Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Bruderkampf Richard Bolitho Kapitan In Ketten " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Bruderkampf: Richard Bolitho, Kapitan in Ketten Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #7
1782 - Kaum wieder in der Heimat, wird Richard Bolitho mit seinem neuen Kommando, der Fregatte PHALAROPE, zuruck nach Westindien beordert, um das karibische Geschwader zu verstarken. Doch die PHALAROPE ist ein Unglucksschiff, die Mannschaft rebellisch, die Offiziere nicht vertrauenswurdig.
        Bei einer Landungsoperation gerat Richard in Gefangenschaft, kann aber letztendlich in der Schlacht bei den Iles des Saintes den Schandfleck vom Namen der PHALAROPE tilgen.

        Alexander Kent
        Bruderkampf
        Richard Bolitho, Kapitan in Ketten


«Gewi?, die Fruchte der Erde werde ich nicht ernten. Doch sammle ich dafur den Blumenflor der See.»

    Admiral Boscawen 1756



        I Die Phalarope

        Das Jahr 1782 war erst drei Tage alt. Stetiger Nieselregen, von auffrischendem sudlichem Wind getrieben, fegte durch die engen Stra?en von Portsmouth Point und lie? die dicken Mauern der alten Festungsanlagen wie poliertes Metall glanzen. Eine dichte, bleifarbene Wolkendecke zog drohend uber die zusammengedrangten Gebaude, so da? das Licht, obwohl es erst gegen Mittag war, fahl und bedruckend wirkte.
        Wirklich lebendig war nur die See. Der Meeresarm des Solent wurde von heftigen Boen aufgewuhlt; im Gegensatz zu dem stumpfen Grau der Hohenzuge der Insel Wight und des regenverschleierten Kanals zeigten die Wellenkamme in dem entstellenden Licht eine sonderbar gelbe Tonung.
        Kapitan Richard Bolitho stie? die Tur des King George Inn auf, und wahrend er noch einige Augenblicke stehenblieb, umhullte ihn die einschlafernde Hitze wie eine Decke. Er reichte einem Diener wortlos den Mantel und klemmte seinen Dreispitz unter den Arm. Durch eine Tur zur Rechten sah er ein einladendes Kaminfeuer, vor dem es sich laut redende Marineoffiziere bequem machten. Ihre dienstlichen Sorgen und Pflichten hatten sie drau?en vor den niedrigen, vom Regen gepeitschten Fenstern gelassen.
        In einem anderen Zimmer sa?en Offiziere schweigend um mehrere kleine Tische und studierten ihre Spielkarten und die Gesichter ihrer Gegner. Nur wenige sahen auf, als Bolitho eintrat. Nach all den Jahren des Krieges und der Unruhe hatte in Portsmouth hochstens ein Mann in Zivil Aufmerksamkeit erregt.
        Bolitho seufzte und betrachtete sich fluchtig im Wandspiegel. Er war gro?, und der blaue Rock mit den Goldtressen kleidete ihn gut. Das wei?e Hemd und die wei?e Weste unterstrichen die ungewohnliche Braune seines Gesichtes. Obwohl die Ruckreise von Westindien lange gedauert hatte, war sein Korper noch immer nicht auf den englischen Winter eingestellt. Deshalb blieb er noch ein wenig langer stehen, um sich aufzuwarmen.
        Ein Diener hustelte hoflich neben ihm.»Verzeihung, Sir, aber der Admiral erwartet Sie in seinem Zimmer. «Mit kaum angedeuteter Geste wies er auf die Treppe.

«Danke. «Bolitho warf einen letzten Blick in den Spiegel.
        Doch der Blick verriet weder Eitelkeit noch personliches Interesse. Eher lag etwas von der kalten Prufung darin, mit der Bolitho einen Untergebenen gemustert hatte.
        Bolitho war sechsundzwanzig Jahre alt, aber seine unbewegten Zuge und die tiefen Falten im Gesicht lie?en ihn alter erscheinen. Fast heftig schob er das schwarze Haar aus der Stirn.
        Knapp einen Zoll uber dem Auge begann eine ha?liche Narbe, die sich bis tief in den Haaransatz hinaufzog. Er beruhrte sie kurz wie jemand, der lange Zuruckliegendes durchdenkt. Danach stieg er schnell die Treppe hinauf.
        Vizeadmiral Sir Henry Langford stand, die Fu?e leicht gespreizt, dicht vor dem hochsten Holzfeuer, das Bolitho je gesehen hatte. Seine betre?te Uniform glitzerte im Schein der tanzenden Flammen, und sein machtiger Schatten fiel quer durch das geraumige Zimmer.
        Die beiden Manner betrachteten sich einige Sekunden: der Admiral, ein Mann in den Sechzigern, dessen schweres Gesicht von einer gro?en, hakenformigen Nase beherrscht wurde, uber der die scharfen blauen Augen wie geschliffene Steine blitzten, und der schlanke, gebraunte Kapitan.
        Dann trat der Admiral vom Kamin weg und streckte die Hand aus.»Ich freue mich, Sie zu sehen, Bolitho!«Die drohnende Stimme fullte den Raum, fegte die Jahre beiseite und ersetzte das Bild des beleibten alten Admirals durch die Erscheinung des Mannes, der Bolithos erster Kapitan gewesen war.
        Als konne er Bolithos Gedanken lesen, setzte der Admiral wehmutig hinzu:»Vierzehn Jahre, wie? Mein Gott, scheint kaum moglich!«Er trat zuruck und musterte Bolitho kritisch.»Sie waren ein magerer Kadett, zwolf Jahre alt, wenn ich mich recht erinnere. Kaum ein Pfund Fleisch auf den Knochen. Ich nahm Sie nur Ihres Vaters wegen an Bord. «Er lachelte.»Sie sehen noch immer so aus, als konnte Ihnen eine gute Mahlzeit nicht schaden.»
        Bolitho wartete geduldig. Das eine hatten ihn seine vierzehn Dienstjahre zumindest gelehrt: altere Vorgesetzte hatten ihre eigene Art, zur Sache zu kommen. Und gewohnlich dauerte es eine Weile.
        Der Admiral ging schwerfallig zum Tisch und schenkte zwei gro?e Glaser Branntwein ein.»Seit fast die ganze Welt gegen uns steht, ist Branntwein so etwas wie Luxus geworden. «Er zuckte mit den Schultern.»Da mir Rheumatismus jedoch mehr zusetzt als Gicht, betrachte ich ihn als letzte Annehmlichkeit, die mir geblieben ist.»
        Bolitho trank vorsichtig, wobei er seinen Vorgesetzten uber den Rand des Glases hinweg studierte. Er war erst vor drei Tagen, gerade zum Jahreswechsel, aus Westindien zuruckgekehrt. Sein Schiff, seine geliebte Sparrow, war zur Uberholung auf die Werft gekommen, wahrend ihre weniger gluckliche Besatzung uber die ewig hungrige Flotte verteilt worden war, um die klaffenden Lucken aufzufullen, die Tod oder Verstummelung gerissen hatten. Die meisten Leute der Korvette waren seit sechs Jahren nicht mehr in der Heimat gewesen. Sie hatten gehofft, mit ihrem kleinen, aber wohlverdienten Prisengeld ihre Angehorigen besuchen zu konnen. Es war nicht dazu gekommen, aber Bolitho wu?te, da? alle Mitleidsgefuhle nutzlos waren.
        Die blassen Augen hefteten sich plotzlich auf Bolithos Gesicht.»Ich gebe Ihnen die Phalarope, Bolitho. «Der Admiral beobachtete, wie es in dem Gesicht des jungen Kapitans arbeitete.»Sie liegt drau?en vor Spithead, bereit zum Auslaufen. Eine schonere Fregatte hat es nie gegeben.»
        Bolitho stellte das Glas langsam auf den Tisch, um Zeit zu gewinnen. Die Phalarope war eine mit zweiunddrei?ig Kanonen bestuckte Fregatte und noch keine sechs Jahre alt. Er hatte sie durch sein Fernglas gesehen, als er Spit Sand vor drei Tagen rundete. Sie war tatsachlich ein schones Schiff und alles, was er nur erhoffen konnte. Nein, mehr, als er je zu traumen gewagt hatte.
        Ruhig sagte er:»Sie erweisen mir eine gro?e Ehre, Sir.»

«Unsinn, Sie haben es mehr als verdient. «Der Admiral schien sonderbar erleichtert und sprach, als hatte er seine kleine Rede vorher geprobt.»Ich habe Ihre Laufbahn verfolgt, Bolitho. Sie machen der Marine und dem Lande alle Ehre.»

«Ich hatte einen ausgezeichneten Lehrer, Sir.»
        Der Admiral nickte.»Ja, das waren gro?e Tage, wie? Gro?e Tage. «Er schuttelte sich und go? sich noch einen Branntwein ein.»Die gute Nachricht haben Sie gehort. Nun folgt der andere Teil. «Er sah Bolitho nachdenklich an.»Die Phalarope hat bisher in der Kanalflotte Dienst getan, meist als Blockadeschiff vor Brest.»
        Bolitho spitzte die Ohren. Blockadedienst, das war nichts Neues. Bei dem Bemuhen, franzosische Schiffe am Auslaufen aus den Kanalhafen zu hindern, wurden die Fregatten gebraucht wie das liebe Brot. Fregatten waren Madchen fur alles. Sie besa?en genugend Feuerkraft, um es im offenen Kampf mit jedem Schiff aufzunehmen, au?er mit Linienschiffen. Und sie waren schnell genug, ein Linienschiff auszumanovrieren. Daher waren sie standig gefragt. Was die Aufmerksamkeit Bolithos sogleich erregte, war die Betonung, die der Admiral auf» bisher «legte. Also lagen neue Befehle vor. Vielleicht sollte das Schiff nach Suden, um die belagerte Festung Gibraltar zu entlasten.
        Der Admiral fuhr rauh fort:»Die meisten Schiffe verfaulen von au?en. Wind und See sind grausame Herren, sie spielen selbst dem besten Holz ubel mit. «Sein Blick haftete an den Fenstern, gegen die der Regen schlug.»Aber die Phalarope verfaulte von innen!«Er ging zornerfullt hin und her, sein Schatten glitt wie ein Gespenst durch den Raum.»Vor einem Monat kam es beinahe zu einer Meuterei. Und als das Geschwader mit einigen Blockadebrechern im Gefecht stand, griff die Phalarope nicht ein.»
        Bolitho bi? sich auf die Lippen. Meuterei drohte stets. Die Besatzung bestand zumeist aus Mannern, die man an Land aufgegriffen und zum Dienst gepre?t hatte. Ein paar Unruhestifter konnten ein gut gedrilltes Schiff in eine Holle verwandeln. Aber im Verband mit anderen Schiffen geschah das selten. Gewohnlich brach diese Raserei auf einem Schiff aus, das fur sich allein unter unbarmherziger tropischer Sonne in einer Flaute lag.
        Sir Henry Langford fugte scharf hinzu:»Selbstverstandlich habe ich den Kapitan seines Kommandos enthoben.»
        Bolitho empfand eine sonderbare Zuneigung zu dem muden, gereizten alten Mann, dessen Flaggschiff, ein machtiger Dreidecker, im Hafen Vorrate ubernahm und sich vorbereitete, den Admiral wieder zu seinem Geschwader vor der feindlichen Kuste Frankreichs zu bringen.»Selbstverstandlich«, hatte der Admiral gesagt. Doch Bolitho wu?te, da? viele Admirale ihre Kapitane gedeckt hatten, auch wenn sie wu?ten, da? sie schuldig oder unfahig waren.
        Der Admiral lachelte ein wenig.»Ich furchte, die Ehre, die Phalarope zu ubernehmen, hat zwei Seiten. Ein Unglucksschiff ist nie leicht zu fuhren, vor allem nicht in Kriegszeiten. «Er deutete auf einen versiegelten Umschlag, der auf dem Tisch lag. Die Siegel glanzten im Licht des Kaminfeuers wie frisches Blut. Ihre Befehle. Sie enthalten die Order, das Schiff sofort zu ubernehmen und in See zu gehen. «Der Admiral wog seine Worte sorgfaltig ab.»Sie werden zu Sir Samuel Hoods Geschwader sto?en und sich ihm zur Verfugung stellen.»
        Bolitho war wie betaubt. Hood stand in Westindien, von wo er selber eben zuruckgekehrt war. Im Geiste sah er die abertausend Meilen leerer See vor sich - und sich als Kommandanten eines fremden Schiffes, mit einer Mannschaft, unter der es vor Unzufriedenheit nur so brodelte.

«Wie Sie sehen, Bolitho, bin ich noch immer ein harter Lehrmeister. «Der Admiral schauderte, als ein Windsto? das Fenster traf.»Ich furchte, Sie haben fast hundert Mann zuwenig an Bord. Ich mu?te viele Unruhestifter vom Schiff entfernen, und Ersatz ist schwer aufzutreiben. Einige werde ich hangen lassen mussen, sobald ein Kriegsgericht einberufen werden kann. Sie haben also kaum genug Manner, das Schiff zu segeln, von kampfen ganz zu schweigen. «Er rieb sich das Kinn, seine Augen funkelten.»Ich schlage vor, Sie laufen unverzuglich aus, und zwar erst zur Westkuste. Nach meiner Information liegen die meisten Fischereiflotten im Augenblick in den Hafen von Devon und Cornwall. Das Wetter scheint nicht nach ihrem Geschmack zu sein. «Er lachelte jetzt starker.»Nichts sprache dagegen, da? Sie Ihrer Heimat Falmouth einen Besuch abstatten, Bolitho. Wahrend Ihre Offiziere einige dieser Fischer fur den Konig zwangsausheben, finden Sie womoglich Zeit, Ihren Vater aufzusuchen. Sie werden ihm hoffentlich meine besten Gru?e ausrichten.

        Bolitho nickte.»Danke, Sir. Das werde ich gern tun.»
        Er wunschte sich plotzlich fort aus diesem Zimmer. Es gab so viel zu tun. Fur die lange Reise mu?ten die Magazine und die Takelage uberpruft werden, es galt, sich um Proviant und Vorrate zu kummern.
        Der Admiral nahm den Segeltuchumschlag und wog ihn in den Handen.»Ich will Ihnen keinen Rat geben, Bolitho. Sie sind jung, aber erprobt und mehr als das. Erinnern Sie sich nur an eins. Es gibt schlechte Leute auf Ihrem Schiff und gute. Seien Sie fest, aber nicht zu hart. Betrachten Sie Mangel an Erfahrung nicht als Insubordination, wie Ihr Vorganger das tat. «Sein Ton wurde scharf.»Wenn es Ihnen schwerfallt, sich daran zu erinnern, dann versuchen Sie daran zu denken, wie Sie als Midshipman[Seekadett bzw. Fahnrich zur See] auf mein Schiff kamen. «Er lachelte nicht mehr.»Sie konnen der Phalarope wieder den ihr gebuhrenden Platz zuruckerobern, indem Sie ihr den Stolz zuruckgeben. Wenn Sie es nicht schaffen, kann nicht einmal ich Ihnen helfen.»

«Das wurde ich auch nicht erwarten, Sir. «Bolithos Augen waren jetzt so kalt und grau wie die See jenseits des Hafens.

«Ich wei?. Darum habe ich das Kommando auch fur Sie freigehalten. «Vor der Tur horte man Stimmengemurmel, und Bolitho wu?te, da? die Unterredung kurz vor ihrem Abschlu? stand. Doch der Admiral schickte noch etwas nach.»Ein Neffe von mir fahrt auf der Phalarope«, sagte er.»Einer Ihrer jungen Midshipmen. Sein Name ist Charles Farquhar, und er konnte ein guter Offizier werden. Aber begunstigen Sie ihn nicht um meinetwegen, Bolitho. «Er seufzte und reichte dem Kapitan den Umschlag.»Das Schiff ist segelfertig, also nutzen Sie den gunstigen Sudwind. «Er druckte Bolitho die Hand.
        Bolitho hob den Degen an und klemmte den Dreispitz wieder unter den Arm.»Dann mochte ich mich verabschieden, Sir. «Es gab nichts weiter zu sagen.
        Fast ohne etwas wahrzunehmen, ging er hinaus und an der kleinen Gruppe flusternder Offiziere vorbei, die darauf warteten, vom Admiral empfangen zu werden.
        Ein Offizier stand etwas abseits, ein Kapitan etwa seines eigenen Alters. Das war aber auch die einzige Ahnlichkeit. Er hatte blasse, vorstehende Augen und einen kleinen, verkniffenen Mund. Er befingerte seinen Degen und starrte auf die Tur. Bolitho vermutete in ihm den bisherigen Kommandanten der Phalarope. Doch der Mann schien weniger besorgt als gereizt. Wahrscheinlich verfugt er uber Einflu? am Hof oder im Parlament, dachte Bolitho grimmig. Aber selbst das wurde nicht ausreichen, um Sir Henry mit Erfolg entgegenzutreten.
        Vor dem Gasthaus umheulte ihn der Wind, als er langsam zum Sally Port hinunterging, doch er merkte es nicht.
        Im Hafen sah er, da? die kurzen, zischenden Wellen die Hochwassergirlande aus Schlamm und Algen schon beinahe bedeckten. Das sagte ihm, da? das Hochwasser bald erreicht sein wurde. Mit etwas Gluck wurde er sein neues Schiff noch mit ablaufendem Wasser aus dem Hafen bekommen.
        Als er aus dem Windschatten der letzten Gebaudereihe trat, bemerkte er ein Boot. Es wartete darauf, ihn zum Schiff hinuberzubringen. Das kleine Fahrzeug dumpelte heftig in der Dunung, und die zum Salut erhobenen Riemen schwankten wie eine Zwillingsreihe nackter Baume. Er vermutete, da? jeder Mann im Boot sein langsames Naherkommen beobachtete. An der Spitze der steinernen Mole zeichnete sich der vertraute, massige Umri? Stockdales, seines personlichen Bootsfuhrers, gegen die Wellen ab. Einen Freund zumindest wurde er auf der Phalarope haben, uberlegte Bolitho grimmig.
        Stockdale war ihm von einem Schiff zum anderen gefolgt, fast wie ein treu ergebener Hund. Bolitho fragte sich oft, was sie zusammenhielt; es war eine Bindung, die sich mit Worten nicht erklaren lie?.
        Als frischgebackener Leutnant zur See war Bolitho einst mit einem Pre?kommando an Land geschickt worden, damals wahrend des unruhigen Friedens, als er sich fur einen Gluckspilz hielt, weil ihm das Ungemach so vieler erspart geblieben war, bei halbem Sold an Land gesetzt zu sein. Er hatte nur wenige Leute auftreiben konnen, doch als er gerade zum Schiff zuruckkehren wollte, um sich dem Zorn seines Kapitans zu stellen, war ihm Stockdale aufgefallen, der nackt bis zur Hufte elend vor einer Kneipe stand. Sein robuster, vor Muskeln und Kraft strotzender Oberkorper beeindruckte Bolitho. Neben dem Mann verkundete ein Ausrufer lauthals, da? Stockdale ein beruhmter Faustkampfer sei. Jeder aus Bolithos Truppe, der ihn werfen wurde, bekame eine goldene Guinea, Auszahlung sofort. Bolitho war mude. Der Gedanke an einen kuhlen Schluck, wahrend seine Leute ihr Gluck versuchten, besiegte seine inneren Einwande gegen dieses entwurdigende Spektakel.
        Zufallig gehorte zu seiner Truppe ein Stuckmeister, der nicht nur ein sehr geubter Faustkampfer war, sondern ein Mann, der sich daran gewohnt hatte, mit den Fausten oder auf jede ihm sonst geeignet erscheinende Art die Disziplin aufrechtzuerhalten. Der Stuckmeister zog seinen Rock aus und ging, von den anderen Seeleuten angefeuert, zum Angriff uber.
        Bolitho war sich nie genau daruber klargeworden, was sich als nachstes ereignet hatte. Es hie?, einer der Matrosen hatte Stockdale ein Bein gestellt. Das schien Bolitho wahrscheinlich, denn danach hatte er nicht wieder erlebt, da? Stockdale besiegt worden ware. Aber an jenem Tag hatte Bolitho kaum nach seinem Bier gegriffen, als der Ausrufer auch schon wutend aufschrie, und die Matrosen gellend lachten.
        Bolitho sah, wie der Stuckmeister seine Goldmunze wegsteckte, wahrend der wutschaumende Ausrufer unter Drohungen und Fluchen Stockdale mit einer Kette prugelte.
        In diesem Augenblick begriff Bolitho, da? fur Stockdale Treue wie eine Fessel war. Er wich den ungerechtfertigten Schlagen nicht aus, obwohl er seinen Peiniger mit einem Hieb hatte toten konnen.
        Mitleid oder Abscheu veranla?ten Bolitho einzuschreiten. Doch Stockdales stumpfer Dankesblick machte die Sache nur schlimmer. Wahrend die grinsenden Matrosen und der Ausrufer mit den harten Augen ihn gespannt beobachteten, forderte er Stockdale auf, in den Dienst des Konigs zu treten. Der Ausrufer erhob brullend Protest, als er merkte, da? ihm seine Erwerbsquelle fur alle Zeit genommen werden sollte.
        Doch Stockdale nickte nur kurz und griff wortlos nach seinem Hemd. Selbst jetzt sprach er selten. Seine Stimmbander hatten bei den Kampfen, die er uber Jahre in einer Stadt nach der anderen austragen mu?te, gelitten.
        Bolitho hatte sich eingebildet, da? der Fall mit seinem Eingreifen erledigt war. Aber es kam anders. Stockdale fugte sich in den Rhythmus an Bord, als habe er jahrelang auf einem Schiff gelebt. Trotz seiner Korperkraft war er sanft und geduldig, und nur etwas brachte ihn dazu, seine ruhige Lebensweise zu durchbrechen: Sobald Bolitho das Schiff wechselte, folgte er ihm.
        Anfanglich entschlo? sich Bolitho, diese Tatsache zu ignorieren. Als er jedoch nach einiger Zeit ein eigenes Kommando erhielt und einen personlichen Bootsfuhrer brauchte, war Stockdale da und bereit. Genau wie jetzt.
        Stockdale starrte mit leerem Blick regungslos uber das Wasser. Jetzt drehte er sich zu Bolitho um, runzelte die Stirn und sah seinem Kapitan aus besorgten, dunkelbraunen Augen wortlos entgegen.
        Bolitho lachelte undurchsichtig.»Alles klar, Stockdale?»
        Der Mann nickte langsam.»Ihre Seekisten sind im Boot verstaut, Sir. «Er sah zu der wartenden Bootsmannschaft hinuber.»Ich habe mit den Burschen ein paar Worte geredet und ihnen gesagt, wie von nun an alles zu geschehen hat.»
        Bolitho stieg in das Boot und zog den Mantel enger um sich. Stockdale knurrte einen Befehl, und das Boot legte ab.

«Riemen bei! Ruder an!«Stockdale legte das Ruder an und behielt dabei gleichzeitig die Mannschaft im Auge, als das Boot herumschwang und in die erste Welle stie?.
        Bolitho musterte die Leute an den Riemen aus zusammengekniffenen Augen. Alle mieden sorgsam seinen prufenden Blick. Der neue Kapitan - jeder Kapitan - kam gleich nach Gott. Er konnte einen Mann befordern oder zuchtigen, belohnen oder an eine Rah hangen. Und segelte ein Schiff au?erhalb eines Geschwaders auf hoher See, wurde diese Macht dem Temperament des jeweiligen Kapitans entsprechend ausgeubt, wie Bolitho nur zu gut wu?te.
        Das Boot scho? in das offene Wasser hinaus. Bolitho dachte nicht langer an die schwer pullenden Seeleute, sondern richtete alle Aufmerksamkeit auf die Fregatte. Jetzt, da sie naher kamen, konnte er das stetige Auf und Ab des anmutigen Schiffes sehen, das in dem auffrischenden Wind an der steifen Ankerkette zerrte. Er sah sogar, wie das Kupfer hell aufglanzte, als die Fregatte ihr Unterwasserschiff zeigte. Und als sie leicht uberholte, konnte er die Geschaftigkeit auf dem Hauptdeck erkennen. Achtern, beim Fallreep, bemerkte er das sauberlich ausgerichtete rote Karree der Marinesoldaten, die bereits zu seiner Begru?ung aufgezogen waren. Und fur einen Augenblick trug der Wind den Klang schrillender Pfeifen und heiserer Befehle zu ihm heruber.
        Die Phalarope ist ein schones Schiff, dachte Bolitho, hundertundvierzig Fu? Kraft und Anmut. Von der vergoldeten Galionsfigur, einem seltsamen Vogel auf dem Rucken eines Delphins, bis zum schnitzereiverzierten Heck mit der wehenden Flagge daruber, war sie der lebendige Beweis fur die Kunst ihres Erbauers.
        Nun erkannte Bolitho auch die Offiziere, die auf dem
        Achterdeck warteten. Mehr als einer hielt sein Fernglas auf das Boot gerichtet. Er zwang sein Gesicht zu einer gelassenen Maske, unterdruckte gewaltsam jede Erregung und dachte nicht an die Herausforderung, die von dem Schiff ausging.

«Boot ahoi!«Der Wind fing den Ruf und schleuderte ihn zu den kreischenden Mowen hinauf.
        Stockdale legte die Hande trichterformig um den Mund und rief: «Phalarope!«Fur die wartenden Offiziere gab es keinen Zweifel mehr, da? sich ihr neuer Gebieter naherte.
        Bolitho knopfte den Mantel auf und schob ihn uber die Schultern zuruck. Die goldenen Litzen und das Gehange seines Degens schimmerten in dem verwaschenen Licht. Die Fregatte wurde gro?er und gro?er, bis sie zuletzt uber dem Boot aufragte und alles andere ausloschte.
        Wahrend die Leute das Boot zum Fallreep manovrierten, lie? Bolitho die Augen langsam uber die Masten, die Rahen und das laufende Gut wandern. Kein Zeichen von Nachlassigkeit. Alles war, wie es sein sollte. Der Rumpf war ordentlich gestrichen, und sowohl das dicke Blattgold der Galionsfigur als auch das Gold am breitfenstrigen Heck zeigte, da? der vorige Kapitan einen guten Teil seines eigenen Geldes an das Schiff gewandt hatte.
        Der Gedanke an gut angelegtes Geld erinnerte Bolitho an seine Seekisten in der Achterplicht. Uber tausend Pfund an Prisengeld hatte er von Westindien zuruckgebracht. Doch bis auf die neuen Uniformen und einige wenige Annehmlichkeiten konnte er wenig dafur vorweisen. Und nun sollte er wieder auf die See hinaus, wo das Messer eines Meuterers seinem Leben ebenso schnell ein Ende bereiten konnte wie eine franzosische Kanonenkugel, wenn er nicht standig auf der Hut war. Er entsann sich auch der Warnung des Admirals:»Wenn Sie es nicht schaffen, kann nicht einmal ich Ihnen helfen!»
        Das Boot ging langsseits, und sein Rollen hatte ihm beinahe die Fu?e unter dem Leib weggezogen, als er vom Dollbord absprang und die gischtuberspruhte Bordwand hinaufkletterte.
        Er versuchte, sich gegen den Larm zu verschlie?en, der ihn begru?te, gegen die schrillen Pfeifen der Bootsleute und das Knallen der Gewehrkolben, als die Seesoldaten prasentierten. Es war zu leichtsinnig und zu gefahrlich, die Wachsamkeit auch nur eine Sekunde zu vergessen. Zu gefahrlich sogar, diesen
        Augenblick, auf den er so lange gewartet hatte, bis ins Letzte zu genie?en.
        Ein gro?er, kraftig gebauter Leutnant trat vor und zog den Hut.»Leutnant Vibart, Sir. Ich bin der Rangalteste. «Seine Stimme klang belegt und kratzend. Sein Gesicht blieb unbewegt.

«Danke, Mr. Vibart. «Bolithos Augen glitten an Vibart vorbei uber die ganze Lange des Schiffs. Auf den Planken, die die Back mit dem Achterdeck verbanden, drangten sich schweigend die Leute. Andere waren in die Wanten geklettert, um ihren Kapitan besser sehen zu konnen. Bolithos Blicke wanderten uber die gut ausgerichteten Reihen der Geschutze, die hinter den geschlossenen Pforten festgezurrt waren. Ein guter Mann, dieser Erste Leutnant, was Geschick und au?ere Erscheinung anlangte, dachte Bolitho.
        Vibart sagte murrisch:»Mr. Okes und Mr. Herrick, der Zweite und der Dritte Leutnant, Sir.»
        Bolitho nickte, sein Ausdruck blieb unverbindlich. Zwei junge Offiziere, mehr nahm er nicht wahr. Die Menschen hinter den fremden Gesichtern wurden spater auftauchen. Jetzt war es wichtiger, da? sie von ihm einen klaren Eindruck gewannen.

«Lassen Sie alle Mann achtern antreten, Mr. Vibart. «Bolitho zog seine Ernennungsurkunde aus der Innentasche des Mantels und entrollte sie, als die Leute vor ihm standen. Sie sahen gesund aus, aber ihre Kleidungsstucke glichen Lumpen. Einige steckten offenbar noch in den jetzt vollig zerfetzten Sachen, die sie getragen hatten, als sie zum Dienst gepre?t wurden. Er bi? sich auf die Lippen. Das mu?te geandert werden, und zwar sofort. Einheitliche Kleidung war uberaus wichtig. Uniformitat unterband den Neid unter den Leuten, und wenn auch nur den Neid auf ein paar armselige alte Fetzen.
        Bolitho begann zu lesen. Seine Stimme klang fest durch das Pfeifen des Windes und das stete Sirren der Takelage.
        Das Schriftstuck war an Richard Bolitho, Esquire, gerichtet und forderte ihn auf, sich unverzuglich an Bord der Fregatte Seiner Britischen Majestat Phalarope zu begeben und als Kapitan die Verantwortung und die Befehlsgewalt zu ubernehmen. Bolitho beendete die Verlesung, rollte das Pergament zusammen und blickte zu den Mannern hinunter. Was dachten sie, was hofften sie in diesem Augenblick?

«Ich werde den Leuten gleich noch mehr sagen, Mr. Vibart. «Funkelte in den tiefliegenden Augen des Leutnants etwas wie Arger auf? Bolitho ignorierte es. Vibart schien alt fur seinen Rang, mochte gut sieben oder acht Jahre alter sein als er. Die Aussicht auf ein eigenes Kommando durch die plotzliche Ankunft eines anderen zerschlagen zu sehen, war sicher nicht angenehm.»Sind Sie in jeder Hinsicht klar zum Ankerlichten?»
        Vibart nickte.»Ja, Sir. «Es klang, als wollte er sagen: «Naturlich!«»Wir haben vor einer Woche hierher verholt. Ein Leichter hat heute vormittag Frischwasser gebracht. Entsprechend den Befehlen des Admirals sind wir mit allem voll ausgerustet.»

«Sehr gut. «Bolitho wandte sich wieder der Mannschaft zu. Sir Henry Langford hat dem Zufall keine Chance eingeraumt, dachte er trocken. Indem er das Schiff mit allem Notwendigen ausrustete und in einiger Entfernung von Land vor Anker gehen lie?, unterband er jede Moglichkeit, da? der Ungeist des Schiffs die Flotte vergiftete. Bolitho sehnte sich nach einigen Minuten des Alleinseins, um seine Order in Ruhe zu lesen. Sicher wurde sie ihm einen weiteren Schlussel fur die Losung des Ratsels geben.
        Er rausperte sich.»Nun, Leute, will ich euch etwas uber unsere Bestimmung sagen.
«Ihnen wurde klar sein, da? er noch keine Zeit gehabt hatte, seine Offiziere vorher zu informieren, und dieser Beweis des Vertrauens konnte helfen, die Kluft zwischen Achterdeck und Back zu uberbrucken.

«England kampft um sein Weiterbestehen. Wahrend wir hier untatig vor Anker liegen, befindet sich unser Land im Krieg mit Frankreich und Spanien, mit den Hollandern und den rebellierenden Kolonialisten in Amerika. Jedes einzelne Schiff wird fur den Sieg benotigt. Jeder von euch ist wichtig fur unsere gerechte Sache. «Bolitho hielt einige Sekunden inne. Seine Leute auf der Sparrow hatten jetzt Hurra gerufen und Beteiligung gezeigt. Bolithos Blicke glitten uber die dichtgedrangten, ausdruckslosen Gesichter, und er fuhlte sich plotzlich einsam und empfand Sehnsucht nach seiner kleinen Korvette.
        Er gab seiner Stimme einen harteren Klang.»Wir segeln noch heute nach Falmouth.
«Er ri? sich zusammen.»Und von dort nach Westindien, um uns Sir Samuel Hood im Kampf gegen die
        Franzosen und ihre Verbundeten anzuschlie?en.»
        Keiner der Manner sagte etwas. Aber aus der dichtgedrangten Menge unter ihm loste sich etwas wie ein schmerzliches Stohnen. Ein Maat knurrte:»Ruhe an Deck! Maul gehalten, Kerls.»
        Bolitho setzte hinzu:»Ich verlange eure Loyalitat. Ich werde meine Pflicht tun und erwarte, da? ihr die eure tut. «Er drehte sich um.»Machen Sie weiter, Mr. Vibart. Wir segeln in einer Stunde. Vergewissern Sie sich, da? alle Boote festgezurrt sind. Und dann lassen Sie bitte den Anker kurzstag holen. «Bolithos Ton war kalt und endgultig. Doch der Leutnant vertrat ihm den Weg. Seine Lippen zuckten nervos.

«Aber, Sir, Westindien!«Er rang nach Worten.»Gott, wir sind seit zwei Jahren ununterbrochen Blockade gelaufen!»
        Bolitho antwortete so laut, da? ihn auch die anderen Offiziere verstehen konnten. Und ich bin sechs Jahre fortgewesen, Mr. Vibart!«Er ging nach achtern, wo Stockdale wortlos am Kajutsniedergang stand, durch den er sich zuruckziehen konnte.»In zehn Minuten alle Offiziere und die rangaltesten Unteroffiziere bitte in meine Kajute!»
        Er stieg leichtfu?ig den Niedergang hinunter und duckte sich automatisch unter den niedrigen Decksbalken. Achtern, unter einer schwingenden Laterne, salutierte ein Seesoldat neben der Tur der Kapitanskajute. Hinter dieser Tur, dachte Bolitho, ist der einzige Platz an Bord, wo ich allein nachdenken kann.
        Stockdale hielt die Tur auf, und Bolitho betrat die Kajute. Nach dem beengten und spartanischen Quartier auf der Sparrow wirkte sie fast geraumig.
        Die schragen Heckfenster liefen uber die ganze Breite der Hauptkajute. Hinter den dicken Scheiben zeigten sich das unruhige Wasser und der feindselige, graue Himmel. Die Luft war schwer und feucht, und wieder frostelte ihn. Gut, in die Sonne zuruckzukehren, dachte er, wieder blaue See und goldenes Licht durch diese Fenster zu sehen.
        Hinter einer Trennwand lag sein Schlafraum, hinter einer anderen ein kleiner Kartenraum. Die Hauptkajute enthielt einen Tisch mit dazu passenden Stuhlen, den mit einer Brustung versehenen Schreibtisch und eine Garderobe fur seine Uniformen, die Stockdale eben auspackte.
        Zu beiden Seiten der Kajute standen, jetzt unter einer
        Persenning diskret verborgen und festgezurrt, gro?e Zwolfpfunder. Selbst hier, in der Domane des Kapitans, wurde die Luft voll Pulverqualm und Tod sein, wenn die Fregatte erst in einen Kampf verwickelt wurde.
        Bolitho setzte sich auf die gepolsterte Bank unter den Fenstern. Er ignorierte Stockdales leise Bewegungen und die Schiffsgerausche und studierte seine Order.
        Uber die ublichen Weisungen hinaus enthielten sie nichts. An Bord befand sich ein Sonderkommando Marinesoldaten mit einem Hauptmann an der Spitze statt des sonst ublichen Sergeanten. Das war interessant. Wenn alle anderen Mittel fehlschlugen, so meinte Sir Henry Langford offensichtlich, konnte Bolitho sich noch immer mit der Achterwache verteidigen.
        Bolitho warf die Pergamente auf den Tisch und runzelte die Stirn. Er wollte keinen Schutz, er wollte Loyalitat. Nein, er brauchte Loyalitat.
        Der Kajutboden neigte sich, und uber sich horte er das Klatschen nackter Fu?e. Wie die Dinge auch lagen, er war froh, das Land hinter sich zu lassen. Auf See hatte man Platz zum Denken und Raum zum Handeln. Begrenzt war nur die Zeit.
        Genau zehn Minuten, nachdem Bolitho das Achterdeck verlassen hatte, betraten die Offiziere einer nach dem anderen die Kajute. Vibart, der wegen der Decksbalken leicht gebuckt stand, stellte sie mit kratzender Stimme dem Range nach vor.
        Okes und Herrick, die beiden anderen Offiziere, und Daniel Proby, der Steuermann. Er war alt und verwittert wie eine geschnitzte Holzfigur, und unter dem abgetragenen Rock zeichneten sich fallende Schultern ab. Er hatte ein kummervolles Gesicht und die traurigsten Augen, die Bolitho je gesehen hatte. Dann kam Hauptmann Rennie von den Seesoldaten, ein schlanker und gelassen wirkender Mann mit scheinbar tragen Blicken. Zumindest dieser Mann vermutet, da? noch allerlei Unruhe bevorsteht, dachte Bolitho.
        Die drei Fahnriche hielten sich im Hintergrund. Farquhar war der alteste, und Bolitho spurte etwas wie Unbehagen, als er die schmalen Lippen und den hochmutigen Ausdruck des jungen Menschen studierte. Der Neffe des Admirals konnte ein Verbundeter werden, aber ebensogut ein Zutrager sein. Neale und Maynard, die anderen jungen Herren, schienen einigerma?en erfreulich zu sein, wenn sie auch die ubliche, leicht ladierte Schnoddrigkeit zur Schau trugen, derer sich fast alle Fahnriche als Waffe gegen die Offiziere wie gegen die Mannschaften bedienten. Neale war klein und rundlich, er konnte nicht alter als dreizehn sein. Maynard, scharfaugig und mager wie ein Hecht, beobachtete seinen Kapitan mit einem starren und forschenden Ausdruck, in den man alles hineinlegen konnte.
        Dann die rangaltesten Unteroffiziere, die Berufsseeleute. Evans, der Proviantmeister, ein kleines Frettchen in einem glatten dunklen Rock, wurde uberragt von Ellice, dem rotgesichtigen und schwitzenden Schiffsarzt, der aus bekummerten, feuchten Augen um sich blickte.
        Bolitho stand mit dem Rucken zur Fensterwand, die Hande hinter sich verschrankt. Er wartete, bis Vibart die Vorstellung beendet hatte, und sagte dann:»Wir werden einander sehr bald besser kennenlernen, meine Herren. Im Augenblick lassen Sie mich nur sagen, ich erwarte, da? Sie Ihr Bestes tun, um die Leute zu einer tuchtigen Mannschaft zusammenzuschwei?en. Als ich Westindien verlie?, standen die Dinge nicht gut fur England. Es ist anzunehmen, da? die Franzosen unsere vielfaltigen militarischen Verpflichtungen zu ihrem Vorteil nutzen werden. Wir werden bestimmt in Kampfe verwickelt werden, und dann mochte ich, da? sich das Schiff bewahrt. «Bolitho betrachtete die Gesichter, versuchte, den Vorhang der Wachsamkeit zu durchdringen. Sein Blick fiel auf Herrick, den Dritten Leutnant. Herrick war offenbar ein fahiger Offizier. Aber sein rundes Gesicht zeigte die Wachsamkeit eines Menschen, der, schon einmal betrogen, einem ersten Eindruck nicht mehr traut.
        Herrick sah zu Boden, als Vibart sagte:»Darf ich fragen, Sir, ob wir wegen der Unruhe, die wir an Bord hatten, nach Westindien geschickt werden?«Er suchte Bolithos graue Augen, und sein Ton klang herausfordernd.

«Sie durfen fragen. «Bolitho musterte ihn genau. Vibart hatte etwas Beherrschendes, eine innere Kraft, die die anderen zu blo?en Zuschauern zu degradieren schien.»Ich habe die Berichte und Logbucher genau gelesen«, sagte er ruhig.»Und ich bin zu dem Schlu? gekommen, da? die halbe Meuterei«, er betonte das letzte Wort,»mindestens zur Halfte durch
        Nachlassigkeit verursacht wurde.»
        Vibart erwiderte hitzig:»Kapitan Pomfret vertraute seinen Offizieren, Sir!«Er deutete auf die Bucher auf dem Tisch.»Aus den Logbuchern konnen Sie ersehen, da? das Schiff alles getan hat, was von ihm erwartet werden konnte.»
        Bolitho zog eins der zuunterst liegenden Bucher hervor und bemerkte, wie Vibart eine Sekunde lang unsicher wurde.

«Mir ist schon oft aufgefallen, da? e in Strafregister mehr uber die Tuchtigkeit eines Schiffs aussagt als vieles andere. «Er schlug lassig die Seiten um und verbarg gewaltsam den Ekel, den er bei der ersten Durchsicht empfunden hatte.»In den letzten sechs Monaten sind der Mannschaft mehr als tausend Hiebe verabreicht worden. «Seine Stimme klang kalt.»Einige Manner haben vier Dutzend auf einmal bekommen. Ein Mann ist offenbar nach der Bestrafung gestorben.»
        Vibart sagte heiser:»Mit Laschheit beherrscht man die Leute nicht, Sir.»

«Auch nicht durch sinnlose Grausamkeit, Mr. Vibart!«Bolithos Stimme glich einer Peitsche.»Ich wunsche, da? auf meinem Schiff kunftig nicht Brutalitat, sondern das gute Vorbild regiert. «Er bemuhte sich, seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen.»Au?erdem wunsche ich, da? jeder Mann aus der Kleiderkammer anstandige Sachen bekommen hat, ehe wir Falmouth erreichen. Dies ist ein Schiff des Konigs, keine spanische Sklavengaleere.»
        In das schwere Schweigen, das plotzlich in der Kajute herrschte, drangen die Gerausche des Schiffs und der See. Man horte, wie die Decksausrustung klapperte und knarrte, wie die Tide um das Ruder spulte, und vernahm gedampfte Befehle. Das alles vertiefte Bolithos Gefuhl der Einsamkeit.
        Er fuhr ruhig fort:»In Falmouth mussen wir alles daransetzen, unsere Besatzung auf die volle Zahl zu bringen. Ich werde Kommandos aus vertrauenswurdigen Leuten an Land schicken, um geeignete Manner fur den Dienst zu rekrutieren. Keine Kruppel und Knaben, sondern Manner. Haben Sie mich verstanden?»
        Die meisten nickten. Leutnant Okes sagte vorsichtig:»Ich habe von Ihren Taten in der Gazette gelesen, Sir. «Er schluckte krampfhaft und sah fluchtig zu Herrick hinuber.»Ich glaube, das ganze Schiff schatzt sich glucklich, Sie als Kapitan zu haben. «Wahrend die Worte verklangen, fingerte er nervos an seinem Degen.
        Bolitho nickte.»Danke, Mr. Okes. «Er konnte es sich nicht leisten, mehr hinzuzufugen. Okes konnte auf Bevorzugung aus sein oder darauf, zuruckliegende Verfehlungen zu kaschieren. Aber immerhin, es war ein Anfang.
        Er setzte hinzu:»Was Kapitan Pomfret tat oder nicht tat, kann ich nicht andern. Ich habe meine eigenen Vorstellungen von der Fuhrung eines Schiffes und erwarte, da? sie stets beachtet werden. «Aus den Augenwinkeln bemerkte er, da? der Steuermann zweifelnd den Kopf schuttelte.»Mochten Sie etwas sagen, Mr. Proby?»
        Der alte Mann schaute hastig hoch.»Ah. . Nein, Sir. Mir ging blo? durch den Sinn, da? es eine Abwechslung sein wird, wieder auf hoher See zu navigieren statt zwischen Klippen und Sandbanken. «Er lachelte, wodurch er nur noch kummervoller aussah.»Die jungen Herren werden von der langen Fahrt zweifellos profitieren.»
        Es war ernst gemeint, aber Fahnrich Neale stie? seinen Gefahrten Maynard heimlich an, und beide kicherten. Dann bemerkte Neale, wie Vibart die Stirn runzelte, und blickte hastig zu Boden.
        Bolitho nickte.»Also gut, meine Herren. Bereiten Sie alles zum Ankerlichten vor. Ich komme in zehn Minuten an Deck. «Er fing Vibarts Blick auf.»Es wird mich interessieren, die Manner an ihren Stationen zu sehen, Mr. Vibart. Ein bi?chen Segeldrill wird sie eine Weile von ihren unruhigen Gedanken ablenken.»
        Die Offiziere gingen einer nach dem anderen hinaus. Stockdale schlo? die Tur. Bolitho setzte sich und starrte auf die Papier- und Bucherstapel. Er hatte versucht, Zugang zu ihnen zu finden, aber es war ihm nicht gelungen. Eine Barriere war da, ein Schild aus Ressentiments. Oder war es Furcht? Das mu?te er selber herausfinden. Er konnte keinem einzigen trauen, sich niemandem anvertrauen, bis er sich des Grundes, auf dem er stand, sicher war.
        Er sah Stockdale an und fragte ruhig:»Nun, wie gefallt dir die Phalarope?»
        Stockdale schluckte heftig.»Ein gutes Schiff, Sir. «Er nickte bedachtig.»Aber von dem Fleisch, das sie zwischen den
        Spanten hat, halte ich nicht viel. «Er legte Bolithos Degen neben den Pistolenstander und fugte hinzu:»Ich wurde Degen und Pistole immer griffbereit halten, Captain. Fur alle Falle.»
        Richard Bolitho stieg den Niedergang zum Achterdeck hinauf und ging langsam zur Luvreling. Auf der Fregatte herrschte lebhafte Tatigkeit. Manner standen am Gangspill, andere warteten mit ihren Maaten unter den Masten. Bolitho taxierte den Wind und blickte kurz zum Wimpel am Masttopp hinauf. Das Schiff zerrte heftig und wie verdrossen an der Ankerkette, als wollte es ebenfalls von Land fort, und Bolitho zugelte seine Ungeduld, wahrend er wartete und die letzten Vorbereitungen beobachtete.
        Die Decks glanzten vor Spruhregen und Spritzwasser, und Bolitho merkte plotzlich, da? er bereits bis auf die Haut durchna?t war. Aber vielleicht war es ganz gut, wenn seine Matrosen ihn so sahen, nicht in den Wachrock gehullt, sondern vor dem Wetter genauso ungeschutzt wie sie.
        An der Leereling bemerkte er Fahnrich Maynard. Und wiederum dankte er Gott fur die Fahigkeit, sich Namen merken zu konnen, selbst wenn er sie nur einmal gehort hatte.

«Sie sind Signalfahnrich, Mr. Maynard?«Der Junge, dessen magerer Korper sich wie eine Vogelscheuche gegen das murrische Wasser abzeichnete, nickte.»Sehr gut. Signalisieren Sie dem Flottenkommando, da? wir klar zum Auslaufen sind.»
        Er sah die Flaggen hochsteigen, verga? sie jedoch, als Vibart mit gefurchter Stirn nach achtern kam.

«Anker ist kurzstag, Sir!«Er beruhrte seinen Hut.»Und die Ladung gesichert.»

«Sehr gut. «Bolitho hob sein Fernrohr und sah nach den Flaggen, die am Signalturm druben hochstiegen. Vielleicht verfolgte der Admiral von seinem warmen Zimmer im King George aus das Manover.

«Antwort, Sir!«rief Maynard.»Gute Fahrt und viel Gluck!»
        Bolitho ubergab Stockdale sein Fernrohr und verschrankte die Hande unter den Rockscho?en.»Lassen Sie bitte Segel setzen. Passieren Sie die Landzunge in Luv.
«Er wollte sich heraushalten. Er wurde beobachten, jeden einzelnen Mann. Und jeder wurde das wissen.
        Die Maaten brullten ihre Befehle.»Marssegel setzen!»
        Die Wanten wimmelten plotzlich von Leuten, als die
        Toppgasten so geschickt und sicher wie Katzen nach oben kletterten. Wer zu langsam war, wurde von den Maaten durch Schlage mit Faust oder Tampen erbarmungslos angetrieben.

«Anker auf!«Mr. Quintal, dessen Brustkasten einer Trommel glich, schwang seinen Stock uber den arbeitenden Mannern auf dem Vorschiff.»Los, ihr winselnden alten Weiber!«Sein Stock sauste herab, und ein Mann schrie auf.»Hievt! Hievt!«Das Gangspill ruckte an und drehte sich dann gleichma?ig. Die triefende Kette kam herein.

«Vorsegel setzen!«Der Schrei pflanzte sich uber Deck fort wie Gesang. Oben killten und schlugen die befreiten Segel im Wind, und die Manner kletterten wie Ameisen auf die schwingenden Rahen hinaus, rangen und kampften mit jeder sich entfaltenden, widerspenstigen Leinwand.
        Bolitho ignorierte das Spritzwasser und beobachtete, wie die Manner von einer Arbeit zur anderen hetzten. Jetzt, da die Toppgasten oben waren, fiel die Knappheit an Leuten noch mehr ins Auge.
        Herrick rief vom Bug:»Anker auf, Sir!»
        Die Fregatte fiel ab und krangte schwer, als eine Bo sie traf und aufs Wasser zu pressen drohte.
        Vibart krachzte:»An die Brassen! Vorwarts!»
        Die Leute an den Brassen legten sich keuchend ins Zeug, bis die gro?en Rahen knarrend herumschwangen. Der Wind fullte die Segel, und die sich blahende Leinwand donnerte. Die Phalarope drehte ab und nahm Fahrt auf.
        Als der Anker gekattet und gefischt war, sank das Land an Steuerbord zuruck, die Insel Wight blieb hinter dem Regen- und Gischtvorhang fast verborgen.
        Alles knarrte und knallte, wahrend das Schiff weiter auf den befohlenen Kurs eindrehte; die Wanten und Fallen summten und wimmerten wie die Saiten eines verruckten Orchesters.
        Bolitho beobachtete die oben nicht mehr benotigten Leute. Sie rutschten die Stagen hinab und unterstutzten die Leute an den Brassen.»Legen Sie sie auf Backbordbug, Mr. Vibart. «Er schaute uber die Heckreling und versuchte sich daran zu erinnern, was an Kapitan Pomfret so furchtbar gewesen war. Er dachte an die kalten Augen des Mannes, an die eingeschuchterten Gesichter der Leute.
        Proby stand mit gekrummtem Rucken neben dem Ruderganger. Sein verbeulter alter Hut sa? ihm wie ein Kerzenloscher auf den Ohren.»Lassen Sie sie laufen, Mr. Proby«, sagte Bolitho.»Spater mussen wir vielleicht reffen, aber ich mochte Falmouth so schnell wie moglich erreichen.»
        Der Steuermann musterte die schlanke Gestalt des Kapitans und saugte an den Zahnen. Pomfret hatte die Fregatte nie frei laufen lassen. Jetzt flog sie wie verruckt dahin, als sich immer mehr Segel an den Rahen entfalteten und sich knatternd mit Wind fullten. Er blickte zu den Masttopps hinauf und meinte beinahe zu sehen, wie sie sich bogen. Aber er sah nicht mehr allzu gut, daher unterlie? er jede Bemerkung.
        Vibart stand an der Achterdeckreling. Einen Fu? auf dem Schlitten einer Karronade, beobachtete er aus zusammengekniffenen Augen die Leute an ihren Stationen. Einmal blickte er nach Portsmouth zuruck, wo Pomfret das Schiff hatte verlassen mussen, wo Bolitho an Bord gekommen war, um ihn zu ersetzen und dadurch seine, Vibarts, Chance auf Beforderung zunichte gemacht hatte.
        Er betrachtete Bolithos Profil, und Wut loderte in ihm auf wie Feuer. Zwischen Portsmouth und Hoods Geschwader lagen funftausend Seemeilen. Bis sie dort waren, konnte noch viel passieren.
        Er fuhr hoch, als Bolitho brusk sagte:»Entlassen Sie die Wache unter Deck, und verdoppeln Sie die Leute im Ausguck. «Er wies auf den offenen Kanal.»Hier ist jeder ein Feind. «Und mit einem nachdenklichen Blick auf Vibart ging er nach unten.



        II Flucht vor den Pre?kommandos

        Die Mannschaft der Gig pullte mit gleichma?igem Schlag auf die steinerne Anlegestelle zu. Die Manner waren erleichtert, als Stockdale den Befehl» Riemen ein «knurrte, und der Bugsgast mit dem Bootshaken nach einem Ringbolzen angelte.
        Bolithos Blick ging zur Fregatte zuruck. Die Phalarope lag in der Falmouth Bay sicher vor Anker. Ihr glatter Umri? hob sich schwarz und scharf gegen die See und die Sonne ab, die schlie?lich doch durch die treibenden Wolkenfetzen gebrochen war. Das Schiff hatte sich der Landspitze nur langsam genahert, und er hegte keinerlei Zweifel, da? seine Anwesenheit langst gemeldet worden war und jeder gesunde Mann der Stadt die rechtzeitige Warnung genutzt hatte, um vor dem gefurchteten Pre?kommando zu fliehen.
        Leutnant Thomas Herrick sa? stumm neben ihm. Er hatte sich in seinen Mantel gehullt und spahte zu den regennassen Bergen hinter der Stadt und auf die grauen Mauern der Zitadelle oberhalb Carrick Roads. In der Geborgenheit der Reede lagen mehrere kleine Schiffe vor Anker. Kustenfahrzeuge und dickbauchige Fischerboote erfreuten sich des Schutzes, den dieser Ankerplatz bot.

«Ein Spaziergang wird uns guttun, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Konnte fur eine Weile die letzte Moglichkeit dazu sein. «Er stieg steif aus dem Boot und wartete, bis Herrick ihm die ausgetretenen Stufen hinauf gefolgt war. Ein alter Seemann mit grauem Bart rief:»Willkommen, Kapitan. Feines Schiff, das Sie da drau?en haben.»
        Bolitho nickte. Er stammte selbst aus Cornwall, war in Falmouth geboren. Daher wu?te er nur zu gut, da? kein jungerer Mann es wagen wurde, sich hier aufzubauen und einem Offizier des Konigs mit mu?igen Bemerkungen zu kommen. Fregatten waren zu beschaftigt, um einen Hafen anzulaufen, es sei denn, sie wollten Leute ausheben. Genau das hatte Vibart geltend gemacht, wahrend die Phalarope mit im Wind donnernden Segeln durch die Nacht scho?. Doch als Bolitho seinen Plan darlegte, schwieg sogar er.
        In seiner Jugend hatte Bolitho haufig Kriegsschiffe in die Bucht einlaufen sehen. Und er hatte gehort, wie die Nachricht durch die engen Stra?en gerufen wurde. Wie ein Alarmsignal ging der Ruf von einem Haus zum anderen. Die jungen Manner warfen dann ihre Arbeit hin, verabschiedeten sich hastig von ihren Familien und Freunden und zogen sich in die Sicherheit der Berge zuruck. Von dort konnten sie alles beobachten und warten, bis das Schiff wieder Segel setzte und unter dem Horizont verschwand.
        Uber die Hugel lief eine schlechte Kustenstra?e von Falmouth in nordostlicher Richtung nach Gerrans Bay und St. Austell. Kein Pre?kommando wurde sich die Muhe machen, die Leute bis dort zu verfolgen. Die Manner der Pre?kommandos wu?ten nur zu gut, da? sie durch ihre Waffen so behindert waren, da? alle Anstrengungen vergeblich bleiben mu?ten. So konzentrierten sie sich auf die wenigen Leute, die langsam oder dumm genug waren, den Mannern des Konigs einen leichten Fang zu erlauben.
        In pechschwarzer Nacht hatte Bolitho das Schiff unter Land gebracht und beigedreht, wobei es durch den steifen Wind und die schnelle ablandige Stromung gefahrlich krangte. Old Proby hatte zuerst gezweifelt, dann aber seine Bewunderung offen gezeigt. Hier gab es keine Leuchtfeuer, und bis auf einen nebelhaften Schatten bewies nichts, da? Bolitho genau den Punkt unterhalb Gerrans Bay getroffen hatte, an dem die Karte einen winzigen, halbmondformigen Streifen Strand auswies.
        Bald nachdem Portsmouth hinter ihnen lag, war ein Landungskommando zusammengestellt worden. Die ausgewahlten Leute, deren Gesichter im Licht einer Blendlaterne bleich schimmerten, hatten unterhalb des Achterdecks Bolithos Instruktionen entgegengenommen.

«Ich setze euch in zwei Kuttern an Land. Es werden zwei Gruppen gebildet. Mr. Vibart und Mr. Maynard fuhren die eine, und Mr. Farquhar fuhrt die andere.
«Bolitho suchte das ernste Gesicht von Brock, dem ersten Stuckmeister.»Mr. Brock gehort ebenfalls zur zweiten Gruppe. «Sich selbst uberlassen, ware Farquhar womoglich zu draufgangerisch. Brocks Erfahrung wurde ein guter Ausgleich sein.

«Wie ich Falmouth kenne, werden sich die Manner, hinter denen wir her sind, so schnell wie moglich uber die Kustenstra?e davongemacht haben. Wenn die beiden Kommandos auf der Stra?e von Pendower Beach herauf ein gutes Marschtempo vorlegen, werden ihnen die Leute direkt in die Arme laufen. Das macht uns die Auswahl leichter, denke ich. «Bolitho bemerkte, da? Brock anerkennend nickte.»Die Boote kehren zum Schiff zuruck, und die Kommandos marschieren mit den Leuten direkt nach Falmouth. «Einige Manner seufzten, und Bolitho fugte ruhig hinzu:»Es sind nur funf Meilen. Immer noch besser, als fur nichts und wieder nichts die ganze Stadt zu durchkammen.»
        So hatten seine Befehle gelautet. Und jetzt ging er mit Herrick die ansteigende Stra?e zu den sauberen Hausern hinauf, wobei er auf dem Kopfsteinpflaster, an das er sich so gut erinnerte, ab und zu ausglitt. Zu diesem Zeitpunkt mu?te Vibart bereits einige Leute aufgebracht haben. Wenn das nicht der Fall war, wenn ihm, Bolitho, eine Fehlkalkulation unterlaufen war, wurde das die Spannungen auf der Phalarope nur noch steigern.
        Leutnant Okes war an Bord geblieben. Bis zu Bolithos Ruckkehr trug er die Verantwortung fur das Schiff; Hauptmann Rennies Seesoldaten sollten in der Lage sein, jeden aufzuhalten, der noch immer zu desertieren hoffte. Selbst ein Verzweifelter wurde es sich zweimal uberlegen, bei der bewegten See von der Fregatte bis zum Land zu schwimmen.
        Er sah Herrick fluchtig an.»Sie sind zwei Jahre an Bord, glaube ich?«fragte er unvermittelt. Herricks Blick wurde sofort mi?trauisch. Der Leutnant hatte ein offenes, angenehmes Gesicht, und doch verriet es von einer Sekunde zur anderen jene Zuruckhaltung und Vorsicht, welche die Haltung der ganzen Besatzung kennzeichnete.»Dem Logbuch nach waren Sie Wachoffizier, als die Unruhe ausbrach?»
        Herrick pre?te die Lippen zusammen.»Ja, Sir. Wir kreuzten von Lorient herauf. Es war wahrend der Mittelwache und ruhig fur die Jahreszeit.»
        Bolitho bemerkte Herricks Unsicherheit und spurte einen Anflug von Mitleid. Es war nicht einfach, der Dritte Offizier eines Kriegsschiffs zu sein. Ohne Gluck oder Einflu? wurde man nur schwer und langsam befordert. Er erinnerte sich an seine erste Chance. Wie leicht hatte alles anders kommen konnen, aber mehrere gluckliche Zufalle trafen zusammen. Zur Zeit der amerikanischen Rebellion fuhr er als Leutnant auf einem Linien- schiff. Man ubertrug ihm das Prisenkommando einer gekaperten Brigg. Wahrend er nach Antigua segelte, stie? er auf einen Freibeuter. Er tauschte den gegnerischen Kapitan, der die Brigg noch immer fur einen Verbundeten hielt. Seine Leute enterten das Schiff, ein schneller und wilder Waffengang, und die Prise war sein. Bei der Ankunft in Antigua hie? ihn der Oberbefehlshaber wie einen Helden willkommen, denn Siege waren selten, Niederlagen hingegen nur zu haufig.
        So ubertrug man ihm mit zweiundzwanzig Jahren des Kommando der Sparrow. Wieder war Gluck im Spiel. Der Kapitan der Korvette war an Fieber gestorben, und ihr Erster Leutnant war fur den begehrten Posten zu jung gewesen.
        Er unterdruckte die aufkeimende Teilnahme.»Wie viele Manner waren an der Meuterei beteiligt?»

«Nicht mehr als zehn«, antwortete Herrick bitter.»Sie versuchten, einen Matrosen namens Fisher zu befreien. Kapitan
        Pomfret hatte ihn am Tag zuvor wegen Insubordination auspeitschen lassen, weil er sich uber das schlechte Essen beschwerte.»
        Bolitho nickte.»Das ist nicht ungewohnlich.»

«Aber dem Kapitan reichte es noch nicht. «Herricks Worte uberschlugen sich jetzt. Er lie? ihn an den Bugspriet binden, ohne dem Wundarzt zu erlauben, den Rucken des Mannes zu behandeln. «Herrick schauderte zusammen.»Es geschah in der Biskaya, die Takelage war vereist, aber er lie? den Mann, der nur noch ein Klumpen blutiges Fleisch war, da drau?en festgebunden hangen. «Herrick gewann mit Muhe die Fassung zuruck und murmelte:»Entschuldigen Sie, Sir, aber es steht mir noch immer vor Augen.»
        Bolitho dachte an Pomfrets glatte, nuchterne Eintragung im Logbuch. Danach waren die aufbegehrenden Seeleute aufs Achterdeck gedrungen und hatten den Steuermann und den Steuermannsmaat uberwaltigt. Nur Herrick, der offensichtlich die Beschwerden als berechtigt ansah, stand zwischen ihnen und einer totalen Meuterei. Auf irgendeine Weise war es ihm gelungen, sie zu beschwichtigen. Er befahl ihnen, aufs Vorderdeck zuruckzugehen, und sie gehorchten, weil sie ihm vertrauten. Am folgenden Tag brach Pomfrets Rache uber das Schiff herein, eine Woge von Grausamkeit. Zwanzig Leute wurden ausgepeitscht, zwei gehenkt. Pomfret wartete damit nicht, bis die Phalarope wieder Anschlu? an das Geschwader gewann, wo ein Vorgesetzter den Fall zu beurteilen gehabt hatte. Herricks Bitterkeit war offenbar begrundet. Oder doch nicht? Formal gesehen, hatte Pomfret recht gehandelt. Herrick hatte die drohende Gefahr vorhersehen und auf die Meuterer schie?en lassen mussen. Er hatte die Achterwache rufen, ja, falls notwendig, sein Leben einsetzen mussen. Bei dem Gedanken, was passiert ware, wenn Herrick ebenfalls uberwaltigt
worden ware, wahrend er mit den aufgebrachten Seeleuten verhandelte, uberlief Bolitho ein Schauder. Die schlafenden Offiziere waren abgeschlachtet worden, und auf dem Schiff ware, mitten im feindlichen Gewasser, das Chaos ausgebrochen.

«Und spater, als Sie vor Brest zur Flotte stie?en und es mit den franzosischen Schiffen zum Kampf kam, warum hat da die Phalarope nicht eingegriffen?»
        Wieder gaben Herricks Zuge seine Gemutsbewegungen preis, seine Unsicherheit und seinen Zorn. Und da ging Bolitho ein Licht auf. Herrick furchtete ihn beinahe ebensosehr, wie er Pomfret gefurchtet hatte. Bolitho war der Kapitan, er hatte das Schiff ubernommen, auf dem Herricks Elend wie ein Gespenst zwischen den Decks hin und her glitt. Daher sagte er verhalten:»Ich nehme an, da? die Mannschaft auf ihre Art protestierte?»
        Herrick lie? das Kinn in die Halsbinde sinken.»Ja, Sir. Sie leistete passiven Widerstand. Segel wurden schlecht gesetzt. Die Geschutzbedienungen reagierten langsam. «Herrick lachte bose.»Aber sie hatten es sich sparen konnen. «Er blickte Bolitho von der Seite her an, in seinen Augen funkelte fluchtig Trotz auf.»Pomfret mied sowieso den Kampf, wenn es sich einrichten lie?.»
        Bolitho blickte beiseite. Was bist du fur ein Narr, Dick, dachte er argerlich. Du hast diesem Mann gestattet, wie ein Verschworer zu reden. Du solltest ihm Schweigen gebieten, jetzt, ehe jemand an Bord wei?, da? du ohne geringsten Widerspruch eine offene Kritik an Kapitan Pomfret hingenommen hast.

«Wenn Sie ein eigenes Kommando haben«, sagte er ruhig,»werden Sie anders denken, Herrick. Die richtige Handlungsweise ist nicht immer die leichteste. «Er erinnerte sich an Vibarts Feindseligkeit und fragte sich, was der Erste wahrend der Meuterei getan hatte.»Ich wei?, da? sich jeder Offizier die Ergebenheit seiner Manner erst verdienen mu?. «Sein Ton wurde scharfer.»Aber ein Kapitan hat das Recht auf die Ergebenheit seiner Offiziere. Habe ich mich klar ausgedruckt?»
        Herrick sah starr geradeaus.»Aye, aye, Sir. «Er war von neuem auf der Hut, hatte seine Zuge wieder unter Kontrolle, und sein Gesicht trug einen versteinerten Ausdruck.
        Bolitho blieb unterhalb der Kirche stehen und sah die an der Kirchhofsmauer entlangfuhrende, ihm wohlbekannte Stra?e hinauf. An ihrem oberen Ende erhob sich, rechteckig und wenig einladend, das Haus der Bolithos. Der vertraute graue Stein war so dauerhaft wie seine Erinnerungen an die Heimat.
        Er stand da, sah zu dem Haus hinauf und war plotzlich so nervos wie ein Eindringling. Er sagte:»Machen Sie weiter, Mr. Herrick. Suchen Sie den Offizier des Flottenproviantamtes auf. Sehen Sie zu, da? so viel frische Eier und Butter, wie Sie nur bekommen konnen, aufs Schiff geschickt werden. «Herrick musterte das gro?e Haus nachdenklich.»Ihr Heim,
        Sir?»

«Ja. «Bolitho begann, Herrick in einem anderen Licht zu sehen. Hier auf der regennassen Stra?e, nicht verankert in der Disziplin der Fregatte, wirkte Herrick fast hilflos. Bolitho hatte die Mannschaftspapiere aufmerksam studiert. Daher wu?te er, da? Herrick aus Kent stammte, Sohn einer armen Familie der Mittelklasse war. Sein Vater war Angestellter. Aus diesem Grunde wurde er nicht uber irgendwelchen Einflu? verfugen, wenn er ihn am dringendsten brauchte. Und wenn er sich im Kampf nicht sehr auszeichnete, waren seine Beforderungsaussichten gering.
        Doch der Anblick seines Vaterhauses, das Durcheinander seiner Meinungen und Gedanken reizten ihn, und er sagte kurz:»Wurden Sie, wenn alles erledigt ist, vielleicht noch ein Glas Wein mit mir trinken, bevor wir segeln, Mr. Herrick?«Er deutete die Stra?e hinauf.»Mein Vater wird Sie gern willkommen hei?en.»
        Herrick offnete den Mund, doch die Ablehnung blieb ihm im Halse stecken. Er zupfte an seinem Gurtel und sagte verlegen:»Danke, Sir!«Er fuhrte die Hand an den Hut, als sich Bolitho abwandte und zum Haus hinaufging.
        Er ruhrte sich nicht, bis Bolitho das Tor erreicht hatte. Dann ging er, das Kinn auf die Brust gesenkt und die Stirn tief gefurcht, auf die Zitadelle zu.
        Leutnant Giles Vibart fluchte, als er auf den losen Steinen ausrutschte und ein Matrose gegen ihn prallte. Die graue Morgendammerung lie? erkennen, was der Nachtwind angerichtet hatte. Das lange Gras und der Stechginster lagen an die Erde gedruckt und glanzten vor Nasse. Er tastete nach seiner Uhr und hob dann die Hand.

«Wir machen einen Augenblick halt. «Er horte, da? sein Befehl von Mann zu Mann weitergegeben wurde, und wartete, bis die Leute sich neben dem holprigen Pfad niedergelassen hatten, ehe er sich den beiden Fahnrichen und dem Stuckmeister zuwandte.

«Lassen wir den Faulpelzen zehn Minuten zum Ausruhen. Dann marschieren wir weiter.
«Er blickte sich um, als ein schwacher Sonnenstrahl seine Wange traf.»Sie gehen mit Ihrer Gruppe landeinwarts, Mr. Farquhar, um etwaigen Nachzuglern den Ruckweg abzuschneiden.»
        Farquhar zuckte mit den Schultern und stie? nach einem Stein.»Und wenn niemand kommt, Sir?»
        Vibart fuhr ihn an:»Tun Sie, was Ihnen befohlen wird!»
        Maynard, der andere Fahnrich, schob seinen Dolch zurecht und musterte besorgt die lagernden Seeleute.»Hoffentlich desertiert keiner von ihnen. Das wurde dem Kapitan wenig behagen.»
        Der Stuckmeister grinste trage:»Ich hab sie selber ausgewahlt. Alles alte Teerjacken. «Er ri? einen Grashalm aus und kaute darauf herum.»Alles gepre?te Leute. Fur einen solchen Auftrag sind sie viel besser geeignet als Freiwillige.»
        Vibart nickte.»Vollig richtig, Mr. Brock. Kein Matrose schatzt den Gedanken, da? es anderen besser gehen soll als ihm selbst.»
        Brock runzelte die Stirn.»Und warum auch? Es ware ungerecht, von der Flotte zu erwarten, da? sie blutige Seeschlachten schlagen und das Land vor den Froschfressern bewahren soll, ohne da? diese faulen und verwohnten Zivilisten dabei mithelfen! Sie scheffeln Geld und leben glucklich und zufrieden mit ihren Frauen, wahrend wir die harte Arbeit erledigen. «Er spie den Grashalm aus.»Zur Holle mit ihnen, das ist meine Meinung.»
        Vibart ging zum Rand der Klippe und sah zu dem felsigen Strand hinunter. Der Wind pfiff durch das verfilzte Gras, und er mu?te von neuem daran denken, wie die Fregatte durch die Nacht gesturmt war. So ware Pomfret nie gesegelt. Pomfret schatzte ein seetuchtiges Schiff, das schon. Aber er betrachtete es doch mehr als ein Besitztum, denn als Waffe. Pomfret sa? in seiner prachtig ausstaffierten Kajute, schlurfte seinen Lieblingswein und schwelgte in gutem Essen, wahrend er, Vibart, das Schiff fuhrte und alle seemannische Arbeit verrichtete, zu der der Kapitan nicht imstande war. Ruhelos trat er von einem Fu? auf den anderen, wahrend ihm die Galle hochstieg und er voller Wut an die Ungerechtigkeit dachte, die ihm widerfahren war.
        Was hatte Pomfret ihm nicht alles versprochen! Ein Wort am richtigen Ort, und sein Erster Leutnant wurde befordert werden. Bis dahin brauche Vibart nichts anderes zu tun, als das Schiff richtig zu fuhren und die Disziplin aufrechtzuerhalten. Er, Pomfret, wurde dann alles Weitere regeln.
        Der Kapitan war an Prisengeld nicht interessiert. Er war reich, weit uber Vibarts Vorstellung hinaus. Und auch Ruhm war ihm gleichgultig. Ja, seine Unfahigkeit hielt seiner Feigheit die Waage. Vibart hatte Pomfrets Schwachen uberdecken und seine Leidenschaften lenken konnen - bis auf eine. Wie viele Feiglinge, war Pomfret brutal und sadistisch. Harte Disziplin betrachtete Vibart als Notwendigkeit, aber sinnlose Grausamkeit schien ihm zwecklos.
        Doch Vibart war nur Leutnant, ein Leutnant von schon dreiunddrei?ig Jahren. Die meisten Offiziere waren bereits als Knaben zur Marine gekommen, er nicht. Aber seine Laufbahn war nicht weniger hart gewesen. Auf Handelsschiffen hatte er die ganze Welt umsegelt. Die letzten drei Jahre war er als Erster gefahren, auf einem Sklavenschiff. Dort hatte er schnell begriffen, da? sinnlose Brutalitat sich nicht auszahlte, wenn man am Ende der Fahrt die Laderaume nicht voll nutzloser Leichen haben wollte.
        Vibart drehte sich verargert um und rief:» Auf, es geht weiter!«Aus brutenden Augen verfolgte er, wie die Manner nach ihren Waffen griffen und den Pfad entlangtrotteten, wahrend dieser arrogante junge Esel Farquhar uber den Hugel hinauf ins Binnenland abzog. Typisch, scho? es Vibart durch den Kopf: achtzehn Jahre alt, verwohnt und von guter Abkunft. Und ein einflu?reicher Admiral wachte uber sein Fortkommen wie ein Kindermadchen. Sein Blick ruhte fluchtig auf dem schmachtigen Maynard.»Halten Sie nicht Maulaffen feil! Setzen Sie sich an die Spitze der Abteilung!»
        Nun, trotz ihres Vorsprungs an Herkommen und Einflu? hatte er es ihnen gezeigt. Der Gedanke daran warmte sein Inneres wie Rum. Ihm war seinerzeit schnell klargeworden, da? es gegen Pomfrets Schwachen keine Abhilfe gab. Und nicht weniger gut hatte er bald begriffen, da? jeder Widerstand gegen den Kapitan alle seine Hoffnungen auf Beforderung begraben hatte.
        An Bord der ungluckseligen Fregatte hatte er einen Verbundeten besessen, David Evans, den Proviantmeister, der ihn uber alle Vorgange in den Decks informierte. Evans war ein Teufel. Sobald das Schiff an die Kuste kam, ging er an Land und handelte Vorrate und Proviant ein. Dabei nutzte er seinen hellen Verstand und seine flinke Zunge, um das Allerschlechteste einzukaufen, das ranzigste, widerlichste Zeug, das er auftreiben konnte. Das ersparte Geld steckte er in die eigene Tasche. Als Erster Offizier durchschaute Vibart den Trick, gebrauchte sein Wissen aber zum eigenen Vorteil. Evans verfugte in den Zwischendecks uber ergebene Speichellecker, verla?liche Manner, die gegen kleine Entlohnung ihre Kameraden bereitwillig verrieten.
        So hatte Vibart denn die Mannschaft sorgfaltig und methodisch mehr und mehr unter Druck gesetzt. Doch alle Auspeitschungen erfolgten im Namen des Kapitans, nie in seinem. Was auch geschehen mochte, falls die Manner je gegen die Schikanen aufbegehren sollten, er, Vibart, mu?te sicherstellen, da? er im kritischen Moment zur Stelle war und da? er aus jeder Untersuchung ohne Tadel hervorging.
        Evans hatte ihm von der beabsichtigten Meuterei berichtet. Es war Vibart klargewesen, da? der Augenblick endlich gekommen war. Als er Pomfret vorschlug, den ausgepeitschten Fisher wie eine gehautete Galionsfigur an den Bugspriet zu binden, wu?te er genau, da? das die Wut steigern und die Flammen der Meuterei anfachen mu?te. Als letzter Ansto? sozusagen.
        Die Anfuhrer der Meuterei hatten den Zeitpunkt gut gewahlt, das mu?te er zugeben. Hatte Okes die Wache gehabt, ware er vielleicht in Panik geraten und hatte einen Larm geschlagen, den selbst der vom Alkohol betaubte Pomfret in seiner Koje gehort hatte. Mit Herrick war es anders. Der dachte nach, uberlegte. Es stand zu erwarten, da? er mit den Mannern reden wurde, da? er eher versuchen wurde, einen Aufstand zu verhindern, als ihn durch brutale Gewalt zu zerschlagen.
        Vibart wu?te alles, selbst den Zeitpunkt. Atemlos wartete er in seiner Kabine, mit den Seesoldaten, deren Sergeant einer seiner willigen Helfer war, an seiner Seite. Der Plan war so einfach, da? Vibart am liebsten gelacht hatte.
        Die Meuterer wurden das Achterdeck sturmen und die Wache uberwaltigen. Statt Alarm zu schlagen und so Pomfret den Vorwand fur eine neue blutige Raserei zu geben, wurde Herrick versuchen, die Leute zu beruhigen, indem er sich ihre Beschwerden anhorte. Aber die Meuterer wurden ihn toten, und dann konnte Vibart hinaufsturmen und das Achterdeck mit
        Musketenfeuer freifegen.
        Bei der Verhandlung vor dem Kriegsgericht wurde selbst der voreingenommenste Admiral erkennen mussen, da? Vibart das Schiff gerettet hatte, als einer der Offiziere mit seiner Wache bereits niedergemacht war und der Kapitan betrunken in seiner Koje schlief.
        Selbst jetzt, auf dem feuchten Abhang, konnte sich Vibart an das Gerausch seines Atems in der Kajute erinnern. Horte nochmals, wie die Meuterer verstohlen heranschlichen, gerade als es am Bug zwei Glasen schlug. Doch es gab keine Schusse, keine Schreie. Weder das Klirren von Stahl, noch Herricks Todesrocheln.
        Als er schlie?lich, unfahig, seiner Besorgnis langer Herr zu werden, an Deck kroch, fand er Herrick auf seinem Posten und das Hauptdeck ode und leer.
        Der junge Leutnant hatte ihm von dem Vorfall berichtet: eine» Deputation «aus Besorgnis wegen des sterbenden Fisher. Das war alles. Vibart drang weiter in ihn, doch Herrick blieb fest, und sein Zorn schlug in Verachtung um, als seine Blicke auf Vibarts geladene Pistolen und den Sergeanten der Seesoldaten an der Kajutentur fielen.
        Am nachsten Morgen raste Pomfret, als ware tatsachlich eine Meuterei ausgebrochen. Beschwerden?«hatte er Vibart quer durch die breite Kajute angebrullt.»Die Kerle wagen es, sich zu beschweren?«Ohne da? ihm etwas eingeblasen werden mu?te, betrachtete er das Verhalten der Manner als Anschlag auf seine Autoritat.
        Schlie?lich wurde die Fregatte zur kriegsgerichtlichen Untersuchung nach Portsmouth beordert, und Vibart schopfte neue Hoffnung. Alles ging sehr schnell. Die Unruhestifter wurden vom Schiff geholt und die Fregatte fur einen langen Einsatz ausgerustet. Pomfret war in seiner Kajute geblieben. Murrisch hatte er vor sich hingebrutet, bis man ihn abkommandierte. Aber fur ihn, Vibart, war kein Beforderungsschreiben eingetroffen. Kein eigenes Kommando, weder uber die Phalarope noch uber ein anderes Schiff.
        Er stand wieder genau da, wo er gestanden hatte, als er zu Pomfret auf die Fregatte kam. Nur da? Bolitho, der neue Kapitan, eine vollig andere Personlichkeit als Pomfret war.
        Er schuttelte die Gedanken ab, als Maynard atemlos rief:»Sir,
        Signal vom Hugel!»
        Vibart zog seinen Degen und hieb damit in einen kleinen Busch.

«Hat der Kapitan also richtig vermutet. «Er schwenkte den Arm in einem Halbkreis. Vorwarts, Leute. Pflanzt euch beiderseits der Stra?e auf und wartet, bis Mr. Farquhars Abteilung ihnen den Ruckweg verlegt hat. Ich mochte nicht, da? einer entwischt. «Die Manner nickten und stolperten auf die Busche zu. Sie schwangen ihre Knuppel und ruckten die Gurtel mit den Entermessern zurecht.
        Das eigentliche Zusammentreffen uberraschte selbst Vibart. Die Leute kamen wie sorglose Spazierganger dahergeschlendert und nicht wie Manner, die der Zwangsrekrutierung entwischen wollten. Es waren ungefahr funfzig. Dicht beisammen kamen sie den schmalen Weg entlang. Sie plauderten, manche sangen sogar, wahrend sie sich ohne bestimmtes Ziel von Falmouth und dem Meer entfernten. Farquhars schlanke Silhouette zeichnete sich gegen den Himmel ab, und Vibart trat aus dem Gebusch. Er hob den Degen, und seine Leute sperrten hinter ihm die Stra?e.

«Im Namen des Konigs! Zur Musterung in Reihe antreten!»
        Seine Stimme loste die Erstarrung. Einige machten kehrt und rannten die Stra?e zuruck, nur um beim Anblick Farquhars und seiner Manner, die die Musketen auf sie richteten, keuchend stehen zu bleiben. Einer versuchte, den Hugel hinauf zu entkommen, doch Josling, ein Bootsmannsmaat, holte mit dem Knuppel aus. Der Mann schrie auf, rollte den Abhang hinunter in eine Pfutze und umklammerte mit der Hand sein Knie. Josling drehte ihn mit dem Fu? um, betastete kurz das blutende Bein des Mannes und meldete Vibart dann beilaufig:»Nichts weiter passiert, Sir.»
        Tief erschrocken lie?en sich die Leute widerstandslos auf der Stra?e in Reih und Glied aufstellen. Vibart betrachtete die Reihe abschatzend. Alles war so einfach verlaufen, da? er am liebsten gegrinst hatte.
        Brock sagte:»Zweiundfunfzig, Sir. Alle gesund.»
        Einer der Aufgegriffenen sturzte vor, sank auf die Knie und wimmerte.»Bitte, Sir, bitte. Mich nicht!«Tranen liefen ihm uber das Gesicht, und Vibart fragte rauh:»Und warum nicht?»

«Wegen meiner Frau, Sir. Sie ist krank. Sie braucht mich!«Er rutschte auf den Knien ein Stuck vor.»Ohne meine
        Unterstutzung stirbt sie, Sir, so wahr mir Gott helfe. Sie stirbt.»

«Stellt den Mann auf die Fu?e«, befahl Vibart angeekelt,»er macht mich krank.»
        Am Ende der Reihe sagte ein anderer gepre?t:»Ich bin Schafer und vom Dienst freigestellt. «Er blickte sich suchend um, bis seine Augen an Brock hangenblieben. Fragen Sie ihn, Sir. Der Stuckmeister wird es bestatigen.»
        Brock ging lassig auf ihn zu und hob seinen Stock.»Roll den Armel hoch!«Es klang gelangweilt, ja gleichgultig. Mehrere verga?en ihr Elend und beugten sich vor, um die Szene zu beobachten.
        Der Mann trat einen halben Schritt zuruck, aber nicht schnell genug. Brocks Hand packte sein grobes Hemd wie eine Stahlklaue und ri? den Armel auf. Eine Tatowierung aus ineinanderverflochtenen Fahnen und Kanonen wurde sichtbar. Brock trat einen Schritt zuruck und wiegte sich auf den Hacken.»Nur ein Seemann hat eine solche Tatowierung. «Er sprach langsam und ruhig.»Nur ein Mann, der auf einem Schiff des Konigs gedient hat, konnte mich als Stuckmeister erkennen.»
        Ohne Warnung sauste sein Stock durch das trube Sonnenlicht. Als er wieder neben ihm baumelte, blutete das Gesicht des Mannes, wo der Hieb es beinahe bis zum Knochen aufgerissen hatte. Der Stuckmeister sah ihn gerade an.»Am meisten mi?fallt es mir, wenn man mich fur einen Dummkopf halt. «Er drehte sich um und dachte nicht mehr an den Mann.
        Ein Matrose brullte:»Wieder ein Signal vom Hugel, Sir. Noch eine Gruppe.»
        Vibart steckte den Degen in die Scheide.»Sehr gut. «Seine Blicke glitten kalt uber die zitternde Reihe.»Ihr nehmt einen ehrenhaften Dienst auf. Die erste Lektion habt ihr eben gelernt. Seht zu, da? ich euch keine zweite beibringen mu?.»
        Maynard trat zu ihm, sein Gesicht war bekummert.»Ein Jammer, da? es keinen anderen Weg gibt, Sir.»
        Vibart wurdigte ihn keiner Antwort, wie schon den Mann, der wegen seiner Frau gebettelt hatte. Solche Au?erungen hatten weder Sinn noch Bedeutung.
        Von nun ab zahlte fur diese Leute nur noch das Leben auf dem Schiff.
        Bolitho nippte an seinem Portwein und wartete, bis das Madchen den Tisch abgeraumt hatte. Er war seit so langem an magere und schlecht zubereitete Schiffskost gewohnt, da? ihm der gute Lammbraten schwer im Magen lag.
        An der gegenuberliegenden Tischseite trommelte sein Vater, James Bolitho, mit den Fingern ungeduldig auf die polierte Platte, ehe er einen langen Schluck trank. Er wirkte gezwungen, ja sogar nervos, seit sein Sohn das Haus betreten hatte. Bolitho betrachtete ihn schweigend.
        Sein Vater hatte sich sehr verandert. Er hatte ihn in seiner Kindheit selten zu Gesicht bekommen und seitdem auch nicht oft. Eigentlich nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er von fernen Kriegen und aus entlegenen Landern nach Hause gekommen war, von Unternehmungen, uber die die Kinder nur Vermutungen anstellen konnten. Dachte Bolitho an ihn, so hatte er einen hochgewachsenen und ernsten Mann in Marineuniform vor Augen, dessen Selbstdisziplin den Raum fullte, sobald er durch die vertraute Tur zwischen den Ahnenportrats trat: Manner wie er, wie sein Sohn, in erster Linie Seeleute.
        Wahrend Bolitho unter Sir Henry Langford als Midshipman fuhr, horte er von der Verwundung seines Vaters. Es war in Indien geschehen, im Kampf um die sich rasch entwickelnden Kolonien. Er fand ihn alt und verbittert wieder. Aus der Stammrolle der Marine gestrichen zu sein, wie ehrenhaft auch immer, bedeutete fur ihn mehr als der Verlust eines Armes. Es war, als habe man ihn des Lebens beraubt.
        In Falmouth wurde er als aufrechter und gerechter Richter geachtet. Bolitho wu?te jedoch nur zu genau, da? das Herz seines Vaters noch immer der See gehorte, den Schiffen, die mit den Gezeiten kamen und gingen.
        Bolitho hatte einen Bruder und zwei Schwestern. Beide Schwestern waren nun verheiratet, eine mit einem Grundbesitzer, die andere mit einem Offizier der Garnison. Uber Hugh, seinen alteren Bruder, hatten sie bis jetzt noch kein Wort gewechselt. Bolitho wartete, da? sein Vater sich au?ern wurde, denn wie er vermutete, war es Hugh, um den seine Gedanken vor allem kreisten.

«Ich habe dein Schiff einlaufen sehen, Richard. «Die Finger trommelten auf dem Tisch.»Eine feine Fregatte, und in Westindien wirst du fur die Familie zweifelsohne Ehre einlegen. «Er schuttelte sorgenvoll den Kopf.»England braucht jetzt alle seine Sohne. Wir haben die ganze Welt zum Feind.»
        Das Haus war totenstill. Nach dem Schwanken des Decks und dem Knarren der Rahen wirkte es wie eine andere Welt. Selbst die Geruche waren anders. Es fehlten die Ausdunstungen zusammengepferchter Leiber, die Geruche von Teer und Salz, von Kochdunst und Nasse.
        Und es wirkte einsam. Bolitho dachte an seine Mutter. Jung und lebhaft, so stand sie ihm vor Augen. Er war auf See gewesen, als eine kurze, aber todliche Krankheit sie hinraffte.
        Sein Vater stand auf und trat an den Kamin. Uber die Schulter sagte er schroff: Das mit deinem Bruder hast du wohl schon gehort?»
        Bolitho straffte sich.»Nein. Ist er denn nicht auf See?»

«Auf See?«Sein Vater schuttelte den Kopf.»Nun ja, ich habe es dir nicht mitgeteilt. Vermutlich hatte ich es dir schreiben sollen, aber im tiefsten Herzen hoffte ich noch immer, da? er seine Haltung andern wurde. Niemand hatte dann davon erfahren.»
        Bolitho wartete. Sein Bruder Hugh war stets der Augapfel seines Vaters gewesen. Als sie sich das letztemal begegneten, war er Leutnant der Kanalflotte gewesen und Anwarter auf dieses Haus und das Familienerbe. Bolitho hatte seinem Bruder nie besonders nahe gestanden und es auf ganz naturlichen Geschwisterneid zuruckgefuhrt. Jetzt war er sich dessen nicht so sicher.

«Ich hatte gro?e Hoffnungen auf Hugh gesetzt. «Sein Vater sprach in das Kaminfeuer.»Ich bin nur froh, da? seine Mutter nicht mehr erleben mu?, was aus ihm geworden ist.»

«Kann ich auf irgendeine Weise helfen?«Bolitho sah, wie die Schultern seines Vaters bebten, als er seine Stimme zu beherrschen suchte.

«Nein. Hugh ist nicht mehr bei der Marine. Er hat Spielschulden gemacht. Er hatte ja immer einen Hang zum Spieltisch, das wei?t du. Aber diesmal geriet er in ernste Schwierigkeiten. Es kam zu einem Duell mit einem anderen Offizier. Er totete ihn.»
        Bolitho begann klarer zu sehen. Deshalb die geringe Dienerschaft. Deshalb war die Halfte des zum Haus gehorenden Landes an einen Bauern verkauft worden.

«Du hast seine Schulden beglichen?«Er sprach so gelassen wie moglich.»Ich habe etwas Prisengeld. Wenn damit. .»
        Sein Vater hob die Hand.»Nicht notig. Es war meine Schuld. Ich war blind, habe den Jungen falsch erzogen. Dafur mu? ich eben zahlen. «Und matter setzte er hinzu:»Er hat der Marine den Rucken gekehrt, obwohl er wu?te, wie sehr sein Verhalten mich schmerzen mu?te. Nun ist er fort.»
        Bolitho fuhr hoch.»Fort?»

«Ja, nach Amerika. Seit zwei Jahren habe ich nichts mehr von ihm gehort. Es liegt mir auch nichts daran. «Er wandte sich um. Der Ausdruck seiner Augen strafte die zuletzt geau?erten Worte Lugen.»Nicht zufrieden damit, seiner Familie Schande gemacht zu haben, mu?te er auch noch seine Heimat verraten.»
        Bolitho dachte an das Chaos und die vielen Toten bei der Katastrophe von Philadelphia und sagte langsam:»Vielleicht hat ihn der Ausbruch der Rebellion an der Ruckkehr gehindert.»

«Du kennst deinen Bruder, Richard. Haltst du das fur wahrscheinlich? Er mu?te immer recht haben, stets die Trumpfkarten in der Hand halten. Nein, ich kann ihn mir nicht in einem Gefangenenlager vorstellen, nicht ihn.»
        Das Madchen kam herein und knickste ungeschickt.»Verzeihung, Sir. Ein Offizier ist drau?en und mochte Sie sprechen.»

«Das wird Herrick sein, mein Dritter Leutnant«, sagte Bolitho schnell.»Ich bat ihn, ein Glas mit uns zu trinken. Ich werde ihn wegschicken, wenn es dir nicht recht ist.»
        Doch sein Vater richtete sich gerade auf und zog seinen Rock zurecht.»Nein, mein Junge. La? ihn hereinkommen. Meine Scham darf nicht den Stolz auf den mir gebliebenen Sohn mindern.»

«Es tut mir sehr leid, Vater«, sagte Bolitho leise.»Das wenigstens sollst du wissen.»

«Danke. Ja, ich wei? es. Und dabei dachte ich immer: Der Kleine wird nie seinen Weg in der Marine machen. Du bist stets der Traumer gewesen, der, bei dem man nie etwas vorhersagen konnte. Ich furchte, ich habe dich Hughs wegen vernachlassigt.
«Er seufzte.»Nun ist es zu spat. «Man horte Schritte auf dem Flur, und er setzte eilig hinzu:»Vielleicht sehen wir uns nie wieder, mein Junge. Aber ich mochte dir etwas geben. «Er schluckte.»Hugh sollte ihn bei seiner Beforderung zum Kapitan bekommen. «Er holte einen Degen aus dem Schrank. Er war alt und mit Patina uberzogen, doch Bolitho wu?te, da? er kostbarer war als jeder glanzende Stahl und alle Vergoldung.
        Bolitho zogerte.»Deines Vaters Degen? Du hast ihn immer getragen.»
        James Bolitho nickte. Er drehte den Degen behutsam in den Handen.»Ja, ich habe ihn immer getragen. Er war ein guter Freund. «Er reichte die Waffe seinem Sohn.»Nimm ihn. «Er lachelte plotzlich.»Und dann wollen wir gemeinsam deinen Dritten begru?en.»
        Als Herrick unsicher das gro?e Zimmer betrat, sah er nur seinen lachelnden Gastgeber und seinen neuen Kapitan, der eine dem anderen wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch Bolitho sah den Schmerz in den Augen seines Vaters und war bewegt.
        Sonderbar. Wie stets war er nach Haus gekommen, um Trost und Rat zu finden. Und doch hatte er weder die Schwierigkeiten noch die Gefahren seines neuen Kommandos erwahnt, auch nicht die gro?e Verantwortung, die ihm wie ein Schwert uber dem Haupt hing.
        Diesmal war er derjenige gewesen, der Trost und Rat spenden sollte, und er schamte sich, weil er keine Antwort geben konnte.
        In der Morgendammerung des folgenden Tages lichtete die Phalarope den Anker und setzte Segel. Nicht Hochrufe begleiteten ihre Abfahrt, sondern die Tranen und Fluche der Frauen und alten Manner, die von der Mole aus dem Schiff nachblickten.
        Die Luft ging scharf und frisch. Und als die Rahen kreischend herumschwangen und das Schiff krangend von Land ablief, stand Bolitho an der Heckreling. Sein Teleskop wanderte langsam uber die grunen Hugel und Hange und die an ihrem Fu? zusammengedrangte Stadt.
        Er hatte jetzt eine vollzahlige Besatzung. Die Zeit wurde die neuen Leute zu Matrosen machen. Mit ein wenig Geduld und Verstandnis wurden vielleicht Manner aus ihnen werden, auf die ihr Land stolz sein konnte.
        Das Leuchtfeuer von St. Anthony's blieb achtern zuruck, der alte Leuchtturm, der dem heimkehrenden Seemann den ersten heimatlichen Gru? entbot. Bolitho fragte sich, wann er ihn wiedersehen wurde, und ob uberhaupt. Er dachte auch an seinen
        Vater, der allein in dem alten Haus mit seinen Erinnerungen und enttauschten Hoffnungen sa?.
        Bolitho wandte sich um. Sein Blick fiel auf einen der Schiffsjungen, ein Kind von etwa zwolf Jahren. Der Junge schluchzte hemmungslos und winkte zum Land zuruck, das im Dunst verschwamm.»Wei?t du, da? ich nicht alter war als du, als ich zur See ging?«fragte Bolitho.
        Der Junge rieb sich mit der schmutzigen Hand die Nase und starrte den Kapitan aus weit aufgerissenen Augen an.

«Du wirst England wiedersehen«, setzte Bolitho hinzu.»Sei unbesorgt. «Er wand sich hastig ab, um dem Jungen die eigene Ungewi?heit zu verbergen.
        Am Rad sang Proby aus:»Kurs Sudsudwest. Voll und bei!»
        Dann, wie um die Langeweile der Reise abzukurzen, ging er zur Leereling und spuckte ins Meer.



        III Fleisch fur den Proviantmeister

        Zwanzig Tage, nachdem die Phalarope Anker gelichtet hatte, kreuzte die Fregatte den drei?igsten Breitengrad und krangte abscheulich in einem tobenden Nordweststurm. Falmouth lag dreitausend Meilen zuruck, aber der Nordwest hielt das Schiff mit seinen Uberraschungen und Grausamkeiten noch immer in seinen Klauen.
        Als es vom Vordeck ein Glasen schlug und die stumpfe, kupferfarbene Sonne den Horizont erreichte, pflugte die Fregatte durch endlose, mit wei?em Schaum gekronte Wogen, ohne Sorge oder Wissen um die Manner, die ihr Stunde um Stunde, Tag fur Tag dienten. Eine Wache war kaum nach unten entlassen, als die Maaten auch schon von Niedergang zu Niedergang rannten. Ihre Pfeifen schrillten, und ihre Stimmen uberschrien heiser das Donnern der Segel und das unaufhorliche Rauschen des Spritzwassers.

«Alle Mann an Deck! Alle Mann an Deck zum Segelreffen!»
        Spater, steif und benommen von dem Hantieren in schwindelnder Hohe, krochen die Manner wieder herab. Der Korper war ein einziger Schmerz, die Finger waren steif und bluteten von dem Kampf mit der widerspenstigen Leinwand.
        Die Freiwache duckte sich im Halbdunkel des Logis, klammerte sich an, wo es nur ging, und lauschte auf den Anprall der Wogen, wahrend sie versuchte, ihr Abendessen zu verzehren. Die an den Decksbalken pendelnden Laternen warfen sonderbare Schatten uber die gebeugten Kopfe, und Lichtflecke hoben einzelne Gesichter oder Gesten heraus.
        Die Luken waren dicht, und die Luft war dick und mit Geruchen gesattigt. Der Geruch des Bilgewassers vermischte sich mit dem sauerlichen Gestank von Schwei? und Erbrochenem. Alles vibrierte und drohnte, wahrend das Schiff seinen Kampf mit dem Atlantik ausfocht. Der standige Anprall der Wellen, das triumphierende Gurgeln der Sturzseen, das unaufhorliche Knarren der Spanten und das Summen der straffen Stagen lie? die Manner kaum einen Augenblick Ruhe oder Schlaf finden.
        John Allday sa? rittlings auf einer der langen, geschrubbten Banke und nagte an einem zahen Stuck Salzfleisch. Seinen kraftigen Zahnen kam es wie Leder vor, aber er zwang sich, es zu essen und nicht an das stinkende Fa? zu denken, aus dem es stammte. Wo ihn Brocks Stock gezeichnet hatte, zog sich jetzt eine ha?liche Narbe uber die Wange. Als er auf dem Fleisch herumkaute, spannte sich die Haut, und die Narbenrander, die Salzwasser und eisiger Wind wie mit groben Stichen zusammengezogen hatten, schmerzten.
        Ohne zu blinzeln, beobachtete ihn uber den Tisch hinweg ein riesiger Seemann mit gewaltigen Schultern: Pochin. Er brach das Schweigen und sagte:»Du hast dich ganz gut eingewohnt, mein Junge. «Er lachelte freudlos.»Das ganze Spektakel, das du bei der Aushebung angestellt hast, war fur die Katz.»
        Allday warf einen Knochen auf seinen Zinnteller und wischte sich die Finger mit einem Stuck Hanf ab. Er musterte den anderen mehrere Sekunden lang fest, ehe er antwortete:»Ich kann warten.»
        Pochin starrte ins Dammerlicht. Mit erhobenem Kopf lauschte er auf das Wurgen einiger Manner.»Wie ein Haufen Weiber. «Er sah Allday an.»Ich hab' vergessen, da? du den Rummel von fruher kennst.»
        Allday zuckte mit den Schultern und sah auf seine Handflachen.»Den Teer wird man nie los, nicht?«Er lehnte sich an die Spanten und seufzte.»Zuletzt war ich auf der Resolution, vierundsiebzig Geschutze. Als Fockmann. «Er schlo? die Augen.»Ein anstandiges Schiff. Wir musterten ein paar Monate vor der amerikanischen Revolution ab. Und ehe ein Pre?kommando die Hand auf mich legen konnte, hatte ich mich schon verdruckt.»
        Ein alter, grauhaariger Mann mit verbla?ten blauen Augen sagte heiser:»Bist du wirklich Schafer gewesen?»
        Allday nickte.»Das und anderes. Ich mu?te im Freien sein, weg von den Stadten. Unter einem Dach war' ich erstickt. «Er lachelte ein wenig.»Bin hin und wieder nach Falmouth rein, das war lange genug fur eine Frau und ein Glas oder zwei.»
        Strachan, der alte Seemann, schob die Lippen vor und flog gegen den Tisch, als sich das Schiffjah uberlegte und die Teller durch das Logis trudelten.»Hort sich nach 'nem schonen Leben an, Junge. «Es klang weder sehnsuchtig noch neidisch, war nur eine Feststellung. Old Ben Strachan diente seit langem bei der Marine. Vor vierzig Jahren war er zum erstenmal als Pulver-affchen uber das Deck getrottet. Das Leben an Land war ihm ein Geheimnis, und im Vergleich zu seiner reglementierten Welt kam es ihm noch harter vor als die Entbehrungen an Bord.
        Eine verkrummte Gestalt schob sich hinter dem Tisch hoch und schlug, die Arme zuerst, quer uber die Platte, mitten zwischen die Essensreste. Allday blickte sich um. Es war Bryan Ferguson. Seit Vibart ihn auf der Kustenstra?e rekrutiert hatte, schuttelten ihn Furcht und Seekrankheit. Er hatte als Angestellter auf einer Werft in Falmouth gearbeitet. Korperlich war er nicht gerade kraftig, und in dem durftigen Licht der Laterne sah sein Gesicht grau wie der Tod aus. Er war mager, und sein Korper wies an vielen Stellen blaue Flecke auf: dort, wo er gegen ungewohnte Ecken gerannt war oder wo ihn die Stocke der Bootsleute und Maaten getroffen hatten, die die Neuen in die Geheimnisse der Seefahrt einweihten und ihnen den Segeldrill beibrachten.
        Tag fur Tag ging das so. Ohne Gnade oder Unterla? wurden sie von einem Teil des Schiffes zum anderen gehetzt. Zitternd vor Angst zog sich Ferguson die steilen Wanten hinauf und kletterte auf die Rahen hinaus, bis er das schaumende Wasser unter sich sah, das nach seinen Fu?en zu gieren schien. Das erstemal hatte er sich schluchzend an den Mast geklammert, weder fahig, hinaus auf die Rahe zu klettern, noch hinunter zur Sicherheit des Decks. Josling, ein Bootsmannsmaat, hatte gebrullt:»Los, raus auf die Rah, du Schlappschwanz, oder ich zieh dir das Fell uber die Ohren.»
        In diesem Augenblick hatte Ferguson beinahe den Verstand verloren. Jedesmal, wenn der Steven der Fregatte durch eine Woge brach, blieb sein Heim weiter achter aus zuruck. Und damit seine Frau, deren Bild mit jeder Meile tiefer in der aufgewuhlten See versank.
        Wieder und wieder rief er sich ihr bleiches, besorgtes Gesicht in Erinnerung, so wie er es zuletzt gesehen hatte. Als die Einwohner der Stadt merkten, da? die Phalarope auf Falmouth Bay zuhielt, waren die meisten jungen Stadter in die Hugel geflohen. Fergusons Frau lag seit drei Jahren krank darnieder. Sie war immer schwacher und durchsichtiger geworden. Er wollte bei ihr bleiben, doch sie gab nicht nach.

«Schlie? dich den anderen an, Bryan. Mir passiert schon nichts. Oder sollen sie dich hier fangen?»
        Der Alptraum wurde unertraglich, wenn er daran dachte, wie alles gekommen war. Ware er bei ihr geblieben, sa?e er noch immer sicher daheim und konnte ihr helfen.

«Da, nimm was«, sagte Allday und schob Ferguson einen Teller mit Fleisch hinuber. Du hast seit Tagen nichts gegessen, Mann.»
        Ferguson hob den Kopf von den Unterarmen und starrte blicklos auf den Seemann. Allday hatte nicht ahnen konnen, da? Ferguson beinahe von der schwankenden Gro?rah gesprungen ware. Lieber das, als noch eine Stunde solcher Marter. Aber Allday war mit nach au?en gekehrten Fu?en uber die Rah heranbalanciert und hatte dem keuchenden Ferguson die Hand entgegengestreckt.»Los, Mann. Komm mir nach und schau nicht hinunter. «In seiner Stimme hatte Kraft gelegen wie in der eines Mannes, der erwartet, da? man ihm gehorcht. Im gleichen Ton hatte er barsch hinzugefugt:»Gib diesem schuftigen Josling keine Chance, dich zu schlagen. Dem Bastard macht's Freude, dich springen zu lassen.»
        Ferguson starrte jetzt in das dunkle Gesicht, auf die Narbe, die die Wange uberzog, in die ruhigen, ehrlichen Augen. Allday war von der Stammbesatzung der Fregatte sofort akzeptiert worden, wahrend die anderen Neuankommlinge noch immer auf Abstand gehalten wurden, als waren sie auf Probe, bis ihre Vorzuge oder Mangel klar zu Tage lagen. Vielleicht lag es daran, da? Allday das Leben auf See kannte und bereits abgehartet war. Oder vielleicht daran, da? er keine Verbitterung uber die Zwangsrekrutierung zeigte und nicht wie andere mit dem Leben prahlte, das er an Land gefuhrt hatte.
        Ferguson schluckte schwer, um die aufsteigende Ubelkeit zu unterdrucken.»Ich kann das nicht essen. «Angeekelt stierte er das Fleisch an.»Es ist Schweinefra?.»
        Allday griente.»Wirst dich dran gewohnen.»

«Du machst mich krank. Vermutlich bist du doch mit deiner Frau immer auf die Mole hinausgegangen und hast beim Anblick eines Kriegsschiffs feuchte Augen bekommen«, hohnte Pochin.»Ich wette, du hast wer wei? was fur'n heiligen Stolz empfunden, wenn es in sicherer Entfernung vorbeisegelte.»
        Wie hypnotisiert von dem Ha?, der aus Pochins Worten sprach, starrte Ferguson in das wutende Gesicht.
        Pochins Blicke glitten durch das schragliegende Logis. Die zusammengedrangten Manner schwiegen seit seinem Ausbruch.»Aber an die armen Schweine, die so ein Schiff bemannen, habt ihr nie gedacht. Auch nicht an ihre Muhen. «Er wandte sich wieder Ferguson zu.»Na, dein liebes Weib steht jetzt mit 'nem anderen auf der Mole. Sollte mich nicht wundern. «Er machte eine obszone Geste.»Hoffen wir, da? sie Zeit findet, auf dich stolz zu sein.»
        Ferguson taumelte hoch, Wahnsinn funkelte in den weitaufgerissenen Augen.»Dafur bringe ich dich um!»
        Er holte aus, doch Allday packte die erhobene Faust.»La? das«, sagte er. Und zu dem grinsenden Pochin:»Seine Frau ist krank. La? ihn in Ruhe.»

«Ich hatte auch mal 'ne Frau«, sagte Old Ben Strachan unbestimmt und kratzte sich den grauen Kopf.»Liebe Gute, jetzt wei? ich nicht mal mehr, wie sie hie?.»
        Einige lachten, doch Allday zischte zornig:»Nimm dich zusammen, Bryan! Gegen Manner wie Pochin kommst du nicht auf. Er beneidet dich, das ist alles.»
        Ferguson begriff die freundliche Warnung nicht. Pochins aufreizender Ton hatte ihm sein ganzes Elend mit neuer Macht zu Bewu?tsein gebracht. Er sah seine Frau geradezu vor sich, im Bett am Fenster in die Kissen gelehnt, so deutlich, als ware er eben ins Zimmer getreten. An dem Tag, als das Pre?kommando ihn den Hugel hinabtrieb, hatte sie bestimmt so dagesessen und auf seine Heimkehr gewartet. Doch er wurde nie heimkehren, wurde sie nie wiedersehen.
        Er torkelte auf die Fu?e und warf den Teller mit dem Fleisch auf den Boden.»Ich kann nicht. «Er kreischte es fast.»Ich will auch nicht!»
        Ein pferdegesichtiger Backsgast namens Betts sprang auf, als schrecke er aus tiefem Schlaf hoch.»Verspottet ihn nicht, Leute. «Er stand schwankend unter einer Laterne.»Er hat fur diesmal genug.»

«Lieber Himmel!«knurrte Pochin und verdrehte in gespielter Besorgnis die Augen.

«Bei Gott, was soll er noch durchmachen, ehe du begreifst? Der Mann kommt beinah um vor Angst wegen seiner Frau, und andere haben ahnlichen Kummer. Doch ihr mu?t sie noch verhohnen!»
        Allday rutschte auf seinem Sitz hin und her. Fergusons Verzweiflungsausbruch hatte geheime Gemutsbewegungen aufgeruhrt. Wochen, in einigen Fallen Jahre auf See, ohne einmal den Fu? an Land zu setzen, das fing an, grausamen Tribut zu fordern. Aber es machte auch gefahrlich und blind. Er hob die Hand und sagte leise:»Immer mit der Ruhe, Jungs, immer mit der Ruhe!»
        Betts schielte ihn aus salzgeroteten Augen an.»Wie kannst du dich einmischen? fragte er undeutlich.»Wir leben wie die Tiere von einem Fra?, der schon faulig war, ehe er in die Fasser gestopft wurde. «Er zog sein Messer und stie? es in den Tisch.»Aber diese Schweine achtern leben wie die Fursten. «Er spahte Unterstutzung suchend von einem zum anderen.»Na, stimmt's vielleicht nicht? Evans, dieser Bastard, hat sich von dem, was er uns gestohlen hat, vollgefressen wie eine Kirchhofsratte.»

«Ach, habe ich da eben meinen Namen gehort?»
        Das Mannschaftslogis erstarrte in Schweigen, als Evans, der Proviantmeister, in den Lichtkreis trat. In dem langen, bis zum Hals zugeknopften Rock, mit dem schmalen Gesicht und dem streng nach hinten gekammten Haar sah er wie ein angreifendes Frettchen aus. Er legte den Kopf schief,»Nun, ich warte.»
        Allday betrachtete ihn genau. Der kleine walisische Proviantmeister hatte etwas Boses und Erschreckendes an sich.
        Evans bemerkte das Fleisch neben dem Tisch.»Und wer hat das getan?«fragte er bekummert und saugte an den Zahnen.
        Niemand antwortete. Das Donnern von See und Wind waren die einzigen Gerausche im Zwischendeck.
        Da schaute Ferguson hoch, seine Augen glanzten fiebrig.»Ich habe es getan.»
        Evans lehnte sich mit den schmalen Schultern an den massiven Stamm des Fockmastes, der durch beide Decks lief, und sagte:»Ich habe es getan, Sir.»
        Ferguson murmelte etwas und setzte dann hinzu:»Entschuldigung, Sir.»

«Es war ein Versehen, Mr. Evans«, sagte Allday kalt.»Ein Versehen.»

«Essen ist Essen. «Evans Arger stieg, und sein Waliser Akzent machte sich starker bemerkbar.»Wie kann ich hoffen, euch bei guter Gesundheit zu halten, wenn ihr so ausgezeichnetes Fleisch vergeudet?»
        Die um den Tisch gescharten Manner starrten auf das formlose, stinkende Fleisch, das in einem Lichtfleck schimmerte.
        Evans sagte scharf:»Sie, wie Sie auch hei?en, essen Sie es! Los!»
        Ferguson stierte auf das Fleisch, der Kopf schwamm ihm vor Ubelkeit. Die Planken waren fleckig und schmutzig von Dingen, die vom Tisch gerutscht waren, wenn das Schiff uberholte. Dazwischen Erbrochenes. Vielleicht das, was er selber erbrochen hatte.

«Ich warte, mein Junge«, sagte Evans sanft.»Noch eine Minute, und ich bringe dich nach achtern. Die Katze wird dir beibringen, das Essen zu schatzen.»
        Ferguson kniete sich hin und griff nach dem Fleisch. Als er es an den Mund hob, scho? Betts vor, ri? es ihm aus den Handen und warf es Evans an den Kopf.»Essen Sie es selber, Sie verdammter Teufel! Lassen Sie ihn in Ruhe.»
        Einige Sekunden lang verrieten Evans dunkle Augen Furcht. Die Manner hatten sich dicht an ihn herangedrangt. Ihre Korper hoben und senkten sich mit jedem Rollen des Schiffes wie eine Woge aus Menschenleibern. Er spurte die Drohung, empfand plotzlich eisigen Schrecken.
        Da schnitt eine andere Stimme durch die Schatten.»Auseinander!«Fahnrich Farquhar mu?te unter den niedrigen Balken gebuckt stehen, aber seine Augen waren fest und klar, als sie sich auf das erstarrte Bild am Ende des Tisches richteten.
        Farquhar war heimlich und so leise eingetreten, da? ihn selbst die Manner auf der entgegengesetzten Seite nicht bemerkt hatten.»Ich warte«, fauchte er.»Was geht hier vor?»
        Evans stie? die Manner, die am nachsten standen, beiseite und schnellte zu Farquhar herum. Seine Hande zitterten vor Furcht und Wut, als er auf Betts zeigte. Er hat mich angegriffen. Mich, einen Unteroffizier.»
        Farquhars Ausdruck war undurchsichtig. Hinter seinen zusammengepre?ten Lippen und seinem kalten Blick konnte ebensogut Belustigung wie Arger stecken.»Gut, Mr. Evans. Seien Sie so freundlich, nach achtern zu gehen und den Schiffsprofo? zu rufen.»
        Der Proviantmeister eilte davon. Farquhar musterte den Kreis der Gesichter mit offener Geringschatzung.»Ihr scheint eure Lektion nie zu lernen, was?«Er wandte sich Betts zu, der noch immer auf das Fleisch blickte und, wie nach einer machtigen Anstrengung, horbar atmete.»Sie sind ein Narr, Betts! Jetzt werden Sie dafur bu?en.»
        Allday druckte seine Schultern gegen die kalten und nassen Spanten der Fregatte und schlo? die Augen. Er hatte gewu?t, wie alles kommen wurde. Ihm war ubel, wahrend er Betts' schweres Atmen und Fergusons leises Wimmern horte. Unvermittelt dachte er an die stillen grunen Hugel und die Herden grauer Schafe, an die Weite Cornwalls und ihren Frieden.
        Dann bellte Farquhar:»Bringen Sie ihn fort, Mr. Thain.»
        Der Schiffsprofo? stie? Betts zum Niedergang und murmelte leise vor sich hin:»Kein einziges Auspeitschen mehr seit Falmouth. Ich wu?te, da? solche Weichheit ein schwerer Fehler war.»
        Richard Bolitho stutzte die Hande auf das Fensterbrett eines der Heckfenster und blickte ins schaumende Kielwasser. Die Kajute lag bereits im Halbdunkel, da die Phalarope auf die untergehende Sonne zufuhr, doch die See war noch hell. Nur eine Andeutung von Purpur zeigte, da? der Abend nahte.
        In der salzbespruhten Scheibe spiegelte sich Vibarts Gestalt. Er stand mitten in der Kajute und gerade so unter der kreisenden Lampe, da? sein Gesicht im Schatten lag. Hinter ihm zeichnete sich Fahnrich Farquhars schlanker Umri? ab.
        Bolitho mu?te seine ganze Selbstbeherrschung zusammennehmen, um keine Bewegung zu machen und ruhig zu bleiben, wahrend er erwog, was Farquhar gemeldet hatte. Bolitho hatte nochmals die Schiffsjournale durchgesehen und gerade versucht, Vibarts holzerne Reserve zu durchbrechen, um den Ersten und dessen Meinungen besser kennenzulernen.
        Es war ein schwieriges und anscheinend fruchtloses Unternehmen, wie auch alles andere wahrend der vergangenen zwanzig Tage. Vibart war zu vorsichtig, seine Feindseligkeit offen zu zeigen. Er hatte sich auf kurze, nichtssagende Antworten beschrankt, schien das, was er uber das Schiff und dessen Besatzung wu?te, als personlichen Besitz zu huten.
        Dann war Farquhar mit seiner Geschichte von Betts' Angriff auf den Proviantmeister hereingesturzt: nur eins der vielen Vorkommnisse, die seine Gedanken von dem, was vor ihnen lag, ablenkte, von der eigentlichen Aufgabe, die Fregatte zu einer einzigen, festen Kampfeinheit zu machen.
        Bolitho zwang sich dazu, die beiden Offiziere anzusehen.»Wache! Mr. Evans soll kommen. «Er horte, wie sich der Ruf uber Deck fortpflanzte, und sagte:»Es kommt mir so vor, als ob dieser Seemann provoziert wurde.»
        Vibart pa?te sich dem Schwanken des Schiffes an. Die Augen hielt er auf einen Punkt uber der Schulter des Kapitans gerichtet.»Betts ist kein Neuling«, sagte er heiser.»Er wei?, was er tut.»
        Bolitho wandte sich ab und blickte wieder uber die leere See. Wenn es nur nicht gerade jetzt passiert ware, dachte er bitter. Noch ein paar Tage, und das feuchte, vom Wind geschuttelte Schiff ware in der Sonne gewesen, unter der die Manner ihre Umgebung bald vergessen und die Blicke ins Weite gerichtet hatten, statt einander zu belauern.
        Er horte, wie das Wasser um das Ruder gurgelte, und vernahm das ferne Achzen der Pumpen, an denen die Wache arbeitete, um das unvermeidliche Sickerwasser zu lenzen. Er fuhlte sich mude und bis zum Au?ersten erschopft. Seit die Phalarope den Anker lichtete, hatte er sich voll eingesetzt und keine Anstrengung gescheut, das Schiff in den Griff zu bekommen. Er hatte mit den meisten Neulingen gesprochen und Kontakt mit der regularen Mannschaft hergestellt. Er hatte seine Offiziere beobachtet und dem Schiff das Au?erste abverlangt. Er hatte in diesem Augenblick stolz sein konnen. Die Fregatte, richtig gefuhrt, reagierte auf Ruder und Segel so lebhaft und bereitwillig wie ein Vollblutpferd.
        Die meisten Neuen waren jenen Kommandos zugeteilt worden, fur die sie sich am besten eigneten. Die Segelmanover ubertrafen schon jetzt seine Erwartungen. Bei der ersten passenden Gelegenheit beabsichtigte Bolitho, die Geschutzbedienungen zu drillen. Bis jetzt hatte er allerdings nur die Einteilungen vornehmen konnen. Der ewige sturmische Wind hatte sie bisher von allem anderen abgehalten.
        Und nun das. Er kochte innerlich. Kein Wunder, da? ihn der Admiral gebeten hatte, auf Farquhars Verhalten zu achten. Es klopfte. Evans betrat affektiert die Kajute, seine Augen glitzerten im Lampenlicht wie Perlen.

«Nun, Mr. Evans«, sagte Bolitho und hob ungeduldig die Hand.»Berichten Sie, was geschehen ist - alles.»
        Er drehte sich um und blickte wieder uber die See, als Evans seine Erzahlung vom Stapel lie?. Anfanglich schien Evans nervos, ja sogar nicht ohne Furcht, doch als Bolitho ihn sein Garn ohne Unterbrechung oder Bemerkungen abspinnen lie?, wurde seine Stimme scharfer und gehassiger.

«Aus welchem Fa? kam das Fleisch, mit dem Betts nach Ihnen warf?»
        Die Frage uberrumpelte Evans.»Nummer zwolf, Sir. Ich sah selber, wie es verstaut wurde. «Schmeichlerisch fugte er hinzu:»Ich tue mein Bestes, Sir. Die Kerls sind undankbare Hunde.»
        Bolitho wandte sich um und klopfte auf die Papiere, die auf seinem Tisch lagen. Ich habe die Ladung ebenfalls gepruft, Mr. Evans. Vor zwei Tagen, als alles beim Exerzieren war.«Uber Evans dunkles Gesicht huschte Erschrecken, und Bolitho wu?te, da? er mit seiner Vorspiegelung ins Schwarze getroffen hatte. Wut loderte plotzlich wie Feuer in ihm auf. Was er den Offizieren gesagt hatte, war alles umsonst gewesen. Selbst die beinahe ausgebrochene Meuterei schien Leute wie Evans oder Farquhar nichts gelehrt zu haben.

«Dieses Fa? war im unteren Laderaum, nicht wahr?«fragte er heftig.»Und wie viele sind noch da unten?»

«Funf oder sechs, Sir. «Evans Blicke schweiften nervos durch die Kajute.»Sie gehoren zu den ursprunglichen Vorraten, die ich. .»
        Bolitho schlug mit der Faust auf den Tisch.»Sie machen mich krank, Evans. Dieses Fa? und die anderen, an die Sie sich plotzlich entsinnen, sind wahrscheinlich schon vor zwei Jahren ubernommen worden, damals, als Sie zur Blockade von Brest ausliefen. Hochstwahrscheinlich sind sie undicht, und auf jeden Fall sind sie vollig verfault.»
        Evans blickte zu Boden.»Ich - ich wu?te das nicht, Sir.»

«Konnte ich Ihnen das Gegenteil beweisen, Mr. Evans«, sagte Bolitho barsch,»wurde ich Sie Ihres Ranges entheben und auspeitschen lassen.»
        Vibart regte sich.»Ich erhebe Protest, Sir. Mr. Evans handelte, wie er es fur richtig hielt. Betts hat ihn angegriffen. Um diese Tatsache kommen wir nicht herum.»

«So scheint es, Mr. Vibart. «Bolitho blickte ihn kalt an, bis Vibart beiseite sah. Ich unterstutze gewi? die Bemuhungen meiner Offiziere, meine Befehle auszufuhren. Aber eine sinnlose Bestrafung durfte derzeit mehr schaden als nutzen. «Bolitho fuhlte sich plotzlich zu mude, um einen klaren Gedanken zu fassen, aber Vibarts Arger schien ihn anzustacheln.»In zwei Wochen oder so sto?en wir zu Sir Samuel Hoods Geschwader, und dann werden wir mehr als alle Hande voll zu tun haben. Bis dahin«, fuhr er ruhiger fort,»wird jeder von Ihnen, jeder einzelne, meine Befehle taglich in die Tat umsetzen. Nutzlose Brutalitat hat noch nie zu etwas Gutem gefuhrt. Ist ein Mann beharrlich ungehorsam, dann wird er ausgepeitscht werden. Was jedoch diesen besonderen Fall anlangt, schlage ich ein milderes Experiment vor. «Bolitho bemerkte, wie Vibarts Unterlippe vor kaum unterdrucktem Arger zuckte.»Betts kann sieben Tage Sonderdienst auferlegt bekommen. Je eher die Angelegenheit der Vergessenheit anheimfallt, je eher konnen wir den Schaden heilen. «Er hob kurz die Hand.»Machen Sie weiter, Mr. Farquhar.»
        Als Evans kehrt machte, um dem Fahnrich zu folgen, sagte Bolitho unbetont:»Ach, Mr. Evans, ich sehe keinen Grund, Ihre Unterlassung ins Logbuch einzutragen.
«Evans sah ihn halb dankbar, halb furchterfullt an.»Vorausgesetzt, ich kann darlegen, da? Sie dieses Fleisch fur Ihre eigenen Zwecke erworben haben, vielleicht fur Ihren personlichen Bedarf?»
        Evans Augen glitten kurz zu Vibart hinuber und kehrten dann zu Bolithos unbewegtem Gesicht zuruck.»Erworben, Sir? Ich,
        Sir?»

«Ja, Evans, Sie. Sie konnen die Summe morgen vormittag dem Zahlmeister ubergeben. Das ware alles.»
        Vibart griff nach seinem Hut und wartete, bis sich die Tur hinter dem Proviantmeister geschlossen hatte.»Benotigen Sie mich noch, Sir?»

«Ich mochte Ihnen gern noch eins sagen, Mr. Vibart. Ich ziehe durchaus in Betracht, da? Sie unter Kapitan Pomfret unter erschwerten Bedingungen segelten. Vielleicht haben Sie einiges von dem, was Sie tun mu?ten, nicht gern getan. «Er wartete, aber Vibart sah starr an ihm vorbei.»Vergangenes interessiert mich nicht, ausgenommen als Lektion fur das, was sich auf einem schlecht gefuhrten Schiff ereignen kann. Als Erster Leutnant sind Sie der Schlusseloffizier, der Erfahrenste an Bord, um meine Befehle auszufuhren, verstehen Sie?»

«Wenn Sie meinen, Sir.»
        Bolitho senkte die Augen, um Vibart seinen aufkeimenden Arger zu verbergen. Er hatte dem Ersten den ihm zukommenden Teil an Verantwortung angeboten, ja ihm Vertrauen angetragen; der Leutnant schien es jedoch als Zeichen der Schwache zu deuten, als Unsicherheit. Seine Bundigkeit sprach die Geringschatzung so deutlich aus, als hatte er sie uber das Schiff gebrullt.
        Es fiel Vibart sicher nicht leicht, von einem so viel jungeren Kapitan Befehle entgegenzunehmen. Bolitho versuchte nochmals, Vibarts Feindseligkeit mit Verstandnis zu begegnen.
        Da sagte der Erste plotzlich:»Wenn Sie erst etwas langer an Bord der Phalarope sein werden, Sir, sehen Sie es vielleicht anders. «Er wiegte sich auf den Absatzen und blickte den Kapitan ausdruckslos an.
        Bolitho entspannte sich. Da? Vibart ihm den einzigen Weg zeigte, die Angelegenheit zu beenden, empfand er fast als Erleichterung. Er ma? ihn kalt.»Ich habe jedes Journal an Bord studiert, jedes Logbuch, Mr. Vibart. Trotz meiner begrenzten Erfahrung habe ich noch kein so offenkundig kampfunwilliges Schiff kennengelernt, keins, das so unfahig war, seine Pflicht zu erfullen.»
        Vibarts Zuge zeigten Uberraschung.

«Nun, Mr. Vibart, wir kehren in die Kriegszone zuruck, und ich beabsichtige, den Feind zu suchen und zu stellen, jeden Feind, bei jeder Gelegenheit. «Er senkte die Stimme.»Und wenn das geschieht, erwarte ich, da? jeder einzelne seinen Mann steht. Fur kleinliche Eifersucht und Feigheit ist dann kein Platz.»
        Vibarts Wangen liefen dunkel an, aber er schwieg.

«Sie haben es mit Menschen zu tun, Mr. Vibart, nicht mit Sachen. Ihr Offizierspatent schlie?t nur die Befehlsgewalt ein. Der Respekt kommt spater, wenn Sie ihn sich verdient haben.»
        Er entlie? den Ersten Leutnant mit einem kurzen Kopfnicken, drehte sich wieder um und starrte auf das schaumende Kielwasser unterhalb des Fensters. Als sich die Tur schlo?, stand er noch vollig unter der Gewalt der Anspannung und krallte die Hande ineinander, bis er vor Schmerz zusammenzuckte. Er hatte sich Vibart zum Feind gemacht, aber es war ihm nichts anderes ubriggeblieben, es stand zu viel auf dem Spiel. Er lie? sich auf die Fensterbank sinken. Stockdale kam herein und begann, eine Decke uber den Tisch zu legen.

«Ich habe der Ordonnanz befohlen, Ihr Abendessen zu bringen, Sir. «Sein Ton verriet Mi?trauen. Er konnte Atwell, den Kajutsteward, nicht leiden und beobachtete ihn unablassig.»Ich nehme an, da? Sie allein essen werden, Sir?»
        Bolitho sah Stockdale fluchtig an und erinnerte sich an Vibarts aufwallende Verbitterung.»Ja, Stockdale, ich esse allein.»
        Leutnant Thomas Herrick zog den von Spritzwasser durchweichten Schal enger um den Hals und kroch tiefer in den Wachmantel. Uber den schwarzen, schwankenden Toppen flimmerten klein und bla? die Sterne. Trotz der scharfen Luft spurte er, da? die Morgendammerung nicht mehr fern war.
        Dunkelheit umhullte das schwer stampfende Schiff. Alle Formen der einsamen Decks sahen unwirklich und ganz anders aus als bei Tage. Die gezurrten Kanonen glichen Schatten, und die summenden Wanten und Stagen schienen geradewegs in den Himmel zu fuhren, ohne Anfang und ohne Ende.
        Herrick ging gedankenverloren auf dem Achterdeck hin und her und achtete kaum darauf. Er hatte das alles schon oft gesehen und war in der Lage, eine Wache allein mit sich und seinen Gedanken zu verbringen. Gelegentlich blieb er neben dem gro?en Doppelrad stehen, hinter dem die beiden Ruderganger wie dunkle Statuen aufragten. Sie beobachteten die zitternde Nadel und die gebra?ten Segel. Die Kompa?laterne beleuchtete zum Teil ihre Gesichter.
        Vorn schlug es blechern drei Glasen. Ein Schiffsjunge regte sich an der Reling, rieb sich die Augen und kam nach achtern, um die Kompa?laterne zu putzen und das Stundenglas umzudrehen.
        Immer wieder suchte Herricks Blick das schwarze Rechteck des Kajutniedergangs. Er fragte sich, ob Bolitho endlich schlief. Wahrend der Morgenwache war der Kapitan bereits dreimal an Deck erschienen, dreimal innerhalb von anderthalb Stunden, lautlos, ohne alle Vorwarnung, ohne Rock, ohne Hut. Sein wei?es Hemd und die Kniehose hatten sich verschwommen gegen die rollende schwarze See abgezeichnet. Ein gespenstiger, unwirklicher Anblick, die verkorperte Ruhelosigkeit eines gemarterten Geistes. Bolitho war jedesmal nur so lange geblieben, um nach dem Kompa? zu spahen oder einen Blick auf die Wachtafel neben dem Rad zu werfen. Danach war er an der Luvseite des Decks ein paarmal auf und ab gegangen und dann wieder nach unten verschwunden.
        Zu jedem anderen Zeitpunkt hatte es Herrick gereizt und verargert. Mu?te es nicht bedeuten, da? der Kapitan seinem Dritten Leutnant nicht zutraute, die Wache allein zu gehen? Aber als Herrick den Zweiten um vier abloste, hatte ihm Okes hastig zugeflustert, da? Bolitho fast die ganze Nacht an Deck gewesen sei.
        Herrick runzelte die Stirn. Tief im Innern spurte er, da? Bolitho mehr einem dunklen Antrieb folgte denn einem Plan, eher einer Stimmung als einer Neigung, geradezu als ware er ebenso gehetzt wie das Schiff. Es schien ihm unmoglich, still zu stehen, so als ginge es uber seine Kraft, langer als eine Minute an einem Fleck zu bleiben.
        Eine undeutliche Gestalt bewegte sich an der Achterdeckreling, und Fahnrich Neales vertrauter Diskant klang durch die Dunkelheit.

«Betts hat sich soeben gemeldet, Sir.»
        Neale schaute zu Herrick hoch und versuchte, die Laune des Dritten abzuschatzen.
        Herrick ri? sich in die Gegenwart zuruck. Betts, der einer Auspeitschung oder Schlimmerem durch Bolithos Einspruch entgangen war, mu?te gema? Befehl um drei Glasen zum ersten
        Strafdienst antreten. Vibart hatte deutlich klargestellt, was geschahe, falls er dem Befehl nicht folgte.
        Er sah Betts hinter dem kleinen Seekadetten stehen und rief:»Vorwarts, Betts. Aber schnell.»
        Betts kam an die Reling. Seine Stirn lag in Falten.»Sir?»
        Herrick wies zum unsichtbaren Masttopp empor.»Los, hinauf mit Ihnen!«Es klang nicht barsch. Er mochte Betts. Ein stiller, aber fahiger Mann, dessen plotzlicher Wutausbruch Herrick mehr uberrascht hatte, als er sich eingestand.»Klettern Sie ins Gro?topp, Betts. Halten Sie Ausschau, bis der Erste Leutnant andere Order erteilt.»
        Er spurte fluchtig Mitleid mit dem Mann. Hundertzehn Fu? uber Deck, ohne Schutz vor dem kalten Wind. . Betts wurde innerhalb von Minuten erstarren. Bei sich beschlo? Herrick bereits, Neale mit etwas warmem Essen hinaufzuschicken, sobald das Kombusenfeuer brannte.
        Betts spuckte in die Hande und sagte tonlos:»Aye, aye, Sir. Scheint ein schoner Morgen?«Es klang, als bezoge sich seine Bemerkung auf etwas ganz Normales und Unwichtiges.

«Aye. «Herrick nickte.»Der Wind la?t nach, und die Luft wird trockener. «Was zutraf. Betts Instinkt hatte den Wetterumschlag gewittert, kaum da? er aus dem stickigen, uberfullten Kojendeck aufgetaucht war, wo achtzehn Zoll pro Mann und Hangematte der ublicherweise zugebilligte Platz waren.

«Sie haben Gluck gehabt, Betts«, sagte Herrick.»Bei acht Glasen hatten Sie ebensogut an der Grating tanzen konnen.»
        Betts blickte den Dritten unbewegt an.»Es tut mir nicht leid, Sir. Ich meine, was geschehen ist. Ich wurde es wieder tun.»
        Herrick argerte sich plotzlich. Warum hatte er die Sache erwahnt? Das ist der Haken bei mir, dachte er wutend. Stets will ich allem auf den Grund kommen, es verstehen. Immer mu? ich mich mit allem beschaftigen.

«Hinauf mit Ihnen!«sagte er schroff.»Und halten Sie ja gut Ausschau. Die Dammerung zieht bald herauf.»
        Der Schatten des Mannes vermischte sich mit dem Umri? der Gro?wanten. Herricks Blicke folgten ihm, bis er sich in dem Netzwerk der Takelage verlor, das sich gegen den Nachthimmel abzeichnete.
        Wiederum fragte er sich, warum Bolitho im Falle Betts so entschieden hatte. Weder Vibart noch Evans hatten die Angelegenheit erwahnt, was sie nicht geringfugiger, sondern eher bedeutsamer machte. Hatte Vibart vielleicht wieder seine Befugnis uberschritten? grubelte Herrick. Unter Pomfret hatte der allgegenwartige Erste alles in der Hand gehabt, jedes Vorkommnis kontrolliert, Tag fur Tag. Jetzt schien Bolithos ruhige Autoritat Vibart zu hemmen, und die Tatsache, da? die beiden nicht ubereinstimmten, lag beinahe offen zu Tage. Sie machte alles nur schlimmer. Das Schiff schien zwischen Vibart und Bolitho gespalten. Fruher hatte Herrick seinen Dienst verrichtet, sich aber sonst unparteiisch herausgehalten. Nun gewann er den Eindruck, als ob solche Neutralitat nicht mehr moglich sei.
        Er dachte an seinen Besuch in Bolithos Vaterhaus. Ehe er es betrat, hatte er geglaubt, da? er dort nur Neid empfinden wurde. Sein eigenes, armseliges Herkommen lie? sich nur schwer abschutteln. Er rief sich Bolithos Vater zuruck, die gro?en Gemalde an den Wanden, die Atmosphare von Dauer und Tradition, als waren die gegenwartigen Bewohner nur Teil eines Musters. Verglichen mit seinem eigenen kleinen Vaterhaus in Rochester, war ihm das Haus der Bolithos wie ein richtiger Palast vorgekommen.
        Herricks Vater hatte als Angestellter in Rochester fur eine Firma gearbeitet, die mit Fruchten handelte. Doch schon als kleines Kind verschlang Herrick mit sehnsuchtsvollen Augen alle Schiffe, die den Medway heraufkamen. Und um Schiffe baute sein eindrucksfahiger Geist die eigene Zukunft auf. Das war merkwurdig, denn in seiner Familie war noch niemand zur See gefahren.
        Herricks Vater hatte vergeblich gefleht und vor den nur allzu zahlreichen Fallgruben gewarnt. Da die Herricks weder den notwendigen Familienhintergrund noch die finanzielle Sicherheit besa?en, sah er nur zu klar, worauf sein Sohn sich einlassen wollte. Als Kompromi? schlug er sogar einen sicheren Platz auf einem Indienfahrer vor, aber sein Sohn war nicht umzustimmen.
        Der Zufall wollte es, da? in der Nahe von Rochester ein Kriegsschiff zur Reparatur ins Trockendock mu?te. Der Kapitan war mit dem Arbeitgeber von Herricks Vater befreundet: ein wurdiger, alterer Kapitan, der weder verstimmt noch verargert war, als ihn der Elfjahrige abfing und ihm den Wunsch vortrug, auf einem Schiff des Konigs zu dienen.
        Angesichts des Kapitans und seines Dienstherren gab Herricks Vater nach. Man mu? ihm Gerechtigkeit angedeihen lassen, er nutzte seine mageren Ersparnisse aufs beste, um seinem Sohn auf den Weg zu helfen. Zumindest au?erlich fiel Herrick nicht ab, war ein so schmucker junger Herr wie jeder andere auch.
        Jetzt war Herrick funfundzwanzig. Seit jener Zeit hatte er zah einen langen und harten Weg zuruckgelegt. Er hatte Demutigungen erfahren, war beispiellosem Widerstand der Hohergeborenen und Einflu?reichen begegnet. Der romantische Knabe hatte Federn lassen mussen und war mit den Jahren so hart geworden wie die gute Eiche unter seinen Fu?en. Aber eins hatte sich nicht geandert: Seine Liebe zur See umgab ihn wie ein schutzender Mantel.
        Herrick lachelte vor sich hin, wahrend er unablassig auf und ab ging. Er fragte sich, was der kleine Neale, der an der Reling gahnte, von seinem Vorgesetzten mit dem ernsten Gesicht hielt. Oder die Ruderganger, die die Kompa?nadel und den Stand der Segel beobachteten. Oder Betts da oben auf seinem schwankenden Ausguck, Betts, dessen Gedanken zweifelsohne um das kreisten, was er getan hatte, und um das, was bei Evans Rachedurst noch vor ihm liegen mochte.
        Er ging zur Luvreling und erschrak, weil er bereits den geschnitzten Delphin uber dem Steuerbordniedergang und dicht dabei die dicke, ha?liche Karronade sehen konnte. Wahrend seiner Grubeleien war eine halbe Stunde verflossen, und mit der Morgendammerung wurde wieder der Horizont sichtbar werden, wurde ein neuer Tag beginnen.
        Durch das Zischen des Spritzwassers horte er plotzlich scharf und klar Betts' Stimme vom Ausguck:»An Deck! Segel voraus an Steuerbord. Rumpf noch unter der Kimm.»
        Herrick ri? sein Fernglas aus der Halterung und schwang sich in die Besanwanten. Seine Gedanken kreisten um die unerwartete Meldung. Das Meer gewann bereits Gestalt und Gesicht, und dort, wo der Horizont sein mu?te, zeichnete sich eine hellgraue Linie ab. Oben, hoch uber den schwankenden Decks, mu?te Betts das andere Schiff in der zogernd heraufkommenden Dammerung eben erkennen konnen.

«Mr. Neale«,rief er,»entern Sie auf und sehen Sie zu, was Sie entdecken konnen. Wenn Sie mir etwas Falsches melden, machen Sie mit der Neunschwanzigen Bekanntschaft, ehe Sie eine Stunde alter sind.»
        Neale grinste. Ohne ein Wort zu sagen, kletterte er wie ein Affe die Gro?wanten hinauf.
        Herrick bemuhte sich, ruhig zu bleiben und, wie er es Bolitho abgesehen hatte, von neuem auf und ab zu gehen.

«Eine Fregatte, Sir!«rief Betts wieder.»Kein Zweifel. Steuert Sudost.»
        Neales Diskant erganzte die Meldung.»Sie lauft vor dem Wind, fliegt wie ein Vogel, Sir. Unter Vollzeug.»
        Herrick atmete gerauschvoll aus. Eine Sekunde lang hatte er geglaubt, es konnte ein Franzose sein. Selbst drau?en, so allein und auf sich gestellt, war das nicht unmoglich; aber die Franzosen segelten nachts selten schnell oder weit. Fur gewohnlich drehten sie nachts bei. Nein, das war kein Feind.
        Wie um Herricks Schlu?folgerung zu bestatigen, rief Betts:»Ich erkenne die Takelage, Sir. Es ist ein englisches Schiff.»

«Sehr gut. Melden Sie weiter alles. «Herrick lie? das Sprachrohr sinken und blickte uber das Achterdeck. Innerhalb der wenigen Minuten hatte es starkere Kontur und Wirklichkeit gewonnen. Ein heller werdendes Grau lag uber dem Deck, und er konnte schon die Gesichter der Ruderganger erkennen.
        Brachte die andere Fregatte neue Befehle? Vielleicht war der amerikanische Krieg bereits beendet, und sie wurden nach Brest zuruckkehren oder nach England? Herrick spurte einen Anflug von Enttauschung. Anfanglich hatte ihn die Aussicht, weiterhin auf der ungluckseligen Phalarope Dienst tun zu mussen, nicht gerade begeistert. Doch jetzt, bei dem Gedanken, da? er Westindien moglicherweise uberhaupt nicht sehen sollte, war er sich seiner Abneigung nicht mehr so sicher.
        Neale verschmahte Wanten und Webeleinen, glitt direkt eine Pardune hinunter und kam keuchend zum Achterdeck gerannt. Herrick fa?te einen Entschlu?.»Empfehlung an den Kapitan, Mr. Neale, und melden Sie ihm, da? wir ein Schiff des Konigs gesichtet haben. Es wird in etwa einer Stunde mit uns auf gleicher Hohe sein, vielleicht sogar eher. Er wird sich darauf vorbereiten wollen.»
        Neale sauste den Niedergang hinunter, und Herrick blickte uber die wogende Wasserwuste. Bolitho wurde es noch starker betreffen, dachte er. Wurde die Phalarope heimbeordert, verwehten alle seine Hoffnungen und Plane. Seine private Schlacht war dann verloren, bevor sie uberhaupt begonnen hatte.
        Dann erklang ein leiser Schritt neben ihm, und Bolitho fragte:»Nun, Mr. Herrick, was hat es mit jenem Schiff auf sich?»



        IV Das Signal

        Bolitho stutzte das Fernrohr in die Luvnetze und wartete, bis ihm das andere Schiff ins Blickfeld kam. Wahrend der Zeit, die er gebraucht hatte, um aus seiner Kajute auf das Achterdeck zu gelangen und Herricks erregte Meldung entgegenzunehmen, war die Sonne langsam uber den Horizont heraufgekommen. Die kurzen steilen Wellen lagen nun nicht mehr im Schatten der Nacht, sondern ein blasses Gold filterte uber die endlose Weite der wei?en Kamme.
        Mit den steilen Pyramiden der Segel und dem geschlossenen Gischtschleier, der den hohen Bug umspruhte, bot das andere Schiff in dem kraftiger werdenden Licht einen schonen Anblick. Es segelte schnell, die Masttopps schimmerten in dem weichen Fruhlicht wie Kruzifixe.

«Sie haben einen guten Ausguck, Mr. Herrick. Mein Kompliment, da? er die Fregatte so zeitig gesichtet hat«, rief er uber die Schulter.
        Selbst fur einen erfahrenen Seemann war es keine Kleinigkeit, bei Dunkelheit oder Dammerung ein Schiff auszumachen und zu identifizieren. Dies war ganz gewi? ein Englander. Und irgendwie kam Bolitho der Umri? sogar vertraut vor.
        Hinter sich horte er die Rufe der Maate und das schrille Trillern der Pfeifen.

«Alle Mann an Deck! Alle Mann an Deck! Nehmt die Beine in die Hand!»
        Wahrend von vorn die ublichen Geruche aus der Kombuse drangen, stellte er sich vor, wie die schlaftrunkenen Manner stohnend und schimpfend aus den Hangematten kletterten. Ein neuer Tag auf See, doch dieser war nicht wie jeder andere. Die See war nicht langer leer und feindlich. Das andere Schiff erinnerte die Manner womoglich daran, da? sie Teil von etwas Wirklichem und Wichtigem waren.
        Bolitho bemerkte, da? die gro?en Rahen der Fregatte gebra?t wurden, und horte Herrick sagen:»Sie halst, Sir. Wir werden bald auf gleicher Hohe liegen.»
        Bolitho nickte abwesend. Das fremde Schiff wurde halsen, um mit ihnen parallel zu laufen, wobei es die Phalarope in Lee lassen wurde. Wie Herrick vermutet hatte, konnte das gut und gern neue Befehle bedeuten.
        Bolitho kletterte aus den Wanten an Deck zuruck. Er fuhlte sich plotzlich mude. Ihn frostelte. Das Spritzwasser hatte sein Hemd durchna?t. Es klebte ihm am Leib, und an den Wangen spurte er sein feuchtes Haar. Sein Schiff hatte sich von neuem verandert. Auf dem Achterdeck schienen sich die Menschen geradezu zu drangen. Die Offiziere hielten sich auf der Leeseite und beobachteten die andere Fregatte durch ihre Glaser. Fahnrich Maynard sah aufgeregt zu dem fremden Schiff hinuber. Durch sein gro?es Fernrohr versuchte er so viel wie moglich zu erkennen. Da er Signalfahnrich war, wu?te er, da? Bolitho ihn nicht aus den Augen lie?.
        Auf dem Hauptdeck drangten sich die aus dem Schlaf gerissenen Leute, und die Bootsleute mu?ten ihre Tampen haufiger als sonst gebrauchen, um jene vom Schanzwerk zu treiben, die uber das Wasser spahten. Erregt und schwatzend verstauten sie ihre Hangematten in die Kasten. Wahrend sie sich dem Niedergang zur Kombuse zubewegten, starrten sie noch immer auf das fremde Schiff.
        Bolitho hob das Glas ans Auge, als kleine schwarze Balle zu den Rahen des anderen Schiffs hochstiegen und sich im Wind entrollten.
        Vibart lehnte sich an das Kompa?haus und knurrte Maynard an:»Los, entschlusseln Sie.»
        Maynard blinzelte und blatterte hastig im Signalbuch.»Sie hat ihre Nummer gesetzt, Sir: achtunddrei?ig. Es ist die Andiron, unter Kapitan Masterman.»
        Bolitho schob das Fernrohr mit einem Ruck zusammen. Naturlich. Er hatte sie sofort erkennen mussen. Als er noch auf der Sparrow war, hatte er die Andiron haufig genug zur Patrouillenfahrt vor der amerikanischen Kuste auslaufen sehen. Masterman war schon lange bei der Marine und ein bewahrter
        Kapitan. Viele Erfolge gegen den Feind standen fur ihn zu
        Buch.
        Die Andiron hatte ihr Manover beendet und lief jetzt mit der Phalarope auf gleichem Kurs. Der weite Bogen hatte sie hinter die Phalarope gebracht, aber als sich ihre Segel blahten und fullten, kam sie schnell luvwarts auf.
        Maynards Signalgasten setzten das Unterscheidungssignal der Phalarope. Bolitho fragte sich, was Mastermann sagen wurde, wenn er ihn als Kommandanten vorfand. Das Signalbuch wies noch Pomfret als Kapitan aus.

«Signal, Sir«, rief Maynard. »Andiron an Phalarope. Drehen Sie bei. Haben Botschaften an Bord.»
        Die Sonnenstrahlen fuhren glitzernd uber die geschlossenen Stuckpforten der Andiron, als sie leicht auf die Phalarope zuschwang.

«Sie braucht kein Boot zu fieren, Sir«, sagte Herrick.»Sie konnten einen Steg ruberlegen. «Er rieb sich die Hande.»Ob sie frisches Gemuse an Bord hat?»
        Bolitho lachelte. Auf so etwas hatte er gehofft. Eine Zerstreuung. Das wurde die Manner von ihren Sorgen ablenken, wenn auch nur vorubergehend.

«Machen Sie weiter, Mr. Vibart. Lassen Sie bitte beidrehen.»
        Vibart hob das Sprachrohr.»Bra?t die Gro?marsrah! Bewegung, Leute!»
        Stockdale tauchte neben Bolitho auf. Er brachte den blauen Rock und den Hut des Kapitans. Er blinzelte zu dem anderen Schiff hinuber und grinste.»Wie in alten Zeiten, Kapitan. «Er blickte nach vorn, als Quintal, der Bootsmann, eine Flut von Fluchen und Obszonitaten loslie?. Die Manner hatten auf die plotzlichen Befehle nur langsam reagiert. Auf dem uberfullten Deck herrschte bereits ein Chaos. Die Leute der Freiwache rannten unaufhorlich in jene Manner hinein, die sich mit den verquollenen Brassen abqualten.

«Signal, Sir«, sagte Maynard heiser. Seine Lippen buchstabierten langsam:»Haben Sie Nachricht von Hoods Geschwader?»
        Quintal hatte seine Leute endlich an den Stationen, und mit schlagenden und donnernden Segeln drehte sich die Phalarope schwer in den Wind.
        Bolitho, mit den Armen schon halb im Rock, stie? Stockdale beiseite, als ihm bewu?t wurde, was die Frage bedeutete. Masterman hatte das nie und nimmer gefragt. Selbst wenn er die Verbindung zum Geschwader verloren hatte, mu?te er wissen, da? die Phalarope in diesen Gewassern fremd war. Wahrend seine Gedanken wild durcheinander wirbelten, verfolgte er hypnotisiert, wie die Phalarope weiter herumschwang, bis der Bugsprit der Andiron fast im rechten Winkel zu dem seines eigenen Schiffes stand.
        Vibart drehte sich verblufft und verwirrt um, als Bolitho schrie:»Kommando zuruck, Mr. Vibart! Klar zum Wenden!»
        Bolitho ignorierte die besturzten Gesichter und die Unruhe, die der neue Befehl hervorrief, und konzentrierte seine Gedanken auf das andere Schiff. Angenommen, er hatte sich geirrt? Jetzt war es zu spat. Vielleicht war es schon von dem Augenblick an zu spat gewesen, als die Andiron auftauchte.
        Der Bug der anderen Fregatte schwang weiter herum. Die Rahen drehten sich gleichzeitig. Die Andiron scho? auf die hilflose Phalarope zu. Noch ein paar Sekunden, und, unbedroht und allmachtig, hatte die Andiron das ungeschutzte Heck der Phalarope gekreuzt.
        Doch Bolitho merkte, wie sein Schiff sich durch den Wind arbeitete. Er verschlo? die Ohren gegen die Schreie und Fluche seiner Offiziere und Manner. Die Wochen des Segeldrills bei jedem Wetter machten sich jetzt bezahlt. Wie Marionetten zogen die Seeleute an Fallen und Brassen, vom Verhalten des Kapitans zu verwirrt, um zu verstehen, was vorging.

«Mein Gott, Sir«, rief Vibart.»Wir kollidieren. «Er starrte an Bolitho vorbei auf die heranbrausende Andiron. Die Phalarope schlingerte noch immer in ihrer Drehbewegung. Ihr Bug folgte dem anderen Schiff wie eine Kompa?nadel.

«Kurs Sudost!«befahl Bolitho.»Zweites Reff ausschutteln!«Er achtete nicht auf die Wiederholung und Weitergabe seiner Befehle, sondern ging entschlossen zu dem rotrockigen Trommelbuben neben der Kajutenluke.

«Ruhr die Trommel. Klarschiff zum Gefecht!»
        Der Ausdruck des Jungen schlug von Stumpfheit in Schrecken um. Doch Ausbildung und Disziplin behielten wiederum die Oberhand, und als die Trommel das Alarmsignal gab, wogte die Flut der Manner auf dem Hauptdeck nur einen Moment zogernd hin und her, ehe sie zerstob, als die
        Geschutzbedienungen an die Kanonen rannten.

«Ihre Stuckpforten offnen sich«, keuchte Vibart.»Mein Gott, sie zeigt ihre Farben!

        Bolitho sah, wie die gestreifte amerikanische Flagge vom Wind entrollt wurde, wahrend sich die Stuckpforten der Andiron offneten und die dahinter verborgenen Rohre herausstie? und wie das Gebi? eines Raubtiers zu ihnen heruberbleckten.

«Klar zum Gefecht, Mr. Vibart!«sagte Bolitho rauh.»Lassen Sie sofort laden und ausrennen. «Er rechnete nach, als Vibart zur Reling hastete.»Sie werden zehn Minuten benotigen. Ich will versuchen, Ihnen so viel Zeit zu verschaffen.»
        Das Deck neigte sich, als die Phalarope von der anderen Fregatte abdrehte. Doch die Andiron schlug bereits den gleichen Bogen. Ihre Segel killten, als sie durch den Wind drehte, um den Abstand zu verringern. Die neue amerikanische Flagge leuchtete in hellen Farben vor den braunen Segeln, und Bolitho mu?te sich mit Gewalt in die Gegenwart zuruckrufen, um nicht mehr daran zu denken, was geschehen ware, hatte die Andiron nicht dieses eine, torichte Signal gesetzt.
        Dann hatte die Andiron namlich das unbewehrte Heck der Phalarope gekreuzt, und ihre bislang hinter dem Schanzkleid und den geschlossenen Pforten verborgenen Kanoniere hatten eine Salve nach der anderen durch die gro?en Kajutfenster gejagt. Die pfeifenden Kugeln hatten sein Kommandozentrum zerfetzt. Und da sich die Halfte seiner Manner noch hilflos und unvorbereitet unter Deck aufgehalten hatte, ware alles innerhalb weniger Minuten zu Ende gewesen.
        Selbst jetzt mochte es zu spat sein. Die Andiron war gro?er, ihr tiefer Kiel eignete sich besser fur solche Manover. Sie schnitt bereits das Heck der Phalarope und versuchte, so schnell wie moglich in Luvposition zu kommen, um den schon einmal errungenen Vorteil zuruckzugewinnen. In einer Viertelstunde wurde sie das Manover wiederholen oder sich damit zufriedengeben, den Abstand von Backbord aus zu verringern. Da der Wind fur sie gunstiger stand, konnte ein Kampf nicht vermieden werden.
        Bolitho trat zur Heckreling und blickte zu dem anderen Schiff zuruck. Die Andiron hatte das Doppelspiel aufgegeben. Er sah die kauernden Kanoniere und die Offiziere auf dem schrag liegenden Achterdeck. Was war Masterman zugesto?en? Besser, er war tot, als da? er wu?te, was aus seiner stolzen Andiron geworden war.
        Er drehte dem dunklen Rumpf den Rucken und lie? die Blicke uber sein eigenes Schiff gleiten. Kein Chaos mehr. Fur unerfahrene Augen sah die Phalarope kampfbereit und kampftuchtig aus.
        Beiderseits waren die Kanonen ausgefahren. Die Stuckmeister pruften die Abzugsleinen und erteilten ihren Leuten heiser Befehle. Schiffsjungen rannten uber das Deck und streuten Sand, damit die Fu?e der Kanoniere Halt fanden, wenn es soweit war. Andere eilten mit Eimern von Geschutz zu Geschutz. Sie schleppten Wasser heran, um die Kanonenwischer feucht zu halten und moglicherweise ausbrechende Brande zu loschen.
        Vibart stand unterhalb des Achterdecks.»Alles klar zum Gefecht, Sir«, rief er. Alle Kanonen mit Kettenkugeln oder Kartatschen geladen.»

«Gut, Mr. Vibart. «Bolitho ging zur Reling und lie? seine Blicke uber die Backbordgeschutze wandern. Sie wurden zuerst in Aktion treten mussen. Nicht alles war mustergultig. Besorgt bemerkte er manche Mangel.
        An einem Geschutz mu?te der Stuckmeister einem seiner Manner sogar die Seiltalje in die Hand geben, da der arme Kerl vergessen hatte, was er tun sollte. Doch der Mann furchtete sich zu sehr, und die heraufkommende Fregatte mit ihrer Reihe drohender Kanonen hypnotisierte ihn zu stark, als da? er darauf achtete, was der Maat ihm sagte. An jedem Geschutz gab es solche Manner. Bei so vielen neuen Leuten, von friedlicher Arbeit an Land gewaltsam weggeholt, war das unvermeidlich.
        Hatte er nur genugend Zeit gehabt, dann hatte jeder einzelne besser ausgebildet werden konnen. Bolitho schlug mit der Faust langsam auf die Reling. Nun, jetzt mu?te es so gehen. Die Andiron war nicht nur zahlenma?ig starker bestuckt. Ihre Kanonen waren Achtzehnpfunder, die der Phalarope aber nur Zwolfpfunder. Die Mehrzahl der Andiron-Besatzung bestand zweifellos aus englischen Deserteuren und kampferfahrenen Matrosen, denen eine Seeschlacht nicht fremd war. Eine Mannschaft, die Kapitan Masterman die Andiron genommen hatte, war eine Macht, die man furchten mu?te.
        Hauptmann Rennie stand gelassen neben den Schutznetzen. Sein Degen hing mit einer goldenen Kordel an seinem Handgelenk. Er beobachtete, wie Sergeant Garwood seine Leute zu ordentlichen roten Reihen formierte. Die Marinesoldaten gaben zusatzliche Sicherheit, dachte Bolitho grimmig, aber gegen Achtzehnpfunder wurden ihre Gewehre nicht viel nutzen.
        Die Zerknirschung und Verzweiflung, die er spurte, seit die Andiron das verraterische Signal gesetzt hatte, schlug auf einmal in wilde Wut um. Er hatte sein Schiff und seine Manner in diese Lage gebracht. Er allein trug die Verantwortung. Er hatte die Falle der Amerikaner gerade noch rechtzeitig genug erkannt, um die Phalarope vor dem ersten Schlag zu bewahren. Aber er hatte sie fruher durchschauen mussen.
        Er trat an die Querreling und rief:»Leute, in wenigen Augenblicken wird es zum Kampf kommen. «Er sah, da? ihn alle anblickten, doch die Gesichter hatten bereits jede Eigenbedeutung und Individualitat verloren. Sie waren zu einer Mannschaft verschmolzen, zu einer guten oder schlechten, wurde die Zeit erweisen. Aber es war wichtig, da? ihm alle vertrauten.

«La?t euch nicht aus der Ruhe bringen, Leute, und gehorcht den Befehlen, ganz gleich, was um euch herum geschieht. Jede Kanone ist mit dem neuen Steinschlo? ausgerustet, aber haltet die Lunte bereit, falls es versagt.»
        Er bemerkte, wie Okes von der Steuerbordbatterie zu Herrick hinuberblickte, der neben seinen Geschutzen stand. Ein schneller Austausch von Blicken, der alles beinhalten konnte.
        Bolitho spurte, da? Stockdale ihm den Rock uber die Schultern streifte und den Degengurt umschnallte. Er beobachtete, wie die machtvolle Fregatte auf das Backbordlogis zuhielt, und schatzte Schnelligkeit und Entfernung ab.

«Noch etwas, Leute. «Er beugte sich vor, als wollte er sie zwingen, ihm zuzuhoren. Die Phalarope ist ein Schiff des Konigs. Die Flagge streicht sie nicht.»
        Er verschrankte die Hande unter den Rockscho?en und ging langsam zur Luvreling. Es wurde nicht mehr lange dauern. Zu Proby, der neben dem Rad stand, sagte er:»Wir luven gleich an, Mr. Proby. «Er horte ihn murmeln und fragte sich, was der Steuermann von dem angekundigten Befehl denken mochte.
        Der amerikanische Kapitan wurde wahrscheinlich annehmen, da? die kleinere Phalarope versuchen wollte, wieder mit dem Wind abzulaufen. Doch sobald sie abdrehte, wurde er ihr Heck mit der vollen Backbordbreitseite uberschutten, wie er es von Anfang an beabsichtigt hatte. Doch Bolithos Manover wurde die Phalarope auf die Andiron zudrehen lassen, und mit etwas Gluck mu?te Herrick in der Lage sein, die erste Salve abzufeuern.
        Auf dem Achterdeck der Andiron funkelte ein Fernrohr in der Sonne auf, und Bolitho wu?te, da? der andere Kapitan ihn beobachtete.

«Achtung, Mr. Proby!«Bolitho schwenkte den Hut und rief uber das Hauptdeck:»Jetzt, Jungs! Eine Breitseite fur Old England!»
        Knarrend schwangen die Rahen herum. Die Segel donnerten. Bolitho wurde der Mund trocken, sein Gesicht erstarrte zu einer Maske.
        Das war der entscheidende Augenblick.
        John Allday kauerte neben der zweiten Kanone der Steuerbordbatterie und starrte gebannt durch die offene Stuckpforte. Trotz der kuhlen Morgenbrise schwitzte er, und sein Herz schlug wie eine Trommel.
        Er fuhlte sich als das hilflose Opfer eines Alptraums. Jede Einzelheit war deutlich und klar, schon bevor sie sich ereignete. Irgendwie bildete er sich ein, diesmal wurde es anders sein, aber es war dasselbe. Er hatte genausogut zum erstenmal in die Schlacht segeln konnen, neu und unerfahren, von qualender Spannung fast in Stucke gerissen.
        Er loste die Augen von dem Wasserviereck, das er durch die Stuckpforte sehen konnte, und blickte uber die Schulter zuruck. Die gleichen Manner, die Ferguson verspottet oder Evans in drohendem Schweigen umringt hatten, standen oder kauerten jetzt nicht anders als er, Sklaven ihrer Kanonen, die Gesichter nackt und voller Furcht. Ein Stuck entfernt von der Batterie, den Rucken am Vormast, stand Leutnant Herrick. Er sah zum Achterdeck hinauf, die Finger umschlossen den Degengriff. Seine blauen Augen, die nicht eine Sekunde blinzelten, verrieten nichts.
        Allday folgte den Blicken des Offiziers und bemerkte den Kapitan an der Achterdeckreling. Die Hande auf dem glatten Holz, beobachtete er mit leicht vorgerecktem Kopf die andere
        Fregatte. Das hohe Schanzkleid, die Gangway und die anderen Kanonen versperrten Allday den Blick auf die Andiron. Immerhin sah er ihre Masttopps und geblahten Segel, als sie auf das Achterdeck zuhielt, bis sie wie eine Klippe uber der Phalarope zu hangen schien.
        Pryce, der Stuckmeister, band sich das Pulverhorn um die Hufte und hockte sich neben die Lafette, die Abzugsleine in Handen.»Hort zu, Jungs«, sagte er mit einer Stimme, die fremd und gepre?t klang.»Wir feuern zuerst eine Breitseite ab. «Er blickte von einem zum anderen, ohne die Kanoniere an der nachsten Stuckpforte zu beachten.»Danach hangt alles davon ab, wie schnell wir nachladen und wieder ausrennen. Also mu? jeder Handgriff sitzen. Und wie der Kapitan gesagt hat, achtet nicht darauf, was um euch vorgeht, verstanden?»
        Ferguson umkrampfte die Stucktalje und keuchte:»Ich halte das nicht aus. Bei Gott, dieses Warten halte ich nicht aus.»
        Von gegenuber hohnte Pochin:»Was ich gesagt habe: Hubsche Kleider allein machen aus Leuten wie dir noch lange keine Manner. «Er ri? wild an der Talje.»Wenn du gesehen hattest, was ich gesehen habe, wurdest du sterben vor Angst, Mann. «Und zu den anderen:»Ich habe gesehen, wie sich ganze Flotten ineinander verbissen. «Er lie? seine Worte wirken.»Die ganze See nur Masten, wie ein Wald.»
        Pryce zischte:»Halt's Maul!»
        Er hob den Kopf, als Herrick rief:»Geschutzfuhrer! Sobald wir auf Backbord gefeuert haben, die besten Leute zur Verstarkung an die andere Batterie unter Mr. Okes!»
        Die Geschutzfuhrer hoben bestatigend die Hande und richteten ihr Augenmerk dann wieder auf die leere See.
        Allday schaute zu Okes hinuber. Das Gesicht des Offiziers glanzte vor Schwei?. Er sah bleich aus. Als ware er bereits eine Leiche, dachte Allday.
        Durch das Sprachrohr erklang hohl Vibarts Stimme.»An die Brassen! Klar zum Wenden.

        Alldays Finger glitten uber das kalte Verschlu?stuck.»Los doch! Kommt endlich rum«, murmelte er inbrunstig. Die Phalarope war der Andiron an Gro?e und Stuckzahl unterlegen, selbst er konnte das sehen. Und da schon jetzt die Halfte ihrer Besatzung vor Angst und Schrecken kaum noch denken konnte, war es lediglich eine Frage der Zeit, wann ihre Farben sinken wurden. Er blickte an seinen Beinen hinunter und fuhlte, wie ihn die kalte Furcht uberlief. Sie verlie? ihn nie, auch die Jahre auf den stillen Hugeln von Cornwall hatten sie nicht vertrieben: die Furcht, verkruppelt zu werden, und der Schrecken vor dem, was dann kam.
        Von der Nachbarkanone rief Old Strachan heruber:»Hort her, Burschen. «Er wartete, bis seine Worte die neuen Leute wirklich erreichten.»Bindet euch die Halstucher uber die Ohren, ehe wir feuern. Sonst platzt euch das Trommelfell.»
        Allday nickte. Diese Lektion hatte er vergessen. Wenn sie nur vorbereitet und darauf eingestellt gewesen waren! Statt dessen waren sie aus den Hangematten gestolpert, und der Alptraum hatte fast unverzuglich begonnen. Zuerst die Aufregung uber ein befreundetes Schiff. Dann das Alarmsignal des Trommlers, das die Manner keuchend und mit entsetzten Augen an die Stationen jagte. Jetzt stand der kleine Trommelbube neben einem Glied Marinesoldaten und starrte zum Kapitan hinuber, als konne er von dessen Gesicht sein Schicksal ablesen.
        Pryce murmelte:»So ein Gefecht habe ich noch nie mitgemacht. «Er schaute in die prallen Segel hinauf.»Zu viel Wind. Da hei?t es zuschlagen und abhauen, denkt an meine Worte.»
        Stahl klirrte, als Herrick seinen Degen zog. Er hob ihn uber den Kopf. Die Klinge funkelte in der Sonne.

«Backbordbatterie klar zum Gefecht!»

«Oh, Grace«, stohnte Ferguson leise.»Wo bist du, Grace?»

«Ruder mittschiffs!«bellte Vibart.»Uber vorn!»
        Alle spurten, wie sich das Deck noch starker neigte, als die Matrosen die Schoten der Vorsegel fierten und die stampfende Fregatte wild mit dem Bug durch den Wind ging.
        Allday schluckte schwer, als sich seine Stuckpforte plotzlich verdunkelte und ihm der Bug der anderen Fregatte den Blick nahm. Ihre Kanonen und ihr gischtfeuchter Rumpf neigten sich in einem Winkel, als wollte sie ausholen und die Phalarope zerquetschen, die frech auf sie zuschwang.
        Herrick lie? den Degen herabsausen.»Feuer!»
        Die Stuckmeister rissen an den Leinen, und die ganze Welt schien in einer ungleichma?igen Breitseite zu explodieren. Rauch wogte zum Ersticken dicht durch die Pforten zuruck, reizte die Lungen und fullte die Augen, als die Kanonen zuruckrollten. Es war die Holle, zu schrecklich, um begriffen zu werden.
        Doch die Geschutzfuhrer brullten bereits wie die Teufel und schlugen auf ihre betaubten Kanoniere ein, wahrend die Pulveraffchen frische Kartuschen heranschleppten und neue, glanzende Kugeln von den Gestellen gehoben wurden.
        Pryce schlug den Arm eines Mannes beiseite und brullte:»Na? auswischen, du Bastard. Hast du vergessen, was ich dir beigebracht habe? Du sprengst uns alle in die Luft, wenn du eine hei?e Kanone nachladst. «Der Mann murmelte benommen und gehorchte wie in Trance.

«Nachladen!«rief Herrick.»Munter, Jungs.»
        Allday wartete eine Minute, ehe er sich vor die Talje spannte. Quietschend rumpelten die Blockrader der Lafette wieder vorwarts.
        Jede Mundung wollte zuerst drau?en sein.
        Aber die Phalarope war fast vor dem Bug der Andiron. Es konnte sich nur noch um ein paar Fu? handeln, bis beide Schiffe zusammenstie?en, um ihren Kampf auf Tod und Leben ineinander verhakt auszufechten.

«Feuer!»
        Wieder das wuste Donnern einer Breitseite. Durch den Rucksto? kippte das Deck unter ihnen weg. Doch diesmal war die Salve stotternder und weniger gut gezielt. Durch das Klirren der Wanten und die achzenden Spieren horte Allday, wie druben einige Kugeln einschlugen, und er sah, da? Fahnrich Maynard in den Rauchschwaden den Hut schwenkte und etwas in den Himmel hinaufrief, konnte aber wegen des Geschutzdonners die Worte nicht verstehen.
        Die Andiron mu?te gleichzeitig mit der Phalarope gefeuert haben. Der allgemeine Larm hatte das Krachen ihrer Geschutze verschluckt. Allday spurte den Abschu? mehr, als er ihn horte, etwa wie einen hei?en Wind oder wie Sand, der uber eine ausgedorrte Wuste weht. Er blickte nach oben, wo die Segel wie in Agonie schlugen und sich vertornten. Uberall klafften Locher in der Leinwand, und von oben kamen einige Fallen und Spieren. Ein Block knallte klirrend auf ein Verschlu?stuck. Pryce, der an der Zundung hantierte, sagte ohne aufzusehen:»Die Bastarde haben zu schnell erwidert. Ihre Breitseite ist hoch uber unsere Kopfe hinweggegangen.»
        Allday spahte durch die Geschutzpforte. Er war noch benommen, verstand aber endlich, was Bolitho getan hatte. Die Phalarope hatte sich nicht zur Flucht gewandt, hatte ihr Heck nicht als Ziel dargeboten. Da? sie plotzlich zum Angriff uberging, hatte den Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht. Um einer sinnlosen Kollision zu entgehen, hatte die Andiron angeluvt. Daher war ihre erste Breitseite mehr oder minder ins Leere gegangen.
        Allday horte, wie Herrick zu Leutnant Okes hinuberrief:»Bei Gott, Matthew, das ging um Haaresbreite. «Dann, wilder:»Da, der Wimpel! Der Wind dreht.»
        Es war wie im Tollhaus, als die feindliche Fregatte schnell der angreifenden Phalarope auswich. Dem Kapitan der Andiron mu?te die Attacke so unvermutet gekommen sein, da? ihm entgangen war, was Bolitho bemerkt haben mu?te: das Umspringen des Windes.
        Anstatt anluven zu konnen, bekam die Andiron nun den Wind voll von vorn und war manovrierunfahig.
        Herrick sprang vor Aufregung auf und ab:»Sie hat sich festgesegelt! Bei Gott, das hat sie!»
        Die Manner riefen sich die Nachricht von Geschutz zu Geschutz zu. Eingerahmt von einer Pulverwolke, rollte die Andiron hilflos im Wind, unfahig, nach dieser oder jener Seite zu wenden. Manner kletterten auf die Rahen hinaus, und auf der Phalarope konnte man die durch ein Sprachrohr gebrullten Befehle horen.
        Herrick nahm sich zusammen.»Hinuber zur Steuerbordbatterie. Schnell!«Pryce stie? die Leute an, die er benotigte, und rannte uber das
        Deck.
        Von achtern erscholl der Ruf:»Klar zum Wenden. An die Brassen.»
        Allday warf sich neben der Kanone zu Boden und bleckte die Zahne.
        Old Strachan krachzte:»Bei Gott, der Kapitan wei? mit dem Schiff umzugehen. «Okes rief:»Ruhe da!»
        Herrick ging zur Decksmitte und beobachtete Zimmermann und Bootsmann, die hastig dabei waren, Schaden zu reparieren. Manner kletterten bereits in die Takelage, um die zerrissenen
        Taue zu splei?en. Andere spannten oberhalb des Hauptdecks endlich die Gefechtsnetze, um die Leute an Deck vor herabfallenden Blocken oder Spieren zu schutzen.
        Die Rahen kamen von neuem herum. Segel donnerten, Brassen kreischten durch die Blocke. Die Manner rannten wie die Wiesel, um den unaufhorlichen Kommandos vom Achterdeck nachzukommen.
        Den Leuten kam alles unwahrscheinlich vor. Eben noch uberrascht und bedroht, griffen sie jetzt nicht nur an, sondern versetzten dem Feind einen Schlag nach dem anderen.
        Bolitho mu?te sich alles ausgerechnet haben. Er mu?te es geplant und entworfen haben, wahrend er auf dem nachtdunklen Deck einsam hin und her gegangen war.
        Herrick blickte zu ihm hinuber. Gelassen und aufgerichtet stand der Kapitan an der Reling. Die Hande auf dem Rucken, beobachtete er das andere Schiff. Wahrend des Abwartens hatte Herrick bemerkt, wie Bolitho sich mit der Hand uber die Stirn fuhr und dabei einen Moment die dunkle Locke beiseite schob, so da? die tiefe, furchtbare Narbe sichtbar wurde. Bolitho hatte gespurt, da? Herrick ihn beobachtete, und zornig seinen Hut in die Stirn gezogen.
        Herrick lie? den Blick uber die Kanonen gleiten. Die Leute waren erschopft. Sie schenkten dem Feind keine Beachtung, als die Phalarope herum kam, um den Abstand zu verringern. Er hatte Pochins bittere Bemerkung gehort und gesehen, wie Allday sich ins Zeug gelegt hatte, um den neuen Leuten zu helfen. Es war merkwurdig, wie sie angesichts wirklicher Gefahr alle eigenen Sorgen und Fehden verga?en.
        Es stimmte, unter Bolitho war das Schiff anders. Und die Veranderung ging tiefer, sie war nicht nur durch die Uniformen gekennzeichnet, die auf Bolithos Befehl die fleckigen Lumpen ersetzt hatten, die zu Pomfrets Zeit ublich gewesen waren. Statt der verdrossenen Hinnahme herrschte nun diese heftige Unruhe, die den Eindruck erweckte, als wollten die Manner zusammenstehen, um mit dem Enthusiasmus ihres jungen Kapitans Schritt zu halten, aber noch nicht wu?ten, was sie dazu tun mu?ten.

«Sie hat wieder Ruderdruck«, sagte Okes scharf.»Sie kommt herum.»
        Die Segel der Andiron schlugen, aber Herrick bemerkte ihre veranderte Position und den neuen Winkel ihrer Rahen.
        Bolithos Stimme schnitt durch ihre Spekulationen.»Noch eine Salve, Leute. Ehe sie herum ist.»
        Herrick atmete scharf aus.»Er will hinter ihr Heck kommen. Das schafft er nie. In ein paar Minuten liegen wir uns Breitseite zu Breitseite gegenuber.»
        Das unbegrenzte Vertrauen, das ihm die erfolgreiche Attacke geschenkt hatte, wich frostelnder Unsicherheit, als die Phalarope Fahrt aufnahm und ihre Masten und Spieren unter dem Druck der Segel bebten. Er fa?te seinen Degen fester, als die Bramsegel der Andiron von neuem uber den Netzen auftauchten. Ihre Masten standen nicht mehr in einer Linie, sie schwang schnell und gut herum. Es blieb nichts anderes ubrig, als das Unvermeidliche abzuwarten.
        Okes starrte mit offenem Mund auf das sich nahernde Schiff, wahrend sich die Spanne des aufgewuhlten Wassers zwischen den Fregatten immer mehr verringerte. Er hob den Degen.»Steuerbordbatterie feuerklar!«Doch seine Stimme ging in einer wilden Kanonade unter. Von achtern bis vorn bellte jedes Geschutz der Andiron und spie Feuer und Rauch aus.
        Diesmal sa?en die Schusse.
        Herrick spurte, wie der Rumpf unter seinen Fu?en erbebte, und taumelte gegen den Vormast. Rauch vernebelte das Deck, und zersplittertes Holz und zerfetzte Teile der Takelage regneten herab. Die Luft zitterte vom Krachen der Abschusse und vom Kreischen der Kugeln, die wie Boten der Holle durch den Rauch peitschten.
        In das Heulen der Kugeln mischten sich nahere, schauerlichere Gerausche, als Splitter in die dicht gedrangten Kanoniere flog. Blut stromte uber die glatten Decks. Herrick mu?te sich auf die Lippen bei?en, um nicht die Selbstkontrolle zu verlieren. Er hatte schon fruher Leute bluten sehen, bei einem gelegentlichen Scharmutzel und unter der neunschwanzigen Katze, nach einem Sturz oder bei einem Unfall. Doch dies war anders. Das Blut war uberall, als hatte ein Verruckter das Schiff angemalt. Herrick bemerkte Blutflecken auf seinen wei?en Hosen. Er blickte zu der benachbarten Kanone hinuber. Sie stand hochkam, und einer der Kanoniere war zu einer roten Masse zerquetscht worden. Ein Mann, der noch immer eine Handspake umkrampfte, lag ohne Beine da, und zwei seiner Kameraden klammerten sich schreiend aneinander.
        Die feindliche Fregatte mu?te sofort nachgeladen haben, denn eine neue, unregelma?ige Salve donnerte krachend in die Bordwand der Phalarope.
        Manner schrien und brullten, fluchten und tappten blind durch den erstickenden Qualm, wahrend herabsturzendes Tauwerk und geborstene Holzer in die wie verruckt zuckenden Netze prasselten.
        Ein Pulveraffchen rannte weinend zum Magazin, nur um von einem Seesoldaten fortgesto?en zu werden. Der Junge hatte seinen Kartuschenkorb fortgeworfen und wollte nach unten in die Sicherheit der Dunkelheit fluchten. Doch die Wache brullte ihn an und schlug mit dem Gewehr nach ihm. Der Junge taumelte zuruck und kam wieder zu sich. Wimmernd hob er seinen Korb auf und hastete zur nachstgelegenen Kanone.
        Ein Gescho? heulte heran. Herrick hatte Muhe, sich nicht zu ubergeben, als die Kanonenkugel den Jungen in zwei Halften zerri?. Kopf und Oberkorper hielten sich einige Sekunden aufrecht auf den Planken. Ehe Herrick sich abwandte, sah er noch, da? der Junge aus aufgerissenen Augen starrte.
        Herrick stolperte gegen Okes, der noch immer mit erhobenem Degen dastand und mit glasigen Augen auf die Reste seiner Batterie stierte.
        Herrick brullte:»Feuer, Matthew! Gib endlich den Befehl!»
        Okes lie? den Degen nach unten sausen. Da und dort fugte eine Kanone der Phalarope ihre Stimme der furchterlichen Symphonie hinzu und rumpelte dann zuruck.

«Wir sind erledigt«, sagte Okes.»Wir mussen die Flagge streichen.»

«Die Flagge streichen?«Herrick starrte Okes an. Unvermittelt war die Wirklichkeit wieder da, grausam und personlich. Tod und Ubergabe waren bisher nur Worte gewesen, eine mogliche, aber unwahrscheinliche Alternative zum Sieg. Er sah Bolitho auf dem Achterdeck, dahinter die Seesoldaten. Sie feuerten schon seit einiger Zeit aus ihren Gewehren, ohne da? Herrick es bemerkt hatte. Er sah, wie Sergeant Garwood seinen Leuten Befehle zurief. Sie luden nach und feuerten eine Salve in den Rauch. Hauptmann Rennie stand mit dem Rucken zum Feind und starrte uber die andere Reling, als sahe er das Meer zum erstenmal.
        Pryce, der Stuckmeister, schrie auf und sackte zusammen. Ein langer Splitter, aus dem Deck gefetzt, hatte sich ihm in die Schulter gebohrt. Wie ein Zahn ragte der dicke, gezackte Holzstumpf heraus. Herrick sah es und wu?te, da? das andere Ende tief im Fleisch steckte. Die Splitter waren das Gefahrlichste und mu?ten in einem Stuck herausgeschnitten werden.
        Herrick winkte den Mannern am Hauptniedergang.»Bringt ihn nach unten zum Arzt.
«Sie hatten auf einen zerfetzten Leib neben der Luke gestarrt. Herricks rauher Ton gab ihnen Kraft, den Bann abzuschutteln.
        Pryce begann zu schreien.»Nein! La?t mich hier beim Geschutz. Bringt mich nicht hinunter!»

«Tapferer Kerl«, flusterte einer der Manner.»Er will auf seiner Station bleiben.»
        Pochin spuckte auf die Kanone. Sein Speichel zischte auf dem hei?en Eisen. Quatsch! Er will lieber hier oben sterben als unten unter das Messer kommen.»
        In der Takelage splitterte etwas mit lautem Krachen. Herrick schielte durch den treibenden Pulverqualm. Die Bramstenge des Gro?mastes wankte, und als der Wind an der befreiten Leinwand zerrte, neigte sie sich nach vorn.
        Herrick formte die Hande zum Sprachrohr.»Schnell, Leute. Nach oben. Kappt die Wanten. Sonst geht auch der Vormast zum Teufel!»
        Er verfolgte, wie Quintal und ein paar andere hinaufkletterten, und fuhr zuruck, als eine Kanonenkugel vor ihm uber das Deck pflugte und neben dem Schanzkleid in zwei verwundete Kanoniere schmetterte. Er blickte weg, weil sich ihm der Magen umdrehte, und horte Vibart rufen:»Deckung! Die Stenge kommt runter!»
        Unter mi?tonendem Krachen sturzte die lange Stenge quer uber das Schanzkleid, wo sie sich in einem Gewirr zerfetzter Stagen und Pardunen verfing. Das zerrissene Segel blahte sich neben dem Schiffsrumpf im Wasser und hemmte die Fregatte wie ein Treibanker.
        Ein anderer Anblick setzte dem Schrecken die Krone auf: Betts, der Mann, der die feindliche Fregatte gesichtet hatte, strampelte in der verhedderten, nachschleppenden Takelage wie ein Insekt in einem Spinnennetz.

«Mit der Axt ran!«brullte Vibart.»Klariert das Zeug!»
        Betts starrte aus glasigen Augen zur Fregatte hinauf.»Helft mir, Jungs! La?t mich nicht ersaufen!»
        Aber die Axte waren bereits am Werk. Die Manner, halb au?er sich durch den Wirrwarr, waren zu betaubt, um sich um das Leiden eines einzelnen zu kummern.
        Okes packte Herrick beim Arm.»Warum streicht er nicht die Flagge? Um Jesu willen, sieh, was er uns antut!»
        Herrick konnte kaum noch klar denken. Aber er sah, was Okes ihm zeigen wollte. Die Manner hatten den Mut sinken lassen. Sie duckten sich wimmernd, als die feindlichen Kugeln ihnen um die Ohren pfiffen. Nur gelegentlich erwiderte ein vereinzeltes Geschutz das Feuer: das Werk einer Handvoll Manner, gefuhrt von einem erfahrenen, hingebungsvollen Geschutzfuhrer, der ein einseitiges Duell mit dem Feind aufrechthielt.
        Herrick schlo? sich gegen das Schreien der Verwundeten ab, die unter Deck geschleppt wurden. Er wollte nichts sehen. Seine Aufmerksamkeit richtete sich nur auf jenen Fleck des Achterdecks, wo Bolitho allein an der Reling stand. Der Kapitan trug keinen Hut mehr, und sein Rock war mit Pulver-und Spritzwasserflecken ubersat. Ein Laufer, der auf ihn zueilte, sank im Musketenfeuer zusammen. Musketenkugeln hammerten gegen die Backskisten und pfiffen uber das Deck, doch Bolitho ruhrte sich nicht von der Stelle, und sein Gesicht zeigte nach wie vor den Ausdruck ruhiger Entschlossenheit. Nur ein einziges Mal blickte er auf, und zwar um nach der gro?en, scharlachroten Flagge zu spahen, die an der Gaffel flatterte. Wollte er sich vergewissern, da? sie noch wehte?
        Herrick schuttelte den Kopf.»Er streicht die Flagge nie. Eher la?t er uns mit Mann und Maus untergehen.»



        V Rum und hei?e Kopfe

        Das Deck krangte stark, als die Phalarope wie blind auf einen neuen Kurs ging. Bolitho wu?te nicht mehr, wie oft das Schiff die Richtung gewechselt hatte, ebensowenig, wie lange das Gefecht schon dauerte. Nur eins wu?te er genau: da? die Andiron ihn ausmanovrierte. Noch immer hielt sie sich in Luv und deckte ihn ab. Seine Kanoniere wurden durch ein neues Mi?geschick behindert. Der Wind lie? nach, und sie feuerten nunmehr blind in eine dicke Rauchwand, die vor dem anderen Schiff lag und sich mit dem Pulverqualm der unregelma?igen Abschusse der Phalarope vermengte. Der Qualm wirbelte vielfarbig durcheinander, als der amerikanische Freibeuter den Angriff fortsetzte.
        Einmal, als ein launischer Windsto? den Vorhang aus Pulverqualm zerri?, hatte Bolitho das Mundungsfeuer der Andiron sehen konnen, lange, orangefarbene Flammen, die nacheinander aufzuckten, sobald die Geschutze gerichtet waren und ihre Kugeln die knappe Viertelmeile heruberschickten, die zwischen den beiden Fregatten lag.
        Die Andiron feuerte noch. Die Kugeln kreischten durch die Takelage und zerfetzten die verbliebenen Segel. Sie beabsichtigte, die Phalarope zu entmasten. Vielleicht hegte der Kapitan den Plan, sie als Prise unter eigenem Kommando zu segeln, wie schon die Andiron.
        Die langen Neunpfunder auf dem Achterdeck rollten zuruck. Ihre scharfen, bellenden Abschusse betaubten Bolitho. Er blickte in den Pulverqualm und dann uber sein Schiff. Nur auf dem Achterdeck herrschte noch so etwas wie Ordnung. Fahnrich Farquhar stand an der Heckreling. Von dort aus erteilte er den Geschutzfuhrern Befehle. Rennies Seesoldaten standen ebenfalls fest. Der Pulverdampf nahm ihnen die Sicht, doch sobald das feindliche Schiff in dem erstickenden Rauch sichtbar wurde, eroffneten sie von ihrer Position hinter den Backskisten aus das Feuer.
        Auf dem Hauptdeck sah es anders aus. Bolithos Augen wanderten uber das Chaos aus aufgerissenen Planken und menschlichen Korperteilen. Die Batterien feuerten noch, aber in gro?eren Abstanden und weniger treffsicher.
        Bolitho hatte uber den Erfolg der ersten Breitseite gestaunt. Ihm war klar, da? sich der Mangel an Ausbildung spater hemmend auswirken mu?te, doch auf einen so guten Auftakt hatte er nicht zu hoffen gewagt. Die doppelt geladenen Kanonen hatten fast gleichzeitig gefeuert. Er hatte gesehen, wie das Schanzkleid der anderen Fregatte zersplitterte, und beobachtet, wie die Kugeln in den Rumpf schlugen oder durch die dicht gedrangten Kanoniere fetzten. Einen Augenblick hatte es den
        Eindruck erweckt, da? sie das Gefecht erfolgreich durchstehen konnten.
        Durch den wabernden Pulverdampf sah er, da? Herrick langsam von einem Steuerbordgeschutz zum anderen ging, mit den Kanonieren sprach und jedes Geschutz selber richtete, ehe er dem Geschutzfuhrer erlaubte, die Abzugsleine zu ziehen. Auf der Steuerbordseite ware das eigentlich die Aufgabe von Okes gewesen, aber vielleicht war Okes, wie so viele andere, schon gefallen. Bolitho musterte jede Einzelheit des qualenden Bildes, das die Phalarope jetzt bot. Er fuhlte sich benommen, aber Auge und Verstand funktionierten in kalter Ubereinstimmung, wodurch Qualen und Leiden nur um so deutlicher hervortraten.
        Aus dem Ganzen hoben sich kleine Bilder heraus, und wo Bolitho auch hinschaute, alles gemahnte schmerzlich an den noch zu zahlenden Preis. Viele waren tot. Wieviele, wu?te er nicht. Manche waren tapfer gestorben, bei der Bedienung ihrer Geschutze, bis zuletzt Rufe der Ermutigung oder Fluche auf den Lippen. Manche starben langsam und schrecklich. Ihre zerrissenen Leiber lagen verkrummt in den Blutlachen, die das Deck uberzogen.
        Andere waren weniger tapfer. Mehr als einmal hatte er sehen mussen, wie sich Manner totstellten und sich zwischen den beiseitegeschobenen Leichen verbargen, bis die Maate sie mit Sto?en und Schlagen zuruck an ihre Stationen trieben.
        Trotz Rennies Wachen waren einige unter Deck geflohen, wo sie sich jetzt wahrscheinlich wimmernd die Ohren zuhielten und in der Bilge lieber dem Tod durch Ertrinken entgegensahen, als auf Deck dem Tod durch die Geschutze der Andiron.
        Bolitho hatte beobachtet, wie der Pulverjunge zerrissen wurde. Und uber dem Donnern des Gefechts horte er, was er dem Jungen erst vor drei Wochen gesagt hatte:»Du wirst England wiedersehen. Sei unbesorgt. «Nun war der Junge ausgeloscht, als ob er nie existiert hatte.
        Oder der Matrose Betts: im Bramsegel verstrickt, hatte er um sein Leben gekampft. Der Mann, den er benutzt hatte, um die Autoritat des Kapitans unter Beweis zu stellen. Axte hatten die Stenge losgehackt. Auf und ab tanzend, hatte sie sich vom Schiff gelost, ehe sie, einen Teil der Takelage wie eine Schleppe hinter sich herziehend, im Pulverqualm verschwand. Die Stenge war am Achterdeck vorbeigetrieben, und einen
        Augenblick hatte er Betts heraufstarren sehen. Den Mund weit aufgerissen, ein schwarzes Loch, hatte der Mann die Faust geschuttelt. Eine nutzlose Geste, doch sie kam Bolitho wie der Fluch der ganzen Welt vor. Danach hatte sich die Stenge um sich selber gedreht, und bevor sie achtern zuruckblieb, hatte Bolitho noch gesehen, wie Betts Fu?e aus dem Wasser ragten und einen sinnlosen Tanz vollfuhrten.
        Wieder klatschten Kugeln durch das Gro?segel und heulten uber das Wasser. Bolitho ri? die Augen von dem Blutbad. Es konnte nicht mehr lange dauern. Die Andiron hatte leicht angeluvt. Uber der Rauchbank, die die feindliche Fregatte verbarg, sah er ihre oberen Rahen und die durchlocherten Segel, als wurden sie in der Luft schweben, und las aus ihrer Stellung ab, da? die Andiron auf Position ging, um die Phalarope durch langsame, sorgfaltig gezielte Schusse zur Aufgabe zu zwingen.
        Bolitho erkannte seine eigene Stimme nicht, als er automatisch und ohne zu zogern seine Befehle erteilte.»Lassen Sie den Zimmermann die Pumpen untersuchen. Und der Bootsmann soll mehr Leute nach oben schicken, um die Besanwanten zu splei?en. «Es lag nicht mehr viel Sinn darin, aber das Spiel mu?te nach den Regeln beendet werden. Er kannte keinen anderen Weg.
        Sein Blick fiel auf einen alten Geschutzfuhrer an einem Zwolfpfunder unterhalb des Achterdecks. Dem Mann waren Mudigkeit und Anstrengung anzusehen, doch seine heisere Stimme klang gelassen, ja geduldig, als er seine Mannschaft nachladen lie?.»So ist's recht, Jungs. «Er blinzelte durch den Dunst, wahrend einer seiner Leute die Kartusche hineinrammte und ein anderer die glanzende Kugel in die klaffende Mundung stopfte. Ein Splitter aus der Geschutzpforte ri? ihm den Arm auf. Aber er stohnte kaum und wickelte sich einen schmutzigen Lappen um den Oberarm, ehe er hinzusetzte:»Sto? die Kugel kraftig hinein, Junge! Wir woll'n doch nicht, da? das Ding wieder rausrollt. «Er bemerkte, da? Bolitho ihn beobachtete, und bleckte vor Stolz oder Schmerz die fleckigen Zahne. Dann bellte er:»Fertig! Ausrennen!«Die Rader quietschten, als die Kanone vor- und dann zuruckrollte, sobald der alte Mann die Abzugsleine zog.
        Vibart tauchte an der Reling auf. Seine Gestalt glich einem festen, blauwei?en Felsen. Er wirkte grimmig, aber unerschuttert, und wartete, bis die Neunpfunder gefeuert hatten und zuruckgerollt waren, ehe er rief:»Kein Wasser im Schiff, Sir. Sie hat keinen Treffer unterhalb der Wasserlinie abbekommen.»
        Bolitho nickte. Der Amerikaner dachte sicher an eine Prise. Es wurde nicht lange dauern, die Phalarope in einer der Werften uberholen zu lassen, die die Briten aufgeben mu?ten, als sie sich vom amerikanischen Kontinent zuruckzogen.
        Die Erkenntnis stachelte Bolitho an. Die Phalarope kampfte um ihr Leben, doch die Mannschaft wurde ihr nicht gerecht. Er wurde ihr nicht gerecht. Er hatte das Schiff und jeden Mann an Bord in diese Situation gebracht. Alle Hoffnungen und Versprechungen waren jetzt bedeutungslos. Schande und Versagen waren die einzige Alternative zu Untergang und Tod.
        Selbst wenn er sich dem Angriff der Andiron hatte entziehen wollen, jetzt ware es zu spat gewesen. Die Brise lie? mehr und mehr nach, und die von den kreischenden Kanonenkugeln zerrissenen Segel waren nahezu nutzlos.
        Ein Seesoldat krallte die Hand vor das klaffende rote Loch in der Stirn, ehe er zwischen seine Kameraden sturzte. Jedes Wort dehnend, befahl Hauptmann Rennie: Auffullen! Wozu, zum Teufel, glaubt ihr, seid ihr da?«Und zu Sergeant Garwood sagte er zynisch:»Notieren Sie den nachsten Mann, der ohne Erlaubnis stirbt.»
        Uberraschenderweise lachten einige Seesoldaten, und als Rennie merkte, da? Bolitho herubersah, zuckte er blo? mit den Schultern, als verstunde auch er, da? alles Teil eines gra?lichen Spiels war.
        Das Schiff stampfte, und die Segel drohnten protestierend, als der abflauende Wind die klatschende Leinwand traf. Bolitho zischte den Ruderganger an:»Achten Sie auf das Ruder! Schiff auf Kurs halten!»
        Doch einer der Ruderganger war gefallen. Aus seinem Mund stromte Blut uber die Planken. Ein anderer Mann, standig auf einem Stuck Tabak herumkauend, tauchte von irgendwoher auf und nahm seinen Platz ein.

«Die Steuerbordbatterie ist ein wildes Durcheinander«, knurrte Vibart.»Wenn wir von Backbord her angreifen konnten, hatten wir Zeit, sie zu reorganisieren.»
        Bolitho sah ihn fest an.»Die Andiron ist im Vorteil. Aber ich beabsichtige, ihr Heck zu kreuzen.»
        Vibart spahte mit kalten, kalkulierenden Augen querab.»Das wird uns die Andiron nie erlauben. Sie hammert uns in Stucke, ehe wir eine Kabellange weit sind. «Er sah Bolitho an.»Wir werden die Flagge streichen mussen. «Seine Stimme bebte.»Viel mehr konnen wir nicht mehr einstecken.»
        Bolitho erwiderte ruhig:»Das will ich nicht gehort haben, Mr. Vibart. Gehen Sie nach vorn, und bringen Sie die ganze Batterie wieder auf Vordermann. «Es klang kalt und endgultig.»Wenn zwei Schiffe sich im Gefecht gegenuberliegen, kann nur eins siegen. Und fur die Phalarope entscheide ich uber den Ablauf der Dinge.»
        Vibart zog die Schultern hoch, als ginge es ihn nichts an.»Wie Sie meinen, Sir.
«Wahrend er zum Niedergang schritt, au?erte er rauh:»Ich habe gesagt, da? die Leute Fehler nicht respektieren.»
        Bolitho spurte Probys Hand auf dem Arm. Er wandte sich um. Sorge zeichnete das kummervolle Gesicht.»Das Ruder, Sir, reagiert nicht! Die Rudertalje ist gebrochen.

        Bolithos Blicke flogen uber Probys runde Schultern zum Ruderganger. Er drehte das Rad hin und her, doch ohne Wirkung, und das Schiff lief aus dem Ruder und begann trage abzufallen. Die unvermutete Bewegung versetzte das Hauptdeck in Aufregung. Schreie ertonten, als die Fregatte sich auf die Seite legte und die Stuckpforten sich plotzlich gen Himmel hoben.
        Bolitho fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Erst dabei merkte er, da? ihm der Hut vom Kopf geflogen war. Der Wimpel am Masttopp flatterte kaum noch. Ohne Druck in den Segeln war das Schiff der See ausgeliefert, bis es die Flagge strich oder vernichtet wurde. Eine neue Rudertalje anzubringen, wurde gut eine Stunde erfordern. Doch bis zu diesem Zeitpunkt. . Bolitho spurte, wie es ihm kalt uber den Rucken lief. Er legte die Hande um den Mund.»Feuer einstellen!»
        Die plotzliche Stille schreckte mehr als das Bellen der Kanonen. Man horte jetzt das Scheuern und Schaben der Rundholzer, das Gurgeln des Wassers und das Klappern der hin- und herschwingenden Teile der Takelage. Selbst die Verwundeten schienen uberwaltigt. Keuchend lagen sie da und stierten zu dem reglosen Kapitan an der Achterdeckreling hinauf.
        Wie eine letzte Beleidigung trieb ein wildes Hurrarufen mit dem Pulverqualm uber das Wasser zur Phalarope heruber. Hort sich wie das Gebell einer Meute an, dachte Bolitho bitter. Wie das Bellen von Hunden, die zum Sprung an die Kehle ansetzen.
        Der Qualm ri? keilformig auf. In der Lucke erschien der Bug der Andiron, der lange Finger ihres Bugspriets. Sonnenstrahlen spielten uber ihre Galionsfigur und schimmerten auf gezuckten Entermessern und erhobenen Enterspie?en. Immer mehr Teile des feindlichen Schiffes wurden sichtbar, und Bolitho erkannte, da? die Mannschaft der Andiron auf den Punkt zudrangte, an dem die Schiffe sich beruhren wurden. Andere, mit Enterhaken bewaffnet, kletterten auf die Rahen hinaus, bereit, die zwei Schiffe fest aneinander zu klammern. Damit stand das Ende nahe bevor.

«Diese Bastarde«, murmelte Stockdale neben Bolitho.»Diese Bastarde.»
        Bolitho bemerkte Tranen in Stockdales Augen und wu?te, da? der Bootsmann sein Elend teilte.
        Die Flagge wehte in einem leichten Windsto? plotzlich aus. Bolitho wagte nicht hinaufzusehen. Ein trotziger Fleck Rot. So rot wie die Rocke der Seesoldaten und die Blutlachen, die durch die Speigatten wegsickerten, als ob das Schiff vor seinen Augen verblutete. Neue Wut durchfuhr ihn, und er mu?te die Finger um den Degengurt klammern, damit ihm die Hande nicht zitterten.

«Holen Sie Mr. Brock! Los, im Laufschritt!»
        Bolitho sah, wie Fahnrich Maynard losrannte, verga? ihn aber, als sein Blick uber die Manner glitt. Sie waren erschopft. Die Anstrengungen der Schlacht hatten sie erledigt. Sie zeigten kaum noch einen Funken Kampfgeist. Bolithos Finger krampften sich um den Degengriff, und er spurte Verzweiflung. Im Geiste sah er seinen Vater und viele andere seiner Familie vor sich. Sie hatten sich der Mannschaft zugesellt und beobachteten ihn schweigend.
        Proby sagte heiser:»Ich habe ein paar Manner zum Splei?en der Rudertalje abkommandiert, Kapitan. «Er wartete und zerrte an den Knopfen seines schabigen Rockes.»Es war nicht Ihre Schuld, Sir. «Er bewegte sich unruhig unter Bolithos festem Blick.»Geben Sie nicht auf, Sir. Noch nicht.»
        Brock kam auf das Achterdeck und salutierte.»Sir?«Er steckte noch in den Filzschuhen, die er stets in dem dunklen Magazin trug. Die plotzliche Stille und das Ma? der Zerstorung an Deck schienen ihn zu betauben.

«Mr. Brock, ich habe einen Auftrag fur Sie. «Bolitho lauschte der eigenen Stimme und spurte, da? ihn die neue Entschlossenheit anfeuerte wie Brandy.»Ich wunsche, da? jede Steuerbordkanone mit Kettengeschossen geladen wird. «Er warf einen Blick auf die sich immer bedrohlicher nahernde Andiron. »Sie haben zehn Minuten Zeit, es sei denn, der Wind frischt auf.»
        Brock nickte und eilte wortlos davon. Es war nicht seine Art, einen offenbar sinnlosen Befehl in Frage zu stellen. Eine Order des Kapitans, das war alles, was er brauchte.
        Bolithos Blicke schweiften uber das Hauptdeck, uber die Toten, die Verwundeten und die noch einsatzfahigen Kanoniere. Langsam sagte er:»Es geht um eine letzte Breitseite, Leute. «Die Worte fegten seine Illusion hinweg, den Mannern mit einer leeren Geste zu kommen.»Jede Kanone wird mit Kettengeschossen geladen, und jede ist auf au?erste Richthohe einzustellen.»
        Die Manner regten sich. Ihre Bewegungen waren so unbestimmt und unsicher wie die alter Manner. Doch Bolithos Worte schienen ihnen neue Kraft zu geben.

«Ladet«, setzte er energisch nach,»aber rennt die Kanonen nicht aus, ehe der Befehl kommt.»
        Ein Kommando schleppte die unhandlichen Kettengeschosse heran: zwei durch dicke Kettenglieder verbundene Kugeln fur jede Kanone.

«Die Andiron ist schon sehr nahe, Sir«, sagte Hauptmann Rennie leise.»Kann nicht mehr lange dauern, bis sie uns entern. «Spannung lag in den Worten.
        Bolitho blickte beiseite. Einerseits fuhlte er plotzlich den Wunsch, die Au?erordentlichkeit seiner Entscheidung jemandem mitzuteilen, andererseits spurte er zugleich das Ausma? der eigenen Einsamkeit. Sein letzter Versuch konnte vollig fehlschlagen. Er wurde den Feind in eine wahnsinnige Wut treiben, die dann nur das Hinmetzeln seiner gesamten Mannschaft besanftigen konnte.
        Herrick blickte ohne zu blinzeln zum Achterdeck.»Alle
        Kanonen geladen, Sir. «Er reckte die Schultern, wie um seinen zerschlagenen Mannern Vertrauen zu schenken.
        Bolitho zog den Degen. Er horte, da? die Seesoldaten hinter ihm die Bajonette aufpflanzten und auf den glitschigen Planken einen festen Stand suchten.

«Steuerbordkarronade feuerklar, Mr. Farquhar!«rief er.»Alles bereit?»
        Aus zusammengekniffenen Augen verfolgte er, wie der Bugspriet der Andiron sich dem Schanzkleid der Phalarope naherte. Ihre Wasserstagen und das Rigg wimmelten von Mannern. Der Kapitan der Andiron mu?te seine Geschutze entblo?t haben, um ein so gro?es Enterkommando zusammenzustellen. Einmal an Bord, wurden die Feinde die Phalarope uberschwemmen, ganz gleich, welchen verzweifelten Widerstand seine Manner noch leisteten.
        Farquhar schluckte schwer.»Bereit, Sir.»

«Sehr gut. «Zwischen derAndiron und der Phalarope klafften kaum noch zwanzig Fu?, das dreieckige Stuck Wasser zwischen den Schiffen schaumte in einem verruckten Tanz.»Wenn ich falle, horen Sie auf Mr. Vibarts Kommando. «Er sah, da? der junge Offizier zum Ersten hinuberblickte.»Wenn nicht, achten Sie auf mein Signal.»
        Der Bugspriet der Andiron stie? zwischen die Gro?wanten der Phalarope, und das Enterkommando brach in hohnisches Gebrull aus.
        Bolitho rannte zum Hauptdeck hinunter und sprang, den Degen hoch erhoben, auf den Steuerbordlaufgang. Ein paar Pistolenschusse pfiffen an ihm vorbei, und eine Kugel zerrte an seinem Armel wie eine unsichtbare Hand.

«Werft die Enterer zuruck!»
        Die Kanoniere starrten unsicher und betroffen zum Kapitan hinauf, ihre Kanonen noch immer binnenbords und untatig.
        Herrick sprang neben den Kapitan. Seine Augen blitzten, als er rief:»Vorwarts, Leute! Erteilen wir ihnen eine Lehre.»
        Irgendwo erklang ein schwaches Hurra, und die nicht an den Geschutzen beschaftigten Manner drangten zum Laufgang hinauf. Wurden ihre Dolche und Spie?e gegen den Druck der Enterer etwas ausrichten?
        Neben Bolitho sank ein Mann schreiend zu Boden. Ein anderer fiel nach vorn uber Bord und wurde zwischen den
        Schiffsrumpfen zerquetscht.
        Bolitho sah, da? die Offiziere des Kaperschiffs ihre Manner antrieben und die Scharfschutzen auf ihn aufmerksam machten. Kugeln umpfiffen ihn, und die Schreie und Rufe steigerten sich zu einem einzigen, furchterregenden Gebrull.
        Die Schiffsrumpfe erbebten nochmals, und die Lucke begann sich zu schlie?en. Bolitho spahte nach achtern zu Farquhar. Das Achterdeck mit seinen gefallenen Seesoldaten schien weit entfernt. Aber als er, schnell und schneidend, den Degen nach unten senkte, registrierte er, da? der Fahnrich die Abzugsleine zog, und spurte, da? das Mundungsfeuer wie Glutwind an seinem Gesicht vorbeischo?.
        Der Karronadenschu? bestand aus funfhundert zusammengepre?ten Musketenkugeln. Er fuhr wie eine Sense zwischen die brullenden Enterer. Das Bombardement zerfetzte sie zu einem blutigen Wirrwarr aus Fluchen und Schreien. Die Enterer zogerten, und ein junger Leutnant sprang vom Bugspriet der Andiron auf das Deck der Phalarope, ohne da? ihm einer seiner Leute folgte. Seine Schreie erstarben, als ein gro?er Seemann mit der Axt zuschlug und der Korper zwischen die Rumpfe der Schiffe sturzte. Schon war er vergessen.

«Achtung, Kanoniere!«rief Bolitho wild.»Ausrennen! Ausrennen!»
        Er versperrte seinen Leuten mit dem Degen den Weg nach vorn.»Zuruck. Alle zuruck!»
        Die kleine Mannschaft schob sich nach hinten. Die Wendung der Dinge verwirrte sie. Doch Herrick begriff. Fast erstickt vor Erregung rief er:»Alle Kanonen ausrennen!»
        Bolitho sah, da? die Manner des Kaperschiffs, die den Karronadenschu? uberlebt hatten, sich auf ihre Gefechtsstationen zuruckzogen, betroffen und besturzt durch die ausgerannten und auf sie gerichteten Geschutze der Phalarope.

«Feuer!»
        Bolitho ware beinahe uber Bord gesturzt, als die gesamte Batterie unter ihm feuerte, doch Stockdale packte ihn beim Arm. Die Luft vibrierte von den unmenschlichen Schreien, die aufgellten, als die Kettengeschosse wie ein alles vernichtender, eiserner Wirbelsturm durch die Takelage der Andiron jagten. Vormast und Gro?stenge sturzten gleichzeitig. Das herunterkommende Gut und die Segel zerschmetterten die restlichen
        Enterer oder fegten sie ins Meer, und uber die Stuckpforten legten sich die Segel wie eine Decke. Der Rucksto? der Breitseite druckte die Schiffe auseinander. Zwischen ihnen trieben Schiffstrummer und Leichen.
        Bolitho lehnte sich an die Netze; er atmete schwer.»Nachladen! Weiterfeuern!«Was auch als nachstes kommen wurde, die Phalarope hatte gebieterisch gesprochen und hart zugeschlagen.
        Der stolze Umri? der feindlichen Fregatte war zerbrochen, die Wanten und Segel baumelten wirr durcheinander. Wo vor Minuten ihr Vormast aufragte, stand jetzt nur noch ein gezackter Stumpf, und die hallenden Hurrarufe waren Schmerzensschreien und totaler Verwirrung gewichen. Doch die Andiron schob sich am Bug der Phalarope vorbei, verfolgt von einer neuen unregelma?igen Salve und dem zornigen Bellen eines Neunpfunders vom Vorderdeck. Dann war sie klargekommen, raffte ihre zerfetzten Segel zusammen wie ein Kleid, um ihre Wunden zu bedecken, und glitt leewarts in die Bank aus Qualm und Pulverdampf.
        Bolitho beobachtete sie. Sein Herz hammerte, und seine Augen tranten vor Anstrengung und Erregung. Die Minuten zogen sich hin. Dann wurde ihm klar, da? die Andiron nicht wenden wurde. Sie hatte genug.
        Fast wankend kehrte er auf das Achterdeck zuruck. Rennies Seesoldaten grinsten ihm entgegen, und Farquhar lehnte an einer rauchenden Kanone, als traue er seinen Augen nicht. Dann begannen sie, Hurra zu rufen. Zuerst klang es schwachlich, gewann aber an Starke und Kraft, als alle Decks einstimmten. Teilweise schwang Stolz darin, teilweise Erleichterung. Einige Manner schluchzten hemmungslos, andere vollfuhrten auf dem blutverschmierten Deck Freudensprunge.
        Herrick kam nach achtern gerannt, den Hut schief auf dem Kopf. Seine Augen glanzten vor Aufregung.»Sie haben es ihnen gegeben, Sir! Mein Gott, Sie haben ihnen eins versetzt. «Unfahig, sich zu beherrschen, pre?te er Bolithos Hand. Sogar Proby grinste.
        Bolitho nahm alle Kraft zusammen.»Ich danke Ihnen, meine Herren. «Er blickte uber die verwusteten Decks, spurte Schmerz und blindes Frohlocken zugleich.»Nachstes Mal machen wir es besser. «Er machte kehrt und drangte sich durch die Hurra rufenden Seesoldaten zum dunklen Kajutsniedergang.
        Wie durch einen Nebel horte er hinter sich Herricks Ausruf:»Ich denke nicht an das nachste Mal, Jungs. Das reicht mir fur eine Weile.»
        Bolitho stand in dem engen Gang, atmete schwer und lauschte auf das erregte Reden und Lachen. Sie sind dankbar, ja sogar glucklich, wurde ihm langsam klar. Vielleicht war die Rechnung alles in allem doch nicht zu hoch.
        Es gab viel zu tun, ehe das Schiff wieder einsatzfahig sein wurde. Er betastete den abgegriffenen Degengriff und starrte erschopft auf die Decksbalken. Aber das mu?te noch etwas warten. Wenigstens einen Augenblick.
        Herrick lehnte schwer an der Vordeckreling und wischte sich mit dem Handrucken die Stirn. Nur die schwache Andeutung einer Brise krauselte die ruhige See vor dem sanft eintauchenden Bug. Die Sonne senkte sich zum Horizont, ihr gluhendes Spiegelbild wartete bereits darauf, sie zu empfangen. Bald wurde die Nacht heraufkommen und die Wunden der Phalarope verbergen.
        Herrick spurte, wie ihm die Beine zitterten. Wiederum versuchte er sich einzureden, da? es von der Mudigkeit herruhrte, von der Anstrengung, die der Tag mit seiner fortwahrenden Arbeit gebracht hatte. Kaum eine Stunde nach dem Verschwinden des Kaperschiffs war Bolitho, das dunkle Haar wieder sauberlich im Nacken zusammengebunden, frisch rasiert und ohne ein Staubchen auf der Uniform, auf das Achterdeck zuruckgekehrt. Nur die Falten um die Mundwinkel und die Ruhelosigkeit in seinen Augen verrieten etwas von seinen Gefuhlen, als er seine Befehle erteilte und daranging, den Schaden, den Schiff und Mannschaft erlitten hatten, zu beheben.
        Anfanglich hatte Herrick das fur unmoglich gehalten. Die Erleichterung der Manner war nach und nach in Ermattung umgeschlagen. Manche Matrosen lagen auf den schmutzigen Decks wie Marionetten, deren Schnure gerissen waren. Andere standen einfach herum und starrten gleichgultig auf die Nachwirkungen des Alptraums.
        Mit Bolithos plotzlichem Auftauchen hatte eine Aktivitat eingesetzt, die sich niemand richtig erklaren konnte. Offiziere und Mannschaften waren durch die kurze, doch schreckliche
        Begegnung mit dem Feind zu erschopft, um sich dagegen auflehnen zu konnen. So waren die Toten an die Leereling gebracht und in Segeltuch eingenaht worden, armselige, namenlose Bundel.
        Von der Back bis zum Achterdeck waren die Leute schrubbend auf den Knien uber die Decks gerutscht. Begleitet vom Klicken der Pumpen und dem gleichgultigen Rauschen des Seewassers, hatten sie die dunklen Flecke von den Planken entfernt.
        Die zerfetzten und nutzlosen Segel wurden abgeschlagen und durch neue ersetzt. Tozer, der Segelmacher, und seine Leute hockten an jedem nur verfugbaren Platz. Die Nadeln blitzten, wahrend sie alles, was noch brauchbar war, flickten und ausbesserten.
        Ledward, der Zimmermann, ging langsam von einer Stelle zur anderen, machte sich hier eine Notiz, nahm dort Ma?, bis er zuletzt soweit war, seinen Teil zur Wiederherstellung der Seetuchtigkeit der Fregatte beizutragen. Sogar jetzt, wahrend Herrick die Schrecken des Bombardements noch einmal durchlebte und nochmals die Schreie und das Stohnen der Verwundeten horte, waren die Hammer und Sagen geschaftig, und ganze Teile der Au?enhaut wurden neu geplankt und sollten am folgenden Morgen geteert und bemalt werden.
        Wieder uberlief Herrick ein Schauer, und er fluchte, als die Beine fast unter ihm nachgaben. Es war nicht nur Ermudung, es war der Schock. Das wu?te er nun.
        Er rief sich seine Eindrucke wahrend der Schlacht zuruck, seine stupide Erleichterung und seine laut geau?erten, spa?haften Bemerkungen, als der Feind abdrehte und verschwand. Es war ihm vorgekommen, als hore er einem anderen zu, der weder schweigen noch Haltung bewahren konnte. Am Leben und unverletzt zu sein, hatte einfach mehr bedeutet als alles andere.
        Wahrend der Himmel hinter dem sich langsam bewegenden Schiff dunkler wurde, prufte er seine wahren Empfindungen und versuchte, seine Erinnerungen zu ordnen.
        Er hatte sogar den kurzen Kontakt, den er zu Bolitho gefunden hatte, wiederzugewinnen versucht. Er war zum Achterdeck gegangen, von dem der Kapitan auf die arbeitenden Leute sah, und hatte gesagt:»Sie haben uns gerade rechtzeitig gerettet, Sir. Noch eine Minute, und man hatte uns mit einer vollen Breitseite bedacht. Eine geschickte List, beizudrehen. Dieser Freibeuter war verschlagen, kein Zweifel.»
        Bolitho hatte den Blick nicht vom Hauptdeck gelost. Seine Antwort hatte geklungen, als sprache er zu sich selber.»Die Andiron ist ein altes Schiff und seit zehn Jahren hier drau?en. «Und mit einer knappen Geste zum Hauptdeck:»Die Phalarope aber ist neu. Jede Kanone ist mit dem neuen Steinschlo? ausgestattet, und Karronaden sind bisher fast nur in der Kanalflotte bekannt. Nein, Mr. Herrick, da gibt es nicht viel zu gratulieren.»
        Herrick hatte Bolithos Profil studiert. Zum erstenmal war er sich des Kampfes bewu?t geworden, den der Kapitan ausfocht.»Wie dem auch sei, Sir, die Andiron war uns batteriema?ig weit uberlegen. «Er hatte nach einem Zeichen jenes Bolitho Ausschau gehalten, den er mit dem Degen in der Hand an Deck gesehen hatte, wahrend ihn die Kugeln wie Hagel umpeitschten. Aber das erwartete Zeichen war ausgeblieben. So hatte er lahm hinzugefugt:»Sie werden sehen, Sir, nach dieser Geschichte sieht alles anders aus.»
        Bolitho hatte sich aufgerichtet, als schuttele er ein unsichtbares Gewicht ab. Seine grauen Augen waren kalt und gefuhllos, als er ihn schlie?lich ansah.

«Hoffentlich haben Sie recht, Mr. Herrick. Was mich betrifft, so hat mich das Durcheinander angewidert. Ich wage nicht daran zu denken, was bei einem Kampf bis zum bitteren Ende geschehen ware.»
        Herrick hatte gespurt, da? er rot wurde.»Ich dachte nur. .»

«Wenn mir an der Meinung meines Dritten liegt, werde ich es ihn wissen lassen. Bis dahin, Mr. Herrick, seien Sie bitte so freundlich, Ihre Leute an die Arbeit zu schicken. Fur Hypothesen und Lobspruche ist spater Zeit. «Er hatte sich abgewandt und seinen Gang uber das Achterdeck wieder aufgenommen.
        Herrick sah, wie der Trupp des Arztes einen leblosen Korper heranschleppte und ihn zu den anderen legte. Dabei erinnerte er sich einer grauenvollen Szene.
        Herrick hatte gemeinsam mit dem Zimmermann das Zwischendeck inspiziert. Die Phalarope hatte zwar keine Einschusse unterhalb der Wasserlinie abbekommen, aber er betrachtete es als seine Pflicht, sich mit eigenen Augen zu uberzeugen. Obwohl er vom Larm des Gefechts noch immer betaubt war, folgte er, von der halbabgeblendeten Laterne wie hypnotisiert, dem Zimmermann Ledward an den massiven Spanten vorbei durch die unteren Decks. Als sie durch einen Vorhang traten, sahen sie sich plotzlich einer Szene gegenuber, die aus der Holle zu stammen schien.
        Kreisformig angeordnete Laternen erleuchteten das Bild so, da? er alles wahrnehmen mu?te, ob er nun wollte oder nicht. Im Mittelpunkt des gelben Lichtscheins lag, festgebunden und verkrummt wie das Opfer auf einem Altar, ein schwerverwundeter Seemann, dem Tobias Ellice, der Wundarzt, das Bein amputierte.
        Ellices dickes, ziegelrotes Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck, wahrend seine blutigen Hande die Sage fuhrten. Sein Doppelkinn stie? im Takt der Bewegung immer wieder gegen den oberen Rand seiner blutgetrankten Schurze. Seine Gehilfen mu?ten ihre ganze Kraft aufwenden, um das sich windende Opfer auf dem Deckel einer Seekiste festzuhalten, die als Operationstisch diente. Bei jedem Sto? der Sage rollte der Mann mit den Augen und bi? auf den Lederriemen zwischen seinen Zahnen, da? ihm das Blut aus den Lippen spritzte.
        Au?erhalb des Lichtkreises warteten andere Verwundete, da? sie an die Reihe kamen. Manche stutzten sich auf die Ellenbogen, als konnten sie sich von dem grauenvollen Schauspiel nicht losrei?en. Andere stohnten und schluchzten im Schatten. Aus einigen sickerte das Leben heraus und ersparte ihnen die Qual von Sage und Messer. Die Luft war zum Schneiden dick vor Blut- und Rumgeruch, denn Rum war das einzige Betaubungsmittel.
        Ellice schaute hoch, als der Mann wild um sich schlug und ohnmachtig wurde. Er sah Herricks verzerrtem Gesicht den Schrecken an und sagte mit dicker, trunkener Stimme:»Das ist ein Tag, Mr. Herrick. Ich nahe und flicke, ich sage und untersuche, aber trotzdem haben sie es eilig, zu ihren Gefahrten da oben zu kommen. «Seine feuchten Augen kehrten sich zum Himmel, und er nahm einen Schluck aus der Lederflasche.»Wollen Sie auch einen, Mr. Herrick?«Er hob die flache Lederflasche ins Licht.»Nein? Na gut, ich brauche jedenfalls eine kleine Starkung.

        Dann nickte er seinem Gehilfen kaum merklich zu, der seinerseits auf einen Mann an der gewolbten Schiffswand deutete. Der Mann wurde ohne Verzug gepackt und auf den Tisch geschleppt. Ellice wischte sich den Mund und ri? ihm, ohne die Schreie des armen Kerls zu beachten, das Hemd von dem zerfetzten Arm.
        Herrick machte mit schwei?uberstromtem Gesicht kehrt, wahrend ihm die Schreie des Verwundeten in den Ohren gellten. Doch er blieb wie festgenagelt stehen, als er Bolitho dicht hinter sich sah. Der Kapitan ging langsam von einem Verwundeten zum anderen. Er sprach ihnen Mut zu, aber so leise, da? Herrick die Worte nicht verstehen konnte. Hier ergriff er die ausgestreckte Hand eines Mannes, die blind nach Trost suchte, dort druckte er einem Toten die Augen zu. Einmal blieb er kurz unter der schwankenden Laterne stehen und fragte:»Wieviele, Mr. Ellice? Wie hoch sind die Verluste?»
        Ellice grunzte nur und gab seinen Gehilfen ein Zeichen, da? er mit der schlaffen Gestalt auf den Laken fertig war.»Zwanzig Tote, Kapitan. Zwanzig Schwerverwundete und drei?ig so halb und halb.»
        In diesem Augenblick hatte Herrick Bolitho ohne Maske gesehen. Sein Gesicht spiegelte Schmerz und Verzweiflung wieder. Und sofort hatte er seinen Arger wegen der Bemerkungen, die der Kapitan auf dem Achterdeck fallen lie?, vergessen. Der Bolitho, den er an Deck seinen Degen schwingen sah, war der wahre. Genau wie der, den er bei den Verwundeten und Toten erlebte.
        Herrick starrte auf die in Leinwand eingenahten Korper. Er versuchte vergeblich, den auf jedes Bundel gekrakelten Namen mit dem dazugehorigen Gesicht in Verbindung zu bringen. Doch die Gesichter waren bereits verweht wie der Rauch der Schlacht, in der die Manner gefallen waren.
        Herrick fuhr hoch, als Leutnant Okes langsam uber das im Schatten liegende Hauptdeck herankam. Seit dem Gefecht hatte er Okes kaum gesehen.
        Herrick erinnerte sich. Kurz nachdem der Knall des letzten Schusses im Pulverrauch verhallte, war Okes mit wild rollenden Augen, die zeigten, da? er die Herrschaft uber sich verloren hatte, durch einen Niedergang heraufgestolpert. Er schien vor Furcht und Schrecken au?er sich zu sein. Seine Augen irrten uber die rauchenden Mundungen - uber die Kanonen seiner Batterie, die er im Stich gelassen hatte.
        Dann hatte er Herrick beim Arm gepackt und ungestum und verzweifelt hervorgesto?en:»Ich mu?te kurz nach unten, Thomas. Ich mu?te die Kerle suchen, die fortgerannt waren. Du glaubst mir doch, nicht wahr?»
        Herricks Verachtung und Zorn schwanden, als ihm klar wurde, da? Okes vor Furcht halb verruckt war. Die Tatsache erfullte ihn teils mit Mitleid, teils mit Scham. Leise, Mann!«Herrick sah sich nach Vibart um.»Verdammter Narr! Nimm dich zusammen!

        Jetzt blieb Okes kurz bei den Leichen stehen und ging dann weiter zum Heck. Auch er durchlebte nochmals sein Elend, war verstort uber seine Feigheit und Schande.
        Herrick fragte sich, ob der Kapitan Okes' Verschwinden wahrend des Gefechts bemerkt hatte. Vielleicht nicht. Moglicherweise findet Okes wieder zu sich zuruck, uberlegte er grimmig.
        Fahnrich Neale hastete uber das Hauptdeck heran. Herrick spurte Sympathie fur den Jungen, der wahrend des Gefechts nicht geschwankt hatte. Er hatte beobachtet, wie er mit Befehlen uber die Decks rannte, wie er den Mannern seiner Abteilung schrill etwas zurief oder auch nur mit weit aufgerissenen Augen auf seiner Station stand.
        Herrick unterdruckte ein Lacheln, als der Junge scharf haltmachte und salutierte. Mr. Herrick, Sir. Eine Empfehlung vom Kapitan, und Sie mochten die Vorbereitungen fur die Beisetzung ubernehmen. «Er rang nach Atem.»Es sind insgesamt drei?ig, Sir.

        Herrick ruckte seinen Hut zurecht und nickte.»Und wie fuhlen Sie sich, Fahnrich?»
        Der Junge zuckte mit den Schultern.»Hungrig, Sir.»
        Herrick grinste.»Masten Sie eine Ratte mit Bisquit, Mr. Neale. Schmeckt allemal so gut wie Kaninchen. «Er ging nach achtern. Neale starrte mit tief gerunzelter Stirn hinter dem Dritten her. Dann ging er langsam an den Buggeschutzen vorbei, tief in Gedanken versunken. Schlie?lich nickte er.»Ja, vielleicht versuche ich's mal«, sagte er leise.
        Bolitho schwamm der Kopf. Er lie? sich gegen den Sessel zurucksinken und starrte auf die Berichte auf seinem Tisch. Das war geschafft. Er rieb sich die entzundeten Augen und stand auf.
        Durch die gro?en Fenster sah er das Mondlicht auf dem schwarzen Wasser. Er konnte das leise Platschern am Ruder unter sich horen. Er fuhlte sich noch immer wie benommen. Zu viele Befehle hatte er erteilen mussen, zu viele Anforderungen waren auf ihn zugekommen.
        Segel und Tauwerk waren auszubessern. Eine Reservespiere mu?te die Bramstenge ersetzen. Mehrere Boote waren beschadigt, ein Kutter vollig havariert. Immerhin, wenn er die Leute hart antrieb, wurde man die au?erlichen Schaden, die die Phalarope in dem Gefecht erlitten hatte, bald kaum noch bemerken. Doch die Narben bleiben im Herzen jedes Mannes, dachte er mude. Er rief sich das leere Deck zuruck, sah nochmals, wie er im schwindenden Licht vor den Toten stand, und horte sich die ublichen Worte der Begrabniszeremonie sprechen. Fahnrich Farquhar hatte die Laterne uber dem Buch gehalten. Seine Hand hatte nicht gebebt.
        Er mochte Farquhar noch immer nicht leiden. Aber im Kampf hatte er sich als erstklassiger Offizier erwiesen. Das machte vieles weit. Als der letzte Tote ins Wasser klatschte, um die Reise in die Tiefe von zweitausend Faden anzutreten, drehte er sich um. Zu seiner Uberraschung sah er, da? sich das Deck in aller Stille gefullt hatte. Keiner der Leute sagte etwas. Nur hier und da ein schwaches Husteln, und einer der Jungeren schluchzte unbeherrscht.
        Sollte er etwas sagen, sich ihnen mitteilen, so da? sie begriffen? Seine Augen glitten von Herrick, der neben dem Posten stand, zu Vibart, dessen Gestalt sich an der Reling des Achterdecks gegen den Himmel abzeichnete. Einige Sekunden lang waren sie eins gewesen, verknupft durch das Band von Leid und Verlust. Worte hatten den Augenblick verdorben. Jede Ansprache hatte billig geklungen. So war er aufs Achterdeck gegangen und am Ruder stehengeblieben.

«Kurs Sudsudwest liegt an, Sir«, meldete der Ruderganger.
        Danach war er in die Kajute zuruckgekehrt: den einzigen Ort, an dem er allein sein konnte.
        Er schaute argerlich hoch, als Stockdale hereinkam. Stockdale musterte ihn eindringlich.»Ich habe Ihrer Ordonnanz gesagt, da? sie das Abendbrot bringen soll, Kapitan. «Er blickte mi?billigend auf den Stapel Seekarten und Berichte. Schweinefleisch, Sir. Schon aufgeschnitten und gut gebraten. Ich habe mir erlaubt, dazu eine Flasche von Ihrem Rotwein aufzumachen, Sir.»
        Bolithos Spannung mu?te sich Luft machen.»Was schnatterst du da, zum Teufel? Stockdale lie? sich nicht abschrecken.»Wenn Sie wollen, lassen Sie mich fur meine Worte auspeitschen, Sir, aber es war ein Sieg. Wir sind alle stolz auf Sie. Ich denke, Sie haben einen Schluck Wein verdient. »
        Bolitho starrte ihn an und fand keine Worte.
        Stockdale legte die Papiere zusammen.»Und mehr, denke ich, Kapitan, viel mehr.»
        Wahrend Bolitho schweigend zusah, wie sein Bootsfuhrer ihm den Tisch fur sein einsames Mahl deckte, zog die Phalarope in der leichten Brise still unter den Sternen dahin.
        Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hatte sie viel geleistet. Dank ihres Kapitans lagen noch viele Tage vor ihr.



        VI Land in Sicht

        Bolitho ging zur Steuerbordseite des Achterdecks und lie? die Hande auf den sonnenwarmen Backskasten ruhen. Er brauchte jetzt weder Karte noch Fernrohr. Es war, als kame er nach Hause.
        In der Morgendammerung war die kleine Insel Antigua uber der Kimm heraufgekommen. Nun lag sie in der Vormittagssonne vor ihnen. Bolitho spurte jene Erregung, die ihn bei jedem Landfall durchflutete, wenn das Land an der berechneten Stelle am Horizont auftauchte. Er nahm seinen Gang uber das Achterdeck wieder auf. Auf den Tag vor funf Wochen hatte die Phalarope dem Nebel und Regen Cornwalls das Heck gezeigt. Zwei Wochen lag das Gefecht mit dem Kaperschiff zuruck. Stolz wallte fluchtig in ihm auf, als er uber sein Schiff blickte. Die Schaden waren ausgebessert. Und die Verwundeten befanden sich auf dem Weg der Besserung. Gewi?, die Zahl der Toten war auf funfunddrei?ig gestiegen, aber an den anderen hatten die Sonne und der frische Wind, die Nebel und tobende Sturme abgelost hatten, Wunder gewirkt.
        Die Fregatte segelte mit Steuerbordhalsen. Das Schiff und sein Spiegelbild im dunkelblauen Wasser boten ein prachtvolles
        Bild. Uber den sich verjungenden Masten leuchtete wie zum Gru? ein wolkenloser Himmel, und um die Rahen segelten schreiend und erwartungsvoll die Mowen.
        Antigua, Hauptquartier und Basis des WestindienGeschwaders, war ein Glied der zerstreuten Inselkette, die den ostlichen Teil der Antillen schutzte. Bolitho freute sich, wieder hier zu sein. Als er sich uber die Reling beugte, um nach vorn zu spahen, erwartete er halb und halb, die Sparrow und ihre Mannschaft zu sehen. Aber die Gegenwart der Phalarope uberschattete bereits die alten Erinnerungen.

«An Deck! Linienschiff unter Land vor Anker!»
        Okes war Wachfuhrer; er blickte schnell zum Kapitan hinuber.

«Hochstwahrscheinlich das Flaggschiff, Mr. Okes. «Bolitho blickte kurz zur neuen Besanstenge hinauf, von wo aus der scharfaugige Ausguck die hohen Masten erspaht hatte.
        Die Fregatte rundete langsam die saftig grunen Berge und felsigen Absturze des Vorgebirges von Cape Shirley. Die Mannschaft drangte sich in Luv und klammerte sich an Wanten und Netze, wahrend sie das Land mit Blicken verschlang. Fast allen war es unbekannt. Hier strahlte die Sonne heller, und die dichte, grune Vegetation hinter dem wei?en Strand glich keiner der Kusten, die sie kannten. Sie wiesen sich gegenseitig auf dieses oder jenes hin und plapperten aufgeregt wie Kinder, als sie an der Landzunge vorbeiglitten und die von Land eingeschlossene Bucht von English Harbour sichtbar wurde.

«Klar zum Halsen, Sir«, rief Proby.
        Bolitho nickte. Bis auf Bransegel und Kluver waren alle Segel aufgegeit. Von der Back blickte Herrick, der neben dem Ankerkommando stand, nach achtern.
        Bolitho schnippte mit den Fingern.»Mein Glas, bitte.»
        Fahnrich Maynard reichte es dem Kapitan, und Bolitho musterte prufend den in der Mitte der Bucht vor Anker liegenden Zweidecker. Die Stuckpforten standen offen, um den Landwind ins Schiff zu lassen, und uber das machtige Achterdeck spannten sich Sonnensegel. Bolithos Blick haftete auf dem Stander des Konteradmirals im Topp und auf den blauen und roten Uniformen, die am Heck schimmerten, von wo aus man sein Einlaufen beobachtete.

«Mr. Brock, klar zum Salut! Elf Schu?, bitte. «Er schob das
        Teleskop mit einem Ruck zusammen. Wenn er sie sehen konnte, sahen sie ihn auch. Er wollte nicht neugierig wirken.
        Die nachstliegende Landspitze blieb achteraus, und er befahl:»Ubernehmen Sie, Mr. Proby.»
        Proby legte die Hand an den Hut.»Leebrassen fieren! Klar zum Halsen.»
        Bolitho beobachtete Okes und wartete geduldig. Schlie?lich sagte er, ohne die Stimme zu heben:»Scheuchen Sie die Mu?igganger von der Reling, Mr. Okes. Das da druben ist ein Flaggschiff. Der Admiral soll nicht den Eindruck gewinnen, ich hatte einen Haufen Bauerntolpel an Bord. «Er lachelte, als Okes den Befehl herausstotterte und die Maate die Leute von der Reling trieben.
        Der Salut ertonte und wurde von den Bergen zuruckgeworfen, wahrend die Fregatte langsam auf das Linienschiff zuhielt. Auf der Phalarope bi? sich mehr als einer auf die Lippen, als der Kanonendonner andere, schrecklichere Erinnerungen weckte.

«Klar bei Bramsegelschoten!«Proby wischte sich den Schwei? von der Stirn und schatzte, wieviel Fahrt die Phalarope machte, wahrend sie sich dem Ankerplatz naherte.»Bramsegel aufgeien!«Er schaute nach achtern.»Klar zum Ankern, Sir.»
        Bolitho achtete nur halb auf die Salutschusse und die herausgebellten Befehle. Er nickte.

«Ruder nach Lee!«Bolitho verfolgte, wie das Ruder gelegt wurde, und sah, wie die Phalarope in den Wind drehte und Fahrt verlor.
        Bis auf das leise Glucksen des Wassers war jetzt kein Laut zu horen.»Fiert weg Anker!»
        Der Anker klatschte in das klare Wasser. Die Kette rauschte aus.

«Signal, Sir!«meldete Maynard aufgeregt. »Cassius an Phalarope: Kapitan zur Meldung an Bord.»
        Bolitho nickte. Er hatte die Aufforderung erwartet und war bereits in seiner besten Uniform.»Lassen Sie die Gig zu Wasser, Mr. Okes. Und achten Sie darauf, da? die Giggasten ordentlich aussehen. «Bolitho blickte dem davoneilenden Zweiten nach und fragte sich, warum er so zerqualt und besorgt aussah. Er schien uberanstrengt und mit den Gedanken nur halb bei der Sache.
        Vibart kam nach achtern und salutierte.»Irgendwelche
        Befehle, Sir?»
        Bolitho beobachtete, wie das Boot ausgeschwenkt wurde, wobei der wachhabende Maat den Stock heftiger gebrauchte als sonst, als ware auch er sich der beobachtenden Augen auf dem Flaggschiff bewu?t.

«Machen Sie alles klar zum Ubernehmen von Frischwasser, Mr. Vibart. Wir werden wohl anschlie?end nach English Harbour verholen, und die Manner konnen an Land gehen. Sie haben es verdient.»
        Der Erste schien etwas erwidern zu wollen, sagte dann aber blo?:»Aye, aye, Sir. Ich werde mich darum kummern.»
        Bolitho schaute zu dem Zweidecker hinuber: die Cassius, 74 Kanonen, Flaggschiff von Konteradmiral Sir Robert Napier. Dem Vernehmen nach legte er auf Punktlichkeit und Schnelligkeit gro?ten Wert. Bolitho war ihm noch nie begegnet. Er stieg den Niedergang hinab und schritt langsam zum Fallreep. Er konnte kaum glauben, da? er dies Kommando erst seit funf Wochen hatte. Es kam ihm vor, als ware er schon seit Monaten an Bord. Die Gesichter waren ihm nun vertraut. Er kannte die Vorzuge und die Schwachen der Leute.
        Hauptmann Rennie salutierte mit dem Degen, und die Wache prasentierte. Bolitho luftete den Hut und setzte ihn wieder auf, als die Gig, mit Stockdale an der Pinne, langsseits kam. Die Pfeifen schrillten, wahrend er ins Boot stieg. Von der Gig aus musterte er den Schiffsrumpf, die frische Farbe und die sauber ausgefuhrten Reparaturen. Die im Gefecht erlittenen Schaden waren kaum noch zu erkennen. Es hatte alles viel schlimmer kommen konnen, uberlegte der Kapitan, wahrend er sich auf der achteren Ducht zurechtsetzte.
        Kraftiger Riemenschlag trieb die Gig uber das ruhige Wasser. Bolitho schaute zuruck. Seine Leute blickten ihm nach. Ihr Leben lag in seinen Handen, das war ihm immer bewu?t gewesen. Aber vor dem Gefecht hatten einige an seinen Fahigkeiten gezweifelt. Moglicherweise hatten sie ihn sogar fur einen Kapitan vom Kaliber Pomfrets gehalten.
        Die Gig naherte sich dem Flaggschiff, und Bolitho drangte alle anderen Gedanken zuruck. Sie brauchten ihn nicht zu lieben, sagte er sich, aber sie mu?ten ihm vertrauen.
        Konteradmiral Sir Robert Napier blieb hinter seinem Tisch sitzen und deutete auf einen Stuhl an der breiten Heckgalerie: ein kleiner, leicht reizbarer Mann mit gebeugten Schultern und schutterem grauem Haar. Das Gewicht seines Paraderocks schien ihn niederzudrucken. Sein schmaler Mund verriet kleinliche Mi?gunst.

«Ich habe Ihre Berichte gelesen, Bolitho. «Seine Augen huschten uber das Gesicht des Jungeren und kehrten dann zum Tisch zuruck.»Uber Ihr Treffen mit der Andiron bin ich mir immer noch nicht ganz im klaren.»
        Bolitho hatte sich auf dem harten Stuhl gern bequem zurechtgesetzt und entspannt, aber etwas in dem verdrossenen Ton warnte ihn.
        Am Fallreep war er mit dem ublichen Zeremoniell empfangen worden, und der Kapitan der Cassius, der so unruhig und bekummert aussah, wie er es mit Sir Robert an Bord wohl sein mu?te, hatte ihn hoflich begru?t. Man hatte ihn dann in eine Kajute gefuhrt und gebeten zu warten, ein erstes Zeichen, da? nicht alles zum besten stand. Man forderte ihm hastig Logbuch und Berichte ab und uberlie? ihn in der stickigen Kajute gut eine Stunde lang seinen nagenden Gedanken.
        Er sagte vorsichtig:»Wir haben gute Fahrt gemacht, trotz der Begegnung, Sir. Alle Reparaturen wurden ohne Verlust an Segelzeit ausgefuhrt.»

«Halten Sie das fur ein Verdienst?«Der Admiral musterte den Kapitan kalt.

«Nein, Sir«, entgegnete Bolitho.»Aber ich dachte, da? Fregatten hier noch immer dringend benotigt werden.»
        Die welke Hand des Admirals raschelte mit den Papieren.»So ist es. Aber die Andiron, Bolitho? Wie konnte sie entkommen?»

«Entkommen, Sir?«Bolitho starrte den Admiral fassungslos an.»Sie hat uns beinahe uberwaltigt, wie mein Bericht ausweist.»

«Das habe ich gelesen, verdammt. «Die Augen gluhten gefahrlich.»Wollen Sie mir weismachen, da? sie Fersengeld gab?»
        Durch ein Fenster sah er zur Phalarope hinuber, die wie ein geschnitztes Modell vor Anker schwoite.»An Ihrem Schiff ist kaum ein Zeichen von Kampf oder Beschadigung zu erkennen, Bolitho.»

«Wir waren mit Ersatzspieren und Leinwand gut versorgt, Sir. Die Werft, die das Schiff ausrustete, hatte solche Eventualitaten vorausgesehen. «Der Ton des Admirals reizte ihn, und er ignorierte die warnenden Zeichen in den Augen des Alteren.

«Verstehe. Kapitan Masterman verlor die Andiron vor vier Monaten bei einem Gefecht mit zwei franzosischen Fregatten. Die Franzosen uberlie?en das eroberte Schiff ihren neuen Verbundeten, den Amerikanern. «Nun klang offene Geringschatzung mit. Und Sie behaupten, da? die Andiron, obwohl die Phalarope schwer beschadigt war und leichter bestuckt ist, sich davonmachte, ohne ihren Vorteil zu nutzen?«Jetzt lag Arger in der Stimme.»Habe ich Sie richtig verstanden?

«Vollig richtig, Sir. «Bolitho bemuhte sich, so ruhig wie moglich zu antworten. Meine Leute haben sich wacker gehalten. Ich denke, der Feind hatte genug. Ware ich in der Lage gewesen, ihn zu verfolgen, hatte ich es getan.»

«Das sagen Sie, Bolitho!«Der Admiral legte den Kopf schief wie ein kleiner, tuckischer Vogel.»Ich wei?, was mit Ihrem Schiff los war. Ich habe Admiral Longfords Brief gelesen, alles, was er uber die Vorfalle an Bord der Phalarope schreibt, als sie in der Kanalflotte Dienst tat. Ich bin nicht sonderlich beeindruckt, um es gelinde auszudrucken.»
        Bolitho wurde rot. Was der Admiral sagen wollte, lag klar auf der Hand. In seinen Augen war die Phalarope ein gezeichnetes Schiff, ganz gleich, was sie erreichte.

«Ich habe mich nicht aus dem Staub gemacht, Sir«, sagte Bolitho kalt.»Es ereignete sich alles so, wie ich es berichtet habe. Meines Erachtens wollte das Kaperschiff weitere Schaden vermeiden. «Zwei Bilder standen ihm plotzlich wieder vor Augen: die krachende Breitseite und die Kettengeschosse, welche die Takelage der Andiron wie Spinnweben wegfegten; und dann die Toten, die dem Meer ubergeben wurden.»Meine Manner hielten sich so gut, wie ich hoffen konnte, Sir. Sie hatten wenig Zeit, sich vorzubereiten.»

«Bitte nicht diesen Ton mir gegenuber, Bolitho!«Der Admiral funkelte Bolitho an.
»Ich werde entscheiden, welchen Leistungsstand Ihre Manner erreicht haben.»

«Ja, Sir. «Bolitho fuhlte sich ausgelaugt. Mit diesem Mann zu argumentieren, war zwecklos.

«Vielleicht erinnern Sie sich kunftig daran. «Er sah auf die Papiere und sagte: Sir George Rodney ist in die Heimat gesegelt, um seine Flotte zu reorganisieren. Wir erwarten ihn jeden Augenblick aus England zuruck. Und Sir Samuel Hood verteidigt St. Kitts gegen die Franzosen.»

«St. Kitts, Sir?«St. Kitts lag kaum hundert Meilen weiter westlich, doch der Admiral sprach von der Insel, als lage sie auf der anderen Seite der Welt.

«Ja. Die Franzosen haben Truppen gelandet und versuchen, unsere Garnison ins Meer zu treiben. Admiral Hoods Geschwader konnte jedoch die Reede zuruckerobern und halt jetzt die wesentlichen Stutzpunkte, die Hauptstadt Basseterre inbegriffen.
«Er betrachtete Bolithos nachdenkliches Gesicht.»Doch das soll nicht Ihre Sorge sein. Bis der Oberkommandierende zuruckkehrt oder Admiral Hood es fur richtig halt, mich abzulosen, fuhre ich hier das Kommando. Sie erhalten Ihre Befehle von mir.»
        Bolitho vernahm nur halb, was die gereizte Stimme sagte. Ihm stand die winzige Insel St. Kitts vor Augen, und er wu?te genau, was ihr sicherer Besitz fur die unablassig bedrangten Briten bedeutete. Die Franzosen waren in diesen Gewassern stark. Sie hatten zu den britischen Niederlagen am Chesapeake erheblich beigetragen. Vom amerikanischen Kontinent vertrieben, hingen die britischen Geschwader in immer starkerem Ma? von der Inselkette ab. Die Antillen bildeten nun die Basis fur Nachschub und Ausbesserungen. Fielen auch sie, gab es kein Mittel, die Franzosen oder Ihre Verbundeten daran zu hindern, noch die letzten britischen Besitzungen im karibischen Raum zu schlucken.
        Die franzosische Flotte in Westindien war gut ausgebildet und kampferfahren. Ihr Admiral, Graf de Grasse, hatte die uberforderten britischen Schiffe mehr als einmal uberlistet und niedergekampft. Er hatte einen Keil zwischen Admiral Graves und das eingeschlossene Cornwallis getrieben, den Rebellengeneral Washington unterstutzt und die amerikanischen Kaperschiffe zu einer brauchbaren und todlichen Macht organisiert.
        Jetzt testete de Grasse mit der gleichen kundigen Strategie, die ihn zum wertvollsten Befehlshaber seines Landes gemacht hatte, die Starke der einzelnen britischen Stutzpunkte. Dabei benutzte er Martinique als Basis. Wenn er wollte, konnte er von dort aus jede beliebige Insel angreifen oder - bei dem Gedanken uberlief Bolitho ein Schauder - nach Westen segeln und sich auf Jamaika sturzen. Eroberte er Jamaika, blieb den Briten kein Stutzpunkt mehr in diesen Gewassern. Sie mu?ten auf den Atlantik hinaus, und dort wurde sie nichts vor der volligen Vernichtung schutzen.

«Ich gebe Ihnen Order, nach Westen hin Patrouille zu fahren, Bolitho«, sagte der Admiral, ohne zu stocken.»Ich werde die Befehle sofort ausfertigen. Der Feind wird sicher versuchen, noch andere Truppen vom amerikanischen Festland aus auf die Antillen zu transportieren, ja womoglich sogar noch weiter nach Suden auf die kleinen Antillen. Sie werden mit meinem ubrigen Geschwader Kontakt halten, doch mit Admiral Hood auf St. Kitts nur, wenn absolut notwendig. »
        Bolitho hatte das Gefuhl, die Kajutendecke sturze uber ihm zusammen. Der Admiral dachte nicht im Traum daran, der Phalarope Vertrauen zu schenken und sie im Geschwader segeln zu lassen. Wieder schien die beargwohnte Fregatte zur Einsamkeit verdammt.

«Die Franzosen durften durch Freibeuter verstarkt werden, Sir«, sagte Bolitho.»Ich hatte gedacht, mein Schiff konnte naher unter Land nutzlicher sein.»
        Der Admiral lachelte.»Naturlich, Bolitho, das verga? ich beinahe. Sie sind hier ja kein Fremder. Ich glaube, irgendwo habe ich etwas uber Ihre kleinen Heldentaten gelesen. «Das Lacheln erlosch.»Ich will nichts mehr von Freibeutern horen, es macht mich krank. Freibeuter sind nichts als Aasfresser und Piraten! Kein Kaperschiff kann sich mit einem meiner Schiffe messen. Auch daran erinnern Sie sich bitte, Bolitho. Die Eroberung der Andiron war eine Schmach, der man hatte vorbeugen sollen. Wenn Sie der Andiron nochmals begegnen, fordern Sie bitte Verstarkung an, damit es nicht wieder zu einem so erbarmlichen Fehlschlag kommt und sie endlich zuruckerobert oder versenkt wird!»
        Bolitho stand auf. Seine Augen blitzten.»Das ist ungerecht,
        Sir.»

«Halten Sie Ihre Zunge im Zaum, Bolitho. «Der Admiral musterte ihn frostig.»Ich bin der jungen, hitzigen Offiziere mude, die weder etwas von Strategie verstehen, noch Disziplin kennen.»
        Bolitho wartete, bis er wieder ruhiger atmete.

«Freibeuter sind nur ein Teil der Sache. Die wirkliche Gefahr bilden die Franzosen.»
        Langes Schweigen, in das Getrampel der Seeleute und gedampftes Schmettern eines Horns klangen. Verglichen mit einer Fregatte, war der Zweidecker so etwas wie eine kleine Stadt, aber Bolitho konnte es kaum erwarten, sie hinter sich zu lassen und den beleidigenden Bemerkungen des Admirals den Rucken zu kehren.

«Geben Sie auf der Patrouillenfahrt gut acht, Bolitho«, sagte der Admiral beilaufig.»Und teilen Sie das Frischwasser und alle Vorrate gut ein. Noch kann ich nicht sagen, wann Sie abgelost werden.»

«Meine Manner sind erschopft, Sir. «Bolitho versuchte nochmals, die kalte Rucksichtslosigkeit des Admirals zu durchbrechen.»Einige sind seit Jahren nicht an Land gewesen. «Er dachte daran, wie sie zu den grunen Bergen und dem wei?en Strand hinubergestarrt hatten.

«Ich bin dieses Gesprachs uberdrussig, Bolitho. «Napier lautete eine kleine Glocke.»Erfullen Sie die Ihnen ubertragene Aufgabe und erinnern Sie sich stets daran, da? ich nie Eigenmachtigkeit dulden werde. Tollkuhne Plane gelten mir nichts. Lassen Sie Ihre Urteilskraft nicht unter Ihrer augenscheinlichen Selbstuberschatzung leiden. «Er winkte, und hinter Bolitho offnete sich leise die Tur.
        Im Gang zitterten ihm die Hande vor Groll und unterdruckter Wut. Als er das Fallreep erreichte, lag uber seinem Gesicht wieder die Maske der Empfindungslosigkeit, aber er wagte kaum, auf die ruhigen Worte zu antworten, die der Kapitan der Cassius au?erte, als er ihn zum Fallreep begleitete.

«Seien Sie vorsichtig, Bolitho«, sagte der Altere leise.»Sir Robert hat auf der Andiron seinen Sohn verloren. Er vergibt Ihnen nie, da? Sie sie entkommen lie?en, ganz gleich, aus welchen Grunden. Schlagen Sie daher seine Warnungen nicht in den Wind.»
        Bolitho gru?te die unter Gewehr angetretene Wache.»Ich bin letzthin mehrfach gewarnt worden, Sir. Aber im Notfall nutzen Warnungen selten etwas.»
        Der Kapitan des Flaggschiffs verfolgte, wie Bolitho ins Boot stieg und wie die Gig aus dem Schatten der Cassius glitt. Grimmig dachte er: trotz seiner Jugend wird dieser Bolitho anderen und sich noch erhebliches Ungemach bereiten. Er sieht ganz danach aus.

«Achtung! Der Kapitan kommt zuruck.»
        Herrick eilte aus dem Schatten des Besanmastes zum Fallreep. Er strich ein paar Krumel vom Halstuch und zog hastig seine Scharpe zurecht. Bis jetzt hatte ihm das einformige und schlecht zubereitete Essen an Bord nichts ausgemacht. Doch nun, da die Phalarope vor Anker lag, die reichlichen Vorrate von English Harbour in Reichweite, hatte er sich geradezu zwingen mussen, das Essen hinunterzuwurgen.
        Er blinzelte uber die glitzernde Wasserflache. Seine scharfen Augen erspahten sofort die zuruckkehrende Gig, die sauber und hell angezogenen Bootsgasten, die sich wie Mowenflugel hebenden und senkenden Riemen. Er versteifte sich innerlich, als der Erste neben ihn trat.

«Nun werden wir es ja erfahren.»

«Ich wette, der Admiral war begeistert. «Herrick vergewisserte sich durch einen schnellen Blick, da? die Wache ordentlich angetreten war.»Ein Lob kann unseren Leuten nur gut tun.»
        Vibart zuckte mit den Schultern.»Was verstehen schon Admirale?«Er schien sich nicht unterhalten zu wollen. Seine Augen hafteten auf der naherkommenden Gig.
        Bolitho sa? auf der achteren Ducht. Die Sonne blitzte auf seinen goldenen Litzen.

«Zwei Wasserleichter legen von Land ab, Sir«, sagte ein Steuermannsmaat plotzlich. Dem Aussehen nach voll beladen.»
        Herrick blickte in die Richtung, in die der Mann wies, und sah, wie zwei Leichter von Land ablegten. Sie hielten schwerfallig auf die Fregatte zu, die langen Riemen bogen sich beinahe.

«Ich dachte, das hatte Zeit, bis wir nach drinnen verholt haben?«stotterte Herrick.
        Vibart hieb sich mit der Faust in die Handflache.»Bei Gott, ich wu?te, da? es so kommen wurde. Ich wu?te es von Anfang an!«Seine massige Gestalt drehte sich zur See.»Die ist fur uns, Mr. Herrick. Fur die Phalarope gibt es nichts anderes, weder jetzt noch spater.»
        Ein Bootsmannsmaat rief:»Achtung!»
        Die Pfeifen trillerten Salut, und die schwitzende Wache prasentierte die Gewehre.
        Herrick salutierte und musterte das Gesicht des an Bord kommenden Kapitans. Bolithos Zuge waren ruhig und ausdrucklos, doch die Blicke, die er uber das Hauptdeck fliegen lie?, waren so kalt und rauh wie der Nordatlantik.
        Vibart meldete steif:»Wasserleichter halten auf uns zu, Sir.»

«Ja, ich wei?. «Bolitho drehte sich nicht um, sondern starrte statt dessen auf die frisch geschrubbten Decks. Eine ruhige Atmosphare der Ordnung und Bereitschaft. Nach einigen Sekunden sagte er:»Lassen Sie die Ladung gleich ubernehmen. Und sagen Sie dem Fa?meister, er soll Reservefasser bereitstellen.»
        Herrick fragte vorsichtig:»Gehen wir wieder in See, Sir?«Bolithos graue Augen blickten durch ihn hindurch.»Es scheint so.»
        Vibart trat einen Schritt vor, seine Augen lagen im Schatten verborgen.»Das ist verdammt ungerecht, Sir.»
        Bolitho gab keine Antwort, er schien ganz mit seinen Gedanken beschaftigt. Dann sagte er scharf:»Wir segeln in zwei Stunden, Mr. Vibart. Der Wind ist zwar nur schwach, reicht aber fur meinen Zweck. «Er sah sich um, als Stockdale auf das Achterdeck trat.»Sag meinem Diener, ich mochte so bald wie moglich essen. Egal was.»
        Herrick sah ihn verdutzt an. Bolitho war fast zwei Stunden fortgewesen, doch der Admiral hatte sich offenbar nicht die Muhe gemacht, ihm etwas anzubieten oder ihn zum Lunch einzuladen. Was, zum Teufel, dachte er sich dabei? Einen jungen, tapferen Offizier, der nicht nur Nachrichten aus England brachte, sondern daruber hinaus die Flotte verstarkte, hatte er wie einen Bruder willkommen hei?en sollen.
        Als er in der Messe das magere Essen hinuntergewurgt hatte, ware er beinahe an jedem Happen erstickt, weil er sich vorstellte, wie Bolitho mit dem Admiral eine Mahlzeit verspeiste, die ein Flaggschiff im Hafen auftischen konnte: Geflugel, frisches, mageres Schweinefleisch, vielleicht sogar Rostkartoffeln. Der Ort war fur Herrick unwesentlich, wenn es um gute heimische Kost ging.
        Jetzt merkte er, da? man Bolitho nichts angeboten hatte, und ihn durchdrang das gleiche Gefuhl von Beschamung und Mitleid, das er seinerzeit fur Okes empfunden hatte. Ein Schimpf, den man Bolitho antat, war eine Beleidigung jeden Mannes an Bord, doch den Kapitan traf es am meisten. Es war so ungerecht, so vorsatzlich grausam, da? Herrick sich nicht beherrschen konnte.

«Aber, Sir, hat der Admiral Ihnen nicht gratuliert?«Er suchte nach Worten, als Bolitho sich zu ihm umwandte.»Nach allem, was Sie fur das Schiff getan haben?»

«Schonen Dank fur Ihre gute Meinung, Herrick. «Die Maske lockerte sich fur einen Augenblick.»Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wir mussen geduldig sein. «Es lag weder Bitterkeit noch Herzlichkeit in der Antwort.»Im Krieg bleibt wenig Zeit fur eine Verstandigung von Mensch zu Mensch. «Er machte kehrt. Sobald wir unter Segel sind, pfeifen Sie zur Gefechtsubung an den Kanonen. «Er verschwand im Kajutniedergang. Herrick sah sich niedergeschlagen um.
        Vibart hatte also recht behalten. Die Phalarope war ein gezeichnetes Schiff und wurde es bleiben.
        Der Steuermann kam nach achtern.»Boot legt von der Cassius ab, Sir.»
        In Herrick keimte Arger auf. Es war alles so sinnlos, so dumm.»Es wird Botschaften bringen. Lassen Sie eine Wache am Fallreep aufziehen. »
        Er war noch immer verargert, als ein liebenswurdiger Leutnant an Bord kam, seinen Hut luftete und neugierig uber das Deck blickte, als erwarte er eine Art Schauspiel zu sehen.

«Nun?«fragte Herrick unmutig,»haben Sie alles gut in Augenschein genommen?»
        Der Offizier lief rot an.»Entschuldigen Sie, Sir. Ich hatte etwas ganz anderes erwartet. «Er reichte Herrick einen dicken Leinwandumschlag.»Befehle fur Kapitan Bolitho von Sir Robert Napier, Konteradmiral der britischen Flotte.»
        Nach dem kleinen Wortwechsel klang das so formlich, da? Herrick lacheln mu?te. Danke. Ich werde sie sofort nach achtern bringen. «Er musterte das gebraunte Gesicht.»Wie steht es hier drau?en?»
        Der Offizier zuckte mit den Schultern.»Ein hoffnungsloses
        Durcheinander. Zu viel See und zu wenig Schiffe. «Er wurde ernst.»St. Kitts ist belagert, und oben im Norden vereinigen sich die Rebellen. Alles hangt davon ab, wieviel die Franzosen einsetzen konnen.»
        Herrick drehte den dicken Umschlag in den Handen und fragte sich, ob er jemals selbst Befehle offnen wurde, als Kommandant eines eigenen Schiffes.

«Wenn alle Kaperschiffe so gut sind wie das, mit dem wir einen Strau? auszufechten hatten, wird es ein harter Kampf werden. «Herrick sah den anderen unverwandt an, spahte nach einem Zeichen des Zweifels oder der Belustigung.
        Aber der Leutnant sagte unbewegt:»Wir haben von der Geschichte mit der Andiron gehort. Unverstandlich, da? sie Ihnen entwischen konnte. Ich hoffe, Sie haben die Moglichkeit, die Scharte auszuwetzen. So wie der abtrunnige John Paul Jones mit uns Katz und Maus spielt und unsere Verbindungslinien stort, steht zu erwarten, da? andere seinem Beispiel folgen werden.»

«Ich verstehe nicht, warum man es Kapitan Masterman als Schande anrechnet, da? er sein Schiff im Kampf verloren hat.»

«Ach, das wissen Sie nicht?«Der Offizier senkte die Stimme.»Sie stand gleichzeitig mit zwei franzosischen Fregatten im Kampf. Auf dem Hohepunkt des Gefechts wurde die Andiron von einem amerikanischen Offizier angerufen. Er forderte die Mannschaft der Andiron auf, auf seine Seite uberzuwechseln.»

«Und so kam es auch?«Herrick stand der Mund offen.

«Genauso. «Der andere nickte.»Den Franzosen hatten sie sich nie ergeben. Aber bei diesem Amerikaner klang es nach einem neuen Leben, was riskierten sie also? Und selbstverstandlich werden sie nun um so besser kampfen - gegen uns. Jeder Mann wei?, da? es Auspeitschung und Galgen bedeutet, wenn er gefangengenommen wird.»

«Wie lange lief die Andiron unter unserer Flagge?»

«Das wei? ich nicht genau. Etwa zehn Jahre, glaube ich. «Er sah, wie es hinter Herricks Stirn arbeitete, und fugte hinzu:»Halten Sie Ihre Leute also scharf im Auge. Hier drau?en, Tausende von Meilen fern von England und von Feinden des Konigs umgeben, spielen Gefuhle eine gro?e Rolle, was die Loyalitat der Manner anlangt. «Und er setzte beziehungsvoll hinzu:»Vor allem auf einem Schiff, wo sich Unruhe bereits eingeschlichen hat.»
        Vibart kam vom Hauptdeck heran, und der Offizier brach ab. Er gru?te und sagte formlich:»Ich habe funfundzwanzig Mann fur Sie im Kutter, Sir. Ersatz fur die Gefallenen. «Vibart blickte ins Boot hinab, wahrend die Leute der Phalarope die neuen, hager aussehenden Manner musterten.
        Der Offizier sagte hastig:»Ich habe bereits zuviel geredet, Kamerad. Aber diese Leute sind Ausschu?. Fast alle haben das eine oder andere auf dem Kerbholz. Meines Erachtens geht es Sir Robert mehr darum, sie und ihr schlechtes Beispiel loszuwerden, als darum, Ihrem Kapitan zu helfen. «Er blickte kurz zu Cassius hinuber und danach auf sein wartendes Boot. Dann flusterte er abschlie?end:»Sir Robert beobachtet alles. Ohne Zweifel wird es bald allgemein bekannt sein, da? ich mich zehn Minuten unterhalten habe - mit Ihnen.«. Damit eilte er fort.

«Wir werden die Leute sofort einweisen, Mr. Herrick«, sagte Vibart mit gerunzelter Stirn.»Sicher will der Kapitan, da? sie genauso eingekleidet werden wie der Rest seiner kostbaren Mannschaft. «Er verzog das Gesicht.»Meiner Meinung nach passen dreckige Lumpen besser zu ihnen.»
        Herrick folgte Vibarts verargertem Blick und fuhlte sich noch bedruckter. Diese Manner waren nicht frisch gepre?t. Es waren abgehartete Berufsseeleute, und zu jeder anderen Zeit waren sie ihr Gewicht in Gold wert gewesen. Doch jetzt. . Wahrend der Steuermann und Fahnrich Maynard sie nach Dienstalter ordneten, standen sie mu?ig und unverschamt da und verfolgten alles mit der Arroganz wilder Tiere. Fluche und Hiebe wurden diese Sorte nicht beeindrucken, dachte Herrick. Selbst Auspeitschen wurde sie kaum verandern.

«Warten wir ab, wie der Kapitan mit diesem prachtigen Haufen fertig wird«, murmelte Vibart.
        Herrick schwieg. Er konnte sich die Schwierigkeiten vorstellen, die sich mit jeder Stunde hoher aufturmten. Trennte der Kapitan diese Unruhestifter vom Rest der Mannschaft, wurde er den Respekt verlieren, den er gewonnen hatte. Tat er es nicht, konnte ihr Einflu? im Logis Verheerungen auslosen.
        Herrick stellte sich plotzlich vor, wie es auf der Andiron ausgesehen haben mu?te, als Kapitan Mastermans Mannschaft zum Feind uberging. Er starrte uber das sonnige Achterdeck. Trotz der Hitze frostelte es ihn bei dem Bild, das er sich ausmalte: er, plotzlich allein, auf einem Schiff, dessen bisher disziplinierte und loyale Matrosen Fremde und Meuterer geworden waren.
        Fahnrich Maynard beobachtete ihn besorgt:»Signal, Sir. Flaggschiff an Phalarope. Vervollstandigen Sie Ausrustung. Segeln Sie dann sofort.»
        Herrick sagte:»Bestatigen Sie das, Mr. Maynard. «Er blickte uber die Reling, erst auf die Seeleute, die die Frischwasserfasser ubernahmen, dann zu dem hochmastigen Flaggschiff.»Du Bastard«, murmelte er.»Kann dir nicht schnell genug gehen, wie?»
        Die Freiwache kletterte murrend und fluchend uber die verschiedenen Niedergange ins Zwischendeck. Licht und Luft erhielt es durch die mittleren Luken. Es waren mehrere Windfuhrungen aus Segeltuch ausgespannt worden, um das uberfullte Logis besser zu luften. An jedem der geschrubbten Tische sa?en Leute. Einige besserten Kleidungsstucke aus. In dem sparlichen Licht beugten sich die Kopfe tief uber Nadel und Faden. Manche schnitzten kleine Schiffsmodelle, und andere spannen mit ihren Gefahrten blo? Seemannsgarn.
        Die Spekulationen und Geruchte verstummten, als ein paar der neuen Manner einen Niedergang herabtrampelten, gefolgt von Belsey, dem wachhabenden Maat. Die Neuen waren eingewiesen worden und hatten unter der Deckspumpe die vorgeschriebene Dusche genommen. Jetzt blinzelten sie in das Halbdunkel, und ihre nackten Korper hoben sich bleich von den dunklen Planken der Bordwand ab. Jeder trug seine paar Habseligkeiten und hatte ein neues Hemd und eine zusammengerollte Hose unter dem Arm.
        Belsey wirbelte mit seinem Stock und wies zum Ecktisch, von dem aus Allday und Old Strachan die Prozession wortlos beobachteten.»Ihr zwei«, bellte er,»ihr kommt in diese Messe, verstanden?«Sein Blick drang in die finsterste Ecke des Logis.»Eure Wache und eure Stationen kennt ihr, also macht's euch hier bequem und tut eure Pflicht. «Er hob die Stimme.»Zeigt den Neuen, wo sie ihre Hangematten zurren konnen, und dann macht hier sauber. «Er rumpfte die dicke Nase.»Sieht ja wie ein Schweinestall aus hier unten.»
        Einer der beiden Neuen warf sein Bundel auf den Tisch und sah zu Old Strachan und den anderen hinunter. Er war gro?, sehr muskulos, und dichtes dunkles Haar bedeckte seine breite Brust. Offenbar machte ihm weder seine Nacktheit noch Belseys scharfer Ton etwas aus.

«Ich hei?e Harry Onslow, Leute«, sagte er gelassen. Und mit einem Blick uber die Schulter:»Und das ist Pook, auch ein guter Mann von der Cassius.«Er spie den Namen des Flaggschiffs geradezu aus, und der dicht neben ihm wartende Belsey trat an den Tisch.

«Hort zu, Leute. «Seine Augen glitten bose von einem zum anderen.»Glaubt nicht, da? ihr einen ordentlichen Burschen dazubekommen habt. «Er grinste kurz.»Mach doch mal kehrt, Onslow. «Er schwenkte drohend seinen Stock.»La? dich doch mal ein bi?chen beleuchten.»
        Onslow drehte sich gehorsam um, so da? ein schwacher Sonnenschimmer auf seinen Rucken fiel. Die dicht gedrangten Matrosen stohnten auf, und Belsey sagte kalt: Seht es euch gut an, ehe ihr anfangt, auf solche Bruder zu horen.»
        Alldays Lippen verzogen sich, als er Onslows zerschlagenen Rucken sah. Er konnte sich nicht vorstellen, wie oft Onslow ausgepeitscht worden war, aber da? er es uberlebt hatte, war ein Wunder.
        Uber den ganzen Rucken, vom Nackenansatz bis zur Hufte, zogen sich Narben und Striemen, deren wei?e Rander sich widerlich von dem Braun der Arme und Beine abhoben.
        Ferguson blickte weg, sein Mund zitterte.
        Selbst Pochin, Zeuge mancher harten Auspeitschung, sagte heiser:»Da, Mann, zieh dein Hemd an.»
        Pook, der andere Neue, war dunn und sehnig. Auch sein Rucken zeigte die Klauenspuren der neunschwanzigen Katze, doch verglichen mit Onslow war es nichts.
        Belsey, von den anderen neuen Matrosen gefolgt, schlenderte davon.
        Onslow zog sich das Hemd uber und schuttelte die sauberen, neuen Hosen glatt. Dann sagte er ruhig:»Was ist los mit eurem Kapitan? Will er, da? seine Leute geschniegelt aussehen?«Er sprach mit lassigem Norfolkakzent; der Schreck, den seine Narben ausgelost hatten, beruhrte ihn augenscheinlich durchaus nicht.

«Ja, er ist anders«, sagte Ferguson schnell.»Er wollte nicht zulassen, da? Betts ausgepeitscht wurde. «Er versuchte zu lacheln.»Auf diesem Schiff hast du es besser, Onslow.»
        Onslow musterte ihn ausdruckslos.»Wer hat dich denn gefragt?»

«Alle Kapitane sind Schweine. «Pook stieg in seine Hose und schnallte sich ein gefahrlich aussehendes Messer um.»Auf der Cassius haben wir die Nase voll bekommen.»

«Betts?«fragte Onslow.»Was war mit ihm los?»

«Er hat einen Vorgesetzten angegriffen. «Pochin blickte nachdenklich vor sich hin. Kapitan Bolitho lie? ihn nicht auspeitschen.»

«Und wo ist er jetzt?«Die dunklen Augen Onslows blinzelten nicht.

«Tot. Ging mit der Gro?bramstenge uber Bord.»

«Na also. «Onslow stie? Ferguson von der Bank und pflanzte sich auf dessen Platz. Hat ihm also nicht viel geholfen, wie?»
        Old Strachan wickelte seine Schnitzerei in ein Stuck Segeltuch und sagte unbestimmt:»Aber Ferguson hat recht. Kapitan Bolitho hat versprochen, da? er uns gerecht behandelt, wenn wir uns anstrengen. - Bald gehen wir an Land. «Er schielte zur Luke.»Wenn ich blo? dran denke: ein Spaziergang uber die grunen Hugel und vielleicht auch 'nen Tropfen von freundlichen Eingeborenen.»
        Ferguson versuchte es noch einmal, als musse er jemandem vertrauen, um nicht verruckt zu werden.»Und Mr. Herrick hat mir versprochen, da? er fur mich einen Brief auf das nachste nach England bestimmte Schiff schafft. Damit meine Frau wei?, da? ich noch lebe und gesund bin. «Er sah erbarmlich aus.

«Du kannst lesen und schreiben, Kleiner?«Onslow studierte ihn ruhig.»Du konntest mir sehr nutzlich sein.»
        Allday lachelte in sich hinein. Larm und Stimmen fullten wieder die Messe. Vielleicht hatte Ferguson recht, und es wurde von jetzt an besser. Er hoffte es, und wenn auch nur, damit Ferguson zur Ruhe kam.
        Pochin fragte erbittert:»Wofur bist du so ausgepeitscht worden, Onslow?»

«Ach, das Ubliche. «Onslow beobachtete noch immer Ferguson, er war tief in Gedanken.

«Er schlug einen Obermaat«, sagte Pook, um sich einzuschmeicheln.»Und davor hat er - »
        Onslows Mund offnete und schlo? sich wie eine Falle.»Hor auf! Was von jetzt an geschieht, darauf kommt's an. «Und wieder ruhiger:»Ich war noch ein Junge, als ich vor zehn Jahren ruberkam. Seit Jahren warte ich auf die Fahrt nach Hause, aber vergeblich. Ich bin von einem Kapitan zum anderen gekommen. Ich habe meine Wachen geschoben und mehr Breitseiten durchgestanden, als ich zahlen kann. Nein, Leute, fur uns gibt's kein Ende. Entweder machen wir mit, bis wir ins Segeltuch eingenaht werden - oder wir suchen uns unseren eigenen Ausweg und nehmen den Kurs, den die Burschen von der Andiron genommen haben.»
        Alle horten ihm aufmerksam zu. Er stand auf, sein brutendes Gesicht verriet Entschlossenheit.»Sie haben dem Konig den Dienst aufgesagt, um ein neues Leben zu beginnen, hier drau?en oder irgendwo auf dem amerikanischen Festland.»
        Strachan schuttelte den grauen Kopf.»Das ist Meuterei!»

«Du bist zu alt, du zahlst nicht. «Onslows Stimme klang bissig. »Den Kapitan mu? ich erst noch finden, der gerecht ist und nicht nur an Prisengeld oder Ruhm fur sich selber denkt.»
        In diesem Augenblick flogen Schatten uber die Luken, und die Pfeifen trillerten.

«Verdammte Pfeifen!«grunzte Pochin.»Horen sie denn nie auf?»
        Die Stimmen der Maaten hallten durch das Zwischendeck.»Alle Mann! Alle Mann klar zum Segelsetzen! Ankerkommando auf die Back!»
        Ferguson stierte leer in das Sonnenlicht des Niedergangs. Sein Mund stand offen. Er hat es doch versprochen. Er hat mir versprochen, da? er mir einen Brief nach Hause besorgt.»
        Onslow klopfte ihm auf die Schulter.» Und er wird dir noch mehr versprechen, sollte mich nicht wundern, mein Junge. «Ohne zu lacheln, betrachtete er die anderen.»Na, Jungs, begreift ihr nun, was ich gemeint habe?»
        Maat Josling erschien vor dem Niedergang.»Seid ihr taub? Rauf mit euch! Der Letzte bekommt den Tampen zu spuren.»
        Die Leute kamen zur Besinnung und trampelten den Niedergang hinauf in die Sonne.

«Klar am Gangspill. «Die Befehle gellten ihnen in die Ohren.»Auf die Rahen! Setzt Bramsegel.»
        Ferguson starrte au?er sich zu der grunen, einladenden Insel mit den niedrigen, welligen Bergen hinuber. Allday sah es. Er spurte selber einen Klo? in der Kehle. Die Landschaft erinnerte irgendwie an das sommerliche Cornwall. Er legte Ferguson die Hand auf den Arm und sagte freundlich:»Los, Junge. Ich helfe dir hinauf.»
        Vibarts drohnende Stimme fullte die Luft.»Setzt Focksegel! An die Brassen!»
        Allday erreichte die Gro?rahe und kletterte auf den Fu?pferden zu den anderen Mannern hinaus, die uber der dicken Spiere lagen. Unter sich sah er das geschaftige Deck. Blickte er uber die Schulter zuruck, konnte er Bolithos Gestalt an der Heckreling ausmachen.
        Von der Back rief Herrick:»Anker ist auf, Sir!»
        Allday grub die Zehen in die Fu?pferde, als sich das Segel blahte und fullte und die gro?e Rahe schwerfallig herumschwang, damit die Leinwand den Wind fing. Das Land glitt bereits achteraus, und wenn alle Segel gesetzt und gebrasst waren, wurde die Insel im Glast verschwunden sein. Vielleicht fur immer, dachte er.



        VII Der spanische Lugger

        Herrick schob sich ein wenig um den Besan, um im Schatten zu bleiben, den der dicke Mast warf. Wegen des glei?enden Lichtes kniff er standig die Augen zusammen, und seine Zunge fuhr unaufhorlich uber die ausgetrockneten Lippen, wahrend sich die Vormittagswache langsam dem Ende zuschleppte. Die Segel hingen schlaff und leblos, denn nicht die leiseste Brise bewegte die spiegelglatte, leere Weite des Meeres, auf der die Fregatte regungslos in der Flaute lag.
        Er zog an seinem verklebten Hemd. Die Nutzlosigkeit der Bewegung reizte ihn. Es war schwei?durchtrankt, doch sein Korper schien nur eins zu verlangen: Feuchtigkeit. Die Decksnahte griffen klebrig nach seinen Schuhen, und als er die Hand unabsichtlich auf einen der Neunpfunder legte, hatte er vor Schmerz beinahe aufgeschrien. Das Rohr war so hei?, als hatte die Kanone pausenlos gefeuert. Bei dem Gedanken verzog er die Lippen. Es hatte keine Feindberuhrung gegeben, noch wurde es unter diesen unmoglichen Bedingungen dazu kommen.
        Von Antigua war die Phalarope direkt zu der ihr zugewiesenen Position gesegelt. Bis auf eine andere Patrouille laufende Fregatte und den massigen Rumpf der Cassius hatte man kein anderes Schiff gesichtet.
        Und jetzt, wie um allem die Krone aufzusetzen, lag die Phalarope in einer Flaute. Seit vierundzwanzig Stunden trieb sie ziellos uber ihrem Spiegelbild, von tragen Stromungen hierhin und dorthin getrieben. Die Manner im Ausguck, die hoffnungsvoll nach einem Windsto? Ausschau hielten, waren matt und mude.
        Sieben lange Tage, seit sie Antigua ubersturzt verlassen hatten, sieben Tage des Wartens und der Beobachtung des glatten Horizonts.
        Herrick blickte nach vorn. Die Manner der Freiwache lagen wie Tote im dunklen Schatten des Schanzkleides. Die halbnackten Leiber waren gebraunt. Mehrere Matrosen, an die gnadenlos gluhende Sonne nicht gewohnt, hatten bose Verbrennungen erlitten.
        Fahnrich Maynard lehnte an den Netzen. Sein rundes Gesicht war ausdruckslos. Inaktivitat und Hitze hatten ihn ebenfalls zermurbt.
        Es war schwer zu glauben, da? au?erhalb ihrer eigenen Welt noch etwas existierte. St. Kitts lag etwa funfzig Meilen sudostlich, und die Anegada Passage, die die Jungferninseln von den umstrittenen Inseln trennte, lag in dem sengenden Glast jenseits des bewegungslosen Bugspriets.
        Von Hoods Anstrengungen, St. Kitts zu halten, hatten sie nichts weiter gehort, und nach allem, was Herrick wu?te, konnte der Krieg ebensogut schon zu Ende sein. Als das Flaggschiff ihnen begegnete, hatte Bolitho durch ein Signal die neuesten Nachrichten erbeten, aber die Antwort war unbefriedigend gewesen, um es gelinde auszudrucken. Die Phalarope hatte gerade Geschutzubungen angesetzt, bei denen mehrere alte und nutzlose Fasser als Ziel dienten. Bolitho hatte das Ubungsschie?en angeordnet, um die Eintonigkeit zu unterbrechen, nicht weil er hoffte, durch solche Methoden die Treffsicherheit zu erhohen.
        Die Cassius hatte ein Signal gesetzt. Maynard meldete, da? der Admiral sofortige Feuereinstellung forderte.»Pulver und Kugeln sparen!«hatte das Signal kurz befohlen.
        Bolitho hatte sich jeder Bemerkung enthalten. Herrick kannte seinen Kapitan jedoch jetzt gut genug, um den Arger zu begreifen, der in Bolithos grauen Augen aufflackerte. Alles erweckte den Eindruck, als hatte der Admiral vorsatzlich diesen Kurs gesteuert, um die Phalarope zu isolieren, so wie der Arzt einen Aussatzigen von seinen Mitmenschen absondert.
        Herrick ri? sich aus seinen Gedanken, als Bolithos Kopf und Schultern im Kajutniedergang auftauchten. Wie die anderen Offiziere trug er nur Hemd und wei?e Kniehose. Das dunkle Haar klebte ihm schwei?na? auf der Stirn. Er wirkte gereizt. Herrick spurte geradezu seine Ruhelosigkeit.

«Noch immer kein Wind, Sir.»
        Bolitho warf ihm einen argerlichen Blick zu. Dann nahm er sich zusammen.»Danke, Mr. Herrick. Ich sehe es. «Er trat an den Kompa?. Sein Blick streifte die beiden Ruderganger. Schlie?lich ging er zur Steuerbordreling. Herrick sah ihn zusammenfahren, als die Sonne mit der Hitze eines Schmelzofens seine Schultern traf.

«Und wie fuhlen sich die Manner?»

«Nicht sehr wohl, Sir«, erwiderte Herrick vage.»Auch ohne gekurzte Wasserration ist es schlimm genug hier drau?en.»

«Stimmt. «Bolitho nickte, ohne sich umzudrehen.»Aber die Rationierung ist notwendig. Wei? Gott, wie lange uns die Flaute festnagelt.»
        Bolithos Hand glitt uber die Narbe unter der rebellischen Haarstrahne. Herrick hatte diese unbewu?te Bewegung schon mehrmals bemerkt, gewohnlich, wenn Bolitho vollig in Gedanken verloren schien. Herrick hatte Stockdale wegen der Narbe gefragt und erfahren, da? Bolitho verwundet wurde, als er - damals noch Leutnant - mit einem Hauflein Matrosen an Land geschickt worden war, um auf einer Insel die Wasserfasser zu fullen.
        Weder der Kapitan noch sonst jemand hatte gewu?t, da? die Insel bewohnt war. Die Barkasse war kaum gelandet, als brullende Eingeborene die Abteilung aus dem Hinterhalt uberfielen. Einer entri? einem sterbenden Matrosen das Entermesser und griff Bolitho an, der seine zahlenma?ig unterlegenen Manner um sich zu scharen versuchte. In seiner holprigen Sprechweise beschrieb Stockdale die Szene, bei der die Halfte der Matrosen niedergemacht wurde, wahrend die anderen sich verzweifelt auf dem Wasser in Sicherheit zu bringen versuchten. Bolitho, zu Boden gesturzt, wurde von seinen Leuten getrennt. Aus der Wunde, die das Entermesser gerissen hatte, stromte Blut. Ein Wunder, da? ihn der Hieb nicht getotet hatte. Die Matrosen wollten ihren Offizier, den sie sowieso fur tot hielten, liegen lassen. Aber in letzter Minute sammelten sie sich doch noch. Andere Boote eilten ihnen zu Hilfe und brachten Bolitho in Sicherheit.
        Herrick ahnte, da? noch eine Menge mehr dahintersteckte. Und er vermutete, da? Stockdale die Panik eingedammt und den Mann gerettet hatte, dem er nun wie ein treuer Hund diente.
        Bolitho blickte zum Bugspriet.»Der Dunst erinnert ein wenig an den Nebel im Kanal.

        Herricks trockene Lippen knisterten, als er klaglich lachelte.»Ich hatte nie gedacht, da? ich die Kanalflotte vermissen wurde, Sir. Doch nun wurde ich gern wieder den Wind horen und das kalte Spritzwasser spuren.»

«Kann sein«, sagte Bolitho gedankenverloren.»Aber ich habe so ein Gefuhl, da? wir bald Wind bekommen.»
        Herrick sah ihn verdutzt an. Das ist kein leeres Hoffnungsgeschwatz, sondern gehort zum Bild dieses Mannes, zu seiner gelassenen Zuversicht, dachte er.
        Schritte naherten sich, und Vibart sagte rauh:»Auf ein Wort, Kapitan.»

«Worum geht es?»

«Um Ihren Schreiber Mathias, Sir. Er ist im Laderaum verungluckt, Sir.«»Schwer?»
        Vibart nickte.»Ich glaube, er wird den Tag nicht uberleben. «In seiner Stimme klang kein Mitleid mit.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen.»Ich hatte ihn hinuntergeschickt, um einige Vorrate zu prufen. «Er schaute bekummert hoch.»Sind Sie sicher, da? ihm nicht geholfen werden kann?»

«Der Arzt verneint es. «Es klang gleichgultig.»Er hat sich nicht nur die Rippen gebrochen, sondern auch den Schadel aufgeschlagen.
        Ein Spalt, in den ein Marlspieker passen wurde.»

«Ach so. «Bolitho blickte auf die Reling.»Ich kannte den Mann kaum, aber er hat schwer gearbeitet und sich bemuht, sein
        Bestes zu geben. «Er schuttelte den Kopf.»Im Kampf zu fallen, ist eins, aber so… »
        Herrick sagte schnell:»Ich werde sofort einen anderen Schreiber abkommandieren, Sir. Ich denke an Ferguson, einer von den in Falmouth gepre?ten Leuten. Er kann lesen und schreiben und ist an solche Arbeit eher gewohnt. «Herrick entsann sich an Fergusons ve rzweifeltes Gesicht, als sie Antigua verlie?en. Er hatte ihm versprochen, fur ihn einen Brief an seine Frau zu besorgen. Wenn Ferguson der schweren Matrosenpflichten ledig wurde und der harten Aufsicht der Maate entkam, glich das die Unterlassung vielleicht irgendwie aus.
        Bolitho sah ernst aus. Herrick fragte sich, wie der Kapitan die Kraft fand, sich uber einen Matrosen Gedanken zu machen, wenn ihm selber eine so schwere Burde der Verantwortung auf den Schultern lag.

«Gut. Kommandieren Sie Ferguson ab und klaren Sie ihn uber seine Pflichten auf.»

«An Deck!«erscholl es vom Gro?toppausguck.»Bo an Steuerbord voraus!»
        Herrick rannte an die Reling und beschattete die Augen. Unglaubig sah er, wie das leichte Gekrausel auf das stilliegende Schiff zulief und horte, wie sich die Takelage ruhrte, als die Segel sich langsam fullten.
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken.»Was soll das Starren? Bringen Sie die Manner in Trab, Mr. Herrick, damit das Schiff Fahrt aufnimmt.»
        Herrick nickte. Er hatte die Erregung hinter Bolithos Ausbruch wahrgenommen. Als die Segel knatternd zu ziehen begannen, zeigte Bolithos Gesicht eine fast jungenhafte Freude.
        Viel Kraft hatte der Wind nicht, aber er reichte aus, die Phalarope in Fahrt zu bringen. Das Wasser gurgelte um das Ruder, und als die Brassen in den Blocken quietschten, schwangen die Rahen herum, um auch noch das letzte bi?chen Wind einzufangen, voller Gier nach dem Leben, das er ihnen schenkte.

«Gehen Sie auf Nordnordwest, Mr. Herrick«, sagte Bolitho schlie?lich.»Diesen Kurs werden wir bis Sonnenuntergang beibehalten.»

«Aye, aye, Sir.»
        Bolitho trat an die Heckreling und schaute auf das schwache
        Kielwasser. Man sieht ihm seine Besorgnis nicht an, uberlegte Herrick. Der Wind war zwar erfreulich, aber nichts im Vergleich zu der endlosen, sinnlosen Patrouille, doch Bolitho verhielt sich zumindest nach au?en hin, als ware alles normal.
        Nochmals bewies der Ausguck, da? man vor keiner Uberraschung sicher war.

«An Deck! Segel an Steuerbord!»
        Herrick hob das Fernrohr, aber Bolitho sagte kurz:»Von hier aus werden Sie nichts sehen. Der Dunst versperrt den Blick nach Norden. »
        Vibart knurrte:»Mr. Neale, nach oben!»

«Lassen Sie. «Es klang gefahrlich ruhig.»Sie gehen, Mr. Herrick. Jetzt brauche ich ein erfahrenes Auge.»
        Herrick rannte zu den Wanten des Gro?mastes und begann hinaufzuklettern. Er merkte schnell, da? seine Kondition zu wunschen ubrig lie?. Als er die obere Saling erreichte, schlug sein Herz wie eine Trommel. Der bartige Ausguck machte ihm Platz und deutete mit teerverschmierter Hand in die Richtung.

«Dort, Sir. Kann es jetzt nicht erkennen.»
        Herrick ignorierte es, da? die Fregatte unter ihm wie ein Spielzeug schwang, und zog sein Fernglas auseinander. Zuerst sah er nur das helle Licht auf dem niedrig liegenden Dunst und darunter die Millionen glitzernder Reflexe auf dem Meer. Dann entdeckte er das Segel und war enttauscht. Der Rumpf war noch vom Dunst verhullt, doch der sonderbaren Form des Segels nach vermutete er ein kleines Schiff, wahrscheinlich einen Kustenlugger. Nichts wert als Prise, kaum wert zu versenken, entschied er verargert. Er gab seine Meldung an Deck.
        Bolitho schaute zu ihm hinauf.»Ein Lugger, sagen Sie?«Es klang interessiert. Behalten Sie ihn im Auge.»

«Er hat uns noch nicht gesehen. «Der Ausguck blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das ferne Segel.»Schatze, wir sind uber ihm, ehe er uns entdeckt.»
        Herrick nickte und blickte hinab, als Vibart rief:»Pfeifen Sie alle Mann. Klar zum Halsen.»
        Bolitho wollte das Schiff also aufbringen. Herrick beobachtete von oben die plotzliche Aktivitat auf den Decks. Seit seinen Fahnrichstagen hatte er einen solchen Anblick nicht mehr erlebt: die scheinbar ziellos hastenden Gestalten, die aus den Zwischendecks quollen und sich dann wie durch Zauber je nach Aufgabe und Zweck zu erkennbaren Mustern ordneten. Er sah die Maate die Wachlisten prufen, wahrend sie Namen und Befehle herausbellten. Da und dort standen die Offiziere und Unteroffiziere wie kleine isolierte Inseln inmitten der wogenden Flut der Matrosen.
        Die Rahen kamen herum, und die Segel schlugen emport, als die Fregatte ihren Kurs um zwei Strich nach Steuerbord anderte. Herrick spurte, wie der Mast zitterte, und gab sich alle Muhe, nicht daran zu denken, wie lange es dauern mochte, bis man unten aufschlug.
        Die Brise, die der Phalarope zugute gekommen war, erreichte jetzt auch das fremde Segel. Und wie der Wind den Dunst mitnahm, so gewann auch der Lugger an Fahrt. Ein zweites braunliches Segel kletterte den kurzen, dicken Gro?mast hinauf. Der Ausguck kaute auf einem Stuck Tabak und sagte ruhig:»Ein Spanier. Die Takelage kenne ich.»
        Bolithos Ruf schnitt Herricks Spekulationen ab.»Kommen Sie an Deck, Mr. Herrick. Schnell!»
        Herrick langte keuchend und schwitzend unten an. Bolitho wartete bereits auf ihn. Er wirkte au?erst konzentriert.

«Der Lugger ist uns gegenuber im Vorteil, Mr. Herrick. Er kann diese leichte Brise besser nutzen als wir. «Er deutete ungeduldig auf die Back.»Machen Sie die beiden Geschutze klar, und feuern Sie ihm eins vor den Bug.»

«Aye, aye, Sir. «Herrick kam langsam wieder zu Atem.»Eine Kugel wurde reichen, um ihn zu zerschmettern.»
        In Bolithos grauen Augen blitzte etwas wie Belustigung auf.»Er kann die wertvollste Ladung aller Zeiten an Bord haben, Mr. Herrick. »
        Herrick starrte den Kapitan verstandnislos an.»Sir?»
        Bolitho hatte sich bereits abgewandt, um zu verfolgen, wie die Geschutzbedienung nach vorn zu den zwei langen Neunpfundern eilte. »Informationen, Mr. Herrick! Mangel an Informationen kann hier drau?en einen verlorenen Krieg bedeuten.»
        Ein Schu? genugte. Das von der Kugel hochgeschleuderte Wasser spruhte dem fremden Schiff uber den Bug. Erst sank das eine, dann das andere Segel. Traurig dumpelnd, wartete der Lugger ab, was die Phalarope mit ihm vorhatte.
        Nach der Gluthitze auf dem Achterdeck kam Bolitho die gro?e Kajute beinahe kalt vor. Er mu?te sich zwingen, still an den Heckfenstern zu stehen, um seine rasenden Gedanken in Zaum zu halten und den nachsten Schritt zu planen. Nur mit Muhe gelang es ihm, sich gegen die gedampften Schiffsgerausche und entfernten Rufe abzuschlie?en, als ein Boot zu Wasser gelassen wurde, um eine Abteilung an Bord des Luggers zu bringen, der in Lee der Fregatte rollte. Bolitho war nichts anderes ubrig geblieben, als au?erlich gelassen zu beobachten, wie seine Befehle weitergegeben und ausgefuhrt wurden, bis er am Ende den prufenden Blicken seiner Offiziere und den summenden Spekulationen der Mu?igganger auf dem Oberdeck einfach nicht langer standhalten konnte.
        Da? seine beilaufige Vermutung, was die Brise anging, Wirklichkeit geworden war, war ihm selbst wie ein Wunder vorgekommen. Und als der Lugger vom Ausguck gemeldet wurde, hatte er das Gefuhl gehabt, als brodelten seine lange eingekapselten Empfindungen wild durcheinander. Doch die kleinlichen Gereiztheiten hatte er beiseite geschoben, ja selbst die Haltung des Admirals der Phalarope gegenuber konnte er ubersehen, ja sogar vergessen.
        Er schnellte uberrascht herum, als es klopfte.»Herein!«Er starrte den blassen Matrosen, der unsicher in der Tur stand, einige Sekunden an, zwang sich, nicht an den Lugger zu denken, und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Tisch am Schott. Ferguson? Sie werden dort arbeiten, wenn ich Sie brauche«, sagte er bundig; seine Gedanken folgten noch immer dem Enterkommando.
        Ferguson blickte sich blinzelnd um.»Ja, Sir. Ich meine - aye, aye, Sir. «Er war verwirrt und nervos.
        Bolitho musterte ihn freundlich.»Ihre Pflichten erlautere ich Ihnen spater. Im Augenblick bin ich sehr beschaftigt. «Er blickte zur Tur, wo der kleine Neale keuchend auftauchte.

«Kapitan, Sir!«Er rang nach Luft.»Mr. Okes hat den Lugger genommen!»

«Das durfte zu erwarten gewesen sein«, sagte Bolitho trocken.»Sein Kapitan sieht sich schlie?lich einer vollen Breitseite ausgesetzt.»
        Neale uberdachte den Punkt.»Hm, ja, Sir. «Er starrte Bolitho in das gelassene Gesicht und fragte sich augenscheinlich, wie der Kapitan das Oberdeck verlassen konnte, wenn endlich etwas geschah. Dann sagte er:»Das Boot kommt zuruck, Sir.»

«Das war es, was ich horen wollte, Mr. Neale. «Bolitho sah durch die Heckfenster uber die leere See, deren Oberflache eine schwache, doch stetige Brise krauselte. Eine Empfehlung an Hauptmann Rennie. Sobald das Boot langsseits ist, soll er die Offiziere des Luggers isoliert halten, bis ich sie befragen kann. Mr. Okes soll die Durchsuchung des Luggers fortsetzen und melden, wenn er etwas findet.»

«Die Offiziere des Luggers, Sir?«Neales Augen glichen Untertassen.

«Sie stecken vielleicht in Lumpen, aber deshalb bleiben sie doch Offiziere.
«Bolitho betrachtete den Fahnrich ruhig.»Und begehen Sie keinen Irrtum. Diese Leute kennen die Gewasser hier wie ihre eigene Tasche.»
        Der Fahnrich nickte und scho? davon. Bolitho ging ruhelos auf und ab. Dann blieb er vor seinem Tisch stehen, auf dem eine Karte des Karibischen Meeres lag. Die komplexe Masse der Inseln und ausgeloteten Wassertiefen, die vagen Vermessungen und zweifelhaften Beschreibungen glichen einem riesigen Ratsel. Er zog die Stirn in Falten und fa?te sich ans Kinn. Irgendwo inmitten dieses Gewirrs verstreuter Inseln lag der Schlussel zum ganzen Feldzug. Wer ihn fand, wurde siegen. Der Verlierer wurde fur immer aus dem karibischen Gebiet verdrangt werden.
        Mit den Spitzen seines Stechzirkels folgte er dem Kurs der Phalarope bis zu einem kleinen Bleistiftkreuz. Hier, auf dieser Position, nutzte er nichts. Das funfzig Meilen entfernte St. Kitts mochte noch immer der Belagerung standhalten, wahrend jenseits des Horizonts Graf de Grasses gro?e Flotte sich womoglich zum endgultigen Schlag gegen die verstreuten britischen Einheiten vorbereitete. Und waren die Briten erst einmal von diesen Inseln vertrieben, wurden die Franzosen und ihre Verbundeten Sudamerika aufrollen wie eine Landkarte. Sie wurden den Nord- und Sudatlantik beherrschen und nach den reichen Schatzen Afrikas greifen, ja daruber hinaus.
        Er verdrangte die Vorstellung, denn er horte das Trampeln von Stiefeln und das Aufsetzen von Gewehren.
        Vibart erschien im Turrahmen.»Die Gefangenen sind an Bord, Sir. «Er sah Ferguson durchdringend an, der sich neben dem Tisch zu einem Ball zusammenzurollen schien. Es stimmt, ein Spanier. Zwanzig Mann an Bord, kein Widerstand. Ich habe den Kapitan und zwei Maate drau?en unter Bewachung, Sir.»

«Gut. «Bolitho blickte auf die Karte.»Zwanzig Mann, sagen Sie? Eine starke Mannschaft fur ein so kleines Fahrzeug. Gewohnlich bemannen die Spanier ihre Schiffe sparsamer.»
        Vibart zuckte mit den Schultern.»Mr. Farquhar sagt, der Lugger ware im Kustenhandel eingesetzt. Nutzt uns nicht viel.»

«Ich werde mich erst einmal mit dem Kapitan unterhalten. Sie konnen an Deck gehen und beobachten, welche Fortschritte Mr. Okes macht. Lassen Sie mich bitte wissen, sobald er etwas herausgefunden hat.»
        Der Schiffer des Luggers war klein und dunkelhautig. Er trug ein zerlumptes Hemd und eine weite Leinenhose. Unter seinem glatten Haar schaukelten zwei goldene Ohrringe, und seine schmutzigen, blo?en Fu?e vollendeten das Bild der Vernachlassigung und Armseligkeit. Neben ihm wirkte Fahnrich Farquhar elegant und unwirklich.
        Bolitho hielt die Augen auf die Karte gerichtet. Das unruhige Atmen und Fu?escharren des Spaniers entging ihm nicht. Schlie?lich sagte er:»Spricht er englisch?»

«Nein, Sir«, antwortete Farquhar ungeduldig.»Er schnattert blo?.»
        Ohne den Blick von der Karte zu heben, sagte Bolitho wie nebenbei:»Dann nehmen Sie ihn wieder mit an Deck, und lassen Sie den Profo? eine Schlinge am Hauptmast anbringen.»

«Eine Schlinge, Sir?«fragte Farquhar verdutzt.»Wollen Sie ihn hangen?»

«Selbstverstandlich«, sagte Bolitho grob.»Er nutzt mir nichts.»
        Der Spanier schwankte und warf sich Bolitho zu Fu?en. Er schluchzte und weinte, wahrend er Bolithos Beine umklammerte. Die Worte stromten ihm wie eine Flut uber die Lippen.

«Bitte, Kapitan, nicht hangen. Bitte! Ich bin guter Mann, Sir. Ich haben Frau und viele arme Kinder. «Tranen rannen ihm uber die Wangen.»Bitte, Sir, nicht hangen! Das letzte Wort kreischte er fast.
        Bolitho befreite sich aus der Umklammerung und sagte ruhig:»Ich dachte mir schon, da? Ihre Englischkenntnisse wieder aufleben wurden. «Und zu Farquhar:»Versuchen Sie den Trick bei den zwei Maaten. Sehen Sie zu, was Sie aus ihnen herausbekommen.
«Er wandte sich wieder dem wimmernden Mann zu.»Stehen Sie auf und beantworten Sie meine Fragen, oder ich lasse Sie doch noch aufknupfen.»
        Er lie? einige Minuten verstreichen. Was hatte er angefangen, wenn der Spanier tatsachlich nicht englisch gesprochen hatte? Dann fragte er:»Ihr Bestimmungsort? Ihre Ladung?»
        Der Mann schwankte. Seine schmutzigen Hande waren wie zum Gebet gefaltet.»Ich segeln nach Puerto Rico, Kapitan, mit kleiner Ladung Holz und Zucker. «Er rang die Hande.»Aber nehmen Sie alles, Exzellenz, nur lassen Sie mir Leben.»

«Halten Sie den Mund. «Bolitho spahte auf die Karte. Die Geschichte konnte stimmen. Er fragte scharf:»Woher kommen
        Sie?»
        Der Mann lachelte unterwurfig.»Ich segeln uberall, Kapitan. «Er schwenkte unbestimmt die Hand.»Ich haben nur kleine Ladung. Ich nehmen, wo was kriegen. Ein schweres, schweres Leben, Exzellenz.»

«Ich werde meine Frage nur einmal wiederholen!«Bolitho sah ihn durchdringend an.
        Der Mann trat von einem Fu? auf den anderen.»Von Martinique, Kapitan. Ich haben kleine Arbeit da. Aber ich hassen Franzosen, versteh'n?»
        Bolitho senkte die Augen, um die Erregung, die er spurte, zu verbergen: von Martinique, dem Hauptquartier und der wesentlichsten Operationsbasis der Franzosen, der am starksten gesicherten Festung Karibiens.

«Sie hassen die Franzosen, Ihre tapferen Verbundeten?«Bolithos Sarkasmus entging dem Spanier nicht.»Nun, lassen wir das. Sagen Sie mir statt dessen, wie viele Schiffe dort auf Reede lagen. «Bolitho sah Angst in den Augen des Schiffers und nahm an, da? der Spanier genau wu?te, welche Reede er meinte.

«Viele Schiffe, Exzellenz. «Er rollte mit den Augen.»Viele gro?e Schiffe.»

«Und wer befehligt diese vielen gro?en Schiffe?»

«Der franzosische Admiral, Exzellenz. «Der Spanier rausperte sich, als ob er ausspucken wollte, bemerkte jedoch, da? die Wache ihn von der Tur her beobachtete, und schluckte gerauschvoll.»Ein franzosisches Schwein, dieser Mensch.«»Der Graf de Grasse?»
        Der Schiffer nickte heftig.»Aber Sie ja alles wissen, Kapitan. Sie der Allmachtige haben gesegnet.»
        Farquhar betrat die Kajute, und Bolitho schaute hoch.»Nun?»

«Sie sprechen beide nur wenig englisch, Sir. «Er schien auf sich selber wutend zu sein.»Nach dem, was ich mir zusammenreimen kann, wollten sie nach Puerto Rico.»
        Bolitho winkte der Wache.»Bringen Sie den Gefangenen hinaus, aber lassen Sie ihn nicht mit den anderen reden. «Dann sagte er abwesend:»Er hat gelogen. Er kam von Martinique. Die Franzosen wurden ihm seine Handelsfahrten nie erlauben, wenn sie jederzeit selbst belagert werden konnten. «Er klopfte auf die Karte.»Nein, Mr. Farquhar, mag sein, da? er von Martinique kommt, aber sein Bestimmungsort ist ein anderer.»
        Vibart kam herein und zog wegen der Decksbalken den Kopf ein.»Mr. Okes meldet, da? die Ladung mit dem ubereinstimmt, was Sie bereits wissen, Sir. Aber unter der Hauptladung sind neue Stengen und Fasser mit Salzfleisch verstaut. Au?erdem eine Menge Ersatzsegel und Tauwerk.»

«Genau, wie ich dachte. «Bolitho fuhlte sich sonderbar euphorisch.»Der Lugger bringt Vorrate von Martinique nach… «Sein Finger glitt uber die auf der Karte eingezeichneten Inseln.»Ja, wohin?«Seine Augen wanderten von Vibarts dusterem zu Farquhars verblufftem Gesicht.»Bringen Sie den spanischen Schiffer noch mal her.»
        Bolitho trat an die Heckfenster und beugte sich uber das Wasser, wie um seine Gedanken zu ordnen. Ihm schien, da? der Spanier von den franzosischen Schiffen in Martinique so offen erzahlt hatte, weil er wu?te, da? britischen Patrouillenschiffen diese Nachricht bereits bekannt war. Der Spanier bildete sich offenbar ein, da? ihm, Bolitho, der Hauptpunkt entgangen war. Er drehte sich rasch um, als der Mann durch die Tur gesto?en wurde.»Horen Sie gut zu«, sagte er beherrscht, doch so schroff, da? der Spanier zu zittern begann.»Sie haben mich belogen. Ich habe Ihnen gesagt, was mit Ihnen passieren wurde, nicht wahr?«Er sprach jetzt gefahrlich leise.»Also, noch einmal: Ihr Bestimmungsort?»
        Der Mann wankte.»Bitte, Exzellenz. Die mich toten, wenn es herausfinden.»

«Und ich werde Sie toten, wenn Sie mich warten lassen. «Bolitho bemerkte, da? Herrick die Szene von der Tur aus fasziniert verfolgte.

«Wir segeln nach Insel Mola, Kapitan. «Der Mann schien zusammengeschrumpft zu sein.»Die Ladung ist fur Schiffe dort.»
        Herrick und Farquhar wechselten verstandnislose Blicke.
        Bolitho beugte sich uber seine Karte.»Mola ist hollandisch. «Er ma? die Entfernung mit dem Zirkel ab.»Drei?ig Meilen nordostlich unserer gegenwartigen Postition.
«Seine Augen bohrten sich mitleidslos in den Spanier.»Wie oft sind Sie schon dorthin gesegelt?»

«Oft, Exzellenz. «Der Spanier sah aus, als musse er sich ubergeben.»Soldaten dort, franzosische Soldaten. Kommen von Norden. Haben auch Schiffe.»
        Bolitho atmete langsam aus.»Naturlich. De Grasse wurde nie den Versuch unternehmen, seine Schiffe gegen Jamaika oder eine andere Insel zu schicken, wenn er sich nicht voller Infanterieunterstutzung sicher ware und ein Ablenkungsmanover an anderem Ort in der Hinterhand hatte. «Er sah die anderen an.»Unsere Flotte beobachtet Martinique im Suden und wartet, da? sich die Franzosen regen, doch die ganze Zeit uber sickern sie vom amerikanischen Festland ein und sammeln sich zu einem gro?en, entscheidenden Schlag.»
        Vibart sagte:»Wir mussen die Cassius informieren, Sir.»

«Wir konnten mit dem Lugger das Flaggschiff suchen, Sir«, sagte Herrick lebhaft von der Tur her,»und selber hier in Bereitschaft bleiben.»
        Bolitho schien sie nicht zu horen.»Wache, bringen Sie den Gefangenen zu den anderen, und schlie?en Sie alle ein. Meine Empfehlungen an den Bootsmann, und er soll die Leute von der Luggerbesatzung auswahlen, die nach seiner Meinung fur uns vereidigt werden konnen. Ich kann mir vorstellen, da? die Phalarope dem Gefangnis noch immer vorzuziehen ist.»
        Der Seesoldat griente.»Aye, aye, Sir. «Er stie? den Spanier mit seinem Gewehr hinaus.

«Es wird zwei Tage dauern, ehe wir der Cassius wieder begegnen«, dachte Bolitho laut.»Dann kann es zu spat sein. Dieser Spanier hat uns viel berichtet, aber die ganze Wahrheit kennt er nicht. Wenn die Franzosen bei dieser kleinen Insel
        Truppen und Schiffe zusammengezogen haben, steht zu erwarten, da? sie losschlagen wollen, und zwar bald. Ich halte es fur unsere Pflicht, das zu erkunden und unser Au?erstes zu tun, sie daran zu hindern.»
        Vibart schluckte schwer.»Beabsichtigen Sie, die Patrouillenzone zu verlassen, Sir?


«Haben Sie irgendwelche Einwande, Mr. Vibart?«Bolitho sah ihn ruhig an.

«Ich trage nicht die Verantwortung, Sir. «Vibart wich Bolithos kaltem Blick aus.
        Herrick sagte schnell:»Es ist ein gro?es Risiko, wenn ich das bemerken darf, Sir.»

«Wie alles, was sich zu unternehmen lohnt, Mr. Herrick.»
        Bolitho richtete sich sehr gerade auf und fugte energisch hinzu:»Meine Empfehlung an Mr. Proby. Er soll wenden und Nordostkurs steuern lassen. Wir werden hart am Wind segeln und bei Einbruch der Nacht die Insel Mola erreichen. Bis dahin gibt es viel zu tun, meine Herren.»
        Seine Augen wanderten von einem zum anderen, ehe er fortfuhr:»Schicken Sie ein Prisenkommando an Bord des Luggers. Mr. Okes soll nach den Erkennungssignalen suchen. Wie ich vermute, ist die Insel streng bewacht. Der Lugger ist wichtig fur uns. Wir konnen uns nicht erlauben, ihn auf die Suche nach dem Admiral zu schicken.»

«Der Admiral durfte uber Ihr Vorgehen nicht erfreut sein, Sir«, sagte Vibart widerspenstig.

«Und ich wurde mir ewig Vorwurfe machen, wenn ich mein personliches Ansehen uber meine offensichtliche Pflicht stellen wurde, Mr. Vibart. «Er sah Herrick und Farquhar an.»Eine gute Gelegenheit fur Sie beide. «Sein Blick schweifte durch die Kajute.»Und fur das Schiff auch.»
        Als alle die Kajute verlassen hatten, ging er zum Heckfenster. Eine Minute lang plagten ihn nagende Zweifel. Er hatte ungestum gehandelt, ohne die moglichen Folgen grundlich zu uberlegen. Geschick und Fahigkeit entschieden nur die Halfte, fur die andere brauchte man Gluck. Und wenn er sich jetzt geirrt hatte, konnte kein Gluck der ganzen Welt das ausgleichen.
        Er bemerkte, da? ihn Ferguson vom Tisch her wie ein hypnotisiertes Kaninchen anstarrte. Den hatte er ganz vergessen. Immerhin, die Geschichte, die er im Logis zum besten geben wurde, konnte der schwindenden Moral des Schiffes nur gut tun. Wenn die Phalarope diesmal Gluck hatte, wurde alles anders aussehen. Und wenn nicht? Er zuckte mit den Schultern. Nur wenige wurden dann mit dem Leben davonkommen, um die Sache zu diskutieren.
        Er horte die Achterwache an den Brassen. Das Deck legte sich schrag, als die Fregatte durch den Wind ging. Im Heckfenster tauchte fur einen Augenblick der kleine Lugger auf. Er vollzog das gleiche Manover, um neben der Fregatte zu bleiben. Wahrend Bolitho den Lugger betrachtete, fragte er sich, wieviele Manner bereits den scharfaugigen Ausguck verfluchten, der ihn gesichtet hatte.»Jetzt werden Sie Ihrer Frau etwas erzahlen konnen, Ferguson. Vielleicht wird sie stolz auf Sie sein.»
        Bolitho erhob sich von der Achterducht des Kutters. Hande packten zu und zogen ihn ohne gro?e Umstande uber das niedrige Schanzkleid des Luggers. Einige Sekunden stand er schwankend auf dem unvertrauten Deck und versuchte, seine Augen an die Dunkelheit zu gewohnen.
        Der Kutter hatte bereits wieder abgelegt. Bis auf den wei?en Schaum, der um seine Riemen quirlte, war er bereits in der Nacht untergetaucht. Bolitho versuchte, die Phalarope auszumachen, aber auch sie war nicht zu erkennen. Kein Lichtpunktchen verriet ihre Anwesenheit. Er rief sich die Karte und die Gestalt der Insel ins Gedachtnis, die irgendwo vor dem stumpfen Bug des Luggers lag. Hauptmann Rennie tauchte aus der Dunkelheit auf.»Ich habe die Seesoldaten unter Deck geschickt, Sir. «Er flusterte, was gar nicht notwendig gewesen ware.»Sergeant Garwood wird darauf achten, da? sie sich bis zum Einsatz still verhalten.»
        Bolitho nickte. Hatte er auch nichts dem Zufall uberlassen? Er ging in Gedanken noch einmal alles durch.»Haben Sie sich vergewissert, da? die Gewehre und Pistolen ungeladen sind?»
        Rennie nickte.»Jawohl, Sir. «Es klang, als meinte er: >Naturlich, Sir!< Ein vorzeitiger Schu? im falschen Moment, ein Seesoldat, der aus Nervositat abzog, und ihr Leben war noch weniger wert als schon jetzt.

«Gut. «Bolitho tastete sich nach achtern. Dort stand Stockdale breitbeinig neben der rohen Ruderpinne. Den Kopf hatte er nach hinten gelegt, um auf die schlagenden Segel zu achten. Fahnrich Farquhar wachte neben einem formlosen Bundel, in dem Bolitho den unglucklichen spanischen Schiffer erkannte. Er sollte als Unterpfand und Fuhrer dienen.

«Denken Sie, da? wir unbemerkt unter Land kommen, Sir?«fragte Rennie.
        Bolitho blickte zu den hohen, glitzernden Sternen auf. Nur die allerschwachste Andeutung einer Mondsichel schwebte silbern uber ihrem Spiegelbild im flachen Wasser. Die Nacht war finster genug, alles zu verbergen. Vielleicht zu finster.

«Wir werden sehen«, sagte er.»Lassen Sie Fahrt aufnehmen, und achten Sie darauf, da? die Kompa?laterne gut abgeblendet ist. «Er kehrte Rennie und dessen Fragen den Rucken und drangte sich an den hockenden Matrosen vorbei, deren Augen ihm folgten. Gelegentlich horte er das Schaben eines Entermessers oder ein dumpfes Klirren vom Bug, wo McIntosh, ein Artilleriemaat, in letzter Minute nochmals seine in aller Eile montierte Drehbasse prufte. Sie war mit Kartatschen geladen, die auf kurze Entfernung todlich wirkten. Der erste Schu? mu? sitzen, uberlegte Bolitho grimmig. Fur einen zweiten ist unter Umstanden keine Zeit.
        Er fragte sich, was Vibart denken mochte, der nun die Verantwortung fur die Fregatte trug und Stunden warten mu?te, bis er seinen Part bei der Aktion spielen konnte. Er dachte an das Gesicht, das Herrick gemacht hatte, als er ihm sagte, da? er Leutnant Okes auf den Lugger mitnehmen wurde. Herrick wu?te, da? es keine andere Wahl gab. Okes war dienstalter, und es war nur gerecht, da? er die Chance bekam, sich einen Namen zu machen. Oder vor Herrick zu sterben, dachte Bolitho trocken. Vibarts Rang und Dienstalter geboten es, ihm den zeitweiligen Befehl uber die Fregatte zu ubertragen. Und falls Vibart und er fielen, konnte Herrick noch immer die Sprossen der Rangleiter erklimmen.
        Bolitho blickte finster in die Dunkelheit und verfluchte sich wegen seiner morbiden Gedanken. Vielleicht war er durch das Planen und Vorbereiten schon zu erschopft, um noch denken zu konnen. Den ganzen Tag uber, wahrend die Fregatte auf die Insel Mola zusteuerte, hatte lebhafte Geschaftigkeit geherrscht. Manner und Waffen waren auf den Lugger hinubergeschafft worden, dessen Ladung man uber Bord geworfen oder zur Phalarope hinubergepullt hatte. Im Laderaum des Luggers befanden sich jetzt die Seesoldaten. Die Leute hatten zu viel damit zu tun, gegen die Ubelkeit anzukampfen, die ihnen der Gestank von Fischol und verdorbenem Gemuse bereitete, um daran zu denken, was vor ihnen lag. Mathias, Bolithos Schreiber, war gestorben und mit einem kurzen Gebet dem Meer ubergeben worden. Sein Tod und die Beisetzung hatten die hektischen Vorbereitungen nicht unterbrochen, und jetzt konnte man sich kaum noch an sein Gesicht erinnern.
        Leutnant Okes stolperte uber das Deck heran. Er ging gebuckt, als erwarte er, gegen unsichtbare Gegenstande zu sto?en. Er erspahte Bolitho und murmelte:»Alle - alle Leute klar, Sir. «Es klang angespannt und nervos.
        Bolitho grunzte. Der Zweite bereitete ihm schon seit einiger Zeit Sorgen. Okes hatte sich sogar erboten, an Herricks Stelle auf der Fregatte zu bleiben, was sehr sonderbar war. Bolitho wu?te, da? Okes nicht reich war. Jede Beforderung au?erhalb der Reihe und ein lobender Bericht in der Gazette hatten fur seine Karriere viel bedeutet. Wahrscheinlich hat er Angst. Nun, bis auf Wahnwitzige mu?te jeder Angst haben, dachte Bolitho.

«Wir werden die Landzunge bald sichten«, antwortete er.»Die hohe Brandung mu? sie anzeigen. «Er rief sich mit aller Macht das Bild vor Augen, das er sich von der Insel gemacht hatte. Sie glich irgendwie einem Hufeisen, die tiefe Reede lag zwischen zwei geschwungenen Landspitzen verborgen. Die Ortschaft befand sich auf der dem Meer zugekehrten Seite der ihnen zunachst liegenden Landzunge. Dort war der einzige flache Strand der ganzen Insel. Nach der Karte und den Angaben, die er aus dem Spanier herausgequetscht hatte, waren Reede und Ortschaft durch einen unebenen Weg verbunden, der mit Hilfe einer Holzbrucke eine tiefe Schlucht uberquerte. Die Spitze der Landzunge war durch diese Schlucht isoliert. Auf dem hochsten Punkt sollte eine starke Batterie postiert sein, wahrscheinlich Vierundzwanzigpfunder. Sie konnten die ganze Reede leicht verteidigen. Eine Sandbank und mehrere Riffe machten au?erdem jede Annaherung zu einem Risiko. Im Grunde war es unmoglich, ohne gutes Tageslicht einzulaufen. Kein Wunder, da? die Franzosen diese Insel zu ihrem Stutzpunkt gewahlt hatten.

«Die Landzunge, Sir!«Ein Matrose wies nach vorn.»Dort,
        Sir.»
        Bolitho nickte und ging nach achtern.»Gut achtgeben, Stockdale! Etwa eine Viertelmeile voraus liegt das Ufer. Dort soll eine Landungsbrucke aus Holz sein, wenn man den Angaben des Spaniers trauen darf.»
        Im Bug warf ein Matrose das Lot aus und meldete heiser:»Etwa Strich zwei, Sir.»
        Zwei Faden Wasser unter dem Kiel, und noch waren sie weit vom Land entfernt. Ein Uberraschungsangriff konnte in der Tat nur von einem so kleinen Boot wie dem Lugger ausgefuhrt werden. Und das Uberraschungsmoment war ihr einziger Vorteil. Niemand, der bei gesunder Vernunft war, wurde erwarten, da? ein einzelnes kleines Boot sich dieser stark befestigten Insel bei volliger Dunkelheit naherte.
        Steuermann Belsey sagte heiser:»Ich sehe die Pier, Sir. Dort druben.»
        Bolitho schluckte schwer und spurte ein Prickeln in der Wirbelsaule. Er ruckte seinen Degen zurecht und vergewisserte sich, da? seine Pistole griffbereit war.

«Holen Sie den Spanier«, sagte er heiser vor Spannung.
        Der Gefangene klapperte vor Furcht mit den Zahnen. Bolitho packte ihn beim Arm. Er roch die Furcht des Mannes. Jetzt war der Augenblick, dem Spanier einen Schrecken ins Gebein zu jagen. Er mu?te sich mehr vor ihm als vor dem furchten, was ihm die Franzosen antun konnten.»Horen Sie gut zu. «Bolitho schuttelte den Mann bei jedem Wort.»Wenn wir angerufen werden, wissen Sie, was Sie zu tun haben, nicht wahr?»
        Der Spanier nickte heftig.»Laterne zeigen. Signal geben, Exzellenz. »

«Und wenn man Sie fragt, warum Sie bei Nacht hereinkommen, sagen Sie, da? Sie Nachrichten fur den Garnisonskommandanten bringen.»

«Aber Exzellenz, ich bringe nie Nachrichten.»

«Halten Sie den Mund. Sagen Sie es! Wie ich Wachen kenne, geben sie sich damit erst einmal zufrieden.»
        Die Pier ragte wie ein schwarzer Finger aus der Finsternis. Die Segel wurden langsam geborgen, und als der Lugger sanft auf die Landungsbrucke zuglitt, leuchtete eine Laterne auf, und jemand rief: «Qui voala?»
        Der Spanier offnete die Blende seiner Laterne. Zwei lange, zwei kurze Blinkzeichen. Mit bebender Stimme stotterte er seine Botschaft heraus. Zwischen jedem Wort mu?te er tief Luft holen. Er schlotterte derma?en vor Angst, da? Farquhar ihn gegen den Mast drucken mu?te wie eine Leiche. Die Wache sagte etwas zu einem anderen Mann hinter einer kleinen Hutte in halber Hohe der Pier. Bolitho horte ihn lachen. Metall klirrte zweimal, als die Wachen ihre Gewehre entspannten.
        Der Bug schwang zur Pier herum, und Bolitho sah, wie der Wachsoldat sich vorbeugte, um zu beobachten, wie der Lugger festmachte. Er hatte das Gewehr uber die Schulter geworfen. Im Gluhen seiner langen Tonpfeife blitzte sein hoher Tschako kurz auf. Bolitho hielt den Atem an. Jetzt wurde sich zeigen, ob er die richtigen Manner ausgewahlt hatte.
        Er verfolgte, wie ein Matrose, den Festmacher in der Hand, mit gespielter Gelassenheit die Leiter erklomm. Der Posten rief ihm etwas zu. Doch es war nicht zu verstehen, weil er sich umdrehte, um zuzusehen, wie der Matrose das Tau uber einen Poller warf. Ein zweiter Matrose, der auf dem Vordersteven gekauert hatte, sprang wie eine Katze hinauf. Sekundenlang schwankten die zwei Gestalten in einem makaberen Tanz, aber man vernahm kaum einen Laut. Erst als der Matrose den Griff lockerte und den toten Posten gerauschlos auf die Pier sinken lie?, begriff Bolitho, da? die Zeit zum Handeln gekommen war.

«Der Nachste!«zischte er.
        Belsey glitt uber den Bug, gefolgt von einem Matrosen, der die Klinge seines Messers an der Hose abwischte. Beide verschwanden hinter der Hutte. Diesmal gab es ein paar Gerausche: das Klappern eines fallenden Gewehrs, etwas wie ein Rocheln, nicht mehr.
        Bolitho kletterte zur Pier hinauf. Er bebte vor unterdruckter Erregung.»Mr. Okes, rucken Sie mit Ihrem Kommando im Laufschritt zum Ende der Pier vor. «Er hielt einen Matrosen zuruck, der losrasen wollte, und zischte:»Ruhig! Hinten ist ein Wachhaus.»
        Rennies Seesoldaten stromten aus dem Laderaum, das wei?e Lederzeug stach hell von ihren Uniformen ab. Rennie hatte seine Order nicht vergessen. Innerhalb weniger Minuten hatte er seine Leute in zwei Abteilungen gegliedert. Auf ein einziges Kommando hin sturmten die Gruppen uber die Pier auf die schweigende Ortschaft zu.
        Stockdale verlie? den Lugger als letzter. Das Entermesser baumelte wie ein Spielzeug in seiner Hand.
        Bolitho blickte sich noch einmal prufend um.»Also, Stockdale, sehen wir uns die Geschichte mal an!»



        VIII Der Angriff

        Bolitho hob die Hand, die Matrosen machten halt.»Zehn Minuten Rast. Nach hinten durchsagen.»
        Er wartete, bis alles wieder still war, und sagte dann zu Leutnant Okes:»Wir gehen noch ein Stuck weiter und werfen einen Blick auf die Brucke. Sich hier den Kopf zu zerbrechen, hilft Rennies Seesoldaten auch nicht. Es ist bereits fast zwei Uhr. Ehe die Dammerung heraufkommt, gibt es noch viel zu tun.»
        Bolitho stieg den steilen Weg hinauf, ohne Okes' Erwiderung abzuwarten. Die lockeren Steine knirschten unter seinen Sohlen. Ihm war sonderbar zumute. Alles war so gut gegangen, da? die Anspannung sich um so starker bemerkbar machte. Das Gluck konnte doch unmoglich andauern.
        Vor kaum einer Stunde hatte der Lugger am Pier angelegt. Nachdem die beiden Posten niedergemacht worden waren, hatten Rennies Seesoldaten das kleine Wachhaus am Anfang der Kustenstra?e erobert. Die schlafenden Soldaten, alle zehn, waren durch Keulenschlage betaubt worden, und den wachhabenden Unteroffizier hatte man ergriffen und wie ein Paket zusammengeschnurt.
        Bolitho war dann losmarschiert, wahrend Rennie seine Leute entlang der Stra?e verteilte und das Gelande oberhalb der Ortschaft besetzte. Hier mu?ten sie eigentlich allem standhalten konnen, bis das Angriffskommando seine Arbeit vollendet hatte.
        Bolitho kniete sich hin und versuchte, die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Verschwommen sah er die dunnen Umrisse einer hohen Holzbrucke und dahinter das abgetrennte Gebiet, wo die schlafende Bedienung der Batterie lag und noch nichts von dem ahnte, was vorging. Eine ziemlich solide Brucke, dachte Bolitho. Breit und tragfahig genug fur den Transport von Geschutzen und Vorraten, von Geschossen und allen Materialien zum Bau von Brustwehren und Schie?scharten. War sie erst einmal in die Luft gesprengt, wurde es lange dauern, sie wieder zu ersetzen.
        Ein Stiefel knirschte neben ihm. Sergeant Garwood sah zu ihm hinunter.»Eine Empfehlung von Hauptmann Rennie, Sir. Die Seesoldaten haben die befohlenen Positionen bezogen. Wir haben den Lugger am Kopf des Pier festgemacht, so da? unser Ruckzug durch die Drehbasse gedeckt ist. «Er starrte zur Brucke.»Da wurde ich gern mitmachen, Sir«, sagte er voller
        Neid.

«Gehen Sie zuruck zu Hauptmann Rennie und sagen Sie ihm, er soll die Stra?e halten, bis wir uns zuruckziehen. «Bolitho lachelte.»Keine Angst, Sergeant, Sie werden schon noch in den Kampf kommen, ehe die Nacht um ist.»
        Als Garwood in der Finsternis verschwunden war, sagte er scharf:»Fuhren Sie die Abteilung herauf, Mr. Okes, und achten Sie darauf, da? alles leise vor sich geht.
«Er wandte sich wieder der Brucke zu. Wahrscheinlich wurde sie am einen Ende bewacht, wenn nicht gar an beiden. Es mu?te alles sehr schnell gehen.
        Okes tauchte schwer atmend wieder auf.»Alle zur Stelle,
        Sir.»
        Farquhar folgte Okes auf dem Fu?e, sein Gesicht schimmerte bla? im schwachen Mondlicht.»Ich habe Glover fur die Aufgabe ausgewahlt, Sir«, sagte er.
        Bolitho nickte. Glover war der Matrose, der den ersten Wachtposten so gerauschlos erdrosselt hatte.»Gut, schicken Sie ihn los.»
        Der Mann glitt uber die Boschung aus Steinen und Buschen und tauchte in den tiefen Schatten vor der Brucke.

«Denkt daran, Leute, wenn Glover den Posten nicht stillmachen kann und Alarm gegeben wird, mussen wir sturmen.»
        Er zog seinen Degen und sah das todliche Blitzen der Entermesser, als er sich umblickte.

«Mr. Farquhar ubernimmt mit funf Mann die Kanonen und das Magazin«, flusterte er Okes zu.»Und McIntosh soll eine Ladung anbringen, um die Brucke in die Luft zu sprengen, sobald wir uns zuruckgezogen haben. Verstanden?»
        Okes nickte.»Ich - ich denke schon, Sir.»

«Sie mussen sich uber alles restlos klar sein, Mr. Okes. «Bolitho sah ihn durchdringend an. Plotzlich wunschte er, er hatte Herrick an seiner Seite. Sollte er fallen, ehe die Attacke abgeschlossen war, wie wurde Okes dann zurechtkommen? Er fuhr fort:»Nach den Angaben unseres Spaniers fuhrt ein Weg von der Batterie zum Ufer vor der Reede. Sobald die Batterie genommen ist, werde ich hinuntergehen, um festzustellen, wie den Schiffen im Hafen beizukommen ist. Ich will versuchen, eins oder mehrere in Brand zu setzen, und die Phalarope kann sich mit jenen befassen, die ausbrechen. «Er wandte sich um, als Stockdale, der den wimmernden Spanier hinter sich her zog, durch die Busche herankam.

«Sir, Glover hat Signal gegeben. Er hat den Posten niedergemacht. »
        Bolitho erhob sich. Wenn ich doch tausend Mann hatte statt sechzig, ging es ihm durch den Kopf. Dann konnte ich die Insel nehmen und halten, bis Verstarkung eintrifft. Er zog den Hut in die Stirn und lie? seinen Blick uber die Leute schweifen. Gut, da? er jeden personlich ausgewahlt hatte.

«Los, Leute. Schnell und ohne jeden Larm. «Er schwang den Degen.»Mir nach!»
        Die Matrosen trotteten in zwei Reihen auf die Brucke zu. Bolitho ging einen Schritt voraus, die Augen auf die leere Brucke gerichtet, die ihm mit einem Mal sehr weit entfernt und gefahrlich vorkam.
        Die Schritte beschleunigten sich, und Bolitho wu?te, ohne sich umzudrehen, da? der Vormarsch bereits in den Angriff uberging. Dann hallten seine Schuhe hohl auf den Bohlen. Zwischen den steilen Wanden der Schlucht horte er das Donnern der Flut, und aus dem Augenwinkel sah er die wei?en Kamme der Brandung. Er sturzte beinahe uber die Leiche des uniformierten Postens. Glover gru?te ihn, das erbeutete Gewehr in der Hand.
        Ohne stehenzubleiben, sagte Bolitho:»Gut gemacht, Glover. Und nun weiter.»
        Eine halbkreisformige Brustwehr mit viereckigen Stuckpforten lief rund um die andere Seite der Landspitze, und wahrend Bolitho auf den Ginsterstoppeln und dem trockenen Gras ausrutschte, zahlte er sieben oder acht schwere, auf die See gerichtete Kanonen. Hinter ihnen ragte ein hoher Erdwall auf, und Bolitho nahm an, da? man ihn aufgeschuttet hatte, um das Magazin zu schutzen.
        Im Schatten unterhalb des Walls gellte ein besturzter Schrei auf, und vor Bolithos Fu?en schien ein Soldat aus dem Boden zu wachsen. Er sah die entblo?ten Zahne und horte das hastige Einatmen des Mannes, der vorsprang und mit dem Bajonett einen Ausfall machte.
        Glover, der dicht hinter Bolitho war, stie? einen furchtbaren Schrei aus. Die Klinge hatte ihn aufgespie?t. Bolitho holte aus; der Soldat sackte zusammen. Die Wucht des Sabelhiebs hatte ihm den Arm fast vom Korper getrennt. Er war verloren und vergessen, als die Matrosen ungestum uber ihn hinweg auf das Plateau wogten und wie Wilde nach weiteren Opfern Ausschau hielten.
        Sie stie?en auf sechs Franzosen, die in einer kleinen Hutte neben einem gro?en Schmelzofen schliefen, der feindselig gluhte und ein unheimliches Licht uber die Ketten glanzender runder Kugeln und die Entermesser der triumphierenden Seeleute warf. Ein Franzose richtete sich so verblufft auf, als traue er seinen Augen nicht. Ein Entermesser machte ihn stumm, ehe er einen Ton von sich geben konnte, und zwei andere, die aufbrullten, wurden niedergestochen, als sie nach ihren Waffen greifen wollten.
        Bolitho achtete nicht auf die grauenvollen Gerausche, die aus der Hutte drangen. Er beugte sich uber die Brustwehr und spahte zum schimmernden Spiegel der Reede hinunter. In der Mitte lagen zwei gro?e Schiffe vor Anker, und zwei kleinere lagen dicht unter den Klippen. Die Ankerlaternen blinkten auf dem stillen Wasser wie Gluhwurmchen. Kein Alarm. Nichts storte die ruhige Nachtwache. Bolitho stand kalter Schwei? auf der Stirn, und er merkte, da? er zitterte.
        Farquhar klomm zu ihm hinauf. Sein Dolch hob sich schwach glanzend gegen die dunkle Uniform ab.»Die Batterie ist genommen, Sir«, meldete er aufgeregter als sonst, und Bolitho wu?te, da? auch ihn die wahnsinnige Wildheit gepackt hielt.

«Acht Kanonen«, fuhr Farquhar in ruhigerem Ton fort.»Zwei davon Zweiunddrei?igpfunder. «Es klang beeindruckt.»Wenn die Froschfresser die Kugeln im Ofen zum Gluhen bringen, konnen sie leicht jeden Angreifer versenken. Solche Kugeln setzen ein Schiff im Handumdrehen in Brand.»
        Bolitho nickte und deutete auf die vor Anker liegenden Schiffe.»Ich wurde sie gern an ihnen ausprobieren, aber der Larm wurde uns die ganze Insel auf den Hals ziehen. «Er wies auf die beiden gro?en Schiffe.»Es sind Truppentransporter. Aber die Soldaten schlafen sicher irgendwo an Land in Zelten. Im Laderaum zusammengepferchte Soldaten, die zu seekrank sind, um zu marschieren, wenn es soweit ist, wurden den Franzosen nichts nutzen.»
        Okes eilte herbei, den Sabel wie ein Schild vor der Brust.»Was nun, Sir?»
        Bolitho sah nach den Sternen.»In zwei Stunden wird es hell. Bis dahin mu? jede Kanone entweder unbrauchbar gemacht oder uber den Rand der Klippe gesto?en sein. Zum Schlu? mu? das Magazin gesprengt werden.»
        Farquhar nickte.»Meine Leute sind bereits mit Handspaken an der Arbeit. Ich denke, wir konnen alle Kanonen hinuntersto?en, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho sah Okes an, der heftig atmete.»Sie ubernehmen die Brucke. Halten Sie jeden auf. Allerdings mu? einer schon sehr geschickt sein, denke ich, um an Rennies Feldwache vorbeizukommen. »

«Ich habe den Abstieg uber die Klippen gefunden, Sir«, meldete Belsey.»Er fuhrt direkt zum Wasser hinunter. Unten liegen zwei gro?e Beiboote vertaut. «Er wartete. Soll ich weitermachen, Sir? Meine Manner sind bereit.»
        Bolitho nickte und sah dem Davongehenden nach. Belsey hatte bereits bewiesen, da? er in der Lage war, mit seinem Teil der Aufgabe fertig zu werden. Er ging zur Hutte zuruck und sagte scharf:»Raus mit den Leuten. Es gibt noch viel zu tun. «Die Scharfe sollte seinen Abscheu uberdecken, denn er hatte bemerkt, da? drei seiner Matrosen die Leichen plunderten.»Bereiten Sie alles vor, Mr. Okes, aber ziehen Sie sich erst zuruck, wenn ich das Signal gebe. Falle ich, ubernehmen Sie das Kommando und handeln nach Ihrem Ermessen. «Er stie? mit dem Degen auf die Erde.»Aber die Kanonen mussen zerstort und das Magazin mu? gesprengt werden, ganz gleich, was sonst passiert. Lassen Sie eine ausreichende Sprengladung an der Brucke anbringen, prufen Sie die Zundschnur, und uberzeugen Sie sich, da? jeder seine Sache richtig macht. «Er schlug Okes auf die Schulter, der Zweite ging beinahe in die
        Knie.»Unser Besuch hier hat sich gelohnt, Mr. Okes. Schon allein diese zwei Truppentransporter konnen, wenn es sein mu?, genug Soldaten transportieren, um Antigua zu sturmen.»
        Bolitho ging schnell zum Klippenrand, wo Stockdale, auf das Entermesser gestutzt, auf ihn wartete. Er hielt inne und schaute zuruck. Stolz erfullte ihn uber den bisherigen Gang der Dinge. Die Manner arbeiteten eifrig in der Dunkelheit, und eine der Riesenkanonen war bereits aus der Lafette gelost. Farquhar und McIntosh beugten sich, vollig von ihrem Zerstorungswerk in Anspruch genommen, uber die Luntenkiste, und andere Manner luden ihre Gewehre und beobachteten die eroberte Brucke.
        Er machte kehrt und folgte Stockdale die steilen, grob ausgehauenen Stufen hinunter. Konnte ich doch mein Gefuhl, da? wir hier eine Aufgabe haben, auf die ubrige Mannschaft der Phalarope ubertragen! dachte er. Es konnte vollbracht werden. Er hatte diesen Leuten gezeigt, wie man es machte.
        Es war finster und sehr kalt am Fu? der Stufen, und er bemerkte, da? die kleine Gruppe bewaffneter Matrosen schon in einem der Beiboote hockte. Er sagte zu Belsey:»Sehen Sie, wie das uns am nachsten liegende Schiff vor Anker schwoit!«Er zeigte auf die kleine Korvette, die kaum zwei Kabellangen von ihnen entfernt vor der behelfsma?igen Mole lag. Ihr Heck zeigte zur Mitte der Reede, ihr Bugspriet auf die schmale Durchfahrt zwischen den Vorgebirgen.
        Belsey nickte und rieb sich das Kinn.»Aye, Sir. Die Flut kommt rein. «Er kniete sich hin, tauchte den Arm ins Wasser und tastete uber die Stufen.»Kein Tang zu fuhlen, Sir. Sie mu? schon ziemlich hoch sein.»

«Stimmt. «Bolitho uberlegte angestrengt, seine Augen verengten sich.»Wir machen uns an die Korvette. Man wird nicht gro? Wache halten. Unter der Batterie glauben sie sich in Sicherheit. Ich wurde das wenigstens tun.»
        Belsey nickte.»Und dann, Sir?«Es klang, als ware er jetzt mit allem einverstanden.

«Wir stecken sie in Brand und lassen sie auf den nachstliegenden Truppentransporter zutreiben. Sie wird in Flammen aufgehen wie trockenes Gras.»
        Der Steuermannsmaat bleckte die Zahne.»Das lost aber bestimmt Alarm aus, Sir.»
        Bolitho lachte kurz auf.»Man kann nicht alles haben, ohne zu zahlen. «Er kletterte uber seine Leute zur achteren Ducht.»Umwickelt die Riemen, und zwar gut. Nehmt eure Hemden, alles, was zur Hand ist. «Er sah fluchtig zu den Sternen hinauf. Bildete er es sich nur ein, oder schimmerten sie blasser als vorher?» Ablegen! kommandierte er ungeduldig.»Und pullt vorsichtig.»
        Die Riemen hoben und senkten sich, und die Manner hielten den Atem an, als das Beiboot von den Klippen freikam. Das Wasser gurgelte ungeduldig und druckte den Rumpf heftig in die Hauptstromung.
        Bolitho legte Stockdale die Hand auf den Arm.»La? das Boot laufen. Heute nacht ist die Flut unser Verbundeter.«Uber den Bug des Beibootes hinweg sah er deutlich die Korvette. Ihr schlanker Bugspriet zeigte direkt uber seinen Kopf.»Vorsichtig, Jungs, vorsichtig!«Achtern an der Heckreling glomm eine Laterne, und eine zweite schimmerte schwach neben dem Fockmast. Dort war wahrscheinlich der Niedergang zum Mannschaftslogis, der wegen der Warme offen stand.

«Riemen ein!«Er knirschte mit den Zahnen, als die schweren Riemen sorgfaltig uber die Duchten gelegt wurden. Jeder Laut klang wie ein Donnerschlag.»Steuere mit dem Strom, Stockdale. «Er beugte sich vor.»Bugsgast, den Enterhaken klar!«Fur sich setzte er hinzu: Der Larm macht nichts, sobald wir erst einmal an Bord sind.

«Sir!«Der Schlagmann gestikulierte wild.»Sehen Sie, Sir. Ein Wachboot.»
        Bolitho verfluchte sich wegen seiner ubergro?en Zuversicht. Er blickte in die angegebene Richtung, sah den wei?en Schaum von Riemen und horte kaum zwanzig Yard entfernt das Kreischen von Ruderklampen.
        Einige seiner Manner schnauften uberrascht, doch er sagte barsch:»Vorwarts, Bugsgast. Den Enterhaken!»
        Das Beiboot schwang schwerfallig um den Steven der Korvette, als der Enterhaken hinaufflog und sich im Schanzkleid verbi?. Dann ubersturzten sich die Ereignisse. Vom Wachboot her ertonten Rufe, denen eine unregelma?ige Gewehrsalve folgte. Der Schlagmann neben Bolitho schrie auf und sturzte verkrummt uber das Dollbord, seine Arme schlugen wie Dreschflegel, als er im dunklen Wasser verschwand. Kugeln hammerten in das Beiboot und in die Planken der
        Korvette.
        Die Manner zauderten, als uber dem Schanzkleid ein Gesicht auftauchte und das wutende Aufblitzen einer Pistole das Beiboot kurz erhellte. Belsey duckte sich, fluchte wust, und ein anderer Mann sank wimmernd zusammen. Blut scho? aus seiner Schulter.
        Bolitho turnte in dem Boot, das sich um seine eigene Achse drehte, nach vorn und sprang zur Reling der Korvette hoch. Einen Augenblick strampelten seine Fu?e uber dem Wasser, doch dann war er oben und uber dem Schanzkleid. Der Atem wurde ihm aus den Lungen gepre?t, als ein Matrose, der sich nach ihm uber die Reling schwang, auf ihn fiel. Er kampfte sich auf die Fu?e, wahrend sich der Rest seiner Mannschaft hinaufschwang. Der einzige Verteidiger der Korvette lag in einer Blutlache, und ein Mann, der plotzlich nackt im offenen Niedergang auftauchte, stie? einen Schreckensschrei aus, floh zuruck unter Deck und schlug die Luke hinter sich zu.
        Bolitho steckte den Sabel in die Scheide und sagte gelassen:»Das spart uns die Muhe, sie aufzuspuren!«Und dann, als eine weitere Salve vom Wachboot heruberpfiff: Sie kennen Ihre Aufgabe, Belsey. Die Ankerkette kappen und dann ans Ruder.»
        Seine Leute brullten wie Verruckte, als sie uber das Deck hasteten, als ware alles eine alltagliche Angelegenheit. Bolitho stellte sich die Panik und das Durcheinander vor, als die schlaftrunkenen Mannschaften aus den Hangematten torkelten, um dem Ruf zu den Waffen zu folgen.

«Kette gekappt, Sir«, ertonte es von der Back.

«Sehr gut. Die Stromung wird sie mitnehmen. «Bolitho rannte an die Reling und spahte durch die Dunkelheit zum nachstgelegenen Transporter. Er bemerkte jetzt mehr Laternen und glaubte zu sehen, da? sich die Stuckpforten des Oberdecks offneten. Ihre Wut wird gleich der Besonnenheit weichen, dachte er.

«Legt Feuer im Schiff!«Er deutete auf den Fockmast.»Hier anfangen, Belsey.»
        Fasziniert beobachtete er Belseys Matrosen, die das Ankerlicht an eine Mischung aus Ol, Werg und Leinen hielten. Das Resultat lie? nicht lange auf sich warten und war furchtbar. Mit wildem Donnern zungelten die Flammen die Wanten hinauf und ergriffen im Handumdrehen den ganzen vorderen Teil des
        Decks. Gro?e Feuerzungen beleuchteten die gesamte Reede, so da? die anderen Schiffe sich in dem Inferno nackt und blo? abzeichneten. Takelage und Tauwerk flammten und knisterten, als das Feuer durch die geteerten Stagen zungelte und nach den zusammengerollten Segeln griff. Spieren und Planken, von der Sonne ausgetrocknet, brannten wie Zunder. Die knatternden Flammen fra?en sich immer weiter, wahrend sich Bolithos Leute, halb betaubt von dem Ausma? ihres Zerstorungswerkes, zuruckzogen.
        Bolitho kampfte sich durch den bei?enden Rauch und die sengende Hitze. Er war froh, da? Belsey die Luke zum Logis geoffnet hatte, und bemerkte, da? die Matrosen schon zum gro?ten Teil uber Bord gesprungen waren und entweder schwammen oder ertranken, indes ihre Welt uber ihnen verbrannte.
        Er lehnte hustend an der Reling und sah zu dem gro?en Truppentransporter hinuber. Nichts mehr von Wut oder Kampfbereitschaft. Das Deck war voll hastender Gestalten. Offiziere und Manner eilten auf ihre Stationen, wobei sie aufeinander prallten, weil sie schreckerfullt immer wieder auf den herantreibenden Brander starrten.
        Der zweite Transporter holte seine Ankerkette durch die Kluse ein, doch der erste hatte keine Chance mehr. Ein Teil der Besatzung mu?te erkannt haben, da? die Kollision unvermeidlich war, denn Bolitho sah, wie neben dem Rumpf das Wasser hochspritzte, wo die Manner uber Bord sprangen. Er horte Pistolenschusse und nahm an, da? die franzosischen Offiziere doch noch Ruhe und Ordnung herstellen wollten.
        Belsey fuhrte seine wurgenden, keuchenden Leute zum Heck und brullte:»Hochste Zeit, abzuziehen, Sir. «Er grinste, obwohl ihm vor Qualm die Augen tranten.
        Bolitho deutete hinab.»Das Boot ist an der Gilling vertaut. Schnell hinunter, Jungs. Das Magazin wird gleich in die Luft fliegen.»
        Ein Matrose nach dem anderen glitt in das kleine Boot hinunter. Bolitho, der vor Hitze kaum atmen konnte und den die vorruckenden Flammen fast blendeten, verlie? die Korvette als letzter.

«Riemen bei!«bellte Stockdale.»Ruder an!»
        Das Boot kam klar. Die grausame Glut lie? das Wei?e in den
        Augen der Manner aufglimmen, als die brennende Korvette vorbeitrieb. In der Nahe schwammen mehrere Franzosen. Einer versuchte, sich in das bereits uberfullte Boot zu ziehen, doch Stockdale stie? ihn zuruck, und seine jammervollen Schreie verklangen achtern.

«Bei Gott, jetzt sind sie zusammengesto?en«, rief ein Matrose.
        Die Korvette hatte den Transporter erreicht, und die Flammen zungelten bereits seine hohen Masten hinauf. Die halb herabgelassenen Segel fingen Feuer und verwehten wie Asche im Wind.

«Pullt, Jungs, pullt!«Bolitho drehte sich um, um den Erfolg seiner Attacke zu beobachten, der ihn halb mit Befriedigung, halb mit Abscheu erfullte.
        Das Magazin der Korvette explodierte. Das Schiff, vor einer halben Stunde noch still vor Anker, brach mittschiffs auseinander und versank spruhend und zischend. Die Arbeit war getan. Der Transporter stand vom Steven bis zum Heck in Flammen, Fock- und Gro?mast waren vor Rauch schon nicht mehr zu sehen. Der Qualm verbarg den anderen Transporter, doch Bolitho wu?te, da? es nur zwei Moglichkeiten fur das Schiff gab. Entweder versuchte es auszubrechen, wobei es riskierte, das Schicksal seines Schwesternschiffs zu erleiden, oder es lie? sich auf den Strand treiben, wo es nach Einsetzen der Ebbe als nutzloses Wrack liegen bleiben wurde.

«Lichter am Ende der Bucht, Sir«, meldete Belsey.»Dort liegen wahrscheinlich die Truppen.»
        Bolitho fuhr sich uber das rauchgeschwarzte Gesicht und nickte.»Wir haben in ein Hornissennest gestochen. Gleich werden sie uber uns herfallen. «Da? ihre Schiffe zerstort und ihre Batterien kampfunfahig gemacht waren, mu?te die franzosischen Soldaten nach Rache dursten lassen. Immerhin, es war vollbracht. Und viel besser, als er gehofft hatte. Daran wurden die Leute kunftig denken, wenn sie den Namen Phalarope aussprachen.
        Leutnant Matthew Okes starrte von der Batterie hinunter, erschreckt und benommen durch die rasende Feuersglut und die hallenden Explosionen. Auf seinem schwei?nassen Gesicht spurte er den gluhenden Hauch des brennenden Schiffs, und sein ganzes Wesen wehrte sich gegen die Schrecken, die er sah, und gegen die, die er nur ahnen konnte.

«Hochste Zeit, die Kanonen hinunterzusto?en«, sagte Farquhar scharf.
        Okes nickte stumm, seine Augen hafteten noch immer auf dem flammenden Transporterschiff, das sich langsam auf die Seite legte. Manner schwammen oder trieben zwischen den Trummern und dem verkohlten Treibgut. Unaufhorlich regneten Wrackstucke, von gedampften Explosionen innerhalb des geborstenen Rumpfes hochgeschleudert, in das glitzernde Wasser. Obwohl der Rauch die Sicht behinderte, sah er, da? der zweite Transporter gleich auflaufen wurde. Seine Masten neigten sich schon gefahrlich.
        Hinter ihm rumpelte es, und ein abgerissenes Hurra erklang, als die Matrosen die erste Kanone uber den Klippenrand stie?en. Eine zweite, eine dritte Kanone folgte und sturzte krachend auf die Felsen. Er horte, wie McIntosh seine Leute anfeuerte, ihnen die anderen nachzuschicken.
        Okes spurte, da? ihm die Knie weich wurden. Am liebsten hatte er sich davongemacht und der hollischen Szene mit ihrem von Funken gesprenkelten Rauch und den Flammen, die die ganze Reede erhellten, den Rucken gekehrt. Es war die reine Verrucktheit, etwas, das niemand von ihnen unter Kontrolle halten konnte.
        Von Bolitho war nichts zu sehen. Selbst wenn es ihm gelungen sein sollte, den Brander zu verlassen, wurde es sehr lange dauern, wieder zum Vorgebirge zuruckzukommen.

«Dort, Sir«, sagte Farquhar.»Sehen Sie. Truppen schwarmen uber den Kamm.»
        Gerade als Okes seine Augen von der Schreckensszene losri?, legte sich der Transporter auf die Seite und versank in den Fluten. Damit erlosch das grelle Licht wie eine Kerze, und der Ankergrund sank wieder in tiefen Schatten zuruck. Okes blinzelte durch den Rauch. Es wurde bereits heller, uber dem Kamm jenseits der Reede lag schon ein schwaches Grau. Die Feuersglut der Schiffe hatte das Nahen der Morgendammerung verborgen. Er blickte in die von Farquhar gewiesene Richtung und nahm mit steigender Panik das schwache Aufglanzen von Bajonetten wahr. Eine Formation schob sich wie eine riesige Raupe uber den Rand des nachstgelegenen Hugels.
        Seine Augen glitten von den heranmarschierenden Truppen zur Brucke und von seiner Position auf dem Batteriegelande zum Ende der Kustenstra?e. Mit einer Stimme, die er kaum erkannte, befahl er:»Bereiten Sie alles zur Sprengung des Magazins vor, Mr. Farquhar. «Er starrte um sich wie ein in der Falle sitzendes Tier.»Ich mu? sofort zu Rennie. Machen Sie hier weiter.»
        Er eilte davon und ignorierte die verwunderten Blicke der Matrosen und die in Farquhars Augen aufblitzende Verachtung. Seine Gedanken rasten, und plotzlich raste auch er mit keuchendem Atem. Er stolperte uber Stechginster und glitt auf Steinen aus. Dann rannte er blind uber die Brucke und an den bewaffneten Matrosen auf der Talseite vorbei. Weiter, nur weiter! Da und dort bemerkte er zwischen dem Farnkraut des Abhangs die roten Rocke der Seesoldaten, und mit Entsetzen wurde ihm klar, da? das Ufer und die zusammengewurfelten Hauser vor dem Pier bereits zu erkennen waren. Das wachsende Tageslicht steigerte sein Gefuhl, der Gefahr nackt und blo? ausgesetzt zu sein, und im Geiste horte er den Tritt franzosischer Soldaten, die vorruckten, um ihm die Flucht zur See abzuschneiden.
        Okes folgte der Wegbiegung und ware beinahe uber Hauptmann Rennie gesturzt. Rennie hatte es sich auf einem niedrigen, grasbewachsenen Wall bequem gemacht. Sein Dreispitz und sein Degen lagen neben ihm. Auf den Knien hielt er eine halb verzehrte Pastete. Als Okes taumelnd vor ihm stehenblieb, blickte er auf und wischte sich gelassen den Mund mit seinem Taschentuch.

«Kostlich«, sagte er und sah forschend an dem Zweiten vorbei.»Hort sich an, als waren sie ziemlich lebhaft dahinten.»
        Okes blickte wild umher. Das war fast zuviel. Er hatte am liebsten gebrullt und Rennie durchgeschuttelt, damit er das Ausma? der Gefahr begriff. Doch Rennie kniff die Augen zusammen und sagte:»Auch ein Stuck Huhnerpastete? Ich hatte schon fast vergessen, wie sowas schmeckt. «Er deutete uber die Schulter, ohne Okes' verzerrtes Gesicht aus den Augen zu lassen.»Haben mir wahrend der Nacht irgendwelche Hollander aus dem Dorf gebracht, verdammt nette Leute. Schade, da? wir im Krieg sind, nicht?«Er stand auf und wickelte den Rest der Pastete sorgfaltig in sein Taschentuch. Dann sagte er gelassen:

«Nun, erzahlen Sie. Wie stehen die Dinge?»
        Okes gab sich alle Muhe, ruhig zu sprechen.»Die Franzosen kommen. Von dort, hinter dem Berg.»

«Ich wei?. Meine Leute haben sie bereits entdeckt. «Rennie musterte ihn unbewegt. Was haben Sie sonst erwartet?»
        Rennies offensichtliche Gleichmutigkeit schenkte Okes den kleinen Schu? zusatzlicher Entschlu?kraft, den er noch benotigte.»Fangen Sie an, sich zuruckzuziehen. Ich habe befohlen, das Magazin zi sprengen. «Er sah zu Boden.»Ich sprenge die Brucke, sobald McIntosh fertig ist.»
        Rennie starrte ihn an.»Aber der Kapitan! Wie, in Teufels Namen, soll er ohne Brucke zuruckkommen?«Er stulpte den Dreispitz auf und griff nach dem Sabel.»Ich werde mir die Lage lieber mal selber ansehen.»
        Okes verstellte ihm den Weg. Seine Augen funkelten.»Sie kennen die Order. Ich habe das Kommando, wenn dem Kapitan etwas zusto?t. Ihre Pflicht ist es, den Ruckzug zu decken.»
        Sergeant Garwood kam um die Wegbiegung, sein Halbspie? glanzte im heller werdenden Licht.»Sir!«Er ignorierte Okes.»Die Froschfresser kommen. Ziehen sich etwa in Kompaniestarke an unsere Flanke herab. Die anderen werden sicher versuchen, uns zu umgehen und von hinten anzugreifen.»
        Rennie nickte. Er wirkte plotzlich ernst.»Gut. Ich komme sofort. Sie werden doch noch etwas warten, wie?«sagte er dann langsam zu Okes.»Es dauert seine Zeit, zum Vorgebirge zuruckzupullen.»
        Okes schnellte herum, als das Echo einer Gewehrsalve uber die Hugel hallte.»Gehen Sie zu Ihren Leuten, Hauptmann Rennie. Ich kenne meine Pflicht.»
        Rennie zuckte mit den Schultern und entfernte sich schnell in Richtung auf das Gewehrfeuer. Als er sich umsah, bemerkte er, da? der Rauch von der Reede wie eine Wand uber das Vorgebirge trieb, und er versuchte, sich die Verwustung auszumalen. Gegen den Abhang und das glitzernde Wasser unterhalb der Klippen zeichnete sich Okes' Gestalt ab, gebrechlich, verloren.»Ich hoffe, Sie kennen sie wirklich, Mr. Okes!«sagte er zu dem leeren Abhang. Dann machte er kehrt und lief auf die vorbereitete Stellung und auf seine Leute zu.
        McIntosh hockte auf der Brucke und verrenkte sich den Hals, um zu einer der massiven Holzstreben hinunterzublicken.

«Wie weit sind Sie?«Okes mu?te an sich halten, um nicht zu brullen.»Sind Sie fertig?»

«Aye, aye, Sir«, nickte McIntosh.»Zundschnur fur zwei Minuten. Und die furs Magazin vier Minuten. «Er rieb sich die Hande.»Mr. Farquhar wartet bei der Batterie, um die Lunte anzuzunden, sowie der Kapitan zuruck ist.»
        Okes schwankte hin und her, dann fing er sich.»Warten Sie hier. «Er rannte los. Als er das Vorgelande der Batterie erreichte, lie? er die Pfeife ertonen und rief: Vorgebirge raumen! Alle Mann zuruck!»
        Die Matrosen griffen verblufft nach ihren Waffen und eilten auf die Brucke zu. Die meisten hatten die nahenden Franzosen gesehen und brauchten keinen zweiten Befehl. Ein Maat, das Gesicht von Rauch und Schmutz verschmiert, trat auf den keuchenden Leutnant zu.»Entschuldigen Sie, Sir, aber der Kapitan ist noch nicht da.»

«Ja, ja, ich wei?. «Okes starrte ihn mit glasigen Augen an.»Zu den anderen mit Ihnen, bringen Sie sie uber die Brucke. Warten Sie dort auf mich. Halten Sie sich bereit zum Aufbruch. «Er spahte durch den Rauch.»Wo ist Mr. Farquhar?»

«Ein Stuck die Stufen hinunter, Sir, um besser sehen zu konnen.»
        Okes lehnte sich an die Brustwehr. Ohne die Matrosen und ohne die Kanonen vor den Schie?scharten wirkte der Platz sonderbar tot. Er ging zu dem in den Felsen gehauenen Weg und sah hinab. Kein Farquhar zu sehen, von keinem Menschen eine Spur. Schusse bellten, dazwischen wildes Hurrarufen. Die Glieder zitterten ihm, als hatte er keine Kontrolle mehr uber sie. Er ging zur offenen Tur des Magazins und blickte einige Sekunden auf die Lunte. Seine Schuld war es nicht, redete er sich ein. Es blieb ihm einfach keine andere Wahl. Er kniete sich hin. Wahrend sein Blick auf der Lunte ruhte, sah er vor seinem geistigen Auge das Bild Bolithos, wie er die Stufen hinuntereilte.
        Verdammt sollten sie sein. Alle! Er zitterte s o, da? er die eine Hand mit der anderen festhalten mu?te, als er die Lunte ansteckte.
        Ubelkeit wurgte ihn. Er taumelte hoch und rannte auf die Brucke zu. McIntosh blickte ihm verstandnislos entgegen.»Stecken Sie die Zundschnur an, Sie Idiot.
«Okes war bereits halb uber die Brucke hinuber.»Oder wollen Sie hierbleiben und mit dem Magazin in die Luft fliegen?»
        McIntosh setzte die Lunte in Brand und rannte los. An der Wegbiegung holte er Okes ein und keuchte:»Aber wo ist Mr. Farquhar, Sir? Und was ist mit dem Kapitan?»
        Okes fauchte:»Zuruck zum Ufer! Alle!«Und zu McIntosh gewandt, setzte er hinzu: Alle tot. Und das werden auch Sie gleich sein, wenn die Franzosen Sie schnappen.»
        Eine donnernde Explosion und gleich darauf eine zweite, starkere. Die Detonationen ubertonten das Musketenfeuer und die fernen Schreie. Die Kraft der Explosion schien die ganze Insel betaubt zu haben. Das grollende Donnern hallte nach, und Okes horte ein splitterndes Krachen. Die zu Kleinholz zerfetzte Brucke sturzte in die Schlucht.
        Sonderbar, aber er merkte, da? er jetzt wieder gehen konnte. Beinahe fest und sicher setzte er einen Fu? vor den anderen, als er seinen Leuten zum Pier und in die Sicherheit folgte. Er hatte das einzig Richtige getan. Er hielt seine Augen auf den Pier gerichtet. Das einzig Richtige. Die anderen wurden das ebenfalls bald erkennen. Er stellte sich das Gesicht seiner Frau vor, wenn sie die Nachricht in der Gazette las:

«Leutnant Matthew Okes, der nach dem Tode des kommandierenden Offiziers die Hauptlast der Verantwortung fur diesen wagemutigen Angriff trug, ist zu der Kuhnheit und dem Geschick zu begluckwunschen, mit dem er die Attacke gegen eine gro?e Ubermacht zum erfolgreichen Ende fuhrte.»
        Okes blieb stehen, als Seesoldaten aus dem Ginster brachen und auf dem Weg in Stellung gingen. Einer von ihnen rief:»Da kommen sie, Jungs.»
        Von der anderen Seite der Kuppe her erscholl Sergeant Garwoods Stimme.»Anlegen! Achtung, Feuer!»
        Das letzte Kommando ertonte, als eine Kette blau uniformierter Soldaten uber der Kammlinie auftauchte und sich anschickte, zum Ufer hinunterzurennen. Nachdem der Pulverqualm verweht war, sah Okes, da? die Soldaten sich zuruckgezogen hatten, ohne sich um ihre Gefallenen zu kummern.

«Nachladen. La?t euch Zeit«, rief Garwood gelassen.»Und tiefhalten, Jungs. «Noch eine Salve, doch diesmal ruckten die Soldaten trotz der
        Verluste in gro?erer Zahl und mit gro?erer Entschlossenheit vor. Hier und da fiel auch ein Seesoldat, und einige erlitten Verwundungen, so da? sie ihren Kameraden nur langsam den Abhang hinunter folgen konnten.
        Okes sah, da? Rennie gelassen auf einem kleinen Hugel stand und die Scharfschutzen ignorierte, wahrend er die dunne Linie seiner zuruckgehenden Manner beobachtete. Er spurte, da? sein Neid in Ha? umschlug. Rennie hatte nie so gehandelt wie er. Er hatte auf Bolitho gewartet und alle fur nichts und wieder nichts geopfert.
        Okes brullte:»Zum Lugger, schnell!»
        Die Matrosen rannten zum Pier. Sie trugen ihre verwundeten Kameraden und riefen den Seesoldaten ermutigende Worte zu. Es kam Okes vor, als dauerte es eine Ewigkeit, bis sich die letzten Seesoldaten uber den Pier zuruckzogen. Eine frische Morgenbrise wehte und fullte die Segel, und als der letzte Seesoldat keuchend uber das Schanzkleid kletterte, legte der Lugger ab.
        Unter irrem Larm brachen die Franzosen aus der Deckung und sturmten zum Pier. Die einzelnen Uniformen schlossen sich zu einer festen Masse, und als sie zum Pier drangten, flossen sie zu einem einzigen Feind zusammen.
        McIntosh hockte im Bug und richtete die Drehbasse aus. Er achtete nicht auf das sporadische Gewehrfeuer und wartete, bis die Soldaten eine brullende, gedrangte Front bildeten, ehe er abzog.»So, meine Lieben!«Der Lugger stampfte wild, als der Kartatschenschu? die schreienden Soldaten wie eine Sense niedermahte. McIntosh stand auf und brullte:»Das war fur den Kapitan und die anderen!»
        Ehe die zweite Welle bis zu den Hingemetzelten vorgedrungen war, hatte der Lugger abgedreht und segelte bereits auf das offene Meer hinaus. Jetzt herrschte Schweigen an Bord, und selbst als die nach hinten geneigten Masten der Phalarope das Vorgebirge umrundeten und wie schutzende Eltern uber dem kleinen Boot aufragten, brachten die erschopften Manner kein Hurra zustande.
        Okes blickte zur Insel zuruck, zum Rauch, zu dem undeutlichen Umri? der Batteriestellung. Es war voruber.
        Nach dem Angriff wurde man den Lugger aufgeben. Okes lie? ihn langsseits kommen. Von der Phalarope streckten sich den Verwundeten und den schweigenden Siegern viele Hande entgegen. Hauptmann Rennie trat beiseite, um Okes zuerst hinaufklettern zu lassen.»Nach Ihnen, Mr. Okes«, sagte er.»Ich mochte Ihren Auftritt nicht verderben.»
        Okes sah ihn an und wollte etwas erwidern. Als er die kalte Feindseligkeit in Rennies Augen bemerkte, unterlie? er es aber. Mit Eifersucht mu? ich rechnen, sagte er sich. Darauf mu? ich gefa?t sein.
        Er langte nach der Kette und schwang sich uber das Schanzkleid der Fregatte. Eine Sekunde lang blickte er uber das vertraute Deck. Er hatte uberlebt.



        IX Niederlage

        Bolitho erinnerte sich nicht, die Explosion des Magazins gehort zu haben. Es war mehr ein Empfinden gewesen oder das Ende eines Alptraums, aus dem man mit gesteigerter Furcht vor der wartenden Wirklichkeit erwacht. Er sah wieder vor sich, wie er im Heck des uberlasteten, halb uberspulten Bootes sa? und auf das kochende, wirbelnde Wasser zuruckblickte, in dem der Transporter versunken war. Seine schmerzenden, von der Feuersglut geblendeten Augen sahen gar nichts mehr, seit das Schiff untergegangen war und die von hohen Wanden eingefa?te Reede wieder eine Dunkelheit einhullte, die allen Schmerz und Schrecken verbarg.
        Seine Leute lachten und schwatzten vor Erleichterung und Erregung, aber als Bolitho sich umdrehte, um nach dem Felssturz am Fu? der Klippen Ausschau zu halten, schien die ganze Welt in ein einziges riesiges Inferno verwandelt. Felsstucke regneten herab, und wahrend sich die Manner verzweifelt in die Riemen legten, krachte ein gro?er gezackter Steinbrocken wie ein Hammer auf den Steven. Bolitho taumelte hoch, als das Wasser rauschend in das mit Schlagseite treibende Boot stromte.
        Es schien, als wollte das Bombardement nie enden. Er sah, da? ein Mann von einem Felsstuck ins Wasser gefegt wurde, gerade als er den Fu? der Klippen hinaufklettern wollte. Belsey fiel fluchend ins Wasser, und als Stockdale ihn auf die Felsen hievte, brullte er:»Mein Arm! O Gott, mein Arm ist gebrochen.»
        Bolitho erwachte nach und nach aus der Betaubung. Doch wahrend er seinen Leuten Mut zusprach, emporte sich sein Verstand gegen die rauhe Wirklichkeit. Jemand hatte das Magazin in die Luft gejagt, ohne auf ihn und seine Abteilung zu warten. Die Tatsache, da? sie, ware ihr Boot ein paar Minuten fruher zuruckgekehrt, mit dem Magazin in die Luft geflogen waren, schenkte ihm nur wenig Trost.

«Mir nach, Jungs!«rief er.»Wir klettern am Wasser entlang. Die Flut geht zuruck. Wir werden also ganz gut zum Aufstieg kommen. «Er tastete sich voran und wu?te, da? sie ihm folgen wurden. Es blieb keine Wahl. Vom anderen Ende der Reede her horte er wutende Schreie und das Geschmetter einer Trompete. Die Franzosen hatten zu viel mit sich selber zu tun, um sich um die Angriffsabteilung zu kummern. Aber das wurde nicht so bleiben, und die Rache wurde sie schnell und endgultig erreichen.
        Er hielt taumelnd an und blinzelte durch den bei?enden Rauch. In dem blassen Fruhlicht, das in die Schlucht fiel, erkannte er deutlich die Reste der Brucke. Es hatte also keinen Sinn mehr, die Stufen hinaufzuklettern. Es gab keinen Weg zuruck zum Strand.
        Ein Seemann stolperte benommen hinter ihm her und starrte mit weit aufgerissenem Mund auf die Trummer der Brucke. Verzweiflung wurgte ihn.»Ihr verfluchten feigen Hunde!»

«Ruhe!«Bolitho drangte ihn und die anderen zuruck.»Zweifellos gab es einen guten Grund, die Brucke so fruh zu sprengen. «Aber er sah den Ausdruck auf Stockdales Gesicht und wu?te, da? Stockdale seine Luge durchschaut hatte.
        Belsey stohnte und stutzte sich haltsuchend auf Stockdale.»Sie lassen uns hier verrecken! Sind abgehauen, um ihre kostbare Haut zu retten.»
        Bolitho hob die Hand.»Ruhe!«Er reckte den Hals.»Hort mal!»
        Ein Matrose stie? hervor:»Da druben, Sir. Ich habe es auch gehort. »
        Sie kletterten uber die rauchenden Bruckentrummer. Plotzlich fuhr der vorderste Matrose entsetzt zuruck. Fahnrich Farquhar sa? aufrecht an der rauhen Wand der Schlucht. Ein dicker Balken klemmte ihn fest, und dicht neben ihm lag ein sauberlich abgetrenntes Bein.
        Farquhar offnete die Augen und krachzte:»Gott sei Dank, Sir. Ich dachte schon, ich mu?te hier allein sterben. «Er sah ihre Gesichter und qualte sich ein Grinsen ab. Mein Bein ist das nicht, Sir. Es gehort unserem spanischen Gefangenen.»
        Bolitho schaute sich um und blickte dann zum heller werdenden Himmel hinauf.»Gut. Hebt den Balken an, aber pa?t auf. «Er kniete sich neben den Fahnrich und fuhr mit den Handen schnell unter den dicken Balken. Wahrend er den eingeklemmten Korper abtastete, beobachtete er die verzerrten Zuge Farquhars scharf.

«Scheint nichts gebrochen, Sir«, pre?te Farquhar hervor. Er legte sich zuruck und schlo? die Augen, als die Manner den Balken anhoben.»Ich habe nach Ihnen Ausschau gehalten, Sir. Dann ging ich zum Magazin zuruck und sah, da? die Lunte fast abgebrannt war. «Ihm brach beinahe die Stimme.»Ich griff mir unseren Spanier und rannte zur Brucke, aber gerade, als wir sie erreichten, ging das Ding hoch und sturzte in die Schlucht. «Er zuckte zusammen.»Und wir mit.»
        Sie zerrten den Balken weg, und Bolitho bi? die Zahne zusammen, als er die zermalmten Uberreste des Gefangenen sah. Barsch fragte er:»Wie ist es passiert?»
        Sie stellten Farquhar auf die Fu?e, aber seine Beine gaben sofort nach, und Stockdale sagte:»Na, ich ubernehme den jungen Herrn, Sir.»
        Farquhar klammerte sich an Stockdales Schulter.»Tut mir leid, Sir«, sagte er.»Es wird mir gleich besser gehen. «Ihm fiel Bolithos Frage ein, und er sagte:»Ich verstehe es auch nicht, Sir. Ich kann immer noch nicht glauben, da? es geschehen ist.»
        Bolitho zog den Dolch aus Farquhars Gurtel und gab ihn einem Matrosen.»Hier, mach daraus eine gute Schiene fur Mr. Belseys Arm. Das wird reichen, bis wir zur Phalarope kommen.»
        Belsey beobachtete die ungelenken Finger der Manner und stohnte.»Seht euch vor, zum Teufel!»
        Bolitho ging langsam uber den Steinwall. Vierzehn Mann, er mit eingeschlossen. Einer mit gebrochenem Arm und einer schon halb im Delirium, eine Kugel in der Schulter. Auch Farquhar sah aus, als wurde er bald ohnmachtig werden.
        Er versuchte, Bitterkeit und Mi?trauen zu verdrangen. Jetzt hatte er erst mal diese Manner in Sicherheit zu bringen.
        Zweifellos war der ubrige Teil des Landungskommandos schon wieder auf dem Lugger. Er war plotzlich ruhiger. Was auch geschehen wurde, die Aufgabe war erfolgreich vollbracht, zwei Transporter und eine wertvolle Korvette waren zerstort. Und ohne Batterie war die Insel Mola fur die Franzosen und ihre Verbundeten auf lange Zeit hinaus wertlos.
        Stockdale rief heiser:»Das zweite Beiboot, Sir! Es mu? doch noch an der Mole liegen!»
        Bolitho kletterte uber die nassen Steine und sah zu dem Boot hinunter. Viel los war nicht damit. Oft gebraucht und ausgebessert, nur vier Riemen, und um den Mast war nur fur alle Falle ein Fetzen Segeltuch gewickelt. Die Garnison hatte das Boot sicher nur zum Besuch der im Hafen verankerten Schiffe benutzt.

«Bring alle an Bord, Stockdale«, sagte er grimmig.»Wir mussen sehen, was sich machen la?t.»
        Ein Sonnenstrahl brach plotzlich uber das Vorgebirge und glitzerte auf dem Wasser. Muhelos erkannte Bolitho unter dem schaukelnden Boot ein Kanonenrohr der Batterie. Ware es ein paar Fu? weiter heruntergesturzt, hatte es keinen Ausweg mehr gegeben.

«Vier Mann an die Riemen. Die ubrigen schopfen Wasser oder halten Ausschau.»
        Belsey setzte sich muhsam auf und blickte auf seinen geschienten Arm. Er war mit allerlei Lappen und Hemden, die man in Streifen gerissen hatte, umwickelt und stand vom Korper wie eine Keule ab. Er schuttelte den Kopf.»Himmel! Mochte wissen, ob ich das Ding jemals wieder benutzen kann.»

«Ablegen! Riemen bei!«Bolitho hockte auf dem Dollbord und legte das Ruder hart an. Wahrend das Boot mit der Stromung dahintrieb, starrte er zu dem schwarzen Kamm des Vorgebirges auf und fragte sich, was in jenen Minuten geschehen war, bevor Farquhar in den fast sicheren Tod sturzte.
        Farquhar lehnte sich matt an die Bootswand und zischte:»Pull kraftiger, Robinson. Ich zieh dir bei lebendigem Leibe die Haut ab, wenn du nicht deine Pflicht tust.»
        Bolitho lachelte, obwohl ihm elend zumute war. Die Erfahrungen hatten Farquhars Pflichtbewu?tsein nicht geschwacht.
        Die Riemen hoben und senkten sich gleichma?ig, und das
        Boot entfernte sich immer weiter von der vorspringenden Landzunge und der daruberhangenden Rauchwolke.
        Ein Mann im Bug sprach aus, was Bolitho dachte, und ausnahmsweise tadelte er ihn nicht. Der Matrose schaute uber die rudernden Manner und fauchte:»Weg! Seht euch um, Jungs! Das verfluchte Schiff ist ohne uns davon!»

«Es mu? um die Insel gesegelt sein, Sir«, sagte Farquhar erbittert.»Jetzt holen wir es nicht mehr ein.»

«Ich wei?. «Bolitho schutzte die Augen gegen den blendenden Glast und sah nachdenklich auf den kurzen Mast.»Setzt das Segel, Jungs. Wir segeln zur nachsten befreundeten Insel. «Sein forscher Ton sollte Zweifel und Zorn verbergen.
        Stockdale wischte dem verwundeten Matrosen mit einem nassen Lappen die Stirn und murmelte:»Ein Wunder kame uns jetzt zupa?, Sir.»
        Bolitho zog seinen zerrissenen Mantel aus und blickte Stockdale ruhig an.»Ich furchte, das ist nicht mein Gebiet, Stockdale, aber ich werde dran denken. «Er lehnte sich an die Pinne und steuerte der aufgehenden Sonne entgegen.
        Leutnant Thomas Herrick horte, wie die Glocke das Ende der ersten Hundewache schlug, und nahm dann seinen Gang uber das Achterdeck wieder auf.
        Vor einer warmen, aber frischen achterlichen Brise war die Phalarope in kurzer Zeit auf ihren Patrouillenkurs zuruckgekehrt. Die schnelle Fahrt hatte Herrick jedoch nur ein Gefuhl der Besorgnis und des Verlustes eingebracht. Er konnte das Geschehene noch nicht akzeptieren. Noch immer empfand er die gleiche innere Qual, die ihn uberfallen hatte, als das erschopfte Landekommando die Fregatte erklomm.
        Schon da wollte er sich nicht mit Bolithos Verschwinden abfinden. Doch dann hatte er Rennies grimmiges Gesicht gesehen und die nervose Unsicherheit der zuruckkehrenden Matrosen und Seesoldaten gespurt. Nur Okes schien von der Katastrophe unberuhrt. Herrick runzelte die Stirn, als er sich den Moment zu vergegenwartigen suchte, als Okes an Bord kletterte: nein, unberuhrt war nicht der richtige Ausdruck. Er war von einer Art wachsamer Lebhaftigkeit gewesen, die seinem Charakter total widersprach. Herrick wollte ihn sofort ausfragen, aber Vibart befahl Okes auf das Achterdeck, wo er vor sich hingebrutet hatte, seit das Landekommando fortgesegelt war.
        Rennie war ungewohnlich zuruckhaltend gewesen. Als Herrick jedoch in ihn drang, sagte der Hauptmann der Seesoldaten kurz:»Es war eine gefahrliche Sache, Thomas. Wir mussen immer damit rechnen, da? so etwas passiert. «Er sah Okes mit dem Ersten sprechen und fugte bitter hinzu:»Ich wurde mit meiner Abteilung auf die Phalarope beordert, um die Disziplin zu schutzen. «Seine Augen flammten in plotzlichem Zorn auf.»Aber jetzt kommt es mir vor, als mu?ten die Offiziere der Phalarope voreinander geschutzt werden. «Und er schlo?:»Ich mu? mich um meine Verwundeten kummern. Sie zumindest brauchen sich nicht zu schamen.»
        Herrick nahm sich dann McIntosh vor, der nervos zum Achterdeck blickte, ehe er antwortete:»Was kann ich Ihnen sagen, Sir? Ich habe nur meine Pflicht getan. Mr. Farquhar ist der einzige, der gesehen haben mu?, was geschah. «Er deutete nach achtern.»Und er ist dort hinten, tot wie die ubrigen.»

«Aber Sie meinen, etwas ging schief?«fragte Herrick scharf.

«Wie kann ich das beantworten, Mr. Herrick?«Seine Augen glitten uber die verwundeten und erschopften Leute des Luggers.»Es hat viel Muhe und Schwei? gekostet, uberhaupt hierher zuruckzukommen. Sie wissen, was mit mir geschahe, wenn ich Beschuldigungen aussprechen wurde.»
        Herrick hatte ihn mit Verachtung in den Augen entlassen und doch im tiefsten Innern gewu?t, da? McIntosh die Wahrheit sprach. Er ri? sich zusammen, als er Vibarts schweren Schritt horte.

«Pfeifen Sie alle Mann nach achtern, Mr. Herrick. Ich will ihnen sagen, wie es weitergeht. «Vibart wirkte gemessen und ruhig. Nur ein gewisses Glitzern seiner Augen verriet Erregung oder Triumph.

«Sind Sie sicher, da? wir nichts mehr tun konnen?«fragte Herrick.
        Vibart blickte an Herrick vorbei auf das gekrauselte Wasser.»Meine Ansicht habe ich Ihnen heute morgen mitgeteilt, Mr. Herrick, ebenso wie ich meine Besorgnis dem Kapitan dargelegt habe. Es war ein gefahrliches und draufgangerisches Wagestuck. Da? es erfolgreich ausging, ist ein Gluck fur uns alle. Aber Bolitho kannte das Risiko, das er auf sich nahm. Mehr ist da nicht zu sagen.»

«Aber ist sich Leutnant Okes ganz sicher, Sir?«beharrte Herrick.

«Mich hat seine Meldung zufriedengestellt. «In Vibarts Ton lag eine neue Scharfe. Also genug davon. «Er ging gewichtig zur Luvreling und schnuffelte heftig. Zumindest sind wir wieder in dem uns zugewiesenen Bereich. Jetzt konnen wir mit dem Flaggschiff Kontakt aufnehmen.»
        Herrick sagte schnell etwas zu Fahnrich Neale und beobachtete, wie er nach vorn eilte. Dann horte er die Bootsmannsmaaten rufen:»Alle Mann an Deck! Alle Mann nach achtern!»
        Wahrend die Manner aus dem Zwischendeck stromten, ging er zu Vibart hinuber und sagte langsam:»Er war ein guter Offizier. Ich bin immer noch der Ansicht, er hatte entkommen konnen.»

«Dann mochte ich Sie doch bitten, Ihre Meinung fur sich zu behalten, Mr. Herrick.
«In den tiefliegenden Augen funkelte Wut.»Sie haben sich vielleicht fur einen seiner Gunstlinge gehalten, aber bei mir gibt es so etwas nicht. «Er wandte sich von Herrick ab, als der Bootsmann Quintal salutierte und polternd meldete:»Alle angetreten, Sir.»
        Vibart schritt zur Querreling und starrte in die ihm zugewandten Gesichter. Herrick blieb bei den Rudergangern und beobachtete Vibart genau.

«Wir befinden uns wieder in unserem Patrouillengebiet«, sagte Vibart.»In Kurze werden wir mit dem Admiral Verbindung aufnehmen, und zu gegebener Zeit berichte ich ihm von unserem gro?en Erfolg.»
        Herrick merkte, da? er vor Zorn zitterte. Aha, jetzt war es also ein gro?er Erfolg. Wenn Bolitho noch am Leben ware, ware es tollkuhn und gefahrlich gewesen. Doch nun, da Vibart die Fruchte einheimsen konnte, sah es ganz anders aus.

«Mir mi?fallt die Disziplinlosigkeit, die in letzter Zeit an Bord eingerissen ist, und ich beabsichtige, dieses Schiff unverzuglich auf seinen vollen Leistungsstand zuruckzubringen. «Vibart starrte mit gerotetem Gesicht auf die versammelte Mannschaft. Herrick fuhlte sich angeekelt. Es macht ihm Freude, dachte er. Er ist tatsachlich froh uber Bolithos Tod.
        Herrick drehte sich um, als Okes aus dem Niedergang trat und unsicher auf ihn zukam. Herrick nahm ihn beim Armel und zischte:»Was hast du Vibart gesagt, Matthew? Um Himmels willen, was ist mit dir los?»
        Okes zuckte zuruck.»Nichts als die Wahrheit habe ich ihm gesagt. Ist Bolithos Ungluck meine Schuld?»

«Und wie steht's mit Farquhar? Hast du gesehen, wie er starb?»
        Okes blickte beiseite.»Aber naturlich. Was, zum Teufel, willst du damit sagen? Aber seine Stimme zitterte leicht, und Herrick dachte plotzlich an Okes' Verhalten wahrend des Kampfes mit dem Kaperschiff, an seine Furcht, an seinen panischen Schrecken. Ein Mensch konnte sich nicht uber Nacht andern.

«Ich mochte Gewi?heit haben, Matthew. Sag's mir lieber gleich.»
        Okes hatte sich offenbar gefangen, und als er Herrick ansah, waren seine Augen undurchsichtig und ausdruckslos.»Ich sage die Wahrheit, verflucht noch mal. «Er versuchte zu lacheln.»Aber mach dir nicht so viele Gedanken. Schlie?lich wirst du Zweiter Leutnant.»
        Herrick trat einen Schritt zuruck und sah ihn angewidert an.»Und du wirst Erster, ganz ohne Zweifel. Du und Vibart, ihr seid die Helden der Stunde.»
        Okes erbla?te.»Wie kannst du es wagen! Du warst nicht dabei. Bolitho war auch blo? ein Mensch.»

«Und du bist nicht mal wert, seine Schuhe zu putzen. «Herrick fuhr herum, als Vibart zwischen sie trat.

«Ich dulde keinen Streit auf meinem Schiff, Mr. Herrick. Noch ein Wort, und ich mache eine Eintragung ins Logbuch. «Er sah Okes fest an.»Kommen Sie in die Kajute. Ich habe mit Ihnen zu reden.»
        Herrick sah ihnen elend und hilflos nach, und der kleine Neale fragte:»Was bedeutet das alles, Sir?»
        Herrick sah ihn ernst an:»Es bedeutet, da? wir in der nachsten Zeit auf jeden unserer Schritte achten mussen, mein Junge. Ohne den Kapitan fuhle ich mich hier nicht mehr sicher.»
        Er erstarrte, als Zahlmeister Evans, einen bekummerten Ausdruck im Frettchengesicht, auf das Achterdeck zugeeilt kam. Profo? Thain, der ihm folgte, schob zwei verangstigte Matrosen vor sich her. Sein Gesicht lie? in Herrick keinen Zweifel daruber aufkommen, was als nachstes geschehen wurde: Auspeitschungen und nochmals Auspeitschungen. Jetzt wurden alle alten Rechnungen beglichen werden.
        Er sah Evans fest an und fragte scharf:»Nun? Was ist jetzt schon wieder los?»
        Evans lachelte nervos.»Ich habe diese Leute auf frischer Tat ertappt. Sie haben Rum gestohlen.»
        Es gab Herrick einen Stich, und er rief die Manner zu sich heran.»Stimmt das?«Er erinnerte sich, da? beide Matrosen der Landeabteilung angehort hatten.
        Einer sagte murrisch:»Aye, Sir. Der Rum war fur einen unseren Kameraden. Er ist verwundet. Wir dachten, er wurde ihm helfen. «Sein Gefahrte nickte bekraftigend.
        Herrick nahm Evans beiseite.»Es konnte stimmen.»

«Naturlich stimmt es. «Evans sah ihn verdutzt an.»Aber darum geht es jetzt nicht. Diebstahl bleibt Diebstahl. Es gibt keine Entschuldigung dafur, und Sie wissen das. «Er sah Herrick mit kaum verhohlener Schadenfreude an.»Also melden Sie es lieber Mr. Vibart. «Er blies sich auf.»Oder ich tue es, Mr. Herrick.»

«Kommen Sie mir nicht so, Mr. Evans. «Herricks Gesicht verzerrte sich vor Wut. Oder ich zahle es Ihnen heim, das konnen Sie mir glauben. «Doch es war nur ein Wutausbruch. Ihm blieb gar nichts anderes ubrig, als Vibart zu informieren. Er ubergab die Wache an Neale und ging niedergeschlagen nach unten. Der Posten offnete die Kajutentur, ehe Herrick sie uberhaupt erreicht hatte, und er vermutete, da? der Seesoldat seine Uberraschung richtig vorausgesehen hatte, denn Vibart war bereits in Bolithos Quartier umgezogen. Das steigerte nur noch Herricks Gefuhl alptraumhafter Unwirklichkeit.
        Vibart schaute vom Arbeitstisch hoch und blickte Herrick an.

«Zwei Mann zur Bestrafung. «Herrick sah, da? Okes gedankenverloren am Heckfenster stand.
        Vibart lehnte sich im Stuhl zuruck.»Sagen Sie >Sir<, wenn Sie mich anreden, Mr. Herrick. «Er zog die Stirn in Falten.»Ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie es so darauf anlegen, Ihre Position zu verschlechtern. «Kalt fuhr er fort:»Machen Sie eine Eintragung ins Logbuch, Mr. Herrick. Bestrafung um acht
        Glasen morgen fruh. Jeder zwei Dutzend Hiebe.»
        Herrick schluckte.»Aber ich habe Ihnen doch die Vergehen noch gar nicht mitgeteilt, Sir.»

«Auch nicht notwendig. «Vibart deutete zum offenen Oberlicht.»Ich habe Ihr unsinniges Gesprach mit Mr. Evans gehort. Und lassen Sie sich gesagt sein, da? mir Ihr offensichtlicher Wunsch, sich bei Lugnern und Dieben anzubiedern, mi?fallt.»
        Herrick hatte das Empfinden, als ob ihn die Kajute erdrucke.»Ist das alles?«Er schluckte wieder.»Sir?»

«Im Augenblick ja. «Vibart sah fast heiter aus.»Wir nehmen in einer Stunde Kurs nach Suden. Sorgen Sie dafur, da? die Leute wahrend Ihrer Wache nicht nachlassig werden.»

«Aye, aye, Sir. «Herrick mu?te mit aller Macht an sich halten. Drau?en drehte er sich kurz um und blickte zuruck. Die Tur war geschlossen, und der Posten unter der schwingenden Laterne starrte ausdruckslos vor sich hin. Es war geradeso, als sei Pomfret zuruckgekehrt und sa?e wieder in der gro?en Kajute. Herrick schuttelte den Kopf und stieg zum Achterdeck hinauf. Alles fugte sich so schnell zu einem Muster, da? Herrick sich unvermittelt fragte, ob Pomfret tatsachlich die kontrollierende Instanz gewesen war, die die Phalarope in eine schwimmende Holle verwandelt hatte.
        Als er an Deck zuruckkam, war die Sonne tiefer zur Kimm hinabgesunken. Das Meer war leer, eine weite Wuste aus Silber und purpurnen Schatten, begrenzt durch einen messerscharfen Horizont. Hier drau?en ist ein Kapitan tatsachlich Gott, dachte er bitter. Nur unter Bolitho hatte er gespurt, was Zweckma?igkeit und Verstandnis bedeuteten, und nach der Zeit mit Pomfret war ihm das wie der Beginn eines neuen Lebens vorgekommen.
        Er blickte zur Heckreling, als erwarte er, die hohe Gestalt Bolithos zu sehen, der das Brassen der Rahen beobachtete oder blo? auf den Sonnenuntergang wartete. Herrick hatte Bolitho in solchen Augenblicken nie gestort, aber sonst jede Gelegenheit genutzt, ihn besser verstehen zu lernen. Vor seinem geistigen Auge standen Bolithos ausgepragtes Profil und der feste Mund, der gleichzeitig belustigt und traurig wirken konnte. Es schien undenkbar, da? ein solcher Mann wie ein Licht ausgeloscht worden sein sollte.
        Mit gesenktem Kopf ging er von neuem langsam auf und ab. In dieser Welt, dachte er, kann man sich auf nichts verlassen.
        Den erschopften Mannern in dem kleinen Boot kam die Nacht kalt und trostlos vor, und selbst jenen, die die grelle Sonne verflucht und uber brennenden Durst geklagt hatten, brachte die Dunkelheit keine Linderung.
        Bolitho kroch nach achtern zuruck, wo Farquhar neben der Ruderpinne sa?. Mit Stockdales Hilfe hatte er gerade einen toten Matrosen uber Bord geworfen, wahrend die anderen schweigend zugeschaut hatten. Dem Matrosen war das Schlimmste an Schmerzen und Durst erspart geblieben, da er seit seiner Verwundung durch die Wache auf der Korvette fast nie aus seiner Bewu?tlosigkeit erwacht war. Unter dem kleinen Segel machte das Boot nur wenig Fahrt, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe der Leichnam nach achtern trieb. Sie hatten nicht einmal einen Anker, um den Korper zu beschweren. Sie hatten so gut wie uberhaupt nichts. Nur ein Fa? brackiges Wasser, die Tagesration pro Kopf betrug nicht mehr als einen Becher.
        Bolitho sank auf die Achterducht und blickte nach den Sternen.»Steuern Sie genau Sud, wenn Sie konnen. «Durst und Mudigkeit setzten ihm zu.»Wenn wir blo? ein bi?chen mehr Wind in dieses kummerliche Segel bekamen.»

«Ich glaube, dann wurde das Boot sinken, Sir«, sagte Farquhar.»Es ist rost- und wurmzerfressen.»
        Bolitho streckte die Beine aus und dachte daruber nach, wie langsam die Zeit verstrichen war. Wenn das der erste Tag war, grubelte er, was wurde morgen werden und was ubermorgen? Die Manner verhielten sich ruhig, aber auch das konnte gefahrlich sein. Die Erleichterung, da? sie den Franzosen entkommen waren, konnte bald in Mi?trauen und Gegenbeschuldigungen umschlagen. Das Elend, Kriegsgefangener zu sein, konnte ihnen bald als trostreich erscheinen im Vergleich zu der Aussicht, zu verdursten und zu verhungern.

«In Hampshire liegt jetzt Schnee auf den Hugeln, nehme ich an«, sagte Farquhar abwesend.»Die Schafe werden zu Tal getrieben worden sein, und die Knechte trinken am Feuer ihr Bier. «Er leckte sich die Lippen.»Ein paar denken vielleicht an uns.»
        Bolitho nickte. Ihm fielen die Augen zu.»Ein paar. «Er dachte an seinen Vater in dem gro?en Haus und an die Ahnengalerie. Nach diesem Abenteuer hier wurde es keinen Erben geben, der den Familiennamen weiterfuhren konnte. Wenn sein Vater starb, erwarb das Haus vielleicht ein reicher Kaufmann und betrachtete dann verwundert die Portrats und anderen Zeugnisse schnell vergessener Menschen und Taten.»Ich will versuchen, eine Stunde zu schlafen«, sagte er.»Wecken Sie mich, wenn es notig ist.»
        Die Augen fielen ihm zu, er horte nicht einmal mehr Farquhars Antwort. Dann merkte er, da? ihn jemand am Arm zog. Das Boot schwankte, als die Matrosen sich plotzlich erregt im Bug drangten. Einen Augenblick glaubte er, noch zu traumen. Dann horte er Farquhar rufen:»Sehen Sie, Sir! Da haben sie uns also doch gesucht.»
        Bolitho kam hoch und versuchte, uber die Kopfe der Manner hinweg die Dunkelheit zu durchdringen. Dann sah er, was sie meinten. Es war eher eine Lucke im vertrauten Stand der Sterne als ein Umri?. Doch nach und nach erkannte er Konturen: ein
        Schiff.

«Zunden Sie etwas an, Stockdale«, stie? Bolitho hervor.»Ein paar Lumpen.»
        Die schmale Mondsichel schlug Silber aus den fernen Segeln. Vor dem dunklen Mantel der Nacht zeichnete sich das dunklere Gitterwerk der nach hinten geneigten Masten und der Takelage ab. Es war tatsachlich eine Fregatte.
        Der als Signal dienende Lumpen knisterte und loderte dann auf. Die Flamme blendete sie und begrenzte die Sicht auf den Umkreis ihres eigenen Bootes. Einige Matrosen riefen Hurra, andere umarmten sich und grinsten wie Kinder.

«Jetzt wird sich das Geheimnis luften, Mr. Farquhar. «Bolitho legte Ruder, als sich der Umri? des Schiffes veranderte und die Fregatte auf sie zuhielt. Er horte das Knarren der Rahen und das Schlagen der Segel, als die Fregatte backbra?te und beidrehte. Er glaubte, einen schwachen Ruf zu vernehmen und das Gerausch laufender Fu?e.»Nimm das Segel weg, Stockdale«, sagte er.»Und ihr da vorn, gebt auf eine Leine acht. «Aber er brauchte niemanden zu ermuntern.
        Der Bugspriet schwang ein paar Fu? entfernt schwindelerregend hoch uber ihnen herum. Stockdale zundete noch einen
        Lumpen an, und Bolitho spurte, wie ihm eine eisige Hand nach dem Herzen griff. Die Galionsfigur der Fregatte tanzte und flimmerte in dem Licht, als ware sie lebendig: ein vergoldeter Damon, der ein Paar Schureisen wie Waffen schwang.
        Stockdale warf das Notsignal ins Wasser und fuhr zu Bolitho herum.»Haben Sie gesehen, Sir? Haben Sie das gesehen?»

«Ja, Stockdale. «Bolithos Arme baumelten leblos herab.»Es ist die Andiron.»
        Rufe und Jubel erstarben, und die Manner sa?en oder standen geschlagen da, als vom Deck her Laternenschein auf sie fiel und ein Enterhaken sich in das Schanzkleid des Bootes bi?.
        Die Matrosen traten beiseite, um Bolitho vorbeizulassen. Er ging zum Bug und griff nach der Jakobsleiter, die plotzlich auftauchte. Er war vom Wechsel der Dinge noch zu niedergeschmettert, um die Geschehnisse klar gegeneinander abzugrenzen. Sein Verstand registrierte nur kurze, unwirkliche Bilder, vergro?ert und verzerrt durch die Lichtflecken der Laternen, die blitzenden Bajonette und die herandrangenden, neugierigen Gesichter. Wahrend er in den Laternenschein trat, horte er verwunderte Ausrufe und Bemerkungen. Eine irische Stimme sagte:»Das ist ein englischer Offizier!«Eine andere warf mit naselndem Kolonialakzent dazwischen:»Zum Teufel, das stimmt. Sogar ein Kapitan.»
        Die Manner der Phalarope erklommen einer nach dem anderen die Jakobsleiter und mu?ten sich in einer Reihe aufstellen. Ein Offizier in dunklem Mantel und mit Dreispitz schob sich durch die dichtgedrangte Mannschaft und musterte Bolitho erheitert.

«Willkommen an Bord, Kapitan. Wirklich ein Vergnugen. «Er wandte sich um und rief: Stellt sie unter Bewachung und versenkt diesen Sarg von einem Boot. «Und zu einem gro?en Neger:»Sondere die Offiziere aus und bringe sie nach achtern. «Dann verbeugte er sich spottisch vor Bolitho.»Wenn Sie mir folgen wollen? Ich denke, der Kapitan wird sich freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen.»
        Selbst in dem ungewissen Laternenlicht erkannte Bolitho vertraute Einzelheiten. Das letzte Mal war er auf dem Schiff gewesen, um Kapitan Masterman zu besuchen, einen ernsten, aber freundlichen Offizier, der im Gegensatz zu anderen stets bereit gewesen war, sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen, und Bolithos viele Fragen gern beantwortet hatte.
        Die klare Erinnerung half ihm, die nagende Verzweiflung zuruckzudrangen, so da? er sich automatisch gerade aufrichtete und sogar uber die Schrammen und die notdurftig ausgebesserten Schaden, die die Breitseiten der Phalarope angerichtet hatte, bittere Genugtuung zu empfinden vermochte. Der Kapitan der Andiron wollte sicher zur Insel Mola, um dort die Reparaturen zu vollenden, ging es ihm durch den Kopf. Womoglich waren das Segeltuch und die Spieren, die der Lugger geladen hatte, fur die Andiron bestimmt gewesen.
        Er senkte den Kopf, als ihn der Offizier nach achtern fuhrte. Bei jedem Schritt bemerkte er neugierige Gruppen der Besatzung, die ihn musterten. Eine zusammengewurfelte Mannschaft, dachte er.
        Einige zeigten offene Feindseligkeit und riefen ihm Beleidigungen zu. Andere blickten zu Boden oder verbargen ihre Gesichter. Bestimmt englische Deserteure, dachte Bolitho, manche gehorten vielleicht sogar zur ursprunglichen Besatzung der Andiron. Er bemerkte Neger und olivfarbene Mexikaner, wortgewaltige Iren und dunkelhautige Matrosen, die wahrscheinlich aus dem Mittelmeergebiet stammten. Dennoch offenbar eine eng verknupfte Gemeinschaft, wenn auch moglicherweise nur durch die gemeinsame Gefahr und die Risiken des von ihnen gewahlten Gewerbes verbunden.
        Der Offizier stie? eine schwere Tur auf und trat beiseite, um Bolitho in eine kleine, karglich eingerichtete Kajute eintreten zu lassen.

«Warten Sie hier. Wir mussen erst wieder Fahrt aufnehmen. Ich nehme aber an, da? der Kapitan Sie bald zu sehen wunscht. «Er streckte die Hand aus.»Ihren Degen. «Er bemerkte Bolithos emporten Blick und setzte hinzu:»Und falls Sie an irgendeine Heldentat denken sollten, mochte ich Ihnen nur sagen, da? die Tur bewacht ist. «Er nahm den Degen entgegen und betrachtete ihn von allen Seiten.»Eine ziemlich alte Klinge fur einen englischen Kapitan. «Er grinste.»Aber es wird eben alles ein bi?chen knapp in England, wie?»
        Bolitho gab keine Antwort. Der Offizier wollte ihn reizen. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu reden oder Vergunstigungen zu erbitten. Er sah den Degen seines Vaters im Laternenschein aufglanzen und drehte sich ostentativ um. Er war ein
        Gefangener. Er mu?te alle Kraft fur spater aufsparen. Die Tur schlug zu, und er horte die sich entfernenden Schritte.
        Bolitho lie? sich mude auf eine Seekiste fallen und stierte vor sich hin. Farquhar und Belsey waren sicher jeder fur sich festgesetzt worden. Zweifellos wollte der Kommandant der Andiron jeden einzeln vernehmen. Er hatte es ebenso gemacht. Sonderbar, sich vorzustellen, da? erst zwei Tage vergangen waren, seit er den vor Angst schlotternden Spanier auf seinem Schiff verhort hatte. Seither war so viel geschehen. Es war beinahe unmoglich, sich den Zeitablauf und die Vorfalle der Reihe nach zuruckzurufen. Eins war sicher, er hatte sein Schiff verloren, und die Zukunft lag leer und ode vor ihm.
        Die stickige Luft und die Erschopfung wirkten sich schlie?lich aus. Als sich das Schiff uberlegte und Fahrt aufnahm, lehnte sich Bolitho gegen ein Schott und schlief sofort ein.
        Jemand ruttelte ihn am Arm, und er erwachte. Einige Sekunden hoffte er, da? alles nur Teil eines furchtbaren Traumes sei und er zu einer ganz anderen Wirklichkeit erwachen wurde, und wenn es die der Ungewi?heit in dem uberladenen Boot ware. Doch es war der Offizier, der ihn in die Kajute gebracht hatte. Als Bolitho sich aufrichtete, sagte er:»Ich dachte schon, Sie wachen uberhaupt nicht mehr auf.»
        Bolitho bemerkte, da? Tageslicht den Gang vor der Tur erhellte, und wahrend er nach und nach sich der tatsachlichen Lage bewu?t wurde, horte er auf dem Oberdeck das Gerausch von Scheuersteinen und Wassergussen.

«Wie spat ist es?»

«Sieben Glasen. «Der Offizier zuckte mit den Schultern.»Sie haben fast sieben Stunden geschlafen. «Er winkte einem Matrosen.»Hier ist Wasser und Rasierzeug. «Er musterte Bolitho kalt.»Der Mann bleibt bei Ihnen, um aufzupassen, da? Sie sich nicht die Kehle durchschneiden.»

«Sehr aufmerksam von Ihnen. «Bolitho nahm die Schussel mit hei?em Wasser und ignorierte das faszinierte Interesse des Matrosen.»Aber keine Sorge, Leutnant. Bevor ich sterbe, mochte ich noch sehen, wie Sie gehenkt werden.»
        Der Offizier grinste.»Sie sind ein Feuerkopf, das mu? man Ihnen lassen. «Und zu der Teerjacke:»Pa? gut auf, Jorgens. Der geringste Widerstand, und du nimmst dich seiner an, klar?»
        Die Tur schlo? sich, und der Matrose sagte:»Der Kapt'n will Sie sprechen, wenn Sie fertig sind. «Er leckte sich die Lippen.»Er halt Fruhstuck fur Sie bereit. «Die Behandlung schien ihn zu erstaunen.
        Wahrend Bolitho sich rasierte, rasten ihm hundert Gedanken durch den Kopf. Vielleicht sollte er tun, was der Offizier angedeutet hatte. Ein Schnitt in die Halsschlagader, und sie gingen leer aus, hatten weder ein bereitwilliges Opfer noch eine Quelle moglicher Information. Er erinnerte sich an Herricks Gesicht, als er zu ihm gesagt hatte: >Hier drau?en kann man durch mangelnde Information den ganzen Krieg verlieren.< Jetzt kehrten sich seine eigenen Worte gegen ihn. Er dachte an Farquhar und die anderen und sah wieder Stockdales zerschlagenes Gesicht vor sich, als die Leute des Kaperschiffs sie trennten. Es hatte einen Ausdruck des Vertrauens und der Zuversicht getragen. In jenem schrecklichen Augenblick hatte Bolitho das mehr geholfen als Worte oder irgendwelche Taten.
        Er wischte das Rasiermesser ab und legte es auf die Seekiste. Nein, das Leben war mehr als die personlichen Hoffnungen eines Einzelnen. Er zog die Uniform zurecht und schob das dunkle Haar aus der Stirn.»Ich bin bereit«, sagte er kuhl. Vielleicht zeigen Sie mir den Weg.»
        Er folgte dem Matrosen durch den Gang. Das Tageslicht zeigte ihm noch mehr Zeugen des kurzen Gefechts: geknickte Holzer, durch Behelfsbalken gestutzt, und vielsagende rote Flecken, die selbst wochenlangem Schrubben getrotzt hatten.
        Ein bewaffneter Matrose trat beiseite und offnete die Tur zur Kapitanskajute. Bolitho betrat den einst vertrauten Raum. Die Morgensonne flutete durch die Heckfenster, und die tanzenden Reflexe blendeten ihn. Der Kapitan der Andiron stand uber die Heckbank gebeugt und schaute hinaus. Seine Gestalt hob sich dunkel vor dem glitzernden Wasser ab. Doch Bolithos Blick galt nicht ihm, sondern dem Degen, der mitten auf dem polierten Tisch lag.
        Er wartete. Seine Beine pa?ten sich automatisch dem leichten Stampfen und Rollen des Schiffes an. Die Kugeln der Phalarope hatten selbst hier eingeschlagen, wie Bolitho sah. Lange kann die Andiron nicht im Hafen gelegen haben, uberlegte er.
        Der Offizier am Fenster drehte sich langsam um. Das Licht huschte uber sein Gesicht, ehe es sich wieder in eine dunkle Silhouette verwandelte. Zum zweiten Male innerhalb von vierundzwanzig Stunden hatte Bolitho beinahe die Haltung verloren. Er mu?te alle Kraft zusammennehmen, um nicht unglaubig aufzuschreien. Aber als der andere sprach, wu?te er, da? ihn auch diesmal keine Einbildung narrte.

«Willkommen an Bord der Andiron, Richard. Als mir mein Zweiter den Sabel brachte, wu?te ich, da? du es sein mu?test.»
        Bolitho starrte seinen Bruder an, und die Jahre sackten weg, wahrend ihm tausend Erinnerungen durch den Kopf wirbelten: Das war Hugh Bolitho, der Sohn, uber den sein Vater so verbittert und doch so besorgt gesprochen hatte. Nun Kommandant eines feindlichen Kaperschiffes. Schlimmer konnte es nicht kommen.

«Es war unvermeidlich«, sagte sein Bruder langsam.»Aber ich hoffte, da? es auf andere Art geschehen wurde. Und vielleicht an einem anderen Ort.»

«Wei?t du, was du getan hast?«horte Bolitho sich fragen.»Was das fur Vater bedeutet?«Er stockte, war unfahig, die Tatsache hinzunehmen, da? sie Kinder desselben Vaters waren.»Dann hast du also bei dem Gefecht im vorigen Monat die Andiron befehligt?»
        Hugh Bolitho schien sich etwas zu entspannen, offenbar meinte er, das Argste sei nun voruber.»Ja. Es war wirklich eine Uberraschung.
        Wir wollten gerade zum Endsto? ansetzen, da sah ich dich durch mein Glas. «Er verzog das Gesicht, als er sich den Augenblick zuruckrief.»So drehte ich ab. Du hast an diesem Tag Gluck gehabt, mein Junge.»
        Bolitho versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und sagte kurz:»Willst du andeuten, da? meine Anwesenheit deinen Entschlu? bestimmte?»

«Dachtest du, du hattest gesiegt, Richard?«Hugh Bolitho betrachtete seinen Bruder irgendwie belustigt.»Trotz des Kettenbeschusses hatte ich die Phalarope nehmen konnen, das kannst du mir glauben. «Er zog die Schultern hoch, ging zum Tisch und blickte auf den Degen.»Es brachte mich aus der Fassung. Ich wu?te nicht, da? du nach Westindien zuruckgekehrt warst.»
        Bolitho sah die grauen Strahnen im Haar seines Bruders und die Falten um seinen Mund. Hugh war nur vier Jahre alter, aber es hatten zehn Jahre zwischen ihnen liegen konnen.»Nun, jetzt bin ich also dein Gefangener«, sagte er.»Was hast du mit mir vor?»
        Hugh Bolitho wich einer direkten Antwort aus. Statt dessen griff er nach dem Degen und hielt ihn gegen die Sonne. »Dir hat er ihn also gegeben. «Er schuttelte den Kopf, eine ebenso vertraute wie schmerzliche Geste.»Armer Vater. Ich furchte, er denkt das Schlechteste von mir.»

«Uberrascht dich das?»
        Hugh Bolitho legte den Degen auf den Tisch und schob die Hande tief in die Taschen seines einfachen blauen Rocks.»Ich war auf diese Begegnung nicht aus, Richard. Denke, was du willst, aber du wei?t so gut wie ich, da? die Dinge hier drau?en zu schnell abrollen, um Gefuhle walten zu lassen. «Er sah seinen Bruder an.»Als ich dich auf dem Deck stehen sah, wahrend deine armselige Mannschaft auseinanderfiel, konnte ich es einfach nicht uber mich bringen, den Kampf zu Ende zu fuhren. «Er hob unbestimmt die Hand.»Ganz wie fruher, Richard. Es ist mir nie leichtgefallen, dir etwas wegzunehmen, was deiner Meinung nach dir gehorte.»

«Trotzdem hast du es immer getan, nicht wahr?«erwiderte Bolitho gelassen.

«Die Zeiten sind vorbei. «Er deutete auf eine Seekarte.»Wir segeln nach St. Kitts. Bis zum Abend werden wir unter Land sein. «Er bemerkte den Zweifel in Bolithos Augen.»Ich lese in dir wie in einem Buch, Richard. Noch immer das alte Mi?trauen.
«Er lachte.»St. Kitts ist von unseren Verbundeten genommen worden. Sir Samuel Hood hat sich zuruckgezogen, um seine Wunden zu lecken. «Er schwenkte die Hand uber die Karte.»Es wird bald vorbei sein. Ob eure Regierung es nun glaubt oder nicht, Amerika wird eine unabhangige Nation werden, vielleicht eher, als man denkt.»
        Bolithos Finger krampften sich hinter seinem Rucken ineinander. Wahrend er hier mit der Vergangenheit konfrontiert wurde, ging seine Welt in Stucke. St. Kitts verloren! Vielleicht sammelten sich die Franzosen schon anderswo zum Angriff. Aber wo? Sie konnten fast jede karibische Insel wahlen.

«Falls du etwas vorhast, um meine Plane zu storen, dann spar dir die Muhe, Richard. Fur dich ist der Krieg aus. «Hugh
        Bolitho klopfte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte.»Es sei denn… «»Es sei denn - was?»
        Hugh Bolitho kam um den Tisch herum und sah seinen Bruder fest an.»Es sei denn, du sto?t zu uns, Richard. Die Franzosen geben etwas auf mich. Ich glaube bestimmt, da? sie dir ein Schiff anvertrauen wurden. Nach deinem Wagestuck auf Mola konnen sie dir Mut und Zielstrebigkeit ganz gewi? nicht absprechen. «Er lachelte bei dem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging.»Vielleicht sogar die Phalarope.»
        Er beobachtete seinen Bruder, der keine Miene verzog, und ging dann zum Fenster. Diese Gewasser gehoren jetzt uns. Unsere Nachrichten stammen aus vielen Quellen, von Fischern, Handelsbooten, sogar Sklavenschiffen. Da St. Kitts gefallen ist, werden sich eure Schiffe nach Suden auf Antigua zuruckziehen, ja noch weiter. Hier gibt es nicht mehr viele Patrouillenschiffe. Zu kostspielig fur euren Admiral, nicht wahr?«Er lachelte.»Vielleicht nur noch ein Schiff: ein einziges.»
        Bolitho dachte an die Phalarope und versuchte sich vorzustellen, was Vibart tun wurde.

«Dein Schiff, Richard, die Phalarope. Wir brauchen jede Fregatte, die wir bekommen konnen, wie die Seestreitkrafte aller anderen Lander auch. Ich habe dafur gesorgt, da? dein Admiral, dieser bombastische Narr Sir Robert Napier, uber unsere Bewegungen informiert wurde. Dein Erfolg auf Mola ist ihm bestimmt so zu Kopf gestiegen, da? er der Phalarope Order geben wird, uns aufzuspuren. Der Admiral wird bestimmt alles daransetzen, den Verlust der Andiron zu rachen, nicht wahr?»

«Du mu?t verruckt sein. «Bolitho sah seinen Bruder kalt an.

«Verruckt? Kaum, Richard. Ich habe deine Leute verhort. Sie haben mir berichtet, wie ihr Schiff von Admiral Napier bestraft wurde, weil es die Andiron entkommen lie?. Sie haben auch von der Unruhe gesprochen, die an Bord ausbrach, ehe du das Kommando ubernommen hast. «Er hob die Arme.»Ich furchte, die Mehrzahl deiner Manner wird ihr Schicksal mir anvertrauen. Aber trauere deswegen nicht, es ware nur klug von ihnen. Hier drau?en entsteht eine neue Welt, und sie werden ein Teil von ihr sein. Sobald der Krieg voruber ist, segle ich nach England und fordere mein Erbe, Richard. Danach werde ich nach Amerika zuruckkehren. Ich habe meinen Wert unter Beweis gestellt. Die Vergangenheit bedeutet mir nichts mehr.»

«Dann tut mir eure Nation leid«, sagte Bolitho ruhig.»Wenn ihre Existenz von Verratern abhangt, wird sie einen schwierigen Kurs steuern mussen.»
        Sein Bruder blieb gelassen.»Verrater oder Patrioten, das hangt vom Standpunkt ab. Wie dem auch sei, heute abend wird die Andiron vor St. Kitts ankern. Nicht im Haupthafen, sondern in einer kleinen Bucht, die meines Erachtens der ideale Ort ist, um sie zuruckzuerobern. «Er warf den Kopf zuruck und lachte.»Nur, da? es die Phalarope sein wird, die in die Falle geht, mein verehrter Herr Bruder. »
        Bolitho blickte ihn ausdruckslos an.»Was das anlangt: Ich bin Gefangener. Ich mochte weder meinen Familiennamen noch den meines Landes beschmutzt sehen, indem ich Bruder genannt werde!»
        Der Pfeil hatte getroffen, Bolitho spurte es an Hughs Reaktion. Doch sein Bruder fing sich gleich wieder und sagte tonlos:»Dann nach unten mit dir. «Er griff nach dem Sabel.»In Zukunft werde ich ihn tragen. Er gehort von Rechts wegen mir.»
        Er schlug auf den Tisch, und ein Posten erschien in der Tur. Dann sagte er:»Ich bin froh, da? du an Bord meines Schiffes bist, Richard. Wenn mir die Phalarope diesmal vor die Kanonen kommt, wird mich nichts aufhalten.»

«Wir werden sehen.»

«In der Tat, das werden wir. «Hugh Bolitho trat an seine Karte.»Wenn ich die Stimmung deiner Leute richtig einschatze, Richard, werden sie bald den Befehlen der Andiron folgen.»
        Bolitho machte kehrt und schritt an der Wache vorbei. Der Kapitan der Andiron folgte dem Abgang mit den Augen, seine Hande umspannten den Degen wie einen Talisman.



        X Die rote Flanelltasche

        Richard Bolitho kam jeder Tag der Gefangenschaft langer vor als der voraufgegangene, und die tagliche Routine an Bord der Andiron marterte ihn nach und nach immer mehr, obwohl er die relative Freiheit geno?, sich im Heck der Fregatte aufhalten zu durfen. Von dort verfolgte er das regelma?ige Kommen und Gehen kleiner Kustenfahrzeuge und den ublichen Tagesablauf eines Schiffes vor Anker. Abends wurde er in die Einsamkeit einer kleinen Kajute zuruckgebracht. Farquhar und Belsey sah er nur bei den Mahlzeiten. Selbst dann konnten sie kaum offen miteinander sprechen, weil sich stets einer der Unteroffiziere der Andiron in der Nahe aufhielt.
        Die Andiron hatte hier erst vor einer Woche Anker geworfen, doch Bolitho schien es eine Ewigkeit her. Mit jedem Tag zog er sich mehr in sich selbst zuruck und grubelte uber seine mi?liche Lage nach, bis ihm der Kopf schwirrte.
        Von dem ihm zugewiesenen Platz an Deck sah er Belsey duster neben Farquhar auf einem Lukendeckel sitzen. Beide starrten uber das leere Meer. Sie warten, dachte er bitter, wie jeder andere an Bord. Sie warten und fragen sich, wann die Phalarope auftauchen und in die Falle gehen wird. Ihm fiel auf, da? Belsey eine neue Bandage um den Arm trug, und rief sich den ersten, aber nur kleinen Triumph zuruck, als ihm nach dem Gesprach mit seinem Bruder gestattet worden war, mit den beiden zusammenzusein.
        Es war ersichtlich, da? sie inzwischen erfahren hatten, wer der Kapitan der Andiron war, aber ebenso ersichtlich war ihre Erleichterung, ihn wiederzusehen. Glaubten sie wirklich, da? er sie verlassen und zum Feind ubergehen konnte? Selbst jetzt noch uberraschte und freute es ihn ein wenig, da? er sich uber eine solche Annahme argern konnte.
        Belsey hatte seinen Arm unter Schmerzen bewegt und gesagt:»Der Schiffsarzt wird sich den Bruch ansehen, Sir.»
        In diesem Augenblick war ihm Farquhars Dolch eingefallen, der, unter dem behelfsma?igen Verband verborgen, als Schiene diente. Zu sprechen wagte er nicht. Die anderen beobachteten ihn jedoch, als er vom Kajutenstuhl ein Brett abbrach. Mit Farquhars Hilfe ersetzten sie den Dolch durch ein Stuck Mahagoni. Belsey hatte einmal laut aufgeschrien, aber Bolitho zischte:»Still, Sie Narr! Den Dolch konnen wir vielleicht noch brauchen.»
        Er versteckte ihn unter seinem Bettzeug. Doch ein qualvoller Tag verstrich nach dem anderen, und er beurteilte den Besitz einer so geringfugigen Waffe nicht mehr so hoffnungsvoll. Von seinem Bruder hatte er wenig gesehen und war dankbar dafur. Einmal hatte er beobachtet, wie er in der Gig an Land gepullt wurde. Und einige Male hatte er ihn zu den Wanden des
        Vorgebirges hinaufstarren sehen, die hinter dem verankerten Schiff aufragten. Bolitho grubelte wieder und wieder uber ihre einzige Unterhaltung in der Heckkajute nach, bis er Bedeutungen hineinlegte, die gar nicht vorhanden gewesen waren. Doch eins stand fest: Hugh Bolitho bluffte nicht. Das hatte er nicht notig.
        Die Andiron ankerte vor der Sudspitze der kleinen Insel Nevis, die zur Hauptinsel St. Kitts gehorte. Ein ovales Eiland, durch eine Meerenge von etwa zwei Meilen von St. Kitts getrennt und volle funfzehn Meilen von der Hauptstadt Basseterre entfernt, die Hood erfolgreich gehalten hatte, bis er sich nach Antigua zuruckziehen mu?te. Nevis war eine gute Wahl, mu?te Bolitho grimmig zugeben. Wahrend seiner endlosen Spaziergange uber Deck verfolgte er die schnellen, doch sorgfaltigen Vorbereitungen, mit denen hier einem Schiff, das versuchen sollte, die Andiron anzugreifen, eine Falle gestellt wurde.
        Die vorspringende Landzunge Dogwood Point beherrschte den geschutzten Strich Wasser; dahinter ragte der nackte Kamm des Saddle Hill wie ein Miniaturvulkan auf. Selbst ein halbblinder Ausguck konnte von dort aus jede verdachtige Annaherung ausmachen und sie dem Schiff und der Kustenwache melden. Es war so einfach, da? Bolitho zugeben mu?te, er hatte die gleiche Methode gewahlt. Lag es daran, weil sein eigener Bruder den Plan entworfen und ein verwandter Geist die Falle gestellt hatte? Wenn Sir Robert Napier erst die Nachricht erhalten hatte, wo die Andiron lag, war die Annahme, da? er impulsiv reagieren wurde, durchaus berechtigt. Ein Erfolg wurde zwar den schmerzlichen Verlust St. Kitts nicht wettmachen, aber die Moral der britischen Flotte heben.
        Naturlich brauchte das angreifende Schiff nicht die Phalarope zu sein. Doch Bolitho verwarf diesen Gedanken sogleich. Sein Bruder hatte auch darin recht. Admiral Napier standen nur wenige Schiffe zur Verfugung, seit sich Hood wieder auf Antigua eingerichtet hatte. Au?erdem wurde er den Erfolg der Phalarope als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit ansehen. Damit ware ihr Name gereinigt und sein Sohn geracht.
        Er versuchte von neuem, sich in die Lage des angreifenden Kapitans zu versetzen. Er wurde langsam heransegeln, um sich zu vergewissern, da? die Information uber die Anwesenheit der
        Andiron stimmte. Und er wurde darauf achten, da? die Posten an Land seine Masten nicht vor Sonnenuntergang erspahten. Im Schutz der Dunkelheit wurde er unter Land gehen und ein Enterkommando aussenden, vielleicht drei oder vier Boote. Leicht wurde es nicht sein, aber ein Schiff, das so toricht war, ein Stuck vor der Basis zu ankern, sollte durch Handstreich zu Fall zu bringen sein. Er schlo? die Augen und versuchte, das Bild auszuloschen, das ihm das angreifende Schiff im Augenblick der Erkenntnis der wirklichen Lage zeigte.
        Eine verborgene Batterie war so aufgestellt und ausgerichtet, da? die Geschutze den gesamten Bereich unter dem Vorgebirge bestrichen. Und obwohl es nach au?en hin so aussah, als lage die Andiron unbesorgt vor einer friedlichen Insel, hatte Bolitho alle Vorbereitungen wohl bemerkt und auch die Sorgfalt, die sein Bruder walten lie?, um den Sieg sicherzustellen.
        Die Kanonen, mit Kartatschen geladen, warteten geduckt hinter ihren geschlossenen Pforten. Schon jetzt spannten sich Netze uber die Decks, um jene an einem schnellen Entern zu hindern, die dem ersten Kugelregen entkommen wurden. Die Manner der Andiron schliefen auf Stationen, jeder einzelne bis an die Zahne bewaffnet und bereit, dem Plan des Kapitans zum Erfolg zu verhelfen.
        Auf dem Achterdeck waren Leuchtraketen angebracht. Sobald man mit den Angreifern im Kampf stand, sollten sie abgebrannt werden. Das Signal wurde von einem entfernteren Posten an eine franzosische Fregatte weitergegeben werden, und mit deren Eingreifen ware dann das Gefecht voruber. Wenn die Phalarope ohne den besten Teil ihrer Mannschaft uberrascht wurde, hatte sie keine Chance. Und wenn sie naher unter Land kam, um das Enterkommando zu unterstutzen, wurden die Landbatterien sie zerschmettern, ehe sie den Fehler bemerkte.
        Ein anderer Gedanke qualte Bolitho. Wenn die Phalarope der Angreifer war, wurde Vibart das Kommando fuhren. Er konnte sich nur schwer vorstellen, da? Vibarts Verstand schnell genug arbeitete, um mit einer solchen Situation fertigzuwerden. Bolitho knirschte mit den Zahnen und ging langsam zur Landseite hinuber. Die Insel lag friedlich da. Die Verteidiger hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen und warteten jetzt genau wie er. Nur da? er, wenn es soweit war, unter Deck eingesperrt und hilflos und elend Zeuge des Untergangs seines eigenen Schiffes sein wurde. Oder, schlimmer noch, der Eroberung.
        Der Gedanke peinigte ihn zum hundertsten Male. Und es gab ihm einen neuen Stich, als er einen Kutter der Andiron langsseits kommen und Fruchte entladen sah. Nein, er irrte sich nicht, es war Stockdale, der breitbeinig auf dem Schanzkleid stand und die Netze mit den Fruchten hinaufreichte, als waren sie leicht wie eine Feder. Sonderbar, aber das war fast am schwersten zu ertragen. Gerade Stockdale! Ob er bereitwillig oder widerstrebend gehandelt hatte, war Bolitho nicht bekannt, aber er hatte sich der Mannschaft des Kaperschiffes angeschlossen, und die anderen Leute der Landungsabteilung waren ihm wie Schafe gefolgt. Er machte ihnen innerlich keine Vorwurfe. Wenn Stockdale, der Bootsfuhrer des Kapitans, die Front wechselte, warum dann nicht auch sie?
        Stockdale schaute, in der Sonne blinzelnd, hoch. Dann gru?te er spottisch, und einige der Leute lachten. Der wachhabende amerikanische Offizier sagte trocken: Manchmal glaube ich, da? es so etwas wie Treue uberhaupt nicht gibt, Kapitan. Alles blo? eine Frage des Preises.»
        Bolitho zuckte mit den Schultern.»Vielleicht.»
        Der Offizier ergriff die Chance, Bolithos brutendes Schweigen zu brechen.»Ich komme nicht daruber hinweg, da? Sie mit unserem Kapitan verwandt sind. Der Gedanke macht einem zu schaffen. Ihnen vermutlich auch.»
        Bolitho sah den gebraunten Offizier fluchtig an. Ein freundliches Gesicht. Das eines einsamen Mannes, der den Krieg satt hatte.»Fahren Sie schon lange unter ihm? fragte er.

«Ein Jahr ungefahr. «Der Mann runzelte die Stirn.»Aber es kommt mir viel langer vor. Er kam als Erster Leutnant an Bord, erhielt aber das Kommando, nachdem der Kapitan bei einem Gefecht mit einem Ihrer Schiffe vor Cape Cod fiel. «Er grinste. Hoffentlich kann ich bald nach Hause. Meine Frau und meine zwei Jungen warten auf mich. Ich sollte mich um meine Farm kummern, nicht gegen Konig Georg kampfen.»
        Bolitho erinnerte sich der Bemerkung seines Bruders, da? er nach Cornwall kommen wurde, um das ihm rechtma?ig zustehende Erbe zu fordern, und verspurte wieder die gleiche heftige Bitterkeit. Er unterdruckte die aufsteigende Regung und fragte ruhig:»Halten Sie das wirklich fur so einfach?»
        Der Offizier starrte ihn an.»Was kann denn noch passieren? Ich mochte Sie nicht beleidigen, Kapitan, aber meiner Meinung nach haben die Briten kaum noch eine Chance, Amerika zuruckzugewinnen.»
        Bolitho lachelte.»Ich dachte mehr an die Franzosen. Wenn, wie Sie sagen, die amerikanische Unabhangigkeit von allen Beteiligten bestatigt wird, bilden Sie sich dann wirklich ein, da? die Franzosen einfach absegeln? Immerhin haben sie die Hauptlast der Kampfe getragen, vergessen Sie das nicht. Meinen Sie, da? Sie ohne ihre Flotte und ihre Lieferungen so weit gekommen waren?»
        Der Amerikaner kratzte sich den Kopf.»Krieg bringt einem sonderbare Verbundete, Kapitan.»

«Ich wei?. Ich habe einige kennengelernt. «Bolitho blickte beiseite.»Meines Erachtens mochten sich die Franzosen hier drau?en ebenso festsetzen wie in Kanada.
«Er schuttelte den Kopf.»Sie konnen leicht vom Regen in die Traufe kommen.»
        Der Offizier gahnte und sagte mude:»Nun, ich habe das nicht zu entscheiden, Gott sei Dank. «Er hob die Hand an die Augen und spahte in den dunklen Schatten unter Saddle Hill. Ein wei?blauer Punkt eilte den unebenen Pfad in einer Staubwolke hinunter.
        Der Offizier sah Bolitho bedeutungsvoll an und sagte knapp:»Ein Reiter! Das bedeutet, der Koder hat gewirkt, Kapitan. Heute nacht also - oder nie.»
        Auf der Back ertonte ein Ruf, als am oden Ufer ein greller Lichtpfeil aufblendete. Jemand benutzte einen Heliographen, und Bolitho horte tiefer landeinwarts lebhaften Trommelschlag.

«Woher wei? man es?«fragte er.
        Der Offizier kniff die Lippen zusammen, sagte dann jedoch nicht unfreundlich: Drau?en liegt eine Flotte von Fischerbooten, Kapitan. Sie geben die Sichtmeldung von Boot zu Boot weiter. Eins liegt dicht unter dem Ausguck auf dem Berg. «Er wirkte verlegen.»Warum beschaftigen Sie sich noch damit? Sie konnen doch nichts mehr dagegen tun. Genausowenig wie ich etwas tun konnte, ware die Situation umgekehrt.»
        Bolitho sah ihn nachdenklich an.»Danke, ich will versuchen, mich daran zu erinnern. «Damit nahm er seinen Gang uber das Deck wieder auf. Der Offizier zuckte mit den Schultern und kehrte auf die andere Seite des Hecks zuruck.
        Die kurze Waffenruhe war voruber. Das Signal des Heliographen hatte sie aus plaudernden Seeleuten wieder zu Feinden gemacht.

«Sonnenuntergang in einer Stunde. «Daniel Proby, Steuermann der Phalarope, kritzelte langsam auf seiner Schiefertafel und ging dann gemachlich zu Herrick hinuber, der an der Luvreling stand.»So habe ich die Sonne mein ganzes Leben lang noch nicht gesehen.»
        Herrick ri? sich in die Gegenwart zuruck und folgte Probys bekummertem Blick uber die glitzernde Weite der offenen See. Fast den ganzen Nachmittag und den fruhen Abend uber war die Fregatte stetig nach Nordost gelaufen, und wahrend sie jetzt hart am Wind uber Backbordbug segelte, leuchteten Masten, Spieren und jeder Zoll der steifen Leinwand wie poliertes Kupfer. Der Himmel, seit Tagen hellblau und leer, war jetzt von langen, sich kreuzenden Wolkenstreifen durchzogen, die wie gluhende Rauchfahnen auf den fernen Horizont zutrieben. Es war ein zorniger Himmel, und die See reagierte auf den Wechsel auf ihre Weise. Die Oberflache zeigte nicht mehr die kurzen, abgehackten wei?en Kamme, sondern herandrangende Linien hochtreibender Wogen, eine hinter der anderen in sauberlich abgezirkelten Reihen. Das Schiff hob sich und achzte, als die Galionsfigur sich dem Himmel zukehrte und dann in langem Bogen in das Wellental tauchte.

«Vielleicht nahert sich ein Sturm vom Atlantik?«fragte Herrick.
        Der Steuermann schuttelte den Kopf.»Zu dieser Jahreszeit gibt es kaum Sturme. «Er blickte nach oben, als die Segel, wie um seine Worte zu verhohnen, donnerten.»Wie dem auch sei, wir werden ein Reff einbinden mussen, wenn es sich nicht bessert.»
        Trotz seiner dusteren Gedanken mu?te Herrick lacheln. Vibart wurde nicht gerade glucklich daruber sein. Seit er vor zwei Tagen seine neuen Befehle erhalten hatte, trieb er die Besatzung wie ein Verruckter an. Herrick dachte an den Augenblick, als ein Ausguck das ferne Segel gesichtet hatte. Einen Moment dachten sie, es sei eine patrouillierende Fregatte oder die Cassius selbst. Aber es war eine schnell segelnde Brigg. Uber ihren niedrigen Rumpf spruhte Schaum, als sie uber
        Stag ging und auf die Phalarope zulief.
        Herrick nahm ihr Erscheinen als unerwartete, aber willkommene Abwechslung, denn die Stimmung an Bord der Fregatte hatte sich spurbar verschlechtert. Innerhalb weniger Tage hatte es sieben Auspeitschungen gegeben. Sie hatten die Mannschaft jedoch nicht in stumpfe Gefugigkeit versetzt, sondern dazu beigetragen, die Kluft zwischen Back und Achterdeck noch zu vertiefen. Im Zwi schendeck wurde kaum noch geplaudert oder gelacht. Kam ein Offizier an einer Gruppe Matrosen voruber, schwiegen die Manner verdrossen und wandten sich ab.
        Fahnrich Maynard hatte gemeldet:»Die Brigg ist die Witch of Looe, Sir. Mit Order fur uns.»
        Vibart baute sich gewichtig auf dem Achterdeck auf, einsam und erhaben, schweigsam, aber alles beobachtend.
        Ein Boot pullte heruber, und bald kletterte ein Leutnant mit dem unvermeidlichen Leinwandumschlag an Bord. Herrick, der in der Nahe stand, spitzte die Ohren, um mitzubekommen, was vorging. Er horte Vibart nach dem Flaggschiff fragen und den Leutnant kurz antworten.

«Diese Befehle kommen vom Admiral, Sir. Ich habe nichts hinzuzufugen. »
        Die Antwort war zu knapp, beinahe schon beleidigend, und Herrick nahm an, da? der junge Leutnant auf der Liste der Admiralsgunstlinge hoch genug stand, um sich solchen Ton erlauben zu konnen.
        Vibart hatte dem Offizier der Brigg vom Angriff auf die Insel Mola erzahlen wollen, doch dann den Mund fest zusammengepre?t, sich umgedreht und befohlen: Lassen Sie das Schiff wieder Fahrt aufnehmen, Mr. Herrick. Ich habe zu tun.»
        So war es bis heute geblieben, uberlegte Herrick. Ein Schwanken zwischen hochtrabender Selbstgefalligkeit und Anfallen blinder Wut. Vibarts Reaktionen lie?en sich nie vorhersagen, ein doppeltes Ubel, da er beinahe allgegenwartig war. In einem fort beobachtete er, kritisierte alles und bellte Befehle, die die der anderen Offiziere ruckgangig machten.
        Herrick hatte den Leutnant am Fallreep angehalten, um noch mehr zu erfahren. Der Offizier sah ihn nachdenklich an.

«St. Kitts ist gefallen. Die Flotte hat sich zuruckgezogen, um sich neu zu formieren. Ich segle jetzt nach Antigua. «Er blickte zu seinem Schiff hinuber. Aber dem Vernehmen nach kommt Rodney aus England mit zwolf Linienschiffen zu uns. Ich hoffe zu Gott, da? er noch rechtzeitig eintrifft. «Und dann, hastig:»Wo ist Ihr Kapitan?»

«Gefallen. «Herrick brachte das Wort kaum uber die Lippen.»Auf Mola.»

«Nun, mir liegt Ihr neuer Kommandant nicht, mein Freund. «Der Leutnant hielt kurz inne.»Wir haben zwei Tage nach der Phalarope gesucht. Der Admiral durfte kaum erfreut sein, da? Sie Ihre Position verlassen haben, Mola oder nicht. «Er kniff die Augen zusammen.»Im Befolgen von Befehlen ist Sir Robert ein Pedant.»
        Herrick beschaftigte sich nun mit jenem Teil der Ereignisse, aufgrund derer die Phalarope jetzt auf die Inseln zuhielt. Vibart hatte alle Offiziere und Unteroffiziere zu einer Besprechung in die Kajute gerufen. Irgendwie war es typisch fur ihn, da? er bequem auf seinem Stuhl sa? und alle anderen stehen lie?.

«Sir Robert Napier hat Nachricht erhalten, da? die Andiron vor Nevis liegt.
«Danach lie? er eine anscheinend sorgsam vorbereitete Rede vom Stapel.»Offenbar werden Reparaturen ausgefuhrt, wahrend sie auf neue Order wartet. Wie lange sie dort liegen wird, ist ungewi?. «Er blickte von einem zum anderen.»Sir Robert befiehlt der Phalarope, unverzuglich nach Nevis zu segeln, um die Andiron zu versenken oder zu nehmen. «Vibarts Worte hatten wie ein Blitz eingeschlagen.»Wir werden hochste Fahrt laufen. «Er sah den Steuermann durchdringend an.»Also geben Sie acht, da? keine Fehler passieren, Mr. Proby.»
        Herrick hatte Vibart wahrend der Ankundigung beobachtet. Sein offensichtlicher Eifer uberraschte ihn. Es konnte eine falsche Nachricht sein. Stimmte sie jedoch, wurde es nicht leicht sein, ein Schiff au?er Gefecht zu setzen, das dicht unter einer feindlichen Insel lag. Indes Vibart sich drohnend uber Details und den Zeitpunkt auslie?, wurde ihm klar, da? Vibarts Verhalten auf Unsicherheit schlie?en lie?. Obwohl Vibart seit Bolithos Verschwinden das Kommando fuhrte, war Okes in der besseren Position, weil man womoglich ihm die zuruckliegenden Erfolge gegen den Feind gutschreiben wurde. Vibart mu?te sich noch beweisen, und dafur bot die neue
        Operation eine Gelegenheit.
        Merkwurdigerweise hatte er keine Meldungen zur Witch of Looe hinubergeschickt. Sparte er sich den Bericht fur einen personlichen Vortrag beim Admiral auf? grubelte Herrick. Sir Robert mochte wutend sein, weil die Phalarope ihre Position verlassen hatte. Aber die Zerstorung der Batterie auf Mola und die der Truppentransporter und dazu ein Sieg uber das Kaperschiff Andiron mu?ten jeden besanftigen.
        Doch jetzt, nachdem Vibart ausreichend Zeit gehabt hatte, alles zu bedenken, was der Befehl einschlo?, war seine Stimmung von neuem umgeschlagen. Wahrend die Phalarope auf Nevis zulief, wuchs seine Nervositat und Gereiztheit, und mehr als einmal gewann seine Ungeduld die Oberhand. Erst vormittags hatte er einen Mann auspeitschen lassen, dem ein Marlspieker von der Gro?rah fiel. Er war dicht neben Packwood, einem Maat, in den Decksplanken steckengeblieben. Vibart brutete gerade auf dem Achterdeck vor sich hin und verfolgte, wie die Boote uberpruft wurden. Packwoods erschreckter Aufschrei hatte ihm von neuem Gelegenheit gegeben, seiner nie vorhersehbaren Laune freien Lauf zu lassen.

«Schafft den Kerl her. «Seine Stimme lie? jeden Handgriff auf dem Hauptdeck stocken.»Ich habe es genau gesehen. Der Marlspieker sollte Packwood treffen.»
        Selbst der Bootsmannsmaat hatte widersprochen.»Es ist heute bewegt da oben, Sir. Das war keine Absicht.»
        Vibart war scharlachrot angelaufen.»Maul halten! Oder ich sehe mir auch Ihre Ruckenknochen an.»
        Wieder das gefurchtete Trillern:»Alle Mann als Zeugen einer Bestrafung nach achtern!»
        Wieder das qualvolle Hinschleichen der Zeit, bis die Grating klar war und die Seesoldaten auf dem Achterdeck eine rechteckige Formation bildeten.
        Der Seemann, den es diesmal traf, hie? Kirk. Ein magerer, hohlaugiger Matrose, der seit dem Gefecht mit der Andiron beinahe taub war. Die donnernden Breitseiten hatten ihm das Trommelfell fur immer ladiert.
        Mr. Quintal, der Bootsmann, war langsam nach achtern gekommen, die vertraute rote Flanelltasche baumelte ihm am Handgelenk. Schweigend teilten sich die Leute, um ihn durchzulassen. Bis zum letzten Moment, ja noch als Vibart das
        Verlesen der Kriegsartikel beschlo? und schroff verkundete:»Vier Dutzend, Mr. Quintal«, bezweifelte Herrick, da? Kirk ein einziges Wort verstanden hatte. Erst als ihn die Bootsmannsmaaten packten, ihm das Hemd vom mageren Korper rissen und ihn zum Prugeln uber die Grating warfen, begann er zu brullen und zu protestieren. Die meisten nahmen ihre Strafe hin, ohne einen Laut von sich zu geben. Schon ein einziger Schlag mit der neunschwanzigen Katze trieb die Luft aus den Lungen, so da? kaum genug fur einen Schrei ubrig blieb. Kirk schrie unaufhorlich, als seine Handgelenke so festgebunden wurden, da? die Fu?e eben das Deck beruhrten. Furcht und Schrecken des Mannes brachten die Bootsmannsmaaten einen Augenblick durcheinander, und sie wechselten fluchtige Blicke. Quintal zog die Peitsche aus der roten Tasche, reichte sie Packwood und sagte barsch:»Zwei Dutzend. Josling ubernimmt die anderen zwei. Wenn Kirk so lange lebt«, fugte er halblaut hinzu.
        Vibart hatte den Hut aufgesetzt und kurz genickt.»Anfangen.»
        Herrick hatte viele Auspeitschungen gesehen. Sie schienen Teil des Seemannslebens, und er hatte sich gegen den Anblick gestahlt. Doch diesmal lagen die Dinge anders. Die Bestrafung war ungerecht, weil Vibart zu versessen darauf war.
        Die Trommel wurde geruhrt, und Packwoods muskuloser Arm holte aus:»Eins. «Die Peitsche zischte durch die Luft. Wie ublich wartete Herrick angewidert und fasziniert zugleich auf die Wirkung des Schlages. Einige Sekunden lang zeigte sich auf dem blo?en Rucken des Mannes nichts, doch schon wahrend die Peitsche zum zweiten Schlag gehoben wurde, sprang die straffe Ruckenhaut von der Schulter bis zur Hufte in vielen feinen Rissen auf.

«Zwei. «Kirk brullte und zuckte hilflos an der Grating. Aus seinem Mund flo? Blut, und Herrick wu?te, da? er sich die Zunge aufgebissen hatte.

«Drei. «Packwood zogerte, ehe er wieder zuschlug. Seine Augen wurden glasig, als die Peitsche Kirks Rucken blutig ri?.
        Vibarts Stimme ubertonte die Trommel.»Harter, Packwood, ersparen Sie dem Kerl nichts, wenn Sie nicht mit ihm tauschen wollen.»
        So war es weitergegangen, Schlag fur Schlag, begleitet vom unmenschlichen Rasseln der Trommel. Nach dem ersten
        Dutzend sackte Kirk zusammen und gab keinen Ton mehr von sich. Doch als der Wundarzt Ellice grimmig feststellte:»Er lebt noch, vertragt aber nicht mehr viel«, fauchte Vibart:»Weitermachen mit der Bestrafung.»
        Herrick hatte bemerkt, da? sich Fahnrich Neale an Maynards Armel klammerte, wahrend die Auspeitschung weiterging. Kirk war mager, und nach achtzehn Schlagen glaubte Herrick, unter der zerfleischten Haut Knochen und Muskeln zu sehen. Dann ubernahm Josling die Peitsche und streifte mit den Fingern Fleischfetzen davon ab. Nach einem kurzen Blick in Vibarts ausdrucksloses Gesicht machte er sich an das zweite Dutzend. Nach dem zwanzigsten Schlag fiel Mr. Quintal ihm in den Arm und sagte fest:»Das reicht, Sir. Er stirbt. «Kirks blutiger Korper wurde nach unten geschafft, aber erst, nachdem Wundarzt Ellice das Eingreifen des Bootsmanns unterstutzt hatte.»Vielleicht ubersteht er es«, hatte er unbestimmt geknurrt. Sagen kann ich es nicht. Ich glaube, seine Nieren sind geplatzt. »
        Herrick forschte nach einem Zeichen von Mitleid oder Triumph in Vibarts schweren Zugen. Doch sie zeigten lediglich steinerne Gleichmutigkeit. Captain Pomfret hatte Auspeitschungen zugesehen, als waren sie ein brutaler Sport. Der blutige Abschlu? erregte ihn stets auf eine Weise, als hatte er einen perversen Sexualakt erlebt. Nichts davon bei Vibart. Vibart sah man uberhaupt kein Gefuhl an, ganz gleich welcher Art.
        Herrick wandte sich hastig ab, als Vibart im Kajutsniedergang auftauchte und in den Wind schnuffelte. Vibart musterte den seltsam kupferfarbenen Himmel und sagte gedehnt:»Der Wind hat aufgefrischt. Wir werden in zehn Minuten die Segel bergen.
«Sein Blick streifte Proby.»Haben Sie unsere Position? Unsere genaue Position?»
        Proby nickte murrisch.»Aye, Sir. Nevis liegt in Nordost voraus, etwa funfzehn Meilen entfernt.»
        Vibart musterte ihn durchdringend.»Ich hoffe um Ihretwillen, da? es stimmt, Mr. Proby. «Dann bellte er den Ruderganger an:»Pa? auf, du Tolpel. Bleib hart am Wind.

        Herrick blickte hinauf. Das Schiff lief perfekt. Vibart wurde offenbar um so nervoser, je naher sie der Insel kamen. Nicht furchtsam. Er hatte bei keiner Gelegenheit irgendwelche
        Zeichen von Furcht gezeigt. Nein, das lag tiefer, hatte mit der lauernden Moglichkeit eines Fehlschlags zu tun.
        Vibart bemerkte, da? Herrick ihn ansah, und fauchte:»Haben Sie die Enterkommandos eingeteilt?»

«Aye, Sir. Alle Boote au?er der Gig sind klar. Die Gig ist fur diese Aufgabe nicht geeignet.»

«Das wei? ich selber, Mr. Herrick. «Vibarts Augen waren rot unterlaufen.»Sie ubernehmen den Gesamtbefehl. Maynard, Packwood und Parker befehligen die anderen drei Boote. «Seine Blicke glitten finster uber die an Deck beschaftigten Leute. Als Steuermannsmaat ist Parker der ideale Mann, die Andiron unter Segel zu bringen, wenn Ihr Angriff Erfolg hat.»

«Ja, Sir. «Herrick wu?te das alles. Er hatte jeden einzelnen Mann personlich instruiert und dem festgelegten Plan gema? eingeteilt.»Erwarten Sie starke Gegenwehr, Sir?»

«Wir sind jetzt drin. Es kommt nicht darauf an, was ich erwarte.»
        Proby befragte seine gro?e Taschenuhr und sagte:»Pfeifen Sie alle Mann an Deck. Klar zum Segelbergen.»
        Herrick fragte sich, warum Vibart das so lange hinausgeschoben hatte. In der Ferne hatte er mehrmals Fischerboote gesehen. Es lag wirklich kein Sinn darin, die Eile der Phalarope noch durch Vollzeug anzuzeigen.
        Die Matrosen kletterten die Wanten hinauf und zogen sich die schwankenden Rahen entlang. Bei der unbehaglichen Bewegung des Schiffs war das Segelbergen eine gefahrliche Arbeit.
        Vibart sagte murrisch:»Auf diese Weise sind wir weniger leicht auszumachen. Und da der Wind standig auffrischt, erspart es uns die Muhe, spater Segelbergen zu mussen. «Er schien laut zu denken.
        Proby legte die Hande um den Mund und rief heiser:»Marssegel und Kluver, mehr brauchen wir nicht. Schnell!»
        Gefolgt von Vibarts Blicken und angetrieben durch die Rufe ihrer Maate, kampften die Manner mit der schlagenden Leinwand und verfluchten den Wind und die tuckischen Segel, die alles daransetzten, die Manner von den Rahen zu schleudern. Als sich Bramsegel und Gro?segel schlie?lich den kampfenden Matrosen ergaben und sich die Leinwandflache verringerte, spurte Herrick, wie die Phalarope an Fahrt verlor.
        Er beobachtete die langen Wellenberge und schatzte die Entfernung zwischen ihnen ab. In Lee von Nevis wurde es geschutzter sein, uberlegte er, aber selbst dann wurde es schwerfallen, die zum Angriff abgesetzten Boote zusammenzuhalten. Er sah Okes an der Leereling stehen und fragte sich, warum Vibart nicht Okes fur das Kommando ausgewahlt hatte. Wenn Okes sich gewandelt hatte und nun verla?lich war, hatte die Wahl eigentlich auf ihn fallen mussen.
        Hauptmann Rennie schlenderte uber das Achterdeck heran und sagte:»Meinen Gluckwunsch, Herrick. Und Erfolg heute nacht! Ich kame gern mit, aber Seesoldaten sind dafur kaum geeignet.»

«Danke. «Herrick lachelte.
        Rennie deutete auf Okes.»Man mochte meinen, unser kommandierender Offizier wei? mehr, als wir dachten, hm? Diese Attacke vertraut er einem Mann, der so weich wie Butter ist, nicht an.»

«Leise!«Herrick blickte fluchtig zum offenen Oberlicht.»Ihre Bemerkungen konnten ernstgenommen werden.»
        Rennie zuckte mit den Schultern, senkte aber die Stimme.»Zum Henker mit der Vorsicht! Ich komme mir wie ein Mann auf einer dunnen Eisflache vor.»
        Er ging davon, und Herrick sah die Matrosen hinabklettern. Wenn blo? Bolitho hier ware, um sie alle zu inspirieren und zu fuhren, dachte er. Er sah schon die Phalarope nach Antigua hineinsegeln - unter einem Vibart, der sich vor Selbstgefalligkeit aufblahte, wahrend Hurrarufe und Gluckwunsche ihre Ruckkehr zur Flotte und zum Ruhm unterstrichen. Doch er wurde Bitterkeit empfinden, dachte Herrick. Denn ohne Bolitho ware die Phalarope nie so weit gekommen, und falls Vibart das Kommando behielt, sah er in der Tat fur sich keine Zukunft.
        Tobias Ellice kam den Niedergang herauf. Er fuhrte die Hand an seinen schabigen Hut und rulpste.»Kirk ist tot«, grunzte er dann abrupt.»Ich habe ihn fein sauberlich einnahen lassen.»

«Gut«, erwiderte Herrick.»Ich werde es im Logbuch eintragen. «Der Atem des Wundarztes roch nach Rum, und Herrick fragte sich, wie der Mann seinen Pflichten nachkommen konnte.

«Sie konnen auch eintragen, da? mir dieses Schiff und ihr alle bis hier steht.
«Ellice schwankte betrunken und ware gefallen, hatte Herrick ihn nicht gestutzt. Ihr behandelt sie wie Hunde«, murmelte er und schuttelte dann den Kopf.»Nein, nicht wie Hunde, die leben im Vergleich dazu wie Konige.»
        Herrick betrachtete ihn verdrossen.»Sind Sie fertig?»
        Ellice zog ein riesiges rotes Taschentuch aus dem Scho? seines Rockes und schnaubte laut.»Sie haben gut spotten, Mr. Herrick. Sie legen heute nacht ab, um Ruhm zu erlangen und zu kampfen. «Er bleckte die Zahne und versuchte, Herrick mit seinen wa?rigen Augen klar zu erkennen.»Aber Sie werden ein anderes Lied singen, wenn Sie unten bei mir darauf warten, da? die Sage Ihren hubschen Arm, ein Bein oder gar zwei abtrennt.»

«Nur zwei?«Herrick musterte ihn mit bitterem Humor.
        Ellice wurde plotzlich ernst, sein vom Rum umnebelter Verstand hakte sich an Herricks Frage fest.»Man kann ohne sie leben, mein Junge. Ich habe es oft gesehen.

        Herrick sah ihm nach, als er zur Heckreling ging. Wieder war ein Mann gestorben. Wer kam als nachster an die Reihe?
        Bryan Ferguson nahm noch ein Entermesser aus der tiefen Lade und reichte es Old Ben Strachan. Strachan prufte die Klinge, beugte sich uber den Schleifstein und zog das Entermesser uber den rotierenden Stein. Seine Augen blitzten hell in den fliegenden Funken.
        Ferguson blickte durch das Zwischendeck. Das Schiff rollte und stampfte, und die schaukelnden Laternen warfen hupfende Schatten. Merkwurdig, wie es ihm jetzt gelang, das Gleichgewicht zu halten, ja selbst sein Magen widerstand nun der lauernden Qual der Seekrankheit. Im Vergleich zu dem sonstigen Leben war das niedrige Zwischendeck heute merkwurdig menschenleer. Bis auf die Manner, die zum Enterkommando gehorten, waren alle an Deck, um das Schiff fur die Aktion vorzubereiten. Old Strachan konzentrierte sich auf sein Messerschleifen. Wahrend Ferguson ihn beobachtete, horte er das drohende Rumpeln der Lafetten. Offenbar wurden die Kanonen sorgfaltig geladen und dann wieder hinter den geschlossenen Stuckpforten verlascht. Die Decks waren bereits mit Sand bestreut, und er horte Mr. Brock seinem Magazinkommando letzte Instruktionen erteilen.
        Starker Rumgeruch drang in das Zwischendeck, und Ferguson drehte sich zu den unten verbliebenen, eng beieinander sitzenden Leuten um, die sich eine kurze Ruhepause gonnen durften, ehe sie in die Boote mu?ten.»Wie wird es ablaufen?«fragte er Strachan.»Was meinst du?»
        Strachan prufte die Klinge und legte sie sorgsam auf den Haufen der schon gescharften Messer.»Schwer zu sagen, Junge. Ich habe das selbst ein paarmal mitgemacht. Manchmal war nach einigen Gebeten und Sto?seufzern alles vorbei, und ehe man's sich versah, war man wieder wohlbehalten an Bord. Und manchmal wunderte man sich, da? man uberhaupt noch lebte.»
        Ferguson konnte sich die zermurbenden Schrecken eines Angriffs bei volliger Finsternis nicht vorstellen und nickte blo?. Seine neuen Pflichten als Schreiber hielten ihm solche Gefahren vom Leibe und hatten ihn von seinen Gefahrten noch weiter getrennt. Er mu?te sich jetzt vollig darauf konzentrieren, mit dem Ersten Offizier klarzukommen. Vibart las jeden Befehl und jeden Bericht mindestens zweimal, und einer Ruge lie? er stets die Androhung einer Strafe folgen. Ferguson dachte an die Auspeitschungen, besonders an die jungste. Er hatte die Hande vor das Gesicht schlagen mogen. Kirk war im Schiffslazarett gestorben, aber seine schluchzenden Schreie schienen noch immer im Logis zu hangen.

«Die See wird ziemlich rauh«, sagte Strachan.»Ich mochte nicht dabei sein. «Er schuttelte den grauen Kopf.»War so schwarz wie 'n Schweinebauch, als ich vorhin die Nase hinaussteckte. «Onslow, der gro?e Matrose von der Cassius, kam herangeschlendert und sah Ferguson einige Sekunden nachdenklich an. In dem karierten Hemd und der engen Hose wirkte er noch gro?er und furchterweckender als sonst. Sein dickes Haar hatte er im Nacken mit einem roten Band zusammengebunden. Du bleibst also an Bord, wie?«lachelte er.»Und das ist ganz richtig so. «Er legte Ferguson die Hand auf die schmachtige Schulter.»Du wirst noch gebraucht, mein Junge. Ich mochte alles wissen, was in der Achterkajute vorgeht.»
        Ferguson starrte ihn an.»Ich. . Ich verstehe nicht.»
        Onslow gahnte und reckte die Arme.»Es ist immer gut, wenn man wei?, was die Offiziere als nachstes vorhaben, verstehst du. Dann brauchen Leute wie wir nicht ewig Pobel zu bleiben. Durch Wissen«, er klopfte sich bedeutungsvoll gegen die Stirn,

«sind wir ihnen gleich - und bereit!»
        Lugg, ein Geschutzmaat, kam den Niedergang herunter und spahte mit zusammengekniffenen Augen ins Dammerlicht.»Los, ihr da! An Deck, und zwar schnell. Jeder Mann ein Entermesser und achtern aufstellen.»
        Onslow sah ihn an.»Was denn, keine Pistolen?»
        Lugg antwortete eisig:»Ich werde dir was mit der Pistole versetzen, wenn du dich weiter so auffuhrst.»
        Stahl klirrte gegen Stahl, als sich jeder hastig ein Entermesser griff. Ferguson redete den einen oder anderen an, erhielt aber keine Antwort. Strachan wischte sich die Hande ab und murmelte:»Spar dir den Atem, Junge. Die denken an das, was vor ihnen liegt. Spater gibt's genug zu reden. Sollte mich nicht wundern.»
        John Allday zogerte, so lange es ging. Dann nahm er ein Entermesser und schwang es langsam im Lampenlicht. Danach sagte er leise:»Sieh dich vor Onslow vor, Bryan. Er ist der geborene Unruhestifter. Ich traue ihm nicht uber den Weg.»
        Ferguson sah seinen Freund uberrascht und irgendwie schuldbewu?t an. Seit seiner Abkommandierung zum Schreiber des Kapitans war er Allday und seinem stillen Schutz entglitten, und wenn er ins Zwischendeck kam, hatten ihn stets Onslow oder dessen Freund Pook in Gesprache und Spekulationen gezogen.
        Allday bemerkte Fergusons Unsicherheit und fugte hinzu:»Du hast die Auspeitschung gesehen, Bryan. La? es dir eine Warnung sein.»

«Aber Onslow ist doch auf unserer Seite, nicht wahr?«Ferguson bemuhte sich zu verstehen.»Du hast doch gehort, was er heute gesagt hat. Ihm steht es ebenso bis hier wie uns allen.»

«Ich habe es gehort. «Alldays Mund verzog sich zu grimmigem Lacheln.»Aber er redet nur. Er gehort nicht zu denen, die an die Grating kommen.»
        Old Strachan murmelte:»Ich hab' 'nen Burschen wie ihn auf der alten Gorgon erlebt. Hat die Manner aufgewiegelt, bis sie nicht mehr wu?ten, was vorn und hinten war. Zuletzt haben sie ihn gehenkt.»

«Und uns werden sie alle hangen, wenn er weiter seine aufwieglerischen Reden halt.
«Alldays Augen blitzten.»Wir sind nun mal hier und mussen das Beste daraus machen.

        Lugg spahte den Niedergang hinunter und bellte:»Na, willst du nun endlich an Deck kommen, du fauler Schuft? Du bist der Letzte, wie ublich. «Aber in der Stimme schwang kein echter Arger. Lugg war so gereizt und nervos wie jeder an Bord.
        Ferguson rief noch:»Viel Gluck!«, aber Allday rannte bereits hinauf. Im ersten Augenblick konnten seine Augen die Finsternis, die das stampfende Schiff einhullte, nicht durchdringen. Uber den Masten schimmerten zwischen den niedrig treibenden Wolken hin und wieder ein paar Sterne.
        Die Maate riefen Namen auf, und die Manner ordneten sich unter Fluchen und Scharren neben den Booten zu den verschiedenen Enterkommandos. Die Boote waren bereits aus den Klampen und klar zum Ausschwenken.
        Allday sah Leutnant Herricks wei?e Rockaufschlage, die sich schwach gegen den dunklen Himmel abzeichneten, und war froh, da? er seinem Boot zugeteilt worden war. Fahnrich Maynard war ein ganz netter Junge, aber es mangelte ihm an Erfahrung und Selbstvertrauen. Allday bemerkte, wie Maynard verstohlen mit seinem kleinen Freund Neale flusterte.

«Hort her, Jungs«, sagte Herrick scharf.»Ich fuhre mit der Barkasse. Der Kutter folgt direkt im Kielwasser, danach die Pinasse. Mr. Parker macht mit der Jolle den Schlu?. «Des heulenden Windes wegen mu?te er schreien, und Allday sah unruhig auf das schaumende Wasser und den immer hoher spritzenden Gischt. Sie wurden schwer pullen mussen, dachte er, und spuckte automatisch in die Hande.
        Er spitzte die Ohren, als Bootsmannsmaat Parker meldete:»Alle da, Mr. Herrick. Sechsundsechzig Mann.»

«Sehr gut. Ich werde den. . «Er stockte und sagte rauh:»Ich werde Mr. Vibart informieren.»
        Allday bi? sich auf die Lippen. Zwischen Herrick und dem neuen Kommandanten herrschte keine gro?e Liebe. Er sah Onslow lassig an einem Piekenstander lehnen und mu?te an Fergusons Unruhe denken. Sonderbar, wie eifrig Onslow darauf ausgewesen war, da? Ferguson zum Schreiber ernannt wurde, grubelte er. Und wie gelegen es kam, da? Mathias, Bolithos ursprunglicher Schreiber, im Laderaum zu Tode gekommen war.

«Den Kutter ausschwenken!«Mr. Quintal tastete sich zur Talje.»Fiert ab das Boot!»
        Allday stockte. Lebhaft trat ihm ein Bild vor Augen. Damals, als Mathias durch Sturz umgekommen war, hatte er als Ausguck im Mastkorb gesessen. Merkwurdig, da? er nicht fruher daran gedacht hatte. Er hatte den Schreiber durch die kleine Luke steigen sehen, und kurz darauf fand man ihn bewu?tlos, sterbend. Aber davor war bereits jemand im Laderaum gewesen. Er sah kurz zu Onslow hinuber, entsann sich des genauen Augenblicks und der Tatsache, da? Onslow den Sturz des Schreibers gemeldet hatte. Er spurte Quintais harte Hand auf der Schulter und griff wieder mit den anderen an die Talje. Die See schien urplotzlich immer hoher zu steigen und die Phalarope im Vergleich dazu zu schrumpfen.
        In seine durcheinanderrasenden Gedanken drang Onslows beilaufige Bemerkung:»Die Kerle sollen unseren Stahl kosten!»
        Wen meinte er damit? fragte sich Allday.



        XI Kriegsgluck

        Das schwere Arbeitsboot der Phalarope, uberlastet durch das zusatzliche Enterkommando, nahm Wasser uber, sobald es aus dem Windschutz der Fregatte herauskam.
        Herrick druckte sich in eine Ecke des Hecks und spahte uber die Kopfe der schwer pullenden Leute. Dunkelheit und Spritzwasser behinderten die Sicht. Er versuchte, sich auf den festgelegten Angriffsplan zu konzentrieren, doch als die Zeit sich hinzog und das Arbeiten des Bootes sich verstarkte, wurde ihm immer klarer, da? sich alles gegen ihn verschworen hatte. Der Wind hatte zugenommen, und er brauchte nicht erst seinen kleinen Kompa? zu befragen, um zu wissen, da? er nach Osten abgekommen war. Damit war der Leeschutz, den ihm die Insel hatte bieten sollen, verloren, ausgetauscht gegen das zornige Toben hochgehender Seen mit wei?en Schaumkopfen und die kreisenden Muster der von halbverborgenen Felsen zuruckflutenden Brandung. Immer wieder blickte er nach achtern, froh, da? der Kutter in seinem Kielwasser folgte. Die Riemen peitschten teils uber einen Wellenkamm, teils wurden sie, wenn das Boot in ein Wellental sauste, bis an die Dollen begraben.
        Ryan, ein im Steuern geubter Vollmatrose, druckte die Pinne hin und her und brullte:»Das Boot benimmt sich jammerlich, Sir. Die Jungs sind schon alle fertig,»
        Herrick nickte schweigend. Der langsame, muhselige Schlag zeigte, da? die Manner sehr erschopft und kaum noch in der Lage waren, einen Angriff auszufuhren. Immer wieder qualte ihn der Gedanke, da? Vibart die Boote zu fruh ausgesetzt hatte. Die Insel war noch immer ein schwarzer Fleck auf dem dunklen Schild der Nacht, und von den Orientierungspunkten war bis jetzt nicht die geringste Spur zu sehen.
        Ihn packte Wut, wenn er daran dachte, wie brusk Vibart ihn zuletzt behandelt hatte. Vibart war nur von dem Wunsch beherrscht gewesen, die Boote ablegen zu sehen. Kein Alternativplan, keine Absprache, wie er sich bei einer moglichen Entdeckung verhalten sollte.
        Die Andiron sollte bei Dogwood Point ankern, doch selbst wenn man voraussetzte, da? die Fregatte unter Land relativ geschutzt lag, war nicht auszuschlie?en, da? ihr Kapitan wegen des zunehmenden Windes zusatzliche Wachen aufziehen lie?, um allen Eventualitaten, die das Wetter bringen mochte, vorzubeugen. Herrick sah plotzlich vor sich, wie die alarmierten und eifrigen Kanoniere seine ermatteten Leute beim Langsseitsgehen mit einem morderischen Feuer begru?ten.
        Ryan rief:»Eine starke Stromung, Sir. Sie druckt uns von der Landspitze weg. «Es klang erbittert.»Wir werden lange pullen mussen, um wieder ranzukommen.»
        Wie um seine Worte zu unterstreichen, erhob sich in dem dunklen Boot Stimmengemurmel.»Wir sollten umkehren«, rief jemand.»Wir haben keine Chance mehr.»

«Ruhe!«Herrick starrte uber das Boot.»Soll uns die ganze Insel horen?»

«Ob wir nicht unter dem Kap kurz beidrehen sollten, Sir?«flusterte Ryan. Es klang leicht beschamt.»Dort konnten sich die Manner verschnaufen, um es dann noch mal zu versuchen.»
        Herrick nickte. In seinem Kopf formte sich ein Plan.»Gute Idee. Signal an den Kutter, Ryan. «Er ubernahm die Ruderpinne, wahrend der Vollmatrose die Blende der Laterne offnete und zweimal nach achtern blinkte.»Im Schlag bleiben!«fauchte er die Leute an den Riemen an.»Zugleich, zugleich!«Und dann:»Die ubrigen lenzen weiter. Und gebt auf die Riemen acht. Leise eintauchen!»

«Kutter dreht, Sir«, meldete Ryan.»Die Pinasse sehe ich auch.»

«Na, Gott sei Dank. «Herrick dachte nicht mehr an die murrenden Matrosen. Die Silhouette des Landes verfestigte sich zu einer gezackten, uberhangenden Klippe. Sie gehorte zu Dogwood Point, gewi?, aber sie waren noch weiter abgetrieben, als er gefurchtet hatte. Sie waren nicht nur ein Stuck von der Klippe entfernt, sondern sogar noch auf der falschen Seite. Wahrend er verzweifelt nach vorn starrte, lie? die heftige Bewegung des Bootes nach. Sie glitten in geschutzteres Wasser, und die Riemen tauchten regelma?iger ein. Er sagte leise:»Ganz vorsichtig mit den Riemen! Hort sich ja an wie eine Rinderherde.»
        Das Boot ritt unbehaglich die Dunung aus. Die erschopften Matrosen fielen uber ihre Riemen und sogen gierig die feuchte Luft ein. Die Pinasse schob sich aus der Dunkelheit und legte sich neben sie. Der Kutter ging auf die andere Seite und kam dicht heran, da Fahnrich Maynard etwas fragen wollte.

«Was sollen wir tun, Mr. Herrick?»

«Hier ein bi?chen liegenbleiben«, sagte Herrick langsam. Er wollte Zeit gewinnen, um seine unklaren Gedanken zu ordnen. Maynards Frage klang verloren und verwirrt. Herrick wunschte, da? sich Maynard vor den Leuten mehr zusammennehmen wurde. Es ging alles schon schlecht genug. Dann fragte er:»Wo bleibt Mr. Parker mit der Jolle?»
        Maynard zuckte mit den Schultern, und Bootsmannsmaat Packwood rief von der Pinasse heruber:»Wir haben ihn schon lange aus den Augen verloren, Mr. Herrick.»
        Herrick mu?te sich alle Muhe geben, um ruhig zu sprechen.»Vielleicht ist er umgekehrt.»

«Eher gesunken«, murmelte ein Seemann.

«Kommen Sie langsseits. «Herrick fa?te einen Entschlu?.»Aber legen Sie Fender aus.

        Er wartete und hielt den Atem an, als die beiden Boote langsseits kamen. Bei jedem Sto?, bei jedem Knirschen erwartete er, an Land Rufe oder das unheilvolle Knattern von Gewehrfeuer zu horen. Doch nur der Wind und zischender Gischt unterbrachen seine Worte, als Maynard und Packwood sich den Hals verrenkten, um ihn zu verstehen.

«Wenn wir um das Kap pullen, wird es fur einen Angriff zu spat.»

«Meiner Meinung nach war die Strecke, die wir pullen mu?ten, zu lang«, knurrte Maynard verdrossen.»Es war von Anfang an unmoglich.»

«Niemand hat nach Ihrer Meinung gefragt«, zischte Herrick. Seine Heftigkeit uberraschte ihn selbst, und er setzte hastig hinzu:»Dort soll es einen Streifen Strand geben, darauf werden wir zuhalten. Mr. Packwood wartet mit der halben Mannschaft von jedem Boot und halt sich so dicht wie moglich bei den Klippen. «Er wartete, fuhlte, wie die Spannung an seinen Nerven zerrte.»Verstanden?»
        Sie nickten zweifelnd, und er fuhr fort:»Mr. Maynard begleitet mich mit drei?ig Mann an Land. Wir klettern die Landspitze hinauf. Von oben konnen wir bestimmt zur anderen Seite hinabsehen. Wenn die Andiron noch da ist, konnten wir noch immer einen Angriff wagen, vor allem, wenn an Bord alles friedlich ist und sie dicht unter Land liegt. Anderenfalls steuern wir zu dem vereinbarten Treffpunkt zuruck.
«Fluchtig blendete vor seinem geistigen Auge ein Bild auf: Vibarts Zorn und Wut, wenn er ihm den Fehlschlag des Angriffs meldete. Von neuem wutete er innerlich gegen die Unvernunft des Befehls. Der Admiral hatte Verstarkung schicken mussen. Schon die Cassius ware eine Hilfe gewesen, und wenn sie blo? durch ihre Starke und ihr Vorhandensein den Ruckzug gedeckt hatte. Vielleicht war es aber auch seine Schuld. Warum hatte er Vibarts Selbstgefalligkeit getraut und die Entfernung zur Kuste nicht sorgfaltiger gepruft? Warum hatte er das Drehen des Windes und die heftige ablandige Stromung nicht besser einkalkuliert? Er schuttelte verargert den Kopf. Nun war es zu spat. Jetzt zahlte allein die Gegenwart.
        Doch noch immer fand er Zeit, sich Bolitho unter diesen Umstanden vorzustellen. Die Vorstellung seines unbewegten Gesichts half ihm, Festigkeit zu gewinnen, und er sagte ohne zu stocken:»Anrudern, Kurs auf die Felsen. Aber ich will keinen Laut horen, von keinem!»
        Ein Boot nach dem anderen pullte landwarts, und als die dunklen Felsen sie schon beinahe einschlossen, sprangen die ersten Manner fluchend in das flache Wasser.
        Sinnlos, das Kommando jetzt noch in Gruppen zu spalten, entschied Herrick. Sie hatten schon zu viel Zeit verloren und genug dem Zufall uberlassen. Er beobachtete, wie die drei Boote drehte, und befahl dann scharf:»Mr. Maynard, Sie kommen mit mir. McIntosh ubernimmt hier unten das Kommando. «Er mu?te eine Weile nachdenken, ehe ihm die Namen der von ihm ausgewahlten Manner einfielen.»Allday und Martin folgen mir ebenfalls. «Allday schien ein fahiger Mann, und Martin, der sich in Dorset einst als Wilddieb karglich durchgeschlagen hatte, war flink und gerauschlos wie eine Katze.
        Wahrend sie schweigend die steile Klippe hinaufkletterten, dachte Herrick von neuem an Bolitho und seinen verwegenen Angriff auf die Insel Mola. Jeder Art von Gefahr hatte er dort die Stirn bieten mussen und doch einen Erfolg errungen, wenn auch auf Kosten seines Lebens. Mit Mola verglichen, war dieser Streich hier gar nichts, uberlegte er grimmig. Doch warum hatte er auf einem Alternativplan zum Angriff beharrt? Vielleicht weil er sich von Anfang an darauf vorbereitete, sich zur wartenden Phalarope zuruckzuziehen, ohne uberhaupt den Versuch zu machen, den Auftrag zu erfullen?
        Er stolperte und ware beinahe auf die Felsen hinabgesturzt, aber eine Hand packte ihn, und Allday sagte:»Geben Sie bei solchen Klippen auf jeden Schritt acht, Sir. Der Boden fuhlt sich sicher an, aber die Steine sitzen nur locker.»
        Herrick starrte ihn an. Naturlich, Allday war nicht nur Seemann, sondern auch Schafer gewesen. Nach den felsigen Klippen und Hugeln Cornwalls war das hier fur ihn wahrscheinlich ein Kinderspiel.
        Als lase Allday Herricks Gedanken, murmelte er:»Ich mu?te oft uber solche Abhange, wenn ich hinter einem verirrten Lamm her war.»
        Beide verstummten schlagartig, als Martin hervorstie?:»Sir, da oben ist ein Posten.»

«Wo?«Herrick versuchte etwas zu erkennen.»Sind Sie sicher, Mann?»
        Martin nickte nachdrucklich.»Da druben. Etwa drei?ig Yards entfernt. Ich hab Schritte gehort. Da!«Seine Augen funkelten erregt.»Haben Sie es gehort?»

«Ja. «Herrick sank auf einen vorspringenden, nassen Grasstreifen. Ein Posten da oben. Warum, was steckte dahinter? Bei Nacht reichte der Blick nicht weit uber den Rand der Klippe hinaus.»Wir schleichen uns an und sehen nach, was los ist.»
        Sie hoben ihre Waffen an, damit sie nicht an die tuckischen Steine stie?en, und robbten hinuber. Ihre weitaufgerissenen Augen schmerzten vor Anstrengung.

«Martin nach links«, befahl Herrick schlie?lich.»Allday nimmt die Seeseite. «Die beiden krochen davon.»Wir schieben uns den Abhang hinauf, Mr. Maynard. Ich habe so ein Gefuhl, da? hier etwas nicht stimmt.»
        Allday kam als erster zuruck, geduckt huschte er von Busch zu Busch.»Die Andiron liegt da, Sir. Genau auf der anderen Seite der Landzunge. Kein Licht und kein Laut auf dem ganzen
        Schiff.»

«Die mussen sich aber verdammt sicher fuhlen«, knurrte Maynard.

«Vielleicht ist die Besatzung an Land, Sir«, sagte Allday.

«Nicht sehr wahrscheinlich. «Herrick suchte nach dem Grund fur sein Gefuhl, da? etwas nicht stimmte.»Mussen guten Ankergrund haben. «Er schreckte hoch und sank wieder zuruck, als Martin den Abhang auf seinem mageren Hintern herabgerutscht kam. Er mu?te erst verschnaufen, ehe er hervorsto?en konnte:»Oben sind Soldaten, Sir.»

«Was tun sie?«Herrick zwang sich, ganz ruhig zu bleiben.

«Schlafen, wie es aussieht, Sir. «Martin zog sich einen Dorn aus dem nackten Fu?. An jedem Ende steht ein Posten, Sir, aber die anderen liegen blo? herum. «Er zuckte mit den Schultern.»Schlafen eben, wie gesagt. «Es klang verachtlich.

«Was meinen Sie mit >an jedem Ende
«Ach, hatte ich fast vergessen, Sir. «Martin grinste.»An jedem Ende der Batterie. Sie haben sechs Kanonen am Rand der Klippe aufgebaut, Sir.»
        Herrick fuhlte sich merkwurdig erleichtert. Im Ungewissen zu tappen, war stets schlimmer, als Schwierigkeiten ins Gesicht zu sehen. Fast zu sich selber sagte er: Blo? zwei Posten, sagen
        Sie?»
        Martin nickte.»Aye, Sir. Und etwa drei?ig Mann liegen neben den Geschutzen. «Er kicherte.»Ich konnte ihnen leicht die Kehlen durchschneiden.»

«Vielleicht mussen Sie es. «Ihm war plotzlich klar, was zu tun war. Die Andiron schlief vor Anker, weil sie sich von gut aufgestellten Kanonen geschutzt wu?te. Zweifelsohne waren die Geschutze bereits geladen und so ausgerichtet, da? sie die gesamte Reede bestreichen konnten. Nichts Ungewohnliches, wenn kein richtiger Hafen vorhanden war. Bei dem Gedanken, was geschehen ware, wenn seine Boote den Angriff wie geplant vorangetragen hatten, lief ihm ein kalter Schauer uber den Rucken.

«Gehen Sie hinunter zum Stand, Mr. Maynard«, befahl er kurz.»Schicken Sie alle verfugbaren Manner so schnell wie moglich herauf. Legen Sie die Boote vor Anker, die restlichen Manner lassen Sie an Land schwimmen. Unterrichten Sie McIntosh und die anderen, da? ich die Batteriestellung nehmen und die Geschutze gefechtsunfahig machen will. Dann gehen wir in die Boote und greifen wie geplant die Andiron an.»
        Sie sahen ihn stumm an. Dann fragte Maynard:»Und Sie,
        Sir?»
        Herrick klopfte Martin auf die Schulter.»Unser Wilddieb wird sich heute seinen Lebensunterhalt verdienen, Mr. Maynard.»
        Martin zog ein Messer aus dem Gurtel und gab sein schweres Entermesser Allday, ehe er frohgemut sagte:»Kein Problem, Sir. Scheint aber nicht ganz fair, wie?»
        Martin und Maynard tauchten in der Dunkelheit unter, und Herrick sagte leise: Diese Soldaten mussen wahrend des Schlafens stumm gemacht werden. Erstochen oder erschlagen, ganz gleich, aber sie durfen auf keinen Fall Alarm schlagen.»
        Allday zuckte zusammen, als weiter unten Maynards Dolch gegen einen Stein klirrte, und sagte dann:»Sie oder wir, so steht es doch, nicht wahr, Sir?»

«Was macht Ihr Arm, Mr. Belsey?«Der Steuermann regte sich irgendwo in der pechschwarzen Finsternis. Er wu?te, da? Bolitho nur gefragt hatte, um das entnervende Schweigen zu brechen. Man hatte Bolitho mit Farquhar und Belsey unter Deck geschafft und ohne gro?e Umstande irgendwo im Vorschiff in einen leeren Laderaum gesperrt. Nach einem Versuch, sich zu unterhalten, waren sie bald verstummt, und jeder hatte sich seinen Befurchtungen hingegeben.

«Geht einigerma?en, Sir«, antwortete Belsey.»Aber bei diesem Schlingern bricht mir der Schwei? aus.»
        Wahrend der letzten Stunde hatte sich die unruhige Bewegung standig verstarkt. Der Laderaum lag unterhalb der Wasserlinie, und dadurch machte sich das laute Arbeiten in den Verbanden des vor Anker liegenden Schiffes nur noch mehr bemerkbar. Die Mannschaft hatte bereits mehr Ankerkette gesteckt, denn durch sein plotzliches Drehen fegte der Wind nun mit steigender Wut uber die zuvor noch geschutzte Reede.

«Vielleicht lauft die Phalarope wieder nach drau?en«, sagte Belsey.»Bei diesem Wetter werden sie doch sicher keine Boote ausbringen?»
        Bolitho war froh, da? die anderen sein Gesicht nicht erkennen konnten. Ein Wetterumschlag wurde an Vibarts Entschlossenheit, einen Sieg zu erringen, wenig andern. Seit vom Abhang zu den verborgenen Verteidigern hinabsignalisiert worden war, spurte er eine wachsende Verzweiflung und die peinigende Gewi?heit, da? der Phalarope und ihrer Besatzung Unheil und Vernichtung bevorstanden. Doch er war machtlos, konnte keinem einzigen helfen. Das Schiff krangte in einem tiefen Wellental, und er fuhlte plotzlich einen Druck an der Schulter. Die Andiron ruckte jetzt in regelma?igen Abstanden in die Kette ein. Er spurte, wie sich das Deck hob und dann wieder bebend zuruckglitt. Er mu?te an seinen Bruder denken und fragte sich, was Hugh in diesem Augenblick tat. Sein Eifer, das Enterkommando der Phalarope zu vernichten, wurde durch die Sorge um die Sicherheit seines Schiffes ein wenig verdrangt worden sein. Zu jeder anderen Zeit hatte er bestimmt zur geschutzteren Seite der Insel verholt. Sonderbar, wie der unerwartete Wetterumschlag seine Hand im Spiel hatte. Nicht da? er den Ausgang umwalzend verandern
konnte. Er verlangerte nur die Qual des Wartens.

«Ich wunschte, irgend etwas wurde geschehen«, sagte Farquhar.»Dieses Warten geht mir auf die Nerven.»
        Bolitho drehte sich so, da? er den hellen Spalt in der Tur des Laderaums sah. Der Lichtstreifen erlosch, wenn der Wachposten drau?en im schmalen Gang seinen Standort anderte. Als er seine verkrampften Glieder zurechtzurucken versuchte, fuhlte er den warmen Stahl am Bein und entsann sich des versteckten Dolches. Was nutzte er ihnen nun? Genausogut hatte er ihn in der Kajute lassen konnen.
        Merkwurdig, da? ihn die Wachen nicht untersucht hatten.
        Aber sie waren so unverhohlen zuversichtlich - und das mit gutem Grund - , da? es eigentlich nicht anders zu erwarten gewesen war. Selbst sein Bruder hatte sich die Zeit genommen, noch einmal mit ihm zu reden, bevor er in den Laderaum hinuntergebracht wurde. Hugh Bolitho hatte den Degen seines Vaters umgeschnallt und ein Paar Pistolen im Gurtel. Der bevorstehende Kampf schien ihm neue Energien zu schenken.

«Nun, Richard, dies ist deine letzte Chance. «Er stand lassig auf dem schwankenden Deck, legte den Kopf schief und betrachtete seinen Bruder leicht belustigt.»Blo? eine Entscheidung, und es ist an dir, sie zu treffen.»

«Ich habe dir nichts zu sagen. Nicht jetzt. Nie. «Bolitho bemuhte sich, den Degen zu ubersehen. Er wirkte wie eine zusatzliche Beleidigung.

«Na gut. Nach diesem Gesprach sehe ich dich wahrscheinlich nur noch selten. Ich werde zuviel zu tun haben. «Er blickte zum drohenden Himmel empor.»Der Wind nimmt zu, aber ich rechne dennoch mit Besuchern. «Und harter:»Dann wirst du mit den franzosischen Befehlshabern zurechtkommen mussen. Ich mu? mich mit der Andiron der vereinigten Flotte anschlie?en. «Er bemerkte die Wachsamkeit seines Bruders und fuhr gelassen fort:»Ich kann es dir sagen, Richard, weil du nicht in der Lage sein wirst, teilzunehmen. Der franzosische Admiral de Grasse vereinigt sich mit einem spanischen Geschwader. Sie werden Jamaika angreifen, zusammen mit unseren Schiffen. «Mit einer fluchtigen Geste demonstrierte er die Endgultigkeit der Unternehmung.»Ich furchte, Konig Georg wird sich fur seine Eroberungen andere Teile der Erde aussuchen mussen.»
        Bolitho hatte zum Posten gesagt:»Ich mochte unter Deck«, und sein Bruder hatte ihm nachgerufen:»Du bist toricht, Richard. Und, was schlimmer ist, du hast unrecht.»
        In dem schwankenden Laderaum fand Bolitho viel Zeit, sich mit der Bitternis und dem Gefuhl der Niederlage herumzuschlagen. Plotzlich wurden die Turriegel mit metallischem Kratzen zuruckgezogen, und Belsey knurrte:»Sie sehen wieder nach uns. Der Teufel soll sie holen. «Doch als der Laternenschein in den Raum fiel und sie blendete, konnte Bolitho nur uberrascht ins Licht starren, denn Stockdale stand im Turrahmen, ein schweres Enterbeil in der Hand.
        Bolitho kampfte sich auf die Fu?e. Unter der pendelnden Laterne lag der Posten mit eingeschlagenem Schadel.»Tut mir leid, da? es so lange gedauert hat, Sir, aber ich mu?te erst ihr Vertrauen gewinnen. «Stockdale grinste schuchtern.»Selbst jetzt bin ich mir noch nicht klar, ob ich das Richtige getan habe.»
        Bolitho konnte kaum sprechen. Er packte Stockdale beim Arm und stie? hervor:»Du hast goldrichtig gehandelt, Stockdale, nur keine Sorge. «Und zu den anderen: Stehen Sie zu mir?»

«Sie brauchen mir blo? zu sagen, was ich tun soll«, erwiderte Farquhar noch ganz benommen.

«Schnell, Stockdale!«Bolitho trat auf den Gang hinaus und spahte in das Dunkel hinter dem Laternenschein.»Erzahle, wie steht es?»

«Die da oben machen sich langsam Sorgen, Sir«, sagte Stockdale.»Kein Zeichen eines Angriffs, und das Schiff liegt wegen des Windes schlecht. «Er uberlegte einen Augenblick.»Vielleicht konnten wir an Land schwimmen, Sir?«Er nickte aufgeregt, was nicht oft bei ihm vorkam.»Ja, mit etwas Gluck wurden wir es schaffen.»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nicht jetzt. Sie halten bestimmt Ausschau. Wir durfen nicht an uns denken. Wir mussen versuchen, die Phalarope zu retten, ehe es zu spat ist.»
        Stockdales Augen wanderten zu dem Leichnam zu seinen Fu?en.»Wachablosung in einer halben Stunde, Sir. Da bleibt nicht viel Zeit.»

«Ach so. «Bolitho bemuhte sich, seine Erregung und den Drang zu handeln zu unterdrucken und klare Gedanken zu fassen.»Mit der ganzen Mannschaft konnen wir nicht fertig werden, aber mit ein bi?chen Gluck konnen wir ihnen doch eine schone Uberraschung bereiten.»

«Ich wurde gern ein paar von den Schuften mitnehmen!«sagte Belsey.
        Bolitho zog den Dolch aus der Kniehose, er glanzte im Laternenschein.»Zeig uns den Weg, Stockdale. Wenn es uns gelingt, zur Back zu kommen, haben wir die Moglichkeit, fur ein bi?chen Abwechslung zu sorgen.»
        Farquhar griff nach dem Entermesser des toten Wachtpostens und murmelte rauh: Denken Sie an die Ankerkette, Sir?»
        Bolitho warf ihm einen anerkennenden Blick zu.»Das Schiff rei?t bereits hart am Anker. Wenn es uns gelingt, die Kette zu kappen, ware es in ernster Gefahr. Unsere Leute sind irgendwo da drau?en, und sie werden sich klarhalten, sobald sie die Andiron auf das Kap zutreiben sehen.»

«Die Andiron wird Segel setzen mussen«, stie? Belsey aufgeregt hervor.»Selbst dann schafft sie es womoglich nicht mehr rechtzeitig. Bei dem Wind aus dieser Ecke wird sie hart auf Grund laufen.»

«Verzeihung, Sir. «Stockdale sah Bolitho bekummert an.»Aber vorne haben sie bereits eine starke Ankerwache, um gewappnet zu sein.»
        Bolitho lachelte kalt.»Was mich nicht uberrascht. «Er winkte den anderen. Vorwarts, wir haben wenig Zeit. «Wahrend sie durch den Gang schlichen, sagte er: Erinnern Sie sich an den Neunpfunder auf der Back, Mr. Farquhar?»
        Farquhar nickte, seine Augen funkelten.»Ja, Sir, eins der Buggeschutze.»
        Bolitho blieb unter einem schmalen Niedergang stehen und sah zur Luke hinauf. Es konnte glucken. Sie konnten alle dabei draufgehen, aber er wu?te, da? sich jeder daruber klar war.»Die Kanone ist dort hingebracht worden, als man nach den Beschadigungen durch die Phalarope die Reling reparierte. Wenn wir sie jetzt bei diesem Sturm losschneiden, rennt sie Amok wie ein verruckt gewordener Bulle.»
        Belsey bleckte die Zahne.»Mein Gott, ein Neunpfunder wiegt uber eine Tonne. Ihn wieder unter Kontrolle zu kriegen, erfordert allerlei.»
        Bolitho sagte:»Wenn ich die Zurrings durchschneide, Stockdale, kannst du dann. .»
        Stockdale griente.»Kein Wort weiter, Kapitan. «Er schwang die Axt.»Ein paar Minuten ist alles, was ich brauche.»

«Mehr als ein paar Minuten hast du auch nicht, mein Junge. «Bolitho schob sich die Leiter hinauf und spahte durch die Luke. Der Decksbereich lag verodet da. Er sah die nachste und letzte Leiter hinauf und sagte dann:»Bleiben Sie zuruck, Belsey. Mit einem Arm konnen Sie nicht kampfen.»

«Aber ich kann ebensowenig hier sitzenbleiben und nichts tun, Sir. «Belsey blickte Bolitho halsstarrig an.»Keine Bange, Sir, irgend etwas kann ich schon tun.»
        Das Knarren der Rundholzer und das trommelnde Schlagen der Wanten und Stagen ubertonte jeden ihrer verstohlenen Tritte. Bolitho lie? den Blick kurz uber die ihm zunachst stehenden Kanonen und die schattenhaften Umrisse ihrer Mannschaften gleiten. Die meisten Manner lagen auf dem Deck oder sa?en am Schanzkleid, nur ein paar standen noch herum. Und die blickten au?enbords. Ihre Augen hoben sich gerade uber die Netze. Bolitho erblickte den einsamen Neunpfunder, dessen langer Umri? zum Hauptdeck vorsprang. Er horte, wie die Kanone leise knarrte, als ware sie verargert uber die Zurring, die sie neben dem Gangspill in Fesseln hielt.
        Bolitho wischte sich den Schwei? aus den Augen und verfluchte sein qualendes Herzklopfen. Jetzt oder nie! Sie konnten jeden Augenblick erkannt werden, und dann war alles umsonst. Wahrend die Blicke der anderen fasziniert auf ihm hafteten, richtete er sich auf und schlenderte offen auf die Kanone zu. Er lie? sich gerauschvoll neben ihr nieder und kreuzte die Arme uber der Brust, als wolle er versuchen zu schlafen.
        Farquhar quetschte zwischen den Zahnen hervor:»Gott, seht euch das an! Merkt denn wirklich keiner, wer er ist?»
        Doch da Bolitho sich vollig frei bewegt hatte, wurde keinerlei Mi?trauen wach, und wahrend die Andiron von einem Wellenkamm zum anderen rollte, storte niemand die Ruhe auf der Back.
        Belsey drehte sich um und krachzte:»Da kommt ein Offizier.»
        Sie beobachteten stumm, wie sich die blauwei?e Gestalt eines Leutnants vom Hauptdeck langsam auf den Niedergang zur Back zubewegte. Mitten auf dem Niedergang mu?te er stehenbleiben, weil eine heftige Bo das Schiff traf und einen Schwall Gischt uber das Deck trieb, so da? der Vormast wie ein junger Baum erzitterte. Da sagte Stockdale plotzlich:»Er hat's geschafft. «Und wahrend sich der Bug der Fregatte hob und an der Ankerkette zerrte, begann der Neunpfunder zu rollen. Anfanglich war es kaum bemerkbar, doch dann donnerte er auf seinen kreischenden kleinen Rollen die ganze Lange des Vorschiffs hinunter und prallte mit aller Kraft gegen den Fu? des Vormastes.
        Alle brullten und schrien durcheinander. Die Rufe wurden zu
        Angstschreien, als die Kanone, wie durch unsichtbare Hande gelenkt, feindselig die Richtung anderte und uber das sich neigende Deck wie verruckt zuruckraste.

«Los, Leute«, schrie der Leutnant.»Holt Handspaken und neue Sorgleinen. Schnell, oder sie schmettert uns durch die Schanze.»
        Die Ankerwache rannte von ihren Positionen zu den durcheinanderlaufenden Mannern hinuber. In der Mitte der Wirrnis schwang der lange Neunpfunder frohlockend und todlich seine Mundung herum, als ware er auf neue Verheerungen aus, ehe er quietschend und polternd zur entgegengesetzten Seite hinuberrollte. Er krachte in eine andere Kanone und zerschmetterte ein Gestell von Geschossen. Die rollenden Kugeln steigerten den Hollenlarm. Man horte, wie einige auf das tiefere Deck aufschlugen. Ein couragierter Seemann sprang uber das Verschlu?stuck und warf das Auge eines Tampens uber die Mundung. Doch die Kanone rollte von neuem zuruck, und er schrie gellend auf, als sie ihn mit ihrem ganzen Gewicht am Schanzkleid zerquetschte.
        Bolitho packte Farquhar am Arm.»Da, sie haben einen Keil unter die Lafette getrieben. Hochste Zeit fur uns.»
        Noch wahrend seiner Worte drehten sich einige Seeleute zu ihnen um und starrten sie an, unglaubig zuerst, dann in kalter Wut. Bolitho zog sich mit seinen zwei Gefahrten langsam zum Bug zuruck, hinter sich die See und vor sich die herandrangende, geschlossene Masse der Manner, die, weil sie stumm vorruckte, nur um so schrecklicher wirkte.
        Dann rief einer:»Schlagt sie tot! Stecht die Hunde ab«, und damit brach die Spannung.
        Die Hinteren drangten, und die ganze Meute scho? vorwarts, um aber plotzlich unsicher halt zu machen, als etwas wie ein Kanonenschu? uber das Deck hallte. Stockdale stie? einen Triumphschrei aus:»Sie ist durch! Die Kette ist gekappt!»
        Die Matrosen der Andiron stierten einander noch einen Augenblick an. Doch dann, als ihnen die unerwartete Gefahr dammerte, in der sie schwebten, zogerten sie nicht langer. Vom Hauptdeck rief ein Offizier, und der Ruf wurde von denen, die den Kopf nicht ganzlich verloren hatten, nach vorn weitergegeben.»Aufentern! Aufentern! Setzt Marssegel!»
        Vom Achterdeck erscholl, durch das Sprachrohr verstarkt,
        Hugh Bolithos Stimme:»Ruder bemannen!«Und wahrend das Schiff vom Bug bis zum Heck wie ein freigelassenes Tier zitterte, rief er:»Mr. Faulkner, treiben Sie die Leute an die Brassen!»
        Bolitho lehnte an der Reling, den Dolch in der Hand. Die Fregatte krangte schwer und fiel ab. Manner enterten hastig in die Wanten auf, und vor dem dunklen Himmel blahte sich bereits ein Stuck klatschender Leinwand. Wieder ertonte das Sprachrohr:»La?t die Kerle nicht von der Back runter. Schie?t sie nieder, wenn sie fluchten wollen.»
        Belsey wischte sich die Stirn und murmelte:»Selbst wenn unsere Jungs drau?en sind, jetzt werden sie kaum einen Angriff wagen. «Er sah Bolitho an.»Nun kann ich in Frieden sterben, Sir. Schatze, wir haben heute nacht ganze Arbeit geleistet.»
        Ein orangefarbener Schein erhellte plotzlich Belseys Gesicht. Bolitho fuhr uberrascht herum. Kanonenkugeln heulten durch die Luft. Stagen und Fallen rissen, und die Decksplanken vor ihm splitterten und barsten, als die Kugeln in das Vorschiff schlugen.

«Die Batterie feuert auf uns!«Farquhar schwenkte den Hut.»Die damlichen Narren feuern auf ihre eigenen Leute.»
        Bolitho zog ihn auf die Planken.»Und auf uns. Also gehen Sie mit Ihrem Kopf in Deckung, Mr. Farquhar. Womoglich brauchen Sie ihn noch.»
        Die Geschutze schwiegen jetzt. Doch die eine wohlgezielte Salve hatte ausgereicht. Das unverzugliche Handeln der Offiziere der Andiron und die schnelle Reaktion einiger Seeleute hatte die dem Schiff drohende Gefahr vielleicht abgewendet. Doch die Kartatschen, die Wanten und Rahen leerfegten und einige der noch auf dem Hauptdeck befindlichen Manner niedermahten, hatten die letzte Moglichkeit dazu vereitelt.
        Die schwarze Silhouette von Dogwood Point schien immer mehr zu wachsen und das Schiff immer kleiner zu werden. Doch noch sah es aus, als ob die Andiron durch Wind und Stromung klarkommen wurde. Aber als Bolitho seine gaffenden Gefahrten zum Deck zog, erbebte der Rumpf, und ein furchtbarer Sto? schleuderte die restlichen Seeleute zu Boden.
        Belsey blickte zum Himmel und bekreuzigte sich.»Der Gro?mast kommt herunter. Mein Gott, der Besan auch!»
        Bolitho verfolgte fasziniert, wie die beiden gro?en Masten erzitterten und sich sehr langsam nach Steuerbord neigten. Dann brachen die Stagen. Der Winkel wurde drohender, bis die Masten schlie?lich, von einem Gewirr aus Rahen und zerfetztem Segeltuch umgeben, krachend umsturzten und in das schaumende Wasser fielen. Noch ein Krachen und Sto?en erschutterte den Rumpf. Wahrend sich das Deck immer starker uberlegte, kampfte Belsey sich hoch und rief:»Sie sitzt auf der Sandbank. In ein paar Minuten bricht sie auseinander.»
        Die Kanonen rissen sich los und rasten durch die schreienden Reste ihrer einstigen Herren. Keine Aussicht, ein Boot auszubringen, und das versuchte auch niemand. Einige sprangen bereits uber Bord, nur um von der starken Stromung sofort abgetrieben zu werden. Andere rannten unter Deck, als glaubten sie, im Finstern Sicherheit zu finden. Und uberall gellten flehende drohende und fluchende Schreie, als das Schiff auseinanderbarst. Der Vormast brach vier Fu? uber Deck ab und folgte den anderen. Aus einer gut ausgerusteten Fregatte war ein taumelndes, entmastetes Wrack geworden.
        Belsey rief durch das Getose:»Da ist ein Lukendeckel, Sir. Treibt genau vorm Bugspriet. «Er blickte Bolitho wild an.»Wollen wir uber Bord springen?»
        Bolitho drehte sich um. Das Deck erbebte von neuem, und noch eine Kanone raste durch eine Gruppe kriechender Seeleute. Dann erblickte er Hugh, der allein an der Achterdeckreling stand. Er gab keine Befehle mehr, sondern stand vollig regungslos da, als wolle er den Todeskampf seines Schiffes bis zum letzten teilen. Bolitho starrte noch einen Augenblick langer zu seinem mehr als eine Deckslange entfernten Bruder hinuber. Er spurte plotzlich Verstandnis, ja Mitleid, weil er nur zu gut wu?te, was er in solchen Minuten empfunden hatte.

«Uber Bord, Jungs!«sagte er dann barsch.»Seht zu, da? ihr beim Sprung gut klarkommt.»
        Belsey und Farquhar sprangen zusammen, und er beobachtete, wie sie sich an den treibenden Lukendeckel herankampften. Dann sagte Stockdale heiser:»So, Kapitan, ich springe mit Ihnen.»
        Er packte gerade die Reling, als er hinter sich einen Schrei horte und undeutlich einen Offizier wahrnahm, der sich das schrage Deck hinaufzog. Das Gesicht des Mannes war blutverschmiert, aber Bolitho erkannte den Leutnant, der seine einsame Haft auf dem Achterdeck geteilt und der von seiner Farm und seinen Zukunftsplanen gesprochen hatte. Plotzlich sah er die Pistole in der Hand des Leutnants. Gerade, als er sich uber die Reling schwingen wollte, zuckte ein greller Blitz uber das Deck, und etwas wie wei?gluhendes Eisen fuhr ihm quer uber die Brust.
        Stockdale wandte sich um und stie? einen kurzen, tierischen Schrei aus, der seine Seele zu sprengen schien. Dann holte er mit voller Kraft aus. Die Wucht des Axthiebes enthauptete den amerikanischen Offizier beinahe, so da? es den Anschein hatte, als verbeuge sich der Mann mit einem gra?lichen Gru?.
        Bolitho spurte dumpf, wie Stockdale die Arme um ihn schlang und ihn hochhob, so da? er durch die Luft sauste. Seine Lungen barsten, Salzwasser drang ihm in die Kehle, und als er die Augen aufzuschlagen versuchte, umgab ihn nichts als stechende Finsternis. Dann wurde er auf das kleine Flo? gezogen und horte Belsey keuchen:»O diese verfluchten Schweinehunde! Sie haben den Kapitan umgebracht!»
        Dann Farquhars Stimme, bebend, doch bestimmt:»Um Gottes willen, pa?t auf. Da ist ein Boot. Duckt euch und keinen Laut!»
        Bolitho versuchte zu sprechen, konnte aber nur zu Stockdales nebelhaftem Gesicht hinaufstarren, das sich gegen die niedrigen, jagenden Wolken abzeichnete. Er horte Riemen und wie ein Boot durchs Wasser schnitt. Aber Gefangenschaft oder Tod waren nicht vergebens, diesmal nicht. Er lauschte den fernen Brechern, die gegen das Wrack der Fregatte schlugen, und den leisen Schreien derjenigen, die sich noch immer auf dem zerschmetterten Rumpf festkrallten.
        Dann horte er uber sich einen scharfen Ruf, dem sofort das Knacken eines Flintenschlosses folgte. Es war alles noch ein Traum und schien ihn personlich nicht zu beruhren. Erst als eine Stimme laut auf englisch rief:»Da sind noch ein paar von den Teufeln im Wasser!«durchbrach langsames Begreifen Nebel und Schmerz.

«Nicht schie?en!«brullte Farquhar.»Nicht schie?en, wir sind Englander!»
        Danach schienen alle auf einmal zu rufen, und als ein zweites
        Boot langsseits kam, vernahm Bolitho wie von weither eine vertraute Stimme.»Wen haben Sie denn da, Mr. Farquhar?«Herrick brachte vor unglaubiger Erregung die Frage kaum uber die Lippen.»Den Kapitan.»
        Bolitho fuhlte, wie ihn Hande uber das Dollbord hoben, und sah uber sich vage und verschwommen verzerrte Gesichter. Hande betasteten seinen Brustkorb, und von neuem durchzuckte ihn stechender Schmerz. Danach die lindernde Wirkung eines Verbandes und die ganze Zeit uber das aufgeregte Durcheinander der Leute - seiner Leute.
        Herricks Gesicht war sehr nah. Bolitho konnte das Leuchten in seinen Augen erkennen. Er hatte gern irgend etwas gesagt, um Herrick zu beruhigen. Aber er fand nicht die Kraft dazu. Statt dessen druckte er Herrick die Hand, ehe Dunkelheit ihn wie ein Mantel einhullte.



        XII Den Feinden Verderben!

        Die Spatnachmittagssonne flimmerte uber dem geschutzten Wasser der Bucht und warf ein tanzendes Muster an die Decke uber Bolithos kleinem Tisch. Er brauchte nur den Kopf zu drehen, um die saftig grunen Abhange Antiguas und ein paar verstreute Gebaude rings um den Hafen St. John zu sehen. Er mu?te sich geradezu zwingen, seinen Bericht fur den Admiral zu vollenden.
        Bolitho stutzte die Stirn in die Hand, spurte, da? Mudigkeit ihn uberwaltigte, ihm Einhalt gebieten, ihn dazu bringen wollte, alles andere zu tun, nur nicht das, was er erledigen sollte. Er fuhlte den steifen Verband und lie? sich in die jungste Vergangenheit zuruckgleiten, wie so haufig seit seiner unerwarteten Ruckkehr auf die Phalarope.
        Wie bei allem anderen, so war es auch dabei schwierig, Tatsachen von den unbestimmten, wirren Bildern zu trennen, die mit dem Fieber gekommen und gegangen waren. Zu seinem Gluck war die Pistolenkugel glatt zwischen den Rippen hindurchgegangen. Zuruckgeblieben war eine tiefe, gezackte Narbe, die ihn bei jeder plotzlichen Bewegung zusammenzucken lie?.
        Von dem Augenblick an, da er an Bord gebracht und die
        Boote hastig an Deck gehievt worden waren, waren seine Erinnerungen verschwommen und luckenhaft. Der wuste, unvorhergesehene Sturm hatte das Alptraumartige seiner Erinnerungsbilder nur noch gesteigert. Zwei Wochen lang war das Schiff mit fast nackten Rahen vor dem heulenden Sturm nach Sudwesten abgelaufen. Dann, wahrend er sich aus der ungeschickten Obhut des Wundarztes und dem unbestimmten Kommen und Gehen seiner Offiziere herauskampfte, hatte sich der Sturm gelegt, die Phalarope hatte endlich uber Stag gehen konnen, um sich nach Antigua zuruckzuarbeiten und ihren Bericht abzuliefern.
        Bolitho prufte nochmals die sorgfaltig zusammengestellten Berichte und Namensnennungen. Nichts durfte fehlen. Es gab spater keine Moglichkeit, etwas nachzutragen. Jeder Name weckte andere Erinnerungen, und er hatte das sonderbare Empfinden, Zuschauer zu sein.
        Fahnrich Charles Farquhar, der sich auf eine Weise bewahrt hatte, die weit uber seine tatsachlichen Erfahrungen hinausreichte: ein Seeoffizier, der eines Tages ein Kommando verdienen wurde - Steuermannsmaat Arthur Belsey, der trotz eines verwundeten Armes viel zur endgultigen Vernichtung der Andiron beigetragen hatte.
        Bolitho tupfte mit der Feder nachdenklich auf Belseys Namen. Sein letzter wilder Sprung vom zerschmetterten Rumpf der Andiron hatte jede Hoffnung ausgeloscht, da? er je wieder richtig Dienst tun konnte. Der gebrochene Arm lie? sich nicht mehr retten, und Belsey wurde fur den Rest seines Lebens ein Kruppel bleiben. Gluck, die gute Erwahnung im Bericht und Bolithos Empfehlung sicherten ihm vielleicht schnelle Entlassung und eine den langen Dienstjahren angemessene Abfindung. Wahrscheinlich wurde er nach Plymouth zuruckkehren, dachte Bolitho traurig, und eine kleine Kneipe eroffnen. Jeder Hafen war voll von solchen Mannern: zerbrochen und vergessen, klammerten sie sich an den Saum des Meeres, das sie an den Strand geworfen hatte.
        Leutnant Herricks Ersturmung der Batterie. . Nun, den blo?en Fakten lie? sich wenig hinzufugen. Hatte er versucht, die Wahrheit aufzuputzen, um das Lob zu verstarken, das Herrick so reichlich verdiente, wurde der Admiral schnell die Kehrseite der Medaille sehen: namlich da? der Erfolg zum gro?en Teil auf
        Gluck beruhte, das sich zu einer gehorigen Portion Wagemut gesellte.
        Es gab so viele» Wenn«, grubelte Bolitho verdrossen.
        Wenn die Boote mit dem Enterkommando dichter unter Land abgesetzt worden waren, ware jetzt jeder tot oder gefangen. Wenn die Stromung fur die Leute an den Riemen nicht zu stark gewesen ware, hatte Herrick den unmoglichen Auftrag wie geplant ausgefuhrt, statt einen zweiten Weg eigener Eingebung einzuschlagen.
        Und Stockdale? Nun, ohne seine Hilfe und unerschutterliche Treue hatte sich nichts von alledem ereignet. Sein Verstand hatte sorgsam jeden Schritt geplant, ohne da? ihn jemand geleitet, ihm jemand geholfen hatte. Und zu allerletzt hatte er ihm wiederum das Leben gerettet.
        Aber was konnte er fur ihn tun? Fur einen Mann wie Stockdale gab es keine Beforderungsmoglichkeit, keine irgendwie sinnvolle Belohnung. Gelegentlich, als er in die Kajute kam, um nach der Wunde zu sehen, hatte er ihn gefragt, was ihm fur seine Tapferkeit und Treue der liebste Lohn ware. Stockdale hatte keine Sekunde gezogert.»Wenn ich weiter bei Ihnen bleiben darf, Kapitan, einen anderen Wunsch habe ich nicht.»
        Bolitho hatte eigentlich daran gedacht, Stockdales Entlassung aus der Marine zu beantragen, sobald das Schiff in einen britischen Hafen heimkehrte. Mit ein bi?chen Unterstutzung konnte Stockdale sich vielleicht in Ruhe und Frieden irgendwo niederlassen. Aber als was? Stockdales unverzugliche und schlichte Antwort hatte es ihm untersagt, den Gedanken weiterzuverfolgen. Er hatte ihn nur verletzt.
        Er schrieb:»Was meinen Bootsfuhrer Mark Stockdale betrifft, kann ich nur hinzufugen, da? die ganze Aktion ohne sein schnelles Handeln womoglich mit einem Fehlschlag geendet hatte. Indem Stockdale die Ankerkette der Andiron kappte, wodurch das Schiff in Leutnant Herricks Feuerbereich trieb, schuf er die Basis fur die totale Zerstorung des Schiffes bei einem Minimum an Verlusten auf unserer Seite. «Er setzte erschopft seinen Namen unter das Dokument und stand auf. Ein Bericht von vielen Seiten. Hoffentlich lasen ihn auch jene, die der Phalarope unvoreingenommen gegenuberstanden.
        Zumindest Farquhars Onkel, Vizeadmiral Sir Henry
        Langford, wurde sich daruber freuen. Sein Glaube an den Neffen wurde neu bekraftigt werden, und im Laufe der Zeit verwirklichten sich sicher die Hoffnungen, die er fur ihn hegte.
        Bolitho lehnte sich aus dem Heckfenster. Die warme Luft strich ihm uber das Gesicht. Er horte das Quietschen von Taljen und den gleichma?igen Riemenschlag der zwischen Schiff und Ufer verkehrenden Boote. Die Fregatte war am fruhen Morgen vor Anker gegangen, und den ganzen Tag uber brachten Boote frische Vorrate und schafften die Verwundeten zu besseren Quartieren in der Stadt. Er betrachtete die eindrucksvolle Reihe der vor Anker liegenden Schiffe, die wachsende Macht der westindischen Flotte. Ihre Anwesenheit minderte allerdings den Triumph, den die Ruckkehr der Phalarope sonst bedeutet hatte. Bei diesem Gedanken, der sich immer wieder vordrangte, runzelte er die Stirn. Moglicherweise betrachtete man die Phalarope nach wie vor mit Mi?trauen und behandelte sie schmahlich.
        Seine Augen wanderten langsam von einem gro?en Schiff zum anderen. Die Masten ragten hoch auf, und die Stuckpforten standen offen. Da war die Formidable mit 98 Geschutzen, frisch aus England, mit Sir George Rodneys Flagge im Topp. Und da waren andere Schiffe, die ihren Namen in das Buch dieses Krieges eingeschrieben hatten: die Ajax und die Resolution, die Agamemnon und die Royal Oak. Und nicht zuletzt Sir Samuel Hoods Flaggschiff Barfleur. Ferner Schiffe, die er uberhaupt nicht kannte, ohne Zweifel Verstarkungen, die Rodney von der Kanalflotte mitgebracht hatte. Und alle waren zu einem Zweck hier zusammengezogen: um die gro?e franzosisch-spanische Flotte zu stellen und zu vernichten, ehe sie ihrerseits die Briten fur immer aus der Karibischen See vertreiben konnte.
        Er wandte den Kopf, um das kleine Geschwader auf der anderen Seite der Reede zu betrachten, zu dem die Phalarope gehorte. Die altere Cassius, neben der die kleine Witch of Looe noch kleiner wirkte, als sie war. Und eine weitere Fregatte, die Volcano, ein Schiff, das der Phalarope glich. Noch hatte der Admiral nichts von sich horen lassen. Lediglich ein Fahnrich mit rosarotem Gesicht hatte die Botschaft uberbracht, da? der Admiral Bolithos Bericht bis Sonnenuntergang in Handen zu haben wunsche. Und da? die Fregatte die Verproviantierung zu Ende fuhren und weitere Befehle abwarten solle. Nichts sonst.
        Nichts bis auf den sehr merkwurdigen Vorfall am spaten Vormittag. Von der Cassius hatte ein Boot abgelegt, und ein adretter Leutnant meldete sich bald darauf bei Bolitho.»Eine Empfehlung von Vizeadmiral Sir Robert Napier«, erklarte er,»und er mochte Sie informieren, da? er eine Einladung an Bord Ihres Schiffes zum Dinner heute abend gern annehmen wurde. Als weiterer Gast wird ihn unser Kapitan begleiten. «Er mu?te sehr konsterniert ausgesehen haben, denn der Offizier hatte hilfsbereit hinzugesetzt:»Kann ich Sie irgendwie unterstutzen,
        Sir?»
        Wortlaut und Inhalt der Botschaft hatten Bolitho mehr als verblufft. Flaggoffiziere speisten gewohnlich nicht an Bord der ihnen unterstellten Schiffe. Und da? sie sich gar selbst dazu einluden, davon hatte man noch nie gehort. Bolitho dachte an seine geschrumpften Vorrate und die grobe Kost der Kombuse, aber der Leutnant war augenscheinlich gut im Bilde.

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?»
        Bolitho starrte ihn an.»Was es auch ist, in diesem Augenblick durfte er mir eine gro?e Hilfe sein.»

«Mein Kapitan schickt einige Vorrate aus seiner eigenen Pantry heruber, Sir. Und es wird auch rechtzeitig ein ganz trinkbarer Wein gebracht. «Er zahlte die Einzelheiten an den Fingern ab, und man sah seinem Gesicht an, wie er nachdachte. Bolitho nahm an, da? dem jungen Mann das sonderbare Verhalten seines Admirals nicht ungewohnt war.»Wenn Sie erlauben, Sir, mochte ich mageres Schweinefleisch vorschlagen. Es ist in St. John reichlich vorhanden. Und Kase, den Admiral Rodneys Schiffe eben aus England mitgebracht haben.»
        Bolitho hatte nach Vibart und Proviantmeister Evans geschickt und erklart, was zu erwarten stand. Diesmal schien Vibart zu uberrascht, um irgendeine Bemerkung zu machen, und Bolitho hatte kurz gesagt:»Kummern Sie sich darum, Mr. Vibart. Und beauftragen Sie meinen Diener, meine Kajute herzurichten und den Tisch zu decken.
«Er hatte sich plotzlich sehr sorglos gefuhlt.»Sir Robert Napier kann an Bord einer Fregatte keine Flaggschiffverpflegung erwarten.»
        Wahrend er jetzt daran zuruckdachte, wurde er sich daruber klar, da? seine Sorglosigkeit wahrscheinlich auf die Hitze und die schmerzende Wunde zuruckzufuhren gewesen war. Nun, zu machen war sowieso nichts. Die Absicht des Admirals lag mehr als klar zu Tage. Jetzt, da wieder Rodney die Zugel fuhrte, lag Napier nichts daran, die Phalarope offentlich herabzuwurdigen. Er wollte nicht einmal ein offenes Gesprach an Bord des Flaggschiffes. Nein, er kommt hochstpersonlich auf die Phalarope, wie Gott herniedersteigt, um einen Sunder zu zerschmettern, dachte Bolitho erbittert. Kein Erfolg wurde je das erste Mi?fallen loschen oder den Tod seines Sohnes ausgleichen. Lage die Andiron schwer bewacht unter den Kanonen seines Flaggschiffes, hatte der Admiral vielleicht anders empfunden. Aber der Freibeuter war nur mehr ein Bleistiftkreuz auf einer Karte.
        Bolitho lie? sich mude und gereizt auf die Heckbank sinken. Er starrte auf den Bericht, ehe er rief:»Wache, Mr. Herrick mochte zu mir kommen. «Der Bericht mu?te jetzt hinuber zur Cassius. Ganz gleich, was sonst geschah, er wollte sichergehen, da? seine Leute Anerkennung fanden und ihre Leistungen belohnt wurden.
        Herrick kam in die Kajute und blieb neben dem Tisch stehen.

«Bringen Sie diesen Umschlag zum Flaggschiff.»
        Herricks offenes Gesicht verriet Beunruhigung, was Bolithos Gereiztheit noch steigerte. So sehr er sich auch bemuhte, die Mattheit klang in seiner Stimme mit, und er merkte, da? ihn die Erschopfung wieder uberwaltigte.

«Darf ich mir einen Vorschlag erlauben, Sir? Ich meine, Sie sollten sich hinlegen«, sagte Herrick besorgt.»Ich glaube, Sie haben sich uberanstrengt.»

«Kummern Sie sich lieber um Ihre Pflichten, verdammt noch mal!«Bolitho argerte sich uber Herrick, aber noch mehr uber sich und die Ungerechtigkeit seines Vorwurfs.

«Aye, aye, Sir. «Herrick schien ungeruhrt und sagte:»Darf ich fragen, ob es der vollstandige Bericht uber die Andiron ist?»
        Bolitho sah ihn kalt an.»Naturlich der vollstandige. Furchten Sie vielleicht, ich hatte Ihre Verdienste nicht mit aufgenommen?»
        Herrick sah ihn fest an.»Entschuldigen Sie, Sir. Ich wollte nur sagen. . «Er schluckte schwer.»Nun, wir, die wir beteiligt waren, meinen. . «Er begann zu stottern.»Wir meinen, da? Ihnen allein das Verdienst gebuhrt, Sir.»
        Bolitho blickte zu Boden, das Blut rauschte ihm in den Ohren.»Sie haben ein seltenes Talent, mich zu beschamen, Mr.
        Herrick. Ich ware Ihnen verpflichtet, wenn Sie kunftig davon ablie?en. «Er blickte hoch, entsann sich, wie Herricks Stimme in der Dunkelheit zu ihm gedrungen war, wie Herricks Hande seine Wunde beruhrt und versorgt hatten.»Aber dennoch vielen Dank. «Er trat langsam an den Tisch.»Der Angriff auf die Andiron gelang durch eine Reihe glucklicher Zufalle, Mr. Herrick. Das Ergebnis mag fur einige alles rechtfertigen. Ich bin jedoch unzufrieden, das will ich ruhig zugeben. Ich glaube an Gluck, aber man darf sich nicht darauf verlassen.»

«Ja, Sir. «Herrick sah den Kapitan an.»Sie sollten auch nur wissen, was wir denken. «Er schob hartnackig das Kinn vor.»Was auch vor uns liegen mag, wir sind glucklich, da? Sie wieder das Kommando fuhren, Sir.»
        Bolitho fuhr durch die Papiere auf seinem Tisch.»Vielen Dank. Und nun nehmen Sie bei Gott die Beine in die Hand, Mr. Herrick, und ab zur Cassius.«Kurz darauf horte er Herrick nach dem
        Beiboot rufen.
        Merkwurdig, wie leicht er seine Befurchtungen Herrick mitteilen konnte. Und noch merkwurdiger, da? Herrick zuhoren konnte, ohne die Vertraulichkeit zu eigenem Vorteil auszunutzen. Sein Blick fiel auf die Bestrafungskladde. Wahrend er der Gefangene seines Bruders gewesen war, hatte sich das alte Ubel wieder breitgemacht: Auspeitschungen und nochmals Auspeitschungen. Und ein Mann sogar an den Folgen gestorben! Vielleicht blieb ihm Zeit, den Schaden zu heilen. Er mu?te Vibarts murrische Erklarungen hinnehmen, genauso wie Okes' Bericht uber den Angriff auf die Insel Mola. Er mu?te seinen Offizieren die Stange halten. Und wenn sie feige oder dumm waren, mu?te er sogar dafur die Schuld auf sich nehmen.
        Er dachte an Vibarts Haltung, seit er selber das Kommando wieder ubernommen hatte. An Vibarts Gesicht im Augenblick seiner Ruckkehr entsann er sich nicht, zu sehr war ihm vor Schwache und Schmerz alles vor den Augen verschwommen. Doch in den Tagen danach hatte er ihn mehrfach gesehen. Einmal, er fieberte und schwitzte in seiner schwankenden Koje, hatte sich Vibart uber ihn gebeugt und gefragt:»Ob er durchkommt? Sagen Sie mir, Mr. Ellice, wird er durchkommen?»
        Vielleicht bildete er es sich nur ein, jetzt lie? sich das nur schwer sagen. Aber eine fluchtige Sekunde hatte er gemeint, in Vibarts Stimme Ha? gehort zu haben. Vibart hatte gewunscht, da? er nicht durchkam! Er ha?te ihn wegen seiner Ruckkehr von den Toten.
        Die Tur offnete sich, und Stockdale sagte heiser:»Ich habe Atwell gesagt, da? er Ihre beste Uniform herauslegen soll, Sir. Und er kommt sofort, um den Tisch zu decken. «Er sah, wie erschopft Bolitho war, und sagte:»Und jetzt legen Sie sich erst einmal hin.»
        Bolitho funkelte ihn wutend an.»Ich habe zu arbeiten, verdammt. »

«Ich mache Ihnen blo? Ihre Koje zurecht. Zwei Stunden Schlaf bis zur Hundewache werden Ihnen guttun. «Er achtete nicht auf Bolithos Gesichtsausdruck und setzte heiter hinzu:»Wie ich sehe, ist auch die Formidable hier, Sir. Ein gro?es schones Schiff, kein Zweifel. Aber einem Admiral wie Rodney kommt ein so gro?es Schiff auch zu, nicht wahr?«Er wartete noch einen Augenblick neben dem Bett, auf dem seine Hand ruhte.»Sind Sie soweit, Sir?»
        Bolitho gab nach.»Nun ja, aber blo? zwei Stunden. Keinesfalls langer.»
        Er lie? sich von Stockdale in die Koje helfen und merkte, wie ihn die Mudigkeit von neuem ubermannte. Stockdale langte nach den Schuhen und murmelte vor sich hin: Sie bleiben schon liegen. Fur den verdammten Admiral brauchen wir heute abend einen ausgeruhten Kapitan. «Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf das leere Gestell uber dem Bett, und einen Moment fuhlte er sich sehr unbehaglich. Der Sabel lag irgendwo im Wrack der Andiron. Wenn er ihn blo? wiederbekame. Wenn er ihn blo?… Er betrachtete das im Schlaf entspannte Gesicht des Kapitans. Und er wollte etwas fur mich tun. Stockdale zog den Vorhang vor, damit die Sonnenreflexe nicht auf Bolithos Gesicht fielen, und schlich dann leise zur Tur.
        Die hohe Steinmole warf willkommenen Schatten uber den Kutter der Phalarope, der an der Treppe lag. Bootsfuhrer Packwood blieb kurz auf den Stufen stehen und sah zu den Leuten hinunter, die es sich bequem machten.»Ihr konnt Pause machen. Aber niemand verla?t den Kutter, verstanden?»
        Onslow hockte sich bequem auf das Schanzkleid und zog eine kurze Tonpfeife aus dem Hemd.»Klar, Mr. Packwood«, murmelte er unhorbar.»Wir machen die Arbeit, und Sie ziehen ab und lassen sich mit Rum vollaufen.»
        Die meisten waren zu mude, um etwas zu erwidern. Den ganzen Tag war der Kutter zwischen dem Ufer und der Fregatte hin und her gependelt, und die erste Erregung, wieder in einem Hafen zu sein, war in unzufriedenes Murren umgeschlagen.
        Packwood befehligte die Abteilung. Ein fahiger Mann, bekannt dafur, die Arbeit gerecht zu verteilen. Doch es mangelte ihm an Phantasie. Hatte er den Leuten gesagt, da? die Arbeit nicht nur fur die Seetuchtigkeit der Phalarope, sondern in noch hoherem Ma? fur das Wohlbefinden der Besatzung auf See notwendig war, hatte das die Verbitterung moglicherweise etwas gedampft. Aber wie die Dinge lagen, diente Packwood schon zu lange in der Marine, um nach unnotigen Erklarungen zu suchen. Arbeit war Arbeit. Befehle wurden eben ausgefuhrt, jederzeit und ohne jede Diskussion.
        Pook, Onslows standiger Gefahrte, stemmte sich hoch und spahte zu den fernen Hausern hinuber.»Mutter Gottes«, sagte er schwer atmend,»ich sehe Frauen.»
        Onslow zog eine Grimasse.»Was hast du erwartet? Verdammte Priester?«Er beobachtete die Manner aus halbgeschlossenen Augen.»Die Offiziere sorgen schon fur sich, ihr seht's ja, da? ich recht habe, Jungs. «Er spuckte uber Bord.»Aber es sollte blo? mal einer von euch versuchen, einen Fu? an Land zu setzen, und ihr werdet sehn, was passiert. «Er deutete auf den rotrockigen Marinesoldaten, der sich zufrieden auf sein Gewehr stutzte.»Der verdammte Ochse setzt euch glatt eine Kugel in die Stirn.»
        John Allday sa? uber den Riemen gebeugt und musterte Onslow nachdenklich. Jedes Wort, das der Mann sprach, war sorgsam abgewogen. Er wandte sich um, als sich vom Bug her ein Seemann namens Ritchie horen lie?. Ritchie stammte aus Devon und sprach ebenso langsam, wie er dachte.»Warum bist du nicht abgehauen, als wir vor Nevis lagen, Onslow?«Das glitzernde Wasser blendete ihn, und er blinzelte.»Hattest massenhaft Zeit gehabt, dich deinen Rebellenfreunden anzuschlie?en.»
        Allday beobachtete, ob Onslow etwa argerlich hochfuhr, aber der gro?e Seemann sah Ritchie blo? mitleidig an.»Und was hatte das genutzt? Meinst du, wir sind besser dran, wenn wir zu den Rebellen uberlaufen oder zu den Froschfressern?«Jetzt horten alle aufmerksam zu.»Nein, Jungs, wir tauschen hochstens einen Herrn gegen den anderen ein. Eine neue Flagge. Aber irrt euch nicht, die Peitsche ist in jeder Marine die gleiche.»
        Ritchie kratzte sich den Kopf.»Ich sehe noch immer nicht, worauf du hinaus willst.


«Weil du damlich bist, du gro?er Ochse du«, fauchte Pook.

«Ruhig, Jungs. «Onslow senkte die Stimme.»Ich meine es ernst. Hier drau?en oder auf dem amerikanische Festland kann ein Mann gut leben. Ein neues Leben bringt die Chance, sich etwas zu schaffen. «Er lachelte leicht.»Aber zu einem richtigen Start gehort mehr als blo? Hoffnung. Dazu gehort auch Geld.»
        Nick Pochin rutschte hin und her und sagte unbeholfen:»Wenn der Krieg aus ist und wir unsere Lohnung kriegen, konnen wir nach Hause zuruckkehren.»

«Und wer kennt dich dort noch?«Onslow blickte ihn kalt an.»Du bist zu lange fort gewesen, wie wir alle. Fur dich gibt's nur eins: auf den Stra?en betteln gehn!»

«Ich war ein guter Pfluger«, beharrte Pochin.»Ich kann wieder pflugen.»

«Aye, vielleicht. «Onslow blickte ihn verachtlich an.»Du kannst fur den Rest deines damlichen Lebens Furchen ziehen, bis sie tief genug sind, da? dich irgendein fetter Grundbesitzer drin begrabt.»
        Ein anderer forschte:»Was willst du eigentlich?»

«Ich werd's dir sagen. «Onslow glitt wie eine Katze vom Dollbord.»Bald sind wir wieder drau?en auf See. Ihr seht die Flotte, die sie hier zusammengezogen haben. Fur uns wird's keine Ruhe geben. Die Bruder brauchen immer neues Kanonenfutter.
«Er deutete auf die sanft vor ihrem Anker schwojende Phalarope. »Da liegt unsere Chance, Jungs. Die Garantie fur unsere Zukunft. «Er lie? die Stimme wieder sinken. Wir konnen das Schiff ubernehmen. «Er sprach sehr langsam, damit jedes Wort wirken konnte.»Dann konnen wir sie als Tauschobjekt benutzen zu unserem Preis. «Seine Augen wanderten von einem Gesicht zum anderen.»Stellt euch das vor! Wir konnen mit der anderen Seite verhandeln und den Preis nennen, den wir verlangen. Mit dem Geld und einer freien
        Passage geht dann jeder seiner Wege und reicher, als er es je fur moglich gehalten hatte.»
        Pochin setzte sich mit einem Ruck auf.»Das ist Meuterei! Du verruckter Schuft, sie werden uns fangen und aufhangen.»
        Onslow griente.»Nie! Wenn dieser Krieg aus ist, wer hat da noch Zeit, sich um uns zu kummern?»
        Pook setzte lebhaft hinzu:»Er hat recht, wir werden alle reich sein.»

«Und England nie wiedersehen«, sagte Allday.

«Wem macht das was aus?«Onslow warf den Kopf zuruck.»Meinst du, so wie es jetzt ist, haben wir eine Chance? Hast du nicht gesehen, was sie mit Kirk gemacht haben? Du wei?t ganz genau, da? jede Woche welche sterben, durch Krankheit oder unter der Peitsche, in der Schlacht, oder indem sie von oben kommen. Und wenn du dem entgehst, kommandieren sie dich auf ein anderes Schiff.»
        Unruhe und Emporung liefen drohend durch das Boot, und Allday fuhr ein kalter Schauer uber den Rucken. Er sagte schnell:»Meinst du, Kapitan Bolitho ware damit einverstanden?«Er sah von einem zum anderen.»Sicher, sie haben uns durch die Muhle gedreht, aber dem Kapitan vertraue ich. Er ist unerschrocken und gerecht. Er wird uns nicht im Stich lassen.»
        Onslow zuckte mit den Schultern.»Wie du willst. «Er setzte bose hinzu:»Solange du deine Gedanken fur dich behaltst, Freundchen. Wenn etwas von dem, was ich gesagt habe, laut wird, wissen wir, hinter wem wir her sein mussen.»
        Das zustimmende Gemurmel zeigte Allday, wie tief Onslows Rede bereits gewirkt hatte. Sonderbar, da? vorher niemand gemerkt hatte, mit welcher Beharrlichkeit Onslow die Manner zur Meuterei aufreizte. Vielleicht weil er seine Worte sorgsam abwog und nichts von der blinden Wut eines Matrosen hatte, dem Unrecht geschehen war. Allday dachte an Mathias' Tod im Laderaum und wie vorsichtig Onslow operiert hatte, damit Ferguson den Posten als Kapitansschreiber bekam. Es ahnelte alles einer schleichenden, aber todlichen Krankheit. Zeigten sich die Symptome, war der Fall bereits hoffnungslos.»Ich werde schon aufpassen, Onslow«, sagte er.»Aber sieh du dich lieber auch vor.»

«Achtung«, murmelte Pochin.»Er kommt zuruck.»
        Packwood tauchte oben an der Treppe auf. Er hatte getrunken, und der Schwei? stand ihm auf der Stirn.»Schon, meine Kleinen. Noch ein paar Fasser mehr. «Er schwenkte seinen Stock.»Und dann konnt ihr euch in euren Stall verziehn und euch den Dreck abschrubben. Der Admiral kommt euch heute abend besuchen!«Pook stie? seinen Freund an.»Dieser Allday, halt der dicht?«Onslow packte den Riemenschaft.»Bei Leuten wie dem mu? sorgfaltig taktiert werden. Daruber mu? man nachdenken. «Seine Augen glitten uber Alldays nackten Rucken.»Aber gemacht mu? es werden!»
        Punktlich auf die Minute kam Vizeadmiral Sir Robert Napier das Fallreep der Phalarope herauf und zog den Hut, um die Ehrenbezeigungen entgegenzunehmen. Als das Trillern der Pfeifen verklang und die Ehrenwache der Marinesoldaten prasentierte, schlug der kleine Trommler der Fregatte, begleitet von zwei Pfeifen, dunn aber flott einen Marsch, und nach einem letzten Blick uber das Oberdeck trat Bolitho vor, um den Admiral zu begru?en.
        Sir Robert nickte den versammelten Offizieren knapp zu, und wahrend die Seesoldaten ihre Gewehre auf das Deck stie?en, inspizierte er, Rennie und Kapitan Cope von der Cassius in gehorigem Abstand hinter sich, kurz und genau die angetretene Wache.
        Aus dem Profil des Admirals versuchte Bolitho die Stimmung seines Gastes zu erkennen und den wahren Grund fur diesen Besuch zu entdecken, aber Sir Robert Napiers verkniffenes Gesicht blieb sphinxgleich und unbewegt, wenn er gelegentlich Fragen abfeuerte oder zu Rennie etwas uber die Haltung der Marinesoldaten bemerkte. Am Ende der Doppelreihe blieb er stehen und musterte das Hauptdeck.»Sie halten Ihr Schiff in Ordnung, Bolitho. «Aus dem trockenen Ton lie? sich nichts heraushoren, weder Lob noch Tadel.

«Danke, Sir. «Bolitho ware lieber mit dem Admiral allein in der gro?en Heckkajute des Flaggschiffs gewesen. Dort hatte er mit allem fertigwerden konnen, was Sir Robert vorbrachte. Unter den jetzigen Umstanden mu?te jede Bemerkung formell und abgewogen sein. Er sah sich unsicher und gereizt um. Nun, was der Admiral auch von der Phalarope dachte, er selber war mit ihrem Aussehen zufrieden. Lange bevor ein Kurier uber die
        Aktivitat an Bord des Flaggschiffs berichtet hatte und die Offiziersbarkasse langsseits kam, hatte Bolitho das ganze Schiff inspiziert, um absolut sicher zu sein, da? Sir Robert zumindest am Au?eren nichts auszusetzen fand.
        Die Besatzung war angetreten, jedes Auge richtete sich auf die kleine, goldbetre?te Gestalt im Heck der Barkasse. Und jetzt, wahrend der Admiral schweigend und nachdenklich dastand, herrschte eine Atmosphare nervoser Erwartung, die sogar die Pfeifen und die Trommel auf dem Achterdeck nicht verdecken konnten.

«Sie konnen die Manner wegtreten lassen, Bolitho.»
        Auf das Signal hin spritzten die Leute vom Hauptdeck, und die Marinesoldaten machten kehrt und verschwanden ebenfalls.

«Ich habe Ihren Bericht gelesen, Bolitho. Er enthalt eine Menge. «Seine kuhlen Augen flogen uber Bolithos Gesicht, in dem sich kein Muskel regte.»Besonders hat mich der Teil uber den Kapitan der Andiron interessiert. «Er bemerkte, da? Bolitho sich versteifte, und fuhr gelassen fort:»Nun, ich wu?te vorher, um wen es sich handelte, aber ich hielt es trotzdem fur das Beste, da? Sie die Aufgabe ubernahmen. «Er zog die Schultern hoch, was ihm unter der schweren Uniform nicht leicht fiel.»Naturlich wu?te ich nicht, da? Sie bereits sein Gefangener waren.»

«Und wenn Sie es gewu?t hatten, Sir?«Bolitho bemuhte sich, keine Erregung mitklingen zu lassen.

«Ich bin mir nicht sicher. Ihr Erster Offizier ist anscheinend in vieler Hinsicht ein fahiger Mann, aber ich furchte, er wird immer zu jenen gehoren, die Befehle brauchen. Ein geborener Untergebener.»
        Aus dem Augenwinkel sah Bolitho, wie seine Offiziere Kapitan Cope nach unten geleiteten, und er wartete darauf, da? der Admiral fortfuhr. Er brauchte nicht lange zu warten.

«Die Andiron ist ausgeschaltet. Schon allein ihre Existenz war eine Herausforderung und Beleidigung fur die ganze Flotte. Ich habe meine Ansicht uber die Angelegenheit dem Oberbefehlshaber ubermittelt und zweifle nicht, da? Ihre Verdienste gebuhrende Anerkennung finden werden. «Er blickte Bolitho fest an. Gleichviel, die Tatsache, da? Ihr Bruder sie einst kommandiert hat und anscheinend noch am Leben ist, mag hier und da als eine Art stillschweigender Ubereinkunft angesehen werden. «Er trat an die Reling und blickte zur Cassius hinuber.»Ich selbst sehe es nicht so, Bolitho. Ich ubertrug Ihnen die Aufgabe nicht trotz, sondern wegen des Kapitans der Andiron. Sie und Ihr Schiff haben sich gut gehalten. Ich habe das auch Sir George Rodney gegenuber betont. «Dann lie? er langsam die Worte folgen:»Doch wenn Ihr Bruder umgekommen ware, ware es fur alle Beteiligten besser gewesen.«»Ich glaube, ich verstehe, Sir.»

«Naturlich verstehen Sie. «Die alte Gereiztheit des Admirals brach durch.»Tot sein, hei?t vergessen sein. Fangen wir ihn, wird ihn nichts retten. Wir werden ihn offentlich vor Gericht stellen und aufknupfen. Und ich denke, Ihnen ist klar, da? solche Schande auf die ganze Familie fallt.»

«Ja, Sir.»

«Nun, genug davon. Sie haben Ihre Befehle ausgefuhrt, so gut Sie konnten. Das mu? fur den Augenblick genugen. Daruber hinaus haben Sie die Absichten des Feindes erkundet. Wenn die Meldung daruber zutrifft, wird das sehr zu Ihren Gunsten sprechen. «Er blickte zu der schwach schlagenden Flagge hinauf und murmelte:»Im Augenblick konnten wir ein bi?chen Gluck gut gebrauchen.»
        Sir Robert schwieg, wahrend Bolitho ihn in die Kapitanskajute fuhrte, wo die zehn Offiziere bereits versammelt waren. Sie sa?en so dicht gedrangt um den in ganzer Lange ausgezogenen Tisch, da? keine Stecknadel zu Boden fallen konnte, und Bolitho fragte sich wieder, warum der Admiral sich herbemuht und dem vergleichsweisen Luxus seines eigenen Quartiers zeitweilig den Rucken gekehrt hatte. Die Offiziere erhoben sich und sanken erwartungsvoll auf ihre Stuhle zuruck, nachdem der Admiral und Bolitho sich zum Kopf des Tisches durchgezwangt hatten.
        Zum ersten Mal, da? ich mit allen meinen Offizieren esse, ging es Bolitho durch den Sinn. Wahrend Atwell und zwei eiligst abkommandierte Messeordonnanzen aufzutragen begann, sah er von einem zum anderen. Die vertrauten Gesichter wirkten verandert. Alle sahen irgendwie fremd und verlegen aus. Neben seinen Leutnants und Hauptmann Rennie waren auch die drei Fahnriche anwesend. Die Unteroffiziere waren durch Steuermann Proby und den Arzt Tobias Ellice vertreten, die beide, den Blick auf ihre Teller gerichtet, steif und unbehaglich dasa?en.
        Der Admiral verhielt sich noch immer formell. Man a? in fast volligem Schweigen. Doch mit den Speisen kam der Wein, ausgeschenkt vom personlichen Steward des Admirals, einem gro?en, hochmutigen Mann in scharlachfarbenem Rock. Zu diesem Zeitpunkt fing Bolitho an, die Absicht des Admirals zu begreifen. Denn zusammen mit der Spannung und der ungewohnt reichhaltigen und ausgezeichneten Mahlzeit tat der Wein bald seine Wirkung. Und als Bolitho bemerkte, da? der Admiral kaum etwas a? und an seinem Wein nur nippte, war ihm alles klar.
        Die Stimmen wurden lauter, und indes Sir Robert stumm an Bolithos Seite sa?, fingen die Offiziere an, freier zu reden. Bolitho war sich nicht klar daruber, was er starker empfand, Arger oder Bewunderung. Dem Admiral reichte der nackte Bericht, wie prazise auch immer, nicht aus. Er wollte mit eigenen Ohren horen, was sich abgespielt hatte, und zwar von den Leuten, die ihm bis dahin nur durch Bolithos Feder bekannt gewesen waren. Bolitho spurte, da? seine Anspannung etwas nachlie?. Denn ob nun gut oder bose, gegen die verschlagenen Methoden des Admirals konnte er jetzt nichts mehr ausrichten.
        Langsam entfaltete sich die Geschichte. Jede Phase kam zur Sprache und wurde von einem anderen Offizier beleuchtet. Die Attacke auf die Insel Mola und die Einnahme der Batterie. Die zungenfertigen Offiziere sprachen uber den Plan in seiner Gesamtheit, die weniger beredten gaben sich damit zufrieden, die Einzelheiten des Bildes auszumalen. In einigen Beitragen kam auch der Humor zu seinem Recht, etwa in der Geschichte des Steuermannsmaats Parker, der bei dem Angriff auf die Andiron die Jolle befehligt hatte. Die hochgehende See hatte ihn von den anderen Booten getrennt. Nicht nur, da? er zur Phalarope zuruckkehren mu?te, nein, um sein Mi?behagen noch zu steigern, wurde er vom Schiff durch Gewehrfeuer wachsamer Seesoldaten begru?t. Und Humor lag auch in der Geschichte, wie Hauptmann Rennie den Ruckzug von der Insel leitete, den Degen in der einen, eine halbe Geflugelpastete in der anderen Hand.
        Doch bei solchen Erinnerungen blieb es nicht, denn Sir Robert fragte plotzlich scharf:»Und Sie, Mr. Farquhar, wurden mit dem spanischen Gefangenen zuruckgelassen?»
        Farquhar sah ihn wachsam an, und einen Augenblick kehrte die Spannung an den eng besetzten Tisch zuruck. Doch Farquhar verlor nicht den Kopf. Selbst die wohlbekannte Tatsache, da? Sir Robert gewohnlich niemanden unter Leutnantsrang anredete, brachte ihn nicht aus der Fassung.

«Ja, Sir. Ich stie? zum Kapitan, und wir gerieten zusammen in Gefangenschaft.»
        Der Admiral wandte sich Okes zu, der bisher beinahe stumm dagesessen hatte.»Ihr Teil bei diesem Unternehmen hat Sie offenbar sehr in Atem gehalten, Mr. Okes?»
        Der Leutnant blickte besturzt hoch.»Hm, ja, Sir. Ich tat, was ich tun mu?te. Es gab keinen anderen Weg.»
        Sir Robert nippte an seinem Wein und musterte ihn kuhl.»Fur einen so ruhmreichen Offizier sind Sie au?erordentlich zuruckhaltend, Mr. Okes. Ein bi?chen Bescheidenheit ist immer willkommen, aber nicht, wenn sie wie Schuld wirkt. «Seine kalten Augen lagen noch ein paar Sekunden auf Okes' bleichem Gesicht, dann lachte er. Ein humorloses Lachen, doch es half, das plotzliche und unbehagliche Schweigen zu brechen.

«Und Sie, Mr. Herrick?«Der Admiral beugte sich vor und blickte an seinem Kapitan vorbei uber den Tisch.»Ihre Heldentaten bei Nevis scheinen ein wenig vom Zufall begunstigt gewesen zu sein. Aber dennoch erreichten Sie ohne Zweifel Ihr Ziel.»
        Herrick grinste breit.»Kapitan Bolitho hat mich bereits auf die Fallgruben des Glucks hingewiesen, Sir.»

«So, in der Tat?«Der Admiral zog leicht die Brauen hoch.»Bin erfreut, es zu horen.

        Und so ging es in der gleichen Art weiter. Der Admiral fragte und horte zu. Und falls das zu nichts fuhrte, provozierte er den unglucklichen Offizier offen zu einer erregten und unbedachten Antwort. Der Treuetrinkspruch wurde von dem jungsten anwesenden Offizier ausgebracht. Fahnrich Neale, auf der einen Seite von Proby, auf der anderen von Ellice uberragt, quiekte:»Gentlemen, auf den Konig! Danach lief er rot an und verfiel wieder in Schweigen.
        Bolitho bemerkte, da? sich die rechte Hand des Admirals wie eine Klaue um das Glas klammerte. Der Admiral sah seinen Blick und sagte verdrossen:»Verdammter Rheumatismus. Habe ihn seit Jahren.»
        Plotzlich schatzte Bolitho den Mann an seiner Seite. Nicht den Admiral mit seinen kleinlichen Schwachen und dem ungerechten Gebrauch von Vorrecht und Rang, sondern einfach den Mann. Er war alt, wahrscheinlich in den Sechzigern, und soviel Bolitho wu?te, hatte er in den letzten zehn Jahren den Fu? nicht langer als ein paar Tage an Land gesetzt. Er hatte seine Flagge auf vielen Schiffen wehen lassen und sich mit Problemen und Strategien beschaftigt, die Bolitho sich nur undeutlich vorstellen konnte.
        Der Admiral sah ihn fest an.»Fragen Sie sich noch immer, warum ich gekommen bin, Bolitho?«Er wartete eine Antwort nicht ab.»Vor vielen Jahren habe ich selber eine Fregatte befehligt. Das war meine schonste Zeit, der Einsatz nicht so hoch. «Das Gesicht verschlo? sich wieder.»Ich bin hergekommen, weil ich sehen wollte, was Sie aus diesem Schiff gemacht haben. «Er fa?te sich ans Kinn, als suche er nach einem Weg, ein Kompliment zu umgehen.»Was ich sehe, mi?fallt mir nicht ganzlich. «Er sprach so leise, da? die von neuem erwachte Unterhaltung seine Worte fast verschluckte.»Die Mehrzahl Ihrer Offiziere scheint Sie sehr zu achten. Ich wei? aus Erfahrung, wie schwer Achtung zu erringen ist.»
        Bolitho lachelte dunn.»Danke, Sir.»

«Ich schatze es, die Manner zu kennen, die unter meinem Kommando stehen. Sehe ich ein Segel am Horizont, interessiert mich nicht die Zahl der Kanonen und der Zustand des Anstrichs. Mir liegt daran, den Geist des Mannes zu kennen, der das Schiff kommandiert, verstehen Sie?«Er starrte uber die Kopfe der Offiziere hinweg. England kampft um sein Leben. Zur Zeit fuhren wir einen Verteidigungskrieg. Der Angriff kommt spater, vielleicht erst nach Jahren, wenn ich tot und begraben bin. Doch bis dahin ist England auf seine Schiffe angewiesen, vielleicht nur auf ein paar hundert Schiffe, die voll einsatzfahig sind. «Er klopfte auf den Tisch, so da? die anderen verstummten und sich ihm zuwandten, um zuzuhoren.»Und diese Schiffe hangen von ihren Kapitanen ab.»
        Bolitho wollte etwas einwerfen, doch der Admiral sagte gereizt:»Lassen Sie mich ausreden. Ich kenne jetzt Ihren Ruf. Sie sind in vieler Hinsicht ein Idealist. Sie hoffen auf bessere Bedingungen fur Ihre Leute, so da? Sie auf See eine ehrenhafte Karriere machen konnen. «Er unterstrich seine Worte durch den erhobenen Zeigefinger.»Als ich junger war, hatte ich auch solche Illusionen, und mehr noch. Aber der ist ein guter Kapitan, der die Schwierigkeiten nimmt, wie sie kommen, und dennoch ein tuchtiges Schiff fuhrt, ein Schiff, das Ehre und Lob verdient. «Seine Augen wanderten von einem zum anderen.»Nun, meine Herren, bin ich verstanden worden?»
        Bolitho folgte dem Blick des Admirals: Vibart, rot angelaufen, ohne jedes Lacheln. Herrick, vom voraufgegangenen Sarkasmus des Admirals unberuhrt, grinste noch immer. Rennie, steif aufgerichtet, aber mit vollig glasigen Augen, die nichts mehr wahrnahmen. Old Daniel Proby, verlegen, in solcher illustren Gesellschaft zu sein, doch plotzlich mit einem Ausdruck von Stolz auf dem Gesicht, als hatte er eine tiefere Bedeutung aus den Worten des Admirals herausgehort. Und Ellice, der Arzt, der seit Beginn der Mahlzeit unaufhorlich getrunken hatte. Bolitho bemitleidete Ellice. Schlecht bezahlt wie alle Schiffsarzte. Kein Wunder, wenn er eher Schlachter denn Arzt war. Ein Wettlauf, doch wer wurde gewinnen, der Alkohol oder ein todlicher Irrtum? Es war lediglich eine Frage der Zeit. Okes litt noch immer unter der scharfen Einschatzung des halbvergessenen Angriffs auf die Insel. Bolitho bemerkte, da? Okes immer wieder verstohlen und verzweifelt zu Farquhar hinubersah, der im Vergleich zu ihm ruhig und teilnahmslos wirkte und in Gedanken vielleicht weit weg war. Moglicherweise wieder unter der in die Luft
gejagten Brucke, wo ihn der Mann, der ihn jetzt immer wieder ansah, zuruckgelassen und damit dem Tod ausgesetzt hatte. Die Tatsache, da? Farquhar daruber keine Bemerkung gemacht hatte, mu?te Okes mehr als alles andere mit Sorge erfullen.
        Und die beiden anderen Fahnriche, Maynard und Neale? Sie waren erregt, ohne aber das mitzubekommen, was hinter den Gesprachen und Gedanken lag. Bolitho sah plotzlich sehr klar, welche Verantwortung er fur sie alle trug.
        Der Admiral stand auf und hob sein Glas.»Ein Trinkspruch!«Seine blassen Augen blitzten.»Tod den Franzosen!»
        Alle hoben ihr Glas, und die Stimmen ratterten die Antwort heraus:»Und Verderben unseren Feinden!»

«Zeit aufzubrechen, Cope«, sagte der Admiral zu seinem Kapitan.
        Bolitho folgte ihm zum Oberdeck. Er horte nur halb auf die hastenden Fu?e und das Knarren der Riemen langsseits. Bolitho wu?te, da? das Schlimmste vorbei war. Die Phalarope war endlich frei von Schande.
        Er luftete den Hut, als der Admiral zum Fallreep schritt, und wartete, bis er in der Barkasse verschwunden war. Dann setzte er den Hut mit einem Ruck wieder auf und begann, die Hande auf dem Rucken verschrankt, auf dem verlassenen Achterdeck auf und ab zu gehen.
        Der Admiral hatte au?erdem auf seine Weise klargestellt, da? es die Aufgabe des Kapitans war, das Schiff weiterhin frei von Schande zu halten. Er blickte zu den Ankerlaternen, deren Schein auf dem Wasser tanzten, und lauschte dem klagenden Kratzen einer Violine und dem wehmutigen Klang eines alten Shantys. Solange die Manner noch singen, dachte er, ist Hoffnung fur uns alle.



        XIII Gefahr von innen

        Die Pfeifen trillerten Salut, als Richard Bolitho durch die verzierte Schanzpforte auf das weite Deck der Formidable trat. Automatisch hob er den Hut gegen das Achterdeck, und wahrend er den Gru? des wachhabenden Flaggschiffoffiziers erwiderte, flogen seine Blicke umher und registrierten die Geschaftigkeit, das scheinbar endlose Deck und die langen Reihen schimmernder Kanonen.
        Ein wei?behandschuhter Fahnrich eilte in tadelloser Haltung heran und fuhrte Bolitho unter den kritischen Augen des diensttuenden Offiziers nach achtern zu der gro?en Heckkajute, in die jeder erreichbare Kapitan vor einer Stunde befohlen worden war.
        Bolitho hatte bei seinem einsamen Fruhstuck herumgetrodelt und uber die merkwurdige Dinnerparty und Sir Robert Napiers beharrliche Fragen nachgegrubelt, als Fahnrich Maynard die Meldung brachte. Wahrend Bolitho hastig seine beste Uniform anlegte, fragte er sich, warum Sir Robert die Zusammenkunft beim Oberbefehlshaber gestern nicht erwahnt hatte. Er mu?te doch schon davon gewu?t haben. Und indem er blicklos in den Spiegel am Schott starrte, fragte er sich, ob Sir Robert nur wieder eine seiner privaten Prufungen veranstaltete. Wahrscheinlich hielt er sein Glas auf die Phalarope gerichtet, seit die Formidable das Signal gesetzt hatte.
        Er prallte beinahe auf den Fahnrich und sah, da? sie die gro?e Kajute erreicht hatten. Der Fahnrich meldete:»Kapitan Richard Bolitho von der Phalarope.«Doch nur die zunachststehenden Offiziere nahmen von seinem Eintritt Notiz. Bolitho war das nur recht. Er drangte sich zu einer Ecke der Kajute durch, und wahrend eine Messeordonnanz wortlos seinen Hut in Empfang nahm, reichte ihm eine andere ebenso stumm ein gro?es Glas Sherry.
        Bolitho trank einen kleinen Schluck und musterte aufmerksam die anderen Offiziere. Etwa drei?ig Kapitane jeden Dienstalters, altere und jungere, gro?e und kleine, dicke und dunne. Nach diesem ersten Uberblick schien er der Jungste zu sein. Doch er war kaum zu diesem Schlu? gekommen, da stie? ihn jemand leicht an. Er drehte sich um und erblickte den hochgewachsenen Leutnant, der die kleine Brigg Witch of Looe kommandierte.
        Der Leutnant hob das Glas.»Ihr Wohl, Sir! Ich mochte Ihnen sagen, wie sehr ich mich uber Ihre Ruckkehr freue.»
        Bolitho lachelte.»Vielen Dank. Bitte entschuldigen Sie, aber Ihr Name ist mir entfallen.»

«Philip Dancer, Sir.»

«Von nun an werde ich ihn mir merken.»
        Der Leutnant lockerte nervos seine Halsbinde. Kein Wunder, wenn er als Jungerer in einer so illusteren Gesellschaft nervos wurde.

«Im Vergleich mit Ihrer kleinen Brigg kommt es Ihnen hier sicher ein bi?chen luxurios vor?»
        Dancer schnitt eine Grimasse.»Nur ein bi?chen.»
        Sie blickten zu den gro?en Heckfenstern hin, vor denen eine breite Galerie lief, auf der der Amiral uber dem Kielwasser seines Schiffes ungestort hin und her wandern konnte. Bolitho sah Pflanzen in langen Blumenkasten, Silber und Kristall schimmerten auf einer hubschen Anrichte unter einem Gemalde von Hampton Court Palace. Plotzlich verstummten alle Gesprache, und jeder wandte sich einer Seitentur zu, durch die der Oberbefehlshaber mit seinem Gefolge die Kajute betrat.
        Bolitho hatte Sir George Rodney das letzte Mal vor zwei Jahren gesehen. Er erschrak uber sein verandertes Aussehen. Trotz der strahlenden Uniform mit dem leuchtenden Band und den Auszeichnungen wirkte er gebeugt und zusammengesunken, und sein Mund, nunmehr ein schmaler Strich, verriet die Krankheit, die ihn seit vielen Monaten plagte. Nur schwer erkannte man in ihm den Mann wieder, der vor zwei Jahren einen machtvollen Feind uberwunden und das belagerte Gibraltar entsetzt hatte, oder den, der St. Eustatius angegriffen, ersturmt und als Beute drei Millionen Pfund Sterling nach England zuruckgebracht hatte. Doch die Augen waren dieselben: hart und fest, als hatten sie alle Energie an sich gezogen.
        Neben ihm, als scharfer Kontrast, der zweite im Kommando: Sir Samuel Hood wirkte gelassen, wahrend seine Blicke uber die versammelten Offiziere glitten. Eine gro?e arrogante Nase und eine hohe Stirn beherrschten das Gesicht. Neben seinen beiden Vorgesetzten sah Sir Robert Napier beinahe unbedeutend aus.
        Sir George Rodney lie? sich in einen Sessel sinken und faltete die Hande im Scho?. Dann sagte er kurz:»Ich habe Sie hergebeten, um Ihnen mitzuteilen, da? nach allen Informationen die Franzosen und ihre Verbundeten versuchen wollen, die englischen Verbande im hiesigen Gebiet endgultig auszuschalten. «Er hustete und betupfte sich den Mund mit einem Taschentuch.»Graf de Grasse hat eine gro?e Zahl Linienschiffe zusammengezogen, die starksten Schiffe, die sich jemals unter einer Flagge versammelten. Ware ich in seiner glucklichen Lage, wurde ich nicht zogern, mich auf die Schlacht vorzubereiten. »
        Er hustete wieder, und leichte Unruhe ergriff die Offiziere. Die Uberbeanspruchung wahrend all der Jahre des Planens und Kampfern wuhlte in Sir Rodney wie eine Messerklinge. Als er nach England segelte, glaubte jeder Offizier der westindischen Flotte, da? es seine letzte Reise wurde. Alle erwarteten, da? ein anderer zuruckkehren und seinen Platz einnehmen wurde. Aber in diesem ermatteten Korper lebte eine Seele aus Stahl. Rodney wollte keinen anderen die Fruchte seiner harten, aufopferungsvollen Arbeit in Westindien ernten lassen, und ebensowenig sollte ein anderer die Schmach und Schande moglicher Niederlage erleiden.

«Nach unseren Nachrichten will de Grasse mehr als einen blo?en Sieg auf See erreichen«, erklarte Sir Samuel Hood unbewegt.»Er hat nicht nur franzosische Truppen zusammengezogen, sondern auch die amerikanischen Kolonialisten mit Waffen versorgt. Er ist ein gewiegter und umsichtiger Stratege, und zweifellos gedenkt er, die bereits erzielten Erfolge auszubauen. «Er blickte uber die ihm Zunachststehenden hinweg und richtet seine tiefliegenden Augen auf Bolitho.»Der Kapitan der Fregatte Phalarope hat zu diesen Informationen in nicht geringem Ma?e beigetragen, meine Herren.»
        Einige Sekunden lang drehten sich alle nach Bolitho um, den die unerwartete Beachtung leicht verwirrte. Undeutlich nahm er die unterschiedlichen Reaktionen der anderen Offiziere wahr. Einige nickten anerkennend, wahrend ihn andere mit kaum verhohlenem Neid musterten. Wieder andere studierten sein Gesicht, als versuchten sie, die tiefere Bedeutung der Bemerkung des Admirals zu ergrunden. Ein kleines Lob von Hood - also vom gro?en Rodney gebilligt - kennzeichnete Bolitho als ernstzunehmenden Rivalen bei Beforderung und Auszeichnung.
        Hood fugte trocken hinzu:»Jetzt, da Sie einander kennen, wollen wir fortfahren. Von heute an mu? unsere Wachsamkeit erhoht werden. Unsere Patrouillen mussen jeden feindlichen Hafen beobachten und durfen keine Muhe scheuen, mir standig Meldung zu erstatten. Wenn de Grasse auslauft, wird das schnell geschehen. Konnen wir seiner Herausforderung nicht mit den entsprechenden Mitteln begegnen und ihn zur Schlacht stellen, ist es aus mit uns, daruber mu? sich jeder klar sein.»
        Die tiefe Stimme drohnte so durch die Kajute, da? Bolitho das Gewicht der Worte fast korperlich fuhlte. Unermudlich und methodisch erlauterte der Admiral die bekannten Standorte von Versorgungsschiffen und feindlichen Einheiten. Man merkte ihm weder Anstrengung noch Ungeduld an, und nichts in seinem Verhalten verriet, da? er erst unlangst nach Antigua zuruckgekehrt war, nachdem er St. Kitts lange gegen die gesamte militarische Kraft der Franzosen und der alliierten Flotte gehalten hatte.

«Ich wunsche, da? sich jeder von Ihnen grundlich mit meinem Signalcode vertraut macht«, schaltete sich Sir George Rodney ein. Er blickte scharf von einem zum anderen.»Ich werde nicht dulden, da? irgendein Offizier meine Signale mi?versteht, und ebensowenig werde ich Entschuldigungen bei
        Nichtbefolgung gelten lassen.»
        Mehrere Kapitane wechselten schnelle Blicke. Jeder kannte die Geschichte: als Rodney versuchte, den franzosischen Amiral de Guichen vor Martinique zu stellen, gelang das nicht, weil einige seiner Kapitane seine signalisierten Befehle nicht verstanden oder befolgt hatten und jeder wu?te auch, wie scharf er darauf reagiert hatte. Mehr als ein Kapitan lebte nun, auf Halbsold gesetzt, mit Schande bedeckt und von bosen Erinnerungen geplagt, kummerlich in England.

«Achten Sie auf meine Signale«, fuhr er in ruhigerem Ton fort.»Wo und auf welchem Schiff auch meine Flagge weht, achten Sie auf meine Signale!«Er lehnte sich zuruck und blickte zu den Decksbalken hoch.»Diesmal gibt es keine zweite Chance. Entweder gewinnen wir einen gro?en Sieg, oder wir verlieren alles.»
        Er nickte Hood zu, der wieder das Wort nahm:»Die Befehle werden den dienstaltesten Offizieren des Geschwaders unverzuglich ubermittelt. Von dem Augenblick an, da Sie die Kajute verlassen, hat die Flotte klar zum Auslaufen zu sein. Unsere patrouillierenden Fregatten und Korvetten haben die Aufgabe, wie Hunde vor den Schlupflochern der Feinde zu lauern. «Er hieb mit der Faust auf den Tisch.»Stobern Sie die Spur des Feindes auf, benachrichtigen Sie den Oberbefehlshaber, und die Jagd geht los!»
        Beifallsgemurmel beschlo? die Zusammenkunft. Leutnant Dancer sagte ungeruhrt:»Ob unser Geschwader dabei sein wird? Ich wurde den Schlu?akt gern miterleben.»
        Bolitho nickte und lachelte insgeheim, weil er sich vorstellte, wie die winzige Witch of Looe de Grasses Dreidecker angriff. Laut sagte er:»Es sind immer zuwenig Fregatten. In jedem Krieg die gleiche Geschichte. Zu wenig und zu spat. «Doch es klang keine Bitterkeit mit. Die Phalarope wurde jetzt noch dringlicher als sonst benotigt. Bei den weiten Seegebieten gab es fur jede Fregatte nur allzuviel zu tun. Er fuhr aus seinen Gedanken hoch, als ein Leutnant des Flaggschiffs auf ihn zutrat.

«Sir George Rodney mochte Sie sprechen.»
        Bolitho ruckte den Degen zurecht und schritt uber den dicken Teppich. Am Tisch machte er halt und nahm das Scharren der hinausgehenden Schritte nur noch halb wahr. Dann schlo? sich die Tur, und das Trillern der Pfeifen zeigte an, da? die Kapitane das Flaggschiff verlie?en. Eine Sekunde lang furchtete er, den Leutnant falsch verstanden zu haben.
        Rodney sa? noch immer in seinem Sessel. Mit halbgeschlossenen Augen starrte er zur Decke. Hood und Sir Robert Napier studierten, uber einen in der Nahe stehenden Tisch gebeugt, eine Karte. Selbst die Ordonnanzen schienen zu beschaftigt zu sein, um den jungen Kapitan zu beachten.
        Doch dann richtete Rodney die Augen auf den Wartenden.»Ich kenne Ihren Vater, Bolitho. Wir sind zusammen gefahren. Ein sehr tapferer Offizier und ein guter Freund. «Seine Augen wanderten langsam uber Bolithos gebrauntes Gesicht und seine Gestalt.»Sie ahneln ihm, innerlich und au?erlich. «Er nickte.»Ich bin sehr froh, Sie zu meinen Offizieren zu zahlen.»
        Bolitho dachte an seinen Vater, der allein in dem gro?en Haus lebte und die Schiffe in der Bucht beobachtete.»Danke, Sir. Mein Vater bat mich, Ihnen Gru?e auszurichten.»
        Rodney schien nicht gehort zu haben.»Es gibt so viel zu tun. So wenige Schiffe fur die vielen Aufgaben. «Er seufzte:»Es tut mir leid, da? Sie Ihrem einzigen Bruder auf solche Weise begegnen mu?ten. «Seine Augen ruhten fest auf Bolitho.
        Bolitho merkte, wie Sir Robert, noch immer uber die Karte gebeugt, wachsam zuhorte, und sagte:»Er glaubt, es sei recht und richtig, was er tut, Sir.»
        Die Augen lagen noch immer auf Bolithos Gesicht.»Und was glauben Sie?»

«Er ist mein Bruder, Sir. Aber sollten wir nochmals konfrontiert werden, werde ich zu meinem Eid stehen. «Er zogerte.»Und Ihr Vertrauen nicht enttauschen, Sir.»
        Rodney nickte.»Daran habe ich nie gezweifelt, mein Junge.»
        Sir Samuel Hood hustete hoflich, und Rodney sagte:»Kehren Sie auf Ihr Schiff zuruck, Bolitho. Ich hoffe, da? Ihrem Vater und Ihnen weiterer Schmerz erspart bleibt. «Seine Augen blickten kalt, als er hinzusetzte:»Es ist leicht, seine Pflicht zu erfullen, wenn es keine andere Wahl gibt. Sie hatten es nicht leicht. Und es wird nicht leicht fur Sie sein, wenn Ihr Bruder gefangen-genommen wird.»
        Er versank in Schweigen. Der Leutnant sagte ungeduldig:»Ihr Hut, Sir. Ich habe Ihr Boot langsseits pfeifen lassen.»
        Bolitho folgte dem Offizier an Deck. Seine Gedanken waren noch immer bei dem, was der Admiral gesagt hatte. Die ganze
        Flotte wu?te also uber seinen Bruder Bescheid. In der begrenzten, monchischen Welt der Schiffe, die standig auf See waren, sprach man also uber ihn, ma? ihn an zuruckliegenden Taten und wurde ihn an kunftigen Ereignissen messen.
        Er eilte die Gangway zum wartenden Boot hinunter und starrte zu der vor Anker liegenden Phalarope hinuber. Einst hatte sie sich bewahren mussen. Jetzt war ihr Kapitan an der Reihe.
        Am Abend des Tages, an dem Bolitho an der Besprechung auf der Formidable teilgenommen hatte, lichtete die Phalarope ohne jedes Aufheben den Anker und ging in See.
        Am folgenden Morgen stand sie knapp funfzig Meilen weiter sudwestlich, und unter Vollzeug nutzten sie die schwache Brise, die bei der kraftiger werdenden Sonne nur wenig Abkuhlung brachte. Diesmal war die Phalarope nicht vollig allein. Selbst von Deck aus sah man die Cassius, deren hohe Leinwandpyramide im Fruhlicht golden schimmerte. Gewichtig und langsam segelte sie auf Parallelkurs. Irgendwo jenseits von ihr, verborgen unter dem Horizont, lief die Fregatte Volcano. Unsichtbar und der sich langsam bewegenden Formation ein Stuck voraus, erfreute sich Leutnant Dancers winzige Witch of Looe einer gewissen Bewegungsfreiheit.
        Leutnant Herrick hatte eben die Fruhwache ubernommen. Er stand lassig an der Achterdecksreling und beobachtete die Leute bei der Arbeit auf dem Hauptdeck. Die nassen Decksplanken waren mit Schrubbern und Scheuersteinen bearbeitet worden, und jetzt, als die Hitze uber dem sanft schaukelnden Schiffsrumpf langsam stieg, leuchteten die Decks in strahlendem Wei?. Die Manner splei?ten und waren mit laufenden Ausbesserungen beschaftigt: eine friedliche Szene. Durch Warme und gutes Fruhstuck fuhlte sich Herrick schlafrig und zufrieden. Gelegentlich warf er einen Blick zu Fahnrich Neale hinuber, um sich zu vergewissern, da? er das Glas auf das ferne Flaggschiff gerichtet hatte. Die Phalarope hielt so gut Position, wie der Wind es zulie?.
        Er bemerkte, da? Leutnant Okes mit Brock die Zwolfpfunder der Steuerbordbatterie inspizierte, und fragte sich nicht zum ersten Mal, was hinter Okes' verkrampften Zugen vorging. Seit dem Angriff auf die Insel Mola war Okes ein anderer. Und seit der beilaufigen Bemerkung des Admirals bei dem abendlichen
        Essen hatte er sich noch mehr in sich selbst zuruckgezogen.
        Auch hinter Farquhars Gedanken konnte er nicht kommen. Herrick war nicht sicher, ob er die Zuruckhaltung des Fahnrichs verabscheute oder bewunderte. Merkwurdig, wie Farquhars Haltung stets Minderwertigkeitskomplexe in ihm weckte, vielleicht wegen seiner eigenen einfachen Herkunft. Selbst hier auf der kleinen Fregatte, wo sie dicht aufeinanderhockten, hielt Farquhar Distanz. Herrick versuchte sich vorzustellen, was er empfunden hatte, wenn Okes, wie Rennie angedeutet hatte, ohne an die anderen zu denken den Ruckzug befohlen, ihn zuruckgelassen und dem Tode preisgegeben hatte. Er malte sich aus, da? er genau wie Farquhar reagieren wurde, wu?te jedoch, da? er sich selber etwas vormachte. Wahrscheinlich ware es zu einem offenen Konflikt und zu einer Verhandlung vor dem Kriegsgericht gekommen.
        Der Ruderganger hustelte warnend, und Herrick drehte sich schnell um, als Bolitho den Niedergang heraufkam. Er fuhrte die Hand an den Hut und wartete, wahrend Bolitho erst an den Kompa? trat und dann zum Wimpel am Masttopp hinaufschaute. Er entspannte sich, als Bolitho neben ihn trat und auf die arbeitenden Seeleute hinabblickte.

«Noch funfzig Meilen bis zu unserer P atrouillenposition, Mr. Herrick. Bei dieser Geschwindigkeit brauchen wir dafur einen Tag. «Es klang ungeduldig und leicht gereizt. Herrick kannte jetzt die Anzeichen.

«Immerhin ist es trostlich, da? die Cassius querab liegt, Sir. Falls de Grasse hier aufkreuzt, sind wir nicht allein.»
        Bolithos Blicke wanderten zu den schimmernden fernen Segeln hinuber.»Ach ja, das Flaggschiff. «Er lachelte bitter.»Vierzig Jahre hat sie auf dem Buckel und so viel Muscheln und Bewuchs am Rumpf, da? sie sogar bei starkem Sturm nur kriecht.»
        Herrick blickte hastig zur Cassius hinuber. Gro?e und Uberlegenheit hatten fur ihn bis zu diesem Moment Sicherheit bedeutet, ein Schutzschild sozusagen. Er erwiderte:»Das wu?te ich nicht, Sir.»

«Die Cassius ist eine hollandische Prise, Mr. Herrick. Beachten Sie die Neigung ihres Vordecks. «Dann, als merkte er, da? er von lange vergangenen, nun unwichtigen Dingen sprach, sagte er heftig:»Mein Gott, dieses Kriechen macht mich verruckt.»
        Herrick versuchte es auf andere Weise.»Unsere Befehle, Sir. Darf ich fragen, was man von uns erwartet?«Er bedauerte die Frage sogleich und ri? sich zusammen, wahrend Bolitho mit den Augen dem langsamen Kreisen einer Mowe folgte. Aus der Schulterhaltung Bolithos und der Art, wie seine Hande die Reling umklammerten, schlo? Herrick, da? er ein Thema beruhrt hatte, uber das der Kapitan selber nachgrubelte.
        Doch Bolitho antwortete ruhig:»Wir werden funfzig Meilen westlich von Guadeloupe auf Station gehen und - «, er schwenkte die Hand gegen die offene See,»- mit unserem Geschwader Kontakt halten.»
        Herrick verdaute langsam die Information. Die in Antigua herrschende Erregung und die eifrigen Vorbereitungen hatten ihn nicht im geringsten daran zweifeln lassen, da? eine Schlacht bevorstand. Und er wu?te, da? inzwischen die meisten stolzen Schiffe, die er vor Anker gesehen hatte, ausgelaufen waren, um nach Rodneys Plan Graf de Grasse zu finden und zu stellen.
        Bolitho fuhr abwesend fort:»Eine Kette von Schiffen riegelt die Karibische See ab. Eine Meldung, da? der Feind gesichtet ist, und die Jagd beginnt. «In seiner Stimme lag keinerlei Erregung.»Unglucklicherweise liegt Martinique hundert Meilen sudlich von unserem Patrouillengebiet, Mr. Herrick. Und dort ist de Grasse mit der Hauptmasse seiner Schiffe. Er wartet nur den rechten Augenblick ab, um nach Jamaika vorzusto?en. «Er drehte sich zu Herrick um.»Wenn Rodneys Fregatten melden, da? die Franzosen ausgelaufen sind, wird ihn unsere Flotte angreifen. «Er zog die Schultern hoch, eine halb argerliche, halb verzweifelte Geste.»Wir aber werden dabei so nutzlos sein wie ein Wegweiser in der Wuste.»

«Aber die Franzosen konnen auch hier entlangkommen, Sir. «Herrick spurte, wie Bolithos Verbitterung seine eigene Zuversicht beeintrachtigte. Wahrend er sprach, ging ihm der Grund fur Bolithos Geringschatzung der Cassius auf. Rodney hatte Admiral Napiers kleinem Geschwader die unwesentlichste Aufgabe bei diesem umfassenden Plan zugeteilt.

«Ja, man hat schon Wunder erlebt, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Aber nicht in unseren Tagen.»

«Verstehe, Sir. «Herrick wu?te nicht, was er darauf antworten sollte.
        Bolitho betrachtete ihn ernst und klopfte ihm dann auf den Arm.»Mr. Herrick, ich bin heute morgen kein guter Gesprachspartner. «Er zuckte zusammen und fuhr sich uber die Seite.»Ich bin dankbar, da? die Kugel nichts Lebenswichtiges getroffen hat, aber ich wurde nichts vermissen, wenn ich nicht dauernd daran erinnert wurde.


«Sie sollten sich mehr Ruhe gonnen, Sir.»

«Es fallt mir schwer, stillzusitzen, Mr. Herrick. «Bolitho legte die Hand uber die Augen und musterte die Segel.»So viel geschieht im Augenblick. «Er begann auf und ab zu gehen, Herrick fiel in den gleichen Schritt, um neben ihm zu bleiben.»De Grasse verla?t seine Schlupflocher, ganz bestimmt. «Er sprach im Takt seiner schnellen Schritte.»Sie haben den plotzlich ausbrechenden Sturm erlebt, der Ihnen die Chance schenkte, die Andiron zu bestreichen. Eine Seltenheit in dieser Jahreszeit. Doch spater. .«, er lachelte grimmig, wahrend er sich erinnerte, spater im Jahr, August und September, peitscht ein Hurrikan nach dem anderen Westindien. Lassen Sie sich gesagt sein, Mr. Herrick, de Grasse wird bald herauskommen. Er wird sein Gluck vor der Hurrikansaison versuchen. »

«Aber welchen Weg wird er nehmen?«fragte Herrick.

«Vielleicht den durch die Martinique-Passage. Aber gleich, welchen Weg er wahlt, er wird direkt auf das zentrale Karibien zuhalten. Zwischen ihm und Jamaika liegen tausend Meilen. In einem solchen Bereich kann man eine ganze Flotte aus den Augen verlieren. Wenn wir ihn nicht gleich beim Auslaufen aufspuren, entdecken wir ihn erst wieder, wenn es zu spat ist.»
        Herrick nickte. Endlich erfa?te er bis ins Letzte, was der Kapitan meinte.»Er hat Truppen und Kanonen. Er kann jedes Gebiet besetzen, das er haben mochte.»

«Genau das. Die Manner und Magazine, mit denen wir auf Mola zu tun hatten, waren nur ein winziger Teil seiner militarischen Starke. Er hatte gehofft, ungehindert nach Jamaika zu segeln. Jetzt wei? er, da? wir auf der Lauer liegen. Das wird seine Eile noch beschleunigen. «Er blieb stehen und starrte auf den leeren Horizont.»Wenn wir es nur wu?ten. . Wenn wir nur lossegeln und es selber herausfinden durften. «Doch dann merkte er, da? er sich gehen lie?, und sagte kurz:»Kehren Sie auf Ihren Posten zuruck, Mr. Herrick. Ich mochte noch weiter daruber nachdenken.»
        Herrick ging an die Reling zuruck, und wahrend die Sonne auf die zundertrockenen Decks herabgluhte, sah er Bolithos Schatten standig hin und her und auf und ab wandern. - In seinen Fahnrichstagen hatte Herrick oft davon getraumt, da? er einmal den Rang eines Leutnants erreichen wurde. Langsam war er dann befordert worden und hatte seine Beforderungen an der Fahigkeit oder Unfahigkeit seiner Vorgesetzten gemessen. Und die ganze Zeit uber hatte er die Vorstellung gehegt, da? man ihm eines Tages ein eigenes Kommando ubertragen wurde. Doch wahrend er jetzt Bolithos ruhelosen Schatten beobachtete und sich die nagenden Gedanken ausmalte, die ihm Gesellschaft leisteten, war er sich seines Wunsches nicht mehr ganz so sicher.
        Der Vormittag war halb vorbei, als die Pfeifen» Ruhrt euch!«trillerten. Mehr oder minder erleichtert warfen sich die Matrosen der Phalarope in die Schattenflecke, um die kurze Pause so ausgiebig wie moglich zu genie?en.
        John Allday blieb an seinem Arbeitsplatz. Er hatte die Beine uber dem Backborddavit gespreizt. Der Kluver schutzte seinen gebraunten Korper vor der stechenden Sonne. Auf dem vordersten Teil des Schiffes hatte er den einen der gro?en Anker abgekratzt, und wahrend er nun behaglich uber der kleinen Bugwelle hockte, stemmte er einen Fu? auf das starke Querstuck des Ankers und fuhlte dessen Warme an der nackten Fu?sohle. Ihm im Rucken rakelten sich die anderen Leute des Arbeitskommandos. Rauch wirbelte aus langen Pfeifen und farbte die Luft uber den Kopfen.
        Old Ben Strachan griff nach einem neuen Tau und prufte das Auge, das einer der Schiffsjungen eben gesplei?t hatte.»Nicht schlecht, Junge, gar nicht schlecht. «Er saugte gerauschvoll an seiner Pfeife und lie? den Blick uber das Deck der Phalarope gleiten.»Ist das der Kapitan, der da auf und ab wandert?»
        Pochin, den Kopf auf den kraftigen Armen, murmelte:»Wer sonst? Mu? verruckt sein, oben in der Hitze zu bleiben, wenn er unten in seiner Kajute sein kann.»
        Allday lie? ein Bein baumeln und sah nachdenklich in das klare Wasser hinab. Pochin machte sich noch immer Sorgen uber Onslows Au?erungen im Kutter. Er war gereizt, weil er sich schuldig fuhlte. Schon allein die Tatsache, da? er dem
        Gerede zugehort hatte, konnte ausreichen, als Verschworer bezeichnet zu werden. Allday drehte sich ein wenig herum und bemerkte, da? ihn Herrick vom Achterdeck her beobachtete. Der Leutnant nickte ihm fluchtig zu, ehe er sich wieder seinen eigenen Gedanken widmete, und Allday entsann sich plotzlich jenes Augenblicks auf der abbrockelnden Klippe, als er Herrick vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt hatte. Obwohl er sich ursprunglich vorgenommen hatte, bei den internen Auseinandersetzungen auf der Phalarope keine Stellung zu beziehen und sich jeder Parteinahme zu enthalten, wurde ihm langsam klar, da? solches Beiseitestehen nicht nur unmoglich, sondern sogar gefahrlich war. Allday mochte Herrick, und er erkannte auch, worum es dem Dritten ging, der sich stets die Klagen seiner Untergebenen anhorte und nie vorschnell Strafen erteilte. Aber Herrick war trotzdem kein Narr.
        Allday sah, da? der Kapitan noch immer an der Luvreling hin und her ging, ohne Rock, das Hemd bis zur Brust aufgeknopft, sein dunkles Haar im Nacken zusammengebunden. Der Kapitan war schwerer zu durchschauen, doch es beruhigte Allday, ihn wieder am gewohnten Platz zu sehen. Allday kannte das Ansehen der Familie Bolitho wahrscheinlich besser als alle anderen. In Falmouth hatte er gehort, was man in den Kneipen uber die Bolithos redete. Ja, er kannte sogar das Elternhaus des Kapitans. Merkwurdig, sich vorzustellen, da? der Bruder auf der anderen Seite kampfte. Man sagte, da? Bolithos Bruder aus der Navy desertiert sei. Ein Verbrechen, fur das es nur eine Strafe gab: die Schlinge um den Hals.
        Allday fuhr aus seinen Gedanken auf, denn Ferguson kam vom Hauptdeck herauf. Er wirkte befangen. Durch seine sauberen Sachen stach er auffallig von den muden und verschwitzten Matrosen ab, die seine Gefahrten gewesen waren. Ferguson rutschte einen Moment nervos hin und her, ehe er sagte:»Glaubst du, da? es wieder zu Kampfen kommt?»
        Pochin wandte ihm den Kopf zu und knurrte:»Du solltest es wissen. Du sitzt doch an der Quelle!»
        Allday griente.»Achte nicht auf Nick. «Leiser setzte er hinzu:»Hat sich Onslow wieder an dich herangemacht?«Er sah, da? Fergusons blasse Augen zuckten.

«Nicht sehr. Er verbringt blo? manchmal seine Freiwache mit mir.»

«Nun, ich habe dich gewarnt, Bryan. «Allday sah ihn fest an.»Ich habe mit keiner Seele an Bord daruber gesprochen, aber ich bin uberzeugt, da? er eine Menge mit Mathias' Tod zu tun hat. «Da Ferguson unglaubig das Gesicht verzog, fugte er scharf hinzu:»Ich bin mir dessen sogar sicher.»

«Warum sollte er es getan haben?«Ferguson versuchte zu lacheln, aber sein Mund blieb schlaff.

«Er taugt nichts. Er kennt nur sich. «Seine Hand glitt uber den geschnitzten Ankerbalken.»Ich hab schon fruher ein paar von seiner Sorte getroffen, Bryan. Sie sind gefahrlich wie Wolfe.»

«Er wird keine Unruhe anzetteln«, sagte Ferguson.»Das wagt er nicht.»

«Nein? Und warum fragte er dich dann wegen der Kajute aus? Er wartet blo? seine Zeit ab. Solche Bruder haben gro?e Ausdauer.»

«Der Kapitan will keine Unruhe. «Fergusons hastige Handbewegungen verrieten, wie nervos er war.»Er hat Mr. Vibart gesagt, da? er sich gut um die Manner kummern soll, und wie er sie behandelt sehen will.»
        Allday seufzte.»Da hast du es. Du erzahlst sogar mir, was du gehort hast. Wenn du nicht aufgeknupft werden willst, dann behalte lieber fur dich, was du wei?t.»
        Ferguson starrte ihn an.»Das brauchst du mir nicht zu sagen. «Er kniff verargert den Mund zusammen.»Du bist genau wie die anderen. Du beneidest mich um meinen Posten.»
        Allday wandte sich ab.»Mach, was du willst. «Er wartete, bis er Ferguson fortgehen horte. Dann drehte er sich um, gerade als Onslow vom Gro?mast aus Ferguson in den Weg trat, grinste und ihm auf die Schulter klopfte.

«Was meinst du?«brach Pochins harte Stimme in seine Gedanken,»meinst du, da? Onslow richtig handelt?«Es klang beunruhigt.»Wenn es noch Unruhe auf diesem Schiff gibt, sind wir alle mit drin und mussen Farbe bekennen.»

«Du warst schon dumm, wenn du auf so einen horen wurdest. «Allday versuchte, seinen Worten Gewicht zu verleihen.»Au?erdem wird der Kapitan sowieso kurzen Proze? mit ihm machen, wenn er etwas versuchen sollte.»

«Vielleicht. «Pochin wiegte zweifelnd den Kopf.»Unter einer franzosischen Breitseite sterben, ist eins, aber ich will mein Leben auch nicht fur solche Kerls wie Onslow aufs Spiel setzen.»
        Die Pfeifen trillerten, und die Matrosen machten sich wieder an die Arbeit. Allday hob nicht die Augen, als Bootsmann Quintal und Bootsmannsmaat Josling heraufkamen, um die Back zu inspizieren.»Ich habe eben gesehen, da? die alte Cassius signalisiert hat, Mr. Quintal«, sagte Josling.

«Aye, wir schwenken gleich in unser Patrouillengebiet ein«, antwortete Quintal mit tiefer Stimme.»Wird sich hinziehen, die Sache. Ich denke, Sie mussen die Leute immer gut beschaftigt halten. Nichts ist der Disziplin so abtraglich wie zu viel freie Zeit. «Das Ubrige konnte Allday nicht verstehen, weil die beiden zum Bugspriet gingen. Aber er hatte genug gehort.
        Die Phalarope wurde also wieder allein sein, au?erhalb der Sicht des Flaggschiffs. Der Bootsmann hatte recht. Die Hitze und die Eintonigkeit einer Patrouillenfahrt konnten gut und gern den Boden schaffen, auf dem Onslow Unruhe saen wurde, wenn er Gelegenheit dazu fand. Er schielte auf seine stummen Gefahrten, jeder war anscheinend in seine Arbeit vertieft, und doch dachte jeder bestimmt an den grunen Streifen Land, den sie vor kurzem hinter sich gelassen hatten. Kein Matrose hatte den Fu? an Land gesetzt. Einige waren seit Jahren nicht von Deck gekommen. Es uberraschte kaum, wenn Leute wie Onslow eine willige Zuhorerschaft fanden.
        Allday legte die Hand uber die Augen und blickte zur Kimm. Der Zweidecker kam ihm schon kleiner vor. Der Rumpf der Cassius verschwamm im Hitzedunst, der sich unter dem klaren Himmel ausbreitete. Ihre Segel hatten sich zu einer einzigen leuchtenden Pyramide zusammengeschoben, und wahrend er hinuberblickte, sank sie immer tiefer unter den glitzernden Horizont. Noch eine Stunde, und die Cassius wurde vollig verschwunden sein. Und danach, uberlegte Allday nuchtern, konnte man niemandem mehr trauen.
        Tief unter der Back, auf der Allday gedankenverloren sa?, lag das Kabelgatt der Phalarope. Im Hafen war es ein geraumiger, leerer Raum, doch jetzt, wahrend die Fregatte lautlos uber das ruhige Wasser glitt, fullten es die dicken Ankertrossen bis zu den Decksbalken. Ducht auf Ducht turmten sich die schweren, vom Salz hart gewordenen Trossen, und ihr Geruch vermischte sich mit dem sauren Gestank der Bilge und den Geruchen nach Teer und Hanf. Starke, senkrechte Stander beiderseits der geschwungenen Bordwand hielten das Kabelgut von den Spanten ab, damit man jederzeit an die Au?enhaut herankonnte. Diese Zimmermannsgange, wie sie genannt wurden, liefen unterhalb der Wasserlinie um den gesamten Rumpf, damit die Au?enhaut inspiziert und notfalls wahrend eines Gefechts ausgebessert werden konnte. Sie waren kaum breiter als ein Mensch und gewohnlich vollig finster. Doch jetzt, wahrend die Bugwelle trage um die Planken platschte und Ratten auf ihrer endlosen Futtersuche hin und her huschten, fiel aus einer kleinen, abgeblendeten Laterne ein gespenstisches Licht auf die aufgeturmten Kabel. Verschwommen wurde
es auf die Gesichter der Manner zuruckgeworfen, die sich in dem schmalen Gang drangten.
        Onslow hob die Laterne hoher und musterte die wartenden Matrosen. Er brauchte sie nur zu zahlen, um sicherzugehen, da? sich niemand eingeschlichen hatte. Er kannte jedes Gesicht, jeden Namen.»Wir mussen schnell machen, Jungs. Sie vermissen uns, wenn wir zu lange weg sind.»

«Gebt acht, was er sagt«, e rtonte wie ein Echo Pooks Stimme.
        Onslows Zahne schimmerten in der Dunkelheit. Seine Beine zitterten vor Aufregung, als hatte er auf leeren Magen Rum getrunken.»Wir drehen von den anderen Schiffen ab. Ich glaube, es ist bald soweit. Dauert nicht mehr lange, bis wir unseren Plan ausfuhren konnen. «Er horte Beifallsgemurmel und grinste noch starker. Da? er unseren Plan statt meinen Plan sagte, trieb die Manner an wie ein Peitschenhieb. Nach dem, was mir Ferguson gesagt hat, will Bolitho nach Suden halten. Die Phalarope steht am Ende der Patrouillenkette. Also kann uns kein anderes Schiff in die Quere kommen.»
        Aus der Dunkelheit fragte eine Stimme:»Aber wie sollen wir paar Leute das Schiff nehmen und. . «Pook stie? ihm in die Rippen, und der Mann lie? den Satz aufstohnend fallen.

«Das uberla?t mir«, sagte Onslow ruhig.»Ich sage euch, wie und wann. «Sein Blick glitt uber die Reihe geduckter, dunkler Gestalten: alle, die mit ihm von der Cassius gekommen waren, und einige von der Phalarope dazu. Es waren mehr, als er je zu hoffen gewagt hatte.»Wir mussen zuerst mit den verdammten Seesoldaten fertig werden. Ohne ihre roten Rocke auf dem Achterdeck geht alles ganz leicht.»

«Und was ist mit Allday und solchen Brudern?«fragte Pook.

«Ach ja«, lachelte Onslow hamisch,»Master John Allday.»

«Die anderen horen auf ihn«, sagte Pook duster.

«Aber wenn ihm was zusto?t, kriegen wir noch ein paar mehr auf unsere Seite, wie? In Gedanken war Onslow seinen Worten schon voraus.
        Alle erstarrten, als uber ihnen schwere Tritte ertonten. Nachdem sie sich entfernt hatten, fuhr Onslow fort:»Ich glaube, Allday ahnt, was mit Mathias geschah. Er ist zu gewitzt, um am Leben bleiben zu durfen. «Er packte Pook beim Arm.»Am besten, wir machen einen Martyrer aus ihm, wie?«Er lachte hohl.»Wir konnen gar nichts Klugeres tun.»
        Wieder lie? sich die unsichere Stimme horen.»Sie werden uns niedermachen, ehe wir auch nur einen Finger ruhren konnen.»

«Ich werde dich niedermachen, du Esel!«Onslow verlor fur einige Sekunden seine gute Laune. Dann sagte er ruhiger:»Also, jetzt hort mal alle gut zu. Wir mussen noch ein bi?chen warten, um unter den anderen noch mehr Unruhe zu stiften. Sobald die Zeit reif ist, sage ich euch, wie wir vorgehen. Dieser Idiot von Ferguson halt das Logbuch des Kapitans fur mich im Auge, damit ich wei?, wo wir sind. Wenn wir ein bi?chen naher an irgendeiner Insel sind, ist es dann soweit. «Er schnippte mit den Fingern.»Habt ihr die Waffen, die wir von der Insel Mola mitgebracht haben, gut verstaut?»
        Pook nickte.»Die entdeckt keiner.»

«Gut. Dann geht jetzt zuruck an eure Arbeit. Und seht zu, da? ihr nicht auffallt. Ihr seid sowieso alle gezeichnete Leute, also gebt den Schweinen keine Chance, euch festzunageln.»
        Er verfolgte, wie sie aus dem truben Lichtkreis in die Finsternis krochen, und verspurte Zufriedenheit. Wie er diesen armen Schafen gesagt hatte, war es nur noch eine Frage der
        Zeit.



        XIV Blut und Wasser

        Tobias Ellice, der Arzt der Phalarope, richtete sich keuchend auf und warf den schwei?fleckigen Verband zum Heckfenster hinaus.»In Ordnung, Sir. Sie konnen jetzt aufstehen, wenn Sie wollen. «Er trat zuruck, als Bolitho die Beine uber die Seite schwang und auf die Fu?e kam.
        Ellice wischte sich das nasse Gesicht ab und betrachtete die rohe Narbe, die uber Bolithos Rippen lief.»Kein schlechtes Stuck Arbeit, wenn ich das selber sagen darf. «Er glanzte vor Schwei? und fuhr sich mit der Zunge uber die Lippen.»Und eine Arbeit, die durstig macht, ohne Frage.»
        Bolitho beruhrte die Narbe mit den Fingerspitzen. Er stand vor dem offenen Fenster, und das bi?chen frische Luft spielte uber seine nackte Haut. Schon, da? er den Verband los war! Er hatte ihn standig an die Andiron und das, was davor lag, erinnert. Aber er wollte die Vergangenheit ruhen lassen. Die Gegenwart brachte Argernisse genug, mit denen er fertig werden mu?te.
        Vor vierzehn Tagen hatten sie mit dem Geschwader in Antigua abgelegt, und fast jeder Tag war wie der heutige gewesen. Kaum ein Wind, der den Namen Brise verdient, ein bi?chen Kuhlung gebracht oder gar die hungrigen Segel gefullt hatte. Dafur die ganze Zeit eine gluhende Sonne, die selbst den Himmel auszubleichen schien. Die Nachte brachten wenig Erleichterung. Die Luft in den Zwischendecks blieb feucht und stickig, und die ermatteten Matrosen wurden an den Rand der Verzweiflung getrieben, weil sie in einem fort an die Brassen gepfiffen und dann wieder weggeschickt wurden, weil der Wind sich gelegt hatte, ehe ein einziges Segel bedient werden konnte.
        Genug, um das standhafteste Herz zu brechen, dachte Bolitho. Dazu kam die Tatsache, da? sie kein einziges Segel gesichtet und nichts von den Ereignissen jenseits des fernen Horizonts erfahren hatten. Er mu?te alle Kraft zusammennehmen, um die eigene Ungeduld zuruckzudrangen.

«Was machen die Manner?«Er griff nach einem sauberen Hemd, zog dann aber die Hand zuruck. Das alte mu?te reichen. Was hatte es fur einen Sinn, seinen Diener damit zu plagen, mehr als unbedingt notwendig zu waschen?
        Ellice zuckte mit den Schultern.»Frohlich sind sie gerade nicht, Sir. Es ist schon schlimm genug, auch ohne da? sie die ganze Zeit uber nach einem Schluck Wasser lechzen.»

«Wasser ist kostbar, Mr. Ellice. «Die Ration hatte jetzt auf eine Pinte pro Kopf und Tag herabgesetzt werden mussen, was beileibe nicht ausreichte. Aber wer wu?te schon, wie lange diese Patrouille dauern wurde? Er hatte die Tagesration an Mm Taylor, wie der herbe Wei?wein aus dem Versorgungsdepot genannt wurde, heraufgesetzt, aber das schaffte nur zeitweilige Abhilfe. In wenigen Stunden waren die Leute genauso durstig wie vorher.»Ich mu? so viel frisches Obst ausgeben lassen wie moglich«, murmelte er vor sich hin.»Die einzige Moglichkeit, Krankheiten vorzubeugen.»
        Sonderbar, welch ein Geschrei und welche Debatten es in Antigua gegeben hatte, als er auf einer vollen Ladung Obst fur seine Mannschaft bestand. Vielleicht hatte der Admiral darauf angespielt, als er sagte: >Sie sind in vieler Hinsicht ein Idealist!< Doch seinem auf die Praxis gerichteten Geist kam es nur vernunftig vor. Obwohl er das Obst aus eigener Tasche bezahlt hatte, war das eine bessere Anlage als die Methode, sich bei den Mannern sonstwie beliebt zu machen. Ein tuchtiger und gesunder Matrose war weitaus mehr wert als ein Korb Fruchte. Doch das war ja nicht alles. Die Erkrankten wurden von ihren Gefahrten gepflegt, und auch deren Arbeit mu?te dann wieder von anderen mitgemacht werden. Und so ging es weiter. Doch gab es noch immer viele Kapitane, die als Ma?stab ihrer Erfolge nur die Hohe der Prisengelder kannten. Er schob das Hemd in die Hose und sagte:»Trinken Sie einen Schluck, wenn Sie wollen, Mr. Ellice. «Er sah nicht hin, als der dicke Mann schnell zum Wandschrank watschelte und sich eine gehorige Portion Brandy einschenkte.
        Ellices Hand zitterte, als er sich einen zweiten Drink eingo? und hinuntersturzte. Dann murmelte er:»Vielen Dank, Sir. Der erste heute.»
        Bolitho blickte auf das sich kaum bewegende Kielwasser. Die Sonne stand hoch am Himmel. Wahrscheinlich hatte Ellice sich schon eine anstandige Portion aus seinem Privatvorrat zu Gemute gefuhrt.»Sie sind in Antigua gar nicht an Land gegangen, Mr. Ellice? Sie hatten nur zu fragen brauchen.»
        Ellice fuhr mit der Zunge uber die Lippen, und seine Augen glitten uber die Karaffe.»Ich gehe nie mehr an Land, Sir. Aber vielen Dank. Anfanglich bin ich jedesmal wie ein liebeskrankes Madchen im Gras spazierengegangen und habe dann geweint, wenn die Kuste wieder hinter der Kimm versank. «Er sah, da? Bolitho zur Karaffe nickte, und go? sich schnell noch einen Drink ein.»Jetzt schaue ich kaum hoch, wenn das Schiff auslauft. «Er schuttelte den Kopf.»Au?erdem habe ich sowieso alles gesehen.»
        Es klopfte. Ehe Bolitho >herein< rufen konnte, wurde die Tur aufgesto?en, und Leutnant Vibart stampfte in die Kajute. Er sah uberanstrengt und wutend aus und platzte sofort mit seiner Nachricht heraus.»Ich mu? melden, da? wir kaum noch Frischwasser haben, Sir.»
        Bolitho musterte ihn einige Sekunden.»Was sagen Sie?»
        Vibarts Blicke flogen durch die Kajute.»Ich habe den Kufer drau?en. Es durfte Zeit sparen, wenn er Ihnen selber Meldung erstattet.»
        Bolitho ignorierte Vibarts ungebuhrliches Benehmen.»Holen Sie ihn herein. «Er war froh, da? er mit dem Rucken zum Heckfenster stand, so da? sein Gesicht im Schatten lag. Alles schien sich gegen ihn zu verschworen und ihn zu verhohnen. Eben hatte er die vorrangige Sorge offen mit Ellice diskutiert, da loderte sie auch schon wie ein Feuerbrand auf.
        Mr. Trevenen, der Kufer der Phalarope, war ein zwergenhafter, fur seine extrem schwachen Augen bekannter Unteroffizier. Er hatte zu lange Jahre in zu vielen dunklen Laderaumen zugebracht. Jetzt war er halb blind wie ein Nachtgeschopf. Wahrend er unter Bolithos festem Blick unruhig blinzelnd von einem Fu? auf den anderen trat, wirkte er klein und wehrlos.
        Bolitho unterdruckte das Mitleid, das er bei den seltenen Begegnungen mit dem Kufer stets empfand.»Nun, heraus damit, Mann! Was, zum Teufel, haben Sie entdeckt?

        Trevenen schluckte.»Ich habe meine Runden gemacht, Sir. Ich mache sie immer donnerstags, ja. Wenn man nach einem System inspiziert, kann man - »

«Sagen Sie es ihm, Sie alter Narr!«bellte Vibart.

«Zwei Drittel meiner Fasser enthalten plotzlich brackiges Salzwasser, Sir«, sagte er leise und sah zu Boden.»Ich verstehe es nicht.
        So lange ich auch schon zur See fahre, so etwas habe ich noch nicht erlebt.»

«Halten Sie Ihr Maul, verdammt!«Vibart sah aus, als wollte er auf den zerknirschten Kufer losgehen.»Gestehen Sie, da? Ihnen in Antigua ein Irrtum unterlaufen ist. Sie sind so verflucht blind, da? Sie den Unterschied nicht gemerkt haben. Wenn es nach mir ginge, wurde ich. .»
        Um Zeit zu gewinnen und sich von dem Schock zu erholen, sprach Bolitho sehr langsam.»Bitte, Mr. Vibart! Ich denke, ich kann die Bedeutung dieser Meldung auch so ermessen. «Er wandte sich wieder Trevenen zu.»Sind Sie sich Ihrer Feststellung vollig sicher?»
        Der Kufer nickte heftig.»Kein Irrtum moglich, Sir. «Er sah den Kapitan an. Sein Gesicht schien blo? aus den blassen Augen zu bestehen.»In all den Jahren, die ich - »

«Ich wei?, Mr. Trevenen, Sie haben es uns gerade gesagt. «Und dann scharf:»Sehen Sie gleich mal selbst nach den Fassern, Mr. Vibart. Trennen Sie die mit Frischwasser von den anderen. Und lassen Sie das Salzwasser wegschutten und die Fasser reinigen. «Er ging zum Tisch und beugte sich mit gerunzelter Stirn uber die Karte.»Wir sind hier. «Er tippte mit dem schweren Zirkel auf die Karte.»Etwa funfzig Meilen sudwestlich von Guadeloupe. «Er langte nach dem Lineal und schob es uber das dicke Pergament.»Sudlich von uns liegen einige kleine Inseln. Sie sind unbewohnt und werden von niemandem genutzt, es sei denn, um unbotma?ige Matrosen auszusetzen. «Er zeichnete ein kleines Kreuz auf die Karte.»Lassen Sie alle Mann an Deck pfeifen, Mr. Vibart, und bereiten Sie alles zum Halsen vor. So gering die augenblickliche Brise auch ist, fur unseren Zweck reicht sie. «Dann sah er Trevenen an.»Was auch der Grund fur den Verlust sein mag, wir brauchen Wasser, und zwar schnell. Also bereiten Sie mit Ihrem Kommando alles vor, um einen Vorrat Frischwasser zu ubernehmen. «Trevenen blinzelte, als erlebe er ein Wunder.»In zwei
Tagen sind wir unter Land, wenn es auffrischt, sogar fruher. Ich kenne die Inseln.
«Er beruhrte die Narbe unter dem in die Stirn fallenden dunklen Haar.»Auf einigen gibt es Bache und Teiche.»

«Aber die Befehle des Admirals, Sir!«sagte Vibart schwer.

«Sollen die Leute vielleicht verdursten, Mr. Vibart?«Bolitho starrte von neuem auf die Karte.»Aber wenn Sie besorgt sind, soll mein Schreiber im heutigen Patrouillenbericht eine Eintragung vornehmen. «Er lachelte verzerrt.»Sollte mir wieder etwas zusto?en, sind Sie dadurch gegenuber Sir Roberts Zorn gedeckt.»
        Ellice sagte gedankenverloren:»Ich habe das schon erlebt. Zwei Leute liefen vor Durst Amok.«»Na, Ihnen kann das jedenfalls nicht passieren, denke ich«, sagte Vibart bissig.
        Bolitho mu?te trotz seiner Sorgen lacheln.»Machen Sie weiter, Mr. Vibart. Lassen Sie die Leute auf ihren Stationen antreten. Ich komme gleich hinauf. «Er wartete, bis die Tur geschlossen war, ehe er zu Ellice sagte:»Das haben Sie herausgefordert, Mr. Ellice.»
        Der Wundarzt blieb vollig gelassen.»Mit allem schuldigen Respekt vor dem Ersten Leutnant, Sir, aber er ist zu lange auf einem Sklavenschiff gefahren, wenn Sie mich fragen. Menschen betrachtet er blo? als eine verdammte Extraladung.»

«Das reicht, Mr. Ellice. «Bolithos Blick fiel auf die Karaffe. Wahrend seiner Unterredung mit Trevenen hatte sich ihr Inhalt wie durch Zauberei verfluchtigt. Meiner Meinung nach sollten Sie mal ums Hauptdeck spazieren.»
        Ellice sah ihn unsicher an. Dann grinste er.»Aye, Sir. Das werde ich. Macht mir Appetit. «Er ging gemachlich davon, sein schabiger Rock hing an ihm wie ein Sack. Regen oder schones Wetter, Sonne oder tobender Sturm - Ellice war immer gleich angezogen. Einige meinten, er schliefe sogar in seinen Sachen.
        Bolitho dachte nicht mehr an ihn, als die Pfeifen schrillten. Nackte Fu?e klatschten uber die Decks, als die Manner zum Halsen auf ihre Stationen rannten.
        Vor einer Stunde war die Phalarope uber Stag gegangen, und ihre Segel hingen platt und lustlos in der gnadenlosen Glut. Doch trotz der au?eren Stille war die Brise kraftig genug, so da? sich unter der vergoldeten Galionsfigur eine kleine Bugwelle bildete. Und am Flaggenkopf des Gro?masts flatterte der Wimpel, als verbrauche er allen Wind fur sich allein.
        Leutnant Herrick ging uber das Hauptdeck langsam nach achtern. Seine Augen wanderten von der einen Schiffsseite zur anderen und beobachteten die Manner, die an den Brassen und Tauen zerrten, bis die Leinwand endlich steif stand. Er wu?te, da? sie uber das verunreinigte Wasser und anderes sprachen, aber selbst die sonst freundlich gesinnten Leute verstummten, wenn er an ihnen voruberkam. Zwei Wochen Hitze und dumpfe Unbehaglichkeit nagten jetzt an ihren Nerven. Niemand klagte oder murrte. Das war das Schlimmste dabei. Er blieb stehen, denn Fahnrich Maynard tauchte plotzlich unterhalb des Achterdecks auf und stutzte sich schwer auf einen Zwolfpfunder. Unter der Braune war er so bleich wie der Tod, und seine Beine zitterten, als ware er nahe am Zusammenbrechen.
        Herrick trat an ihn heran.»Was ist los? Sind Sie krank?»
        Maynard sah ihn mit vor Angst fast glasigen Augen an. Erst konnte er kaum sprechen, dann stromten ihm die Worte wie eine Flut uber die trockenen Lippen.

«Ich komme gerade von unten, Sir, sollte Mr. Evans vom Orlopdeck heraufholen. «Er schluckte schwer und versuchte, zusammenhangend zu sprechen.»Ich habe ihn in seiner Kajute gefunden, Sir. «Er wurgte und taumelte.
        Herrick packte ihn beim Arm und flusterte wild:»Weiter, Junge. Was ist los, zum Teufel?»

«Gott!«wurgte Maynard hervor.»Mein Gott, Sir! Man hat ihn zerfleischt.
«Erleichtert gab er den Alptraum seiner Entdeckung weiter, und indem er Herrick anstierte, wiederholte er schwach:»Zerfleischt!»

«Sprechen Sie leise!«Herrick rang nach Fassung. Dann rief er in ruhigerem Ton:»Mr. Quintal! Bringen Sie Mr. Maynard nach achtern, und geben Sie acht, da? er nicht allein bleibt.»
        Der Bootsmann, der gerade einem Matrosen einen Verweis erteilen wollte, blickte von einem zum anderen. Er hob die Hand und sagte verdrossen:»Aye, aye, Sir. «Dann fragte er:»Ist etwas, Sir?»
        Herrick sah Quintal in das breite, zuverlassige Gesicht und antwortete tonlos: Sieht so aus, als ob der Zahlmeister tot ist, Mr. Quintal. «In den Augen des anderen zuckte Schrecken auf, und Herrick setzte hinzu:»Lassen Sie sich nichts anmerken. Das Schiff gleicht schon so einem Pulverfa?. «Er beobachtete, wie der Bootsmann den jungen Fahnrich in den Schatten des Achterdecks brachte, und blickte sich dann schnell um. Alles sah genauso aus wie vor zwei Minuten. Leutnant Okes hatte die Wache. Er stand an der Querreling und sah zu den Marssegeln hinauf. Weiter achtern sprach der Kapitan mit Vibart und Rennie, und die beiden Ruderganger standen am Rad, als waren sie seit Anbeginn der Zeiten auf ihrem Posten.
        Herrick schritt langsam zur unteren Luke. Er zwang sich, ganz ruhig zu gehen, aber das Herz schlug ihm bis zum Hals. Da alle Leute beim Segeltrimmen waren, wirkte das Unterdeck leer und merkwurdig fremd. Ein paar Laternen schaukelten an ihren Haken, und als er die zweite und letzte Leiter hinabstieg, spurte er eine Atmosphare von Drohung und Gefahr. Doch auch sie bereitete ihn nicht auf den Anblick in der winzigen Kajute des Zahlmeisters vor.
        Tief im Rumpf des Schiffes machte sich die Stille noch lastender bemerkbar, und die einsame Laterne warf von den niedrigen Decksbalken ihren begrenzten Lichtkreis auf eine Szene, bei deren Anblick sich Herricks Haare straubten. Offenbar hatte Zahlmeister Evans gerade einen Sack Mehl fur seinen Privatbedarf aussondern wollen, als der Morder zustach. Evans lag mit weit von sich gestreckten Beinen uber dem aufrecht-stehenden Sack. Das Licht der Laterne fiel auf die hellen Augen und den dunklen Blutstrom, der aus der durchschnittenen Kehle sickerte und in dem verstreuten Mehl gerann. Auch sonst war uberall Blut, und als Herrick auf die Leiche starrte, sah er, da? der Korper bestialisch zugerichtet worden war. Er lehnte sich an die Tur und fuhr sich mit der Hand uber das Gesicht. Die Handflache war kalt und feucht, und er dachte an den Schreck, den der furchtbare Anblick Maynard eingejagt haben mu?te. Niemand hatte ihn tadeln konnen, wenn er schreiend auf das Oberdeck gesturzt ware.

«Mein Gott!«Herricks Stimme hallte in der Dammerung wider. Er hatte beinahe aufgeschrien, als er hinter sich die Leiter knacken horte, und griff nach der Pistole. Doch da erkannte er Hauptmann Rennie, dessen roter Rock wie eine Spiegelung des Blutes wirkte.
        Rennie zwangte sich an ihm vorbei und betrachtete die Leiche.»Ich werde zwei meiner verla?lichsten Leute als Wache herkommandieren«, sagte er.»Bis zur Untersuchung mu? die Kajute versiegelt werden. «Er sah Herrick fragend an.»Sie wissen, was das bedeutet, nicht wahr?»
        Herrick nickte.»Ja. «Er ri? sich zusammen.»Ich werde es jetzt dem Kapitan melden.»
        Wahrend er die Leiter hinaufkletterte, rief ihm Rennie hinterher:»Seien Sie vorsichtig, Thomas. Einen Schuldigen, der Ihr Gesicht beobachtet, mu? es mindestens geben.»
        Herrick blickte zuruck zur Kajutentur und versuchte, sich ein Bild von dem ermordeten Zahlmeister zu machen.»Ich glaube, ich habe so etwas fast erwartet. «Er bi? sich auf die Lippen.»Aber wenn es dann geschieht, versetzt es einem doch einen Schock.»
        Rennie sah ihm nach und stieg dann vorsichtig uber die
        Leiche hinweg. Ohne Rucksicht auf seine auf Hochglanz geputzten Stiefel durchsuchte er methodisch die verstreute Hinterlassenschaft des Zahlmeisters.
        Mit steinernem Gesicht ging Herrick uber das Achterdeck zur Luvseite, wo sich Bolitho noch immer mit Vibart unterhielt. Er hob die Hand an den Hut und wartete, bis Bolitho sich zu ihm umdrehte.

«Ja, Mr. Herrick?«Das Lacheln auf dem Gesicht des Kapitans erlosch.»Noch mehr Arger?»
        Herrick sah sich schnell um.»Mr. Evans ist ermordet worden, Sir. «Er sprach so verkrampft und abgehackt, da? er seine eigene Stimme nicht erkannte.»Maynard hat es vor ein paar Minuten entdeckt. «Er fuhr sich mit der Hand uber das Gesicht. Es war so eiskalt, als ware er der Tote.

«Und was haben Sie in der Sache bisher unternommen, Mr. Herrick?«fragte Bolitho. Nichts verriet, was er dachte, seine Zuge waren eine teilnahmslose Maske.»Lassen Sie sich Zeit. Berichten Sie.»
        Herrick trat naher an die Reling. Seine Blicke lagen auf dem glitzernden Meer. Langsam und tonlos beschrieb er, was von Maynards Auftauchen an Deck bis zur Sekunde der Meldung geschehen war.
        Bolitho horte stumm zu. Vibart wiegte sich im Rhythmus der Schiffsbewegungen, und seine Hande offneten und schlossen sich vor Wut oder Schreck uber Maynards Entdeckung.

«Er war noch nicht lange tot«, sagte Herrick schwer, ehe er seine Meldung mit den Worten des Fahnrichs beendete:»Man hat ihn zerfleischt.»
        Hauptmann Rennie kam uber das Deck und sagte knapp:»Ich habe Posten vor die Tur gestellt, Sir. «Er sah, da? Bolitho ihm auf die Stiefel blickte, und buckte sich, um einen Fleck von dem sonst spiegelblanken Leder zu wischen, ehe er hinzusetzte: Ich habe mich gut umgesehen, Sir. Evans' Pistolen fehlen. Wurden hochstwahrscheinlich gestohlen.»
        Bolitho blickte ihn grubelnd an.»Ich danke Ihnen, meine Herren. Sie haben genau das Richtige getan.»

«Was habe ich Ihnen gesagt, Sir!«stie? Vibart hervor.»Milde ist bei diesem Abschaum sinnlos. Sie gehorchen blo? einer harten Hand.. »

«Seine Pistolen, sagen Sie?«fragte Bolitho.
        Rennie nickte.»Ja, zwei kleine. Er war sehr stolz auf sie. Mit Goldverzierungen und ziemlich wertvoll; er hatte sie aus Spanien mitgebracht. «Er schwieg, als riefe er sich, wie die anderen auch, den Zahlmeister vor Augen: einer der bestgeha?ten Leute auf dem ganzen Schiff. Man konnte sich gut vorstellen, da? er viele Feinde gehabt hatte.
        Proby kam den Niedergang herauf und tippte an seinen Hut.»Darf ich die Freiwache nach unten entlassen, Sir?«Er merkte, da? er storte, und stotterte:»Entschuldigen Sie, Sir.»

«Die Manner bleiben auf ihren Stationen, Mr. Proby«, sagte Bolitho. Alle sahen ihn an. Seine Stimme klang ungewohnt kalt, und in seinen Augen lag eine Harte, die man sonst nicht an ihm kannte.»Postieren Sie Wachen vor jeder Luke!«befahl er Rennie. Niemand darf nach unten.»

«Jetzt sehen Sie es also auch mit meinen Augen, Sir«, murmelte Vibart.
        Bolitho fuhr herum.»Jemand ist schuldig, Mr. Vibart. Aber nicht das ganze Schiff. Ich mochte nicht, da? der Mann durchschlupft, aber ebensowenig, da? seine Tat allen angekreidet wird. «Danach sagte er ruhiger:»Mr. Herrick, Sie ubernehmen mit Mr. Farquhar und dem Bootsmann das Logis. Captain Rennie durchsucht mit seinen Leuten die anderen Unterdecks. «Er sah zu den auf den Decks und den Laufplanken wartenden Seeleuten hinunter.»Mr. Vibart, Sie ubernehmen zusammen mit Mr. Brock das Oberdeck. Durchsuchen Sie jedes mogliche Versteck, jeden Kasten, suchen Sie hinter jeder Kanone, und zwar so schnell Sie konnen.»
        Er verfolgte, wie sie den Niedergang hinuntereilten, und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf das Hauptdeck. Jedem Matrosen war nun klar, da? irgend etwas los war. Er bemerkte, da? einer seinen Kameraden anstie?, und ein anderer trat furchtsam zuruck, als sich Vibart und der Artillerieoffizier durch die alles aufmerksam beobachtenden Manner drangten.
        Hatte Vibart vielleicht doch recht? Er verschrankte die Hande auf dem Rucken so fest, da? ihm der Schmerz half, Ordnung in seine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu bringen. Nein, das durfte er nicht denken.
        Die Minuten schleppten sich hin, und eine wachsende Woge der Furcht zog wie der Rauch eines Schwelbrandes uber das Hauptdeck. Die Matrosen am Fu? des Gro?mastes bildeten eine
        Gasse, damit Vibart und der Artillerieoffizier hindurchkonnten, und drangten sich dann wieder schutzsuchend zusammen. Pochin rieb sich die teerverschmierten Hande an der Hose ab und starrte Vibart wutend nach.»Was, zum Teufel, ist los?«Er hielt einen vorbeikommenden Bootsmannsmaat an.»Wissen Sie es, Mr. Josling?»
        Josling sah verstohlen zum Achterdeck.»Der Zahlmeister ist tot.»
        Unruhe packte die Wartenden. Pochin blickte Allday an, der aufmerksam am Mast lehnte.»Hast du das gehort, Mann?»
        Allday nickte und sah dann zu Onslow hinuber. Onslow stand ein wenig abseits. Er wirkte gelassen. Die Arme hingen locker herab. Doch seine harten Blicke und die sich erregt blahenden Nasenflugel verrieten eine tierhafte Wachsamkeit. Allday atmete sehr langsam aus. Er zweifelte nicht im geringsten, wem die Anklage die Hand auf die Schulter legen wurde.
        Old Strachan murmelte:»Sieht schlimm aus, wie? Ich hab so das Gefuhl, da? uns wieder mal was bevorsteht.»
        Auf dem Achterdeck wurde es plotzlich lebhaft. Alle blickten sich um, als Hauptmann Rennies Seesoldaten einen Kordon quer uber das Deck zogen. Sergeant Garwood richtete die Reihen aus und postierte sich dann neben dem Trommelbuben. Hauptmann Rennie stand gelassen vor seinen Soldaten, eine Hand auf dem Degengriff. Sein Gesicht war ausdruckslos.
        Aus dem Mundwinkel krachzte der Sergeant:»Bajonette pflanzt auf!«Die Hande bewegten sich im gleichen Takt, und die Bajonettklingen blitzten vor der vordersten Linie, ehe sie auf die langen Gewehre klickten.
        Die Spannung an Deck war fast nicht mehr zu ertragen. Jeder stand und starrte. Niemand sagte etwas oder drehte auch nur eine Sekunde lang den Kopf weg, damit ihm nicht das geringste entging. Hier und da wischte sich einer uber die schwei?nasse Stirn, und irgendwer begann nervos zu husten.
        Allday sah, da? der Kapitan mit Leutnant Herrick und dem Bootsmann sprach und den Kopf schuttelte, ob vor Zorn oder Unglauben, konnte er nicht erkennen.
        Vibart merkte, da? er nicht weiterzusuchen brauchte, und drangte sich langsam nach achtern. Seine Hande stie?en die schweigenden Matrosen beiseite, und seine Augen waren nur auf die kleine Gruppe hinter den Seesoldaten gerichtet.
        Pochin flusterte:»Jetzt werden wir es gleich wissen.»
        Allday blickte wieder zu Onslow hinuber. Eine Sekunde lang spurte er etwas wie Mitleid fur ihn. Onslow war schon so lange auf Schiffen eingepfercht gewesen, da? er kein anderes Leben als den unaufhorlichen Kampf der Unterdecks kannte.
        Kapitan Bolithos Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken, und als er nach achtern schaute, sah er ihn an der Querreling stehen. Seine Hande ruhten auf der Steuerbordkarronade, wahrend er auf die versammelte Mannschaft hinunterblickte.

«Die meisten von euch wissen bereits, da? Zahlmeister Evans tot ist. Er wurde vor kurzem in seiner Kajute grausam ermordet. «Er unterbrach sich, als Herrick einen der Niedergange hinunterstieg, um dem Ersten Leutnant etwas zu sagen. Dann fuhr Bolitho im gleichen Ton fort:»Jeder bleibt an Ort und Stelle, bis der Schuldige festgenommen worden ist.»
        Pochin, dem der Schwei? uber das Gesicht stromte, sagte heiser:»Hat der Hoffnungen! Den verdammten Zahlmeister hat doch jeder an Bord geha?t!«Doch niemand reagierte darauf oder sah ihn an. Alle Augen hafteten an Vibart, der, von Brocks gefolgt, zielstrebig uber das Hauptdeck ging.
        Selbst das Meer und die Leinwand schienen verstummt, und als Vibart unter der Gro?rah stehenblieb, horte Allday das schwere Atmen des Ersten und das Knirschen seiner Brustriemen. Die furchtbare Spannung wahrte noch einige Sekunden. Dann, wahrend Vibart seine Augen langsam uber die Gesichter gleiten lie?, trat Brock vor und hob seinen Stock.»Da ist er, Sir. Das ist der morderische Schuft.»
        Der Stock fuhr im Bogen herunter, und Allday taumelte zuruck, von dem Schlag halb betaubt. Die Wochen und Monate versanken. Er war wieder auf der Kustenstra?e, und Brock zog ihm mit demselben Stock eins uber das Gesicht, wahrend die anderen Mitglieder des Pre?kommandos den Vorfall verfolgten. Das Blut rann ihm in die Mundwinkel, und ihm drohnten die Ohren. Stimmen und Rufe ertonten rings um ihn her, doch er konnte sich weder bewegen noch schutzen, als Brock zum zweiten Mal zuschlug und der Stock ihn im Nacken traf. Vibart starrte ihn an. Seine Augen waren unter den Brauen kaum zu sehen, wahrend er verfolgte, wie Brock ihn vom Mast wegri?.

«Er war andauernd mit mir zusammen!«krachzte Old Strachan.»Er kann's nicht getan haben, Mr. Vibart!»
        Vibart schien endlich die Sprache wiederzufinden. Aber seine Worte klangen so gepre?t, als bekame er vor Wut kein Wort heraus.»Maul halten, damlicher alter Narr!«Er stie? Old Strachan beiseite.»Oder ich nehme Sie auch mit.»
        Jetzt, da der erste Schreck voruber war, drangten einige, von den hinteren geschoben, ein paar Schritte vor. Vom Achterdeck gellte ein Kommando, und die Musketen hoben sich. Sie wurden feuern, das Glitzern in Sergeant Garwoods Augen lie? daran keinen Zweifel.
        Bolitho stand noch immer an seiner Seite der Reling. Seine Gestalt zeichnete sich dunkel gegen den bleichen Himmel ab.»Bringen Sie den Mann nach achtern, Mr. Vibart.»
        Old Strachan stotterte:»Er war dauernd mit mir zusammen, ich schwore es.»
        Brock stie? Allday vor sich her zum Achterdeck und zischte:»War er das, Strachan, tatsachlich? Die ganze Zeit?»
        Strachan murmelte verwirrt:»Na, bis vielleicht mal auf eine Minute, Mr. Brock.»

«Um einen Menschen zu toten, braucht man blo? eine Minute«, sagte Brock grob.
        Allday versuchte zu sich zu kommen, wahrend er den Niedergang hinauf und an den Seesoldaten vorbei gesto?en wurde. Es kam ihm vor, als ware er ein anderer, als schaue er selber der grausamen Wirklichkeit dieser Vorgange zu. Seine Glieder waren taub, und er hatte keine Gewalt uber sie. Selbst die Stellen, an denen ihn Brocks Stock getroffen hatte, schmerzten nicht mehr. Er merkte, da? ihn Leutnant Herrick wie einen Fremden ansah. Und Mr. Proby, der Steuermann, sah weg, als konnte er es nicht ertragen, seinen Blicken zu begegnen.
        Der Kapitan schien aus dem Nichts aufzutauchen, und als er drei Schritte vor ihm stand, horte er ihn fragen:»John Allday, haben Sie mir etwas zu sagen?»
        Alldays taube Lippen bewegten sich einige Male stumm, ehe er herauswurgte:»Nein, Sir!«In der Tiefe seiner Seele schrie eine Stimme: >Sag' es ihm! Sag' es ihm!< Dann brachte er muhsam heraus:»Ich war es nicht, Sir.»
        Er versuchte, den Schatten, der die Zuge des Kapitans verbarg, zu durchdringen. Er sah die Falten um die Mundwinkel, den Schwei? auf der Stirn. Aber es hatte alles keine Realitat, war alles Teil ein und desselben Alptraums.»Kennen Sie die?«fragte Bolitho.
        Jemand hielt ihm ein Paar kleine Pistolen unter die Augen. Sie blitzten hell und bose in der Sonne.
        Allday schuttelte den Kopf.»Nein, Sir.»

«Oder das?«Bolithos Stimme verriet nichts.
        Diesmal war es ein Messer mit abgebrochener Spitze und geronnenem Blut auf dem abgegriffenen Schaft.
        Allday stierte das Messer an.»Es ist meins, Sir. «Seine Hand fuhr nach dem Gurtel, die Finger ertasteten die leere Scheide.

«Die Pistolen wurden zwischen Ihren Sachen gefunden«, sagte Bolitho.»Und Ihr Messer lag unter Mr. Evans' Spind. «Er wartete einen Augenblick, um die Worte wirken zu lassen.»Nach dem Kampf blieb es wohl dort liegen.»
        Allday schwankte.»Ich habe es nicht getan, Sir. «Die Worte blieben ihm fast in der Kehle stecken.»Warum hatte ich so was tun sollen?»
        Wie von weit her horte er Vibarts rauhe Stimme:»Lassen Sie mich ihn an die Rah hangen, Sir. Es gibt den anderen etwas zum Nachdenken, wenn er da oben zappelt.»

«Ich denke, Sie haben genug gesagt, Mr. Vibart!«entgegnete Bolitho scharf und wandte sich dann Allday zu.»Aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens hatte ich gro?e Hoffnung in Sie gesetzt, Allday. Mr. Herrick hat sich bereits fur Sie eingesetzt, aber in diesem Fall spricht nichts fur Milde. «Und nach kurzer Pause:»Gema? Absatz I der Kriegsartikel konnte ich Sie unverzuglich hangen lassen. Wie die Dinge liegen, beabsichtige ich jedoch, Sie einem Kriegsgericht zu ubergeben, sobald Gelegenheit dazu ist.»
        Vom Hauptdeck klang leises Gemurmel herauf, und Allday wu?te, da? er in den Augen der anderen bereits eine Leiche war.
        Bolitho wandte sich ab.»Legen Sie ihn in Eisen, Mr. Vibart. Aber jede unnotige Brutalitat wurden Sie vor mir verantworten mussen!»
        Allday war vollig betaubt. Er taumelte wie ein Betrunkener, als man ihn nach unten brachte. Tief unterhalb des Hauptdecks lagen zwei kleine Zellen, jede gerade gro? genug fur einen Mann. Allday sah stumm zu, wie sich die schweren Eisen um seine Hande und Fu?e legten. Doch erst als die Tur zuschlug und der Riegel vorrasselte und er in totaler Finsternis zuruckblieb, packte ihn die tatsachliche Wahrheit mit schrecklichem Wurgegriff. Es wurde lange dauern, bis die Phalarope wieder in einen Hafen einlief und die fur ein Kriegsgericht erforderliche Zahl an Offizieren zusammengebracht werden konnte. Aber wer erinnerte sich dann noch oder wen kummerte es dann, ob er unschuldig war oder nicht? Man wurde ihn als warnendes Beispiel benutzen: eine zappelnde, um sich schlagende Marionette, die, begleitet von dumpfem Trommelgerassel, langsam am Seil zur Gro?rah hinaufgezogen wurde.
        Er hammerte mit den Fausten gegen die Tur. Der Laut hallte in der Stille des Schiffsrumpfes wider. Er schlug so lange gegen die Tur, bis er fuhlte, wie ihm das Blut uber die Finger rann, bis er seine Tranen auf den Lippen schmeckte. Dann sackte er erschopft und keuchend zusammen, und nun herrschte vollige Stille, die tiefe, leere Todesstille eines Grabes.
        Leutnant Herrick lehnte mit der Schulter gegen den Gro?mast und schaute mi?mutig uber die leeren Decks. Eine Stunde der Mittelwache lag hinter ihm, und im hellen Mondlicht schimmerten Segel und Takelage wie die eines Gespensterschiffs. Ob er wollte oder nicht, er mu?te immer wieder an Allday und den ermordeten Zahlmeister denken. Vernunftigerweise hatte er sich sagen sollen, da? die Sache aus und voruber war. Lediglich eine Eintragung im Logbuch, die kurz besprochen und dann vergessen wurde. Evans war tot, und sein Morder lag unten in Eisen. Zumindest daruber sollte jeder einigerma?en zufrieden sein. Ein unentdeckter Morder, der das Logis in Schrecken versetzte oder wieder zuschlug, ware weitaus besorgniserregender gewesen.
        Er stellte sich vor, wie Allday immer wieder von neuem zustie? und die Leiche zerfleischte, bis sie kaum noch an einen Menschen erinnerte, und dann abgebruht ein Paar Pistolen stahl und sie in seinem eigenen Quartier versteckte. Es ergab alles keinen Sinn, aber ihm war klar, da? er die Beweise nur anzweifelte, weil es sich um Allday handelte.
        Kurz ehe er die Wache ubernahm, war er zu den dunklen Zellen hinuntergegangen. Er schickte den Posten zum Ende der Leiter, offnete die Tur und hielt eine Laterne in die Zelle. Allday lehnte gebuckt an der gegenuberliegenden Seite und hielt abschirmend die Hande vor die Augen. Seine Fu?e rutschten auf seinem eigenen Kot aus. Ekel und Wut, die Herrick empfunden haben konnte, waren in diesem Augenblick wie weggewischt. Er hatte lautes Leugnen oder dumpfes Aufbegehren erwartet. Statt dessen begegnete er dem Versuch, Wurde zu wahren.
        Er fragte ruhig:»Haben Sie mir noch etwas zu sagen, Allday? Ich habe nicht vergessen, da? Sie mir auf den Klippen das Leben gerettet haben. Wenn Sie mir alles erzahlen, kann ich vielleicht doch noch irgend etwas fur Sie tun.»
        Allday machte eine Bewegung, als wolle er sein langes Haar aus der Stirn schieben, und blickte auf die schweren Handschellen hinunter, ehe er bebend hervorstie?:»Ich habe es nicht getan, Mr. Herrick. Wie kann ich mich gegen etwas verteidigen, was ich nicht getan habe?»

«Verstehe. «In der Stille horte Herrick das Rascheln der Ratten und die sonderbaren, achzenden Gerausche eines Schiffs auf See.»Wenn Sie es sich anders uberlegen sollten. .»
        Allday versuchte, auf Herrick zuzutreten, taumelte aber gegen dessen Arm. Einige Sekunden lang spurte Herrick die vor Furcht schwei?nasse Haut des anderen und roch dessen Verzweiflung: ein Geruch des Todes.

«Auch Sie glauben mir nicht«, sagte Allday gepre?t.»Was soll das Ganze also?«Seine Stimme gewann ein wenig innere Kraft.»Lassen Sie mich in Ruhe. Lassen Sie mich um Gottes willen in Ruhe. «Doch als Herrick die Tur wieder verriegeln wollte, fragte Allday leise:»Was meinen Sie, Sir, ob man mich zur Verhandlung vor ein Kriegsgericht nach Hause schickt?»
        Herrick wu?te, da? die Marine gar nicht daran dachte. Die Gerechtigkeit schlug schnell und endgultig zu. Wahrend er auf die dick beschlagene Tur blickte, sagte er jedoch:»Vielleicht. Warum fragen Sie?»
        Die Antwort klang so gedampft, als hatte Allday das Gesicht zur Seite gedreht. Weil ich gern noch einmal die grunen Hugel wiedersehen wurde. Blo? ein einziges Mal. Blo? fur ein paar Minuten.»
        Die Trauer und Verzweiflung dieser Worte hatten Herrick den ganzen Tag verfolgt. Selbst jetzt, wahrend der Wache, horte er sie noch.»Verflucht!«rief er wutend. Die beiden Ruderganger richteten sich so hastig auf, als habe er sie geschlagen. Der dienstaltere Mann beobachtete besorgt, da? Herrick zum Rad kam, und sagte schnell: Sie liegt genau auf Kurs, Sir. Sud zu Ost.»
        Herrick sah ihn an und dann auf die sanft schwingende Kompa?rose. Die armen Teufel haben eine Mordsangst, weil ich laut geflucht habe, dachte er.
        Von der Leereling kam eine dunkle Gestalt langsam auf ihn zu. Es war Proby. Die Glut seiner kurzen Tonpfeife erhellte schwach seine Hangebacken.

«Konnen Sie nicht schlafen, Mr. Proby?«fragte Herrick.»Die Brise weht nur schwach, aber stetig. Sie brauchen sich heute nacht keine Sorge zu machen.»
        Der Steuermann sog gerauschvoll am Mundstuck.»Diese Nachtstunde ist die beste, Mr. Herrick. Man kann in den Wind schauen und daruber nachdenken, was man mit seinem Leben angefangen hat.»
        Herrick sah Proby von der Seite her an. Zerknitterte Zuge. Im Aufgluhen der Pfeife glich sein Gesicht einer verwitterten Skulptur. Zugleich ging etwas Beruhigendes von ihm aus. Er hatte etwas Zeitloses wie das Meer. Nach einer Weile fragte er: Was meinen Sie, Mr. Proby, ist mit Evans' Tod nun alles erledigt, oder folgt noch etwas?»

«Wer kann das wissen?«Proby verlegte sein Gewicht von einem Plattfu? auf den anderen.»So schnell vergi?t sich so etwas nicht. Aye, so schnell nicht.»
        Proby verbarg die Glut des Pfeifenkopfs plotzlich mit seiner fleischigen Hand und sagte verstohlen:»Der Kapitan ist an Deck, Mr. Herrick. «Dann, laut und sachlich: Wenn der Wind sich halt, sind wir morgen unter Land. Also gute Nacht, Mr. Herrick.

        Damit war er verschwunden, und Herrick ging zur Leereling. Er schielte zum Kapitan hinuber und sah, da? Bolitho aufrecht an der Luvreling stand. Das Mondlicht flo? uber sein wei?es Hemd, wahrend er auf die Lichtspiegelungen au?enbords starrte. Seit Alldays Festnahme hatte er das Achterdeck nie langer als fur eine Stunde verlassen, sondern war entweder an der Heckreling auf und ab gegangen oder hatte blo? auf das Meer hinausgeblickt, so wie jetzt.
        Abends hatte Herrick zufallig ein Gesprach zwischen dem Steuermann und Bootsmann Quintal mitangehort. Wahrend er nun Bolithos reglose Gestalt beobachtete, erinnerte er sich wieder ihrer Worte. >Ich hatte keine Ahnung, da? ihm Evans' Tod so nahe gehen wurde.< hatte der Bootsmann heiser geflustert. >Es scheint ihm alles ganz schon an die Nieren zu gehn.< Old Proby hatte seine Antwort genau abgewogen.
>Es ist die Tat an sich, die den Kapitan getroffen hat, Mr. Quintal. Er fuhlt sich betrogen, und das schmerzt ihn.<
        Herrick sah, da? Bolitho uber die Narbe an seiner Stirn fuhr und sich die Mudigkeit aus den Augen rieb. Proby hat recht, dachte er. Es hat ihn starker getroffen, als wir ahnen. Was einer von uns tut, es nimmt ihn mit und bedruckt ihn. Ehe er wu?te, was er tat, ging er zu Bolitho hinuber, nicht ohne es sogleich zu bedauern, denn er erwartete halb und halb, da? Bolitho sich umwenden und ihn anfahren wurde. Immerhin, das ware besser gewesen als volliges Schweigen.»Der Wind halt sich, Sir«, begann er.»Der Steuermann sagt baldige Landsicht voraus.»

«Ja, ich habe es gehort. «Bolitho schien tief in Gedanken versunken. Spritzwasser hatte sein Hemd durchna?t, es klebte ihm wie eine zweite Haut am Korper. Unter den Augen lagen tiefe Schatten. Die innere Unruhe, die Bolitho aus seiner Kajute immer wieder an Deck trieb, war fast fuhlbar.

«Soll ich Ihren Diener heraufschicken, Sir? Vielleicht mit einem hei?en Drink, ehe Sie sich hinlegen?»
        Bolitho fuhr herum, seine Augen glanzten im Mondlicht.»Ersparen Sie mir das Drumherumgerede, Mr. Herrick. Was bedruckt Sie?»
        Herrick schluckte schwer, ehe er hervorstie?:»Ich habe mit Allday gesprochen, Sir. Ich wei?, da? es nicht richtig war, aber ich fuhle mich zum Teil fur ihn verantwortlich.»
        Bolitho sah ihn forschend an.»Fahren Sie fort.»

«Er gehort zu meinen Leuten, Sir, und es kommt mir so vor, als ob weit mehr hinter der Geschichte steckte, als wir ahnen. «Er schlo? lahm:»Ich kenne ihn besser als die meisten. Er gehort zu jenen, die bestandig sind.»
        Bolitho seufzte.»Nur die Sterne sind bestandig, Mr. Herrick.»
        Herrick sagte halsstarrig:»Selbst so gesehen, kann er unschuldig sein.»

«Und Sie halten das fur wesentlich?«Es klang mude.»Sie meinen, da? das Leben eines Mannes, der so gut wie sicher fur schuldig befunden werden wird, das Nachdenken wert ist?»

«Nun, in der Tat, das meine ich, Sir. «Herrick spurte geradezu, wie der Kapitan ihn kalt fixierte.»Die Obrigkeit wird einer halben Geschichte kein Gehor. .»

«Hier drau?en sind wir die Obrigkeit, Mr. Herrick«, sagte Bolitho ungeduldig.»Und ich werde entscheiden, was zu tun ist.»
        Herrick blickte beiseite.»Ja, Sir.»

«Aber sonst bin ich ganz Ihrer Meinung, Mr. Herrick. «Bolitho schob die Haarlocke aus der Stirn und schenkte Herricks offener Verwunderung keine Beachtung.»Ich wollte es nur noch von einem anderen horen. «Und dann, plotzlich energisch:»Ich gehe jetzt besser nach unten, Mr. Herrick, ohne einen hei?en Drink. Morgen werden wir nach Frischwasser suchen und unsere Gedanken wieder auf den Krieg richten. «Er blieb einen Moment bei der Reling stehen.»Aber ich werde auch uber das nachdenken, was Sie eben gesagt haben. Es kann unter Umstanden fur uns alle wichtig sein. «Er machte ohne ein weiteres Wort kehrt und stieg den Niedergang hinab.
        Herrick sah ihm mit weit aufgerissenem Mund nach.»Na, da will ich doch verflucht sein, wenn. . «Er schuttelte den Kopf und grinste.»Na, da will ich doch doppelt verflucht sein!»



        XV Der Sturm bricht los

        Uberraschenderweise wehte der Wind stetig weiter, und zwanzig Stunden nach Probys Vorhersage klatschte der Anker der Phalarope in das klare, tiefe Wasser zwischen einigen flachen, einsamen kleinen Inseln.
        Kurz vor Einbruch der Nacht war es sinnlos, einen Landgang zu versuchen. Doch die Boote wurden ausgeschwenkt, gefiert und mit Wasserfassern beladen, damit sie am Morgen gleich einsatzbereit waren. Und mit dem ersten Tageslicht, lange bevor die Sonne den Rand des Horizonts erleuchtete, knirschten die ersten Boote auf dem schmalen, sanft ansteigenden Strand der ihnen zunachstliegenden Insel.
        Bolitho zwangte sich durch das dichte, dunkle Buschwerk oberhalb des Strands und verfolgte von dort die geschaftigen Vorbereitungen. Die Boote pullten bereits wieder zur Fregatte, um noch mehr Leute zu holen. Die bereits herubergebrachten standen dicht gedrangt beieinander, als furchteten sie die leere
        Ungastlichkeit der Insel. Ein paar Matrosen schwankten wie betrunken. Ihre Beine waren so an das Stampfen und Rollen eines Schiffes gewohnt, da? das feste Land ihnen das Gleichgewicht raubte.
        Maate bellten Befehle und hakten ihre Namenslisten ab. Und als der nachste Haufen Manner an Land war und sich zu den am Ufer wartenden Seeleuten gesellte, griffen die ersten Trupps nach ihren Fassern und Geraten und stolperten landeinwarts.
        Leutnant Okes tauchte am hohen Uferrand auf und fuhrte die Hand an den Hut.»Alle Arbeitstrupps bereit, Sir. «Er wirkte beunruhigt.
        Bolitho nickte.»Sie kennen Ihre Order, Mr. Okes. Folgen Sie der Karte, die ich Ihnen gezeichnet habe, und Sie werden das Frischwasser ohne Schwierigkeiten finden. Treiben Sie die Leute an. Sie werden jeden verfugbaren Mann brauchen, um die vollen Fasser zum Ufer zu schaffen.»
        Er sah den Kufer Trevenen an der Spitze einer anderen Abteilung forteilen, begleitet von Zimmermann Ledward, der seinen Holzvorrat zu erganzen hoffte. Hier wird er nicht viel finden, dachte Bolitho duster. Diese kleinen Inseln waren ode. Bis auf gelegentliches Wasserfassen kam hier niemand an Land. Der Erdboden war unter ganzen Lagen verrottender Vegetation verborgen, deren scharfer Geruch sich mit dem von Mowenkot und kleinen Pilzkolonien mischte.
        Weiter im Inneren erhoben sich ein paar rundruckige Hugel, von deren Kuppen aus man in jeder Richtung das Meer sah.
        Okes folgte seinen Leuten. Vor dem grunen Buschwerk zeichnete sich fluchtig Farquhars schlanke Gestalt ab, ehe auch er verschwand. Bolitho hatte den Fahnrich vorsatzlich an Okes' Seite befohlen. Es wurde beiden gut tun, beim Kommando der Hauptgruppe zusammenzuarbeiten, und sei es auch nur, um die Gespanntheit zwischen ihnen abzubauen. Man hatte den Eindruck, da? Farquhar eine Art Spiel mit Okes trieb. Seit Farquhar von der Andiron entkommen war, hatte er kein Wort mehr mit Okes gesprochen. Doch anscheinend reichte schon Farquhars blo?e Anwesenheit, um den Zweiten Leutnant in standige Aufregung zu versetzen.
        Okes hatte wahrend des Ruckzugs von der Insel Mola ubereilt gehandelt. Aber so lange er das nicht offen eingestand, lag wenig Sinn darin, die Angelegenheit zu verfolgen, dachte
        Bolitho. Er verstand Farquhar durchaus und fragte sich, wie er unter solchen Umstanden reagiert hatte. Farquhars gesunder Instinkt sagte ihm offenbar, da? eine Laufbahn aus mehr als billigen Triumphen bestehen mu?te. Sein Herkommen, die Sicherheit, die eine einflu?reiche Familie gab, und sein Selbstvertrauen befahigten ihn, seine Zeit abzuwarten.
        Herrick kam die Boschung herauf und fragte:»Kehren wir zum Schiff zuruck, Sir?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Wir wollen noch ein Stuck weiter ins Land, Mr. Herrick. «Er zwangte sich durch verdorrtes Gebusch. Sie entfernten sich vom Ufer. Herrick ging schweigend neben Bolitho und dachte uber die Fremdartigkeit der Landschaft nach. Hier fehlte das leise Rauschen der See, statt dessen war die Luft schwer von fremden Geruchen.
        Nach einer Weile sagte Bolitho:»Hoffentlich treibt Okes die Leute zur Arbeit an. Jede Stunde kann kostbar sein.»

«Denken Sie an die Franzosen, Sir?»
        Bolitho wischte sich den Schwei? vom Gesicht und nickte.»De Grasse kann inzwischen gut und gern aufgebrochen sein. Wenn er sich so verhalt, wie es Sir George Rodney vermutet, durfte seine Flotte bereits nach Jamaika unterwegs sein. «Seine Blicke wanderten verdrossen von den schlaffen Blattern zum wolkenlosen Himmel.»Kein Lufthauch. Nichts. Wir konnen von Gluck sagen, da? uns die Brise bis hierher gebracht hat.»
        Herrick atmete schwer.»Mein Gott, Sir, ich spure die Anstrengung. «Er tupfte sich das Gesicht ab.»Seit Falmouth habe ich kein Land mehr unter den Fu?en gehabt. Ich wu?te gar nicht mehr, wie das ist.»
        Falmouth. Der Name weckte eine Flut von Erinnerungen in Bolitho, wahrend er blicklos durch das dicke Gestrupp schritt. Sein Vater wurde noch immer warten, sich Gedanken machen und den Schmerz nahren, den ihm Hugh bereitet hatte. Bolitho fragte sich, was geschehen ware, wenn er bei jenem ersten furchterlichen Zusammentreffen seinen Bruder im Heck der Andiron gesehen und erkannt hatte. Hatte er dann den Angriff genauso sturmisch vorgetragen? Wenn er Hughs Tod bewirkt hatte, ware die Navy zufrieden gewesen. Aber im tiefsten Innern wu?te Bolitho, da? diese Tatsache den Kummer seines Vaters nur gesteigert und sein Gefuhl des Verlustes nur noch erhoht hatte.
        Vielleicht fuhrte Hugh bereits ein anderes Schiff. Bolitho wischte den Gedanken fort. Einem Mann, der es zulie?, da? die Andiron in die von ihr selbst gestellte Falle ging, wurden die Franzosen nicht noch einmal ein Prisenschiff anvertrauen. Und die amerikanische Rebellenregierung besa? zu wenig Schiffe. Nein, Hugh hatte in diesem Augenblick genug eigene Probleme.
        Bolitho dachte auch an Vibart, in dessen Obhut die Fregatte augenblicklich war. Merkwurdig, wie Evans' Ermordung den Ersten beruhrt hatte. Bolitho hatte Evans fur einen Speichellecker gehalten, aber nie und nimmer fur Vibarts Freund. Doch Vibart schien durch Evans' Tod einen Vertrauten verloren zu haben, durch den seine Isoliertheit gemildert worden war. Bolitho wu?te, da? Vibart ihm Evans' Tod ankreidete und da? er Allday als den offensichtlichen Tater ha?te. Vibart betrachtete Menschlichkeit als Sentimentalitat. Beides galt ihm als nutzloses Hindernis bei der Pflichterfullung.
        Bolitho wu?te auch, da? er mit Vibart nie uber etwas einer Meinung sein wurde. Seine Leute menschenwurdig zu behandeln, Verstandnis fur ihre Probleme zu haben und ihre Loyalitat zu gewinnen, das stand fur Bolitho obenan. Zugleich aber wu?te er, da? er mit diesem schwierigen und verbitterten Mann auskommen mu?te, denn das Kommando eines Kriegsschiffs lie? wenig Raum fur personliche Abneigung unter den Offizieren.
        Bolitho blieb plotzlich stehen und deutete mit der Hand auf einen Punkt.»Ist das ein Seesoldat?»
        Herrick blieb neben ihm stehen, er atmete schwer. Zwischen den schlaffen Blattern blitzten rote Rocke auf. Und gerade als Bolitho hinuber wollte, tauchte Sergeant Garwood an der Spitze eines Zuges schwitzender Seesoldaten auf.»Was tun Sie hier an Land, Sergeant?«fragte Bolitho scharf.
        Garwood fixierte einen Punkt hinter Bolithos Schulter.»Mr. Vibart hat alle Seesoldaten ausgeschickt, Sir. «Er schluckte schwer.»Allday ist entflohen, Sir. Wir sollen ihn wieder festnehmen.»
        Herrick rang nach Luft. Schwei? lief ihm uber das Gesicht. Es verriet Schrecken und Enttauschung.

«Ach so. «Bolitho unterdruckte die aufsteigende Wut und fragte ruhig:»Und wo ist Hauptmann Rennie?»

«Auf der anderen Seite der Insel, Sir. «Garwood sah nicht gerade glucklich aus. Die Ablosung entdeckte, da? der Posten vor der Zelle mit einer Keule niedergeschlagen worden war. Er lag bewu?tlos da, und der Gefangene war weg. Die Fesseln sind ihm abgenommen worden.»

«Also ist noch ein anderer beteiligt. «Bolitho fixierte das bronzefarbene Gesicht des Sergeanten.»Wer fehlt noch?»
        Der Seesoldat holte tief Luft.»Ihr Schreiber, Sir, Ferguson.»
        Bolitho wandte sich ab.»Nun ja. Ich nehme an, Sie suchen besser weiter, da Sie nun einmal hier sind. «Er blickte dem sich erleichtert entfernenden Mann nach und sagte dann gepre?t:»Es war ubereilt von Mr. Vibart, alle Seesoldaten an Land zu schicken. Sollte die Phalarope vor Anker von einem feindlichen Schiff uberrascht werden, reicht die Bemannung zur Abwehr nicht aus. «Er machte abrupt kehrt.»Kommen Sie, wir gehen zuruck zum Ufer.»
        Herrick sagte geknickt:»Ich bin ganz unglucklich, Sir. Ich habe das Gefuhl, mehr Tadel denn je zu verdienen. Ich habe Allday vertraut und Ferguson ausgewahlt.»

«Wie sich erwiesen hat, haben wir uns beide geirrt, Mr. Herrick«, sagte Bolitho tonlos.»Ein Unschuldiger fluchtet nicht. «Danach setzte er hinzu:»Und Mr. Vibart hatte seine Urteilsfahigkeit nicht durch seinen Zorn truben lassen durfen. Allday wird auf dieser Insel bestimmt umkommen. Er wird verruckt werden, wenn das Schiff fortgesegelt ist, und Ferguson fur seine Rettung aus der Zelle nicht danken.»
        Sie eilten uber den Strand. Die dosenden Gasten in der Gig fuhren hoch, als die zwei Offiziere an Bord kletterten. Die Gig glitt langsam uber das stille Wasser. Bolitho hob die Hand an die Augen und blickte zu der vor Anker liegenden Phalarope. Die Sonne kam eben uber den nachstgelegenen Hugel, und die Rahen und Masttopps schimmerten wie Gold.

«Was werden Sie tun, Sir, wenn die Seesoldaten Allday fangen?»

«Diesmal werde ich ihn an die Rah hangen, Mr. Herrick. Um der Aufrechterhaltung der Disziplin willen bleibt mir gar keine andere Wahl. «Bolitho sah zum Land zuruck.»Darum hoffe ich, da? sie ihn nicht finden.»
        Der Buggast macht die Gig fest, und Bolitho zog sich durch die Schanzpforte.»Warum haben Sie die Gig nicht angerufen, Mann?«fragte Herrick, der ihm dichtauf folgte, ungewohnlich barsch.
        Der Matrose am Fallreep stotterte:»Entschuldigen Sie, Sir. Ich - ich. . «Er lie? den Satz fallen und starrte zum Achterdeck, wo eine dichte Gruppe Matrosen stand. Gerade als Bolitho klar wurde, was geschehen war, ruckten die Matrosen vor, und die aufgehende Sonne funkelte auf ihren erhobenen Musketen.
        Herrick stie? Bolitho beiseite und wollte den Degen ziehen, doch ein gro?er Matrose hob eine Pistole und rief:»Ruhren Sie keinen Finger, Mr. Herrick. «Er deutete zum Achterdeck.»Sonst geht es dem da schlecht.»
        Im Niedergang tauchten zwei Mann auf. Zwischen sich schleppten sie den um sich schlagenden Fahnrich Neale. Einer der beiden Matrosen zog ein Messer aus dem Gurtel, setzte es Neale an die Kehle und grinste dabei zu den beiden Offizieren hinunter.
        Der hochgewachsene Matrose - Onslow, wie Bolitho jetzt erkannte - kam langsam uber das Hauptdeck. Die Pistole war noch immer auf Herrick gerichtet.»Werfen Sie Ihren Degen fort, Mr. Herrick. «Er grinste.»Wenn nicht, dann. .»

«Tun Sie, was er sagt, Mr. Herrick!«Das Funkeln in Onslows Augen verriet Bolitho, da? der Mann nur darauf wartete, jemanden zu toten. Er konnte die aufgestaute Wildheit kaum noch im Zaum halten. Eine falsche Bewegung, und jede Aussicht, das Blatt zu wenden, war dahin.
        Der Degen knallte auf die Planken. Onslow stie? ihn beiseite und rief scharf: Nehmt euch der Gigbesatzung an und schafft die Bruder zu den anderen Knaben. «Er klopfte mit der Pistole an seine Nase.»Entweder schlie?en sie sich uns an, oder die Fische fressen sie. «Einige lachten, ein wuster, explosiver Laut und bruchig vor Spannung.
        Bolitho musterte Onslow. Der erste Schock machte abwagender Vorsicht Platz. Jeder Kapitan furchtete solche Situationen. Manche verdienten sie, andere gerieten durch unkontrollierbare Umstande hinein. Jetzt war es ihm passiert und der Phalarope.
        Es war Meuterei.
        Onslow wartete, bis die Leute der Gig nach unten getrieben worden waren, ehe er sagte:»Wir lichten Anker, sowie ein bi?chen Wind weht. Wir haben den Steuermann unten.
        Entweder er oder Sie bringen das Schiff ins offene Wasser.»

«Sie sind wahnsinnig«, sagte Herrick heiser.»Dafur wird man Sie hangen.»
        Der Pistolenlauf sauste herab, und Herrick brach in die Knie. Seine Hande fuhren zur Stirn. Bolitho sah Blut uber Herricks Finger sickern und sagte kalt:»Und wenn kein Wind aufkommt, Onslow? Was machen Sie dann?»
        Onslow nickte. Er musterte Bolitho.»Eine gute Frage. Nun, wir haben ein gutes kleines Schiff unter den Fu?en. Wir konnen jedes Boot, das uns entern will, in den Grund bohren, meinen Sie nicht?»
        Bolitho verzog keine Miene. Er sah klar, da? Onslow Anla? zur Zuversicht hatte. Obwohl ihm die anderen Seeleute und Rennies Seesoldaten zahlenma?ig uberlegen waren, war Onslow hier der Konig. Wurden die Kanonen mit Kartatschen geladen, konnte eine Handvoll Manner die Boote auf Abstand halten. Er blickte nach der Sonne. Es wurde noch Stunden dauern, bis Okes sich an den Ruckmarsch zum Ufer machte.»Dann geht also alles auf Ihr Konto?«fragte er langsam.
        Ein kleiner Matrose, der nach Rum stank, hupfte um die beiden Offiziere herum.»Er hat's getan! Genau wie er versprochen hat.»

«Halt's Maul, Pook«, fauchte Onslow. Dann sagte er zu Bolitho gewandt:»Ihr Schreiber hat mir Bescheid gesagt, als wir in der Nahe von Land waren. Ich brauchte also blo? noch Salz in die Frischwasserfasser zu schutten. «Er lachte, die Einfachheit des Planes belustigte ihn.»Dann, als Sie hierher steuerten, brachte ich diese Ratte Evans um.»

«Sie mussen sich vor Allday ziemlich gefurchtet haben, da? Sie ihm einen Mord in die Schuhe schoben«, stellte Bolitho fest.
        Onslows Blicke flogen uber das Deck.»Das war einfach notwendig. Solange die Seesoldaten an Bord sind, sagte ich mir, haben ein paar von meinen angstlicheren Freunden vielleicht nicht den Mut, das Schiff zu ubernehmen. «Er zuckte mit den Schultern.»Darum habe ich Allday befreit, und die damlichen Seesoldaten sind ihm dann auch richtig nachgehetzt, ganz wie ich's erwartete.»

«Sie haben sich selbst ans Messer geliefert, Onslow. «Bolitho lie? sich keinerlei Erregung anmerken.»Aber denken Sie auch an die anderen. Wollen Sie denn, da? alle baumeln?»

«Seien Sie still!«rief Onslow.»Und danken Sie Gott, da? ich Sie noch nicht an die Gro?rah geknupft habe. Ich tausche das Schiff gegen unsere Freiheit ein. Danach kriegt uns keine verfluchte Marine mehr in die Klauen.»

«Sie sind ein Narr, wenn Sie das glauben«, sagte Bolitho noch schroffer, um seine steigende Verzweiflung zu verbergen.
        Der Kopf flog ihm nach hinten, als Onslow mit dem Handrucken zuschlug.»Still!«Auf den Ausruf hin drangten sich noch mehr Manner um die Offiziere. Sie zerrten Herrick hoch und fesselten ihm die Hande auf dem Rucken. Er war noch benommen, und uber sein Gesicht stromte Blut.

«Warum setzen Sie die Offiziere nicht an Land?«schlug Bolitho vor.»Sie nutzen Ihnen doch nichts.»

«Na, Kapitan, da irren Sie sich aber. «Onslows gute Laune kehrte zuruck.»Geiseln! Fur Sie kriege ich vielleicht auch einen guten Preis. «Er lachte.»Aber. .»

«Warum nicht lieber gleich umbringen?«brullte Pook und schwenkte sein Entermesser. Uberla? sie mir!»
        Onslow sah Bolitho an.»Da sehen Sie es, nur ich kann Sie retten.»

«Was haben Sie mit dem Ersten Leutnant gemacht?«Bolitho bemerkte, wie Pook einen Matrosen anstie?.»Haben Sie ihn umgebracht?»
        Pook kicherte.»Kaum. Den sparen wir uns fur spater auf, fur eine kleine Volksbelustigung.»

«Er hat genug von uns auspeitschen lassen, Kapitan«, sagte Onslow.»Nun wollen wir mal sehn, wie die Neunschwanzige seinem fetten Hintern gefallt.»

«Uberlegen Sie, was Sie tun, Mann«, stammelte Herrick.»Sie verkaufen das Schiff dem Feind.»

«Sie sind mein Feind!«Onslows Nasenflugel blahten sich.»Ich mache mit dem Schiff, was ich will, und mit Ihnen auch.»

«Immer mit der Ruhe, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Sie konnen nichts tun.»

«Gesprochen wie ein wahrer Gentleman. «Onslow grinste.»Immer das Beste, wenn man einsieht, da? man geschlagen ist. «Dann rief er scharf:»Schlie?t sie unten ein, Jungs. Und den ersten Schweinehund, der was versucht, legt ihr um.»
        Einige grollten unzufrieden, sie lechzten nach Blut. Doch sie waren alle verdammt. Bolitho erkannte klar, da? sie, vom Rum umnebelt, Onslows sorgfaltigen Plan nur zur Halfte begriffen.

«Sowie es auffrischt, segeln wir, Jungs«, sagte Onslow.»Uberla?t den Rest ruhig Harry Onslow.»
        Herrick und Bolitho wurden uber das Deck und in die finstere Enge eines kleinen Laderaums gesto?en. Gleich darauf wurden Fahnrich Neale und Steuermann Proby hineingeschoben. Dann schlug die Tur zu. Ziemlich hoch in der Bordwand befand sich ein kleines rundes Loch. Es diente zur Luftung der normalerweise hier lagernden Vorrate, die, wie Bolitho annahm, die Meuterer fur den eigenen Gebrauch woanders hingeschafft hatten.

«Es… Es tut mir leid, Sir«, schluchzte Neale.»Ich habe meine Pflicht schlecht erfullt. Ich hatte die Wache, als es passierte.»

«Es war nicht Ihre Schuld, mein Junge«, sagte Bolitho.»Diesmal stand alles gegen Sie. Es ist die reine Ironie: Onslow blieb auf dem Schiff, weil man ihm an Land nicht traute.»

«Mr. Vibart war in seiner Kajute«, sagte Neale gebrochen.»Sie hatten ihn beinahe umgebracht. Onslow hat es in letzter Sekunde verhindert.»

«Nur aufgeschoben«, sagte Herrick trube, um dann voller Wut hinzuzusetzen:»Diese Narren! Die Franzosen und Spanier denken nicht daran, mit Onslow etwas auszuhandeln. Das haben sie auch gar nicht notig. Sie entern einfach die Fregatte und nehmen die ganze Bande gefangen.»

«Mir ist das ebenso klar wie Ihnen, Mr. Herrick«, sagte Bolitho.»Aber wenn auch die Meuterer dahinterkommen, haben sie keinen Grund mehr, uns am Leben zu lassen.»

«Verstehe, Sir. «Herrick versuchte, Bolitho im Dunkel zu erkennen.»Und ich dachte. .»

«Sie dachten, ich hatte die Hoffnung aufgegeben?«Bolitho atmete langsam aus.»Noch nicht. Nicht kampflos. «Er stieg auf eine leere Kiste und spahte durch das kleine Luftungsloch. Das Schiff war vor Anker ein wenig geschwelt, und er sah ein Stuck Strand und dahinter einen niedrigen Hugel. Aber keinen Menschen. Er hatte es auch nicht erwartet.

«Zwei der Meuterer kenne ich gut«, stotterte Proby.»Tuchtige Leute, haben nicht den geringsten Grund, solchem Abschaum wie Onslow und Pook zu folgen. «Dann, gepre?t:»Wird ihnen aber nichts nutzen. Man wird sie fangen und mit den ubrigen aufknupfen. »
        Herrick rutschte aus und fluchte.»Verdammt!«Er tastete mit den Fingern herum. Ranzige Butter, stinkt wie Bilgenwasser.»
        Bolitho legte den Kopf nach hinten und lauschte auf das Stampfen der Fu?e und das gellende Gelachter.»Sie haben sich nicht nur Butter genommen, Mr. Herrick. Sie werden bald so betrunken sein, da? sie. . «Er dachte daran, wie das Messer an Neales Kehle gefunkelt hatte. Der zweite Akt wurde gleich folgen. Blo? zu trinken, das wurde die Meuterer bald langweilen. Sie wurden sich beweisen wollen - durch Toten.

«Versuchen Sie doch mal, ob Sie zu mir heraufsteigen konnen, Neale. «Er merkte, wie der Fahnrich zu ihm auf die Kiste kletterte.»Was meinen Sie, kommen Sie durch das Luftungsloch?»
        Neale blinzelte in den Sonnenstrahl, der durch das Loch fiel.»Es ist sehr eng, Sir«, sagte er zweifelnd, setzte dann aber entschlossen hinzu:»Ich will es versuchen, Sir.»

«Was haben Sie vor, Sir?«fragte Proby.
        Bolitho fuhr mit den Handen um die kreisrunde Offnung. Ein Durchla? von kaum zehn Zoll. Er drangte die aufkeimende Erregung zuruck. Es mu?te einfach versucht werden.
        Er sagte:»Wenn Neale da durchkame.. «Er unterbrach sich.»Die Butter. Schnell, Neale, raus aus Ihren Sachen!«Er stie? Herrick an.»Wir schmieren ihn mit Butter ein, Herrick, dann gleitet er hindurch wie ein Wischer durchs Kanonenrohr.»
        Neale zog sich aus und stand ungelenk in der Mitte des Laderaums. Im schwachen Licht des Luftungslochs schimmerte sein schlanker Korper wie eine Statue. Bolitho fullte sich die Hande mit ranziger Butter und schmierte Neales Schultern ein. Herrick beteiligte sich an der Arbeit.

«Wo stecken die loyalen Leute, Neale?«fragte Bolitho.

«Im Kabelgatt, Sir. «Neale klapperte laut mit den Zahnen.»Der Arzt und einige der Alteren auch.»

«Das habe ich mir gedacht. «Bolitho trat zuruck und wischte sich die Hande an der Hose ab.»Horen Sie, Neale. Wenn wir Sie durch das Loch kriegen, konnen Sie dann am Bugstag entlangklettern?»
        Neale nickte.»Ich werde es versuchen, Sir.»

«Die anderen sind im Kabelgatt eingesperrt. Wahrend ich die Wachen ablenke, offnen Sie die Tur und lassen sie heraus. «Er legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. Aber wenn Sie entdeckt werden, dann vergessen Sie, was ich gesagt habe. Springen Sie uber Bord und schwimmen Sie um Ihr Leben an Land. So schnell holt Sie niemand ein. «Und zu den anderen:»So, und nun helfen Sie mir!»
        Neale war so glitschig wie ein Fisch, und beim ersten Versuch hatten sie ihn fast fallengelassen. Herrick schlug vor:»Zuerst den einen Arm, Neale, dann den Kopf.
«Sie versuchten es nochmals. Der Laderaum lag in totaler Finsternis, wahrend sie den sich windenden Fahnrich durch das Luftungsloch pre?ten. Er stohnte vor Schmerzen, und Proby sagte:»Welch ein Gluck, da? er nicht dicker ist.»
        Noch ein letzter Ruck, dann war er hindurch. Sie warteten ein paar bange Sekunden auf einen Anruf von Deck. Dann erschienen Neales Augen in der Luftungsluke. Sein Gesicht war hochrot, und seine aufgescheuerte Schulter blutete. Aber er wirkte seltsam entschlossen.

«Machen Sie alles in Ruhe, Neale. Und riskieren Sie nichts Unnotiges!«sagte Bolitho leise.
        Neale verschwand, und Herrick sagte:»Nun ist er wenigstens aus dem Ganzen heraus, falls es zum Schlimmsten kommt.»
        Bolitho blickte ihn scharf an. Es war beinahe, als habe Herrick seine Gedanken gelesen. Er erwiderte ruhig:»Eher schicke ich die Phalarope zur Holle, als da? ich sie dem Feind in die Hande fallen lasse, Mr. Herrick. Daruber seien Sie sich klar.

        Danach setzte er sich hin und wartete stumm.
        John Allday lehnte sich erschopft gegen einen gro?en Felsbrocken und rang nach Atem. Ein paar Schritte entfernt lag Bryan Ferguson wie eine Leiche. Kopf und Schultern tauchten in den kleinen Teich, wahrend er in tiefen Zugen trank und nur innehielt, um keuchend Luft zu holen. Alldays Blicke tasteten den Dschungel niedriger Baume ab, durch den sie gekommen waren. Noch kein Zeichen irgendwelcher Verfolger, doch er zweifelte nicht daran, da? man bereits Alarm geschlagen hatte.

«Ich habe dir noch gar nicht gedankt, Bryan«, sagte er.»Was du getan hast, war unbesonnen.»
        Ferguson rollte sich auf die Seite und sah ihn mit glasigen Augen an.»Ich mu?te es tun. Ich mu?te es einfach.»

«Jetzt geht's auch um deinen Kopf, Bryan. «Allday betrachtete ihn kummervoll.»Aber zumindest sind wir frei. Und solange man frei ist, kann man hoffen.»
        Er hatte in seiner finsteren Zelle gelegen und auf die vertrauten Gerausche gelauscht: Boote fullten sich mit Mannern und stie?en vom Rumpf der Fregatte ab. Stille auf dem leeren Schiff. Dann plotzlich ein Schreckensschrei. Ein Korper schlug schwer gegen die Tur. Ferguson zerrte sie auf. Seine Hande zitterten, als er die Handschellen aufschlo?, und sein Mund war schlaff vor Furcht, als er kaum verstandlich von Flucht stammelte.
        Kurz vor Anbruch der Dammerung waren sie gerauschlos in das kuhle Wasser geglitten. Wie so viele Seeleute, konnte Allday kaum schwimmen. Aber Ferguson, von verzweifelter Angst getrieben, half ihm. Hustend und keuchend erreichten sie endlich die Sicherheit des Ufers. Fast wortlos rannten sie los, krochen durch dichtes Gebusch, kletterten uber herabgesturzte Felsen, ohne auch nur einmal anzuhalten, um zuruckzublicken oder zu lauschen. Jetzt befanden sie sich zwischen zwei niedrigen Hugeln, und die Erschopfung hatte sie zu einem Halt gezwungen.

«Komm«, sagte Allday,»wir mussen weiter. Den Hugel hinauf. Dort sind wir sicherer. Von der Spitze sieht man bestimmt meilenweit.»
        Ferguson starrte Allday noch immer an.»Du hattest recht, Onslow ist ein schlechter Kerl. Ich dachte, er meinte es gut mit mir, und habe ihm gesagt, was im Logbuch des Kapitans stand. Ich habe ihm erzahlt, wo sich das Schiff befand. «Er kam taumelnd auf die Fu?e und folgte Allday langsam den Abhang hinauf.»Jetzt wird mir keiner mehr glauben. Ich bin genauso schuldig wie er.»

«Wenigstens wei?t du, da? ich den Zahlmeister nicht umgebracht habe. «Allday blinzelte in die Sonne.»Viel weiter kommen wir nicht mehr. Bald Zeit, da? wir uns verstecken.»

«Onslow hat damit geprahlt. «Ferguson uberlief von neuem ein Schauder.»Nachdem sie dich eingelocht hatten, horte ich, da? er mit Pook und Pochin daruber sprach. Er ruhmte sich damit, wie er Evans umgebracht hatte.»
        Allday zog Ferguson in ein Gestrupp.»Da!«Er deutete auf die langsam weiterruckende Linie roter Punkte auf einem entfernten Abhang.»Sie suchen uns schon.»
        Ferguson stie? einen leisen Schrei aus:»Ich werde nie wieder nach Hause kommen! Ich werde Grace nie wiedersehen.»
        Allday sah ihn ernst an.»Hor auf, Bryan. Noch sind wir nicht erledigt. Vielleicht kommt eines Tages ein anderes Schiff hierher, denen erzahlen wir dann einfach, da? wir Schiffbruchige sind.»
        Die Seesoldaten entfernten sich nach rechts. In ihrem festen Schuhzeug und mit der schweren Ausrustung sind sie fur solche Suchaktionen nicht geeignet, dachte Allday. Selbst in den nackten Hugeln Cornwalls ware er ihnen entkommen. Hier war es noch leichter, weil das dichte Buschwerk Deckung bot.»Jetzt ist die Luft rein«, sagte er.»Sie suchen nach der anderen Seite. Komm weiter, Bryan.»
        Sie kletterten die Bergflanke hinauf, bis Allday neben herabgesturzten Felsbrocken ein Gewirr von Buschen entdeckte. Er warf sich ins Dickicht und blickte hinaus uber die leere Wasserwuste.»Hier sind wir sicher, Bryan. Wenn das Schiff fort ist, bauen wir uns eine Hutte, so wie meine in den Hugeln von Falmouth. Mach dir keine Sorgen.»
        Ferguson stand da und blickte aus weit aufgerissenen Augen zu seinem Freund hinunter.»Onslow will das Schiff ubernehmen, er hat es mir gesagt. Er wu?te, da? ich nichts dagegen machen konnte, da? ich ebenso schuldig bin wie die anderen.»
        Allday versuchte zu grinsen.»Du bist erschopft. Wie kann Onslow die Fregatte ubernehmen?«Sein Grinsen schlug in einen Ausdruck des Schreckens um, als ihm die tiefere Bedeutung dammerte. Er sprang auf und packte Ferguson beim Arm.»Willst du sagen, da? Onslow das alles geplant hat? Das mit dem Frischwasser, dem Mord und meiner Flucht?«Er wartete nicht auf die Antwort. Fergusons Gesichtsausdruck sagte ihm genug. Er stohnte auf.»Mein Gott, Bryan, was sollen wir tun?»
        Ferguson sagte leise:»Ich wollte es dir erzahlen. Aber es war keine Zeit dazu. Sie hatten dich sowieso umgebracht.»
        Allday nickte.»Ich wei?, Bryan, ich wei?. «Erstarrte auf die Erde.»Ich habe es vorhergesagt. «Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar.»Meuterei. Damit will ich nichts zu tun haben. «Er sah Ferguson entschlossen an.»Wir mussen zuruck und sie warnen.»

«Es ist zu spat. «Ferguson verkrampfte die Hande ineinander.»Ich kann jedenfalls nicht zuruck. Begreifst du denn nicht? Ich bin einer von ihnen. «Tranen rannen ihm ubers Gesicht.»Ich konnte die Peitsche nicht ertragen, John. Bitte, ich kann nicht.»
        Allday wandte dem anderen den Rucken zu, um sein Gesicht zu verbergen. Er blickte uber das Meer, dessen scharfe Kimmlinie alle Entfernung ausloschte.
        Du armer kleiner Angsthase. Was mu?te es Ferguson gekostet haben, den Posten niederzuschlagen und die Zelle zu offnen! Uber die Schulter hinweg sagte er ruhig: Ich wei?, Bryan. La? mir blo? Zeit, uber alles nachzudenken.»
        Also alles vergeblich. Sein Entschlu?, das Leben zu nehmen, wie es kam, sein Vorsatz, Gefahren und Schwierigkeiten so durchzustehen, da? er eines Tages heimkehren konnte, alles umsonst. Wie merkwurdig, da? gerade Ferguson, der am meisten zu verlieren hatte, durch seine Informationen die Meuterei mit ausgelost hatte.
        Ein Ungluck ist es, sagte er sich grimmig. Die Suche nach einem Meuterer gaben sie nie auf, ganz gleich, wie lange sie dauerte. Er hatte einige Meuterer in Plymouth baumeln sehen, verfaulende, augenlose Kadaver. Futter fur die Mowen und eine Warnung fur alle anderen.
        Weit drau?en auf dem glitzernden Meer bewegte sich etwas und storte die stille Leere des Horizonts. Allday lie? sich auf ein Knie nieder und hielt die Hande uber die Augen. Sie waren blind vor Schwei?. Er blinzelte und blickte dann wieder in die Richtung. Monate auf See als Ausguck hatten ihm den Seemannsinstinkt vermittelt, mehr zu erkennen, als dem blo?en Auge sichtbar war. Er drehte ganz leicht den Kopf. Noch ein Punkt, viel kleiner. Wahrscheinlich eine Meile hinter dem anderen.

«Was ist?»
        Allday setzte sich auf einen Felsbrocken.»Drau?en sind zwei Fregatten, Bryan. «Er sah Ferguson nachdenklich an.»Gro?e Schiffe, dem Aussehen nach wahrscheinlich Franzosen. «Er lie? die Worte wirken und sagte dann:»Deine Frau in Falmouth, Bryan, hei?t sie nicht Grace?»
        Ferguson nickte stumm. Er begriff nicht, worauf der andere hinauswollte.
        Allday nahm Fergusons Hand und umschlo? sie fest.»Sie wurde bestimmt nicht gern an einen Meuterer denken, wenn sie sich an dich erinnert, Bryan, nicht wahr?«Er sah, da? Ferguson kurz den Kopf schuttelte, und bemerkte die Tranen auf den sonnenverbrannten Wangen.»Und ebenso ungern wurde sie an dich als den Mann denken, der sein Schiff dem Feind in die Hand fallen lie?, ohne einen Finger zu ruhren.
«Er stand langsam auf und zog Ferguson hoch.»Wirf einen Blick auf diese Schiffe, Bryan, und dann sage mir, was zu tun ist. Du hast mir das Leben gerettet. Dafur zumindest bin ich in deiner Schuld.»
        Ferguson starrte auf die tanzenden Spiegelungen, durch Furcht und Schrecken zu verwirrt, um den Sinn hinter Alldays leisen Worten zu begreifen.»Du mochtest, da? ich mit dir zuruckgehe?«Es klang sehr verloren, doch er mu?te es wiederholen.»Mit dir zuruckgehe. .?»
        Allday nickte. Seine Blicke ruhten noch immer auf Fergusons zerqualtem Gesicht. Wir mussen zuruck, Bryan. Du begreifst das jetzt, nicht wahr?«Er legte Ferguson die Hand auf den Arm, lie? einige Sekunden verstreichen und ging dann den Abhang hinab, ohne sich umzublicken. Er wu?te, da? Ferguson ihm folgte.
        Bolitho merkte, da? sich sein Nackenhaar leicht bewegte. Er erhob sich, sah zu dem Luftungsloch hoch und sagte nach einigen Sekunden:»Spuren Sie es? Der Wind!»

«Okes kann nie und nimmer rechtzeitig zuruck sein«, sagte Herrick.»Und selbst wenn, dann. .»
        Bolitho legte einen Finger auf seine Lippen.»Still! Es kommt jemand. «Er ergriff hastig Neales Kleidungsstucke und stopfte sie durch das Luftungsloch.
        Die Tur knarrte, und Pook spahte hinein. Er fuchtelte mit einer Pistole.»An Deck. Alle!«Seine Augen glanzten, und sein Hemd war voller Rumflecken. Dann blickte er sich suchend um und brullte:»Wo, zum Teufel, ist der Kleine?»

«Durch das Luftungsloch«, sagte Bolitho.»An Land geschwommen.»

«Wird ihm auch nichts nutzen«, lallte Pook.»Verhungert er eben mit den ubrigen.»
        Fluchend und mit sich selbst redend trieb er die drei Offiziere an Deck. Onslow und einige seiner Getreuen standen beim Ruder.»Reizen Sie ihn nicht«, flusterte Bolitho Herrick zu.»Er sieht schon so gefahrlich genug aus.»
        Onslow war die Anspannung anzumerken. Als Bolitho und die anderen die Achterdeckreling erreichten, bellte er:»Also los! Bringen Sie das Schiff in Fahrt.
«Er zielte auf Herricks Leib und setzte drohend hinzu:»Ich erschie?e ihn, wenn Sie mich hinters Licht fuhren wollen.»
        Bolithos Blicke flogen uber das Hauptdeck, und er merkte, da? seine Zuversicht schwand. Etwa zwanzig Mann starrten herauf. Alle, die von der Cassius gekommen waren, und einige von der Phalarope, die als vertrauenswurdig gegolten hatten. Wie er zu Neale gesagt hatte: Pech, da? gerade diese Manner an Bord blieben, wahrend verla?lichere Leute mit den Wasserfassern an Land kommandiert worden waren. Normalerweise hatte es nichts ausgemacht. Er bi? sich auf die Lippen. Diesmal jedoch entschied es uber Tod und Leben.
        Er nickte Proby zu.»Bramsegel und Kluver, Mr. Proby. «Und zu Onslow:»Wir brauchen mehr Leute, um den Anker zu lichten.»
        Onslow bleckte die Zahne.»Ganz gut, der Versuch, aber nicht gut genug. Ich werde die Kette kappen. «Er schwenkte die Pistole.»Fur die Segel reichen die Leute.
«Sein Kinn schob sich vor.»Noch so ein Trick, und ich lege den Leutnant um. «Er zielte wieder auf Herrick.»Machen Sie weiter - Sir!»
        Bolitho spurte die Sonne auf dem Gesicht und bemuhte sich, mit dem uberwaltigenden Gefuhl der Niederlage fertigzuwerden. Er konnte nichts machen. Neales Leben hatte er schon aufs Spiel gesetzt.»Na gut, Onslow«, sagte er tonlos.»Aber ich hoffe, da? Sie es noch bedauern.»
        Von vorn riefjemand:»Da! Am Strand sind welche!»
        Onslow fuhr herum. Seine Augen funkelten.»Bei Gott, ein Boot legt ab.»
        Bolitho sah zum Ufer. Die Jolle der Phalarope kam vom Strand klar und bewegte sich auf das Schiff zu. Es sa?en nur zwei Mann im Boot. Sicher war bei der Landungsabteilung Panik ausgebrochen, als die Leute sahen, da? die Phalarope ohne sie lossegeln wollte. Mehrere Meuterer waren bereits aufgeentert, und ein Kluversegel flatterte ungeduldig in der auffrischenden Brise. Bolitho bemerkte, da? immer mehr Leute am grunen Rand des hohen Ufers auftauchten. Die Klinge eines gezogenen Degens blitzte.
        Onslow sagte langsam:»La?t das Boot so nahe herankommen, da? wir es mit einem Neunpfunder beharken konnen. «Er grinste.»Holt den verdammten Mr. Vibart herauf. Wir wollen den Hunden ein Abschiedsgeschenk machen, an das sie sich erinnern!«Und zu Bolitho:»Gehenkt wird doch, und wer ware da besser?»
        Vier Mann waren notig, um den Ersten Leutnant vom Niedergang heranzuschleifen. Seine Kleidungsstucke hingen in Fetzen. Das Gesicht war vor Schlagwunden kaum noch erkennbar. Einige Sekunden lang stierte er auf die Schlinge, die von der Gro?rah baumelte. Dann wandte er sich um und blickte zum Achterdeck hinauf. Erst jetzt bemerkte er Bolitho und die anderen. Eines seiner Augen war geschlossen, das andere richtete sich ohne Furcht oder Hoffnung fest auf Onslow.

«Na, Mr. Vibart«, rief Onslow,»dann wollen wir mal sehen, wie Sie zu unserer Melodie tanzen. «Einige lachten, als er hinzufugte:»Von da oben werden Sie einen hubschen Ausblick haben. »

«Lassen Sie ihn in Ruhe«, sagte Bolitho.»Sie haben mich, Onslow. Reicht Ihnen das nicht?»
        Aber Vibart rief:»Sparen Sie Ihre Bitten fur sich selber auf. Ich brauche Ihr verdammtes Mitleid nicht.»
        Plotzlich brullte jemand:»He, die in der Jolle sind Allday und Ferguson.»
        Mehrere rannten zum Schanzkleid, und einer fing sogar an, Hurra zu rufen. Doch Onslow befahl heiser:»Bleibt bei der Kanone. Die beiden brauchen wir hier nicht.»
        Bolitho beobachtete jede Bewegung. Ein anderer gro?er Matrose loste sich vom Ruder. Er kam naher und knurrte:»Das la? mal! Es ist Allday. Der war immer ein guter Kumpel. «Er blickte zum Hauptdeck hinunter.»Was sagt ihr, Jungs?»
        Zustimmendes Gemurmel erklang, und Pochin sagte:»Ruft das Boot langsseits.»
        Bolitho schlug das Herz wie ein Schmiedehammer. Die Jolle stie? an den Rumpf der Fregatte. Alles schwieg, wahrend Allday und Ferguson an Bord kletterten. Dann beugte sich Pochin uber die Querreling und rief:»Willkommen, John! Segeln wir also doch zusammen.»
        Aber Allday blieb unter der Steuerbordlaufplanke stehen. Auf seinem emporgewandten Gesicht lag hell die Sonne.»Mit dem segle ich nicht!«Er deutete auf Onslow.»Er hat Evans ermordet und es mir in die Schuhe geschoben. Ohne Bryans Hilfe ware ich am Galgen geendet.»

«Aber jetzt bist du frei«, entgegnete Onslow ruhig.»Ich habe nie vorgehabt, dich umzubringen. «Schwei? stand ihm auf der Stirn, und die Knochel der Hand, die die Pistole umspannte, waren wei?.»Du kannst bei uns bleiben und bist willkommen.»
        Allday schenkte ihm keine Beachtung. Er wandte sich an die Leute an Deck.»Da drau?en sind zwei franzosische Fregatten, Jungs. Soll die Phalarope ihnen wegen dieses morderischen Schweins in die Hande fallen?«Seine Stimme wurde lauter.»Und du, Pochin. Bist du so mit Blindheit geschlagen, da? du in deinen eigenen Tod rennst?«Er packte einen Mann beim Arm.»Und du, Ted, willst du das fur den Rest deines Lebens mit dir rumschleppen?»
        Alle redeten durcheinander, und selbst von oben kamen die Leute wieder herunter, um sich an der Auseinandersetzung zu beteiligen.
        Bolitho warf Herrick einen Blick zu. Jetzt oder nie, zumal er zwei bewaffnete Matrosen nach achtern kommen sah, die wissen wollten, was los war: wahrscheinlich die Bewacher der ubrigen Gefangenen. Doch Vibart handelte als erster. Die Matrosen um ihn herum hatten auf den zerschlagenen, blutenden Ersten Leutnant einen Augenblick nicht geachtet, als er auch schon aufbrullend um sich hieb und seine Wachter zu Boden streckte. In der gleichen Sekunde brullte Bolitho:»Neale! Jetzt, um Gottes willen!»
        Noch wahrend er rief, warf er sich von der Seite her mit aller Kraft gegen Onslow. Ineinander verklammert und mit Handen und Fu?en aufeinander einhammernd, rollten sie uber das Deck.
        Pook brullte vor Wut auf, als Herrick ihm die Beine unter dem Leib wegschlug. Die Pistole an sich rei?en und feuern, war fur Herrick eins. Die Kraft des Schusses ri? Pook von den Knien hoch und schleuderte ihn gegen die Karronade. Eine Gesichtshalfte und das Kinn waren nur noch blutige Fetzen.
        Irgendwie gelang es Onslow, sich freizukampfen. Mit einem gewaltigen Sprung uber die Querreling landete er mitten unter den anderen Matrosen. Seit dem Pistolenschu? standen sie erstarrt wie Salzsaulen. Onslow packte ein Entermesser und rief:»Los, Jungs. Bringt die Hunde um!»
        Bolitho ergriff Onslows Pistole, feuerte auf den Mann am Ruder und keuchte:»Nach achtern, Mr. Proby. Holen Sie Waffen!»
        Auf der Back ertonte eine unregelma?ige Salve, und die verdutzten Meuterer wichen uber das Hauptdeck zuruck, als Seeleute durch die Luken herauf quollen; sie wurden von Steuermannsmaat Belsey gefuhrt, dessen verwundeter Arm fest bandagiert war, wahrend er mit der gesunden Hand eine Enteraxt schwang.

«Die Boote kommen, Sir«, rief Herrick. Er schleuderte die leere Pistole nach einem Meuterer und packte das Entermesser, das Proby ihm hinhielt.»Mein Gott, endlich die Boote!»

«Mir nach!«rief Bolitho. Er schwang das Entermesser wie eine Sense, sturmte den Niedergang hinunter und holte mit aller Kraft aus, als ein Mann mit einer Pieke auf ihn eindrang. Die starke Klinge des Entermessers grub sich dem Angreifer in den Hals, und Bolitho fuhlte, wie ihm das warme Blut uber das Gesicht spritzte.
        Ha?lich und verzerrt blendeten Gesichter auf, gingen jedoch in Schreien unter, als er sich quer uber das Deck eine Gasse hieb, bis er bei Vibart anlangte, der gegen drei Meuterer kampfte. Gerade als sein Entermesser einem Meuterer in die Schulter fuhr, sah er ein Messer in der Sonne aufblitzen und horte Vibart vor Schmerz aufbrullen. Er sank zu Boden. In eben dem Augenblick sturzten sich die aus dem Kabelgatt befreiten Manner in das Gefecht. Einige Meuterer warfen die Waffen hin und hoben die Hande. Bolitho glitt in einer Blutlache aus. Jemand half ihm auf die Fu?e. Es war Allday. Er dankte ihm keuchend.
        Aber Allday blickte an ihm vorbei zur anderen Schiffsseite. Eingekreist von erhobenen Waffen und verlassen von seinen Mitverschworenen, stand Onslow mit dem Rucken gegen eine Kanone, das Entermesser noch in der Hand.

«Der gehort mir, Sir«, sagte Allday.
        Bolitho wollte etwas erwidern, da horte er Vibarts Stimme. Mit drei gro?en Schritten war er neben dem Ersten. Belsey und Ellice hielten Vibart bei den Schultern. Bolitho kniete sich neben den Verwundeten, dem ein dunner Blutfaden aus einem Mundwinkel rann. Vibart blickte zu Bolitho hoch. Er sah plotzlich alt und gebrechlich aus.

«Bleiben Sie still liegen, Mr. Vibart«, sagte Bolitho.»Das kriegen wir bald wieder hin.»
        Vibart hustete. Das Blut flo? ihm immer starker uber das Kinn.»Das nicht. Diesmal hat es mich erwischt. «Er wollte die Hand heben, schaffte es aber nicht. Der Arzt, den er nicht sehen konnte, schuttelte den Kopf. Nichts mehr zu machen.

«Sie haben sich tapfer gehalten«, sagte Bolitho.
        Man horte das Klirren von Stahl. Bolitho blickte uber das Deck. Allday und Onslow umkreisten einander mit blanken Entermessern. Die anderen sahen stumm zu. Das war kein Kriegsgericht. Das war die Rechtsprechung des Unterdecks.
        Bolitho blickte wieder zu Vibart hinunter.»Kann ich etwas fur Sie tun?»
        Schmerz verzerrte das Gesicht des Sterbenden.»Nichts. Sie nicht und auch kein anderer. «Er hustete wieder. Diesmal horte der Blutstrom nicht auf. Vibart starb, als die zuruckkehrenden Boote langsseits kamen und sich die Gangways mit atemlosen Leuten fullten.
        Bolitho erhob sich langsam und betrachtete den Toten. Irgendwie typisch fur Vibart. Es pa?te zu ihm, da? er bis zur letzten Sekunde unzuganglich geblieben war.
        Bolitho sah hoch. Hauptmann Rennie und Fahnrich Farquhar stiegen uber Verwundete hinweg. Ihre Gesichter waren vor Entsetzen grau und verzerrt. Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken, um seine Erregung zu verbergen.

«Setzen Sie diese Manner fest, Mr. Farquhar. Und dann machen Sie sofort mit der Ubernahme von Frischwasser weiter. Wir segeln, sowie alle Fasser an Bord sind. «Er ging langsam zur anderen Schiffsseite. Die Leute traten auseinander, um ihn hindurchzulassen, und sein Blick fiel auf Onslow, dessen Augen bereits gebrochen waren.
        Bolitho fuhlte sich plotzlich so elend und beschmutzt, als hatte er durch die Meuterei den Aussatz bekommen. Er sagte rauh:»Ich hoffe nur, da? wir uns beim Kampf gegen die Franzosen ebensogut halten wie beim Kampf gegeneinander. «Danach drehte er sich um und ging nach achtern.



        XVI Ein ganz besonderer Mann

        Fahnrich Maynard klopfte an Bolithos Kajutentur und meldete atemlos:»Empfehlung von Mr. Herrick, Sir, und wir haben eben Steuerbord voraus zwei Segel gesichtet.
«Er wagte einen fluchtigen Blick auf die Offiziere, die neben Bolithos Tisch standen.»Das Flaggschiff und die Fregatte Volcano.»
        Bolitho nickte nachdenklich.»Danke. Meine Empfehlung an Mr. Herrick. Er mochte uber Stag gehen, damit wir Verbindung aufnehmen konnen. «Und nach einer Sekunde: Und es soll alles vorbereitet werden, um die Festgenommenen zur Cassius hinuberzubringen.»
        Maynard hastete den Niedergang hinauf, und Bolitho wandte sich wieder den anderen Offizieren zu.»Nun, meine Herren, endlich haben wir das Flaggschiff gefunden.»
        Vor zwei Tagen hatte die Phalarope die kleinen Inseln hinter sich gelassen. Zwei lange Tage des Nachdenkens uber Mord und Meuterei. Bolitho hatte mit seiner ublichen Tageseinteilung gebrochen. Er erschien nicht zu den ublichen Zeiten auf dem Achterdeck, sondern verbrachte lange Stunden in seiner Kajute, wo er uber die Ereignisse nachgrubelte, sich jede Phase vor Augen fuhrte und sich mit Vorwurfen marterte.
        Er blickte auf die Karte und sagte langsam, wie zu sich selbst:»Alldays Beschreibung nach wurde ich sagen, da? die Franzosen in voller Starke ausgelaufen sind. Die beiden Fregatten waren hochstwahrscheinlich Erkundungsfahrzeuge der Hauptflotte von Admiral de Grasse. Wenn dem so ist, haben sie ihre Plane geandert.
«Er tippte mit einem Finger auf die Karte.»De Grasse wurde zu solchem Zeitpunkt keine Fregatte zwecklos einsetzen. Ich nehme an, er will die Hauptdurchfahrten meiden und die Dominica-Passage benutzen. Auf dieser Route konnte er unseren Patrouillen entgehen. «Er rollte die Karte zusammen und legte sie beiseite.»Ich werde zur Cassius hinuberfahren und mit dem Admiral sprechen. «Er blickte auf die Berichte, die sich auf dem Tisch turmten.»Sir Robert wird uber vieles nahere Auskunft wunschen. «Klingt abgedroschen, dachte er bitter, wie Details im Logbuch, bar aller Warme oder Menschlichkeit. Aber wie lie? sich die Atmosphare auf dem Hauptdeck beschreiben, als er das Gebet gesprochen hatte, ehe die in Leinwand eingenahten Leichen uber Bord geglitten waren? Leutnant Vibarts sterbliche Uberreste neben denen der toten Meuterer. Die Mannschaft hatte schweigend einen Kreis gebildet. Es war nicht nur ein Schweigen der Achtung oder der Trauer, nein, etwas viel Tieferes. Etwas wie ein Schweigen aus Scham und Schuld.
        Bolithos Augen glitten uber Okes und Rennie, Farquhar und Proby, ehe er mit gleicher Kurze fortfuhr:»Sie haben gro?e Wendigkeit und Tapferkeit bewiesen. Ich habe es im Bericht ausfuhrlich erwahnt und denke, da? Ihnen gebuhrende Anerkennung gezollt werden wird. «Er erwahnte nicht, da? ohne einen solchen Bericht des Kapitans die Geschichte der kurzen wusten Meuterei fur den Admiral und dessen Vorgesetzte alles andere uberschatten wurde. Aber selbst so reichte es vielleicht nicht aus, den Namen des Schiffes vor weiterer Unehre zu bewahren.
        Er musterte Okes scharf.»Sie ubernehmen selbstverstandlich den Posten des Ersten Leutnants, und Mr. Herrick ubernimmt unverzuglich Ihre bisherigen Pflichten.
«Seine Augen glitten zu Farquhar.»Ich habe meinem Bericht uber Sie nichts hinzuzufugen. Sie fungieren mit sofortiger Wirkung als Leutnant. Ich zweifle nicht daran, da? die Ernennung schnell bestatigt werden wird.»

«Danke, Sir«, sagte Farquhar und blickte sich um, als erwarte er, da? sich seine Umgebung mit einem Schlage vollig verandere.»Ich bin Ihnen sehr verbunden.»
        Okes sagte nervos:»Ich kann noch immer nicht glauben, da? Mr. Vibart tot ist.»

«Der Tod ist das einzig Unabwendbare, Mr. Okes. «Bolitho musterte ihn unbeteiligt. Und doch ist er das einzige, was wir nie als gegeben hinnehmen wollen.»
        Es klopfte, und Stockdale schaute hinein.»Signal vom Flaggschiff, Kapitan. Sie mochten sich so bald wie moglich zum Rapport melden. »

«Gut, Stockdale. Ruf meine Bootsmannschaft. «Und zu den anderen:»Vergessen Sie es nie, meine Herren: Die Phalarope ware beinahe durch Meuterei verloren gegangen.
«Er verharrte auf dem Wort.»Jetzt mu? sich entscheiden, ob wir durch die knappe Rettung etwas gelernt haben. «Er bemerkte die fluchtig ausgetauschten Blicke. Entweder ist das Schiff vom Ubel gereinigt oder weiter von Schande befleckt. Es liegt bei uns. Bei
        Ihnen und bei mir. «Er musterte die ernsten Gesichter.»Das ware es. Sie konnen gehen.»
        Die Offiziere waren kaum hinaus, als Stockdale wieder auftauchte. Er legte Bolithos Degen und Hut heraus und sagte:»Allday wartet drau?en, Kapitan. «Es klang mi?billigend.

«Ja, ich habe ihn rufen lassen. «Er horte das Quietschen der Blocke, als die Gig ausgeschwenkt wurde, und erinnerte sich an Stockdales entsetztes Gesicht, als er mit dem Landkommando von der Insel auf das Schiff zuruckgekehrt war. Er stierte damals auf die Blutflecken, auf die Leichen und dann auf seinen Kapitan, ehe er abgehackt sagte:»Ich hatte Sie nie allein lassen sollen, Sir. Keinen Augenblick.
«Es wirkte, als sei er der Meinung, Bolitho im Stich gelassen zu haben. Als nahme er an, da? es, ware er an Bord geblieben, nie zu der Meuterei gekommen ware.

«Schick ihn herein«, sagte Bolitho.»Er ist ein guter Seemann, Stockdale. Ich habe ihm Unrecht getan.»
        Stockdale schuttelte den Kopf, stapfte jedoch zur Tur, um den Mann zu holen, der der Meuterei den ersten Sto? versetzt hatte.
        Und unter welchem Risiko! dachte Bolitho. Allday hatte sich dem Suchkommando gestellt, obwohl er genau wu?te, da? ihn jeder fur schuldig hielt und ohne eine Erklarung abzuwarten niederschie?en konnte. Allday war auf Okes und Farquhar gesto?en. Wie es schien, hatten sie beschlossen, da? Allday versuchen sollte, das Schiff zu erreichen, nur begleitet von Ferguson. Ein richtiger und tapferer Entschlu?. Hatte Onslow gesehen, da? sich eine ganze Bootsladung dem Schiff naherte, hatte er bestimmt auf das Boot feuern lassen.
        Es klopfte, und Allday betrat die Kajute. In der wei?en Hose, dem karierten Hemd und mit dem hinten mit einer Angelschnur zusammengebundenen Haar sah er genauso aus, wie sich eine Landratte einen Seemann vorstellte. Uber eine Wange und den Hals zogen sich, wo ihn Brocks Stock getroffen hatte, diagonal zwei Narben. Bolitho sah Allday einige Sekunden an, ehe er sagte:»Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen fur das, was Sie getan haben, zu danken, Allday. Ich wunschte, ich wu?te, wie sich das Ihnen zugefugte Unrecht wieder gutmachen lie?e. «Er zog die Schultern hoch.»Aber ich kenne keine solche Moglichkeit.»
        Alldays Spannung lockerte sich ein wenig.»Ich verstehe, Sir.
        Aber es ist ja alles gut ausgegangen. Zuerst habe ich ein bi?chen Angst gehabt, wenn ich das sagen darf, Sir. «Seine Augen wurden hart.»Aber als ich dann Onslow sah, fa?te ich mich. Ich bin sehr froh, da? ich ihn zur Strecke gebracht habe.»
        Bolitho musterte Allday mit neuem Interesse. Ein scharfgeschnittenes, kluges Gesicht. Ware ihm eine Ausbildung zuteil geworden, hatte er es sicher weit bringen konnen.

«Onslow soll uns allen eine Lehre sein, Allday. «Bolitho trat an das Heckfenster und dachte an das, was ihn seit der Meuterei am meisten belastete.»Sein Leben und die Umstande haben ihn verdammt. Wir mussen darauf achten, da? weder durch Grausamkeit noch durch Mangel an Verstandnis neue Onslows geschaffen werden. «Er drehte sich um.»Nein, Allday. Ich habe im Falle Onslow versagt. Er war genauso ein Mensch wie wir alle. Nur da? er von Geburt an keine echte Chance gehabt hatte.»
        Allday sah den Kapitan erstaunt an.»Aber Sie hatten ihm nicht helfen konnen, Sir. Entschuldigen Sie, wenn ich das sage. Er war einfach schlecht, ich habe schon fruher ein paar von der Art kennengelernt.»
        Maynard steckte den Kopf durch die Tur.»Wir sind mit dem Flaggschiff auf gleicher Hohe, Sir. Die Gig ist klar zum Abfie-ren.»

«Gut. «Bolitho sah Allday an.»Kann ich irgend etwas fur Sie tun?»
        Allday trat unbehaglich von einem Fu? auf den anderen.»Da ware eine Sache, Sir.
«Er hob den Kopf, seine Augen waren plotzlich klar und entschlossen.»Ich denke an Ferguson, Sir, Ihren Schreiber. Schicken Sie ihn mit den anderen Meuterern hinuber?»
        Bolitho spreizte die Arme, damit ihm Stockdale den Degen umschnallen konnte.»Das hatte ich vor, Allday. «Er runzelte die Stirn.»Sicher, er ist mit Ihnen zuruckgekommen und hat viel getan, um den Schaden wiedergutzumachen, den er durch seine Komplizenschaft mit Onslow angerichtet hat. Aber es liegen mehrere Verfehlungen vor. Er hat die Meuterer mit vertraulichen Informationen versorgt, ohne die ein solcher Aufstand unmoglich gewesen ware. Er hat einen Posten angegriffen und einen Gefangenen befreit, uber dessen Schuld oder Unschuld noch zu befinden war. «Er griff nach seinem Hut und betrachtete ihn blicklos.»Meinen Sie, Ferguson sollte vollig straffrei ausgehen?»

«Erinnern Sie sich an das, was Sie uber Onslow gesagt haben, Sir?«fragte Allday leise.»Ferguson ist kein Seemann und wird nie einer werden. «Er lachelte traurig. Ich habe mich ein bi?chen um ihn gekummert, seit wir gepre?t wurden. Wenn Sie ihn nun hinuberschicken, werde ich das Gefuhl nicht loswerden, da? ich ihm gegenuber versagt habe. Genau wie es Ihnen mit Onslow geht.»
        Bolitho nickte.»Ich will es mir uberlegen. «Er ging zum Niedergang, wobei er sich bucken mu?te, um nicht an die Balken zu sto?en. Dann sagte er:»Schonen Dank, Allday. Sie haben ein wirkungsvolles Argument vorgebracht. «Er stieg hastig in das Sonnenlicht und sah schnell zur Cassius hinuber. Gro? und verla?lich hob sie sich von dem blauen Wasser ab; hinter ihr hatte die andere Fregatte beigedreht.
        Herrick hob die Hand an den Hut.»Die Gig ist klar, Sir. «Sein Blick flog fragend zu den gefesselten Mannern an der Schanzpforte.»Soll ich sie hinuberschaffen, wahrend Sie beim Admiral sind, Sir?»

«Wenn Sie so gut sein wollen, Mr. Herrick. «Bolitho bemerkte Allday an der Kajutenluke und setzte kurz hinzu:»Aber behalten Sie Ferguson an Bord. Mit ihm befasse ich mich selber.»

«Ferguson, Sir?«fragte Herrick verblufft.
        Bolitho sah ihn kuhl an.»Er ist mein Schreiber, Mr. Herrick! Haben Sie so schnell vergessen, da? Sie ihn mir empfohlen haben?«Er lachelte kurz und bemerkte die Erleichterung des anderen.

«Aye, aye, Sir. «Herrick trat an die Reling und lie? fur den Kapitan Seite pfeifen.
        Die Pfeifen trillerten, und Bolitho verschwand hinunter in das Boot. Herrick drehte sich um, als Old Proby murmelte:»Wie alt ist er? Funfundzwanzig, sechsundzwanzig?«Er seufzte tief.»Ich bin doppelt so alt und noch was daruber, und an Bord der Phalarope gibt's mehr wie mich. «Seine Augen folgten der kleinen Gig, die durch die Schaumkopfe auf das schwoiende Linienschiff zuglitt.»Und doch ist er wie ein Vater zu uns. «Er schuttelte den Kopf.»Ist Ihnen aufgefallen, Mr. Herrick, wie ihn die Leute jetzt ansehen? Wie Kinder, die bei was
        Schlechtem ertappt worden sind. Sie wissen, wie ihn die Meuterei getroffen hat. Und da? er unsere Schande doppelt schwer empfindet.»
        Herrick blickte Proby erstaunt an. Selten redete der Steuermann so viel auf einmal.»Ich wu?te gar nicht, da? auch Sie ihn bewundern.»
        Proby schob die hangende Unterlippe vor.»Bewundern, dafur bin ich zu alt, Mr. Herrick. Es sitzt tiefer. Unser Kapitan ist ein ganz besonderer Mann. Ich wurde mein Leben fur ihn hingeben. Mehr kann ich nicht sagen.»
        Proby drehte sich plotzlich wutend um.»Verdammt noch mal, Mr. Herrick, wie konnen Sie mich so daherschwatzen lassen!«Er schlurfte gerauschvoll uber das Achterdeck.
        Herrick ging zur Reling. Er dachte noch uber Probys Worte nach, wahrend er auf die von Seesoldaten bewachten Meuterer hinabblickte, die auf den Abtransport zur Cassius warteten. Scham und Schande ihretwegen? Herrick teilte Bolithos Gefuhl nicht. Er hatte gern jeden einzelnen eigenhandig gehenkt, wenn dem Kapitan dadurch die Last der Trostlosigkeit genommen worden ware.
        Er entsann sich des eigenen Jubels, als Okes und Rennie an Bord der Fregatte gekommen waren und ihm klar wurde, da? das plotzlich hochgezungelte Feuer der Meuterei erstickt worden war. In diesem Augenblick hatte er hinter Bolithos sorgsam zur Schau getragene Maske geblickt und war zu dem Menschen dahinter vorgedrungen. Ja, Proby hatte recht, Bolitho war ein ganz besonderer Mann.
        Fahnrich Neale trat neben ihn und richtete sein Glas auf das Flaggschiff. Herrick sah zu dem kleinen Fahnrich hinunter. Er mu?te daran denken, wie Neale sich gedreht und gewunden hatte, als sie seinen eingefetteten Korper durch das Luftungsloch zwangten. Als er dann plotzlich die Kabelgattur aufri?, mu?te das auf die festgesetzten Leute geradezu wie eine Sensation gewirkt haben. Ellice, der Arzt, hatte spater gesagt:»Da waren wir nun alle, Mr. Herrick, und dachten an Tod oder Schlimmeres, und plotzlich flog die Tur auf wie die Pforte des Himmels. «Das hochrote Gesicht des Arztes hatte sich zu einem Grinsen verzogen.»Als ich den kleinen nackten Cherubim sah, hinter dem die Sonne stand, dachte ich zuerst, ich ware gestorben, ohne da? ich es bemerkt hatte.»
        Herrick lachelte vor sich hin. Seit jenem schrecklichen Tag schien Neale gewachsen zu sein.»Wenn Sie sich weiter so halten, wird man Sie in ein paar Jahren genauso befordern wie jetzt Mr. Farquhar.»
        Neale dachte daruber nach und entgegnete dann:»Ich habe nie daran gezweifelt, Sir.
«Er errotete und setzte hastig hinzu:»Ich meine, nicht oft.»
        Sir Robert Napier ging steif zu einem kleinen vergoldeten Stuhl und setzte sich. Einige Sekunden fixierte er Bolithos unbewegliche Zuge, ehe er trocken sagte:»Sie sind ein sehr merkwurdiger junger Mann, Bolitho. Nichts berechenbar, nichts vorherzusehen. «Er klopfte mit den Fingerspitzen gegeneinander.»Aber eins mu? man zu Ihren Gunsten sagen, langweilig sind Sie nicht.»
        Bolitho wagte nicht zu lacheln. Es war noch zu fruh, um genau abzuschatzen, welche Aufnahme seine Ideen gefunden hatten. Mit nagender Ungeduld hatte er in einer angrenzenden Kajute gewartet, wahrend der Admiral seine Berichte las. Nach etwa einer Stunde war er vor den gro?en Mann befohlen worden. Zwei weitere Kapitane waren bereits anwesend: Cope von der Cassius und ein untersetzter Mann mit maskenstarrem Gesicht, in dem Bolitho Kapitan Fox von der Fregatte Volcano erkannte.

«Mir scheint«, sagte der Admiral,»Ihre Erregung uber die franzosischen Fregatten, die einer Ihrer Leute gesichtet hat, ist reichlich ubertrieben. «Er schwenkte eine Hand uber seiner gro?en, mehrfarbigen Karte.»Sehen Sie selbst, Bolitho. Die Inseln unter dem Winde und die Inseln uber dem Winde bilden von Norden nach Suden so etwas wie eine gebrochene Kette. Wenn die franzosische Flotte ausgelaufen ist - und ich sage wenn - , dann durften Sir George Rodneys Fregatten diese Tatsache gemeldet haben, und beide Seiten stehen bereits im Kampf. Ist das der Fall, was kann ich dann weiter dazu tun?«Er lehnte sich zuruck. Seine Blicke hafteten an Bolithos Gesicht.
        Bolitho sah fluchtig die anderen Offiziere an. Cope, Sir Roberts Flaggschiffkapitan, wurde sich selbstverstandlich zuruckhalten, bis ihm die Meinung seines Herrn klar war. Fox war der Mann, den es zu uberzeugen galt. Wie es hie?, war er hart, verschlossen und neigte infolge seines Alters - er war zu alt fur seinen Rang - zu ubergro?er Vorsicht.
        Bolitho breitete seine eigene Karte uber der des Admirals aus.»Der ganze Plan, die franzosische Flotte zu stellen und ins Gefecht zu ziehen, basiert auf einer Voraussetzung, Sir«, begann er ruhig.»Wir wissen, da? de Grasse seine starksten Krafte bei Martinique zusammengezogen hat, mit Sto?richtung nach Suden. Um sich mit seinen spanischen Verbundeten zu vereinen und Jamaika zu erreichen, mu? er daher alles daransetzen, sich unserer Aufmerksamkeit zu entziehen und so jede Schlacht mit uns, die ihm Schaden zufugen konnte, zu vermeiden.»
        Der Admiral sagte gereizt:»Das wei? ich selber, verdammt noch mal.»
        Bolitho fuhr gelassen fort:»Meines Erachtens waren die zwei Fregatten Fahrzeuge mit Spaherauftrag, die der eigentlichen Flotte voraussegelten. «Er fuhr mit dem Finger uber die Karte.»Er kann nordlich von Martinique segeln und, falls notwendig, zwischen den verstreuten Inseln in Gefechtslinie gehen. Danach, in dem ihm genehmsten Augenblick, kann er leicht nach Westen und wie geplant auf Jamaika zudrehen. «Bolitho sah zu Fox hinuber, dessen Augen ausdruckslos blieben, ehe er drangend hinzufugte:»Sir George Rodneys Plan hangt von einem schnellen Treffen ab, Sir. Aber angenommen, de Grasse vermag es zu vermeiden, oder, noch schlimmer, er greift uns irgendwo zum Schein an, wahrend seine Hauptmacht in Richtung Norden segelt, was dann?«Er wartete und beobachtete den Admiral, dessen blasse Augen uber die Karte wanderten.

«Die Moglichkeit besteht«, sagte Sir Robert murrisch.»De Grasse konnte alles feindliche Land umgehen und dann dicht unter befreundetem Gebiet bleiben. Guadeloupe zum Beispiel. Dadurch wurde er einer Schlacht in offenem Gewasser wie der Martinique-Passage, ausweichen. «Er nickte und wirkte plotzlich ernst.»Ihr Vorschlag birgt viele Gefahren, Bolitho.»
        Kapitan Cope sagte mi?mutig:»Wenn die Franzosen Rodney entwischen, sind wir erledigt.»

«Darf ich mir erlauben, auf etwas hinzuweisen, Sir?«fragte Bolitho.»Selbst wenn ich unrecht habe, kann mein Vorschlag kaum Schaden anrichten.»
        Der Admiral zog die Schultern hoch.»Mir liegt nichts daran, so seltenen Enthusiasmus zu dampfen, Bolitho. Aber ich verspreche auch nicht, ihm nachzugeben.

        Bolitho beugte sich uber die Karte.»Mein Schiff war hier unten auf der Suche nach Frischwasser - »

«Und damit zufallig nicht auf der ihm zugewiesenen Position«. unterbrach ihn der Admiral.

«Ja, Sir«, nahm Bolitho schnell wieder das Wort.»Setzen wir fur die Flaute einen Tag an und zwei weitere, um Kontakt mit Admiral de Grasse herzustellen, dann hatten die beiden franzosischen Fregatten Zeit genug, diese Durchfahrt zu erforschen. «Er trat zuruck, als die beiden Kapitane die Karte studieren wollten. Nordlich der Dominica-Passage liegt eine verstreute Gruppe kleiner Inseln: die Isles des Saintes. Wenn ich de Grasse ware, wurde ich darauf zuhalten. Von dort aus kann er entweder in westlicher Richtung nach Jamaika segeln oder sich in den Schutz von Guadeloupe zuruckziehen, falls ihm Rodneys Flotte zu dicht auf den Fersen sitzt. «Bolitho holte tief Luft, ehe er fortfuhr:»Wenn unser Geschwader nach Sudosten lauft, waren wir in einer besseren Position, um die Lage zu beobachten und - wenn notwendig - Sir George Rodney Meldung zu erstatten, was vorgeht.»
        Sir Robert rieb sich das Kinn,»Was meinen Sie, Cope?»
        Der Kapitan des Flaggschiffs trat unbehaglich von einem Fu? auf den anderen. Schwer zu sagen, Sir. Wenn Bolitho recht hat, und ich denke, da? er alles hochst sorgsam uberlegt hat, dann hatte de Grasse die am wenigsten vermutete Route gewahlt, um durch unsere Blockade zu schlupfen. Aber selbstverstandlich, wenn Bolitho sich irrt, dann haben wir die uns zugewiesene Position ohne vertretbaren Grund verlassen.»
        Der Admiral funkelte ihn an.»Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern. «Seine Blicke wanderten zu Fox, der sich noch immer uber die Karte beugte.»Na?»
        Fox richtete sich auf.»Ich stimme mit Bolitho uberein. «Und nach kurzer Pause: Dennoch scheint mir, Bolitho hat einen Punkt ubersehen. «Er tippte mit dem Finger auf die Bleistiftlinien.»Wenn Sir George den Admiral de Grasse von der Dominica-Passage verscheucht, sind die Froschfresser gunstiger dran. Die Brise ist zu schwach. Unsere Flotte kann sich nicht schnell genug wieder vereinigen, ehe de Grasse aufs offene Wasser hinaussturmt. «Sein Finger lief langsam in gerader Linie uber die Karte.»Aber unser Geschwader liegt dann womoglich direkt auf ihrem Fluchtweg.»
        Der Admiral bewegte sich auf seinem Platz.»Meinen Sie, ich hatte mir das nicht auch uberlegt?«Er sah Bolitho an.»Na, und was sagen Sie dazu?»

«Ich meine noch immer, da? wir in einer besseren Position waren, um Bericht zu erstatten und um den Feind zu beschatten,
        Sir.»
        Der Admiral stand auf und ging erregt auf und ab.»Wenn ich nur ein paar verla?liche Informationen bekommen konnte! Ich habe die Witch of Looe vor ein paar Tagen auf ein Spahkommando geschickt, aber was kann man bei der verdammten Flaute erwarten?«Er blickte durch die offenstehenden Heckfenster.»Manchmal liegt man tagelang so fest. Was wissen wir? Der Krieg kann schon aus sein.»

«Ich konnte mit der Phalarope allein nach Suden segeln, Sir«, schlug Bolitho vor.

«Nein!«Die Stimme des Admirals kam wie ein Peitschenhieb.»Ich werde keinem meiner Kapitane eine Verantwortung aufburden, die ich selber tragen mu?. «Er lachelte frostig.»Oder wollten Sie mir diese Entscheidung aufzwingen?«Er wartete die Antwort nicht ab.

«Nun gut, meine Herren. Wir setzen unverzuglich Segel und halten nach Sudost. «Er sah seine Kapitane der Reihe nach an.»Aber ich wunsche keine Abenteuer. Sichten wir den Feind, ziehen wir uns zuruck und erstatten Sir George Rodney Meldung.»
        Bolitho verbarg seine Enttauschung. Indes, er konnte eigentlich zufrieden sein. Schlie?lich hatte er nicht einmal das erwartet. Weder da? Sir Robert Napier zustimmen wurde, den gegenwartigen Bereich zu verlassen, noch da? er sich zu einer Unternehmung bereitfinden wurde, die sich gut und gern als ein sinnloses, zeitvergeudendes Wagnis herausstellen konnte. Als er sich umwandte, um Fox zu folgen, sagte der Admiral scharf:»Und was diese andere Angelegenheit betrifft, Bolitho«, er legte seine Hand auf den offenen Umschlag,»die werde ich auf meine Weise erledigen. Mir liegt nichts daran, da? meine Schiffe durch Meuterei befleckt erscheinen. Wir werden die Sache innerhalb des Geschwaders bereinigen. «Seine Ungeduld brach wieder durch.»Und was Leutnant Vibart anlangt, nun, da ist nichts mehr zu machen, nicht wahr. Ein toter Offizier nutzt mir nichts mehr, ganz gleich, wie er starb.»

«Er starb tapfer, Sir«, brachte Bolitho nach kurzem Uberlegen heraus.

«Auch die Christen in Rom starben tapfer«, knurrte der Admiral.»Und es ist verdammt wenig Gutes dabei herausgekommen.»
        Bolitho zog sich aus der Kajute zuruck und eilte an Deck, um sein Boot rufen zu lassen. Die See zeigte wieder kleine wei?e Schaumkopfe, und die Flagge des Admirals flatterte tapfer in der auffrischenden Brise. Gutes Segelwetter! dachte er. Und das sollte man stets nutzen.
        Den schwerfalligen Zweidecker zwischen sich, machten die Fregatten alles klar und setzten die Segel. Gegen Abend hatte der Wind leicht nachgelassen. Aber er reichte noch immer aus. Die Segel blahten sich noch prall durch die ungewohnte Kraft, als die Rahen gebra?t wurden und alle drei Schiffe auf Steuerbordhalsen gelegt wurden, damit sie uber Nacht zusammenblieben.
        Ehe die Dunkelheit die Schiffe vollig verbarg, kam es zu einem Ereignis, mit dem die ungluckseligen Vorgange der Meuterei ihren Abschlu? fanden. Bolitho wanderte gerade an der Luvseite auf und ab, als er Okes rufen horte.

«Mr. Maynard, schnell! Richten Sie Ihr Glas auf das Flaggschiff. Man scheint ein Signal zu hissen.»
        Bolitho uberquerte das Deck. Der Signalfahnrich hantierte mit seinem langen Fernrohr. Sonderbar von dem Admiral, bei so ma?iger Sicht ein Flaggensignal zu setzen. Eine Signallaterne ware besser gewesen.
        Maynard senkte das Glas und blickte die beiden Offiziere an. Ihm schien so elend zu sein wie an dem Tag, als er Evans' Leiche entdeckt hatte.»Es ist kein Signal, Sir.»
        Bolitho nahm dem Fahnrich das Glas ab und richtete es auf das Flaggschiff. Unbewegt verfolgte er, wie der kleine schwarze Punkt zur Gro?rah der Cassius hochstieg. Er pendelte wahrend der langsamen Reise zur Rah, zappelte und ruckte hin und her, so da? Bolitho geradezu die Trommelwirbel und das stetige Trampeln nackter Fu?e zu horen glaubte, die Begleitmusik, zu der die abkommandierten Manner die Meuterer langsam zur Gro?rah hei?ten.
        In einem Punkt hatte Maynard unrecht: Es war doch ein Signal, fur jeden, der es sah.
        Bolitho gab das Glas zuruck und sagte:»Ich gehe nach unten, Mr. Okes. Besetzen Sie den Ausguck mit den besten Leuten. Lassen Sie mich rufen, wenn Sie etwas sichten.
«Er sah Maynard kurz an und sagte:»Dieser Mann, wer es auch war, kannte den Preis fur seine Torheit. Die Disziplin verlangt, da? er voll bezahlt wird.»
        Er drehte sich um, ging hinunter und verabscheute sich selber wegen der kalten Unnatur seiner Worte. Im Geiste glaubte er Vibarts heisere, anklagende Stimme zu horen, die ihm seine Weichheit vorhielt. Was machte ein Toter mehr aus? Ob Fieber oder unberechenbare Unfalle, ob Tod im Kampf oder das Ende am Seil, zuletzt war es alles das Gleiche.
        Er warf sich auf sein Lager und blickte zu den Decksbalken empor. Ein Kapitan mu?te uber solchen Dingen stehen, um den lieben Gott spielen zu konnen, ohne an die zu denken, die ihm dienten. Dann erinnerte er sich an Alldays Worte und an das blinde Vertrauen, das Manner wie Herrick oder Stockdale in ihn setzten. Solche Menschen verdienen meine Aufmerksamkeit, ja meine Liebe, ging es ihm unbestimmt durch den Kopf. Macht als Tyrann auszuuben, ist ehrlos. Und ohne Ehre ist man kein Mensch.
        Mit diesem Gedanken sank er in tiefen Schlaf.»Kapitan, Sir!»
        Fahnrich Neale legte Bolitho die Hand auf den Arm und sprang erschrocken zuruck, als die Hangekoje heftig schaukelte.
        Bolitho setzte die Fu?e auf den Boden, starrte aber noch leer vor sich hin, wahrend er den Alptraum abzuschutteln versuchte. Schreiende, gesichtslose Manner hatten ihn umringt. Seine Arme waren gefesselt, und er hatte gefuhlt, wie sich die Schlinge um seinen Hals zusammenzog. Neales Hand hatte die Realitat des Alptraums nur noch verstarkt. Er fuhlte, wie ihm noch jetzt der Schwei? uber den Rucken lief.

«Was ist?«fragte er barsch. Es war noch dunkel, und er brauchte mehrere Sekunden, um zu sich zu kommen.

«Eine Empfehlung von Mr. Herrick, Sir«, meldete Neale.»Er meint, Sie sollten wissen, da? wir etwas gehort haben. «Er trat noch einen Schritt zuruck, als Bolitho sich erhob.»Es klang wie Kanonendonner, Sir.»
        Bolitho hielt sich nicht damit auf, seinen Rock zu suchen, sondern rannte so wie er war zum Achterdeck hinauf. Die Dammerung mu?te bald anbrechen. Der Himmel vor dem sanft geschwungenen Bug zeigte bereits einen blassen Streifen.

«Was ist, Mr. Herrick?«Bolitho trat an die Reling und hielt die Hande hinter die Ohren.
        Herrick sah ihn unsicher an.»Ich kann mich auch irren, Sir. Vielleicht war es Donner.»

«Hochst unwahrscheinlich. «Die Fruhbrise ging kuhl, und Bolitho frostelte.»Konnen Sie die Cassius schon ausmachen?»

«Nein, Sir. «Herrick deutete unbestimmt in eine Richtung.»Der Dunst hebt sich. Es wird wieder ein hei?er Tag.»
        Bolitho richtete sich kerzengerade auf, als plotzlich ein dumpfes Rollen uber die See hallte.»Vielleicht hei?er, als Sie denken, Mr. Herrick. «Er sah zu der prallen Leinwand hinauf.»Der Wind scheint durchzustehen. «Er bemerkte plotzlich mehrere Gestalten auf dem Hauptdeck. Alle blickten nach vorn, lauschten, fragten sich, was das Rollen bedeuten mochte.

«Lassen Sie alle Mann an Deck pfeifen«, befahl Bolitho. Er sah wieder nach oben. Im Fruhlicht erkannte er am Masttopp schon den wehenden Wimpel, der wie ein ausgestreckter Finger wirkte.»Lassen Sie die Reffs ausschutteln, Mr. Herrick. Und setzen Sie Fock und Besansegel.»
        Herrick rief nach einem Bootsmannsmaat, und wenige Sekunden spater, als die Pfeifen schrillten und die Manner an Deck gerannt kamen, herrschte auf dem Schiff reges Leben.

«Die Cassius ist noch immer nicht zu sehen, Sir«, sagte Herrick.

«Wir warten nicht auf sie!«Bolitho beobachtete, wie die Manner die Wanten hinaufschwarmten, und lauschte den barsch herausgebellten Kommandos.»Das da vorn ist Geschutzfeuer. Geben Sie sich keinem Irrtum hin.»
        Proby kam an Deck, wobei er seinen schweren Rock zuknopfte. Er schien noch halb im Schlaf. Wahrend sich das gro?e Besansegel fullte und sich das Deck unter dem Druck des Windes gehorsam neigte, eilte er zum Ruder hinuber und enthielt sich jeder Bemerkung.
        Bolitho sagte ruhig:»Zwei Strich nach Backbord abfallen, Mr. Proby. «So wie das Schiff plotzlich auf Wind und Segel reagierte, so waren auch Erschopfung und Schlaf plotzlich wie weggefegt. Er hatte recht gehabt. Das Warten war fast zu Ende.
        Er sah zu Herrick hinuber. Es war heller geworden, und das Gesicht des Leutnants war jetzt deutlicher zu erkennen. Herrick wirkte besorgt, war aber trotz der schnellen Folge der Ereignisse nicht aufgeregt.

«Wir wollen der Sache auf den Grund gehen, Mr. Herrick«, sagte Bolitho. Er deutete auf die Manner, die an den Rahen zuruckkletterten.»Ich mochte, da? an jeder Rah Schutzketten angebracht werden. Wenn wir in ein Gefecht verwickelt werden, haben unsere Leute genug mit den Kanonen zu tun. Sie sollen nicht durch herabsturzende Spieren zerschmettert werden. Und lassen Sie auch uber dem Hauptdeck Netze ausspannen. «Er zwang sich, still an der Reling zu stehen und die Hande auf dem abgegriffenen, polierten Holz ruhen zu lassen. Durch die Handflachen spurte er, wie das Schiff bebte. Es war, als waren seine Gedanken zu etwas Lebendigen geworden, das jetzt die Phalarope durchpulste.
        Aus dem anfanglichen Durcheinander hatte sich ein sinnvoller Rhythmus entwickelt. Die Wochen der Ausbildung und die Stunden beharrlicher Einweisung hatten sich gelohnt, wie sich jetzt erwies.
        Stockdale trat zu Bolitho an die Reling.»Ich hole Ihren Rock,
        Sir.»

«Noch nicht, Stockdale. Das hat noch Zeit. «Er drehte sich um, als Okes mit verschlafenem Gesicht auftauchte.»Die Leute sollen heute fruh reichlich zu essen bekommen, Mr. Okes. Ich habe das Gefuhl, als ob das Kombusenfeuer bald fur einige Zeit geloscht werden mu?. «Auf dem Gesicht des Offiziers dammerte Begreifen. Dieses Mal werden wir bereit sein.»
        Wie ein lebendes Wesen baumte sich die Phalarope auf, wenn sich der Bug hob und freudig durch jede Reihe der niedrigen Wellen schnitt. Gischt spritzte uber die Back in langen wei?en Streifen.

«Ketten angeschlagen, Sir.»

«Gut. «Es kostete ihn Muhe, gelassen zu sprechen.»Lassen Sie die Boote ausschwenken, damit sie achtern in Schlepp genommen werden konnen. Kommt es heute zum Kampf, fliegen auch ohne Bootsplanken genug Splitter durch die Gegend.»

«Was bedeutet Ihrer Meinung nach das Geschutzfeuer, Sir?«fragte Okes stockend.
        Bolitho merkte, wie mehrere Leute innehielten, um seine Antwort zu horen.»Zwei Schiffe«, erklarte er langsam.»Eins sehr viel kleiner als das andere, dem Klang der Abschusse nach. Aber so viel steht fest, Mr. Okes: feindlich kann nur eins davon sein.»
        Herrick meldete sich zuruck.»Was nun, Sir?»

«Ich gehe nach unten, um mich zu rasieren und zu waschen. Wenn ich wieder an Deck komme, erwarte ich Meldung, da? die Leute reichlich gegessen haben. Danach werden wir weitersehen.»
        Doch in seiner Kajute konnte er es kaum uber sich bringen, Zeit mit Rasieren und Umziehen zu vergeuden. Stockdale servierte ihm sein Fruhstuck, aber er konnte es nicht einmal ansehen, geschweige denn essen. Heute abend oder vielleicht schon innerhalb weniger Stunden konnte er tot sein. Oder, schlimmer noch, unter dem Messer des Arztes um Gnade schreien. Ihn schauderte. Doch es fuhrte zu nichts, daran zu denken. Mehr noch, es schadete.

«Ich habe Ihnen ein frisches Hemd hingelegt, Sir«, sagte Stockdale. Er sah Bolitho fragend an.»Ich denke, Sie sollten auch Ihre beste Uniform anziehen.»

«Um Himmels willen, warum denn, Mann?«Bolitho blickte seinem Bootsfuhrer uberrascht in das zerschlagene Gesicht.

«Das ist der Tag, Sir. Ich spure es. So war es schon mal. «Dickkopfig setzte er hinzu:»Au?erdem blickt die Mannschaft auf Sie, Sir. Die Leute wollen Sie sehen. Nach allem, was geschehen ist, wollen sie sehen, da? Sie zu ihnen gehoren.»
        Bolitho blickte Stockdale an. Die stockend vorgebrachten Worte bewegten ihn.»Wenn du meinst.»
        Zehn Minuten spater ubertonte eine Stimme schwach die Gerausche der See und der Leinwand:»An Deck! Segel in Steuerbord voraus.»
        Bolitho zwang sich, noch ein paar Sekunden zu warten. Nachdem Stockdale ihm den Degen umgeschnallt hatte, ging er zum Kajutniedergang. Das Achterdeck war voller Leute. Sie deuteten nach vorn und redeten durcheinander, verstummten aber, wahrend Bolitho zur Reling ging und sich von Maynard das Fernrohr reichen lie?.
        Durch das Muster der Takelage sah er die Schaumkopfe der
        Wogen vor dem Bug der Fregatte. Der Himmel war bereits klar, aber das Wasser schien sich noch unter dem Griff eines sich nur langsam lichtenden Nebels zu winden, der dem jungen Tag momentan noch die Warme raubte.
        Dann hatte er sie plotzlich im Glas: zwei Schiffe, dicht beieinander, die Rumpfe in eine dichte Rauch- und Nebelwolke gehullt; die zerfetzten Segel hingen korperlos uber dem weiter unten verborgenen Kampf. Deutlich sichtbar waren jedoch die Flaggen: die eine blutrot wie die, die uber ihm flatterte. Die andere rein und wei?, die Fahne Frankreichs.
        Bolitho schob das Fernrohr mit einem Ruck zusammen.»Also gut, Mr. Okes, lassen Sie Alarm trommeln. Alle Mann auf Stationen. Klar zum Gefecht. «Er sah seine Offiziere fest an.»Wir mussen uns heute mit unserer ganzen Person einsetzen, meine Herren. Wenn die Mannschaft sieht, da? wir unser Bestes geben, werden die Leute willig ihre Pflicht tun. «Er lauschte auf das ferne Geschutzfeuer.»Machen Sie weiter, Mr. Okes.»
        Die Offiziere salutierten und sahen dann einander an, als ware ihnen eben bewu?t geworden, da? es fur einige, vielleicht fur alle der letzte Tag sein konnte. Doch da begann die Trommel zu rasseln und beendete den kurzen Moment innerer Bewegung.



        XVII In Schlachtformation

        Zehn Minuten nach dem Trommelsignal war die Phalarope klar zum Gefecht. Die Decks waren gesandet, Eimer mit Wasser standen in Reichweite jeder Kanone. Uber dem Schiff lag eine sonderbare, alles beherrschende Stille, nur durch das unruhige Schlagen der Segel und das Rauschen der Bugwelle unterbrochen.
        Bolitho legte die Hand uber die Augen und betrachtete die unirdisch orangefarbene Glut der Sonne, die sich durch den nicht endenwollenden Dunst kampfte. Das Krachen und Bellen der Geschutze war mit jeder Minute unregelma?iger und sporadischer geworden. Wahrend sich die Entfernung zwischen der Phalarope und den anderen Schiffen verringerte, drangen neue Laute heruber. Sie klangen bosartiger und doch irgendwie personlicher. Bolitho horte das scharfe Knattern von Gewehren und Pistolen, und Stahl klirrte gegen Stahl, ubertont von den Schreien der um ihr Leben kampfenden Manner.
        Okes wischte sich das Gesicht mit dem Handrucken und stie? hervor:»Dieser verdammte Nebel! Nicht zu sehen, was vorgeht.»
        Bolitho sah ihn kurz an.»Er ist ein Gottesgeschenk, Mr. Okes. Sie haben zu viel zu tun, um uns zu bemerken. «Er winkte zum Ruderganger hinuber.»Einen Strich nach Steuerbord. «Danach ging er zur Querreling und blickte zu dem hochschauenden Herrick hinunter.

«Lassen Sie die Geschutze laden. Aber erst auf mein Kommando hin ausrennen.»
        Die Kanoniere schoben Kartuschen in die Mundungen und stie?en glanzende runde Kugeln hinterher. Die erfahreneren Geschutzmeister nahmen sich die Zeit, jede Kugel beinahe liebevoll zu tatscheln und in der Hand zu wiegen. Die erste Salve sollte ein voller Erfolg werden.

«Doppelte Ladungen!«horte er Herrick rufen.»Und Kartatschen, Jungs. Diesmal wollen wir es ihnen geben!»
        Ein kraftigerer Windsto? schob den Dunst, der die Schiffe einhullte, beiseite. Bolithos Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Mit dem Heck zur schnell heransegelnden Phalarope lag eine franzosische Fregatte. Neben ihr erkannte er die kleine Witch of Looe. Die Brigg hatte Schlagseite und war beinahe bis zur Unkenntlichkeit havariert. Ein Mast fehlte bereits, den anderen schienen nur noch die Reste des stehenden Gutes zu halten. Er dachte an ihren Kommandanten, den jungen Leutnant Dancer, dem er an Bord des Flaggschiffs begegnet war. Er staunte uber den Schneid oder den vergeudeten Mut, der Dancer veranla?t hatte, sich mit einem Gegner einzulassen, der ihm derma?en uberlegen war. Seine kleinen Knallbuchsen gegen die noch rauchenden Zwolfpfunder!

«Sie haben uns entdeckt, Sir«, sagte Okes. Er schluckte schwer, als etwas wie ein tierisches Knurren uber das Wasser drang.»Mein Gott, sehen Sie blo?!»
        Das zerschmetterte Deck der Witch of Looe schien von franzosischen Seeleuten uberschwemmt. Wahrend der treibende Pulverqualm einen Augenblick aufri? und die Sonne das Gemetzel beschien, sah Bolitho die kleine Gruppe, die das Achterdeck der Brigg noch verteidigte. In wenigen Minuten wurde auch sie uberwaltigt sein.
        Die Stuckpforten der dem Gefecht abgewandten Seite der franzosischen Fregatte offneten sich plotzlich, und die Kanonen wurden rumpelnd ausgefahren. Die feindliche Fregatte bleckte die Zahne.
        Bolitho achtete nicht auf das Siegesgeschrei, das auf der franzosischen Fregatte ertonte, sondern konzentrierte sich vollig auf den standig schmaler werdenden Streifen Wasser zwischen der Phalarope und dem Feind. Keine Kabellange mehr, und kein Schiff in der Lage zu feuern. Der Bug der Phalarope zeigte fast haargenau auf das Heck des anderen Schiffs. Behielt sie den Kurs bei, wurde der Bugspriet durch die Heckfenster sto?en. Auf der einen Seite des Franzosen lag mit Schlagseite die durchsiebte Witch of Looe, auf der anderen warteten die franzosischen Kanonen auf ein weiteres Opfer.

«Steuerbordbatterie ausrennen!»
        Bolitho beobachtete, wie sich seine Leute in die Taljen legten. Quietschend und knarrend rollten die Kanonen die leichte Neigung des Decks hinauf, und die Rohre schoben sich durch die Pforten.
        Von dem franzosischen Schiff drangen wuste Rufe heruber, unmenschliche Tone des Blutrauschs. Die Manner der Phalarope blieben kalt und wachsam. Ihre Augen blinzelten nicht, als die pockennarbigen Segel des Feindes immer hoher uber dem Bug aufwuchsen.
        Bolithos Hande umspannten die Reling, wahrend er langsam sagte:»So, Mr. Herrick, und nun schicken Sie Ihre Leute hinuber zur Backbordbatterie. «Er bemerkte die verdutzten Blicke und setzte kurz hinzu:»In einer Minute lege ich nach Steuerbord um und schere neben die Witch of Looe. Sie liegt tief im Wasser. Unsere Breitseite streicht uber sie hinweg.»
        Herricks Stirnrunzeln machte einem Ausdruck offener Bewunderung Platz.»Aye, aye, Sir.»
        Bolithos Stimme ri? ihn aus seinen Gedankengangen.»Ruhe! Die Franzosen brauchen nicht zu merken, was wir vorhaben.»
        Die Geschutzbedienungen krochen zur entgegengesetzten Seite hinuber. Die heiseren Drohungen der Stuckmeister dampften ihre Erregtheit.
        Naher und naher. Ein paar Musketenkugeln pfiffen harmlos uber ihre Kopfe hinweg, aber aufs Ganze gesehen wartete der franzosische Kapitan ab. Beide Schiffe waren gleich stark bestuckt, und er konnte hoffen, da? der Bug und Vormast der
        Phalarope die ersten Schlage abbekommen wurden. Sein Schiff trieb langsam im Wind, und die langsseits liegende Witch of Looe minderte das Schaukeln und Schlingern, wofur die franzosischen Kanoniere dankbar waren. Schwaches Hurrarufen wurde von neuerlichem Musketenfeuer ubertont.

«Die Leute der Brigg jubeln uns zu, Sir«, stotterte Proby.
        Bolitho tat, als hore er nicht. Ein einziger Irrtum, und sein Schiff wurde zu Kleinholz zerhackt werden. Funfzig Yards, drei?ig Yards. Bolitho hob die Hand. Quintal hockte sprungbereit. Eine Hand lag auf der Schulter eines Matrosen an den Brassen.

«Jetzt!«befahl Bolitho.
        Proby griff mit in die Speichen des Rades, und unter dem Kreischen der Blocke begannen die Rahen herumzuschwenken. Die Segel klatschten protestierend, reagierten aber auf Wind und Ruder.

«Ausrennen!«Eiskalt verfolgte Bolitho, wie die Backbordkanonen uber die gesandeten Planken quietschten.»Feuert, was die Rohre hergeben!»
        Bolitho hammerte auf die Reling und zahlte ungeduldig jede Sekunde. Einen Augenblick lang glaubte er, den Kurswechsel falsch angesetzt zu haben. Doch wahrend er atemlos wartete und kaum hinzuschauen wagte, schwang der Bugspriet gemachlich uber das hohe Heck des Franzosen und hatte fast eine Gruppe Matrosen von den Schutznetzen gefegt.
        Herrick rannte von einer Kanone zur anderen, um darauf zu achten, da? auch bestimmt jeder Schu? sa?. Er hatte sich die Muhe sparen konnen. Wahrend die uberraschten franzosischen Kanoniere verwirrt von der anderen Seite herubergerannt kamen, schlugen die ersten Schusse krachend in den Rumpf der franzosischen Fregatte. Die Phalarope erbebte, als sie gegen die Witch of Looe stie?, zog aber weiter an der kleinen Brigg vorbei, wahrend ihre Geschutze Feuer und Tod spien, hinweg uber die Kopfe der verdutzten Enterer und die der restlichen Briggbesatzung.
        Bolitho zuckte zusammen, als sich die Neunpfunder auf seinem Achterdeck an dem Getose zu beteiligen begannen. Das franzosische Schiff antwortete noch immer nicht. Bolitho hatte richtig ve rmutet. Die Kanonen starrten so untatig in die Schlage der Phalarope, weil ihre Bedienungen mit auf die Witch of Looe geentert waren.
        Gro?e Teile des Schanzkleids der franzosischen Fregatte wurden aufgerissen. Zersplitterte Planken wurden wie von unsichtbarer Hand hochgeschleudert. Eine Axt blitzte auf, und Bolitho rief:»Sie wollen klarkommen. «Er zog den Sabel.»Hinuber, Jungs. Enterer vorwarts!»
        Die Phalarope kam langsseits der Witch of Looe langsam zum Stehen. Ihr Bug verfing sich in den herabgesturzten Tauen und Spieren der Brigg. Bolitho rannte die Laufplanken auf der Backbordseite hinunter und kletterte auf das schrag liegende Deck der Witch of Looe hinuber. Zuerst folgte ihm niemand. Doch dann sprangen die wartenden Matrosen unter lautem Gebrull hinter ihm uber das Schanzkleid.
        Die Franzosen sahen sich zwischen dem wilden Geschutzfeuer und den wieder aufflackernden Aktionen der Briggbesatzung eingezwangt. Die meisten ergaben sich und hoben die Hande, doch Bolitho stie? sie beiseite. Sein hocherhobener Degen wies seinen Leuten den Weg.»Vorwarts, Jungs! Wir nehmen die Fregatte. «Sich mit den Enterern zu befassen, dazu blieb spater noch Zeit genug.
        Der Widerstand auf dem von Schussen zerfetzten Deck der Fregatte war wild und entschlossen. Wust verzerrte Gesichter schwammen an Bolitho vorbei, als er sich seinen Weg zum Heck bahnte. Immer wieder rutschte er auf der dicken Blutschicht aus, die das Deck wie frische Farbe uberzog.
        Das Oberdeck des Feindes war im Augenblick des Angriffs voller Menschen gewesen. Zur normalen Bemannung kamen die Enterer, die von der Witch of Looe zuruckkommandiert worden waren, und die Kanoniere, die der plotzliche Kurswechsel der Phalarope uberrascht hatte. In dieses verfilzte Durcheinander von Leibern war die volle Kraft der Breitseite geschlagen. Alle Zwolfpfunder der Backbordbatterie hatten gefeuert, dazu die Achterdeckgeschutze, jede Kanone mit Doppelkugeln und breit streuenden Kartatschen geladen. Das Deck des Franzosen sah aus, als habe ein Irrer ganze Fasser voller Blut ausgegossen. Sogar die unteren Segelbahnen waren rotgefleckt, und uber dem zersplitterten Schanzkleid und den hochkant stehenden Kanonen hingen zerfetzte Korperteile.
        Ein franzosischer Offizier, der aus einer Kopfwunde blutete und dessen schmaler Sabel fast bis zum Heft voller Blut war, stellte sich Bolitho in den Weg. Bolitho hob seinen Degen, doch der Franzose parierte den Schlag. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Angst zu Frohlocken. Bolitho wollte Raum gewinnen, aber die ringsum kampfenden Leute engten seine Bewegungsfreiheit ein. Er konnte den Degen nicht schnell genug heben. Er sah den Franzosen ausholen, horte den Stahl herabsausen und wartete auf den Hieb. Statt dessen verzerrte sich das Gesicht des Franzosen vor Schreck. Denn ein kampfbesessener Seesoldat brach durch die Menge, sein aufgepflanztes Bajonett wirkte wie ein Speer. Der Franzose holte nach dem neuen Gegner aus, aber es war zu spat. Der Seesoldat stie? mit solcher Wucht zu, da? sein Bajonett den Franzosen an der Heckreling festnagelte. Der Seesoldat brullte im Blutrausch auf und stemmte dem Franzosen den Fu? auf den Leib, um sein triefendes Bajonett herauszurei?en. Der franzosische Offizier sackte langsam zusammen, sein Mund schnappte wie der eines sterbenden Fisches. Der Seesoldat stierte
ihn an, als sahe er ihn zum ersten Mal, und stie? nochmals zu.
        Bolitho packte ihn beim Arm.»Um Gottes willen, Mann, es reicht!«Der Seesoldat schien nicht zu horen. Dann, nach einem verdutzten Blick in das Gesicht seines Kapitans, warf er sich von neuem verbissen und ha?erfullt in den Kampf.
        Der Kapitan der Fregatte lag auf dem Achterdeck, ein junger Leutnant hielt ihn bei den Schultern. Jemand band eine Aderpresse um den zerschmetterten Stumpf seines Beins. Der Kapitan war kaum bei Bewu?tsein.

«Streichen Sie die Flagge, Kapitan!«rief Bolitho.»Streichen Sie die Flagge, solange noch ein paar von Ihren Leuten am Leben sind. «Er erkannte seine eigene Stimme nicht. Die Hand, die den Degengriff umklammerte, war schwei?na?. Er mu?te an den Seesoldaten denken und wu?te, wie schnell auch ihn der Blutrausch packen konnte.
        Der franzosische Kapitan brachte eine schwache Geste zustande, und der Leutnant stie? hervor:»Wir streichen die Flagge, M'sieur. Wir streichen.»
        Selbst nachdem die wei?e Flagge an Deck flatterte und die Leute Mann fur Mann vom Geschaft des Totens zuruckgerissen worden waren, brauchten die Manner der Phalarope Zeit, um zu begreifen, da? der Kampf gewonnen war.
        Dancer von der Witch of Looe gratulierte Bolitho als erster. Er blutete aus mehreren Wunden. Einen Arm hatte man ihm mit einem Tampen uber der Brust festgebunden. Die gesunde Hand streckte er Bolitho entgegen, als er uber das zersplitterte, blutbefleckte Deck auf ihn zuhinkte.»Danke, Sir. Das war Rettung in hochster Not!»
        Bolitho schob den Degen in die Scheide.»Ihr Schiff wird sinken, furchte ich.
«Seine Augen glitten uber die zerfetzten Segel der franzosischen Fregatte.»Aber Sie haben es teuer verkauft.»
        Dancer schwankte und griff nach Bolithos Arm.»Ich wollte Sir Robert benachrichtigen. Die Franzosen sind ausgelaufen, Sir. «Er kniff die Augen zusammen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.»Vor drei Tagen stie?en de Grasses und Rodneys Flotten aufeinander. Nach einem kurzen Treffen auf weite Entfernung brach de Grasse die Schlacht ab. Ich habe versucht, die Franzosen im Auge zu behalten, und heute morgen entdeckte ich die gesamte Flotte nordwestlich von Dominica. «Er hob den Kopf.»Ich glaube, es ist Sir George Rodney gelungen, die Franzosen wieder zu stellen, aber genau wei? ich es nicht. Diese Fregatte erwischte mich, ehe ich das Geschwader wieder erreichen konnte. «Er lachelte klaglich.»Und nun habe ich nicht mal mehr ein Schiff.»
        Bolitho legte die Stirn in Falten.»Haben Sie genug Leute, um diese Fregatte als Prise zu bemannen?»
        Dancer blickte Bolitho verwundert an.»Aber es ist Ihre Prise,
        Sir.»

«Nun, die finanzielle Seite der Angelegenheit konnen wir spater diskutieren, Leutnant. «Bolitho lachelte.»Inzwischen schlage ich vor, Sie scheuchen die Gefangenen nach unten und laufen, so schnell es Ihnen diese Segelfetzen erlauben, auf einen sicheren Hafen zu. «Er sah durch den Qualm nach oben.»Der Wind hat bereits auf Sudost gedreht. Damit kommen Sie von der bevorstehenden Schlacht klar.

        Herrick stolperte uber die Leichen heran. Der Degen baumelte ihm am Handgelenk. Er salutierte.»Wir haben eben die Cassius gesichtet, Sir.»

«Sehr gut. «Bolitho druckte Dancer die Hand.»Vielen Dank fur die Nachrichten. Zumindest rechtfertigen sie, da? Sir Robert die ihm zugewiesene Station verlassen hat. «Er machte kehrt und kletterte uber die sinkende Brigg auf sein eigenes Schiff zuruck.
        Tief in Gedanken schwang er sich uber das Schanzkleid und ging die Gangway entlang. Die Kanoniere sahen zu ihm hoch. Die Scharfschutzen der Seesoldaten, hoch in den Toppen, und die kleinen Pulveraffchen an der Magazinluke, alle starrten auf die schlanke, einsame Gestalt, die sich vor den zerrissenen Segeln des eroberten Franzosen abhob. Ein schneller, unglaublicher Sieg. Kein einziger Mann beim Angriff verletzt oder getotet, und nicht der geringste Schaden am Schiff selbst. Einige gute Leute waren beim Kampf auf der feindlichen Fregatte gefallen. Aber der Erfolg wog solchen Verlust bei weitem auf. Eine Fregatte als Prise erbeutet. Die Witch of Looe, wenn auch nicht gerettet, so doch geracht. Und das alles in einer Stunde.
        Doch von alledem dachte Bolitho nichts. Vor seinem geistigen Auge sah er die Seekarte und verfolgte darauf, wie die feindliche Flotte in unaufhaltsamem Drang auf die offene See hinausstrebte, direkt auf Jamaika zu.
        Auf dem Hauptdeck ertonte eine Stimme. Bolitho drehte sich uberrascht um.

«Drei Hurras, Jungs. Drei Hurras fur unseren Kapitan!»
        Wahrend die ungestumen Rufe die Luft erzittern lie?en, blickte Bolitho zum Achterdeck. Herrick und Rennie grinsten ihn unverhohlen an. Neale und Maynard schwenkten die Hute gegen die Mannschaft auf dem unteren Deck. Es traf Bolitho vollig unvorbereitet, und er war verwirrt. Wahrend die Hurrarufe in ein wildes Durcheinander ubergingen, trat Herrick an Bolitho heran und sagte:»Gratuliere, Sir. Gratuliere.»

«Was ist heute blo? in die Leute gefahren?»

«Sie haben ihnen mehr als einen Sieg geschenkt, Sir. Sie haben ihnen ihre Selbstachtung zuruckgegeben.»
        Die Hurrarufe erstarben wie auf ein Signal hin, und Herrick sagte:»Die Leute mochten ein paar Worte von Ihnen horen,
        Sir.»
        Bolitho trat an die Querreling und lie? die Augen uber die vertrauten Gesichter wandern. Diese Manner - seine Manner! Die Gedanken wirbelten wie Schatten durch sein Gehirn. La? sie hungern, la? sie prugeln. Setze sie dem Skorbut aus, Krankheiten, einem hundertfachen Tod. Dennoch lassen sie dich hochleben. Er umklammerte fest die Reling und starrte uber die Mannschaft. Er sprach leise, und die entfernteren Leute beugten sich vor, um ihn besser zu verstehen.

«Heute haben wir mit einer franzosischen Fregatte gekampft und gesiegt. «Er sah, da? sich einige anstie?en und wie Kinder grinsten.»Wichtiger ist mir jedoch die Tatsache, da? wir als geschlossene Einheit kampften, so wie ein Schiff des Konigs kampfen sollte und auch mu?. «Mehrere altere Seeleute nickten, und Bolitho sammelte alle Kraft fur das, was er ihnen zu sagen hatte. Es lag kein Sinn darin, die Leute blo? zum Kampf aufzurufen. Sie brauchten Fuhrung. Es war ein Akt wechselseitigen Vertrauens. Er rausperte sich.»Seht ihr ein feindliches Schiff vor euch, und fliegen die Kugeln uber eure Kopfe, kampft ihr aus verschiedenen Grunden. «Seine Augen wanderten uber die gebraunten, erwartungsvollen Gesichter. Ihr kampft aus Kameradschaftsgefuhl, um euch gegenseitig zu schutzen und um gefallene Freunde zu rachen. Oder ihr kampft aus Angst. Aus einer Angst, die Ha? gegen den Feind gebiert, der stets gesichtslos, aber immer gegenwartig ist. Und vor allem kampft ihr fur euer Schiff. «Er machte eine weitausholende Geste.»Es ist unser Schiff und wird es bleiben, solange wir den Willen haben, fur das zu leben und
zu sterben, was recht ist.»
        Hurrarufe ertonten, doch Bolitho hob den Arm. In seinen Augen lag plotzlich Trauer.»Das kurze Gefecht heute war nur der Auftakt. Ich kann euch nicht sagen, wie sich unsere kleinen Taten in den gro?en Schlachtplan einfugen, weil ich es nicht wei?. Ich wei? nur, da? die Pflicht von uns verlangt zu kampfen, wie wir noch nie gekampft haben.»
        Die Leute folgten jetzt jedem Wort mit gro?ter Aufmerksamkeit, und Bolitho fugte nur ungern hinzu, was noch gesagt werden mu?te.»Heute fruh war das Gluck auf unserer Seite. Aber ehe der Tag zu Ende geht, werden wir weit mehr als Gluck benotigen. «In diesem Moment erbebte die Luft durch ein dumpfes Rumpeln. Wahrend die Mannschaft uber die eroberte Fregatte hinweg in die Ferne starrte, verstarkte es sich zu einem dunklen, drohenden Grollen, es klang wie Donner uber fernen Bergen. Bolitho fuhr fest fort:»Da druben, Jungs, ist der Feind.»
        Plotzlich fuhr ihm ein warmer Windsto? uber den Nacken. Bolitho schaute auf. Die niedrige Wand aus wallendem
        Fruhnebel begann sich aufzulosen. Fur eine Minute waren die beiden Fregatten mit dem sinkenden Wrack der Witch of Looe eine Welt fur sich. Auf der einen Seite der von Sonnenbahnen durchschossene Nebel, auf der anderen die offene See; hinter der scharfen Kimmlinie war die Nacht weggetaucht, und jetzt schimmerten uber den Horizont die Bramsegel der Cassius wie rosafarbene Muscheln in der Morgensonne. Dann hob sich der Nebel, und ihre kleine Welt zerbrach.
        Im Sudosten machte Bolitho eine niedrige Landzunge der dunstverschleierten Kunste von Dominica aus. Nach Norden zog sich die verstreute Inselgruppe der Saintes. Und dazwischen keine Spur von Horizont. Es war ein so gewaltiger und gro?artiger Anblick, da? niemand ein Wort sagen konnte. Von einer Seite zur anderen, so weit das Auge reichte, lag auf dem blauen Wasser eine geschlossene Linie von Schiffen. Zwischen den einzelnen, hochgeturmten Segelpyramiden schien nicht die kleinste Lucke zu klaffen. Das zunehmende Sonnenlicht beleuchtete das scheinbar unbewegte Panorama dieser Armada. Das Bild erinnerte Bolitho an ein altes Gemalde, das er als Kind gesehen hatte: ein Gemalde der gewappneten Ritter bei Agincourt. Er sah noch jetzt die mit Wappendecken und glanzenden Mantelsacken geschmuckten gro?en Pferde und die stolzen Wimpel und Banner, die an den Lanzen flatterten, als die Panzerreiter sich sammelten, um die dunne Linie der englischen Bogenschutzen anzugreifen.
        Fast verzweifelt sah er zu seiner von dem Anblick gebannten Besatzung hinunter. Na, Jungs, was sagt ihr dazu?«Er deutete auf die schimmernde Phalanx.»Hinter dieser Flotte, funftausend Meilen weit weg, liegt England. Und in unserem Rucken liegt Jamaika. «Er zeigte auf die Decksplanken.»Und unter uns sind tausend Faden Wasser. «Er beugte sich vor. Seine Augen blitzten plotzlich fordernd.»Was soll es also sein, Jungs?»
        Das von neuem horbare Geschutzfeuer ging in der Woge wilder Hurrarufe unter, die uber das Hauptdeck der Phalarope fegte. Die Manner an Bord der eroberten Fregatte stimmten mit ein. Selbst die Verwundeten, die nach unten geschafft wurden, riefen mit, obwohl manche Bolithos Worte nicht gehort hatten und auch gar nicht wu?ten, worum es ging. Es war, als wurden alle Bitterkeit und alle aufgestaute Enttauschung durch die machtige Woge der Begeisterung fortgeschwemmt.
        Bolitho drehte sich um. Herrick, der dicht neben ihm stand, bemerkte die sonderbare Traurigkeit und Unglaubigkeit in Bolithos Augen.»Nun haben Sie die Antwort, Sir!«sagte er hastig. Er war ebenso erregt wie die anderen und hatte am liebsten laut gejubelt.
        Bolitho sah Herrick an, als ware er ihm vollig fremd.»Sagen Sie, Mr. Herrick, haben Sie je eine Seeschlacht mitgemacht?«Er schwenkte die Hand gegen den Horizont.»Eine wie es diese sein wird?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Ich ja. Da gibt es keine Siege durch tolldreisten Wagemut. Und es gibt kein Auf und Davon, wenn die Sache zu brutal wird. «Er verschrankte die Arme auf dem Rucken und sah blicklos an seinen Offizieren vorbei.»Der Qualm verdunkelt den Himmel derma?en, da? man sich wie in der Holle vorkommt. Sogar die Schiffe brullen auf, wu?ten Sie das?«Seine Stimme wurde rauher.»Sie brullen auf, weil sie in Stucke gefetzt werden, ganz wie die Narren, die sie bemannen.»
        Er wandte sich um, als Fahnrich Maynard heiser meldete:»Signal vom Flaggschiff, Sir.»
        Bolitho ging nach Luv und sah auf die schrag liegende Brigg hinunter. Die Wellen spulten schon uber ihr Schanzkleid und griffen nach den zuruckgelassenen Leichen. Bestatigen Sie das Signal nicht, Mr. Maynard. «Und zu Herrick:»Klar von der Brigg. Fahrt aufnehmen!«Er sah zum Masttopp.»Kurs genau
        Ost!»

«Und das Flaggschiff, Sir?«fragte Herrick.

«Sir Robert ist ein tapferer Gentleman, Mr. Herrick. Aber aufgrund seines Dienstalters ist er vorsichtiger als ich. «Er lachelte fluchtig.»Und seine Leute sind womoglich nicht so eifrig darauf aus, an einem so schonen Tag zu sterben.
«Das Lacheln erlosch.»So, nun lassen Sie die Manner auf Stationen pfeifen, und sehen Sie zu, da? dieses verdammte Hurragerufe aufhort.»
        Die Phalarope loste sich langsam von dem Wrack. Als auch die eroberte Fregatte die Enterhaken einholte, legte sich die Brigg auf die Seite. Das Wasser scho? gurgelnd in den zerschlagenen Rumpf, und die hochsteigenden Luftblasen waren rot gefarbt.
        Die Rahen kamen herum, und die Phalarope krangte leicht im
        Wind. Bolitho hob das Fernrohr. Hinter der Cassius entdeckte er die Masttopps der Fregatte Volcano. Er fragte sich, wie ihr Kapitan auf diesen ehrfurchtgebietenden Anblick reagieren wurde. Sir Robert Napier blieb noch immer Zeit, sich zuruckzuziehen. Ein bestimmtes Signal, und sie waren aus aller Gefahr und zu stummen Zeugen verurteilt, wenn die Franzosen aus der Schlacht ausscherten und auf ihr Ziel lossteuerten.
        Bolitho fa?te seinen Entschlu?.»Mr. Maynard, Signal an Flaggschiff. «Bolitho sah, da? Herrick Hauptmann Rennie einen Blick zuwarf und mit den Schultern zuckte, als ginge das Verhalten des Kapitans uber sein Begriffsvermogen.»Feind in Sicht.»
        Bolitho achtete nicht auf die hochsteigenden Flaggen. Er ging auf dem Achterdeck hin und her. Die Augen der Abteilung Seesoldaten folgten seinen Bewegungen. Das war der entscheidende Augenblick. Sir Robert war ein alter Mann, die besten Jahre lagen hinter ihm. Der Versuch, die franzosischen Schiffe aufzuhalten, wurde ihm bestenfalls einen Ruhm einbringen, den er nicht mehr erleben wurde. Andererseits konnte die Aktion so nutzlos verlaufen, da? man sich ihrer nur mit einem Hohn erinnern wurde, der seine ganze Laufbahn uberschatten und verderben konnte.

«Flaggschiff hat bestatigt, Sir«, meldete Maynard.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen und ging weiter auf und ab. Er horte geradezu die heisere Stimme, mit der der Admiral seine Befehle erteilte. Und er konnte sich die Unsicherheit des Flaggschiffkapitans vorstellen und die gedampfte Zuversicht von Kapitan Fox auf der Volcano.

«Das Signal ist gerade noch zu erkennen, Sir«, rief Maynard, das Auge am Teleskop. Flaggschiff an Volcano: Klar zum Gefecht.»
        Das Wort zuckte wie ein Blitz uber das Achterdeck und zu den an den Kanonen wartenden Mannern hinunter. Wieder Hochrufe, wiederum aufgenommen von der Prisenbesatzung des franzosischen Schiffes. Bolitho erkannte Leutnant Dancer an der Heckreling und winkte, als die eroberte Fregatte die Rahen bra?te und ihre zerfetzten Segel in den schwachen Wind drehte.

«Die Cassius setzt alle Segel, Sir«, sagte Herrick aufgeregt.»Mein Gott, welch ein Anblick!«Die plotzliche Aktivitat des
        Flaggschiffs schien ihn starker zu beeindrucken als die Flotte in seinem Rucken.

«Lassen Sie alle Mann bewaffnen, Mr. Herrick«, befahl Bolitho.»Entermesser und Beile neben jede Kanone. Es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mitten im Kampf stehen.»
        Maynard senkte das Fernrohr. Seine Stimme bebte, als er Bolitho anstarrte und meldete:»Vom Flaggschiff, Sir: Signal an alle. «Es klang, als kaute er an jedem Wort.»In Gefechtsformation!»
        Bolitho nickte langsam.»Lassen Sie Segel bergen, Mr. Herrick. Wir wollen hier auf die Cassius warten. Der Wind wird gleich abflauen. Dominica wird den Wind ablenken, furchte ich.»
        Er ging zur Luvseite und hob das Glas. Die Linse schwenkte langsam von einer Seite zur anderen. In dem vergro?erten Ausschnitt sah er den schwachen Schein von Geschutzfeuer, wehende Flaggen und schimmernde Segel, als ein machtiges Schiff nach dem anderen schwerfallig in Formation steuerte. Er fuhlte, da? ihm der Schwei? den Rucken herunterlief, wie damals nach dem Alptraum. Aber das hier war Wirklichkeit, und doch schwerer zu verstehen. Gott, welche Menge Dreidecker, an die sechzig vielleicht, britische und franzosische Linienschiffe, die aufeinander zuglitten und die erste, unerbittliche Begegnung suchten.

«Mr. Brock bitte zu mir!«Bolitho senkte das Fernrohr erst, als der Artillerieoffizier sich auf dem Achterdeck zur Stelle meldete.

«Mr. Brock, ich mochte beide Karronaden auf dem Vordeck haben. Nehmen Sie die besten Leute und achten Sie darauf, da? die Schlitten frisch mit Talg geschmiert werden. «Er schob das Fernrohr zusammen und sah den Artillerieoffizier fest an. Die Karronaden sind die einzigen Waffen, die wir den Franzosen voraus haben. «Er sah auf das eine Geschutz hinab. Es war stumpfnasig, ha?lich und ohne das gefallige Ebenma? einer richtigen Deckskanone. Dafur jagte es jedoch dem Feind auf kurze Entfernung eine Ladung von achtundsechzig Pfund in den Leib, deren Wirkung verheerend war. Jeder der Schusse uberschwemmte alles, was sich in der Nahe befand, mit morderischen, gu?eisernen Kugeln. Jede Ladung besa? die todbringende Qualitat von Kartatschen, zu denen noch die
        Durchschlagskraft einer weitaus schwereren Waffe kam.
        Bolitho ging langsam zur Querreling. Seine Blicke flogen uber die sauberen Decks. Hatte er etwas vergessen? Brock und sein Kommando plagten sich fluchend mit den schweren Karronaden. Er beachtete es nicht. Seine Gedanken waren ganz und gar bei den bevorstehenden Aufgaben. Er mu?te jedem Offizier, jedem Mann vertrauen. Versagten sie jetzt, lag es an ihm, dann hatte er irgendwann falsch geurteilt.
        Die eifrigen, dichtgedrangten Gestalten unter jeder Gangway wirkten plotzlich vollig anders auf ihn. Bolitho hatte das Gefuhl, als blicke er auf bereits Tote.
        Bootsmann Quintal, der in die Hande spuckte und zu den Mannern hinaufdeutete, die darauf warteten, das Schiff in den Kampf zu segeln. Farquhar, der, schlank und fur sich, an seiner Batterie entlangging und die Augen uber jede Waffe und jeden Mann wandern lie?. Und die Seeleute selber. Trotz des Eingepferchtseins braun und gesund. Einige Gesichter ihm bekannter als andere. Hier ein Mann, der sich auf Mola bewahrt hatte. Dort einer, der im Gefecht mit der Andiron seinen Posten verlassen hatte. Bolithos Blicke glitten die Wanten hinauf zu den Leuten, die wie Allday noch in der Takelage arbeiteten, zu den Seesoldaten, die mit geladenen Gewehren hoch oben knieten.
        Bolithos Augen kehrten zuruck zum Achterdeck, zu den Neunpfundern und zu Neale, der neben einem riesigen bezopften Kanonier noch schmachtiger und kleiner wirkte, als er war. Und Proby, Old Proby, der wie eine Vogelscheuche aussah, als er die Arme schwenkte und den Rudergangern seine Befehle erteilte. In einem der Manner am Rad erkannte Bolitho den altesten Matrosen an Bord, Old Strachan. Eine Kanone konnte er nicht mehr zu Brocks Befriedigung bedienen, doch am Ruder stand er noch immer seinen Mann, und selbst in der heftigsten Schlacht, das wu?te Bolitho, wurde Strachan nie versagen. Nicht weil er tapfer oder dumm war, sondern weil es Teil seines Lebens war. Des einzigen Lebens, das er kannte und fur das er ausgebildet war. Bolithos Blick glitt zu Okes, der nervos die Degenscheide befingerte und ihn beobachtete. Bolitho hatte lieber Herrick an seiner Seite gehabt, aber Herrick wurde genug mit den Batterien zu tun haben. Und au?erdem war Okes jetzt Erster Leutnant, dachte er gereizt. Vibart war tot und kaum noch eine Erinnerung.
        Vom Kajutniedergang aus musterte Stockdale das ernste Gesicht des Kapitans. Er nickte leicht. Bolitho bemerkte es, reagierte aber nicht. Doch Stockdale war zufrieden. Der Kapitan wu?te, da? sein Bootsfuhrer da war, und das reichte Stockdale.
        Dicht am Wind holten die drei Schiffe das Beste aus der schwacher werdenden Brise heraus und gingen in Linie, ganz so, wie sie es in der gnadenlosen Sonne viele Male unter den Augen des ewig norgelnden Admirals geprobt hatten. Bolitho gru?te, als die Leinwand der Volcano sich blahte, und die Fregatte die Spitze ubernahm. In ihrem Kielwasser folgte die Cassius. Und nach weiteren Flaggensignalen sagte Bolitho scharf:»Scheren Sie hinter dem Flaggschiff ein, Mr. Okes.»
        Die Manner eilten an die Brassen. Bolithos Blicke suchten den Zweidecker. Die Cassius wirkte wie ein alterer, aber erfahrener Krieger. Die Doppelreihe ihrer Stuckpforten offnete sich, und die Geschutzrohre schoben sich heraus.
        Eine Stimme ertonte:»An Deck! Schiffe Steuerbord voraus. «Eine Pause, wahrend alle zu der kleinen Gestalt auf der Gro?saling hinaufschauten.»Zwei Linienschiffe. Und zwei Fregatten.»
        Bolitho bemuhte sich, seine Ungeduld zu beherrschen. Da die Phalarope am Schlu? des kleinen Verbandes segelte, wurde sie als letzte in den Kampf eingreifen. Bis dahin konnte alles entschieden sein, dachte er erbittert.
        Die Segel killten kraftlos. Der Mann am Rad fluchte, weil er keinen Ruderdruck mehr spurte.»Der Wind springt nach Osten um, Sir«, sagte Proby duster.

«Gut. «Bolitho richtete sein Glas auf die feindlichen Einheiten. Die pausenlosen Abschusse klangen lauter, aber die Hauptmacht der Flotten schien so weit entfernt wie zuvor. Eine Tauschung, naturlich.
        Jenseits des killenden Gro?segels der Cassius bekam Bolitho die gemeldeten feindlichen Schiffe kurz in den Blick: zwei gro?e Schiffe, dicht in Linie, flankiert von zwei kleineren. Aber der abflauende Wind stellte nicht nur ihn, sondern auch seine Leute auf eine arge Probe. Sie waren, wie ihre Hurrarufe gezeigt hatten, bereit zu kampfen oder ruhmvoll zu sterben. Doch dieses Warten, dieses qualende Warten zermurbte sie. Zu langsam naherte man sich der Kampfzone. So langsam, da? die anfanglich kampfbegeisterten Leute nun zu gelahmt schienen, sich zu bewegen oder die Augen von den rauchverhullten Schiffen zu wenden.

«Ich gehe nach oben, Mr. Okes. «Ohne den schwitzenden Ersten auch nur anzusehen, eilte Bolitho uber die Steuerbordgangway zu den Wanten des Gro?mastes. Selbst als jungem Fahnrich war Bolitho die Hohe nie gut bekommen. Aber nach einem hastigen Blick auf die schlaffen Segel machte er sich auf die lange Kletterpartie zur Marssaling. Als er sich in die Wanten schwang, starrte ihn ein Seesoldat wortlos an, ehe er wieder auf die im Kampf stehenden Verbande blickte. Die Luft vibrierte von Detonationen, und der Pulverqualm sowie der Rauch brennender Holzteile reizte die Nasenschleimhaute. Bolitho wartete, bis sein Atem wieder ruhiger ging, ehe er das Fernrohr auseinanderzog und uber die langsam segelnde Cassius hinwegschaute.
        Unmoglich, die Frontlinie zu bestimmen. Die Hauptmacht des britischen und franzosischen Geschwaders lag praktisch dicht voreinander, Schiff an Schiff, Rahnock an Rahnock. Ihre Masten und Segel waren von Rauch und Pulverqualm verhullt, der nicht abziehen konnte.
        Bolitho richtete das Fernrohr auf einen anderen Punkt und wagte nicht, auf das Deck unter seinen baumelnden Beinen hinabzublicken. Plotzlich ri? er die Augen auf. Die vom Ausguck kurz zuvor gemeldeten Schiffe scherten aus der Hauptkampfzone aus. Die beiden Linienschiffe waren durch eine kraftige Trosse miteinander verbunden. Er spahte durch die Takelage des Vorschiffs und sah, da? das geschleppte Schiff, ein gro?er Dreidecker, teilweise kampfunfahig war und Bugspriet und Fockmast verloren hatte.
        Das schleppende, durch die schwere Last behinderte Schiff gierte von einer Seite zur anderen, die Segel blahten sich und fielen in dem flauen Wind dann wieder ein. Als es uberholte, warf das Sonnenlicht merkwurdige Schatten uber den hohen Rumpf und glanzte auf den Reihen der Kanonen, die zum Feuern ausgerannt waren. Bolitho nickte dem Ausguck zu.»Behalten Sie sie gut im Auge.»
        Der Mann grinste.»Hab ja sonst nichts zu tun, Sir. «Er beugte sich vor, beobachtete Bolithos vorsichtigen Abstieg und setzte sich dann wieder wachsam zurecht. Wahrend Bolitho die groben, schwingenden Webeleinen hinabkletterte, horte er ihn summen.
        Okes und Rennie warteten auf ihn neben dem Rad.»Zwei gro?e Schiffe«, sagte Bolitho.»Eins beschadigt. Wahrscheinlich bei einer Kollision heute nacht. «Er rieb sich das Kinn.»Das schleppende Schiff fuhrt eine Kommandantenflagge. Wei?Blau. «Er lachelte und fragte Maynard:»Na, mein Junge, was sagt Ihnen das?»
        Fahnrich Maynard lie? sein Fernrohr einen Augenblick sinken.»Gehort zur franzosischen Vorhut, Sir.»

«Richtig. «Bolitho ging zur Reling.»De Grasse ist um Transport und Versorgung bemuht. Mit Kriegsschiffen allein kann er Jamaika nicht angreifen. Er braucht Truppen und Nachschub und dazu Transportschiffe, wie wir sie bei Mola in Brand gesetzt haben.»

«Wahrend die Flotten miteinander im Kampf stehen«, sagte Okes,»sollen seine Transporter sicher versuchen, hier durchzubrechen.»
        Bolitho nickte grimmig.»Wiederum richtig. «Er schnippte mit den Fingern.»Ein Teil der franzosischen Vorhut ist detachiert, um den Transportern den Weg freizukampfen. «Er sah zur schlaffen Leinwand hinauf.»Und nur drei Schiffe verlegen ihnen den Weg. «Dann wandte er sich an Rennie, der mit dem Degen lassig gegen seine polierten Schuhe schlug.»Wenn wir die Vorhut zum Abdrehen zwingen konnen, wird Sir George Rodney den Rest erledigen. «Er klatschte in die Hande. Dann sitzen sie wie Kaninchen in der Falle.»
        Okes betrachtete die Schiffe, die sich vor der Cassius langsam bewegten.»In diesem Fall sind die Kaninchen allerdings gro?er als die Jager, Sir.»
        Bolitho war jedoch bereits weitergegangen. Er blieb neben dem kleinen Trommelbuben stehen und sagte:»Nun spiel mal was auf deiner Pfeife, mein Junge. «Er sprach laut, damit ihn die Leute an den Neunpfundern verstehen konnten.
        Der Trommelbube sah Bolitho unter dem Tschako hervor an und schluckte schwer. Seine Lippen waren bleich, ihm zitterten die Hande.»W-was soll ich denn spielen, Sir?»
        Bolitho musterte die aufmerksamen, gespannten Gesichter.»Na, wie ware es denn mit
>Herzen fest wie Eiche         Den Donner der Schlacht in den Ohren, nahmen die Matrosen der Phalarope die leise Melodie der Pfeife auf. Bolitho ging zur Luvseite zuruck und hob das Fernrohr an die Augen. Selbst an Bord der Cassius horte man vielleicht die Mannschaft der Phalarope singen und zog etwas Zuversicht aus den altbekannten Worten:»Den Kopf hoch, Freunde, zum Ruhme steuern wir. .»
        Bolitho sah, wie die schwarze Rauchbank auf die drei britischen Schiffe zutrieb. Als ware sie lebendig, dachte er kalt, wahrend er die quirlende, von roten und orangefarbenen Blitzen durchzuckte Wand betrachtete. Doch er war dankbar fur ihre Gegenwart. Zumindest verbarg sie die dahinterliegenden, grauenhaften Schreckensszenen.
        Er sah zu seinen Leuten hinab. Im Augenblick spiegelten ihre Gesichter, was sie beim Singen empfanden. Sie wurden nicht mehr lange zu warten brauchen.



        XVIII Sieg ist Tradition

        John Allday schlang das Halstuch um Kopf und Ohren und wischte sich mit dem Unterarm den Schwei? vom Gesicht. Vom spitz zulaufenden Bug der Fregatte aus hatte er einen unbehinderten Blick auf die Cassius. Ein Stuck vor ihr konnte er Teile der oberen Takelage der Volcano ausmachen. Entschlossen kehrte er ihnen sowie den rauchumwirbelten Schiffen, auf die sie zuhielten, den Rucken und sah zu Stuckmeister McIntosh hinunter, der wie im Gebet neben einer Karronade kniete.
        Als Allday, von der Gro?rah herabgeglitten, wieder auf Deck stand, hatte ihn Brock angehalten. Wiederum hatten sie sich gegenubergestanden: Allday, der gepre?te Matrose, dessen Haut Narben zeigte, wo ihn Brocks Stock getroffen hatte, und der wegen der Verraterei und Gemeinheit eines anderen fast gehenkt worden ware. Und der Artillerieoffizier, dessen hartes und starres Gesicht hochst selten etwas von seinen Empfindungen verriet, wenn er uberhaupt welche hatte. Brock hatte mit seinem Stock zum Vorschiff gewiesen.»Dahin mit dir! Zu den Kanonaden!»
        Gerade als Allday lostraben wollte, hatte Brock barsch hinzugesetzt:»Wie es scheint, habe ich mich in dir geirrt. «Es war keine Entschuldigung, lediglich eine Feststellung.»Also auf die Back mit dir, und leg dich ins Zeug. «Seine schmalen Lippen verzogen sich zur Andeutung eines Lachelns.»Mein Gott, Allday, deine Schafe wurden heute auf dich stolz sein.»
        Wahrend Allday daran zuruckdachte, mu?te er lacheln. Dann fuhr er jedoch verblufft herum, weil Ferguson auf ihn zuwankte. In Fergusons Augen stand helle Furcht, und er klammerte sich an die Schutznetze, als waren sie sein einziger Halt.

«Was willst du denn hier?«grunzte McIntosh.

«Ich - ich bin herbefohlen, Sir. «Ferguson fuhr sich nervos mit der Zunge uber die Lippen.»Weil ich zu nichts anderem tauge.»
        McIntosh widmete sich wieder der Inspektion der Taljen.»Lieber Himmel«, war alles, was er sagte.

«Achte nicht auf die Schiffe, Bryan!«Allday schob sein Entermesser in den Gurtel. Der Griff legte sich ihm warm an die nackte Hufte.»Denke einfach nicht an sie. Duck dich hinter das Schanzkleid und tue alles, was ich mache. «Er zwang sich zu einem Grinsen.»Schoner Ausblick, den wir von hier haben.»
        Ritchie, der einfaltige Matrose aus Devon, fuhr mit der Hand uber das Kugelgestell und fragte:»Worauf schie?en wir, Mr. McIntosh?»
        Der Stuckmeister antwortete gereizt:»Wei? ich auch nicht, weil's der Kapitan mir noch nicht gesagt hat. Sowie ich's wei?, sag ich's dir.»
        Ritchie zuckte mit den Schultern.»Wir werden die Teufel zur Holle schicken. «Er blickte zur Cassius. »Die Froschfresser werden abdrehen und abhauen.»
        Kemp, ein Mann der Geschutzbedienung, meinte:»Wenn sie dich sehen, bestimmt.»
        Ferguson legte die Stirn auf den Arm.»So ein Wahnsinn! Wir werden alle umkommen.»
        Allday musterte ihn kummervoll. Er hat recht, dachte er. Wer kann bei einer solchen Schlacht schon davonkommen?» Wir haben April, Bryan«, sagte er dann, um ihn abzulenken.»Stell dir blo? vor, wie's jetzt in Cornwall aussieht. Die Hecken und die grunen Felder. .»
        Ferguson starrte ihn an.»Um Himmels willen, wovon redest du?»

«Hast du schon vergessen«, sagte Allday gelassen,»wie es uns beinahe gegangen ware, Bryan?«Und dann scharfer, weil er wu?te, da? Ferguson kurz vor dem Zusammenbruch stand:»Denkst du noch an Nick Pochin?«Er bemerkte, wie Ferguson zusammenfuhr, setzte jedoch hinzu:»Nun, der ist tot, baumelte mit den anderen Narren an der Gro?rah der Cassius.»
        Ferguson senkte den Kopf.»Entschuldige.»

«Du hast Angst, Bryan«, sagte Allday.»Klar, mir geht's nicht anders, und dem Kapitan hochstwahrscheinlich auch nicht.»
        In diesem Moment tauchte Herrick auf und ging zu den Karronaden.»Alles klar, Mr. McIntosh?»
        Der Stuckmeister stand auf und wischte seine Handflachen an der Hose ab.»Aye, Sir.
«Er sah den Leutnant aufmerksam an und fugte hinzu:»Das auf Mola scheint lange her zu sein, wie?»
        Herricks Blicke flogen uber das Hauptdeck zum uberhohten Achterdeck, wo Okes steif neben dem Kapitan stand. Wurde Okes diesmal wieder versagen? fragte er sich.»Ja, in der Tat«, antwortete er.
        Okes' Stimme, durch das Sprachrohr verzerrt, ubertonte das Rollen der Abschusse. Die Luvfockbrasse noch ein Stuck dichter! Mr. Packwood, notieren Sie den Mann da!»
        Herrick verbarg seine Besturzung vor McIntosh. Okes war so nervos, da? er einfach etwas sagen mu?te, egal was.
        McIntosh meinte trocken:»Beforderung lost nicht alle Probleme, Mr. Herrick.»
        Signalflaggen stiegen zu den Rahen der Cassius hoch. Noch wahrend Herrick hinuberschaute, horte er Maynard rufen:»>Vorwarts zum Angriff!<, Sir. «Dann mit etwas festerer Stimme:»>In Linie bleiben!<»
        Die Pfeifen schrillten.»An die Leebrassen! Schnell!»
        Im selben Zeitma? wie der schwerfallige Zweidecker wendeten die Fregatten langsam nach Sudost. Herrick legte die Hand uber die Augen, denn die Sonne stach durch die Lucken zwischen den Segeln. Die ihnen am nachsten segelnden feindlichen Schiffe waren kaum eine Viertelmeile entfernt. Sie fuhren in keiner erkennbaren Ordnung, hatten die Rahen jedoch herumgeholt und liefen auf das britische Geschwader zu. Die drohenden Kanonenreihen lagen in tiefem Schatten, als der machtige Dreidecker leicht an den Wind ging. Die Schlepptrosse war gekappt worden. Das fuhrende Linienschiff, der Last ledig, krangte schwach in der Brise, der
        Kommandantenwimpel zeigte direkt auf die Cassius.
        Herrick war die Kehle wie zugeschnurt.»Machen Sie weiter, Mr. McIntosh. Ich mu? mich um meine Pflichten kummern. «Er zwang sich, langsam zum Hauptdeck hinabzusteigen. Als er an einer offenen Luke voruberkam, neben der sich ein Seesoldat auf seine Muskete stutzte, sah er das grinsende Gesicht des Arztes.»Auf Ihr Wohl, Mr. Herrick!»
        Ellice schwenkte einen Humpen.
        Es gab Herrick einen Stich.»Zum Teufel mit Ihnen, Tobias!«rief er wutend.»Mich kriegen Sie heute nicht unter Ihr verdammtes Messer. »
        Einige Leute vom benachbarten Geschutz kicherten.»Recht so, Sir. Geben Sie's ihm!»
        Herrick nahm seine Position in der Decksmitte ein. Farquhar stand unterhalb des Achterdecks. Er war bla?, wirkte aber gesammelt. Herrick nickte ihm zu, doch Farquhar schien es nicht zu sehen. Plotzlich ertonte ein Krachen und Drohnen, das alle uberraschte, obwohl jeder darauf vorbereitet war. Ihm folgte sofort eine ungleichma?ige Salve, und gleich darauf eine zweite.

«Eintragung ins Logbuch, Mr. Proby. Wir haben Feindberuhrung. «Bolithos Stimme wurde undeutlich, als er sich umdrehte.»Kappen Sie die Beiboote, Mr. Neale. Bei diesem erbarmlichen Wind wirken sie wie ein Treibanker.»
        Herrick sah auf seine Hande hinunter. Sie zitterten nicht, doch es kam ihm vor, als habe er keine Sehne, keinen Muskel unter Kontrolle. Vor seinem geistigen Auge sah er die Beiboote der Phalarope achteraus treiben und dachte an Bolithos Ansprache an die Mannschaft: >. . und unter uns tausend Faden Wasser!< Er zuckte zusammen, denn eine weitere Breitseite lie? die Planken unter seinen Fu?en erbeben. Tausend Faden tief, und jetzt nicht mal mehr ein Rettungsboot fur die Uberlebenden.
        Herrick sah hoch. Bolitho war an die Querreling zuruckgekommen und schaute zu ihm herunter. Er sprach kein Wort, lachelte ihm aber einen Augenblick zu, als wollte er ihm damit eine personliche Botschaft ubermitteln, ehe er rief:»Mr. Neale, rennen Sie nicht so. Oder haben Sie vergessen, da? unsere Leute Sie heute beobachten?»
        Herrick wandte sich ab. Das konnte ebensogut ihm gegolten haben. Diese Entdeckung beruhigte ihn merkwurdig. Er ging zur Backbordbatterie und betrachtete die Reihe der Kanonen. In ein paar Minuten wurden sie feuern. In ein paar Minuten. Er musterte die Gesichter der Bedienungsmannschaften und kam sich plotzlich erbarmlich vor.

«Na, Jungs, das ist besser als Ubungen und Geschutzdienst, wie?»
        Zu seiner Uberraschung lachten sie uber seinen dummen Witz, und obwohl sich ihm der Magen zusammenzog, brachte er es fertig, mitzulachen.
        Bolitho spahte durch das glei?ende Sonnenlicht uber die Luvreling. Die vor der Phalarope laufende Cassius hielt den Kurs, aber die dem Verband voraussegelnde Volcano brach die Formation und scherte nach Backbord aus, als zwei franzosische Fregatten auf sie zuhielten.

«Die ist erledigt«, stie? Rennie hervor.»Denn beistehen konnen wir ihr nicht.»
        Die Wasseroberflache flimmerte, als die Stuckpforten der Volcano eine krachende Breitseite entlie?en, Kanone nach Kanone feuerte schnell hintereinander, jede sorgfaltig gezielt. Doch die beiden franzosischen Fregatten stie?en, unbeirrt und mit Windvorteil, von zwei Seiten auf die Volcano zu.

«Sie luvt an«, keuchte Proby.
        Bolitho atmete schwer. Kapitan Fox war kein Narr, sondern tatsachlich so gerissen wie ein Fuchs. Wahrend die zwei feindlichen Fregatten heranfegten, um ihr den Todessto? zu versetzen, schwang die Volcano lassig in den Wind. Das der Volcano nachste franzosische Schiff bemerkte seinen Fehler ein paar Sekunden zu spat. Wahrend die Rahen herumschwangen, traf es eine volle Salve der Volcano. Das franzosische Schiff taumelte, als habe es einen todlichen Schlag erhalten. Uber das Wasser klang zu Bolitho das Gerausch herabprasselnder Spieren heruber und das Rumpeln uber das Deck rutschender Kanonen. Ansonsten verbarg der wogende Pulverqualm alles. Doch daruber sah Bolitho die Flagge der Volcano und alle ihre Masten. Sie standen noch.

«Signal vom Flaggschiff, Sir: >Zum Flaggschiff aufrucken         Kommandantenflagge zu. Sie wurde alle Unterstutzung brauchen, die sie bekommen konnte. Fox mu?te eine Weile sehen, wie er allein fertig wurde.

«Einen Strich nach Steuerbord!«Bolitho lief zur Reling. Er beugte sich weit vor und sah die Segel des Linienschiffes, das auf das britische Flaggschiff zuhielt. So mu?ten sie langsseits aneinander vorbeilaufen. Er rief zum Hauptdeck hinab: Achtung, Mr. Herrick!»
        Da brullte Okes:»Der Franzose andert den Kurs, Sir!«Er trat vor Aufregung von einem Fu? auf den anderen.»Verdammt, Sir, er schert vor den Bug der Cassius. »
        Entweder wollte der franzosische Kapitan einem Artillerieduell, Kanone gegen Kanone, aus dem Wege gehen, oder er beabsichtigte, den Bug und die Masten der Cassius zu bestreichen, wahrend er ihren Kurs kreuzte. So oder so, er hatte seine Rechnung ohne die Zusatzsegel gemacht, die Admiral Napiers altliches Flaggschiff beschleunigten. Statt aneinander vorbeizukommen, kollidierten die beiden schweren Schiffe am Bug im rechten Winkel. Ineinander verhakt, eroffneten sie das Feuer. Der Keil Wasser zwischen ihnen kochte und brodelte unter dem Feuerschein und dem schwarzen Rauch.
        Erstarrt beobachtete Bolitho, wie der Vormast und die Gro?-bramstenge der Cassius betrunken schwankten und dann in den alles verhullenden Rauch und Pulverqualm hinabsturzten. Spieren zerfetzten die Leinwand und rissen die Leute aus der Tageklage.
        Eine neue Breitseite zerri? die Luft. Bolitho wu?te, da? die Vorschiffkanonen der Cassius und die des Feindes nur ein paar Fu? voneinander entfernt waren. Trotzdem blieben die Schiffe ineinander verklammert. Der zersplitterte Bugspriet und der zerschmetterte Kluverbaum eines jeden hatte sich in den Rumpf des anderen verbissen wie die Hauer zweier furchtbarer Bestien aus einem Albtraum.
        Bolitho legte die Hande trichterformig um den Mund.»Beide Karronaden nach Steuerbord. «Er winkte Proby zu.»Wir wollen uns hinter das Heck des Franzosen setzen. «Er duckte sich, denn eine Kugel pfiff uber ihn hinweg und fetzte ein gezacktes Loch in das Besansegel. Ein Irrlaufer der Giganten, aber deshalb nicht weniger todlich. Die Leute um ihn herum husteten und wischten sich die Augen, denn der Rauch zog jetzt auch uber die Decks der Phalarope.
        Der Ruderganger fluchte, als die zerrissenen Segel der Cassius plotzlich wie ein Phantom uber dem Qualm auftauchten. Aus der Stellung der Masten des Flaggschiffs sah Bolitho, da? er auf dem richtigen Kurs war. Der Rauch verschlang von neuem alles. Die Geschutze blitzten in doppelter Linie auf. Beide Schiffe feuerten aus allen Rohren im Direktschu?. Bolitho horte die Schiffsrumpfe gegeneinanderknirschen. Die Schreie der Verwundeten und Sterbenden mischten sich mit dem unglaubhaften Klang der Trommel- und Pfeifenabteilung des Admirals. Unmoglich zu sagen, was sie spielten, oder wie man bei einem solchen Inferno, das nach jedem Leben griff, auf eine Melodie achten konnte.
        Doch Bolitho rief:»Ein Hurra, Jungs! Eine Hurra dem Flaggschiff! »
        Musketen knallten, und Bolitho horte die Kugeln in das Schanzkleid schlagen und gegen die Neunpfunder jaulen.»Scharfschutzen!«bellte Rennie.»Schie?t die Schweine ab!«Aus der Takelage knallte eine Salve.
        Der Wind schien sich ganzlich gelegt zu haben. In dem undurchdringlichen Rauch lie?en sich allerdings weder Geschwindigkeit noch Entfernung abschatzen. Da zeichnete sich plotzlich das Heck des Zweideckers im Qualm ab. Wie eine Klippe hing es reich verziert uber dem Steuerbordbug der Phalarope. Aus den Heckfenstern blitzte Musketenfeuer. Die Scharfschutzen zielten auf die Back der Phalarope.
        Bolitho hammerte auf die Reling. Er achtete weder auf die pfeifenden Kugeln noch auf die Schreie vom Vorschiff. Er stellte sich das untere Kanonendeck des Feindes vor. Klar zum Gefecht gemacht, reihte sich von vorn bis achtern eine Kanone an die andere. Bolitho war als Fahnrich auf einem Linienschiff gefahren. Er wu?te, da? mehr als dreihundert Mann die Kanonen bedienten, gebuckt im Halbdunkel und halb erstickt durch den bei?enden Qualm. Mannschaften, die mit ihren Kanonen vertraut waren, doch nicht allzu genau zielten.»Die Karronaden, Mr. McIntosh! Feuern, wenn wir das Heck kreuzen.»
        Rennie grinste und wischte sich mit dem Armel uber das Gesicht.»Das wird ein paar umlegen, Sir.»
        Das Kampfgetose wurde von dem Krachen eines sturzenden Mastes und dem Pfeifen herabsausender Takelage ubertont. Bolitho bi? sich auf die Lippen. Die Cassius war ein sehr altes Schiff. Noch viele solcher Treffer konnte sie nicht einstecken. Sie wurde entweder auseinanderbrechen oder kampfend untergehen. Er fragte sich, was aus der Volcano und dem angeschlagenen Dreidecker geworden sein mochte. Wenn er in der Lage war, ebenfalls einzugreifen, mu?te alles in ein paar Minuten voruber sein. In seinem untersten Kanonendeck stand ein Zweiunddrei?igpfunder neben dem anderen. Eine solche Kugel schmetterte noch auf au?erste Entfernung durch feste Eichenbohlen von zweieinhalb Fu?. Bolitho wagte nicht daran zu denken, was dann mit den schwachen Planken der Phalarope geschehen wurde.

«Klar zum Schu?, Sir!«brullte McIntosh wie ein Verruckter.
        Bolitho zog den Degen.»Einen Strich nach Backbord, Mr. Proby. «Er wartete, bis der Kluver flatterte. Der Degen sauste herab.»Feuer!»
        Beide Karronaden feuerten fast gleichzeitig. Herrick spurte, wie das Deck unter ihm erbebte. Als der Qualm der Abschusse fortwirbelte, schaute er zum Heck des Franzosen hinuber und verga? einen Augenblick die ringsum wogende Schlacht. Noch vor wenigen Sekunden, als das Heck aus dem Qualm auftauchte, hatte er die breiten Kajutenfenster mit den lebensgro?en Figuren zu beiden Seiten gesehen, vollbrustige Seejungfrauen, jede mit einem Dreizack. Zwischen ihnen stand auf einem breiten Schild in Rot und Gold der Name: Ondine. Das Schiff war ihm machtvoll und unzerstorbar vorgekommen. Doch nun, als der Rauch der Karronadenabschusse abgezogen war, wirkte das Heck durch die gezackten Einschlu?locher wie die brandige Pforte zu einer vom Feuer zerfressenen Hohle. An den Schrecken und das Chaos drinnen konnte er nur kurz denken, denn ein Windsto? fullte die Segel der Phalarope. Das Deck krangte, und mit hart gelegtem Ruder schwang sie in engem Bogen um das Backbord-Achterdeck des feindlichen Schiffes.

«Achtung!«Herricks Augen glitten uber die kauernden Stuckmeister.»Feuer aus allen Rohren!»
        Die ersten Kanonen der Steuerbordbatterie feuerten auf einmal, die anderen folgten ungleichma?iger, wie die
        Abzugsleinen nacheinander gezogen wurden. Die Doppelladungen donnerten in den dicken Rauch langsseits, und ein paar Leute riefen Hurra. Doch der durch die Stuckpforten zuruckwirbelnde Pulverqualm erstickte die Rufe, und sie fluchten.

«Nachladen!«brullte Herrick.»Nachladen und ausrennen!«Die Phalarope glitt in kaum zwanzig Fu? Entfernung neben dem Franzosen vorbei; Herrick sah die dicht gedrangten Kopfe uber dem hohen Schanzkleid und das Mundungsfeuer der Gewehre, die aus der Takelage auf die Phalarope schossen. Doch das untere Kanonendeck mit seiner Reihe machtiger Geschutze blieb stumm. Kein einziger Schu? kam von dort als Antwort. Die Ladung der Karronaden mu?te dort alles niedergemaht haben.
        Aber Herrick sah auch, da? sich die Kanonen des Oberdecks wieder durch die Stuckpforten schoben. Beinahe sofort feuerte die gesamte Oberdeckbatterie eine betaubende Breitseite. Herrick taumelte zuruck. Das Krachen der Kanonen und das damonische Heulen der Kugeln, die uber ihn hinwegjaulten, lahmten ihn fast. In die auf Bolithos Befehl uber dem Hauptdeck ausgespannten Netze regneten Holzstucke, Blocke, zerfetzte Teile der Takelage und ganze Streifen geschwarzter Leinwand. Doch zu Herricks Verwunderung hatte die schlechtgezielte Breitseite nichts getroffen, was die Manovrierfahigkeit der Phalarope beeintrachtigt hatte. Kein Mast war gesturzt, keine Spiere gebrochen. Hatte die untere Batterie gefeuert, sagte Herrick sich, ware die Steuerbordwand der Phalarope mit allen Stuckpforten jetzt total zerschmettert.
        Die Stuckmeister brullten wie die Teufel:»Ausrennen! Legt euch in die Taljen! Zuruck!«Dann rissen sie die Abzugsleinen, und die Kanonen rumpelten durch den Rucksto? so weit nach hinten, wie die Taljen es erlaubten.
        Ein Gewehr knallte neben Herrick auf die Planken. Er starrte nach oben und blickte in die gebrochenen Augen eines Seesoldaten, den ein feindlicher Scharfschutze vom Gro?mast geholt hatte, und der ins Netz gesturzt war. Er verga? den Seesoldaten sofort, denn Schrecklicheres erforderte seine Aufmerksamkeit. Im Rauch sah er plotzlich den Besanmast der Ondine, der sich wie ein gefallter riesiger Baum neigte. Es war unmoglich, aber es geschah: Mast, Marsstenge und Bramstenge samt Leinwand und laufendem und stehendem Gut hingen eine Sekunde wie in starkem Wind in der Luft. Unter den Schreckens- und Verzweiflungsschreien der in den Wanten verstrickten Matrosen senkte er sich und sturzte quer uber das Achterdeck der Phalarope. Ihr Rumpf erzitterte, als ware die Fregatte auf ein Riff gelaufen. Herrick rannte nach achtern zum Niedergang und merkte, da? die Phalarope vom Flaggenknopf bis zum Kiel bebte und langsam nach Steuerbord schwoite. Der gefallte Mast verklammerte beide Schiffe durch eine feste Brucke miteinander. Wahrend eine neue Musketensalve fu?lange Splitter aus den Planken ri?, kampfte sich
Herrick den Niedergang hinauf.
        Das Achterdeck bot ein Bild der Zerstorung. Eine Rah war mitten in Rennies Seesoldaten geschlagen. Herrick kehrte dem Entsetzen den Rucken, als Sergeant Garwood brullte:»Achtung, kummert euch jetzt nicht um die Verwundeten!«Er musterte die Reste seiner Abteilung.»Gebt Schnellfeuer auf das Heck!«Eine Rauchwolke verschluckte ihn, denn die Kanonen der Fregatte feuerten von neuem. Die Kugeln krachten in den Rumpf der Ondine, der an der schmalsten Stelle etwa zehn Fu? entfernt war.
        Herrick zwangte sich an den Seeleuten vorbei, welche die franzosische Takelage kappten, und kniete sich neben Bolitho. Zuerst meinte er, den Kapitan habe eine Musketenkugel getroffen, doch als er ihm den Arm unter die Schulter schob, offnete Bolitho die Augen und setzte sich auf. Er blinzelte in Herricks besorgtes Gesicht und sagte dann:»Lassen Sie weiterfeuern, Mr. Herrick!«Er sah zum langsseits liegenden feindlichen Schiff hin und kampfte sich auf die Fu?e.»Wir mussen jeden Enterversuch vereiteln. «Er griff nach seinem Degen und rief heiser:»Kappt die Wrackstucke. Wir mussen klarkommen.»
        Okes stolperte durch den Rauch, Hose und Rock blutbespritzt. Sein Gesicht schien blo? aus Augen zu bestehen. Er rief etwas, aber Herrick horte es nicht. Bolitho machte eine Bewegung mit dem Degen.»Mr. Okes, nehmen Sie die Leute von der Backbordbatterie und bereiten Sie alles vor, um Enterer zuruckzuwerfen. «Er schuttelte den Leutnant wie einen Hund.»Haben Sie gehort, verdammt noch mal?»
        Okes nickte heftig. Ein Speichelfaden lief ihm uber das Kinn.
        Bolitho stie? ihn zum Niedergang, doch Herrick sagte hastig:»Ich werde es ubernehmen, Sir.»

«Nein, das werden Sie nicht!«Bolitho blickte sich wild um.»An Ihre Kanonen! Lassen Sie feuern. Das ist unsere einzige Chance.»
        Im selben Augenblick meldeten sich die Kanonen der Ondine wieder. Herrick wich zuruck, als ihm die Salve wie ein Gluthauch das Gesicht versengte.
        Die Matrosen, die eben noch die Wanten des auf die Phalarope gesturzten Besan gekappt hatten, waren jetzt nur noch eine zu Brei zermalmte Masse, hinter der ein Loch im Leeschanzkleid klaffte.
        Bolitho brullte Herrick ins Ohr:»Das nachste Mal kommen wir nicht so glimpflich davon!»
        Herrick rannte den Niedergang hinunter. Er sah nicht nach rechts oder links, als der Rumpf der Fregatte durch weitere schwere Einschusse wie unter wuchtigen Hammerschlagen erzitterte. Er lief durch den Pulverqualm, die Augen tranten ihm, und seine Kehle war wie ausgedorrt. Er rief den pulvergeschwarzten Geschutzbedienungen Ermunterungen zu, die aber unbeachtet blieben.
        Farquhar packte Herrick beim Arm.»Wir werden nie rechtzeitig klarkommen. «Er deutete auf das untere Kanonendeck der Ondine. »Die schweigen nicht ewig.»
        Herrick gab keine Antwort. Der Wind stand zum Feind. Und da der gesturzte Mast das Achterdeck der Phalarope festhielt, schwoite ihr Bug auf den Rumpf der Ondine zu. Durch den Rauch sah er, wie Matrosen des Zweideckers nach vorn rannten, auf den Punkt zu, wo die Schiffe zusammenprallen wurden. Die durch den Qualm dringenden Sonnenstrahlen blitzten auf erhobenen Waffen.
        Herricks Blick fiel auf Okes, der sich, den Sabel noch immer in der Scheide, nach vorn tastete.»Gehen Sie mit, Mr. Farquhar«, sagte er.»Er scheint nicht ganz in Ordnung zu sein.»
        Farquhars Augen funkelten kalt.»Ist mir ein Vergnugen.»
        Herrick sprang zuruck, denn ein Teil der Steuerbordgangway wirbelte zersplittert gen Himmel. Einer der Zwolfpfunder kippte mit einem Ruck seitlich um. Ein Matrose schrie gellend, als ihm ein abgetrennter Kopf vor die Fu?e flog, ein anderer, durch fliegende Holzsplitter geblendet, rannte davon.

«Bringt sie nach unten!«rief Herrick, horte aber zugleich, da? die Pumpen zu arbeiten begannen. Unter Deck war die Gefahr also genauso gro?. Er bemuhte sich, an nichts zu denken, und zwang sich, an den Kanonen entlangzugehen. Uberall fielen Manner, aber ihm war klar, da? er nicht zogern durfte.»Feuert weiter, Jungs!«rief er und schwenkte den Hut.»Wenn ihr England wiedersehen wollt, dann feuert weiter!»
        Die Mannschaften der nicht eingesetzten Geschutze sammelten sich auf dem Vorschiff unter den Schutznetzen. Alle waren mit Entermessern und Axten bewaffnet. Als sich der Bugspriet der Phalarope uber den Kluver des Franzosen schob, krachzte Okes: Drauf, Jungs! La?t sie nicht auf unsere Back!»
        Einige Manner riefen Hurra und kletterten auf den Bugspriet hinaus. Andere wichen zuruck, als eine Musketensalve in die Reihe der enternden Matrosen pfiff und einige kopfuber ins Wasser fegte.
        Farquhar drangte:»Sie mussen sie anfuhren, Mr. Okes. Mein Gott, Sie verlangen Unmogliches.»
        Okes drehte sich zu ihm um.»Halten Sie den Mund! Ich befehle hier.»
        Farquhar musterte ihn kalt.»Bisher habe ich geschwiegen, Mr. Okes. Aber jetzt rede ich, weil wir heute hochstwahrscheinlich sowieso alle dran glauben mussen. «Eine Musketenkugel ri? ihm den Hut vom Kopf, aber er zuckte nicht einmal mit der Wimper.»Sie sind ein Betruger, ein Feigling und ein Lugner! Wenn Sie es wert waren, wurde ich Sie gleich hier blo?stellen, vor den Mannern, die Sie sich nicht einmal anzufuhren trauen. «Er kehrte Okes, dessen Gesicht kalkwei? geworden war, den Rucken und rief:»Mir nach, ihr zerlumpten Helden!«Er schwang den Degen.»Platz fur einen jungeren Mann!»
        Sie lachten wie Irre und klopften ihm auf die Schulter, als er uber die Schutznetze auf den glatten Bugspriet hinauskroch. Musketenschusse umjaulten ihn, aber die Sache war es wert. Und wenn auch nur deswegen, weil er Okes endlich gesagt hatte, was er wegen seiner Feigheit von ihm hielt.
        Okes stierte zum Achterdeck. Er stohnte auf, als ein Matrose an ihm vorbeikroch, dem ein gro?er Holzsplitter den Leib halb aufgerissen hatte. Bolitho stand noch immer an der Querreling, das Sprachrohr in der einen, den Degen in der anderen Hand.
        Die Kapitansuniform leuchtete in dem schwachen Sonnenlicht, und Okes bemerkte Einschlage im Schanzkleid. Verborgene Scharfschutzen versuchten, den Kapitan der Phalarope zu treffen.»Ich hoffe, Sie gehen drauf!«heulte Okes.»Ich hoffe, ihr geht alle drauf!»
        Schluchzend griff er nach seinem Sabel. Doch so wenig jemand die wusten Worte beachtete, so wenig beachtete man seine Gegenwart auf der blutbespritzten Back. Er dachte an Farquhars bei?ende Worte und die Verachtung in seinen Augen.

«Niemals!«Er schob sich auf den Bugspriet hinaus, wo einige Manner schon mit dem Feind die Klingen kreuzten.»Ich werde es euch zeigen!«Ohne auf die Fluche und Schreie zu achten, zog er sich an einem Matrosen vorbei und hieb mit dem Sabel nach einem franzosischen Unteroffizier. Der Mann stierte kurz auf seine klaffende Wunde, ehe er zwischen die dicht aneinandergedrangten Schiffsrumpfe sturzte. Weiter vor! Okes stie? Farquhar beiseite, um sich auf den Feind zu sturzen.
        Farquhar sah den Irrsinn in Okes Augen und versuchte, ihn zuruckzuhalten. Aber es war zwecklos, denn die britischen Matrosen, durch die scheinbare Tapferkeit ihrer Offiziere mitgerissen, schwarmten zum Schanzkleid der Ondine hinuber.
        Okes zischte:»Sie haben wohl Angst, Mr. Farquhar? «Er warf den Kopf zuruck und lachte gellend.»Das durfte Ihrem Onkel aber nicht gefallen!»
        Farquhar parierte einen Lanzenstich und folgte Okes hinuber auf das gro?e Deck der Ondine. Jetzt galt es einen Kampf, in dem jeder auf sich gestellt war.
        Bolitho beobachtete durch den Pulverqualm, da? seine Leute von der Verteidigung zum Angriff ubergingen. Ganz gleich, wer beschlossen hatte, die Ondine zu entern, er hatte die richtige Entscheidung getroffen, dachte er grimmig. Er horte, wie sich hinter ihm die Axte in das Gewirr der Masttrummer bissen, und wu?te, da? es der Phalarope unmoglich war, sich aus der Verklammerung zu losen, bevor die schweren Geschutze der Ondine wieder in den Kampf eingreifen konnten.
        Er ging uber das Achterdeck zu Rennie.»Wir mussen sie auch von achtern entern.
«Und als Rennie nickte, setzte er hinzu:»Suchen Sie sofort ein paar Manner zusammen. «Dann horte er jemanden schluchzen und sah, da? Neale an der Leereling kniete. Fahnrich Maynard lag auf dem Rucken, ein
        Arm, in die Signalleine verwickelt, zeigte nach oben. Seine Augen waren weit geoffnet, blicklos und merkwurdig friedlich. Neale hielt Maynards Hand und achtete weder auf die Abschusse der Kanonen noch auf die Musketenkugeln, denen sein Freund schon zum Opfer gefallen war.
        Bolitho zog Neale hoch. Der Junge schien dicht vor dem Zusammenbruch. Mit einem wilden Aufschrei barg er das Gesicht am Rock des Kapitans. Er zitterte am ganzen Korper vor Kummer. Bolitho schob ihn ein Stuck zuruck und hob sein Kinn leicht mit dem Degengriff. Er sah ihn eine Sekunde lang fest an und sagte dann eindringlich: Nehmen Sie sich zusammen, Mr. Neale. «Er sah den leeren Blick in Neales Augen und verdrangte die Tatsache, da? er mit einem angstgeschuttelten Dreizehnjahrigen sprach, der eben seinen besten Freund verloren hatte.»Sie sind Offizier des Konigs, Neale. «Und weicher:»Denken Sie daran, was ich vorhin gesagt habe. Unsere Leute beobachten Sie heute. Glauben Sie, da? Sie mir jetzt helfen konnen?»
        Neale wischte sich die Augen mit dem Armel und sah zu dem am Schanzkleid liegenden Maynard hinab, dessen Arm ruckte, als der Wind an der Falleine ruttelte. Danach blickte er Bolitho an und stammelte:»Ja, Sir.»
        Bolitho sah ihm nach, als er zu den schreienden Kanonieren zuruckging: klein und kaum zu erkennen in Rauch und Flammen dieser furchtbaren Schlacht.
        Rennie tauchte wieder auf. Uber dem Auge klaffte eine Wunde.»Alles klar, Sir. «Er schwang seinen Degen.»Soll ich jetzt mit den Leuten entern?»
        Bolitho blickte uber das zerschlagene Achterdeck. Scheint mehr Tote als Lebende zu geben, dachte er mude. Er taumelte, denn eine Kugel krachte in den Niedergang des Achterdecks und ri? die Planken auf wie ein Pflug. Er sah unglaubig, wie Proby die Hand ans Gesicht hob und mit den Fingern einen Blutstrom zu stillen versuchte. Der Steuermann torkelte gegen das Rad. Als Strachan hinzusprang, um ihn zu stutzen, schlug er wimmernd hin. Seine Hande hammerten auf die Planken. Bolitho sah, da? ihm ein Schu? das Gesicht weggerissen hatte.

«Wir mussen die Ondine nehmen«, stie? Bolitho hervor.»Wenn die Franzosen sehen, da? ihr Flaggschiff die Flagge streicht, werden sie. . «Er verstummte und blickte wieder auf
        Probys Leichnam hinab. Ich habe sie alle hineingerissen, dachte er, und sein Schmerz schlug in hilflose Wut um. Dafur habe ich das Schiff und jeden Mann an Bord geopfert.
        Rennie sah ihn ruhig an.»Es war die richtige Entscheidung, Sir. «Er ruckte seinen Hut gerade und sagte zu seinem Sergeanten:»Na, Garwood, wie war's mit einem kleinen Spaziergang?»
        Bolitho starrte ihn an. Es war, als hatte Rennie seine Gedanken gelesen. Er sagte: Die Cassius wird uns Schutzenhilfe geben. «Er musterte die Seesoldaten, die sich jenseits von Furcht oder Angst wie wilde Tiere zum Sprung geduckt hatten.»Sie oder wir, Jungs, so steht es.»
        Als die Manner mit einem Hurra antworteten, sprang er auf den umgesturzten Mast der Ondine und begann hinuber-zukriechen.
        Einmal sah er ins Wasser hinunter, auf dem Holzteile und Leichen trieben, sowohl franzosische wie britische.
        Unter au?erster Anstrengung erreichte er das Heck der Ondine. Kugeln pfiffen an ihm voruber. Hinter sich horte er Schreie. Einige seiner Leute sturzten hinab zu den treibenden Toten. Bolitho hackte die Reste der franzosischen Enternetze weg und sprang auf das Deck hinuber. Uberall lagen Tote und Sterbende. Sein Blick flog zur anderen Schiffsseite und erstarrte. Die Cassius lag nicht mehr langsseits, sondern trieb ab, in den Rauch ihrer eigenen Wunden gehullt: ein entmasteter Rumpf, bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen. Aus jedem Speigatt flossen Strome von Blut die Bordwand hinab und farbten das Wasser rot. Es sah aus, als verblute das Schiff. Doch vom Stumpf des Besan wehte, wenn auch durchlochert und zerfetzt, noch immer trotzig die Flagge, und wahrend Rennies Seesoldaten brullend uber das Heck der Ondine ausschwarmten, ertonten auf dem Deck der Cassius Hurrarufe. Nicht sehr laut, denn allzuviele konnten nicht mehr mit einstimmen, Aber auf Bolitho wirkten die Rufe anspornend.
        Er sturmte uber das Deck und hieb, durch die Hurrarufe und die kampfwutigen Manner in seinem Rucken angetrieben, fast auf einen Streich zwei Matrosen nieder. Er sah seine erste Entermannschaft auf dem Vorschiff der Ondine, die in der Uberzahl befindlichen Verteidiger hatten die britischen Enterer eingekreist und drangten sie trotz aller Gegenwehr an die Reling zuruck.»Haltet stand, Manner der Phalarope!«brullte Bolitho. Er sah, da? der Druck der Franzosen nachlie?, weil sie sich umwandten, um der neuen Bedrohung zu begegnen.»Hierher, Jungs! Schlagt euch durch!»
        Von der Fregatte quollen weitere Leute heruber. Im Rauch erkannte Bolitho Leutnant Herrick, der seinen Mannern den Weg wies. Er drehte sich wieder um. Vorn hackte sich Okes einen Weg durch die Feinde. Sein Sabel triefte vor Blut, als er einen gellend aufschreienden Fahnrich niedermachte und auf einen Matrosen eindrang, der eine Drehbasse neben dem Achterdeck nachladen wollte. Okes blutete aus vielen Wunden. Gerade als er die Leiter erreichte, bellte die Drehbasse dumpf auf. Die geballte Kartatschenladung ri? Okes wie eine Stoffpuppe hoch und schleuderte ihn leblos zwischen die Kampfenden unterhalb der Leiter. Der Kanonier fiel eine Sekunde spater, niedergestreckt durch ein Entermesser.
        Dann war mit einenmal alles voruber. Die Waffen der Franzosen klirrten auf Deck. Bolitho registrierte, da? die trotzigen Abwehrrufe in Bitten um Pardon ubergegangen waren. Er wu?te, da? er seine Leute jetzt nicht zuruckhalten konnte, wenn sie die Schlachterei vollenden wollten. Ein unbekannter Seemann brach jedoch den Blutrausch, indem er rief:»Ein Hoch auf die Phalarope!«Seine Stimme kippte vor Freude und Jubel uber.»Und ein Hoch auf ihren verruckten Alten!»
        Bolitho kletterte die Leiter hinunter, vorbei an gelahmten Franzosen und zerfetzten Leibern, die wirr uber- und durcheinander lagen.

«Hauptmann Rennie!«Er stand neben dem Leichnam von Leutnant Okes.»Hissen Sie unsere Flagge uber der franzosischen. «Er merkte, da? ihm die Hande zitterten. Alle sollen sehen, was Sie heute geleistet haben.,»

«Der Hauptmann ist gefallen, Sir«, sagte Sergeant Garwood heiser. Er entrollte die Flagge sorgsam.»Ich werde es tun.»

«Tot?«Bolitho starrte ihm nach.»Rennie auch?«Und als Herrick ihm die Hand auf den Arm legte, fragte er dumpf:»Was ist?»

«Das Schiff ist unser, Sir!«Herrick zitterte vor Erregung.»Das Kanonendeck gleicht einem Schlachthaus. Unsere Kanonaden haben mehr als. . «Er bemerkte Bolithos Ausdruck und brach ab.

«Gut, Mr. Herrick. Danke. «Bolithos Stimme bebte.»Ich danke euch allen!«Er wandte sich ab, als neue Hochrufe uber das Deck schallten.
        Herrick schuttelte den Kopf, er konnte es noch immer nicht fassen.»Ein Zweidecker, Sir! Welch ein Sieg.»

«Sieg ist unsere Tradition, Mr. Herrick«, entgegnete Bolitho leise. Er schien mehr zu sich selbst zu sprechen.»Sammeln Sie unsere Leute, und schicken Sie sie zuruck auf die Phalarope. Die Masttrummer sind gekappt. «Seine Augen wanderten stumpf uber sein Schiff. In dem einst so schmucken Rumpf klafften gro?e Locher. Der Bug lag tief im Wasser. Es klang, als wurden die Pumpen mit dem hereinbrechenden Wasser gerade noch fertig. Alle drei Stengen waren von oben gekommen. Die Segel flatterten in langen Streifen. In der Takelage hingen Tote, und das zerfetzte und aufgerissene Deck zeigte rote Lachen. Und jetzt horten sie auch zum erstenmal wieder das dumpfe Grollen der gro?en Schlacht, noch immer weit entfernt und unpersonlich.
        Bolitho gab sich einen Ruck.»Tempo, Mr. Herrick. Noch ist der Kampf nicht zu Ende.
«Wenn nur die Hochrufe aufhoren wurden. Wenn er nur eine Sekunde allein sein konnte.
        Herrick schwenkte den Arm.»Zuruck zur Phalarope, Jungs. Das Wrack hier nehmen wir spater in unsere Obhut.»
        Bolitho ging zum Schanzkleid. Uber den Streifen Wasser hinweg sah er Neale dort stehen, wo er gestanden hatte, als sie die Ondine enterten: neben dem Ruder. Er sagte:»Mein Bootsmaat soll Mr. Okes und Captain Rennie zur Phalarope hinuberschaffen. «Er sah den Wechsel in Herricks Zugen und spurte von neuem, wie Verzweiflung uber ihm zusammenschlagen wollte.»Stockdale auch, Mr. Herrick?»
        Herrick nickte.»Er fiel, als Sie auf dem Heck kampften, Sir. Er hat Ihnen gegen die Scharfschutzen den Rucken gedeckt. «Er versuchte zu lacheln.»Ich glaube, so hat er sich seinen Tod gewunscht.»
        Bolitho sah Herrick leer an. Stockdale war tot! Und er hatte nicht einmal gesehen, wie er fiel.
        Farquhar drangte sich durch. Er sah aufgeregt aus.»Kaptn, Sir, die Leute vom Ausguck melden, da? unsere Flotte die franzosische Front an zwei Stellen gespalten hat. «Er blickte von einem blutbespritzten Gesicht zum anderen.»Rodney hat die franzosische Linie aufgebrochen, horen Sie nicht?»
        Bolitho fuhlte einen Lufthauch an der Wange. Eine leichte Brise kam auf. De Grasse war also geschlagen. Seine Augen wanderten zur schrag liegenden Phalarope hinuber. Beinahe waren ihm die Tranen gekommen. Waren alle diese Opfer nun umsonst?
        Herrick zog ihn am Arm.»Sehen Sie, Sir! Da druben!»
        Der auffrischende Wind schob den Rauchvorhang beiseite, der Blick auf die kampfenden, schwer mitgenommenen Schiffe wurde frei. Bolitho sah den Umri? des gro?en Dreideckers. Seine Kanonen waren noch immer ausgerannt. Kein feindlicher Treffer hatte den Anstrich verletzt, er schimmerte unverletzt. Wahrend des Gefechts hatte der Dreidecker, zum Kampf nicht willens oder nicht fahig, dem Inferno untatig zugeschaut. Seiner schweren Bestuckung war kein Brite zum Opfer gefallen.
        Dennoch flatterte uber der franzosischen Flagge des Dreideckers eine zweite. Die Flagge, die auch uber der entmasteten Cassius und an Bord der Ondine flatterte, die auf der Phalarope stand und auf der siegreichen Volcano, die sich jetzt durch die letzte Rauchbank schob.
        Herrick fragte trocken:»Brauchen Sie noch mehr, Sir? Der Dreidecker ergibt sich Ihnen.»
        Bolitho nickte und kletterte uber das Schanzkleid.»Wir wollen die Phalarope in Fahrt bringen, Mr. Herrick. Obwohl ich furchte, da? sie nie wieder in den Kampf segeln wird.»

«Es gibt noch andere Schiffe, Sir«, sagte Herrick.
        Bolitho schwang sich uber das Schanzkleid der Phalarope. Auf der Gangway ging er langsam an den erschopften, schwei?uberstromten Kanonieren vorbei, die zu ihm aufsahen.»Andere Schiffe?«Er beruhrte die zersplitterte Reling und lachelte traurig.»Aber keins wie sie, Mr. Herrick. «Er schob den Hut nach hinten und blickte zur Flagge hinauf.»Aber keins wie die Phalarope!»



        XIX Epilog

        Leutnant Thomas Herrick zog den Uniformmantel enger um die Schultern und griff nach seiner kleinen Reisetasche. Die Hauser rings um den mit Kopfsteinen gepflasterten Platz bedeckte hoher Schnee. Der starke Wind, der von der Falmouth Bay hereinwehte und ihm durch Mark und Bein drang, verriet Herrick, da? es noch mehr Schnee geben wurde. Er sah einen Augenblick zu, wie die Stallburschen die dampfenden Pferde in den Gasthaushof fuhrten. Die mit Schlamm bespritzte Kutsche, die Herrick eben verlassen hatte, stand einsam und leer da. Durch die Fenster des Gasthofs leuchtete ein freundliches Feuer, drangen Stimmen und Gelachter.
        Herrick spurte die Versuchung, hineinzugehen und sich zu den unbekannten Leuten zu gesellen. Nach der langen Fahrt von Plymouth - und den vier Tagen, die er schon davor auf der Stra?e verbracht hatte - war er mude und abgespannt. Doch als sein Blick zu der in Nebel gehullten Pendennis Castle hinaufwanderte und uber die nackten Hugel dahinter, wu?te er, da? er sich nur etwas vormachte. Er kehrte dem Gasthof den Rucken und ging die Gasse hinauf. Er hatte alles viel gro?er in Erinnerung. Sogar die Kirche samt ihrer niedrigen Mauer und den windschiefen Grabsteinen auf dem Friedhof schien seit seinem letzten und einzigen Besuch geschrumpft zu sein. Er trat zur Seite und in einen Schneehaufen, als zwei Kinder unter lautem Geschrei an ihm vorbeisturmten, hinter sich einen primitiven Schlitten. Sie sahen Herrick nicht an. Auch das war anders als beim vorigen Mal.
        Ein Windsto? peitschte Herrick den Schnee von einer niedrigen Hecke ins Gesicht, und er beugte den Kopf. Als er wieder hochschaute, erblickte er das alte Haus, gro? und grau, so wie es ihm die ganze Zeit uber vor Augen gestanden hatte. Er schritt schneller aus, plotzlich nervos und unsicher.
        Eine Glocke ertonte im Haus. Gerade als er den schweren eisernen Griff loslie?, ging die Haustur auf, und eine hubsche blonde Frau in dunklem Kleid und wei?er Haube trat gru?end zur Seite, um ihn einzulassen.

«Guten Tag, Ma'am«, sagte Herrick unsicher.»Mein Name ist Herrick. Ich komme geradewegs von der anderen Seite Englands.»
        Sie nahm ihm Mantel und Hut ab und betrachtete ihn mit einem merkwurdigen, unterdruckten Lacheln.»Das war eine lange Reise, Sir. Der Herr erwartet Sie.»
        In diesem Moment offnete sich die Tur am Ende der Halle, und Bolitho kam in die Diele, um ihn zu begru?en. Einige Sekunden standen sie sich schweigend gegenuber, in einem
        Handedruck vereint, den keiner losen wollte. Dann sagte Bolitho:»Kommen Sie ins Arbeitszimmer, Thomas. Ein gutes Feuer wartet.»
        Herrick lie? sich in einen tiefen Ledersessel fallen. Seine Augen wanderten uber die alten Portrats an den holzgetafelten Wanden.
        Bolitho musterte ihn ernst.»Ich freue mich, da? Sie gekommen sind, Thomas. Ich freue mich mehr, als ich sagen kann. «Er wirkte nervos und unruhig.

«Wie mir alles wieder vor Augen steht, wenn ich hier sitze«, sagte Herrick.»Vor dreizehn Monaten haben wir in Falmouth Anker gelichtet und sind zusammen nach Westindien gesegelt. «Er schuttelte traurig den Kopf.»Und nun ist alles vorbei, der Friede ist in Versailles unterzeichnet. Es ist zu Ende.»
        Bolitho blickte ins Feuer. Der Widerschein der Flammen spielte uber sein dunkles Haar und seine grauen Augen.»Mein Vater ist tot, Thomas. «Er hielt inne, als Herrick sich hastig aufrichtete.»Und auch mein Bruder Hugh.»
        Herrick brachte lange kein Wort uber die Lippen. Er hatte gern etwas Trostendes gesagt, das den Schmerz, der in Bolithos Stimme schwang, lindern konnte. Muhelos versetzte er sich um Monate zuruck, an den Tag, an dem die zerschossene Phalarope mit Schlagseite zur Reparatur nach Antigua kroch. Herrick wu?te, da? man Bolitho die unverzugliche Heimfahrt nach England und ein besseres und bedeutenderes Kommando angeboten hatte. Statt dessen blieb er auf der Fregatte, uberwachte die Ausbesserungsarbeiten und kummerte sich um die Verwundeten und Kranken der Besatzung. Der Oktober kam heran. Obwohl die Wiederinstandsetzung erst halb vollendet war, beorderte man die Phalarope nach England. Die >Battle of the Saintes<, wie sie bald genannt wurde, war die letzte gro?e Schlacht des unseligen Krieges gewesen. Als die Fregatte in Spithead Anker warf, erklangen in England die Friedensglocken. Es war eine unbefriedigende Ubereinkunft, aber England hatte den Krieg zu lange aus der Defensive fuhren mussen. Und wie Pitt im Unterhaus gesagt hatte:»Ein defensiver Krieg kann nur mit unausweichlicher Niederlage enden.»
        Bolitho verlie? das Schiff in Portsmouth, aber erst nachdem alle Leute ordentlich entlohnt und Geld an die Angehorigen der vielen Gefallenen abgeschickt worden waren. Dann, fast ohne Abschied, war er nach Falmouth aufgebrochen.
        Herrick, nun Erster Leutnant, war an Bord geblieben und hatte das Schiff der Werft ubergeben. Danach war auch er in seine Heimat abgereist. Dort, in Kent, hatte er wenige Tage spater Bolithos Brief erhalten und sich nach Cornwall auf den Weg gemacht, ohne genau zu wissen, ob es sich um eine echte Einladung oder blo? um eine formelle Hoflichkeit handelte.
        Doch wahrend seine Augen jetzt durch den gro?en, dammrigen Raum und uber Bolithos schlanke Gestalt vor dem Feuer glitten, ging ihm auf, da? Bolitho nun vollig allein war.

«Es tut mir leid. Davon hatte ich keine Ahnung.»

«Mein Vater ist vor drei Monaten gestorben. «Bolitho lachelte kurz und bitter. Hugh kam ein paar Monate nach der Schlacht bei den Saintes um: Tod durch Unfall. Ein durchgegangenes Pferd, glaube ich.»

«Woher wissen Sie das alles?»
        Bolitho zog eine Lade auf und legte einen Degen auf den Tisch. Im Schein der Flammen glanzte er so hell, da? man die angelaufene Vergoldung und die abgenutzte Scheide ubersah.»Hugh hat ihn meinem Vater geschickt. Fur mich. «Er blickte wieder ins Feuer.»Er schrieb, er sei zu dem Schlu? gekommen, da? er von rechtswegen mir gehore.»
        Die Tur offnete sich, und die blonde Frau brachte ein Tablett mit hei?em Punsch herein.
        Bolitho lachelte.»Danke schon, Mrs. Ferguson. Wir essen dann gleich.»
        Die Tur schlo? sich wieder, und Bolitho sah die Frage auf Herricks Gesicht.»Ja, die Frau meines Schreibers Ferguson. Er arbeitet jetzt ebenfalls fur mich.»
        Herrick nickte und griff nach einem der Glaser.»Er hat bei den Saintes einen Arm verloren. Ich erinnere mich.»
        Bolitho schenkte sich ein und hielt das Glas gegen den Schein der Flammen.»Seine Frau ist wieder gesund geworden. Und Ferguson gilt in der Stadt als Held. «Es schien ihn zu amusieren, und um seine Mundwinkel spielte das Herrick so vertraute Lacheln, ehe er fortfuhr:»Ja, nun ist der Krieg aus, Thomas. Und wir sind an den Strand geworfen. Ich frage mich, was vor Leuten wie uns liegt.»

«Dieser Frieden wahrt nicht ewig, Sir«, antwortete Herrick nachdenklich und hob sein Glas.»Auf alte Freunde, Sir!«Bilder zogen an seinem geistigen Auge vorbei. Und auf das Schiff!»
        Bolitho trank und verschrankte die Hande auf dem Rucken. Selbst diese unbewu?te Geste weckte in Herrick scharfe Erinnerungen an jaulende Schusse, das Krachen und Donnern der Schlacht und an einen Bolitho, der wie tief in Gedanken versunken auf dem Achterdeck auf und ab schritt.

«Und Sie, Sir? Was werden Sie anfangen?»
        Bolitho zog die Schultern hoch.»Wahrscheinlich werde ich Grundbesitzer. Und Friedensrichter wie mein Vater. «Er schaute zu der Ahnengalerie hinauf.»Aber vorerst warte ich. Auf ein neues Schiff.»
        Die Tur offnete sich, und ein Mann in gruner Schurze fragte:»Brauchen Sie noch Wein aus dem Keller, Kapitan?»
        Herrick sprang auf.»Mein Gott, Allday!«Allday grinste befangen.»Aye, Mr. Herrick. Ja, ich bin's wirklich.»
        Bolitho sah von einem zum anderen.»Nach Stockdales Tod hat Allday mir gesagt, da? er seine Meinung geandert hat und den Dienst nicht quittieren will. «Er lachelte traurig.»Ergibt es sich also, dann gehen wir zusammen zuruck auf See.»
        Bolitho griff nach dem Degen und wiegte ihn in Handen.»Wenn es soweit ist«, sagte er uber die Schulter,»werde ich einen guten Ersten Offizier brauchen, Thomas. «Er drehte sich um und suchte Herricks Augen.
        Herrick spurte, wie die seinen Korper durchflutende Warme allen Zweifel und jedes Gefuhl des Verlorenseins fortschwemmte. Er hob das Glas.»Es ist nicht weit bis Kent, Sir. Ich werde bereit sein, wenn Sie mich rufen.»
        Bolitho wandte sich ab und beobachtete den gegen die Fenster peitschenden Schnee. Dann blickte er eine Weile zum grauen Himmel und zu den fliegenden Wolken empor und bildete sich ein, da? er den Wind durch die Wanten und die Takelage pfeifen horte, begleitet vom Zischen der Gischt, die uber die Reling und das Schanzkleid spritzte. Er drehte sich zu Herrick und Allday um und sagte fest:»Kommen Sie, Thomas. Wir haben noch uber vieles zu reden.»
        Sie gingen ins E?zimmer. Allday sah ihnen nach, ehe er mit einem Lacheln den Degen sorgsam wieder in die Lade zurucklegte.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        Seekadett bzw. Fahnrich zur See


 
Êíèãè èç ýòîé ýëåêòðîííîé áèáëèîòåêè, ëó÷øå âñåãî ÷èòàòü ÷åðåç ïðîãðàììû-÷èòàëêè: ICE Book Reader, Book Reader, BookZ Reader. Äëÿ àíäðîèäà Alreader, CoolReader. Áèáëèîòåêà ïîñòðîåíà íà íåêîììåð÷åñêîé îñíîâå (áåç ðåêëàìû), áëàãîäàðÿ ýíòóçèàçìó áèáëèîòåêàðÿ.  ñëó÷àå òåõíè÷åñêèõ ïðîáëåì îáðàùàòüñÿ ê