Áèáëèîòåêà / Ïðèêëþ÷åíèÿ / Êåíò Àëåêñàíäåð : " Admiral Bolithos Erbe Ein Handstreich In Der Biskaya " - ÷èòàòü îíëàéí

Ñîõðàíèòü .
Admiral Bolithos Erbe: Ein Handstreich in der Biskaya Àëåêñàíäåð Êåíò

        Ñàãà î Ðè÷àðäå Áîëèòî #16
1801 - in der Biskaya. England steht kurz vor einem trugerischen Frieden mit Napoleon und wahnt sich in Sicherheit. Nur ein erfahrener alter Seelord rechnet mit einem Uberraschungsangriff und befiehlt Konteradmiral Bolithos Geschwader in die Biskaya. Er soll die vermutlich bei Lorient wartende Invasionsflotte vernichten - eine fast unlosbare Aufgabe! In Sichtweite der Franzosen geschieht denn auch das Ungluck: Bolithos Flaggschiff "Styx" rammt ein treibendes Wrack und sinkt in Minutenschnelle. In der Heimat trauert man um den verschollenen Seehelden. Denn bis auf seine Verlobte Belinda und seinen Freund Kommodore Herrick halt jeder den jungen Admiral fur tot. Nur sie hoffen wider alle Vernunft auf ein Wunder…

        Alexander Kent
        Admiral Bolithos Erbe
        Ein Handstreich in der Biskaya

        I Landurlaub

        Der Sommer 1801 war selbst fur das milde West-England au?ergewohnlich freundlich und warm; er brachte tagelang blauen, wolkenlosen Himmel und reichlich Sonnenschein. Plymouth lag an diesem geschaftigen Julivormittag unter einem so glei?enden Licht, da? die Schiffe, die von der Reede bis zum Sund dicht an dicht ankerten, im Glast zu wabern und zu tanzen schienen, als wollten sie vergessen machen, wie grimmig ihre Batteriedecks drohten und wie tief die Narben aus der Schlacht waren, die manche von ihnen davongetragen hatten.
        Eine schnittige Gig glitt zielstrebig unter dem Heck eines hohen Dreideckers durch und wich dabei geschickt einem schwerfalligen Leichter aus, der bis ubers Dollbord mit gro?en Wasserfassern und Tonnen beladen war. Die hellen Riemen der Gig hoben und senkten sich im Gleichtakt, und auch die sauberen karierten Hemden und frisch geteerten Hute der Crew machten ihrem Mutterschiff und dessen Bootsmann alle Ehre. Letzterer beobachtete zwar aufmerksam den Bootsverkehr im Hafen, beschaftigte sich aber im Geiste vor allem mit seinem Passagier: Kapitan Thomas Herrick, den er mit der Gig gerade von der Pier abgeholt hatte.
        Herrick war sich der Geistesabwesenheit seines Bootsmanns sehr wohl bewu?t; er spurte auch die Spannung der Bootsgasten, die seinem Blick auswichen, als sie jetzt ihre Riemenblatter horizontal drehten und die Gig wie einen riesigen Kafer uber das helle Wasser gleiten lie?en.
        Herrick hatte eine lange, ermudende Reise aus seiner Heimat Kent hinter sich, und je naher er Plymouth gekommen war, um so besorgter hatten sich seine Gedanken mit dem beschaftigt, was ihn erwarten wurde.
        Sein Schiff, die mit 74 Kanonen bestuckte Benbow, war erst vor knapp einem Monat in Plymouth eingelaufen. Kaum zu glauben, da? jenes blutige Inferno, das man inzwischen die» Schlacht von Kopenhagen«[am 1. April 1801] nannte, erst drei Monate zurucklag. Das kleine Kustengeschwader, dessen Flaggschiff die Benbow gewesen war, hatte sich im Kampf besonders hervorgetan. Alle waren dieser Ansicht, und die Gazette hatte sogar angedeutet, da? ohne ihren Einsatz die» Dinge
«vielleicht ganz anders ausgegangen waren.
        Herrick runzelte die Stirn und rutschte unbehaglich auf seiner Ducht herum. Er merkte nicht, da? der Schlagmann unter seinem starren Blick zusammenfuhr, ja er war sich des Mannes nicht einmal bewu?t. Herrick zahlte jetzt 44 Jahre und hatte seinen hart erkampften augenblicklichen Rang weder guten Beziehungen noch einem einflu?reichen Gonner zu verdanken. Und das Gerede an Land kannte er bis zum Uberdru?, er verachtete grundlich jene Neunmalklugen, die von einem Seegefecht so faselten, als sei es lediglich ein sportliches, von einem Schiedsrichter zu bewertendes Kraftemessen.
        Solche Leute bekamen nie das Blut zu sehen, das Gemetzel, die zerfetzten Korper und zerrutteten Gemuter, die der Zoll jeder Schlacht waren. Oder das Verhau aus gebrochenen Stagen und gesplitterten Spieren, das ohne Federlesen gekappt werden mu?te, damit der Schaden sich in Grenzen hielt und das Wrack sich wieder in ein Kriegsschiff verwandelte.
        Herrick lie? den Blick uber die stark befahrene Reede wandern. Uberall wurden Schiffe ausgerustet oder verproviantiert. Eine schlanke Fregatte erregte seine Aufmerksamkeit, die ohne Rigg und mit hohem Freibord uber ihrem eigenen schmucken Spiegelbild ritt; noch unbelastet von schweren Geschutzen oder voller Mannschaft, schwang sie vor der Helling an ihren Trossen: soeben von Stapel gelaufen. Herrick sah winkende Arme und geschwenkte Hute, bunte Flaggen uber noch leeren Stuckpforten, und fuhlte formlich die wachsende Selbstsicherheit der neuen Fregatte. Ein Schiff wie ein frisch geworfenes Fohlen, dachte er.
        Doch so leicht lie?en sich seine Sorgen nicht zerstreuen. Acht Jahre Krieg mit Frankreich und seinen Verbundeten, und England hatte immer noch viel zu wenig Fregatten. Wohin wurde wohl dieser Neubau beordert werden? Wer wurde ihn befehligen und an Bord Ruhm oder Schande ernten?
        Das erinnerte Herrick an den jungen Leutnant, der ihn mit der Gig abgeholt hatte. Er mu?te an Bord gekommen sein, wahrend er selbst seine sieben kostbaren Tage in Kent verbrachte. So bla? und jung sah er aus, so unsicher, da? Herrick ihn eher fur einen neu angemusterten Midshipman[Offiziersanwarter: Seekadett bzw. Fahnrich zur See] gehalten hatte als fur einen Leutnant. Aber der Krieg hatte so viele Leben gekostet, da? die ganze Flotte nur noch aus Knaben oder alten Mannern zu bestehen schien.
        Sinnlos, diesen Jungen danach zu fragen; der furchtete sich ja vor seinem eigenen Schatten.
        Herrick blickte zu seinem breitschultrigen Bootsmann auf, der die Gig gerade unter einem weiteren hochragenden Bugspriet hindurchsteuerte, beobachtet von den gluhenden Augen der Galionsfi-gur.
        Doch dieser bibbernde Junge in Leutnantsuniform hatte ihn an der Pier erwartet, hatte ehrerbietig seinen Hut gezogen und atemlos in einem einzigen Satz hervorgesprudelt:»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und der Admiral ist an Bord.»
        Zum Gluck stand also wenigstens der Erste Offizier zu seinem Empfang bereit, dachte Herrick grimmig. Aber weshalb war Konteradmiral Richard Bolitho, ein Marineoffizier, unter dem er in allen Winkeln der Welt gekampft hatte, den er verehrte wie keinen zweiten, wieso war Bolitho ausgerechnet jetzt auf der Benbow?
        Immer noch standen die letzten schrecklichen Augenblick bei Kopenhagen vor Herricks Augen: Bolitho mitten im rauchdurchzogenen Schlachtgetose, unter fallenden Spieren und ohrenzerrei?endem Geschutzfeuer. Wild trieb er seine Leute an, fuhrte sie mit der rucksichtslosen Entschlossenheit, wie nur er sie uber sich brachte. Allein Herrick, sein engster Freund, wu?te, was diese Entschlossenheit Bolitho kostete. Erkannte die Zweifel und Angste, die Erregung uber eine Herausforderung, die Verzweiflung uber unnutz vergeudete Menschenleben.
        Gerade fur Bolitho hatte der Landurlaub ganz anders aussehen sollen. Diesmal erwartete ihn eine Frau, eine schone junge Frau, die ihn entschadigen konnte fur den tragischen Verlust, den er vor nicht sehr langer Zeit erlitten hatte. Bolitho war kurz nach London zur Admiralitat gereist und hatte dann wieder nach Cornwall zuruckkehren wollen, in das gro?e alte Haus in Falmouth.
        Die Gig naherte sich ihrem Ziel, dem Linienschiff Benbow, dessen Anblick Herrick immer noch den Atem verschlug. Mit ihrer schwarzen, hellbraun abgesetzten Bordwand, die im Sonnenlicht glanzte, schien sie ihn ganz personlich willkommen zu hei?en. Nur ein Berufsseemann, und ganz besonders naturlich ihr Kommandant, konnte erkennen, woruber neue Farbe und Pech, frisch geteertes Rigg und sauber aufgetuchte Segel die anderen hinwegtauschten. Jetzt drangten sich Leichter und Flo?e rund um den fulligen Rumpf der Benbow, die Luft vibrierte vom Larm der Hammer und Sagen, und noch wahrend Herrick hinsah, wurde wieder ein gro?es Bundel mit neuen Leinen zur Besanmaststenge hochgehievt; die alte Stenge war ihnen im Gefecht weggeschossen worden. Aber die Benbow war ein relativ neues Schiff und so stark wie zwei altere Schiffe ihrer Klasse. Zwar hatte sie schwer gelitten, aber nun war sie ja aus dem Dock heraus und wurde binnen weniger Monate wieder mit dem Geschwader in See stechen konnen. Seine gewohnte Vorsicht vergessend, spurte Herrick Stolz und Genugtuung uber das, was sie geleistet hatten. Typischerweise
machte er sich nicht klar, da? der Erfolg zum gro?ten Teil ihm selbst zu verdanken war, seiner ansteckenden Begeisterung und seinem unermudlichen Streben, die Benbow wieder seeklar zu machen.
        Sein Blick blieb am Besanmast hangen und an der Flagge, die nur ab und zu an seinem Mastknopf auswehte. Es war die Flagge eines Konteradmirals der Roten Territorien,[Rear-Admiral of the Red: britisches Stammgebiet, das auf den alten Karten rot gekennzeichnet war, im Gegensatz zu beispielsweise Indien (blau) gefuhlt, als er seine Schwester am Altar dem baumlangen Leutnant] aber Herrick bedeutete er sehr viel mehr. Wenigstens hatte er seine junge Frau Dulcie diesmal daran teilhaben lassen konnen. Obwohl er erst seit kurzem verheiratet war, hatte Herrick sich wie ein gestandener Ehemann zur See George Gilchrist zugefuhrt hatte - vor erst vier Tagen daheim in Maidstone. In der Erinnerung mu?te er lacheln, wodurch sein rundliches Gesicht alle Strenge verlor. Er - und ein erfahrener Ratgeber in Ehedingen!
        Der Buggast erhob sich, den Bootshaken einsatzbereit.
        Wahrend Herricks Gedanken abgeirrt waren, war die Bordwand der Benbow immer hoher uber ihnen emporgewachsen. Nun, da sie fast langsseit lagen, sah er die ausgebesserten Planken, die Farbflecken, die das aus den Speigatten geflossene Blut verdeckten. Es war gewesen, als verblute das Schiff selbst, nicht nur die Besatzung.
        Die Riemen wurden gepickt, und Tuck, der Bootsmann, zog den Hut. Als ihre Blicke sich trafen, lachelte Herrick kurz.»Danke, Tuck. Gut gemacht.»
        Sie verstanden einander ohne viele Worte.
        Herrick blickte zur Schanzkleidpforte auf und wappnete sich - wie ihm schien, zum tausendstenmal. Er erinnerte sich an die Zeit, als er sich nicht einmal seines Leutnantsranges sicher gefuhlt hatte. Dann kam der Schritt von der Offiziersmesse zum Achterdeck, und jetzt war er sogar Flaggkapitan des in seinen Augen besten Marineoffiziers, uber den England verfugte; er konnte es immer noch nicht fassen.
        Mit seinem neuen Haus in Kent ging es ihm ahnlich. Das war keine Kate mehr, sondern ein stattliches Wohnhaus, sogar mit einem echten Admiral und einigen reichen Kaufleuten als Nachbarn. Dulcie hatte ihn beschwichtigt:»Fur dich, mein Liebster, ist nichts zu schade. Das hier hast du dir hart erkampfen mussen, und eigentlich gebuhrt dir viel mehr.»
        Herrick seufzte. Das meiste Geld war sowieso von ihr gekommen. Womit hatte er blo? das Gluck verdient, so eine Frau wie seine Dulcie zu finden?
        Ein Wolkchen aus Pfeifentonstaub hing uber den starren Gesichtern und schwarzen Huten, als die Seesoldaten knallend die Musketen aufstampften, wahrend Herrick unter dem Zwitschern der Bootsmannspfeifen gru?end seinen Hut zum Achterdeck hin luftete und auch Wolfe, seinen uberlangen Ersten Offizier, in den Gru? mit einbezog; Wolfe war fur Herrick wohl der ha?lichste, wahrscheinlich aber einer der besten Seeleute, die ihm je begegnet waren.
        Der Larm verklang, und Herrick musterte die zum Seitepfeifen Angetretenen mit Wehmut. So viele neue Gesichter, die er sich einpragen mu?te. Einstweilen sah er hinter ihnen immer noch die der anderen Manner, die in der Schlacht gefallen oder in irgendeinem Marinelazarett verschwunden waren.
        Aber Major Clinton von der Marineinfanterie war noch da. Und hinter seiner roten Uniformschulter sah der alte Ben Grubb hervor, der Sailing Master.[sailing master: ursprunglich Segelschiffskapitan. Bei der Kriegsmarine jedoch fur Seemannschaft und Navigation verantwortlicher Decksoffizier] Eigentlich konnte Herrick sich glucklich schatzen, da? ihm noch so viele erfahrene Leute geblieben waren, die nun Rekruten und Gepre?te zu einer Mannschaft zusammenschwei?en mu?ten.

«Also, Mr. Wolfe, vielleicht erklaren Sie mir, warum da oben die Flagge des Admirals weht?»
        Er fiel neben dem Leutnant in Schritt, dessen grellrotes Haar wie zwei Leesegel zu beiden Seiten seines Huts hervorstand. Schon kam es ihm vor, als sei er nie von Bord gewesen. Das Schiff hatte ihn vereinnahmt, und das Land dort druben, mit seinen schimmernden Hausern und gezackten Festungswallen, hatte jede Bedeutung fur ihn verloren.
        Mit seiner rauhen, trockenen Stimme sagte Wolfe:»Der Admi-ral kam gestern nachmittag an Bord, Sir. «Seine Pranke scho? vor und deutete auf einen Bunsch soeben aufgeschossener Fallen.»Was soll das sein - ein verdammtes Storchennest?«Er wandte sich von dem versteinerten Matrosen ab und bellte:»Mr. Swale, notieren Sie den Namen dieses Idioten! Er ist ein vermaledeiter Weber, kein Seemann!»
        Schweratmend fuhr Wolfe fort, an Herrick gewandt:»Die meisten Ersatzleute sind solche Versager, Sir. Kehricht aus dem Karzer und nur ganz vereinzelt ein paar erfahrene Seeleute. «Er rieb sich die fleischige Nase.»Die hier habe ich von einem Indienfahrer. Behaupteten, sie seien vom Kriegsdienst freigestellt. Wollten angeblich auch Papiere besitzen, in denen das bestatigt wurde.»
        Herrick grinste schief.»Aber bis Sie die Angelegenheit geklart hatten, war der Indienfahrer schon ohne die Leute ausgelaufen, nicht wahr, Mr. Wolfe?»
        Beide hegten keine sonderliche Sympathie fur die vielen erstklassigen Matrosen, die vom Dienst bei der Kriegsmarine freigestellt blieben, blo? weil sie bei der Ostindischen Handeskompanie oder irgendeiner Hafenbehorde dienten. Schlie?lich befand sich England im Kriegszustand. Gebraucht wurden Seeleute, nicht Kruppel oder Kriminelle. Aber die Lage wurde von Tag zu Tag prekarer. Herrick hatte gehort, da? die Pre?kommandos und Werber schon viele Meilen tief im Binnenland umherzogen.
        Er blickte zum turmhohen Gro?mast und dem imponierenden Dickicht der Taljen, Rahen und Taue hoch. Wieder drangte sich ihm die Erinnerung an den Pulverrauch und die zerschossenen Segel auf, an die Seesoldaten in den Marsen, die da oben brullten und jubelten und ihre Musketen und Drehbassen auf das Tohuwabohu unten abfeuerten.
        Gemeinsam betraten sie den Schatten der Poop und beugten die Kopfe unter den schweren, niedrigen Decksbalken.
        Wolfe sprach als erster.»Der Admiral ist allein gekommen, Sir. «Er zogerte, als furchte er, zu weit gegangen zu sein.»Ich dachte, er wollte seine Lady mitbringen?

        Herrick wandte sich seinem Ersten prufend zu. Wolfe war ein vierschrotiger, manchmal brutaler Mann und hatte auf den unterschiedlichsten Schiffen gedient, von der Kohlenbrigg bis zum Sklaventransporter. Er hatte keine Geduld mit Faulpelzen und kein Verstandnis fur menschliche Schwachen. Aber er war auch kein Schwatzmaul.
        Deshalb sagte Herrick, was er dachte.»Das hatte ich ebenfalls gehofft. Wei? Gott, der Mann hatte es verdient…»
        Der Rest des Satzes wurde ubertont vom Ruf des Wachtpostens vor der Kajute, der mit seiner Muskete auf den Boden stampfte und ankundigte:»Der Flaggkapitan, Sir!»
        Wolfe wandte sich grinsend ab.»Verdammte Holzkopfe!»
        Die Tur wurde ihnen von Ozzard, Bolithos Steward, geoffnet. Ozzard war ein seltsamer Kauz. Jetzt galt er als tuchtiger Steward, aber man munkelte, da? er fruher ein noch besserer Anwaltsgehilfe gewesen sei, der vor einer langen Kerkerstrafe oder dem Galgen mit knapper Not zur Marine entkommen war.
        Die gro?e Achterkajute, von wei?en Lamellenturen in einen Schlaf- und einen Speiseraum unterteilt, war frisch gestrichen, und den Boden bedeckte wieder eine schwarz-wei? gewurfelte Persenning, welche die Narben der Schlacht den Blicken entzog. Bolitho hatte sich aus einem Heckfenster gebeugt, wandte sich aber jetzt um, seinen Freund zu begru?en. Erleichtert stellte Herrick fest, da? er sich au?erlich nicht verandert hatte. Sein goldbetre?ter Admiralsrock lag achtlos uber einen Stuhl geworfen, er trug nur Hemd und Kniehose. Mit dem schwarzen Haar, von dem eine Strahne ubers rechte Auge fiel, und mit seinem raschen, warmherzigen Lacheln wirkte Bolitho eher wie ein Leutnant als wie ein Flaggoffizier.
        Ihr Handedruck war kurz, enthielt fur beide aber eine ganze Welt gemeinsamer Erinnerungen. Dann sagte Bolitho:»Bring uns Wein, Ozzard. «Er zog einen Stuhl fur Herrick heran.»Setzen Sie sich, Thomas. Es tut gut, Sie wiederzusehen.»
        Bolithos graue Augen ruhten etwas langer als sonst auf seinem Freund; Herrick wirkte breiter, sein Gesicht etwas voller, aber das lag wohl an den Kochkunsten seiner fursorglichen jungen Frau. Sein braunes Haar hatte hier und da hellgraue Lichter, wie Reif auf einem struppigen Busch. Aber die klaren blauen Augen, die so trotzig, aber auch so verletzt blicken konnten, waren noch dieselben.
        Sie stie?en an, und Bolitho fragte:»Wie steht's mit Ihrer Einsatzbereitschaft, Thomas?»
        Herrick verschluckte sich fast am Wein. Einsatzbereitschaft? Sie lagen erst seit einem Monat im Hafen, und zwei Schiffe des Geschwaders waren wahrend der Schlacht verlorengegangen! Sogar ihr leichtester Zweidecker, die mit 64 Kanonen bestuckte Odin unter dem Kommando von Kapitan Inch, hatte nur mit knapper Not bis zur Nore[Sandbank in der Themsemundung und Reede gleichen Namens] hinken konnen, so tief war sie schon weggesackt. Und hier in Plymouth lagen die Indomitable und die Nicator, beides 74er wie die Benbow, im Reparaturdock fest.
        Deshalb sagte Herrick vorsichtig:»Die Nicator wird als erste fertig, Sir. Der Rest des Geschwaders sollte bis September einsatzbereit sein, wenn diese Rauber in der Werft ein Einsehen haben.»

«Und was ist mit der Styx? »
        Bei der Frage nach der einzigen Fregatte des Geschwaders, die das Gefecht uberlebt hatte, trat ein geistesabwesender Blick in Herricks Augen. Sie hatten damals ihre zweite Fregatte und eine Korvette verloren - ausgeloscht mit allen Menschen, als hatte es sie nie gegeben.
        Herrick wartete, bis Ozzard ihre Weinglaser wieder gefullt hatte, dann antwortete er:»Auf Styx wird Tag und Nacht gearbeitet, Sir. Kapitan Neale bringt seine Leute dazu, ein Wunder nach dem anderen zu wirken. «Entschuldigend fugte er hinzu:»Ich selbst bin gerade erst aus Kent zuruckgekehrt, Sir, kann Ihnen aber bis heute abend einen vollstandigen Bericht uber die Benbow geben.»
        Bolitho war aufgesprungen, als hielte es ihn nicht langer auf seinem Stuhl.

«Aus Kent?«Er lachelte.»Vergeben Sie mir, Thomas, ich verga?. Ich hatte zu viele eigene Sorgen im Kopf, um mich zu erkundigen: Wie war die Hochzeit?»
        Aber als Herrick den Ablauf der Ereignisse zu schildern begann, der schlie?lich in der Hochzeit seiner Schwester mit seinem ehemaligen Ersten Offizier den Hohepunkt erreichte, schweiften Bo-lithos Gedanken schon wieder ab. Als er nach der Schlacht von Kopenhagen nach Falmouth zu-
        ruckgekehrt war, hatte er sich gefuhlt wie der glucklichste und zufriedenste Mensch. Denn erstens hatte er uberlebt; zweitens konnte er mit seinem Neffen Adam Pascoe und seinem Bootsmann und Freund John Allday ins Haus der Bolithos zuruckkehren. Vor allem aber erwartete ihn dort Belinda. Immer noch konnte er nicht an sie denken, ohne jedesmal zu furchten, da? diese Frau nur ein Traum, ein grausamer Scherz des Schicksals war, aus dem ihn eines Tages die bittere Wirklichkeit rei?en wurde.
        Er hatte die Schlacht, das Geschwader und alles andere vergessen, als sie gemeinsam das alte Haus erforscht hatten, als seien sie hier fremd. Sie hatten Plane geschmiedet, hatten sich geschworen, nicht eine einzige Minute von Bolithos Landurlaub zu vergeuden.
        Es gingen sogar Geruchte uber einen Friedensschlu? um. Nach dem jahrelangen Krieg, nach Blockade und gewaltsamem Tod sollten nun endlich Geheimverhandlungen in London und Paris stattfinden, in denen es um einen Waffenstillstand ging, um eine Atempause, bei der keine der kriegfuhrenden Parteien furchten mu?te, an Prestige zu verlieren. Fur Bolitho hatte das in seinem Glucksrausch ganz plausibel geklungen.
        Aber nach den ersten beiden Wochen war ein Kurier aus London eingetroffen und hatte Bolitho den Befehl uberbracht, sich umgehend auf der Admiralitat bei Admiral Sir George Beauchamp zu melden, seinem alten Vorgesetzten und Gonner, der ihm seinerzeit das Kommando uber das Ostseegeschwader ubertragen hatte.
        Doch selbst dann noch hatte Bolitho im dramatischen Auftritt des Kuriers nichts weiter gesehen als eine kurze Unterbrechung.
        Belinda war mit ihm zur Kutsche geschlendert, hatte sich lachend und Warme ausstrahlend an ihn geschmiegt, als sie ihm weiter von ihren Planen erzahlte, von den Hochzeitsvorbereitungen wahrend seines Londoner Aufenthalts. Bis zu ihrer Heirat sollte sie im Gutshaus des Richters wohnen, denn in einer Hafenstadt wie Falmouth gab es immer lose Zungen, und Bolitho wollte keinen Schatten auf ihrem gemeinsamen Anfang. Zwar verabscheute er Richter Lewis Roxby von ganzem Herzen und konnte immer noch nicht begreifen, weshalb seine Schwester Nancy ausgerechnet ihn geheiratet hatte. Aber wenigstens wurde es Belinda dort nicht langweilig werden, denn er besa? einen Reitstall und ein wachsendes Imperium von Bauernhofen und Weilern. Roxbys Bedienstete nannten ihn hinter seinem Rucken den» Konig von Cornwall».
        Der Schreck war Bolitho erst in die Glieder gefahren, als er in Admiral Beauchamps Dienstzimmer gebeten wurde. Der Admiral war zwar immer schmal und gebrechlich gewesen, schien an seinen Epauletten und Goldlitzen ebenso schwer zu tragen wie an seiner ungeheuren Verantwortung; wo ein britisches Kriegsschiff im Dienste des Konigs segelte, dort war er mit seinen Gedanken. Aber jetzt sa? er tief uber seinen papierbeladenen Schreibtisch gebeugt und konnte sich zu Bolithos Begru?ung nicht einmal erheben. Obwohl erst sechzig, sah er aus wie ein Hundertjahriger. Nur in seinen hellwachen Augen funkelte immer noch das alte Feuer.

«Wir wollen keine Zeit verlieren, Bolitho. Ihnen bleibt namlich nur noch ganz wenig und mir uberhaupt keine mehr.»
        Es war ihm anzusehen, da? mit jedem muhsamen Atemzug, mit jeder verstrichenen Stunde mehr Leben aus ihm entwich. Bolitho war erschuttert, aber auch fasziniert von der Intensitat des schmachtigen Mannes, dessen starkster Charakterzug immer sein Enthusiasmus gewesen war.

«Ihr Geschwader hat sich tapfer gehalten. «Seine klauenartige Hand tastete blindlings uber die Papierhaufen.»Zwar haben wir viele gute Manner verloren, aber andere stehen bereit, ihre Stelle einzunehmen. «Sein Kopf sank vornuber, als seien die Worte fur ihn zu schwer.»Ich verlange viel von Ihnen, Bolitho, wahrscheinlich sogar zuviel - ich wei? es nicht. Sie haben von dem Waffenstillstandsangebot gehort?«Durch die hohen Fenster fiel Sonnenlicht und reflektierte von Beauchamps tiefliegenden Augen, als brenne Licht in einem Totenschadel.»Diese Geruchte entsprechen den Tatsachen. Wir brauchen Frieden - zu Bedingungen, die trotz aller Scheinheiligkeit noch akzeptabel sind, damit wir Zeit gewinnen, eine Atempause vor der endgultigen Entscheidung. «Bolitho hatte leise gefragt:»Sie trauen den Franzosen nicht, Sir?»

«Niemals!«Der Ausruf schien Beauchamp die letzten Krafte gekostet zu haben, denn er konnte erst nach langerer Pause fortfahren:»Die Franzosen wollen uns fur sie vorteilhafte Bedingungen aufzwingen. Um Druck auf die Verhandlungen auszuuben, sammeln sie in ihren Kanalhafen bereits eine Invasionsflotte, meist Prahme und Schuten, und an Land Truppen und Artillerie, die diese Flotte aufnehmen soll. Bonaparte hofft, unser Volk so einzuschuchtern, da? wir Vertragsbedingungen akzeptieren, die nur fur ihn von Vorteil sind. Spater, wenn die Wunden der Franzosen verheilt, ihre Schiffe ersetzt und ihre Regimenter aufgefullt sind, wird er den Vertrag zerrei?en und uns angreifen. Wenn es erst so weit kommt, haben wir keine zweite Chance.»
        Wieder eine Pause, dann murmelte Beauchamp fast tonlos:»Wir mussen England sein Selbstvertrauen zuruckgeben. Mussen beweisen, da? wir immer noch angreifen konnen, nicht nur verteidigen. Einzig auf diese Weise erringen wir eine gleichberechtigte Verhandlungsposition. Jahrelang haben wir die Franzosen zuruck in ihre Hafen gescheucht oder sie gestellt und bekampft, bis sie sich ergeben mu?ten. Blockade und Patrouille, die KiellinienFormation oder Einzelaktionen - das hat die englische Kriegsmarine machtig gemacht. Aber Bonaparte ist Infanterist, vom Seekrieg versteht er nichts, und Gott sei Dank hort er nicht auf den Rat von Leuten, die sich auskennen.»
        Die Stimme war immer schwacher geworden, und Bolitho hatte schon uberlegt, ob er Hilfe herbeirufen sollte.
        Doch dann hatte Beauchamp sich ruckartig aufgerichtet und hervorgesto?en:»Wir brauchen eine Geste! Eine Demonstration unserer Starke. Und unter all den jungen Offizieren, die ich im Laufe der Zeit beobachtete und forderte, haben nur Sie mich nie enttauscht. «Eine Fingerklaue hob sich und winkte wie eine Karikatur des Mannes, den Bolitho einmal gekannt hatte.»Na ja, jedenfalls nicht in dienstlichen Angelegenheiten.«»Besten Dank, Sir.»
        Beauchamp horte ihn gar nicht.»Machen Sie moglichst viele Ihrer Schiffe moglichst schnell klar zum Auslaufen. Ich habe Instruktionen ausgefertigt, wonach Ihnen das Oberkommando uber ein Blockade-Geschwader vor Belle Ile[Belle Ile (en Mer): gro?te der Bretonischen Inseln] ubertragen wird. Weitere Schiffe werden zu Ihrer Verstarkung abgestellt, sobald meine Depeschen den Hafenadmiralen ausgehandigt sind. «Er hatte Bolitho starr angeblickt.»Ich brauche Sie drau?en auf See. In der Biskaya. Ich wei?, ich verlange viel von Ihnen, aber schlie?lich habe auch ich mein Letztes gegeben.»
        Das Bild des hohen Dienstzimmers in der Admiralitat, der Blick auf die belebte Stra?e, die eleganten Kutschen, vielfarbigen Damenroben und scharlachroten Uniformen verschwamm vor Bo-lithos Augen und wich wieder dem Anblick der Kapitanskajute auf der Benbow. Er sagte:»Admiral Sir George Beauchamp hat mir befohlen auszulaufen, Thomas. Es darf keine Widerrede und nur die geringstmogliche Verzogerung geben. Unvollendete Reparaturen, Unterbemannung, noch nicht gelieferte Munition, fehlendes Pulver - ich brauche alle Angaben bis ins letzte Detail. Deshalb schlage ich ein Treffen aller Kommandanten meines Geschwaders vor. Gleich anschlie?end lasse ich einen Brief an Kapitan Inch aufsetzen, der sofort mit Kurier nach Chatham auf sein Schiff gebracht werden mu?.»
        Herrick konnte Bolitho nur anstarren.»Das klingt nach Zeitdruck, Sir.»

«Kann sein. «Bolitho dachte wieder an Beauchamps Worte: >Ich brauche Sie drau?en auf See.< Mit einem Blick in Herricks besorgtes Gesicht sagte er:»Tut mir leid, da? ich Ihr junges Gluck storen mu?. «Er zuckte die Schultern.»Ausgerechnet in die Biskaya segeln wir.»
        Vorsichtig erkundigte sich Herrick:»Als Sie nochmals kurz nach Falmouth zuruckkehrten, Sir…«Bolithos Blick fiel durch die Heckfenster auf ein Proviantboot, das sich der Benbow naherte. Er antwortete:»Als ich zuruckkam, stand das Haus leer. Zum gro?en Teil war das meine eigene Schuld. Belinda ist mit meiner Schwester und deren Mann nach Wales gereist, wo sie sich ein von meinem Schwager erworbenes Gut ansehen wollen.»
        Er wandte sich ab, um seine Verbitterung, seine Verzweiflung zu verbergen.

«Wer hatte auch vermutet, da? ich nach dem Dienst in der Ostsee und nach dieser Holle von Kopenhagen schon so bald wieder auslaufen mu??«Er blickte sich um, wie nach den Toten und Verwundeten, welche diese Kajute schon gesehen hatte.»Wie wird sie es aufnehmen, Thomas? Was bedeuten Worte wie >Pflicht< und >Ehre< fur eine Frau, die schon so viel verloren hat?»
        Herrick beobachtete Bolitho und scheute sich fast zu atmen. Er konnte es sich so gut vorstellen: Bolithos hastige Ruckkehr nach Falmouth, die vorher zurechtgelegten Erklarungen - unter anderem, wie sehr er Beauchamp verpflichtet war, auch wenn die geforderte Geste sich als fruchtlos erweisen sollte. Beauchamp hatte im Krieg gegen Frankreich seine Gesundheit verschlissen. Er hatte Bolitho zum erstenmal die Chance geboten, ein ganzes Geschwader zu kommandieren. Nun war er dem Tode nahe und seine Lebensaufgabe immer noch unvollendet.
        Herrick kannte Bolitho besser als sich selbst. Also deshalb war Bolitho auf sein Schiff gekommen! Sein Haus hatte leer gestanden, und er selbst hatte keine Moglichkeit mehr gehabt, Belinda Laid-law uber die jungsten Entscheidungen zu informieren.

«Sie wird mich verachten, Thomas. Jemand anderer hatte an meiner Stelle segeln konnen. Konteradmirale, besonders so junge wie mich, gibt es dutzendweise. Warum gerade ich? Was bin ich - ein Ubermensch?»
        Herrick mu?te lacheln.»So etwas denkt sie ganz bestimmt nicht, Sir, das wissen Sie auch. Wir wissen es beide.»

«Wirklich?«Bolitho legte Herrick im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter, als suche er eine Bestatigung.»Ich wollte ja noch bleiben. Aber ich hatte Beauchamps Drangen zu folgen. Es war das mindeste, was ich ihm schuldete.»
        Es hatte ihn an den Alptraum erinnert, der ihn gelegentlich heimsuchte: Er kam zuruck in ein menschenleeres Haus, wilde Blumen bluhten auf der Gartenmauer uber der Steilkuste, umsummt von Bienen, aber die Hauptakteure waren nicht da, um sich an dem Anblick zu freuen, nicht einmal sein Neffe und Erbe Adam Pascoe. Unglucklicherweise hatte er wenige Stunden nach Bolithos Aufbruch mit dem Kurier einen Gestellungsbefehl auf ein anderes Schiff erhalten.
        Trotz seines Kummers mu?te Bolitho lacheln. Die Royal Navy brauchte dringend erfahrene Offiziere, und Adam Pascoe war versessen auf jede Gelegenheit, die ihn seinem gro?en Ziel, dem Kommando uber ein eigenes Schiff, naherbringen konnte. Also verdrangte Bolitho die besorgten Gedanken. Adam war gerade einundzwanzig geworden, das ideale Alter. Er durfte sich nicht zu sehr um ihn sorgen.
        Gedampft drang die Stimme des Wachtpostens durch die Tur:»Der Bootsfuhrer des Admirals, Sir!»
        Allday trat ein und lachelte breit zu Bolitho hinuber, Herrick begru?te er mit einem frohlichen Nicken:»Captain Herrick, Sir. «Dann stellte er einen gro?en Seesack auf dem Boden ab.
        Bolitho schlupfte in seinen Uniformrock und lie? Ozzard den Haarzopf uber dem goldbetre?ten Kragen zurechtzupfen. Die ganze Angelegenheit hatte nur eine gute Seite, und beinahe hatte er sie vergessen.

«Ich werde meine Flagge auf Styx setzen, Thomas. Je fruher ich zu den anderen Schiffen meines Geschwaders vor Belle Ile sto?e, desto besser. «Aus der Innentasche seines Rocks holte er einen langen Briefumschlag hervor und reichte ihn dem erstaunten Herrick.»Von den Lordschaften der Admiralitat, Thomas, und zwar mit Wirkung von morgen mittag zwolf Uhr an. «Bolitho nickte Allday zu, der einen langen scharlachroten Kommodorewimpel aus dem Seesack zog und ihn wie einen Teppich auf dem Boden ausbreitete.»Sie, Kapitan Thomas Herrick, Kommandant des Kriegsschiffes Seiner Majestat Bendow, werden hiermit zum Kommodore dieses Geschwaders ernannt und mit allen entsprechenden Pflichten und Vollmachten betraut. «Bolitho druckte Herrick das Couvert in die eine Hand und schuttelte ihm die andere herzhaft.»Herrgott, Thomas, wenn ich Ihr verdattertes Gesicht sehe, geht es mir gleich viel besser.»
        Herrick hatte einen Klo? in der Kehle.»Ich, Sir - Kommodore?»
        Allday grinste breit.»Gut gemacht, Sir!»
        Herrick starrte auf den roten Wimpel zu seinen Fu?en nieder.»Und mit einem eigenen Flaggkapitan? Wen - ich meine, was.»
        Bolitho lie? mehr Wein kommen. Der Kummer druckte ihm immer noch das Herz ab, er fuhlte sich Belinda gegenuber weiterhin als Versager, aber die Verwirrung seines Freundes hatte ihn doch etwas aufgeheitert. Hier waren sie in ihrer Welt. Jene andere Welt, in der von Heirat gesprochen wurde und von Geborgenheit, von Frieden und einer gesicherten Zukunft, sie hatte hier an Bord nichts zu suchen.

«Bestimmt ist in den Depeschen, die Sie aus London erreichen werden, alles Nahere erlautert, Thomas. «Herricks Verstand hatte die Neuigkeit jetzt sichtlich akzeptiert und begann, sie zu verarbeiten. Die Navy brachte einem das bei - das und mehr. Wer diese Flexibilitat nicht besa?, erlitt Schiffbruch.»Denken Sie doch daran, wie stolz Dulcie sein wird«, schlo? Bolitho.
        Herrick nickte bedachtig.»Ja, wahrscheinlich. «Aber dann schuttelte er den Kopf. Doch wie dem auch sei - Kommodore!«Er sah Bolitho mit seinen blauen Augen offen an.»Ich hoffe, da? wir dadurch nicht allzu weit auseinanderdriften, Sir.»
        Nun mu?te Bolitho sich abwenden, um seine Ruhrung zu verbergen. Wie typisch fur Herrick, als erstes an so etwas zu denken! Nicht an die langst uberfallige Beforderung, die sein Recht und sein Verdienst war, sondern an die Auswirkungen, die sie auf ihre Freundschaft haben mochte.
        Alldays Aufmerksamkeit schien plotzlich ganz von den beiden Sabeln, die am Querschott hingen, in Anspruch genommen. Der eine war eine Prunkwaffe, Bolitho in Anerkennung seiner Tapferkeit im Mittelmeer und bei der Schlacht von Abukir[am 1. . 1798] von der Stadt Falmouth uberreicht. Der andere Sabel war weder so prunkvoll noch so glanzend, er wirkte sogar etwas altmodisch und schabig, mu?te aber vollendet ausbalanciert in der Hand liegen. Dennoch konnte die Prunkwaffe, und hatte es sie auch hundertfach gegeben, mit ihrem ganzen Gold und Silber nicht den Wert der alten Waffe aufwiegen. Es war der Familiensabel der Bolithos, auf mehreren Portrats in dem alten Haus in Falmouth zu sehen und Allday von vielen hei?en Gefechten her wohlvertraut: einmalig, unbezahlbar und unersetzbar.
        Sogar Allday konnte diesmal den uberraschenden Einsatzbefehl nicht mit seinem gewohnten Gleichmut akzeptieren. Kaum langer als fur eine Hundewache hatte er den Fu? an Land gesetzt, und nun sollten sie wieder auslaufen. Schon vorher hatte er vor Wut geschaumt uber die himmelschreiende Ungerechtigkeit und Dummheit, die daran schuld war, da? Bolitho nach der Schlacht von Kopenhagen nicht die ihm gebuhrende Anerkennung erhalten hatte: den Adelstitel. Sir Richard Bolitho. Das hatte den richtigen Klang, sinnierte er.
        Aber nein, diese Trottel bei der Admiralitat hatten absichtlich unterlassen, was aller Welt nur recht und billig schien. Allday starrte die beiden Sabel an und ballte unwillkurlich die Fauste. Immerhin munkelte man in der ganzen Flotte, da? Nelson genauso schnode behandelt worden war - ein kleiner Trost. Vor Kopenhagen hatte Nelson allen aus dem Herzen gesprochen, als er sich weigerte, das Signal seines Oberbefehlshabers zu bestatigen, womit dieser ihm Abbruch des Gefechts und Ruckzug befahl. Genau das machte den Mann bei seinen Leuten so beliebt und bei den Seelords, die sich nicht aufs Wasser wagten, so verha?t. Seufzend dachte Allday an die junge Frau, die er erst vor wenigen Monaten aus der umgesturzten Kutsche geborgen hatte. Da? Bo-litho nun Gefahr lief, sie doch noch zu verlieren - blo? wegen eines blodsinnigen Einsatzbefehls - , das wollte nicht in seinen
        Kopf.

«Einen Toast auf unseren neuen Kommodore«, schlug Bolitho mit einem Blick auf die gefullten Pokale vor. Auch der Erste Offizier war nach achtern gekommen, gefolgt von Master Grubb, der breitbeinig dastand und durstig auf den Pokal herabstarrte, der in seiner Pranke so klein wirkte wie ein Fingerhut.
        Herrick rief Allday herbei.»Angesichts der besonderen Unstande mochte ich, da? Sie mit uns trinken.»
        Allday wischte sich die Hande an dem rotlich gelben Baumwolltuch seiner schneidigen Nanking-Breeches sauber und murmelte verlegen:»Besten Dank, Sir.»
        Bolitho erhob sein Glas.»Ihr Wohl, Thomas. Auf alte Freunde und auf alte Schiffe!»
        Herrick lachelte nachdenklich.»Das ist ein guter Trinkspruch,
        Sir.»
        Allday trank seinen Wein und zog sich in den Schatten der Achterkajute zuruck. Er war Herrick dankbar, da? er ihn miteinbezo-gen hatte, und das vor aller Augen. Sie fuhren auch schon eine kleine Ewigkeit miteinander, hatten andere, nicht so Gluckliche, kommen und gehen gesehen. Nun wurde Bolithos Geschwader bald im Golf von Biskaya stehen. Fremde Schiffe bildeten den Verband, so unbekannt wie die Aufgaben, die den Admiral erwarteten.
        Aber warum ausgerechnet die Biskaya? Allday schlupfte durch eine Seitentur aus der Achterkajute und strebte dem Sonnenlicht auf dem Hauptdeck zu. Es gab doch Schiffe und Mannschaften zuhauf, die dort seit Jahren den zermurbenden Blockadedienst versahen, bis der Bewuchs auf den Rumpfen so lang war wie eine Schleppe. Aber wenn Beauchamp den Befehl gab und speziell Bo-litho dafur ausersehen hatte, dann mu?te es sich um eine harte Nu? handeln. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
        Allday trat in den Sonnenschein hinaus und spahte zur Flagge auf, die am Besanmast auswehte.

«Trotzdem bleibt's dabei: Es mu?te Sir Richard hei?en!»
        Der junge wachhabende Offizier wollte Allday schon zur Ordnung rufen, dann bedachte er jedoch, was er uber den Bootsmann des Admirals gehort hatte. Deshalb schritt er lieber wortlos zur anderen Seite des Achterdecks hinuber.
        Als sich schlie?lich Dunkelheit uber die Reede senkte, nur hin und wieder erhellt von Ankerlichtern und dem Strahl eines Festfeuers an Land, schien auch die Benbow in Schlaf zu sinken. Erschopft von der langen Arbeit in der Takelage und an Deck, lag die Mannschaft dicht an dicht in ihren Hangematten und schlief wie eine Reihe Kokons in einer versiegelten Hohle. Zwischen den Hangematten warteten die Kanonen stumm hinter ihren Stuckpforten und traumten vielleicht von der Zeit, als sie Tod und Verderben spien und alles sich vor ihrer brullenden Wut duckte.
        Achtern sa? Bolitho in der gro?en Tageskajute noch an seinem Schreibpult, wahrend eine Laterne uber seinem Kopf leise im Kreis schwang, im Takt zu den Bewegungen des Schiffes an seiner Ankertrosse.
        Fur das Geschwader, fur seine Mannschaft war er ein Name, ein Anfuhrer, dem man blind gehorchte. Manche hatten schon unter ihm gekampft und waren stolz darauf. Andere mu?ten sich erst ein Bild von ihm machen, in den Erfolgen des jungen Konteradmirals einen kleinen Anteil Ruhm und Unsterblichkeit fur sich selbst verkorpert sehen. Und dann gab es die wenigen, die wie der getreue Ozzard - der jetzt in seiner Pantry so wachsam schlief wie eine kleine Maus - Bolithos Stimmungen am fruhen Morgen, nach einem wilden Sturm oder einer wusten Verfolgungsjagd kannten. Zu ihnen gehorte auch Allday, der Bolitho selbstlos ergeben war, obwohl er als Gepre?ter eigentlich Ha? und Demutigung hatte empfinden mussen. Herrick, der uber einem Stapel mit Dienstpapieren eingeschlafen war, hatte Bolitho in Augenblicken hochster Erregung und tiefster Niedergeschlagenheit erlebt. Besser als jeder andere hatte er jetzt den Mann durchschaut, der in straffer Haltung an seinem Pult sa?, die Schreibfeder uber einem Stuck Briefpapier, in Gedanken vollig bei der Frau, die er an Land zurucklassen mu?te.
        Mit Bedacht und Sorgfalt begann Bolitho zu schreiben:»Meine geliebte Belinda.»



        II Kein Blick zuruck

        Richard Bolitho lehnte in seinem Sessel und wartete ungeduldig darauf, da? Allday endlich mit dem Rasieren fertig wurde. Herrick stand au?erhalb seines Gesichtsfelds an der Lamellentur, wahrend uberall unter und uber ihnen Rumpfund Decks der Benbow vom Larm der Reparaturarbeiten widerhallten.
        Herrick berichtete:»Ich habe Kapitan Neale daruber informiert, Sir, da? Sie noch heute vormittag Ihre Flagge auf Styx setzen werden. Er scheint daruber ganz au?erordentlich erfreut zu sein.»
        Bolitho blickte Allday an, der konzentriert mit dem Rasiermesser an seinem Kinn herumschabte. Der Armste mi?billigte ganz offensichtlich den Umzug auf die enge Fregatte und hatte den relativen Luxus auf dem Flaggschiff bestimmt vorgezogen; genau wie Herrick es offenbar keinem anderen Kommandanten zutraute, da? er die Aufgaben eines Flaggkapitans bewaltigen konnte.
        Es war wirklich seltsam, wie sich die Schicksalsfaden bei der Navy immer wieder ineinanderwoben. Kapitan John Neale, jetzt Kommandant der mit 32 Kanonen bestuckten Fregatte Styx, hatte in einem anderen Krieg, auf einer anderen Fregatte, als pausbackiger Midshipman unter Bolitho gedient. Auch Kapitan Keen, der mit seinem Linienschiff dritter Klasse, der Nicator, kaum eine Kabellange[l Kabellange = 182 m] entfernt ankerte, war auf einem Schiff Bolithos Midshipman gewesen.
        Stirnrunzelnd dachte Bolitho an Adam Pascoe; wann wurde er von ihm horen, von seinen Fortschritten, seinem neuen Schiff und seinem Kommandanten erfahren?
        Sorgfaltig wischte Allday ihm das Gesicht sauber.»Fertig, Sir.»
        Bolitho wusch sich in einer Schussel, die Allday bei den Heckfenstern hingestellt hatte. Zwischen ihnen bedurfte es keiner langen Worte. Allday kannte von vielen Jahren Dienst im Hafen oder auf See Bolithos Gewohnheiten und seine Ungeduld, wenn er die Wand anstarren mu?te, wahrend Allday ihn fur den Tag zurecht-
        machte.
        Schlie?lich gab es eine Menge zu tun, Befehle an die einzelnen Kommandanten mu?ten ausgefertigt werden, ein Bericht uber den Stand ihrer Einsatzbereitschaft an die Admiralitat sollte abgehen, die unerbittlich wachsenden Werftrechnungen mu?ten gepruft und abgezeichnet, Beforderungen ausgesprochen werden. Es ware unfair, Herrick zu viele unerledigte Arbeiten zu hinterlassen, uberlegte Bolitho.
        Herrick fuhr fort:»Unser Postboot hat Ihre Depeschen an Land gebracht, Sir. Es hat gerade wieder an seiner Spiere festgemacht.»

«Verstehe. «Das war Herricks Art, ihm anzudeuten, da? kein Brief von Belinda gekommen war.
        Bolitho blickte durchs Fenster hinaus. Der Himmel war klar wie am Tag zuvor, die See jedoch etwas rauher. Aber er konnte Wind gebrauchen, wenn er schnell zu den Schiffen des BlockadeGeschwaders sto?en wollte, uber das er den Oberbefehl erhalten hatte. Das Gebiet um Belle Ile war ein Drehkreuz im System der patrouillierenden Geschwader, die den Blockadedienst von Gibraltar bis zu den Kanalhafen aufrechterhielten. Sonnenklar, da? Beau-champ ihn ins Zentrum des Geschehens schicken wollte. Dieses spezielle Einsatzgebiet umfa?te im Norden die Zufahrtswege nach Lorient und im Osten die wichtigsten Ansteuerungsrouten zur Loire-Mundung. Von hier aus konnte man zwar einen Wurgegriff um die Handels- und Nachschubwege des Feindes legen; andererseits war es riskantes Terrain fur eine unachtsame britische Fregatte oder Brigg, die sich an einer Leekuste uberraschen lie? oder zu beschaftigt war mit dem Auskundschaften eines franzosischen Hafens, um einen schnellen Angreifer rechtzeitig zu bemerken.
        Styx war Bolitho nicht fremd. Er hatte schon ofter an Bord geweilt und in der Ostsee ihren jungen Kommandanten mit der Kaltblutigkeit eines Veteranen kampfen gesehen.
        Argerlich uber seine Tagtraumerei warf Bolitho das Handtuch in die Ecke. Er durfte nicht dauernd uber Vergangenes grubeln. Mu?te nur an das denken, was vor ihm lag, an die Schiffe, deren Schicksal bald von ihm abhangen wurde. Er war jetzt Flaggoffizier und mu?te wie Herrick endlich begreifen, da? eine so hohe Beforderung eine Auszeichnung war und nicht sein Recht, das die Versehung ihm schuldete.
        Verlegen lachelnd bemerkte er, da? die anderen ihn anstarrten.
        Milde erkundigte Allday sich:»Sie haben es sich vielleicht anders uberlegt, Sir?»

«Was denn, zum Teufel?»
        Allday hob den Blick zur Kajutdecke.»Na ja, Sir - ich meine. Im Vergleich hierzu wird uns Styx vorkommen wie ein Heringfa?, nicht wie ein Schiff!»
        Herrick schuttelte den Kopf.»Allday, eines Tages nehmen Sie sich noch mal zuviel heraus. Und dann geht's Ihnen schlecht, alter Knabe. «Er sah zu Bolitho hinuber. Trotzdem ist was dran. Sie konnten Ihre Flagge auch auf Nicator setzen, und ich wurde das Kommando ubernehmen, bis.»
        Bolitho blieb fest.»Geben Sie's auf, alter Freund, es bringt keinen von uns beiden weiter. Ab heute sind Sie Kommodore und werden unter dem Ihnen zustehenden Wimpel segeln. Bald sollten Sie Ihren eigenen Flaggkapitan ernennen und sich uber die Bestallung eines neuen Kommandanten fur Indomitable klarwerden.»
        Wieder mu?te Bolitho eine Erinnerung beiseite schieben. Indo-mitable war vor Kopenhagen im dicksten Schlamassel gewesen, und erst nach dem Feuereinstellungsbefehl hatte Bolitho erfahren, da? ihr Kommandant, Kapitan Charles Keverne, im Gefecht gefallen war. Keverne war Bolithos Erster Offizier gewesen, als er selbst noch Flaggkapitan gewesen war wie Herrick bis gestern. Alles Glieder einer Kette. Und da ein Glied nach dem anderen herausgebrochen wurde, schien die Kette immer kurzer und kurzer zu werden.
        Bolitho ri? sich zusammen.»Und uberhaupt - ich kann hier nicht quengeln wie ein gruner Junge. Die Entscheidung war nicht unsere Sache.»
        Schritte polterten auf dem Seitendeck drau?en, und Bolitho wu?te ebenso wie Herrick, da? dies ihre letzten ungestorten Augenblicke waren. Bald wurden sich hier alle die Klinke in die Hand geben: die um ihre Befehle einkommenden Offiziere, die Behordenvertreter aus Plymouth und sonstwo, denen man mit Schmeicheleien und Bestechung eine schnellere Beendigung der Reparaturarbeiten abringen mu?te. Yovell, Bolithos Sekretar, wurde ihm noch mehr Briefe zur Unterschrift vorlegen, Ozzard mu?te Anwe i-sungen erhalten, was er einpacken sollte und was auf Benbow blieb, bis… Er runzelte die Stirn. Bis wann?
        Herrick wandte sich abrupt um, als der Wachtposten drau?en den Ersten Offizier ankundigte.

«Ich werde an Deck gebraucht«, sagte er klaglich.
        Bolitho ergriff seine Hand.»Ich bedaure sehr, da? ich nicht an Bord sein werde, wenn Ihr Wimpel zum erstenmal ausweht. Aber da ich nun mal gehen mu?, will ich es schnell hinter mich bringen.»
        Wolfe trat in die Tur.»Pardon, Sir, aber es kommt Besuch an Bord. «Erblickte Bolitho an, dessen Herz einen Schlag aussetzte. Aber seine freudige Uberraschung fiel in nichts zusammen, als Wolfe trocken fortfuhr:»Ihr Flaggleutnant ist eingetroffen, Sir.»

«Browne?«rief Herrick aus.
        Allday verbi? sich ein Grinsen.»Browne mit e«, konstatierte er. Bolitho lie? sich in seinen Stuhl sinken.»Schicken Sie ihn rein.»
        Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne war ihm von Beau-champ als Flaggleutnant beigegeben worden. Obwohl er Bolitho bei ihrem ersten Kontakt wie ein hohlkopfiger Junker vorgekommen war, hatte Browne sich dem neu ernannten Admiral bald als wertvoller Berater erwiesen - und spater auch als Freund. Als das Geschwader schwer angeschlagen von der Ostsee zuruckgekehrt war, hatte Bolitho Browne freie Wahl gelassen: zu seinen zivili-sierteren Aufgaben und Lebensumstanden in London zuruckzukehren oder weiter als sein Flaggleutnant zu dienen.
        Als Browne die Kajute betrat, sah er fur seine Verhaltnisse abgehetzt und derangiert aus. Herrick und Wolfe empfahlen sich schnell, und Bolitho bemerkte: Das ist eine Uberraschung.»
        Der Leutnant sank auf einen hingeschobenen Stuhl, und als sein Mantel dabei auseinanderklaffte, erkannte Bolitho Schwei?flecken auf den Innenseiten seiner Breeches. Er mu?te wie ein Wahnsinniger geritten sein.
        Heiser begann Browne zu berichten.»Sir George Beauchamp ist letzte Nacht gestorben, Sir. Er fertigte noch die Befehle fur Ihr Geschwader aus und dann. «Er zuckte mit den Schultern.»Es passierte, wahrend er uber den Karten an seinem Schreibtisch sa?. «Kopfschuttelnd schlo? Browne:»Dachte, Sie sollten das schnell erfahren, Sir. Noch bevor Sie nach Belle Ile auslaufen.»
        Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? man Browne besser nicht danach fragte, woher er Informationen uber Dinge besa?, die eigentlich als geheim galten.

«Ozzard, frischen Kaffee fur meinen Flaggleutnant!«Bolitho sah, da? Brownes erschopftes Gesicht kurz aufleuchtete.»Falls es das ist, was Sie furderhin zu sein beabsichtigen?»
        Browne lockerte sein Halstuch und schuttelte sich.»Doch, Sir, darum wollte ich Sie hoflichst ersuchen. Ich wunsche mir nichts sehnlicher, als dieses stinkende London verlassen zu durfen.»
        Uber ihren Kopfen verriet das Schrillen der Pfeifen und Quietschen der Taljen, da? wieder Vorrate und Ausrustungsgegenstande an Bord gehievt wurden. Aber hier unten in der Kajute war es still, wahrend Browne beschrieb, wie Beauchamp an seinem Schreibtisch, uber seinem kaum getrockneten Namenszug unter den letzten Befehlen tot zusammengebrochen war.
        Scheinbar gleichmutig schlo? Browne:»Ich habe mich mit diesen Befehlen direkt zu Ihnen auf den Weg gemacht, Sir. Waren Sie ausgelaufen, ehe ich hier eintraf, hatten sie Sie wahrscheinlich nie erreicht; man hatte Ihnen kaum eine Kurierbrigg mit den Depeschen nachgeschickt.»

«Wollen Sie damit sagen, da? Sir Georges Plan widerrufen worden ware?»
        Nachdenklich starrte Browne in seine Kaffeetasse.»Eher auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich furchte, an der Spitze gibt es zu viele Leute, die nur den Friedensvertrag mit Frankreich im Kopf haben - nicht als Atempause, wofur ihn Lord St. Vincent und einige andere halten, sondern als eine gro?e Chance zu Geschafte-macherei und Bereicherung, wie sie ein Waffenstillstand nun einmal mit sich bringt. In ihren Augen bedeutet angesichts des nahen Friedens jeder Angriff auf franzosische Hafen oder Schiffe eine Quertreiberei und keineswegs eine gunstigere Verhandlungsposition.»

«Vielen Dank, da? Sie mich daruber ins Bild setzen. «Bolitho sah uber Brownes Kopf hinweg zu den beiden gekreuzten Sabeln an der Schottwand. Was wu?ten Manner wie jene, die sein Flaggleutnant gerade charakterisiert hatte, von Ehre und Anstand?
        Browne lachelte.»Es schien mir wichtig fur Sie. Wenn Sir George Beauchamp noch lebte und seine Hand uber den Ablauf kunftiger Ereignisse halten konnte, wurden Ihre Aktionen im neuen Einsatzgebiet kein Sicherheitsrisiko fur Sie bedeuten, ganz gleich, in welches Wespennest Sie auch stochern wurden. «Sein jugendliches Gesicht wirkte uber seine Jahre hinaus gereift, als er Bolitho nun direkt in die Augen sah.»Aber nach Sir Georges Tod ist keiner mehr da, der Ihre Partei ergreifen wird, wenn etwas schiefgeht. Seine Verdienste um England geben diesen letzten Befehlen genug Gewicht, so da? niemand sie anzweifeln wird. Sollte Ihr Einsatz jedoch mit einem Mi?erfolg enden, werden Sie als Sundenbock, nicht als tapferer Seeheld in die Heimat zuruckkehren.»
        Bolitho nickte.»Es ware nicht das erstemal.»
        Browne mu?te grinsen.»Seit der Schlacht von Kopenhagen traue ich Ihnen alles zu, Sir, aber diesmal gibt mir das hohe Risiko doch zu denken. Ihr Name ist von Falmouth bis zu den Bierkneipen in Whitechapel in aller Munde. Aber das gilt auch fur Nelson, und trotzdem sind Ihre Lordschaften davon nicht beeindruckt; sie werfen ihm nichts weniger als Insubordination vor, wegen Kopenhagen.»

«Erzahlen Sie. «Bolitho starrte den jungen Offizier an, als kame er aus einer anderen Welt. Aus einer Welt der Intrigen und Taktiken, der Familienklungel und Geldsacke. Kein Wunder, da? Browne lieber zur See fahren wollte. Die Benbow hatte ihn auf den Geschmack gebracht.
        Verbittert fuhr Browne fort:»Nelson - der Sieger von Abukir, der Held von Kopenhagen, der Liebling des Volkes. Aber jetzt haben Ihre Lordschaften beschlossen, da? ihm ein Heer frisch rekrutierter Landratten unterstellt werden soll, mit dem er die Kanalkuste gegen mogliche Invasoren zu verteidigen hat! Zornig stie? er hervor:»Jedenfalls ein Haufen Trunkenbolde und Nichtsnutze! Ein feiner Lohn fur unseren Nel!»
        Bolitho war entsetzt. Immerhin hatte er schon allerhand Geruchte uber Nelsons verachtliche Haltung gegenuber seinen Vorgesetzten gehort, uber sein sagenhaftes Gluck, das ihn bisher vor dem Kriegsgericht gerettet hatte, vor dem andere an seiner Stelle unweigerlich gelandet waren. Also wollte Browne ihn, Bolitho, nur schutzen. Denn wenn er Beauchamps Plane nicht mit dem gro?tmoglichen Erfolg in die Tat umsetzte, wurde man den Stab uber ihm brechen.
        Ruhig sagte Bolitho:»Wenn Sie immer noch mit mir kommen wollen - ich beabsichtige, morgen mit der Tide auszulaufen. Sagen Sie Allday, was Sie brauchen, er wird es zu Styx hinuberschaffen lassen. Alles nicht unmittelbar Notwendige kann Ihnen sicherlich nachgeschickt werden. Da Sie so einflu?reiche Freunde haben, la?t sich das bestimmt leicht arrangieren. «Er streckte die Hand aus.»Also, wie sehen meine Befehle nun aus?»
        Browne berichtete:»Wie Sie wissen, Sir, ziehen die Franzosen schon seit Monaten in den Hafen im Norden Landungsschiffe zusammen. Portugiesische Agenten haben uns informiert, da? ein Gro?teil dieser Landungsschiffe in den Hafen der Biskaya erbaut, ausgerustet und bewaffnet wird. «Browne lachelte schief.»In Ihrem neuen Einsatzgebiet, Sir. Ich war nicht immer einer Meinung mit Sir George, aber er hatte Stil. Dieser Plan, eine mogliche Landungsflotte zu vernichten, noch ehe sie in den Kanal verlegt werden kann, tragt seine Handschrift. Ein meisterhafter Stratege!»
        Rote stieg Browne ins Gesicht.»Bitte um Vergebung, Sir. Aber ich habe immer noch nicht ganz begriffen, da? er tot ist.»
        Bolitho wog den schweren Pergamentumschlag in Handen: sein Einsatzbefehl mit Beauchamps letztem strategischem Schachzug, gewi? bis in Detail ausgearbeitet. Es brauchte nur noch den rechten Mann, den Plan in die Tat umzusetzen. Bewegt machte sich Bolitho klar, da? Beauchamp ihn von Anfang an dafur ins Auge gefa?t haben mu?te. Also hatte er gar keine andere Wahl gehabt.
        Leise sagte er zu Browne:»Ich mu? noch einen Brief schreiben.»
        Er blickte sich in der gro?en Achterkajute um, sah die schimmernden Lichtreflexe vom Wasser unten uber die wei?en Deckenbalken tanzen. Wenn er dies alles nun eintauschte gegen die schneidige Kampftechnik und feurige Begeisterung auf einer kleinen Fregatte, wenn er mit seinem zusammengewurfelten Geschwader gegen die Festung Frankreich anrannte, dann war das keine leere Geste. Vielleicht entwickelte sich alles fur ihn mit der Folgerichtigkeit eines vorherbestimmten Schicksals. Zu Beginn des Krieges hatte Bolitho als blutjunger Kapitan an dem ungluckseligen Angriff auf Toulon teilgenommen, an diesem Versuch franzosischer Royalisten, die Revolution aufzuhalten und den Lauf der Geschichte zu andern. In die Geschichte eingegangen waren sie zwar, dachte Bolitho grimmig, aber geendet hatte das Ganze mit einem blutigen Fehlschlag.
        Es lief ihm kalt uber den Rucken. Vielleicht war wirklich alles vorherbestimmt. Belinda hatte wohl damit gerechnet, da? er jetzt monatelang in Falmouth bleiben durfte, moglicherweise noch langer, falls es wirklich zum Friedensschlu? kam. Vielleicht bewahrte diese uberraschende Wendung sie nur vor einem noch gro?eren Schmerz in der Zukunft. Bolitho starrte durch die Heckfenster auf die ankernden Schiffe hinaus. Denn diesmal wurde er nicht zuruckkehren. Irgendwann mu?te es ja ein letztes Mal geben. Er rieb sich den linken Schenkel, um den vertrauten Schmerz der Wunde zu fuhlen, die von einer Musketenkugel stammte. Aber so bald schon? Ohne eine letzte Gnadenfrist, ohne jede Vorwarnung?
        Abrupt sagte er zu Browne:»Ich habe es mir uberlegt, der Brief wird nicht geschrieben. Ich ziehe jetzt sofort auf Styx um. Sagen Sie das meinem Bootsmann, ja?»
        Als er endlich allein war, lie? sich Bolitho auf die Bank unter den Heckfenstern sinken und rieb sich die Augen mit den Fausten, bis ihn der Schmerz zur Besinnung brachte. Immerhin hatte das Schicksal es gut mit ihm gemeint, hatte ihm Liebe gegonnt und damit einen letzten Halt, an den er sich klammern konnte, bis schlie?lich auch ihr Bild sich in nichts auflosen wurde.
        Herrick erschien in der Tur.»Das Boot liegt langsseits, Sir.»
        An der Schanzkleidpforte, wo die rotberockten Seesoldaten Spalier standen, verhielt Bolitho den Schritt und starrte zu der schnittigen Fregatte hinuber. Ihre Segel waren nur noch lose aufgegeit, Seeleute huschten wie Insekten in ihren Rahen und Webeleinen herum - das ganze Schiff schien ungeduldig darauf zu warten, da? es ankerauf gehen konnte.
        Herrick berichtete noch:»Das Geschwader wird schon in wenigen Wochen seeklar sein, Sir. Von Monaten ist nicht mehr die Rede. Ich bin erst dann zufrieden, wenn Benbow wieder unter Ihrem Kommando steht.»
        Bolitho lachelte, aber der Wind zerrte an seinem Bootsmantel, als wolle er ihn zum Aufbruch drangen, und hob spielerisch die Haarstrahne von seiner Stirn, die gewohnlich die furchtbare Narbe verdeckte.

«Falls Sie ihr begegnen, Thomas. «Er druckte dem Freund die Hand, ohne den Satz vollenden zu konnen.
        Herrick erwiderte den Handedruck.»Ich werde es ihr sagen, Sir. Geben Sie gut acht auf sich. Und greifen Sie dem Gluck notfalls unter die Arme!»
        Damit trennten sie sich und lie?en der formellen Abschiedszeremonie ihren Lauf.
        Als das Beiboot geschickt vom hohen Rumpf des Vierundsiebzigers absetzte, wandte Bolitho sich noch einmal um und hob die Hand, aber Herricks Gestalt verschmolz bereits mit den anderen Mannern der Benbow, diesem Schiff, das ihnen beiden so viel bedeutete.
        Bolitho kletterte den Niedergang hinauf und blieb kurz stehen, um sein Gleichgewicht zu bewahren, wahrend die Fregatte unter ihm wieder in ein tiefes Wellental sackte. So ging es nun schon den ganzen Tag. Sobald sie frei waren vom Plymouth Sound, hatte Styx auch das letzte Fetzchen Tuch gesetzt, um den auffrischenden Nordost voll nutzen zu konnen. Obwohl Bolitho fast den ganzen Tag in seiner Kajute geblieben war und seine schriftlichen Befehle sorgsam durchgearbeitet hatte, wobei er sich Notizen fur spater machte, war er doch standig an die Beweglichkeit und das Temperament eines kleineren Schiffes erinnert worden.
        Kapitan Neale hatte den gunstigen raumen Wind dazu genutzt, seine Leute an und uber Deck exerzieren zu lassen. Den ganzen Nachmittag vibrierten die Planken vom Stampfen nackter Fu?e, erschollen die antreibenden Stimmen von Offizieren und Decksoffizieren, die aus Chaos Ordnung zu schaffen bemuht waren. Was die Mannschaftsstarke betraf, war Neale auch nicht besser dran als die anderen Kommandanten. Von seinen erfahrenen, gut ausgebildeten Leuten waren viele befordert und auf andere Schiffe versetzt worden. Was an verla?lichen Matrosen zuruckgeblieben war, hatte er strategisch unter den Neulingen verteilen mussen; von den neuen Leuten waren manche durch den Schock des Gepre?twerdens oder den abrupten Abschied von der relativ sicheren Gefangniszelle noch so entnervt, da? sie nur mit Schlagen dazu gebracht werden konnten, in den schwankenden Webeleinen aufzuentern.
        Bolitho bemerkte Neale, der mit seinem wortkargen Ersten Offizier am Luvschanzkleid des Achterdecks lehnte, das Haar vom Wind ins Gesicht geweht und die Augen uberall auf der Suche nach einem Fehler bei der Segelbedienung oder einem Bummelanten, der seinen Befehlen nicht flott genug nachkam. Solche Nachlassigkeiten konnten spater Menschenleben kosten, vielleicht sogar das ganze Schiff. Neale war mit seinen Aufgaben gewachsen, obwohl es Bolitho immer noch leichtfiel, in ihm den dreizehnjahrigen Seekadetten zu erkennen, dessen Vorgesetzter er einst gewesen war.
        Neale entdeckte seinen Admiral und eilte gru?end herbei.

«Binnen kurzem werde ich Segel kurzen lassen, Sir. «Er mu?te schreien, um Wind und See zu ubertonen.»Aber wir sind heute gut vorangekommen!»
        Bolitho schritt zu den Finknetzen und mu?te sich kraftig festhalten, als das Schiff wieder einmal nach vorne und abwarts scho?, wobei der Kluverbaum die Gischt wie eine Lanze durchstach. Kein Wunder, da? Adam so ungeduldig auf das Kommando uber ein eigenes Schiff wartete; ihm selbst war es nicht anders ergangen. Bolitho sah zu den vollstehenden Segeln auf, zu den Toppsgasten, die mit gespreizten Beinen in den Fu?pferden der schwankenden Gro?rah standen. Ja, das hatte er am meisten vermi?t: die Gelegenheit, ein Schiff wie die Styx zu zahmen und seinem Willen zu unterwerfen, sich geschickt mit Ruder und Segeln gegen seinen unbandigen Freiheitsdrang zu behaupten.
        Neale hatte ihn beobachtet.»Hoffentlich werden Sie hier nicht allzusehr gestort, Sir?«fragte er.
        Bolitho schuttelte den Kopf. Fur ihn war es wie ein Aufputschmittel, die beste Arznei gegen alle Sorgen; nur das Hier und Jetzt zahlte noch.

«An Deck!«Der Ruf des Ausguckpostens wurde vom Wind verzerrt.»Land in Luv voraus!»
        Neale grinste triumphierend und ri? ein Fernrohr aus seiner Hal-terung neben dem Ruder. Er stellte es richtig ein und reichte es Bolitho.

«Dort druben, Sir: Frankreich.»
        Bolitho wartete, bis das Deck auf einem Wellenkamm kurz ruhig lag, dann richtete er das Glas auf die Peilung aus. Zwar dammerte es schon, aber trotzdem konnte er noch den verwischten violetten Schatten erkennen: die Insel Ouessant und irgendwo dahinter Brest. Das waren Namen, die sich tief ins Gedachtnis jedes Seemanns eingebrannt hatten, der hier monatelang im harten Blockadedienst geschwitzt hatte.
        Nun konnten sie bald ihren Kurs andern und Sudost laufen, tiefer in den Golf von Biskaya. Doch das war Neales Problem - und nichts im Vergleich zu der Aufgabe, mit der er selbst seine Schiffe konfrontieren mu?te. Spater.
        Innerhalb einer Woche wurden Beauchamps Befehle von den betroffenen Staben bestatigt werden. Die Kommandanten wurden ihre Leute aufscheuchen, die Kurse zum Rendezvous mit dem neuen Konteradmiral berechnen. Ihr Ziel war ein Kreuz auf der Seekarte, irgendwo bei Belle Ile. Und innerhalb eines Monats wurde man von Bolitho die ersten Aktionen erwarten, die ersten Schlage gegen den in seinem eigenen Lager uberraschten Gegner.
        Da? Bolitho die vorgeschlagene Taktik so ruhig besprechen konnte, als sei ihr Erfolg eine unumsto?liche Tatsache, hatte Browne sichtlich beeindruckt. Aber Browne hatte seine Adjutantenstelle den Beziehungen seines Vaters in London zu verdanken, er war nie durch die harte Schule der Kriegsmarine gegangen. Bolitho dagegen war wie die meisten Marineoffiziere noch als halbes Kind auf sein erstes Schiff gekommen. Binnen kurzester Zeit hatte man ihm beigebracht, eine Barkasse zu befehligen und Autoritat auszuuben, einen schwe ren Warpanker im Boot auszubringen, Passagiere oder Waren von und an Bord zu transportieren und spater seine Bootsmannschaft im Nahkampf gegen Piraten oder Kaperer zu fuhren: all dies gehorte zur harten und grundlichen Schulung eines jungen Offiziersanwarters.
        Leutnant, Kapitan oder jetzt Konteradmiral - Bolitho war derselbe geblieben, fand sich aber damit ab, da? mit der Beforderung in den Stabsrang alles fur ihn anders geworden war. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, sich mit Mut und Wahnwitz zu behaupten und eher Leib und Leben zu riskieren, als vor den Untergebenen Schwache oder Furcht zu verraten. Auch war es nicht mehr eine Frage des blinden Gehorsams unter allen Umstanden, gleichgultig, welch entsetzliche Szenen sich rundum abspielten. Jetzt hatte er uber das Schicksal anderer zu bestimmen, und ob sie uberlebten oder starben, hing von seinen Fahigkeiten ab, von seiner Auslegung der wenigen Informationen, die er zur Verfugung hatte. Genaugenommen entschied er mit seinem Urteil nicht nur das Geschick der ihm Untergebenen, sondern daruber hinaus - und das hatte Beauchamp ihm klargemacht - auch das Schicksal unzahliger anderer Menschen, vielleicht sogar das des ganzen Landes.
        In der Tat, die Marine war eine grausame Lehrmeisterin, dachte Bolitho. Aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Es gab weniger Sadisten und Tyrannen von eigenen Gnaden, denn vor den Breitseiten des Feindes konnte keiner nur mit Gro?mauligkeit bestehen. Taglich wuchsen in der Navy neue gewandte Fuhrerpersonlichkeiten nach - Manner wie Neale, dachte Bolitho mit einem Seitenblick auf seinen Flaggkapitan - , die es verstanden, in ihren Leuten Loyalitat und Begeisterung zu wecken, wenn sie am dringendsten gebraucht wurden.
        Neale schien den prufenden Blick seines Vorgesetzten nicht bemerkt zu haben.»Um Mitternacht gehen wir auf den anderen Bug, Sir«, sagte er.»Hoch am Wind wird es dann etwas ungemutlicher an Bord, furchte ich.»
        Bolitho lachelte, weil ihm Browne einfiel, der halbtot vor Seekrankheit unten in seiner Kajute lag.»Dann sollten wir morgen das eine oder andere unserer Schiffe in Sicht bekommen«, sagte er.

«Aye, Sir. «Neale wandte sich um, als ein Midshipman uber die nassen Planken heranbalancierte und schnell etwas auf die Schiefertafel neben dem Ruder kritzelte.»Oh, dies ist Mr. Kilburne, Sir, unser Signalfahnrich.»
        Der Junge, etwa sechzehn Jahre alt, erstarrte und blickte Bolitho an, als sei er der Leibhaftige.
        Bolitho mu?te lacheln.»Freut mich, Sie kennenzulernen.»
        Da der Fahnrich immer noch dastand wie vom Schlag geruhrt, fuhr Neale fort:»Mr. Kilburne hat eine Frage an Sie, Sir.»
        Leise sagte Bolitho:»Qualen Sie den Jungen nicht, Neale. Haben Sie denn ein so schlechtes Gedachtnis?«Er wandte sich an Kilburne.»Worum geht's?»
        Kilburne stammelte, offenbar uberrascht, da? er seinem Admiral Auge in Auge gegenuberstehen und trotzdem noch atmen konnte:»Also, Sir, wir waren alle so aufgeregt, als wir horten, da? Sie an Bord kommen.»
        Mit» alle «meinte er wahrscheinlich die drei anderen Midship-men des Schiffs, dachte Bolitho.
        Kilburne fing sich etwas.»Stimmt es, Sir, da? die erste Fregatte, die Sie befehligten, Phalarope war?«platzte er heraus.
        Schroff sagte Neale:»Das reicht, Mr. Kilburne!«Entschuldigend wandte er sich an Bolitho.»Bitte um Vergebung, Sir. Ich dachte, der junge Tolpel wollte was ganz anderes fragen.»
        Aber Bolitho war die plotzliche Anspannung nicht entgangen.»Worum geht's, Mr. Kilburne?«wiederholte er.»Ich bin immer noch ganz Ohr.»
        Zerknirscht sagte der Signalfahnrich:»Ich habe das Signalbuch berichtigt, Sir. «Er warf seinem Kommandanten einen furchtsamen Blick zu, als frage er sich, womit er diese Katastrophe heraufbeschworen habe.»Denn Phalarope sto?t zu unserem Geschwader, Sir. Unter Kapitan Emes.»
        Bolithos Hand krampfte sich fester um die Finknetze, wahrend er Kilburnes Worte verarbeitete.
        Der Junge mu?te sich irren. Aber weshalb? Uber ein neues Schiff mit dem Namen Phalarope war nichts an die Offentlichkeit gedrungen. Bolitho blickte Neale an. Und gerade hatte er ihn im Geiste als jungen Midshipman an Bord eben dieses Schiffes vor sich gesehen. Es war schon gespenstisch.
        Verlegen ergriff Neale wieder das Wort.»Ich war selbst uberrascht, Sir. Aber ich wollte Sie in Ihrer ersten Nacht an Bord nicht beunruhigen. Fur meine Offiziere war es eine Ehre und eine Freude, Sie hier willkommen hei?en zu durfen, auch wenn wir Ihnen wenig zu bieten haben.»
        Bolitho nickte.»Die Freude ist ganz meinerseits, Kapitan Nea-le. «Aber im Geiste war er immer noch bei Phalarope. Sie mu?te jetzt funfundzwanzig Jahre alt sein, wenn nicht mehr. Als er sie damals im Spithead ubernommen hatte, hatte sie erst sechs Jahre auf dem Buckel gehabt. Aber sie war ein Unglucksschiff gewesen, an Bord herrschten Grausamkeit und Verzweiflung, und die Mannschaft stand kurz vor der Meuterei, so sehr war sie von dem abgelosten Kommandanten geschunden worden.
        Nichts hatte er vergessen, vor allem nicht den Anblick der franzosischen Wimpel und Bramsegel, als die gegnerische Flotte uber die Kimm gekommen war: wie Ritter, die zum Turnier sturmten. Heute nannte man es die Schlacht bei den Saintes,[12. April 1782 in Westindien] und die Phalarope war als kaum noch schwimmfahiges Wrack aus ihr hervorgegangen.

«Geht es Ihnen gut, Sir?«Neale sah Bolitho besorgt an, hatte sein eigenes Schiff fur den Augenblick vollig vergessen.
        Wie zu sich selbst sagte Bolitho:»Sie ist zu alt fur diesen Einsatz. Ich hielt sie fur verloren, untergegangen im Kampf, nicht ausrangiert als Hulk fur Straflinge oder Waren in irgendeinem elenden Hafen. «Er wu?te, die Marine brauchte dringend Fregatten - aber ausgerechnet diese?
        Neale erzahlte bereitwillig:»Ich habe gehort, da? sie in Irland repariert und ausgerustet wurde, Sir. Aber fur den Dienst als Wach- oder Wohnschiff, dachte ich.

        Bolitho starrte hinaus auf die endlos ansturmenden wei?en Hunde. Phalarope - so viele Jahre lagen dazwischen, so viele andere Gesichter und Schiffe, und jetzt wurde er sie wiedersehen. Auch Herrick mu?te inzwischen das berichtigte Signalbuch gesehen haben. Fur ihn wurde es einen ahnlichen Schock bedeuten. Und fur Allday, der von einem Pre?kommando wie ein Verbrecher an Bord gezerrt worden war.
        Bolitho wurde sich bewu?t, da? ihn der Signalfahnrich immer noch anstarrte, die Augen so gro? wie Wagenrader. Er ergriff seinen Arm.»Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Mr. Kilburne. Fur mich war es nur eine Uberraschung, das ist alles. Die Phalarope ist ein gutes Schiff. Dafur haben wir damals gesorgt.»
        Neale mischte sich ein.»Mit Verlaub, Sir: Sie haben dafur gesorgt.»
        Bolitho stieg die Leiter vom Achterdeck hinab und ging nach achtern, auf den Wachtposten vor seiner Kajute zu.
        Da sah er auf einem Zwolfpfunder eine Gestalt hocken, nur undeutlich, denn hier im Zwischendeck war es dammrig, und so fruh wurden die Lampen noch nicht angezundet. Aber selbst in pechschwarzer Nacht hatte Bolitho die Gestalt als Allday erkannt, vierschrotig, unerschutterlich und immer zugegen, wenn er gebraucht wurde; mutig bis zum au?ersten und - wenn Mut nichts mehr nutzte - frech und unverfroren.
        Allday wollte Haltung annehmen, aber Bolitho winkte ab.»Ruhren. Du hast es also auch schon gehort?»

«Aye, Sir. «Allday nickte schwermutig.»Das hatte nicht passieren durfen. Es ist unfair.»

«Sei kein altes Weib, Allday. Du fahrst jetzt lange genug zur See, um es besser zu wissen. Die Schiffe kommen und gehen; eines, auf dem du letztes Jahr gedient hast, kann morgen langsseits liegen. Und eines, das du in einem Dutzend verschiedener Hafen oder Schlachten gesehen hast, ohne jemals einen Fu? an Bord zu setzen, kann leicht dein nachstes werden.»
        Doch Allday blieb stur.»Das ist es nicht, Sir. Mit Phalarope war's anders. Die Lords hatten kein Recht, sie wieder in die Biskaya zu schicken, dafur ist sie zu alt. Von den Saintes hat sie sich bestimmt nie wieder erholt. Warum soll es ihr anders gegangen sein als uns?»
        Bolitho wurde es auf einmal unbehaglich.»Jedenfalls kann ich nichts dagegen tun«, sagte er.»Sie ist meinem Kommando unterstellt, genau wie die anderen Schiffe des Geschwaders.»
        Allday erhob sich von der Kanone und stand da, den Kopf unter die Decksbalken gebeugt.»Aber sie ist nicht wie die anderen!»
        Bolitho verbi? sich eine scharfe Erwiderung. Warum Allday dafur bu?en lassen? Ihn traf keine Schuld, ebensowenig wie den Midshipman, der ihm auf dem Achterdeck unabsichtlich die schlimme Neuigkeit beigebracht hatte.
        Deshalb sagte er nur ruhig:»Nein, Allday, wie die anderen ist sie nicht. Das behaupte ich auch nicht. Aber es geht nur uns beide an. Du wei?t, wie schnell Seeleute mit Schauermarchen bei der Hand sind, deshalb also nimm dich zusammen. Wir brauchen in den nachsten Wochen unseren klaren Verstand, keine Latrinengeruchte. Also Schlu? damit, was gewesen ist, ist gewesen. Und kein
        Blick zuruck! Erinnerungen konnen wir uns nicht leisten.»
        Allday seufzte tief.»Wahrscheinlich haben Sie recht, Sir. «Er schuttelte es ab oder versuchte es jedenfalls.»Und jetzt mu? ich Sie fur die Offiziersmesse ankleiden, Sir. An diesen Abend sollen alle denken. «Aber irgendwie sagte er es ohne seinen gewohnten Humor. Bolitho ging voran zu seiner Kajute.»Also fangen wir gleich damit an, einverstanden?»
        Allday folgte ihm gedankenversunken. Vor neunzehn Jahren war es gewesen, Bolitho zahlte damals nicht mehr Jahre als sein Neffe Adam Pascoe jetzt. Wie viele Gefahren und Scharmutzel sie in der Zwischenzeit auch erlebt hatten, Allday war seither immer an Bo-lithos Seite geblieben: der gepre?te Seemann und der junge Kommandant, der einer vom Ungluck verfolgten, von Tyrannei und Sadismus verdorbenen Mannschaft durch sein Beispiel und den gemeinsamen Erfolg Stolz und Selbstbewu?tsein zuruckgegeben hatte. Und jetzt tauchte sie wieder auf aus dem Nebel der Ve rgan-genheit, ein Geisterschiff. Brachte sie Gluck oder Ungluck?
        Allday sah Bolitho an den Heckfenstern stehen und hinausblik-ken, wo der letzte Schimmer Tageslicht von der Gischt unter der Heckgillung reflektiert wurde.
        Und er dort stellt sich bestimmt die gleiche Frage, dachte All-day. Wahrscheinlich macht er sich noch viel mehr Sorgen als ich.
        Mit gekurzten Segeln legte sich die Fregatte auf den anderen Bug und richtete den Kluverbaum auf den neuen Kurs, der Biskaya und dem geplanten Treffen entgegen.



        III Ein Veteran kehrt wieder

        Kapitan John Neale von der Fregatte Styx beendete sein Morgengesprach mit dem Ersten Offizier und wartete ab, ob Bolitho von der Kajutstreppe auf ihn zukam. Es waren jetzt sieben Tage seit Plymouth, und Neale horte nicht auf, sich uber die scheinbar unerschopfliche Energie seines Admirals zu wundern. Inzwischen hatte Bolitho sich einen grundlichen Uberblipk verschafft - uber die franzosische Kustenlinie ebenso wie uber die ihm zur Verfugung stehenden Schiffe. Sie hatten eine schlimme Uberraschung erlebt, als sie mit dem kustennahen Patrouillenschiff, der Fregatte Sparrowhawk, einen Tag nach Insichtkommen von Belle Ile Kontakt aufgenommen hatten. In Bolithos Einsatzgebiet operierte neben einer schnellen Brigg, die den passenden Namen Rapid trug, nur noch eine weitere Fregatte, die Unrivalled. Nein, sie hatte operiert. Neale verzog bitter den Mund. Ihr Kommandant hatte dicht unter der Kuste gekreuzt und dabei einen fatalen Fehler begangen, indem er sich nicht genug Seeraum lie?, um notfalls schnell aufs offene Meer abdrehen zu konnen. Zwei gegnerische Schiffe hatten sich, vor dem Wind laufend, auf
ihn gesturzt; nur mit knapper Not war er ihnen entkommen. Was aber Bolithos kleine Streitmacht betraf, so hatte Unrivalled ebensogut erbeutet oder versenkt sein konnen, denn sie hatte sich mit durchlochertem Rumpf und unter Behelfsrigg absetzen mussen und hinkte jetzt nach Hause in die Sicherheit irgendeines Reparaturdocks.
        Neale warf einen Blick hinauf zum Toppstander. Der Wind hatte schon wieder auf Nord gedreht, war frisch und boig. Hoffentlich erreichte der gerupfte Unglucksvogel den Hafen noch in einem Stuck.
        Bolitho nickte dankend, als Neale zum Gru? an seinen Hut tippte. Ganz gleich, wann er an Deck kam, Neale schien immer schon vor ihm da zu sein, und sei es vor Tagesanbruch. Wenn mit seinem Schiff irgend etwas nicht stimmte, dann wollte er es als erster erfahren und nicht von seinem Admiral horen; Neale machte seine Sache gut.
        Wahrend Allday ihm unten Kaffee servierte, hatte Bolitho uber sein ausgedunntes Geschwader nachgedacht. Bis die versprochene Verstarkung eintraf, konnte er also nur auf zwei Fregatten zuruckgreifen und auf die Brigg, die Verbindung mit den starkeren Geschwadern nordlich und sudlich von ihm halten mu?te. Auf einer Wandkarte in Whitehall mochte sich das ja ganz passabel ausnehmen. Aber hier drau?en in dieser Wasserwuste, wo das Morgengrauen einen ersten schmutziggelben Schimmer auf die endlosen Staffeln der wei?en Wellenkamme warf, war es trostlos.
        Immerhin sollten jetzt bald die Segel von Sparrowhawk querab in Sicht kommen, ihrer anderen Fregatte, die vor Belle Ile gekreuzt und auf den ortlichen Schiffsverkehr gelauert hatte, der sich dicht unter Land nach Nantes oder Lorient durchzuschlagen ve rsuchte.
        Wie sie uns hassen mussen, dachte Bolitho. Uns und die zahen, sturmerprobten Schiffe, die mit jedem neuen Morgen wieder in Sicht kommen, stets bereit zum Angriff; sie warteten nur darauf, dem Feind eine Prise vor der Nase wegzuschnappen oder - wenn die franzosischen Admirale es wagten, ihnen die Stirn zu bieten - davonzujagen und die Hauptmacht der Blockadeflotte zu alarmieren.
        So klein es war, sein Geschwader hatte Bolitho beeindruckt. Er hatte sowohl der Brigg wie auch der anderen Fregatte einen Besuch abgestattet, obwohl das hie?, bis auf die Haut na? zu werden, als er sich im schlingernden Boot ubersetzen lie?. Aber sie mu?ten ihn kennenlernen, als sei er einer von ihnen und nicht ein ferner Flaggoffizier auf dem Achterdeck irgendeines pomposen Dreideckers. Nein, wenn es ums Letzte ging, mu?ten sie ihn als einen der Ihren sehen, der mitten im Gefecht stand.
        Zu Neale meinte er:»Der Wind hat gedreht.»
        Neale beobachtete seine Toppsgasten, die wieder einmal aufenterten, um die Bramsegel zu trimmen.

«Aye, Sir. Der Master ist uberzeugt, da? er bis zum Abend noch weiter raumen wird.

        Bolitho lachelte. Dann wurde es auch so kommen. Der Master und seinesgleichen durchschauten den Wind, noch ehe er selber wu?te, was er wollte.
        Sieben Tage seit Plymouth, das hallte wie ein Klagelied in seinem Kopf wider. Sieben Tage - und kaum Resultate. Selbst wenn sein ganzes Geschwader eintraf - was sollte er unternehmen oder anordnen?
        Einer einzigen faulen Sache war er bisher auf die Spur gekommen. Alle beide Kommandanten, der derbe junge Duncan von Sparrowhawk ebenso wie der noch jungere Lapish von Rapid, hatten die Leichtigkeit erwahnt, mit der die Franzosen die britischen Schiffsbewegungen konterkarierten. Im vergangenen Jahr hatten gut bestuckte Linienschiffe immer wieder Hafen dieses Kustenabschnitts angegriffen, doch jedesmal waren die Franzosen darauf vorbereitet gewesen, hatten ihre eigenen Schiffe gefechtsbereit und die Kustenbatterien alarmiert; so war den Angriffen die Spitze genommen. Und das, obwohl die britischen Geschwader im Norden wie im Suden jedes angeblich neutrale Fahrzeug aufbrachten, durchsuchten und davonjagten, ehe es die wirkliche Starke der Blockadeflotte erkunden konnte. Oder ihre Schwache, dachte Bo-litho grimmig. Die Hande auf dem Rucken, ging er auf dem Achterdeck auf und ab, wahrend er uber diese minimale Erkenntnis nachdachte. Vielleicht kundschafteten die Franzosen nachts mit kleinen Fahrzeugen die Briten aus? Nein, die waren zu langsam und zu schwerfallig, um bei einer eventuellen Entdeckung
zu entkommen. Eilkuriere, die mit einem Gewaltritt wie damals Browne die Nachricht zu den Befehlshabern entlang der Kuste brachten? Moglich, aber unwahrscheinlich. Die schlechten Stra?en und gro?en Entfernungen zwischen den einzelnen Kustenstadten hatten eine zu lange Verzogerung bedingt.
        Obwohl er auf der Hut war, merkte Bolitho, da? seine Gedanken doch wieder nach Falmouth abirrten. Inzwischen mu?te Belinda zu Hause sein. Zuruckgekehrt in ein leeres Haus, wo sein einarmiger Diener Ferguson ihr nach besten Kraften Erklarungen und Trost offerieren wurde. Was mochte sie von ihm halten? Sie, die nicht wu?te, wozu die Kriegsmarine fahig war?
        Belinda war jetzt vierunddrei?ig und damit zehn Jahre junger als er. Man konnte nicht verlangen, da? sie auf ihn wartete, da? sie wieder wie in ihrer ersten Ehe Qualen ausstand.
        Bolitho blieb stehen und umklammerte den Handlauf der Finknetze. Vielleicht gehorte sie schon jetzt, in diesem Augenblick, einem anderen. Einem Jungeren vielleicht, der mit beiden Beinen fest an Land verwurzelt war.
        Browne trat heran und wunschte ihm mit angegriffener Stimme einen guten Morgen.
        Seit Plymouth hatte man Bolithos Adjutanten kaum an Deck gesehen. Aber selbst die alteren Seeleute erzahlten mit genu?lichem Schauder, welche Rekorde Browne beim Fischefuttern aufstellte. Doch heute sah er schon etwas besser aus, dachte Bolitho. Ihm kam es vor wie Hohn, da? er selbst sich trotz seiner privaten und dienstlichen Sorgen gesundheitlich nie wohler gefuhlt hatte. Das Leben an Bord und das standige Kommen und Gehen von Mannern, deren Gesichter ihm allmahlich vertraut waren, erinnerten ihn standig an seine Jugend als Fregattenkapitan. Er fuhlte, da? er korperlich und geistig so fit war wie kaum jemals auf einem viel gewaltigeren Linienschiff.

«Wir mussen heute Kontakt mit Rapid aufnehmen, Mr. Browne«, sagte er.»Ich will sie dichter unter Land stationieren - es sei denn, der Master irrt sich mit seiner Wettervorhersage.»
        Browne musterte Bolitho nachdenklich. Wie schaffte der Mann das blo?? Visitierte die anderen Schiffe des Geschwaders, besprach mit Neale jede Einzelheit der Kustenhandelsschiffahrt und des ortlichen Schiffsverkehrs und schien niemals mude zu werden.
        Vielleicht setzte er sich selbst nur so unter Druck, um nicht ins Grubeln uber andere, private Probleme zu geraten. Browne hatte Bolitho inzwischen doch durchschauen gelernt.

«An Deck!»
        Browne blickte nach oben und verzog schmerzlich das Gesicht, als er die winzige Gestalt erblickte, die hoch uber Deck gefahrlich auf der Saling balancierte.

«Segel Steuerbord achteraus!«meldete der Ausguck.
        Neale eilte herzu und rief auf ein kurzes Nicken Bolithos:»Alle Mann an Deck, Mr. Pickthorn! Wir gehen sofort uber Stag und so hoch an den Wind wie moglich.»
        Noch bevor der Erste Offizier sein Sprachrohr angesetzt hatte oder die Bootsmannsmaaten mit schrillenden Pfeifen durchs Mannschaftslogis rannten, stellte Neale schon seine Berechnungen an, obwohl er den Neuankommling noch gar nicht sehen konnte.
        Bolitho beobachtete, wie die Seeleute und Soldaten durch die Luken hasteten und auf beiden Seitendecks entlangrannten, bis sie von den Decksoffizieren und Steuerleuten auf ihre Stationen eingewiesen wurden.

«Es wird schon heller, Sir«, sagte Neale.»Bald werden Sie…»

«Bemannt die Brassen! Klar zur Wende!»

«Hartruder!»
        Mit wild schlagenden Rahen und Segeln, mit Blocken, in deren Scheiben die Taue kreischten wie Vogel in Todesnot, drehte Styx schwerfallig durch die Seen, wobei Spritzwasser bis zu den Seitendecks einstieg und die an den Brassen ziehenden Seeleute wie mit Schrotkornern beharkte.

«Voll und bei, Sir! Kurs Sudwest zu West!»
        Unter Neales wachsamen Blicken wurde das Schiff wieder unter Kontrolle gebracht; es krangte so stark, da? die Stuckpforten an der Leeseite fast eintauchten.

«Hinauf mit Ihnen, Mr. Kilburne, und nehmen Sie ein Fernrohr mit«, befahl Neale. Und fugte hinzu, ans Achterdeck im allgemeinen gewandt:»Wenn's ein Franzose ist, erledigen wir ihn, ehe er sich an der Kuste verkriechen kann.»

«Gro?e Worte«, murmelte Browne.
        Bolitho spurte, da? Allday neben ihm wartete, und hob die Arme, damit der stammige Bootsfuhrer ihm den Sabel an den Gurtel schnallen konnte. Allday schien plotzlich gealtert zu sein, obwohl er gleich alt war wie Bolitho. Aber die unteren Decks hatten an Komfort nicht viel zu bieten. Selbst fur den Bootsfuhrer des Ad-mirals konnte das Leben nicht immer leicht sein dort unten; aber Allday hatte das als erster eifrig abgestritten, genauso wie er verletzt und wutend reagiert hatte, wenn Bolitho ihn nach Falmouth abkommandiert hatte, wo ihn wohlverdiente Bequemlichkeit und Sicherheit erwarteten.
        Allday bemerkte Bolithos prufenden Blick und grinste trage.»Ich kann diesen Milchbarten immer noch das Zittern beibringen,
        Sir!»
        Bolitho nickte bedachtig. Er wu?te, wenn es einmal soweit sein wurde, dann an einem Tag wie diesem, wenn Allday wie schon so oft die alte Familienwaffe brachte und einen dummen Witz dabei machte, den Neale als Au?enseiter nicht mit ihnen belacheln konnte.
        Bolitho hob den Blick zum Besanmasttopp, wo seine Flagge so steif auswehte, als sei sie aus bunt bemaltem Metall.
        Schlie?lich ri? er sich argerlich zusammen. Wenn Beauchamp einen anderen Admiral als ihn mit diesem Auftrag betraut hatte, ware es ihm auch nicht recht gewesen.
        Allday spurte Bolithos Stimmungsumschwung und zog sich beruhigt zuruck.
        Auf dem Achterdeck hoben sich mehrere Teleskope wie kleine Kanonenrohre, als Kilburnes Stimme hoch und dunn aus dem Masttopp erklang:»An Deck! Es ist ein britisches Schiff, Sir!«Dann eine kleine Pause, wahrend der Midshipman oben wohl mit einer Hand das Signalbuch aufschlug.»Und zwar Phalarope, 32 Geschutze, unter Kapitan Emes, Sir!»

«Herr im Himmel«, murmelte Allday.
        Mit verschrankten Armen wartete Bolitho, bis sich Styx wieder auf einen Wellenkamm hob und er die ferne Segelpyramide auf konvergierendem Kurs sehen konnte. Er hatte gewu?t, da? sie an diesem Tag eintreffen wurde; als die Leute vorhin an Brassen und Schoten geeilt waren, hatte er den Anla? dafur vorausgeahnt.
        Neale lie? den Blick nicht von ihm.»Ihre Befehle, Sir?»
        Bolitho wandte sich um und sah die bunten Flaggen sich an der Signalrah entfalten: Die beiden Schiffe tauschten ihre KennNummern aus, nachdem sie einander auf den Punkt getroffen hatten. Fur fast alle in der Mannschaft bedeutete dies eine willkommene Ablenkung, Unterstutzung durch zusatzliche Feuerkraft.

«Bitte drehen Sie bei, sobald es Ihnen pa?t«, wies Bolitho seinen Flaggkapitan an. Und signalisieren Sie an - «, der Name wollte ihm nicht so leicht uber die Zunge, - an Phalarope, da? ich umgehend an Bord komme.»

«Aye, Sir.»
        Bolitho lie? sich vom Midshipman der Wache ein Teleskop geben und ging zur Luvseite des Achterdecks hinuber. Dabei war er sich jeder seiner Bewegungen bewu?t, als sei er ein Schauspieler auf der Buhne.
        Mit angehaltenem Atem wartete er, bis das Schiff unter ihm vorubergehend ruhig lag. Und da war sie. Ihre Rahen schwangen schon herum, die Bramsegel und das Gro?segel wurden mit Gewalt gebandigt, bis sie sich folgsam auf dem neuen Bug uberlegte. Bolitho bewegte das Fernrohr um ein winziges Stuck und erkannte - ehe der Bugspriet druben wieder in einer Wolke von Gischt verschwand - die vertraute Galionsfigur: den vergoldeten Vogel auf dem Delpin.
        Sie war noch die alte, und trotzdem stimmte etwas nicht mit ihr. Stirnrunzelnd bewegte Bolitho das Teleskop, bis er die Seeleute druben wie Ameisen auf den Webeleinen und Seitendecks Laufplanken ausschwarmen sah, das Blau-Wei? der Offiziersuniformen neben dem Ruder erkannte.
        Veraltet, das war's, was ihn an ihr storte. Wa?riges Sonnenlicht glanzte auf der hohen Kampanje der Fregatte, und Bolitho sah im Geiste wieder das feine, vergoldete Schnitzwerk vor sich, geschaffen von Meistern ihres Fachs. Ornamente aus einem anderen Jahrhundert. Neubauten wie Styx prunkten heutzutage nicht mehr mit solchen pomposen Accessoires, sie waren auch au?erlich zweckma?iger und nuchterner, ganz auf die Erfordernisse der Seeschlacht oder einer Verfolgungsjagd konstruiert.
        Neale lie? sein Fernrohr sinken und sagte heiser:»Alle Teufel der Holle, Sir, aber mir kommt es vor wie gestern. Als wurde man sich selbst zuschauen.»
        Bolitho sah zu Allday hinuber, der an den Finknetzen stand, die Fauste geballt, und der schnell segelnden Fregatte entgegenstarrte, bis ihm der Wind die Tranen in die Augen trieb.
        Trotzdem zwang sich Bolitho, wieder hinuberzusehen. Fur ihr Alter war sie noch recht flott, reagierte auf den Anblick des Flaggschiffs genauso prompt wie damals, als sie unter Bolithos Kommando nach Antigua gesegelt war.
        Neale rief:»Lassen Sie beidrehen, Mr. Pickthorn! Und die Gig aussetzen!»
        Browne erkundigte sich:»Werde ich benotigt, Sir?»

«Kommen Sie nur mit, wenn Sie sicher sind, da? Ihnen unterwegs nicht schlecht wird«, antwortete Bolitho.
        Allday schritt zur Schanzkleidpforte und wartete, bis die Gig verholt und an den Gro?rusten festgemacht war. Neales Bootsfuhrer nickte ihm zu und uberlie? ihm wortlos seinen Platz an der Pinne. Bolitho sah das alles, ohne es wirklich zu registrieren. Also war die Neuigkeit schon auf dem ganzen Schiff bekannt, wahrscheinlich sogar auf allen Schiffen seines Geschwaders. Er gru?te die Offiziere und Seesoldaten an der Pforte mit einem Griff zum Hut und sagte leise zu Neale an seiner Seite:»Ich werde fur uns alle die Bekanntschaft erneuern.»
        An wen dachte er dabei? An Allday und Neale, an Herrick daheim in Plymouth, auch an seinen Steward Ferguson, der in der Schlacht bei den Saintes einen Arm verloren hatte. Oder sprach er auch fur die anderen, die nie mehr zuruckkehren wurden?
        Dann sa? er im Heck der Gig, und die Riemen schlug bereits in die hochgehenden Seen, um das Boot gut frei zu halten von der Bordwand der Fregatte. Allday gab die Kommandos.»Alle Mann - zugleich!«Bolitho sah zu ihm auf, aber Allday hielt den Blick aufs Schiff gerichtet. Sie hatten beide gewu?t, da? es so kommen konnte, aber jetzt waren sie befangen.
        Bolitho hakte den Halsverschlu? seines Bootsmantels auf und schlug ihn so zuruck, da? die Goldepauletten mit ihrem neuen silbernen Stern sichtbar wurden.
        Die Phalarope war nichts weiter als ein Schiff, das sein mageres Geschwader verstarken sollte, sagte er sich. Aber dann gewahrte er Alldays verkrampfte Schulterhaltung und wu?te, er machte sich etwas vor.
        Nach dem Knarren der Riemen und dem Klatschen des Spritzwassers kam es Bolitho an Deck der Phalarope seltsam still vor. Er ruckte seinen Hut wieder zurecht und nickte kurz dem Offizier der Marineinfanterie zu, der seine Manner zum Empfang des Ad-mirals in zwei scharlachroten Reihen aufgestellt hatte.

«Kapitan Emes?«Bolitho reichte dem schlanken, mittelgro?en Mann, der auf ihn zutrat, die Hand; sein erster Eindruck war der von mi?trauischer Wachsamkeit, ein jugendliches Gesicht, dessen Mund schon harte, von Autoritat gepragte Linien aufwies.
        Emes sagte:»Es ist mir eine Ehre, Sie an Bord begru?en zu durfen, Sir. «Auch in der Stimme lag Wachsamkeit und Scharfe, als hatte er die Worte fur diesen Anla? vorher eingeubt.»Obwohl ich annehme, da? Sie Phalarope besser kennen als ich.
«Hinter den gelassenen Augen schien sich ein Schleier herabzusenken, als bedaure er, schon zuviel gesagt zu haben. Er wandte sich halb zu seinen Offizieren, um sie Bolitho vorzustellen, aber sein Blick irrte schon weiter, suchte Fehler oder Mangel, irgend etwas, das seiner Schiffsfuhrung ein schlechtes Zeugnis ausstellen mochte.
        Bolitho konnte verstehen, da? ein Kommandant auf seinen neuen Admiral den besten Eindruck machen wollte, hing doch vielleicht sein Wohl und Wehe in der Zukunft davon ab. Aber er erriet, da? bei Emes noch mehr dahintersteckte. Da? er mit 29 Jahren schon Kapitan war und ein eigenes Schiff kommandierte, hatte ihn mit Stolz und mehr Selbstvertrauen erfullen mussen.
        Kurz und sachlich fuhr Emes fort:»Und auch meinen Ersten durften Sie besser kennen als ich, Sir. «Er machte einen Schritt zur Seite, als wollte er Bolithos Reaktion beobachten.
        Bolitho rief:»Adam! Das ist eine Uberraschung.»
        Leutnant Adam Pascoe wirkte in seiner Freude und Verlegenheit noch junger als einundzwanzig.»Ich - tut mir leid, Onk… Sir«, stammelte er errotend.»Ich hatte keine Gelegenheit mehr, dich zu benachrichtigen. Meine Ernennung kam vollig uberraschend, und ich mu?te mit der ersten Post nach Irland aufbrechen.»
        Sie musterten einander prufend, als waren sie Bruder, nicht Onkel und Neffe.
        Verlegen fugte Pascoe hinzu:»Sobald ich gehort hatte, auf welchem Schiff ich Dienst tun sollte, konnte ich kaum noch an anderes denken, mu? ich gestehen.»
        Bolitho schritt weiter und begru?te den Zweiten und Dritten Offizier, den Master, den Schiffsarzt und den Hauptmann der Seesoldaten. Hinter ihnen standen die Midshipmen und viele Decksoffiziere, umgeben von den dichtgedrangten Reihen neugieriger Matrosen, alle so uberrascht uber den unerwarteten honen Besuch gleich bei ihrem ersten Einsatz, da? ihnen die private Wiedersehensszene an der Schanzkleidpforte entging.
        Bolitho lie? den Blick ubers obere Batteriedeck wandern, bemerkte die sauber aufgeschossenen Leinen und das straffe Rigg. Er erinnerte sich an das Gefuhl, als er zum erstenmal den Fu? an Bord dieses Schiffes gesetzt hatte.
        Schlie?lich rausperte er sich.»Lassen Sie die Manner wegtreten, Kapitan Emes, und gehen Sie in Luv von Styx auf Position. «Die Uberraschung in Emes' Augen entging ihm.»Allday«, fuhr er fort,»schick die Gig zuruck. Du selbst bleibst bei mir.»
        Die Menge der Umstehenden loste sich in ein systematisches Chaos auf, als die Pfeifen das Signal zum Wegtreten gaben. Innerhalb von funf Minuten hatte Emes die Untersegel und Bramsegel wieder anbrassen lassen; obwohl einige Seeleute auf die Kommandos noch langsam und sogar ungeschickt reagierten, war doch nicht zu ubersehen, da? an Bord offensichtlich hart exerziert worden war, seit die Phalarope ihren Heimathafen verlassen hatte.

«Prachtiges Schiff, Sir«, meinte Browne mit einem Blick auf die hart in die Brassen einfallenden Seeleute.
        Bolitho schritt das Luv-Seitendeck hinunter, wobei er weder die neugierigen Blicke der Seeleute rundum bemerkte noch Emes' Schatten hinter ihm.
        Aber plotzlich blieb er stehen und deutete auf eine Stelle unterhalb der gegenuberliegenden Laufplanke. Kein Wunder, da? ihm das Schiff verandert schien: Statt der gewohnten Zwolfpfunder standen gedrungene Karronaden an den Stuckpforten. Zwar wurden Karronaden oder» Zerschmetterer«, wie sie von den Seeleuten respektvoll genannt wurden, fast auf jedem Kriegsschiff gefahren, gewohnlich vorn am Bug auf jeder Seite eine. Sie wurden mit bis zu 68 Pfund schweren Kartatschenkugeln geladen, die beim Aufprall zerplatzten und den Feind mit einem morderischen Eisenhagel uberschutteten, beispielsweise bei einem Schu? in das ungeschutzte Heck. Aber eine ganze Schiffsbatterie nur aus Karronaden? Niemals! Zwar hatte man vor kurzem auf einer anderen Fregatte, der Rainbow, einen entsprechenden Versuch unternommen, aber es war ein Mi?erfolg gewesen und im Nahkampf sogar ausgesprochen gefahrlich fur die eigenen Leute.
        Emes beeilte sich zu erlautern:»Sie waren schon montiert, bevor ich die Aufsicht uber die Wiederausrustung des Schiffes erhielt, Sir. Wie ich horte, entschlo? man sich fur Karronaden, als Phalarope fur diesen Sektor hier bestimmt wurde. «Er machte eine Geste zum Achterdeck hin.»Aber ich habe immer noch acht Neunpfunder, Sir.»
        Bolitho war Emes' defensiver Ton nicht entgangen. Er bemerkte nur:»Admiral Sir George Beauchamp mu? grundlicher vorausgeplant haben, als ich vermutete. «Als Emes darauf nicht mit der Wimper zuckte, schlo? Bolitho, da? er von ihren Einsatzbefehlen noch nichts wu?te.
        Ein Midshipman rief: «Styx signalisiert, Sir.»
        Emes blaffte:»Komme sofort. «Aber es klang Erleichterung durch.»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Sir?»
        Bolitho nickte und schritt weiter das Seitendeck hinunter, horte im Geist fur immer verstummte Stimmen, sah fast schon vergessene Gesichter wieder vor sich.
        Ein sauberes, diszipliniertes Schiff mit einem Kommandanten, der keinerlei Matzchen duldete. Immer noch konnte er es kaum glauben, da? Pascoe hier Erster war. Als hatte er das alte Schiff von ihm geerbt. Jedenfalls war sein sehnlichster Wunsch damit fast verwirklicht, sagte sich Bolitho. Ihm selbst ware es in dem Alter nicht anders gegangen.
        Allday hinter ihm murmelte:»All diese Karronaden, Sir - wenn sie eine Breitseite abfeuern mu?, zerrei?t es ihr den Bauch.»
        An der Back verhielt Bolitho, eine Hand auf einem abgewetzten Handlauf.»Hier hast du gestanden, Allday, damals bei den Sain-tes.»
        Allday sah sich auf dem schragliegenden Deck um.»Aye, Sir. Ich und ein paar andere. «Aber dann ri? er sich aus seiner Melancholie.»Gott, haben uns die Franzosen an dem Tag eingeheizt, das mu? der Neid ihnen lassen! Ich sah den Ersten fallen und kurz darauf den Zweiten. Mr. Herrick, jung, wie er damals war, mu?te ihren Platz einnehmen, und ich selbst dachte mehr als einmal, mein letztes Stundlein hatte geschlagen. «Er schaute in Bolithos uberschattetes Gesicht.»Ich sah auch Ihren Bootsfuhrer sterben, den alten Stockdale. Als er Ihnen den Rucken deckte, vor dem Feuer der franzosischen Scharfschutzen.»
        Bolitho nickte schmerzlich. Er hatte nicht einmal bemerkt, da? Stockdale sich fur ihn geopfert hatte.
        Allday rang sich ein trauriges Grinsen ab.»Damals schwor ich mir, Sir, wenn Sie am nachsten Tag noch lebten, dann wollte ich Stockdales Stelle bei Ihnen einnehmen. Seitdem habe ich das zwar mehr als einmal bedauert, Sir, aber trotzdem…»
        Pascoe kam die Leiter vom Batteriedeck heraufgeklettert.»Kapitan Emes hat mich abgestellt, Sir, Sie durchs Schiff zu fuhren. «Verlegen lachelnd blickte er sich um.»Ich nehme an, sie hat sich ziemlich verandert?»
        Bolitho warf einen Blick nach achtern und sah Emes' Gestalt sich dunkel vom blauen Himmel abheben. Wahrscheinlich beobachtete er sie und fragte sich, welche Vertraulichkeiten sie austauschten, an denen er nie teilhaben wurde. Bolitho kam sich schabig vor, aber er mu?te einfach fragen.

«Hast du Mrs. Laidlaw gesehen, Adam?»

«Nein, Sir. Ich mu?te noch vor ihrer Ruckkehr aufbrechen. Aber naturlich habe ich einen Brief fur sie hinterlassen.«»Danke.»
        Nun war er doch froh, da? er Pascoe von seinem Vater erzahlt hatte. Andernfalls.
        Als konne er Gedanken lesen, sagte sein Neffe:»Als Vater wahrend der amerikanischen Revolution gegen uns kampfte, hat er doch auch dieses Schiff hier angegriffen. Ich habe lange daruber nachgedacht und nachzuempfinden versucht, was das fur euch beide bedeutet hat.«Angstlich starrte er Bolitho an, dann sprudelte er hervor:»Egal, ich wollte unbedingt an Bord, Onkel. Notfalls auch als rangniedrigster Offizier.»
        Bolitho ergriff seinen Arm.»Das freut mich - fur dich und fur das Schiff.»
        Ein Midshipman kam nach vorn gerannt und griff gru?end zum Hut.»Empfehlung des Kommandanten, Sir, es liegt eine Nachricht fur Sie vor.»
        Auf dem Achterdeck schien Emes von den Neuigkeiten nicht weiter aus der Ruhe gebracht. »Styx hat eine Brigg gesichtet, Sir, im Suden von uns.«Argerlich blickte er nach oben, als sein eigener Ausguckposten das fremde Segel meldete.»Der da mu? blind geworden sein.»
        Bolitho wandte sich ab, um sein Lacheln zu verbergen. Denn er wu?te, da? Neale den Ausguck gehenden Midshipman im Topp oft mit einem starken Teleskop versah, wenn die Sicht so gut war, da? es sich lohnte.
        Emes hatte seinen Arger schnell wieder unter Kontrolle.»Darf ich Sie jetzt zu einem Glas Wein in die Kajute einladen, Sir?»
        Wieder mu?te Bolitho den Mann ansehen. Er spurte, da? Emes sich vor ihm furchtete; zumindest fuhlte er sich sehr unbehaglich.

«Ja, danke. Signalisieren Sie Styx, sie soll Naheres auskundschaften, wahrend wir uns diesen Schluck gonnen.»
        Die Kajute war so sauber und ordentlich wie das ganze Schiff, nichts lag herum, was uber die Personlichkeit ihres Bewohners Aufschlu? gegeben hatte.
        Emes fullte zwei Weinglaser, wahrend Bolitho durch die salzverkrusteten Heckfenster starrte und der auf ihn einsturmenden Erinnerungen Herr zu werden versuchte.

«Mr. Pascoe halt sich gut, Sir, so jung er auch ist.»
        Bolitho musterte Emes uber den Rand seines Weinglases.»Und wenn es anders ware, wurde ich keinerlei Nachsicht erwarten, Kapitan Emes.»
        Diese unverblumte Antwort verunsicherte Emes.»Aha, verstehe, Sir. Aber man wei? ja, was die Leute so denken.«»Ja? Und was denke ich, Kapitan?»
        Emes schritt in der Kajute auf und ab.»Die Flotte hat so wenig erfahrene Offiziere, Sir, und ausgerechnet mir hat man das Kommando uber dieses alte Schiff gegeben. «Er wartete auf ein Zeichen Bolithos, ob er zu weit gegangen war, aber als keines kam, fuhr er entschlossen fort:»Sie war einmal ein feines Schiff, Sir, und unter Ihrem Kommando wurde sie sogar beruhmt. Aber jetzt«, wie ein gefangenes Tier blickte er sich gehetzt um,»jetzt ist sie veraltet, die Spanten und Planken sind morsch vom Hafenliegen. Trotzdem bin ich froh, da? ich sie bekommen habe. «Er blickte Bolitho direkt ins Gesicht. »Dankbar ware der treffendere Ausdruck.»
        Langsam stellte Bolitho sein Weinglas auf den Tisch zuruck.»Jetzt erinnere ich mich.»
        Er hatte nur an seine eigenen Probleme gedacht, an das unvermutete Auftauchen seines alten Schiffes, so da? er an seinen neuen Kommandanten kaum einen Gedanken verschwendet hatte. Aber jetzt fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Naturlich, er hatte Kapitan Daniel Emes von der Fregatte Abdiel vor sich, der vor etwa einem Jahr als Angeklagter einem Kriegsgericht gegenubergestanden hatte. Wie konnte ihm das entfallen sein? Nur wenige Meilen von ihrem augenblicklichen Standort entfernt hatte Emes das Gefecht mit einem uberlegenen Feind abgebrochen und damit zugelassen, da? ein anderes britisches Schiff erbeutet wurde. Geruchteweise war verlautet, da? nur die fruhe Beforderung zum Kapitan und seine bisher makellose Fuhrung Emes vor der unehrenhaften Entlassung bewahrt hatten.
        Es klopfte, und Browne spahte mit unschuldigem Gesicht herein.»Bitte um Vergebung, Sir, aber Styx signalisiert, da? sie mit der Brigg Kontakt hat. Sie kommt mit Depeschen vom SudGeschwader. «Kurz streifte sein Blick Emes' angespanntes Gesicht. Der Brigg ist offenbar sehr daran gelegen, baldmoglichst in Kontakt mit Ihnen zu kommen.»

«Ich kehre gleich auf Styx zuruck. «Und nachdem Browne sich eilig zuruckgezogen hatte, fugte Bolitho, an Emes gewandt, hinzu:»Als ich damals hier das Kommando ubernahm, war Phalarope zwar ein viel jungeres Schiff, aber auch ein sehr viel schlechteres als heute. Vielleicht scheint sie Ihnen zu alt fur die Aufgabe, die man uns gestellt hat. Vielleicht glauben Sie au?erdem, da? sie fur einen Offizier von Ihrer Erfahrung und Tuchtigkeit bei weitem nicht gut genug ist. «Er griff nach seinem Hut und schritt zur Tur.»Zu dem ersten Vorbehalt kann ich mich nicht au?ern, aber zum letzteren werde ich mir ganz bestimmt meine eigene Meinung bilden. Und was mich betrifft, sind Sie einer meiner Kommandanten, sonst nichts.
«Er sah Emes offen ins Gesicht.»Die Vergangenheit lassen wir ruhen.»
        Die Wande der Kajute schienen ihm seine letzten Worte hohnisch an den Kopf zu werfen. Aber er mu?te Emes vertrauen, mu?te ihn dazu bringen, sein Vertrauen auch zu erwidern.
        Heiser sagte Emes:»Danke fur dieses Wort, Sir.»

«Noch eine Frage, bevor wir zu den anderen gehen, Kapitan Emes. Wenn Sie sich morgen in der gleichen Lage wiederfanden, die Sie damals vors Kriegsgericht gebracht hat - wie wurden Sie sich diesmal entscheiden?»
        Unschlussig hob Emes die Schultern.»Das habe ich mich schon tausendmal gefragt, Sir. Ehrlich gesagt, ich wei? es nicht.»
        Bolitho beruhrte seinen Arm, fuhlte die Verkrampfung und Wachsamkeit, die von den Goldtressen nur au?erlich kaschiert wurde.
        Er lachelte.»Ware Ihre Antwort anders ausgefallen, hatte ich wahrscheinlich mit der nachsten Kurierbrigg eine Ablosung fur Sie angefordert.»
        Spater, als die beiden Fregatten dichter nebeneinander kreuzten und die ferne Brigg mehr Segel setzte, um schneller zu ihnen aufzuschlie?en, stand Bolitho an der Querreling des Achterdecks und blickte uber das Schiff hinweg nach vorn. Er horte Emes hinter sich auf seine gewohnt knappe Art Befehle bellen. Ein schwieriger Mann, der aber auch eine schwere Last mit sich herumtrug.
        Unvermutet meldete Allday sich zu Wort.»Na und, Sir, was halten Sie davon?»
        Bolitho lachelte ihn an.»Ich bin froh, da? sie wieder da ist, Allday. Hier und heute gibt es viel zu wenig Veteranen.»
        Bolitho wartete so lange, bis die Glaser alle gefullt waren und seine Erregung sich etwas gelegt hatte. Die Achterkajute der Styx lag gemutlich im Schein der Deckenlampen, und obwohl das Schiff nach wie vor schwer arbeitete, spurte Bolitho doch, da? die See sich etwas beruhigt hatte; genau wie der Master prophezeit hatte, war der Wind auf Nordwest umgesprungen,
        Er warf einen Blick in die Runde. Trotz der Dunkelheit vor den Heckfenstern konnte er sich vorstellen, wie die anderen Schiffe Styx in Kiellinie folgten, wahrend ihre Kommandanten hier an Bord ihrem Admiral Bescheid taten. Nur der junge Kommandant von Rapid fehlte, weil er irgendwo im Nordosten wachsam auf und ab stand, jederzeit bereit, mit halbem Wind herbeizueilen und sein Geschwader zu alarmieren, sollten die Franzosen im Schutz der Dunkelheit einen Ausbruchsversuch wagen.
        Was wurden die Familien dazu sagen, wenn sie ihre Sohne an diesem Abend hier so sehen konnten? fragte sich Bolitho. Zum Beispiel den derben, rotwangigen Kapitan Duncan, Kommandant der Sparrowhawk, der gerade mit viel Elan und zu Neales offensichtlicher Erheiterung von seiner jungsten Affare mit der Frau eines Richters in Bristol erzahlte. Oder Emes von der Phalarope, wachsam und sehr beherrscht, der nur beobachtete und zuhorte. Browne, der sich auf die breiten Schultern von Neales Diener stutzte und seine gemurmelten Kommentare abgab.
        An Bord der drei Schiffe, die Bolithos kleinem Geschwader angehorten, wurden sich die Ersten Offiziere jetzt den Kopf daruber zerbrechen, was bei diesem Kommandantentreffen wohl beschlossen werden mochte. Wie wurde das Ergebnis ihr Schicksal beeinflussen? Es konnte Beforderung bedeuten oder Tod, vielleicht sogar den Befehl uber das Schiff, wenn ihr Vorgesetzter fallen sollte.
        Der Diener hatte allen eingeschenkt, richtete sich auf und verschwand leise aus dem Raum.
        Bolitho lauschte kurz auf das Gurgeln des Wassers am Ruder, auf das leise Schlagen der Hei?leinen und den ruhelosen Schritt des Wachhabenden uber ihren Kopfen. Solch ein Schiff war wie ein lebendes Wesen.»Gentlemen - auf Ihr Wohl!»
        Damit lie? er sich wieder am Tisch nieder und drehte eine Seekarte herum. Seine drei Schiffe hielten im Augenblick auf die Kuste zu, genauer gesagt auf die Loire-Mundung, aber das war nicht weiter ungewohnlich. Unzahlige britische Schiffe vor ihm hatten das gleiche getan, entweder im Verband oder einzeln, um die franzosische Flotte in Atem zu halten und ihre wichtigen Ver-sorgungs- und Verbindungswege zu blockieren.
        Die am Tage eingetroffene Kurierbrigg war inzwischen schon wieder unterwegs, Kurs Nord und heim nach England. Sie hatte Depeschen vom Befehlshaber des Sud-Geschwaders an Bord, Berichte und Informationen, die eines Tages fur die Lagebeurteilung durch die Admiralitat bedeutsam werden mochten.
        Aber dem ublichen Marinebrauch entsprechend hatte der Kommandant der Brigg Anweisung gehabt, mit jedem ranghoheren Offizier Kontakt aufzunehmen, dessen Schiff er unterwegs begegnete. Und ein scharfaugiger Ausguckposten hatte dafur gesorgt, da? dieser Offizier Bolitho war.
        Er sagte nun:»Inzwischen kennen Sie alle in groben Zugen unseren Einsatzbefehl und damit den wahren Grund fur unsere Anwesenheit in diesem Sektor.»
        Er musterte die gespannten Gesichter; alle waren so jung und ernst, dachten wohl jeder an die angeblich geheimen Friedensverhandlungen, deren erfolgreicher Ausgang fur sie jede Aussicht auf baldige Beforderung zunichte machen konnte. Bolitho verstand das recht gut. Zwischen den beiden Kriegen war er selbst einer der wenigen Gluckspilze gewesen, denen man ein Schiff uberantwortet hatte, wahrend die meisten Offiziere verarmt und von niemandem gebraucht an Land versauerten.

«Vor einer Woche stie?en unsere Patrouillen im Suden auf ein spanisches Handelsschiff und wollten es aufbringen. Da es schon fast dunkel war, suchte der Spanier sein Heil in der Flucht. Aber er hatte mehrere Einschu?locher im Rumpf, au?erdem ging seine
        Ladung uber, deshalb begann er zu kentern. Unsere Entermannschaft kam gerade noch rechtzeitig, um die Schiffspapiere an sich zu nehmen und zu entdecken, da? die Ladung aus Bausteinen bestand. Mit etwas Nachhilfe gestand der spanische Kapitan schlie?lich, da? seine Ladung fur diesen Sektor bestimmt war. «Bolithos Finger pochten auf eine Stelle der Seekarte.»Er liegt vierzig Seemeilen sudlich von unserem jetzigen Standort: die Ile d'Yeu.»
        Wie er erwartet hatte, war ihre Erregung allmahlich der Enttauschung gewichen, deshalb beschlo? er, sie nicht langer auf die Folter zu spannen.

«Der spanische Kapitan berichtete, da? er schon mehrmals bei der Insel gewesen war und dort jedesmal eine Ladung Steine geloscht hatte. «Bolitho nahm den Stechzirkel auf und lie? ihn uber die Karte wandern.»Au?erdem informierte er uns, da? der Ankerplatz voll kleiner Fahrzeuge liege, die alle neu und frisch ausgerustet seien. Ihren Verwendungszweck konnte er uns nicht nennen - bis man ihm Zeichnungen vorlegte, welche franzosische Landungsboote zeigten, wie sie jetzt in den Kanalhafen zusammengezogen werden. «Zufrieden registrierte Bolitho das plotzlich wiedererwachte Interesse der Tischrunde.»Sie waren absolut identisch. Wahrend wir also Belle Ile und Lorient uberwachen, kann der franzosische Admiral seine Flottillen von Landungs- und Morserbooten jederzeit nach Norden in Marsch setzen, wenn er wei?, da? die Luft rein ist.»
        Duncan offnete den Mund, schlo? ihn aber gleich wieder.

«Kapitan Duncan«, sagte Bolitho,»Sie haben eine Frage?»

«Die Bausteine, Sir. Ihr Zweck leuchtet mir nicht ein. Selbst fur Schiffsneubauten braucht man nicht solche Mengen Ballast, und wenn, mu?ten sie doch leicht in der naheren Umgebung der Werften zu finden sein.»

«Vielleicht nehmen sie die Steine nur vorubergehend als Ballast auf, und zwar bis zur endgultigen Indienststellung in Lorient oder Brest. Dort konnten die Steinladungen dann geloscht und zur Verstarkung der Festungswalle und Landbatterien verwendet werden. Das ware zweckma?ig und wurde sehr viel weniger Aufmerksamkeit erregen als ein Transport auf gro?eren Schiffen. Wie dem auch sei, meine Herren, wir haben die ganze Zeit das falsche Gebiet uberwacht. Aber jetzt sind wir kluger, und ich beabsichtige, aufgrund dieser Informationen zu handeln.»
        Neale und Duncan grinsten einander an, als waren sie Verbundete in einer Schlacht, die bereits geschlagen und gewonnen war.
        Emes dagegen wandte ein:»Aber ohne Verstarkung wird das eine harte Nu? fur uns, Sir. Ich kenne die Ile d'Yeu und das schmale Fahrwasser zwischen ihr und der Kuste. Eine Reede, die leicht verteidigt, aber schwer angegriffen werden kann.
«Sein Gesicht erstarrte wieder zur Maske, weil ihn die anderen so anfunkelten, als hatte er einen unerhorten Fauxpas begangen.

«Gut gesagt. «Bolitho legte beide Hande flach auf die Seekarte.»Deshalb starten wir auch ein Ablenkungsmanover. Die Franzosen bekommen uns dort zu sehen, wo sie uns erwarten, und werden deshalb nicht mit einem Uberfall in so engen Gewassern rechnen. «Er drehte sich zu Browne um, der schon seit einigen Minuten seine Aufmerksamkeit zu erregen versuchte.»Ja?»

«Sir, wenn wir warten, bis Verstarkung eintrifft - was ja auch Sir George Beauchamps ursprunglichem Plan entsprache - , dann hatten wir doch gewi? bessere Erfolgsaussichten? Andererseits, wenn die Kurierbrigg mit neuen Befehlen zuruckkehrt, die unseren jetzigen Auftrag widerrufen, dann hatten wir verfruht gehandelt und besser nichts getan.»

«Nichts tun, Mann?«explodierte Duncan.»Was reden Sie da?»
        Aber Bolitho lachelte.»Ich verstehe, was Sie damit sagen wollen, Browne.»
        Wie Herrick und Allday, so versuchte auch Browne nur, ihn zu schutzen. Wenn sein Angriff mi?lang, wurde die Friedenspartei seinen Kopf fordern. Wenn er sich andererseits jetzt still verhielt, konnte niemand ihm daraus einen Vorwurf machen. Aber Beau-champs Vertrauen ware damit bitter enttauscht.
        Deshalb sagte er ruhig:»Wenn es zum Friedensschlu? kommt, dann soll das unter gleichen und fairen Bedingungen geschehen, nicht unter der Drohung einer Invasion. Und wenn der Krieg spater wieder ausbricht, mussen wir schon heute sicherstellen, da? unsere Leute nicht von dem Augenblick an, da der Friedensvertrag zerrissen wird, auf verlorenem Posten kampfen. Ich wu?te also nicht, was mir anderes ubrigbliebe.»
        Duncan und Neale nickten eifrig, aber Emes wischte sich nur mit ausdruckslosem Gesicht ein loses Fadchen vom Armel. In der Stille horte Bolitho Smiths Feder uber das Papier kratzen.
        Er fugte hinzu:»Ich habe schon zu viele Schiffe verlorengehen sehen, zu viele Menschen sterben, als da? ich eine Chance ignorieren konnte, die fur unsere Zukunft wichtig, ja entscheidend ist. Also schlage ich vor, meine Herren, da? Sie an Bord zuruckkehren und Ihre Pflicht tun, genau wie ich hier.»
        Als die drei Kommandanten die Kajute verlassen hatten, sagte Bolitho zu Browne: Dank fur Ihre Sorge um mich, Oliver. Aber ich hatte von Anfang an keine andere Wahl. Auch ohne diese neuen Informationen hatte ich jetzt losschlagen mussen. Zumindest wei? ich nun, wo. Nur das Wie herauszufinden, dauert immer ein bi?chen langer.»
        Browne lachelte geruhrt, weil Bolitho seinen Vornamen benutzt und ihm seine Uberlegungen anvertraut hatte. Doch als der Admiral fortfuhr, war sein Ton wieder distanziert, als sei er in Gedanken bereits woanders.

«Aber etwas geht mir nicht aus dem Kopf.. «Er dachte an den verbitterten und reservierten Emes, an seinen wunschlos glucklichen Neffen Adam, an die junge Frau in Falmouth.»Wenn ich wu?te, was das ist, ware mir schon sehr viel wohler.»
        Falls es nicht schon zu spat ist, dachte er insgeheim.



        IV Kampfgeist

        Sieben Tage nach dem Treffen der Kommandanten wartete Bolitho immer noch ungeduldig auf neue Nachrichten. Ihm kam es so vor, als hatte die Welt jenseits von Styx ihn vergessen oder schon abgeschrieben.
        Die beiden anderen Fregatten hatte er absichtlich nach Belle Ile geschickt, damit sie die Insel und ihre Zufahrten fur alle sichtbar kontrollierten. So mu?ten die Franzosen glauben, die Blockade sei in vollem Umfang aufrechterhalten. Und wahrend Styx im Suden auf einem Dreieckskurs mit jeweils zwanzig Meilen langen Seiten langsam hin und her kreuzte, hielt die kleine Brigg Verbindung zwischen den drei Schiffen.
        Die Untatigkeit machte Bolitho fast verruckt; nur mit Muhe hielt er sich zuruck, wenn er bei jedem Ruf aus dem Ausguck oder bei jeder ungewohnten Unruhe drau?en an Deck sturzen wollte. Auch das Wetter war keine gro?e Hilfe. Der Wind war abgeflaut und nur noch eine schwache Brise, die kaum die blaugraue Oberflache des Golfs krauselte. Die Mannschaft hatte sich an die Gegenwart ihres Admirals gewohnt und wurde allmahlich nachlassig und schnodderig. Es gab gelegentlich Seeleute, die uber dem Splei?en und Betakeln, dem Polieren und Nahen sich ein schnelles Nickerchen erlaubten, und manche enterten nur auf, um oben an einem sicheren Platz ungestorter schlafen zu konnen.
        Bolitho war es nicht entgangen, da? weder Neale noch Browne die ausbleibende Unterstutzung erwahnten, die sie aus dem Suden oder dem Norden langst hatte erreichen sollen. Beauchamps Befehle hatten inzwischen in Aktionen umgesetzt werden mussen, selbst aus Gibraltar hatten die versprochenen Morserboote langst eintreffen sollen, deren Hilfe er so dringend benotigte. Wenn Browne schwieg, dann bedeutete das, da? er und nicht sein Konteradmiral recht behielt: Sie hatten keine Unterstutzung mehr zu erwarten, denn Beauchamps sorgfaltig ausgearbeiteter Einsatzplan blieb offenbar absichtlich in irgendeiner Stahlkassette der Admiralitat liegen, bis man ihn unbeschadet vergessen konnte.
        Allday betrat die Kajute und nahm Bolithos Sabel von der Wand, um ihn wie jeden Tag zu polieren. Zogernd blieb er stehen, wahrend seine machtige Gestalt leicht mit den Bewegungen des Schiffes hin und her schwankte.

«Die Brigg konnte auch aufgehalten worden sein, Sir«, sagte er schlie?lich.»Sie hat den Wind von vorn, und es braucht Zeit, durch den Kanal zu kreuzen. Ich wei? noch, als wir…»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Jetzt nicht mehr. Ich wei?, du meinst es gut, aber sie hatte viele Tage Zeitreserve, selbst bei schlechtestem Wetter. Diese Kuriere verstehen ihr Handwerk.»
        Allday seufzte.»Trotzdem brauchen Sie sich keine Vorwurfe zu machen, Sir. «Er wartete ab, ob Bolitho ihm diese Bemerkung verubeln wurde.»Seit Tagen kommen Sie mir vor wie ein Falke an der Fessel, der fliegen will, aber nicht kann.»
        Bolitho lie? sich auf die Bank unter den Heckfenstern sinken. Seltsam, da? er mit seinem vierschrotigen Bootsfuhrer uber so vieles sprechen konnte, was er Neale oder seinen anderen Offizieren gegenuber niemals auch nur angedeutet hatte. Es hatte auf sie gewirkt wie Schwache oder Unsicherheit - beides Eigenschaften, die den Ausschlag gaben, wenn die Luft voll Eisen war und Mut so notig wie nie zuvor.
        Vielleicht hatte Allday ja recht gehabt, und dieser neue Auftrag war zu fruh gekommen nach der kraftezehrenden Ostsee. Schlie?lich mu?te Allday das besser wissen als alle anderen, denn er hatte ihn auf seinen Armen davongetragen, als seine Wunde wieder aufgebrochen und er fast daran gestorben war.
        Also fragte er nur:»Und was tut dein gefesselter Falke, Allday?»
        Allday hob den alten Sabel vor die Augen und lie? die Sonnenreflexe darauf spielen, bis die Schneide wie ein Goldfaden glanzte.

«Er wartet auf den richtigen Moment, Sir. Wenn sein Los die Freiheit ist, dann wird er sie auch irgendwann gewinnen.»
        Beide blickten zur Decke, uberrascht vom Ruf des Ausgucks, dessen Stimme durch das offene Skylight zu ihnen herunterdrang:»An Deck! Segel Backbord achteraus!»
        Schritte polterten uber die Decksplanken, und eine andere Stimme bellte: Verstandigen Sie den Kommandanten, Mr. Man-ning! Mr. Kilburne, entern Sie auf, aber blitzartig!»
        Bolitho und Allday wechselten Blicke. Jetzt kam das, was Bo-litho am meisten ha?te: warten, untatig bleiben, statt an Deck zu sturzen zu den anderen und sich selbst ein Bild zu machen. Aber nein, der Kommandant war Neale.
        Stimmen erklangen auf dem Achterdeck, blieben jetzt aber unverstandlich. Entweder hatte Neales Erscheinen die Lautstarke gedampft, oder es lag an der Tatsache, da? das Skylight uber der Achterkajute zugeklappt war.
        Allday murmelte:»Hol sie der Teufel - die brauchen eine Ewigkeit.»
        Doch als dann endlich ein atemloser Midshipman hereinsturzte und mit besten Empfehlungen des Kommandanten meldete, da? ein Segel von Backbord achteraus zu ihnen aufschlo?, fand er seinen Admiral gelassen und seelenruhig auf der Heckbank sitzen und seinem ganz aufs Sabelpolieren konzentrierten Bootsfuhrer zuschauen.
        Oben auf dem Achterdeck brannte die Sonne und warf den Schatten des Riggs wie ein riesiges Gitternetz auf die wei?gescheuerten Decksplanken.
        Bolitho trat zu Neale an die Finknetze. Wie alle anderen Offiziere hatte er seinen schweren Rock abgelegt und trug nur Hemd und Breeches, weshalb er sich in nichts von seinen Untergebenen abhob. Wenn irgendeiner von den rund zweihundertvierzig Mannern an Bord den Admiral nach zwei Wochen immer noch nicht erkannte, dachte Bolitho, dann war ihm eben nicht mehr zu helfen.
        Neale berichtete:»Der Ausguck rief etwas von zwei Schiffen, Sir. Aber bei dem Hitzeflimmern la?t es sich noch nicht genau sagen.»
        Bolitho nickte; vor lauter Ungeduld war ihm entgangen, da? er den Kommandanten fast grimmig angefunkelt hatte.

«An Deck! Es ist eine Brigg, Sir!«Nach einer Pause setzte Kilburne hinzu:»Und - und noch eine Brigg, Sir!»
        Der Master brummte mi?billigend:»Da soll doch der Teufel dreinfahren!»
        Neale legte die Hande trichterformig um den Mund und rief nach oben:»Was soll das hei?en, verdammt noch mal - Sir?»
        Der Zweite Offizier, der die Wache hatte, wollte in die Bresche springen.»Ich konnte aufentern, Sir, und.»

«Sie bleiben hier!«Neale fuhr zu seinem Ersten Offizier herum.»Mr. Pickthorn, da ich offenbar von lauter Blinden und Kruppeln umgeben bin, mu? ich Sie bitten, oben nach dem Rechten zu sehen.»
        Pickthorn ve rbi? sich ein Grinsen und war schon halbwegs die Webeleinen aufgeentert, ehe Neale sein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden hatte.
        Die Luft vibrierte unter den Schallwellen eines entfernten Kanonenschusses, und Bolitho mu?te sich nach Lee abwenden, um seine Ungeduld zu verbergen.

«Deck! Es ist die Rapid, Sir! Sie verfolgt ein anderes kleines Schiff, vermutlich eine Yawl.»
        Neale spahte zum Toppstander hinauf und zu den lustlos killenden Segeln.»Hol's der Henker! Wir haben keine Chance, sie einzuholen!»
        Scharf fragte Bolitho:»Welcher Kurs zur Ile d'Yeu?«Neale dachte offenbar immer noch an die unerreichbare Prise, deshalb beantwortete der Master Bolithos Frage. Genau Ost,
        Sir.»
        Bolitho kam quer ubers Deck heran, wobei er die neugierigen Blicke der Umstehenden vollig ignorierte.

«Wenden Sie das Schiff, Kapitan Neale, und kreuzen Sie nach Luv auf!«befahl er. Wenn Sie auf Signaldistanz an Rapid heran sind, befehlen Sie ihr, die Verfolgung abzubrechen.»
        Pickhorn landete mit einem Poltern an Deck. Heiser berichtete er:»Die Yawl lauft um ihr Leben, Sir. Aber Rapid kommt schnell auf!«Er erntete nur gespanntes Schweigen.»Sir?»

«Signal an Rapid: Verfolgung abbrechen! Dann alle Mann an Deck und klar zur Wende.
«Neale warf Bolitho einen schnellen Blick zu.»Die Verfolgung ubernehmen jetzt wir.

        Pickthorn konnte ihn nur anstarren.»Verstehe«, sagte er dann.»Aye, Sir, sofort!»
        Die Pfeifen schrillten, und innerhalb von Minuten warfen sich die Manner in die Brassen, holten die Rahen herum, bis die Segel fast back standen. In wildem Aufruhr schlug und knallte die Leinwand, die von ihren Spieren gerissen worden ware, hatte der Wind zugelegt.
        Der zweite Midshipman der Wache schob sein Teleskop zusammen und meldete: «Rapid hat bestatigt, Sir.»
        Er brauchte nicht hinzuzufugen, was ohnehin alle Umstehenden dachten: Es war tabu fur jedes Schiff, erst recht fur eines, das unter der Flagge eines Konteradmirals segelte, einem anderen befreundeten Schiff die Prise abzujagen. Da Styx im Augenblick fast im Wind stand und muhsam gegenankreuzen mu?te, konnte die flinke Yawl moglicherweise nun beiden Verfolgern entkommen. Das mu?te abends in einem franzosischen Hafen ein ziemliches Hohngelachter geben.

«Nordnordwest, Sir!«rief der Master.»Voll und bei!»
        Bolitho hatte auf den Hinweis verzichten konnen. Die Fregatte lag so stark uber, das Rigg achzte und stohnte so laut unter der extremen Belastung, da? jedem klar war, sie segelten mit optimaler Geschwindigkeit.
        Doch Bolitho verschlo? sich dem und konzentrierte sich nur auf das ferne Bild der Segel in seiner Teleskoplinse. Fur eine Yawl war sie gro?, zumal sie jetzt auch den letzten Fetzen Tuch gesetzt hatte, um mit dem Wind zu entkommen. Ob nun Kurier- oder Schmugglerschiff, sie mu?te sich in Sicherheit bringen, und die Ile d'Yeu war nun einmal der nachste Hafen, den sie anlaufen konnte.
        Sauerlich sagte Neale:»Wenn ich wenden lasse und auf Steuerbordbug gehe, werden wir schneller und konnen sie vielleicht noch abfangen. Bis zur Dunkelheit bleiben uns noch sechs Stunden. «Aber er konnte seine Enttauschung und Verwirrung nicht verbergen.

«Bleiben Sie auf diesem Bug, Kapitan Neale. Im Gegenteil, ich mu? Sie gleich bitten, noch mehr anzuluven. Segeln Sie sich fest.»

«Aber. «Neale fand keine Worte mehr. Einem anderen die Prise abzujagen und sie dann absichtlich entkommen zu lassen - das ging uber sein Fassungsvermogen.
        Bolitho sah ihn ruhig an.»Auf dieser Yawl soll man glauben, da? wir uns festgesegelt haben.»
        Neale nickte ruckartig.»Aye, Sir. Mr. Pickthorn! Drehen Sie das Schiff in den Wind! Klar bei Halsen und Schoten!«Heiser murmelte er wie zu sich selbst:»Fehlt nicht viel, und ich glaube es selber.»
        Als das Ruder noch starker nach Luv gelegt wurde, baumte Styx sich auf wie ein Pferd, das mitten im Sprung von einer Kugel getroffen wurde. Unter Pickthorns Befehlen und den Fluchen und Schlagen der nervosen Decksoffiziere manovrierte die Mannschaft das Schiff in ein tiefes Wellental, wo es sich mit killenden Segeln festfuhr wie ein voll Wasser geschlagener Kutter.
        Ein Toppsgast fiel von den Webeleinen, strampelte wild uber dem schaumenden Wasser, ehe er von seinen Kameraden an Bord und in Sicherheit gezerrt werden konnte. Aber keine Spiere brach, keine Segelnaht platzte, als die ungluckselige Fregatte, scheinbar au?er Kontrolle geraten, wild in den Seen rollte.
        Wieder hob Bolitho sein Fernrohr und suchte die hellbraunen Segel der Yawl. Sie stand jetzt weit an Steuerbord, ihr Rumpf verschwand fast schon hinter der Kimm.

«Noch einen Augenblick, Kapitan Neale.»
        Bolitho reichte Allday sein Teleskop. Falls der seinen Admiral fur meschugge hielt, lie? er sich jedenfalls nichts anmerken.
        Endlich sagte Bolitho:»Bringen Sie sie wieder auf Kurs und nehmen Sie erneut die Verfolgung auf. Aber setzen Sie nicht die Bramsegel. Ich will sie zwar jagen, aber wenn Sie sie einholen, dann sollen Sie an Ihrem Prisengeld ersticken, so wahr ich hier stehe!»
        Neale ging endlich ein Licht auf; voll verbluffter Bewunderung starrte er Bolitho an.

«Wir folgen dem Franzmann bis zur Insel, Sir?»
        Bolitho sah zu, wie die verwirrten Seeleute systematisch wieder an die Brassen und Schoten gescheucht wurden.»Ja, bis zur Insel«, nickte er.
        Wahrend Neale davoneilte, um den Befehl an seine Offiziere weiterzugeben, wandte Bolitho sich zu Allday um.»Na?«fragte er.
        Allday fuhr sich mit dem Handrucken uber den Mund.»Tja, Sir, ich schatze, der Falke ist frei, so wahr mir Gott helfe!»

«An Deck! Land voraus! Land in Lee voraus!»
        Wahrend die Offiziere und Steuerleute zur Querreling drangten, um ihre Teleskope auf das ferne Land auszurichten, bemuhte Bo-litho sich, seine wachsende Erregung zu beherrschen.
        Besorgt bemerkte Neale:»Der Wind la?t nach, Sir.»
        Bolitho blickte zu den Marssegeln auf, die sich widerstrebend mit Wind fullten und schnell wieder lose flappten. Die Jagd dauerte jetzt schon zwei Stunden, und die Fregatte hatte ihr Opfer immer in gerade Linie vor ihrem Bugspriet gehalten. Es jetzt, da schon Land in Sicht war, wegen des abflauenden Windes zu verlieren, ware eine nicht zu uberbietende Dummheit gewesen.

«Also setzen Sie schon die Bramsegel. Notfalls auch die Leesegel, wenn Sie es fur richtig halten.»
        Damit wandte Bolitho sich ab, wahrend Neale seinen Ersten Offizier heranwinkte und nach achtern zum Ruderrad trat.
        Bolitho nickte dem Master zu.»Was wissen Sie uber das Fahrwasser zwischen der Ile d'Yeu und dem Festland, Mr. Bundy?»
        Der Master war ein kleiner, schmachtiger Mann mit einem Gesicht wie aus rissigem Leder. Aus dem alten Ben Grubb, Master auf der Benbow, hatte man viere seinesgleichen machen konnen, uberlegte Bolitho.
        Aber seine Antwort kam vollig selbstsicher.»Sieht schlecht aus, Sir. Etwa zehn Meilen breit, aber schlechter Grund, und bei Niedrigwasser kaum tiefer als drei Faden.«[l Faden = 1,83 m] Er starrte an den killenden Segeln vorbei nach vorn, als sahe er die Insel bereits vor sich.»Nur gut als Ankerplatz fur eine Flottille leichter Fahrzeuge, schatze ich. «Nachdenklich rieb er sich das Kinn.»Auf meiner Karte ist die ganze Insel nicht langer als funf Meilen.«»Danke, Mr. Bundy.»
        Bolitho wandte sich ab, um zu Neale zuruckzukehren, deshalb entgingen ihm die Erleichterung und Genugtuung in Bundys Gesicht. Der Admiral hatte ihn nicht nur um seine Meinung gefragt, er hatte es auch so getan, da? seine Steuerleute und Ruderganger es horen mu?ten.

«Ich kann sie gerade so erkennen. «Neale wartete, bis Bolitho ein Teleskop ans Auge gesetzt hatte.»Aber im Dunst verschwimmen die Konturen.»
        Mit angehaltenem Atem wartete Bolitho darauf, da? das Deck wieder eine Aufwartsbewegung machte. Dann sah er ihn, den Flek-ken dunkleres Blau vor dem helleren Blau der See: die Insel, wo das spanische Schiff seine Ladung Bausteine geloscht hatte.
        Die Yawl steuerte augenblicklich zwar die Nordspitze der Insel an; sobald sie diese aber gerundet hatte, konnte sie in ihrem Schutz auch dichter unter Land gehen und an der Kuste entlang nach Suden segeln - bis Nantes. Bei der herrschenden Windrichtung hatte ihr Kapitan auf diesem Kurs jeden Vorteil, sollten die Verfolger ihm in letzter Minute den Weg abzuschneiden versuchen oder von einer weiter sudlich patrouillierenden Einheit Verstarkung erhalten. Bei dieser Uberlegung konnte Bolitho ein bitteres Lacheln nicht unterdrucken: Er hatte jede Wette gehalten, da? sich zweihundert Meilen im Umkreis kein anderes britisches Kriegsschiff befand.
        Er lie? sein Fernrohr sinken und beobachtete, wie die Toppsgasten auf den oberen Rahen auslegten, um die Bramsegel zu setzen und vorzuschoten, auch wenn sie sich in der leichten warmen Brise nur lustlos fullten. Noch blieben ihnen vier Stunden Tageslicht, das mu?te reichen. Wenn sie bis zum nachsten Morgen warten wollten, hatten sie ebensogut selbst die nachste franzosische Garnison alarmieren konnen.
        Bestimmt folgten viele Blicke der eiligen Yawl und der drohenden Segelpyramide, die sie jagte. Ein reitender Boote mu?te schon zum Kommandeur der Garnison unterwegs sein. Eine Festlandbatterie wurde sich bereit machen, dem toll gewordenen englischen Kommandanten, der fur eine magere Beute so viel riskierte, ein paar Schusse vor den Bug zu setzen.
        Wie beilaufig erkundigte sich Neale:»Was haben Sie als nachstes vor, Sir?»
        Vielleicht deutete er Bolithos Schweigen als Unsicherheit, deshalb schlug er vor: Wir konnten Kurs andern und den Wind somit besser ausnutzen. Wenn wir die Sudseite der Insel ansteuern, gelingt es uns vielleicht, die Franzosen abzufangen, sobald sie aus dem Sund zu entkommen versuchen.»

«Ja. Aber wenn die Yawl gar nicht weiter nach Suden will?»
        Neale zuckte die Schultern.»Dann entkommt sie uns.»
        Wieder hob Bolitho sein Fernrohr und richtete es auf die ferne Insel.»Sie ist uns bereits entkommen, Kapitan Neale.»
        Neale starrte ihn an.»Demnach wollen Sie so nahe wie moglich an die Insel heran, um ihre Verteidigungsanlagen zu erkunden?»
        Bolitho lachelte.»Wir werden noch sehr viel mehr tun: namlich in den Sund selbst einfahren. Da wir dort gunstigen Wind haben, sollten wir die Franzosen ordentlich uberraschen konnen.»
        Neale mu?te schlucken.»Aye, Sir. Aber Mr. Bundy sagt.»

«Ich wei?: drei Faden bei Ebbe. Also mussen wir uns besonders geschickt anstellen.
«Lachelnd griff er nach Neales Arm und war insgeheim dankbar, da? es ihm offenbar gelungen war, seine eigene Besorgnis vor dem jungen Kommandanten zu verbergen. Mein Vertrauen in Sie ist unbegrenzt.»
        Dann wandte Bolitho sich zum Niedergang.»Allday, bring mir etwas Kuhles aus unserem Weinvorrat. Ich mu? nachdenken. «Mit einem Nicken verabschiedete er sich von den umstehenden Offizieren. Allday folgte Bolitho in die Achterkajute, wahrend das Deck uber ihnen unter dem Getrampel der plotzlich aufgescheuchten Seeleute erzitterte.

«Bei Gott, Sir«, grinste er bewundernd,»die haben Sie aber auf Trab gebracht!»
        Bolitho schritt zu den Heckfenstern und beugte sich hinaus, um einen Blick auf die Wirbel und Strudel zu werfen, mit denen das Wasser vom Ruderblatt abflo?. Uber sich horte er gedampft Kommandorufe und das Quietschen der Lafetten, als weiter vorn die Buggeschutze fur die ersten Schusse des Treffens ausgefahren wurden.
        Wie sehr hatte er sich gewunscht, an Deck bleiben und an allem teilhaben zu konnen! Aber er mu?te sich damit abfinden, da? Neale als sein verlangerter Arm fungierte. Ohne den gro?en Zusammenhang zu kennen, hatte er Bolithos Anweisungen akzeptiert und wurde sie in die Tat umsetzen - komme, was wolle. Zum Beispiel konnte er binnen weniger Stunden gefallen sein oder schreiend auf dem Tisch des Schiffsarztes liegen; aus seinem geliebten Schiff mochte ein entmastetes Wrack geworden sein, oder es konnte mit hoher Fahrt auflaufen, wenn die Seekarte trog. Und das alles, weil der Admiral es so befohlen hatte.
        Bolitho sagte:»Bitte Mr. Browne auf ein Glas zu mir, Allday.»
        Als die Tur sich hinter seinem Bootsfuhrer schlo?, begann sich Bolitho allmahlich zu entspannen. Browne war anders als alle Menschen seiner Umgebung, vielleicht schaffte er es, ihn von dem Gedanken an einen drohenden Mi?erfolg eine Weile abzulenken.
        Als Bolitho aufs Achterdeck zuruckkehrte, war die Insel schon sehr viel gro?er geworden und lag jetzt an Steuerbord voraus, langgestreckt wie ein rundruckiges Seeungeheuer.
        Neale berichtete:»Wir uberholen sie, Sir. «Er machte eine Pause, um Bolithos Reaktion abzuwarten.»Aber sie steht schon fast auf der Hohe des Vorlands.»
        Bolitho studierte die hugelige Insel, die wei?en Grundseen uber einem Riff und ein Eiland, das wie ein gekalbter Eisberg vor der Hauptinsel lag. Die Yawl hielt sich so dicht an der Landzunge, da? es aussah, als wolle sie gleich aufs trockene Land klettern.
        Scharf befahl Neale:»Einen Strich hoher, Mr. Bundy!»

«Aye, Sir. Ost zu Nord liegt an.»
        Bolitho schwenkte sein Fernrohr so vorsichtig, da? er darin den killenden Kluver einfing und zwei Seeleute auf der Back, die in der Vergro?erung riesig wirkten. Danach einige niedrige Gebaude unten am Ufer der Insel, wahrscheinlich mehr auf der dem Festland zugekehrten Seite. Dann fuhr er auf, weil er auf dem Rucken des Vorlandes graue Mauern entdeckt hatte. Eine Batterie? Wahrend er noch hinuberstarrte, leuchtete ein winziger Farbfleck in der Sonne auf wie ein bunter Schmetterling. Der Fahnenmast war noch unsichtbar, aber uber der Mauer wehte zweifellos die Trikolore.
        Er befahl:»Klar Schiff zum Gefecht, Kapitan Neale. Und bitte sagen Sie Ihrem Stuckmeister, er soll der Yawl dort ein paar Kugeln hinterherjagen.»
        Als die Trommelbuben ihre Stocke tanzen lie?en und die Bootsmannsmaaten schrien: Alle Mann auf Stationen - klar Schiff zum Gefecht«, da spurte Bolitho die plotzliche Erregung wie eine Flutwe lle uber die Decks rollen.
        Die Bugkanone an Steuerbord feuerte ihren ersten drohnenden Schu? ab und krachte auf ihrer Lafette binnenbords, wahrend die Bedienungsmannschaft schon wieder vorsprang, um auszuwischen und nachzuladen. Mittlerweile sah Bolitho die Kugel in direkter Verlangerung zur Yawl einschlagen, wobei sie eine Gischtfontane aufwarf, als hatte dort ein Wal geblasen.
        Die andere Bugkanone spie Feuer und Rauch, und eine zweite Wasserfontane loste bei den Toppsgasten und allen an Deck, die sie sehen konnten, erneutes Jubelgeschrei aus.
        Neale blieb gelassen.»Keine Chance, da? wir einen Treffer landen, nicht auf diese Distanz.»
        Der Erste Offizier eilte herbei und griff gru?end zum Hut.»Schiff ist gefechtsklar, Sir.»
        Demonstrativ zog Neale seine Taschenuhr und studierte sie grundlich. Dann sagte er trocken:»Zwolf Minuten, Mr. Pickthorn. Sie enttauschen mich. Nachstesmal bitte zehn Minuten oder weniger!«Bolitho mu?te sich abwenden. Genau das gleiche hatte er selbst gesagt, als er Kommandant der Phalarope und Neale sein jungster Midshipman gewesen war.
        Die Bugkanonen feuerten weiter hinter der Yawl her, und obwohl die Schusse eine Kabellange zu kurz fielen, begriff der Franzose nicht sein Gluck, sondern begann, wie wild Zickzack zu laufen, um der nachsten Kugel zu entgehen.
        Neale grinste.»Beachtlich, Sir. Wenn er so weitermacht, kriegen wir ihn vielleicht doch noch.»
        Rauch stieg von der grauen Mauer auf dem Vorland in die Hohe, und nach scheinbar endloser Zeit spritzten weit vor der Fregatte Fontanen in die Hohe. Harmlos.
        Bolitho lauschte den Schussen der versteckten Batterie nach. Nur eine Kostprobe, eine Warnung war das gewesen.

«Luven Sie jetzt an, Kapitan Neale.»
        Neale nickte, in Gedanken bei den nachsten zehn oder zwolf Problemen, die ihm auf den Nageln brannten.»Vier Strich nach Backbord, Mr. Pickthorn. Neuer Kurs Nordost zu Nord.»

«Bemannt die Brassen!»
        Als das gro?e Doppelrad langsam nach Lee gedreht wurde, reagierte Styx gehorsam auf Segel- und Ruderdruck. Die Insel schien nach Steuerbord davonzugleiten.
        Wieder hob Bolitho das Teleskop. An Steuerbord voraus offnete sich jetzt die Einfahrt zum Sund. Weit entfernt, nur ein dunklerer Schatten im Dunst, lie? sich dahinter das Festland erahnen, die Kuste Frankreichs.
        Die Inselbatterie hatte das Feuer eingestellt, und wahrend die Yawl weiterhin an der Nordseite der Insel entlang das Weite suchte, drehte Styx zielstrebig ab, als habe sie die Verfolgung aufgegeben.
        Bolitho trat an die Querreling und musterte das Batteriedeck. Unter beiden Seitendecks sah er die Stuckmannschaften sich hinter den noch geschlossenen Pforten ducken, ihr Handwerkszeug in Reichweite neben sich. Jeder Stuckmeister war dort ein kleiner Konig, jede Kanone ein Reich fur sich.
        Die Decks waren mit Sand bestreut worden; hoch uber den eifrig arbeitenden Seeleuten und Marinesoldaten war jede Rah mit Kettenschlingen gesichert, und etwas tiefer waren Netze aufgespannt worden, um die Mannschaft vor herabfallenden Wrackteilen zu schutzen.
        Neale sah zu ihm heruber.»Noch funfzehn Minuten, Sir. «Zogernd fugte er hinzu:»Ich habe meine zwei besten Lotgasten in die Ketten vorn geschickt. Wir haben schon ablaufendes Wasser, furchte ich.»
        Bolitho nickte. Neale hatte an alles gedacht. Zu Allday sagte er:»Hol meinen Rock.
«Unten an den nachststehenden Kanonen starrten einige Manner zu ihm auf, als wollten sie aus seinem Benehmen ablesen, was dieser Tag ihnen bringen wurde.
        Allday hielt ihm den Rock hin, und er schlupfte hinein. Als er
        Neale einen Seufzer aussto?en horte, sagte er:»Keine Sorge, heute wird es keine Scharfschutzen geben.»
        Der Admiralsrock tat sofort seine Wirkung. Einige Seeleute riefen hurra, und die Seesoldaten, die im Gro?mars die Drehbassen bemannten, schwenkten ihre Hute, als feierten sie ein besonderes Ereignis.
        Leise sagte Neale:»Sie danken es Ihnen, Sir. Solche Beweise brauchen sie.«»Und Sie? Was brauchen Sie?»
        Neales Gesicht uberzog ein breites Grinsen, das ebenso spontan hervorbrach wie eben noch das Jubelgeschrei.

«Ihre Flagge weht auf meinem Schiff, Sir. Das erfullt alle an Bord mit Stolz, ganz besonders aber mich. «Sein Blick blieb auf Bolithos glanzenden Epauletten haften. Eine Menge Leute wurden heute gern mit mir tauschen.»
        Bolitho schaute an ihm vorbei ins schaumende Wasser.»Dann also los. «Er sah Browne herzueilen, der seine Seekrankheit offenbar vollig uberwunden hatte.»Sind Sie soweit, Kapitan Neale?»
        Neale legte beide Hande um den Mund und rief:»Klar zur Wende, Mr. Pickthorn! Kurs Sudost!»
        Als die Rahen herumschwangen und der Rumpf unter dem starkeren Winddruck tiefer eintauchte, wandte Styx den Bug gehorsam nach Steuerbord, bis er auf die Mitte der Einfahrt zeigte. Von dem Manover uberrascht, zeigte die Yawl sich zum erstenmal in ganzer Lange, wie in der Bewegung erstarrt und vom Kluverbaum der Fregatte aufgespie?t.

«Sudost liegt an, Sir!»

«Setzen Sie die Royals, Mr. Pickthorn. Dann lassen Sie laden und ausrennen!»
        Bolitho stand dicht an der Reling und sah die Insel wieder von Steuerbord herangleiten; uber ihr hing vom Wind zerfaserter Rauch: brennendes Unkraut oder eine Feueresse, in der schon Kugeln erhitzt wurden? Styx naherte sich dem Sund mit sehr schneller Fahrt, weil Royals und Bramsegel jetzt voll zogen. Auf ein Pfeifensignal hoben sich zu beiden Seiten die Klappen uber den Stuckpforten. Ein zweites Signal, und die Kanonen wurden ausgefahren. Die schwarzen Rohre schimmerten gefahrlich wie Hauer im Licht der schon tiefstehenden Sonne.
        Trotz des warmen Uniformrocks frostelte Bolitho. Falls die Franzosen uber ihre Absichten bisher noch Zweifel gehegt hatten - jetzt mu?ten sie klarsehen.
        Ohne sich nach ihnen umzuwenden, wu?te er Allday und Browne dicht hinter sich und Neale in seiner Nahe. Die beiden anderen Offiziere der Fregatte gingen hinter den Kanonen unten langsam auf und ab, ihre Sabel wie Spazierstocke geschultert. Das waren die Manner, die das Volk, das sie verteidigten, nie so zu Gesicht bekam. In der Admiralitat mochten Strategien und Einsatzplane entwickelt werden - in die Tat umgesetzt wurden sie von Mannern und Knaben wie diesen mit ihrem Kampfgeist. Bolitho lachelte in sich hinein, weil ihm einer seiner fruheren Kommandanten einfiel, der diesen Gedanken schon vor ihm formuliert hatte.
        Einige der Umstehenden sahen des Admirals Lacheln und wu?ten, da? es ihnen galt. So wie dieser Tag ihnen gehorte.



        V Auf sich allein gestellt


«Sieben Faden am Lot!«Den gespannt lauschenden Mannern auf dem Achterdeck klang das Aussingen des Lotgasten unnaturlich laut.
        Bolitho blickte schnell nach oben, als das Gro?segel und die Breitfock sich in einer leichten Brise fullten und steifstanden. Wind konnte man das zwar nicht nennen, aber da alle Segel der Styx nun optimal zogen, brachte sie es immerhin auf acht bis neun Knoten Fahrt durchs Wasser.
        Steuerbord voraus wurde die Insel langsam gro?er. In den letzten Minuten, so kam es Bolitho vor, war die Sonne daruber hinweggewandert, deshalb lag die vorderste Landzunge schon im Schatten.
        Immer noch feuerten die Bugkanonen in regelma?igen Intervallen auf die franzosische Yawl, die weit vor Styx' Galion ihre Haken schlug, weil der Kapitan offenbar sein Schiff weiterhin fur das
        Ziel der Fregatte hielt. Neale lie? sein Teleskop sinken.»Die Dammerung kommt fruh heute abend.»
        Bolitho schwieg und konzentrierte sich auf die kleine Insel. Wahrend die Fregatte immer tiefer in den Sund vordrang, spurte er, wie die Spannung wuchs, und uberlegte, was die Franzosen dort jenseits des schmalen Fahrwassers wohl taten. Beschossen hatte man sie nicht mehr, deshalb fragte er sich mit nagender Sorge, ob er sich nicht doch verrechnet hatte und die Insel vollig unwichtig war.
        Allday scharrte mit den Fu?en und murmelte:»Die schlafen wohl, das Pack!»

«Ich sehe Rauch«, meldete sich Browne.»Dort unten, dicht uberm Boden.»
        Neale hastete herbei, stie? einen Midshipman zur Seite, als ware er ein leerer Sack.»Wo?«Wieder richtete er sein Fernrohr auf die Insel.»Verdammt, das ist nicht Rauch - das ist Staub!»
        Bolitho schwenkte sein Teleskop in die von Neale angezeigte Richtung. Es war tatsachlich Staub, und zwar wurde er von einem Pferdegespann aufgewirbelt, das jetzt hinter niedrigem Gebusch hervorpreschte und ein Feldgeschutz auf einer Protze polternd hinter sich herzog, offenbar zur anderen Seite der Insel. Minuten spater folgte ein zweites Gespann mit einer Kanone, und die sinkende Sonne reflektierte kurz auf Uniform und Ausrustung der Vorreiter.
        Bolitho schob das Fernrohr zusammen und bemuhte sich, sein Triumphgefuhl zu beherrschen. Also hatte er sich doch nicht geirrt! Die Franzosen fuhlten sich hier so sicher, da? sie sich auf Feldartillerie verlie?en, statt eine feste Kustenbatterie zu installieren. Wahrscheinlich wollten sie die Kanonen wieder aufs Festland schaffen, sobald die neuen Landungsboote erst zu ihrem endgultigen Ziel unterwegs waren.
        Kein Wunder, da? Styx nach den ersten Warnschussen nicht mehr unter Feuer genommen worden war. Die Schu?folge war auch viel zu exakt gewesen, daraus lie? sich auf Artillerie schlie?en, die nur an den Krieg zu Lande gewohnt war. Ein Schiffskanonier hatte jedes Geschutz sorgsam gerichtet und abgefeuert, nur um ganz sicherzugehen und keine Munition zu verschwenden. Der begrenzte Munitionsvorrat an Bord stand einem Seemann immer vor Augen, er hatte auch an Land seine Technik nicht geandert.»An Deck!»
        Neale wischte sich mit dem Handrucken uber den Mund und brummte:»Na, los doch, Mann, spuck's aus!»
        Aber der Ausguckposten im Masttopp war viel zu gut gedrillt, als da? er sich von den ungeduldigen Kameraden da unten hatte irritieren lassen.
        Als er sich seiner Sache sicher war, rief er:»Schiffe vor Anker - knapp hinter der Landspitze, Sir!»
        Einer der Lotgasten vorn sang aus:»Funf Faden, abnehmend!«Aber bis auf Bundy, den Master, schien das keinen zu kummern. Einige starrten voraus, andere nach oben zum Ausguck, auf dessen nachste Meldung sie ungeduldig warteten.

«Da ankern ein Dutzend Schiffe oder mehr, Sir!«Trotz der Distanz war das unglaubige Staunen in der Stimme des Postens nicht zu uberhoren, als er hinzufugte:»Nein, Sir - sehr viel mehr!»
        Neale schlug sich mit der rechten Faust in die linke Handflache.»Wir haben sie, bei Gott!»
        Bundy meldete sich zu Wort.»Wir kommen aufs Flach, Sir. «Neale starrte ihn so wutend an, da? er erganzte:»Tut mir leid, Sir, aber das mussen Sie wissen.»

«Vier Faden!«Die Stimme des Lotgasten klang wie ein Trauergesang. Der Erste Offizier trat zu Bundy an die Seekarte.»Immer noch ablaufendes Wasser. «Vielsagend blickte er seinen Kommandanten an und sah dann zu den Rahen auf.
        Neale reagierte endlich.»Setzen Sie die Leesegel. Wir wollen den Tidenstrom ausnutzen. «Mit einem Blick zu Bolitho fugte er hinzu:»Falls Sie einverstanden sind, Sir.»

«Gewi?. Im Augenblick ist Schnelligkeit fur uns am wichtigsten.»
        Und dann verga? Bolitho die Rufe der Toppsgasten, die hoch oben die Leesegel ausbrachten, das Trommelfeuer der Befehle und
        Knirschen der Hei?leinen, denn als das Schiff auf konvergierenden Kurs zur nachsten Landspitze einschwenkte, konnte er die ersten verankerten Landungsschiffe sehen. Kein Wunder, da? der Ausguck verblufft gewesen war. Dort lagen Dutzende und Aberdutzende, manche Seite an Seite, andere - wahrscheinlich die Morserboote oder Bombenwerfer - einzeln fur sich: eine wahre Armada kleiner Landungsfahrzeuge. Nur zu leicht konnte Bolitho sich vorstellen, wie sie franzosische Dragoner und Infanteristen auf die Strande Sudenglands spien.

«Vier Faden!«Der Lotgast holte die Leine so flink auf, da? sein muskuloser Arm im roten Abendsonnenschein kaum zu sehen war.
        Neale rief:»Steuerbordbatterie, Achtung!«Er sah, da? jeder Stuckmeister seitlich die Hand hob, wahrend dahinter die Offiziere weiter auf und ab marschierten, als waren sie Fremde.
        Vor dem Hintergrund der in immer tiefere Schatten sinkenden Insel lagen die Rumpfe der neuen Leichter und Prahme so dicht beieinander, da? die Reede von einem uberdimensionalen Flo? bedeckt schien.
        Bolitho starrte in die gluhend rote Abendsonne. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern. Wenn nur Sparrowhawk oder Rapid hier gewesen waren! Aber fur Styx mu?te es bald zu flach werden, und wenn die Fregatte nicht frei manovrieren konnte, wurde sie hochstens zwei oder drei Landungsschiffe versenken oder beschadigen konnen.

«Wo ist die Yawl?«wollte er wissen.

«Steuerbord voraus, Sir«, antwortete Neale.»Wahrscheinlich will sie sich zwischen den Ankerliegern verkriechen, wenn sie es schafft.»
        Bolitho kam zu einem Entschlu?.»Die Stuckmeister sollen auf die Yawl zielen. Die Mannschaft, welche sie als erste trifft, bekommt eine Guinea.»
        Es gab nicht wenige, die sich uber dieses Ziel wunderten, aber nach ein paar schnellen Korrekturen mit Handspaken und Taljen waren die Kanonen gerichtet, und die Stuckmeister meldeten Feuerbereitschaft.

«Einzelfeuer!«Neale hob den geschwungenen Sabel hoch uber den Kopf.»In der Aufwartsbewegung - Feuer!»
        Uber die ganze Lange der Bordwand spuckte ein Kanonenrohr nach dem anderen Feuer und Rauch und ruckte auf seiner Lafette dann wieder nach innen. Die vordersten Kanonen wurden schon wieder ausgewischt und nachgeladen, wahrend die achteren noch schossen.
        Die Yawl hatte gerade wenden wollen, auf die verankerten Landungsboote zu. Jetzt schien sie unter dem Gewicht des Eisens formlich einzusturzen, als die Fregatte ihre Doppelkugeln auf weniger als zwei Kabellangen Distanz abfeuerte.
        Rund um die zerschmetterte Yawl war die Wasseroberflache wie pockennarbig vom Einschlag der Kugeln und Wrackteile. Irgendwo auf dem Wrack flammte ein kleiner Lichtfunke auf, der sich sofort explosionsartig zu einem riesigen Feuerball vergro?erte. Die Ursache mochte ein Pulverfa? gewesen sein, in das ein Funke fiel, auch ein benommener Seemann, der im Zwischendeck mit einer Lampe in der Hand das Gleichgewicht verloren hatte - wer wollte das wissen?
        Bundy stammelte:»Mein Gott, sie brennt wie Zunder!»
        Bolitho versuchte, sich sein Mitleid fur die Manner auf dem brennenden Schiff nicht anmerken zu lassen. Eine Doppelkugel hatte schon ausgereicht, sie zu versenken, aber diese Salve hatte sie in ein Flammenmeer verwandelt. In einen Brander.
        Sachlich sagte er:»Das sollte die anderen aufscheuchen!»
        Etwas durchschlug wie mit einer Riesenfaust das Gro?segel und hinterlie? ein Loch, so gro?, da? ein Mann bequem hatte durchschlupfen konnen. Also hatte eine dieser Feldhaubitzen das Feuer eroffnet.
        Der Erste Offizier rief aufgeregt:»Sie kappen die Ankertrossen!»
        Das weite Feld der verankerten oder vertauten Boote brach schon auseinander, von Wind und Ebbstrom noch geschoben; jeder Skipper suchte verzweifelt, sich von den anderen freizuhalten und Segel zu setzen, koste es, was es wolle. Niemand scherte sich um den Nebenmann, Hauptsache, man nahm Fahrt auf und entkam dem Brander und dem Beschu? durch die feindliche Fregatte, die in voller Fahrt auf sie zugerauscht kam, obwohl sie nur wenige Fu? Wasser unterm Kiel haben konnte.»Steuerbordbatterie - weiterfeuern!»
        Neale sturzte zum Schanzkleid, das Gesicht vom Widerschein der Flammen rot angehaucht, und starrte auf die ersten Kahne, die jetzt fast auf gleicher Hohe mit der Fregatte aus dem Schatten auftauchten.

«Backbordbatterie - Achtung!»
        Die Crew jubelte, als an Backbord das erste gegnerische Boot erschien, das den Bug in Richtung Festland gedreht und einige Segel schon gesetzt hatte.
        Die Backbordbatterie begann zu feuern und begrub das fluchtende Fahrzeug fast unter Eisen und Wasserfontanen, wahrend seine Takelage wie von einem Hurrikan uber Bord gefegt wurde.
        Neale stellte fest:»Der ist erledigt. «Er zuckte zusammen, als eine Kugel tief uber die Finknetze zischte und querab ins Wasser schlug.
        Bolitho starrte in das Chaos; allmahlich wuchs die Gefahr, da? die angreifende Fregatte selbst hineinverstrickt wurde. Fahrzeuge, die ihre Trossen zu fruh gekappt hatten, verfingen sich treibend in noch manovrierfahigen und blockierten damit auch sie. Andere riskierten alles, um das offene Wasser zu erreichen, sie liefen genauso gro?e Gefahr, von der eigenen Feldartillerie getroffen zu werden wie von Neales Kanonen. Denn es war jetzt fast dunkel, die See hatte die Flammen auf den brennenden Fahrzeugen erstickt, und nur Mundungsfeuer erhellte noch die Szene.

«Lassen Sie das Feuer einstellen, Kapitan Neale.»
        Bolitho versuchte, sich von der fiebrigen Erregung nicht anstekken zu lassen und wieder klaren Kopf zu gewinnen. Styx war von keiner einzigen Kugel getroffen worden, auch nicht ein Mann war verwundet. Das Gefecht war abgelaufen wie in Bolithos kuhnsten Traumen.

«Sir?«Neale wartete gespannt auf seinen nachsten Befehl.

«Wenn Sie der franzosische Kommandeur waren«, begann Bo-litho,»war wurden Sie jetzt tun? Die Landungsflotte zuruckbeordern und wieder hier vor Anker gehen lassen, wahrend gleichzeitig zu ihrem Schutz eine neue, effektive Kustenbatterie installiert wird - oder sie gleich weiter nach Norden segeln lassen, wohin sie ja ohnehin bestimmt war?»
        Neale grinste auf zwei rauchgeschwarzte Seeleute hinab, die jubelnd auf dem Batteriedeck ihre Freudensprunge machten. Dann wurde er ernst.»Ich wurde sie nicht zuruckbeordern. Das konnte aussehen wie Unfahigkeit, sogar wie Feigheit, wenn man berucksichtigt, wie dringend sie gebraucht werden. «Er nickte bekraftigend.»Ja, Sir, ich wurde sie gleich nach Norden weiterschicken, bevor wir ihnen mit Verstarkung noch gefahrlicher werden konnen.»
        Bolitho lachelte nachdenklich.»Da stimme ich Ihnen voll zu. Also lassen Sie den Master einen Kurs festlegen, der uns aus diesem Sund heraus und zum Treffpunkt zuruckfuhrt. Sobald wir Rapid sichten, sende ich sie nach den anderen aus. Ich wette, Rapid ist noch in der Nahe, und ihr Kommandant zerbricht sich den Kopf, womit, zum Teufel, wir uns die Zeit vertreiben. Wenn wir ihm nicht gerade seine Prise wegschnappen, hei?t das. «Nun ging die Erregung doch mit ihm durch, und er packte Neale am Arm.»Mann, bedenken Sie - wir werden den Wind zu unseren Gunsten haben! Und wir wissen, da? von Lorient oder Brest keine Unterstutzung fur die Landungsflotte unterwegs ist, sonst hatten Spar-rowhawk oder Phalarope sie gesichtet. Bisher haben wir nur Panik verursacht, aber das ist nicht von langer Dauer. Wir mussen sofort nachsto?en. Mit ihrer Karronaden-Bestuckung kann Phala-rope unter diesen leichten Fahrzeugen verheerenden Schaden anrichten.»
        Scharf spahte er nach oben, als die Segel den Wind verloren und laut knallten. Aber es war nur die Leeabdeckung der Insel. Wenn sie erst drau?en in tieferem Wasser segelten, konnten sie sich leicht zum Rest des Geschwaders durchschlagen.
        Besorgt uberlegte Neale:»Wir mussen verdammt dicht unter
        Land segeln, Sir. «Doch dann grinste er.»Aber Sie haben recht, wir werden es schon schaffen. Mr. Pickthorn, bemannen Sie die Brassen. Klar zur Halse!»
        Bolitho schickte sich zum Gehen an, wandte sich aber noch einmal um.»Vorhin hatte es Ihnen leicht den Kiel herausrei?en konnen«, sagte er.»Deshalb wei? ich Ihr Vertrauen sehr zu schatzen, Kapitan Neale.»
        Neale sah ihm nach.»Wenn wir das geschafft haben, segeln wir nachstesmal auch uber 'ne taunasse Wiese«, grinste er.
        Bundy sah seine Ruderganger an und verzog das Gesicht.»Aber nicht mit mir, oder ich will verdammt sein!»
        Stohnend offnete Bolitho die Augen. Alles tat ihm weh, er fuhlte sich am ganzen Korper wie zerschlagen. Dann begriff er, da? er auf Neales Stuhl eingeschlafen war.
        Doch wurde er sofort hellwach, als er sah, da? Allday sich uber ihn beugte.

«Was gibt's?»
        Vorsichtig stellte Allday einen Topf Kaffee auf den Tisch.»Der Wind frischt auf, Sir, und in einer halben Stunde wird es hell. «Er trat einen Schritt zuruck, den Kopf unter den niedrigen Decksbalken etwas eingezogen, und musterte Bolitho kritisch.»Dachte, Sie wollten vielleicht rasiert werden, ehe es tagt.»
        Bolitho streckte die Beine aus und schlurfte Kaffee. Allday dachte wirklich an alles.
        Wahrend das Deck unter seinen Fu?en im Seegang arbeitete, schien es ihm fast unglaublich, da? sie erst vor wenigen Stunden mit der Brigg Rapid Kontakt aufgenommen hatten, die kurz danach wieder eilig davongesegelt war, um Verbindung mit Phalarope herzustellen.
        Der Rest war dann viel einfacher gewesen als erwartet. Beide Fregatten waren wieder uber Stag gegangen und hatten SudostKurs gesteuert, wobei sie den Wind voll ausnutzen konnten, wahrend Rapid sich auf die Suche nach Duncans Sparrowhawk machte.
        Besonders eindrucksvoll war seine Streitmacht nicht, mu?te Bo-litho sich eingestehen, aber was ihr an Starke fehlte, machte sie durch Beweglichkeit und Feuerkraft wieder wett. Auf Styx hatte er sie gerade erlebt, diese an Wahnsinn grenzende Wildheit, mit der die Leute auf das Donnern der Kanonen reagierten. Wenn sie die Landungsflotte noch einmal aufspuren und versprengen konnten, dann mu?te sich Panik ausbreiten wie ein Steppenbrand.
        Danach konnte er der Admiralitat berichten, da? Beauchamps Auftrag ausgefuhrt war.
        Es klopfte, und herein trat Neale, das runde Gesicht von Wind und Gischt gerotet.

«Phalarope kommt achteraus allmahlich in Sicht, Sir. Der Himmel wird schon hell, aber der Wind hat auf Nord zu West gedreht. Ich habe die Leute bereits fruhstucken geschickt, denn mir schwant, da? uns heute allerhand bevorsteht. Falls die Franzosen ausgelaufen sind, meine ich.»
        Bolitho nickte.»Und falls nicht, gehen wir genauso vor wie gestern, nur haben wir diesmal Phalaropes Karronaden zur Unterstutzung. «Er spurte, da? Allday bei der Nennung dieses Namens mitten in der Bewegung erstarrte, das Rasiermesser einen Moment innehielt. Neale lauschte auf laute Stimmen oben an Deck und entschuldigte sich mit dringenden Aufgaben; Alldays Besturzung war ihm entgangen.
        Bolitho lehnte sich im Stuhl zuruck und sagte leise:»Auf See gibt es keinen Spuk, Allday. Wir werden heute diese Landungsboote vernichten, was auch kommt. Und danach…»
        Allday fuhr schweigend mit dem Rasieren fort.
        Trotzdem, seltsam war es schon, da? Phalarope irgendwo achteraus im Dammerlicht segelte, wo sie bisher nur von dem scharfaugigen Ausguck im Masttopp gesehen werden konnte. Was erregte ihn mehr, die Aussicht auf Vernichtung der Invasionsflotte oder die Moglichkeit, dieses ganz besondere Schiff wieder unter seinem Kommando zu haben? Er seufzte und dachte statt dessen an
        Belinda. Was mochte sie wohl gerade tun? Lag sie im Bett und lauschte auf das verschlafene Zwitschern der ersten Vogel? Dachte sie an ihn und ihre gemeinsame Zukunft? Ihr verstorbener Mann hatte den Kriegsdienst geha?t und seinen Abschied eingereicht, um statt dessen fur die Ostindische Handelskompanie zu fahren. Wurde ihr das Leben an der Seite eines Marineoffiziers genauso verha?t werden? Er konnte von heute auf morgen auf die andere Seite der Welt abkommandiert werden.
        Abermals klopfte es, und Bolitho war fast dankbar fur die Unterbrechung. Browne trat ein, wieder vollig gesund und so untadelig gekleidet, als trete er vor das House of Lords.

«Ist es soweit?»
        Browne nickte.»Der Morgen dammert, Sir.»
        Bolitho sah Allday resigniert die Schultern zucken. Solche Mutlosigkeit war seinem Bootsfuhrer sonst fremd.
        Beim Aufstehen spurte Bolitho starker die abrupten Schiffsbewegungen. Der Wind hatte also noch weiter gedreht. Sie mu?ten hollisch auf der Hut sein, wenn sie bei dieser Windrichtung nicht an einer Leekuste stranden wollten. Er lachelte grimmig. Aber das galt auch fur die Franzosen.
        Er schlupfte in seinen Rock.»Fertig. «Und zu Allday:»Ein Morgen wie jeder andere.»
        Allday ri? sich zusammen.»Aye, Sir. Und ich hoffe, wenn es das nachstemal tagt, haben wir Frankreich das Heck zugekehrt.
        Ich hasse diesen verfluchten Golf, der uns schon so viel Ungluck gebracht hat.»
        Bolitho lie? es dabei bewenden. Wenn Allday eine seiner seltenen Anwandlungen von Trubsinn hatte, lie? man ihn am besten in Ruhe. Heute standen andere Dinge auf dem Spiel.
        Nach der stickigen Warme in der Kajute war es auf dem Achterdeck eiskalt. Bolitho erwiderte Neales Gru? und nickte den anderen Wachoffizieren zu. Das Schiff war schon gefechtsklar oder wurde es doch sein, sobald erst die letzte Wand zwischen der Kommandantenkajute und dem Batteriedeck abgeschlagen war.
        Aber noch rakelten sich die Geschutzmannschaften unter den Seitendecks herum; die schlagenden Segel und das dunkle Rigg verbargen noch die Scharfschutzen oben in den Marsen.
        Bolitho trat nach achtern ans Heckgelander, vorbei an den Seesoldaten, die ihre Musketen an die prall gestopften Hangemattsnetze gelehnt hatten, wahrend sie sich selbst daneben ausstreckten. Im fahlen Licht der Morgendammerung leuchteten ihre wei?en Brustriemen gespenstisch, wahrend die roten Uniformrocke jetzt schwarz wirkten.
        Dann erblickte er zum erstenmal die alte Fregatte in Styx' Kielwasser und erstarrte.
        Bramrahen und Stander fingen schon einen ersten Lichtschimmer ein, wahrend die unteren Segel und der Rumpf selbst noch vollig im Dunkeln lagen: wirklich ein gespenstischer Anblick.
        Er schuttelte sich und dachte statt dessen an den Rest seines Geschwaders. Rapid mochte Duncan inzwischen aufgespurt haben. Andere Schiffe konnten zu ihrer Unterstutzung eintreffen, wie Beauchamp das ursprunglich verfugt hatte. Aber wie Browne hegte auch er einige Zweifel daran.
        Neale trat an die Reling neben ihn, und gemeinsam sahen sie zu, wie das Licht von Land her auf sie zukroch: eine feurige Morgenrote. Bolitho mu?te lacheln, weil ihm einfiel, was seine Mutter immer gesagt hatte:»Morgenrot - Schlechtwetterbot'. «Ihn frostelte plotzlich, und er drehte sich nach Allday um. Aber dann argerte er sich selbst uber seinen Aberglauben.

«Nehmen Sie so bald wie moglich Kontakt mit Phalarope auf«, wies er Browne an. Signalisieren Sie, da? sie in Luv bleiben soll.»
        Browne eilte zu seinen Signalflaggen, und Bolitho fuhr, an Neale gewandt, fort: Wenn Phalarope bestatigt hat, gehen wir dichter unter Land.»
        Neale hatte Bedenken.»Dann wird man uns sofort entdecken,
        Sir.»
        Bolitho hob die Schultern.»Bis dahin ist es ohnehin zu spat. «Plotzlich vermi?te er Herrick. Standhaft wie ein Fels in der
        Brandung, aber jederzeit bereit, auf seine dickkopfige Art zu widersprechen. Neale wurde seinem Admiral blindlings und ohne Zogern in die Holle folgen, ganz im Gegensatz zu Herrick. Aber wenn der Plan einen Fehler enthielt, konnte man sicher sein, da? Herrick ihn fand.
        Bolitho blickte zum Stander im Masttopp auf: steif wie ein Brett. Der Wind legte immer noch zu.
        Gedankenverloren spielten seine Finger mit dem Griff seines alten Sabels, wahrend er sich sagte, da? er Neale und Allday gegenuber unfair war. Und auch gegenuber Herrick.
        Da oben im Besantopp wehte seine Flagge, und die Verantwortung lag bei ihm, bei niemandem sonst.
        Uberraschenderweise fuhlte er sich danach ruhiger. Als er seinen gewohnten Fu?marsch begann, immer hin und her auf der Luvseite des Achterdecks, verriet nichts mehr an seinem Benehmen, da? er eben noch gefurchtet hatte, das Vertrauen in sich selbst zu verlieren.
        Der Erste Offizier ging quer ubers Deck zum Kompa? und las ihn ab, ehe er aufblickte und den Stand jedes einzelnen Segels uberprufte.
        Niemand sprach, und Worte waren auch nicht notig. Die Berufsseeleute an Bord kannten ihr Schiff so genau wie ihre Kameraden. Hatte Pickthorn die Bemerkung fallengelassen, da? der Wind noch einen Strich weiter gedreht hatte, ware ihm das von Bundy verubelt und von Neale als Zeichen der Nervositat ausgelegt worden.
        Bolitho kannte das alles, hatte es am eigenen Leibe erfahren. Er wandte sich wieder nach achtern und beobachtete, wie sich die endlos ansturmenden wei?en Wellenkamme mit den Farben des erwachenden Tages uberzogen. Salz brannte auf seinen Lippen und Wangen, aber er beachtete es nicht, sondern starrte zu Phalarope hinuber, die sich Steuerbord achteraus gehorsam nach Luv arbeitete. Mit ihren geschlossenen Stuckpforten, die sich wie ein gewurfeltes Band uber die ganze Lange des Rumpfes zogen, sah sie prachtig aus. Die vergoldete Galionsfigur schimmerte in den ersten Sonnenstrahlen, und auf dem Achterdeck konnte Bolitho mit blo?em Auge eine Gruppe blau uniformierter Manner stehen sehen; einer von ihnen mu?te Adam sein, dachte er, der wohl wie Pickthorn Segel und Crew nicht aus den Augen lie?, jederzeit bereit, mit einem Befehl einzugreifen. Phalarope segelte mit starker Schraglage, Wind und Seegang krangten sie so, da? sie sich zu Styx hinuber neigte.
        Wie mochte seine Fregatte von dort druben aussehen?
        Bolitho wandte sich ab und stieg den Niedergang zum Batteriedeck hinunter. Die Kanoniere waren noch auf Station, aber die Spannung war mit der Dunkelheit gewichen, als das Licht ein leeres Meer enthullte. Der Zweite und Dritte Offizier plauderten so entspannt miteinander wie Spazierganger in einem Park.
        Neale richtete sein Teleskop durch die Backbord-Webeleinen auf das hugelige, schiefergraue Festland. Bis zur Kuste waren es nur funf Seemeilen, dort druben mu?ten schon viele Augen den beiden britischen Schiffen folgen.
        Gereizt warf Neale sein Fernrohr einem Midshipman zu und grunzte:»Nicht das geringste zu entdecken.»
        Browne trat neben Bolitho ans Schanzkleid.»Sie scheint durch die See zu fliegen, Sir.»
        Bolitho lachelte ihn an. Browne war wohl so erregt uber das prachtig segelnde Schiff unter seinen Fu?en, das sich temperamentvoll wie ein lebendiges Wesen den wei?en Hunden entgegenwarf, da? ihn die aufgezwungene Untatigkeit nicht zu storen schien.

«Gewi?. Mein Neffe dort druben wird alle Hande voll zu tun haben, aber zweifellos jeden Moment genie?en.»

«Na, darum beneide ich ihn nicht, Sir. «Browne vermied es stets sorgfaltig, den Kommandanten der Phalarope zu erwahnen.»Eine bunt zusammengewurfelte Mannschaft und dazu Offiziere, die noch halbe Kinder sind. Nein, da ist mir meine Aufgabe hier an Bord schon sehr viel lieber.»
        Bundy rief:»Nebel voraus, Sir!»
        Neale brummte bestatigend. Er hatte schon selbst gesehen, da? sie auf eine leichte Nebelbank zufuhren, die wie heller Rauch tief uber dem Wasser hing. Wenn Bundy sie erwahnte, bedeutete dies, da? er sich deshalb Sorgen machte. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Ausguckposten die sudliche Landspitze der Loiremundung ausmachen mu?ten. Danach wurden sie als nachstes die Ile d'Yeu sichten. Sie waren wieder da, wo alles angefangen hatte, aber diesmal sehr viel dichter unter Land.
        Neale warf einen Blick zu Bolitho, der mit auf dem Rucken verschrankten Handen am Schanzkleid stand und mit den Knien die unregelma?igen Schiffsbewegungen abfederte. Der kehrt niemals um, auch nicht in tausend Jahren, dachte Neale. Seltsamerweise fuhlte er Mitleid fur den Admiral und Betroffenheit daruber, da? sein wagemutiger Plan zu mi?lingen drohte.

«An Deck! Segel Backbord voraus!»
        Neale war mit einem Sprung in den Wanten und gestikulierte ungeduldig nach seinem Fernrohr.
        Bolitho verschrankte die Arme uber der Brust, damit niemand sah, wie seine Hande vor Spannung bebten.
        Der Wind griff in die Nebelbank und wirbelte sie davon, der Kuste zu. Und da waren sie, die Landungsboote: sechs Reihen breit, segelte die Flotte in Kiellinie, so diszipliniert wie eine romische Kohorte auf dem Marsch. Die Wimpel und Flaggen, die steif auswehten und im grellen Morgenlicht bunt leuchteten, wirkten wie Standarten.
        Browne holte tief Luft.»Bei Tageslicht scheinen es sogar noch mehr zu sein, Sir.»
        Bolitho nickte, sein Mund war plotzlich trocken geworden. Die Flotte kleiner Fahrzeuge kampfte schwer mit Wind und See, kreuzte hin und her, immer bemuht, in Kiellinie zu bleiben und nach Luv voranzukommen.
        Neale rief:»Was sie jetzt wohl vorhaben? Sich zerstreuen und fliehen?»
        Bolitho befahl:»Setzen Sie mehr Segel, Kapitan Neale, und zwar so viel, wie sie nur tragen kann. Wir wollen dem Feind keine Chance geben, das selbst zu entscheiden.»
        Er wandte sich um und sah Browne ubers ganze Gesicht grinsen, wahrend uberall Manner auf ihre Stationen hasteten, um den schrillen Pfiffen und dem Ruf nach mehr Segelflache zu gehorchen. Auf beiden Seiten wurden die riesigen Leesegel ausgebracht, die wie gro?e Ohren abstanden und sie immer schneller auf den dichten Teppich der Landungsboote zutrugen.
        An Steuerbord achteraus legte sich die helle Segelpyramide von Phalarope noch schrager, als sie dem Beispiel der fuhrenden Fregatte folgte, und Bolitho glaubte, den Fiedler auf seiner Geige kratzen zu horen - anfeuernde Begleitmusik zu den Shantys der schwer in die Brassen einfallenden Seeleute.
        Midshipman Kilburne hielt trotz der Aufregung sein Fernrohr unbeirrt auf die andere Fregatte gerichtet und riefjetzt:»Von Phalarope, Sir! Sie meldet: Segel in Nordwestl»
        Neale wandte sich nur kurz um.»Das wird wahrscheinlich Rapid sein«, sagte er.
        Bolitho umklammerte den Handlauf fester, weil Styx gerade wieder in ein Wellental sackte. Spritzwasser peitschte die Decks, als segelten sie durch einen Wolkenbruch, und die Manner an den Kanonen wurden bis auf die Haut durchna?t, wahrend ihr Schiff sich mit hoher Fahrt auf die Formation kleiner Landungsboote sturzte, die vor ihm immer breiter wurde.
        Die Peilung lie? tatsachlich auf Rapid schlie?en. Die Brigg mu?te auf Sparrowhawk gesto?en sein und eilte nun herbei, um sich an dem Gefecht zu beteiligen. Bolitho bi? sich auf die Lippe. Oder an dem Gemetzel, das war wohl der treffendere Ausdruck.

«Lassen Sie die Kanonen laden und ausrennen. Und zwar auf beiden Seiten.»
        Bolitho zog seine Taschenuhr heraus und lie? den Deckel aufspringen. Es war genau acht Uhr morgens. Im selben Augenblick ertonte auch die Glocke auf dem Vorschiff. Trotz allem hatte sich dort ein Schiffsjunge an seine halbstundige Aufgabe erinnert und trug seinen Teil dazu bei, da? die Bordroutine funktionierte.

«Der Feind teilt sich in zwei Kolonnen, Sir«, meldete Pickthorn. Kopfschuttelnd fuhr er fort:»Aber sie sind nie im Leben schneller als wir, und auf der anderen Seite liegen doch nur Felsen oder der
        Strand. «Es klang, als sei er betroffen uber die Hilflosigkeit der Franzosen.
        Kilburne pre?te das gro?e Dienstteleskop des Signalfahnrichs so fest ans Auge, da? ihm die Tranen kamen. Bolitho stand nur einen Schritt von ihm entfernt, und er wollte seine Uberlegungen nicht durchkreuzen, indem er irgendeinen dummen Fehler beging. Deshalb blinzelte er heftig und sah dann noch einmal hinuber, studierte Phalaropes stahlharte Segel und die bunten Signalflaggen an ihrer Rah.
        Aber er hatte sich nicht geirrt. Mit nicht ganz fester Stimme meldete er:»Von Phalarope, Sir. Sie hat Rapids Erkennungsnummer gehi?t.»
        Bolitho wandte sich um. Da? ein Schiff das Flaggensignal eines anderen wiederholte, war die ubliche Praxis, aber in Kilburnes Stimme hatte ein warnender Unterton mitgeklungen.
        Und da war es schon:»Meldung von Rapid, Sir: Feind in Sicht in Nordwest?»
        Leise fluchte Browne:»Holle und Teufel!»

«Ihre Befehle, Sir?«Neale sah Bolitho an, weder sein Blick noch seine Miene verrieten Unruhe.
        Bolitho straffte sich.»Wir greifen trotzdem an. Andern Sie den Kurs etwas nach Backbord und schneiden Sie den Fuhrungsbooten den Weg ab, wenn sie an uns vorbei ausbrechen wollen.»
        Wieder einmal eilten die Manner an Brassen und Schoten; die meisten ahnten noch nichts von der Gefahr, die hinter der Kimm lauerte.
        Allday stie? sich von den Webeleinen ab und schlenderte wie absichtslos zu Bolitho hinuber. Der sah ihm nachdenklich entgegen.»Tja, vielleicht behaltst du doch noch recht, alter Freund, mit deinen finsteren Ahnungen. Aber wir mussen da durch.
«Ha?erfullt starrte Allday zu den Reihen niedriger Rumpfe und kleiner Segel hinuber und dachte daran, welchen Blutzoll sie von ihnen fordern wurden. Aber laut sagte er:»Wir machen sie fertig, Sir. So oder so.»
        Auf den vordersten gegnerischen Fahrzeugen krachten ein paar Drehbassen und Musketen, aber ihr schwaches Geknatter wurde umgehend vom Brullen der ersten Breitseite ubertont, die Styx abfeuerte.
        Neale rief durch die trichterformig um den Mund gelegten Hande:»Mr. Pickthorn - Segel kurzen! Nehmen Sie Rpyals und Leesegel weg!«Er sah zu, wie die Leesegelrahen eingezogen und die obersten Segel aufgegeit wurden. Wieder krachten die Kanonen auf dem Batteriedeck, Manner schrien kaum Verstandliches, vereinzelt zischten feindliche Musketenkugeln durch die Wanten, gefolgt von Kartatschen des Feindes.
        Bolitho sagte:»Mr. Browne, Signal an Phalarope: Verwickeln Sie den Feind ins Gefecht!»
        Noch blieb ihnen genug Zeit. Styx konnte die Sundausfahrt blok-kieren und die feindliche Formation sprengen und zerstreuen, Phalarope mit ihrer schweren Bestuckung aus Karronaden konnte Vorhut und Gros des Feindes angreifen. Danach blieb ihnen immer noch genug Raum, sich freizusegeln und drau?en auf See zu Rapid zu sto?en. Doch Phalarope hi?te bereits ein anderes Signal.
        Midshipman Kilburne ubermittelte die Meldung schreiend zwischen den Salven beider Batterien:»Weitergeleitet von Rapid, Sir: Drei feindliche Schiffe in Nordwestl«Er bi? sich auf die Lippen, als die Kanone direkt unter der Querreling feuerte und auf ihrer Lafette wieder binnenbords krachte; dann fuhr er fort: «Dabei wahrscheinlich ein Linienschiff.«Unter ihnen liefen Munitionsmanner mit neuen Kartuschen und Kugeln herbei.
        Allday rieb sich das stoppelige Kinn:»Mehr sind's nicht?»
        Als wollte er das Ma? voll machen, meldete sich auch der Ausguck im Masttopp:»An Deck! Land Steuerbord voraus!»
        Bundy nickte mit steinernem Blick. Das war die Ile d'Yeu. Sie lag vor ihnen wie die untere Halfte einer riesigen Raubtierfalle.
        Pickthorn lie? seinen Schalltrichter sinken, da seine Toppsgasten schon wieder in den Wanten niederenterten. »Phalarope nimmt Segel weg, Sir.»
        Bolitho vergewisserte sich, da? an Styx' Signalrah noch die letzte Flaggenkombination auswehte: sein Befehl an Kapitan Emes, dem. anruckenden Feind entgegenzusegeln und ihn in ein Gefecht zu verwickeln.
        Da horte er, wie Browne den Signalfahnrich anfauchte:»Hat sie das Signal nicht gesehen, Mr. Kilburne?»
        Kilburne setzte das Glas nur so lange ab, wie er fur die Antwort brauchte:»Sie hat es bestatigt, Sir.»
        Browne wurde bla? und sah Bolitho perplex an.»Bestatigt!«wiederholte er.
        Kartatschen pfiffen quer ubers Achterdeck und schlugen wie unsichtbare Fauste in die festgezurrten Hangematten. Mit blutuberstromtem Gesicht brach ein Seesoldat in die Knie und wurde sofort von seinen Kameraden in Deckung gezogen: ihr erster Verwundeter.
        Ein au?er Kontrolle geratener Lugger, bei dem die Flammen schon aus allen Luken schlugen, trieb gefahrlich nahe an ihrer Backbordseite vorbei; aber dort warteten schon der Bootsmann und seine Helfer mit Axten und mit Eimern voll Wasser, um jedes Ubergreifen der Flammen auf ihr geteertes Rigg und die leicht brennbaren Segel zu verhindern.
        Trocken stellte Neale fest: «Phalarope reagiert nicht, Sir.»

«Signalisieren Sie an Phalarope: Mehr Segel setzen.«Bolitho spurte die Blicke der Manner, die nicht begreifen konnten oder wollten, was da vor sich ging.

«Sie hat bestatigt, Sir.»
        Bei dem Inferno aus Rauch und Mundungsblitzen konnte man nur schwer einen klaren Gedanken fassen. Bolitho sah zu Neale hinuber. Wenn er das Gefecht sofort abbrach und den Feind verschonte, konnten sie wenden und mit Gluck die offene See gewinnen. Andernfalls und auf sich allein gestellt, vermochte Styx hochstens eine Handvoll Landungsfahrzeuge zu vernichten, und auch das nur unter hohen Opfern.
        Er starrte zu der anderen Fregatte hinuber, die achteraus immer weiter zuruckfiel, bis seine Augen und sein Kopf vor Wut und
        Enttauschung schmerzten.
        Wieder hatte Brownes Ansicht sich als richtig erwiesen. Nun blieb ihnen auch nicht die kleinste Chance, und auf keinen Fall durfte er sinnlos Schiff und Mannschaft opfern.
        Er rausperte sich.»Brechen Sie das Gefecht ab, Kapitan Neale. Und dann wenden Sie. Es ist vorbei.»
        Entgeistert starrte Neale ihn an.»Aber, Sir, wir konnen sie immer noch schlagen. Notfalls auch allein!»
        In die Stille, die nach dem letzten Kanonenschu? eingetreten war, gellte laut die Stimme des Ausguckpostens:»An Deck! Drei Schiffe in Sicht in Nordwest!»
        Bolitho kam es vor, als sei das ganze Schiff von einem Treffer erschuttert worden. Niemand ruhrte sich, und die wenigen Manner auf dem Vorschiff, die den letzten Befehl irrtumlich als Zeichen ihres Sieges bejubelt hatten, verstummten und stierten benommen zum Achterdeck.
        Die Ausguckposten im Masttopp, so gut sie sonst auch waren, hatten sich vielleicht durch die Menge der aufkreuzenden Landungsboote ablenken lassen, spater dann durch die drohend uber die Kimm steigenden drei Kriegsschiffe. Jedenfalls sahen sie die gro?te Gefahr erst, als es zu spat war.
        Es war einer der Lotgasten, die Neale nach vorn in die Ketten geschickt hatte wie vor kurzem, als sie das flache Fahrwasser schon einmal angesteuert hatten, der jetzt aufschrie: «Wrack! Direkt voraus!»
        Bolitho packte den Handlauf fester und sah die Manner ringsum aus ihrer Erstarrung aufschrecken und auf ihre Posten rennen, um noch mehr Segel wegzunehmen, wahrend andere mit aller Kraft in die Brassen einfielen, um die Rahen herumzuholen und sofort uber Stag zu gehen.
        Wahrscheinlich war es eines der kleinen Schiffe, die sie am Vortag hier versenkt hatten, das jetzt voll Wasser gelaufen dicht unter der Oberflache mit Strom und Wind trieb, bis es seinen Morder wiedergefunden hatte. Oder es mochte auch ein alteres Wrack sein, ein zahes Opfer der Riffe und Sandbanke, welche die
        Einfahrt in die Loiremundung wie Schildwachen flankierten.
        Als der Aufprall schlie?lich kam, schien die Zeit stillzustehen. Die Sekunden dehnten sich endlos, wahrend die Fregatte, in allen Verbanden zitternd, gegen die Hulk fuhr und daruber hinweg - bis mit dem Donner einer niederbrechenden Lawine Gro?- und Fockmast von oben kamen, auf das Vorschiff sturzten und in die See. Den Masten folgten riesige Schlingen aus Stagen und Wanten, ein Regen gesplitterter Spieren, von dem schreiende und fluchende Manner begraben wurden, soweit sie von den Fallstricken des gebrochenen Riggs nicht schon uber Bord gezogen worden waren.
        Nur der Besanmast stand noch, an dem Bolithos Flagge auswehte, als wolle sie fur alle Zeit diesen Ort der Zerstorung und des Todes markieren. Als sich das Wrack dann unter Styx' Kiel durchgewalzt hatte und zu beiden Seiten ein Feld riesiger Luftblasen mit ordinaren Gerauschen platzte, begann auch der Besanmast zu wanken, schlie?lich sturzte er der Lange nach auf das Batteriedeck.
        Neale brullte:»Mr. Pickthorn!«Dann verstummte er, als er das Blut auf seiner Hand gewahrte, das von einer Kopfwunde stammte, und den halbierten Korper sah, der einmal sein Erster Offizier gewesen war; ein gebrochenes Want, vom Gewicht der Gro?maststenge saitenstraff gespannt, hatte Pickthorn umschlungen und in zwei Teile geschnitten.
        Neale blickte zu Bolitho hinuber, dem Allday gerade aufhalf,
        und keuchte:»Das ist das Ende. «Er schwankte und ware gesturzt, hatten ihn nicht Bundy und ein Midshipman aufgefangen.
        Bolitho befahl mit rauher Stimme:»Alle Mann an Deck!«Und zu Kilburne gewandt: Bergen Sie so viele Verwundete wie moglich aus den Trummern und lassen Sie alle unbeschadigten Boote zu Wasser. «Schon horte er das Wasser durch die Lecks einstromen, es rohrte und rumorte im Rumpf, wahrend oben Taljen und Rollen knirschten, wo eine Kanone sich losgerissen hatte und das schragliegende Deck hinunterschlidderte.»Mr. Browne, stehen Sie dem Kommandanten bei«, ordnete er an.
        Aus dem Wirrwarr der herabgesturzten Takelage kampften sich
        Manner mit irren, entsetzten Augen, aus denen bei manchen schon der Wahnsinn leuchtete, und hasteten blindlings zu den Seitendecks.
        Einige Seesoldaten versuchten, die Ordnung wieder herzustellen - auch der Dritte - wahrscheinlich der einzige uberlebende Offizier - bemuhte sich trotz seines gebrochenen Arms, die Manner zur Vernunft zu bringen. Aber er wurde beiseite gesto?en. Wieder baumte sich das Deck unter Bolithos Fu?en auf, und er sah die See durch die offenen Stuckpforten einsteigen, als der Rumpf - vom ungeheuren Gewicht der au?enbords hangenden Wrackteile gezogen - noch starkere Schlagseite bekam. Allday rief:»Das Seitenboot wird nach achtern verholt, Sir. «Seine Ruhe war von eiskalter Gefahrlichkeit, und er hielt das Entermesser in der Faust.
        Bundy druckte Chronometer und Sextant fest an sich, fand aber noch Zeit, Bolitho zu berichten:»Ich habe ein paar Leute angewiesen, ein Flo? zusammenzulaschen.»
        Bolitho horte ihn kaum. Er starrte uber die weite Wasserflache, deren frei und lebhaft anrennende, wei?e Wellenkamme ihn zu verhohnen schienen, den schnell naherkommenden Segelpyramiden entgegen.
        Dann sah er Phalarope, die - das Heck ihm zugekehrt - die Rahen hart rundbra?te und einen gleitenden Schatten auf die See warf, wahrend sie uber Stag ging; der vergoldete Galionsvogel strebte weg von ihm, weg von dem ansturmenden Feind.
        Mit gebrochener Stimme stammelte Allday:»Verflucht soll er sein! Verflucht in alle Ewigkeit, der feige Hund!»
        Ein Boot machte an dem fast im Wasser liegenden Schanzkleid vorubergehend fest, ein zweites wurde langsseits geholt, wahrend ein Bootsmann gemeinsam mit einem bulligen Stuckmeister Verwundete und Ertrinkende aus dem Wasser fischte und an Bord hievte. Sie sanken auf die Bodenbretter wie nasse Sacke.
        Neale offnete die Augen und fragte heiser:»Sind sie gerettet?«Offenbar erkannte er Bolitho trotz des blutigen Schleiers uber seinen Augen.»Meine Leute?»
        Bolitho nickte.»Wir retten so viele wie moglich, seien Sie ganz ruhig.»
        Er blickte hinaus auf den wachsenden Teppich aus improvisierten Flo?en, treibenden Spieren und Fassern, an die sich die Uberlebenden in der Hoffnung auf ein Wunder klammerten. Aber viel gro?er war die Zahl der im Wasser Treibenden. Nur wenige Seeleute konnten schwimmen, und bald gaben die anderen den Kampf auf, lie?en sich mit dem leblosen Treibgut von der Stromung davontragen in den Tod.
        Bolitho wartete, bis noch einige halb betaubte und blutende Manner in das Seitenboot gezerrt waren, dann kletterte er selbst hinein und stellte sich neben Allday. Neale lag bewu?tlos zu ihren Fu?en.
        Der junge Kilburne, den die letzten Augenblicke in einen Mann verwandelt hatten, rief:»Verhaltet euch ruhig, Leute! Riemen bei!»
        Wie das andere Boot war auch ihres so uberfullt, da? es nur noch wenige Zoll Freibord aufwies. Jedes Fahrzeug hatte nur zwei Riemen, mit denen es jetzt den Steven den Wellen zuwandte, die noch vor kurzem ihre Verbundeten gewesen waren, aber plotzlich nur ein Ziel zu kennen schienen: die Boote zum Kentern zu bringen und die Schiffbruchigen zu verschlingen.

«Da geht sie hin!»
        Der Schrei kam aus vielen Kehlen. Vor Schreck erstarrt sahen die Manner, wie Styx sich auf die Seite rollte und dann langsam zu unterschneiden begann. Einige altere Seeleute blickten stumm hinuber, zu erschuttert, um in den Aufschrei der Jungeren einzustimmen. Wie alle Schiffe, war sie fur ihre Stammbesatzung viel mehr gewesen als blo? irgendein Schiff: Styx hatte ihnen ein Heim geboten, hatte Freunde und vertraute Gewohnheiten beherbergt. All das war fur immer dahin.
        Browne flusterte:»Das vergesse ich nie. Und wenn ich hundert Jahre werde.»
        Styx sank jetzt schneller, aber der Sund war an dieser Stelle so flach, da? sie auf Grund stie? und wieder an die Oberflache federte - wie ein Ertrinkender, der um sein Leben kampfte. Aus ihren
        Speigatten und Stuckpforten scho? das Wasser, und mehrere Leichen, die sich in den gebrochenen Stagen verfangen hatten, hupften auf und nieder, als winkten sie ihren uberlebenden Kameraden zu.
        Dann rollte sich die Fregatte ein letztesmal herum, sank unter die Wasseroberflache und blieb verschwunden.
        Mit dumpfer Stimme meldete Allday.»Ein Boot halt von der Kuste auf uns zu, Sir.»
        Und weil er Bolithos wilde Verzweiflung spurte, setzte er hinzu:»Wir sind nicht das erstemal in Gefangenschaft, Sir. Wir werden es auch diesmal uberstehen, das schwore ich Ihnen.»
        Bolitho spahte nach Phalarope aus. Aber auch sie war verschwunden. Es war vorbei.



        VI Seeklar

        Thomas Herrick stutzte die Ellbogen auf die polierte Tischplatte in der gro?en Achterkajute der Benbow und uberlas noch einmal seinen in wohlgesetzten Worten abgefa?ten Bericht.
        Eigentlich hatte er stolz sein konnen auf seinen Erfolg, denn sogar die zuversichtlichsten unter den Zimmerleuten und Schiffsausrustern hatten ihm prophezeit, da? die Reparaturen an Benbow noch mindestens einen Monat in Anspruch nehmen wurden. Morgen war nun der erste August, und die Benbow war fertig - viel fruher, als er in seinen kuhnsten Traumen zu hoffen gewagt hatte. So ungeduldig hatte er auf den Augenblick gewartet, in dem er die ersehnten Worte in den Bericht an Ihre Lordschaften schreiben konnte - Melde ergebenst, da? HMS Benbow seeklar ist und bereit, etc. -, und jetzt standen sie da, warteten nur noch auf seine Unterschrift. Dennoch empfand er keinerlei Frohlocken oder Begeisterung.
        Das lag nicht etwa an schlechten Nachrichten; eher schon daran, da? uberhaupt keine Nachrichten eingingen. Er hatte diese Unruhe zum erstenmal verspurt, als die von Schussen durchlocherte Fregatte Unrivalled, ein Schiff aus Bolithos Biskaya-Geschwader, in Plymouth vor Anker gegangen war; alle Pumpen an Bord arbeiteten fieberhaft, um die Fregatte noch so lange uber Wasser zu halten, bis Hilfe eintraf. Und selbst das hatte Herrick nicht starker belasten sollen als andere ahnliche Vorkommnisse, an die man sich im Krieg gewohnen mu?te. Er hatte schon so viele Schiffe verlorengehen gesehen, auch vor der Unrivalled hatte er oft genug beobachten mussen, wie Tote und Verwundete an Land geschafft wurden. Warum war er gerade jetzt so aufgewuhlt?
        Es mu?te daran liegen, da? er sich von dem Tag an, seit Bolitho seine Flagge auf Styx setzte und auslief, Sorgen machte; denn seiner Ansicht nach segelte Bolitho in sehr dubioser Mission.
        Als er dann Phalaropes Namen im Signalbuch entdeckte, zusammen mit der knappen Verlautbarung, da? sie Bolithos Oberkommando unterstellt wurde, hatten sich Herricks Ahnungen noch mehr verdustert. Dulcie blieb im Golden Lion und tat ihr Bestes, um ihn aufzuheitern. Trotzdem, sein hausliches Gluck machte ihn eher schuldbewu?t. Dulcie verstand nichts von der See und der Kriegsmarine - und genauso sollte es bleiben, solange er dabei etwas zu sagen hatte.
        In der Nachbarkajute waren Schritte zu horen: Ozzard, Bolithos Steward, schlich wie ein Geist umher, seit sein Herr ohne ihn davongesegelt war. Solche wie ihn gab es noch mehr an Bord; zum Beispiel Yovell, Bolithos Schreiber, der jeden Bericht in seiner gerundeten Handschrift abgefa?t hatte.
        Das Deck unter Herricks Fu?en bewegte sich leicht, und er trat an die offenen Heckfenster. Mittlerweile lagen hier schon weniger Schiffe in Reparatur, das Getose der Hammer und das Quietschen der Flaschenzuge hatte nachgelassen.
        Dort druben schwojte Keens mit 74 Kanonen bestuckte Nicator an ihrer Ankertrosse, hatte Sonnen- und Windsegel ausgebracht, um den Aufenthalt an und unter Deck bei dieser druckenden Hitze so angenehm wie moglich zu machen. Und daneben Indomitable, ihr anderer Zweidecker, unter dem neuen Kommandanten Kapitan Henry Veriker, der innerhalb des kleinen Geschwaders schon eine gewisse Beruhmtheit errungen hatte: Seit der Schlacht bei Abukir war er fast taub, eine Verletzung, die nach stundenlangem, ununterbrochenem Kanonenfeuer oft auftrat. Aber Verikers Taubheit kam und ging, war manchmal schwacher, manchmal starker, so da? sich nie genau sagen lie?, was er nun gehort hatte oder was er mi?verstand. Fur seine Offiziere mu?te es die Holle sein, uberlegte Herrick. Schon die kleine Kostprobe an dem Abend, als sie zusammen gespeist hatten, hatte ihm gereicht. Er beugte sich hinaus, um die neue Fregatte zu mustern, die er damals kurz nach ihrem Stapellauf gesehen hatte, als er auf sein eigenes Schiff zuruckgekehrt war. Jetzt lag sie schon tiefer im Wasser, hinter jeder offenen Stuckpforte lauerte eine schwarze
Mundung, und alle drei Masten standen, waren verstagt und getakelt. Lange brauchte diese Schonheit nun nicht mehr zu warten. Herrick fragte sich, wer wohl ihr glucklicher Kommandant sein wurde.
        Der Anblick der neuen Fregatte erinnerte ihn an Adam Pascoe. Der junge Teufel hatte die Kommandierung auf Phalarope akzeptiert, ohne einen Gedanken an mogliche Konsequenzen zu verschwenden. Bolitho hatte aus ihr wieder ein kampftuchtiges Schiff gemacht, hatte der Mannschaft Zuversicht eingeflo?t. Herrick erinnerte sich nur zu gut daran, wie die Stimmung gewesen war, als er, der jungste ihrer Offiziere, zum erstenmal an Bord kam: verbittert und verzweifelt, kurz vor der Meuterei gegen einen Kommandanten, der jede menschliche Regung als Todsunde verabscheute.
        Herrick horte die gedampfte Meldung der Turwache drau?en und wandte sich um. Der Ankommling war sein Erster Offizier, der den rothaarigen Kopf tief unter die niedrigen Decksbalken beugen mu?te.

«Was gibt's, Mr. Wolfe?»
        Wolfes tiefliegende Augen erfa?ten den schriftlichen Bericht auf dem Schreibtisch, dann kehrten sie zum Kommandanten zuruck. Er hatte harter als die meisten anderen an der Wiederherstellung des Schiffes gearbeitet und zwischendurch trotzdem Zeit gefunden, seine jungen und weitgehend ahnungslosen Offiziere zu schulen.

«Meldung vom Offizier der Wache, Sir: Sie konnen den Hafen-admiral in etwa einer halben Stunde an Bord erwarten. «Wolfe grinste mit seinem unregelma?igen Gebi?. Ich habe schon alles veranla?t, Sir. Am Fallreep werden Empfangskomitee und Ehrenwache bereitstehen.»
        Herrick bedachte die Neuigkeit. Der Hafenadmiral war ein seltener Gast an Bord, aber kein unebener Kerl; ein behabiger, gemutlicher Mann, der mittlerweile mit Dockarbeitern und Handlern besser umzugehen verstand als mit einer Flotte auf hoher See.

«Sehr gut«, sagte Herrick deshalb zu Wolfe.»Ich glaube, wir haben nichts zu befurchten. Wir sind sogar fruher mit den Reparaturen fertig geworden als Kapitan Keens Nicator, wie?»

«Ob er uns neue Befehle bringt, Sir?»
        Der Gedanke bereitete Herrick Unbehagen. Er hatte noch nicht einmal Zeit gefunden, sich einen Flaggkapitan auszusuchen; aber brauchen wurde er einen, ganz gleich, wie kurzfristig sein Kommodorewimpel auf Benbow auch wehen mochte. Vielleicht scheute er die Endgultigkeit des Schritts, uberlegte er, denn damit wurde er das letzte Bindeglied zu seinem Freund und Konteradmiral durchtrennen, obwohl er immer noch nicht wu?te, was in der Biskaya geschehen war.
        Drau?en waren eilige Schritte zu horen, und nach der Ankundigung des wachestehenden Seesoldaten trat der Funfte Offizier schneidig durch die Tur, seinen Hut unter den Arm geklemmt.
        Wolfe funkelte ihn so gereizt an, da? der junge Mann zuruckfuhr. In Wirklichkeit war der Erste mit dem jungen Offizier ganz zufrieden, aber es war noch viel zu fruh, ihn das merken zu lassen. Erst abwarten, bis wir auf See sind, pflegte er zu sagen.

«Ein - ein Brief, Sir«, meldete der Funfte.»Kam mit der Kutsche aus Falmouth.»
        Herrick ri? ihm den Brief fast aus der Hand.»Danke. Machen Sie weiter, Mr. Nash.»
        Wahrend der Leutnant schleunigst verschwand und Wolfe sich auf einen Stuhl sinken lie?, schlitzte Herrick den Umschlag auf. Er kannte die Handschrift; obwohl er den Brief erwartet hatte, furchtete er sich vor dem, was sie ihm sagen wurde.
        Wolfe beobachtete ihn neugierig. Zwar wu?te er das meiste schon und konnte den Rest leicht erraten, trotzdem blieb ihm die seltsam enge Bindung des Kommandanten an Richard Bolitho unerklarlich. Fur Wolfe war ein Freund auf See am ehesten noch mit einem Schiff zu vergleichen: Man setzte sich fureinander ein, aber wenn die Wege sich trennten, verga? man den anderen am besten und kehrte nie zuruck.
        Langsam lie? Herrick den Brief sinken und sah dabei die Schreiberin im Geiste vor sich, das kastanienbraune Haar in die Stirn fallend, wahrend sie uber das Papier gebeugt sa?.
        Er ri? sich zusammen.»Mrs. Belinda Laidlaw kommt nach Ply-mouth«, sagte er.»Meine Frau wird sich wahrend der Dauer ihres Besuches um sie kummern.»
        Irgendwie war Wolfe enttauscht.»Das ist alles, Sir?»
        Herrick starrte seinen Ersten an. Eigentlich hatte er recht. Belinda sandte ihm und Dulcie die herzlichsten Gru?e, aber mehr auch nicht. Immerhin war es ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn sie erst einmal hier sein wurde in Bolithos Welt, wurde sie bestimmt offener sprechen, Herrick vielleicht sogar um seinen Rat ersuchen.
        Drau?en an der Bordwand erklangen Stimmen, Wolfe schnappte sich seinen Hut und fuhr auf:»Der Admiral, Sir! Den haben wir ganz vergessen!»
        Schwer atmend hasteten der stammige Kommandant und sein schlaksiger Erster Offizier, beide die Sabel fest an die Seite gepre?t, damit sie nicht daruber stolperten, hinaus aufs Achterdeck.
        Admiral Sir Cornelius Hoskyn, Ritter des Bathordens, hievte sich das Fallreep hinauf und durch die Schanzkleidpforte; trotz seiner Leibesfulle ging sein Atem nicht schwerer, als er gru?end den Hut zum Achterdeck luftete und geduldig abwartete, bis die Querpfeifen mit dem Lied» Hearts of Oak«- Herzen aus Eiche - fertig waren. Herrick mochte seine warme, volltonende Stimme und rosige Gesichtsfarbe, vor allem aber seine Gewohnheit, sich fur jeden Kommandanten, der durch Plymouth kam, ausgiebig Zeit zu nehmen und ihm nach besten Kraften behilflich zu sein.
        Der Admiral blickte zum knatternden Kommodorewimpel auf und sagte:»Hat mich gefreut, als ich davon erfuhr. «Dann nickte er den versammelten Offizieren zu und fuhr fort:»Ihr Schiff macht Ihnen alle Ehre. Sie sind bald seeklar, wie?»
        Herrick wollte erwidern, da? die Meldung uber ihre Einsatzbereitschaft nur noch auf seine Unterschrift wartete, aber der Admi-ral war schon weitergeschritten, dem willkommenen Schatten unter dem Huttenaufbau zu.
        Hinter ihm her marschierten sein Flaggleutnant, sein Sekretar und zwei Stewards, die eine Kiste mit Wein trugen.
        In der gro?en Achterkajute lie? sich der Admiral bedachtsam auf einen Stuhl nieder, wahrend sein Stab sich unter der Anleitung von Herricks Steward mit Weinglasern und - kuhler zu schaffen machte.

«Ist dies Ihr Bericht?«Der Admiral zog ein Lorgnon aus seinem schweren Uniformrock und studierte das Papier.»Unterschreiben Sie ihn jetzt, wenn ich bitten darf.
«Fast im selben Augenblick fugte er hinzu:»Prachtig, prachtig - ich hoffe nur, das Glas ist kalt, Mann. «Damit nahm er von einem Steward das erste Glas Wein entgegen.
        Herrick nahm erst Platz, nachdem der Leutnant und der Sekretar die Kajute verlassen hatten, wobei letzterer Herricks versiegelte Bereitschaftsmeldung wie einen Talisman an die Brust gepre?t trug.

«Also. «Sir Cornelius Hoskyn betrachtete Herrick forschend uber den Rand seines Lorgnons.»Sie erhalten umgehend Ihre Befehle, wahrscheinlich noch heute abend. Sowie ich von Bord bin, rufen Sie Ihre Kommandanten zu einer Einsatzbesprechung zusammen und bereiten sie ohne weitere Verzogerung auf ihre Aufgabe vor. Ob sie unterbemannt, leck oder sonstwas sind, schert mich einen Dreck; es ist nicht mein Problem, sondern ihres. Manche Leute glauben zwar, da? demnachst der Friede ausbricht - wollte Gott, sie behielten recht - , aber bis man mich vom Gegenteil uberzeugt, befinden wir uns im Kriegszustand. «Obwohl er nicht die Stimme gehoben hatte, hallten seine Worte wie Pistolenschusse in der sonnendurchfluteten Kajute.

«Halten zu Gnaden, Sir Cornelius…«Herrick fuhlte sich zwar hoffnungslos ins Hintertreffen geraten, blieb aber eisern.»Meine Schiffe unterstehen nach wie vor dem Oberkommando von Konteradmiral Richard Bolitho, und es wird Ihnen doch klar sein, da?… »
        Der Admiral musterte ihn ernst und fullte zunachst sorgfaltig ihre Glaser nach, ehe er antwortete.

«Ich hege gro?en Respekt vor Ihnen, Herrick, deshalb komme ich personlich einer Aufgabe nach, die mir so verha?t ist wie bisher selten eine. «Er milderte seinen Ton.»Bitte, trinken Sie noch einen Schluck. Der Wein kommt aus meinem eigenen Keller.»
        Herrick schluckte Wein, ohne ihn zu schmecken; ebensogut hatte er auch Bilgenwasser trinken konnen.

«Sir?»

«Ich habe gerade durch einen Sonderkurier Nachricht erhalten und mu? Ihnen folgendes mitteilen: Vor zehn Tagen, offenbar bei dem Versuch, feindliche Schiffe sudlich der Loiremundung zu vernichten, erlitt die Fregatte Seiner Majestat Styx Schiffbruch. Es war ein Totalverlust. Das Ungluck geschah sehr schnell und bei auffrischendem Wind. «Der Hafenadmiral machte eine Pause, ohne den Blick von Herricks Gesicht zu wenden.»Und da gleichzeitig mehrere feindliche Schiffe am Schauplatz erschienen, unter ihnen ein Linienschiff, wurde das Gefecht abgebrochen.»
        Leise fragte Herrick:»Unsere anderen Schiffe haben sich zuruckgezogen, Sir?»

«Es handelte sich nur um ein einziges Schiff von Bedeutung, und ihr Kommandant, der ranghochste anwesende Offizier, traf diese Entscheidung. Ich bedaure zutiefst, da? ich Ihnen die Nachricht uberbringen mu?, denn ich wei?, was die Freundschaft Richard Bolithos Ihnen bedeutet hat.»
        Herrick erhob sich taumelnd, als sei er geschlagen worden. »Bedeutet hat! Sie meinen…»

«Es kann nicht viele Uberlebende gegeben haben. Dennoch darf man nie aufhoren zu hoffen.»
        Herrick ballte die Fauste und wandte sich den Heckfenstern zu, ohne sie zu sehen. Er hat oft vorausgesagt, da? es einmal so kommen wurde. «Mit rauher Stimme fugte er hinzu:»Wer war der andere Kommandant, Sir, der die Entscheidung zum Ruckzug traf?«Aber insgeheim wu?te er es schon.»Emes von der Phalarope.»
        Immer noch konnte Herrick den Hafenadmiral nicht anblicken. Der junge Pascoe mu?te alles mit angesehen haben, hatte nichts dagegen unternehmen konnen, da? dieser elende Feigling Emes den Schwanz einkniff und floh.
        Aber dann kam ihm ein neuer Gedanke, so da? er ausrief:»Mein Gott, Sir, und sie kommt nach Plymouth! Ich meine die Frau, die er in Falmouth heiraten wollte! Was soll ich ihr nur sagen?»
        Der Admiral erhob sich.»Ich halte es fur das beste, wenn Sie sich auf Ihre Pflicht konzentrieren. Nur so konnen Sie sich ablenken. Verluste sind nur zu alltaglich geworden in diesem Krieg, der offenbar nie zu Ende gehen will. Trotzdem gewohnt man sich nicht daran. Ich will Ihnen auch keinen billigen Trost zusprechen, weil ich wei?, da? es Trost fur Sie nicht gibt. Wenn ich Naheres erfahre, lasse ich es Sie so schnell wie moglich wissen.»
        Herrick folgte dem Hafenadmiral hinaus auf das breite Batteriedeck und verabschiedete ihn, ohne sich ganz bewu?t zu werden, was er tat.
        Als er seine Umgebung schlie?lich wieder wahrnahm, hatte die Schaluppe des Hafenadmirals bereits abgelegt, und Wolfe erbat Erlaubnis, die Ehrenwache wegtreten zu lassen.»Darf ich fragen, was geschehen ist, Sir?«Wolfes knappe, sachliche Stimme ri? Herrick aus seiner Erstarrung.»Richard Bolitho und Styx - wir haben sie verloren. «Wolfe stellte sich schnell so, da? er Herrick vor den Blicken der anderen abschirmte.»Beeilung, ihr Trantuten! An die Arbeit, oder ich lasse den Bootsmann eure faulen Haute klopfen, bis ihr springt!»
        Herrick kehrte in seine Kajute zuruck und lie? sich auf einen Stuhl fallen. Nichts war mehr wichtig fur ihn, weder das Schiff, noch sein Kommodorewimpel, nicht einmal sein junges privates Gluck.
        Wolfe erschien in der Tur.»Haben Sie Befehle Sir?«»Doch, ja, die habe ich, Mr. Wolfe. Lassen Sie an Mcator und Indomitable signalisieren, da? ich die Kommandanten zu mir an Bord bitte. «Aber dann schuttelte Herrick mutlos den Kopf. Lassen Sie, das kann noch warten. Setzen Sie sich und versuchen Sie den Wein, den der Admiral mitgebracht hat. Er soll sehr gut sein.«»Gern, Sir«, antwortete Wolfe, aber spater. Im Augenblick bin ich an Deck noch nicht entbehrlich. Das Signal hei?e ich um acht Glasen,[zum Ende der Wache] Sir, dann bleibt noch reichlich Zeit.»
        Vor der Kajute ware Wolfe fast uber die winzige Gestalt von Ozzard gestolpert. Mein Gott, der Mann weinte ja! Offenbar wu?te an Bord schon jeder Bescheid. Es war doch immer dasselbe: Bei der Navy lie? sich nichts geheimhalten.
        Drau?en im Sonnenschein verhielt Wolfe und atmete ein paarmal tief durch. An Deck warteten keine sonderlich dringenden Aufgaben; er hatte sie nur vorgeschutzt, weil er um nichts in der Welt hatte dasitzen konnen und Herricks Qual mitansehen. Da? er nichts tun konnte, um diesem Mann zu helfen, den er schatzen gelernt hatte, deprimierte Wolfe zutiefst; noch nie war er sich so uberflussig vorgekommen.
        In der Kajute go? Herrick sich ein neues Glas Wein ein. Und danach noch eins. Das machte es zwar nicht leichter, aber es gab seinen Handen wenigstens etwas zu tun.
        Beim dritten Glas blieb seine Hand in der Luft hangen, weil sein Blick auf den Prunksabel an der Wand fiel, den Bolitho hier zuruckgelassen hatte, als er auf Styx umgezogen war.
        Ein wundervolles Stuck Handwerksarbeit, dachte Herrick. Aber wenn es das einzige war, was von Bolitho blieb, dann war es verdammt wenig.
        Herrick sprang aus der grungestrichenen Barkasse der Benbow auf die Pier und wartete darauf, da? sein Bootsfuhrer ihm folgte. Dabei hatte er sich schon verspatet, hatte ursprunglich viel fruher an Land sein wollen. Jetzt lag schon mattrotes Abendlicht uber Sund und Reede und den Schiffen, die sich friedlich im glatten Wasser spiegelten.
        Herrick hatte seiner Frau eine Nachricht gesandt, in der er nur so viel andeutete, wie sie unbedingt wissen mu?te. Dulcie war eine vernunftige Frau und verlor bestimmt nicht die Beherrschung. Aber Herrick hatte eigentlich schon bei ihr sein wollen, wenn die Postkutsche aus Falmouth vor die Herberge rollte.

«Fahr zuruck an Bord, Tuck«, sagte er zu seinem Bootsfuhrer.»Ich nehme mir nachher eine Mietjolle. Mr. Wolfe wei?, wo ich zu erreichen bin.»
        Der Bootsfuhrer tippte an seinen Hut.»Aye, aye, Sir. «Er wu?te langst, was geschehen war, dachte dabei aber mehr an Allday als an Bolitho. Beide Bootsfuhrer ihrer Kommandanten, hatten sie einander respektieren gelernt und waren gut miteinander ausgekommen.»Und, Tuck, wenn die Leute zu munkeln anfangen…»
        Der Bootsfuhrer nickte.»Aye, Sir, bin im Bilde. Dann komme ich so schnell zuruck, da? der Kiel gar nicht erst na? wird.»
        Herrick schritt die Pier hinunter; auf den runden, abgewetzten Kieselsteinen, uber die schon Legionen von Seefahrern bis zuruck zu Drake gegangen waren, klickten seine Schuhe so laut, da? er meinte, es mu?te bis zur Herberge zu horen sein.
        Als er den Golden Lion mit seinen in der Abendsonne rotgluhenden Fensterscheiben vor sich sah, verlie? ihn der Mut, und er hielt inne. Im Hof stand eine leere Kutsche, die Pferde waren schon ausgespannt, nur zwei Diener luden Reisetaschen auf das Dach, wohl fur die nachste Etappe nach Exeter.
        Alles war schon schlimm genug, aber da? die elende Kutsche auch noch punktlich eingetroffen war, ausgerechnet an diesem Abend, das machte es fur Herrick noch schwerer.
        Neben dem Hoftor blies ein einbeiniger Kruppel, muhsam auf einer primitiven Krucke balancierend, zum Vergnugen einiger Stra?enjungen und Passanten eine Melodie auf seiner Querpfeife. Er trug den roten Rock der Seesoldaten, und der dunklere Fleck auf dem abgewetzten Armel, wo einst der Winkel aufgenaht gewesen war, verriet Herrick, da? er einen alten Sergeanten vor sich hatte.
        Er tastete nach ein paar Munzen in der Rocktasche und warf sie dem Kruppel in die Mutze, beschamt, peinlich beruhrt und vor allem wutend daruber, da? solch ein Mann so elend dahinvegetierte. Aber bis es endlich zum Friedensschlu? kommen wurde, mu?ten bestimmt noch viel mehr Rotrocke verkruppelt in den Stra?en betteln.
        Doch der Mann lie? sich nicht aus der Ruhe bringen. Breit grinsend hob er die Hand an die Stirn und salutierte spottisch.

«Sergeant Tolcher, Sir. So geht's einem im Leben, wie, Kapitan?»
        Herrick nickte bedruckt.»Von welchem Schiff?»

«Mein letztes, Sir? Das war die alte Culloden, unter Kapt'n Troubridge. War'n richtiger Gentleman, unser Kapt'n, jedenfalls fur einen Seeoffizier.»
        Herrick hatte langst bei Dulcie sein mussen, aber irgend etwas hielt ihn hier zuruck. Dieser unbekannte Marinesoldat hatte an der Schlacht von Abukir teilgenommen, hatte wie er selbst und Bolitho vor der Nilmundung gekampft. Auf einem anderen Schiff zwar, aber immerhin.

«Viel Gluck, Kamerad. «Mit diesen Worten wandte Herrick sich ab und eilte zum Eingang.
        Der Marinesoldat schob die Munzen in die Tasche und gramte sich, da? er einen guten Zuhorer verloren hatte. Aber dieser stammige Kapitan mit den auffallend blauen Augen hatte ihn fur manches entschadigt.
        Au?erdem hatte er jetzt genug beisammen fur ein paar Kruge Bier mit den alten Kumpels unten im Volunteer. Der Ex-Sergeant der Culloden humpelte davon, wobei seine Krucke laut uber das Steinpflaster kratzte.
        Als Herrick das Zimmer betrat, standen beide Frauen da und warteten, der Tur zugekehrt, als hatten sie seit Stunden auf demselben Fleck verharrt.
        Er wandte sich zunachst an Dulcie.»Tut mir leid, Liebste, aber ich wurde aufgehalten. Neue Befehle.»
        Die plotzlich in den Augen seiner Frau aufsteigende Furcht sah er nicht mehr, weil sich seine Aufmerksamkeit jetzt auf Belinda konzentrierte, die neben dem kalten Kamin stand.
        Herrgott, wie schon sie ist, dachte er. Sie trug ein flaschengrunes Reisekleid und hatte das volle, kastanienbraune Haar mit einem passenden Band im Nacken zusammengebunden. Aber sie war bla?, die gro?en braunen Augen schienen das ganze Gesicht zu beherrschen, als sie fragte:»Gibt es Neuigkeiten, Thomas?»
        Herrick war geruhrt von so viel Selbstbeherrschung und auch davon, da? sie ihn so selbstverstandlich mit seinem Vornamen ansprach.

«Nein, noch nicht«, antwortete er. Er ging zu einem kleinen Tisch, nahm ein Glas auf, stellte es wieder hin.»Aber Neuigkeiten brauchen eben ihre Zeit, bis sie eintreffen. Gute Neuigkeiten, meine ich.»
        Endlich konnte er auf sie zugehen und ihre Hande in seine nehmen. In seinen harten Seemannspranken fuhlten sie sich sehr weich an - und sehr hilflos.
        Leise sagte Belinda:»Dulcie hat mir berichtet, was Sie ihr geschrieben haben. Und einige Offiziere in der Gaststube unten haben davon gesprochen, da? ein Schiff untergegangen sei. Besteht noch Hoffnung?»
        Sie hob den Blick zu ihm, so flehend, da? ihre au?ere Ruhe Lugen gestraft wurde.
        Herrick seufzte.»Im Augenblick wissen wir noch viel zu wenig. Die Kuste dort ist ziemlich gefahrlich; soweit ich in Erfahrung bringen konnte, war es eine Kollision, moglicherweise mit einem Wrack, wonach Styx wegsackte und ziemlich schnell unterging.»
        Inzwischen hatte Herrick die Szene im Geiste hundertmal nacherlebt, sogar bei der Kommandantenbesprechung, als er seinen Untergebenen die neuen Befehle erlautert hatte. Er wu?te nur zu gut, wie das Ungluck abgelaufen sein mu?te, schlie?lich hatte auch er schon ein Schiff verloren. Die Schreie, dazu das Krachen und
        Knallen der brechenden Takelage gellten ihm noch im Ohr, er sah sie immer wieder vor sich, die Ertrinkenden: Manche starben lautlos, andere verfluchten Gott und die Welt und selbst den Namen ihrer Mutter, ehe die See ihnen den Mund verschlo?.

«Aber Ihr Richard hatte tuchtige Manner um sich«, fuhr er fort, um Belinda etwas zu beruhigen.»Allday wich bestimmt nicht von seiner Seite, und der junge Neale war ein erstklassiger Kapitan.»
        Belinda warf Dulcie einen schnellen Blick zu.»Wer wird es seinem Neffen sagen?»
        Sehr sanft lie? Herrick ihre Hande los.»Das ist nicht notwendig. Adam war selbst dort. An Bord des Schiffes, das. «Gerade noch rechtzeitig verschluckte er den Rest des Satzes.»Adam war auf Phalarope, die das Flaggschiff begleitete.»
        Dulcie Herrick griff sich an die Brust.»Gott helfe dem Jungen.»

«Aye. Es mu? furchtbar fur ihn sein.»
        Belinda Laidlaw setzte sich - zum erstenmal, seit sie aus der Postkutsche gestiegen war.

«Kapitan Herrick. «Sie rang sich ein Lacheln ab.»Oder besser: Thomas. Denn Sie sind sein Freund und jetzt, so hoffe ich, auch meiner. Also, Thomas, was ist Ihrer Ansicht nach geschehen?»
        Herrick spurte, da? seine Frau ihm ein Glas Wein in die Hand druckte, und warf ihr einen dankbaren Blick zu.
        Dann sagte er:»Richard ist insgeheim immer ein Fregattenkapitan geblieben. Wenn es nur nach ihm ginge, wurde er ohne gro?en Zeitverlust den Feind stellen und angreifen. Aber als kommandierender Konteradmiral hatte er andere Verpflichtungen. Er mu?te Admiral Beauchamps Plane in die Tat umsetzen und die wachsende Gefahr einer Invasion Englands abwenden. Nur das war seine Aufgabe. «Um Verstandnis bittend sah er Belinda an.»Mein Gott, Ma'am, wenn Sie wu?ten, wie er sich gegramt hat, was es ihn gekostet hat, so schnell wieder in See zu stechen, ohne Sie auch nur gesehen zu haben, ohne Ihnen alles erklaren zu konnen. Als wir uns das letztemal sahen, war sein gro?ter Kummer das Leid, das er
        Ihnen antun mu?te. Aber wenn Sie Richard wirklich kennen«, sagte er abschlie?end und mit Nachdruck,»dann werden Sie verstehen, da? seine Ehre ihm genauso wichtig ist wie seine Liebe zu Ihnen.»
        Sie nickte mit feuchten Augen.»Das wei? ich nur zu gut und mochte es auch gar nicht anders. Obwohl wir uns erst letztes Jahr kennengelernt haben. Und in der ganzen Zeit seither war ich immer nur wenige Tage mit ihm zusammen. Wie ich Sie beneide, Thomas, da? Sie so vieles gemeinsam mit ihm erleben durften, da? Sie so viele Erinnerungen teilen, die mir immer fremd bleiben werden. «Sie schuttelte den Kopf, wobei ihr das lange Haar uber die Schulter fiel.»Nein, Thomas, ich werde ihn niemals aufgeben. Und jetzt schon gar nicht.»
        Tranen rannen ihr uber die Wangen, aber als Dulcie und Herrick trostend auf sie zukamen, wehrte sie ab.»Nein, nein, danke, es ist schon gut. Ich werde nicht in Selbstmitleid schwelgen, wenn Richard mich braucht.»
        Herrick konnte sie nur anstarren.»Ihre Worte warmen mir das Herz, Ma'am. Aber erhoffen Sie sich nicht zuviel, versprechen Sie mir das. Sonst konnten Sie die Enttauschung nicht ertragen.»

«Zuviel erhoffen?«Sie ging zu den offenen Fensterturen hinuber, eine schmale Silhouette vor See und Himmel, und trat auf den Balkon hinaus.»Das ware mir gar nicht moglich. Richard ist das einzige, wofur ich lebe. Alles andere ist mir unwichtig geworden, lieber Freund.»
        Herrick spurte, da? Dulcie nach seiner Hand griff, und erwiderte den leichten Druck. Belinda mu?te sich aus eigener Kraft wieder fangen, und ob sie es schaffen konnte, wurde nur die Zeit erweisen.
        Er sah auf seine Frau hinab, als sie flusterte:»Du hast vorhin von neuen Befehlen gesprochen, Thomas?»

«Vergib mir, Liebste. Ich war in Gedanken ganz bei diesem Ungluck hier. «Mit einem Blick auf Belinda, die ins Zimmer zuruckkehrte, fuhr er fort:»Ich habe Befehl erhalten, einen Konvoi aus Handelsschiffen nach Gibraltar zu eskortieren. Soweit ich wei?, sind es Schiffe mit ziemlich wertvollen Ladungen, die auch in Friedenszeiten verlockende Prisen waren.»
        Wieder stieg die Emporung in ihm auf, da? er ausgerechnet jetzt, da man ihn hier so dringend brauchte, mit einem Konvoi weit weg geschickt wurde. Aber hatte er seinen ersten Auftrag als Kommodore abgelehnt, hatte weder sein guter Ruf noch die Freundschaft mit Bolitho, ja nicht einmal ein Adelstitel seine Karriere retten konnen. In solchen Dingen besa? die Marine ein Elefantengedachtnis.
        Deshalb erlauterte er nur:»Dieser Auftrag ist zwar lastig, aber vollig ungefahrlich, und ich werde fruher, als ihr beide damit rechnet, wieder daheim ein Plymouth sein. «Das war nicht einmal ganz unwahr und ging ihm leichter uber die Zunge, als er befurchtet hatte.
        Belinda legte ihm die Hand auf den Arm.»Und die Schiffe des Konvois sammeln sich hier?»

«Aye. Zwei kommen aus Bristol und die anderen von den Downs.«[Reede an der Sudostkuste Englands, vor der Stadt Deal]
        Sie nickte nachdrucklich, und ihre Augen glanzten.»Dann werde ich mich auf einem davon einschiffen. Ich habe Freunde in Gibraltar. Mit guten Beziehungen und etwas Geld kann ich mir vielleicht Gewi?heit uber Richards Schicksal verschaffen.»
        Herrick wollte schon protestieren, klappte den Mund aber schnell wieder zu, als er einen Blick seiner Frau auffing, die leise den Kopf schuttelte. Und es stimmte ja, uber gefallene oder vermi?te Offiziere hatte man auf Umwegen in Spanien oder Portugal oft viel mehr erfahren als uber die offiziellen Kanale. Aber Belindas Eifer, ihre feste Uberzeugung, da? Richard Bolitho noch lebte, machten sie so viel verwundbarer, wenn das Schlimmste geschah. Wer sollte ihr dann helfen?

«Das eine ist ein Indienfahrer, die Duchess of Cornwall. Wie ich horte, besa?en Sie gute Beziehungen zur Ostindischen Handelskompanie. Bestimmt wird man, soweit moglich, fur Ihre Bequemlichkeit an Bord sorgen. Auf alle Falle verstandige ich den
        Kapitan brieflich. «Er lachelte gezwungen.»Kommodore zu sein, mu? doch wenigstens einen Vorteil haben.»

«Danke«, sagte sie ernst.»Sie sind sehr gut zu mir. Ich wollte nur, ich konnte auf Ihrem Schiff reisen.»
        Herrick vermochte nicht zu verhindern, da? ihm darob die Rote ins Gesicht stieg. Gutiger Himmel, Ma'am, wenn ich Sie unter diesen Grobianen und Galgenvogeln wu?te, konnte ich in meiner Koje kein Auge zutun!«Wieder warf sie ihr Haar zuruck. Kein Wunder, dachte Herrik, da? Bolitho von ihr so vollig behext war.»Na ja, wenigstens werde ich Ihr Schiff jeden Tag sehen, Thomas. Dann fuhle ich mich bestimmt nicht so allein.»
        Dulcie nahm ihre Hand.»Allein brauchen Sie sich niemals zu fuhlen, meine Liebe.»
        Herrick horte eine Uhr schlagen und unterdruckte einen Fluch.

«Ich mu? gehen«, sagte er, an die Frau im grunen Reisekleid gewandt.»Am besten gewohnen Sie sich schon ans abrupte Abschiednehmen. «Machte er ihr etwas vor, oder hatten ihr Mut, ihre Zuversicht auf ihn abgefarbt?
        Drau?en ernuchterte ihn die kuhle Abendluft sehr schnell. Er warf einen Blick zur Stra?enecke, aber der verkruppelte Marinesoldat war nicht mehr da.
        Von der Pier aus sah er seine Barkasse im Schatten warten; schnell tauchten die Riemen ins Wasser, und das Boot scho? auf ihn zu.
        Herrick packte seinen Sabel und verfluchte den Wind, der ihm das Wasser in die Augen trieb. Tuck hatte ihn eher auf die Nationalflagge spucken als ein Mietboot nehmen lassen.
        Diese beiden, Tuck und die schone junge Frau mit dem kastanienbraunen Haar, hatten ihm wieder etwas von seiner alten Kraft und Zuversicht zuruckgegeben, auch wenn ihm eine innere Stimme sagte, da? er wahrscheinlich bitter enttauscht werden wurde - spater. Aber im Augenblick konnte er wieder hoffen.
        Er stie? die Sabelscheide auf die rundgetretenen Kieselsteine und sagte wie zu sich selbst:»Halt aus, Richard! Wir geben noch nicht auf.»

«Sie wollten mich sprechen, Sir?«Leutnant Adam Pascoe stand mitten in der Kajute, den Blick uber die rechte Epaulette seines Kommandanten in die Ferne gerichtet.
        Emes lehnte sich in seinem Stuhl zuruck und pre?te die Hande mit den Fingerspitzen gegeneinander.»So ist es.»
        Von au?erhalb der Kajute drang kein Laut herein, lediglich Wind und See rauschten gedampft, und ab und zu knarrte eine Schiffsplanke.
        Emes begann:»Es sind jetzt funf Tage vergangen, seit Styx sank. Morgen ist der sechste Tag. Ich habe nicht vor, auch nur eine weitere Stunde mitanzusehen - geschweige denn einen weiteren Tag - , wie Sie im Umgang mit mir jedes uberflussige Wort vermeiden und Ihr Schweigen nur brechen, wenn der Dienst es unumganglich macht. Sie sind mein Erster Offizier, und das ist fur einen so jungen Mann wie Sie eine beachtliche Chance. Und eine Ehre. Aber vielleicht sind Sie doch zu jung dafur?»
        Pascoe sah Emes jetzt direkt an.»Ich verstehe Sie nicht! Wie konnten Sie das nur tun? Wie konnten Sie sie dem sicheren Verderben ausliefern?»

«Ma?igen Sie Ihren Ton, Mr. Pascoe, und sprechen Sie mich mit >Sir< an. Unter allen Umstanden.»
        Tap - tap - tap, die Fingerspitzen klopften leicht gegeneinander.

«Ein Angriff auf die franzosischen Boote war in dem Moment sinnlos geworden, in dem das Eingreifen gro?erer Kriegsschiffe unmittelbar bevorstand. Ich befehlige eine ziemlich alte Fregatte, Mr. Pascoe, und kein Linienschiff!»
        Pascoe senkte den Blick, seine Hande zitterten so, da? er sie gegen die Schenkel pressen mu?te, um sich nicht zu verraten. Seit diesem schrecklichen Tag hatte er an nichts anderes mehr denken konnen. Wenn sein Onkel dabei ums Leben gekommen war, dann hatte ihm bestimmt nicht der Tod den gro?ten Schmerz gebracht. Nein, am schlimmsten mu?te fur ihn der Anblick seines alten Schiffes gewesen sein, seiner Phalarope, die er einst geliebt hatte und die jetzt ihn und die Seinen im Stich lie?. Aber Emes hatte in seinem gewohnten kuhlen Ton schon weitergesprochen.»Wenn Ihr Onkel nicht auf Styx gewesen ware, wurden Sie die Sache vielleicht anders sehen. Sie sind emotional zu stark beteiligt, zu direkt betroffen, um die Tatsachen zu akzeptieren. Styx hatte keine Chance mehr. Meine Verpflichtung galt in erster Linie diesem Schiff hier und dem noch verbliebenen Rest unseres Geschwaders, das mir als dem ranghochsten Offizier nun anvertraut war. Eine tapfere, aber sinnlose Geste hatte mir die Admiralitat schlecht gedankt, und noch mehr hatten die Witwen sie mir verubelt, deren Manner ich in den Tod geschickt
hatte, ware ich so verfahren, wie Sie es ertrotzen wollten. Sie haben an Bord gute Arbeit geleistet, und ich bin bis zu einem gewissen Grad mit Ihnen zufrieden. Aber wenn ich diese Mahnung wiederholen mu?, dann werde ich dafur sorgen, da? Sie vor ein Seekriegsgericht kommen. Habe ich mich klar ausgedruckt?»
        Unbeherrscht platzte Pascoe heraus:»Glauben Sie, das kummert mich noch, wenn.»

«Das sollte es aber!«Emes' beide Hande schlugen krachend auf den Tisch.»Nach allem, was ich horte, hat die Familie Ihres Onkels einen guten Namen in der Marine, oder?»
        Pascoe nickte krampfhaft.»Und er hat alles fur mich getan, alles.»

«Eben. «Emes entspannte sich fast unmerklich.»Vergessen Sie nicht, Sie sind ein Mitglied dieser Familie.«»Jawohl, Sir.»

«Dann handeln Sie danach. Moglicherweise sind Sie jetzt der letzte der Bolithos.
«Er hob die Hand, weil Pascoe protestieren wollte.»Moglicherweise, sagte ich. Wenn Sie als Erbe nach Hause zuruckkehren, werden Sie anderen ein Vorbild sein mussen. Es geht jetzt um mehr als um Ihre private Verzweiflung. Hassen Sie mich, wenn Sie unbedingt wollen, aber vernachlassigen Sie nicht Ihren Dienst. Das ist alles, was ich von Ihnen verlange. Was ich Ihnen befehle.»

«Darf ich jetzt gehen, Sir?»
        Emes wartete, den Blick auf seine gefalteten Hande gerichtet, bis sich die Tur hinter dem jungen Leutnant mit dem wirren Haarschopf geschlossen hatte. Dann fuhr er sich mit der Handflache uber die Stirn. Sie war na? vor Schwei?, und er kam sich schmutzig vor; ubel war ihm au?erdem.
        Die Sache war damit noch nicht ausgestanden, das wu?te er, auch da? die Zeit allein diese Wunden nicht heilen konnte. Pascoe wurde die Dinge nicht auf sich beruhen lassen, und in seiner Verzweiflung konnte er alles zerstoren.
        Emes griff nach dem Federkiel und starrte gedankenverloren auf die Logbuchseite nieder. Er hatte richtig gehandelt, er wu?te, da? er richtig gehandelt hatte. Nun mu?te er nur noch die anderen dazu bringen, das einzusehen. Fand der Alptraum denn niemals ein Ende? Wurde er wieder die Beschuldigungen und die Verachtung von Leuten ertragen mussen, die nie einen Schu? im Gefecht gehort hatten und die nichts ahnten von der Qual eines Kommandanten, der die schlimmste Entscheidung seines Lebens treffen mu?te? Die gleichen anonymen Besserwisser wurden ihn verdammen, ohne ihn uberhaupt gehort zu haben. Er hatte eine Bewahrungschance bekommen und keinen Finger geruhrt, als sein Admiral unterging. Das wurden sie ihm niemals verzeihen.
        Er blickte sich in der Kajute um und erinnerte sich an den Tag, als Bolitho hier gewesen war. Wie war ihm wohl zumute, als er nach so langer Zeit wieder auf seinem alten Schiff stand? Aber wenn er Bolithos Anblick von damals je vergessen sollte, brauchte er nur seinen Ersten Offizier anzusehen. Pascoe wurde ihn das nicht ve rgessen lassen.
        Wie gestochen begann Emes zu schreiben: Patrouille fortgesetzt, keine besonderen Vorkommnisse…



        VII Ein Geheimnis

        Einzeln oder in Gruppen, kampflustig oder halb betaubt, so stolperten die Uberlebenden der Styx den schrag ansteigenden Strand hinauf; mittlerweile war er von einem Kordon schwerbewaffneter
        Soldaten abgesperrt worden.
        All das vollzog sich in eisigem Schweigen. Die benommenen Seeleute lagen oder hockten auf dem nassen Sand und starrten nicht ihre Bewacher an, sondern hinaus aufs bewegte Wasser, das noch vor kurzem ihr Schiff getragen hatte. Andere wateten niedergeschlagen am Ufer auf und ab, suchten mit den Augen das Strandgut ab, musterten die treibenden Leichen, ob nicht doch noch ein verzweifelter Schwimmer unter ihnen war. Und uber allem kreisten gierig und ungeduldig die Mowen.
        Etwas weiter strandabwarts nahmen sich einige Frauen der Verwundeten an, die sich aus dem Landungsboot hatten retten konnen, das Styx kurz vor ihrem eigenen Ende vernichtet hatte. Diese Handvoll Seeleute starrte finster zu der wachsenden Zahl britischer Uberlebender hinuber; trotz der Entfernung und der Soldatenkette wirkte ihr Ha? immer bedrohlicher.
        Bolitho sah Boote auslaufen, meist kleine Fischkutter, die von der ortlichen Kommandantur hastig zur Suche nach Uberlebenden requiriert worden waren.
        Neale bemuhte sich stohnend, auf die Fu?e zu kommen.»Wie viele sind gerettet?»

«Hundert, vielleicht auch mehr«, antwortete Allday.»Genau la?t es sich nicht sagen.»
        Da sank Neale in den Sand zuruck und starrte blicklos zum blauen Himmel auf.»Mein Gott, weniger als die Halfte!»

«Und was kommt jetzt?«fragte Browne; irgendwie hatte er es geschafft, trotz allem seinen Hut zu retten.»Ich gestehe, da? mir diese Situation neu ist.»
        Bolitho legte den Kopf zuruck und empfand dankbar den warmenden Sonnenschein auf Stirn und Augen. Die Schmerzen konnte er allerdings nicht lindern. Nun waren sie also Gefangene, irgendwo an der Kuste Frankreichs. Und schuld daran war sein eigenes torichtes Ungestum.
        Brusk befahl er Browne:»Gehen Sie zu den anderen. Sie sollen antreten wie zum Appell. «Er sah ihren Schiffsarzt neben der ausgestreckten Gestalt eines verletzten Seemanns knien und war dankbar, da? wenigstens er uberlebt hatte. Sie wurden ihn wei? Gott noch brauchen, denn manche seiner Leute schienen in schlimmem Zustand zu sein. Die drei Midshipmen hatten alle uberlebt, ebenso der noch so junge Dritte Offizier; allerdings hatte er einen zerquetschten Arm und schien kaum bei Bewu?tsein. Au?erdem entdeckte Bolitho noch Bundy, den Master, auch den Bootsmann und zwei oder drei Seesoldaten. Aber die Achterdeckswache war fast ausnahmslos uber Bord gerissen worden, als der Besanmast heruntergekracht war. Neale hatte schon recht, es war weniger als die Halfte. Bolitho beschattete seine Augen und blickte wieder auf die See hinaus. Der Nebel war dichter geworden, und von den franzosischen Kriegsschiffen konnte er keine Spur mehr entdecken. Aber die Flotte der Landungsboote hatte sich wieder formiert und wurde ihre Fahrt nun bald fortsetzen. Diesmal wu?ten sie, da? sie vom Feind beobachtet wurden, und
konnten sich gegen einen Uberraschungsangriff besser wappnen.

«Da kommen sie«, flusterte Allday ihm zu.
        Der Kordon oben am Strand teilte sich und lie? drei franzosische Offiziere mit ihrer Eskorte durch; zielstrebig marschierten sie auf die verstreuten Seeleute zu.
        Bolitho kannte die Uniform des voranschreitenden Offiziers: Er war ein Hauptmann der Artillerie, wahrscheinlich von einer Kustenbatterie in der Nahe.
        Der Hauptmann erreichte die Gruppe der Midshipmen und musterte sie kalt.
        Bolitho sagte:»Handigen Sie ihm Ihre Waffen aus und auch den Sabel des Dritten Offiziers.»
        Wutend rammte Allday sein langes Entermesser in den Sand.»Ware das doch sein Bauch!«knirschte er dabei.
        Auch Browne loste den Sabel von seiner Seite und buckte sich dann, um Neales Waffe von dessen Gurtel zu schnallen. Doch Neale schien zum erstenmal, seit man ihn ins Rettungsboot getragen hatte, seinen alten Kampfgeist und Mut wiederzufinden. Taumelnd kam er auf die Fu?e, tastete nach der Scheide und zog den
        Sabel, wahrend die franzosischen Soldaten, von Neales uberraschender Gegenwehr uberrumpelt, verspatet ihre Pistolen und Musketen hoben.
        Mit gebrochener, fast unkenntlicher Stimme rief Neale:»Zu mir, Leute! Schlie?t die Reihen! Schlagt die Enterer zuruck!»
        Bolitho sah, da? der franzosische Hauptmann auf Neale anlegte, und trat schnell zwischen ihn und den Phantasierenden.

«Bitte, Capitaine. Der Mann spricht im Fieberwahn!»
        Der Franzose blickte schnell zwischen Neale und Bolitho hin und her, musterte die furchterliche Kopfwunde des jungen Kommandanten und dann Bolithos Epauletten.
        Das Schweigen war wie eine unsichtbare Mauer. Neale stand schwankend da und spahte halb blind zu seinen Mannern hinuber, die ihrerseits zuruckstarrten, mitleidig und peinlich beruhrt.
        Es war ein kritischer Augenblick. Die franzosischen Soldaten waren monotonen Garnisonsdienst gewohnt und mochten sich von den britischen Seeleuten, deren Schiff so schnell gesunken war und sie praktisch auf den Strand gespien hatte, bedroht fuhlen. Nun mu?te nur einer der Gefangenen eine falsche Bewegung machen, dann wurden die Musketen losgehen und der Sand sich rot farben vom Blut der Gefangenen.
        Bolitho kehrte der Pistole des Franzosen weiterhin den Rucken, aber der Schwei? rann ihm prickelnd zwischen den Schulterblattern herab, wahrend er auf den Schu?, auf den vernichtenden Einschlag im Ruckgrat wartete.
        Ganz vorsichtig nahm er Neale den Sabel aus der Hand.»Immer mit der Ruhe«, sagte er.»Wir sind bei Ihnen, ich und Allday.»
        Neale offnete die Faust und lie? den Arm sinken.»Tut mir leid.»
        Endlich kapitulierte er vor dem Schmerz. Bolitho sah den Schiffsarzt hastig herbeieilen, wahrend Neale mit heiserer Stimme noch hinzufugte:»Hab' das verdammte Schiff geliebt. «Dann brach er zusammen.
        Bolitho wandte sich um und reichte Neales Waffe an den nachststehenden Soldaten weiter. Dann bemerkte er den Blick des Offiziers, der auf seinem eigenen Sabel haftete, und loste ihn mit der
        Scheide vom Gurtel. Nur kurz zogerte er, um die glatte, vielgetragene Form noch einmal durch die Finger gleiten zu lassen. Ein unruhmliches Ende, dachte er voll Bitterkeit. In wenigen Monaten ware die Waffe hundert Jahre in der Familie gewesen.
        Neugierig beaugte der franzosische Hauptmann Scheide und Knauf und klemmte den Sabel dann unter den Arm.
        Bolitho horte Allday neben sich murmeln:»Den hole ich Ihnen zuruck, Sir, warten Sie's nur ab.»
        Oben am Strand waren inzwischen Pferdewagen angekommen, begleitet von noch mehr Soldaten. Ohne gro?e Umstande wurden die Verwundeten verladen, und zuletzt erhielt der Schiffsarzt den Befehl, aufzuspringen.
        Gerne hatte Bolitho zu den erschopften Mannern gesprochen, die bereits viel von ihrer Individualitat und Zielstrebigkeit eingebu?t hatten, als sie jetzt wie eine Herde Schafe mit ungeduldigen Gesten und Kolbensto?en von ihren Bewachern zusammengetrieben wurden. Aber so blickte er sich nur nach den Zivilisten um, die ihnen folgten, Frauen zumeist, mit irgendwelchen Lasten auf den Armen, Brotkorbchen oder Waschebundeln; der Krieg hatte sie bei ihren Alltagsgeschaften uberrascht.
        Weiter unten auf der Stra?e drangte sich ein Mann durch die Menge und versuchte, einen Matrosen an der Schulter zu packen. Aber der Soldat daneben hob drohend den Arm, und der Angreifer zog sich zuruck. Wer mochte das gewesen sein? uberlegte Bo-litho. Der Angehorige eines franzosischen Gefallenen? Oder ein Veteran, der im Krieg halb verruckt geworden war? Seltsamerweise hatte der englische Seemann die Drohgebarde nicht einmal bemerkt und trottete weiterhin folgsam hinter seinem Vordermann her.
        Browne flusterte:»Sie haben eine Kutsche fur uns bereitgestellt, Sir.»
        Also wurden sie jetzt endgultig getrennt. Ein franzosischer Marineleutnant war auf den Plan getreten und eifrig dabei, sich Notizen uber die Gefangenen zu machen, wobei er ihnen mit Gesten bedeutete wie sie sich aufzustellen hatten, jeder gema? seinem
        Rang.
        Die Midshipmen benahmen sich wie erfahrene Veteranen, stellte Bolitho fest. Der junge Kilburne lachelte ihn sogar an und griff gru?end an den Hut, als er mit seinen Kameraden und einer Handvoll jungerer Decksoffiziere abgesondert und die Stra?e hinunter geschickt wurde.
        Der Artilleriehauptmann schien sich etwas zu entspannen. Egal, was jetzt noch geschehen mochte, er konnte es unter Kontrolle halten.
        Er wies auf die Kutsche, ein schabiges Gefahrt mit zerkratztem Anstrich. Wahrscheinlich aus dem Nachla? irgendeines hingerichteten Aristokraten, dachte Bolitho.
        Wutend funkelte Allday einen Soldaten an, dessen blankes Bajonett ihm den Weg versperrte. Endlich nickte der Marineleutnant knapp und lie? Allday hinter Bolitho in die Kutsche klettern.
        Die Tur wurde zugeschlagen, und Bolitho konnte seine Gefahrten genauer betrachten. Browne neben ihm pre?te die Lippen fest zusammen und bemuhte sich offenbar, sein seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Druben lehnte Neale, der jetzt einen provisorischen Kopfverband trug, und neben ihm der letzte der noch uberlebenden Offiziere, der bewu?tlose Dritte.
        Allday grunzte.»Kein Wunder, da? sie mich mitkommen lie?en. Schlie?lich braucht man immer einen Dummen, der seine Vorgesetzten Huckepack tragt.»
        Es war ein schwacher Versuch, witzig zu sein, aber er ruhrte Bo-litho so sehr, da? er die Hand ausstreckte und Alldays breites Handgelenk packte.
        Allday schuttelte den Kopf.»Sie brauchen nichts zu sagen, Sir. Wenn's Ihnen so geht wie mir, dann druckt Ihnen jetzt der Zorn die Kehle zu. «Er warf einen grimmigen Blick zum schmutzverschmierten Fenster, weil die Kutsche mit einem Ruck angefahren war.»Aber wenn uns die Galle hochkommt, dann sollten diese Lackaffen lieber aufpassen. So wahr mir Gott helfe!»
        Browne lie? sich gegen die rissige Lehne zurucksinken und schlo? die Augen. Neale sah schrecklich aus, und dem Leutnant, durch dessen Armverband bereits wieder Blut sickerte, schien es sogar noch schlechter zu gehen. Browne spurte zum erstenmal Angst in sich aufwallen. Angenommen, sie trennten ihn von Boli-tho und Allday, was dann? Vermi?t in einem fremden Land, wahrscheinlich schon fur tot erklart… Er ri? sich zusammen und offnete die Augen.
        Mit belegter Stimme sagte er:»Ich habe nachgedacht, Sir.»

«Was?«Bolitho erschrak, weil er furchtete, da? jetzt auch Browne einen Zusammenbruch erlitt.
        Der aber lie? sich von Bolithos starrem Blick nicht beirren.»Es war fast so, als wurden wir erwartet, Sir«, fuhr er fort.»Als ob sie uber unsere Aktionen von Anfang an im Bilde gewesen waren.»
        Bolitho blickte an Browne vorbei durchs Fenster auf die armseligen Hutten neben der Stra?e und die Huhner, die vor ihrer Kutsche davonstoben.
        Das Haar in der Suppe. Die Ungereimtheit, die ihn schon die ganze Zeit gestort hatte. Und ausgerechnet Browne war darauf gesto?en.
        In der schwankenden, schlecht gefederten Kutsche wurde ihnen die Reise zur Qual. Die Landstra?e bestand fast nur aus Schlaglochern, und sie wurden so furchtbar durchgeruttelt, da? Neale oder Algar, der Dritte Offizier, immer wieder vor Schmerzen aufschrien. Ihre drei unverletzten Gefahrten bemuhten sich vergeblich, sie vor dem Schlimmsten zu bewahren. Jeder Versuch, die Kutsche zum Anhalten zu bringen oder nur zu gema?igterer Fahrt, war sinnlos. Sobald Bolitho die Aufmerksamkeit des Kutschers auf dem Bock wecken wollte, galoppierte jedesmal ein Kurassier herbei, schwang seinen Sabel und scheuchte ihn vom Fenster weg.
        Trotz seiner Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit bemuhte sich Bolitho nachzudenken; was sprach fur, was gegen Brownes Idee, da? die Franzosen im voraus uber die Bewegungen der britischen Schiffe informiert gewesen waren? Im Augenblick fuhrte die Stra?e weg von der See, und zwar, soweit er es beurteilen konnte, in nordostlicher Richtung. Die Luft roch nach Feldern, frischer Erde und Tieren - also eine bauerliche Gegend. Fast wie in Cornwall, dachte er vage. Bolitho fuhlte sich wie ein Wild in der Falle, dem sich nirgends ein Fluchtweg bot. Er hatte Beauchamps Vertrauen enttauscht, hatte Belinda verloren. Manner, die an ihn glaubten, hatte er mit seiner Taktik in den Tod geschickt. Mit brennenden Augen starrte er durchs Kutschenfenster. Sogar den Familiensabel hatte er verloren.
        Brownes Stimme weckte ihn aus seinen Depressionen.»Ich habe eben einen steinernen Wegweiser gesehen, Sir. Wir scheinen nach Nantes zu fahren.»
        Bolitho nickte. Das konnte durchaus sein, die Richtung stimmte jedenfalls.
        Bald darauf wurde die Kutsche etwas langsamer, und Bolitho zog seine Schlusse daraus.»Sie mussen Befehl haben, uns vor Einbruch der Dunkelheit dort hinzubringen.»

«Hoffentlich noch lebend. «Allday rieb dem Leutnant das Gesicht mit einem feuchten Tuch ab.»Was gabe ich jetzt fur einen kraftigen Schluck!»
        Zogernd fragte Browne:»Was wird wohl aus uns, Sir?»
        Bolitho dampfte die Stimme.»Kapitan Neale wird zweifellos gegen einen gefangenen Franzosen von gleichem Rang ausgetauscht - das hei?t, falls er reisefahig ist.»
        Beide blickten Leutnant Algar an, und Bolitho setzte leise hinzu:»Ich furchte, da? er einen Austausch nicht mehr erleben wird. «Auch bei Neale war das noch zweifelhaft, dachte er. Selbst wenn er durchkam und die beste Pflege fand, wurde er nie wieder der alte werden. Laut fuhr er fort:»Und was Sie betrifft - stimmen Sie jedem Austausch zu, Oliver, den die Franzosen Ihnen vorschlagen.»

«Auf keinen Fall«, rief Browne aus.»Ich kann Sie doch nicht verlassen, Sir. Was verlangen Sie da von mir?»
        Bolitho wandte den Blick ab.»Ihre Treue ruhrt mich, Oliver, aber ich mu? darauf bestehen. Es ware absurd, in Gefangenschaft zu bleiben, wenn sich Ihnen eine gegenteilige Chance bietet.»
        Duster fragte Allday:»Hei?t das, Sie selbst rechnen nicht mit einem Austausch, Sir?»
        Bolitho hob die Schultern.»Schwer zu sagen. Admirale werden nicht gerade haufig gefangengenommen. «Er konnte die Verbitterung in seinem Ton nicht unterdrucken. Aber wir werden ja sehen.»
        Allday verschrankte die muskulosen Arme.»Ich bleibe jedenfalls bei Ihnen, Sir. Das ist beschlossene Sache.»
        Endlich kam die Kutsche schwankend zum Stehen. Wahrend zwei Kurassiere zu ihren beiden Seiten Aufstellung nahmen, sa? der Rest ihrer Eskorte ab. Vor dem Fenster neben Bolitho erschien ein Gesicht: der franzosische Marineleutnant. Nach dem scharfen Ritt uber Land war sein blauer Uniformrock staubbedeckt.
        Der Offizier griff gru?end an seinen Hut, offnete kurz die Tur und sagte in gebrochenem Englisch:»Jetzt dauert es nicht mehr lange, M'sieu. «Mit einem Blick auf die beiden Verwundeten fugte er hinzu:»Dort wartet schon ein Arzt auf Sie.»

«In Nantes?»
        Statt sich verargert abzuwenden, wie Bolitho erwartet hatte, lachelte der Offizier amusiert.»Sie scheinen sich in Frankreich aus- zukennen, M'sieu. «Damit reichte er ihnen zwei Flaschen Wein in die Kutsche, gru?te abermals und ritt zu den anderen Offizieren zuruck.
        Bolitho wandte sich seinen Gefahrten zu, schwieg aber, als er den gespannten Ausdruck in Brownes Gesicht bemerkte.»Sehen Sie dort, Sir!»
        Neben der Stra?e standen Baume und etwas zuruckgesetzt einige winzige Katen. Aber beide wurden weit uberragt von einem offenbar neu erbauten Turm; an seinem Fu? machten sich noch Steinmetze zu schaffen und mei?elten die gelblichbraunen Mauersteine glatt.
        Aber Bolithos Blick hing gebannt an der Spitze des Turms, wo sich ein Bundel langer, ha?licher Metallarme scharf vom Himmel abhob.

«Ein optischer Telegraf!»
        Plotzlich war alles so sonnenklar, da? er sich wie vor den Kopf geschlagen fuhlte. Die Franzosen hatten Semaphoren-Turme! Und deren rauhe Mauern bestanden aus Steinen, die zu Schiff von Spanien herangeschafft wurden. Keinesfalls stammte dieses gelblichbraune Gestein hier aus der Gegend.
        Auch in England hatte die Admiralitat Semaphoren-Turme errichten lassen, und zwar sudlich von London, damit die Befehle aus den Kanzleien schneller, ihren Weg zu den wichtigsten Hafen und Reeden fanden; und die Franzosen hatten dieses Signalsystem schon seit langerem eingefuhrt. Doch in beiden Landern hatte man sich bisher auf die Kanalkuste beschrankt. Noch war keine Kunde nach England gedrungen, da? die Kette der franzosischen Signalturme erweitert worden war. Kein Wunder, da? man an der Biskaya so genau uber ihre Bewegungen im Bilde gewesen war: Die Meldungen waren langs der Kuste telegrafiert worden, und franzosische Kriegsschiffe konnten sich rechtzeitig einfinden, um jeden geplanten Angriff auf Hafen oder Schiffahrt vorher abzublocken.
        Allday sagte:»Jetzt fallt mir ein, da? ich was Ahnliches gesehen habe, als wir in die Kutsche stiegen, Sir. Aber die Signalarme waren auf einem Kirchturm montiert.»
        Bolitho ballte die Fauste. Naturlich, auch in Portsmouth hatte man den Semaphor auf dem Turm der Kathedrale montiert, von wo aus er den ganzen Spithead-Sund uberblicken konnte.

«Hier, offnet die Flaschen. «Bolitho druckte sie Allday in die Hand.»Und seht nicht zu dem Turm hinuber. Der Leutnant ist nicht dumm.»
        Gewaltsam wandte er den Blick ab, als die Semaphorenarme jetzt wie Marionetten zu tanzen und zu winken begannen. In zehn oder zwanzig Meilen Entfernung wurde jemand mit einem Teleskop jede einzelne Bewegung entziffern und die Nachricht dann an die nachste Station weitergeben. Bolitho erinnerte sich, da? er von einer neuen Turmkette gelesen hatte, die jetzt London und Deal verband. Schon beim ersten Test hatte sie alle Rekorde gebrochen und ein Signal in nur acht Minuten uber die gesamte Distanz von 72 Meilen weitergegeben!
        Bestimmt hatte sich der franzosische Admiral schadenfroh die Hande gerieben, als ihm Styx erstmals an der Ile d'Yeu gemeldet worden war. Danach war alles ein Kinderspiel: Wahrend der Nacht mu?te er die drei Kriegsschiffe ausgesandt haben, und als dann Styx, von Phalarope begleitet, uber die Invasionsflotte hergefallen war, konnte das franzosische Geschwader zielstrebig da-zwischengehen. Kein unnutzer Zeitverlust, keine Krafteverzettelung oder Fehldisposition. Nein, wie eine zuschnappende Falle. Bolitho spurte Wut in sich aufsteigen, fast so intensiv wie seine Verzweiflung.
        Die Kutsche rollte wieder an; als Bolitho durchs Fenster sah, standen die Telegraphenarme still, als ruhe sich der ganze Turm aus und nicht nur seine Bedienungsmannschaft.
        Ein neuer Gedanke qualte Bolitho: da? Herrick Befehl erhalten mochte, mit wehrhafteren Schiffen des Geschwaders einen neuen Angriff zu fahren. Dabei mu?te es zu einer Katastrophe kommen. Der Feind konnte rechtzeitig eine Ubermacht zusammenziehen und bei der schnellen Nachrichtenubermittlung jede Bewegung Herricks sofort konterkarieren.
        Bolitho blickte zum Himmel auf. Es dunkelte schon, bald mu?ten die Signalturme nutzlos sein - bis zum nachsten Tagesanbruch.
        Dann klapperten die Pferdehufe und eisenbeschlagenen Kutschenrader uber Pflastersteine, und Bolitho gewahrte drau?en stattlichere Gebaude und einige Lagerhauser; aus manchen Fenstern fiel trauliches Lampenlicht.
        Es widerstrebte ihm, seine Lage als total hoffnungslos zu sehen. 25 Meilen die Loire abwarts, und man war an der See. Obwohl er sich zur Ruhe zwang, fuhlte er ein Kribbeln der Erregung zwischen den Schulterblattern. Aber eines nach dem anderen. Alle Hoffnung mu?te verblassen, wenn sie nicht von konstruktiven Ideen genahrt wurde. Er offnete das Fenster um einen Spalt und glaubte, den Flu? riechen zu konnen; im Geist sah er ihn sich dem offenen Meer entgegenschlangeln, wo die Schiffe des Blockadegeschwaders unermudlich auf Wacht waren.
        Allday beobachtete seinen Kommandanten und spurte seine Stimmung. Leise sagte er: Erinnern Sie sich noch an die Frage, die Sie mir vor kurzem gestellt haben, Sir? Uber den Falken an der Kette?»
        Bolitho nickte.»Ja, aber wir wollen uns nicht zuviel erhoffen. Es ware noch zu fruh.»
        Begleitet von Geschrei und dem Klappern der Ausrustung bogen die Kutsche und ihre Eskorte durch einen Torweg in einen umfriedeten, viereckigen Platz.
        Wahrend die Kutsche bremste, meinte Browne:»Nun sind wir endlich angekommen, Sir.»
        Drau?en vor den Fenstern zogen Bajonette vorbei, und Bolitho bemerkte einen Offizier mit gro?er Tasche, der unter einem Turbogen stand und ihnen entgegensah. Also wartete wirklich wie versprochen ein Arzt auf sie. Selbst dieser Befehl mu?te von den optischen Telegraphen weitergegeben worden sein. Uber die ganze Distanz von vierzig Meilen.
        Ihre Tur wurde aufgerissen, mehrere Soldaten bemachtigten sich des stohnenden Leutnants und trugen ihn ins nachste Gebaude. Als nachster kam Neale dran. Bewu?tlos wurde er auf die gleiche Weise abtransportiert.
        Bolitho sah die beiden anderen an. Es wurde Zeit.
        Der franzosische Leutnant verbeugte sich hoflich.»Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«Sein Ton war verbindlich, aber die bewaffneten Posten hinter ihm lie?en den Gedanken an Widerspruch gar nicht erst aufkommen.
        Auf der anderen Seite des Hofs traten sie durch eine eisenbeschlagene Tur in einen kahlen, mit Steinen gepflasterten Raum, dessen einziges Fenster vergittert war und au?erdem zu hoch in der Wand, als da? man es erreichen konnte. Bis auf eine Holzbank, einen stinkenden Eimer und einen Haufen Stroh war der Raum leer.
        Bolitho hatte erwartet, da? man ihn sofort offiziell verhoren wurde. Aber die schwere Tur schlug mit einem lauten Knall hinter ihnen zu, der von den Mauern widerhallte wie in einem Mausoleum.
        Angewidert sah Browne sich um, und selbst Allday schien es die Sprache verschlagen zu haben. Bolitho lie? sich auf die Bank sinken und starrte zwischen seinen Knien auf den Steinboden. Sie waren Kriegsgefangene.
        Mit verschrankten Armen wartete der franzosische Marineleutnant, bis Bolitho mit Alldays Hilfe in seinen Rock geschlupft war und sein Halstuch zurechtgezupft hatte.
        Der ubliche Kasernenlarm hatte sie am fruhen Morgen geweckt. Das Haupthaus und einige Nebengebaude waren offenbar vom Militar requiriert worden, konnten aber ihre herrschaftliche Vergangenheit nicht verleugnen. Vor der Revolution mu?te dies ein stattlicher Landsitz gewesen sein, uberlegte Bolitho. Einen kleinen Teil davon hatte er zu sehen bekommen, als er in einen anderen Raum gefuhrt worden war, wo Allday ihn unter den wachsamen Blicken eines Soldaten rasieren durfte.
        Bolitho wu?te, da? Allday sich jetzt nicht mehr fortschicken lassen wurde. Sie mu?ten einfach das Beste aus ihrer Lage machen, und es war ja auch nicht das erstemal. Aber nach au?en hin gab er Allday als seinen Kammerdiener aus, denn wenn man in ihm den Berufsseemann erkannte, wurde er bestimmt von ihm getrennt und zum Rest der Mannschaft verlegt, wo sie auch sein mochte.
        Schlie?lich nickte der Leutnant zufrieden.»Bon. «Ohne sich um Alldays Stirnrunzeln zu kummern, wischte er ein paar Staubkornchen von Bolithos Schulter.»Sind Sie bereit, M'sieu?»
        Gefolgt von Browne und Allday betrat Bolitho den Korridor und stieg eine breite Treppe zum nachsten Stock hinauf. Mehrere Stufen waren beschadigt, und auch in der Wand gewahrte Bolitho vielfach Einschu?stellen, wo Musketenkugeln wahrscheinlich die fruheren Bewohner des Schlosses niedergemaht hatten.
        Ihr Fruhstuck war ihnen nur Minuten nach dem ersten Weckruf von Soldaten gebracht worden: einfache, aber reichliche Speisen mit Landwein zum Hinunterspulen. Bolitho hatte sich zum Essen gezwungen, damit seine beiden Gefahrten sich nicht um ihn sorgten.
        Der franzosische Leutnant eroffnete ihnen, da? sie nun seinem Vorgesetzten, Konteradmiral Jean Remond, vorgefuhrt wurden.»Zu diesem Zweck ist er die ganze Nacht unterwegs gewesen.»
        Der Leutnant lachelte knapp.»Deshalb provozieren Sie ihn bitte nicht. «Ehe Bolitho scharf erwidern konnte, fuhr der Franzose fort:»Um meinetwillen, M'sieu!»
        Er uberlie? sie ihrer Eskorte und ging ihnen zu einer hohen Flugeltur voraus.
        Bolitho sah aus den Fenstern auf uppig begrunte Felder. Die Morgensonne glitzerte auf einem Streifen Wasser, der zwischen einigen Hausern sichtbar wurde. Dahinter erkannte er die Masten eines vertauten Schiffes. Dort mu?te der Flu? sein.
        Der Leutnant kehrte zuruck und winkte Bolitho. Browne und Allday beschied er: Warten Sie hier. «Er war nicht mehr leutselig, sondern sichtbar im Dienst.
        Bolitho betrat den gro?en Salon und horte die Tur hinter sich leise ins Schlo? fallen. Nach dem verwahrlosten Erdgescho? und der Freitreppe wirkte dieser Raum luxurios. Kostbare Teppiche und ein riesengro?es Schlachtengemalde verliehen ihm arrogante Eleganz.
        Bolitho schritt quer durch den Salon auf einen verzierten Prunktisch zu. Angesichts der Gestalt, die dahinter sa?, wurde er sich wieder seines ladierten Aufzugs bewu?t. Der Weg kam ihm endlos vor.
        Konteradmiral Remond war ein dunkelhautiger, sudlandischer Typ und makellos gekleidet. Sein Haar, ebenso schwarz wie das Bolithos, trug er in die breite Stirn geburstet, unter der die Augen im schwachen Sonnenlicht wie nasse Kohlen glanzten.
        Er erhob sich nur andeutungsweise und winkte Bolitho auf einen vergoldeten Stuhl. Wie die gro?e Entfernung zur Tur, sollte auch das einschuchternd wirken.
        Bolitho lie? sich nieder, verlegen wegen seiner salzverkrusteten Kleidung, und spurte wieder das Blut in der alten Schenkelwunde pochen. Dies und die sorgsame Plazierung des unbequemen Stuhls deprimierten ihn. Da? die Demutigung beabsichtigt war, half ihm nicht, sie zu ertragen.
        Ganz gegen seinen Willen wurde sein Blick von seinem alten Sabel unwiderstehlich angezogen, der wie bei einer Kriegsgerichtsve rhandlung quer uber dem Tisch lag.
        Kurzangebunden begann der franzosische Admiral:»Haben Sie mir etwas zu sagen?»
        Bolitho hielt seinem festen Blick stand.»Ich bin verantwortlich fur Offiziere und Mannschaft der Fregatte Styx. Ihr Kommandant ist so schwer verwundet, da? er sich nicht fur sie verwenden kann.»
        Mit einem Schulterzucken deutete der Franzose an, da? er diesen Punkt fur belanglos hielt.»Damit beschaftigen sich meine Offiziere. Ich bin mehr an Ihnen selbst interessiert.»

«Sie sprechen sehr gut englisch«, sagte Bolitho, um Zeit zu gewinnen.

«Da ich einige Monate in englischer Gefangenschaft war, ist das nur naturlich.
«Dieser Abstecher ins Personliche schien ihn im nachhinein zu argern, deshalb sagte er schneidend:»Selbstverstandlich waren wir uber Ihren Auftrag informiert, wu?ten im voraus von Ihrem zum Scheitern verurteilten Versuch, unsere Schiffsbewegungen zu behindern. Uberhaupt wissen wir eine Menge uber Sie und Ihre Familie. Ganz in alten Traditionen wurzelnd, wie?«Ohne auf Antwort zu warten, fuhr er fort:»Ich hingegen mu?te ohne Privilegien meinen Weg machen und mich nach oben arbeiten.»

«Dasselbe gilt auch fur mich!«erwiderte Bolitho scharfer als beabsichtigt.
        Das entlockte Remond nur ein leichtes Lacheln. Er hatte kleine spitze Zahne wie ein Terrier.»Wie dem auch sei, fur Sie ist der Krieg vorbei. Da wir ranggleich sind, war es meine Pflicht, Sie zu empfangen. Mehr nicht. «Er griff nach dem alten Sabel und drehte ihn nachlassig hin und her.
        Bolitho glaubte zu spuren, da? Remond unsicher war. Er stellte ihn auf die Probe, wollte etwas von ihm erfahren. Um seine plotzliche Entschlossenheit zu verbergen, senkte er den Blick. Das neue Telegraphensystem! Remond mu?te unbedingt erfahren, ob die Englander es entdeckt hatten.
        Vielleicht besa?en auch die Franzosen eines Oberbefehlshaber wie Beauchamp, der schon Plane in der Schublade hatte, wie die Angreifer zu vernichten waren?

«Schone alte Waffe«, bemerkte Remond und legte den Sabel dicht vor Bolitho auf den Tisch.»Selbstverstandlich werden Sie hier angemessen untergebracht werden und konnen auch Ihren Diener behalten. Und wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben, da? Sie auf jeden Fluchtversuch verzichten, wird Ihnen innerhalb gewisser Grenzen auch einige Bewegungsfreiheit zugestanden; die Details hangen von Ihren Bewachern ab.
«Er blickte auf den Sabel nieder.»Au?erdem wird Ihnen gestattet, diese Waffe zu behalten. Sobald der Friedensvertrag unterzeichnet ist, werden Sie ohne jeden Makel in Ihre Heimat zuruckkehren konnen. «Damit lehnte er sich zuruck und musterte Bolitho von oben herab.»Also?»
        Langsam erhob sich Bolitho und lie? die Augen nicht von dem Mann, der hinter dem Tisch sa?.

«Der Friede ist nicht mehr als ein Gerucht, Konteradmiral. Im Augenblick haben wir Krieg. Ich bin Offizier des Konigs und nicht gewohnt, andere fur mich kampfen zu lassen.»
        Diese Antwort schien Remond zu uberraschen.»Wie absurd! Sie weisen die Vorteile zuruck, die Ihnen Ihrem Rang entsprechend in Gefangenschaft zustehen? Vielleicht setzen Sie Ihre Hoffnungen auf eine Flucht? Aber das ist genauso lacherlich!»
        Bolitho zuckte die Achseln.»Jedenfalls kann ich mein Ehrenwort nicht geben.»

«Wenn Sie auf dieser Ablehnung bestehen, schwindet fur Sie jede Hoffnung auf Rettung oder Entkommen. Denn sobald ich meine Hand von Ihnen abziehe, werden Sie dem Heer uberstellt.»
        Bolitho schwieg. Hatte er sich etwa ein relativ bequemes Leben machen konnen, nachdem er schuld war am Verlust seines Schiffes und am Tod so vieler Menschen? Wenn er jemals in die Heimat zuruckkehrte, dann in Ehren - oder gar nicht.
        Remond nickte.

«Wie Sie wollen. Dann werden Sie also alle gemeinsam eingeschlossen. Wenn der verwundete Kapitan in der Gefangenschaft stirbt, hat er es Ihnen zu verdanken.»

«Mu? der Leutnant ebenfalls bleiben?«Seltsamerweise beruhigte es Bolitho, da? die Versprechungen nun von Drohungen abgelost wurden.

«Oh, habe ich vergessen, Ihnen das zu erzahlen?«Der franzosische Admiral zupfte ein Fadchen von seiner Hose.»Wie ich horte, mu?te ihm heute nacht ein Arm amputiert werden. Aber er ist trotzdem gestorben. «Remond dampfte die Stimme. Nehmen Sie doch Vernunft an. Die Garnison hier besteht zum Teil aus Narren, aus Bauern in Uniform. Sie sind nicht gerade entzuckt von der englischen Marine und der Blockade, von dem Versuch, sie so lange auszuhungern, bis sie sich ergeben. Aber in Lorient waren Sie bei Ihren Offizierskameraden und in der Obhut der franzosischen Marine.»
        Bolitho schob das Kinn vor.»Sie kennen meine Antwort«, sagte er kuhl.

«Dann sind Sie leider ein Narr, Bolitho. Wir werden bald Frieden schlie?en. Was gilt dann ein toter Held, he?»
        Er lautete, und Bolitho spurte, da? die Tur hinter ihm geoffnet wurde.
        Remond kam um den Tisch herum und musterte ihn neugierig.»Dann werden wir uns also nicht wiedersehen. «Damit schritt er aus dem Salon.
        Der Leutnant trat zu Bolitho und warf einen Blick auf den Sabel. Er seufzte.»Tut mir leid, M'sieu. «Mit einem Wink an die Eskorte fugte er noch hinzu:»Alles ist arrangiert. Sie werden noch heute in ein anderes Gefangnis verlegt. Danach…«Ratlos hob er die Hande.»Aber ich wunsche Ihnen Gluck, M'sieu.»
        Bolitho sah ihm nach, als der Leutnant zur Treppe eilte. Ohne Zweifel wurde Remond in Lorient von einem Vorgesetzten erwartet.
        Die Soldaten fielen neben ihrem Gefangenen in Schritt, und kurz darauf fand sich Bolitho in der Zelle wieder. Allein.



        VIII Die Ceres

        Erst nach einer ganzen Woche Einzelhaft wurde Bolitho aus der Zelle geholt und in eine verdunkelte Kutsche gesetzt, die ihn in das neue Gefangnis bringen sollte. In diesen sieben Tagen hatte er all seine Selbstbeherrschung und Entschlu?kraft benotigt, um nicht zusammenzubrechen. Mehr als einmal hatte er in den endlosen Stunden der Vorsehung gedankt, da? der in der harten Schule des Marinedrills gestahlt worden war.
        Seine Bewacher mu?ten speziell wegen ihrer Grobheit und Brutalitat ausgesucht worden sein, und ihre schlechtsitzenden Uniformen machten sie nur noch bedrohlicher.
        Sie zwangen Bolitho, sich nackt auszuziehen, dann durchsuchten sie ihn und raubten ihm auch den letzten privaten Gegenstand, den er noch besessen hatte. Zuletzt rissen sie die Epauletten und Goldknopfe von seinem Uniformrock, wahrscheinlich um sie als Souvenirs zu verhokern. Und wahrend der ganzen Prozedur demutigten und beschimpften sie ihn nach Kraften. Aber Bolitho durchschaute die Manner und machte sich keinerlei Illusionen: Sie suchten nur einen Vorwand, um ihn zu toten; als er stumm und au?erlich ruhig blieb, lie?en sie ihn fur ihre Enttauschung bu?en. Nur einmal hatte er beinahe die Beherrschung verloren. Ein Soldat hatte ihm das Medaillon vom Hals gerissen und es lange neugierig angestarrt. Bolitho hatte den Unbeteiligten markiert, obwohl er dem Mann am liebsten an die Kehle gesprungen ware und ihn erwurgt hatte, bevor ihn die anderen unschadlich machen konnten.
        Der Soldat hatte das Medaillon mit seinem Bajonett aufgebrochen und blode der Haarlocke nachgestarrt, die herausgefallen war und durch die offene Tur davonwehte.
        Aber das Medaillon war aus Gold, das schien ihn zufriedenzustellen. Zum Gluck ahnte er nicht, was es fur Bolitho bedeutete: Es war ein Geschenk Cheyneys, seiner verstorbenen ersten Frau, das sie ihm zusammen mit einer Locke ihres Haars bei ihrem letzten Abschied gegeben hatte.
        Da er weder eine Uhr noch Gefahrten besa?, verlor er bald jedes Zeitgefuhl, jedes Empfinden fur die Vorgange jenseits der Zellenmauern. Als er auf den Hof gefuhrt wurde und die Kutsche warten sah, war er dankbar. Das neue Gefangnis mochte schlimmer sein, ihn vielleicht sogar mit einem Exekutionskommando empfangen - aber wenigstens war die Zeit des Wartens endlich vorbei.
        In der verhangten Kutsche stie? er auf seine Gefahrten von der Styx. Das war fur alle eine bewegende Uberraschung. Als die Kutsche anrollte und die Eskorte sich hinter ihr formierte, schuttelten sie einander die Hande, musterten wortlos die Gesichter der anderen in dem sparlichen Licht, das durch die Blenden fiel.
        Schlie?lich sagte Bolitho:»Da? Sie hier sind, ist meine Schuld. Hatte ich den Franzosen mein Ehrenwort gegeben, waren Sie vielleicht in die Heimat entlassen worden. Aber nun«, er zuckte die Achseln,»sind Sie genauso Kriegsgefangene wie ich.»
        Allday schien sich daruber zu freuen; oder war es Erleichterung, Bolitho noch am Leben zu finden?

«Bei Gott, Sir«, explodierte er,»ich bin froh, da? wir das Gesindel los sind!«Er hob die gro?en Fauste und schuttelte sie drohend.»Noch ein paar Tage bei diesen Laffen, und ich hatte ihnen eine gelangt!»
        Neale, der zwischen Browne und Allday lehnte, von ihnen ge-. stutzt, ergriff Bolithos Hand. Er trug einen dicken Kopfverband, und sein Gesicht war totenbla?. Wieder beisammen«, flusterte er.»Jetzt werden wir's ihnen zeigen.»
        Leise sagte Allday:»Er gibt sein Bestes, Sir. «Traurig wiegte er den Kopf.
        Browne berichtete:»Ich wurde von zwei franzosischen Offizieren vernommen, Sir. Sie fragten mich nach Ihnen aus. Spater horte ich sie uber Sie sprechen und merkte, da? sie sich Ihretwegen Sorgen machten.»
        Bolitho nickte.»Sie gaben aber nicht zu erkennen, da? Sie gut franzosisch sprechen?»
        Browne lachelte nur, und Bolitho erinnerte sich wieder an die anderweitigen Qualitaten seines Adjutanten. Immerhin ein Punkt zu ihren Gunsten.
        Die Kutsche wurde schneller, so da? Browne sich an einem Gurt festhalten mu?te.»Es war die Rede davon, da? noch mehr Landungsfahrzeuge nach Lorient und Brest abgestellt werden sollen. Offenbar handelt es sich um zwei verschiedene Bootstypen. Einmal sprachen sie von einer chaloupe de cannoniere, ein andermal von einem kleineren Boot, einer peniche. Wie es sich anhorte, bauen sie Hunderte davon.»
        Bolitho entdeckte, da? er diese Informationen mit kuhlem Kopf in seine Uberlegungen einbeziehen konnte. Die lange Einzelhaft hatte moglicherweise einen Ha? in ihm geweckt, der ihm jetzt half, eiskalt einen Gegenschlag zu planen.
        Er sah Neale haltlos in Alldays stutzendem Arm hin und her schwanken. Sein Hemd stand bis zum Gurtel offen und enthullte Kratzspuren auf der Brust, wo ihm offenbar jemand das Medaillon heruntergerissen hatte, das Neale immer getragen hatte: mit einem Bild seiner Mutter. Der Armste war nur noch ein Schatten seiner selbst. Womit beschaftigte sich sein verwirrter Geist? Mit seiner geliebten Styx, mit zu Hause oder mit dem Schicksal seines Ersten Offiziers, des schweigsamen Mr. Pickthorn, der ihm gedient hatte wie ein verlangerter Arm?
        Wenn ich mich anders entschieden hatte, lage Neale jetzt gut versorgt im Hospital, dachte Bolitho.
        Sie verbrachten die Fahrt vor sich hin dosend, schreckten aber immer wieder auf, um sich zu vergewissern, da? sie wirklich wieder alle vereint waren und das Wiedersehen nicht nur getraumt hatten. Ohne zu wissen, wohin die Reise ging oder wo sie waren, ertrugen sie die druckende Hitze in der halbdunklen, ungelufteten Kutsche.
        Mehrmals wurde ein Halt eingelegt, die Pferde wurden getrankt oder gewechselt, auch schob man ihnen Brot und Wein ins Innere, ohne sie auch nur eines Blickes oder eines Wortes zu wurdigen. Stets ging es so schnell wie moglich wieder weiter.

«Wenn man uns abermals trennt, mussen wir versuchen, irgendwie in Verbindung zu bleiben. «Bolitho horte eine Kutsche in entgegengesetzter Richtung an ihnen vorbeirasseln; also befanden sie sich jetzt auf einer breiteren Stra?e.»Ich habe vor zu fliehen, zusammen mit Ihnen allen. «Er spurte, wie sie ihn anstarrten, wie plotzlich Hoffnung in ihnen aufflackerte.»Wenn einer von uns fallt oder ergriffen wird, dann mussen die anderen unbedingt weitermachen. Irgendwie mussen wir die Informationen uber die franzosischen Invasionsvorbereitungen und uber ihr neues Telegraphensystem nach England bringen.»

«Aber nur gemeinsam«, grunzte Allday.»Und wenn ich Sie, mit Verlaub, auf dem Rucken tragen mu?, Sir. Dann wartet England eben ein bi?chen langer.»
        Browne gluckste vor unterdrucktem Lachen, was ihnen allen wohltat in dieser Situation, in der sie nicht wu?ten, ob sie den nachsten Tag noch erleben wurden. Aber er ermahnte Allday:»Nehmen Sie sich nicht zuviel heraus. Sie sind der Steward des Admirals, nicht sein Bootsfuhrer, denken Sie daran.»
        Allday grinste.»Mal sehen, ob ich das schaffe.»
        Bolitho hob die Hand.»Still!»
        Er versuchte, eine Fensterblende zu lockern, bekam sie aber nur einen schmalen Spalt auf. Die anderen lie?en ihn nicht aus den Augen, als er das Gesicht dagegenpre?te.
        Leise sagte er:»Das Meer - ich kann es riechen.»
        Dann blickte er sie an, als hatte er ihnen gerade etwas Wunderbares mitgeteilt. Das Meer - fur Seeleute war es tatsachlich so etwas wie eine Offenbarung. Auch wenn man sie jetzt wieder in eine stinkende Zelle sperrte, sie wu?ten, die See war nicht weit. In jedem Seemann sa? tief die Uberzeugung verwurzelt: Wenn er es erst bis zur See geschafft hatte, dann wurde er irgendwann, irgendwie auch in die Heimat gelangen.
        Die Kutsche hielt, ein Soldat offnete die Fenster, um frische Luft hineinzulassen.
        Bolitho ruhrte sich nicht, doch seine Augen waren uberall.
        Keine Spur von Wasser, aber hinter einer Reihe niedriger, rundgeschliffener Hugel konnte man das Meer erahnen. Auf der anderen Seite der Stra?e erstreckte sich weit und breit durres Brachland. Eingehullt in dicke Staubwolken, exerzierte darauf Kavallerie und erinnerte Bolitho an das monumentale Schlachtengemalde im
        Salon des Admirals.

«Wie unsere Eskorte«, murmelte Browne.»Franzosische Kurassiere.»
        Bolitho horte ein Trompetensignal und sah die Sonne auf schwarzen Helmbuschen und Brustpanzern glanzen. Dann schwenkte das Karree ab und verschwand galoppierend hinter einer Staubwolke. Offenes Gelande also, gut geeignet fur die Kavallerie, die hier moglicherweise auf die Invasion vorbereitet wurde. Au?erdem war sie fur jeden Fluchtling eine ernsthafte Bedrohung. Als Kind hatte Bolitho oft zugesehen, wie die Dragoner von Truro exerzierten oder paradierten, auch wie sie in der Nahe von Fal-mouth fliehende Schmuggler verfolgten; mit gezogenen Sabeln waren sie hinter ihnen ins Moor galoppiert.
        Nur zu bald wurden die Fenster wieder geschlossen, und die Kutsche ruckte an. Bolitho begriff, da? das Fenster zur Warnung geoffnet worden war, nicht aus Erbarmen. Worte hatten es nicht klarer ausdrucken konnen, welche Bedrohung von diesen martialischen Kurassieren ausging.
        Der Abend dammerte schon, als sie endlich mit steifen Gliedern aus der Kutsche klettern durften. Der junge Offizier, der die Eskorte gefuhrt hatte, handigte einem Beamten in blauem Rock einige Papiere aus, dann nickte er den Gefangenen kurz zu und machte auf dem Absatz kehrt, offenbar heilfroh, da? er die Verantwortung los war.
        Bolitho blickte an dem Beamten vorbei, der immer noch muhsam seine Papiere entzifferte, auf das gedrungene Gebaude, das offenbar ihr neues Gefangnis werden sollte: hohe steinerne Mauern, keine Fenster, und in der Mitte wohl ein Turm, der hinter dem Tor im Schatten gerade noch zu erkennen war. Eine alte Festung oder eine Kustenwachstation, die im Lauf der Jahre erweitert worden war.
        Der Mann in Blau hob jetzt den Blick und deutete aufs Tor. Einige Soldaten, die bisher die Ankommlinge nur beobachtet hatten, formierten sich zu zwei Reihen, nahmen die Gefangenen in die Mitte und marschierten mit ihnen hinein.
        In einem kahlen Raum mu?ten sie warten, an die Wand gelehnt, bis schlie?lich ein altlicher Milizhauptmann erschien.»Ich bin Capitaine Michel Cloux, der Festungskommandant«, teilte er ihnen mit.
        Er hatte ein schmales Fuchsgesicht, aber seine Augen blickten nicht gehassig; eher schon schien ihm seine neue Aufgabe Sorgen zu machen.

«Sie sind hier als Kriegsgefangene Frankreichs und haben ohne Widerrede allen meinen Anweisungen zu folgen. Verstanden? Auf Fluchtversuch steht die Todesstrafe. Auch jeder Widerstand gegen die Obrigkeit wird mit dem Tode bestraft. Aber wenn Sie sich anstandig auffuhren, haben Sie nichts zu befurchten. «Sein Blick blieb Allday hangen.»Ihr Steward wird entsprechend eingewiesen werden.»
        Neale stohnte auf und taumelte gegen Browne, der ihn stutzte.
        Irritiert blickte der Kommandant in seine Papiere und fugte etwas milder hinzu: Ich lasse den Feldarzt kommen fur - ah - Capi-taine Neale, nicht wahr?»

«Danke, das wu?te ich sehr zu schatzen. «Bolitho sprach leise, um nicht seinen hohen Rang zu betonen, wodurch alles nur schlimmer geworden ware. Neales schlechter Zustand hatte einen menschlichen Zug beim Kommandanten zutage gebracht, der zwar sicherlich seine strikten Anweisungen uber die Behandlung und Unterbringung der Gefangenen besa?, aber als alter Soldat sicher selbst schon Kameraden verloren hatte. Trotzdem musterte er Neale we iterhin so argwohnisch, als befurchte er eine Falle.»Sie werden jetzt in Ihre Quartiere gebracht«, sagte er schlie?lich.»Anschlie?end fassen Sie Verpflegung. «Mit gro?er Geste stulpte er sich den Zweispitz auf.»Folgen Sie meinen Soldaten!»
        Als sie hinter zwei Wachtposten eine gewundene Steintreppe erklommen, wobei sie Neale halb trugen, damit er nicht fiel, murmelte Allday:»Bestehlen konnen sie mich hier wenigstens nicht. Weil ich namlich nichts mehr besitze.»
        Bolitho dachte an das Medaillon mit ihrem Portrat; und an Cheyneys Gesicht, als er sie zum letztenmal gesehen hatte. Allday mochte recht haben: Das Medaillon war ein Verbindungsglied zur Vergangenheit gewesen, die jetzt so ferngeruckt war. Geblieben war nur die Hoffnung, und die wollte er sich um nichts in der Welt nehmen lassen.
        Eintonig vergingen die Tage fur Bolitho und seine Mitgefangenen. Sie wurden karg und primitiv verkostigt, aber ihre Warter a?en auch nicht besser. Bald fanden sie heraus, da? sie die einzigen Insassen des kleinen Gefangnisses waren, jedenfalls im Augenblick. Denn als Bolitho und Browne unter Bewachung einmal vor den Toren Spazierengehen durften, kamen sie an einer mit Einschu?lochern ubersaten Mauer und einigen hastig aufgeworfenen Grabhugeln vorbei: Anzeichen dafur, da? ihre Vorganger hier vor einem Exekutionskommando das Leben gelassen hatten.
        Der Festungskommandant visitierte sie jeden Tag und hielt auch sein Wort, was den Arzt fur Neale betraf. Bolitho erkannte in ihm denselben Arzt wieder, der in Nantes den Arm des jungen Leutnants amputiert hatte; und Browne hatte gehort, da? er von seinem Heimweg in die Kaserne sprach, der einen Ritt von drei Stunden erforderte.
        Diese sparlichen Informationen waren ihnen bei der totalen Isolation, in der sie gehalten wurden, sehr wichtig. Sie rechneten sich aus, da? Nantes etwa zwanzig bis drei?ig Meilen ostlich von ihrer Festung liegen mu?te. Daraus ergab sich, da? ihr Gefangnis knapp zwanzig Meilen von der Stelle trennten, wo sie nach ihrem Schiffbruch an Land getaumelt waren.
        Bolitho war uberzeugt, da? sie damit richtig vermuteten. Man hatte sie zunachst landeinwarts geschafft und anschlie?end wieder zur Kuste, diesmal allerdings naher bei der Loire-Mundung. Die Seekarte dieses Gebiets hatte Bolitho im Kopf: heimtuckische Riffe und Sandbanke, an denen schon viele Seefahrten begonnen hatten, aber ebenso viele auch gescheitert waren.
        Ihm war aufgefallen, da? der Kommandant sie immer nur zu zweit zum Ausgang vor die Mauern lie?. Die anderen blieben demnach als Geiseln zuruck. Vielleicht waren die Graber stumme Zeugen fur den Versuch ihrer Vorganger, den kleinen Kommandanten zu uberlisten; sie hatten ihren Irrtum teuer bezahlt.
        Eines warmen Morgens im August traten Bolitho und Brown vor das Tor, aber statt sich wie gewohnt auf der Stra?e zu halten, richtete Bolitho den Schritt nach Westen, auf eine niedrige Hugelkette zu. Ihre drei Bewacher, beritten und gut bewaffnet, erhoben keine Einwande; willig trotteten ihre Pferde hinter den Gefangenen uber die Wiese, weg von der Festung. Bolitho hatte mit einem scharfen Verbot gerechnet, aber vielleicht langweilten sich die Wachen auf dem immer gleichen taglichen Weg und waren fur die Abwechslung ganz dankbar.
        Bolitho mu?te sich kurz vor dem Hugelkamm bewu?t beherrschen, damit er den Schritt nicht beschleunigte.

«Herrgott, ist das ein Anblick!«rief Browne begeistert aus.
        Zu ihren Fu?en erstreckte sich auf beiden Seiten die tiefblaue See, flimmernd im glei?enden Vormittagslicht und stellenweise dunstverhullt wegen der Hitze. Bolitho erkannte Stromungen und Wirbel rund um einige kleine vorgelagerte Inseln und weit im Norden den dunklen Schatten von Land: wohl das jenseitige Ufer der Trichtermundung. Schnell sah er sich nach den Wachtposten um, aber die achteten nicht auf sie. Zwei waren vom Pferd gestiegen, nur der dritte sa? noch im Sattel, eine Hakenbuchse schu?bereit quer vor sich.
        Bolitho sagte:»Wenn ich recht habe, sollte hier irgendwo ein Kirchturm sein.»
        Browne hob schon den Arm, aber Bolitho zischte:»Nicht deuten! Beschreiben Sie ihn mir.»

«Er steht links von uns, Sir. Auf der fensterlosen Seite der Festung.»
        Bolitho beschattete seine Augen und blickte wie beilaufig in die Runde. Halb von den Hugeln verdeckt, erkannte er eine Kirche mit viereckigem Turm, die sich in eine Bodenfalte duckte, als sei dies ihr angestammter Platz seit Urzeiten.

«Gehen wir zuruck. «Nur widerwillig kehrte Bolitho der See den Rucken.»Jemand konnte uns beobachtet haben.»
        Ziemlich verwirrt fiel Browne neben ihm in Schritt.
        Bolitho wartete, bis er hinter sich das Scheppern und Trotten der Kurassiere horte, dann begann er gedampft:»Ich wei? jetzt mit Bestimmtheit, wo wir sind, Oliver. Und wenn ich mich nicht irre, hat kein Pfarrer diesen Kirchturm bezogen, sondern die franzosische Marine. «Er warf seinem Adjutanten einen kurzen, fast verzweifelt drangenden Blick zu.»Ich wette, es ist der letzte Se-maphorenturm auf dieser Seite des Mundungsgebiets. Wenn wir nur ausbrechen konnten, wenigstens so lange, wie wir brauchen, um ihn zu zerstoren!»
        Browne konnte ihn nur anstarren.»Aber sie werden einen neuen bauen, und wir.»

«Ich wei?. Wir werden exekutiert. Trotzdem mussen wir einen Weg finden. Denn wenn unsere Schiffe hier angreifen, was sie bestimmt tun werden, segeln sie ins sichere Verderben. Ich furchte, uns bleibt nicht mehr viel Zeit. In England mu? man inzwischen vom Untergang der Styx erfahren haben und alle Anstrengungen machen, wenigstens die uberlebenden Offiziere gegen gefangene Franzosen auszutauschen.»
        Nachdenklich kaute Browne auf seiner Unterlippe.»Kapitan Neale wird als vermi?t gemeldet werden, bis Uberlebende der Besatzung herumerzahlen, was aus ihm und uns geworden ist.»
        Bolitho nickte ernst.»Aye. Und es wird bestimmt genug neutrale Zutrager geben, welche diese Neuigkeiten an die richtigen Leute verkaufen. Ich glaube, die Franzosen werden die Verhandlungen uber Austausch oder Freilassung bewu?t so lange verzogern, bis sie ihre neu formierte Landungsflotte in der richtigen Position haben. Admiral Beauchamp hatte vollig recht mit seinem Verdacht.»

«Und er hat auch den richtigen Mann mit Gegenma?nahmen betraut«, sagte Browne.

«Wenn ich das nur glauben konnte, Oliver«, seufzte Bolitho.»Je langer ich hier nutzlos gefangensitze, desto grundlicher denke ich uber unseren Angriffsplan nach. Ich hatte die schwache Stelle erkennen sollen, hatte sie mit einkalkulieren mussen, ganz gleich, wie sparlich die Informationen waren, die wir von der Admiralitat bekamen. «Er blieb stehen und sah Browne in die Augen.»Als ich merkte, da? Phalarope davonsegelte, statt zu kampfen, habe ich ihren Kommandanten verflucht. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Kann sein, er hat sich kluger verhalten, als wir ihm zunachst zubilligten, und auch mehr Mut bewiesen. Ich war schon immer der Meinung, da? ein Kommandant mit Eigeninitiative handeln mu?, wenn seine Befehle in einer uberraschenden Situation sinnlos werden.»

«Bei allem Respekt, Sir, da bin ich gegenteiliger Meinung. «Browne wartete auf eine Zurechtweisung; als keine kam, fuhr er fort:»Kapitan Emes hatte den aussichtslosen Kampf gegen die Ubermacht aufnehmen mussen, statt Styx hilflos sich selbst zu uberlassen. Jedenfalls hatten Sie sich so verhalten, Sir.»
        Bolitho lachelte.

«Als Kommandant vielleicht. Aber in dem Augenblick, als meine Flagge fiel, ging der Oberbefehl an Emes uber. Im Grund blieb ihm gar keine andere Wahl.»
        Aber Bolitho spurte, da? er Browne nicht uberzeugt hatte. Sein Schweigen war vielsagender als jeder laute Protest.
        Allday erwartete sie im oberen Stockwerk des Festungsturms, als sie schwitzend die letzten Stufen erklommen, und sagte:»Der Arzt war wieder da, Sir. Kapitan Neale geht es ziemlich schlecht.»
        Bolitho drangte sich an ihm vorbei und eilte zu dem gro?eren der beiden Turmzimmer. Dort lag Neale auf dem Rucken, starrte mit weit geoffneten Augen an die Decke und atmete so heftig, da? sich seine Brust wie im Krampf hob und senkte. Ein Wachter trug einen Eimer mit blutigen Verbanden davon; am vergitterten Fenster stand der kleine Festungskommandant und machte ein ernstes Gesicht.

«Ah, da sind Sie ja, Konteradmiral. Ich furchte, Kapitan Neales Zustand hat sich verschlechtert.»
        Vorsichtig lie? sich Bolitho auf die primitive Pritsche nieder und nahm Neales Hand. Trotz der Sommerhitze war sie eiskalt.»Was ist denn, John?«fragte er besorgt.»Komm, mein Junge, sag es mir. «Leicht druckte er Neales Hand, fuhlte aber keine Reaktion. Nicht du auch, dachte er flehentlich, Herrgott, nicht du auch noch.
        Die Stimme des Kommandanten schien aus weiter Ferne zu kommen.»Ich habe Befehl, Sie alle nach Lorient zu verlegen. Dort wird auch Kapitan Neale besser aufgehoben sein.»
        Bolitho sah ihn an und versuchte, das Gehorte zu verarbeiten. Dann begriff er, da? alles umsonst gewesen war. Neale wurde sterben, und sie selbst schaffte man nach Lorient, wo sie niemals ausbrechen und diesen Signalturm zerstoren konnten.
        Er protestierte:»Aber, Monsieur, der Transport wurde Kapitan Neales sicheren Tod bedeuten!»
        Der Kommandant wandte sich ab und starrte auf die See hinaus.»Ich habe Befehl, Sie nach Lorient in Marsch zu setzen. Auch der Arzt ist sich des Risikos fur Kapitan Neale bewu?t, aber er hat mir versichert, da? der Patient sich nur so lange ans Leben klammern wird, wie er mit Ihnen zusammen ist. «Sein Ton wurde etwas milder. Wenigstens reisen Sie nicht in der Kutsche, sondern per Schiff. Diese kleine Vergunstigung konnte ich mit meinen beschrankten Mitteln immerhin fur Sie durchsetzen, Admiral.»
        Bolitho nickte langsam.»Danke. Das werden wir Ihnen nicht vergessen.»
        Der Kommandant straffte die schmalen Schultern, der Augenblick des gegenseitigen Einverstandnisses hatte ihn verlegen gemacht.

«Heute abend werden Sie an Bord gebracht. Danach. «Er zuckte die Achseln. Jedenfalls liegt dann nichts mehr in meiner Hand.»
        Er ging, und Bolitho beugte sich uber Neale.»Haben Sie das gehort, John? Wir bringen Sie woandershin, wo Sie ordentlich gepflegt werden konnen. Au?erdem bleiben wir alle zusammen. Na?»
        Neale richtete so langsam den Blick auf ihn, als ginge schon diese Anstrengung uber seine Krafte.

«Keinen. Sinn. Diesmal haben. sie mich. erledigt.»
        Bolitho merkte, da? Neale nach seiner Hand tastete. Sein muhsamer Versuch eines Lachelns war herzzerrei?end.
        Neale flusterte:»Mr. Bundy wird nachher wegen seiner Seekarten vorsprechen. «Er phantasierte wieder, die Schmerzen trubten seinen Blick.»Spater…»
        Bolitho lie? Neales Hand los und erhob sich.»Lassen wir ihn in Ruhe. «Und an Browne gewandt:»Sorgen Sie dafur, da? wir hier nichts vergessen. «Aber er wu?te, da? er nur sprach, um Zeit zu gewinnen. Sie besa?en nichts, deshalb konnten sie auch nichts verlieren, wie Allday schon richtig angemerkt hatte.
        Dieser sagte jetzt leise:»Ich kummere mich um Kapitan Neale,
        Sir.»

«Ja, danke.»
        Bolitho trat zum Fenster und druckte die Stirn an die sonnenwarmen Eisenstangen. Irgendwo links mu?te der Kirchturm stehen, obwohl er ihn von hier aus nicht sehen konnte. Die englischen Schiffe wurden mehrere Tage brauchen, ehe sie die gunstigsten Angriffspositionen erreichten; aber der optische Telegraph benotigte nur Minuten, um die Verteidiger zu alarmieren.
        Niemand in England wu?te von den Invasionsbereitungen. Vielleicht wurden sie es dort auch nicht mehr rechtzeitig erfahren. Dann starb Neale hier ebenso umsonst wie viele seiner Manner vor ihm.
        Er pre?te das Gesicht so fest an die Stabe, da? der Schmerz ihn zur Besinnung brachte. Noch war Neale nicht tot. Und noch hatte der Feind nicht gewonnen.
        Browne lie? seinen Admiral nicht aus den Augen. Er hatte ihm gern geholfen, wu?te aber, da? dies au?erhalb seiner Macht lag.
        Allday lie? sich neben Neales Pritsche nieder. Der Verwundete hatte jetzt die Augen geschlossen und schien auch etwas ruhiger zu atmen.
        Allday dachte an das franzosische Schiff, das sie nach Lorient bringen sollte. Mochte der Teufel wissen, wo Lorient lag. Ebensowenig scherten ihn die Musjohs, wie er sie nannte. Aber ein Schiff war auf jeden Fall besser als eine Kutsche mit einem verdammten Rattenschwanz von Soldaten.
        Immerhin wu?te er, da? Lorient weiter nordlich lag; und damit ein bi?chen naher an England.
        Der kleine Kommandant stand wartend unter der Tur und sah Bo-litho an.»Es wird Zeit, M'sieu.»
        Bolitho blickte sich noch einmal in dem Raum um, der so lange jhre Zelle gewesen war. Den bewu?tlosen Neale hatte man auf einer Bahre festgebunden und, begleitet von Allday, schon am fruhen Nachmittag weggeschafft. Ohne Neale und seine verzwe i-felten Versuche, das ihm entgleitende Leben festzuhalten, wirkte der Raum ode und leer.
        Browne fragte:»Horen Sie den Wind?»
        Auch das war ein schlechtes Vorzeichen. Neale war kaum eine Stunde weg gewesen, da hatte der Wind aufgefrischt. Das Wetter mit seinen Launen hatte sie in dem exponierten Festungsturm auch vorher stark beeinflu?t, aber als sie sich jetzt an der Tur zusammendrangten, schien es sich eindeutig zu verschlechtern. Der Wind strich heulend um die Mauern und ruttelte an den kleinen Fenstern wie ein lebendes Wesen, auf der Suche nach ihnen, um sie zu vernichten.
        Bolitho sagte:»Hoffentlich ist Neale inzwischen wohlbehalten an Bord.»
        Der Kommandant fuhrte sie die enge, gewundene Steintreppe hinunter, wobei seine Stiefel immer die richtige Stelle auf den ausgehohlten Stufen fanden - wohl aus langer Gewohnheit.
        Uber die Schulter sagte er:»Heute abend oder nie. Das Schiff kann nicht warten.»
        Bolitho lauschte dem anschwellenden Sturm. Kein Wunder, dachte er.
        Als er vors Tor trat, wurde ihm der Gegensatz zu jenem warmen Augustmorgen, an dem er mit Browne zur hugeligen Kuste spaziert war, dramatisch bewu?t: Diesmal zogen graue schwere Wolken tief uber ihnen dahin und lie?en nur selten einen silberwei?en Strahl Mondlicht hindurch, der die Szenerie in ein scharfes, verzerrendes Licht tauchte. Zwischen tanzenden Laternen schritten sie auf einen Kommandoruf zur Ruckseite der Festung, hinter dem
        Kommandanten her, der unbeirrt, auch ohne Laterne oder Mondlicht, seinen Weg fand. Sie schlugen denselben Pfad ein, den sie damals entdeckt hatten, doch diesmal, vom Sturm geschuttelt und in der Finsternis halb blind, hatte Bolitho sich darauf nie allein zurechtgefunden.
        Er merkte, da? die Soldaten ihn beobachteten, und erinnerte sich an die letzten Worte des Festungskommandanten:»Ich entlasse Sie nicht wie Diebe, sondern wie Offiziere. Deshalb schlie?e ich Sie weder an Handen noch an den Fu?en in Eisen. Aber wenn Sie zu fliehen versuchen.»
        Angesichts der wachsamen Soldaten mit ihren langen Bajonetten konnte er sich weitere Erlauterungen sparen.
        Browne meldete:»Jetzt geht es abwarts.»
        Der Pfad machte einen Bogen nach rechts und fiel steil ab. Als sie in den Windschatten der Steilkuste gelangten, wurde das Heulen des Sturms etwas schwacher.
        Sowie Bolitho stolperte, horte er sofort ein metallisches Klik-ken hinter sich. Tatsachlich, ihre Bewacher waren auf der Hut und jederzeit bereit, beim ersten Fluchtversuch gezielt zu schie?en.
        Dann endlich horten sie die See, die wild gegen den Strand anbrandete, sich fur die Augen aber nur hier und da mit einem hellen Gischtstreifen zu erkennen gab. Bolitho ertappte sich dabei, da? er die Sekunden und Minuten zahlte, als sei es ausschlaggebend, die Stelle genau zu erkennen, wo sie die Klippe verlassen und eine andere Richtung einschlagen wurden.
        Andere Laternen schwankten ihnen strandaufwarts entgegen, Stiefel stapften quietschend durch nassen Sand.
        Bolitho horte den Kiel eines Bootes im Flachwasser knirschen und fragte sich, wo das Schiff wohl geankert hatte. Das Vorland gab ihnen jetzt Schutz vor dem Wind, woraus zu schlie?en war, da? sich der Sturm nicht nur verstarkt hatte, sondern auch umgesprungen war. Wehte es jetzt aus Ost? Wahrscheinlich, obwohl man sich in der Biskaya auf nichts verlassen konnte.
        Im Schein einer Laterne tauchte das Gesicht des Festungskommandanten aus dem Dunkeln auf.

«Leben Sie wohl, M'sieu. Wie ich hore, ist Ihr verwundeter Kapitan sicher an Bord der Ceres gelangt. «Gru?end griff er zum Hut und trat zuruck.»Viel Gluck.»
        Der Lichtschein verschwand und mit ihm der Kommandant.
        Eine fremde Stimme befahl grob:»In die chaloupe, schnell!»
        Man fuhrte, stie? oder zerrte sie zu einer Barkasse, und kaum hatten sie sich in ihrem Heck zwischen einige nur undeutlich erkennbare Matrosen gequetscht, da wurde der Bug schon in tieferes Wasser geschoben; wild schlugen die Riemen, um das Boot in Fahrt zu bringen.
        Sowie sie aus dem Windschatten der Steilkuste kamen, wurde die Fahrt zu einer Art Ritt auf dem Delphin. Das Boot hob sich und fiel schwindelerregend, die Mannschaft kampfte - vom Bootssteu-rer an der Pinne zum au?ersten getrieben - verzweifelt gegen Wind und Seegang an. Es war eine rauhe Nacht, die bald noch rauher werden mu?te. Daruber war sich Bolitho klar. Er dachte an Neale, der hoffentlich in der vertrauteren Umgebung an Bord eines Schiffes, auch wenn es ein franzosisches war, inzwischen etwas mehr Ruhe gefunden hatte. Uberhaupt war jetzt alles anders; es roch nach Teer und Rum, nach Salz und dem Schwei? der Seeleute, die mit ihrem Feind von altersher rangen, der See.
        Also Ceres. Den Namen hatte er schon irgendwo gehort. Sie mu?te eine der Fregatten sein, die als Blockadebrecher und Kuriere zwischen den franzosischen Flotten eingesetzt waren. Wenn die Franzosen erst die Kette der optischen Telegraphen weiter ausgebaut hatten, mu?te der Dienst fur diese Fregatten etwas leichter werden.
        Browne griff nach seinem Arm, er blickte auf und sah den Umri? des franzosischen Schiffes vor und uber sich in der Dunkelheit aufragen; um Steven und Ankertrosse kochte die See, als sei die Fregatte soeben erst aus der Tiefe emporgetaucht.
        Nach drei vergeblichen Versuchen bekam der Buggast die Rusten zu packen, das Fallreep schwang heran, und Bolitho sprang um sein Leben, ehe das Boot wieder unter seinen Fu?en in das nachste tiefe Wellental absacken konnte; Browne folgte ihm ebenso.
        Na? bis auf die Haut erreichten sie das Deck; die tropfenden Bootsmantel, von denen Knopfe und Rangabzeichen langst abgerissen waren, hingen ihnen von den Schultern wie die Lumpen einer Vogelscheuche.
        Bolitho spurte an Bord drangende Eile und das Bestreben, moglichst schnell Segel zu setzen. Deshalb vermerkte er mit Respekt, da? der franzosische Kommandant, den man uber den Dienstrang seines Gefangenen sicherlich informiert hatte, sich die Zeit nahm, sie an der Schanzkleidpforte zu empfangen.
        Aber auch das ging vorbei, und dann wurde Bolitho uber Niedergange und unter niedrigen Balkendecken hindurch nach unten in eine Welt gefuhrt, die ihm nur allzu vertraut war.
        Unter Deck wirkten die Schiffsbewegungen noch heftiger. Er glaubte zu spuren, wie die Fregatte an ihrer Ankertrosse zerrte, um endlich der gefahrlichen Umarmung des Landes zu entkommen und die Sicherheit der offenen See zu gewinnen.
        Als sie den letzten Niedergang ins Orlopdeck hinunterkletterten, horte Bolitho das Gangspill oben klicken und vom Sturm halb verwehte Befehle, die das Ankerlichten und Segelsetzen begleiteten.
        Im Halbdunkel eilten gebuckte Gestalten an ihnen vorbei; Bo-litho erkannte dunkle Flecken auf den Decksplanken, die nur von Blut herruhren konnten. Kein frisches Blut, aber zu tief ins Holz eingesickert, um jetzt noch abgeschrubbt zu werden. Wie immer im Orlopdeck, dachte er grimmig. Hier im Lazarett des Schiffes arbeiteten Feldscher und Arzt, so gut sie konnten, wahrend uber ihren Kopfen die Kanonen brullten und der Strom ihrer Opfer nicht abri?, die - auf rohen Holztischen festgebunden - auf die Sage oder das Wasser warteten.
        Auf einer Koje zwischen den machtigen Spanten erkannte Boli-tho den verwundeten Neale; daneben erhob sich Allday, um ihn so erleichtert zu begru?en, als sei ihr Wiedersehen das einzige, was fur ihn auf dieser Welt noch zahlte.
        Mit den Worten:»Das ist die Ceres, Sir, mit zweiunddrei?ig Geschutzen«, empfing ihn Allday und fuhrte sie alle zu einer Reihe alter Seekisten, die er mit Persenningen abgedeckt hatte, damit sie bequemer daraufsitzen konnten. Er fuhr fort:»Vor einiger Zeit geriet sie mit einem unserer Patrouillenschiffe aneinander. Der Koch hat mir von dem Gefecht erzahlt. «Er grinste.»Ein Ire. Auf jeden Fall ist sie unterwegs nach Lorient. «Mit schrag gelegtem Kopf lauschte er auf Wind und See, die drau?en gegen die Bordwand ansturmten.»Au?erdem sind sie seither unterbemannt. Hoffentlich stranden sie, diese Hunde!«»Wie geht es Kapitan Neale?»
        Allday wurde wieder ernst.»Manchmal glaubt er, wieder auf der alten Styx zu sein. Dann gibt er dauernd Befehle. Aber sonst verhalt er sich ruhig.»
        Mehr Geschrei oben an Deck und dann ein scharfes Uberholen des Schiffes. Bolitho lie? sich auf einer Seekiste nieder und stutzte sich mit dem Rucken gegen die Bordwand, als der Anker jetzt ausgebrochen wurde und die Ceres ihren Kampf um freien Seeraum aufnahm. Er bemerkte, da? Allday in einer Ecke alte Leinwand angehauft hatte, aber langst nicht genug, um die Handschellen und Fu?eisen zu verdecken, die mit Ketten und Ringbolzen an die Planken geschmiedet waren: wieder eine Mahnung, da? sie Gefangene waren und mit dem Schlimmsten zu rechnen hatten, falls sie sich aufsassig verhielten.
        Allday richtete lauschend den Blick zur Decke.»Der Anker ist frei, Sir. Sie segeln hoch am Wind, schatze ich. «Scheinbar unzusammenhangend fugte er hinzu:»Es gibt reichlich zu trinken an Bord, Sir. Aber kein gutes Bier. «Angewidert rumpfte er die Nase.»Na ja, was kann man von denen auch erwarten?»
        Bolitho blickte erst zu Neale, dann zu Browne hinuber. Beide waren eingeschlafen, wohlbehalten und sicher fur den Augenblick in ihrer ureigenen Welt.
        Rund um sie stohnte und arbeitete das Schiff, jede Planke bis zum au?ersten beansprucht in diesem Duell mit dem Sturm, der die Kraft der Ruderganger und das Konnen des Kapitans zu verspotten schien. Ohne Pause donnerten die Seen gegen den Rumpf, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie oben grunes Wasser uber das Schanzkleid einstieg, uber die Seitendecks rauschte und Unaufmerksame oder Ubermudete wie durre Blatter in die Speigatten wusch.
        Er dachte auch an Belinda, an sein Haus zu Fu?en von Pendennis Castle, an Adam und seinen Freund Thomas Herrick. Wahrend er noch versuchte, ihre Gesichter vor seinem geistigen Auge heraufzubeschworen, fiel er in den tiefen Schlaf der Erschopfung.
        Als er wieder zu sich kam, wurde er sich sofort einer Veranderung in seiner Umgebung bewu?t. Er begriff, da? er mehrere Stunden lang geschlafen haben mu?te, denn durch einen der Niedergange fiel fahles Tageslicht.
        Allday sa? kerzengerade auf seiner Kiste, und auch Browne war wach, obwohl er sich noch die Augen rieb und gahnte.
        Bolitho beugte sich vor und achtete genauer auf die Schiffsbewegungen. Was hatte ihn geweckt?

«Gehen Sie bitte zum Niedergang, Oliver«, wies er Browne an.»Und sagen Sie mir, ob Sie etwas Verdachtiges horen.»
        Nervos erkundigte sich Allday:»Wir konnen doch nicht schon in Lorient sein, oder?»

«Nein. Bei diesem ablandigen Sturm und in so gefahrlichen Gewassern mussen sie den doppelten Weg zum Kreuzen zurucklegen.»
        Browne umklammerte eine Niedergangsstufe fester, als von Deck oben eine Stimme zu ihnen herunterscholl: «En haut les gahiers! En haut pour ferler les huniers!»
        Browne kam hastig zuruck, schrag nach vorn geneigt, um auf dem abschussigen Deck das Gleichgewicht zu halten.

«Sie haben die Toppsgasten nach oben befohlen, um die Bramsegel aufzugeien.»
        Bolitho horte Getrappel uber sich, als die Freiwache auf Stationen rannte, entsprechend diesem letzten Befehl. Aber er sah keinen Sinn darin. Unterbemannt, hatte Allday gesagt. Warum dann die Freiwache um ihren kostbaren Schlaf bringen und ausgerechnet jetzt Segel reffen? Wenn er doch nur hatte sehen konnen, was da drau?en vorging!
        Eine Laterne warf ihren gelben Schein auf die Niedergangstreppe, und Bolitho sah einen Leutnant mit zwei bewaffneten Decksoffizieren hastig zu ihnen kommen.
        Der Leutnant war jung und offenbar sehr nervos. Aber seine beiden altgedienten Begleiter zierten sich nicht, lie?en die Eisen um Bolithos Hand- und Fu?gelenke schnappen und verfuhren ebenso mit Browne. Als sie sich auch Allday vornehmen wollten, schuttelte der Leutnant den Kopf und deutete auf Neale. Offenbar behielt Allday seine Bewegungsfreiheit, um den verwundeten Kapitan versorgen zu konnen.
        Bolitho sah auf seine Fesseln nieder.»Jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, sagte er.
        Das Schiff legte sich noch starker uber, wahrend das Getose uber ihnen anwuchs: Stimmen uberschrien einander, Blocke quietschten gellend wie angestochene Schweine. Offenbar hatte der Kommandant ein Wendemanover versucht, aber nicht geschafft. Dies immerhin lie? sich aus der ganzen Aufregung schlie?en. Ohne die Bramsegel mu?te er… Plotzlich fuhr Bolitho in die Hohe, so weit seine Ketten das zulie?en.
        Er begriff: Der franzosische Kommandant wollte ungesehen bleiben. Deshalb hatte er die obersten Segel wegnehmen lassen, damit sein Schiff von ferne gegen den tobenden Hintergrund der Brecher schlechter auszumachen war.
        Wie zur Bestatigung seiner Uberlegungen horte Bolitho den Ruf von oben:» Tout le monde a son poste! Branlebas de combat!»
        Mit weit aufgerissenen Augen starrte Browne ihn an.»Sie machen klar zum Gefecht, Sir!»
        Der Larm schwoll noch an, als die Besatzung die Trennwande und Hangematten abzuschlagen begann, als die Kanonen auf ihren Lafetten in eine Position rumpelten, in der sie besser geladen werden konnten.
        Unglaubig starrten die Gefangenen im Orlop einander an.
        Dann brach es aus Allday heraus:»Mein Gott, das mu? ein Uns-riger sein, Sir!»
        Mit eingezogenen Kopfen rannten wieder schattenhafte Gestalten an ihnen vorbei. Laternen wurden angezundet und an die Decke gehangt, wo sie in gro?en Kreisen frei schwangen; weitere Kisten wurden herbeigezerrt und mitten auf dem Deck festgezurrt. Schwach schimmerten lange Schurzen im sparlichen Licht und eine funkelnde Batterie chirurgischer Instrumente, die Gehilfen des Schiffsarztes bereitlegten.
        Niemand kummerte sich um die drei Manner im Schatten oder um den vierten auf seiner schwankenden Koje.
        Wieder zerrte Bolitho an seinen Fesseln. Also stand ihnen das Schlimmste noch bevor. Von einem englischen Kriegsschiff besiegt, zusammen mit dieser Fregatte auf den Meeresgrund zu fahren, das schien ihm der furchtbarste aller denkbaren Tode.
        Das Deck richtete sich etwas auf, ein Arztgehilfe lachte leise, aber ohne Humor. Selbst er mu?te wissen, da? das Schiff nur deshalb auf ebenerem Kiel lag, weil der Kommandant wieder mehr Segel hatte setzen lassen. Also hatte sein Versteckspiel nichts genutzt. Dem Schiff stand eine Gefecht bevor, in dem die Sanitater hier unten bald so viel zu tun bekommen wurden, da? sie sich um die Gefangenen nicht mehr kummern konnten.
        Neale ri? die Augen auf und rief mit uberraschend klarer Stimme:»Wache! Holt den Schiffsprofos!«Aber niemand reagierte oder starrte Neale auch nur verwundert an.
        Bolitho lehnte sich zuruck und rustete sich innerlich.»Allday!»

«Sir?»

«Mach dich bereit.»
        Allday sah sich im schwach erleuchteten Krankenrevier um, konnte aber nirgends eine Waffe oder eine Axt entdecken. Trotzdem sagte er heiser:»Bin jederzeit bereit, Sir. Nur keine Sorge.»
        Das Warten zerrte an den Nerven; ein Arztgehilfe rannte im Lichtkreis der Petroleumlampe auf und ab wie ein Tier im Kafig.

«Chargez toutes les piecesl»
        Das war der Befehl zum Laden der Kanonen; als hatte er nur darauf gewartet, schritt der Arzt aus dem Krankenrevier hinuber zum Tisch unter den pendelnden Lampen.
        Bolitho befeuchtete sich die trockenen Lippen und dachte sehnsuchtig an einen kuhlen Trunk.
        Wieder einmal hatten andere daruber entschieden, was ihm die nachsten Stunden bringen wurden.



        IX Der Preis der Freiheit

        Herrick umklammerte die Querreling der Benbow und spahte scharf in den bei?enden, vom Sturm waagrecht gepeitschten Regen. Trotz seiner Gro?e nahm das
74-Kanonen-Schiff vorn und an der Luvreling so viel Wasser uber, als sei es schon auf der Fahrt zum Meeresgrund. Selbst Herrick mit seiner in harten Jahren erworbenen Erfahrung hatte mittlerweile jedes Zeitgefuhl verloren; kaum da? er sich noch an die Befehle erinnern konnte, mit denen er das Wuten des Sturms uberschrien hatte.
        Wolfe stolperte uber die nassen Decksplanken und fluchte laut, bis er endlich seinen Kommandanten an der Reling erreicht hatte.

«Jetzt mu? es bald soweit sein, Sir!«Wolfes rauhe Stimme klang klaglich im Heulen des Sturms und Donnern der See.
        Herrick wischte sich ubers tropfnasse Gesicht. Seine Haut brannte wie Feuer. Au?erdem spurte er allmahlich einen Zorn in sich wachsen, der gut zu diesem Unwetter pa?te. Von Anfang an, seit sie Plymouth verlassen hatten, war ein Ungluck nach dem anderen uber seinen kleinen, aber wertvollen Geleitzug hereingebrochen. Zuerst hatte das andere 74er Linienschiff, die Nicator, zwei Mann verloren; gleich am ersten Tag waren sie uber Bord gegangen, und obwohl Herrick ihren Kommandanten, Kapitan Valentine Keen, mochte und respektierte, hatte er ihn doch verwunscht, als er muhsam versuchte, das Geleit trotz allem zusammenzuhalten: funf Handelsschiffe, bewacht von zwei 74ern und einer einsamen Fregatte. Herrick fand sich verbittert damit ab, da? er bei Tagesanbruch wahrscheinlich nur zwei davon in Sichtweite haben wurde. Der Sturm war aus Osten mit der Plotzlichkeit eines Hurrikans uber sie hergefallen, hatte ihre beschrankte Welt in ein
        Inferno aus Gischt und Spritzwasser verwandelt und die Mannschaften so zermurbt, da? Herrick schlie?lich nachgeben und Befehl zum Beidrehen erteilen mu?te; sie lie?en sich treiben und hofften das Beste.
        Wieder spurte er, wie sich Benbow unter seinen Fu?en uberlegte; das stark gereffte Gro?segel und seine Rah stohnten unter der Anstrengung, mit der das Schiff sich zu behaupten versuchte, unterstutzt dabei von Mannern, die jedesmal, wenn sie in die Toppen befohlen wurden, mit dem sicheren Tod rechneten.
        Herrick fragte, ob Wolfe es mi?billigte, da? er noch immer keinen Flaggkapitan ernannt hatte. Der fragliche Offizier war durch einen Radbruch seiner Kutsche auf dem Weg nach Plymouth aufgehalten worden, und Herrick hatte beschlossen, nicht auf ihn zu warten. Er war so bald wie moglich ausgelaufen. Aber warum? Drangte es ihn, Gibraltar zu erreichen und die lastigen Handelsschiffe endlich loszuwerden? Oder hatte er seine vorlaufige Ernennung zum Kommodore innerlich immer noch nicht akzeptiert,
        wollte er die Bestatigung aus irgendeinem Grund hinausschieben, den er selbst nicht kannte?
        Er rief:»Der Master behauptet, da? wir etwa funfundzwanzig Meilen vor der franzosischen Kuste stehen. «Er duckte sich vor einem Spritzwassergu?.»Aber wei? der Himmel, woraus der alte Grubb das schlie?t!»
        Wolfe schnappte nach Luft, als eine Wand grunen Wassers durch die Webeleinen brach und sich uber die ohnehin schon pitschnassen Wachganger und Ausguckposten ergo?.

«Keine Sorge, Sir, wir werden die anderen schon wiederfinden, wenn der Wind nachla?t!»
        Herrick zog sich an der Reling weiter. Falls der Wind nachlie?. Man hatte ihm nur eine Fregatte, die Ganymede, mitgegeben, mehr konnte der Admiral nicht erubrigen. Herrick fluchte in sich hinein: Es war immer wieder dieselbe Chose. Das kleine, nur mit 26 Kanonen bestuckte Schiff hatte noch dazu ein jammerliches Debut gegeben: Der Sturm wutete kaum eine Viertelstunde, und schon hatte sie ihre Gro?bramstenge verloren. Herrick hatte sie danach angewiesen, sich dichter unter Land zu halten. Dort war sie etwas geschutzter und konnte eine Notstenge aufriggen, ehe der Sturm noch gro?eren Schaden bei ihr anrichtete.
        Kurz danach hatte Herrick kein einziges Signal mehr absetzen konnen; der immer noch wachsende Sturm und der fruhe Einbruch der Dunkelheit machten das unmoglich.
        Wolfe hangelte sich neben ihn.»Der Master bleibt dabei, da? der Wind bis zum Vormittag ruckdrehen wird, Sir!«Mit einem schragen Blick musterte er seinen dickkopfigen Kommandanten.» Ganymede wird sich freikreuzen mussen, wenn er noch weiter dreht.»
        Herrick fuhr herum.»Zum Teufel, Mr. Wolfe, das wei? ich!«Er nahm sich zusammen. Der Konvoi ist zwar zerstreut, aber John Companys[Spitzname fur die Ostindische Handelskompanie Englands] Duchess of Cornwall kann sehr wohl selbst auf sich aufpassen, sie ist wahrscheinlich besser bemannt als unsere Ben-bow und mit Sicherheit ebensogut bestuckt.»
        Er dachte an Belinda Laidlaw, die auf dem machtigen Ostindienfahrer segelte und dort relativ sicher war; so sicher jedenfalls, wie man bei einem Sommerorkan in der Biskaya, dicht unter einer feindlichen Kuste, sein konnte.
        Dulcie hatte ihr eine tuchtige Zofe fur die Uberfahrt besorgt, also war sie nicht allein. Trotzdem machte Herrick sich Sorgen. Frauen gehorten nicht auf die See, nicht einmal als Passagiere.

«Wenn ich nur wu?te. «begann er, unterbrach sich aber, ve rar-gert daruber, da? er seine gro?te Sorge beinahe laut ausgesprochen hatte: Richard Bolitho, vielleicht noch am Leben, mochte irgendwo in der Dunkelheit dort druben in einem stinkenden franzosischen Verlies schmachten. Ober verlassen und sterbenskrank in einer einsamen Fischerhutte liegen.
        Wenn er ehrlich war, mu?te Herrick sich eingestehen, da? dies der wahre Grund dafur war, weshalb er Plymouth so hastig und ohne Flaggkapitan verlassen hatte. Er wollte die Reise nach Gibraltar und zuruck schnellstens hinter sich bringen. Seit der Verlustmeldung von Styx waren keine Neuigkeiten mehr durchgekommen, nicht einmal Geruchte uber das Schicksal ihrer Besatzung. Vielleicht waren tatsachlich alle tot.
        Eine See donnerte aufs Batteriedeck und brach sich an den festgezurrten Achtzehnpfundern wie an einer Reihe dunkler Felsen.
        Vor Herricks geistigem Auge stand Bolithos Gestalt so klar da, als wettere er und nicht Wolfe diesen Sturm mit ihm ab.
        Kurzangebunden sagte er:»Ich gehe nach unten, Mr. Wolfe. Aber rufen Sie mich sofort, wenn Sie mich brauchen.»

«Aye, Sir«, sagte Wolfe und sah Herrick kopfschuttelnd nach. Wenn der Verlust eines Freundes einen Mann so zerrutten konnte, dann verzichtete er lieber auf Freunde.
        Er sah, da? sich der Wachoffizier unterhalb der Poop ubergab und dabei vom abflie?enden Spritzwasser wie ein Ertrinkender gebeutelt wurde. Gellend rief er: Mr. Nash - Sir! Kummern Sie sich freundlicherweise um Ihre Pflichten! Zum Henker mit Ihnen, Sir! Sie sind so fehl am Platz wie eine Hure im Beichtstuhl!»
        Der ungluckselige Leutnant verschwand unter der Poop, um den Rudergangern am Doppelrad beizustehen; wahrscheinlich furchtete er Wolfes Zorn mehr als die Seetollheit.
        In der gro?en Kapitanskajute drangen das Jaulen des Sturms und das Donnern der See nur gedampft durch die dicken Planken. Herrick lie? sich auf einen Stuhl fallen, und sofort sammelte sich auf der schwarz-wei? gewurfelten Bespannung unter ihm eine Wasserpfutze.
        Er horte seinen Steward in der Pantry hantieren und wurde sich seines leeren Magens bewu?t. Seit Mittag des vorangegangenen Tages hatte er nichts zu sich genommen. Jetzt war er hungrig und durstig.
        Aber nicht sein eigener Steward, sondern der schmachtige Oz-zard brachte ihm den Imbi?. Vorsichtig stellte er das Tablett neben Herricks Ellbogen und duckte sich wie ein angstliches Tierchen, als das Deck wieder in ein Wellental sackte.
        Herrick musterte ihn duster. Wie hatte er Ozzard trosten konnen, wenn er selbst Bolithos Verlust immer noch so schmerzhaft spurte wie eine offene Wunde? Er nahm einen Schluck Brandy und wartete darauf, da? er ihm Taubheit und Salzgeschmack aus der Kehle brannte.
        Der Seesoldat vor der Tur storte ihn auf.»Midshipman der Wache, Sir!»
        Mude wandte sich Herrick dem eintretenden Kadetten zu.»Was gibt's, Mr. Stirling?»
        Der Junge war knapp vierzehn, hatte sich aber nach den ersten schwierigen Wochen auf der Benbow, seinem ersten Schiff, prachtig eingelebt. Seine Jugend und Gesundheit isolierten ihn wie Schutzschichten vor dem Drama, das sich rund um ihn abspielte.

«Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und der Horizont wird schon heller.»
        Hastig schweifte sein Blick durch die geraumige Kajute, die im Vergleich zur Fahnrichsmesse unten im Orlopdeck ein Palast war. Wenn er sich alles gut merkte, konnte er es im nachsten Brief seinen Eltern erzahlen oder - gleich nachher - seinen Kameraden wahrend der Freiwache.
        Herrick ware das Kinn vor Erschopfung um ein Haar auf die Brust gesunken.»Und der Wind?«blaffte er.
        Der Junge schluckte krampfhaft.»Stetig aus Ost, Sir. Der Master glaubt, da? er jetzt bald nachlassen wird.»

«So, glaubt er das?«Herrick streckte sich gahnend.»Meistens behalt er ja recht.»
        Er merkte, da? der Midshipman den glanzenden Prunksabel an der Wand anstarrte. Das erinnerte ihn an die Zeit, als Neale auf der alten Phalarope Midshipman gewesen war, an Adam Pascoe, der sich nach einem eigenen Schiff verzehrte, jetzt aber um seinen geliebten Onkel trauerte - und an die Dutzende, ja Hunderte junger Offiziersanwarter, die er im Lauf der Jahre hatte kommen und gehen sehen. Einige hatten inzwischen Kapitansrang erreicht, andere den Dienst quittiert, um ihr Gluck anderswo zu suchen. Und viele von ihnen waren nicht einmal so alt geworden wie der junge Stirling hier.
        Freundlich sagte Herrick:»Nehmen Sie den Sabel ruhig herunter und sehen Sie ihn sich an.»
        Der Junge ging in seinem salz- und teerverkrusteten Bootsrock unter den aufmerksamen Blicken Herricks und Ozzards zur Wand hinuber, nahm den Sabel vorsichtig ab und drehte ihn langsam unter dem Licht der Lampe hin und her, um die eingravierten Worte und Verzierungen zu studieren.
        Ehrfurchtig sagte er:»Ich wu?te gar nicht, Sir - ich meine…«Mit glanzenden Augen wandte er sich um.»Er mu? ein gro?artiger Offizier gewesen sein, Sir.»
        Herrick fuhr auf.»Gewesen sein?«Bei seinem Ton zuckte der Junge so erschreckt zusammen, da? er gema?igter fortfuhr:»Ja, Mr. Stirling, das war er. Mehr noch: ein gro?artiger Mann.»
        Sorgsam hangte der Midshipman den Sabel zuruck an die Wand.»Tut mir leid, Sir, ich wollte Sie nicht kranken.»

«Das haben Sie auch nicht getan, Mr. Stirling. Ich hoffte auf das Unmogliche und verga?, da? es keine Wunder mehr gibt.»

«Ich - ich verstehe, Sir.»
        Stirling zog sich zur Tur zuruck, fest entschlossen, kein Detail in diesem Raum, kein Wort dieses Gesprachs mit dem Kommodore jemals zu vergessen.
        Herrick sah ihm nach. Junge, du verstehst noch nicht die Halfte, dachte er. Aber eines Tages, wenn du Gluck hast und uberlebst, wirst du mich wirklich begreifen.
        Kurz darauf entfiel das Glas seinen erschlaffenden Fingern und zerschellte auf dem Boden Ozzard, der den Schlafenden nicht aus den Augen gelassen hatte, buckte sich nach den Scherben. Doch dann richtete er sich unvermittelt wieder auf und zog eine verachtliche Grimasse. Sollte doch der Steward des Kommodore die Bescherung wegraumen, dachte er. Er warf einen Blick zur Kombusentur und verbannte Herricks Worte aus seinem Gedachtnis. Was Bolitho betraf, irrte sich der Kommodore. Alle irrten sich.
        Ozzard schlich in die Kombuse und setzte sich in eine Ecke, horte das Schiff um sich herum in allen Verbanden achzen. Nein, er war Konteradmiral Bolithos Steward, niemandes sonst, und wurde hier warten, bis er zuruckkehrte. Basta!
        Herrick eilte quer ubers Achterdeck und spahte, von der Gischt fast geblendet, zu Wolfes hoher Gestalt bei den Finknetzen hinuber.

«Da, Sir!«rief Wolfe ihm entgegen.»Horen Sie?»
        Herrick befeuchtete sich die Lippen und ignorierte die Neugier der Umstehenden. Ja, da war es wieder. Nun bestand kein Zweifel mehr.

«Kanonenfeuer«, sagte er heiser.
        Wolfe nickte.»Leichte Schiffsartillerie, Sir. Wahrscheinlich Ganymede im Gefecht mit einem Fahrzeug ahnlicher Gro?e.»
        Herrick stapfte das schrage Deck nach Luv hinauf und spahte angestrengt uber die wei?mahnigen Wellenkamme in das erste schwache Grau des Morgens.

«Na, Mr. Grubb?»
        Der Master schurzte die Lippen, nickte aber.»Die Peilung stimmt, Sir. Unwahrscheinlich, da? sich ein anderes englisches Kriegsschiff hier aufhalt.»
        Wutend wie ein Tier in der Falle fixierte Herrick die wogende Wasserwuste.»Ist inzwischen eines unserer Schiffe wieder in Sicht gekommen?»

«Ich habe die Ausguckposten schon vergattert, Sir«, berichtete Wolfe.»Aber noch gibt es nichts zu melden.»
        Wieder horte Herrick das ferne Krachen, das wie Donner mit dem Wind heranrollte. Ja, das waren zwei Schiffe. Trotz des Sturms im Gefecht miteinander, weil sie sich wahrscheinlich rein zufallig begegnet waren.

«Irgendwelche Befehle, Sir?«erkundigte sich Wolfe.

«Bis wir Nicator sichten, bleiben wir beigedreht liegen, Mr. Wolfe. «Er wandte den Blick ab.»Andererseits aber…»
        Wolfe verzog das Gesicht.»Stimmt, Sir, das ist ein gro?es Aber.»
        Herrick kniff die Augen zusammen, als konne er dann die Umrisse der franzosischen Kuste eher erkennen. Es wurde eine halbe Ewigkeit dauern, gegen diesen Oststurm anzukreuzen. Aber andererseits konnte Ganymede bereits in einer verzweifelten Lage sein und dringend Hilfe benotigen. Wenn sie mit dem ersten Tageslicht die Mastspitzen der Benbow uber die Kimm steigen sahen, mochte ihnen das frischen Mut geben und ihren Gegner verunsichern.
        Kapitan Keen auf Nicator wurde auch allein zurechtkommen. Sobald er erkannte, da? der Konvoi versprengt worden war, wurde er sich mit seinem Linienschiff auf die Suche machen und seine verirrten Schutzlinge wieder zusammentreiben.
        Aber angenommen, Keen konnte nicht alle aufspuren, und das eine oder andere Handelsschiff mu?te sich ohne Begleitschutz nach Gibraltar durchschlagen? Herrick gab sich keinen Illusionen hin. In diesem Fall konnte er die Bestatigung seines Kommodoreranges sofort vergessen, und auch jede kunftige Beforderung wurde nur noch in Dulcies Traumen existieren.
        Sein Blick wanderte von Wolfe zu Grubbs klobiger Gestalt und dann zu dem junge Midshipman namens Stirling, der mit seiner Bewunderung fur Bolithos Prunksabel ahnungslos einen wunden Punkt beruhrt hatte. Dann glitt sein Blick nach vorn, uber die ganze Lange des Schiffes hinweg. Seine Benbow. Wenn er sich entschlo?, setzte er zweifellos auch sie aufs Spiel.
        Wolfe starrte Herrick schweigend an; er ahnte, da? der Kommandant eine fur sie alle wichtige Entscheidung traf.
        Aber Grubb, der alte Salzwasserbuckel, der seinerzeit unbeirrt ein Lied gepfiffen hatte, als Lysander in die Schlacht gesegelt und rundum die Holle losgebrochen war, der alte Grubb verstand.
        Er brummte:»Wenn wir uber Stag gehen, Sir, und auf Backbordbug…»
        Herrick fuhr herum und starrte Grubb an. Hatte er sich erst einmal entschieden, war der Rest einfach.

«Einverstanden. «Und zu seinem hochgewachsenen Ersten Offizier sagte er:»Rufen Sie alle Mann an Deck, Mr. Wolfe. Wir setzen Segel. Lassen Sie aufentern und auch die Bramsegel setzen, bitte. «Er starrte zur Kimm, als der Sturm von querab wieder Kanonendonner herantrug.»Wollen mal nachsehen, was Ganymede da aufgespurt hat.»
        Als die Pfeifen schrillten und Seeleute wie Soldaten auf Stationen eilten, wandte Herrick sich ab und schritt nach achtern. Am gro?en Rad blieb er kurz neben Grubb stehen, der seine Ruderganger auf die Kursanderung vorbereitete. Auch der junge Stirling stand da und kritzelte etwas auf eine Schiefertafel, wahrend er darauf wartete, da? ein Schiffsjunge das Stundenglas umstulpte. Der Midshipman hob den Blick, als Herrick herantrat, und lachelte ihn an.
        Mit einer Gelassenheit, die nur au?erlich war, musterte Herrick den Jungen.»Was amusiert Sie so, Mr. Stirling?»
        Stirlings Lacheln verbla?te unter Grubbs drohendem Blick, der ihm die Storung verubelte.
        Aber dann fa?te er sich ein Herz.»Sie sprachen vorhin von Wundern, Sir. Vielleicht gibt es sie doch noch?»
        Herrick hob die Schultern.»Das wird sich zeigen. In der Zwischenzeit begeben Sie sich bitte auf die Focksaling und nehmen Sie ein Fernrohr mit. Hoffentlich sind Ihre Augen ebenso scharf wie Ihre Zunge.»
        Grubb sah dem Midshipman nach, der mit einem hupfenden Teleskop auf dem Rucken das Luv-Seitendeck hinunterannte.

«Du meine Gute, Sir, das verschlagt einem doch die Sprache! Diese jungen Flegel heutzutage haben keinen Respekt.»
        Herrick wandte sich ihm zu und antwortete tiefernst:»Wir in ihrem Alter waren da ganz anders. Nicht wahr, Mr. Grubb?»
        Herrick ging weiter und lie? einen breit grinsenden Grubb am Rad zuruck. Als dieser den Blick seines Rudergangers spurte, brullte er ihn an:»Aufgepa?t, du Faulpelz! Oder ich wecke dich mit der Pike, so wahr mir Gott helfe!»
        Kurz danach ging die Benbow mit hart angebra?ten Rahen durch den Wind, da? die Leestuckpforten unterschnitten und das Deck schwindelerregend krangte.
        Zufrieden lachelte Herrick in sich hinein, als er die Toppsgasten auf den oberen Rahen auslegen sah, wahrend andere unten an Deck mit aller Kraft in die Schoten und Brassen einfielen, bis das Schiff den Bug zielstrebig dem Land zuwandte.
        Sie mu?ten sich auf ein langsames und muhseliges Vorwartskommen gefa?t machen, weil sie meilenweite Schlage in beide Richtungen segeln mu?ten, um jeweils eine Kabellange Luvraum zu gewinnen.
        Aber als Herrick so seine Leute beobachtete, den Stand jedes einzelnen Segels und den Druck im Rigg begutachtete, stieg in ihm langsam Genugtuung auf; er war froh, da? er nicht auf die Stimme der Vernunft gehort hatte.

«Voll und bei, Sir«, meldete der eine Ruderganger so erregt, als hatte Herricks Stimmung ihn angesteckt.»Sud zu Ost liegt an!»
        Herrick sah zu Wolfe hinuber, der seine Anweisungen durch die lange Sprechtrompete brullte. Mit den roten Haarstrahnen, die unter seinem salzfleckigen Hut hervorsahen, erinnerte er eher an einen Wikinger als an einen Marineoffizier.
        Vielleicht war es ja schon zu spat, dachte Herrick. Oder nur vergeudete Zeit. Aber falls sie ein franzosisches Schiff erobern oder auch nur ein paar Franzosen gefangennehmen konnten, horten sie vielleicht etwas von den Uberlebenden der Styx. Das geringste Detail, selbst ein Gerucht, und die Sache hatte sich gelohnt.
        Wolfe lie? seinen Trichter sinken und rief heruber:»Sobald der Wind es zula?t, schutteln wir noch ein Reff aus, Sir.»
        Herrick nickte. Endlich hatte Wolfe ihn begriffen.»Aye. Und zum Teufel mit den Konsequenzen!»
        Wolfe hob den Blick zu den Toppsgasten, die hoch uber seinem Kopf arbeiteten, und zu dem scharlachroten Wimpel, der vom Masttopp lang auswehte.
        Von Konsequenzen hatte der Kommandant gesprochen. Die letzte und wichtigste davon war dort oben.
        Bolitho stemmte die Schultern gegen die Spanten und verzog das Gesicht, als die Fregatte nach einem kurzen Gieren wieder voll ins nachste Wellental sackte. Das fuhlte sich ja an, als kame der Bug nie wieder hoch. Als die Wasserwand gegen den Rumpf schlug, spurte Bolitho die Erschutterung so stark im ganzen Korper, als ware das Schiff auf Grund gelaufen.
        Immer wieder muhte er sich damit ab, das Geschehen an Deck nachzuvollziehen und auch die Ma?nahmen, die jetzt druben auf dem feindlichen Schiff fur das Gefecht getroffen wurden. Die Ceres segelte zwar in Luv und hatte damit einen Vorteil, aber bei so steiler See konnte das auch hinderlich sein. Bolitho horte gedampftes Rufen, manchmal auch das Knirschen gequollenen Tauwerks in den Blocken, und stellte sich vor, wie der franzosische Kommandant sein ganzes Konnen aufbot, um sich in eine gunstige Position zu manovrieren.
        Allday schlurfte zu einem Wasserfa? hinuber und fullte in aller Ruhe einen Becher fur Neale. Dabei warf er einen Blick durch den nahen Niedergang nach oben und versuchte, den Sinn des Geschreis zu erraten. Die Gefechtsvorbereitungen verstand er naturlich, und auch die Wetterverhaltnisse waren ihm klar.
        Er wartete, bis das Deck wieder ruhig lag, und hastete zur Bordwand zuruck. Wahrend er sich mit einer Hand an der Koje festhielt und mit der anderen den Becher an Neales Lippen setzte, sagte er leise zu Bolitho:»Immer noch ziemlich rauhe See, Sir. Ich hore Wasser ubers Batteriedeck waschen. «Muhsam grinsend fugte er hinzu:»Das wird die Frogs[Frog eaters = Froschfresser, Spitzname fur Franzosen] ganz schon ins Schwitzen bringen.»
        Browne zog die Knie fast ans Kinn und prufte angeekelt seine Fu?fesseln.»Wenn wir uns nur frei bewegen konnten!»
        Vermehrtes Klappern der Handspaken und dumpfes Poltern uber ihren Kopfen verriet ihnen etwas von den Anstrengungen der Mannschaft oben. Der Wind trieb sie immer naher auf die Gefahr zu, sie mu?ten also kampfen, ob ihnen das nun pa?te oder nicht.
        Der Arzt und seine Gehilfen gruppierten sich wartend um ihren Operationstisch. Wie geduldige Geier, dachte Bolitho. Ihr Anblick hatte ihn noch immer demoralisiert.

«Hort mal!»
        Sie lehnten sich so weit vor, wie ihre Ketten es zulie?en, als eine metallisch klingende Stimme das tosende Duett von Wind und See uberschrie.

«Rassemblez-vous a la batterie de tribordl»
        Browne nickte ruckartig.»Die Steuerbordbatterie soll als erste feuern, Sir.»
        Allday bi? die Zahne zusammen.»Obacht - jetzt geht's nach oben!»
        Trotz seiner Warnung kam die bei der Aufwartsbewegung des Schiffes abgefeuerte Breitseite uberraschend und betaubend. Der Rumpf baumte sich auf wie ein lebendes Wesen, die Decksplanken erbebten, fast einstimmig krachten die Kanonen; das Geschrei der Kanoniere ging unter im Quietschen der Lafetten und im dringlichen Kommandogebrull vom Achterschiff.
        Und noch einmal. Die Ceres schien sich scharf uberzulegen, als ihre Kanonen abermals aufbrullten. Tief unten im Orlopdeck, wo der infernalische Larm komprimiert und noch verstarkt wurde, glaubte Bolitho, die Trommelfelle wurden ihm platzen. Staub scho? aus den Planken, und den Niedergang herab kam Rauch gedriftet wie Nebel im Moor.
        Einige Arzthelfer waren zusammengeschreckt und starrten nervos in den Rauch, andere machten sich mit Instrumenten und Eimern zu schaffen.
        Heiser rekapitulierte Browne:»Zwei Breitseiten, Sir, aber keine Reaktion des Gegners.»
        Bolitho schuttelte den Kopf zum Zeichen, da? er jetzt nicht sprechen wollte. Er furchtete, da? ihm sonst etwas entging. Genau wie seine Gefahrten konnte er die meisten Gerausche oben identifizieren: das Auswischen der Rohre, das Feststopfen der Ladung, die huschenden Schritte der Munitionsmanner, das unzusammenhangende Geschrei der Stuckmeister, die ihr Ziel auffa?ten.
        Wie aber sah das andere Schiff aus? War es gro?, war es klein?
        Wieder einmal erschutterte eine Breitseite sie bis ins Mark. Da? sie nach Lee feuern mu?ten, war ein gro?es Erschwernis, dachte Bolitho. Bei diesem hohen Seegang mu?ten die Stuckpforten fast unterschneiden, und wenn das gegnerische Schiff von einem kuhlen Kopf gefuhrt wurde, konnten die Franzosen kaum mit voller Erhohung feuern.
        Vereinzelte Jubelrufe oben, dann eine Breitseite mit langer auseinandergezogenem Feuer: immer zwei Schusse und dann eine Pause von einigen Sekunden.
        Erbost murmelte Allday:»Entweder trauen sich die Unsrigen nicht naher ran, oder die Franzosen haben sie schon entmastet.»
        Bolitho sah den Kreis der Laternen schrag zur Decke hin kippen und so stehenbleiben, wie an unsichtbaren Faden befestigt. Das Schiff legte sich stark uber und schwang nur langsam wieder zuruck. Also hatte der Kapitan gehalst, uberlegte Bolitho, und lief jetzt einen etwas ruhigeren Kurs, auf dem er den Wind fast von achtern hatte. Offenbar hatte er sein Selbstvertrauen wiedergewonnen und nutzte die ganze Kraft des Sturms, um aus der Landabdek-kung zu kommen und den Feind einzuholen. Bolitho mu?te seine Enttauschung verbergen. Denn dies bedeutete, da? das andere Schiff entweder beschadigt oder den Franzosen hoffnungslos unterlegen war, an Bewaffnung ebenso wie an Manovrierfahigkeit.
        Da schlug mit Krach und Donner eine Lawine aus Eisen in den Rumpf. Bolitho blieb vor Schmerz die Luft weg, als er hochgerissen wurde, so weit es seine Fesseln und Ketten zulie?en. Halb betaubt sah er, da? sich das Orlopdeck mit Rauch und Larm fullte.
        Der Rumpf erbebte in allen Verbanden, als oben Stengen und Spieren zu Bruch gingen und aufs Deck krachten. Dann ein dumpfer Schlag, als sei eine Kanone umgesturzt. Stimmen uberbrullten das Getose, verwandelten sich aber in jammerliche Schmerzens-schreie, als eine zweite Breitseite - nur wenige Minuten nach der ersten - in den Rumpf krachte.
        Im Rauch nur schlecht auszumachen, rutschten und hangelten sich Gestalten den Niedergang herunter; andere wurden rucksichtslos in den Lichtkreis der Laternen gezerrt. Die Arzthelfer erwachten zu fieberhafter Tatigkeit, als hatte der Blutgeruch sie aus ihre Trance gerissen.
        Wieder legte sich das Deck ruckartig uber: Die Franzosen erwiderten das Feuer. Noch einmal schlugen Kugeln ein, diesmal tiefer im Rumpf, und bald daraufhorte Bolitho das Quietschen der ersten Lenzpumpe.
        Uber dem Operationstisch hob und senkte sich ruckartig der Schatten des Chirurgen, das Lampenlicht reflektierte kurz von einer Messerschneide, dann von einem Sageblatt. Unter seinen Handen wand sich eine nackte Gestalt, wurde aber von den Arzthelfern mit Aufbietung aller Krafte niedergehalten.
        Dann sturzte ein Mann aus dem Kreis um den Tisch und warf den amputierten Arm in einen abseits stehenden Eimer, als sei er ein Stuck Abfall.
        Wieder wurden schluchzende, schreiende Manner mit Gewalt ins Lazarett gezerrt oder getragen. Bolitho verlor jedes Zeitgefuhl, selbst das fruhe Morgenlicht verbla?te im Rauch und Dampf der Schlacht.
        Die Kanonen schossen jetzt weniger systematisch, die Detonationen wirkten jedoch noch lauter; Bolitho folgerte daraus, da? der Gegner sehr nahe gekommen war und das Krachen zwischen den beiden Bordwanden widerhallte. Das Gefecht hatte eskaliert; bald mu?te das Ende kommen.
        Gebannt, mit schreckgeweiteten Augen, starrte Browne zu dem wie wahnsinnig arbeitenden Arzt hinuber. Er war kein junger Mann mehr, bewegte sich aber mit unglaublicher Energie. Er schnitt, sagte, nahte und winkte nach dem nachsten Verwundeten mit solcher Hast, da? ihn nicht einmal der Einschlag feindlicher Kanonenkugeln ablenken konnte. Seine Unterarme und die Schurze glanzten grellrot. Es war ein Bild des Grauens.
        Gepre?t sagte Browne:»Allmachtiger Vater, gib, da? ich an Deck sterbe, wenn es soweit ist, und nicht in diesem Schlachthaus!»
        Ein Chor warnender Schreie, dann atemberaubende Stille - und schlie?lich ein scheinbar endloser Donnerschlag: Ein ganzer Mast kam von oben und sturzte aufs Deck. Das Schiff bockte, als wolle es die tote Last abschutteln; Bolitho horte Axte auf das Gewirr der Wanten, Stage und Spieren einbauen, dann das scharfere Knattern von Gewehrfeuer und das Klaffen der Drehbassen.

«Nahkampf!«stie? er hervor.»Sie mussen gleich kommen.»
        Wieder schrillten Schreie durch das Inferno, weitere Wrackteile polterten oben aufs Hauptdeck, und Bolitho wurde vom Scheuern und Klappern der gebrochenen Takelage an die letzten Augenblicke der Styx erinnert.
        Wild um sich schlagend, fuhr Neale auf seiner Koje hoch und schrie:»Her zu mir, Leute! Haltet euch tapfer!«Blindlings holte er nach dem herbeieilenden Allday aus, aber der Schlag war so schwach wie der eines Kindes.
        Allday knurrte:»Ich bringe Sie jetzt hier raus, Kapt'n. Also seien Sie ein artiger Junge.»
        Im Zwielicht beugte er sich uber zwei verwundete Seeleute, die von den Arztgehilfen bisher ubersehen worden waren, und rollte den einen auf den Rucken. Aus der Kehle des Franzosen ragte ein Holzsplitter, so gro? wie ein Seitengewehr, und der Mann starrte in qualvoller, stummer Agonie zu Allday empor. Mit rasselndem Atem sah er zu, als dieser ihm das Entermesser unter dem Gurtel hervorzog und es an sich nahm. Sein Kamerad war schon tot und au?erdem unbewaffnet. Allday wandte sich von ihm ab und kehrte zu Bolitho zuruck; er begann, mit der Spitze des Entermessers das Holz zu bearbeiten, in dem die Ringbolzen von Bolithos Fesseln sa?en.
        Begleitet von verwirrten und erschreckten Rufen, kamen weitere Verwundete herunter, aber diesmal wurden sie vorsichtiger behandelt. Bolitho erkannte einen abgewinkelten Arm, einen gro?er werdenden, dunkel glanzenden Fleck auf der Brust eines Mannes, dem ein schweres Kaliber zwischen die Rippen gefahren war, und er sah auch die Goldepauletten des Kommandanten funkeln.
        Hinter ihm kletterten zwei Soldaten die Leiter herunter; Bolitho identifizierte ihre Uniformen: Marineinfanterie.
        Sie hielten sich fern von den anderen, standen nur da, in den Fausten die Musketen mit aufgepflanztem Bajonett, und starrten wortlos zu den Gefangenen hinuber. An ihrem Auftrag konnte kein Zweifel bestehen.
        Der Arzt schnitt dem franzosischen Kapitan das Hemd vom Leibe, trat dann aber zuruck und winkte seine Helfer herbei.

«Il est mort.»
        Die leichter Verwundeten reckten die Halse und spahten durch den Qualm zum Operationstisch, offenbar ohne zu begreifen. Das Schie?en an Deck lie? nach, als sei auch den Mannern dort oben der Schreck uber den Tod des Kommandanten in die Glieder gefahren.
        Und dann kam der dumpfe Aufprall und das mahlende Scheuern, mit dem das fremde Schiff sich knirschend langsseit legte.
        Das Deck unter Bolitho krangte stark; wahrscheinlich hatte der andere Kommandant es so eingerichtet, da? der Wind die ve rkrup-pelte Ceres gegen ihn druckte. Jetzt verhakten sich Riggs und Spieren in einer letzten, unlosbaren Umarmung.

«Hurra! Hurra!«Wildes, fast nicht mehr menschliches Geschrei oben.»Manner von Ganymede - mir nach!»
        Als Antwort schlug klirrend Stahl auf Stahl, krachten vereinzelte Musketen- und Pistolenschusse zum Getrappel vieler Fu?e.
        Fur die beiden Marinesoldaten mu?te das ein Signal gewesen sein. Der Korporal, Bolitho am nachsten, hob die Muskete, das aufgepflanzte Bajonett funkelte im Licht, als er auf Neales Brust anlegte.

«Zu spat, Kumpel!«Allday sprang aus dem Schatten, das gro?e Entermesser schon zum Schlag erhoben, und hieb es dem Soldaten quer ins Gesicht. Als der Mann fiel und sich in seinem Blut wand, griff Allday den zweiten Soldaten an. Auch dieser hatte angelegt, schien aber vor Schreck uber das Schicksal seines Kameraden erstarrt zu sein.

«Hat dich verlassen, dein Mut, wie?«brullte Allday. Mit dem ersten Schlag spaltete er ihm den Brustriemen; die Schneide drang so tief ein, da? der Soldat vornuber zusammenklappte; seine Schreie verstummten erst, als das Entermesser beim zweitenmal auf seinen exponierten Nacken niederfuhr.
        Mit einem Wurgen in der Kehle hatte Browne zugesehen. Uberall um sie her gellten Schreie, Fluche und Schmerzgeheul. Und immer wieder das stahlerne Klirren der Sabel, obwohl die Kampfenden schon auf so blutbesudelten Planken standen, da? ihnen die Fu?e wegrutschten.
        Allday klammerte sich mit einer Hand an Neales Koje und parierte mit der anderen jeden Versuch, dem Kranken nahe zu kommen. Eine Musketenkugel schlug nur zollbreit neben Bolithos Schulter in die Bordwand, und einmal wirbelte Alldays Schneide schutzend wie ein Schild uber Bolithos Kopf durch die Luft.
        Ein Mann sturzte leblos den Niedergang herab, ein anderer schrie gellend, bevor ein Sabelhieb den Ton so abrupt zum Verstummen brachte, als sei eine Tur zugeschlagen worden.
        Plotzlich stand ein britischer Marinesoldat am Fu? der Leiter, die wei?en Breeches blutbeschmiert, die Augen unter dem wirren Haar vor Wahnwitz funkelnd. Er hielt die Muskete sto?bereit, das besudelte Bajonett zitterte.
        Als er Allday mit seinem blanken Entermesser entdeckte, schrie er wild:»Hierher, Kameraden, hier leben noch ein paar von den Hunden!«Dann holte er aus.
        Schulter an Schulter hatte Allday schon manchesmal mit den britischen Marinesoldaten gefochten. Aber noch nie hatte er ihre Angriffswut auf der anderen Seite erlebt.
        Der Nahkampf hatte den Soldaten in einen Rausch versetzt, hatte ihn toll gemacht, bis er von blinder Mordlust getrieben wurde. Allday wu?te, den konnte er mit erklarenden Worten nicht bremsen. Hinter ihm stolperten noch mehr Briten den Niedergang herunter, und er begriff: Wenn er nicht sofort reagierte, war er in der nachsten Sekunde ein toter Mann.

«Halt, du verdammter Idiot!«Alldays Kasernenhofton bremste den Seesoldaten mitten im Ausfall.»Schneide den Offizieren hier die Fesseln durch, oder ich schlage dir den Schadel ein!»
        Offenen Mundes starrte der Soldat ihn an. Und dann begann er zu lachen - lautlos, aber so heftig, da? sein ganzer Korper krampfhaft zuckte. Es schien kein Ende zu nehmen.
        Ein englischer Leutnant erschien mit blutigem Sabel und sah sich so mi?trauisch im Orlop um, als wittere er weitere Gefahren. Ungeduldig stie? er den hysterischen Seesoldaten beiseite, starrte erst Neale an und dann die anderen.

«Um Gottes willen - schafft diese Gefangenen hier an Deck! Aber macht schnell, der Kommandant hat schon den Ruckzug befohlen.»
        Ein Seemann eilte mit einem Spie? herbei und brach damit die Ringbolzen aus dem Holz; dann wurden Bolitho und Browne auf die Fu?e gezogen.

«Folgt mir!«befahl der Leutnant barsch.»Und zwar ein bi?chen plotzlich!»
        Bolitho streifte die Handschellen ab und sagte zu zwei Matrosen, die Neale aus seiner Koje hoben:»Das ist Kapitan John Neale von der Fregatte Styx.«Als der Leutnant sich gereizt umwandte, fuhr er fort:»Ich furchte, Ihren Namen habe ich nicht verstanden, Mr. -?»
        Jetzt, da der Wahnsinn des Gefechts langsam von ihnen abfiel, achteten die umstehenden Enterer auf den Wortwechsel, und einige grinsten sogar uber die Verlegenheit ihres Anfuhrers.
        Der Leutnant funkelte Bolitho an.»Ich Ihren auch nicht, Sir!«schnarrte er.
        Browne, der seinen verkrampften Muskeln noch nicht traute, machte einen ersten vorsichtigen Schritt auf den Leutnant zu. Wie er es schaffte, wu?te er spater nicht mehr, aber Allday schwor, er hatte nicht mit der Wimper gezuckt.

«Vor Ihnen steht Konteradmiral Bolitho«, sagte Browne kuhl.»Sind Sie jetzt zufrieden, Sir - oder haben Sie vor, heute jeden ranghoheren Offizier anzublaffen, der Ihnen begegnet?»
        Errotend stie? der Leutnant seinen Sabel in die Scheide.»Ich - ich bitte um Entschuldigung, Sir«, stammelte er.
        Bolitho nickte ihm zu und ging mit steifen Beinen zur Niedergangsleiter. Hoch uber seinem Kopf konnte er die Luke erkennen, die aufs Batteriedeck fuhrte. Sie war so ungewohnt hell, da? das Schiff vollig entmastet sein mu?te.
        Fest umklammerte er den Handlauf, um das Beben seiner Finger unter Kontrolle zu bekommen.

«Sie haben sich gut gehalten«, sagte er zu dem Leutnant.»Aber ich horte, da? Sie > Ganymede< riefen?»
        Der Leutnant wischte sich mit dem Armel uber den Mund. Er zitterte wie im Fieber - jetzt, da alles vorbei war. Das Entsetzen uber das, was er gesehen und getan hatte, wurde spater kommen.
        Aber die eingedrillte Disziplin gab ihm Halt.»Aye, Sir«, erwiderte er und ri? sich zusammen.»Wir sind von der Ganymede und gehoren zu einem Geleit unter Kommodore Herrick.»
        Sekundenlang konnte Bolitho den Mann nur anstarren. Das war doch Irrsinn! Er mu?te genauso verruckt sein wie vorhin der Seesoldat in seinem Blutrausch.

«Vielleicht kennen Sie den Kommodore?«Der Leutnant war unter Bolithos Blick zusammengezuckt.

«Ich kenne ihn gut, ja.»
        Langsam einen Fu? uber den anderen setzend, stieg Bolitho ans Licht. Er kam an schmutzigen, keuchenden Enterern vorbei, die sich grinsend auf ihre Waffen stutzten und ihm zunickten.
        Dann erblickte er das englische Schiff, das von Draggen langs-seit gehalten wurde. Ein Midshipman rannte druben nach achtern, um dem Kommandanten zu berichten, wen sie im Orlopdeck der Ceres entdeckt hatten.
        Kurz darauf eilte der Kommandant ihm entgegen und begru?te ihn freudestrahlend. Willkommen, Sir, willkommen! Ich bin stolz, da? mein Schiff Ihnen zu Diensten sein konnte. «Mit einer Geste des Bedauerns wies er auf die Schaden im Rigg und an Deck.»Er war uns an Feuerkraft uberlegen, deshalb habe ich ihn zu einer Verfolgungsjagd verlockt. Danach…«Er zuckte die Achseln.»Es war reine Erfahrungssache. Die Franzosen haben gute Schiffe, aber glucklicherweise nicht so gute Seeleute wie wir.»
        Bolitho sah sich an Deck von Ganymede um und holte tief Atem. Es konnte nicht wahr sein. Im nachsten Augenblick wurde er in der Zelle erwachen oder in der engen Kutsche.
        Der Kommandant lie? sich in seinem Bericht nicht storen.»Wir haben zweimal feindliche Segel gesichtet, aber die Schiffe blieben auf Distanz. Trotzdem, furchte ich, mussen wir unsere Prise hier aufgeben. Der Wind hat gedreht.»

«An Deck! Segel in Lee voraus!»
        Der Kommandant fuhr herum.»Zuruck an Bord mit den Enterern«, befahl er scharf.»Und dann la?t die Hulk abtreiben. Die wird keinem mehr gefahrlich.»
        Wieder erklang die Stimme des Ausguckpostens im Masttopp:»Es ist ein Linienschiff, Sir. Die Benbow!»
        Bolitho schritt quer ubers Deck zu Neale hinuber, den man bis zum Eintreffen des Schiffsarztes dort hingelegt hatte.
        Neale starrte in den blauen Himmel und flusterte:»Wir sind frei, Sir. Und zusammen.»
        Muhsam hob er den Arm und umklammerte Bolithos Hand mit aller Kraft, die ihm noch verblieben war.

«Mehr wollte ich nicht, Sir. Nur noch das.»
        Auf Neales anderer Seite kniete Allday und bemuhte sich, die Augen des Sterbenden vor der grellen Morgensonne zu schutzen.

«Beruhigen Sie sich, Kapt'n. Jetzt fahren wir nach Hause.»
        Aber Bolitho fuhlte die Hand in seiner erschlaffen. Er wartete, dann beugte er sich vor und druckte Neale die Augen zu.»Da ist er schon, Allday. Er ist schon daheim.»



        X Ein Wiedersehen


«Ich kann's immer noch nicht glauben, Sir.»
        Kopfschuttelnd bedachte Herrick die Auswirkungen seiner Entscheidung. Seit sie in Signalkontakt mit der Fregatte Ganymede gekommen waren, war er an Deck auf und ab gewandert, fluchend uber die Langsamkeit, mit der sich beide Schiffe annaherten. Endlich konnte Herricks Bootssteurer Tuck die Schaluppe aussetzen lassen, um Bolitho an Bord zu holen.
        Gebannt hatte er Bolithos Bericht gelauscht, wahrend dieser in seinen abgerissenen Kleidern auf der Heckbank sa? und es sich gefallen lie?, da? Ozzard ihn wie eine Glucke umsorgte.
        Nun lief die Benbow mit der siegreichen Fregatte im Kielwasser von der franzosischen Kuste ab, und der Wind war nicht langer ihr Feind.
        Bolitho erlauterte:»Die Ganymede war unterlegen. Da griff ihr
        Kommandant zu einer alten List, tauschte Flucht vor und verlockte die Ceres dazu, ihm zu folgen. Zu diesem Zweck nahm er zunachst sogar Treffer hin, damit der Feind sich in Sicherheit wiegte und unvorsichtig wurde. «Er zuckte mit den Schultern; irgendwie schien ihm dies alles nicht mehr so wichtig.»Dann luvte er an und feuerte zwei Breitseiten ab, ehe die Ceres wu?te, wie ihr geschah. Es hatte immer noch schiefgehen konnen, aber die letzte Salve mahte auch den franzosischen Kommandanten nieder. Den Rest kennen Sie, Thomas.»
        Von den neuen Semaphoren hatte er Herrick schon erzahlt, aber auch sie schienen ihm jetzt bedeutungslos, verglichen mit Neales
        Tod.
        Herrick sah den Schmerz in Bolithos Augen und sagte leise:»Die franzosischen Schiffe, die vor unserem Erscheinen gesichtet worden waren, mussen uber die optischen Telegraphen zur Unterstutzung fur Ceres herbeibeordert worden sein. «Er rieb sich das Kinn.»Hol sie der Teufel. Aber jetzt wissen wir wenigstens Bescheid.

        Bolitho starrte die leere Stelle an der Schottwand an, wo fruher sein Sabel gehangen hatte.»Und auch sie wissen jetzt, da? wir im Bilde sind. An ihrer Gefahrlichkeit hat sich nichts geandert.»
        Dabei fielen ihm die beiden Soldaten ein, die unter Alldays Entermesser gestorben waren. Sie mu?ten ausdrucklichen Befehl gehabt haben, die Gefangenen zu exekutieren, wenn die Ceres erobert wurde. Es war wirklich um Sekunden gegangen.
        Aber die Ankunft der Franzosen hatte Ganymede zum Ruckzug gezwungen. Ceres konnte weder abgeschleppt noch vernichtet werden, und bald mu?te das franzosische Oberkommando davon unterrichtet sein, da? die Gefangenen entkommen waren und das Geheimnis der sprechenden Turme geluftet war.
        Leutnant Wolfe betrat die Kajute und wandte taktvoll den Blick ab, als der Schiffsarzt Bolitho die zerrissenen Kleider abstreifte; der lehnte sich derweil bequem zuruck und schlurfte seine funfte Tasse hei?en Kaffees.
        Wolfe meldete:»Sir, der Konvoi ist gesichtet. Im Sudosten. Alle Schiffe vollzahlig und intakt.»
        Herrick lachelte.»Danke. Ich komme gleich an Deck.»
        Sobald die Tur sich hinter Wolfe geschlossen hatte, sagte Bo-litho:»Sie haben allerhand riskiert, Thomas. Wenn der Konvoi in Gefahr geraten ware, hatte es Sie den Kopf kosten konnen.»
        Herrick grinste reuig.»Ich war mir aber so gut wie sicher, da? wir auf etwas sto?en wurden, wenn wir Ganymede nur halfen, das Gefecht zu gewinnen. «Mit einem warmherzigen Blick zu Bolitho schlo? er:»Freilich hatte ich mir nie traumen lassen.»

«Ich auch nicht.»
        Ozzard trat mit frischen Kleidern und Bolithos zweitem Galarock ein, dicht gefolgt von Allday.
        Mude sagte Bolitho:»Hol mir lieber den alten Uniformrock, Ozzard. Mir ist nicht nach Feiern zumute.»
        Allday starrte Herrick unglaubig an.»Sie haben es ihm noch nicht erzahlt, Sir?»

«Was erzahlt?«Bolitho sehnte sich danach, endlich allein zu sein, um nachdenken zu konnen, sich uber seine nachsten Schritte klarzuwerden.
        Herrick griff sich an den Kopf.»O Gott, ich Tolpel! Vor lauter Aufregung habe ich das ganz vergessen.»
        Endlich begann er zu erzahlen, und Bolitho horte zu, ohne ihn auch nur einmal zu unterbrechen, als furchte er, Herricks wundersame Neuigkeiten konnten sich in Nichts auflosen, sobald er eine Frage stellte.
        Erst als Herrick schlie?lich schwieg, vergewisserte er sich:»Und sie ist wirklich auf der Duchess of Cornwall, Thomas? Sie segelt mit uns, in unserem Konvoi?»

«Aye, Sir«, stammelte Herrick.»Sie mussen wissen, ich machte mir solche Sorgen.»
        Bolitho stand auf und ergriff Herricks beide Hande.»Gott segne Sie dafur, mein Freund. Heute morgen furchtete ich, am Ende zu sein, aber jetzt. «Immer noch unglaubig, wiegte er den Kopf.»Sie haben mich mit dieser Nachricht wieder aufgerichtet.»
        Bolitho wandte sich zu den Heckfenstern, als konne er die anderen Schiffe erspahen. Also hatte sich Belinda nach Gibraltar eingeschifft. Gefahr und Unbequemlichkeit hatten sie nicht abschrecken konnen, ebensowenig hatte sie sich von der Nachricht seines wahrscheinlichen Todes entmutigen lassen. Und jetzt segelte sie hier mit ihnen durch die Biskaya.
        Herrick schritt zur Tur, zwischen Erleichterung und Sorge schwankend.»Ich lasse Sie jetzt in Ruhe. Es dauert noch eine Weile, ehe wir der Duchess signalisieren konnen. «Er zogerte.»Und was Kapitan Neale betrifft…»

«Wir bestatten ihn im Morgengrauen. Seine Familie und seine Freunde daheim werden ihn so in Erinnerung behalten, wie er war. Aber ich glaube, es ware sein Wunsch gewesen, hier unter seinen Mannern bestattet zu werden.»
        Lautlos schlo? sich die Tur, und Bolitho konnte sich endlich entspannt zurucklehnen und sich von der Sonne warmen lassen.
        Er dachte an Neale, der von Anfang an gewu?t hatte, da? er wurde sterben mussen. Nur sein eiserner Wille hatte ihn noch so lange am Leben gehalten, bis er in Freiheit und Frieden die Augen schlie?en konnte.
        John Neale war tot. Aber Bolitho schwor sich, da? sein Tod nicht ungeracht bleiben sollte.
        Fast ohne ihr schwarz-gelbes Spiegelbild mit einem Wellenkrauseln zu verzerren, glitt Benbow langsam an verankerten Schiffen vorbei auf die Reede von Gibraltar. Die riesige naturliche Felsenfestung uberragte sie alle und lie? sie klein wie Spielzeug erscheinen.
        Morgendunst verhullte teilweise den Felsen und die Kustenlandschaft rundum und versprach einen sehr hei?en Tag.
        Bolitho stand auf dem Achterdeck etwas abseits von den anderen Offizieren, um Herrick in Ruhe sein Ankermanover fahren zu lassen. Benbow hatte nur noch Bramsegel und Kluver stehen und setzte sich jetzt leicht vom Konvoi ab, dessen gro?tes Schiff bereits Signalkontakt mit dem Land aufnahm.
        Die Reise nach Gibraltar hatte neun Tage gedauert und war nach
        Grubbs Worten glatt und schnell verlaufen. Aber fur Bolitho war es die langste Etappe seines Lebens gewesen; nicht einmal der tagliche Anblick von Belinda auf der hohen Poop des Indienfahrers konnte seine Ungeduld und sein Verlangen zugeln.
        Vom ersten Tag an, gleich nachdem Herrick das Signal fur die Duchess of Cornwall absetzen lie?, hatten sie sich beide ohne besondere Absprache zur gleichen Zeit an Deck eingefunden. Es war, als spure sie seine Anwesenheit, als musse sie ihn leibhaftig sehen, sei es auch uber eine ganze Strecke Wasser hinweg, um sich zu vergewissern, da? es nicht nur ein Traum war, sondern eine Laune des Schicksals, was sie wieder vereint hatte.
        Bolitho blickte durchs Teleskop zu ihr hinuber, ohne sich der umstehenden Offiziere oder anderen Wachganger auch nur bewu?t zu sein. Und stets winkte sie ihm zu, das lange Haar von einem Strohhut gebandigt, den eine breite Schleife festhielt. Jetzt, da die Wartezeit fast vorbei war, spurte Bolitho eine seltsame Nervositat. Aber Herricks Befehl ri? ihn aus seinen Gedanken.»Klar zum Ankern!»
        Mit langen Schritten eilte Wolfe aus dem Schatten des Besan-mastes.»Bemannt die Brassen! An die Bramsegelschoten!»
        Bolitho beschattete seine Augen und sah zu einem verankerten Kriegsschiff hinuber. Der Signalfahnrich hatte es bereits als die Dorsetshire identifiziert: das mit achtzig Kanonen bestuckte Flaggschiff von Vizeadmiral Sir John Studdart. Die Admiralsflagge hing leblos von ihrem Fockmast herab, und Bolitho fragte sich, was der Wachoffizier druben wohl davon halten mochte, da? an Benbows Besan statt Herricks Kommodorewimpel seine eigene Admiralsflagge wehte.

«Gei auf Bramsegel!«kam das nachste Kommando.

«Alles klar, Sir«, meldete Grubb.
        Dann:»Leeruder!«[Damals noch indirekte Ruderkommandos, auf die Pinne bezogen; also: Ruder nach Lee, Schiff dreht nach Luv.]
        Mude, aber wurdevoll drehte die Benbow langsam in den Wind und verlor auch das restliche bi?chen Fahrt, als die letzten noch stehenden Segel schlaff und leer zu killen begannen, bis sie endlich von den Toppsgasten an den Rahen aufgetucht wurden.

«La? fallen Anker!»
        Gischt spritzte am Bug auf, als der gro?e Anker ins klare Wasser klatschte; Seeleute trabten zum Ladebaum, um die Barkasse so schnell wie moglich auszuschwingen. Denn alle wu?ten: Schon seit ihrer ersten Annaherung, seit sie mit funfzehn drohnenden Salutschussen die Admiralsflagge gegru?t hatten, waren uberall Fernglaser auf die Benbow gerichtet, durch die jedes ihrer Manover kritisch beobachtet wurde.

«Bootsbesatzung - antreten!«Das war Allday, dessen Gesicht keinerlei Spuren der Gefangenschaft mehr trug.
        Herrick trat zu Bolitho an die Webeleinen und beruhrte gru?end seinen Hut.»Setzen Sie sofort zum Flaggschiff uber, Sir?«»Aye, Thomas, bringen wir es hinter uns. Sonst findet noch jemand bei Sir John Gehor, der uns nicht wohlgesonnen ist.
«Bolithos Blick glitt zu dem gro?en Indienfahrer hinuber.»Und ich habe noch viel zu tun.»
        Herrick entging der Blick nicht, wie ihm auch Bolithos tagliche Versuche nicht entgangen waren, auf dem anderen Schiff die schlanke Gestalt mit dem schattenspendenden Strohhut zu erspahen.

«Barkasse ist langsseit, Sir. «Wolfe trat herzu und musterte die beiden Freunde neugierig.
        An der Schanzkleidpforte warteten schon Major Clintons Seesoldaten, wahrend die Bootsmannsmaaten ihre silbernen Trillerpfeifen an die Lippen setzten.
        Bolitho druckte den Sabel fest an die Seite, und wieder storte ihn seine Fremdheit. Der Verlust seiner altvertrauten, ererbten Waffe ging ihm immer noch schmerzlich nahe. Aber er bi? die Zahne zusammen und schritt zur Pforte, ohne zu hinken, ohne sich seine Trauer anmerken zu lassen.
        Die Seesoldaten prasentierten ihre Seitenwaffen, die Pfeifen schrillten, und Bolitho kletterte schnell an der Bordwand hinab zur
        Barkasse, wo Allday ihn in elegantem dunkelblauem Rock und hellen Nankingbreeches erwartete.
        Browne sa? schon im Heck des Bootes und musterte Bolitho mit ausdruckslosem Gesicht.
        Wie sie mich alle anstarren, dachte Bolitho. Wie eine Art Ubermensch.

«Absetzen vorn! Rudert an - zugleich!«Allday legte die Pinne; die Sonne reflektierte so grell vom Wasser, da? er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkneifen mu?te.
        Leise fragte Bolitho:»Na, Allday, wie schmeckt es, wieder frei zu sein?»
        Der bullige Bootsfuhrer wandte den Blick nicht von einem nahen Wachboot, als er antwortete:»Ich habe die Marine schon oft zum Teufel gewunscht, Sir, und ich ware eine Memme, wenn ich das nicht zugeben wurde. «Im Wachboot druben wurden die Ruder zum Gru? senkrecht gestellt, der Leutnant zog im Stehen seinen Hut, als die Admiralsbarkasse vorbeizischte.»Trotzdem - jetzt ist sie mein Zuhause, und mir ist, als ware ich heimgekehrt.»
        Browne nickte.»Mir geht's genauso, Sir.»
        Bolitho setzte sich auf der Ducht zurecht und druckte den Hut fester in die Stirn.

«Aber um ein Haar waren wir nie mehr heimgekehrt, Oliver.»

«Riemen ein! Klar bei Bootshaken!»
        Allday konzentrierte sich ganz auf das Anlegemanover und ignorierte die neugierigen Gesichter oben an der Reling der Dorsetshire, die blendenden Sonnenreflexe auf den Bajonetten, die roten und blauen Uniformrocke.
        Schlie?lich stieg Bolitho zur Schanzkleidpforte hinauf, und wieder begann das Trillern und Stampfen des Begru?ungszeremoniells.
        Der Vizeadmiral wartete unter der Poop, bis sein Flaggkapitan die Formalitaten abgewickelt hatte, dann schlenderte er heran, um Bolitho nun seinerseits zu begru?en.
        Beide hatten als Kapitane gegen die amerikanische Revolution gekampft, aber danach war Bolitho Studdart mehrere Jahre nicht begegnet und sah nun uberrascht, wie stark gealtert er war. Er wirkte fullig und beleibt, und sein rundes, frohliches Gesicht verriet, da? er gern uppig lebte.
        Nach einem herzlichen Handedruck rief Studdart aus:»Hol mich der Teufel, Bolitho, aber Ihr Anblick tut mir in der Seele wohl! Denn als letztes horte ich von Ihnen, da? die Franzosen angeblich Ihren Kopf auf einer Lanze spazierentrugen. «Er lachte laut auf.»Kommen Sie mit nach achtern, Sie mussen mir alles erzahlen. Ich bin gern genausogut informiert wie die Gazetten. «Mit einer vagen Geste zum Land setzte er hinzu:»Zweifellos haben die Spanier in Algeciras Ihre Ankunft beobachtet und werden die Neuigkeit schleunigst an Napoleon weiterleiten.»
        In der gro?en Achterkajute war es angenehm kuhl; der Vizeadmiral entlie? seine Diener, schickte Browne mit einem Auftrag davon und lehnte sich dann bequem zuruck, um Bolithos Version der Ereignisse zu horen. Er unterbrach ihn kein einziges Mal, auch dann nicht, als Bolitho ihm seine Theorie uber die optischen Telegraphen darlegte. Bolitho bewunderte Studdarts muhelose Selbstbeherrschung und begann zu begreifen, weshalb er so schnell befordert worden war: Der Mann hatte gelernt, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen.
        Erst als Bolitho auf Neales Tod zu sprechen kam, ergriff der Vizeadmiral das Wort.

«Da? wir Styx verloren haben, gehort zu dem Zoll, den der Krieg von uns fordert. Aber der Tod ihres Kommandanten ist deshalb nicht weniger erschutternd. «Er fullte ihre Weinglaser nach.»Trotzdem sollten Sie sich nicht die Schuld an Neales Tod geben. Ihre Flagge weht auf der Benbow und meine hier. Man hat uns eine ehrenvolle Fuhrungsaufgabe gegeben, und Sie sind uberdies von Admiral Beauchamp mit diesem Sondereinsatz in der Biskaya betraut worden. Sie haben Ihr Bestes getan, niemand kann Ihnen einen Vorwurf machen. Allein schon die Tatsache, da? Sie dieses gut funktionierende Telegraphensystem entdeckt haben, von dem keiner unserer sogenannten Agenten im Lande uns auch nur ein Wort gesagt hat, bringt uns zusatzliche Vorteile. Ihr Leben ist fur
        England und die Kriegsmarine wichtig. Da Ihnen eine ehrenvolle Flucht gelang, haben Sie das Vertrauen, das Admiral Beauchamp in Sie setzte, voll gerechtfertigt.
«Sir John lehnte sich zuruck und sah Bolitho frohlich an.»Habe ich recht?»
        Bolitho beharrte:»Trotzdem ist mein Auftrag noch nicht erfullt: die Vernichtung der feindlichen Invasionsflotte, ehe sie in den Kanal verlegt werden kann. Da? wir jetzt uber die Semaphorenstaf-fel entlang der franzosischen Westkuste besser informiert sind, andert nichts daran. Nach wie vor konnen die Franzosen ihre Schiffe schnell und gezielt dorthin beordern, wo sie am dringendsten gebraucht werden, wahrend unsere vor aller Augen die Kuste absuchen. Die neuen Landungsschiffe sind jetzt eher noch sicherer, seit unsere Kommandanten wissen, wie effektiv sie durch die Se-maphoren geschutzt werden.»
        Studdart lachelte schief.»Ich mu? schon sagen, Sie haben sich uberhaupt nicht verandert. Statt Befehle zu geben und das Risiko anderen zu uberlassen, treiben Sie sich wie ein junger Leutnant in Feindesland herum und setzen Leib und Leben aufs Spiel. «Er schuttelte den Kopf, plotzlich ernst geworden.»Aber so geht das nicht. Sie haben Ihre schriftlichen Befehle, und die konnen nur von Ihren Lordschaften selbst geandert werden, sobald London von Ihrer Rettung erfahren hat. Vielleicht bringt uns ja schon das nachste Schiff aus England entsprechende Neuigkeiten? Jedenfalls ist es gerechtfertigt, wenn Sie alle weiteren Aktionen jetzt erst einmal aufschieben. Die Entdeckungen, die Sie in Gefangenschaft gemacht haben, durchkreuzen Beauchamps Strategie. Lassen Sie's also gut sein, Bolitho. Sie haben sich einen ausgezeichneten Ruf erworben, um den Sie jeder, Nelson eingeschlossen, nur beneiden kann. Machen Sie sich hoherenorts keine Feinde. Ob im Frieden oder im Krieg, Ihre Zukunft ist gesichert. Aber wenn Sie bei der Admiralitat oder im Parlament unangenehm auffallen, sind Sie erledigt.»
        Mi?gestimmt rieb Bolitho die Armstutzen seines Sessels. Er kam sich vor wie in der Falle, obwohl er wu?te, da? Studdart ihm einen richtigen Rat erteilt hatte. Wer wurde sich in einem Jahr noch um die Vorgange in der Biskaya scheren? Vielleicht war die Invasion sowieso nur ein Gerucht, und Frankreich wunschte sich genauso sehnlich den Frieden wie die anderen auch und dachte nicht an Uberraschungsmanover.
        Studdart lie? ihn nicht aus den Augen.»Denken Sie zumindest gut nach uber meine Worte, Bolitho. «Er hob die Hand zu den Heckfenstern.»Sie konnen eine Weile hierbleiben und neue Befehle abwarten. Vielleicht beordert man Sie weiter ins Mittelmeer, als Unterstutzung fur Saumarez; alles ware besser als die verdammte Biskaya.»

«Ja, Sir, ich werde das bedenken. «Sorgsam stellte Bolitho sein Weinglas auf den Tisch.»Und in der Zwischenzeit mu? ich meine Depeschen nach England abfassen.»
        Der Vizeadmiral zog seine Taschenuhr heraus.»Gutiger Gott, in einer Stunde erwartet mich der General an Land. «Er erhob sich in aller Ruhe.»Lassen Sie es beim Nachdenken nicht bewenden. Sie sind Stabsoffizier und sollten sich nicht mit Dingen befassen, die Ihren Untergebenen anvertraut werden konnen. Sie befehlen, die anderen gehorchen - so gehort sich das, wie Sie wissen.»
        Bolitho erhob sich lachelnd.»Gewi?, Sir.»
        Der Vizeadmiral wartete, bis sein Besucher die Tur erreicht hatte, dann fugte er noch hinzu:»Und ubermitteln Sie der Dame bitte meine warmsten Empfehlungen. Vielleicht hatte sie ja Lust, mit mir zu speisen, ehe sie uns wieder verla?t, he?»
        Nachdem die Tur hinter Bolitho zugefallen war, schritt Studdart zu den Heckfenstern und starrte auf die Schiffe seines Geschwaders hinaus, die in der Runde vor Anker lagen. Er wu?te, Bolitho wurde seine Ermahnungen in den Wind schlagen. Hoffentlich blieb ihm auch diesmal sein Gluck treu. Denn bei einem neuerlichen Mi?erfolg erwarteten ihn entweder Tod oder Schande.
        Und obwohl er das alles ganz klar vor sich sah, merkte Studdart zu seiner Uberraschung, da? er Bolitho beneidete;
        An Bord des Ostindienfahrers Duchess of Cornwall herrschte systematisches Chaos, so da? die Begru?ungszeremonie fur den Besucher, Konteradmiral oder nicht, eher nachlassig vonstatten ging.
        Einen grollenden Allday in der Barkasse zurucklassend und dicht gefolgt von Browne, ging Bolitho mit seinem Fuhrer, einem offenbar uberforderten Leutnant, nach achtern.
        Die Duchess war ein feines Schiff, das mu?te der Neid ihr lassen. Wen wunderte es, wenn Matrosen die gute Heuer und die Bequemlichkeit der Indienfahrt dem Hundeleben auf einem Kriegsschiff vorzogen?
        Langsseits lagen Leichter, zu denen schwingende Flaschenzuge hinabfuhrten, uber die mit der Akkuratesse langer Ubung Fracht an Bord gehievt wurde; die Kisten und Netzballen verschwanden anschlie?end durch die Ladeluken unter Deck: Vorrate fur die nachste Etappe.
        Besonders befremdlich waren fur Bolitho die vielen vergnugt schwatzenden Passagiere, die sich uberall drangten, entweder frisch an Bord gekommen oder in Erwartung des Fahrboots, das sie zur Garnison an Land bringen sollte. Die meisten waren Angehorige der Offiziere und Beamten jener unsichtbaren Armee, die Gibraltar besetzt hielt, ohne da? man in der Heimat sonderlich Notiz von ihr nahm. Dazu sicherlich die doppelte Anzahl an Handlern und Kupern, Segelmachern und Takelmeistern, Agenten und Glucksrittern, dachte Bolitho.

«Dort steht der Kapitan, Sir«, sagte der Leutnant.
        Aber Bolitho horte ihn kaum. Denn druben an der Reling stand sie und hielt mit einer Hand den Hut so, da? ihr die Sonne nicht in die Augen stach. Das Hutband leuchtete hellblau wie ihr Kleid, und als sie uber eine Bemerkung des Kapitans auflachte, glaubte Bo-litho, sein Herz musse vor Freude einen Schlag aussetzen.
        Sie schien seinen Blick zu spuren und wandte sich um. Ihre braunen Augen lie?en seine nicht mehr los, wahrend er auf sie zuschritt. Der Kapitan des Indienfahrers war untersetzt und wirkte zuverlassig. Bolitho erinnerte er ein bi?chen an seinen Freund Herrick.»Willkommen an Bord, Sir«, begru?te er Bolitho.»Ich habe Mrs. Laidlaw gerade versichert, da? ich gern jeden Penny opfern wurde, den mir diese Indienfahrt einbringt, wenn ich sie dafur an Bord behalten durfte.»
        Der Kapitan lachte herzhaft, und sie stimmte mit ein, aber in ihren Augen konnte Bolitho lesen, wie unwichtig ihr das alles war und da? nur er fur sie zahlte.
        Er ku?te ihr die Hand. Als er ihre Haut beruhrte und ihren frischen Duft roch, ware es um seine Beherrschung fast geschehen gewesen. Vielleicht hatte er sich vor allen Leuten zum Narren gemacht, wenn.
        Leise sagte sie:»Um dieses Wiedersehen habe ich mit aller Kraft gebetet, mein Liebster. «Ihre Lippen zitterten, doch mit einem Anflug von Trotz warf sie das Haar in den Nacken.»Trotzdem habe ich keinen Augenblick daran gezweifelt, da? du zuruckkommen wirst.»
        Mit einer gemurmelten Entschuldigung, die sie beide gar nicht wahrnahmen, zog sich der Kapitan des Indienfahrers zuruck und wandte sich seinen anderen Passagieren zu.
        Belindas Blick fiel auf Browne.»Ich freue mich, Sie in Sicherheit zu wissen, Leutnant«, sagte sie lachelnd.»Und in Freiheit.»
        Dann nahm sie Bolithos Arm und fuhrte ihn beiseite, alle anderen aus ihrem Zwiegesprach ausschlie?end.

«Thomas Herrick hat mir eine Nachricht an Bord gesandt, Richard«, erzahlte sie. Von ihm wei? ich, jedenfalls ungefahr, was du erdulden mu?test. Und da? du deinen Freund Neale verloren hast. Du mu?t deinen Kummer vor mir nicht verbergen, Liebster. Wirklich nicht.»

«Ich wollte ihn unbedingt durchbringen«, sagte Bolitho.»Aber vielleicht war dieser Wunsch nur deshalb so stark, weil ich mich verantwortlich fuhlte fur das, was Neale zugesto?en war. Ich dachte, ich hatte dazugelernt; aber vielleicht geht mir immer noch alles zu sehr unter die Haut. Jetzt werde ich mich wohl nicht mehr andern, genausowenig wie ich bedenkenlos Menschenleben opfern kann, blo? weil mein Auftrag dies verlangt. «Er wandte sich ihr zu und blickte so aufmerksam in ihr Gesicht, als wolle er es sich fur immer einpragen.»An meiner Liebe zu dir andert sich auch nichts. Die wird immer gleichbleiben. Allerdings hatte ich befurchtet.»
        Sie hob die Hand und legte sie auf seine Lippen.»Nicht doch. Ich fuhr mit nach Gibraltar, weil ich wenigstens den Versuch machen wollte, dir zu helfen. Es mu? Schicksal gewesen sein, da? wir uns unterwegs begegneten. «Wieder schuttelte sie ihr Haar in den Nacken.»Jetzt bin ich glucklich. Und ich werde auch dich wieder froh machen.»
        Bolitho strich uber ihr Haar und erinnerte sich daran, wie es in der umgesturzten Kutsche ihr Gesicht verborgen hatte. Auch damals hatte das Schicksal sie zusammengefuhrt. Also gab es eine hohere Macht und damit auch eine Hoffnung fur sie alle.
        Ein Steuermann druckte sich hinter ihnen herum und griff immer wieder nervos an seinen Hut. Er mied Bolithos Blick, woraus dieser schlo?, da? der Mann von der Kriegsmarine desertiert war, um bei der Ostindischen Handelskompanie bequem unterzuschlupfen.

«Mit Verlaub, Madam, aber das Boot wartet. Ihre Zofe und Ihr Gepack sind schon an Bord.»

«Ja, danke. «Noch einmal druckte sie Bolithos Arm, bis ihm ihre Nagel durch den Stoff in die Haut drangen, und flusterte:»Sei mir nicht bose, mein Liebster, aber wenn ich jetzt nicht gehe, breche ich in Tranen aus. Die Freude ist fast zuviel fur mich. «Lachelnd strich sie sich eine Haarstrahne aus den Augen.»Und ich mu? mich noch vom Kapitan verabschieden, er war au?erst aufmerksam zu mir. Dein Erscheinen auf der Benbow hat ihn wohl ziemlich eingeschuchtert, furchte ich.»
        Bolitho lachelte.»Ich hatte nie gedacht, da? ich einen Gemuseschiffer wie ihn noch einmal beneiden wurde. Aber seit er dich unter seinen Passagieren hatte.»
        Fasziniert beobachtete Browne, wie sich die scharfen Linien um Bolithos Augen und Mund milderten. Das mu?te Belinda zu verdanken sein, auch wenn sie erst wenige Minuten beisammen waren. Eines Tages wurde auch er eine Frau wie Belinda Laidlaw finden, sagte er sich. Dann brauchte er nicht mehr nur von ihr zu traumen.
        Dabei kam ihm ein Einfall. Als Bolitho schlie?lich zur Schanzkleidpforte ging, blickte er auf das gro?te Boot der Benbow hinab, in dem Belindas Zofe neben einem Berg Gepack sa? und Allday strahlend zu ihm aufschaute.
        Verlegen erlauterte Browne:»Na ja, Sir, ich dachte - die Lady des Admirals sollte auch in der Barkasse des Admirals an Land gehen.»
        Bolitho sah seinen Adjutanten lange an und legte ihm schlie?lich dankbar die Hand auf den Arm.»Das war ein guter Einfall, Oliver. Ich werde es Ihnen nicht vergessen.»
        Browne errotete.»Da kommt sie schon, Sir.»
        Belinda trat zu ihnen an die Pforte und starrte eine ganze Weile auf die grungestrichene Admiralsbarkasse hinunter. Dann sah sie mit verschleiertem Blick zu Bolitho auf.»Wartet dieses Boot auf mich, Richard?»
        Er nickte.»Wenn ich konnte, wurde ich dir die ganze Welt zu Fu?en legen.»
        Mit viel Umsicht half man ihr ins Boot, wahrend die Matrosen mit den geteerten Huten und karierten Hemden um das Rundholz ihrer senkrecht gestellten Riemen schielten, als sei ein Wesen aus einer anderen Welt zu ihnen herabgestiegen.
        Allday reichte Belinda die Hand und fuhrte sie zu einem Kissen auf der Heckducht. Sie ergriff seine mit beiden Handen und sagte leise:»Es macht mich froh, Sie gesund wiederzusehen, John All-day.»
        Allday mu?te schlucken und wandte den Blick ab. Sie war zu ihnen gekommen; sie erinnerte sich sogar noch an seinen vollen Namen. Da fiel ihm die Zofe ein, und er zwinkerte ihr zu.

«Absetzen vorn!»
        Allday dachte an die gut geschulte Mannschaft des stattlichen Indienfahrers, die ihm oben an der Reling zusah, und dann an seine eigene Bootscrew, die aus Englands Kerkern und Gossen stammte und vom Seekrieg gestahlt worden war. Er kam zu dem Schlu?, da? er keinen einzigen seiner Manner gegen einen dieser Handelsmatrosen eingetauscht hatte.

«Rudert an!»

«Was hast du jetzt vor, Belinda?«fragte Bolitho und sprach bewu?t den geliebten Namen laut aus, den er so oft im Geiste beschworen hatte.

«Mich nach England einzuschiffen. «Sie wandte sich um, als das Boot an der Benbow vorbeischo?, und musterte das Linienschiff bewundernd.»Ich wollte, ich konnte auf ihr zurucksegeln!»
        Bolitho mu?te lacheln.»Auf einem Kriegsschiff? Der arme Thomas, er konnte kein Auge schlie?en, wenn er dich an Bord und in seiner Obhut wu?te.»
        Sie senkte die Lider.»Ich mochte gern mit dir allein sein. Ich schame mich, da? ich es ausspreche, aber ich kann gegen dieses Gefuhl nicht an.»
        Bolitho sah, da? die Augen des Schlagmanns auf einen festen Punkt hinter Belindas Rucken gerichtet waren; hatte er ihre Worte gehort, ware aus dem Gleichtakt der Riemen ein Chaos geworden.»Mir geht es genauso«, sagte er,»Sowie ich dich sicher an Land untergebracht habe, werde ich mich um deine Ruckfahrt nach England kummern. «Es verlangte ihn so sehr danach, sie zu beruhren, sie in die Arme zu schlie?en.

«Und wann wirst du nach Hause zuruckkehren?»
        Die Angst in ihrer Stimme war Bolitho nicht entgangen.»Bald«, sagte er und versuchte, nicht an die Depeschen zu denken, die er mit dem nachsten Postschiff absenden mu?te; dieIndomitable und Odin herbeirufen wurden, um die Streitmacht seines kleinen Geschwaders zu vervollstandigen. Aber insgeheim mu?te Belinda ahnen, da? ihnen eine langere Trennung bevorstand. Trostend sagte er deshalb:»Wenn wir uns wiedersehen, bleiben wir zusammen.»
        Am Kai wurden sie von zwei Zivilisten, einem Mann und einer Frau, erwartet. Der Mann war ein rotwangiger, jovialer Riese, der sie herzlich empfing.»Bei uns ist sie gut aufgehoben, Admiral«, versicherte er.»Besuchen Sie uns, sooft Sie konnen. Aber wie man hort, werden Sie bald wieder die Anker lichten. «Er grinste, ohne im geringsten zu merken, was seine Worte bei Belinda anrichteten.»Schlie?lich wollen Sie ja dem Franzosen eins auf die freche Nase geben, stimmt's, Sir?»
        Bolitho zog den Hut und murmelte etwas Zustimmendes.
        Wieder einmal hielten sie einander bei den Handen und sahen sich in die Augen, ohne ihre Gefuhle verbergen zu konnen.

«Ich besuche dich, Belinda, komme, was wolle.»
        Abschiednehmend ku?te er ihre Hand und sah, da? sie eine Bewegung machte, als wolle sie sein Gesicht streicheln. Da lie? er ihre Finger los und trat zuruck.
        Weiter drau?en an der Pier ging Browne schon ungeduldig auf und ab, wahrend die Barkasse unten wartete. Gru?end tippte der Flaggleutnant an seinen Hut.

«Ein Postschiff hat gerade Anker geworfen, Sir«, meldete er.»Es hat ein Flaggensignal gehi?t, wonach Depeschen fur den Ad-miral an Bord sind.»
        Bolitho sah an Browne vorbei auf die Reede hinaus, wo der gro?e Indienfahrer und ein zweites Schiff des Konvois bereits die Anker kurzstag holten und die Segel ausschuttelten. Weiter drau?en lag beigedreht eine Fregatte, deren obere Rahen schon im Dunst verschwammen: der Geleitschutz, der sie vor jeder Gefahr, die ihnen auf offener See drohen mochte, abschirmen sollte.
        Das Leben ging weiter, und so mu?te es ja auch sein. Das hatte Studdart gemeint, als er ihn vor den Konsequenzen eines moglichen Mi?erfolgs gewarnt hatte.
        Das Postschiff brachte wahrscheinlich neue Befehle fur Herrick, denn in England konnte noch niemand von der Vernichtung der Ceres und von Bolithos Befreiung gehort haben.
        Und was dann? Sollte er auf Studdarts Rat horen und weitere Anweisungen aus London abwarten? Wieder dachte er an Styx, an ihre blutenden und benommenen Schiffbruchigen auf dem franzosischen Strand, wo ihn die junge Frau so ha?erfullt angestarrt hatte.
        Es gab nun einmal keine einfache Losung, hatte es nie gegeben.
        Unten wartete die Barkasse auf ihn. >Fur die Lady des Admi-rals.< Wenn er jetzt untatig blieb, verriet er sich selbst. Schlimmer noch: Auch sie mochte ihn eines Tages verachten, wenn sie seine Entscheidung ohne die Emotionalitat ihrer ersten Wiedersehensfreude analysierte.
        Allday spurte die Stimmung seines Admirals auch ohne Worte: Also dann, John, machen wir weiter. Er glaubte zu wissen, was Bolitho beschaftigte, und auch, da? er spater vielleicht daruber sprechen wurde. Mitleidlos grinste er seine Bootscrew an. Auf ein neues, Jungs, dachte er. Sie wurden der Fahne folgen und ihre Pflicht tun wie immer, denn dies war das Los der Blaujacken.



        XI Kostbare Stunden


«Machen Sie davon sechs Ausfertigungen und bringen Sie mir alle zum Unterzeichnen.
«Bolitho sah Yovell uber die Schulter und staunte wieder einmal - wie schon oft - , da? ein so gro?er Mann eine so winzige, gestochene Handschrift hatte.
        Herrick sa? auf der Bank unter den Heckfenstern und sah zu, wie sich der Rauch aus seiner langstieligen Pfeife krauselte. Es war fruher Nachmittag, und seit dem Augenblick, da der Anker gefallen war, hatten sie pausenlos gearbeitet.
        Herrick uberlegte.»Wenn man in der Admiralitat Ihre Depeschen liest, wei? man dort ohne jeden Zweifel, da? wieder voll mit Ihnen zu rechnen ist, Sir. «Er lachte glucksend.»Ihre geplante Aktion gegen die Franzosen wird in Whitehall ein paar Kopfe rauchen lassen, mochte ich wetten.»
        Bolitho ging unruhig in der Kajute auf und ab und fragte sich, ob er an alles gedacht hatte. Inzwischen mu?te Kapitan Inch mit seiner wieder instandgesetzten Odin von der Nore hinunter nach Plymouth gesegelt sein, um sich dort Verikers Indomitable anzuschlie?en; und Keens Schiff lag hier vor Gibraltar auf Reede, kaum eine Kabellange von der Benbow entfernt. Sie waren schon anfangs nicht zahlreich gewesen, und nun waren sie noch weniger.
        Das am Vormittag eingelaufene Postschiff hatte neben Depeschen fur Sir John Studdart auch neue Befehle fur Herrick an Bord gehabt, genau wie Bolitho vorausgesehen hatte. Herrick sollte mit Benbow, in Begleitung von Nicator und der Fregatte Ganymede, nach Plymouth zurucksegeln und den Oberbefehl uber das Geschwader ubernehmen, bis neue Befehle ergingen.
        Wie den vielbeschaftigten Kurier-Briggs blieb auch den schnellen Postschiffen kaum Zeit im Hafen. Der Neuankommling, die Thrush, mu?te am nachsten Morgen wieder auslaufen, und Bo-lithos Depeschen hatten dann an Bord zu sein.
        Ihren Lordschaften stand eine ziemliche Uberraschung bevor, wenn sie erfuhren, da? er nicht nur am Leben war, sondern von seinem eigenen Flaggschiff gerettet wurde.
        Der Sekretar packte seine Papiere zusammen und verlie? schweren Schritts die Kajute. Bolitho mu?te ihn nicht erst zur Eile drangen, er wu?te, da? Yovell alles rechtzeitig zur Unterschrift fertig haben wurde.
        Dabei fiel Bolitho wieder der eine unangenehme Punkt in Herricks neuen Anweisungen ein: Er sollte auf dem Weg Kontakt mit dem Blockadegeschwader vor Belle Ile aufnehmen und Kapitan Emes verstandigen, da? er vor ein Kriegsgericht gestellt werden wurde, sobald seine Phalarope erst abgelost war.
        Bolitho hielt diese Ma?nahme fur falsch und unfair - auch dann, wenn man bedachte, da? London noch nichts von der Befreiung des in Gefangenschaft geratenen Konteradmirals wu?te.
        Herrick andererseits blieb unbeirrt dabei, Emes' Verhalten zu verurteilen.

«Aber naturlich war es falsch von ihm, Sir. Immerhin uberlie? er Styx in einer kritischen Situation ihrem Schicksal und mi?achtete Ihren Befehl, den Feind ins Gefecht zu verwickeln. Wenn ich dabeigewesen ware, hatte ich Emes an Benbows Gro?rah aufgehangt und der Admiralitat die Kosten eines Gerichtsverfahrens erspart!«Unter dem Heck zog langsam ein Boot voll singender Seeleute vorbei, die nach kurzem Landaufenthalt gut gelaunt auf ihr Schiff zuruckkehrten. Bolitho sah ihnen nach. Sie pullten bestimmt zur Thrush, denn er hatte sich bereits vergewissert, da? binnen Wochenfrist kein anderes Schiff nach England auslief.
        Also mu?te Belinda sich auf der Thrush einschiffen, obwohl sie bei ihren alten Freunden aus Indien gut untergebracht war. Aber Gibraltar war nicht der richtige Aufenthaltsort fur sie. Bolithos Geschwader wurde so schnell wie moglich wieder in See stechen, und wenn das Schicksal sich gegen ihn wandte, nachdem es ihm bisher so gunstig gesonnen gewesen war, dann gehorte Belinda nach Falmouth, wo man sie mit liebevoller Fursorge uber den Verlust hinwegtrosten wurde.
        Er gab seinem Steward Ozzard ein Zeichen, mehr Wein aus dem Kuhler zu bringen, und sagte zu Herrick:»Also, Thomas, es gibt noch eine Sache, die ich besprechen mochte.»
        Herrick klopfte seine Pfeife aus und machte sich in aller Ruhe daran, sie neu zu stopfen.
        Ohne aufzublicken, sagte er:»Das haben Sie bereits getan, Sir, und meine Antwort ist die gleiche: Wegen der Teilung des Geschwaders wurde ich zum Kommodore ernannt, eine Beforderung, die noch der Bestatigung bedarf. An Ihrem Oberbefehl uber das gesamte Geschwader, so wie es auch in Ihrer Order festgelegt ist, andert das nichts. «Jetzt blickte er auf, aber seine blauen Augen lagen im Schatten.»Oder verlangen Sie von mir, da? ich wie Emes Fersengeld gebe, wenn ich am meisten gebraucht werde?»
        Bolitho nahm von Ozzard zwei Weinglaser entgegen und ging damit zu seinem Freund.

«Das ist Unsinn, Thomas, und Sie wissen es. Nicht das Risiko einer Schlacht macht mir Sorgen, sondern die Gefahrdung Ihrer weiteren Karriere. Ich kann Sie mit einem anderen Verband zur Bewachung von Lorient abstellen. Dann bleibt Ihr Kommodorewimpel, wo er hingehort, namlich im Masttopp von Benbow. Herrgott, Mann, das haben Sie verdient - und mehr! Wenn Sie sich ans Reglement gehalten und Ganymede mit dem Franzosen allein gelassen hatten, dann ware ich jetzt noch in Gefangenschaft. Glauben Sie, dafur bin ich Ihnen nicht dankbar? Aber wenn meine Befreiung mit dem Ausbleiben Ihrer Bestatigung als Kommodore erkauft werden soll, dann scheint mir das ein schlechter Tausch.»
        Herrick blieb fest.»Ich habe in Plymouth nicht auf das Eintreffen meines neuen Flaggkapitans gewartet, sondern bin vorher ausgelaufen, weil ich mein Kommando uber ein Linienschiff wie die Benbow nur als Zwischenlosung betrachtete. Ich bin Kapitan und werde es bleiben, bis man mir eines Tages den Stuhl vor die Tur setzt.
«Grinsend fugte er hinzu:»Und was eine gewisse Lady betrifft, so ware letzteres ihr wahrscheinlich am liebsten.»
        Bolitho lie? sich schwer auf die Bank sinken und musterte Herrick ernst.»Und wenn ich es Ihnen dienstlich befehle, Thomas?»
        Herrick hielt einen Fidibus an seine Pfeife und paffte gemachlich.

«Na ja, Sir, dann wurde sich alles finden. Aber bedenken Sie, wenn Sie mich aus dem Geschwader ausgliedern, bevor Sie es zu einem Angriff fuhren - der aller Voraussicht nach sowieso vorher abgeblasen wird - , dann konnten Ihre Lordschaften diese Ma?nahme als Mangel an Selbstvertrauen interpretieren. «Trotzig hielt er Bolithos Blick stand.»Da meine Beforderung also in jedem Falle auf dem Spiel steht, bleibe ich schon lieber hier bei Ihnen.»
        Bolitho mu?te lacheln.»Himmel, Thomas, Sie sind fast so stur wie Allday.»

«Freut mich. «Herrick griff nach seinem Weinglas.»Soviel ich wei?, ist Allday der einzige, der Sie zur Vernunft bringen kann. «Er grinste.»Mit allem Respekt gesagt, Sir.»
        Bolitho erhob sich und trat vor das Gestell mit den Sabeln.»Manchmal frage ich mich, Thomas, was aus meiner alten Waffe geworden ist. «Er straffte sich.»Mir ist nichts geblieben. Sie haben mir sogar die Taschenuhr abgenommen.»
        Herrick nickte.»Also ein ganz neuer Beginn. Das hat auch sein Gutes.»

«Vielleicht.»

«Wie dem auch sei«, fuhr Herrick fort,»lassen Sie uns so bald wie moglich auslaufen, diese elende Warterei schadet nur. «Doch als Bolitho schwieg, nickte er.»Verstehe, Sir. Dieses eine Mal eilt es Ihnen nicht mit dem Abschiednehmen. Was ich Ihnen bestimmt nicht verubeln kann.»
        Bolitho nahm den glanzenden Prunksabel von der Wand und wog ihn nachdenklich in den Handen, wahrend ihm selbstqualerische Gedanken durch den Kopf gingen.
        Herrick wollte ihn ablenken.»Eine Menge anstandiger Leute haben Ihnen mit dieser Ehrengabe zeigen wollen, da? sie auf Ihrer Seite stehen. Genau wie ich. Also furchten Sie nichts. Wir halten zu Ihnen, ganz gleich, was kommt. «Damit erhob er sich etwas zu abrupt und mu?te sich an der Bank abstutzen. Er grinste.»Ziemlicher Seegang heute, Sir.»
        Bolitho beobachtete ihn; wie immer ruhrte ihn Herricks Ernsthaftigkeit.

«Die See ist ruhig wie ein Dorfteich, Thomas. Nein, es liegt am Wein.»
        Herrick besann sich auf seine Wurde und schritt zur Tur.»Und warum auch nicht, Sir? Ich habe Grund zum Feiern.»
        Bolitho sah ihm nach und murmelte:»Gott segne dich dafur, Thomas.»
        Browne mu?te schon drau?en gewartet haben; er trat jetzt ein, und Bolitho bat ihn: Machen Sie dem Kapitan der Thrush einen Besuch, Oliver, und arrangieren Sie die Ruckreise fur - «, er wandte sich ihm zu - ,»fur die Lady des Admirals. Vergewissern Sie sich, da? sie gut aufgehoben sein wird. Sie sind darin geschickter als jeder andere.»
        Brownes Gesicht blieb ausdruckslos, als er sagte:»Die Thrush lauft schon morgen aus, Sir. In aller Fruhe.»

«Das wei? ich.»
        So weit war Belinda gereist, getrieben von der kaum zu rechtfertigenden Uberzeugung, da? er noch am Leben sei. Und jetzt schickte er sie mit dem nachsten Schiff fort. Aber er spurte, da? er recht daran tat, da? sie ihn verstehen wurde.
        In einem plotzlichen Impuls sagte er:»Ich gehe an Land. Meine Bootscrew soll sich bereithalten. «Er sprach so schnell, als wolle er jedem Gegenargument zuvorkommen. Wenn Sie mich brauchen, ich bin…«Er zogerte.
        Browne reichte ihm seinen Hut und den Standardsabel, mit dem Herrick ihn ausgestattet hatte.

«Ich verstehe, Sir. Uberlassen Sie ruhig alles mir.»
        Bolitho schlug ihm auf die Schulter.»Wie bin ich nur fruher ohne Sie ausgekommen?»
        Browne folgte seinem Admiral an Deck, und wahrend die Pfeifen schrillten und die Bootscrew zusammentrat, erwiderte er:»Das beruht auf Gegenseitigkeit, Sir.»
        Als die Barkasse dann zugig aus dem Schatten der Benbow pullte, blickte Bolitho zum Gewirr ihrer Rahen, Stagen und Wanten empor und zur wurdevollen Galionsfigur, einem Portrat von Admi-ral Sir John Benbow. Der war seinen Verletzungen erlegen, nachdem er von einigen seiner Kommandanten verraten worden war.
        Bolitho dachte an Herrick und Keen, an Inch und an Neale, der seine Loyalitat mit dem Leben bezahlt hatte.
        Wenn Admiral Benbow solches Gluck wie er gehabt hatte, ware die Geschichte anders ausgegangen.
        Allday blickte auf Bolithos gerade Schultern hinab und auf den schwarzen Zopf uber dem goldbetre?ten Kragen. Wenn es um eine Frau ging, sinnierte er, waren alle gleich, Admiral wie Matrose.
        Das Zimmer war klein, aber gemutlich, und nur die dicken Au?enwande verrieten, da? es in der Festung von Gibraltar lag. An der Wand hingen Portrats und anderer Zierat und erinnerten daran, da? hier sonst Agenten der Handelskompanie ubernachteten, wenn sie der Garnison von Gibraltar einen Besuch abstatteten.
        Leise sagte Bolitho:»Ich dachte schon, sie wurden uns nie allein lassen.»
        Er hatte die Barclays erst vor kurzem kennengelernt, sah das Ehepaar aber schon als Einheit, nicht als zwei verschiedene Menschen.
        Belinda griff lachelnd nach seiner Hand.»Es sind nette Leute, Richard. Aber fur sie…»
        Er legte ihr den Arm um die Taille, und sie traten zum Fenster. Die Sonne war schon uber den Felsen hinweggewandert, unter ihren schrag einfallenden Strahlen wirkten die in regelma?igen Abstanden auf dem dunkelblauen Wasser der Reede ankernden Kriegsschiffe wie Spielzeug. Nur hier und da zog ein schnell gerudertes Boot sein pfeilformiges wei?es Kielwasser uber die Bucht und zeugte fur den unermudlichen Dienstbetrieb in der Flotte.
        Belinda legte den Kopf an seine Schulter und murmelte:»Von hier oben sieht die Thrush so winzig aus. «Sie lie? den Blick zur Benbow schweifen, die an der Spitze der verankerten Schiffe lag.»Wenn ich bedenke, da? du diese vielen Manner und Schiffe befehligst, kommt es mir vor, als hatte ich zwei Menschen in einem Mann vor mir.»
        Bolitho trat hinter sie und fuhlte ihr Haar auf seinen Lippen. Endlich waren sie allein. Auf diesem uberfullten, kunstlich geschaffenen Au?enposten hatten sie ein Platzchen gefunden, wo sie fur sich sein konnten. Es kam ihm vor, als blicke er auf den Rest der Welt, ja auf sein anderes Ich aus gro?er Hohe hinab.
        Belinda hatte recht. Dort unten war er Oberbefehlshaber, ein Mann, der mit einem einzigen Flaggensignal uber Leben und Tod vieler Menschen entscheiden konnte. Aber hier oben war er nur er selbst.
        Sie lehnte sich enger an ihn.»Wenn du Gibraltar verla?t, dann gehe ich auch. Ich bin froh, da? jetzt alles arrangiert ist. Sogar meine neue Zofe Polly freut sich auf die Reise, weil sie hofft, Allday wiederzusehen. Er hat ihr den Kopf verdreht.


«Ich mochte so vieles mit dir besprechen, Belinda. Wir sehen uns nur so kurz, und bald.»

«Bald sind wir wieder getrennt, ich wei?. Aber ich will einfach nicht daran denken. Wenigstens nicht in den nachsten Stunden. «Bolitho spurte, da? sie sich versteifte.»Wird es denn sehr gefahrlich werden? Und bitte, schone mich nicht. Du wei?t, jetzt kannst du mir die Wahrheit sagen.»
        Bolitho blickte an ihrem Kopf vorbei zu den Schiffen hinaus, die trage an ihren Ankertrossen schwojten.

«Wir werden kampfen mussen. «Fur ihn war es eine neue Erfahrung, mit einem Menschen uber seine Gefuhle sprechen zu konnen.»Man wartet und wartet, versetzt sich an die Stelle des Feindes, und wenn es dann schlie?lich zum Gefecht kommt, ist plotzlich alles anders. Die Leute zu Hause glauben, da? Seeleute fur Konig und Vaterland kampfen und um ihre Lieben daheim zu schutzen. Das stimmt naturlich auch. Aber wenn die Kanonen brullen und das feindliche Schiff wie ein Zerrbild des Teufels vor dir aus dem Rauch auftaucht, plotzlich so nahe, da? du es fast beruhren kannst, dann denkst du nur an den Mann neben dir. Ein Kamerad schreit nach dem anderen, denn was Seeleute verbindet, das ist starker als abstrakte Symbole und Begriffe einer Welt jenseits ihres Schiffes.»
        Er spurte, da? sie aufschluchzte, und erschrak.»Vergib mir, das hatte ich nicht sagen durfen.»
        Sie schuttelte den Kopf.»Nein, ich bin stolz darauf, wenn ich es mit dir teilen darf. Dann fuhle ich mich eins mit dir.»
        Er lie? seine Hande hoher gleiten und spurte, wie sie zusammenfuhr, als er ihre Bruste beruhrte.

«Belinda, du mu?t mir zeigen, wie man liebt. Ich lebe jetzt schon so lange auf See, in dieser Mannerwelt, da? ich mich davor furchte, etwas falsch zu machen. Ich konnte dich verstoren.»
        Sie antwortete zunachst nicht, aber als er sie an sich zog, konnte er ihren Herzschlag spuren. Dann flusterte sie so leise, da? er sich zu ihr hinabbeugen mu?te:»Ich habe es dir ja schon gesagt: Ich sollte mich eigentlich dafur schamen, da? ich mich so nach dir sehne. «In seinen Armen drehte sie sich um und sah zu ihm auf.»Aber ich schame mich nicht.»
        Bolitho ku?te ihren Hals, wu?te, er mu?te sich beherrschen, konnte es aber nicht. Belinda streichelte sein Haar und stohnte leise auf, als sein Mund ihre Bruste streifte.

«Ich brauche dich, Richard«, flusterte sie.»Wir wissen beide nicht, was morgen sein kann. «Als er protestierend den Kopf hob, sagte sie mit festerer Stimme: Glaubst du, ich begnuge mich mit der Erinnerung an die Umarmungen meines toten Mannes, wenn ich doch nur dich will? Wir haben beide schon geliebt und sind geliebt worden, aber das gehort jetzt der Vergangenheit an.»
        Er nickte.»Es zahlt nicht mehr.»
        Sie griff nach seiner Hand.»Uns ist so wenig Zeit vergonnt, mein Liebster«, sagte sie mit abgewandtem Blick. Doch dann warf sie mit der trotzigen Bewegung, die Bolitho lieben gelernt hatte, das Haar in den Nacken und zog ihn mit sich fort wie ein mutwilliges Kind, zum verhangten Alkoven in der anderen Ecke des Zimmers.
        Bolitho schob die Bettvorhange zuruck und sah ihr zu, wie sie mit ungeduldigen Handen ihr Kleid abstreifte. Dann holte sie tief Luft und wandte sich ihm zu, die nackten Schultern vom offenen Haar verhullt.
        Bolitho strich uber ihren Hals und schob die Haarstrahnen auf ihren Rucken. Dann hob er sie auf und legte sie so langsam und vorsichtig auf das Bett, als wolle er jeden Moment auskosten.
        Gleich darauf lag er neben ihr, spurte ihre Haut und suchte ihren Blick, als gelte es, gemeinsam etwas Neues zu entdecken.
        Dann schob er sich uber sie und sah, da? ihre Augen ihm folgten, wahrend zu beiden Seiten ihre Hande sich zu Fausten ballten, als konne sie die Qual des Wartens nur mit Muhe ertragen.
        Auf dem Boden vor dem Bett lagen in einem bunten Haufen ihr blaues Kleid, ihre hellere Unterwasche und Bolithos dunkler Rock mit den glanzenden Goldepauletten, uberflussig und vergessen wie die Schiffe unten vor dem Fenster.
        Sie verloren jedes Zeitgefuhl und empfanden nur die Gegenwart des anderen, kosteten voll Zartlichkeit und Ungestum, voll Leidenschaft und Behutsamkeit ihre Liebe aus.
        Der Abend senkte sich uber die Reede, aber sie merkten nichts davon, ebenso wie es ihnen vollig entgangen ware, hatte der Felsen von Gibraltar sich plotzlich in zwei Teile gespalten.
        Erst im schwachen grauen Schimmer des nahenden Morgens erhob sich Bolitho vorsichtig und ging zum Fenster.
        Unten tanzten einige sparliche Lichter auf und ab und signalisierten seinen langsam erwachenden Sinnen, da? das Leben au?erhalb ihres Zimmers weitergegangen war. Die Schlafer in den Hangematten waren geweckt worden, die Decks wurden gescheuert, und die gahnenden Wachganger warteten ungeduldig darauf, da? die Sanduhren umgedreht wurden und ihre Ablosung erschien. Helles Glasen begru?te den neuen Tag.
        Er horte Belinda sich hinter ihm bewegen und wandte sich wieder dem Bett zu, auf dem sie selbstvergessen lag, einen Arm quer uber die Kissen ihm entgegengestreckt.
        Er lie? sich neben ihr nieder und spurte seine guten Vorsatze verfliegen, als sein Verlangen nach ihr zuruckkehrte. Er strich uber ihre nackte Haut und fuhlte, da? ihre Sehnsucht nach ihm ebenso gro? war.
        In der Ferne blies eine helle, schmetternde Trompete die Reveil-le. Bolitho sagte weich:»Ich mu? gehen, Belinda. Deine Freunde werden bald kommen, um dir beim Packen zu helfen.»
        Sie nickte.»Die Barclays.»
        Tapfer versuchte sie zu lacheln, aber als er sie streicheln wollte, fa?te sie nach seiner Hand und druckte sie an ihre Brust.

«Ich bin nicht so stark, wie ich dachte«, sagte sie mit abgewandtem Gesicht.»Je fruher du aufbrichst, desto eher sehen wir uns wieder. Daran will ich denken.»
        Bolitho konnte den Blick nicht von ihr wenden.»Du bist ein Gluck fur mich. Falls wir.»
        Sie richtete sich auf.»Nicht >falls<, mein Liebster, sondern >wenn<. Wenn wir uns wiedersehen…»
        Er lachelte und machte sich vorsichtig von ihr frei.»Ja, wenn. Das klingt besser.»
        Dann kleidete er sich schnell an und wandte sich ihr erst wieder zu, nachdem er seine Sabelscheide eingeklinkt hatte. Sie warf die Arme um ihn und zog ihn zu sich herab, pre?te sich nackt an seinen rauhen Uniformrock und ku?te ihn mit verzweifelter Inbrunst. Er spurte Salzgeschmack auf seinen Lippen, ob von ihren oder von seinen Tranen, konnte er nicht sagen.
        Als er sich schlie?lich erhob, kam sie nicht mit zur Tur, sondern blieb mit bis zum Kinn angezogenen Beinen auf dem Bett sitzen und starrte ihm mit brennenden Augen nach.
        Heiser sagte sie:»Jetzt bist du wieder der Admiral und gehorst den Schiffen da unten. Aber heute nacht hast du mir gehort, Richard.»
        Die Hand auf der Klinke, blieb er stehen.»Ich werde immer dir gehoren.»
        Im nachsten Augenblick stand er drau?en auf dem Gang und kam sich vor wie aus einem Traum erwacht.
        Im Hof unten hackten zwei Diener Feuerholz, und eine Garnisonskatze schlich geduckt uber die Pflastersteine, als wolle sie sich vor dem nahenden Morgen verstecken.
        Ohne nach links oder rechts zu blicken, schritt Bolitho bergab, bis er die Pier erreicht hatte.
        Erst dann wandte er sich um und blickte zuruck, aber der Schatten des Gibraltarfelsens hatte das kleine Haus oben schon verschluckt.
        Ein Wachboot fuhr langsam an der Pier vorbei, der Leutnant doste im Heck, wahrend seine Crew das Boot mit monotonem Schlag auf seiner Ronde weitertrieb. Als Bolithos Epauletten im ersten Sonnenlicht glitzerten, fuhr der Leutnant hellwach in die Hohe.
        Wahrend er dann sein Boot zum Flaggschiff des Geschwaders dirigierte, stellte er die wildesten Spekulationen uber seinen ranghohen Fahrgast an. Der Admiral war zu einem Geheimtreffen mit dem Militargouverneur an Land gewesen. Oder er hatte we i-sungsgema? mit dem Feind Friedensverhandlungen gefuhrt, uber die noch nichts bekannt werden durfte.
        Bolitho blieb das Interesse des Leutnants ebenso verborgen wie der Rest seiner Umgebung; in Gedanken war er noch vollig bei dieser Nacht, die ihm nur Minuten gewahrt zu haben schien. Und er hatte sich fur einen Mann von Ehre gehalten! Eigentlich hatte er beschamt und reuig sein mussen, aber auf diese Gefuhle wartete er vergebens. Statt dessen fuhlte er sich nur so glucklich und erleichtert, als sei eine gro?e Last von ihm genommen.

«Boot ahoi?»
        Der Anruf lie? Bolitho auffahren, uberrascht sah er den turmhohen Umri? seines Flaggschiffs vor sich aufragen. Oben auf dem Katzensteg stand ein Marinesoldat mit aufgepflanztem Bajonett
        Wache, um unrechtma?ige Besucher ebenso abzuschrecken wie eventuelle Deserteure.

«Zur Benbow! Der Admiral!«rief der Bootsmann zuruck.
        Bolitho straffte die Schultern und grinste verlegen. Jetzt wurden alle Bescheid wissen: Ihr Oberbefehlshaber kehrte nach einer an Land verbrachten Nacht wieder an Bord zuruck.
        Aber so leicht konnte er sie nicht abtun. Belinda.

«Sir?«Der Leutnant nahm aufmerksam Haltung an.
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Nichts weiter. «Hatte er ihren Namen laut ausgesprochen?
        Sir John Studdart hatte schon recht gehabt, als er ihn gerugt hatte; er benahm sich wirklich wie ein junger Leutnant.
        Aber warum auch nicht? Schlie?lich fuhlte er sich so.
        Herrick trat aus dem Schatten der Hutte und nickte dem Master und seinen Rudergangern am gro?en Rad zu, bevor er weiter aufs Huttendeck hinaufstieg. Gewohnheitsma?ig und fast unbewu?t schweifte sein Blick prufend uber das Schiff, vergewisserte sich, da? alles so war, wie es sein sollte an diesem Morgen, der einen hei?en Tag versprach.
        Auf den Webeleinen und den Fu?pferden der Rahen schwarmten eifrige Toppsgasten aus, von den heiseren Rufen der Unteroffiziere zu noch gro?erer Eile angetrieben.
        Herrick blieb an der Querreling stehen und blickte uber das Deck hinweg nach vorn. Die Admiralsbarkasse ruhte wieder festgelascht auf ihren Rungen, die anderen Boote ebenso. Uber dem ganzen Schiff hing eine Atmosphare der Erwartung und Aufregung, die von der Bordroutine und einer eisernen Disziplin nur ungenugend verdeckt wurde.
        Wolfe kam mit gro?en schweren Schritten quer ubers Huttendeck auf Herrick zu und griff gru?end an seinen Hut.»Klar zum Segelsetzen, Sir«, meldete er. Er blickte sich nach ihrem Begleitschiff um.»Und ich glaube, diesmal sind wir schneller als die Nicator.»

«Das will ich doch verdammt noch mal gehofft haben«, grunzte
        Herrick.
        Unter ihnen auf dem Batteriedeck hasteten Seeleute auf ihre Stationen, Befehle gellten und Fauste hoben sich, entsprechend den von der Wachrolle abgelesenen Namen.
        Benbow machte klar zum Auslaufen. Bei anderen Gelegenheiten sah man selten fast die gesamte Besatzung auf den oberen Decks: Matrosen und Seesoldaten, Schiffsjungen und Freiwachter, die hochsten Dienstgrade neben den niedrigsten. Das Schiff stach wieder in See, mit welchem Ziel und zu welchem Zweck, das war nicht ihr Problem.
        Wie jeder erfahrene Erste Offizier ging Wolfe im Geiste die Liste seiner Arbeiten durch, die er an diesem Tag erledigen mu?te. Ob auf See oder im Hafen, das Schiff verlangte seine ganze Aufmerksamkeit, und au?erdem mu?te er den Kommandanten auf dem laufenden halten.

«Zwei Mann sind heute vormittag fallig zur Bestrafung, Sir. Der Matrose Page erhalt zwei Dutzend Hiebe fur Trunksucht und Rauferei. «Wolfe blickte von seiner Liste hoch und sah Herrick an.»Und ein Dutzend fur Belcher, wegen Aufsassigkeit.
«Zufrieden faltete er seine Liste zusammen.»Alle Mann sind an Bord, keine Deserteure.»

«Sehr gut. Dann bemannen Sie das Ankerspill. Bringen Sie das Schiff in Fahrt.»
        Herrick lie? sich von einem Midshipman sein Teleskop reichen und richtete es auf die mit achtzig Kanonen bestuckte Dorsetshi-re. Sir John Studdart dort druben hatte keine Einwande mehr geltend gemacht, wahrscheinlich wollte er sich aus der ganzen Sache weise heraushalten. Jeder, der Bolitho offentlich unterstutzte oder sein Vorgehen gegen die feindliche Invasionsflotte forderte, mochte bei einem Mi?lingen mit ihm den Wolfen vorgeworfen werden. Herrick lachelte grimmig. Als ob irgendwer Bolitho jetzt noch aufhalten konnte! Er blickte nach oben und sah die Flagge im Besantopp in der frischen Morgenbrise steif auswehen. Die Sache war entschieden. An Dulcie und ihre Reaktion, wenn sie horte, da? er seinen Kommodorewimpel wieder abgeben mu?te, wollte er lieber nicht denken.
        Wolfe sprach ihn an.»Ich war heute morgen fruh auf, Sir, und sah den Admiral an Bord kommen.»
        Herricks blaue Augen musterten ihn nachsichtig.»Na und?»
        Wolfe zuckte die Achseln.»Nichts weiter, Sir. «Dann schluckte er.»Das Ankerspill ist bemannt, aber der Fiedler kratzt wieder zum Steinerweichen. Ich sehe vorn besser nach dem Rechten.»
        Herrick unterdruckte ein Lacheln. Naturlich war ihm Bolithos Ruckkehr am fruhen Morgen nicht entgangen. Und mit ihm wu?te wahrscheinlich das ganze Schiff den Grund dafur oder ahnte ihn wenigstens. Aber so war es eben an Bord: Man teilte die schonen Erlebnisse miteinander ebenso wie die schlimmen. Mit lautem Klicken drehte sich das Ankerspill, die Manner stemmten sich in die Handspaken, bis sie schwitzten und keuchten, wahrend der Fiedler ihnen mit einem alten Shanty den Rhythmus vorgab.
        Die lose aufgegeite, gro?e Breitfock begann sich an ihrer Rah zu ruhren, und auch auf den anderen Rahen legten die flinkfu?igen Toppsgasten um die Wette aus und machten die anderen Segel auf Wolfes durch die Sprechtrompete gerufene Kommandos zum Setzen klar.
        Uber das glitzernde Wasser hinweg sah Herrick, da? auf der Nicator die gleiche Betriebsamkeit herrschte. Er freute sich, da? das Geschwader bald wieder in alter Geschlossenheit segeln wurde. Zum letzten Mal? Es fiel ihm schwer, sich nach den vielen Kriegsjahren einen Frieden vorzustellen.
        Er wandte sich um, weil er Schritte kommen horte, und gewahrte Bolitho mit Browne wie einen Schatten hinter sich. Sie begru?ten einander formell, und Herrick meldete:»Keine neuen Anweisungen vom Flaggschiff, Sir. Der Anker ist kurzstag, und das Wetter scheint gut zu werden. Ganymede ist Ihrem Befehl entsprechend um acht Glasen ausgelaufen und geleitet das Postschiff Thrush auf See hinaus. «Er beobachtete Bolitho.
        Aber dieser nickte nur.»Danke. Ich sah sie auslaufen. Gany-mede wird lange vor uns zum Rest des Geschwaders sto?en.»
        Herrick meinte:»Ich wurde ja gern Adam Pascoes Gesicht sehen, wenn er erfahrt, da? Sie uberlebt haben. Ich wei? noch, wie ich auf diese Nachricht reagierte.»
        Bolitho wandte sich nach dem anderen Vierundsiebziger um. Aber im Geist sah er die kleine Thrush wieder die Reede verlassen und nur Minuten nach dem Verstauen ihres Ankers die braunen Segel setzen. Wahrscheinlich hatte Belinda druben ebenso nach der Benbow ausgespaht.
        Der Signalfahnrich meldete:» Nicators Anker ist kurzstag, Sir!»

«Danke, Mr. Stirling. Bestatigen.»
        Browne interessierte sich plotzlich intensiv fur einen Matrosen, der neben ihm eine Leine teerte. Denn Herrick hatte hoflich gefragt:»Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, Sir?»
        Bolitho musterte ihn ausdruckslos.»Das ist es, Kapitan Herrick.»
        Plotzlich grinsten sie einander an wie Verschworer, und Herrick fugte hinzu:»Ich wunsche Ihnen beiden viel Gluck, Sir. Mein Gott, als.»

«Klar, Sir!»
        Wolfes rauhe Stimme lie? Herrick an die Reling eilen.»Vorsegel los!«Dann deutete er nach oben.»Und Bramsegel los!»
        Mit knallenden Segeln, ein Bild der Unordnung, wurde Benbow kurz vom Wind herumgedruckt; der fullige Rumpf tauchte in Lee tiefer ins Wasser, als sie unter dem Segeldruck krangte.
        Aber dann:»Hol dicht die Brassen!«kam das Kommando.»Hievt, Leute, hievt!»
        Jetzt wurde die Drehung kontrollierter, immer schneller schwangen der Uferstreifen und die dunstverhullten Hugel vor dem Bug herum, bis der Master mit Ruder und Kompa? System in die Bewegung brachte.
        Druben legte sich Nicator in der auffrischenden Brise uber und setzte mehr Segel. Ihre rote Nationalflagge und der Masttoppwimpel wehten fast dwars aus, als sie ihre Station neben dem Flaggschiff einnahm.

«Die Spanier haben unsere Ankunft beobachtet«, resumierte Bo-litho.»Jetzt konnen sie auch unseren Aufbruch weitermelden. «Er warf einen Blick zum Land hinuber, sah aber nur das stille kleine Zimmer vor sich und Belindas wei?e Arme.
        Er schritt nach Luv hinuber und lauschte dem Kommandogebrull, dem Quietschen der Taljen und Blocke, als Wind- und Schwerkraft auf die vielen Meilen laufenden Guts einzuwirken begannen.
        Vorn am Bug war der Anker wieder sicher an seinen Kranbalken gekettet worden; Dodge, der Artillerieoffizier, bellte Anweisungen, wahrend er mit seinen Mannern die Laschings an jeder Kanone uberprufte.
        Ein Bootsmannsmaat lie? am Niedergang eine Grating aufrig-gen, auf der nachher der Delinquent fur die Prugelstrafe festgebunden werden sollte. Dabei bewies er die gleiche Gemutsruhe wie der Gehilfe des Segelmachers, der weiter vorn einen Haufen Tuch durchsah. Alles war Routine und Drill; sie hielten das Schiff genauso fest zusammen wie Kupfer und Teer.
        Allday verschwand mit seinem neuen Entermesser durch eine Luke unter Deck; wahrscheinlich wollte er es scharfen. Wem mochte jetzt wohl Alldays altes Entermesser gehoren? uberlegte Bolitho. Er hatte es mit solcher Wut in den Sand gesto?en, als sie gefangengenommen wurden. Allday schien Bolithos Blick zu spuren und wandte sich nach dem Achterdeck um. Mit einem kleinen Lacheln fur Bolitho und Herrick tippte er gru?end an die Stirn.
        Einige Midshipmen umstanden einen der Achtzehnpfunder auf dem oberen Batteriedeck und lie?en sich von einem jungeren Leutnant erklaren, wie die Mannschaft bei Ausfall eines Kameraden die Positionen zu wechseln hatte, damit beim Laden und Abfeuern keine Verzogerung eintrat. Der Leutnant sprach mit besonders autoritarem Ton, denn er war sich der uber ihm aufragenden Gestalt seines Admirals wohl bewu?t. Bolitho mu?te lacheln: Der Junge war kaum ein Jahr alter als die Kadetten, die er unterwies.
        Aus dem Kombusenschornstein stieg Rauch auf; dort unten machte der Koch wohl das Beste aus der knappen Frischnahrung, die er bei ihrem kurzen Gibraltaraufenthalt hatte ergattern konnen.
        Wahrend Bolitho so das Gewimmel an Deck beobachtete, das ihn an einen Marktplatz erinnerte, fiel ihm wieder der Rat des Vizeadmirals ein, sich seinem Rang entsprechend fernzuhalten und nicht in die Angelegenheiten niedriger Dienstgrade einzugreifen.
        Der Bootsmannsmaat rannte an Bord herum und ubertonte mit seiner schrillen Pfeife die Gerausche von Wind und Wellen.

«Alle Mann! Alle Mann an Deck als Zeugen der Bestrafung!»
        Herrick stand an der Reling, die Kriegsartikel unter den Arm geklemmt und das Kinn tief in sein Halstuch gedruckt, wahrend Matrosen und Seesoldaten in Scharen nach achtern stromten. Bolitho kehrte zur Hutte zuruck. Ich kann mich aber nicht fernhalten, dachte er. Es la?t sich nun mal nicht andern, da? ich mich selbst betroffen fuhle.
        Browne folgte ihm durch den halbdunklen Gang, an dem steifen Wachsoldaten vorbei in die Kajute und schlo? die Tur.»Kann ich etwas fur Sie tun, Sir?»
        Bolitho reichte Ozzard seinen Uniformrock und lockerte Hemdkragen und Halstuch.

«Ja, Oliver. Schlie?en Sie das Oberlicht.»
        Sicher war Strafe notwendig, aber das Klatschen, mit dem die neunschwanzige Katze auf den nackten Rucken eines Mannes niedersauste, war ihm deshalb nicht weniger verha?t. Er lie? sich auf die Heckbank sinken und starrte zur Nicator hinuber, deren hoher Umri? nach der Wende dem Flaggschiff gehorsam auf dem neuen Schlag folgte.

«Ihr Sekretar wartet mit Papieren, die offenbar Ihre Unterschrift erfordern, Sir«, meldete Browne.»Soll ich ihn wegschicken?»
        Bolitho seufzte.»Nein, lassen Sie Yovell vor. Ich kann die Abwechslung brauchen.»
        Uber ihnen hob und senkte sich die Peitsche im hellen Sonnenlicht uber dem Rucken des ersten Delinquenten. Die Mannschaft sah mit leeren Blicken zu, und nur die naheren Freunde des Bestraften wandten die Augen ab, vielleicht aus Scham.
        Nach dem Strafvollzug wurde die Grating wieder abgebunden, die Leute wurden zum Mittagessen gerufen, das sie mit einem gro?en Krug Bier hinunterspulten.
        Die beiden Delinquenten wurden ins Schiffslazarett hinuntergeschafft, wo man die Striemen auf ihren Rucken versorgte und ihr Selbstbewu?tsein mit einer gro?en Portion Rum aus dem Giftschrank des Arztes wiederherstellte.
        Bolitho sa? an seinem Schreibtisch, endlich allein in der Kajute, und hatte einen Bogen Briefpapier vor sich liegen. Der Brief wurde sie vielleicht nie erreichen, aber das Schreiben half ihm, ihre Nahe zu spuren, wahrend immer mehr Wasser sie trennte.
        Er tauchte die Feder ein und begann zu schreiben:

>Meine geliebte Belinda, es ist erst wenige Stunden her, da? ich Dich verlassen mu?te.<
        Oben an Deck wurde das Licht schwacher, als die Sonne kupferrot hinter die Kimm sank. Herrick besprach die Reffs fur die Nacht und die Notsignale, denn das Land war schon au?er Sicht geraten; hier drau?en mochte jedes fremde Segel einem Feind gehoren.
        Schlie?lich war die Benbow ein Kriegsschiff und konnte auf die zarteren Gefuhle ihrer Insassen keine Rucksicht nehmen.



        XII Befehl vom Flaggschiff

        Den Hut fest unter einen Arm geklemmt, betrat der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne die gro?e Achterkajute und blieb wartend stehen, bis Bolitho von seinen Papieren aufblickte.

«Ja?»
        Brownes weltlaufige Zuge blieben unbewegt, als er meldete:»Segel in Nordwest gesichtet, Sir. «Aus Erfahrung wu?te er, da? Bolitho den Ruf aus dem Ausguck langst gehort hatte.

«Danke.»
        Bolitho rieb sich die muden Augen. Sie hatten uber eine Woche gebraucht, um den Treffpunkt mit dem Rest des Geschwaders zu erreichen. Zwei schnellen Segeltagen mit frischem achterlichem
        Wind waren schlechtere Tage gefolgt, in denen immer wieder Segel und Rahen neu getrimmt werden mu?ten, weil der Wind umsprang; unzahlige Male mu?ten die muden Toppsgasten aufentern, um in einer plotzlichen Sturmbo die Segel zu kurzen, und kaum waren sie unten an Deck, hie? es wieder aufentern zum Ausreffen, weil der Wind nachgelassen hatte.
        Ihr Kurs hatte sie erst nach Westen auf den Atlantik hinaus gefuhrt und dann nach Norden, an der Kuste Portugals entlang. Ab und zu hatten sie ein fremdes Schiff gesichtet, aber wegen der Schwerfalligkeit der beiden gro?en Linienschiffe und wegen der gro?en Entfernung war nahere Rekognoszierung unterblieben. Jetzt warf Bolitho seinen Stechzirkel aus Messing auf die Seekarte und erhob sich.»Was fur ein Schiff konnte das sein?»
        Und welche Neuigkeiten wurden ihn bei seinem kleinen Geschwader erwarten? Ganymede sollte inzwischen mit jedem der patrouillierenden Schiffe Kontakt aufgenommen und angekundigt haben, da? die Flagge des Konteradmirals bald wieder uber dem Geschwader wehen wurde.

«Angeblich eine Fregatte, Sir«, antwortete Browne.
        Ihre Blicke trafen sich. Das lie? auf Phalarope schlie?en, es sei denn, sie hatten ein franzosisches Schiff vor sich, das unbemerkt durch die Blockade geschlupft war.

«Darf ich mich erkundigen, welches Ihre Plane sind, Sir?«forschte Browne.

«Zuerst werde ich mit Emes sprechen.»
        Im Geist horte er noch Herricks Worte: >Uberlassen Sie ihn, mir, Sir. Ich erledige ihn ein fur allemal.< Herrick war zwar loyal, aber voreingenommen. Und wie mochte Adam die Sache beurteilen? Schon zweimal hatte er beinahe einen fruhen Tod gefunden, weil er den guten Namen seines Onkels verteidigte. Aber nein, Emes dunkte Bolitho nicht der Mann, der Adams Karriere opfern wurde, um seinen eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Vor einem Kriegsgericht allerdings waren schon die unvermutetsten Wendungen eingetreten.
        Drau?en horte er Herricks Schritte naher kommen; Ozzard beeilte sich, ihm die Lamellentur zu offnen, und Bolitho bat Browne, sie allein zu lassen.
        Herrick sturzte in die Kajute und nahm kaum wahr, da? der Flaggleutnant an ihm vorbei hinauseilte.

«Nehmen Sie Platz, Thomas«, wies Bolitho ihn an.»Und beruhigen Sie sich.»
        Noch geblendet vom glei?enden Sonnenlicht, sah Herrick sich nervos in der Kajute um.

«Ich mich beruhigen, Sir? Das ist viel verlangt. «Er verzog das Gesicht.»Es ist doch tatsachlich Phalarope.«Fragend hob er die Augenbrauen.»Das uberrascht Sie nicht, Sir?»

«Nein. Wahrend unserer Abwesenheit hatte Kapitan Emes hier das Kommando. Er ist ein erfahrener Kommandant. Ware da nicht sein fruheres Mi?geschick, hatte sein Verhalten bei der Ile d'Yeu kaum Kritik ausgelost. Nicht einmal von Ihnen, Thomas.

        Herrick rutschte auf seinem Stuhl herum.»Das bezweifle ich.»
        Bolitho trat zu den Heckfenstern und beobachtete die Mowen, die uber dem Kielwasser kreisten; der Koch hatte wahrscheinlich Abfalle uber Bord geworden.

«Ich brauche jeden erfahrenen Offizier, Thomas. Wenn einer davon versagt, dann trifft seinen Kommandanten die Schuld. Und wenn ein Kommandant sich als zu schwach erweist, dann liegt die Verantwortung dafur beim Admiral. «Er lachelte sauerlich. In Emes' Fall also bei mir. «Erhob die Hand.»Nein, lassen Sie mich ausreden, Thomas. Viele Offiziere meines Geschwaders sind noch unerfahren. Wenn sie bisher auf zornigen Widerspruch stie?en, dann kam er von keinem hoheren als dem Master oder dem Ersten Offizier. Habe ich recht?»

«Kann schon sein, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Das ist nicht gerade eine begeisterte Zustimmung, Thomas, aber fur den Anfang reicht's. Wenn wir, wie es meine Absicht ist, diese franzosischen Schiffe angreifen und vernichten wollen, werde ich von meinen Kommandanten das Au?erste verlangen mussen. Inzwischen steht fest, da? wir auf Verstarkung nicht hoffen konnen, auch Sir John Studdart hatte keine Anweisung, eines seiner eigenen Schiffe zu unserer Unterstutzung abzustellen. «Bolitho bemuhte sich gar nicht erst, die Verbitterung in seinem Ton zu verbergen.»Nicht mal ein armseliges Morserboot!»
        Oben an Deck erklang Wolfes durch den Schalltrichter verstarkte Stimme, gefolgt vom Klappern der Blocke und Knirschen der Fallen, als die Manner seinen Befehlen nachkamen.
        Herrick erhob sich.»Wir gehen auf den anderen Bug, Sir.»

«Lassen Sie sich nicht aufhalten, Thomas. Wenn Sie so weit sind, drehen Sie bitte bei und rufen Sie Kapitan Emes an Bord. Er wird schon damit rechnen.»

«Trotzdem glaube ich. «Herrick verschluckte den Rest und grinste bedauernd.»Aye, aye, Sir.»
        Kurz darauf erschien Browne wieder in der Kajute und meldete:»Wir signalisieren Phalarope, da? der Kommandant an Bord des Flaggschiffs erwartet wird. «Seine Stimme klang verwundert.»Ich hatte gedacht, da? Sie auch Ihren Neffen kommen lassen, Sir?»

«Ich mochte ihn sehr gern sehen. «Bolitho blickte zu den Decksbalken auf, als oben nackte Fu?e uber die Planken hasteten.»Und ich komme mir schabig vor, weil ich mich seiner bediene.»

«Inwiefern bedienen Sie sich Pascoes, Sir?»

«Emes ist Kommandant der Phalarope und kann entscheiden, ob er als freundliche Geste mir gegenuber seinen Ersten Offizier mitbringt oder nicht. Tut er es nicht, beherrscht er das Feld allein und hat keinen Widerspruch zu befurchten, zumal er der erste Kommandant ist, den ich hier anhore. Andererseits - wenn er meinen Neffen mitbringt, riskiert er, da? Adam gegen ihn spricht.»
        Brownes Gesicht hellte sich auf.»Das ist ein kluger Schachzug,
        Sir.»

«Man lernt dazu, Oliver. Auch wenn's schwerfallt.»
        Das Deck krangte stark und die Rahen achzten, als die Benbow schwerfallig beidrehte. Achteraus sah Bolitho die Nicator Segel kurzen und etwas zuruckfallen, um besser uber ihre Begleitschiffe wachen zu konnen.
        Browne meldete sich ab.»Ich gehe an Deck, Sir.»

«Ja. Halten Sie mich auf dem laufenden.»
        Mit der Hand schon auf der Klinke, sagte Browne zogernd:»Und wenn Kapitan Emes Sie enttauscht, Sir…»

«Dann expediere ich ihn mit dem nachsten Schiff vors Kriegsgericht. Wie ich schon zu Kapitan Herrick sagte, brauche ich dringend jeden guten Offizier, aber ich schicke Phalarope lieber unter dem Kommando eines Kadetten gegen den Feind, als noch mehr Menschenleben zu opfern, weil ich den guten Onkel spielen will!»
        Browne nickte zufrieden und trollte sich.
        Als er blinzelnd ins Sonnenlicht trat, fiel Herrick uber ihn her:»Und womit vertreiben Sie sich die Zeit, Mr. Browne?»

«Ich war beim Admiral, Sir. Er hat mir seine Einschatzung der Lage dargelegt, Punkt fur Punkt, wie ein Maler ein Bild komponiert.»

«Hm. «Herrick wandte sich der alten Fregatte zu, die jetzt mit backstehenden Segeln in den Wind drehte, um ein Boot auszusetzen.»Hoffen wir, da? niemand den Rahmen zerbricht, ehe das Bild fertig ist«, fugte er trocken hinzu, und als er Brownes uberraschtes Gesicht gewahrte:»O ja, Mr. Browne mit e, auch andere Leute haben Grips im Kopf, mussen Sie wissen.»
        Browne verkniff sich ein Grinsen und ging nach Lee hinuber, als Major Clinton, dessen Gesicht fast so rot war wie sein Uniformrock, auf Herrick zumarschiert kam und fragte:»Ehrenwache,
        Sir?»

«Ja. Lassen Sie sie an der Pforte antreten, immerhin ist er Kapitan. «Er wandte sich ab und murmelte wie zu sich selbst:»Jedenfalls noch.»
        Der Midshipman der Wache rief:»Boot hat abgelegt, Sir!»
        Browne hastete in die Poop und fand Bolitho an den Kajutfenstern stehen, als hatte er sich die ganze Zeit nicht bewegt.

«Die Gig der Phalarope legt gleich an, Sir. «Er sah, da? Bo-lithos auf dem Rucken verschrankte Hande sich verkrampften. Leise setzte er hinzu:»Kapitan Emes wird von Ihrem Neffen begleitet, Sir.»
        Er hatte irgendeine Reaktion erwartet, aber Bolitho antwortete scheinbar zusammenhanglos:»Fur mich waren Stabsoffiziere fruher so etwas wie halbe Gotter. Sie schufen Sachlagen und trafen Entscheidungen, wahrend wir als Wesen niedrigerer Ordnung lediglich zu gehorchen hatten. Aber jetzt wei? ich es besser. Vielleicht hatte Vizeadmiral Studdart doch recht.»

«Sir?»

«Ach, nichts. Ozzard soll meinen Rock bringen. Wenn ich mich schon mit mir selbst im Widerstreit befinde, wird es Emes bestimmt noch sehr viel schlimmer ergangen sein. Also wollen wir es hinter uns bringen, ja?»
        Das Schrillen der Pfeifen, das Stampfen der Ehrenwache an der Schanzkleidpforte drang in die Kajute.
        Als Ozzard ihm in den schweren Galarock half, fiel Bolitho plotzlich wieder das erste Schiff ein, das er befehligt hatte: wie klein, eng und intim war dort alles an Bord! Aber schon damals war er der Meinung gewesen - und daran hatte sich nichts geandert - , da? es die kostbarste Gabe war, die einem Menschen jemals zuteil werden konnte, wenn er ein Schiff anvertraut bekam.
        Aber jetzt wurden die Schiffe von anderen befehligt, und er mu?te sie alle fuhren und uber ihr Geschick bestimmen. Was auch geschehen mochte, er wollte niemals vergessen, was sein erstes Schiff fur ihn bedeutet hatte.
        Browne meldete:»Kapitan Emes von der Phalarope, Sir.»
        Bolitho trat hinter seinen Schreibtisch.»Ich brauche Sie nicht mehr, Oliver.»
        Hatte Bolitho Kapitan Emes an Land oder in anderer Umgebung wiedergesehen, er hatte ihn wahrscheinlich nicht erkannt. Emes hielt sich immer noch sehr gerade, als er jetzt vor dem Tisch stand, den Hut unter den Arm geklemmt, eine Hand fest - zu fest - um den Sabelgriff gekrampft. Aber trotz der langen Wochen vor Belle Ile, bei schonstem Wetter, war Emes leichenbla?. In dem vom Wasser reflektierten Sonnenlicht leuchtete seine Haut wachsern. Er zahlte erst 29 Jahre, sah aber um zehn Jahre alter aus.

«Nehmen Sie Platz, Kapitan Emes«, begann Bolitho.»Dies ist ein informelles Gesprach, ich mu? Sie aber daruber informieren, da? Sie im gunstigsten Falle eine Untersuchung zu erwarten haben, im schlimmsten Falle…«Er hob die Schultern. Jedenfalls wurde ich dann eher als Zeuge auszusagen haben denn als Ihr Vorgesetzter oder als Beisitzer.»
        Emes lie? sich vorsichtig auf die Stuhlkante nieder.»Jawohl, Sir. Ich verstehe.»

«Das mochte ich bezweifeln. Aber bevor ich etwas unternehme, mu? ich Ihre eigene Version der Ereignisse am Morgen des 21. Juli erfahren, als Styx unterging.»
        Emes gab seine Erklarung langsam und uberlegt ab, als hatte er fur diesen Augenblick schon oft geprobt.»Ich fand mich mit meinem Schiff in der gunstigen Lage, einerseits die von See herankommenden franzosischen Einheiten sehen zu konnen, andererseits auch die Streitmacht, die Sie mit Styx unter Beschu? nehmen wollten. Da der Feind den Windvorteil hatte, kam ich zu dem Ergebnis, da? uns nicht genug Zeit blieb, zunachst die franzosischen Landungsboote zu vernichten und uns anschlie?end rechtzeitig freizukreuzen. Wie befohlen, hielt ich mein Schiff deshalb in Luv, um notfalls.»
        Bolitho beobachtete Emes ohne jede Regung. Es wurde nicht schwer sein, ihn als Feigling abzustempeln, aber ebenso leicht uberkam ihn Mitleid fur den Mann.
        Er unterbrach Emes mit einer Zwischenfrage:»Als Styx mit dem Wrack kollidierte, wie verhielten Sie sich?»
        Emes sah sich um wie ein Tier in der Falle. »Styx hatte keine Uberlebenschance. Ich sah sie in voller Fahrt auflaufen, ihre Masten kamen von oben, sie reagierte nicht mehr aufs Ruder. Sie war vom ersten Augenblick an, wie klar ersichtlich, ein Totalverlust. Ich - ich wollte zuerst alle Boote aussetzen und retten, was es noch zu retten gab. Es fallt schwer zuzusehen, wie Menschen sterben.»

«Aber genau das haben Sie getan. «Bolitho war selber uberrascht, wie neutral seine Stimme klang; weder Hoffnung noch
        Mitleid lag darin.
        Emes' Blick zuckte zu ihm hinuber, bevor er wieder gehetzt durch die Kajute wanderte.
        Gepre?t sagte er:»Ich war der ranghochste Kommandant auf dem Schauplatz, Sir. Da ich nur Rapid mit lediglich vierzehn Kanonen zur Unterstutzung hatte, sah ich fur ein Rettungsmanover keine vernunftige Chance. Die feindlichen Schiffe, die unter vollen Segeln mit achterlichem Wind heransturmten - ein Linienschiff und zwei Fregatten - , hatten Phalarope mit Sicherheit uberwaltigt. Was hatte ein so altes Schiff wie sie erreichen konnen? Es ware ein sinnloses, blutiges Opfer gewesen. Und Rapid ware ebenfalls dem Feind in die Hande gefallen.»
        Bolitho sah an Emes' gequalten Zugen, da? er seine Entscheidung von damals mit all ihren Emotionen noch einmal durchlebte.

«Als ranghochster Offizier hatte ich auch Verpflichtungen gegenuber Kapitan Duncan von Sparrowhawk. Er war uber das Geschehen nicht im Bilde. Auf sich allein gestellt, ware er als nachster Beute der Franzosen geworden. Das ganze Teilgeschwader ware ve rnichtet worden, und der Hintereingang zur franzosischen Kuste hatte eine Zeitlang weit offengestanden. «Er blickte auf seinen Hut hinab, den er so fest gegen seine Knie pre?te, als konne er Kraft daraus ziehen.»Deshalb beschlo? ich, mich aus dem Gefecht zu losen, und befahl Rapid das gleiche. Danach habe ich den Patrouillendienst und die Blockade der franzosischen Hafen wie befohlen fortgesetzt. Nachdem Ganymede zu uns gesto?en war, konnte ich die Lucke schlie?en, die der Verlust von Kapitan Nea-les Schiff hinterlassen hatte. «Mit gramvollen Augen blickte er auf.»Sein Tod hat mich sehr betroffen gemacht.»
        Damit lie? er wieder den Kopf sinken und schlo?:»Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe, Sir.»
        Bolitho lehnte sich in seinem Stuhl zuruck und musterte Emes nachdenklich. Der Mann hatte weder um Milde gebeten noch um Entschuldigung fur sein Verhalten.

«Und nun, Kapitan Emes: Bedauern Sie diese Entscheidung?»
        Emes zuckte die Achseln, eine Bewegung, die den ganzen schmachtigen Mann zu schutteln schien.»Um die Wahrheit zu sagen, Sir, das wei? ich nicht. Ich war mir bewu?t, da? ich meinen vorgesetzten Stabsoffizier seinem Schicksal auslieferte, indem ich Styx und ihre Uberlebenden sich selbst uberlie?. Eingedenk meiner problematischen Personalakte hatte ich vielleicht alle Vernunft uber Bord werfen und kampfend untergehen sollen. Seither bin ich Offizieren begegnet, die aus ihrer Mi?billigung meines Verhaltens kein Hehl machen. Auch als ich an Bord der Benbow kam, schlug mir Feindschaft entgegen, und es wird genug Kameraden geben, die mich vor Ihnen verdammen. Also ein Kriegsgericht?«Mit einem Anflug von Trotz hob er den Blick.»Ich nehme an, das war unvermeidbar.»

«Aber Sie sind der Ansicht, da? Ihre Lordschaften schlecht beraten waren, wenn Sie vor Gericht gestellt wurden?»
        Emes kampfte mit seinem Gewissen, als sei es ein Wesen au?erhalb seiner selbst. Nichts ware leichter, als an Ihre Gnade zu ap-pelieren, Sir. Schlie?lich hatten Sie schon in den ersten Minuten des Gefechts von einer verirrten Kugel getroffen werden konnen, dann ware ich ohnehin der ranghochste Offizier vor Ort gewesen. In diesem Falle hatte ich Neale befohlen, das Treffen abzubrechen und sich zuruckzuziehen. Und wenn er mir nicht gehorcht hatte, wurde nun ihm und nicht mir ein Gerichtsverfahren drohen.»
        Bolitho stand auf und trat zu den Heckfenstern. Dort drau?en, nur zwei Kabellangen entfernt, lag Phalarope beigedreht, und ihre vergoldeten Schnitzereien an der Heckgalerie glanzten in der Sonne. Was mochte sie von ihrem neuesten Kommandanten halten? Er sah Emes' Spiegelbild im Glas, seine straffe, aber irgendwie leblose Korperhaltung. Ein Mann, der die Umstande gegen sich wu?te, aber dennoch nicht klein beigab.
        Bolitho sagte:»Ich kannte John Neale gut. Er war Kadett auf meinem Schiff. Das gleiche gilt fur Kapitan Keen von der Nicator, wahrend Kapitan Inch, der sich uns mit seiner Odin in Kurze anschlie?en wird, fruher einer meiner Leutnants war. Und es gibt noch viele Manner wie sie, die ich seit Jahren kenne, deren Entwicklung ich verfolgte und zusah, wie sie den Anforderungen der
        Kriegsmarine entsprachen oder ihnen zum Opfer fielen.»
        Emes murmelte heiser:»Dann sind Sie vom Gluck begunstigt, Sir, und um diese Freunde und ihre Haltung zu beneiden.»
        Bolitho wandte sich um und studierte Emes eingehend.»Und naturlich ist da auch mein Neffe und Erbe. Ehemals Midshipman und jetzt Ihr Erster Offizier.»
        Emes nickte.»Ich bin mir vollig klar daruber, da? er mir zurnt,
        Sir.»
        Bolitho setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und blickte auf den Sto? Papiere hinunter, die ihn nach dem Gesprach mit Emes in Anspruch nehmen wurden. Nichts leichter, als Emes zu suspendieren, auch wenn kein geeigneter Ersatz fur ihn aus England eintraf. Ein dienstalterer Leutnant, zum Beispiel einer wie Wolfe, konnte das Kommando bis auf weiteres ubernehmen.
        Und doch. Diese beiden Worte hingen fest wie Widerhaken.

«Fur mich sind sie alle eine Stutze«, fuhr er fort,»wahrend sie fur Sie Hurden auf dem Weg nach oben bedeuten. Ihre Loyalitat mir gegenuber bringt sie dazu, Sie zu verachten. Sogar mein Freund Kommodore Herrick, ein integrer und mutiger Mann, hat aus seinem Zorn von Anfang an kein Hehl gemacht. Immerhin hat er seine Beforderung, moglicherweise sogar sein Schiff auf den vagen Verdacht hin riskiert, da? er etwas uber mein Schicksal erfahren konnte. Sie mussen also begreifen, da? Ihre anscheinend logische Verhaltensweise von anderen, die an diesem schrecklichen Morgen nicht einmal anwesend waren, sehr viel kritischer beurteilt wird.»
        Nach einer Pause sagte Emes dumpf:»Dann gibt es keine Hoffnung mehr fur mich, Sir.

        Wie still das Schiff schien, dachte Bolitho. Als ob alles den Atem anhielte. Er kannte solche Augenblicke aus Erfahrung, beispielsweise von der furchtbaren Meuterei im Spithead und der Nore. Ein einzelner Kanonenschu? oder die Kriegsgerichtsflagge waren dann Zeichen dafur, da? es um manchen tuchtigen Offizier genauso geschehen war, als hatte man ihn an der Gro?rah gehenkt oder durch die Flotte gepeitscht.

«Hoffnung gibt es immer, Kapitan Emes. «Bolitho erhob sich, und Emes sprang auf wie zur Urteilsverkundung. Er fuhr fort:»Ich jedenfalls halte Ihre Entscheidung fur richtig, und immerhin war ich am Schauplatz des Geschehens.»

«Sir?«Emes schien zu schwanken und legte den Kopf schrag, als hatte ihn sein Gehor plotzlich in Stich gelassen.»Inzwischen wei? ich, da? die drei franzosischen Schiffe gezielt herbeigerufen waren. Damals ahnte das jedoch keiner von uns. An Ihrer Stelle hatte ich mich genauso verhalten mussen wie Sie. In diesem Sinne werde ich meinen Bericht an Ihre Lordschaften abfassen.»
        Emes konnte sekundenlang nicht den Blick von ihm wenden.»Ich danke Ihnen, Sir. Es fallt mir schwer, die richtigen Worte zu finden. Ich wollte mich wie ein Ehrenmann verhalten, aber dem stand alles entgegen, was ich wu?te. Meine Dankbarkeit ist gro?er, als ich sagen kann. Sie ahnen nicht, was mir Ihr Wort bedeutet. Was die anderen von mir denken oder sagen, kann ich ertragen, sie sind mir nicht wichtig. Aber Sie. «Er hob verlegen die Schultern.»Ich kann nur hoffen, ich hatte mich ebenso menschlich verhalten, wenn unsere Rollen vertauscht gewesen waren.»

«Also gut. Geben Sie mir einen ausfuhrlichen Bericht uber die Beobachtungen auf Ihren Patrouillen wahrend meiner - ah - Abwesenheit, und wenn Sie Rapid sichten, signalisieren Sie ihr, da? sie so schnell wie moglich mit mir Fuhlung aufnehmen soll.»
        Emes befeuchtete sich die Lippen.»Jawohl, Sir. «Er wandte sich zum Gehen, zogerte aber noch.

«Na los, Kapitan Emes, heraus damit! Wir werden bald viel zu beschaftigt sein fur Gegenargumente.»

«Nur noch eines, Sir. Sie sagten eben: >Ich hatte mich genauso verhalten mussen.<»
        Bolitho runzelte die Stirn.»Sagte ich das?»

«Jawohl, Sir. Und ich danke Ihnen fur dieses Wort. Aber da ich nun wei?, wie gut das Verhaltnis zwischen Ihnen und Ihren Mannern ist, fiel mir auf, da? >mussen< das Schlusselwort war. Sie sagten nicht: >Ich hatte mich genauso verhalten<. Da ich vorher noch nicht das Gluck hatte, unter Ihnen zu dienen, hat mir dieser feine Unterschied die Augen geoffnet.»

«Aber jetzt dienen Sie unter mir, Kapitan Emes«, antwortete Bolitho,»also lassen Sie es dabei bewenden.»
        Als Emes ging, trat Browne lautlos und mit neugierig funkelnden Augen in die Kajute.
        Bedruckt sagte Bolitho:»Emes sollte hier Admiral sein, Oliver, nicht ich. «Dann schuttelte er sich und sah der Wahrheit ins Gesicht. Emes hatte recht gehabt. Vielleicht hatte er sich mit dem Wort >mussen< unbeabsichtigt verraten. Denn insgeheim wu?te er, da? er an Emes' Stelle ohne Rucksicht auf Vernunft der sinkenden Styx zu Hilfe geeilt ware. Aber da? Emes sich richtig verhalten hatte, war ebenso wahr.
        Browne rausperte sich diskret.»Ich merke schon, Sir, da? Sie einiges zu erklaren haben werden.»
        Er hielt die Tur fur Bolitho auf, und in diesem Augenblick kam Pascoe im Sturmschritt durch den Vorraum geeilt.
        Einige Augenblicke standen Onkel und Neffe sich nur wortlos gegenuber, dann brach es aus Pascoe hervor:»Ich kann dir gar nicht sagen, Onkel, mit welchen Gefuhlen ich die gute Nachricht aufgenommen habe. Ich dachte. Als wir nichts horten. Wir alle dachten.»
        Bolitho legte dem jungen Leutnant den Arm um die Schultern und fuhrte ihn zu den Heckfenstern. Vor ihnen lag die leere See, da Phalarope schon abgefallen war und die Kimm freigegeben hatte.
        Auch die Rangabzeichen eines Leutnants konnten nicht verhindern, da? Bolitho in Adam den jungen Midshipman wiedererkannte, der einst auf seiner alten Hyperion den Dienst bei der Kriegsmarine angetreten hatte. Sein schwarzes Haar, das er neumodisch kurz geschnitten trug, war noch immer so storrisch wie damals, und seih Korper fuhlte sich so mager an, als brauche er sechs Monate der guten Kuche von Falmouth, um wieder etwas Fleisch anzusetzen.

«Adam, du mu?t wissen, da? ich von deiner Versetzung auf die Phalarope nicht gerade begluckt war«, begann Bolitho.»Obwohl ich zugebe, da? die Chance, mit einundzwanzig Jahren Erster Offizier zu werden, auch einen Heiligen in Versuchung fuhren konnte. Und ein Heiliger bist du wahrhaftig nicht. Kapitan Emes hat mir von Fortschritten deinerseits nichts berichtet, aber ich hege keinen Zweifel, da?. «Er brach ab, weil Pascoe herumfuhr und ihn unglaubig anstarrte.

«Aber, Onkel! Hast du ihn etwa nicht abgesetzt?»
        Bolitho hob die Hand.»Du bist mein Neffe, und wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt, gebe ich zu, da? ich dich gerne mag.»
        Aber so leicht kam er diesmal nicht davon. Pascoe ballte die Fauste, seine dunklen Augen blitzten, als er ausrief:»Er hat dich dem sicheren Tod ausgeliefert! Zuerst konnte ich es gar nicht glauben! Ich habe ihn angefleht, ich ware vor ihm fast auf die Knie gefallen!«Heftig schuttelte er den Kopf.»Nein, Emes taugt nichts, weder fur deine Phalarope noch fur ein anderes Schiff!»

«Wie hat die Crew der Phalarope reagiert, als Kapitan Emes ihr befahl, auf den anderen Bug zu gehen und vom Feind weg zu laufen?»
        Die Frage brachte Pascoe aus dem Konzept.»Sie gehorchten naturlich. «Er hob den Blick.»Einerlei! Sie kannten dich eben nicht so, wie ich dich kenne, Onkel.»
        Bolitho packte den Jungen an der Schulter und schuttelte ihn sanft, aber eindringlich.

«Was du da sagst, macht dich mir noch lieber, Adam, aber du begreifst doch, da? es meinen Standpunkt rechtfertigt? Ganz genauso habe ich es gerade deinem Kommandanten erklart.»

«Aber.»
        Bolitho lie? Pascoe los und lachelte bedauernd.»Und jetzt spreche ich nicht als Onkel zum Neffen, sondern als Konteradmiral, der dieses Geschwader befehligt, zu einem meiner Offiziere, der noch dazu ziemlich vorlaut ist. Emes hat sich nach bestem Wissen verhalten. Er lie? sich von seiner Beurteilung der Lage auch nicht durch die Uberlegung abbringen, da? die Leute ihn verdammen wurden. Wir konnen den Charakter des Mannes an der Spitze nicht immer kennen und mogen, genausowenig wie ich noch den Vorzug genie?e, das Gesicht jedes Seemanns oder Soldaten unter meinem Kommando zu kennen.«»Das leuchtet mir ein.»
        Bolitho nickte.»Gut. Ich habe genug Probleme, auch ohne da? du einen Privatkrieg mit deinem Kommandanten fuhrst.»
        Pascoe lachelte.»Das kommt schon in Ordnung, Onkel, ich verspreche es dir.»
        Aber Bolitho war noch nicht zufrieden.»Ich meine es ernst, Adam. Emes ist dein Vorgesetzter, und du bist es ihm schuldig, dich mit ganzer Kraft und nach bestem Wissen fur das Wohl des Schiffes einzusetzen. Solltest du fallen, darf zwischen der Besatzung und dem Kommandanten keine Kluft entstehen. Ein Erster Offizier hat die Brucke zu schlagen zwischen dem Achterschiff und dem Mannschaftslogis, und diese Brucke mu? so fest sein, da? sie ihn uberdauert. Sollte Emes fallen, mu? die Besatzung dich als ihren Anfuhrer akzeptieren und respektieren und nicht irgendwelche kleinlichen Streitereien aus der Zeit davor im Gedachtnis haben. Was ich sage, stimmt, Adam.»

«Sicherlich, Onkel. Trotzdem.»

«Herrgott, du wirst noch genauso stur wie Herrick. Und jetzt fort mit dir, zuruck auf dein Schiff, und der Himmel sei dir gnadig, wenn ich druben bei euch irgendwelche Laxheiten entdecke. Denn ich wei? nur zu gut, an wen ich mich dafur zu halten hatte!»
        Diesmal grinste Pascoe ubers ganze Gesicht.

«Danke, Onkel.»
        Gemeinsam gingen sie aufs Achterdeck hinaus, wo Herrick in unbehaglichem Schweigen neben Kapitan Emes wartete.

«Der Wind frischt auf, Sir«, berichtete Herrick.»Darf ich vorschlagen, da? die Gig von Phalarope langsseits gerufen wird?«Er warf Emes einen schragen Seitenblick zu. Sollte mich nicht wundern, wenn ihr Kommandant so bald wie moglich auf sein Schiff zuruckkehren mochte.»
        Pascoes Blick glitt einmal zwischen den beiden hin und her, dann trat er forsch auf seinen Kommandanten zu.

«Vielen Dank, da? ich Sie begleiten durfte, Sir.»
        Emes musterte ihn argwohnisch.»Das war doch eine Selbstverstandlichkeit, Mr. Pascoe.»
        Bolitho wollte die enge Vertrautheit mit seinem Neffen noch einen Augenblick langer genie?en.

«In Gibraltar habe ich Belinda Laidlaw getroffen«, berichtete er und spurte, wie ihm unter Pascoes uberraschtem Blick das Blut ins Gesicht scho?.»Sie ist jetzt auf der Heimreise nach England.»
        Pascoe lachelte.»Verstehe, Onkel - ah, Sir. Das wu?te ich nicht. Es war sicher ein sehr erfreuliches Wiedersehen. «Sein Blick wanderte vergnugt von Bolitho zu Herrick.
        Die Offiziere tippten zum Abschied gru?end an ihre Hute, dann stieg Emes hinter Pascoe in die wartende Gig hinunter.
        Wutend flusterte Herrick ihnen nach:»Unverschamter junger Lummel!»
        Mit ernstem Gesicht wandte sich Bolitho ihm zu.»Weshalb, Thomas? Ist mir etwas entgangen?»

«Tja, ah, Sir, ich wollte sagen. «Herrick verstummte verwirrt.
        Uber ihnen beugte sich Wolfes machtige Gestalt vor.»Gestatten Sie, da? wir das Schiff wieder in Fahrt bringen, Sir?»
        Bolitho nickte knapp.»Gestattet. Ich furchte, dem Kommodore hat es die Sprache verschlagen.»
        Damit schritt er nach Luv hinuber, wahrend die Deckswache wieder einmal an die Brassen und Schoten eilte.
        Bewolkung war aufgezogen, es herrschte ein kurzer, steiler Seegang. Moglicherweise braute sich Schlechtwetter zusammen.
        Bolitho sah der Gig nach, die gerade ihr Anlegemanover am Mutterschiff fuhr, und lie? Pascoes Worte in sich nachklingen: >Ein sehr erfreuliches Wiedersehen.< Erriet er den wahren Sachverhalt, oder hatte er ihn nur necken wollen?
        Eines stand jedenfalls fest: Pascoe freute sich fur sie beide, und das machte die Dinge sehr viel leichter.
        Die freudige Erregung, mit der Bolitho seine kleine Streitmacht wieder vereint hatte, wich allmahlich nervtotender Langeweile, als die Tage sich zu Wochen dehnten, ohne da? etwas geschah. Durch Bolithos Anwesenheit wurde der Blockadedienst nicht kurzweiliger. Die ode Monotonie, mit der sie vor der feindlichen Kuste auf und ab segelten, und das bei jedem Wetter, brachte es unausweichlich mit sich, da? Schlamperei und Aufsassigkeit einrissen; dies wiederum fiatte haufigere Disziplinarma?nahmen zur Folge.
        Zweifellos beobachtete der franzosische Admiral von einem sicheren Aussichtspunkt an der Kuste das Auftauchen und Verschwinden ihrer Segel an der Kimm, wahrend er sich reichlich Zeit nahm, seine wachsende Invasionsflotte fur ihren letzten und entscheidenden Durchbruch zum Armelkanal vorzubereiten.
        Ganymede war naher an die Kuste befohlen worden, um nach verankerten Schiffen Ausschau zu halten, wurde aber von zwei feindlichen Fregatten sehr schnell verjagt, die auf dem Hohepunkt eines Gewitters uber sie herfielen. Das engmaschige Nachrichtennetz der Semaphoren funktionierte also nach wie vor einwandfrei.
        Aber bevor er sich auf die offene See zuruckgezogen hatte, war dem Kommandanten der Ganymede der ungewohnlich starke Fischereiverkehr aufgefallen.
        Gegen Ende der dritten Woche sichteten die Ausguckposten die Linienschiffe Indomitable und Odin, die von Norden her zu ihrem Geschwader stie?en. Bolitho atmete auf. Denn er hatte einen nachdrucklichen Ruckruf erwartet oder einen Befehl Ihrer Lordschaften, Herrick den Oberbefehl abzutreten und sich selbst auf den Heimweg zu machen. Es hatte bedeutet, da? Beauchamps Plane aufgegeben wurden und Styx umsonst geopfert worden war. Als die beiden Linienschiffe gravitatisch in Lee von Benbow ihre Stationen bezogen, saumten alle Manner der Freiwache die Reling und starrten neugierig hinuber, ob sie bekannte Gesichter entdeckten oder Neuigkeiten aus der Heimat erfuhren. Jede Kleinigkeit, die das traurige Einerlei des Blockadedienstes vertrieb, war hochwillkommen.
        Bolitho stand mit Herrick an Deck, beobachtete den Austausch von Signalen und freute sich am vertrauten Anblick dieser stolzen Schiffe. Odin hatte er nicht mehr gesehen, seit sie vor Kopenhagen so grausam zusammengeschossen worden war; aber ohne Muhe konnte er sich das lange Pferdegesicht von Francis Inch, ihrem Kommandanten, vorstellen und wie er bei ihrem Wiedersehen vor Freude springen wurde. Aber das mu?te noch warten. Erst mu?ten Nachrichten ausgetauscht, Depeschen gelesen und beantwortet werden. Und au?erdem hatte er gar keinen Anla?, seine Kommandanten zusammenzurufen, dachte Bolitho, plotzlich ernuchtert.
        Er nahm seinen gewohnten ungestorten Spaziergang auf dem Achterdeck wieder auf. Hin und her, hin und her marschierte er, und seine Fu?e stiegen dabei wie von selbst uber Decksbeschlage und aufgeschossene Leinen hinweg.
        Die Neuankommlinge kurzten die Segel, und ein Beiboot mit einem dicken Postsack im Heck strebte auf die Benbow zu.
        Als er sich genug Bewegung verschafft hatte, kehrte Bolitho in seine Kajute zuruck; ihm war seltsam melancholisch zumute, was vielleicht an der ersten Andeutung von Septemberfrost in der Luft lag oder auch an dem Mangel an Neuigkeiten. Bei rauhem Wetter war die Biskaya ein hollisches Seegebiet. Dann brauchte es mehr als tagliches Exerzieren, um die Besatzung alarm- und kampfbereit zu halten.
        Also mu?te bald etwas geschehen. Sonst hinderte der nahende Winter die Franzosen daran, ihre neue Invasionsflotte nach Norden zu verlegen. Aus demselben Grund mu?ten die Englander dann ihre Blockadeschiffe von der gefahrlichen Kuste abziehen. Viel Zeit blieb nicht mehr.
        Browne offnete einen Briefumschlag nach dem anderen und stapelte die dienstlichen Schreiben auf der einen Seite, Bolithos private Post auf der anderen.
        Schlie?lich fa?te er zusammen:»Keine neuen Befehle, Sir.»
        Das klang so heiter, da? Bolitho eine Zurechtweisung schon auf der Zunge lag. Aber er unterdruckte seinen Arger. Es war nicht Brownes Schuld. Vielleicht hatte sein Geschwader von Anfang an nur Flagge zeigen sollen, weiter nichts.
        Sein Blick blieb an einem Brief hangen, der auf dem Privatstapel ganz oben lag.

«Danke, Oliver.»
        Er setzte sich und las ihren Brief ganz langsam, um nur ja nichts zu ubersehen. Halb furchtete er ein Wort des Bedauerns von ihr uber das, was in Gibraltar zwischen ihnen geschehen war.
        Aber ihre Worte streichelten ihn wie eine warme Sommerbrise. In Minutenfrist fuhlte er sich seltsam erleichtert und entspannt, und sogar der alte Schmerz in seiner Schenkelwunde lie? nach.
        Sie wartete auf ihn.
        Entschlossen stand Bolitho auf.»Signal an Phalarope, Oliver, mit der Ma?gabe, es an Rapid weiterzuleiten. «Belindas Brief in der Hand, schritt er ungeduldig in der Kajute auf und ab.
        Browne starrte ihn stumm an; dieser plotzliche Stimmungswechsel faszinierte ihn.

«Wachen Sie auf, Oliver!«schnappte Bolitho.»Sie wollten neue Befehle - gut, hier sind sie: Rapid wird angewiesen, die Umstande zu erkunden, unter denen ein Fischkutter gekapert werden konnte, und sofort Ruckmeldung zu erstatten, wenn es soweit ist.»
        Geistesabwesend hatte er sich mit dem Brief an die Lippen getippt und hob ihn jetzt an die Nase. Das war ihr Parfum. Sie mu?te ihn absichtlich parfumiert haben.
        Browne, der hastig alles niedergeschrieben hatte, fragte:»Darf ich mich nach Ihren Absichten erkundigen, Sir?»
        Bolitho grinste ihn an.»Tja, wenn sie nicht zu uns herauskommen wollen, mussen wir eben zu ihnen hinein!»
        Browne erhob sich.»Ich lasse das Signal fur Phalarope absetzen, Sir.»
        Es wurde ein gro?es Risiko bedeuten, einen dieser vielen Fischkutter abzufangen, die Ganymede beobachtet hatte. Aber wenigstens lie? sich das mit einer Handvoll Leute bewerkstelligen. Wenn sie entschlossen vorgingen und gut gefuhrt wurden, mochten sie ihm den Schlussel zu Konteradmiral Remonds Hintertur verschaffen.
        Browne war bald wieder zuruck, auf seinem Rock glanzten Wassertropfen.

«Der Wind frischt weiter auf, Sir«, sagte er.

«Gut. «Bolitho rieb sich die Hande. Im Geist sah er, wie sein Signal von Schiff zu Schiff weitergegeben wurde, ebenso schnell und zuverlassig wie uber die Semaphorenturme des Feindes. Der junge Kommandant der Rapid, Jeremy Lapish, war gerade erst vom Leutnant zum Kapitan befordert worden. Er galt als kuhn und tuchtig. Bolitho dachte auch an seinen Neffen, von dessen Schiff das Signal weitergegeben wurde; Adam mochte sich schon als Anfuhrer des Uberfalls sehen, mochte vom Hauen und Stechen des Nahkampfs traumen.
        Browne setzte sich und blickte auf die mit dem rosa Band der Admiralitat zusammengehaltenen Depeschen nieder.

«Noch vor kurzem«, sagte er ernst,»waren wir Gefangene, und ich mu? oft daran denken, da? wir Neale unseren Zusammenhalt verdanken. Sein Zustand machte uns solche Sorgen, da? wir gar nicht dazu kamen, um unsere eigene Sicherheit zu furchten. Ich denke noch oft an ihn.»
        Bolitho nickte.»Ich auch. Hoffentlich konnen wir bald etwas tun, auf das er stolz ware.»
        Der Wind wurde starker und sprang um, die Farbe der See wechselte von Blau zu Grau, und die ferne Kuste verschwand in der Abenddammerung; das Geschwader bezog Station fur die Nacht.
        Tief unten im Orlopdeck der Benbow sa?en Allday und Tuck, der Bootsfuhrer des Kommandanten, zwischen den achzenden Planken gemutlich beisammen und teilten sich eine Flasche Rum. Sein starkes Aroma und das schwankende Licht der pendelnden Laternen vernebelten ihre Kopfe, trotzdem fuhlten sich beide zufrieden.

«Glaubst du, da? dein Admiral kampfen wird?«fragte Tuck scheinbar zusammenhanglos.

«Naturlich wird er das, Frank.»
        Tuck verzog das Gesicht.»Wenn ich 'ne Frau hatte wie er, wurd' ich um die Franzosen lieber einen gro?en Bogen machen. «Bewundernd sah er Allday an.»Und du wohnst bei ihnen im Haus, wenn du an Land bist?»
        Alldays Kopf pendelte mit den Schiffsbewegungen hin und her. Er sah wieder die grauen Steinmauern vor sich, die grunen Hecken von Falmouth. Und das Madchen aus dem George Inn, das ihm einoder zweimal zu Gefallen gewesen war. Aber dann wurde ihr Bild von Polly verdrangt, Mrs. Laidlaws neuer Zofe; die war nun mal ein besonders niedlicher Kafer, daran gab's keinen Zweifel.
        Er antwortete:»Das stimmt, Frank. Ich gehore zur Familie.»
        Aber Tuck war schon eingeschlafen.
        Allday lehnte sich an einen gro?en Spant und fragte sich, warum er sich so verandert hatte. Fruher hatte er immer ein Eigenleben gefuhrt, getrennt von dem, das Bolitho ihm in Falmouth anbot.
        Dann dachte er an das bevorstehende Gefecht. Tuck hatte ja keine Ahnung, wenn er glaubte, Bolitho wurde vor den Franzosen kneifen. Jetzt schon gar nicht, nachdem sie von ihnen so viel zu erdulden gehabt hatten.
        Nein, sie wurden kampfen; aber Allday war beunruhigt, da? er sich deshalb solche Sorgen machte.
        Tuck stohnte im Schlaf und murmelte:»Wassis los?»

«Halt's Maul, du Idiot. «Allday kam taumelnd auf die Fu?e.»Komm, ich helf dir, deine Hangematte aufriggen.»
        In etwa acht Meilen Entfernung war ebenfalls unter einer pendelnden Laterne von Kampf die Rede: Kapitan Lapish, Kommandant der Rapid, erklarte seinem Ersten Offizier, der ebenso jung war wie er selbst, was er vorhatte.
        Die Brigg rollte stark im rauhen Seegang, der vom Ebbstrom noch aufgebaut wurde, aber weder Lapish noch sein Leutnant bemerkten es. Lapish sagte gerade:»Ihnen ist jetzt klar, Peter, was das Signal vom Flaggschiff bedeutet, und Sie wissen auch, wonach Sie Ausschau zu halten haben. Ich setze das Boot so dicht unter Land ab, wie ich kann, und warte dann, mich gut von der Kuste freihaltend, auf Ihre Ruckkehr - mit Fischkutter oder ohne. «Er grinste den Leutnant an.»Haben Sie Angst?»

«So wird man schneller befordert, Sir.»
        Wieder beugten sich beide uber die Seekarte und stellten ihre Berechnungen an.
        Der Leutnant hatte seinen Admiral noch nie gesprochen, hatte ihn nur einige Male aus der Ferne gesehen. Aber was machte das aus? Schon morgen mochte ein neuer Admiral den Oberbefehl haben. Der Leutnant warf seinen Sabel auf die Bank, wo bereits seine beiden Pistolen lagen. Und schon morgen konnte er selbst tot sein.
        Wichtig waren nur die nachsten paar Stunden.»Alles klar, Peter?«»Aye, Sir.»
        Sie lauschten nach drau?en, wo die Gischt aufs Deck krachte. Scheu?liche Nacht fur einen Bootsausflug, aber genau richtig fur das, was sie vorhatten.
        Aber wie dem auch sei: Sie hatten ihren Befehl vom Flaggschiff.



        XIII Keine Kampfernatur

        Mit eingezogenem Kopf polterte Leutnant Wolfe unter den niedrigen Decksbalken in die Kajute, wartete ab, bis Bolitho und Herrick ihre Kursberechnungen auf der Karte fertig hatten, und meldete dann:»Signal von Rapid, weitergeleitet uber Phalarope, Sir: >Haben franzosisches Fischerboot gekapert, kein Alarm ausge-lost.
»
        Bolitho warf Herrick einen Blick zu.»Das war flotte Arbeit. Die Brigg fuhrt ihren Namen offenbar zu Recht. «Und an Wolfe gewandt:»Signalisieren Sie Rapid, sie sollen die Prise zum Flaggschiff schicken. Je weniger neugierige Augen sie zu Gesicht bekommen, desto besser. Und sagen Sie Kapitan Lapish von mir: gute Arbeit.

        Nachdenklich rieb Herrick sich das Kinn.»Und es ist ohne Alarm abgegangen, wie? Lapish mu? von dem schlechten Wetter gestern nacht profitiert haben. Hatte Gluck, der junge Teufel.»

«So wird's gewesen sein«, sagte Bolitho bewu?t neutral und beugte sich wieder uber die Seekarte. Weshalb auch hatte er Herrick wissen lassen sollen, da? er fast die ganze Nacht wachgelegen hatte aus Sorge um Rapid. Schon ein sinnlos geopfertes Menschenleben ware zuviel gewesen, das war ihm klar, seit Styx gesunken und Neale mit so vielen anderen gestorben war. Aber weshalb hatte er Herrick mit seinen Skrupeln beunruhigen sollen?
        Statt dessen fuhr er mit dem Finger das gro?e Dreieck auf der Seekarte nach. Ein Schenkel verlief in sudostlicher Richtung von der Belle Ile zur Ile d'Yeu; der zweite erstreckte sich vierzig Meilen weit nach Westen, und der letzte fuhrte mit nordlicher Richtung wieder zur Belle Ile zuruck: der Patrouillenkurs seiner drei Fregatten lag dem Land am nachsten, wahrend die Linienschiffe sich weiter seewarts hielten, um eventuell durchgebrochene Franzosenschiffe abzufangen. Als Kundschafter und Kurier zwischen den englischen Einheiten fungierte die kleine Rapid. Lapish mu?te sein erfolgreiches Sto?truppunternehmen sehr genossen haben, denn damit bewiesen seine Manner, da? sie den Kameraden auf den schwerfalligeren Schiffen um Langen voraus waren.
        Bolitho uberlegte laut:»Die Franzosen mussen bald den ersten Zug machen. Also sollten wir unbedingt erfahren, was in den Kustengewassern vorgeht. «Er blickte auf, weil Browne die Kajute betrat.»Der erbeutete Fischkutter wird zu uns geschickt. Ich mochte, da? Sie an Bord gehen und ihn genau untersuchen.»

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«fragte Browne.

«Naturlich.»
        Browne trat an den Tisch.»Wie wir horten, wurden schon seit Wochen Fischereifahrzeuge zusammengezogen. Das ist durchaus ublich, damit die Fischer unter dem Schutz franzosischer Wachboote ihrem Handwerk nachgehen konnen. Wenn Lapish ganz sicher ist, da? niemand die Kaperung des Fischkutters beobachtete, dann konnte das Boot doch mit einer ausgesuchten Crew wieder zur Kuste zurucksegeln und ausspahen, was dort geschieht?»
        Herrick stie? einen ungeduldigen Seufzer aus.»Aber klar, Mann! Genau das war doch von Anfang an geplant. Ich dachte, Sie hatten einen neuen Einfall?»
        Browne lachelte nur milde.»Mit allem Respekt, Sir: Mein Vorschlag lautet, den Kutter mit unseren Leuten direkt zwischen die franzosische Fischereiflotte segeln zu lassen.»
        Herrick schuttelte den Kopf.»Das ware der reinste Wahnsinn. Noch innerhalb der ersten Stunde wurden sie auffallen und geschnappt.»

«Nicht, wenn jemand an Bord flie?end franzosisch sprache.»
        Verzweifelt wandte sich Herrick an Bolitho.»Und wie viele solcher Sprachgenies haben wir an Bord?»
        Browne rausperte sich.»Zunachst einmal mich, Sir. Und ich habe entdeckt, da? die beiden Fahnriche Stirling und Gaisford ein passables Franzosisch sprechen.»

«Also, mich trifft der Schlag!«Herrick konnte Browne nur anstarren.

«Gibt es denn eine Alternative?«fragte Bolitho bedachtig.
        Browne zuckte die Achseln.»Keine, Sir.»
        Wieder studierte Bolitho die Seekarte dieses Kustenstrichs, obwohl er inzwischen jede Untiefe, jede Bucht und die Entfernungen auswendig kannte.
        Die Sache konnte klappen, weil sie so unvermutet kam. Wenn sie schiefging, wurden Browne und seine Manner gefangengenommen. Hatten sie sich verkleidet, bedeutete das den sicheren Tod fur sie. Er dachte wieder an die kleinen Grabhugel unterhalb der Gefangnismauern, an die Kugeleinschlage in der Wand.
        Browne war sein Zogern nicht entgangen, er sagte:»Ich wurde es jedenfalls gern versuchen, Sir. Es kann uns weiterhelfen. Im Sinne von Kapitan Neale.»
        Der Wachsoldat vor der Tur unterbrach sie mit dem lauten Ruf:»Midshipman der Wache, Sir!»
        Midshipman Haines trat wie auf Zehenspitzen vor seine Vorgesetzten und meldete fast flusternd:»Empfehlung des Ersten Offiziers, Sir, und die franzosische Prise kommt in Nordost in Sicht.»
        Herrick funkelte ihn an.»Und das war alles, Mr. Haines?»

«N-nein, Sir. Mr. Wolfe la?t Ihnen noch sagen, da? der Kutter drei franzosische Soldaten an Bord hat.»
        Der ahnungslose Junge hatte die wichtigste Information fur den Schlu? aufgehoben.

«Danke, Mr. Haines«, sagte Bolitho.»Kompliment an den Ersten Offizier, und er mochte mich informieren, wenn der Kutter naher kommt.»
        Mit einem mal war alles sonnenklar. Bolitho erinnerte sich an die franzosischen Soldaten an Bord der anderen Fischkutter, damals an jenem schrecklichen Morgen, als Styx gesunken war. Vielleicht stellte die Garnison regelma?ig Soldaten fur diese Aufgabe ab, schlie?lich war es nicht au?ergewohnlich, da? sich Fischer und Schmuggler beider Seiten weiter drau?en auf See trafen, um Nachrichten oder Schmuggelware auszutauschen. Es konnte nicht im Sinne von Konteradmiral Remond sein, die Invasionsflotte durch unbedachtes Gerede verraten zu lassen.
        Also drei franzosische Soldaten. Schon stellte Bolitho sich Browne in einer ihrer Uniformen vor, und als er seinem Adjutanten einen Blick zuwarf, sah er den gleichen Gedanken auf dessen Gesicht.

«Also gut. Durchsuchen Sie den Kutter und erstatten Sie mir Bericht. Danach…«Sein Blick senkte sich auf die Karte.»Danach werde ich entscheiden.»

«Sie sind sich der Gefahr bewu?t?«fragte Herrick.
        Browne nickte.»Jawohl, Sir.»

«Trotzdem wollen Sie es tun?»

«Jawohl, Sir.»
        Herrick hob verzweifelt die Hande.»Wie ich schon sagte: totaler Wahnsinn.»
        Bolitho blickte von einem zum anderen. Sie waren beide so grundverschieden, aber beide ungeheuer wichtig fur ihn. Er erhob sich.»Ich gehe an Deck, Thomas. Mu? nachdenken.»
        Herrick begriff sofort.»Ich sorge dafur, da? Sie nicht gestort werden, Sir.»
        Als Bolitho auf dem Achterdeck auf und ab ging, versuchte er, sich an Remonds Stelle zu versetzen. Er hatte ihn damals nur kurz gesprochen, aber trotzdem half ihm das betrachtlich. Der Feind hatte jetzt ein Gesicht, einen Charakter.
        Bis der kleine Fischkutter an der Leeseite von Benbow langsseits ging, war die Abenddammerung hereingebrochen; Browne stieg sofort hinunter, um ihn zu durchsuchen.
        Wahrend sich neugierige Seeleute in den Webeleinen und an der
        Reling drangten, stand Bolitho hoch oben uber ihnen, war aber nicht weniger gespannt. Der Kutter war ein schabiges Arbeitsboot mit geflickten Segeln und schmutzigem Deck und nicht viel langer als die Barkasse der Benbow. Er wirkte alles andere als heroisch und hatte jedem Bootsmann der Kriegsmarine nur ein verachtliches Schnauben entlockt.
        Auf dem vergammelten Fahrzeug wirkte Browne mit seiner adretten, blau-wei?en Uniform als starker Kontrast.
        Das Beiboot kehrte mit einem blutjungen Leutnant zuruck, in dem Bolitho den Anfuhrer des Prisenkommandos vermutete. Als er am Fallreep die uberhangende Bordwand der Benbow erkletterte und vor der Ehrenwache gru?end an seinen Hut tippte, schatzte Bolitho ihn auf hochstens neunzehn Jahre.
        Wolfe wollte ihn in die Achterkajute fuhren, aber Bolitho rief vom Huttendeck: Hierher!»
        Der Leutnant mochte jung und vom Pomp des Flaggschiffs eingeschuchtert sein, aber seine Bewegungen waren selbstsicher und schwungvoll, als er nach oben lief: der Gestus des Siegers.
        Gru?end meldete er:»Leutnant Peter Searle, Sir, von der Brigg Rapid.»

«Sie haben den Fischkutter gekapert, Mr. Searle?»
        Der Leutnant wandte sich um und blickte auf das schabige Arbeitsboot hinab. Zum erstenmal schien er es mit unbeteiligten Augen zu sehen.
        Er berichtete:»Der Kutter ankerte etwas abseits von den anderen, Sir. Ich lie? zwei gute Schwimmer au?enbords gehen und die Ankerleine durchschneiden, damit der Kutter mit dem Wind auf mein Boot zutrieb. In dieser Nacht hatten wir Sturm, und mein Boot nahm eine Menge Wasser uber. «Er grinste in der Erinnerung, und damit verschwand die Anspannung aus seinem Gesicht.»Ich wu?te, wir mu?ten diesen verdammten Fischkutter erobern - oder uns schwimmend auf die Suche nach Rapid machen.»

«Gab es einen Kampf?»

«Der Kutter hatte vier Soldaten an Bord, was ich vorher nicht wu?te, Sir. Sie erschossen den armen Miller und schlugen Thompson bewu?tlos, ehe wir die Oberhand gewannen. Das Ganze war schnell vorbei.»

«Ich bin stolz auf Sie. «Seltsam, er dachte an den toten Miller wie an einen alten Bekannten.»Und niemand hat Alarm geschlagen?»

«Nein, Sir, da bin ich mir ganz sicher. «Searle fugte noch hinzu:»Ich lie? die Leichen in der Dunkelheit uber Bord gleiten, auch Miller. Vorher lie? ich sie mit Ballast beschweren, was so zur Hand war, damit sie schnell untergingen. Sie werden bestimmt nirgendwo angetrieben, um ihr Schicksal zu verraten.»

«Ich danke Ihnen, Mr. Searle.»
        Aber der Leutnant sprach zogernd weiter.»Wie ich horte, planen Sie, den Kutter gegen den Feind einzusetzen, Sir. Wenn dem so ist, mochte ich mich dafur freiwillig melden.»

«Wer hat Ihnen das erzahlt?»
        Unter Bolithos scharfem Blick errotete der junge Mann.»Ich - das habe ich vergessen, Sir.»
        Bolitho mu?te lacheln.»Macht nichts, ich kann es mir denken. Ich ernenne Sie mit Freuden zum Anfuhrer der Kutterbesatzung. Offensichtlich sind Sie ein einfallsreicher junger Mann. Mit Ihnen und dem schon unheimlichen Talent meines Flaggleutnants, immer recht zu behalten, sollte die Aktion ein voller Erfolg werden.»
        Beide wandten sich um, weil Herrick an Deck erschien. Bolitho informierte ihn:»Es geht heute abend los. Sagen Sie Major Clinton, da? ich vier seiner besten Scharfschutzen mit der Prisenmannschaft losschicken will. Und einen guten Steuermannsmaat werden sie auch brauchen. Sorgen Sie dafur, da? uns Mr. Grubb den besten Mann gibt, den er hat, und nicht den, der sich am ehesten entbehren la?t.»
        Herrick zog ein Gesicht, als wolle er protestieren, uberlegte es sich aber anders.
        Bolitho wandte sich wieder an den Leutnant.»Ich werde Ihnen noch Ihre Befehle geben, mochte Sie aber schon jetzt darauf aufmerksam machen, da? Ihre Sache hoffnungslos ist, wenn Sie in
        Gefangenschaft geraten.»

«Das wei? ich, Sir. «Er grinste vergnugt.»Auch alle meine Leute sind Freiwillige.»
        Wieder blickte Bolitho zum Fischkutter hinab. Jetzt wurde ihm manches klar. Er hatte sich Vorwurfe gemacht, weil er Menschenleben aufs Spiel setzte, aber dieser junge Teufel war ihm ehrlich dankbar dafur. Dankbar fur die Chance, sich auszuzeichnen - eine der seltenen guten Gelegenheiten, auf die der junge Offizier sehnsuchtig wartete. War er in seiner Jugend nicht genauso gewesen? Er ordnete an: Bringen Sie die Gefangenen an Bord und schicken Sie noch mehr unserer Leute hinuber, die Mr. Browne bei der Durchsuchung helfen konnen. «Mit einem Blick zum Himmel, der sich schon verdunkelte, und zu den Mastspitzen, die das letzte Tageslicht einfingen, fugte er noch hinzu:»Herrgott, Thomas, das Warten auf einen Eroffnungszug des Feindes hangt mir zum Halse heraus. Es wird Zeit, da? wir sie aus ihrem Bau schDeauncnhefnie!«l ihm Allday auf, der auf dem Backbord-Seitendeck stand. Seltsam gespannt und wie erstarrt blickte er auf das Fischerboot hinab. Wenigstens blieb Allday die Teilnahme an diesem tollkuhnen, riskanten Unternehmen erspart, dachte Bolitho.
        Er wartete an Deck, bis die kleine Schar ihrer Gefangenen herbeigeschafft war, an der Spitze die drei franzosischen Soldaten. Hinter ihnen kam einer von Clintons Seesoldaten und trug mit angewidertem Gesicht eine blutige franzosische Uniform uber dem Arm. Ihr vorheriger Besitzer hatte keine Verwendung mehr fur sie.
        Erst als es schon ganz dunkel war und die Schiffe fur die Nacht Segel refften, kehrte Browne auf die Benbow zuruck.

«Dieses Boot stinkt wie eine Kloake, Sir! Und die Mannschaft auch!»

«Haben Sie etwas gefunden?»
        Browne nickte.»Der Kutter stammt aus Brest, nicht hier aus der Gegend. Wir hatten Gluck. Ich habe den Skipper uberzeugen konnen, da? wir ihn spater laufenlassen, wenn er uns die Wahrheit sagt. Und da? er im anderen Fall von der Rah baumeln wird. Er hat mir glaubhaft versichert, da? hier ein ganzes franzosisches Geschwader stationiert ist - mit dem einzigen Auftrag, die Invasionsflotte zu schutzen. Und es klang mir so, als sei Konteradmiral Remond der Oberbefehlshaber.
«Browne sah, da? Bolitho die Augen zusammenkniff.»Ich wu?te ja, da? wir ihm noch einmal begegnen, Sir.»

«Ja. Wollen Sie immer noch an dieser Aktion teilnehmen, Oliver? Wir sind jetzt unter uns, also sprechen Sie offen. Sie kennen mich inzwischen gut genug, um zu wissen, da? ich es Ihnen nicht verubeln wurde, wenn Sie es sich anders uberlegten.


«Ich mochte aber mitfahren, Sir, jetzt noch mehr als vorher. Vielleicht wegen Remond und wegen Styx und auch, weil ich Ihnen dann endlich eine wirkliche Hilfe sein kann, statt Ihnen dauernd nur Depeschen zu reichen und Signale zu notieren.»
        Bolitho beruhrte kurz seinen Arm.»Ich wei? es zu schatzen, Oliver. Danke. Aber jetzt mussen Sie sich fertigmachen.»
        Als Browne davoneilte, trat Herrick zu Bolitho.»Er ist keine Kampfernatur, Sir«, sagte er.
        Uberrascht und geruhrt, da? Herrick sich um Browne zu sorgen schien, den er bisher immer nur kritisiert hatte, blickte Bolitho seinen Freund an.»Vielleicht nicht, Thomas. Aber er besitzt Mut, den er auch einmal beweisen mu?.»
        Herrick blickte stirnrunzelnd Wolfe entgegen, der mit einer Namenliste auf ihn zukam.»Verdammt, gibt es immer noch Unklarheiten?»
        Lachelnd wandte Bolitho sich zum Gehen. Fast zu beilaufig sagte er noch:»Ich habe ein Signal an Phalarope abzusetzen. Das schreibe ich jetzt aus, damit es im ersten Tageslicht ubermittelt werden kann.»
        Dickfellig wie immer blickte Wolfe auf und erkundigte sich bei Herrick:»Gibt's Arger, Sir?»

«Bin mir nicht sicher. «Herrick konnte seine Unruhe nicht verbergen.»Tausendmal lieber als dieses Katz-und-Maus-Spiel ware mir das Krachen der Breitseiten in einem ehrlichen GeWche. «mu?te grinsen.»Sir, zu den Leuten, die zur Beforderung anstehen…»
        Die geflickten Segel steif wie Bretter, arbeitete sich der Fischkutter durch den rauhen Seegang; das Lee-Schandeck schnitt standig unter.
        Leutnant Searle, wie die meisten seiner Manner in Olzeug und hohen Stiefeln, wie die Fischer sie trugen, befahl scharf:»Bleibt hoch am Wind, verdammt!»
        Neben Searle balancierte Browne und kampfte um sein Gleichgewicht, wahrend das Boot unter ihm stampfte und bockte. In seinem franzosischen Soldatenrock mit dem wei?en Brustriemen war er vollauf damit beschaftigt, seine Wurde zu wahren.
        Der Morgen dammerte schon herauf, aber der Himmel blieb bewolkt, und hier unten wirkte die See sehr viel gefahrlicher und wilder, als vom hohen Achterdeck der Benbow aus gesehen.
        Sie hatten die Nacht durchgearbeitet, um das Boot fur ihre Zwecke herzurichten; die ganze Fischereiausrustung war uber Bord gegangen. Aber gegen den Fischgestank lie? sich nichts unternehmen. Brownes einziger Trost war, da? er sich oben in frischer Luft aufhalten konnte, wahrend die meisten seiner Manner sich in der stinkenden Fischlast zusammendrangen mu?ten. Der Steuermann - Mr. Grubb hatte ihnen seinen Stellvertreter mitgegeben - an der Pinne warnte:»Feindliche Kuste direkt voraus,
        Sir.»
        Browne schluckte unwillkurlich.»Danke, Mr. Hoblin.»
        Er mu?te dem Mann blind vertrauen, denn sehen konnte er nichts; aber Grubb hatte ihm vor dem Ablegen versichert:»Mr. Hoblin hat die richtige Nase, Sir!»
        Eiskalte Gischt flog ubers Dollbord und klatschte auf Searles Kopf und Schultern nieder, der die Zahne zusammenbi? und hervorpre?te:»Ich bezweifle, da? die Franzosen so fruh schon ein Wachboot patrouillieren lassen; die sind bestimmt nicht scharf auf ein kaltes Bad.»
        Midshipman Stirling, der mit seiner roten Wollmutze eher wie ein Pirat aussah, fragte:»Wie dicht gehen wir ran, Sir?»
        Browne konnte aus der Frage des Jungen keine Furcht heraushoren. Sie klang eher ungeduldig, als konne er es nicht abwarten, da? endlich etwas geschah.

«So dicht wir es wagen.»
        Searle meinte:»Wenigstens ist der Wind stetig: Nordost. Wenn wir unbemerkt unter die anderen Fischkutter gelangen, ist das Argste uberstanden. Die Franzosen werden uns nicht anpreien, wenn sie erst Sie gesehen haben. «Er grinste.»Soldaten sind allen Fischern der Welt verha?t, ebenso wie Zollner, die Marine und sogar ein biederer Gendarm.»
        Ein Seemann, der lang ausgestreckt im Bug lag und Ausschau hielt, rief heiser: Zwei Boote an Steuerbord voraus!»
        Hoblin erganzte:»Fischkutter, ebenfalls unterwegs nach Hause.»
        Die Besatzung eilte an Schoten und Fallen, aber Browne bremste sie:»Langsam, Manner! Ihr seid Fischer, nicht Matrosen der Kriegsmarine. Also la?t euch Zeit!»
        Grinsend stie?en sie einander an, als sei alles nur ein Possenspiel.
        Searle befahl:»Legt sie auf den anderen Bug! Aber haltet euch in Luv von den beiden. «Er wandte sich um, wahrend die Segel laut zu killen begannen und sich auf dem neuen Schlag dann wieder mit Wind fullten.»Belle Ile mu? nordlich von uns liegen.»
        Der Steuermann nickte und schielte auf den Kompa?.»Hochstens zwei Meilen entfernt, Sir. «Niemand focht sein Urteil an, und das freute ihn. Schlie?lich war er bei weitem der Alteste an
        Bord.

«Verdammt, jetzt fangt's auch noch an zu regnen.»
        Browne nickte unbehaglich und versuchte, die rauhe franzosische Uniform am Hals enger zusammenzuziehen. Fast noch schlimmer als der Fischgestank war der Geruch nach altem Schwei?, den ihr Vorbesitzer hinterlassen hatte.
        Gro?e, schwere Regentropfen fielen erst vereinzelt, dann zischend wie ein Hagelschauer und peitschten die Wasseroberflache, das Boot und seine geplagten Insassen.
        Browne stohnte.»Ich werde nie wieder uber Fisch lastern! Die Manner, die ihn fangen, verdienen jeden Penny, den sie dafur kriegen!»
        Langsam und widerwillig kroch das erste Tageslicht durch die schwere Wolkendecke und die Regenschleier. Rundum nahmen immer mehr Boote Gestalt an. Sowie sie in Sicht kamen, verteilten sie sich, um in gebuhrendem Abstand voneinander die Netze auswerfen zu konnen.
        Searle befahl:»Wir steuern weiter genau Ost. «An Browne gewandt, fugte er hinzu: Damit behalten wir die Luvposition und kommen gleichzeitig naher ans Festland heran. «Durch den Regen starrte er Browne an.»Bald mussen wir ungefahr dort sein, wo Ganymede auf Sie stie?.»

«Ja.»
        Browne wischte sich den Regen aus den Augen. Er konnte immer noch nicht daruber sprechen, au?er mit Bolitho. Ihm fuhlte er sich durch dieses schreckliche gemeinsame Erlebnis verbunden.
        Dann spahte er zum Gro?mast mit seinem uralten, verschlissenen Rigg hinauf.

«Wie war's mit einer Kletterpartie, Mr. Stirling?»
        Der Midshipman zog seinen Gurtel enger.»Aye, Sir. Was soll ich machen?»

«Gute Idee«, sagte Searle und klopfte Browne auf die Schulter.»Entern Sie auf, nehmen Sie Segelhandschuh und Nadel mit, als hatten Sie oben etwas zu reparieren. Obwohl ich bezweifle, da? die Fischer Teleskope an Bord haben.»
        Stirling glitt behende am Mast in die Hohe und war oben bald scheinbar in seine Arbeit vertieft.
        Corporal Coote, einer der vier Soldaten, die den Gestank und die Unbequemlichkeit der Fischlast aushaken mu?ten, reckte hoffnungsvoll den Hals, spahte ubers Sull und blickte die beiden Leutnants fragend an.

«Na, Corporal?«erkundigte sich Browne.

«Wir haben in einer alten Kiste hier unten ein paar Weinflaschen gefunden, Sir.
«Sein Gesicht war ein Bild reiner Unschuld.»Wenn wir im Einsatz sind, lassen uns die Offiziere sonst immer einen Schluck trinken.»
        Browne nickte.»Ich nehme an, das geht schon in Ordnung.»
        Aber der Steuermann an der Pinne fuhr mit lauter Stimme dazwischen:»Du bist dir wohl fur keine Luge zu schade, Coote! Ich wei? genau, was eure Offiziere erlauben und was nicht.»
        Zerknirscht verschwand der Corporal au?er Sicht, und Hoblin murmelte:»Vermaledeite Kommi?koppe! Halten zu Gnaden, meine Herren, aber die wurden einem Kruppel noch das Holzbein klauen, um Feuer damit zu machen!»
        Browne warf Searle einen Blick zu und grinste.»Dabei hatte ich selber einen Schluck gebrauchen konnen.»
        Searle wandte sich wortlos ab. Browne war zwar ranghoher als er, hatte aber offenbar nicht die harte Schule der unteren Decks durchlaufen - oder der Kasernen. Er lockerte den Sabel an seiner Seite. Das ware ein schones Ende ihrer Unternehmung gewesen, wenn sie mit einer Mannschaft, die zur Halfte aus Betrunkenen bestand, auf den Feind gesto?en waren!
        Er befahl:»Noch einen Strich hoher an den Wind! Und haltet scharf Ausschau, alle!»
        Soweit Browne sehen konnte, bestand die Fischereiflotte aus zirka drei?ig Fahrzeugen. Geschickt hielt ihr Steuermann sie abseits von den anderen, wahrend die Seeleute sich auf dem unordentlichen Deck mit Netzen und Taljen beschaftigten, als seien sie ihr Lebtag lang auf Fischfang gegangen.

«Ich sehe keine Soldaten, jedenfalls nicht an Deck. «Searle schlug frierend die Hande gegeneinander.»Wenn ich's doch nur wagen konnte, ein Fernglas zu benutzen!»
        Hoch uber Deck hing Midshipman Stirling schwingend auf seinem luftigen Sitz, starrte zu den anderen Fischerbooten hinuber und lie? die Beine im Regen baumeln. Wie die meisten jugendlichen Seekadetten war er schwindelfrei. Er sah zu, wie der Regen sich vor dem Bug teilte und das Nachbarboot einhullte, das etwa eine Kabellange entfernt an Steuerbord segelte. Dabei tauschte er weiter Ausbesserungsarbeiten vor, obwohl er die Segelnadel gleich in den ersten Minuten auf seinem unsicheren Sitz verloren hatte.
        Unter ihm sackte das Boot wieder in ein Wellental ab, und Stir-ling horte einen Taljenblock quietschen, als er auf seinem Bootsmannstuhl wie ein Kartoffelsack gegen den Mast geschleudert wurde.
        Und da sah er sie: Sie leuchteten selbst noch im grauen Morgenlicht, ihr Rigg und die gekreuzten Rahen glanzten vor Nasse.

«Backbord voraus, Sir!«rief er nach unten.»Funf, nein, sechs Linienschiffe vor Anker!«Vor Aufregung hatte er fast gestottert.
        An Deck wechselten Hoblin und die beiden Leutnants fragende Blicke. Der Steuermann sagte:»Vor zwei Tagen waren die aber noch nicht hier, Sir. Mussen heimlich von Lorient gekommen sein. Sonst waren sie gesichtet worden.»
        Browne rief zu Stirling hinauf:»Noch mehr?»

«Kann ich nicht sagen, Sir. Druben geht wieder eine Regenbo nieder. Aber ich bin fast sicher, da? dort noch kleinere Schiffe vor Anker liegen.»
        Browne sah Searle an.»Das ist Remonds Feuerwehr, mochte ich wetten. Seine schnelle Einsatztruppe. «Er packte seinen neuen Freund am Arm.»Seltsam. Wir wollten ja unbedingt rekognoszieren, aber jetzt, da wir sie entdeckt haben, ist der Schock gro?.»

«Was nun?»
        Browne starrte uber die Gischt nach vorn. Stirling mu?te gute Augen haben, dachte er. Denn er selbst konnte nichts anderes sehen als die endlos auf sie einsturmenden wei?en Wellenkamme.

«Wir mussen zuruck zum Geschwader. Konteradmiral Bolitho mu? erfahren, da? die Franzosen von Lorient ausgebrochen sind.»

«Vorsicht, Sir!»
        Ein Seemann deutete mit teerschwarzem Daumen auf einen Fischkutter dichtbei, der ihnen bisher nicht aufgefallen war. Jetzt aber befand er sich auf konvergierendem Kurs, und zwischen den Regenschleiern erkannte Browne an Bord zwei Uniformierte, schlimmer noch: ein Drehgeschutz im Bug.
        Searle befahl heiser:»Weitersagen: nicht beachten!»
        Browne bemerkte einen sofortigen Stimmungswechsel an Bord. Sogar Stirling oben hatte einen Arm um den Mast geschlungen, als wolle er in Deckung gehen.

«Zwei Strich abfallen!»
        Hoblin murmelte:»Sinnlos. Der Hund hat uns gesehen.«»Verdammt. «Searle blickte Browne an.»Was soll ich tun?«Hoblin sagte:»Sie konnen uns den Weg abschneiden. Wir haben keine Chance.»
        Browne starrte zum fremden Boot hinuber. Zwei weitere Uniformierte waren an Deck erschienen. Er erinnerte sich, da? auch in dem von ihnen erbeuteten Kutter vier Soldaten gewesen waren.

«Keine Chance zur Flucht«, sagte er.»Aber wir konnen kampfen.»
        Searle nickte.»Wenn wir sie entern und ausschalten, ehe sie diese Drehbasse zum Einsatz bringen, kommen wir vielleicht davon. «Er schuttelte sich.»Jedenfalls lasse ich mich nicht als Spion hangen!»
        Hoblin verzog das Gesicht, als ein Strahl wa?rigen Sonnenlichts auf ihre Segel fiel, als wolle der Himmel ihr Boot an den Feind verraten.

«Wenn wir Sonne brauchen, regnet es! Und jetzt ist es genau umgekehrt, verdammt!»
        Searle befeuchtete sich die Lippen.»Sie sind bald in Horweite. «Ohne aufzublicken, rief er gedampft:»Mr. Stirling - wenn ich den Angriffsbefehl gebe, kommen Sie blitzschnell runter. Korporal Coote - klar bei Musketen!»
        In der Fischlast war Getrampel zu horen und dann Klappern, als die Seesoldaten ihre Waffen klarierten. Aufs Schie?en verstanden sie sich, auch wenn es schlecht fur sie aussah.
        Browne rief hinunter:»Wenn wir das hinter uns haben, kriegen Sie so viel Wein, wie Sie wollen, Korporal!»
        Seltsamerweise rief das wirklich Gelachter hervor.

«Sie stoppen auf, Sir.»
        Browne sah, da? auf dem anderen Boot Segel weggenommen wurden und ein Soldat nach vorn zum Geschutz ging. Aber das alles spielte sich ganz ohne Hast ab, und ein zweiter Soldat rauchte in aller Gemutsruhe seine Pfeife weiter, wahrend er zusah, wie die Fischer die grobe Leinwand einrollten.

«Man ruft uns langsseits!«Hoblins Stimme klang, als sprache er durch die Zahne. Alles klar, Sir?»
        Searle blickte schnell zu Browne hinuber und rief dann:»Achtung, Jungs!»
        Der Schatten des anderen Kutters glitt uber die brechenden Seen naher und naher, und dann, als nur noch ein Dreieck Wasser zwischen den beiden Fahrzeugen lag, entstand druben plotzlich Unruhe.

«Jetzt! Leeruder!»
        Ruckartig schwang ihr Bug herum, und noch wahrend die Seeleute an die Fallen rannten, um die Segel zu streichen, kollidierten die beiden Boote, rutschten ab und stie?en wieder zusammen.
        Midshipman Stirling sturzte beim Niederentern fast zwischen die Rumpfe, denn Hoblin ri? die Pinne schon wieder herum und bohrte den Steven ins Schanzkleid des Gegners.
        Korporal Coote brullte:»Fertigmachen! Ziel auffassen!«Die vier Musketenlaufe ragten wie Lanzen uber das Sull der Fischlast.»Feuer!»
        Druben beim Gegner fielen bei der ersten Salve vier Mann, darunter zwei Soldaten. Die Drehbasse scho? mit ohrenbetaubendem Krachen, aber der Mann, der die Abzugsleine gehalten hatte, war todlich getroffen worden, weshalb die Kartatschenladung harmlos weitab ins Wasser schlug.
        Schon hielten Wurfanker die Boote beisammen, und mit irrsinnigem Gebrull, ihre Axte und Entermesser schwingend, sprangen die englischen Seeleute auf das feindliche Deck, das bald mit roten Blutspritzern ubersat war.
        So laut er konnte schrie Searle:»La?t sie abtreiben! Zuruck an Bord, aber schnell, ihr Hunde!»
        Denn er hatte Hoblins verzweifeltes Winken bemerkt. Jetzt sahen auch die anderen, die sich endlich von den toten Soldaten und verschreckten Fischern abwandten, die hohe Pryramide steifer
        Segel aus dem Dunst auf sich zukommen wie eine uberdimensionale Raubfischflosse.

«Kappt die Leinen! Setzt Segel - schnell!»
        Searle zerrte einen Seemann kopfuber an Bord, als die beiden Kutter auseinanderdrifteten.
        Vor Brownes Augen wurde aus dem Kampffieber wilde Panik, als sie sich verzweifelt bemuhten, ihren Kutter wieder in Fahrt zu bringen. Ohne das Zusammentreffen mit dem anderen, auch mit Soldaten bemannten Boot hatten sie unentdeckt entkommen konnen.
        Er wandte sich um und starrte achteraus, als ihr Kutter Fahrt aufnahm und wieder durch die Hacksee stampfte, diesmal in Richtung aufs offne Meer. Das Ganze hatte nur wenige Minuten gedauert. Und wurde jetzt genauso schnell vorbei sein.
        Ihr Verfolger fuhr eine prazise Halse, seine Rahen schwangen fast gleichzeitig herum, als er Kurs auf seine Beute nahm.
        Hoblin sagte:»Eine franzosische Korvette. Hab hier in der Gegend eine Menge davon gesehen. «Er sprach so unbeteiligt und nur mit professionellem Interesse, als hatte er die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage langst akzeptiert.
        Die anderen Fischkutter waren in wildem Durcheinander da-vongesegelt, wie eine Stampede vor einem tollwutigen Hund.
        Browne knopfte den fremden Uniformrock auf und warf ihn uber Bord. Das machte zwar keinen Unterschied mehr, aber danach fuhlte er sich wohler. Er horte Stirling ein Selbstgesprach fuhren, konnte aber nicht sagen, ob er betete oder sich Mut zusprach.

«Wieviel Zeit bleibt uns?»
        Searle blickte ihn ruhig an.»Etwa drei?ig Minuten. Ihr Kommandant wird versuchen, hinter uns vorbeizukommen. Er hat ein paar Untiefen an Backbord und wird sich so viel freien Seeraum wie moglich verschaffen wollen, ehe er zum Todessto? ansetzt.
«Auch er sprach ohne Wut oder Verbitterung.
        Das franzosische Kriegsschiff war klein und wendig, vom Fischkutter aus gesehen wirkte es jedoch machtig wie eine Fregatte. Die Korvette trug so viel Segelflache, da? Browne den Eindruck gewann, ihr eigenes Boot stehe still. Wahrend die Distanz zwischen ihnen schrumpfte, dachte er an Bolitho und die Information, die ihn nun nie erreichen wurde.
        Er blinzelte und begriff erst hinterher, da? ihnen vom Vorschiff des Franzosen eine Feuerzunge entgegengebleckt hatte. Dann kam der Knall und das kurze Pfeifen, als die Kugel an Steuerbord achteraus kurz aufsetzte und als Abpraller wie ein wild gewordener Derwisch davonzischte.

«Er nimmt Ma?, Sir.»
        Scharf befahl Searle:»Zwei Strich nach Steuerbord!»
        Aber der Fischkutter reagierte viel zu langsam. Als die nachste Kugel abgefeuert wurde, schlug sie so nahe ein, da? eine Gischtfontane die Manner eindeckte.
        Korporal Coote lag der Lange nach an Deck und zielte mit seiner Muskete auf die Korvette. Schlie?lich sagte er angewidert:»Ich schaffs nicht. Aber wenn ich noch warte, kann ich vielleicht ein paar von ihnen mitnehmen.»
        Midshipman Stirling rammte sich die geballte Faust zwischen die Zahne, als die dritte Kugel ihr Gro?segel durchschlug und eine Kabellange voraus mit hoher Fontane in die See fuhr.
        Searle meinte:»Sie wollen uns entmasten, damit sie uns lebend kriegen. «Er zog seinen Sabel.»Aber ohne mich.»
        Das Katz-und-Maus-Spiel konnte nicht ewig dauern. Als die Kuste und die Fischereiflotte achteraus immer weiter zuruckblieben, mu?te der Kommandant der Korvette begreifen, da? auf diese Weise zuviel Zeit verstrich.
        Er anderte seinen Kurs um mehrere Strich nach Backbord, um drei seiner vorderen Kanonen zum Tragen zu bringen. Ehe er wieder auf den alten Kurs zuruckging, feuerte jede Kanone einen sorgfaltig gezielten Schu? ab; einer davon durchschlug die Gillung des Fischkutters wie ein gigantischer Rammbock.
        Als Hoblin wieder auf die Fu?e taumelte, keuchte er:»Ruder reagiert noch, Sir!»
        Aber Browne horte Wasser gurgelnd und zischend in die Fischlast schie?en. Es war der reine Wahnsinn, trotzig und jammerlich zugleich.
        Searle nickte ruckartig:»Also dann - Kurs halten!»
        Wieder eine Detonation. Die Bugkanone der Korvette feuerte mit verheerender Wirkung. Ein Seesoldat, der dem Matrosen mit der Fock hatte helfen wollen, drehte sich wie ein Kreisel um die eigene Achse, als die Kugel ihm ein Bein abri?, dann zwei weitere Seeleute niedermahte und sie in eine blutige, formlose Masse verwandelte. Holzsplitter sausten wie todliche Geschosse durch die Luft, und der Rumpf sackte so tief ins Wasser, da? es ein Wunder war, wenn sie uberhaupt noch Fahrt machten.
        Voll Schmerz und Abscheu starrte Browne auf den sterbenden Seesoldaten hinunter. Wie er wurden sie alle viehisch niedergemetzelt werden. Was hatte das fur einen Sinn? Was lie? sich damit beweisen?
        Wieder stieg eine Gischtfontane dicht am Schandeck in die Hohe. Midshipman Stirling wirbelte herum, eine Hand um den anderen Oberarm gekrampft, aus dem ein Splitter wie ein riesiger Federkiel ragte.

«Ist nichts weiter, Sir«, keuchte er; dann sah er das Blut zwischen seinen Fingern hervorrinnen und fiel in Ohnmacht.
        Browne blickte Searle an.»Wir konnen sie nicht so sinnlos sterben lassen!»
        Korporal Coote taumelte heran und deutete durch den Wasserdampf des letzten Schusses.»Vielleicht mussen wir das gar nicht,
        Sir.»
        Browne fuhr herum und starrte unglaubig hinuber. Er konnte es nicht fassen, aber die Korvette drehte - noch in ihren eigenen Pulverqualm gehullt - ab.

«Die Phalarope kommt!»
        Sonst sagte niemand ein Wort, auch der sterbende Seesoldat starrte nur still himmelwarts, wahrend er auf das Ende seiner Schmerzen wartete.
        Matt schimmerte die vergoldete Galionsfigur der alten Fregatte im schwachen Sonnenlicht, als sie heranrauschte, der sinkenden Hulk des Kutters entgegen; in ihrer Takelage hatten die Toppsgasten ausgelegt und hockten auf den Rahen wie schwarze Vogel, bis sie Segel kurzten.
        Hoblin stohnte auf:»Mein Gott, sie riskiert alles! Wenn die Franzosen jetzt auslaufen.»

«Das soll uns im Moment nicht kummern. «Browne buckte sich und zog den Midshipman auf die Fu?e.»Alles klarmachen zum Verlassen des Bootes! Und helft dabei den Verwundeten!«Er konnte es immer noch nicht glauben.
        Eine Stimme rief ubers Wasser:»Wir kommen langsseits!»
        Die Rahen der Fregatte schwangen herum, unter dem Druck des Windes in den Segeln legte sich der Rumpf uber, bis die ersten killten und backstanden, als sie durch den Wind drehte.
        Viel Zeit blieb ihnen nicht.
        Korporal Coote hob eine Muskete auf und blickte auf seinen gefallenen Kameraden nieder.»Die brauchst du nicht mehr, Junge. «Mit leerem Blick wandte er sich von dem Toten ab.»Macht euch fertig, Leute!»
        Turmhoch ragte Phalarope uber ihnen auf. Uber dem Schanzkleid, an den Rusten und in den offenen Stuckpforten tauchten Gesichter auf. Uberall, wo man einen Mann ubernehmen konnte, streckten sich ihnen Arme entgegen.
        Die nachsten Augenblicke waren der Hohepunkt des ganzen Alptraums: Stimmen schrien entsetzt auf, Holz splitterte und Spieren brachen, als die Fregatte unbeirrt gegen das mit Schlagseite im Wasser liegende Boot stie?.
        Browne spurte, da? Searle ihn auf eine Gruppe wartender Seeleute zuschob, und merkte zu seinem eigenen Erstaunen, da? er gleichzeitig schluchzte und lachte.»Ich bin als letzter von Bord gegangen«, schrie er.»Besser einmal Kommandant als nie!»
        Dann wurde er grob uber eine harte Kante gezerrt und der Lange nach an Deck ausgestreckt. Ein Schatten fiel auf sein Gesicht, und er sah Pascoe sich uber ihn beugen.
        Browne stie? muhsam hervor:»Wieso seid ihr hier?»
        Pascoe lachelte melancholisch.»Weil mein Onkel das so eingerichtet hat, Oliver.»
        Brownes Kopf sank zuruck auf die Decksplanken, er schlo? die Augen.»Wahnsinn!»

«Haben Sie nicht gewu?t«, Pascoe winkte einige Seeleute heran,»da? er bei uns erblich ist?»



        XIV Auf den Sieg!

        Mit verschrankten Armen sah Bolitho zu, wie sein Flaggleutnant ein zweites Glas Brandy hinuntersturzte.
        Grinsend sagte Herrick:»Das hatte er notig, Sir.»
        Browne stellte das Glas zuruck und sah Ozzard wie einen Tanzer herbeischwanzeln, um es wieder aufzufullen. Dann musterte er seine Hande, erstaunt, da? sie nicht zitterten, und sagte:»Es gab Momente, Sir, da glaubte ich, meine Fahigkeiten falsch eingeschatzt zu haben.»

«Sie haben sich gut gehalten.»
        Bolitho erinnerte sich an seine Empfindungen, als ihm das Signal von Phalarope gemeldet worden war: Fischkutter gesunken, alle Insassen bis auf drei geborgen.
        Jetzt trat er zum Tisch und legte die gespreizten Hande um das entscheidende Dreieck auf der Seekarte. Also hatte Remonds Geschwader den Hafen verlassen. Schlie?lich mu?te er damit rechnen, da? es fruher oder spater entdeckt wurde. Offenbar wollten die Franzosen ihre Invasionsflotte vor dem Einsetzen der ersten Herbststurme nach Norden verlegen, an Englands Gegenkuste am Kanal. Ihre Anwesenheit mu?te die Position Frankreichs bei den laufenden Verhandlungen enorm starken, besonders wenn man die stets kursierenden Invasionsgeruchte berucksichtigte.
        Mit muder Stimme sagte Browne:»Mr. Searle von Rapid hat das meiste getan, Sir. Ohne ihn…»

«Ich sorge dafur, da? seine Rolle in meinem Bericht gebuhrend erwahnt wird.
«Bolitho mu?te lacheln.»Aber die eigentliche
        Uberraschung waren Sie. «Er grinste zu Herrick hinuber.»Besonders fur gewisse Leute.»
        Herrick zuckte die Achseln.»Also, Sir, jetzt wissen wir, da? der Feind ausgelaufen ist. Wie reagieren wir? Mit Angriff oder mit Blockade?«Bolitho marschierte in der Kajute auf und ab. Das Schiff lag jetzt am Abend ruhiger, er sah den goldenen Sonnenuntergang als Spiegelbild auf den salzverkrusteten Heckfenstern. Alles schien ihn zur Eile zu drangen.

«Morgen vormittag rufe ich die Kommandanten zur Lagebesprechung zusammen, Thomas. Ich darf nicht langer warten.»
        Stirnrunzelnd horte er Stimmen im Vorraum und sah, wie Yovell den Kopf durch die Tur steckte. Es war doch unmoglich, auf einem Flaggschiff ungestort zu bleiben!
        Sein Sekretar entschuldigte sich fur die Storung.»Aber der Offizier der Wache la?t melden, da? eine Kurierbrigg gesichtet wurde. Indomitable hat schon Signalkontakt.

        Bolitho blickte wieder auf die Seekarte nieder. Mit Benbow konnte die Brigg erst bei Tageslicht am nachsten Morgen in Kontakt kommen. Immer starker wuchs in ihm das Gefuhl, da? ihm Entscheidungen aufgedrangt wurden.

«Danke, Yovell. «Und an Herrick gewandt:»Ich glaube, da? das franzosische Geschwader sich an seinem Ankerplatz in Bereitschaft halt. Sobald die Landungsboote erst von Lorient und den anderen Hafen an der Kuste auslaufen, wird man Remond uber unsere Absichten informieren, und zwar durch die optischen Telegraphen. Er kann sich bedeckt halten und seine Starke erst dann zeigen, wenn er wei?, was ich beabsichtige.»
        Verbittert meinte Herrick:»Der Verteidiger ist immer im Vorteil.»
        Nachdenklich sah Bolitho ihn an. Herrick wurde ihm notfalls bis in den Tod folgen, aber ganz offensichtlich war er gegen einen Angriff. Zugegeben, der franzosische Admiral hatte den unschatzbaren Vorteil, auf dem entscheidenden Kustenabschnitt uber ein gut funktionierendes Nachrichtensystem zu verfugen. Sobald sich das britische Geschwader zum Angriff entschlo?, konnte Remond aus Lorient, aus Brest oder sonstwoher Unterstutzung anfordern, wahrend er selbst sich auf Benbow und ihre Begleitschiffe sturzte.
        Und genauso sicher war Bolitho, da? die unerwartete Kurierbrigg neue Befehle an Bord hatte. Die den Angriff vielleicht verhindern wurden, ehe er begonnen hatte. Und das alles nur zu dem Zweck, die Demutigung einer eventuellen Niederlage zu umgehen, wahrend irgendwo Geheimverhandlungen liefen.
        Laut sagte er, ohne da? es ihm selbst bewu?t wurde:»Schlie?lich hat niemand sie gezwungen, diesen Krieg zu fuhren. Aber jetzt sollte ihnen jemand Rason beibringen!»
        Auch Herrick hatte offenbar uber die Kurierbrigg nachgedacht.

«Wenn der Angriff abgeblasen wird, wenn wir sogar zuruckgerufen werden, Sir, dann ersparen wir uns eine Menge. «Dickkopfig fuhr er fort:»Gerechtigkeit und Ehre sind keine Fremdworter fur mich, Sir. Aber mir ist auch klar, da? Ihre Lordschaften nur zweckdienlich denken.»
        An Herrick vorbei sah Bolitho zu den Heckfenstern hin und bemerkte, da? der gluhende Reflex des Sonnenuntergangs erloschen war.

«Das Kommandantentreffen findet wie geplant statt. Dann - «, er lie? Herrick nicht aus den Augen - ,»dann setze ich meine Flagge auf Odin.«Von Herricks Auffahren, seinem unglaubigen Gesicht lie? er sich nicht storen.»Langsam, Thomas. Denken Sie erst nach, ehe Sie protestieren. Odin ist das leichteste Linienschiff im Geschwader, sie hat nur 64 Kanonen. Denken Sie daran, da? Nelson bei Kopenhagen von der St. George auf die Elephant uberwechselte, weil sie kleiner war und geringeren Tiefgang hatte. Fur Aktionen in Kustennahe ist letzteres entscheidend. Beim bevorstehenden Angriff werde ich Nelsons Beispiel folgen.»
        Herrick erhob sich, wahrend Browne erschopft sitzenblieb; sein Blick war von Mudigkeit und zuviel Brandy getrubt, als er die anderen beiden musterte.
        Herrick konnte nicht langer an sich halten.»Das hat gar nichts damit zu tun. Bei allem Respekt, Sir - aber ich kenne Sie schon sehr lange und durchschaue Ihren Plan: Sie wollen, da? mein
        Kommodorewimpel auf der Benbow weht, wenn wir ins Gefecht ziehen, so da? im Fall einer Niederlage nicht mich die Verantwortung trifft, sondern Sie! Genauso haben Sie Phalarope befohlen, in Kustennahe zu bleiben, damit dem Fischkutter nichts passierte.»

«Ja, Thomas, und es erwies sich auch als notwendig.»
        Herrick gab nicht nach.»Aber das war nicht der wahre Grund, Sir! Sie taten es, um Emes noch mal eine Chance zu geben.»
        Bolitho blieb gelassen.»Auf jeden Fall ist Odin das geeignetere Schiff, und damit Schlu?! Jetzt setzen Sie sich wieder und trinken Sie aus, Mann. Au?erdem mu? ich das Geschwader aufteilen. Nur so konnen wir auch den Feind dazu bringen, sich zu zersplittern. «Er zogerte, weil er wu?te, was er Herrick damit antat, aber es ging nicht anders.
        Undeutlich murmelte Browne:»Das Gefangnis.»
        Beide sahen ihn an, und Bolitho fragte:»Was ist damit?»
        Browne erhob sich halb, sank aber wieder zuruck.»Erinnern Sie sich, Sir? An unseren Spaziergang vor den Mauern. Die Franzosen hatten auf der Kirche einen Semaphor installiert.»

«Wollen Sie hinfahren und fur unseren Sieg beten?«fragte Herrick wutend.
        Browne schien ihn nicht gehort zu haben.»Wir kamen zu dem Schlu?, da? er die letzte Station in der Telegraphenkette sudlich der Loire war. «Er wollte mit der Faust auf den Tisch schlagen, zielte aber daneben.»Wenn er zerstort wird, ist das entscheidende Glied der Kette zerbrochen.»
        Ruhig sagte Bolitho:»Das wei? ich. Ursprunglich hatte ich das auch vor. Aber es ist uberholt. «Voll Zuneigung musterte er seinen Adjutanten.»Warum legen Sie sich nicht hin, Oliver? Sie mussen total erschopft sein.»
        Browne schuttelte den Kopf.»Das meine ich nicht, Sir«, sagte er heftig.»Admiral Remond ist entscheidend auf Informationen angewiesen. Und er wei? ganz genau, da? wir einen Nachtangriff nicht wagen werden. Ein Linienschiff kame nachts in diesen Gewassern keine Meile weit, ohne auf Grund zu laufen.»

«Ich ahne, was Sie mir vorschlagen wollen«, antwortete Bolitho.

«Aber das konnen Sie sich gleich aus dem Kopf schlagen.»
        Browne taumelte hoch und zog die Seekarte uber den Tisch zu sich heran.»Aber bedenken Sie doch, Sir! Die Kette ware zerbrochen! Zwanzig Meilen weit oder mehr kame kein einziges Signal mehr durch. Das wurde Ihnen die Zeit verschaffen, die Sie unbedingt brauchen. «Seine Beine knickten ein, er sank wieder auf seinen Stuhl zuruck.

«Da komme ich nicht mit«, beschwerte sich Herrick.

«Es gibt dort einen kleinen Strand. «Bolitho sprach leise, weil die ganze Szene vor seinem inneren Auge wiedererstand: der kleine Festungskommandant und seine Soldaten, der Weg im Windschatten der Steilkuste bergab, der einzig mogliche Landeplatz fur das Boot der Ceres, das sie holen kam.»Von diesem Strand zum Kirchturm mit dem optischen Telegraphen ist es nicht weit. Aber erst mu? man bis dahin kommen. Es ware Irrsinn.»

«Ich konnte den Strand finden«, schlug Browne vor.»Den vergesse ich mein Lebtag nicht.»

«Aber auch wenn Sie das konnten. «Herrick blickte auf die Karte und dann in Bolithos Gesicht.

«Mache ich mir schon wieder zu viele Sorgen, Thomas?«Bolithos Ton war resignierend.»Neale hatte den Strand wiedererkannt, ich ebenfalls. Aber Oliver ist mein Adjutant, und ich habe sein Leben schon genug in Gefahr gebracht, auch ohne diesen irrsinnigen Plan.»
        Grob antwortete Herrick:»John Neale ist tot, Sir, und diesmal konnen Sie nun wirklich nicht selbst gehen. Das Kapern des Fischkutters war Ihre Idee, und sie hat gute Fruchte getragen, obwohl ich wette, da? Sie hinterher jede Menge Skrupel bekamen. «Er wartete auf den richtigen Moment wie ein erfahrener Stuckmeister mit der Lunte.»Bei dieser Aktion heute nacht starben ein Marinesoldat und zwei gute Seeleute. Ich kannte sie, Sir, aber konnen Sie dasselbe behaupten?»
        Bolitho verneinte.»Wollen Sie damit sagen, da? es mir deshalb nicht so nahegeht?
»Ich will damit sagen«, erwiderte Herrick nachdrucklich,»da? es Ihnen nicht so nahegehen darf, Sir. Der Tod dieser drei Manner trug mit dazu bei, da? wir jetzt einen geringen Vorteil haben. Wir wissen mehr uber den Feind. Bei der Kommandantenbesprechung morgen werden alle derselben Meinung sein. Mit einer begrenzten Zahl von Menschenleben das Leben aller zu retten, ist das Los jedes Kommandanten. «Etwas milder setzte er hinzu:»Lassen Sie nur Freiwillige vortreten, dann melden sich bestimmt mehr Offiziere, als Sie brauchen konnen. Aber keiner davon kennt die kleine Bucht oder den Weg zum Semaphorenturm. Es ist ein gro?es Risiko, aber nur Mr. Browne hier kennt sich dort aus. «Traurig sah er zu dem erschopften Flaggleutnant hinuber.»Wenn uns dieses Risiko einen weiteren Vorteil einbringt und die Chance, unsere Verluste geringer zu halten, dann mussen wir es eingehen.»
        Browne nickte schwach.»Genau das meinte ich vorhin, Sir.»

«Ich wei?, Oliver. Aber haben Sie schon bedacht, wie gro? Ihre Erfolgschancen sind im Vergleich zur Gefahr?»

«Er ist eingeschlafen, Sir. «Herricks Blick verweilte lange auf Browne.»Wie dem auch sei, es bleibt die einzig mogliche Entscheidung. Unsere einzige Chance.»
        Bolitho musterte den schlafenden Leutnant, der die Beine weit von sich gestreckt hatte. Herrick hatte naturlich recht.
        Der Kommodore griff grimmig lachelnd nach seinem Hut.»Ich hatte einen ausgezeichneten Lehrmeister, Sir. «Und mit einem letzten Blick zu Browne schlo? er:»Vielleicht hat er ja das Gluck abermals auf seiner Seite.»
        Als die Tur hinter Herrick ins Schlo? fiel, sagte Bolitho leise:»Diesmal braucht er aber mehr als Gluck, mein Freund.»
        Als ein Kommandant nach dem anderen auf der Benbow eintraf, wurde die Stimmung in der gro?en Achterkajute immer heiterer und ungezwungener. Die Kommandanten, ob nun alter oder junger, fuhlten sich unter ihresgleichen und mu?ten nicht langer den Wall von Autoritat um sich errichten, hinter dem sie sonst ihre personlichen Befurchtungen oder Hoffnungen verbargen. Jeder einzelne war an der Schanzkleidpforte von der Ehrenwache gebuhrend in Empfang genommen worden, jeder einzelne hatte kurz innegehalten und nach achtern zur Flagge hin gegru?t, wahrend die Pfeifen schrillten und die Musketen aufstampften - zu Ehren der goldenen Kapitansepauletten und der Manner, die sie trugen.
        In der Kajute hatten Allday und Tuck mit Ozzards Hilfe Stuhle arrangiert, Weinglaser gefullt und es den Gasten so behaglich wie moglich gemacht. Fur Allday waren einige davon alte Bekannte: Francis Inch von der Odin, mit seinem langen Pferdegesicht und spontanen Enthusiasmus; der blonde und elegante Valentine Keen von der Nicator, der schon als Midshipman und junger Leutnant unter Bolitho gedient hatte. Er begru?te Allday vor den Augen der anderen besonders herzlich, was manche verstanden und anderen ein Ratsel blieb. Aber Keen verga? nicht, da? er vor langer Zeit schwer verletzt unter Deck geschafft worden war, als ihn ein Holzsplitter im Gefecht wie eine Lanze durchbohrt hatte. Der Schiffsarzt war zu betrunken gewesen, deshalb hatte Allday die Initiative ergriffen, hatte Keen von den Arzthelfern niederhalten lassen und ihm mit eigener Hand den Splitter aus dem Leib geschnitten. So hatte er Keen das Leben gerettet.
        Dann war da Duncan von der Sparrowhawk; das Gesicht noch geroteter als sonst, schrie er etwas in Kapitan Verikers taubes Ohr. Schlie?lich noch der Neuling im Geschwader, George Lockhart von der Fregatte Ganymede. Manche waren in ihren eigenen Booten gekommen, andere, deren Schiffe zu weit abstanden, hatte die allgegenwartige Rapid an Bord geholt, die jetzt beigedreht in der Nahe wartete, bis die Herren zu ihren Schiffen zuruckzukehren wunschten.
        Ob sie nun die beiden Goldepauletten eines Linienschiffkommandanten trugen oder die einzelne Epaulette eines jungen Kapitanleutnants wie Lapish, fur ihre jeweiligen Besatzungen kamen sie gleich nach Gott und konnten an Bord ihrer Schiffe und in Abwesenheit eines ranghoheren Offiziers schalten und walten, wie sie es fur richtig hielten.
        Wie ein Fels stand Herrick unter ihnen, wu?te uber manche alles und uber alle genug.
        Abseits von den anderen wartete Kapitan Emes, Kommandant der Phalarope. Mit steinernem, ausdruckslosem Gesicht hielt er das volle Weinglas in der einen Hand und trommelte mit den Fingern der anderen einen lautlosen Rhythmus auf seine Sabelscheide.
        Bis alle versammelt waren, wurde es fast Mittag, und mittlerwe i-le hatte die Kurierbrigg ihre Depeschen aufs Flaggschiff gesandt und war weitergesegelt, auf der Suche nach dem nachsten britischen Geschwader weiter im Suden.
        Von den Anwesenden wu?te nur Herrick, was der schwere Postsack enthalten hatte, und der behielt es fur sich. Er wu?te ja nun, was Bolitho plante. Weiter daruber zu diskutieren, war sinnlos.
        Die Tur ging auf, und Bolitho trat ein, gefolgt von seinem Flaggleutnant. Von den meisten war der Adjutant bisher als notwendiges Anhangsel des Admirals betrachtet worden; aber seine jungsten Eskapaden - Flucht aus der Kriegsgefangenschaft, gewagter Vorsto? durch die feindlichen Linien - lie?en ihn in ganz anderem Licht erscheinen.
        Bolitho begru?te jeden seiner Kommandanten mit einem Handedruck. Dann sah er Emes abseits stehen und schritt hinuber.»Das war eine gut gefuhrte Aktion, Kapitan Emes. Aber wie es scheint, haben Sie meinen Flaggleutnant nur gerettet, damit ich ihn jetzt wieder verliere.»
        Gelachter flackerte auf und milderte die gegen Emes gerichtete Spannung.
        Nur Herricks Gesicht blieb grimmig.
        Dann nahmen alle wieder Platz, und Bolitho skizzierte so knapp es ging die franzosische Taktik, die Bedeutung des neu eingetroffenen Geschwaders von Admiral Remond und die Notwendigkeit eines baldigen Angriffs, ehe die Invasionsflotte in besser geschutzte franzosische Gewasser eskortiert werden konnte.
        Au?erdem warnte er noch einmal nachdrucklich vor diesem heimtuckischen Kustenstrich und seinen unberechenbaren Winden. Aber die schlechten au?eren Bedingungen behinderten beide
        Seiten, wie die Verluste von Styx und Ceres bewiesen hatten. Es stand unentschieden, genauso wie der ganze Krieg.
        Die Kommandanten waren erfahrene Offiziere und hegten keinerlei Illusionen uber einen Angriff bei Tageslicht; die Atmosphare war eher erwartungsvoll als skeptisch, als ob alle - genau wie ihr Admiral - die Sache endlich anpacken und hinter sich bringen wollten.
        Wie Mitspieler in einem Drama kamen und gingen noch andere Beteiligte: Ben Grubb, der Master, gab grummelnd und unbeeindruckt wie immer eine Ubersicht uber Tiden und Stromungen, vermutete Wracks und anderes, wahrend Yovell alles gewissenhaft notierte und fur jeden Anwesenden eine Kopie anfertigte.
        Wolfe, der Erste Offizier, hatte in Friedenszeiten fur die Handelsmarine diese Gewasser befahren und einiges an Ortskenntnis beizusteuern.
        Bolitho sagte schlie?lich:»Wenn wir den Angriff erst begonnen haben, gibt es keine zweite Chance fur uns. «Er blickte reihum in die nachdenklichen Gesichter.»Die Staffel der optischen Telegraphen bedeutet ein ebenso schwerwiegendes Hindernis wie ein ganzes franzosisches Geschwader. Um diese Kette auch nur fur kurze Zeit zu zerbrechen, bedarf es besonderen Mutes und au?erster Entschlossenheit. Zum Gluck haben wir einen solchen Mann in unseren Reihen. Er wird ein Sto?truppunternehmen gegen einen Telegraphen fuhren, der dem Gefangnis benachbart ist, das uns vor kurzem gemeinsam beherbergte.»
        Sofort stieg die Spannung in der Kajute, und alle Blicke wandten sich Browne zu.
        Bolitho fuhr fort:»Dieser Sto?trupp bricht morgen im Schutz der Nacht auf, begunstigt von Tide und Neumond. «Er sah zu La-pishs aufmerksamem Gesicht hinuber. Mr. Browne hat darum gebeten, da? Ihr Erster Offizier Mr. Searle wieder mit von der Partie ist. Daruber hinaus schlage ich vor, da? hochstens sechs sorgfaltig ausgewahlte Manner teilnehmen, unter denen mindestens zwei mit besonderer Erfahrung im Luntenlegen und Sprengen sein sollten.»
        Lapish nickte.»Solche Manner habe ich, Sir. Einer war Bergmann und kennt sich mit Sprengladungen aus.»

«Gut. Das uberlasse ich Ihnen, Kapitanleutnant Lapish. Sie werden also morgen nacht zur Kuste segeln, den Sto?trupp absetzen und sich zuruckziehen. Danach sto?t Rapid wieder zum Geschwader und berichtet durch vorher abgesprochene Nachtsignale.
«Er hatte den Verlauf so genau im Kopf, da? es ihm vorkam, als zitiere er eines anderen Anweisungen.»Kommodore Herrick bezieht bei Belle Ile Station, begleitet von Nicator und Indomitable, und Sparrowhawk wird ihnen fur das kustennahe Rekognoszieren beigegeben. «Dann sah er Inch direkt an.»Sofort nach dieser Besprechung werde ich auf Odin uberwechseln. Unterstutzt von Pha-laropes Karronaden, werden wir den ersten Angriff auf die noch verankerten Landungsboote fahren.»
        Inch strahlte und hupfte vor Freude, als hatte man ihm gerade die Erhebung in den Adelsstand versprochen.»Das wird ein Fest, Sir!«»Vielleicht. «Bolitho sah sich in der Kajute um. »Ganymede wird mein Kundschafter, und Rapid ubernimmt die Verbindung zwischen den beiden Geschwaderteilen. «Er wartete, bis das Gemurmel ve rstummte, und schlo?:»Das Geschwader beginnt den Angriff ubermorgen bei Tagesanbruch. Das ware alles, meine Herren, bis auf den Wunsch, da? Gott mit uns sein moge.»
        Die Kommandanten sprangen auf und scharten sich um Browne, dem sie schulterklopfend zu seiner Verwegenheit gratulierten, obwohl wahrscheinlich jeder wu?te, da? sie sich von einem Mann verabschiedeten, der so gut wie tot war. Falls Browne sich dessen bewu?t war, so lie? er sich nichts anmerken. Er schien in den letzten Wochen gereift zu sein und wirkte alter als die meisten Kommandanten in der Runde.
        Herrick flusterte eindringlich:»Und von den neuen Befehlen haben Sie ihnen kein Wort gesagt, Sir!»

«Vom Ruckruf? Von der Aufgabe aller Angriffsplane?«Boli-tho sah traurig zu Browne hinuber.»Sie wurden trotzdem meinen Standpunkt unterstutzen und mir folgen. Waren sie aber informiert vom Sinneswandel Ihrer Lordschaften, mu?ten sie spater bei jeder
        Untersuchung oder vor einem Kriegsgericht als meine Komplizen gelten. Aber Yovell schreibt das alles nieder, und jeder, der will, kann es spater schwarz auf wei? lesen.»

«Dieser Zusatz in Ihrer Order, Sir«, beharrte Herrick,»wonach Sie nach eigenem Gutdunken…»
        Bolitho nickte.»Ich wei?. Wie die Sache auch ausgeht, die Verantwortung bleibt bei mir.«Uberraschend lachelte er.»Das war schon immer so, oder?»
        Einer nach dem anderen verabschiedeten sich die Kommandanten, denn jeder hatte es eilig, aufsein eigenes Schiff zuruckzukehren und seine Besatzung auf den Angriff vorzubereiten.
        Bolitho wartete an der Schanzkleidpforte, bis auch Browne erschien, der bereits jetzt auf die Brigg umsteigen sollte.
        Browne begann:»Ich mache mir Gedanken daruber, Sir, da? Sie jetzt keinen geeigneten Adjutanten haben. Vielleicht konnte Ko-modore Herrick einen Ersatz fur mich bestimmen?»
        Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich nehme den Midshipman, der bei Ihrem Vorsto? verwundet wurde. Wie Sie sagten, ist er gut bewandert im Signalwesen und spricht ein annehmbares Franzosisch. «Nein, er konnte es unmoglich bei diesem beilaufigen Abschied belassen.

«Also Stirling. «Browne lachelte.»Jung, aber sehr bemuht. Zu Ihrem Adjutanten allerdings kaum geeignet, Sir.»
        Bolitho sah zu, wie die Barkasse uber Bord geschwungen und abgefiert wurde, in der er spater auf Inchs Schiff ubersetzen wollte.

«Ich bin sicher, Oliver, da? es sich dabei nur um eine kurzfristige Vertretung handelt. Nicht wahr?«Ihre Blicke trafen sich, dann ergriff Bolitho Brownes Hand. Ich bin uber die Sache gar nicht glucklich, Oliver. Geben Sie gut auf sich acht. Ich habe mich inzwischen zu sehr an Ihre Art gewohnt.»
        Browne erwiderte den Handedruck ohne zu lacheln.»Sorgen Sie sich nicht, Sir. Ich verschaffe Ihnen die Frist, die Sie brauchen. «Damit trat er zuruck und griff gru?end an seinen Hut. Der Augenblick des Verstehens war vorbei.
        Herrick sah dem davonrudernden Beiboot der Brigg nach und sagte:»Tapferer Kerl.
«Dann machte er auf dem Absatz kehrt und wandte sich wieder den Bordangelegenheiten zu. Allday kam nach achtern und wartete, bis Bolitho ihn bemerkte.

«Ozzard hat Ihre Sachen schon zur Odin geschickt, Sir. Er ist gleich mitgefahren. Sagte, da? er nicht ein zweitesmal auf Benbow zuruckgelassen werden wollte. Mit Verlaub, Sir: ich auch nicht.»
        Bolitho lachelte.»Wir haben ja schon Ubung auf dieser Strecke, Allday.»
        An den Flaggleinen standen Midshipmen bereit, seine Admiralsflagge niederzuholen, sowie er das Schiff verlie?, und Herricks Kommodorewimpel zu hissen. Damit war Herrick wenigstens vor jeder Kritik gefeit, wenn das Schlimmste eintrat.
        Er wandte sich um und spahte nach Rapids Beiboot aus, aber es war schon im Dunst verschwunden.
        Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne hatte keine Sekunde gezogert. Wenn jene, die sich daheim in Sicherheit wiegen konnten, Zeugen seines Opfermuts geworden waren, hatte ihnen das vielleicht zu denken gegeben.
        Herrick trat zu Bolitho und meldete:»Ihr Aushilfs-Adjutant ist zur Stelle, Sir.»
        Alle blickten auf Midshipman Stirling hinab, der - das Signalverzeichnis unterm Arm und seinen Seesack in der Hand - seinerseits zu Bolitho emporstarrte. Dieser sah, da? Stirling einen Arm in der Schlinge trug, und befahl:»Helfen Sie ihm, Allday.»
        Der Bootsfuhrer unterdruckte ein Grinsen.»Aye, aye, Sir. Hier entlang, junger Herr. Ich werde schon dafur sorgen, da? Ihnen auf Odin keiner frech kommt.»

«Also dann, Thomas…»
        Herrick rieb sich das Kinn.»Ja, es wird wohl Zeit, Sir.»

«Denken Sie daran, Thomas, wenn wir siegen, konnen die Leute daheim neuen Mut schopfen. Im Lauf der Kriegsjahre hatten sie eine Menge zu erdulden. Krieg geht nicht nur auf Kosten der Soldaten, das mussen wir uns immer vor Augen halten.»
        Herrick rang sich ein Lacheln ab.»Nur keine Sorge, Sir, ich werde mit dem Geschwader zur Stelle sein, komme, was da wolle. «Noch einmal uberwand er sich: Au?erdem mu? ich ja an Ihrer Hochzeit teilnehmen, nicht wahr?»

«Alles andere ware unverzeihlich, Thomas.»
        Herrick richtete sich gerade auf.»Machen Sie weiter, Major Clinton!»
        Clintons Sabel glanzte im wa?rigen Sonnenlicht.»Seesoldaten - prasentiert das Gewehr!»
        Zum Klang der Trommeln und dem alten Lied von den Hearts of Oak, den Herzen aus Eiche, das die Pfeifen anstimmten, kletterte Bolitho das Fallreep hinunter und warf seinem Freund oben einen letzten Blick zu.

«Absetzen vorn! Riemen bei!«Allday uberragte wie ein drauender Schatten den im Heck sitzenden Konteradmiral und seinen winzigen Adjutanten.»Rudert an!»
        Die grune Barkasse kam schnell von Benbow frei; als sie aus ihrem Windschutz pullte, lie? wilder Jubel Bolitho auffahren. Er wandte sich um und sah, da? die Besatzung das Schanzkleid saumte und in die Webeleinen ausgeschwarmt war, um ihrem Admiral einen lautstarken Abschied zu bereiten.

«Ein feines Schiff, Sir«, sagte Allday leise.
        Bolitho nickte nur, denn der unerwartete Zuneigungsbeweis hatte ihm die Sprache verschlagen.
        Benbow, die in einigen der schlimmsten Kampfe seines Lebens sein Flaggschiff gewesen war, sandte ihm ihre guten Wunsche nach. Er war froh, da? ihm kalte Gischt ins Gesicht spruhte und ihn ernuchterte. Midshipman Stirling neben ihm spahte schon fasziniert nach Odin aus, wo die ganze Zeremonie von neuem abrollen wurde.
        Auch Allday starrte zu dem leichten Zweidecker hinuber, dessen Galion ein grimmiger Wikingerkopf mit geflugeltem Helm zierte.

«Sieht aus wie ein verdammter Waschzuber«, murmelte er verachtlich.

«Und was halten Sie davon, ah - Mr. Stirling?»
        Der Junge brauchte ein paar Sekunden - er hatte im Geiste gerade einen brieflichen Bericht an seine Eltern formuliert - , ehe er ernsthaft antwortete:»Es ist der schonste Tag meines Lebens,
        Sir.»
        Das sagte er mit solchem Nachdruck, da? Bolitho fur einen Augenblick seine Sorgen verga?.

«Dann mussen wir dafur sorgen, da? er's bleibt, wie?»
        Die Barkasse machte an Odins Gro?rusten fest, und Bolitho sah Inch oben schon ubers Schanzkleid spahen, als wolle er keine Sekunde des glorreichen Schauspiels versaumen.
        In seiner Aufregung wollte Stirling als erster die Barkasse verlassen, aber Alldays Pranke packte ihn an der Schulter.

«Langsam, Sir! Dies ist eine Admiralsbarkasse und kein Ausflugsboot fur Seekadetten!»
        Bolitho nickte ihnen zu und erkletterte dann behende das Fallreep.

«Willkommen an Bord, Sir!«Inch mu?te schreien, um den Larm der Pfeifen und Kommandos zu ubertonen.
        Beim Aufblicken sah Bolitho seine Flagge vom Besanmasttopp auswehen. Da war sie also, und da wurde sie auch bleiben, bis alles vorbei war. So oder so.

«Bringen Sie das Schiff in Fahrt, Kapitan Inch.»
        Aber Inch starrte immer noch verblufft Midshipman Stirling an.
        Seelenruhig befahl Bolitho:»Oh, Mr. Stirling, signalisieren Sie bitte: >Admiral an Rapid: Nur wenige sind auserwahlt<»
        Eifrig kritzelte Stirling in sein Buch und rannte dann los, um die Signalgasten zusammenzurufen.
        Bolitho beschattete die Augen mit der Hand und spahte zu der kleinen Brigg hinuber, die schon aus dem Geschwader ausscherte. Stirling wurde das Signal nicht verstehen, ebensowenig wie der Signalfahnrich auf Rapid.
        Aber Browne wurde wissen, was ihm Bolitho damit sagen wollte. Und nur das zahlte.

«Rapid hat bestatigt, Sir.»
        Als Bolitho sein neues Quartier betrat, hangte Allday den Prunksabel gerade sorgsam an die Wandhaken. Halb entschuldigend sagte er:»Dann fuhlen Sie sich gleich heimischer, Sir.»
        Bolitho setzte sich und merkte, da? Ozzard sich in der Kajute so gewandt zu schaffen machte, als hatte er seit Jahren auf Odin gedient.
        Stirling trat ein und wartete, verlegen von einem Fu? auf den anderen wechselnd, bis Bolitho ihn bemerkte.

«Tja, Mr. Stirling, und was sollte ich Ihrer Meinung nach als nachstes tun?»
        Der Junge blickte sich wachsam und mi?trauisch um, dann sagte er:»Ich glaube, Sie sollten die Offiziere zum Dinner einladen,
        Sir.»
        Allday grinste breit von Ohr zu Ohr.»Bereits ein echter Flaggleutnant, der junge Herr! Das steht fest.»
        Bolitho mu?te lacheln. Indem er Browne zur Hand ging, hatte Stirling offenbar schon einiges gelernt.

«Eine ausgezeichnete Idee. Dann rufen Sie bitte den Ersten Offizier.»
        Als die Tur zufiel, nahm Allday den Faden wieder auf.»Fur spater besorge ich Ihnen einen anstandigen Sabel.»
        Damit meinte er wohl das bevorstehende Gefecht mit den Franzosen. Aber vorerst mu?te der Konteradmiral den Offizieren der Odin ein anderes Gesicht zeigen: zuversichtlich und siegessicher, ein gutgelaunter Gastgeber. Denn er brauchte ihr Vertrauen und mu?te sie am ubernachsten Tag hinter sich wissen, bedingungslos.
        Inch betrat die Kajute und sah sich prufend um, ob auch alles zur Zufriedenheit seines uberraschenden Gastes ausgefallen war.
        Dann berichtete er: «Phalarope segelt wie befohlen in Luv von uns, Sir. «Er reichte seinem eigenen Steward den Hut.»Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Sir, ich wunschte mir, Ihr Neffe ware hier statt auf jenem Schiff.»

«Sie haben sich wirklich nicht verandert, Inch. «Bolitho lehnte sich auf der Heckbank zuruck und horte zu, wie das Wasser gurgelnd am Ruder abflo?.»Aber in diesem Fall irren Sie sich.»
        Inchs perplexe Miene entging ihm vollig. Wenn es zum Kampf kam, schien es ihm nur richtig, da? der Sohn seines Bruders an
        Bord dieser alten Fregatte focht, die fur sie beide so viel bedeutete. Als wolle das Schicksal die erbitterte Feindschaft zwischen den Brudern damit tilgen.
        Allday zog sich zuruck; er fragte sich, wie er wohl mit Inchs Bootsfuhrer auskommen wurde. Als er im Vorraum auf Stirling stie?, bemerkte er:»Ein bi?chen viel auf einmal, wie?»
        Der Junge fuhr herum, als hatte er eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber dann lachelte er:»Fur mich ist es ein gro?er Schritt vorwarts, Mr. Allday.»
        Grinsend lie? Allday sich auf dem Lauf eines Neunpfunders nieder.»Nicht >Mister<, bitte, sondern einfach >Allday<. Das ist passender.»
        Der Junge wurde zutraulicher; neugierig fragte er:»Aber Sie verkehren mit dem Admiral wie ein Gleichgestellter.»
        Allday sah auf seine Hande nieder.»Eher wie ein Freund. So einen hat er notiger.
«Er beugte sich vor.»Wenn Sie auf ihn zugehen und ihn ganz offen anreden, wird er es Ihnen mit Gleichem lohnen. «Er sprach mit solchem Nachdruck, da? Stirling beeindruckt schwieg.»Schlie?lich ist er nur ein Mensch, verstehen Sie? Und nicht Gott der Allmachtige! Momentan braucht er alle Freunde, die er kriegen kann, nicht irgendwelche steifleinenen Offiziere. Merken Sie sich das, Sir!«Er boxte den Midshipman leicht gegen den unverletzten Arm.»Aber wenn Sie ihm etwas von unserem Gesprach verraten oder ihm vorlaut kommen, dann nehme ich Sie auseinander, Sir!»
        Stirling grinste.»Hab's kapiert, Allday. Und danke!»
        Allday sah ihm seufzend nach, als er wieder in die Achterkajute ging. Ein netter Junge, dachte er. Aber wenn er erst zum Leutnant befordert wurde, anderte sich das bestimmt. Er sah sich im halbdunklen Zwischendeck um, wo die Kanonen in Ruhestellung hinter jeder geschlossenen Stuckpforte zu lauern schienen, wartend wie alle ihre Artgenossen im Geschwader. Stirling war erst vierzehn, uberlegte Allday. Was, zum Teufel, hatte er auf einem Kriegsschiff zu suchen, das demnachst ins Gefecht segeln mu?te? Und uberhaupt: Was sollten sie alle hier?
        Allday schuttelte sich. Seine Stimmung wurde immer schlechter statt besser. Stirling dagegen war bester Laune, trotz seiner Verletzung - oder vielleicht gerade deswegen. Aber der hatte auch keine Ahnung, wie es war, wenn um die Kanonen hier pulvergeschwarzte, brullende Manner tobten wie Teufel ums Hollenfeuer, wenn der Befehl lautete: laden, feuern, laden - kurz, um jeden Preis, auch den des eigenen Lebens, das Feuer aufrechterhalten!
        Wieder fiel ihm der vom Blutrausch gepackte Seesoldat ein, der ihn im Orlopdeck der Ceres um ein Haar mit seinem Bajonett durchbohrt hatte.
        Vielleicht stand ja wirklich ein Friedensschlu? bevor, und dieses Gefecht war fur sie alle das letzte.
        Ein Sergeant der Seesoldaten stapfte aus dem Schatten und spahte zu Allday hinuber.»Wie war's mit einem Schluck?»

«Warum nicht?»
        Durch die muffigen Schiffsgeruche und den feineren Duft nach Jamaika-Rum kletterten sie ins nachste Deck hinunter.
        Vielleicht war es auf Odin doch nicht so ubel, dachte Allday.
        Die Sergeanten und Korporale hausten in einem abgeschotteten Teil des unteren Batteriedecks. Sie begru?ten Allday gut gelaunt, und bald sa? er an ihrem Messetisch, einen Becher Rum vor sich.
        Ein Sergeant ergriff das Wort:»Also, Kamerad, du bist doch der Bootsfuhrer des Konteradmirals und solltest wissen, was morgen geplant ist.»
        Allday lehnte sich gegen die Wand und machte eine weitausholende Geste.»Tja, ich und der Admiral, wir fangen normalerweise damit an.»
        Bis zum Abend hatten Odin und Phalarope, die sich in Luv gut freihielt, den Rest des Geschwaders au?er Sicht verloren.
        In der gro?en Achterkajute war der Tisch auf seine volle Lange ausgezogen und mit den besten Glasern und Silberbestecken beladen. Unter den lebhaft diskutierenden Offizieren sa? Kapitan Inch und strahlte vor Stolz. Bolitho sa? am Kopf der Tafel und lie? sich von Gesprachen und Spa?worten umbranden; fast pausenlos wurden die Glaser gefullt und zu markigen Trinkspruchen wieder geleert. Unauffallig musterte er die Offiziere des Schiffes. Die meisten waren blutjung, und wie Allday dachte auch er an die schreckliche Verwandlung, die dem von Frohlichkeit erfullten Raum bevorstand, wenn das Schiff gefechtsklar gemacht wurde. Er erinnerte sich an die einzelnen Namen und ordnete sie den Gesichtern in der Runde zu: Sohne, Verlobte, aber kaum ein Ehemann. Das ubliche Offizierskorps eines Linienschiffes.
        Bald mu?ten sie kampfen und vor allem siegen.
        Ein junger Leutnant rief gerade:»Ja, diesmal heirate ich wirklich, sowie ich erst zu Hause bin. «Ironisches Gelachter erscholl, und er hob beschwichtigend die Hand. Nein, diesmal ist es mir ernst damit!«Dann wandte er sich um und sah Bolitho an; vom Wein oder dem bevorstehenden Kampf beflugelt fragte er:»Mit Verlaub, Sir, sind Sie verheiratet?»
        Bolitho lachelte.»So wie Sie, Mr. Travers, werde ich Hochzeit halten, wenn unser Anker erst wieder im Plymouth-Sund gefallen ist.»

«Danke, Sir. «Plotzlich nervos geworden, setzte der Leutnant hinzu:»Ich dachte einen Augenblick.»

«Ich wei?, was Sie dachten. «Plotzlich war er froh, da? ihm der Name des jungen Offiziers noch rechtzeitig eingefallen war.»So eine bevorstehende Heirat gibt dem Leben einen neuen Wert, nicht wahr?»
        Travers senkte den Blick.»Ich furchte nicht um mein Leben,
        Sir.»

«Auch das wei? ich. Aber denken Sie daran, da? Sie nun aus doppelt gutem Grunde kampfen, dann konnen Sie gar nicht verlieren.»
        Als jungster Gast sa? Midshipman George Stirling aus Winchester ganz unten am Tisch, lauschte fasziniert und geno? den Abend uber alle Ma?en. Im Geiste schrieb er einen langen Bericht daruber an seine Mutter: >Liebste Mama - heute abend halten wir auf die franzosische Kuste zu. Ich speise mit Konteradmiral Richard Bolitho…<
        Insgeheim mu?te er lacheln; wahrscheinlich glaubte sie ihm kein
        Wort.
        Dann merkte er, da? Bolitho ihn uber den Tisch hinweg ansah.

«Sind Sie bereit, Mr. Stirling?«fragte der Konteradmiral.
        Der Junge schluckte krampfhaft und hob sein Weinglas, das plotzlich schwer wie Blei schien. Aller Augen wandten sich ihm zu, und er konnte es gerade noch verhindern, da? er sich auf die Lippen bi?. Aber dann fielen ihm Alldays Worte uber Bolitho ein: >Er ist auch nur ein Mensch.<
        Hell und klar erklang seine Stimme:»Meine Herren, trinken wir auf unseren Sieg! Tod den Franzosen!»
        Der Rest ging unter in Beifall und Hochrufen, und es klang, als juble das ganze Schiff.



        XV Zum Schweigen gebracht


«Der Kommandant kommt an Deck, Sir.»
        Pascoe lie? das Teleskop sinken und nickte dem Steuermann zu.»Danke.»
        Er hatte das Geschutz- und Segelexerzieren druben auf Odin beobachtet; die Stuckpfortenluken hoben und senkten sich so exakt wie von einer Riesenfaust an Marionettenfaden gezogen, und die Segel fullten sich oder verschwanden mit gleicher Prazision.
        Da horte er Emes' Schritte auf den Decksplanken und wandte sich ihm zu. Nie wu?te er, welche Stimmung sich hinter Emes' ausdrucksloser Miene verbarg, was er in der Abgeschlossenheit seiner Kajute wirklich dachte oder plante.
        Gru?end griff Pascoe zum Hut.»Kurs Sudost zu Sud, Sir. Wind hat etwas geschralt, kommt jetzt aus Nord zu Ost«, meldete er.
        Emes trat an die Querreling und umklammerte den Handlauf, wahrend er uber sein Schiff hinweg nach vorn starrte und das Treiben an Bord beobachtete. Dann schweifte sein Blick zu Odin hinuber, die an Steuerbord mit etwa vier Kabellangen Abstand zielstrebig durch die Seen pflugte.

«Hm. Schlechte Sicht. «Emes schob die Unterlippe vor, das einzige Zeichen fur seine Besorgnis, das er sich jemals gestattete.»Es wird fruh dunkel werden. «Er zog seine Taschenuhr und lie? den Deckel aufspringen.»Ihr Onkel scheint Kapitan Inch ein Sonderexerzieren verordnet zu haben. «Er lachelte, aber fast unmerklich. Eben ein echtes Flaggschiff.»
        Dann ging er nach achtern und warf einen Blick auf den Kompa? und die Schiefertafel daruber.
        Pascoe entging es nicht, da? Steuermann und Ruderganger sich in Emes' Gegenwart versteiften, als rechnten sie mit einem Anpfiff von ihm.
        Das konnte er nicht begreifen. Sie furchteten sich buchstablich vor dem Kommandanten, obwohl Emes bisher wenig oder gar nichts getan hatte, was diese Furcht gerechtfertigt hatte. In Fragen der Disziplin war er eisern, aber nicht so ungerecht wie manche Kommandanten, die drakonische Prugelstrafen verhangten. Auch hatte er nicht viel Geduld mit seinen Untergebenen, schmahte sie aber nie in Gegenwart anderer. Woran lag es also? fragte sich Pas-coe. Emes war ein eiskalter, verschlossener Charakter, der von seinem Standpunkt kein Jota abgewichen war, auch nicht vor seinem Admiral und dem drohenden Schatten des Kriegsgerichts.
        Jetzt schritt der Kommandant quer uber das Deck und starrte auf die See und die Nebelschwaden hinaus. Es nieselte, und von Sta-gen, Wanten und Segeln fielen Tropfen.

«Hat Mr. Kincade heute alle Karronaden inspiziert, Mr. Pas-coe?»
        Kincade war Artillerieoffizier der Phalarope, ein wortkarger, verbitterter Mann, der seinen gedrungenen Kanonen mehr Zuneigung entgegenzubringen schien als den Menschen.

«Aye, Sir. Sie werden ein kraftiges Wort mitzureden haben.»

«Tatsachlich?«Emes musterte ihn kalt.»Sie konnen es wohl kaum erwarten, wie?»
        Pascoe errotete.»Alles besser als diese Untatigkeit, Sir.»
        Zogernd rief der Midshipman der Wache: «Rapid kommt luvwarts in Sicht, Sir.»

«Ich gehe unter Deck«, blaffte Emes.»Rufen Sie mich, ehe Sie
        Segel wegnehmen lassen, und achten Sie auf korrekten Abstand zum Flaggschiff.
«Ohne auch nur einen Blick auf die verschwommene Silhouette von Rapid zu werfen, schritt er zum Niedergang.
        Pascoe entspannte sich. War auch das nur Schauspielerei, fragte er sich, da? Emes nicht einmal einen Blick fur die der Kuste zustrebende Rapid ubrig hatte? Oder da? er es stur abgelehnt hatte, an den Karronaden exerzieren zu lassen, obwohl er sah, da? auf dem Flaggschiff den ganzen Tag lang geubt wurde?
        Der Master, ein hagerer, melancholischer Mann, der sich von Emes absichtlich ferngehalten hatte, kam jetzt aufs Achterdeck gestiegen und warf einen Blick auf den Steckkompa?.

«Was halten Sie vom Wetter, Mr. Bellis?«erkundigte sich Pas-coe.
        Bellis verzog das Gesicht.»Wird sich verschlechtern, Sir. Das spure ich in den Knochen. «Dann legte er den Kopf schrag.»Horen Sie sich blo? die Musik an.»
        Pascoes auf dem Rucken verschrankte Hande verkrampften sich. Er hatte das Gerausch der Pumpen schon gehort, sie arbeiteten jetzt wahrend jeder Wache. Vielleicht stimmte es ja, was uber das alte Schiff gesagt wurde. Jedenfalls war die Biskaya Gift fur ihre schlecht kalfaterten Plankensto?e.
        Fur den Master war das Wasser auf seine Muhle.»Sie hat eben zu lange im Hafen gelegen, Sir, es ist ein Kreuz mit ihr. Und im Hafen hatte sie bleiben sollen. Ich halte jede Wette, da? sie am Kiel so morsch ist wie 'ne uberreife Birne - ganz egal, was die Werft behauptet hat.»
        Pascoe wandte sich ab.»Ich wei? Ihr Vertrauen zu schatzen, Mr. Bellis.»
        Der Master grinste.»Jederzeit zu Ihren Diensten, Sir.»
        Durchs Fernrohr sah Pascoe der kleinen Brigg nach, die im grauen Seenebel fast schon verschwunden war. Er hatte die Kopie ihrer Einsatzbefehle gelesen und konnte sich gut vorstellen, wie Browne sich auf das Bevorstehende vorbereitete. Pascoe schauderte es. In dieser Nacht.
        Sein gro?ter Wunsch war, an Brownes Seite zu sein. Aber dann rief er sich argerlich zur Ordnung. Wurde auch er jetzt der alten Fregatte untreu wie Bellis und manche der dienstalteren Leute an
        Bord?
        Phalarope war einst ein stolzes Schiff gewesen. Genau hier, auf ihrem Achterdeck, hatte schon sein Onkel gestanden. Trotzdem - ihm lief ein kalter Schauer uber den Rucken, er wu?te nicht, warum.
        Doch, er wu?te es. Hier mu?te Bolitho auch die Annaherung der anderen Fregatte beobachtet haben: der Andiron, die unter britischer Flagge fuhr, in Wirklichkeit aber ein den Briten weggenommener Freibeuter der Amerikaner war.
        Unter dem Befehl meines Vaters, dachte Pascoe.
        Er blickte ubers Batteriedeck nach vorn. Herrick, Allday und der arme Neale waren hier auf und ab gegangen, auch Bolithos alter Steward Ferguson, der beim Kampf auf dem Vorschiff einen Arm verloren hatte.
        Und jetzt stand er selber da. Als hatte er den Platz von seinem Onkel geerbt. Pascoe lachelte verlegen, aber ihm war etwas leichter zumute.
        Leutnant Browne umklammerte jetzt schon so lange das Dollbord des kleinen Beiboots, da? sich seine Hand wie abgestorben anfuhlte. Seit sie vom schutzenden Rumpf der Brigg abgelegt hatten, war er von Zweifeln und Augenblicken nackter Angst gequalt worden.
        Die dick umwickelten Riemen hoben und senkten sich weiter gleichma?ig, ein Steuermannsmaat duckte sich neben dem Bootsfuhrer mit dem beleuchteten Kompa?, den eine Persenning abdeckte.
        Leutnant Searle ergriff das Wort.»Wenn meine Berechnungen stimmen, sollten wir jetzt nahe dran sein. Aber nach dem, was ich sehe, konnten wir genausogut auf China zuhalten.»
        Immer wieder spahte Browne mit salzgeroteten Augen von links nach rechts. Einmal spurte er, wie das Boot in einer unvermuteten Querstromung versetzt wurde und gierte, und horte den Maat neue Anweisungen fur den Bootsfuhrer murmeln.
        Lange konnte es nicht mehr dauern. An Steuerbord ragte plotzlich aus der schwarzen Nacht eine noch schwarzere Felsnadel auf und blieb achteraus zuruck; nur das veranderte Brandungsgerausch hatte sie angekundigt.
        Am Himmel zeigte sich kein Lichtschimmer.
        Neben ihm erstarrte Searle plotzlich, und Browne furchtete einen entsetzlichen Moment lang, er hatte ein franzosisches Wachboot entdeckt.
        Aber Searle rief gedampft:»Seht mal da! An Backbord voraus!«Aufgeregt packte er Brownes Arm.»Erstklassige Arbeit, Oliver!»
        Browne wollte schlucken, aber sein Mund war wie ausgetrocknet. Er spahte scharf in die Finsternis, bis er glaubte, die Augen mu?ten ihm aus den Hohlen fallen.
        Aber es stimmte. Vor ihnen lag der halbmondformige Strand, erkenntlich an der langen hellen Brandungskurve.
        Ruhig bleiben, sagte er sich. Es konnte immer noch ein Irrtum sein. Der Felsen, an den er sich so gut zu erinnern glaubte, mochte aus diesem Blickwinkel ganz anders aussehen.

«Langsam jetzt! Riemen an!»
        Die Restfahrt schob das Boot weiter, bis es mit einem Poltern und Knirschen auf den Strand auflief, das in ihren Ohren unertraglich laut klang. Browne fiel fast um, als einige Seeleute ins seichte Wasser sprangen, um das Boot hoher auf den Sand zu ziehen. Sear-le pa?te auf, da? die kleine Gruppe von sechs Mannern wohlbehalten den Strand erreichte.»Haltet das Pulver trocken«, mahnte er heiser. Nicholl, du laufst als Kundschafter voraus, aber bi?chen plotzlich.»
        Noch ein paar hastig geflusterte Abschiedsworte, dann stie? das Boot wieder ab und strebte so schnell es konnte der offenen See zu.
        Browne stand stockstill und lauschte dem Wind, dem Gurgeln der kleinen Wellen auf dem festen Sand. Mit gezogenem Sabel kam Searle zuruck.

«Alles klar, Oliver?«Im Dunkeln leuchteten seine Zahne hell.»Sie wissen den Weg.»
        Dann sah Browne den Felsen uber sich aufragen: wie ein Kamelhocker. Genauso hatte er ausgesehen, als er hier mit Bolitho stand.
        Searle hatte die Manner des Sto?trupps selbst ausgewahlt, zwei fahige Kanoniere und vier der schlimmsten Galgenvogel, die Browne je vor Augen gekommen waren. Nach Searles Worten waren sie aus mehr als einem Kerker entsprungen, und Browne glaubte ihm das unbesehen.
        Neben einem Riedgrashugel pausierten sie, bis Browne leise sagte:»Hier vorn beginnt der Fu?weg.»
        Seine Ruhe uberraschte ihn selber. Er hatte gefurchtet, da? ihn Mut und Entschlossenheit verlassen wurden, wenn das Schiff und die vertrauten Gesichter erst hinter ihm zuruckblieben.
        Aber er hatte sich nicht sorgen mussen.
        Searle flusterte:»Moubray, du kletterst dort hinauf und bleibst als Nachhut bei Nicholl Garner.»
        Die restlichen Seeleute und die beiden Kanoniere stapften den Pfad hinauf und schnauften wie Grubenpferde unter der Last ihrer Pulversacke und Waffen.
        Es ging steiler bergan, als Browne in Erinnerung hatte. Oben lie?en sie sich erst einmal ins nasse Gras fallen, um wieder zu Atem zu kommen und sich zu orientieren.

«Seht ihr diesen hellen Fleck dort?«fragte Browne leise.»Das ist die Festungsmauer. Falls keine neuen Gefangenen eingeliefert wurden, sollte die Wachmannschaft ziemlich nachlassig sein. Unser Ziel liegt rechts davon. Hundert Schritte und dann um einen runden Hugel.»
        Der Kanonier namens Jones hob warnend die Hand.»Was ist das?«Er lauschte.
        Alle erstarrten, bis Browne flusterte:»Das sind Pferde. Eine Nachtpatrouille der Kurassiere, von denen ich Ihnen erzahlt habe. Sie bleiben auf der Stra?e.»
        Zum Gluck verschmolzen die dumpfen, langsamen Hufschlage bald mit den anderen Gerauschen der Nacht.
        Searle erhob sich.»Weiter!«Mit seinem Sabel gab er die Richtung an.»Und da? mir keiner stolpert! Wessen Waffe unabsichtlich losgeht, dem schlage ich personlich den Kopf ab!»
        Browne merkte, da? er noch lacheln konnte. Searle war erst zwanzig, aber er hatte die bullige Selbstsicherheit eines alten Kampen.
        Sie brauchten langer als erwartet, und Browne furchtete allmahlich, da? sie zu weit nach rechts abgekommen waren.
        Zu seiner gro?en Erleichterung horte er jedoch Nicholl, der ihnen vorausging, bald angestrengt flustern:»Da ist sie, Sir! Recht voraus!»
        Sie warfen sich alle zu Boden, wahrend Browne und Searle die schwach erkennbaren Umrisse der Kirche studierten.

«Das Portal ist auf der anderen Seite, nach der Stra?e zu.»
        Browne zwang sich, bewu?t an die nachsten Minuten zu denken. Vielleicht waren sie alles, was ihm noch vom Leben blieb. Was erwartete er denn? Die Sache war notwendig, aber fur ihn und die anderen bedeutete sie den fast sicheren Tod. Er lachelte in sich hinein. Wenigstens bekam sein Vater vielleicht doch noch eine bessere Meinung von ihm.
        Er sah die anderen an.»Fertig?»
        Alle nickten, manche bleckten die Zahne wie Hunde an der Leine.
        Eng an die Kirchenmauern gedruckt, schlichen sie um das Gebaude herum zur anderen Seite. Alles blieb so still, als seien sie die einzigen Menschen auf der Welt. Nur die Seebrise strich flusternd durchs Gras, und ab und zu quietschte einer ihrer Schuhe.
        Ein Mann schrie erstickt auf, als ein Vogel dicht vor seinen Fu?en aufflatterte und krachzend in der Dunkelheit verschwand.

«Verdammter Mist!«fluchte Searle.

«Ruhe!«Browne pre?te sich an die Mauer und erwartete, einen fragenden Anruf oder einen Schu? zu horen.
        Als nichts geschah, druckte er sich entschlossen von der Wand ab und spahte an dem viereckigen normannischen Kirchturm empor, dessen Silhouette sich schwach vom Himmel abhob. Aus einem schmalen Fensterschlitz weiter oben fiel ein Lichtschimmer.
        Mit Muhe zwang er seine rasenden Gedanken zur Ruhe und versuchte, sich zu erinnern, was er uber diese optischen Telegraphen erfahren hatte. In England wurden sie in der Regel von vier bis funf Mannern betrieben: einem Offizier, einem Unteroffizier und zwei bis drei Seeleuten. Da dieser hier in der Nachbarschaft der Festung stand, war es wahrscheinlich, da? zumindest einige Manner der Turmbesatzung die Nacht dort verbrachten. In diesem Fall.
        Browne schlich zu Searle und flusterte:»Probieren wir die Tur.»
        Der Kanonier namens Jones packte den schweren Eisenring, der als Klinke diente, und drehte ihn vorsichtig. Er quietschte, aber die Tur gab nicht nach.

«Verschlossen, Sir.»
        Searle winkte einen zweiten Mann heran.»Moubray, mach den Wurfanker klar!»
        Browne hielt den Atem an, als der Wurfanker nach oben flog, von der Mauer abprallte und wieder zwischen ihnen aufschlug.
        Doch beim zweiten Versuch fanden seine Flunken Halt, und Browne sah einen Mann an der Leine nach oben verschwinden - so schnell, als hatte die alte Kirche ihn bei lebendigem Leibe verschluckt.
        Gepre?t sagte Searle:»Tuchtiger Mann. Sa? als Strafling in Li-me House, bis die Werber ihn zu fassen kriegten.»
        Wieder quietschte der Turring, und diesmal schwang die Tur auf. Im Spalt stand der Seemann und grinste breit.

«Kommt rein, hier drin ist's warmer!»

«Nicht so laut, verdammt noch mal!«Searle spahte ins dunkle Turminnere.

«Keine Sorge, Sir. Hier ist niemand mehr. «Der Seemann schob die Blende einer Laterne hoch und hielt sie so, da? ihr Schein auf eine steinerne Wendeltreppe fiel. Auf den Stufen lag ein uniformierter Korper so verrenkt, wie er hingesturzt war; weit offene, starre Augen reflektierten das Licht.
        Browne mu?te schlucken. Dem Mann war die Kehle durchschnitten worden, sein Blut hatte die Wande bespritzt.
        Ruhig berichtete der Seemann:»Er sa? allein hier. War nicht schwerer, als einem blinden Kind die Geldborse zu klauen.»
        Searle steckte seinen Sabel in die Scheide.»Das kannst du ja beurteilen, Cooper.
«Er wandte sich der Treppe zu.»Harding und Jones, macht eure Sprengladungen klar.
«Dann blickte er zu Browne zuruck und grinste mit schmalen Lippen.»Und wir gehen uns die Maschine ansehen, ja?»
        Bolitho fuhr aus dem Schlaf hoch und packte die Armlehnen von Inchs komfortabler Chaiselongue, wo er seit Beginn der Nacht unruhig geschlummert hatte und immer wieder aufgewacht war.
        Sofort fiel ihm auf, da? die Schiffsbewegungen heftiger waren und das Wasser am Rumpf lauter ablief, weil sich Odin starker uberlegte.
        Bis auf den Schein einer einzelnen, halb abgeblendeten Laterne lag die Achterkajute im Dunkeln, so da? die See vor den salzverkrusteten Fenstern drohend nahe und gierig wirkte.
        Die Tur ging auf und gab Alldays Silhouette frei.

«Was ist los?«Also konnte auch Allday nicht schlafen.

«Der Wind hat gedreht, Sir.»

«Und aufgefrischt?»

«Ja. Er kommt jetzt aus Nordost. «Das klang bedruckt.
        Bolitho dachte uber die neue Lage nach. Mit einem Wechsel der Windrichtung hatte er gerechnet, aber da? der Wind bis Nordost herumgehen wurde, war undenkbar gewesen. Fur ihre heimliche Annaherung blieben ihnen nur noch einige wenige Stunden, und bei dieser Windrichtung konnten sie praktisch nur kriechen. Das bedeutete moglicherweise einen Angriff bei vollem Tageslicht dann aber wurde jedes feindliche Schiff im Umkreis vieler Meilen rechtzeitig alarmiert und konnte zum Gegenangriff ubergehen.

«Meine Kleider!«Bolitho erhob sich und spurte das Deck unter seinen Fu?en bocken, als spotte die See seiner Plane.

«Ozzard kommt gleich«, sagte Allday.»Ich habe ihm schon Bescheid gesagt, als ich horte, wie Sie sich herumwarfen. Diese Chaiselongue ist kein Platz zum Schlafen.»
        Bolitho wartete, bis Allday die Blenden der Laterne etwas angehoben hatte. Das ganze Schiff war verdunkelt, selbst das Kombusenfeuer geloscht. Es hatte das Ma? voll gemacht, wenn ausgerechnet aus dem Admiralsquartier der verraterische Lichtschein gekommen ware.
        Dann roch er Kaffeeduft und sah Ozzards schmachtige Gestalt auf sich zukommen.
        Der Steward murmelte:»Habe mir erlaubt, noch Kaffee zu kochen, ehe das Feuer geloscht wurde, Sir. Die Kanne habe ich in eine Decke gewickelt und warm gehalten.

        Dankbar schlurfte Bolitho den Kaffee, aber im Geiste arbeitete er schon verschiedene Alternativen aus. Umkehren konnte er nicht, selbst wenn er gewollt hatte. Browne mu?te inzwischen beim Turm angekommen sein oder tot inmitten seiner Freiwilligen liegen.
        Egal, was passierte, er wurde den Angriff nicht abblasen, das wu?te er, obwohl ihm seine vieldeutig abgefa?ten Befehle bis zur letzten Minute Spielraum lie?en.
        Bolitho schlupfte in seinen Rock und ging zur Tur. Das Warten konnte er keinen Augenblick langer ertragen.
        An Deck uberfiel ihn der Larm; Segel knallten, Blocke quietschten. Gestalten kamen und gingen im Finstern, und um das gro?e Doppelrad standen der Master und seine Ruderganger wie Uberlebende eines Schiffbruchs, die sich auf einem winzigen Eiland zusammendrangten.
        Inchs schlacksige Gestalt eilte herbei, um den Admiral zu begru?en.

«Guten Morgen, Sir. «Inch war kein Schauspieler und konnte seine Uberraschung nicht verhehlen.»Stimmt etwas nicht?»
        Bolitho nahm seinen Arm und fuhrte ihn abseits an die Reling.»Der Wind«, sagte er.
        Inch starrte ihn an.»Der Master glaubt, er wird noch weiter drehen, Sir.»

«Aha. Glaubt er das?«Der alte Grubb hatte es gewu?t, dachte Bolitho, so sicher, als hatte er Gott auf seiner Seite.
        Gischt wehte durch die straffen Wanten, und jenseits davon, querab, aber immer noch in Position, konnte er schwach den Umri? von Phalarope erahnen; ein Geisterschiff, in der Tat.
        Bolitho bi? sich auf die Lippen.»Gehen wir in den Kartenraum«, sagte er knapp. Inch und der Master folgten ihm in den abgeblendeten Raum unter der Hutte und starrten angestrengt auf die Seekarte nieder. Bolitho spurte, wie Inch gespannt auf seine Entscheidung wartete, vor allem aber spurte er das unaufhaltsame Verrinnen der Zeit. Wie Sand im Stundenglas: nichts konnte sie aufhalten oder bremsen.
        Er begann:»Wir konnen nicht langer warten. Rufen Sie alle Mann an Deck und machen Sie klar zum Gefecht. «Er wartete, bis Inch den Befehl an einen Bootsmann drau?en vor der Tur weitergegeben hatte.»Sie schatzen, da? wir etwa zehn Meilen sudwestlich der Landzunge stehen?»
        Der Master nickte wortlos, und Bolitho sah fluchtig in ein besorgtes, aber sachkundiges Gesicht. Plotzlich fiel es ihm wieder ein: Dieser Mann hier war als Erster Steuermann eingesprungen, als der alte Master vor Kopenhagen gefallen war. Damals war er ein unbeschriebenes Blatt gewesen. Und jetzt?
        Inch beugte sich vor und beobachtete, wie Bolitho den Stechzirkel uber die Seekarte wandern lie?.

«Das franzosische Geschwader ankert vor der Landspitze hier, nordlich der Loire-Mundung. «Bolitho sprach seine Gedanken laut aus.»Wenn wir beim ursprunglichen Plan blieben, wurden wir Stunden brauchen, um gegen den Wind dorthin aufzukreuzen. Aber wir mussen noch vor Tagesanbruch an dem franzosischen Geschwader vorbei sein und in die Bucht hineinsegeln, wo die Landungsflotte verankert liegt. «Er blickte den Master an.

«Also?»

«Na los, Mr. M'Ewan«, sagte Inch ermunternd.
        Der Master befeuchtete sich die Lippen, dann sagte er entschlossen:»Wir konnten luven, Sir, bis wir dicht unter Land sind, dann wenden und nordwestlichen Kurs segeln, hoch am Wind, bis in die Bucht hinein. Vorausgesetzt, der Wind dreht nicht noch weiter. Denn wenn das passiert, rennen wir uns fest, Sir, und dann gnade uns Gott.»
        Inch wollte schon protestieren, klappte den Mund aber wieder zu, als er Bolitho nicken sah.

«Das ist richtig. So verkurzen wir die Anfahrt um eine Stunde, und wenn wir Gluck haben, mogeln wir uns mit einer Meile Abstand an den franzosischen Kriegsschiffen vorbei. «Bolitho sah Inch an.»Sie wollten etwas sagen?»

«Der Wind ist nicht nur fur uns ungunstig, Sir. «Inch zuckte hilflos die Schultern.»Er halt auch den Rest des Geschwaders auf.»

«Das wei? ich.»
        Von oben erklang gedampftes Fu?getrappel, das Scharren und Knirschen und Poltern, mit dem Zwischenwande gelegt und andere Hindernisse beseitigt oder ins Orlopdeck hinuntergelassen wurden. Ein Kriegsschiff im Gefecht brauchte Decks, die vom Bug bis zum Heck freigeraumt waren; wo Manner gewohnt, gegessen, gehofft, geschlafen und geubt hatten, gehorte der Platz jetzt den Kanonen. Die Zeit der Prufung war fur alle gekommen.

«Schiff ist klar zum Gefecht, Sir!«rief der Erste Offizier.
        Inch warf einen Blick auf seine Taschenuhr und strahlte.»Neun Minuten, Mr. Graham. Das ist eine gute Zeit.»
        Plotzliche Trauer uberfiel Bolitho, und er mu?te sich abwenden. Genauso hatte auch Neale sich benommen.
        Aber dann sagte er zu Inch:»Wenn wir uns verspaten, konnten wir in Grund und Boden geschossen werden. Ob Kommodore Herrick nun rechtzeitig zu unserer Unterstutzung eintrifft oder nicht, wir mussen auf jeden Fall zwischen diese Landungsboote gelangen. «Er sah Inch fest an.»Nur das zahlt, sonst nichts.»
        Uberraschenderweise schien Inch das zu freuen.»Ich wei?, Sir«, strahlte er.»Und Odin ist dafur genau das richtige Schiff.»
        Bolitho mu?te lacheln; dieser zuverlassige, vertrauenswurdige Mann wurde niemals einen seiner Befehle in Frage stellen.
        Die Tur ging auf, und Midshipman Stirling quetschte sich in den Kartenraum. Selbst im schwachen Laternenlicht fiel auf, da? er mude aussah und seine Augen rotgeadert waren.

«Bitte um Entschuldigung fur meine Verspatung, Sir«, stotterte er.

«Ich habe verlernt, so tief zu schlafen«, meinte Bolitho, an Inch gewandt.
        Inch wandte sich zum Gehen.»Ich lasse das Nachtsignal an Phalarope absetzen, Sir. Hoffentlich ist sie bei Tagesanbruch auch wirklich noch da!»
        Bolitho beugte sich uber die Seekarte und studierte die sauber geschriebenen Kursangaben und - linien. Gewi?, sein Plan barg ein gro?es Risiko. Aber schlie?lich war das immer so gewesen.
        Selbst jetzt noch konnte sich alles gegen sie verschworen, ehe sie uberhaupt in Landnahe kamen. Ein einsamer Fischer mochte es mit dem Wetter und dem Zorn einer franzosischen Patrouille aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und zufallig das abgeblendete Lichtsignal sehen, das jetzt an Phalarope gegeben wurde.

«Verdammt noch mal!«explodierte Bolitho.»Der Zweifel bringt mehr Seeleute um als der Feind!»
        Stirling warf hastig einen Blick in die Runde. Inch und der Master hatten den Kartenraum verlassen, der Admiral sprach mit ihm.
        Unsicher fragte er:»Konnten die Franzosen uns noch daran hindern, in die Bucht einzulaufen, Sir?»
        Erstaunt sah Bolitho ihn an; ihm war nicht klar gewesen, da? er laut gesprochen hatte.

«Sie konnen es jedenfalls versuchen, Mr. Stirling. «In einem plotzlichen Einfall gab er dem Jungen einen Klaps auf die Schulter.»Kommen Sie, begleiten Sie mich. Ich mu? ein Gefuhl fur dieses Schiff bekommen.»
        Stirling ergluhte vor Stolz. Nicht einmal die Tatsache, da? Bo-litho unwissentlich seinen verletzten Arm gepackt hatte, konnte die Bedeutung des Augenblicks fur ihn schmalern.
        Allday, in dessen Gurtel jetzt ein neues Entermesser steckte, sah sie vorbeigehen und mu?te trotz seiner truben Gedanken grinsen.
        Der Knabe und sein Held. Aber warum auch nicht? Es war ein Tag, an dem sie alle ihre Helden dringend brauchen wurden.

«Der Wind steht durch, Sir!»
        Bolitho trat zu Inch an die Querreling und spahte uber das schwach erkennbare Deck nach vorn. Jenseits des Vorschiffs, das sich gerade zu drehen begann, weil die Rahen so dicht angebra?t wurden, da? sie fast mittschiffs standen, sah er nicht das geringste. Dabei war er eigens an Deck geblieben, damit seine Augen sich besser an die Dunkelheit gewohnten, damit er sofort den ersten Schimmer des nahenden Tages bemerkte, die Trennlinie zwischen See und Himmel. Und das Land.
        Das Schiff stampfte schwerfallig in der ablandigen Stromung; die Seesoldaten zurrten ihre Hangematten in den Netzen an der Reling noch einmal fester: ihre einzige Deckung und die Auflage fur ihre Musketen, wenn sie spater nach einem Ziel suchen wurden.
        Auf den Seitendecks, unter denen jede Kanone geladen und schu?bereit wartete, ging ab und zu eine Gestalt hin und her. Andere enterten auf, um die Kettenschlingen um die Rahen und die schutzenden Netze ein letztes Mal zu trimmen, um noch einen Sack mit Schrotkugeln fur die Drehbassen im Krahennest hochzuhieven oder um eine letzte durchgescheuerte Leine zu splei?en.
        Bolitho horte und sah das alles. Und was er nicht sehen konnte, vermochte er sich leicht auszumalen. Wie all die Male zuvor spurte er Spannung, die ihm wie mit stahlernem Griff das Herz zusammenpre?te, und die Furcht, doch noch irgend etwas ubersehen zu haben.
        Das Schiff hielt sich hervorragend. Inch hatte sich als ausgezeichneter Kommandant erwiesen, und Bolitho mochte es selbst nicht glauben, da? er ihm vor langer Zeit nicht mehr als das Leutnantspatent zugetraut hatte. Bolitho konnte es nicht verhindern, da? seine Gedanken abschweiften. Zu dem jungen Travers unten auf dem Batteriedeck, der nach ihrer Ruckkehr Hochzeit halten wollte; jetzt wartete er wie alle seine Manner darauf, da? sich die Stuckpforten in ihrem rot angestrichenen Hollenloch offneten und die Kanonen zu brullen begannen. Und Inch, der mit wehenden Rockscho?en auf dem Achterdeck hin und her marschierte, wahrend er
        - den Hut mit kesser Schlagseite fest aufs Haupt gedruckt - mit seinem Ersten Offizier und dem Master plauderte. Inch hatte daheim in Weymouth eine Frau, Hanna, und zwei Kinder; was sollte aus ihnen werden, wenn er heute fiel? Warum blo? erfullte es ihn mit Stolz und Freude, in ein Gefecht zu ziehen, das fur sie alle das Ende bringen konnte?
        Und dann Belinda. Unruhig ging Bolitho an den Finknetzen auf und ab, wobei er Stirling vollig verga?, der sich wie ein Schatten dicht an seiner Seite hielt. Nein, an Belinda durfte er jetzt nicht denken.
        Er horte einen Mann leise sagen:»Da ist die alte Phalarope, Jim. Jeder Appelkahn ware mir lieber als sie!«Dann schien er Bolithos Nahe zu spuren und verstummte.
        Bolitho starrte zu dem Schemen hinuber, der sich querab stampfend durch die Seen schob. Wie Odin fuhr auch sie ihre Rahen hart angebra?t, so da? die Segel eine hellere Pyramide bildeten, wahrend der dunkle Rumpf noch mit dem Wasser verschmolz.
        Zwei Schiffe und rund achthundert Offiziere, Matrosen und Soldaten, von einem einzigen Mann - ihm - in ein Gefecht auf Leben und Tod befohlen.
        Bolitho blickte auf den Midshipman hinab.»Wurden Sie lieber auf einer Fregatte fahren?»
        Stirling dachte mit geschurzten Lippen daruber nach.»Lieber als anderswo, Sir.»

«Dann sollten Sie mal mit meinem Neffen sprechen, er. «Bo-litho brach ab, weil Stirlings Augen plotzlich aufleuchteten.
        Erst jetzt folgte, scheinbar eine halbe Ewigkeit spater, der dumpfe Donner einer fernen Detonation. Ein Lichtschein zuckte am Himmel auf, dann wurde alles wieder von den Gerauschen der See und des Windes verschluckt.

«Herrgott, was war das?«Inch sturmte heran, als sei Bolitho ihm eine Antwort schuldig.
        Der sagte leise:»Die Sprengladung ist hochgegangen, Kapitan Inch.»

«Aber. «Inch starrte ihm in der Dunkelheit ins Gesicht.»Aber das war doch viel zu fruh?»
        Bolitho wandte sich ab. Ob nun zu fruh oder zu spat, Browne mu?te jedenfalls gute Grunde fur die Zundung gehabt haben.
        Bolitho merkte, da? Allday an ihn herantrat, und hob den Arm, damit er den Sabel an seinen Gurtel schnallen konnte.

«Der beste, den ich auftreiben konnte, Sir«, erlauterte Allday.»Nur um eine Kleinigkeit schwerer, als Sie es gewohnt sind. «Er deutete uber Bord in die Dunkelheit.»War das Mr. Browne?»

«Ja. Er wu?te vorher, da? er's schaffen wurde. Leider Gottes gab es keinen anderen Weg.»
        Allday seufzte.»Ihm war bekannt, worauf er sich einlie?, Sir.»
        Midshipman Stirling machte sich bemerkbar.»Es wird schon heller, Sir.»
        Bolitho lachelte.»Das stimmt. «Dann wandte er dem Jungen den Rucken zu und sagte leise zu Allday:»Etwas mu? ich dir unbedingt noch sagen…«Der Bootsfuhrer zuckte zuruck, als ahne er Bolithos Worte im voraus.»Falls - ich sage ausdrucklich
>falls< - ich heute fallen sollte.»

«Schauen Sie, Sir. «Mit gespreizten Handen unterstrich Allday jedes Wort.»Alles, was ich gesagt oder getan habe, seit wir auf dieses Schiff gekommen sind, hat nichts mehr zu bedeuten. Wir werden es so gesund uberstehen wie immer, glauben Sie mir, Sir.»

«Aber fur den Fall«, beharrte Bolitho,»da? es anders kommt, mu?t du mir versprechen, da? du nie mehr zur See fahren wirst. Man wird dich in Falmouth nicht entbehren konnen. Kummere dich dort um alles. «Er ignorierte Alldays verzweifelten Protest.»Gib mir bitte dein Wort darauf.»
        Allday nickte trube.
        Bolitho zog seinen neuen Sabel aus der Scheide und fuhrte einen Probehieb durch die Luft. In der Nahe stehende Matrosen und Seesoldaten, die es beobachtet hatten, stie?en einander an, und einer brach in Hochrufe aus.»Wir werden es den Schweinehunden schon zeigen, Sir!»
        Bolitho lie? den Arm sinken.»Jetzt bin ich bereit, Allday«, sagte er.
        Kapitan Inch legte die hohlen Hande um den Mund und rief:»Gehen Sie auf Steuerbordbug, Mr. Graham!»

«Achterdeckswache - an die Besanbrassen!»
        Als Odin uber Stag ging und sich dann wieder hoch am Wind der See entgegenwarf, stand Bolitho mitten im Gewuhl und fuhlte sich doch seltsam distanziert von allen.
        Frohlich meldete Inch:»Noch immer nichts zu sehen von den Franzosen, Sir!»
        Bolitho blickte zu den angebra?ten Rahen und den eisenharten Segeln hinauf, hinter denen der Himmel schon heller wurde.

«Die werden schon noch kommen. «Sein Blick fiel auf die Admiralsflagge, die - im grauen Licht noch farblos - steif vom Be-sanmasttopp auswehte.»Machen Sie eine zweite Flagge klar zum Hei?en, Mr. Stirling«, befahl er und stellte fest, da? er tatsachlich zu Inch hinuberlacheln konnte.»Remond soll wissen, gegen wen er kampft. Deshalb setzen Sie die Reserveflagge, wenn die erste weggeschossen werden sollte.»
        Allday studierte Bolithos Gesicht und wunderte sich nicht zum erstenmal uber sein Geschick, die Leute um ihn herum mit einem Blick, einem Wort in Begeisterung zu versetzen. Trotzdem uberfiel ihn plotzlich bange Sorge, und er fragte sich, ob Bolitho fur diese trotzige Geste nicht einen zu hohen Preis wurde zahlen mussen.
        Fahles Gold lie? die Hugelkamme der fernen Kuste aufleuchten, und kurz danach rief Inch triumphierend:»Wir sind an dem franzosischen Geschwader vorbei, Sir!«Bolitho warf Allday einen Blick zu und lachelte. Von ihm wenigstens fuhlte er sich verstan-deDn.ann sagte er:»Also gut, Kapitan Inch. Lassen Sie die Kanonen ausfahren, wenn Sie soweit sind.»



        XVI Ein zerstobener Traum

        Leutnant Searle stand auf der langen Leiter und spahte zu dem komplizierten Arrangement aus Flaschenzugen und Blocken auf, das vom Dach herabhing. Offenbar gehorte es zu der Metallstruktur oben auf dem Turm, dem Semaphor. Er rief nach unten:»Kein Wunder, Oliver, da? sie fur diese Arbeit Seeleute brauchen. Keine Landratte konnte diese Wulings jemals entwirren. «Er tatschelte die feuchten Mauersteine und verzog das Gesicht.»Wir brauchen eine mordsgro?e Sprengladung, wenn wir den ganzen Turm umlegen wollen. «Browne starrte zu ihm hoch.»Den ganzen Turm?»
        Searle winkte schon den einen seiner beiden Sprengmeister heran.»Hier hinauf, Jones! Aber ein bi?chen schnell, Mann!«Zu Browne gewandt fuhr er fort:»Diese Kirche hat Mauern, so dick wie eine Festung. Was glauben Sie, wie lange die Franzosen brauchen wurden, um neue Signalarme zu installieren?»
        Searle sprang auf die Plattform und rief zu seinem Sprengmeister Jiinunter:»Pack die Ladung fest unter die Treppe an der Au?enwand. Das sollte reichen. «Als der andere schwieg, fuhr er ihn an:»Oder nicht?»
        Jones rieb sich das Kinn und warf einen schragen Blick auf die Falltur uber ihm.

«Ich schatze schon, Sir.»
        Damit kletterte er wieder hinunter und besprach sich mit seinem Kameraden am Fu? der Leiter.

«Alberner Narr!«Searle stie? die Falltur auf.»Macht sich in die Hosen, blo? weil's eine Kirche ist! Man konnte meinen, wir hat-ten's plotzlich mit lauter Heiligen zu tun.»
        Sowie Searle durch die Falltur nach oben verschwunden war, folgte ihm Browne ins Freie, wo ihn sofort ein eisiger Wind empfing.
        Aber Searle kochte immer noch.»Die Kirche hat mehr Sunden begangen als alle Seeleute zusammen, wette ich.»

«Fur einen so jungen Mann sind Sie sehr zynisch.»
        Browne trat zu einer Schie?scharte und starrte auf die See hinaus. Noch konnte er sie in der Dunkelheit nicht sehen, aber er roch ihren scharfen Salzgeruch; die Mauerkrone war dick besat mit Mowendung.
        Hinter sich horte er Searle leise auflachen.»Mein Vater ist Pastor - ich wei? Bescheid.»
        Von unten drang das dumpfe Poltern herauf, mit dem ein Korper uber Stufen geschleift wurde, und Browne erinnerte sich daran, da? der franzosische Seemann nicht einmal eine Waffe getragen hatte, als er von Cooper niedergemacht worden war. Dann fielen ihm die neugierigen Blicke der Franzosen ein, die die Stra?e gesaumt hatten, auf der sie als Gefangene abtransportiert worden waren. Warum hatten sie auch mit dem Schlimmsten rechnen sollen? Genausowenig wurde ein Englander im Norden oder Westen des Landes erwarten, plotzlich vor einem Franzosen zu stehen.

«Sir!»

«Nicht so laut!«Searle warf sich hin und spahte durch die Falltur hinunter.»Was ist los?«»Da kommt jemand!»
        Browne lief schnell zu einer anderen Schie?scharte, die uber dem Eingang zum Turm liegen mu?te, und spahte hinunter. Ein Pfad aus helleren Steinen fuhrte auf die Tur zu, und noch wahrend er hinsah, glitt eine Gestalt heran; gleich danach erklang ein metallisches Klopfen.

«Holle und Teufel!«Searle hastete die Leiter hinunter.»Der kam schneller als gedacht!»
        Browne folgte ihm zum oberen Ende der Steintreppe und horte Searle unten schon kommandieren:»Scharr mit den Fu?en, Mou-bray! Und du machst die Tur auf, wenn ich dir ein Zeichen gebe!»
        Browne hielt sich an der Leiter fest und wagte kaum zu atmen. Nach der Dunkelheit auf dem Dach wirkte die Szene vor der Tur grell und dramatisch. Searles Breeches hoben sich sehr wei? von den alten Steinen der Mauer ab; neben ihm scharrte Moubray mit den Fu?en, als schlurfe er auf die Tur zu. Dann drehte sich der Schlussel knirschend im Schlo?, und der Turflugel schwang langsam nach innen auf. Mit einem ungeduldigen Ausruf trat der Neuankommling hastig ins windgeschutzte Innere.
        Dann ging alles blitzschnell, und doch kam es Browne so vor, als dehnten sich die Sekunden zu einer Ewigkeit. Der Fremde - ein franzosischer Matrose - stand erstarrt mit offenem Mund da und stierte den Halbkreis geduckter Figuren an, der ihn umgab. Searle hatte seinen Sabel gezogen, Jones hielt die Muskete, zum Zuschlagen bereit, hoch uber seinen Kopf.
        Plotzlich ein wirres Durcheinander: Mit einem Aufschrei fuhr der Franzose zur Tur herum, wahrend Jones den Kolben seiner Muskete auf ihn niedersausen lie?. Aber keiner hatte an die Blutlache gedacht, die sich am Fu? der Treppe, wo der erste Matrose abgeschlachtet worden war, gesammelt hatte. Jones schrie entsetzt auf, als die Fu?e unter ihm wegrutschten; in weitem Bogen flog die Muskete aus seinen Fausten, ein Schu? loste sich und knallte in dem engen Raum betaubend laut. Die Kugel traf Jones ins Gesicht und fuhr danach splitternd in die Steinmauer.
        Searle brullte:»Aufhalten den Mann, ihr Narren!»
        Wie der Blitz sturzte Cooper die Au?entreppe hinab, und gleich danach horten sie drau?en einen entsetzlichen Schrei, der aber sofort erstickt wurde.
        Schweratmend kehrte Cooper in den Turm zuruck, das blutige Entermesser noch in der Faust.»Es kommen mehr von den Kerls, Sir«, keuchte er.
        Jones walzte sich auf dem Boden, sein Blut mischte sich mit dem des franzosischen Matrosen.
        Scharf befahl Browne:»Kummert euch um ihn!«Und zu Searle gewandt, setzte er gepre?t hinzu:»Wir mussen hier schleunigst verschwinden!»
        Searle hatte seine au?erliche Ruhe wiedergefunden.»Harding, mach weiter mit den Lunten«, befahl er.
        Der Sprengmeister warf einen schiefen Blick auf seinen Kameraden.»Und das alles in einer Kirche«, murrte er heiser.»Es ist nicht recht, Sir.»
        Searles rechte Hand hielt plotzlich eine Pistole.»Gib acht, wie du mit mir redest, du aberglaubisches altes Weib«, sagte er kalt.»Ich sorge dafur, da? du einen gestreiften Rucken kriegst, wenn wir wieder an Bord sind, verla? dich drauf!»
        Von drau?en hammerten Fauste und Fu?tritte gegen die Tur, und Browne warnte:»Weg mit euch, Jungs. «Er hatte kaum ausgesprochen, da knallte ein Schu?, eine Kugel schlug in die dicken Turbohlen, und ein Chor von aufgeregten Stimmen brandete gegen die Au?enmauern, als seien die Toten aus den Grabern gekrochen und schrien nach Rache.
        Cooper sagte:»Auf der anderen Seite ist noch eine Tur, Sir. Aber sehr eng. Wahrscheinlich nur 'ne Ladeluke fur Holz und Kohle.»

«Das sehe ich mir an. Komm mit und zeig sie mir, Cooper. «Searle sah warnend zu Browne hinuber.»Behalten Sie die Leute im Auge, Oliver. Wenn sie glauben, da? es ihnen an den Kragen geht, werden sie davonrennen.»
        Damit verschwand er zwischen zwei abgewetzten Saulen nach hinten, und Browne horte nur noch seine Stiefel auf die Steine knallen wie bei der Parade.
        Vor der Kirche war jetzt alles still; Browne konnte Harding unregelma?ig atmen horen, wahrend dieser seine Lunten zurecht-schnitt, und ab und zu scharrte ein Fu? auf der Leiter uber ihm, wo die Seeleute ihre Sprengladungen feststopften.
        Flusternd fragte Harding:»Was die da drau?en jetzt wohl machen, Sir?«Er blickte dabei aber nicht hoch, sondern arbeitete weiter, und seine vernarbten, schwieligen Pranken bewegten sich so vorsichtig wie Chirurgenhande.
        Browne schatzte, da? von den franzosischen Seeleuten oder Wachsoldaten einige davongeeilt waren, um die Kurassiere zu alarmieren. Die konnten nicht lange brauchen, bis sie eintrafen. Wieder dachte er an die schwarzen Federbusche und die langen Sabel, an die Drohung, die von den Kurassieren ausging, selbst damals, als er sie nur von fern gesehen hatte.
        Aber laut antwortete er:»Sie warten ab, was wir vorhaben. Schlie?lich konnen sie ja nicht wissen, wer wir sind oder woher wir kommen.»
        Jones stohnte wie ein Tier, und Browne kniete sich neben ihn. Die Musketenkugel hatte ein Auge weggerissen und einen daumengro?en Knochensplitter aus der Stirn. Der Seemann namens Nicholl druckte einen Fetzen auf die schreckliche Wunde, aber selbst in dem schwachen Licht konnte Browne erkennen, da? der
        Sprengmeister im Sterben lag.

«Es ist aus mit mir«, flusterte Jones.»Wie konnte mir das nur passieren?»

«Ruhen Sie sich aus, Jones. Bald geht's Ihnen besser.»
        Cooper kehrte zuruck und starrte wutend auf den Verwundeten hinab.»Hattest du nicht die Muskete fallen gelassen, du dummer Hund, ware das nicht passiert.»
        Auch Searle trat aus dem Dunkel heran, Knie und Brust mit Schmutz beschmiert.

«Es gibt wirklich noch eine andere Tur. Winzig klein und seit Monaten nicht mehr benutzt. Wahrscheinlich seit die Marine die Kirche besetzt hat. «Er sah zu Harding hinuber.»Wie lange?»

«Ich habe sie auf eine halbe Stunde geschnitten, Sir.»
        Searle sah Browne an und seufzte.»Haben Sie das gehort? Es ist hoffnungslos.
«Scharf fuhr er Harding an:»Kurzen auf zehn Minuten, nicht mehr!»
        Browne untersuchte seine Pistolen, um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. Searle hatte recht, wenn er die Lunten so kurz machen lie?. Sie waren hier, um den Semaphor zu zerstoren, um die Signalkette zu unterbrechen, und wahrscheinlich hatten die meisten von ihnen nicht einmal damit gerechnet, bis hierher durchzukommen. Aber er bezweifelte, da? er selbst diesen Befehl mit so kuhlem Nachdruck in der Stimme hatte geben konnen.

«Also, gehen wir. «Als sich zwei Manner buckten, um den stohnenden Jones aufzuheben, fugte er noch hinzu:»Der kommt nicht weit.»

«Ein guter Kanonier«, meinte Searle.»Aber kaum ist er an Land. «Er vollendete den Satz nicht.
        Mit dem unglucklichen Jones zwischen sich, ertasteten sie ihren Weg zur Hintertur. Als sie knarrend aufgedruckt wurde, rechnete Browne mit einem Kugelhagel, und als der schmachtige Cooper sich als erster ins Freie warf, erwartete er mit zusammengebissenen Zahnen, da? eine Sabelschneide auf seinen Nacken niederfahren wurde. Aber nichts geschah. Searle murmelte:»Die Franzosen sind an Land auch nicht besser als Jones, scheint mir.»

«Moment mal. «Browne sah in den Turm zuruck, wo Harding neben seinen Leuten wartete.»Ich mache das. Danach schlagen wir uns zum Strand durch. Man kann ja nie wissen.»
        Als Searle sich durch die enge Tur nach drau?en gequetscht hatte, fuhlte Browne sich plotzlich sehr allein und unbehaglich. Mit hallenden Schritten ging er zu Harding zuruck.»Fertig?«fragte er.

«Aye, Sir. «Der Kanonier schob eine Scheibe der Laterne hoch und hielt ein langsam brennendes Zundholz an die Flamme, das er in seiner Jackentasche mitgebracht hatte.»Man kann sich nie darauf verlassen, Sir. Nicht, wenn sie so kurz sind. «Er starrte in die Finsternis und fugte bitter hinzu:»Aber manche Leute wissen ja alles besser.»
        Gebannt sah Browne zu, wie der Kanonier das Zundholz so lange im Kreis schwang, bis der Kopf zu glimmen begann. Dann sagte er:»Jetzt!»
        Laut zischten die Lunten, und die Zundfunken schienen Browne mit wahnwitziger Geschwindigkeit nach oben zu prasseln.
        Harding packte ihn am Armel.»Los jetzt, Sir! Nichts wie weg hier!»
        Ohne sich um den Krach oder ihre Wurde zu scheren, rannten sie polternd durch das Turmzimmer nach hinten. Fauste zerrten sie an die kuhle Nachtluft hinaus, und Browne fand sogar noch Zeit, zu den fahlen Sternen aufzublicken.

«Wir haben Hufschlag gehort!«keuchte Searle.
        Browne richtete sich auf.»Mir nach!«rief er, denn fur Vorsicht war es nun zu spat. Geduckt rannten sie davon und zerrten Jones mit sich, der schlaff wie ein Toter zwischen ihnen hing.
        Vor sich erkannte Browne die Gefangnismauer. Scharf bog er ab und horte die anderen hinter sich stolpern und fluchen. Sie machten eine Menge Larm, aber das war nur gut, dachte er, denn so wurde der Hufschlag ubertont, der jetzt unaufhorlich naher kam.
        Keuchend stie? er hervor:»Sie reiten zuerst zur Kirche!»

«Hoffentlich fliegen sie mit in die Luft!«schnaufte Searle.
        Browne rutschte fast auf nassem Gras aus, als er den Kamm der Steilkuste erreichte. Der Strand unten wurde leer sein, aber wenigstens waren sie am Meer.
        Der Hufschlag klapperte lauter, und Browne schlo? daraus, da? die Kurassiere die Stra?e erreicht hatten.

«Warten Sie, Sir!«rief einer seiner Manner.»Der arme Jones stirbt!»
        Keuchend und rasselnd wie alte Manner blieben sie stehen, aber Browne drangte:»Wir mussen weiter, das ist unsere einzige Chance!»
        Der Kanonier namens Harding schuttelte den Kopf.»Zu spat, Sir. Die kriegen uns ja doch. Ich bleibe bei meinem Kumpel.»
        Wutend funkelte Browne ihn an.»Sie hacken dich in Stucke, Mann, wei?t du das nicht?»
        Aber Harding blieb dabei.»Ich bin Soldat, Sir, und trage eine Uniform. Ich habe nur Befehle ausgefuhrt.»
        Browne versuchte, wieder klaren Kopf zu bekommen, sich daran zu erinnern, wieviel Zeit seit dem Anbrennen der Lunten vergangen war.
        Er wandte sich ab.»Kommt weiter, ihr anderen!»
        Sie erreichten das Ende des Pfades und horten das vertraute Rauschen der Brandung.
        Als sie durch den Strandhafer auf den Sand hinaus sturzten, glaubte Browne hinter sich einen Schrei zu horen, aber er wurde sofort vom Donnern vieler Hufe ubertont: Die Kurassiere hatten Harding und seinen sterbenden Kameraden gefunden.
        Sekunden spater folgte die Explosion, betaubend, vernichtend - wie Hardings Rache an seinen Mordern. Die ganze Steilkuste schien zu erbeben, kleine Steine prasselten wie Musketenkugeln auf sie herab.

«Lauf voraus, Cooper«, befahl Searle und griff haltsuchend nach Browne.»Wenn sie uns kriegen, gibt es kein Pardon fur uns. Hoffentlich war's die Sache wert.»
        Der Lichtschein uber ihnen erlosch so schnell, wie er aufgezuckt war, und Browne roch Pulvergestank, den der Wind herantrug.
        Cooper kam schon wieder zuruck.»Ich habe ein Boot gefunden,
        Sir«, meldete er.»Nur 'ne Jolle, aber besser als nichts.»
        Searle grinste im Dunkeln.»Ich wurde sogar schwimmen. Alles, nur nicht hier verrecken.»
        Cooper und Nicholl verschwanden in Richtung des Bootes, und Browne mahnte:»Ich glaube, da oben treiben sich noch Kurassiere herum.»
        Zwanzig Meter im Umkreis des Turms mu?te die Explosion todlich gewesen sein, uberlegte er. Aber sowie es dammerte, wurden Hunderte von Soldaten ausschwarmen und weit und breit jede Hohle, jedes Loch absuchen. Ob irgendein Schiff ihres Geschwaders nahe genug gewesen war, um die Explosion zu bemerken?
        Searle ri? ihn aus seinen Gedanken.»Jetzt kriege ich wieder Luft, Oliver. Gehen Sie voran.»
        An dem hockerformigen Felsen vorbei hasteten sie zum Strand hinunter, wo jemand ein kleines Boot zwischen die Steine gezogen hatte. Es mochte einem Schmuggler oder Fischer gehoren, aber daruber dachte Browne nicht lange nach. Zwar war es unwahrscheinlich, da? sie sich darin in Sicherheit bringen konnten, aber schon der Versuch war beser, als sich hier abschlachten zu lassen.

«Halte la!»
        Der Ruf aus dem Dunkeln uberraschte sie wie ein Schu?.
        Browne ri? Searle neben sich zu Boden und deutete in die Richtung.»Dort, links oben!»
        Wieder der Anruf: «Qui va la?«Und diesmal folgte ihm ein metallisches Klicken.
        Searle stie? einen Seufzer der Verzweiflung aus.»Zur Holle mit ihnen allen!»
        Fu?e trampelten und schlitterten uber die Felsen, dann horte Browne einen seiner Seeleute brullen:»Das ist fur dich, du Hund!»
        Ein Mundungsblitz zuckte auf und beleuchtete grell Nicholls Gestalt mit erhobenem Entermesser, die aber, von der aus nachster Entfernung abgefeuerten Kugel getroffen, zusammenbrach und die Waffe klirrend fallen lie?.
        Doch in dem kurzen Lichtschein hatte Browne drei oder vier franzosische Soldaten ausmachen konnen.

«Fertig?«Seine eigene Stimme klang ihm fremd.»Die oder wir!»
        Searle nickte krampfhaft; die beiden Offiziere sprangen gleichzeitig auf und rannten mit gezuckten Pistolen die letzten Meter zum Strand hinunter.
        Noch mehr Rufe, in die sich schrille Schmerzensschreie mischten, als die Pistolen aufbellten und zwei Franzosen in den nassen Sand warfen, wo sie mit zuckenden Beinen liegenblieben.
        Coopers drahtige Gestalt sprang vor, und wieder verriet ein erstickter Aufschrei, da? sein Entermesser ein neues Opfer gefunden hatte.
        Der letzte Uberlebende warf seine Muskete von sich und verschwand kreischend in der Dunkelheit.
        Browne versuchte, seine Pistolen nachzuladen, doch seine Hande zitterten so stark, da? er es aufgeben mu?te.

«Schiebt das Boot ins Wasser, Leute.»
        Er sah, da? Cooper sich uber einen Gefallenen beugte und seine Kleider durchwuhlte; zweifellos wollte er ihn bestehlen. Er ri? ihn an der Schulter zuruck und stie? ihn zum Boot.»Hilf den anderen! Es wird gleich hell.»
        Dann lie? er sich neben dem Toten auf ein Knie nieder und betrachtete ihn genauer. Es war der kleine Festungskommandant, der sie seinerzeit auf eben diesem Strand verabschiedet hatte. Also hatten sie sich doch noch einmal getroffen.
        Searle rief heruber:»Was ist los?»

«Nichts. «Browne erhob sich mit weichen Knien.
        Searle hatte keinerlei Probleme beim Nachladen seiner Pistolen.»Sie sind wirklich eine Offenbarung fur mich, Oliver«, sagte er.
        Glaubt er das im Ernst? fragte sich Browne. Er folgte Searle zu dem kleinen Boot hinunter, blieb aber noch einmal stehen, um sich nach der hingestreckten Gestalt umzusehen, an der schon die ersten Wellen der auflaufenden Flut leckten. Einen Augenblick kam er sich so schmutzig und betrogen vor, als lie?e er einen toten
        Freund und nicht einen Feind zuruck.
        Aber dann sprang er ins Boot und rief:»Pullt tuchtig, Jungs! Da drau?en wartet ein ganzer Ozean auf uns!»

«Nordwest zu Nord liegt an, Sir. Voll und bei!»
        Bolitho blickte zu dem protestierend schlagenden Gro?bramsegel auf. Unter diesen Bedingungen ware ein schwerfalligeres Schiff wie die Benbow langst in Schwierigkeiten geraten.
        Inch meinte:»Ich habe meine besten Ausguckleute nach oben geschickt, Sir.»
        Bolitho beobachtete, wie das wei?e Wasser am Leerumpf ablief, als sich die Fregatte mit ihren 64 Geschutzen in einer Bo starker uberlegte. Schon konnte er das helle Muster der brechenden Wellenkamme erkennen, wahrend vor kurzem noch vollige Finsternis geherrscht hatte. Auch einzelne Gesichter hoben sich bereits ab, und die Uniformrocke der Seesoldaten, die eben noch schwarz gewirkt hatten, waren allmahlich wieder als rot erkennbar.

«Neun Faden!«Der Wind wehte den Ruf des Lotgasten nach achtern.
        Bolitho warf M'Ewan, dem Master, einen kurzen Blick zu. Er schien die Ruhe selbst zu sein, obwohl neun Faden Wasser unter Odins Kiel nicht gerade viel waren.
        Dann sah er zum erstenmal die Umrisse von Land an Steuerbord, gezackte, dunklere Schatten, die die Einfahrt zur Bucht markierten.

«Der Wind ist stetig, Sir. «Inch machte sich wohl so dicht unter Land Sorgen um die Sicherheit seines Schiffes.
        Bolitho sah Stirling und den Signalfahnrich der Odin mit ihren Helfern warten, umgeben vom ganzen Sortiment ihrer Signalflaggen, damit sie fur jeden Befehl gerustet waren.
        Ohne den Kopf zu wenden, wu?te er auch, da? Allday nur wenige Schritte entfernt stand; die Arme uber der Brust verschrankt, starrte er finster uber den Bug hinaus, der sich immer weiter dem oberen Ende der Bucht entgegenarbeitete.

«Sieben Faden!»
        Inch wurde es unbehaglich.»Mr. Graham!«rief er.»Fallen Sie zwei Strich ab! Neuer Kurs Nordwest zu Nord. «Graham hob seinen Schalltrichter. Lautlosigkeit war nicht mehr entscheidend, denn entweder befanden sich die Landungsfahrzeuge in der Bucht oder nicht.»Bemannt die Brassen, Mr. Finucane!»
        Inch trat zum Kompa? und beobachtete die Scheibe, als das Schiff aufs Ruder ansprach und dann stetig den neuen Kurs hielt. Es war nur eine kleine Abweichung, aber sie brachte den Kiel aus dem Gefahrenbereich hinaus. Auch die Segel uber ihren Kopfen reagierten auf die Anderung, schlugen kurz und fullten sich dann wieder, bis sie eisenhart gewolbt standen.

«Zehn Faden!»
        Der Midshipman der Wache kaschierte sein erleichtertes Aufatmen mit einem Husten hinter vorgehaltener Hand, und ein paar Scharfschutzen der Marineinfanterie warfen sich belustigte Blicke zu.

«An Deck! Ankerlichter in Luv voraus!»
        Bolitho folgte Inch und seinem Ersten Offizier an die Steuerbordreling.
        Bis zur Morgendammerung konnte es nur noch Minuten dauern. Hatten sie ihren alten Plan beibehalten, waren sie jetzt noch meilenweit von der Bucht entfernt gewesen und hatten bei Tagesanbruch jedes franzosische Kriegsschiff oder Wachboot alarmiert.
        Bolitho versuchte, den Gedanken an Browne und die Vorgange bei der alten Kirche zu verdrangen; er konzentrierte sich ganz auf die schwindenden Schatten und die blinkenden Lichter, die den Ankerplatz der Invasionsflotte bezeichnen mu?ten.
        In der Ferne drohnte ein Kanonenschu? und widerhallte rollend in der engen Bucht: ein Alarmsignal, das aber zu spat kam. Es war schon in dem Augenblick zu spat gewesen, als sie sich an Remonds schlafendem Geschwader vorbeigeschlichen hatten.
        Da der Wind fast genau dwars einkam und das Schiff dabei stark nach Backbord uberlegte, bekamen die Rohre der Steuerbordbatterie fur die ersten Breitseiten den hochstmoglichen Winkel - besser konnte man es sich gar nicht wunschen. Schon trieben die Stuckmeister ihre Leute mit Fausthieben und Tritten an, bis sie fieberhaft mit Taljen und Handspaken arbeiteten.
        Inch befahl:»Feuern in der Aufwartsbewegung, Mr. Graham, aber erst, wenn ich's sage!»

«Gro?segel wegnehmen!»
        Als das machtige Segel zu seiner Rah emporstieg und dort beschlagen wurde, mu?te Bolitho an eine Buhne denken, vor der sich der Vorhang hob. Nun war auch die Sonne aufgegangen und tastete vom Land her mit ihren ersten Strahlen nach ihnen, wahrend Morgennebel und Holzrauch wie tiefhangende Wolken dicht uber das Wasser drifteten.
        Vor ihnen lagen die verankerten Schiffe der Invasionsflotte.
        Einen Augenblick glaubte Bolitho, das schwache Fruhlicht spiele ihm einen Streich; er wollte seinen Augen nicht trauen. Wahrend er etwa hundert Landungsfahrzeuge erwartet hatte, lagen vor ihm nun mindestens dreimal soviel, jeweils zu zweit oder zu dritt so verankert, da? sie den Knick der Bucht ausfullten wie eine schwimmende Stadt.
        In ihrer Nahe ankerte ein mittelgro?es Kriegsschiff; im Fernrohr erkannte Bolitho, da? es sich um ein verkurztes Linienschiff handelte. Er spahte so angestrengt hinuber, da? das Blut in seinen Augapfeln zu pochen begann.
        Aus der Ferne schienen die dicht an dicht gepackten Fahrzeuge friedlich dazuliegen, aber Bolitho konnte sich die Panik vorstellen, die von der zielstrebig heransegelnden Odin ausgelost wurde. Das Unmogliche war eingetreten: Ein feindliches Schiff befand sich mitten unter ihnen!

«Phalarope ist in Position, Sir«, meldete Inch.
        Bolitho schwenkte das Glas, bis er die Fregatte einfing, die ihre Karronaden schon ausgefahren hatte: eine lange schwarze Reihe ha?licher, kurzer, dicker Rohre. Er glaubte, Pascoe auf dem Achterdeck zu erkennen, war sich aber nicht sicher.

«Signal an Phalarope: > Achteraus vom Flaggschiff auf Position gehen!<»
        Ohne sich von den bunten Flaggen ablenken zu lassen, die hastig zur Signalrah aufstiegen, konzentrierte er sich wieder ganz auf den Feind.
        Von fern scholl ein klagender Trompetensto? heruber, und kurz danach rannte das Wachschiff die Kanonen aus, machte aber keinen Versuch, den Anker zu lichten und Segel zu setzen.
        Inch verga? sich vor Erregung und packte Bolithos Arm; er deutete zum Land.

«Da sehen Sie, Sir! Der Turm!»
        Bolitho stellte sein Teleskop auf den Turm ein, der wie ein einzelner Wachtposten auf dem Hugelkamm aufragte. Uber seiner Mauerkrone fuchtelten wild die Metallarme des Semaphors - ein weithin sichtbarer Hilferuf.
        Doch wenn es Browne gelungen war, den anschlie?enden Telegraphen auf dem Kirchturm zu zerstoren, dann wurde niemand diese Signale empfangen und an Remonds Geschwader weiterleiten konnen. Wenn der Alarm andererseits in die Gegenrichtung weitergegeben wurde, die ganze Strecke entlang bis Lorient, dann war es zu spat, die Invasionsflotte noch zu retten.
        Odins Kluverbaum glitt am einen Ende der verankerten Reihen vorbei, die etwa eine halbe Meile voraus eine undurchdringliche Barriere bildeten.
        Pulverdampf stieg vom Wachschiff auf, und dann verriet rollender Kanonendonner, da? die Franzosen nun hellwach geworden waren.
        Einzelne Kugeln warfen querab von Odin hohe Gischtfontanen auf, bewirkten aber nichts weiter als Hohn- und Spottgeschrei in den Batteriedecks.
        Graham wandte kein Auge von Inch, der seinen Sabel jetzt langsam uber den Kopf hob.

«Bei der Aufwartsbewegung! Zielt genau, Leute!»
        Eine Bo griff in die oberen Segel von Odin und druckte das Schiff noch starker nach Lee, so da? sein Kupferbeschlag sichtbar wurde. Darauf hatte Inch nur gewartet. Sein Sabel zischte nieder.
        Ein Midshipman, der sich in die offene Luke zum unteren Batteriedeck geklemmt hatte, schrie:»Feuer!«riedeck geklemmt hatte, schrie:»Feuer!»
        Aber seine schrille Stimme ging unter im betaubenden Aufbrullen der Achtzehnpfunder des Hauptdecks.
        Bolitho beobachtete die Einschlage, die zwischen und hinter den verankerten Landungsbooten lagen. Die Gischtsaulen sanken noch zusammen, da sandten auch die Zweiunddrei?igpfunder des unteren Batteriedecks ihr todliches Eisen donnernd hinuber. Zerrissene Planken und ganze Deckstucke wirbelten durch die Luft, und als sich der Pulverrauch hob, wurde erkennbar, da? einige der kleineren Fahrzeuge schon schwere Schlagseite hatten. Rettungsboote pullten verzweifelt von ihnen weg. Aber auf einigen der naher an Land verankerten Boote hatten die Mannschaften schon die Trossen gekappt und versuchten freizukommen.

«Ausrennen!»
        Wieder knarrten und quietschten die Lafetten das ansteigende Deck hinauf und schoben die Rohre durch die Stuckpforten ins Freie.

«Klar zum Einzelfeuer!»
        Wieder fuhr Inchs Sabel nach unten.»Feuer!»
        Diesmal lagen Pausen zwischen den einzelnen Abschussen, denn jeder Stuckmeister fa?te erst genau sein Ziel auf, ehe er an der Abzugsleine ri?.
        Auf dem franzosischen Wachschiff entfalteten sich die Bramsegel, aber es hatte zwei abtreibende Landungsboote gerammt. Trotzdem feuerte es zuruck und traf Odin zweimal dicht oberhalb der Wasserlinie. Rauch hullte das Wachschiff ein, der nicht von seinen Kanonen stammte, und Bolitho erkannte, da? eines der driftenden Landungsfahrzeuge Feuer gefangen hatte. Der Brand mochte sogar von einem gluhenden Ladepfropfen ausgelost worden sein, der aus einer Kanone des Wachschiffs gefallen war. Bolitho sah rennende Gestalten, die aus der Ferne winzig und hilflos wirkten, mit hastig gefullten Eimern gegen die Flammen vorgehen. Aber die ineinander verhakten Riggs und der starke, ablandige Wind erwiesen sich als zu gro?e Hindernisse: Die Flammen sprangen auf den Rumpf uber und erfa?ten schlie?lich die Stagsegel. Nur noch eine
        Stagsegel. Nur noch eine Kabellange trennte Odin vom vordersten Landungsboot, als der Lotgast in ihren Ketten gellend aussang:»Wassertiefe sechs Faden!»
        Inch blickte nervos zu Bolitho hinuber.»Nahe genug, Sir?»
        Dieser nickte.»Drehen Sie ab.»

«Klar zur Wende!»
        Alle freien Deckshande sprangen an die Brassen und Schoten, obwohl sich mancher Mann noch die vom Pulverrauch tranenden Augen rieb.

«Alles klar!»

«Hartruder!»
        Die Radspeichen glitzerten im Sonnenlicht, als das Ruder hart gelegt wurde, und dann rief M'Ewan:»Ruder am Anschlag, Sir!«Mit hart Leeruder begann sich Odins Bug langsam nach Luv zu drehen.
        Vor Bolithos Blicken zog das Panorama der abtreibenden oder zerschossenen Fahrzeuge vorbei, bis es ihm vorkam, als musse der Kluverbaum sie im nachsten Augenblick aufspie?en. Oben knallten und schlugen die Segel im Wendemanover, wahrend schlie?lich auch der letzte Mann, die Decksoffiziere nicht ausgenommen, mit ganzer Kraft in die Brassen einfiel, um die Rahen herum- zuholen und das Schiff auf den neuen Kurs zu bringen.
        Inch uberschrie das Getose:»Achtung - Backbordbatterie! Mr. Graham, bei der Aufwartsbewegung!»

«Feuer frei!»
        M'Ewan wartete, bis auch das letzte Segel unter Kontrolle gebracht war und sich wieder eisenhart mit Wind fullte. Dann meldete er:»Neuer Kurs Sudost zu Ost liegt an, Sir!«»Feuer!»
        Zum erstenmal in diesem Gefecht brullten nun auch die Backbordkanonen und fuhren im Rucksto? binnenbords, wahrend der Pulve rrauch durch die Stuckpforten zog. Die Breitseite schlug mit furchtbarer Wirkung mitten in der Landungsflotte ein.
        Achteraus sah Bolitho Phalaropes Rumpf langer werden, als sie mit schlagenden Segeln durch den Wind ging, um dem Beispiel des
        Flaggschiffs zu folgen. Sie war noch naher an den Feind herangekommen, und Bolitho konnte sich lebhaft vorstellen, welches Inferno ihre Karronaden anrichten mu?ten.
        Das Wachschiff war jetzt vollig au?er Kontrolle geraten und brannte vom Bug bis zum Gro?mast, an dem die Flammen emporleckten und die Segel in Sekundenschnelle zu Asche verwandelten. Wahrend Bolitho noch hinubersah, erzitterte plotzlich der Rumpf, und eine Maststenge fiel wie eine Lanze in den Rauch hinunter. Das Schiff mu?te auf Grund gelaufen sein. Schon trieben mehrere Gestalten im Wasser davon, andere schwammen verzweifelt auf eine Felsgruppe zu.

«Feuer einstellen!»
        Stille breitete sich auf Odin aus; selbst die Manner, die nach der letzten Breitseite noch die Kanonenrohre auswischten, richteten sich auf, um Phalarope bei ihrer langsamen und eleganten Annaherung zu beobachten.
        Gepre?t sagte Allday:»Seht sie euch an, wie dicht sie rangeht! Die Franzosen konnten einem beinahe leid tun.»
        Emes ging auf Nummer Sicher und riskierte weder einen Fehlschu? noch sein Schiff. Eine nach der anderen, vom Bug bis zum Heck fortlaufend, feuerten seine Karronaden, nicht mit dem hallenden Krachen der langen Kanonen, sondern mit flachem, hartem Knall - wie machtige Hammer, die auf den Ambo? schlugen.
        Die Karronaden selbst konnte Bolitho nicht sehen, wohl aber die Einschlage, die wie ein Orkan zwischen die restlichen Landungsboote fuhren. Ein Orkan aus gro?en hohlen Eisenkugeln, die beim Aufprall barsten und einen todlichen Kartatschenhagel verspritzten.
        Wenn eine einzige dieser Kugeln im geschlossenen Raum unter Deck explodierte, verwandelte sie ihre Umgebung in ein Schlachthaus. Ihre Wirkung auf die leichten, dunnwandigen Landungsboote mu?te verheerend sein.
        Emes lie? sich Zeit und nahm bis auf die Bramsegel alles Tuch weg, damit seine Stuckmannschaften in Ruhe ihre Karronaden nachladen konnten. Dann lie? er sie eine letzte Salve abfeuern.
        Als das Echo verhallt war und der Rauch sich hob, schwammen nur noch ein knappes Dutzend Boote im Wasser, und auch sie hatten Beschadigungen und Verletzte aufzuweisen.
        Bolitho schob sein Fernrohr zusammen und reichte es einem Midshipman. Ubers ganze Gesicht grinsend, schlug Inch seinem Ersten Offizier auf die Schulter.
        Der ahnungslose Inch. Bolitho blickte auf, als ein gellender Ruf von oben kam:»An Deck!«und dann:»Segel in Lee voraus!»
        Ein Dutzend Teleskope hoben sich fast gleichzeitig, und so etwas wie ein Aufseufzen lief uber das ganze Oberdeck.
        Allday neben Bolitho flusterte:»Er kommt zu spat, Sir!«Aber in seiner Stimme lag kein Triumph.
        Sorgsam lie? Bolitho sein Glas uber die glitzernden Wellenkamme wandern. Es waren drei Linienschiffe, die auf diese Entfernung dicht zusammengedrangt wirkten; ihre Wimpel und Flaggen setzten bunte Farbtupfer auf den grauen Himmel. Ein viertes Schiff, wahrscheinlich eine Fregatte, rundete gerade erst die Landzunge.
        Die Seesoldaten begriffen, da? die ganze Arbeit noch vor ihnen lag, und traten mit scharrenden Stiefeln naher an die Finknetze heran.
        Allday hatte das von Anfang an gewu?t, ebenso wie Inch. Aber den hatte die Rolle seines Schiffes im Gefecht so begeistert, da? er diese Erkenntnis verdrangt hatte.
        Midshipman Stirling beschattete die Augen, um besser nach der Gruppe heller Segelpyramiden ausspahen zu konnen. Er spurte Bolithos Blick im Rucken und drehte sich um; in seinen Augen lag nicht mehr Siegesgewi?heit, sondern kindliche Verwirrung.

«Kommen Sie naher, Mr. Stirling. «Bolitho deutete auf die fernen Schiffe.»Das ist Remonds Geschwader. Wir haben es heute morgen ziemlich unsanft aufgescheucht.»

«Stellen wir uns zum Gefecht, Sir?«fragte Stirling.
        Bolitho blickte ernst auf ihn hinunter.»Sie sind Marineoffizier, Mr. Stirling, ebenso wie Mr. Inch oder ich selbst. Was sollte ich Ihrer Ansicht nach tun?»
        Stirling versuchte sich vorzustellen, wie sich all dies im Brief an seine Mutter ausnehmen wurde. Aber kein Bild entstand vor seinem geistigen Auge, und plotzlich furchtete er sich sehr.

«Kampfen, Sir!«sagte er.

«Dann gehen Sie zu Ihren Signalgasten und halten Sie sich bereit, Mr. Stirling.
«Und zu Allday gewandt sagte Bolitho:»Wenn er trotz seiner Angst so sprechen kann, dann sollte das uns allen neuen Mut geben.»
        Allday warf ihm einen seltsamen Blick zu.»Wenn Sie meinen, Sir?»

«An Deck! Zwei weitere Schiffe runden die Landspitze!»
        Bolitho verschrankte die Hande auf dem Rucken. Also funf gegen eins. Inchs Verzweiflung war berechtigt.
        Es hatte keinen Sinn, umsonst zu kampfen und zu sterben, Menschenleben grausam zu opfern. Sie hatten schon erreicht, was vorher fast unmoglich geschienen hatte. Neale, Browne und die vielen anderen waren nicht sinnlos gestorben.
        Andererseits - fast ebenso grausam wie der Tod wurde Inch den Befehl empfinden, die Flagge zu streichen und zu kapitulieren.

«An Deck!»
        Bolitho starrte angestrengt zu dem Ausguckposten auf der Be-sansaling hinauf. Der Anblick des heransegelnden Feindes mu?te ihn so gefesselt haben, da? er vergessen hatte, seinen eigenen Sektor zu beobachten.

«Mein Glas!»
        Bolitho ri? das Teleskop dem Midshipman fast aus der Hand, ignorierte die verblufften Blicke der Umstehenden, rannte zu den Wanten und enterte in den Webeleinen so weit auf, bis er hoch uber Deck stand.

«Drei Linienschiffe in Lee achteraus!»
        Bolitho, der keinen Blick von den Neuankommlingen wandte, spurte einen Klo? im Hals. Irgendwie hatte es Herrick trotz der widrigen Windverhaltnisse geschafft. Bolitho wischte sich die uberanstrengten Augen trocken und richtete das Glas wieder aus.
        Benbow hatte die Fuhrung ubernommen. Mit ihrem vollen
        Rumpf und der kuhnen Galionsfigur war sie unverkennbar. Hoch oben wand sich Herricks Kommodorewimpel gequalt hin und her, als das Fuhrungsschiff und mit ihm der Rest des Geschwaders abermals uber Stag gingen - wohl zum hundertsten Male - , um muhsam nach Luv aufzukreuzen und zu ihrem Admiral aufzuschlie?en.
        Bolitho enterte aufs Achterdeck nieder und merkte, da? die anderen ihm wie Fremde entgegensahen. Leise fragte Inch:»Ihre Befehle, Sir?»
        Bolitho blickte kurz zu Stirling und seinem Sortiment bunter Signalflaggen hinuber.

«Signal an alle, Mr. Stirling: >In Schlachtlinie ansegeln!<»
        Allday sah den Signalflaggen nach, die knatternd zur Rah aufstiegen.»Ich wette, das haben die Musjos nicht erwartet!»
        Bolitho mu?te lacheln. Der Zahl nach waren sie zwar noch immer unterlegen, aber er hatte schon unter schlechteren Voraussetzungen gekampft. Genau wie Herrick. Zu Stirling gewandt, sagte er:»Sie sehen, ich befolge Ihren Rat!»
        Allday mu?te den Kopf schutteln. Er verstand nicht, wie Bolitho das fertigbrachte. Denn in einer Stunde, vielleicht schon eher, wurden sie alle um ihr Leben kampfen mussen.
        Den Blick auf den Wimpel im Masttopp gerichtet, lie? Bolitho ein Bild des bevorstehenden Gefechts vor seinem geistigen Auge entstehen. Wenn der Wind durchstand, konnte Schiff gegen Schiff kampfen, aber das bot Remond einen Vorteil. Besser war es, den einzelnen Kommandanten freie Hand zu lassen, wenn die Schlachtlinie des Feindes erst einmal durchbrochen war.
        Sein Blick schweifte ubers Deck nach vorn, streifte die nackten Rucken der Kanoniere und die Bootsmannsgehilfen, die alles fur das Aussetzen der Beiboote vorbereiteten. An Deck bedeuteten Boote nur erhohte Splittergefahr im Falle eines Treffers, und diesmal hatten sie es nicht mit hilflosen, uberraschten Landungsfahrzeugen zu tun.
        Bolitho sah, da? einige Neulinge seiner Mannschaft flusternd beisammenstanden; die Freude an ihrem ersten Sieg war ihnen wohl seit der Ankunft des starken franzosischen Geschwaders verdorben.»Kapitan Inch!«rief er.»Die Pfeifer sollen uns zum Gefecht aufspielen. Das gibt bessere Laune!»
        Inch, der seinem Blick gefolgt war, nickte eifrig.»Dieser Krieg dauert schon so lange, Sir, da? ich es manchmal vergesse, aber es gibt tatsachlich noch Matrosen, die kein einziges wirkliches Seegefecht erlebt haben.»
        Und so segelte Odin mit ihren 64 Kanonen und der Admiralsflagge im Besantopp dem Feind entgegen, wahrend die Pfeifer und Trommler munter aufspielten und dabei auf ihrem teppichgro?en Stuckchen Deck unaufhorlich auf und ab marschierten.
        Die Mannschaft, die bisher gespannt den feindlichen Schiffen entgegengestarrt hatte, wandte sich um, sah ihnen zu und begann, mit den Fu?en den Takt zu schlagen.
        Im Kielwasser, das Odin und Phalarope durch die Bucht zogen, blieben schwelende Trummer und Treibgut zuruck: Bruchstucke eines zerstobenen Traums von der Invasion Englands.



        XVII Stahl auf Stahl

        Bolitho arbeitete im Kartenraum von Odin, als Inch eintrat und meldete, da? die Brigg Rapid langsam von Sudwest her aufkreuze.
        Bolitho warf den Stechzirkel auf die Seekarte zuruck und schritt auf das sonnenbeschienene Deck hinaus. Trotz seiner Unterlegenheit wollte Kommandant Lapish also sein kleines Schiff dem Geschwader zufuhren, in der Hoffnung, seine Kampfkraft zu verstarken.

«Signal an Rapid, und zwar so schnell wie moglich«, befahl Bo-litho.»Sie soll zu Ganymede sto?en und gemeinsam mit ihr die feindliche Nachhut storen. «Das mochte die franzosische Fregatte - bisher war nur eine einzige in Sicht - daran hindern, die schweren britischen Schiffe auszumanovrieren, bis Duncans Sparrowhawk aus dem nordlichen Sektor zu ihnen gesto?en war.
        Inch sah den Signalflaggen nach, die blitzschnell zur Rah aufstiegen.»Warten wir, bis Kommodore Herrick sich uns angeschlossen hat, Sir?«fragte er.
        Bolitho schuttelte den Kopf. Das franzosische Geschwader hatte sich zu einer nicht ganz exakten, aber eindrucksvollen Schlachtlinie formiert, und das zweite Schiff in der Reihe fuhr die Flagge eines Konteradmirals. Das mu?te Remond sein.

«Lieber nicht. Ja, wenn wir mehr Zeit hatten… Aber jede Minute, die verstreicht, erlaubt es dem Feind, tiefer in die Bucht vorzudringen und sich die Luvposition zu verschaffen, wahrend unser Geschwader muhsam gegen den Wind anknuppeln mu?.»
        Wieder hob er sein Glas und studierte das Fuhrerschiff: ein Zweidecker, der seine Kanonen schon ausgerannt hatte, obwohl ihn noch drei Meilen von den Briten trennten. Ein machtiges Kriegsschiff, wahrscheinlich mit achtzig Kanonen bestuckt und der viel kleineren Odin auf den ersten Blick weit uberlegen.
        Aber jetzt mu?ten sich die Monate und Jahre der Blockade mit ihrem harten Patrouillendienst bei jedem Wetter zu ihren Gunsten auswirken. Denn die Franzosen verbrachten mehr Zeit im Hafen als auf See, lie?en es sich gutgehen, statt zu exerzieren. Dies mochte auch der Grund dafur sein, da? Remond nicht sein Flaggschiff an die Spitze der Schlachtlinie plaziert hatte; aus zweiter Position konnte er sein Geschwader besser im Auge behalten.
        Plotzlich sagte Bolitho:»Beachten Sie, da? sich das franzosische Flaggschiff etwas in Luv vom ersten Schiff der Reihe halt.»
        Inch nickte, aber sein Gesicht verriet, da? er nichts begriff.

«Sir?»

«Wenn wir angreifen, ohne auf unsere anderen Schiffe zu warten, will der franzosische Admiral offenbar die Schlachtlinie teilen und uns von beiden Seiten in die Zange nehmen.»
        Inch fuhr sich mit der Zunge uber die Lippen.»Wahrend die drei letzten Schiffe sich zunachst zuruckhalten und auf den Kommodore warten.»
        Stirling rief: «Rapid hat bestatigt, Sir.»
        Allday stieg auf die Huttendecksleiter und spahte achteraus. Benbow schien noch sehr weit weg zu sein. Taktisch richtig kreuzte Herrick mit langen Schlagen in die Bucht, damit er zuletzt wenden, abfallen und mit gunstigem achterlichem Wind angreifen konnte. Aber das alles brauchte furchtbar viel Zeit.
        Ein dumpfer Knall hallte heruber, und mit gut einer Meile Abstand schlug die Kugel ins Wasser. Der Kommandant des ersten Franzosen hatte eine Bugkanone abfeuern lassen, wahrscheinlich nur, um die Spannung des Wartens zu brechen.
        Es mu?te ihn nervos machen, den Admiral so im Nacken zu haben, uberlegte Allday; jeder Zug, den er wagte, wurde mit kritischen Augen beobachtet.
        Dann wandte Allday sich ab und lie? den Blick uber das mit Menschen vollgepackte Deck der Odin schweifen. Von denen da unten wurde kaum einer auf den Beinen bleiben, wenn die Falle der Franzosen hinter ihnen zuklappte und sie von jeder Hilfe abschnitt. Oder war genau das Bolithos Absicht? Sich zu opfern, den Feind dabei aber so zu schwachen, da? Herrick nur einen ihm gleichwertigen Rest vorfinden wurde, sobald er erst heran war?

«Allmachtiger Gott!«entfuhr es ihm.
        Ein Sergeant der Seesoldaten, der mit seinen Scharfschutzen in der Nahe wartete, wandte sich grinsend nach Allday um.»Nervos, Kamerad?«fragte er.
        Allday zog eine Grimasse.»Nicht die Spur. Ich finde nur kein ruhiges Platzchen fur meinen Mittagsschlaf.»
        Aber dann fuhr er doch zusammen, als er Inch zum Master sagen horte:»Mr. M'Ewan, sobald wir auf eine halbe Kabellange heran sind, will der Konteradmiral anluven. Danach wenden wir und greifen das zweite Schiff in der franzosischen Schlachtlinie an.»
        Der Master nickte so krampfhaft, als wurde sein Kopf von Marionettenfaden gezogen.

«Was soll das nun wieder bedeuten?«zischte der Sergeant.
        Aber Allday antwortete ihm nicht. Er verschrankte die Arme und bemuhte sich, das Gehorte zu verdauen. Odin wurde also anluven und dann praktisch vor dem Bugspriet des Gegners in den Wind drehen. Dann hoffte sie zu wenden und zwischen den beiden ersten Linienschiffen durchzusto?en. Wenn alles gutging. Es war ein riskantes Manover, bei dem Odin binnen weniger Minuten zu einem hilflosen Trummerhaufen zusammengeschossen werden konnte. Aber alles war besser, als gleichzeitig von beiden Seiten unter Nahbeschu? zu geraten.
        Schlie?lich bequemte er sich doch zu einer Antwort.»Es bedeutet, mein scharfsinniger Freund, da? du mit deinen Leuten bald eine Menge zu tun kriegst.»
        Bolitho lie? die ansegelnde Schlachtlinie nicht aus den Augen, lauerte auf jedes Anzeichen, auf ein blitzschnelles Flaggensignal, mit dem Remond seinen plotzlich erwachten Verdacht verraten konnte. Sicherlich mu?te er doch auf eine Uberraschung gefa?t sein? Weshalb sonst wurde sich ein leichtes Linienschiff mit nur 64 Kanonen funf machtigen Kriegsschiffen stellen?
        Er erinnerte sich an Remonds dunkles, ledernes Gesicht, seine intelligenten Augen.
        Dann befahl er:»Kapitan Inch, lassen Sie die untere Batterie mit Doppelkugeln laden. Und die Achtzehnpfunder des Oberdecks bitte mit Kettenkugeln. «Er hielt Inchs Blick fest.»Wenn wir anluven, mu? das erste Schiff entmastet sein.»
        Dann blickte er zum Gro?maststander auf. Der Wind blieb stetig in Richtung und Starke. Gut. Fast hatte er sich umgedreht und achteraus gespaht, bremste sich aber gerade noch rechtzeitig. Die Offiziere und Mannschaften seiner Umgebung hatten dies als Unsicherheit mi?verstanden, als blicke ihr Oberbefehlshaber sich hilfesuchend um. Am besten strich er Herrick ganz aus seinen Gedanken. Der tat bestimmt sein Bestes.
        Graham, der Erste Offizier, baute sich gru?end vor Inch auf.»Durfen die Trommler und Pfeifer wegtreten, Sir?»
        Bolitho warf einen schnellen Blick auf die rot uniformierten Musikanten. Er hatte sich so konzentriert, da? kein Ton ihrer Instrumente an sein Ohr gedrungen war.
        Dankbar hastete der Musikzug unter Deck, von einem Chor hohnischer Stimmen begleitet.
        Wieder eine Detonation auf dem Fuhrungsschiff, und dann warf die Kugel etwa drei Kabellangen querab eine Gischtfontane auf.
        Der franzosische Kommandant mu?te wirklich nervos sein. Vielleicht beobachtete er ihn gerade jetzt mit seinem Teleskop. Bo-litho trat von den Besanbetings weg, damit das Sonnenlicht von seinen hellen Goldepauletten besser reflektierte. Sollte er seinen Feind doch sehen, dachte er grimmig.
        Dann wandte er sich ab, um einer Schar kreischender Mowen nachzuschauen, die unterhalb der Heckgalerie vorbeistrichen. Die jedenfalls waren den taglichen Kampf ums Uberleben gewohnt, dachte er.

«Der franzosische Admiral trimmt seine Bramsegel, Sir«, meldete Inch.
        Bolitho sah, da? der Bug des Flaggschiffs sich langsam am Heck des Fuhrungsschiffs vorbeischob. Also hatte er Remonds Absicht richtig erraten. Nun hing alles von den Mannern in seiner Nahe ab.

«Kapitan Inch, was jetzt kommt, mu? sehr prazise ausgefuhrt werden. «Lachelnd beruhrte er seinen Arm.»Aber ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, wie Sie Ihr Schiff zu fuhren haben, wie?»
        Inch strahlte vor Freude.»Vielen Dank, Sir!«Dann wandte er sich wieder seinen Leuten zu.»Mr. Graham, bemannen Sie die Brassen. «Dann scho? sein Zeigefinger vor, als wolle er einen Leutnant unten auf dem Batteriedeck aufspie?en.»Mr. Synge! Sind beide Batterien wie befohlen geladen?»
        Der Leutnant spahte zum Achterdeck hinauf und antwortete nervos:»Aye, Sir! Ich - ich habe nur die Vollzugsmeldung vergessen,
        Sir.»
        Inch funkelte den ungluckseligen Leutnant bose an.»Freut mich zu horen, Mr. Synge. Ich dachte schon, Sie halten mich fur einen Hellseher.»
        Die Manner an den nachsten Kanonen kicherten, verstummten aber sofort, als der Leutnant mit rotem Gesicht zu ihnen herumfuhr.
        Bolitho sah den Franzosen entgegen - fast ohne jede Emotion, wie er zu seiner Uberraschung feststellte. Denn nun hatte er sich festgelegt. Wie die Sache auch ausgehen mochte, jetzt konnte er keinen Ruckzieher mehr machen, selbst wenn er das gewollt hatte.

«Klar zur Wende!»
        Die Manner an den Brassen und Schoten duckten sich und lie?en die Muskeln spielen, als machten sie sich bereit zu einem Ringkampf.

«Ruder nach Lee!»

«Fiert weg - holt dicht!»
        Bei dieser rauhen Behandlung schien das Schiff einen Augenblick zu bocken, aber dann - nach einer kleinen Ewigkeit - drehte es gehorsam den Bug zum Wind.
        Grahams Befehle schienen von uberall her zu kommen.»Hol uber den Baum! Fier auf die Bram-Bulins!»
        An jeder Kanone stand ein Stuckmeister und spahte durch seine Stuckpforte auf den viereckigen Ausschnitt der leeren See hinaus, unberuhrt vom Donnern der Segel, dem Knarren der Blocke und dem Stampfen vieler Fu?e uber seinem Kopf.
        Bolitho konzentrierte sich auf das franzosische Fuhrungsschiff und sah mit kalter Genugtuung, da? es seinen Kurs eisern beibehielt, obwohl der Kommandant sich doch eigentlich hatte fragen mussen, was der Englander mit seinem Manover bezweckte.
        Folgsam luvte Odin weiter an, auch wenn sie mit ihren schlagenden Segeln und schwingenden Rahen fur jede Landratte ein chaotisches Bild bieten mu?te. Aber sie fuhr sich nicht fest, ihre Restfahrt schob sie zuverlassig durch den Wind auf den anderen Bug, und als die Rahen wieder angebra?t wurden und die Segel steifkamen, begann sie langsam, aber unaufhaltsam den ansegelnden Feindschiffen ihre Steuerbordseite zu prasentieren.
        Graham brullte durch sein Sprachrohr:»Einzelfeuer!»
        Inchs Sabel zischte durch die Luft nach unten, und eine nach der anderen krachten die Kanonen der Odin auf beiden Decks; aus der unteren Batterie spuckten sie die gewaltigen Doppelkugeln, aus der oberen fuhren kreischend die Kettenkugeln.
        Bolitho hielt den Atem an, als die Kugeln der vordersten Kanonen ihr Ziel fanden. Ein Beben lief durch das franzosische Schiff, als sei es - wie zuvor das Wachschiff - auf Grund gelaufen. Aber die Beschie?ung horte nicht auf, die Leutnants schritten weiter von
        Kanone zu Kanone, wahrend eine Abzugsleine nach der anderen gespannt wurde. Das gleiche Bild mu?te sich auf dem unteren Batteriedeck bieten, wo es im geschlossenen Raum und mit den wild hantierenden, halbnackten Mannern eher noch infernalischer zuging. Sie feuerten, sprangen zuruck, wischten aus, luden nach, stopften und feuerten abermals.
        Die Spur der Kettenkugeln lie? sich leicht verfolgen: Bolitho sah das ganze Vorgeschirr des Feindes mit Segeln und laufendem Gut in Fetzen gehen und die gebrochene Fockmaststenge uber die Seite in die See fallen, wo sie hinter einem hohen Gischtvorhang verschwand. Ihr totes Gewicht wirkte sich sofort wie ein ubergro?er Treibanker aus, und Bolitho beobachtete, wie der Bug des feindlichen Schiffes unkontrolliert herumschwang und in den Wind drehte.

«Ziel auffassen, Jungs! Feuer!»
        Die Doppelkugeln krachten in das schwer havarierte Schiff, rissen Kanonen um und fuhren Tod und Verderben speiend durch die Decks. Oben brachen immer mehr Leinen und Spieren und boten immer mehr Segelflache den Kugeln dar, die das Tuch durchlocherten, bis es in Streifen davonflog.
        Inch rief:»Achtung auf der Back - Feuer frei!»
        Die Steuerbord-Karronade spuckte Feuer und Rauch, hatte aber etwas zu hoch gezielt, so da? die gro?e Kartatschenkugel auf dem Seitendeck des Feindes platzte. Ihr Einschlag richtete keinen gro?en Schaden an, aber die Wirkung ihres Schrothagels war entsetzlich. Dort hatten etwa zwanzig Manner fieberhaft gearbeitet, um Wanten und Stagen der jetzt nutzlosen Fockmaststenge zu kappen. Sie wurden von der Kartatschenladung zerfetzt, und ihr Blut farbte die Bordwand vom Schanzkleid bis zur Wasserlinie rot.
        Aus der Ferne sah es so aus, als sei das Schiff selbst todlich getroffen und verblute jetzt.

«Klar zur Kursanderung nach Steuerbord!»

«Bra?t an die Blindenrah!»
        Einige wenige Kugeln des Feindes schlugen in die Bordwand, bewirkten aber nur, da? Odins Seesoldaten noch wutender zuruckschossen.
        Bolitho fuhlte den Wind auf der anderen Wange und horte die Segel knatternd protestieren, als Odin jetzt mit dem Heck durch den Wind ging. Odin war zwar keine wendige Fregatte, aber unter Inchs Fuhrung manovrierte sie fast genausogut.
        Eine starke Fallbo ri? den Rauchvorhang weg, so da? Bolitho das franzosische Flaggschiff erkannte; es stand so dicht am Steuerbord-Kranbalken der Odin, als hatte es sich dort verfangen. In Wirklichkeit betrug die Distanz zwar noch eine gute Kabellange, aber immerhin konnte Bolitho Trikolore und Admiralsflagge knattern sehen und die fieberhafte Aktivitat auf ihrem Achterdeck beobachten, als der Kommandant sich verzweifelt bemuhte, einer Kollision mit dem zerschossenen Fuhrungsschiff zu entgehen.
        Bolitho hob sein Glas und wartete ab, bis seine Batterien abermals eine Breitseite auf den hilflosen Franzosen abgefeuert hatten. Er spurte, wie die Decksplanken unter seinen Fu?en sich bei den Rucksto?en aufbaumten, sah die wilden, fast irrwitzigen Augen der Manner an den Achtzehnpfundern, die sich in die Taljen warfen, um ihre Kanonen zum nachsten Schu? wieder auszurennen.
        Als er durchs Glas blickte, stand die hohe Heckgalerie des Franzosen wie zum Greifen nahe vor seinem Auge und darauf der mit vergoldeten Lettern geschriebene Schiffsname: La Sultane.
        Er hob das Teleskop leicht an und bekam einige ihrer Offiziere ins Blickfeld; einer fuchtelte zu den Rahen hinauf, der andere wischte sich das Gesicht wie nach einem tropischen Regengu?.
        Und einen Augenblick lang sah er, ehe die Kanonen erneut aufbrullten, den Zweispitz des franzosischen Admirals und dann - als der Mann abrupt zur Hutte schritt - sein Gesicht. Das war Konteradmiral Remond, ohne Zweifel. Bolitho hatte ihn uberall wiedererkannt.
        Allday sah Bolithos Miene und begriff.
        Viele Stabsoffiziere hatten damals das Angebot des Franzosen akzeptiert, bedeutete es doch, in einem bequemen Haus, mit Dienern und allem erdenklichen Luxus in Ruhe auf einen Austausch zu warten. Remond aber hatte nicht verstanden, warum Bolitho all dies ausgeschlagen hatte: geopfert fur die Chance, es den Franzosen heimzuzahlen.
        Das war naturlich der blanke Aberwitz, dachte Allday melancholisch, aber seltsamerweise lie? seine Furcht vor dem Kommenden etwas nach.
        Ohne Alldays prufenden Blick zu bemerken, wandte Bolitho sich jetzt dem havarierten Franzosen zu. Das Schiff war nach dem pausenlosen Beschu? so gut wie kampfunfahig, aus seinen Speigatten rann es rot uber die durchlocherte Bordwand: ein Zeichen dafur, da? die Besatzung ihr ubergro?es Selbstvertrauen mit dem Tode bu?en mu?te.
        Aber Remonds Flaggschiff hatte noch genug Zeit, sich freizuhalten und sich aus allen Rohren feuernd in den Schutz der Loiremundung und ihrer Kustenbatterie zuruckzuziehen. Vielleicht schlo? Remond aus Odins keckem Verhalten, da? die Englander in Kurze mit Verstarkung rechneten.
        Bolitho spahte nach Phalarope aus. Auch Herrick wurde jetzt wohl an damals denken, als sie gezwungen werden mu?te, ihren Platz in der Schlachtlinie einzunehmen und sich den Breitseiten eines uberlegenen Gegners zu stellen. Das war in der Schlacht bei den Saintes gewesen: von den damals erlittenen Schaden hatte sich Phalarope nie mehr erholt.

«Sie formieren sich neu, Sir«, meldete Inch.
        Bolitho sah die Signalflaggen zur Besanrah der Sultane aufsteigen und nickte. Noch immer stand es vier zu eins. Kein Grund zum Jubeln.

«Wir sind auf konvergierenden Kursen«, stellte Inch fest,»konnen aber immer noch in Luv bleiben, Sir.»
        Aus schmalen Augen studierte Bolitho die im dunstigen Sonnenlicht schimmernde Bordwand des franzosischen Flaggschiffs. Achtzig Kanonen, das waren mehr, als sogar die Benbow aufzuweisen hatte. Die Rohre waren alle ausgerannt, aber noch nutzlos auf die Kuste gerichtet, und auf ihren Rahen legten dicht gedrangt die Toppsgasten aus, um die Segel fur die Annaherung an den Feind zu klarieren.
        Halblaut fragte Bolitho:»Wo steht unser Geschwader, Mr. Stir-ling?»
        Der Junge sprang zu den Webeleinen, enterte kurz auf und kam dann eilends zuruck. Schon auf unserer Hohe, Sir, und bald werden sie uns uberholt haben. «Seine ursprungliche Angst schien verflogen zu sein, seine Augen funkelten vor fieberhafter Erregung.

«Bleiben Sie in meiner Nahe. «Bolitho warf Allday einen vielsagenden Blick zu, denn die Furcht hatte den Midshipman im falschen Augenblick verlassen; sie konnte seine beste Waffe sein.

«Fallen Sie einen Strich ab, Kapitan Inch.»

«Neuer Kurs Sudost!»
        Er horte den zischenden Laut, mit dem Allday sein Entermesser aus dem Gurtel zog, und sah die Kanoniere auf der Steuerbordseite wieder naher an ihre Kanonen herantreten.
        Wenigstens konnten sie Remond einen hei?en Tag bereiten, den er so bald nicht vergessen wurde.
        Bolitho zog seinen Sabel und warf die Scheide zum Fu? des Be-sanmastes.
        Eines stand nun fest: Odins Herausforderung mu?te die Franzosen so lange aufhalten, bis Herricks Geschwader sich Tod und Verderben speiend auf sie sturzen konnte.
        Bolitho lachelte zufrieden; Inch und der Erste Offizier sahen dieses Lacheln und wechselten einen Blick.

«Seesoldaten - Front zum Feind!«Steifbeinig marschierte der Hauptmann hinter seinen Soldaten auf und ab und hatte die Augen uberall.
        Allday stie? versehentlich gegen den Midshipman und spurte sein nervoses Zusammenfahren. Es war dem Jungen nicht zu verdenken.
        An Steuerbord wuchs das Gewirr der Stagen und Wanten, der Rahen und Segel immer hoher, bis die Takelage des Franzosen den ganzen Himmel auszufullen schien; und ihnen die Luft abschnurte, dachte Allday und lockerte sein Halstuch.
        Stirling zog seinen Fahnrichsdolch, stie? ihn aber gleich darauf wieder in die Scheide zuruck; angesichts dieses erschreckenden Panoramas feindlicher Segel und Flaggen erschien er ihm so nutzlos wie ein Belegnagel fur den Kampf gegen eine Armee.
        Allday sagte durch die zusammengepre?ten Zahne:»Halten Sie sich in meiner Nahe.
«Er deutete mit seinem Entermesser hinuber.»Das wird harte Arbeit, mochte ich wetten.»

«Zwei Strich nach Luv!»
        Odin kehrte sich etwas von der Sultane ab, so da? ihr Rumpf noch langer und machtiger wirkte als zuvor.»Klar zum Einzelfeuer!»
        Inch spahte uber die dreieckige Wasserflache zwischen den beiden Schiffen. Das Dreieck wurde jetzt wieder spitzer, denn beide hatten nur kurz abgedreht, um ihren Kanonen besseres Schu?feld zu geben.

«Feuer!»
        Noch wahrend das Deck unter den unregelma?igen Abschussen der einzelnen Kanonen bockte und bebte, brullte Inch:»Zuruck auf Kurs, Mr. M'Ewan!»
        Vorn auf der Back duckten sich die Seeleute, als der hochaufragende Kluverbaum des Feindes, von dem nach dem ersten kurzen Beschu? gebrochene Ketten und Stagen baumelten, uber sie hinwegstrich.
        Die ersten Musketenkugeln zischten durch die Luft, einige davon schlugen dumpf in die an der Reling festgezurrten Hangematten, andere prallten mit grellem Aufheulen von den eisernen Kanonen ab.

«Es ist soweit!«schrie Inch wild. Er druckte sich den Hut tiefer in die Stirn.»Auf sie, Leute!»
        Und dann schien ihre ganze Welt in einer einzigen ungeheuren Explosion in die Luft zu fliegen.
        Niemand hatte sagen konnen, wie oft Odin ihre Breitseiten gegen den Feind abgefeuert hatte und wie oft sie im Gegenzug von den Franzosen mit Eisen und Schrot beharkt worden war. Jedes Zeitgefuhl verlor sich unter der erstickenden Rauchdecke, durch die immer wieder orangerote Feuerzungen zuckten; die Manner an den Kanonen feuerten und luden ohne zu denken, mechanisch wie seelenlose Marionetten.
        Bolitho glaubte gelegentlich, in einer Gefechtspause von fern das scharfere Krachen leichterer Kaliber zu horen; wahrscheinlich verbissen sich dort druben Ganymede und Rapid in ihren ungleichen Kampf gegen die franzosische Fregatte.
        Der Rauch hing so dicht zwischen den beiden Linienschiffen und stieg so hoch empor, da? er allen die Sicht nahm. Die anderen franzosischen Schiffe oder Herricks Geschwader mochten schon langsseits sein oder auch noch eine Meile entfernt - Bolitho hatte es nicht einmal erraten konnen; so hermetisch schlo? ihn Rauch und Kanonendonner vom ubrigen Tumult ab.
        Uber ihren Kopfen wippten die Schutznetze unter dem Aufprall herabsturzender Spieren und Blocke; und dann wurden - gemeinsam und gleichzeitig, als hatten sie einander an den Handen gefa?t - drei Scharfschutzen von einer Kartatschenladung aus dem Gro?mars gefegt; ihre Schreie gingen unter im Getose des Gefechts.
        Eine Kugel krachte durchs Schanzkleid, pflugte uber das mit Menschen vollbesetzte Achterdeck und durchschlug die Reling auf der gegenuberliegenden Seite. Vor Bolithos Augen farbten sich die Decksplanken rot vor Blut, das bis zum Besanbaum hinaufspritzte. Wie das Fleischerbeil eines Riesen war die Kugel zwischen Seesoldaten und Achterdeckswache gefahren.
        Inch schrie immer wieder:»Einen Strich nach Luv, Mr. M'Ewan!«Aber der Master lag tot uber seinen beiden Rudergasten, und das Deck rund um die Gefallenen war rot gesprenkelt.
        Mit kalkwei?em Gesicht trat ein anderer Rudergast ans Rad und griff in die Speichen, bis der Bug langsam herumzuschwingen begann.
        Immer mehr Seesoldaten enterten in den Webeleinen auf und begannen, die feindlichen Offiziere druben aufs Korn zu nehmen.
        Bolitho bi? die Zahne zusammen, als ein Schu? zwei Seeleute von ihrer Kanone dicht unter dem Achterdeck wegschleuderte;
        dem einen war der Kopf abgerissen worden, der andere schrie gellend wie ein Tier, wahrend seine Hande sich um die Splitter krallten, die ihm aus Hals und Gesicht ragten.»Feuer!»
        In den Lucken, die der wirbelnde Rauch lie?, gewahrte Bolitho immer wieder Szenen unsaglichen Leidens oder uberraschender Beherztheit. Die Pulverjungen rannten weiterhin gebuckt unter dem Gewicht der Kartuschen von Kanone zu Kanone. Ein Seemann stemmte sich mit au?erster Kraft in die Handspake, wahrend sein Stuckmeister ihm durch Rauch und Larm Anweisungen zubrullte. Ein Midshipman, noch junger als Stirling, pre?te beide Fauste in die Augen, um die Tranen uber seinen toten Freund zuruckzuhalten, der, von einer Schrotladung zerfetzt, davonge-schleift wurde.

«Und noch einmal, Jungs: Feuer!»
        Allday drangte sich schutzend an Bolitho, weil das Musketenfeuer immer intensiver wurde. Rund um sie fiel und starb die Besatzung, wahrend die Uberlebenden ihren Ha? in den Rauch schrien und weiterfeuerten.

«Sehen Sie dort, Sir!«Allday deutete nach oben.
        Bolitho hob den Blick und sah einen gro?en Schemen wie einen Rammbock durch den Rauch auf sie zukommen.
        Vielleicht hatte die Sultane vorgehabt, auf dem anderen Bug an Odin vorbeizulaufen und sie durch die gewaltige Uberlegenheit ihrer Feuerkraft bis zur Aufgabe zu beschie?en. Und dann hatte der Kommandant es sich moglicherweise anders uberlegt oder das Manover nicht ausfuhren konnen, weil sein Schiffer wie M'Ewan mitsamt seinen Rudergasten gefallen war. Jedenfalls stie? Sulta-nes Kluverbaum wie ein gewaltiger Hauer auf sie herab; als sich der zwischen den Rumpfen gefangene Rauch wirbelnd hob, gewahrte Bolitho verschwommen die Galionsfigur des Franzosen, die mit vorquellenden Augen und blutrotem Mund wie ein Schreckgespenst auf sie herabstarrte.
        Der Kluverbaum krachte durch Odins Besanrigg, mit prasselndem Knallen brach das Stampfstockgeschirr, Ketten peitschten durch die Luft, und gerissene Leinen wehten aus wie Lianen.

«Enterer zuruckschlagen!»
        Bolitho spurte, da? sich das Deck unter seinen Fu?en aufbaumte, und begriff, da? die letzte Breitseite den Rumpf voll getroffen haben mu?te. Zwar nahm ihm der bei?ende Rauch die Sicht, aber er horte Warnrufe und dann Schreckensschreie, als der Vormast donnernd von oben kam. Das Krachen ubertonte sogar das Kanonenfeuer; Bolitho verlor das Gleichgewicht und ware fast gesturzt, als das Schiff unter dem Aufprall des gewaltigen Gewichts der gesamten Fockmasttakelage erbebte.

«Sie spricht nicht mehr aufs Ruder an!«schrie der Rudergast verzweifelt.
        Aus dem Rauch uber ihren Kopfen zuckte grelles Mundungsfeuer; die ersten Enterer krochen uber den Bugspriet und den Stampfstock des Feindschiffes heran und versuchten, auf Odins Deck zu springen.
        Aber die Schutznetze hielten sie auf. Schon warf sich ein Marinekorporal hinter eine der Achterdecks-Drehbrassen, ri? an der Schnur und fegte die tollkuhnen Enterer mit einer Schrotladung ins Wasser.
        Ohne Hut, den einen Arm schlaff herabhangend, trat Inch aus dem Pulverrauch und sagte durch die Zahne:»Wir mussen sehen, da? wir freikommen, Sir!»
        Bolitho sah den Ersten Offizier mit weitausholenden Armbewegungen mehr Leute zur Abwehr der zweiten Entererwelle aufs Achterdeck winken. Ihm kam es wie ein Wunder vor, da? die Kanonen immer noch feuerten, obwohl doch die Halfte der Kanoniere in ihrem Blut lag. Und im unteren Deck mu?te es noch viel schlimmer aussehen.
        Bolitho konnte den Blick nicht von diesem Bild des Grauens und der Vernichtung wenden. Die beiden Schiffe waren in einen morderischen Kampf verbissen, niemand dachte mehr an Sieg, nur noch ans Toten.
        Allday lie? ihn nicht aus den Augen, und neben sich gewahrte er Stirling mit verkniffenem Gesicht. Dann wirbelte der Rauch durcheinander, und ubers Wasser klang neuer Kanonendonner heruber, dumpf grollend wie ein Vulkanausbruch: Herricks Geschwader war eingetroffen und begann das Gefecht mit den anderen Franzosen.
        Und plotzlich durchzuckte ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Es ging gar nicht mehr um Sieg oder Niederlage. Nein, Remond wollte ihn!
        Hatte er die Worte laut ausgesprochen? Jedenfalls sah er das plotzliche Begreifen auf Inchs Gesicht und Alldays geballte Fauste.
        Keine Chance, da? sie sich noch rechtzeitig von der Sultane losen konnten. Entweder mu?te Odin von ihrer uberlegenen Bestuk-kung zu Kleinholz zerhackt werden, oder beide Besatzungen lieferten sich ein blutiges Gemetzel.
        In Bolitho stieg eine wilde Wut auf, die er vergeblich zu unterdrucken suchte.
        Mit einem Satz war er auf dem Steuerbord-Seitendeck und uberschrie das Krachen der Kanonen und das Musketenfeuer.»Klar zum Entern!«brullte er.»Folgt mir, Odins!«Er blinzelte kurz, vom Mundungsblitz eines unsichtbaren Scharfschutzen geblendet. Ja, Neale hatte dasselbe gerufen.
        Jetzt hackten sie selbst die Schutznetze beiseite, andere rissen Axte und Entermesser an sich und scharten sich um Bolitho; seine Tollheit steckte wie ein Fieber alle an, schwei?te sie in einem wilden Aufflammen zusammen zu einer einzigen, uberlebensgro?en Waffe.
        Graham, der Erste Offizier, sprang als erster hinuber, sein gezogener Sabel schimmerte matt durch den Rauch. Blitzartig wie eine angreifende Kobra scho? vom Schanzkleid druben ein Enterspie? vor und stie? Graham, der nicht einmal Zeit zum Schreien fand, ins Leere zwischen die beiden Rumpfe. Bolitho konnte noch einen kurzen Blick auf ihn werfen, sah seine Augen vom Wasser zu ihm heraufstarren, dann schoben sich die Bordwande wieder knirschend zusammen, und Graham wurde
        (2 Zeilen unleserlich)
        sprang Bolitho von Handlauf zu Handlauf und wurde sich plotzlich bewu?t, da? er auf dem Vorschiff des
        Feindes stand. Hinter ihm drangten seine Leute nach und warfen ihn fast um, als sie an ihm vorbei nach vorne sturmten. Mit einem Geheul wie tausend Teufel der Holle hackten sie alles zusammen, was sich ihnen in den Weg stellte, bis sie gegenuber die Steuerbordreling erreichten.
        Vom Batteriedeck wandten sich entsetzte Gesichter zu ihnen herauf, wahrend immer noch einzelne Kanonen ihr Eisen in Odins Bordwand spuckten, obwohl beide Schiffe so ineinander verhakt waren, da? die Rohre der Gegner sich fast uberlappten.
        Ein franzosischer Fahnrich sprang aus den Webeleinen herab und wurde noch im Sprung von einer Enteraxt zwischen den Schulterblattern getroffen.
        Eine nach der anderen verstummten die franzosischen Kanonen, weil ihre Kanoniere zu Spie?en und Messern griffen, um die englischen Enterer zuruckzuschlagen.
        Bolitho wurde von der Angriffswelle auf dem Seitendeck nach achtern geschwemmt, die brullenden, jubelnden Matrosen bedrangten ihn so, da? er den Arm mit dem Sabel nicht heben konnte.
        Von uberall her krachten Schusse und jaulten Querschlager, fallten immer wieder Manner in der weiterdrangenden Masse, die nirgends Deckung fand.
        Mit gespreizten Beinen stand ein franzosischer Leutnant quer auf dem Seitendeck und erwartete Bolitho, der sich endlich freigekampft hatte. Einige seiner Manner hatten sich auf das Batteriedeck unter ihnen herabgelassen und fochten dort in kleinen Gruppen weiter.
        Bolitho hielt den Sabel in Gurtelhohe und beobachtete die noch unentschlossenen Augen des Franzosen.
        Dann zuckten beide Waffen hoch, kreisten kurz umeinander und schlugen mit hellem Klang zusammen. Die Uberraschung im Gesicht des Franzosen wich eiserner Entschlossenheit. Aber Bolitho stemmte sich gegen eine Schanzkleidstrebe und zwang den Arm des anderen mit seinem Griff beiseite. Der Leutnant verlor das Gleichgewicht, einen Augenblick beruhrten sich fast ihre Gesichter - blanke Angst stand jetzt in dem einen und in Bolithos der eiskalte Wille, dieses Hindernis auf seinem Weg zum Ziel beiseite zu raumen.
        Eine schnelle Drehung, dann ein Sto? mit der unvertrauten, aber geraden Klinge; Bolitho spurte die Schneide durch Knochen knirschen, als sie dem Mann knapp unter der Achselhohle in den Leib fuhr.
        Er ri? den Sabel heraus und rannte weiter nach achtern. Schemenhaft sah er durch den Rauch Odins Umrisse, entstellt durch gebrochenes Tauwerk und zerfetzte Leinwand. Umgesturzte Kanonen zwischen grotesk ausgestreckten Gestalten zeugten von der Erbarmungslosigkeit des Gefechts.
        Neue Emporung trieb Bolitho noch schneller aufs Achterdeck, wo die Fechter vor und zuruck drangten; gellend schlugen die Waffen aufeinander, ubertont nur vom Knallen der Pistolen und Musketen.
        Ein Englander machte einen Ausfall gegen einen franzosischen Quartermaster und hackte ihm den Arm fast an der Schulter ab. Kreischend vor Entsetzen rannte der Mann in die falsche Richtung und wurde vom Bajonett eines Seesoldaten durchbohrt.
        Zwei Matrosen, einer davon schwer verwundet, warfen Putzen mit Sand auf die kampfenden Franzosen unterhalb des Achterdecks. Sie krachten wie schwere Felsbrocken auf Kopfe und Schultern. Eine Gestalt hieb durch den Rauch nach Bolitho, aber die Schneide glitt von seiner linken Epaulette ab, ehe sie ihm die Schulter zerhacken konnte.
        Doch Bolitho kam aus dem Schritt und stolperte, wahrend der Franzose schon zum zweiten Hieb ausholte.

«Von wegen, Musjo!»
        Alldays machtiges Entermesser zuckte am Rand von Bolithos Gesichtsfeld vorbei und traf mit einem dumpfen Schlag wie auf massives Holz. Wo steckte Remond? Fieberhaft sah Bolitho sich um, den Sabel am schmerzenden Arm gesenkt. Endlich waren auch weitere Soldaten herubergesprungen. Mit ihren Spie?en bahnten sie sich eine blutige Gasse zum Achterschiff.
        An der Backbordleiter zur Poop stand, gedeckt von einigen seiner Offiziere, Konteradmiral Remond. Sie entdeckten einander im selben Moment, und ihre starren Blicke verhakten sich.
        Remond reagierte als erster.»Ergeben Sie sich! Ohne das Flaggschiff ist es um Ihr Geschwader geschehen!»
        Hohn- und Protestgeschrei der Englander, die sich uber die ganze Lange des Schiffes bis zum Achterdeck durchgekampft hatten, antwortete ihm. Bolitho hob die Waffe und rief:»Ich warte, Admi-ral!»
        Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, denn er wu?te, da? er seinen Rucken ungedeckt jedem Scharfschutzen darbot, der noch den Schneid zum Weiterkampfen aufbrachte.
        Remond ri? sich den Hut vom Kopf und antwortete:»Nur zu, M'sieu!»
        Bolitho horte Allday hinter sich flustern:»Mein Gott, er hat Ihren alten Sabel, Sir!«»Ich wei?.»
        Bolitho machte einen Schritt von seinen Mannern weg nach vorn und spurte dabei, da? ihre irrwitzige Mordlust einer grimmigen Neugier gewichen war.
        Aber da? er die alte Familienwaffe in Remonds Hand sah, war genau der Ansporn, den er noch gebraucht hatte.
        Ein enges Geviert auf dem von Schussen zernarbten Deck wurde ihre Arena, gesaumt von Matrosen und Soldaten, die vorubergehend zu Zuschauern geworden waren.
        Die Klingen kreuzten sich und zuckten wieder zuruck. Bolitho achtete auf einen guten Stand und ignorierte den alten Schmerz in der Schenkelwunde, um dem Gegner keine verraterische Schwachstelle zu zeigen.
        So Mann gegen Mann, mit gekreuzten Klingen, spurte Bolitho die ganze Kraft seines Gegners, die Starke dieses untersetzten, muskulosen Korpers.
        Trotz der Todesgefahr empfand Bolitho Alldays Nahe als beruhigend. Der Bootsfuhrer begriff, da? dies eine Sache zwischen Bolitho und Remond war, und hielt sich zuruck; aber seine Untatigkeit konnte nicht endlos wahren, genausowenig wie dieses Duell wirklich den Ausgang der ganzen Schlacht entscheiden wurde. Schon jetzt mu?ten die Offiziere auf dem unteren Batteriedeck der Sultane begriffen haben, was vorging, und ihre Leute in den Kampf gegen die Enterer werfen.
        Mit hellem Klang schlugen die Klingen aneinander. In plotzlicher Klarsicht erinnerte sich Bolitho an seinen Vater, der ihn mit dem Sabel, den Remond jetzt fuhrte, das Fechten gelehrt hatte.
        Drohend bedrangte ihn Remonds Nahe, er roch seinen Schwei?, als die Sabel sich am Heft verhakten; dann stie? er den Gegner zuruck und verschaffte sich wieder Luft.
        Hinter ihm schluchzte jemand unbeherrscht auf. Das mu?te Stir-ling sein, der wohl entgegen seinen Anweisungen hinter der Entermannschaft an Bord gekommen war, obwohl es ihn leicht das Leben kosten konnte.
        Sie rechnen alle mit meinem Tod, dachte er.
        Wie vorhin der Anblick des alten Familiensabels in der Hand des Feindes brachte diese Erkenntnis ihn in Wei?glut. Doch wahrend er zuhieb und parierte, den Standort wechselte und den Gegner umkreiste, spurte er die Kraft seines Arms allmahlich erlahmen.
        Am Rand seines Blickfelds gewahrte er eine langsame Bewegung und stellte sich einen flie?enden Moment lang vor, da? ein zweites franzosisches Schiff seine Odin jetzt von der anderen Seite her in die Zange nahm, wie sie es von Anfang an geplant hatten.
        Aber dann verschlug es ihm fast den Atem. Dieser Schatten war kein Linienschiff! Er konnte nur die Phalarope sein! Wahrend Odin sich in ihren ubermachtigen Gegner verbissen hatte und Herricks Geschwader den Rest der franzosischen Streitmacht band, hatte Phalarope sich durch die Schlachtlinie gekampft, um ihm und Odin zu Hilfe zu kommen.
        Bolitho schnappte nach Luft, als der Schutzbogen von Remonds Sabel ihn schmerzhaft an der Schulter traf. Er konnte ihn gerade noch zurucksto?en. Der andere hatte sein momentanes uberraschtes Zogern ausgenutzt und sah sich schon als Sieger.
        Bolitho taumelte gegen die Hangemattsnetze, sein Sabel fiel klappernd aufs Deck. Vor sich sah er Remonds schwarze Augen, starr und erbarmungslos, an der gezuckten Klinge entlangvisieren, deren Spitze genau auf sein Herz gerichtet war.
        Da - ein ohrenzerfetzendes Krachen! Karronadenfeuer aus nachster Nahe verwandelte die eben noch erstarrte Szene auf dem Achterdeck in ein wildes Chaos. Phalarope hatte das ungeschutzte Heck des franzosischen Flaggschiffs gequert und spie ihm ihre gro?kalibrigen Kartatschen durch die Heckfenster, da? der morderische Hagel durch die ganze Lange des unteren Batteriedecks flog.
        Das Schiff baumte sich auf und schien auseinanderzubrechen. Vor Bolithos Augen barsten Metallsplitter und gehacktes Blei durch die Decksplanken und die Bordwand; manche fetzten wie riesige Hornissen als Querschlager durch die Luft. Und einer dieser Splitter traf Remond mitten im Ausfall zum Todessto?.
        Bolitho merkte, da? Allday ihm auf die Fu?e half, da? Remond auf dem Rucken lag, in Hohe des Magens aus einer faustgro?en Wunde blutend. Neben Bolitho erwachte ein englischer Seemann aus seinem Schockzustand, gewahrte den sterbenden Admiral zu seinen Fu?en und hob das Entermesser, um seiner Qual ein Ende zu machen.
        Aber Allday hatte Bolithos Gesichtsausdruck gesehen und fiel dem Mann in den Arm. Langsam, Kamerad! Er hat genug. «Dann buckte er sich und entwand den Fingern des Sterbenden vorsichtig den alten Sabel der Bolithos.»Er dient eben nicht zwei Herren, Musjo. «Aber Remonds Blick war schon starr und ohne Begreifen.
        Bolitho nahm die Familienwaffe in beide Hande und drehte sie langsam hin und her. Rund um ihn schrien seine Manner hurra und sturzten einander jubelnd in die Arme, nur Allday stand stumm und wachsam da, bis auch der letzte Franzose die Waffe weggeworfen hatte.
        Bolitho sah Stirling an, der vor ihm lehnte, von einem unkontrollierbaren Zittern geschuttelt.»Wir haben gesiegt, Mr. Stirling.»
        Der Junge nickte, aber sein starrer Blick verriet noch Benommenheit. Dieser gro?e Augenblick verstrich, ohne da? er ihn im Geiste fur den Brief an seine Mutter festhielt.
        Ein junger Leutnant, dessen Gesicht Bolitho irgendwie bekannt schien, drangte sich durch die jubelnden Seeleute und Marinesoldaten. Er erkannte Bolitho und griff gru?end zum Hut.

«Gott sei gedankt, Sie leben, Sir!»
        Bolitho musterte ihn eingehend.»Danke. Aber kamen Sie, mir das zu sagen?»
        Der Leutnant starrte die Toten und Verwundeten an, das zerschossene Deck und die blutigen Spuren der Schlacht.

«Ich soll Ihnen melden, Sir, da? der Feind die Flagge gestrichen hat. Das hei?t, alle Schiffe bis auf eines haben kapituliert. Es versucht, in die Loire zu entkommen, aber Nicator ist schon hinter ihm her.»
        Bolitho mu?te den Blick abwenden. Also ein Sieg, wie er nicht uberwaltigender hatte sein konnen. Mehr hatte selbst Beauchamp nicht erwarten durfen.
        Dann wandte er sich wieder dem Leutnant zu; der junge Mann mu?te ihn ja fur wunderlich halten.

«Von welchem Schiff kommen Sie?»

«Von der Phalarope, Sir. Ich bin Fearn, provisorischer Erster Offizier.»
        Bolitho konnte ihn nur anstarren.»Provisorischer Erster?«Der Mann wich verwirrt zuruck, aber Bolitho dachte jetzt nur an seinen Neffen.»Ist Leutnant Pascoe…?«Er konnte es nicht aussprechen.
        Erleichtert atmete der Leutnant auf; also hatte er doch nichts falsch gemacht.

«O nein, Sir! Leutnant Adam Pascoe ist provisorischer Kommandant. «Er sah zum Batteriedeck hinunter, als sei ihm eben erst die Erkenntnis gekommen, da? er uberlebt hatte.»Leider mu? ich Ihnen mitteilen, da? Kapitan Emes gefallen ist, als wir durch die franzosische Linie brachen.»
        Bolitho packte seine Hand.»Gehen Sie jetzt zuruck an Bord und danken Sie der Besatzung von mir.»
        Er begleitete den Leutnant auf dem Seitendeck bis zum Fallreep, unter dem ein Boot festgemacht war.
        Dicht bei lag Phalarope beigedreht, mit zerschossenen Segeln, aber immer noch schu?bereit ausgerannten Karronaden.
        Ihm fiel wieder ein, was er nach der Schlacht bei den Saintes zu Herrick gesagt hatte, als sie uber die anderen Schiffe sprachen.

«Sie ist nicht wie die anderen«, waren seine Worte gewesen. »Phalarope ist eine Klasse fur sich.»
        Adam brauchte er davon nichts zu erzahlen. Denn wie Emes vor ihm, wurde auch er das bald genug selbst herausfinden.
        Er sah Allday mit der eingerollten franzosischen Flagge auf sich zukommen, die ihren Admiral uberlebt hatte, nahm sie entgegen und reichte sie an den Leutnant weiter.

«Geben Sie das Ihrem Kommandanten, Mr. Fearn, und richten Sie ihm meinen Respekt aus. «Mit einem Blick auf den alten Sabel an seiner Seite fugte er hinzu:»Wir alle wollen diesen Tag in ehrenvoller Erinnerung behalten.»



        Epilog

        Richard Bolitho musterte sein Spiegelbild so kritisch, als hatte er einen zur Beforderung anstehenden jungen Offizier vor sich.
        Uber die Schulter sagte er:»Ich wei? es zu schatzen, da? du hiergeblieben bist, Thomas. «Dann wandte er sich um und musterte Herrick voller Zuneigung; sein Freund und Gefahrte sa? vorn auf der Stuhlkante und hielt sich an einem halbvollen Glas Wein fest.»Obwohl ich befurchte, da? unsere Nerven in einem Zustand sind, der uns nicht zur Ehre gereicht.»
        Immer noch hatte er sich nicht an den Gedanken gewohnt, da? er wieder daheim in Falmouth war. Zuviel war geschehen: die langsame, muhselige Heimfahrt nach Plymouth, die ersten dringenden Reparaturen an den schwer mitgenommenen Schiffen des
        Geschwaders, dann der Abschied und das Gedenken an jene, die nie wieder den Fu? auf englischen Boden setzen wurden. Wie still das Haus war! Er konnte sogar Vogelstimmen drau?en vor den Fenstern horen, die jetzt im Oktober schon geschlossen gehalten wurden. Es war still wie auf einem Schiff vor der Schlacht oder nach einem Sturm.
        Herrick rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum und blickte an seiner neuen Uniform hinunter.

«Konteradmiral bin ich jetzt«, sagte er, und es klang immer noch unglaubig.»Aber auch nur so lange, bis der Friedensvertrag unterzeichnet ist.»
        Bolitho mu?te uber Herricks Unbehagen lacheln. Noch hatte die Admiralitat keine offizielle Stellungnahme zur Vernichtung der franzosischen Invasionsflotte abgegeben, aber in bezug auf Herrick hatten Ihre Lordschaften gesunden Menschenverstand bewiesen.
        Leise sagte er:»Konteradmiral Thomas Herrick, das klingt gut und ist ehrlich verdient. Ich freue mich fur dich!»
        Herrick schob trotzig das Kinn vor.»Und du selbst? Womit wirst du fur deine Leistungen belohnt?«Warnend hob er die Hand:»Jetzt kannst du mir nicht mehr den Mund verbieten, wir sind gleichgestellt. Das hast du selbst zugegeben. Ich werde es mir von der Seele reden, und dann Schlu? damit.»
        Bolitho nickte.»Na gut, Thomas.»

«Also dann: Jeder im Land wei?, da? der Friedensvertrag nur noch unterzeichnet werden mu?, da? die Kampfe uberall eingestellt wurden - und zwar deshalb, weil die Franzosen plotzlich auf einen Waffenstillstand drangen. Weshalb wohl, frage ich dich?»

«Sag du es, Thomas.»
        Bolitho wandte sich wieder dem Spiegel zu. Jetzt, da der gro?e Tag gekommen war, fuhlte er sich unsicher und nervos. Noch in dieser Stunde sollte ihm Belinda angetraut werden. Das war sein gro?ter Wunsch gewesen und hatte ihm auch in den schrecklichsten Stunden in Frankreich oder auf See Halt gegeben.
        Aber angenommen, sie hatte es sich insgeheim anders uberlegt? Sie wurde zu ihrem Wort stehen, das bezweifelte er keinen Augenblick, aber dann geschah es um seinet - , nicht um ihretwillen. Im Vergleich dazu schien ihm Herricks Verargerung uber das mangelnde Interesse der Admiralitat an Richard Bolithos Zukunft ganz unbedeutend.
        Aber Herrick fuhr fort:»Es ist dein Verdienst, und niemand kann das leugnen! Seit sie ihre verdammte Invasionsflotte verloren haben, konnen die Franzosen nur noch bellen, nicht mehr bei?en. Eine Landung in England jedenfalls konnen sie sich abschminken, diese, diese…«Vergeblich suchte er nach einem Schimpfwort, das seiner Verachtung entsprach, und schlo?:»Jedenfalls war das kleinlich und unfair von Ihren Lordschaften. Ich werde befordert, obwohl ich bei Gott sehr viel lieber Kapitan ware, und du bleibst, was du bist!»

«Ist dir der Abschied in Plymouth schwergefallen?»
        Herrick nickte.»Sehr schwer. Ich wollte dem neuen Kommandanten der Benbow noch so vieles erklaren, schlie?lich wei? er ja nicht, was sie leisten kann und was nicht.
«Er hob resigniert die Schultern.»Aber so geht's nun mal. Ich habe sie ordnungsgema? ubergeben und bin dann hierher nach Falmouth ge» faWhriens.c «hon damals, was, Thomas?»

«Aye. «Herrick erhob sich und stellte das Weinglas nachdrucklich auf den Tisch. Aber heute ist ein ganz besonderer Tag. Wir wollen ihn gebuhrend feiern. Ich bin froh, da? wir zu Fu? zur Kirche gehen. «Offen sah er Bolitho in die Augen.»Belinda ist zu beneiden. Und du auch.»
        Allday trat ein und brachte ihre Hute. In der neuen Jacke mit Goldknopfen und den Nanking-Breeches sah er sehr schmuck aus und erinnerte in nichts mehr an den wilden Enterer auf dem Achterdeck des franzosischen Flaggschiffs.

«Sie bekommen Besuch, Sir.»
        Herrick stohnte auf.»Schick ihn oder sie zum Teufel, Allday. Dies ist wirklich nicht der rechte Zeitpunkt fur Besuche.»
        Eine hohe schlanke Gestalt schob sich durch die Tur und verbeugte sich formell.

«Bei allem Respekt, Sir, aber kein Admiral kann ohne seinen Adjutanten vor den Traualtar treten. «Bolitho eilte durchs Zimmer und packte Brownes beide Hande.

«Oliver! Welche Freude!»
        Browne lachelte zuruckhaltend.»Und eine lange Geschichte, Sir. Unser Boot wurde von einem amerikanischen Handelsschiff gesichtet. Es nahm uns an Bord, wollte aber leider unseretwegen keinen Nothafen anlaufen, sondern setzte uns erst in Marokko an Land. «Er hielt inne und studierte Bolithos Gesicht.»Wohin ich auch kam, uberall wurde von Ihrem gro?en Sieg gesprochen. Aber ich hatte Sie ja gewarnt: Die Admiralitat sieht Beauchamps Plane und ihren Vollstrecker mit ganz anderen Augen an. «Er musterte Herricks neue Epauletten und fugte hinzu:»Einer hat immerhin den verdienten Lohn erhalten, Sir.»

«Junger Mann, Sie sind zur rechten Zeit gekommen«, sagte Herrick.
        Browne trat zuruck und lie? Bolitho den Vortritt. Der warf vor der Tur einen Blick in die Runde. Seine Hochzeit sollte ohne viel Aufhebens und ganz intim vonstatten gehen, aber trotzdem schien das ganze Gesinde, sein Steward Ferguson eingeschlossen, ihm schon zur Kirche vorausgeeilt zu sein.
        Leise sagte er zu Browne:»Ihre gesunde Heimkehr, Oliver, freut mich mehr, als ich Ihnen sagen kann. Es ist, als sei mir eine Last von den Schultern genommen. «Damit winkte er seine drei Freunde heran.»Und jetzt wollen wir gemeinsam hinuntergehen.»
        Als sie auf dem Dorfplatz ankamen und den Weg zur alten Kirche einschlugen, sah Bolitho zu seiner Uberraschung, da? sie von einer Menge stadtisch gekleideter Zuschauer erwartet wurden.
        Wahrend die drei Marineoffiziere mit einem vergnugten Allday auf den Fersen die Kirchentreppe erklommen, begannen einige in der Menge zujubeln und ihre Hute zu schwenken; ein Mann, dem man den ehemaligen Matrosen ansah, rief durch die hohlen Hande:»Viel Gluck! Ein Hoch auf unseren Dick!»

«Was ist blo? los, Thomas?»
        Ungeruhrt zuckte Herrick die Achseln.»Vielleicht Markttag. «Allday nickte und verkniff sich ein Grinsen.»Das wird's wohl sein, Sir.»
        Vor dem Portal verhielt Bolitho und lachelte den erwartungsvollen Gesichtern zu. Einige davon kannte er, sie gehorten Menschen, mit denen er aufgewachsen war. Andere waren ihm fremd, sie mu?ten aus den Dorfern der Umgebung, ja sogar aus Plymouth gekommen sein.
        Mochten die Politiker und die Admiralitat denken und handeln, wie sie wollten, fur diese Burger hier war es ein besonderer Tag. Denn wieder einmal war Richard Bolitho gesund in das graue Haus unterhalb von Pendennis Castle heimgekehrt: kein Fremder, sondern einer von ihnen.
        Die Kirchturmuhr schlug, und Bolitho flusterte Herrick zu:»La? uns hineingehen, Thomas.»
        Herrick tauschte mit Browne einen belustigten Blick. Noch nie hatten sie Bolitho so verlegen gesehen.
        Das Portal offnete sich, und wieder wurde Bolithos emotionales Gleichgewicht erschuttert: Das Kirchenschiff war voller Menschen. Als Bolitho an ihnen vorbei nach vorn schritt, erkannte er darunter viele Matrosen und Offiziere seines Geschwaders. Eine ganze Reihe nahmen seine Kommandanten ein, die mit ihren Frauen und sogar mit Kindern erschienen waren. Inch sa? da, einen Arm in der Schlinge, zusammen mit seiner hubschen Frau. Verri-ker, der wie stets den Kopf leicht schrag hielt, damit er nichts uberhorte. Auch Valentine Keen, dessen Nicator das letzte Franzosenschiff bis vor die Rohre der Kustenbatterie verfolgt hatte. Dann Duncan und Lapish, auch Lockhart von Ganymede. Nancy, Bolithos jungere Schwester, stand neben ihrem Mann, dem Richter. Schon tupfte sie sich die Tranen von den Wangen, lachelte aber zur gleichen Zeit, und sogar ihr gestrenger Gemahl sah ausnahmsweise zufrieden aus. Einige von ihnen mu?ten sich an jenen Tag vor sieben Jahren erinnern, als Richard Bolitho, damals noch Kapitan wie sie jetzt, hier auf seine erste Frau gewartet hatte. Bo-litho sah sich nach Herrick um. Allday hatte
sich zuruckgezogen, und Browne stand neben Dulcie Herrick, deren Hand auf seinem Armel ruhte.»Tja, alter Freund, da hat man uns nun allein gelassen. «Herrick mu?te lacheln.»Aber bestimmt nicht fur lange.»
        Auch seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit, was sich an diesem Ort eben schwer vermeiden lie?. Die Wandtafeln hinter der Kanzel, die alle den Namen eines Bolitho trugen, erzahlten die Familiengeschichte: angefangen von Kapitan Julius Bolitho, der in Falmouth zu Tode gekommen war, als er gegen die Roundheads[Rund- oder Stutzkopfe: auf der Haartracht beruhender Spitzname fur Anhanger der englischen Parlamentspartei im 17. Jahrhundert] kampfte, die Pendennis Castle abriegelten. Und ganz unten eine einfache Platte mit der Inschrift:»Leutnant Hugo Bolitho, geboren 1752, gestorben 1782. «Dicht daneben hing eine andere, die nach Herricks Schatzung erst vor kurzem angebracht worden war:»Zum Gedenken an Mr. Selby, Steuermann auf seiner Majestat Linienschiff Hyperion, 1795.»
        Ja, hier wurde einem das Vergessen wirklich schwergemacht.
        Dann sah er, da? Bolitho sich straffte und dem Seitenschiff zuwandte, wo eine Tur sich geoffnet hatte.
        Die Orgel begann zu spielen, und ein Raunen der Erwartung ging durch das Kirchenschiff, als Leutnant Adam Pascoe mit Bo-lithos Braut am Arm langsam zum Altar schritt. Bolitho vermochte den Blick nicht abzuwenden aus Angst, ihm konnte ein Detail entgehen. Denn Belinda war uberwaltigend schon, und Adam mu?te so aussehen wie er selbst in seiner Jugend.
        Dann sah er, da? Belinda den Blick zu ihm hob und ihn anlachelte. Er reichte ihr die Hand und fuhrte sie die letzten Stufen zum Altar hinauf. Sanft druckte sie seine Hand, und Herrick horte, wie er ihr zuflusterte:»Endlich haben wir Frieden.»
        Dann schritt auch Herrick die Stufen hinan und stellte sich neben das Paar. Er bezweifelte, da? auch nur einer unter den Zuhorern verstand, was Bolitho mit diesem letzten Satz gemeint hatte. Da? er selbst nur zu gut verstand, machte ihn stolz.
        Ende


        notes

        Ïðèìå÷àíèÿ


1

        am 1. April 1801

2

        Offiziersanwarter: Seekadett bzw. Fahnrich zur See

3

        Rear-Admiral of the Red: britisches Stammgebiet, das auf den alten Karten rot gekennzeichnet war, im Gegensatz zu beispielsweise Indien (blau) gefuhlt, als er seine Schwester am Altar dem baumlangen Leutnant

4

        sailing master: ursprunglich Segelschiffskapitan. Bei der Kriegsmarine jedoch fur Seemannschaft und Navigation verantwortlicher Decksoffizier

5

        Sandbank in der Themsemundung und Reede gleichen Namens

6

        Belle Ile (en Mer): gro?te der Bretonischen Inseln

7

        am 1.8. 1798

8

        l Kabellange = 182 m

9


12. April 1782 in Westindien

10

        l Faden = 1,83 m

11

        zum Ende der Wache

12

        Reede an der Sudostkuste Englands, vor der Stadt Deal

13

        Spitzname fur die Ostindische Handelskompanie Englands

14

        Frog eaters = Froschfresser, Spitzname fur Franzosen

15

        Damals noch indirekte Ruderkommandos, auf die Pinne bezogen; also: Ruder nach Lee, Schiff dreht nach Luv.

16

        Rund- oder Stutzkopfe: auf der Haartracht beruhender Spitzname fur Anhanger der englischen Parlamentspartei im 17. Jahrhundert


 
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