»Wenn ich zu Ihnen allen ziemlich gereizt war, Val, mochte ich mich entschuldigen.»
        Keen nutzte den gunstigen Augenblick.»Als Ihr Flaggkapitan, Sir«, sagte er,»steht es mir doch frei, aus gegebenem Anla? Vorschlage zu machen oder Warnungen auszusprechen?»

«Das stimmt. «Bolitho lachelte grimmig.»Thomas Herrick hat von diesem Recht ausgiebig Gebrauch gemacht, also sprechen Sie ganz offen.»
        Keen hob die Schultern.»Sie werden von allen Seiten bedrangt, Sir. Die Franzosen weigern sich, mit Ihnen uber San Felipe zu reden, und sie mussen es auch nicht tun, da ja unsere beiden Regierungen uber die Zukunft der Insel bereits Vereinbarungen getroffen haben. Die Amerikaner wollen die Franzosen nicht vor ihrer Haustur haben, weil das ihre Strategie in einem zukunftigen Konflikt behindern konnte. Der Gouverneur von San Felipe bekampft die Ubergabe - also Sie - mit allen Mitteln, und ich nehme an, damit hat Admiral Sheaffe von Anfang an gerechnet. Weshalb sich also den Kopf zermartern? Wenn der Gouverneur nicht kapitulieren will, konnen wir ihn unter Arrest stellen oder sogar in Eisen legen.
«Keens Ton wurde harter.»Zu viele Leute sind seinetwegen schon gestorben. Es ware besser, wenn wir selbst die Insel ubernahmen, als ihr Schicksal ihm zu uberlassen. Er strebt wahrscheinlich vollige Unabhangigkeit von der britischen Krone an und spielt zu diesem Zweck eine Partei gegen die andere aus - solange wir es ihm gestatten.»
        Bolitho lachelte.»Das habe ich auch schon bedacht. Aber der Ve r-lust von Sparrowhawk und der unprovozierte Angriff auf uns passen nicht ins Bild. Wenn mich nicht alles tauscht, war das Schiff ein spanischer Werftbau, doch seine Allerkatholischste Majestat, der Konig von Spanien, hat keine Einwande gegen die Ubergabe von San Felipe erhoben. Also haben wir es entweder mit einem versuchten Staatsstreich zu tun oder mit Piraterie in gro?em Ma?stab. Zum Teufel, Val, nach diesem langen Krieg gibt es doch eine Menge Kapitane mit der notigen Erfahrung und auch Verzweiflung fur ein Spiel um so hohen Einsatz.»
        Keen legte die Fingerspitzen gegeneinander.»Ich wei?, Sir, da? Sie sich jetzt gro?e Sorgen um Ihre Frau machen. «Er sah Arger in Bo-lithos grauen Augen aufblitzen und fuhr schnell fort:»Das lange Warten mu? die Holle fur Sie gewesen sein, besonders nach Ihren Erlebnissen in der Gefangenschaft.»
        Ein Boot pullte unter dem Heck vorbei, und Bolitho trat an ein Fenster, um die Passagiere zu mustern. Aber es waren nur Neugierige und ein paar kleine Handler, die immer noch versuchten, mit den Matrosen an Bord das eine oder andere Geschaft zu machen.
        Adam war nicht dabei.
        Wieder erriet Keen seine Gedanken.»Er ist noch so jung, Sir. Vielleicht war es ein Mi?griff, ihn zum Flaggleutnant zu machen.»
        Wutend fuhr Bolitho herum.»Hat Browne das gesagt?»
        Keen schuttelte den Kopf.»Es ist meine personliche Meinung. Ihr Neffe ist ein prachtiger junger Mann und hat meine volle Sympathie. Sie haben von Anfang an die Hand uber ihn gehalten, haben ihn behandelt wie einen Sohn.»
        Bolithos Widerstandskraft erlahmte.»War das denn so falsch?»
        Traurig lachelte Keen.»Auf keinen Fall, Sir.»
        Bolitho schritt an Keens Stuhl vorbei und legte seinem Flaggkapitan kurz die Hand auf die Schulter.»Aber Sie haben ganz recht. Ich wollte die Augen davor verschlie?en. «Er winkte ab, als Keen zu protestieren begann.»Ich habe Adams Mutter nie kennengelernt, niemand kannte sie. Immerhin hat sie ihn den ganzen Weg bis nach Falmouth geschickt, zu mir. Das war vielleicht das einzig Gute, was sie in ihrem Leben tat. Aber was mich betrifft, so haben Sie recht: Ich liebe Adam wie einen Sohn, doch er ist es nicht. Sein Vater war mein Bruder Hugh. Vielleicht hat er Hughs Charakter geerbt…»
        Keen stand auf.»Lassen wir es dabei bewenden, Sir. Ihr Grubeln bringt Sie auch nicht weiter, es zermurbt Sie nur. Wir alle blicken zu Ihnen auf. Und ich glaube, uns steht Schlimmes bevor. Wahrscheinlich hat man uns nur deshalb hierher gesandt.

        Bolitho schenkte zwei Glaser Wein ein und reichte Keen eines davon.

«Sie sind mir ein guter Flaggkapitan, Val. Nur ein mutiger Mann konnte das eben aussprechen. Und es stimmt. Private Gefuhle durfen jetzt keine Rolle spielen. Spater vielleicht - aber jetzt wurde jedes Zeichen von Besorgnis sofort das ganze Schiff anstecken. «Er hob sein Glas und lie? den Wein in der Sonne funkeln.»Das alte Kathchen wird sich bald tapfer schlagen mussen. Einen Admiral, der vor privaten Sorgen an nichts anderes mehr denkt, kann sie nicht gebrauchen.»
        Ein zaghaftes Klopfen an der Tur, und dann trat Yovell ein, den Blick wie gebannt auf Bolitho gerichtet.
        Keen mu?te wegsehen, als Bolitho den Brief aus Yovells Hand entgegennahm. Er ware gern gegangen, wagte aber nicht, sich zu ruhren. Yovell empfand anscheinend ebenso.
        Bolitho uberflog den kurzen Brief und faltete ihn dann sorgsam.

«Bringen Sie das Schiff bitte in Fahrt, wenn Sie soweit sind. Der Wind sollte reichen zum Auslaufen.»
        Er begegnete Keens fragendem Blick.

«Der Brief kommt von meiner Schwester in Falmouth. Meiner Frau. «Als beschwore er damit Unheil herauf, zogerte er, ihren Namen auszusprechen.»Belinda geht es nicht gut. Der Brief wurde schon vor ziemlich langer Zeit geschrieben, denn das Postschiff hat noch andere Hafen angelaufen, ehe es nach Boston kam. Aber sie wollte mich wissen lassen, da? sie an mich denkt.»
        Er wandte sich ab, weil seine Augen plotzlich brannten.»Auch wenn sie zu krank war, um selbst zu schreiben.»
        Keen sah in Yovells erschrecktes Gesicht und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, sich zuruckzuziehen.
        Als sie allein waren, sagte er leise:»Sie tat es aus Liebe zu Ihnen, Sir. Und nur das sollten Sie sich vor Augen halten.»
        Bolitho sah ihn an und nickte dann.»Danke, Val. Bitte, lassen Sie mich jetzt allein. Ich komme gleich an Deck.»
        Keen schritt an dem Wachtposten drau?en vorbei und mu?te wieder an Herrick denken; der hatte bestimmt gewu?t, was tun. Er aber fuhlte sich so hilflos, auch wenn es ihn tief bewegte, da? Bolitho seine Sorgen mit ihm geteilt hatte.
        Auf dem Achterdeck entdeckte er Allday neben einem Acht-zehnpfunder und winkte ihn heran.
        Allday horte zu, was sein Kommandant zu sagen hatte, und seufzte dann tief auf. Ich gehe nach achtern, Sir«, sagte er.»Er hat jetzt einen Freund notig. «Ein schiefes Grinsen zog uber sein Gesicht.»Wahrscheinlich geigt er mir die Meinung fur meine Frechheit - aber was soll's? Wenn wir's nicht verhindern, klappt er zusammen wie ein Schnappmesser, darauf konnen Sie Gift nehmen.»
        Keen ruckte seinen Hut gerade und trat ins Sonnenlicht hinaus, wo ihn seine Offiziere und der Master schon erwarteten.

«Klar zum Ankerlichten, Mr. Quantock. Und denken Sie daran, da? uns der halbe Hafen beobachtet. Also keine Patzer, wenn ich bitten darf.»
        Als die Offiziere auf ihre Stationen eilten und die Bootsmannsmaatgehilfen mit schrillem Pfeifen alle Mann an Deck riefen, sprang Keen leichtfu?ig die Leiter zur Poop hinauf und musterte die verankerten Schiffe rundum und den Winkel des Verklickers im Masttopp.
        Mit einem letzten Blick auf das offene Skylight zu seinen Fu?en, unter dem er Bolitho wu?te, formte er einen Schalltrichter mit beiden Handen und rief:»Mr. Mountsteven, Ihre Leute bewegen sich heute wie Kruppel!»
        Gehorsam tippte der Offizier an seinen Hut und sputete sich. Keen atmete tief aus. Jetzt fuhlte er sich schon etwas besser. Er war wieder der Kommandant, wie ihn alle kannten.
        Der schwarze Kutscher wischte sich die Hande an einem Lappen ab und verkundete: Das Rad is' wieder ganz, Sir.»
        Adam half Robina aufstehen, und sie traten zogernd aus dem Schatten der Baume auf die staubige Stra?e hinunter.
        Die Kutsche hatte in einer Kurve ein Rad verloren und war in den Graben gekippt. Es gab einen Augenblick totaler Konfusion, der Wagenschlag flog auf, und sie waren fast hinausgeschleudert worden. Aber Adam hatte instinktiv reagiert, in dem einzigen Gedanken, seine Gefahrtin vor Schaden zu bewahren. So war der Zwischenfall, der mit Blut und Tranen hatte enden konnen, zum glucklichen Abschlu? seines Besuches geworden. Denn als sich der Staub verzog, als Kutscher und Lakai angstlich herbeieilten und ins Innere der Kutsche spahten, fanden sie Robina fest von Adams Armen umschlossen, seinen Mund tief in ihr blondes Haar gepre?t. Adam spurte ihr Herz schlagen, ebenso heftig wie sein eigenes.
        Die Reparatur dauerte langer als erwartet, aber Adam bemerkte es kaum. Hand in Hand waren sie durch die grune Parklandschaft gewandert, hatten an einem Bach dem Murmeln des Wassers gelauscht und von allen moglichen Dingen gesprochen, nur nicht von dem, was ihre Herzen bewegte.
        Adam kam sein Besuch in Newburyport uberhaupt wie ein einziges Abenteuer vor. Robina und ihr Vater hatten ihn zu einem kleinen, gemutlichen Haus begleitet und ihn fasziniert beobachtet, als er von einem Zimmer ins andere wanderte, gefuhrt vom jetzigen Besitzer, einem Freund der Familie; Adam hatte die Tapeten beruhrt, die Kaminsimse und einen alten Sessel, der schon lange zum Inventar gehorte.
        Robina hatte nasse Augen bekommen, als er sich in den gro?en Sessel setzte, beide Hande um die abgewetzten Armstutzen gekrampft, als wolle er sie nie mehr loslassen.
        Leise hatte er gesagt:»Hier hat mein Vater gesessen, Robina. Mein Vater.»
        Er konnte es immer noch nicht glauben.
        Jetzt glitt ihre Hand unter seinen Arm, und ihre Wange legte sich gegen seinen Uniformrock.

«Du mu?t gehen, Adam«, sagte sie.»Ich habe dich schon viel zu lange aufgehalten.»
        Zusammen schritten sie zur Kutsche und kletterten hinein. Als die Pferde anzogen, flusterte das Madchen:»Jetzt werden wir bald in Boston sein. «Sie wandte sich ihm zu und sah ihm in die Augen.»Wenn du mochtest, darfst du mich kussen, Adam. «Halb scherzend fugte sie hinzu:»Hier kann uns schlie?lich keiner sehen. Ich mochte nicht, da? die Leute Robina Chase fur leichtsinnig halten.»
        Ihre Lippen schmeckten frisch und kuhl, ihr Haar duftete nach Blumen»
        Dann schob sie ihn sanft von sich und senkte den Blick.»Also wirklich, Leutnant.
«Aber sie konnte den schnippischen Ton nicht durchhalten. Atemlos fuhr sie fort: Ist das die Liebe, Adam?»
        Adam lachelte wie in Trance.»Das mu? sie wohl sein.»
        Die Kutsche rollte uber Kopfsteinpflaster und dann auf die Bohlen der Pier. Passanten blieben stehen und sahen zu, wie der junge britische Marineoffizier dem blonden Madchen fursorglich beim Aussteigen half.
        Adam starrte erstaunt auf die Reede hinaus. Dann sah er das Madchen an seinem Arm an.»Was mache ich jetzt, Robina?»
        Denn es schockierte ihn wie eine kalte Dusche, da? Achates verschwunden war.

«Also hier seid ihr. «Jonathan Chase nickte seiner Nichte zu und berichtete mit grimmigem Lacheln:»Sie ist gestern ausgelaufen. Der
        Admiral konnte gar nicht schnell genug nach San Felipe kommen. «Er spielte mit dem Gedanken, dem Leutnant vom Untergang der Spar-rowhawk zu erzahlen, entschied sich aber mit Rucksicht auf seine Nichte dagegen.
        Statt dessen schlug er vor:»Sie kommen besser mit mir, junger Mann. Morgen will ich sehen, wie ich Ihre Weiterreise arrangieren kann. Sie mochten doch zuruck auf Ihr Schiff, oder?»
        Er sah, wie ihre Hande sich fanden und begriff, da? sie ihm gar nicht zugehort hatten. Stirnrunzelnd ging er dem jungen Paar zu seiner Kutsche voraus. Robina war sein Augapfel, aber er mu?te den Tatsachen ins Gesicht sehen, an Land ebenso wie fruher auf See.
        Sie waren ein auffallend schones Paar, aber Robinas Familie wurde niemals zulassen, da? sich mehr aus dieser Bekanntschaft entwickelte. Was hatte er sich nur dabei gedacht, als er die beiden zusammenfuhrte?
        Ein junger Marineoffizier, noch dazu ein Englander, dessen einzige Zukunft die Kriegsmarine war, konnte kein aussichtsreicher Bewerber um Robina Chase sein. Also mu?te er wieder auf sein Schiff geschafft werden - je schneller, desto besser.
        Bolitho trat aus dem Schatten der Poop nach vorn zur Querreling. Rund um ihn gingen halbnackte Seeleute ihrer Arbeit nach, die auf einem Kriegsschiff nie ein Ende fand, und warfen ihrem Admiral neugierige Blicke zu. Sie konnten sich nur schwer an die Anwesenheit eines Flaggoffiziers gewohnen und verstanden schon gar nicht, da? er sich nicht seinem Rang entsprechend kleidete. Wie die anderen Offiziere trug Bolitho lediglich ein Hemd, offen bis zur Brust, und Breeches. Nur zu gern hatte er auch diese abgelegt, um sich bei der Hitze Erleichterung zu verschaffen. Aber das ware denn doch zu weit gegangen.
        Er blickte nach oben und studierte ein Segel nach dem anderen. Im Augenblick standen alle voll, trotzdem konnten sie jederzeit wieder kraftlos einfallen - wie die meiste Zeit, seit sie Boston verlassen hatten.
        Daran dachte Bolitho nicht gern zuruck. Warum hatte Nancy geschrieben und nicht Belinda? Traf zu, was Keen gesagt hatte, oder sollte der Brief ihn nur auf noch schlechtere Nachrichten vorbereiten?
        Belinda war also krank. Es konnte auch ein Ubel aus ihrer Zeit in Indien sein, wo sie ihren kranken ersten Mann bis zu seinem Tode gepflegt hatte.
        Bolitho wanderte auf den wei?gescheuerten Decksplanken auf und ab, die in den 21 Jahren, die das Schiff schon auf dem Buckel hatte, von Tausenden nackter Fu?e geglattet worden waren.
        Gewaltsam verdrangte er Falmouth aus seinen Gedanken, aber statt dessen fiel ihm sein Neffe ein.
        Bolitho hatte alles darum gegeben, noch in Boston bleiben zu konnen, um auf weitere Nachrichten von Belinda zu warten und darauf, da? Adam an Bord zuruckkehrte. Ihm die Reise nach Newburyport zu erlauben, war ohnehin ein Fehler gewesen. Vielleicht hatte Keen auch in diesem Punkt recht gehabt, genau wie Browne. Er hatte nicht einen so nahen Verwandten zu seinem Adjutanten machen durfen.
        Keen trat zu ihm an die Reling.»Der Wind steht durch, Sir«, meinte er.
        Acht Tage - die langsten Tage, an die Keen sich erinnern konnte - hatte er das Schiff nach Suden gequalt und jeden Fetzen Tuch gesetzt, um wenigstens einen Knoten mehr Fahrt herauszuholen. Trotzdem hatten sie nur jammerliche Etmale[Etmal
= die von Mittag bis zum nachsten Mittag zuruckgelegte Strecke] erzielt, und er glaubte zu spuren, da? Quantock ihn standig mit dem fruheren Kommandanten verglich. Das Mi?vergnugen seines Ersten scherte Keen wenig, mehr bekummerte ihn schon der Umstand, da? Bolitho kein einziges Wort der Kritik geau?ert hatte. Aber auch er mu?te wissen, da? der Wind in dieser Weltgegend ein unzuverlassiger Geselle war und einen meist gerade dann in Stich lie?, wenn man ihn am dringendsten brauchte.
        Bolitho blickte zum Verklicker auf, der unlustig flappte.

«Also morgen, Val.»

«Aye, Sir. Mr. Knocker hat mir versichert, da? wir um Mittag auf der Hohe von San Felipe stehen, wenn der Wind so bleibt. «Keens Stimme horte man die Erleichterung an.
        Bolitho blickte hinaus auf die schwach bewegte See, aus der ab und zu eine Gischtfeder wuchs, die ein springender Fisch aufwarf. Wie Keen hatte er die See- und Landkarten von San Felipe so eingehend studiert, da? er sie auch geschlossenen Auges vor sich sah: funfzig Meilen lang, aber hochstens zwanzig Meilen breit, wurde die Insel von einem erloschenen Vulkan beherrscht und wies an ihrer Sudseite einen weitlaufigen Naturhafen auf. Gefahrliche Riffe verwehrten die Zufahrt von Norden her, und ein weiterer Korallengurtel schutzte die kleine Nebeninsel auf der gegenuberliegenden Seite. Ein gro?artiges Versteck, auch ohne die alte Festung, die die Einfahrt nach Rodney's Harbour beherrschte. An Su?wasser bestand kein Mangel, und die reiche Ernte an Zuckerrohr und Kaffeebohnen erhohte noch den Wert der Insel. Wieder ertappte sich Bolitho bei dem Gedanken, da? er Gouverneur Rivers' Meinung teilte: Es war widersinnig, die Insel den Franzosen zuruckzugeben.
        Keen sagte gerade:»Bei dieser Windrichtung werde ich den Hafen von Sudost ansteuern, Sir. Bin froh, da? wir nicht im Dunkeln einlaufen mussen.»
        Das klang beilaufig, aber Bolitho horte doch Keens Sorge um sein Schiff heraus. In den Gewassern um San Felipe verkehrten Briggs und Schoner, aber ein Linienschiff, auch wenn es nur ein kleiner 64er war, brauchte mehr Platz zum Manovrieren.

«Ich mochte so bald wie moglich an Land gehen und beim Gouverneur vorsprechen«, sagte Bolitho.»Wir wissen, da? Duncan einen Wortwechsel mit ihm hatte.»
        Auf dem Seitendeck sah Bolitho Midshipman Evans am Segelmacher und seinen Gehilfen vorbeihasten; der Junge wandte sich um und starrte zum Achterdeck zuruck, dann lief er so schnell er konnte weiter und verschwand im nachsten Niedergang.

«Heute nacht ist wieder einer von den Verwundeten der Sparrow-hawk gestorben, Sir«, berichtete Keen.
        Bolitho nickte. Noch ein Opfer. Die Segelmacher wurden es in eine alte Hangematte einnahen, damit es bei Sonnenuntergang bestattet werden konnte.

«Midshipman Evans soll sich bei meinem Sekretar melden«, wies er Keen an.»Die Arbeit fur mich wird ihn ablenken.»
        Damit wandte er sich um und marschierte auf und ab, bis ihm das Hemd klitschna? am Leib klebte.

«An Deck!»
        Keen blickte in die Takelage auf, mu?te aber die Augen vor der grellen Sonne beschatten.
        Aus dem Krahennest im Gro?mast sang der Ausguckposten:»Land in Lee voraus!»
        Mit einem Grinsen wandte sich Keen dem Master zu.»Gut gemacht, Mr. Knocker. Wir bleiben auf diesem Bug, bis wir die Hafeneinfahrt anliegen konnen.»
        Knocker grunzte nur; sein hageres Monchsgesicht verriet weder Genugtuung noch Arger.

«Ich lasse den Toten wahrend der Hundewache uber Bord gehen, Sir. «Quantock konnte sich trotz seiner Gro?e und Unbeholfenheit manchmal so lautlos bewegen wie eine Katze.
        Keen fuhr herum und bemuhte sich, die Abneigung gegen seinen Stellvertreter zu unterdrucken.

«Wir werden ihn mit den gebotenen Ehren bestatten, Mr. Quantock. Lassen Sie die Freiwache in der Abenddammerung nach achtern purren.»
        Der Leutnant zuckte mit den Schultern.»Wenn Sie meinen, Sir? Schlie?lich war er nicht einer von uns.»
        Keen sah, wie Yovell den kleinen Midshipman in die Achterkajute fuhrte, und sagte scharf:»Er war ein Mensch, Mr. Quantock!»
        Als die Nacht uber die Kimm kroch und das langsam dahinziehende Schiff einzuhullen begann, erwies die Achates ihrem Toten die letzte Ehre.
        Bolitho hatte seine Uniform angelegt und stand neben Keen, der im Licht einer Windlaterne einige Satze aus der Bibel verlas, obwohl er sie wahrscheinlich auswendig kannte. Bolitho sah, da? der Bootsmannsgehilfe, der die Laterne hielt, jener Mann von der alten Lysan-der war, mit dem er Erinnerungen uber die Schlacht von Abukir ausgetauscht hatte.
        Am nachtlichen Horizont war die Insel bereits verschwunden. Den ganzen Tag war sie langsam uber die scharfe, dunkelblaue Kimm gestiegen, hatte an Kontur und Breite zugenommen, als wachse sie ihnen entgegen.

«Machen Sie weiter, Mr. Rooke«, sagte Keen.
        Bolitho horte den Toten von der Grating rutschen und mit lautem Klatschen neben der Bordwand aufschlagen; von einer Kanonenkugel beschwert, trat er nun seine letzte Reise zum Meeresgrund an.
        Ein Schauder uberlief Bolitho, und er fuhlte wieder den stechenden Schmerz in seiner alten Schenkelwunde.
        Ein Seesoldat faltete bereits die Nationalflagge zusammen, die den Toten bedeckt hatte; die Freiwache schlurfte in ihr Logis. Der wachhabende Offizier hatte es eilig, abgelost zu werden und ebenfalls in die Messe zu seinen Kameraden zu kommen. Das gewohnte Bordleben nahm seinen Fortgang - wie immer.
        Aber Bolitho sah vor sich, wie das jammerliche Bundel Mensch achteraus langsam tiefer sank, und horte wieder die gefuhllosen Worte des Ersten und Keens wutende Zurechtweisung.
        Nicht einer von uns.
        Der nachste, dachte er bitter, wird einer von uns sein.
        Der Himmel uber der Massachusetts Bay wirkte drohender, als ihn Adam wahrend ihrer langen Liegezeit jemals erlebt hatte.
        Er stand mit einer kleinen Gruppe am Kai und bemerkte, da? an Deck der meisten verankerten Schiffe eifrig gearbeitet wurde, als bereiteten sich alle auf einen Sturm vor.
        Jonathan Chase rieb sich das Kinn und schielte zu den wild jagenden Wolken auf. Ich will Sie ja nicht drangen, Leutnant, aber Sie sollten die Tide ausnutzen, ehe das Wetter umschlagt. Es kann jetzt nicht mehr lange dauern.»
        Adam wandte sich Robina zu, deren Haar im schwindenden Licht wie Silber leuchtete.
        Er sagte:»Es war sehr freundlich von Ihnen, Sir, mir so schnell eine Passage zu besorgen. «Aber seine Augen straften diese Worte Lugen.
        Robina nahm seinen Arm, und gemeinsam sahen sie zu der kleinen Brigantine hinaus, die schon schwer vor Anker stampfte; der hei?e, boige Wind zerrte an ihren lose aufgegeiten Segeln. Ihr Name war Vivid, und Adam hielt es fur einen puren Zufall, da? Chase enen Skipper gefunden hatte, der zu der gut vierzehnhundert Seemeilen langen Reise nach San Felipe bereit gewesen war.
        Beschworend flusterte Robina ihm zu:»Bleib hier, Adam. Du mu?t doch nicht abreisen. Du kannst bei uns wohnen, bis…«Halb flehend, halb trotzig blickte sie ihm ins Gesicht.»Mein Onkel wird dir eine Stellung beschaffen. «Ihre Finger gruben sich in seinen Arm.»Mach es wie dein Vater, bleibe bei uns.»
        Unwirsch sagte Chase:»Hier kommt das Boot. Ich habe Ihr Gepack schon an Bord schaffen lassen, dazu ein paar Delikatessen fur unterwegs. Und gru?en Sie Ihren Onkel von mir. «Er sprach hastig, als wolle er den Abschied verkurzen.
        Adam neigte den Kopf und ku?te sie, fuhlte dabei ihre nassen Wangen. Na? von Tranen oder von Gischt, genau konnte er das nicht sagen. Aber eines wu?te er: da? er sie mehr liebte als sein Leben. Und da? er sie in diesen Minuten zum letztenmal sah. Er kam sich vor wie mitten entzweigerissen.
        Das kleine Boot schor an den Kai, und eine rauhe Stimme rief:»Springen Sie an Bord, Leutnant! Wir haben keine Zeit zu verlieren.»
        Adam druckte seinen Hut fester in die Stirn und tat wie gehei?en. Das Boot war alt und schabig, aber die Manner an den Riemen verstanden ihre Arbeit.
        Als sie von der Spundwand abstie?en und anruderten, stand er im Heck und starrte achteraus, sah die winkende Gestalt mit dem blassen Gesicht immer kleiner werden. Ich komme zuruck.
        Mit zusammengebissenen Zahnen wandte er sich ab, als Gischt ubers Dollbord peitschte und der Bootsmann knapp befahl:»Da sind wir, machen Sie sich fertig.»
        Der stampfende Rumpf der Brigantine erhob sich uber ihnen, ihre beiden Mastspitzen kreisten wild vor den Wolken, so hart arbeitete sie vor Anker.
        Die Barschheit des Bootsmanns tat Adam fast wohl. Sie setzten ihn nicht aus Freundlichkeit uber, sondern weil Chase sie dafur gut bezahlt hatte; und sie dachten nicht daran, einen auslandischen Offizier zu respektieren.
        Er kletterte an der Jakobsleiter hoch und ware der Lange nach an Deck gefallen, wenn nicht ein bulliger Mann aus dem Schatten gesprungen ware und ihn mit eisernem Griff am Arm gepackt hatte. Adam bemerkte, da? der Mann stark hinkte, und als er sich bei ihm bedanken wollte, sah er mit Erstaunen, da? er nur ein Bein hatte. Das tat aber der Autoritat keinen Abbruch, mit der er seine Leute ans Ankerspill scheuchte.

«Gehen Sie bitte unter Deck.»
        Die tiefe Stimme hatte einen weichen Sudstaatenakzent, den Adam in Boston noch nicht gehort hatte. Schon hinkte er davon, seine kleine Crew zu beaufsichtigen, aber dann kehrte er noch einmal um.

«Wurde es Ihnen was ausmachen, den Hut abzunehmen?»
        Als Adam der Bitte entsprach und der Wind sein Haar zauste, nickte der Skipper der Vivid zufrieden.

«Das dachte ich mir«, brummte er.»Gleich als Sie an Bord kamen. «Er wischte die Hand an seiner Weste ab und hielt sie Adam hin.»Der Name ist Jethro Tyrrell. Willkommen auf meinem kleinen Schiff.»
        Adam starrte ihn verwundert an.»Kannten Sie etwa meinen Vater?»
        Der Mann namens Tyrrell legte den Kopf in den Nacken und stie? ein rohrendes Gelachter aus.

«Gott behute! Aber ich kannte Richard Bolitho. «Im Weghinken warf er uber die Schulter:»War mal sein Erster Offizier, ob Sie's glauben oder nicht.»
        Vollig verwirrt tastete Adam sich nach achtern zu dem engen Niedergang.
        Es machte gar keinen Unterschied, in wessen Handen das Schicksal der Vivid lag, sagte er sich. Entscheidend war nur, da? sie ihn von Robina wegfuhrte. Seiner ersten Liebe.



        VII Vor dem Angriff


«Die Einfahrt nach Rodney's Harbour ist eng. Sir. Hochstens eine Meile breit.
«Stirnrunzelnd lie? Keen sein Fernrohr sinken.»Da konnte eine gut plazierte Batterie eine ganze Flotte fernhalten.»
        Bolitho schritt zur anderen Deckseite, damit sein Blick nicht durch die Wanten behindert wurde. Sie waren wahrend der Nacht besser als gedacht vorangekommen; jetzt zeichnete sich vor ihnen in der Morgensonne die eindrucksvolle Pyramide des erloschenen Vulkans ab, und Bolitho studierte seine Gro?e und die zerkluftete Kuste der Insel mit gebuhrendem Respekt.»Nordwest zu West, Sir«, sang der Ruderganger aus, und Knocker grunzte eine Bestatigung.
        Keen spahte zur Windfahne im Masttopp auf. Ohne einmal zu killen, zeigte sie nach Backbord voraus, also blieb der Wind immer noch stetig.
        Bolitho glaubte zu spuren, wie Keen kalkulierte und uberlegte, wahrend sich sein Schiff vorsichtig auf das wie ein Dorn ins Meer ragende Vorland zuschob.
        So vor dem Wind segelnd, konnten sie den Hafen zwar direkt anliegen, aber andererseits standen sie damit an einer Leekuste; Vorsicht war also geboten. Schon bei Morgengrauen hatte Keen zwei gute Lotgasten nach vorn in die Stampfketten geschickt, und seither warnten ihre regelma?igen Rufe vor der Gefahr; aber noch hatten die Senkbleie keinen Grund gefunden. Der Meeresboden stieg vor der Insel sehr steil an, und sobald sie erst auf gleicher Hohe mit dem Inselchen an der sudlichen Landspitze waren, mu?ten sie auf Riffe achten; sollte das Schiff aus dem Ruder laufen, wurden sie ihnen den Kiel herausrei?en.

«Nehmen Sie die Breitfock weg, Mr. Quantock. «Keens Stimme klang ruhig, aber seine Augen waren uberall; die Bramsegel standen im Wind so steif wie Bretter.

«An Deck!»
        Bolithos auf dem Rucken verschrankte Hande krampften sich umeinander, als der Ausguckposten meldete:»Die Einfahrt ist gesperrt,
        Sir!»
        Keen starrte ihn an.»Zum Teufel, was fallt denen ein?»
        Scharf befahl Bolitho:»Schicken Sie einen Offizier nach oben. Dann machen Sie klar zum Ankern!»

«Aber. «Keen schluckte seinen Protest hinunter, denn er wu?te, Bolitho kannte die Risiken selbst nur zu gut. Auf so tiefem Wasser vor Legerwall[Legerwall = Kuste, auf die der Wind steht] zu ankern, hie? das Schicksal herausfordern. Wenn der Wind auffrischte, wurde der Anker schlieren und Achates hilflos auf die uberspulten Korallenriffe treiben.
        Bolitho schritt auf und ab und uberlegte, wahrend ein Leutnant in fliegender Hast zum Krahennest aufenterte.
        Dem Gouverneur stand es frei, seine Insel zu schutzen, auf welche Weise ihm beliebte. Vielleicht war er ja von anderer Seite angegriffen worden und wurde die Sperre entfernen, sobald Achates identifiziert worden war. Aber Bolitho verwarf diese Idee sofort wieder. Das Schiff hatte fast seine gesamte Dienstzeit in diesen Gewassern gesegelt und mu?te mit Leichtigkeit erkannt worden sein.
        Der Leutnant, der zur Unterstutzung des Ausguckpostens aufgeentert war, rief zum Deck herunter:»Die Sperre besteht aus einer Reihe vermurter Boote, Sir!»
        Er war erst kurzlich zum Offizier befordert worden und hatte eine helle junge Stimme, die fast madchenhaft klang; einige Matrosen grinsten bei ihrem Klang und stie?en sich an, bis ein Anraunzer von Quantock sie zur Ordnung rief.
        Mit einem Ruck schob Keen sein Teleskop zusammen.»Klar zum Anluven. Bemannt die Brassen. Und die Ankerwache nach vorn - aber lebhaft!»
        Wieder lie? der junge Leutnant sich von oben vernehmen:»Eine Yawl halt auf uns zu, Sir!»
        Besorgt suchte Keen Bolithos Blick.

«Also ankern Sie«, sagte dieser kurzangebunden.

«Ruder nach Lee! Halten Sie sich bereit, Mr. Quantock!»
        Mit Getose schwangen die Rahen herum, Segel knallten und Blocke schlugen, als das Schiff abrupt an Fahrt verlor.

«La? fallen Anker!»
        Mit einem gewaltigen Platschen schlug der schwere Anker in die See und warf Gischt bis uber den Kluverbaum auf. Bootsmann Rooke und ein Leutnant beugten sich auf dem Vorschiff ubers Schanzkleid. Oben in der Takelage arbeiteten die Toppgasten wie die Teufel, um schnell die Segel wegzunehmen und den Druck zu verringern, wahrend immer noch mehr Ankertrosse im tiefen Wasser verschwand.

«Anker halt, Sir!«kam endlich der erlosende Ruf.
        Keen nickte.»Verdammte Schweinehunde!«murmelte er.
        Gemachlich kreuzte die Yawl heran. Der Midshipman der Wache hatte scharfe Augen. Da ist so was wie ein Offizier an Bord, Sir«, sagte er.
        Hauptmann Dewar von den Marinesoldaten fragte:»Ehrenwache aufziehen, Sir?»
        Keen funkelte ihn wutend an.»Nachdem sie meinem Schiff die Einfahrt versperrt haben? Eher sehe ich ihn in der Holle braten!»
        Die braunen Segel der Yawl wurden niedergeholt. Als sie an die Bordwand des Linienschiffs glitt, sagte Bolitho:»Ich empfange ihn in meiner Kajute. «Damit verschwand er nach achtern, um Keens ohnmachtige Wut nicht langer mitansehen zu mussen.
        Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, ehe der Besucher zu ihm gebracht wurde, und Bolitho fand Zeit, sich zu fragen, wie sich wohl Nelson in seiner Lage verhalten hatte. Einerseits konnte er die Inselbewohner verstehen, andererseits durfte er dieses Benehmen nicht dulden. Yovell offnete die Tur und lie? den Besucher eintreten, einen Mann von etwa drei?ig Jahren, in eindrucksvoller Uniform: blauer Rock und wei?e Hose, dazu sowohl Sabel wie Pistole im auf Hochglanz polierten Gurtel. Er sprach mit leicht westenglischem Akzent. Aus Devon, schatzte Bolitho, wie sein. Sekretar.

«Ich komme im Auftrag des Gouverneurs!»
        Keen, der ihm auf den Fersen gefolgt war, bellte:»Sie haben >Sir< zu sagen, wenn Sie mit dem Admiral sprechen!»

«Und wie war Ihr Name, wenn ich fragen darf?«sagte Bolitho.
        Der Mann warf Keen einen wutenden Blick zu.»Ich bin Hauptmann Masters von der Miliz auf San Felipe. «Pause.»Sir.»

«Also gut, Hauptmann Masters. Ehe einer von uns etwas Unwiderrufliches au?ert, will ich Ihnen meine Absichten erlautern.»
        Aber der Mann hatte sein Selbstvertrauen wiedergefunden und unterbrach Bolitho: Der Gouverneur la?t Ihnen durch mich mitteilen, da? die Sperre an ihrem Platz bleibt, bis die Verhandlungen beendet sind. Danach.»
        Ruhig sagte Bolitho:»Was danach kommt, geht ihn nichts mehr an. Und wie soll ich den Gouverneur besuchen, wenn mein Schiff am Einlaufen gehindert wird?»

«Ich bringe Sie in der Yawl an Land. «Er sah, da? Keen einen Schritt auf ihn zu machte, und erganzte schnell:»Sir.»

«Aha. Und jetzt teile ich Ihnen etwas mit, Hauptmann Masters von der San-Felipe-Miliz: Ich gehe in meiner Barkasse an Land und werde dem Gouverneur die schriftliche Entscheidung der Regierung Seiner Majestat ubergeben.»

«Er wird sie nicht akzeptieren!»
        Bolitho sah Keen an.»Lassen Sie meine Barkasse aussetzen. «Er las Keen den Widerspruc h vom Gesicht ab; genau wie Herrick, dachte er.

«Dann segle ich vor Ihnen her«, beharrte Masters.

«Nein. Sie stehen unter Arrest. Jede Gegenwehr Ihrerseits wird scharf geahndet, und zwar durch den Strick. Habe ich mich klar ausgedruckt?»
        Bolitho sah, da? er mit seinen beherrschten Worten ins Schwarze getroffen hatte. Wahrscheinlich war Masters gewohnt, Eingeborene auf den Plantagen zu schikanieren; diese plotzliche Wende seines Geschicks machte ihn sprachlos.
        Keen fuhr ihn an:»Legen Sie die Waffen ab!«Und mit erhobener Stimme:»Sergeant Saxton, fuhren Sie diesen Mann in die Zelle!»
        Als der Seesoldat ihm Sabel und Pistole abnahm, rang Masters nach Luft.»Ihre Drohungen konnen mich nicht einschuchtern, Admiral!«rief er aus.
        Bolitho erhob sich und trat an die Heckfenster. Von der Festung herunter mu?ten viele Zeugen das Schiff beobachten und abwarten, welchen Lauf die Dinge nahmen. Vielleicht eroffnete der Gouverneur sogar das Feuer auf seine Barkasse oder nahm ihn als Geisel, bis…
        Er verbot sich diese Gedanken und sagte nur kalt zu Masters:»Das sollten sie aber.

        Als er sich wieder umwandte, war Masters schon abgefuhrt worden; drau?en erklangen laute Befehle, als die Seesoldaten das Kommando uber die Yawl ubernahmen.
        Eifrig schlug Keen vor:»Lassen Sie mich die Sperre rammen, Sir! Dann laufen wir ein wie geplant und beharken diese raudigen Meuterer, da? es ihnen eine Lehre ist.

        Bolitho tat seine Besorgnis wohl.»Dazu wurden wir den ganzen Tag brauchen, vielleicht sogar langer. Selbst wenn Sie Erfolg damit hatten, wurde es viele Menschenleben kosten, und falls der Wind uberraschend auffrischte, mu?ten Sie das Gefecht abbrechen und seewarts aufkreuzen, abermals an den Kanonen des Forts vorbei.»
        Keen resignierte.»Welcher Offizier wird Sie begleiten, Sir? Meiner Ansicht nach sollte ich mitkommen.»
        Bolitho mu?te plotzlich lacheln, wohl aus Erleichterung daruber, da? das Warten endlich vorbei war.

«Was, Sie wollen Ihr Schiff verlassen? Wenn wir beide in Rivers' Gewalt sind, kann alles mogliche geschehen. «Keens Enttauschung und Reue betrubten ihn, aber er fuhr fort:»Ein Leutnant und - ah - Midshipman Evans werden vollig genugen.»
        Ozzard holte den alten Familiensabel herbei, aber Bolitho sagte:»Nein. Diesmal den anderen.»
        Wenn irgend etwas Unvorhergesehenes geschah, blieb die Waffe fur
        Adam erhalten. Bolitho sah an ihren Gesichtern, da? alle seine Gedanken erraten hatten.
        Als er an Deck kam, stand die Sonne schon uber dem Vulkangipfel, und die Planken waren bereits so hei? wie Ziegel im Backofen: zundertrockenes Holz, dazu geteerte Taue und die Segel - das alles wurde aufflammen wie Fackeln, wenn die Inselbatterie mit gluhenden Kugeln feuerte. Aber auch mit gewohnlicher Munition war eine gunstig plazierte Festlandsbatterie einem Schiff uberlegen, das auf dem begrenzten Raum des Hafens nur schwerfallig manovrieren konnte.
        Bolitho sah Alldays grimmig beobachtenden Blick, die Neugier der Soldaten und Matrosen auf den Seitendecks. An der Eingangspforte verhielt er den Schritt und blickte den Kommandanten noch einmal an.»Wenn ich mich irre«, er sah Keens Wangenmuskeln arbeiten,»oder heute falle, dann versprechen Sie mir, an Belinda zu schreiben. Erklaren Sie's ihr, so gut es geht.»
        Keen nickte stumm, platzte dann aber doch heraus:»Wenn die Hand an Sie legen, Sir…


«Sie handeln wie befohlen, Val. Und tun weder mehr noch weniger.»
        Bolitho gru?te die Flagge und stieg in die wartende Barkasse hinunter.
        Unten fand er Trevenen vor, den Sechsten Offizier, und Midship-man Evans.»Schoner Tag fur einen Ausflug, meine Herren«, begru?te er sie.
        Trevenen strahlte uber die unerwartete Ehre, als Adjutant des Admi-rals fungieren zu durfen; im Gegensatz dazu blickte Evans sich gehetzt um, die Augen dunkel und leer.

«Das gefallt mir nicht, Sir«, sagte Allday leise.

«Vom Reden wird's nicht besser.»
        Allday seufzte. Inzwischen kannte er die Gefahrenzeichen.»Sto?t ab vorn! Rudert an - zugleich!»
        Bolitho warf einen schnellen Blick achteraus und sah sein Schiff zuruckgleiten, die Gesichter an der Pforte verschwimmen und ihre Identitat verlieren.
        Da wandte er sich seinen Begleitern zu. Der rangniedrigste Offizier der Besatzung und ein dreizehnjahriger Kadett waren bestimmt nicht die Eskorte, die der Gouverneur erwartete. Aber genau wie bei seinem alten Sabel wollte er nichts riskieren. Wenn die Lage kritisch wurde, brauchte Keen jeden erfahrenen Offizier und Mann, den er bekommen konnte.
        Als die Barkasse durch die Brandung stampfte, horte Bolitho Metall klappern und bemerkte, da? unter jeder Ducht und in bequemer Reichweite Entermesser und Pistolen verstaut waren.
        Er blickte in Alldays Pokergesicht, und ihre Augen trafen sich.
        Hier bedurfte es keiner langen Erklarungen; Allday hatte schon eigene Plane in die Wege geleitet.
        Nervos meldete sich der Leutnant zu Wort.»Da liegt die andere Insel, Sir.»
        Bolitho beschattete die Augen und studierte den Felsbuckel. Er war baumlos, doch umgab reichlich Gebusch das aus Stein erbaute Missionshaus mit seinen Nebengebauden. Auf einem kleinen hellen Strand lagen mehrere Boote, hoch uber die Brandungslinie gezogen. Selbst Monche und Priester mu?ten fischen, dachte Bolitho, und neben dem Beten auch ihr Land bestellen.
        Dann konzentrierte er sich auf die Sperre. Mitten im Fahrwasser lagen Leichter und alte Hulks verankert und verwehrten Achates oder jedem anderen Schiff ihres Tiefgangs die Einfahrt. Bolitho hob den Blick zum Fort, das gro?er war als erwartet. Seewarts fiel das Gelande darunter steil ab und widersetzte sich jedem Sturmangriff; wie auch die Mauern unverwundbar wirkten, jedenfalls fur seine Vierundzwan-zigpfunder.
        Auf der anderen Seite des Hafens sah er helle Hauserwurfel und lachelte grimmig. Das war Georgetown, Rivers' kleines Konigreich. Im Hafen selbst ankerten verschiedene Schiffe, meist Frachtsegler und Fischerboote.
        Allday sagte durch die Zahne:»Da sind Bewaffnete auf der Sperre,
        Sir.»
        Bolitho nickte.»Halte nach Steuerbord.««Kurz wandte er sich um nach seinem Schiff, aber es wurde schon vom Vorland verdeckt. Nur die Masttoppen und Bramrahen ragten uber den Kamm, als seien sie dort eingepflanzt.
        Bolitho spurte Evans auf der Ducht herumrutschen und sah ihn die Faust um den Griff seines Dolchs krampfen. Konnte man mit einer Nadel einen angreifenden Bullen bremsen? dachte Bolitho. Laut sagte er:»Ich habe Sie fur den Fall mitgenommen, da? Sie etwas wiedererkennen.»
        Der Junge sah zu ihm auf.»Ich wei?, Sir«, sagte er leise. Sein Blick wanderte uber die Sperre zum Hafen, aber er schwieg.
        Bolitho erriet, da? Evans wieder die Sparrowhawk vor sich sah, wie sie hier unter den Kanonen des Forts geankert hatte. Sein erstes Kriegsschiff, eine Heimat auf Zeit und die erste Sprosse auf seiner Karriereleiter, aber auch mit Freunden an Bord wie jenem Midship-man, den er hatte sterben sehen. Trotzdem - irgendeine Kleinigkeit konnte bei ihm eine wichtige Erinnerung auslosen. Sie mu?ten nach jedem Strohhalm greifen.
        Allday erstarrte beim scharfen Knall einer Muskete, und Bolitho sah die Kugel querab eine Gischtspur aufwerfen, ehe sie versank.
        Er sagte:»Pullt weiter. Nicht aus dem Takt kommen.»
        Seine ruhige Stimme gab den Bootsgasten neuen Mut, die mit dem Rucken zur Sperre sa?en und damit rechnen mu?ten, da? die nachste Kugel sie traf.
        Bolitho straffte sich. Sein Zweispitz und die Goldepauletten mu?ten fur jeden Scharfschutzen ein gutes Ziel abgeben.
        Aber es fielen keine Schusse mehr. Als die Barkasse das Steuerbordende der Sperre rundete, sah Bolitho ganze Trupps neugieriger Bewaffneter zu ihnen heruberspahen. Einer schuttelte drohend seine Muskete in der erhobenen Faust.
        Jetzt gab es kein Zuruck mehr. Jeder Fluchtweg war ihnen versperrt.
        Auf dem Kai unterhalb des Forts sah Bolitho eine Gruppe Manner beisammenstehen. Plotzlich schien ihm Sir Hayward Sheaffes stilles Dienstzimmer in der Admiralitat, wo all dies begonnen hatte, unendlich weit entfernt.
        Bolitho hatte sich keine genaue Vorstellung vom Gouverneur der Insel San Felipe gemacht, aber dennoch uberraschte ihn Sir Humphrey Rivers' Erscheinung. Er war hochgewachsen und beleibt, fast aufgeschwemmt, mit einem vom hei?en Klima und vom Trunk geroteten Gesicht. Aber er begru?te Bolitho mit jovialem Lacheln und geleitete ihn zuvorkommend sofort in den kuhleren Schatten der Festungsmauern.
        Als sie eine eisenbeschlagene Tur durchschritten und einen mit Fellen und Gemalden dekorierten Korridor, sprach Rivers ununterbrochen.»Spater werden Sie mir hoffentlich in meinem Haus die Ehre geben«, sagte er uber die Schulter.»Aber jetzt, schatze ich, mochten Sie wohl zuerst Ihren Auftrag hinter sich bringen.»
        Vor Bolitho offnete sich eine zweite Tur, ein schwarzer Lakai mit Perucke verbeugte sich tief, als sie an ihm vorbeigingen.
        Rivers wischte sich das Gesicht mit einem Seidentuch, dann musterte er Leutnant Trevenen und den kleinen Kadetten mit unverhohlener Belustigung.

«Bei Gott, Bolitho, haben Sie wirklich nur diese Kindereskorte, um den Wunschen der Admiralitat Nachdruck zu verleihen?»
        Auf sein Fingerschnippen trat ein zweiter Lakai lautlos mit einem Tablett voller Weinglaser heran.
        Rivers lachelte mit schmalen Lippen.»Vielleicht mochten sich Ihre jungen Begleiter jetzt zuruckziehen?»

«Einverstanden. «Es hatte keinen Sinn, die beiden noch mehr zu gefahrden.
        Anschlie?end fragte Bolitho:»Sie kennen den Grund meiner Anwesenheit, Sir Humphrey?»
        Rivers ruckte seine Massen auf einem Stuhl zurecht und musterte kritisch sein Weinglas.

«Naturlich. Den kennt jeder. Und genauso wissen auch Sie, was ich davon halte? Kichernd nahm er einen tiefen Schluck.»Ich entschuldige mich fur diese lastige Sperre, aber sie war leider notwendig. «Dann erst schien ihm aufzufallen, da? Masters nicht mit Bolitho zuruckgekehrt war, und er fragte abrupt:»Wo ist mein Milizhauptmann?»

«An Bord der Achates, Sir Humphrey.»

«Aha. «Er lie? sich Wein nachschenken.»Alles spricht dafur, da? der Wind auffrischen wird. Sie wissen aus eigener Erfahrung mit unseren Gewassern, da? es hier selbst zu dieser Jahreszeit ziemlich rauh werden kann. Wir wollen doch nicht, da? Ihrem - ah - Flaggschiff so dicht unter Land etwas zusto?t?»
        Bolitho versuchte den Wein und wunderte sich, da? er angesichts der Umstande so ruhig bleiben konnte. Rivers hatte offensichtlich an alles gedacht, auch daran, wie ein Schiff sich bei Sperrung des Hafens verhalten mu?te.
        Rivers beobachtete ihn aufmerksam.»Wir sollten den Tatsachen ins
        Gesicht sehen. Ihr Schiff kann da drau?en nicht unbegrenzt ankern, Sie werden bald wieder Segel setzen mussen. Danach konnen Sie das Trinkwasser rationieren, bis Ihre Besatzung kurz vor der Meuterei steht, oder Sie konnen auf Unterstutzung warten, die vielleicht niemals eintrifft. Oder Sie kommen jetzt und hier mit mir zu einer neuen Vereinbarung. Ich bleibe als Gouverneur im Amt, mit alleiniger Verantwortung fur das Gedeihen und die Verteidigung der Insel. «Und fur den Profit, dachte Bolitho.
        Rivers erhob sich achzend und schritt zu einem Fenster hinuber.

«Die Insel ist unangreifbar, das werden Sie einsehen. Und die Amerikaner werden mir im Notfall helfen. Ich lasse es nicht zu, da? die Musjos hier ihre Trikolore hissen. Genau das habe ich auch Ihrem impertinenten Fregattenkapitan gesagt.»

«Die Sparrowhawk wurde kurz nach dem Verlassen dieses Hafens versenkt, Sir Humphrey.»
        Er lie? Rivers' sanguines Gesicht dabei nicht aus den Augen und stellte fest, da? ihn diese Nachricht ehrlich uberraschte.

«Versenkt? Was reden Sie da?»

«Sie wurde von einem uberlegenen Kriegsschiff angegriffen, ohne jede Vorwarnung oder Chance zur Gegenwehr, und in den Grund gebohrt. Sie sehen also, Sir Humphrey, es sind noch andere als die Franzosen an dieser Insel interessiert.»
        Rivers kippte seinen Wein hinunter, abgewandt, um seine Verwirrung zu verbergen.

«Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich war es ein Pirat, hier wimmelt es nur so von ihnen. Da die britische Marine praktisch abgemustert hat, ist das ja auch nicht uberraschend.»
        Rivers knallte das leere Glas aufs Tablett und sturmte keuchend zu einer Tur am anderen Ende des Raumes.»Ich will Ihnen etwas zeigen. «Ein Lakai sprintete ihm voraus, um die Tur rechtzeitig zu offnen.
        Dahinter war von Teppichen und bequemen Mobeln keine Rede mehr. Eine lange, zinnenbewehrte Bastion mit schwerer Artillerie hinter den Schie?scharten gab den Blick auf den Hafen frei: Rivers' Trumpfkarte.
        Er marschierte zur letzten Kanone in der Reihe und legte wie liebkosend die Hand auf ihr verziertes Verschlu?stuck.

«Hier, werfen Sie mal einen Blick hinunter, Bolitho.»
        Er trat beiseite, voll Stolz und Siegessicherheit. Bolitho spurte plotzlich eine heftige Abneigung gegen diesen Mann, dem das Schicksal Duncans und aller anderen vollig einerlei war.
        Er buckte sich, visierte an dem langen schwarzen Rohr entlang und sah, da? die Kanone auf eine Reihe Festmacherbojen zielte, an deren einer auch seine Barkasse vertaut war. Er erkannte sogar Allday, der im Boot stand und die Augen beschattete, um besser zur Festung spahen zu konnen.
        Aalglatt fuhr Rivers fort:»Da unten lag auch die Sparrowhawk. Ich hatte sie genauso leicht versenken konnen wie Ihr Boot.»
        Bolitho richtete sich wieder auf und musterte Rivers kuhl.»Sie waren selbst einmal Flaggoffizier, Sir Humphrey. Sie wissen, die Marine wurde niemals dulden, da?.»
        Rivers grunzte verachtlich.»Sie hatte gar keine andere Wahl. Hohe Verluste, nur um den Franzosen gefallig zu sein? Nicht einmal das Parlament ist so verblendet.»
        Bolitho warf noch einen letzten Blick uber die Reede. Das Wasser war unruhig, die Wellen trugen schon wei?e Gischtkamme. Der Wind legte immer noch zu, was sich auch an den steif auswehenden Flaggen der Schiffe unten verriet. Aber die lagen hier geschutzt. Achates nicht.
        Er sagte:»Ich kehre auf mein Schiff zuruck. «Und fugte hinzu, ohne aus seiner Verachtung ein Hehl zu machen:»Es sei denn, Sie wollten mich daran hindern?»

«Ohne Vereinbarung, Bolitho?»

«Treiben Sie nicht Ihr Spiel mit mir, Sir Humphrey. Sie mu?ten wissen, da? ich Hochverrat verabscheue.»
        Rivers lachelte.»Im Gegensatz zu anderen in Ihrer Familie, wie?»
        Bolitho nahm seinen Hut aus der Hand eines Lakais, langsam, damit sein Zorn verebben konnte. Eige ntlich ganz gut, da? Adam nicht zugegen war, dachte er. Diese Beleidigung seines Vaters hatte ihn zur Waffe greifen lassen, und dann hatten Rivers' Soldaten die Sache auf der Stelle zu einem schrecklichen Ende gebracht.
        So sagte er nur:»Das war billig, aber nicht uberraschend.»
        Rivers nahm wieder Platz und wischte sich das Gesicht. Er vermochte seine freudige Erregung uber den Sieg nicht zu verbergen.
        Bolitho ging zur Tur und sah Midshipman Evans im Korridor allein an einem offenen Fenster stehen.
        Rivers rief Bolitho nach:»Ich habe mir erlaubt, Ihren kleinen Leutnant festzusetzen, bis mein Boot und meine Leute unbehelligt zuruckkehren.»
        Bolitho nickte langsam.»Wie Sie meinen.»
        Das schien Rivers zu enttauschen.»Sie konnen es sich immer noch anders uberlegen.»
        Bolitho winkte Evans heran.»Wie Sie selbst sagten, wimmelt es in dieser Gegend von Piraten. Mit einem von ihnen habe ich wohl soeben gesprochen.»
        Damit wandte er sich abrupt um und schritt durch den Gang davon, halb in Erwartung einer Kugel oder eines anderen plotzlichen Angriffs.
        Evans mu?te rennen, um ihn einzuholen.

«Rufen Sie die Barkasse heran«, befahl Bolitho knapp.
        Hei? strich der Wind uber sein Gesicht, verstarkte noch die Drohung des bleigrauen Himmels. Es mu?te auf Anhieb klappen, dachte Bolitho. Denn es gab weder einen zweiten Versuch noch eine andere
        Wahl.
        Erleichtert sah Allday zu, als Bolitho und der Kadett ins Boot stiegen.»Das war's dann, Sir«, murmelte er.
        Bolitho sagte, den Blick auf die eintauchenden Riemen gerichtet:»Keine Hast, wenn ich bitten darf. «In seinem Kopf uberschlugen sich die Gedanken an das Bevorstehende, aber Rivers durfte keinesfalls argwohnisch werden.
        In seiner Achterkajute warf er Ozzard den goldbetre?ten Admirals-rock zu und blickte Keen, Quantock und den beiden Offizieren der Marine-Infanterie entgegen, die Yovell hereinfuhrte.

«Wir greifen an, Kapitan Keen. «Bolitho wunderte sich fast, da? das Weinglas in seiner Hand, das Ozzard ihm gerade gereicht hatte, unter seinem Griff nicht zersplitterte.
        Keen antwortete:»Mr. Knocker ist um die Sicherheit des Schiffs hier sehr besorgt, Sir. Der Wind.»

«Behalt die Richtung bei?»

«Er wird von Stunde zu Stunde starker, Sir«, sagte Quantock mit seiner heiseren Stimme.

«Das habe ich nicht gefragt. Behalt er die Richtung bei?«»Aye, Sir. «Keen schien nervos.

«Also gut. Machen Sie klar zum Ankerlichten. «Keens offensichtliche Erleichterung schwand, als Bolitho hinzufugte:»Dann werden Rivers' Spaher vermuten, da? wir uns davonmachen.»

«Mit allem Respekt, Sir, aber das erfordert schon die Vernunft. Wenn wir hierbleiben, wird der Anker mit Sicherheit schlieren.»
        Bolitho lachelte ihm zu.»Erinnern Sie sich an Kopenhagen, Val?»
        Keen nickte, aber er war bla? geworden.»Gewi?, Sir. Also wollen Sie bei Dunkelheit angreifen?«Das klang unglaubig.

«Das will ich. Ich wei? jetzt, wie die Batterie die Hafeneinfahrt und die Reede bestreichen kann. Rivers war so freundlich, es mir zu zeigen, wenn auch aus anderen Motiven.»
        Was ging nur in ihm vor? Sein Plan konnte mit einer Katastrophe enden; wurde es wahrscheinlich auch. Er hatte Keen an Kopenhagen erinnert, aber das lie? sich nicht vergleichen. Damals hatten sie eine ganze Flotte gehabt - und Nelson.
        Diesmal lag die Sache vollig anders. Wenn er das Schiff verlor, blieb ihm nichts mehr, hochstens ein Kriegsgerichtsverfahren, falls er uberlebte; und das Bewu?tsein, Belinda ins Ungluck gesto?en zu haben.
        Aber trotz des hohen Risikos fuhlte er sich seltsam beschwingt. Wie Eiswasser pulsierte eine wilde Entschlossenheit durch seine Adern.
        Keen rausperte sich und warf den Kameraden einen Blick zu.»Also gut, Sir«, sagte er.
        Bolitho wandte den Blick ab. Keen hatte seine Entscheidung akzeptiert. Mochte er sie nun billigen oder fur falsch halten, auf jeden Fall wurde er sie befolgen, auch unter Einsatz seines Lebens.
        Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Nach Sonnenuntergang schicken wir Masters mit seiner Yawl in den Hafen, im Austausch gegen Mr. Trevenen. «Er sah die beiden Seesoldaten an.»Und dann sind Sie an der Reihe.»
        Alles hing vom richtigen Zeitpunkt ab - und vom Gluck, wie Herrick nicht vergessen hatte anzumerken. Keen hielt seinen Plan wohl fur Wahnsinn oder fur ein Produkt verletzter Eitelkeit nach der Demutigung durch Sir Humphrey Rivers.
        Das war ihre einzige Chance: da? Rivers sich angesichts seiner starken Stellung fur unangreifbar hielt.
        Wahrscheinlich stand er gerade in diesem Augenblick auf der Bastion und malte sich genie?erisch den Widerstreit und die Verzweiflung aus, in die er seinen Gegner gesturzt hatte.
        Mit knappen Worten skizzierte Bolitho seinen Angriffsplan und beobachtete ihre unterschiedlichen Reaktionen, ihre Skepsis und Unsicherheit. Aber auch ihre Erregung. Selbst Quantock, der kaum sprach, schien fasziniert zu sein.
        Bolitho schlo? mit den Worten:»Wie Sie alle wissen, meine Herren, ist ein Krieg hart und schwer fur alle. Aber allzuleicht ist es, ihn vom Zaun zu brechen.»
        Einer hinter dem anderen verlie?en sie die Kajute, um ihre Untergebenen zu instruieren, und Bolitho setzte sich an seinen Schreibtisch. Er griff zur Feder.
        Spater mochte es ihm an der Zeit fehlen, und er wollte sie an seinen Uberlegungen teilhaben lassen, genauso wie sie ihm ihre besten Wunsche nachgesandt hatte.
        An Deck polterten Schritte und quietschten Taljen, als seine Barkasse wieder eingesetzt wurde.
        Und wenn er sich nun irrte? Wenn Rivers' Uberzeugung von der Unangreifbarkeit seiner Insel sich als richtig erwies?
        Aber er verbot sich die Zweifel und begann zu schreiben.
        Meine geliebte Belinda…
        Doch dann faltete er entschlossen den leeren Bogen zusammen und schob ihn in eine Schublade. Wenn er fiel, wurde sie es fruh genug erfahren. Es hatte keinen Sinn, sie mit einem Brief in Angst und Schrecken zu versetzen, der sie vielleicht erst erreichte, wenn alles voruber war.
        Allday betrat die Kajute und wartete stumm, die heftigen Bewegungen des hart vor Anker arbeitenden Schiffes elastisch ausbalancierend.
        Schlie?lich konstatierte er unumwunden:»Wir greifen also an, Sir.»
        Bolitho nickte.»Ja. Hast du alles erledigt?»
        Trotz des Ernstes der Lage mu?te Allday grinsen.

«Aye, Sir. Wir haben eine Lotleine die ganze Zeit hinter uns hergezogen, und sie hat bis zur Festmacherboje nur einmal Grundberuhrung gehabt. Wenn das Schiff erst mal drin ist, hat es genug Manovrierraum. «Bewundernd wiegte er den Kopf.»Wie Sie auch noch daran denken konnten, wo Ihnen doch so viele Dinge durch den Kopf gehen mussen, das ist mir schleierhaft.»
        Bolitho bat:»Schenk uns zwei Glaser Brandy ein, Allday.»
        Allday tat wie gehei?en und fugte hinzu, als sei ihm diese Idee erst jetzt gekommen:»Aber vielleicht ist das der Trick, wie man Admiral wird - indem man eben auch solche Dinge wei?, stimmt's, Sir?»
        Der Offizier der Wache, der auf dem Huttendeck hin und her marschierte, verhielt den Schritt, als er ihr Gelachter durch das Skylight schallen horte.
        Das bevorstehende Gefecht war sein erstes, jedenfalls seit er Offizier geworden war. Als Quantock ihm auseinandergesetzt hatte, was sie tun mu?ten, hatte sein Magen sich vor Furcht verkrampft.
        Aber als er den Admiral jetzt gemeinsam mit seinem Bootsfuhrer lachen horte, fa?te er wieder Mut. Gestarkt nahm er seine begrenzte Wanderung wieder auf.



        VIII Uberrannt

        Bolitho warf noch einen letzten Blick durch die Heckfenster, ehe Ozzard sie schlo? und verschalkte. Achates stampfte schwer vor ihrer Ankertrosse, und Bolitho uberlegte, da? Keen die Ankerwache inzwischen verdoppelt haben mu?te, damit er sofort handeln konnte, wenn sie zu driften begann.
        Es war noch Tag, aber die tiefhangenden, bedrohlichen Wolken und peitschende Schauerboen hullten das Schiff in ein Zwielicht, als sei die Sonne schon untergegangen.
        Viel langer durfte er nicht mehr warten.
        Seit dem Verschalken der Fenster war die Luft in der Kajute stickig geworden; binnen weniger Sekunden fuhlte Bolitho sich in Schwei? gebadet.
        Drau?en klopfte jemand an die Tur, und Keens gedampfte Stimme erklang. Er war punktlich, hatte wahrscheinlich schon langst auf diesen Augenblick gewartet.
        Bolitho nickte ihm zu.»Dann wollen wir mal.»
        Im Hintergrund stand ihre widerspenstige Geisel, flankiert von einem Korporal und von Black Joe Langtry, dem gefurchteten Schiffsprofos. Seine schweren schwarzen Brauen und das trotz vieler Jahre auf See aschfahle Gesicht erinnerten an einen Henker.

«Also, Hauptmann Masters, Sie werden uns nun verlassen. «Bolitho sah die Augen des Gefangenen triumphierend aufleuchten. Sein Vertrauen in den Gouverneur war offenbar ungebrochen und konnte Bo-litho noch manchen Arger bereiten. Aber sie hatten keine Zeit zu verlieren.

«Die Yawl wartet drau?en und wird Sie in den Hafen zuruckbringen. «Bolitho hob die Arme, damit Allday ihm geschickt den alten Sabel umschnallen konnte.»Ich furchte, wir mu?ten die Crew auswechseln, trotzdem werden Sie uns durch die Sperre bringen.

        Hauptmann Masters fuhr auf.»Aber.»

«Der Gouverneur hat gegen das Gesetz versto?en. Die Insel untersteht jetzt mir, und damit sich die Ubergabe unter moglichst geringen Verlusten vollzieht, werden Sie uns durch die Hafeneinfahrt lotsen. «Er machte eine Pause.»Was mit Rivers geschehen wird, hangt nicht von mir ab. Aber falls Sie auch nur versuchen, Alarm zu schlagen, sind Sie ein toter Mann. Und wenn Sie uns anderweitig gefahrden, werde ich Ihr Verhalten als Hochverrat ahnden. Was das bedeutet, wissen Sie.»
        Er ruckte die Scheide an seinem Gurtel zurecht, angewidert vom besturzten Gesicht des Gefangenen und von seiner eigenen brutalen Drohung. Dann aber fielen ihm Duncan und seine Leute ein, und er befahl knapp:»Bringt ihn auf die Yawl. Ich komme gleich nach.»
        Und zu Keen:»Es geht nicht anders. Sie mussen das Schiff befehligen. «Beide blickten nach oben, als das Heulen des Windes in der Takelage starker wurde.

«Und Ihr Erster Offizier ist ein ausgezeichneter Seemann, doch an Land konnte er seine Manner uberfordern. Uns bleibt kein Spielraum fur Irrtumer.»
        Von Keen glitt sein Blick zu Allday.»Du hast die gefahrlichste Aufgabe. La? die Barkasse auf der Seeseite zu Wasser, damit sie vom Fort aus nicht gesehen wird.»
        Allday begegnete trotzig seinem Blick.»Ich wei?, was ich zu tun habe, Sir: das Boot hinter die Festmacherbojen bringen und dann ein Richtfeuer anzunden.»

«Damit verlange ich viel von dir. Wenn wir es nicht schaffen, bist du abgeschnitten.»
        Allday grunzte.»Ich wurde lieber an Ihrer Seite bleiben, Sir. Da ist mein rechtma?iger Platz.»
        Bolitho packte seinen Arm und bemuhte sich, seine Ruhrung zu verbergen.»Ohne das Richtfeuer findet Achates nicht in den Hafen. Sie wurde bei diesem Wind unweigerlich stranden. Und du wirst noch an meiner Seite kampfen, alter Freund, tausche dich nicht.»
        Keen sagte:»Trotzdem glaube ich. «Dann schwieg er und grinste reuig.»Egal, jetzt ist es zu spat. «Er lockerte seinen Hemdkragen und legte dann die Hand auf den Sabel.»Fur Rivers mag das ja eine Uberraschung sein, aber fur mich ist es weit mehr.»
        Damit nickte er Allday zu und eilte hinaus, nach allen Seiten seine Befehle erteilend.
        Bolitho suchte sich eine Pistole aus und steckte sie in den Gurtel. Ware es denn wirklich so falsch gewesen, Quantock den Angriff fuhren zu lassen? Aber dann bejahte er sich diese Frage. Angesichts des fast sicheren Todes brauchten Manner, die fur eine unbegreifliche Sache kampfen sollten - oder mit dem Feind insgeheim sympathisierten - , den Anblick ihres Admirals, der ihnen vorausschritt, in den Tod oder ein Ungewisses Schicksal.
        Hinter Bolitho verlie? Allday die Kajute und buckte sich schwer atmend unter den tiefen Decksbalken. Im Zwielicht standen die halbnackten Stuckmannschaften schon an ihren Kanonen; ohne uberflussigen Larm oder laute Befehle hatte das Schiff klar zum Gefecht gemacht.
        Die Wache auf dem Achterdeck drangte sich in kleinen Gruppen zusammen oder erledigte letzte Handgriffe. Der starke hei?e Wind peitschte Gischt ubers Deck, so schmerzhaft und blendend wie ein Hagel aus Sandkornern.
        Mit schraggeneigtem Kopf spahte Bolitho zu den Segeln auf, die wild gegen die Spieren schlugen. Wenn der Anker erst aufgeholt war, mu?te das Schiff lospreschen wie ein angreifendes Raubtier. Ein hervorragender Segler, behaupteten alle. Das mu?te sich jetzt erweisen - und mehr.
        Quietschende Taljen verrieten, da? die Barkasse seewarts ausgesetzt wurde. Auch wenn ihn die Dusternis fast schon verschluckt hatte, fuhlte Bolitho immer noch Alldays Widerwillen, ihn zu verlassen, seinen angestammten Platz aufzugeben.»Viel Gluck, Sir«, rief Keen.
        Ein schneller Handedruck, dann stieg Bolitho ubers Schanzkleid und hinunter in die stampfende Yawl, aus der sich ihm hilfreiche Hande entgegenreckten.»Wer kommt denn da noch?«knurrte eine heisere Stimme.»La?t uns endlich ablegen, Ted!»
        Ein anderer unterdruckte halb ein rauhes Hurra.»Der Admiral selber ist's, Jungs!»
        Alle fuhren herum, sie trauten ihren Augen nicht. In seinem verschwitzten, schmuddeligen Hemd hatte Bolitho eine Teerjacke wie sie sein konnen, aber sie wu?ten es besser, und einer rief aus dem Dunkel:»Willkommen an Bord, Sir!»
        Bolitho tastete sich zum Heck durch, ergriffen und wie stets beschamt vom Vertrauen dieser Unbekannten.
        Dann horte er Mountsteven, den Zweiten Offizier, belustigt sagen:»Hier stinkt's wie in einem Bordell, Sir. «Er wirkte ebenso aufgekratzt, von der Wildheit der anderen angesteckt, sonst hatte er sich diese Freiheit niemals genommen.
        Bolitho erreichte die Heckbank und spahte in die Gesichter der Manner, die ihm am nachsten sa?en: Christy, der Bootsmannsgehilfe von der alten Lysander, und Masters, trotz der Dunkelheit leicht kenntlich an seiner Milizuniform.
        Das Boot stank wirklich. Aber es war ja auch mit leicht brennbarem Material vollgestopft: alter Leinwand, in Fett und Teer getranktem Tauwerk, dazu Ol und diverse Zutaten aus dem Vorrat des Sprengmeisters. Ein Funke genugte, und das Boot mu?te explodieren wie eine Granate.
        Sobald sie erst die Wachen auf der Schwimmsperre uberwaltigt und ihre Murings gekappt hatten, wurde Alldays Barkasse, gefolgt von zwei Kuttern mit Seesoldaten, den Angriff weitertragen. Bolitho war aufgefallen, da? die ursprungliche Crew der Yawl, genau wie die Wachmannschaft im Fort, uberwiegend aus Farbigen bestand, afrikanischen Sklaven, Mischlingen oder Abkommlingen der eingeborenen Inselbevolkerung.
        Kaum anzunehmen, da? die Offiziere wie Masters die Quartiere des Forts mit ihnen teilten. Sie bewohnten wahrscheinlich bequeme Hauser in der Stadt und wurden nach dem Alarm einige Zeit brauchen, ehe sie zu ihren Leuten stie?en. Bolitho schauderte es trotz der druckenden Schwule. Es sei denn, Rivers hatte seine List durchschaut, jede Kanone laden und richten lassen und wartete jetzt nur auf das erste verraterische Zeichen eines bevorstehenden Uberfalls.

«Legen Sie ab, Mr. Mountsteven«, sagte er.»Und fahren Sie eine Laterne im Bug, wie besprochen. «Dann sah er Masters an.»Sie wissen, was Sie zu tun haben. Wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist und Sie Ihre Familie wiedersehen wollen, dann machen Sie keine Dummheiten. «Christy lie? sein Entermesser in der Scheide klappern - eine wortlose Drohung.
        Als die Festmacher losgeworfen waren und die Segel sich wie fahle Riesenflugel uber der Yawl entfalteten, blieb die schutzende Silhouette von Achates rasch hinter ihnen zuruck.
        Rivers' Wache auf der Sperre mochte zwar auf der Hut sein, hatte aber keinen Anla?, mit einem so ungestumen Angriff zu rechnen. Trotzdem sah Bolitho plotzlich im Geist ein schreckliches Bild: Achates, wie sie in der Morgendammerung an der Hafeneinfahrt strandete und von den schweren Kalibern der Festung zum Wrack geschossen wurde.
        Jemand flusterte:»Land voraus, Sir!»
        Ein Gemurmel lief durch die mit Seeleuten vollgestopfte Kajute, die unter Deck geduckt auf den Angriff warteten. Stahl kratzte auf Stahl, Fauste tasteten in der Finsternis nach Pistolen und Musketen, um sich zu vergewissern, da? die Waffen trocken und einsatzbereit waren. Jetzt brauchte es nur eine leichtsinnige Bewegung, einen unabsichtlich ausgelosten Schu? - und sie waren alle verloren. Wieder erinnerte sich Bolitho dankbar daran, da? die Besatzung der Achates uberwiegend aus erfahrenen Mannern bestand, gut ausgebildet und eine verschworene Gemeinschaft.
        Haltsuchend packte er eine Pardune und spahte durch die Gischt nach dem dunklen Schatten des Vorlandes an Backbord aus. An Steuerbord wuchsen das Fort und der funfhundert Meter hohe Vulkankegel schemenhaft in den gespenstischen Gewitterhimmel.
        Ein Lichtschein fiel ubers Wasser, tanzte auf den Wellen, und Bo-litho glaubte, einen Anruf zu horen.
        Rauh sagte Masters:»Dippt die Buglaterne!«Das klang gepre?t, als musse er um Luft ringen.»Zweimal!»
        Wie angewiesen, wurde die Buglaterne zweimal auf und nieder geholt, und Bolitho merkte, da? er den Atem anhielt. Jetzt hatte Masters die gunstigste Gelegenheit, sie zu verraten, seine Loyalitat fur Rivers unter Beweis zu stellen. Aber nichts geschah, das in Licht von der Schwimmsperre blinzelte stetig uber die gischtgekronten Kabbelseen zu ihnen heruber.
        Leise knarrte die Pinne, als Masters, eine Hand uber der des Rudergangers, den Kurs leicht korrigierte. Jetzt hatte er sich inkriminiert und wollte seinen Entschlu? nicht damit bu?en, da? er wegen eines Ansteuerungsfehlers vor dem eigenen Hafen ertrank.
        Bolitho erkannte das Backbordende der Sperre, auf dem sich einige geduckte Gestalten um die Richtlaterne drangten. Irgend jemand prei-te die Yawl an, und Masters winkte gebieterisch zuruck, mit einer Autoritat, die sein Verrat ins Lacherliche verzerrte.

«Jetzt! Hart Steuerbord! Die Segel streichen!»
        Gewohnt, bei jedem Wetter, bei Tag oder Nacht, ihre Arbeit zu tun, lie?en die Seeleute das Boot zugig an die vermurten Boote und Pontons heranscheren. Als die ersten Draggen an ihren Leinen uber die Kopfe der verdutzten Wachen flogen und sich festbissen, sprangen schon die schnellsten der unter Deck verborgenen Matrosen hervor, waren mit einem Satz auf dem Ponton und erstickten mit ihren Entermessern jeden Schrei der Uberfallenen.
        Plotzlich wimmelte es auf der Sperre von Mannern. Wahrend die einen die unglucklichen Wachtposten ausschalteten, loschten die anderen die gefahrliche Fracht der Yawl und brachten sie in Position.

«Lunten anbrennen! Ein Fidibus her! Schnell!«Mountsteven bellte seine Befehle, wahrend die Gefangenen grob auf die Yawl gesto?en wurden.
        Bolitho blickte zu den verschwommenen Umrissen der Festung auf: keine Reaktion. Vielleicht hatte Rivers wirklich erwartet, da? er seine Ehre, seine Karriere und sein Land verga? und diese schamlose Vereinbarung mit ihm traf? Es ware nicht der erste Vorfall dieser Art in der Marinegeschichte gewesen.

«Murings gekappt, Sir!»
        Ein langsam abbrennendes Zundholz flammte auf, dann ein zweites, und der letzte Brite sprang in die wild stampfende Yawl.»Legt ab!»
        Ohne den zusammengekauerten Uberlebenden des blitzartigen Angriffs einen Blick zu gonnen, versuchten die Matrosen, mit langen Riemen, Bootshaken und anderem Gerat die Yawl von der Sperre abzusto?en. In seiner Erregung packte Leutnant Mountsteven Bolithos Arm und deutete mit seinem Sabel ins Dunkle.

«Da kommt Ihr Bootsfuhrer, Sir!»
        Nur die hellen Riemenblatter waren sichtbar, als Alldays Barkasse durch die Lucke scho?; sie war im Hafen, noch ehe die Yawl Fahrt aufgenommen hatte.

«Haltet auf Land zu!»
        Bolitho rutschte auf die andere Seite hinuber, wo Masters sich uber die Reling beugte und zum Fort hinaufspahte. Das Boot vollfuhrte einen Hollentanz und nahm eine Menge Wasser uber.»Das haben Sie gut gemacht, Masters. «Bolitho scherte sich nicht um den erstaunten Blick seines Gefangenen, er rief:»In Deckung, Leute!»
        Es gab eine dumpfe Explosion, die Yawl mit den erstarrten Gesichtern darin war plotzlich in grelles, orangefarbenes Licht getaucht: Die driftende Schwimmsperre zerbarst in einem Flammenmeer. Nun trieben die brennenden Wrackteile schnell in den Hafen, weil eine La-sching nach der anderen brach.
        Bolitho schlang sich den Riemen seines Sabels fester ums Handgelenk und verlagerte das Gewicht prufend auf sein verletztes Bein. Wenn es ihn jetzt im Stich lie?…
        Der Bug lief auf und rutschte wieder ab, wahrend die Brandung ihn kochend uberspulte und Unvorsichtige wie halbvolle Sacke kreuz und quer warf; dann stie? die Yawl ein zweites Mal gegen Fels. Bolitho horte Holz splittern und Wasser ins Boot gurgeln, wo es bald seine Beine umspulte. Immer noch wurden sie zwischen den Uferfelsen wie ein Spielball hin und her geworfen.
        Aber dann fanden die ersten Draggen Halt an Land, und als die Manner wasserspuckend und fluchend uber Bord zu klettern begannen, horte Bolitho ein weit entferntes Trompetensignal.
        Wieder rief er sich das Bild der Kuste ins Gedachtnis; dann wandte er sich um, weil ein weiteres Te ilstuck der driftenden Sperre explodiert war und nun lichterloh brannte.
        Inzwischen mu?te ganz Georgetown alarmiert sein.
        Von den Festungsmauern herab begannen Musketen zu knallen, aber die Kugeln zischten wirkungslos durch den Spruhregen der Brandung.

«Sammeln, Mr. Mountsteven!»
        Der Leutnant konnte nur schwer den Blick vom Wrack der gestrandeten Yawl losrei?en. Als Fluchtfahrzeug war sie nicht mehr zu gebrauchen. Irgendwer stie? einen heiseren Hochruf aus, wurde aber sofort von einem Unteroffizier zum Schweigen gebracht.
        Doch Bolitho ware selbst gern in Jubelrufe ausgebrochen. Denn die beiden Kutter der Achates pullten mit einem Hollentempo durch die letzten brennenden Reste der Schwimmsperre, und die gekreuzten wei?en Brustriemen der Marinesoldaten leuchteten hell heruber.
        Im Bug des einen Kutters krachte trocken ein Musketenschu?, gefolgt von einem scharfen Kommando, das durchs Sprachrohr geisterhaft verstarkt wurde.
        Der Kutter hielt direkt auf ein Boot des Gouverneurs zu; wahrscheinlich hatte es den unglucklichen Leutnant Trevenen an Bord, der gegen Masters ausgetauscht werden sollte. Wenn sie ihn nun fur den Uberfall bu?en lie?en…
        Bolitho verdrangte diesen Gedanken, als Mountsteven meldete:»Alle Mann vollzahlig, Sir!»

«Weitermachen! Und zwar im Eiltempo zur Stra?e, die in die Stadt fuhrt. Dort sollen sich die Manner zwischen den Felsen so verteilen, da? sie den Gegenangriff aufhalten konnen, bis uns die Marinesoldaten zu Hilfe kommen.»
        Obwohl sich seine Gedanken fast uberschlugen, mu?te Bolitho uber sich selbst lacheln. Da stand er und kommandierte wie ein Infanteriegeneral, nicht wie ein Marineoffizier mit einer Handvoll Leute und der Hoffnung auf Unterstutzung durch Seesoldaten, die sich vielleicht niemals bis zu ihnen durchschlagen konnten.
        Aber schon rannte er mit den Matrosen zwischen Felsen und Gebusch landeinwarts; im sturmischen Wind peitschten Aste nach ihnen, als wollten sie die Eindringlinge verjagen.

«Hierher, Sir!»
        Das war Christys Stimme. Bolitho lie? sich neben ihn fallen und schnappte keuchend nach Luft, als der Schmerz durch sein verletztes Bein zuckte.
        Christy prufte seine Pistolen und hatte das Entermesser schon blankgezogen.
        Bolitho sah die anderen geduckt in Deckung rennen, wahrend jetzt starkeres Musketenfeuer uber ihren Kopfen knatterte. Wo mochte Rivers gerade sein? In seinem prachtigen Haus oder oben im Fort, wo er sich fragte, ob plotzlich alle Welt verruckt geworden war?
        Bolithos Finger krallten sich in den nassen Boden. Alles hing jetzt von Allday ab. Vielleicht war er von einem Wachboot abgefangen worden wie vorhin der Kutter? Trotzdem wurde Keen jetzt Anker lichten und die brennenden Wrackteile der Hafensperre nicht aus den Augen lassen; bisher waren sie seine einzige Hilfe beim Unterscheiden von Wasser und Fels.
        Aber bald mu?ten auch diese Richtfeuer erloschen.
        Eine Stimme bellte Befehle, dann krachte eine Salve, als die Seesoldaten vom Hang aus die Festung unter Feuer nahmen.
        Scott, der Dritte Offizier und einer der Erfahrensten an Bord, rief:»Nachladen! Ruhig Blut, Jungs!»
        Bolitho verdrangte den Gedanken an Keens Hilflosigkeit, wenn der Anker erst aus dem Grund gebrochen war und das Schiff sich blind durch die Dunkelheit tasten mu?te. Ohne den Landungstrupp und mindestens drei seiner besten Offiziere war er au?erdem gefahrlich knapp an Leuten.
        Neben ihm glommen Christys Augen auf wie zwei Kohlenstuckchen; er wandte sich um und sah am Rand der Bojenreihe im Hafen eine Feuersaule in die Hohe schie?en.
        Allday hatte es geschafft! Die brennenden Fackeln leuchteten hell durch die Nacht, von seinen Bootsgasten auf einer Festmacherboje angelascht und entzundet; wenn dieses Bundel erlosch, wurde das nachste aufflackern.
        Und dann rollte der erste Kanonendonner uber die Reede. Niemand sah die Kugel einschlagen, aber sie flog wahrscheinlich genau uber die Boje, die Rivers mit so beilaufiger Drohung bezeichnet hatte.
        Masters kam herangerobbt und lie? sich neben Bolitho fallen. Sein ganzer Korper flog vor Angst, ohne da? er es verhindern konnte.
        Bolitho warf ihm einen Blick zu.»Welchen Tag haben wir heute, Mr. Masters?«Masters mu?te schlucken.»Den neunten Juli, glaube ich, Sir «stammelte er.
        Er ware aufgesprungen, hatte Christy ihn nicht in Deckung gezogen. Aber Bolitho hatte es ebenfalls gehort: fernen Trommelwirbel und den schrillen Klang der Querpfeifen.
        Er sah sie vor sich: seine Marinesoldaten, die - vom starken Wind gezaust - auf der holprigen Stra?e heranmarschierten, vorneweg die Offiziere und dahinter mit exaktem Abstand die kleinen Trommelbuben, wie bei der Parade. Nur da? sie auf einer Stra?e paradierten, die keiner von ihnen je gesehen hatte und auf der mancher auch nicht zuruckkehren wurde.
        Bolitho zwang sich, den unterbrochenen Faden wieder aufzunehmen.»Dieses Datum ist wichtig, Mr. Masters«, sagte er.»Wir wollen es uns gut merken.»
        Er wandte den Kopf, als ein neues Richtfeuer fur die Achates aufflammte, aber diesmal sah er es nur verschwommen. Da stie? er den Degengriff neben seinem gesenkten Kopf in den Boden und flusterte:»Wir werden siegen! Wir mussen siegen! Es klang wie eine Beschworung.
        Keen rannte die Leiter zum Huttendeck hinauf und klammerte sich an die Heckreling, weil der Wind ihn von Deck zu fegen drohte; er kam genau von vorn ein und heulte durchs Rigg wie tausend losgelassene Teufel.
        Keens Verstand wehrte sich dagegen, die knappen Zeiten und Distanzen zu berechnen, die Achates noch verblieben, sobald der Buganker erst ausgebrochen war. Schwach horte er von vorn das Klicken der Ankerwinsch, die heiseren Rufe der Deckoffiziere, die auf den entscheidenden Augenblick warteten.
        Als Keen sich wieder dem Huttendeck zuwandte, brannte sein vom Wind gepeitschtes Gesicht wie Feuer. Schemenhaft sah er unten das gro?e Rad und die Ruderganger, daneben den Master und einen Mids-hipman. Andere Manner der Achterdeckswache hielten sich an den Besanbrassen bereit, ihre nackten Oberkorper schimmerten wie nasser Stein im schwachen Licht.
        Gleich… Gleich hie? es, jetzt oder nie. Oft genug hatte Keen das in der >Gazette< oder in einem Admiralitatsbericht gelesen: ein Kriegsschiff Seiner Majestat war gestrandet und verlorengegangen, und das Seegericht fallte spater seinen Spruch, wonach. Stopp. Er mu?te seine Phantasie zugeln. Laut rief er, das Heulen des Windes ubertonend:»Alles klar, Mr. Quantock?»
        Der gro?e, hagere Erste kampfte sich, schraggeneigt gegen den Wind und das krangende Deck, auf den Kommandanten zu.

«Das hat doch keinen Zweck, Sir!»
        Wutend fuhr Keen zu ihm herum.»Nicht so laut, Mann!»
        Quantock beugte sich vor, um ihm besser ins Gesicht sehen zu konnen.»Aber der Master ist derselben Meinung. Es ware Wahnsinn. Das schaffen wir einfach nicht.
«Keens Schweigen schien ihn zu ermutigen.»Niemand kann Sie dafur tadeln, da? Sie das Schiff nicht riskieren wollten. Uns bleibt immer noch Zeit zum Aufkreuzen.»

«Der Anker ist kurzstag, Sir!«Die Meldung fuhr zwischen sie wie ein Axthieb.

«Zeit? Wofur bleibt uns Zeit - zu feiger Flucht? Verdammt sollen Sie sein!»
        Keen wandte sich ab und schritt zu den Finknetzen, sah einige Matrosen ihn angstlich beobachten.
        Aber Quantock lie? nicht locker.»Kapitan Glazebrook hatte niemals. «Weiter kam er nicht.

«Er ist tot!«Keen schrie es fast.»Aber wir leben. Verlangen Sie etwa von mir, da? wir unseren Admiral und die Kameraden da drau?en im Stich lassen, blo? weil es gefahrlich fur uns wird? Ist das der Rat, den Sie mir geben, Mr. Quantock?«Es tat ihm wohl, seinen Zorn und seine Verbitterung herauszuschreien.»Eher schicke ich Sie, den Master und alle anderen zum Teufel, als da? ich den Schwanz einziehe und feige davonrenne!»
        Er schritt zur Querreling und spahte zu der wild schlagenden Leinwand auf. Vielleicht kostete es sie wirklich ein paar Segel oder Spieren, vielleicht auch die Masten. Aber da hinten, jenseits des stampfenden Hecks, wartete Bolitho. Schemenhaft zogen Bilder an Keens innerem Auge vorbei: die Gro?e Sudsee, das Madchen, das er geliebt hatte und das am gleichen Fieber gestorben war, dem auch Bolitho fast erlegen ware. Trotz seiner eigenen Verzweiflung hatte Bolitho ihm
        Trost zugesprochen. Und nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten, sollte er ihn jetzt im Stich lassen? Nein, tausendmal nein!

«Geben Sie durch an die Toppgasten, Mr. Fraser: Es wird ein haariges Manover. Holen Sie alle Mann aus dem Batteriedeck und stellen Sie jede Hand an Brassen, Halsen und Schoten. «Er versuchte, sich an den Namen des Offiziers zu erinnern, der neben ihm stand.»Mr. Foord, machen Sie fur den au?ersten Notfall den Backbordanker klar zum Fallen. «Damit konnten sie das Schiff vielleicht lange genug abbremsen, da? wenigstens ein Teil der Besatzung sicher an Land gelangte.
        Dann horte er sich ruhig fragen:»Also, Mr. Quantock?«Quantock starrte ihn durch die Gischtfetzen bose an.»Aye, aye, Sir.»
        Damit griff er nach seinem Sprachrohr und stapfte davon.
        Keen packte den glatten Handlauf. Wie viele Kommandanten vor ihm hatten hier schon so gestanden? In Sturm oder Flaute, vor einem Hafen oder einem Gefecht, und hatten versucht, sich ihre Angste nicht anmerken zu lassen?
        Wurde er der letzte sein? Er horchte auf das Klicken des Ankerspills, den Knall der Peitsche, mit der ein Bootsmannsgehilfe einen Saumseligen zu gro?erer Anstrengung trieb. Von ihrer Kraft und Entschlossenheit hing es ab, ob das schwere Schiff gegen Wind und See bestehen konnte.
        Ein letztes Mal blickte er zu den Rahen auf, wo die Toppgasten in den Fu?pferden standen, jederzeit bereit, die knatternden Segel herabrauschen und sich entfalten zu lassen.
        Weit und breit kein Licht. Und keine Spur mehr von der brennenden Schwimmsperre. Vielleicht war Allday nicht durchgekommen. Aber wenn dem so war, dann lebte er jetzt bestimmt nicht mehr. Noch ein Bild sah Keen vor sich: er selbst, damals ein kleiner Seekadett, schreiend und keuchend vor Schmerzen, mit einem messerscharfen Holzsplitter im Leib, der ihn wie ein Speer durchbohrte. Und Allday, der ihn uberraschend sanft unter Deck trug und den Splitter selbst aus dem Fleisch schnitt, weil der Schiffsarzt zu betrunken war, um verla?lich seine Arbeit zu tun.

«Anker ist frei!«Nur halb drang der Ruf zum Achterschiff, aber schon legte sich Achates so scharf uber, da? die See wie Brandung uber Seitendeck und Schanzkleid brach.»Setzt die Bramsegel!»
        Die Ruderganger rutschten aus und fielen auf die Planken, umklammerten aber eisern das machtige Doppelrad, als der Wind das Schiff wie ein Spielzeug herumwarf; die losen Bramsegel knallten und schlugen an ihren Rahen, und das Crescendo der Sturmboen in der Takelage ubertonte das Geschrei der um ihr Leben kampfenden Crew.
        Keen kniff die Augen zu Schlitzen zusammen, als Spritzwasser durch die Webeleinen scho? und ihn von Kopf bis Fu? durchna?te. Das Wasser fuhlte, sich warm an, als hei?e es seine Beute schon willkommen.
        Sparrowhawks uberlebender Midshipman, der kleine Evans, klammerte sich verzweifelt an ein Want, als ihm die Fu?e weggerissen wurden. Ein dunkles Bundel fiel aus der Besantakelage, schlug mit einem ekelerregend dumpfen Krachen aufs Schanzkleid und von da in die See: ein Toppgast, den das plotzlich steif kommende Segel von seinem unsicheren Stand gerissen haben mu?te. Dem Mann blieb nicht einmal Zeit fur seinen letzten Schrei.
        Im Getose von Wind und See klang Gebrull auf und verebbte wieder - wie ein Chor verdammter Seelen.

«Noch ein paar Hande an die Luvbrassen dort!»

«Mr. Rooke, lassen Sie zwei Leute aufentern!»

«Bringt den Mann da ins Lazarett!»

«Wahrschau - die Gig rei?t sich los!»
        Und plotzlich der heisere Ruf des Masters:»Ruder im Schiff, Sir!»
        Keen fuhr herum und starrte ihn an, das Gesicht entstellt durch ein irres Grinsen, denn der Winddruck verzerrte seine Lippen. Aber das Schiff gehorchte wieder dem Ruder! Mit vierkant gebra?ter Gro?rah und zum Platzen steifen Segeln, so stark uberliegend, da? Wasserstrahlen durch die geschlossenen Lee-Stuckpforten gepre?t wurden, fiel Achates ab und begann, dem Sturm das Heck zu zeigen.
        Gebrochene Leinen wehten vor ihr her wie Lianen; von oben horte Keen das schrille Glissando rei?ender Leinwand, aber er wu?te, da? die Fauste der Toppgasten den Schaden in Grenzen halten wurden.

«Nordost zu Nord!«Die Stimme klang atemlos. Und gleich darauf:»Nord zu Ost!»
        Keen umklammerte den Handlauf, da? ihn die Fauste schmerzten. Achates gab wirklich ihr Bestes. Aber mit jeder Sekunde, die der Sturm sie weiter auf den dunklen Schatten des Landes zutrieb, wurden ihre Chancen geringer.
        Wieder das Knirschen der Rahen, deren Brassen von halbnackten Mannern geholt wurden, die sich vor Anstrengung schrag gegen das Deck stemmten. Und uber allen Quantocks fordernde, drohende, rauhe Stimme.
        Der Rumpf schien einen Satz nach vorn zu machen, schrag abwarts, bis eine massive Wasserwand hoch uber dem Vorsteven emporwuchs und auf das Vorschiff niederkrachte. Wie Stoffpuppen wurden Manner nach achtern gewaschen. Keen schien es ein Wunder, da? sich keine der vorderen Kanonen losri?. Er kannte die Gefahr mir zu gut: wie von blinder Angriffswut beseelt, konnten diese gu?eisernen Monster, hatten sie sich erst aus ihren Laschings befreit, kreuz und quer durch die Decks krachen und alles zermalmen, was ihnen in den Weg kam.
        Mit kaltem Grauen zahlte er die Sekunden, bis der Bugspriet sich langsam zu heben begann und tosende Wasserkaskaden abschuttelte. Der Kluverbaum zeigte wieder aufs Land, auf das unerbittlich drohende Land.
        Wie zur Bestatigung horte er Knockers Schrei:»Nordwest liegt an,
        Sir!»
        Und immer noch kein Lichtsignal. Sie wurden auch vergeblich darauf hoffen, dachte Keen.
        Eigentlich hatte er verzweifelt sein mussen. Er hatte sich geirrt, und Quantock hatte recht behalten. Nun war das Schiff verloren und mit ihm jeder Mann an Bord, und diese rebellische Insel konnte weiterhin der Krone trotzen, als hatte es Achates nie gegeben.
        Aber trotz allem war er seltsam erleichtert. Er hatte es wenigstens versucht, und Bolitho wurde davon horen. Andere Schiffe wurden kommen und sie rachen, ob nun britische oder franzosische, das spielte keine Rolle.
        Plotzlich Leutnant Foords gellende Stimme:»Das Signal! O Gott, da ist das Signal! Er schluchzte fast, so erleichtert war er.
        Scharf befahl Keen:»Rei?en Sie sich zusammen, Mann! Mr. Knok-ker: einen Strich nach Steuerbord!»
        Bewu?t versuchte er, seine verkrampften Glieder zu entspannen, wahrend er nach dem Feuer ausspahte, dessen spruhendes Licht von den jagenden Wolken reflektierte. Wieder hievten die Deckshande an den Brassen, Keen horte das Vorbramsegel sich knallend mit Wind fullen und wu?te jetzt, da? vorhin das Gro?bramsegel zerfetzt worden war.
        Aber da war ihr Richtfeuer, ohne jeden Zweifel. Allday hatte das Unmogliche geschafft.»Nordwest zu Nord, Sir.«»Recht so!»
        Das Schiff schien jetzt mit einem hollischen Tempo durchs Wasser zu preschen. Lotgasten in die Ketten!«befahl Keen. Tauschte er sich, oder hatte im rauhen Ruf des Masters mehr gelegen als Uberraschung und Erleichterung? Vielleicht auch ein respektvolles Staunen?
        Keen stie? sich ab und ging zur anderen Seite hinuber, um die wei? schaumende Brandung im Auge zu behalten. Die Brecher schienen nicht weiter als eine Bootshakenlange vom Rumpf entfernt.
        Er horte den ersten Lotgasten aussingen, aber seine Tiefenangabe verstand er nicht.
        Dicht neben dem Rumpf konnte er plotzlich festes Land ausmachen, in Gischt gehullt, und spurte das Deck unter seinen Fu?en erbeben, als der Kiel mit knapper Not uber eine gefahrliche Sandbarre rutschte.
        Knocker gab neue Ruderkommandos, seine Stimme hallte plotzlich laut von der Landzunge wider, auf deren Hohe die Pontons den Hafen gesperrt hatten.
        Sie horten Gefechtslarm: Gewehrfeuer und dazwischen vereinzelt das Krachen von Kanonen. Aber das klang alles so fern und unwirklich, als hatte es nichts mit dem ansturmenden Zweidecker und seiner Besatzung zu tun.
        Warnschreie vom Vorschiff - und dann hielt Keen scharf den Atem an, als ein heftiger Ruck durch das Schiff ging. Dunkel und verschwommen sah er ein kleineres Fahrzeug am Rumpf der Achates entlang gleiten und achteraus verschwinden: ein Boot, das sie von seiner Boje gerissen hatten und das nun langsam kenterte.
        Immer noch brannte das Richtfeuer lichterloh, und jetzt konnte Keen seinen Widerschein auf einem helleren Fleck erkennen, der dichtbei lag: Alldays Barkasse. Er ri? einem Midshipman das Teleskop aus der Hand und richtete es nach Backbord voraus.
        Im Schein ihres Feuers standen die Bootsgasten in der Barkasse und schwenkten jubelnd die geteerten Hute, als das Schiff sich naherte. Achates mu?te einen gespenstischen Anblick bieten, dachte Keen: oben feurig leuchtende Segel und darunter ein Rumpf, der mit dem dunklen Wasser verschmolz.

«Klar zum Segelkurzen, Mr. Quantock!»
        Keen stellte fest, da? er am ganzen Leib zitterte wie ein Mann der soeben dem Tod entronnen war.
        Dann erkannte er zum erstenmal die Lichter der Stadt, sie schimmerten durch die Gischt wie winzige Juwelen. Achates war fast am Ziel, das Unmogliche geschafft.
        Im Dunkeln krachte wieder eine Kanone, aber Keen scherte sich nicht um den Einschlag der Kugel.

«Klar zum Anluven, Mr. Quantock!»
        Noch war die Gefahr nicht vorbei. Falls Achates nicht rechtzeitig ankerte, mu?te sie an den Strand treiben oder sich wie eine Schildkrote im Netz zwischen den verankerten Fahrzeugen verfangen.
        Vielleicht schnappte jetzt die selbstgestellte Falle hinter ihnen zu? Keen entdeckte plotzlich, da? er diese Moglichkeit bar jeder Emotion einkalkulieren konnte. Darauf kam es jetzt nicht mehr an. Denn wenn Achates den Hafen nicht mehr verlassen konnte, war das auch allen anderen Fahrzeugen unmoglich. Im Geist sah er Bolithos ernstes Gesicht wieder vor sich und hoffte, da? er beobachtet hatte, wie sein Flaggschiff, ein dunkles Phantom, mitten in den Hafen gesturmt war.
        Wenn allein Willensstarke diesen Kampf entschied, dann stand der Sieger jetzt schon fest.

«Bemannt die Leebrassen!«Quantock warf seinem Kommandanten einen Blick zu.»Ich habe beide Anker klar zum Fallen, Sir, und einen Leutnant an den Kettenkneifer gestellt. Wenn die Trosse bei diesem Sturm bricht…«Er lie? den Satz unvollendet.
        Keen musterte ihn gelassen.»Bitte, machen Sie weiter.»
        Er konnte an Quantock keine Veranderung feststellen, dachte er mit einer gewissen Genugtuung. Warum sollte sich der Mann auch wegen einer gewissenlosen Tollkuhnheit verandern? Denn genau das hatte er eben begangen, wenn er es recht bedachte.

«Gei auf Bramsegel!»
        Keen wandte den Blick nach oben, wo plotzlich hektische Bewegung entstand. Die Toppsgasten hatten eine Meisterleistung vollbracht, dachte er, sie hatten ihr Leben, ihr Schiff und ihren Stolz bewahrt, wie nur Seeleute das konnten.

«Leeruder!»
        Wieder legte sich das Deck scharf uber, und Alldays Barkasse zog am herumschwingenden Bugspriet vorbei, als suche sie ihr Heil in hastiger Flucht. Aber Sturm und See hatten fur den Augenblick an Gewalt verloren. Ihre Revanche wurde noch kommen, spater.

«La? fallen Anker!»
        Keen horte das Platschen und spurte ein leichtes Erzittern der Planken, als der zweite Anker, der an seinem Kranbalken klar zum Fallen hing, gegen den Rumpf schlug.
        Blocke quietschten, als die unsichtbaren Toppsgasten langsam, aber sicher die widerspenstige Leinwand zu ihren Rahen aufholten und festzurrten.
        Sofort lie?en die Schiffsbewegungen nach, und Keen befahl so gelassen er konnte: Setzt die restlichen Boote aus. Und bringt achtern einen Warpanker aus. Mr. Rooke soll sich bei mir melden. «Und als Quantock verbittert schwieg, setzte er hinzu: Au?erdem nehmen Sie bitte eine allgemeine Musterung vor. Und melden Sie mir die Verluste.»
        An seinem Ellbogen stand plotzlich eine kleine Gestalt, Ozzard, Bolithos Steward, mit einem silbernen Becher in der Hand.»Hier, Sir.»
        Keen setzte ihn an die Lippen und verschluckte sich fast an dem starken Rum. Aber er erzielte die von Ozzard beabsichtigte Wirkung.

«Danke. «Keen reichte den Becher zuruck, es war einer von Bo-lithos eigenen.»Das hatte ich notig.»
        Gemeinsam sahen sie zu, wie Gig und Jolle an ihren Davits ausgeschwungen und zu Wasser gelassen wurden. Manner hasteten nach achtern, wahrend die Bootsmannsgehilfen ihre Anweisungen fur das Ausbringen des Warpankers bellten. Auf den blankgescheuerten Planken sah das dicke Tau aus wie eine endlose Schlange.
        Schuchtern fragte Ozzard:»Ob er in Sicherheit ist, Sir?»
        Keen sah einen Leutnant und Harry Rooke, den Bootsmann, auf sich zukommen; ungeduldig erwarteten sie seine Befehle, aber in Ozzards Stimme hatte eine Dringlichkeit gelegen, die von ihm eine Antwort verlangte.
        Sicherheit? Wann verschwendete die Kriegsmarine schon Gedanken an die Sicherheit eines einzelnen? Vertrauen zahlte da schon eher. Und Zuversicht. Beides besa?en Manner wie Allday, fur die Bolithos Wort und Reputation alles andere aufwog, selbst ihr Leben.
        Lachelnd wandte er sich dem Steward zu.»Jedenfalls wird er uns morgen eine Menge zu tun geben, Ozzard. Zumindest das wei? ich genau.»
        Ozzard nickte strahlend und hoppelte davon. Diese Antwort genugte ihm vollauf.



        IX Knapp davongekommen

        Eine Hand schuttelte Bolitho wach, und er regte sich mit einem unterdruckten Stohnen. Hatte er wirklich geschlafen? Der Schreck daruber weckte ihn endgultig. Was ist denn, Mann?»
        Leutnant Mountsteven starrte ihn neugierig an, als konne er es selbst nicht glauben, da? er diesen steinigen Graben mit seinem Vizeadmiral teilte.

«Es dammert schon, Sir. Die Leute sind auf den Beinen.»
        Bolitho setzte sich und rieb seine brennenden Augen; jetzt fiel ihm auch auf, da? der Wind fast eingeschlafen war.
        Er erinnerte sich an die Nacht wie an eine Halluzination. Als er uber den Grabenrand auf die glitzernde Wasserflache spahte, sah er wieder vor sich, wie Achates unter Segeln, die sich wie kupfern schimmernde Brustpanzer wolbten, die Einfahrt erzwungen hatte. Sie war nur ein leichtes Linienschiff, hatte aber im Feuerschein fast doppelt so gro? gewirkt und schien den ganzen Hafen zu fullen. Mit wildem Jubel und nassen Augen hatten Bolithos Seeleute ihre gespenstische Erscheinung begru?t. Nun horte er, wie die Manner rundum nach ihren Waffen griffen, und dachte wieder an den Korporal der Marineinfanterie, den Hauptmann Dewar mit der Meldung zu ihm geschickt hatte, da? alle an Land waren und ihre Stellungen bezogen hatten.
        Er mu?te grinsen. Der Korporal wirkte in seiner makellosen roten Uniform so untadelig im Vergleich zu seinem Admiral in schmutzigem Hemd und mit wirrem, staubigem Haar.
        Die Festung hullte sich noch in Dunkelheit, aber der Gipfel des Vulkans trug schon eine graue Mutze.
        Mountsteven reichte ihm eine Huftflasche heruber.»Ich lasse das Schiff beobachten, Sir«, sagte er.»Aber die Marineinfanterie wird es schon zu verhindern wissen, wenn sie eine Kanone so in Stellung bringen wollen, da? es unter Direktbeschu? genommen werden konnte.»
        Bolitho hob die Flasche an die Lippen und lie? den starken Brandy brennend uber seine Zunge rinnen. Jetzt hing alles von Rivers ab. Wenn ihm genug Zeit blieb, schaffte er seine schwere Artillerie bestimmt auf eine andere Bastion, von wo aus er die Achates mit gluhenden Kugeln binnen weniger Minuten zum Wrack schie?en konnte.
        Irgendwo begru?te ein Hahn trotzig krahend den Morgen, und Bo-litho blickte sich um.
        Der Dritte Offizier kam den Hang herabgestolpert und meldete atemlos:»Sie verlegen die Artillerie im Fort, Sir. Ich habe einen Spaher so weit vorgeschickt wie moglich. «Er lie? sich von seinem Kameraden ebenfalls die Flasche reichen und setzte sie an. Mit einer Grimasse schlo? er:»Aber die Tore sind noch zu.»
        Bolitho nickte, wahrend sein wie eingefrorener Verstand die sparlichen Nachrichten zu verarbeiten suchte. Die erste Aufregung uber die Vernichtung der Schwimmsperre und ihren Durchbruch in den Hafen mu?te sich inzwischen gelegt haben, Rivers sein Selbstvertrauen allmahlich zuruckgewinnen.
        Bolitho erhob sich steif und wischte sich mit dem Armel uber das Gesicht. Was fur eine verfahrene Situation! In England wurde man mit Recht die Notwendigkeit bezweifeln, da? hier Menschenleben geopfert wurden, um den Franzosen einen Vorteil zu verschaffen. Mit einem lautlosen Fluch verdrangte er diesen Gedanken; nur seine Hoffnung auf eine gluckliche Zukunft mit Belinda flusterte ihm solche Skrupel ein. Kein Wunder, da? ihn die jungen Offiziere wie Mount-steven oder Scott mit heimlichem Befremden musterten. Auch er hatte in ihrem Alter niemals an die privaten Sorgen seiner Vorgesetzten gedacht, an ihre Rucksichtnahme auf die eigene Familie, die sie vielleicht zogern lie?, wenn es ans Kampfen ging.
        Aber dann schuttelte er diese Stimmung ab. Ein Leben ohne Belinda schien ihm unertraglich. Aber ein Leben ohne Ehre konnte er ebensowenig ertragen.
        Vom Ufer klang ein erschreckter Anruf herauf und dann Alldays gedampfte, aber wutende Stimme:»Ich bin's doch, du blindes Huhn! Sei leise, oder ich brech' dir das Genick!«Er rutschte in den Graben hinunter und schielte unsicher zu den drei Offizieren heruber.
        Bolitho lachelte.»Ihr habt heute nacht ein Wunder vollbracht. Das war gute Arbeit!

        Erst jetzt schien Allday zu begreifen, da? die eine der drei abgerissenen Figuren Bolitho war; wei? schimmerten seine Zahne im Halbdunkel, als er breit zu grinsen begann.

«Danke, Sir.»
        Scott sagte:»Mir kam's so vor, als seid ihr auf ein Patrouillenboot gesto?en, Allday.»
        Allday betrachtete ihn, schien zu uberlegen, ob ein blo?er Leutnant seiner Aufmerksamkeit wurdig war, aber dann antwortete er doch.»Stimmt, Sir. «Er fuhr mit der Hand quer uber seine Kehle.»War aber kein Problem.»
        Das ohrenbetaubende Krachen eines einzelnen Kanonenschusses lie? einige der Umstehenden erschreckt zusammenfahren. Kreischend und krachzend flatterten Vogel scharenweise vom Wasser und aus den Uferbuschen auf. Aller Augen folgten den Rauchschwaden, die vom Festungswall aufstiegen, gefolgt vom dumpfen Einschlag eines Volltreffers.
        Bolitho ruckte seinen Sabelgurt zurecht und sagte knapp:»Sie nehmen Achates unter Beschu?.»
        Wie zur Antwort drang Larm aus der Stadt: zunachst nur Gewehrfeuer, dann lautes Hufgetrappel auf einer gepflasterten Stra?e.
        Also wollte Rivers' Miliz sie angreifen, ehe sie ihre Stellungen auf der Insel befestigen konnten, und eine schnell herbeigeschaffte Kanone sollte das verankerte Schiff in den Boden bohren.

«Kapitan Keen wird sich beeilen mussen«, stellte Bolitho fest.»Und wir sollten ihm etwas Zeit verschaffen.»
        Schon nahm ihre nahere Umgebung und die Gruppe zusammengedrangter Seeleute im Morgengrauen deutlichere Umrisse an. Ruhig fragte Mountsteven:»Was haben Sie vor, Sir?»

«Zu verhandeln. «Und die erstaunte Reaktion des anderen scharf unterbindend, setzte er hinzu:»Ich brauche zwei Freiwillige - sofort.»
        Wieder feuerte die Kanone, und Bolitho zwang sich, nicht zusammenzuzucken. Diesmal war kein Einschlag zu horen, aber bald mu?te der Richtschutze sein Ziel im zunehmenden Licht gut erkennen konnen.
        Brummig korrigierte Allday:»Nur einen Freiwilligen, Sir. Ich komme mit.»
        Bolitho verlie? die Deckung und wandte sich dem Weg zu, der in vielen Windungen zur Festung hinauffuhrte. Plante er wirklich nur einen Bluff? Jedenfalls hatte er Rivers nichts anderes zu bieten.
        Mit einem schnaufenden Allday an seiner Seite und Christy, dem Bootsmannsmaatgehilfen, hinter sich, schritt Bolitho auf dem holprigen Weg rasch aus. Christy trug einen Bootshaken mit einem wei?en Hemd als Parlamentarsflagge daran und pfiff leise vor sich hin. Beim Abschied hatte er noch daruber gewitzelt, da? das Hemd von einem der beiden Kadetten stammte, die ihrem Landungstrupp angehorten:»Der einzige junge Herr, der fur unseren Zweck sauber genug ist.»
        Bolitho wunderte sich, da? die Manner immer noch zum Grinsen aufgelegt waren.

«Halt! Keinen Schritt weiter!»
        Bolitho blieb still stehen und blickte zu den Festungsmauern auf, die sich drohend uber ihnen erhoben. Er glaubte, ein metallisches Klicken zu horen, und konnte sich gut vorstellen, wie ein Scharfschutze ihn ins Visier nahm, wei?e Fahne oder nicht. Wieder stieg Verbitterung in ihm auf. Wen wurde ihr Tod schon kummern? Uberall waren Hunderte, Tausende von Seeleuten und Soldaten gefallen, fur die verschiedensten Zwecke, und wer erinnerte sich noch an sie oder an den Grund ihres Sterbens?
        Er formte einen Schalltrichter mit beiden Handen.»Ich will mit Sir Humphrey Rivers sprechen!»
        Die Antwort war ein hohnisches Auflachen.»Sie meinen wohl kapitulieren, Sir!»
        Bolitho ballte die Fauste. Also hatte er richtig vermutet, Rivers hielt sich da oben auf. Sonst hatten die unbekannten Gegner mit einer spottischen Abfuhr reagiert, ihn fur seinen Irrtum verhohnt.
        Allday murmelte:»Ich zeig's dem Schweinehund, von wegen kapitulieren!»
        Eine andere Stimme rief:»Ach, Sie sind das, Bolitho! Ich dachte schon, wir hatten ein paar Bettler vorm Tor!»
        Bolitho merkte, da? er sich entspannen konnte, jetzt, da Rivers ihm wirklich gegenuberstand.

«Bitte, sagen Sie doch - was kann ich fur Sie tun, bevor ich Sie und Ihre Rabauken gefangennehme?»
        Bolitho fuhlte sein Herz gegen die Rippen schlagen, als sei es der einzige Teil seines Korpers, der noch spontan reagieren konnte. War es nicht schon viel heller geworden? Ohne das Sturmgewolk der vergangenen Nacht hatte bereits heller Tag geherrscht.
        Irgendwo hinter der Mauer horte er den Ruf:»Feuerbereit, Sir!»
        Aber Rivers wollte die Situation ausgiebig genie?en.»Einen Moment noch, Tate. Ich mochte horen, worum unser stolzer Admiral mich bittet.»
        Bolitho flusterte seinen Begleitern zu:»Sie konnen nicht feuern, so lange Rivers da oben ist. Er steht genau zwischen der Kanone und dem Schiff. «Laut rief er:»Ich fordere Sie auf, das Feuer einzustellen und Ihre Miliz zuruckzubeordern. Sie haben keine Chance, uns zu besiegen. Und Ihre Leute mussen sich klar daruber sein, welch hohen Preis sie fur den Angriff auf ein englisches Kriegsschiff zahlen werden.»
        Dabei stellte er sich vor, wie seine Worte hinter den Festungsmauern von Mund zu Mund gingen. Trotzdem, Rivers' Leute waren uberwiegend Einheimische, wahrscheinlich nicht viel besser als Piraten, obwohl die wahrend des Krieges erfundene, zartfuhlende Umschreibung >Freibeuter< diese Profession inzwischen fast legalisiert hatte.
        Wutend schrie Rivers zuruck:»Zur Holle mit Ihnen, Bolitho! Ich habe Ihnen eine Chance gegeben, aber jetzt werden Sie fur Ihre verdammte Arroganz bu?en!»
        Bolitho blinzelte geblendet, als die ersten Sonnenstrahlen ihm zwischen den Zinnen des Burgfrieds hindurch in die Augen stachen und den Hang uber der Festung in goldenes Licht tauchten. Aufgeregte
        Rufe erklangen hinter den Mauern, als auch der verankerte Zweidek-ker unten klar sichtbar wurde.
        Rivers' Stimme wurde noch um einige Tone schriller:»Da liegt das Ziel, Jungs! Da? mir jede Kugel trifft! Dieser Kommandant ist ein noch gro?erer Narr als sein Admiral.»
        Langsam wandte Bolitho sich um und sah uber die Reede hinweg zu den wei?en Hausern von Georgetown und den dicht gedrangt ankernden Fahrzeugen hinuber. Und er verga? das Hohngeschrei aus dem Fort, als er erkannte, was Keen mit seiner kleinen Besatzung im Schutz der Dunkelheit bewerkstelligt hatte: Eine lange Trosse verlief vom Heck der Achates zu einer Festmacherboje und hielt das Schiff regungslos, und zwar so, da? es seine Breitseite voll der Festung zuwandte. Damit hatte Ke en eine Batterie, die nach beiden Seiten feuern konnte, zum einen auf die Stadt und die Reede, zum anderen auf die Festung und die Hafeneinfahrt. Kein Wunder, da? Rivers ihre Plane nicht durchschaut hatte.
        Rivers rief:»Meine Kavallerie ruckt schon aus, um Sie fertigzumachen, Bolitho! Ihr schandliches Ende wird alle kunftigen Angriffe auf meine Insel abschrecken, das garantiere ich Ihnen!»
        Nun konnte Bolitho auch seine Gestalt vor dem hellen Himmel sehen und den Ha? fuhlen, der von diesem Mann ausging. Trage stieg Rauch uber die Mauerkrone und verriet, da? dahinter Kugeln erhitzt wurden, die Achates vernichten sollten. Jetzt wurde die Zeit knapp.
        Er rief hinauf:»Ich gehe zu meinen Leuten zuruck, Sir Hum-phrey…«An seinem Hals zuckte ein Nerv, als er plotzlich ein entferntes, aber wohlvertrautes Rumpeln horte. Diesmal wandte er sich nicht um, wagte es auch nicht, Rivers aus den Augen zu lassen, als das dumpfe Poltern wie abgehackt verstummte.
        Rivers hatte es ebenfalls gehort.»Wozu soll das gut sein?«rief er.»Keine Ihrer Kanonen kann diesen Mauern auch nur einen Kratzer beibringen. «Aber das klang schon nicht mehr ganz so selbstsicher; vielleicht hatte das Poltern, mit dem Achates' Kanonen ausgefahren wurden, auch bei ihm alte Erinnerungen heraufbeschworen, genau wie bei Bolitho.

«Haben Sie ein Teleskop, Sir Humphrey?»
        Nur mit Muhe zwang er sich zur Ruhe, obwohl es ihn mit allen Fasern seines Korpers danach verlangte, gegen dieses vermaledeite Tor anzurennen und es mit blo?en Fausten zu zertrummern.
        Rivers hatte bereits ein Glas auf das bewegungslose Schiff gerichtet. Da? Achates so ruhig dalag, verstarkte die Drohung noch. Alle Segel waren ordentlich aufgelacht, uber dem schwarzen, hellbraun abgesetzten Rumpf ruhrte sich keine Menschenseele.
        Bolitho fuhr fort:»Im Krahennest des Gro?masts sehen Sie einen Mann, einen Leutnant, um genau zu sein. Auch er hat ein Teleskop, Sir Humphrey, aber es ist auf Ihr Haus, Ihren Besitz gerichtet: unser-Einschlagbeobachter.»

«Sie spielen ja nur um Zeit«, sagte Rivers.

«Und danach kommt die Stadt dran, Sir Humphrey, bis dort kein Stein mehr auf dem anderen ist.»
        Als die Explosion kam, wirkte sie ohrenbetaubend laut, denn das Land warf das Echo der Breitseite zuruck und lie? es uber die Bucht rollen, als hatte die Festungsbatterie schon das Feuer eroffnet.
        Bolitho wandte sich um und sah Rauch von der abgewandten Seite der Achates aufsteigen und zum Uferkai treiben, wo sich eben noch die Schaulustigen zusammengedrangt hatten, um Zeugen des ungleichen Gefechts zu werden.
        An Bord mu?ten Keens Offiziere jetzt neue Anweisungen an die Gangspillwachen geben, damit der Rumpf noch besser auf das Ziel ausgerichtet werden konnte.
        Bolitho sah auch die aufgerissenen Planken in Achates' Bordwand, wo die erste Kugel getroffen hatte. Doch das war nichts im Vergleich zu dem Schaden, den gluhende Kugeln anrichten mu?ten.
        Ein schmaler Wimpel stieg schneidig zur Gro?rahnock auf und flatterte in der leichten Brise.
        Bolitho informierte seinen Gegner:»Die Batterie ist feuerbereit fur die nachste Breitseite. Nun hangt es von Ihnen ab.»
        Hinter ihm murmelte Christy:»Allmachtiger!»
        Und Allday meldete:»Die Kavallerie ruckt an, Sir.»
        Bolitho sah die Schwadron aus der Stadt galoppieren, auf dem Weg, der zu ihnen herauffuhrte. Aber sie ritt ungeordnet, wahrscheinlich hatten die Pferde bei den uberraschenden Kanonenschussen gescheut. Die Reiter mochten Soldner, einheimische Pflanzer oder Milizionare sein, darauf kam es nicht an. Doch wenn sie Bolithos Landungstrupp unten auf der Stra?e uberwaltigten, mu?te das Gluck sich gegen ihn wenden.
        Ein kurzes Hornsignal, dann sah Bolitho die geschlossenen Reihen seiner Rotrocke aus dem Gebusch neben der Stra?e treten, wo sie sich versteckt gehalten und auf den entscheidenden Augenblick vorbereitet hatten.
        Sonnenlicht reflektierte von den aufgepflanzten Bajonetten. Die Pferde der Gegner galoppierten jetzt schneller, ihre Hufe warfen Staubwolken auf, die in breiter Front uber die Stra?e zogen.
        Eine erste, unregelma?ige Salve fiel, und Bolitho durchfuhr es kalt, als er drei der winzigen roten Gestalten auf dem Weg zusammenbrechen sah.
        Es schien endlos zu dauern, bis sich die erste Reihe der Marinesoldaten neben ihren toten Kameraden auf ein Knie niedergelassen hatte, wahrend die hintere Reihe uber ihren Kopfen die Gewehre anlegte. Erneut fielen Schusse, und diesmal sank ein kleiner Trommelbube in den Staub.

«Jesus«, keuchte Allday,»warum schie?en sie nicht endlich?»
        Aber da fuhr Dewars Sabel schon blitzend nach unten, und die Salve der Briten krachte wie ein einziger uberlauter Schu?.
        Pferde und Reiter sturzten wirr durcheinander, und als der Pulverdampf sich hob, standen die roten Reihen unerschutterlich an ihrem Platz. Die uberlebenden Reiter hatten ihre Pferde herumgerissen und galoppierten zur Stadt zuruck, Tote und Verwundete sich selbst uberlassend.
        Erregt meldete Christy:»Das Tor geht auf, Sir!»
        Es war voruber. Erst zu zweit und zu dritt, dann in ganzen Gruppen, stolperte die Fortbesatzung ins Sonnenlicht und warf im Laufen ihre Waffen weg.
        Als letzter erschien Rivers, schwankend wie ein Betrunkener. Doch als er sich an Bolitho wandte, war seine Stimme fest und klar.»Dafur sollen Sie mir in der Holle schmoren!«Wilden Blicks starrte er zu dem uppig begrunten Hang oberhalb der Stadt hinuber.»Sie haben auf mein Haus, meine Familie schie?en lassen, ohne alle Skrupel.»
        Bolitho unterbrach ihn scharf.»Durch Ihre Schuld habe ich heute gute Manner verloren. «Muhsam beherrschte er seinen Zorn.»Und warum mu?ten sie sterben? Weil Sie Ihren Ehrgeiz und Ihre Habgier nicht zugeln wollten. «Er wandte sich ab, weil er die Kontrolle uber sich zu verlieren furchtete.»Aber regen Sie sich nicht auf, Sir Hum-phrey. Wahrend Sie sich anschickten, ein Schiff Ihres Konigs in Brand zu schie?en und jeden Mann an Bord zu ermorden, war Kapitan Keen so rucksichtsvoll, seine Kanonen nur mit Pulver zu laden. Rauch hat Sie besiegt, nichts weiter.»
        Es hatte ein Augenblick des Triumphes sein sollen, aber Bolitho fuhlte sich nur angeekelt.
        Er wandte sich an Allday.»Wir kehren an Bord zuruck. Dewars Soldaten sind hier Herr der Lage.»
        Allday deutete auf den verstorten Rivers.»Und was wird aus ihm?«-»La?t ihn gut bewachen, zu seiner eigenen Sicherheit.»
        Als zwei Seeleute Rivers an den Armen packten und zum Festungstor abfuhrten, fugte Bolitho wie zu sich selbst hinzu:»Fur den Sieger ist Rache immer wohlfeil. «Dann schlug er dem vierschrotigen Bootsmann auf die Schulter und schlo?:»Aber wir gehoren nicht hierher, sondern dort hinaus, auf die See.»
        Allday stie? einen Seufzer der Erleichterung aus. Diesmal war es gerade noch gut gegangen; ihn schauderte trotz der warmen Morgensonne. Aber allmahlich wurde er zu alt fur solche Scherze. Das nachste Mal waren die jungen Spunde an der Reihe.
        Nach diesem Fazit besserte sich seine Laune, und er beschleunigte den Schritt.
        Die Matrosen des Landungstrupps saumten den Weg und offneten grinsend eine Gasse fur ihren Admiral.
        Bolitho erriet ihre Gedanken: Einer von uns. Weil er genauso schmutzig und abgerissen daherkam wie sie, weil er diesen Bluff mit ihnen gemeinsam durchgestanden hatte, obwohl sie um ein Haar verloren hatten.
        Und jetzt gab es eine Unmenge zu tun. Dewars Seesoldaten mu?ten das Fort besetzen, die Einheimischen mu?ten versammelt und beruhigt werden. Er hatte Depeschen zu verfassen und Erklarungen zu formulieren.
        Irgendwo wieherte schrill ein verletztes Pferd, es klang wie der Schrei einer gemarterten Frau. Zum Gluck brachte ein Gnadenschu? das Tier zum Verstummen.
        Bolitho verhielt den Schritt an der Stelle, wo Dewar die Kavallerie zuruckgeschlagen hatte. Der kleine Trommler lag auf dem Rucken, die blauen Augen offen, die Zuge in einer schmerzlichen Grimasse erstarrt.
        Bolitho nahm sein Taschentuch und bedeckte damit das Gesicht des Toten.»Zu jung fur dieses Geschaft«, horte Allday ihn murmeln.
        Einer von uns? Die Worte schienen ihn jetzt zu verhohnen, als er durch die Reihen der Seeleute schritt, die ihn mit frohlichem Nicken begru?ten, obwohl sie alle darauf gefa?t gewesen waren, diesen Morgen nicht mehr zu erleben. Nein, er fuhrte, und sie folgten. Das traf eher zu, und so wollte es auch die Flagge, die druben im Fockmasttopp von Achates wehte.
        Vor den Felsen wartete die Barkasse, um ihn an Bord zu bringen. Da straffte er sich und ging hinunter, ohne nach links oder rechts zu blicken.
        Bolitho sa? am Schreibtisch in seiner Tageskajute und nahm seufzend ein weiteres Schriftstuck entgegen, das Yovell ihm zur Unterschrift vorlegte.
        Furcht und Feuer des nachtlichen Angriffs schienen weit hinter ihnen zu liegen, obwohl erst eine knappe Woche vergangen war, seit er Rivers vor seiner Festung die Stirn geboten hatte. Glucklicherweise hatten sie nur wenige Tote zu beklagen, die alle auf dem Bergfriedhof der Insel begraben worden waren.
        Ungeduldig erhob sich Bolitho, trat zu den Heckfenstern und blickte auf die bleiern daliegende Reede hinaus. Das holzerne Sull verbrannte ihm fast die Handflachen, denn die Sonne hatte ihren Hochststand uber dem erloschenen Vulkan erreicht.
        Er sah das Wachboot langsam und ohne gro?e Begeisterung seine Runden um das Schiff ziehen, und konnte leicht erraten, womit sich die Gedanken der Bootsgasten und der Manner an Bord beschaftigten.
        Seit ihr Gouverneur unter Arrest stand, verhielt die Inselbevolkerung sich ruhig und abwartend. Alle Feindseligkeiten waren eingestellt, einige Milizsoldaten sogar neu vereidigt worden, um die Marineinfanteristen auf der Festung zu verstarken. Aber Bolitho traute dem Frieden nicht. Es war eine feindselige Passivitat, denn zu angestrengt wandten die Einheimischen den Blick ab, wenn sie einem britischen Arbeitstrupp oder Offizier begegneten.
        Die Seeleute reagierten zunachst enttauscht, dann verargert. Schlie?lich waren einige ihrer Kameraden gefallen - wofur, wu?ten die wenigsten - , und den Sieg hatten sie sich verlockender vorgestellt.
        Jetzt zur Mittagszeit mischte sich der Geruch des erhitzten Teers mit dem wurzigeren Duft der taglichen Rumration, die in den Messen ausgegeben wurde. Das Hammern der Schiffszimmerleute verstummte; sie hatten den von der Festungskanone angerichteten Schaden schon fast behoben. Immerhin hatte ein Seemann durch Splitter ein Auge verloren.
        Es klopfte, Keen trat ein, den Hut unter dem Arm. Auf Bolitho machte er jetzt einen entspannteren Eindruck, obwohl er ein gewaltiges Arbeitspensum bewaltigen mu?te; der Schiffsarzt und der Erste, der Master und der Zahlmeister, sie alle gingen den Kommandanten um die letzte Entscheidung an, und sei es nur, um die Verantwortung von sich abzuwalzen.

«Sie wollten mich sprechen, Sir?»

«Nehmen Sie Platz, Val. «Wohl zum hundertstenmal lockerte Bo-litho seinen Hemdkragen.»Wie geht die Arbeit voran?»

«Ich halte die Leute beschaftigt, damit sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Aber Achates ist seeklar. Besser als neu, wurde ich sagen.»
        Bolitho nickte, ihm war nicht entgangen, wie stolz Keen neuerdings auf sein Schiff zu sein schien. Vielleicht hatte er endlich den Schatten seines Vorgangers abgeschuttelt. Bolitho hatte auch von Keens Streit mit Quantock kurz vor der Ersturmung des Hafens gehort. Kaum zu glauben, was sie da fur ein Wagnis eingegangen waren. Aber die britische Flagge wehte wieder uber dem Fort, und dem au?eren Anschein nach hatte die Insel zum Alltag zuruckgefunden.
        Bald mu?te er eine Depesche an den franzosischen Admiral absenden, dessen Schiffe in Boston warteten. Falls sie dort noch warteten… Dann wurde es um den Frieden der Insel geschehen sein und das Elend von neuem beginnen.
        Mit einem Blick in Bolithos ernstes Gesicht sagte Keen:»Der Ad-miral auf Antigua wurde uns Unterstutzung nicht verweigern, Sir.»
        Als er Bolithos Wangenmuskeln spielen sah, fugte er hinzu:»Doch daran haben Sie bestimmt schon gedacht.»

«Die Aufgabe hier wurde mir anvertraut, Val. Ich kann nicht uber meinen Schatten springen. «Mit einer Handbewegung unterband er Keens Protest.»Ich brauche gute Augen und Ohren drau?en auf See, nicht einen Flaggoffizier, der mir Vorschriften macht. Wenn wir Sparrowhawk nicht verloren hatten….»
        Sie tauschten einen Blick; da? Duncan nicht mehr lebte, war immer noch unfa?bar.
        Nachdenklich sagte Keen:»Wenn wir Anker lichten und uns auf die Suche nach diesem verdammten Schiff machen, konnen die Dinge hier au?er Kontrolle geraten. Das Fort ware leicht auszuhungern. Ich glaube, wir sollten ein Standgericht zusammentreten lassen und Sir Humphrey an der Gro?rahnock hangen, wie er es verdient. «Sein Ton war ungewohnlich ha?erfullt.»Solange er lebt, ist er eine Bedrohung fur uns.»
        Sie fuhren beide zu den Fenstern herum, als drau?en ein Musketenschu? krachte.

«Vom Wachboot. Da mu? etwas passiert sein.»
        Keen griff nach seinem Hut und sprang auf.»Ich sehe nach, Sir.»
        Bolitho nahm ein Teleskop aus seiner Halterung und wartete, bis Achates an ihrer Ankertrosse zuruckschwojte. Die Festung glitt in sein Blickfeld, die Mauerkronen von Hitzedunst verhullt, so da? die Flagge an den Himmel selbst gepinnt schien. Bolithos Blick wanderte weiter zum Vorland und zu dem vorgelagerten Inselchen mit seiner spanischen Missionsstation. Dann sah er hinter der Landzunge ein einzelnes braunes Segel auftauchen und schlie?lich zum letzten Schlag wenden, der es direkt in den Hafen fuhren wurde.
        Achates' Kutter dumpelte abwartend, mit hochgestellten Riemen, auf der leichten Dunung.
        Der Neuankommling war eine kleine Brigantine, wahrscheinlich ein Handler von den Inseln. Auf ihren Skipper wartete eine Uberraschung, sobald er erst den Hafen einsehen und Achates' machtigen Rumpf erkennen konnte.
        Mit schwei?nassem Gesicht kehrte Keen zuruck.

«Unser Wachboot wird die Brigantine zu einer Boje eskortieren. «Als Bolitho sich zu ihm umwandte, fuhr er fort:»Wie es aussieht, ist sie beschossen worden. Ich lasse gleich unseren Arzt hinuberrudern.»

«Beschossen?»
        Keen hob die Schultern.»So sieht es aus.»

«Na gut. Aber signalisieren Sie allen anderen Fahrzeugen, sich von ihr freizuhalten. Ich habe ein ungutes Gefuhl.»
        Wieder richtete Bolitho das Glas auf die Brigantine, die jetzt die killenden Vorsegel wegnahm und geschickt an eine Festmacherboje heranschor.
        Langsam und sorgfaltig musterte er ihren Rumpf mit dem Glas. Der Farbanstrich trug schwarze Pockennarben von Schrot- oder Schrap-nellbeschu?. Schwereres Kaliber hatte ein so leichtes Fahrzeug sofort versenkt. Bolitho konzentrierte sich auf die beiden Gestalten, die achtern an der Pinne standen: ein gro?er bulliger Mann in blauem Rock, das graue Haar zerzaust, und daneben.
        Bolitho rief:»Verflucht noch mal, Val, es ist Adam! Wenn er unnotig viel riskiert hat, werde ich ihn.»
        Sie sahen einander an und lachten.

«Aber ich kann mich da schlecht als sein Richter aufspielen, wie?»
        Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Beiboot der Brigantine bei Achates langsseits ging.
        Bolitho hatte das Teleskop wieder sorgsam an seinen Platz gehangt. Adam sollte ihn nicht fur uberangstlich und allzu fursorglich halten. Trotzdem.
        Keen sagte:»Ich gehe an Deck, um ihn zu begru?en, Sir. «Mit einem heimlichen Lacheln schlo? er die Tur hinter sich.
        Als Adam die Kajute betrat, verriet sein Gesicht Besorgnis; er schien sich auf eine Strafpredigt gefa?t zu machen.

«Tut mir leid, Sir. «begann er.
        Bolitho ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.»Du bist hier, und das ist die Hauptsache.»
        Adam blickte sich in der Kajute um, als furchte er, Spuren des Kampfes zu sehen.

«Im Wachboot haben sie mir schon von dem Gefecht erzahlt, Onkel. Und da? ihr euch mit Gewalt die Einfahrt erzwingen mu?tet. «Er senkte den Blick, eine schwarze Strahne fiel ihm in die Stirn.»Auch von Sparrowhawks Verlust habe ich gehort. Das hat mich erschuttert.»
        Bolitho fuhrte ihn zu einem Stuhl.»Wir wollen nicht mehr davon reden«, sagte er leise.»Erzahle mir lieber von deinen Problemen.»
        Es war schon eine erstaunliche Geschichte, die der junge Leutnant zu berichten hatte. Erst vor wenigen Tagen, nachdem sie einen starken Sturm auf der Hohe der Bahamas abgewettert hatten, waren sie von einer Fregatte gestellt worden. Sie gab sich als spanisches Schiff aus und befahl ihnen, beizudrehen und ein Prisenkommando an Bord zu nehmen. Aber der mi?trauische Skipper der Brigantine blieb auf der Hut. Als das Prisenboot fast schon langsseits war, hatte er blitzschnell gewendet, mehr Segel gesetzt und mit dem gunstigen Wind seine Zuflucht in flacherem Wasser gesucht, wohin ihm die Fregatte nicht folgen konnte. Immerhin hatte das spanische Prisenkommando die fliehende Brigantine noch beschossen, mit einem Buggeschutz und zwei Drehbassen. Der Maat war getotet und der Rumpf mit Einschlagen ubersat worden.
        Bolitho lauschte Adams hervorgesprudeltem Bericht, ohne ihn zu unterbrechen. Man durfte sich doch nie in Sicherheit wahnen, dachte er dabei. Wahrend er sich uber das kunftige Schicksal von San Felipe den Kopf zermartert hatte, war Adam einem unerklarlichen Angriff ausgesetzt gewesen und um ein Haar getotet worden.
        Laut sagte er:»Dieser Skipper mu? ein beherzter Mann sein. Fast schon tollkuhn. Ich mochte ihn gern kennenlernen.»
        Adams Augen leuchteten; er wollte Bolitho unbedingt von Robina erzahlen, aber nach der abenteuerlichen Uberfahrt von Boston mit all ihren neuen Erlebnissen und Informationen mu?te das warten.»Er hat mit mir ubergesetzt und ist an Bord.»
        Bolitho musterte ihn fragend.»Na ja, dann soll er doch hereinkommen.»
        Der Wachtposten offnete die Tur und trat beiseite, um den Besucher einzulassen. Nur die Augen unter dem hohen schwarzen Lacklederhut des Postens bewegten sich, als er meldete:»Der Kapitan der Vivid, Sir!«Ein lautes Aufstampfen des Gewehrkolbens beschlo? den Satz.
        Bolitho wollte den Besucher begru?en, aber es verschlug ihm vor Erstaunen die Sprache. Der geflickte blaue Rock mit den Marineknopfen auf den Manschetten, der holzerne Stumpf, der aus dem einen
        Hosenbein ragte - all dies konnte ihn nicht daruber hinwegtauschen, wen er da vor sich hatte.
        Bolitho eilte dem Mann entgegen und streckte ihm beide Hande hin.

«Jethro Tyrrell! Mein Gott, es mu? zwanzig Jahre her sein. Und nun stehen Sie plotzlich wieder vor mir!»
        Tyrrell legte den Kopf schief und musterte Bolitho mit geheuchelter Belustigung.

«Zum Vizeadmiral befordert, hie? es. «Langsam nickte er, das struppige graue Haar tanzte auf seinem Kragen.»Hatte nie gedacht, da? die Seelords doch noch vernunftig werden!»
        Noch einmal druckte er Bolithos Hande, dann begann er, durch die gro?e Kajute zu humpeln, wobei er hier und da etwas beruhrte; seinen aufmerksamen Augen entging kein Detail.
        Wahrend Bolitho ihm zusah, stiegen wieder die Bilder der Erinnerung in ihm auf: die kleine Korvette Sparrow, sein erstes Schiff, auf dem der Sudstaatler Jethro Tyrrell Erster Offizier gewesen war.
        Es tat weh, den Holzstumpf zu sehen, den er nachschleifte, und seine schabige Kleidung.
        Bei Bolithos Admiralsrock, der nachlassig uber einen Stuhl geworfen war, blieb Tyrrell stehen und betastete eine goldene Epaulette.

«Stimmt, es ist zwanzig Jahre her«, sagte er leise.»Aber Sie sind ganz schon vorangekommen, Dick. Bin richtig stolz auf Sie.»
        Allein schon sein weicher Virginia-Tonfall rief tausend Dinge in Bolithos Gedachtnis zuruck.
        Vorsichtig lie? Tyrrell sich auf einen Stuhl nieder und zupfte seinen Rock zurecht.»Am besten gehe ich bald wieder. Wollte nur mal guten Tag sagen. Ich mochte nicht.»
        Bolitho rief dazwischen:»He, ich war einmal Ihr vorgesetzter Offizier, und mein Wort gilt immer noch. Deshalb werden Sie hierbleiben und mir erzahlen, wie es Ihnen ergangen ist. Nach dem Krieg habe ich vergeblich nach Ihnen geforscht.»
        Tyrrell sah zu, wie Ozzard mit Flaschen und Glasern hantierte.

«Als man mir unseren jungen Freund hier als Passagier schickte, da wu?te ich, da? ich Sie wiedersehen wurde. «Seine Augen spiegelten das reflektierte Sonnenlicht wider.»Das waren gro?artige Zeiten, sage ich Ihnen. «Er warf dem jungen Leutnant einen Blick zu, der gebannt lauschte.»So grun er war - sogar noch junger als ich - , so faustdick hatte er's schon damals hinter den Ohren. Duellierte sich um ein Madchen, das ihn um jeden Preis tot sehen wollte, und attackierte die Franzosen beinahe mit blo?en Handen. «Tyrrell lachelte breit, aber seine Augen blieben duster und traurig.
        Vorsichtig erkundigte sich Bolitho:»Und was treiben Sie jetzt?»

«Dies und das. Ich fuhre die Vivid, aber sie gehort mir nicht, leider. Treibe mit ihr Handel zwischen den Inseln. - Die Spanier und die Briten sind mir dauernd auf den Fersen, weil sie mich au?erdem fur einen Schmuggler halten. Was fur ein Witz! Man braucht mich ja nur anzusehen - ein Schmuggler ware besser dran.»
        Die Tur ging auf, und Keen trat zogernd ein.

«Dies ist Jethro Tyrrell«, machte Bolitho bekannt,»mein Erster auf der Sparrow. Bei Keens Verbluffung mu?te er lacheln.»Das war in einem ganz anderen Krieg, Val. Aber ein feines kleines Schiff.»
        Unbehaglich rutschte Tyrrell auf seinem Stuhl herum, die allgemeine Aufmerksamkeit machte ihn verlegen.

«Wie dem auch sei, ich hore, Sie haben hier unten ziemlichen Arger. San Felipe soll an die Franzosen zuruckgegeben werden, stimmt's?»
        Bolitho nickte ernst.»Das hat sich aber schnell herumgesprochen.»
        Tyrrell verzog das Gesicht.»Wohl doch nicht schnell genug. Sie sollten sich vor den verdammten Spaniern besser in acht nehmen. Die haben es sich in den Kopf gesetzt, diese Insel zu erobern. «Mit heimlicher Genugtuung sah er in ihre erstaunten Gesichter.»Und das werden sie auch schaffen, wenn Sie nicht verteufelt vorsichtig vorgehen. Sie haben uberall ihre Spaher. Sogar meine kleine Vivid wollten sie anhalten und durchsuchen, nach Briefen oder Depeschen. «Er warf Adam einen Blick zu.»Beim Satan, wenn sie ihn an Bord gefunden hatten, waren wir alle umgebracht worden, so sicher wie das Amen in der Kirche.»
        Bolitho beugte sich vor.»Stimmt das wirklich? Das mit den Spaniern?»
        Tyrrells grimmiger Blick lie? ihn nicht los.»Ich brauche Geld, damit ich die Vivid kaufen kann. Viel stellt sie ja nicht dar, aber wenigstens ware sie ein neuer Anfang. «Dann wandte er sich ab.»Sie ist fur mich genauso wichtig wie fur Sie das Schiff, das Ihre Fregatte versenkt hat.»
        Sein Ton war defensiv, beschamt; aber man merkte ihm an, wie ernst es ihm war.

«Ich werde Ihnen helfen, Jethro«, versprach Bolitho.»Das hatte ich aufjeden Fall getan, wenn ich nur gewu?t hatte, wie.»

«Ich hatte auch mal meinen Stolz, Dick. Damals. Jetzt kann ich mir Stolz nicht mehr leisten. Hab meine ganze Familie verloren. Mein Leben ist die See, mehr ist mir nicht geblieben. Ich brauche ein
        Schiff.»
        Bolitho trat neben ihn und legte ihm eine Hand auf die Schulter.»Sie bekommen Ihr Schiff, glauben Sie mir.»
        Tyrrell seufzte tief auf.»Dafur bringe ich Sie zu dem verdammten Spanier!»
        Bolitho warf Keen einen Blick zu, aber dem schien es vor Erstaunen die Sprache verschlagen zu haben.
        Es war zwanzig Jahre her - und trotzdem so frisch, als ware es erst gestern gewesen.



        X Verkorperung der Treue


«Herrgott noch mal, Allday, mach die Luke zu!»
        Bolitho beugte sich wieder uber die Seekarte von San Felipe mit den benachbarten Kustenabschnitten Kubas und Haitis; seine Finger trommelten auf den exakten Kursberechnungen und Tiefenangaben.
        Aber bei den geschlossenen Fenstern und Luken wurde es in der Kajute bald hei? wie in einem Backofen. Au?erdem war es sinnlos, die Gerausche lie?en sich nicht aussperren; immer noch horte Bolitho laut und deutlich Black Joe Langtry die Schlage mitzahlen, die der Profos mit der neunschwanzigen Katze austeilte.
        Bolitho fand es selbst merkwurdig, da? er sich mit der Prugelstrafe immer noch nicht abgefunden hatte, diesem Allheilmittel jedes Kommandanten bei Versto?en gegen die Disziplin.
        Ein Trommelwirbel, danach eine kurze Pause und schlie?lich wieder das scheu?liche Klatschen der Peitsche auf einem nackten Rucken.
        Bolitho starrte blicklos auf die Karte nieder, bis seine Augen schmerzten.

«Zehn!«Erneut Langtrys rauhe Stimme.
        Keen und seine Offiziere mu?ten da oben sein und zusehen, obwohl auch ihnen dieser Strafvollzug zuwider war. Aber auf einem Kriegsschiff, das allein segelte und von niemandem Unterstutzung erwarten konnte, mu?te der standig drohenden Gefahr des Aufruhrs mit drakonischen Strafen vorgebeugt werden.
        Drei verla?liche Matrosen hatten an Land fur den Zahlmeister gearbeitet und waren desertiert. Aber die Inselmiliz hatte sie bald aufgestobert und wieder an Bord gebracht. Offenbar hatten sie auf einer Plantage ein paar Halbblutmadchen kennengelernt, und was darauf folgte, war nur zu alltaglich.
        Wieder das Klatschen.»Elf!»
        Jetzt zahlten sie den Preis fur ihr kurzes Vergnugen. Keen hatte die Mindeststrafe von vierundzwanzig Peitschenhieben pro Deserteur verhangt, aber auch sie reichte schon aus, einen Rucken in rohes Fleisch zu verwandeln.
        Um sich abzulenken, dachte Bolitho an Tyrrell. Er war wieder auf seine Vivid zuruckgekehrt, um die Sturmschaden zu beheben und die Narben auszubessern, die der Beschu? der spanischen Drehbassen hinterlassen hatte.
        Sein plotzliches Auftauchen hatte Bolitho mehr aus dem Gleichgewicht gebracht, als er sich eingestehen wollte. Seither verfolgte ihn die Erinnerung an die lange zuruckliegenden, gemeinsamen Erlebnisse, an die kleine Sparrow und die schicksalhafte Rolle, die das Schiff fur sie beide gespielt hatte.
        Wurden die alten Bilder ihn denn auf ewig verfolgen?
        Erst letztes Jahr war die Fregatte Phalarope, Bolithos zweites Schiff, wie ein Gespenst aus der Vergangenheit aufgetaucht und in seinem Geschwader mitgesegelt; und nun suchte ihn die Erinnerung an die alte Sparrow heim.
        War er damals wirklich glucklicher gewesen, wie ihm die Erinnerung jetzt vorgaukelte? Mit weniger Verantwortung, aber eher bereit, das Leben zu riskieren, sogar zu verlieren, nicht in dieser standigen Sorge um seinen Ruf?
        Die Trommeln an Deck verstummten, die Auspeitschung war beendet.
        Er kannte Tyrrell besser als die meisten, hatte ihm beigestanden, als ihm das Bein unterm Leib weggeschossen worden war. Aber jetzt war er nur noch ein Zerrbild des Offiziers von damals. Auf den ersten Blick ein harmloser Alter, der typische kleine Handelskapitan, der uberall Geruchte uber das Kommen und Gehen der gro?en Kriegsschiffe aufschnappte. Der Skipper eines so kleinen Frachtseglers scherte sich wenig um ihre Nationalitaten oder Flaggen, sie waren fur ihn alle gleich bedrohlich. Immer auf der Suche nach erfahrenen Seeleuten, obwohl das gewaltsame Pressen nicht mehr ublich war. Aber wen kummerte schon das Schicksal eines schanghaiten Matrosen, wenn man davon uberhaupt jemals erfuhr?
        Auch bei eindringlicher Befragung hatte Tyrrell auf seiner Beschreibung des machtigen Zweideckers beharrt: ohne Flagge, ohne Namen, war er doch bekannt bei den spanischen Fregatten aus Santo Domingo, ja selbst aus dem Hunderte von Meilen sudlicher gelegenen La Guaira; alle kannten und mieden ihn.
        Dieses geheimnisvolle Schiff, das ohne zu zogern Keens List mit Kanonenschussen beantwortet und die Sparrowhawk erbarmungslos abgeschlachtet hatte, mu?te mit einem bestimmten Auftrag in der karibischen See und ihren Zugangen segeln; ein Auftrag, fur den sein Kommandant notfalls auch das Au?erste riskierte.
        Bolitho horte Allday wieder das Oberluk offnen und war sich bewu?t, da? dieser ebenso wie Ozzard und alle anderen, die in seine Nahe kamen, wie auf Katzenpfoten um ihn herumschlichen.
        Er sah seinen bulligen Bootsfuhrer an und hob hilflos die Schultern.»Ich frage mich selbst, was mit mir los ist«, sagte er entschuldigend.
        Allday nickte mit einem wissenden Lacheln.»Es ist das Warten, Sir, das macht einen fertig.»

«Kann sein.»
        Wieder wandte Bolitho sich der Seekarte zu. Es war jetzt eine Woche her, seit Vivid eingelaufen und Tyrrell aus der Vergangenheit aufgetaucht war. Ohne Unterstutzung durch ein zweites Schiff wagte Bolitho nicht, San Felipe sich selbst zu uberlassen. Rivers' Sympathisanten, fur deren Existenz es immer noch genugend Beweise gab, mochten einen Gegenangriff starten. Bolitho konnte es ihnen nicht einmal verdenken, denn wenn die Franzosen erst eintrafen, mu?ten sie alle ihre Hauser und Plantagen verlassen. Vielleicht hatte Keen vollig recht gehabt: wenn Rivers gehenkt wurde, war der Rebellion die Spitze genommen.
        Aber Rivers besa? einflu?reiche Freunde in Amerika und in London. Auch wenn er Bolithos Meinung nach nur ein Pirat wie alle anderen war, mu?te doch ein ordentliches Gerichtsverfahren in London stattfinden, damit die Seelords das auch beweisen konnten.
        Au?erdem - wenn Tyrrell recht hatte und der unbekannte Zweidek-ker einen Uberfall auf San Felipe vorbereitete, dann ware es Torheit gewesen, den Hafen ohne Schutz zu lassen. Achates hatte selbst bewiesen, wozu ein Schiff fahig sein konnte, wenn ein hoher Einsatz winkte.
        Die Tur ging auf, und Adam betrat die Kajute.
        Seit ihrem Wiedersehen war eine Woche vergangen, und doch hatten sie nur wenige Worte gewechselt. Bolitho spurte, da? Adam etwas vor ihm verbarg. Oder vielleicht war er selbst zu beschaftigt und in Gedanken gewesen, um das Vertrauen des jungen Leutnants zuruckzugewinnen?

«Signal von der Festungsbatterie, Sir«, meldete Adam.»Die Brigg Electra halt auf den Hafen zu und sollte binnen einer Stunde hier Anker werfen.»

«Danke, Adam.»
        Bolitho erinnerte sich noch gut an ihren jungen Kommandanten, der ihm vom Auffinden der Sparrowhawk-Uberlebenden berichtet hatte, ubernommen von dem amerikanischen Handelsschiff. Napier, so hie? er. Er mu?te jeden Fetzen Tuch gesetzt haben, wenn er inzwischen bis Antigua und dann westwarts nach San Felipe gesegelt war. Durfte er hoffen, da? Electra als Reprasentantin britischer Staatsgewalt im Hafen bleiben und die Aufsassigen in Schach halten wurde? Sie war zwar nur eine kleine Brigg, segelte aber unter der gleichen Flagge wie Achates. Bolitho vermutete, da? vielen Inselbewohnern selbst ein langer anwesendes britisches Kriegsschiff noch lieber war als ein franzosisches oder spanisches, das aus dem unbewachten Zugang seinen Vorteil zog.
        Er trat zu den Heckfenstern und beschattete seine Augen mit der
        Hand.

«La? dem Kommandanten der Electra signalisieren, da? er sich gleich nach dem Ankerwerfen bei mir melden soll.»
        Adam lachelte zuruckhaltend.»Ich habe die Festung schon ersucht, dieses Signal an Electra weiterzugeben, Onkel.»
        Bolitho wandte sich um und hob die Hande.»Eines schonen Tages wirst du noch mal einen tuchtigen Kommandanten abgeben, mein Junge.»
        Keen betrat die Kajute und lie? sich auf Bolithos Wink in einen
        Stuhl fallen.

«Ich frage mich, was sie uns Neues bringt, Sir.»
        Dankbar nahm er ein Glas Wein entgegen und setzte es durstig an. Es war Rheinwein aus Ozzards heimlichem Vorrat in den Bilgen, den er seit England wie einen Schatz hutete.

«Mir sind alle Neuigkeiten recht. Manchmal komme ich mir hier wie ein Taubstummer vor.»

«Vielleicht rufen Ihre Lordschaften uns zuruck«, uberlegte Keen.
        Bolitho ging nicht darauf ein.»Adam, ein Signal an Vivid«, sagte er.»Oder besser, la? dich ubersetzen und sprich selbst mit Mr. Tyrrell. Ich mochte, da? er an Bord ist, wenn wir auslaufen.»
        Keen wartete, bis die Tur sich hinter Adam geschlossen hatte, dann stellte er sein Glas bedachtig ab.»Gestatten Sie mir eine Bemerkung,
        Sir?»

«Sie sind mit meiner geplanten Taktik nicht einverstanden, wie?»
        Keen lachelte knapp.»Sie gehen damit ein sehr hohes Risiko ein. Ein doppeltes sogar, um genau zu sein. «Als Bolitho schwieg, fuhr er fort:»Dieser Tyrrell - wieviel wissen Sie denn schon von ihm?»

«Er war mein Erster Offizier. «Keen nickte nur.»Sie meinen, nach zwanzig Jahren ist das ein bi?chen wenig?»
        Keen hob die Schultern.»Schwer zu sagen, Sir. Er hat sich ja selbst als einen verzweifelten Mann bezeichnet, der seine Familie und seinen guten Ruf verlor, weil er lieber fur den Konig als fur Washington kampfen wollte.»

«Und weiter?«Bolitho merkte, da? Allday den Atem anhielt.

«Angenommen, wir sto?en auf den Spanier und zwingen ihn zu einem Gefecht - wie verhalten wir uns, wenn er seine wahre Flagge zeigt? Mochten Sie der Zundfunke zu einem neuen Krieg sein?»

«Und das zweite Risiko?»
        Keen au?erte seine Bedenken vollig zu recht. Trotzdem fuhlte Bo-litho sich dadurch noch einsamer als zuvor.

«Zweitens steht zu befurchten, da? der Spanier - falls er sich uberhaupt noch in diesen Gewassern aufhalt - nur darauf wartet, da? wir den Hafen verlassen, damit er Achates' Rolle hier ubernehmen kann. Dann mu?ten wir uns den Ruckweg teuer erkampfen, nicht gegen ein paar unerfahrene Pflanzer und die Inselmiliz, sondern gegen ein Kriegsschiff mit erfahrener Besatzung. Meiner Ansicht nach ubersteigt dieses doppelte Risiko den moglichen Gewinn. «Keen senkte den Blick.»Tut mir leid, Sir, aber das mu?te gesagt werden.»
        Bolitho lachelte trube.»Ich wei?, welche Uberwindung es Sie gekostet hat. Um die Wahrheit zu sagen, ich glaube nicht, da? ein Risiko jemals genau vorherberechnet werden kann. Ich will meine Leute nicht in einen sinnlosen Tod hetzen, ich will auch nicht zwischen den Zangen und Sagen auf dem Tisch eines Schiffsarztes enden. Ich besitze viel, wofur zu leben lohnt - endlich wieder. Aber…»
        Grinsend nahm Keen sein nachgefulltes Weinglas von Ozzard entgegen.»Aye, Sir, das gro?e Aber. Es ist nur ein kleines Wort, aber das starkste Argument gegen die bessere Einsicht.»
        Bolitho klopfte mit dem Messingzirkel auf die Seekarte.

«Ich bin uberzeugt, dieses Schiff halt sich in der Nahe auf, genau wie Jethro Tyrrell behauptet. Es mu? eine starke Besatzung haben, deshalb braucht es einen Hafen als Basis, um sich zu verstecken, wahrend der Kommandant Auskunfte uber uns einholt. Und da wir rundum von Feinden umgeben sind, durfte er dabei keine Schwierigkeiten haben. «Keen erhob sich und trat an den Kartentisch.

«Falls Tyrrell recht hat«, sagte er,»mu?te sich das fur uns bei einem Krieg erschwerend auswirken. «Er fuhr mit dem Finger an der Inselkette entlang: Puerto Rico, Santo Domingo, Haiti, Kuba.»Die Spanier wurden alle Zufahrtswege in die Karibik und nach Jamaika beherrschen. «Begreifend nickte er.»Und in der Durchfahrt zwischen Kuba und Haiti liegt wie eine Zugbrucke San Felipe. Kein Wunder, da? die Franzosen es unbedingt haben wollen. Sie brauchen zwar Verbundete, aber deshalb trauen sie ihnen noch lange nicht uber den Weg.»
        Noch immer standen beide Manner uber die Seekarte gebeugt, als ein Midshipman eintrat und Electras Ankunft meldete. Keen knopfte seinen Rock zu.

«Ich gehe Kapitanleutnant Napier begru?en, Sir. «Und mit einem letzten Blick auf den Kartentisch:»Ganz uberzeugt bin ich noch nicht,
        Sir.»
        Bolitho lachelte.»Sie werden mir bald recht geben.»
        Er lie? sich von Ozzard in seinen Dienstrock helfen, zu Ehren des jungen Kommandanten der Electra.
        Bald war er schwei?gebadet und sah sehnsuchtig auf das blaue Wasser hinaus, das sich vor den Heckfenstern sanft hob und senkte; konnte er doch jetzt ein erfrischendes Bad darin nehmen! Und sofort mu?te er wieder an Belinda denken. Er hatte versucht, jeden wachen Augenblick mit Arbeit auszufullen, um sie aus seinen Gedanken zu verbannen, konnte aber nicht ganz verhindern, da? ihr Bild und das Bewu?tsein der gro?en Entfernung, die sie trennte, ihn immer wieder ubermannten.
        Drau?en horte er Schritte und gedampfte Stimmen. Er mu?te sich zusammenrei?en, um seinet- wie um ihretwillen.
        Bald, vielleicht schon sehr bald, stand ihnen ein Gefecht bevor, diesmal nicht heraufbeschworen durch eine Zufallsbegegnung oder rauberischen Piratenubermut. Das unbekannte Schiff hatte ihnen schon gezeigt, da? es nichts nutzte, im Recht zu sein. Rechtma?igkeit allein war kein Schutz, dafur gab es schon viele tote Zeugen.
        Er wandte sich der Tur zu. Wenn im Krieg erst die Kanonen sprachen, dann taten sie das vollig indifferent gegenuber Gut und Bose. Ihre Breitseiten radierten alle aus, ob sie es nun verdienten oder nicht.
        Kapitanleutnant Napier trat ein, eine glanzende neue Epaulette auf der linken Schulter, und salutierte.
        Bolitho nahm den schweren Briefumschlag aus seiner Hand entgegen und reichte ihn an Yovell weiter.

«Sie hatten eine schnelle Uberfahrt, Kapitanleutnant Napier.»
        Aber Bolitho mu?te sich gedulden, bis Napier zu einem Stuhl geleitet und mit einem Glas Wein versorgt worden war.
        Dann berichtete er:»In English Harbour auf Antigua liegen kaum noch Schiffe, lediglich zwei Fregatten und ein Linienschiff dritter Klasse, das aber uberholt wird. Der Admiral hat das Geschwader zu den Inseln unter dem Winde verlegt, Sir.
«Napier mu?te unter Bo-lithos Blick schlucken.»Er la?t Ihnen durch mich seine Hochachtung ubermitteln und seine besten Wunsche, Sir.»
        Bolitho horte, wie Yovell die Siegel auf dem Leinwandumschlag aufbrach, und ware am liebsten hinubergerannt, um ihm die Depeschen aus den Handen zu rei?en. Aber wenn der Admiral sich aus dem
        Staub gemacht hatte, war er hilflos. Kommodore Chater war ihm nicht ganz unbekannt, er wu?te genug uber ihn, um keine gro?e tapfere Geste von ihm zu erwarten, die ihm das Mi?fallen seiner Vorgesetzten einbringen konnte.
        Heiser fugte Napier hinzu:»Ich wurde angewiesen, Electra zu Ihrer Verfugung zu stellen. Als Chater vom Verlust der Sparrowhawk horte, wollte er Ihnen einige Marinesoldaten schicken, um Ihre Mannschaft zu verstarken.»
        Bolitho nickte.»Aber auch die Marinesoldaten waren mit dem Geschwader ausgelaufen, habe ich recht?»

«Aye, Sir«, antwortete Napier betreten. Aber dann hellte sich sein Gesicht auf. Statt ihrer bringe ich Ihnen einen Zug Infanteristen,
        Sir.»

«Immerhin etwas«, murmelte Keen, der mit Napier eingetreten war.
        Bolitho wandte sich den Fenstern zu, um diese Bruchstucke gedanklich zu verarbeiten.
        Unbefangen sprach Napier weiter.»Aber die Soldaten haben Sie sicherlich schon erwartet, Sir. Der Kommodore lie? es Ihnen ja durch die Kurierbrigg mitteilen, die zwei Tage vor mir auslief.»
        Bolitho fuhr herum.»Was sagen Sie da?»
        Napier wurde bla?.»Ein Kurier, Sir. Mit Depeschen fur den Admi-ral auf Antigua und fur Sie, Sir. «Hilfesuchend sah er zu Keen hinuber.»Depeschen aus England, Sir.»
        Keen konnte sich nicht mehr beherrschen.»Sie hatten also doch recht, Sir!«rief er aus.»Die mussen auch die Kurierbrigg abgefangen und versenkt haben.»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken und grub sich die Fingernagel ins Fleisch, bis der Schmerz ihm half, seine Enttauschung zu zugeln.
        Depeschen aus England, eine Nachricht von Belinda. Aber jetzt.
        Er fixierte Keen.»Sind Sie endlich uberzeugt?»
        Ohne die Antwort abzuwarten, fragte er Napier:»Haben Sie einen tuchtigen Ersten Offizier?»
        Das alles ging uber Napiers Horizont. Stundenlang hatte er auswendig gelernt, was er Bolitho sagen wollte, hatte sich in seine beste Uniform geworfen. Und jetzt war alles anders gekommen, alles umsonst gewesen. Er kam sich vor wie jemand, der einem Freund die Tur offnen wollte und einem Irren gegenuberstand.
        Immerhin brachte er ein Nicken zustande.»Aye, Sir. Er ist verla?lich.»

«Um so besser. «Bolitho wandte sich wieder an Keen.»Bei erster Gelegenheit lichten wir morgen fruh Anker und laufen aus. In der Zwischenzeit werde ich sehen, welchen Honig ich aus den Depeschen saugen kann, die der tapfere Kommodore mir schickt. Aber ehe ich damit beginne«, er schritt zum Tisch hinuber und go? fur Napier ein neues Glas Rheinwein ein,»trinken wir alle einen Toast. Auch du, Allday.»
        Allday lie? sich von Ozzard ein Glas reichen, fasziniert von dem plotzlichen Stimmungsumschwung im Raum. Bolitho merkte, da? er grinste.

«Einen Toast«, er hob sein Glas,»auf Mr. Napier, den neuen Gouverneur von San Felipe!»

«Sudwest zu Sud, Sir!«»Recht so.»
        Nur mit halbem Ohr horte Bolitho Meldung und Bestatigung, er konzentrierte sich ganz auf den violetten, weit ausladenden Schatten am Backbordhorizont. Es war Nachmittag, und die Sonne brannte immer noch erbarmungslos aufs Deck des nur wenig Fahrt machenden Schiffes. Aber nach der bedruckenden Feindseligkeit auf San Felipe fuhlten sich alle hier drau?en wie neu belebt. Die Stimmung war gut; selbst Mountsteven, der Offizier der Wache, beflei?igte sich eines normalen Tonfalls, wahrend er das Trimmen der Breitfock uberwachte.
        Bolitho richtete sein Teleskop auf das ferne Land: Haiti, das etwa funfzehn Seemeilen querab liegen mu?te. Trotz dieser Entfernung ging eine Drohung von ihm aus. Wenn irgend moglich, mieden die Seeleute seine Kusten mit ihrem Hexenzauber und ihren schauerlichen Riten.
        Flaute hatte Achates noch einen Tag langer in San Felipe festgehalten, aber jetzt fullte ein stetiger Nordost ihre Segel, und sie strebte auf die Windward Passage zu, als beseele sie ein eigener Wille. Diese Durchfahrt zwischen Kuba und Haiti war an ihrer engsten Stelle kaum siebzig Meilen breit. Wenn San Felipe in Feindbesitz war, konnte ein Konvoi sich nur unter hohen Verlusten hier ein Durchkommen erzwingen. Je langer er daruber nachdachte, desto unbegreiflicher schienen Bolitho die Befehle, die er in London erhalten hatte.
        Er reichte das Glas einem Midshipman zuruck und begann, langsam auf dem Achterdeck hin und her zu wandern. Hoffentlich hatte er Kapitanleutnant Napier nicht uberfordert. Immerhin schien er in seinem neuen, wenn auch befristeten Amt als Gouverneur uberglucklich zu sein. Und mit seiner unter der machtigen Festungsbatterie verankerten Vierzehn-Kanonen-Brigg und den schneidigen Infanteristen vom 60. Regiment - den Royal Americans, wie sie immer noch genannt wurden - konnte er wenigstens den Anschein von Starke und Kampfkraft erwecken.
        Bolitho sah Leutnant Hawtayne Waffen und Ausrustung einiger Marine-Infanteristen inspizieren. Ein Gluck, da? sie wieder da waren, wo sie hingehorten: an Bord der Achates. Sehr wahrscheinlich wurden sie bald erneut gebraucht.
        Mit einem heimlichen Lacheln horte er die helle Stimme des Marineleutnants schimpfen:»Rei? dich zusammen, Jones! Der Schlendrian an Land ist vorbei!«Sofort hatte Bolitho wieder das Bild des erschossenen Trommelbuben vor Augen; es wurde ihn noch lange heimsuchen, das wu?te er.
        Da horte er Adams leichten Schritt neben sich und sah ihn abwartend stehenbleiben.

«Und wie geht's meinem Flaggleutnant an diesem schonen Tag?«fragte er.
        Adam lachelte; der Augenblick war gunstig.

«Miss Robina ist ein wunderbares Madchen, Onkel. Ich bin noch nie einer Frau wie ihr begegnet.»
        Bolitho lie? ihn sein Herz ausschutten, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen. So standen die Dinge also. Hatte er nicht selbst so viele Probleme gehabt, ware ihm schon damals klargeworden, da? Adams Ausflug nach Newburyport nicht ein Abschlu?, sondern ein neuer Anfang sein wurde.

«Hast du ihren Vater um ihre Hand gebeten?»
        Adam errotete.»Dafur war es noch viel zu fruh, Onkel. Das hei?t, ich habe etwas durchblicken lassen uber unsere Zukunft, will sagen, uber die nicht allzu ferne Zukunft…«Er lie? den Satz unvollendet und starrte ins dunkelblaue Wasser hinunter. Dann raffte er sich auf und sagte:»Ich wei? naturlich, da? sie mich nicht heiraten kann. Und ihr Onkel ist im Bilde. Er war richtig froh, da? er mich auf eines seiner Schiffe abschieben konnte.»
        Bolitho sah auf. Vivid gehorte also Chase. Seltsam, da? Tyrrell das unerwahnt gelassen hatte.

«Gehen wir eine Weile auf und ab, Adam.»
        Einige Minuten schritten sie schweigend nebeneinander her, wahrend das Schiff sich unter ihnen hob und senkte.
        Schlie?lich begann Bolitho:»Du hast eine Zukunft bei der Marine, Adam. Und zwar eine aussichtsreiche, falls ich ein Wort dabei mitzureden habe. Du kommst aus einer alten Seefahrerfamilie, aber das gilt auch fur andere. Denke immer daran, da? du alles bisher Erreichte nur dir selbst zu verdanken hast. Wenn die jungen Offiziere wie du erst an die richtigen Stellen kommen, sollte die Kriegsmarine ein besseres, menschlicheres Gesicht aufweisen als zu meiner Zeit. Wir sind ein Inselvolk und werden Schiffe immer bitter notig haben, ebenso Manner, die auf ihnen zu kampfen verstehen.»
        Adam erwiderte Bolithos Blick.»Nichts anderes wunsche ich mir, seit ich auf deiner Hyperion als Kadett angeheuert habe.»
        Bolitho sah zum Batteriedeck hinunter, wo der Matrose, der ein Auge verloren hatte, von seinen Kameraden begru?t wurde; unsicher ertastete er sich seinen Weg an einem Achtzehnpfunder vorbei. Er hatte sich immer noch nicht ganz erholt, aber die schwarze Augenklappe gab ihm etwas Verwegenes, und seine Kameraden behandelten ihn als Helden.
        Auch Adam hatte ihn bemerkt, bedachtsam suchte er nach Worten.»Manner wie er da unten, Onkel, sind dir wohl ziemlich wichtig, nicht wahr? Du siehst in ihnen nicht nur unwissende Handlanger, sondern sie bedeuten dir etwas.»
        Bolitho wandte sich ihm zu.»Ganz sicher tun sie das. Wir durfen ihre Treue niemals fur selbstverstandlich halten, Adam. Leider gibt es viele andere, die genau das tun.»
        Adam nickte.»Als ich in Vaters altem Sessel sa?.»
        Leise fragte Bolitho:»In Newburyport, wo er einst mit seinem Schiff Zuflucht suchte?»
        Adam wandte den Blick ab.»Sie haben mich hingefuhrt, Onkel. Als sie meinen Familiennamen horten, haben sie es gleich erraten. Er ist in Neuengland nicht gerade haufig.»

«Ich freue mich daruber. Du hast also mehr gesehen als ich.»
        Bolitho horte Keen herankommen und war fast dankbar fur die Storung. Schmerzlich war nicht nur die Erinnerung an Hugh und an das, was er ihrem Vater angetan hatte, als er desertierte, um mit den amerikanischen Rebellen zu kampfen; und es war nicht nur das Bewu?tsein der Schande, die Rivers so geflissentlich erwahnt hatte. Nein, Bolitho machte sich nichts vor, er war eifersuchtig auf Adams Vater. Und gekrankt, so lacherlich ihm das auch vorkam.
        Keen griff gru?end zum Hut.»Mr. Tyrrell ist beim Master im Kartenhaus, Sir. Ich denke, wir sollten uns den nachsten Kartenausschnitt vornehmen. «Er warf einen prufenden Blick zum klaren Himmel.»Wie es aussieht, sollten wir die ganze Nacht unsere Fahrt beibehalten konnen. «Das verlegene Schweigen schien er nicht zu bemerken.

«Gut, ich komme gleich nach. «Bolitho nickte seinem Neffen zu.»Und du am besten auch. Es ist eine Erfahrung mehr fur dich.»
        Aber vor dem Kartenhaus zogerte er plotzlich.»Ubernehmen Sie, Val«, sagte er abrupt.»Ich gehe in meine Kajute. Sie konnen mir ja spater berichten.»
        Erschreckt fragte Adam:»Fuhlen Sie sich nicht wohl, Sir?»

«Nur etwas mude. «Bolitho ging und war bald im Schatten unter dem Huttendeck verschwunden.
        Irgendwie fuhlte er sich au?erstande, ihnen allen gerade jetzt gegenuberzutreten: Knocker, dem Segelmeister, Quantock, Hauptmann Dewar von den Royal Marines und dazu ihren jeweiligen Gehilfen.
        Bolitho hatte bei Napier in San Felipe einen Brief zuruckgelassen und au?erdem eine Abschrift davon, die mit dem nachsten Schiff nach England abgehen sollte, das den Hafen zur Verproviantierung anlief.
        Da? er so vollig im dunkeln blieb uber Belindas Ergehen, fra? an ihm wie ein Geschwur. Ihm war selbst nicht bewu?t gewesen, wie sehr die Ungewi?heit an seinen Kraften zehrte. Bis Adam ihn an Hugh erinnert hatte: >Als ich in Vaters altem Sessel sa?…< Bis dahin war Hugh nur ein vager Schatten aus der Vergangenheit gewesen. Aber jetzt stand er wieder zwischen ihnen, erhob Anspruch auf seinen Platz in der Familie.
        Bolitho lie? sich auf die Bank unter den Heckfenstern sinken und starrte ins wei?schaumende Kielwasser drau?en, das Achates hinter sich herzog.
        Allday kam aus der Pantry getrottet.»Kann ich Ihnen etwas zu trinken holen, Sir? fragte er bewu?t beilaufig.

«Nein, danke. «Bolitho wandte sich um und sah ihn an.»Du bist der einzige hier, der mich wirklich kennt, wei?t du das?»

«Manchmal stimmt das, Sir, manchmal nicht. Alles in allem kriege ich wohl ofter als andere den Mann zu sehen, der Sie wirklich sind,
        Sir.»
        Bolitho lie? sich zurucksinken und atmete tief ein.»Mein Gott, All-day, ist das eine Qual!«Aber als er aufblickte, war Allday verschwunden.
        Bolitho sah achteraus einen Fisch springen. Wer wollte es Allday auch verubeln, da? er sich fur seinen verzweifelten Vorgesetzten schamte?
        Aber Allday hatte sich nur in seine winzige, durch Vorhange abgeschirmte Kammer zuruckgezogen, die er mit seinen beiden Freunden teilte: Jewell, dem Segelmacher, und Christy, den er schon von der alten Lysander her kannte.
        Spater, mit drei gro?en Bechern Rum im Leibe, baute er sich vor Keens Kajute auf.
        Der Steward des Kommandanten beaugte ihn mi?trauisch.»Was willst du hier, Allday?»
        Er rumpfte die Nase, als Allday ihm seinen Fuselatem ins Gesicht blies.»Ich verlange den Kapt'n zu sprechen.»
        Das war ganz unublich, und au?erdem fuhlte Keen sich nach der Diskussion im Kartenhaus wie geradert. Aber er kannte Allday und verdankte ihm au?erdem sein Leben.»Komm herein und mach die Tur zu. «Er winkte seinen Steward hinaus.»Was ist los, Mann? Du siehst ja aus, als wolltest du dich prugeln.»
        Allday holte tief Luft.»Es geht um den Admiral, Sir. Er hat sich mehr aufgeladen, als er tragen kann. Das ist unfair.»
        Keen mu?te lacheln; darum ging's also. Er hatte schon befurchtet, da? eine Katastrophe passiert sei.
        Aber Allday war noch nicht fertig.»Wollte mir's nur von der Seele reden, Sir, weil Sie doch ein anstandiger Mensch sind. Und fur ihn da achtern ein wirklich guter Freund. Schuld dran ist irgendwas, das der Flaggleutnant gesagt hat. Das spure ich in meinen Knochen. Mu? was sein, was ihn tief getroffen hat.»
        Keen war zwar mude, aber auch intelligent und schnell von Begriff. Jetzt wurde ihm klar, was ihm langst hatte auffallen mussen: wie seltsam formlich der Admiral und sein Neffe neuerdings miteinander umgingen.
        Er sagte:»Uberla? das ruhig mir, Allday. Ich hab' schon verstanden.»
        Forschend sah Allday ihm ins Gesicht und nickte dann.»Mu?te einfach daruber reden, Sir. Sonst verprugle ich eines Tages noch den Flaggleutnant, und wenn er dreimal Offizier ist!»
        Keen erhob sich.»Das will ich nicht gehort haben, Allday. «Er lachelte.»Und jetzt mach, da? du in deine Koje kommst.»
        Danach sa? Keen noch lange an seinem Schreibtisch und sah zu, wie die Sonne langsam im Meer versank.
        Eigentlich hatte er tausenderlei Dinge zu tun, denn eine Ahnung sagte ihm, da? sie bald wieder zu den Waffen wurden greifen mussen. Er spurte das, um mit Allday zu reden, in seinen Knochen. Das Gesprach war alles andere als erheiternd gewesen, aber er merkte, da? er daruber die Konferenz im Kartenhaus vergessen konnte, Quantocks stumme Mi?billigung und Tyrrells prahlerisches Versprechen, da? er sie zu einem Platz fuhren konne, wo sie dem anderen Schiff uberlegen sein wurden.
        Alldays Besuch hatte das alles verdrangt. Er kannte Bolithos Bootsfuhrer nun schon seit achtzehn turbulenten Jahren; es war eine Zeit der Gefahren und Entbehrungen gewesen, eben Kriegszeit, mit kurzen Erholungspausen dazwischen, in denen die uberwaltigende Freude, trotz aller Fahrnisse noch am Leben zu sein, das pragendste Erlebnis war.
        Wenn es um Allday ging, drangte sich stets als erstes ein einziges Wort auf: Treue.
        Mude griff Keen nach der Glocke, um seinen Steward herbeizuzitieren.
        Die wenigsten, uberlegte er, wurden den Begriff Treue definieren konnen. Aber er hatte immerhin erleben durfen, in welcher Gestalt sie sich verkorperte.



        XI Spate Rache


«Alle Mann an Deck, alle Mann an Deck! Aufentern und klar zum Bramsegelsetzen!»
        Bolitho beobachtete von der Querreling aus, wie die tropfnassen Kutter wieder einmal auf ihren Stellings festgelascht wurden. Achates hatte hier einige Stunden geankert, wahrend die Beiboote ausgesetzt wurden, um eine Bucht zu rekognoszieren, in der sich ein Schiff hatte verstecken konnen. Aber wie schon all die Male zuvor waren die Leute unverrichteter Dinge zuruckgekehrt.
        Bolitho beschattete die Augen, um trotz der grellen Sonne das Land zu erkennen Santo Domingo lag nur wenige Meilen weiter nordwestlich; danach kam noch die Mona-Passage, und dann waren sie wieder in den nordlichen Zufahrtswegen, wo alles seinen Anfang genommen hatte.
        Zwei vergeudete Wochen. Dazu der tagliche Kampf um die Ausnutzung einer so leichten Brise, da? sie an Land kaum ein Pappelblatt bewegt hatte.
        Nun sah er zu, wie die gro?en Bramsegel schlugen und sich trage fullten, bis das Schiff sich auf dem neuen Kurs leicht uberlegte.
        Keen kam quer ubers Deck heran und wartete darauf, da? Bolitho sich zu ihm umwandte.

«Mit allem Respekt, Sir, aber ich glaube, wir sollten nach San Felipe zuruckkehren.»

«Ich kenne diese Gewasser, Val«, erwiderte Bolitho.»Hier konnte man notfalls eine ganze Flotte verstecken. Sie glauben, da? ich mich geirrt habe, nicht wahr?«Er fuhr sich uber das zerknitterte Hemd und lachelte Keen an.»Ich mache Ihnen daraus keinen Vorwurf, schlie?lich waren die letzten Wochen fur uns alle eine Qual.»

«Ich sorge mich Ihretwegen, Sir«, sagte Keen.»Je langer wir warten.
        Bolitho nickte.»Ich wei?. Mein Hals steckt in der Schlinge. Das war mir von Anfang an bewu?t.»
        Die Wanten knarrten, als die Brise etwas auffrischte und die Segel sich strafften. Hoch oben in den Masten lie?en die zusatzlichen Ausguckposten die uberanstrengten Augen rundum schweifen und verfluchten heimlich ihre Vorgesetzten wegen dieser Schikane.
        Bolitho horte das dumpfe Tappen von Tyrrells Holzstumpf naherkommen und wandte sich ihm gru?end zu. Keen entschuldigte sich und schlenderte zur anderen Seite hinuber. Sein Mi?trauen und sein wachsender Argwohn Tyrrell gegenuber lie?en sich nicht mehr verbergen.
        Tyrrell sandte ihm einen Blick nach und meinte:»Kann mich wohl nicht ausstehen, der Gute. «Aber seine Stimme klang besorgt und nicht mehr so zuversichtlich.

«Sind Sie sich Ihrer Sache immer noch so gewi?, Jethro?«fragte Bolitho.

«Sie konnen Gott wei? wo sein. «Er hammerte mit der Faust auf die Reling.»Aber verschiedene Freunde haben mir gesagt, da? sie sich in einer dieser Buchten hier erholen wollen. Und von den Spaniern haben sie ja nichts zu befurchten. Au?erdem kennen die langst ihre Absichten, davon bin ich uberzeugt.»
        Bolitho musterte Tyrrell nachdenklich.»Wir sind jetzt in spanischen Gewassern. Es gibt keine Rechtfertigung fur unsere Anwesenheit, es sei denn, dieses verdammte Schiff versteckt sich wirklich hinter der spanischen Flagge.»
        Keen kam zuruck und sagte mit ausdruckslosem Gesicht:»Wir mussen bald wieder uber Stag gehen, Sir. «Tyrrell lie? er absichtlich unbeachtet.»Und danach kommt das muhsame Aufkreuzen zur Mona-Passage. So flau der Wind ist, hat er es offenbar doch darauf abgesehen, uns das Leben schwer zu machen.»
        Noch wahrend er sprach, wurde das Vorbramsegel schlaff und schlug gegen die Wanten; Manner hasteten an die Brassen, um die Rah abermals neu zu trimmen.
        Plotzlich sagte Tyrrell:»Mir ist etwas eingefallen. Geben Sie mir ein Boot. «Er sprach hastig, als musse er auch eigene Vorbehalte ubertonen.»Sie glauben mir nicht. Aber ich bin mir ja selbst nicht sicher.»
        Sie blickten alle nach oben, als ein Ausguckposten rief:»An Deck! Segel in Nordwest!»

«Hol's der Teufel«, murmelte Keen.»Das ist bestimmt ein Patrouillenboot aus Santo Domingo!»
        Tyrrell musterte ihn kalt.»Die Spanier haben Ihr schones Schiff schon seit Tagen beobachtet, Kapitan Keen, darauf halte ich jede Wette.»
        Keen wandte den Blick ab.»Ich wette nicht mit einem Glucksritter«, brummte er. Scharf befahl Bolitho:»Das reicht!»
        Er blickte zum Krahennest auf. Der Tag war sonnig und klar, der Ausguckposten da oben mu?te mehr erkennen konnen als jeder andere.
        Durch die hohlen Hande schrie er hinauf:»Was fur ein Schiff?»
        Bolitho war sich bewu?t, da? einige der in der Nahe arbeitenden Seeleute innehielten und ihn anstarrten. Ein Admiral, auch wenn er noch so jung war, und Schreien? Das mu?te ihnen vorkommen wie eine Blasphemie.
        Aus dem Ausguck schrie es herunter:»Eine Fregatte, Sir, wie's aussieht.»
        Bolitho nickte. Also eine Fregatte. Wahrscheinlich hatte Keen mit seiner Vermutung recht, dann blieben ihnen hochstens noch zwei Stunden.
        Er befahl:»Lassen Sie bitte beidrehen und einen Kutter aussetzen. Bewaffnet und unter dem Befehl eines Leutnants.»
        Eifrige Rufe erklangen, hastiges Getrappel ringsum auf den von der Sonne gedorrten Planken, und dann drehte Achates zogernd in den Wind, wahrend das Boot bereits ruckartig uber das Steuerbordschanzkleid geschwungen wurde.
        Knocker, der sich an Keen herangeschoben hatte, murmelte:»Die Bucht ist nicht gro?er als ein Dorfteich, Sir. Ein solches Schiff kame niemals da hinein.»

«So steht's in Ihrer Karte«, erwiderte Tyrrell duster.»Aber ich wei? es besser.»
        Bolitho sah Scott, den Dritten Offizier, sich hastig mit dem Sabel gurten, wahrend ihm der Messesteward mit Pistole und Zweispitz nachlief. Von trubsinniger Untatigkeit zu hektischer Betriebsamkeit - wie oft hatte Bolitho diesen Stimmungsumschwung schon erlebt, auch an sich selbst.

«Kutter liegt langsseits, Sir!»
        Mit einem dumpfen Poltern landete die abgefierte Drehbrasse im Bug des Beiboots, um sofort von zwei Seeleuten geladen zu werden.
        Leise fragte Bolitho:»Ist Ihnen diese kleine Bucht erst jetzt wieder eingefallen, Jethro? Oder wissen Sie schon seit zwei Wochen und langer, da? sie die richtige Stelle ist? Wir hatten im nachsten Augenblick gewendet und diese Chance fur immer verspielt.»

«Sie wollten das Schiff«, antwortete Tyrrell.»Ich halte mein Wort. «Damit wandte er sich ab und hinkte zum Schanzkleid, sein Holzbein holte bei jedem Schritt in weitem Bogen aus.
        Und obwohl Bolitho in diesem Augenblick die Wahrheit erkannt hatte, drangte ihn ein unerklarlicher Impuls, mit zwei, drei Schritten an die Finknetze zu eilen und Tyrrell nachzurufen:»Seien Sie vorsichtig, Jethro! Und viel Gluck!»
        Tyrrell hielt inne, die gro?en Fauste um die Taue der Jakobsleiter gekrampft, und blickte mit Augen, die im grellen Licht tranten, zum Achterdeck hinauf. Einen Lidschlag lang standen nicht mehr die vielen Jahre zwischen ihnen, sondern sie waren wieder an Bord der Sparrow. Dann stie? sich Tyrrell von der Bordwand ab und lie? sich in den Kutter fallen, den Holzstumpf steif vorgereckt wie einen Russel.
        Keen murmelte:»Wenn das nur gutgeht.»
        Schon loste sich der Kutter vom Mutterschiff, die Riemen hoben und senkten sich in schnellem Takt, wahrend der Bootsmann, hinter dem Leutnant stehend, aufs Land zuhielt.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen.»Ich habe ihm vertraut. Aber vielleicht war es doch eine zu starke Versuchung fur ihn.»
        Keen schuttelte den Kopf.»Ich verstehe nicht, Sir.»
        Bolitho sah dem Boot nach, das jetzt einen engen Bogen beschrieb, weil Tyrrells ausgestreckter Arm in eine neue Richtung deutete. Die Wirbel einer kleinen Flu?mundung waren zu erkennen, zu deren beiden Seiten Baume und Gebusch bis zum Ufer wuchsen. Kaum zu glauben, da? dieses Flu?chen breiter sein sollte als auf der Karte angegeben.
        Von weit her erscholl ein gedampfter Knall, gefolgt vom lauten Ruf eines Ausguckpostens:»Die Fregatte hat gefeuert, Sir!»

«Auf diese Distanz treffen sie nicht mal den Felsen von Gibraltar«, hohnte Knocker.
        Bolitho tauschte einen Blick mit Keen. War der Schu? eine Warnung, die Aufforderung, das spanische Hoheitsgebiet zu verlassen - oder sollte er einen Dritten alarmieren?
        Er sagte:»Machen Sie lieber klar zum Gefecht. «Und nach einem prufenden Blick zum Kutter hinuber, der gut vorangekommen war:

«Wir wollen uns nicht ein zweites Mal uberraschen lassen.»
        Die Manner in seiner Umgebung erstarrten, konnten nicht glauben, was sie soeben gehort hatten.
        Aber als die Trommeln zu rasseln begannen und sich heisere Befehlsrufe durch das ganze Schiff fortpflanzten, wurden die letzten Illusionen ausgeraumt.
        Keen verschrankte die Arme und lie? den Blick uber sein Schiff wandern. Auf beiden Seitendecks drangten sich die Manner, stopften die zusammengerollten Hangematten als Kugelfang in die Finknetze, wahrend Schiffsjungen zwischen den Kanonen herumrannten und das Deck mit Sand bestreuten, damit die Stuckmannschaften nicht ausrutschten, wenn erst Blut die Planken bedeckte. Big Harry Rooke, der Bootsmann, schrie einen Saumigen aus seiner Crew an, die auf den untersten Rahen auslegte und Kettenschlingen ausbrachte, die gebrochene Spieren daran hindern sollten, an Deck zu sturzen. Andere schlugen unten Zwischenwande ab und verwandelten die getrennten Messen und Kammern in einen einzigen gro?en Raum, der den Stuckmannschaften vom Bug bis zum Heck Bewegungsfreiheit gab.
        Quantock blickte vom Batteriedeck herauf und tippte gru?end an seinen Hut.

«Schiff klar zum Gefecht!«meldete er. Inzwischen kannte er Keens Anforderungen.»In neun Minuten, Sir!»
        Keen nickte.»Gut gemacht, Mr. Quantock.»
        Aber die Spannung zwischen den beiden Mannern blieb fuhlbar, das kleine Kompliment entlockte keinem ein Lacheln.
        Bolitho richtete ein Teleskop auf den fernen Kutter. Er konnte nur raten, was Leutnant Scott und die Bootsgasten jetzt dachten, wahrend Achates unter dem Wirbel der Trommeln gefechtsklar machte und sie sich mit jedem Riemenschlag weiter von ihrem Schiff entfernten.
        Er horte Allday sich diskret neben ihm rauspern und lie? sich in den bereitgehaltenen Uniformrock helfen, wahrend Ozzard mit dem alten Sabel herbeitrippelte. Auch Adam stand plotzlich bei ihnen, mit glanzenden Augen, unglaublich jung und eifrig.

«Befehle, Sir?»
        Bolitho hob leicht die Arme, damit Allday ihm den Sabelgurt umschnallen konnte, und bemerkte betrubt Adams Formlichkeit.»Tut mir leid, Adam«, sagte er.»Ich hatte es besser wissen mussen.
        Es war dein gutes Recht, stolz darauf zu sein. An deiner Stelle hatte ich genauso empfunden.»
        Der junge Leutnant machte einen halben Schritt auf ihn zu.»Ich wurde mir eher die Hand abhacken, als Sie zu verletzen, Sir. Es war nur.»

«Es war nur so, da? du mich an deiner Freude teilhaben lassen wolltest und ich zu beschaftigt war, um dir zuzuhoren. «Keen sagte:»Alles klar, Sir.»
        Erleichtert blickte er von einem zum anderen. Dann suchte er All-days Blick, aber der zuckte mit keiner Wimper. Keen mu?te lacheln; was war Allday doch fur ein alter Fuchs!

«Also gut. «Bolitho sah zu seiner Flagge im Vormasttopp auf.»Setzt die Gefechtsflagge. Und dann, Mr. Bolitho, bitte folgendes Signal: Feind in Sicht!«Er sah die Verbluffung auf Adams Gesicht schnellem Begreifen weichen und fugte fur die Umstehenden erklarend hinzu:»Schlie?lich kann es nichts schaden, wenn wir sie glauben machen, da? wir nicht ganz allein sind, wie?»
        Und zu Keen sagte er:»Also fangen wir an.»
        Aber angenommen, da druben lag gar kein Schiff? Angenommen, er hatte sich in Tyrrell und in allem anderen geirrt? Dann wurde er jetzt zum Gespott seiner Leute.
        Signalfahnrich Ferrier und der kleine Evans von Sparrowhawk machten sich mit ihren Gehilfen eifrig an den Flaggleinen zu schaffen, bis die bunten Stoffballchen zugig zur Signalrah emporstiegen und in der leichten Brise auswehten, begru?t vom aufgeregten Hurrageschrei der Stuckmannschaften an den Achtzehnpfundern des Oberdecks.
        Die meisten von ihnen konnten eine Signalflagge nicht von der anderen unterscheiden, aber die bunten Wimpel bedeuteten ihnen mehr als Worte: Sie waren ein Symbol.
        Keen beobachtete Bolitho und unterdruckte einen Seufzer. Ich hatte damit rechnen mussen, dachte er.
        Es knallte einmal scharf, dann riefen mehrere Stimmen zugleich:»Sie feuern auf den Kutter, die Schweine!»
        Jubel schlug um in Wut.
        Bolitho hob schnell das Glas und sah den Kutter gerade noch einen Haken schlagen; vorubergehend aus dem Takt gebracht, zogerten die Riemen uber dem in bosartigen kleinen Fontanen aufspritzenden Wasser. Ein schlaffer Korper wurde rucksichtslos uber das Dollbord gerollt, damit die Rudergasten mehr Platz gewannen. Mit einem trockenen Krachen feuerte die Drehbrasse des Kutters und bestrich das Ufergeholz mit ihrer Kartatschenladung.
        Keen rief zum Batteriedeck hinunter:»Vielleicht mussen wir den Kutter sich selbst uberlassen, Mr. Quantock! Aber signalisieren Sie Mr. Scott fur alle Falle, so schnell wie moglich zuruckzukehren!»
        Zustimmung heischend sah er sich nach Bolitho um, doch der stand druben an den Finknetzen und starrte gebannt zu der halbverborgenen Flu?mundung hinuber, als erwarte er dort jeden Augenblick eine Reaktion.
        Der Kutter war langsamer geworden, woraus Bolitho schlo?, da? doch mehrere Manner getroffen worden waren, wahrscheinlich von Musketenkugeln. An der Pinne stand jetzt Tyrrell und fuchtelte mit der Faust, um die Rudergasten zu gro?erer Anstrengung zu bewegen.
        Das Gro?bramsegel fullte sich knallend mit Wind.
        Bolitho sagte:»Halten Sie sich bereit, das Schiff wieder in Fahrt zu bringen, Mr. Knocker. Uns bleiben nur noch wenige Minuten.»
        Quantock meldete:»Die Fregatte behalt ihren Kurs bei, Sir.»
        Bolithos Mund wurde plotzlich trocken, als er hinter den Wipfeln einer Baumreihe am Ufer eine Bewegung entdeckte: wie eine Schlange, die rot und gelb im Sonnenlicht leuchtete. Es war der Toppwimpel eines gro?en Schiffes, das, hinter den Baumen versteckt, auf dem unsichtbaren Flu?chen langsam dem offenen Wasser zustrebte.
        Dann schob sich ihr hochaufragender Bugspriet ins Freie, gefolgt von der golden glanzenden Galionsfigur, der Back und dem noch an seiner Rah aufgetuchten Vorbramsegel; aber die Breitfock war gesetzt und killte leicht, als das Schiff ins glei?ende Licht hinausglitt.
        Nur noch wenige Minuten, und es ware unbemerkt geblieben. Wahrscheinlich hatten sie in ihrem Flu?versteck den Atem angehalten, als Achates drau?en vorbeisegelte, hatten uber diese dilettantische Suchaktion gelacht. Unter seinen Rockscho?en ballte Bolitho die Fauste. Das Lachen wollte er ihnen bald austreiben.
        Der Kutter war jetzt nur noch eine Kabellange entfernt, und Keen befahl:»Klar bei Wurfanker! Wir haben keine Zeit, ihn an Bord zu nehmen.»
        Gewaltsam mu?te er den Blick von dem anderen Schiff losrei?en, das seine Deckung jetzt verlassen hatte und im Nahergleiten immer gro?er wurde, bis es das Ufer ganz zu verdecken schien.

«Hol mich der Teufel, aber das ist sie wirklich!»
        Bolitho zog den alten Sabel probeweise zwei Zoll aus der Scheide und stie? ihn wieder zuruck.

«Endlich, Kapitan Keen, habe ich Sie uberzeugt.»
        Mit viel Geschrei wurden die Bootsgasten aus dem Kutter uber das Schanzkleid gehievt. Dann legte sich Achates unter dem Winddruck etwas starker uber und schob das aufgegebene Beiboot wie ein Stuck Treibholz beiseite. Immer noch stand Tyrrell an der Pinne, ihm zu Fu?en lag als einziger Begleiter ein toter Seemann.
        Bolitho rief:»Werft ihm eine Leine zu! Ich lasse ihn nicht zuruck!»
        Irgend etwas sagte ihm, da? Tyrrell im Kutter bleiben und sich mit der Stromung abtreiben lassen wollte. Absichtlich hatte er Achates in die Irre gefuhrt, von einer falschen Spur zur anderen, und zum Schlu? hatte er sogar vorgeschlagen, da? die Boote eine Bucht absuchen sollten, die dicht neben dem wirklichen Versteck des Spaniers lag. Niemand hatte jemals die Wahrheit erfahren. Und doch hatte ihn etwas im letzten Augenblick anderen Sinnes werden lassen.
        Nun war er entlarvt und hatte noch Gluck, wenn er fur seinen Verrat nicht mit dem Leben bezahlen mu?te.
        Bolitho sah eine Talje uber dem treibenden Boot schwingen, bemerkte Tyrrells furchtsames Zogern, ehe er schlie?lich das Ende ergriff und zweimal um die Drehbrasse schlang.
        Keen wartete noch ab, bis Tyrrell und die Drehbrasse von den an der Pforte wartenden Helfern gepackt wurden, dann gab er seine Befehle und hetzte die Mannschaften in die Masten, wo sie die Brams egel setzten, um den auffrischenden Wind voll zu nutzen.
        Bolitho spurte ein leichtes Beben unter seinen Fu?en, horte Blocke klappern und Wanten knirschen, als Achates auf den steigenden Winddruck reagierte.
        Keen starrte ihn an.»Was hatte dieser verdammte Narr eigentlich vor?«fragte er. Verspricht er sich etwa. «Aber die Worte wurden ihm durch das Krachen einer Breitseite vom Mund gerissen.
        Schon ruckten in der Bordwand des anderen Schiffes die Rohre wieder binnenbords, wahrend durch Achates Takelage plotzlich ein todlicher Eisenhagel fuhr. In den prallen Segeln klafften auf einmal
        Locher, und Bolitho spurte die schon vertraute Erschutterung unter seinen Sohlen, die schwere Treffer im Rumpf anzeigte.
        Doch Knockers Steuerleute fingen sich wieder, und der Bugspriet begann sich, langsam zuerst und dann immer zielbewu?ter, zum Land hin zu drehen. Wie mit unsichtbarer Hand half die frische Brise nach. Aber das gegnerische Schiff folgte Achates' Manover und profitierte genauso vom Wind.
        Hatte Bolitho Keen in die Mona-Passage beordert, angespornt durch das nun gunstigere Wetter, waren sie erst viel spater nach San Felipe zuruckgekehrt. Das Schiff, mit dem sie nun fast Bug an Bug lagen, wahrend es sich von den Untiefen freikampfte, ware ihnen um Tage zuvorgekommen. Die kleine Brigg Electra hatte ihm gewi? bis zum bitteren Ende Widerstand geleistet, aber am Schicksal der Insel nichts mehr andern konnen.
        Keen hob den Arm.»Langsam, Mr. Knocker! Aufkommen!»
        Noch drehte Achates weiter, ihre Segel begannen sich auf dem neuen Bug zu fullen, wahrend die Seeleute mit aller Kraft an den Brassen hievten, um die herumschwingenden Rahen richtig zu trimmen. Aber der Master grunzte etwas uber seine Schulter, und die Rudergasten bremsten die wirbelnden Speichen des gro?en Rades ab.

«Recht so!»

«West zu Nord liegt an, Sir!»
        Bolitho befeuchtete sich die Lippen. Die Stuckpforten des Feindes lagen jetzt in zu spitzem Winkel vor ihnen, als da? er sie unter Feuer nehmen konnte. Er hatte seinen Eroffnungszug zu fruh gemacht. Aber trotzdem, die Schiffsfuhrung druben verstand ihr Handwerk, die Wende klappte, und fast alle Segel standen wieder voll.

«Steuerbordbatterie!«In einer einzigen, zischenden Bewegung zog Keen seinen Sabel. Feuer in der Aufwartsbewegung!»
        Auf beiden Decks spahten die Stuckmeister durch ihre Luken, die Abri?leinen straff gespannt in der Faust, und warteten darauf, da? das Ziel vor ihre Mundungen glitt.
        Dann hieb die Schneide blitzend nach unten, ein sekundenlanger Donnerschlag brach los, und die Rohre der Achtzehn- und Vierund-zwanzigpfunder fuhren, von ihren Taljen abgefangen, wieder binnenbords.
        Rauch trieb nach vorn davon und erlaubte einen Blick auf die Takelage des Feindes, die im Kugelhagel einen Hollentanz aufzufuhren schien. An der Wasserlinie stiegen hohe Fontanen auf, wo andere Kugeln den Rumpf getroffen hatten. Doch obwohl der Fremde sein Manover noch nicht ganz beendet hatte, erwiderte er sofort das Feuer.
        Wiede r spurte Bolitho dieses schreckliche Aufbaumen des Decks und horte einen schrillen Aufschrei am mittleren Luk.
        Die Stuckmannschaften arbeiteten wie die Wilden mit Schwammen, Ladestocken und Kartuschen, bis sie endlich die schwarz schimmernden Eisenkugeln in die Rohre gerammt hatten. Die Crews wetteiferten miteinander, welche ihre Kanone als erste feuerbereit melden konnte. Sowie alle Stuckmeister mit erhobenen Handen dastanden, erklang wieder Keens heiserer Schrei:»Breitseite - Feuer!»
        Diesmal gab es keine Fehlschusse. Bei einer Distanz von knapp zwei Kabellangen konnten sie den Rumpf des Feindes unter den Treffern erzittern sehen. Das Seitendeck barst und ri? einen Teil der Be-santakelage in die Tiefe.
        Aber auch druben hatten sie inzwischen nachgeladen, und die viel schwereren Zweiunddrei?igpfunder reckten schon wieder ihre Russel aus den Stuckpforten. Abermals schossen die Feuerzungen aus der Bordwand, und ein schreckliches Krachen und Rumpeln zeugte davon, da? viele Kugeln auf Achates ihr Ziel gefunden hatten.
        Das Gesicht eine blutige Maske, wurde ein Kanonier von seiner Lafette weggerissen. Aber Bolitho sah auch, da? Midshipman Evans steif und starr dastand und das andere Schiff nicht aus den Augen lie?. Wenn ihn das Schlachtgetose erschreckte, so merkte man es ihm nicht an. Bolitho begriff, wie der Feind in den Augen des Jungen aussehen mu?te: der Morder seines ersten Schiffes, das er brennend und zerschmettert in die Tiefe geschickt hatte, wahrend Duncan neben ihm verblutete.
        Bolitho rief:»Bewegen Sie sich, Mr. Evans!«Und als der Junge ihm einen verstandnislosen Blick zuwarf:»Auch wenn Sie klein sind, geben Sie doch ein gutes Ziel ab!»
        Uber Evans' Gesicht glitt das Gespenst eines Lachelns, dann wandte er sich um und ging zu dem gefallenen Kanonier.
        Wieder rollten die Kanonen im Rucksto? nach hinten, Explosionen erschutterten die Luft, keuchend und hustend rangen die Manner im
        Pulverrauch nach Atem, wahrend ihnen noch die Splitter vom letzten Beschu? um die Ohren flogen.
        Hallowes, der Vierte Offizier, schritt hinter der vorderen Batterie auf und ab; den Degen auf der Schulter, beobachtete er seine Abteilung und gab in schneller Folge Kommandos.

«Zundloch stopfen!»

«Auswischen!»
        Die Manner auf dem Batteriedeck duckten sich, als einige Finknetze an der Reling unter dem Beschu? zerplatzten und Fetzen der Hangematten durch die Luft flogen. Die Kugeln fallten zwei Seeleute, ein dritter konnte noch davonhinken und sich wie ein scheues Tier unter der Gangway verkriechen.

«Laden!»
        Hallowes deutete mit dem Sabel auf den zusammengekauerten Mann und schrie:»Zuruck an deinen Platz - sofort!«Und dann:»Ausrennen!»
        Wieder rumpelten und quietschten die Lafetten, als das Schiff Kanone um Kanone dem Feind seine Breitseite prasentierte. Dieser lag nach einem leichten Richtungswechsel jetzt auf konvergierendem Kurs mit Achates und feuerte pausenlos weiter.
        Bolitho sah Keen zur anderen Seite des Achterdecks hinubergehen. Neue Treffer hammerten in den Rumpf, ein vielstimmiger Aufschrei aus dem unteren Batteriedeck verriet Bolitho, da? ein Vierundzwan-zigpfunder umgesturzt sein mu?te oder - noch schlimmer - sich aus seinen Taljen losgerissen hatte.
        Beide Schiffe waren der Bewaffnung nach ebenburtig. Achates hatte zwar mehr Kanonen, aber die schwereren Kaliber des Feindes forderten einen schrecklichen Blutzoll. Ein einziger Gluckstreffer konnte die Entscheidung bringen. Bolitho starrte auf Keens Rucken, als konne er ihn durch Willenskraft zum Handeln antreiben: Aufschlie?en, Val. Geh ran, ehe er dich entmastet.
        Wieder ubertonten Schreie das allgemeine Inferno der Kanonade. Ein Seesoldat taumelte, die Hande vors Gesicht geschlagen, von seinem Platz an den Finknetzen zuruck; seine Brust war gespickt mit scharfen Holzsplittern.

«Herrgott, was fur ein Schlamassel!«Tyrrell bahnte sich mit seinem Stumpf muhsam einen Weg durch zerrissene Taljen und gebrochene Leinen, die trotz der Schutznetze herabgefallen waren.
        Bolitho wies ihn an:»Gehen Sie nach unten. Sie sind Zivilist.»
        Tyrrell zog eine Grimasse, als eine Kugel am Verschlu?stuck eines Neunpfunders auf dem Achterdeck zerbarst und es Splitter hagelte, die abermals zwei Seeleute zu Boden rissen, wo sie sich in Lachen ihres eigenen Blutes walzten.
        Keen fuhr herum und funkelte Tyrrell an.»Verdammt, was machen Sie hier?»
        Durch zusammengepre?te Zahne knurrte Tyrrell:»Bringen Sie Ihren Kahn endlich langsseits, Kapt'n, Ihre Leute konnen dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten.»
        Keen sah zu Bolitho hinuber.»Aber dann wird Ihr Flaggschiff erkannt, Sir!»
        Daran lag's also. Bolitho zog seinen alten Sabel.»Legt Ruder! Wir bringen ihnen jetzt das Furchten bei«, er hob die Stimme,»stimmt's, Jungs?»
        Als sie ihm zujubelten, mu?te er sich abwenden. Halbnackt, pulvergeschwarzt, schwei?uberstromt, waren dies nicht die romantischen Helden, wie er sie auf manchem prachtig gemalten Schlachtenpanorama in London gesehen hatte.
        Wieder spurte er die schon vertraute Wildheit des Nahkampfes in sich aufsteigen. Lebhaft, dort druben!«drangte er.
        Als Ruder gelegt wurde, schwangen die Rahen leicht herum, und binnen weniger Minuten war die Distanz auf eine Kabellange geschrumpft und verringerte sich schnell weiter. Bald waren es nur noch funfzig Meter und weniger, die Takelage des Feindes ragte hoch uber ihren Kopfen empor, und jetzt fiel Musketengeknatter in den betaubenden Chor der Kanonen ein.
        Dem anderen Kommandanten blieb keine Wahl. Er konnte nicht mehr halsen und sich davonmachen, denn das Land, das ihm bisher Zuflucht geboten hatte, war jetzt zu einer todlichen Gefahr geworden und drohte ihm mit den steinernen Fangen des Riffs, auf dem sich tobend die Brandung brach. Und wenn er es mit einer Wende versuchte, mu?te er sich mit backstehenden Segeln festfahren und genau die entscheidenden Sekunden verlieren, die Keen brauchte, um ihn vom Bug bis zum Heck mit seinen Breitseiten zu beharken.
        Ein splitterndes Krachen hoch uber ihnen, und dann warnende Rufe:»In Deckung da unten!«Teile der Fu?rah des Besansegels durchschlugen die Schutznetze, knallten an Deck und zogen ein Gewirr gebrochener Leinen und Taljen hinter sich her.
        Bolitho spurte an der Schulter einen Schlag wie von einer eisernen Faust, und dann lag er mit dem Gesicht auf den Planken. Seine erste Reaktion kam einer Panik sehr nahe: wieder verwundet, und diesmal bestimmt schwer! Aber dann horte er sich fluchen, vor allem uber den Rauch, der ihm im entscheidenden Moment die Sicht geraubt hatte.
        Er merkte, da? Adam mit starrem Blick seinen Arm gepackt hielt, wahrend Allday irgend etwas Schweres von seinem Rucken wegzog und ihm zunachst auf die Knie, dann auf die Fu?e half. Ein riesiger Block, den der Schu? durch die Besantakelage losgerissen hatte, schwang wie ein Knuppel an seinen Parten vom Netz und hatte ihn umgerissen. Er hatte nicht mal einen Kratzer davongetragen. Mit leicht verzerrtem Grinsen dankte er, als jemand ihm seinen Hut zuruckreichte und ein anderer jubelte:»Zeigen Sie's den Hunden, Sir!»
        Bolitho wandte sich dem Feind zu, obwohl ihm der Rauch in den Augen brannte und ein dumpfer Schmerz in seiner Schulter pochte. Hatte der Block ihn am Kopf getroffen, ware er jetzt tot gewesen.
        Musketenkugeln durchlocherten die zusammengerollten Hangematten, Holzsplitter wurden aus den Planken gerissen oder ragten wie spitze Federkiele aus dem Deck.
        Doch schon blinkten Axte im rauchgetrubten Sonnenlicht, die Trummer aus der Besantakelage wurden freigehackt und mit Handspaken uber das Schanzkleid gehievt.
        Jetzt trug das erbarmungslose Exerzieren an Segeln und Kanonen Fruchte. Wo ein Mann fiel oder beiseitegezerrt wurde, damit er nicht im Weg war, bis die Gehilfen des Schiffsarztes kamen, da stand sofort ein anderer an seinem Platz, herbeigesprungen von den Kanonen auf der gegenuberliegenden Decksseite.
        Die Musketen der Marinesoldaten griffen jetzt in den Kampf ein. Sergeant Saxton schrie laut den Takt und stampfte dazu mit dem Stiefel auf, wahrend die Ladestocke sich alle zugleich hoben und senkten. Sobald die Laufe sich dann durch die Netze schoben, schrie er:»Ziel auffassen! Jeder Schu? ein Treffer!«Geknatter hoch uber ihren Kopfen zeigte an, da? auch in den Masten Marinesoldaten feuerten; diese Scharfschutzen zielten vor allem auf die Offiziere des Gegners.
        Bolitho schritt auf und ab und stolperte dabei uber einen gezackten Splitter, wodurch die Kugel eines feindlichen Scharfschutzen ihn knapp verfehlte.
        Die beiden Schiffe glitten immer naher zusammen. Die Kanonen feuerten jetzt auf Kernschu?weite, bedient von halb blinden und tauben Mannschaften, die mit Handen und Fu?en kampfen mu?ten, um ihre schweren Waffen unter Kontrolle zu bringen.

«Feuer einstellen!»
        Quantock mu?te den Befehl wiederholen, ehe auch die letzte Kanone auf dem unteren Deck verstummte. Als der Feind es ihnen nachtat, entstand eine dumpfe Stille, in der andere Gerausche erst allmahlich wieder wahrgenommen wurden: die Schmerzensschreie Verwundeter, Hilferufe, Befehle.

«Hartruder!»
        Sobald das Rad herumwirbelte, fegte Achates' Bugspriet wie eine Axt durch die vorderen Wanten des gegnerischen Schiffes. Mit einem furchterlichen Knirschen stie?en die beiden Rumpfe zusammen.
        Bolithos Manner rannten nach vorn, griffen jetzt zu Axten, Entermessern und Piken, lie?en Kanonen Kanonen sein und rusteten sich zum Kampf Mann gegen Mann.
        Leutnant Hallowes, dem der Hut halb vom Kopf geschlagen worden war, brullte mit geschwungenem Sabel:»Auf sie, Leute!»
        Jubelnd wie die Besessenen rannten die Manner nach vorn zu der Stelle, wo sich die Schiffsrumpfe beruhrten, um sich mit Hauen und Stechen einen Weg nach druben zu erkampfen, uber das schmale Dreieck glitzernden Wassers hinweg.
        Einige wurden von den Piken der Verteidiger aufgespie?t, als sie sich schon an die Enternetze klammerten, andere fallten die Scharfschutzen, noch ehe sie hinubergesprungen waren. Aber die meisten kamen durch, und immer mehr folgten ihnen; Bolitho sah den Vierten Offizier auf dem Backbordseitendeck des Feindes nach achtern sturmen, wobei er eine schrill aufschreiende Gestalt mit seinem Sabel beiseite hackte und eine andere mit dem Messer durchbohrte, bis er schlie?lich von seinen eigenen johlenden und kampfestollen Mannern uberholt wurde, deren Entermesser schon blutrot waren vom Handgemenge auf dem Vorschiff.
        Die britischen Marinesoldaten drangten mit grimmigen Gesichtern auf der dem Feind zugekehrten Seite an die Reling und schossen in das Gedrange auf dem Achterdeck; der Drill war vergessen, jeder feuerte, so schnell er konnte.
        Und nun zog Hauptmann Dewar seinen Sabel.»Vorwarts, Soldaten!»
        Die roten Uniformrocke mit den wei?en Brustriemen sturzten sich in die Rauchschwaden; auch wenn die Stiefel immer wieder im Blut ausrutschten, die Bajonette bahnten ihnen eine Gasse durch die Verteidiger, bis die Soldaten die erste Welle der Enterer auf dem Deck des Feindes erreicht hatten.
        Keen war nach vorn gerannt, um seine Leute anzufeuern; trotz der Verluste im feindlichen Feuer horte Bolitho immer wieder Hurrageschrei, das noch anschwoll, als die ersten das Achterdeck erreichten.
        Plotzlich stie? Achates' Bootsmann einen Warnruf aus:»Feuer! Sie haben Feuer an Bord!»
        Im selben Augenblick sah Bolitho druben Rauchfaden aufsteigen.
        Die Fauste um den Handlauf gekrampft, starrte Tyrrell zum Feind hinuber, wo die ersten bereits ihre Waffen wegwarfen und um Gnade flehten, hart bedrangt von den wie im Rausch fechtenden Englandern.

«Mr. Hawtayne!«rief Bolitho.»Lassen Sie den Trompeter zum Ruckzug blasen! Klar zum Loswerfen!»
        Eine dumpfe Explosion erschutterte beide Rumpfe, aus dem Vordeck druben quoll jetzt dicker schwarzer Rauch. Wenn das Schiff in Flammen aufging, drohte Achates das gleiche Schicksal.
        Sich den Schwei? vom Gesicht wischend, kehrte Keen zuruck und suchte mit den Blicken seine Offiziere und Maaten, als eine zweite Explosion den Ernst der Lage unterstrich.
        Ihre Verwundeten hinter sich herzerrend und einige wenige Verfolger abwehrend, rannte Achates' Entermannschaft auf ihr eigenes Schiff zuruck.
        Sobald die letzte Verbindungsleine gekappt war, begann der fremde Zweidecker hilflos nach Lee abzutreiben, da sein Ruder entweder entzweigeschossen oder unbemannt war. Leichen trieben im Wasser zwischen den beiden Schiffen, leblose Gestalten hingen in Webeleinen und Netzen, wie die Kugeln sie ereilt hatten.

«Setzt die Breitfock! Holt dicht den Kluver! Entert auf und setzt die Bramsegel! Quantocks rauhe Stimme ubertonte das Chaos und sorgte fur zielgerichtetes Handeln.
        Auf dem Batteriedeck des Feindes leckte eine gewaltige Feuerzunge gen Himmel und brachte herumliegende Pulverladungen zur Explosion. Wie betaubt rannten Manner zwischen Gefallenen und Trummern herum, niemand machte auch nur den Versuch, das Schiff zu retten.
        Als Ruder gelegt wurde, wandte Achates sich langsam von dem geschlagenen Feind ab und entblo?te dabei dessen Wunden: Blutspuren an der Bordwand, weggeworfene Waffen und Kanonenrohre, die wie aus eigenem Antrieb immer noch qualmten.
        Eine weitere Explosion drohnte ubers Wasser, brennende Holz- und Riggstucke schlugen gefahrlich nahe bei Achates ein; aber sie nahm jetzt mehr und mehr Fahrt auf, weil ihre durchlocherten und rauchgeschwarzten Segel sich mit Wind zu fullen begannen.
        Mehrere kleinere Explosionen, gefolgt von einer Funkenfontane mittschiffs: Flammen zungelten an Masten und Segeln empor, bis die ganze Takelage ein Feuermeer war. Binnen weniger Sekunden wurden Leinen und Tuch zu Asche, Manner sprangen - manche selbst brennend - ins Meer, wo andere wild um sich schlagend schon nach Wrackteilen suchten, an die sie sich klammern konnten, wahrend das Schiff lodernd davontrieb.
        Bolitho sah zu und dachte an Sparrowhawk, fuhlte aber keine Genugtuung. Jubelnd umarmten sich seine Leute. Sie hatten uberlebt - ein weiteres Mal. Fur viele war es das erste Gefecht gewesen.
        Die spanische Fregatte, die sich wahrend der ganzen Zeit mit der Rolle des unbeteiligten Zuschauers begnugt hatte, segelte jetzt vorsichtig auf das brennende Wrack zu. Sie verdeckte Achates die Sicht auf ihr Opfer, wohl um sich unbeobachtet schuldig zu machen. Aber die Spanier sagten sich wahrscheinlich, da? Tote nichts mehr bezeugen konnten. Ein grelles Aufblitzen und eine gewaltige Detonation lie?en allen Jubel bei den Englandern wie abgeschnitten verstummen.
        Das besiegte Schiff rollte sich auf die Seite, die brennenden Stuckpforten starrten wie zornrote Augen himmelwarts.
        Ihre Verbande gaben wohl nach, denn sie sank jetzt sehr schnell.
        Unter Deck mu?ten die losgerissenen Kanonen die Agonie der Eingeschlossenen noch verstarken.
        Bolitho sah Midshipman Evans hinuberstarren auf das Ende; aber sein Gesicht war tranenna?, nicht schadenfroh, und Bolitho wu?te, warum.
        Evans sah vor sich nicht die gerechtfertigte Vernichtung eines verha?ten Feindes, sondern durchlebte noch einmal den Untergang seiner
        Sparrowhawk.
        Leise sagte Bolitho:»Kummere dich bitte um Mr. Evans, Adam. Er macht jetzt eine Krise durch.«. Keen trat heran und griff gru?end zum Hut.

«Wie hoch ist der Blutzoll, den wir dafur bezahlen mu?ten?«fragte ihn Bolitho.
        Aber beide fuhren herum, als die Luft unter einer letzten Explosion erbebte. Das feindliche Schiff drehte wie ein todlich getroffener Riesenwal den Bauch nach oben und versank.
        Gedampft sagte Keen:»Nicht viel hat gefehlt, dann waren wir jetzt an deren Stelle.

        Bolitho reichte Allday seinen Sabel.»Ich verstehe, Val. Dann ist wohl der Blutzoll noch immer nicht ganz bezahlt.»



        ÕII Der Brief

        Electras jugendlicher Kommandant, Kapitanleutnant Napier, hatte sich mitten in Bolithos Tageskajute aufgebaut, um seinen Bericht zu erstatten.
        In Mi?achtung seiner Befehle war Napier mit seiner Brigg ausgelaufen, um dem ramponierten Zweidecker auf den letzten zwei Meilen bis zur Reede von San Felipe das Geleit zu geben.
        So sehr er sich auch bemuhte, Napier hatte nicht verhindern konnen, da? seine Blicke neugierig umherschweiften, sowie er den Fu? an Bord gesetzt hatte, Zwischen den in alte Segel eingenahten Toten, die auf ihre Bestattung warteten, gingen die erschopften, abgerissenen Matrosen ihrer Arbeit nach und hoben kaum den Blick vom Splei?en, Nahen oder von den Taljen, mit denen sie Ersatzteile zu den Toppsgasten in den Rahen hinaufhievten.
        Bolitho dachte wieder an die letzten Augenblicke seines Gegners. Immer noch wu?te er nicht den Namen des Schiffes. Doch bald wurde er ihn erfahren, ebenso den des Kommandanten. Auch wenn die spanische Fregatte so bemuht gewesen war, durch ihr Dazwischenkommen jeden Bergungsversuch Uberlebender zu verhindern.
        Napier berichtete:»Es kreuzten doch tatsachlich zwei spanische Kriegsschiffe vor der Kuste auf. Sie wollten einen Landungstrupp auf der Missionsinsel absetzen.»
        Er schien uberrascht, da? der Admiral ihn zu diesem Vorfall nicht naher befragt hatte. Aber Bolitho war so mude gewesen, da? er Na-piers sauber abgefa?ten Bericht lediglich uberflogen hatte.
        Nun raffte er sich auf und ging zu den offenen Heckfenstern hinuber, wahrend Achates die Insel ansteuerte. Immer noch roch er Schwei? und Asche, den Gestank des Gefechts, den Todesatem.

«Wie haben Sie sich verhalten?»
        Napier erinnerte sich stolzgeschwellt an seine schonsten Augenblik-ke als Gouverneur auf Zeit.

«Ich habe sie verscheucht, Sir. Lie? die Festungsbatterie einen Schu? abfeuern, um ihnen Beine zu machen.»
        Ihnen Beine machen. Bolitho hatte gern daruber gelacht, aber er wu?te, da? er dann vielleicht nicht mehr aufhoren konnte.
        Wann und wo wurde das alles enden? Tyrrell hatte ihn verraten, oder hatte es jedenfalls bis zum letzten Moment vorgehabt. Und jetzt gierten nicht nur die Franzosen nach der Insel, sondern auch die Spanier.
        Keen betrat die Kajute.»Wir laufen in den Hafen ein, Sir«, meldete er.»Der Wind bleibt stetig aus Sudost. «Er wirkte uberanstrengt und so ausgelaugt, als fuhle er die Blessuren seines Schiffes am eigenen Leibe.
        Seit dem Gefecht waren die Pumpen fast nicht mehr verstummt, denn Achates hatte zwei schwere Treffer nahe der Wasserlinie eingesteckt. Und ein >langer Neuner<, wie die Zweiunddrei?igpfunder genannt wurden, konnte auf einem 22 Jahre alten Schiff schrecklichen Schaden anrichten.

«Ich komme an Deck. «Bitter fugte Bolitho hinzu:»Einige, die uns von Land aus beobachten, mag es enttauschen, da? wir immer noch schwimmfahig sind.»
        Daruber fielen ihm die beiden spanischen Kriegsschiffe ein, die offenbar Truppen auf einem Territorium an Land setzen wollten, das sie immer noch als ihr Eigentum betrachteten. Wenn Tyrrell es sich nicht in letzter Sekunde anders uberlegt hatte, ware den beiden das gro?e Schiff zu Hilfe gekommen, das jetzt am Fu?e eines karibischen Riffes lag.
        Napier erbleichte plotzlich.»Ich - ich mu? um Vergebung bitten, Sir. Beinahe hatte ich's vergessen. Aber ein Postschiff aus England war da.»
        Bolitho starrte ihn an.»Fahren Sie fort«, sagte er scharf.
        Napier suchte in seinen Rocktaschen und holte schlie?lich einen Brief hervor.»Fur Sie, Sir. «Unter Bolithos Blicken schien er zu schrumpfen.
        Keen sagte knapp:»Kommen Sie mit nach oben, Kapitanleutnant Napier, ich mu? uber die Reparaturen an meinem Schiff mit Ihnen sprechen…«Doch in der Tur blieb er noch einmal stehen und warf einen Blick auf Bolitho zuruck. Dieser hielt seinen Brief in beiden Handen und scheute sich offenbar, ihn zu offnen.
        Als Keen sich abwandte, stie? er fast mit dem Flaggleutnant zusammen.»Warten Sie noch, Adam«, sagte er.»Ein Brief ist gekommen.»
        Im halbdunklen Batteriedeck lehnte Allday an einem verschrammten Achtzehnpfunder und spahte durch die offene Stuckpforte nach der grunen Landzunge aus, die querab vorbeiglitt. Dort standen Leute, um das besudelte und verkruppelte Schiff vorbeisegeln zu sehen; aber keiner winkte.
        Fur Allday war es ein Landfall wie andere auch. Er war schon in so vielen Hafen eingelaufen, da? sich ihr Bild in seiner Erinnerung verwischte. Seufzend gestand er sich ein, da? im Augenblick nur der Brief aus England zahlte. Als ware es gestern gewesen, stand ihm vor Augen, wie er sich mit Bolitho in die verungluckte Kutsche gezwangt und darin eine bildschone Frau gefunden hatte, die dem Tode naher schien als dem Leben. Sie sah Bolithos verstorbener erster Frau so ahnlich, da? er seinen Augen nicht traute.
        Mit schiefgelegtem Kopf lauschte er nun dem Salut, den die Festungsbatterie fur sie scho?. Der richtige Willkommensgru?, dachte er, obwohl sie zu viele Kameraden an Bord hatten, die keinen einzigen Schu? mehr horen wurden.
        Er richtete sich auf, als die Tur klappte und der Wachtposten Haltung annahm.
        Bolitho zog den Kopf unter den niedrigen Decksbalken ein und gewahrte dann die wartende Gestalt.
        Als er die besorgte Spannung in Alldays Gesicht sah, spurte er seine letzten Kraftreserven schwinden. Die Selbstbeherrschung, zu der er sich wahrend der Lekture des Briefes gezwungen hatte, die Verzweiflung, die seinen Blick getrubt hatte, all das zehrte jetzt an ihm.
        Er hielt inne und lauschte dem Salut, der von Achates' Kanonen erwidert wurde. Dann griff er zu und druckte Alldays Hand.
        Heiser fragte sein Bootsfuhrer:»Steht es gut, Sir?»
        Noch einmal druckte Bolitho Alldays Hand. Es fugte sich ganz richtig, da? er in diesem Augenblick bei ihm war und somit als erster davon erfuhr.

«Wir haben eine gesunde Tochter, Allday.»
        Keiner von beiden wu?te, wie lange sie so dastanden. Achates setzte zum letzten Kreuzschlag um die Landspitze an, auf dem Achterdeck intonierten die Pfeifer und Trommler einen munteren Marsch, aber Bolitho war im Geist ganz woanders.
        Dann nickte Allday bedachtig; er kostete den Augenblick aus, von dem er wu?te, da? er ihm noch oft Gesprachsstoff liefern wurde, wenn er einst zum letztenmal den Fu? an Land gesetzt hatte.

«Und Mrs. Bolitho, Sir.»

«Geht es sehr gut. «Bolitho schritt ins Sonnenlicht hinaus.»Sie la?t dich gru?en.
«Mit kraftvollen Schritten strebte er dem Achterdeck zu. Jetzt konnte er es mit allen aufnehmen. Konnte alles schaffen. Er sah sich nach Alldays breit grinsendem Gesicht um.»Au?erdem hofft sie, da? uns der Dienst in dieser Friedenszeit nicht zu langweilig wird.»
        Allday hob den Blick zur zerschmetterten Besanrah, zu den Blutspuren und frischen Einschlagen, die das Schiff entstellten.
        Und dann warf er - ungeachtet des feierlichen Augenblicks, des Saluts und des Flaggengru?es, den die Festung dem einlaufenden Kriegsschiff entbot - den Kopf in den Nacken und lachte lauthals.
        Keen starrte erst ihn und dann Bolitho an.
        Dem Sieger war also endlich sein Lohn zuteil geworden.
        In Kapitan Valentin Keens Augen stand unverhohlene Uberraschung und Bewunderung, als er seinen Vorgesetzten anblickte. Seit Achates nach San Felipe zuruckgekehrt war, hatte es bei den Reparaturarbeiten, beim Ersetzen zerschossener Planken und Spieren keine Pause gegeben. Dabei war die Werft von Georgetown jammerlich ausgerustet, und au?erdem erschwerten Feindseligkeit und mangelnde Kooperationsbereitschaft jeden Handgriff.
        English Harbour auf Antigua ware der einzige geeignete Platz fur eine so grundliche Uberholung gewesen, aber Keen hatte sich damit abfinden mussen, da? sein Schiff unter den primitivsten Umstanden wieder zusammengeflickt wurde. Denn sobald Achates die Insel sich selbst uberlie?, wurde unweigerlich eine Invasion von wem auch immer erfolgen, daran bestanden kaum Zweifel.
        Keen wu?te am besten, wie wenig Bolitho sich geschont hatte. Er hatte zahllose Besuche an Land gemacht, auch beim ehemaligen Gouverneur Rivers, dem er die Ruckkehr in sein Haus erlaubt hatte, wo er jetzt unter Arrest stand. Keens Einspruch dagegen war vergeblich gewesen.
        Jetzt, gegen Ende August, war die Hitze unertraglich geworden. Trotzdem mu?ten sie jeden Tag, sogar zu jeder Stunde, darauf gefa?t sein, da? die Ausguckposten des Forts die Annaherung spanischer - oder franzosischer - Schiffe meldeten; Achates blieb deshalb Tag und Nacht see- und gefechtsklar.
        Am Vormittag war Electra nach Antigua ausgelaufen, mit Depeschen fur den Admiral, sollte er zuruckgekehrt sein, und mit anderen, dringlicheren, fur die Admiralitat in London. Diese Schreibarbeit und eine Menge anderer Dinge hatten Bolitho bis spat in die Nacht an seinem Schreibtisch festgehalten, und trotzdem schien er nie zu ermuden oder sich uber die Verzogerung und Quertreibereien durch die Inselbewohner zu argern.
        Der Brief seiner Frau aus Falmouth gab ihm offenbar mehr Auftrieb, als hundert Siege es vermocht hatten.
        Bolitho blickte von seinen Papieren auf, erleichtert daruber, da? Napier endlich mit seinen Ideen und Vorschlagen nach Antigua unterwegs war; wenn Sheaffe in der Admiralitat sie schlie?lich zu lesen bekam, war er festgelegt. Ob richtig oder falsch, seine Entscheidung war getroffen. Und genau davor hatte er sich bisher gescheut. Nun war er froh, sogar begierig, mit einer Freiheit zu handeln, die er sich bisher nicht gestattet hatte.

«Rivers sagt, da? er sich nicht einmischen wird. Spater sollen andere uber sein Schicksal entscheiden. «Bolitho fielen die tiefen Falten in Keens Gesicht auf, und er fugte mitfuhlend hinzu:»Ich wei?, da? Sie harte Tage hinter sich haben, Val.»
        Keen zuckte mit den Schultern.»Mr. Quantock, der Master, Mr. Grace, der Zimmermann - alle sind sich ausnahmsweise einig: Wenn dieses Schiff vor der grundlichen Uberholung in einer Werft in ein Gefecht verwickelt wird, mu? es ernsthaften Schaden nehmen.»
        Bolitho nickte.»Das ist mir klar. Au?erdem sind wir wegen unserer Verluste unterbemannt.»

«Ohne eine Unterstutzung durch andere Schiffe konnen wir uns kaum selbst verteidigen, Sir«, fuhr Keen fort.»Geschweige denn die ganze Insel.»

«Ich habe einen energischen Lagebericht verfa?t, Val.»
        Bolitho beugte sich aus einem Heckfenster und holte tief Atem. Aber die Luft war drau?en genauso schal und hei?. Er wunschte sich, auf See zu sein, selbst eine Flaute dort ware ertraglicher gewesen als dieses untatige Warten. Einzig der Gedanke an Belindas Brief, den er am Ende jedes arbeitsreichen Tages las, munterte ihn etwas auf. Eine Tochter - er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie sie aussehen mochte. Belinda hatte von ihrer Liebe geschrieben, von ihren Hoffnungen, aber er konnte auch zwischen den Zeilen lesen. Offenbar war es eine schwere Geburt gewesen. Um so besser, wenn sie immer noch glaubte, da? er in diplomatischer, nicht in gefahrlicher Mission unterwegs war.
        Scheinbar zusammenhanglos fragte Keen:»Und was wird aus Mr.
        Tyrrell, Sir?»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Er hatte Tyrrell gleich nach dem Festmachen auf seine Brigantine geschickt, fast ohne ein Wort mit ihm zu wechseln. Ob er sich aus Trotz oder Schuldbewu?tsein stumm verhielt, lie? sich noch nicht beurteilen.
        Er sagte:»Ich mochte ihn so bald wie moglich sprechen, Val. «Keens Uberraschung amusierte ihn.»Ich brauche seine Vivid, sie ist das einzige Schiff, das mir im Augenblick au?er Achates zur Verfugung steht. Und da ich sie ohnehin kaufen will, kann sie auch gleich unter unserer Flagge segeln.«»Wenn Sie das fur klug halten, Sir?»

«Klug? Kann ich im Augenblick noch nicht sagen. Fest steht nur, da? es mehrere Monate dauern wird, ehe mein Flaggschiff wieder voll einsatzfahig ist. Mittlerweile droht uns ein Angriff der Spanier. Niemand kann von mir erwarten, da? ich diese Insel den Franzosen ubergebe, ehe ich die Dinge hier ein fur allemal bereinigt habe. Wenn es in letzter Minute zu einem Konflikt um San Felipe kame, wurden uns die Franzosen nur zu gern die Schuld daran geben und uns vorwerfen, wir hatten einen Zwischenfall provoziert, damit wir ihnen ihr rechtma?iges Eigentum vorenthalten konnten.»
        Aber Bolitho konnte Keen am Gesicht ablesen, da? er ihn nicht uberzeugt hatte.

«Ich habe den Verdacht, Val, da? man mich hier bewu?t mit einer unlosbaren Aufgabe betraut hat. Aber wenn ich schon den Sundenbock spielen mu?, dann treffe ich die Entscheidungen nach eigenem Ermessen und lasse sie mir nicht von Leuten vorschreiben, die noch nie einen Schu? gehort oder einen Mann sterben gesehen haben.»
        Keen nickte.»Also gut, Sir, ich stehe zu Ihnen, was auch kommt. Aber das wissen Sie bereits.»
        Bolitho lie? sich auf der Heckbank nieder und zupfte an seinem klebrigen Hemd, um die schwei?nasse Haut zu kuhlen.

«Wenn Sie erst den Stabsrang erreicht haben, Val, werden Sie sich hoffentlich an all das erinnern. Es ist einfacher, in Gefechtslinie zu segeln und alle Kanonen auf sich gerichtet zu sehen, als sich durch den Pfuhl der Diplomatie zu wuhlen. Ich werde gleich mit Jethro Tyrrell sprechen, einem Mann, der alles verloren hat, obwohl er der Flagge, die er verehrte, fruher aufopfernd diente. Er war ein aufrichtiger Patriot, aber seine eigenen Landsleute haben ihn als Verrater gebrandmarkt. Er ist verbittert wie ein versto?ener Wolf. Doch ein Rest Ehrgefuhl ist ihm geblieben, denn im entscheidenden Augenblick hat er uns zum Feind gefuhrt. Aus seiner Sicht war das Wahnsinn. Denn Ehrenhaftigkeit kann ihn nicht fur sein Opfer entschadigen. Er hielt es ursprunglich fur kluger, uns gar nicht erst in ein Gefecht zu verwickeln, damit wir die Insel nach unserer vergeblichen Suche bei der Ruckkehr bereits in spanischem Besitz vorfinden wurden; dann hatte ich, so rechnete er, weiter nichts tun konnen als den Fehlschlag nach London zu melden.»
        Keen schuttelte unglaubig den Kopf.»Und Sie wollen ihm weiterhin vertrauen?»

«Wenn ich kann.»
        Bolitho blickte auf die im Hitzeglast schimmernde Reede hinaus, wo die Boote reglos uber ihrem Spiegelbild lagen.

«Rivers ist ein Schurke. Er wurde reich, indem er sich beim Abschaum der Karibik anbiederte. Sklavenhandler, Glucksritter, Piraten - mit allen machte er Geschafte. Er hat auch Besitz in Sudamerika, doch um voll davon profitieren zu konnen, brauchte er die Machtbefugnisse eines Gouverneurs. Ich habe Beweise dafur im Fort gefunden, aber sie scheinen nur die Spitze eines Eisbergs zu sein. Ich verabscheue ihn wegen seiner Gier, doch ich brauche ihn, und sei es nur, damit er unserer Anwesenheit hier eine gewisse Glaubwurdigkeit verleiht.»
        Keen schien den Hammerschlagen drau?en zu lauschen. Insgeheim hatte er von Anfang an seine Bedenken gehabt, weil hier ein leichter Zweidecker mit einer Mission betraut wurde, die ein ganzes Geschwader erfordert hatte. Er verstand sein Land nicht mehr. Statt auf errungene Siege stolz zu sein, schien es sich am Boden zu winden, um alte Feinde nicht erneut gegen sich aufzubringen.
        Keen hatte Rivers gehenkt - und mit ihm alle, die fur den Tod seiner Matrosen und Soldaten verantwortlich waren. Und zur Holle mit den Konsequenzen!
        Bolitho hatte sich erhoben und spahte jetzt, mit der Hand die blendende Sonne abschirmend, zum fernen Fort hinuber. Als er wieder sprach, klangen seine Worte unbewegt, aber sie fielen schwer in die
        Stille.

«Wissen Sie, Val, den Vereinigten Staaten ist es meiner Ansicht nach wichtiger, ihre Beziehungen zu Sudamerika, Spanien und Portugal zu verbessern. Rivers' Ersuchen um amerikanischen Schutz vor einer Ruckgabe an Frankreich stie? deshalb auf offene Ohren. Weiterhin glaube ich, da? Samuel Fane - und erst recht Jonathan Chase - sich keinerlei Illusionen uber die Franzosen machen, sollte es wieder zum Krieg kommen in Europa.»
        Keen starrte seinen Vorgesetzten an, alle Mudigkeit war vergessen.

«Sie wollen damit sagen, da? die Regierung der Vereinigten Staaten sich mit den Spaniern gegen uns verschworen hat?«»Nicht direkt. Aber wer die Hand in einen Fuchsbau steckt, mu? damit rechnen, da? er gebissen wird. Die spanische Regierung wollte sich mit einer offenen Intervention nicht kompromittieren, deshalb bediente sie sich eines starken Freibeuters. Nachdem Sparowhawk vernichtet und die Kustenschiffahrt bis zur Lahmung eingeschuchtert war, stand nur noch Achates zwischen ihr und der Ubernahme von San Felipe. Chase mu? von der alten Beziehung zwischen Tyrrell und mir gewu?t haben; genauso klar war ihm, da? Tyrrell ein Schiff verzweifelt notig hatte. Den Rest konnen wir uns denken. Aber sie haben nicht mit Tyrrells alter Loyalitat mir gegenuber gerechnet.»
        Keen wirkte perplex.»Ganz wie Sie meinen, Sir. Trotzdem steht das als Beweis bei einer kunftigen Untersuchung auf ganz schwachen Beinen. Zu schwach, um Ihren guten Ruf davon abhangig zu machen.»

«Da stimme ich Ihnen zu. Deshalb mussen wir noch ein paar Beweise fabrizieren.
«Seelenruhig sah Bolitho ihn an.»Und jetzt mochte ich Tyrrell sprechen. Sagen Sie meinem Flaggleutnant, da? ich ihn brauche.»
        Als Tyrrell spater in die Kajute humpelte, wurden schon die Lampen angezundet. Bolitho wandte sich seinem ehemaligen Offizier mit einer Mischung aus Trauer und Entschlossenheit zu.
        Tyrrell setzte sich auf den angebotenen Stuhl und verschrankte seine kraftigen Finger.

«Na denn, Jethro.»
        Tyrrell lachelte.»Na denn, Dick.»
        Bolitho sa? auf der Tischkante und musterte ihn ernst. Dann sagte er:»Da wir uns in Gewassern befinden, die zur Zeit noch britischer Oberhoheit unterstehen, mache ich Gebrauch von meinem Recht, Ihr Schiff zu beschlagnahmen und es in den Dienst meiner Regierung zu stellen.»
        Tyrrell zuckte kurz zusammen, sagte aber nichts. Er war viel zu ausgekocht, um sich durch einen Schock aus der Reserve locken zu lassen.

«Au?erdem unterstelle ich Vivid vorerst dem Befehl meines Neffen, der als mein Adjutant eine Depesche von mir nach Boston bringen wird.»
        Jetzt ruhrte sich Tyrrell und verriet zum erstenmal Anzeichen einer gewissen Unruhe.

«Und ich?«stie? er heiser hervor.»Mich wollen Sie wohl von der Gro?rah baumeln lassen, wie?»
        Bolitho schob ein Dokument uber den Tisch.»Hier ist der Kaufvertrag fur Vivid, der bei Ihrer Ruckkehr nach San Felipe in Kraft tritt. Sie sehen, ich halte mein Wort. Die Brigg wird Ihnen gehoren.»
        Obwohl es ihm schwerfiel, Tyrrells Note mitanzusehen, fuhr er fort:»Ich habe mit Sir Humphrey Rivers gesprochen. Um sich Schande zu ersparen und vielleicht sogar sein Leben zu retten, wird er mir alle Auskunfte uber den Spanier geben, die ich benotige. Wenn er es sich anders uberlegt, hat er die Wahl zwischen zwei Anklagen: wegen Hochverrats oder wegen Mordes. Aber fur beide wurde er hangen.»
        Tyrrell starrte Bolitho an, dann rieb er sich das Kinn.»Chase wird sich niemals von der Vivid trennen.»

«Ich glaube doch.»
        Aber Bolitho mu?te den Blick abwenden; Tyrrell konnte nur an eines denken: ein eigenes Schiff, seine letzte Chance.
        Nun erhob sich dieser und sah sich um wie ein Tier in der Falle.»Dann mache ich mich jetzt auf den Weg«, sagte er.

«Ja. «Bolitho setzte sich an seinen Schreibtisch und begann in Papieren zu blattern.»Ich bezweifle, da? wir uns noch einmal begegnen.»
        Wie ein Blinder wandte Tyrrell sich zur Tur. Aber Bolitho sprang auf, unfahig, dieses grausame Spiel bis zum Au?ersten zu treiben.

«Jethro!«Mit ausgestreckter Hand kam er hinter dem Tisch hervor.»Sie haben mir doch einmal das Leben gerettet.»
        Tyrrell musterte ihn forschend.»Und Sie meines, mehr als einmal.»

«Ich mochte Ihnen wenigstens Gluck wunschen. Hoffentlich finden Sie, was Sie suchen - was das auch sein mag.»
        Tyrrell erwiderte den Handedruck und sagte rauh:»So einen wie Sie gibt's nicht noch einmal, Dick. «Jetzt lag Bewegung in seiner Stimme.»Ich habe die alten Zeiten wieder durchlebt, als ich Ihren Neffen plotzlich vor mir sah. Schon damals schwante mir, da? ich weich werden wurde, obwohl diese Insel es bei Gott nicht wert ist, da? man dafur stirbt. Aber ich kenne Sie, Dick, und Ihre Wertma?stabe. Sie werden sich nie andern.»
        Ein breites Grinsen ging uber sein Gesicht und machte ihn fur Augenblicke wieder zu dem Mann, der er einst gewesen war:
        Offizier an Bord der kleinen Korvette in eben diesen Gewassern.
        Dann humpelte er davon, und Bolitho horte den Midshipman der Wache das Boot fur ihn langsseits rufen.
        Bolitho lehnte sich an die Bordwand und sah auf seine Hande nieder; er hatte ein Gefuhl darin, als zitterten sie.
        Allday trat aus der Tur zur Schlafkajute, als hatte er die ganze Zeit dahinter gelauert, um einen Uberfall auf Bolitho abzuwehren.

«Das ist mir schwergefallen, Allday. «Bolitho lauschte immer noch dem dumpfen Klopfen des Holzbeins nach.»Und ich furchte, es wird noch schwerer fur den Jungen, fur Adam.»
        Allday verstand kein Wort. Der Mann namens Tyrrell war ein alter Freund des Admirals, jedenfalls wurde das behauptet. Trotzdem schien er eher eine Drohung zu verkorpern, und deshalb war er heilfroh, ihn los zu sein.
        Doch Bolitho sprach schon weiter.»Ich habe mich verandert, seit ich wei?, da? ich eine Tochter habe.»
        Allday atmete auf; die trube Stimmung war verflogen.

«Eins ist mal sicher, Sir: Sie bringt endlich Abwechslung in die Familie. Zwei Bolithos auf hoher See sind fur uns mehr als genug, das steht fest.»
        Einen Augenblick furchtete Allday, jetzt doch zu weit gegangen zu sein, aber Bolitho antwortete mit einem Lacheln:»Also, dann brechen wir doch einer Flasche den Hals und trinken auf die Gesundheit der jungen Dame, einverstanden?»
        Oben an Deck horte Adam Alldays rauhes Lachen aus dem Skylight schallen und umfa?te die Reling in plotzlicher Erregung. Beim Blick uber die allmahlich dunkler werdende Reede konnte er Vivids Ankerlicht erkennen und den schwachen Schimmer einer Laterne hinter den Kajutfenstern. Bald - und viel fruher, als er zu hoffen gewagt hatte - wurde er also Robina wieder in die Arme schlie?en konnen. Er spurte ihre Lippen, als hatte sie ihn eben erst geku?t, und roch ihr Parfum, als stehe sie neben ihm.
        Wie froh war er, da? Bolitho sich doch noch entschlossen hatte, seinem alten Freund zu vertrauen! Es wurde interessant werden, wieder seinen Geschichten aus alten Zeiten zu lauschen, sobald sie erst Segel gesetzt und San Felipe hinter sich gelassen hatten.
        Der Erste Offizier ging seine Abendronde und gewahrte Adams Silhouette vor dem dammrigen Himmel.
        Da ballte Quantock die Fauste. Es war aber auch zu unfair! Ihm hatte man die Brigg geben mussen, ganz gleich fur wie kurze Zeit. Zur Holle mit ihnen allen! Wenn Achates in ihrem jetzigen Zustand nach England zuruckkehrte, wurde sie bestimmt au?er Dienst gestellt wie die meisten anderen Schiffe der Flotte. Quantock wu?te, da? er dann wie ein Fisch auf dem Trockenen landen wurde, nur einer von den vielen uberzahligen Marineoffizieren, fur die nirgends ein Posten frei war.
        Er fluchte in den dammerigen Abend. Verdammter Frieden! Krieg brachte zwar Gefahren, zugleich aber viele Chancen auf Beforderung und Auszeichnung.
        Chancen, wie sie die Bolithos dieser Welt immer hatten und haben wurden. Er lie? den Blick uber das leere Deck wandern. Aber die Reihe wurde auch an ihn kommen.
        Trage schwojte Achates in ihrer Ankertrosse und wartete wie die Verwundeten im Schiffslazarett darauf, da? die Spuren des Gefechts verheilten.
        Die Messe im Zwischendeck war uberfullt. Zwischen den machtigen Kanonen sa?en die Matrosen und Soldaten im Schein der Ollampen, klonten oder widmeten sich ihrem sorgsam gehuteten Rumvorrat. Hier und da schnitzten schwielige Finger uberraschend feinfuhlig an einem kleinen, detailgetreuen Modell oder an einer Muschelschale herum. Ein Matrose, der schreibkundig war, hockte dicht unter einer Lampe, wahrend daneben ein Kamerad ihm muhsam einen Brief an seine Frau in England diktierte. Im Quartier der Seesoldaten sauberte man die Waffen oder dachte an das letzte Gefecht, vielleicht auch an das bevorstehende; denn obwohl niemand davon sprach, wu?ten alle, da? es nicht zu vermeiden war.
        Unten im Orlopdeck war die Luft zum Schneiden dick. Der Schiffsarzt James Tuson wischte sich die Hande und sah zu, wie abermals einem Schwerverwundeten die Decke ubers Gesicht gezogen wurde; die Arztgehilfen hoben ihn an und trugen ihn hinaus. Besser fur ihn, da? er tot war, dachte Tuson. Bei einer doppelten Beinamputation…
        Er lie? den Blick durch sein kleines Lazarett schweifen, diese Statte des Elends. Warum? fragte er sich. Wozu das alles?
        Die Matrosen fochten nicht fur Konig und Land, wie die Landratten immer so gern glaubten. Der Chirurg fuhr jetzt schon zwanzig Jahre zur See und wu?te es besser. Sie kampften fur ihre Kameraden, fur ihr Schiff und manchmal fur ihren Anfuhrer. Ihm fiel Bolitho ein, den er mit erschuttertem Gesicht an Deck hatte stehen sehen, als ihn die Mannschaft hochleben lie?, obwohl er sie in den Tod schickte. Ja, auch fur ihn wurden sie kampfen.
        Er duckte sich unter den schweren Decksbalken und wollte weitergehen, da spurte er, da? jemand sein Bein packte.
        Tuson buckte sich.»Was ist denn, Cummings?»
        Ein Gehilfe leuchtete ihm mit der Laterne, so da? er den Verwundeten besser sehen konnte. Ein Eisensplitter hatte ihn in die Brust getroffen - ein Wunder, da? er noch lebte.
        Der Mann namens Cummings flusterte:»Danke, da? Sie sich um mich gekummert haben, Sir«. Dann verlor er das Bewu?tsein.
        Tusons Gefuhle waren abgestumpft, dazu hatte er schon zu viele Manner sterben gesehen oder zu Kruppeln werden; aber die simplen Dankesworte des Matrosen durchbrachen seinen Schutzpanzer und schuttelten ihn wie Fauste.
        Bei der Arbeit am Operationstisch war er zu beschaftigt, als da? er an das Kanonenfeuer oder Kampfgetummel oben auch nur einen Gedanken verschwenden konnte. Der Strom der Verwundeten, die ihm ins Orlopdeck gebracht wurden, schien niemals ein Ende zu haben. Kaum da? er den Blick zu den blutigen Schurzen seiner schwei?gebadeten Gehilfen hob. Kein Wunder, da? man seine Zunft mit Metzgern verglich. Hier ein Bein ab, dort ein Arm, wahrend der nackte Korper mit roher Gewalt auf dem Tisch festgehalten wurde, damit er sagen und hacken konnte, taub fur das Gebrull der Gemarterten.
        Aber hinterher, in solchen Augenblicken wie jetzt, setzte auch bei ihm die Reaktion ein. Dann fuhlte er sich beschamt daruber, da? er so wenig fur sie tun konnte; da? sie ihm auch noch dankbar waren.
        Der Arztgehilfe lie? die Laterne sinken und wartete geduldig.
        Tuson setzte seinen Rundgang fort und verdrangte das verfuhrerische Bild der Schnapsflasche aus seinen Gedanken. Wenn er dieser Versuchung erlag, war er verloren. Vor ihr hatte er sich ursprunglich auf See gefluchtet.
        Irgendwo aus dem Halbdunkel kam ein schriller Aufschrei.

«Wer war das?»

«Larsen, Sir, der gro?e Schwede.».
        Tuson nickte. Er hatte dem Mann einen Arm amputiert. Der Schrei lie? eine Wendung zum Schlechteren vermuten. Vielleicht Wundbrand. In diesem Falle.

«Hebt ihn auf den Tisch«, befahl er knapp.
        Tuson war wieder ruhig und Herr der Lage. Er wartete, bis die Gestalt auf dem Operationstisch ausgestreckt dalag. Also ein Schwede. Aber was zahlte schon die Nationalitat eines Matrosen?

«Na denn, Larsen.»
        Bolitho stand neben Keen an Deck, als Vivid von ihrer Muring loswarf und langsam auf die Hafenausfahrt zukreuzte.
        Er hob ein Teleskop und suchte das kleine Schiff vom Bug bis zum Heck ab, bis er Adam neben Tyrrells vierschrotiger Gestalt am Ruder stehen sah; er wirkte sehr schneidig in seiner Uniform.
        Was ihn in Boston erwartete, wurde ihm wehtun, aber nicht das Herz brechen. Bolitho wu?te jetzt, da? er sich nicht einmischen durfte; er mu?te riskieren, da? Adam sich gegen ihn wandte.
        Keen schien seine Gedanken zu erraten.»Vielleicht trifft er die Kleine gar nicht, Sir«, sagte er trostend.
        Bolitho lie? das Glas sinken und die Brigantine damit wieder zu einem fernen kleinen Spielzeugschiff werden.

«Er wird schon dafur sorgen. Ich wei? genau, wie ihm zumute ist. Sehr genau.»
        Vivid glitt hinter dem Vorland au?er Sicht, nur ihr Toppsegel war noch zu erkennen. Dann, als sie auf den anderen Bug ging, verschwand auch dieses.
        Keen hegte Bolitho gegenuber gro?en Respekt, aber er konnte einfach nicht verstehen, warum er gutes Geld verschwenden wollte, nur um Tyrrell zu dem Schiff zu verhelfen. Der sollte sich glucklich schatzen, da? er dem Strick entronnen war. Aber dann gewahrte er Bolithos traurigen Gesichtsausdruck und begriff, da? kein Dritter jemals die besondere Beziehung zwischen diesen beiden Mannern durchschauen wurde. Bolitho wandte der See den Rucken.

«Und wir mussen jetzt an die Verteidigung dieser Insel gehen, Val. «Er ballte die Faust.»Wenn ich doch nur ein paar Schiffe mehr hatte! Dann konnte ich auslaufen und sie mit geladenen Kanonen erwarten.»
        Keen schwieg. Bolitho rechnete also fest mit einem Uberfall. Der Friede von Amiens hatte hier drau?en ja auch keinerlei Bedeutung, schon gar nicht fur die Spanier. Nachdenklich starrte er zur glitzernden Kimm hinaus und uberlegte, welch gefahrliches Spiel Rivers getrieben hatte, als er Amerikaner und Spanier gegen England aufgestachelt hatte. Gefahrlich vor allem fur Achates, die nun dafur bezahlen mu?te.
        Aufmunternd schlug ihm Bolitho auf die Schulter.»Warum denn so grimmig, Val? Wir wollen doch dem Unvermeidlichen ins Gesicht sehen.»
        Er schien so guter Laune zu sein, da? Keen seine Depression sofort abschuttelte.

«Womit mochten Sie beginnen, Sir?«fragte er.
        Stimmungen waren ansteckend, das hatte Keen schon oft erlebt. Auch damals, als er in dem Gefecht beinahe ums Leben gekommen ware, hatte man von einer Friedenszeit gesprochen.

«Wir beschaffen uns Pferde und besichtigen erst einmal die ganze Insel. Dabei vergleichen wir jede Landmarke mit Mr. Knockers Karte oder anderem Kartenmaterial, das wir hier auftreiben konnen. «Bo-litho deutete auf den Dunst, hinter dem sich der Gipfel des Vulkans verbarg.»Diese Insel ist ein fetter Brocken, Val. Und die hungrige Meute schlie?t schon den Kreis um uns.»
        Die Besorgnis seines Flaggkapitans war Bolitho nicht entgangen. Wenn schon Keen davor zuruckschreckte, um San Felipe einen Krieg ohne Kriegserklarung zu fuhren, dann mu?te es seiner Besatzung noch mehr widerstreben.
        Den Ritt um die Insel brauchte Bolitho im Grunde nicht, er hatte die Starken und Schwachen fur eine Verteidigung von der Karte her im Kopf. Aber es war notwendig, da? er Keen und den anderen seinen
        Widerstandswillen demonstrierte. Und seine Entschlossenheit, die Insel zu halten, bis sich eine gunstigere Wendung ergab.
        Seine Schenkelwunde juckte bei dem feuchtwarmen Wetter, und es verlangte ihn danach, sie zu reiben.
        Warum bedruckte ihn die Aussicht auf eine Belagerung oder einen offenen Angriff? Sorgte er sich Belindas wegen oder weil der Ausgang der Schlacht ungewi? war?
        Plotzlich sah er sich wieder in Sir Hayward Sheaffes stillem Dienstzimmer in London. Hier, zu Fu?en der Festung und des erloschenen Vulkans, war es fur ihn wie die Erinnerung an eine andere Welt. Trotzdem klangen ihm Sheaffes klare Worte immer noch in den Ohren:»Ihre Lordschaften benotigen fur diese Aufgabe einen ebenso taktvollen wie tapferen Mann.»
        Und dann dachte Bolitho an des kleinen Evans' Gesicht, als der namenlose Zweidecker in Flammen aufgegangen war; an den Schrecken und das Entsetzen in den toten Zugen des Trommlerbuben. Und er dachte an Duncan und die vielen anderen, die er gar nicht gekannt hatte.
        Taktvoll konnte er spater immer noch sein.



        ÕIII Ein Feiertag

        Adam Bolitho stand in Jonathan Chases Bibliothek am Fenster und starrte hinaus auf die endlos heranrollenden, gischtgekronten Brecher der Massachusetts Bay. Erst vor einer Stunde war er in Vivids Beiboot gelandet und von Chases erstauntem Agenten in Empfang genommen worden. Wie er bald merkte, hatte Vivids Ruckkehr unter britischer Flagge in ganz Boston Aufsehen erregt.
        Adam kam es vor, als traume er. Chase hatte ihn begru?t, wirkte aber zuruckhaltend und nahm den dicken Umschlag nur zogernd an, den Adam ihm von seinem Onkel uberbrachte.
        Er schauderte in der kuhlen Herbstluft Neuenglands und dachte seltsam schuldbewu?t an das warme San Felipe. Schlimm, da? ihm alles so unwirklich schien. Aber da stand er nun, und Chase hatte sich entschuldigt, um Bolithos Brief zu lesen; vorher hatte er noch wie beilaufig erwahnt, da? Robina sich mit ihrer Mutter in Boston aufhielt und vielleicht bald vorbeikommen wurde.
        Adam wandte sich um und lie? den Blick uber die Gemalde und nautischen Antiquitaten des geschmackvollen Zimmers schweifen. Es war der richtige Rahmen fur einen Mann wie Chase, den ehemaligen Seemann - und ehemaligen Feind - , der jetzt ganz hier verwurzelt war.
        Ihre Zehn-Tages-Reise von San Felipe nach Boston war ganz anders verlaufen als die Hinfahrt, auf der er sich die Zeit im Gesprach mit Jethro Tyrrell so angenehm vertrieben hatte. Diesmal hatte er trotz der Enge an Bord kaum ein Wort mit Tyrrell wechseln konnen, hochstens uber das Wetter und ihre Navigation.
        Warum hatte sein Onkel angeboten, Vivid fur Tyrrell zu erwerben, und weshalb sollte Chase sie verkaufen wollen? All das konnte er sich nicht erklaren. Aber es scherte ihn auch wenig - jetzt, da er wieder in Boston war und Robina wiedersehen wurde.

«Tut mir leid, da? ich Sie warten lie?.»
        Chase war ein kraftig gebauter Mann, aber dennoch lautlos wie eine Katze wieder ins Zimmer gekommen.
        Nun nahm er bedachtsam Platz und begann:»Ich habe den Brief Ihres Onkels gelesen und veranla?t, da? der zweite Brief, den er beigelegt hatte, sofort zu Sam Fane in die Hauptstadt gebracht wird. «Nachdenklich musterte er den Leutnant.»Mich wundert nur, da? er Sie damit gesandt hat.»
        Adam hob die Schultern; daruber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.

«Hm. Ihr Onkel versichert mir, da? er Politik verabscheut, dennoch scheint er sich ausgezeichnet darauf zu verstehen. «Ohne dies naher zu erlautern, fuhr Chase fort: Wie Sie beim Einlaufen zweifellos bemerkten, haben die franzosischen Kriegsschiffe Boston verlassen. Geruchte verbreiten sich eben mit Windeseile. Der franzosische Ad-miral schien jedenfalls nicht auf einer schnellen Ruckgabe San Felipes durch die Briten zu bestehen, solange die Lage dort unten noch unklar ist.»

«Aber Frankreich und Spanien waren doch schon oft verbundet,
        Sir.»
        Zum ersten Mal lachelte Chase.»Frankreich wurde Spanien gewi? als Bundesgenossen brauchen, wenn es wieder zum Krieg mit England kame. Falls es also uber San Felipe wirklich einen Konflikt geben sollte, dann mochten die Franzosen keineswegs als die Schuldigen dastehen. Es kame ihnen sehr zupa?, wenn die britischen Schiffe sich diskret zuruckziehen wurden, nachdem sie alle Anspruche Spaniens auf San Felipe tapfer zuruckgewiesen haben. Dann - und erst dann - wird fur den franzosischen Admiral der rechte Zeitpunkt sein, die Insel zu ubernehmen und einen Gouverneur einzusetzen.»
        Adam erwiderte:»Es scheint mir verwerflich, so mit Menschenleben zu spielen.»
        Chase nickte.»Da mogen Sie recht haben, aber San Felipe ist ein hoher Einsatz. Im Krieg wie im Frieden beherrscht es einen wichtigen Schiffahrtsweg. Meine Regierung wurde es lieber im Besitz eines befreundeten Landes sehen, am liebsten unter unserem eigenen Schutz. Und genau das hatte Sir Humphrey Rivers vorgeschlagen. Aber da Sie Vizeadmiral Bolithos Adjutant sind, wissen Sie das alles zweifellos. Ich merke, da? Sie diese Zusammenhange genauso schnell durchschauen wie Ihr Onkel, also mu? Ihnen auch klar sein, da? es Rivers trotz seiner Loyalitatsbezeugungen fur Konig Georg vor allem um seinen eigenen Vorteil geht. Er brachte eine gefahrliche Karte ins Spiel, als er das Schicksal der Insel mit Spanien erorterte oder - um genau zu sein - mit dem spanischen Befehlshaber in La Guaira. Geteilte Geheimnisse sind keine Geheimnisse mehr. «Chase seufzte tief auf.»Au?erdem la?t sich ein Tiger nicht aufs Teilen ein.»
        Chase war sich jetzt Adams voller Aufmerksamkeit sicher. Er fuhr fort:»Ich kann offen mit Ihnen sprechen, weil keiner von uns beiden auf diese Affare entscheidenden Einflu? hat. Das spanische Interesse blieb mir nur deshalb nicht verborgen, weil ich sowohl mit dem Befehlshaber in La Guaira wie auch mit seinem Nachbarn in Caracas Geschaftsbeziehungen unterhalte. Beide waren schon immer der Ansicht, da? ihre Regierung den Anschlu? an die rapide Ausweitung ihres Imperiums in Sudamerika verloren hat. Woche fur Woche bringen die Sklavenschiffe mehr Arbeiter fur die Bergwerke und Plantagen; unterwegs begegnen sie wahrscheinlich den bis ans Schanzkleid mit Gold beladenen Galeonen, die auf dem Weg nach Spanien sind. In der Vergangenheit hat San Felipe ihre Bewegungsfreiheit eingeschrankt. Dem wollen sie in Zukunft einen Riegel vorschieben.»
        Adam sah im Geiste plotzlich Achates im Hafen von San Felipe vor sich, halb abgetakelt fur Reparaturen, die Mannschaft uberfordert mit Arbeiten, die das Ge schick erfahrener Werfthandwerker verlangt hatten.

«Dieser Zweidecker.. «rief er aus.
        Chase lachelte grimmig.»Den Sie versenkt haben? O ja, Leutnant, daruber haben mir meine Informanten alles berichtet. Das war die Intrepido, frisch uberholt in Cadiz und stark genug bewaffnet, um es mit jedem Narren aufzunehmen, der ihr in die Quere kommen wollte. Ein Freibeuter, ein gekaufter Abenteurer - nennen Sie ihn, wie Sie wollen. Aber ihr Kommandant hatte Anweisung, jeden Widerstand zu brechen und die Insel in Besitz zu nehmen. Spater sollte ein beamteter Gouverneur installiert und die spanische Flagge gehi?t werden, wobei weder von den Briten noch von den Franzosen nennenswerte Gegenma?nahmen erwartet wurden. Ihrer Regierung ware es peinlich gewesen, wegen dieser aussichtslosen Sache noch mehr Zeit und Menschenleben zu opfern, und auch die Franzosen wurden sich nicht dagegen sperren, weil sie sich damit Spanien fur kunftige Zwecke zum Schuldner machen konnten. «Er lehnte sich bequem in seinem Stuhl zuruck und schlo?:»Erklart das nicht alles?»
        Adam nickte verwirrt; doch die scheinbare Stichhaltigkeit dieser grausam simplen Uberlegungen ekelte ihn an.
        Chase fuhr fort:»Aber nichts ist so einfach, wie es scheint. Die Spanier dachten schnell, raffiniert und skrupellos, doch sie machten die Rechnung ohne Ihren dickkopfigen Onkel. Trotzdem ist er zu bedauern. Er steht als einziger zwischen den Spaniern und ihrer Gier nach San Felipe. Wie ich annehme, war all dies schon in England bekannt, bevor man ihn ausschickte. Es ist nicht als Beleidigung gedacht, wenn ich sage, da? die Briten bei ihren Verhandlungen ziemlich hinterhaltig vorgehen konnen. Fur manche Leute zahlt Selbstachtung eben nicht, wenn es um Dinge geht, die sich auf der anderen Seite der Welt abspielen. Habe ich recht?»

«Ich kann es nicht glauben, Sir. Mein Onkel wird ihnen die Stirn bieten.»
        Chase wirkte plotzlich besorgt.»Gewi?, davon bin ich uberzeugt. Aber was kann er erreichen, wenn die Bevolkerung der Insel nicht hinter ihm steht? Auf verlorenem Posten kampfen?»
        Adam ballte die Fauste so fest, da? sich die Nagel schmerzhaft in sein Fleisch gruben.»Genau das!»
        Chase wandte den Blick ab, als konne er Adams Verzweiflung nicht mitansehen.»Dann helfe ihm Gott.»
        In diesem Augenblick schwang die Tur auf, und Adam horte Robinas aufgeregte Stimme fragen:»Wo hast du ihn versteckt, Onkel? Und was soll das ganze Gerede uber einen Verkauf der Vivid? Sie ist doch eines deiner Lieblingsschiffe!»
        Sie fuhr herum, erkannte Adam neben dem Fenster und schrie in freudiger Uberraschung leise auf.

«Da bist du ja!«Sie lief auf ihn zu und ku?te ihn leicht auf die Wange.»Jetzt wird alles gut!»
        Adam wagte nicht, sie zu beruhren oder zu umarmen, denn er sah uber ihrer Schulter Chases umwolkte Miene.
        Ernst sagte ihr Onkel: «Vivid war schon immer etwas zu klein fur meine Zwecke. Tyrrell hat sie mehr als verdient.»
        Er lie? Adam nicht aus den Augen und versaumte es, den von Bo-litho entrichteten Kaufpreis zu erwahnen. Langsam schritt er zur Tur, den Blick immer noch auf das junge Paar am Fenster gerichtet.
        Er sah keine Moglichkeit, es ihnen schonend beizubringen; deshalb war sein Ton fast grob, als er fortfuhr: «Vivid mu? noch vor Anbruch der Nacht den Anker lichten. Unser Leutnant hier hat seinem Onkel wichtige Nachrichten zu uberbringen. Ist's nicht so?»
        Langsam nickte Adam; er verabscheute Chase und bewunderte ihn doch.
        Wie lange sie so dastanden, konnte er spater nicht sagen. Er pre?te Robina an sich, murmelte Unverstandliches in ihr Haar, wahrend sie seine Schultern umklammert hielt, als wehre sie sich mit Gewalt gegen das Unbegreifliche.
        Schlie?lich lehnte sie sich in seinen Armen zuruck und starrte zu ihm auf.»Warum? fragte sie.»Was ist daran denn so wichtig? Wir sind endlich wieder zusammen, mehr wollten wir doch nicht. Also warum mu?t du schon wieder fort?»
        Adam wischte eine blonde Haarstrahne aus ihren Augen und sah seine Hoffnung, sein Gluck, verrinnen wie Sand im Stundenglas.

«Ich mu? zuruck nach San Felipe, Robina«, sagte er.»Dein Onkel kennt den Grund. Er kann es dir besser erklaren als ich.»
        In ihren Augen blitzte plotzlich Zorn auf.»Was geht das alles dich an? Du bist doch blo? Leutnant, weshalb sollte er dich mit hineinziehen?«Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber Adam hielt sie fest.

«Es hat schwere Kampfe gegeben. Mein Schiff hat den Gegner versenkt, wurde dabei aber selbst stark beschadigt. «Er spurte, wie alle Kraft sie verlie?, als sie die Bedeutung seiner Worte erfa?te.»Mein Onkel hat herausgefunden, welche Gefahr der Insel drohte und wer sie heraufbeschwor. Er hat mich mit Depeschen zu deinem Onkel nach Boston gesandt, damit diese Informationen umgehend an euren Prasidenten weitergeleitet werden.»
        Ihre Augen hingen an seinem Gesicht.»Aber weshalb wird mein Onkel da mit hineingezogen, meine Familie?»
        Resigniert hob Adam die Schultern.»Weil er schon damit befa?t war. Er kannte seit langem die Absichten Spaniens, das hat er gerade indirekt zugegeben. San Felipe unter franzosischer oder britischer Flagge zu wissen, wurde deinem Land offenbar wenig behagen. Aber da mein Onkel all diese widerstreitenden Interessen jetzt ans Licht gebracht hat, wird sich keine der Parteien in seinen Konflikt mit den Spaniern einmischen. «Adam konnte seine Verbitterung nicht unterdrucken.»Also steht mein Onkel ganz allein da, wenn er seine Pflicht tut.»
        Sie machte einen Schritt von ihm weg und sagte, ohne ihn anzusehen:»Dann planst du also nicht mehr, dir hier bei uns ein neues Leben aufzubauen?»

«Aber so ist es doch nicht! Ich liebe dich von ganzem Herzen.«»Und trotzdem schlagst du mir das ab?»
        Adam trat auf sie zu, doch sie wich zwei Schritte vor ihm zuruck.»Es ist meine Pflicht…»
        Da hob sie den Blick zu ihm, in ihren Augen funkelten Tranen.»Pflicht! Was kummert mich das! Wir sind beide jung, so jung wie dieses Land, weshalb willst du uns also unglucklich machen - fur etwas ganz Sinnloses?»
        Adam horte Schritte im Korridor, die schweren von Chase und die leichteren einer Frau: Robinas Mutter.
        Als die beiden durch die Tur traten, war Chases Gesicht streng und verschlossen, das der Frau bleich vor Sorge.
        Ohne Umschweife fragte Chase:»Also, haben Sie's ihr gesagt?»
        Adam begegnete seinem Blick offen.»Das meiste, Sir.»

«Aha. «Chase schien erleichtert zu sein.»Ihr Mr. Tyrrell hat es eilig mit dem Auslaufen. Der Wind krimpt. «Er lie? den Satz unvollendet.

«Ja, gleich. «Adam wandte sich noch einmal dem Madchen zu, die beiden anderen Menschen im Raum sofort vergessend.»Jedes Wort eben war mein voller Ernst, Robina. Eines Tages komme ich zuruck, und dann.»
        Sie blickte zu Boden.»Dann wird es zu spat sein.»
        Chase nahm Adams Arm und bugsierte ihn durch die geschmackvoll getafelte Halle. Ein schwarzer Lakai offnete die Haustur, und Adam sah vor sich den kalten blauen Streifen der See und den Himmel daruber, der ihn zu verspotten schien.
        Leise sagte Chase:»Bitte, glauben Sie mir, da? ich das sehr bedau-re. Aber es ist besser so, das werden Sie eines Tages begreifen.»
        Geistesabwesend schritt Adam die Treppe hinunter und sah Tyrrell schon am Tor warten. Dieser studierte aufmerksam das Gesicht des Naherkommenden und fiel dann mit seinem Holzstumpf neben ihm in
        Schritt.

«Also haben Sie sich entschieden?»

«Man hat fur mich entschieden. «Adam sah kaum, wohin er den Fu? setzte, so beschaftigt war er mit seinem Schmerz, seiner Verzweiflung,

«Da ware ich mir nicht so sicher, Leutnant. «Tyrrell warf ihm einen Seitenblick zu.»Aber ich wei?, wie Ihnen zumute ist.»
        Adam wurde zornig.»Woher plotzlich dieses Mitgefuhl? Auf dem Weg hierher haben Sie doch kaum das Wort an mich gerichtet!»
        Tyrrell grinste.»Da wu?te ich noch nicht, woran ich mit Ihnen war. Sie hatten sich ja auch hier ins warme Nest setzen konnen.»
        Als die verankerte Brigantine vor ihnen auftauchte, beschleunigte er den Schritt. Aber Ihre Treue war nicht kauflich, Leutnant. Da ging's Ihnen nicht anders als mir.»
        Nebeneinander warteten sie an der Pier auf das Boot, das sie zur Vi-vid ubersetzen sollte. Dabei glitt Tyrrells Blick immer wieder von Adam zu seinem neuen Schiff hinuber. Er kannte sich aus mit gebrochenen Herzen, hatte das selbst mehr als einmal erlebt. Aber ein eigenes Schiff war etwas ganz anderes.
        Mit rauher Freundlichkeit schlug er dem Leutnant auf die Schulter.»Also los, junger Freund, ausnahmsweise stehen Wind und Tide endlich einmal gunstig fur uns.»
        Adam zogerte noch; er blickte sich um, aber das Haus war schon von anderen Gebauden verdeckt. Ihm kam wieder in den Sinn, was er Robina erst vor wenigen Minuten gesagt hatte:»Ich liebe dich von ganzem Herzen.»
        Da? er die Worte laut ausgesprochen hatte, wurde ihm erst klar, als er Tyrrells mitfuhlende Stimme sagen horte:»Das geht vorbei. Nur seine Traume vergi?t man nie.

        Bolitho nahm die letzten Steinstufen zur Brustwehr des Forts im Eilschritt und bemerkte mit Genugtuung, da? er nicht au?er Atem gekommen war. An Land bekam man doch mehr korperliche Bewegung als an Bord.
        Es war noch fruh am Morgen und angenehm kuhl nach der schweren nachtlichen Regenbo. Typisches Wetter fur die Inseln dieser Gegend, dachte er. Regengusse bei Nacht, und eine Stunde nach Sonnenaufgang schon so starke Hitze, da? alles wieder knochentrocken wurde.
        Leutnant George Lemoine, der den Trupp des 60. Infanterieregiments befehligte, griff gru?end zum Hut.»Ich horte, da? Sie schon fruh auf den Beinen sind, Sir«, lachelte er.
        Bolitho beugte sich uber die Brustung und blickte auf das schimmernde Wasser des Hafens hinunter. Ein gro?er Teil lag noch im Schatten, aber bald mu?te die Sonne uber den Vulkangipfel steigen; dann wurden die Schiffe wie die Stadt dahinter im Hitzeglast verschwimmen. Er sah Achates' schwarzen Rumpf mit den hellbraunen Streifen der Batteriedecks und fragte sich, ob Keen immer noch uber den endlosen Vorratslisten grubelte.
        Ihr Frischproviant wurde allmahlich knapp; und Trinkwasser mu?te Fa? fur Fa? von den Seeleuten an Bord geschafft werden. Die Inselbewohner ruhrten immer noch keinen Finger fur die Briten, sondern beriefen sich auf ihre Armut, wenn Fruchte oder Obstsafte fur die Besatzung besorgt werden sollten.
        Bolitho hatte sein Bestes getan, um mit der Bevolkerung in Kontakt zu kommen. Das Ausweglose ihrer Situation war ihm durchaus klar.
        Die Pflanzer und Handler verubelten ihm, da? ihre Schiffe weder aus-noch einlaufen konnten und da? Frachtsegler, die Waren nach San Felipe brachten, durchsucht werden mu?ten, ehe man sie auf Reede ankern lie?. Selbst eine vollbesetzte Garnison und mehrere Kriegsschiffe waren pausenlos beschaftigt gewesen mit dieser Aufgabe, die Lemaines Soldaten und die Marineinfanteristen jetzt ganz allein bewaltigen mu?ten.
        Bolitho holte tief Atem. Unten lag seine Barkasse an der Pier des Forts, wo er vor drei Monaten Rivers zum erstenmal gegenubergetreten war. Nun schrieben sie Ende September, und Adam wurde stundlich zuruckerwartet. In Vivid. Hatte er sie Tyrrell zur Belohnung oder als Bestechung geschenkt? Ganz klar war er sich immer noch nicht uber seine Motive.
        Und Bolitho dachte auch an Falmouth: herbstliches Laub in roten und braunen Farbtonen, abends dann der Duft der Holzfeuer; tuchtig und zuversichtlich gingen die Leute ihrem Tagwerk nach, denn Schiffe wie Achates sicherten ihnen den Frieden.
        Von Belinda war kein weiterer Brief gekommen, aber schlie?lich hatten ihn von nirgendwo neue Nachrichten erreicht. Die Insel schien vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein, auch wenn die Ausguckposten gelegentlich fern am Horizont die Toppsegel unidentifizierter Kriegsschiffe gemeldet hatten.
        Vielleicht war alles langst vorbei? Das unvermutete Aufspuren des versteckten Zweideckers und seine Versenkung konnten die Angriffsgeluste der Spanier erstickt haben.
        Aber die Ungewi?heit kostete Bolitho Nerven und Schlaf. Er hatte sich angewohnt, in der Morgenkuhle uber die Insel zu reiten oder dem Fort einen Besuch abzustatten, und sei es nur, um der Besatzung zu zeigen, da? sie nicht vergessen war.
        Manchmal fragte er sich, ob die Kunde von den Ereignissen um San Felipe schon bis in die Stra?en Londons oder aufs Land gedrungen war. Wurde Belinda dann begreifen, was hier wirklich vorging? Bestimmt gab es genug Neider, die sein Vorgehen nur als Bemuhen interpretieren wurden, den Verlust von Duncans Sparrowhawk zu verschleiern.
        Der Ruf eines Wachtpostens ri? Bolitho aus seinen Gedanken.»Kanonenfeuer, Sir! Ostlich von hier.»
        Lemoine straffte sich.»Bei Gott, er hat recht. «Durch die gewolbten Hande rief er: Korporal der Wache, geben Sie Alarm!»
        Schon sah Bolitho die Rotrocke aus ihren Kasematten unterhalb der Festungsmauern rennen.
        Die Kanonenschusse hatten wahrscheinlich nicht viel zu bedeuten, waren vielleicht nur eine Geste ohnmachtigen Trotzes von einem weit drau?en passierenden spanischen Schiff. Aber man durfte nichts riskieren.
        Er sah sich um und gewahrte im Schatten des Wachtturms Mids-hipman Evans, der schon ein Teleskop aus seinem Futteral zog. Es war fast unheimlich, wie der Junge jedem seiner Schritte folgte und stets zu erraten schien, was er als nachstes tun wurde.
        Doch war es noch nicht hell genug, um weit uber das Vorland hinaussehen zu konnen. Oder doch? Ja, da war es: das von der Unterseite einer Wolke reflektierte Aufblitzen. Und noch eines. Zu sporadisch fur ein Seegefecht. Also wahrscheinlich eine Verfolgungsjagd.
        Bolitho winkte Evans heran.»Verstandigen Sie das Wachboot, man soll Achates vorwarnen. Eine Empfehlung an Kapitan Keen, und ich lasse ihm ausrichten, da? wir Gesellschaft bekommen, noch ehe der Tag voll angebrochen ist.»
        Er sah Crocker, den Artilleriemaat der Achates, auf der oberen Bastion herbeilaufen, gefolgt von keuchenden Soldaten.
        Crocker, wahrscheinlich der alteste Mann an Bord, war mit seinem dunnen wei?en Nackenzopf und seltsam hupfenden Gang ein richtiges Original. Seit ihn etwa in Adams Alter ein Splitter ins linke Auge getroffen hatte, war er darauf fast blind. Doch mit dem rechten Auge sah er so scharf wie ein Falke, und wenn er einen Kanonenlauf ausrichtete und abfeuerte, traf er besser als eine ganze Crew. Er verstand sich auch aufs Kugelerhitzen, und Bolitho glaubte schon die bei?enden Schwaden zu riechen, die von den hinter der Brustung aufgestellten Essen aufstiegen.
        Crocker schien uberrascht, seinen Vizeadmiral auf der Bastion anzutreffen. Gru?end tippte er sich an die Stirn und drehte dann seine Mutze herum, damit er besser durch die Schie?scharten spahen konnte. Jetzt sah er noch verwegener aus, und Bolitho konnte es seinen Stuckfuhrern leicht nachfuhlen, da? sie ihn wie die Pest furchteten.

«Feiner Morgen fur 'ne Ballerei, Sir!»
        Bolitho mu?te lacheln.»Halten Sie sich bereit.»
        Lemoine sah dem davonhastenden Crocker nach.»Der hat meine Manner ziemlich in Trab gehalten, Sir.»
        Von der Kirche in der Stadt klang Glockengelaut heruber, dunn und melancholisch in der feuchten Morgenluft.

«Was bedeuten die Glocken, Mr. Lemoine?«Bolitho hielt sein Teleskop auf das ferne Schiff gerichtet.
        Der Leutnant unterdruckte ein Gahnen. Er hatte bis nach Mitternacht mit seinem Stellvertreter Karten gespielt - und verloren.

«Hier auf der Insel leben viele Katholiken, Sir«, antwortete er.»Die Glocken rufen zur Morgenandacht. «Als Bolitho schwieg, fugte er noch erlauternd hinzu:»Heute ist ein Feiertag fur sie, der Namenstag von St. Damian.»
        Lemoine ging ohne Scheuklappen durch die Welt, dachte Bolitho zufrieden. Im Gegensatz zu manchen Offizieren, fur die au?erhalb ihres eigenen engen Befehlsbereichs nichts anderes existierte.
        Wieder Kanonenfeuer. Es klang, als versuchten sie, ein Schiff am Einlaufen zu hindern. Adam fiel ihm ein. Nein, ihn betraf es bestimmt nicht. Tyrrell war ein viel zu alter Fuchs, um sich so fruh fangen zu lassen.
        Er schwenkte das Glas zum anderen Vorland herum, das sich eben aus dem Schatten schalte. An seinem felsigen Fu? erkannte er schon die wei?e Brandung und weiter drau?en die Kette gro?erer Felsblok-ke, die ins Meer hinausragte und den bezeichnenden Namen Cape Despair, Kap der Verzweiflung, trug.
        Schritte polterten die Treppe herauf, und ein Melder erstattete Le-moine bellend Bericht. Der Leutnant wandte sich an Bolitho:»Me l-dung vom Flaggschiff, Sir: alle Boote ausgesetzt und Patrouillen alarmiert.»
        Bolitho konnte sie vor sich sehen, die kleinen Truppen der Marineinfanteristen, verstarkt durch ein paar Freiwillige der Inselmiliz. Eine kleine Streitmacht, aber wenn sie geschickt eingesetzt wurde, konnte sie wenigstens verhindern, da? durch den Riffgurtel Sto?trupps angelandet wurden. Abgesehen davon gab es nur eine Zufahrt, eine sichere, und das war der Weg, den Keen nachts gewahlt hatte. Aber wenn der Feind dort einen Durchbruch versuchte, wurde ihm der alte Crok-ker mit seinen gluhenden Kugeln tuchtig einheizen.
        Sonnenlicht flo? die Hange herunter und ubergo? die Hafeneinfahrt mit Gold. Im Teleskop sah Bolitho das Wachboot dort langsam entlangrudern, befehligt von einem Midshipman, der im Heck stand und wahrscheinlich seine befristete Freiheit geno?.
        Lemoine sagte:»Da ist sie, Sir!»
        Das fremde Schiff rundete das Vorland, seine Segel verloren den Wind, als es wendete, fullten sich aber gleich wieder auf dem neuen Bug: ein gro?es, gut gefuhrtes Fahrzeug.»Indienfahrer, Sir«, meldete sich wieder Lemoine.»Ich kenne ihn, es ist die Royal James. Vor einigen Monaten lag sie in Antigua.»
        Aus den Schie?scharten beugten sich neugierige Manner, andere liefen unten auf der Pier nach vorn, um den Ankommling besser sehen zu konnen.
        Bolitho kam zu einem Entschlu?.»Ich kehre aufs Flaggschiff zuruck, Mr. Lemoine. Sie werden hier ja allein fertig. «Er war schon die halbe Treppe hinabgelaufen, ehe der Leutnant antworten konnte.
        Die Mannschaft der Barkasse sprang auf, als Bolitho durchs Tor eilte.»Zum Schiff, Allday«, befahl er.
        Er ignorierte ihre Uberraschung und versuchte sich daruber klar zu werden, was ihn so beunruhigte. Wenn der Verfolger nicht noch durch einen Zufallstreffer in seinem Rigg Schaden anrichtete, sollte der Indienfahrer sicher den Hafen erreichen konnen. Bei diesem starken Sudost mu?te sich das feindliche Schiff gut von der Leekuste freihalten - oder sich dem Kugelhagel der Kanonen stellen. Und jetzt, bei vollem Tageslicht, konnte Crocker eigentlich nicht danebenschie?en.
        Die Riemen der Barkasse hoben und senkten sich in schnellem Gleichtakt, bis das Boot ubers glatte Wasser zu fliegen schien.
        Plotzlich packte Bolitho Alldays Arm.»Kursanderung! Aufs Vorland zuhalten!«Als Allday zogerte, schuttelte er ihn und rief aus:»Ich mu? blind gewesen sein! Dabei hat Lemoine mich unwissentlich darauf gebracht: Heute ist St. Damianstag!»
        Allday legte Ruder, so da? die Barkasse einen Bogen beschrieb, aber dennoch kam kein einziger der langen Riemen aus dem Takt.

«Aye, Sir, wenn Sie's sagen?»
        Er halt mich fur verruckt, dachte Bolitho und erlauterte hastig:»Aber trotz des Feiertags ist noch kein einziges Boot von der Missionsinsel gekommen!»
        Immer noch starrte Allday ihn an.
        Bolitho blickte sich nach dem Wachboot um, aber das stand zu nahe an Land, dicht vor der Hafeneinfahrt, und jeder Mann im Boot hatte nur Augen fur die Royal James, die jetzt gleich um den Landvorsprung brausen mu?te.
        Bolitho hieb sich mit der Faust in die andere Handflache. Er hatte es gleich sehen mussen!

«Ist die Mannschaft bewaffnet?«fragte er Allday.
        Der nickte und kniff die Augen vor der blendenden Sonne zusammen.»Jawohl, Sir, mit Entermessern und drei Pistolen.»
        Er warf Bolitho einen Seitenblick zu, gespannt, was nun bevorstand, wagte aber vor seinen Untergebenen nicht danach zu fragen.

«Dann mu? das reichen. «Bolitho deutete auf einen winzigen Sandstrand.»Setz uns dort auf.»
        Als die Rudergasten ihre Riemen in der Schwebe hielten und das Boot lautlos in den Schutz der hohen Steilkuste glitt, wirkte die Szenerie ungemein friedlich.

«Alle von Bord!«Bolitho kletterte hinaus und spurte, wie die Stromung die Beine unter ihm wegziehen wollte, als er zum Strand watete. Entermesser und drei Pistolen - wogegen? Er befahl:»Schickt einen Mann aus, er soll die Patrouille von der Landspitze herbeiholen. Aber sich dabei nicht blicken lassen.»
        Allday lie? ihn nicht aus den Augen.»Ist das ein Uberfall, Sir?«fragte er nervos.
        Aus dem Haufchen Waffen im Sand suchte sich Bolitho eine Pistole und ein schweres Entermesser heraus. Ausgerechnet diesmal war er unbewaffnet an Land gegangen.

«Es geht um die Mission. Irgend etwas stimmt dort nicht.»
        Auch die Manner bewaffneten sich und folgten ihm gehorsam den Steilhang hinauf. Auf dem Bergrucken empfing sie starker Wind, der ihnen Sand ins Gesicht peitschte; der Bewuchs, der von weitem so einladend aussah, bestand nur aus zahem Unkraut und niedrigen Strauchern.
        Auf dem Missionsinselchen drangten sich die wenigen Gebaude dicht zusammen; der Strand war leer, alles wirkte vollig verlassen. Nicht einmal Rauch zeugte von Herdfeuer oder anderweitigem Leben.
        Bolitho horte schwache Hochrufe, halb verweht vom Wind, als riefen irgendwo spielende Kinder. Er hielt inne und warf einen Blick uber die Hafeneinfahrt zur alten Festung hinuber, deren Flagge munter auswehte. Die Hochrufe kamen wahrscheinlich vom Wachboot, denn der machtige Indienfahrer ragte plotzlich uber dem Vorland auf und hielt zielstrebig auf den sicheren Hafen zu.
        Er hatte ein gro?es Boot im Schlepp, doch an Deck zeigten sich kaum Leute; auch enterte niemand auf, um die Segel zu kurzen, sobald das Schiff den Ankerplatz erreicht hatte. In diesem Augenblick glitt das Wachboot in Sicht; der Midshipman hob schon seine Flustertute an die Lippen, um den Neuankommling anzupreien.
        Gewaltsam wandte Bolitho sich ab und musterte sein kargliches Hauflein. Keen und die anderen konnten sich um die Royal James kummern. Er hatte die schnittige Takelage einer Fregatte entdeckt, die gerade drau?en beidrehte, weil ihre Beute den Schutz der Festungsbatterie erreicht hatte.

«Die Boote sind weg, Sir«, sagte Allday.
        Bolitho starrte zur kleinen Insel hinuber. Es stimmte, die Fischerboote waren alle verschwunden. Das mochte die simple Erklarung sein: Die Monche oder Missionare waren zum Fischen ausgelaufen, denn schlie?lich ging der Lebensunterhalt dem Gebet vor.

«Sehen Sie dort, Sir!»
        Bei Alldays Aufschrei fuhr Bolitho zu der vorgelagerten Riffkette herum. Die Felsen waren nicht mehr leer und verlassen, sondern voll kletternder, geduckt rennender Gestalten; Sonnenlicht reflektierte von Sabelschneiden und Bajonetten.

«Soldaten!«Keuchend vor Aufregung hob Allday seine Pistole.»Das sind ja hundert und mehr!»
        Einige Schusse fielen; sie klangen weit entfernt und ungefahrlich, bis die Kugeln uber ihre Kopfe pfiffen oder in den harten Sand klatschten.

«In Deckung!»
        Bolitho sah den ausgeschickten Mann mit zwei Seesoldaten aus dem Wachboot unten am Ufer entlangrennen. Einer fiel sofort, die anderen verschwanden aus seinem Blickfeld.
        Nun gab es eine gedampfte Explosion, fuhlbar eher als Druckwelle denn als Schall. Als ob alle Luft aus den Lungen gesaugt wurde.
        Bolitho rollte sieh auf die Seite und spahte zu der Stelle hinuber, wo sie die Barkasse gelassen hatten; da sah er, wie die Royal James sich aufbaumte. In ihrer Bordwand flogen die Stuckpforten auf, aber statt der Kanonenrohre schossen Flammenzungen heraus, die sofort nach oben leckten und Wanten, Spieren und Segel mit entsetzlicher Schnelligkeit verzehrten. Das nachgeschleppte Boot war losgeworfen worden und wurde jetzt zur Hafeneinfahrt zuruckgerudert.»Ein Brander! flusterte Allday.
        Bolitho sah den noch wachsenden Feuerschein sich in Alldays Augen spiegeln und konnte sogar die Hitze fuhlen, die wie aus einer offenen Esse zu ihnen herubergeweht wurde. Der Wind stand so, da? er das aufgegebene Schiff direkt in den Hafen trieb. Geradewegs auf die verankerte Achates zu.
        Wieder peitschten Schusse uber die Landzunge, und Bolitho horte schon das Geschrei der ansturmenden Soldaten.
        Mit Achates wurden sie alle Hoffnung und jeden Schutz verlieren. Und die Festungsbatterie hatte ihrem Morder noch Deckung geboten.
        Mit wilden Augen starrte Allday ihn an.»Kampfen wir, Sir?»
        Bolitho fiel etwas zuruck. Sollte das schon alles gewesen sein? Ein sinnloser Tod auf dieser gottverlassenen Insel? Dann fiel ihm wieder der Trommler ein und der Ausdruck seines toten Gesichts, ehe er es zugedeckt hatte.
        Er richtete sich auf und wog das schwere Entermesser in der Hand.»Ja, wir kampfen!

        Links und rechts von ihm erhob sich die Bootscrew und schwenkte ihre Entermesser. Bolitho zielte, taub gegen das furchtbare Prasseln der Flammen, und feuerte in die anruckende Reihe Soldaten. Zum Nachladen blieb keine Zeit. Fur nichts blieb mehr Zeit.
        Er machte einen Ausfall uber das lose Geroll und hackte den Sabel eines Gegners mit solcher Wucht beiseite, da? der Mann den Abhang hinunterrollte.
        Stahl schlug auf Stahl, ein paar vereinzelte Schusse fielen, aber ihre Gegenwehr war erbarmlich schwach. Bolitho spurte, wie er von den Kampfenden bedrangt wurde, sah wilde Augen und gebleckte Zahne, fuhlte Ha? und Verzweiflung, als seine kleine Gruppe von der spanischen Ubermacht zuruckgedrangt wurde. Noch einmal hieb er mit aller Kraft zu, spaltete das Gesicht eines Gegners vom Ohr bis zum
        Kinn, horte sein Entermesser auf Knochen knirschen, als er die Dek-kung eines zweiten durchbrach und seine Brust durchbohrte.
        Plotzlich ein Keuchen neben ihm - zu seinem Entsetzen brach All-day im Handgemenge zusammen und entschwand seinen Blicken.

«Allday!»
        Bolitho stie? einen Soldaten beiseite, um seinen Bootsfuhrer zu erreichen. Ihr Widerstand war sinnlos geworden, eine leere Geste, dienlich nur seinem Stolz.
        Bolitho senkte die Waffe.»Genug!»
        Zwischen den unschlussig Zogernden fiel er auf die Knie und versuchte, Allday auf den Rucken zu drehen. Dabei rechnete er jede Sekunde mit dem Todessto?, erwartete den wei?gluhenden Schmerz der eindringenden Klinge, aber selbst das war ihm gleichgultig.
        Doch die Soldaten verharrten reglos, ob aus Verbluffung uber die erbitterte kurze Gegenwehr oder aus Respekt vor Bolithos hohem Rang, lie? sich nicht sagen.
        Bolitho beugte sich so uber Allday, da? er ihm Schatten spendete. Er gewahrte Blut auf seiner Brust, viel zu viel Blut.
        Verzweifelt flusterte er:»Nur ruhig, alter Freund. Du hast nichts mehr zu befurchten, bis.»
        Allday offnete die Augen und sah sekundenlang stumm zu ihm auf. Dann krachzte er: Es tut weh, Sir. Hollisch weh. Diesmal haben sie mich umgebracht, die Hunde.»
        Ein Matrose lie? sich neben ihnen zu Boden fallen.»Sir!«keuchte er.»Die Spanier rennen davon!»
        Bolitho blickte auf und sah die fremden Soldaten sich laufend oder hinkend zu den Felsen zuruckziehen, wo sie ihre Boote gelassen hatten.
        Der Grund dafur wurde bald sichtbar: eine Reihe Kavallerie, die unter der Fuhrung Hauptmann Masters' von der Inselmiliz mit gezogenen Sabeln uber den Bergrucken galoppiert kam - eine lautlose Attak-ke, die deshalb um so bedrohlicher wirkte.
        Masters zugelte sein Pferd und sprang ab, in seinem Gesicht stand unglaubiger Schrecken.»Wir haben gesehen, wie Sie sie aufzuhalten versuchten«, brach es aus ihm hervor,»da beschlossen ein paar von uns, sie abzufangen.»
        Bolitho sah ihn an, gewahrte aber nur Masters dunkle Gestalt und dahinter die gro?en Rauchschwaden, die von dem Inferno im Hafen aufstiegen.»Sie kommen zu spat!

        Er entwand das Entermesser Alldays schlaffer Hand und warf es den Fliehenden nach. Da spurte er einen Griff ums Handgelenk und blickte hinab in Alldays schmerzverdunkelte Augen.

«Geben Sie nicht auf, Sir«, murmelte sein Bootsfuhrer.»Wir schlagen die Kerle, verlassen Sie sich drauf.»
        Schwere Stiefel stapften durch den Sand heran, mehr Rotrocke umschlossen sie zu beiden Seiten.
        Bolitho sagte:»Hebt ihn vorsichtig auf, Leute.»
        Er sah den vier Soldaten nach, die Allday zur Barkasse hinuntertrugen. Dabei horte er in der Ferne weitere Explosionen und Geschrei aus allen Richtungen. Er wurde gebraucht. Zum Trauern war jetzt keine Zeit. Wie oft hatte er das schon gehort…
        Trotzdem eilte er den Soldaten nach und ergriff noch einmal All-days Arm.

«La? mich nicht allein, Allday. Ich brauche dich.»
        Alldays Augen blieben geschlossen, aber uber sein Gesicht glitt der Schatten eines Lachelns; dann wurde er in die Barkasse gehoben.
        Als Bolitho uber den Strand schritt und seine Goldepauletten in der Sonne funkelten, brachen einige Milizsoldaten in Hochrufe aus.
        Ein Mann der Bootscrew, der den verwundeten rechten Arm ruhiggestellt im Hemd trug, blieb stehen und fuhr sie bose an:»Jetzt jubelt ihr wohl, ihr Lumpen, was? Weil ihr noch einmal davongekommen seid!«Verachtlich spuckte er vor ihre Fu?e und deutete dann mit dem Kopf auf Bolitho.»Aber der dort ist mehr wert als ihr und die ganze verdammte Insel zusammen!»
        Bolitho ging durchs Buschwerk davon, das an einigen Stellen schon aufflammte, entzundet vom Funkenflug des Branders.
        Jeden Augenblick erwartete er die zweite Angriffswelle. Und Keen benotigte bestimmt dringend seine Hilfe. Aber all das schien ihm so unwirklich. Ihn erfullte nur ein Gedanke: da? Allday nicht sterben durfte. Nicht so sinnlos. Er war knorrig und stark wie ein Eichbaum - das konnte doch nicht sein Ende sein!



        XIV Ein Schluck Rum

        Als plotzlich Flammen und schwarze Rauchwolken die Hafeneinfahrt verhullten, erklangen von allen Seiten Entsetzensschreie. Fur Seeleute war Feuer der schlimmste Feind; bei Sturm oder Strandung gab es immer noch eine Uberlebenschance, aber wenn Feuer an Bord wutete, wo alles geteert, kalfatert und zundertrocken war, bestand keine Hoffnung mehr.
        Leutnant Quantock zwang sich, den Blick von dem lodernden Indienfahrer zu wenden, und rief zu Keen hinuber:»Was sollen wir tun, Sir?«Er war barhauptig, der Wind zerzauste sein Haar; nichts an Quantock erinnerte mehr an den makellosen, barbei?igen Ersten Offizier der Achates.
        Keen umklammerte die Reling und wandte sich dem naherkommenden Verhangnis zu. Erst Sparrowhawk, dann der spanische Freibeuter und jetzt seine Achates. Es blieb keine Zeit mehr, das Schiff an eine andere Stelle des Hafens zu verholen, au?erdem waren die meisten Boote unterwegs und anderweitig beschaftigt.
        Aber Quantock starrte ihn ratheischend an, wahrend die Seeleute ihn umstanden, wie versteinert vor unglaubigem Entsetzen. Eben noch hatten sie gejubelt, weil der Indienfahrer wohlbehalten bis in den Schutz des Forts gelangt war. Und im nachsten Moment befand sich der Feind mitten unter ihnen und drohte, sie bei lebendigem Leibe zu verbrennen.
        Keen kannte die Anzeichen nur zu gut: erst Zaudern, dann Panik. Aber er konnte sie doch nicht zwingen, hilflos wie Schlachtvieh dazustehen und den sicheren Tod zu erwarten. Zum Gluck hatte er das Schiff sofort gefechtsklar gemacht, nachdem Midshipman Evans Bo-lithos Warnung uberbracht hatte.

«Mr. Quantock! Lassen Sie die Backbordkanonen laden und ausfahren! Beide Decks!«Er boxte den Leutnant in die Seite.»Bewegung, Mann!»
        Pfeifen schrillten, sie schreckten die Manner aus ihrer Starre und riefen sie auf Gefechtsstationen. In beiden Decks quietschten die Lafetten, als die dem Brander zugewandten Kanonen ausgerannt wurden.
        Rauch brannte Keen in den Augen, als er abzuschatzen versuchte, mit wieviel Fahrt der Brander auf sie zukam. Seine Segel waren nur noch verkohlte Fetzen, seine Masten schwarze Stumpfe. Aber er brauchte weder Masten noch Segel, der Winddruck allein genugte, ihn auf sein Opfer zuzutreiben. Wahrend er noch hinsah, stie? der Brander leicht gegen einen an seiner Boje liegenden Toppsegelschoner; im Handumdrehen brannte er wie eine Fackel, und der Ankerwache blieb nur der Sprung ins aufspritzende Hafenwasser.

«Feuerklar, Sir!«Quantocks Stimme klang verzweifelt.
        Keen merkte, da? er an Bolitho dachte. Wo steckte er? Schlug er, unterstutzt von einer der Patrouillen, einen Flankenangriff irgendwo am Strand zuruck? Sein Magen verkrampfte sich. Oder war Bolitho vielleicht schon tot?

«Ziel auffassen!»
        Er trat an die Querreling und sah auf seine Stuckmannschaften hinunter - wie sonst, wenn sie es mit einem lebenden Feind aufnehmen mu?ten.

«Feuer!»
        In dem engen Hafen hallte die aufbrullende Breitseite wie ein Donnerschlag. Keen sah die Spur der Kugeln gleich einem Windsto? uber das Wasser fahren und spurte das Aufbaumen des Decks unter seinen Fu?en, als sich das Schiff im Rucksto? von seiner Muring zu befreien versuchte.
        Ein Ruck ging durch den Brander, er verspruhte einen Regen brennender Wrackteile, der zischend aufs Wasser schlug.

«Nachladen! Ruhig Blut, Leute!«Das war Mountsteven von der unteren Batterie.
        Keen rief:»Mr. Rooke, lassen Sie Manner aufentern und die Segel begie?en. Und stellen Sie andere mit Putzen auf die Seitendecks.»
        Der Bootsmann nickte und eilte davon, den Befehl auszufuhren, obwohl er wu?te, da? die wenigen Eimer voll Wasser, die sie in der kurzen Zeit zu den Rahen hinaufziehen oder uber die Bordwand gie?en konnten, so gut wie nichts bewirken wurden: als wolle man einen Waldbrand mit Spucke loschen. Aber es gab ihnen wenigstens etwas zu tun und lie? ihnen keine Zeit, den Kopf zu verlieren und uber Bord zu springen - jedenfalls nicht bis zum letzten Augenblick, und dann wurde es diszipliniert geschehen.

«Feuer!»
        Abermals sah Keen die volle Breitseite in den Brander schlagen, diesmal ins Vorschiff; es machte ihn fast krank vor Verzweiflung, da? die Eisenkugeln nur Locher rissen, durch die sofort noch gro?ere Flammenbundel ins Freie loderten.
        Heiser flusterte der Master neben ihm:»So konnen wir ihn nicht aufhalten, Sir.»
        Keen sah ihn nicht an. Knocker war ein bedachtsamer Mann und hatte wahrscheinlich schon seinen Chronometer ausgebaut, damit er nicht mit Achates unterging. Aber es stimmte, er konnte sein Schiff nicht mehr retten, das tapfere alte Kathchen, das schon so viel gesehen und erlebt hatte.
        Wieder hob Quantock sein Sprachrohr:»Feuer!»
        Tuson, der Schiffsarzt, erschien am Fu? der Leiter, und Keen fragte ihn:»Wollen Sie Ihre Verwundeten an Deck schaffen?»
        Diese Ma?nahme konnte die muhsam bewahrte Disziplin in ein Chaos verwandeln. Wenn die Stampede erst begann, lie? sie sich nicht mehr aufhalten, denn von Dewars Seesoldaten war kein einziger an Bord. Doch als Keen Tusons dankbares Gesicht sah, wu?te er, da? er das Richtige getan hatte.
        Steuermannsmaat Goddard schrie:»Seht mal dort, Leute!»
        Der Indienfahrer hatte ein zweites Fahrzeug gerammt und in Brand gesetzt; aus seiner Ladung scho? ein Funkenregen empor und mehrte die Schrecken noch.
        Aber nicht darauf richtete sich Goddards Augenmerk.
        Keen hielt so angestrengt Ausschau, da? seine Augen schmerzten, als die kleine Brigantine Vivid ihren Bugspriet durch Rauch und fallende Wrackteile schob; mit vierkant gebra?ten Rahen uberholte sie den treibenden Brander.
        Quantock stohnte heiser.»Allmachtiger! Sie mu? ihm dichtauf in den Hafen gefolgt sein. Gleich fangt sie Feuer!»
        Keen ri? einem Midshipman das Fernrohr aus der Hand und richtete es auf die naherkommende Flammenwand. In der Vergro?erung wirkte sie noch schrecklicher, und Keen schnurte es nur vom Hinsehen die Kehle zu.
        Tyrrells machtige Gestalt stand am Ruder und steuerte seine Vivid dichter an die Steuerbordseite des Branders heran; im Wirbel der Rauchwolken und Ru?fetzen wirkte er unerschutterlich wie ein Fels. Und jetzt schwangen die Spieren herum, die Segel killten und fullten sich wieder; Gott mochte wissen, woher Tyrrells Manner die Kraft nahmen, bei dieser Hitze noch an Schoten und Winschen zu arbeiten.
        Aus dem Augenwinkel bemerkte Keen, da? die ersten Verwundeten an Deck gebracht wurden, aber er konnte sich von der furchterlichen Szene im Hafen nicht abwenden. Schon glaubte er, die Hitzewelle zu spuren, und war sich klar, da? er bald den Befehl zum Verlassen des Schiffes geben mu?te.

«Sichern Sie die Kanonen, Mr. Quantock.»
        Er erwartete emportes Geschrei, aber niemand protestierte gegen den anscheinend sinnlosen Befehl; statt dessen horte er das Knirschen der Lafetten und Knarren der Handspaken, als die Achtzehnpfunder hinter ihren Stuckpforten gesichert wurden, damit sie nicht quer ubers Deck rutschten.
        Ein vielstimmiges Aufstohnen lief reihum, als Vivids Toppstander in einem Rauchwolkchen verpuffte. Nur noch wenige Sekunden, dann konnte auch das vorsichtigste Manover sie nicht mehr vor dem Feuer bewahren.
        Vor Keens Augen stie?en beide Schiffe mit dem Bug zusammen; die unter Vollzeug segelnde Vivid hatte dabei genug Schwung, um den Brander etwas nach Backbord abzudrangen.
        Gepre?t sagte Leutnant Trevenen: «Vivid hat Feuer gefangen, Sir.»
        Wie triumphierende Teufel sprangen die Flammen von Rigg zu Rigg uber, vermehrten sich blitzschnell und breiteten sich aus, bis die Breitfock sich in Asche aufloste.
        Aber immer noch schob Vivid den anderen, schwereren Bug aus dem Kurs. Jetzt wurden an der Stelle, wo beide Schiffe ineinander verhakt waren, einige Gestalten sichtbar. Im nachsten Augenblick sah Keen das Wasser aufspritzen: einer der beiden Buganker des Indienfahrers war gefallen. Jemand hatte ihn vom Kranbalken gelost. Zwar wurde die Ankertrosse den Flammen nicht lange standhalten, aber noch grub er sich in den Grund, so da? die Trosse steifkam und der Brander noch weiter nach Backbord schwojte.
        Seine eingeascherte Takelage fiel krachend in sich zusammen und uber Bord. Atemlos sagte Knocker:»Bei Gott, er ist auf Grund gelaufen!»
        Keen nickte wortlos, er konnte nicht sprechen. Tyrrell, der die Hafen hier wie seine Jackentaschen kannte, hatte sein Rettungsmanover auf die Sekunde genau berechnet, so da? der brennende Indienfahrer sich immer hoher aufs Flach schob.
        Keen fand seine Stimme wieder.»Setzen Sie jedes verfugbare Boot aus, Mr. Quantock.

        Vivid brannte jetzt lichterloh. Kaum konnte man das eine Schiff vom anderen unterscheiden, sie waren ein einziges Flammenmeer. Immer noch war Achates nicht ganz au?er Gefahr, denn der Brander konnte wieder flottkommen, auch mochte ein brennendes Wrackteil herubertreiben.
        Keen wandte sich ab und lie? den Blick uber sein Schiff schweifen. Aber was auch noch geschah, sie waren nicht gewichen. Ohne zu wanken hatten sie zusammengehalten, so wie Bolitho es von ihnen erwartete.
        Vom Batteriedeck starrten Manner zu Keen herauf; die Gesichter rauchgeschwarzt, erinnerten sie eher an einen Piratenhaufen als an regulare britische Matrosen. Nun begannen sie zu jubeln, schuttelten die Fauste und begluckwunschten sich, als hatten sie eine Schlacht gewonnen. Aber Keen entging auch nicht Quantocks bitterer Blick. Endlich hatte die Mannschaft ihren verstorbenen Kommandanten vergessen und Keen akzeptiert.
        Keen grinste zu ihnen hinunter, obwohl ihm eher nach Weinen zumute war. Dann fa?te er einen Entschlu?.

«Lassen Sie meine Gig aussetzen, ich hole Tyrrell selbst.»
        Sie fanden Tyrrell und den Rest seiner kleinen Crew im Wasser, wo sie sich an eine Stenge und das Wrack eines gekenterten Bootes klammerten.
        Unter ihnen war auch Adam Bolitho, halb nackt und mit einer gro?en roten Brandwunde an der Schulter.
        Tyrrell lie? sich in die Gig helfen und sackte im Heck zusammen, den Blick immer noch auf die Uberreste seiner Brigantine gerichtet. Inzwischen war sie bis zur Wasserlinie niedergebrannt, ein unkenntliches Wrack.
        Keen sagte:»Ich bedaure, da? dies geschehen ist und auch, da? ich Sie schlecht behandelt habe. Sie kamen in letzter Minute. Nun haben Sie Ihr Schiff verloren, aber meines gerettet.»
        Tyrrell schien ihn nicht zu horen. Er legte Adam die Hand auf die unverletzte Schulter und murmelte heiser:»Mir scheint, wir haben beide einiges verloren, wie?»
        Als die Gig bei Achates langsseits ging, rannten die Seeleute auf die Seitendecks oder kletterten in die Wanten, um Tyrrell mit Hochrufen zu empfangen.

«Sie sind Ihnen dankbar«, sagte Keen.

«Haben auch Grund dazu.»
        Tyrrell musterte sein Holzbein; sogar das war angekohlt. Weshalb sollte er sich wiederholen? Wenn Achates bei dem spanischen Uberfall nicht hier gewesen ware, hatte das alles nicht geschehen mussen. Er blickte hinuber zu der Stelle, wo seine geliebte Vivid jetzt zerbrach und mit einer Dampfwolke versank. Und er hatte immer noch ein
        Schiff gehabt.
        Da spurte er die Hand des jungen Offiziers auf seinem Arm und horte ihn trostend sagen:»Wir werden beide eine neue Chance bekommen, Jethro.»
        Tyrrell entblo?te die Zahne in einem grimmigen Lacheln.»Verdammt, das will ich doch hoffen. Kann schlie?lich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, auf euch aufzupassen!»
        Keen stand neben Bolithos Tisch und musterte den Vizeadmiral besorgt, der schon die ganze Zeit auf das Logbuch mit den Ereignissen des Tages niederstarrte, aber nichts zu sehen schien.
        Er rausperte sich.»Der Zahlmeister berichtet, Sir, da? den ganzen Tag frisches Obst und Gemuse von der Insel herubergeschafft wurden. Jetzt plotzlich konnen sie gar nicht genug fur uns tun.»
        Bolitho strich die Papiere glatt. Jetzt plotzlich.. Diese beiden Worte waren vielsagend. Hinter sich horte er Ozzards leise Schritte, der die Heckfenster schlie?en ging, weil wieder einmal ein scheidender Tag den Hafen in Schatten hullte. Immer noch bezeichneten Funken und ein gelegentliches Aufgluhen die Stelle der Untiefe, wo der Brander lag. War es tatsachlich erst an diesem Morgen gewesen, da? er sich mit Leutnant Lemoine auf den Festungswallen unterhalten hatte?
        Keen merkte, da? Bolitho allein sein wollte, aber es widerstrebte ihm, ihn seinem Gram zu uberlassen. Zu gut erinnerte er sich noch an sein Erschrecken, als die Barkasse am Schiff angelegt hatte und All-day leblos an Bord gehievt worden war.
        Dieser Anblick hatte all seine anderen Empfindungen wie Asche zerstieben lassen: Stolz auf seine Manner, weil sie sich angesichts der Gefahr tapfer geschlagen hatten; tiefe innere Befriedigung, da? auch er nicht zusammengebrochen war. Doch das zahlte nicht mehr, denn Allday war auch ein Teil seines Lebens geworden. Und wenn er's recht uberlegte, hatten die meisten Menschen, die ihm etwas bedeuteten, Bolithos Bootsfuhrer eine Menge zu verdanken.
        In Augenblicken wie diesen ware Allday in die Kajute getreten und hatte unwillkommene Besucher hinauskomplimentiert. Aber nun lag er in Bolithos eigenem Schlafraum mit einer Sabelwunde in der Brust, die sogar den wortkargen Schiffsarzt erschreckt hatte.
        Keen versuchte noch einmal, Bolitho anzusprechen.»Wir haben mehrere Gefangene gemacht, Sir: die Besatzung des Branders und einige Soldaten von der Missionsinsel. Sie hatten recht, es sind alles Spanier aus La Guaira. Aber nach diesem Mi?erfolg werden die Dons San Felipe in Ruhe lassen mussen. Alle Welt wei? jetzt, was sie vorhatten. Ihre Kopfe werden ziemlich locker sitzen, wenn ihr Konig erst von dem Desaster hier erfahrt.»
        Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und rieb sich die Augen. Immer noch glaubte er, Rauch zu riechen, Alldays muhsames, schmerzverzerrtes Lacheln zu sehen.
        Er sagte:»Morgen setze ich meinen Bericht an Sir Hayward Sheaffe auf. Danach ist der Rest Sache des Parlaments. «Beim Gerausch von Schritten blickte er scharf hoch, aber es war nur die Wache, die uber ihnen auf und ab ging.
        Trotz seiner Vergangenheit war Tuson ein guter Arzt, das hatte er mehrfach bewiesen. Wenn doch nur. Aber Bolitho verbot sich diese Gedanken.
        Er sagte:»Es tat mir leid, von Jethro Tyrrells Verlust zu horen.»

«Er tragt es tapfer, Sir. «Keen zogerte.»Aber er bittet darum, da? Sie ihn empfangen.»
        Die Tur zum Nebenraum offnete sich, und Adam betrat lautlos die Tageskajute.

«Wie geht's ihm?«fragte Bolitho.
        Adam hatte gern Trostliches berichtet, konnte aber nur antworten:

«Er ist immer noch bewu?tlos, und Mr. Tuson meint, die Atmung ist zu unregelma?ig.
«Er blickte zu Boden.»Ich habe den Arzt ausgefragt, aber…»
        Bolitho erhob sich mit bleiernen Gliedern. Von Georgetown schimmerte Licht heruber. Ob die Bewohner immer noch schweigend am Ufer beisammenstanden und zum Schiff starrten? Die ganze Zeit seit dem Angriff hatten sie sich so verhalten - ob aus Mitgefuhl oder aus schlechtem Gewissen, das wu?te er nicht; es kummerte ihn auch nicht.
        Adam sprach immer noch.»Allday und ich gerieten einmal in Gefangenschaft, Sir. «Er richtete seine Worte an Keen, den Blick aber auf Bolitho.»Spater sagte er dann zu mir, damals hatte er zum ersten und einzigen Mal Bekanntschaft mit der Peitsche gemacht. Das schien er fur einen Scherz zu halten.»
        Keen nickte.»Typisch fur ihn.»
        Bolitho ballte die Fauste. Sie wollten ihm helfen, machten aber alles nur noch schlimmer.
        Abrupt sagte er:»Ich gehe zu ihm. Ihr beide ruht euch jetzt besser aus. Kummere dich um die Brandwunde, Adam. In diesem Klima. «Er lie? den Satz unvollendet.
        Keen ging voran durch die Tur und fragte uber die Schulter:»Fallt Ihnen die Stille an Bord auf? Dabei hei?t es immer, Schiffe bestunden nur aus Holz und Kupfer.»
        Adam nickte, froh daruber, da? sein Gesicht unter dem Huttendeck im Schatten blieb. Selbst jetzt hatte Bolitho an seine verbrannte Schulter gedacht. Es war unglaublich.
        Bolitho offnete die schmale Tur und betrat seine Schlafkajute. Das Schiff lag so reglos an seiner Muring, da? es sich kaum bewegte.
        Tuson, der eine kleine Arzneiflasche ans Lampenlicht gehalten hatte, wandte sich bei Bolithos Eintritt um.

«Unverandert, Sir. «Das klang wie ein Vorwurf.
        Bolitho blickte auf das Lager nieder, auf dem er so viele Nachte gegrubelt hatte. Allday war dick bandagiert und lag mit seitlich gedrehtem Kopf da, wohl damit er leichter atmen konnte. Bolitho beruhrte seine eiskalte Stirn und versuchte, sein Erschrecken zu verbergen. Die Haut fuhlte sich schon an wie die eines Toten.
        Leise berichtete Tuson:»Der Stich hat die Lunge knapp verfehlt,
        Sir. Gott sei Dank, da? es offenbar eine saubere Schneide war. «Und als Bolithos Gestalt in den Schatten zurucktrat:»Mochten Sie, da? ich bei ihm bleibe, Sir?»

«Nein. «Bolitho wu?te, da? noch viele Verwundete Tusons Hilfe benotigten.»Aber vielen Dank.»
        Tuson seufzte.»Bin sofort da, wenn Sie mich brauchen.»
        Bolitho folgte ihm in die Tageskajute hinaus.»Sagen Sie es mir offen.»
        Tuson schlupfte in seinen einfachen blauen Rock.»Ich kenne ihn nicht so gut wie Sie, Sir. Er scheint mir ziemlich kraftig zu sein, aber es ist eine schwere Verwundung. Die meisten waren ihr an Ort und Stelle erlegen. Es tut mir aufrichtig leid.»
        Als Bolitho wieder aufblickte, war Tuson schon gegangen, hinunter ins Orlopdeck, in die Einsamkeit seines Lazaretts.
        Aber Ozzard druckte sich noch in der Kajute herum.»Brauchen Sie etwas, Sir?»
        Erst jetzt gewahrte Bolitho seine schmachtige Gestalt. Auch Ozzard bangte um Allday, das sah man ihm an.»Was hat Allday am liebsten getrunken?»
        Ozzards feuchte Augen leuchteten auf.»Tja, Sir - Rum naturlich. War einem guten Schluck nie abgeneigt. «Verlegen gestikulierte er. »Ist einem guten Schluck nie abgeneigt, meine ich.»
        Bolitho nickte. Das war wieder einmal kennzeichnend fur Allday. In kritischen oder gefahrlichen Augenblicken, zu traurigen oder frohlichen Anlassen hatte er ihm oft Brandy angeboten. Und Allday hatte akzeptiert, obwohl ihm doch Rum sehr viel lieber gewesen ware.
        Leise sagte er:»Dann holen Sie bitte Rum, Ozzard. Und sagen Sie dem Zahlmeister: vom besten.»
        Bolitho sa? neben Alldays Lager, die Tur zur Nachbarkajute der besseren Luftung wegen halb offen, als Ozzard mit einem kupfernen Krug zuruckkehrte. Bei der Hitze wurde ihm von dem starken Aroma fast schwindlig.
        Bolitho versuc hte, sich auf die Aufgaben des nachsten Tages zu konzentrieren, auf Tyrrells Zukunft, aber er sah immer nur Belindas Gesicht bei ihrem Abschied vor sich, wie sie Allday gebeten hatte, ihm und Adam beizustehen. So viele Reisen hatten sie gemeinsam gemacht - und erst letztes Jahr waren sie in Frankreich in Gefangenschaft geraten. Es war Allday gewesen, der den todkranken John Ne ale auf seinen Armen getragen hatte, dessen Willensstarke und Zuversicht ihnen Mut und Zusammenhalt gegeben hatte. Und er erinnerte sich an seine Kadettenjahre: Damals hatte er es als ganz selbstverstandlich angenommen, da? einem Admiral niemals Kummer und Selbstvorwurfe zu schaffen machten.
        Vom Vorschiff klangen die dunnen Tone einer Fiedel herein, und Bolitho sah im Geiste die Freiwachter vor sich, die sich in der Abendkuhle vergnugten. Dann erblickte er sein eigenes Gesicht im Spiegel uber dem kleinen Tisch und sah weg. Ob sie jetzt mit ihrem Vizeadmiral getauscht hatten?
        Er nahm ein sauberes Taschentuch, befeuchtete es mit Rum und betupfte damit vorsichtig Alldays Mund.

«Hier, alter Freund. «Bolitho bi? sich auf die Lippen, als der Rum wirkungslos von Alldays Kinn tropfelte. Mitten auf dem Brustverband leuchtete ein roter Fleck. Es drangte Bolitho, nach dem Wachtposten zu rufen und den Arzt zuruckholen zu lassen, aber er beherrschte sich. Alldays Ringen mit dem Tod ging nur ihn selbst an. Auch ware es grausam gewesen, seine Leiden jetzt noch zu vermehren.
        So starrte Bolitho nur in Alldays vertrautes Gesicht. Es schien plotzlich gealtert zu sein, fiel ihm auf. Das Begreifen lie? ihn aufspringen, auch wenn er die Erkenntnis nicht akzeptieren wollte.
        Mit geballten Fausten sah er sich wild in der engen Kajute um, wie ein Tier in der Falle. Dagegen war er machtlos. Ohne zu wissen, was er tat, hob er den Krug an die Lippen und trank, bis ihm der scharfe Rum die Kehle verbrannte und er keuchend nach Luft ringen mu?te.
        Als er darauf wartete, da? sich sein Atem beruhigte, sah er Ozzards schmachtige Gestalt vor der halboffenen Tur warten. Mit einer Stimme, die ihm selbst fremd klang, sagte er:»Meine Empfehlung an den Arzt und.»
        Ozzard schien noch mehr zu schrumpfen, als er Bolithos Worte begriff.»So schnell ich kann, Sir!»
        Bolitho fuhr herum, weil Allday suchend uber den Rand der Koje tastete.

«Ja, ich bin hier.»
        Er nahm Alldays Faust zwischen beide Hande und starrte ihm gebannt ins Gesicht. Darauf zeigte sich jetzt ein Stirnrunzeln, als versuche Allday, sich an etwas zu erinnern. Seine Finger hatten weniger Kraft als die eines Kindes.
        Bolitho flusterte:»Warte noch. Gib nicht auf. «Er druckte Alldays Hand fester, spurte aber keine Erwiderung.
        Doch dann offnete Allday die Augen und starrte ihn an, sekundenlang und anscheinend ohne ihn zu erkennen. Seine Lippen bewegten sich, und er sprach so leise, da? Bolitho sich tief uber ihn beugen mu?te.
        Allday murmelte:»Aber Sie mogen doch keinen Rum, Sir.»
        Bolitho nickte.»Stimmt. «Er hatte gern mehr gesagt, um Allday zu ermutigen, aber die Stimme versagte ihm.
        Turenschlagen, eilige Schritte drau?en, und dann sturzte Tuson, gefolgt von Keen und Adam, in die Kajute.
        Der Schiffsarzt legte seine Hand auf Alldays Brust, ohne sich um das Blut zu scheren. Dann sagte er:»Er atmet schon sehr viel besser. «Und mit einem Schnuffeln:»Ist das Rum?»
        Alldays Augen kippten immer wieder weg, aber er schien unbedingt sprechen, Bolitho irgendwie beruhigen zu wollen.

«Hatte gern 'nen Schluck, Sir.»
        Tuson trat beiseite und beobachtete kritisch, wie Bolitho dem Bootsfuhrer den Kopf stutzte und ihm mit der anderen Hand ein Glas an die Lippen hielt. Er wu?te, diesen Anblick wurde er sein Leben lang nicht vergessen.
        Schlie?lich sagte er:»Legen Sie ihn jetzt zuruck.»
        Er sah zu, wie Bolitho sich Wasser aus einer Schussel ins Gesicht spritzte, um sich fur die anderen drau?en zu wappnen.

«Ihretwegen brauchen Sie das nicht zu tun, Sir. «Spater wunderte Tuson sich uber sich selbst, da? er es gewagt hatte, seinen Admiral so vertraut anzusprechen.»Es schadet nichts, wenn sie sehen, da? auch Sie Gefuhle haben. Wie wir alle.»
        Bolitho warf noch einen Blick auf Allday. Er schien jetzt zu schlafen.

«Danke«, sagte er.»Sie konnen nicht wissen. «Damit verlie? er den Schlafraum, um den anderen gegenuberzutreten.
        Der Arzt betrachtete den Krug Rum auf dem Tisch und verzog das Gesicht. Sein Sachverstand sagte ihm, da? Allday langst tot sein mu?te. Er begann, den blutigen Verband aufzuschneiden.
        Aber dann verzog sich Tusons ernstes Gesicht zu einem schiefen Lacheln. Ein Schluck Rum, bei Gott…
        In der Tageskajute sa?en die anderen schweigend beisammen, bis Ozzard eine Karaffe Wein brachte. Da endlich hob Keen sein gefulltes Glas.»Auf uns alle, Sir«, sagte er.
        Bolitho wandte den Blick ab. Keen hatte keinen besseren Toast ausbringen konnen.



        XV Heimatkurs

        Die Wochen und Monate nach dem spanischen Uberfall auf San Felipe kamen Bolitho vor wie eine schier endlose Chronik von Alldays Uberlebenskampf. Nur zu oft folgte auch der kleinsten Besserung ein ernster Ruckschlag. Bolitho konnte es sich nur so erklaren, da? All-days Bewegungsunfahigkeit ihm zu schaffen machte,»seine Nutzlosigkeit«, wie er es nannte.
        Ab und zu liefen wieder Schiffe die Insel an, und langsam kehrte Normalitat ein. Es kam zu keinen neuen Angriffen, auch berichteten die Handler, die von niemandem mehr behelligt wurden, da? sie keine spanischen Kriegsschiffe gesichtet hatten.
        Dagegen suchten im Oktober zwei Wirbelsturme die Insel heim und richteten solche Verwustungen an, da? ein Krieg dagegen sanft gewirkt hatte. Flutwellen gefahrdeten Achates, vernichteten leichtere Schiffe, und der Sturm deckte viele Hauser ab. Aus Plantagen wurden Wusteneien, mehrere Tote und viele Verletzte waren zu beklagen, und die meisten verloren alles, was sie besa?en.
        Aber die Naturkatastrophe bedeutete einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der Inselbevolkerung und der Besatzung von Achates. Ohne die disziplinierte, gut organisierte Hilfe der Seeleute und Soldaten ware kaum etwas von Wert zu retten gewesen. Das Schiff, einst Symbol fur aufgezwungene Staatsmacht, begann allmahlich eine neue Rolle zu spielen: die des Beschutzers. Und damit wurde der Dienst fur Offiziere und Mannschaften weniger anstrengend.
        Drei Monate, nachdem ihn ein spanischer Sabel niedergestreckt hatte, ging Allday zum erstenmal auf Achates' Achterdeck spazieren.
        Ozzard begleitete ihn, aber Allday wies - ganz der alte - seinen stutzenden Arm zuruck.
        Bolitho richtete es so ein, da? er sich auf dem Huttendeck aufhielt, und sah Allday mit solch schleppenden, unsicheren Schritten ins Sonnenlicht treten, als hatten seine Fu?e noch nie die Planken eines Schiffes beruhrt. Auffallend war auch, da? alle Freunde Alldays offenbar zufallig in der Nahe zu tun hatten; aber sie bewiesen Takt und hielten sich auf Distanz.
        Dann horte Bolitho Adams leichten Schritt neben sich und sagte:»Hatte nie gedacht, da? ich diesen Anblick erlebe, Adam. «Er schuttelte den Kopf.»Niemals.»
        Adam lachelte.»Er erholt sich gut.»
        Unten erreichte Allday die Querreling und packte sie mit beiden Handen; er holte einige Male tief Luft und starrte hinunter aufs Batteriedeck.
        Scott, der Dritte Offizier und Wachfuhrer, ignorierte Allday bewu?t und trat sogar zum Kompa?, studierte die Windrose, als sei das Schiff auf See und nicht im Hafen.
        Bolitho wandte sich seinem Neffen zu. So viel Zeit war inzwischen vergangen, und doch hatten sie kaum uber Boston und die Vorgange dort gesprochen; nur Tyrrell hatte ihm kurz das Wichtigste erzahlt.
        Gedampft sagte der Admiral:»Was wir hier erreicht haben, ist von Bedeutung, Adam. Ich habe der Admiralitat meine Ansichten mitgeteilt, meine Vorschlage, was hier geschehen soll, nachdem wir wieder ausgelaufen sind. «Er hob die Schultern.»Ich mu? daran glauben, da? London dementsprechend handeln wird. Es gab zu viele Tote und Verwundete, als da? man jetzt noch alles zum Teufel gehen lassen konnte. „Mein Vater hat uns Englandern oft diesen Vorwurf gemacht: Wir gewinnen etwas mit Blut und Schwei? - und danach wird es uns gleichgultig. «Mit einer Handbewegung umfa?te er den ganzen Hafen.»Nur zwei Fregatten mehr, und die Spanier hatten es nie gewagt, die Hand nach dieser Insel auszustrecken. Und die Franzosen hatten sich anderswo nach einem fetten Brocken umgesehen.»

«Aber wenn Ihre Lordschaften darauf bestehen, da? die Insel doch noch ubergeben wird, Onkel?»

«Die spanische Gier mu? sie vom Wert San Felipes uberzeugt haben. Wenn nicht, habe ich hier versagt. «Mit spontaner Warme ergriff
        Bolitho Adams Arm.»Trotzdem war es nicht recht, wie ich mich deiner bedient habe. Ich wu?te, da? Chase dir vertrauen, dir erzahlen wurde, was ich unbedingt wissen mu?te. Aber das Ergebnis war, da? dir die Gelegenheit genommen wurde, seine Nichte fur dich zu gewinnen. Das werde ich mir immer vorwerfen.»
        Adam machte eine Bewegung und spurte wieder die Brandwunde auf der Schulter; er lachelte bedauernd.»Trotzdem waren wir beinahe zu spat gekommen, Onkel. «Beider Blicke wanderten zu den verkohlten Uberresten hinuber, die im flachen Wasser vor dem Ufer lagen. Reihenweise sa?en Seevogel auf den geschwarzten Spanten des Branders, und uber die Stelle, wo Tyrrell seine Brigantine zu ihrer aller Rettung geopfert hatte, wuchs Seetang.
        Zogernd meinte Adam:»Wenigstens habe ich Vaters Haus gesehen.»
        Bolitho sah ihn an und war froh, da? er es ohne Eifersucht auf den Bruder tun konnte.
        Wie geistesabwesend fuhr Adam fort:»Ich habe ihr gesagt, da? ich eines Tages zuruckkommen werde.»

«Vielleicht konnen wir gemeinsam zuruckkehren. Und dann fuhrst du mich zu Hughs altem Haus, ja?»
        Sie tauschten einen Blick des Einverstandnisses. Es war, als sei Hugh bei ihnen, aber jetzt ohne die alte Drohung und Feindseligkeit. Wie die Insel.
        Bolitho zuckte zusammen, als er sah, da? Allday unten schwankte; er hatte die Querreling losgelassen und sich zu ihnen umgedreht. Nun sah er zum Huttendeck auf und grinste. Er war sich ihrer Gegenwart die ganze Zeit bewu?t gewesen, begriff Bolitho.
        Laut sagte er:»Ohne Allday.:. «Er mu?te den Satz nicht vollenden, Adam verstand ihn auch so.
        Der Fahnrich der Wache kam die Leiter heraufgepoltert und griff gru?end zum Hut. Bolitho wandte sich ihm zu.»Na, Mr. Ferrier, wollen Sie mir dieses fremde Segel melden?»
        Der junge Mann errotete, seine sorgsam zurechtgelegten Worte waren vergessen.

«Ich - ah - Empfehlung des Kommandanten, Sir, und von Osten nahert sich eine Kurierbrigg. «Bolitho nickte.»Danke. Es ist schon eine Weile her, seit ich den

>Luxus< der Fahnrichsmesse genie?en durfte, aber ein Flaggensignal kann ich immer noch lesen.»
        Adam rief aus:»Du hast es gewu?t? Und hast mit mir geplaudert, als sei die Brigg und die Nachricht, die sie uns bringt, von keinerlei Bedeutung?»
        Der Fahnrich meldete sich ab, blieb aber unterwegs bei zwei Freunden stehen, um mit ihnen zu sprechen. Bis heute abend wurde der Vorfall, um einiges ausgeschmuckt, im ganzen Schiff bekannt sein, dachte Bolitho. Ferrier war der alteste Fahnrich an Bord, und die Ankunft der Brigg war auch fur ihn entscheidend; wahrscheinlich brachte sie ihm die Kommandierung zur Offiziersprufung in der Heimat - fur einen jungen Menschen Grund genug zur Freude.
        Bolitho trat an die Reling und musterte die oberen Decks. Auf der Back, den Seitendecks und in der Takelage, uberall waren Manner bei der Arbeit, aber ihre Blicke schweiften immer wieder zur Hafeneinfahrt, und Bolitho konnte ihre Gedanken leicht erraten. Zunachst waren sie froh gewesen, England und ihre demutigende Arbeitslosigkeit hinter sich zu lassen; aber nun wurden sie nach allem, was sie gemeinsam erlebt und bewaltigt hatten, nur zu gern in die Heimat zuruckkehren.
        Auch Bolitho dachte an Falmouth, an seine neugeborene Tochter. Welchen Namen Belinda wohl fur sie ausgesucht hatte?
        Er sagte:»Ich gehe unter Deck. Der Offizier der Wache soll die Mannschaft tuchtig beschaftigen. Ich will keine langen Gesichter sehen, wenn die Nachrichten enttauschend sind.»
        Adam trat zuruck und tippte gru?end an den Hut. Vergeblich versuchte er zu erraten, was seines Onkels nachster Schachzug sein wurde.
        Als Bolitho seine Kajute betrat, stellte er zu seiner Uberraschung fest, da? Allday den Dienst wieder aufgenommen hatte; eifrig polierte er den alten Familiensabel.

«Du sollst dich ausruhen, Mann! Wirst du denn, verdammt noch mal, nie tun, was dir gesagt wird?»
        Aber diesmal blieb seine scheinbare Verargerung ohne jede Wirkung.
        Allday rieb noch einmal mit dem Tuch uber die Klinge, dann blickte er zu Bolitho auf.

«Der Arzt sagt, da? ich mich nie mehr ganz erholen werde, Sir.»
        Bolitho schritt zu den offenen Heckfenstern. Das war es also. Eigentlich hatte er es voraussehen mussen. Allday ging nach wie vor leicht gekrummt, als hindere ihn die tiefe Wunde daran, sich aufzurichten.
        Leise fuhr Allday fort:»Fur einen Admiral ware ich ein trauriger Bootsfuhrer, deshalb wollte ich.»
        Bolitho unterbrach ihn.»Niemand, den ich kenne, hat sich das bequeme Leben an Land so ehrlich verdient wie du. In Falmouth wartet Arbeit auf dich, aber das wei?t du langst.»

«Ja, und ich danke Ihnen dafur, Sir. Aber das allein ist es nicht. «Allday sah auf den Sabel nieder.»Sie brauchen mich nicht mehr. Nicht dafur.»
        Bolitho nahm ihm den Sabel aus den Handen und legte ihn auf den Tisch.»Wofur? Blo? weil du im Moment etwas wacklig auf den Beinen bist? Glaub mir, binnen kurzem bist du wieder der alte rebellische Haudegen. «Er legte ihm die Hand auf die Schulter. Ich werde nie ohne dich segeln, es sei denn, du willst nicht mitkommen. Mein Wort darauf.»
        Allday stand auf und unterdruckte eine Grimasse, als ihn ein stechender Schmerz durchfuhr.»Dann ist das also geregelt, Sir.»
        Schleppenden Schrittes verlie? er die Kajute.
        Alldays Entschlossenheit und Stolz waren ungebrochen, dachte Bo-litho traurig. Und er lebte, das war die Hauptsache.
        Spater am Tag, als sich die Sonne schon der glatten See zuneigte, trat Bolitho in die Offiziersmesse; nach der Geraumigkeit seiner Kajute und der Keens kam sie ihm eng und uberfullt vor.
        Steif machte Quantock Meldung:»Alle Offiziere und Decksoffiziere wie befohlen zugegen, Sir.»
        Bolitho nickte. Quantock war ein kalter Fisch, den auch das Gefecht nicht menschlicher gemacht hatte.
        Als Adam die Tur hinter ihm geschlossen hatte, sagte der Vizeadmiral:»Bitte, nehmen Sie Platz, meine Herren, und Dank fur die Einladung. «Der alte Brauch amusierte ihn immer wieder. In der Offiziersmesse war jeder Vorgesetzte, sogar Keen, lediglich ein geduldeter Gast. Aber hatte man wirklich jemals einem Vorgesetzten den Eintritt verwehrt? fragte er sich.
        Er musterte die erwartungsvollen Gesichter. Sonnengebraunt und zuverlassig. Selbst die Kadetten und Fahnriche, die sich ganz achtern um den Ruderschaft drangten, machten den Eindruck von Mannern, nicht mehr von Jungen. Die Leutnants und die beiden Anfuhrer der Marinesoldaten, der monchshafte Segelmaster Knocker und der Schiffsarzt Tuson - er hatte sie kennen und verstehen gelernt, seit seine Flagge im Vortopp gehi?t worden war.
        Bolitho begann:»Sie wissen inzwischen, da? die Kurierbrigg aus England auch Depeschen fur uns an Bord hatte. Ihre Lordschaften haben sich mit den Berichten aus San Felipe eingehend beschaftigt und sind sich der wichtigen Rolle bewu?t, die Ihrem Einsatz bei dieser schwierigen Mission zukommt.»
        Er sah, wie Mountsteven seinen Freund, den Sechsten Offizier, anstie?.

«Weiterhin hat man mich unterrichtet, da? Frankreichs Einmischung im Mittelmeer und der Druck, den es auf die Regierung Seiner Majestat wegen der Evakuierung Maltas ausubt - einer Vereinbarung in eben jenem Vertrag, der uns zur Ubergabe dieser Insel hier zwang - , da? all dies weitere Verhandlungen verhindert. Als unmittelbare Folge daraus werden alle franzosischen und hollandischen Kolonien, in deren Ruckgabe wir eingewilligt hatten, in britischem Besitz bleiben. Und das, meine Herren, gilt naturlich auch fur San Felipe.»
        Bolitho konnte es immer noch nicht ganz glauben. Es fiel schwer, hinter den abgewogenen Formulierungen der Depeschen die komplizierten Verhandlungen zu sehen, die uberall in Europa stattgefunden hatten, wahrend die Crew von Achates um ihr Uberleben kampfte.
        Bonaparte, jetzt auf Lebenszeit zum Konsul ernannt, hatte Piemont und Elba annektiert und machte keinen Hehl aus seiner Absicht, Malta wieder in Besitz zu nehmen, sobald England dort seine Flagge zugunsten einer scheinbaren Unabhangigkeit der Insel gestrichen hatte.
        Mit dem Begreifen ging eine Welle der Erregung durch die Messe. Das war das Ende des Friedens von Amiens, dachte Bolitho. Er hatte kaum so lange gewahrt, wie die Unterschriften zum Trocknen brauchten.
        Er fuhr fort:»Wir haben Befehl, auf San Felipe zu bleiben, bis entsprechende Streitkrafte aus Antigua und Jamaika eintreffen, um die Inselgarnison zu verstarken. «Und in Keens Richtung, der den Blick abwandte, weil er offenbar ahnte, was nun kam:»Der augenblickliche Gouverneur wird so schnell wie moglich abgelost. Sir Humphrey Rivers kehrt nach England zuruck, um sich vor Gericht wegen Hochverrats zu verantworten.»
        Es bereitete Bolitho keine Genugtuung, sich vorzustellen, wie Rivers nach seinem Leben in Luxus und Reichtum die Heimkehr auf einem Kriegsschiff schmecken wurde, dem ersten halbwegs geeigneten, das die Insel Richtung England verlie?. Und nach dieser unerwarteten politischen Entwicklung erwartete ihn wahrscheinlich der Strick des Henkers.
        Bolitho blickte von einem Gesicht zum anderen und schlo?:»Sie alle haben sich au?erst tapfer geschlagen, und ich mochte Sie bitten, auch der Mannschaft meinen Dank zu ubermitteln.»
        Keen sah Bolitho zum erstenmal seit langem lacheln.»Und wenn alles geregelt ist«, setzte ihr Vizeadmiral hinzu,»fahren wir heim.»
        Das brachte sie auf die Beine; sie lachten und schrien durcheinander wie Schuljungen.
        Keen hielt die Tur auf, damit sich Bolitho unauffallig zuruckziehen konnte. Er hatte zwei Briefe von Belinda erhalten und nun endlich Zeit, sie in Ruhe noch einmal von Anfang bis Ende zu lesen.
        Als Keen und Adam ihm die Treppe hinauf folgten, fragte der Kommandant:»Bedeutet das Krieg, Sir?»
        Bolitho dachte an die jungen, jubelnden Gesichter, die er gerade verlassen hatte, und auch an Quantocks sauerliche Mi?billigung.

«Fur mich gibt es daran kaum noch Zweifel, Val«, antwortete er.
        Keen sah sich im Halbdunkel um, als musse er sein Schiff sogleich gefechtsklar machen.»Herr im Himmel, Sir, wir haben uns vom letzten noch kaum erholt!»
        Als sich Bolitho der rotuniformierten Wache vor seiner Kajute zuwandte, horte er Alldays neuerdings so schleppenden Schritt hinter der Tur.»Manche werden sich nie mehr erholen«, sagte er.»Fur sie ist es zu spat.»
        Keen seufzte und sagte zu Adam:»Kommen Sie mit, Mr. Bolitho, wir trinken einen Schluck. Zweifellos werden Sie ein eigenes Schiff befehligen, wenn es zum Krieg kommt. «Er lachelte schief.»Erst dann werden Sie merken, wie hart das Leben sein kann.»
        In seiner gro?en Achterkajute machte Bolitho es sich bequem und entfaltete den ersten Brief.
        Es ging heimwarts. Seine Leute waren uberrascht gewesen zu horen, da? diese Worte fur ihren Vizeadmiral genausoviel bedeuteten wie fur sie selbst.
        Und dann glaubte er, ihre sanfte Stimme aus den Zeilen sprechen zu horen, als er las: Mein geliebter Richard…

«Sorgen Sie dafur, Yovell, da? diese Briefe mit den anderen an Bord der Kurierbrigg gebracht werden.»
        Bolitho lauschte dem Knarren der Taljen, das durchs Oberlicht hereindrang, dem Getrappel vieler Fu?e, als wieder ein Netz mit frischem Proviant uber das Schanzkleid gehievt wurde.
        Nach dem monatelangen Warten fiel es immer noch schwer zu glauben, da? der Augenblick des Aufbruchs fur sie gekommen war. Obwohl sie wirklich keine Zeit zur Mu?e gefunden hatten.
        Eine schnittige Fregatte und zwei Morserboote lagen nun unterhalb der Batterie vor Anker, und ein gro?er Truppentransporter hatte die versprochene Verstarkung fur die Garnison gebracht. Bolitho mu?te lacheln, als ihm einfiel, wie Lemoine seine Ablosung durch einen Obersten kommentiert hatte.

«Und dabei habe ich gerade Geschmack an der Macht gefunden«, hatte der Leutnant gesagt.
        Bolitho horte Alldays Schritt in der Pantry und blickte auf, um ihn zu begru?en. Allday hatte gro?e Fortschritte gemacht und sogar wieder etwas Farbe gewonnen, aber er konnte die Schultern immer noch nicht gerade halten, und der blaue Rock mit den Goldknopfen hing lose um seine machtige Gestalt.
        Seit seiner Verwundung mu?ten jetzt sechs Monate vergangen sein und drei seit der Ankunft des Kurierschiffs mit den Anweisungen der Admiralitat, die das Schicksal der Insel endgultig regelten.
        Bolitho sagte:»Wenn wir England erreichen, wird es dort Fruhling sein. Ein volles Jahr ist seit unserem Auslaufen vergangen.»
        Dabei beobachtete er Alldays Gesicht, aber der zuckte nur mit den Schultern und antwortete:»Wahrscheinlich hat sich die ganze Aufregung bis dahin wieder gelegt, Sir.»

«Kann sein.»
        Allday grubelte also immer noch, furchtete das Land mehr als die Gefahren auf See. Einem alten Seemann ging es da nicht anders als seinem Schiff: sobald es unnutz festlag und nicht mehr gebraucht wurde, war es zum Verfall verurteilt.
        Bootsmannspfeifen schrillten an Deck oben und Befehle wurden gebrullt, wahrend die Seitenwache an der Pforte aufzog.
        Bolitho erhob sich und lie? sich von Ozzard seinen Paraderock bringen. Mit der Fregatte war auch der neue Gouverneur fur San Felipe eingetroffen, ein schmachtiger Mann mit einem Vogelgesicht, der im Vergleich zu Rivers farblos wirkte.
        Und er brachte die Anweisung mit, da? Rivers auf Achates nach England zuruckgeschafft werden sollte. Pech fur uns beide, dachte Bolitho.
        Oder wie Keen bemerkt hatte:»Holle und Teufel, warum ausgerechnet wir? Die Pest uber diesen Mann!»
        Ozzard klopfte an dem goldbetre?ten Uniformrock herum und musterte die Goldepauletten mit sachkundigem Interesse. Dann griff er nach dem Prunksabel an der Wand, lie? aber die Hande sinken, als Bolitho schnell den Kopf schuttelte.
        Er wartete darauf, da? Allday die alte Familienwaffe von ihrem Platz nahm und ihm an den Gurtel schnallte, wie immer.
        Bolitho hatte Belinda von Alldays Mut geschrieben und auch den Preis erwahnt, den er dafur hatte zahlen mussen. Sie wurde besser als jeder andere wissen, was jetzt zu tun war. Mit einem schnellen Kurier mu?ten seine Briefe lange vor Achates in England sein.

«Danke. Ich gehe und begru?e unseren - an - Gast.»
        Allday begleitete ihn an Deck, wo Bolitho Rivers an der Eingangspforte warten sah, flankiert von seiner Eskorte. Er trug Handschellen, und Leutnant Lemoine beeilte sich zu erklaren:»Befehl des Obersten,
        Sir.»
        Bolitho nickte unbeeindruckt.»An Bord befindet sich Sir Humphrey in meinem Gewahrsam, Mr. Lemoine. Und ich wunsche nicht, ihn in Eisen zu sehen. «Die uberraschte, fast erschreckte Dankbarkeit in Rivers' Blick blieb ihm nicht verborgen. Dann sah er seine Augen zum Vormasttopp schweifen, wo die Flagge in der frischen Brise auswehte. Da er selbst Vizeadmiral gewesen war, suchte er diesen Anblick wohl bis zuletzt auszukosten.

«Meinen Dank dafur, Bolitho.»
        Bolitho sah Keen im Hintergrund die Stirn runzeln.»Das ist aber auch alles, obgleich das mindeste, was ich fur Sie tun kann.»
        Rivers blickte hinuber zur Stadt, an deren Uferstra?e sich eine Menschenansammlung eingefunden hatte, um ihn abreisen zu sehen. Kein Jubel, aber auch keine Schmahrufe. Typisch fur die Insel, dachte Bo-litho, mit ihrer sturmischen Vergangenheit und Ungewissen Zukunft.
        Aber was kummerte es ihn? Warum sollte er den Mann bedauern, diesen Verrater und Piraten, dessen selbstsuchtige Gier so viele Menschenleben gefordert hatte? Rivers hatte zwei Sohne, die in London lebten und ihm schon einen tuchtigen Verteidiger fur seinen Proze? besorgen wurden. Vielleicht konnte er sich sogar noch einmal herausreden. Die im Kriegsfall so wertvolle Wehrhaftigkeit der Insel ging schlie?lich zum gro?en Teil auf ihn zuruck, auch wenn seine Motive dabei anderer Art gewesen waren.
        Bolitho mu?te sich eingestehen, da? die Hauptschuld bei den allmachtigen Herren in London lag, die es zugelassen hatten, da? Rivers seine Macht zum eigenen Vorteil immer weiter ausbaute.
        Keen sah Rivers nach, der nach unten gefuhrt wurde, und murrte:»Ich hatte ihn in die Arrestzelle gesteckt.»
        Bolitho lachelte.»Wenn Sie jemals in Gefangenschaft geraten, Val, was hoffentlich niemals geschehen wird, dann werden Sie mich verstehen.»
        Ungeruhrt grinste Keen.»Aber bis dahin, Sir, kann ich ihn nicht ausstehen.»
        Fahnrich Ferrier trat heran, gru?te und meldete Keen:»Mr. Tyrrell ist an Bord gekommen, Sir.»
        Bolitho wandte sich um. Tyrrell hatte sich seit dem Verlust seiner Vivid uberwiegend an Land aufgehalten, wohl um - wie Bolitho vermutete - nicht daruber sprechen zu mussen. Oder hatte er, - unabhangig wie immer, sich einen Platz auf einem anderen Schiff gesucht?
        Nun mu?te er gehort haben, da? Achates bald auslaufen wurde. Schlie?lich war das ein offenes Geheimnis auf der Insel. Wenn Achates erst den Ozean uberquert hatte, wurde es auf San Felipe einige neugeborene Kinder geben, hell- oder dunkelhautige. Es stimmt Bo-litho froh, die Abschiedsrufe zu horen, die zwischen den Booten und dem Kai gewechselt wurden. Achates hatte uber die Toppen geflaggt und war bis zum Rand voll frischer Fruchte und Geschenke, uberreicht von der Inselbevolkerung, die das Schiff einst so geha?t und gefurchtet hatte.
        Tyrrells wettergegerbter Kopf erschien auf der Leiter zum Achterdeck, und Bolitho ging ihm entgegen.

«Will mich nur schnell verabschieden, Dick. Von Ihnen und dem Junior. Wenn ich ihn das nachste Mal sehe, ist er bestimmt Kapitan.»
        Wie Allday tat sich auch Tyrrell schwer; er wurde im nachsten Augenblick auf seinem verha?ten Holzstumpf schleunigst das Weite suchen. Bolitho dachte uber die rechten Worte nach, denn er wu?te, da? Tyrrell jede wohlgesetzte Rede als Beweis fur Mitleid, ja sogar Herablassung auffassen wurde.

«Fahren Sie jetzt nach Hause zuruck, Jethro?»

«Hab kein Zuhause, ist alles hin. Das wissen Sie doch, verdammt noch mal!«Aber er beherrschte sich sofort wieder.»Tut mir leid. Unser Wiedersehen hat mich ziemlich aus dem Gleis geworfen.»

«Mich auch.»

«Tatsachlich?«Mi?trauisch starrte Tyrrell ihn an, einer Luge gewartig.

«Ich habe mir uberlegt…«Aus dem Augenwinkel sah er Knocker zum Ersten Offizier hasten, der sich seinerseits an den Kommandanten wandte. Bolitho wu?te den Grund, auch er hatte den Wechsel der Windrichtung im Gesicht gespurt, schon als er mit Rivers sprach. Viel half das nicht, aber in dieser wetterwendischen Weltgegend mu?te man aus allem das Beste machen. Doch er untersagte sich den Blick zur Windfahne im Masttopp, weil er sich nicht ablenken lassen wollte, sondern fuhr fort:»Wie war's mit England?»
        Tyrrell warf den Kopf zuruck und lachte rauh.»Mann Gottes, was sagen Sie da? Was soll ich in England?»
        Bolitho blickte an ihm vorbei zum Land hinuber.»Ihr Vater stammt aus Bristol, wie ich mich erinnere. Das ist nicht weit von Cornwall, von uns.»
        Auch Tyrrell war die plotzliche Aktivitat an Bord nicht entgangen, er interpretierte sie richtig: ein Schiff vor dem Auslaufen. Aber in die Heimat.
        Verzweifelt antwortete er:»Ich bin ein Kruppel, Dick, wozu ware ich schon nutze?»

«Westengland hat eine Menge Schiffe wie die Vivid.»
        Bolitho sah Keen herankommen. Er konnte nicht langer warten.»Jedenfalls mochte ich, da? Sie mitfahren«, sagte er abschlie?end.
        Tyrrell blickte sich um, als konne er seinen Augen und Ohren nicht mehr trauen.

«Aber Hand fur Koje, darauf bestehe ich.»
        Bolitho lachelte.»Dann ist das also abgemacht.»
        Sie tauschten einen Handedruck, wobei Tyrrell versprach:»Bei Gott, Sir, das sollen Sie niemals zu bereuen haben!»
        Bolitho wandte sich an seinen Flaggkapitan.»Bringen Sie das Schiff in Fahrt, Val, wenn Sie soweit sind.»
        Keen drehte sich um und rief:»Alle Boote einsetzen! Beide Wachen an Deck, Mr. Quantock!»
        Ein letztes Mal blickte er hinuber zu Bolitho und dem Einbeinigen, die an der Querreling standen, und schuttelte den Kopf.
        Die Toppsgasten enterten behende auf und legten auf den Rahen aus, das Ankerspill wurde bemannt, und bald zeigte Achates dem Land das Heck und glitt langsam seewarts, auf ihren Anker zu.

«Horen Sie sie, Jethro?«fragte Adam aufgeregt.»Sie jubeln uns zu!»
        Das Ufer war gesaumt mit Menschen, die Tucher schwenkten und Abschiedsgru?e ubers Wasser riefen, wahrend das gro?e Ankerspill das Schiff mit jedem Klicken weiter dem Land entzog.
        Tyrrell nickte.»Ja, mein Junge, diesmal jubeln sie.»
        Hauptmann Dewar kam schneidig heranmarschiert und griff schwungvoll gru?end zu seinem Hut.»Also gut«, sagte Keen, der sich von der allgemeinen Frohlichkeit anstecken lie?,»lassen Sie aufspielen. Das wollten Sie doch gerade vorschlagen, wie?»
        Bolitho spurte, da? er den Handlauf unnotig fest umklammerte. Solch einen Abschied hatte er schon ungezahlte Male erlebt, aber trotzdem war es diesmal anders.

«Anker ist kurzstag, Sir!»

«Vorsegel los!»
        Bolitho wandte sich um und sah Allday neben sich stehen. Seine rechte Hand.

«An die Brassen!«Mit vorgerecktem Kopf tigerte Quantock an Deck hin und her; im Augenblick jedenfalls war seine Verbitterung uber den komplizierten Anforderungen seines Handwerks vergessen.

«Anker ist frei!»
        Es war kein schneidiges Manover unter Vollzeug und mit starker Krangung, nein, Achates ging langsam und mit der ganzen Wurde ihrer Jahre durch den Wind, lie? die Sonne kurz von ihrer Galionsfi-gur reflektieren und dann auf den verschalkten Stuckpforten und der frisch gestrichenen Rumpfwolbung schimmern.

«Bramsegel los, aber bi?chen plotzlich, Mr. Scott! Ihre Leute sind heute lahm wie alte Weiber!»
        Knallend fullten sich die Segel mit Wind, bis sie steif wie Bretter standen; mit einer leichten Bugwelle unter ihrem Wasserstag glitt Achates auf die Hafenausfahrt zu.
        Bolithos Augen hingen an dem schmalen Fahrwasser, das ihm nicht viel breiter vorkam als ein Hoftor. Auch Keen, das sah er mit einem kurzen Seitenblick, mu?te wieder daran denken, wie sie bei volliger Dunkelheit hier durchgebrochen waren.

«Recht so!«Das war Knockers Stimme. Sogar er schien ungewohnt heiter, als er fortfuhr:»Mr. Tyrrell, Sie kennen sich hier besser aus. Ich ware Ihnen dankbar fur Ihren Rat.»
        Hoch uber ihnen glitt die Festung vorbei und darunter der leicht ansteigende Feldweg, auf dem der Trommelbube gefallen war und Rivers seinen gro?ten Fehler gemacht hatte.
        Die Flagge uber dem alten Turm wurde gru?end gedippt; auf der zinnenbewehrten Bastion stand eine Reihe rotuniformierter Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten und salutierend gesenkten Fahnen. Die Bramsegel von Achates warfen huschende Schatten auf die Festungsmauern.

«So schnell werden die das alte Kathchen nicht vergessen«, murmelte Allday. Lauschend wandte er sich um, als der kleine Musikzug mit seinen Pfeifern und Trommlern ein munteres Abschiedslied anstimmte.
        Bolitho sah, da? Alldays Hand noch einmal zur Wunde tastete, aber dann zog er sie entschlossen zuruck und legte sie neben seiner auf den Handlauf.
        Als lasse er mit der Insel auch den Schmerz hinter sich zuruck.



        XVI Das Geheimnis

        Bolitho stieg die nassen Planken zur Luvseite hinauf und griff haltsuchend in die Wanten des Besanmasts.
        Das Schiff schuttelte sich und stampfte schwer in den hohen Seen, die mit ungebrochener Wucht schrag gegen sein Achterschiff anrannten.
        Wieder einmal sackte der Bug weg, donnernd stieg die See ubers Vorschiff ein und schaumte wie ein Wasserfall auf dem oberen Batteriedeck nach achtern, umbrandete die Kanonen und gurgelte schlie?lich durch die Speigatten au?enbords - bis zum nachsten Ansturm.
        Trotz der heftigen Schiffsbewegungen und der unbehaglichen Nasse hatte Bolitho jubeln mogen; ihn erfullte eine Begeisterung, die er seit seinen Tagen als junger Kommandant nicht mehr gekannt hatte.
        Das graue Gesicht des Atlantiks - wie sehr unterschied es sich doch von den Gewassern um San Felipe: gefurcht von wilden Seen, deren helle, brechende Kamme ihn anfletschten wie gelbe, scharfkantige Zahne, reckte es sich ihm trotzig entgegen.
        Achates wetterte den unerwarteten Sturm unter Breitfock und gerefften Marssegeln ab und hielt sich bei den rauhen Bedingungen recht tapfer. Trotzdem, in der kurzen Zeit, seit er an Deck gekommen war, hatte Bolitho den Bootsmann und seine Gang losgerissene Beiboote wieder festzurren gesehen, immer im Kampf mit dem uberkommenden Wasser, das sie von den Fu?en zu rei?en drohte; genauso mu?ten Kanonen neu gesichert werden oder Manner aufentern, um gebrochene Teile des Riggs zu reparieren.
        Auch Keen hielt sich an Deck auf. Der Sturm zerrte an seinem Olzeugmantel, als er, uber den Kompa? gebeugt, sich schreiend mit dem Master unterhielt.
        Seit ihrem Auslaufen von San Felipe hatte das Wetter sie standig genarrt. Zunachst war die Brise eingeschlafen, sobald die Insel hinter den Horizont gesunken war. Tagelang hatten sie in der Flaute gedum-pelt, ehe sie wieder Segel setzen und die vielen Seemeilen zuruckgewinnen konnten, die sie verdriftet waren.
        Jetzt standen sie weit drau?en im Atlantik und bekamen die andere Seite zu spuren. Trotz der vielen Reparaturen, von denen manche mangels einer Werft nur behelfsma?ig ausgefuhrt waren, hatte sich das Schiff bisher behauptet. Zum Gluck fur uns alle, dachte Bolitho grimmig, denn das nachste Land waren die Bermudas, etwa zweihundert Meilen weiter nordwestlich.
        Hier kam wieder eine. Bolitho hielt den Atem an, als die See ubers Luvschanzkleid kochte und ein paar Seeleute wie Treibholz wegschwemmte, ehe sie sich irgendwo festklammern konnten. Er blickte zu den Rahen auf, wo die gerefften Segel im diffusen Licht wie Metallplatten schimmerten.
        Auf dem Achterdeck pa?ten geduckte Schemen den rechten Moment ab, ehe sie von einem Handlauf zum nachsten sprangen. Einige dieser Gestalten bemerkten den Admiral auf der Luvseite und zweifelten wohl an seinem Verstand, weil er das sturmumtoste Deck seiner ruhigen, trockenen Kajute vorzog.
        Das Gesicht tropfna? von Gischt, kam Keen herangewankt.

«Mr. Knocker sagt, das kann hochstens noch einen Tag so bleiben, Sir. «Er duckte sich vor einer Wasserwand, die auf das Achterdeck krachte und uber die Niedergangsleitern zu beiden Seiten wieder abflo?.

«Wie wird Sir Humphrey mit all dem fertig?»
        Keen spahte zum Gro?mast, wo zwei Manner einen Bunsch neuer Leinen klar zum Hochhieven machten, weil an der Gro?marsrah etwas gebrochen war. Dann entspannte er sich leicht, als er sah, da? sie sich rechtzeitig zu den Wanten fluchteten und sich anklammerten, ehe die nachste uberkommende See sie von Bord waschen oder gegen eine Kanone schmettern konnte.
        Schreiend antwortete er:»Prachtig, Sir. Er schreibt die meiste Zeit.»
        Bolitho druckte das Kinn in den Kragen, als Gischt und Spritzwasser von der Hutte auf ihn herabprasselten. Also bereitete Rivers seine Verteidigung vor. Oder er verfa?te seinen Letzten Willen. Wahrscheinlich hielt er sich so beschaftigt, um die Meilen zu vergessen, die Achates' zerschrammter Kiel unerbittlich verschlang.
        Der Wachoffizier hangelte sich Hand uber Hand an der Querreling heran und rief: Zeit fur die erste Kurzwache, Sir!»
        Keen grinste in den Sturm.»Mein Gott, dabei sieht's eher aus wie Mitternacht.»
        Bolitho uberlie? ihn sich selbst und tastete sich nach achtern unter die Hutte, wo es relativ ruhig war; hier dampfte massives Eichenholz das Getose von See und Sturm.
        Aber in der Kajute ging der Hexentanz wieder los: Spritzwasser scho? durch die verschalkten Fenster in Luv, die Hangelampen kreiselten wild unter der Decke, und das Mobiliar tat sein Bestes, um sich aus Ozzards Sturmlaschings zu befreien.
        Der Steward erschien in der Tur zur Pantry und klammerte sich haltsuchend an den Rahmen. Bolitho wollte ihn um ein hei?es Getrank bitten, lie? es aber, als er sah, wie grunlich-bla? Ozzards Gesicht war.

«Wie geht's Allday?»
        Ozzard schluckte.»Liegt in seiner Hangematte und ruht sich aus. Vorher hat er einen gro?en Becher…«Aber allein der Gedanke an Rum war zuviel fur Ozzard; er drehte sich wurgend um und floh in die Pantry zuruck.
        Bolitho ging in seinen Schlafraum und packte das Fu?brett seiner Koje, in der Allday beinahe gestorben ware. Dann wartete er ab, bis das Deck sich wieder zu heben begann, und hievte sich voll angekleidet auf sein Lager.
        Es war ihm verha?t, so am Rande des Geschehens bleiben zu mussen, wenn das Schiff seinen Kampf mit dem naturgegebenen Feind austrug. Sich bei dieser Gelegenheit kaum wichtiger als ein Passagier zu fuhlen, war ein Aspekt seines Admiralsranges, mit dem er sich nur schwer abfand.
        Trotzdem blieb er angekleidet und lie? nur die Schuhe zu Boden poltern. Den Schatten, die in einem makabren Tanz uber Schotten und Decke huschten, zog er eine Grimasse. Ob nun Passagier oder nicht, wenn das Schiff unterging, sollte die Besatzung ihren Admiral nicht in Unterhosen sehen.
        Aber in dieser Nacht verausgabte der Sturm seine Kraft; gegen Morgen drehte der Wind, obwohl immer noch sehr stark, nach Suden, so da? Keen mehr Segel setzen lassen konnte und seine Manner sich an die Beseitigung der Sturmschaden machten. In den Zwischendecks wurde gepumpt, getrocknet und aufgeklart, und als zum Fruhstuck gepfiffen wurde, stie? der Kombusenschornstein wieder seine ublichen, fettig schwarzen Ru?wolken aus.
        Bolitho sa? am Tisch, trank dampfenden Kaffee und kaute auf dunnen Schweinefleischscheiben, die in Zwiebackkrumeln hellbraun gerostet waren. Auf See war das eines seiner Lieblingsgerichte, und niemand konnte es besser zubereiten als Ozzard.
        Trotz des ungunstigen Wetters und ihrer dadurch bedingten Verzogerung sollten sie Kap Lizard, die Sudwestspitze Englands, in vierzehn Tagen in Sicht bekommen.
        Es uberraschte ihn selbst, da? er sich bei diesem Gedanken so unsicher, so nervos fuhlte. Voraus lag alles, wonach er sich gesehnt, was er sich erhofft hatte, und trotzdem war ihm zumute wie einem schuchternen Seekadetten.
        Er erhob sich und trat vor den Spiegel, der uber seinem Schreibpult hing. Schlie?lich war er um ein Jahr alter geworden. Die Strahne, die uber sein rechtes Auge fiel und die tiefe Narbe verdeckte, war zwar noch rabenschwarz, aber trotzdem argwohnte er, da? irgendwo graue Haare sein mu?ten. Er zuckte die Schultern. Immerhin war er der jungste Vizeadmiral der britischen Marine - wenn man von Old Nel absah, naturlich.
        Aber auch das war ihm kein Trost. Er hatte 46 Jahre auf dem Buckel und eine um zehn Jahre jungere Frau. Angenommen.
        Fast dankbar fuhr Bolitho herum, als Keens Eintreten ihn aus seinen Gedanken ri?.

«Nehmen Sie sich Kaffee, Val, wenn. «Jetzt fiel ihm Keens grimmige Miene auf, und er fragte:»Probleme?»
        Keen nickte.»Der Ausguck hat Wrackteile gesichtet, Sir, in Nordost«, berichtete er.»Wahrscheinlich ein Opfer des letzten Sturms.»

«Moglich. «Bolitho schlupfte in seinen ausgeblichenen Dienstrock.»Doch nicht die Kurierbrigg, die vor uns ausgelaufen ist?»

«Nein, Sir. So weit konnte sie nicht getrieben sein. «Gespannt beobachtete Keen seinen Admiral.»Wenn wir uber Stag gehen, um die Wrackteile zu untersuchen, verlieren wir wertvolle Zeit, Sir.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Er hatte schon einmal ein treibendes Boot gefunden, in dem nur noch ein Mann am Leben gewesen war, umgeben von lauter Leichen. Auch dachte er an den kleinen Evans in seinem Kutter, mit Verwundeten und Toten als Bordkameraden. Wie fuhlte man sich als letzter Uberlebender?
        Er sagte:»Es gibt immer noch eine Hoffnung, Val. Andern Sie Kurs und lassen Sie ein Boot aussetzen, wenn wir nahe genug sind.»
        Eine Stunde spater, als Achates unter verringerter Segelflache unruhig hoch am Wind lag, pullte das gro?e Seitenboot hastig auf die Stelle zu, wo ein Teppich dunkler Wrackteile im Wasser trieb.
        Bolitho stand mit einem Teleskop auf dem Huttendeck und studierte die klaglichen Uberreste, auf die Achates' Bugspriet zeigte. Ein gro?es Schiff konnte es nicht gewesen sein, uberlegte er. Wahrscheinlich hatte eine von achtern kommende Monstersee sein ungeschutztes Heck so unter Wassermassen begraben, da? es sich nicht mehr aufrichten konnte.
        Keen lie? sein Glas sinken.»Dort ist ein Boot, Sir!»
        Bolitho schwenkte sein Fernrohr in die angezeigte Richtung und starrte zu dem halb uberspulten, mit Schlagseite im Wasser liegenden Ding hinuber, das einst eine Barkasse gewesen war.

«Mit Uberlebenden«, rief Keen.»Zwei jedenfalls.»
        Leutnant Scott, der Achates' Seitenboot befehligte, trieb seine Ruderganger bereits zu noch gro?erer Anstrengung an; auch er hatte die Schiffbruchigen gesichtet.
        Bolitho horte Tyrrells Holzbein auf den Planken hinter sich und fragte:»Was halten Sie davon, Jethro?»
        Tyrrell mu?te keinen Augenblick uberlegen.»Das ist ein Franzose. Oder war jedenfalls einer.»
        Keen richtete sein Glas aus und sagte erregt:»Sie haben recht! Und au?erdem war's kein Handelsschiff.»
        Bolitho sah den Arzt Tuson mit seinen Gehilfen an der Eingangspforte warten, wo ein Flaschenzug aufgeriggt worden war, mit dem die Schiffbruchigen an Bord gehievt werden sollten.»Wer spricht von uns am besten franzosisch?«fragte er.
        Keen zogerte keinen Augenblick.»Mr. Mansel, der Zahlmeister. Er war vor dem Krieg Weinhandler.»
        Bolitho mu?te lacheln. Er hatte es anders im Gedachtnis, namlich da? Mansel Schmuggler gewesen war.

«Gut, er soll sich bereithalten. Vielleicht erfahren wir, was hier passiert ist.»
        Insgesamt retteten sie zehn Uberlebende. Der wilde Seegang hatte sie so lange geschunden und herumgesto?en, da? sie - fast blind und halb bewu?tlos - so weit von Land schon jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten. Ihr Schiff war die Brigg La Prudente gewesen, unterwegs von Lorient in Richtung Martinique. Eine See hatte ihren Kommandanten uber Bord gerissen; der Erste hatte es zwar noch geschafft, ein Boot auszusetzen, war aber dann von einem herabsturzenden Wrackteil erschlagen worden. Der Tote lag noch im Boot, sein Gesicht leuchtete gespenstisch wei? aus dem Wasser, das schon fast bis zum Dollbord stand.
        Der Bootsmann rief:»Soll ich es treiben lassen, Sir?»
        Aber Leutnant Scott griff nach einem Bootshaken und zog den toten Leutnant heran.
        Die Schiffbruchigen mochten zu benommen und erschopft gewesen sein, als da? sie ihren toten Offizier hatten uber Bord werfen konnen. Bolitho sah zu, wie man sie nun zu einem Niedergang trug oder geleitete; sie schienen immer noch nicht zu begreifen, was mit ihnen geschah.
        Keen meldete:»Mr. Scott hat etwas gefunden, Sir.»
        Der tote Leutnant wurde gerade uber das Schanzkleid gehievt, Wasser flo? ihm aus Mund und Uniform, als er wie ein Gehenkter am Galgen pendelte, bis er auf das Seitendeck niedersank.
        Scott kam nach achtern gelaufen und griff salutierend zum Hut.»Dies hier hatte er um seine Taille gebunden, Sir. Ich konnte es sehen, als das Boot rollte.»
        Bolitho sah Keen an und kam sich vor wie ein Leichenfledderer. Arme und Beine gespreizt, lag der franzosische Leutnant auf dem Deck, das eine Augenlid halb geoffnet, als sei ihm das Licht zu hell.
        Black Joe Langtry, der Schiffsprofos, breitete ein Stuck Segeltuch uber den Leichnam, zog ihm aber vorher noch eine Pistole aus dem Gurtel.
        Keen sah die Adresse des Umschlags.»Wie vermutet: von Lorient nach Martinique«, sagte er.
        Bolitho nickte. Er brauchte einige Zeit, bis er den dicken Leinenumschlag aufgerissen und die eindrucksvollen, scharlachroten Siegel erbrochen hatte. Dann reichte er den Inhalt an Mansel weiter.
        Die Lippen des Zahlmeisters bewegten sich, wahrend er die gewahlten Wendungen der Depesche las, die an den kommandierenden Ad-miral der westindischen Flotte in Fort de France gerichtet war.
        Kein Wunder, da? der Leutnant den Brief unter allen Umstanden hatte retten wollen.
        Unter den beobachtenden Blicken wurde es dem Zahlmeister unbehaglich; er blickte auf und sagte:»Soweit ich es verstehe, Sir, steht hier, da? sofort nach Empfang dieser Depesche die Feindseligkeiten gegen England und seine uberseeischen Besitzungen wieder aufzunehmen sind.»
        Keen starrte Bolitho an.»Allein das reicht schon vollig!»
        Bolitho beobachtete, wie das Seitenboot zum Anbordhieven in die Taljen gehangt wurde. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, wollte Gluck, Zufall und einen beilaufigen Akt der Menschlichkeit gegeneinander abwagen.
        Schlie?lich sagte er:»Diesmal hat uns der Sturm einen Gefallen getan, Val.»
        Keen sah zu, wie Bolitho eine Handvoll Pistolenkugeln aus dem Briefumschlag schuttelte: Ballast, der ihn eher auf den Meeresgrund sinken als in falsche Hande geraten lassen sollte. Aber der Leutnant war zu schnell gestorben und seine Crew zu ahnungslos oder zu furchtsam gewesen.
        Keen sagte:»Jetzt handelt es sich also nicht mehr nur um eine Drohung. Wir haben tatsachlich Krieg.»
        Bolitho lachelte nachdenklich.»Zumindest wissen wir es fruher als andere; das ist immer von Vorteil.»
        Mit neu getrimmten Rahen und hartgelegtem Ruder wandte Achates ihren Bugspriet von den treibenden Wrackteilen und dem voll Wasser gelaufenen Boot ab, das binnen kurzem sinken mu?te.
        Nach Sonnenuntergang wurde der franzosische Leutnant mit allen Ehren der See ubergeben. Bolitho wohnte der Bestattung mit Adam und Allday bei und horte Keen ein Gebet sprechen, ehe der Tote von der Grating rutschte und im Kielwasser versank.
        Der nachste Franzose, den sie trafen, wurde nicht so friedlich sein, dachte Bolitho.

«Also, Sir Humphrey, wie ich horte, wollen Sie mich sprechen.»
        Bolitho lie? sich nichts anmerken, war aber entsetzt uber den Wandel in Rivers' Aussehen und Benehmen. Er wirkte um zehn Jahre gealtert und hielt sich gebeugt wie unter einer schweren Last. Er schien uberrascht, als Bolitho ihn zu einem Sessel winkte, lie? sich aber dankbar hineinsinken und blickte sich gierig in der Kajute um.
        Schlie?lich sagte er:»Ich habe alles, was ich wei?, uber die Verschworung niedergeschrieben, die zur Ubernahme meiner…«Er verhedderte sich.»Zur Ubernahme von San Felipe durch die Spanier fuhren sollte. Konteradmiral Burgas, der das Geschwader in La Guaira kommandiert, sollte die Insel regieren, bis das Besitzrecht Spaniens endgultig anerkannt war.»

«Wu?ten Sie, da? die spanische Mission als Tarnung fur die Invasionsflotte diente?


«Nein. Ich vertraute dem spanischen Oberbefehlshaber. Er versprach mir eine Ausweitung des Handels mit dem sudamerikanischen Festland. Mir schien das alles nur vorteilhaft.»
        Bolitho nahm die Aufzeichnungen entgegen und uberflog sie nachdenklich.

«Das konnte fur Ihre Verteidigung in London von Nutzen sein, obwohl.»
        Rivers hob die Schultern. »Obwohl. Ich verstehe. «Dann sah er Bo-litho direkt an und fragte:»Wenn Sie zur Zeit meines Prozesses in England sind, wurden Sie dann fur mich aussagen?»
        Bolitho konnte ihn nur anstarren.»Da verlangen Sie aber allerhand von mir. Nach dem Angriff auf mein Schiff und meine Manner.»
        Aber Rivers lie? sich nicht beirren.»Sie sind Frontoffizier. Fur mein Verhalten suche ich keine Entschuldigung, sondern Verstandnis. Sie begriffen, was ich beabsichtigte: die Insel fur England zu erhalten. Genau das, was durch Ihr Verdienst jetzt auch geschah.»
        Als Bolitho nur schwieg, fuhr Rivers fort:»Schlie?lich - hatten die Spanier den Angriff noch vor Ihrem Eintreffen begonnen, ware vielleicht meinen Abwehrma?nahmen der Erfolg zu verdanken gewesen. Dann sahe mich alle Welt jetzt in ganz anderem Licht.»
        Bolitho musterte ihn mitfuhlend.»Aber der spanische Angriff kam spater. Sie wissen doch aus Erfahrung, Sir Humphrey, wie es dem Kommandanten ergeht, der ein feindliches Schiff versenkt oder erobert - eben ein Schiff, das er fur feindlich halt - und dann im Hafen erfahrt, da? ihrer beider Lander langst Frieden geschlossen haben. Der Kommandant konnte das unmoglich wissen, und doch.»
        Rivers nickte.»Und doch ist er der Schuldige. «Er erhob sich.»Ich mochte jetzt in meine Zelle zuruckkehren.»
        Auch Bolitho stand auf.»Ich mu? Ihnen mitteilen, da? wir noch in dieser Woche England erreichen werden. Danach liegt Ihr Schicksal nicht mehr in meiner Hand.
»Verstehe. Danke.»
        Rivers ging zur Tur, vor der zwei Seesoldaten ihn erwarteten.
        Adam, der Zeuge des kurzen Gesprachs gewesen war, ergriff jetzt das Wort.»Mir tut er nicht leid, Onkel.»
        Bolitho fuhr sich uber die Stirn und betastete die Narbe unter der Haarstrahne. Jemanden zu verurteilen, ist nur allzu leicht, Adam.»
        Aber sein Adjutant grinste.»Wenn du Gouverneur der Insel gewesen warst, hattest du dich dann so verhalten wie Rivers?«Als er Bo-lithos Verwirrung sah, nickte er.»Na bitte, da hast du's.»
        Bolitho setzte sich.»Frechdachs. Allday hatte ganz recht, was dich betrifft.»
        Adam war plotzlich ernst geworden,»Ich bin sehr froh, da? ich dein Flaggleutnant werden durfte, Onkel. Die vielen Monate an deiner Seite haben mich eine Menge gelehrt. Uber dich, aber auch uber mich selbst. «Wehmutig sah er sich in der Kajute um.»Diese Freiheit werde ich schmerzlich vermissen.»
        Bolitho war geruhrt.»Mir geht es genauso. Man hat mich vor dir gewarnt. Zu nahestehend fur einen Adjutanten, sagte Oliver Browne. Vielleicht hatte er in gewisser Beziehung sogar recht, aber wenn wir erst in Falmouth sind, wird.»
        Beide blickten zum Oberlicht auf, weil drau?en die Stimme des Ausguckpostens erklang:»An Deck! Segel in Sudost!»
        Bolitho starrte das Viereck blauen Himmels an und spurte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, sein Mund trocken wurde. Er fuhlte sich wie ein Jager, der in einem Augenblick der Unachtsamkeit ertappt wurde.
        Schnell trat er zum Tisch mit der Seekarte und studierte sie, folgte den sauberen Kursberechnungen, der zielstrebigen Kurslinie mit den Blicken bis zur Kuste von Cornwall. Unwahrscheinlich, da? ein Handelsschiff jetzt, da gerade ein neuer Krieg ausgebrochen war, von England oder Frankreich nach Ubersee auslaufen wurde.
        Es dauerte immer einige Zeit, ehe die neuen Spielregeln festgelegt und dann mi?achtet wurden.

«Ich gehe an Deck.»
        Drau?en empfing ihn warmer Sonnenschein. Die See war bewegt mit wei?en Kammen, der Wind kam immer noch stetig aus Sud, so da? Achates mit vollgebra?ten Rahen uber Backbordbug segelte.
        Die Manner standen in Gruppen herum oder starrten zum Krahennest hinauf.
        Keen rief den Ausguck an:»Was fur ein Schiff?«»Kriegsschiff, Sir!»
        Ungeduldig gestikulierte der Kommandant.»Entern Sie mit Ihrem Glas auf, Mr. Mountsteven, der Mann da oben ist ein Narr!»
        Da gewahrte er Bolitho und gru?te.»Entschuldigen Sie, Sir.»
        Bolitho lie? den Blick uber die noch leere See schweifen und spurte so etwas wie eine schlimme Vorahnung. Aber weshalb? Machte es einen solchen Unterschied, da? sie kurz vor der Heimat standen?
        Keen informierte ihn:»Scheint aus Sudost zu kommen und ist schon zu weit drau?en fur einen Zielhafen in der Biskaya.»
        Mountsteven hatte seinen luftigen Platz neben dem Ausguckposten erreicht. Er rief hinunter an Deck:»Sieht aus wie 'ne verdammte Fregatte, Sir. Franzose, wurde ich sagen.»
        Bolitho zwang sich, ruhig an die Querreling zu treten, wahrend rund um ihn Stimmengewirr erklang.
        Also eine franzosische Fregatte weit drau?en im Atlantik, wahrscheinlich mit Nordkurs auf den Armelkanal - oder auf Brest? Ihm fiel wieder der Briefumschlag des toten Leutnants ein, die Depesche aus Lorient fur Martinique.

«An Deck! Zweites Segel folgt der Fregatte, Sir!»
        Knocker, der lautlos neben das Ruder getreten war, murmelte:»Pech und Schwefel uber sie! Ich wette, die bringen uns Arger!»
        Keen sagte:»Sie segeln auf konvergierendem Kurs zu uns, Sir. Und - bei Gott - sie haben die Luvposition.»
        Bolitho wandte sich nicht um, sondern starrte weiterhin uber die ganze Lange des Schiffs hinweg nach vorn. So nah - und doch so fern. Noch zwei Tage, vielleicht sogar weniger, und sie waren auf die Schiffe der englischen Kanalflotte gesto?en, die ihren eintonigen Blockadedienst versahen. Schlie?lich sagte er zu Keen:»Die Franzosen gehen ein Risiko ein, Val. «Und als er das Begreifen im Gesicht seines Flaggkapitans sah:»Vielleicht hat die Neuigkeit sie noch nicht erreicht, und es geht ihnen, wie es uns gegangen ware, hatten wir nicht La Prudente gefunden.»
        Midshipman Ferrier, der bei der ersten Meldung in die Luvwanten geklettert war, rief gellend:»Ich sehe das erste Schiff, Sir! Eine gro?e Fregatte. Das zweite kann ich noch nicht erkennen, aber.»
        Mountstevens Stimme von oben schnitt ihm das Wort ab:»Das zweite ist ein Linienschiff, Sir! Ein 74er!»
        Ein Ruderganger pfiff durch die Zahne.»Diese Hunde!»
        Bolitho nahm sich ein Fernrohr und kletterte neben Ferrier in die Wanten.»Welche Richtung?»
        Aber schon fand er von allein das fuhrende franzosische Schiff, dessen Bramsegel golden in der Sonne schimmerten. Noch wahrend er hinsah, anderte sich seine Silhouette.»Er setzt die Royals«, murmelte Bolitho wie zu sich selbst.
        Schlie?lich stieg er wieder an Deck hinunter und wandte sich an seinen Neffen.»Wie du selbst am besten wei?t, Adam«, sagte er,»hatte eine Fregatte eigentlich die Aufgabe, Gefahren rechtzeitig aufzuspuren und Fremde zu identifizieren.»
        Adam nickte.»Also konnen sie vom Kriegsausbruch noch nichts wissen.»
        Bolitho versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, aber die Tatsachen pa?ten einfach nicht zueinander. Jedenfalls kamen die franzosischen Schiffe mit dem fur sie gunstigen Sudwind rasch naher.»Kurs, Mr. Knocker?«fragte er kurzangebunden.

«Ostnordost, Sir. Voll und bei!»
        Keen murmelte:»Wenn ich einen oder zwei Strich abfalle, werden sie mi?trauisch und glauben, da? wir uns verdrucken wollen. Andererseits wurden wir bei einem Kurswechsel um ein paar Knoten schneller, Sir.»
        Ob sie nun mehr Segel setzten oder einen Kurs vom Feind weg einschlugen - beides mu?te das Interesse jedes Fregattenkommandanten erregen, erst recht, wenn er im Verband mit einem gro?en Linienschiff segelte.

«Bleiben Sie auf Kurs, Val. Vergessen Sie nicht, die beobachten uns genau.»
        Keen warf einen Blick zur Windfahne hinauf.»Ware das Wetter nicht so verdammt launisch gewesen, lagen wir jetzt langst vor Anker.»
        Vom Vorschiff glaste es sechsmal, und der Zahlmeister erschien mit einem Gehilfen, um die tagliche Mittagsration Rum auszugeben.

«Ich schlage vor, Sie schicken die Leute in die Messen, Val. Die Kombuse soll das warme Essen heute fruher ausgeben.»
        Keen eilte davon und besprach sich mit Quantock; bald darauf schrillten die Pfeifen und riefen die Matrosen unter Deck, die grinsend verschwanden, erfreut uber die unerwartete Abwechslung.
        Wieder griff Bolitho zum Fernrohr und suchte das andere Schiff. Eine der neueren Fregatten, stellte er fest, mit 44 Kanonen. Er konnte bereits ihren Rumpf ausmachen, wenn ihn einer der langen Atlantikroller anhob, ehe er wieder hinter einem Gischtvorhang ins Wellental sackte. Das Schiff flog ihnen formlich entgegen.
        Die Wachganger rund um Bolitho unterhielten sich gedampft. Die Aussicht auf ein Seegefecht schien sie nicht weiter zu beunruhigen. Schlie?lich hatten sie schon einen spanischen Zweidecker besiegt und eine Insel erobert. Im Vergleich dazu mu?te mit einer franzosischen Fregatte leicht fertig zu werden sein.
        Keen kehrte zuruck.»Vielleicht drehen sie ab, wenn sie unsere Nationalitat kennen, Sir.»

«Also gut. Hei?en Sie die Flagge.»
        Aber als die rote Flagge an der Gaffel auswehte, wu?te Mount-steven nur zu berichten, da? die Fregatte ihrerseits die Trikolore gesetzt hatte.
        Tyrrell erschien an Deck, noch auf einem Stuck Pokelfleisch kauend, schielte zur Besanstenge hinauf und fragte:»Glauben Sie, da? mich jemand da hinaufhieven konnte, Kapt'n?»
        Keen hatte andere Sorgen und starrte ihn nur geistesabwesend an.»Im Bootsmannstuhl, meinen Sie?»
        Tyrrell grinste Bolitho an.»Mir ist gerade ein Gedanke gekommen. Erinnern Sie sich an den 74er in Boston, der mit uns uber die Inseln verhandeln sollte? Das konnte er sein. Und wenn, dann wei? man an Bord wahrscheinlich noch nichts vom Krieg.
«Sein Grinsen wurde noch breiter.»Was fur ein scheu?liches Pech, nicht wahr?»
        Mountsteven war fur den Augenblick vergessen, deshalb fuhren sie zusammen, als seine Stimme herunterrief:»Ein drittes Schiff, Sir! Noch eine Fregatte, wurde ich sagen.»

«Jesus Christus!«stie? Keen leise hervor. Dann sagte er zum Bootsmann:»Helfen Sie Mr. Tyrrell bitte in den Besan.»
        Viele Wachganger drehten sich um und beobachteten gespannt, wie Tyrrell ruckartig in den Besanmast gehievt wurde, wobei sein Holzbein laut gegen Spieren und Fallen stie?.
        Gedampft sagte Keen:»Drei gegen eins, Sir. Eine gewaltige Ubermacht.»
        Bolitho reichte das Fernrohr zuruck.»Schlagen Sie vor zu fliehen?»
        Keen schuttelte den Kopf.»Ich fliehe vor keinem, Sir. Aber ich kann fur den Zustand des Schiffes nicht garantieren, wenn wir in ein Gefecht verwickelt werden.

        Wieder sah Bolitho die Silhouette der Fregatte sich verandern, als sie den Kurs wechselte und nun direkt auf sie zuhielt.
        Leise sagte er:»Wir haben einen neuen Krieg vor uns, Val, nicht irgendeine kleine Meinungsverschiedenheit. Und England war noch nie so schlecht auf einen Krieg vorbereitet, weil unsere halbe Flotte au?er Dienst gestellt ist. Wenn unser Volk diesen langen, harten Konflikt ertragen soll, dann braucht es Siege - keine Offiziere, die sich umdrehen und weglaufen, nur weil sie vor einer Ubermacht stehen!»
        Er sah Keen ins besorgte Gesicht.»Wir haben keine andere Wahl, Val. Die beiden Fregatten konnen uns hetzen und stellen wie die Meute den Hirsch. Damit bekame der
74er Zeit, zu uns aufzuschlie?en und uns den Garaus zu machen. Aber wenn wir schon verlieren sollen, dann lieber mit dem Gesicht zum Feind und nicht auf der Flucht! Bolitho wandte sich um, weil Tyrrell vorsichtig wieder an Deck gesetzt wurde.

«Das kann einen Mann ja entzweischneiden«, schimpfte er. Dann sah er sie an und setzte hinzu:»Ich hatte recht, es ist dasselbe Linienschiff. Mu? nach dem Auslaufen aus Boston nach Suden gesegelt sein. Fahrt eine Konteradmiralsflagge im Besan.»
        Bolitho nickte.»Dann ist es die Argonaute, ein Neubau der dritten Klasse. Und auch den Admiral kenne ich von fruher: Konteradmiral Jobert, einer der wenigen alten Royalisten, der den Terror uberlebt hat. Ein guter Offizier.»
        Er wu?te, da? die Umstehenden die Ohren spitzten, um ihm zuzuhoren, auch wenn sie es sich nicht anmerken lie?en. Aber sie gierten nach jedem Hinweis auf das, was ihnen bevorstand.
        Leichthin sagte er deshalb:»Ich gehe nach achtern und esse einen Happen, dann konnen wir das Schiff gefechtsklar machen.»
        Wahrend er mit langen Schritten seiner Kajute zustrebte, war er sich bewu?t, da? seine beilaufige Bemerkung wie ein Lauffeuer durch die Messen gehen wurde: kein Grund zur Sorge, Kumpels, der Admiral fullt sich erst mal den Bauch.
        Ohne ihn richtig wahrzunehmen, schritt er an dem Wachtposten vorbei, der die Tur aufri?, in seine Kajute und blieb erst an den Heckfenstern stehen. Als er sich hinausbeugte, konnte er gerade noch die oberen Segel der franzosischen Fregatte ausmachen. Also eine gute Stunde Frist. Vielleicht wurde ja gar nichts Dramatisches geschehen. Warum sollten sie auch kampfen - nur um zu sterben? Wer wurde ihm einen Vorwurf machen, wenn er sich von einer Ubermacht fernhielt, gegen die er keine Chance hatte?
        Er legte eine Hand auf die Brust und fuhlte sein Herz hammern. Aus Angst? War es diesmal soweit? War das kommende das eine Gefecht zuviel? Wei? Gott, es war schon anderen, weitaus tapfereren Mannern vor ihm geschehen, da? sie die Nerven verloren.
        Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Armel trocken und wandte sich blicklos wieder dem Raum zu.
        Es war die Angst, etwas so Kostbares zu verlieren, da? er sich keinen Ersatz dafur vorstellen konnte. Er hatte sich zuviel erhofft, hatte zu sehr gebangt. Eine Schwache, die er sich nicht leisten durfte, wenn so viele Menschenleben von seiner Entscheidung abhingen. Was zahlte schon Hoffnung? Uberhaupt nichts, wenn erst die Breitseiten donnerten.
        Ozzard trat mit einem Tablett in die Kajute.»Frisches Huhn, Sir.»
        Bolitho sah ihm zu, als er das Tablett vorsichtig abstellte. Also hatte auch der Zahlmeister seine Hoffnungen gehabt, denn andernfalls hatte er niemals eins seiner kostbaren letzten Huhner geopfert.

«Ein Glas Wein, Sir?«fragte Ozzard geduldig.
        Bolitho mu?te lacheln. Der schmachtige Ozzard, wie vertrauensvoll und loyal er war! Nichts schien ihm ferner zu liegen als der Gedanke, da? er noch vor dem Abend tot sein konnte.

«Ja, bitte, Ozzard«, sagte Bolitho.»Ein Glas aus deinem speziellen Kistchen.»
        Als der Steward davongehuscht war, vergrub Bolitho das Gesicht in den Handen.
        Der franzosische Admiral war also uber den neuerlichen Kriegsausbruch noch nicht informiert, sonst hatte er auf jeden Fall die Formation seines Geschwaders so geandert, da? er aus drei Richtungen zugleich angreifen konnte. Achates konnte die erste Fregatte unter Feuer nehmen und wahrscheinlich zum Wrack schie?en, ehe ihr Kommandant wu?te, wie ihm geschah. Danach konnten sie das Linienschiff angreifen. Dann war die Ubermacht immer noch gro?, aber wenigstens um ein Drittel reduziert.
        Bolitho rief sich seine unglaubige Wut ins Gedachtnis, als der spanische Zweidecker Achates ohne Vorwarnung angegriffen hatte. Wie hatten sie ihn fur seine Feigheit und Hinterhaltigkeit verflucht!
        Brachte er es jetzt uber sich, genauso zu handeln?
        Nicht ehrenhaft. Ehrenhaft. Das Wort schien wie ein geflusterter Zauberspruch in der Kajute umzugehen.
        Bolithos Blick fiel auf den alten Familiensabel an der Wand, und er erinnerte sich wieder daran, wie sein Vater die Waffe ihm und nicht seinem alteren Bruder Hugh ubergeben hatte. Sie hatte eigentlich Hugh gebuhrt, ware da nicht sein Verrat, seine Desertion gewesen, die wie ein Schatten uber der Familie hing und Bolitho sogar bis nach San Felipe gefolgt war. Das hatte dem alten Bolitho das Herz gebrochen und den Sabel in die Obhut seines zweiten Sohnes gebracht.
        Laut sagte Bolitho:»Also sei's drum!«Im Grunde hatte er nie die freie Wahl gehabt, hatte sich nur etwas vorgemacht.
        Als Ozzard mit einer in der Bilge gekuhlten Flasche Wein zuruckkam, fand er Bolitho so ruhig und au?erlich unbesorgt vor, wie er es von ihm gewohnt war.
        So schlecht konnte es demnach nicht um sie bestellt sein.



        XVII Mit Vorwarnung

        Mit ein paar Schritten uber aufgeschossene Leinen war Bolitho an der Luvreling des Achterdecks. Die franzosische Fregatte stand nun an Steuerbord achteraus viel dichter bei ihnen, hatte aber Segel gekurzt, als sei sich der Kommandant uber den nachsten Schritt noch unschlussig. Bolitho schatzte den Abstand auf eine halbe Meile.
        Hinter sich horte er Manner unbeholfen herumkriechen, als sei die Achates plotzlich mit Kruppeln bemannt. Aber es war unbedingt notig, da? sie ohne das ubliche Hasten und Rennen gefechtsklar machten, denn das ware den Ausgucks der Franzosen sofort aufgefallen.
        Keen sagte gerade zum Bootsmann:»Lassen Sie die Leute zum Ket-tenaufriggen erst aufentern, wenn das Gefecht beginnt.»
        Big Harry Rooke brummte eine murrische Antwort, und Keen wies ihn scharf zurecht: Wir haben keine Wahl, Mann. Machen wir jetzt auch nur einen falschen Zug, dann fressen uns heute abend die Fische.»
        Er wandte sich ab und entdeckte Bolitho.

«Mr. Quantock ist tief beschamt uber seinen negativen Rekord, Sir: zwanzig Minuten, um gefechtsklar zu machen!«Dieser Versuch zu scherzen schien ihm sein seelisches Gleichgewicht zuruckgegeben zu haben, denn er fuhr ruhiger fort: Welches sind Ihre Befehle fur diesen denkwurdigen Tag, Sir?»
        Bolitho deutete nach Lee.»Gleich werden wir drei Strich abfallen. Ich rechne damit, da? die Fregatte dann erneut zu uns auf schlie?en und achteraus ihre Position einnehmen wird. Diesmal aber viel naher an Achates.»
        Wenn sich sein Herzschlag doch nur beruhigen wollte! Ein falscher Ton, und die Anspannung wurde sich in seiner Stimme verraten.
        Keen spahte uber seine Schulter nach der Segelpyramide des Franzosen.»Sie ist genauso neu wie der 74er. Wahrscheinlich sollte das die Amerikaner beeindrucken.
«Die Verbitterung war ihm deutlich anzumerken.»Wogegen unsere Regierung es fur angebracht hielt, den altesten noch segelnden 64er nach Amerika zu schicken!»
        Bolitho ging zur Querreling und musterte das Batteriedeck mit seinen schwarzen Achtzehnpfundern. Die Stuckmannschaften, die sich fur den Kampf schon ihrer Hemden entledigt hatten, duckten sich unter die Seitendecks oder pre?ten sich mit ihrem Handwerkszeug in den Schatten der Kanonen.

«Es mu? sehr schnell gehen, Val«, sagte Bolitho.»Der franzosische 74er ist jetzt direkt achteraus, und wir durfen keine Minute vergeuden. Sobald wir unsere Absichten zu erkennen geben, werden sie blitzschnell dagegen gewappnet sein.»
        Keen nickte, in Gedanken schon beim nachsten und ubernachsten Manover.»Das dritte Schiff ist kleiner. Mr. Mountsteven meint, es handelt sich um eine Fregatte mit 26 Kanonen. Wenn ich mich recht erinnere, ist es die Diane, im Vergleich zu den beiden anderen ein Veteran.»
        Knocker drehte das Halbstundenglas neben der Kompa?saule um und meldete:»Alles klar, Sir.«»Sagt das ins untere Batteriedeck weiter.»
        Keen sah sich um, weil Allday mit Bolithos Sabel an Deck erschien, das Gesicht so starr, als schmerze ihn seine Wunde.
        Bolitho hob leicht die Arme an, damit Allday ihn mit der Waffe gurten konnte. Sein Bootsfuhrer murmelte:»Sie sollten heute die Epaulet-ten ablegen, Sir. «Aber dann zuckte er grinsend die Schultern.»Ich wei? ja, ich predige tauben Ohren.»
        Bolitho sah druben auf dem Franzosen Sonnenlicht von einem Teleskop im Fockmasttopp reflektieren. Jede Sekunde jetzt mochten sie Verdacht schopfen und klar zum Gefecht machen.
        Aber er sagte nur:»Gib acht auf dich, Allday. Da? du mir heute nichts riskierst!»
        Er legte ihm die Hand auf den Arm, und zwei Pulverjungen auf dem Achterdeck stie?en sich mit den Ellbogen an, uber dem Kiebitzen ins Privatleben ihres Admirals den Feind momentan vergessend.
        Alldays Blick war trotzig.»Beleidigen Sie mich nicht, Sir. Wenn die Kerls sich mit uns anlegen wollen, kriegen sie von mir Saures, verlassen Sie sich drauf!»
        Bolitho lachelte.»Ich wei? ja genausogut, da? ich tauben Ohren predige, alter Freund.»
        Er fuhr herum, weil Keen meldete:»Sie signalisieren der Argo-naute, Sir!»
        Midshipman Ferrier lie? enttauscht sein gro?es Signalteleskop sinken. Verschlusselt, Sir.»
        Bolitho befahl:»Kurs andern!»
        Darauf hatten die Ruderganger schon lange gewartet. Sie lie?en das gro?e Rad wirbeln, und wahrend andere an die Brassen eilten, um die Rahen neu zu trimmen, meldete Knocker:»Drei Strich abgefallen, Sir. Neuer Kurs Nordost zu Nord!»
        Bolitho spurte selbst die Veranderung in dem viel heftigeren Zupak-ken des Windes oben in den Segeln.
        Keen erinnerte sich an den Ausguck.»Rufen Sie Mr. Mountsteven wieder herunter«, befahl er.

«Der Franzose andert Kurs, Sir.»
        Bolitho hielt den Atem an, als die machtige Fregatte um etwa einen Strich auf Achates zudrehte und gleichzeitig Gro?segel und Treiber setzte.
        Keen hieb mit der Faust auf die Reling.»Sie uberholt uns, Sir«, rief er.
        Ein Seesoldat lie? etwas Metallisches an Deck poltern, worauf Sergeant Saxton ihn anzischte:»Wenn du dich noch einmal ruhrst, zieh' ich dir bei lebendigem Leibe die Haut ab!»
        Gischt spruhte uber Galion und Bugspriet der Fregatte. Wenn sie Kurs und Geschwindigkeit beibehielt, mu?te sie Achates mit einer halben Kabellange Distanz an Steuerbord uberholen.
        Als Bolitho wieder sein Fernglas hob, sah er gespannte Gesichter ubers bewegte Wasser zu ihnen heruberspahen; sie kamen ihm seltsam fremdartig vor, da er seit Wochen nur die vertrauten Gesichter seiner eigenen Besatzung gesehen hatte.

«Batteriedecks - feuerklar!»
        Mit verschrankten Armen starrte Keen zum Feind hinuber. Sobald Achates wieder uber Stag ging, wurde der Wind sie stark nach Lee uberlegen. Aber das plotzliche Manover mu?te sie auf einen Kurs quer zu dem der Fregatte bringen, praktisch vor ihrem Bug vorbei. Also jetzt oder nie - denn in ein paar Minuten ware es zu spat, dann wurden die beiden Schiffe kollidieren, wenn Achates ihre Halse fuhr.

«An die Brassen!»
        Bolitho packte seinen alten Sabel und pre?te ihn fest an den Oberschenkel.

«Jetzt!»
        Das gro?e Doppelrad quietschte laut, als die Ruderganger sich mit ganzem Gewicht in die Speichen warfen. Wahrend die Rahen mit dem Wind herumzuschwingen begannen, stiegen zwei neue Flaggen zum Gro?- und zum Besanmasttopp empor.

«Stuckpforten auf! Schneller, dort druben! Ausrennen!»
        Bolitho konnte den Blick nicht von der turmhohen Segelpyramide der franzosischen Fregatte wenden, die jetzt auf Achates' Steuerbordseite zuglitt.
        Er horte ein Trompetensignal und konnte sich druben die fieberhafte Geschaftigkeit vorstellen, als das britische Schiff, das sie gehetzt hatten, plotzlich wie ein gestellter Eber herumfuhr, alle Kanonenrohre ausgerannt; in jedem Rohr staken Doppelkugeln, hinter jeder Lafette kauerte ein Stuckmeister und suchte sein Ziel.
        Keen rief gellend:»Ziel auffassen!«Sein Arm hieb nach unten: «Einzelfeuer!»
        Einen Augenblick furchtete Bolitho, da? er zu lange gezogert und wertvolle Sekunden mit dem Hissen seiner Gefechtsflaggen verloren hatte. Wenn die Rollen vertauscht gewesen waren.
        Aber dann drohnte ihm der Kopf, und er horte auf zu denken, weil die Achtzehnpfunder des oberen Batteriedecks einer nach dem anderen losbrullten und wieder binnenbords ruckten. Mit tieferem, noch starkerem Krachen stimmten die schweren Vierundzwanzigpfunder auf dem unteren Batteriedeck ein und lie?en das Schiff vom Vorsteven bis zum Heck erbeben.
        Manner taumelten wurgend durch den Rauch, der viel zu langsam durch die Stuckpforten und uber die Seitendecks abzog, als Achates jetzt ihre Breitseite dem Sudwind darbot.
        Auf so kurze Distanz war die Wirkung der Salve verheerend.
        Fockmast und Gro?maststenge der Fregatte gaben unter dem Hagel der Doppelkugeln nach und begannen zu wanken. Spieren, Segel und laufendes Gut prasselten wie eine verheerende Lawine auf Vorschiff und Seitendecks nieder, warfen Gischt auf und rissen den Rumpf aus dem Kurs.

«Auswischen! Nachladen!»
        Keens Stimme ubertonte die Artilleriekommandos:»Klar zur Wende, Mr. Quantock!«Da? es schnell gehen mu?te, brauchte er nicht eigens zu betonen.
        Als erneut Ruder gelegt wurde und Achates' Bug durch den Wind drehte, war Bolitho erleichtert, da? sie nicht mehr Segelflache oben hatten, sonst ware das Schiff entmastet worden.
        Wieder hoben die Steuerbord-Stuckmeister einer nach dem anderen die Hand, um ihre Kanone schu?bereit zu melden. Die franzosische Fregatte trieb unter dem Gewicht der Wrackteile hilflos nach Lee - einstweilen noch. Denn Bolitho lie? sich nicht tauschen; er wu?te nur zu gut, was geschehen konnte, sobald Axte und Messer die Trummer druben erst gekappt und das Schiff befreit hatten.

«Gro?brambrassen - hievt, Leute, hievt! Noch mehr!»
        Achates schwang immer weiter herum, bis die Fregatte plotzlich Steuerbord voraus an ihr vorbeiglitt, als mache sie so viel Fahrt und nicht der leichte Zweidecker.
        Jedem unerfahrenen Auge hatte er ein chaotisches Bild geboten. Ein Bootsmann legte mit seiner Gang auf der Gro?rah aus, um die Kettenschlingen aufzuriggen, wahrend das Schiff unter ihnen fast um seine Masten auf der Stelle drehte, um das Heck des Feindes zu passieren.

«Steuerbordbatterie - feuerklar!»
        Keen hielt den Arm hoch erhoben und zuckte mit keiner Wimper, als in der Bordwand des Feindes hier und da eine einzelne Kanone trotzig zuruckfeuerte. Aber fur Gegenwehr war es zu spat. Als Achates das Steuerbord-Achterschiff des Feindes passierte, verstummten druben auch die letzten Kanonen, denn der Schu?winkel wurde zu spitz.
        Aber aus dem Besan und vom Huttendeck wurde mit Musketen geschossen - sparliches Einzelfeuer, das Dewars Scharfschutzen energisch erwiderten.
        Bolithos Magen verkrampfte sich, als er sah, wie Achates' Kluverbaum am Heck der Fregatte mit seinen schimmernden Fenstern und dem in Goldbuchstaben geschnitzten Namen La Capricieuse vorbeiglitt.
        Denn nun spuckte Achates' Steuerbordkarronade auf dem Vorschiff Feuer und Rauch, und das Heck des Franzosen schien aufzuplatzen wie eine obszone Eiterbeule. Aber damit nicht genug: Wenn die gro?kalibrige Kugel in dem mit Menschen vollgepackten Rumpf barst, mu?te ihre Ladung aus Nageln und scharfen Eisenstucken das Batteriedeck in ein blutiges Schlachthaus verwandeln.
        Menschen, Waffen und das Ruderrad, alles wurde weggefegt werden und das Schiff fur lange Zeit bewegungsunfahig bleiben.
        Keen formte mit den Handen einen Schalltrichter.»Lassen Sie die Royals setzen. Mr. Quantock!»
        Ihm blieb keine Zeit, uber die Bluternte der Karronade nachzudenken, fur ihn zahlte nur, da? die Fregatte au?er Gefecht gesetzt war.
        Wieder einmal kampfte sich Achates in eine Position, in der sie den Wind von schrag achtern harte. An Bord schien sich nichts verandert zu haben: keinem Mann war ein Haar gekrummt, kein Segel war durchlochert, keine Planke zerfetzt worden.
        Bolitho stieg aufs Huttendeck und richtete sein Fernrohr auf das franzosische Linienschiff. Selbst auf diese Distanz machte das Schiff einen wutenden, kampferischen Eindruck, als es mehr Segel setzte und Signalflaggen hi?te, um die zweite, noch unbeschadigte Fregatte zu verstandigen.
        Knocker rief:»Neuer Kurs Ostnordost, Sir!»
        Der franzosische 74er steuerte Nordost und damit wieder konvergierenden Kurs zu ihnen. Aber er hielt immer noch die Luvposition und wurde wahrscheinlich versuchen, seinen Gegner mit einer hoch gezielten Breitseite zu entmasten oder ihn mit Kettenkugeln wenigstens stark zu beschadigen, wahrend er selbst fur den Briten au?er Schu?weite blieb.
        Keen trat heran und salutierte.»Alle Kanonen geladen und feuerklar, Sir«, meldete er und warf einen Blick nach oben in die Takelage.»Mr. Rooke hat es sogar geschafft, in der Zwischenzeit alle Netze und Kettenschlingen auszubringen.»
        Bolitho mu?te lacheln.»Ich wei?, da? wir viel riskiert haben, Val.»
        Keen wandte den Blick ab.»Jedenfalls waren Sie fair und haben sie vorher gewarnt. Diesmal brauchen Sie das nicht mehr zu tun.»
        Auch er starrte gespannt zu dem franzosischen Linienschiff hinuber, das noch eine Seemeile entfernt war; die kleine Fregatte hielt sich gut frei von ihm und kreuzte vor dem Wind, um sich jederzeit aufAchates sturzen und das Feuer aus einem anderen Winkel eroffnen zu konnen.
        Bolitho wu?te, da? Achates sich nun bald mit dem moderneren, gro?eren und besser bewaffneten Gegner messen mu?te, und spurte die Spannung wie eine geballte Faust in seinen Eingeweiden; immerhin war sein Schiff beweglicher und hatte sich schon Hunderte von Malen im Gefecht bewahrt.
        Keen uberlegte laut:»Wenn er in Luv bleibt, kommen wir nicht an ihn heran, Sir. Wahrend er jederzeit zu uns aufschlie?en oder sein Gluck mit Einzelfeuer auf weite Distanz versuchen kann. Auch dabei sind verheerende Treffer moglich.»

«Richtig. «Bolitho stieg in die Wanten und spahte achteraus.»Die andere Fregatte, die Diane, hat noch Westkurs, wird aber bald halsen und hinter uns herkommen. «Er lachelte Keen grimmig an.»Um uns in die Hacken zu bei?en.»
        Keen nickte.»Und wenn wir dann bereits im Gefecht mit Argonaute sind, kann sie entscheidenden Schaden anrichten, Sir.»
        Bolitho sprang wieder an Deck.»Was halten Sie davon, Val, wenn wir die Diane als Koder benutzen?»
        Keens Augen leuchteten auf.»Indem wir zuerst sie angreifen, Sir?»
        Bolitho nickte.»Soweit ich wei?, ist Konteradmiral Jobert ein Ehrenmann. Ich kann mir nicht vorstellen, da? er untatig zusieht, wenn seine letzte Fregatte von einem Linienschiff attackiert wird. «Er vergewisserte sich uber den Stand der Sonne. Erst eine Stunde war vergangen, seit die Karronade das Schicksal der anderen Fregatte besiegelt hatte.
        Dann fuhr er fort:»Wir haben einen Stuckmeister namens Crocker an Bord. Er fiel mir auf, als ich die Festung besuchte: ein furchterlicher Haudegen, aber ein Meister seines Fachs.»
        Keen wu?te, wen er meinte.»Vom unteren Batteriedeck. Ich lasse ihn rufen, Sir.»
        Crocker erschien auf dem Huttendeck und beschattete sein eines unverletztes Auge mit der Hand vor der Sonne, die ihn nach dem Zwielicht des unteren Batteriedecks zu storen schien. Er gru?te lassig und baute sich vor Bolitho auf, eine seltsam bizarre Gestalt zwischen den adretten Seesoldaten.
        Bolitho sagte zu ihm:»Sie ubernehmen jetzt die beiden Heckkanonen, Crocker. Wir werden achteraus bald Gesellschaft bekommen. Wenn ich's sage, dann sollen Sie die Fregatte empfindlich genug treffen, um ihren Admiral auf den Plan zu rufen.»
        Crocker legte den Kopf schief, damit sein gesundes Auge Bolitho mustern konnte. Sir?«fragte er begriffsstutzig.

«Tu einfach, was man dir sagt, Crocker«, meinte Keen entnervt.»Der franzosische
74er wird zu uns aufschlie?en, wenn der Admiral an Bord sieht, was wir hier anstellen.»

«Ach so, verstehe, Sir.»

«Such dir die besten Kanoniere zusammen, Hauptsache, du entmastest mir diese Fregatte.»
        Crocker grinste mit luckenhaftem Gebi?.»Und ich dachte schon, Sie wollten sich mit der Kleinen begnugen, Sir.»
        Er hinkte davon, und Keen murmelte:»Wenn die Franzmanner bei uns langsseits gehen, wird sie Crockers Anblick zu Tode erschrek-ken.»
        Bolitho lockerte sein Halstuch und warf einen Blick zum Himmel. Hoch uber den feindlichen Schiffen trieben Seevogel gleichgultig im Aufwind dahin wie Geier, die kaltblutig auf ihr gra?liches Mahl warteten.
        Er dachte an Belinda, an die grunen Hange zu Fu?en von Pendennis Castle, von wo aus sie den vorbeiziehenden Schiffen nachsehen konnte.
        Dann horte er Adam sagen:»Jetzt dauert es nicht mehr lange.»
        Bolitho sah ihn an und fragte sich, ob Adam Angst hatte. Oder verbitterte es ihn, da? er vielleicht so jung schon sterben mu?te?
        Dem Leutnant war der Blick nicht entgangen.»Keine Sorge, Sir«, sagte er,»ich bin bereit.»
        Bolitho lachelte» Zweifellos. Komm, Adam, gehen wir ein bi?chen auf und ab, das vertreibt die Zeit.»
        Die Scharfschutzen und die Kanoniere an den Drehbassen in den Marsen spahten hinunter aufs Achterdeck, wo der Vizeadmiral und sein junger Adjutant promenierten, mit ihren Schatten die nackten Rucken der Stuckmannschaften streifend.
        Vielleicht zum hundertsten Male lie? Midshipman Ferrier sein Glas sinken; seine Augen brannten, so angestrengt hatte er nach dem ansegelnden 74er ausgespaht. Kaum zu glauben, da? er noch vor ganz kurzer Zeit an daheim gedacht hatte, an die Chance, die das Offiziersexamen ihm bot. Je naher diese hohe Segelpyramide mit ihrer Doppelreihe schwarzer Kanonenrohre kam, desto blasser wurden seine Hoffnungen. Inzwischen sorgte er sich am meisten um die Frage, ob er vor dem Kommenden bestehen oder versagen wurde.
        Er sah Bolitho vorbeigehen, ins Gesprach mit seinem Neffen vertieft, der uber eine Bemerkung seines Onkels lachelte. Als Ferrier wieder das Fernglas hob, waren seine Angste zerstreut.
        Im unteren Batteriedeck spahte Midshipman Owen Evans ins Halbdunkel, bis er Leutnant Hallowes ausgemacht hatte, der die 26 Kanonen befehligte; dann rannte er zu ihm mit der Nachricht des Kommandanten.
        Hallowes horte den Kadetten an und antwortete nur lakonisch:»Hol mich der Teufel, Walter, aber wir greifen zuerst die Fregatte an.»
        Sein Gehilfe, der Funfte Offizier, brach in Gelachter aus, als hatte Hallowes einen tollen Witz gemacht.
        Evans verharrte kurz am Fu? der Niedergangsleiter und lie? den Blick uber die rot gestrichenen Bordwande schweifen, uber die schwei?nassen Oberkorper der Manner an den offenen Stuckpforten; alle trugen die Halstucher schutzend uber die Ohren gebunden, denn in diesem engen Raum konnte das Krachen der Vierundzwanzigpfun-der einen Menschen binnen Minuten taub machen.
        Plotzlich gewahrte Evans, da? seine Hand auf dem holzernen Handlauf so unkontrolliert zitterte, als hatte sie einen eigenen Willen.
        Foord, der Funfte Offizier, sah den Jungen zogernd am Niedergang stehen und blaffte:»Schlag da blo? keine Wurzeln, Kerl! Du wirst gleich Meldungen die Menge zum Austragen kriegen. «Foord hatte selbst als Midshipman auf Achates gedient und war erst neunzehn Jahre alt. Etwas leiser fugte er hinzu:»Was ist denn, Mr. Evans?

        Evans starrte zu ihm auf.»Nichts, Sir. «Aber in seinem Kopf gellte immer wieder der Satz: Ich werde fallen, ich werde fallen.
        Seufzend sah Foord ihm nach, als er die Leiter hinaufhastete; dachte wahrscheinlich immer noch an Duncans Tod, der Junge.
        Unter Foords Fu?en, im Orlopdeck, umkreiste der Chirurg Tuson langsam seinen Operationstisch und musterte die glitzernden Reihen der Sonden und Sagen, die bereitstehenden Eimer, den Lederriemen, der den Verwundeten zwischen die Zahne geschoben wurde. Und den gro?en Krug Rum, mit dessen Hilfe die Agonie ertraglicher gemacht werden sollte. Hinter dem Lichtkreis der langsam schwingenden Lampen warteten seine Gehilfen wie Harpyien, die Fauste unter den noch sauberen Schurzen verborgen.
        Tuson ging in sein schmales Lazarett und starrte blicklos die Pritschen an, den Schrank mit Rum und Brandy. Er spurte, da? er die Fauste geballt hatte, da? sein Mund bei dem Gedanken an den ersten Schluck nach so langer Zeit ganz trocken wurde.
        Da horte er Schritte und sah, da? Korporal Dobbs ihn an seinem aufgepflanzten Bajonett vorbei zweifelnd musterte. Der Schiffsprofos hatte Dobbs zum Gefangenenwarter bestimmt, aber jetzt wurde er als Marinesoldat auf seinem Posten an Deck gebraucht.
        Auch Sir Humphrey Rivers stand an der Tur, den Kopf unter dem niedrigen Decksbalken gebeugt.
        Unbehaglich meinte Dobbs:»Konnte einen so hohen Herrn wie ihn nicht gut in der Zelle lassen, Sir.»
        Tuson nickte. Fur den Fall, da? das Schiff unter ihren Fu?en sank, erganzte er in Gedanken.

«Und ich kann ihn ja auch nicht zu den Welschen sperren, die wir nach dem Schiffbruch geborgen haben«, fuhr Dobbs fort.
        Tuson sah Rivers an.»Wenn Sie hier bleiben, Sir Humphrey, finden Sie es vielleicht noch ungemutlicher.»
        Rivers entgingen nicht die schwankenden Schatten, die wie Vorboten des Verhangnisses in allen Ecken und Winkeln lauerten.

«Immer noch besser, als allein zu sein. «Er nickte dem Arzt zu.»Danke, ich wei? Ihr Angebot zu schatzen.»
        Erleichtert, weil er seiner Verantwortung ledig war, rannte der Korporal fast zur Niedergangsleiter.
        Plotzlich begannen Flaschen und Kruge auf den Regalen zu klirren, als achtern ein Kanonenschu? krachte.

«Was machen die oben?«rief Tuson aus.
        Rivers lachelte kalt.»Eine Heckkanone hat gefeuert.»
        Tuson massierte sich die Finger.»Dann haben Sie Ihr altes Handwerk also noch nicht vergessen?»
        Rivers hangte seinen reichbestickten Rock an einen Haken.»Das kann keiner so leicht vergessen.»
        Tief unten im breiten Bauch des Schiffes, in seinem eigenen privaten Vorratslager, verschrankte der Steward Tom Ozzard die Arme vor der Brust und begann, wie im Schmerz vor und zuruck zu pendeln.
        Im Schein der einzigen Petroleumlampe sah er rund um sich Bo-lithos Besitztumer gestapelt, hastig und nicht gerade schonend abgestellt, was Ozzard emporte. Tisch und Stuhle, alle beste Handwerksarbeit, der prachtvolle Weinkuhler, das Schreibpult und die Koje waren wie alles oberhalb des Orlopdecks abgeschlagen und nach unten gebracht worden, als das Schiff gefechtsklar machte. Auf beiden Batteriedecks war Achates jetzt vom Bug bis zum Heck offen und leer, damit die Stuckmannschaften unbehindert feuern, die Pulveraffchen mit neuen Kartuschen und Kugeln so schnell wie moglich aus dem Magazin rennen konnten.
        Ozzard hatte gehort, wie die Boote ausgeschwungen und zu Wasser gelassen wurden; jetzt hingen sie achtern im Schlepp. Sobald das Gefecht begann, wurden die Schleppleinen gekappt werden; die Boote trieben dann ab, bis der Sieger - wer immer das sein mochte - sie wieder einfing. Aber es mu?te sein, die Boote waren auf ihren Stellings an Deck eine zusatzliche Gefahr, denn sie barsten nach einem Treffer in tausend todliche Splitter.
        Ozzard starrte die verriegelte Tur an und schauderte zusammen. Hier unten, wo er den Wein aufbewahrte und in solchen Augenblicken Zuflucht suchte, war es kuhl.
        Wie Allday hatte auch er das Privileg, im Privatlager des Vizeadmirals zu gehen oder zu kommen, wie es ihm beliebte. Und obwohl er Bolitho fur seine Stellung dankbar war, furchtete er sich hier in der Bilge, der tiefsten Stelle des Rumpfes. Aber er akzeptierte diese Furcht wie etwas, an das er sich schon seit langem gewohnt hatte. Er wu?te, da? unter ihm nur noch der Kiel war und darunter der abgrundtiefe Ozean.
        Ozzard verkrampfte sich, als ein zweiter Kanonenschu? die Planken erzittern lie?. Trotzdem, dieser klang weit entfernt und nicht sehr gefahrlich. Spater wollte er sich vielleicht an Deck wagen. Aber da krachte es wieder, und Ozzard beschlo?, noch zu warten.
        Abgeschirmt von der beengten Welt der Zwischendecks, begab sich Bolitho auf die Poop und hielt Ausschau nach dem franzosischen 74er. Er hatte mehr Segel gesetzt und die Distanz zu Achates verkurzt, aber noch keinen einzigen Schu? abgefeuert. Ihm schien, da? er leicht den Kurs geandert hatte und jetzt fast parallel zu ihnen lief. Im Gegensatz zu ihm war die kleine Fregatte mit dem Wind herangekommen und hatte gehalst, um dann in Lee, achteraus von Achates, ihre Position einzunehmen.
        Er sagte:»Eroffnet das Feuer. «Sein Befehl wurde ans Batteriedeck weitergegeben, Ruder wurde gelegt, und das Schiff ging zogernd so hoch an den Wind, wie es nur konnte.
        Die hinter ihre Finknetze geduckten Seesoldaten flusterten miteinander, wetteten vielleicht um die nachsten Treffer.
        Old Crocker war wirklich ein Meister seines Fachs. Schon mit dem ersten Schu? hatte er die Fregatte beinahe entmastet. Nun hatte er sich eingeschossen, hatte es» im Urin «wie jeder gute Stuckmeister, der erst Ma? nahm; und vor allem: Auch der franzosische Kommandant mu?te das inzwischen begriffen haben.
        Die Fregatte scho? mit einer Bugkanone auf Achates, aber der Einschlag lag viel zu kurz und verursachte nur trotziges Hohngeschrei bei den Briten.
        Der Leutnant der Seesoldaten blaffte:»Sergeant Saxton, sorgen Sie gefalligst dafur, da? diese Rupel sich ruhig und ordentlich verhalten!«Aber er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und gab sich wahrscheinlich nur Bolithos wegen so scharf.
        Adam kletterte mit einem Fernrohr aufs Huttendeck und spahte, achteraus, wahrend unter ihm eine Heckkanone abermals feuerte.
        Diesmal zeigte keine Gischtfontane den Einschlag an. Statt dessen barst ein Toppsegel der Fregatte und wehte in langen Fetzen wie ein bleiches Banner aus.
        Gedampfter Jubel drang zu Bolitho herauf. Sie hatten den ersten Treffer erzielt. Wenn Crocker jetzt mit einer seiner achtzehn Pfund schweren Kugeln den schlanken Rumpf der Fregatte traf, konnte es fur sie kritisch werden.
        Adam rief:»Sir! Argonaute setzt das Gro?segel!»
        Die Silhouette des Linienschiffs schien sich aufzuplustern, als es sich mit immer mehr Segeln in den Wind legte und die unteren Stuckpforten fast durch die See wuschen, wahrend es auf Achates zuhielt.
        Keen befahl:»Fallen Sie wieder drei Strich ab, Mr. Knocker! Neuer Kurs Nordost zu Nord!»
        Wahrend die Deckshande an den Brassen hievten und Knocker wachsam wie ein Habicht uber seinem Kompa? hing, gab Crocker abermals einen Schu? ab, und diesmal wurde ein Kluversegel der Fregatte zerfetzt.
        Quantocks Stimme gellte:»Mr. Mountsteven! Noch ein Pull an der Luvbrasse dort! Und jetzt belegen, verdammich - Sir!»
        Die Manner warfen sich mit aller Kraft in die Brassen und Schoten, und nur die Mannschaften der Steuerbordbatterie, deren Rohre auf den Feind zeigten, blieben an ihren Platzen.
        Bolitho griff haltsuchend in die Wanten, als das Deck sich unter dem Winddruck in den Segeln starker uberlegte.
        Nun mu?te der franzosische Kommandant wohl oder ubel zu ihnen aufschlie?en. Es sei denn, er befahl seiner Fregatte abzudrehen, aber dann konnte Achates seine Herausforderung Schu? auf Schu? erwidern. Bolitho lachelte. Jedenfalls beinahe…
        Ein Seesoldat, der mit angelegter Muskete hinter den Finknetzen kauerte, sah ihn lacheln und meinte vorlaut:»Wir werden die Franzmanner schon Mores lehren, Sir! Aber dann wurde ihm bewu?t, da? er unaufgefordert mit dem Vizeadmiral gesprochen hatte, und er verstummte verlegen.
        Bolitho warf dem Mann einen Blick zu; er wu?te nicht einmal seinen Namen.
        Binnen kurzem wurden sie um ihr Leben kampfen mussen. Auf der ungeschutzten Hutte und dem Achterdeck gab es immer die schwersten Verluste, und auch diesen Soldaten mochte es treffen.
        So sagte er in ihre erwartungsvollen Gesichter hinein:»Ich zahle auf euch, Jungs. Gebt euer Bestes. «Aber die eigenen Worte beschamten ihn.
        Wieder ein ohrenbetaubendes Krachen, als Crockers nachster Schu? zundete. Die Fregatte hatte zwar leicht den Kurs geandert, aber das war dem einaugigen Stuckmeister nicht entgangen. Nur kurz bot ihr Rumpf ein besseres Ziel, aber schon ri? Crocker an seiner Abzugsleine, und die Kugel schlug ins Backbord-Seitendeck des Feindes ein, so da? Planken und Splitter hoch aufwirbelten.
        Neuer Jubel auf Achates; Bolitho hielt den Atem an, als die Fregatte Kurs anderte und mit knatternden Segelfetzen die Distanz zu ihrem Gegner vergro?erte.
        Dann eilte er die Leiter hinunter und schritt zur Querreling oberhalb des Batteriedecks.
        Jetzt war es bald soweit. Schnell warf er einen Blick querab und sah den Bug des Linienschiffs in sein Blickfeld gleiten; seine Segel wolbten sich im Wind, schlugen und fullten sich wieder, als es noch weiter auf Achates zudrehte.

«Klar zum Feuern!»
        Sofort verstummte das Jubelgeschrei, die Stuckmannschaften duckten sich hinter ihre Achtzehnpfunder und spahten durch die Pforten nach dem Feind aus.

«Ziel auffassen!»
        Der Franzose hatte zwar den Windvorteil, aber der Druck in Achates' Segeln war so stark, da? die Kanonenrohre dank des schragliegenden Decks mit hochster Elevation schie?en konnten.

«Feuer!»
        Schu? auf Schu? donnerte die sorgfaltig gezielte Salve aus beiden Decks, auf ganzer Lange des Rumpfes. Die vordersten Kanonen waren bis zum au?ersten nach achtern gerichtet, ihre Mannschaften warfen sich mit ganzem Gewicht in die Handspaken, bis auch sie ihre Rohre auf den Feind richten konnten.
        Vollig absorbiert beobachtete Bolitho, wie die Toppsegel von Argo-naute einen wilden Tanz auffuhrten, plotzlich nicht mehr Meister, sondern Opfer des Windes, der gierig in die von den Doppelkugeln gerissenen Locher griff und sie ganz aufri?.
        Auch an der Wasserlinie des Feindes kochte die See, und Gischtfontanen stiegen auf, als immer mehr Kugeln mit verheerender Wirkung in den Rumpf schlugen.
        Noch lie? sich nicht sagen, ob sie einen entscheidenden Treffer erzielt hatten. Aber die Distanz verringerte sich weiter, der franzosische Kommandant mu?te sich - genau wie Keen - der Gefahr eines Gluckstreffers bewu?t sein. Sicherlich fuhlte er sich jetzt, da die eine Fregatte au?er Gefecht gesetzt und die andere in die Flucht geschlagen war, vor den Augen seines Admirals besonders gedemutigt.
        Bolitho sah aus der Bordwand des Feindes die Reihe feuriger Zungen schie?en und wappnete sich gegen das markerschutternde Heulen der Kugeln, das Krachen, mit dem sie in die Planken einschlagen mu?ten. Aber statt dessen horte er das irrwitzige Kreischen von Kettenkugeln und sah sogleich im Rigg gebrochene Stage und Toppnante auswehen; das Vorbramsegel zerri? wie ein murber Lumpen unter dem unsichtbaren Hagel.

«Klar zum Schu?!«Keen hatte den Arm erhoben.»Feuer!»
        Wieder polterten die Kanonen nach dem Abschu? auf ihren Lafetten binnenbords, die Mannschaften sprangen vor und wischten die Rohre aus, rammten frische Ladungen hinein und stopften sie schon fest, wahrend aus den Mundungen noch der Rauch quoll.

«Und noch einmal!«Keen wischte sich das schwei?nasse Gesicht mit dem Armel.»Feuer!

        Achates' Feuerkraft war unschlagbar. Der harte Drill, die eiserne Disziplin bewahrten sich jetzt. Die Kanoniere feuerten zwei Breitseiten ab, wahrend Argonaute nur eine einzige schaffte.
        Und sie trafen. Die Besanbramstenge des Franzosen brach und pendelte wie eine gerissene Lianenbrucke; fast alle Segel trugen die Narben von Kugeln und Splittern.
        Wieder hielt Bolitho den Atem an, als die Kanonen in der Bordwand des Feindes aufbrullten.
        Diesmal spurte er die dumpfen Schlage, mit denen die Kugeln in ihren Rumpf krachten, und sah, da? die Breitfock gleich an mehreren Stellen durchlochert wurde. Der Wind besorgte den Rest, und bald hing das gro?e Segel in Fetzen von seiner Rah.

«Feuer!»
        Jetzt wurde die Reaktion schon langsamer, die Schu?folge unregelma?iger, als die Stuckmeister an ihren Abzugsleinen rissen und schnell zurucksprangen, bevor die schweren Kanonen wieder nach innen ruckten.
        Plotzlich ein lautes Krachen, und dann kam mitsamt dem ganzen Gewirr von Wanten und Stagen die Gro?bramstenge von oben. Wie eine Riesenfaust schlug sie auf das Backbordseitendeck, zerfetzte die Schutznetze und kippte halb uber Bord.
        Sofort waren Rooke und seine Gang zur Stelle und kappten mit blitzenden Axten die Wrackteile. Auch zwei Seeleute hatte die Stenge mit herabgerissen, nun hingen sie tot oder bewu?tlos in dem Knauel aus Tauen und Spieren.
        Noch einmal brullten die Kanonen auf, und ihr ohrenbetaubender Larm fegte jeden klaren Gedanken aus Bolithos Kopf; gebrochene Leinen und Segelfetzen regneten auf die fluchenden Kanoniere herab, wahrend sie nachluden und abermals feuerten.
        Keen schrie: «Argonaute halt auf uns zu, Sir!»
        Bolitho wischte sich die brennenden Augen trocken, um nach dem Feind auszuspahen. Ihre List war erfolgreich: Alles nur verfugbare Tuch gesetzt, brauste Argonaute mit dem Wind heran, wahrend ihre vorderen Kanonen schon auf gut Gluck schossen; einige Kugeln trafen, aber die meisten pflugten wegen des spitzen Schu?winkels wirkungslos achteraus durch die Wellenkamme.
        Die kleine Fregatte hatte den Angriff abgebrochen und begnugte sich mit der Rolle des hilflosen Zuschauers; inzwischen war sie auch zu weit zuruckgefallen, um noch wirksam eingreifen zu konnen.
        Bolitho horte seine eigene Stimme das Krachen und den Rucksto? der Kanonen ubertonen:»Die Manner zahlen, nicht die Schiffe, Val!»
        Rauch wirbelte uber das Seitendeck und verschluckte einen Seesoldaten, der aus den Gro?marsen sturzte; Kanonendonner erstickte seinen Todesschrei. Auf dem Vorschiff war ein Achtzehnpfunder umgesturzt, zwei Leute der Bedienungsmannschaft lagen blutend daneben, ein dritter wand sich schreiend unter dem hei?ge schossenen Rohr an
        Deck.
        Von der nicht ins Gefecht verwickelten Bordseite rannten Leute herbei, um die Stelle der Toten und Verwundeten einzunehmen; andere scheuchte Quantocks Sprachrohr in den Gro?mast, wo sie mit hastigen Behelfssplei?en ein neues Gro?segel zu setzen versuchten. Gro? war die Gefahr, da? Funkenflug oder ein gluhender Wergpfropfen Tuch und geteerte Hanfleinen in Brand setzten.
        Bolitho schatzte die Distanz. Das franzosische Schiff war noch eine Kabellange entfernt und feuerte unregelma?ig, aber auf diese Entfernung erzielte es Treffer nach Treffer.
        Keen tat gut daran, das Gro?segel setzen zu lassen. Wenn Achates gerade jetzt zu wenig Tuch oben hatte, deshalb an Fahrt und Ruderwirkung verlor, mu?te sie verfallen, der Wind wurde ihren Bug nach Lee drucken, bis das ungeschutzte Heck sich dem Feind darbot; dessen schwere Kaliber wurden ihr dann ein Ende bereiten, wie es die gro?ere Fregatte erlitten hatte.
        Bolitho hob den Blick zum Vormast und gewahrte seine Flagge, die uber Rauch und Inferno auswehte. Den franzosischen Admiral mu?te dieser Anblick noch anspornen, ihn erst recht dazu verleiten, sein Schiff langsseits zu bringen, ohne Rucksicht auf die Folgen.

«Feuer!«Keen wartete nur so lange, bis das Mundungsfeuer abermals nach dem Feind leckte, dann:»Mr. Trevenen! Ubernehmen Sie dort!»
        Bolitho sah Mountsteven neben einer seiner Kanonen liegen; ein Arm war ihm abgerissen, das halbe Gesicht versengt worden.
        Das untere Batteriedeck feuerte pausenlos, und Bolitho sah die Szene vor sich, als stunde er selbst dort unten. Als Fahnrich hatte er einst solch eine Zwischendecksbatterie befehligt, auch wenn ihn jetzt dunkte, das sei tausend Jahre her: zwischen den rot gestrichenen Bordwanden - rot, damit Blut daran nicht so auffiel - zuckten und tanzten die grotesken Schemen der Stuckmannschaften durch den Rauch, im standigen Kampf mit den wie von eigenem Leben erfullten Kanonen: Bilder aus Dantes Inferno.
        Eine Kugel fuhr durch eine offene Stuckpforte ins obere Batteriedeck, und Bolitho erkannte ihre Bahn an den zerrissenen Menschenleibern, die sie zurucklie?, ehe sie in die gegenuberliegende Bordwand krachte. Links und rechts walzten sich Manner in Todesqualen, wahrend Tyrrell mit seinem Holzstumpf uber Blut und Korperteile hinwegstapfte, ein grotesker Todesengel, der das Gespenstische der Szene noch hervorhob.
        Eine zweite Kugel durchschlug die Finknetze auf dem Achterdeck und fegte Hangematten und Menschen wie Stoffbundel beiseite. Sie mahte zwei Ruderganger um und lie? den Gehilfen des Masters schreiend zuruck, gekrummt uber das Ende eines fu?langen Splitters, der sich ihm wie ein gefiederter Pfeil in den Magen gebohrt hatte.
        Wild irrte Bolithos suchender Blick uber die Umstehenden, aber dann sah er, da? Adam wieder auf die Fu?e kam. Er grinste seinen Onkel durch die ziehenden Rauchschwaden an, und seine Worte wurden vom Schlachtengetose halb verschluckt, ehe er sich wieder umwandte, um der Achterdeckswache beizustehen.

«Bei Gott, Sir, hier geht's fur meinen Geschmack zu verdammt hei? her!»
        Bolitho sah sich nach Allday um. Er litt ganz offensichtlich Schmerzen, hielt aber sein Entermesser wie einen Beidhander umklammert.
        Da spurte er, wie ihm eine Kugel den Hut vom Kopf ri?, und wu?te, die Franzosen waren nun so nahe, da? die Scharfschutzen ihre Treffsicherheit beweisen konnten.

«Beweg dich, Allday, oder geh unter Deck!«Er versuchte zu grinsen, aber sein Gesicht fuhlte sich so steif an wie Leder.
        Ein Midshipman sturzte vor und griff nach dem Hut des Admirals. Dicht unterhalb der Litze wies er zwei saubere Durchschu?locher auf. Bolitho lachelte muhsam. Danke, Mr. -»
        Aber der Junge starrte ihn nur blicklos an, in seinen Augen erlosch das Leben wie eine Kerzenflamme. Ein Blutstrom quoll aus seinem Mund, und er sackte zusammen.
        Bolitho stulpte seinen Hut auf und starrte zum Feind hinuber. Nicht einmal den Namen des Jungen hatte er gekannt.
        Ein machtiger Schatten glitt uber das Deck, ihm nach wehte schrilles Geschrei und Gebrull: Mars- und Bramstenge des Fockmasts, glatt abgehackt wie eine Bambussprosse, kamen mit ihrem ganzen Rigg von oben. Donnernd sturzten sie uber die Seite und rissen alles mit uber Bord, was ihnen im Wege stand.
        Allday keuchte:»Die Flagge, Sir! Ihre Flagge ist weggeschossen!»
        Es uberraschte Bolitho, da? er mitten in diesem Totentanz noch Gefuhle aufbringen konnte, aber er spurte, da? ihn Wut und Verwirrung erfullten. Er zog den alten Familiensabel und legte die Scheide sorgsam an Deck, ohne recht zu wissen, was er tat.
        Fast Bord an Bord lagen die feindlichen Schiffe, und immer noch feuerten die Kanonen, jetzt auf kurzeste Distanz; ein kreischender, wirbelnder Hagel aus Metall, Holzsplittern und Tuchfetzen erfullte die
        Luft.
        Hier also sollte es zu Ende gehen, dachte Bolitho. Das Schicksal hatte es langst vorhergewu?t, nur die Menschen machten sich immer etwas vor.
        Unten auf dem Hauptdeck duckten sich die Seeleute schutzsuchend, als noch mehr Wrackteile aus der Takelage prasselten, von den wippenden Netzen aufgefangen wurden oder spritzend ins Wasser schlugen. Die Leute waren erschopft. Sie hatten ihr Bestes gegeben, weitaus mehr, als man von ihnen erwarten konnte.
        Bolitho ri? sich den Hut vom Kopf, hieb damit auf die ihm am nachsten stehende Kanone und rief gellend:»Auf, auf, Kinder! Eine letzte Breitseite!»
        Eine Musketenkugel ri? ihm die Goldepaulette von der rechten Schulter, und ein Seesoldat buckte sich rasch und steckte sie in die Tasche.
        Betaubt, blutverschmiert und mit pulvergeschwarzten Gesichtern taumelten die Stuckmannschaften noch einmal an ihre Kanonen, schwangen die Ladestocke wie verlangerte Arme und verbannten alles aus ihren Gedanken - bis auf die grellbunte Trikolore hoch uber den Rauchschwaden.
        Bolitho rief zu Keen hinuber:»Noch eine Breitseite, Val, dann rammen sie uns!»
        Erst danach merkte er, da? Keen beide Hande in die linke Seite pre?te und Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll. Aber er schuttelte den Kopf, als er Bolithos Besorgnis gewahrte.
        Zischend stie? er durch die zusammengepre?ten Zahne hervor:»Nein, noch nicht, die Leute durfen mich nicht fallen sehen!«Quan-tock begriff, was geschehen war, und schwenkte auffordernd den Hut.»Feuer!«befahl er an Keens statt.
        Auf Kernschu?weite brullten die britischen Kanonen auf, ihre Kugeln kreuzten sich mit dem Gegenfeuer des Feindes. Das Deck schien in lauter Splittern zu explodieren, achzend krummten sich die Kampf enden, andere schrieen Befehle fur Kameraden, die langst gefallen waren.
        Aber Quantock war sich nur eines ungeheuren Triumphgefuhls bewu?t. Im entscheidenden Moment, jetzt, da sie sich in den Nahkampf sturzten und harte Disziplin, nicht weiche Anbiederei den Ausschlag gab, ubernahm er und nicht Keen das Kommando.
        Aber irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Die Beine rutschten unter ihm weg, er fiel. Kein Grund zur Sorge, irgendwer wurde ihm schon wieder aufhelfen. Als Quantock endlich begriff, da? die Blutlache unter ihm seine eigene war, blickten seine Augen schon so totenstarr wie die des Kadetten, der Bolithos Hut aufgehoben hatte.



        XVIII Ruhe den Tapferen

        Immer noch, selbst in den letzten Sekunden vor dem Rammsto?, feuerten die beiden Schiffe aufeinander, wenn auch nur mit einigen wenigen Kanonen. Aber es war, als hatten die Besatzungen die Kontrolle uber sich verloren oder als achteten sie, vom pausenlosen Kanonendonner betaubt, auf nichts mehr, was au?erhalb ihrer eigenen hollischen Welt lag. An Deck oben war die Luft zu einem todbringenden Element geworden, erfullt vom Feuer der Musketen und Pistolen, die vor allem auf die Offiziere und Wachganger des Achterdecks gerichtet waren.
        Vor Bolithos Augen verengte sich die Lucke zwischen den beiden Schiffen immer mehr, die von den Rumpfen eingefangene See schwappte an den Bordwanden hoch und verwandelte sich in Dampf, wo sie auf die gluhenden Kanonenrohre traf.
        Kugeln hammerten in Decksplanken oder Hangemattsnetze; oben in der Takelage peitschte morderischer Schrothagel den Rauch und uberzog Freund wie Feind mit rot schimmernden Arabesken aus Blut.
        Keen klammerte sich mit einer Hand an die Querreling und pre?te die andere gegen die Rippen, mit dem Stoff seines Uniformrocks den Blutstrom aus der Wunde stillend. Aber sein Gesicht war totenbleich, und er reagierte nicht mehr, wenn die Kugeln zu seinen Fu?en ins Deck schlugen oder Manner neben ihm fallten.
        Adam ri? den geschwungenen Sabel aus der Scheide und rief:»Da kommen sie!»
        Mit blitzenden Augen beobachtete er, wie die Rumpfe so hart zusammenstie?en, da? noch mehr Trummer aus der Takelage fielen und beide Schiffe immer enger verflochten.
        Allday warf sich mit der Schulter gegen Bolitho, stie? ihn beiseite und schrie, das Entermesser hoch uber seinem Kopf schwingend:»Die haben's auf Sie abgesehen, Sir!»
        Tatsachlich waren schon die ersten franzosischen Enterer von Argo-nautes Bugspriet an Deck gesprungen, als die Spiere uber das Vorschiff knirschte, dabei Rigg und Abwehrnetze zerrei?end, wahrend der Seegang beide Rumpfe anhob und immer dichter zusammenschob.
        Eine Musketensalve der Briten fallte jedoch die meisten Enterer, ehe sie die Netze ganz weghacken konnten, und der Rest wurde mit Piken aufgespie?t, obwohl er schon im Ruckzug begriffen war.
        Hauptmann Dewar zog seinen schweren Sabel.»Auf sie, Soldaten!»
        Doch damit hatte er seinen letzten Befehl auf Erden gegeben; eine Kugel ri? ihm die untere Gesichtshalfte weg und warf ihn die Niedergangstreppe hinunter an Deck. Fassungslos starrte Hawtayne, sein Leutnant, die Leiche an, als weigere er sich, den Tod seines Vorgesetzten zu akzeptieren.
        Endlich raffte er sich auf und rief:»Folgt mir!»
        Bolitho sah die roten Uniformen durch den Rauch zum Vorschiff sturzen, wobei einige fielen, andere aber zum letztenmal ihre Musketen abfeuerten, ehe sie mit den Bajonetten gegen die zweite Welle der Enterer vorgingen, die wie vom Himmel gefallen an Deck landete.
        Es nutzte nichts, der Feind war in der Uberzahl. Bolitho horte schon franzosisches Jubelgeschrei, das jedoch noch einmal in Fluchen und Angstgebrull uberging, als der Schrot einer Drehbassensalve ihre Reihen wie mit einer blutigen Sense ummahte.
        Er sah Midshipman Evans neben der Niedergangsleiter kauern.

«Unter Deck mit Ihnen!«befahl er.»Sagen Sie ihnen, sie sollen weiterfeuern! Auf Befehl des Admirals!»
        Das Feuer konnte beide Schiffe in Brand setzen, war aber ihre einzige Chance.
        Aus dem Augenwinkel sah Bolitho franzosische Seeleute druben in die Besanwanten klettern; das vom Rauch getrubte Sonnenlicht schimmerte matt auf Hieb- und Stichwaffen, wahrend die Angreifer darauf warteten, da? Wind und Seegang ihr Achterschiff naher an Achates heranschoben. Bald mu?te ihnen aus den unteren Decks Verstarkung erwachsen.
        Bolitho verzog das Gesicht, als unten einige seiner Vierund-zwanzigpfunder noch einmal in die Bordwand des Franzosen feuerten. Rauch, Funken und Splitter wirbelten uber das Seitendeck und rissen einige feindliche Enterer uber Bord, die zwischen den Rumpfen zermalmt oder unter Wasser gedruckt wurden.
        Aber schon rannten Franzosen auf dem Seitendeck nach achtern, obwohl Bolitho entgangen war, wie sie sich durchgeschlagen hatten. Einer davon, ein Leutnant, hackte einen Matrosen nieder, bevor er nach unten auf das Batteriedeck springen konnte, und einige Kugeln zischten schon zum Achterdeck hinauf, wo Knocker mit seinen Mannern am Ruder stand, einem Hauflein Uberlebender auf ihrem Flo? vergleichbar.
        Der franzosische Offizier entdeckte Keen an der Reling und machte einen Ausfall; entsetzt gewahrte Bolitho, da? Keen vor Schmerzen die Augen geschlossen hatte und nichts zu seiner Rettung tat.
        Bolitho stie? einen lauten Ruf aus, und als der Blick des Leutnants zu ihm hin zuckte, hieb er ihm den alten Sabel in den Hals. Noch wahrend der Franzose mit einem gurgelnden Schrei, der in Blut erstickte, vornuber taumelte, schlug Allday mit dem Entermesser zu und fallte ihn wie ein Waldarbeiter einen jungen Baum.
        Stahl klirrte gegen Stahl, als sich die britischen Matrosen auf dem Achterdeck sammelten, taub und blind fur das Gemetzel ringsum und nur darauf bedacht, die Stellung zu halten und nicht unter diese grausamen Schneiden und stampfenden Fu?e zu geraten.
        Bolitho sah Adam den Ausfall eines zweiten franzosischen Leutnants parieren und wollte hin zu ihm, wollte zu Hilfe eilen. Doch selbst im Larm und Schlachten des Handgemenges blieb ihm nicht verborgen, mit welcher Geschicklichkeit Adam focht, wie gut er den Schwung des schwereren Angreifers gegen diesen selbst lenkte. Schon drangte er nach, ruckte, bei jedem Ausfall mit dem rechten Fu? aufstampfend, vor und zwang seinen Gegner aufs Vorschiff zuruck.

«Vorsicht!«gellte Alldays Schrei.
        Bolitho fuhr herum und sah einen franzosischen Unteroffizier mit der Pistole auf ihn zielen. Da sauste Stahl vor seinen Augen nieder, die Pistole polterte an Deck und explodierte, immer noch von der abgetrennten Hand des Franzosen umklammert.
        Einen blutigen Schnitt quer uber die Stirn, ein Entermesser in der einen und einen schweren Belegnagel in der anderen Hand, keuchte Tyrrell:»Das war knapp!«Dann warf er sich, ein hinkender Riese, mitten ins Handgemenge, lie? seine Waffen wirbeln und brullte Anfeuerndes in jedes Ohr, das ihn noch horen konnte.
        Im unteren Batteriedeck war das Klirren und Scharren uber den Kopfen erschreckend anzuhoren: als sei ein irrer Mob au?er Rand und Band geraten.
        Midshipman Evans tastete sich durch den Rauch und suchte die Leiter zum Oberdeck. Er rutschte in Blutlachen aus und ware fast uber die Leiche eines Stuckmeisters gefallen. Als er sich wieder aufrichtete, sah er einige Gestalten durch eine offene Stuckpforte hereinklettern, deren Kanone aus Munitionsmangel aufgegeben worden war.
        Das war der Feind!
        Die Erkenntnis lahmte ihn, verschlug ihm den Atem, und er wollte fliehen, wollte sich verkriechen vor dem Gra?lichen, das ihn umgab. Aber ein verwundeter Matrose taumelte neben ihm von seiner Kanone zuruck, beide Hande auf eine klaffende Bauchwunde gepre?t, in den hervorquellenden Augen das helle Entsetzen.
        Zwei Franzosen sahen ihn und holten nach ihm aus. Der Matrose sturzte und versuchte mit ausgestreckten Fingern, Evans' Fu? zu erreichen.

«Hilfe!«krachzte er.»Hilf mir, um Gottes willen!»
        Evans war erst dreizehn Jahre alt, aber fur den Verwundeten bedeuteten sein blauer Uniformrock und die wei?en Kniehosen Macht und vielleicht Sicherheit vor Tod und Verzweiflung.
        Also zog Evans seinen kurzen Dolch und richtete die Spitze auf die Franzosen.
        Rutschend kamen die beiden zum Stillstand, vielleicht ernuchtert beim Anblick ihres kindlichen Gegners.
        Wie ein heller Lichtfleck tauchte Crockers wei?er Haarschopf im Halbdunkel auf. Er schwang einen Ladestock mit beiden Handen, hieb damit auf die Franzosen ein und warf sie auf die Knie. Ein weiterer Matrose sprang herzu und bereitete ihnen mit blitzendem Entermesser ein schnelles Ende.
        Crocker wandte den Kopf, musterte den kleinen Kadetten perplex und keuchte:»Ein richtiger kleiner Feuerfresser, wie?»
        Blicklos starrte Evans zum Niedergang, wo jemand die Leiter herabgepoltert kam. Sein Verstand konnte das Geschehen nicht verarbeiten, ihm war nur bewu?t, da? er immer noch lebte.
        Adam Bolitho wischte sich die vor Rauch tranenden Augen und blickte sich um. Hier unten konnte man ja kaum atmen, geschweige denn erkennen, was vor sich ging.

«Wo ist der Vierte Offizier?«Er musterte den langen Ladestock, den Crocker immer noch umklammert hielt, das blutige Entermesser in der Hand des zweiten Matrosen.
        Leutnant Hallowes taumelte mit gezucktem Sabel durch den Rauch.»Verdammt, wer will was von mir?«Da erkannte er Adam und grinste.»Ach so, unser flotter Flaggleutnant!


«Wie kommen Sie hier unten zurecht?«fragte Adam drangend.
        Lassig schwenkte Hallowes seinen Sabel in der Runde.»Ich habe meine Leute an die Steuerbordpforten gestellt, wie Sie sehen. «Und mit einer wutenden Geste: «Simms! Hau ihn nieder, den Franzmann!»
        Die Szene erinnerte an ein makabres Ballett. Ein franzosischer Matrose sturzte aus den Rauchschwaden, beide Hande wie schutzend uber dem Kopf. Er mu?te in der Erwartung, das Batteriedeck voller Kameraden vorzufinden, durch eine Stuckpforte gesprungen sein. Nun sank er auf die Knie, und das Wei?e seiner Augapfel schimmerte grell durch Qualm und Zwielicht.
        Der Wachtposten am Niedergang stie? mit seinem Bajonett zu; so viel Gewalt sa? in dem Sto?, da? der ungluckliche Franzose auf die Decksplanken gespie?t wurde.
        Adam wandte den Blick ab.»Ich habe eine Idee«, sagte er zu Hallowes.»Wir gehen durch die Messe nach achtern. «Ob der Mann ihn verstand? Er machte einen fast irren Eindruck. »Argonaute hat eine breite Heckgalerie.»

«Und entern sie?«rief Hallowes. Sein Blick zuckte nach oben, als ein schwerer Schlag die Decksbalken erschutterte.»Wie steht's an
        Deck?»
        Adam dachte an das ungeschutzte Achterdeck, an den Splitterhagel und das Gebrull, mit dem an Deck um die Kontrolle uber das Schiff gekampft wurde.

«Schlecht«, sagte er.»Aber viele franzosische Enterer kamen aus dem Zwischendeck.»
        Er duckte sich vor einer Kugel, die durch eine Stuckpforte pfiff und von einer Backbordkanone abprallte.
        Dann sah er Crocker an.»Konnten Sie Ihren Gro?mast sprengen?»
        Erst starrte Crocker ihn nur an, aber dann bejahte er heiser.»Klar, Sir. Ich bin dabei. «Er wandte sich um, brullte ein paar Namen, und schon hasteten Leute von den Kanonen herbei.
        Nur Hallowes war noch nicht uberzeugt, lie? sich von der tollkuhnen Idee nicht mitrei?en.

«Warum? Was soll das nutzen? Wir kommen doch niemals lebend hinuber.»
        Adam stie? seinen Sabel in die Scheide, mit einer Bewegung, die er Bolitho abgeschaut hatte, und zuckte die Schultern. Wie sollte er Hallowes das erklaren, auch wenn er gewollt hatte? Im Geiste sah er Bo-litho auf dem von Trummern ubersaten Achterdeck stehen, das bevorzugte Ziel aller Feinde. Wenn er ausfiel, mu?te jeder Widerstand zusammenbrechen, jetzt, da Keen verwundet und Quantock gefallen war. Schon in den nachsten Sekunden konnte es zu spat sein.
        So sagte er nur:»Ich verdanke ihm alles. Alles, verstehen Sie?«Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und rannte nach achtern.»Also, komm mit, Junge, wenn du willst«, rief er.
        Hallowes fuhr sich mit dem Handrucken uber den Mund und lachte hysterisch auf.

«Sagen Sie blo? nicht >Junge< zu mir, Mister Bolitho!»
        Damit rannte er ihm nach, gefolgt von anderen, die von irgendwoher geladene Pistolen aufhoben und sich anschlossen, ohne zu wissen, wohin es ging.
        Verwirrt starrte Evans nach achtern zur Messe. Dann fiel sein Blick auf einen Offizier, der sitzend an einer Lafette lehnte; er erkannte in ihm Foord. Der Funfte Offizier hatte gerade noch versucht, ihm Mut zuzusprechen.
        Als er sich neben ihn kniete, sah er, da? Weste und Kniehose des Leutnants blutgetrankt waren. Vor seinen Augen sickerte das Leben aus dem Korper, der nicht einmal zusammenzuckte, als wieder eine Kanonenkugel in die Bordwand schlug und das ganze Schiff erbebte, als sei es auf ein Riff gelaufen.
        Foord erkannte den kleinen Kadetten und versuchte zu sprechen.
        Ratlos hielt Evans seine Hand.

«Sag dem Kommandanten…«Foords Augen verdrehten sich im Todeskampf.»Sag ihm…»
        Die Finger in Evans Hand erstarrten wie im Krampf und erschlafften dann. Vage kam dem Jungen zu Bewu?tsein, da? seine Angst verflogen war. Vorsichtig loste er den Sabel aus Foords anderer Faust und spurte den leeren Blick des Toten zwischen seinen Schulterblattern, als er sich aufrichtete und steif nach achtern zur Messe ging.

«Alles klar, Leute?«Adam musterte noch einmal die gespannten Gesichter in der Runde.
        Crocker warf sich den Ledersack uber die Schulter und studierte das reich geschmuckte Heck des Franzosen, das dicht neben ihnen stampfte. Die Galerie lag etwas hoher als die Messe, aber damit bot sich ihnen Deckung beim Entern.
        Crocker nickte.»Sagen Sie nur, wann.»
        Adam zog sich durch eines der zerschossenen Heckfenster, zogerte kurz und sprang dann zum Heck des anderen Schiffes hinuber. Einen Moment furchtete er schon, den Halt zu verlieren und ins Wasser zu sturzen. Unten zwischen den beiden Hecksteven trieben schon mehrere Leichen, tanzten in den Wellen auf und ab, ohne sich noch um den morderischen Kampf da oben zu scheren.
        Adam rechnete jeden Augenblick damit, ein Gesicht uber dem ve r-goldeten Gelander auftauchen zu sehen oder den Hieb eines Sabels, den Einschlag einer Kugel zu spuren.
        Er umklammerte eine lebensgro?e Holzfigur, eine vergoldete Seejungfrau, die das Ende der Galerie schmuckte. Ihr Gegenstuck auf der anderen Seite war offenbar von einer Kugel gekopft worden.
        Vorsichtig schob er sich um die Seejungfrau herum, wobei er sich uberdeutlich ihres starren Blicks, des goldenen Busens unter seiner Hand bewu?t war. Urplotzlich stieg hysterisches Gelachter in ihm auf wie vorhin in Hallowes. Der blanke Irrwitz seines Vorhabens wollte ihm selbst nicht mehr in den Kopf.
        Sein Blick fiel auf das Gesicht der Seejungfrau, und unwillkurlich mu?te er an Robina denken. Ein eitler Traum. Er hatte das damals gleich begreifen sollen.
        Hinter ihm schrie Hallowes:»Mach Platz, Junge, fur einen Offizier des Konigs!»
        Beide lachten wie die Irren, dann schwang sich Adam uber das Gelander auf die Galerie. Seine Fu?e rutschten auf zersplittertem Glas, aber dann zertrat er ein Fenster und hechtete in die gro?e Achterkajute. Wie Achates war auch dieses Schiff furs Gefecht vollig ausgeweidet worden. Bis auf einige Tote und stohnende Verwundete war die Kajute leer, nur aus den Stuckpforten beugten sich einige Gestalten, die mit Achates' Leuten auf dem unteren Batteriedeck die Klingen kreuzten.
        Ein am Arm verwundeter franzosischer Unteroffizier sah die beiden Englander aus dem Rauch auftauchen und offnete den Mund zu einem warnenden Schrei.
        Hallowes spaltete sein Gesicht mit einem Sabelhieb und rannte weiter, auf die gewaltige Saule des Gro?mastes zu. Das Holz fuhlte sich ganz glatt an, spurte Adam, der sich um Luft ringend dagegenlehnte; es zitterte unter der Last der Stengen, Rahen und Segel wie etwas Lebendiges.
        Ohne auch nur einen Augenblick zu zogern, buckte sich Crocker und laschte Pulversackchen um den Mastfu?, bis er aussah wie mit einem Kollier geschmuckt.
        Gestalten schwankten durch den Rauch; wie eine Stahlfaust schlug eine Kugel in die Brust eines britischen Seemanns. Er fiel, ohne einen Laut von sich zu geben.
        Crockers gesundes Auge blickte sich suchend um.»Ein Streichholz, Kumpel!»
        Damit entzundete er die kurze Lunte und wich zuruck.
        Hallowes hob die Pistole und feuerte auf die Gruppe schattenhafter Gestalten, die ihm am nachsten war.»Wir halten sie in Schach! Sonst schneiden die Strolche noch die Lunte durch!»
        Adam sturzte vor, um mit einem franzosischen Offizier die Klinge zu kreuzen. Er fuhlte seinen Atem im Gesicht, als sie gegen eine Kanone taumelten, merkte, da? der Ha? seines Gegners sich in Entsetzen verwandelte, als er ihn mit dem Handschutz von sich abstie?, ausholte und die Schneide in seine Schulter hieb.
        Hallowes machte einen Satz nach vorn, warf einem Franzosen seine leergeschossene Pistole ins Gesicht und hackte ihn, als er taumelte, mit zwei schnellen Streichen gegen Arm und Hals zu Boden.
        Aber immer mehr Franzosen kamen uber den Niedergang nach unten geklettert; ihre wei?en Hosen leuchteten grell durch den Rauch und hoben sich klar vom dunklen Holzpaneel ab. Einer von Hallowes Matrosen stach mit einer Pike durch die Leiter und lie? einen der Herabkletternden schreiend uber seine Kameraden purzeln, doch eine Pistolenkugel fallte ihn, ehe er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
        Angestrengt spahte Adam durch den bei?enden Rauch, konnte aber keinen Kameraden entdecken. Crocker war wahrscheinlich nach achtern gerannt, ehe seine Sprengladung explodieren konnte, und von Hallowes war nichts zu sehen.
        Zwei Franzosen lauerten hinter einer aufgegebenen Kanone. Einer hob seine Pistole, aber Adam schlug den Lauf nach oben, so da? die Kugel in die Deckenbalken fuhr. Der zweite warf sich meterweit durch die Luft und krachte mit seinem ganzen Gewicht gegen Adams Rucken. Der Gelenkriemen seines Sabels zerri?, und er horte die Waffe klappernd davonschlittern.
        Der Franzose war ein Riese und besa? gewaltige Krafte. Wie Stahlklauen hielten seine teerbeschmutzten Finger Adams Handgelenke umklammert, wahrend er ihn wie einen Gekreuzigten gegen den Boden pre?te.
        Adam schrie auf vor Schmerz, als das Knie des Riesen ihn voll in den Unterleib traf. Er versuchte, die Qual zu beherrschen, aber dann stie? das Knie ein zweitesmal zu, und vor Adams Augen explodierten wei?gluhende Blitze.
        Plotzlich tauchte ein schmachtiger Schatten uber den Schultern des Riesen auf, und der Schmerz lie? nach. Der Riese rollte seitlich von Adam herunter.
        Midshipman Evans starrte ihn fassungslos an. Dann, als Adam muhsam auf die Fu?e kam, lie? er den Sabel sinken, mit dem er den riesigen Franzosen niedergestreckt hatte, und sagte drangend:»Hier entlang, Sir. Ich habe…»
        Der Rest des Satzes wurde von einem gewaltigen Krachen ubertont.
        Gekrummt stand Adam da, denn der Schmerz wuhlte immer noch wie ein hei?es Eisen in seinen Lenden. Staub und Rauch machten ihn blind, und sein Gehor hatte er schon lange verloren. So tastete er nur nach Evans' Schulter und lie? sich durch den Qualm fuhren, ohne recht zu begreifen, was um ihn vorging.
        Evans zupfte an seinem zerrissenen Uniformrock und protestierte, als Adam das Gleichgewicht verlor und kopfuber zwischen zwei Kanonen fiel. Trotz seiner Benommenheit begriff er, da? er hier Sonnenschein sah, wo keiner sein sollte.
        Dann kroch Evans neben ihn, und beide stellten fest, da? eine gro?e, gesplitterte Spiere beide Decks, das zu ihren Fu?en und das uber ihren Kopfen, durchschlagen hatte: einen Meter von der Stelle entfernt, wo sie eben noch gestanden hatten.
        Die dumpfe Lautlosigkeit machte alles nur noch schlimmer. Adam sah, da? Hallowes durch den Staub stolperte und kurz stehenblieb, um an dem scheinbar endlosen Mast entlang nach oben zu starren, der mit dem ganzen Gewirr seines Riggs wie ein Rammbock durch das Deck gebrochen war.
        Dann fiel Hallowes' Blick auf die beiden Kameraden; sein Gesicht verzerrte sich in einem irren Grinsen, und er brullte etwas Unverstandliches, wahrend er mit dem Sabel auf Crockers Werk deutete.
        Adam zog sich hoch und stutzte sich wieder auf Evans' Schulter. Langsam kehrte sein Gehor zuruck, und er merkte, da? der infernalische Larm wenn moglich noch lauter geworden war.
        Hallowes brullte immer noch.»Das wird sie ganz schon ins Grubeln bringen«, schlo? er. Offenbar hatte er mit dem Leben abgeschlossen und alle Angst verloren.
        Evans schob Adam den Sabel des Funften Offiziers in die Hand, und dann starrten sie einander an, so verwirrt wie zwei Fremde, die sich zufallig begegnet waren.
        Doch mit Adams Horvermogen war auch sein Gedachtnis zuruckgekehrt und drangte ihn nun zu handeln.

«Also los, bringen wir es hinter uns!«horte er sich selbst sagen. Der scharfe Ton seiner Worte erinnerte ihn an seinen Onkel, und das wiederum brachte ihn auf eine Idee.

«Ich kann sie nicht mehr aufhalten!«schrie Tyrrell gellend.
        Er hieb seinen Belegnagel in den Schadel eines Franzosen, der sich uber die zerfetzten Hangemattsnetze rollen wollte, und holte mit seinem Entermesser nach einem anderen aus.
        Bolitho vergeudete keine Zeit mit Antworten; Feuer wuhlte in seinen Lungen, und sein Schwertarm schien ihm so schwer wie Blei, als er abermals einen Enterer durchbohrte und uber die Besanrusten au?enbords fallen sah.
        Es war hoffnungslos. War von Anfang an hoffnungslos gewesen. Das ganze obere Batteriedeck schien von Feinden zu wimmeln, wahrend sich die Besatzung von Achates auf Achterdeck und Hutte zusammendrangte und verzweifelten Widerstand leistete.
        Bolitho sah, da? Allday sein Entermesser hob, weil ein Franzose zwischen den Streben der Querreling aufs Achterdeck kletterte; das
        Entsetzen in seinem Gesicht wich triumphierender Schadenfreude, als der Mann begriff, da? der englische Bootsfuhrer sich aus unerfindlichen Grunden nicht bewegen konnte.
        Bolitho sprang uber den Korper eines verwundeten Seesoldaten und stach mit dem Sabel blindlings durch die Reling. Er fuhlte die Spitze der Klinge vom Schulterblatt des Franzosen tiefer in seinen Korper gleiten und ri? sie zuruck, als der Mann schreiend nach unten au?er Sicht fiel.
        Bolitho legte einen Arm um Allday und zog ihn von der Reling zuruck.

«Langsam, Mann!«Er wartete, bis Midshipman Ferrier ihm zu Hilfe kam, und setzte dann hinzu:»Du hast genug getan!»
        Allday wandte den Kopf und starrte ihn mit blutunterlaufenen Augen unglucklich an. Es ist mein Recht, zu.»
        Ein Streifschu? zerri? Bolithos Uniformrock; aus dem Augenwinkel sah er verschwommen, da? Langtry, der Schiffsprofo?, den Scharfschutzen mit einem Enterbeil umhackte.
        Sie starben alle. Und wozu?
        Eine neue, uberraschend heftige Explosion stie? beide Rumpfe knirschend gegeneinander. Einen Moment lang glaubte Bolitho, da? ein Pulvermagazin in die Luft geflogen sei und nun beide Schiffe in einem einzigen gra?lichen Fanal eingeaschert wurden.
        Aber dann verhielten Sabel und Entermesser untatig mitten in der Bewegung, die Marineinfanteristen verga?en ihr verzweifeltes Bemuhen, so schnell wie moglich nachzuladen, und starrten hinuber, wo der turmhohe Gro?mast des Franzosen zu wanken begann. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, so da? selbst einige Verwundete sich aufrichteten und zusahen oder Freunde durch Rufe auf das Schauspiel aufmerksam machten.
        Bolitho lie? den Arm sinken, dessen Muskeln wie von tausend Nadelstichen schmerzten.
        Heiser rief Knocker:»Bei Gott, da geht er hin!»
        Erst langsam, dann immer schneller, begann der hohe Mast zu kippen. Mars- und Bramstenge, Rahen und aufgegeite Segel brachen und zerplatzten, stehendes und laufendes Gut ri? wie dunne Bindfaden, konnte das ungeheure Gewicht weder halten noch bremsen. Die Marsgrating mit ihren Drehbassen und Brustwehren barst entzwei und lie? die Besatzung hinunterfallen; die Toppsgasten folgten, gezogen vom Rigg der Stenge, die sich krachend durch das Deck bohrte.
        Selbst auf Achates spurte Bolitho die Erschutterung und das Gewicht des gebrochenen Mastes; das Deck neigte sich unter seinen Fu?en in einem steileren Winkel.
        Aus cen ziehenden Rauchschwaden erklang ein Trompetensignal, und die Enterer zogen sich zuruck, bis sie auf dem Vorschiff ein dichtes Knauel bildeten. Sie handelten dem uralten Instinkt des Seemannes gema?, dem die Rettung des eigenen Schiffes uber alles geht.
        Bolitho rausperte sich mit kratzender Kehle und rief:»Zu mir, Leute von Achates!»
        Jetzt hatten sie eine Chance, wenn auch nur eine verschwindend kleine.
        Vom Vorschiff erscholl ein scharfes Kommando, gefolgt von knatterndem Musketenfeuer. Unglaubig starrte Bolitho nach vorn, fuhlte sich erinnert an den Morgen auf San Felipe, als Hauptmann Dewar so kaltblutig den rechten Augenblick abgewartet hatte, ehe er in die Inselkavallerie feuern lie?. Aber jetzt lag Dewar tot, mit weggeschossenem Unterkiefer, und Dutzende von Fu?en trampelten uber seine Leiche, wenn der Kampf vor- und zuruckflutete. Auch hatten seine Soldaten nicht auf den richtigen Moment gewartet, sondern schon die ganze Zeit todesmutig gekampft.
        Und doch, irgendwie, hatten sie auf dem Vorschiff Front zum Feind gemacht. Bolitho erkannte Hawtaynes Hut uber dem Qualm und horte seine schrille Stimme kommandieren:»Zweite Reihe vor! Legt an - Feuer!»
        Die Salve krachte mit verheerender Wirkung in die dichtgedrangten franzosischen Enterer.
        Doch zum Nachladen blieb den Briten keine Zeit.
        Bolitho sprang die Leiter zum Batteriedeck hinunter, ohne auf den Schmerz in seinem verwundeten Bein zu achten, und rannte uber die Trummer und Gefallenen hinweg nach vorn, den Blick auf die zuruckweichenden Feinde gerichtet.
        Hawtayne rief:»Ruckt vor!«, und die aufgepflanzten Seitengewehre glitzerten im matten Sonnenlicht, als die Soldaten zur Attacke schritten.
        Ein junger franzosischer Offizier lief herbei, um Bolitho abzufangen. Er war etwa so alt wie Adam, auch ebenso schwarzhaarig und gut aussehend. Als Stahl gegen Stahl klirrte, zuckte in Bolitho mit betaubendem Schock die Erkenntnis auf, da? sein Neffe hochstwahrscheinlich langst tot war.
        Der junge Offizier verlor die Balance, als Bolitho seinen Sabel beiseite schlug. Fur den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Pupillen in begreifendem Entsetzen, dann lag er schon am Boden. Bolitho zog den Sabel zuruck und merkte, da? seine Leute an ihm vorbei nach vorn drangten; ihr Geschrei klang jetzt, da die Rollen plotzlich vertauscht waren, wieder stark und zuversichtlich.
        Leutnant Scott winkte mit seinem Sabel:»Enterer vor!»
        Jubelnd, fluchend, todesmutig walzte sich die Flut menschlicher Leiber hinuber auf das andere Schiff.
        Bolithos Sabel hackte abermals einen franzosischen Offizier aus dem Weg, aber der Arm wollte ihm fast nicht mehr gehorchen. Wie lange konnten sie noch durchhalten?
        Jetzt stand er auf dem Seitendeck von Argonaute und wurde von der Woge seiner Manner nach achtern mitgerissen: zur Poop, denn wer sie hatte, hatte das Schiff.
        Kaleidoskopartig stiegen Bilder vor Bolithos Auge auf: Adams Gesicht, als er ihm das Madchen aus Boston zu beschreiben versuchte; Tyrrells verzweifelter Stolz, mit dem er sich nach einem Land einschiffte, das er noch nie betreten hatte. Der kleine Evans, der das brennende spanische Schiff beobachtete oder ihm wie ein Schatten uberallhin folgte. Und Allday, der ihn auch dann noch schutzen wollte, als ihn seine eigene schreckliche Wunde lahmte.
        Gebrull und Geschrei erscholl explosionsartig auf dem breiten Achterdeck, Manner flogen wie blutige Bundel nach allen Seiten, als eine morderische Kartatschenladung mitten in sie hineinfuhr.
        Bolitho wischte sich mit dem Armel den Schwei? aus den Augen und starrte zum Poopdeck hinauf.
        Narrten ihn seine Augen? Aber nein, er hatte nicht den Verstand verloren, da oben stand wirklich Adam mit einem anderen Offizier und einigen Mannern der Achates. Das Rohr der Drehbasse rauchte noch, es war abwarts gerichtet auf die dichten Reihen der Verteidiger und ihrer Offiziere. Die Kartatschenladung hatte dieselbe verheerende Wirkung erzielt wie die Salve der Marineinfanterie.
        Leutnant Scott verga? ganz seine gewohnte Selbstbeherrschung, schlug Bolitho auf die Schulter und schrie:»Bei Gott, das ist der Flaggleutnant, Sir! Der junge Teufel hat ihnen den Rest gegeben!»
        Damit rannte er seinen Leuten nach, blieb aber noch einmal kurz stehen und sah zu seinem Vizeadmiral zuruck; es war nur ein Blick, aber er sagte mehr als tausend Worte.
        Trotzdem, der Feind war immer noch in der Uberzahl, und jetzt mu?te jeden Moment ein Anfuhrer auftauchen, einer, der seine Leute um sich scharen und zum Gegenangriff fuhren wurde.
        Bolitho musterte seine keuchenden, abgekampften und zum Teil verwundeten Manner, die sich auf ihre Entermesser und Piken stutzten. Noch einem Gefecht waren sie nicht gewachsen.
        Leutnant Trevenen kam heranmarschiert und tippte mit dem Sabelgriff gru?end an seinen Hut: Achates' jungster Leutnant, den Rivers als Geisel genommen hatte. Die Augen in seinem schmutzigen Gesicht leuchteten, als er berichtete:»Die Franzosen haben die Flagge gestrichen, Sir. «Er verstummte verlegen, als sich Seeleute und Soldaten naher herandrangten, dann versuchte er es noch einmal:»Mr. Knocker hat eine Nachricht geschickt. «Die Stimme versagte ihm, er senkte den Blick, wahrend ihm die blanken Tranen uber die ru?igen Wangen liefen.
        Leise sagte Bolitho:»Sie haben sich sehr gut gehalten, Mr. Treve-nen. Bitte fahren Sie fort.»
        Der Leutnant sah ihn an.»Mr. Knocker la?t Ihnen sagen, da? sich von Suden her ein Schiff nahert. Eins von unseren 74ern.»
        Bolitho schritt durch die Umstehenden davon, horte sie jubeln und einander auf die Schultern schlagen und fuhlte sich wie ein unbeteiligter Zuschauer.
        Am gro?en Ruderrad stie? er auf den franzosischen Admiral. Er war am Arm leicht verwundet und wurde von zwei Offizieren gestutzt.
        So standen sie einander gegenuber, Auge in Auge.
        Schlie?lich sagte Jobert wie beilaufig:»Ich hatte es wissen mussen, als ich Ihr Schiff erkannte. «Er setzte zu einem Schulterzucken an, aber der Schmerz hinderte ihn daran.»Sie sollten mir eine Insel ubergeben. «Ungeschickt nestelte er an seinem Sabel.»Und jetzt ubergebe ich Ihnen dies.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nein, M'sieu. Sie verdienen, ihn zu behalten.»
        Damit wandte er sich ab und schritt zum Schanzkleid hinuber, wahrend ihm Jubel- und Hurrageschrei in den Ohren gellte.
        Viele Hande packten zu und halfen ihm auf das trummerubersate Deck von Achates hinuber, wo er als erstes Fahnrich Ferrier und Bootsmann Rooke gewahrte, die strahlend ihre Hute schwenkten.
        Wenn sie doch nur damit aufhoren wurden!
        Er lie? den Blick uber die stummen Gestalten schweifen, die auf dem Batteriedeck hingestreckt lagen. Wie war es bestellt um die Ruhe dieser Tapfersten von allen? Und wie um die Verwundeten, die jetzt im Orlopdeck den Preis fur seinen Sieg entrichteten?
        Er wandte sich um, als er Alldays schleppenden Schritt naherkommen horte, und sah, da? sein alter Bootsfuhrer Joberts Flagge uber der Schulter trug.
        Bolitho packte ihn am Arm.»Alter Halunke! Wirst du denn nie tun, was man dir sagt?

        Alldays Atem ging pfeifend, aber er schuttelte grinsend den Kopf.»Kaum, Sir. Alter Hund lernt keine neuen Tricks.»
        Mit feuchten Augen trat Bolitho an die Reling, wo Keen in einem abgesplitterten, blutbefleckten Stuhl lehnte, wahrend Tuson seine Wunde untersuchte.
        Heiser sagte Keen:»Wir haben's also geschafft, Sir. Wie ich hore, ist das Schiff, das auf uns zuhalt, ein 74er. «Und mit dem Schatten eines Lachelns:»Auf ihm konnen Sie Ihre Flagge setzen und lange vor uns zu Hause sein.»
        Die Jubelrufe wollten immer noch nicht verstummen, stellte Bolitho fest. Drei gegen einen hatte es gestanden. Aber sie hatten gesiegt, und das wurde man bald in ganz England erfahren.
        Leise sagte er:»Nein, Val. Meine Flagge bleibt auf Ihrem Schiff. Wir segeln gemeinsam nach Hause. Und zwar«, schlo? er mit einem melancholischen Lacheln,»auf dem alten Kathchen.»



        Epilog

        Bolithos Heimkehr wurde ein gro?eres Fest, als er wahrend der langen Monate seiner Abwesenheit zu hoffen gewagt hatte. Und doch, wie vorausgeahnt, stimmte es ihn auch traurig. Das Abschiednehmen in Plymouth war ebenso bewegend wie der Willkomm, als die narbenbedeckte, arg mitgenommene Achates den Anker hatte fallen lassen; ihre Prise, die Argonaute, wurde sofort ins Trockendock ubernommen.
        Fur das Schiff mu?te es ein stolzer Augenblick gewesen sein, uberlegte Bolitho, auch wenn alle Pumpen mit Hochstleistung arbeiteten - wie jeden Tag und jede Stunde seit dem Gefecht. Selbst mit dem zusammengebastelten Behelfsrigg schaffte es das alte Kathchen, noch ke? und unternehmungslustig auszusehen, auch wenn die Nationale nur auf der Halfte ihrer vorgeschriebenen Hohe auswehte. Achates' Anblick trieb die Menschen in Scharen auf dem Ufer zusammen.
        Adam hatte Bolitho mit ernstem Gesicht von der zerschossenen Hutte herabsteigen gesehen, um sich von den Mannern zu verabschieden, die ihm seit ihrem Aufbruch vor einem Jahr so vertraut geworden waren: Scott und Trevenen, Hawtayne und der junge Ferrier. Dann Tuson, der Schiffsarzt, der Keen einen daumengro?en Metallsplitter aus den Rippen geschnitten hatte. Und auch der kleine Evans, aus dem so fruh ein Mann geworden war.
        Aber Bolitho dachte auch an jene, die er niemals wiedersehen wurde, die den Triumph der Heimkehr nicht mit ihnen teilen konnten.
        In wenigen Monaten wurde das eroberte Linienschiff unter britischer Flagge segeln, eine hochwillkommene Verstarkung der dezimierten Flotte. Aber Achates hatte das Gefecht schlechter uberstanden als vermutet. Die blauen Gewasser der Karibik wurde sie kaum wiedersehen, sondern ihre Tage als abgetakelte Hulk, als Unterkunft fur durchreisende Seeleute beschlie?en.
        Die Ruckfahrt durch den Kanal war langsam und muhsam gewesen, und sie hatten sich so dicht unter der Kuste Cornwalls halten mussen, da? Adam in die Besansaling aufgeentert war, um mit dem Fernrohr Ausschau zu halten.
        Als er wieder unten stand, sagte er nur:»Ich habe ein Stuck vom Haus gesehen, Onkel. «Jetzt erst begriff er, wie nahe er daran gewesen war, es nie mehr wiederzusehen.»Das Vorland ist schwarz vor Menschen, sie stehen bis nach St. Anthony.»
        Trotz des warmen Fruhjahrswindes kamen sie nur so langsam voran, da? Bolitho eine Kutsche nach Plymouth entgegengeschickt wurde.
        Er war dankbar, da? Belinda nicht selbst gekommen war, denn wenn sie gesehen hatte, wie sein beschadigtes Schiff in den Hafen hinkte, ware sie vor Sorge au?er sich gewesen.
        Ein letztes Mal hatte Keen ihn in der Barkasse an Land begleitet. Die Menschenmenge am Kai jubelte und warf ihre Hute in die Luft, die Frauen hoben ihre kleinen Kinder hoch, damit sie Bolitho sehen konnten. Die Nachricht von seinem Sieg war ihm weit vorausgeeilt. Aber Bolitho bemerkte auch, da? unter den Zuschauern nur wenige junge Manner waren.
        Denn wieder einmal lag England im Krieg mit seinem alten Feind, und wen die Werber ubriggelasen hatten, den hatten die Pre?kommandos bei dieser Gelegenheit nur zu schnell aufgegriffen.
        Auch von Tyrrell hatte er sich verabschiedet, mit mehr Ruhrung als erwartet. Aber Tyrrells verbissene Halsstarrigkeit machte eine Trennung unumsto?lich.
        Tyrrell hatte Bolithos Hande in beide Pranken genommen und gesagt:»Ich schaue mich erst ein bi?chen um, Dick. Mal sehen, ob es mir hier gefallt.»
        Bolitho beharrte:»Trotzdem, kommen Sie bald in Falmouth vorbei. Und vergessen Sie uns nicht.»
        Tyrrell warf sich den Seesack uber die Schulter.»Vergessen hab' ich Sie nie, Sir. Und werd's auch jetzt nicht tun.»
        Seitdem war schon eine Woche vergangen. Bolitho stand am Fenster, blickte hinaus auf den schattigen, blumenubersaten Garten und konnte es kaum glauben.
        Bei ihrem ersten Wiedersehen hatten sich Freude und Ruhrung die Waage gehalten.
        Belinda pre?te die Stirn an seine Brust und flusterte:»Ich habe Ferguson uberredet, mit mir zum Vorland zu fahren. Da sah ich dich vorbeisegeln. Das arme kleine Schiff! Ich war ganz entsetzt, aber auch sehr stolz auf dich. «Sie hob den Blick zu seinem Gesicht, suchte darin die Spuren des Uberstandenen.»Und alles war voll jubelnder
        Menschen. Sie wu?ten naturlich, da? du sie nicht horen konntest, aber sie wollten dich trotzdem willkommen hei?en.»
        Bolitho sah, da? Allday sich im Garten mit einem Lakai unterhielt; er brachte ihn zum Lachen, wohl mit einem alten Seemannsgarn. Auch mit Allday war ein Bild verbunden, das er nicht so schnell vergessen wurde: wie sein alter Bootsfuhrer steif aus der Kutsche geklettert war und sich bemuht hatte, auf der Stein treppe nicht zu hinken.
        Belinda war ihm entgegengekommen, hatte ihm die Arme um den Hals gelegt und leise gesagt:»Danke, Allday, da? Sie mir meine Manner heimgebracht haben. Ich wu?te, Sie wurden es schaffen.»
        So hatte sie ihn langsam wieder zum Leben erweckt - wie das alte Haus, dachte Bolitho. Ihre heitere Gegenwart war uberall fuhlbar.
        Die Woche war im Nu vergangen, obwohl sie keine Besuche gemacht oder empfangen hatten. Ihre Einfuhlsamkeit, ihre leidenschaftliche Liebe hatte sie einander noch naher gebracht.
        Dabei fiel ihm wieder der Augenblick ein, als er seine Tochter zum erstenmal auf den Arm genommen hatte.
        Halb lachend, halb weinend hatte Belinda ihn ermutigt:»Nimm sie hoch, Richard! Sie ist doch nicht aus Glas!»
        Elizabeth. Ein ganz neuer Mensch. Belinda hatte den Namen allein ausgesucht, so selbstverstandlich, wie sie auch das ganze Hauswesen allein gefuhrt hatte.
        Fur Bolitho hatte alles au?erhalb seiner Familie an Bedeutung verloren. Rivers war in derselben Kutsche wie Jobert nach London gebracht worden. Der franzosische Admiral wurde eines Tages bestimmt ausgetauscht werden, aber fur Rivers sah die Zukunft viel ungewisser aus.
        Wieder warf Bolitho einen Blick aus dem Fenster, aber Allday war verschwunden. An den Gedanken, da? sich England wieder im Krieg befand, konnte er sich nur schwer gewohnen. Wodurch war der Frieden verspielt worden?
        Die Tur ging auf, und Belinda trat mit Elizabeth auf den Armen ins Zimmer. Bolitho nahm sie ihr ab und trug sie zum Fenster, wahrend das Kind nach den Goldknopfen seiner Uniform grapschte.
        Sein Gluck war vollkommen und beschamte ihn fast, wenn er daran dachte, wie viele bittere Not litten oder gestorben waren.
        Auch Adam kam ins Zimmer und musterte lachelnd die drei am Fenster. Er gehorte jetzt zur Familie, alles war arrangiert.
        Drau?en auf dem Flur hastete Allday zur Tur und rugte eines der Dienstmadchen: Beeil dich, du Trine, ein Kurier ist angekommen!»
        Belinda griff sich an die Brust.»O nein, nicht so bald! Nicht schon wieder«, flusterte sie.
        Bolitho horte die Verzweiflung in ihrer Stimme und druckte seine Tochter fester an sich.
        Adam eilte aus dem Zimmer, kehrte aber kurz darauf mit einem dik-ken, versiegelten Briefumschlag zuruck.
        Beruhigend sagte er:»Der Kurier kommt nicht von der Admiralitat. Die Nachricht ist vom Hof in St. James.»
        Belinda nickte erleichtert.»Lies bitte vor, Adam. Ich bin zu nervos.»
        Adam brach die Siegel auf und las schweigend.
        Dann hob er den Blick.»Gott sei Dank«, sagte er.
        Allday und Ferguson druckten sich noch in der Tur herum, beobachteten, wie der Leutnant das eindrucksvolle Schreiben an die Hausfrau weiterreichte. Er sah die Uberraschung in ihrem Gesicht der Freude weichen und sagte:»Tja, Allday, du mu?t hoherenorts gute Beziehungen haben. Dein Wunsch ist erfullt worden.»
        Wortlos starrte Allday zum Fenster, wo Belinda jetzt die Arme um Mann und Kind legte und Bolitho auf die Wange ku?te.
        Lachelnd meinte Adam:»Aber ich glaube, mein Onkel ist zufrieden mit dem, was er hat. Das ist fur ihn der schonste Lohn.»
        Allday horte ihn nicht; sein Blick war in die Ferne gerichtet, als er sagte:»Also Sir Richard Bolitho. «Dann nickte er nachdrucklich, und in seinen Augen stand wieder ein Glanz wie in alten Tagen.»Wenn mich jemand fragt: Es wurde auch Zeit!»
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1


27.3.1802

2

        Seekadett oder Fahnrich zur See

3

        Seesoldaten, Marine-Infanterie

4

        Kap Lizard. sudlichster Punkt Englands

5

        Sailing master: fur die Navigation verantwortliche Decks(Unter)offizier

6

        Netze an Schanzkleid oder Reling, in denen die festverzurrten Hangematten der Mannschaft als Kugelfang verstaut wurden

7

        Kabellange = ein Zehntel einer Seemeile oder 185, 2 m

8

        Etmal = die von Mittag bis zum nachsten Mittag zuruckgelegte Strecke

9

        Legerwall = Kuste, auf die der Wind steht


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê